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German Pages [1118] Year 2020
Sämtliche Schriften Band 1 Herausgegeben von Claudia Ulbrich und Gudrun Emberger Teilband 1
Selbstzeugnisse der Neuzeit
Karoline Kummerfeld Die Selbstzeugnisse (1782 und 1793)
Selbstzeugnisse der Neuzeit Herausgegeben von Kaspar von Greyerz, Hans Medick, Iris Schröder, Kim Siebenhüner und Claudia Ulbrich Band 27,1
Selbstzeugnisse sind Aufzeichnungen, die individuelle und auf das »Selbst« bezogene Beobachtungen und Erfahrungen zusammenhängend zum Ausdruck bringen. In größerer Zahl gibt es sie seit dem 16. Jahrhundert. Besonderes Interesse in der internationalen Forschung wie beim interessierten Publikum findet die populare Autobiographik, also die Selbstzeugnisse aus Unterund Mittelschichten. Gerade sie erweisen sich als unverzichtbar für alle Versuche, soziale Praxis, Erfahrungszusammenhänge und Lebenswelten zu rekonstruieren. Selbstzeugnisse eröffnen neue Zugänge, um die historischen Akteure als empfindende und wahrnehmende, leidende und handelnde Personen zu zeigen. Selbstzeugnisse der Neuzeit wollen bisher noch nicht publizierte Individualquellen zugänglich machen, die historische Zeitgenossenschaft einprägsam reflektieren. Weiterhin wird die Reihe zu Unrecht vergessene oder vergriffene Selbstzeugnisse als kommentierte Nachdrucke verfügbar machen. Veröffentlicht werden auch exemplarische Analysen sowie beschreibende Verzeichnisse und Übersichten. Die Herausgeber hoffen zudem, daß mit diesem Vorhaben Schätze gehoben werden können, die bisher unbekannt sind.
Karoline Kummerfeld
Die Selbstzeugnisse (1782 und 1793) Sämtliche Schriften. Band 1 Herausgegeben von Claudia Ulbrich und Gudrun Emberger Unter Mitarbeit von Marc Jarzebowski Teilband 1
BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR
Veröffentlicht mit der freundlichen Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Cie. KG, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung : Porträt von Karoline Kummerfeld aus Benezé II, Schriftproben Kummerfelds aus Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar F 904, Bl. 2 und Großherzogliches Hausarchiv A XXII Nr. 425, Bl. 363v. Korrektorat : Constanze Lehmann, Berlin Einbandgestaltung : Michael Haderer, Wien Satz : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51941-4
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 I. Einleitung
I.1 Leben schreiben – Die Selbstzeugnisse der Karoline Kummerfeld geb. Schulze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I.2 Theater und Lebenswelt – Die Familien Schulze und Kummerfeld . . . . . . 1. Geburt, Taufe und Herkunft der Eltern (bis 1740) . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Familie von Christian und Augustina Sibylla Schulze (1740–1766) 3. Die Geschwister von Karoline Kummerfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Ehe mit Diedrich Wilhelm Kummerfeld .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Familie Kummerfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Familiengeschichte(n) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I.3 Die autobiographischen Schriften von 1782/83 und 1793 . . . . . . . . . . . . . . 1. Äußere Beschreibung der Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Überlieferung und Editionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Editionsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81 81 83 105 108
31 34 46 53 62 65 74
II. Editionen
II.1 Karoline Kummerfeld geb. Schulze. Die ganze Geschichte meines Lebens. Linz 1782/83 – Hamburger Handschrift (HHS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Textkritische Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 II.2 Karoline Kummerfeld geb. Schulze. Wahre Geschichte meines theatralschen Lebens. Weimar 1793 – Weimarer Handschrift (WHS) .. . . 595 Textkritische Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 961
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III. Anhang
III.1 Beilage zur Hamburger Handschrift: Friedrich August Cropp, Die Familie Kummerfeld betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 967 III.2 Vorbemerkung zur Weimarer Handschrift: Memoiren der Karoline Kummerfeld, geborne Schulze .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 971 III.3 Auszüge aus den Taschenbüchern für die Schaubühne (Theaterkalender – TKR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 972 III.4 Synopse der beiden Handschriften: Aufenthaltsorte und wichtige Ereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 978 III.5 Die Teileditionen von Karl von Holtei und Hermann Uhde . . . . . . . . . 985 III.6 Kurzbiographien der von Karoline Kummerfeld erwähnten Schauspielerinnen und Schauspieler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1012 III.7 Quellen- und Literaturverzeichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verzeichnis der Primärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verzeichnis der Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verzeichnis abgekürzt zitierter Theaterkalender und Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verzeichnis weiterer Nachschlagewerke und Datenbanken . . . . . . . .
1058 1058 1061 1063 1091 1094
III.8 Indices .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1098 1. Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1098 2. Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1111 III.9 Verzeichnis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1114
Vorwort
Die Selbstzeugnisse der Karoline Kummerfeld gelten seit langem als eine der wichtigsten Quellen für die Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts. Als Schlüsseltext für eine umfassendere Kultur- und Sozialgeschichte sind sie noch weitgehend unentdeckt. Ihre Bekanntheit verdanken sie nicht zuletzt dem Umstand, dass sie bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in einer zweibändigen, kommentierten Ausgabe publiziert wurden und seitdem vergleichsweise leicht zugänglich waren. Wie so oft, wich auch diese Fassung einer gedruckten Autobiographie erheblich von den ihr zugrunde liegenden Handschriften ab. Durch Auslassungen, Zusammenfassungen und eine nicht mehr erkennbare Vermischung der beiden autobiographischen Schriften von 1782 und 1793 war ein scheinbar neuer Text erstellt worden. Er war und ist für wissenschaftliches Arbeiten unbrauchbar und taugt bestenfalls als „Steinbruch für Fakten“. Auf keinen Fall aber kann er mit kritischem Anspruch als ein einzelnes zusammenhängendes Selbstzeugnis gelesen werden. Eine vollständige Edition beider Selbstzeugnisse war deshalb schon lange Desiderat der Forschung. Dank der Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft konnte 2011 ein Projekt in Angriff genommen werden, beide Schriften als eigenständige Texte zu edieren. Bis zur Vorlage der Neuedition war es jedoch ein weiter Weg. Schließlich sollten die Texte und ihre Kontexte möglichst umfassend erschlossen, in ihrer dialogischen Struktur sichtbar gemacht und ihr Wert als kultur-, sozial-, familien- und theatergeschichtliche Quelle perspektivisch aufgezeigt werden. Die Lebendigkeit, Komplexität und Vielfalt der Szenen, in denen Karoline Kummerfeld als ungewöhnliche autobiographische Autorin ihr Leben erzählt, ist dabei immer von neuem faszinierend. Karoline Kummerfeld starb 1815 im Alter von 72 Jahren. Auch aus den letzten beiden Jahrzehnten gibt es umfangreiche Zeugnisse über ihr Leben. Sie werden zusammen mit ihrer Korrespondenz im zweiten Band dieser Edition unter dem Titel „Karoline Kummerfeld, Briefe und vermischte Schriften der Karoline Kummerfeld geb. Schulze (1742–1815), hg. von Gudrun Emberger und Claudia Ulbrich“ in der Reihe „Selbstzeugnisse der Neuzeit“ ediert. Zu den vermischten Schriften gehören u. a. die „Samlung vermischter ungedruckter Gedancke“ ebenso wie zwei Journale aus der Weimarer Zeit, in denen die Verfasserin Interessantes über ihre Tätigkeit als unternehmungsfreudige Leiterin einer Nähschule, die Arbeit mit ihren Schülerinnen, deren Näharbeiten und Familien preisgibt. Die Transkription der im vorliegenden Band edierten Selbstzeugnisse wurde im Rahmen des DFG -Projektes „Die Selbstzeugnisse der Schauspielerin Karoline
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Schulze-Kummerfeld (1742–1815), kritische Edition des Gesamtwerks“ von Gudrun Emberger und Marc Jarzebowski besorgt, der auch erste Anmerkungen verfasste und einen Teil der genealogischen Recherchen durchführte. Franziska Hoyer unterstützte uns bei unseren Recherchen zu Orten, Personen und Theaterstücken. Während der dreijährigen Laufzeit des DFG-Projektes konnte der Text nur ansatzweise erschlossen werden. Die Kommentierung wurde in den folgenden Jahren von den beiden Herausgeberinnen unter Mitarbeit von Uwe Jens Wandel zum Abschluss gebracht, dem wir zu besonderem Dank verpflichtet sind. Danken möchten wir auch allen Archivaren, Archivarinnen, Bibliothekaren und Bibliothekarinnen, die uns mit Rat und Tat beiseitestanden, sowie dem Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar und der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, die uns die Manuskripte für die Edition bereitgestellt haben. Gabriele Jancke und Gudrun Wedel haben das Projekt von Anfang an mit Interesse begleitet und wichtige Impulse für die Antragstellung und Bearbeitung gegeben. Dafür sei ihnen, ebenso wie Sophie Häusner und Pia Starke herzlich gedankt, die die Herausgeberinnen bei der redaktionellen Bearbeitung des Manuskripts unterstützt haben. Für Lektüre, kritische Kommentare und steten Zuspruch gilt unser großer Dank Hans Medick, Kaspar von Greyerz und Kim Siebenhüner. Ihnen und Iris Schröder danken wir auch für die Aufnahme der Bände in die Reihe „Selbstzeugnisse der Neuzeit“. Danken möchten wir schließlich der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die das Editionsprojekt gefördert hat, und dem Böhlau Verlag. Berlin, im Juni 2020 Claudia Ulbrich und Gudrun Emberger
I. Einleitung
I.1 Leben schreiben – Die Selbstzeugnisse der Karoline Kummerfeld geb. Schulze Claudia Ulbrich
Karoline Kummerfeld wurde am 30. September 1742 in Wien geboren und am 1. Oktober im Stephansdom auf den Namen Catharina Carolina Paulina getauft1. Als Demoiselle Schulze hatte sie ihre größten Erfolge auf der Bühne. Zu ihren großen Bewunderern gehörten Daniel Schiebeler, Karl Matthaei und nicht zuletzt Johann Wolfgang von Goethe. Noch in einem 1812 verfassten Entwurf zu „Dichtung und Wahrheit“ über seine Leipziger Zeit schwärmte Goethe „von den Auftritten einer ‚Demoiselle Schulze‘“ als Julie. In dieser Rolle wurde sie auch von Friedrich Adam Oeser gemalt. 1828 schrieb Johanna Schopenhauer, Goethe habe ihr erzählt, „wie er als Student zum Sterben in sie verliebt gewesen und sich im Leipziger Parterre die Hände fast wund geklatscht habe, wenn sie in dem Weisse’schen Trauerspiel [Romeo und Julia] als Julia auftrat.“2 Mit der Eheschließung 1768 begann ein neuer Lebensabschnitt, der die nunmehrige Madame Kummerfeld für einige Jahre ins bürgerliche Leben führte. Nach dem Tod ihres Mannes kehrte die 35-Jährige 1777 als Witwe zum Theater zurück, ohne an ihre früheren Erfolge anknüpfen zu können. Nach mehreren, meist kurzfristigen Engagements verließ sie 1785 das Theater für immer, zweieinhalb Jahre nachdem sie mit der Abfassung ihrer ersten Lebensbeschreibung begonnen hatte. Sie eröffnete in Weimar eine Nähschule, die sie bis zu ihrem Tod leitete. Dass sie sich weiter für das Theater interessierte, wird aus ihrer 1793 verfassten zweiten autobiographischen Schrift deutlich3. Ihre Fähigkeiten und ihr Durchhaltevermögen halfen ihr, ihre Existenz zu sichern, zumal sie es verstand, alte Beziehungen aus ihrer Zeit als aktive Schauspielerin und neue, die sie über ihre Schülerinnen knüpfen konnte, zu nutzen. Angeblich gestattete Goethe ihr „gern den Besuch seines Gartenhauses, in welchem sie zur passenden Jahreszeit fast täglich eine Weile zubrachte.“4 Sie starb am 20. April 1815 im Alter 1 2 3 4
Zu den biographischen Daten und familiären Kontexten s. Kap. I.2, zum Taufeintrag s. HHS, Anm. 33. Damals in Weimar. Erinnerungen und Briefe von und an Johanna Schopenhauer, hg. von Heinrich Hubert Houben, 2. Aufl. Berlin [1929], S. 359 f. Zu den beiden autobiographischen Schriften und ihrer Überlieferungs- und Editionsgeschichte s. Kap. I.3.2. Woldemar Frh. von Biedermann, Goethe und Leipzig. Zur 100jährigen Wiederkehr des Tags von Goethe’s Aufnahme auf Leipzigs Hochschule, Bd. 2, Leipzig 1865, S. 58. Angelika Reimann betont in kritischer Auseinandersetzung mit Aussagen von Benezé II, S. XXII, dass es keinerlei Belege dafür
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von 72 Jahren. In ihrem Sterbeeintrag in Weimar wurde ihr Tod unter dem Namen „Carolina Franzisca Kummerfeld, geb. Schulz“ registriert5. Auszug aus einem Brief von Carl Johann Conrad Michael Matthaei in Leipzig an Rudolf Erich Raspe in Hannover, März 17676: Hier ist alles in Alarm, und ich mit hineingerissen, obgleich noch ganz verborgen. Schulzen ist von Hamburg hier, und mit ihr ist der Taumel in alle junge süsse Amphibien gefahren. Schübeler voll platonischer Liebe seufzt in Elegien Ton; und übersetzt aus den Portugiesischen, Gedichte, um ihr selbige zu weyhen. Bei tische hoert man nichts als von ihrer Gage u. kleinen Hand, und dem Amazonen Kleide das sie traegt, und der geistreichen Mine, schwazen. Solte nun da nicht auch unser einer wünschen, diese Aglaia zu sehen, von der die halbe Stadt girrt. Auszug aus Johann Wolfgang von Goethe, Leipziger Theaterleben 1812 über seine Eindrücke von Karoline Schulze, die er 1767 auf der Bühne sah7: […] eine Madame Starke war in den Mutterrollen wohl aufgenommen. Der übrigen Gestalten erinnere ich mich nicht mehr, aber desto besser des lebhaften Eindrucks, den eine Demoiselle Schulze auf uns machte, die mit ihrem Bruder, dem Ballettmeister, bei uns anlangte. Sie war nicht groß, aber nett, schöne schwarze Augen und Haare; ihre Bewegungen und Rezitation vielleicht zu scharf, aber doch durch die Anmut der Jugend gemildert. Sie zog uns in die Bühne, so oft sie spielte, und ihre Darstellung von Romeo und Julia von Weiße ist mir noch ganz gegenwärtig, besonders wie sie in dem weißen Atlaskleide aus dem Sarge stieg und sich sodann der Monolog bis zur Vision, bis zum Wahnsinn steigert. Wenn sie die Ottern, die sie an sich hinaufkriechend wähnte, mit lebhafter Bewegung der Hand wegzuschleudern schien, war ein unendliches Beifallklatschen ihr Lohn; ja, sie hatte durch ihre tragischen Tugenden uns dergestalt gewonnen, daß wir sie in keiner mindern Rolle, am wenigsten aber als Tänzerin sehen wollten und sie davon sogar in kleinen ausgestreuten Versen abzumahnen gedachten.
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gibt, dass Karoline Kummerfeld in ihren Weimarer Jahren Goethe begegnet ist, doch sei dies auch nicht auszuschließen; Goethe. Begegnungen und Gespräche, Bd. X (1815–1816), hg. v. Renate Grumach und Bastian Röther, bearb. von Angelika Reimann, Berlin/Boston 2018, S. 378. Zu den Weimarer Jahren Karoline Kummerfelds s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Weimar, Todten-Protocoll 1815–1821 der Stadtkirche St. Peter und Paul, S. 19, Nr. 87: „Frau Carolina Franzisca Kummerfeld, geb. Schulz“. Carl Johann Conrad Michael Matthaei (1744–1830), Ästhetiker, Hofmeister von Maria Antonia Branconi; Rudolf Erich Raspe (1736–1794), Bibliothekar, Schriftsteller und Universalgelehrter. Der Brief ist abgedruckt in: Carl Scherer, Carl Matthaei, in: Goethe-Jahrbuch 15 (1894), S. 216–244, hier S. 220. Johann Wolfgang von Goethe, Leipziger Theater (1812), in: Goethes sämtliche Werke, Jubiläumsausgabe, Bd. 37: Schriften zur Literatur, mit einer Einleitung und Anm. von Oskar Walzel, 2. Teil, Stuttgart/Berlin 1919, S. 6–8, hier S. 7. Der Text wurde 1837 zum ersten Mal gedruckt (Quartausgabe, Bd. 2, Abt. [1837], S. 644 f.).
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Abb. 1: Karoline Schulze in Leipzig, 1767. Nach einem Pastell von Adam Friedrich Oeser8.
Die Erinnerung an Karoline Kummerfeld wurde nicht nur durch die Zeitgenossen wachgehalten. Ihr Name hat sich auch in dem von ihr erfundenen Waschwasser erhalten, über das noch 1918 im Goethe-Handbuch im Eintrag „Schulze, Karoline“ gesagt wird, sie habe sich durch den Verkauf dieser 1786 gemachten Erfindung ernährt: „Sie starb in Dürftigkeit, weit bekannter durch letzteres Schönheitsmittel, denn als Künstlerin.“9 Schon 1873 hatte Herrmann Uhde diese Auffassung vertreten10. Wenige Jahre 8 Zu Adam Friedrich Oeser und dem Porträt von Karoline Schulze s. HHS, Anm. 876. Das Originalgemälde ist nicht mehr vorhanden. Die Abb. ist Benezé I entnommen. 9 Goethe-Handbuch, hg. v. Julius Zeitler, Bd. 3, Stuttgart 1918, S. 308. Zum Kummerfeld’schen Waschwasser s. auch: Karl Wilhelm Schwabe, Das Kummerfeld’sche Waschwasser als ausgezeichnetes Heilmittel gegen Hautkrankheiten: namentlich gegen trockene und nässende Flechten, Schwinden, Hautfinnen, Aufsprung, Wundsein, Kupferhandel, Mitesser und ähnliche Haut-Ausschläge; nebst einem ausführlichen Bericht über die seitherige Wirksamkeit dieses Heilmittels und vollständiger Anleitung zum richtigen Gebrauch desselben, Weimar 1851. 10 „Die künstlerischen Gebilde der einst so gefeierten Darstellerin sind vergessen, ihr Gedächtnis
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später veröffentlichte Helene Böhlau, die Tochter des Weimarer Verlegers Hermann Böhlau, ihre „Rathsmädelgeschichten“, die jahrzehntelang zum literarischen Bestseller werden sollten. Die dritte von sieben Geschichten über das Leben im alten Weimar trug den Titel: „Handelt von der alten Kummerfelden.“ Doch auch in ihren anderen Geschichten aus Weimar schreibt Helene Böhlau immer wieder über Karoline Kummerfeld und ihre Weimarer Zeit11. In der Goetheforschung wird die Künstlerin bis heute meist als Karoline Schulze erinnert. Auch das Österreichische Biographische Lexikon hält an ihrem Geburtsnamen fest, ergänzt aber sowohl den Ehenamen wie auch den Doppelnamen. Hier heißt es: „Schulze, Karoline; verehel. Kummerfeld, auch genannt Schulze-Kummerfeld (1745– 1815), Schauspielerin“12. Die Allgemeine Deutsche Biographie13 und das Deutsche Theaterlexikon14 führen den entsprechenden Eintrag unter „Kummerfeld, Karoline“. Die meisten neueren Einträge verwenden dagegen den Anfang des 20. Jahrhunderts erfundenen Doppelnamen „Karoline Schulze-Kummerfeld“15. Ihre vier Vornamen Catharina Carolina Paulina Francisca, von denen nur die drei ersten den Taufnamen entsprechen, sind in verschiedenen Registern zu Goetheausgaben in Verbindung mit dem Nachnamen Schulze bzw. Kummerfeld erwähnt16. Sie selbst bezeichnete sich seit ihrer Eheschließung meist, aber nicht immer, als „Karoline Kummerfeldt, geb. Schulze“ oder auch, wie die Abbildung einer ihrer Unterschriften auf dem Titelbild zu dieser Edition zeigt, als „Karolina Franciska Kummerfeldt geb. Schulze“17. Neben dem Ruf-
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verschollen. Aber doch lebt ihr Name noch und zwar sogar weit jenseits der Grenzen unseres Vaterlandes – lebt in Verbindung mit einem Mittel gegen Flechten und Sommersprossen! Das ‚Kummerfeld’sche Waschwasser‘ – das ist das Loos des Schönen auf der Erde! – ist Leuten bekannt, die von Karoline Schulze und deren Wirken als Künstlerin keine Ahnung haben“; Uhde, Komödiantenleben, S. 409 f. Helene Böhlau, Rathsmädelgeschichten, Minden 1888. Der Band erschien in zahlreichen Auflagen. Die letzte Ausgabe wurde von Karl-Maria Guth (Berlin 2016) veröffentlicht. Edith Marktl, Schulze, Karoline; verehel. Kummerfeld, auch genannt Schulze-Kummerfeld (1745–1815), Schauspielerin, in: ÖBL 1815–1950, Bd. 11 (Lfg. 54, 1999), S. 355 f. Kürschner, Joseph, „Kummerfeld, Karoline“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 17 (1883), S. 372–374 (Online-Version: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118839446.html#adbcontent, Zugriff am 2.7.2020). Kosch Theater, Bd. 2, S. 1131. Dieser Doppelname wurde in der 1915 erschienenen Edition der Lebenserinnerungen von Benezé eingeführt. So beispielsweise in: Siegfried Seifert, Goethes Leben von Tag zu Tag: Generalregister: Namensregister – Register der Werke Goethes – Geographisches Register, Berlin/Boston 2011, S. 382 (unter Schulze). Der gleiche Eintrag findet sich auch im Goethe-Handbuch (s. o. Anm. 9). Im Register von Goethe. Begegnungen und Gespräche, Bd. X (wie Anm. 7), S. 424 lautet der Eintrag: Kummerfeld, Katharina Caroline Paulina Franciska, geb. Schulze. Zu dieser Unterschrift s. das Titelbild dieser Publikation. Die Frage, wann und warum Karoline
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namen „Carolina“ bzw. „Caroline“, den sie auch als Autorin der Weimarer Handschrift wählte18, finden sich in ihren beiden Selbstzeugnissen Kosenamen wie „Linchen“ und „Carlinchen“19. Schließlich nennt sie sich in einer von ihr 1801 anlässlich des Todes ihres Bruders aufgegebenen Anzeige „Maria Carolina Kummerfeldin, Wittwe, gebohrne Schulze“20. Wie wichtig ihr der eigene Name war, wird in der Hamburger Handschrift deutlich. Hier erzählt sie ausführlich über die Probleme, die sie bezüglich ihrer Zugehörigkeit und ihres Namens in den ersten Wochen ihrer Ehe hatte. Der Umstand, dass ihr Mann nicht bereit war, die Ehe zu vollziehen, stürzte sie in eine tiefe Krise. Sie war in dieser Zeit unfähig, die Briefe, die sie an ihren Bruder und an Freunde schrieb, mit vollem Namen zu unterschreiben: „Meine Briefe wurden fertig, aber eine unbekandte Macht hilte mich zurüke, wen ich Caroline unterschrieben hatte, weder Schulz noch Kummerfeld hinzuzusetzen.“21 Schließlich bat sie ihren Mann, dass er an ihrer Stelle den Namen hinzufüge: „Er unterschrieb selbst ‚Kummerfeld‘. Und ich freudte mich, das ich noch Raum fand, hinzuzusezen, mit zimlich großen Lettern, ‚geborne Schulze‘. – Ach, der Name! Ich fühlte so ganz, wie lieb er mir noch war. – Wie glüklich er mich gemacht. – Kummerfeld! – Ja, wohl ein ängstlicher, gramvoller Name, ein großes unübersehbares Feld. Bepflanzt mit Kummer. – – Kummer – Kummerfeld.“22 Als Karoline Kummerfeld später ihre erste autobiographische Schrift verfasste, beharrte sie darauf, dass die Schrift, falls sie posthum herausgegeben würde, unverändert
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Kummerfeld sich den Namen Franziska zugelegt hatte, lässt sich aus ihren autobiographischen Schriften nicht beantworten. Einen Hinweis gibt sie in der Weimarer Handschrift, in der sie erwähnt, dass ihr Zeichen „C.F.S“ (Carolina Franziska Schulze) in das Silbergeschirr eingraviert gewesen sei, das ihr Mann ihr geschenkt hatte. Im gleichen Zusammenhang erwähnt sie, dass ihre Wäsche mit C. S. gezeichnet war (WHS, S. [197r/397f.]). HHS , S. [683]. Sie schrieb ihren Vornamen Carolina manchmal mit K und manchmal mit C und benutzte verschiedene Schreibweisen für Franziska. Dies kann vermutlich mit ihrer Unsicherheit oder Gleichgültigkeit gegenüber der Rechtschreibung erklärt werden (s. Kap. I.3.3 und Gudrun Emberger, „Was ich bin, was ich kann, lehrte ich mich selbst – What I am, what I know, I taught myself“ (Überarbeitete Fassung eines Vortrages im Rahmen der Tagung „Eighteenth-Century Ego Documents: The Individual in Society“, Universität Zürich, 8.–10. März 2017, Ms abgeschlossen). Linchen kommt nur in der HHS vor: S. [489], [492], [494], [499], [545], [552 ], [554 ], [598], Karolinchen, Karlinchen bzw. Carolinchen finden sich in HHS, S. [110], [119], [126], [275], [553] und WHS, S. [122v/248], [139v/282, 140v/286]. S. Kap. I.2, Anm. 116 und 129. HHS, S. [574]. Diese ganze, für die Diskussion um Geschlecht und Identität wichtige Passage ist in den bisherigen Ausgaben extrem verkürzt bzw. verändert wiedergegeben. Benezé II, S. 13 f. fasst die Seiten [563]–[577] der Hamburger Handschrift auf einer halben Seite zusammen. Buck, S. 194 f. verkürzt die Aussagen Benezés weiter, gibt ihnen aber mehr Gewicht, indem sie seine Zusammenfassungen in die erste Person überträgt. Siehe dazu Kap. I.3.2. HHS, S. [576].
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abgedruckt werden sollte. Namen, die sie abgekürzt bzw. verschlüsselt hatte, sollten als solche stehen bleiben23. Durch die Nennung zahlreicher identifizierbarer Personen einerseits und die Verwendung von Kürzeln andererseits gelang es ihr, authentisch aufzutreten und sich zugleich mit Geheimnissen zu umhüllen. Aufgrund der Mischung aus präziser Beschreibung und andeutender Erzählung präsentierte sie ihr Leben in der Selbstbeschreibung wie ein Theaterstück, in dem es trotz ihrer wiederholten Behauptung, die Wahrheit zu sagen, weniger um „richtig oder falsch“ ging als um die Frage nach dem „Was“, dem „Wie“ und dem „Warum“ des Erzählens, Darstellens und Erinnerns24. Nicht nur der Umgang mit verschiedenen Namen, auch manche Zeitangaben – vor allem die ihres eigenen Alters – sind Teil ihrer Performance. Bis heute findet sich das von Karoline Kummerfeld in der Autobiographie angegebene Geburtsdatum, 30. September 1745, unhinterfragt in allen neueren biographischen Darstellungen25. Da sie wiederholt ihren Wahrheitsanspruch betonte und alle Altersangaben in ihren Texten an diesem Datum ausrichtete, glaubte man ihr einfach, dass sie 1745 und nicht, wie einige zeitgenössische Autoren schrieben, 1742 oder 1743 geboren sei. Durch Recherchen in den Wiener Kirchenbüchern konnte das Geburtsjahr 1742 zweifelsfrei bestätigt werden26. Schon diese wenigen Ausführungen über das Leben und die Selbst- und Fremdwahrnehmungen der Karoline Kummerfeld mögen genügen, um das Interesse an ihrer Person und ihren Selbstzeugnissen zu wecken. Wer war diese Frau, die viel und leidenschaftlich gerne schrieb, und doch ihren Ehemann bat, ihre Briefe zu unterschreiben, um gleich danach in großen Buchstaben ihren Mädchennamen hinzuzufügen? Warum wollte die erfolgreiche, von Goethe bewunderte Schauspielerin überhaupt einen Bankbuchhalter heiraten? Wie beurteilte sie den Literatur- und Theaterbetrieb ihrer Zeit, das Aufkommen der Theaterkritik oder die Beziehung zum Publikum? Welche 23 HHS, S. [2]: „Die, die ich selbst nur mit Einen Buchstaben anzeige, habe ich meine eigene eigensinnige Ursachen“. 24 Es geht dabei nicht nur um das Spannungsverhältnis von Fiktion und Wirklichkeit, sondern auch um typische Elemente der nicht-literarischen Kommunikation jener Zeit, angefangen vom rhetorischen Prinzip der Dissimulatio bis hin zur Bevorzugung dialogischer Textformen. Lit.: Andreas Keller, Frühe Neuzeit: Das rhetorische Zeitalter, Berlin 2008 (Akademie Studienbücher – Literaturwissenschaft); Ursula Geitner, Die Sprache der Verstellung. Studien zum rhetorischen und anthropologischen Wissen im 17. und 18. Jahrhundert, Tübingen 1992 (Communicatio 1) (Reprint 2011). Zur Wechselbeziehung von Fiktion und Wirklichkeit s. auch Ruth B. Emde, Schauspielerinnen im Europa des 18. Jahrhunderts. Ihr Leben, ihre Schriften, ihr Publikum, Amsterdam/Atlanta, GA 1997 (Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft 26). 25 Unterschiedliche Datierungen zu Lebzeiten (s. HHS, Anm. 33) hätten durchaus zum Anlass genommen werden können, das von Karoline Kummerfeld angegebene Geburtsdatum zu überprüfen, zumal im Sterbeeintrag (s. o. Anm. 8) das Alter korrekt angegeben ist. 26 HHS, Anm. 33 und Kap. I.2.
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Handlungsmöglichkeiten hatte Karoline Kummerfeld als Schauspielerin, als Ehefrau und später als Unternehmerin? In welchen Beziehungsnetzen stellt sie sich dar und welche Machtverhältnisse werden dabei sichtbar? Was sagt dies über die Normen und Werte ihrer Zeit aus? Wie passt das, was sie schreibt und das, was über sie geschrieben wurde, zu den Vorstellungen von der Geschlechterordnung der Aufklärung, die lange mit dualistischen Konzepten von Männlichkeit und Weiblichkeit, Öffentlichkeit und Privatheit, Kultur und Natur in Verbindung gebracht wurde? Welche Erkenntnisse gewinnen wir für die Geschlechter-, Sozial- und Theatergeschichte als Allgemeiner Geschichte27, wenn wir den Texten Karoline Kummerfelds Respekt entgegenbringen und sie so rezipieren, wie sie geschrieben wurden, sie aus ihrer eigenen Zeit heraus verstehen und ihre Spuren nachverfolgen? Diese und viele andere Fragen konnten auf der Grundlage der bislang erschienenen Editionen nicht oder nur sehr partiell und hypothetisch beantwortet werden. Sie vermischten die beiden zu verschiedenen Zeiten entstandenen Selbstzeugnisse miteinander und boten eine nur erheblich gekürzte und sinnentstellte Version von Kummerfelds Schriften, die den kritischen Ansprüchen der Selbstzeugnisforschung und speziell auch den Forschungen zu Autobiographien von Frauen nicht mehr genügte28. Die Autobiographieforschung war lange von der Vorstellung geprägt, dass die Entwicklung von Individualität und autobiographischem Schreiben so eng aufeinander bezogen seien, dass Autobiographien vorwiegend als Zeugnisse für die „Entdeckung“ oder „Entstehung“ des modernen Individuums zu lesen seien29. Diese Schwerpunkt27 Zum Verhältnis von Geschlechtergeschichte und Allgemeiner Geschichte s. die Beiträge in: Hans Medick/Anne-Charlott Trepp, Geschlechtergeschichte und Allgemeine Geschichte. Herausforderungen und Perspektiven, Göttingen 1998 (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft 5). 28 Einen Ein- und Überblick zu den Forschungen über Autobiographien von Frauen in den 1990er-Jahren geben die Beiträge in: Magdalene Heuser (Hg.), Autobiographien von Frauen. Beiträge zu ihrer Geschichte, Tübingen 1996 (Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte 85). Für einen Forschungsüberblick, s. Ortrun Niethammer, Autobiographien von Frauen im 18. Jahrhundert, Tübingen/ Basel 2000, S. 26–33. Wichtige frühe Arbeiten zu diesem Thema haben Julia Watson und Sidonie Smith 1998 in einem Reader zusammengestellt: Sidonie Smith/Julia Watson, Women, Autobiography, Theory. A Reader, Madison 1998; s. a. Martine Watson Brownley/Allison B. Kimmich (Hg.), Women and Autobiography, Wilmington 1999 (Worlds of Women 5), hier S. 185–194: Auszug aus der 1755 verfassten Autobiographie der englischen Schauspielerin, Dramatikerin und Transvestitin Charlotte Charke (1713–1760). 29 Für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept der Entstehung des Individuums und seiner Bedeutung für die Autobiographieforschung sei vor allem auf die Forschungen von Gabriele Jancke verwiesen. Wichtige Punkte sind zusammengefasst in: Gabriele Jancke/Claudia Ulbrich, Einleitung, in: Dies. (Hg.), Vom Individuum zur Person. Neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung, Göttingen 2005 (Querelles. Jahrbuch für Frauen- und Geschlechterforschung 10, 2005), S. 7–27.
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setzung führte in den 80er- und 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts, in denen die Selbstzeugnisse der Karoline Kummerfeld eine erste Renaissance erlebten, in den Geschichts- und Literaturwissenschaften gelegentlich zu einer Engführung der Forschungsfragen30. Häufig bildeten sie als unausgesprochene Vorannahmen den Ausgangspunkt für Fragen nach den sich verändernden Entwicklungsmöglichkeiten von Frauen im Lauf der Geschichte, ihrem Ausschluss aus der im 18. Jahrhundert entstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit und nach dem autobiographischen Subjekt31. Zu den wenigen in dieser Zeit in gedruckter Form leicht zugänglichen autobiographischen Texten einer Frau gehörten die Selbstzeugnisse der Karoline Kummerfeld. Ihre Bekanntheit verdankt diese Quelle dem Umstand, dass der Germanist und Schröderbiograph Berthold Litzmann zu Beginn des 20. Jahrhunderts seinen Schüler Emil Benezé veranlasst hatte, die „Lebenserinnerungen“ der einst geschätzten und bekannten Schauspielerin herauszugeben32. Benezé hatte damals die beiden in Hamburg bzw. Weimar aufbewahrten Handschriften in einer einzigen „Selbstbiographie“ zusammengefasst, die er „an allzu weitschweifig gehaltenen, belanglosen Stellen“ kürzte33. Neben den theatergeschichtlich relevanten Aspekten waren ihm vor allem jene wichtig, „die ein großes, besonders Hamburg betreffendes, kulturgeschichtliches Interesse befriedigen.“34 Ein ganz anderes Ziel verfolgte Inge Buck mit ihrer 1988 in erster Auflage erschienenen Neuausgabe: Um die Lesbarkeit des Textes zu verbessern und den „Faden der Handlung im Gestrüpp der Verästelung der Nebenhandlungen, in nicht 30 Siehe etwa: Ursula Geitner, Vom Trieb, eine öffentliche Person zu sein. Weiblichkeit und Öffentlichkeit um 1800, in: Hans-Wolf Jäger (Hg.), „Öffentlichkeit“ im 18. Jahrhundert, Göttingen 1997, S. 77–90. Den Zusammenhang von Theater und Öffentlichkeit thematisiert auch Ortrud Gutjahr, Gesellschaftsfähigkeit und gesellige Rolle der Schauspielerin im 18. Jahrhundert, in: Dies./Wilhelm Kühlmann/ Wolf Wucherpfennig (Hg.), Gesellige Vernunft: zur Kultur der literarischen Aufklärung. Festschrift für Wolfram Mauser zum 65. Geburtstag, Würzburg 1993, S. 83–110. 31 Das Interesse an Autobiographien von Frauen begründete Gisela Brinker-Gabler 1996 folgendermaßen: „Der Blickwechsel vom ‚universalen‘ einheitlichen männlichen Selbst auf ein weibliches ‚Selbst‘ hat ein Spektrum möglicher weiblicher Identitäten in die Diskussion gebracht, von der Anpassung an traditionelle Formen weiblicher Identität und Weiblichkeitsdefinition über unterschiedliche Anpassungs- und Widerstandsformen, etwa durch partielle Identifizierung mit dem universalen Selbst, bis hin zu Formen von Ich-Spaltung oder ‚zerstückter‘, ich-aufgelöster Subjektivität, die es nicht mehr erlaubt, Handlungsorientierung und Lebensentwurf zu entwickeln“; Gisela Brinker-Gabler, Metamorphosen des Subjekts. Autobiographie, Textualität und Erinnerung, in: Magdalene Heuser (Hg.), Autobiographien, S. 393–404, hier S. 396. 32 Benezé I, S. VII. Berthold Litzmann, Friedrich Ludwig Schröder. Ein Beitrag zur deutschen Litteratur- und Theatergeschichte, 2 Bde., Hamburg und Leipzig 1890. Litzmann hatte für seine Schröderbiographie die autobiographischen Schriften von Kummerfeld benutzt. 33 S. u. Kap. I.3.2 34 Benezé I, Vorwort, S. VII f.
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endender direkter Rede und Gegenrede, in ‚wahrheitsgetreuer‘ Ausbreitung familiärer und verwandtschaftlicher Verflechtungen nicht zu verlieren“, kürzte sie Benezés Textvorlage an vielen Stellen. Sie tat es auch dort, „wo die Schauspielerin – u. a. auch seit ihrer Rückkehr zum Theater 1777 – nicht mehr den inneren und äußeren Stationen ihrer Entwicklung erzählend folgt, sondern – sich in Selbstrechtfertigungen verlierend – die Ursachen ihrer Mißerfolge, Kränkungen, Mißachtung den Beweggründen, den Handlungen anderer Personen räsonnierend zuschreibt.“35 Indem sie den Text so aufbereitete, dass die „äußeren und inneren Stationen eines Entwicklungsprozesses“ sichtbar werden, konstruierte sie das Bild einer „selbstbewußten“ und „eigen-sinnigen“ Person, das weitgehend dem linearen Konzept des modernen Individuums entsprach. In der Tradition der Meistererzählungen des 19. Jahrhunderts wurde dieses Individuum durch Autonomie, Freiheit und Selbsttransparenz definiert. Mit diesem anachronistischen Ansatz stand Inge Buck damals nicht allein. Während einige Forscherinnen und Forscher die Lebenserinnerungen von Karoline Kummerfeld schlicht als 1 : 1-Abbild der Wirklichkeit lasen36, legten andere ihren Interpretationen Vorstellungen einer linearen Entwicklung der Rolle der Frauen im Theater zugrunde, die in der Auseinandersetzung mit der Aufklärung, die als „repressiver Geschlechterkampf “37 verstanden wurde, zu einer Entmündigung der Schauspielerinnen führte38. Ein Problem 35 Buck, Fahrendes Frauenzimmer, 1988, S. 282. 36 Hier ist besonders an eine Studie von Walter D. Wetzels zu erinnern, der die Memoiren von Karoline Kummerfeld mit Goethes Roman „Wilhelm Meisters Theatralische Sendung“ (1777) verglich und betonte, dass Goethes Roman im Gegensatz zu Kummerfelds „Memoiren“ keine realistische Darstellung des Theaterlebens, sondern eine „artistische Idealkonzeption“ wiedergebe; Walter D. Wetzels, Schauspielerinnen im 18. Jahrhundert – Zwei Perspektiven: Wilhelm Meister und die Memoiren der Schulze-Kummerfeld, in: Barbara Becker-Cantarino (Hg.), Die Frau von der Reformation zur Romantik: die Situation der Frau vor dem Hintergrund der Literatur- und Sozialgeschichte, Bonn 1980 (Modern German Studies 7), S. 195–216, hier S. 214. Renate Möhrmann sieht Karoline Kummerfeld „als bürgerliches Gegenstück“ zu Wilhelm Meister und betont, dass für „Karoline die bürgerlichen vier Wände […] die Zufluchtsstätte vor den Widrigkeiten des Alltags“ gewesen seien; Renate Möhrmann, Die Schauspielerin als literarische Fiktion, in: Dies. (Hg.), Die Schauspielerin: Zur Kulturgeschichte der weiblichen Bühnenkunst, Frankfurt a. M. 1989, S. 154–174, hier S. 156. 37 Ruth B. Emde, Manuskripte und Memoiren von Schauspielerinnen des 18. Jahrhunderts. Ein Leben mit Texten, durch Texte, für Texte, in Texten, in: Das achtzehnte Jahrhundert. Mitteil. der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts, Jg. 20, H. 2, Wolfenbüttel 1996, S. 181–196, hier S. 182. 38 Barbara Becker-Cantarino, Von der Prinzipalin zur Künstlerin und Mätresse: die Schauspielerin im 18. Jahrhundert in Deutschland, in: Möhrmann (Hg.), Schauspielerin, S. 88–113. Auch der Studie von Ruth B. Emde über Schauspielerinnen im Europa des 18. Jahrhunderts liegt dieses Narrativ zugrunde (Emde, Schauspielerinnen). Siehe dazu auch die ausführliche Rezension von Ute Daniel in IASLonline (http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=2036, Zugriff am 2.7.2020).
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dieser Ansätze ist, dass dabei häufig gegenwärtige Begriffe von Freiheit, Gleichheit, Selbstbewusstsein, Freundschaft, Liebe etc. unhinterfragt und mit unausgesprochenen Vorannahmen aufgeladen auf das 18. Jahrhundert rückübertragen wurden. Damit droht das Verständnis der historischen Epoche mit ihrer Alterität verloren zu gehen. Wie unangemessen es ist zu erwarten, dass Schauspielerinnen um 1800 nach künstlerischer Freiheit, Selbstständigkeit oder Unabhängigkeit strebten, hat Andrea Heinz 2005 am Beispiel der drei Schauspielerinnen Karoline Kummerfeld, Luise Rudorf und Caroline Jagemann aufgezeigt, die das Theater verließen, „sobald sie die Aussicht auf eine gute Heirat, Gründung einer Familie und Altersabsicherung hatten.“39 Wer, wie dies in der neueren Selbstzeugnisforschung als notwendige Perspektiv erweiterung postuliert wurde, von einem offenen Personkonzept ausgeht, entdeckt statt eines in sich geschlossenen Individuums ein relationales Selbst. Es konstituiert sich im jeweiligen Kontext und in seinen Bindungen, die in den meisten Selbstzeugnissen einen zentralen Stellenwert einnehmen. Textstellen, die von Benezé als belanglos oder weitschweifig abqualifiziert und bei Inge Buck als Nebenhandlungen gestrichen wurden, erhalten, wenn man Beziehungskonzepten Relevanz für die Ich-Konstitution zuspricht, Bedeutung. Um sie zu erschließen, reicht es nicht, auf eine authentische Quelle zurückzugreifen, vielmehr bedarf es zusätzlich zu einer editorisch zuverlässig erschlossenen Version einer reflektierten historischen Hermeneutik, die die Begriffe, ihre Bedeutungen und ihr Verhältnis zueinander im Verständnis der historischen Zeit herausarbeitet und anwendet40. Wie Ute Daniel in ihrer Studie zum Hoftheater betonte, „bedeutet dies, das bedeutungsvolle Handeln der Menschen und die darin zum Ausdruck kommenden Werthierarchien und Sinnstiftungen vor demjenigen Wahrnehmungs- und Bedeutungshorizont zu betrachten, vor dem es erfolgt und aus dem heraus es demzufolge erst entschlüsselbar ist.“41 Zu einer solchen Entschlüsselung können die verschiedenen Disziplinen, die sich mit Autobiographien befassen, mit ihren fachspezifischen
39 Andrea Heinz, Weimarer Schauspielerinnen um 1800: Caroline Schulze-Kummerfeld, Luise Rudorf, Caroline Jagemann. Ein Leben zwischen Bühne, Bett und bürgerlicher Existenz, in: Julia Frindte/ Siegried Westphal (Hg.), Handlungsspielräume von Frauen um 1800, Heidelberg 2005 (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800, 10), S. 407–418, hier S. 418. 40 Niethammer, Autobiographien, hat in ihrer 2000 erschienenen Studie zu Recht auf das Problem der Geschlechtergebundenheit hermeneutischer Verfahren hingewiesen, doch gibt es inzwischen so viele quellenfundierte geschlechtergeschichtliche Untersuchungen für die Zeit um 1800, dass es mühsam, aber dennoch möglich ist, „Personen in ihren Handlungsmöglichkeiten, ihren Entscheidungen und in ihren Potentialen als Akteure und Akteurinnen, verflochten „mit dem Gewebe der Kontexte“ sichtbar zu machen.“ ( Jancke/Ulbrich, Individuum, S. 27). 41 Ute Daniel, Hoftheater. Zur Geschichte des Theaters und der Höfe im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 1995, S. 454.
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Methoden und Theorieansätzen auf ganz unterschiedliche Weise beitragen. Allerdings war die Bereitschaft zu einem interdisziplinären Wissenstransfer in der Autobiographieforschung für lange Zeit eher gering42. Das Interesse an einer „Theatergeschichte von unten“, das Inge Buck bereits 1986 formulierte43, oder die Neuinterpretation der „sozialen und literarischen Rollen, die die Schauspielerinnen in den eigenen Schriften einnehmen“, die Ruth Emde 1996 postulierte44, können in diesem Zusammenhang bestenfalls als ein erster Schritt zur Erschließung dieser nicht nur für die Theatergeschichte wertvollen Quellen verstanden werden45. Obwohl Inge Buck in einem späteren Aufsatz deutlich machte, dass sie mit ihrer unter dem Titel „Ein fahrendes Frauenzimmer“ erschienenen „Neuherausgabe“ „eine popularisierte Fassung der Lebenserinnerungen einer ungewöhnlichen und mutigen Frau ihrer Zeit“ anstrebte46, wurde ihre Ausgabe in der Folgezeit zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten zugrunde gelegt, die die Autobiographie von Karoline Kummerfeld lediglich als Steinbruch für Fakten benutzten oder zur Untermauerung ihrer eigenen Thesen zitierten47. Kritische Hinweise auf die Textkontamination beider Editionen und 42 Zu den unterschiedlichen Fragestellungen und Zugängen zur Autobiographieforschung in den Geschichts- und Literaturwissenschaften s. James S. Amelang, Saving the Self from Autobiography, in: Kaspar von Greyerz (Hg.), Selbstzeugnisse in der Frühen Neuzeit. Individualisierungsweisen in interdisziplinärer Perspektive, München 2007 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 68), S. 129–140. Amelang plädiert für die Beibehaltung der verschiedenen Zugänge der Disziplinen, verbunden mit einem interdisziplinären „Wissenstransfer“. 43 Inge Buck, Zur Situation der Frauen am Theater im 18. Jahrhundert am Beispiel der Karoline SchulzeKummerfeld (1745–1815), in: Peter Freimark/Franklin Kopitzsch/Helge Slessarev (Hg.), Lessing und die Toleranz, Detroit/München 1986, S. 313–324, und Dies., Fahrendes Frauenzimmer, 1988, S. II. Auf diesen Ansatz von I. Buck verweist auch Erika Fischer-Lichte, Kurze Geschichte des deutschen Theaters, Tübingen/Basel 1993, S. 440, Anm. 11. 44 Emde, Manuskripte, S. 194. Mit ihrer Edition der Schriften Caroline Jagemanns hat Ruth Emde einen wichtigen Beitrag geleistet, um einen solchen Ansatz umzusetzen (Selbstinszenierungen im klassischen Weimar: Caroline Jagemann, hg. von Ruth B. Emde, 2 Bde., Göttingen 2004). 45 Die Bedeutung der Autobiographien von Wanderkomödianten für eine problemorientierte Geschichte des Theaters in Deutschland betont Stefan Hulfeld, Theatergeschichtsschreibung als kulturelle Praxis: wie Wissen über Theater entsteht. Zürich 2007, S. 183. 46 Inge Buck, Aus dem Stegreif geschrieben. Zum Verhältnis von Stimme, Aktion und Text in den Lebenserinnerungen der Wanderkomödiantin Karoline Schulze-Kummerfeld (1745–1815), in: Eva Rieger/ Gabriele Busch-Salmen (Hg.), Frauenstimmen, Frauenrollen in der Oper und Frauen-Selbstzeugnisse, Herbolzheim 2000, S. 89–99, hier S. 99. 47 Als ein Beispiel unter vielen sei verwiesen auf Jochen Ebert, Willkommene und ungebetene Gäste. Fremde in Kassel im 18. Jahrhundert, in: Heide Wunder/Christina Vanja/ Karl-Hermann Wegner (Hg.), Kassel im 18. Jahrhundert: Residenz und Stadt, Kassel 2000, S. 262–283, hier S. 270 f. Ebert untermauert seine Aussage, dass fremde Künstler aufgrund ihrer Nichtsesshaftigkeit in Kassel ausgegrenzt
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die Eingriffe seitens der Herausgeber, wie sie bereits 1996 von Magdalene Heuser48 und 1997 sowie 2000 explizit von Ortrun Niethammer49 formuliert worden waren, störten dabei offensichtlich nicht. Niethammer hatte bereits 2000 wesentliche Aspekte der Editions- und Überlieferungsgeschichte herausgearbeitet und daraus die Forderung einer separaten Edition beider Manuskripte abgeleitet50. Ihr kommt das Verdienst zu, die Textanfänge beider Handschriften zumindest auszugsweise publiziert zu haben. Sie geben Aufschluss über die jeweilige Schreibsituation und Schreibmotivation. Außerdem hat sie einen Brief vom 8. August 1793, in dem Karoline Kummerfeld dem Berliner Verleger Friedrich Nicolai ihre „Wahre Geschichte meines Theatralschen Lebens“ zum Kauf anbot, in voller Länge abgedruckt. Zwar beschränkte sich Niethammer in ihrer Interpretation der autobiographischen Schriften Kummerfelds auf die Untersuchung der Gleichheitsvorstellungen im Kontext bürgerlicher Wertvorstellungen der Spätaufklärung, doch schuf sie mit ihren Forschungen zum Genre der Autobiographie, zu Schreibmotivation und Wahrheitsanspruch wichtige Voraussetzungen für die weitere Forschung. Auch Andrea Heinz setzte sich kritisch mit den Editionen von Benezé und Buck auseinander und arbeitete heraus, dass Karoline Kummerfeld sich in der
wurden, mit den ärmlichen Verhältnissen, die Karoline Kummerfeld in Kassel vorfand, und sieht in der Unmöglichkeit, eine Liebesbeziehung zwischen ihr und einem Major durch eine Ehe zu legalisieren, einen „Hinweis auf die Unehrenhaftigkeit ihres Nahrungserwerbs.“ (S. 270 f.). Kummerfeld bettet diese Passage aber ganz anders ein. In ihrer Darstellung geht es nicht um Ausgrenzung und Unehrenhaftigkeit, sondern um die Schwierigkeiten der Wandertheater, nach den Verwüstungen des Siebenjährigen Krieges Engagement und ein angemessenes Quartier zu finden, um Einschränkung der Ehefreiheit von Soldaten durch den Landesherrn und die Familie und um ihr eigenes Verständnis von Tugend und Ehre, das sie im Nachhinein hinterfragt (s. HHS, S. [259]–[274]). 48 Magdalene Heuser, Einleitung, in: Dies. (Hg.), Autobiographien, S. 1–12, hier S. 2. Als Beispiele für Editionen, die „textkritisch in Frage gestellt werden“ müssen, nennt sie die Autobiographien von Therese Forster, Henriette Herz, Karoline Schulze-Kummerfeld und Luise Wiedemann. Besonders gut nachvollziehen lässt sich der respektlose Umgang mit Texten von Frauen am Beispiel der Lebenserinnerungen der Regula Engel, die seit ihrem Erscheinen 1821 mehrfach neu ediert und durch Kürzungen und Ergänzungen verändert wurden. In der Ausgabe von 1977 war die mittellose Witwe und Mutter von 21 Kindern, die mit ihrem Schreiben Geld verdienen wollte, schließlich zur starken Frau mutiert; Claudia Ulbrich, Von der Schweizer Amazone zur Mutter Courage. Die Lebensbeschreibung der Regula Engel, in: Barbara Duden/Karen Hagemann/Regina Schulte/Ulrike Weckel (Hg.), Geschichte in Geschichten. Ein historisches Lesebuch, Frankfurt/Main 2003, S. 261–269. 49 Ortrun Niethammer, Eine annotierte Quellenbibliographie zu Autobiographien von Frauen. Projektskizze zu dem Zeitraum 1700–1800, in: Hans-Gert Roloff (Hg.), Editionsdesiderate zur Frühen Neuzeit. Beiträge zur Tagung der Kommission für die Edition von Texten der Frühen Neuzeit, 2. Teil, Amsterdam/Atlanta, GA 1997 (CHLOE, Beihefte zum Daphnis 25), S. 771–786; Dies., Autobiographien, S. 150–152. 50 Niethammer, Autobiographien, S. 155.
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Textgestaltung inhaltlich und formal an Dramentexten orientierte51. Anders als Friedemann Kreuder, der die Autobiographie Kummerfelds als fiktionalen Text zur Inszenierung des Selbst gelesen hat52, betonte Andrea Heinz am Beispiel von Kummerfelds Liebesgeschichten die enge Verknüpfung von Erfahrung und Fiktionen. Auch Kummerfelds Selbstverständnis als Schauspielerin sei, so argumentiert Heinz, von der dramatischen Dichtung ihrer Zeit beeinflusst: „Für sie war die Kongruenz zwischen den auf der Bühne propagierten Moralvorstellungen und ihrem eigenen Denken und Handeln zwingend.“53 Wendy Arons diskutierte u. a. in Bezug auf Karoline Kummerfeld das Modell einer im 18. Jahrhundert wirksamen „antitheatrical subjectivity“ als einer zeitgenössischen bürgerlichen Form der Selbstdarstellung, die auf Authentizität und Redlichkeit aufbaute. Hierin sah sie eine Möglichkeit, wie im Raum des Theaters der Diskurs über die Natur der Weiblichkeit (und damit die Naturalisierung der Geschlechterdifferenz) unterlaufen werden konnte. Arons ist es darüber hinaus gelungen, den nicht überlieferten Anfang der Weimarer Handschrift zu rekonstruieren und neue Einsichten in Schreibanlass und -motivation der beiden in zwei verschiedenen Lebensphasen der Verfasserin entstandenen autobiographischen Schriften zu vermitteln. Mit der Betonung der verschiedenen Schreibanlässe und Entstehungszeiten ebenso wie mit ihrem Verständnis von Schreiben als kommunikativer Handlung („the act of writing“54) hebt sie sich von jenen Arbeiten über Karoline Kummerfeld ab, die die Hamburger Handschrift nur als eine frühe Version der Lebenserinnerungen sehen, die 1793 komplett überarbeitet wurde55. Auf das Schreiben als performative Handlung verweist auch Romain Jobez, wenn er betont: „Angesichts der auf korrekte Selbst(re)präsentation bedachten aufklärerischen 51 Andrea Heinz, Identität und Rollenverständnis im Leben und auf der Bühne. Die Autobiographie der Schauspielerin Caroline Schulze-Kummerfeld (1745–1815), in: Gonthier-Louis Fink/Andreas Klinger (Hg.), Identitäten. Erfahrungen und Fiktion um 1800, Frankfurt a. M./Berlin u. a. 2004 ( Jenaer Beiträge zur Geschichte 6), S. 349–367, hier S. 355, und Kap. I. 3.2. 52 Friedemann Kreuder, Spielräume der Identität in Theaterformen des 18. Jahrhunderts, Tübingen 2010, S. 67. 53 Heinz, Identität. S. 359. 54 Wendy Arons, Performance and Feminity in Eighteenth Century German Women’s Writing: The Impossible Act, New York 2006, S. 85. 55 So z. B. Kreuder, Spielräume, S. 66. Es ist schwer nachvollziehbar, wieso bei der Erforschung der Identität einer Schauspielerin die Editionspraktiken nur peripher problematisiert wurden und die Frage der Entstehung ebenso wie Verschiedenheit der Schreibanlässe und -strategien beider Handschriften bei den Interpretationen keine Rolle spielen. Auf dieses Problem weist auch Beate HochholdingerReiterer in ihrer geschlechtergeschichtlichen Untersuchung zur Erfindung der Schauspielkunst hin; Beate Hochholdinger-Reiterer, Kostümierung der Geschlechter. Schauspielkunst als Erfindung der Aufklärung, Göttingen 2014 (Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa 18), S. 257.
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Gesellschaft kann Schulze-Kummerfeld nicht anders, als die Vorurteile gegen ihren Stand mit den Mitteln des Theaters zu bekämpfen.“ Daher müsse „die Selbstdarstellung immer im Rückblick auf die eigene Vergangenheit“ erfolgen und vergangene Ereignisse so rekonstruiert werden, „dass der Abstand zwischen der Identität der Schreibenden und ihrem früheren Selbst zwangsläufig erhalten bleibt.“56 Auch wenn es nicht explizit formuliert ist, so wird hier doch deutlich, dass die in der Autobiographieforschung verbreitete Vorstellung einer Identität von Autor, Erzähler und Protagonist differenziert werden muss. „Die erzählte Person“, so argumentieren Elke Hartmann und Gabriele Jancke, „liegt auf einer anderen zeitlichen Ebene als die schreibende und kommunikativ handelnde Person. Direkt in ihrem Handeln zu beobachten ist die schreibende Person, während die von ihr dargestellte Person der Vergangenheit angehört und nicht mehr direkt wahrgenommen werden kann.“57 Aus dem zeitlichen Abstand zwischen schreibender und autobiographischer Person erhalten Selbstzeugnisse ihre Dynamik und verweisen auf die dem Schreiben zugrunde liegenden Person- und Gesellschaftskonzepte. In den beiden Selbstzeugnissen von Karoline Kummerfeld finden wir daher auch nicht „die“ Identität der Autorin, sondern unterschiedliche Konstruktionen ihrer Selbstwahrnehmung, die sich, um noch einmal Jobez zu zitieren, aus dem „Abstand zwischen der Identität der Schreibenden“ und dem „früheren Selbst“ herleiten. Karoline Kummerfeld schrieb ihre erste Autobiographie als Schauspielerin in Linz, als sie nach längerer Sesshaftigkeit erneut mit der Erfahrung einer mobilen Lebensweise konfrontiert war und hoffte, ihren Lebensabend bei ihrem Bruder verbringen zu können. Ihre Gruppenzugehörigkeit war damals durch das Theater und bis zu einem gewissen Grad durch ihre Herkunftsfamilie bestimmt. Ihre zweite Schrift verfasste sie, als sie bereits acht Jahre in Weimar ansässig war und 85 Nähschülerinnen aus allen Schichten unterrichtet hatte. Sie war hier eingebunden in die bürgerlichen und höfischen Lebenswelten der Stadt und hatte einen großen Bekanntenkreis, mit dem sie persönlich und brieflich verkehrte. Angesichts solch unterschiedlicher Lebenskontexte liegt es nahe, genauer hinzuschauen, wie Karoline Kummerfeld ihr früheres Selbst in ihren beiden Schriften erinnerte und gestaltete, und welche Beziehungen und Bindungen ihr wichtig waren. Stattdessen wurde ihr in vielen Forschungen eine bürgerliche Identität zugeschrieben, die inhaltlich nicht aus ihren Selbstzeugnissen, sondern aus normativen Quellen der Zeit hergeleitet wurde und meist von jenen Versionen der Theatergeschichte ausgeht, die im 18. Jahrhundert lediglich den Prozess der Verbürgerlichung und des Fortschritts 56 Romain Jobez, Wie performativ ist das Theater. Der Schauspieler als sozialer Akteur im 18. Jahrhundert, in: Milena Cairo/Moritz Hannemann/Ulrike Haß/Judith Schäfer (Hg.), Episteme des Theaters: Aktuelle Kontexte von Wissenschaft, Kunst und Öffentlichkeit, Bielefeld 2016, S. 247–258, hier S. 253. 57 Hartmann/Jancke, Erinnerungen, S. 32.
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beobachten und in geschlechtergeschichtlicher Hinsicht davon ausgehen, dass das „Theater mit seinem Bemühen um stabile Identität(en) […] der Legitimation des ZweiGeschlechter-Modells“ diene58. Es ist das Verdienst von Beate Hochholdinger-Reiterer, diese Verkürzungen aufgedeckt und „Erinnerungsspuren“ des „anderen“, illiterarischen, körperbetonten Theaters mit seiner lebendigen Pluralität und Heterogenität freigelegt zu haben59. Die massiven Eingriffe der Herausgeberinnen und Herausgeber in die Editionen der Schauspielerautobiographien, die sich im übrigen nicht auf Texte von Frauen beschränken, hält sie keineswegs für harmlos: „Diese editorischen Maßnahmen sind zu lesen als Versuche, Konfusionen und Widersprüche zu glätten, Risse und Brüche vor allem der bürgerlichen Geschlechterkonzeptionen zu kitten. Die Eingriffe in den Text, die sich als stilistische und orthographische Anpassungen und ‚Modernisierungen‘ verstehen, betreffen allerdings zwangsläufig Inhaltliches. Die Editionen der autobiografischen Schriften von Schauspielerinnen und Schauspielern des 18. Jahrhunderts sind Versuche der späteren Jahrhunderte, Irritationen wegzuschreiben.“60 Die Studie von Beate Hochholdinger-Reiterer reiht sich ein in eine Reihe von geschlechtergeschichtlichen sowie historisch-anthropologisch und kulturwissenschaftlich ausgerichteten Forschungen, die das Narrativ vom Ausschluss der Frauen aus der bürgerlich-politischen Öffentlichkeit durch methodisch reflektierte komplexere Zugänge ersetzt haben und nicht mehr nach Opferrolle und Ausschluss, sondern nach Formen der Partizipation und nach Handlungsspielräumen fragten61. Lebenswelten von Frauen zwischen Häuslichkeit und Öffentlichkeit wurden untersucht, Formen der Aneignung bürgerlicher Normen und Werte zur Diskussion gestellt und die Beteiligung von Frauen am Geschlechterdiskurs der Aufklärung ebenso wie ihre Teilhabe am literarischen Schaffen jener Zeit herausgearbeitet62. So konnte Anne Fleig zeigen, 58 Hochholdinger-Reiterer, Kostümierung, S. 15. 59 In diesem Kontext verdienen die historisch-anthropologischen Studien von Gerda Baumbach besondere Aufmerksamkeit. Baumbach wendet sich gegen die großen Erzählungen, die sich nur an den literarisierten Formen des Theaters orientieren, und fragt nach theatralen Praktiken, Körperkonzepten und dem den jeweiligen Schauspielstilen zugrunde liegenden Menschenbild. Bedauerlicherweise hat sie darauf verzichtet, mit Selbstzeugnissen als Quellen zu arbeiten. Karoline Kummerfeld findet daher in ihrer Untersuchung über Schauspieler keine Erwähnung. Es wäre sicher lohnenswert, ihre Forschungsansätze auf die zahlreichen Schauspielerautobiographien aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert zu beziehen; Gerda Baumbach, Schauspieler. Historische Anthropologie des Akteurs, Bd. 1: Schauspielstile, Leipzig 2012, Bd. 2: Historien, Leipzig 2018. 60 Hochholdinger-Reiterer, Kostümierung, S. 260. Als Beispiele für schlechte Editionen von Schauspielern erwähnt sie die 1912 besorgte Edition der Autobiographie von Joseph Anton Christ und die 1923 publizierte Lebensgeschichte von Johann Christian Brandes. 61 Julia Frindte/Siegried Westphal, Einleitung, in: Dies.(Hg.), Handlungsspielräume, S. 3–16. 62 Wichtige Impulse erfuhren diese Forschungen durch die Studie von Rebekka Habermas, Frauen und
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dass Frauen im 18. Jahrhundert entgegen weit verbreiteten Vorannahmen Zutritt zur literarischen Öffentlichkeit hatten. Sie verfassten zahlreiche Dramen, von denen viele auf den zeitgenössischen Bühnen aufgeführt wurden. Die vermeintliche Ausgrenzung der Dramatikerinnen erweist sich, so argumentierte sie, letztlich als Effekt der Kanonbildung und einer Forschungspraxis, die die Bühnenpraxis vernachlässigt hatte63. In anderem Zusammenhang verwies sie auf „die traditionsreiche Theatral- und Geselligkeitskultur der Höfe, in der Frauen – als Regentinnen zumal – einen selbstverständlichen Platz hatten.“64 Die in der Geschichtswissenschaft und besonders auch in der Geschlechtergeschichte gut erforschte Geselligkeitskultur der Höfe ist eine wichtige Rahmenbedingung für die Entwicklung des Theaters im 18. Jahrhundert, die in theaterhistoriographischen Diskursen manchmal vorschnell durch das Narrativ der Verbürgerlichung des Theaters verdrängt wird65. Am nachdrücklichsten hat Ute Daniel den Einfluss der höfischen Kultur auf das Theater betont. Sie hat den „Handlungszusammenhang der Menschen, die an der Theaterarbeit und ihren Produkten, den Opern- und Schauspielaufführungen, als Mitwirkende oder Leiter, als Geldgeber oder Rezipienten Anteil haben“ für das 18. und 19. Jahrhundert untersucht und nach der sozialen Praxis und Kultur gefragt66. Sie zeigt, dass die seit etwa 1770 erfolgte Einrichtung der Hoftheater das künstlerische Selbstbewusstsein der Darstellerinnen und Darsteller stärkte. Auch hier gehörten Volksbildung und Versittlichung zu den Erwartungshaltungen, doch ergaben sich im Umfeld der höfischen Kultur für die Schauspielerinnen und Schauspieler auch zahlreiche Konflikte und Widersprüche. Ihre Wahrnehmungs-, Handlungs- und Lebensformen waren „vielfach nicht hofkompatibel.“67 Die Verflechtungen in die höfische Kultur und Gesellschaft ihrer Zeit ziehen sich wie ein roter Faden durch die Selbstzeugnisse der Karoline Kummerfeld. Zu den wichtigsten
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Männer des Bürgertums. Eine Familiengeschichte (1750–1850), Göttingen 2002 (Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte 14). Anne Fleig, HandlungsSpielRäume. Dramen von Autorinnen im Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts, Würzburg 1999 (Epistemata: Reihe Literaturwissenschaft 270). Anne Fleig, Vom Ausschluß zur Aneignung. Neue Positionen in der Geschlechterforschung zur Aufklärung (19.01.2004). In: Goethezeitportal (http://www.goethezeitportal.de/db/wiss/epoche/fleig_ geschlechter.pdf, Zugriff am 2.7.2020), S. 5. Neben Ute Daniels Arbeit zum Hoftheater ist in diesem Zusammenhang vor allem der Band „Bühne und Bürgertum“ zu erwähnen, in dem die „Leitdifferenz ‚Stadttheater-Hoftheater‘“ kritisch hinterfragt wird; Bernhard Jahn/Claudia Maurer Zenck(Hg.), Bühne und Bürgertum. Das Hamburger Stadttheater (1770–1850), Frankfurt/Main 2016 (Hamburger Beiträge zur Germanistik 56). Daniel, Hoftheater, S. 450. Daniel, Hoftheater, S. 450 und 461.
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Stationen, an denen sie sich nach ihrem Wiedereinstieg in das Schauspielerleben aufhielt, gehörten die Hoftheater in Gotha, Mannheim, Innsbruck, Bonn und Weimar. Außerdem verbrachte sie ihre Kindheit – genauer gesagt die ersten sechseinhalb Jahre ihres Lebens – in Wien, wo ihre Eltern ein festes Engagement am Kärtnertortheater hatten. Es gab auch Jahre, in denen sie die Lebenswelt der Wanderschauspieler teilte, viel reiste und in prekären Verhältnissen lebte68. Angefangen von der Erzählung über die Herkunft ihrer Mutter bis hin zur Darstellung ihrer persönlichen Begegnungen mit Anna Amalia Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach werden ihre Begegnungen und Beziehungen mit der höfischen Kultur und Gesellschaft thematisiert. Vor diesem Hintergrund ist auch die einseitige Betonung ihrer Wertorientierung am Bürgertum, die sich durchweg in der Forschung findet, nur bedingt nachvollziehbar. Es mag sein, dass Karoline Kummerfeld, wenn sie ihre Tugend und Ehre verteidigte, bürgerliche Werte und Normen vor Augen hatte. Schließlich hatte sie die bürgerliche Kultur sowohl auf der Bühne wie auch im realen Leben kennengelernt und war mit jenen zeitgenössischen Diskursen vertraut, die heute unter dem Stichwort „Verbürgerlichung des Theaters“ abgehandelt werden. Doch finden sich in ihren Schriften mindestens ebenso viele Anspielungen auf Werthaltungen, die auch oder eher der höfischen Welt zugeordnet werden können: Zucht und Ehrbarkeit waren keineswegs nur bürgerliche Tugenden, sondern Verhaltensanforderungen, die auch für adlige Frauen galten, ebenso wie die Fähigkeit, sich in der Öffentlichkeit aufzuhalten, ohne den guten Ruf zu verlieren. Karoline Kummerfeld konnte gar nicht oft genug betonen, wie wenig ihr Geld und Reichtum bedeuteten und wie wichtig ihr die oft flüchtigen Begegnungen mit ihren adligen Mäzeninnen und Mäzenen waren. Es würde sich sicher lohnen, diese Spuren in den neu edierten Texten weiter zu verfolgen, zumal in der biographischen Rekonstruktion ihrer Familienverhältnisse deutlich wird, wie eng einzelne Familienmitglieder zumindest zeitweise in die höfische Kultur eingebunden waren und wie sehr sie die Nähe zum Adel suchte. Dies wird besonders deutlich in den Erzählungen über die Herkunft ihrer Mutter. Wer die beiden Selbstzeugnisse von Karoline Kummerfeld liest, sollte offen sein für die Pluralität und Heterogenität der theatralischen Praktiken des 18. Jahrhunderts und für den Gestaltungswillen der Schauspielerin Karoline Kummerfeld.
68 Vgl. dazu zuletzt: Gerhard Ammerer, Die ‚Komödien‘ des Marktplatzes. Kleinkünstler und deren Darbietungen im ausgehenden Ancien Régime, in: Jörg Wesche/Julia Amslinger/Franz Fromholzer (Hg.), Lose Leute. Figuren, Schauplätze und Künste des Vaganten der Frühen Neuzeit, Paderborn 2019, S. 133–156; Tim Zumhof, Die Erziehung und Bildung der Schauspieler. Disziplinierung und Moralisierung zwischen 1690 und 1830, Köln 2018, S. 269.
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Mit ihrer starken sprachlichen Ausdrucksfähigkeit, der Auswahl und Anordnung ihrer Erinnerungen, der dialogischen Struktur, dem Leserbezug und der graphischen Gestaltung der Manuskripte wird ihr Text zur Bühne69. In diesem Selbstzeugnis-Theatrum agieren nicht nur ehrgeizige und eifersüchtige, erfolgreiche und gescheiterte, mehr oder weniger begabte Schauspielerinnen und Schauspieler, sondern auch Menschen, die Opfer von kriegerischer Gewalt, Armut, Hunger und Naturkatastrophen waren. Mit einer beeindruckenden sprachlichen Kraft gelingt es Karoline Kummerfeld, die Gewalt, die eine Familie im Siebenjährigen Krieg erlitten hat und die daraus folgende Traumatisierung einer Mutter, deren Kind grausam ermordet wurde, zu beschreiben oder auch das unbeschreibliche Elend der Witwe eines Fassbinders, die nicht wusste, wie sie ihre Kinder ernähren sollte, in Worte zu fassen70. In einem spannungsreichen Nebeneinander unterschiedlicher Milieuschilderungen werden die Leserinnen und Leser mit ganz unterschiedlichen Lebenswelten konfrontiert. Sie erhalten Einblick in wichtige Etappen der Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts, in Diskurse über das Theater zur Zeit der Aufklärung, in die Praktiken der Schauspieler und die Schauspielstile. Sie gewinnen neue Perspektiven in die Wahrnehmungsgeschichte politischer Ereignisse wie den Siebenjährigen Krieg, die große Hungersnot von 1770/71 und in die Welt des Adels, des Bürgertums und des Militärs; sie begegnen Personen, die in Beziehungen treten, einander unterstützen oder schaden, werden mit verschiedenen Netzwerken, Familienformen und Haushalten und der großen Frage nach den Ressourcen, die den Menschen jener Zeit zur Verfügung standen, ebenso konfrontiert wie mit einer Vielzahl von Emotionen. Sie können eintauchen in eine uns heute fremde Welt, die sich, um einen Begriff von Hans Medick zu übernehmen, in einer „episodischen dokumentarischen Mikrogeschichte“ erschließen lässt, deren Episoden nicht zur Nebenhandlung herabgestuft und keineswegs nur unter dem Aspekt der Selbstdarstellung beachtet zu werden verdienen71. Dies ist freilich nur dann möglich, wenn die beiden Selbstzeugnisse ungekürzt als eigenständige Texte rezipiert und von der 69 Vgl. dazu die Überlegungen von Martin Huber zum „theatralen Erzählen“ bzw. der „narrativen Inszenierung“, bei der der „Ich-Erzähler“ sein Leben in theatral arrangierten Erinnerungsszenen entwirft; Martin Huber, Der Text als Bühne. Theatrales Erzählen um 1800, Göttingen 2003. 70 HHS, S. [249]–[252] und S. [633 f.]. 71 Zu Medicks Ansatz einer episodischen dokumentarischen Mikrogeschichte s. Hans Medick, Der Dreißigjährige Krieg. Zeugnisse vom Leben mit Gewalt, Göttingen 2018, bes. S. 11–22. Im Unterschied zu Medicks Ansatz geht es hier allerdings nicht darum, eine Vielzahl unterschiedlicher Selbstzeugnisse in einen thematischen Zusammenhang zu stellen, sondern verschiedenen Episoden in einem einzelnen Selbstzeugnis dadurch Eigengewicht zuzuschreiben, dass deutlich wird, dass die Autorin sich bewusst dafür entschieden hat, diese Geschichten in ihre Erinnerungen aufzunehmen, deren Bedeutung sich jedoch erst durch eine mikrohistorische Erschließung der Kontexte herausarbeiten lässt.
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Schreibsituation aus analysiert und kontextualisiert werden können. Dann wird auch deutlich, dass „Leben schreiben“ mehr bedeutet als sich selbst darzustellen. Dass es sich lohnt, die hier veröffentlichten Texte nicht nur in Bezug auf die Frage nach dem „Selbst“, „Subjekt“ oder der „Identität“ zu lesen, sondern vergleichend zu analysieren, welche Aspekte aus der Lebensgeschichte thematisiert und erinnert werden, sei an zwei Beispielen wenigstens angedeutet: Dass „Brod, Salz und Wasser“ als Ausdruck von Hunger und Mangelernährung in der ersten autobiographischen Schrift viel häufiger erwähnt werden als in der Weimarer Handschrift, überrascht kaum72. Während Karoline Kummerfeld sich in der zunächst nicht für den Druck vorgesehenen Hamburger Handschrift rechtfertigte und erklären musste, warum sie die Bühne verlassen hatte, um eine Ehe einzugehen, wurde die Weimarer Handschrift 1793 als Reaktion auf Kritiken in verschiedenen Theaterkalendern geschrieben. Sie kann als autobiographische Intervention in die zeitgenössischen Theaterdiskurse verstanden werden, mit der die Verfasserin die Deutungshoheit über das eigene Leben behaupten und andere belehren wollte. Sie hoffte, dass diese Schrift publiziert würde und auch unter Berufskollegen viele Leser finden würde: „Jeder Schauspieler [sollte] es sich anschaffen, denn es ist eine Schule für solche, und man sollte Vorlesung daraus halten.“73 Karoline Kummerfeld bot sie dem Berliner Verleger Friedrich Nicolai zum Kauf an, d. h. sie wollte Geld damit verdienen, das sie trotz ihrer Einkünfte aus der Nähschule brauchte. Insofern verwundert es nicht, dass Armut und Hunger in dieser späteren Geschichte einen viel geringeren Stellenwert haben. Anders verhält es sich mit dem Lesen. Auch dieses Thema wird hauptsächlich in der Hamburger Handschrift aufgegriffen. Hier schreibt sie über ihren Hang zum Lesen und bedauert, dass ihr Vater ihr „alles, was Roman hies, als schädliche Bücher vorenthielte.“74 Sie gibt zu, wenigstens einen Roman heimlich gelesen zu haben75, beklagt sich, dass sie in Hamburg nicht wusste, wo sie „Bücher zum Lesen herbekommen sollte“76. Und sie betont, wie wichtig ihr Lesen und Vorlesen in ihrer Beziehung zu Dietrich Wilhelm Soltau waren: „Ich bat ihm um Bücher zu lesen, und er versorgte mich damit, das ich nie Mangel hatte. Das erste war der Hamburger ‚Patriot‘, und das war Waßer auf meine Mühle. Er selbst las gut, das war uns lieb, meine Mutter und ich arbeiteten, werend er laß.“77
72 S. u. a. HHS, S. [60], S. [63], S. [68], S. [101 f.], S. [147], S. [158], S. [207]. 73 Brief von Karoline Kummerfeld an den Verleger Friedrich Nicolai vom 8. 8. 1793, abgedruckt in Niethammer, Autobiographie, S. 156. 74 HHS, S. [108]. 75 HHS, S. [109]. 76 HHS, S. [307]. 77 HHS, S. [314].
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Auch in ihrer Beziehung zu Diedrich Wilhelm Kummerfeld spielten das Lesen und Vorlesen eine Rolle: „Er war ebenso ein Freund von Lesen wie ich. Auch mochte er mich gern lesen hören.“78 In der Weimarer Handschrift werden zwar Briefe, Kritiken und Theaterstücke gelesen, aber von einer Ausnahme abgesehen79 ist vom Hang zum Lesen und dem Interesse an Büchern keine Rede. Dass sie auch als Nähschullehrerin weiterhin gelesen hat, steht außer Frage. Schließlich wusste sie, was in den Theaterkalendern über sie geschrieben wurde. Angesichts der Kritik, die im 18. Jahrhundert an lesenden Frauen geübt wurde80, schien es Karoline Kummerfeld offensichtlich nicht opportun, in ihrer zweiten autobiographischen Schrift ihre Freude am Bücherlesen öffentlich zu machen. Vielleicht gab es auch andere Gründe für den Themenwechsel. Jedenfalls würde es sich lohnen, solche Spuren, die sich aus dem Vergleich der beiden Handschriften ergeben, weiterzuverfolgen. Erst wenn man nach Schreibmotivation und Schreibstrategien fragt, erhalten die von früheren Herausgebern beklagten „belanglosen Stellen“ und „Nebenhandlungen“ den Stellenwert einer wichtigen historischen Quelle. Sie ermöglichen es, die beiden Selbstzeugnisse nicht nur für den illustrativen Gebrauch kulturgeschichtlicher Abhandlungen oder als „Steinbruch für Fakten“ zu lesen, die verifiziert oder falsifiziert werden müssen, sondern als die Erfahrungs- und Wahrnehmungsgeschichte einer Person, die ihr „Leben schreibt“, die erinnert, erzählt und gestaltet und ihrem Lesepublikum auf diese Weise faszinierende neue Einsichten in Gesellschaft und Kultur ihrer Zeit gewährt.
78 HHS, S. [429]. 79 WHS, S. [125r/255]: „Bücher hatte ich bei mir, jedes ward angefangen zu lesen, aber keines geendet.“ 80 Erich Schön, Weibliches Lesen. Romanleserinnen im späten 18. Jahrhundert, in: Helga Gallas/Magdalene Heuser (Hg.), Untersuchungen zum Roman von Frauen um 1800, Tübingen 1990 (Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte 55), S. 20–40.
I.2 Theater und Lebenswelt – Die Familien Schulze und Kummerfeld Claudia Ulbrich
Die Familiengeschichte nimmt in den autobiographischen Schriften der Karoline Kummerfeld viel Raum ein. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass die Verfasserin aus einer Schauspielerfamilie stammte, in der das Leben in der Familie und auf der Bühne untrennbar miteinander verwoben waren. Zum anderen war mit der Eheschließung mit dem Hamburger Bankbuchhalter Diedrich Wilhelm Kummerfeld der Wechsel in eine Familie mit Strukturen, Normen und Wertvorstellungen verbunden, die sich grundlegend von denen der Schauspielerhaushalte unterschied1. Für die Selbstpositionierung der Verfasserin war nicht nur die gruppenspezifische Einbindung als Schauspielerin bzw. Ehefrau – einschließlich der damit verbundenen weiteren Beziehungsgeflechte – wichtig, sondern auch die zeitliche Dimension: Das Hineingeborensein in eine Familie, in der seit mehr als zwei Jahrzehnten Theater gespielt wurde, diente ihr, wie sie in einem Brief vom 16. August 1767 an ihren künftigen Ehemann bemerkte, als Legitimation für ihre Tätigkeit als Schauspielerin: Sie wissen, so wenig der Fürst zu seiner Geburt selbst was beigetragen, so wenig hab ich’s. Nicht um freyer, müßiger, bequem zu leben, bin ich auf dem Theater. Meine Eltern waren vor mir auf solchen und gaben mir mein Daseyn. – Gereicht mir also zu keinen Vorwurf. – Und unglüklich wär der oder die, die über mich die Nase rümpften oder mir die Achtung entzögen, die mir zukömmt. – Den darinnen kennen Sie mich, bin ich zu stolz und denke in den Punkte, was wahre Ehre ist, wie ein Mann.2
Indem sie für sich die gleichen Ehrvorstellungen beanspruchte „wie ein Mann“, unterstrich und unterlief sie gleichzeitig Vorstellungen von der Geschlechterordnung und 1
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Einen Überblick über die historische Familienforschung, verbunden mit dem Plädoyer, die „Geschichte der Familie in einer sozial wie interkulturell erweiterten und differenzierenden Perspektive“ zu erforschen, gibt Hans Medick, Zwischen Mythos und Realität – Die Historische Erforschung der Familie, in: Susanne Mayer/Dietmar Schulte (Hg.), Die Zukunft der Familie, München 2007, S. 37–55, hier S. 55. Der Brief ist im Wortlaut wiedergegeben in WHS, S. [106r/217]–[106v/218]. Wie problematisch die älteren Ausgaben der autobiographischen Texte Kummerfelds in Hinblick auf die geschlechtergeschichtliche Dimension ihrer Schriften sind, wird an diesem Briefzitat exemplarisch deutlich: Statt des Halbsatzes „und denke in den Punkte, was wahre Ehre ist, wie ein Mann“ schreiben Benezé I, S. 272 und Buck, Fahrendes Frauenzimmer, S. 12: „Ich bin stolz und hitzig wie ein Mann.“
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den Geschlechterverhältnissen, die das bürgerliche Zeitalter am Beginn der Moderne prägten3. Durch die Ehe mit Diedrich Wilhelm Kummerfeld im Jahr 1768 entstand eine völlig neue Konstellation. Die Verfasserin wurde Mitglied einer Familie des Hamburger Bürgertums und musste innerhalb des Familienverbandes Hilbrandt/Kummerfeld/von Bostel um Anerkennung kämpfen. Das verändert die Perspektive. Nicht die Herkunft, sondern die Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb der neuen Familie, die sie nach dem Tod ihres Mannes im Kampf um das Erbe wie eine „Diebin“ behandelte und in die Armut trieb, stehen nun im Zentrum ihrer Erzählung. Die Schilderungen der Hamburger Jahre im Kreis der Familie Kummerfeld geben Einblick in Geschwister- und Geschlechterbeziehungen und darüber, wie Karoline Kummerfeld die zeitgenössischen Diskurse über Ehe, Liebe und Freundschaft gelebt hat und verstanden wissen wollte4. Sie informieren über häusliche Gewalt, Geselligkeit im familiären und Freundeskreis, über Glücksspiele und gastlich gedeckte Tische, aber auch über die eher zufälligen Begegnungen mit Hunger und Armut und vieles mehr, was unser Wissen über Kultur und Alltag des Hamburger Bürgertums in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bereichern kann5. Für idealisierende Vorstellungen von der bürgerlichen
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Grundlegend für die bürgerliche Geschlechterordnung um 1800 sind Studien von Karin Hausen zur Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“. Für die Arbeit mit Selbstzeugnissen ist vor allem ihr Vorschlag, zwischen Ordnung (auf Dauer angelegt), Verhältnissen (historisch jeweils spezifische Übersetzungen der Geschlechterordnung) und Beziehungen (Handeln im Wissen um die geltende Ordnung) zu unterscheiden, hilfreich und weiterführend. Lit.: Karin Hausen, Geschlechtergeschichte als Gesellschaftsgeschichte, Stuttgart 2012 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 202), S. 7–15 (Einleitung), S. 19–49 (Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben [Repr. des Aufsatzes von 1976]) und S. 83–105 (Der Aufsatz über die „Geschlechtscharaktere“ und seine Rezeption. Eine Spätlese nach dreißig Jahren). Zu den Vorstellungen von Liebe und Ehe im Zeitalter der Empfindsamkeit s. Anne-Charlott Trepp, Sanfte Männlichkeit und selbständige Weiblichkeit. Frauen und Männer im Hamburger Bürgertum zwischen 1770 und 1840, Göttingen 1996 (Veröff. des Max-Planck-Instituts für Geschichte 123). Trepp hat zahlreiche Selbstzeugnisse aus Hamburger Familiennachlässen ausgewertet, neigt dabei aber zu einer gewissen Idyllisierung der Beziehungen der Hamburger Ehepaare zueinander. Für einen breiteren geschlechtergeschichtlichen Zugang zur bürgerlichen Kultur am Beginn der Moderne s. auch Rebekka Habermas, Frauen und Männer des Bürgertums. Eine Familiengeschichte (1750–1850), Göttingen 2002 (Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte 14). Zu den umfassendsten am häufigsten beachteten Quellen zur Geschichte des Hamburger Bürgertums in der Sattelzeit gehören die Tagebücher Ferdinand Benekes (1792–1848), deren Umfang etwa 5000 Manuskriptseiten betrug. Zu ihnen kommen mehr als 6000 Seiten Briefe, Notate, Konzepte und weitere Memorabilien hinzu, die als Beilagen zu den Tagebüchern archiviert wurden. Sie werden seit 2001 von einem Team unter der Leitung von Ariane Smith in einer auf 20 Bände angelegten kritischen Edition im Wallstein Verlag veröffentlicht (http: www.ferdinand-beneke.de, Zugriff am 2.7.2020). Eine
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Gesellschaft im Zeitalter der Empfindsamkeit bleibt dabei ebenso wenig Raum wie für eine Verklärung des Schauspielerlebens. Im Folgenden sollen das familiäre Umfeld der Karoline Kummerfeld, ihre Herkunft und die Einbindung in die beiden Familienverbände Schulze und Kummerfeld näher beleuchtet werden. Dies geschieht in einer mikrohistorischen Spurensuche, für die neben den beiden Selbstzeugnissen auch zahlreiche weitere Quellen herangezogen werden. Durch die Kontextualisierung wird es möglich, zusätzliche biographische Informationen zu den einzelnen Familienmitgliedern aufzuspüren und zu verdeutlichen, welche biographischen Aspekte Karoline Kummerfeld in ihre Autobiographie aufgenommen und welche sie weggelassen hat6. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um die Schreibstrategien der Autobiographin zu entschlüsseln. Zum anderen sollen auf diesem Wege die sozialen Beziehungen und Zugehörigkeiten herausgearbeitet werden, in denen sich Kummerfeld bewegte. Dabei geht es nicht nur darum, die Selbstzeugnisse referentiell in Bezug zu einer außertextlichen Wirklichkeit zu interpretieren, vielmehr soll exemplarisch deutlich gemacht werden, wie Kummerfeld die Kontexte gestaltete, in denen sie sich positionierte. Schreiben und Beschreiben wird auf diese Weise als ein performativer Akt erkennbar, der nicht nur auf die individuelle, sondern auch und gerade auf die normative Ebene verweist. Die mikrohistorische Spurensuche führt jedoch nicht nur zu den Personen, sondern auch zu den Orten, an denen die Personen oft nur für kurze Zeit gelebt haben. Ablesbar wird dies beispielsweise an den Geburts- und Sterbeorten der Mitglieder der Familie Schulze. Um nur einige Beispiele zu nennen: Christian Ferdinand Schulze, der Halbbruder von Karoline Kummerfeld, wurde 1728 in Weißenfels getauft, einem Zentrum höfischen Musik- und Theaterlebens der Herzöge von Sachsen-Weißenfels, die Halbschwester Marianna verbrachte fast 100 Jahre später ihren Lebensabend auf Einladung von Graf Josef Karl Emanuel von Waldstein auf Schloss Dux (Duchcov) in Böhmen, Karl, der Bruder von Karoline Kummerfeld, wurde in Graz getauft und starb in Frankfurt/Main, der Vater fand seine letzte Ruhestätte im sächsischen Freiberg, die Mutter verlebte ihre letzten Tage in der Hansestadt Hamburg. Der Sterbeort von Anna Theresia Madstädt, der Nichte Karoline Kummerfelds, ließ sich nicht ermitteln. Sie ließ sich zuletzt in Königsberg in Preußen nachweisen, von wo sie nach Reval (Tallin), der heutigen Hauptstadt Estlands
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Einführung in die kultur-, sozial- und verfassungsgeschichtliche Dimension der Tagebücher findet sich in: Frank Hatje/Ariane Smith/Juliane Bremer/Frank Eisermann/Angela Schwarz/Birgit Steinke und Anne-Kristin Voggenreiter, Ferdinand Beneke (1774–1848). Die Tagebücher. Begleitband zur ersten Abteilung „Bürger und Revolutionen“, Göttingen 2012, hier: S. 213–230: Netzwerke und Familienverbindungen und S. 231–362: Revolutionen und Republiken. Für biographische Recherchen zu diesem Kapitel danke ich Marc Jarzebowski und Gudrun Emberger.
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aufbrach. Schon diese wenigen Beispiele mögen zeigen, wie wichtig es ist, Theatergeschichte zu dezentrieren. Besonders deutlich wird dies, wenn man die von Karoline Kummerfeld erwähnten Schauspielerinnen und Schauspieler als Netzwerk wahrnimmt und biographisch verortet. Auch für einen solchen Perspektivenwechsel bieten Selbstzeugnisse einen hervorragenden Ausgangspunkt. 1. Geburt, Taufe und Herkunft der Eltern (bis 1740) Im Taufbuch der Pfarre St. Stephan in Wien wurde für den 1. Oktober 1742 die Taufe des Mädchens Catharina Carolina Paulina vermerkt. Die Namen der Eltern sind: „Christianus Schultz, Comoediant. Augustina Sybilla uxor“. Die Patenschaft hatte Carolina Gräfin von Breuner geb. von Pflug übernommen7. Nach ihr erhielt das neugeborene Mädchen auch den späteren Rufnamen. Da die Gräfin bei der Taufe nicht anwesend war, wurde sie durch Paulina Weiskern (1712–1784) vertreten, deren neuntes Kind sieben Wochen vorher, am 11. August 1742, in St. Stephan getauft worden war8. Paulina Weiskern war die Ehefrau des Schauspielers und Theaterdichters Friedrich Wilhelm Weiskern, der sich 1731 als Bedienter der Gräfin Schäfftenberg in Wien niedergelassen hatte und seit 1734 Schauspieler am Kärtnertortheater war, an dem auch Christian Schulze und seine Familie seit 1741/1742 unter Vertrag standen9. Bei den 13 Kindern der Weiskerns, die zwischen 1734 und 1750 geboren und in Wien in St. Stephan getauft worden waren, werden Adlige nur vereinzelt
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Zum Taufeintrag s. HHS, Anm. 33. Zum Geschlecht von Breuner s. Franz Karl Wissgrill, Schauplatz des landsässigen niederösterreichischen Adels vom Herren- und Ritterstande von dem XI. Jahrhundert an, bis auf jetzige Zeiten, Bd. 1, Wien 1794, S. 377–402. Eine Gräfin Carolina Breuner geb. Pflug ist dort nicht nachgewiesen. In Wien war die Familie Breuner bei Hof gut vernetzt; Belege bei Irene Kubiska-Scharl/Michael Pölzl, Die Karrieren des Wiener Hofpersonals 1711–1765. Eine Darstellung anhand der Hofkalender und Hofparteienprotokolle, Innsbruck/Wien/Bozen 2013 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 58), S. 547 f.; Katrin Keller, Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat des 17. Jahrhunderts, Wien 2005; Dies., Frauen in der höfischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts: Amtsinhabe und Netzwerke am Wiener Hof, in: Zeitenblicke 4, 2005, Nr. 3. Zu Friedrich Wilhelm Weiskern und seiner Familie sowie den Quellenangaben zu Geburten, Hochzeiten und Todesfällen s. Bio-Bibliographisches Korrespondentenverzeichnis, in: Johann Christoph Gottsched, Briefwechsel. Unter Einschluß des Briefwechsels von Luise Adelgunde Victorie Gottsched, Bd. 13: Januar 1748–Oktober 1748, hg. v. Caroline Köhler/Franziska Menzel/Rüdiger Otto/Michael Schlott, Berlin/Boston 2019, S. 597–668, hier S. 266 f. Monika Baar-de Zwaan, Gottfried Prehauser und seine Zeit. Phil. Diss. Wien 1967 (Masch.), S. 85: In einer Tabelle über „Direktion und Personalstand von 1725/26 bis 1768/69“ wird für die Spielzeit 1741/42–1747/48 Christian Schulze als einziger Schauspieler mit dem Zusatz „u. Familie“ aufgeführt.
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als Paten genannt10. Insofern könnte die Übernahme der Patenschaft für Catharina Carolina Paulina Schulze durch Carolina Gräfin von Breuner ein Indiz dafür sein, dass die Schulzes schon bald nach ihrer Ankunft in Wien engere Beziehungen zum Adel geknüpft hatten11. Die Mutter: Augustina Sibylla von D. Dass den Schulzes die adelige Lebenswelt nicht fremd war, belegt auch die Geschichte, die Karoline Kummerfeld von ihrer Mutter Augustina „von D.“ bzw. „von D—r“ erzählt. Angeblich stammte die Mutter aus einer reformierten Berliner Adelsfamilie, doch verschlüsselt Karoline Kummerfeld mit Rücksicht auf noch lebende Angehörige sowohl den Namen des Großvaters mütterlicherseits („v. B.“) wie auch den des Vaters („v. D.“), eines Adligen, der Handel getrieben und sein Vermögen verloren habe12. Als jüngstes Kind der Familie war die Mutter an den Hof der Herzogin-Witwe Anna Iwanowna in Mitau geschickt worden, wo es ihr gut ging. Als Anna Iwanowna 1730 Zarin wurde 10 Bei keiner der acht Töchter von Paulina Weiskern, die alle in St. Stephan in Wien getauft worden waren, hatte eine Gräfin die Patenschaft übernommen. Bei den Söhnen werden neben Schauspielern (wie Gottfried Prehauser) auch ein Kriegsrat und ein Doktor der Medizin genannt. Die Daten der Einträge der Taufen finden sich im Bio-Bibliographischen Korrespondentenverzeichnis (s. o. Anm. 8). Die Einträge selbst sind in http://data.matricula-online.eu/de/oesterreich/wien/01-st-stephan, Zugriff am 2.7.2020, online einsehbar. 11 Zu Patenschaften im Schauspielermilieu gibt es bislang zu wenige Forschungen, um aus den punktuellen Beobachtungen weitergehende Schlüsse ziehen zu können. Die Nähe zum Adel bzw. zum Hof war schon durch die Tätigkeit beim Theater gegeben. 12 Um die Kürzel aufzulösen, wurden u. a. folgende Quellen herangezogen: Adreß-Calender der Kön. Preuß. Haupt- und Residentz-Städte Berlin und daselbst befindlichen Königl. Hofes, auch anderer hohen und niedern Collegien, Instantien und Expeditionen 1704, 1709–1712; Das älteste Berliner Bürgerbuch 1453–1700 (Veröff. der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin 1), hg. v. Peter von Gebhardt, Berlin 1927; Die Bürgerbücher von Cölln an der Spree 1508–1611 und 1689–1709 und die chronikalischen Nachrichten des ältesten Cöllner Bürgerbuches 1542–1601 (Quellen und Forschungen zur Geschichte Berlins 3; Veröff. der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin I, 3), hg. v. Peter von Gebhardt, Berlin 1930; Die Bürgerbücher und die Bürgerprotokollbücher Berlins von 1701–1750 (Quellen und Forschungen zur Geschichte Berlins 4; Veröff. der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin I, 4), hg. v. Ernst Kaeber, Berlin 1934; Ahmad von Denffer, Beiträge zu einer Geschichte der Familie von Denffer, Norderstedt 2006, S. 155–158. Auch in den Beständen des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz, des Landesarchivs Berlin und des Brandenburgischen Landeshauptarchivs (blha) Potsdam ließen sich keine relevanten Unterlagen finden. – Herrn Dr. Falko Neininger (blha Potsdam) sei für seine Recherchen zur Auflösung der Kürzel herzlich gedankt. Zur Pommerschen Familie „v. F…g“: Sieben Jahrhunderte Flemmingscher Chronik. Eine Festgabe zum Jahre 1909, Bd. 1: Personengeschichte, Bd. 2: Ortsgeschichte, Görlitz 1909.
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und ihren Wohnsitz nach St. Petersburg verlagerte, wurde Karolines Mutter – angeblich aus konfessionellen Gründen – von ihrer Familie, die inzwischen verarmt war, zurückgerufen. Augustina Sibylla tilgte die Schulden ihrer Mutter und hoffte vergeblich, am Berliner Hof eine Anstellung zu finden. Während die Mutter ihren Lebensabend bei ihrem Sohn verbrachte, musste die Tochter Augustina Sibylla zu ihrem Vater und ihrer verheirateten älteren Schwester, die nun „von F==g“ hieß, auf das Landgut der Familie in der Nähe von Stettin ziehen. Da sie dort eine unglückliche Zeit verlebte, verheiratet werden sollte und ihr Schwager ihr zu nahegekommen war, entschloss sie sich zur Flucht und wurde schließlich Wanderschauspielerin13. Mehr als dreißig Jahre später besuchte sie das Landgut der Familie, gab sich jedoch nicht zu erkennen. Vater und Schwester waren inzwischen gestorben und in der dortigen Kirche beigesetzt. Der Schwager hatte eine neue Familie gegründet14. Da Karoline Kummerfeld mit Kürzeln arbeitet, lässt sich die Geschichte über die Herkunft der Mutter und ihren Aufenthalt am Hof in Mitau nicht anhand anderer Quellen überprüfen. Dies ist keine Ausnahme. Gerade Schauspielerinnen und Schauspieler, die aus adligen Familien stammten, bedienten sich dieser Technik der Verschlüsselung. Viele änderten ihren Namen, um den Ruf ihrer Verwandtschaft nicht zu gefährden. Sie können nur in seltenen Fällen identifiziert werden15. Karoline Kummerfeld erzählt, dass ihr Großvater mütterlicherseits mit Juwelen gehandelt habe, damit gescheitert und verarmt sei. Ein solches Schicksal war in Berlin Anfang des 18. Jahrhunderts keineswegs ungewöhnlich, zumal der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. mit seinen Sparmaßnahmen, die er seit 1713 durchführte, viele Menschen in den Ruin getrieben hatte. Unmittelbar nach seiner Thronbesteigung hatte er zwei Drittel der Dienerschaft bei Hofe fristlos entlassen und den übrigen das Gehalt gekürzt. Schmuck, Tafelsilber, Goldgeschirr und andere Luxusgegenstände wurden meistbietend verkauft16. Zwar gab es seit Jahrhunderten ein Handelsverbot für Adlige, das im Kern auch im 18. Jahrhundert noch Bestand hatte, doch ist es gut vorstellbar, dass Adlige in dieser Situation Handel trieben, ohne damit Aufsehen zu erregen17. Auch dass ein Mädchen 13 HHS, S. [4]–[10]. 14 HHS, S. [97]–[99]. 15 Peter Schmitt, Schauspieler und Theaterbetrieb. Studien zur Sozialgeschichte des Schauspielerstandes im deutschsprachigen Raum 1700–1900, Tübingen 1990, Repr. 2015 (Theatron Bd. 5), S. 99. 16 Christopher Clark bezeichnet diese Phase der preußischen Geschichte als Kulturrevolution. Zu den Maßnahmen nach der Thronbesteigung von Friedrich Wilhelm I. s. Christopher Clark, Preußen. Aufstieg und Niedergang, 1600–1947, München 2007, S. 106 f. 17 Barbara Stollberg-Rilinger, Handelsgeist und Adelsethos: Zur Diskussion um das Handelsverbot für den deutschen Adel vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Historische Forschung 15 (1988), H. 3, S. 273–309.
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wie Augustina v. D. – aufgrund von Empfehlungen18 – an den Hof der Anna Iwanowna kam, ohne dass sich ihre Spuren verfolgen lassen, ist nicht ungewöhnlich19. Nicht einmal für den Kaiserhof in Wien sind die „Frauenhofstaate“ umfassend erforscht. Man kennt bestenfalls die höheren Amtsträgerinnen, die Oberhofmeisterinnen, Fräuleinhofmeisterinnen, Kammerfräulein und Hofdamen, nicht aber das übrige Personal, zu dem Wäscherinnen, Köchinnen, Näherinnen und viele andere männliche und weibliche Bediente gehörten. Besonders groß waren die Hofstaate der verwitweten Herrscherinnen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Eleonora Magdalena, die Witwe Kaiser Leopolds I., hatte 1720 einen Hofstaat von 358 Personen20. Struktur und Größe des Hofes in Mitau sind für die Zeit, in der die verwitwete Herzogin Anna Iwanowna dort residierte, nicht erforscht. Zar Peter I. hatte 1710 die Ehe seiner Nichte Anna Iwanowna mit Friedrich Wilhelm von Kurland arrangiert. Damit wollte er die Vorherrschaft, die Russland im Großen Nordischen Krieg (1700–1721) über das Herzogtum Kurland und Semgallen gewonnen hatte, absichern. Nach dem frühen Tod ihres Mannes verließ Anna Iwanowna 1711 das vom Krieg verwüstete und von Seuchen heimgesuchte Land und lebte bis 1716 in St. Petersburg. 1717, noch während des Krieges, zwang Peter I. seine Nichte zur Rückkehr nach Mitau. In fast 300 Bittschriften an den Zarenhof schildert sie die trostlose Lage des Herzogtums, das von Russland, Polen-Litauen und Preußen beansprucht wurde. Auch der kurländische Adel war gegen sie21. Ein Indiz dafür, dass sich auch das Hofleben in jener Zeit nur in
18 In diesem Zusammenhang ist auf die verwandtschaftlichen Verflechtungen zwischen BrandenburgPreußen und dem Herzogtum Kurland und Semgallen hinzuweisen. Luise Charlotte von Brandenburg (1617–1676), die älteste Schwester des Großen Kurfürsten, war mit Jakob Kettler Herzog von Kurland (1610–1682) verheiratet. Jakobs Sohn und Nachfolger Friedrich Kasimir (1650–1698) heiratete 1691 seine Cousine Elisabeth Sophie von Brandenburg (1674–1748). Friedrich Kasimir hatte auf eine prunkvolle Hofhaltung Wert gelegt. Nach dem Ausbruch des Großen Nordischen Krieges musste die gesamte Herzogsfamilie fliehen. Lit: Norbert Angermann/Karsten Brüggemann, Geschichte der baltischen Länder, Stuttgart 2018, S. 140 f. 19 Hinweise finden sich weder in den Beständen des Kurländisch Herzoglichen Archivs noch aus der Hand Anna Iwanownas selbst. Für die leihweise Überlassung des handschriftlichen Findmittels ( DSHIHilfsmittel 4,1) zum Bestand des Kurländisch Herzoglichen Archivs sei Herrn Peter Wörster vom Herder-Institut in Marburg, für die Durchsicht der Briefe Anna Iwanownas (M. Obolenskij/A. Afanas’ev, Pis’ma russkich gosudarej 4, Moskau 1862) und anderer russischer Texte Frau Elena Ris herzlich gedankt. 20 Kubiska-Scharl/Pölzl, Karrieren, S. 101–103. 21 Steven Müller, Eine Aristokratie für Russland? – Bewertungen des Regierungsantritts Zarin Annas 1730 durch den Wiener Kaiserhof, in: Christoph Augustynowicz/Agnieszka Pufelska (Hg.), Kon struierte (Fremd-?)Bilder. Das östliche Europa im Diskurs des 18. Jahrhunderts, Berlin/Boston 2017, S. 71–93, hier S. 76–78; Matthias Stadelmann, Die Romanovs, Stuttgart 2008, S. 95.
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bescheidenem Rahmen abspielte, ist, dass es noch lange dauerte, bis sich das Theater, das in Mitau bereits im 17. Jahrhundert in Blüte gestanden hatte, wieder etablierte22. Karoline Kummerfeld berichtet, dass ihre Mutter, die 1708 geboren wurde23, sieben Jahre am Hof in Mitau war, bevor Anna Iwanowna ihr anbot, sie nach St. Petersburg mitzunehmen. Demnach wäre sie 1722/23 im Alter von etwa 14 Jahren an den Hof gekommen und hätte ihn 1729/30, als Anna Iwanowna Zarin wurde, verlassen. Ihre Anwesenheit in Mitau fällt damit in die Zeit, in der der kurländische Edelmann Ernst Johann Biron Sekretär und Hofmeister der Herzogin-Witwe war. Ob die Konfession – vermutlich meint Karoline Kummerfeld den russisch-orthodoxen Glauben – der Grund für die Entscheidung der Eltern war, Augustina Sibylla zurückzurufen, lässt sich nicht beurteilen. Immerhin lebte Augustina Sibylla, die als Reformierte aufgewachsen war, im Herzogtum Kurland in einem andersgläubigen – lutherischen – Umfeld. Die Erwähnung des Konfessionsarguments könnte ebenso wie die anschließende Geschichte vom Leben bei der Familie ihrer Schwester auch im Zusammenhang der Darstellung der Mutter als einer standhaften Frau stehen, die so sehr auf die Wahrung ihrer Ehre bedacht war, dass sie sich ihrer Herkunftsfamilie durch Flucht entzog. Damit stand sie nicht allein. Im 18. Jahrhundert flohen viele Menschen aus dem Elternhaus und schlossen sich Wandertruppen an24. Eine der bekanntesten und dramatischsten Fluchtgeschichten ist die der Friederike Caroline Weißenborn (1697– 1760), die als „die Neuberin“ Theatergeschichte schrieb. Auch Friederike Sophie Hensel bahnte sich den Weg zum Theater, indem sie aus dem Hause ihres Onkels weglief25. Der Vater: Christian Schulze Der Vater von Karoline Schulze stammte aus einer Künstlerfamilie. Seine Geschichte wird in der Hamburger Handschrift so erzählt, dass sie in wichtigen Details überprüfbar ist. Demnach wurde Christian Schulze am 8. November 1693 als eines von zwei Kindern eines Porträtmalers in Frankfurt/Oder geboren und verlor seine Mutter, als 22 Laurence Patrick Anthony Kitching, Europe’s Itinerant Players and the Advent of German-Language Theatre in Reval, Estonia: Unpublished Petitions of the Swedish Era, 1630–1692, in the Reval City Archives, Frankfurt a. M. 1996, bes. S. 91–102. 23 HHS, S. [5], Anm. 14; in der WHS, S. [64v/136] nennt sie 1712 als Geburtsjahr der Mutter. Dies ist angesichts der Angaben über ihren Aufenthalt in Mitau eher unwahrscheinlich. 24 Schmitt, Schauspieler, S. 98 f. 25 Susanne T. Kord, Tugend im Rampenlicht: Friederike Sophie Hensel als Schauspielerin und Dramatikerin, in: The German Quarterly 66/1 (1993), S. 1–19, hier S. 1. Hensel wurde von einem Onkel erzogen, der sie misshandelte. Sie heiratete kurz nach der Flucht im Alter von 17 Jahren einen Schauspieler (s. Kap. III.6: Eintrag Hensel).
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er noch jung war. Sein Vater ermöglichte ihm ein Studium, das der Neunzehnjährige aber nach dem Tod des Vaters abbrechen musste. Er habe sein Erbe, das aus Gemälden bestand, seiner Schwester überlassen, die später vermutlich einen Maler geheiratet habe, und sei zum Theater gegangen26. Anhand der Kirchenbücher von Frankfurt/Oder lässt sich die Herkunft Christian Schulzes genauer nachzeichnen. Seine Eltern waren „der kunsterfahrene Herr Georg Schulze, Mahler alhier, und Fr. Elisabeth Knapin, seel. Johann Adolph Brieff, Mahlers alhier, nachgel. Wittib“ aus Frankfurt/Oder. Sie hatten am 29. Oktober 1691 in der Frankfurter Marienkirche geheiratet27. Von Johann Adolph Brief, dem ersten Ehemann der Mutter, der 1661 das Bürgerrecht in Helmstedt erworben hatte, ist bekannt, dass er an der Bemalung der Tafelbilder im sog. älteren Emporenzyklus in den Seitenschiffen der Helmstedter St.-Stephani-Kirche beteiligt war28. Über die Tätigkeit Georg Schulzes können nur Vermutungen ausgesprochen werden. So hält Paul Hoffmann, der für Emil Benezé Recherchen in Frankfurt/Oder durchgeführt hatte, es für möglich, dass Georg Schulze einige der Professorenporträts für einen aus Anlass des 200-jährigen Universitätsjubiläums der Universität Frankfurt im Jahre 1706 herausgegebenen Band angefertigt haben könnte29. Von Elisabeth Knape ließen sich keine weiteren Spuren finden, doch sind männliche Angehörige einer Familie Knape in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts unter den Neubürgern von Frankfurt/Oder verzeichnet30. 26 HHS, S. [2]–[4]. 27 Traubuch der Marienkirche in Frankfurt/Oder für die Jahre 1618–1700, fol. 117v, Evangelisches Landeskirchliches Archiv Berlin (ELAB), Mikrofiche 12980/3. 28 Eines der Tafelbilder ist mit der Inschrift „J. A. Brief fecit“ versehen; Paul Jonas Meier, Die Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtums Braunschweig, Bd. 1: Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Helmstedt, Wolfenbüttel 1896, S. 63. S. dazu auch: Deutsche Inschriften Online (DI 61, Stadt Helmstedt, Nr. 368†? (Ingrid Henze), in: www.inschriften.net, Zugriff am 3.7.2020, urn:nbn:de:0238di061g011k0036803). Brief hatte 1661 als Kunstmaler das Bürgerrecht in Helmstedt erworben und hatte aus der Ehe mit Anna Catharina Müller sieben Kinder, die zwischen 1660 und 1673 in der dortigen Stephanikirche getauft wurden. Weitere Lebensdaten von ihm sind nicht gesichert, doch dürfte es sich bei dem gleichnamigen verstorbenen Ehemann der Elisabeth Knape um den aus Helmstedt bekannten Maler handeln. Lit.: Robert Schaper, Das Helmstedter Bürgerbuch, Helmstedt 1978 (Zwischen Hausmannsturm und Walbecker Warte 18, 1), S. 132. Frau Petra Maushake vom Stadtarchiv Helmstedt sei für ihre freundliche Unterstützung bei der Recherche gedankt. 29 Benezé II , S. 170. Bei dem Jubiläumsband handelt es sich um „Secularia sacra Academiae Regiae Viadrinae“, Frankfurt 1706. Im AKL findet sich ein Eintrag zu Johann Adolph Brief, nicht aber zu Georg Schulze; Allgemeines Künstlerlexikon – Internationale Künstlerdatenbank – Online, hg. v. Andreas Beyer/Bénédicte Savoy/Wolf Tegethoff, Berlin/Boston 2019 (https://db.degruyter.com/view/ AKL/_30063856?rskey=27ltZi&result=1&dbq_0=Brief%2C+J.+A.&dbf_0=akl-name&dbt_0=name&o_0=AND, Zugriff am 20.7.2020). 30 Es handelt sich um den Fuhrmann David Knape aus Freudenstadt (eingebürgert 1656), den Kürschner
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Die Taufe Christian Schulzes wurde für den 6. November 169331 im Taufbuch der Frankfurter Marienkirche vermerkt: „George Schultze, Bürger und Mahler, die Mutter Elisabeth Knapen, das Kind Christian. Paten: H. Johann Marcellius Westerfeldt, Vornehmer des Raths und Apothecker, H. Adamus Augustus Christianus, Pfarher zu Lebuß, H. David Knape, E. E. Raths Thürsteher, Jungfer Eva Hanischen, H. Jacob Hanischens Gerichtsassessors nachgelassene Jungfer Tochter, Jungfer Rahel, Meister Michael Reimans, Braueigens und Seifensieders leibl. Jungfer Tochter.“32 Einiges spricht dafür, dass die Paten zum Teil aus dem Kreis der Frankfurter Neubürger stammten. Viel mehr kann dem Kirchenbucheintrag ohne weitergehende Kontextualisierung nicht entnommen werden. Christian Schulze immatrikulierte sich am 11. Juli 1712 an der Universität Frankfurt/ Oder. Die Immatrikulationsgebühr wurde ihm erlassen33. Aus späteren Taufeinträgen für zwei seiner Kinder kann geschlossen werden, dass er ein Studium der Rechte aufgenommen hatte und später gelegentlich den Titel „Candidatus Iuris“ führte34. Alle anderen Angaben zu seiner frühen Jugend, die Geburt einer Schwester, der frühe Tod der Mutter, der Tod des Vaters, sein Studium in Halle und Leipzig sind nur in der Erzählung von Karoline Kummerfeld überliefert35. Dass junge Männer, die aus finanzieller Not ihr Studium abbrechen mussten, den Weg zum Theater fanden, ist ein aus dem späten 18. und 19. Jahrhundert bekanntes Phänomen, doch gibt es auch aus dem frühen 18. Jahrhundert eine Reihe von Hinweisen darauf, dass der Weg zum Theater Michel Knape aus Züllichau/Sulechów (eingebürgert 1665) und um David Knape aus Frankfurt/Oder, Reitdiener des Rats, der 1683 das Bürgerrecht erhielt; Peter von Gebhardt, Verzeichnis der Neubürger der Stadt Frankfurt/Oder von 1580–1699, Leipzig 1924. Eine Auswertung des Bandes aus dem Jahr 2001 von Peter Woddow ist in genwiki.genealogy.net einsehbar (http://wiki-de.genealogy.net/NeumarkDB_ffo_bbch, Zugriff am 20.7.2020). 31 In HHS, S. [2] wird der 8. November 1693 als Geburtsdatum angegeben. 32 ELAB, Frankfurt/Oder, St. Marien, Taufen, Mikrofiche 12959/2. Der Eintrag ist auch bei Benezé II, S. 169 verzeichnet. Einige Namen der Paten finden sich im Neubürgerverzeichnis (s. o. Anm. 30), lassen aber ohne weitere Überprüfung keine weiteren Schlüsse über die Einbindung Georg Schulzes in die Frankfurter Gesellschaft zu. Neben David Knape sind das Johann Marcellius Westerfeldt, ein Materialist aus Nördlingen, der 1683 eingebürgert wurde, Michel Reimann, ein Seifensieder, eingebürgert 1670, sowie verschiedene Angehörige einer Familie Hanisch, eingebürgert 1675, 1677, 1680. August Christian Adami (im Taufeintrag abweichend „Adamus Augustus Christianus“ genannt) war Pfarrer zu Lebus, 10 km nördlich von Frankfurt/Oder; Otto Fischer (Bearb.), Evangelisches Pfarrerbuch für die Mark Brandenburg seit der Reformation, Bd. 2,1, Berlin 1941, S. 3. 33 Aeltere Universitäts-Matrikeln. Universität Frankfurt a. O., hg. von Ernst Friedlaender, 2. Bd. (1649– 1811), Leipzig 1888 (Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 36), S. 288. 34 S. u. Anm. 66 und 93 zum Taufeintrag von Karl und Franz Dominicus Schulze. 35 In den Frankfurter Kirchenbüchern ließen sich weder die Sterbeeinträge für Elisabeth und Georg Schulze finden noch Hinweise auf die Geburt der Schwester.
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für Studenten eine Möglichkeit bot, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren36. Einige von ihnen wie Carl Theophil Doebbelin, der sein Studium wegen der Teilnahme an studentischen Tumulten nicht abschließen konnte37, und Johann Friedrich Schönemann38 waren dabei sehr erfolgreich. Auch Christian Schulze scheint sich schnell ins Theaterleben hineingefunden zu haben. Beginn der Theaterlaufbahn und erste Ehe von Christian Schulze Wichtig für das weitere Fortkommen von Christian Schulze waren seine Aufenthalte in Sachsen und den böhmischen Ländern. Neben der Messestadt Leipzig, die Schauspielern zahlreiche Auftrittsmöglichkeiten bot39, war es vor allem das 40 km südwestlich von Leipzig gelegene Weißenfels, das sich Anfang des 18. Jahrhundert zu einem prunkvollen Zentrum höfischen Musik- und Theaterlebens entwickelt hatte40. Caroline Neuber hatte hier 1717 als Mitglied der Spiegelbergischen Gesellschaft ihre 36 So schreibt Sybille Maurer Schmoock – allerdings nur unter Berufung auf Quellen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: „Das Hauptkontingent der Schauspielertruppen stellten – meist abgebrochene und verarmte – Studenten“; Sybille Maurer-Schmoock, Deutsches Theater im 18. Jahrhundert, Tübingen 1982 (Studien zur deutschen Literatur 71), S. 106. Peter Schmitt, der versucht hat, die soziale Herkunft der Schauspieler quantitativ zu erfassen, stellt in einer Auswertung von Eisenbergs Bühnenlexikon fest, dass von 676 Schauspielern, bei denen Eisenberg den Beruf angibt, 31 % ehemalige Studenten waren; Schmitt, Schauspieler, S. 100 ff. (Ludwig Eisenberg, Großes biographisches Lexikon der deutschen Bühne im 19. Jahrhundert, Leipzig 1903). Schmitt verweist aber auch darauf, dass in der Gallerie von Teutschen Schauspielern häufiger Schauspieler erwähnt werden, die ihr Studium aus finanzieller Not abgebrochen hatten; Schmitt, Schauspieler, S. 102; Gallerie von Teutschen Schauspielern und Schauspielerinnen nebst Johann Friedrich Schinks Zusätzen und Berichtigungen, hg. von Richard Maria Werner, Berlin 1910 (Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 13). 37 Hans Knudsen, Carl Theophilus Doebbelin, S. 9 f. 38 Paul Schlenther, Johann Friedrich Schönemann, S. 289–291. Schönemann soll vor Beginn der Schauspielerei in Halle Medizin studiert haben. 39 Horst Flechsig, Unterwegs zwischen Prag und Leipzig. Eine Reiseroute der Wanderkomödianten im 17. und 18. Jahrhundert, in: Alena Jakubcová/Jitka Ludvová/Václav Maidl (Hg.), Deutschsprachige Theater in Prag. Begegnungen der Sprachen und Kulturen, Prag 2001, S. 102–177; Bärbel Rudin, Zwischen den Messen in die Residenz. Das Theater- und Schaustellergewerbe in Dresden und Leipzig nach den Standgeldrechnungen (1679–1728), in: Wanderbühne. Theaterkunst als fahrendes Gewerbe, Berlin 1988 (Kleine Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte, H. 34/35), S. 100–102. 40 Die Herzöge von Sachsen-Weißenfels hatten 1660 mit dem Bau des Schlosses Neu-Augustusburg mit Hofkirche und „Comödien-Saal“ begonnen. Es war bis 1746 Residenz der kursächsischen Nebenlinie Sachsen-Weißenfels. Zu Weißenfels und der kulturellen Leistungskraft dieses Kleinstaats s. Roswitha Jacobsen (Hg.), Weißenfels als Ort literarischer und künstlerischer Kultur im Barockzeitalter. Vorträge eines interdisziplinären Kolloquiums vom 8.–10. Oktober 1992 in Weißenfels (Sachsen-Anhalt), Amsterdam/Atlanta 1996 (CHLOE, Beihefte zum Daphnis 18); Dies., Der Hof von Sachsen-Weißenfels
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Bühnenlaufbahn begonnen und war auch noch als Prinzipalin 1727 und 1731 im dortigen Hoftheater zu Gast41. Mit dem Regierungsantritt von Johann Adolf II. veränderte sich das Leben am Hof der Herzöge von Sachsen-Weißenfels, doch war erst mit dem Aussterben der Linie im Jahr 1746 das Ende der höfischen Musik- und Theaterpflege in Weißenfels besiegelt42. In Böhmen erlebte Prag seit Ende des 17. Jahrhunderts die „Hochblüte des barocken Theaters“43. Nicht zuletzt dank der Förderung durch lokale adlige Mäzene konnte der Einfluss der Jesuitenschulen zurückgedrängt werden. Stattdessen begannen die Wandertheater, die weltliche Stoffe auf die Bühne brachten und für Unterhaltung des Publikums sorgten, die Prager Kultur jener Zeit zu prägen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang vor allem Franz Anton Reichsgraf von Sporck (1662–1738), der sich als wichtiger Mäzen von Baukunst, Bildhauerei, Schauspiel und Oper auszeichnete44. Nicht nur in Prag, wo 1701 im Garten seines Palais in der Neustadt ein hölzernes Theater errichtet wurde, sondern auch in der Herrschaft Gradlitz (Choustnikovo Hradiště) erwies er sich als Förderer der Bühnenkunst. Das in Nordostböhmen gelegene Dörfchen Kukus (Kuks) ließ er zu einer Residenz mit Kirche, Hospital, Heilquellen, Gasthäusern und vielen weiteren Gebäuden, Gärten und Parks ausbauen. In Kukus, das bald zu einem bekannten und beliebten Badeort wurde, gab es auch ein „Comoedianten Haus“, in dem die von Graf Sporck für sein Prager Theater engagierten Ensembles in den Sommermonaten spielten. Wichtige Prinzipale des deutschen Sprachraums wie Anton Joseph Geissler, Johann Christian Spiegelberg und Franz Albert Defraine traten hier mit ihren Truppen auf45. Unter den Schauspielern, die wiederholt in Kukus spielen durften, waren auch Christian Schulze und seine erste Ehefrau Dorothea.
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und das kulturelle Verdienst seiner Herzöge, in: Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte 3, 1996, S. 75–96; Otto Klein, Weißenfels, HB kult. Zentren, S. 2119–2159. Kosch Theater, Bd. 6, S. 3183: Art. Weißenfels. Jacobsen, Hof, S. 95. Adolf Scherl, Berufstheater in Prag 1680–1739, Wien 1999 (Theatergeschichte Österreichs, Bd. X: Donaumonarchie, Heft 5), S. 9. Franz Anton Reichsgraf von Sporck (* 9. März 1662 Lissa an der Elbe, † 30. März 1738 ebd.) hatte eine Jesuitenschule besucht und am Prager Clementinum studiert, bevor er nach einer Kavalierstour durch Europa 1684 das Erbe seines Vaters in Nordostböhmen antrat. Er war kaiserlicher Kämmerer, Wirklicher Geheimer Rat und Statthalter von Böhmen und gilt als Begründer der Freimaurerei in Böhmen. Er war ein Gegner der Jesuiten, stand dem Jansenismus nahe und wurde von den Zensurbehörden verfolgt. Zu seiner Biographie s. Lutz Krüger, Das Kukus-Bad des Franz Anton Reichsgraf von Sporck, Hg. Internationaler St. Hubertus-Orden, Ballei Österreich, Wien 2010; Scherl, Berufstheater, S. 10 ff., Oscar Teuber, Geschichte des Prager Theaters. Von den Anfängen des Schauspielwesens bis auf die neueste Zeit, Th. 1, Prag 1883, bes. Kap. VII und VIII. Krüger, Kukus-Bad, S. 22 (www.int-st-hubertus-orden.de, Zugriff am 15.12. 2019).
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Erste Hinweise über die Tätigkeit Christian Schulzes als Schauspieler stammen aus dem Jahr 171846. Damals war er Mitglied der „Königl. Pohlnischen und Churfürstl. Sächsischen privilegierten Hof-Comoedianten“, die von Johann Caspar Haacke47 geleitet wurden. Er trat in diesem Jahr für seinen Prinzipal als Bürge in einer Schuldverschreibung auf, die dieser für seinen Vorgänger Johann Franz Deppe48 ausgestellt hatte49. 1719 wird er mit seiner Ehefrau Dorothea, von der sich nur wenige Spuren in den Quellen finden, in der Gesellschaft Haackes im Zusammenhang mit einem Gastspiel am Hofe des Herzogs Christian von Sachsen-Weißenfels erwähnt. Die folgenden Jahre sind geprägt durch ständig wechselnde Engagements und Versuche, sich selbstständig zu machen. 1721 bewarb er sich vergeblich zusammen mit Johann Ernst Leinhaas50 um eine Spielgenehmigung für das Manhartische Haus in Prag. Diese wurde zwar abgelehnt, doch erhielt Christian Schulze 1721/22 wiederholt die Erlaubnis, mit seiner Truppe im Ballhaus auf der Prager Kleinseite aufzutreten. Er hatte zwischenzeitlich einen Vertrag mit Marcus Waldtmann51 geschlossen, trennte sich bald im Streit von ihm, spielte für kurze Zeit im Manhartischen Haus und war anschließend bei Anton Joseph Geissler52 in Brünn. Danach war das 46 Zu dieser Phase des Lebens von Christian Schulze s. Scherl, Berufstheater S. 79–81 und Scherl/Rudin, Christian Schulze, S. 614–617. 47 Johann Caspar Haacke (um 1670–1722) Schauspieler, Theaterprinzipal. Haacke war Barbier, bevor er durch die Ehe mit der verwitweten Prinzipalin Sophie Julie Elenson Leiter der Schauspieltruppe von J. F. Elenson wurde. Die Truppe spielte auf fast allen Leipziger Messen und hatte eine enge Bindung an den Weißenfelser Hof. 1713 und 1718 trat Haacke in Prag auf. Aufgrund der Konfessionsverschiedenheit gab es innerhalb der Familie Haacke-Elenson schwere Konflikte: Die Elensons waren streng katholisch, Sophie Elenson-Haacke zum Katholizismus konvertiert; Scherl/Rudin Johann Caspar Haacke, S. 246–248. 48 Johann Franz Deppe (2. H. 17. Jh.–nach 1757), Hanswurst-Darsteller, Schauspieler, Prinzipal und Zahnarzt. 49 Karoline Kummerfeld erwähnt in HHS, S. [80]–[82], dass Christian Schulze 1751 Deppe in Prag traf und wegen der früheren Schuldverschreibung Probleme bekam. 50 Johann Ernst Leinhaas (* 1687 Venedig, † 1767 Wien), Schauspieler (Pantalone), 1714 in Leipzig nachgewiesen, wirkte bis 1744 vor allem in Prag, Kukus und Brünn, danach in Wien; Scherl, Berufstheater, S. 82. 51 Johann Friedrich Marcus Waldtmann (* v. 1700, † n. 1726), Theaterprinzipal. Waldtmann trat hauptsächlich in den böhmischen Ländern auf. Als Kodirektor von Christian Schulze spielte er im Ballhaus auf der Kleinseite. Streit gab es, weil Schulze eine separate Lizenz für das Manhartische Haus erworben hatte. Waldtmann durfte bis 1724 im Ballhaus spielen und wechselte 1725 in das Manhartische Haus. F. A. Defraine verdrängte ihn aus Prag; Scherl/Rudin, Johann Friedrich Marcus Waldtmann, S. 743 f. 52 Anton Joseph Geissler (* vor 1700 Breslau, † 1723 Brünn), Schauspieler, Theaterprinzipal. Geissler spielte eine Zeit lang gemeinsam mit G. Prehauser. Er war 1721/22 und 1722/23 in Brünn. Dort kam es zum Streit zwischen Geissler und Prehauser, der sich selbstständig machte und eine ernstzunehmende Konkurrenz für seinen ehemaligen Prinzipalen darstellte. Geissler und mit ihm Christian
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Ehepaar Christian und Dorothea Schulze bei Franz Albert Defraine53 engagiert, der von 1724 bis 1732 eine Spielgenehmigung für das Manhartische Haus in Prag hatte, zwischendurch mit seinen „Pragischen Komödianten“ aber auch in anderen Städten (u. a. in Augsburg, Frankfurt und Köln) auftrat. Im Frühjahr 1728, 1730 und 1732 spielte Defraine im lutherischen Weißenfels, während der Sommersaison 1727 bis 1729 im katholischen Kukus. In der lutherischen Schlosskirche zu Weißenfels wurde am 28. April 1728 ein Sohn von Christian Schulze getauft. Pate von Christian Ferdinand wurde in Vertretung für den regierenden Herzog Christian von Sachsen-Weißenfels und seine Frau Louisa Christina54 der Oberjägermeister Anton Ferdinand von Zedtwitz55. 1730 übernahm Joseph Ferdinand Müller56 in Prag das von Defraine vorübergehend geräumte Theater im Manhartischen Haus. Mit seinem Kompagnon I. F. Petzold57 erhielt er eine Konzession, dort aufzutreten. Zu seiner Truppe gehörten eine Reihe ehemaliger Mitglieder der Gesellschaft von Defraine, darunter auch Christian und Dorothea Schulze.
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Schulze mussten Schulden machen und wurden von ihren Gläubigern gerichtlich verfolgt. Lit: Scherl/ Rudin, Anton Joseph Geissler, S. 210–212; Margita Havličková, Berufstheater in Brünn 1668–1733, Brno 2012, S. 75–96. Franz Albert Defraine (* vor 1700, † nach 1761), war der Sohn eines bayerischen Offiziers, der nach dem Besuch der Gymnasialklassen der Benediktineruniversität Salzburg zum Theater ging. Zu den ersten bekannten Stationen seines Wirkens gehörten Brünn, wo er 1716 als Marionettenspieler auf der Bühne stand, sowie Kukus und Prag (1719). 1724 war er als Prinzipal in Kukus bei Graf Franz Anton von Sporck, der ihm mit seiner Gesellschaft „Hoch-Teutscher Comoedianten“ eine Empfehlung für das Manhartische Haus in Prag gab. In Prag war er bei der Bürgerschaft, dem Adel und der Geistlichkeit akzeptiert. Er gilt als einer der ersten reisenden Prinzipale. Lit.: Scherl/Rudin, Franz Albert Defraine, S. 143–146; Ruth Gstach, „Die Liebes-Verzweiffelung“ des Laurentius von Schnüffis. Eine bisher unbekannte Tragikomödie der frühen Wanderbühne mit einem Verzeichnis der erhaltenen Spieltexte, Berlin/Boston 2017, S. 316 f. Herzog Christian von Sachsen-Weißenfels (1682–1736) war seit 1712 mit Gräfin Luise Christiana zu Stolberg-Stolberg, verw. Gräfin von Mansfeld-Eisleben (1675–1738) verheiratet. Archiv der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen in Magdeburg (AKPS), Rep. R 3, FilmNr. 4739, KB-Nr. 358/4, Schlosskirche zu Weißenfels, Taufregister 1724–1738, S. 102r, Aufn.-Nr. 112. Im Taufeintrag wird nur der Name des Vaters, Christian Schulze, „Commediant“, genannt, nicht der der Mutter. Joseph Ferdinand Müller (* um 1700 Wien, † 1761 Wien), Schauspieler (Harlekin), Theaterprinzipal. Der Sohn eines Portiers im Dienst des Wiener Hofes spielte 1719 bei J. C. Haacke. 1725 heiratete er eine Tochter von Sophie Julie Elenson. Er war 1726–1730 am Braunschweiger Hof engagiert und erwarb 1730 in Prag mit seinem Kompagnon F. I. Petzold eine Spielgenehmigung für das Manhartische Haus in Prag, anschließend traten sie in Brünn auf, später für längere Zeit in Leipzig und Dresden. Müller gilt als der berühmteste deutsche Harlekin; Scherl/Rudin, Joseph Ferdinand Müller, S. 479–482. Zu Isaac Friedrich Petzold s. Scherl, Berufstheater, Anhang III.
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1731 waren die Schulzes bei Felix Kurz in Kukus engagiert58. Vieles spricht dafür, dass sich Christian Schulze in dieser Phase seines Lebens entschloss, katholisch zu werden59. Zumindest betonte Felix Kurz 1734, dass alle seine Schauspieler dieser Religion angehörten. Kurz war 1734 zum ersten Mal nach Prag gekommen, wo den Wanderbühnen seit der Gründung des Sporckschen Opernhauses eine große Konkurrenz entstanden war. Er suchte um die Erlaubnis nach, in der Fastenzeit zu spielen, weil dies der Oper auch erlaubt war und weil „er sich ‚auf gutt geistliche und moralisch ausgearbeitete Comoedien beflissen, in welchen nicht alleine das mindeste wider gute Sitten nicht begriffen sondern auch auf erbauliche Christl. Vorstellung Enthalten, seine sämmtlichen Actores auch der christl.-katholischen Religion ergeben seien‘.“60 Um einen Rivalen, den Arzt und Prinzipal Balthasar Kohn61, zu verdrängen, führte er Prozesse, in denen er gegenüber der Kirchenbehörde immer wieder seine christkatholische Haltung betonte. In der Religionszugehörigkeit unterschied er sich nicht von Kohn, doch zeigt die Art seiner Kritik, wie stark er sich – zumindest argumentativ – an der von den Jesuiten in den 1730er-Jahren durchgeführten inneren Mission orientierte62. Die Rekatholisierung, zu der auch das harte Vorgehen gegen böhmische Kryptoprotestanten gehörte63,
58 Felix Kurz (* 6. Jan. 1688 Landshut, † 1760 Brünn?), der Vater von Johann Joseph Felix (Freiherr von) Kurz begann seine Laufbahn als Prinzipal und Hanswurst einer eigenen Truppe spätestens 1725 in Brünn, wo er bis 1755 wiederholt agierte. In den Sommermonaten spielte er mehrfach in Kukus. In seinem Repertoire überwogen traditionelles Textgut und barocke Haupt- und Staatsaktionen. In Prag, wo er 1734 die Erlaubnis erhalten hatte, in der Advents- und Fastenzeit zu spielen, führte er zahlreiche Schauspiele religiösen Inhalts auf; Scherl/Rudin, Felix Kurz, S. 369–372. 59 HHS, S. [6]. 60 Teuber, Geschichte, S. 147. 61 Johann Balthasar Carl Kohn (um 1680–1759), Schaumediziner und Theaterprinzipal. Kohn war kaiserlicher Feldarzt und als solcher privilegiert. Seine Auftritte waren prunkvoll und zogen allerorten viel Publikum an. Er liebte Abendvorstellungen mit großem Orchester und Fackelschein; Horst Flechsig/ Bärbel Rudin, Johann Balthasar Carl Kohn, S. 325–327. 62 Martin Svatoš, Der Generalobere der Gesellschaft Jesu P. Franz Retz und die Einführung der Bußmissionen in den böhmischen Ländern, in: Bohemia 48 (2008), 1, S. 130–157 (https://www.bohemiaonline.de/index.php/bohemia/article/view/7290/11271, Zugriff am 3.7.2020). Zum Ablauf der Missionen s. S. 144–146. Insgesamt sollen im Laufe der siebenjährigen Missionstätigkeit 11.249 „anstößige“ und „ketzerische“ Bücher abgeliefert worden sein. Häufig wurden die nichtkatholischen Bücher auch während eines Missionsereignisses verbrannt; ebd., S. 151. 63 Zur Lage der Protestanten in Böhmen: Arno Herzig, Der Zwang zum wahren Glauben. Rekatholisierung vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Göttingen 2000, S. 199; Ondřej Macek, Geheimprotestanten in Böhmen und Mähren im 17. und 18. Jahrhundert, in: Rudolf Leeb/Martin Scheutz/Dietmar Weikl (Hg.), Geheimprotestantismus und evangelische Kirchen in der Habsburgermonarchie und im Erzstift Salzburg (17./18. Jahrhundert), Wien 2009 (Veröff. des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung
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hatte sicherlich auch Auswirkungen auf das Theater und möglicherweise auch auf den Entschluss von Christian Schulze, den Glauben zu wechseln. Seine berufliche Zukunft sah er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in protestantischen Ländern, sondern eher in der katholischen Habsburgermonarchie. 1737 suchte er in Prag um Spielgenehmigung nach, die ihm im Juli und Dezember erteilt wurde64. Im Sommer desselben Jahres und im März 1738 spielte er mit einer eigenen Truppe in Brünn65. Seine weiteren Aufenthalte in dieser Zeit, die einen gravierenden Einschnitt für sein Familienleben mit sich brachte, sind nicht bekannt. 1735 wurde Marianna (bzw. Maria Anna oder Anna Maria), eine Tochter von Christian Schulze und seiner ersten Ehefrau Dorothea geboren, 1740 Karl, ein Sohn von Christian Schulze und seiner späteren zweiten Ehefrau Augustina Sibylla. Dorothea Schulze, von der sich bislang kein Sterbeeintrag finden ließ, dürfte zwischen 1735 und 1739 gestorben sein. Sie hinterließ drei Kinder, die versorgt werden mussten. Dabei stand dem Witwer künftig die Schauspielerin Augustina Sibylla zur Seite, die sich nach der Flucht aus dem Haus ihrer Schwester einer Wanderbühne angeschlossen und wie Christian Schulze den katholischen Glauben angenommen hatte. 1739/40 begann für Christian Schulze ein neuer Lebensabschnitt, auf dem er von Augustina Sibylla, mit der er eine neue Familie gründete, begleitet wurde. 2. Die Familie von Christian und Augustina Sibylla Schulze (1740–1766) Der erste Nachweis für eine Beziehung zwischen Christian und Augustina Sibylla Schulze findet sich im Taufbuch der Pfarre Heilig Blut in Graz. Dort wurde vermerkt, dass der im Gasthof „Zum Wilden Mann“ in der Schmiedegasse geborene Karl Aloys, der Sohn des Cand. iur. Christian Schulze und der Augustina Sibylla, am 22. Juni 1740 getauft wurde66.
51), S. 237–269; Horst Flechsig (Unterwegs, S. 108) verweist darauf, dass auch für die Wandertruppen die konfessionelle Grenze Bedeutung hatte und dazu führte, dass es nur wenige Wechselbeziehungen zwischen den Wanderbühnen „nördlicher“ und „südlicher“ Sphäre gab. 64 Nationalarchiv der Tschechischen Republik (Národní archiv) Prag, Bestand Staré české místodržitelství, Sign. 1163, sub: Comoedianten, 3./5. Juli 1737; 28. Nov./2. Dez. 1737. Für die Zusendung der Spielbewilligungen sei Frau Dr. Petra Oulíková vom Nationalarchiv in Prag herzlich gedankt. 65 Moravský zemský archiv Brno (Mährisches Landesarchiv Brünn) = MZA, B 1, sign. 47/1, kart. 72; Albert Rille, Die Geschichte des Brünner Stadt-Theaters: 1734–1884, Brünn 1885, S. 11; Julius Leisching, Die Vorläufer des ständigen Schauspiels in Brünn, in: Zeitschrift des deutschen Vereins für die Geschichte Mährens und Schlesiens 5 (1901), S. 238–253, hier: S. 246. 66 Diözesanarchiv Graz, Taufbuch Graz-Hl. Blut, Bd. 14, S. 351. Für die Zusendung des Taufeintrags und für weiterführende Auskünfte sei Herrn Dr. Alois Ruhri herzlich gedankt.
Die Familie von Christian und Augustina Sibylla Schulze (1740–1766 | 47
Stammbaum der Familie Schulze Stammtafel der Familie Schulze Dorothea ( vor 1739)
Ältere Tochter, „Kammerfrau“
Christian Ferdinand (1728–1779) vor 1762 vor 1719
Anna Theresia (* 1762)
Carolina Sophia Gerschlin Gottlieb Mion ( 1770)
Johann Joseph Madstädt (* 1755)
vor 1757? Christian Schulze (1693–1757)
Marianna (1735?–1822) 1773 J. J. von Brunian (1733–1781)
1741?
Karl Alois (* 1740–1802) Karolina Mombauer (1757?–1790)
Karl Ferdinand Friedrich (* 1783)
Carolina (Franziska) (* 1742–1815) Augustina Sibylla (1708/12–1766)
1768 Diedrich Wilhelm Kummerfeld (1723–1777)
Franz Dominicus (* 1748)
Legende:
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geboren gestorben verheiratet Schauspieler
Abb. 2: Stammtafel der Familie Schulze
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Die Patenschaft hatte Geheimrat Carl Cajetan von Leslie übernommen, der sich durch den Lakaien Anton Zorer vertreten ließ67. Da es für Schauspieltruppen, die im Sommer 1740 in Graz auftraten, keine Quellen gibt, kann nicht gesagt werden, ob Christian und Augustina Sibylla sich bei der Geburt des ersten gemeinsamen Kindes zufällig als Mitglieder einer Wanderschauspielergesellschaft in Graz aufhielten oder ob sie angesichts der damals bestehenden Heiratsverbote für Fahrende auf Wanderschaft waren, um an Orte zu kommen, wo sie hoffen konnten, dass ihnen die Eheschließung ermöglicht würde68. Der Taufeintrag spricht dafür, dass die Eltern im Juni 1740 noch nicht verheiratet waren69. Der Pfarrer hatte offensichtlich kein Interesse daran, diesbezüglich im Kirchenbuch Eindeutigkeit herzustellen: Beim Namen der Mutter fehlt die sonst übliche Ergänzung uxor eius, und beim Namen des Kindes wurde auf den Zusatz illegitimus verzichtet, der den Täufling klar als nichteheliches Kind gekennzeichnet hätte. Auch Karoline Kummerfeld scheint es beim Schreiben ihrer Familiengeschichte nicht wichtig gewesen zu sein, für Klarheit zu sorgen. Ihre Aussagen sind chronologisch nicht eindeutig zuzuordnen. Anders als 1740, als Kirche und Obrigkeit offensichtlich bereit waren, uneheliche Beziehungen von Schauspielern zu tolerieren, war es in den 1780er Jahren, als sie ihren autobiographischen Text verfasste, nicht opportun offenzulegen, dass 67 Leslie war Präses der Hofkommission in Landessicherheitssachen und Besorgung der weltlichen Stiftungen. Als solcher administrierte er die Einnahmen aus Bällen, Theateraufführungen und anderen Unterhaltungsveranstaltungen. Für den Hinweis auf die Funktion Cajetan von Leslies und für die Durchsicht folgender Aktenbestände im Steiermärkischen Landesarchiv sei Frau Dr. Hammer-Luza herzlich gedankt. Persönliche Akten Kajetan von Leslie (Familienarchiv Lambert); Verzeichnisse der Innerösterreichischen Regierung (Copeyen, Gutachten, Expedita; Mai bis Sept. 1740), Weltliche Stiftungsakten, Fasz. 47, Nr. 89; Landprofosenakten 1740, A., Antiquum, Gr. VIII, K. 6, H. 16; Konvolut „Verbotene Unterhaltungen“, A., Antiquum, Gr. VIII, K. 11, H. 34; Konvolut „Musikimposto 1740“, A., Antiquum, Gr. VI, Sch. neu 335; Konvolut „Ausstände des Musikimposto 1740“, A., Antiquum, Gr. VI, Sch. neu 341; die Abgaben für die Bewilligungen von Schauspielaufführungen kamen dem Grazer Zucht- und Arbeitshaus zugute, wobei die Beträge vom Landesprofosen eingezogen wurden. 68 Priester sollten nur Kinder von Eltern taufen, die einen Heiratsschein vorlegen konnten, doch gab es viele Ausnahmen. Zu den Heiratsverboten für Fahrende und den Möglichkeiten, sie zu umgehen s. Gerhard Ammerer, Von „Gutschen“, „fleischlichen Begierden“ und „Ehefleppen“. Partnerschaft, Sexualität und Nachkommen im Milieu der Landstraße, in: Gerhard Ammerer/Gerhard Fritz (Hg.), Die Gesellschaft der Nichtsesshaften. Zur Lebenswelt vagierender Schichten vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Affalterbach 2013, S. 107–132, hier S. 123 f. 69 Eine mögliche Eheschließung der Eltern in Graz kann für den Zeitraum 1735 bis 1740 nicht nachgewiesen werden. Herrn Dr. Alois Ruhri sei für diese Auskunft gedankt. Auch für eine Eheschließung in Kukus gibt es keinen Nachweis, da die Heiratsregister zwischen 1714 und 1754 eine Überlieferungslücke aufweisen; freundliche Mitteilung von Petr Zimmermann vom Staatlichen Gebietsarchiv Zamrsk (Státní oblastní archiv v Zámrsku).
Die Familie von Christian und Augustina Sibylla Schulze (1740–1766 | 49
die eigenen Eltern zumindest eine Zeit lang im Konkubinat gelebt hatten70. Karoline Kummerfeld, die beim Geburtsdatum ihres Bruders Karl unpräzise bleibt und sich bei der Angabe ihres eigenen Geburtsjahres um drei Jahre jünger macht, ist sehr präzise bei der Angabe des Heiratsdatums ihrer Eltern, die am 7. Dezember 1741, also während der Besetzung Prags durch französische und bayerische Truppen, in Prag geheiratet hätten71. Mit diesem Hinweis auf Ort und Datum der Heirat, die nicht in anderen Quellen verifiziert werden konnte, beseitigt sie jeden Zweifel an ihrer ehelichen Geburt. Möglicherweise deutet ihre Bemerkung über die Schwierigkeiten, die die Eltern in dieser Zeit hatten, darauf hin, dass der Erste Schlesische Krieg und die in diese Zeit fallenden Spielverbote wegen der Hoftrauer um Karl VI. in den späteren Erzählungen der Eltern noch lange präsent waren: „Durch viele Widerwärtigkeiten und Unglüksfälle war seine Geselschaft zertrümert, bis er endlich nach einem Jahr, oder wie lange es war, mit meiner Mutter, seinen zwey Kindern erster [Ehe] und einen Sohn, Carl genant, den er mit meiner Mutter erzeugt, nach Wienn kam und auf dem KayserlichKöniglichen Theater von neuen engagirt wurde (den er wahr viele Jahre vorher schon einmal bey demselben gewesen).“72 Auch wenn nicht klar ist, wann Christian Schulze zum ersten Mal in Wien war, steht fest, dass 1742 mit dem Engagement am Kärtnertortheater ein bescheidener und zunächst stabiler Lebensabschnitt der Familie Schulze begann: „Meine Eltern hatten alle Woche nicht mehr wie 14 Gulden ohne Actitencien, die ihnen den um wohl des Jahrs 100 Gulden mochten einbringen. – Doch Faste und Advent halbe Gage. Hübsch und nett – nicht prächtig hatten sie sich eingerichtet – 4 Kinder – kurz, wo solte da viel Geld herkommen?“73 Christian und Augustina Sibylla Schulze wohnten in Wien in der Kärntnerstraße, ihre 1742 geborene Tochter Karoline ließen sie im Stephansdom taufen74. Zum Haushalt zählten die beiden eigenen Kinder Karl und Karoline sowie die beiden noch unversorgten Kinder aus Christian Schulzes erster Ehe, Christian Ferdinand und Marianna. Während Karoline Kummerfeld die Beziehung zu ihrem Bruder und den Eltern von 70 Claudia Ulbrich, Sexuelle Devianz im Milieu der Wanderschauspieler, in: Gerhard Ammerer/Gerhard Fritz/Jaromír Tauchen (Hg.), Sexualität vor Gericht. Deviante geschlechtliche Praktiken und deren Verfolgung vom 14. bis zum 19. Jahrhundert, Wien 2019 (Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs. Zeitschrift der Kommission für Rechtsgeschichte Österreichs der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 9, H. 1, 2019), S. 245–258, hier S. 249 f. 71 Ein Beleg hierfür konnte in den Kirchenbüchern nicht ermittelt werden. 72 HHS, S. [10 f.]. Der erste Aufenthalt in Wien ist nicht belegt, doch spricht einiges dafür, dass Christian Schulze mit Felix Kurz, der von 1737 bis Herbst 1740 (Beginn der Hoftrauer) am Kärtnertortheater spielte, engagiert war. 73 HHS, S. [19]. 74 HHS, Anm. 51.
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wenigen Ausnahmen abgesehen als harmonisch beschreibt, betont sie, dass die Halbgeschwister ungeachtet der liebevollen Zuwendung seitens des Vaters und der Stiefmutter den Eltern ständig Probleme bereitet hätten. Christian Ferdinand verließ das Elternhaus ohne Abschied, um zunächst erfolglos als Schauspieler zu arbeiten. Er wurde, so schreibt Kummerfeld, von den Eltern ebenso unterstützt wie Marianna, die in Wien zweimal von zu Hause weggelaufen sei, aber jedes Mal wieder zurückgekommen sei, wenn sie in Schwierigkeiten geraten war75. Ob Marianna genau wie Karl und Karoline schon in Wien auf der Bühne stand, erwähnt Karoline Kummerfeld nicht. Die Erfolge ihrer Halbschwester als Schauspielerin spielen in ihrer Lebensgeschichte keine Rolle. Wegen einer Intrige wurden Christian und Augustina Sibylla Schulze 1748 gekündigt. Für die Familie begann eine schwierige Zeit, die gekennzeichnet war durch zahlreiche Ortswechsel, gefährliche Reisen und immer neue prekäre Lebenssituationen, in denen nicht selten Hunger und lebensbedrohliche Krankheiten den Alltag bestimmten. Christian Schulze versuchte Geld zu verdienen, indem er sich um Engagements bemühte und um Spielgenehmigungen kämpfte. Er verkaufte ein Drama, das er von Wien mitgebracht hatte, und Gemälde, die er – vielleicht noch als Erbstücke seines Vaters – in Besitz hatte76. Haushaltsgegenstände und Kleider wurden versetzt, um Schulden zu bezahlen oder das Überleben zu sichern. Die Mutter wusch und nähte, um Geld zu verdienen, und hatte kaum etwas, um die Familie zu ernähren: „Zweymal speißten wir in der Woche warme Suppe und Fleisch – meistens nur Brod, Salz, und Waßer war unser Trank“, heißt es in der Hamburger Handschrift77. Auch die Kinder trugen in Notsituationen auf vielfältige Weise zum Lebensunterhalt der Familie bei. Nach einem kurzen Engagement bei dem erfolglosen Prinzipal Johann Schulz, das Christian Ferdinand seinen Eltern vermittelt hatte, und bei Andreas Weidner in Erlangen, Nürnberg und Fürth versuchte der Vater sich im Sommer 1750 mit Unterstützung seiner Familie selbstständig zu machen. Augustina Sibylla, die in diesen Tagen erneut Mutter geworden war, versetzte ihre Kleider, um das notwendige Startkapital aufzubringen, und spielte, obwohl sie sehr geschwächt war, Theater. Auch als ihr Sohn Franz Dominicus kurze Zeit nach der Geburt starb, trat sie noch am gleichen Abend auf der Bühne auf, da man auf die Einnahmen angewiesen war78. Christian Ferdinand Schulze 75 HHS, S. [12] und S. [60]. 76 HHS, Anm. 77 und HHS, S. [36 f.]. 77 HHS S. [59]. Hunger und Nahrung haben in der HHS einen zentralen Stellenwert, gerade im Zusammenhang mit dem Zusammenhalt von Familien. Lit.: Angela Heimen, „I will Wake the Maidens, They shall Prepare Soup for You“ – Food as a Code in the Autobiography of Thomas Platter, in: Claudia Ulbrich/Kaspar von Greyerz/Lorenz Heiligensetzer (Hg.), Mapping the ‚I‘. Research on Self-Narratives in Germany and Switzerland, Leiden/Boston 215 (Egodocuments and History Series 8), S. 97–117. 78 S. u. Anm. 96.
Die Familie von Christian und Augustina Sibylla Schulze (1740–1766 | 51
gehörte damals zur Gesellschaft seines Vaters. Sicher wirkten auch die beiden Töchter, Karoline und Marianna, die bei den Eltern lebten, in der neu gegründeten Gesellschaft mit. Ein junges Mädchen, Catharina Schädel, das Christian Schulze auf Empfehlung seines Sohnes Christian Ferdinand engagiert hatte, wurde, wie es in den Wandertheatern Brauch war, in den Haushalt aufgenommen, um Schauspielerin zu werden. Sie schlief mit Karoline und Marianna in einem Zimmer und nahm an den gemeinsamen Mahlzeiten teil. Letztlich brachte sie wegen einer Affäre mit einem Katholiken und der damit verbundenen Absicht zu konvertieren die Gesellschaft in Schwierigkeiten79. Marianna lief in dieser Zeit heimlich weg, um sich bei Johann Michael Brenner in Nürnberg zu engagieren. 1751 kehrte der Vater wieder zu Johann Schulz zurück, der in Passau, Regensburg und Nürnberg spielte. Es folgten Engagements bei Johann Joseph Brunian (1752/53), der aber zahlungsunfähig war, bei Joseph Kurz (1753/54) und schließlich bei Giovanni Battista Locatelli in Prag, wo Christian Schulze die Leitung des deutschen Theaters übertragen wurde. Doch auch hier konnte er keine gesicherte Existenz gründen, denn Locatelli musste 1755 wegen Schulden fliehen. Nach einem Engagement bei der Nicolinischen Gesellschaft in Braunschweig und bei Franz Schuch d. Ä., der in verschiedenen Städten in Brandenburg-Preußen und Sachsen spielte, wechselte er im Herbst 1756 zu Johann Christoph Kirsch nach Dresden80. Die Stadt war zu diesem Zeitpunkt schon von preußischen Truppen besetzt, die Theatergebäude wurden als Getreidespeicher genutzt. Erst nachdem Kirsch von Friedrich II. die Erlaubnis erhalten hatte, Komödie zu spielen, um die Offiziere im Winterquartier zu unterhalten, war es möglich, mit dem Schauspiel Geld zu verdienen81. Die Anwesenheit des Militärs war für Schauspielerinnen ambivalent. Karoline Kummerfeld thematisiert dies wiederholt. In Zusammenhang mit Dresden erzählt sie ausführlich die Geschichte ihrer ersten großen Liebe zu einem Offizier, dem Grafen Nostitz, der ihr den Hof gemacht hatte, regelmäßig Briefe mit ihr wechselte und sie zu einer heimlichen Eheschließung überreden wollte. Eine solche Ehe hätte den Bruch mit ihrer Familie bedeutet, den sie nicht riskieren wollte82. Nach Ostern 1757 wechselten 79 HHS, S. [44]–[46] und [55]–[66]. 80 Für einen detaillierten Überblick über die einzelnen Stationen und die entsprechenden Belege der Textstellen s. Kap. III.4. 81 Zum Einmarsch der preußischen Truppen in Sachsen und dem Kriegsgeschehen s. Marian Füssel, Der Preis des Ruhms: Eine Weltgeschichte des Siebenjährigen Krieges, München 2019, S. 112 ff., der für seine Darstellung zahlreiche Selbstzeugnisse genutzt hat. Bei Karoline Kummerfeld wird das Kriegsgeschehen weniger thematisiert als die Zeit der Winterquartiere. Wie schwierig die Situation für die Prinzipale war, wird am Beispiel von Johann Christoph Kirsch deutlich: Da er mit Erlaubnis des preußischen Königs aufgetreten war, wurde ihm später von Sachsen das Prädikat als Hofkomödiant entzogen; Rosseaux, Freiräume, S. 112. 82 HHS, S. [115]–[144].
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Christian und Augustina Sibylla Schulze mit ihren beiden Kindern nach Freiberg. Auch hier war nur für kurze Zeit mit Theaterspielen Geld zu verdienen. Nach dem Abzug der Truppen aus Freiberg ging niemand mehr ins Theater83. Wieder begann eine Zeit, in der das Überleben nur dadurch gesichert werden konnte, dass Kleider und Schmuck versetzt und karges Essen gekocht wurde84. In Freiberg wurde der Vater krank und starb. Karoline Kummerfeld erzählt vom Zusammenhalt der Familie in dieser schweren Zeit, die nicht nur von Krieg und Not, sondern auch von der Krankheit beider Eltern und dem Sterben des Vaters in Freiberg in Sachsen geprägt war85. Sie beschreibt den Tod des Vaters und die Begleitumstände umfassend und gibt präzise Daten an. Diese stimmen mit dem Eintrag im Totenbuch der evangelischen Freiberger St. Petrikirche überein, allerdings gibt sie als Todesstunde die elfte und das Kirchenbuch die achte Stunde an. Das abweichende katholische Bekenntnis wird im Kirchenbuch ausdrücklich vermerkt86. Die Familie bestand nun nur noch aus der durch eine lange Krankheit geschwächten Mutter und den beiden minderjährigen Kindern Karoline und Karl, die versprachen, bei der Mutter zu bleiben und sich um sie zu kümmern, wenn sie nicht mehr für sich selbst sorgen könnte87. Zunächst aber lebten sie in bitterer Armut und waren auf die Hilfe anderer angewiesen. Die Situation änderte sich nur kurzfristig durch ein Engagement bei Carl Theophil Doebbelin, der mit seiner Gesellschaft in Erfurt spielte und anschließend sein Glück im Rheinland versuchte. Die Möglichkeiten, Theater zu spielen und damit den Lebensunterhalt zu verdienen, waren inzwischen kriegsbedingt sehr eingeschränkt und von der Anwesenheit von Militär abhängig. Wieder lebten die Schulzes am Rande des Existenzminimums. Eindrücklich berichtet Karoline, wie die Wirtin, bei der sie Schulden hatten, sie an einen Offizier verkuppeln wollte88. Ein Ausweg fand sich erst, als die Familie für zehn Jahre (1758 bis 1768) ein Engagement bei der Ackermannschen Truppe erhielt, die während des Siebenjährigen Krieges im Elsass und in der Schweiz spielte, bevor sie nach Kriegsende über Mainz, Kassel, Braunschweig und Göttingen nach Hamburg zog. Mehrfach betont Karoline Kummerfeld, dass die Mutter 1762 ein Angebot erhalten habe, ans Kaiserliche Theater in Wien zu wechseln, das sie trotz der günstigen Konditionen aus Loyalität gegenüber der Familie Ackermann abgelehnt habe. Die Bedeutung dieser Einladung unterstreicht sie noch
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HHS, S. [135]. HHS, S. [137]–[141]. HHS, S. [141]–[164].
Totenbuch der St. Petrikirche Freiberg, Jahr: 1757, Nr. 122, S. 171. Für die Zusendung der Abschrift sei Frau Anke Drechsel vom Kirchlichen Verwaltungsamt in Freiberg herzlich gedankt. 87 HHS, S. [154]. 88 HHS, S. [178]–[183].
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dadurch, dass sie den Brief, den die Mutter von Friedrich Wilhelm Weiskern erhalten hatte, in der Hamburger Handschrift im Wortlaut wiedergibt89. In Hamburg starb die Mutter nach einer längeren Krankheit am 16. Februar 176690. Da ein katholisches Begräbnis zu teuer war, wurde sie heimlich auf dem Kirchhof der Kleinen St. Michaeliskirche beigesetzt91. Ein gutes Jahr blieben Bruder und Schwester noch zusammen und nahmen ein Engagement bei Heinrich Gottfried Koch in Leipzig an. Hier erlebte die gefeierte und von vielen bewunderte Schauspielerin den Höhepunkt ihrer Bühnenlaufbahn. Mit dem Entschluss, eine Ehe mit Diedrich Wilhelm Kummerfeld einzugehen, trennten sich 1767 zum ersten Mal die Wege von Karl und Karoline Schulze, die einander bis dahin in geschwisterlicher Liebe verbunden waren92. 3. Die Geschwister von Karoline Kummerfeld Karoline Kummerfeld wuchs in den ersten Jahren ihres Lebens mit zwei Halbgeschwistern und ihrem Bruder Karl auf. Sie erwähnt in ihren autobiographischen Schriften außerdem eine weitere Halbschwester, die Kammerfrau in Augsburg gewesen sei, und einen jüngeren Bruder, Franz Dominicus, der am 16. Juli 1750 in Erlangen geboren und am darauffolgenden Tag in der Neustädter Kirche der evangelisch-lutherischen Gemeinde getauft wurde93. Die Mutter überlebte die schwere Geburt, doch der Junge lebte nur wenige Tage oder Wochen94.
89 HHS, S. [241]–[243]. Zum Spielplan und den Aufenthaltsorten der Ackermannschen Gesellschaft s. Herbert Eichhorn, Konrad Ernst Ackermann, Ein deutscher Theaterprinzipal, Emsdetten 1965, S. 224–262. 90 HHS, S. [360]. Karoline Kummerfeld schreibt, dass ihr ein katholischer Schuster bei der Vorbereitung der Beerdigung geholfen habe. Da der Weg zum katholischen Friedhof in Altona sehr weit war, schlug er eine heimliche Beerdigung auf dem Kleinen Michaeliskirchhof vor; HHS, S. [363]. 91 Die Sterberegister von St. Michaelis sind für die Jahre 1750–1782 nicht erhalten, wohl aber die Namensverzeichnisse. Zwischen 1765 und 1769 ist darin keine Augustina Sibylla Schulze aufgelistet. 92 Zum Konzept und der Relevanz der Geschwisterliebe um 1800 s. Karin Hausen/Regina Schulte (Hg.), Die Liebe der Geschwister, Wien/Köln/Weimar 2002 (L’Homme. Europäische Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 13 (2002), H. 1). 93 Zum Taufeintrag s. HHS, Anm. 130. Taufpate war der Erlanger Kauf- und Handelsmann Franz Dominicus Bulla. Der Vater Christian Schultze wird als Candidatus Iuris und Acteur, die Mutter als uxor (ohne den Zusatz „eius“) bezeichnet. Außerdem fehlt im Kirchenbuch ein Hinweis auf das abweichende katholische Bekenntnis, obwohl in anderen Erlanger Taufeinträgen in solchen Fällen der Zusatz „päpstisch“ zu finden ist. Ähnlich wie in Graz bei der Taufe Karls war auch der Pfarrer in Erlangen nicht an Eindeutigkeit interessiert. 94 HHS, S. [42]–[48].
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Die Kammerfrau der Herzogin von Guastalla Von der ältesten Halbschwester, die vermutlich vor 1728 geboren wurde, gibt es nur den Hinweis, dass sie als Kammerfrau im Dienste der verwitweten Herzogin Theodora von Guastalla (1706–1784) gestanden habe, „die in Augspurg ihren Hof hatte“95. Sie war die Tochter des 1693 zum Katholizismus konvertierten Landgrafen Philipp von Hessen-Darmstadt (1671–1736) und der Marie-Therese von Croy (1673–1714). Nach zweijähriger Ehe mit Antonio Ferrante Gonzaga, Herzog von Guastalla, Fürst von Sabbioneta und von Bozzolo (1687–1729) wurde sie 1729 im Alter von 23 Jahren Witwe96. Ihr Bruder Joseph Ignaz Philipp von Hessen-Darmstadt (1699–1768) wurde 1740 zum Bischof von Augsburg ernannt und 1741 geweiht97. Zwischen 1740–1752 ließ er die Residenz in Augsburg im barocken Stil umbauen. Von ihm wird gesagt, dass er „einen glänzenden, kostspieligen Hofstaat führte“98, in der Residenz in Dillingen Hofmusik und Hoftheater förderte und gelegentlich selbst auf der Bühne stand99. Auch wenn Theodora in den einschlägigen Quellen des Fürstbistums kaum Spuren hinterlassen zu haben scheint, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie plante, sich für längere Zeit am Hofe ihres Bruders niederzulassen, und auch zeitweilig dort mit einer oder mehreren Bedienten lebte100. Belege für ihren Aufenthalt in Augsburg existieren 95 HHS, S. [10]. 96 Theodora von Hessen-Darmstadt (* 6. Febr. 1706 Wien, † 23. Jan. 1784 Parma), heiratete 1727 Antonio Ferrante Gonzaga, Herzog von Guastalla (1687–1729) und wurde 1729 Witwe. Das Herzogtum Guastalla ist auch Ort der Handlung von Emilia Galotti, ein Trauerspiel in fünf Aufzügen von Gotthold Ephraim Lessing, in dem Karoline Kummerfeld die Claudia spielte; WHS, S. [15v/44]. 97 Joseph Ignaz Philipp von Hessen-Darmstadt hatte ursprünglich eine militärische Laufbahn eingeschlagen, wurde 1728 Domherr in Lüttich, 1729 Kanonikus in Augsburg, 1730 Kanonikus in Köln, 1735 Abt von Földvar (Ungarn) und 1739 Dompropst in Augsburg. Lit.: Erwin Gatz (Hg.): Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1648–1803. Ein biographisches Lexikon, Berlin 1990, S. 208 f.; Wolfgang Wüst, Joseph Landgraf von Hessen-Darmstadt 1699–1768, in: Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben 14, hg. v. Wolfgang Haberl, Weißenhorn 1993, S. 64–75. 98 Carl Friedrich Günther, Anekdoten, Charakterschilderungen und Denkwürdigkeiten aus der Hessischen Geschichte, Darmstadt 1843, S. 154. 99 Wolfgang Wüst, Art. Joseph Ignaz Philipp, Landgraf von Hessen-Darmstadt, * 22. Jan. 1699 Brüssel, † 20. Aug. 1768 Schwetzingen, Bischof von Augsburg 1740–1768, in: Stadtlexikon Augsburg (https:// www.wissner.com/stadtlexikon-augsburg/artikel/stadtlexikon/joseph-ignaz-philipp/4305, Zugriff am 15.12. 2019). 100 Die Personalverzeichnisse des Fürstbischofs bei Wolfgang Wüst, Geistlicher Staat und Altes Reich. Frühneuzeitliche Herrschaftsformen, Administration und Hofhaltung im Augsburger Fürstbistum, München 2001, nennen weder die Herzogswitwe noch Personal von ihr. Auch besaß sie nicht das Augsburger Bürgerrecht oder eine Aufenthaltsgenehmigung, durfte daher keinen Grundbesitz erwerben und nicht dauerhaft in Augsburg ansässig sein; s. HHS, Anm. 27.
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für die Jahre 1740, 1746 und 1752. Am 25. Februar 1740 wurde sie im Gasthof „Drei Mohren“ von einer Ratsdeputation begrüßt. Für den Wirt der „Drei Mohren“ erwirkte sie im Februar 1740 und im Januar 1752 die Erlaubnis zur Abhaltung von Maskenbällen. Wiederum von einer Ratsdeputation in Augsburg begrüßt wurde Theodora am 10. Juni 1746, dieses Mal in der Residenz ihres Bruders, wo sie abgestiegen war101. Die Augsburger Residenz war zwar, gemessen am damaligen Repräsentationsbedürfnis der Fürstbischöfe, relativ klein. Dennoch gab es 48 Zimmer zur Unterbringung von auswärtigen Souveränen. Marie Antoinette wohnte hier 1770 mit ihrem Hofstaat in sechs Räumen102. Dass Bischöfe ihre Schwestern an ihren Hof einluden und in gewissem Umfang in das höfische Leben integrierten, dürfte im 18. Jahrhundert öfter vorgekommen sein. Das bekannteste Beispiel ist Maria Kunigunde von Sachsen (1740–1826), die ein inniges Verhältnis zu ihrem jüngeren Bruder Clemens Wenzeslaus (1768–1803), dem Kurfürsten und Erzbischof von Trier, hatte und über lange Zeit hinweg an dessen Hof in Koblenz lebte103. Obwohl Karoline Kummerfeld ihre älteste Halbschwester vermutlich nicht gekannt hat und ihren Namen nicht nennt, nutzt sie mit ihrem kurzen Verweis auf deren Tätigkeit als Kammerfrau einer verwitweten Herzogin die Möglichkeit, die Nähe bzw. Zugehörigkeit ihrer Familie zur höfischen Gesellschaft zu betonen104. Für sie war dies ein vom Vater angestrebtes und von der Mutter zeitweilig gelebtes „Karrieremodell“. Ausdrücklich betont sie, er habe gewünscht, „daß seine Söhne studieren und seine Töchter so unterkommen möchten wie die älteste bey der Herzogin von Guastalla.“105 Für die beiden Töchter, die 1735 geborene Marianna und die 1742 geborene Karoline, ging der Wunsch insoweit in Erfüllung, als beide durch ihre Tätigkeit als Schauspielerinnen immer wieder Anschluss an die stifts- und hofadlige Gesellschaft fanden 101 Friedrich Karl Gullmann, Geschichte der Stadt Augsburg seit ihrer Entstehung bis zum Jahre 1806, Bd. 5, Augsburg 1818, S. 126, 347, 469 f.; für weitere Details s. HHS, Anm. 27. 102 Wolfgang Wüst, Das Fürstbistum Augsburg. Ein Geistlicher Staat im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, Augsburg 1997, S. 73 f. 103 Achim Krümmel, Maria Kunigunde von Sachsen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: http://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/maria-kunigunde-von-sachsen/DE-2086/ lido/57c947dcbef9a7.64837887, Zugriff am 2.1.2020. 104 Die Dienerschaften in adligen Haushalten sind ein historiografisch lange vernachlässigtes Thema, dessen Beachtung das Konzept der höfischen Gesellschaft erheblich erweitert und verändert. S. dazu Sebastian Kühn, Küchenpolitik. Annäherungen an subalterne Handlungsweisen in hofadligen Haushalten des 17. und 18. Jahrhunderts, in: L’Homme. Europäische Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 28 (2017), Heft 2, S. 69–84 sowie weitere Aufsätze im Umfeld seines Projektes: „Die Macht der Diener. Hausdienerschaft in hochadligen Haushalten. Preußen, Sachsen und Frankreich, 16.–18. Jahrhundert. 105 HHS, S. [12].
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und dort Unterstützung erfuhren, allerdings ohne eine entsprechende Position in deren Diensten einnehmen zu können. So erhielt Karoline Kummerfeld 1753 Zutritt zum Haus des Hofrates und Syndicus des Domkapitels zu Eichstätt Franz Anton von Molitor106. Von seiner Frau bekam die 11-Jährige gemeinsam mit der gleichaltrigen Tochter des Hauses „gleichen Unterricht sowohl in Handarbeiten als übrigen Dingen, die ein Mädchen angenehm und beliebt machen muß. – Sie war mir eine zweyte Mutter.“107 Später wurde sie von der Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach gefördert. Ausführlich beschreibt sie eine Reise, die sie 1773 mit ihrem Mann nach Weimar unternommen hatte. Sie hatte nicht nur Audienz bei der Herzogin erhalten, sondern war auch reichlich beschenkt worden108. Auch als Leiterin der Nähschule konnte sie sich auf die Unterstützung von Anna Amalia und der hofadligen Gesellschaft Weimars verlassen. Der Wunsch, dass Christian Schulzes Söhne studieren könnten, erfüllte sich nur bedingt. Christian Ferdinand Karoline Kummerfeld berichtet, ihr 1728 in Weißenfels geborener Halbbruder Christian Ferdinand sei auf dem Wiener Jesuitenkolleg gewesen, habe Tanz-, Fecht- und Reitunterricht erhalten und als Student den Degen getragen109. Er sei aber ohne Abschied von zu Hause weggelaufen, um in München Schauspieler zu werden. Da es ihm in München sehr schlecht ging, hätten die Eltern ihn noch eine Zeit lang unterstützt. Sein Prinzipal Johann Schulz leitete die Truppe der „Chur-bayerischen Comoedianten“110. Mit ihr trat Johann Schulz 1745 und 1746 in Linz auf, bevor er nach Nürnberg, München, Freising, Straubing, Landsberg und Regensburg ging111. In München vermittelte Christian Ferdinand Schulze 1749 seiner Familie ein Engagement bei Johann Schulz, der dort wie andernorts wenig Erfolg hatte und seine Schauspieler nicht bezahlen konnte. Als Johann Schulz während eines Aufenthaltes in Landshut erneut zahlungsunfähig war, setzte sich Christian Ferdinand ohne Abschied ab. Die Familie 106 HHS, Anm. 262. 107 HHS, S. [88]. 108 S. u. a. HHS, S. [642]–[661]; WHS, S. [182r/369] und [207r/417]. 109 HHS, S. [11 f.], bes. Anm. 34 und 35. 110 Er war bereits 1729 gemeinsam mit Stephan May(e)r, der häufig in Linz spielte, als Prinzipal der „Chur-bayerischen Comödianten“ in Augsburg aufgetreten; Eike Pies, Prinzipale. Zur Genealogie des deutschsprachigen Berufstheaters vom 17. bis 19. Jahrhundert, Ratingen/Kastellaun/Düsseldorf 1973, S. 343. 111 Pies, Prinzipale, S. 344; Edmund Haller, Zur älteren Linzer Theatergeschichte, in: Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereins 82 (1928), S. 143–176, hier S. 163 f.
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sah ihn in München wieder. Er begleitete sie nach Erlangen und wurde Mitglied in der Gesellschaft seines Vaters. Als dieser finanzielle Schwierigkeiten bekam, ging der Sohn wieder seine eigenen Wege. Karoline Kummerfeld begegnete ihm 1754 noch einmal in Prag, wo er – inzwischen mit der Schauspielerin Carolina Sophia Gerschlin verheiratet – bei Locatelli engagiert war112. In einem Kirchenbucheintrag aus Linz aus dem Jahr 1762 wird die Taufe seiner Tochter Anna Theresia verzeichnet: „fil. legit. D. Chrystiani Ferdinandi Schulze, Comici bey Chur Bayrischen Banda et Carolina Sophiae nata Gerschlin uxor.“113 Sie wurde Schauspielerin und war mit dem 1755 in Dresden geborenen Schauspieler Johann Joseph Madstädt verheiratet. Der Theaterkalender von 1793 verzeichnet sie als „Anna Theresia Madstaedt geb. Schulz zu Linz, von Jugend auf beym Theater.“114 Anna Theresia Madstädt lässt sich später in Königsberg nachweisen, von wo sie nach Reval/Tallin aufbrach115. In ihrer 1782/83 in Linz verfassten Autobiographie erwähnt Karoline Kummerfeld, dass Christian Ferdinand vor drei Jahren, also ca. 1779, gestorben sei. Karl Während Christian Ferdinand in seiner Jugend eine Schule besuchen und ein Studium beginnen konnte, weil Christian Schulze und seine Familie ein festes Engagement in Wien hatten, hatte Karolines Bruder Karl, der im Alter von acht Jahren mit seinen Eltern und Geschwistern den festen Wohnsitz in Wien aufgeben musste, keine Möglichkeit für einen entsprechenden Schulbesuch. Er wurde Tänzer und Schauspieler und schließlich „Churfürstlich Saechsischer Ballettmeister“116. Wie seine Schwester Karoline trat Karl in Wien bereits als Kinderschauspieler auf. 1754 erhielten beide Geschwister in Prag bei Locatelli kostenlos Ballettunterricht. Christian Schulze, dem viel an der Ausbildung seiner Kinder gelegen war, hatte diese Vergünstigung zusätzlich zu seiner Gage ausgehandelt, als ihm die Direktion
112 HHS, S. [93 f.]. 113 Bruno Th. Satori-Neumann, Die Frühzeit des Weimarischen Hoftheaters unter Goethes Leitung (1791–1798), Berlin 1922 (Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 31), S. 78, Anm. 134. 114 Taschenbuch für die Schaubühne auf das Jahr 1793 (TKR), S. 227. 115 Mad. Madstaedt wird im Journal für Theater und andere schöne Künste, Hamburg 1797 (JTK), S. 12 und S. 25 erwähnt. „Mad. Madstaedt, die Schulzin“ war 1797 bei der Schuchischen Bühne in Königsberg engagiert und wechselte von dort nach Reval/Tallin. 116 So jedenfalls bezeichnete ihn Karoline Kummerfeld in ihrem Nachruf im Frankfurter Intelligenzblatt, Frankfurt 1801, Beilage zu Nr. 5, Freitag, den 16. Januar 1801 (https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id =njp.32101080461351&view=1up&seq=43, Zugriff am 12.12.2019).
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des deutschen Schauspiels in Prag anvertraut wurde117. Karl galt als mäßiger Schauspieler, war aber ein ausgezeichneter Tänzer und choreographierte Ballette. Da Konrad Ernst Ackermann, bei dem er seit 1758 engagiert war, das Ballett sehr schätzte, war Karl als Tänzer voll beschäftigt118. Seine größten Erfolge hatte er jedoch erst, nachdem er 1767 von Hamburg, wo die Ballette abgeschafft worden waren, zu Heinrich Gottfried Koch nach Leipzig gewechselt war. In Leipzig musste er 1768 die Trennung von seiner Schwester, mit der er bis dahin zusammengearbeitet hatte, verkraften. Karoline Kummerfeld beschreibt ihren Abschied vom Theater und von ihrem Bruder ausführlich und sehr emotional119. 1772 ging Karl Schulze zu Abel Seyler nach Weimar. Seine erfolgreiche Arbeit fand beim Brand des Weimarer Schlosses 1774 ein vorläufiges Ende, weil er zu jenen Helfern zählte, die sich ernsthafte Verletzungen zugezogen hatten. Nach einer Erholungspause, die er zeitweise bei seiner Schwester und seinem Schwager in Hamburg verbrachte, fing er wieder an, bei Abel Seyler zu arbeiten. 1777 war er bei ihm in Frankfurt engagiert120. Dort heiratete er die Schauspielerin Karolina Mombauer aus Mainz121. Im August 1783 wurde sein Sohn Karl Ferdinand Friedrich Schulze geboren, der zwölf Tage nach der Geburt starb122. Karoline Kummerfeld war seit April 1783 in Frankfurt. Sie wollte dort, wie sie zehn Jahre später in der Weimarer Handschrift schreibt, ihr „Lieblingsprojeckt“ verwirklichen: „ganz ein ruhiges Leben von den Theater zu führen“, doch es „scheiterte in Sturm, Donner und Hagelwetter auf die allerschmerzlichste Art.“123 Sie gab einer Person, die sie nicht namentlich nannte, die Schuld daran. Benezé vermutet, dass sie damit ihre Schwägerin meinte124. Einiges spricht dafür, dass Karoline Kummerfeld als Witwe hoffte, ihren Lebensabend in der Nähe ihres Bruders zu verbringen. Das Verhältnis zu ihrem Bruder war nicht zuletzt aufgrund der Rivalität bzw. Eifersucht zwischen dem Ehemann und dem Bruder spätestens seit Karls Aufenthalt 1774 in Hamburg getrübt125. Zwar besuchte Karoline Karl 1776 noch einmal in Leipzig,
117 S. WHS, Anm. 120. 118 Eichhorn, Ackermann, S. 204–206. 119 HHS, S. [501]–[508], WHS, 1. Buch, Kap. 45, S. [113r/231]–[117v/240]. 120 Elisabeth Mentzel, Geschichte der Schauspielkunst in Frankfurt am Main: von ihren ersten Anfängen bis zur Eröffnung des Städtischen Komödienhauses; ein Beitrag zur deutschen Kultur- und Theatergeschichte, Frankfurt/Main 1882 (Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst IX), S. 348. 121 S. WHS, Anm. 835. 122 S. WHS, Anm. 84. 123 WHS, S. [307v/620]. 124 Benezé II, S. 228. 125 HHS, S. [682]. Wie belastend die Konflikte für sie waren, wird schon allein daran deutlich, dass die letzte Information in der Hamburger Handschrift, die mitten im Satz abbricht, sich auf eine Reise
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doch zeichnete sich schon während dieses Aufenthalts die schwere Krankheit ihres Mannes ab, der 1777 hochverschuldet starb. Karoline Kummerfeld tat alles, um eine größere Summe Geld, die Karl seinem Schwager anvertraut hatte, aus der Schuldenmasse herauszunehmen und sie dem Bruder einschließlich Zinsen zurückzuzahlen. Ihr wurde deswegen Betrug vorgeworfen und der Prozess gemacht, doch sie sagte ihrem Bruder nichts davon. Auch bei der Beschreibung einer Begegnung in Frankfurt 1783, bei der Karl ihr unterstellte, ihr Mann habe gut für sie gesorgt, wird deutlich, wie fragil das Verhältnis von Bruder und Schwester geworden war126. Da sie nicht bei ihrem Bruder und ihrer Schwägerin in Frankfurt bleiben konnte, nahm Karoline Kummerfeld im Sommer ein Engagement bei Gustav Friedrich Wilhelm Großmann an. Sie spielte noch einige Zeit Theater, bevor sie in Weimar eine Nähschule gründete. Trotz der zeitweiligen Entfremdung der Geschwister blieb Karoline Kummerfeld ihrem Bruder, der 1790 Witwer wurde, bis zu seinem Lebensende am 14. Januar 1801 verbunden. Dies zeigt ein Brieffragment, in dem sie schreibt, dass sie ihn besuchen wollte. Ihr Bruder, der an einer Geschwulst an den Füßen litt, hatte sie am 6. Januar 1801 zur Universalerbin eingesetzt. Sie war nicht reisefähig, hoffte aber, dass der Bruder in Frankfurt gut versorgt würde127. Es kam zu keiner Begegnung mehr, doch standen beide wohl noch in Briefkontakt und sorgten sich umeinander. Nach seinem Tod, der im Sterberegister des Frankfurter Domes belegt ist128, gab sie im Frankfurter Intelligenzblatt eine Anzeige auf, in dem die Geschwisterliebe ein letztes Mal zum Ausdruck gebracht wird: Heute gefiel es dem Allerhöchsten meinen einzigen geliebtesten Bruder, Carl Schulze, ehmals gewesenen Churfürstl. Sächsischen Balletmeisters, aus diesem zeitlichen in ein ewiges besseres Leben abzurufen. Er starb, 60 Jahre alt, als ein Christ bestens bereitet. Er bat vor seinem Tode nach Erfolgung dessen sogleich in öffentlichen Zeitungsblättern allen seinen geschätztesten Freunden und Gönnern für erzeigte Freundschaft seine verbindlichste öffentliche Danksagung zu machen. Frankfurt den 14ten Januar 1801.
bezieht, die das Ehepaar Nölting mit Diedrich Wilhelm und Karoline Kummerfeld und ihrem Bruder Karl am 22. Juni nach Lübeck unternahm. Zur Eifersucht der beiden Männer s. auch schon HHS, S. [543]. 126 WHS, S. [ 257r/517]. 127 Staatsbibliothek Berlin, Nachlass Adam 141/122; s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. 128 Diözesanarchiv Limburg, F Dom K 36, Bl. 94r: „Saltationum Magister Carolus Schultz viduus“.
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Maria Carolina Kummerfeldin, Wittwe, gebohrne Schulze, des Verstorbenen Schwester.129
Marianna von Brunian Um 1801 nahm Karoline Kummerfeld nicht nur mit ihrem Bruder Karl, sondern auch mit ihrer Halbschwester Marianna von Brunian Kontakt auf. Über sie und ihre Leistungen als Schauspielerin hatte sie in ihren autobiographischen Schriften relativ wenig geschrieben130. Marianna von Brunian wurde 1735 und nicht – wie die Theaterkalender schreiben – 1740 geboren131. Bis 1750 lebte sie mit ihren Geschwistern in der Familie ihres Vaters und ihrer Stiefmutter. Karoline Kummerfeld beschreibt sie als ein gutes, aber wildes Mädchen, wenn die was angestellt, wo sie den dachte, das wird ohne einen Bukel voll Schläge nicht abgehen, lief auch 2 Mal in Wien meinen Eltern davon. – Diente – bis sie den wieder in den Dienst, wo sie war, was angestellt, das sie den reuig wieder kam; und meine Eltern den Schaden ersezte, den sie theils aus Wild- oder Nachläßigkeit verursacht.132
Marianna wuchs mit Karoline zusammen auf, teilte mit ihr das Zimmer und spielte wie sie schon als Kind Theater. 1750 verließ sie die Familie heimlich und schloss sich der Gesellschaft des Prinzipals Johann Michael Brenner an133. Später wurde sie Mitglied der Gesellschaft von Johann Joseph von Brunian, bei der sich 1752/53 auch Christian Schulze mit seiner Familie für einige Zeit engagierte. Danach trennten sich die Wege der Schwestern. Karoline Kummerfeld ging mit ihrer Familie nach Prag, Marianna blieb bei Johann Joseph von Brunian und wurde die Ehefrau des Tänzers und 129 Intelligenz-Blatt der freien Stadt Frankfurt (wie Anm. 116). 130 Gunilla-Friederike Budde hat in ihrer Studie über bürgerliche Kindheit im 19. Jahrhundert, der sie mehr als 200 autobiographische Schriften zugrunde gelegt hat, festgestellt, dass Geschwisterbeziehungen nur selten thematisiert wurden. Sie vermutet, dass die Rivalität unter den Geschwistern um materielle Ressourcen und um elterliche Zuwendung einer der Gründe sein könnte, warum Geschwister oft nur am Rande der autobiographischen Erzählung stehen; Gunilla-Friederike Budde, Auf dem Weg ins Bürgerleben: Kindheit und Erziehung in deutschen und englischen Bürgerfamilien 1840–1914, Göttingen 1994 (Bürgertum: Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte 6), S. 256. 131 1735 als Geburtsjahr ergibt sich aus den Angaben von Karoline Kummerfeld in der HHS. In den Theaterkalendern wird in der Regel 1740 angegeben, doch in diesem Jahr wurde, wie oben erwähnt, bereits Karl, der Sohn von Christian Schulze und seiner zweiten Frau geboren. In biographischen Einträgen zu Marianna Brunian finden sich sowohl die Jahre 1735 wie 1740. 132 HHS, S. [13]. 133 HHS, S. [60].
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Ballettmeisters Gottlieb Mion, der 1770 starb. 1773 nahm der verwitwete Johann Joseph von Brunian sie zur Ehefrau. Mit ihm erlebte sie die berühmte Prager Ära (1768–1778) und seine Direktionen in Dresden (1777) und Braunschweig (1778). Als Karoline Kummerfeld nach dem Tod ihres Mannes in Hamburg in finanzielle Schwierigkeiten geriet, gehörte ihr Schwager Johann Joseph von Brunian zu denjenigen Theaterleitern, die sie aufforderten, zum Theater zurückzukehren, und ihr ein Engagement anboten. Sie traf ihn 1778 in Braunschweig und erinnerte dabei an ihre Schwester: „Sie, meine Mariane, war noch in Prag. – So gut sollte es mir nicht werden, das vortrefliche, seelengute Weib noch einmal zu sehen. – Getrennt sind wir seid dem Jahr 1753.“134 Das ist einer jener Sätze, in denen deutlich wird, dass die verwitwete und von der Familie ihres Mannes hintergangene Karoline Kummerfeld sich wieder ihrer Herkunftsfamilie zuwandte. 1779 war die Bruniansche Gesellschaft hoch verschuldet und wurde aufgelöst. Nach dem Tod ihres Mannes hatte Marianna von Brunian Engagements in Hamburg (1784) und Strelitz (1788). Von 1786 bis 1799 stand sie am Vaterländischen Theater in Prag unter Vertrag. Ihren Lebensabend verbrachte sie auf Schloss Dux in einer kulturell anregenden Atmosphäre. Ihr Mäzen, Graf Josef Karl Emanuel von Waldstein, hatte sie um 1800 auf sein Schloss eingeladen, in dem er Wissenschaft und Künste förderte. Dux ist nicht nur bekannt, weil Giacomo Casanova hier von 1785 bis 1798 lebte und als Bibliothekar arbeitete135, zu den Gästen gehörten u. a. Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller und Ludwig van Beethoven136. Aus einem Brieffragment der Karoline Kummerfeld, die ihre Halbschwester in Dux besuchen wollte, geht hervor, dass diese auf Schloss Dux ein Theater eingerichtet hatte und mit den Leuten des Grafen Theaterstücke einübte. Am 12. Mai 1801, wenige Wochen nach dem Tode ihres Bruders Karl, setzte Karoline Kummerfeld ein Testament auf, worin sie ihre Halbschwester Marianna von Brunian zur Universalerbin einsetzte. Nach deren Tode sollte das Erbe der Weimarer Armenverwaltung zugutekommen137. Nicht zuletzt die testamentarische Verfügung ihres Bruders und ihr Testament zugunsten ihrer Halbschwester verweisen auf die Bedeutung, die die Geschwister für Karoline Kummerfeld hatten, als sie selbst bereits vom Theater abgegangen war.
134 WHS, S. [258r/519]. 135 In Dux verfasste Casanova seine autobiographische Schrift „Histoire de ma fuite des prisons de la République de Venise qu’on appelle les Plombs, écrite à Dux en Bohème l’année 1787“. Casanova ist in Dux gestorben und wurde dort bestattet. 136 Beethoven widmete dem Grafen von Waldstein die Klaviersonate Nr. 21, op. 53 „Waldstein“ (1803/1804). 137 Zu dem Brieffragment und dem Testament s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2.
62 | Theater und Lebenswelt
4. Die Ehe mit Diedrich Wilhelm Kummerfeld Diedrich Wilhelm Kummerfeld hatte im Winter 1765/66 begonnen, sich für die Schauspielerin Karoline Schulze, die damals in Hamburg engagiert war, zu interessieren. Seit November 1765 wohnte er ihr gegenüber und beobachtete sie oft. Er nutzte die Möglichkeit, durch das Fenster Kontakt mit ihr aufzunehmen und ins Gespräch zu kommen138. Das Fenster war, wie Daniel Jütte herausgearbeitet hat, ein Ort, an dem Öffentlichkeit und Nachbarschaft hergestellt werden konnten139. Als Teil des privaten wie des öffentlichen Raums war es eine wichtige Kontaktzone in den Geschlechterbeziehungen, besonders wenn, wie in diesem Fall, die Konfessions- und Standesgrenzen überschritten wurden. Karoline Kummerfeld erwähnt das Fenster so oft, als sei sie sich der Bedeutung dieses Ortes besonders bewusst140. Aus der Nachbarschaft zu Diedrich Wilhelm entwickelte sich eine Freundschaft, die sich noch vertiefte, nachdem Karoline Schulze 1767 vom Hamburger Theater nach Leipzig gegangen war141. Kummerfeld, mit dem sie „fleißig Briefe wechselte“142, gestand ihr schließlich seine Liebe und machte ihr einen Heiratsantrag, den sie nach reiflicher Überlegung annahm. Karoline Kummerfeld beschreibt die Anbahnung einer auf Empfindsamkeit aufbauenden, keineswegs unbedacht geplanten romantischen Liebesehe, die allerdings scheiterte143. In einem langen Brief hatte sie vor ihrer Zusage Probleme angesprochen, die sich aus der Konfessionsverschiedenheit, ihrer Herkunft und dem unterschiedlichen Vermögen und familiären Hintergrund ergeben könnten144. Sie betonte wiederholt, sie habe Kummerfeld gebeten, 138 HHS, S. [348], WHS, S. [56r/119]. 139 Daniel Jütte, Das Fenster als Ort sozialer Interaktion: Zu einer Alltagsgeschichte des Hauses im vormodernen Europa, in: Joachim Eibach/Inken Schmidt-Voges (Hg.), Das Haus in der Geschichte Europas. Ein Handbuch, Berlin/Boston 2015, S. 467–484. 140 In diesem Fall ist der quantitative Befund durchaus aufschlussreich. Das Wort Fenster kommt 55 Mal in der HHS und 23 Mal in der WHS vor. 141 HHS, S. [429]. Zum Ansehen des Leipziger Theaters unter Heinrich Gottfried Koch s. Rainer Theobald, „Melpomenens und Thaliens Günstling“. Zum 200. Todestag des Schauspieldirektors H. G. Koch, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 71 (1975), H. 2, S. 18–24, H. 3, S. 49–62, hier S. 21–23. 142 HHS, S. [458]. HHS, S. [524] schreibt sie, sie habe während ihrer Reise 110 Briefe von Kummerfeld erhalten. 143 S. o. Anm. 4. 144 HHS, S. [460]–[464]. In diesem Brief werden viele Probleme, die sie später hatte, so konkret angesprochen, dass es naheliegt, dass sie bewusst spätere Ereignisse in diesen Brief hineinprojiziert, d. h. dass es sich hier um den autobiographischen Effekt der Retrojektion handelt. Dafür, dass bestimmte Aspekte ihrer Lebensgeschichte bewusst im Zusammenhang mit Ereignissen in früheren Lebensphasen erzählt werden, gibt es zahlreiche Hinweise, die aber einer gesonderten Untersuchung bedürften. Siehe dazu: Gudrun Wedel, Autobiographische Effekte und ihr Einfluss auf die Selbstpräsentation:
Die Ehe mit Diedrich Wilhelm Kummerfeld | 63
von der Ehe abzusehen, falls er Zweifel an seiner Liebe zu ihr habe145. Sein Verliebtsein endete mit dem Tag der Eheschließung146. Ihre Bilanz ist eindeutig: „Der gefälligste Freund ist der mürrischste Ehemann geworden […]. Der zärtliche feurige Liebhaber in seinen Briefen; der kalte Gatte“.147 Die Ehe wurde zwar geschlossen, aber für längere Zeit nicht vollzogen, und Karoline Kummerfeld glaubte schon, ihr Mann habe sie nur geheiratet, um im Alter oder bei Krankheit gut versorgt zu sein148. In dieser Situation macht sie deutlich, dass auch für sie die bürgerliche Liebesehe eine Farce ist: Es ist keine Ehe in der Welt glüklich; es ist ein Mann wie der andere – man suche solche, wie sie vor Gott seyn sollen, nur in Büchern. Armselige Mädchens, die ihr solchen tyrannischen Gebiethern zutheil werdet, wer beklagt euch? Die Schuld, wenn ihr aus Mishandlung euch entlich in einen Abgrund stürzt, ist immer euer, weil ihr der schwächste Theil seid und Männer die Geseze gemacht haben. Elende Geseze! Ich verachte euch, da sie nur dazu dienen, uns unglüklich zu machen.149
145 146
147 148 149
Normalisierung – Profilierung – Retrojektion – Serialität, in: Montserat Bascoy/Lorena Silos Ribas (Hg.), Autobiographische Diskurse von Frauen 1900–1950, Würzburg 2017, S. 45–54. HHS, S. [544]. Zur Hochzeitsfeier: HHS, S. [557]–[560]. Trepp, Männlichkeit, S. 168 verweist darauf, dass das Hochzeitszeremoniell „aus der Öffentlichkeit der Gemeinde in die Privatheit der Familie verlagert wird.“ In der Schilderung der Familienfeier der Kummerfelds wird deutlich, dass man sich davor hüten sollte, das Haus bzw. die Privatheit als eine Stätte von Harmonie und Eintracht zu imaginieren. HHS, S. [589]. S. z. B. HHS, S. [578] und [581]. HHS, S. [591]. Vielleicht dachte sie bei dieser Bemerkung auch an die Welt des Theaters, als sie diesen Satz formulierte. Sie war u. a. in bürgerlichen Trauerspielen von Gotthold Ephraim Lessing aufgetreten (Miss Sara Sampson, Emilia Galotti), in denen bürgerliche Empfindsamkeit ein Thema war. Auf die Nähe einzelner Passagen in den autobiographischen Schriften Karoline Kummerfelds zur theatralischen Dramatik wurde in der Forschung wiederholt hingewiesen. So deutet etwa Ortrud Gutjahr einige ihrer Exkurse als Kopien bürgerlicher Trauerspiele; Ortrud Gutjahr, Gesellschaftsfähigkeit und gesellige Rolle der Schauspielerin im 18. Jahrhundert, in: Dies/Wilhelm Kühlmann/Wolf Wucherpfennig (Hg.), Gesellige Vernunft: zur Kultur der literarischen Aufklärung: Festschrift für Wolfram Mauser zum 65. Geburtstag. Würzburg 1993, S. 83–110, hier S. 98–103. Es fällt auf, dass Anne-Charlott Trepp in ihren Untersuchungen bürgerlicher Liebes- und Eheideale solchen kritischen Stimmen keinerlei Beachtung schenkt. S. z. B. Anne-Charlott Trepp, Emotion und bürgerliche Sinnstiftung oder die Metaphysik des Gefühls: Liebe am Beginn des bürgerlichen Zeitalters, in: Manfred Hettling/ Stefan-Ludwig Hoffmann (Hg.), Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichten des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2000, S. 23–55.
64 | Theater und Lebenswelt
Nach einem heftigen Streit hatte das Paar für eine kurze Zeit ein glückliches Eheleben, das allerdings durch eine Fehlgeburt und später durch die Krankheit Diedrich Wilhelm Kummerfelds getrübt wurde150. Eines der großen Probleme in der Beziehung zwischen Diedrich Wilhelm Kummerfeld und seiner Frau waren die Beziehungen und Machtverhältnisse innerhalb des Familienverbandes Hilbrandt/Kummerfeld/von Bostel. Schon in der Phase der Eheanbahnung mischten sich einzelne Familienmitglieder in die Beziehung ein und tauschten – zum Teil unschöne – Briefe mit der Braut aus. Ehe wurde, wie Rebekka Habermas in ihrer geschlechtergeschichtlichen Untersuchung über bürgerliche Lebensformen zwischen 1750 und 1850 betont hat, „als eine Angelegenheit verstanden, die von der familiären Öffentlichkeit diskutiert und letztlich auch bestimmt wurde.“151 Im Falle der Kummerfelds lässt sich beobachten, dass nicht nur die Eheanbahnung, sondern auch das gesamte Leben seit der Eheschließung durch diese „familiäre Öffentlichkeit“ geprägt war152. Die Verwandten, die sich häufig trafen, gemeinsame Mahlzeiten einnahmen oder ihre Zeit mit Glücksspielen verbrachten, die Unterstützung erwarteten, wenn das Geld nicht reichte und – so Karoline Kummerfeld – ständig die Gutmütigkeit des ältesten Bruders, der zugleich auch Neffe, Schwager, Onkel und Ehemann war, ausnutzten, sorgten für häufigen und heftigen Streit und bittere Enttäuschungen. Karoline Kummerfeld sieht darin die Ursache dafür, dass Diedrich Wilhelm Kummerfeld sehr krank wurde. Stimmungsschwankungen und Verwirrtheit prägten den Alltag der Kummerfelds, der immer schwerer zu bewältigen war. Ausführlich berichtet Karoline Kummerfeld, wie sehr ihr Mann sich darum bemüht habe, dafür zu sorgen, dass sie auch nach seinem Tod gut versorgt sei. Offensichtlich kannte er sich aber nicht gut genug im Hamburger Ehe- und Güterrecht aus und unterschätzte die dort festgeschriebene Ungleichbehandlung der Ehefrauen153. Nachdem ihr Mann hochverschuldet gestorben war, bekam Karoline Kummerfeld den Eigennutz der Verwandtschaft und die Ungerechtigkeit des Hamburger Eherechts in aller Härte zu
150 HHS, S. [603]. 151 Habermas, Männer und Frauen, S. 294. 152 Die Familie hatte auch versucht, auf die Wahl der Partnerin Diedrich Wilhelm Kummerfelds Einfluss zu nehmen. Unter anderem wurde ihm vorgeschlagen, aus einer reichen Familie, die drei Töchter hatte, eine auszuwählen; WHS, S. [110v/226]. 153 In der Bürgertumsforschung werden rechtliche Aspekte oft vernachlässigt. Grundlegende Untersuchungen über die Bedeutung von Rechtsnormen und Rechtswirklichkeit für die Alltagspraxis von Männern und Frauen wurden von Ute Gerhard angeregt und durchgeführt. Für den hier betrachteten Zeitraum sei verwiesen auf den Beitrag von Ursula Vogel, Gleichheit und Herrschaft in der ehelichen Vertragsgesellschaft – Widersprüche der Aufklärung, in: Ute Gerhard (Hg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997, S. 265–292.
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spüren154. In einem Gespräch mit dem Hamburger Syndikus Jacob Schuback, das sie ausführlich wiedergibt, übt sie harsche Kritik daran, dass Frauen, vor allem wenn sie die Hamburger Gesetze nicht kannten, einseitig benachteiligt wurden155. Ihr Mann konnte ohne ihre Zustimmung Schulden machen. Sie musste aber nach seinem Tod dafür geradestehen und durfte weder die Geschenke, die er ihr gemacht hatte, noch ihr eigenes in die Ehe eingebrachtes Vermögen behalten. Während sie auf diese Weise alles verlor, hielt sich die Verwandtschaft, die ihr schon während der Ehe das Leben schwer gemacht und es verstanden hatte, die Gesetze zu ihren Gunsten auszunutzen, schadlos156. Schon allein diese Erfahrung führt dazu, dass Karoline Kummerfeld die Machtverhältnisse und Verflechtungen innerhalb der Verwandtschaft Diedrich Wilhelm Kummerfelds sehr detailliert beschreibt. 5. Die Familie Kummerfeld Diedrich Wilhelm Kummerfeld (1723–1777) war der Sohn des Hamburger Kaufmanns Hinrich Kummerfeld, der mit Tee handelte, und der Hamburger Bürgerstochter Catharina Hilbrandt157. Er wurde am 2. Dezember 1723 geboren und am 5. Dezember in St. Nicolai getauft158. Seine Eltern hatten am 20. Juni 1720 geheiratet und wohnten in Hamburg am Herrengraben. Sie hatten noch zwei weitere Kinder, die das 154 WHS, Anm. 539 und Jan Jelle Kähler, Französisches Zivilrecht und französische Justizverfassung in den Hansestädten Hamburg, Lübeck und Bremen (1806–1815), Frankfurt a. M./Berlin/Bern (Rechtshistorische Reihe 341), S. 166–225 (Kap. V.4: Familienrecht, V.5 Erbrecht, V. 6 Handelsrecht). In Bezug auf das eheliche Haftungsrecht, das in Hamburg noch strenger geregelt war als in Lübeck und Bremen, erwähnt Kähler Dorothea Schlözer, die mit dem reichen Lübecker Kaufmann Matthäus Rodde verheiratet war, der 1810 Bankrott anmeldete. Dorothea Schlözer musste als „beerbte Ehefrau“ für die Schulden ihres Mannes auch mit ihrem Sondervermögen haften (Kähler, Zivilrecht, S. 180 f.). Da zu dem Erbstreit Kummerfelds keine Quellen erhalten sind, ist es für das Verständnis der Rechtspraxis hilfreich, den Fall „Schlözer“ vergleichend zu berücksichtigen, zumal dieser Fall eine größere Öffentlichkeit erreichte. 155 WHS, S. [217r/437]–S. [225r/453]: 3. Buch, 3. Kapitel: Es ist wieder die Kummerfeld. 156 Dass der Anspruch von Verwandten bis in ferne Grade Vorrang vor dem des überlebenden Ehegatten hatte, kam häufig vor, vor allem im Intestatfall, d. h. wenn kein Testament vorlag; Margareth Lanzinger, Vererbung: Soziale und rechtliche, materielle und symbolische Aspekte, in: Eibach/Schmidt-Voges, Haus, S. 319–336. 157 Die biographischen Daten für diesen Abschnitt wurden der Beilage zur Hamburger Handschrift: Friedrich August Cropp, Die Familie Kummerfeld betreffend, entnommen, die im Anhang III.1 abgedruckt ist. Für weiterführende Archivrecherchen, die Ergänzungen und Korrekturen ermöglichten, danke ich Gudrun Emberger. 158 HHS, Anm. 785.
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Stammtafel der Familie Kummerfeld Hinrich Kummerfeld d. Ä. ( 1727)
Catharina Elisabeth (1721–nach 1777) Catharina (1746–1778)
1742 Johann Otto Fritsch (1701–1774)
1720
1771 Johann Peter Pauli (1730–1800)
Diedrich Wilhelm (1723–1777)
1779
1768
Anna Eleonora Charlotta geb. Lotze (1750–1810)
Carolina (Franzisca) Schulze (1742–1815)
Catharina Hilbrandt ( 1753)
Louisa Margaretha (* 1725) Hinrich d. J. (1727–1790) Peter Martin (1729–1790) Anna Katharina (1730–1791)
1728
Maria Christina (1731–1792) Katharina Gertrud (1733–1788) 1759 Sebastian Heinrich Hilbrandt, Cousin (1732–1787) Anna Margaretha (1735–1810)
Hieronymus von Bostel (1708/12–1766)
1762
Catharina Maria Grünenberg
Abb. 3: Stammtafel der Familie Kummerfeld
Hieronymus (* 1736) Johanna Maria Groot ( 1767)
Concordia Catharina (1765–1832)
1763 Abraham August Abendroth (1727–1786) 1768 Anna Maria (1739–1796)
Amandus Augustus (1767–1842)
Ester Rosina (* 1740)
Charlotta Augusta (1768–1785 ) Auguste Pauline Legende:
*
geboren
verheiratet
gestorben
Schauspieler
Die Familie Kummerfeld | 67
Erwachsenenalter erreichten: Catharina Elisabeth (1721–nach 1777) und Hinrich d. J. (1727–1790)159. Hinrich Kummerfeld d. Ä. starb 1727 noch vor der Geburt seines zweiten Sohnes, der wie der Vater den Namen Hinrich erhielt. Nach Ablauf des Trauerjahres heiratete Catharina Kummerfeld Hieronymus von Bostel, den Gesellschafter ihres verstorbenen Mannes, und begründete damit den Familienverband Hilbrandt/ Kummerfeld/von Bostel. Mit Hieronymus von Bostel hatte sie weitere zehn Kinder, von denen sieben das Erwachsenenalter erreichten. Einzelheiten über die Kindheit und Jugend von Diedrich Wilhelm Kummerfeld, seinen Geschwistern und Halbgeschwistern sind nicht überliefert. Diedrich Wilhelm Kummerfeld wurde 1748 Bancoschreiber und übte diese Tätigkeit bis zu seinem Tod am 19. Februar 1777 aus160. Als Angestellter einer Bank dürfte er dem bürgerlichen Mittelstand Hamburgs angehört haben161. Etwas mehr lässt sich über den Großvater mütterlicherseits sagen, der ebenfalls am Herrengraben wohnte. Er hieß Diedrich Wilhelm Hilbrandt und war 1702 im Kirchspiel St. Nicolai zum Bürgerkapitän162 gewählt worden. Seit 1719 amtierte er als Präses des Kollegiums der Bürgerkapitäne. Als solcher wird er in den „Hamburger Adreßbüchern“ von 1722, 1723 und 1725 erwähnt163. Diedrich Wilhelm Hilbrandt hatte mindestens vier Kinder164. Catharina (um 1705–1753?), die Mutter von Diedrich Wilhelm
159 Eine weitere Schwester war Louisa Margaretha, die 1725 geboren wurde und vermutlich früh gestorben ist. Elisabeth Herzog erwähnt sie, als sie Karoline Kummerfeld über die Familiengeschichte informiert, ohne Namensnennung; HHS, S. [530]. 160 HHS, Anm. 651. 161 Zu den Angestellten, die im hanseatischen Bürgertum tendenziell eher zum unteren bzw. mittleren Bürgertum gehörten, s. Rolf Engelsing, Hanseatische Lebenshaltungen und Lebenshaltungskosten im 18. und 19. Jahrhundert, in: Ders.: Zur Sozialgeschichte deutscher Mittel- und Unterschichten, 2. Aufl. Göttingen 1978 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 4), S. 26–50, hier S. 49. Der Aufsatz erschien zuerst 1966. 162 In Hamburg gab es seit Anfang des 17. Jahrhunderts fünf Bürgerregimenter (je eins pro Kirchspiel) mit jeweils 10 Kompagnien, denen ein Oberst (Colonel) vorstand, und 50 Bürgerkapitäne. Sie waren mit jeweils zwei Kompagnien für die nächtliche Wallwache zuständig. Der Kapitän musste ein Bürger aus dem Viertel sein, die Stelle wurde an den Meistbietenden verkauft. Die Höhe der Einkünfte war von der Gegend bzw. Straße abhängig, in der der Kapitän Dienst tat. Das Einkommen konnte hoch sein. Zum Amt des Bürgerkapitäns s. Friedrich Georg Buek, Die Hamburgischen Oberalten, ihre bürgerliche Wirksamkeit und ihre Familien, Hamburg 1857, S. 445–451; Johann Friedrich Voigt, Einige Mitteilungen über die ehmalige Hamburger Bürgerwache, in: Mitteilungen des Vereins für Hamburgische Geschichte 31 (1911), H.1–5, S. 25–32, 39–48 und 49–72. 163 Hamburger Adreßbuch 1722, S. 45; 1723, S. 90 und 1725, S. 98. Die Hamburger Adressbücher sind für die frühe Zeit nur bis 1725 überliefert. 164 Karoline Kummerfeld erwähnt in HHS S. [625], dass das Erbe von „Onkel Hilbrand“, der nie verheiratet war, in vier Teile geteilt wurde. Dies ist ein Hinweis darauf, dass es noch einen weiteren Bruder oder eine Schwester gab, dessen oder deren Nachkommen erbberechtigt waren.
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Kummerfeld, Gertrud (1710–1778), die Witwe von Abraham Schreiber, die ihrem Bruder den Haushalt führte165, „Onkel Hilbrand“ (um 1714–1770), der nach Aussage von Karoline Kummerfeld „der älteste Bankoschreiber in der Hamburger Bank und nie verehligt“ war166, und Martin, der Vater von Hinrich Sebastian Hil(de)brand, der am 10. Juli 1759 seine Cousine Katharina Gertrud von Bostel (1733–1788) heiratete167. Als Vettern von Diedrich Wilhelm Kummerfeld werden Johann Joachim (1720–1786) und Johann Gabriel Lippelding (1724–1783) erwähnt. Sie gehörten vor seiner Eheschließung zu seinem Freundeskreis, nahmen an Geselligkeiten der Familie teil und besuchten „Onkel Hilbrand“168. Beide sollen der Aufzeichnung von Friedrich August Cropp zufolge Kanzlisten gewesen sein. In der Erzählung von Karoline Kummerfeld bleiben sie Randfiguren. Auch der aus Regensburg stammende Kaufmann Johann Christoph Schwerdtner wird von Karoline Kummerfeld einmal als Vetter ihres Mannes bezeichnet169. Die Verwandtschaft mit der Familie Hilbrandt/Kummerfeld/von Bostel wurde über seine Frau Anna Margarethe Stamer hergestellt170. Die Schwerdtners waren im Familienverband Hilbrandt/Kummerfeld/von Bostel unbeliebt, nahmen aber am geselligen Leben teil und nutzten die verwandtschaftlichen Beziehungen, wenn sie Unterstützung brauchten. Von den neun Geschwistern bzw. Halbgeschwistern Diedrich Wilhelm Kummerfelds waren mindestens fünf unverheiratet. Drei ledige Schwestern, Anna Katharina (1730–1791), Maria Christina (1731–1792) und Anna Margaretha (1735–1810) von Bostel führten ihren beiden ledigen Brüdern Hinrich und Peter Martin den Haushalt171. Die jüngste Schwester Anna Maria arbeitete, solange sie ledig war, bei ihrer
165 WHS, Anm. 387, HHS, S. [484]. Laut HHS, S. [529] hatte sie keine Kinder, Cropp dagegen vermerkt, dass sie mit ihren Kindern bei „Onkel Hilbrand“ gewohnt habe. In HHS, S. [597] wird (fälschlicherweise?) ihr Mann erwähnt. Insgesamt ist in der Erzählung ihre Position in der Familie als Tante entscheidend. Zu dieser in der Forschung lange vernachlässigten Figur s. Michaela Hohkamp, Tanten: vom Nutzen einer verwandtschaftlichen Figur für die Erforschung familiärer Ökonomien in der Frühen Neuzeit, in: Werkstatt Geschichte 46 (2007), S. 5–12. 166 WHS, Anm. 386. 167 Sabine Paap, Hinrich Sebastian Hildebrand (Trittau-wiki.de, Zugriff am 3.7.2020). 168 Karoline Kummerfeld bezeichnete sie als Vettern ihres Mannes, schreibt dann aber auch, dass die beiden sie vor der Heirat „Madmosell Nichte“ genannt hätten, was ja einer anderen Generationenebene entspräche (HHS, S. [536]). Das hat vermutlich weniger mit dem Verwandtschaftsgrad zu tun als mit dem Versuch, das freundschaftliche Verhältnis in ein verwandtschaftliches umzudeuten. 169 WHS, S. [171v/348]. 170 WHS, S. [170r/345]. 171 Kap. III.1 Anhang Cropp, [Bl. IIr]. Die ledige Anna Margaretha hatte wohl auch eine Zeit lang ihre Schwester in Trittau unterstützt und war Gesellschafterin bei ihrer Tante Gertrud, der verwitweten Madame Schreiber; HHS, S. [564], WHS, S. [161r/328].
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verheirateten Schwester Katharina Gertrud Hilbrandt, der „Pastörin“ von Trittau172. Im Alter von 29 Jahren erhielt sie die Gelegenheit, den 12 Jahre älteren Witwer Abraham August Abendroth zu heiraten, der zwei kleine Kinder in die Ehe einbrachte173. Möglicherweise willigte sie auch deswegen in die Ehe ein, weil diese für ledige Mädchen aus bürgerlichen Haushalten das „kleinere Übel“ darstellte174. Dass Mädchen aus bürgerlichen Familien nicht oder nur sehr spät heiraten konnten und im Haushalt der Eltern oder der Geschwister arbeiteten, war keineswegs ungewöhnlich. Für diese Mädchen kamen in der Regel nur dienende Berufe in Frage, mit denen sie kein Geld verdienten175. Karoline Kummerfeld betont wiederholt, dass sie als Schauspielerin mit ganz anderen Voraussetzungen Ehefrau wurde. Doch nicht nur die Töchter, auch die Söhne des Hamburger Bürgertums heirateten spät oder blieben unverheiratet. Diedrich Wilhelm Kummerfeld war bei seiner Eheschließung bereits in seinem 45. Lebensjahr, seine beiden Brüder Hinrich Kummerfeld d. J. und Peter Martin von Bostel blieben, wie oben erwähnt, ledig176. Für Hinrich d. J. (1727–1790) hatte es wohl ein Heiratsprojekt gegeben – er sollte die älteste Tochter der Schwerdtners heiraten –, das sich aber zerschlug. Hinrich hatte mit seinem zwei Jahre jüngeren Halbbruder Peter Martin von Bostel (1729–1790) die Teehandlung seines Vaters übernommen. Die Brüder führten die Firma „Kummerfeldt & von Bostel“, die ihren Sitz in der Deichstraße hatte, bis zu beider Tode 1790177. Hinrich Kummerfeld und Peter Martin von Bostel waren Brautführer bei der Hochzeit von Diedrich Wilhelm und Karoline Kummerfeld. Sie beschreibt beide als gute und freundliche Menschen. Der zweite Halbbruder, Hieronymus von Bostel, war als Kaufmann
172 HHS, S. [564]. 173 HHS, Anm. 884. 174 Darauf verweist Budde, Auf den Weg, S. 267, deren Arbeit sich allerdings auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts bezieht. 175 Auch die Schwester von Johann Peter Pauli führte den Haushalt, zu dem ihre alten kranken Eltern und ihr Bruder gehörten, der erst mit 41 Jahren heiratete; HHS, Anm. 626. 176 Die Bedeutung der Ehelosigkeit von Männern und die Frage nach der damit verbundenen Lebensführung ist ein in der Bürgertumsforschung bislang vernachlässigtes Thema. Für die zweite Hältfte des 19. Jahrhunderts hat Bärbel Kuhn das Phänomen untersucht und die Bindung der ledigen Männer an die Herkunftsfamilie aufgezeigt. Nach ihren Recherchen waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etwa 8 % der Männer und 11 % der Frauen lebenslang ehelos; Bärbel Kuhn, Familienstand: ledig. Ehelose Frauen und Männer im Bürgertum 1850–1914, Köln/Weimar/Wien, 2. Aufl. 2002 (L’Homme Schriften 5), S. 2. 177 Letztmalig erwähnt in: Neues Hamburger und Altonaer Adreß-Buch auf das Jahr 1790, S. 86 (http://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/digbib/view;jsessionid=976B74A7C9 FEC 6721A0181B72E2B341F.agora12?did=c1:392490&sdid=c1:392538, Zugriff am 3.7.2020).
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nach Trondheim gegangen, wo 1763178 und 1782179 ein Kaufmann seines Namens archivalisch nachgewiesen ist. Trondheim war nicht nur der wichtigste norwegische Ausfuhrhafen für Kupfer, sondern hatte auch für die Fischerei große Bedeutung. Von hier wurde Stockfisch nach Hamburg verschifft, der von dort aus weiter ins Binnenland transportiert wurde180. Über den Familienstand dieses Bruders und seine Tätigkeit in Trondheim ließen sich keine Informationen finden. Karoline Kummerfeld hatte ihn wohl nie gesehen und schreibt auch weiter nichts über ihn181. Drei der sechs Schwestern von Diedrich Wilhelm Kummerfeld waren verheiratet. Catharina Elisabeth Kummerfeld wurde 1742 noch zu Lebzeiten ihres Stiefvaters und ihrer Mutter im Alter von 21 Jahren Ehefrau des 20 Jahre älteren Kaufmanns Johann Otto Fritsch (1701–1774) aus Hamburg. Elisabeth Herzog, eine Freundin von Karoline Kummerfeld, beschreibt ihn als einen „g[r]undehrlichen“ Mann, der „durch große Unglicksfälle“ in Konkurs ging und vereidigter Makler wurde182. Nach dem Bankrott lebte die Familie in eher bescheidenen Verhältnissen. Nach Cropp hatte Johann Otto Fritsch den Emder Botendienst erhalten, außerdem soll er von einem Freund regelmäßig finanziell unterstützt worden sein183. Für seine Frau konnte er nicht vorsorgen. 1746 wurde Catharina, die Tochter von Catharina Elisabeth und Johann Otto Fritsch geboren. Da sie nach dem Konkurs des Vaters keine Aussicht auf eine gute Heirat hatte, hatte „Onkel Hilbrand“ sie schon als Kind mit finanzieller Unterstützung weiterer Verwandter ins Johanniskloster eingekauft. Sie konnte, so Karoline Kummerfeld, in den 1770er-Jahren damit rechnen, ins Stift aufgenommen zu werden, wäre versorgt gewesen und hätte nach dem Tod des Vaters sogar ihre Mutter zu sich nehmen können184. Catharina Fritsch zog allerdings die Ehe dem Damenstift vor. Sie heiratete gegen den ausdrücklichen Rat der Familie 1771 im Alter von 25 Jahren den 16 Jahre 178 Statsarkivet i Trondheim, PL 0357 Bostel, Hieronimus von, 1763 Schuld- und Kreditrechnungen, Kaufmannshandelsbuch, Zulassung v. 5.12.1763. 179 1782 wird ein Kaufmann Hieronimus van Bostel als Mitglied der vierten Bürgerkompagnie im Bezirk Frue Kirke (Liebfrauenkirche) erwähnt; Statsarkivet i Trondheim (https://www.digitalarkivet.no/ view/44/pp00000000178150, Zugriff am 3.7.2020). 180 Yuta Kikuchi, Hamburgs Ostsee- und Mitteleuropahandel 1600–1800. Warenaustausch und Hinterlandnetzwerke, Köln 2018 (Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien 20), S. 91. Markus A. Denzel/Hans-Jürgen Gerhard/Alexander Engel, Marktverflechtungen von Kupfermärkten des nördlichen Kontinentaleuropa im 18. Jahrhundert, in: Christoph Bartels/Markus A. Denzel (Hg.), Konjunkturen im europäischen Bergbau in vorindustrieller Zeit, Stuttgart 2000 (VSWG Beihefte 155), S. 237–270, hier S. 253. 181 WHS, S. [128r/261]. 182 HHS, S. [529]. Dort auch die Beschreibung der ganzen Familie Kummerfeld und WHS Anm. 388. 183 Kap. III.1 Anhang Cropp, [Bl. IIIr] und HHS, S. [624]. 184 HHS, S. [625].
Die Familie Kummerfeld | 71
älteren Leutnant Johann Peter Pauli (1730–1800), der aus ärmlichen Verhältnissen kam, verschuldet war, über seine Verhältnisse lebte und immer wieder versuchte, bei der Verwandtschaft seiner Frau Geld zu leihen185. Catharina Pauli geb. Fritsch starb 1778 im Alter von 32 Jahren, nachdem sie während ihrer siebenjährigen Ehe mit Johann Peter Pauli sechs Kinder geboren hatte. Ihr Mann heiratete 1779 noch ein zweites Mal. Mit seiner zweiten Frau hatte er sechs weitere Kinder. Als er am 18. Februar 1800 starb, waren noch sieben seiner zwölf Kinder am Leben. Karoline Kummerfeld stand ihm von Anfang an kritisch gegenüber. Damit war sie nicht allein. In der Familie Fritsch lebte auch noch eine Schwester von Johann Otto Fritsch, die ledig und schwerhörig war. Auch sie war von ihrer Familie in das Johannisstift eingekauft worden, doch lebte sie „der Geselschaft wegen“ bei ihrem Bruder186. Sie zog aber aus, als die Konflikte mit Johann Peter Pauli überhandnahmen und er Geld von ihr leihen wollte. In Bezug auf die Familie Fritsch macht Karoline Kummerfeld wiederholt deutlich, wie sehr sie sich um die Pflege der Verwandtschaftsbeziehungen bemühte, am Entstehen von Heiratsallianzen Anteil hatte und letztlich auch bereit war, der Familie ihrer Nichte in der Not zu helfen187. Mit ihrem Engagement bei der Anbahnung der Ehe zwischen ihrer Nichte Catharina Fritsch und Johann Peter Pauli übernahm sie eine klassische Aufgabe von Frauen aus bürgerlichen Kreisen, die in solchen Fällen als broker agierten188. Nur am Rande erwähnt Karoline Kummerfeld die 1733 geborene Halbschwester Katharina Gertrud von Bostel, die 1759 an ihren Cousin Hinrich Sebastian Hil(de) brand, den Prediger von Trittau, verheiratet worden war, der nur ein Jahr älter war als sie. Eine solche Ehe zwischen Cousin und Cousine entspricht einem im deutschen Bürgertum seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erkennbaren Muster, wonach Ehen zwischen blutsverwandten Paaren mit einem ähnlichen ökonomischen Hintergrund verbreitet waren, um die verwandtschaftlichen Bindungen innerhalb der Familie zu stärken189. Auch der Umstand, dass Vettern und Cousinen mit ähnlichen
185 HHS, S. [626]. Der Vater war Ratsmusikant, die Mutter krank, der Bruder arbeitete in der Schreibstube eines Kaufmanns (Contor) und die Schwester führte den Haushalt. 186 HHS, S. [529]. Zum Johannisstift s. HHS, Anm. 973. 187 Diedrich Wilhelm Kummerfeld nennt sie „Schwestertochter“ (HHS, S. [499]), Karoline Kummerfeld Nichte (HHS, S. [539]–[541], [622] und weitere). Karoline Kummerfeld betont damit zugleich ihre Rolle als Tante, die sie sehr ernst nahm (Zur Rolle der Tante s. Anm. 167). 188 Elisabeth Joris, Kinship and Gender: Property, Enterprise, and Politics, in: David W. Sabean/Simon Teuscher/Jon Mathieu (Hg.): Kinship in Europe. Approaches to Long-Term Development (1300–1900), Oxford 2007, S. 231–257, hier S. 242. 189 David W. Sabean/Simon Teuscher, Kinship in Europe. A New Approach to Long-Term Development, in: Sabean/Teuscher/Mathieu, Kinship, S. 1–32, hier bes. S. 19 ff. David W. Sabean hat diese Veränderung der Ehe- und Verwandtschaftsbeziehungen am Beginn der Moderne am Beispiel des
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Wertvorstellungen und Zukunftsperspektiven erzogen wurden, mag die Entscheidung für eine solche Ehe bestärkt haben190. Wie erwähnt, gab es im Familienverband Hilbrandt/Kummerfeld/von Bostel noch ein weiteres Projekt einer Ehe innerhalb der Verwandtschaft. Hinrich Kummerfeld d. J. sollte die älteste Tochter aus dem Hause Schwerdtner heiraten, doch kam die Ehe mit „Gretgen Schwerdtner“, die Karoline Kummerfeld als „gallsüchtiges neidisches Mädchen“ beschrieb, nicht zustande191. Ein weiteres familiäres Eheprojekt wurde jedoch realisiert. Im Februar 1768 heiratete die jüngste Halbschwester von Diedrich Wilhelm Kummerfeld, die 29-jährige Anna Maria von Bostel, den 16 Jahre älteren Witwer Abraham August Abendroth. Er brachte zwei Kinder in die Ehe ein, Concordia Catharina (1765–1832) und Amandus Augustus (1767–1792), und hatte mit Anna Maria zwei weitere Kinder. Interessant ist vor allem, was Karoline Kummerfeld über die Anbahnung dieser Ehe schreibt. Am 27. November 1767 war der Hamburger Gerichtsprokurator Abraham August Abendroth Witwer geworden. Nachdem seine erste Frau, Johanna Maria Groot, wenige Wochen nach der Geburt ihres zweiten Kindes gestorben war, suchte er nach einer Möglichkeit, eine neue Ehe einzugehen. Er kannte Diedrich Wilhelm Kummerfeld und wusste, dass dieser vier unverheiratete Halbschwestern hatte, die für eine Ehe in Betracht kämen. Über sie sagte Elisabeth Herzog, die zum Freundeskreis der Kummerfelds gehörte: „Alle sind sehr still erzogen worden, von Welt wißen sie nicht viel, haben auch nur in der Familie Umgang, aber [sie sind] wirthschaftliche und haushälterische Mädchen. Lieben sich sehr untereinander, und ist gut mit ihnen umgehen.“192 Abraham August Abendroth, der sich, bevor er Anna Maria kennenlernte, für Anna Margaretha entschieden hatte, bat Diedrich Wilhelm Kummerfeld, ihn mit seiner jüngsten Halbschwester bekannt zu machen. Die Entscheidung fiel schnell: „Er sah sie, und sie gefiehl ihm von allen, weil sie immer die Munterste von allen war. Sie wurde nun gefragt, ob sie auch ihm leiden mochte? Sie sagte gleich ja.“193 Am 9. Februar 1768, nicht einmal zweieinhalb Monate nach dem Tod seiner ersten Frau, wurde die Ehe geschlossen, und das Glück der Liebenden schien perfekt. Neun
190 191 192 193
Dorfes Neckarhausen detailliert untersucht und seine These in Bezug auf das deutsche Bürgertum verallgemeinert (David W. Sabean, Kinship in Neckarhausen, 1700–1870. Cambridge/New York 1998). Inzwischen geht die Forschung davon aus, dass der Trend zur Verwandtenehe damals einem europäischen Heiratsmuster entsprach. Budde, Auf dem Weg, S. 263 f. In HHS, S. [566] wird erwähnt, dass Hinrich Sebastian Hil(de)brand und seine Cousinen als Geschwisterkinder miteinander aufwuchsen. HHS, S. [496]. HHS, S. [530]. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass alle vier Schwestern seit 1763 Vollwaisen waren. HHS, S. [564].
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Wochen später, am 12. April, dem Hochzeitstag von Diedrich Wilhelm und Karoline Kummerfeld, erfuhr die Familie jedoch, dass Anna Maria von ihrem Mann schlecht behandelt wurde. Er beobachtete sie, kontrollierte bzw. unterband ihre Kontakte zu den Mitgliedern ihrer Familie und scheute auch nicht vor Gewalt zurück. Diedrich Wilhelm Kummerfeld, der als der älteste Bruder die Ehe vermittelt hatte und sich verantwortlich fühlte, machte sich bittere Vorwürfe, als er davon erfuhr. Abraham August Abendroth galt als ein unbescholtener Hamburger Bürger, der seit 1756 Gerichtsprokurator war. Nach der Darstellung von Karoline Kummerfeld machte er nicht nur seiner Frau, sondern der ganzen Familie Hilbrandt/Kummerfeld/von Bostel das Leben schwer und verstieß gegen die Regeln der Gastfreundschaft und wechselseitigen Hilfsbereitschaft. Seinem Sohn Amandus Augustus Abendroth, der später als Senator und Bürgermeister in Hamburg hohes Ansehen genoss, soll er ein strenger Vater gewesen sein194. Erst nach dem Tod des Vaters konnte dieser seinen Wunsch, ein Jurastudium aufzunehmen, umsetzen195. In seinem Nachruf wird noch 1843 daran erinnert, dass er „mit ungewöhnlicher, fast an Härte grenzender Strenge erzogen“ worden sei196. Dessen ungeachtet wurde der Vater im Hanseatischen Magazin von 1801 „als gelehrter, erfahrner und redlicher Geschäftsmann, Jurist, Naturkundiger, Geschichtsforscher und Literator, seinen Freunden und seinem Vaterlande werth; in allen Fächern vieljähriger, gründlicher unbefangener und eifriger, obwohl immer ungenannter, Mitarbeiter der ersten kritischen Journale seiner Zeit“ erinnert197. Während Karoline Kummerfeld ihn in ihrer 1782/83 verfassten Lebensgeschichte mit vollem Namen erwähnte und in vieler Hinsicht offen kritisierte, zog sie es in der dieser Edition zugrunde liegenden Fassung der Weimarer Handschrift vor, seinen Namen durchzustreichen und durch ein Kürzel (Herr A., Herr Schwager A. oder Procurator A.) zu ersetzen. Abraham August Abendroth lebte zu dieser Zeit schon nicht mehr, aber er hatte möglicherweise noch viele einflussreiche Freunde, die es opportun erschienen ließen, seinen Namen zu verschlüsseln. Ihre Vorwürfe gegen ihren Schwager lassen sich im Nachhinein nicht überprüfen, wichtiger ist die Kritik an einigen Aspekten der bürgerlichen Ehevorstellung, die sie in diesem Zusammenhang formuliert und der sie ihre Vision einer bürgerlichen Liebesehe implizit gegenüberstellt: Die nach außen hin – in bezug auf Familie, Geld 194 Nekrolog von C. F. Wurm, 1852, aus dem lat. übersetzt von Christoph W. Büsch, 2007. 195 Heinrich Reincke, Amandus Augustus Abendroth, S. 16; Daniel Tilgner, Amandus Augustus Abendroth, Hamburg 2006; Helmut Stubbe da Luz/Christian Wurm, „Hamburg“ oder „Hambourg“: Amandus Augustus Abendroth. Reformpolitiker und Stadtoberhaupt unter Napoleon, 2 Bde., München 2010. 196 Nekrolog im Hamburgischen Correspondenten 1843; s. HHS, Anm. 1026. 197 Proben einer Bildergallerie Hamburgischer Männer des achtzehnten Jahrhunderts, in: Hanseatisches Magazin, hg. v. J. Schmidt, Senator der freien Reichsstadt Bremen, 5. Bd. H. 1, Bremen 1801, S. 115– 172, hier S. 148.
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und Gleichheit der Religion – perfekte Ehe der Abendroths würde, so prophezeite sie, weniger glücklich als ihre eigene, die diesen Kriterien nicht oder nur in einem viel geringeren Maße entsprach198. Zu den Verwandten im Familienverband Hilbrandt/Kummerfeld/von Bostel, denen Karoline Kummerfeld ablehnend gegenüberstand, gehörte auch die oben bereits erwähnte Familie Schwerdtner. Johann Christoph Schwerdtner (1713–1774) war ein Kaufmann aus Regensburg, den Karoline Kummerfeld für einen braven, rechtschaffenen Mann hielt. Doch hatte er nach ihrer Auffassung sein Haus nicht unter Kontrolle: „Der gute Mann! Der nach der Mutter und Kinder Pfeiffe tanzen mußte, der nur den einzigen Fehler in gesunden Tagen hatte, daß er gegen solche zu nachsichtsvoll war.“199 Seine Frau Anna Margarethe Stamer arbeitete im Kontor und vernachlässigte Haushalt und Kindererziehung. Sie führte „die Correspontenz, trug die Briefe ins Hauptbuch – und versah die Stelle des ersten Contoirbedienten.“200 Als ihr Mann krank wurde, übernahm sie gemeinsam mit dem Sohn das Geschäft. Kurz vor seinem Tod liehen die Schwerdtners bei Freunden und der Familie Geld, mussten dann aber im September 1775 Insolvenz anmelden. Auch Diedrich Wilhelm Kummerfeld gehörte zu den Geschädigten, denn er hatte für Schwerdtners gebürgt. Der Hauptvorwurf, den Karoline Kummerfeld gegenüber den Schwerdtners erhob, bezog sich auf den verschwenderischen Lebensstil: Dazu gehörten teure Kleider, die die Töchter trugen, ein Hang zur Geselligkeit, ein Landhaus vor den Toren der Stadt, wo der Sommer verbracht wurde, und eine zu große Wohnung201. Karoline Kummerfeld gab ihnen die Schuld an Kummer, Krankheit und Tod ihres Mannes und an ihren finanziellen Schwierigkeiten, die sie zwangen, als Witwe noch einmal zum Theater zurückzukehren. 6. Familiengeschichte(n) Die autobiographischen Schriften der Karoline Kummerfeld wurden bislang vor allem als Quelle zur Theatergeschichte rezipiert. Dies hängt auch mit den bisherigen Editionen zusammen, in denen wichtige Abschnitte zur Familiengeschichte gekürzt oder verändert wurden. Liest man die Texte jedoch bewusst auf familiengeschichtliche 198 199 200 201
HHS, S. [ 571]. WHS, S. [175v/376]. WHS, S. [169r/345].
Zum Hang eines Teiles der bürgerlichen Mittelschicht nach repräsentativem Aufwand s. Engelsing, Lebenshaltungen, S. 34–40.
Familiengeschichte(n) | 75
Fragestellungen hin, so wird deutlich, dass sie sowohl zur wenig erforschten Geschichte der Schauspielerfamilien wie auch zur gut erforschten Geschichte der bürgerlichen Familie am Beginn der Moderne einen nicht unwichtigen Beitrag leisten können. Karoline Kummerfeld beschreibt die bürgerliche Kultur und Lebensführung aus einer Perspektive, die sich von der der meisten Frauen und Männer, die in jener Zeit autobiographische Schriften hinterlassen haben, unterscheidet202. Als sie sich zur Ehe mit einem Bürger entschloss, stand sie als Schauspielerin auf dem Höhepunkt ihres Ruhms. Sie konnte sich selbst ernähren, wurde von vielen geachtet und hatte sich einen großen Freundeskreis aufgebaut, zu dem Gelehrte und – zumindest betont sie das immer wieder – adlige Frauen und Männer gehörten, die ihr Geschenke machten, sie bewunderten und förderten. In ihren Schriften erwähnt sie mehr als 200 Schauspieler und Schauspielerinnen, die sie kannte, und drückt damit aus, wie gut sie im Umfeld der Bühnenkünstler vernetzt war203. Diese Gruppenzugehörigkeit schließt Konkurrenz und Feindschaft ebenso wenig aus wie freundschaftliche Nähe204. Gleichwohl wird der Begriff der Freundschaft tendenziell eher auf Menschen bezogen, die nicht zum Theater gehörten, für die sie aber Sympathie und Zuneigung empfand. Vor diesem Erfahrungshintergrund beurteilt sie die bürgerliche Ehe und Familie wesentlich differenzierter als viele andere Menschen jener Zeit, die ebenfalls autobiographische Schriften hinterlassen haben. Die Ehe der Kummerfelds war eingebunden in eine „familiäre Öffentlichkeit“ von nahen und fernen Verwandten. Als Fremde musste Karoline Kummerfeld die Beziehungen und Machtverhältnisse in dieser Familie kennen, um für sich selbst einen Platz zu finden. Dies ist sicher einer der Gründe, warum sie so ungewöhnlich differenziert die dynamischen Machtverhältnisse, Strategien und Allianzen in dieser Familie beschreibt und vieles, was bislang über bürgerliche Ehen geschrieben wurde, in ein anderes Licht rückt. Schonungslos deckt sie Gewalt, Betrug und despotisches Verhalten einiger Männer und Frauen auf, während sie gleichzeitig Sentimentalität, Emotionalität und wechselseitige Hilfsbereitschaft anderer hervorhebt. Bei der Einteilung der Verwandten in Freunde und Feinde orientiert sie sich nicht an der Geschlechtergrenze: Es gibt in 202 Gerade aus Hamburg sind für die Zeit zwischen 1750 und 1850 zahlreiche autobiographische Schriften überliefert, die in Forschungen zur bürgerlichen Kultur und Lebenswelt ausgewertet wurden. Zu den prominentesten Beispielen gehören neben Ferdinand Beneke auch Margarete Milow und Johann Michael Hudtwalcker ebenso wie Eva König, Elise Reimarus und Meta Klopstock, deren Briefe als wichtige Quellen der Hamburger Sozialgeschichte viel Beachtung gefunden haben. 203 Die Kurzbiographien der erwähnten Schauspieler und Schauspielerinnen sind in Kap. III.6 zusammengestellt. 204 Zur Bedeutung von Feindschaft als soziale Beziehung s. Gabriele Jancke (und die Redaktion), Editorial, in: Werkstatt Geschichte 55 (2017), S. 3–5.
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ihrer Darstellung liebevolle, freundliche Männer und solche, die ihre Familie ruinieren, ebenso wie sie Frauen beschreibt, die herzensgut sind, und andere, die herrschsüchtig und neidisch sind. Ihre Schilderungen lassen es für sinnvoll erscheinen, zentrale Fragen der geschlechtergeschichtlich orientierten Bürgertumsforschung neu zu stellen. Obwohl es eindeutige Hinweise dafür gibt, dass bestimmte Bereiche ihres Lebens als bürgerliche Ehefrau in getrennten Sphären organisiert waren, lassen sich Vernunft und Gefühl, Öffentlichkeit und Privatheit, Emotionen und materielle Interessen oder andere in diesem Kontext relevante Kategorien in ihren Schriften nicht als Gegensätze konzeptualisieren, die geschlechterspezifisch einer binären Matrix zugeordnet oder als spezifisch bürgerlich interpretiert werden können. Dies wird auch deutlich, wenn man einen Blick auf die Schauspielerfamilien wirft205. Die meisten Wandertheater bestanden im 18. und 19. Jahrhundert „nahezu ausschließlich aus dem jeweiligen Prinzipal und dessen Familie […], ergänzt um einige Schauspieler für die Besetzung unverzichtbarer Rollenfächer.“206 Sie waren als rein kommerzielle Unternehmertheater organisiert, die keine finanziellen Subventionen erhielten. Die Truppen waren keineswegs kontinuierlich unterwegs. Häufig blieben sie über längere Zeit am gleichen Ort und organisierten von dort aus ihre Aktivitäten207. Für die verheirateten Schauspielerinnen und Schauspieler bedeutete dies, dass sie, auch wenn sie nur Mitglied einer Truppe waren, durchaus eigene Haushalte haben konnten. In diesen Haushalten trugen in der Regel alle Familienmitglieder mit ihrer Arbeit, die sie innerhalb wie außerhalb des Hauses erledigten, zum Lebensunterhalt bei. Insofern würde es zu kurz greifen, Wanderschauspieler aufgrund ihrer mobilen Lebensweise einfach nur der Gruppe der Fahrenden zuzurechnen und ihre Zugehörigkeit zu Familien und Haushalten zu vernachlässigen208. Geht man, wie Gabriele Jancke und Daniel Schläppi vorgeschlagen haben, davon aus, dass „Haushalte und die
205 Die folgenden Überlegungen basieren vor allem auf einer ersten Beschäftigung mit den Biographien der mehr als 200 Schauspielerinnen und Schauspieler, die Karoline Kummerfeld in ihren autobiographischen Schriften erwähnt. S. dazu auch Kap. III.6 Kurzbiographien. 206 Schmitt, Schauspieler, S. 96. 207 Michael Walter, Oper. Geschichte einer Institution, Stuttgart 2016, S. 114 schlägt aus diesem Grund vor, von mobiler Truppe zu sprechen. Deren Kennzeichen war, dass sie „als geschlossenes Ensemble über einen längeren Zeitraum gemeinsam reiste und spielte und nur gelegentlich weiteres Personal vor Ort angestellt wurde.“ 208 So konstatiert etwa Buck, Fahrendes Frauenzimmer, S. 13: „Schauspielerinnen traten als Person an die Öffentlichkeit und sie waren – als Fahrende – an keine Häuslichkeit gebunden.“ Auch wenn Haushaltszugehörigkeit und Häuslichkeit nicht identisch sind, kommt hier eine dichotome Sichtweise von öffentlich/privat zum Ausdruck, die den von Karoline Kummerfeld beschriebenen Lebensverhältnissen der Wanderschauspieler nicht entspricht.
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oft für sie konstitutive Beziehung der Ehe in ein weiteres Netz sozialer Zusammenhänge eingebunden und gerade nicht als in sich abgeschlossene Einheiten konzipiert“ waren, so öffnet sich ein Weg, auch die Schauspielerhaushalte in den vielfältigen gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang einer „Ökonomie von sozialen Beziehungen, die materielle und immaterielle Ressourcen umfasst“ zu stellen209. Die Selbstzeugnisse Karoline Kummerfelds, in denen neben materiellen (wie etwa der Versorgung im Alter) die immateriellen Ressourcen (Tugend, Ehre) einen hohen Stellenwert hatten, könnten dann aus dem Referenzrahmen bürgerlicher Maßstäbe herausgelöst und in ein übergreifendes auch die Schauspieler(familien)haushalte abbildendes Konzept eingebunden werden. Frauen waren im Wandertheater keineswegs stets auf ihre Position als Bühnenkünstlerinnen begrenzt. Nicht selten waren sie für das gesamte Unternehmen verantwortlich und hatten gleichzeitig eine Familie zu versorgen. So übernahm Karoline Großmann, Mutter von neun Kindern, 1783 im Alter von 31 Jahren für einige Zeit die Direktion des Bonner Theaters, weil ihr Mann in Frankfurt und Mainz engagiert war210. Sophie Charlotte Ackermann, Friederike Caroline Neuber, Sophie Seipp und andere Frauen aus dem Umfeld von Karoline Kummerfeld waren Prinzipalinnen211. Barbara Maria Rademin, die Tochter des Prinzipals Heinrich Rademin, leitete 1745, nachdem sie sich von ihrem Mann, dem Prinzipal Franz Schuch d. Ä., getrennt hatte, eine eigene Truppe in Brünn212. Nicht selten führte die Witwe eines Prinzipals die Gesellschaft ihres Mannes zumindest solange weiter, bis sie eine neue Ehe einging. Die neuen Ehepartner waren oft Schauspieler, die bereits einige Zeit in der Truppe engagiert waren. Überhaupt bevorzugten Schauspielerinnen und Schauspieler endogame Ehen. Auch ihre Kinder standen meist schon sehr früh auf der Bühne. Zwischen 1775 und 1800 stammten knapp 60 % der Akteure und Akteurinnen aus Schauspielerfamilien213. Größe, Struktur, Heiratsstrategien und Handlungslogiken der Schauspielerfamilien sind bislang nur ansatzweise systematisch erforscht214. Es gibt jedoch eine Reihe von Hinwei209 Gabriele Jancke/Daniel Schläppi, Einleitung: Ressourcen und eine Ökonomie sozialer Beziehungen, in: Dies. (Hg.): Die Ökonomie sozialer Beziehungen. Ressourcenbewirtschaftung als Geben, Nehmen, Investieren, Verschwenden, Haushalten, Horten, Vererben, Schulden, Stuttgart 2015, S. 7–33, hier S. 9. 210 Claudia Ulbrich, Caroline Großmann (1752–1784). Ein Schauspielerinnenleben zwischen öffentlichem Auftreten und den „Rollen des häuslichen Lebens“, in: Uta Fenske/Daniel Groth/Matthias Weipert (Hg.), Grenzgang – Grenzgängerinnen – Grenzgänger. Historische Perspektiven. Festschrift für Bärbel Kuhn zum 60. Geburtstag, St. Ingbert 2017, S. 91–102. 211 S. Kap. III.6 Kurzbiographien. 212 S. Kap. III 6 Kurzbiographien und HHS, Anm. 236. 213 Schmitt, Schauspieler, S. 127. 214 In ihrer Studie über das deutsche Theater in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beschäftigt sich
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sen darauf, dass die Wiederverheiratungsrate recht hoch war und dass neben Kindern und Stiefkindern auch Pflegekinder zu den Familien gehörten. Insofern kann man von „erweiterten Familien“ sprechen, die sich aber deutlich von anderen großen Familienverbänden unterschieden, die im Bürgertum verbreitet waren. Mit ihrem Entschluss, das Theater zu verlassen und die Ehe mit einem bürgerlichen Mann einzugehen, dürfte Karoline Kummerfeld eine Ausnahme gewesen sein215. Sie erklärt dies u. a. mit ihrer geringen Begeisterung für die Schauspielerehen in ihrem Umfeld: „Die Ehen bei dem Theater? – Ach! ich kenne ja so wenige, die auf mein Herz Eindruk machen können.“216 Karoline Kummerfeld stammte, wie die meisten Kinder von Schauspielern, aus einer Familie, in der schon Vater und Mutter Theater spielten. Diese Familien entsprachen weder dem vormodernen Typ des „Ganzen Hauses“ noch dem der modernen Familie mit ihrer Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben. Erwerbsarbeit und Familienleben fanden hier sowohl im privaten wie im öffentlichen Raum statt. Will man die Schauspielerfamilien, wie Karoline Kummerfeld sie beschreibt, verstehen und historisch einordnen, so ist es sinnvoll, sich von den gängigen Kategorien der Bürgertumsforschung zu lösen und an jene anthropologischen Forschungen anzuknüpfen, die auf den Zusammenhang von „Emotionen und materiellen Interessen“ hingewiesen, nach „Verbindungen zwischen verschiedenen Ebenen familialer Aktivität, der öffentlichen und privaten, der ‚äußeren‘ und ‚inneren‘“ gefragt und spezifische Konstellationen innerhalb der Familie sowie „Rolle und Funktion von Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen in den Überlebensstrategien verschiedener Klassen und Gruppen“ untersucht haben217. Dieser Ansatz wurde in zahlreichen Forschungen zur Verwandtschaft aufgegriffen und weitergeführt218. Neben Ehe, Familie und Verwandtschaft sind seit einiger Valeska Valipour auf der Grundlage von Daten von über 400 Schauspielerinnen und Schauspielern mit einigen wichtigen familiengeschichtlichen Fragen. Ihre zentrale These ist, dass die Geschlechterdifferenz beim Theater eine weniger wichtige Rolle gespielt habe als gemeinhin angenommen; Valeska Valipour, La pratique théâtrale dans l’Allemagne de la seconde moitié du dix-huitième siècle (1760– 1805). Musique, musicologie et arts de la scène. Université de la Sorbonne nouvelle – Paris III, 2011. Français. (NNT: 2011PA030019). (tel-00713648). 215 Zu Recht betont Valipour, dass die Zahl der Schauspielerinnen, die das Theater verließen, um eine Ehe einzugehen, in der Forschung überbewertet wird. In ihrem Sample waren es lediglich 3,5 %;Valipour, La pratique, S. 148. 216 WHS, S. [104v/214f.]. 217 Hans Medick/David W. Sabean, Emotionen und materielle Interessen in Familie und Verwandtschaft: Überlegungen zu neuen Wegen und Bereichen einer historischen und sozialanthropologischen Familienforschung, in: Dies. (Hg.), Emotionen und materielle Interessen. Sozialanthropologische und historische Beiträge zur Familienforschung, Göttingen 1984, S. 27–54, hier S. 35. 218 In diesem Zusammenhang sei vor allem auf die Beiträge in dem Band Sabean/Teuscher/Mathieu, Kinship und auf die Forschungen von Margareth Lanzinger hingewiesen: Margareth Lanzinger, Das
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Zeit auch zahlreiche Arbeiten zum Thema Haus und Haushalte erschienen. Damit war der Versuch verbunden, ahistorische Vorstellungen vom Konzept des „Ganzen Hauses“ zu überwinden und die Verbindung des Hauses mit der öffentlichen Sphäre aufzuzeigen219. Wie wichtig eine solche Öffnung und die Überwindung idealisierender Vorstellungen vom Haus ist, hat Hans Medick in seiner auf Selbstzeugnissen fußenden Neuinterpretation des Dreißigjährigen Krieges als „Krieg im Haus“ mit Nachdruck unterstrichen220. Auch für den „Krieg im Haus“ finden sich bei Karoline Kummerfeld Hinweise. So beschreibt sie eine Szene in einem Wirtshaus, das im Siebenjährigen Krieg fünfmal geplündert wurde. Beim letzten Mal ermordeten die Soldaten, weil sie nichts mehr vorfanden, mit unvorstellbarer Grausamkeit das Kind der Wirtin, das noch in der Wiege gelegen hatte221. Man kann, wenn man diese Szene liest, argumentieren, Karoline Kummerfeld habe sie nur deshalb in ihre Erzählung aufgenommen, weil sie ihr eine Möglichkeit gibt, an diesem Beispiel ihre eigene Zugewandtheit und Empathie deutlich zur Schau zu stellen, doch würde eine solche Sichtweise zu kurz greifen und wichtige Aspekte der wahrnehmungsgeschichtlichen Rahmung ihrer autobiographischen Darstellung übersehen. Autobiographische Schriften sollten grundsätzlich nicht dazu benutzt oder gar darauf beschränkt werden, zwischen Haupt- und Nebensträngen der Erzählung zu unterscheiden und unausgesprochene Vorannahmen zu verifizieren oder falsifizieren222. Sie sollten Ausgangspunkt sein für eine Öffnung der Fragestellungen und eine Bereitschaft, das Framing zu ändern: In Bezug auf die Selbstzeugnisse Karoline Kummerfelds und die darin enthaltenen Familienvorstellungen würde das bedeuten, dass es weniger darum geht zu fragen, ob Karoline Kummerfeld bürgerlich war oder ob sie es letztlich mit ihrer „bürgerlichen“ Heirat wurde, sondern eher darum, ob man Bürgertum anders und vielfältiger definieren muss, wenn man autobiographische Quellen, wie sie sie verfasst hat, ernst nimmt und ihr Anregungspotential aufgreift. Dies gilt nicht
gesicherte Erbe. Heirat in lokalen und familialen Kontexten, Innichen 1700–1900, Wien/Köln/Weimar 2003 (L’Homme-Schriften 8). 219 David W. Sabean, Geleitwort, in: Eibach/Schmidt-Voges, Haus, S. XIV–XX. 220 Hans Medick, Der Dreißigjährige Krieg. Zeugnisse vom Leben mit Gewalt, Göttingen 2018. 221 HHS, S. [550 f.]. 222 Dies ist meist dann der Fall, wenn nicht in den Texten, sondern „gegen den Text und zwischen den Zeilen“ gelesen wird. Mit dieser am Ende des 20. Jahrhunderts verbreiteten Lesart von Quellen hat sich Esther Baur 2001 in ihrer Beschäftigung mit dem Tagebuch von Anna Maria Preiswerk-Iselin kritisch auseinandergesetzt; Esther Baur, „Sich schreiben“. Zur Lektüre des Tagebuchs von Anna Maria Preiswerk-Iselin (1758–1840), in: Kaspar von Greyerz/Hans Medick/Patrice Veit (Hg.), Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich. Europäische Selbstzeugnisse als historische Quellen (1500–1850), Köln/Weimar/Wien 2001 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 9), S. 95–109, hier S. 96.
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nur für die Familiengeschichte(n), die hier etwas ausführlicher dargestellt wurde(n), sondern auch für die Theatergeschichte und für viele andere Bereiche des politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens ihrer Zeit, die sie mit ihrer beeindruckenden sprachlichen Gestaltungskraft beschreibt223.
223 Die Frage nach der Bürgerlichkeit steht im Zentrum vieler bislang vorliegender Forschungen zu Karoline Kummerfeld. So stellt, um nur ein Beispiel zu nennen, Ortrun Niethammer, die die fundierteste Beschäftigung mit Kummerfelds autobiographischen Schriften vorgelegt hat, ihr ganzes Kapitel über sie unter den Titel „Die Auseinandersetzung mit bürgerlichen Maßstäben (1782/1793)“; Ortrun Niethammer, Autobiographien von Frauen im 18. Jahrhundert, Tübingen/Basel 2000, S. 146–175. Zu dieser Problematik siehe auch den Forschungsüberblick in Kap. I.1.
I.3 Die autobiographischen Schriften von 1782/83 und 1793 Gudrun Emberger
1. Äußere Beschreibung der Handschriften Die Hamburger Handschrift Standort und Signatur: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, Cod. hist. 383d. Bandbeschreibung: Pappband, Einband aus blau-rot marmoriertem Buntpapier, Rücken dunkelblaues Leinen mit Goldprägung: „Cod. hist. 383d. Caroline Kummerfeldt/geb. Schulze/Selbstbiographie“. Buchblock 23 cm hoch, 18 cm breit (je nach Lagen unterschiedlich – dreimal Papierformatwechsel). Seiten ohne äußeren Rand Seitenzählung: III und 683 Seiten Eingebunden ohne Paginierung: Benutzerbogen der Stadtbibliothek Hamburg für „Cod. ms. hist. 383d Biographie der Kummerfeldten“. Eingetragen sind Benutzungen von 1909 bis 1984. Ein zweiter Benutzerbogen ist in den Karton, in dem die Handschrift verwahrt wird, eingelegt. Bl. Ir: Vermerk „Geschenk des Herrn Dr. Hermann Uhde in Weimar“. Mit Bleistift und von anderer Hand: „14. XII. 1872“. Bl. Iv: Zur Überlieferungsgeschichte dieser Handschrift [von Friedrich August Cropp?] Bl. II und III: „Die Familie Kummerfeldt betreffend, zusammengestellt von Friedr. Aug. Cropp1, Hamburg 28. Janr. 1876“, s. Kap. III.1 dieser Edition. – Auf Bl. IIIv Bemer-
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Dr. phil. h. c. Friedrich August Cropp (* 20. Juni 1805 Hamburg, † 19. März 1889 Hamburg), Kaufmann und Privatgelehrter. Cropp widmete sich ab 1838 der Erforschung der Geschichte Hamburgs, der Genealogie und der Literaturgeschichte und war Mitverfasser des „Lexikons der hamburgischen
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kungen über Dietrich Wilhelm Soltau und seine Beziehung zu Karoline Kummerfeld (mit Hinweis auf Quellen in Staatsarchiv Hamburg und Commerzbibliothek Hamburg). Es folgen die von Kummerfeld paginierten Seiten 1–681. S. 682: leer. S. 683: Eingebunden ein wohl ursprünglich von Kummerfeld lose beigelegtes Blatt „An den, der […] diese Geschichte […] drucken lassen möchte […]“. S. 684: Bibliotheksstempel „Bibliotheca Hamburg. Publ.“, sonst leer. S. 685–693: leer, Paginierung endet mit S. 692. Auf dem hinteren Einbanddeckel (ohne Seitenzählung): „neu geb[unden] 1924, vordem Pappband aus der Mitte des 19. Jh.“. Die Weimarer Handschrift Standort und Signatur: Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Großherzogliches Hausarchiv, A XXII (Carl Friedrich2) Nr. 425. Bandbeschreibung: Pappband 21,5 cm hoch, 8,4 cm breit, Fadenheftung, Papier. Aufkleber „Grossherzoglich Sächs. Hausarchiv./(Wappen)/Abth. A XXII. Carl Friedrich. No. 425“; Tektur mit dem gleichen Aufkleber. Heftung: Zwischen den Seiten 100/101, 140/141, 310/311, 720/721, 736/737 weitere Heftung – möglicherweise hat die Autorin die Lagen selbst geheftet. Seiten mit äußerem Rand, ca. 2–3 cm breit, Randstrich mit Bleistift. Seitenzählung: Alte Zählung: Paginierung, handschriftlich von Karoline Kummerfeld, S. 17–740; ursprünglich S. 1–776. Fehler in der Paginierung: auf S. 575 folgt S. 578. Neue Zählung: Foliierung, mit Nummernstempel, vom Archiv angebracht am 30. Dez. 1952, Bl. 1–368. Einige Lagen fehlen und einzelne Seiten sind herausgeschnitten. Blatt [1] enthält auf anderem Papier eine Vorbemerkung von unbekannter Hand über Karoline Kummerfelds Leben und Werk, zu unbekanntem späterem Zeitpunkt der Handschrift hinzugefügt. Der Wortlaut dieser Vorbemerkung findet sich in Kap. III.2 dieser Edition.
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Schriftsteller bis zur Gegenwart“, Hamburg 1851–1883. Lit.: Renate Hauschild-Thiessen, Art. Cropp, Friedrich, in: Hamburg Biogr 3, S. 85 f. Großherzog Carl Friedrich von Sachsen-Weimar-Eisenach (1783–1853) regierte von 1828–1853.
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2. Zur Überlieferung und Editionsgeschichte Zwei in unterschiedlichen Lebensphasen, mit unterschiedlicher Intention, in äußerer Gestaltung und inhaltlich unterschiedlichen Versionen abgefasste Lebenserinnerungen hat Karoline Kummerfeld zu Papier gebracht, von denen sich jeweils ein Manuskript aus ihrer Hand erhalten hat. Stützen konnte sie sich beim Schreiben nach eigenem Bekunden auf ihr hervorragendes Gedächtnis und viele „Zettelchen“, auf denen sie im Lauf ihres Lebens denkwürdige, außerordentliche Situationen und Ereignisse notiert hatte, die sie nun in einem „Buch“ zusammentragen wollte3. Zudem hatte sie wichtige Dokumente und Briefe aufbewahrt, die zum Teil in wörtlichen Zitaten in die Autobiographien eingeflossen sind4. Es ist auch anzunehmen, dass Karoline Kummerfeld in Weimar Zugang zu den zeitgenössischen Theaterkalendern und Theaterjournalen hatte5. „Wer diese Blätter einst erben soll? oder wird?“6 Zum Erben ihrer „Blätter“ wünschte sich Karoline Kummerfeld 1782 bei der Abfassung ihrer ersten Autobiographie (der sog. Hamburger Handschrift) „die menschliche Seele“, die sie auf ihrem Sterbebett als die „redlichste“ empfinden werde. Im Jahr 1793, in ihren zweiten Lebenserinnerungen (der sog. Weimarer Handschrift), präzisierte sie ihren Wunsch: „Sterbe ich, so vermache ich dieses Buch wie alle meine Briefschaften, Schriften, Nachrichten, Aufsäze etc. etc. etc. der Person, die dir in deinen lezten Stunden am treusten geblieben“7. In einem Brief vom 23. November 1809 aber an Karl August Böttiger8 beteuert sie, dass er der Erbe ihres schriftlichen Nachlasses sein werde: „Vergessen ist es nicht, daß Sie einst der Erbe nicht nur meiner Lebensgeschichte, sondern aller meiner Papiere und Briefschaften werden“9. Schließlich jedoch ist ihr schriftlicher Nachlass im Haus des Weimarer Hofrats Franz Kirms10 erhalten
3 WHS, S. [119r/243f.]. 4 WHS, S. [121r/247]. 5 Die Ausleihe eines Buchs aus der Herzoglichen Bibliothek ist zumindest für das Jahr 1807 belegt; s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. 6 HHS, S. [1]. 7 WHS, S. [119v/244]. 8 Karl August Böttiger (* 8. Juni 1760 Reichenbach im Vogtland, † 17. Nov. 1835 Dresden), Altertumswissenschaftler, Pädagoge und Journalist. 9 SLUB Dresden, Mscr. Dresd. h 37, 4°, Bd. 111, Nr. 80. Zur Korrespondenz Karoline Kummerfelds mit Böttiger s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. 10 Franz Kirms (* 21. Dez. 1750 Weimar, † 3. Mai 1826 Weimar), ab 1789 Hofkammerrat und seit 1814 Geh. Hofrat in Weimar; s. HHS, Anm. 925.
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geblieben, aus dessen Erbe die Hamburger Handschrift Hermann Uhde erhalten hat, während ein Exemplar der Weimarer Handschrift in das Großherzoglich Sächsische Hausarchiv in Weimar gelangte. Im Folgenden wird, soweit noch möglich, die Überlieferung dieser beiden Handschriften nachvollzogen und werden die bis heute veröffentlichten wichtigsten (Teil-) Editionen vorgestellt. 1782/83: „Die ganze Geschichte meines Lebens“ – Die Hamburger Handschrift (HHS) Mit der ersten Niederschrift ihrer Erinnerungen, von ihr „Die ganze Geschichte meines Lebens“ genannt, begann Karoline Kummerfeld Ende des Jahres 1782 in Linz11. Diese „Ganze Geschichte“ hält die Ereignisse von ihrer Geburt bis ins Jahr 1775 fest. In einer „Vorrede“12 nennt Karoline Kummerfeld Gründe für ihr autobiographisches Schreiben („Weder aus Eitelkeit noch aus Gewinnsucht […]: ich wollt es thun“) und schildert dann ausführlich die Herkunft ihrer Eltern, ihre eigene Kindheit, ihr Leben am und mit dem Theater, die weiten Reisen und Engagements, die Eheschließung mit Diedrich Wilhelm Kummerfeld, die ersten Ehejahre in Hamburg. Bei der Schilderung einer für den Juni 1775 geplanten Reise bricht das Manuskript unvermittelt ab. Ortrun Niethammer vermutet, sie habe abgebrochen, „als sie auf die Beschreibung ihrer unglücklich verlaufenen Ehe eingehen muß“13. Vielleicht hing es aber auch damit zusammen, dass Karoline Kummerfeld in Linz sehr krank war (sie berichtet von anhaltendem „Blutauswurf“)14. In einer ihrem Manuskript später beigefügten Notiz schreibt sie von Eile bei der Abfassung ihrer Erinnerungen, da sie geglaubt habe, nicht mehr so lange zu leben15. Konkrete Pläne für eine Publikation ihrer Lebensgeschichte noch zu Lebzeiten dürfte Karoline Kummerfeld vor 1793 nicht gehabt haben, niemand sollte ihre Aufzeichnungen sehen16. Nach ihrem Tod aber gestattete sie der Person, die ihre Papiere erben würde, ganz nach eigenem Ermessen damit zu verfahren17. 11 12 13 14 15 16
HHS, S. [109]: „Nun sind wir, da ich dieses schreibe, am Ende des 1782“. HHS, S. [1 f.].
Ortrun Niethammer, Autobiographien von Frauen im 18. Jahrhundert, Tübingen/Basel 2000, S. 163.
WHS, S. [302r/609] und [304v/614]. HHS, S. [683]. WHS , S. [119v/244]: „Solange du lebst, soll es kein Mensch sehen“. – Bei Emil Benezé findet sich statt „sehen“ den Sinn verfälschend „lesen“; Benezé I, S. XIII. 17 WHS, S. [119v/244 f.]: „Mag sie alsden damit machen, was sie will!“
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Abb. 4: Textanfang der Hamburger Handschrift.
Es war Karoline Kummerfelds Absicht, diese in Linz begonnene Lebensgeschichte fortzuführen. Doch, so schreibt sie 1793, bislang habe ihr die Zeit dazu gefehlt18. Offensichtlich fehlte die Zeit auch weiterhin, die „Ganze Geschichte meines Lebens“ ist Torso geblieben. Dieses Manuskript gelangte nach Karoline Kummerfelds Tod an den Weimarer Hofrat Franz Kirms. Dessen Erben übergaben die Handschrift Hermann Uhde, der 1873 Auszüge daraus publizierte (zu dieser Teil-Edition s. u.). Das Manuskript schenkte Uhde am 14. Dezember 1872 der damaligen Hamburger Stadtbibliothek (seit 1921 Staats- und Universitätsbibliothek), wo diese in der Forschung als „Hamburger Manuskript“ oder „Hamburger Handschrift“ (im Folgenden HHS) bekannte Autobiographie bis heute in der Handschriftenabteilung der nunmehrigen Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky unter der Signatur Cod. hist. 383d verwahrt wird. Ob es sich bei diesem Manuskript um das Original oder um eine von Karoline Kummerfeld gefertigte Abschrift handelt, muss offenbleiben.
18 WHS, S. [121r/247]; [307v/620].
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Abb. 5: Beispielseite aus der HHS. Die Schrift ist fortlaufend und ohne Kapitel- oder sonstige Einteilung verfasst. Einzelne Wörter wurden gestrichen oder korrigiert.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Handschrift nach Sachsen ausgelagert, gelangte von dort in die Deutsche Staatsbibliothek (Ost-)Berlin und kehrte aufgrund eines noch vor der politischen „Wende“ geschlossenen Staatsvertrags am 18. Oktober 1989 nach Hamburg zurück19. Die Handschrift umfasst 681 von Karoline Kummerfeld paginierte Seiten20. Sie ist fortlaufend im selben Duktus ohne Kapitel- oder sonstige Einteilung geschrieben. Zur Hervorhebung sind einzelne Wörter oder ganze Satzteile unterstrichen oder in lateinischer Schrift geschrieben. Einzelne Wörter sind gestrichen oder wurden korrigiert. 19 Dass das Manuskript von Sachsen zuerst in die ehemalige Sowjetunion gelangte, wie Ortrun Niethammer, Quellenbibliographie, S. 780 vermerkt, trifft nicht zu; Ortrun Niethammer, Eine annotierte Quellenbibliographie zu Autobiographien von Frauen. Projektskizze zu dem Zeitraum 1700–1800, in: Hans-Gert Roloff (Hg.), Editionsdesiderate zur Frühen Neuzeit. Beiträge zur Tagung der Kommission für die Edition von Texten der Frühen Neuzeit, 2. Teil, Amsterdam/Atlanta, GA 1997 (CHLOE, Beihefte zum Daphnis 25). Herrn Dr. Hans-Walter Stork von der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg sei für seine Auskunft über die Wege der Handschrift bestens gedankt. 20 Zur äußeren Beschreibung der Handschrift s. o. Kap. I.3.1. Um einen Eindruck vom Schriftbild zu vermitteln, werden drei Seiten abgebildet (Abb. 4: Textanfang HHS, S. [1] und Abb. 5: Fließtext HHS, S. [20] und [21].
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Insgesamt bietet die Handschrift ein einheitliches, ohne nachträgliche Eingriffe verunklärtes Bild. Ursprünglich war das Manuskript nicht gebunden. Laut Hermann Uhde waren „die Blätter eingeschlagen in einen Bogen“, auf dem Karoline Kummerfeld im Hinblick auf eine mögliche Publikation ihrer Lebenserinnerungen nach ihrem Tod auf ihre zweite, in Weimar verfasste, Autobiographie verweist21. Obwohl Karoline Kummerfeld nach eigener Aussage 1782 in Linz mit der Abfassung der „Ganzen Geschichte meines Lebens“ begonnen hat, datierte Berthold Litzmann22 in seiner Schröder-Biographie dieses Manuskript irrtümlich auf 178523. Da Litzmann wohl für seine Arbeit nicht die Handschrift, sondern die bis dahin erschienenen TeilEditionen benutzt hat, ist zu vermuten, dass eine Bemerkung in Hermann Uhdes „Komödiantenleben“ zu dieser Datierung geführt hat. Uhde nämlich schreibt (ebenfalls irrtümlich), Karoline Kummerfeld habe „aus 681 engbeschriebenen Quartseiten […] erzählt, was ihr bis zum Jahre 1785 Merkwürdiges begegnet ist“24. Das Jahr 1785 als Zeitpunkt der Niederschrift der ersten Lebenserinnerungen Kummerfelds findet sich auch in der Kummerfeld-Ausgabe von Inge Buck, die für das Jahr 1785 außerdem eine „schwere Erkrankung“ Karoline Kummerfelds nennt25. Friedemann Kreu21 s. HHS, S. [683]. Diese Bemerkungen hat Karoline Kummerfeld nach 1793 der HHS hinzugefügt. – Das Weimarer Manuskript lag Hermann Uhde nicht vor: „Diese zweite Handschrift aufzufinden, hat bisher leider nicht gelingen wollen“; Uhde, Komödiantenleben, S. 412, Anm. 4. 22 Berthold Litzmann (* 18. April 1857 Kiel, † 14. Okt. 1926 München), Germanist und Literaturhistoriker. 23 Berthold Litzmann, Friedrich Ludwig Schröder. Ein Beitrag zur deutschen Litteratur- und Theatergeschichte, Bd. 1, Hamburg und Leipzig 1890, S. 164, Anm. 1. Auf diesen Irrtum hat bereits Emil Benezé in seiner Edition hingewiesen; Emil Benezé (Hg.), Lebenserinnerungen der Karoline Schulze-Kummerfeld, Bd. 2, Berlin 1915 (Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 24), S. 165. Zu Benezés Edition s. u. 24 Uhde, Komödiantenleben, S. 364. Zu Uhdes Edition s. u. – Auch darauf, „Druckfehler oder Irrtum“, hat Benezé hingewiesen; Benezé II, S. 165. 25 Die in Bucks Zeittafel genannten Daten sind nicht ganz nachvollziehbar: 1782 Linz „beginnt mit dem ersten Niederschreiben ihrer ‚Erinnerungen‘“, 1785 Weimar „schwere Erkrankung Karolines, beginnt mit der Niederschrift der ‚Lebenserinnerungen‘“; Inge Buck (Hg.), Ein fahrendes Frauenzimmer. Die Lebenserinnerungen der Komödiantin Karoline Schulze-Kummerfeld 1745–1815, Berlin 1988, S. 255 f., 2. Aufl. München 1994, S. 288 f. Auch in Bucks Aufsätzen findet sich 1785 als das Jahr, in dem Karoline Kummerfeld mit der Niederschrift ihrer ersten Erinnerungen begonnen habe; Inge Buck, Zur Situation der Frauen am Theater im 18. Jahrhundert am Beispiel der Karoline SchulzeKummerfeld (1745–1815), in: Peter Freimark/Franklin Kopitzsch/Helge Slessarev (Hg.), Lessing und die Toleranz, Detroit/München 1986, S. 313–324, hier S. 323; Dies., Aus dem Stegreif geschrieben. Zum Verhältnis von Stimme, Aktion und Text in den Lebenserinnerungen der Wanderkomödiantin
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der dagegen datiert „frühe Linzer Entwürfe“ auf 1782 und auf 1786 „während einer schweren Krankheit“ den Beginn der „ersten Niederschrift ihrer Lebenserinnerungen“, die „1793 eine weitere komplette Überarbeitung“ erfahren hätten26. Beide verbinden demnach das Schreiben mit einer schweren Krankheit, was sich so Karoline Kummerfelds Autobiographien nicht entnehmen lässt27. 1793: „Wahre Geschichte meines theatralschen Lebens“ – Die Weimarer Handschrift (WHS) Der Anstoß zur Niederschrift der „Wahren Geschichte meines theatralschen Lebens“, der von Karoline Kummerfeld in Weimar 1793 verfassten Erinnerungen, kam von außen. Es war die ihrer Meinung nach ungerechtfertigte Kritik an ihrer Schauspielkunst in Heinrich Ottokar Reichards „Theater-Kalender auf das Jahr 1792“28, die sie zum Schreiben veranlasste. Die „Weimarer Handschrift“ (im Folgenden WHS) erzählt wie die „Hamburger“ die Zeit von Karoline Kummerfelds Kinderrollen an und reicht bis in das Jahr 1785, das Jahr der Beendigung ihrer künstlerischen Laufbahn und der Gründung der Nähschule. Die acht Jahre von 1785 bis zur Niederschrift der Autobiographie fasst Karoline Kummerfeld am Schluss in nur sieben dürren Sätzen zusammen. Der Schwerpunkt liegt hier eindeutig weniger auf ihrem Privatleben als vielmehr auf ihrer Bühnenkarriere, der Rechtfertigung ihrer Darstellungskunst gegenüber Reichards Anwürfen, ihrer persönlichen Auffassung vom Theater, ihrem Umgang mit Prinzipalen und Kollegen – Ortrun Niethammer spricht von einer „Berufsautobiographie einer Schauspielerin“29, Beate Hochholdinger-Reiterer von einer „Kampfschrift aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert“30.
26
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Karoline Schulze-Kummerfeld (1745–1815), in: Eva Rieger/Gabriele Busch-Salmen (Hg.), Frauenstimmen, Frauenrollen in der Oper und Frauen-Selbstzeugnisse, Herbolzheim 2000, S. 89–99, hier S. 89, 92. Das Jahr 1785 nennt Inge Buck in diesem Beitrag auf S. 99 irrtümlich auch als das Jahr, mit dem die Aufzeichnungen in der WHS enden. Friedemann Kreuder, Spielräume der Identität in Theaterformen des 18. Jahrhunderts, Tübingen 2010, S. 66. Es ist nicht ganz klar, ob Kreuder die „Linzer Entwürfe“ von 1782 als eigenständige Autobiographie betrachtet oder ob er von nur einem einzigen erhaltenen Manuskript Karoline Kummerfelds (nämlich der WHS) ausgeht. Karoline Kummerfeld erwähnt zwar in der WHS, S. [360v/724]–[363r/729], dass sie in Weimar zweimal sehr schwer krank gewesen sei, nennt dafür aber kein Datum. S. dazu WHS , S. [2r/17]–[11r/35] und die entsprechenden Auszüge aus den Theaterkalendern in Kap. III.3. Niethammer, Quellenbibliographie, S. 785. Beate Hochholdinger-Reiterer, Kostümierung der Geschlechter. Schauspielkunst als Erfindung der
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Abb. 6: WHS S. [43v/98] und [44r/99]: Auf den beiden Beispielseiten des Weimarer Manuskriptes sind der exzessive Gebrauch von Unterstreichungen und die teilweise wörtliche Wiedergabe von Dialogpassagen in der dramentypischen Notation erkennbar. Bei jedem Redewechsel beginnt eine neue Zeile, in einzelnen Fällen gibt Kummerfeld in Klammern Bühnenanweisungen.
Die WHS umfasst nach der eigenhändigen Paginierung Karoline Kummerfelds 740 Seiten (nach der vom Archiv vorgenommenen Foliierung 368 Blatt). Das Manuskript beginnt mit der Seite 17, die ersten 16 Seiten fehlen31. Besondere Merkmale des Weimarer Manuskriptes sind der exzessive Gebrauch von Unterstreichungen und die teilweise wörtliche Wiedergabe von Dialogpassagen in der dramentypischen Notation, d. h. die Namen der Sprecher werden am Rand notiert, bei jedem Redewechsel beginnt eine neue Zeile, in einzelnen Fällen gibt Kummerfeld in Klammern Bühnenanweisungen dazu, wie z. B. „nach einer ehrfurchtvollen Pause“32. An solchen Stellen entspricht Kummerfelds Niederschrift optisch exakt dem Druckbild eines Dramentextes. Wie Andrea Heinz 2004 aufgezeigt hat, sind diese Dialoge tatsächlich wie ein Textbuch zu lesen, die Unterstreichungen gelten nicht der besonderen Hervorhebung, sondern sind wie Betonungsvorgaben für Schauspieler zu verstehen. „Das Manuskript
Aufklärung, Göttingen 2014 (Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa 18), S. 260 (dazu s. u. bei Inge Buck, Fahrendes Frauenzimmer). 31 S. dazu Vorbemerkung zur Edition der WHS. Zur äußeren Beschreibung der Handschrift s. o. Kap. I.3.1. 32 WHS, S. [207v/418].
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präsentiert sich wie eine durchgearbeitete Rolle“, resümiert Andrea Heinz diese außergewöhnliche Form der Gestaltung einer Autobiographie33. Gegliedert hat Karoline Kummerfeld das Manuskript in drei Bücher, die sie wiederum in einzelne Kapitel unterteilte. Im Sprachstil erscheint die WHS im Vergleich zur HHS ausgefeilter, die zum Teil Mehrfach-Korrekturen einzelner Wörter zeugen von Karoline Kummerfelds Bemühen um korrekte Orthographie. Aus der HHS hat sie einzelne Passagen teilweise wörtlich übernommen. Auch dieses Manuskript endet unvermittelt: „Die Zahl meiner Schülerinnen ist bis jetzt 85 gewesen. Von den Vornehmsten bis zu den geringern sint sie mir alle“ – es bricht mitten im Satz ab. Es ist unklar, ob eine Fortsetzung überhaupt existierte oder ob – wie zu Beginn des Manuskripts – Seiten verloren gegangen sind. Für eine Zeit lang galt die WHS als unauffindbar im Weimarer Archiv. So berichten es Hermann Uhde, Berthold Litzmann und Friedrich August Cropp34. Auch im Zusammenhang mit Emil Benezés Benutzung der Handschrift im Jahr 1909 findet sich in den Benutzerakten am 15. Mai noch der Vermerk: „Nichts vorhanden“, am 3. Juni jedoch bekam Benezé das Manuskript in Weimar vorgelegt35. Wir wissen von Karoline Kummerfeld selbst, dass sie ihr Weimarer Manuskript im Mai 1793 abgeschlossen hatte, es dann, wie sie an den Verleger Friedrich Nicolai schrieb, bis August 1793 zweimal abgeschrieben hat36. Das uns jetzt noch vorliegende Manuskript gelangte über den Nachlass des oben erwähnten Hofrats Franz Kirms an das Großherzoglich Sächsische Hausarchiv in Weimar im heutigen Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, wo es im Bestand HA A XXII Nr. 425 verwahrt wird. Doch worum handelt es sich dabei? Dieses Manuskript enthält unzählige von Karoline Kummerfeld vorgenommene Streichungen und Korrekturen, auch die Tilgung ganzer Passagen, einzelne Lagen wurden von ihr ganz herausgetrennt, die Paginierung danach immer wieder korrigiert. Auf eine nachträgliche, auf eine Publikation 33 Andrea Heinz, Identität und Rollenverständnis im Leben und auf der Bühne. Die Autobiographie der Schauspielerin Caroline Schulze-Kummerfeld (1745–1815), in: Gonthier-Louis Fink/Andreas Klinger (Hg.), Identitäten. Erfahrungen und Fiktion um 1800, Frankfurt a. M./Berlin u. a. 2004 ( Jenaer Beiträge zur Geschichte 6), S. 349–367, hier S. 353–356. 34 Uhde, Komödiantenleben, S. 412, Anm. 4; Litzmann, Schröder I, S. 164, Anm. 1; Cropp in HHS, Bl. Iv. 35 15. Mai 1909: LATh-HStA Weimar, Kunst und Wissenschaft – Hofwesen A 11375 Jahr 1909, Bl. 197. 3. Juni 1909: ebda., Bl. 1. 36 Staatsbibliothek zu Berlin, Nachlass Nicolai, Bd. 42, fol. 388v. Zum Brief an Friedrich Nicolai s. u. in diesem Beitrag.
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Abb. 7: WHS, S. [136v/278]: Das der Edition zugrunde liegende Manuskript enthält zahlreiche Streichungen und Korrekturen.
ausgerichtete Bearbeitung deutet ein in der WHS bei S. [330r/663] eingehefteter Zettel mit der Frage an Franz Kirms, ob sie seinen Namen ganz, also nicht abgekürzt, „abdrucken“ lassen dürfe. In Kummerfelds an Friedrich Nicolai gerichteten Brief heißt es zu den Namen: „Ich habe nicht geschrieben unter verdeckten Namen; jeden nenne ich bei den seinigen“37. Allerdings ist im jetzt noch vorliegenden Manuskript z. B. der Name von Abraham Augustus Abendroth, der ausgeschrieben war, von ihr wieder abgekürzt worden. Auch die Einteilung in drei Bücher und die Kapitelüberschriften hat Karoline Kummerfeld ganz offensichtlich nachträglich angebracht (in einem Fall mit einer Stecknadel angeheftet). Aus diesem Grund ist anzunehmen, dass es sich bei diesem Manuskript nicht um die Reinschrift handelt, sondern eher um eine spätere Bearbeitung, nachdem der Verleger Friedrich Nicolai eine Publikation abgelehnt hatte (s. dazu unten). Denn in Kummerfelds Inhaltsangabe in dem Schreiben an Nicolai ist von dieser Einteilung in drei Bücher und abgeschlossene Kapitel nirgends die Rede.
37 Staatsbibliothek zu Berlin, Nachlass Nicolai, Bd. 42, fol. 387r.
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Zeitlich eingrenzen lässt sich diese Redaktion aufgrund einer von Kummerfeld bei
WHS, S. [42r/95] eingefügten „Note“ über Johann Joachim Christoph Bode: „Gelebt
hat, muß ich bei dem Abschreiben sagen. – Stirbt denn alles weg?“ Bode starb am 13. Dezember 1793; das bedeutet, dass es sich bei dem uns heute als WHS bekannten Manuskript um eine von Karoline Kummerfeld nach dem 13. Dezember 1793 verfertigte Abschrift handeln muss38 – also wohl um eine dritte Abschrift. Offensichtlich sind demnach von der WHS ursprünglich neben der Reinschrift, dem Original, (mindestens) drei Abschriften oder unterschiedliche Redaktionen vorhanden gewesen. Beim Abschreiben könnte Karoline Kummerfeld den Text jeweils in Teilen verändert haben. Denn die von Karl von Holtei 1828 veröffentlichte Fassung enthält Informationen, die weder in dem heute in Weimar verwahrten Exemplar der WHS, noch in der HHS zu finden sind (zu Holtei s. u.). Dass Karoline Kummerfeld erst 1793 mit der Niederschrift der „Wahre[n] Geschichte meines theatralschen Lebens“ begonnen hat, geht eindeutig aus den einleitenden Kapiteln der WHS hervor. Emil Benezé jedoch glaubte einer „Note“ Kummerfelds in der WHS S. [97r/199] entnehmen zu können, dass sie bereits 1785 daran gearbeitet habe39: Altmodisch ist freilich meine Erzählung. Nicht mehr unsern jetzigen Zeiten anpassend; wo sich das deutsche Theater so sehr umgeformt. – Ich sollte mich freilich wie der Schriftsteller an die Zeiten anschmiegen, worinnen ich lebe, wenn ich hoffen wollte, auch mit Beifall gelesen zu werden. – – Ich bitte deswegen um Vergebung! Und bitte, nur das einzige zu bedenken: daß ich hier bei meinen Geschreibsel nicht im Jahr 1785 lebe, sondern im Jahr 1767. Daß ist noch 18 Jahr zurük.
Die nähere Analyse der Textstelle zeigt, dass Karoline Kummerfeld in dieser Anmerkung die im dazugehörenden Haupttext geschilderten Verhältnisse im Jahr 1767 mit denen des Jahres 1785 kontrastiert. Dazu zitiert sie fast wörtlich aus der von Heinrich August Ottokar Reichard im Theaterkalender 1793 veröffentlichten Antwort auf ihren an ihn gerichteten Brief vom 22. Juli 1792, in dem sie Fehler in den biographischen Notizen über ihre Person kritisiert hatte. Bei Reichard heißt es (die von Kummerfeld in der „Note“ aufgegriffenen Sätze sind kursiv gesetzt):
38 Eine ähnlich lautende „Note“ findet sich bei WHS, S. [36v/86] über den am 18. Juli 1793 verstorbenen Johann Michael Boeck. 39 Benezé II, S. 167.
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[…] mancher zu seiner Zeit sehr gepriesener Schauspieler hat schon gleiches Schicksahl gehabt, und würde es haben, wenn er in unsern Tagen, wo sich das deutsche Theater so sehr umgeformt hat, […] erscheinen sollte. Wie der Schriftsteller sich den Zeiten anschmiegen muß, wenn er, so lange er lebt, fortgelesen werden will, so auch der Schauspieler, der mit Beifall fortzuspielen verlangt40.
Demnach belegen diese Sätze keineswegs, dass Karoline Kummerfeld im Jahr 1785 mit der Niederschrift der „Wahre[n] Geschichte meines theatralschen Lebens“ begonnen hat. Sie sind vielmehr ein weiterer Hinweis darauf, was sie im Jahr 1793 zum Schreiben veranlasst hat. 1793 und 1796: Publikationspläne Wie oben geschildert, hatte Karoline Kummerfeld nicht beabsichtigt, ihre 1782 in Linz begonnene Autobiographie noch zu ihren Lebzeiten zu veröffentlichen. Nun aber, 1793, war der Unmut über Heinrich August Ottokar Reichards Äußerungen über sie im Theaterkalender so groß, dass sie sich gezwungen fühlte, mit ihrer Replik, ihrer Lebensgeschichte und ihrer Sicht auf das zeitgenössische Theater an die Öffentlichkeit zu gehen. Und so wandte sich am 8. August 1793 Karoline Kummerfeld an den Berliner Verleger Friedrich Nicolai41 und bot ihm ihre Autobiographie „Caroline Kummerfeldt geborne Schultze, Wahre Geschichte meines theatralschen Lebens“ zum Kauf und zur Veröffentlichung an42. In dem achtseitigen Brief führt sie aus, was sie zum Schreiben ihrer Lebensgeschichte bewogen habe, und stellt dem Verleger in groben Zügen den Inhalt vor. Selbstbewusst rühmt sie ihr Werk, dem aufgrund seiner Neuheit, Seltenheit und Wahrheit viele Käufer gewiss sein würden – und sie überlegt bereits, eine aus ihrer Sicht durchaus mögliche zweite Auflage mit Kupferstichen ausschmücken zu lassen43. Einen Kaufpreis nennt sie nicht, ihn zu bestimmen sollte Friedrich Nicolai überlassen
40 TKR 1793, S. 301–303. 41 Friedrich Nicolai (* 18. März 1733 Berlin, † 8. Jan. 1811 Berlin), Schriftsteller und Verlagsbuchhändler. Lit.: Friedrich Nicolai. Leben und Werk. Ausstellung zum 250. Geburtstag, Berlin 1983 (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Ausstellungskataloge 21); Stefanie Stockhorst/Knut Kiesant/Hans-Gert Roloff (Hg.), Friedrich Nicolai (1733–1811), Berlin 2011 (MEMORIA 13). 42 Staatsbibliothek zu Berlin, Nachlass Nicolai, Bd. 42, fol. 386r–389v. Vollständige Wiedergabe dieses Briefes in Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. 43 Auch in einer „Note zum 10ten Kapitel“ in der WHS spielt Kummerfeld mit dem Gedanken an eine zweite Auflage: „Sollte dieses Buch einer zweyte[n] Auflage gewürdiget werden – man verzeihe mir die stolze Einbildung! – so werde ich diesen für mich unvergesslichen Zeitpunkt ganz berichten“; WHS, S. [17v/48].
94 | Die autobiographischen Schriften von 1782/83 und 1793
werden. Doch Friedrich Nicolai lehnte „auf eine höfliche Art“ ab44, wie er eigenhändig auf Karoline Kummerfelds Brief vermerkte. Gründe für die Ablehnung nennt er hier nicht45; sein Antwortschreiben an Karoline Kummerfeld ist nicht erhalten. Festzuhalten ist, dass Karoline Kummerfeld Friedrich Nicolai nur die WHS anbietet, von einer Verquickung mit dem Hamburger Manuskript, wie sie es im Nachwort zur HHS vorschlägt46, ist hier noch nicht die Rede. Einen weiteren Publikationsversuch hat offenbar der oben bereits erwähnte Karl August Böttiger unternommen. Böttiger scheint 1796 im Besitz des Manuskripts einer der Lebenserinnerungen der Karoline Kummerfeld gewesen zu sein und legte es dem Verleger Friedrich Vieweg47 vor. Doch auch Vieweg war an dem Manuskript nicht interessiert. Am 6. Februar 1796 schrieb er an Böttiger: „Ich kann Ihrer Kummerfeld, so gern ich auch wollte, nicht helfen und will es lieber einem Andern überlaßen, etwas Rechts zu thun, damit ihr wirklich geholfen ist. In ihrer Nähe mag das Buch freilich anziehender seyn, als ich es finde und auch dann für’s größere Publikum noch finden würde, wenn es möglichst zusammengedrängt wäre.“48 Viewegs Bemerkungen weisen darauf hin, dass für Karoline Kummerfeld nicht zuletzt auch aus finanziellen Gründen eine Publikation ihrer Lebensgeschichte wünschenswert gewesen wäre49. Ob es weitere Pläne Karoline Kummerfelds gab, ihre Lebenserinnerungen im Druck erscheinen zu lassen, ist nicht bekannt. Abschriften ihrer Lebensgeschichte kursierten aber wohl in ihrem Freundeskreis. In einem leider nur fragmentarisch erhaltenen Brief Kummerfelds an eine Freundin schreibt sie: „Mein Manuskript ist also jetzt in Herrn Weisens50 Händen? Nun ist’s mir doch nicht leid, daß ich’s geschrieben. Wenn es
44 Staatsbibliothek zu Berlin, Nachlass Nicolai, Bd. 42, fol. 389v. 45 Zu den Autoren von Nicolais Rezensionszeitschrift „Allgemeine Deutsche Bibliothek“ gehörte auch Abraham August Abendroth, der von Karoline Kummerfeld in ihrem Manuskript in sehr ungünstigem Licht dargestellt wird. 46 „[…] um das Ganze vollständig zu machen: muß der Herrausgeber sich beyder Werke bedienen“; HHS, S. [683]. 47 Friedrich Vieweg d. Ä. (* 11. März 1761 Halle/Saale, † 25. Dez. 1835 Braunschweig), 1786 Gründer des Vieweg-Verlags in Berlin. 48 SLUB Dresden, Mscr. Dresd. h 37, 4°, Bd. 208, Nr. 7. 49 Zu finanziellen Problemen während ihrer Weimarer Zeit s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. 50 Christian Felix Weiße (* 28. Jan. 1726 Annaberg, † 16. Dez. 1804 Stötteritz), Dichter und (Theater-) Schriftsteller. Christian Felix Weiße hat eine postum erschienene Autobiographie hinterlassen, in der berichtet wird, dass Weiße mit Karoline Kummerfeld korrespondiert habe; Christian Felix Weißens Selbstbiographie, hg. von Christian Ernst Weiße und Samuel Gottlob Frisch, Leipzig 1806, S. 312.
Zur Überlieferung und Editionsgeschichte | 95
auch nie gedruckt wird! […] Wenn das Urtheil darüber auch noch so günstig für mich ausfallen sollte, so zweifle ich, daß ich es, so lange ich leben, werde drucken lassen“51. 1828: Karl von Holtei (Hg.), Beiträge zur Geschichte dramatischer Kunst und Literatur, 3 Bde., Berlin 1828. Bd. 3, S. 180–220 [Holtei, Bruchstücke] Eine erste Teiledition der Lebenserinnerungen von Karoline Kummerfeld erschien 13 Jahre nach ihrem Tod. Die seit 1806 in Weimar lebende Schriftstellerin Johanna Schopenhauer52 hatte Karl von Holtei53 am 13. März 1828 eine Abschrift (oder das Original?) eines der beiden Manuskripte übersandt, von der er daraufhin in seinen „Beiträgen zur Geschichte dramatischer Kunst und Literatur“ eine Teiledition vorlegte54. Erhalten hatte Johanna Schopenhauer das Manuskript von Amalie von Voigt55. Sie war die Nichte des oben erwähnten Weimarer Hofrats Franz Kirms und lebte seit 1809 im Haus ihres Onkels, in dessen Besitz sich damals der schriftliche Nachlass von Karoline Kummerfeld befand. Johanna Schopenhauer bezeichnet das an Holtei übersandte Manuskript als „das Opus der Voigt“56. Ob das bedeutet, dass Amalie von Voigt schon eine Auswahl im Hinblick auf die Veröffentlichung getroffen hatte, kann nicht mehr geklärt werden. Amalie von Voigt bat auf jeden Fall Holtei, „abzuändern und wegzustreichen“, was ihm missfalle. Holteis „Bruchstücke“ enthalten sehr gerafft die Zeit von Karoline Schulzes Geburt bis zu ihrem Abgang vom Leipziger Theater im Frühjahr 1768. Eine Fortsetzung war 51 Freies Deutsches Hochstift, Hs 5313. Adressat (vermutlich eine der Töchter Adam Friedrich Oesers) und Datum (als terminus ante quem kann der 18. März 1799 angenommen werden) des Briefes sind unbekannt; s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. 52 Johanna Schopenhauer (* 9. Juli 1766 Danzig, † 16. April 1838 Jena), Schriftstellerin. Johanna Schopenhauer hatte Karoline Kummerfeld persönlich gekannt. Lit.: Julia Di Bartolo, Johanna Schopenhauer, geb. Trosi(e)ner (1766–1838), in: Freyer/Horn/Grochowina (Hg.), FrauenGestalten, S. 320–326; Dies., Selbstbestimmtes Leben um 1800. Sophie Mereau, Johanna Schopenhauer und Henriette von Egloffstein in Weimar-Jena, Heidelberg 2008 (Ereignis Weimar-Jena, Kultur um 1800, Ästhetische Forschungen 17). 53 Karl von Holtei (* 24. Jan. 1798 Breslau, † 12. Febr. 1880 Breslau), Schriftsteller, Schauspieler, Theaterleiter; Joachim Wilcke, Art. Holtei, Carl von, in: NDB 9 (1972), S. 553 f. 54 Holteis Edition s. Kap. III.5.1. 55 Amalie von Voigt geb. Ludecus (* 21. Sept. 1778 Weimar, † 4. Okt. 1840 Weimar), Schriftstellerin; Katrin Horn, Amalie Henriette Caroline von Voigt, geb. Ludecus (1778–1840), in: Freyer/Horn/Grochowina (Hg.), FrauenGestalten, S. 357–362. Amalie von Voigt war 1790 Schülerin in der Kummerfeldschen Nähschule; s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. 56 Heinrich Hubert Houben, Damals in Weimar! Erinnerungen und Briefe von und an Johanna Schopenhauer, 2. erw. Aufl., Berlin [1929], S. 359. Diesem Brief ist auch zu entnehmen, dass Erbprinz Carl Friedrich von Sachsen-Weimar-Eisenach das Manuskript wohl gelesen hat; ebd., S. 360.
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geplant, doch wurden die Holtei’schen „Beiträge zur Geschichte dramatischer Kunst und Literatur“ mit diesem dritten Band eingestellt. Auffällig an der Edition sind Details beispielsweise über Gagen, die so weder in der HHS noch der WHS zu finden sind. Sollte Karl von Holtei über Amalie von Voigt noch Zugang zu anderen Papieren Karoline Kummerfelds gehabt haben? Auch die teilweise ganz unterschiedliche Wortwahl fällt auf. Welches Manuskript oder welche Abschrift von einem der Manuskripte Amalie von Voigt an Holtei gesandt hat, bleibt unklar. Denkbar ist, dass ihm eine ganz andere, heute nicht mehr erhaltene Fassung einer der Handschriften vorlag57. Vielleicht war es auch nur ein Teil eines der Manuskripte. Denn Johanna Schopenhauer schreibt an Holtei, wenn er die „zweite Hälfte der ‚Kummerfeldischen‘ Theater-Karrière zu erhalten“ wünsche, die „recht viel Interessantes aus einer uns weit näher stehenden Zeit“ enthalte, möge er es Amalie von Voigt „bei Zeiten“ melden58. 1873: Hermann Uhde, Aus dem Komödiantenleben des vorigen Jahrhunderts. Denkwürdigkeiten von Karoline Schulze, in: Historisches Taschenbuch 1873, S. 361–415 [Uhde, Komödiantenleben] 45 Jahre nach Karl von Holtei legte der Literaturhistoriker Hermann Uhde59 die zweite Teiledition der Lebensgeschichte von Karoline Kummerfeld vor60. Uhde, der die Edition von Holtei anscheinend nicht kannte, hatte von den Erben des Weimarer Hofrats Franz Kirms ein „Manuskript von 681 engbeschriebenen Quartseiten“ erhalten und 1873 daraus veröffentlicht, „was jetzt noch denkwürdig erscheint“61. Es ist dieses als „Hamburger Handschrift“ bekannte Manuskript, das Hermann Uhde nach seiner Benutzung der Hamburger Stadtbibliothek übergeben hat. Als Gründe für seine Publikation im „Historischen Taschenbuch“ und für seine Schenkung an die Hamburger Stadtbibliothek nennt Uhde in einem in den „Hamburger Nachrichten“ veröffentlichten Artikel die von der Goethe-Forschung beklagte Wissenslücke über eine vom jungen Goethe so sehr umschwärmte Schauspielerin. Zum anderen scheint für ihn Hamburg der richtige Aufbewahrungsort für das an Informationen zur Hamburger 57 Emil Benezé vermutete, Holtei habe die Reinschrift der WHS erhalten, die bei der Benutzung „zugrunde ging“; Benezé II, S. 166 f. 58 Houben, Weimar, S. 360. 59 Hermann Uhde (* 26. Dez. 1845 Braunschweig, † 27. Mai 1879 Veytaux-Chillon), Journalist und Literaturhistoriker; Eduard Jacobs, Art. Uhde, August Friedrich Hermann Karl, in: ADB 39 (1895), S. 140 f. 60 Uhdes Edition s. Kap. III.5.2. 61 Uhde, Komödiantenleben, S. 364.
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Stadtgeschichte so reiche Manuskript, Informationen, die er selbst nicht publiziert hatte62. Als Entstehungszeit des Manuskripts nimmt Hermann Uhde die Jahre 1792–95 an63. Die „Wahre Geschichte meines theatralschen Lebens“, die WHS, auf die Karoline Kummerfeld am Schluss der HHS verweist, lag ihm nicht vor. Die Suche danach, so Uhde, sei ergebnislos geblieben64. Hermann Uhde hat den Text gekürzt, auch längere Passagen mit eigenen Worten zusammengefasst bzw. in der Ich-Form umformuliert, die Orthographie wurde „der modernen Ausdrucksweise durchweg angepaßt“65. Darüber hinaus hat er „einige fernere Data […] an passender Stelle eingeschaltet“, d. h. er hat zusätzliche Informationen eingefügt und den Text mit Anmerkungen versehen. Besonders auffällig ist Uhdes Umgang mit Namen und Titeln, der sich deutlich von Karoline Kummerfelds eigener Überlieferung unterscheidet und damit den Charakter der Beziehung zwischen ihr und diesen Personen verunklärt. Insgesamt erscheint der Stil dieser Edition auf einer höheren Ebene angesiedelt als die der Manuskripte und verrät so die Autorschaft des Herausgebers. Dies wird auch in dem von Uhde frei erfundenen Schlusssatz deutlich: „Mich selbst aber, als meines Gatten Tod meinem ganzen Leben eine andere Richtung gegeben hatte, zog es unwiderstehlich her nach Weimar, wo ich als alte Frau diese Blätter schreibe und wo man mich dereinst begraben wird“66. Gekürzte Auszüge aus Uhdes Edition publizierte 1901 Hermann Leckert67: 1901: H. L. [Hermann Leckert], Eine deutsche Komödiantin des achtzehnten Jahrhunderts. Eine Erinnerung an die Hamburger Entreprise. Erschienen in fünf Folgen im Hamburgischen Correspondenten vom 2. bis 7. Mai 1901.
62 H. U. [Herman Uhde], Eine alte Handschrift auf der Hamburger Stadtbibliothek, in: Hamburger Nachrichten Nr. 147, 22. Juni 1873 und Nr. 148, 24. Juni 1873. 63 Uhde, Komödiantenleben, S. 407. 64 Uhde, Komödiantenleben, S. 412, Anm. 4. 65 Uhde, Komödiantenleben, S. 365. 66 Uhde, Komödiantenleben, S. 407. 67 So die Auflösung des Kürzels „H. L.“ auf den Kopien der Artikelserie im Staatsarchiv Hamburg.
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1915: Emil Benezé (Hg.), Lebenserinnerungen der Karoline Schulze-Kummerfeld, 2 Bde., Berlin 1915 (Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 23, 24) [Benezé I und II] Unter dem Titel „Die Lebenserinnerungen der Karoline Schulze-Kummerfeld. Herausgegeben und erläutert von Emil Benezé“68 erschien im Jahr 1915 im Selbstverlag der Gesellschaft für Theatergeschichte Berlin eine zweibändige Ausgabe der Lebenserinnerungen der Karoline Kummerfeld, bei der der Herausgeber als Erster auf beide Handschriften zurückgegriffen hat. Emil Benezé war von seinem akademischen Lehrer Berthold Litzmann zu dem Projekt angeregt worden und hat mehrere Jahre intensiv daran gearbeitet69. Auch wenn seine Edition heutigen editionswissenschaftlichen Standards nicht entspricht, so bleibt sie doch wesentlich näher am Original und ist weitaus vollständiger als die bis dahin erschienenen Teil-Editionen Holteis und Uhdes. Band I der Edition umfasst die Jahre 1745 bis Anfang 1768, als Karoline Kummerfeld sich entschlossen hatte, den Schauspielerberuf aufzugeben und Diedrich Wilhelm Kummerfeld zu heiraten. Band II schildert die Folgezeit bis zu ihrer Sesshaftigkeit in Weimar. Jeder Band wird mit einem ausführlichen Vorwort des Herausgebers eingeleitet, den zweiten Band beschließen relativ umfangreiche Erläuterungen, deren Schwerpunkt auf der Theatergeschichte liegt, sowie ein Namen- und Sachregister. Ein Quellen- und Literaturverzeichnis liefert Benezé nicht. Als Gerüst seiner Edition diente Benezé die bis ins Jahr 1775 reichende HHS, die er einerseits gekürzt hat, indem er ihm unwichtig scheinende Passagen zusammenfasste, und die er andererseits an einigen Stellen durch Passagen aus der WHS ergänzt hat.
68 Emil Benezé (* 30. Juli 1870 Oldisleben, † 15. März 1943 Freudenstadt). Benezé war 1894 in Jena mit seiner Dissertation „Das Traummotiv in altdeutscher Dichtung“ promoviert worden und lehrte danach in Hamburg im höheren Schuldienst, zuletzt an der Gelehrtenschule des Johanneums; Hans Arnold Plöhn, Emil Benezé – 1870–1943. Spätes Gedenken an einen Lehrer und Freund, in: Zeitschrift für Niederdeutsche Familienkunde, 50. Jg., Heft 6 (1975), S. 170 f. 69 Die HHS war Benezé in der damaligen Hamburger Stadtbibliothek zugänglich, die WHS wurde 1909/10 vom Staatsarchiv Weimar zur Benutzung durch ihn an das Staatsarchiv Hamburg ausgeliehen; LATh-HStA Weimar, Kunst und Wissenschaft – Hofwesen A 11375 Jahr 1910, Bl. 2, 3, 11.– Einen ersten Artikel, der auf Karoline Kummerfelds Erinnerungen beruhte, hatte Benezé 1911 in den Hamburger Nachrichten veröffentlicht, ohne aber die Existenz der Handschriften zu erwähnen: Emil Benezé, Daniel Schiebeler aus Hamburg, Mademoiselle Schulze und stud. iur. Goethe, in: Hamburger Nachrichten Nr. 449, I. Morgen-Ausgabe vom 24. Sept. 1911, Beilage Zeitschrift für Wissenschaft, Literatur und Kunst Nr. 39.
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Für die Zeit nach 1775 diente die WHS als Vorlage, die er ebenfalls durch Zusammenfassungen kürzte. Wo Benezé gekürzt hat, ist im Text meistens zu erkennen: Zum einen durch den Wechsel der Erzählform in die dritte Person, zum anderen an der äußeren Form, indem Benezé diese Passagen entweder in eckige Klammern setzt bzw. in einem kleineren Schriftgrad wiedergibt. Benezés Zusammenfassungen folgen allerdings nicht immer der von Karoline Kummerfeld im Manuskript vorgegebenen Abfolge des Textes. Zusätze aus der WHS , die als Fußnote erscheinen, sind mit „* W. H.“ kenntlich gemacht. „W. H.“ oder „[W]“ steht auch vor in kleinerem Schriftgrad im Text wiedergegeben Zusätzen, manchmal fehlt der Hinweis auf die WHS aber gänzlich. Dass sich seine Edition ab 1775 – Bd. II, S. 42 – nun ganz auf die WHS stützt, wird von Benezé an keiner Stelle deutlich gemacht. Vergebens sucht man in seiner Edition nach einer ausführlichen editorischen Notiz. Man muss sich Bemerkungen über seine Editionsgrundsätze zusammensuchen, manches sich selber erschließen. Im Vorwort des ersten Bandes nennt er seine Ausgabe die „aus beiden Manuskriptbänden zusammengezogene Selbstbiographie“, bei der er „hier und da kleine Kürzungen nötig“ fand, „aber nur an allzu weitschweifig gehaltenen, belanglosen Stellen“ (Bd. I, S. VII). Dem Vorwort zu den Anmerkungen am Schluss des zweiten Bandes ist zu entnehmen, dass „Rechtschreibung, Satzzeichen und Satzgestaltung […] im Interesse leichterer Lesbarkeit modernisiert worden [sind]. Aber um Gelegenheit zu geben, die Aussprache und den Sprechstil der Verfasserin, den Zustand der geschriebenen Rollen zu erkennen oder zu erahnen, ist dieser Grundsatz nicht streng durchgeführt worden“ (Bd. II , S. 168). Die von Karoline Kummerfeld selbst vorgenommene Teilung der WHS in drei Bücher und ihre Kapitelzählungen und Kapitelüberschriften übernimmt Benezé nicht und erwähnt sie auch nicht. Dafür strukturiert er selbst den Fließtext durch Zwischenüberschriften – äußere Stationen ihres Lebens – und als Marginalien eingefügte Jahreszahlen. Seine Zwischenüberschriften übernimmt er dann auch in die Inhaltsverzeichnisse der beiden Bände. Die Besonderheiten des Kummerfeld’schen Manuskriptes hat Benezé in seiner Edition völlig unterschlagen: Die Dialogpassagen wurden als Fließtext abgedruckt, die Unterstreichungen nicht übernommen. Auch hat Benezé weder den Anfang der HHS noch der WHS ediert. Gerade aber diese Vorreden sind für die Selbstzeugnisforschung von hohem Wert, da aus ihnen wichtige Hinweise auf Anlass und Zweck der Niederschrift gewonnen werden können. Darauf hat bereits Ortrun Niethammer hingewiesen und die beiden Anfänge in ihren
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charakteristischen Teilen erstmals im Jahr 2000 in ihrem Band über „Autobiographien von Frauen im 18. Jahrhundert“ veröffentlicht70. Den unvollendeten Schlusssatz der WHS: „Von den vornehmsten bis zu den geringern sint sie mir alle“ ergänzt Benezé mit „gleich lieb geworden“71. Ein Lebensbild Karoline Kummerfelds aufgrund der Edition Emil Benezés veröffentlichte die Schriftstellerin Grete Massé72 im Hamburgischen Correspondenten im Frühjahr 1918: 1918: Grete Massé, Karoline Schulze-Kummerfeld. Aus dem Leben der Hamburger Schauspielerin, in: Hamburgischer Correspondent, 17. März 1918, 31. März 1918, 14. April 1918, Zeitung für Literatur, Kunst und Wissenschaft, Nr. 6, 7, 8. 1988: Inge Buck (Hg.), Ein fahrendes Frauenzimmer. Die Lebenserinnerungen der Komödiantin Karoline Schulze-Kummerfeld 1745–1815, Berlin 198873 [Buck, Fahrendes Frauenzimmer] 73 Jahre nach Emil Benezé, im Jahr 1988, hat die Literatur- und Theaterwissenschaftlerin Inge Buck74 unter dem Titel „Ein fahrendes Frauenzimmer“ eine Bearbeitung der Edition Emil Benezés vorgelegt. Inge Bucks Ausgabe basiert demnach auf keiner der beiden Handschriften. Begründet wird das von ihr so: „Inzwischen [gemeint ist: seit der Edition von Benezé] ist die sogenannte „Weimarer Handschrift“ nicht mehr auffindbar, die sogenannte „Hamburger Handschrift“ (in Ostberlin) angegriffen. Das Schriftbild des mir zur Verfügung stehenden Mikrofiches weist auf ein Original hin, das ‚vom Zahn der Zeit‘ nicht verschont geblieben ist und das ein abermaliges Zurückgehen auf die Quelle selbst für eine Neuherausgabe der Aufzeichnungen ausschließt“75. Inge Buck hat daher Emil Benezés Edition bearbeitet, d. h. stark gekürzt und zum Teil völlig anders angeordnet. Vor allem aber hat sie in den Text manipulierend eingegriffen, 70 Niethammer, Autobiographien, S. 163 f. 71 Benezé II, S. 164. 72 Grete Massé (* 20. Mai 1883 Hamburg, 6. Dez. 1941 nach Riga deportiert), Journalistin und Schriftstellerin; Renate Heuer (Red.), Lexikon deutsch-jüdischer Autoren, Bd. 16, München 2008 (Archiv Bibliographia Judaica), S. 353–355. 73 Inge Buck (Hg.), Ein fahrendes Frauenzimmer. Die Lebenserinnerungen der Komödiantin Karoline Schulze-Kummerfeld 1745–1815, 2. Aufl. München 1994. 74 Inge Buck (* 13. Okt. 1936 Tübingen), Kulturwissenschaftlerin und Schriftstellerin. 75 Buck, Fahrendes Frauenzimmer, 1988, S. 251; 1994, S. 282, ohne den Hinweis „(in Ostberlin)“. – Beides unzutreffende Bemerkungen: die WHS befand sich 1988 im Staatsarchiv Weimar, die HHS ist bis heute in gutem Zustand benutzbar.
Zur Überlieferung und Editionsgeschichte | 101 Abb. 8: Beispiele für den Umgang von Emil Benezé und Inge Buck mit ihren Textvorlagen.
WHS, S. [37v/88]
WHS, S. [37r/88]
HHS, S. [278]
8.1: Benezé I, S. 172. Benezé I, S. 172
Benezé I, S. 168 8.2: Buck, Fahrendes Frauenzimmer, S. 125
indem sie die in der dritten Person formulierten Zusammenfassungen Benezés wieder in die Ich-Form transponiert und so den Eindruck erweckt, als handele es sich dabei um die Original-Formulierungen der Karoline Kummerfeld76. Da dies alles stillschweigend 76 1763 war Karoline Kummerfeld mit der Ackermannschen Gesellschaft in Braunschweig. Sie hatte sich kurz vorher von Major Dalwigk getrennt. In Braunschweig traf sie ihre Freundin Friederike Fleischer, die sie tröstete. Obwohl sie krank war, spielte sie Theater. Während sie in der HHS, S. [274]–[278] die Begegnung mit ihrer Freundin ins Zentrum der Erzählung rückt, die sich wegen ihrer Krankheit Sorgen um sie macht, erzählt sie in der WHS, S. [35r/83]–[37v/88], dass sie gezwungen wurde trotz Krankheit zu spielen und zusammenbrach. Benezé ediert S. 165–170 zunächst den Text aus der HHS, S. [274]– [278], schließt dann eine kurze Zusammenfassung aus der WHS an, die durch das veränderte Schriftbild und den Zusatz W. H. kenntlich gemacht ist, und gibt anschließend S. 170–172 in normaler Schrift und ohne Zusatz W. H. einen weiteren Abschnitt aus der WHS wieder. Im nächsten Kapitel „Hannover“ übernimmt er den ersten Satz noch aus der WHS. Danach wechselt er bei der Zusammenfassung und
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geschieht, ohne Nachweis, wo und wie in den Text eingegriffen wurde, ist ihre Bearbeitung der Benezé’schen Edition nicht nachvollziehbar und in den Teilen, in denen sie die Zusammenfassungen Benezés als wörtliche Niederschrift Kummerfelds wiedergibt, geradezu verfälschend – Inge Buck erzählt eine ganz andere Geschichte. Ihre Vorgehensweise teilt Inge Buck in der „Editorischen Notiz“ zu ihrer Ausgabe mit77. Darin wird deutlich, dass sie den Zweck der WHS gerade auch als Rechtfertigungs- und Verteidigungsschrift gegen die Theaterkritiker völlig verkennt. Beate Hochholdinger-Reiterer, die Inge Buck vorwirft, die „Kampfschrift aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert“ zu einer „feministischen Kampfschrift des späten 20. Jahrhunderts umgestaltet“ zu haben, bemerkt dazu: „Die Wanderschauspielerin wird [von Inge Buck] zur Vorläuferin einer Emanzipationsbewegung stilisiert – ein Konstrukt, in dem das Sichverlieren in ‚Selbstrechtfertigungen‘ scheinbar keinen Platz haben soll“78. Für ihre Eingriffe in den Text sieht sich Buck durch eine Bemerkung von Karoline Kummerfeld legitimiert: „Mein Büchlein, daß ich nur schreiben wollte, ist nach den vielen Bogen, die ich beschrieben, herangewachsen zu einem Buch. Das solches einer Feilung von mir bedürfte, glaube ich gern“79. Diese „Feilung“ nimmt nun Inge Buck vor. Was die Orthographie anbelangt, hatte ja schon Benezé in die Texte modernisierend eingegriffen. Inge Buck löst darüber hinaus alle Abkürzungen auf, schreibt Eigennamen immer gleichlautend, passt die Orthographie noch mehr der heutigen Schreibweise an und nimmt auch grammatikalische Korrekturen vor. Benezés Kapitelüberschriften übernimmt Inge Buck nicht, sondern fügt eigene ein, die aus Zitaten aus dem jeweiligen Kapitel bestehen. Inge Bucks Ausgabe enthält zahlreiche Erläuterungen zum Text (in der 2. Aufl. in erweiterter Form), eine ausführliche Zeittafel und in der 1. Auflage auch zahlreiche Abbildungen. Ein Register und ein Literaturverzeichnis fehlen. Den fehlenden Schluss der WHS ersetzt Inge Buck durch eine Kompilation von Sätzen aus Benezé I und II, die sowohl der HHS als auch der WHS entstammen. Als Beispiel wird hier der letzte Abschnitt wiedergegeben: anschließenden Darstellung über die Reise nach Hannover wieder zur HHS. Inge Buck geht mit Benezés Text kreativ um, übernimmt zuerst seinen Text von S. 172 (WHS, S. [37v/88]) und schließt dann einen Abschnitt aus Benezé, S. 168 (HHS, S. [276]) an. Die Geschichte mit ihrem Verehrer Fredersdorf lässt sie weg. Das Vorgehen der beiden Editoren wird in Abb. 8 kenntlich gemacht. 77 Buck, Fahrendes Frauenzimmer, 1988, S. 251; 1994, S. 282; s. dazu ausführlicher Kap. I.1. 78 Hochholdinger-Reiterer, Kostümierung, S. 260. 79 WHS, S. [363v/730]; Buck, Fahrendes Frauenzimmer, 1988, S. 251; 1994, S. 282. – Dieses Zitat von Karoline Kummerfeld findet sich auf dem Cover dieser Edition.
Zur Überlieferung und Editionsgeschichte | 103
Hier in diesen Blättern ist Wahrheit ohne Schmuck, ohne Wortgesuche, so wie ich im Leben sprach und handelte und wie man mit mir sprach und mich behandelte. Kommen keine Ordensbänder und Sterne zum Vorschein, die ich spazieren geschickt. Was nicht ganz laut wurde, will ich auch nicht laut machen [= Benezé I, S. 244; HHS, S. [423]]. Hier ist Wahrheit! Die fehlt denn endlich meinem Kinde nicht. Und so hoffe ich getrost, daß es einigen Wert haben wird [= Benezé II, S. 157; WHS, S. [357v/718]].
Nach dieser Publikation von Inge Buck80 hat die Edition von Emil Benezé mehrere Neuauflagen erfahren, die aber seine Einleitung, seine Nachbemerkung und seine ausführlichen Erläuterungen nicht enthalten, oft nicht einmal seinen Namen nennen. Während bei Benezé noch deutlich wird, dass es sich bei den Lebenserinnerungen um zwei zu verschiedenen Zeiten und Anlässen entstandene autobiographische Texte handelt, geht dieser Aspekt nunmehr gänzlich verloren. Zu nennen sind hier: Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915. Entstanden seit 1782. Erstdruck: Berlin (Selbstverlag der Gesellschaft für Theatergeschichte) 1915 (Permalink: http://www.zeno.org/nid/20003833607, Zugriff am 4.7.2020). Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Entstanden seit 1782. Erstdruck: Berlin (Selbstverlag der Gesellschaft für Theatergeschichte) 1915, in: Deutsche Autobiographien 1690–1930. Arbeiter, Gelehrte, Ingenieure, Künstler, Politiker, Schriftsteller, hg. von Oliver Simon, Berlin 2004 (Digitale Bibliothek 102).
Eine „vollständige Neuausgabe“ der Benezé-Edition ist 2014 erschienen, auch hier wird auf den Abdruck des Vorwortes und der ausführlichen Erläuterungen von Benezé verzichtet. Die von Benezé gekürzten Passagen, die dieser in kleinerer Schrift wiedergegeben hat, werden kursiv abgedruckt, den Ergänzungen aus der WHS wie bei Benezé ein „W. H.“ vorangestellt. Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen, hg. von Karl-Maria Guth, Berlin 2014 [Neuedition der Ausgabe von Benezé].
80 Im selben Jahr, in dem Inge Bucks Publikation erschienen ist, hat Ursula Geitner in einer Sammlung von Texten über die Frau als Schauspielerin Karoline Kummerfelds Lebensgeschichte aufgrund der Edition von Emil Benezé kommentierend zusammengefasst und dabei auch größere Teile der Lebensgeschichte abgedruckt; Ursula Geitner (Hg.), Schauspielerinnen. Der theatralische Eintritt der Frau in die Moderne, Bielefeld 1988, S. 139–171.
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Ein von Cornelia Naumann81 verfasstes Theaterstück über Karoline Kummerfeld wurde am 29. Juni 1995 am Wolfgang-Borchert-Theater Münster uraufgeführt: Karoline, ein fahrendes Frauenzimmer, Schauspiel in 11 Bildern. Der Überblick über die wichtigsten (Teil-)Editionen der Lebenserinnerungen der Karoline Kummerfeld hat deutlich gemacht, wie die Sichtweise und die Intention der jeweiligen Herausgeber die Textauswahl bestimmte, wie teilweise manipulierend und verfälschend sie in die Manuskripte eingegriffen haben. Für Karl von Holtei gehörten „Denkwürdigkeiten“ und „Biographisches“ zur Lieblingslektüre seiner Zeit, weshalb er sich sicher war, dass auch „Bruchstücke aus der theatralischen Laufbahn einer Schauspielerin“ beim Leser auf Interesse stoßen würden. Allerdings legte er in seiner Publikation lediglich „Bruchstücke“ über Karoline Kummerfelds Theaterleben vor, da nach seiner Meinung ihre Lebensgeschichte nur „ihre Bekannten interessieren“ könne82. Hermann Uhde wiederum traf seine Auswahl für die Goethe-Forscher, die Informationen über eine vom jungen Goethe umschwärmte Schauspielerin vermisst hatten. Emil Benezé hatte bei seiner Edition, die sich erstmals auf beide vorhandenen Manuskripte stützen konnte, vor allem die Theatergeschichte und die Geschichte Hamburgs im Blick. Inge Buck schließlich wollte in Karoline Kummerfeld eine emanzipierte Frau sehen und musste daher ihre Erinnerungen entsprechend bearbeiten. In keiner bislang vorgelegten Edition wurde der Text um seiner selbst willen publiziert. Bei den Editionen von Benezé und Buck handelt es sich um ineinander geschobene Texte aus zwei Handschriften. Dass es sich bei der HHS und WHS um jeweils eigenständige Autobiographien handelt, wurde dabei nicht gewürdigt, und dass diese Autobiographien unterschiedliche Darstellungsschwerpunkte haben, ist in der Kompilation nicht mehr erkennbar. Auf diesen Umstand hat bereits Ortrun Niethammer hingewiesen und eine separate, ungekürzte Edition beider Autobiographien angemahnt83.
81 Cornelia Naumann (* 1954 Marburg/Lahn), Schriftstellerin, Autorin, Dramaturgin. – Ich danke Cornelia Naumann für die Überlassung des Textbuchs und anderer Materialien zu ihrem Theaterstück. 82 Holtei, Bruchstücke, S. 180, 185. 83 Niethammer, Autobiographien, S. 151.
Editionsrichtlinien | 105
3. Editionsrichtlinien Ein Frauenzimmer schreibt als Frauenzimmer, daß ist: sie macht Schreibfehler. – Mein weniges Schreiben lehrte ich mich selbst. Den kleinen Unterricht, den ich als Kind gehabt, kann ich für wenig, für nichts rechnen. Meine Arbeit auf dem Theater als Kind zu groß; und mein Vater starb, da ich nicht älter wie 11 Jahr und einige Monate war. Was konnte ein Kind von dem Alter, und man rechne die Zeit, die damals noch war, dazu – viel von recht Schreiben verstehen? – Wär sollte es mich lehren? – Geld hatte ich nicht, Lehrer zu bezahlen – und keinen Freund. – Was ich bin, was ich kann, lehrte ich mich selbst. – […] Von Fehler frey jetzt zu schreiben, gehört für ein Frauenzimmer gar viel dazu. Der eine nimmt ein i, der andere ein y; der läßt das h, der andere thut es weg. Der nimmt ein C, jener ein K, der sezt ein I, der ein J. Hier ein dt, da nur ein d. etc. etc. Wär nun nichts Mechanisches an sich hat und thut wie ich, ja der sezt nun freilich bald ein C., bald K., bald y, bald i u.s.w.84
Genau so, wie Karoline Kummerfeld in ihrem Brief an den Verleger Friedrich Nicolai das Schreiben von „Frauenzimmern“ charakterisiert, so schrieb auch sie selbst: ohne etwas „Mechanisches“, ohne erkennbare Gesetzmäßigkeiten – und doch vielleicht nicht immer rein beliebig. Dass die Edition ihrer Schriften zugunsten einer besseren Lesbarkeit und Verständlichkeit nicht diplomatisch getreu erfolgen konnte, erschien bei näherer Beschäftigung mit den Texten unumgänglich, jedoch sollte bei allen Eingriffen in den Text die ganz persönliche Schreibweise Karoline Kummerfelds sichtbar bleiben. Die nachfolgenden Editionsrichtlinien orientieren sich an den Empfehlungen des Arbeitskreises „Editionsprobleme der frühen Neuzeit“85 und den Empfehlungen nach Eckardt-Stüber-Trumpp86. Sie verstehen sich als sinnvoller Kompromiss, sowohl modernen Lesegewohnheiten zu genügen, als auch die Eigenheiten der Selbstzeugnisse sichtbar zu machen. Paginierung und/oder Foliierung werden in eckigen Klammern in den Fließtext eingefügt. So werden bei der Weimarer Handschrift sowohl die von Kummerfeld angebrachten
84 Karoline Kummerfeld an Friedrich Nicolai am 8. August 1793; Staatsbibliothek Berlin, Nachlass Nicolai, Bd. 42, fol. 386r–389v, hier: fol. 388r f. 85 Abgedruckt in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. Hg. von der Arbeitsgemeinschaft außeruniversitärer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland. Berichtsjahr 1980, Stuttgart 1981, S. 85–96. 86 Hans Wilhelm Eckardt/Gabriele Stüber/Thomas Trumpp (Hg.), „Thun kund und zu wissen jedermänniglich“. Paläographie – Archivalische Textsorten – Aktenkunde, Köln 1999 (Landschaftsverband Rheinland, Archivhefte 32), S. 26–32.
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Seitenzahlen als auch die nachträglich vom Archiv eingefügte Foliierung übernommen und durch Schrägstriche voneinander abgegrenzt. Lagenzählungen werden nicht übernommen. Kapitelzählungen und -überschriften enthält nur die Weimarer Handschrift. Sie wurden von Kummerfeld wohl im Zusammenhang mit der Überarbeitung für den von ihr gewünschten Druck nachträglich am Rand – gelegentlich auch in freie Zwischenräume oder auf kleinen Extrazetteln – eingefügt, häufig mit doppeltem Schrägstrich // als Verweiszeichen im Text. Anderen Korrekturen und Ergänzungen entsprechend werden sie in den Editionstext übernommen und bilden dessen Gliederung. Absätze, wenn sie deutlich erkennbar sind, werden übernommen, die von Kummerfeld manchmal im Text eingefügten doppelten Schrägstriche // aber nicht notwendig als Absatzzeichen interpretiert. Zeilenumbrüche der Manuskripte werden lediglich in den Dialogpassagen, bei denen am Zeilenanfang die sprechende Person steht, beibehalten. Die Groß- und Kleinschreibung wird der modernen Rechtschreibung entsprechend vereinheitlicht. Nur bei Wörtern, die Kummerfeld nicht nur durch Großschreibung, sondern auch noch in anderer Weise hervorhebt (etwa durch Auszeichnungsschrift, Unterstreichungen oder Ausrufezeichen), wird ihre Großschreibung unabhängig von dieser Regel beibehalten. Die Getrennt- und Zusammenschreibung von Wörtern wird in der Edition den modernen Regeln angepasst und damit die Lesbarkeit erheblich erleichtert. Denn Kummerfeld zerlegt häufig Komposita, zusammengesetzte Verben oder andere mehrsilbige Wörter (z. B. Schauspieler Gesellschaft, Auf merksamkeit, vor zu bereiten). Abkürzungen werden grundsätzlich aufgelöst (Ausnahmen: etc., u.s.w.), ebenso waagrechte Striche über m und n stillschweigend zu Doppelkonsonanten ergänzt. Für abgekürzte Orts- und Personennamen wird die moderne Schreibweise verwendet. Besonderheiten bei Abkürzungen, etwa wenn Kummerfeld einen ausgeschriebenen Namen nachträglich zur Initiale verkürzt, werden im textkritischen Apparat angemerkt. Ordnungszahlen werden von Kummerfeld häufig als solche durch Beugungsendungen (4te, 6te, am 2ten), weniger durch den nachgestellten Punkt gekennzeichnet. Fehlt der Punkt, wird dieser eingefügt, um Ordnungszahlen eindeutig von natürlichen Zahlen zu unterscheiden. Unterstreichungen werden als wesentliche Eigenheiten der Texte zur Hervorhebung, Betonung oder Andeutung eines Sprechduktus verstanden und vollständig übernommen. Auch die Art der Unterstreichung, durchgehend oder unterbrochen, einfach oder doppelt, wird beibehalten; auf die sehr wenigen Dreifachunterstreichungen wird im Einzelnen im textkritischen Apparat hingewiesen.
Editionsrichtlinien | 107
Andere Hervorhebungen, wie größere Schrift oder lateinische Buchstaben, werden nur dann übernommen und mit gesperrter Schrift dargestellt, wenn sie deutlich über Kummerfelds normales Maß hinausgehen87 oder für das Textverständnis notwendig sind88. Kummerfelds eigentümlicher Gebrauch von Satzzeichen erschwert oft die Lesbarkeit der Texte. Daher wird die Interpunktion behutsam modernisiert, insbesondere durch Einfügen von Kommata zur Abtrennung von Haupt- und Nebensätzen sowie vor dem erweiterten Infinitiv. Die häufigen Gedankenstriche werden als Eigenheit Kummerfelds und ihrer Zeit verstanden89 und unverändert beibehalten, ebenso wie Fragezeichen und Ausrufezeichen. Die beiden letzteren benutzt Kummerfeld vielfach nicht dazu, einen Satz grammatisch abzuschließen, sondern um bestimmte Wörter oder Wortgruppen innerhalb eines Satzes zu betonen oder hervorzuheben90. Dies wird in der Edition beibehalten. Direkte Rede prägt über weite Passagen vor allem die Weimarer Handschrift. Dieser dialogische Charakter der Texte wird beibehalten; vereinheitlichend werden nach der Bezeichnung der jeweils sprechenden Person ein Doppelpunkt und Anführungszeichen gesetzt. In der Hamburger Handschrift werden Dialogbeiträge von Kummerfeld nicht immer deutlich durch Benennung der sprechenden Person und Anführungszeichen abgesetzt, sondern sind oft nur durch Gedankenstriche voneinander abgetrennt. Zugunsten des besseren Textverständnisses werden hier fehlende Anführungszeichen eingefügt. Nachträgliche Zusätze, von Kummerfeld durch am Rand hinzugefügte senkrechte Striche oder Klammern und als „Noten“ bezeichnet, werden in die Edition übernommen. Zahlreiche Korrekturen wurden von Kummerfeld nachträglich, teilweise in mehreren Durchgängen, in den Texten eingefügt. Diese gehen oft weit über Korrektur von Fehlern in Rechtschreibung oder Grammatik hinaus, etwa das Tilgen von Vollnamen zugunsten von Initialen, stilistische Bereinigungen, Tilgen von ganzen Passagen oder
87 So z. B. bei Kummerfelds Rache an Madame Hensel durch den Ausspruch: „Du bist zum Mord weit fehiger wie ich!“; HHS, S. [410]. 88 Etwa an Stellen, die Kummerfeld durch lateinische Schrift als Zitate kennzeichnet; HHS, S. [453]– [457]. 89 Häufige Gedankenstriche gehören „als Platzhalter unaussprechlicher Gefühle, die zahlreichen Ausrufezeichen als Markierungen äusserster Gefühlsintensität […] zum selbstverständlichen Repertoire der Empfindsamkeit“; so Maya Widmer in: Marianne Ehrmann, Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen, hg. von Maya Widmer und Doris Stump, Bern/Stuttgart/Wien 1995, S. 504 (Schweizer Texte N. F. 6). S. dazu auch: Nikolaus Wegmann, Diskurse der Empfindsamkeit. Zur Geschichte eines Gefühls in der Literatur des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1988, hier v. a. S. 84 f. 90 Beispiele: WHS, S. [ 259r/521]: O mein Gott! wie glücklich schätzte ich mich? WHS, S. [288v/582]: Und die Ursach? wurde auf eben den Prinzen geschoben.
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inhaltliche Änderungen. Somit sagen die Korrekturen recht viel über Kummerfelds Herangehensweise, über Intention und Verständnis ihrer eigenen Texte aus und werden daher grundsätzlich in die Edition übernommen und im textkritischen Apparat als gestrichen, eingefügt, korrigiert aus bzw. Wortfolge durch übergeschriebene Ziffern korrigiert aus dokumentiert91. Der Wortlaut von Tilgungen – soweit lesbar – wird ebenfalls in den textkritischen Apparat übernommen. Dienen von Kummerfeld gestrichene Satzteile oder längere Passagen dem besseren Textverständnis oder enthalten sie relevante Zusatzinformationen, werden sie nicht in den textkritischen Apparat, sondern in die Fußnoten übernommen. Zusätze der Bearbeiter werden in eckige Klammern [ ] gesetzt, Auslassungen werden durch […] gekennzeichnet. Unsichere Lesungen werden durch [?] kenntlich gemacht. Titel von Theaterstücken werden von Kummerfeld nicht vom übrigen Text abgesetzt. Zur besseren Lesbarkeit werden diese in der Edition kursiv gesetzt und ihre Anfänge einheitlich groß geschrieben. 4. Aufbau In der vorliegenden Ausgabe werden beide Selbstzeugnisse von Karoline Kummerfeld, die Hamburger Handschrift (HHS) und die Weimarer Handschrift (WHS) getrennt ediert. Ein chronologisch angeordneter Überblick über die wichtigsten Aufenthaltsund Spielorte und die wichtigsten Ereignisse im Leben von Karoline Kummerfeld bietet eine erste Orientierungshilfe. Dabei werden auch die Reisewege der Wanderschauspielerin in chronologischer Anordnung nachvollziehbar (Anhang Kap. III .4). In einer Art Konkordanz wird in dieser Synopse auf die jeweiligen Seiten in beiden Handschriften hingewiesen. Da Karoline Kummerfeld die Hamburger Handschrift weder nach Orten noch nach Jahreszahlen gegliedert hatte, wurden bei der Edition der HHS Jahreszahlen als Kopfzeilen eingefügt. Bei der Weimarer Handschrift wurde die von Karoline Kummerfeld vorgenommene Kapiteleinteilung einschließlich der von ihr formulierten Überschriften übernommen. Um einen Eindruck von Schreibstil und Schriftbild der Handschriften zu vermitteln, werden einige Seiten als Faksimile reproduziert (Kap. I.3).
91 Der textkritische Apparat wurde der besseren Lesbarkeit halber in der Printausgabe nur gekürzt wiedergegeben. Eine Version mit allen textkritischen Anmerkungen kann als pdf-Datei angefordert werden.
Aufbau | 109
Der Schwerpunkt der Kommentierung liegt einerseits auf Worterklärungen sowie der Identifikation der genannten Orte, Personen und Artefakte, andererseits auf der umfassenden Erläuterung sozial- und kulturgeschichtlicher Kontexte und dem Hinweis auf weitere Quellen. Die Theaterstücke wurden, soweit es möglich war, identifiziert und mit Namen und Übersetzer versehen. Dabei wurden auch Theaterzettel hinzugezogen. Für die in den beiden Selbstzeugnissen erwähnten Schauspielerinnen und Schauspieler wurden Kurzbiographien erstellt (Anhang Kap. III.6). Gelegentlich ist der Text von HHS und WHS weitgehend identisch, oder es werden zumindest ähnliche Sachverhalte angesprochen. In diesen Fällen wurde in den Anmerkungen zur WHS ein Rückverweis auf den älteren Text der HHS gegeben. Die beiden Teileditionen aus dem 19. Jahrhundert von Karl von Holtei und Hermann Uhde werden im Anhang (Kap. III.5) ganz bzw. in Auszügen abgedruckt.
II. Editionen
II.1 Karoline Kummerfeld geb. Schulze Die ganze Geschichte meines Lebens. Linz 1782/83 Hamburger Handschrift (HHS) Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, Cod. hist. 383d [1]
Die Geschichte meines Lebens will ich schreiben. Und warum? Weder aus Eitelkeit noch aus Gewinnsucht. Hab’s gesagt; einige Mal gesagt: ich wollte es thun. – Bin, um solche endlich einmal anzufangen, so recht in der Lage, wie ich wünschte: das jeder wär und sey, der sowas unternimmt. Bin in einer gewißen Art von Gleichgiltigkeit für alles, was mich umgiebt. Wer diese Blätter einst erben soll? oder wird? Auch daß weiß ich noch nicht. Die menschliche Seele, die ich auf meinen Sterbebette (wenn Gott so barmherzig gegen mich ist und mir die Gnade gewehrt, mir meine Vernunft bis dahin zu laßen) für die redlichste gefunden; für die: die diese Blätter verdient. Daß verräth viel Stolz! Immerhin! sage man nach meinen Tode von mir, was man will. – Wer mich gekandt hat, so wie er mich kennen mußte, wird sagen: Sie war bey allen ihren Fehlern ein redlich Weib – um das Urtheil der übrigen bekümmere ich mich jezt nicht, um so viel weniger, wenn ich nicht mehr bin. Du Mensch! Wer du auch einst bist, der du dieses von mir erbst, dich bitte ich: Las diese Blätter lieber zu Asche werden, [2]
als daß du sie durch den Druk auf die Nachwelt bringst: Wenn du sie nicht so, wie sie sind, der Welt geben kannst – lieber mit allen ihren Schreibfehlern gedrukt, als das Ein Wort, Ein Name verendert werde. – Die, die ich selbst nur mit Einen Buchstaben anzeige, habe ich meine eigene eigensinnige Ursachen. – Warum aber soll der Ehrliche nicht frey von mir genannt werden? Und warum soll ich den Nicht-Ehrlichen, dem ich im Leben dafür erkanndt, auch nicht noch nach meinen Tod bekräftigen, das er war – was er war! – Aus Gewinnsucht wirst du sie ebensowenig kundmachen, als ich sie geschrieben. – Daß sey als Vorrede genug gesagt, nun zu meiner Geschichte; doch da ich sehr jung anfieng zu denken und meine Glüks- und Unglüksfälle mit meinen Eltern zu genau verwebt waren, muß ich, so viel als ich für nöthig finde, erst von ihnen etwas sagen. Mein Vater hies Christian Schulze, war in F. a. O.1 geboren den
1 Frankfurt/Oder.
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8. November 16932. Sein Vater war ein sehr geschickter Portraitmaler. Seine Mutter verlohr er sehr jung3. Er hatte nur eine Schwester4. Wie es denen Künstlern insgemein geth, das solche selten reich sind oder werden, so war’s auch mit meinen [3]
Grosvater bestellt. Da er in seinen Sohn Neigung zum Studiren fand, so übergab er solchen den besten Lehrern5. Er war fleisig und wolte nun seine Kentniß auf anderen Universitäten erweitern und verlies seine Vaterstadt. Wohin er gieng, weis ich nicht mehr, ob nach Leipzig, Halle oder wohin6. Den alles, was ich von meinen Vater schreibe, erinnere ich mich nur als eines zarten Kindes solches gehört zu haben, wenn er zuweilen von seinen Jugendjahren mit meiner Mutter sprach: ich dan in einen Winkelgen mit meiner Puppe spielend sehr beschäftiget schien, aber meine ganze Aufmerksamkeit auf das gerichtet hatte, was meine Eltern einander sagten. – O wie gern hätte ich zuweilen eine Frage eingeworfen! Aber ich war zu furchtsam, und so ein Wort: „Man muß nicht naseweis, nicht vorwizig seyn“, hätte meinen kleinen Stolz zu sehr gekränkt. – Den Stolz hatte ich vom ersten Lallen. Doch wieder zu meinen Vater.I Nachdem er einige Zeit von seines Vaters Haus war, bekam er traurige Briefe von seiner Schwester. Mein Großvater, der immer kränklich war und besonders starck am Podagra7 litt; seine schreckliche Schmerzen; die Unfehigkeit zu arbeiten; nicht imstande zu seyn, seinen zwey Kindern [4]
so viel zu geben, das sie nur in etwas ihr Fortkommen haben könten – alles daß zog ihm eine Gemithskrankheit zu, die endlich in eine völlige Raserey ausbrach. – Er 2
Nach dem Eintrag im Taufbuch der Marienkirche in Frankfurt/Oder für die Jahre 1688–1716 wurde Christian Schulze bereits am 6. November 1693 getauft; Evangelisches Landeskirchliches Archiv Berlin (im Folgenden: ELAB), Mikrofiche 12959/2 (ohne Seitenzählung). 3 Christian Schulzes Vater, der Maler Georg Schulze, heiratete am 29. Oktober 1691 Elisabeth geb. Knape, Witwe des Malers Johann Adolph Brief; Traubuch der Marienkirche in Frankfurt/Oder für die Jahre 1618–1700, fol. 117v, ELAB, Mikrofiche 12980/3. Ein Sterbeeintrag für Elisabeth Schulze ist in den Frankfurter Kirchenbüchern nicht nachweisbar. 4 In den Frankfurter Kirchenbüchern nicht nachweisbar. 5 Christian Schulze immatrikulierte sich am 11. Juli 1712 an der Universität Frankfurt/Oder, die Immatrikulationsgebühr wurde ihm erlassen; Aeltere Universitäts-Matrikeln. Universität Frankfurt a. O., hg. von Ernst Friedlaender, 2. Bd. (1649–1811), Leipzig 1888 (Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 36), S. 288. Offensichtlich studierte er die Rechte, denn in den Kirchenbüchern von Graz und Erlangen wird in den Taufeinträgen für die Söhne Karl und Franz Dominicus Christian Schulze als „Candidatus Iuris“ bezeichnet. 6 Ein Studium in Halle oder Leipzig ist nicht nachweisbar. 7 Gicht.
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starb8. Mein Vater, zu gut denkend, als das er von dem, was noch sein Vater hinterlaßen – welches vorzüglich in einer sehr schönen Samlung von Gemälden war, lies die ganze Erbschaft seiner Schwester. Die sich auch nachher mit einen rechtschaffenen Mann verheyratet hat und, wo ich nicht irre, auch ein Maler war9. Mein Vater sah sich nun allein in der Welt und ohne Vermögen – konnte, da es ihn an Gelde gebrach, nicht länger sein Studiren auf der Universität fortsezen. Alle Aussicht, Hang und Absicht, die er hatte, war verschwunden. Was also zu thun? Wie kannst du doch zum Theil das erlangen, was du woltest? – Geh aufs Theater! Der Weg, wo du reisen, die Welt und Menschen sehen und doch ein ehrlicher Mann bleiben kannst10. War sein Schluß zu übereilt, das er just den Weg einschlug? – Er war 19 Jahr – und arm. So viel von meinen Vater vor meiner Geburt. Alles übrige würden sehr abgerißene Stüke seyn – bald war er in guten, bald mitleren, bald armen Stande, wie’s bey dem Theater zu gehen pflegt. Nun zu meiner Mutter. Sie hies Augustina [5]
von D= =r11. Daß ich meiner Mutter Geschlechtsname nicht ausschreibe? ist – ja, wie soll ichs nennen: auch Stolz? Gott sey Dank, so vornehm, wie sie waren, habe ich sie nie nöthig gehabt, und da noch welche leben, so will ich ihnen dadurch, daß ich ihre Anverwandte bin, weder Freude noch LeidII mit machen. Geboren in F. a. O.12 (denselben Ort, wo mein Vater geboren war. Stammt aber aus B..n13III eigendlich her und wurde in F. geboren, weil ihre Mutter ihren Mann auf einer Reise dahin begleitet hatte) an dem Charfreytag 170814. Es ist mir kein Kalender von dem Jahr in die
8 In den Frankfurter Kirchenbüchern nicht nachweisbar. 9 Nicht ermittelt. 10 Christian Schulze war kein Einzelfall. Nach Sibylle Maurer-Schmoock stellten im 18. Jahrhundert abgebrochene Studenten das Hauptkontingent der Schauspielertruppen; Sybille Maurer-Schmoock, Deutsches Theater im 18. Jahrhundert, Tübingen 1982 (Studien zur deutschen Literatur 71), S. 106. S. a. Peter Schmitt, Schauspieler und Theaterbetrieb. Studien zur Sozialgeschichte des Schauspielerstandes im deutschsprachigen Raum 1700–1900, Tübingen 1990 (Theatron Bd. 5), S. 102. 11 Der Name ist durch kontraktive Kürzung verschlüsselt. Aufgrund der absichtlich verschleiernden Angaben Karoline Kummerfelds war es bislang nicht möglich, die Herkunftsfamilie der Mutter zu identifizieren. Auch die Initialen der weiteren bei Kummerfeld genannten Verwandten mütterlicherseits lassen sich nicht auflösen, solange der Familienname der Mutter nicht bekannt ist. 12 Frankfurt/Oder. 13 Berlin. 14 Die Mutter wäre demnach am 6. April 1708 geboren. In der Weimarer Handschrift nennt Karoline Kummerfeld das Geburtsjahr 1712, dann wäre der Geburtstag am 25. März. Ein entsprechender Taufeintrag konnte in den reformierten und lutherischen Kirchenbüchern aus Frankfurt/Oder sowie in denen der reformierten Gemeinden Berlins bislang nicht aufgefunden werden.
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Hände gefallen, sonst sezte ich dem Datum – meine Mutter feuerte immer am Charfreytag ihren Geburtstag mit uns – und da ist mir den das Andenken des Tags noch bis jetzt so heilig, daß ich ihn nie mit dem Dato umtauschen würde. Ihr Großvater mütterlicher Seite, ein Herr von B., einer der ersten Männern in Berlin, verheyratete ihre Mutter an dem reichen Herrn v. D., der, weil er wohl nicht wuste, was er mit dem Gelde anfangen solt, Lust zu einen Juwelenhandel bekam, von dem er so viel verstand wie ich – handelte auch ein Tausend ums andere weg. – Hatte viele Kinder, davon meine Mutter die Jüngste war. Sie war, ich darfs sagen, schön. Gut erzogen. Noch sehr jung, als sie durch [6]
große Empfehlungen nach Mitau in Churland an dem Hof der Herzogin Anna, die nachher Kayserinn von Rusland ward15, kam. 7 Jahre war sie bey dieser guten, lieben Frau (so nannte sie immer meine Mutter mit Thränen und segnete ihre großmüthige Fürstin, ihre Wohlthäterin im Grabe). Die Herzogin ward Kayserin, und auch als solche verenderte sie ihr Herz nicht und wolte meine Mutter als die einzige Deutsche, die sie an ihren Hof hatte, mit nach Petersburg nehmen. Meine Mutter meldete es ihrer Familie; die baten, drohten, kurz, beredet sie, es nicht zu thun. – Und warum? Wegen der Religion. Meine Mutter war reformirt – (noch was, den ich schreibe Wahrheit, mein Vater war evangelisch, doch changirten beyde und namen in Prag die katolische Religion an16. Mein Vater lange vorher, ehe er meine Mutter kandte, nachdem er 7 Jahre mit sich gestritten. – Meine Mutter nachher, ehe sie noch willens war, meinen Vater zu heyrathen. – Ob sie recht oder unrecht thaten? – Ich bin katolisch geboren, werde es bleiben und verehre jede Religion. Keine macht uns Schande, aber wir nur zu oft der Religion. – ). Also verlies meine Mutter ihre Fürstin
15 Anna Iwanowna (* 7. Febr. 1693 Moskau, † 28. Okt. 1740 St. Petersburg), Tochter Zar Iwans V., verheiratete sich 1710 mit Hz. Friedrich (III.) Wilhelm Kettler (1692–1711), reg. Herzog von Kurland und Semgallen und war nach dessen frühem Tod 1711 Regentin von Kurland am Hof in Mitau (heute Jelgava, Lettland). Während ihrer Regentschaft ließ sie dort deutsche Schauspieltruppen aus Danzig und Königsberg auftreten. 1730 folgte sie Peter II. auf dem russischen Zarenthron, den sie bis zu ihrem Tod innehatte. Die Regierungszeit Anna Iwanownas gilt als der Beginn der eigentlichen Pflege des Theaters in Russland. Da am Hof in Mitau regelmäßig Theateraufführungen stattfanden, könnte Karoline Kummerfelds Mutter schon dort mit dem Theater in Berührung gekommen sein. Lit.: Friedrich Wilhelm Barthold, Anna Joanowna. Cabinet, Hof, Sitte und gesellschaftliche Bildung in Moskau und St. Petersburg, in: Historisches Taschenbuch 7, 1836, S. 175–396; Carola L. Gottzmann und Petra Hörner, Lexikon der deutschsprachigen Literatur des Baltikums und St. Petersburgs, Bd. 1, Berlin/New York 2007, S. 73–78, S. 99. 16 Die Konversion der Eltern ließ sich nicht nachweisen.
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und kam zu ihre Verwandte nach Berlin. Da hatten sich dann die Umstände sehr verendert. Die meisten ihrer Geschwister waren verheyratet, aber kein’s in Berlin. Der Vater hatte sich mit seinen Juwelenhandel so verhandelt, das er seinen Kinder nichts mitgeben konnte, jedes war wol versorgt, jedoch nicht so, als wenn er beßer gewirthschaftet hätte, hätte anbringen kennen. Meine Mutter bezalte verschiedene Schulden ihrer Mutter, sie dachte, so an Berliner Hof anzukommen wie in Mithau – doch die 7 Jahre hatten viel geendert. Meine Großmutter ging zu ihrem jüngsten Sohn nach D.17, der sich dort durch eine gute Heyrath imstande sah, ihr die lezten Tage ihres Lebens zu versüßen, und meine Mutter ging zu ihrer Schwester auf ihren Landsiz, die auch verheyrathet war und ihren Vater bey sich hatte. Meine Tante, der Himmel gebe ihr Ruhe, war eine Betschwester18 geworden. Die vielen Jahre, die sie vor meiner Mutter voraus hatte, glaubte sie ihr das Recht geben zu kennen, meine Mutter bey jeder Gelegenheit zu hofmeistern19. Nante sie nur: das Weltkind. Mein Großvater mußte zu manchen christlichen Vorwurf stillschweigen, weil er’s Gnadenbrodt von ihr und ihren Mann hatte. Kurz, meine arme Mutter bereute [8]
oft den Augenblik, das sie ihre Fürstin verlaßen. Um ihren verdrießlichen Auffendhalt noch böser zu machen, schlug man ihr eine Heyrath mit ihres Schwagers Bruder, einen Herrn v. F= = g20 vor – einen wahren viersch[r]ödigen Landedelmann, der beßer am Pflug als auf dem Lehnstuhl paste. Meine Mutter haßte solchen von ganzen Herzen. – Nun kam noch ein Umstand, das selbst der Herr Gemahl meiner Tante sich in meine Mutter verliebt hatte, meine Mutter dachte anfänglich, das sein freundliches Bezeigen blos die Unarten seiner frommen Frau wieder vergüten solte, um ihr den Auffendhalt bey ihnen in etwas erträglich zu machen. Als aber meine Mutter einmal allein war und der Herr Schwager zu handgreiflich freundlich wurde, gab sie ihm eine Ohrfeige. – Das verenderte nun auf einmal alles. Nun war sie verfolgt von Schwester und Schwager und von dem seinen Bruder. Der Vater durfte nichts sagen. – Meine arme Mutter, wenn sie zurückdachte an sehr vortheilhafte Heyrathen, die sie in M. 21 hätte treffen
17 Welcher Ort gemeint ist, lässt sich nicht klären. 18 Umgangssprachlich für eine frömmelnde Frau. Die Betschwester wurde auch zur Rolle im Theater. Christian Fürchtegott Gellert verfasste 1745 ein Lustspiel Die Betschwester, in der eine scheinbar fromme Frau als heuchlerische Frömmlerin entlarvt wird. 19 Tadeln, rügen (Hofmeister: Haus-, Privatlehrer). 20 Name durch kontraktive Kürzung verschlüsselt, nicht ermittelt. 21 Mitau.
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kennen, die sie, weil es Curländer und keine Deutsche waren, ausschlug wegen Bitten ihrer Mutter – unsere lieben Alten hielten nur was auf ihre Landsleute. – Geld hatte sie nur sehr wenig noch, nur Kleider und Wäsche. – Endlich, überdrißig al[9]
les, endschloß sie sich zur Flucht. Ihre Absicht war, nach S.22 zu gehen, von da sich auf ein Schiff zu sezen und gerathewegs nach Rusland zu segeln. Zu sehen, daß sie wieder zu ihrer Fürstin käm, die ihr sagte bey dem Abschied: „Augustina, du weißt, wie ich dich liebe, gefält es dir nicht in Berlin, so komm mir nach, deine Stelle wird immer für dich in meinen Herzen offen seyn. Wenn du’s wie bisher würdig bleibst.“ Meine Mutter machte sich eine arme Bauernfrau, der sie viel Gutes und ihren Kindern gethan, zur Vertraute. – Ja, umso mehr, da die Frau die Ohrfeige in Garten, wo sie stand und arbeitete, mit angesehn hatte. Diese trug ihr von ihren Sachen so viel sieIV tragen konnte, und meine Mutter wählte einen Tag zur Flucht, da alle ihre liebe Verwandte ausgefahren, einen andern Landedelmann auf ein paar Tage zu besuchen. Alle ihre Standhaftigkeit hätte sie bald verlaßen, als sie die Hand ihres Vaters zulezt küßte. – Doch die Hofnung, wenn es ihr gut ginge, ihn nachkommen zu laßen, gab ihr Muth. – Sie kam des Abens in S. an. Erkundigte sich nach einen Schiff – aber wie sehr viel ihr Muth, als sie da die Unruhen hörte, die damals in R. herschten23. – Den von politischen Nach[10]
richten, Zeittungen und dergleichen wuste sie nichts ab. – Jezt bekümmert man sich mehr darum. Welches Mädchen las damals Zeitungen, und wie viele Herren hielten sich welche? – Nun sind wir in weit helleren Zeiten. – In S. hielte sich eine Geselschaft Schauspieler auf. Der Prinzibal24 wohnte mit seiner Frau in demselben Wirthshaus, wo meine Mutter abgetreten. Sie sagte von sich so einen kleinen Roman, ohne ihren wahren Stand noch Namen zu verrathen. Der Mann hatte zwoo erwachsene Töchter, 22 Stettin. 23 Welche Unruhen in Russland gemeint sind, lässt sich nicht eindeutig klären, da Kummerfeld keine Jahresangabe macht. Während der Regierungszeit Zarin Annas war Russland in zwei Kriege involviert: in den Polnischen Erbfolgekrieg (1733–1738) und den Russisch-Österreichischen Türkenkrieg (1736–1739). 24 Die Schauspielergesellschaften des 18. Jahrhunderts waren mobile Truppen, die von einem Prinzipal oder einer Prinzipalin (häufig der Witwe eines Prinzipals) geleitet wurden. Diese TheaterunternehmerInnen handelten die erforderliche obrigkeitliche Spielerlaubnis aus, gestalteten das Programm und nahmen Schauspielerinnen und Schauspieler unter Vertrag. Da die Theater keine Subventionen erhielten und die Tage, an denen gespielt werden durfte, von der Obrigkeit oft stark eingeschränkt waren, war die wirtschaftliche Lage der Truppen häufig prekär.
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mit ihr fast von gleichen Alter – kurz, sie hielten sie 2 Tage bey sich verborgen, und so reißte sie mit ihnen ab und ward Schauspielerin. Nach verschiedenen Jahren kam sie zu meinen Vater, der selbst eine Geselschaft hatte. Seine Frau starb25, mit der er viele Kinder hatte, die aber alle tod waren bis auf zwoo Töch[t]er und einen Sohn. Die älteste davon war Kammerfrau26 bey der verwitweten Herzogin von Guastalla, die in Augspurg ihren Hof hatte27. Sein Sohn Christian28 war damalsV 13 Jahr und die jüngste Tochter Mariane29 6 Jahr, als ihm meine Mutter den 7. December 1741 in Prag heyrathete30. Durch viele Widerwärtigkeiten und Unglüksfälle war seine Geselschaft
25 Von Christian Schulzes erster Ehefrau ist außer dem Vornamen Dorothea nichts bekannt; Scherl/ Rudin, Christian Schulze, S. 614. 26 Der Name dieser Tochter und ihre Stellung als Kammerfrau bei der Herzogin von Guastalla ließ sich nicht nachweisen. Bei Benezé II, S. 170 heißt es, diese Tochter Schulzes sei bei der Patin einer der Töchter von Felix Kurz in Stellung gewesen, doch gibt Benezé keine Belege. 27 Theodora von Hessen-Darmstadt (* 6. Febr. 1706 Wien, † 23. Jan. 1784 Parma), Tochter des 1693 zum katholischen Glauben konvertierten kaiserlichen Offiziers Philipp Landgraf von Hessen-Darmstadt, heiratete 1727 Antonio Ferrante Gonzaga, Herzog von Guastalla (1687–1729) und wurde 1729 Witwe. Ihr Bruder Joseph Ignaz Philipp von Hessen-Darmstadt (1699–1768) war seit 1729 Mitglied des Augsburger Domkapitels, seit 1739 Dompropst und seit 1740 Bischof von Augsburg. Belege für Theodoras Aufenthalt in Augsburg existieren für die Jahre 1740, 1746 und 1752. Am 25. Februar 1740 wurde sie im Gasthof „Drei Mohren“ von einer Ratsdeputation begrüßt. Für den Wirt der „Drei Mohren“ erwirkte sie im Februar 1740 und im Januar 1752 die Erlaubnis zur Abhaltung von Maskenbällen. Wiederum von einer Ratsdeputation in Augsburg begrüßt wurde Theodora am 10. Juni 1746, dieses Mal in der Residenz ihres Bruders, wo sie abgestiegen war. Es ist anzunehmen, dass die Herzogin von Guastalla bei Besuchen in Augsburg in der Folge immer in der Residenz ihres Bruders wohnte und keinen eigenen Hausstand in Augsburg begründet hat, denn nur Augsburger Bürger durften Grundbesitz und Immobilien erwerben. Auch lassen sich keine Hinweise auf den Erwerb des Beisitzes oder des Bürgerrechts durch die Herzogin finden, was sie aber bei einem Aufenthalt über Jahre hinweg hätte beantragen müssen; Frau Simone Herde vom Stadtarchiv Augsburg sei für Durchsicht der einschlägigen Akten herzlich gedankt. Lit.: Friedrich Karl Gullmann, Geschichte der Stadt Augsburg seit ihrer Entstehung bis zum Jahre 1806, Bd. 5, Augsburg 1818, S. 126, 347, 469 f.; Detlev Schwennicke, Europäische Stammtafeln, N. F. Bd. I, 2, Frankfurt/Main 1999, Tafel 249 (Die Landgrafen von Hessen-Darmstadt a. d. H. Brabant); Peter Rummel, Art. Joseph, Landgraf von Hessen in Darmstadt. 28 Christian Ferdinand Schulze wurde am 24. April 1728 in der Schlosskirche zu Weißenfels getauft. Taufpaten waren Herzog Christian und Herzogin Luise Christine von Sachsen-Weißenfels; Scherl/ Rudin, Christian Schulze, S. 617. 29 Maria Anna/Marianna Schulze verh. von Brunian (1735–1822), Schauspielerin. 30 Die Eheschließung ließ sich in den Prager Kirchenbüchern nicht nachweisen. Mit den ungenauen chronologischen Angaben der Familiengeschichte in dieser Phase konnte verschleiert werden, dass die Eltern zeitweise im Konkubinat gelebt hatten und dass der Bruder Karl Alois unehelich geboren war; Claudia Ulbrich, Sexuelle Devianz im Milieu der Wanderschauspieler, in: Gerhard Ammerer/Gerhard Fritz/Jaromír Tauchen (Hg.), Sexualität vor Gericht. Deviante geschlechtliche Praktiken und deren Verfolgung vom 14. bis zum 19. Jahrhundert, Wien 2019 (Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs.
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zertrümert, bis er endlich nach einem Jahr, oder wie lange es war, mit meiner Mutter, seinen zwey Kindern erster [Ehe] und einen Sohn, Carl genant, den er mit meiner [11]
Mutter erzeugt31, nach Wienn kam und auf dem Kayserlich-Königlichen Theater von neuen engagirt wurde (den er wahr viele Jahre vorher schon einmal bey demselben gewesen32). Meine Mutter wurde wieder schwanger; und sobald sie deßen gewiß war, betete sie Tag und Nacht, das ihr Gott doch ein Mädchen geben wolle. Oft, wenn mein Vater sie überraschte, daß sie auf den Knieen lag und weinte und betete, gab er ihr einen Verweiß: daß sie Gott vorschreiben wollte, was sie haben und nicht haben will? Endlich den 30. September 174533 des Vormittags 10 Uhr kam den das von Gott erbetene Töchterlein – und das bin ich. Meine kleine Figur bestand in einen Klumpen Fett, so daß man zu meiner Mutter sagte: „Nun, Madame Schultze, Gott hat Ihr Gebet erhört; es ist ein Mädchen, aber – eine Misgeburt.“ – War das nicht weise? – Jede andere Mutter hätte den Tod darüber vor Schreck nehmen kennen – aber meine Mutter antwortete ganz gelaßen: „Nun, in Gottes Namen, es ist doch ein Mädchen!“ – Und Gott sey Dank! daß
Zeitschrift der Kommission für Rechtsgeschichte Österreichs der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 9 [2019], H. 1), S. 245–258, hier S. 249 f. 31 Karl Alois Schulze wurde am 21. Juni 1740 im Gasthof „Zum wilden Mann“ in der Schmiedgasse in Graz geboren. Taufpate war Carl Cajetan Graf von Leslie; Diözesanarchiv Graz, Taufbuch der Pfarre Graz – Hl. Blut, Bd. XIV, S. 351; Herrn Diözesanarchivar Dr. Alois Ruhri sei für seine Auskunft vielmals gedankt. 32 Gemeint ist das Kärntnertortheater, wo Augustina und Christian Schulze von 1742 bis 1748 engagiert waren. Lit.: Eleonore Schenk, Die Anfänge des Wiener Kärntnertortheaters, Diss. Wien 1969; Zechmeister, Wiener Theater. Wann Christian Schulze vor 1742 schon einmal dort engagiert gewesen sein soll, ließ sich nicht eruieren. 33 Ihr Geburtsjahr hat Karoline Kummerfeld in ihren beiden autobiographischen Texten wohl absichtlich falsch angegeben. Die Taufe der Catharina Carolina Paulina Schulze, Tochter von „Christianus Schultz ein Comoediant“ und seiner Ehefrau „Augustina Sybilla“ ist für den 1. Oktober 1742 im Taufbuch der Pfarre St. Stephan Wien nachgewiesen. Taufpatinnen waren Carolina Gräfin von Breuner geb. von Pflug, diese vertreten von Paulina Weiskern, der Ehefrau des Theaterdirektors Friedrich Wilhelm Weiskern, und die Hebamme Barbara Richter; Domarchiv Wien, Taufbuch der Pfarre St. Stephan Wien, Sign. 01-73, Bl. 327: http://data.matricula-online.eu/de/oesterreich/wien/01-st-stephan/01073/?pg=655, Zugriff am 28.7. 2020, Bildnr. 02-Taufe_0653. Demnach lautet das korrekte Geburtsdatum Karoline Kummerfelds: Sonntag, 30. September 1742. – Das Geburtsjahr 1742 findet sich in der zeitgenössischen Literatur in Christian Heinrich Schmid, Chronologie des deutschen Theaters, [Leipzig] 1775, S. 193; Gallerie von Teutschen Schauspielern und Schauspielerinnen nebst Johann Friedrich Schinks Zusätzen und Berichtigungen, hg. von Richard Maria Werner, Berlin 1910 (Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 13), S. 85. Die Theater-Kalender Heinrich August Ottokar Reichards geben das Jahr 1743 an; TKR 1791, Gotha 1791, S. 179; TKR 1792, Gotha 1792, S. 210.
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ich nichts Misgeburtisches hatte und von Tage zu Tage immer hübscher wurde. Meine Eltern liebten mich und meinen Bruder. Wie sie uns erzogen? Kann man am besten das Urtheil aus diesen Blätter nach unsern Handeln abnehmen. An meinen HalbbruderVI [12]
hat mein Vater unstreutig das meiste gewand – und der hat ihm auch am meisten gekost! – Er konnte es thun, da er an einen Ort blieb und alle Woche richtig sein Geld einzunehmen hatte. Auch war gar nicht meiner Eltern Absicht, ihre Kinder fürs Theater zu erziehen. Sie solten was lernen und den auf andere Art ihr Heil versuchen. So wünschte er, daß seine Söhne studieren und seine Töchter so unterkommen möchten wie die älteste bey der Herzogin von Guastalla. Zu dem Ende war Christian zu die Jesuiten geschickt34, bekam noch überdem Stunden in Tanzen, Fechten und Reuten. Nun wurde er Student, daß er den Degen trug35. Hatte Stolz, und es wolte ihm nicht behagen, das ihm die Herrn Schauspieler noch immer, weil sie ihm als Buben gekand, noch so zu begegnen schienen. Hatte grossen Hang zum Theater; sah, das der Vater keine Neugung hatte, glaubte, die Welt sey in Wienn nicht allein, und gieng von meinen Eltern, ohne Abschied zu nehmen. Wie er durchgehaust36 hatte, was er mitgenommen; Mangel an allen fühlte; schrieb er von München aus einen sehr kläglichen Brief. – Mein Vater, der immer Vater seiner Kinder war – auch meine Mutter, nichts weniger wie stiefmütterlich gesinnt, vergaben ihm von Herzen und schickten alle halbe Jahr Wäsche, Kleidungsstücke, [13]
Geld und dergleichen immerzu. Meine Stiefschwester, ein gutes, aber wildes Mädchen, wenn die was angestellt, wo sie den dachte, das wird ohne einen Bukel voll Schläge nicht abgehen, lief auch 2 Mal in Wien meinen Eltern davon. – Diente – bis sie den wieder in den Dienst, wo sie war, was angestellt, das sie den reuig wieder kam; und meine Eltern den Schaden ersezte, den sie theils aus Wild- oder Nachläßigkeit verursacht. Überhaubt 34 Damit ist das als weltliches Gymnasium bis heute bestehende Wiener Akademische Gymnasium gemeint, 1553 als Jesuitenkolleg im ehemaligen Dominikanerkloster gegründet; Robert Winter, Das Akademische Gymnasium in Wien. Vergangenheit und Gegenwart, Wien/Köln/Weimar 1996. Ein Studium Christian Schulzes ließ sich in den Matrikeln der Universität nicht nachweisen. Frau Dr. Ulrike Denk MAS vom Universitätsarchiv Wien sei für ihre Hilfe herzlich gedankt. 35 Das Tragen des Degens, der ein wichtiger Teil der Standeskleidung von Studenten war, gehörte zu den identitätsstiftenden Praktiken studentischer Kultur der Frühen Neuzeit; Marian Füssel, Studentenkultur in der Frühen Neuzeit. Praktiken – Lebensstile – Konflikte, in: Andreas Speer/Andreas Berger (Hg.), Wissenschaft mit Zukunft. Die „alte“ Kölner Universität im Kontext, Köln/Weimar/Wien 2016 (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 19), S. 173–204, hier S. 182 und 186. 36 Durchgebracht.
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muß ich daß meinen Stiefgeschwistern nachsagen, mit dem heimlich Fortlaufen waren sie schnell bey der Hand. – Mein Stiefbruder ist seid 3 Jahren tod, da ich dieses schreibe, und Gott behüte mich, ihm Unwahrheiten nach dem Tode nachzusagen. – Die Schuld fiel oft auf meine Mutter – wie es den immer den Stiefmüttern geth, und wenn sie auch noch so gut sind, so heist es: es ist eine Stiefmutter. Mein Bruder Karl, ein guter Junge, schnell, so einen kleinen Muthwillen auszuüben – kurz, wie wilde Jungen seyn mißen, wenn sie brave Männer werden sollen. Ich – ja ich war ein eigen Kind! Konnte leicht was faßen. Aber heftig und ernst in allen meinen Handlungen. Nichts haßte ich mehr als Lügen, und eben darum, weil ich immer die Wahrheit gestand und nie eine Unart zweymal beging, hab ich nie einen Schlag, weder vom Vater [14]
noch Mutter, bekommen. Die kleine Karoline wuste, das sie das Vavoritt37 ihrer Eltern war, aber um so viel mehr befliß ich mich, den Rang zu behalten. Nur ein paar Züge will ich von mir beschreiben, wo ich freilig bey jeden mehr Schläge verdient hätte, als mein Bruder Karl oft in einen halben Jahr bekam. In Wienn war damals der Gebrauch, das man denen Kindern am ersten Ostertag ein Lam und eine Fahne schenkte38. Ich und mein Bruder bekamen den auch welche. Mein Bruder bricht seine Fahne inzwey, nimmt mir heimlich die meinige weg und legt mir die zerbrochene hinn. Ich will spielen und finde die zerbrochene Fahne – sehe, das Karl meine hat, will solche wiederhaben und weine schröcklich. Karl sagt: „Die ist mein.“ – „Gut, ich will sie dir laßen, gesteh aber nur, du hast deine zerbrochen“ – „Nein, das hab ich nicht!“ – Ich gerathe darüber so in Wuth, das er mich lügen heißt, und greiffe nach einen Meßer, das auf dem Tisch lag, und will mir den Hals abschneiden. „Lieber tod“, schrie ich, „als daß ich eine Lügnerin seyn will“ – wär die Magd nicht im Zimmer gewesen, die glüklich zusprang und mir’s Meßer endriß, ich hätte mir, wo nicht gleich den Hals abgeschnitten, doch gewiß sehr beschädigen kennen. Mein Carl erschrack, bat ab, [15]
gab mir meine Fahne, gestand die Wahrheut. Ich schänkte sie ihm nun, fiel ihn um den Hals, küßte ihn, weinten beyde und machten Friede. – Damals war ich 3 ½ Jahr. Denke es noch so lebhaft, als wärs in diesen Augenblick. Nun zum zweyten. Mein Vater, 37 Favorit: Lieblingskind. 38 In der christlichen Ikonographie wird häufig ein Lamm mit einer Siegesfahne als Symbol für Christus und seinen Sieg über den Tod verwendet. Daraus entstand der Brauch, an Ostern Gebildbrote in Form eines Lammes zu backen und mit kleinen Fähnchen zu versehen. Um ein solches gebackenes Osterlamm handelt es sich hier.
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der gerne Freude seiner Frau und Kinder machte, wenn er konnte, ich wuste, das der Name[n]stag meiner Mutter39 solte eintreffen: Ich bat Papa, mir was zu geben, damit ich Mama anbinden40 könnte? Er versprach es mir. Endlich, nach langen Bitten, was es den seyn würde? er sagte: „Du solst Mama ein Paar so schöne Strumpfbänder schenken, wie gewiß keine schöner seyn können, und Karl ein Paar seidene Strümpfe.“ Wer war glüklicher wie wir! Sorgfältig verschwiegen wir unser großes Geheimniß, um Mama ja recht zu überraschen. Der Vater hatte ihr heimlich eine schwarzsamtne Mantillie41 machen laßen. Der gewöhnliche Vorschlag42, der am Samt sizt, hatte der Vater vom Kaufmann genommen – weil er ihm zu Gefalle ein ganzes Stük angeschnitten, und davon hat er laßen die Strumpfbänder machen und solche mit einen gelben Floretbande43 gefütter[t] und dergleichen Bänder zum Binden. Karl war, als er die Vorhausthüre aufmachen hörte, [16]
hinausgesprungen. Eine Magd bringt Mantel und die Strumpfbänder, Karl sieht den Mantel und sagt: „O Papa, laßen Sie mich den Mantel Mama geben?“ Papa giebt zu und zieht die Strümpfe aus den Schlafrock. Ich komme dazu, er giebt mir in einen Papier eingewickelt die Strumpfbänder. Ich, gewiß in meinen Gedanken, das die von Gold oder doch wenigsten nach der herlichen Beschreibung von Silber seyn müßen, mach das Papier aufVII. – Aber hilf Himel! Schwarz, gelb und roth – Ecken44, dieVIII man auf den Mist wirft – und Halbseidenband45. – Mein Geschreu, das ich machte, war, daß das ganze Haus hätte zusammenlauffen mögen. – Mich so zu hintergehen? Nein, lieber nichts! Mich so lange vergebens freuen zu laßen? Die trag ich nicht hinein. – Karl solte mir den Mantel geben – nein, den hies es, ich wär neidisch – kurz, ich sagte meinen Vater, wo nicht mit Worten, doch deutlich genug, das er mich belogen – was ich nie, nie gethan hätte – meine Mutter kam dazu. Den der Lärm war zu arg, sie muthmaßte und wolte Papa die Freude nicht verderben. – Nun kamen wir alle ins Zimmer. Ich schwieg. Wie Papa und Karl mit ihren Geschenken und Wünschen fertig waren, den der Vater gab ihr die Strumpf[bänder] hin – ging ich zu ihr und sagte, nachdem ich ihr die 39 Kummerfelds Mutter hieß mit Vornamen Augustina Sibylla. Augustinstag ist am 28. August, der Namenstag wurde wohl an diesem Tag gefeiert. 40 Beschenken (jdm. ein Angebinde machen). 41 Mantilla/Mantille: Ein leichter Frauenmantel, der bis zum Knie reicht. 42 Webkante. 43 Florettband: Ein Band aus Florettseide, einem Abfallprodukt der Seidenindustrie. 44 Endstücke des Stoffes. 45 Halbseide: Ein aus Seide und Wolle gewebter Stoff.
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Hand geküßt: „Ich schenke Mama nichts. Den ich habe nichts. Wenn ich aber groß werde und selbst was verdienen kann, will ich Mama immer beschenken. Habe Mama lieb – aber der Papa“ – „Nun, Mädel, hast du den nicht auch lieb?“ – „O ja, von Herzen – aber es ist doch nicht hübsch, daß er mich betrogen hat.“ – Fing an zu weinen, klemerte mich an Papa seine Knie und bat ihm unter gewaltigen Weinen: er solte es doch nie wieder thun. Wenn’s noch Taftbänder wären! Aber Floretband! Im andern Monat darauf wurde ich 4 Jahr. – Und nun kommt die Periode, die Einfluß auf mein ganzes übriges Schicksal hatte. Michaeli46, den Tag vor meinen Geburtstag, wurde mein Vater abgedankt47. Die Ursach: Prehauser48, der den Hanswurst49 in Wienn spielte; nicht mit seiner Frau lebte und damals eine gewiße Madame Walterin zur Maitreße hatte50, warIX schuld. Mein Vater war mit Prehauser und noch einigen spazierengefahren. Sie waren lustig und hatten ein Glaß Wein zuviel getrunken. Der Wein macht offenherzig, und mein Vater war’s oft auch ohne Wein. Das Gespräch gab Anleitung dazu, und so sagte mein Vater: „Herr Prehauser, wie ist es möglich, daß Sie sich [18]
so sehr von der Waltern kennen bey der Nase herrumführen laßen? Sie ist Ihnen nicht getreu; sobald Sie den Rüken wenden, ist der Kammerdiener von dem N. N. Gesandten bey ihr. (Bey was für ein Gesandter er war, weiß ich nicht, nur so viel ist mir dato wißend: 46 Michaelis: 29. September. – Michaelis war in der Frühen Neuzeit ein wichtiger Tag im Jahresablauf. Er war, ähnlich wie Mariä Lichtmess (2. Februar), ein verbreiteter Termin für die Verdingung von Knechten und Mägden. Außerdem waren Zinszahlungen häufig an Michaelis fällig und die Zeit der Spinnstuben begann. In zahlreichen Orten gab es Michaelismärkte und auch die großen Messen in Frankfurt und Leipzig, die in der Regel auch eine Hochzeit des Wandertheaters waren, fanden an Michaelis statt. 47 Aus dem Dienst entlassen. – Scherl/Rudin, Christian Schulze, S. 616 nennt als Datum der Entlassung den 27. September 1748. 48 Gottfried Prehauser (1699–1769), Schauspieler und Prinzipal. 49 Der Hanswurst ist die führende derb-komische Figur im deutschsprachigen Volks- und Wandertheater des 18. Jahrhunderts. Die Figur des Wienerischen Hanswurst wurde 1710 von Josef Stranitzky geschaffen, Gottfried Prehauser und Johann Joseph Felix (von) Kurz gen. Bernardon entwickelten sie weiter. Lit.: Helmut G. Asper, Hanswurst: Studien zum Lustigmacher auf der Berufsschauspielerbühne in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert, Emsdetten 1980; Schindler, Hanswurst; Scherl/Rudin, Johann Joseph Felix (Freiherr von) Kurz, hier S. 374; Scherl/Rudin, Gottfried Prehauser, hier S. 532. 50 Gottfried Prehauser war in zweiter Ehe verheiratet mit der Witwe des Prinzipals Johann Baptist Hilverding, Maria Margaretha Hilverding geb. Rosetta (1685?–1759). Über eine Geliebte „Madame Walterin“ ließ sich nichts ermitteln. Lit.: Scherl/Rudin, Gottfried Prehauser; Monika Baar-de Zwaan, Gottfried Prehauser und seine Zeit, Phil. Diss. (masch.) Wien 1967; Beatrix Müller-Kampel, Hanswurst, Bernardon, Kasperl. Spaßtheater im 18. Jahrhundert, Paderborn 2003.
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daß er uns geratheüber wohnte, und wir wohnten damals in der Kärntner Straße51. – Oder ob die Herschaft kein Gesandter war? – Das dient zur Hauptsache nichts). Die Magd trägt die Billete52 ab und zu. – Versuchen Sie es einmal. Sagen SieX: Sie wollten auf ein paar Tage verreisen, und überraschen sie, etc. etc.“. Gesagt und geschehn. Kurze Zeit darauf sagte Prehauser zu seiner Geliebten, ich reise auf 2 Tage auf die und die Herrschaft; kommt des Nachts unvermuthet zurück, die Magd erschrikt, er drohte ihr, wenn sie Lärm machte, geth ins Schlafzimmer und findet den Kammerdiener bey seiner Geliebten in Bett. Er priegelt den Kammerdiener mit ihr durch. Ersterer lief halb angezogen fort, und nun ging’s über Madame mit dem Braunen53 her. Sie solte aus dem Haus, und Prehauser erzehlte alles an meine Eltern. Die Walterin war eine sehr reizende Blondine, die durch Bitten und „Nicht mehr thun“ Prehauser besenftigte – also sehnten sich beyde aus, und Prehauser warf einen Haß auf meinen Vater. Die Faste war ein gewißer Müller aus Breslau mit seiner Frau54 angekommen, die nicht gefiehlen. Es ward beschloßen, solche Micheli55 wie[19]
der abzudanken. Mein Vater, der Prehauser ein beständiger Vorwurf war, wenn er ihm sah, wußte die Sache so zu drehen, das meine Eltern statt des Müllers abgedanckt wurden56. Der Betrug konnte um so viel leichter gespielt werden: weil das nächstfolgende Theaterjahr Herr von Lopresti57 Impresari ward und Herr v. Selgö58 auf ein Jahr davon abging. Es war ein Donnerschlag für meine Eltern. Geld hatten sie in denen wenigen Jahren nicht viel samlen kennen, den damals hatten die Schauspieler nicht so viel einzunehmen wie jezt. Meine Eltern hatten alle Woche nicht mehr wie 14 Gulden ohne Actitencien59, die ihnen den um wohl des Jahrs 100 Gulden mochten einbringen. – Doch Faste und Advent halbe Gage. Hübsch und nett – nicht prächtig hatten
51 Die Kärntner Straße, eine der bekanntesten Straßen Wiens, liegt im 1. Gemeindebezirk. Sie führt vom Karlsplatz ins Zentrum hinein bis zum Stephansplatz. 52 Kurzer Brief, Zettel. 53 Wohl abgeleitet von der Wendung: Jemanden braun- und blauschlagen. 54 Herr und Frau Müller, Schauspieler. 55 Micheli = Michaelis: 29. September. 56 Der Satz ist missverständlich. Gemeint hat Kummerfeld sicherlich (und nur das ergibt einen Sinn), dass Prehauser die Sache gedreht habe. So hat auch Benezé den Satz bereits umformuliert: „Da mein Vater dem Pr. ein beständiger Vorwurf war, wenn er ihn sah, wußte dieser die Sache so zu drehen, daß meine Eltern statt der Müllers abgedankt wurden“ (Benezé I, S. 9). 57 Rocco (Rochus) Baron de Lo Presti (1703–1784 Wien), Theaterunternehmer. 58 Gemeint ist Joseph Carl Selliers (1702–1755), Tänzer und Theaterdirektor. 59 Akzidentien: Zusätzliche Einnahmen.
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sie sich eingerichtet – 4 Kinder – kurz, wo solte da viel Geld herkommen? Mein Vater schrieb an seinen Sohn Christian nach München, wie sich sein Prinzibal stünde? Er hies Johann Schulz60. War aber gar nicht mit meinen Vater verwand; doch hat er ihm gekand, wie deßen erste Frau lebte, die eine gute Hausfrau war. Dieser Schulz hatte das Churbayrische Privilegio seid Jahren gehabt. Mein HalbbruderXI, froh seine Eltern aus mehr als einer Absicht näher bey sich zu haben, schrieb sehr viel Gutes zurück. Allso auf dem seyn Wort schreibt mein [20]
Vater an diesen Johannes Schulz, um sich bey ihm kinftig feste zu engagirenXII. Um nur einen Zug von der Rache dieses Hanswurst anzuführen: Mein Vater hatte mir schon in meinen 3ten Jahr und meinen Bruder Karl eine Rolle gelehrt, nehmlich in dem Esop in der Stad 61 die zwey Kinder, die sich um den Spiegel zanken, und es für mich und Karl eingerichtet. Wir erhielten allgemeinen Beyfal über unsere Dreustigkeit62 und Art, wie wir spielten. Nachher bekam ich noch eine Rolle, wo ich viel Latein sprach und sehr gut63 – weil ich wirklich als ein Kind von 3 ½ Jahren mehr Latein verstand und sprach und beßer las, als ich jezt weder verstehe, spreche noch lese. Ich wurde in der Rolle in einen Kasten eingespert. Der damalige Pantalon64 machte meinen Großvater, und vor dem Mann forcht ich mich wie vor dem Niclas, auch wenn er keine Maske vorhatte. Der Pantalon, nachdem er mich im Kasten „Mama, Mama“ rufen hörte, muß mich herrauslaßen und will mich erste[c]hen. Nun wars natürlich, da ich immer vor den Mann Furcht hatte, das, wie er mit dem Meßer auf mich zukommt, ich ein Zetergeschrey anfange – Prehauser muste mich wegtragen, das brachte die Comödie mit sich. Er scholt mit mir, daß ich geweint. – Ich antworte aber – „Nun, was wollen Sie? Muß man nicht weinen, wenn man einen todstechen will?“
60 Johann Schulz (1690–1764), Schauspieler und Theaterprinzipal. 61 Aesop in der Stadt, Übersetzung der Komödie Ésope à la ville ou Les Fables d’Ésope von Edmé Boursault (Uraufführung Paris 1690), bearbeitet von Johann Wilhelm Mayberg. 62 Dreistigkeit hier wohl in dem Sinne, dass die Kinder überzeugend, authentisch gespielt haben. 63 Vermutlich ist damit Das gelehrte Kind von Christian Schulze gemeint; s. WHS, S. [16v/46]. Benezé II, S. 172 gibt irrtümlich an, Esop in der Stadt und Das gelehrte Kind seien dasselbe Stück. 64 Der Pantaleone ist eine Figur in der italienischen Commedia dell’Arte. Den Pantaleon am Wiener Kärntnertortheater spielte damals wohl Johann Ernst Leinhaas (* 1687 Venedig, † 21. Mai 1767 Wien); Zechmeister, Wiener Theater, S. 144 f. Zu Leinhaas: Scherl/Rudin, Johann Ernst Leinhaas.
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[21]
Darauf solte der Kranke in der Einbildung gemacht werden, und mein Vater lehrte mich das Kind, das im Stück ist65. Alles war still bis auf denselben Tag, da der Kranke seyn solte. Es wird zu meinen Eltern geschikt, man möchte mich nicht zur Probe bringen, die Mademoiselle Schröter (ein Mädchen von 12 Jahren)66 spielte die kleine Louise. – Meine Eltern sagten, gewiß kommt das von Prehauser, und es war wa[h]r, den er nahm den Vorwand, wenn er mir auf dem Theater die Ruthe gebe, könnte ich’s so machen wie bey dem Todstechen. Als ich des Morgens aufwachte, hinterbrachten sie mir’s, und sie waren bange, weil sie meinen Eifer und Lust kandten, daß es mich sehr kränken würde? Aber auf die Nachricht antwortete ich ganz gelaßen: „Nein, ich weine deswegen nicht. Nie habe ich von Papa und Mama die Ruthe bekommen, die Partie hätte mich geschimpft ohnedieß. Bin froh, daß ich sie nicht machen darf. – Habs nie gesagt wegen der Actitens, die Papa wegen mir bekommen hätte; und weil Papa nun Geld zur Reise braucht. – Darum ists mir leid.“ Meine Eltern sahen sich an, fiehlen sich um die Hälse, küßten sich – „Gott, welch Kind!“ – Mutter: „Hab’s Mädel von Gott erbeten.“ – Vater: „Gieb acht, Alte“ (so nannte mein Vater die MutterXIII meist), „das Mädchen giebt uns noch in unsern Alter unser Brod.“ – Ha! das Wort, die Innigkeit, womit sie sich das sagten, drang tief in mein junges Herz. [22]
Die Fastenzeit kam, und meine Eltern machten alle Anstalt zu ihrer Abreise. Als meine Mutter zum Herrn v. Selge67 kam, um Abschied zu nehmen, so frug er sie: „Haben Sie Urlaub genomen? Wohin soll die Spazierreise?“ „Nicht Uhrlaub, nicht Spazierreise, ich bin mit meinen Mann abgedanckt.“ – „Sie abgedanckt! Müller soll weg.“ – Nun entwickelte68 sich der Betrug. Selge und Lopresti trugs meinen Eltern an, daß sie bleiben sollten. Wo sie hin wolten in der rauhen Jahrszeit mit denen kleinen Kindern? – Doch mein Vater, der dem Schulz in München seyn Wort gegeben, sah, daß bey jeder Gelegenheit Prehauser doch Rache an ihn nehmen würde; unsere Einrichtung, die bereits verkauft – kurz, es war zu spät, und den zweiten Tag darauf, als sie es erfahren, wie
65 Der Kranke in der Einbildung, eine Übersetzung von Molières Lustspiel Le malade imaginaire. Die Kinderrolle ist die der Louison. 66 Mademoiselle Schröter ist möglicherweise die Tochter von Johann Andreas Schröter (* Berlin), einem ehemaligen Offizier, der seit 1726 am Wiener Theater engagiert war, und seiner ebenfalls dort wirkenden Ehefrau Anna. Lit.: Johann David Bärstecher, Taschenbuch für Schauspieler und Schauspielliebhaber, Offenbach/Main 1779, S. 81 f.; Zechmeister, Wiener Theater, S. 132 f., 169 f. 67 Joseph Carl Selliers. 68 Der Betrug wurde klar, wurde enthüllt.
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niederträchtig sie behandelt worden, reisten sie mit der gewöhnlichen Landkutsche69 mit meiner HalbschwesterXIV Mariane, Carln und mir ab. Auf dieser Reise erinnere ich mich nur eines sehr wichtigen Vorfals, der uns allen bald das Leben gekostet hätte. Der Knecht, der uns fuhr, hatte sich betrunken und schlief auf seinen Sattel in guter Ruh. Die Pferde gehen aus dem Geleiß70. Der Bothe, der im Verschlag71 saß, verliehrt unter sich die Landstraße und siehtXV [23]
nach einer Tiefe seyn Augen verliehren. Er ruft den Pferden zu, die auch auf den ersten Laut gleich still stehen. Mein Vater saß im andern Verschlag. Der Bothe sagt zu ihm: „O steigen Sie doch aus!“, und nun mußten wir alle aus dem Wagen, der Bothe lenket die Pferde mit dem Wagen auf den rechten Weg. Nahm den Knecht die Peitsche aus der Hand und weckte ihn so nachdrüklich, daß der auf einmal nichtern ward. Hätten die Pferde nur noch einen Zug gethan, so währen wir alle in einen tiefen Abgrund gestürzt, wo schwerlich eins von uns das Leben gerettet, den in der Tiefe war die DonauXVI. Der Knecht wurde auf der Stelle seines Dienstes entlaßen, und der Bothe fuhr uns selbst bis ins Nachtquartir, wo er einen andern Knecht annahm, den das wär der 3te Vorfall mit ihm gewesen, sagte er, und alles Bitten half nichts. Unsere Reisegeferten, die mit in der Landkutsche waren, erinnere ich michXVII zwooer Mädchen, wo eine eine Klosterfrau werden wolte und die andere als eine Anverwandte sie begleidete. Wie sie zu dem Kloster kam, das erst ausgebaut werden solte, reute es ihr, und sie schrie erbärmlich: daß sie nicht dableiben wolte, bat den Bothen um Gottes willen, er möchte sie mitnehmen. – Endlich sagte der Bothe: „Weis Sie was, Jungfer, wenn’s ihr nicht gefält, und ich komme des Wegs wieder [24]
vorbey, so nehme ich Sie zurük.“ Den war noch ein Schwabe bey uns, ein närrischer, lustiger Pursche. Der uns Kinder viel Spaas machte und uns sehr die Zeit verkürzte durch seine Geschichten und die Aussprache, das alles war uns den wie eine neue Welt. Der arme Teufel lebte sehr sparsam – meine Eltern hielten ihn fast frey, und doch hatte er viel Ehrgeiz – nur nicht Schmarozen. – Eines Abens, da lies er sich eine Suppe machen und speißte noch etwas weniges, daß er den, wie er fragte, was er schuldig? noch vor Schlafengehen sehr theuer bezahlen muste. – Er erzählte den Morgen sein Unglik so trollig, daß keins in Wagen aus dem Lachen über ihn kam. – Endlich sagte er, daß er 69 Postkutsche. 70 Geleise: Fahrspur. 71 Hier vermutlich Abteil der Kutsche.
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sich gerecht an den schinderischen Wirth – man hätte ihm ein Bett in einer Kammer angewiesen, wo getroknetes Obst lag, und nun leerte er nicht nur seine Taschen aus, nein, seine Stiefel staken voll, daß Futter vom Rok losgetrennt und von dem Obst alles vollgefüllt, wo er’s nur hat laßen kennen72. Herzlich wünschte ich mich ins Land der Schwaben, wenn alle so trollig wären. Von der Zeit nahm er den mit vielen Dank an, das meine Eltern ihn immer mit uns eßen und trinken liesen. „Herr! Schla mi gau der Hagel – dasch vergelt Euch Gott“, sagte er [25]
wohl tausendmal. Mit Thränen nahm er von uns in München, als wir ankamen, Abschied. Hab ihn nie wieder gesehen. Mein HalbbruderXVIII, der uns endgegengeritten kam, brachte uns in unser Quartir, das er für uns gemithet hatte. Meine Eltern besuchten den Prinzibal, der nun zum zweyten Mal geheyrathet und ein sehr junges Ding genommen hatte73. Aber wie groß war meiner Eltern Erstaunen, da sie nichts als die bitterste Armuth fanden. Der Herr Johann Schulz saß da in einen alten Rok, reichen Weste, wo aber nur die Faden, wo Silber daran gewesen, hervorkukten, mit Steknadeln zugestekt, weil die Knöpfe längstmahlen ausgebrand worden seyn, und einer zweyknötigen Allongenperüke74. Die Frau Prinzibalin mit niedergetretenen Schuen ohne Absäze, zerrißenen Haushabit – aber doch weis und roth geschminkt, Muschen75 im Gesicht und schwarze Bändergens um die Hände. Die 3 Mädchens nicht viel beßer, nur das die weder Muschen noch Schmü[n]ke aufgelegt hatten, den die Stiefmama mußte doch einen Vorzug haben. 100 Gulden hatte unsere Reise gekost; und der Prinzibal hatte keine 100 Kreutzer76. – Meine Eltern hatten wohl noch etwas mehr als 100 Gulden,
72 Solange die Schauspieler unterwegs waren und nicht für längere Zeit an einem Ort spielten, übernachteten sie in Wirtshäusern als Orten, an denen sich sesshafte und vagierende Lebensweise vermischten. Sie hatten große Bedeutung für den Überlebenskampf von Vagantinnen und Vaganten und waren Orte der Information, Kommunikation und Soziabilität. Zu den Gästen zählten häufig auch Kleinkriminelle. Lit.: Fabian Brändle, Braten, Branntwein, Bett und Bleibe. Wirtshäuser als populare Kommunikations- und Sehnsuchtsorte 1700–1900, in: Gerhard Ammerer/Gerhard Fritz (Hg.), Die Gesellschaft der Nichtsesshaften. Zur Lebenswelt vagierender Schichten vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Affalterbach 2013, S. 151–166; Gerhard Ammerer, Heimat Straße. Vaganten im Österreich des Ancien Régime, Wien/München 2003 (Sozial- und Wirtschaftshistorische Studien 29), S. 476–488. 73 Die zweite Ehefrau von Johann Schulz, Josepha Rabenau (1732–1786). Nach Schulz’ Tod übernahm sie 1764 die Leitung der Truppe, 1766 heiratete sie Johann Matthias Menninger (um 1733–1793); Schindler, Johann Matthias Menninger, hier S. 422; Scherl/Rudin, Johann Schulz, hier S. 614. 74 Allongeperücke: Langlockige Perücke für Herren, die über die Schulter bis etwa zur Brust reicht. 75 Mouches: Schönheitspflästerchen. 76 1 Gulden = 60 Kreuzer, 100 Kreuzer = 1 Gulden und 40 Kreuzer.
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doch keine Lust, die Fuhre zu bezahlen. – Beschlossen also ganz gelaßen: das, wenn der Prinzibal nicht bezahlen kann, wir gerathe wieder umkehren und nach Wienn zu[26]
rükreisen wolten. Endlich machte der Prinzibal doch Anstalt, und nach 8 Tagen bekamen meine Eltern ihre Koffers von Bothen herraus; die er solange behalten, bis er bezalt war. Das erste Stük nach Ostern war Das befreute Venedig77, meine Mutter spielte die Belvidere78 und gefiel sehr. Der Hof war den Tag nicht im Schauspielhaus, doch wurde sehr vortheilhaft davon bey Hofe gesprochen, so das den andern Tag, als eine Burleske, wie damals noch der Brauch war, gegeben wurde, der Churfürst mit seiner Gemahlin79 und der ganze Hof gegenwärtig war. Das Stük hies Die politische Kammerjungfer80, meine Mutter spielte sie. Als sie herraustrat, sagte die Churfürstin überlaut: „So solten sie alle seyn!“ Nach Endigung des Stüks mußte meine Mutter zu der Churfürstin in die Loge. Sie sagte unter andern zu ihr: „Mache Sie, das mehr von Wien hieher kommen“. Meine Mutter antwortete: „Ihro Hoheit, ich wünschte, daß ich da geblieben“. – Aus diesen mag man schliesen, wie es mit dem Prinzibal und seiner Geselschaft beschaffen war. Des einzigen Herrn Celius81 ausgenommen, der den Hanswurst machte und sich sehr gut mit seiner Familie stand. Mehr will ich von der Einrichtung nicht sagen, den ich will keine Theatergeschichte, sondern nur meine eigene er[27]
zählen, oder doch insoweit: als es auf mich mitwirken mußte, mich denken, empfinden und das Gute vom Bösen zu unterscheiden lehrte. Meine Mutter hatte vielen Beyfall, das erwekte den Neid der Frau Prinzibalin, also des Hausfriedens wegen machte der Prinzibal seinen alten Schlendrian, den man sich bis zum Eckel gesehen hatte, fortXIX.
77 Das befreite Venedig, nach dem Trauerspiel Venice preserv’d or A Plot discover’d von Thomas Otway, ein Stück aus der Zeit der englischen Restauration, 1682 uraufgeführt. 1747 neu bearbeitet von Pierre Antoine de La Place (Venise sauvée), deutsche Bearbeitung von Friedrich Wilhelm Weiskern in Wien. Richard Daunicht hält es für wahrscheinlich, dass Christian Schulze die deutschsprachige Version nach München gebracht und später auch an Schuch geschickt hat. Lit.: Richard Daunicht, Die Entstehung des bürgerlichen Trauerspiels in Deutschland, 2. verb. Aufl., Berlin 1965 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte des germanischen Volkes N. F. 8 (132), S. 174–176. 78 Belvidera war eine Adlige und Tochter des ersten Senators Priuli. 79 Maximilian III. Joseph, Kurfürst von Bayern (* 28. März 1727 München, † 30. Dez. 1777 München) und Maria Anna von Sachsen, Kurfürstin von Bayern (* 29. Aug. 1728 Dresden, † 17. Febr. 1797 München). 80 Die Politische Kammer-Jungfrau, eine Burleske von Johann Joseph Felix (von) Kurz gen. Bernardon. 81 Johann Christian Zelius (* Frankfurt/Main), Schauspieler, Hanswurst in der Truppe von Johann Schulz.
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Die ZuschauerXX blieben weg, und so konnten den keine Gagen erfolgen. Nun, da die Noth am höchsten war, sollte[n] meine Eltern neue Stüke hergeben. Sie thatens, aber der Sommer war da, wo man den lieber spaziern geth, der freuen Luft sich freut, als sich ins Schauspielhaus einschließt. – Nun gings ans Reisen. Die ganze Geselschafte sezte sich auf ein Floß, und so fuhren wir nach Freysing, spielten da einige Wochen, und von da aus ging’s nach Straubing. Von beyden Örtern weis ich mich soviel zu erinnern, das meine Mutter sehr wohlgelitten war in des damaligen Canzlers Haus, der de Luegern82 hies. Die Kanzlerische Familie in Freysingen83 gab meiner Mutter Empfehlungsschreiben an die Canzlers de Luegern nach Straubingen und die wieder nach Land[s]hut84. Viele Freundschaft genoßen wir von denen lieben Menschen. – Noch dankt’s ihnen mein Herz. – Wenn es gleich sehr natürlich ist, daß sie an [28]
mich nicht mehr denken kennen, so kann ich doch nie, solange ich lebe, meine Freunde und Wohlthäter vergeßen. – Aber ebensowenig die, von denen ich das Gegentheil erfuhr. Nun saßen wir in Landshut, und zwar in sehr traurigen Umständen. Der Herbst war schlecht, auch grasirten schwere Krankheiten, die Heuschröcken thaten vielen Schaden. Also betete mann – und die Schauspielkunst darbte. – Mein Vater wurde sehr krank.XXI Sein Geld zimlich zusammengeschmolzen – viel zu fordern an den Prinzibal, der so arm war wie eine Kirchenmauß. Meine Mutter saß sehr kläglich am Krankenbette meines Vaters und überlegten: was sie von ihren Sachen verkaufen wolte, als der Briefträger einen Brief brachte, und zwar mit Geld. Von wem kann das kommen? München, Freysing und Straubing war durchgestrichen und ist glüklich bis Landshut ans Krankenbett gekommen. Der Brief war von dem alten Bekandten Directeur Franz SchuchXXII85. Mein Vater hatte ihm einige neue Comödien geschickt, nichts dafür gefor-
82 Franz Georg Heinrich Aloys von Lueger (Luegern), 1748–1755 Regierungskanzler in Straubing, zuvor Regimentsrat und Vizekanzler in Landshut; Georg Ferchl, Bayerische Behörden und Beamte 1550–1804, Teil 2, S. 1046 f. Lueger wohnte damals im Regierungsgebäude (Teil des Herzogsschlosses), heute Fürstenstr. 21. Frau Dr. Dorit-Maria Krenn vom Stadtarchiv Straubing sei für ihre Auskunft bestens gedankt. 83 Vielleicht Johann von Sedelmayer (1705–1778), Geheimrat und Kanzler des Hochstifts Freising, der 1759 als ordentl. Mitglied in die Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen wurde; Ludwig Hammermayer, Gründungs- und Frühgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Kallmünz 1959 (Münchener Historische Studien, Abt. Bayerische Geschichte 4), S. 101. 84 Johann Christoph Felix Joseph Freiherr von Monrat von und zu Schönbrunn, Kanzler in Landshut 1739–1752; Ferchl, Behörden und Beamte, Teil 1, S. 496 f. 85 Franz Schuch d. Ä. (* um 1716 Wien, † 1763 oder 1764 Frankfurt/Oder), Schauspieler und Prinzipal.
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dert, und da schikte der alte Bekandte zur Danksagung das Presend86 – obs 6, 8 oder 12 Ducaten87 waren, ich weis es nicht mehr. Genug, das Geld hätte nicht erwünschter kommen können, und was noch das beste war, es trug zur Genesung meines Vaters bey. „Gottlob!“ hör [29]
ich noch diesen redlichen Vater ausrufen. „Nun kann ich meinen Wirth bezahlen – und bleibe niemand was schuldig, darf auch von deinen Sachen nichts verkaufen, liebe Alte“. – Danke dir, lieber Vater, noch im Grabe für diese innige Ausrufung. – Es war die zweyte, die tief mein Herz traf. Mein Vater wurde beßer und ging wieder aus – gespielt wurde nicht, und niemand wußte, wohin es gehen würde? Einige hatten von selbst heimlich ihren Weg zum Tor hinaus genommen, ohne ihre Wirthe zu bezahlen. Darunter war den auch mein HalbbruderXXIII, der, troz der Vater krank war, nicht einmal Abschied nahm. – Den Tag darauf, als mein Vater den Brief mit Gelde bekommen, kommt der Wirth, wo Christian gewohnt hatte, sehr grob zu uns, sagte: das Monsieur Schulze davongegangen, ohne zu bezahlen, hätte aber seinen Hund (– war ein schöner Mops, hies Moorel88, wir hatten ihn von Wienn mitgebracht, und der Hund gewöhnte sich zu meinen Christian) im Bette vergeßen, den hätte er, um sich zu rächen, ins Waßer geworfen und ersäuft. – „Ach, mein Moorel!“ schrie ich und weinte. „Der arme Hund!“ sagten meine Eltern. – Nun zum Wirth: „Herr, Er ist ein Flegel! Hätte Er mir den Hund gebracht, gerne hätte ich die Schuld meines Sohnes bezahlt – aber nun gehe Er, pak Er sich, oder ich las Ihm die Treppe hinunterwerfen.“ – Der [30]
Wirth ging und hätte nun wohl selbst seines Geldes wegen gewünscht, das der Hund noch lebte. Eines Tages, da wir still für uns saßen, kam des Prinzibals älteste Tochter und bringt einen Brief an meinen Vater von dem ihrigen. Weinte und ging gleich wieder weg. Mein Vater erbricht und ließt ihn. Da derselbe noch in meinen Händen ist, so will ich solchen hier von Wort zu Wort, und wie er abgefaßt war in den damaligen Styl, abschreiben: Monsieur. Vor Schaam, theils auch vor Schmerzen, daß ich die Herren Purschen (so nanten die Prinzibals ihre Acteurs) nach meiner Schuldigkeit noch nicht soulagiren89 kan, ist 86 87 88 89
Präsent: Geschenk. Dukat: Goldmünze. Also wohl: Mohrel; Benezé I, S. 14 liest fälschlich: Moodel. Soulagieren: Erleichtern, unterstützen, beruhigen.
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Ursach, daß ich nicht mündlich bey Monsieur meine höflichste Ersuchen machen kan, mir nur dieses Mahl mit Rath und That beyzuspringen, indem ich schon seyth Montags, ja schon verflossener Wochen hindurch umb eine zulänglige Hülfe, umb nach München zu gelangen, doch vergeblich, gesucht habe. Nun ich heute einen gutten Freund consuliret90, hat mir derselbe zu Dero Herrn Haußwirth gerathen, welcher gestern, als Sie in dem Zimmer unten getrunken, auch zugegen gewesen: Wo sodann Dero Herr Wirth nach Ihren Hinnauf[31]
gehen gesprochen: Das ist ein rechter prafer Herr, wann ich wissen sollte, daß er in waß anstehen91 sollte, ich wollte ihm gleich helfen. Thun Sie es also mir und meinen armen Kindern zulieb, machen Sie denselben einige Proposidien92, Sie können den Herrn Wirth jemandt mit dem Beting93 auf meine Unkosten hin und her nebst aller Desaugenang [?]94nachsenden, damit er also mit ersten zu seiner Wiederbezahlung gelangen möge. Sie erwegen selbsten, in welch Miserere ich mich befinde, wann man morgen nicht fort kann, in welche neue Fatalité95 man gerathe – also bitte ich inständigst, mir dises Freundstüke zu erweisen, etwann umb 30 Gulden anzulangen, damit die Herren Pursche nur reysen können, ich verlange nichts, dann da ich heut noch keinen Bißen gegeßen, werde ich auch noch wohl den morgigen erdulden können, bis man auf Freysing kömmt. Verlaßen Sie mich dises Mahl nicht. Wo Sie es nicht mir zu Gefallen thun wollen, so sehen Sie meine armme Kinder an. Der ich in Erwartung einer Andwortt: Monsieur dienstverbundenster Johann Schulz. [32]
Mein Vater ward gerührt, meine Mutter nicht weniger. Vielleicht ist den Mann noch zu helfen! Vielleicht ist dieser Winter ihm günstig und daß er in München gute Einnahmen hat. Mein Vater steckte den Brief zu sich und ging hinunter zu unsern Wirth, zieht solchen zu sich allein in ein Nebenzimmer, stellt solchen die Noth des Schulzen 90 91 92 93 94
Konsulieren: Zu Rate ziehen. In etwas anstehen: Hier im Sinne von Schulden haben. Proposition: Vorschlag, Angebot. Beding: Abmachung, Vereinbarung, Bedingung. Was damit gemeint ist, bleibt unklar. Benezé liest „desoulagement“ = Erleichterung, Entspannung, was aber keinen Sinn ergibt. Möglicherweise handelt es sich um eine Ableitung von désaugmenter: aufhören etwas zu vermehren oder von décharger: sich (von Schulden) entlasten. 95 Verhängnis.
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vor und giebt ihn selbst den Brief zu lesen. Der Wirth antwortete: „Ja, Herr Schultze, es ist wahr, ich habe das gesagt. Ich bin auch willig und bereit, alles für Sie zu thun, was ich vermag. Für Sie! Aber nicht für Ihren Prinzibal, der hat bey mir für keinen Bazen96 Kretit“. Etc. etc. Endlich sagte mein Vater: „Aber wollten Sie ihm nicht die 30 Gulden leihen, wenn ich dafür gutstinde?“ – „Herr“, antwortete der Wirth, „was denken Sie von mir? Wenn ich Ihre Bürgschaft annehme, so wär ich nicht Ihr Freund. Haben Sie nicht selbst genug von Ihren Prinzibal zu fordern? Wollen Sie sich noch tiefer mit ihm hineinsteken? – Herr, geb ich ihm das Geld auf Ihre Bürgschaft, so wär ich Ihr Feind und der Feind Ihrer Frauen und Kinder“. – Kurz, der Wirth blieb fest auf sein Wort, und alles Zureden half nichts. Mein Vater kam wieder zu uns auf die Stube und erzehlte, [33]
wie es abgelaufen. Meine Mutter konnte den Wirth nicht Unrecht geben und sagte: Schulz müße sehen, wie er sich herraushelfe. – Mein Vater ging in Gedanken ein Weilchen herum, zog sich an und ging aus, ohne zu sagen, wohinn? Er hatte einenXXIV Bekandten in Landshut angetroffen, der war in Wienn Ladendiener bey dem Kaufman, wo wir unsern Caffée, Zucker etc. etc. nahmen. Dieser junge Mann kam nach Landshut zu einen Kaufmann und heyrathete nach deßen Tode die Wittwe, die sich sehr gut stand. Zu diesen ging er, stelte die Noth des Schulz vor und bat solchen um die 30 Gulden und sagte dafür gut, das er’s bezalen wolte; fals Schulz es nicht imstande wär. Der Kaufmann antwortete: „Auf Ihre Bürgschaft, ja. Jezt aber kann ich nicht, meine Frau ist zu Hause, und die ist etwas wunderlich. Machen Sie sich morgen früh einen Vorwand und kommen in meinen Laden, so will ich Ihnen das Geld geben.“ – Wie vergnügt kam mein Vater nach Hause und sagte: „Nun kann ich doch den armen Mann helfen!“ und gab meiner Mutter Bericht von allen – die aber keine solche Freude darüber zu erkennen gab. – Ich beobachtete beyde sehr genau und überlegte in meinen kleinen Kopf: Wer wohl [34]
jezt von beyden Recht hätte? Papa oder Mama? Ich freute mich mit mein Vater und war traurig mit meiner Mutter. Den Morgen ging mein Vater zeitig zu den Kaufmann, fand aber die Frau im Laden. Er forderte ein lb97 Caffe und Zucker und lies sich mit ihr ins Gesprech ein. Der Mann kam dazu, trat meinen Vater näher und steckt ihm
96 Batzen: Scheidemünze von geringem Wert (1 Gulden = 15 Batzen). 97 Lb = Libra: Pfund.
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heimlich, ohne das es seine Frau sehen konnte, die 30 Gulden in die Rocktasche – ohne Handschrift98 – ohne die geringste Versicherung. War das nicht brav? – Giebts jezt noch viel solcher Menschen? – 30 Gulden, wird man sagen, ist ja nicht so viel? Zu denen Zeiten waren sie es, den man konnte damals mit 30 Gulden mehr thun als jezt mit 60. Damals schrieben wir 1749. – Wen in denen Ländern und damaligen Zeiten ein Vater seiner Tochter 1 oder 200XXV Gulden Heyrathsgut99 mitgeben konnte, so war der Vater schon ein Capitalist100. – Doch weiter! Mein Vater kam nach Haus und schikte nach dem Prinzibal, und der kam mit seiner ganzen Gesellschaft, die außer seiner Familie noch in 6 Personen oder wieviel’s waren? bestand. Die 30 Gulden wurden unter ihnen vertheilt, und nun gingen sie fort. Schulz blieb noch und fing an zu weinen. „Ja!“ sagte er, „wie soll ich nun wegkommen, ich habe keinen Kreuzer“. – Mein Vater [35]
geht, kommt bald wieder und giebt ihm einen Ducaten101. Schulz nimmt solchen, sagt: „Ich empfehle mich!“ geht weg, ohne meine Eltern zu fragen: „Aber wie wollen Sie nach München kommen?“ – Das verdroß meine Eltern und that ihnen weh. – Kurz, meine Eltern bestelten eine Kutsche, pakten ein, und so reißten wir den von Landshut ab. Es war Regenwetter eingefallen, und den andern Tag im Mittagsquartir trafen wir den Prinzibal mit seiner Familie in den erbärmlichsten Umständen. Sie waren alle zu Fuße fortgegangen, saßenXXVI im Wirthshaus und hatten ihre Kleider an den Ofen herrumgehenkt, solche zu troknen. So traurig als der Anblick war, so komisch war es doch auch, der Prinzibal in der reichen Weste, Alongenperüke und weißen Strümpfen, die weißen Schue mit rothen Band und bundte Bänder auf den Köpfen, Kopfzeige102 und Tuppées103, Manschette und dergleichen von den Frauensleuten. Sie mietheten sich einen leeren Mistwagen, sezten sich auf solchen und reißten weiter, wo wir sie den nicht mehr unterwegens antrafen. Wir kamen glüklich nach München, wo den mein HalbbruderXXVII nebst einen gewißen Ziegeler104, der mit ihm von Landshuth
98 99 100 101 102 103
Hier ist Schuldschein gemeint. Heiratsgut: Mitgift. Jemand der viele Kapitalien, d. h. bares Geld besitzt. Dukat: Goldmünze. Kopfzeuge: Zierliche Frauenhauben. Toupets: Eine Haarmode, bei der die über der Stirn befindlichen Haare durch toupieren oder unterlegte Polster rückwärts in die Höhe gekämmt wurden. 104 N. Ziegeler, Schauspieler.
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nach München gereißt, schon da war, der Prinzibal mit denen Übrigen kamen auch, und das Theater wurde wieder eröfnet. Die Einnahmen blieben mittelmäßig und schlecht. Schulz mußte seine alten Stike wegleiern105 des Hausfriedens wegen – alles Zureden half nichts, und lieber lies er sich von den Schuldleuten und den Hunger plagen als von seinen häuslichen Drachen. Durch langes Zanken und Laufen dankte mein Vater Gott, daß er nur die 30 Gulden bekam, um solche den Kaufmann nach Landshut zu schiken. 1750 nach Neujahr bekamen meine Eltern Briefe aus Erlangen von einen Herrn Weidner, der in Wienn als Acteur mit ihnen auf dem kayserlichen Th[e]ater war und nun selbst Prinzibal einer Geselschaft war106. Er bot ihnen Engagement an und schrieb, wie gut er sich stünde und so fort. Meine Eltern brauchten sich nicht lange zu besinnen, von Schulzen hatten sie über 800 Gulden zu fordern, sahen gar nicht, wie sie, ohne noch tiefer hineinzukommen, sich retten solten, dankten also ab und versprachen Weidnern, auf die Faste zu kommen. Meine Eltern bekamen Reisegeld, doch das war nicht genug, und Vorschuß war zu denen Zeiten nicht Mode – also verkauften sie einige sehr gute Gemälde, Porzelan, Spiegel und dergleichen, um ihre Schulden [37]
zu bezalen, reißten mit uns fort, und mein Vater beging den[n] den Fehler, sich von Schulzen keine Handschrieft über die Forderung sich geben zu laßen. War mit dessen Wort zufrieden, das er ihm bezalen wolte, wenn er in beßere Umstände käm. Wir kamen glüklich in Erlangen an, meine Eltern nahmen in denselben Wirthshaus, wo der Weidner wohnte, Zimmer (es hies im Goldenen oder Silbern Apfel, der Wirth hies Veigel)107. Die Einnahme war noch so ziemlich, bald wurde in Erlangen108, bald wieder in Nürnberg gespielt, wo den so einige Mal hin und her gereißt wurde. Der Hof von Bayreuth kam nach Erlangen und hielte sich kurze Zeit da auf, aber troz der
105 Gemeint ist, dass Schulz die längst einstudierten Theaterstücke „herunterleiern“, also schlecht vortragen ließ. 106 Johann Andreas Weidner, Schauspieler, Theaterdichter und Prinzipal. 107 In Erlangen gab es die Gastwirtschaft „Zum goldenen Apfel“ in der Apfelstraße 10, für die von 1745–78 auch die Bezeichnung Wasserturmstraße gebräuchlich war; Claudia Koolman, Apfelstraße. Der Aufenthalt der Familien Weidner und Schulze im „Goldenen Apfel“ bei „Herrn Feigel“ ist belegt. Dazu und zum Gastpiel der Truppe Weidners in Erlangen s. Ludwig Göhring, Theatervorstellungen im Altstädter Rathaussaal um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der Wandertruppen, in: Erlanger Heimatblätter, 11. Jg., 1928, S. 69–90. 108 Als Spielstätte dienten in Erlangen der Redoutensaal im 1718/19 erbauten markgräflichen Redoutenhaus und in den Jahren 1749 bis 1755 der Altstädter Rathaussaal; Göhring, Theatervorstellungen, S. 69 f., 80.
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guten Einnahme so fiel doch niemals richtige Gage, den Weidner saß tief in Schulden. – Mein Vater hatte noch 3 Gemälde, die verkaufte er unter der Hand an den Margrafen109. Es waren die lezten, die er hatte! – Der Hof reißte fort; der Sommer war da, und die Einnahmen wurden von Tage zu Tage schlechter. – Herr Weidner sagte: „Pasta, Secunda“110 (das war sein Sprichwort), „hier und in Nürnberg ist’s nichts mehr. Ich muß sehen, die Consession111 in Bayreut zu bekommen. Meine Frau112 soll dahin abreisen und solche auswirken“. – Seine Frau war schön, schön wie ein En[38]
gel, und Pasta Secunda, weil sie keinen Bescheid in Bayreut weiß113, so wird sie der Herr Baron von Türkheim (der studirte damals in Erlangen)114 dahin begleiten. Er ist am Hof bekand, kennt die Minister u.s.w. – Glükliche Reise! Sie reißten zusammen fort; kamen wieder, und nun wurde eingepackt und der Tag der Abreise festgesezt. Solche solte des Morgens in aller Früh seyn. – Der Morgen verging, der Mittag kommt heran, und es wird nicht aufgepackt, ohne das meine Eltern die Ursache einsahen? – Meine Eltern saßen mit uns am Tische, und wir asen in guter Ruh, als der Herr Baron von Türkheim sich in unsere offen stehende Stubenthüre hinstelt und sich auf seinen Stock stizt. „Guten Apetit!“ – „Ihr Diener, Herr Baron. Nicht näher kommen?“ – „Keine Umstände, bleiben Sie ruhig sizen, ich will hier stehenbleiben“. – – Er hustete einnige Mal und spielte mit seinen Stok – wolte anfangen, und doch blieben die Worte immer im Hals steken. Endlich, nach einer ziemlichen langen Pause, fängt er an: „Stellen Sie sich den verdamten Streich vor? Der Flegel, der Wirth will den Weidner nicht reisen laßen wegen lumpige 30 Gulden, die er noch an ihm zu fodern hat“. – Mein Vater sagte: „Das hätte Herr Weidner zum Voraus 109 Markgraf Friedrich III . von Brandenburg-Bayreuth (* 10. Mai 1711 Weferlingen, † 26. Febr. 1763 Bayreuth), 1742 Gründer der Universität Bayreuth, die 1743 nach Erlangen verlegt wurde, war in erster Ehe verheiratet mit Friederike Sophie Wilhelmine von Preußen (* 3. Juli 1709 Potsdam, † 14. Okt. 1758 Bayreuth), die als Mäzenin, Schriftstellerin, Komponistin und Librettistin ausgewiesen ist, Theaterstücke schrieb und auf der Bühne auftrat. Das Markgrafenpaar ließ von 1744–1748 das Opernhaus in Bayreuth erbauen. S. dazu: Ruth Müller-Lindenberg, Wilhelmine von Bayreuth. Die Hofoper als Bühne des Lebens, Köln/Weimar/Wien 2005 (Europäische Komponistinnen 2). 110 Basta: Genug! Schluss damit! Secunda: Sofort, gleich (?). 111 Konzession. 112 Elisabeth Weidner, Schauspielerin. 113 Keinen Bescheid wissen: Sich nicht auskennen. 114 Mit dem „Baron von Türkheim“ wird einer der Brüder Ludwig Karl (1733–1774) und Friedrich Chr. Eckbrecht von Dürckheim († 1807) gemeint sein, die sich beide am 20. Mai 1747 an der Universität Erlangen immatrikuliert haben; Register zur Matrikel der Universität Erlangen 1747–1843, bearb. von Karl Wagner, München und Leipzig 1918 (ND Nendeln 1980) S. 136.
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denken kennen. Und da seine Frau die Erlaubniß zu spielen in Bayreut bekommen; so würde sich ja auch leicht jemand gefunden haben, der ihr Geld vorgeschoßen“. – „Da haben Sie insoweit recht. Aber Madame Weidner wolte sich nicht blosgeben. Man verliehr den Kretit dadurch, wenn es heißt: die Leute haben nichts. Ist man aber erst da und bekand, so kann man sich eher einen Freund offenbaren“. – „Da haben Sie wieder recht, Herr Baron“. – „Gewiß, Herr Schulze, niemand könnte Weidnern beßer helfen wie Sie.“ „Ich? Wie kann ich?“ – „Madame Schulze hat viele Sachen und Kleider – und die sie jezt im Sommer doch nicht trägt. Wenn Sie einen Versaz115 für Weidnern den Wirth daliesen!“ – Meine Mutter: „Das ist sonderbar, Herr Baron, Madame Weidner hat ja auch schöne Kleider und Sachen, warum will sie nichts hergeben? Es ist ja ihr Werck“. Baron: „Das würde sie auch! Aber braucht sie nicht ihre Kleider für sich und denen Actricen aufs Theater? etc. etc.“. Nach langen Hin und Her, Denken und Überlegen, sagte endlich mein Vater zu der Mutter: „Thue es, Alte, gieb ein Kleid her!“ – Meine gute Mutter, die im 8ten Monat ihrer Schwangerschaft war, kniede vor einen Koffer nieder, packte solchen aus und nahm ein blau allas [40]
Marselge genehtes116 Kleid nebst ihren schwarz-samten Mantel heraus und gabs den Wirth vor Weidnern zum Versaz. Nun wurde aufgepakt, und wir reißten ab. Den Abend kommen wir nach Virt117. Alle Koffers und Bagage wird abgeladen. Mein Vater stuzte, tritt zu Weidnern und frägt: „Bleiben wir hier? – Ist hier Bayreut?“ – Weidner reuspert sich, rieb die Stirne und sagte: „Pasta Secunda – Nein! – Nein, hier sind wir in Virt. Aber der Ort, so schlecht er aussieht – hat sehr reiche Einwohner – zwar lauter Juden118. – 115 Versatz: Pfand für geliehenes Geld. 116 Allas Marselge genäht: À la Marseille genäht. Damit ist eine bestimmte Art zu nähen gemeint, die „Marseiller Arbeit“ genannt wird; Krünitz, Marseiller Arbeit. 117 Fürth. 118 Die erste Ansiedlung von Juden in Fürth ist für das Jahr 1440 bezeugt, seit 1528 durften Juden sich dauerhaft dort niederlassen. Da für lange Zeit die von den Landesherren geforderten Schutzgelder sehr hoch waren, konnten sich in Fürth nur begüterte Juden ansiedeln. Im 18. Jahrhundert stellten Juden fast 20 % der Gesamtbevölkerung, was der Stadt den Beinamen „Fränkisches Jerusalem“ einbrachte. Dass Juden, wie Kummerfeld schreibt, bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts ins Theater gingen, ist ein wichtiger Hinweis auf die Veränderung des Alltagslebens vor der Haskala. Lit.: Barbara Ohm, Geschichte der Stadt Fürth, München 2007; Daniela F. Eisenstein, „Über die vielen Juden klagt man bitter …“. Jüdisches Leben in Fürth vom 16. bis ins 19. Jahrhundert, in: Michael Brenner/Daniela F. Eisenstein (Hg.), Die Juden in Franken, München 2012, S. 139–156; Robert Liberles, An der Schwelle zur Moderne:1618–1780, in: Marion Kaplan (Hg.), Geschichte des jüdischen Alltags in Deutschland. Vom 17. Jahrhundert bis 1945, München 2003, S. 21–122, hier bes. S. 115–119 und S. 121.
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Aber sie sind reich und große Liebhaber von der Comödie – – Pasta Secunda, es ist Sustentation119 – atinterim120 – Pasta Secunda – bis der Bau in Payreut fertig ist, will ich hier lieber die Einnahmen mitnehmen als stille liegen“. – Mein Vater schittelte den Kopf, denn Virt war damals ein kleiner Flek121 – (jetzt soll er sich um vieles gebeßert haben und sehr gut ausgebaut seyn). In dem Wirthshaus war ein geräumiger Saal, und da wurde ein Theater errichtet122. – Madame Weidner klagte sich einer Unpäslichkeit und kam nicht aus dem Zimmer – meine Mutter mußte troz ihrer Schwangerschaft spielen – die erste Comödie wurde gemacht, und die Einnahme war – 6 Gulden, den zweyten Abend 3 – und den 3ten war gar nichts [41]
da. – Was war aber die Ursach? – Fast schäme ich mich, es niederzuschreiben. Doch es sey! Was kann der ehrliche Mann dafür, wenn er zu einen Schurken kommt und von solchen betrogen wird. Dieser Weidner war einige Jahre vorher mit seiner Frau123 in Viert gewesen, die er aber für seine Schwester ausgegeben hat. Er spielte mit ihr da, ob er eine eigene Geselschaft hatte? oder ob er selbst engagirt war? das weis ich nicht. EinesXXVIII sehr reichen Juden Sohn verliebte sich in die Weidnern. Sie gab ihm die beste Hofnung und sagte: wenn er sich tauffen laßen wolte, so wolte sie ihm heyra then. Der Jude verspricht es. Bestielt seine Eltern und geth heimlich mit ihnen durch. 119 Kosten für den Unterhalt, in diesem Fall den Unterhalt der Truppe. 120 Ad interim: Einstweilen, vorläufig. 121 Um 1720 betrug die Gesamtzahl der Bevölkerung 5700, die Zahl der jüdischen Einwohner stieg im Laufe des 18. Jahrhunderts von ca. 1500 auf 2600. Lit.: Hans Mauersberg, Wirtschaft und Gesellschaft Fürths in neuerer und neuester Zeit. Eine städtegeschichtliche Studie, Göttingen1974, S. 44 f.; Eisenstein, Jüdisches Leben, S. 148. 122 Theateraufführungen fanden häufig in Räumen statt, die nur temporär zu diesem Zweck genutzt wurden. Zu den nicht permanent genutzten Spielstätten gehörten die Gasthäuser. Die Affinität zwischen Theater und Wirtshaus wurde in Wien im 18. Jahrhundert auf der Ebene des Spiels in der Figur des Hanswurst manifest. Lit.: Beat Kümin, Drinking Matters. Public Houses and Social Exchange in Early Modern Central Europe, Basingstoke 2007 (Early Modern History: Society and Culture); Yvonne Nilges, Hanswurst im Wirtshaus. Die Alt-Wiener Volkskomödie – Wegbereiter, Widersacher, Varianten, in: Sigrid Nieberle/Claudia Nitschke (Hg.), Gastlichkeit und Ökonomie. Wirtschaften im deutschen und englischen Drama des 18. Jahrhunderts, Berlin/Boston 2014 (spectrum Literaturwissenschaft 40), S. 137–149. 123 Elisabeth Weidner. Weidner war zweimal verheiratet: In erster Ehe mit der Schauspielerin und Sängerin (Maria) Theresia geb. Schorn, in zweiter Ehe mit Elisabeth N.; Bärbel Rudin, Wien – Berlin – Riga: Commedia dell’Arte auf Wanderschaft. Andreas Weidner, Johann Peter Hilverding und ‚Die entsetzlichen Zufälle in Glück- und Unglücksfällen‘, in: Paul S. Ulrich/Gunilla Dahlberg/Horst Fassel (Hg.), Im Spiegel der Theatergeschichte. Deutschsprachiges Theater im Wechsel von Raum und Zeit, Berlin 2015 (Thalia Germanica 15), S. 21–59, hier S. 27, 49.
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Wie sie ein guten Weg zurükgelegt hatten, machen sie den Juden eines Abens trunken; nehmen den Raub, den er an seine Eltern gethan, ihm weg und laßen den Juden im Wirthshaus allein zurick. Der den, nachdem er aus seinen Rausch erwacht, wieder zurük zu seine Eltern kehrte, die den troz ihres großen Verlusts nur froh waren, das ihr Sohn kein Christ geworden. – Wer sich über die Frechheit des Mannes wundert: wieder an einen solchen Ort zu gehen, wo er sich [42]
solcher Lasterthat schuldig gemacht? dem sage ich, daß das nur ein Weidner konnte, deßen ganzer Lebenswandel Betrug war124. Meine Eltern auser sich. Meine Mutter sagte zu ihm: „Aber so geben Sie mir die 30 Gulden nur, damit ich mein Kleid wieder einlese?“ – Die Antwort: „Madame, ich danke es Ihnen mit dem Teufel. Warum haben Sie’s gethan. Ein Mann wie ich hätte sich doch herrausgeholfen. Sie kommen mir jezt eben recht mit Ihren Kleid, da ich nicht weis, wo mir der Kopf steht“. – Das war der Dank! – Wegen Bareut125 warens Lügen. Meine Eltern brachten die Nacht schwermüthig hin, und bey dem Erwachen war Weidner und seine Frau über alle Berge. –- Nie haben wir wieder erfahren, was aus ihnen geworden ist. – Die Übrigen von der Geselschaft waren auch fortgelaufen, ohne das zu bezahlen, was sie die 3 Tage verzehrt hatten. In zwey Tagen darauf reißten meine Eltern zurük nach Erlangen. Mein Vater wolte nur erst die Niederkunft meiner Mutter abwarten, und weil er keinen Directeur wuste, bey dem er sich engagiren konnteXXIX – keinen Lumpen wieder traute; so entschloß er sich, selbst eine Gesellschaft zu errichten. Sobald mein Vater in Erlangen angelangt, so suchte [43]
er um die Erlaubniß zu spielen, erhielt solche126 und fand viele Unterstitzung. Docter Huth127, wem ist dieser große Mann nicht bekand? war sein Freund! Hofrath 124 Über Weidners Verhalten, der immer wieder unter Hinterlassung von Schulden entschwand vgl. Rudin, Wien – Berlin – Riga. 125 Bayreuth. 126 Von den 15 Aufführungen der „Hochdeutschen Komödianten“ Christian Schulzes im Altstädtischen Rathaussaal ab Herbst 1750 sind acht Theaterzettel überliefert. Ludwig Göhring, der Schulze „den bekannten Hanswurst-Darsteller“ nennt (Göhring, Theatervorstellungen, S. 90), urteilt: „Was er [Christian Schulze] spielen ließ, war der alte Plunder süddeutscher Hanswurststücke. Das Niveau des Gebotenen stand sogar noch unter dem Spielplan der Weidnerschen Truppe. Wir finden hier die Schlager der älteren Wandertruppen, die noch von dem Reformgeist norddeutscher Bühnen unberührt waren“; ebda, S. 90. 127 Caspar Jacob Huth (* 25. Dez. 1711 Frankfurt/Main, † 14. Sept. 1760 Erlangen), als Professor der
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Kegel128, von Fries129 und viele mehr, deren Namen mir entfallen. Mein Vater verschrieb sich Acteurs; im Julii wurde meine Mutter von einen Sohn entbunden130. Sie hatte viel gelitten, und jeder zweifelte, daß sie mitsamt dem Kinde ihr Leben erhalten XXX würde – Gott aber erhielte sie zum Trost ihres Gatten und Kinder. – Kaum als die gute Mutter nur in etwas ihre Kräfte gesammlet hatte und daß Bett verlaßen konte, packte sie einen Koffer voll von ihren besten Kleidern und Efecten131, und die wurden auf dem Versazamte versezt, auf Jahr und Tag. Das Geld, was meine Eltern nun erhalten, wurde zu Reisekosten für die Schauspieler und zu Anschaffung der Garderobe und Theater verwandt. Sie reißten beyde nach Nürnberg und kauften dort das Nothwendigste ein. Die Geselschaft kam, und Theater und Garderobe wurde auch fertig. Mein Eltern mußten nur klein anfangen. – Den viel Geld hatten sie nicht – und fremdes zu borgen, ohne gewiß zu seyn: ob sie soviel verdienen würden, solches wieder bezahlen [44]
zu kennen? dazu waren sie zu gewißenhaft. Die Leute, also, woraus die Geselschaft bestand, waren: Herr Fischer132, Hildmeier133, der junge Mecour134. Mein Halbbru-
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131 132 133 134
Theologie 1743 von Jena an die Universität Erlangen berufen. Daneben pfarramtliche Tätigkeit als Universitätsprediger und Pfarrer der Erlanger Altstadt und Scholarch am Gymnasium. Huth amtierte auch mehrfach als Prorektor der Universität. Lit.: Reinhold Friedrich, Huth, Caspar Jakob; Geschichte des Herrn Caspar Jacob Huth, in: Johann Strodtmann (Hg.), Das neue gelehrte Europa, Wolfenbüttel 1752, Bd. 4, 16. Theil, S. 1032–1040; Zusätze zur Geschichte des Herrn Caspar Jacob Huth, in: Das neue gelehrte Europa, Theil 17, Wolfenbüttel 1763, S. 249–250; Ferdinand Lammers (Bearb.), Geschichte der Stadt Erlangen von ihrem Ursprunge […] bis zur Abtretung an die Krone Bayern […], Erlangen 1834, S. 108. Der Name Kegel ist in Erlangen nicht nachweisbar. Es könnte sich um Johann Köchel handeln, um 1750 Klein-Uhrmacher und Ratsherr der Neustadt Erlangen. Jacob Fries/Frieß war 1750 Haushofmeister in markgräflichen Diensten. Seine Wohnung befand sich im Redoutenhaus, direkt neben dem Markgrafentheater. Herrn Dr. Andreas Jakob, Stadtarchiv Erlangen, sei für seine Auskünfte zu Kegel/Köchel und Frieß bestens gedankt. Nach Ausweis des Kirchenbuchs von Erlangen-Neustadt wurde Franz Dominicus Schulze am 16. Juli 1750 geboren. Taufpate war Franz Dominicus Bulla, Kauf- und Handelsmann in Erlangen. Die Taufe des Kindes wurde im Taufbuch der evangelischen Kirchengemeinde eingetragen, ein Hinweis auf die abweichende Konfession der Eltern fehlt; Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Nürnberg, KB KG Erlangen-Neustadt 9.5.0001–330-2, S. 213. Dr. Jürgen König danken wir herzlich für seine Auskünfte. Effekten: Bewegliche Habe, Habseligkeiten. Herr Fischer, Schauspieler. Herr Hildmeier, Schauspieler. Louis Mecour († 1777), Ballettmeister.
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derXXXI, Mademoiselle Caroline135. Sie heyrathete nach der Zeit Herrn Ulerici. Meine Eltern wünschten noch ein junges Frauenzimmer zu haben und frugen meinen Bruder Christian, ob er keine wießte? Er sagte, er wiste in Nürnberg ein Mädchen von 1 bis 22 Jahren136, die wohl ausseh und große Lust zum Theater hätte. Ihre Eltern machten Madrazen, wären sehr ehrliche Leute, die aber nicht viel zum Besten hätten; würden also froh seyn, wen sie ihre Tochter versorgt wiesten. Dieses Frauenzimmer hieß Catharina Schädeln137. Mein Vater also gab an Christian den Auftrag, an die Eltern zu schreiben. In Zeit von 6 Tagen kam sie selbst, ihr stilles, sittsames Wesen gefiel meinen Eltern außerordendlich, und freuten sich sehr über diesen Fund. – Sie mußte in unsern Haus wohnen, schlief in den Zimmer, wo ich mit meiner Schwester schlief, und speißte mit uns am Tisch. Meine Eltern begegneten ihr, als wenn sie ihre Tochter gewesen wär, und gaben sich alle Mühe, sie zu unterrichten. – Kaum war sie 8 Tage bey uns, als man einen [45]
bejahrten Mann bey meinen Vater meldete. Er lies ihn kommen und frug ihn, was zu seinen Diensten wär? Der Alte fängt an: „Ich bin Schädel aus Nürnberg, deßen Tochter Sie wieder Willen und Wißen ihrer Eltern heimlich geraubt haben! – Und ich komme, sie wieder zu holen“. Meine Eltern sahen den Mann an, ohne ein Wort darauf zu sagen, sondern befahlen nur, das Carl gleich nach der Mansel138 gehen soll, um ihr zu sagen, sie möchte gleich kommen. Sie kommt – der Auftritt war werth zu malen. Meine Eltern still, auf des Alten Gesicht Zorn und Liebe – die Tochter sich bewußt – fiehl ihren Vater endlich zu Füßen, bat ihm um Vergebung, daß sie heimlich fort wär, sie könnte aber ihren Trieb nicht wiederstehen. Bat meine Eltern um Vergebung, daß sie ihnen nicht die Wahrheit gesagt, und bat den Vater um Gottes willen, sie nur nicht mitzunehmen. Der Alte reichte meinen Vater die Hand, bat ihn um Vergebung, daß er ihm falsch beschuldiget. „Aber meine Tochter kann ich nicht laßen, die nehme ich mit“. „Nehmen Sie sie mit! So nothwendig ich sie auch hätte, so will ich sie doch nicht wieder den Willen ihrer Eltern“, er sprach ihr zu, und so auch meine Mutter. Ihre mit[46]
gebrachten Sachen wurden zusamengepackt, und so reißte sie noch denselben Abend mit ihren Vater unter gewaltiges Geschreu und Klagen nach Nürnberg zurick. – „Daß 135 Caroline Ulerici (Ulrich), Schauspielerin. 136 Gemeint ist: 21 bis 22 Jahre. 137 Catharina Schädel/Schedel aus Nürnberg. Sie heiratete später den Schauspieler Johann Georg Schwager (s. u. HHS, S. [67]), mit dem sie nach Wien ging, wo sie Soubretten spielte; Pies, Prinzipale, S. 345. 138 Mamsell: Bezeichnung für eine bürgerliche unverheiratete Frau; aus dem französischen Mademoiselle.
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ist die erste Fatalitet“, sagten meine Eltern – in 8 Tagen solte die erste Comödie seyn. – Doch wer weis, zu was es gut ist! – Nun wurde eine andere Austheilung gemacht. – Aber den vierten Tag kommt der alte Schädel wieder und bringt seine Tochter selbst zu meine Eltern. Mit Thränen sagte er: „Herr Schulze, da haben Sie mein Kind wieder. Das Mädel hat in drey Tagen nichts gegeßen, will sich umbringen,XXXII das alles hätte mich nicht bewegt;XXXIII ich habe so viel Gutes von Ihnen und Ihrer Frau gehört, daß ich kein Bedenken trage, sie Ihnen anzuvertrauen. Seyen Sie ihr Vater und Mutter, ich gebe sie Ihnen auf Ihre Seele. Leiden Sie keine Ausschweifungen – und bewegen Sie sie ja nicht etwa, das sie von ihrer Religion abfalle und catolisch wird“. Der Alte konte nicht weitersprechen, sondern weinte auf der Schulter meines Vaters gelehnt. Meine Eltern waren sehr bewegt. – Endlich sagte mein Vater: „Herr Schädel, da sehen Sie meine 4 unmündige Kinder – und so wahr, als ich [47]
wünsche, das es diesen Kindern einst wohlergehe; und daß sie, wenn ich bald sterben sollte, einen redlichen Mann finden, der Vaterstelle vertritt, ebenso wahr will ich: daß an Ihrer Tochter seyn. Ja, solte ich das geringste merken, das sie leichtsinnig werden solte, so schike ich sie Ihnen auf meine Kosten wieder zu“. – Der alte Mann blieb 2 Tage bey uns, und so reißte er zufrieden wieder nach Hause. In wenigen Tagen wurde die erste Comödie gegeben, und der Zuspruch war zalreich. Meine Mutter eilte zu Hause zu ihren kleinen Franz, den sie selbst die Brust gab. Meine Eltern, froh über die gute Einnahme, über den Beyfall, den sie erhalten, und über die Gesundheit aller ihrer Kinder. – „Gott, wie ruhig wollen wir seyn“, sagten sie. „Gott kann und wird uns nicht verlaßen“. – Nach den Abendeßen knieten wir, wie gewöhnlich, mit unsern Eltern nieder, beteten, empfingen ihren Segen und wurden nach unsern Zimmer geschikt. Meine Mutter legte ihren Kleinen, nachdem er an ihrer Brust eingeschlafen, in die Wiege. – Es war 12 Uhr in der Nacht. Des Morgens 4 Uhr stand sie auf und freute sich, das ihr Kleiner sie 4 Stunden ruhig schlafen laßen. Geth, nachdem sie angezogen sich hatte, nach [48]
der Wiege, um ihm schlafen zu sehen – – aber welch ein Anblik, das Kind lag tod in der Wiege139.XXXIV Sie that einen Schreu und fiel ohnmächtig zur Erde. Mein Vater 139 Ein Eintrag im Erlanger Totenbuch konnte nicht gefunden werden. Allerdings wurden Beerdigungen von Kleinkindern, sofern diese nur mit einer reduzierten Feierlichkeit verbunden waren, häufig nicht ins Kirchenbuch eingetragen; Herrn Dr. König vom Landeskirchlichen Archiv der Evangelisch-Lu therischen Kirche in Bayern sei für diese Auskunft bestens gedankt.
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erwacht. Machte Lärm, alles eilte der guten Mutter zu Hilfe – den Abend solte die zweite Comödie seyn. – Mein Vater wolte nicht spielen, aber meine Mutter, troz ihres Leidens – gabs nicht zu – „bedenk unsere Umstände, wie nöthig wir Geld brauchen, Gott wird mir ja Kräfte geben“. – Sie spielte!!! –XXXV Die Einnahmen blieben noch immer gut. Mein Vater reißte einmal mit der Geselschaft nach Nürnberg, um einen guten Herbst in Erlangen zu haben, und auch da war die Einnahme gut, ja, wir würden noch länger dort geblieben seyn, wenn nicht einst in der Nacht ein Bothe von Erlangen gekommen mit dem Befehl, gleich zurükzukommen, der Margraf von Bayreut140 wär mit dem Hof angekommen, um sich in dortiger Gegend mit der Jagd zu unterhalten, und wolle den andern Abend Comödie haben. Allen Schauspielern wurde es angesagt, und so waren wir schon um 11 Uhr des Mittags in Erlangen. Die Einnahmen erhielten sich so, das [49]
sie nichts schuldig waren bis auf den Versaz. Meines Vaters Besorgniß war nur der Advent, weil damals an protestantischen Orten nicht gespield werden durfte141, sein Wunsch war, an einen catolischen Ort zu kommen, wo er die Freyheit hatte zu spielen. Er schrieb also an einen alten Bekandten von ihm, der Herr von Michelanzky142 hies, nach Ingolstadt und dort Universitättanzmeister war. Dieser Herr v. Michelanzky war ehemals ein Tänzer auf dem Wiener Theater, kam nach München, ein Fräulein verliebte sich in ihm, und da ihm der Churfürst sehr wohlwolte, so ertheilte er ihm den Adel und machte ihm zum Universitättanzmeister in Ingolstadt, um das Fräulein heyrathen zu kennen. Nun war er Wittwer und hatte nur eine Tochter, ein Kind von 11 bis 12 Jahren. Dieser Michelanzky erinnerte sich bald seines alten Freundes. Bewarb sich um meinen Vater und erhielte auch die Erlaubniß für ihm, dort zu spielen; wenn 140 Friedrich III. von Brandenburg-Bayreuth, Markgraf von Bayreuth (s. bei S. [37]). 141 Zur regional unterschiedlichen Handhabung von Spielverboten während der Advents- und Fastenzeit s. Maurer-Schmoock, Theater, S. 147 f. 142 Johann Baptist Michelanzky, seit 1747 Tanz- und Fechtmeister an der Universität Ingolstadt, zugleich Hoftanzmeister. Januar 1747: „Dominus Joannes Francois de Michlanzki, churfürstlicher Hofftantzer und universitäts Fechtmeister alhie“; Die Matrikel der Ludwig-Maximilians-Universität Ingolstadt – Landshut – München, hg. von Götz Frhr. v. Pölnitz, Teil 1: Ingolstadt, Bd. III: 1700–1800, 1. Halbbd. 1700–1750, München 1941, Sp. 611 Nr. 121. Churbajerischer Hof- und Staats-Kalender für das Jahr 1773, München 1773, S. 148. Als „Hof- und akademischer Tanzmeister“ war Michelanzky verpflichtet, bei Hoffesten, Opern und Komödien zu erscheinen; Ilse Krafft, Universität Ingolstadt und Magistrat in der Zeit des Absolutismus, München 1972, S. 110, 278. Walter Salmen, Der akademische Tanzmeister, in: Atti del XIV Congresso della Società Internazionale di Musicologia, Bologna/Ferrara/Parma 1987, Turin 1990, Vol. I, S. 83–89 (Michelanzky: S. 84). Zu Tanzmeistern allgemein: Walter Salmen, Der Tanzmeister. Geschichte und Profile eines Berufes vom 14. bis zum 19. Jahrhundert, Hildesheim/ Zürich/New York 1997 (Terpsichore 1).
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er gute Atestata143 von Erlangen mitbrächte. Den das war damals der Gebrauch, das Prinzibals Atestate haben mußten. – Daran konnte es ihm in Erlangen nicht fehlen, den jeder Rechtschafene schäzte meine Eltern. Sie reißten mit der Geselschaft glüklich ab und kamen zu Ende des Novembers in Ingolstadt [50]
an. Da Michelanzky Anstalten zur Einrichtung des Schauspielhauses bereits gemacht hatte, so konnte in wenigen Tagen nach unserer Ankunft das Theater geöffnet werden144. – Der Tag war da und alles dazu bereit, als den Nachmittag nach 3 Uhr der Graf von Freysing145, Stadthalter von Ingolstadt, seinen Laufer an meinen Vater schickte mit dem Befehl: das er sogleich zu ihm hinkommen möchte. – Mein Vater eilte zum Grafen. Er kam ihm im Zimmer entgegen, nahm meinen Vater bey der Hand und sagte: „Herr Schulze, ich muß Ihnen etwas Unangenehmes sagen – Sie dürfen heute nicht spielen – diesen ganzen Advent nicht und kennen nicht eher anfangen als den 2ten Feyertag“. Die Nachricht erschitterte meinen Vater so sehr, daß er kaum die Frage – „Warum? Ihr Exellenz!“ hervorbringen konnte. – „Sie dauern mich – aber ich kanns nicht abendern: Die Jesuiten146 sind bey mir gewesen, haben so viele Vorstellungen gemacht, das man an keinen lutherischen und calvinischen Ort im Advent spielen 143 Attestat: Schriftliches Zeugnis, Empfehlungsschreiben. 144 Die Wandertruppen spielten damals in Ingolstadt im Theater des Tuchhauses am Schliffelmarkt; Schönauer, Ingolstadt, S. 967. 145 Gemeint ist Johann Carl Joseph Clement Maria Graf von Preysing (* 31. Aug. 1689, † Jan. 1771), Kurbayerischer Wirklicher Geheimer Rat, General-Feldzeugmeister, Statthalter zu Ingolstadt seit 1749. Lit.: Churbajerischer Hof- und Staats-Calender für das Jahr 1765 […], München 1765, S. 99; Fortgesetzte Neue Genealogisch-Historische Nachrichten von den vornehmsten Begebenheiten welche sich an den Europäischen Höfen zutragen […] 120. Theil, Leipzig 1771, S. 817 f. 146 Das geistig-kulturelle Leben in Ingolstadt war über Jahrhunderte hinweg von den Jesuiten geprägt und bestimmt. Seit 1556 bis zur Aufhebung des Jesuitenordens bestand in Ingolstadt ein Jesuitenkolleg, das größte aller Kollegien der oberdeutschen Provinz. Das Kolleg war eng mit der 1472 gegründeten Ingolstädter Universität vernetzt, da jesuitische Gelehrte sowohl am Kolleg als auch (seit 1549) als Professoren an der Universität wirkten. Seit dem 16. Jahrhundert förderten die Jesuiten ein umfassendes Theaterleben. Es diente vor allem der Vermittlung humanistischer ebenso wie religiös-propagandistischer Ansichten. In das Theatergeschehen am Ort konnten die Jesuiten eingreifen, indem sie die Spielerlaubnis zumindest einschränkten, wenn nicht gar ganz verboten oder Zensur auf die aufzuführenden Titel ausübten. Lit.: Gerd Treffer, Kleine Ingolstädter Stadtgeschichte, Regensburg 2004, S. 83–92; Hilde Haider-Pregler, Des sittlichen Bürgers Abendschule. Bildungsanspruch und Bildungsauftrag des Berufstheaters im 18. Jahrhundert, Wien/München 1980, hier v. a. S. 69–134 (Theater und Kirche); Manfred Knedlik, „… mit einer Art von Leidenschaft geliebt“: Theater in Altbayern, Franken und Schwaben in der Frühen Neuzeit, Augsburg 2005 (Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur 33), S. 26–30.
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dürfte, wie unschicklich es also wär, wen in katholische Ländern erlaubt würde. – Die Jesuiten haben einen großen Einfluß auf die meisten Leute in der Stadt – wie leicht, wenn ich’s ihnen nicht zuge[51]
standen, konte es Ihnen in der Folge mehr Schaden thun, als Sie jezt davon haben könnten, wen Sie 14 Tage stillliegen. Geben Sie sich also nur gelaßen darein, soll Ihnen schon auf andere Art ersezt werden“. – Mein Vater dankte dem Grafen, bat um seinen Schuz in der Folge und kam zu uns, um solches anzukindigen. – Gott! Mich dinkt147, noch seh ich den guten Alten, wie er zu uns ins Zimmer trat. Eine Thräne im Auge, doch vol Sanftmuth, voll Gelaßenheit und Ergebung. „Zieht euch nur wieder aus, liebe Kinder! Wir dürfen heute nicht spielen.“ „Nicht?“ „Nicht?“ „Nicht!“ schrien wir alle durcheinander. – Es wurde nach allen Häusern von ersten und zweyten Rang in der Stad herrumgeschickt und der Vorfall gemeldet, und so stand einer an der Caße, der es denen, die in die Comödie kommen wolten, es absagte. In Gelaßenheit wurde die versagte Zeit abgewartet und den 2ten Feyertag vor einer sehr zahlreichen Versammlung angefangen. – Den zweyten Tag wars ebenso, so das mein Vater, als er sein eingenommenes Geld gezehlt hatte, sagte: „Wenn’s so fortgeth nur einige Zeit, so hoffe ich, wils Gott, bald aus [52]
meinen Schulden zu seyn“. – Den Morgen darauf schikte der Graf Freysing abermals zu meinen Vater, daß er hinkommen sol – er kommt zu ihm, aber wie groß war sein Erstaunen, als ihm der Graf mit größten Ungestüm entgegen kömmt, ihn Vorwürfe macht, droht mit Strafe, die Stadt zu verlaßen, ohne das mein Vater die Ursach wußte, warum? oder weswegen? – Endlich, da der Graf still geschwiegen, so sagte mein Vater: „Ich bitte Ihr Exellenz, so sagen Sie mir doch nur, worinnen mein Verbrechen besteht? – Ich bin mich nichts bewust, auch von meiner Geselschaft weis ich nichts Unrechtes. Was hat man Ihnen gesagt? Damit ich mich wenigstens rechtfertigen kann, bevor man mich verdammt.“ – „Was haben Sie gestern für ein gottloses Stük gegeben? welches zur Verführung junger Leute und zum Erger der alten gereicht?“ – „Ein Stük, das mehr als einmal auf dem Kayserlichen Theater in Wien ohne Anstand ist gegeben worden?“ – „Ja wer weis, wie Sie es geendert haben, kurz, wenn Sie nicht auf die Wahl Ihrer Comödien aufmerksamer sind und noch so ein Stük geben, so haben
147 Mich dünkt: Mir scheint, mir kommt es so vor.
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Sie hier ausgespielt, und Sie kennen machen, das Sie zum Tor hinauskommen“. – So kurz und deutlich der Graf [53]
gesprochen, so wenig konnte es meinen Vater behagen, der so eine Begegnung nicht gewohnt war; er stand da, stumm und niedergeschlagen. Wenige Zeit darauf kommen die Staboffiziers148, die dem Grafen zu sprechen hatten. Kaum erblikten sie meinen Vater, so giengen sie auf ihm zu: „Ah! Sie hier. Guten Morgen, Herr Schulze. Vielen Dank für den angenehmen Abend, den Sie uns gestern gemacht – das war ein charmantes Stük. Geben Sie es uns bald wieder, wir kommen alle, und die es nicht sehen konnten, freuen sich darauf.“ – „Meine Herren, Sie kommen für mich wie die Schuzengels. – Da, Herr Graf ! Die Aussage so vieler würdiger Personen: sey meine Rechtfertigung.“ Der Graf stand voll Erstaunen. Um kurz zu sein, so will ich nur soviel sagen: Daß der Graf seinen Lauffer zu meiner MutterXXXVI schickte mit dem Befehl: das gestern aufgeführte Stück mit denen Arien, so wie es gestern gegeben worden, an dem Lauffer verabfolgen zu laßen. Der Lauffer brachte es den Grafen: Mein Vater las es von Wort zu Wort vor. Der alte Graf lachte, sagte: „Was ist das? Ich finde nichts Unanständiges, und doch sind heute [54]
in aller Früh die Jesuiten bey mir gewesen und haben mich so in Rage deswegen gebracht“. Die Offiziers klärten es auf, das der alte Oberstleutenant, der noch kurze Zeit mit einer sehr jungen Person verheyratet, von einen und andern Offizier wär geneckt worden. Dieser hatte sich nun eingebildet, das Stück wär ihm zum Poßen149 gegeben worden, lief zu die Jesuiten und die zum Grafen. – Der Graf entschuldigte sich wegen seiner Hize bey meinen Vater und wolte, das den andern Tag das Stük wieder solte gegegeben werden, er wolle selbst mit seinen Söhnen hieneinkommen. Mein Vater aber sagte: „Verzeihen Sie mir, Herr Graf, wenn ich mir solches verbitte. Zweymal haben mir nun die Herren Jesuiten zu schaden gesucht – ich will sie nicht reizen, mir zum dritten Mal zu schaden. Laßen Sie mich lieber das Stük nie wieder hier geben. Wollen die Herren nicht meine Freunde seyn, nun, so will ich allen ausweichen, daß sie mir nicht noch feinder werden. Nur bitte ich für die Zukunft! das, wenn wieder Klagen gegen mich kommen, Sie auch mich erst hören.“ – Der Graf fand, das mein Vater recht
148 Ingolstadt war seit 1537 Festungsstadt. Die Besatzung und deren Ehefrauen machten einen großen Teil des Publikums aus. 149 Zum Possen: Um jemanden zu ärgern.
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hatte, versicherte ihm seiner Freundschaft und Schuzes, und so kam der gute Mann nach einen sehr heißen Morgen, den man ihm gemacht, nach Hause. [55]
Alles war nun wieder gut, und wir spielten fort bey immer fortdauernde gute Einnahme. Die Herschaften sowohl wie der Bürger besuchten fleißig das Schauspielhaus. Ja, man war uns so günstig, das, wenn es starck Glatteiß war, die Offizierfrauens auf den Strümpfen in die Komödie gingen, weil sie nicht alle Wagen und Pferde hatten, und wen sie sich hineinfahren oder tragen liesen, solches ihnen zu theuer gekommen wär. – So günstig war man meinen Eltern. +XXXVII [56a]
Hier muß ich einen Vorfal, der mir zusties, mit einfließen laßen. Es wurde ein Stük gegeben, das hies Rodrich und Delmire150. Ich spielte in solchen einen verkleideten Pagen. Meine Rolle brachte es mit sich, daß ich mit blosen Degen einmal herrauskam. Ich stand in der Scene und wartete, bis der Auftritt an mich käm. Es waren einige Pursche auf dem Theater, die mit der Mademoiselle Carolina151 sprachen, sie neckten sich mit ihr, und einer von ihnen stoßte mich an den Arm; ich versah mich solches nicht, der Degen war schwer und ich zu schwach, solchen festzuhalten, laß den Arm sinken und stoße mir den Degen durch den Schuh durch in den rechten Fuß zwischen der zweiten und 3ten Zähen. Ich fühlte den Schmerz, und das Blut floß aus dem Schuh herraus. Doch alles deßen schwieg ich stille, weinte nicht. Dachte nur an meine Rolle, die gut zu spielen. Ich wußte zu sehr, daß ich der Liebling meines Vaters war, furcht mich: daß, wenn ich’s meinen Vater sagte! der etwa die Pursche in der ersten Hüze152XXXVIII beleidigen könnte. – Meine Rolle ging gut ab. Und ich, als ich nach Hause
150 Damit ist eine deutsche Übersetzung und Bearbeitung der Tragikomödie Le Prince Jaloux/Il Principe geloso, eine Bearbeitung von Giacinto Andrea Cicogninis Stück Le Gelosie fortunate del Principe Rodrigo von Luigi Riccoboni gemeint. Don Rodrigo (= Roderich) und Delmira sind Hauptrollen in dieser Tragikomödie. 1662 erschien in Innsbruck eine Übersetzung des Stücks von Christoph Blümel unter dem Titel Comoedia von der glückseligen Eyfersucht zwischen Rodrich undt Delmira von Valenza. In Riga kam der Stoff von der Truppe Victoria Clara Boenickes 1719 sowohl unter dem Titel Der gottlose Roderich als auch als Roderich und Delmira zur Aufführung. Von der Truppe Andreas Weidners wurde im September 1750 in Nürnberg das Stück unter dem Titel Die wieder Vermuthen glücklich ausgeschlagene Eyfersucht zwischen Rodrich und Delmira, Oder: Das Exempel einer gedultigen und großmüthigen Ehefrau, welche einen eyfersüchtigen Mann hat aufgeführt. Lit.: Meyer, Bibliographia, 2. Abt., Bd. 2, S. 282 f. 151 Die spätere Carolina Ulerici/ Ulrich. 152 Hitze.
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[56b]
kam, sezte ich mich unter dem Tisch und zog da meine Schue und Strümpfe aus. Das Blut hatte sich gestokt, und ich legte mich nieder. Den andern Tag konnte ich nicht auftretten. Um solches zu vermeiden, da ich ohne zu hinken nicht gehen konnte, sprang ich, wenn ich ja von einen Ort zum andern hin solte, immer auf den linken Fuß. So trieb ich es 3 Tage, ohne das meine Eltern das Geringste merkten. Eines Morgens befal mir meine Mutter, daß ich etwas holen solte. Ich sprang lustig auf meinen einen Fuß weg. – Meine Mutter sagte: „Mädchen, wenn wirst du wieder gehen? Was soll das Springen“. „Ja, Mama! Man muß sich auf alles geschickt machen. – Kann ich nicht einen Fuß verliehren? So ists gut, wen ich mich geschickt mache, mich mit einen Fuß zu behelfen“. – „Da bewahre dich Gott vor! Geh ordendlich, sonst kanst du aus der Kinderey Ernst machen“. – Ich war nun zum Zimmer hinaus und stieg mit vielen Schmerzen die eine Stiege hinunter. Wir wohnten 2 Treppen hoch. Unter uns wohnte ein Hau[p]tmann mit seiner Gemahlin,XXXIX Baron von Wirsching153 hies er. Sie hatten eine Geselschaft[56c]
fräulen bey sich, die hies Fräulein Arbes154. Sie hatten mich sehr lieb, die Fräulein sah mich, als ich so erbärmlich die Treppe herrunterkam. – „Kind, was fehlt Ihnen?“ – „O stille, stille, gnädiges Fräulein, das es Mama und Papa nicht hört“. Sie nahm mich auf den Arm, ich weinte, und so trug sie mich zu der Hauptmännin ins Zimmer. Ich klagte ihnen mein Unglük, und wie sehr ich wünschte, das nur meine Eltern nichts davon erfieren wegen den vielen Verdruß, der daraus entstünde, den Papa wär sehr hastig. Der Bediente mußte für mich das Gewerbe besorgen und meinen Eltern sagen: das mich die gnädige Frau den Mittag bey sich zu Tische behilte. Sie zogen mir den Schuh und Strumpf aus und erschraken nicht wenig, da sie meinen Fuß sahen, der blau und schwarz war. Der Hauptmann schickte fort nach dem Regimentsfeldscher155, der sagte, wofern ich noch 24 Stunden so gegangen, wär der Kalte Brand156 dagewesen, aller Ansaz wär bereits da; nun wurden alle mögliche Anstalten gemacht. Die Fräulein legte mir alle halbe Stunde frischen Verband auf. Als meine Eltern nach dem Theater gingen, forderte
153 Ein Hauptmann Baron von Wirsching ließ sich im Stadtarchiv Ingolstadt nicht nachweisen. 154 Fräulein Arbes könnte zur Familie des kurfürstlich-bayerischen Stückhauptmanns, Zeugwarts und Burgpflegers zu Ingolstadt Antoni von Erbs/de Arber gehören. Frau Doris Wittmann, Stadtmuseum/ Stadtarchiv/Wiss. Bibliothek Ingolstadt, sei für Ihre Auskünfte vielmals gedankt. 155 Ein beim Militär tätiger handwerklich ausgebildeter Wundarzt, der für äußere Verletzungen zuständig war. 156 Absterben von Gewebe.
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die Fräulein ihnen den Zimmerschließel ab, das, wenn ich miede würde, sie mich zu Bette bringen könnten. Sie thaten es auch, und den andern Morgen hüpfte ich wieder wie gewöhnlich auf einen Fuß zum Zimmer hinaus. [56d] [ist in der Zählung ausgelassen] [56e]
Als sie mich hüpfen hörten, kam der Bediente, trug mich die Treppe herrunter, und nun gings wieder an frische Umschläge. Das Blaue verlohr sich so wie die Geschwulst. Der Feldscher gab mir Pflaster, und so wurde mein Fuß in Zeit von 14 Tagen ganz geheilt, ohne das je meine Eltern was gewahr wurden. Nicht gar zu lange vor meiner Mutter Tod zeigte ich ihr die Narve157. Mein Vater aber hatte es nie erfahren. – War damals noch nicht 6 Jahr. – Konte aber schon leiden und schweigen. [Forts. von [55]]
Eines Morgens, als bey meinen Vater eben Probe war, kam Herr v. Michelanzky und bat meine Eltern den Mittag zu Tische und ersuchte, die Mademoiselle Schädeln mitzubringen; es gescha. – So wurden einige Mal meine Eltern mit ihr zu ihm geladen. Aber bald darauf sie ganz allein. – Meine Eltern gönnten es ihr, den sie hatten zu Hause genug Geschäfte, die ihnen nicht erlaubten, täglich zu Gaste zu gehen. – Aber an Tagen, wo keine Comödie war, ging Mademoiselle Schädeln des Morgens um 9 oder 10 Uhr fort und kam erst in der Nacht um 11, 12 Uhr nach Hause. Als sie zum 3ten Mal so spät kam, den sie schlief bey meiner Schwester und mir in einen Alkofen158, der in den Zimmer war, wo meine Eltern schliefen, so gab ihr mein Vater einen Verweiß: [56]
„Nicht etwa, meine liebe Schädel, als ob ich dächte, es geschehe was Unrechtes. Nein, Michelanzky hat seine Tochter bey sich. Aber es schickt sich nicht für ein junges Mädchen, das die alle Abende hintereinander so spät nach Hause geth. – Michelanzky hat keine Frau, warum wollen Sie sich ins Gerede sezen“ u.s.w. Sie schwieg. Aber war sieXL sonst um 11 oder gegen 12 nach Hause gekommen, so blieb sie nun weg bis gegen 1 Uhr und später. Mein Vater, es überdrißig, sagte ihr gerade herraus: das lit er nicht länger. „Sie wißen, was ich Ihren Vater versprochen. Und wofern Sie Ihre nächtlichen Besuche nicht einstellen, so berichte ichs Ihren Eltern. In meinen Haus muß Ordnung
157 Narbe. 158 Alkoven: Bettnische.
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seyn. Sie kennen des Morgens schlafen, so lange Sie wollen; ich aber und meine Frau misen arbeiten“. Als mein Vater ausgeredet, fing sie an: „Ach, Herr Schulze, ich will Ihnen nur alles aufrichtig gestehen. Der Heilige Geist hat mich regirt, und ich bin fest entschloßen, catolisch zu werden. Das ist die Ursach, warum ich so spät des Nachts nach Hause gekommen, weil mich endlich der Herr v. Michelanzky überführt, daß ich auf einen Irrweg bin.“ – „Sie wollen catolisch werden? Sie? Nie haben Sie, solange Sie bey mir sind, den geringsten Trieb [57]
dazu geäusert, und seiddem Sie den Umgang mit Michelanzky haben, fühlen Sie sich von Heiligen Gei[s]t regirt? – Mamsel, stottern Sie nicht! Von einer Religion zur andern übertreten, ist nichts Geringes. Kann kein Werck von 8 und 14 Tagen seyn. 7 Jahre habe ich mit mir gekämft. – Ich enderte weder aus Ehrsucht noch Intereße. Bilden Sie sich etwa ein: das, wenn Sie catolisch werden, Michelanzky Sie heyraten wird? Sie irren sich. Haben Sie Absichten, welche Sie wollen, und es ist nicht wahrer Beruf159, so sind Sie wie das Rohr, das der Wind hin- und herweht. Prüfen Sie sich – bey sich selbst, nicht aber bey einen Wittmann160. Untersuchen Sie: wenn Sie die Hofnung aufgeben: Gnädige Frau zu heisen, ob der Heilige Geist noch immer so starck in Ihnen wirkt.“ Mein Vater sagte ihr noch weit mehr, was er für Pflicht hielte ihr zu sagen. Den andern Tag, kaum da der Morgen angebrochen, lief sie zu Michelanzky. Sie warf sich ihm zu Füßen, weinte, schrie: „Retten Sie mich aus den Händen von diesen Gottlosen“ (Michelanzky nannte sie damals schon Du aus lauter frommenXLI Handlungen). „Hast du heute in der Comodie zu thun?“ „Ja, Ihro Genaden, mein genädiger Herr!“ – „Gut, solst heute zum lezten Mal mit[58]
spielen; und ziehst zu mir ins Haus, ich werde dich unterrichten laßen, und sobald du dein Glaubensbekentniß161 öffendlich abgelegt, will ich für dich weiter sorgen“. Um 10 Uhr kam sie zur Probe. Nach der Probe nahm sie ihr Kästgen mit ihren Sachen und trug’s nach Michelanzky. Es kam von ihm eine Magd: Das man der Mamsel ihre Kleider zur Komödie schiken solte, sie würde sich bey Herrn v. Michelanzky anziehen. Meine Mutter schickte ihr alles. Er brachte sie, am Arm geführt, ins Theater, 159 Berufung. 160 Witwer. 161 Beim Wechsel von einer evangelischen zur katholischen Konfession erfolgte die Aufnahme in die neue Glaubensgemeinschaft nicht durch die Taufe, sondern durch das Ablegen des katholischen Glaubensbekenntnisses.
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legte sein Geld auf die Caße und sagte zu meiner Mutter, die das Geld einnahm: „Heute agirt die Mademoiselle Schädel zum lezten Mal mit.“ – „Sehr wohl“, sagte meine Mutter. – Gott! Welch ein Schlag war das für meine Eltern. Nicht deswegen, daß sie nicht mehr mitspielte, aber der Lästerreden wegen. Meine Eltern wurden mit den schwärzesten Namen belegt. Nun bekamen die Jesuiten Waßer auf ihre Mühlen. Sie schmähten, schimpften auf den Canzeln; verfluchten jeden, der in die Comödie ferner ging, bis in den tiefsten Abgrund der Hölle. Bald fühlten meine Eltern den heiligen Eiffer. Wenige Bürger und Gemeine blieben uns – nur der Adel besuchte noch das Schauspielhauß. Es [59]
war in der Carnevalszeit. Und hätte meine Mutter nicht so viele Masken für die Herrschaften zu machen bekommen, so hätte mein Vater keine Gagen an seine Leute geben kennen. Nun kam die Faste. Mein Vater hofte, es solte nach Ostern beßer gehen. Wir fungen an, und kein Mensch kam. Meine Mutter ging selbst zu denen Herrschaften und frug? Die Antwort: „Gerne glauben wir, das Ihnen zu viel geschied. Sie wißen auch, das wir uns an das Schmähen auf den Canzeln nicht gekehrt. Aber die Jesuiten sind fast allein unsere Beichtväter. Wie wir gebeichtet und mit der Beichte fertig waren, frugen sie uns vor der Absolution: ‚Gehen Sie auch in die Comodie?‘ – ‚Ja‘. – ‚Wenn das ist, kennen wir Sie nicht eher absolviren, bis Sie angeloben, nicht mehr in die Comödie zu gehen‘. Was wolten wir thun? Absolvirt musten wir seyn – also wir versprachens und kennen nun nicht eidbrüchig werden“. Meine Eltern hörten also auf zu spielen. – Mein Vater nahm etwas Geld, reißte fort und suchte anderwerts die Erlaubniß zu spielen. – Bekam sie nirgens, weil er von Ingolstatt kein Atesttat aufzuweisen [60]
hatte. – Und hätte er auch einige Mal einen Ort gefunden, um zu spielen, so fehlte ihm Geld, seine Geselschaft kommen zu laßen. Die ganze Geselschaft wohnte in demXLII Haus, wo wir wohnten. Sie hatten Wohnung, Essen und Trinken. Und um ihnen Taschengeld zu geben, versezte und verkaufte meine Mutter eines ums andere. Mich, Carln und Marianen erhielte sie mit Hände-Arbeit, sie waschte, nähte – und nährte sich mit uns mit magerer Kost. – Zweymal speißten wir in der Woche warme Suppe und Fleisch – meistens nur Brod, Salz, und Waßer war unser Trank. – Doch was wolte daß sagen, aber das Betragen von den Schauspielern – von unseren Wirth und seiner Frau, die immer besoffen waren, sich als Betrüger und dergleichen schelten zu hören – Drohungen vom Haus hinauswerfen. – – Gott, du weißt es, wie wir oft mit Thränen unser Brod und Waßer verschlukten. Sowie einer und der andere ein neues Engagement bekam, reisten sie von uns – alle. – Und meine Schwester lief auch heimlich weg
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und engagirte sich bey einen Herrn Brenner162, der eine Geselschaft hatte. – Mit dem Glaubensbekentniß, das die Schädeln ablegen solte, verzögerte es sich von einer Zeit zur andern. Täglich zwar hatte sie ein bis 2 Stunden Unterricht in der [61]
Kirche bey dem Jesuiten, aber sie fanden sie so hartlehrig, das sie ihnen zum öffendlichen Bekentniß noch nicht tauglich genug schien. Die wahre Ursach aber war die: Michelanzky wurde öffendlich in allen Geselschaften wegen seiner Neu-Bekehrten aufgezogen und ihm der Name des 13. Apostels beygelegt. Um also allen Verdacht von sich abzuwelzen, gab er der Schädeln zu verstehen: daß sobald sie ihr Glaubensbekentniß würde abgelegt haben, so solte sie in ein Kloster – nun gingen ihr die Augen auf, die Hofnung, Frau v. Michelanzky zu werden, fiel weg, und Klosterfleisch war ihr nicht gewachsen163. Sie stelte sich also zu klug oder auch zu dumm, und so fopte sie eine Woche nach der andern ihren gei[s]tlichen Lehrer. – Auch die Haushälterin, die Michelanzky schon bey Lebzeiten seiner verstorben[en] Frau bey sich gehabt, wurde eifersichtig, daß sie seid der Zeit, das er die Broselitin gemacht164, nicht mehr so von ihm wie sonst geachtet war – die Haushältern konnte der Neubekehrten Mutter seyn. – Also war er in den Punkt einigermasen zu entschuldigen. – Doch zu sehr gewohnt, von den frommen Drachen sich befehlen zu laßen – auch nun seiner Schädeln überdrießig, [62]
kindigte er ihr an, das sie endweder auf Johanni165, wo nicht, auf den nächstfallenden Marientag166 ihren Glauben abschwören müßte. – Nun sah die Schädeln Ernst. – Also mußte sie nun zunXLIII ihren wahren Ernst greifen. Eines Morgens also tritt sie zu Michelanzky ins Zimmer und fängt an: „Ihro Gnaden, mein genädiger Herr, ich habe eine unterthänige Bitte an Sie.“ – „Was wilst du?“ – „Ich wolte Sie in aller Unterthänigkeit gebeten haben, ob Sie mich nicht wieder wolten nach Nürnberg reisen laßen zu meine Eltern.“ – „Ja, du infame Kanalge167! Du hast ja gesagt, du woltest 162 Mit „Herrn Brenner“ wird der Prinzipal Johann Michael Brenner (* um 1718 wahrscheinlich Wien, † nach 1771) gemeint sein, der 1750 mit seiner Truppe in Nürnberg spielte. Lit.: Scherl/Rudin, Johann Michael Brenner; Pies, Prinzipale, S. 70. Benezé I, S. 33 liest fälschlich „Brauer“. 163 Sie hatte keine Anlagen zur Nonne. 164 Proselyten machen: Anhänger für eine Religion gewinnen, jemanden bekehren. Proselytin: Konvertitin. Mit Proselytismus ist ursprünglich die Bekehrung zum Judentum gemeint, hier die Konversion zum Katholizismus. 165 Johannistag: 24. Juni. 166 Der auf den Johannistag nächstfolgende Marientag ist der 2. Juli, Mariae Heimsuchung. 167 Kanaille.
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catolisch werden?“ – „Ich? Ich habe keinen Gedanken daran gehabt! Sie haben mich dazu überreden wollen, aber ich finde, daß ich keinen Beruf168 dazu habe und noch weniger zu einen Kloster, darein Sie mich nun wollen einsperren laßen“. Kaum hatte sie ausgeredet, als die Haushälterin gleich einer Fuhrie ins Zimmer stürmt, den die hatte gehorcht – und vielleicht wohl nicht zum ersten Mal – über die Schädeln her, maulschelirte169 sie, riß sie bey den Haaren, so das Michelanzky kaum starck genug war, den christlichen Religion-Eiffer seiner [63]
Xantippe170 Einhalt zu thun. Er machte Friede, so gut er konnte, durfte es aber nicht wagen, den Tag auszugehen, den die Haushälterin hatte der Schädeln den Tod geschworen. Weil sie dachte, gewiß dadurch alle ihre Sünden zu tilgen, wen sie so einen lutherischen Kätzer171 und Hund den Garaus machte. Des Abens so gegen 8 Uhr schickte Michelanzky seine Magd nach meiner Mutter mit der Bitte: Sie möchte zu ihm kommen auf ein Gericht Spargel und Crebse. – „Ja, wie kommt Herr v. Michelanzky dazu! Griese Sie solchen wieder – meinen Gaumen hat Herr v. Michelanzky mir und meinen Kindern mit an Waßer und Brodt gewöhnen helfen. – Ich komme nicht.“ Die Magd geht, kommt bald zum zweyten und endlich zum dritten Mal wieder – meine Mutter aber sagt „Nein, ich gehe nicht. Was soll ich?“ Bis endlich die Magd um Gottes willen bittet und meiner Mutter erzehlt, was sich zugetragen; aber sie bittet, sie nicht zu verrathen. – Nun entschloß sie sich und geht nach Herrn v. Michelanzky hin. In den Zimmer, als sie hinein trat, herschte eine allgemeine Stille. Herr v. Michelanzky saß mit seiner Tochter am Tisch, jedes ein Buch vor sich und las, die Schedeln an den Ofen in einen Winkel und die [64]
Haushälterin am Fenster. Nach dem ersten Compliment172, welches meine Mutter zimlich spizig sagte, und wegen der Stille, die bey ihm herrschteXLIV, versicherte: daß sie sich gar nicht wunderte, das die Schädeln so hätte fromm werden müßen. So still bey meinen Gewerbe konnte es nicht seyn. – Sie mußte sich mit an den Tisch sezen, und es wurde aufgetragen – doch wenig gegeßen und noch weniger gesprochen. Endlich, als meine Mutter aufstehen wolte, brach Herr v. Michelanzky das Stillschweigen 168 Berufung. 169 Maulschellieren: Maulschellen (Ohrfeigen) geben. 170 Xanthippe, die Frau des Sokrates, gilt als Inbegriff des „streitsüchtigen Weibes“. 171 Ketzer. 172 Kompliment: Begrüßung.
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und erzahlte, was den Morgen vorgefallen. Sagt unter andern, daß er „die elende Creatur, die Sie, Madam, um Ihr Brod gebracht; mich und die ganze Geistlichkeit zum Narren gehabt“: öffendlich wolle auspauken laßen. – (Eine Strafe, die man in Ingolstadt liederlichen Weibspersonen anthut)173. – Meine Mutter lachte bitter Herrn v. Michelanzky ins Gesicht. „Heucheln würde ich, wenn ich’s leugnete, daß ichs Ihnen von Herzen gönne. – Alles daß sagte mein Mann und ich vorher. – Die Schädeln ist strafbar! Sie aber noch weit mehr! – Hätten Sie ihr nicht geschmeichelt, das sie nicht auf die Gedanken gekommen wär: heute oder morgen Ihre Frau zu werden, ihr gleich gesagt, daß sie eine Klosterfrau werden solte, nie würde sie auf die Gedanken gekommen seyn. Was die [65]
öffendliche Beschimpfung anlangt: sollen und werden Sie auch solches bleiben laßen mißen, weil ich es nimmermehr werde geschehen laßen. Jezt habe ich ein Wort mitzusprechen und mehr wie Sie. Sie war auf meinen Theater, und der Schimpf traf auch mich. Sie war gut, und nur durch Sie wurde sie daß, was sie ist. – Ist durch ihre öffendliche Beschimpfung mein Schade ersezt? und werde ich dadurch mehr eine ehrliche Frau? Nein, Herr v. Michelanzky, machen Sie Anstalt, daß sie wieder zu ihre Eltern kommt. Dahin will ich sie geschikt wißen, sonst nirgens.“ – Herr v. Michelanzky bat darauf meine Mutter, sie möchte die Güte haben und sie so lange bis zu ihrer Abreise wieder zu sich nehmen. „Das kann ich nicht!“ – „Madame, ich bitte Sie um Gottes willen! Nehmen Sie sie nicht zu sich, so geschied Mord und Todschlag zwischen ihr und meiner Haushälterin“. – Kaum hörte sich der alte Satan nennen, so erhob sie ihre Stimme: „Ja, mich sollen alle Teufel zerreißen, muß ich noch eine Nacht mit dem Ketzer unter einen Dach seyn, ich steche ihr’s Brodmeßer in Ranzen“. – „Da hören Sie es selbst!“ – „Nun, so bitten Sie meine Wirthsleute darum, ich darfs [66]
ohne denen ihr Vorwißen nicht wagen. Und muß ja selbst Gott danken, da ich ihnen schuldig bin, daß sie mich mit meine Kinder nicht auf die Straße hinauswerfen.“ Herr v. Michelanzky schikte seine Magd an unsere Wirthsleute, nicht ohne ein paar Gulden – Geld machte sie willig und bereit, und es hies: Ja, sie solte nur kommen. Die Haushälterin hatte sich zum Zimmer hinausgemacht und sich auf der öbern Treppe versteckt. Meine Mutter nahm die Schädeln bey der Hand und sagte: „Nun, so kommen Sie.“ Sie,
173 Unter Auspauken verstand man das unter Trommelschlag erfolgte Ausweisen von der Unzucht bezichtigten Frauen aus einem Ort.
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bange vor der Haushälterin, wolte geschwinde die Treppe hinunter. Aber die Alte kam auf sie zu, gab ihr einen Stoß in den Rüken, das die Schädeln die ganze Windeltreppe hinunterstürzte. Das alles sah der gnädige Herr gelaßen mit an und getraute sich seiner Alten kein Wort zu sagen. – Wehe! wenn Herrschaften sich so ihrer Rechte begeben! – Zum Glick, das sie außer einigen blauen Flecken weiter keinen Schaden genommen hat. Als meine Mutter sie zu uns ins Zimmer brachte, fiel sie vor ihr nieder auf die Knie, weinte, beneste meiner Mutter Hände mit Thränen und bat um Vergebung. – „Würde ich glüklich? wenn ich Ihnen nicht vergebe? – Gott vergebe es Ihnen! Ich ver[67]
zeihe es Ihnen auch. Reisen Sie zu Ihre Eltern, aber sagen Sie solchen die Wahrheit – und führen sich so auf, das nie wieder solche Thränen über Sie fliesen, als ich mit meinen Mann und Kindern über Sie geweint habe.“ Nach Verlauf von einigen Tagen wurde sie fortgeschickt nach Nürnberg. Nach der Zeit hat sie sich verheyratet mit einen Schauspieler, der Schwager174 hies, ist lange in Wien gewesen – nun ist er und sie tod, habe sie nie wieder gesehen. Die Begebenheit breitete sich bald in der ganzen Stad aus, und Herr v. Michelanzky spielte eine erbärmliche Figur. Von dieser Zeit an mußte ich alle Tage bey seiner Tochter seyn. Ich hatte meine Kost da, Mittag und Abend. Meine Mutter bekam nun volle Arbeit; und das nicht allein, man schikte ihr Holz, Lichte, Eßen, Wein, alles Mögliche ins Haus. – Doch davon konnte unser Wirth nicht bezalt werden, der über 100 Gulden und mehr zu fordern hatte. An einen Vormittag, so gegen 11 Uhr, nahm meine Mutter meinen Bruder und mich bey der Hand und sagte, nun wollen wir nach die Jesuiterkirche175. – Der Gottesdienst war vorbey, aber die Kirche noch offen. Karln schickte sie in die Sacristey mit dem Auftrag: er [68]
soll sagen: Ein Geistlicher möchte herrauskommen in den Beichtstuhl, es wolle jemand beichten. Mein Bruder kommt und bald nach ihm ein Pater, der sich in einen Beichtstul sezt. – Meine Mutter tritt auch in solchen. Als sich der Gei[s]tliche anschikte, nun die Beichte zu hören, fängt meine Mutter an: „Beichten will ich nicht“. – „Nun, so habe ich hier auch nichts zu thun“, antwortete er und will aufstehen. „Bleiben Sie“, 174 Der Schauspieler Johann Georg Schwager (* Bamberg) besuchte als Mitprinzipal der Brandenburgischen Hofkomödianten Nürnberg und lernte vermutlich dort Catharina Schädel kennen. 175 Gemeint ist die 1587/89 errichtete Hl.-Kreuzkirche, die ursprünglich zum Jesuitenkolleg gehörte. Nach Aufhebung des Jesuitenordens wurde die Hl.-Kreuzkirche 1780 zur Malteserkirche, 1809 zum Militärheumagazin. Im 19. Jahrhundert fiel sie dem Bau des Kriegsspitals, der späteren Flandernkaserne, zum Opfer.
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sagte meine Mutter. – „Will ich nicht beichten, so müßen Sie doch hören, was ich Ihnen zu sagen haben. – Hören würden Sie mich nicht, wenn ich nicht diesen Vorwand gebraucht hätte. Wißen Sie, wär ich bin? Ich bin die Schultzin, des Comödianten Schulze seine Frau, und da sizen meine zwey Kinder. Mein Mann ist von mir getrent, irrt in der Fremde umher und sucht Brodt für mich und seine Kinder. Wir sind hergekommen als ehrliche Leute. – Und Sie haben mich und meine Kinder am Bettelstab gebracht“. – „Madam, sprechen Sie nicht so laut“ (den es waren noch einige Leute in der Kirche). – „Warum sol ich nicht laut sprechen? – Es ist Wahrheit! – Wolte Gott, Sie hätten auch nicht so laut gesprochen!“ – „Aber [69]
was wollen Sie?“ „Was ich will? – Wegreisen, so ehrlich als wie ich hergekommen bin. Meine Gläubiger befriedigen. Ich bin schuldig, will bezahlen, kann aber nicht, den ich habe kein Geld. – Also, ich bitte, machen Sie Anstalt. – Ich reise nicht von hier. Haben Sie mich in dieses Unglük gestürzt, da sie einen jungen Mädchen mehr geglaubt wie mir und meinen Mann; so ist es Ihre Pflicht, mich herrauszuziehen.“ – „Madame, Sie verlangen Geld von uns? Wir selbst sind so a r m , d a s w i r k a u m E i n e n K r e u z e r a u f S c h n u p f t o b a k H a b e n XLV.“ – „Ach Karl“, sagte ich zu meinen Bruder, „höre, wie der Geistliche lügt. – Das ist ein rechter Jesus zuwieder176 – die arme Mama!“ – Meine Mutter, nach einer starcken Pause, ehe sie sich darauf faßen konnte, fengt an – „Das steht mir nicht zu zu untersuchen. Haben Sie es nicht, so laßen Sie es in dem Confickt177 zusammenlegen. Genug, ich kann nicht meine Kinder an die Hand nehmen und, wie ich gehe und steh, zum Thor hinauslauffen und alle das Meinige zuricklaßen. – Wolte Gott! ich hätte es nicht nöthig gehabt, diesen Schritt zu thun. – Doch da die Umstände so gekommen, [70]
blieb mir kein anderer Weg übrig. Durch Lügen und Lästerung bin ich in den Zustand versezt worden. Mir geschah Unrecht! Also ist es Pflicht, selbst die Religion befiehlt es Ihnen, so viel wie in Ihren Kräften steht, wiedergutzumachen. Mein Zustand ist so, das, wenn Sie nicht Anstalt machen, ich laut über Ungerechtigkeit schreie, ich alles wage!! – Wenn Sie Ihre Ohren für mich verschließen, wo soll ich Barmherzigkeit finden“. – – Der Gei[s]tliche wurde gerührt. „Madame, ich verspreche es Ihnen hier, ich werde für Sie sprechen, gedulden Sie sich nur etliche Tage. Es soll Ihnen geholfen
176 Jesuwider: Schimpfname für einen Jesuiten. 177 Konvikt: Gemeint ist das oben erwähnte Jesuitenkolleg.
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werden“. – „So lohns Ihnen Gott“. – Und meine Mutter trat aus dem Beichtstul, der Gei[s]tliche grießte uns und ging in die Sacristey und wir nach Hause. Noch in derselben Woche schikten die Jesuiten mit ihrer Petschaft versiegelt zweymal an meine Mutter Geld, einmal 30 und einmal einige 40 Gulden. Täglich fast kam Geld – ohnfehlbar auch durch ihre Vorsprache. Meine Mutter zalte den Wirth und leste nach und nach ihre versezten Sachen ein. SieXLVI wurde bald da, bald dort zu Tische gebeten. Mein Karl speißte bald da, bald dort. Ich war bey Herrn v. Michelanzky, so das wir also wenig oder nichts [71]
für Eßen und Trinken ausgeben durften. Der Mann, der das Bauholz zu dem Theater hergegeben178, nahm sein Holz zurük, und als meine Mutter nach der Rechnung frug? schickte er ihr solche unterschrieben, ohne ihr einen Groschen abzufordern, und ebenso machte es der Nagelschmied und Lichterzieher179. – Gott lohns ihnen! Warum weis ich nicht allen ihre Namen, daß ich sie hier noch öffendlich nennen kann! Meine Mutter schrieb alles an meinen Vater – Gott weis, wo der Mann überall war! Endlich, so gegen Ende des Julius, kamen Briefe von meinen Vater aus Paßau, daß er den Johannes Schulz180 dort angetroffen und in der Hofnung, zu seiner alten Schuld zu gelangen, sich bey ihm mit uns von neuen engagirt: weil er ohnedieß Leute brauchte, so wie mein Vater Engagement. Meine Mutter packte ein, wir nahmen Abschied von unsern Wohlthäter, sezten uns zu Schiffe und kamen glicklich in Paßau an. Mein Vater stand am Ufer. O mein Gott, welche Freude nach so vielen Leiden, nach so langer Abwesenheit. Wir hungen alle drey zugleich an ihm – was wir sagten, war ver[72]
worren ohne Zusammenhang. „Da! Nimm, Papa!“ sagte endlich meine Mutter und gab den Vater alle quitirte Rechnungen und ihren Beutel, darinnen noch so ein 30 Gulden Geld mochte gewesen seyn. – Vater: „Soviel kann ich dir nicht dagegen geben“. Mutter: „Du giebst dich mir und den Kindern! – Gott wird und kann uns nicht laßen“. – Er führte uns nun in unsere Wohnung, und alles Leiden war vergeßen. – Es wird ja einmal wieder beßer werden, oder sind uns noch mehre Kelche vom Herrn vorbehalten, die wir ausleeren sollen, so laß uns standhaft bleiben, das Gott uns immer wieder retten werde, wenn wir auf den Weg der Redlichen fortwandeln. – Kennen noch größere 178 Die Wandertruppen nutzten für ihre Aufführungen oft provisorisch aufgeschlagene Bretterbühnen oder Holzbuden, die nach dem Ende der Spielzeit wieder abgerissen wurden. 179 Kerzenmacher. 180 Prinzipal Johann Schulz s. o. HHS, S. [20].
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Trübsale kommen als die waren? – Sie kamen! – Doch ich will nicht vorgreifen und nicht eher davon Meldung thun, als bis ich an den Zeitpunkt komme. Meine Eltern spielten nun mit Schulzen fort, die Einnahmen waren gut, doch weil die Örter nicht im Stande sind, zu lange einen Directeur mit seiner Geselschaft zu erhalten, so reißten wir alle zu Schiffe fort nach Straubingen181, den 30. September 1751. In Straubingen wurde bis Advent fortgespielt182. Wir fanden das Canzlerische Haus183 noch ebenso gegen uns ge[73]
sinnt wie das erste Mal. Wir bekamen neue Zutrit in den ersten, besten Häusern. Ich wurde kranck und bekam die Maßern. Die Herschaften schickten Medicis, sie bezalten Docters und Medicin, und ich wurde aus ihren Küchen gespeißt. Ja, wen ich vom ersten Range gewesen wär und an mich der ganzen Welt Glückseligkeit gelegen hätte, man hätte nicht aufmerksamer seyn kennen. Der Tag der Abreise nahte herran, und weil ich noch nicht ganz hergestelt war und meine Eltern mit mir fort mußten, so besorgten die Herrschaf[ten] eine Kutsche mit Glasfenstern, um nicht der kalten Luft blosgestelt zu seyn, und sorgten, daß mir nichts auf der Reise fehlen durfte. Das gute liebe Fräulein de Lugern mit ihren Bruder184 hoben mich selbst in den Wagen und pakten mich ein des Morgens 5 Uhr. – Noch sehe ich sie, wie sie mir die Thränen, die dankbar auf ihre Hand fiehlen, mir abdroknete und mir sagte: „Wärst du nicht ein gutes, frommes, gehorsames Kind, würde ich mich nicht um dich bekimmern. Bleibe daß, und jeder wird dich den lieben.“ – Wir kamen in Regenspurg an; spielten in den Ballhaus185. –
181 Straubing. 182 Der 1. Advent war der 28. November. – Die Anwesenheit der Truppe des Johann Schulz im Herbst 1751 ist in den Straubinger Ratsprotokollen bezeugt. Da er von der Regierung die Erlaubnis hatte, bis Ende Oktober zu spielen, stimmte der städtische Magistrat zu, dass er im bürgerlichen Saal am Brothaus spielen dürfe. Das Brothaus befand sich in einem Anbau des Stadtturms auf dem Marktplatz. Später erwirkte Schulz eine obrigkeitliche Spielerlaubnis bis zum 26. November, wo er unter Beachtung bestimmter Auflagen (Feuerschutz) beim Adlerwirt weiterspielen durfte; Josef Behner und Josef Keim, Beiträge zur Straubinger Theatergeschichte, in: Jahresbericht des Historischen Vereins Straubing und Umgebung 44–51 (1941–1948), Straubing 1949, S. 3–111, hier S. 58. 183 Gemeint ist das Haus bzw. die Familie des damaligen Regierungskanzlers in Straubing, Franz Georg Heinrich Aloys von Lueger (s. o. HHS, S. [28]). 184 Bei „Fräulein de Lugern“ könnte es sich um die Schwester des Regierungskanzlers, Kordula von Lueger († 1766), handeln, die offensichtlich bei ihm in Straubing gewohnt hat; Staatsarchiv Landshut, Regierung Straubing (Rep. 209) A 1540. 185 Das 1652 am heutigen Ägidienplatz errichtete reichsstädtische Ballhaus wurde auch als Theaterspielstätte genutzt, von 1760–1786 beherbergte es das fürstliche Hoftheater. Lit.: Harald Gieß, Ballhaus, Hoftheater, Wagenremise – ein vergessener Ort in Regensburg, in: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege
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Verlohren ist und war jeder Prinzibal in Regenspurg, der keine Unterstützung von den Fürst Taxis186 hatte – und daran war nicht zu denken, [74]
weil der Hof italiansche Schauspieler hatte. Das Ballhaus blieb leer und unbesucht – und folglich kam auch des Wochs keine Gage oder doch nur eben so von der Hand in den Mund. 1752. – Meine Mutter wurde krank und lag elendiglich an einer Blutstürzung. Krank seyn und vom Gelde entblößt. – Der daß nicht selbst gefühlt hat, kann sich keinen Begrif von machen. – Kaum als sich meine Mutter in etwas erholt hatte, bekam sie Briefe von Straubingen: Ob es nicht möglich wär, daß sie hinüberkommen könnte? da nun die Carnevalszeit gekommen, um denen Herrschaften Masken anzugeben; sie wolten für Reise und alles sorgen. Nichts konnte gewünschter kommen. Mein Vater sprach mit dem Prinzibal, und er, da er doch kein Geld geben konnte, gabs gerne zu. Meine Mutter, so schwach sie auch noch war, reißte mit mir ab. – Wir lebten die 14 Tage, als wir da waren, sehr gut. Ich half mit arbeiten, was ich nach meinen Alter vermögend war zu thun, und kaum, das ich mit meiner Mutter des Nachts schlieffen, den sie lieferte die Maskenkleider für den ganzen Carneval. Wir reißten fort und brachten den Vater Geld, um Docter, Apotheke und Wirth zu bezahlen. So freygebig war gegen uns die Gräfin Kloß187, de Lugern [75]
und noch verschiedene andere, deren Namen mir entfallen. Wir leierten bis in die Faste weg. Endlich erhielte der Johann Schulz die Erlaubniß, in Nürnberg zu spielen. Bekam auch Vorschuß, so daß er mit der Geselschaft die Reise antretten konnte. – Wir kamen also in Nürnberg an, und nach Ostern wurde zuerst gespielt. Der Schauplaz war in dem Fechthaus, wo vor vielen 100 Jahren die Thurniere gehalten wurden. Die Comödie ging gegen 3 Uhr des Nachmittags an und wurde unter den freyen Himmel am
(Hg.), Denkmalpflege Informationen Nr. 155, Juli 2013, S. 38–41, hier S. 38 f.; Christoph Meixner, Regensburg, S. 1732 ff.; Helmut Pigge, Theater in Regensburg. Vom fürstlichen Hoftheater zu den Städtischen Bühnen, Regensburg 1998. 186 Fürst Alexander Ferdinand von Thurn und Taxis (* 21. März 1704 Frankfurt/Main, † 17. März 1773 Regensburg), dritter Fürst von Thurn und Taxis, Generalerbpostmeister und Prinzipalkommissar (Stellvertreter des Kaisers) beim Immerwährenden Reichstag, hatte 1748 die Residenz der Thurn und Taxis von Frankfurt nach Regensburg verlegt, wo er ab 1760 auch ein Hoftheater unterhielt; Martin Dallmeier und Martha Schad, Das Fürstliche Haus Thurn und Taxis. 300 Jahre Geschichte in Bildern, Regensburg 1996, S. 46–47. 187 Nicht ermittelt.
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Tage agirt188. – In Nürnberg ist und konnte nie ein Directeur reich werden, ja, so sind die meisten, wenn sie nicht bancerott waren: doch dort geworden, den von jeder Einnahme nahm der Rath den 3ten Theil189. – So ging’s also auch unsern Directeur: mehr Schulden, als er je bezahlen konnte. Da sich also so viele Gläubiger fanden, so wurden alle zusammen an einen Tage aufs Rathhaus geladen. Wir wohnten zum Unglück mit dem Prinzibal in einen Haus. – Nun wurde den jeder aufgerufen, wieviel hat er und wieviel jener zu fordern? Die Summen wurden brotocollirt. – Nun kam’s an meinen Vater. „Wieviel haben Sie an den Mann [76]
zu fordern“. Mein Vater, der die Summen von München und denen Ortern mit aufgezeichnet hatte, fing an: „Eintausend“ – – „Oho – oho – das wird zu starck, das kann der Mann nicht zahlen. – Wieviel ist er Ihnen hier schuldig geworden?“ „100 Gulden“. – Die Hundert Gulden wurden also mit ins Brotocoll gesezt. Schulz wolte nach Prag reisen. Der Wirth aber sagte, er könne reisen, doch die Frau solte zurük bleiben, bis er das Geld, so er ihm schuldig wär, würde geschickt haben. Schulz machte Einwendung und sagte: „Ohne meine Frau kann ich kein Geld verdienen.“ – Die Debatten wurden starck. – Mein Vater sagte: „Edle und hohe weise Herrn, wenn mir Herr Schulz nur die 100 Gulden wieder bezalt, die er mir hier schuldig geblieben ist – gerne will ich ihn die übrige Tausend und so viele 100 Gulden schenken“. – Auch das wurde brotocollirt. – Die Seßion dauerte bis nach 1 Uhr des Mittags, als der Burge[r]meister ungeduldig aufstand. Unser Wirth, der nichts weiter ausgerichtet: als daß er den Schulz mit seiner Familie solte reisen laßen und hoffen, ob er ihm bezahlen wird oder kann?
188 Dass im Fechthaus „vor vielen 100 Jahren die Thurniere gehalten wurden“, entspricht nicht ganz den Tatsachen. Das 1628 vom Rat auf der Hinteren Pegnitz-Insel Schütt erbaute Fecht- oder Tagkomödienhaus bot in drei Galerien 3000 Zuschauern Platz. Als Bühne diente der nicht überdachte Hof. Hier hatten neben Theateraufführungen auch Schaukämpfe im Fechten und Tierhatzen stattgefunden. Das Fecht- oder Tagkomödienhaus, das als der erste kommunale Theaterbau Deutschlands gilt, konnte nur tagsüber (und nur im Sommer) bespielt werden. Ab 1762 wurde es nicht mehr als Theater genutzt, 1811 abgerissen (http://www.nuernberginfos.de/bauwerke-nuernberg/fechthaus-tagkomoedienhaus. html, Zugriff am 26.7.2020); Bühl, Fecht- oder Tagkomödienhaus und Dies., Opern- oder Nachtkomödienhaus, in: Nürnberg SL online. 1668 errichtete der Rat zusätzlich ein Opern- oder Nachtkomödienhaus, das 1801 in das private Nationaltheater umgewandelt wurde; Michael Diefenbacher und Horst-Dieter Beyerstedt, Nürnberg, S. 1591 f. 189 Das für die Aufsicht über Theater und Schauspieler zuständige Kriegsamt ließ durch von ihm bestellte Büchsenmänner die Eintrittsgelder einsammeln. Neben dem dritten Teil der Einnahmen forderte das Kriegsamt auch Unkostenersatz. Zu den Nürnberger Gepflogenheiten ausführlicher Hermann Uhde, Komödiantenleben, S. 377; s. Kap. III.5.2.
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fängt endlich an: „Ja, der Mann“ (und wies auf meinen Vater) „ist mir auch schuldig“. Burge[r]meister: „Nun, so laßt Euch [77]
bezahlen.“ – Wirth: „Ja, er hat kein Geld, sondern hats vom Prinzibal zu fordern“. Burge[r]meister: „Hat er den Kleider und Sachen?“ Wirth: „Ja!“ Burge[r]meister: „Nun, so halt Euch daran“. – Mein Vater wolte einsprechen – aber nichts half. Der Burge[r]meister lief fort. Und so alle Gläubiger. Mein Vater eilte halbtod nach Hause, trat zu uns ins Zimmer und sagte: „Kinder, erschrökt nicht, gleich wird man kommen und uns alles das unsrige wegnehmen“. – Meine Mutter saß wie bedäubt. – Ich hatte eine neue Schnirbrust190 bekommen und hielte daß für mein bestes Möbel191, sprang mit solcher in das Vorhangbette meiner Eltern und schnirte in aller Eile solche mir ein wenig auf den Leib. Hatte solche kaum an, so kamen die dienstbaren Geister und räumten rein aus, das Vater, Mutter, mein Bruder und ich nichts weiter blieb, als was wir auf den Leib hatten. – Leid ists mirs, das ich den Namen des edlen Richters nicht weis, der den Aussprug192 that. – Der Ehrenmann! Der Wirth hies Lochner und sein Haus „Zum Goldenen Ochsen“193. Meine Eltern sahen sich wechselsweise an. Blikten auf mich und meinen Bruder – wir weinten in ihre Thränen. Als wir so saßen, kam den Prinzibal seine Frau [78]
zu uns ins Zimmer, sezte beyde Ärme in die Seite und fängt hell an zu lachen und sagte: „Nun, das ist wahr, wer nichts hat, den kann man nichts nehmen, und wo nichts ist, hat der Kayser sein Recht verlohren“. – Meine Mutter sprang auf, nahm sie bey den Arm und warf sie zum Zimmer hinaus. „Bestie!“ sagte sie. – Der Prinzibal muste noch denselben Tag mit Weib und Kinder aus dem Haus. – Ihre Sachen, die freylich, Garderobe und alles zusammengenommen, keine 10 Gulden werth waren, blieben ihnen, nahmen sie mit und reißten noch den selben Abend fort nach Prag. – Mein Vater sah, daß er einige Arbeit mit der Feder bekam. Schrieb also manchen Bogen für wenige Bazen. – Meine Mutter – warum sol ichs verschweigen! bat einige Frauens von ihren wenigen Bekandten in der Stadt um einige alte Hemten und Wäsche – sie erhielts 190 Schnürbrust, auch Schnürmieder: Ein auf dem Rücken geschnürtes Korsett. 191 Hier im Sinne von: Bester, wertvollster Besitz. 192 Ausspruch, hier in der Bedeutung von: Urteil. 193 Das Wirtshaus „Goldener Ochse“ befand sich in der Pfannenschmiedsgasse 20 und gehörte zu der Zeit dem Handwerk der Nürnberger Metzger. Dr. Bauernfeind vom Stadtarchiv Nürnberg sei für seine Auskunft bestens gedankt.
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auch, sowohl für sich als für den Vater, Carln und mich noch ein Hemt und etliche Schnupftücher. – Um nur das tägliche Eßen zu haben, nähte sie für unsere Wirthin, kniete manche halbe Tage an der Erde, um Flicken auf die großen groben Betttücher zu sezen. Carl, der gut Haare wickeln und Perücken frisiren konnte, lehrte solches an andere; da ers wolfeiler that als die [79]
Perückenmacher. Und ich hatte Bekandschaft bey einer alten Französin, die noch Mamsel war194, sich ernährte mit Kupferstiche zu iluminiren195, da lernte ich die Grundfarben anlegen und verdiente des Wochs auch einige Kräuzer – so gingen einige Wochen hin, mein Vater wartete mit Sehnsucht auf Briefe oder Geld von dem Schulz aus Prag, aber es kam weder das eine noch das andere – auf alle Briefe, die mein Vater an ihn schrieb, kam keine Antwort. Endlich entschloß sich der alte Mann im 59. Jahr seines Alters, zu Fuß von Nürnberg bis Prag zu gehen, und lies uns zurück. Er richtete seinen Weg so ein, weil er kein Geld hatte, mittags und abens ein Kloster zu erreichen, wo er den gespeist wurde und Nachtlager fand. Ja, man gewan ihn in einigen Klöstern so lieb, das man ihm Briefe von einen Kloster ans andere mitgab – und so kam er, wie manche ihr Geld auf Reisen verzehren – er aber mit einigen Gulden mehr nach Prag, als er von Nürnberg mitgenommen hatte. Sobald er in Prag angelangt war, erkundigte er sich bey seinen alten Wirth, den er schon viele Jahre vorher gekand hatte und noch lebend fand, wo der Schulz wohnte? Er ging hin, es war des Mittags – und fand diese verehrungswürdige [80]
Familie, eben da sie ein Pastete verzehrten, Haasen, gebratene Hüner, Wein, alles war in Überfluß da. Sie hatten einen Gast bey sich, der hies Teppi196, ein sehr geschickter und berühmter Zahnarzt. Der Bißen blieb ihnen bey den Anblick meines Vaters im Halse steken. Mein Vater sprach ernsthaft – Schulze wolte sich entschuldigen, konnte aber freylich nicht; und ersuchte den andern Tag, das mein Vater wieder zu ihm kommen möchte, er wolte wegen der 100 Gulden Anstalt machen. Mein Vater ging weg und besuchte noch einige alte Bekandte, die er noch lebend fand, und kam erst nach halb 194 Sie war noch eine Mademoiselle, eine unverheiratete Frau. 195 Illuminieren: Ausmalen. 196 „Teppi“ (auch Döppe, Töppe, Teppe) ist Johann Franz Deppe (2. H. 17. Jh.–nach 1757), HanswurstDarsteller, Schausteller, Theaterprinzipal und Zahnarzt. – Es ist bemerkenswert, dass Karoline Kummerfeld Deppe nur einen „berühmten Zahnarzt“ nennt, seine schauspielerischen Aktivitäten dagegen gar nicht erwähnt.
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11 Uhr in der Nacht in sein Quartir. Sowie er ins Haus tritt, sagte sein Wirth: „Mein Gott, Herr Schulze, wie habe ich nach Ihnen verlangt. Schon 3 Mal ist der Lauffer von Ihro Exelenz den Herrn Stadt-Commentanten197 dagewesen, Sie sollen augenbliklich hinkommen“. Mein Vater eilte nach dem Hause. Als er hineintrat, sagte der Pordier: „Sind Sie Herr Christian Schulze“. „Ja“. „Gleich zu Ihro Exelenz“. Mein Vater tritt zu dem Herrn ins Zimmer – „Ja, ja, er ist’s. Ich habe mich gottlob nicht geirrt. Ist mein alter Freund, der gute, ehrliche Christian Schulze“. Umarmte und küßte mei[81]
nen Vater. Er bat um Vergebung, daß er noch nicht seine Aufwartung gemacht: „Aber ich bin erst heute Mittag angekommen. Was steht zu Ihren Befehl? Und woher wißen Sie, das ich hier bin“. „Woher ich’s weis? Wißen Sie wohl, das ich heute schon auf Sie einen Steckbrief habe ausliefern sollen? Man will Sie in Arrest stecken wegen einer Geldschuld von 100 Gulden, wo Sie vor 18 oder 20 Jahren gutgesagt haben, der Mann, dem Sies zahlen sollen, ist Teppi, der Zahnarzt. Da ich aber den Namen Christian Schulze hörte, dachte ich: wenn Sies wären, solte es mir um Sie Leid seyn, wenn Sie öffendlich beschümpft würden, und wolte Sie erst selbst sprechen, ob nicht die Sache in Güte könnte beygelegt werden oder sonst sich Mittel fänden“. Mit Thränen dankte mein Vater seinen Beschüzer! Erzehlte ihm sein trauriges Schicksal und bat, er mochte den Steckbrief auf ihn nicht herrausgeben, er wolle den andern Tag mit Teppi selbst sprechen. – Was wars? Teppi hatte der Schulzen zu tief in die schwarzen Augen gesehen, die weinten, als mein Vater weggegangen war. Schulz sagte, ich weis nicht, wo ich die 100 Gulden bekommen soll. Teppi erinnerte sich, noch meines Vaters Handschrieft zu [82]
besizen, wo er vor so viel Jahren für seinen ehemaligen Prinzibal, einen gewißen Hake198, hatte gutgesagt, das der von Prag wegreisen konnte. Mein armer Vater also, anstad Geld zu bekommen, bekam seine Obligation von 20 Jahren zurick, mußte die ausgestelte von Johann Schulz an Teppi geben199. – Und weil mein Vater auf dem Rathhaus in Nürnberg gesagt: „Ich schenke dem Johann Schulz die übrige Forderung“, nahms 197 Nicht ermittelt. 198 Johann Caspar Haacke (Hacke, Haack) (um 1680–Mai/Juni 1722), Schauspieler und Theaterprinzipal. 199 Christian Schulze gehörte mit seiner ersten Ehefrau Dorothea für einige Zeit zur Gesellschaft Haackes, mit der er im Februar 1718 in Prag aufgetreten war. Dem damals verschuldeten Haacke ermöglichte Johann Franz Deppe durch eine Schuldverschreibung die Abreise aus Prag. Diese Schuldverschreibung über 100 Gulden hatte Christian Schulze als Bürge unterzeichnet, weshalb Deppe nun nach 34 Jahren (nicht 20, wie Kummerfeld schreibt) die Zahlung einforderte; Scherl/Rudin, Johann Caspar Haacke, hier S. 248.
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der für geschenckt an. – Und er bekam nicht einen Heller für alles. – Nicht einmal großen Dank. – Wärend mein Vater von uns war, bekamen wir Briefe von Luxenburg von einen Prinzibal Mayer200, der uns Engagement antrug und Vorschus. Meine Mutter schrieb solches an meinen Vater. Er machte sich also zu uns auf den Weg, wie er war hingekommen – nehmlich zu Fuß. Der Stadt-Commentant hatte ihm einige Ducaten geschenkt, doch dem ohngeachtet, lies ihn die Liebe zu uns nicht zu, das er’s sich bequämer gemacht – kehrte wieder von Kloster zu Kloster ein und kam miede und mat – aber gesund in unsere Arme. Sobald er angekommen, schrieb er an Mayern, nahms Engagement an und bat um 100 [83]
Gulden Vorschuß und Reisegeld. 50 Gulden wurden ihm in Nürnberg ausgezalt, und 50 Gulden solte er in Würzburg haben. Mein Vater sprach mit seinen Wirth. Bares Geld gab ihm mein Vater 30 Gulden. Lies für das übrige seiner Forderung den Wirth sein Theatergarderobe, und nur einen Kuffer mit Kleider, Wäsche und dergleichen gaben sie uns mit. – Das übrige ist da geblieben – hab nie wieder ein Stick davon gesehen. So reißten wir den in Anfang des Septembers von Nürnberg weg. – „So hat Gott wieder aus einen Thränendahl uns geführt!“ sagte meine Mutter. „Gott wird ferner helfen“, antwortete mein Vater – „dürfen wir uns doch keine Vorwürfe machen“. Von diesen Johann Schultze mit seiner Familie habe ich keinen mehr seid der Zeit gesehen. Er ist tod, und sie hat sich nach seinen Tod mit einen gewißen Joseph Memminger201 verheyratetXLVII. Spielt noch jezt in Baaden bey Wienn, hat Haus und Hof und steht sich sehr reichlich. Die Schulden ihres ersten Mann haben sie nicht bekümmert. Liegt er als ein Schurke oder ehrlicher Mann im Grabe, was geth das ihr an – hat sie doch ihr Auskommen.
200 Seit 1603 bis zur Aufhebung des Jesuitenordens 1773 wurde in der Aula des Luxemburger Jesuitenkollegs, in den Festsälen des Rathauses und des Gouverneurpalastes Schultheater gespielt. Daneben gab es Gastspiele von Wandertruppen. 1798 nahm das professionelle Theater in der Dominikanerkirche seinen Anfang. Lit.: André Link, Vom Dekadentempel zur Kulturschmiede. Zweihundert Jahre Theatergeschehen in Luxemburg, Luxemburg 2004, S. 19; Joseph Hurt, Theater in Luxemburg. 1. Teil: Von den Anfängen bis zum heimatlichen Theater 1855. Sonderheft zum 12. Jg. „Jong-Hémecht“ 1938, hier v. a. S. 61–73. Ein Prinzipal Mayer wird in der Literatur nicht erwähnt. 201 Die Witwe Josepha Schulz heiratete 1766 nicht Joseph Memminger, sondern Johann Matthias Menninger (* um 1733 vermutl. Komárom/Komárno (Komorn), H/SK, † 15. Jan. 1793 Wien), seit 1760 Darsteller des Hanswurst in der Truppe von Johann Schulz, der nach der Eheschließung mit Josepha Schulz die Leitung ihrer Gesellschaft übernahm. Lit.: Schindler, Johann Matthias Menninger; Pies, Prinzipale, S. 343; Krista Fleischmann, Das steirische Berufstheater im 18. Jahrhundert, Wien 1974 (Theatergeschichte Österreichs, Bd. V: Steiermark, H. 1), S. 78.
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Nach einer glüklichen Reise kommen wir in Würzburg [84]
an. Mein Vater geth nach einer Barbirstube, um sich den Bard abschören zu laßen, und findet dort einen Comödien-Zettel202 von der Brunianischen Geselschaft. Dieser Brunian203 war auch in Regensburg und Nürnberg bei Schulzen mit uns zugleich gewesen und war so gut wie wir von ihm betrogen worden. Herr Brunian hatte in Nürnberg viele Scolairen204 im Tanzen, hatte sich also nach und nach eine kleine Garderobe angeschaft und spieltXLVIII blosXLIX Pantomimen. Verdiente auch gut Geld. Dieser Mann hatte überhaubt vom guten Schöpfer ein Wesen erhalten, das ihm jedermanns Liebe erwarb und erwerben mußte. Ja, wenn er nicht zu gut gewesen, zu viele Leute bey seinen Theatern gehabt und zu viele Kosten darauf verwendet hätte, der Mann hätte müßen reich werden. Bey diesem Brunian und seiner Frau205 war auch meine Stiefschwester Mariane engagirt – was war natürlicher, als, da mein Vater mit der Nachricht zu uns ins Wirthshaus kam, er mit mir und meinen Bruder nach dem Balhaus206 gingen, wo Brunian logirt war. Sein Erstaunen war ebenso groß wie seine Freude, uns [85]
zu sehen – meine Schwester fühlte anfänglich einen kleinen Schröck, doch auch der ging vorüber, da es mein Vater bey einen Verweis lies, der mehr im Mienen als im Ton lag207. /L Brunian wünschte, das wir bey seiner Geselschaft bleiben möchten! Mein Vater stelte ihm das Unmögliche in seiner Bitte vor, doch lies Brunian mit seiner Frau und meiner Schwester nicht eher mit Bitten nach, bis mein Vater das Wort von sich gab, wenigstens den einen Tag in Würzburg zuzubringen. Brunian lief selbst nach dem Wirthshaus und holte meine Mutter, wir brachten den Mittag sehr vergnügt zu und
202 Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war es üblich, vor Theateraufführungen gedruckte Ankündigungen zu verteilen. Diese Theaterzettel, wichtige Quelle für die Theatergeschichte, enthalten den Titel der Aufführung und das Personenverzeichnis des Stücks, Aufführungsort, Spielbeginn und Eintrittspreise, seit 1750 oft auch die Namen der Darsteller. Lit.: Maurer-Schmoock, Theater, S. 135–139; Knedlik, Theater, S. 61. 203 Johann Joseph von Brunian (1733–1781), Schauspieler und Theaterdirektor. 204 Scholaren: Schüler. 205 Brunian war damals mit einer Sängerin unbekannten Namens verheiratet, nach deren Tod er am 7. Februar 1773 Marianna Mion geb. Schulze, die Halbschwester Karoline Kummerfelds, heiratete; Scherl/ Rudin, Johann Joseph von Brunian, hier S. 78, 82. 206 Im Ballhaus auf der oberen Juliuspromenade konnten die Wanderbühnen gastieren. 207 Diese Bemerkung bezieht sich auf den in HHS, S. [60] geschilderten heimlichen Weggang der Marianna Schulze von ihrer Familie in Ingolstadt.
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gingen, als es Zeit war, ins Theater, um die Pantomime mit anzusehen. Es sezte sich ein Herr zu meine Eltern und lies sich mit ihnen ins Gespräch ein, er erfur bald, wer wir waren, und da er hörte, das wir nach Luxenburg zu Herrn Mayer wolte, so sagte er: „Mein Herr, ich bedaure Sie! Dieser Mayer, zu dem Sie wollen, sizt in Luxenburg in Arrest Schulden halber, so das er nicht weis, wie er sich retten soll“. – Schulden? Arrest? Unser neuer Prinzibal, zu dem wir wolten? – – Schöne tröstliche Nachricht. – Wie die Pantomime aus war und wirLI [86]
wieder zu Brunian ins Zimmer kamen, erzählten ihm meine Eltern, was sie gehört hätten. „Herr Brunian“, sagte mein Vater, „Sie trugen mir heute ein Engagement an, ich konnte nicht ja sagen. – Doch wenn es an dem ist, das Mayer sich in solchen schlechten Umständen befindet, wie kann ich weiterreisen? Stehts habe ich gehandelt wie ein ehrlicher Mann. Hören Sie mich also, was ich gewilligt bin zu thun. Verschaffen Sie mir 50 Gulden, die wil ich bey dem Kaufmann hier, wo ich noch 50 Gulden haben sol, niederlegen. Will an Mayern nach Luxenburg schreiben, was ich hier erfahren. Ists Lüge, so nehme ich das Geld wieder auf und reise zu Mayern; ists aber wahr, sizt er in Arrest, so mag er mit die 100 Gulden einen Theil seiner Schulden zalen, und ich bleibe mit meiner Frau und Kinder bey Ihnen“. Brunian, voller Freuden, machte Anstald und verschafte die verlangten 50 Gulden den andern Tag. Mein Vater trug solche zu den Kaufmann nebst einen Brief. – Aber auf den Brief ist keine Antwort erfolget. Der Kaufmann, von dem sowohl die 50 Gulden, die uns in Nürnberg ausgezalt wurden, waren wie die 50, die er uns in Würzburg gebenLII solte, sagte: er [87]
wiße auch von nichts. Bekümmere sich auch nicht, da er sein Geld wieder hätte. – Länger als 4 Jahre darauf erfuren wir, das Brunian diesen Mann unterrichtet, was er meinen Eltern sagen solte, um uns nur bey sich zu behalten. – Und Mayer, der sich wirklich in Luxenburg sehr gut gestanden, hielts für eine kahle Ausflucht208, das wir nicht zu ihm wolten, und antwortete meinen Vater nicht. Hielte ihn keiner Antwort werth. Mein Vater aber hielte sein Stilschweigen als eine Bestetigung deßen, was er von ihm gehört hatte.LIII Meine Eltern blieben bey Herrn v. Brunian, und wir bekamen auch anfänglich richtige Gage. Herr v. Brunian würde sich sowohl damals wie lange Jahre darauf immer gut gestanden haben, wenn er nicht so viele unnüze Leute bey seiner Geselschaft gehabt. Eines brauchbaren Menschens wegen erhielte er oft ganze
208 Eine leere Ausrede.
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Familien. Unser Glük war, das bey unsern Engagement bey ihm mit ausgemacht wurde: daß ich eine Abschiedsrede halten und zum Schluß der Schauspiele solche an jeden Ort austheilen solte. – Für das, was ich den er[88]
hielte, konnte mein Vater immer sicher rechnen, daß er den damit seinen Wirth und übrige Schulden bezalen konnte. Etwas vor dem Advent reißten wir nach Äichstätt209. – Doch ehe ich mich ganz von Würzburg wende, muß ich das Haus des Hofmarschals BaronLIV von Greiffenglau erwehnen, wo ich viele Gnaden empfangen. 4 liebenswürdige FräuleinsLV und zween junge BaroneLVI waren damals in dem GreiffenklauischenLVII Haus und noch unvermählt210. Der Fürst und Bischof von Würzburg war ein Bruder des Hofmarschals211. Auch in Äichstätt war die Einnahme gut, und Herr v. Brunian spielte fort bis an die Faste 1753. Ich kann wieder nicht umhin, von einer sehr gütigen Dame Erwähnung zu thun. Sie hieß de Molidor212, und ihr Gemahl war Capittelrichter. Sie hatten eine Tochter von 11 und einen Sohn von 7 Jahren. Alle Morgen um 9 Uhr ging ich nach der Dame, und des Abens 9 Uhr wurde ich wieder zu meine Eltern gebracht, wen ich nichts bey der Comödie zu thun hatte. Diese Dame, die viele Lebensart hatte, gab mir mit ihrer Tochter gleichen Unterricht sowohl in Handarbeiten als übrigen Dingen, die ein Mädchen angenehm und beliebt machen muß. – Sie war mir eine zweyte Mutter. – Meine Mutter er-
209 Eichstätt. 210 Lothar Gottfried Heinrich von Greiffenclau zu Vollrads (* 9. Sept. 1694, † vermutl. 1771 Würzburg), Oberhofmarschall in Würzburg. Greiffenclau war in erster Ehe (1714) mit Maria Anna Franziska Esther Schenk von Stauffenberg († 1723), in zweiter Ehe (1724) mit Anna Margaretha von Hohenegg verheiratet. Aus der ersten Ehe gingen vier Söhne und zwei Töchter, aus der zweiten Ehe fünf Söhne und fünf Töchter hervor. Bei wem es sich um die genannten vier Töchter und zwei Söhne handelt, ist nicht festzustellen. Gesichert ist, dass die zwei Töchter aus erster Ehe 1752 bereits verheiratet waren, also nicht mehr im Hause der Eltern lebten. Zu den vier hier erwähnten Töchtern zählte Maria Anna Josepha (* 21. März 1729), die Karoline Schulze einen Ring schenkte, s. u. HHS, S. [111]. Für seine Auskünfte sei Jens Martin M. A. vom Staatsarchiv Würzburg bestens gedankt. 211 Karl Philipp von Greiffenclau zu Vollrads (* 1. Dez. 1690 Schloss Vollrads im Rheingau, † 25. Nov. 1754 Würzburg) regierte von 1749 bis 1754 als Fürstbischof von Würzburg; Egon Johannes Greipl, Art. Greifenclau [!] zu Vollraths, Karl Philipp Reichsfreiherr von. 212 Maria Josepha Franziska von Molitor geb. Dorsch. Sie heiratete am 13. Juni 1741 Lic. iur. utr. Franz Anton Molitor (Müller/Miller; † 10. Juli 1775 Eichstätt), den Nachfolger ihres verstorbenen Mannes im Amt des Kanzlisten des Geistlichen Rates in Eichstätt. Franz Anton von Molitor, Hofpfalzgraf, Hofrat von Eichstätt und Salzburg sowie Gerichtsammann und Richter des Eichstätter Domkapitels, auch seit 1745 Archivar des Geistlichen Rates und seit 1752 Verwalter der milden Stiftungen. Lit.: Hochfürstlich-salzburgischer Hofkalender, oder Schematismus auf das Jahr […] 1783 […], S. 32.
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langte die Bekandschaft einer alten, sehr würdigen Dame, einer verwittweten Baroneß von Münchhausen geboren von Adelshaim213, die meine Mutter gern überredet hätte, mich ihr zu laßen. – Aber wie konten es meine Eltern? da ich ihnen das Brodt mit verdienen half. – Die Baroneße von Münchhaußen war blind und hatte sich den Staar stechen laßen. Jeder in Eichstett verehrte diese Dame und suchte ihr durch verschiedene Zeitvertreibe die Zeit zu verkürzen. Man hatte bey ihr von der Comödie und also auch von uns gesprochen, und da ersuchte sie die Stadtruferrin214 – (der Name ist mir entfallen) sie solte ihr meine Mutter hinbringen, das gescha auch, und meine Mutter rieth der Dame eine gewiße Salbe für ihre Augen an, die ihr solche gute Dienste leistete, das sie sich ihrer Augen beßer bedienen konte als eine lange Zeit vorher. – Natürlich, das sie meine Mutter lieb gewann und uns viele Wohltahten erzeigte. Noch ist ein Brief von ihr in meinen Händen, den sie an meine Mutter nach Würzburg geschickt, die übrigen sind verlohrengegangen. In der Faste reißten wir wieder zurük nach Würzburg. [90]
Herr v. Brunian hatte zwar die Erlaubniß erhalten, wieder hiezukommen, doch mit dem Beding, keinen Sontag oder Feuertag zu spielen. Brunian sah bald, das daß die besten Tage waren und er ohnmöglich bestehen konnte, wenn er nicht die Festtage spiele[n] dürfte, gab also 8 Memoriale ein und auf jedes abschlägige Antwort. Endlich mußte ich das 9te überreichen. Ich wurde aufs Schloß geführt, und als der Fürst215 kam, bickte ich mich und legte ihm das Memorial in den Huth. Der Fürst lächelte und sagte zu mir: „Was endhält die Bittschrieft?“ „Um die Gnade, das wir Son- und Feuertage auch spielen dürfen“. – Dem Fürsten gefiel meine unerschrokene freue Antwort, wolte weiterreden, aber die zween Jesuiten, die ihm in ihrer Mitte hatten, zogen ihn augenscheinlich von mir weg. – Den Mittag speißte ich im Rothen Bau216 bey dem LVIII
213 Juliane Ernestine Freifrau von Münchhausen geb. Freiin von Adelsheim in Wagbach († 30. März 1764 Eichstätt im Alter von 78 Jahren), Witwe des Johann Casimir Albert Gerhard von Münchhausen, Rat des Bischofs von Eichstätt und Pfleger von Abenberg, seit 1712 auch Hofkavalier († 25. Febr. 1729 Abenberg). – Für ihre Auskünfte zu v. Molitor und v. Münchhausen danken wir vielmals Dr. Bruno Lengenfelder (Diözesanarchiv Eichstätt) und Dr. Johannes Staudenmaier (Staatsarchiv Nürnberg). 214 Stadtrufer(innen) waren Personen, die dazu bestellt waren, bestimmte Dinge öffentlich auszurufen. 215 Fürstbischof Karl Philipp von Greiffenclau zu Vollrads. 216 Der Rote Bau in Würzburg (Theaterstr. 23) wurde 1706–1709 von Andreas Müller, dem Lehrer Balthasar Neumanns, als Familienpalais für Fürstbischof Johann Philipp von Greiffenclau (1652–1719) errichtet. Es ist anzunehmen, dass dort auch die Familie des Oberhofmarschalls Greiffenclau gewohnt hat; Würzburg. Amtlicher Führer, bearb. von Max H. von Freeden, 7. Aufl. Würzburg 1963, S. 59.
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Hofmarschal. Ich erzelte sogleich wie ich hinkam, das ich dem Fürsten ein Memorial gegeben und was dabey vorgefallen. Des Nachmittag fuhren die jungen NichtenLIX mit ihrem fürstlichen Onkel und ihren Eltern spazieren, und was ich vielleicht nicht über den Fürsten vermocht hätte, vermochten seine lieben Nichten – kurz, den Tag darauf kam ein [91]
gnädiges Ja! auf mein Memorial. Wer war fröliger wie ich und wohl wir alle? Brunian spielte bis nach Pfingsten weg, doch die Einnahmen brachen ab, und Brunian mußte sich nach einen andern Ort umsehen. Er reißte mit der ganzen Geselschaft nach Rothenburg an der Tauber. Doch alles Ansuchen war vergebens, und Brunian erhielte keine Permißion217. Wir reißten also nach Mergenthal218, wo Brunian die Freyheit bekam, spielen zu dürfen. Die Einnahmen waren auch gut, aber Brunian stak doch so tief in Schulden, das das Geld beyweiten nicht zulangte. Als wir so 4 bis 6 Wochen mochten gespielt haben, bekam mein Vater Briefe aus Prag von Herrn Joseph Kurz219, der ihm ein Engagement bis an die Faste 1754 antrug. Meine Eltern, die bereits von Brunian 150 Gulden zu fordern hatten und keine Hofnung sahen, solche wiederzubekommen, im Gegentheil, eher immer tiefer mit ihm hineinzusincken, dankten ab. Brunian thats weh – meinen Eltern selbst – sie schenkten ihm auch von Herzen ihre Forderung. Meine Schwester lies mein Vater bey die von Brunian, und in der That war sie nebst Brunian seiner Frau das einzige Frauen[92]
zimmer, die er hatte. Auch liebte sie einen jungen Schauspie[le]r namens Meyer220, den sie eheligte.LX Wir reißten also fort und kamen in den lezten Tagen des Julius in Prag glüklich an. Gleich den Tag darauf reißten wir mit der Geselschaft nach dem Lager, das bey Collin aufgeschlagen war, und spielten den Augustmonat fort. Kehrten wieder nach Prag, und Kurz sagte zu meinen Vater, er wünschte von Advent bis Faste einen neuen Ort zu haben, weil er sich in Prag zimlich ausgeleyert hatte. Mein Vater rieth ihn, nach Regensburg zu gehen; er müßte aber ja mit dem Fürsten einen Acord
217 Permission: Erlaubnis. 218 Mergentheim (heute: Bad Mergentheim). Die Auftritte der Brunianschen Truppe in Mergentheim lassen sich archivalisch nicht mehr nachweisen. Für Ihre Auskünfte sei Frau Christine Schmidt vom Stadtarchiv Mergentheim und Frau Dorothea Bader vom Staatsarchiv Ludwigsburg vielmals gedankt. 219 Johann Joseph Felix (von) Kurz gen. Bernardon (1717–1784), Schauspieler und Prinzipal. 220 Wen Karoline Kummerfeld damit gemeint hat, ist unklar. Möglicherweise meinte sie hier den Ballettmeister Gottlieb Mion, mit dem Marianna Schulze in erster Ehe verheiratet war.
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zu treffen suchen, sonst wärs da nichts. Kurz reißte ab und wurde mit dem Fürsten der Bedingungen wegen einig, und so reißten wir alle dahin ab. – Kurz hatte vieles Glük in Regensburg, und sein Vortheil gieng in die Tausende221. – Mein Vater und Mutter waren froh, daß sie nur alle Woche ihre richtige Gage bekamen, die sie, seiddem sie aus Wienn waren, nicht so ununterbrochen weg gesehen hatten. – Locatelli, ein italianscher Entrepreneur, der in Prag wellische222 Oper hielt und zugleich deutsche Comödie haben mußte, schrieb an meinen Vater und trug ihm die Direction übers deutsche Theater an223. Frug ihm zugleich, wieviel er Gage ver[93]
langte? Mein Vater forderte nicht mehr als die Gage, die er mit seiner Frau als Schauspieler gehabt, nehmlich 12 Gulden, und fürs Directorium sollte Locatelli mich und meinen Bruder von seinen Balletmeistern im Tanzen unterrichten laßen, weil Locatelli immer geschickte Männer hatte. Der Vorschlag wurde richtig, und wir reisten in der Faste 1754 nach Prag, wo den mein Vater die Direction so gut führte, das Locatelli keinen Schaden den ganzen Sommer über hatte. Der Augustmonat wurde wieder bey Collin im Lustlager zugebracht, wo auch Ihro Majestäten die Kayserin Maria Theresia sowohl wie der Kay[s]er Franz von Wienn224 hinkam. Locatelli hatte zu dem Ende Oper Seria225 verschrieben, die in Prag spielten – und nun, da im Winter die Einnah221 Regensburg verdankt die Blüte seines Musik- und Theaterlebens in jener Zeit vor allem dem Umstand, dass die Fürsten von Thurn und Taxis als Stellvertreter des Kaisers auf dem Immerwährenden Reichstag in Regensburg zu prunkvoller Hofhaltung verpflichtet waren und das reichsstädtische kulturelle Leben förderten; Knedlik, Theater, S. 39–41. 222 Italienische Oper. 223 Giovanni Battista Locatelli (1713–nach 1790), Impresario und Librettist. Locatelli hatte von Herbst 1748 bis 1756 das Privileg erhalten, am Prager Kotzentheater italienische Opern und deutsche Komödien aufzuführen. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten schloss er im Juli 1753 einen Vertrag mit Johann Joseph (von) Kurz, wonach dieser gegen Bezahlung an Locatelli die deutschen Komödien aufführen durfte. Kurz beendete sein Engagement in Prag im Juni 1754 und kehrte nach Wien zurück, so dass nun an seine Stelle Christian Schulze treten sollte. – Zum Repertoire von Locatelli gehörten vornehmlich Opern, die der Gattung der Opera buffa (komische Oper, musikalische Komödie) zuzurechnen sind, vor allem Kompositionen von Baldassare Galuppi. Daneben führte er auch Opere serie (ernste italienische Opern) auf, wobei er Komponisten bevorzugte, die, wie Christoph Willibald Gluck, zu seiner Gesellschaft gehörten. Lit.: Ferdinand Raab, Johann Joseph Felix von Kurz gen. Bernardon, Frankfurt am Main 1899, S. 90–98; Jonášova, Giovanni Battista Locatelli; Mario Armellini, Giovanni Battista Locatelli. 224 Kaiserin Maria Theresia (* 13. Mai 1717 Wien, † 29. Nov. 1780 Wien) und Kaiser Franz I. Stephan (* 8. Dez. 1708 Nancy, † 18. Aug. 1765 Innsbruck). 225 Die italienische Opera seria (die ernste Oper im Gegensatz zur Opera buffa, der komischen Oper) erfreute sich im 18. Jahrhundert zunächst an den europäischen Fürstenhöfen, später auch in den Städten
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men erst recht gut seyn solte, kosteten die Wellischen so viel, das weder sie selbst noch die Deutschen konnten erhalten werden – Locatelli, voll Schulden, endwich heimlich, lies uns alle sizen, und meine Eltern kamen wieder gegen 200 Gulden zu kurz. Mein HalbbruderLXI, der sich seiddem verheyratet hatte, war [94]
mit seiner Frau auch bey Locatelli engagirt226. Sie reißten aber schon im Advend wieder weg, und ich habe keines mehr von beyden seit dieser Zeit gesehen. Herr Quartal227, der in Prag den Hanswurst spielte, erhielte aus Braunschweig Briefe von Herrn Nicolini228, daß er eine deutsche Comödie hinbringen soll. Quartal engagirte uns nebst noch 5 Personen von der Geselschaft, die übrigen verschrieb er aus Dreßden, und so kamen wir glüklich in der Faste 1755 in Braunschweig an. Sicher hätte es da länger als nur ein Jahr gedauert, wenn es Quartal nicht selbst verdorben hätte. – Er hat nur für sich gesorgt, nicht aber für die Geselschaft. Es würde zu weitleuftig werden, wenn ich alle die schlechten Streiche anführen wolte. – Genug sey es gesagt: Das wir woch[en]weis engagirt und monatweis ausgezahlt wurden. Zweytens, das Quartal Advent und Faste halbe Gage ausgemacht. – Wir, ohngeachtet wir den ganzen Advent gespielt haben229, doch nur halbe Gage bekamen. – Meine Eltern also auch keine Seide spinen konnten, ohngeachtet das ganze Jahr die Gage richtig ausgezalt wurde.
großer Beliebtheit. In Mitteleuropa waren es vor allem städtische und private Operninteressenten, die Wandertruppen (Mingotti, Peruzzi, Locatelli) als Opera seria-Spezialisten engagierten. Opere serie verursachten aufgrund des Besetzungs- und Inszenierungsaufwandes weitaus höhere Kosten als Singspiele, Opéras comiques oder Opere buffe. Zur Opera seria s. Carolyn Abbate/Roger Parker, Eine Geschichte der Oper. Die letzten 400 Jahre, München 2013, S. 99–126; Michael Walter, Oper. Geschichte einer Institution, Stuttgart 2016; Norbert Dubowy/Reinhard Strohm, Dramma per musica. 226 Christian Ferdinand Schulze war verheiratet mit Carolina Sophia Gerschlin; Bruno Th. Satori-Neumann, Die Frühzeit des Weimarischen Hoftheaters unter Goethes Leitung (1791–1798), Berlin 1922 (Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 31), S. 78. 227 Anton Qua(r)tal († 1781), Schauspieler, auch als Landschaftsmaler bekannt. 228 Filippo/Philipp Nicolini († nach 1773), Prinzipal, Ballettmeister und Pantomime, war seit 1749 in Braunschweig, wo er als „directeur des spectacles“ das Theaterwesen des Herzogtums BraunschweigWolfenbüttel leitete. 229 Eine Spielstätte in Braunschweig war das am 4. Februar 1690 eröffnete Opernhaus am Hagenmarkt, in dem seit 1735 auch Schauspieltruppen auftreten durften. 1749 errichtete Filippo Nicolini am Burgplatz für seine Pantomimen ein kleines Hoftheater, das Pantomimen- oder Komödienhaus. Lit.: Hans-Henning Grote, Theater- und Städtebau in und um Braunschweig, in: 300 Jahre Theater in Braunschweig 1690–1990, Braunschweig 1990, S. 64–96; Ilona Büttenbender, 1690 bis 1990, in: 300 Jahre Theater, S. 125–142; Jill Bepler, Wolfenbüttel und Braunschweig, S. 2276.
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Und ihr Schaden belief sich dadurch 90 Gulden, ohne die halbe Fastengage zu rechnen. – In Braunschweig erhielte ich die Bekandschaft einer rechtschaffenen Wittwe, sie hies Günther, wohnte mit ihrer einzigen Tochter Friderika, einen lieben Mädchen von 18 Jahren, bey ihren Bruder, der die Aufsicht über die Dohmprobstey230 hatte231. Die Tochter war versprochen mit Herrn Carl Fleischer, der nachher Hofbaumeister ward232. – Friederike und ich, wir wurden einander so nothwendig, das wir fast täglich, wenn ich in der Comödie nichts zu thun hatte, beysammen waren. Noch hatte von allen Bekandschaften, die ich gemacht, keine einen solchen Eindruck auf mein Herz gemacht, und der Name meiner Mamsel Günther schwebte mir immer so auf der Zunge wie in dem Herzen. Endlich kam die Faste herran 1756, und meine Ältern hatten in Magdeburg bey dem Herrn Schuch233 wieder Engagement gefunden. – Noch war ich von keinen Ort gereißt, den ich so ungern verlies wie Braunschweig234. – Bey meiner Günther hatte ich keine Worte, so bered sonst immer mein Mund war. – Nur Thränen – wir hielten uns den ganzen Nachmittag und Abend in einen weg umschlungen und [96]
weinten. Die gute alte Mutter Günther sah uns zu und weinte in unsere Thränen – kaum da es nachts ½ 11 war, ich mich von ihr losreisen konnte. Sie gab mir ihre Adreße und sagte: „Sie werden mir doch schreiben, liebes Carlingen?“ – „Gewiß!“ antwortete ich. – Und so brachte sie mich endlich mit ihren Bräutigam nach dem Haus meiner
230 Informationen über die Witwe Günther und deren Bruder ließen sich weder im Stadtarchiv Braunschweig noch im Staatsarchiv Wolfenbüttel oder dem Landeskirchlichen Archiv Wolfenbüttel ermitteln. Für Ihre Mühe sei Katja Matussek, Dr. Pingel und Birgit Hoffmann vielmals gedankt. 231 Christine Marie Friederike Günther verh. Fleischer († 6. Febr. 1822 Braunschweig). Für Hinweise auf den Sterbeeintrag und das Testament der Friederike Fleischer sei Katja Matussek vom Stadtarchiv Braunschweig gedankt, Dr. Pingel vom Niedersächsischen Landesarchiv Wolfenbüttel gilt der Dank für die – leider ergebnislose–- Recherche nach dem Geburtseintrag der Friederike Günther. 232 Karl Christoph Wilhelm Fleischer (* 10. Juli 1727 Köthen, † 20. Aug. 1787 Braunschweig) war seit 1750 als Mechanicus und Ingenieur in braunschweigischen Diensten und erhielt 1763 den Titel eines Hofbaumeisters. In welchem Umfang er am Bau des 1769–1773 für Herzogin Augusta erbauten Lustschlosses Richmond beteiligt war, ist in der Forschung umstritten. Lit.: Norman-Mathias Pingel, Carl Christoph Wilhelm Fleischer; Peter Bessin, Der Regent als Architekt. Schloß Richmond und die Lustschloßbauten Braunschweig-Wolfenbüttels zwischen 1680 und 1780 als Paradigma fürstlicher Selbstdarstellung, Göttingen 2001 (Rekonstruktion der Künste 5), S. 174–179. 233 Franz Schuch d. Ä. (1716–1763/64). 234 Was sie an dieser Stelle nicht berichtet: Vor ihrem Weggang von Braunschweig hat Karoline Kummerfeld am 16. März 1756 noch die Hochzeit der Prinzessin Anna Amalia mit Ernst August Konstantin von Sachsen-Weimar-Eisenach miterlebt; s. u. HHS, S. [655].
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Ältern, wo sie sich mit Gewalt aus meinen Armen riß. – Dieses war der erste Bund der Freundschaft, den ich errichtete – der erste, der den stärcksten Eindruck auf mein junges Herz gemacht hatte. – Ich hatte an jeden Ort, wo ich gewesen und Wohlthaten genoßen, solche dankbar gefühlt – aber gegen dem, was ich für Rikgen empfand, wars alles nichts. – Auch natürlich, nun war ich 10 Jahr, und mein Character, mein Denken erhielte mehr Festigkeit, mehr Stärcke235. – Wir kamen in Magdeburg an. Schuch, der sich wegen den Wochenbett seiner Liebsten236 etliche Tage länger aufgehalten und die Geselschaft bereits voraus nach Pozdam geschickt, reißte nun mit uns auch nach Pozdam. –LXII Noch war ich nicht lange da, als ich einen Brief an meine Mademoiselle Günther heimlich schrieb – die Ursach, warum [97]
ich heimlich schrieb, war: Ich wolte mein Herz reden laßen, all seine kindische Empfindungen sagen. Hätte ich’s meinen Vater gesagt, würde er mir den Brief freilich verninftiger stylisirt haben, aber es wär doch das nicht gewesen, was ich zu sagen hatte. – Kurz, ich schrieb heimlich, lies von meinen Wirth die Adreße schreiben und durch solchen bestellen. Auch durch ihm sollte die Antwort an mich zurickkommen. Es erfolgte aber keine. – Mir thats weh, wolte wieder schreiben – doch bald kam die Nachricht von unserer Abreise, und wir reißten mit der Geselschaft nach Städtin237. Es traf sich, das wir in eingen Tagen keine Comödie hatten. Die wendeten meine Altern zu einer kleinen Lustreise an, nehmlich nach dem Wohnsiz, wo ihre Schwester verheyratet gewesen. – Wir liesen uns die Kirche öfnen, und man zeigte uns den Leichenstein, unter welchen mein Großvater, meine Tante und ihr Mann begraben lag. – Meine Mutter ward bey deßen Anblik ohnmächtig, mein Vater, mein Bruder und ich standen um sie und weinten. – Die Leute, die uns die Kirche geöfnet, konnten sich in den Auftritt nicht finden. – Meine Mutter erholte sich und erkundigte sich
235 Tatsächlich war sie im März 1756 13½ Jahre alt. 236 Franz Schuch d. Ä. war damals liiert mit einer Tochter des Schauspielers Friedrich Köhler. Das hier erwähnte Kind, Margareta Christiane Sophie Schuch, wurde am 23. März 1756 getauft. Schuch war eigentlich verheiratet mit der Schauspielerin Maria Barbara Monica Josepha Rademin (* 7. Nov. 1719– nach 1760). Barbara Rademin verließ ihren Mann spätestens 1745, wo sie nach Prag ging. Schuch war danach liiert mit Christiane Sophie Schleißner, die 1755 starb. Christiane Sophie Schleißner und die Köhler traten zwar als „Madame Schuch“ auf, wurden aber nicht allgemein als Schuchs Ehefrauen anerkannt. Denn da Schuch und Rademin katholisch getraut worden waren, konnte diese Ehe nicht geschieden werden. Lit.: Konrad Liss, Das Theater des alten Schuch. Geschichte und Betrachtung einer deutschen Wandertruppe des 18. Jahrhunderts, Phil. Diss. (masch.) Berlin 1925, hier S. 7, 32, 78; Scherl/Rudin, Heinrich Rademin, hier S. 544. 237 Stettin.
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weiter. Da hörte sie, das Frau v. F++ bald im Tod ihren Vater gefolgt, Herr v. F+ sich aber wieder verheyratet, wo die Wittwe nebst zwey Kindern, einen Sohn und Tochter, noch dort lebten. – Wir gingen nach der Frau v. F. Haus, nahmen den Vorwand: weil meiner Mutter nicht wohl geworden, ob sie ihr nicht etwas zur völligen Erholung reichen könnte? Sie thats mit vieler Freundlichkeit, die Kinder waren da, der Sohn mochte 7, die Tochter im 6ten Jahr seyn. – Sie war noch in Trauer, da Herr v. F. noch kein Jahr tod war. Sie reichte uns verschiedene Erfrischungen, und ohne das sie frug und wir sagten, wär wir wären? namen wir Abschied. Meine Mutter ging im Dorf mit uns herrum, zeigte uns jede Stelle, die ihr noch merkwürdig war und suchte das Haus, wo die Bäuerinn gewohnt, die ihr vor so vielen Jahren zur Flucht half. Sie fand das Haus – erblikte eine bejahrte Frau und sagte: – „Gott! ich glaube, das ist meine Bäuerinn!“ – Wir liesen uns Milch geben und sezten uns in ihren Garten. Meine Mutter lockte bald das Gespräch dahin, wo sie’s hin wolte – die Alte wurde treuherzig und erzehlte, wieviel die liebe Schwester von der seligen [99]
gnädigen Frau und ihren Herrn hätte leiden müßen. – „Ach Gott! Sie ist wohl lange tod, nie haben wir mehr was von ihr gehört. – Lebt sie aber, so muß es ihr gutgehen, den sie war ein rechter Engel – schön und so ein gut Herz. Wenn eins krank und in Noth war, wie hat sie gesorgt und gegeben. – Ach, es war gar nicht, als ob sie der gnädigen Frau Schwester gewesen“. Die Alte blauderte weg und erzäh[l]te alles, was ich bereits schon gemeldet – meiner Mutter standen Thränen in den Augen, drückte der Frau einen Gulden in die Hand und sagte zu ihr: „Sie lebt noch, und es geht ihr wohl. – Ich hab sie gekant“. – „Wo?“ – „Ein andermal, liebe Frau! Es ist spät, wir mißen fort – ein andermal komme ich wieder, und dann will ich Ihr alles sagen“. – Die Frau war voll Freude, und wir verliesen ihr Haus und reißten wieder fort nach Stetin. Schuch blieb mit der Gesellschaft nicht lange mehr dort, und wir reißten wieder zu Waßer ab nach Frankfurt an der Oder. Auf dieser Reise ereignete sich ein Unglük, das meiner Mutter bald das Leben gekostet hätte. Wir landeten bey Schwed238 an. Der Schiffer sagte, man müße hier Proviant mitnehmen, weil wir zu [100]
keinen Dorf kämen, und die, wo wir auch vorbeykämen, hätten selbst nichts – mein Vater ging mit meinen Bruder in die Stadt, und ich blieb bey der Mutter im Schiff.
238 Schwedt an der Oder.
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Mein Bruder kam mit einen Tuch voll Vorrath, dabey aber eine gewaltige Menge Salz war. Meine Mutter saß auf dem Rande des Schifs, und da Karl eben fortgegangen, sagte sie: „Mein Gott! Wo soll ich mit all den Salz hin“, bog sich verdrüßlich zurick, verliert das Gleichgewicht und stirzt ricklings ins Waßer, ich erwischte zwar einen Zipfel von ihren Kleid, war aber zu schwach, sie zu halten, und sties ein erschrecklichs Geschreu aus. Alles lief herbey. Mein Vater kam eben zugegangen, alles schrie um Hilfe, und keiner wuste, wie er helfen solte, den von meiner Mutter war nichts zu sehn. – Ein Schiffer, der auf der nahen Brüke stand, sprang von solcher in einen Kahn und schiffte rum; meine Mutter trieb das Waßer in die Höhe, er greift zu – und rettete sie gliklich. Sie wurde niedergelegt aufs Land, mein Vater lief nach Schwed hinein, brachte bald einen Barbier und Medicin mit. Sie wurde droken angekleidet und im Schif ins Bet gelegt, wo sie sich den mercklich erholte. – Mein Vater dankte ihren Retter, gab solchen, [101]
soviel er konte – lohnen, ganz lohnen konte er ihm nicht – den wer kann lohnen so eine That! In Frankfurt fing Schuch einen Zank mit meinen Vater an, der, wie man im Sprichwort pflegt zu sagen, wie vom Zaune gebrochen. – Den wer den Mann gekannt, wuste seine Art. Schon verschiedene auffallende Grobheiten hatte mein Vater gelaßen erduldet – Schuch ist ein Narr! so dachte er und lies ihm gehen. – Der Gedanke: Du bekömmst alle Woche richtig dein Geld, lies ihn manche Beleidigung übersehen. – Wahr! Solange man bey Schuch war, hatte man sein gewißes Brod – aber ein guter Magen geherte dazu, solches zu verdauen – doch in Frank[furt] machte er es bey einer Probe so arg, das mein Vater gezwungen war zu sagen: „Herr Schuch, Sie wollen mich mit meiner Familie los seyn? – Sagen Sies nur und wir sind von heute an geschiedene Leute. – Aber Herr! Als Männer – nicht wie Buben. Schämen Sie sich! Alle, die von Ihnen weg sind, sind Ihrer Grobheiten weg. – Und so geh ich auch.“ – „Ja, das weis man wohl“ (sagte Schuch), „der Herr ist stolz“. – „Wie es ein vernünftiger Mann seyn muß, um nicht niederträchtig zu seyn. Sie sind glüklich, und das macht Sie hochmü thig und grob und glauben, dadurch einen redlichen Mann, [102]
der weniger hat, prifilegirt zu seyn, solchen schlecht zu behandeln. Ich habe meinen ehrlichen Namen; mein Weib und meine zwey Kinder, die gut sind und Talante haben, hoffe also, mit Gottes Hilfe wieder Brod zu bekommen“. – Und so verließ er ihm, kam mit meiner Mutter nach Hause und kindigte uns die Abreise an. Wohinn? Schuch hatte einen italienschen Balletmeister mit seiner Frau verschrieben,
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Curioni239. Die kamen von Dreßden, mein Vater traf mit dem Kutscher einen billigen Acord, und der war froh, seine Rükreise nicht leer zu machen. So reißten wir also ab und kamen zu Ende des Julius in Dreßden an. Mein Vater hatte dort einen alten Bekandten aus Wienn mit Namen Canzachi240, der war zu der Opera Co mique, die der Hof hielt, dort engagirt. Den suchte mein Vater auf und fand ihm. Er endekte ihm seine Umstände, und ob er nicht vermitteln konnte, das wir Kinder auf dem Königlichen Theater zu denen Ballets engagirt würden. Der Mann that seinen möglichsten Fleiß, und Carl und ich wurden in der Tanzacademi, die Monsieur Jaen241 vorstand, aufgenommen. – Aber da hatten wir keinen Gehalt; der war zugesagt erst auf den Winter, wenn wir mit in denen Opern-Ballets würden gebraucht [103]
werden. Unterdeßen wolten wir leben! Bis zum Winter war lange hin. Mein Vater erkundigte sich nach dem Prinzibal von der deutschen Komöde. Dieser hies Kirsch242, spielte den Arlequinn, seine Frau243 (wies zu der Zeit Mode war) eine gute Actrice – und nur brauch ich zu sagen: eine Schülerin von der berühmten Neubertinn244 – ja, unter der Kirschin betrat die nachher so berühmte Madame Seyler245 zuerst das Theater. – Was aber mehr als das all ist, war Kirsch mit seiner Frau rechtschaffene Leute. Das Zeugniß bin ich ihnen schuldig, und immer hats mich gekränkt, wenn von diesen Leuten geschrieben oder was gesagt worden, das es in einen so niedern, verächtlichen Ton war. – Freylich fehlte es ihnen an Glick – freylich spielte er nur den Arlequin. Aber troz Arlequinspieler hätte er sich geschämt, an seinen Nebenmenschen
239 Joseph Curioni aus Mailand, Ballettmeister, und seine Frau Maria geb. Grassinger aus Wien († 1759), Tänzerin. 240 Giovanni Camillo Canza(c)chi, genannt Lo Zoppo († 1777), Schauspieler und Autor. Seit mindestens 1748 war Canzachi am polnisch-sächsischen Hof in Warschau und in Dresden tätig. Dr. Eckhart Leisering vom Hauptstaatsarchiv Dresden sei für seine Auskunft bestens gedankt. 241 Mit „Monsieur Jaen“ könnte Jean Favier gemeint sein, der bei Moritz Fürstenau, Zur Geschichte der Musik und des Theaters am Hof zu Dresden, Teil 2, Dresden 1862, S. 174 und 295 als Ballettmeister genannt wird. Lit.: Sibylle Dahms, Der konservative Revolutionär. Jean Georges Noverre und die Ballettreform des 18. Jahrhunderts, München 2010, S. 320. Zu einem Favier in Stuttgart siehe: Eberhard Schauer, Das Personal des Württembergischen Hoftheaters 1750–1800, in: Musik und Musiker am Stuttgarter Hoftheater (1750–1918), hg. von Reiner Nägele, Stuttgart 2000, S. 59. Johann Karl Franz Favier wird als Figurant im Stuttgarter Hofadreßbuch 1763–1764 genannt. 242 Johann Christoph Kirsch (um 1710–nach 1761), Schauspieler und Prinzipal. 243 N. Kirsch, Schauspielerin. 244 Friederike Caroline Neuber (1697–1760), Schauspielerin und Prinzipalin. 245 Friederike Sophie Sparmann (1737/1738–1789), Schauspielerin. Sie heiratete 1772 in zweiter Ehe den Schauspieler und Prinzipal Abel Seyler.
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solche Boßheit auszuüben, deren sich mancher in der Welt großberühmter Schauspieler schuldig gemacht hat. – Doch ich lenke wieder ein. Dieser Kirsch spielte im Winter in Dreßden und des Sommers im Radeberger Baad246. Mein Vater ging mit meinen Bruder nach Radeberg zu Kirsch und trug sich ihm an. Der Mann war außer sich vor Freude, den seine Geselschaft war sehr schlecht be[104]
stellt, besonders mit Frauenzimmer, den seine Frau und eine Madame WitzmannLXIII247 waren’s all248. Der Acord war geschloßen, und nach kurzer Zeit kam Kirsch mit seiner Gesellschaft nach Dreßden. Wir spielten im August eine Comödie – der Zuspruch war nicht groß, den zweyten Abend war gar niemand da. – Und wer konnte es verdenken, die Preusen waren im Land, der Krieg nahm seinen Anfang249. – Da saßen wir wieder. Hatten Brod gefunden – und der, der’s mit so vielen Dank noch obendarein gegeben hätte, hatte selbst nichts. Zum Glük waren wir in einen Wirthshaus, wo der Mann uns noch gutwillig Wohnung und Eßen gab und sich damit trößtete, wir würden ihm gewiß bezahlen, wenn wir könnten. – Der Herbst kam – Preusen hatte Dreßden im Besiz. Kirsch kam mit seiner Frau und weinten, baten uns um Geduld, und das wir sie nicht verlaßen solten. Mein Vater sagte, er wolle ihnen den Rath geben, das sie ansuchen solten um die Erlaubniß zu spielen. Kirsch sagte: „Ich bekomme sie vom Hof nicht“. – „Nun, so wenden Sie sich am König von Preusen“250. – „Ja, ich bin hier Bürger, wen mirs der König erlaubt, und es wird Friede, so thuts mir am sächsischen Hof zu großen [105]
Schaden“251. – „Ja, giebt Ihnen den jezt der sächsische Hof was zu eßen?“ „Nein“. – „Nun, können Sie den hungern? Bis Friede wird? Und dazu sieht es nicht aus“. – Also Kirsch, 246 In Radeberg war mit dem 1719 eröffneten Augustusbad das erste Kurbad in Dresdens näherer Umgebung entstanden. Schon bald fanden im Rahmen des Unterhaltungsprogramms für die Badegäste in einem eigens errichteten kleinen Theatergebäude Aufführungen statt. Dort trat Johann Christoph Kirsch mit seiner Gesellschaft von 1727 bis zum Ausbruch des Siebenjährigen Krieges im Sommer regelmäßig auf; Ulrich Rosseaux, Freiräume. Unterhaltung, Vergnügen und Erholung in Dresden (1694–1830), Köln 2006 (Norm und Struktur 27), hier S. 211–224. 247 Madame Witzmann, Schauspielerin. 248 Anscheinend hatte kurz zuvor Friederike Caroline Neuber die Kirsch’sche Gesellschaft verlassen, bei der sie nach ihrer Rückkehr aus Wien gespielt hatte; Benezé I, S. XXV. 249 Die Besetzung Dresdens durch preußische Truppen im September 1756 führte zum Ausbruch des dritten Schlesischen Kriegs, des Siebenjährigen Kriegs (1756–1763). 250 Friedrich II., König von Preußen (1712–1786). 251 Während des Siebenjährigen Krieges trat Kirschs Gesellschaft bis 1761 zeitweilig mit Erlaubnis des preußischen Königs auf. 1761 wurde ihm wegen seines „angeblich politisch zweifelhaften Verhaltens
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um keinen Fehl zu begehen, giebt ein Memorial am sächsischen Hof ein – abgewiesen, wie vorhergesagt. Und wo auch spielen? Den das Hoftheater, das Gewandhaus252, wo wir ein Mal gespielt, und noch ein Schauspielhaus, das Locatelli im Zwinger erbauen laßen253, da lag Proviant von der preusischen Armee. – Also bedurfte man immer des Königs von Preusen. Kirschs also fasten Muth auf das Zureden meines Vaters; liesen sich ein Memorial machen und überreichten es dem Monarchen selbst. – Er nams, laß’ und sagte: „So ist eine Comödie hier? Das ist gut, so haben meine Officiers den Winter einen Zeitvertreib. Er kann spielen“. – „Ja, Ihro Majestät, aber wo? Wir haben keinen Ort“. – „Wo habt Ihr sonst gespielt?“ „Im Gewandhaus“. – „Das geht nicht! Das liegt zu bequem für meine Leute des Proviants wegen. – Ist sonst kein Plaz da“. – „Ja, im Zwinger ist ein Comödienhaus, aber auch das ist voll“. – „Nein, das ist beßer, es liegen nur Fäßer mit Mehl darinnen – ist ohnedieß weit abgelegen – die Fäßer sollen herraus, ich [106]
werde gleich Befehl ertheilen, und so könnt Ihr anfangen zu spielen, wenn Ihr wolt“ – Kirsch[s] waren durchdrungen von der Güte des Monarchen, konnten nicht danken, standen da und wolten sich ihm zu Füßen werfen – er lies es nicht zu, reichte jeden eine Hand, sie küßten solche, und er sagte noch: „Heute soll noch Anstald gemacht werden, macht eure Sachen nur gut“. – Kirsch kam gleich mit ihr nach unsern Haus, ganz außer Athem, fielen meinen Ältern um den Hals – „O Gott sey Dank! – Und Ihnen, bester Mann, für Ihren Rath“. – „Nun, sagte ich es nicht?“ antwortete mein Vater. – „Aber nun vor allen Dingen muß das mein ehrlicher Hauswirth wißen. Gottlob, nun hoffe ich, ihm bezahlen zu kennen“. Wir fungen also an zu spielen, und Kirsch nahm Geld während der preußischen Besatzungszeit das Prädikat als Hofkomödiant entzogen“, auch Auftrittsmöglichkeiten in Dresden wurden ihm in der Folge nicht mehr gewährt; Rosseaux, Freiräume, S. 112. Benezé I, S. XXVI, berichtet, Kirschs Nachfolger Pietro Moretti habe in einer Eingabe Kirsch u. a. vorgeworfen, „zu Verkuppelungen und Verführung der Jugend Gelegenheit und Anlaß gegeben“ zu haben. Benezé bezieht dies auf die in HHS, S. [110 f.], [115]–[136] geschilderte Beziehung Karoline Schulzes zu einem Grafen Nostitz. 252 In Dresden gab es zwei Gewandhäuser: Am Neumarkt und in der Neustadt. Da meist bis zu vier Schauspielgesellschaften gleichzeitig auftraten, wechselten diese zwischen den beiden Gewandhäusern und Gasthofsälen als Spielstätten hin und her; Rosseaux, Freiräume, S. 108. 253 Locatelli spielte 1755–1756 in dem 1754/55 von dem italinienischen Impresario Pietro Moretti in der Nähe des Zwingers erbauten kleinen hölzernen Theater, das 1761 in ein Steingebäude umgewandelt und 1763 von Kurfürst Friedrich Christian als Hoftheater erworben wurde (das kleine kurfürstliche Theater). 1754 hatten die Aufführungen von Locatellis Operngesellschaft im Brühl’schen Theater auf dem Wall stattgefunden. Lit.: Romy Petrick, Dresdens bürgerliches Musik- und Theaterleben im 18. Jahrhundert, Marburg 2011, S. 96–-102, 453–462; Rosseaux, Freiräume, S. 112, 135 f.
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ein – keinen Abend wars leer254. Wir arbeiteten mit Lust und bekamen alle Woche richtig unser Geld – und unsere Wirthschaft war so sparsam eingerichtet, das wir auch zimlich unsern Wirth abzalten; zwar für uns nichts ersparen konten, aber doch auch keine Schulden hatten. Ich war nun mein 11tes Jahr baßirt255 – spielte Rollen, die sich freilich für mein Alter nicht schickten – als zum Beyspiel [107]
eine Laura im Blinden Ehmann256. – Ein großer Reifrok, hohe Absäze und Frisur machte mich nun freilich eine viertel Ele länger – aber im Ballet, das nur in 3 Personen bestand, war ich den wieder um so viel kleiner – also, um kein Ergerniß zu geben, weil ich schon Weiber und junge Wittwen spielte, gaben mich meine Ältern für 3 bis 4 Jahr älter aus. – Ich selbst, die eben keine kindische Erziehung gehabt, gab mir in Gegenwart von Leuten ein ziemliches ernsthaftes Wesen. – Doch gab ich oft noch heimlich, wenn ich meine große Puppe im Kuffer ansichtig wurde, derselben einen Kuß. – Und wenn ich ein Mädchen von gleichen Jahren mit mir fand, trug ich sie heimlich unter meiner Schürze nebst der ganzen Küche fort und spielte damit. – Wenn ich so über mich selbst nachdenke – Gott! so freue ich mich noch meiner Jugend. Welch liebes Geschöpf war ich. Mein Betragen gegen jeden war so, das man mich lieben mußte. Vielleicht wird es, wenn jemand diese Blätter lesen solte, eitel klingen, wenn ich von mir selbst sage: die Natur hatte mich verschwenderisch schön gebildet. Es blieb auch nicht unbemerkt. – Man denke nicht, daß ich nun anfangen will, einen Liebesroman von allen meinen [108]
Verehre[r]n zu schreiben. Nein; nur insofern, als es zu meiner Geschichte unumgänglich gehört. – Wer würde nicht alle diese Blätter nur für eine Erdichtung und nicht wahre Geschichte nehmen, wenn ich den Leuten weismachen wolte, ich hätte nicht eher geliebt, als bis ich meinen Mann sah und dem heyrathete? – Das wär eine offenbare, unverzeiliche Lüge. Natürlich, so wenig ich auch damals wuste, was Liebe ist, so dachte ich doch, das es sowas geben müße in der Welt. Die Schmeicheleyen, die man mir sagte – die Rollen, die ich spielte – die Komödien, die ich las – den das war die 254 Belegt sind für den August 1756 Aufführungen der Gesellschaft von Kirsch im Gewandhaus. Von Aufführungen im Morettischen Theater im Zwinger 1756 und 1758 berichtet nach Petrick nur Fürstenau, Geschichte, S. 362 f.; Petrick, Musik- und Theaterleben, S. 103. 255 Gemeint ist: Sie habe ihr 11. Lebensjahr passiert, d. h. sie sei nun (1756) im 11. Lebensjahr. Tatsächlich wurde sie im September 1756 14 Jahre alt. 256 Der blinde Ehemann, Lustspiel von Johann Christian Krüger.
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einzige Lectür, die mir mein Vater gestadtete, der meinen Hang zum Lesen merkte – mir ja alles, was Roman hies, als schädliche Bücher vorenthielte – und wircklich hatte ich zu der Zeit nur erst einen gelesen, und das heimlich in Braunschweig, nehmlich, wem’s bekannt ist: „Der getreuen Prinzeßinn Bellamire wohlbelohnte Liebesprobe oder die triumphirenden Treue“257. Zweif[l]e, ob je einer, der das Buch las, so viele Thränen dabey geweint hat wie ich – wen ich so ihre Klagen über die Verfolgung, die sie erlitt, las. – Doch alles, was man mir Schönes vorsagte, rührte mich nicht –– unmöglich kann ich umhin, hier [109]
noch eine Anmerkung mit einzustreuen. Daß wohl kein Frauenzimmer in der Welt mehr Verdienst hat, wenn es ganz tugendhaft bleibt, wie ein Frauenzimmer bey dem Theater. – Noch ehe sie einen Unterschied weis, ob außer ihren auch ein anderes Geschlecht ist, lehr man ihr die Liebe – schwazt solcher die Süßigkeiten vor. – Man lese zum Beyspiel viele Kinderrollen – was läßt man nicht alles Kindern sagen? – Wird bewundert und beklatscht – man solte lieber weinen: so jung die Knospe von schädlichsten Wurm anfreßen zu laßen. – Doch was schwaz ich! – Denk, lieber Leser, ich versezte mich im Anfang des Jahrs 1757. – Und nun sind wir, da ich dieses schreibe, am Ende des 1782258, was konnten 26 Jahre nicht umendern. – Nun ist all mein Schnak259 Petanterey – oder vielleicht denkt man gar von mir: ich bin eine Betschwester geworden. – Nein, gewiß nicht! Wartet nur, bis ich in meiner Geschichte auch 26 Jahre älter bin, den solt ihr finden, wie wenigen Anspruch ich auf den Titel zu machen habe. – Doch es ist Zeit
257 „Der getreuen Bellamira wohlbelohnte Liebesprobe: Oder, Die triumphierende Beständigkeit, in einem curieusen Roman der galanten Welt zu vergönnter Gemüths-Ergötzung an das Licht gegeben von Talandern“, Leipzig 1692. Verfasser ist August Bohse (1661–1730), Jurist, Rhetorikprofessor, Verfasser von Briefstellern, der unter dem Pseudonym Talander zahlreiche „galante“ Romane verfasst hat. Lit.: Flemming, August Bohse. – Auch in anderen autobiographischen Schriften von Frauen aus dem 18. Jahrhundert finden sich Bekenntnisse zur Leselust, von Zeitgenossen als schädliche weibliche „Lesewut“ kritisiert; s. dazu Helga Meise, Bildungslust und Bildungslast in Autobiographien von Frauen, in: Elke Kleinau/Claudia Opitz (Hg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, Bd. 1, Frankfurt a. M./New York 1996, S. 452–466; zum Lesen als weibliche „Wuth“ s. Dies., Die Unschuld und die Schrift. Deutsche Frauenromane im 18. Jahrhundert, Berlin/Marburg 1983 (Métro 14), S. 66–82. Romane wurden als „ästhetisch minderwertig“ und „trivial“ bezeichnet und abgewertet; Barbara BeckerCantarino in: Schriftstellerinnen der Romantik, Epoche – Werke – Wirkung, München 2000 (Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte), S. 38. 258 Dies ist der Hinweis darauf, dass Karoline Kummerfeld Ende des Jahres 1782 mit der Niederschrift ihrer ersten Autobiographie begonnen hat. Zu dieser Zeit gastierte sie mit der Seipp-Bullaschen Truppe in Linz. 259 Schnack: Geschwätz.
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einzulenken – es war nach Neujahr, so wurde ein Stük gegeben, das hies Der Carnevall zu Venedig260. Ich spielte die Liebhaberinn, bin in einer Scene maskirt und muß die [110]
Maske wärend des Spiels abnehmen, um mich meinem Liebhaber käntlich zu machen. Ich soll hinaus und hatte vergeßen, der Mama ihren Ring mitzunehmen, die solchen auch nicht am Finger hatt. – Wär war in größerer Angst wie ich? Papa war strenge, wenn man sowas vergeßen hatte – ich fürchtete ihm, wie ich ihm liebte, mich öffendlich von ihm ausschelten laßen? Das war mir zu schimpflich – ich jammerte mit halbverweinten Augen: „Ach! wer hat einen Ring? Wer leit mir einen Ring? nur auf einen Augenblik“. Ein Offizier, der mich hörte, sagte zu mir: „Hier, Mademosell Karolinchen, habe ich einen Ring – wenn der gut genug ist“ – „o ja, ja, geben Sie nur, ach wie danke ich Ihnen!“ Und so stekte ich dem Ring in die Maßke und hielte solchen im Mund fest. Nachdem der Auftritt geendiget war und ich in die Scene trat, gehe ich wieder zu dem Officier, danke ihm und überreiche ihm den Ring. Er sagte: „Machen Sie mir die Freude und behalten solchen, wenn die Komödie wieder solte gemacht werden. – Mir ists leid, das er nur von so geringen Werth ist. – Aber im Krieg nimmt man keine Juwelen mit“ (der Ring war Gold und die Steine 9 Tobasen261). – Ich wolte solchen nicht annehmen, sagte, Papa litt sowas nicht. – „Nun, nun, sa[111]
gen Sie nur Papa die Art, wie Sie ihm bekommen, so wird er nicht böse werden. – Allenfals will ich mich selbst bey ihm entschuldigen“. – „Ich nehm ihn nicht!“ „Die Sache ist an sich so unbedeutent, das Sie mich beleidigen, wenn Sie ihn nicht behalten – ich würde ihn wegwerfen“. – Der Ton und das Gesicht, mit dem er das sagte, erschrökte mich, und ich verneigte mich, ohne antworten zu kennen, und ging mit dem Ring in der Hand fort in meine Loge, wo ich mich umkleiden mußte, und spielte meine Rolle fort. Den Abend, als ich nach Hause gekommen war und sah, wie mein Vater gestimmt war? – den das kam darauf an, ob wir ihm zum Dank gespielt hatten oder nicht. Er war mit uns zufrieden und also in der besten Laune. Ich erzählte ihm alles, was vorgefallen, und zeigte ihm meinen Ring. Mein Vater wurde mit einen Mal ernsthaft – schon zitterte ich, und Thränen standen in meinen Augen. – – „Das Mal mags hingehen. Aber 260 Vermutlich handelt es sich um Die verkleidete Liebe auf dem Carneval zu Venedig, ein Lustspiel, dessen Autorschaft ( Joseph Felix von Kurz?) ungesichert ist. Bei Ackermann wurde 1754 von unbekanntem Verfasser ein Lustspiel Der Carneval zu Venedig gespielt; Herbert Eichhorn, Konrad Ernst Ackermann. Ein deutscher Theaterprinzipal, Emsdetten 1965, S. 273. 261 Topase.
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ein andermal nichts vergeßen, was man in seiner Rolle braucht“. „Gewiß, Papa! Hab noch niemalen eine Rolle gespielt, wo ich einen Ring brauchte – und meinen, wißen Sie ja, hab ich nicht mehr“. – (Ich hatte in Würzburg von der älstenLXIV Fräulein Mariane Greifenglau262 einen Ring bekommen, diesen nebst meinen hin und wieder geschenkt bekommenen Schaumüntzen263 gab ich meinen Vater zu verkaufen, [112]
als meine Mutter den Sommer in Dreßden gefärhlich krank wurde, mein Vater gern nach einen Docter schicken wolte und sagte: „Gott! womit soll ich ihm bezalen?“ Stilschweigend holte ich meinen gestickten Beutel mit den Müntzen, zog mein Rubinenringelgen vom Finger, küßte seine naßen Augen und sagte: „Damit, lieber Papa! Schaffen Sie nur Hilfe, das Mama nicht stirbt“. – „Mädel, must du den immer deinen Vater aus der Noth helfen. – Gott wirds dir lohnen“). – Einen gleich mir vorher begegneten Vorfall muß ich doch mit anmerken. Es war im vorhergehenden Jahr, nehmlich 1756, den 8. November, als am Geburtstag meines Vaters. Er sagte des Morgens bey dem Frühstük zu uns: „Kinder, heute ist euer Vater 63 Jahr alt. Nun trette ich in mein größtes Stuffenjahr264. Leb ich noch ein Jahr, so habt Ihr Hofnung, euren Vater noch einige Jahre zu behalten – ich zweifele! Hab zu viele Sorge gehabt. – Doch wünschte ich’s, nur so lange zu leben, bis ich mein Weib, meine Kinder versorgt seh. – Doch Herr, dein Wille geschee! – nicht der meine. Du wirst dan ihr Vater seyn“. – Diese Rede erschitterte mich! – Der lezte Geburtstag meines Vater vielleicht – und kannst ihm heute nichts schencken? – Wenn Gott dir auch noch so viel gäb, und Papa lebte nicht mehr – was könnte dir das alles hel[113]
fen? Ich ging mit mir selbst zu Rathe. Geld? Woher nehmen? ohne zu borgen? – Und wie? wieder bezahlen? Ich suchte unter meinen Sachen, ob ich nichts fände? – Auf 262 Damit wird Maria Anna Josepha von Greiffenclau (* 21. März 1729) gemeint sein; Johann Gottfried Biedermann, Geschlechtsregister der Reichsfrey unmittelbaren Ritterschaft Landes zu Franken Löblichen Orts Baunach […], Bayreuth 1747, Tafel LXXI. 263 Schaumünzen hatten zwar einen Nennwert wie Umlaufmünzen, wurden aber aufwendiger verarbeitet, da sie zu besonderen Anlässen geprägt wurden und als Erinnerungsstücke oder Geschenke gedacht waren. 264 In der auf die griechische Antike zurückgehenden Lehre von der Siebenzahl als Grundlage der Lebensstufen wird jedes siebte Jahr im menschlichen Leben ein Stufenjahr (annus climacterius) genannt, da in jedem siebten Jahr eine völlige Veränderung im Körper vorgehen soll. Das neunte Stufenjahr (großes Stufenjahr), also das 63. Lebensjahr, galt als besonders gefährlich. Lit.: Kaspar von Greyerz, Passagen und Stationen. Lebensstufen zwischen Mittelalter und Moderne, Göttingen 2010, hier S. 9–20.
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einmal fällt mir meine ausgezopfte Seide in die Hände. – Hurtig borgte ich mir eine Wagschaale – kein Loth! Gleich wurde meiner Docke265 beste schwartze Salob266 nebst einen Unterrok zerschnitten und solange fortgezopft, bis das Loth seyn volles Gewicht hatte. Nun lief ich zu einer Leutenantin, die mit ihren Mann und zwey Kindern in den nehmlichen Haus wohnte und Frau von Bonnarz267 hies. Von der hatte ichs gesehen, das sie von solcher Seide Strümpfe strikte; die frug ich: „O, Frau v. Bonnarz, was geben Sie für ein Loth ausgezopfte Seide“. „6 Pfenge“268. Wie froh war ich! „Da habe ich ein Loth! Wolten Sie mir die wohl abkaufen?“ –„O ja!“ – „Sie ist richtig gewogen, wiegen Sie solche nur nach“. „Glaubs Ihnen, Kind – aber ich habe kein Kleingeld“. – „Will Ihnen wechseln – den ich brauche die 6 Pfenge gleich“. – „Da also“. Sie gab mir ein 4-Groschenstük, ich damit im Laden und kaufe – ein Loth Schnupftobak, bitte den Kaufmann, es mir doch in ein weißes Papier zu füllen. – Nun im größten Frohloken zu Hause, erst der Frau v. Bonnarz ihr 3½ Groschen wieder, dann in des Wirths [114]
Küche, mir einen blankgescheuerten Zinnteller geben laßen, meinen Toback auf dem Teller, etwas grüne Petersilge auf den Rand des Tellers herrumgestreut – die Treppe wie toll hinaufgerent; ins Zimmer hinein und stelte mich mit meinen Present an dem Schreibtisch meines Vaters hin. – Sagen konnte ich nichts, den ich hatte keinen Athem. Da ich immerweg stand, sah endlich mein Vater hin – „Mädel, was wilst du?“ – „Da – da, Papa“ – und ich fing bitterlich an zu weinen – fiel ihm um den Hals und bedekte ihm mit Küßen. – Er hob mich auf seine Schoos, drickte mich an seinen Busen. – „Meine Line! Mein gutes Kind. – Gott wird ja deinen Vater dir noch erhalten. – Weine nicht. – Aber bleib fromm und gut“. – Mein Bruder, der mir wieder erzählt hatte, das, wie ich aus dem Zimmer weg war, mein Vater die Mutter gefragt: ob sie mir die 6 Pfenge gegeben. „Nein“. „Wo mag sie solche herhaben“. Karl sagte ihm, er hätte mich die Seide zopfen sehn – und auf die Art erfuhr er’s durch die Frau v. Bonnarz. – Von der Zeit an bekam ich alle Woche einen Groschen Taschengeld, sonst hatte mein Bruder nur immer allein Geld bekommen. Ich hoffe, man wird mir die Züge, die Einflus auf meinen Character haben,
265 Puppe. 266 Saloppe: Ein Überwurf oder Umschlagtuch. 267 Nicht ermittelt. 268 6 Pfennig: Ein halber Groschen.
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der nun immer mehr und mehr anfängt sich zu entwickeln, nicht übel deuten. So fieng ich an, Schüße269 zu machen und die ich den immer, soviel wie möglich war, auch Festigkeit zu geben und auszuführen. Nun wieder zu dem Ring. Mein Vater frug: „Was für ein Officier gab dir ihn?“ „O Papa! Es ist noch nicht lange, das er auf ’s Theater kommt. Sie mißen ihn gesehn haben. Er ist bleßiert im Arm, drägt solchen in der Binde. Ein großer schöner Mann, ist immer sehr bescheiden und höflich, auch habe ich ihm heute von einen nennen hören, der nannte ihm Graf N.z“LXV. „Graf Nostitz?“ sagte mein Vater, „doch wohl nicht ein Sohn von Graf Nostitz aus Breslau270, bey deßen Vater ich so oft mit dir war, Mama, und seiner Gemahlin? – Will ihm morgen fragen, wenn er aufs Theater kommen solte“. Den andern Tag kam der Graf aufs Theater. Mein Vater zu ihm hin, entschuldigte mich wegen meiner Unvorsichtigkeit, bat für mich um Vergebung – „O sprechen Sie doch nicht davon, Herr Schulze! Ists wohl der alberne Ring werth“. – Mein Vater lenkte das Gespräch auf seine Familie, und wie groß war seine Freude, als er hörte, das er derselbe Graf ist, den damals, als mein Vater in Breslau war, oft auf seinen Arm hatte. – „Auch meinen ältern Bruder sollen Sie in wenigen Wochen sehen. [116]
Er ist bey einen andern Regiment, kommt aber auch hier ins Winterquatir zu liegen“. Der Graf bat meinen Vater, ihm besuchen zu dürfen. „Meine Bleßur erlaubt mir nicht, viel in Gesellschaft zu gehen. Noch muß ich mich sehr schonen. Den ich bin in der Schlacht bey Lowoschüz271 von Croaten, die ihr Gewehr mit gehakten Bley geladen hatten, bleßiert worden, und noch immer werden mir Stükgens davon aus dem Arm genommen. Es würde mir also sehr lieb seyn, hier ein Haus zu haben, wo ich zuweilen hinkommen könnte“. Mein Vater sagte: „Herr Graf, ich habe meines Mädchens wegen jede Gelegenheit vermieden, Besuch in meinen Haus zu gestatten. Zwar ist sie noch sehr jung – und erst 11 Jahre alt272. – Aber wie kann ein rechtschafener Vater vorsichtig genug seyn“. – „Sie haben recht, ich lobe Sie darum. Doch von mir sollen Sie nichts zu befürchten haben“. „Ihr Vater, Herr Graf, war ein edler, rechtschaffener Mann, der Sohn wirds nicht minder seyn. Kommen Sie an einen Tag – wen keine Komödie ist, wenn Sie wollen – aber die Tage, wenn gespielt wird, wißen Sie selbst“. – „Weis es – ich werde also kommen, und das den ersten Nachmittag“. – Ich hörte in meiner Loge 269 Möglicherweise meint sie Schlüsse. 270 Um welchen Grafen Nostitz es sich handelt, konnte nicht ermittelt werden. 271 Die Schlacht bei Lobositz (Lowositz, heute Lovosice), in der die Truppen Friedrichs II. von Preußen die österreichischen Truppen besiegten, fand am 1. Oktober 1756 statt. 272 Im September 1757 wurde sie 15 Jahre alt.
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von Wort zu Wort dem Gespräch zu – freute mich darüber, ohne zu wißen warum? – Alle Nachmittage, wenn keine Komödie war, kam der Graf und blieb bis gegen 7 oder 8 Uhr des Abens. – Mein Vater gewan ihm sehr lieb, konnte mit ihm von dem Krieg schwazen, den er wahr ganz preußisch. – Doch mitten in dem kriegerischen Gesprächen sah mich der Graf mit Augen an, die einen ganz andern Krieg im Herzen bedeuteten. – Dann, wann er mich so anstarte, schlug ich meine Augen nieder, mein Blut drang sich ans Herz, ich wurde roth und wuste nicht warum? – Einmal, als mein Vater ausgehen mußte, sagte der Graf zu meiner Mutter: „Nicht wahr, Madame, unser Karolinchen ist älter als 11 Jahr“. – „Gewiß nicht, Herr Graf“. – „O schweigen Sie, das sagen Sie nur meinetwegen“. – „Ihrendwegen, Herr Graf !“ „Ja, ja, meinetwegen“ – er stand auf, ging im Zimmer auf und nieder und wischte sich Thränen aus dem Augen. – Wir alle drey waren mit einen Male still – endlich sagte meine Mutter: „Herr Graf, was ist Ihnen“. – „Nichts, Madam – meine Wunde schmerzt mich“. – „Ach Gott, Ihr Arm“, schrie ich auf und fing an zu weinen. – „Bestes Kind!“ kam der Graf auf mich zu, nahm meine Hand und drickte sie an seinen Mund, [118]
ich zog sie zurük. „Ach, Herr Graf ! Der Papa leid das nicht“. – „Auch nicht den Mund?“ „Bewahr! das ist Sünde“. „Mädchen, Mädchen, du machst mich noch rasend“. – Meine Mutter sagte: „Herr Graf, besinnen Sie sich. Ich wolte nicht, daß das mein Mann gehört hätte – Sie würden meinen Kinde und mir vielen Verdruß machen“. – „O ja, Madam, sagen Sies nur Ihren Mann, damit er mir die Thüre weißt“. – „Herr Graf !“ – „Nun Vergebung! Vergebung! – Ich werde mich nie vergeßen. Nie wieder. – Aber sehen Sie den Engel!“ – Mein Vater kam, und das Gespräch nahm wieder seinen gewöhnlichen Weg von Geschichten, Anectoten, Wißenschaften und dergleichen, wo den keiner aufmerksamer war wie ich. – Den erstenLXVI Augenblik, wo meine Mutter mit mir allein war, sagte sie: „Nicht war, der Graf kann auch spasen?“ – „Ja, Mama, spasen!“ und ich unterdrickte einen Seufzer, der so unwilkürlich kam – aber ich doch sehr fühlte. – „Nur Spas – o, sowas wirst du noch öfterer hören müßen – aber denk immer, das es Spaß ist“. – „Ja, Mama“. – „Ich würde es auch Papa sagen, aber du weißt, er ist immer sehr ernsthaft, mag keinen Scherz leiden“. – „Ja, Mama, ich weis es“. „Je vornehmer der Mann ist, je weniger must du ihm glauben. [119]
Vornehme glauben, das steht ihnen an, mit andern, die nicht von gleichen Range mit ihnen sind, scherzen zu kennen. Merk dir daß“. – „Wils nicht vergeßen“. – Ohne Zweifel würde dieses Gespräch länger gedauert haben, wenn wir länger allein gewesen
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wären. – Den Abend darauf war Komödie, der Graf wie gewöhnlich auf dem Theater, sprach mit mir sehr wenig, doch ehe ichs mich versah, stekte er mir ein Papiergen mit einen sehr ernsthaften Blik in die Hand. Der Blick machte mich zittern, so das ich bald das Papier hätte fallen laßen. – „Karlinchen, ich sterbe, wo Sie mich verrathen“. – Er ging von mir, und schon dachte ich, das er tod sey, so wurde mir zumuthe. Nachdem die Komödie aus war und ich nach Hause kam, ging ich, ohne das man was muthmasen konte, aus den Zimmer und las mein Papiergen, das den ein sehr zärtliches Liebesbriefgen war. Bat mich um Antwort und zugleich, daß ich solches verbrennen solte, den wenn meine Eltern es erführen, dürfte er nicht mehr ins Haus kommen, und daß würde seyn Tod seyn. Ich wuste nicht, was ich anfangen solte. Noch nie hatte ich meinen Ältern was verheimlicht – gern wolte ich’s ihnen sagen – aber daß ich den Grafen solte sterben laßen – nein, das konnte ich nicht übers Herz bringen. Richtig schrieb ich den Morgen eine Antwort. – Und ich leugne es nicht, [120]
noch würde ich was darum geben, wenn ich nur noch einen von denen gewechselten Briefen könnte habhaft werden, die ich zu der Zeit an den Grafen geschrieben habe. Möchten gewiß die einzigen in ihrer Art seyn. Ich stelte den Abend darauf den Grafen, als er mir selbst eine[n]LXVII Becher mit Chokolade reichte, die Antwort zu. Nie sah ich ihm so heuter, und nie kam er mir schöner als in diesen Augenblik vor. – Den er wahr in allen Verstande der schönste Mann, den man sehen konnte. Helbraun von Haaren, ein Paar große, vielsagende blaue Augen, die Bläße seines Gesichts gab ihm so was Sanftes und Liebreiches – dabey sein ehrerbietiges Betragen; sein Alter mochte ohngefehr 26 Jahr gewesen seyn. – Also nichts Flichtiges mehr. Ich liebte ihm und hatte Ehrfurcht zugleich für ihn wie vor einen Vater. – Das weiß ich von seinen Briefen mich noch gut zu erinnern: daß er, wenn er von meinen Alter sprach, das, wenn ich wirklich noch so jung wär, er warten würde, wenn er mich nur in Sicherheit hätte – das mir das alles bömische Dörfer waren und ich ihm nicht verstand und vermöge meines Alters und der Art, wie ich mit der strengsten Aufmerksamkeit erzogen wurde, auch nicht wohl verstehen konnte: auch viel zu schich[121]
tern war, ihn darum zu fragen. Hätte ichs in meiner Unschuld gethan, vielleicht wär daß das einzige Mittel gewesen, den Grafen von seiner Schwachheit zu heilen. – Das Mädchen, die mir gewöhnlicherweise meinen Korb mit denen Theatersachen ins Comödienhaus trug, wurde bald vom Grafen bestochen und ward unsere heimliche Briefträgerinn. – Noch habe ich von ihm ein Gedicht, daß er aus von Kleists Wercke
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gezogen. „An Doris“273, das er umenderte auf meinen Namen und von der 3ten Strofe anfangen läßt: „Dort liegt der Hirt beym nahem Waßerfall etc. etc.“. Das stelte er mir selbst zu, als er wohl in 14 Tagen (seines Arms wegen, der wieder aufgebrochen und wo man abermals Stickgen Bley herrausnahm) nicht bey uns war. – „Daß war meine Beschäftigung, bestes Kind, die 14 Tage, als ich nicht bey Ihnen war. So hab ich an Sie gedacht – und mit dem lahmen Arm nur alle Tage eine Strofe geschrieben und schreiben kennen“. Auch brachte er uns seinen Bruder274 mit, der sich meiner Eltern noch sehr wohl erinnerte, den er war viel älter als mein Graf – doch mochte ich ihm nicht leiden, er war so wild – hatte nichts Sanftes – war nur Soldat. Ich sagte es auch den Grafen und bat ihm, seinen Bruder ja nicht wieder zu bringen – ich kann die wilden Leute nicht leiden. – Daß er den auch versprach. [122]
Unser Briefwechsel dauerte fort und war ein immerwärender Streit. Den Grafen liebte ich, nun wuste ich nur soviel: das, wenn sich zwey Personen liebten, so müßten sie von einen Geistlichen getraut werden, dan wären sie dadurch Mann und Frau. Wen sie aber so zusammenlebten, so wär das Frauenzimmer nicht Frau, sondern Maidreße, und das wär eine Sünde, und die würde den, wo nicht ins Gesicht, doch hinter den Rüken von allen Menschen verachtet. Ich erinnerte mich den an manche solche Maidreße, die ich gesehn hatte. Schuch seine sogenannte Frau war auch eine von ihm, den seine rechte Frau lebte in Prag275. Und die hatte ich gekannt – und dan pflegte mein Vater zu sagen: „Solch ein Weibsbild ist mir ein Greil276 in meinen Augen“. – Das alles wust ich, und mich schauerte also vor dem Gedanken: auch ein Greil im Augen genant zu werden. Das alles sagte ich und schriebs den Grafen. – So lieb wie er mir war, hätte ich ihm nie einen Kuß erlaubt, noch viel weniger gegeben. – Er wuste es und – ich weiß nicht, aus wirklicher Ehrlichkeit, oder nur um mich nicht abzuschreken, hielte er sich in der strengsten Ferne. Auch was Eifersucht ist, lehrte er mich zuerst. Und durch diesen
273 Christian Ewald von Kleist, An Doris. Im May 1744, in: Ewald Christian von Kleist, Des Herrn Christian Ewald von Kleist sämtliche Werke, Theil 1, Berlin 1766, S. 140–144. 274 Nicht ermittelt. 275 Mit der „sogenannten Frau“ Franz Schuchs meinte Karoline Kummerfeld die Tochter des Schauspielers Friedrich Köhler, mit der Schuch nach dem Tod seiner Geliebten Christiane Sophie Schleißner (s. o. HHS, S. [96]), liiert war; Liss, Theater, S. 7, 32. 276 Gräuel.
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unschuldigen Vorfall hätte er beynahe selbst unser ganzes Geheimniß verrathen. Meine Mutter stelte einen Abend eine verkleidete Mannsrolle vor. Es war sehr kalt. Ich sezte mich auf ihren Schooß, hatte sie um den Hals gefaßt und küßte sie, und sie mich, halb in einen Pelz gewickelt. Der Graf macht unsere Loge, die etwas offenstand, ganz auf. Sah uns, glaubte, meine Mutter, die den Hut aufhatte und nicht kannte, sey wircklich eine Mannsperson. „Ha!“ schrie er. „Schurcke! – und Sie – ein Kuß ist Sünde – das ist zum Rasendwerden“. – Ich sprang auf: „Herr Graf“ – meine Mutter: „Graf, was wollen Sie?“ – Da stand er wie versteinert. Wußte nicht, was er sagen solte. Endlich kam ein: „Bitt um Vergebung – kennen Sie mir verzeihen, Karlinchen – Madame“ – „Nun, Herr Graf, was ists?“ „Ach, Madam – so oft war ich in Ihrem Haus – nie unterstand ich mich, Karlinchen zu küßen – und nun kam ich – kante Sie nicht und sah – sah – Sie wißen, was ich sagen will. Um Gottes willen, Madame! Daß es nur nicht Papa erfährt“. – „Auch daß soll er nicht. Nur vergeßen Sie sich nicht zum 3ten Mal.“ – Das ging über ohne Examen, und niemand war fröher wie ich. Unsere Briefwechsel und Unterredungen wurden immer ernsthafter. Er schwur bey dem Wort eines ehrlichen Mannes – den andern Schwüren glaubte ich nicht. Den Papa hatts gesagt. Wenn er sich meinen Vater entdeckte, würde er entweder meine Jugend zum Vorwand [124]
nehmen, mich ihm zu versagen; oder auf eine öffendliche Verbindung bestehn. Er wolle sich mit mir trauen laßen, aber heimlich. Er könnte seine Verbindung mit mir nicht eher bekant werden laßen als bis nach dem Tode seiner Mutter, die sehr schwächlich wär und gar nicht mehr gehen könnte. – Auch dürfte er nicht ohne Bewilligung des Königs. – Noch zweifelte er, das er je wieder fehig seyn würde zu dienen. Auch würde er gern seinen Abschied nehmen, um mit mir auf eins von seinen Gütern zu leben. Dann wolle er für meine Ältern und Bruder sorgen. Kurz, er redete mir so überzeugend zu, daß ich ihm völlig glaubte. Die Faste war bereits eingetretten und Ostern nahe. Wir hatten aufgehört zu spielen. Kirsch, der nun nichts einnahm, gab auch keine Gage, und was er hatte im Winter erworben, glaubte er im Sommer für sich und seine Frau nö thig zu haben, wo den freilich bey den Unruhen des Kriegs an keine Komödie konnte gedacht werden. Wizmann277 nebst einen Herrn Arnold und seiner Frau278 waren in Freyberg, 4 Meilen von Dreßden, mit noch einegen Leuten, die in der FasteLXVIII abgegangen waren. Die luden meine Eltern zu sich ein: den Sommer
277 Herr Wi(t)zmann, Schauspieler. 278 Herr und Frau Arnold, Schauspieler.
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über dort zu spielen. Jede Einnahme wurde nach abgezogenen Unkosten gemeinschaftlich in gleiche Theile getheilt. Da dann den immer auf uns vier Theile kamen, nahms mein Vater an und versprach, in der ersten Osterwoche zu kommen. Kirsch, der’s nicht wagen wolte, nach Ostern wieder anzufangen, da eben keine zu starke Besazung in Dreßden geblieben – und die, die da waren, keiner Gesellschaft Unterhalt geben konnte, sagte zu meinen Vater: „Sie haben recht, ich kanns nicht verlangen, das Sie den ganzen Sommer, so ohne wovon leben zu kennen, aushalten solte[n]“. – Der Graf stelte mir nun alles vor. – Alles mögliche Elend, was ich noch zu gewarten hätte. – Gott! es wahr, als ob er mein Prophet hätte seyn sollen. Mit Thränen in den Augen bat er mich, ihm zu folgen. „Gleich nachdem wir getraut sind, schreibe ichs Ihren Vater, auf Gavaliers Parole279“. – „Ach, Herr Graf, machen Sie mich – meine Eltern durch mich nicht unglüklich – wir sind arm, aber ehrlich“. – „Nein, Kind. Gewiß nicht, bey Gott! nicht“. – „Schwören Sie nicht – ich folge Ihnen“. Der Graf küßte meine Hand – „Mädchen, wie gerne drükte ich dich an mein Herz. – Aber nein, deine Tugend, deine Unschuld ist mir heilig – keinen Kuß, als biß du ganz mein bist übermor[126]
gen früh“, es war der zweyte Osterfeuertag280. „Also, wen Sie nach der Kirche gehn, wird ein Wagen für Sie an der Kirche halten mit einen von meinen Bedienten, in dem sezen Sie sich, Sie kommen, wie Sie gehn und stehn. Der bringt Sie an Ort und Stelle, ich werde schon da seyn und komme meiner kleinen Braut ent[ge]gen. Wir werden getraut, und den sollen Ihre Eltern in wenigen Tagen alles wißen“. Alle diese Abreden wurden in dem Zimmer genommen, wo das Mädchen wohnte, die die Briefe trug. Doch wußte sie nichts von dem, was gesprochen wurde – und wurde gewiß von Grafen so gut bezalt, das sie wohl schwieg. Nie hatte sich der Graf unterstanden, mir Geschenke zu machen. Nur eines Abens kam er: und das im Schlafrok. Es war sein erster Ausgang, wie er 14 Tage krank gewesen. – „Vergeben Sies den Kranken, lieber Vater! daß er im Schlafrok kommt, sehen Sie, da hat mir der Schneider noch so viel Citz281 übrig gebracht – da soll sich Karolinchen auch einen Schlafrok von machen laßen“ und wurft eine halbes Stik Citz aufs Bett. „Und nun ja kein Wort weiter davon, den, lieber Vater, ich kenne Ihre Grundsätze“. – Nun dachte ich nach. Das ganze Betragen des Grafen. Ein edler Mann. Schön – Gräfinn, seine Frau – meine Eltern versorgt – dachte an allen den Jammer und Noth, die 279 Auf Kavaliers (Edelmanns) Ehrenwort. 280 Montag, 11. April 1757. 281 Zitz: Ein besonders feiner Kattun.
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ich mit ihnen erlebt. – Kurz, mein Kampf war groß. Und würde einen Frauenzimmer von mehr Jahren zu schaffen gemacht haben, viel weniger einem Kind, wie ich war. – Nun dachte ich an keine Puppe mehr, die ich bereits mit der ganzen Ausst[e]uer verkauft hatte und meinen Eltern die 10 Thaler gab, die mir für alles gegeben wurde gleich zu Anfang der Faste, da wir nichts mehr einnahmen. Der Graf kam den Tag vor der angesezten Flucht nur auf ein paar Stunden, nur bloß, um mir mit Blicken Muth zu machen – und in meinen zu lesen, ob ich auch nicht anders Sinnes geworden. Als er wegging, sah er mich an. Ergrif die Hand meines Vaters und sagte: „Rechtschaffener Mann. Sie haben vieles Unglük erlebt nach dem, was Sie mir gesagt haben und seiddem wir uns kennen. Aber vielleicht stehen Ihnen noch größere bevor – doch wenn Ihnen das größte begegnet, daß Sie sich denken erlebt zu haben: so faßen Sie sich und hoffen, daß eben das Ihr, Ihrer Frauen und Kinder kinftiges Glick seyn wird – auch Sie denken daß, Madame!“ Er küßte die Hand meiner Mutter, warf mir heimlich einen Kuß zu, umarmte meinen Vater und eilte zum Zimmer hinaus. – „Welch ein vortreflicher Mann“, [128]
sagte mein Vater, „ist der Graf Nostitz, ich liebe ihm wie meinen Sohn. – Wenn alle jungen Leute so wären, wie ruhig können den die Väter und Mütter seyn“. – Ich wurde wie eine Leiche im Gesicht und bebte, daß ich mich niedersezen mußte. – Ich glaubte zu versinken. Wir hatten nur ein Zimmer, in dem standen zwey Betten. Mein Vater legte sich nieder zu meinen Bruder. Ich wolte zu meiner Mutter ins Bett steigen – besann mich, kniete vors Bett meines Vaters nieder und sagte: „Papa, Sie haben heute vergeßen, Ihre Line zu segnen“. – „O, du hast den Segen von Gott. – Doch hier hast du auch den meinigen“. – Ich küßte ihn mit Thränen; dann seine Hand und legte mich zu meiner Mutter. – „Auch Sie, Mama, mißen mich noch segnen!“ Sie that es; ich küßte sie auch, drükte ihre Hand an meine Brust und lag so stille wie möglich. Die erste Nacht, die ich im Kampfe mit mir selbst zubrachte. – Ich weinte bitterlich, rufte Gott und alle Heilige an: sie solten mich nicht verlaßen! Mir rathen, mir helfen! – Alles lief ich durch, alles. Meine Eltern betrüben? – Gott! wenn meinen Vater auf der Stelle stürbe? Was hilf ihm den das Versprächen des Grafen? – Was würde mir den Vorwurf weg[129]
reisen: ich habe ihm umgebracht! Meine Phantasie führte mich aus dem Haus, den Weg nach der Kirche; ich stieg in Wagen, stand im Zimmer, wo die Trauungscermon282 vor
282 Trauungszeremonie.
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sich gehen solte. Trauung? – Trauung! Hast du schon gemals eine Trauung mit angesehn? – Nein! – Solt von einen lutherischen Geistlichen getraut werden, von keinen katolischen. – Kennst du dem? – Ein katolischer ist zu kennen an der geschorenen Blatte auf den Kopf283 – das hat kein lutherischer. – Mein Gott! Wenn ein verkleideter Bediente – du kennst nicht alle von des Grafen Leuten – du wärst stat Frau – Maitreße vom Grafen284. – Gott. Heilige Marie! – Mein Schutzengel, gebt ihr mir den Gedanken ein? – War mein Gebet nicht fruchtlos? – Nein, nein, der Gedanke kommt von euch – Dank, Dank, ich will ihn folgen. – Du gehst nicht. Liebt dich der Graf, wie er sagt, so wird er dich mit Bewilligung deiner Eltern zu erhalten suchen. Sie lieben mich zu sehr, als das sie mir an meinen Glüke hinderlich seyn solten. Ach! wärs nur schon Tag, wilst den Grafen schreiben – in aller Früh, daß er nicht fortfährt vergebens. – Ich fühlte eine Art von Beruhigung, die ich lange nicht gefühlt, mir ward leicht, doch konnte ich nicht schlafen. Kaum war der Tag angebrochen, stand ich auf. – Meine Eltern und Bruder schliefen noch sehr fest, [130]
nach meinen Wunsch. Ich ging nach dem Boden, wo ich alle meine Briefe immer geschrieben hatte, und schrieb an Grafen ohne Verstellung, was ich dachte; meinen Zweifel; und daß ich nicht kommen würde. Nun lief ich mit meinen Brief zu Friederike, so hies das Mädchen. Sie schlief noch, mußte auf, sich anziehen und mit den Brief zum Grafen laufen – die Uhr war noch nicht 6 des Morgens. – Ich war nun wohl und so glüklich wie eine Prinzeß in meinen Gedanken. Verfertigte das Frühstick, das, wenn meine Eltern aufstünden, alles fertig wär und ich zugleich einen Vorwand hatte, warum ich so früh aufgestanden wär. – Einen Vorwand, warum ich den Morgen nicht nach der Kirche ging, fand ich auch bald, und niemand konnte Arges dencken. – Meine Friederike hatte mir unterdeßen Nachricht gebracht: So wie ich ihr befohlen, hatte sie
283 Sie meint damit die Tonsur der katholischen Kleriker. 284 Wendy Arons hat darauf hingewiesen, dass diese von Kummerfeld sich vorgestellte Scheintrauung durch einen als Pfarrer verkleideten Bediensteten fast identisch ist mit der von Sophie von La Roche in ihrem 1771 erschienenen Roman „Geschichte des Fräuleins von Sternheim“ geschilderten vorgetäuschten Eheschließung. Lit.: Sophie von La Roche, Geschichte des Fräuleins von Sternheim, hg. von Barbara Becker-Cantarino, Stuttgart 1983, S. 193–199; Wendy Arons, „Laß mich sein, was ich bin“: Karoline Schulze-Kummerfeld’s Performance of a Lifetime, in: Marjanne E. Goozé (Hg.), Challenging Seperate Spheres. Female Bildung in Eighteenth-and Nineteenth-Century Germany, Oxford/Bern/Berlin etc. 2007 (North American Studies in 19th-Century German Literature and Culture 40), S. 157–190, hier S. 178–180. Zu Kummerfeld und Nostitz s. a. Melanie Deutsch, Das Kind im Drama – Kinderrollen im deutschen Schauspiel des 18. und 19. Jahrhunderts, Magisterarbeit, Wien 2010, S. 39 f. Deutschs Argumentation beruht allerdings auf der Annahme, Kummerfelds Geburtsjahr sei 1745.
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den Brief an des Grafen Jäger285 gegeben, der gesagt, sein gnädiger Herr hätte befohlen, ihm gegen 6 Uhr zu wecken – eben wolte er zu ihm hinein, sie gab ihm den Brief, sah solchen hineintragen, lief fort, ohne auf Antwort zu warten, wie ich ihr geheisen. Nun war in meiner Einbildung alles gut, und ich dünkte mich recht groß. Aber jeder Laut an die Thüre erschitterte mich und machte mich blaß oder roth. – Es war der Mitwoch nach Ostern286, meine Mutter packte bereits ein, den den FreytagLXIX wolten wir ab[131]
reisen. Mein Vater packte gleichfals seine Bücher, als mit einen Mal sehr starck angeleutet wurde an unser Vorhaus. – Es war eben nach 4 Uhr des Nachmittags. – Ich war so und wir alle erschroken, das mein Bruder, ders von uns am wenigsten war, aufstand, um die Thüre zu öffnen. – Des Grafen Jäger stürzte ins Zimmer, seine Augen standen voll Waßer. „Ach! Herr Schulze, mein Graf verlangt nach Ihnen, will Sie sprechen – er ist sehr schlecht, alles zweifelt, ob er den Morgen noch erleben wird“. Ich sties ein lautes Geschreu aus und fiel meiner Mutter in die Arme, mein Vater eilte, sich anzukleiden, und rente fort. Meine Mutter sprach mir zu, ich hatte und fand an allen keinen Trost. Meine Mutter, die zwar mein empfindliches Herz kannte, das niemand leidend konnte wißen – argwohnte doch, daß ich mehr für den Grafen fühlen müßte als bloß Mitleid, doch hütete sich sorgfältig, es mir nicht mercken zu laßen, mich nicht zu bestärcken, das ein Mädchen von meinen Alter Liebe zu einen Mann fühlen könnte. – Selbst die Trostworte, die sie mir gab, waren Lehren und Verweise. „Du weist, liebe Liene, daß ich den Grafen wie meinen Sohn liebe. Aber, Kind, du machst es zu arg. Was würdest du den beginnen, wenn Papa oder ich stirbe? Siehe, Gott nimmt uns erst Freunde, Bekandte, um uns auf größere Verluste vorzubereiten. Gott könnte dich strafen und dir einen von uns nehmen. – Und was wär dir der Verlust des Grafen [132]
gegen den unsrigen. Faße dich ja, das, wenn Papa nach Hause kommt, er sieht, das du ruhiger bist. Seine Bestürzung lies ihn vielleicht nicht die deinige gewahr werden“. – Ich schwieg, suchte meinen Schmerz soviel als möglich zu verbergen, aber meinen stillen Thränen konnte ich nicht gebieten. Stirb[t] Nostitz, so bist du seine Mörderin, der Gedanke lag vor mir wie ein Gespenst, das mich schrökte. Mit Angst warte ich auf weitere Nachricht, gern wär ich fortgelaufen, die Furcht für meine Eltern hielte mich zurick. Um 8 Uhr kam mein Vater. Ich hatte nicht das Herz zu fragen. Seine Augen
285 Ein Piqueur, ein reitender Leibdiener. 286 13. April 1757.
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waren aufgeschwollen von Weinen. Meine Mutter suchte in seinen Augen zu lesen. „Nun, wie ist’s?“ – Mein Vater zukte dieLXX Schulter. „Ach, der arme Graf ! Seine Wunden sind wieder aufgebrochen, er hat sich starck verblut. Docter und Feldscher zweifeln, das er davonkömmt“. – „Was soltest du den bey ihm?“ „Noch weis ich es selbst nicht recht. Als ich zu ihm trat, sagte er zu mir: ‚Mich hat nach Ihnen verlangt. Sie solten mich sehn‘ – er war sehr unruhig. Die Medicis baten ihm, nicht zu sprechen. Er fiel in einen matten Schlummer, so lag er weg bis halb 8 Uhr. Darauf sah er sich nach mir um und bat mich, die Nacht bey ihm zu bleiben. Er hätte mir noch einige Aufträ[ge] zu sagen, die er nicht gern Fremden vertrauen möchte. Ich [133]
hab’s ihm zugesagt: Nur bat ich ihm, mich einen Augenblick von sich zu laßen, weil ich euch Nachricht geben wollte. Die wahre Ursach aber, warum ich nach Hause gekommen bin, ist: ich will Johann Arends Gebetbuch287 zu mir nehmen, ihm diese Nacht, so wie es seine Kräfte erlauben, vorbeten und ihm vorbereiten, das er morgen einen Prediger kommen läßt und das Abendmal empfängt. Er läßt euch grießen – und besonders dich, Karoline“, sagte mein Vater in einen sehr viel bedeutenten Ton und schittelte den Kopf – wischte sich aber auch zugleich eine Thräne aus dem Auge. – Ich war weder imstande, für den Gruß zu danken, noch viel weniger, einen Gegengruß mitzuschiken – und so ging mein Vater fort. Was ich die Nacht begonnen, kann jeder leicht denken, wenn er sich in meine Verfaßung sezt. Ich weinte und konte nicht einen Augenblik schlafen. Des Morgens gegen 10 Uhr kam mein Vater zimlich heuter, sein erstes Wort war: „Gottlob! Nun ist der Prediger bey ihm. Nun mag es Gott mit ihm machen, wie sein heilliger Wille ist. Ich habe ihm diese Nacht verschiedene Briefschaften und andere Schrieften siegeln mißen, auch eine Verordnung aufseze[n] mißen, wie ers nach seinen Tod gehalten wißen will. Auch einen Brief an seine Mutter, den er mir in die Feder gesagt. Sein Bruder ist auf Comanto288, der soll und wird alles besorgen. [134]
Wenn er eher stirbt, bis ich wegreise, so bät er mich, solches zu thun. Wie er mit allen seinen Geschäften fertig war, sagte ich: ‚Lieber Graf, Ihre zeitliche Angelegenheiten hätten Sie besorgt – aber die ewigen!‘ – ‚Ich bin Soldat, scheute den Tod nicht. – Gieng ihn entgen, das zeigen meine Wunden‘. – ‚Wahr, lieber Graf ! Aber zeigen Sie 287 Vermutlich ist das „Paradiesgärtlein voller christlichen Tugenden“ (Leipzig und Magdeburg 1612) des nachreformatorischen Theologen Johann Arndt (1555–1621) gemeint, nach dem „Wahren Christentum“ Arndts verbreitetstes Werk. 288 An einem Ort auf Kommando stehen: Dort für eine militärische Aufgabe eingesetzt sein.
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nun auch, das der Soldat ein Christ ist‘. – ‚Sie haben recht, Freund. Habe ich Sie nicht rufen laßen? Sie sind mein Vater. Beten Sie mit Ihren Sohn. Mein Zutrauen zu Ihnen ist stärker als gegen alle Pfaffen. Sie kenne ich als einen redlichen Mann, bereiten Sie mich, um vor Gottes Thron zu tretten‘. ‚Lieber Graf, Ihr Zutrauen rührt mich – ich will auch mit Ihnen beten und habe Bücher zu mir gestekt, wenn meine Worte allein nicht kräftig genug seyn solte, Ihr Herz zu stärken. Aber Sie wißen, wir sind von verschiedener Religion. Sie können sterben. Also wünsche ich zu Ihrer – zu meiner Rechtfertigung, daß Sie morgen einen Prediger kommen laßen, der Ihnen das heilige Abendmahl reicht‘. ‚Sie haben recht, lieber Vater! Leiten Sie Ihren Sohn‘. – So habe ich die Nacht im Gebet mit ihm zugebracht. Er hat wenig geschlafen. Da der Prediger kam, ging ich fort. Nun will ichs versuchen zu schlummern, um den Nachmittag wieder bey ihm zu seyn“. – Oft sah mein Vater mich an und sah traurig [135]
dabey aus. Auch merkte ich, das er, wenn ich aus dem Zimmer ging, das den die Rede von mir seyn miße, den sobald ich wieder kam, schwiegen sie still. So ginge derLXXI Donnerstag hin und der Freytag! Der Tag der Abreise war da. Des Nachmittags ging die Fahrende Post, mit der wir fort solten. Mit welchen Herzen ich in Wagen stieg. – Wie ich meinen Vater ansah, der vom Grafen noch zulezt kam und Abschied genommen – der keine Worte hatte, uns solchen wieder zu sagen. – Das weis Gott! Der Postwagen kam mit uns des Sonabend morgens 5 Uhr an. Unsere Wohnung war bestelt, ich zerstreute mich, so gut es mir möglich war, und half bey den Auspaken meiner Mutter. – Des Abends klagte ich über heftiges Kopfweh – „es kömmt von Biken289“, sagte meine Mutter – „lege dich nieder, morgen wirds beßer seyn“. Der Sontag kam, ich zwang mich zum Aufstehen. Meine Ältern, die den Nachmittag mit uns ausgehen wolten, die Stadt und den Wall zu besehen, hatten befohlen, uns anzukleiden – ich frisirte mich, so sauer es mir wurde, und zog mich an. Meine Ältern hoften, das, wenn ich erst ging, es mir in der schönen Frühlingsluft wohl beßer werden würde. So ging ich mit ihnen fort – weis aber nichts weiter, als was man mir wieder sagte. Wie ich auf den Wall gekommen, wär ich umgefallen. Sie mußten mich nach Hause tragen laßen. Ich bekam [136]
ein hitziges Fiber und den Frisel290. Lag 3 Wochen ohne Sinnen und Verstand. – Zu sehr hatte ich meinen Gram unterdrikt, es muste ins Blut würken. Alles zweifelte an
289 Vom Bücken. 290 Fieber mit juckendem Hautausschlag (Frieseln).
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meinen Aufkommen. Meine Ältern waren untröstlich. Doch wie niemals ein Unglük allein kommt, ohne von mehreren begleitet zu werden, so gings auch jezt. Sie mochten 4 oder 5 Komödien zusammen gespielt haben, als die preusischen Truppen Order zum Marsch erhielten. Von denen Stadtleuten kam keine Seele, folglich hörten die Komödien von selbst auf. – Kein Geld, um sich selbst zu erhalten, viel weniger einen Kranken zu verpflegen. Meine Ältern wolten einen Versaz machen, aber da war kein Mensch, der Geld herborgen wolte. Endlich wurde meinen Vater der Rath gegeben, er soll zum dasigen Schergen oder Büttel291, wie man ihm gewöhnlich heiset, hingehen. – „Wenn Ihnen der nichts borgt, so bekommen Sie kein Geld auf Versaz in der ganzen Stadt“. Mein Vater ging mit meinen Bruder hinn, stelte ihm seine Noth vor und bat um 30 oder 40 Thaler. „Herr!“ sagte mein Vater, „hier gebe ich Ihnen meine Handschrieft, hilft mir Gott, und der Versaz steht nur 8 Tage, so will ich Ihnen für Jahr und Tag die Intereßen bezalen. – Wo nicht, so verseze ich es auf 1 Jahr und einen Tag, und löse ich es [137]
binnen der Zeit nicht ein, so sind die Sachen Ihre“. Der Mann wars zufrieden und wolteLXXII den Versaz sehen, ehe er das Geld hergab. Mein Bruder lief nach Hause und holte solchen. Meine Eltern, die nicht glaubten, daß ich davonkommen würde, hatten den alle meine Kleidergen, Schmuk – der all in unächten Steinen bestand, aber gut gefast war, nebst ein paar Kleidern von meiner Mutter etc. etc. zusammengepakt. 20 Thaler wurde ihnen darauf geborgt. – Der Scherge sagte: „Freilich ists davor nicht angeschaft – aber es ist Krieg, und ich kann nicht mehr geben“. – Mein Vater war froh, das er daß hatte, und bezahlte zuerst unsern Wirth292, der in der That mehr Büttel war wie der, dem’s sein AmtLXXIII war. Meinen Eltern keine Woche die Zimmer auf Credit laßen wolte. – Kochen that die Mutter selbst, um wolfeiler leben zu kennen. Endlich erholte ich mich – die Gefahr war vorbey, nur das man mich auf den Arm wie ein Kind tragen mußte. In diesen Umständen, wo ich den des Tags 2, 3 bis 4 Stunden auf einen Stuhl sitzen konnte – befiel meine Mutter und bekam so wie ich das hizige Fiber und den Frisel. Nun that mein Bruder alles – er kaufte ein, kochte, haute Holz, trug Waßer, bettete auf, war unermiedet. – Das Geld war längst all, und schon [138]
hatten meine Ältern verschiedene Sachen anfangen zu verkaufen, wovon sie den freilich nicht den vierten Theil bekamen, was sie werth waren. Als meine Mutter so schlecht 291 Gerichtsbote. 292 Die Familie wohnte im Freiberger Gasthof „Zum goldenen Löwen“; Ephoralarchiv Freiberg, Totenbuch 1757 der St. Petrikirche Freiberg, S. 171, Nr. 122.
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war und wir wieder nichts hatten, mein Vater rumsuchte, was er wohl zu Gelde machen könnte, sagte mein Bruder: „Wißen Sie was, Papa, die Leute haben hier kein Geld. Ich will mit denen Sachen nach Dreßden gehen, dort bekomme ich doch mehr. Wie bald laufe ich die 4 Meilen hin. Ich will alles so richten, das Papa nur das Fleisch und die Suppe für Mama wärmen darf. Gleich nach Tische laufe ich fort, und übermorgen früh, wils Gott, bin ich wieder bey Ihnen“. – „In Gottes Namen“, sagte mein Vater, „geh, aber nimm dich in acht“. – Es war an einen Freytag. – Den Sontagmorgen werde ich wach durch ein lautes Rufen von meinen Vater, der sagte: „Gott stehe ihm bey!“ – „Was giebts?“ – Mein Vater sieht mich star an und antworte[t] mir: „Nichts! – Schlaf, schlaf ruhig, du brauchst Kräfte“. – „Gott! mein lieber Papa, was ist Ihnen? Sie sind blaß wie der Tod“. – „Nichts, Line, sey ruhig – aber frag mich nicht“. – Er faltete seine Hände, betete laut – doch wahrens mehr Ausruhfungen wie Gebet. – Der Angstschweis lief ihm von seinen [139]
Gesicht, und er verrith in allen seinen Bewegungen, die er machte, die schrecklichste Angst. Als ich erwachte, war die Uhr 5. – Ich verlies meinen Vater mit keinen Auge, weinte still und betete zu Gott, er möchte meinen Vater erhören. Kaum hatte es 9 Uhr geschlagen, als was mit schnellen Schritten die Treppe heraufkam und mein Bruder ganz athemloß ins Zimmer stürzte. Bey seinen Anblick rief mein Vater: „Gott! du hast mein Gebet erhört. – Amen!“ – Mein Bruder legte das Geld hin und legte Bericht von seinen guten Verkauf ab. Dan, wie er damit fertig war, sagte er: „Ach, Papa! Ich war in einer großen Angst“. „Wieso, Karl?“ „Ich glaubte, einen nähern Weg zu gehen, den man mir in Dreßden gesagt hatte, und verirrte mich in Wald“ (den von Kesselsdorf, ohngefehr ein oder 2 Stunden von Dreßden fängt der Walt an und nimmt erst sein Ende bis nahe an der Stadt Freyberg). „Ich kam ins Gebüsch, konnte weder vor- noch rükwerts. Da kamen zween Kerls, die fragte ich um den rechten Weg, sie sagten, ich solte nur mit ihnen gehen. Ich thue es, aber sie führten mich links statt rechts, und eben weil ich zu sehr links gegangen, wurde ich irre, den rechts, wuste ich wohl, war die Landstraße. Ich sagte ihnen solches. – ‚Junge, resonir293 nicht und komm mit uns‘ – sie packten mich – da sehen Sie, mein ganzer Ärmel ist [140]
ausgerißen. – Ich hatte keinen Stock, nichts, also stelte ich mich, als wolte ich ruhig mitgehen, ehe sie es sich aber versahen, gab ich einen mit der Faust einen heftige[n] Schlag
293 Räsonieren: Sich wortreich äußern.
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auf den Bauch, das er zusammenfuhr, von den andern, der ihm helfen wolte, rieß ich mich loß, und so lief ich in der Angst fort. Ich weis selbst nicht, wie lange – und ich kam endlich auf die Landstraße und bin gottlob glüklich bey Ihnen“. – „Ach! Papa“, rufte ich, „das war wohl Ihre Angst?“ „Ja, mein Kind; das war sie auch. Mir träumte, ich seh unsern Karl ausgezogen von Straßenräubern, ‚ich bin unter Mörder gerathen‘, schrie er, ‚o mein Vater, helfen Sie mir‘ – darauf erwachte ich. Gott Dank, der du mir meinen Sohn wiedergiebst. Hast mir Tochter und nun den Sohn wiedergegeben – ach, laß mir auch noch mein Weib. Meinen Kindern ihre Mutter“. So gingen den wieder einige Tage hin, mitlerweile ich so weit war, daß ich, wenn ich mich an Stühle, Tische und Wände anfaßen konnte, ich auch allein gehen konnte,LXXIV kam ich Karln zu Hilfe mit Kochen und dergleichen – viel wars nicht – den meine und meines Bruders Kost war Kartoffeln in Salz gestibt294. Das wenige Kalbfleisch blieb für den Vater und die Suppe für die Mutter. [141]
Einen Tag wurde es mit Reiß gekocht, den ander mit Meyeran295 und geriebener Semmel. Mehr verstanden weder Karl noch ich zu kochen. Mein Vater, der vorbauen wolte, daß ihm die hizige Krankheit nicht auch ansteken solte, lies zur Ader, nahm zum Schwitzen und Abführungsmedicin. – Den 9. Juni des Morgens, als ich aufstand, rufte mich mein Vater, daß ich ihm eine Citronenscheibe, die in Zuker lag und die er sich den Abend vorher holen lies, reichen solte; den er sagte, sein Hals sey ihm so droken. Die Sprache meines Vaters war nicht dieselbe; er lallte mehr, als das er sprach. Ich frug ihm: „Ist Papa krank? Fehlt Papa waß?“ – „Nein, mir ist recht wohl. Ich bin schläfrig und will schlafen – o gieb mir noch eine Scheibe – so“. Mir war so bänglich, gerne hätte ich meinen Bruder gewekt, aber der gute Junge wachte alle Nächte bey der kranken Mutter, und mich weckte er den des Morgens um 3, 4 Uhr, je nachdem er miede war, und schlief den bis 8, 9 Uhr, wen ich ihm wieder wekte. So hatten wirs eingerichtet, um es uns so gut wie möglich zu erleichtern. – Doch konnte ich den Morgen keine Ruhe haben und weckte meinen Bruder, da es kaum 7 geschlagen hatte. – „Mir ists leid, lieber Karl, aber Papa spricht so seltsam. Du musts dem Docter sagen, wenn du zu ihm gehst“ [142]
(den wohl zu merken, der Docter, der mir nächst Gott das Leben gerettet, lag selbst an einen hitzigen Fiber, es war mit ihm zur Beßerung gekommen, doch konnte er noch
294 Gestippt: Getunkt. 295 Majoran.
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nicht ausgehen, und der Barbier, der des Docters rechte Hand war, ein sehr geschikter Mann, konnte uns nun auch nicht besuchen, weil er nicht allein seine, sondern auch des Docters Patienten besuchen mußte, und leider war damals wenige Häuser in Freyberg, wo nicht Kranke im Frisel lagen, die ganze Stadt war angestekt, die Menschen starben wie Fliegen296, täglich wurden 5-6 Leichen vor unsern Fenster vorbey nach den Kirchhof getragen. Also blos nach der Aussage von den Befinden meiner Mutter richtete der Docter die Medicin ein). Mein Vater wurde wach, mein Bruder zu ihm hin. „Wie befindet sich Papa?“ „Recht gut“ (lallte er), „ich weis nicht, was Ihr wolt, mir ist recht gut“. – Mein Bruder sah mich an, ich ihn. „Was ist den daß? – Ich will zum Docter!“ Als mein Bruder ihm Bericht abgelegt, sagte der Docter: „Der Hals wird euren Vater verschleimt seyn“, schrieb was auf und sagte, mein Bruder soll daß bey dem Barbier machen laßen, und der solle ihm in Hals spritzen. – Mein Bru[143]
[der] kam nicht wieder – der Mutter gab ich den Mittag Suppe, die meiste Zeit schlief sie, und der Vater nahm Citronenscheiben, das war alles, was er verlangte, und schlief auch; und ich, ich weis selbst nicht, was ich that? Alles gin[g] mit mir rum in Kopf und Herzen. Endlich schlug es 4 Uhr des Nachmittags, und da kam mein Bruder mit dem Barbier und deßen Gesellen. Meinen Bruder saß der Erger im Gesicht – und doch hatte der Barbier kaum Zeit gehabt, mitlerweile einen Mundvoll zu eßen, wärend der Gesell das Gurgelwaßer gekocht hat. –LXXV Als er meinen Vater ansah, so verenderte er die Farbe im Gesicht und sieht seinen Gesellen an, der vielbedeutent den Kopf schittelte. – „Tinte, Feder und Papier!“ – „Da“. Er sezte sich nieder, schrieb ein lateinisches Zettelgen und sagte, mein Bruder soll gleich damit zum Docter laufen. Er mit Hilfe des Gesellen leitet meinen Vater aus den Bett, der den auch willig mit ihm ging und ihm nur fragte: „Was wollen Sie von mir?“ Der Barbier öffnete ihm den Mund, sprizte ihm auch in Hals – „Ach, es hilft alles nichts! – O, die armen Kinder“. – Ich stand am Fenster wie festgeleimt – alles war mir wie im Traum. – Ich war bedeubt. – Sie legten meinen Vater nieder. Der Barbier [144]
kam auf mich zu, faste mich bey der Hand und sagte: „Faßen Sie sich, armes Kind. Ihr Vater muß sterben, der Schlag hat ihm die Zunge gelähmt“. – „Ach Gott!“ war alles, was ich sagen konte, und mein Kopf sank auf des Mannes Brust. Er weinte mit seinen 296 Laut freundlicher Auskunft von Frau Juliane Bretschneider vom Stadtarchiv Freiberg hat die Überprüfung statistischer Quellen einen Anstieg der Sterbefälle in den Jahren 1757 und 1758 bezeugt. Allerdings lassen sich diesen Quellen keine Gründe für den Anstieg entnehmen.
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Gesellen, sprach mir Muth zu, mich in Gottes Willen zu finden. – „Gott thats“, sagte ich – „und da darf ich nicht murren, haben mich meine Ältern gelehrt. – Ach, meine Mutter, ach, mein Karl. Mein Karl!“ – „Kind, ich muß fort. Wenn Ihr was braucht, kommt nur zu mir“. – So ging er weg. Nun war ich allein, fiel auf meine Kniee: „Gott, du wilst meinen Vater. – Seine Ahndung ist erfüllt. Er solte kein Jahr mehr leben. Hier liege ich und danke dir, dank dir für die Eingebung, das ich den Grafen nicht gefolgt bin. – Ich fühle den Verlust meines Vaters – aber ich fühle auch zugleich den Trost, das ich mir nichts vorzuwerfen habe. – Ich bin arm,LXXVI ach Gott! ich will noch ärmer seyn – und nie, nie, wenn der Graf auch lebt, soll er meine Armuth wißen. – Ich bin reich in meinen Gewißen. Gott, du kanst helfen, wirst helfen“. Ich stand auf mit einer Stärcke, die ich, wärend ich von meinen Krankenlager genesen war, nicht gehabt habe, so daß ich, ohne mich anhalten zu dürfen, gerathe an das Bett [145]
meines Vaters zuging. Ich ergrif seine rechte Hand, er sah mich an. „Kennen Sie mich, lieber Vater“. – Er drükte meine Hand. – „Sie sind sehr krank – mißen sterben“. – Er wolte antworten – konnte aber nicht. „Ich kann Ihnen keinen Geistlichen schafen, darf ich – soll ich Ihnen vorbeten?“ Er drükte wieder meine Hand und nickte mit dem Kopf ein „Ja!“ – Ich holte sein Gebetbuch und betete sehr laut ihm Sterbegebete vor. – Er faltete die Hände, nickte mir oft zu – Gott! mit Bliken – ach! daß ich sie beschreiben könnte. – Oft erstickten Thränen meine Worte – und sooft ich schwieg, sah er mich an – ich wolte sie ihm verbergen, um ihm das Herz nicht schwer zu machen. – Er hob seinen rechten Arm hoch auf, ich bikte mich zu ihm, und nun schlug er solchen um meinen Hals. Ich sank auf seine Brust – er weinte – drükte mich fest an sich und legte seine linke Hand auf meine Stirne. Seufzte tief, sah mit einen Lächeln über sich, machte Bewegung mit den Mund – ich küßte seine sterbende Lippen. – O Gott! Gott! – nur der, der solch einen Vater verlohr, muß fühlen, was ich fühlte. – Seine lezte Kraft hatte er erschöpft, und so sanken seine Ärme nieder. – Ich betete wieder und solange, bis er in einen sehr ruhigen Schlummer fiehl. [146]
Ich trat an ein Fenster, sah meinen Bruder kommen, er brachte Medicin. Wie er ins Zimmer trat, frug er mich: „Was macht Papa?“ – „Er schläft“, antwortete ich und stüzte mich mit der rechten Hand ans Fenster, um meine Thränen zu bergen. Ich wuste nicht, wie ich’s meinen Bruder anbringen solte: das der Vater sterben müßte. – Mein guter Karl war in derselben Verlegenheit, ihm hatte es der Docter gesagt. Aus dem lateinischen Billet hatte er die Umstände ersehen, und nun gieng auch er zu Rathe bey sich: wie er’s mir anbringen solte. Er trat ans andere Fenster, stüzte sich mit der Linken auf
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dasselbe, und so wendeten wir beyde einander halb den Rük zu – wechselsweiße blickten wir schichter[n] aufeinander, bis sich endlich unsere weinenden Augen einander begegneten. – Von gleichen Trieben geleitet, eilen wir einer den andern in die Arme, mischten unsere Thränen gemeinschaftlich ineinander und ruften zugleich aus: „Weist du, daß Papa stirbt?“ – „Ja! Ja!“ Wir schluchtzten laut. Endlich, als wir uns gefast hatten, umarmten, küßten wir uns und schwuren: Alles Kreuz, Leiden und Ungemach gemeinschaftlich miteinander zu theilen. Nie die Mutter zu verlaßen. – Auch wenn Gott uns segne[147]
te, das Glük sowie’s Ungemach zusammen zu tragen. – Nach diesen feuerlichen Auftritt wurde es uns leichter. Mein Karl sagte: „Ach, liebe Karline! Was bin ich hungrig. – Ich habe heute noch keinen Bißen gegeßen. – Hast du gegeßen?“ – „Nein, Karl! Es ist kein Bißen Brod im Hause. Mama gab ich die lezte Suppe von gestern, und was sie nicht aufgegeßen, lies ich für sie stehen auf die Nacht“. – Nun suchten wir der Mutter ihren Beutel, ihre Röke durch – fanden keinen Heller. Wir durchsuchten des Vater Beinkleider und Westentaschen – ha! wenn wir mit Einen Einzigen Dreyer297 des Vater Leben, der Mutter Genesung hätten dafür erkaufen können – wir hätten ihn nicht gehabt. – Mein Bruder sah mich traurig an. – „Ach, ich habe nichts! Wolts gern verkaufen“. – „Wart, Karl! wird ja noch was von mir da seyn“. Ich machte ein schwarz lakirtes blechernes Kästgen auf, wo ich immer Perlen liegen hatte. – Fand noch welche, reite solche auf wie ein Halsband, heftete [e]s auf weiß Papier, nahm dergleichen Ohrnringe in Silber gefast, gabs Karl zum Verkaufen. – Dieses Kästgen, daß ich noch habe und mir für keinen Preiß feil ist, nannte ich nachher in glüklicheren Zeiten: mein Kästgen für Stolz und Übermuth298. [148]
Mein Bruder kam bald wieder, es wahr bereits 9 Uhr des Abens, mit einen schwarzen Brodt, etwas Käß und einen Krug Bier. Die erste Malzeit, die wir beyde allein thaten. So wie mein Vater zuweilen aufwachte, gaben wir ihm von der herzstärkenden Medicin, die ihm freilich nur Erquikung seyn solte. – Er nahm sie gern und schlief jedesmals darauf wieder ruhig ein. Auch meine Mutter hatte den ganzen Tag und Abend wie die Nacht in einen fort geschlafen. Auch das war uns Trost, weil wir sonst, wenn sie im Fiber raßte, ohne Hilfe des Vaters sie nicht hätten halten kennen. Auch ich warf mich
297 3 Pfennig. 298 Auf dieses Kästchen bezieht sie sich auch in der HHS, S. [620] und WHS, S. [17v/48].
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aufs Bett und schlief einige Stunden. Um 4 Uhr wekte mich mein Bruder und sagte: „Karline, ich kanns nicht länger aushalten! Wache du nun, ich muß schlafen“. Gerne stand ich auf, und mein Karl warf sich nun aufs Bette. – Die Uhr schlug 9. Und mein Vater fieng an zu röcheln mit der Brust – seine Augen waren halb offen und erstarrt. – Ich wekte Karln – „Papa stirbt“ – „Ach Gott!“ schrie er – herraus aus dem Bette. Wir lagen zusammen auf den Knieen vor des Vaters Bette, und Karl betete aus Papas [149]
Gebetbuch. Meine Mutter wurde wach und rief uns zu: was wir vor Lärm machten. – „Ach, liebe Mama, Papa ist sehr krank. – Ja, den Tode nah, wird bald sterben.“ – „Papa! Ich glaube, Ihr seid toll – wie kann ein Mensch sterben, der nicht krank ist“. – Sie fing an zu lachen – ach, es war schröklich – wir baten sie, um Gottes willen stille zu seyn. – Sie sah uns weinen – nun starrte sie uns an – wild an. – Wolte auch weinen, aber es war kein Weinen, sondern ein wildes Heulen. – Darauf wurde sie still, sah sich in Zimmer um und machte Bewegung aufzustehn. Wir baten sie, ruhig zu seyn. – „Ja, ruhig – ruhig – aber ich will, ich muß aufstehen, muß Papa sehn“. – All unser Bitten war umsonst, sie wolte ihm sehen. Wir wikelten sie in des Vaters Schlafrok und halfen ihr aus dem Bett, sie hielte sich an Karl und mich fest, und so leiteten wir sie an des Vater Bet. – Lange blieb sie stehn und sah ihm an. Endlich bükte sie sich zu ihm hinn und rufte: „Papa! Papa. – Schultze! Schultze – Papa!“ – sie schittelte den Kopf, wande sich zu uns und sagte: „Gewiß, er muß recht krank seyn, da er mir nicht antwort. – Das that er nie. – Hat mir immer geantwortet, wenn ich mit ihm sprach. – Ach! Ach!“ [150]
Sie holte tief Athem und lehnte ihren Kopf auf meinen Bruder. Wir baten sie, sich wieder niederzulegen. „Nein, laßt mich da ans Fenster hinsetzen“. All unser Bitten war umsonst. Wir machten ihr also einen Lehnstuhl mit einigen Polstern zurechte und leitete sie auf solchen. – Der Tag war sehr stürmisch, und es regnete stark. Als sie einige Zeit mit gen Himmel aufgehobenen Augen und gefalteten Händen stille geseßen hatte, erhob sie ihre Stimme und fieng ein Gespräch gegen Gott an (Karl lag mit seinen Gesicht auf des Vaters Haupt gelehn[t] und betete, und ich kniete zu den Füßen des Bettes und bete vermischt mit Thrä[nen] stille meinen Bruder nach). „Herr! siehe meine Kinder – da ihren Vater in Todesnoth. Mich hier. – Du bist Gott! – Willsts! Bin ich, mein Mann – sind meine Kinder schuld an alle dem Elend? – Nein! Nein! Wir haben nichts verbrochen – sind nicht schuld; – du wilsts aber, ich murre nicht – unterwerfe mich – – hilf, Helfer, hilf aus Angst und Noth! Erbarm dich mein, du großer Gott! – – Kinder, lebt der Vater? – Ists er, der so röchelt? – Kommt, betet: Jesum will ich nicht mehr laßen, sondern tief ins
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Herze fassen. – Ja, ja Gott! Glaubst du, das du mich zaghaft machst – nein, nein, weg, Teufel, weg von hier, du hast kein Theil an mir. – Wie würdest du dich freuen, wenn ich gegen Gott murte. – Nein, thus nicht. – Aber, Gott, nicht war, du hilfst wieder? – Wirst helfen. – Gott weint im Regen – Gott weint – – ich kann nicht weinen – wolte gern, kanns nicht – – ja, nun, nun will ich beten zu deine 5 Wunden299 – da, da fand ich immer Erhörung – – allso zu deine fünf Wunden fünf Vaterunser, fünff Ave Maria: Vater unser, der du bist“, etc. etc. Sie betete immer stiller und stiller, legte ihre gefaltete Hände aufs Fenster, sank mit ihren Kopf darauf. – Das Röcheln meines Vaters wurde schwächer, es verlor sich endlich ganz; zukte mit der rechten Hand, hob mit einmal den ganzen Arm hoch in die Höh, lies solchen sinken – – und war tod! – Die Uhr schlug 11300. Es herschte um uns eine große feuerliche Stille. Kein Laut – keine Thräne unterbrach sie, Karl lag mit seinen Gesicht auf des Vaters Haupt – ich auf seiner Hand, die ich ergriffen, meine Mutter starrte uns an. – Wild sprang ich auf von der Erde – „Drüke seine Augen zu – ich muß [152]
fort!“ – „Wohinn?“ – „Zu den Mann, der sagte: Wenn Ihr was braucht, kommt zu mir“. „Du bist ja noch nicht ausgewesen, wer ists?“ „Der Barbir, ich werde ihn schon finden, hast mir ja gesagt, wo er wohnte“ – „Ach, Karline, bleib“ –„Nein, ich muß, muß in die Luft“ – und so stürzte ich die Treppe hinunter, rante mit fliegenden Haaren, halb angekleidet über die Straße, kam glüklich nach den vorlängst mir bezeichneten Hause des Barbiers, riß sein Zimmer auf, wolte reden, sank aber sinnlos301 zu Boden. – Als ich meine Augen wieder öfnete, fand ich mich auf einen Bet liegen – ich sah alle starr an, die um mich weinend standen und mich wieder ins Leben gerufen hatten. – „Ist Ihr Vater tod?“ – Ich nikte Ja. „Wollen Sie hierbleiben?“ – Ich schittelte: Nein. „Wollen Sie nach Haus?“ – ich nikte wieder Ja. – Man gab sich alle mögliche Sorgfald, mir stärkende Mittel zu geben, sie sezten mir eine Haube auf, warfen mir einen Mantel um, und wie ich wieder gehen konnte, führte mich Madame Arnold nebst der Barbiersfrau DienstmädchenLXXVII nach meiner Wohnung.
299 Die bei der Kreuzigung entstandenen fünf Wunden Christi (an Händen, Füßen, Stirn und Seite), deren Verehrung auf Jes. 53,5 („durch seine Wunden sind wir geheilt“) zurückgeht. 300 Nach dem Eintrag im Totenbuch der St. Petrikirche zu Freiberg starb Christian Schulze am 10. Juni 1757, „früh gegen 8 Uhr“; Ephoralarchiv Freiberg, Totenbuch der St. Petrikirche 1757, S. 171, Nr. 122. 301 Bewusstlos.
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Tod lag er da, der redliche Mann. Die Mutter saß noch am Fenster, mein Bruder stand weinen[d] neben ihr, und sie hatte seine Hand in die ihrigen geschloßen. – „Da ist sie wieder“, rufte sie aus, als ich ins Zimmer trat, „mir war recht angst um dich – das Mädchen ist gar zu heftig! – Bist aber doch gut“. – Madame Arnold und des Barbiers Mädchen gingen fort, um eine Leichenbitterfrau302 zu besorgen, die ihn waschen und ankleiden und das Übrige zum Begräbniß besorgen solte. Meine Mutter hatte durch die Erschitterung, wie sie den Tod des Vaters hörte, ihre Besinnkraft erhalten – sie sprach nicht mehr verworren untereinander. Als wir allein mit ihr waren, sagte sie: „Kommt, Kinder, führt mich zu meinen Mann – zu euren Vater“. Stillschweigend gehorchten wir. Als sie zu ihm kam, sagte sie: „Da liegt er nun! – Gott! du gabst mir ihn – du nahmst ihn wieder – der Name des Herrn sey gelobt303“. Sie starrte ihn an, seufzte, bewegte den Mund und schien in der Stille zu beten. Darauf wandte sie sich zu meinen Bruder und mir. „Kinder! Er ist tod, der mein Versorger so lange war. Auf der Welt hab ich nun keinen Menschen mehr wie euch. – Kommt, [154]
gebt mir eure Hände, versprecht mir hier vor der Leiche eures Vaters, daß ihr euch lieben und mich nie verlassen wolt, solange ich noch lebe. – Machts nicht wie viele andere Kinder bey unsern traurigen Stande“. – „Ach, liebste Mama“, rufte Karl und ich zugleich aus, indem wir sie mit unsern Ärmen umfasten, „quälen Sie sich nicht – machen Sie sich keine Sorgen mehr, das haben wir schon gestern beyde Gott gelobt“. – „Gute Kinder! – doch versprecht mirs auch, daß ichs höre“ – „Nie, nie wollen wir Sie verlaßen – nie!!“ „Nun ists gut – Gott, du hast gehört – Amen!“ Die Leichenbitterfrau kam, wir gaben ihr ein Tuch, darein sie ihn hülte, und so wurde er in ein ander Zimmer getragen, das uns der Wirth aufschloß. Wir baten sie, alles zu besorgen, und wo möglich mit geringen Kosten, weil wir nichts hätten. Sie versprach es und ging fort. – Meiner Mutter sowohl wie uns schauderte nun vor unserer Wohnung, in der wir nichts als Elend erlebt. – Ohne die Gefahr zu bedenken, worein wir unsere Mutter sezten, kleideten wir sie an, nahmen sie ein jedes von uns beyden unter einen Arm und führten sie nach des Barbiers Haus. „Mein
302 Die Leichenbitter(innen) überbrachten jedem Haus im Ort die Todesnachricht, luden zur Teilnahme am Begräbnis ein und arrangierten die Beerdigung. Bis ins 19. Jahrhundert war Leichenbitter ein öffentliches Amt, das auch von Frauen ausgeübt werden konnte. 303 Frei nach Hiob 1,21: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt.“
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Gott!“ schrie uns der Barbier entgegen, „Kinder, was macht Ihr? In den Wetter die kranke Frau aus den Haus zu führen“. – „Ach, nehmen Sie uns auf ! – Nur ein Kämmergen geben Sie uns. – Und ein Bett – sonst nichts! Kein Eßen, wir wollen Ihnen gar keine Last verursachen – aber in unsern Hauß kennen wir es nicht mehr aushalten“. – „In Gottes Namen! Kommt her. Aber so viele Betten habe ich nicht – doch soll euch meine Frau eine gute Streu oben in den kleinen Verschlag304, der in meiner großen Stube ist, an die Erde machen; in der Stube kennt Ihr bleiben, solange Ihr wolt – sind sie doch weg, die Ofiziers, für die ich sie einräumen muste305 – will euch lieber haben – Gott gebe, daß sie nicht wiederkommen, so wärs Friede – aber, Kinder, wenn nun durch eure Unvorsichtigkeit die Mutter auch stirbe? – Das hättet Ihr doch zu verantworten?“ – „O nein! Mama wird nicht sterben – das kann Gott nicht thun, daß er uns auch die Mutter nähm. Nein! Gott ist gut – kann uns nicht auch zu mutterlosen Waysen machen“. – „Gott stärke euch in den Glauben, liebe Kinder!“ – Er wischte sich Thränen aus den Augen – auch seine Frau. Selbst seine Gesellen und [156]
die Magd standen traurig da – es war eine lange Pause. – Endlich, da er sich, der redliche Mann, wieder faste, sagte er: „Wolt Ihr was eßen“. – Wir schwiegen ein Weilgen still und sahen uns an – den uns war bange, den redlichen Mann nicht läßtig zu werden. Endlich baten wir ihn, nur der Mama, die noch nichts genoßen hatte, ein wenig Suppe zu geben. – Wir verlangten nichts, auch mißten wir wieder nach Hause gehen, wolten aber bald wiederkommen. Nun gingen wir in unsere schauervolle Wohnung – wie leer, wie einsam! – Wir suchten nun unsers Vaters Kleider, Wäsche, Schue, Strümpfe, Perücken, Schnallen etc. etc., kurz alles, was sein war, zusammen, das es mein Bruder verkaufen solte, damit wir Geld zum Begräbniß bekämen. Nachdem wir damit fertig waren, sezten wir uns nieder und asen von dem Brod und Käß, das wir noch hatten. Ich nahm den übriggebliebenen Rest, wickelte solchen im unser Nachtzeig und trugs nach des Barbiers Haus, und Karl trug die Sachen zum Verkauf. – Erst spät kam er zu uns, brachte das wenige Geld und sagte: „Ach Gott! wenn man in Noth ist. – Wie bin ich froh, das ichs nur noch loßgeworden“. – Wieviel er gebracht aus allen,
304 Einfacher, kleiner Raum, dessen Wände aus Brettern bestehen (Bretterverschlag). 305 Gemeint sind Einquartierungen während des Siebenjährigen Kriegs.
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weis nicht mehr. – Nur so viel: für ein Hemt mit gestikten Manschetten, wo jede Elle von der Leinwand einen halben Thaler gekosten, bekam er einen Thaler und für eins mit patistnen306 Manschetten einen Gulden. – Der Barbier wolte uns zu eßen geben – doch wir dankten wieder und baten nur für die Mutter – wir hätten gegeßen – der Mann mit seiner Frau führten uns nun nach unsere Zimmer und sagte: „Sch[l]aft ruhig, bleibt hier, solange Ihr wolt, mir und meiner Frau solt Ihr keine Last seyn. – Ich hab auch Kinder. Gott weiß, wer denen, wen sie erst groß werden, in der Fremde Gutes thun wirdLXXVIII. – Wird sie auch einst freuen, wen man sie so aufnimmt“. „Ach nie so!“ sagte meine Mutter. „Segen über Ihr Haus, so viel Segen als ich Unglük erlebt“. – „Gute Nacht“ – stammelte er noch und lies uns allein. Der Verschlag war eben so breit und lang, das drey Menschen bequäm nebeneinander liegen konnte. – Wir alle drey hatten uns nur halb entkleidet, und so lag Karl an der Wand, die Mutter in der Mitte und ich an der Thüre, die ich zugemacht hatte – das Zimmer hatten wir nicht verschloßen. Wir schliefen bald ein und ruhten so sanft. Es mochte eben 5 Uhr geschlagen haben, als ich wach wurde. Ich sezte [158]
mich aufrecht, freute mich, das die Mutter nebst Karln noch so fest sch[l]iefen – dachte meinen Schiksal nach! Meine Thränen strömten mir über die magern blaßen Wangen. Könnte ich die Empfindungen beschreiben! – So viel Elend! Keinen Ausweg – nicht zu wißen, wohinn? – Nicht wißen, wo Brodt hernehmen – und doch fühlte ich eine Ruhe, eine Zufriedenheit – solte man das denken? – Ja, wahrlich! es ist wahr! Ich dachte nach Dreßden und an den Grafen Nostitz. Mein Vater solte sterben. – Das hatte Gott so bestimmt – den ohne sein Zulaßen fällt kein Sperling an die Erde307. – So lehrte mich mein Vater. – Wenn ich nun mich hätte überreden laßen, mit dem Grafen die Flucht zu nehmen – und mein Vater wär gestorben? – Ach! würde ich nicht weit elender seyn bey allen Reichthum wie jezt in meiner Armuth? – Hast wohl gethan – mein Gewißen ist ruhig, ich fühle keine Vorwürfe. – Nein, Graf ! und wenn ich von Haus zu Hauß solte meine Hand nach Almosen ausstrecken, will ich’s thun. Lieber thun, als dich mein Elend wißen laßen. Gott! du wirst uns retten, so wie du uns in diesen Jammer versezt. So betete ich in der Stille, ganz voll von Vertrauen auf meinen himmlischen Vater. – Die Uhr hatte
306 Battistnen: Aus Battist. 307 Matth. 10, Vers 29: „Kauft man nicht zwei Sperlinge um einen Pfennig? Dennoch fällt deren keiner auf die Erde ohne euren Vater“.
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eben 6 geschlagen, als ich ganz sachte unser Zimmer aufmachen hörte und sich dem Verschlag nähern, wo leise angeklopft wurde. Ohne zu antworten, damit die Mutter und Karl nicht wach werden solten, öfnete ich die Thüre. Madame Arnold stand da und hatte einen Brief in der Hand. „Eben brachte man diesen Brief. Er ist an den selgen Papa gerichtet, da haben Sie ihn“. – Ich dankte, und sie ging weg. – Hand und Siegel waren mir fremd, den die, mit denen mein Vater correspontirte, kannte ich. Nach langen Besinnen, ob ich solchen erbrechen dürfte? – ob ich die Mutter wecken solte? – endlich entschloß ich mich, solchen vorher zu lesen, um, wenns kein guter wär, Mama nicht zu erschrecken. Wie groß war mein Erstaunen, als ich den Brief erbrach und darinnen einen Wechsel von 30 Thalern fand – derselbe war von Herrn Doebbelin308, der Directeur von einer Geselschaft in Erfurt war und uns engagirte, zu ihm zu kommen, nebst 12 Gulden wöchendlichen Gehalt, der Wechsel war das Reisegeld. Mein selger Vater hatte (was mir genzlich entfallen war) an solchen geschrieben zu der Zeit, als meine Mutter betlägerig geworden; und dieser Brief war die gewünschte Antwort darauf. – Lange glaubte ich, daß es ein Traum sey. [160]
Ich wahr, ich weis nicht, wie? – Freude fühlte ich – doch auch nicht ganz. – O warum? warum kamst du nicht zwey Tage früher? – Warum konnte mein Vater nicht den Trost mit sich ins Grab nehmen – sanfter würde er gestorben seyn. – Doch er ist bey Gott! Da muß ers wißen – ach! er könnte ja sonst nicht selig seyn. Er weiß es – hat es eher gewust wie du. So schwärmte ich in meinen Sinnen, sah meine Mutter und Karln an, wie sie noch immerweg sch[l]iefen, doch nun war’s mir nicht mehr möglich, sie länger schlafen zu laßen. Ich weckte also erst Karln, der mir ganz sch[l]aftrunken sagte: „Ach laß mich, ich will noch schlafen“. „Ohnmöglich, lieber Karl! Solst dich freuen, drum weke ich dich – ja, freuen! – gewiß! Hier einen Brief von Doebbelin! Engagement und Wechsel“. – „Was!!!“ und rieb sich die Augen. – Ach, er sah komisch aus, und zu einer andern Zeit würde ich herzlich gelacht haben. Er war noch so voll Schlaf, das er eine gute Weile den Brief besah, ehe er solchen laß. – Nun er ihn gelesen hatte und sich fühlte, das es kein Traum, sondern Wahrheit ist, sagte er: „Ach, das ist gut“. – „O Karl! Wen das Papa noch gewust hätte?“ – „Jawohl!“ – „O wär er [161]
doch nur gestern noch gekommen, ehe du Papas Sachen verkauft, die doch dein gewesen wären!“ – „Ja! – doch, schade für die Sachen – hätten wir nur Papa“. – „Ja, Karl, du
308 Carl Theophil Doebbelin (1727–1793), Schauspieler und Prinzipal.
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wirst nun wieder nach Dreßden mißen, den der Wechsel ist dort zahlbar“. – „So! nun in Gottes Namen“. – „Ach, nimm dich nur in Acht“. – „Sorge nicht, ich weis nun den Weg und bleibe auf der Landstraße“. – „Ob wir Mama wecken?“ – „Ja! die Freude wird sie vollends gesund machen“. – Nun wekten wir sie mit Küßen auf. – „Kinder, Ihr habt mich lieb, aber das soltet Ihr nicht thun, der Schlaf muß mir Kräfte geben.“ – „Ja, Sie sollen nachher wieder schlafen, aber sich erst mit uns freuen“. – „Mein Gott, was habt Ihr – lebt Papa?“ – „Ach nein. Aber er hat uns versorgt – noch in seinen Leben versorgt“. Sie konnte uns noch weniger begreifen, weil sie von dem Brief, den der Vater an Herrn Doebbelin geschrieben hatte, nichts wuste. Auch sie war betäubt, und mehr wie wir, wegen ihrer Schwäche des Körpers. – „Seht Ihr, wie Gott sorgt? Ihm Dank. – Ach, das mein Mann noch lebte!“ – Ich übergehe, was wir uns noch wechselseitig sagten. Wir kleideten uns an, und unsere grosmüthigen Wirthe brachten uns das Frühstik ins Zimmer, auch Medicin vom Docter für die Mutter. Wir liesen [162]
ihnen theilnehmen an unsern Brief, und sie wünschten uns Glick. Mein Bruder machte sich nun zur Abreise fertig. „Du must nun allein Papa zum Grabe begleiten“, sagte er zu mir. – „Doch sehen muß ich ihn noch einmal – komm mit mir“. Die Mutter gab ihm den Segen auf den Weg, und so gingen wir nach unserer alten Wohnung. – Ach, alles wurde wieder in uns rege, da wir zu unsern erblaßten Vater hintraten. Wir knieden nieder und beteten. Küßten seine kalte Hand und dankte ihm für die Versorgung auch noch nach seinen Tod. – Ich brachte Karln bis ans Tor, er küßte mich mit Thränen. „Komm nur bald und glüklich wieder!“ „Ja, Karline, morgen Abend, wils Gott! – nimm nur Mama in Acht, daß die nicht von neuen krank wird; sie ist so noch nicht recht; – und du auch!“ – „Dank, es geht zur Reise“. – Wir trenten uns nun, und die Zeit bis morgen Abend dü[n]ckte mir ein Jahr zu seyn. – So traurig war ich. Ich kam nach Hause, pflegte meine Mutter, und sie sch[l]ief viel, welches uns den allen lieb war. – Des Abens meldete man mir, das der Sarg nach meiner alten Wohnung gebracht würde. Ich eilte hin, zahlte solchen, auch die Frau, die alles besorgt hatte, und das so sparsam, wie sie nur gekonnt, ich danckte ihr, und nun wurde beschloßen, das mein Vater den [163]
Sontag des Morgens um 5 Uhr solte nach seiner Ruhestette gebracht werden309 – die Nacht war für mich sehr unruhig, ich konnte keine Minute Schlaf gewinnen. Ich 309 Christian Schulze wurde am Sonntag, dem 12. Juni 1757, „früh in der Stille“ auf dem Neuen Kirchhof beigesetzt; Ephoralarchiv Freiberg, Totenbuch 1757 St. Petrikirche Freiberg, S. 171, Nr. 122. Dass Christian Schulzes Beerdigung „in der Stille“, also ohne großes Leichenbegängnis und wohl ohne
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wünschte, das meine Mutter sch[l]afen möchte, bis ich wieder von den lezten schmerzlichen Dienst, den ich meinen Vater leistete, zu Hause sey. Doch ich betrog mich. Schon vor 4 Uhr des Morgens wurde sie wach. – „Ach! Mädchen, wie siehst du aus? – Ich bitte dich um Gottes willen, weine nur nicht. – Ja, wenn ich auch weinen könnte, so wärs mir wohl“. – Den noch hatte diese arme Frau keine Thräne vergoßen. – Und das machte den guten Barbier und seiner Frau viele Sorge. – „Sie muß schreklich leiden“, sagten sie. „Beßer wärs, wenn sie weinen könnte – noch liegt’s an ihrer Krankheit – noch haben wir zu fürchten“. Als die Leichenbitterfrau kam mich abzuholen, blieb des Barbiers Frau bey meiner Mutter und sagten mir, ich solte nur ihrendwegen ruhig seyn, sie würden alle mögliche Sorgfald für sie haben. – Ich hatte zwar kein Trauerkleid an. – Aber innerliche Trauer hatte wohl nie ein Kind mehr getragen wie ich. – Ein weißes NachthäubgenLXXIX von Leinewand, wie mans damals in Dresden trug, unter den Hals mit einen schwarzen Bändgen zugebunden, war mein Kopfpuz, eine zitzne, weiß mit dunkelviolettnen Blumen, Kantusch310, darunter ein weißes Marselge genehtes Westgen, mit schwarz Band geschniert, [164]
weißen kanavaßenen311 Rok und Schleyerschürtze – das war mein Anzug. – Die Frau war ganz schwarz gekleidet und führte mich bey der Hand – den ich wankte hin und her, stumm und sprachloß sah ich die 6 Träger in ihren schwarzen Mänteln an, die bereits uns erwarteten. – Ich ging die Treppe hinauf, die 6 Männer nebst denen Wirthsleuten folgten uns. So wie sie mit mir ins Zimmer traten, schrieen sie zusammen einmüthig: „Mein Gott, welch eine schöne Leiche – so sahen wir noch keine. – Wie alt war der Mann? Der muß noch jung gewesen seyn.“ – Ach, und es war wahr. Er war in seinen Leben mehr fett wie mager; und da er nicht lange krank gewesen, gar nicht verfallen. Eine Weise – gar keine Todenbläße, und seine Wangen waren roth, als wen er geschminkt gewesen; läche[l]nd lag er da, als wenn er sch[l]lief – unter ihren BetrachtungenLXXX, die sie untereinander machten, hatten sies nicht bemerkt, das ich mich auf ihn in Sarg geworfen hatte. Ich baadete ihn mit meinen Thränen, hatte mich fest um ihn geschlungen – ach, ich glaubte zu sterben – so ein schwaches Geschöpf ich war, so hatten sie viele Mühe, ehe sie mich losreisen konnten. – „Ach, laßt, last mich!“ – und Glockengeläut stattgefunden hat, dürfte damit zusammenhängen, dass er als Katholik auf dem evangelischen Friedhof beigesetzt wurde. Es war ja auch, wie Kummerfelds Schilderung zu entnehmen ist, kein Geistlicher am Grab. 310 Kantusche: Frauenspenzer. 311 Kanafaßen: Aus Canafaß/Canevaß, einem Gewebe, das aus Baumwolle, Flachs oder Hanf hergestellt wurde.
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erschöpft an Kräften sank ich halb ohnmächtig zur Erde. – Man wolte, ich solte nicht mitgehen – ich bat die Leute um Ge[165]
duld und befahl dem Wirth, ihnen Brod und Wein zu geben. Sie gingen und frühstükten, und ich blieb mit der Leichenfrau allein. Sie sprach mir Trost zu – und sagte auch: „Sie sind katolisch, und die Katoliken pflegen ihren Toden was im Sarg mitzugeben. Scheuen Sie sich nicht! Machen Sie mit der Leiche Ihres selgen Vaters, was Sie wollen“. – „Ich danke Ihr, liebe Frau, das Sie mich daran erinnert – hätte es sonst gewiß vergeßen“. Nun nahm ich seine Hände und faltete solche wie zum Gebet. – Wie ich solche so oft von ihm in Leben gesehen, darauf nahm ich ein Bild, welches ich zu dem Entzwek312 mitgenommen hatte. Christus am Creuz und darunter die schmerzhafte Mutter Gottes. – Oft freute er sich in seinen Leben über den herlichen Ausdruk, den beyde hatten – und darum gab ichs ihm mit. – Die Träger kamen, machten nun den Sarg zu. Der Dekel hatte Ho[l]znägel, die so in den Sarg basten, so das der Sarg nicht geschloßen war. Sie trugen ihn fort, und ich folgte mit der guten Frau weinend nach. Als wir auf den Kirchhof und zu seiner für ihn aufgeworfenen Grube kamen, frugen sie mich: ob ich ihn noch einmal sehen wolte? – „O ja!“ Man hob den Dekel ab – ich küßte ihn Hand und Mund ein-, zwey-, 3mal – nun, nun in Gottes Namen – zur Ruhe! – Ich warf die ersten 3 Hände voll Erde auf seinen Sarg – aber so leise – ach, ich glaubte, er möchte es fhühlen – – und es that mir so weh. [166]
Die Leute mochtens mir anmerken und sagten: „Scheuen Sie nichts, das ist so der Brauch“. Die Träger und Frau gingen fort, und ich blieb allein bey dem Todengräber, bis er das Grab ganz fertig hatte. – Er rauchte seine Pfeiffe Tobak dabey, und ich dachte bey mir – mein Gott! Gewohnheit muß viel thun, der Mann fühlt doch nichts. Als er fertig war, bat ich ihm, ob er nicht den Kirchhof noch wolle offen laßen. Ich wolte noch dableiben. – „Gern, Manselgen. – Muß Papa recht lieb gehabt haben. – So lang ist mir noch keins dageblieben“. – Er ging, und ich samlete an der Mauer Blümgens und warf solche auf seyn Grab, wolte keinen Toden seine Blumen rauben, drum pflikte ich die an Weg und Mauer – sein Grab ist zwischen zween Bäumen, sehr genau merckte ich mir die Stelle – ach, ich würde sie zu jeder Zeit wieder finden. – Einsam warf ich mich von einen Grab auf das andere – ob sich den keines öffnen und mich aufnehmen wolte – doch die Mutter – „ach, ich muß leben – o mein Gott! was für Jammer mag
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mir noch aufbehalten seyn! – Ich fühls, ich bin zum Leiden gebohren“. Der Kirchhof lag vor dem Tor, wohin ich meinen Bruder begleitet hatte. – Nun kamen Leute auf den Kirchhof, weil er offenstand – und die vertrieben mich. Die Uhr war nach 10, als ich heimkam. – Ich erzwank mir [167]
eine heutere Miene – doch wär kan das aufmerksame Auge einer zärtlichen Mutter hintergehen. – „O, du hälts nicht Wort. – Mädchen! du hast doch geweint, so den Gram nachhängen. – Denk an deine Mutter – die hast du noch – wilst du nicht für sie leben – ach, daß ich dir Vater und Mutter zugleich seyn möchte!“ – „Laßen Sie mich nur, beste Mama – wird noch alles gut werden“. – Der gute Barbier gab mir etwas zu Stärkung und bat mich, daß ich mich bemühen solte zu schlafen. „So gern wie ich Sie bey mir am Tisch hatte, so wird’s für Sie beßer seyn, wen Sie ruhten“ – „Ach, ich könnte auch nicht eßen“. – Ich warf mich auf mein Streulager und sch[l]ief bis nachmittags 5 Uhr. Als ich erwachte, fühlte ich mich mächtig gestärkt. Auch meine Mutter war ihren Umständen nach leidenlich. Der Tag war herlich! Ich frug sie, ob sie sich starck genug glaubte, ein wenig auszugehen. – „Wir wollens versuchen“. Es war nach 6 Uhr des Abens, wir giengen langsam zum Tor hinaus zum Kirchhof – doch er war geschloßen. Durch die eiserne Gitterthüre wies ich ihr des Vaters Grab. Sie kniedte mit mir nieder, und wir beteten. – „Nun, liebe Mama, wollen wir in den Wald gehen, vielleicht kommt Karl bald“. Auch waren wir in unserer Hoff[n]ung nicht betrogen. – Kaum das wir eine Viertelstunde hineingegangen waren, kam er uns mit Herrn Mirk313 entgegen, der mit uns [168]
bey Herrn Doebbelin engagirt worden und die Vorsicht brauchte, Karln zu begleiten, weil er das Geld bey sich hatte. Der Montag wurde nun dazu angewant, unser Sachen einzulesen. Mein Bruder ging mit Herrn Mirk zu den Mann, der solche hatte. Als er vernommen, was sie wolte[n], sagte er: „Hier ist seines Vaters Hand, daß er sich anheischig gemacht, wenn auch die Sachen nur einen Tag versezt stünden, daß er die Intereßen für ein ganzes Jahr bezahlen wollte. – Aber nein; mir kommt nicht mehr zu als“ – (die Zahl der wenigen Groschen habe ich vergeßen. Es wahren nicht 6, das weis ich) „und etliche Penge314. Gott soll mich bewahren, Wittwen und Waysen zu drüken. 313 Vermutlich Georg Ehrenfried Mierk, Ballettmeister. Nachgewiesen ist, dass Mierk 1755 als Ballettmeister bei Heinrich Gottfried Koch, 1757 bei Johann Friedrich Schönemann gewesen ist. Nach Kummerfeld nun war 1757 Mierk auch bei Doebbelin. 314 Pfennige.
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Reist in Gottes Namen“. – Das wahr ein Gerichtsbedienter. – O, wie beschämt der manchen Großen, der weiter kein Verdienst hat: als seine Geburt. Auch der Doctor gab uns noch Medicin mit und verlangte nichts für die, so wir von ihm bekommen hatten; noch vor seine viele Bemühungen mit uns. „Ich habe auch Kinder“, sagte er. Und der Barbier, der uns so gütig aufgenommen, wünschte uns vieles Glük auf den Weg mit den Worten: „Wer weiß, wo meine Kinder in der Welt hinkommen, das man auch denen Gutes erweißt“. So reißten wir den den 14. Juni fort. In Leipzig wurde mein Bruder krank. – Doch mußten wir weiter. – Wir kamen den 22. in Erfurt an – mein Bruder in [169]
Lebensgefahr, den auch er hatte das hitziges Fieber und den rothen Friesel bekommen. Eines Tages, als er sehr schlecht war, besuchte ihn der Docter noch des Abens nach 9 Uhr. – Er sprach ihm das Leben ab und sagte: wenn er rathen durfte, solten wir nach einen Prister schicken, weil er keine 24 Stunden mehr wahrscheinlich zu leben hätte. – Schlag auf Schlag! – Meine Mutter war trostloß; den nun, da ihr Sohn auch am Rande des Grabes stand, schien erst der Verlust ihres Mannes ihr fühlbar zu werden. Den man wird sich erinnern, in welchen Zustand sie war, da er starb. – Die vielen Unglüke, die uns folgten, hatten mir eine Härte gegeben, die für meine Jugend für die, die nicht den ganzen Umfang wusten, Erstaunen erregen mußten. – Ich trat ans Bette meines Carls, nahm seine Hand in die meinige und kindigte ihm sein Todesurtheil an. – Gelaßen hörte er mir zu. „Wilst du einen Geistlichen?“ – „Ja, Caroline, las einen kommen“. Schnell lief ich selbst fort nach dem ersten K[l]oster315, das ich fand, und leutete an. Ich stand eine gute Weile, ehe jemand kam. Endlich erschien ein Mann in weltlicher Kleidung, der mich frug: was ich wolte? – „Mein Bruder ist krank – will sterben und verlangt einen Prister“. Der Mann sagte: „Kommen Sie nur herrein, ich will gleich einen Pater wecken, den sie schlafen schon alle“. – Ich folge ihn, und der Mann schliest die Thüre zu, durch die wir gekommen, macht eine andere auf, durch die [170]
er fortgeht, und schließt auch die zu, und ich finde mich nun eingespert in einen Gewölbe, durch die nicht ein Schimmer von Licht fiel. – „Ist der Kerl toll!“ Ich tapte herrum, fühlte nichts als die kalten, feuchten steinernen Wände. Ich wolte eine von den Thüren öffnen, aber alles umsonst. Angst und Furcht ließen mich kaum Athem schöpfen, das weis Gott, das die kleine halbe Stunde, die ich da eingespert war, mir länger vorkam als eine ganze Nacht. Entlich hörte ich zitternt was kommen, ich hor[c]h-
315 In Erfurt gab es damals 15 Klöster.
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te. – Und endlich sah ich durchs Schlißelloch einen Schimmer von einen Licht, da sah ich durch und wuste nicht, solte ich glauben, es wär ein Gespenst oder der Geistliche – endlich, da es näherkam, erkannte ich den Mann, der mich eingespert hatte, und den Geistlichen neben ihn. Wer war fröher wie ich. Schwerlich glaube ich, das ein Zuschauer, der den Auftritt mit angesehn hätte, sich des Lachens würde haben enthalten kennen, als der Mann die Thüre aufschloß und der Geistliche zurükpralte, da er mich ganz weiß angekleidet in einen Eckgen von den Gewölbe stehend fand. „Herr Jesus!“ sagte er, „was ist daß?“ – Nun trat ich bebend vor und sagte, ich könnte nichts dafür, der Mann hatte mich eingespert. Ich wär in Todesangst gewesen. Der Geistliche gab ihm einen derben Verweiß, warum er sich nicht meine Wohnung hätte sagen laßen und mich nach Hause gehen laßen. – Ich bat [171]
den Geistlichen zu eilen, und wie froh ich war, als ich mich mit beyden auf der Straße befand, kann ich nicht sagen. Es war nach 10 Uhr in der Nacht, als ich zurücke kam. Mit Verlangen wurden wir erwartet. Der Geistliche blieb mit meinen Bruder eine halbe Stunde allein, und darauf rief er uns wieder ins Zimmer. Carl nahm von unsererLXXXI Mutter und von mir Abschied, bat sie und mich um Vergebung, wo er uns beleidiget – „will gern sterben, da es Gottes Wille ist“. – Meine Mutter konnte nicht sprechen; Thränen floßen über ihr Gesicht – „o, daß ich doch auch weinen könnte. – Kann nicht!“ – Nie war ich neidisch, aber jezt fühl ich’s, daß ich Carls Schicksal beneide. – „O, wär ich an seiner Stelle. – Er geht zum Vater – und ich bleibe in der Welt und werde noch gehäuftes Elend zu tragen haben. Ach, daß ich mitstirbe“. – „Wünsch[s]t, das deine Mutter ganz allein bleibe? – O Caroline!“ – „Ach nein, liebe Mama! Verzeihen Sie – aber könnten Sie in mein Herz sehen. Ach, es ist schon fast tod“. Der Prister blieb und sprach uns Trost zu. Carl fiel in einen tiefen Schlaf. Der Prister trat an sein Bett und sagte uns, wir solten uns faßen. Der Schlaf wär zu seiner Genesung. Morgen wolle er wieder kommen, und er hofte gewiß, das mit dem Kranken eine Verenderung vorgefallen seyn würde, die uns Hoff[n]ung zu seinen Aufkommen verspräche. „Das gebe Gott!“ Nun ging der Prister mit seinen Begleiter fort. – Die Nacht war ruhig, und Carl fand [172]
sich am Morgen etwas erleichtert. Herr Döebelin, der gar nicht mehr in Erfurt spielen wolte, gab doch noch zwey Comödien, wo ich aber nicht mitgespielt, sondern nur einmal mit Herrn Mirk tanzen muste. Der Zuspruch in den zwey Malen war so geringe, das wohl schwerlich die Unkosten eingekommen waren. Nun hies es, wir sollten reisen. Auch mit meinen Bruder wurde es täglich beßer, und als der Tag der Reise beschloßen war, konnte er solche ohne alle
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Gefahr antreten. Wir fuhren nun alle auf gute Wagens gepackt nach Maynz und kamen glüklich und vergnügt an. – Wär hätte nicht gedacht, das da bald die erste Comödie seyn würde? – Aber Herr Doebelin hatte und bekam keine Erlaubniß zum Spielen. Er lies die ganze Geselschaft zusammenkommen und sagte: daß er nicht imstande sey, solche länger zu erhalten, und ein jeder kenne zusehen, wo er bliebe. – Schöner Trost! – Herr Köhler316, den wir in Erlangen kennengelernt hatten, war ehemals Tänzer auf dem Theater und nun in Maynz Tanzmeister, dem jammerte der Anblick von so vielen trostlosen Gesichtern, und beredete Herrn Doebbelin, er mochte den Rein hinnunterfahren, da wär Coblenz, Bonn, Cölln, Düßeldorf – wo er doch Hoff[n]ung haben könnte, an einen von dem Örthern zu bleiben; und sich soviel zu verdienen, daß er nicht nöthig hätte, sich und so viele Menschen außer Brodt zu sezen. Den wir waren mit allen zusammengerech[173]
net 20 Personen stark. – Das gescha; wir wurden alle auf ein Schiff geladen und schwammen nach Coblenz. Die Reise war kurz und angenehm – und wär könnte nicht alle Trübsale vergeßen bey so mannichfaltigen Abwechselungen, die die Jegend am Rein giebt? – Wer solche baßirt317, wirds und muß es gefühlt haben. An einen heitern Mittag langten wir an. Wir hörten gleich nach Tische, das der Herr Dobbelin mit seinen Bruder nach dem Lustschloß gefahren, wo sich der Kurfürst318 des Sommers über aufhielt, aber solchen nicht gesprochen hat. Und willens wär, den andern Tag sein Gesuch aufs Neue zu wiederholen. Voll Hoff[n]ung legten wir uns schlafen, und den Morgen darauf ging mein Bruder nach Herrn Doebbelins Wohnung, um zu erfahren, wie es 316 Vermutlich ist der Ballettmeister Keller gemeint, der in der Truppe des Prinzipals Joseph Döring spielte. Döring war 1756 von Bayern nach Mainz gekommen und blieb dort bis 1758. Jakob Peth nennt als die „vorzüglichsten Mitglieder“ der Gesellschaft Herrn und Madame Reuling sowie den Ballettmeister Keller und seine Frau; Geschichte des Theaters und der Musik zu Mainz: ein Beitrag zur deutschen Theatergeschichte, allen Freunden der deutschen Bühne gewidmet, Mainz 1879, S. 23 (Online-Ausgabe Münster 2017, urn:nbn:de:hbz:6:1-233194). 317 Passiert, hier im Sinne von: Wer durch diese Gegend kommt. 318 Johann IX. Philipp von Walderdorff (* 24./26. Mai 1701 Schloss Molsberg bei Montabaur, † 12. Jan. 1768 Festung Ehrenbreitstein, Koblenz), von 1756–1768 Erzbischof und Kurfürst von Trier, 1763– 1768 Fürstbischof von Worms; Wolfgang Seibrich, Art. Walderdorff, Johann Philipp Reichsfreiherr von. – Mit dem „Lustschloss“ ist das bei Koblenz gelegene Sommerschloss Schönbornslust (Hauptbauzeit 1749–1753) gemeint, für dessen Möblierung erst Johann Philipp von Walderdorff gesorgt hatte; Jörg Restorff, Die Schloß- und Residenzbautätigkeit des kurtrierischen Hofarchitekten Johannes Seiz (1717–1779) unter Johann Philipp von Walderdorff, in: Friedhelm Jürgensmeier (Hg.), Die von Walderdorff. Acht Jahrhunderte Wechselbeziehungen zwischen Region-Reich-Kirche und einem rheinischen Adelsgeschlecht, Köln 1998, S. 271–296, hier S. 271.
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wohl weitergehen würde? – Bald kam er wieder mit der trößtlichen Nachricht, Herr Doebbelin mit seiner Frau319 und zwey Koffers hätte er sich den Morgen in aller Früh auf die Extrapost320 gesezt und wär fortgefahren, aber wohinn? – Ja, das wuste kein Mensch. Seinen Bruder, Theater und Theaterkleider waren da, aber Herr Doebbelin hatte die Schlißel bey sich. Da saßen wir nun alle und sahen uns an. Der Herr Bruder Doebbelin321 sagte: „Mein Mon Frère wird Permißionen suchen“. – Zum Glük waren wir zu einer guten Wirthin gekommen, die uns alle Mittag zu eßen gab, ohne daß sie uns mahnte um Bezahlung. Die meisten hattens nicht so gut und verkauften und versezten – manche liefen in die Wal[174]
dungen und stilten Hunger und Langeweile bey den Haselnüßen. Die vierte Woche war zu Ende, und kein Mensch wuste, wohin unser Directeur gekommen? Endlich hielten die Herrn eine Zusammenkunft und beschloßen, das mann die 6te Woche abwarten wolle, und wenn da noch keine Nachricht da wär, wolle man den Kurfürsten unser Elend in einen Memorial vorstellen; um die Erlaubniß bitten, auf unsere gemeinschaftlichen Kosten zu spielen, die Koffer erbrechen und uns Theater und Kleider zu bedienen. – Doch zum Schluß der 6ten Woche kam Herr Doebbelin selbst. Lößte uns ein, den wir waren so gut wie alle versezt, und reißten mit ihm zu Schiffe nach Cölln. Es war in den ersten Tagen des Septembers. Die Schweizer lagen da in Garnison322, der Adel ist auch groß, und, kurz, Herr Doebbelin nahm viel Geld ein. Wir spielten bis nach Neujahr 1758323 und reißten nun nach Düßeldorf. Da ging es schief. Im
319 Doebbelin war in erster Ehe seit 1757 mit der Schauspielerin Maximiliane Christiane geb. Schulz († 14. Sept. 1759 Baden/Schweiz) verheiratet, die seit November 1758 bei Ackermann engagiert war. 320 Eigens gemietete Postkutsche. 321 Doebbelin hatte einen Bruder namens Johann Ludwig Doebbelin, mit dem er in Berlin zusammenwohnte. Johann Ludwig hatte dort ein Gasthaus besessen. Er war verheiratet mit Christina Luise Polzin und starb vor 1782. Seine Witwe heiratete 1782 den Violinist und Gastwirt Heinrich Benda, den Sohn des Komponisten Georg Anton Benda. 322 Während des Siebenjährigen Krieges nutzte die französische Armee Köln als Etappen- und Garnisonsort. Unter den einquartierten Truppen befanden sich auch in französischen Diensten stehende Schweizer Söldner. Dr. Max Plassmann vom Stadtarchiv Köln sei für seine Auskunft bestens gedankt. 323 Als Theaterspielstätten in Köln dienten damals Schaubuden auf dem Heumarkt, das Gebührhaus am Alten Markt, das Ballhaus an St. Aposteln und vor allem das Haus Quatermarkt. Erst ab 1768 stand mit dem von Joseph Kurz erbauten hölzernen Komödienhaus auf dem Neumarkt eine feste Spielstätte zur Verfügung. 1782 wurde an der heutigen Komödienstraße ein steinernes Theatergebäude durch Caspar Rhodius ausgeführt; Klaus Wolf, Köln, S. 1109.
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Ballhaus324 wurde gespielt; das war denen Franzosen, die im Winterquartir lagen325, zu kalt – und aus der Stadt kam wenig oder nichts. Die Faste war daLXXXII, und ehe solche kam, hatten wir schon in 4 Wochen keinen Heller Geld gesehen. – Herr Doebbelin lies abermals die Geselschaft berufen und sagte allen: „Hier habe ich großen Schaden gehabt, wir können hier nicht länger bleiben; also will ich wieder zurick nach Cölln. [175]
Da ich die Faste nicht gespielt habe, kann ich nur halb Gage geben – und da ich vor der Faste nichts eingenommen, gebe ich auch nur halbe Gage“ – war zusammen statt 8 Wochen 4. – – – Da standen alle und sahen sich an. – Was war zu machen? Wer mit der Bagage326 nicht wolte 8 Tage auf den Waßer schwimmen327 mit den Treib-Eis, der konnte auf seine Kosten die Post nehmen oder zu Fuß gehen. – Also, ein Theil schwam, ein Theil lief zu Fuß, und ein Theil nahm den Postwagen. Unter den lezten geherten auch wir, und so kamen wir wohl und gesund am Palmsontag328 in Cölln an. Den zweyten oder 3ten Osterfeiertag war die erste Comödie, und schon merkte man den Abfall – den die Schweizer waren nicht mehr da. Kurz, es kamen mit jeder Comödie weniger Leute; und wir immer weniger Gehalt. – Herr Doebbelin wolte sich retten mit den Spiel und hatte auch einige Mal Glük, so das auch wir nun 14 Tage richtig bezalt wurden. – Aber was ist Glük im Spiel? Bald verlor er wieder, nicht allein, was er gewonnen, sondern auch noch das Übrige, was er hatte. Da es in Cölln also gar nicht mehr gehen wolte, so entschloß er sich, nach Bonn zu reisen und dem Curfürsten329 ein Memorial zu überreichen mit der Bitte, da zu spielen. Herr Doebbelin mit seiner Frau, Kind und Amme reißten fort, und mich nahmen sie mit – solte einen Schein haben. Dabey war ich, als er das Memorial im Garten den Fürsten überreichte – der uns zwar gnädig ansah, aber nichts sprach.
324 Theater wurde in Düsseldorf seit 1747 im Komödienhaus am Marktplatz (ehemaliges Gießhaus) gespielt, das ab 1751 auch Wandertruppen zur Verfügung gestellt wurde. Im Schloss befand sich ein Ballhaus, das auch für Theateraufführungen genutzt wurde. Ein Beleg für Auftritte der Doebbelinschen Truppe ließ sich nicht finden. Frau Dr. Julia Lederle-Wintgens vom Stadtarchiv Düsseldorf sei für Ihre Auskunft bestens gedankt. 325 Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz (1724–1799, reg. seit 1742) hatte sich im Siebenjährigen Krieg gegen Preußen verbündet. In der Garnison Düsseldorf waren damals sowohl kurpfälzische wie französische Truppen stationiert. 326 Gepäck. 327 Mit dem Schiff fahren. 328 19. März 1758. 329 Kurfürst Clemens August I. von Bayern (* 16. Aug. 1700 Brüssel, † 6. Febr. 1761 Schloss Philippsburg in Koblenz-Ehrenbreitstein), regierte in Kurköln von 1723–1761.
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Als wir nach Hause kamen, sagte Herr Doebbelin: Ich müßte morgen allein nach Cölln zurück, weil zu übermorgen die Comödienzettel im Druck wären und ohne mich kein Stück und Ballet könne gegeben werden, da seine Frau bey ihm blieb und er abwarten müßte, was ihm der Fürst würde sagen laßen. – Wohl war mir nicht zu Muthe, besonders da ich gesehen hatte, daß er seine und seiner Frauen beste Sachen alle bey sich hatte. Was solte ich aber thun? – Kurz, ich reißte den andern Tag ab. Was ich auf den kurzen Weg für Angst ausgestanden, das weiß ich. Fast in jeden Ort, wo ich durchfuhr, lagen französische Offiziers330 – die meisten waren lauter Jungens, und man kennt denen ihre Wiltheit. – Ich stelte mich taub und stumm; den mit ihnen sprechen konnte ich doch nicht; glüklich kam ich nach Cölln, inzwischen331 war es von Herrn Doebbelin sehr unbesonnen, ein junges Mädchen, wie ich war, so ganz allein fortreisen zu laßen und im Krieg. Hier war mehr Glük wie Verstand. Selbst wenn der Kutscher ein Schurke gewesen wär. Und der es in Cölln sagte: „Mit dem Jüngfergen hätte ich mir Geld machen kennen. Aber ich bin ein ehrlicher Kerl. Hab allen mit weisgemacht, sie wärLXXXIII jeck*332. – Dank, Guter! dir noch. Hattest ein gut Trinkgeld verdient, aber ich hatte keinen Stiber333, den ich dir hätte geben kennen. Der Gesel[s]chaft richtete ich von Herrn Doebbelin alles aus, was er gesagt hatte, man schickte nach der Buchdruckerey, um den Zettel zu [177]
coregiren, aber der Buchdruker wuste von nichts. Dem ohngeachtet wurdeLXXXIV untereinander eine Pantomime und Ballet gewählt, aber es kam nicht viel über die Unkosten ein; wir hörten also auf zu spielen und erwarteten unsern Directeur. Der kam mit seiner Frau, Kind und Amme, aber ohne Koffer. Die ältesten von der Geselschaft nebst denen Bürgern der Stadt, die von ihm zu fordern hatten, gingen mit ihm vor den Herrn Burgermeister. Was kam heraus? Der Rath gab Herrn Doebbelin ein Empfehlungsschreiben nach Achen, daß er dort um die Erlaubniß ansuchen und uns den alle nachkommen soll laßen, und legte einen Eidschwur ab, alle Schulden zu bezahlen – wenn er könn. Meine Mutter schikte meinen Bruder zu Herrn Doebbelin, daß er sich von ihm über
330 Kurfürst Clemens August I. hatte sich im Siebenjährigen Krieg mit Frankreich und Österreich gegen Preußen verbündet. Ein Großteil der Kämpfe zwischen Franzosen und den Verbündeten Preußens, Hannover und Großbritannien, fand im Kurkölner Territorium statt. 331 Indessen. 332 Am unteren Blattrand eingefügt: * Cöllnscher Ausdruk für wahnsinnig. 333 Der Stüber, eine ursprünglich holländische Münze (Stüver, Stuiver), ist eine Kleingroschenmünze, 1 Gulden = 20 Stüber.
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unsere Schuldforderung solte einen Schein geben laßen, und den die 5 Gulden vor Kinderzeich334, das meine Mutter für Madame Doebbelin von unserer Wirthin für sie auf Borg genommen. Mein Bruder kam nach Hause mit Thränen in den Augen. „Dobbelin ist schon fort, und sie wolte mit der Amme und Kind eben fortfahren, wie ich wegen des Kinderzeichs sprach, sagte Madame Doebbelin mit Weinen: ‚Ich habe kein Geld, solche zu bezahlen, und nehmen Sie mir solche, muß ich meine Caroline335 nakend auf die Reise nehmen‘. – Da lies ich sie ruhig fortreisen – werden uns schon bezahlen“. – Fort waren sie! Nicht nach Achen, sondern nach Frankfurt; und an uns alle, die wir in Noth und Jammer zurükblieben, wurde nicht gedacht. Wir schrieben um Engagement [178]
an Herrn Koch336, Schuch337 und Ackermann338. Entschloßen: der erste, der uns antwortet und Reisegeld schikt, zu dem zu gehen. Die Leute, bey denen wir wohnten, war ein Schneider und hies Zöllner339. Er war so ein böser Mann wie sie ein gottloses, ehrvergeßenes Weib. Schuldig waren wir, das ist wahr, aber doch ohne unser Versehen, inzwischen hatten wir an Kleider und Wäsche und übrigen Sachen noch immer mehr, als unsere Schuld ausmachte, und entlich mußten doch Briefe kommen, die allen Leiden solten und müßten ein Ende machen. Mit dem allen war unsere Frau Schneiderinn nicht zufrieden, und sie dachte sich mit mir einen guten Cuppelpelz340 zu verdienen. Des französischen Generals (leid ist’s mir, daß ich seinen Namen nicht weis) sein Sohn, der Marquis, hatte Absichten auf mich und hofte umso ehr seinen Zweck zu erreichen, weil er genau unterrichtet war von unsern traurigen Umständen. Unsere Wirthin drang darauf, ich solte den Marquis sprechen. – „Frau, Sie ist nicht gescheut! Kan ich französisch? und der Marquis deutsch?“ – Sie wolte Dolmetscherin seyn. – „Und ich sprech ihn nicht und will ihn nicht sprechen“. So gingen einige Wochen hin. An einen Sontag war ich aus gewesen, komme so ohngefehr um 8 Uhr nach Hause. Vor meine[m] Hause begegneten mir einige bekante Frauen mit ihren Männern, die sich mit mir ins 334 Kinderzeug, gemeint ist hier wohl Kinderbekleidung. 335 Caroline Maximiliane Doebbelin (1758–1818), die Tochter Doebbelins aus seiner ersten Ehe mit Maximiliane Christiane Schulz, wurde ebenfalls Schauspielerin. 336 Heinrich Gottfried Koch (1705–1775), Schauspieler und Theaterprinzipal. 337 Franz Schuch d. Ä. hielt sich 1757 mit seiner Truppe in Breslau, Danzig, Berlin, Stettin, und Magdeburg auf; Pies, Prinzipale, S. 337–339. 338 Konrad Ernst Ackermann (1712–1771), Schauspieler und Theaterprinzipal. Ackermann gastierte zu der Zeit mit seiner Truppe in der Schweiz; Eichhorn, Ackermann, S. 40–56. 339 Nicht ermittelt. 340 Redensartlich hat sich diejenige Person einen „Kuppelpelz“ verdient, die sich um die Stiftung einer Ehe (hier eher: eines Verhältnisses) verdient gemacht hat.
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Gespräch einlaßen. Indem wir so schwazen, kommt der General mit seinen Sohn und mehr Offiziers vor mir vorbey und grießten mich (den der General wohnte wenige Häuser von den meinigen ab), kannte mich vom Theater. Als sie so ohngefehr ein 20 Schritte weg waren, sagte der Marquis an den Laufer etwas, und dieser kommt auf [179]
meine Wohnung zu, grießt mich und geht zu meiner Wirthin in die Küche. Nun kam der Marquis auch zurük mit einen kayserlichen Ofizier, griesen mich und gehen nach der Straße zu, wo sie erst hergekommen. Wie der Pliz war mein Lauffer nun nach, und alle drey schwazten sehr eifrig und standen an dem Eck eines Apothekers Haus, so wie unser Haus auch ein Eckhaus war. Mir schlug das Herz vor Angst. Merken konnte ich, das es mich anging. Die, mit denen ich geschwazt hatte, gingen fort und ich nach meinen Zimmer, mochte nun halb 9 Uhr seyn. Ich sagte meiner Mutter den Vorfall und sprach weiter: „Geben Sie nur acht: die Alte wird bald herraufkommen und mich hinunter haben wollen, den nun hilft kein Läugnen, der Marquis hat mich gesehn, weis, das ich zu Hause und angekleidet bin“ – – da stand auch unsere Frau Wirthin in der Stube. „Der Marquis wünscht Sie zu sprechen, gehen Sie nicht hinnunter, kommt er herauf, er hat einen deutschen Ofizier bey sich“. – „Wohl! ich will kommen. Kommen Sie, liebe Mutter, gehen Sie mit“. Wir gingen und tratten zu ihnen in die Stube, sie grießten uns sehr bescheiden und artig, und ich war ernsthaft ohne Ziererey. Wir sezten uns, und meine Frau Wirthin? Vergnügter hatte ich sie sonst nie gesehen als damals, wie sie Wein, Confect und 4 Gläser auf den Tisch sezte. Der Deutsche führte das Wort, und der Marquis saß stille da, ohne uns ein Wort zu verstehen, seufzte und sah mich schichtern an. So ein lieber, hübscher junger Herr er war, so fühlte ich doch in mir nichts als nur den Wunsch: wär ich doch wieder weg! Das Gespräch war vom Theater. Den Marquis mußte nun die Zeit lang werden, und sprach einige Worte, die den der Deutsche vertollmetschte, nehmlich: Ich spräch so ein gutes Deutsch, das der Herr Marquis sehnlich wünschte, sich von mir un[180]
terrichten zu laßen, so wie er mir im Französischen wolte Lection geben. Meine Antwort: Dazu würde viel Zeit erfordert. Und da ich täglich Briefen entgegenseh, die meine Abreise betrefen, so würde es auf die Zeit zu kurz und alle der Mühe umsonst seyn, die man sich deswegen gebe. Ich stand auf. Der Marquis spielte mit einer goldenen Dose und reichte mir eine Priese dar – ich dankte und sagte: „Ich nehme keinen Taback“. – Und war in meinen Herzen froh, das ich meine kleine hölzerne Dose nicht hatte aus der Tasche genommen, in der ich Taback hatte. Nun, ohne einen Tropfen getrunken oder einen Bißen vom Confect gegeßen zu haben, machte ich beden Herren mein
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Compliment und ging mit meiner guten Mutter wieder in unsere Stube. War etwas nach 9 Uhr. Nun, hoften wir, würde der Marquis und unsere Frau Wirthin uns Ruhe laßen. Gesprochen hatte er mich, und daß er an die Unrechten gekommen, müßte er sehr dumm seyn, wen er das nicht merkte. Recht zufrieden über uns selbst, legten wir uns zu Bette. Doch welch ein trauriger Morgen! Meine Wirthin war den Tag darauf der Teufel selbst. „Dummes, einfältiges Geziere! Keinen Bißen zu freßen? und keinen Tropfen zu saufen?“ Ich schnupfte Toback und hätte keine Priese wollen nehmen, da doch die goldene Dose für mich zum Present hätte seyn sollen?341 – „Aber, Frau, woher weis Sie daß? Sie war ja nicht in der Stube“. – – Sie suchte sich zu faßen und sagte: einer ihrer Söhnen häts ihr gesagt, der hätte in die Stube gesehn, weil die Thüre offen gestanden. „Frau, warum will mir der Marquis goldene Dosen schenken? – Nicht umsonst! [181]
Weis er unsere Umstände und hätte er mir Guts thun wollen ohne schlechte Absicht, so hätte er’s anders anfangen mißen. So aber sage ich Ihnen, so arm und unglüklich ich bin, so bin ich doch zu stolz, um des Marquis Maitreße zu werden. – Und weder er noch sein Vater kennen mich bezahlen; und wenn ich auch betteln müßte. Und, Frau! Schämen solte Sie sich, das Sie sich zu so was brauchen läßt“. Die Alte schaumte vor Bosheit, den in der Jugend soll sie zimlich den Schneider gekrönt haben342, wenigstens warf er ihr’s oft vor, wenn sie sich zankte – nun legte sie sich aufs Kuppeln, und möchte ihr leid genug seyn, das ihre Tochter so häßlich und noch dazu lahm war. Nun frug sie, ob wir sie bezahlen könnten? „Nein! sobald Briefe und Geld kommen, soll Sie das Ihrige haben. Ihrendwegen will und kan ich keine Hure noch Diebin werden“. „Nun, so müßen Sie ausziehen, den ich kan mein Zimmer und Betten theuerer vermiethen, als was ich von Ihnen bekomme; und wer weiß, wenn Ihre Briefe ankommen? Also noch heute ziehen Sie aus, aber Ihre Sachen behalte ich zum Unterpfand“. – „Nein, Frau Zöllner, das geht nicht, wo unsere Sachen bleiben, da bleiben wir auch“. Die Tebatten wurden arg. Endlich, da sie gar nicht hören wolte, drohte ich ihr, sie bey den 341 Nach Otto Ulbricht brachte „das Jahrhundert der Aufklärung […] den Durchbruch des Schnupfens“. Schnupfen war zuerst in höfischen Kreisen und unter Adligen populär, verbreitete sich aber schnell in allen Bevölkerungsschichten unter Männern wie Frauen, so dass um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Rede davon war, jede und jeder gebrauche Schnupftabak. Die zum Schnupfen gehörigen Tabatieren, die zum Teil sehr kostbar gefertigt waren, wurden gesammelt und waren ein beliebtes Geschenk; Otto Ulbricht, Tabakkonsum und Frauen in Deutschland (ca. 1650–1800), in: Frank Jacob/Gerrit Dworok (Hg.), Tabak und Gesellschaft. Vom braunen Gold zum sozialen Stigma, Baden-Baden 2015 (Wissen über Waren – Historische Studien zu Nahrungs- und Genussmitteln 1), S. 281–312. – Zu Tabatieren als Geschenk s. u. HHS, S. [328]. 342 Gemeint ist: Hörner aufgesetzt, also ihn betrogen haben.
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Burgermeister zu verklagen und die Ursach zu sagen, warum sie nicht länger mit uns Geduld haben wolte. Nun zog sie gelindere Sayten auf. Doch mußten wir noch denselben Tag aus unsern Zimmer, und sie gab uns eine Küche im ersten Stokwerk, in der nicht gekocht wurde, ein343. Etwas Stroh an die Erde und ein Par Stükgen Bett, das kaum verdient, Bett ge[182]
nannt zu werden, einen alten Stuhl, und der Herd war unser Tisch. Was von denen Tellern übrig blieb, den sie hatte offene Tafel, das bekamen wir, oft um halb 3 oder 3 Uhr des Nachmittags mit Gemurre und Vorwürfen. – Und das wir dafür nichts bezahlen durften, that meine Mutter dem Weibe Mägdedienste und half ihr in der Küche. Ich konnte keine andere Arbeit bekommen, als das ich Strümpfe strickte – aber was kam da viel herraus? Für ganz feine wollene Mansstrümpfe bekam ich einen halben Gulden zu machen. 4 Wochen waren bereits verfloßen, das wir in der Küche zugebracht hatten, und noch kamen keine Briefe. Unsere Noth war groß. Eines Mittags, da der Wein wie die Glut vom Feuerherd unserer Frau Wirthin das Gehirn wieder stark verbrand hatte, fing sie mit meiner Mutter einen unbändigen Lärm an und wolte Geld haben. Mit Thränen ging meine Mutter aus der Küche und stand im Hause; wußte nicht, was sie anfangen sollte und trat in tiefen Gedanken an die Hausthüre. „Ihr Diener, Madam“ (redete sie ein Gesell aus der Apotheke, die uns gegenüber war, an). „Ich soll Sie grießen von meinen Herrn und seiner Frau, und Sie möchten doch so gut seyn und zu ihnen auf eine Taße Thee kommen, aber wo möglich gleich“. Meine Mutter sagte, sie wolle sich nur etwas ankleiden und gleich die Ehre haben zu kommen. Sie kam zu uns in unsere chinesi[s]che Wohnung, wie wir sie nanten der Lüftigkeit wegen, kleidete sich an und ging fort. Nach Verlauf von einer Stunde kam sie wieder. Ihr ganzes Gesicht brachte uns und versprach Trost. Das waren ohngefehr ihre Worte: „Hört, Kinder, als ich zu die Apothekers kam, und nach den [183]
ersten Compliment frugen sie mich: ‚Wie geht es? Noch keine Nachricht von Doebbelin.’ ‚Nein. Als das er in Frankfurt sizt und spielt in den Caffeehäusern. Täglich hoffe ich entlich, das Briefe kommen müßen, nur befürchte ich, das der Krieg schuld ist, wenn solche später einlaufen, doch wenn diese Woche keine kommen, sollen meine Kinder wieder schreiben – Gott helfe mir fort und aus dem Hause von denen Leuten. Sie würden mich nicht so sehr um die Bezahlung drengen, wenn meine Dochter sich hätte an
343 Eingeben: Einräumen, zur Verfügung stellen.
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den Marquis verkuppeln laßen‘ – – ‚Madame Schulze, wir wißen alles. Unser Proviesor stant in der Apotheke hinter einen Fenstervorhang und hat alle die Bedingungen mit angehört, die der Marquis bewilligte, wenn er nur zu seinen Zwek gelange. Wir haben für Ihre Tochter gezittert, und um gewiß zu seyn, wie sich Ihre Tochter und Sie dabey benehmen würden, bin ich mit meinen dicken Füßen (die Apothekerinn litt an der Waßersucht) die drey Treppen hinaufgestiegen in die kleine Kammer, aus der man in Ihre Stube sehen kann. Ich sah Sie, wie Sie mit Ihrer Tochter hinausgingen, gebetet hab ich zu Gott für Sie – aber wie freute ich mich, da Sie alle beyde gleich nach 9 Uhr wiederkamen, sich auskleideten, Ihre weißen Fenstervorhänge zuzogen und sich zu Bette legten. Sie konnten mich nicht sehen, den ich war ohne Licht, und ich gestehe Ihnen, das ich solange in der Kammer geblieben, bis Sie sich beyde niedergelegt und Ihr Licht ausgelößcht hatten; als ich eben herrunterkam, verlies der Marquis [184]
sehr verdrieslich mit dem andern das Haus. Gleich den andern Tag wolte ich Sie zu mir kommen laßen, doch mein Mann sagte: Las uns noch warten. Wollen sehen, ob die Leute rechtschaffen bleiben. – Wir wißen alles, wie Sie behandelt werden. Doch Sie sollen nicht mehr so viel leiden. Hier, Madame Schulze, haben Sie 30 Gulden. Zahlen Sie davon, soviel als Sie kennen, an Ihre Hausleute ab; und ziehen aus und laßen solchen einen Versaz nach. Ich und mein Mann sind alte kränkliche Leute, Kinder haben wir nicht, wir verlangen von Ihnen keine Wiederbezahlung. Aber ausziehen müßen Sie, den in dem Hause ist kein Segen. – Wenn ein Gewitter ist, so denken wir immer, das es da einschlagen müße wegen den gottlosen Fluchen, so man von Morgen bis an den Abend hört’. – Kinder! Ihr könnt denken, wie mich der guten Apothekerin ihr Betragen gerührt hat. Aber ausziehen wollen wir. Wenn wir nur Wohnung hätten“. „Dafür, liebe Mama, laßen Sie mich sorgen. Da wo Rinzingers344 (auch jemand, die bey der Geselschaft waren) gewohnt hat, das sind gute Leute“. Ich lief fort, sie waren nicht mehr in dem Haus, doch kundschaftete ich sie aus. Sie waren in eine kleinere Wohnung gezogen, hatten einen geräumigen Boden und auf denselben ein kleines Stübgen, das mithete ich mit 2 Betten und gab dafür im Acord alle Woche einen halben Thaler. Kochen wolte nun meine Mutter selbst. 20 Gulden gaben wir unsern Herrn Zöllner, und für 40 Gulden, die stehenbleiben, ließen wir
344 Herr und Frau Rinzinger, Schauspieler.
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ihn Versaz. – Nun war das Schelmzeig345 schon höflicher und trugen uns wieder unser Zimmer an; den niemand war in denen 4 Wochen hineingezogen. Ich sagte zu ihnen: „Die Küche, in die Sie uns gestoßen, die ist mit dem Stroh, worauf wir lagen, mit einen halben Gulden bezalt. – Den einen Gulden hatten wir vors Zimmer mit denen Betten gegeben. – Sehen Sie, so haben wir 2 Gulden Vortheil und Sie mit Ihrer Grobheit Schaden“. Die Rechnung war abgeschloßen, wir nahmen von ihnen einen schriftlichen Schein der Sachen wegen, die wir daließen zum Unterpfand, und zogen noch denselben Abend aus. Gott! wie wohl uns den Abend wahr bey unsern Butterbrod – wie kann ich das beschreiben? Nun faßte ich einen Schluß, wo vielleicht manches, das nicht denkt wie ich, die Nase rümpfen wird. Ich ging an einen Morgen zu der Frau von Eschenbrenner346, damals ohne allen Streit die schönste Dame in Cöllnn. Ich wuste, das sie mir gut war. Ich ging hin und wurde sogleich vorgelaßen. DieserLXXXV schüttete ich mein Herz aus und bat sie: ob sie nicht für mich in einer Aßamblée347 ein gut Wort einlegte, das für mich eine kleine Collecte gesammlet würde. Die gute Dame küßte mich und sagte: „Nun sehe ichs, daß Sie in der That das ehrliche Mädchen sind, was man von Ihnen gesagt hat. – Habe[n] die glänzende Eroberung ausgeschlagen und wollen lieber eine Collecte. – Kind, bleiben Sie so. Noch heute fahr ich in Gesellschaft, kommen Sie morgen früh um 9 Uhr wieder zu mir“, etc. etc. [186]
Ich stellte mich pünklich ein, und sie überreichte mir 3 Carolins348. Gott! wie froh war ich! – und sagte mir: „Besuchen Sie mich, wen Sie wollen; bin für Sie immer zu Hause“. Voll Dank küßte ich ihr die Hand, die sie wegzog und mich in ihre Arme schloß. Mit Thränen, die die Dankbarkeit weinte, verlies ich ihr Haus, kam zu meiner Mutter und Bruder und brachte das Geld. Sagte ihnen, wo ichs her hatte. – Nun war ich so boshaft und brachte immer so die Woche 2 oder 3mal meinen alten Hauswirt 2 oder 3 Gulden und lies mir jedes Mal eine Quittung darüber ausliefern, den da die Schuld bey Kleinigkeiten an Kost und Wohnung gemacht, mußten sies auch bey Kleinigkeiten annehmen. – Noch kamen keine Briefe! Ich geheLXXXVI, um mich zu
345 346 347 348
Schelmzeug: Schelmenpack, Betrügerpack. Nicht ermittelt. Dr. Max Plassmann vom Stadtarchiv Köln sei für seine Auskünfte bestens gedankt. Assemblée: Versammlung, Zusammenkunft. Der Karolin ist eine Goldmünze, die zuerst 1726 vom bayerischen Kurfürsten nach dem Vorbild des französischen Louisdor geschaffen, danach auch in anderen Territorien geprägt wurde. Der Karolin entsprach drei Goldgulden = 11 Gulden; Friedrich Frh. von Schrötter (Hg.), Wörterbuch der Münzkunde, 2. Aufl. Berlin 1970, S. 296.
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zerstreuen, von meiner Bodenkammer hinnunter zu meiner Hausfrau. Da sehe ich, das die sizt und von weißer Leinewand Mannsnachthauben und Hemten näht. „Was ist das für Arbeit?“ „Ja, Mamselgen, das arbeite ich fürs Lazeret, die bekommen die blesirten Soldaten. Für eine Mütze bekomme ich 2 Stieber349, für ein Hemt 8. Das darf nicht fein genäht werden und trägt in der Summa was aus“. – „O, liebe Hausfrau! will mitnähen! von Herzen!“ „Morgen trage ich das fort, und da will ich ungemachte für Sie mit mitbringen“. Wer war froher wie ich! Um 5 des Morgens stand ich auf und hatte am Abend mein 24 Mützen im Spielen genaht – und 4, auch wohl 6 Hemten. Kurz, ich nähte mir des Tages meinen halben Thaler, auch wohl 2 Gulden [187]
wie nichts herraus, was nun bey uns an Schuen und Strümpfen aufgetragen war, wurde wieder angeschaft, und wir lebten nicht überfließig, aber hatten doch unsere gute Subbe, Fleisch und Zugemiß350 und den Sontag einen kleinen Braten. Endlich an einen Sontag kommt mein Bruder in der Geselschaft eines Herrn nach Hause, der Carl auf der Straße angeredet, ob er Herr Schulze wär? „Ja“. „Ich habe an Ihre Mama und für Sie und Ihre Schwester mit einen Brief und Wechsel, der auf meines Herrn Contuair351 bey de Pösch352 zahlbar ist – schon seit 8 Tagen ist der Brief bey uns, wir wusten Sie aber nicht zu finden, und es hies, die ganze Geselschaft wär fort“ (wahr! Alle waren fort, und wir saßen noch allein da – machte: die meisten konnten zu Fuß fort, nur wir konnten das nicht, und ein paar Familien bekamen wohl Engagement, aber die Reisen mußten sie auf ihre Kosten thun bis an Ort und Stell, weil ihre Directeurs kein Geld noch Wechsel der Unsicherheit wegen ihnen senden wolten). Der Brief also, den wir erhielten, war von Herrn Ackermann, der sich in der Schweiz, und zwar in Zürrich aufhielt: Engagemant für uns alle drey, die Woche 9 Gulden und 40 Gulden Reisegeld, doch sollte uns Herr de Pösch noch 10 Gulden zulegen, wen wir nicht auskämen. Wen wir erst in Straßburg wären, waren wir an Herrn Dr. Behr353 gewiesen, der uns 349 350 351 352
Stüber: Kleingroschenmünze, 1 Gulden = 20 Stüber. Zugemüse: Gemüse oder Getreidemus als Beilage zum Fleisch. Gemeint ist wohl: Konto. Damit ist die im Jahr 1636 von Johann Wolter de Beche („de Pösch“) gegründete Speditionsfirma und Wechselbank gemeint; Uwe Perlitz, Das Geld-, Bank- und Versicherungswesen in Köln 1700–1815, Berlin 1976 (Untersuchungen über das Spar-, Giro- und Kreditwesen, Abt. A: Wirtschaftswissenschaft, Bd. 84), S. 180. 353 Georg Heinrich Behr (* 16. Okt. 1708 Straßburg, † 9. Mai 1761 Straßburg), Arzt und seit 1751 Beisitzer im Rat der Stadt und Polizeirichter in Straßburg. Im Hause Dr. Behrs hatten die Ackermanns während der Straßburger Auftritte ihrer Truppe mehrmals gewohnt, und dort hatte auch Sophie Charlotte Ackermann am 23. August 1757 ihre Tochter Charlotte (1757–1775) zur Welt gebracht, zu
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den weiterliefern solte und uns zugleich sagen, wohin Ackermann mit der Geselschaft gereist, der den wahrscheinlicherweise nicht mehr in Zürrich seyn würde. Wie gern wären wir sogleich abgereißt! Aber da der Reihn wegen [188]
den langen anhaltenten RegenwetterLXXXVII so hoch angelaufen war, konnten wir nicht fort und mußten bis in die 3te Woche warten, den unsere Order war, wir solten bis Maynz zu Waßer reisen. – Endlich wagten sich wieder die Schiffer zu fah[ren], und den 8. August verliesen wir Cölln, nachdem ich noch allen meinen Wohlthätern gedankt und meinen Hauswirth derb die Wahrheit gesagt hatte. 8 Tage brachten wir bis nach Maynz zu. Die Fahrt war traurig, den wer mußte nicht Mitleid fühlen bey dem traurigen Anblick, was der Ausbruch des Rheins alles verwüstet hatte. - Nun in Maynz! Wo da Fuhre hernehmen? Die Post zu bezahlen, hatten wir nicht Geld genug, und eine Kutsche für uns, wer wolte uns die geben, ohne zum wenigsten die Helfte vorauszuzahlen, und wir hatten so eben Geld, um in denen Wirthshäusern zur Noth zu leben, den auf Reisen kann man keinen Überschlag machen: Nur so viel will ich verzehren? Das kommt auf die Barmherzigkeit oder Unbarmherzigkeit der Wirthe an. Zum Glük! (wie Gott immer für die seinen sorgt) trieft mein Bruder einen Kutscher, der von Straßburg zween Herren nach Maynz liefern müßen, und der wolte den andern Tag leer nach Strasburg zurickfahren. Mein Bruder spricht mit solchen, sagt ihm gerathezu, hier könnten wir ihm kein Geld geben, aber in Straßburg solte es Herr Dr. Behr für uns bezahlen. – Der Kutscher besann sich nicht lange (sah aber erst unsere 2 Koffers an und wog solche, wie schwer sie sind – vielleicht [189]
auch der Pferde wegen). Wir trafen mit ihn einen billigen Acort, und nachdem wir 2 Tage in Maynz geharrt, reißten wir am dritten Morgen gut und wohl fort. In Zeit von 3 Tagen waren wir in Straßburg, ein lustiger Kutscher und 4 herliche Pferde, zwey gut gepackte Koffers, wer hätte uns nicht für reiche Leute halten sollen? – und unsere Baarschaft war kaum noch 11 Gulden. Der Kutscher, als wir nach Straßburg kamen,
deren Taufpaten Behr gehörte. Behr ist nicht nur der Verfasser zahlreicher medizinischer Traktate, er schrieb auch Theaterstücke, Gelegenheitsgedichte, Vorspiele für die Schuchsche Truppe und Romane. Lit.: Eichhorn, Ackermann, S. 39, 74; Johann Christoph Gottsched, Briefwechsel, Bd. 8, hg. von Detlef Döring/Franziska Menzel/Rüdiger Otto/Michael Schlott, Berlin/Boston 2014, S. 492; Johann Georg Hensel, Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller, Leipzig 1802 (ND Hildesheim 1967), S. 295–298; Meyer, Bibliographia, 2. Abt., Bd. 17, S. 132 f.; Ders., 2. Abt., Bd. 19, S. 406.
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fuhr uns erst bey seinen Herrn an und ladete da unsern großen Koffer ab. – Dan fuhr er uns nach einen Wirthshaus, sprach mit dem Wirth vom Hause ein Weilgen heimlich, der uns den doch höflich und freundlich willkommen hies und uns ein Zimmer anwies. Keins von uns war neugirig, den Wirth zu fragen, was ihm wohl der Kutscher gesagt hat? – Mein Bruder lies sich nach des Docters Behrs Haus hinweisen und meldete sich, wär er wär. – „Ach, kommen Sie endlich?“ Mein Bruder sagte die Ursach. Es wurde ihm gesagt: er soll nur den Kutscher bringen. Carl holte solchen, der Kutscher wurde bezahlt, und wir bekamen den Abend noch unsere Koffer auf unser Zimmer. Nun wolten wir gleich den andern Tag fort, den Herr Ackermann, hies es, wär unter der Zeit in Schafhausen gewesen, nun aber in Winterthur. Die Frau Docterin354 fand es für gut, um sich ein Sommervergnügen zu machen, mit uns in die Schweiz zu reisen, mußten allso noch einen Tag länger in Straßburg bleiben, und so fuhren wir wieder erst den dritten Tag alle vier ab. Die Frau Docterinn, die [190]
eine ganz eigene Portion von Narrheit besizte, machte uns die Reise bis zum Ekel beschwerlich. In jeden Städgen und Dorf wurden die Demantringe, Halscranaten mit goldenen Schloß355 und die Repetiruhr356 vorgezeigt. Das die Wirthe den auch die Rechnung darnach machten. Wir wurden alle drey wie ihre Bediente angesehn, und das nicht ein Mal! Den sie erzehlte jeden Bauer, das der Herr Dr. Behr, ihr Mann, das Geld in Straßburg vor unsere Fuhre von Maynz aus bezahlt und daß sie uns jezt zu Ackermann brächte und die Fuhre bezahle – ohne dazuzusezen, das es ihr Ackermann wiedergeben müßte. – Die Wirthe trugen dem Gesprech gemäß auf, und wir mußten mitbezahlen, das wir oft lieber uns mit wenigen beholfen hätten. – Kurz, die lezten Tage hatten wir keinen Heller mehr. Meine Mutter bat sie um Geld – aber bewahr! Wie hätte sie sonst noch mehr prahlen kennen, nun that sie erst groß. Mein Bruder, um nur aus der Kutsche zu kommen, sezte sich zum Kutscher auf den Pok, den er sagte, „ich kans bey den absurten Weibe nicht länger aushalten“. – Und ich hatte mir zum Vergnügen die Rolle aus der Iphigenia357, das Trauerspiel gleichen Namens auf der Reise herrausbehalten, um was zu thun zu haben. – Hatte solche freylich nicht durchgelesen,
354 Anna Maria Schätzel (1721–1787), mit der Georg Heinrich Behr in zweiter Ehe seit 1740 verheiratet war; Gottsched, Briefwechsel, S. 492. 355 Wohl eine Granatkette mit einem Goldverschluss. 356 Repetieruhr: Taschenuhr, die auf Knopfdruck die letzte volle Stunde und die seitdem abgelaufenen Viertelstunden anzeigt. 357 Iphigenie, Trauerspiel von Jean Racine, übersetzt von Johann Christoph Gottsched.
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aber die Gegenwart der Frau Docterinn trieb mich nun dazu, um ihr nicht antworten zu dürfen, und meine Mutter schlief neben ihr. – Herrliche Reisegesellschaft! Ja, [191]
ich vergeße sie zeitlebens nicht. – Traf sichs den, das mehr Reisende mit uns an einen Ort zusammentrafen, da war den der Teufel gar in ihr. Der Herr Docter Behr aus Straßburg war gewiß das 3te Wort. – Manche lachten sie aus, und wir zehlten alle Stunden und wünschten an Ort und Stelle zu seyn, um ihrer loszuwerden. An einen Ort, wo wir Schweizer Kaufleute antrafen, die auf die Meße nach Zurzach wolten, hörten wir, das Ackermann nicht mehr in Winterthur sey, sondern auch in Zurzach die Meße halten wolte358. Wir enderten also unsere Fahrt und sagten, wir wolten nun erst nach Zurzach. Wär Ackermann nichtLXXXVIII da, nun, so wolten wir den von da aus nach Winterthur. Den 26. August des Morgens gegen 10 Uhr kamen wir an: ein kleines Städtgen, als wir eben zum Tor hineingefahren, mußten wir wegen einer Trift Schweine stillhalten. Ich sah von ohngefehr zur Kutsche herraus, und meine Augen hefteten sich gleich auf einen angeschlagenen Comödienzettel, da stand: die Ackermannische Gesellschaft werden heute aufführen den Geitzigen359 von Molliair – „Ach, Her Jesuß!“ sagte ich. „Ist Daß Zurzach?“ – mir fiehl traurigen Andenkens Viert360 bey Nürnberg ein. – Die Ackermannische Gesellschaft auf einen großen Dorf. – Weinen war mir näher wie Lachen. Die Frau Docterin hüpfte im Jegentheil vor lauter Freude – was ihre Erscheinung für ein angenehmes Erstaunen verursachen würde u.s.w. – Der Kutscher mußte [192]
fragen, wo Herr Ackermann wohnte? „Im Schwerdt!“361 war die Antwort, nun fuhren wir fort und kamen ans Wirthshaus. Wir stiegen aus, die Frau Docterin voraus, die 2
358 Die Messe in Zurzach hatte sich seit dem 12. Jahrhundert im Gefolge der Wallfahrt zum Grab der hl. Verena entwickelt. Sie fand zweimal jährlich, im September und an Pfingsten, statt; Anne Radeff, Messen, in: HLS. – Ackermann hielt sich mit seiner Gesellschaft vom 24. August bis 5. September 1758 in Zurzach auf; Eichhorn, Ackermann, S. 49, 220, 230. Zuvor waren sie vom 26. Juli bis 22. August in Schaffhausen aufgetreten. Berthold Litzmann verweist in seiner Schröder-Biographie auf eine im Staatsarchiv Schaffhausen verwahrte Chronik „Merkwürdige Begebenheiten der Statt Schaffhausen[…]“ des Pfarrers Laurenz von Waldkirch, in der ausführlich über die Auftritte der Ackermannschen Truppe in Schaffhausen berichtet wird; Berthold Litzmann, Friedrich Ludwig Schröder. Ein Beitrag zur deutschen Litteratur- und Theatergeschichte, Bd. 1, Hamburg/Leipzig 1890, S. 160–164. 359 Der Geizige, eine Übersetzung des Lustspiels L’Avare von Molière. 360 Fürth; vgl. dazu ihre Bemerkungen über Fürth in HHS, S. [40 f.]. 361 Das Gasthaus „Zum Schwert“ in der Schwertgasse 13 besteht bis heute.
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Treppen hinauf und wir den nach. Tratten ins Zimmer. Madame Ackermann362 war auch wirklich so erstaunt, das sie vergaß, uns willkommen zu heisen, und es dauerte ziemlich lange, bis sie zu uns endlich sagte: „Wollen Sie sich nicht setzen“. Ihr Blick sagte uns nichts, das uns ermuntert hätte – machte aber das angenehme Erstaunen. – Nicht lange darnach trat Herr Ackermann in die Stube. In einen Nachtleibgen, Mütze und Pantoffeln. Schneitzte sich mit der Hand in Ermangelung eines Schnupftuchs, wischte sich die Hand an seinen dicken Bauch ab und sagte, indem er uns die Hand both und herzlich drükte: „Seyn Sie mir willkommen“. Der Auftritt war uns so comisch wie möglich, den wir kannten Ackermanns nicht und ihre Weisen. Doch das war den Mann seine Art so. – Und blos Angewohnheit wars, das er immer ohne Schnupftuch ging, da er nicht Tabak brauchte, konnte er solches leichter entbehren. Der sprach mit der Frau Docterin nicht viel – durch sein offenes gutes Betragen wurden wir mit heiter, und die Mittagsmalzeit, die wir mit ihnen hielten, hielte uns schadlos für den langen Zwank auf der Reise – und meine Zunge wurde so geläufig, das die Frau Docterin fast stum dasaß. Kurz, ich rächte mich mit Schwazen, und was ich blaperte, war munter, witzig und frölig, den die Noth war ja überstanden! [193]
Nach Tische sahn wir uns nach Woh[n]ung um, man wies uns zu einen Buchbinder. Er stand selbst in einen grünen Caftang363, mit einer Haarbeutelberücke364, Hut auf den Kopf und langen Tobacks-Pfeiffe vor der Hausthüre. Wir frugen nach dem Herrn von Haus? weil wir ihn auch für einen Meßfremden hielten. „Bins selbst, was steht zu Ihren Diensten“. Wir sagten, wer wir wären, und wolten gern Wohnung haben. – „Hätten müßen eher hier eintreffen. Wohnungen wegen der vielen Fremden sind sehr rar“. „Ja, das glauben wir, wen es nur eine Stube oder Kammer wär, wir wollen uns behelfen“. – „Nun, ich will sehen, obLXXXIX noch etwas im Haus leer habe“. Wir folgten ihm, und er wies uns in ein kleines Kämergen, wo zwey Betten standen und so eben unsere Koffers konnten gesezt werden. Aber weder Stuhl noch Tisch hatte übrigens Raum. Doch waren wir nur froh, das wir Dach und Fach hatten, den die Zurzacher Meße war, und ist vielleicht noch, mit eine von denen größten. Man sieht und findet Menschen von allen nur möglichen Ländern und Städten. Den Tisch mußten wir auch im Hause nehmen, den selbst seine Menage365 darf kein Fremder in der Schweiz halten, alles ist Wirth und giebt Kost, sobald er Zimmer ausleiht. „Herr Wirth! was verlangen Sie von uns 362 Sophie Charlotte Ackermann (1714–1792), Schauspielerin und Prinzipalin. 363 Kaftan. 364 Männerperücke mit einem Taftbeutel für einen Zopf oder das hintere Haupthaar. 365 Hier im Sinne von Haushaltung, Hauswirtschaft.
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die Woche?“ – „Wieviel haben Sie Gage?“ Wir sahen einander an. Doch gestanden wir treuherzig die Wahrheit. „Die Woche 9 Gulden“. – „Das ist nicht viel, und besonders hier in Zurzach“. – „Ja, wir haben nicht mehr und mißen uns behelfen. Noch einmal, Herr Wirth! was sollen wir zahlen?“ „Ziehen Sie nur ein, das wird sich finden, den heute habe ich nicht Zeit“. – „Aber Herr Wirth“ – „Ja ja, laßen Sie nur Ihre Sachen [194]
herbringen, wir wollen schon fertig werden“. – „Nun, in Gottes Namen. – Wir bleiben ja nicht lange hier“. Also zogen wir ein. Packten aus, kleideten uns an und gingen nach dem Theater, den es war den Tag die erste Comödie. Erst des Abens 8 Uhr ging solche an, wurde die 4 Wochen, solange die Meße dauert, alle Tage gespielt und des Sontags zweymal, das erste Stük ging des Sontags vier Uhr des Nachmittags an und das zweyte nach 8 Uhr. Also in 7 Tagen 8 Comödien. Den andern Tag reißte die Frau Docterin mit Herrn Ackermann fort. Madame Ackermann wünschte mich in Zurzach noch spielen zu sehen, und ich brachte ihr alle meine Rollen, die ich gespielt hatte, auch die, die ich zum Theil bey Herrn Doebbelin einstudiert, aber nicht gegeben worden. – Unter allen war keine als die Iphigenia, die ich spielen solte. – „Ja, Madame, die habe ich wohl auf der Reise gelernt, aber bis auf die zwey lezten Act, die kann ich noch nicht. – Und da ich ganz neu hier bin und keinen von der Geselschaft kenne, wünschte ich in einer Rolle aufzutreten, die ich schon gespielt habe“ (den niemand kannten wir von allen, die da waren, als Herr Garbrecht und seine Frau366 von Schuch aus und Herrn Curioni mit seiner Frau, der, als wir in Prag bey Locatelli waren, zweyter Tänzer war und nun bey Ackermann Balletmeister). „Ja, Kind, ich wolte es wohl, aber ich kan hier kein ander Stück geben, als wo ich die Zettel gedruckt bey mir habe. Weil hier keine Buchdrukerey ist“. – „Wenn Sie also das Stük hier geben wolten, so haben Sie ja schon bey der Gesellschaft ein Frauenzimmer, die die Rolle gespielt hat?“ – „Ja, das ist wohl wahr! Es ist Madame Antusch367, sie spielt sie aber nicht gern und hat mich lange ersucht, [195]
die Rolle abzunehmen; sie kann nicht im Trauerspiel spielen“. „Aber, liebe Madame, wenn mir nur das keine Feindschaft macht? – Geben Sie mir lieber eine von Ihren Rollen ab – nur um einmal zu spielen“. Den ich wolte so gern mit der Chimene in 366 Friedrich Garbrecht und seine Frau hatten bei Hilverding in Petersburg, danach bei Schuch gespielt, ehe sie 1756 zu Ackermann kamen. Curioni war zuvor bei Locatelli in Prag und seit 1756 Ballettmeister bei Schuch gewesen; Eichhorn, Ackermann, S. 65, 203. 367 Madame Antusch ist die zweite Frau des Schauspielers Antusch. Beide kamen 1754 zu Ackermann, wo sie bis Ende April 1759 blieben; Eichhorn, Ackermann, S. 17 f.
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Rodrich und Chimene368 anfangen, eine Rolle, die ich gewiß wußte, daß ich sie richtig sagte und spielte, den mein seliger Vater hatte mich solche noch gelehr[t]. – Half aber nichts – die Schuld lag an denen Zetteln. Ich mußte die Iphigenia vollends auswendig lernen, und Madame Ackermann befahl mir ausdrüklich: ja nicht zu sagen, daß ich diese Rolle nie gespielt hätte. – „Nun aber, Madame, so werden Sie doch so gut seyn und Probe ansagen laßen? Den ich habe das Stück nie aufführen sehen und nie gelesen“. – „Ja, das soll geschehen“. Mit zimlichen Unwillen kam ich nach Hause, inzwischen studierte ich an der Rolle dem Sinn gemäß, was ich zu sagen hatte – oder lernte sie vielmehr nur vollends auswendig – den wie konnte ich an stummes Spiel denken, da ich nicht wuste, was die andern zu sagen hätten? Täglich erinnerte ich an Probe – oder bat nur um das Stück zum Durchlesen, weil ich nicht einmal wußte, ob meine Rolle richtig geschrieben war. – Nun kam der Herr Balletmeister und frug: „Für was sind Sie engagirt?“ – Mein Bruder antwortete: „Ich für Tänzer und meine Schwester für meine Tänzerinn“. Curioni wolte uns nicht verstehen oder stellte sich, uns nicht verstehen zu wollen. Um es ihm also ganz begreiflich zu machen, so sagte Carl: „Ich bin hier bey Herrn Ackermann auf den Fuß engagirt, wie Sie in Prag bey Locatelli waren. Sie machen Ihr Ballet. Und ich [196]
tanze mit meiner Schwester ein Pasdedeux dem Karacter Ihres Ballets gemäß nach meiner Music, die ich ins Orchester lege“. Den wohl zu merken: Große Tänzer war zwar keiner da, doch auch die wenigen durften nur das tanzen, was der Balletmeister wolte369. – Die jezigen Zeiten mögen nun anders seyn, aber damals mußte man sich vorsehen, nichts von seinen Recht zu vergeben. Curioni frug, womit wir anfangen wolten? „Mit einen comischen, geben Sie ein Bauernballet; machen Concert und Final, ich figurire mit meiner Schwester darinnen mit und tanzen dan unser Pasdideux. Nach uns kann den tanzen wer will.“ – Das stand nun auch dem Herrn und so! nicht an. – Wir mochten nun 8 Tage etwan da gewesen seyn, so wurde Iphigenia auf den andern Tag angekindigt370. Ich ging um 9 Uhr hin, aber da war an keine Probe zu denken! Ich
368 Mit Roderich und Chimene ist wohl Gottfried Langes Übersetzung der Tragödie Le Cid von Pierre Corneille gemeint. 369 Während der Schweizerreise ließ Ackermann im Anschluss an die Schauspiele regelmäßig pantomimische Ballette aufführen. Unter Anleitung des Ballettmeisters Joseph Curioni, der selbst mitwirkte, traten neben Curionis Frau Maria Friedrich Karl Koch und Frau Antusch, Herr Antusch und Frau Friderici sowie Karl und Karoline Schulze auf; Hulfeld, Zähmung, S. 525. 370 Iphigenie, Trauerspiel von Jean Racine, übersetzt von Johann Christoph Gottsched. Die Aufführung fand am 31. August 1758 statt; Eichhorn, Ackermann, S. 49.
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bat Madame Ackermann ums Stück. „Die Klara hats“ – das war die Souflöse371 – die war auf die Bühne wie der Teufel auf eine Seel – kurz, ich bekams nicht372. Kam voller Erger nach Haus, den Abend kam ich aufs Theater, verlies mich auf meine gerechte Sache und spielte. Daß ich nicht so gespielt, ganz so gespielt, wie ich hätte sollen, war kein Wunder. Und laß die größte Schauspielerinn auftretten, sie leistet gewiß das nicht in einer solchen Situation, als was ich nach den Tag geleistet habe. Hier war also Chicane und Maliz373 gegen mich schon den ersten Tag. Doch ich war jung und hiebsch – wer konnte mir schaden. Ich wurde bey jeden Abgang aplaudirt, und das machte mir Muth, und kehrte mich nicht an alles Naserümpfen, wie sie in denen Scenen standen und im Grunde sich doch ergerten, das es beßer ging, [197]
als man es nach der gesunden Vernunft hätte erwarten kennen. Den andern Tag muste ich mit meinen Bruder tanzen, und da gings nicht beßer. Herr Curioni machte weder Concert noch Final. Und obgleich seine Ballets nur von 6 oder 8 Personen sonst war, so tanzte den Tag keins, und mein Bruder und ich solten und mußten uns ganz allein darstellen. – Auch gut, wir wahren unserer Sache gewiß. Konnte keiner uns was gutmachen, so konnte uns auch keiner was verderben. Mein Bruder legte eine gute Sinfonie auf, und unser Balletgen – oder vielmehr Pasdideux bestand in einen Kohlenbrennerbauer374 und Bäuerinn. Wir tanzten, und das Ablaudieren war so starck, das wir, solange wir daXC gewesen, noch in keinen Ballet von Curioni so lauten Beyfall gehört hatten. – Nun bekamen wir beyde nichts weiter mehr in Zurzach zu thun; und gingen missig375. Nicht zu vergeßen: Als die erste Woche um war, baten wir den Wirth um unsere Rechnung. – „Hab ohnmöglich Zeit!“ und so gings alle Wochen und Tage, und immer „ich habe nicht Zeit“, war die Antwort. Oder daß er sich beschwerte: daß er 371 Klara Hoffmann († 1776), die Souffleuse der Ackermannschen Truppe; Eichhorn, Ackermann, S. 135. – Zur Rolle der Souffleure im 18. Jahrhundert s. Paul S. Ulrich, The Role of the Prompter in the Professional German-Language Theater in the 18th Century, in: Katalin Czibula (Hg.), Színházvilág – világszínház.Tanulmányok a magyar és az európai dráma XVIII–XIX. századi történetéből. [Theaterwelt – Welttheater. Beiträge aus der Geschichte des Dramas aus dem 18.–19. Jahrhundert], Budapest 2008, S. 217–229. 372 Souffleur und Souffleuse hatten im Theater des 18. Jahrhunderts weitreichende Kompetenzen, die weit über das Soufflieren hinausgingen. Sie fertigten die Kostüm- und Dekorationsszenarien an, führten ein dem heutigen Regiebuch entsprechendes Soufflierbuch, zogen die einzelnen Rollen für die jeweiligen Darsteller aus den vollständigen Textbüchern aus, die nur sie zur Hand hatten; Maurer-Schmoock, Theater, S. 98 f. 373 Schikane und Malice (Böswilligkeit). 374 Es scheint sich hier um ein von Karl Schulze selbst erdachtes Pas de deux zu handeln. 375 Müßig.
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uns miße das Eßen auf die Stube schiken, warum wir uns nicht lieber an die Tafel sezten. Und das wir uns den Caffee selbst machten und nicht von ihm nehmen? Endlich, da wir 4 bis 5 Wochen da waren, hies es, wir reisen fort nach Baaden376. „Nun, Herr Wirth, wir mißen fort. Was sind wir schuldig?“ – „Gleich. Wie lange sind Sie hier?“ „Fast 5 Wochen“. „Him! him“, murmelte er – – „5 – – 5 – – Ja! die Woche 9 Gulden, macht: 45 Gulden“. – Da standen wir wie versteinert – „9 Gulden die Woche? – Herr, wo denken Sie hin? Können wir Ihnen [198]
das noch geben, was wir eingenommen? Braucht man nicht täglich Geld? Schue, Strümpfe, Wäsche, Nadeln, Carmin377, Muschen, Handschu etc. etc. etc. Herr! so wahr Gott lebt, das ist all mein Geld, was ich habe“, sagte meine Mutter und schittelte all ihr bisgen Geld, was sie in den Beutel hatte, auf den Tisch. – Der Wirth sah uns an, lachte und schittelte dazu den Kopf, that mit der Hand einen Grief in das Geld, nahm ungezehlt, was er faßen konnte – mochte nicht viel über 5 oder höchsten 6 Gulden gewesen seyn. „Reisen Sie und kommen nur kinftige Meße wieder, da sollen Sie beßere Wohnung finden, will für Sie stehen laßen“. Gab uns noch Obst und kalte Küche mit auf den Weg. Wir mußtens den Mann ins Gesicht sagen: „Solch einen guten Wirth haben wir noch auf keiner Reise getroffen“. Himmel! was waren wir nun lustig? Den recht hat uns in dem Hause kein Bißen geschmekt, weil wir nicht wußten, was es uns kommen würde. Gern hätten wir uns wieder den Monat August gewünscht: um erst ins Quartir zu ziehen. Nun gings nach Baaden378; in einen halben Tag war die Reise zurükgelegt. Viel hatten wir noch nicht zu thun, nur einmal spielte ich mit, und das in einen Schäfernachspiel, Das Kätzgen379 genannt, die Margeriß. Madame Ackermann lachte über mich, das ihr die Thränen in die Augen kamen, und sagte: „Ist ein herlich Mädchen“. Und zweymal haben wir getanzt. Blieben kaum 3 Wochen da, so reißten wir wieder fort nach Basel, wo uns Herr Ackermann alle erwartete. Nun gings ernsthafter an die Arbeit. In allen Balletten hatten wir mitzutanzen, und ich bekam auch Rollen. Die erste, die ich gespielt habe, war wieder die Margaris380, und die zweyte?
376 Baden im Kanton Aargau, Schweiz. 377 Karmin: Roter Farbstoff aus der Cochenille für Kosmetik (Rouge). 378 Gespielt wurde dort im ständig als Theater eingerichteten Schützenhaus. Ackermann spielte in Baden bis zum 17. September 1758; Eichhorn, Ackermann, S. 49 f., 52. 379 Das Kätzgen, ein Schäferspiel von Johann Sigismund Scholze gen. Sperontes. Sie spielte darin die Rolle der Margaris. Eichhorn, Ackermann, nennt diese Aufführung für Baden nicht. 380 Aufführung des Schäferspiels Das Kätzgen in Basel am 27. September 1758. Die Truppe spielte bis zum 12. November in Basel; Eichhorn, Ackermann, S. 50, 230. – Gespielt wurde dort im 1654 von der
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da wurde den endlich mein Herzenswunsch erfüllt, war die Chimene381. Der Beyfall, der aus allen Ecken erscholl, war groß. Und weil ich gewiß [199]
nach meinen Alter alles geleistet, was man nur von der ältesten und erfahrensten Schauspielerinn fordern kann, hies es: Ja, heute hat sie sehr gut gespielt, aber das macht, sie hat unsern Ton angenommen. Ob sich nun der Ton so geschwind lernen läßt, überlas ich jeden Vernünftigen zu beurtheilen. Uberhaubt hab ich meiner Bildung auf dem Theater niemand zu verdanken wie mir selbst; meinen Fleiß; meines Nachdenkens und den guten Grundsäzen meines Vaters. Wer hätte mich was lehren sollen? – Wenn es auch welche gekonnt hätten, denen lies es ihr Neid und Mißgunst nicht zu. Den ich glaube nicht, das vor mir noch nach mir wieder eine Schauspielerinn kommt, die mehr Verfolgung erlitten hat wie ich. Die mehr unterdrükt worden, und ich gestehe es selbst: Ein Wunder ists, das ich das geworden bin, was ich war. Zum Glück für mich: war mein munteres Temparement. Wär das nur im geringsten melancholisch gewesen, würde man mich verzagd gemacht haben. Freuen würde ich mich: wenn ich, da ich alle meiner Wohlthäter in diesen Blättern noch gedenke, auch den oder die nennen könnte, der ich dankbar eingestünde: dir verdanke ichs, daß ich das wurde, was ich war! So aber keinen, keinen, was man auch in die Welt gedruckte und ungedrukte Lügen von mir hineingeschikt hat. Copirt habe ich auch keinen, mißte den einige Mal aus Spas geschehen seyn, um mich über die gar zu viel und unfehlerhaft Glaubende lustig zu machen. Den was kommt bey Copien herraus? – Nur wenige weis ich, denen es ganz geglickt – kennte sie nennen, wenn ich wolte. Doch sie geheren nicht in meine Geschichte – manche, aus denen viel ge[200]
macht wird, haben einen treflichen Schauspieler sowohl im traurigen wie lustigen und lau[n]ischen Rollen copirt. – Aber wie? Wie man die Copie in einer tragischen Rolle sieht, so sieht man ihn in allen, und so gehts mit den comischen und launischen. Nur haben die Copien vergeßen: den großen Mann in seiner Mannigfaltigkeit zu justieren, daß er, sooft ihm der Zuschauer in einer neuen Rolle sieht, auch immer wieder neu ist. – Aber wie viele Zuschauer sind den wohl, die das verstehen zu beurtheilen? Grösser wär unsere Kunst? – nein, ich sage, sie fällt! fällt und fällt immer mehr. Vor Weberzunft errichteten Ballenhaus in der Steinenvorstadt, das sich ab 1695 zur permanenten Spielstätte entwickelt hatte; Greyerz, Basel, S. 116. 381 Eine Aufführung von Der Cid oder Roderich und Chimene, eine Übersetzung des Trauerspiels Le Cid von Pierre Corneille, ist bei Eichhorn, Ackermann, für Basel nicht verzeichnet.
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lauter Natur weis kein Zuschauer, der nicht recht nah am Theater sitzt, was sie haben gesagt oder sagen wollen. – Und besonders da, wo nicht der Gebrauch ist, das Stücke dürfen wiederholt werden. – Doch ich komme von meiner Geschichte ganz ab. Werde, was diesen Punkt betrift, noch oft genug Gelegenheit haben. Also weiter. Nun bekam ich immer mehr und mehr Rollen, fleißig war ich und gab mir auch mit der kleinsten von wenigen Worten so viele Mihe, als sich die, die die größten spielten, nicht geben konnten. Gleich nach der Meße in Basel382 reißten wir nach Bern. Auch da spielte und tanzte ich mit Beyfall383. Merkwürdiges viel mir nicht vor. Cabalen, Lästerungen, Neid und Boßheit ist bey dem Theater unvermeidlich, auch der Rechtschafenste soll es nicht seyn. Ich bekümmerste mich um weiter nichts als meine Arbeit und lies jeden seine Narrheit, wie sie ihn am besten anstand. Wir blieben in Bern bis in die Faste 1759, reisten fort und fingen nach [201]
Ostern in Solothurn384 an. In Bern war zu uns gekommen Herr und Madame Doebelin und Madame Hensel385. Von da reisten wir nach Arau, den wieder nach Baaden und von Baden nach Zurzach386. Wie wir uns, und unser Herr Wirth, sich freuten, einander zu sehen! Er hatte für uns zwey Kammern aufgehoben, auch speißten wir nun alle Mittag und Abend an der Tafel mit ihm – der Mann tractirte387 treflich, sontags, wen die erste Comödie vorbey war, brachte er uns selbst gebratene Hüner oder andern guten Braten, Brod und guten alten Wein aufs Theater. „Haben viel zu arbeiten, und das giebt Kräfte“. Kurz, der Mann that an uns, was kein Bruder in unsern jezigen Zeiten mehr an den andern thut. Wie wir wegreißten, war seine Rechnung zwar wieder alle Woche 9 Gulden, aber wir schitteten wieder alle unser bisgen Geld auf den Tisch, er nahm etliche GuldenXCI ungezehlt davon und lies uns reisen. – Das weis Gott! daß ich oft gewünscht hatte, nachher, wie mich Gott in beßere Umstände versezt hatte,
382 Basel erhielt 1471 von Kaiser Friedrich III. das Privileg, jährlich 14 Tage vor Pfingsten und im Herbst Messen abzuhalten. Während die Frühjahrsmesse nur kurzlebig war, hat sich die Herbstmesse, die bis ins 19. Jahrhundert am Sabinentag (27. Oktober) begann und am Tag vor Martini (11. November) endete, bis heute erhalten. 383 Ackermann gastierte in Bern vom 16. November 1758 bis 1. April 1759, gespielt wurde im Ballhaus; Eichhorn, Ackermann, S. 50 f., 221, 231. 384 Ackermann spielte vom 4. April bis zum 12. Juni 1759 in Solothurn; Eichhorn, Ackermann, S. 51 f., 221, 231. 385 Friederike Sophie Hensel (1737/38–1789), Schauspielerin, s. o. HHS, S. [103]. 386 Aufenthalt in Aarau vom 21. Juni bis 2. Juli, in Baden vom 5. Juli bis 21. August, in Zurzach vom 24. August bis 3. September 1759; Eichhorn, Ackermann, S. 52 f., 221, 231. 387 Traktieren: Bewirten.
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den Mann oder seinen Kindern Gutes zu thun. – Den für uns war’s so eine Wohlthat, die nicht größer hätte seyn kennen, bey 9 Gulden die Woche und immer auf Reisen. Als wir nach Zurzach kamen, liesen wir Madame Doebelin und Madame Curioni388 in Baaden zurük, beyde starben auch in Zeit von 14 Tagen. Und ohnmöglich kann ich mit Stillschweigen eine edele Handlung von Herrn und Madame Ackermann übergehen. Ohngeachtet alle zwoo Frauen, seid wir in Bern waren, die eine nicht mehr gespielt und die andere nicht mehr getanzt, so haben sie doch immer ihre volle Gagen bekommen. – Zeige man mir jezt die Directeurs? 6 Wochen, und wenn sichs da nicht beßert, mißen die Schauspieler [202]
von ihren Gehalt ihren leidenden Cameraten erhalten, der Directeur lies ihn umkommen, und damit man nicht denkt, daß ich eine Unwahrheit schreibe, und man auch keinen gutherzigen Direckteur Unrecht thut: Herr Großmann389 ist der Directeur und Herr Schiemann390 der kranke Schauspieler. Von Zurzach reisten wir nach Lucern391, Ort und Lage ist gut, aber erbärmliche Wirthshauser waren damals dort. Wir lebten fast alle von Brod, Castangen392, Obst und Caffee, den die Kost war nicht zum Geniesen. Wir hatten besonders das Unglük, in ein Haus zu kommen, wo die ganze Wirthschaft wohl die einzige in ihrer Arth war. Buchholz hies der geblagte Mann, war seiner Profeßion ein Bosementirer393, zween Gesellen und eine Magd nebst 5 kleinen unerzogenen Kindern war die Haushaltung. Seine Frau, die schwanger war, war nach
388 Maria Curioni geb. Grassinger starb am 6. September 1759; Eichhorn, Ackermann, S. 298 Anm. 394 (Auszug aus dem Kirchenbuch der katholischen Stadtkirche Baden). Maximiliane Christiane Doebbelin starb im Gasthof „Hecht“ am 14. September 1759; Eichhorn, Ackermann, S. 298 Anm. 393 (Auszug aus dem Kirchenbuch der Reformierten Kirche Baden). 389 Gustav Friedrich Wilhelm Großmann (1743–1796), Schauspieler und Prinzipal. 390 Joseph Schiemann (1745–1784), Schauspieler und Bühnendichter, Mitglied des Großmannschen Theaters von 1782 bis 1784. Allem nach behandelte Großmann häufiger seine Bühnenmitglieder in unerfreulicher Weise. Über ihre Zeit bei Großmann berichtet Karoline Kummerfeld ausführlich in der WHS, S. [308r/621]–[323r/651]. Lit.: Doris Maurer/Arnold E. Maurer (Hg.), Dokumente zur Bonner Theatergeschichte 1778–1784. Hoftheater unter Gustav Friedrich Wilhelm Großmann und Karoline Großmann, Bonn 1990 (Veröff. des Stadtarchivs Bonn 47), S. 269; Michael Rüppel, Gustav Friedrich Wilhelm Großmann 1743–1796. Eine Epoche deutscher Theater- und Kulturgeschichte, Hannover 2010. 391 In Luzern blieb die Ackermannsche Gesellschaft vom 24. September bis zum 30. Oktober 1759, gespielt wurde in der „Badenhütte im Untergrund“; Eichhorn, Ackermann, S. 53, 221, 232. 392 (Ess-)Kastanien. 393 N. Buchholz (nicht ermittelt) war Posamentierer: Bortenmacher.
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Marie Einsidel walfarten gegangen394, und die Meße war in Lucern. – Beten ist recht, doch glaube ich, daß sie ebensowohl vor oder nach der Meße, aber nicht in der Messe, wo die Leute die meiste Nahrung haben, hätte kennen walfarten gehn. – Doch war die Wirthschaft toll, wie sie weg war, so ward solche bey ihrer Anwesenheit noch toller. Nur ein Stükgen davon will ich erzehlen. Als die Meße ganz vorbey war, schlachteten sie zwey Schweine. Der Schlächter hatte selbst alles Geräthe, was man dazu brauchte, mitgebracht und wusch Tische und Bänke selbst. Als die Würste fertig waren, standen solche in einer Molde in der Stube, die 5 Kinder machen sich über solche her, drüken das Fleisch aus den Würsten, banden die Därme an Steckgens und machten sich Peitschen davon, wo sie sich herrumjagden, meine Mutter sah den Spektakel und [203]
rufte die Wirthin – „Ach, die gottlosen Kinder! Hat man nicht seine Noth!“ – band die Därme los und füllte wieder das Fleisch hinein – ja, war selbst Schwein genug, uns von denselben Würsten den Mittag zu schicken – das Teller und Würste von mir die Treppe hinuntergeworfen worden, kann man leicht denken. – Und dergleichen Stükgens geschahen täglich. Wer speißte sich den nicht gern in Obst und Brod und gekochten und gebratenen Castägen satt? Endlich reißten wir von da weg und wieder nach Bern395. Mir gefiehls nun beßer da, und natirlich, ich bekam mehr Bekandschaft. Besonders war ich in einen Cirkel von jungen Demoisels gekommen. Schon um 1 Uhr des Sontags nachmittags fing man sich an zu versammeln, eine holt den die andere ab in das Haus, wo nun die Jungfer von ihren Eltern die Erlaubniß hat, ihre junge Freundinnen zu bewirthen. Man stelle sich das Verg[n]ügen vor! 20 und oft mehr junge Geschöpfe versamlet zu sehen, wo keine von uns nach 18 Jahre zehlte396. Thee, Caffee, Obst, Confect, Backwerck wird gereicht – kein Wein. Alle mögliche Spiele, Carten, Würffel, Damenbrett397 etc. etc., man darf nur wählen – aber alles ohne Geld wird gespielt. Man wechselt nun ab, erzehlt: Geschichten, Fabeln, giebt Räthsel auf, man tanzt, man spielt um Pfänder, und so lacht und scherzt man fort bis 8 Uhr, wo den die Dienstmädchen mit der Laterne in der Hand ihre Jungfern nach Hause bringen. Weder Vater noch Mutter sieht man. Und wenn so eine Jungfer (den das ist der einige 394 Marienwallfahrten zum Benediktinerkloster Einsiedeln in der Schweiz sind seit dem 14. Jahrhundert nachgewiesen. Sie erlebten im 18. Jahrhundert einen neuen Höhepunkt; Albert Hug, Einsiedeln (Benediktinerabtei), in: HLS. 395 Gespielt wurde in Bern vom 12. November bis zum 15. Dezember 1759; Eichhorn, Ackermann, S. 53, 221, 232. 396 Keine war älter als 18 Jahre. 397 Damespiel, das in Deutschland auf einem gewöhnlichen Schachbrett (Damebrett) von 64 Feldern gespielt wird.
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Titel) einen Bruder von 5 Jahren hat, so dürfte ers nicht wagen, zu seiner Schwester ins Zimmer zu tretten. Ich war Zeuge, wie ein Knabe von 7 Jahren ganz entsezlich durchgeschlagen wurde, der es gewagt hatte, zum 3ten Mal aus Kinde-XCII [204]
rey zu uns von den Gang durchs Fenster in die Stube zu sehen. Solange ein Mädchen noch nicht 20 Jahre zehlt (sie müßte den vor ihren 20-Seyn verehligt worden), kommt keine in Gesellschaft unter verheyrateten Leuten. Am Tisch speisen sie mit, aber da wird auch kein Wort gesprochen, worüber ein junges Mädchen erröthen müßte. – Und meine Leser glauben mir, man ist doch fröhlig? – Wolte doch Gott, das es in Bern noch so ist. So wär doch ein Land, wo noch allgemein gute Sitte ist. Ein Kind von 7 Jahren bat mich und noch 10 aus dem Cirkel dazu. – Wahrlich! Wie uns das Kind aufgenommen, mit welchen Anstand sie uns dankte, wen wir ihr im Herrumreichen behilflich waren. Manche konnte in unsern Zeitalter von der was gelernt haben. – Von Artigkeit. – Was sind jezt Kinder? Mademoisels und Mesjeus398 – und wen sie Mädchen und Jünglinge seyn sollen, sind sie Männer und Frauen – und statt Männer und Frauen Greise und Matronen. – Nein, sich so zu freuen, als man sonst konte: kann man gar nicht mehr. – Freylich sind jezt alle Kinder klüger als sonst. – Wehe der Klugheit! Nehmt den Mädchen ihre Unschuld – was bleibt noch? – Man verstehe mich recht, verstehe nicht unter der Unschuld, das man sie zur H.399 mache. Nein, Unschuld im Denken, Betragen und Handeln. Vor 30XCIII Jahren haben sich die Männer nicht so fürs Heyrathen gefürchtet wie jetzt. – Und wär kanns den Männern verdencken? Wer ist schuld? Unsere jezige Mode und Sitten. – Doch ich werde unsere tolle Welt nicht bekehren – wär eine sehr verlohrne Arbeit, kennens Gelehrte nicht, was wolte ich! Dieses Mal in Bern hatte ich auch das Glück, Wieland400 kennenzulernenXCIV. [205]
Im Advent reißten wir nach Straßburg401. Wem hätte es da nicht gefallen sollen? Straßburger Publikum konnte Schauspieler bilden. Noch war ich an keinen Ort wie da, wo man unterscheiden konnte: wem der Beyfall und das Mißfallen gild? Ob den Autor, dem Directeur oder Schauspieler? Mode wars damals nicht, bey den Personen auf den 398 Mademoiselles und Messieurs. 399 Hure. 400 Der Dichter und Schriftsteller Christoph Martin Wieland (1733–1813) hielt sich von 1752 bis 1760 in der Schweiz auf, u. a. als Hauslehrer in Bern. 401 Gespielt wurde dort vom 26. Dezember 1759 bis 29. März 1760; Eichhorn, Ackermann, S. 53 f., 221, 232.
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Zettel den Schauspielern ihre Namen zu setzen. Wenn also ein neues Stick war, wo sie den Inhalt wusten, so theilten sie in ihren Gedanken solches aus. Drafs nun, das es so besezt war, wie sie wünschten, so wurde bey dem ersten Auftritt, sowie der Schauspieler herrauskam: mitXCV Händeklatschen bewillkommt. Geschah nun aber bey der Austheilung das Jegentheil: so ließen sie’s zwar den Schauspieler insoweit nicht entgelten, weil der spielen muß, was man ihm giebt, aber der Directer mußte es fühlen. Kurz, jungen aufkeimenten Genies wusten sie Muth zu geben, ohne das er stolz werden konnten, den sie klats[ch]ten gewiß nie, wen ers nicht verdiente. – Oder hatte die Direction dem, den sie gerne sahen, die Rolle genommen, die ihm gehört, und sich selbst zugetheilt; ja, so konnte sich die Direction zu Tode arbeiten, man rirte keine Hand, und der Kleinste, wen er seine Sachen zum Vorschein brachte, wie er solte, gut memorirt, nichts in Anzug und Spiel vernachläßiget, so bekam der den lautesten Beyfall. Stand dan im Nachspiel die Direction an ihrer Stelle und hatten nur wenig zu sagen, so wurde ihnen durch lauten Beyfall gesagt: hier steht Ihr auf euren Fleck, aber im ersten Stick nicht. [206]
Partheylichkeit herrschte da nicht, der Schauspieler wie die Schauspielerin mochte jung oder alt, schön oder häßlich seyn, wen sie nur die Rollen, die ihnen zutheil geworden, richtig spielten, so bekam jeder gleichen Beyfall. – Da hies es nicht: der oder die soll nicht gefallen. – Auch darf man nicht denken, daß das Publikum etwa nicht verstanden hat, Theater richtig zu beurtheilen. Ein Publikum, das jahraus, jahrein Schauspiele hat, ist und bleibt nicht dumm. Das französische Theater, das Straßburg402 seit so lan-
402 Nach der Kapitulation und dem Übergang der Stadt Straßburg an Frankreich im Jahr 1681 wurde Straßburg zur Garnisonsstadt und erhielt ein Theater, das unter der Kontrolle des Gouverneurs bzw. Militärkommandanten stand und hauptsächlich von der französischsprachigen Militärbevölkerung besucht wurde. Die französischen Schauspieler spielten zunächst meist auf der Zunftstube der Maurer, ab 1700 bis 1800 in der zum Theater umgebauten „Haberscheune“ auf dem Rossmarkt. Neben dem französischen etablierte sich auch ein deutsches Theater, für das die Tucherzunft 1733 auf ihrem Grundstück in der Tucherstubgasse ein Gebäude errichtet hatte. 1736 hatte Friederike Caroline Neuber die Erlaubnis erhalten, für zwei Monate dort zu spielen. 1748 pachteten drei französische Schauspieler das Theater in der Tucherstubgasse, um dort gegen Entrichtung einer Gebühr (ein Viertel der Bruttoeinnahmen) regelmäßig ausländische Truppen spielen zu lassen. Als Theaterunternehmer waren sie von der Militärverwaltung unabhängig. 1749 schlossen sie einen Vertrag mit dem Prinzipal Franz Anton Nüth, der ihm erlaubte, regelmäßig deutsche Stücke zu spielen. In einem Vertrag von 1751 wurden die Spannungen zwischen dem der Militärverwaltung unterstehenden französischen Theater und dem Magistrat weitgehend beigelegt und das französische Theater stabilisiert. Es hatte feste Einnahmen durch die Abonnements der Mitglieder des Regiments und feste Spieltage. Lit.: Jean-Marie Valentin, Le théâtre à Strasbourg de Brant à Voltaire (1512–1781): Pour une histoire culturelle de l’Alsace, Paris 2015 (Germanistique 15), S. 441–457. Otto Winckelmann, Zur Geschichte des deutschen Theaters in
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gen Jahren unterhält, hatte gewiß sehr verdienstvolle Mitglieder. Sie ließen uns neben denen Franzosen und jene neben uns gleich Gerechtigkeit zukommen. Glücklich der Schauspieler, der vor so einen Publikum zu arbeiten die Ehre hat. Das treibt ihn an, in seiner Kunst mit Eifer fortzuschreiten – dan kann und muß er vorwertskommen. Aber ein Publikum, das hemisch, parteyisch und im Grund den gewiß dumm ist, macht den besten Künstler in seinen Tallent fallen, statt ihn zu beßern. Bis in die Faste 1760 blieben wir da; und reisten wieder fort nach Basel403, blieben dort bis in Juni und kamen nach Collmar404. – Hier wollte es Herrn Ackermann nicht glüken. Wir reisten nach Sulzbach, weil dort der Gesundheitsbrunnen405 viele Fremde hinzieht. Herr Ackermann hatte ohngefehr eine Stunde von Sulzbach ein Bauernhaus gemithet, und da wohnte der größte Theil von der Gesellschaft bey ihm. Madame Ackermann kochte für alle, die bey ihr im Haus waren, und wir lebten so recht zusammen a la Campagne406. Herr Ackermann hatte einen [207]
großen Boden407 gemithet, wo das Theater aufgeschlagen wurde. Erst gingen die Comödien zur gewöhnlichen Zeit des Abens an, das dauerte denen Brunnengästen zu späth in die Nacht, die Stunden zum Spielen wurden versezt – und das sehr oft! Bald war Comödie gleich nach Tische – ja, da wars ihnen auf den Boden zu heiß, sie wurde also des Morgens gegen 8 gegeben, das werte auch zu lange wegen des Ankleiden und Eßens, nun gleich nachmittags vier Uhr – ja, da wolte man lieber spazieren gehen. – Sogar haben wir einmal nach den Abendeßen mißen Comödie geben, kurz, wie es ihren Grillen408 behagte, so haben wir fast in jeder Stunde Tag und Nacht ihnen mißen zu Gebote stehn – und was kam herreiß409: nicht die wöchendlichen Unkosten. Die Spieltische waren dajegen beßer besezt, und mancher reißte ärmer wie wir aus dem Brunnen.
Strassburg unter französischer Herrschaft, in: Jahrbuch für Geschichte, Sprache und Litteratur ElsassLothringens, hg. von dem historisch-litterarischen Zweigverein des Vogesen-Clubs, XIV. Jg. Straßburg 1898, S. 192–237; Vogler, Straßburg, S. 1863 f. 403 Gespielt wurde in Basel vom 9. April bis 13. Juni 1760; Eichhorn, Ackermann, S. 54, 221, 232. 404 Aufenthalt vom 18. Juni bis 31. Juli 1760. Gespielt wurde im Zunfthaus der Kaufleute und Schneider; Eichhorn, Ackermann, S. 54, 221, 232. 405 In Sulzbach im Elsaß (heute Soultzbach-les Bains, Dép. Haut-Rhin) war 1603 eine Thermalquelle entdeckt worden. Der Kur- und Badebetrieb ist heute eingestellt. Ackermann spielte dort vom 5. August bis 17. August 1760; Eichhorn, Ackermann, S. 54, 221, 233. 406 Auf dem Lande. 407 Gespielt wurde auf einem Scheunenboden; Eichhorn, Ackermann, S. 221. 408 Grille: Eigenwilliger Gedanke, Schrulle, Marotte. 409 Heraus.
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Was man gewiß nicht hätte, wenn man Herr Ackermann sein Schauspiel dafür besucht hätte. Wir gingen also wieder zurick nach Collmar410, aber das Schauspielhaus war leer und blieb leer. Die Einwohner sind mehr für französische Schauspiele. Doch zweifle ich, ob sie solche hätten erhalten kennen, da Herr Ackermann kaum das tägliche Stickgen Brod hatte eingenommen und zum menschlichen Leben auch Kleider und Schue geheren. Und, wie bewust, die französischen Schauspieler mehr kosteten wie damals die deutschen. Mit sehnlichen Verlangen wünschte Herr Ackermann, das nur Michaeli411 herrannahen solte, um die Meße in Basel412 zu halten. Der September kam, und wir reißten hin, und da gings schon beßer, [208]
aber die Freude war von kurzer Dauer, ein Bürger, er war seiner Profession nach ein Schuster, in Basel wurde zu Rath gewählt, und den soll – oder hat sich von Herrn Ackermann durch was, mag der Himmel wißen, vielleicht durch ein paar Schuhe, die Ackermann gethatelt, beleidiget gefunden413, und der rächte sich dadurch, das Herr Ackermann den lezten Meßtag mußte aufhören zu spielen mit allen Pubben414- und Taschenspielern und Zahnärtzten etc. etc. – das war ein Donnerschlag, keiner von uns dachte es, da wir den Abend aufs Theater kamen: das wir heute solten zulezt spielen. – Den nach der Meße besuchen erst recht die Stadteinwohner das Schauspielhaus. – Wir packten also ein und reißten wieder fort nach Collmar. Hoften, daß es die Einwohner Collmars nun in den kurzen und unangenehmen Herbsttagen einbringen solten, was sie an uns im Sommer versäumt hatten. Aber nichts weniger. Es blieb bey dem Alten. Herr Ackermann war nicht mit uns gereißt, sondern sorgte für sich und uns auf ein beßeres Winterquartir. Wir mochten ohngefehr 3 Wochen415 so in Collmar weggeleyert haben, sind alle auf dem Theater, die Lichte waren bereits angestekt, und unsere Comödie solte anfangen, als Herr Ackermann zu uns in die Garderobe tritt – „Nun, wie geht’s?“ – „Schlecht genug“. „Sind wieder keine Leute da?“ – „Sehr wenig – nicht die Unkosten“. Herr Ackermann läßt den Vorhang aufziehen und stellt denen, die noch
410 411 412 413
Aufenthalt vom 19. August bis 8. Oktober 1760; Eichhorn, Ackermann, S. 54 f., 221, 233. Michaelis: 29. September. Aufenthalt vom 16. Oktober bis 14. November 1760; Eichhorn, Ackermann, S. 55, 221, 233. Die Verlängerung der Spielerlaubnis wurde am 12. November 1760 ohne Angaben von Gründen im Kleinen Rat abgelehnt; Staatsarchiv Basel-Stadt, Protokolle: Kleiner Rat 133, 1760, fol. 431v; Eichhorn, Ackermann, S. 55. 414 Puppen. 415 Der dritte Aufenthalt in Colmar dauerte nur 4 Tage, vom 21. bis 25. November 1760; Eichhorn, Ackermann, S. 55 f., 221, 233.
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da waren, in einer zimlich bescheidenen Rede vor: daß er nicht in Collmar bestehen kenne. Dankte ihnen für das, was einige gethan, die uns besucht haben; ersuchte, [209]
das jeder sich an der Caße sein Geld wieder nehmen solte, indem es ihm und seiner Gesellschaft nicht die Zeit noch Umstände erlaubten, heute Abend zu spielen. Wünsch[t]e ihnen insgesamt wohl zu leben und machte seinen Diener. – Wir zogen uns wieder aus, eilten nach Hause, packten die ganze Nacht und saßen des Morgens 6 Uhr alle in Kutschen und fuhren nach Straßburg. Da ich nachher nie wieder in die Schweiz noch nach Colmar gekommen, so muß ich gestehen, das ich überall Freunde und Menschen gefunden, die mir Freude gemacht. – Die mich wohlthätig aufgenommen; ohne Absicht, ohne Intreße. Danke euch noch allen dafür. Herrn Wieland in Bern, Madame Winkelblech416 in Basel, Herrn de Scheppeler417 in Collmar. Ein edler Mann! ein Mann wie wenige seinesgleichen. Deßen wahres gutes Herz mir noch lange Jahre Beweise gegeben seiner edlen Freygebigkeit. – Wenn der gute Gott auch nicht so zuweilen für mich gesorgt hätte, wie hätte man bey dem vielen Reisen, bey der geringen Gage (den nun hatten wir erst alle drey 11 Gulden die Woche, und die fiel und konnte nicht richtig fallen) bestehen kennen? Und doch waren wir weder in Vorschuß noch hatten wir Schulden. Mein Bruder, um sich zuweilen einen Rok anzuschaffen oder wenden laßen zu kennen, gab Lection im Tanzen. Meine gute Mutter war des Morgens mit denn Hüner aufgestanden und nähte und flickte und stopfte für uns. Sie wusch alle unsere Wäsche. Oft stand sie in den kältesten Winternächten noch um 11 Uhr an den Brunnen und spielte418 die [210]
Wäsche aus, das ihr die Hände an die eiserne Pummppe froren. Am Tage schämte sie sich, es zu thun, den würde es nicht geheisen haben: die Frau macht uns Schande? – Solche falsche Begriffe von Ehre waren von jeher. – Hätte ich Böses thun wollen, hätten wir gewiß beßer leben kennen, aber wie lange würde es gedauert haben? Ja, würde ich mich nicht schämen müßen, jeden Ort zu nennen, wo ich war? So aber, wenn es mein Schiksal fügen solte, noch an alle die Örter zu kommen, wo ich in meiner Jugend war und meine Freunde und Bekandte lebten, ich weiß, mit Freude würde man mich aufnehmen, sobald ich sagte, wer ich bin. Mithin, wen ich nun an Örter war, wo ich
416 Winkelblech ist eine bekannte Basler Familie, Mitglieder der Familie saßen auch im Rat. 417 Nicht ermittelt. 418 Spülte.
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beschenkt wurde, wars bey uns zum Sprichwort geworden: So sorgt Gott für die Seinen. Oder: Nun fand wieder ein blindes Huhn ein Körngen. Gott dank für. Herr Ackermann fand dieses Mal in Straßburg419 nicht den Vortheil, den er das erste Mal hatte, wie ich mit ihm da war. Jeder Ort, wie bekantlich, hat in der Woche seine guten Tage. Da wir nun an denen Tagen das Jahr vorher spielten, wenn auch die französischen Schauspieler gespielt hatten, so fanden solche einen merklichen Unterschied an ihrer Einnahme. Sie hatten nur ihre Abonenten, und alles, was baar an der Caße zahlte, kam zu uns. Nun mußten wir (nur den einzigen Sontag ausgenommen) an denen Tagen spielen, wenn die Franzosen nicht spielten, und das waren die schlechten Tage in der Woche. Der [211]
Sontag allein konnte es nicht gutmachen, doch erholte sich Herr Ackermann in etwas nach dem sehr für ihn unglüklich ausgefallenen Sommer. Der französische Directeur Monsieur Le Neuff420 gab sich viele Mihe, mich mit meinen Bruder Ackermann abspenstig zu machen. Wir solten erst in seinen Balletten tanzen, wolte mir gute Sprachlehrer halten, daß ich den auch als Actrice in denen französischen Schauspielen solte mitarbeiten. Den mich gönte sie Ackermann nicht. Und so gerechte Ursachen wir auch zu Klagen hatten – ja, so sehr wir mißhandelt worden, blieben wir doch. Überhaupt verstand es Madame Ackermann, die redlichsten Menschen auf das härteste zu begegnen. Der Teufel der Eifersucht hatte sie ganz beseßen. Nie würde ich diese ihre mehr als
419 Aufenthalt vom 28. November 1760 bis 12. März 1761; Eichhorn, Ackermann, S. 55 f., 221, 233. – Über den Aufenthalt der Ackermannschen Truppe in Straßburg, das Repertoire und die Schauspieler berichtet ausführlich die von dem Straßburger Verleger Georg Rhodius Stockdorph herausgegebene Wochenschrift „Der Sammler“, deren Erscheinen bereits Ende 1761 eingestellt wurde. In der bei Valentin, Théâtre, abgedruckten „Beurteilung der Ackermannischen Gesellschaft. Schreiben des Übersetzers der Dione vom 28. März 1761“ findet sich auch eine umfassende Beschreibung von Karoline Schulze (S. 470): „Jungfer Schulzinn, ein Frauenzimmer von schöner Gesichtsbildung und mittelmäßiger Größe. Sie spielt eben dieselben Rollen, welche die Frau Hänselinn spielt, mit ungemeiner Geschicklichkeit, sie stellt die Person der Philaide im Codrus, der Cenie u.d.g. vollkommen vor, wie auch das unschuldige Christianchen in der Bettschwester, gleichwie sie in den Lustspielen als Kammerkätzgen besonders den Zuschauer sehr vergnügt; ich würde keine Bedenken tragen, sie der Frau Hänselinn gleich zu achten, wenn ihr das angenehme schmachtende in ihren Gesichtszügen nicht fehlte, welches, wie ich schon erwehnt habe, jener die so vortreffliche Eigenschaft einer Actrice verschafft, eben so viel durch Minen vorher zu sagen, als sie hernach durch Worte bekräftigen will. Übrigens ist die Jungfer Schulzinn auch eine gute Tänzerinn, und die erste bey der Gesellschaft.“ 420 N. Villeneuve war von 1756 bis 1782 Direktor des französischen Theaters in Straßburg. Lit.: Johann Franz Lobstein, Beiträge zur Geschichte der Musik im Elsaß und besonders in Strassburg von der ältesten bis auf die neueste Zeit, Straßburg 1840, S. 133; Valentin, Théâtre, S. 493–501.
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schwache Seite erwehnt haben, wenn sie es mich nicht so grausam hatte fühlen laßen. Ackermann durfte nur einen freundlich „Guten Morgen“ oder „Guten Abend“ sagen, und sie sahs, gleich war man seine Hu--421, hatte man neue Bandschleiffen, so mußte solche ihr Mann hergegeben haben. – Nun fehlte es ihr nicht an Ohrenbläser, die ihr Dinge aufbindeten ihres Nuzens wegen und sie im Herzen auslachten; sich freuten, wen Madamigen sich waker geergert und die ganze Geselschaft aneinandergehezt. Ackermann sah unsere Arbeit. Wußte, das er uns nicht bezalte, wie wirs doch verdient hatten. Hatte ihm nun mein Bruder ein neu Ballet geliefert, das gefiel und ihm eine gute Einnahme brachte, den vier waren bereits von ihm gemacht [212]
worden, so schenkte er ihm zuweilen einige Paar seidene Strümpfe, die er selbst nicht mehr trug, und uns zuweilen ein Gulden, auch wohl 2. Das wars alle. Er mochte es ihr auch wohl selbst gesagt haben, und sie hatte die teufelsche Maxime: Umsonst schenkt man nichts weg. – Aber nicht in dem Verstande der Arbeit, nein, um ihres Manns Kanallie zu seyn. – Nie werde ich den 31. December 1760 vergeßen, als Madame Ackermann mich zu sich rufen lies und mir einen Brief wies, wo die Unterschrift weggerißen war, und mir vorlies, das ich von ihren Mann schwanger seyn sollte. Ich war außer mir, ich warf mich zu ihren Füßen, bat sie um Gott und Gottes willen, sol mir den Schurken nennen, der das geschrieben? und an wem der Brief sey, den an ihr selbst war er nicht. Sie sagte, sie hatte solchen aufgefangen und den Nahmen im Aufmachen weggerißen – und doch war der Brief so geschrieben, das man sah, das ein Couvert darum geschlagen war422. Da ich nun sah, das nichts sie bewegen konnte, mir den Verfaßer des Briefs zu nennen, sagte ich ihr: „Madame, meine Absicht war, morgen zum heiligen Abendmal zu gehen. Troz dieses Vorfals werde ich gehen, den ich bin unschuldig. Madame, hat Ihr Mann, solange ich bey Ihrer Gesellschaft bin, nur einen Kuß von mir bekommen – das ist wenig, aber auch diesen nicht, so nehme ich morgen meine ewige Verdammniß. – Aber wehe! [213]
wehe Ihnen und Ihren Kindern. Das, waß Sie mich beschuldigen, wird man auch Ihren Kindern einst zur Last legen, und dan werden Sie’s fühlen, was es heist: unschuldig leiden. Wißen Sie, Madame, das der französische Directeur mich und meinen Bruder 421 Hure. 422 Eichhorn, Ackermann, S. 135 benennt als Urheberin der Gerüchte und des anonymen Schreibens die Souffleuse Klara Hoffmann, wobei Eichhorn sich auf Benezés Kummerfeld-Edition bezieht. Tatsächlich nennt Karoline Kummerfeld aber keinen Namen eines Verleumders.
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hier behalten wollte. – Halb und halb waren wirs entschlossen wegen Ihren Betragen gegen uns. Aber nein, nun bleibe ich. Vielleicht wären Sie gottlos genug zu sagen: das ich dablieb, um Wochenbett zu halten. Gott wird mich laßen gesund bleiben, werde täglich arbeiten wie bisher, und dan werden Sie Ihr Unrecht entlich einsehen lernen“. Ich wolte fort, sie hielte mich bey der Hand und frug: „Comuniciren423 Sie morgen noch?“ – „Ja! in der Pfarkirche, wo ich wohne nahebey. Wen Sies nicht glauben, so schiken Sie jemand hin, der es sieht“. – Nun ambrasirte424 sie mich und gab mir ihr Wort, das, wenn ich das Abendmal darauf, was ich gesagt habe, empfangen würde, sie keinen Verdacht mehr auf mich werfen wolte. – Was ich dachte – kann jeder denken. Ich ging zum Abendmahl am Neujahrstag 1761. Bat Gott um Geduld in meinen Leiden und Verfolgungen, die ich litt. – Ob ich nicht damals eine Prophetin war? – Madame Ackermann hatts erlebt, das man ihren Töchtern425, wie sie herranwuchsen, ebenso mitgespielt, die mußten öfterer wie einmal in Verläumdern ihren Mäulern schwanger seyn426. Madame Ackermann ihre Eifersucht hatte mir gegen alle Eifersucht so einen Abscheu gemacht, daß ich [214]
auch nicht den geringsten Keim zur Eifersucht bekommen. Beßer zurük wird mans sehen. So ist alles Böse doch zu etwas gut. Vor der Eifersucht mit ihren Mann auf mich hatte ich nun Ruhe. – Aber in Ansehung des Theaters? Ja, da war noch nicht daran zu denken. – Kurz, ich solte recht zu Geduld gewöhnt werden, wo ich den nachher in reifern Jahren so viele Proben abgelegt. Inzwischen, diese ihre schwache Seite abgerechnet, war sie eine rechtschaffene Frau, häuslich, außerordendlich geschickt in allen Arbeiten, unermiedet in ihren Fleis. Eine richtige Bezahlerin. Milde gegen Arme und Kranke. Kurz, daß sich das Ackermannische Theater so lange erhalten, war sie und ihre gute Wirthschaft schuld. Ackermann konnte nicht sparen; und bey einer andern Frau
423 Kommunizieren: Zur Kommunion gehen, die Kommunion empfangen (kath.). 424 Embrassieren: Umarmen. 425 Die Schauspielerinnen Dorothea Ackermann (1752–1821) und Charlotte Ackermann (1757–1775). 426 Eichhorn, Ackermann berichtet über solche Gerüchte nichts. Bekannt ist dagegen der öffentlich gemachte Skandal um Dorothea Ackermanns Ablehnung des Heiratsantrags von Johann Arnold Heise. Darauf spielt Karoline Kummerfeld auch in der WHS, S. [241v/486] an. Lit.: Jacqueline Malchow, Schauspielerinnen im 18. Jahrhundert – Zwischen Kunst und Käuflichkeit, in: Alina Bothe/Dominik Schuh (Hg.), Geschlecht in der Geschichte: Integriert oder separiert? Gender als historische Forschungskategorie, Bielefeld 2014 (Mainzer Historische Kulturwissenschaften 20), S. 151–173; Ruth B. Emde, Schauspielerinnen im Europa des 18. Jahrhunderts. Ihr Leben, ihre Schriften, ihr Publikum, Amsterdam/Atlanta, GA 1997 (Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft 26), S. 312–330.
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wär er längst zugrunde gegangen. Und durch sie lag die Wahrheit klar an den Tag: das, ein Mann mag verschwenden, wie er will, wen die Frau haushälterisch ist, wird er nie ganz verderben. Und ein Mann mag noch so sparsam seyn, noch so viel verdienen, wenn die Frau keine Wirthin ist, muß er zugrunde gehen. In der Faste verließen wir das liebe Straßburg und kamen nach Freyburg in Breisgau427. Der viele Adel, die Bürger aus der Stadt und die jungen Studierenden, alles besuchte unsere Comödie. In so kurzer Zeit habe ich nicht allein, sondern verschiedene von der Gesellschaft so viele und die angesehensten Bekandschaften bekommen. Der [215]
größte Theil der Nobeleße428 bestrebte sich recht, mir Freude zu machen. Da war kein Stolz, daß sie von hoher Geburt und reich waren. Sie wußten: sie blieben, was sie waren; und gaben zu erkennen, daß sie jeden Stand schäzten, wen man sich deßen nicht unwerth machte. Ich konnte mir kein beßers und herrlichers Leben wünschen. Hier freute ich mich meiner Jugend. Alles liebte mich, keinen Tag war ich zu Hause, wenn nicht Theater war. Bey der Gräfin Jüranz429, Gräfin Stadion430, Frau Zweyer431; Josephie432; und verschiedenen andern mehr war ich wie ein Kind vom Hause. Auch bey angesehenen, wohlhabenden Bürgern, unter ander Herr Dominicus Gäß, wo mein Bruder seine Kinder im Tanzen unterichtete, er zeigte uns mit seiner vortreflichen Gattin viele Freundschaft433. Dort hätte ich gewünscht zu leben und zu sterben. Jeder Tag gab mir neues Vergnügen. Gott lohns euch noch, die ihr noch lebt, ach! viele davon seind tod und in der Ewigkeit. Wenn ich nicht solche Menschen – solche wahre Menschen
427 Der Aufenthalt in Freiburg im Breisgau dauerte vom 9. April bis 19. Juli 1761; Eichhorn, Ackermann, S. 65 f., 223, 233. 428 Noblesse: Adel. 429 Nicht ermittelt. 430 Nicht ermittelt. 431 Vermutlich die Ehefrau des damaligen vorderösterreichischen Regierungsrats Joseph Sebastian Freiherr Zweyer von Evenbach; Franz Quarthal/Georg Wieland/Birgit Dürr, Die Behördenorganisation Vorderösterreichs von 1753 bis 1805 und die Beamten in Verwaltung, Justiz und Unterrichtswesen, Bühl 1977 (Veröff. des Alemannischen Instituts Freiburg i. Br. 43), S. 177, 181. 432 Zu den vorgenannten Personen ließ sich im Stadtarchiv Freiburg und im Staatsarchiv Freiburg nichts ermitteln. Herrn Dr. Ulrich Ecker und Frau Annette Riek sei für ihre Bemühungen vielmals gedankt. 433 Franz Dominik Gäß († Juni 1784), Kaufmann, 1756 Zunftmeister der Zunft zum Falkenberg. Gäß und seine Ehefrau Maria Franziska geb. Montfort hatten 17 Kinder, von denen im Juni 1784 noch sieben am Leben waren. Die Familie Gäß galt als „gesang- und klangfreudig“, in ihrem Haus verkehrte Freiburgs vornehme Bürgerschaft und der vorderösterreichische Adel; Balthasar Wilms, Die Zunft zum Falkenberg in Freiburg im Breisgau 1454–1868, Freiburg 1925, bes. S. 294–297. Herrn Dr. Ecker sei für diesen Hinweis bestens gedankt.
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gefunden hätte? was würde ich den von der Last, die auf mir lag, bey meinen harten Stickgen Brod gehabt haben? – Zur Noth mich satt zu eßen, den selbst konnte man sich kein Vergnügen erlauben, das nur halbwege Geld gekostet hätte, ohne Schulden zu machen oderXCVI seine Nebenmenschen zu betrügen. Zu denen Zeiten bezalten die Freunde des Theaters die Schauspieler dadurch, das sie ihnen Agriments434 machten. Nun aber werden sie freylich beßer bezalt, aber weniger geachtet. [216]
Freilich sind die Schauspieler selbst mit schuld; aber doch auch nicht alle. Jezt herrscht unter den Reichen und Vornehmen mehr Stolz und unter den Mittelstand mehr Ar muth und Hoffart. – In denen Jahren wußten die Bemittelten beßer den Gutdenkenden von den Schlechten zu unterscheiden. – Aber das alles ist nun jezt vorbey! Giebt noch welche, aber sie sind sehr dinne gesädt. Eines Vorfals will ich doch gedenken. Mir wurden einige Mal Gedichte, Lieder und Briefe ins Haus geschickt, wo, Gott weis! rasende Liebe gegen mich, aber kein Graan435 gesunder Menschenverstand war. Nachdem ich mich über die Wische herzlich satt gelacht hatte, befahl ich ausdrüklich, man solte nichts wieder an mich annehmen. – Den, Dank seys den Himmel! noch war ich nicht verliebt geworden, konnte wohl einen lieber leiden wie einen andern, aber verliebt war ich nicht. – Und, wolte Gott, ich wärs niemals geworden. So viele Seligkeit die wahre Liebe auch giebt, so macht sie doch immer unglüklich – doch wir alle sollen die Schuld der Natur büßen. Geduld! noch ein paar Jahre weitergerickt, und man wird auch mich heller-lichterloh brennen sehen. Da alle die schriftliche Zudringlichkeiten ohne Unterschrieft waren, gab ich mir auch gar nicht die Mihe nachzuforschen. Doch sagte ich auch niemand was davon, den bey aller meiner Munterkeit war ich nie boßhaft, mich über [217]
jemand lustig zu machen, ders nicht verdient hatte. Nur unter uns dreyen hatten wir unsern Spaß. – Endlich bemerkte ich, das ein großer, hagerer, schwarzer, sehr tiefsinnig aussehender noch junger Mensch mir immer, wen ich ausging, auch in Weg stand, ich mochte in die Kirche gehen oder zur und von der Probe oder nach der Comödie und wieder herraus, die Figur stand da. Nachgerathe fing ich an, mich vor ihm zu fürchten, den die Augen und Blicke und SeufzerXCVII, womit er mich ansah, machte mich schaudern. Ich sagte zu meiner Mutter: „Mama! Wetten wolte ich: das ist der Mensch, der
434 Agréments: Annehmlichkeiten, Gefälligkeiten. 435 Gran: Apothekengewicht, etwa 62,2 mg.
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mir die Briefe und Verse zugeschickt, und weil ich nie geantwortet und nun gar keine mehr annehme, so verfolgt er mich auf die Art. – Der Mensch ist toll oder wird’s, und weiß der Himmel! ich kan doch nichts dafür? Der könnte mir hier alle Freude verbittern und mich wünschen machen fortzureisen.“ „Du bist nicht gescheit“, war meiner Mutter Antwort. An einen Nachmittag bin ich mit meiner Mutter allein, kommt mein Bruder mit eins zu uns ins Zimmer gestürzt – „Nun, daß war ein Auftritt!“ sagte er, „das hol der Teufel! Den Schrek vergeße ich auch so bald nicht“. „Was giebts?“ „Je, da bin ich oben in meinen Zimmer, Herr Berger436, mein Cholair437, kommt und sagt zu mir: ‚Herr Schulze, zum Tanzen ists heute gar zu heiß, da haben Sie Ihr Billet, und wir wollen ein bißgen Docotillie438 spielen. Ich wars zufrieden, und wir sizen da und spielen. Auf einmal tritt ein Mensch ins Zimmer; so im Herreintretten [218]
fällt ihm Carolinens Portrait in die Augen, fällt in der Stube auf die Knie davor nieder, weinte laut und geberte439 sich wie ein Beseßener. Steigt auf einen Stuhl, küßt den Bilde die Hand, murmelte in Bart, das man kein Wort davon verstand, und geht ricklings wie ein Crebs zum Zimmer wieder hinaus, ohne mich und Herrn Berger angesehn zu haben. – Der Mensch muß toll seyn, und Gott weiß es, ich habe vor niemand mehr in der Welt Entsetzen als für närrische Leute“. Ich wuste nicht, solte ich lachen oder weinen, wenn ich aber die Wahrheit sagen soll, so that ich beydes zugleich. Mein Bruder wurde noch böser, das ich lachte und so wenig Respekt vor seinen Schreck gehabt. – „Nim dein verfluchtes Portrait aus meinen Zimmer und gieb mir das meinige. Das fehlte mir noch, das mir tolle Menschen auf die Stube kämen?“ – „Da, da hast du deines. Was kann ich dafür, ich hab ihn nicht heisen kommen?“ – Mein Bruder brumte und verlies so mein Zimmer. Nach der Beschreibung wars derselbe, vor dem ich mich lange gefürchtet, nun erfur ich, das ein lustiger Schäcker440, den der arme Mensch zum Vertrauten seiner Leidenschaft gemacht, ihm den Rath gab, er solte bey meinen Bruder Lection im Tanzen nehmen, und da könnte es den kommen, daß er mich vielleicht zu sprechen bekäm. Das that er den auch, aber bey dem Anblick des Bildes vergaß er Tanzmeister, Lectionnehmen und alles. Ich wolte, daß er von seinen Übel genesen wär, aber einen Hang
436 Nicht ermittelt. 437 Scolaire: Schüler. 438 Toccadille (dt.: Tokkadille): Ein Brettspiel für zwei Personen, eine Variante des Backgammonspieles. 439 Gebärdete. 440 Schäker: Mensch, der gerne Spaß macht.
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zur Schwermuth soll er von Jugend auf an gehabt haben, nun kam Liebe dazu – und ich erfuhr, als ich weg war, das solche entlich bis zur vollen Raserey gekommen, das man ihm schließen441 mißen, und nach einen Jahr im Tollhause gestorben. Daß ich Gott oft gedankt, nie mit dem Menschen ein Wort gesprochen zu haben, weis ich; und war froh, nichts mit Willen gethan zu haben, diese unglükliche Leidenschaft in ihm zu nähren. Gegen dem Ende vom Julii reißten wir von Freyburg weg nach Rasstatt. Wir fuhren auf offene Wagens, es fiel Regenwetter ein, ich war leicht gekleidet und verkältete mich so sehr, das ich krank wurde. Die Reise von Freyburg nach Rasstatt ging erst zu Lande bis Straßburg, dan zu Waßer bis an einen Ort etliche Meilen von Rasstatt442, den ich nicht mehr zu nennen weis, und den wieder zu Lande bis Raßtat. Die Reise war für mich eine der traurigsten. Meine Maladie wurde die Rothe Rur443. Wer je die Krankheit gehabt, kan denken, was ich ausgestanden, und das auf der Reise. Als wir mit dem Schiff angelandet, hies es: das Dorf, wo wir übernachten solten, wer nur einen Flintenschuß weit entfernt. – Der Flintenschuß war aber weiter als eine starke Meile. Alle waren fortgelaufen, um Quartir zu bestellen, nur ich mit drey Mädchens, wo keine des Verstandes nach viel beßer war wie die andere, blieben bey mir. Der Schiffer, nachdem er alles ausgeladen, sagte, er müße zurick, und blieb da nicht, die Sachen waren [220]
fortgeschaft worden, und kein Mensch kam, mich zu holen. Was das Versehen war, weis Gott, aber alle mußten den Nachmittag verwirrt gewesen seyn. Der Schiffer trug mich aus den Schiff und sezte mich ans Land und fuhr ab. Da saß ich nun bey denen Mädchens. Ich machte entlich Versuch, um fortzugehen oder vielmehr auf Händen und Füßen zu kriegen444. Die Mädchens wolten mich tragen, aber sie hatten alle 3 nicht Kräfte genug, und ein Kranker mit denen und solchen Schmerzen ist immer schwerer und unbehilflicher zu tragen. Wir zogen also fort und verfehlten den Weg. Wie man mich also endlich holen wolte, fand man mich nicht. Kurz, es wurde Abend – Nacht – und ich war noch auf der Landstraße. Ein Bauer begegnete uns endlich, den frugen wir, und der wies uns nach den rechten Fußsteig. Ich bat solchen, mich für Geld und gute
441 Fesseln. 442 Vielleicht wurde der Rhein zwischen dem elsässischen Selz (heute: Seltz, Dép. Bas-Rhin) und Plittersdorf (heute: Stadtteil von Rastatt) überquert, da dort der Rhein seit alters her leicht zu überqueren war. Eine deutsche Meile entspricht ca. 7,5 km. 443 Dysenterie oder Ruhr ist eine entzündliche Erkrankung des Dickdarms mit kolikartigen Bauchschmerzen und Diarrhö. Ist dabei der Stuhl blutig, spricht man von roter Ruhr. 444 Kriechen.
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Worte ins Dorf zu tragen, der aber hatte keine Zeit und mußte nach seinen Dorf. – Nun kroch ich den weiter und kam halb 10 Uhr in der Nacht ins Dorf. Am Tor blieb ich liegen, schikte eins von denen Mädchens hinnein, solten sehen, in welchen Haus die MeinigenXCVIII wären, das sie mich holen solten. Die war fort, als mich ein Bauer ansichtig wurde durch mein Wimmern, der nahm mich auf den Arm und trug mich in drey Häuser, und nirgens war jemand von uns – endlich im vierten, da waren sie. Man brachte mich zu Bette, und ich dachte nicht den Morgen zu erleben. Zum Glüke fand man in den [221]
Hause Medicin, weil die Wirthin kurze Tage vor meinen Hinkomem auch erst von der Rothen Rur genesen war, so hatte sie um so viel mehr Mitleiden mit meinen Zustand und suchte alle Restgen Rabarbar und Rabarbaratinctur445 zusammen und gabs mir auf Gerathewohl ein. Den Morgen wurde ich in eine Halbchaise446 gepakt und fuhr in solcher mit meiner Mutter und Bruder nach Rasstatt. Endlich, da mein Bruder in einen Wirthshaus Wohnung gefunden, trug man mich hin und wurde ins Bett gelegt. Man lief um Hilfe. Ein Docter war verreist, der andere lag krank. Nun zum Leibmedicus von dem Landgrafen447. Der kam, wie er aber sah, was mir fehlte, sagte er: „Weil der Fürst selbst nicht wohl ist, darf ich keine Kranke besuchen, wo man in der Meinung ist, das solche ansteken, ich werde Ihnen aber einen sehr geschickten Mann zuschicken, Herrn Meyer, Leibgerurgus448 von Fürsten, der mir den alle Tage von Ihren Befinden Nachricht geben soll und mit dem ich Ihrendwegen consuliren werde“. – Er ging, und nach Verlauf von ein paar Stunden kam Herr Meyer. Ein Greiß nahe an die 80 Jahren und so leidselig449 und gut, nur der Anblick von ihm gab und mußte den Kranken trößten. Er schittelte den Kopf, da er hörte, das bereits drey Tage und Nächte verfloßen, ohne rechte Hilfe gehabt zu haben. – „Doch wollen wir hoffen!“ Der Mann gab sich viele
445 Rhabarber (Rheum) und Rhabarbertinktur (Anima rhei, Tinctura rhei aquosa) galten als Heilmittel bei Ruhr; Auswahl der wirksamsten, einfachen und zusammengesetzten Arzneimittel, oder praktische Materia medika […], bearb. von D. Friedrich Jahn, zweiter Band, 4. Aufl. […] Erfurt 1818, S. 332–355 (Art. Rhabarber), hier v. a. S. 349. 446 Offene Kutsche ohne Türen. 447 Es könnte sich um Dr. med. Franz Wolff († 1790), Garnisonsarzt und Landphysikus zu Rastatt handeln, einer der Leibärzte des Markgrafen August Georg Simpert von Baden-Baden; Generallandesarchiv Karlsruhe, Rep. 220/816 und Rep. 173/299 (Personenkartei); Marggräflich-Baden-Badischer Staats- und Adresse-Calender auf das Jahr 1766, S. 4. 448 Leibchirurgus. – Ein Leibchirurg Meyer ist im Marggräflich-Baden-Badischen Staats- und AdresseCalender auf das Jahr 1766 nicht genannt (genannt sind Joseph Rutschmann und Nicolaus Weiß). 449 Leutselig.
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Mihe, drey, vier Mal kam er und oft noch späth des Abens und wünschte mir zu helfen. Doch die Schmerzen wolten nicht weichen, ich zerbis die Betlaken. Nun dachte [222]
meine gute Mutter, die Rechnung bey dem Wirth möchte zu groß werden, als sie’s gewahr wurde, und gab mir Tücher, die den auch alle kurz und klein von mir gekaut wurden. Da meine Mutter Tag und Nacht bey mir wachte, so jammerte es Madame Wolfram450 und Madame Garbrecht, und die wechselten den ab und blieben die Nacht bey mir, das meine Mutter einige Stunden schlafen konnte. Endlich fingen die Schmerzen an in etwas nachzulaßen, und mein lieber alter Meyer hatteXCIX Hoffnung, daß ich bald würde vollkommen gesund werden. Da Verschiedene bey mir gewacht, so wolte eine von denen 3 Mädchens, die bey Madame Ackermann im Haus waren, auch wachen, sie hies Friderici und wurde nach einiger Zeit Herrn Döebelin zwoote Frau451. Mir wars lieb, damit meine Mutter nur des Nachts Ruhe hatte, den sie hatte des Tags über genug mit mir zu thun. Aber Gott behüthe alle Kranke für so eine Wächterin. Herr Mayer sagte: „Wenn unsere Kranke nur erst wieder Schlaf bekommt, den wird alles gut“. Zum Unglük bekam ich eben die Nacht, da Friderike, wie man sie nannte, bey mir wachte, Schlaf. – Weil ich aber sehr matt war, so war es natürlich wie bey jeden schweren Kranken, das ich im Schlaf zukte und Minen machte. Da wurde sie angst 450 Madame Wolfram, vorherige Madame Fleischmann geb. Ohl (get. 1739), Schauspielerin und Sängerin, Ehefrau des Schauspielers Georg Friedrich Wolfram. 451 Catharina Friderici gen. Friederike aus Straßburg wurde 1758 von Ackermanns als Pflegetochter angenommen und als Schauspielerin ausgebildet. Als Anna Catharina Friderici heiratete sie im Juni 1762 in Mainz Carl Theophil Doebbelin, der später herausgefunden haben will, dass sie eigentlich Friederike von Klinglin (1739/45–1799) sei. Vermutlich war sie die Tochter des Straßburger königlichen Prätors François-Joseph de Klinglin, der wegen seiner Finanzgeschäfte und angeblicher persönlicher Machenschaften 1752 bei Hof denunziert und wenig später hingerichtet wurde. Friederike soll vor ihrer Aufnahme in die Familie Konrad Ernst Ackermanns in einem Kloster aufgewachsen sein. Seit 1761 war sie auch Mitglied der Ackermannschen Truppe. In der Straßburger Wochenschrift „Der Sammler“ wurde sie 1761 als „eine hübsche und wohlgewachsene Jungfer von ohngefähr 18 Jahren“ beschrieben (s. HHS, Anm. 402, 419). 1763 wurde Friederikes und Carl Theophil Doebbelins Sohn Carl Conrad Casimir geboren. Ein zweiter Sohn von Friederike Doebbelin, August, wurde 1775 unehelich geboren. Da ihr Mann das Kind nicht als sein eigenes anerkennen wollte, trennte sie sich von ihm und heiratete am 18. September 1776 den preußischen Kammerherrn Johann Friedrich von Alvensleben (1736– 1819), den Vater ihres zweiten Kindes. Lit.: Joseph Anton Christ, Schauspielerleben im achtzehnten Jahrhundert: Erinnerungen, hg. von Rudolf Schirmer, Ebenhausen bei München u. a. 1912, S. 69 f.; Gunter Heinickel, Friedrich de la Motte Fouqué, ‚Adligkeitsentwürfe‘ als romantisches Strategem in der nachständischen Gesellschaft, in: Kleist-Jahrbuch 2012, S. 201–226, hier Anm. 54, S. 216 f.; Udo von Alvensleben, Ludwig Karl Friedrich Wilhelm von Alvensleben, S. 234; Eichhorn, Ackermann, S. 62 f., 144, 184, 206.
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und dachte, ich stürbe, weckte mich also bey jeder Bewegung wieder auf; erschreckte mich, daß ich oft hoch auffuhr – „Mein Gott, was will Sie?“ „Ach, Mamsel, ich fürchte mich bey Ihnen! Wenn Sie nur nicht sterben, Sie [223]
machen solche Gesichter und zuken immer“. „Kind, das thue ich villeicht aus Mattigkeit, schlaf Sie lieber, ich will auch, wils Gott, die Nacht schlafen“. – Nichts half, kaum war ich zugeschlummert, so fuhr sie mir mit der Hand übers Gesicht, ob ich villeicht gar schon kalt und tod wär, wenn ich auch keine Minen oder Gesichter machte, wie sie es nannte. – Nun, Gott wird mich die Nacht auch überstehen laßen. – Aber zum Wachen zu mir darf sie nie wieder kommen. Nun zwang ich mich, nicht zu schlafen; endlich wurde ich auch durstig und bat sie, mir meinen Trank zu reichen. „Gleich, Mamsel, Ihre Mama hat mir gesagt, das Ihre Suppe zum Trinken in der warmen Asche steht“. Mein Trank war Hamelsfüße ohne Salz gekocht. Ich lag da und schmachtete vor Durst, es verging wohl eine Stunde, ehe sie wieder kam, und ohngeachtet meine Mutter und Bruder bey mir im Zimmer in ihren Betten lagen und schliefen, so jammerten sie mich doch, daß ich keinen rufen wolte und sie aus ihrer Ruhe stören. Litt geduldig Durst und dachte, es ist die erste und lezte Nacht, das die bey mir ist. Endlich kam sie angelatscht. – „Mein Gott! wo bleibt Sie?“ – „Ach, Mansell, die Suppe war eiskalt – (im August und der Hitze!) und da habe ich erst Feuer anmachen müßen und Ihnen solche gewärmt“. – „Gut, gebe Sie nur her, ich verschmachte fast“. Sie schenkt mir eine Taße voll ein, und ich schluke solche in der Begirte hinunter, ohne solche erst zu versuchen. – Aber, mein Gott, wie gescha mir! Ich schrie, [224]
sobald ich sie verschlukt hatte – „Gift! Gift! Hilfe! Hilfe!“ Mutter und Bruder sprangen aus denen Betten und zu mir hin. „Was ists? Was giebts“ – „Ach, Gift, Gift habe ich bekommen, Rettung, Rettung, oder schlagt mich tod! Aus Barmherzigkeit macht meinen Leiden ein Ende“. – Meiner Mutter war’s unbegreiflich. „Friederike, was hat Sie ihr gegeben?“ „Ihre Suppe, Madame. – Aber Mamsel phantasirt, habs die Nacht schon gemerkt, da hatte sie die stille Bangigkeit“ – „Den Teufel hatte ich! Ich rase nicht, gebt mir zu trinken, ich vergehe sonst“. Meine Mutter gießt mir aus denselben Topf von der nehmlichen Suppe noch eine Schaale voll und reicht mir die hin. In der Angst giese ich solche im Hals hinunter, nun warsC auch nicht anders, als wen alles Eingeweide in meinen ganzen Leibe sich zerriß, ich warf die Schaale in die Stube, meiner Mutter gerathe vor den Kopf vorbey – hätte ich sie das Unglük gehabt zu treffen, ich hatte sie tod geworfen. Ich schrie nicht, ich brülte – meine Mutter, die nicht wuste, was sie mir gegeben hatte, glaubte nun selbst, ich raste, und das meine Krankheit mich
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ungeduldig machte, die fing nun an, mit mir zu schelten und drohete mir, mich ganz allein liegen zu laßen. Schmerz und Wuth machten mich fast verzweifeln – und daß ich noch obendarein solte Unrecht haben. Ja, ich glaube, wenn ich aus den Bett gekonnt hätte, ich hatte in der Rage alle zusammengepriegelt [225]
und vergeßen, das meine Mutter meine Mutter war. Nun beschwor ich sie, sie solte doch nur die Barmherzig[keit] für mich haben und die verdamte Suppe kosten. – „Aber um Gotts willen, trinken Sie keinen Tropfen hinunter, Sie sind sonst des Todes davon“. – Sie wolte nicht und gab mir Unrecht. „Nun, so weicht alle von mir und laßt mich crepiren ohne Barmherzigkeit, Gott wirds bald mit mir ende[n] und vergebe euch, meinen Mördern“. Das Lärm hatte alle im Hause gewekt, Garbrechts und Wolframs, und ich weiß selbst nicht mehr, die alle in denselben Hause wohnten. Endlich sagten sie alle, „So koste doch einer die Suppe, wer weis, was die Friederike wieder angestellt hat“. Endlich und endlich nahm meine Mutter einen Tropfen auf die Zunge. – War erst nicht Lärm genug, so ging nun erst der Spektakel an. „Ach Gott! Gott, mein Kind, meine Tochter, sie ist hin! hin!“ „Was ists“. „Kupfer! Kupfer!“ – Kurz nun gesagt, was es war: Friederike hatte meine gute Suppe mit dem Topf auf der Treppe fallen laßen, sie dachte, Suppe ist Suppe. Fand in der Wirthin ihrer Küche in einen kupfernen Keßel, der nicht verzinnt war452, eine Grundsuppe von gesalzenen und geräucherten Schweinefleischwürsten und alles zusammengekocht für die Fuhrleute, die immer einkehrten, goß, um solche zu verdünnen, etwas Waßer zu, ließ es von neuen aufkochen und hatte mir die zu trinken gegeben. Nun war alles in Angst, meine Mutter raufte sich in ihren grauen Haaren, mein Bruder [226]
lief, nichts an wie Hemt und Hosen, zu Meyern, um den zu sagen, was vorgefallen. Ich bat abwechselnt bald um Trinken, bald um mich doch todzuschlagen oder mir ein Meßer zu geben, um mich selbst umzubringen. Der Schmerz war entsezlich – man machte mir Thee zurechte, alles wünschte meinen Jammer lindern oder enden zu kennen. Nun kam der gute alte Mayer. Brachte mir ein Brechmittel mit, aber lief im Zimmer herrum und jammerte ebenso wie die andern. – „Auf meinen alten Tagen so eine Schande – alle meine Reputation ist hin. Was wird mein Margraf sagen? Was die Stadt? – Eine
452 Werden stark salzhaltige Lebensmittel in einem unlegierten Kupferkessel zubereitet, kann das zur Bildung von lebensgefährlichem Kupferoxychlorid führen. – Grundsuppe: Grundlage (Grundbrühe, Fond) von Suppen oder Saucen.
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Patientin, mit der ich mich so viel wußte453 – so gefährlich gewesen, mit Hilfe von Gott sie aus aller Gefahr gerißen; und nun solche Unvorsichtigkeit! Sie ist hin! hin! Mich wundert, daß sie nicht schon tod ist, schicken Sie nur nach einen Geistlichen. Welche Natur kan das aushalten? Kupfer! Von gesalzenen Schweinefleisch die Grundsuppe? in die ohnedieß wunden Gedärme?“ – Thee über Thee mußte ich trinken, entlich kam ich zum Brechen – man hatte mich wie tod schon in den Armen. Mit meinen Schreien wars vorbey, nur noch stille winselte ich wie ein armer Hund. Mein Bruder hatte sich angekleidet und frug mich, ob ich einen Geistlichen wolte, ich nickte ja. Der Morgen war nun da, und ein Prister tratt zu mir ans Bett. Ich sagte zu ihm: „Ich bin zu schwach, um förmlich zu beichten. Keines Lasters bin ich mich von Kindes [227]
Gebeinen an nicht bewust. Was ich diese Nacht that, war mein Schmerz schuld, fragen Sie selbst darnach. Gut, daß ich meine Mutter nicht getroffen. Ich haße niemand, vergebe von Herzen allen denen, die mich gekränkt – auch selbst meiner Mörderinn – die nicht dachte und wuste, was sie that. Sie fehlte aus Dummheit. – Aber sehen kann ich sie nicht. – Kennte in mir unangenehme Empfindungen erregen, die will ich nicht im Tod haben. Nochmals, ich habe ihr vergeben und allen, so wie ich wünsche, das Gott mir alles, womit ich ihm beleidiget, vergeben möchte. Hoffe auf seine unendliche Barmherzigkeit, daß er mich zu Gnaden annehme durch das Blut und Verdinst seines Sohns Jesus Christus. Christin bin ich, und so jung ich auch noch bin, sterbe ich gerne. Den Gott wolte es so. Kennen und wollen Sie mich auf dieses Bekändniß absolvieren und mir die heillige Comunion reichen? Ich sehne mich darnach! Wird mich stärken in den lezten Augenblik“. – Das war ohngefehr, was ich den Prister sagte. Der würdige Mann wischte sich die Thränen von den Wangen. Betete mit mir, man schickte fort, und ich comunicirte. Ich wünsche von ganzer Seele, das, wenn einmal meine lezten Stunden gewiß da sind, ich die selige Ruhe, die Bereitwilligkeit in mir so fühlen möchte wie damals. Wie gern wär ich gestorben. – Und wie gut wär ich auch versorgt gewesen. – Doch Gott, du weist es allein, warum und aus welcher Absicht meine Tage solten verlängert werden. [228]
Das weiß ich, daß ich zu meiner Mutter sagte: „Mein Gott! warum kam meine Krankheit nicht wenige Wochen früher“. Das ist das einzige, warum ich klagte. In Freyburg, wo ich so gern war – da wünschte ich im Grabe zu ruhen. Doch es solte nicht seyn.
453 Sich viel mit etwas wissen: Stolz darauf sein.
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Den sagte ich zu meiner Mutter: „Dieß und dieß soll Friederike von mir erben, wenn ich tod bin, das sie sieht, daß ich ohne Wiederwillen sterbe“. Meine Mutter sagte es mir zu. Sie selbst übergab ich der Liebe meines Bruders; er solte ihr nun das zwiefach seyn, was er sonst mit mir theilte. – Ich lag verschiedene Tage ganz still, und bloß aus dem Athmen sah mans, das noch Leben in mir war. Nun kam für mich noch eine herbe Scene. Ackermann bekam nicht die Erlaubniß, in Rasstatt zu spielen, weil der Margraf sehr krank war. Er war fortgereist und hatte endlich in Carlsruhe die Freyheit erhalten454. Nun mußte mein Bruder mit der Gesellschaft fort. Man kindigte mir es an. – „Das ist hart! – Doch Gott will es so“. Den zweiten Tag kam die ganze Geselschaft vor mein Bett und sagten mir Lebewohl! – ich ihnen; sie weinten alle um mich herrum. – „Weint nicht! hab keinen von euch mit Willen beleidigt, hab ich gefehlt, so vergebt mir. Wir sehen uns wieder, wo nicht hier, in jenen Leben“. Mein Bruder war der lezte. Er lag auf meinen Gesicht und weinte. – Nun fühlte ich erst die Bitterkeit einer ewigen Trennung. – Man sahs an meinen Gesicht, was ich litt, und man riß Carln mit Gewalt von mir. [229]
Ackermanns wohnten uns gegenüber, und nun hörte ich das Raßeln der Wagen und Pferde. – „Ach! liebe Mama. Nur noch ein Mal laßen Sie mich Carln sehen!“ – „Wie kann ich?“ „O tragen Sie mich ans Fenster – muß ihn sehen“. Die gute Mutter nahm mich wie ein Kind auf den Arm, ich klammerte mich, so fest ich noch konnte, an ihren Hals, und so trug sie mich ans Fenster und sezte mich in einen Stuhl. Sie öffnete ein anders und rufte Karln herraufzusehen, er sah mich und wolte wieder ins Haus. Man hielte ihn aber fest, und so fuhren die Herrn alle auf einen Wurstwagen455 und die Frauenzimmer in Kutschen fort, weheten ihre Schnupfticher, bis ich keinen mehr sehen konnte. Es war an einen Donnerstag. Mein guter Meyer kam und war mit allen, was er gehört, unzufrieden. Ganz Unrecht hatte er nicht; gegen den Abend wurde ich so schwach, das der alte Mann die ganze Nacht nicht von meinen Bette wich. Endlich bekam ich den Freytag in der Nacht Schlaf und habe den Sonabend und Sontag geschlafen, selbst daran konnte ich mich nichts erinnern: wem ich zu trinken gefordert hatte. Den Montag Morgen fühlte ich mich ungemein beßer, mein alter Meyer sang und tanzte in der Stube herrum vor Freude – „Ach! ich habe Sie gerettet, Gott Dank! habe Sie gerettet. Aber das ist eine Natur! Die haben Tausende nicht“. Ich mußte über 454 Gespielt wurde im Orangeriehaus in Karlsruhe vom 28. August 1761 bis 28. Januar 1762; Eichhorn, Ackermann, S. 66, 222, 234. 455 Ein unbedecktes Fuhrwerk, in dem die Reisenden der Länge nach mit gegeneinander gekehrten Rücken sitzen.
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den guten Alten lächeln. „Das muß der Margraf wißen, nun gehe ich zum Leibmedicus, der wird sich freuen, komme bald wieder“. [230]
Ich ward nun von Stunde zu Stunde beßer. Einen Morgen kam mein Meyer und sagte: „Heute bin ich zum ersten Mal wieder bey dem Margrafen gewesen. Wenn er nicht selbst so krank wär, das er bettlägerig ist, so müßten Sie, sobald Sie imstande wären auszugehen, selbst zu ihm kommen, so neugierig ist der Herr, Sie zu sehen nach alledem, was er von mir von Ihnen gehert. So schön, so jung, so viel Geduld bis auf die eine Nacht. – Aber da hat man’s Ihnen auch darnach gemacht. Ich selbst hätte gern alles zusammengeschlagen. – – Ja, ja, Madame, Sie mit. Ihr Kind so einer dummen Dirne anzuvertrauen. Wenn Ihre Tochter gestorben, wären Sie schuld gewesen, nicht das dumme Mädchen“. – „Lieber MeinerCI! – Nein, meine Schuld. Ich wolte sie bey mir haben. Gewiß meine Mutter nicht – sie war dagegen.“ – – „Gut, gut, das Sie leben. So eine gute Christin – o, die sind nicht viel bey dem Theater“. – „Haben Unrecht, lieber Meyer, giebt mehr – und auch gute“. „Aber die Freudigkeit, mit der Sie sterben wollten. – O wenn ich Sie nur den Fürsten zeigen könnte. Haben Sie sich den nie malen laßen?“ „Ja!“ Ich frug, ob meine Mutter mein Bildniß eingepakt hätte und Carl es mitgenommen? „Nein“, sagte sie, „wo hätte ich Zeit gehabt zu paken“. – „O das ist gut! Geben Sie mir das Portrait, ich trags nach Hof“. Meine Mutter holte es aus den Koffer herraus. Nun beurtheilte mich der Alte nach dem Bild. „Ja, Sie soll’s seyn – aber’s ists nicht – nein, noch ist Sie schöner. [231]
Nun, so sehen Sie doch nur Ihre Händgens gegen der Hand“. „Meyer, wer ich gesund, Sie würden mich erröthen machen, aber meine rothen Baken sind weg“. – „Kommen wieder“, sagte der Alte, hüpfte nach seiner Art mit dem Bilde herrum in der Stube und trugs nach Hof. Mein Bild brachte er mir erst den Sonabend Morgen wieder, das Bette hatte ich schon den Donerstag verlaßen. Ich frug ihn, ob er mir wohl erlaubte, das ich mich dürfte in die Kirche tragen laßen – „noch etwas früh, doch das Wetter ist gut“. Ich lies mich zur Kirche tragen, meine Mutter begleitete mich, und brachten Gott unser erstes Dankopfer. Von da lies ich mich nach des guten Meyers Wohnung tragen. Was sich der ehrliche Alte mit seiner guten alten Frau freuten. Gern hätte ich den Mann nach seiner Bemühung bezahlt. – Aber wer kann solch einen Mann bezahlen. Gewünscht hatte ich, reich zu seyn. Doch gab ich ihm nach meinen wenigen Vermögen, was ich konnte. Rechnung forderte ich von ihm – und sie war so auser ordendlich billig, das ich ihm mehr geben mußte, alß er aufgesezt. – Wolte es nicht nehmen. – Und doch wars für mein Herz noch viel zu wenig. Er hatte noch keinen
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Carolin456 angesezt. – Ich gab ihm 3. War mein ganzes kleines Vermögen. Ich lies mich nach Hause bringen, und den Nachmittag bekam ich Besuch von allen dreyen Herren Doctern, die nicht wenig stuzten, wie ich sagte: das, wenn ich mich darnach befände, morgen Nachmittag gedächte fortzureisen. „Das las Ihnen Gott wohl bekommen, und nehmen Sie sich in acht“. Sontag Morgen kam [232]
mein Bruder mit einen sehr guten, bequemen Wagen. Mein alter Meyer besuchte mich noch, war da, als mein Carl ankam. Daß war ein Wiedersehen!!! – Ein trauriger Abschied von Meyern. Er weinte wie ein Kind – „Gott geleite Sie! In diesen Leben sehe ich Sie nicht wieder – hab bald ausgelauffen 80 Jahre, wie lange kan ich alter Kerl den noch verlangen zu leben? Ist das nicht noch viele Gnade von Gott? und bin noch so bey Kräften“. Er küßte uns alle herzlich und verlies uns. Nun ist er lange tod – hatte nur noch einige Jahre gelebt. Solche Menschen solten nicht sterben. Ruhe sanft, ehrlicher, menschenfreundlicher Mann, hast mein Leben erhalten! Ahndete dir wohl nicht: daß du es für so viele Leiden, die ich noch auf der Welt geduldet – noch werde dulden müßen, gefrißtet hast? – Den Nachmittag fuhren wir fort, Carl trug mich selbst die Treppe herrunter und in den Wagen hinein. In wenigen Stunden war die kleine Fahrt zurükegelegt, und wir fanden rechte hübsche Wohnung, die Carl gemithet hatte. Donerstag spielte ich schon das erste Mal mit, und den Freytag tanzte ich wieder. Das bekam mir aber übel! Bekam Seitenstechen, das man mich nach geendigten Ballet vom Theater trug und 2 Tage wieder das Bette hieten mußte. Doch wurde ich nun immer mehr und mehr beßer und samlete meine Kräfte wieder. In Carlsruhe gefiehl es uns allen recht sehr. Und was müßte der auch für eine hölzerne Seele gehabt haben, dem es [233]
da nicht gefallen hätte. Der Margraf, die Margräfin457, die Prinzen, die gnädigsten Fürsten! der ganze Adel: das Beyspiel des Hofs, eben so voller Huld und Liebe. – O, wenn es doch die VornehmenCII so alle recht wüßten, wie verehrungswürdig, wie groß sie den erst sind, werden und sind, wenn ihr Rang, ihre Geburt, worin sie Gott versezt, nicht verleitet, auf diejenigen, deren ihr Stand nicht die Würde und Vorzüge hat – als Menschen sich zu betragen. Sie bleiben ja, was sie sind? Vor denen neigt sich gewiß 456 Karolin: Goldmünze. 457 Markgraf Karl Friedrich von Baden-Durlach, ab 1771 Markgraf von Baden (* 22. Nov. 1728 Karlsruhe, † 10. Juni 1811 Karlsruhe), seit 1751 verheiratet mit Karoline Luise von Hessen-Darmstadt (* 11. Juni 1723 Darmstadt, † 8. April 1789 Paris).
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das Herz, wen man sie voll stiller Ehrfurch[t] grieset – vor die Stolzen aber nur der Rücken, und hätte man nur mit einer guten Art aus den Weg gehen kennen, würde man sich auch diese Bewegung erspart haben. – Oder es sind niederige Schmeichler, die gewohnt sind, im Staub und vor den Staub zu kriechen. Man denke nicht, daß ich etwa aus Eigennuz dieses schreibe – oder Geschenke wegen. Wahrlich! nein. Unser 11 Gulden Gage alle Woche von Herrn Ackermann ausgenommen, wiste ich keinen Pfenning von Carlsruhe zu nennen, den ich bekommen hätte. – Eigennuz war nie in mein Herz gekommen. Es wahr zu ehrliebend – zu stolz. Aber ein gutes Betragen gegen mich, ja, da hätte ich mein Leben für solche Menschen hingegeben. Ein freundliches Wort, ein leidseliges458 Danken, wen ich mich neigte – o da war ich für Freude außer mir. – Las Vornehme oder Niedere auftretten, die sagen kennen: ich habe vor ihnen gekrochen oder geschmeichelt. – Wem ich gut war, den sagte ichs – und wem ich nicht leiden konnte – und da war er wohl immer selbst schuld, sagte ich gewiß nichts, daß ihm hätte schmeicheln kennen. Und wo ich gekonnt, wich ich gewiß aus, um ihn [234]
auch nicht einmal eine gezwungene Höflichkeit vorlügen zu mißen. Gleich nach Neujahr gingen die masquirten Bälle bey Hof an, wo jeder unentgeldlich zugelaßen wurde. Muß doch einer Begebenheit gedenken, die einen sehr vergnügten Abend machte. Mein Bruder wurde zu dem Herrn Baron von Edelsheim459 berufen, der ihm sagte: „Der Fürst will mich kinftigen Ball als Frauenzimmer sehen, und Sie mit Ihrer Mademoiselle Schwester sollen mich begleiten. Aber das es ja vor allen verschwiegen bleibt, es weiß niemand was davon wie der Margraf“. Gut, wir fuhren alle 3 den Freytag Abend nach dem Schloß. Unsere verkleidete Dame war so schön, so reizend, man konnte nichts Angenehmers sehen. – Nur etwas sehr groß – größer wie alle Damen, doch voll Würde und Anstand, umso mehr mußte sie jeden gleich in die Augen fallen, weil sie über alle hervorragte. Sie erschien in einer weiß-taften Damen-Domino460, geschnirt und mit bloßen Halse und Brust, halber schwarzen Maske, an welcher eine Spize von schwarzer Seide gesezt war. Mein Bruder und ich waren beyde kentlich gekleidet. Alles, was uns 458 Leutselig. 459 Wilhelm Freiherr von Edelsheim (* 13. Nov. 1737 Hanau, † 6. Dez. 1793 Karlsruhe) stand seit 1758 als Hofrat in den Diensten Markgraf Karl Friedrichs, 1774 Ernennung zum Wirklichen Geheimen Rat und Minister für die auswärtigen Angelegenheiten, 1788 Präsident des Geheimen Rats; Hauck, Art. Wilhelm Freiherr von Edelsheim. 460 Domino: Loser, langer Mantel oder Überwurf mit Kapuze. Domino und die Charaktermasken der Commedia dell’Arte galten seit dem 18. Jahrhundert als die klassische Maskierung schlechthin; Simon, Domino.
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kantte und nicht kannte, lief auf uns zu und wolte wißen, wem wir bey uns hätten. – Die Antwort war: Wir kennten sie selbst nicht; sie wär in einer Portchaise461 gekommen und, weil sie keinen Herrn bey sich gehabt und doch so wohl ausseh und gekleidet ist, hätte ihr mein Bruder seinen Arm auf der Treppe geboten, den sie angenommen, und so wär sie mit uns in den Saal gekommen. Wer es glauben wollte, der glaubte es. – Endlich kam die liebe Frau Margräfin in den Sal. Auch sie sah gleich unsere Dame. Sprach mit ihrem Schwager, den Prinz Ludewig462, und kommt mit solchem auf uns zu. Ich dachte, ich wär ein Kind des Todes. Noch hatte ich nicht die Gnade gehabt, mit der Durchlauchtigen Fürstin selbst zu sprechen, den [235]
den Abend war der zweyte Ball, und auf den ersten war ich nicht gewesen. Wie solche noch ohngefehr 6 Schritte mochte entfernt seyn, lies ich meines Bruders Arm los und bickte mich vor derselben. Sie reichte mir ihre schöne Hand, die ich herzlich küßte, aber ich zitterte an Händen und Füßen für die Fragen, die gewiß kommen würden. Sie war außerordendlich gnädig gegen mich, sprach vom Theater und so fort, bis sie mich etliche Schritte weiter von meinen Bruder und seiner Dame weggeführt hatte. Nun gings an: „Meine Liebe! sagen Sie mir, was haben Sie vor eine Maske bey sich“ – ich fühlte einen ordendlichen Fiberschauer, den ich klapperte mit den Zähnen, und um das zu verbergen, fing ich an ein bisgen zu husten, wußte nicht aus noch ein und wünschte mich 1000 Meilen entfert zu seyn. Nach der zimlich langen Pause fing sie wieder an: „Haben Sie mich nicht verstanden?“ – „Euer Durchlaucht – verzeihen – ich – ich – kenne – – sie nicht“ – und muß geworden seyn wie Scharlach unter der Maske; auch wär ich nicht imstande gewesen, der Fürstin bey der offenbaren Lüge in die Augen zu sehen, und wenns mein Leben gekostet hätte. Sie wendet sich zu dem Prinz Ludwig und sagte zu ihm: „Sie kennt sie nicht“. Der Prinz: „Ihro Durchlaucht, glauben Sie dem verdamten Mädchen nicht, sie lügt uns allen was vor. Das ist eine kleine Hexse, die sich über uns alle lustig macht“. „Ihr Durchlaucht recomandieren mich schön. – Wißen Sie den schon was Böses von mir?“ „Sind eine Hexse – aber Geduld, wils gewiß erfahren, und dan, Mädchen, wo du gelogen – gieb acht“. – Sie verliesen mich, und ich schöpfte nun freyen Athem wieder – der Spaß, das Edelsheim nicht verrathen wurde, dauerte über 4 Stunden. – Endlich hörte ich Murmeln, des Barons
461 Portechaise: Sänfte. 462 Wilhelm Ludwig Prinz von Baden-Durlach (* 4. Jan. 1732 Karlsruhe, † 17. Dez. 1786 Karlsruhe).
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Sekretair stelte den Baron vor, weil solcher von deßen Wuchs war, tanzte aber nicht, weil er sich mit Kopfweh entschuldigte. Von ohngefehr sagte einer von denen Herschaften zu ihm auf französisch, den in der deutschen Sprache würde man ihn ehr erkant haben: „Ja, lieber Baron, wenn Sie sich nicht demasquiren, wird Ihr Kopfweh nicht nachlaßen“, und hebt ihn den Bart von der Maske auf – und da wars verra then. – So wie ichs hörte, gab ich meinen Bruder einen Wink, und der verlohr sich mit seiner Dame. Bald kamen sie wieder, und der Baron als Mattelott463 gekleidet. – Ich that, als ob ich ihm nicht kennte, ohngeachtet er ohne Maske war. Sowie er mit denCIII fürstlichen Personen ausgesprochen hatte, kam er zu mir und bedankte sich, daß ich so Wort gehalten. „Bester Herr Baron, ich sage es Ihnen, ich weis kein Wort davon, das Sie meines Bruders Dame waren. – Verlaßen Sie mich, oder ich lauf fort und las mich vor keinen Menschen mehr sehen“. – „Ja, Kind, das hilft nun nichts mehr. Die Margräfin weiß es schon, kommen Sie, sie will Sie sprechen“. – „Das haben Sie schön gemacht, Herr Baron – wo ist der Wagen, ich fahr nach Haus“. „Sein Sie kein Kind! Kommen Sie, Sie müßen zur Fürstin“ – „Ach Gott! stehe mir bey“. Er nahm mich bey der Hand, und ich folgte wie eine arme Sünderinn, die sich ihrer Schuld bewust ist. Zitternt stand ich nun vor der besten Frau – sie sah mich bedeutent an und drohete mir mit den Finger, der Fürst und alle Prinzen waren bey ihr. – – „Ey! Ey! – Das war was Schönes! Auch mir nichts zu sagen“. „Ihro Durchlaucht – ja, ich weiß, ich habe gefehlt, bin strafbar und unterwerfe mich allen, was Sie [237]
über mich aussprechen werden. Nur ein Wort zu meiner Entschuldigung. Ein vor allemal steht das ganze weibliche Geschlecht in dem grausam Vorurtheil, es kenne nicht schweigen! Habe ich den nun plaudern sollen? – Ich thats zur Ehre des ganzen weiblichen Geschlechts“. – „Ist ein liebes Mädchen“, sagte die huldreiche Dame und reichte mir die Hand hin, die ich küßte – aber der Prinz Ludwig? Ja, der hub an: „Nun, was habe ich gesagt – ists nicht ein verdamtes Mädchen – die macht sich über uns alle lustig“ – „Nein, Ihro Durchlaucht, das ist den doch zu arg. All mein Guts so böse auszulegen. – Ich kann schweigen – die Herren kennens nicht. Da steht der Herr Baron, der mir sein Wort gegeben, mich nicht zu verrathen, schön hat ers gehalten – und Sie, Prinz! würdens auch so gemacht haben“. „Recht so“, sagte die Fürstin, „die Schulzen hat recht. Wer weis, ob ich die Freude gehabt hätte, die mir mein Carl machen wollen, wenn ich den Baron gleich gekant hatte. – Und nun, lieber Carl! tanz mit meiner
463 Matelot: Matrose.
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Schulzen hier vor mir eine schöne Minuett“, und so legte sie meine Hand in des Margrafen seine, und wir tanzten. – – O, ihr mir unvergeßlichen glüklichen Zeiten – werde euch nie, nie vergeßen. Voll Danck gedencke ich an euch zurüke. Würde ich in solchen Augenbliken wohl Königennen haben beneiden kennen? So kennen die Großen den gefühlvollen dankbaren GeringenCIV glüklicher machen, als Königinnen selbst seyn kennen. – Daß ich, solange ich in Carlsruhe war, keine Maskerate versäumt, kann man denken, nur das die Freude nicht lange gedauert hatte, den die Abreise war nahe. Der Herr Baron erwies unsCV die Ehre, uns [238]
zweymal zu besuchen. Würde öfterer geschen seyn, wenn er nicht auf Befehl des Fürsten eine Order bekommen, wegzureisen – war ein Geschäft, das den Krieg betraf. – Ich gestehe es, das war mir eine sehr unangenehme Nachricht – ich fühlte in meinen Herzen etwas, daß ich noch nicht gefühlt hatte. – Und auch nur da erst so ganz fühlte, da ich von seiner Wegreise hörte. – Aber es war gut für mich. Der Baron hätte meinen Herzen gefährlich werden kennen. Ein Herr schön wie ein Engel – voll Verstand. Die Bescheidenheit und Artigkeit selbst. – Und ich 16 Jahre464. – Doch er reißte, und ich sollte mein munteres, zufriedenes, ruhiges Herz noch behalten. Er sagte bey dem Abschied: „Ich hoffe noch eher wieder hier zu seyn, ehe Sie wegreisen. Bedinen Sie sich, ich werde Order stellen, sooft Sie ausfahren wollen, meines Wagens und Pferden“. – Ein guter Geist gab es ihm ein, das er gesagt: er hofte bald wiederzukommen – sonst, fürchte ich, er würde es gemerkt haben, das ich ihm etwas mehr wie gut war. – Und jemanden zu lieben, ohne zu wißen: wird man auch geliebt? – litt weder mein Stolz noch meine Grundsäze. Gut! Er reiste, ohne daß er wuste, welchen Eindruk er in mein Herz gemacht? – Und ich wuste nichts weiter: als daß er mir mit Freundschaft und Achtung begegnet. Also, einige Thrängen ausgenommen, die ich ganz stille und heimlich geweint, wurde ich bald wieder dieselbe, die ich war, und nahm mir vor, beßer auf meiner Hut zu seyn. Nun kam der 28. Jenner 1762, der Namenstag des Fürsten wurde gefeuert. Und es war die lezte Comödie und nachher Ball. Schon um 4 Uhr ging die Comödie an, ich hatte im Prolog zu thun, das Trauerspiel war Die Trojanerinnen465, wo ich die Caßandra machte. Und weil nicht das Ballet Die Maskerate466 in Carlsruhe war gegeben worden, tanzte ich aus solchen das Pasdideux Die 9 Karacteure
464 Sie war 19. 465 Die Trojanerinnen, Trauerspiel von Johann Elias Schlegel. 466 Die Maskerade, Ballett. Bei Meyer, Bibliographia, 2. Abt., Bd. 21, S. 272 ist ein Ballett Die Maskerade erwähnt, am 10. Februar 1765 von der Ackermannschen Truppe in Hamburg aufgeführt. Ein Verfasser
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mit meinen Bruder, um so gut wie wir konnten den Hof die lezte Freude zu machen – das wir beyde den Abend den Fürsten neu uns zu zeigen die Ehre haben wolte. 8 Uhr war alles aus, ich eilte nach Hause, kleidete mich ganz um und fuhr nach dem Schloß, wo ich um 9 Uhr schon dastand und mit Leib und Seele tanzte. Wie die Uhr 1 war, trat ich zur Margräfin und wolte mich beurlauben. „Schon fort wollen Sie?“ „Ja, Ihro Durchlaucht! Morgen muß ich reisen“ – – „Bey meiner Ungnade, wo Sie eher fortgehen wie ich“. Voll Ehrfurcht neigte ich mich, küßte ihre Hand und tanzte lustig fort. Tanzte bis 3 Uhr, und da hatte ich keine Solen mehr unter den Schuen – das war Noth! Und ich wuste keine mehr zu bekommen, den alles war gepakt. – Nun solte ich tanzen. – Erst nahm ich die Ausflucht zur Miedigkeit, die den niemand glaubte – den war ich im Tanzen zu ermieden? – Endlich sagte ich die Ursach. „Wie ist den abzuhelfen?“ – „Ja, wen Sie die Gnade hatten und mir ein Spiel Tarokkarten wolten geben laßen“. – „Gleich sollen Sie die haben“. – Ein Page brachte mir zwey Spiele, ich hurtig hinter ein Fenster und schneide mir Solen, die in die Schuh, und nun gings wieder frisch darauf los. So tanzte ich fort bis des Morgens 7 Uhr geschlagen hatte – meine Kartensohlen waren alle durchgetanzt. – Die Music hörte auf. Nun sahe ich, das alles nur eine Zeitlang dauert. Ich trat zur Fürstin, konnte aber kein Wort reden, den Thränen erstükten jedes Wort. Diese liebreiche Dame küßte mich, und das sind ihre lezten, mir unvergißlich gebliebenen Worte gegen mich: „Mich freut es, das es Ihnen hier so wohl gefallen und das Sie ungern wegreisen. Leben Sie wohl! Sie nehmen meine völlige Freundschaft und Achtung mit; wegen Ihrer guten Auffiehrung und Betragen“. Mit meinen Thränen benezte ich ihre Hände – wolte reden – konnte nicht – sah sie an und zeigte [240]
auf mein Herz. – So ging ich von ihr, und in meinen Herzen flehte ich zu Gott: Segne diese herrliche Frau, ihren Gemahl, ihre Kinder und Kindeskinder für alle Liebe, die sie für mich hatten. – Vergelten kann ich’s ja nicht. Alle Damen und Fräuleins hatten sich in einen runden Cirkel gestellt, und da mußte ich hineintretten. Eine nahm mich der andern aus den Arm und küßten mich, bis ich rund war – sie weinten – ich schluchzte. – Alle Sprache war weg. Meinem Bruder liefen selbst die Thränen aus den Augen, und holte mich, den ich sah, ich hörte, ich fühlte nichts als meinen Schmerz – als die Bitterkeit des Abschieds – und so schleppte er mich mehr, als daß ich ging, aus dem Saal, und wir fuhren nach Hause. Meine Mutter, die das vorher gedacht, den sie
wird nicht genannt. – Nach Eichhorn, Ackermann, S. 234 wurde in Karlsruhe am 28. Januar 1762 ein Gärtnerballett gegeben.
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wußte, wie ich war, half mich auskleiden; pakte den Rest ein. Ich zog meinen Pelz an, warf mich aufs Bette und weinte. – Die Reisekutsche kam um 10 Uhr; und wir fuhren mit der Geselschaft ab und nach Maynz. – Die Arbeit zerstreute mich bald wieder, doch dachte ich noch oft an Carlsruhe zurük. Mit vielen Beyfall wurde gespielt, und es kam auch Geld ein; Herr Ackermann legte uns einen Gulden die Woche zu unserer Gage, das wir nun 12 Gulden hatten467. – Mein Bruder verdiente sich mit dem Informiren auch schönes Geld. Also ging ja alles nach Wunsch, und, was noch über alles ging, in Maynz war sehr wolfeil zu leben, das wir uns etwas anschafen und zur Noth noch alle Woche etwas weniges an die Seitte legen konnten. Wir spielten fort bis zu Ende Juni, und da reißten wir nach Frankfurt468. Wir sezten wieder unsere paar gesparten Gulden in Frankfurt zu, den die Wohnungen waren sehr theuer.CVI 12 Gulden des Monats war Geld. – Und ein Unterschied von 6 Gulden, die wir sonst gewöhnlich gaben, in Ansehung des übrigen [241]
war auch alles theuer. Zum Glük für uns – aber nicht zu Ackermann, mußten wir den französischen Schauspielern Plaz machen, die in der Meße469 spielten. – Die Franzosen, die in Frankfurt jezt mehr zu sagen hatten, denen mußte nachgegeben werden470. – Es war ja noch Krieg – und so wurden die Deutschen von den Deutschen getrennt. Wir gingen also zu Ende des Augusts wieder zurük nach Maynz. Nicht etwa als ob der Adel und Bürger uns nicht besucht hätten? – Aber was kommt nicht in Frankfurt 467 Das Gastspiel in Mainz mit den Aufführungen in einer Bude auf dem Ballplatz vom 3. Februar bis 18. Juni 1762 und wieder vom September 1762 bis 14. Februar 1763 war für Ackermann sehr erfolgreich, die Gesamteinnahmen beliefen sich auf 7273 Taler. Lit.: Eichhorn, Ackermann, S. 67 f., 222, 234; Jakob Peth, Geschichte des Theaters und der Musik zu Mainz, Mainz 1879, S. 27–30 (mit der irrigen Angabe, Ackermanns Truppe habe schon 1760 erstmals in Mainz gespielt). 468 Aufenthalt in Frankfurt/Main von Ende Juni bis 30. August 1762, gespielt wurde dort im Junghof; Eichhorn, Ackermann, S. 67 f., 222, 234. 469 Seit dem Mittelalter fand in Frankfurt am Main eine Herbstmesse statt, die am 15. August begann und 14 Tage dauerte. 470 Frankfurt hatte zwischen 1759 (2. Jan.) und 1763 eine französische Besatzung und mit kurzer Unterbrechung 1762, als Ackermann dort spielte, ein französisches Theater. Vom Aufenthalt der Ackermannschen Truppe ist überliefert, dass das Theater unter polizeilicher Kontrolle stand und kleinste Fehler und Vergehen streng bestraft wurden. So wurde Karl Schulze wegen eines Defektes seiner Kleidung 24 Stunden in Haft genommen, obwohl er die Bühne nach dem Malheur sofort verlassen hatte. Ausführlich berichtet Johann Wolfgang v. Goethe im 3. Buch von Dichtung und Wahrheit über das Frankfurter Theaterleben zur Zeit der französischen Besatzung. Lit.: Elisabeth Mentzel, Geschichte der Schauspielkunst in Frankfurt am Main. Von ihren Anfängen bis zur Eröffnung des städtischen Komödienhauses. Ein Beitrag zur deutschen Kultur- und Theatergeschichte, Frankfurt/Main 1882 (Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, N. F. 9), S. 247–269, hier bes. 269.
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in einen Meßtage für Geld ein? Inzwischen ging es gut, und wir spielten fort bis in die Faßte 1763. Ehe ich Maynz verlaße, muß ich wieder einen Vorfall erst gedenken, den ich ohnmüglich vorübergehen kann. In die ganze Ackermannische Gesellschaft war der Geist des Weggehens – oder Wegwollens gekommen. Nicht mehr als 9 Personen hatten aufgesagt Michaeli und wolten in der Faste weg. Neue und gute Leute zu bekommen, waren damals nicht so geschwind zu haben. Jezt ists leichter dazu zu kommen, den alles wird ja Schauspieler und Schauspielerinn, wenn sie sonst zu nichts mehr in der Welt daugen, sind sie dazu gut genug – dürfen jezt nur hübsch und jung seyn. – Sonst wars so nicht. – Noch so hübsch und kein Wort laut und mit Verstand sprechen kennen. Wurde nicht geachtet vom Publicum. Doch wir haben auch jezt weit erleichterte Zeiten wie damals. Wir bekamen folgende Nota aus Wienn. Nota Die Frau Augustina Schultzin, deutscher Actrice von dem Theater Herrn Ackermanns betreffend, deßen Trouppe vor kurzen zu Frankfurt gewesen und vielleicht noch daselbst oder zu Maynz befündlich ist. Die Kaiserliche Theatraldirection wünschet der Frau Augustina [242]
Schultzin ihre Jungfer Tochter Carolina und ihren Herrn Sohn Carl in Wien zu sehen; da man aber die Kinder ohne der Mutter nicht haben kann: so muß man diese zugleich versorgen. Man wird also gedachte Frau Augustina ingeheim berufen laßen und sie cattagorisch befragen: ob sie Belieben trägt, sich und ihre beyden Kinder für das nächste Theatraljahr 1763 auf das deutsche privilegirte Theater zu Wien zu engagiren. Die Theatraldirection biethet diesen 3 Personen zusammen wöchendlich 24 Gulden Gage an. Die Bezahlung dieser Gage wird in der ersten Fastenwoche 1763 anheben und bis zum Ende der Fastnacht 1764 gehen. Fasten und Advent werden wie die Agirzeit durchaus gleich bezahlt. Für diese Zahlung accordieren sich Mutter und Tochter zum Agiren, die Tochter zugleich zum Singen und der Sohn zum Agiren und Tanzen. NB: Solte die M utter nicht mehr agiren und die Tochter nicht singen können, so gilt es gleich, und die angebothene Gage der 24 Gulden bleibt alsden für das Agiren der Tochter und für das Agiren und Tanzen des Sohnes stipuliret471. Die Frau Schulzin wird verpflichtet seyn, nebst ihren beyden Kindern gleich mit Anfang der Fasten 1763 von dem Orte ihres Aufendhaltes aufzubrächen und längstens zu Mitterfasten in Wien einträffen zu können. Dagegen wird die Theatraldirection zu Wien
471 Stipulieren: Rechtlich verpflichtend vereinbaren.
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die Reisekosten für diese 3 Personen von Maynz oder Frankfurt aus bis Wien vergüten; auch, wenn es nöthig, durch den Herrn Corres[243]
pondenten einen Vorschuß assig[n]ieren472, um diese Reisekosten bestreiten zu können. NB: Doch wird dieser Vorschuß eher nicht als bey der würklichen Abreise nacher Wien bezahlet. Wen der Frau Schulzin diese angebothene Bedingungen anständig sind, wie man nicht zweifelt; wird selbe nebst beyden Kindern diese Nota sogleich unterschreiben und diese sodan vorläufig die Giltigkeit eines förmlichen Contractes erlangen, bis die rechten Contracte übersendet werden können. NB : Solte es mehrgedachter Frau Schulzin bedenklich fallen, eines einzigen Jahres wegen die jezige Ackermannsche Truppe und das Angagement bey derselben zu verlaßen: so kann zu Vermeidung aller Weitläuftigkeiten der Acort auf 2 Jahre, daß ist bis Ende Fastnacht 1765, verlängert werden. Wan, welches Gott verhüten wolle, durch einen hohen Todesfall eine Landestrauer verursacht und wärend der accordirten Zeit durch solche Klagen das Theater gesperret würde: so accordiret die Theatraldirection alsden die Hälfte der bedungenen Gage. Wien, den 10. September 1762 Friedrich Wilhelm Weißkern473 Director der Deutschen Comödien Auf Befehl Seiner Excellenz Herr Jacobs Grafen von Durazzo474. Es war diese Nota von Frankfurt nach Maynz an die Zanderische Handlung475 geschickt worden. Sie wurde mir offen überreicht, Tinte und Feder hingesezt, daß ich nur gleich unterschreiben solte. – Ganz erstaund stand ich da. – Ich sagte: „Unterschreiben kan ich nicht. [244]
Ich muß erst mit meiner Mutter und Bruder sprechen, geben Sie mir die Nota mit, morgen bringe ich sie wieder“. – Ich ging nach Hause, und mein Bruder und Mutter
472 473 474 475
Assignieren: Anweisen. Friedrich Wilhelm Weiskern (1711–1768), Schauspieler, Bühnenschriftsteller und Topograph. Graf Giacomo Durazzo (1717–1794), Diplomat und Intendant. Vielleicht liegt hier eine Namensverwechslung vor: Ein Handelshaus Zander lässt sich in Mainz für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht nachweisen, wohl aber ein Handelsmann und Ratsverwandter Friedrich Zentner. Archivdirektor Prof. Dr. Wolfgang Dobras, Stadtarchiv Mainz, sei für seine Auskunft bestens gedankt.
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waren beysammen, las solches von Wort zu Wort vor und schwieg still. – Meine Mutter sagte: „Kinder, was Ihr thut, ist mir recht. – Ganz zu verwerfen aber ists doch auch nicht. Wien! – und 24 Gulden? – und hier 12?“ Mein Bruder sagte: „Mir ist alles recht. Was Caroline thut, will ich auch“. – Ich solte also Rath ertheilen? – Und er war einen Mädchen von 17 Jahren ähnlich, die die Welt und Menschen noch nicht genug kannte. Und zu viel gut Herz hatte. „Nun, so hören Sie mich. Mit Freuden würde ich Ja sagen, wenn nicht die ganze Gesellschaft aufgesagt hatte. – Den was bleibt noch? Niemand wie Ackermann und seine 3 Kinder, Doebbelin und seine Frau – und Milius476, der mit dem Tode schon rang. Gehen wir – so ist’s Ackermann ein unersezlicher Verlust. Wir, Carl und ich, solange wir bleiben, kann er immer spielen, weil er uns zu allen brauchen kann. – Wo soll der Mann welche an unsere Stelle hernehmen? – Ja, wenn nicht so viele gingen – nun, so könnte er uns mißen. Ackermanns thaten uns eine große Freundschaft, als sie uns von Cölln aus zu sich kommen ließen. Habens zwar die 4 Jahre genug ersezt. Doch dieß sey unser Opfer der Dankbarkeit. – Und wenn ich bitten darf, so last uns Ackermann nicht ein Wort von der Nota sagen. Konnte denken, wir wolten ihnen nun trozen, da sie in Verlegenheit sind, und mehr Gage haben wollen. [245]
Sind wir doch niemanden was schuldig“. Gesagt, und es wurde gebilligt, ich schrieb die Nota ab. Und schrieb zugleich an Herrn Weißkern, dem ich alles vorstellte, wie die Sache war. Bat mir aber aus, die gute Gesinnung für uns beyzubehalten. Das, wenn sich eine Gelegenheit ereignete, wo wir – ohne den Schein eines Trozes – Ackermann verlaßen könnten, wir trachten wolten, nach Wien zu kommen. Ich trug den Tag darauf Nota und meinen Brief zu Zanders, die mir sagten, nachdem ich ihnen alles vorgestellt: „Medemosell, Sie werdens bereuen“. – Wohl wahr haben sie geretet. Den die Faste kam herran – und alle blieben bis Madame Hensel, die nun für mich nach Wien verschrieben wurde, den ihre Absicht war, nach Rußland zu gehen. Der dumme Streich war gemacht – und wir mußten solchen vergeßen. – Das zweyte, was uns angeboten wurde, war: wir solten in Maynz bleiben, Carl solte die Herrn und Knaben und ich Mädchens im Tanzen informiren, und mein Bruder solte den dortigen Hoftanzmeister477, der ein alter Mann war, adjungirt werden. Auch dieses schlugen wir aus – zweyter 476 Karl Mylius, Schauspieler und Tänzer. Mylius hatte sich 1756 der Gesellschaft Ackermanns angeschlossen. Schon länger an der Schwindsucht erkrankt, starb Karl Mylius am 12. November 1763 während des Gastspiels der Truppe in Braunschweig; Eichhorn, Ackermann, S. 34. 477 Johann Carl Caspar Bossart ist in den ab 1756 erscheinenden Hof- und Staatskalendern des Kurfürstentums Mainz als Tanzmeister nachgewiesen. 1773 wohnten die Eltern des Schauspielers und Theaterdirektors Johann Karl Liebich (1773–1816) bei ihm in Mainz und wurden von ihm zu Erben bestimmt;
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dummer Streich. Nun verliesen wir Maynz, und auch da lies ich Freunde und Gönner die Menge zurick. Wir wolten nach Heßen-Caßel. Ganz herlich fuhren wir in zugemachten Kutschen fort. Aber Fuhrleute, die des Wegs herkamen, wo wir hinwolten, versicherten: das der Weg so schlecht sey, das wir kein Stick von denen Kutschen bis den halben Weg nach Caßel brächten. – Die Knechte wurden stuzig, wolten nicht weiter, wir blieben in einen Dorf, Ackermann zurük nach Maynz, der Herr von denen Wagens sagte: wens so wär, solten uns seine Wagen entweder wieder zurick nach Maynz oder nur bis nach Frankfurt bringen – Ackermann kam und dachte: laß mich nur erst in Frankfurt seyn. – Es ging zur Klage, aber die Frankfurter Herren wolten [246]
keinen Ausspruch thun, weils Maynzer und nicht Frankfurter Fuhrleute sind, und so wurden wir den auf Leiterwagen gepakt und fuhren den Die[n]stag von Fra[n]ckfurt weiter – und den Mitwoch vorher waren wir aus Maynz gefahren. Allgemein wurde es nun, das Friede in Europa war; und wir fuhren sozusagen mit denen Friedesherolten zugleich zum Frankfurter Tor hinaus. Wir hatten nicht lange gereist, als wir fanden, das die Fuhrleute recht hatten, den kaum konte man mit denen Leiterwagens durch. Tragisch-comischer wird schwerlich wieder eine Reise gemacht, als die war. Zum Glüke hatten wir uns alle gut proviantiert, den kaum Brod fand man in denen Dörfern und Städtgens. Wie oft wir umgeworfen und alle in Koth lagen; wie viele Pferde gestürzt, die kaum wieder aufkamen; wie viele Räder und Axten478 und Deichsel gebrochen, das war nicht zu zehlen. Um sich einen Begrief von der Fahrt zu machen, so will ich der Geschwindigkeir wegen eines Tags nur gedenken. Das Dorf hies Langdorf479 – gewiß seiner Länge wegen. Den des Morgens 7 Uhr fuhren wir aus dem Wirthshaus, das an den einen Ende stand, aus – und des Abens 7 Uhr kehrten wir am andern Ende des nehmlichen Dorfes in dem Wirthshaus, das an der Ecke stand, wieder ein. 12 Stunden! Ja, 12 Stunden, aber das ist auch wahr, das der Schmit und Wagner480 von dem Dorf ebensowenig die 12 Stunden was eßen konnte wie wir, den unsere 4 Wagen mit Menschen und Bagage, sogar der mit Hey und Haber481 aufgeladene Wagen, alle fielen, einer nach dem andern. An jeden brach was, die Pferde fielen in Locher bis an die Bäuche – kurz, es war zum Erbarmen – so sehr ich auch und wir alle nachher gelacht Lebensabriß des teutschen dramatischen Künstlers Johann Karl Liebich […], in: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz 1817, 75. Blatt, S. 289 und 78. Blatt, S. 295. 478 Achsen. 479 Vermutlich meint sie den Ort Langsdorf in Hessen, heute ein Stadtteil von Lich. 480 Schmied und Wagner (Stellmacher), der z. B. die Räder von Kutschen herstellte bzw. reparierte. 481 Heu und Hafer.
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haben. Gottlob, das keiner von uns zu Schaden kam, den das wir alle braun und blau gestoßen und gefallen waren, [247]
wurde nicht geachtet. Willigere und gutere Bauern habe ich noch nie gefunden als auf der Reise. Aber die armen Leute hatten selbst nichts – wir gaben ihnen. Da, wo es von der Poststraße abging, glaubten sie es erst durch uns, das gewiß Friede482 wär. Sie hielten uns für geflüchtete Heßen, die der Krieg aus ihren Vaterlande verscheucht und nun wieder in ihre Vaterstadt zurükkehren. Ein Knabe von 6 Jahren brachte uns Salz. – Und Waßer, den sonst war nichts da. – Das Brod, das die armen Menschen asen, war nicht zu geniesen. Wie er uns das hingesezt, reichte er seiner Mutter einen Stul, die sezte sich, er stand vor ihr, und sie reichte ihn eine von ihren Brüsten hin und lies ihn trinken. „Mein Gott! Frau, der Junge trinkt noch die Brust? Wie alt ist er?“ Da erfuren wir’s: 6 Jahr vorbey. – „Wie hätte ich ihn sonst erhalten kennen in dem Elend! – So aber hatte er Nahrung von mir mit. Aber von heute an soll er sie nicht mehr haben. – Gottlob, Sie sagen, es ist Friede“. In dem Dorf, wo wir abens so früh einkehrten, fieng ich eine Wäsche an, den ich konnte mich nicht länger ansehen. – 5 Tage, hat es geheisen, würden wir zubringen – also, wär hätte sich da mit vieler Wäsche belästigen sollen? In einen Kämmerchen hatte ich mir mein Schäfgen483 hingestellt und wusch. Mama kochte Cafee statt Suppe, das wir was Warmes in die Gedärme bekommen solten. Ein treuherziger Bauer, der alles verlohren und nun auf seine alten Tagen Knecht bey dem Wirth war, sah mir zu, und wir schwazten zusammen von Krieg und nun von Hofnung beßerer Zeiten. Drauf ging er weg und kam bald wieder und brachte mir ein langes Halstuch von ihm. „O“, sagte er, „wasche Sie mir doch das mit, ist morgen Sontag“. – Die treuherzige Art gefiel mir, ich besann mich nicht lange und wusch es nach allen Fleis mit aus. Nun solte ich zum Caffee kommen. „Gleich“, der Bauer sagte: „Gehe Sie nur, [248]
ich will bey der Wäsche bleiben, soll Ihr nichts wegkommen“. Ich hüpfte fort und erzehlte, was ich wieder für einen neuen Auftritt hätte. O, ganz wieder für mein Herz. – Mag so gerne Menschen sehen, wie sie sind. Von etwas Haarpuder in einen zinnernen Löffel machte ich so viel Stärke, als ich zu dem Tuche nöthig hatte. Kam wieder – und 482 Mit dem Frieden von Hubertusburg am 15. Februar 1763 war der Siebenjährige Krieg beendet worden, der der Landgrafschaft Hessen-Kassel mehrfache Belagerungen Kassels, auch zahlreiche Plünderungen und Brandschatzungen gebracht hatte. 483 Schapfe, Schaffe: Wassergefäß.
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seiddem ich weg war, hatte mir der gute Bauer drey schöne große Äpfel auf den Tisch gesezt – „O da, verschmehe Sie mir solche nicht“. – Noch indem ich das schreibe, kommen Thränen in meine Augen. – Sehen hätte man den guten Alten, hören müßen, wie ers sagte. – Und wahrlich! auch ein weniger gefühlvolles Herz als das meinige hätte und mußte davon gerührt werden. – Wo der Mann die Äpfel noch hergenommen? Den es war nicht vor Geld das mindeste Obst zu haben. – „O, die Soldaten ließens nicht zur Reife kommen, schlugen die Blüten ab“, – – – so hörten wir und noch viel mehr, wo wir hinkamen und Obst forderten. – Meine Wäsche mußte ich den Morgen halbnaß mitnehmen. In Ermangelung eines Bigeleisens strich ich das Tuch mit meinen Händen glatt, legte es zusammen und trocknete es auf meiner Brust. Und am Morgen gab ich’s ihm, der sich bedankte, wir fuhren weiter. – An einen Abend sehr späth kamen wir in ein erbä[r]mliches Dorf, wo nur ein Wirthshaus war. – Wir treten in die Gaststube – die Wände waren so schwarz wie Kohlen. Der Wirth, ein Man so gegen die 50 Jahren, sah sehr ernst. Er wuste selbst nicht, was er aus uns machen solte. Den unser aller Loosungswort war, in jedes Haus, wo wir einkehrten: „Nun lustig, Herr Wirth, lustig, es ist Friede!“ Wie wir alle in der Stube waren, sagte er: „Ach, ich kann Ihnen nichts geben. Hab nichts. Feuer will ich Ihnen machen. – Brandwein habe ich und Waßer, [249]
das wenige Brod werden Sie nicht eßen kennen. Morgen erst bekomme ich frisches.“ – „Auch nicht Stroh zum Lager?“ – „Soviel ich habe – wils gern hergeben. – Betten habe ich gar keine“. – So schlecht hatten wir’s in keinen Nachtlager getroffen. Doch was solten wir machen? Es hies Geduld. Jeder pakte seinen Vorrath aus, wer keinen Wein hatte, goß Brandwein in Waßer, und das trancken einige Herren. Eine Frau, so in die 40 Jahren, saß ganz stille in einer Ecke der Stube, schien uns alle, ohngeachtet wir sehr laut waren, nicht zu bemerken und blickte mit staren angehefteten Blicken immer auf eine Stelle an der schwarzen Mauer. Ich, die ich immer alles gleich zuerst bemerkte, den um die Wirthschaft bekümmerte ich mich zu denen Zeiten nicht, Mama besorgte alles.CVII Die Bauerfrau aber erregte wieder meine ganze Aufmerksamkeit. Blaß, hager, die tiefste Schwermuth in allen Zügen. – Was muß ihr seyn? – Ist nicht zu helfen? So in denen Gedanken suchte ich den Wirth, den ich auch in der Küche fand, wie er Holz und Reiser brach und für uns Feuer machte und aufs Waßer sah, das es kochen solte. „Lieber Herr Wirth, wer ist die Frau in der Stube? – Ich glaube, sie ist krank“. – „Ach! liebes Jüngfergen, es ist meine Frau. – Sie ist tiefsinnig, aus lauter Creuz über den traurigen Krieg und all das Unglük, so uns getroffen“. – „Mein Gott! könnte ich ihr doch helfen?“ „Schwerlich!“ sagte der Alte und wischte sich Thränen aus den Augen. Ich ging wieder in die Stube und seze mich zu der Wirthin, grißte sie – sie sah mich an, nikte mir Dank zu, ohne ihre Mine zu verendern. Ich fing an
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zu weinen, nahm ihre Hand in die meinige und sagte zu ihr: „Mutter, gute Mutter! Munter. Ist ja Friede? [250]
Nun wird, wils Gott, alles beßer werden. – Der alte Gott lebt noch“. – Aufmerksam sah sie mich an und sprach endlich: „Ja, ists Friede?“ – „Gewiß, liebe Frau – wir gehen ja selbst wieder zurick nach Caßel“. – „So? – Gut! Für mich kommt kein Frieden“. – „Liebe Frau, was sagt Sie? Wird auch für Sie Friede kommen“. Ich holte ihr ein Stikgen Kalbsbraten, den die Mutter zu einen Ragous484 einschnitt, und ein gutes Glas Wein und Brod. – Sie nahms von meiner Hand, und auf langes Zureden genoß sie etwas von allen. „Aber, liebe Frau, warum den keinen Muth zu beßern Zeiten?“ – „Liebes Kind, Sie weis nicht, wie man es mir gemacht. – – O die bösen Menschen!“ – „Haben sie Ihr so hart begegnet?“ „Wohl hartCVIII! – Drey meiner Söhnen schleppten sie mit Gewalt fort, mußten Soldaten werden – und wurden alle drey erschoßen. 5mal haben sie mich rein ausgeblindert485, und was sie nicht mitnehmen konnten, zerschlugen sie und zerschmißen’s. – Das lezte Mal hatten uns die Hanoveraner alles aufgezehrt – wir hatten nichts, nichts mehr. – Es kamen gleich nach ihnen Franzosen – die waren besoffen. Wir solten ihnen was geben und hatten selbst nichts – nun schlugen sie mich und meinen Mann – hieben mit ihre Säbel in Tische und Stühle – und einer, als ich bat – riß meinen jüngsten Sohn aus der Wiege – schleiderte ihn an die Mauer – – da, da sehen Sie noch sein Gehirne!!“ – – – – – „Ach Gott, Gott“, schrie ich und fiehl der Frau um den Hals. Die Thränen, die noch in den Augenblick mir hinrollen und auf dieses Blatt fallen, bezeugen die Wahrheit deßen, was die arme unglikliche Frau mir gesagt hat. – Der Ort, wo sie hinwies, war die Stelle, die sie immer mit unverwandten Augen angesehn hatte. [251]
Vom Gehirn oder Blut war nichts an der Wand zu sehen, dieses war nur noch der schrekliche Augenblik, der’s ihr noch wie da klebend vorstellte. – Meine Thränen bewegten sie, das sie auch einige fallen lies – aber auch nur einige, den sie hatte wohl schon alle Thränen verweint. – Ich lief rum wie verrickt: „Kennen wir den der Frau nicht helfen“. – Nicht alle namen theil an dem, was ich fühlte. – Zum Eßen hatte ich keine Lust, die Frau mußte meine Portion Ragous haben – o, ich hätte mir das gar nicht nehmen laßen, sie zu erquiken. Gab ihr Wein und sprach ihr zu, so gut ich
484 Ragout. 485 Geplündert.
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konnte. Ob der Wein, ob mein Mittleid – kurz, mags gewesen seyn, was es wolte, ihr Kräfte gab, sie stand von der Bank auf, ging in die Küche und legte Holz hin, schirte das Feuer – – im Grund wars freilig nichts, was sie that, aber sie ging herrum – doch immer starr vor sich wegsehend. Ihr Man sagte zu mir: das hätte sie in 4 Jahren nicht gethan. Er hätte durch sie gar keine Hilfe mehr gehabt. Den Morgen kleidete er sie an und des Abens aus, und von der Bank wär sie nicht wegzubringen seid dem unglüklichen Augenblick, da man sein Kind so grausam gemordet486. – Ich gab ihn den Rath, er solte die Stube ausweißen laßen, vielleicht das sich den die Einbildung verlöhr, und an die Stelle einen Schrank oder so was sezen. – Er sagte, er wolle es thun, wenn ihn Gott die Mittel wieder geb. – Schlaffen konnte ich die Nacht nicht, immer sah ich noch den Flek, wo sie hingewiesen. Den Morgen, als wir aufstunden, war sie mit ihm in der Küche und hatte helfen das Waßer zum Frühstük kochen. – Die Leute mußten mit uns trinken. Wir zahlte[n] alle mehr, als der Mann gefordert hatte, und er dankte und segnete uns. Als ich Abschied nahm, weinte er laut und [252]
sprach: „Gott geleite Sie! Jüngfergen, Ihr muß es gut gehen. Hat ein gar gutes Herz. – Gott vergelt es Ihr. Ach, ich hoffe, Sie hat mir meine Frau wiedergegeben. Vier Jahre war sie wie tod – und seid gestern Abend nahm sie sich der Wirthschaft wieder an – heute Morgen so verständlicher – – o, ich hoffe“. – „Hab Er nur Geduld mit ihr, lieber Mann! und folge Er meinen Rath“. Ich küßte die Frau – sie drükte mir die Hand und sagte: „Vergelt es Gott“ – und so stieg ich in den Wagen und fuhren fort. Den ganzen Rest der Reise über wars mit meiner Munterkeit vorbey, und von Herzen wünschte ich mich an Ort und Stelle. Herr Ackermann nahm Extrapost und fuhr voraus, kam anderthalb Tage eher wie wir nach Cassel487. Endlich kam die Reihe auch an uns, nachdem wir von Frankfurt aus 10 Tage zugebracht, sahen wir Heßen-Caßel und ladeten uns ab vor das Prinz-Maximilianischer-Palais488, der uns zur Wohnung ange486 Mit ihrer Darstellung der Gewalt und Traumatisierung der Zivilbevölkerung beschreibt Kummerfeld besonders eindrucksvoll die familiäre und häusliche Dimension des Siebenjährigen Krieges, ein Thema, dessen Relevanz Hans Medick für den Dreißigjährigen Krieg umfassend herausgearbeitet hat. Lit.: Hans Medick, Der Dreißigjährige Krieg. Zeugnisse vom Leben mit Gewalt, Göttingen 2018. 487 Gastspiel in Kassel vom 2. März bis 11. Juni 1763; Eichhorn, Ackermann, S. 68 f., 222, 234. 488 Das Palais des Prinzen Maximilian von Hessen-Kassel (* 28. Mai 1689 Marburg/Lahn, † 8. Mai 1753 Kassel) stand nach dessen Tod zunächst leer, während des Siebenjährigen Krieges kam es zu Einquartierungen der französischen Truppen, und nun wurden hier offensichtlich die Schauspieler untergebracht. 1766 bis 1769 wurde das Palais unter Landgraf Friedrich II. zu einem Opernhaus umgebaut. Als Theaterspielstätte diente das Ballhaus an den Kolonnaden, an dessen Stelle 1773 das Komödienhaus errichtet wurde. 1787 brannte das Komödienhaus ab; von da an diente das Opernhaus als Theatergebäude für
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wiesen war. Wir kamen späth des Abens, also konten wir, ohngeachtet wir nun an Ort und Stelle waren, auch nicht einen Bißen Brod bekommen. – Keiner hatte mehr einen Bißen bis auf Madame Ackermann, die sagte: „Da, Kinder, will ich mit euch allen den Rest theilen“. War noch so gegen ein Pfund Käß und Brod. – Schmekte uns gut. Nun wurden im Palais die Zimmer angewiesen an allen, die wir da einlogirten. Die Franzosen hattens häßlich mitgenommen. Ich mit meiner Mutter und Bruder bekamen der Prinzes Charlotte489 ihre Zimmer. Da standen 2 Bettstellen mit frischen Stroh und zwey grüne Frißdeken490, in jeder eine. – Ach du lieber Gott! – Nach der harten Reise nicht einmal ein Bett! Den eigene Betten? Wo die hernehmen? – und den andern Tag darauf mußte schon Comödie und Ballet seyn. – Vor Gelt keine Betten in ganz Caßel zu haben. [253]
Und die man hätte haben kennen; wer hat’s gewagt, in solchen zu liegen? So brachten wir allso lieber unsere miden Knochen in reines, gutes Stroh und lagen darauf 4 Wochen. – Viele haben, solange wir in Caßel waren, auf Stroh campiren mißen. – Endlich nach 4 Wochen lernte mein Bruder von Hof jemand kennen, und wir bekamen trefliche Betten von Hof aus – wer nur immer warten kann. Für Herrn Ackermann war Caßel unglüklich ausgefallen. Er hat den Fehler begangen, mit dem Durchlauchtigen Herrn Landgrafen491 keinen Acort zu treffen. Herr Ackermann kannte seine Gesellschaft und sagte zum Herrn: „Euer Durchlaucht sollen erst meine Comödien sehen – und dan weiß ich, was ich vor einen Herrn vor mich habe“. – Verspricht den Fürsten in Zeit von 8 oder 10 Tagen, das wir da seyn solten. Laß es auch 14 Tage gewesen seyn. – Herr Ackermann ritt den Fußsteig, und alles war steinhart gefroren. – Und wie er zu uns nach Maynz kam und wir reisen wollen, kam Thauwetter. – Nun konnten wir nicht über den Rhein – und wie wir nach 8 und mehr Tagen später hinüberfuhren, hat uns der liebe Gott beschizt, das uns die Eißschollen nicht um und um warfen. Herr Ackermann schrieb zwar an den Hofmarschall492. Der aber war tödlich krank geworden und Schauspiel und Oper. Lit.: Aufklärung und Klassizismus in Hessen-Kassel unter Landgraf Friedrich II. 1760–1785, Kassel 1979, S. 111, 113; Sittig, Kassel, S. 1075 f. 489 Prinzessin Friederike Charlotte von Hessen-Kassel (* 8. Sept. 1698 Darmstadt, † 22. März 1777 Darmstadt) geb. von Hessen-Darmstadt, die Ehefrau des Prinzen Maximilian von Hessen-Kassel. Nach dessen Tod war sie 1755 nach Darmstadt zurückgekehrt. 490 Decken aus Fries, einem aus grobem Garn hergestellten dicken, langhaarigen Gewebe. 491 Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel (* 14. Aug. 1720 Kassel, † 31. Okt. 1785 Schloss Weißen stein in Kassel). 492 Johann Adolf Ferdinand von Bischoffshausen (* 29. Aug. 1706 Neu-Eichenberg, † 28. Dez. 1764 Kassel). Herrn Ennen vom Hessischen Staatsarchiv Marburg sei für seine Auskunft bestens gedankt.
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hat es vergeßen, den Fürsten zu melden. Nun waren wir in allen 16 Tage auf der Reise, der Fürst, der nichts von uns wuste, hielte Herrn Ackermann für einen Lügner und verschrieb sich italienische Oper comiq. – – – Kurz, wenn ein Unglük einen ehrlichen Mann trefen soll, so trift es ihm. Ackermann holte seinen Brief vom Hofmarschall, der sich nur noch so eben besinnen konnte und auch den Tag darauf in die Ewigkeit ging. Dem Herrn Landgrafen war es leid – [254]
aber die Italiener waren verschrieben und – accordiert – Ackermann aber mit uns nicht. – Nun spielten wir – gewiß mit Beyfall, aber troz das Haus immer gut besezt war, so dauerte es nur wenige Wochen. Der Sommer kam, der Herr reißte fort, so auch der Adel, von Militair waren auch viele beurlaubt, und Bürger und Stadtleute brachten nicht das Salz aufs Brod ein – da lagen wir still. Das war die Lage des ganzen. Bey diesen gleite ich bald weg, den ich will nun einmal, um mir die Grillen bey mißigen Stunden zu vertreiben, alles, das Gute und Böse, zusammentragen in eins, was der Himmel über mich verhengt hatte. Wir waren wenige Wochen da, als mein Bruder das Unglick hatten, zu fallen und sich den Fuß auszusezen. Der lag da – und meine Mutter wurde auch krank. Magd hatte ich nicht. Keine würde ihren gewißen Dienst von einer Herrschaft verlaßen haben, um zu uns auf wenige Wochen oder Monate zu ziehen; und die man hätte haben kennen, für die hatte man uns so Angst gemacht wie vor den Betten – mithin lag nun die ganze Last auf mir. Ich war auch alles: Köchin und Krankenwärterin, mein Friseur und Kamerjungfer – ich trugs Waßer von Brunen 2 Treppen hoch, hakte Holz. Tanzte und probierte im großen Saal, indem ich dazu in der Schürtze das Suppenkraut und Gemiese puzte – hatte alle Tage fast eine neue Rolle, den ich mußte nun mehr ins Fach der ersten Liebhaberinnen, da Madame Hensel fort war und ich meist immer die Mädchen machte – und lieferte in Zeit von 14 Tage bey all der Arbeit Herrn Ackerman die Sara aus Mis Sara Samson493, die Lindane aus der Schottländerinn494 und die Pamela aus der Pamela495. Die kleinen Rollen als eine Mariane im Geitzigen496, Liesgen in
493 Miß Sara Sampson, Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing. 494 Das Kaffeehaus oder die Schottländerin, eine Übersetzung des Lustspiels Le Café ou L’Ecossaise von Voltaire von Johann Joachim Christoph Bode. 495 [Die engeländische] Pamela, Lustspiel von Friedrich Wilhelm Weiskern nach Carlo Goldonis Komödie Pamela fanciulla, die auf dem 1740 erstmals publizierten Briefroman „Pamela or Virtue rewarded“ von Samuel Richardson basiert. 496 Der Geizige, eine Übersetzung des Lustspiels L’Avare von Molière.
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den 3 Brüdern und Nebenbuhlern497 etc. etc. etc., die rechne ich gar nicht mit. Las mir das jezt noch eine von allen unsern Damen auf dem Theater nachthun. – Und dabey war ich munter, lustig und frölig, den ich hofte auf Gott, das Mutter und Bruder würden wieder gesund werden. Hätten sie mich beyde traurig gesehn: so würden sie gedacht haben: ich thue es nicht gerne – und Gott weis es! daß ich’s von Herzen that. Sie wurden auch beßer. Da in Caßel zuweilen einige Officirs aufs Theater kamen, frugen die mich einmal, warum man mich den nirgens seh? – „Ja, wo soll ich hin? Kenne niemand“. – „Ey, Sie müßen Caßel mehr kennenlernen“. „Das soll mir lieb seyn, wen es mit Anstand geschehen kann“. Herr Leutenant Wolf498 unter denen Husaran veranstalte bald eine Spazierfart. Es wurden 2 Wagens geschickt, Herr und Madame Kirchhoff499, meine Mutter, Bruder und ich, wir fuhren fort. Wir kammen nach dem dort wohlbekanten Ort, wo der Fischfang ist500, Herr Leutenant Wolf war da nebst einen Herrn Grafen von der Lipp501 und noch einen Herrn Officier, deßen Namen mir nicht mehr beyfällt. Nachdem Caffee getrunken war, gingen wir zusammen spazieren, wie wir wieder nach dem Hause zurickkamen, siehe da, da waren einige Musicanten, und wir fingen an zu tanzen. Nachdem wir getanzt, wurde gefragt, obs gefällig wär, das die Tafel solte geteckt werden? Ja. Wir sezten uns zu Tische und liesens uns wohl seyn. Wir mochten ohngefehr eine Stunde geseßen haben, so kam ein Bedie[n]ter ins Zimmer und sprach sachte den Herrn Leutenant Wolf ins Ohr. – Der Herr Leutenant Wolf sagte darauf laut: „Eben sagt mir mein Kerl, das der Herr Baron von Dalwig502 unten ist – er ist ein sehr artiger und rechtschaffene Cavalier – und mein
497 Die drei Brüder und Nebenbuhler, eine Bearbeitung der Komödie Les trois frères rivaux von Joseph de La Font. 498 Nicht ermittelt. 499 Gustav Friedrich Kirchhof(f ) (1723–1764), Schauspieler und Prinzipal und seine zweite Ehefrau Barbara Christine geb. Heydenschild (* 1734), Schauspielerin. 500 Damit könnte Spiekershausen an der Fulda gemeint sein, ein zwischen Kassel und Hannoversch Münden gelegenes Dorf, in dem sich die Bewohner hauptsächlich vom Fischfang ernährten. 501 Nicht ermittelt. 502 Georg Wilhelm Christoph Adam von Dalwigk zu Dillich (* 1738, † 17./18. März 1806 Homberg). Dalwigk wurde 1763 zum Major und Kommandeur des Husarenkorps ernannt, zuletzt war er kurhessischer General der Kavallerie und Gouverneur von Hanau. Lit.: Reinhard Frh. von Dalwigk, Denkwürdigkeiten und historische Skizzen aus dem Leben vieler Mitglieder der Familie von Dalwigk, Darmstadt 1841, S. 84; [Friedrich] von Dalwigk, Erlebnisse der Schauspielerin Karoline Schulze-Kummerfeld in Kassel 1763, in: Hessenland 34 (1920), S. 133 f.
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Major – wen Sie nichts dagegen hätten, wolte ich hinuntergehen und ihm bitten, ob er mit von unserer Gesellschaft seyn wolte?“ Wir alle sagten Ja, und der Herr Leutenant brachte den Herrn Major zu uns. Der Herr Major sezte sich mir zur linken Seite, war der, der den ganzen Tisch über am wenigsten sprach und in allen seinen Wesen eine auserordendliche Stille bezeigte – so still, daß ich mich ordendlich scheute, munter zu seyn. – Wir standen endlich alle auf, die Tische wurden weggeräumt, und nun tanzten wir wieder und tanzten die ganze Nacht durch bis am hellen Morgen, da es 6 Uhr geschlagen hatte. – Zu versäumen war nichts, den es war Sontag, wo doch nicht gespielt wurde. Den Sonabend darauf hatte uns der Major invitirt, nicht allein uns 5, die wir vor 8 Tagen beysammen waren, sondern auch Madame Ackermann, ihre älteste Demoiselle Tochter503 und noch eine Demoiselle Catharina504, die nachher Herrn Courte505, einen Tänzer, geheyratet. Wir fuhren nach des Herrn Majors Haus, er war und lag mit seinen Husaren auf dem Lande. – Aber wie stuzten wir? Vor 8 Tagen waren wir nur so wenige, und nun fanden wir in dem Saal alle heßische Stabsofficirs – nur der einzige Leutenan[t] Wolf, die andern alles Hauptleute, Majors etc. etc. So verlegen wir Frauenzimmer auch erst waren, so wurden wir bald munterer. – Und was machte es? die Wohlgezogenheit und edle Betragen, daß jeder auf das strengste beobachte. – O wißtens die Herren, wie gut ihnen das läßt – wie unendlich mehr sie gewinnen, als wen welche so ausgelaßen und ungezogen wild sind? Music war auch da, und nun ging’s ans Tanzen. Ich war warm geworden und trat an ein Fenster, um mich abzukühlen. [257]
Der Major kam zu mir. – „Nehmen Sie sich in acht, daß Sie nicht krank werden! Ich würde es mir sonst niemalen vergeben. Sie verzeihen doch auch, daß ich diese kleine Lustbarkeit veranstaltet? – Nur allein Ihrendwegen. – Haben so viele Arbeit und gar keine Verenderung“. Ich antworte den Herrn Major auf dieses verbindliche Compliment wie ich glaubte, daß es sich schikte, und lenkte das Gesprech so gut wie möglich von allen Complimenten ab und lenkte es bald auf andere Gegenstände. Wir schwazten von sehr gleichgiltigen Dingen und fanden doch so viel Vergnügen, einander zu fragen und zu antworten, daß wir noch länger so fortgeschwazt hätten, wenn nicht der Bediente gesagt hätte: „Das Eßen steht auf den Tisch“. Er führte mich zur Tafel, so wie jeder ein Frauenzimmer zur Tafel führte – und die Mahlzeit ging so munter fort, das es eine Lust warCIX zuzuhören: wenn nur der Major mehr theil daran genommen, 503 Caroline Dorothea Elisabeth Ackermann (1752–1821), Schauspielerin. 504 Catharina Courtée geb. Schirmer (* 1744), Schauspielerin und Tänzerin. 505 N. Courtée, Tänzer.
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der der Stilste unter allen war. – Nach der Tafel wurde wieder getanzt, bis des Morgens 6 Uhr. – Nun wurden zum Frühstük eingemachte Hüner verzehrt – und alles freute sich, das wir so gesund und wohl waren. – Keiner miede oder schläfrig – und wer hätte da miede seyn kennen? – Um 7 Uhr fuhren wir alle nach Hause. Den Montag Morgen lies er sich nach meinen Befinden erkundigen? Von Herzen wohl, war die Antwort. Den Abend kam er aufs Theater; er bedankte sich bey uns, wir uns bey ihm, und indem er weggehen wolte, wendete er sich wieder um und sagte: „Bald hätte ich was vergeßen! Einer von meinen Freunden, der mit in der Gesellschaft war, ist verreist und hat mir für Sie ein Anden[258]
ken dagelaßen – weis wahrhaftig nicht, was es ist! Wills Ihnen aber morgen zuschiken“ – und damit ging er fort. Den andern Tag des Mittags bringt ein Bedienter einen großen Pack, legt solchen auf den Tisch und lief die Treppe fort. – Ich sprang die Treppe hinunter zu Madame Ackermann und sagte: „O kommen Sie doch geschwind zu mir herrauf“. – „Was giebts?“ – „Ach kommen Sie doch nur, ich habe ein Present bekommen“ – „Was ists?“ – „Ja, das weis ich selbst noch nicht! So kommen Sie doch nur“. Sie ging mit mir, und nun pakte ich aus – zu 3 Kleider Taft und Stoff. Brabander Spitzen, gestickte Manschetten, Band, Handschu – und Gott weis, was all. Die Ackermann freute sich mit mir. „Gönne es Ihnen, den Sie verdienen es“. Den Tag darauf kam er wieder aufs Theater, ich wolte ihm mein Compliment machen – er aber sagte – „Mir ja nicht! Ich weis von nichts, was mein Freund gethan hat“. Einige Tage gingen vorbey, und wir sahen niemand. – Darauf schickte er und lies sich melden, ob wir ihm erlauben wolten, uns seine Aufwartung zu machen. Ich sagte Ja. – Er kam, doch sprach er wenig oder nichts. Sah mich nur zuweilen an – aber mit Bliken, das mir angst und bange wurde – oft stand er in tiefen Gedanken versunken, wischte sich eine Thräne aus den Augen, ergrief meine Hand, wolte sie küßen – lies sie wieder fallen – bat um Vergebung und eilte fort – solche Visiten bekam ich fast täglich von ihm. Ich wuste oft nicht vor Angst, was ich anfangen solte. Ich machte oft einen Spaß daraus, obs mir gleich selbst nach und nach nicht spaserlich war, und sagte: „Nun, schwärmen Sie einmal wieder?“ – Da wurde [259]
er böse, fing sich an mit mir zu zanken und sagte: „Sie spotten meines Elends“. Schwur, mich nie wiederzusehen, und war den andern Tag wieder da, und dieselben Auftritte. Nur Furcht! Furcht für Liebe – als wenns mir mein Herz zum voraus gesagt hätte: hüte dich für Liebe, sie macht dich unglüklich, wirst ihr Opfer. – Die hielte mich. Der Major war liebenswürdig, ohne schön zu seyn. – Aber seine Bescheidenheit – und das hatte
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auf mich den einzigen Eindruk, wo man mein Herz hätte feßeln kennen. Doch war ich auf meiner Hut und traute nicht – will dich verführen, dich unglüklich machen. – Ich verbarg auch den kleinsten Funken von Zuneigung und scherzte und machte Scherz aus allen, was er mir sagte. Aber eines Morgens schikte er mir ein Billet, der Inhalt war ernsthaft. Mit dürren Worten sagte er mir: „Sie haßen mich – haßen mich und haben mich zu den unglüklichsten Menschen dadurch gemacht. – Nur aus Heflichkeit erlauben Sie mir den Zutritt zu Ihnen. – Gott vergebe es Ihnen, aber er kann nicht“. – Gott weis es, wie mir war. Haßen? Ich? Dich? – Ach Gott! könntest du mein Herz sehen, wie es bebt zwischen Liebe und Furcht. – Ich antworte den Major nicht. Den andern Tag kam er selbst. – Da die Sache anfing so ernsthaft zu werden, hörte ich auf zu scherzen – den es that ihm zu weh. „Herr Major, was wollen, was denken Sie von mir? – Und wenn ich Sie liebte – darf ich Sie lieben? – Wer sind Sie? Wer ich? Ich arm, nicht von Stande – aber ehrlich. Das einzige, was ich habe. Sie reich! Von Adel, haben eine Mutter, die“ – „Meine Mutter506? O, die beste Frau. Nur lieben, lieben Sie mich, einzige Caroline“. – Seele und Seligkeit sezte er zum Pfande, mich nicht zu hintergehen. „Sollen mein Weib, mein liebes Weib werden, nur [260]
jetzt noch nicht. Nicht meiner Mutter wegen – nein. Aber meiner Tante507, von ihr hengt der größte Theil meines zeitlichen Glücks ab. Sie ist in allen das Gegentheil meiner Mutter. – Nie würde sie in unsere Verbindung willigen. – Und gesezt, ich wolte mich heimlich mit Ihnen trauen laßen – das darf ich nicht ohne Vorwißen des Landgrafen. – Ein gemeiner Soldat, der es thut, steht die Kugel vor den Kopf darauf – und bey einen Officier, daß er vor infam caßirt508 wird“. – Ist das nun alles wahr, was der Major zu mir gesagt? so hatte er recht, doch ich nicht weniger. – So sehr ich ihm von Herzen liebte, so sehr schauderte ich zurük für das Wort Maitreße. Nie haben wohl je ein paar Verliebte ihre wenigen Stunden, die sie sich sahen, so in einen immerwärenden Gezänke hingebracht wie wir beyde. – Dan saßen wir beyde wieder da, sahen einander an und weinten. – In diesen mehr traurigen wie vergnügten Tagen mußte sich eine neue Zwischenscene zutragen. Ich sas so in tiefen Gedanken da, die alle meinen lieben, theuren D. geherte, als mit einmal unser Zimmer aufgerißen wurde und Madame Ackermann mit Schreien und Weinen zu uns hineinstirzte, die Haare flogen ihr um 506 Friederike Wilhelmine von Dalwigk geb. Buttlar zu Grumbach; von Dalwigk, Schulze-Kummerfeld, S. 134. 507 Die Ehefrau des hessischen Obersten Ernst-Wolrad von Meisenbug; von Dalwigk, Schulze-Kummerfeld, S. 134. 508 Infam kassiert: Unehrenhaft entlassen.
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den Kopf herrum – kurz, nie hatten wir sie so gesehen – ihre Anrede war: „Wolt Ihr mich auch unglüklich machen – nun, so sagts nur herraus – alles vereiniget sich hier, mich zu stirzen. – Ich armes unglükliches Weib! – Mein Mann ist nicht hier509 – auf mir liegt alles – alles verfolgt mich hier“. [261]
„Aber so sagen Sie doch nur, was Sie von uns wollen? – Verfolgen wir Sie den auch? – Und in waß? Womit?“ – Sie weinte gewaltig und frug uns, ob wir den von nichts wißten, was in dem Hause vorgeht? „Ich glaube, Madame, es ist Ihnen bewust, das wir uns um nichts bekümmer[n], was andere thun oder laßen“. „Also wißen Sie nicht, das die meisten fort wollen? Kirchhof und seine Frau, Garbrecht und seine Frau, Wolfram, Koch, Curioni und Frau wollen fort, haben aufgesagt – geht Ihr nun auch, und mein Mann kommt zurik und hat wieder einen neuen Ort, so haben wir doch keine Leute. Meine Dochter ist ein Kind. Ich bin allein, und die Doebbelin und was kan die? – Allso sagts nur, wolt Ihr mich ganz ruiniren, wenn auch Ihr geht“. – „Madame, ich sehe, Sie sind außer sich. Sezen Sie sich. – Ackermann, Ackermann! wen werden Sie uns kennenlernen? Wen wir Sie Lust gehabt hätten zu ruiniren, so hätten wir es in Maynz gekonnt, da 9 aufgesagt. Da, Madam, lesen Sie“. Ich gab ihr die Nota zum Durchlesen. – „Nun, Madame! haben wir was davon gesagt? – Nur einen Groschen Zulage verlangt zu unsere 12 Gulden? – Haben wir Ihnen hier noch eine verdriesliche Miene gemacht? – Quälen wir Sie um Geld? – Nehmen wir nicht ohne Wiederrede das, was Sie uns geben kennen? – Und so kommen Sie zu uns, mit dem Ungestüm: – ob wir Sie mit ruiniren wollen?“ Die Ackermann fiel mir um den Hals; und sagte unter vielen Thränen: „Mädchen, das vergeß ich dir nie. – Das hätte ich nie gedacht!“ – „Madame! Sie rißen uns aus [262]
der Noth in Cöllnn. Das war die Vergeltung dafür. Auch gestehe ichs Ihnen, wir hätten Wienn nicht ausgeschlagen, wenn nicht so viele abgedankt hätten. – Dan hätten Sie uns missen kennen. Nun seyn Sie meinedwegen ruhig. Glauben keinen, der Ihnen sagt: ‚Schulzens gehen fort!‘ – bis wirs Ihnen selbst sagen. – Wir bleiben, und wenn noch mehr gehen, und wenn ich mit meinen Bruder zusammen in einen Stük 4 Rollen liefern solten, wollen wirs thun, bis Sie wieder mehr Leute haben. – Oder Sie müßten sagen: ‚Ich kann mein Werk nicht länger mehr fortsezen, seht euch um ein ander Brod 509 Ackermann war nach Braunschweig gereist, um dort wegen eines Engagements zu verhandeln. Seine Gesellschaft blieb noch bis 12. Juli in Kassel, gab aber in dieser Zeit keine Vorstellungen mehr; Eichhorn, Ackermann, S. 69.
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um‘“. – Gewiß sehr getrößtet ging Madame Ackermann von uns, und wie glüklich wär ich gewesen, wenn ich nicht geliebt hätte. Kaum war das vorbey, kam mein D. – nun gingen neue Scenen an. „Aber“, sagte er zu mir, „wollen Sie den allein für mich nichts, gar nichts thun?“ – „Ja! liebster D., hören Sie, zu was ich mich entschliesen will. Laßen Sie mich reisen, verlaßen Sie sich auf meine Treue, nie, nie will ich sie brechen! und sobald Sie möglich machen kennen, das ich, ohne strafbar zu werden, ganz die Ihrige werden kann: will ich kommen“. – Dieses ging ihm nicht in den Kopf, den er war eifersüchtig im höchsten Grade. – „Nun wollan, wer weis, was noch kommt. Schicken Sie mich in ein Kloster, wo ich niemanden als Frauenzimmer zu sprechen bekomme – kennen Sie es aber niemals möglich machen, mich zu besizen; oder solten Sie wankelmüthig werden und sich mit einer andern verbinden – verbinden mißen! so soll das Kloster mein ewiger Aufendhalt seyn! und ich nehme den [263]
Schlayer an“. Auch das wollte er nicht. „Ich Sie in einen Kloster zu wißen? Eingespert zu seyn! – Ich Sie vor einen eisernen Gitter sprechen? – Nein, das kann ich nicht thun. Ich will Sie nach Minden bringen, dort sollen Sie alles haben. Ich schwöre Ihnen, so wahr Gott mir helfen soll, ich will nicht aus meinen Gränzen schreiten – nicht einen Kuß, wenn Sie mir ihn nicht selbst geben wollen“. – Vielleicht sagte er in diesen Augenblick die Wahrheit – aber konnte ich dieses auch für die Zukunft einen jungen Mann von 24 Jahren glauben? – Meine Mutter wuste von allen! Sie hatte zu mir gesagt: „Du bist vernünftig und wirst wißen, was du zu thun hast“. Sie haßte ihm so wenig, als ich gewiß war, daß ich ihm liebte – doch er warf einen Haß auf meine Mutter und glaubte, sie geb mir die Rathschläge. Den ein Mädchen von noch nicht 18 Jahren, die ihm sagte: daß sie ihm liebte, konnte nach seiner Meinung keine solche ernsthafte Sprache führen. – Nun sagte ich: „Wollan! Ich will nach Minden. – Aber meine Mutter muß bey mir seyn“. – Das wolte er durchaus nicht. Nun kamen wir wieder in einen heftigen Wortwechsel. Ich sagte ihm: „Ihren Rang, Ihr Vermögen liebe ich nicht, noch viel weniger den Titel, eine gnädige Frau zu heißen. – Genug, das Sie mir meine Ruhe geraubt, wollen Sie machen, daß ich die Pflichten einer Tochter vergeßen soll? – Vor der Leiche meines Vaters schwur ich ihr: daß sie, solange Gott ihre Jahre fristen würde, nicht von mir kommen sollte. – Wenn Sie mir auch so viel geben, das meine Mutter in Überfluß lebte, so könnte ich sie nimmermehr so krencken, das sie beständig vor der Schande ihrer [264]
Tochter zittern solte? Doch Sie wollen sie nur deswegen von mir entfernen, weil Sie glauben, das, wenn ich allein ohne Schuz wer, Sie desto leichter Ihren Sieg über meine
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Tugend erhalten würden“ – – – – Er fiel mir ins Wort. „O Himmel, was vor ein verfluchter Mensch bin ich in Ihren Augen. Gut, ich will Ihnen meinen verhaßten Anblick entziehen. Nun muß ich mich glüklich schäzen, daß ich Sie aufgebracht gesehen; nun weiß ich doch, vor was Sie mich halten. Leben Sie wohl! – Ewig wohl! Geht es Ihnen nicht nach Wunsch, so denken Sie: Sie haben es an Ihren unglüklichen D. verdient. Quälen und plagen Sie sich immerfort! Sie wollen es nicht beßer haben. Gott weis es, ich bin redlich, oder“ – – hier that er einen schreklichen Schwur – mich schaudert, solchen niederzuschreiben. – Drauf weinte er – Verzweiflung war in allen seinen Mienen und Geberten – eilte aus meinen Zimmer – und so, so verlies er mich. – Nun war ich allein! – Gott! welche Augenblicke. O Dalwig! Dalwig, welch eine Vorhersehung gab dir die Worte ein, die du mir damals sagtest. An dich habe ich mich versündiget – meine Begrife von Tugend waren zu strenge. Auch als deine Geliebte – selbst als deine Maitreße wär ich glüklicher gewesen, als ich nach Jahren wurde, ich wär nicht weniger tugendhaft gebliebe[n] – wehe der Tugend, die nie einen Mann gelächelt. – Nie lächeln konnte. – Doch es sollte wieder so seyn.CX [265]
– Doch weiter in meiner Geschichte. Den Tag darauf kam wieder ein Brief von ihm. Mit zitternden Händen erbrach ich solchen und fand darinnen folgenden Inhalt: „Harte Caroline, hier in diesen Blatt nehme ich von Ihnen auf ewig Abschied. Weil Sie mich doch nicht lieben kennen – o so haßen Sie mich wenigstens nur nicht. – Kann ich Ihnen jemals dienen, so werde ich bereit seyn. – Werde nie aufhören, Ihr Freund zu seyn. Sie sehen klar, daß ich mich jezt nicht mit Ihnen verheyrathen konnte; sonst hätte ich’s wahrlich gethan. Allein, ohne des Regiments Wißen darf ich es nicht thun, oder ich würde für infam erklärt. – Und so wie Ihnen Ihre Ehre über allesCXI ist, so geht sie auch mir über alles. – Meinen Abschied bey dem Fürsten kann ich nicht fordern. Die Erbschaft, die ich zu hoffen habe, würde ich Ihrendwegen gern entsagt haben. Ja, selbst mein Vermögen von meiner Mutter. Da mir also alles, Sie zu besizen, fehlgeschlagen – kann ich Sie – darf Sie nicht wiedersehen. – Leben Sie wohl und vergeßen Sie Ihren durch Sie Unglüklichen D.“ Mein Glük war, da ich dieses las, daß ich ganz allein war und den Bedienten vor der Thür warten lies. – Ich fiehl auf meine Knie: Gott, Gott, ich soll ihm nicht mehr sehen. – Das gestrige Gesprech sollte mein Abschied von ihm gewesen seyn? – Was soll, was kann ich thun? O Dalwig! – O Tugend – O Ehre! – Ich rafte mich zusammen und ging zu den Bedienten hinaus und fragte ihm: „Wo ist der Herr Major?“ – „Ich weis es nicht, er gab mir den Brief an Sie und sagte, er wolle verreisen – ob er noch da oder schon fort ist, weis ich nicht“. Ich dachte unsinnig zu werden über die
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Nachricht, lief ins Zimmer und schrieb ihm – was ich schrieb, weis ich selbst nicht mehr, doch soviel [266]
erinnere ich mich vom Hauptinhalt. Das ich ihm bat, er möchte wieder zurükekommen. Ich hätte mich entschloßen, alles, was ich kennte, vor ihm zu thun. Meine Ehre, Namen, alles schliege ich für ihm in die Luft. Er solte mich nur noch ein einziges Mal sprächen. Ich hätte ihm noch etwas zu sagen, und dieses würde er billigen. Dieses war mein Brief. Den andern Tag zog ich von ihm Erkundigung ein oder wolte vielmehr Nachricht von ihm einziehen. Den der Ungestüm war bey mir über, ich dachte nach: D. weis, daß du ihm liebst, hat er dich auch nur erschröken wollen? Ich schikte mit einen Vorwand nach dem Leutenant Wolf. – Daß ich hofte, ihn vor meiner Abreise noch ein Mal zu sehen? Den Herr Ackermann hatte geschrieben, das er bald kommen würde, um mit uns nach Braunschweig zu reisen. Der Leutenannt Wolf wuste kein Wort, was zwischen mir und den Major vorgefallen. – Bald als er kam, wuste ich das Gespräch auf den Major zu lenken: das ich zu Wolf sagte: „Wo muß er den seyn? – Ich wünschte doch so gern auch von ihm noch Abschied zu nehmen“. – „Ja, das mag Gott wißen, was den Major jezt fehlt – keiner von uns allen kennt den mehr. So war er noch nie! Heute Morgen erfuhr ich, das er gestern wie unsinnig von seinen Dorf fortgeritten, er ritt bey dem Guthe (den Namen habe ich vergeßen) vorbey, der Besizer davon liegt an den Fenster, ruft ihn an und bat ihn herraufzukommen, er lies sich bereden, es war große Geselschaft da, sie spielten, und der Major verlohr 100 Ducaten. – Soll wie ein toller Mensch gespielt haben. Wie die weg waren, ist er wieder fortgeritten und gesagt, er hätte eine kleine Reise vor, aber nothwendig, und weg war er“. – – Ich saß bei dem Gespräch wie im Feuer; nahm zum Husten meine Zuflucht, den ich fühlte die Glut in meinen Gesicht. – Der Leutenant ging bald fort und sagte: „Solte ich er[267]
faren, wo der Herr Major ist? will ich ihm Ihre Abreise zu wißen thun“. – Mein Brief war ihn mit der Post nachgeschikt worden. Noch 3, 3 lange Tage gingen hin – Ackermann kam auch, und wir solten reisen. Wer je geliebt hatte – so geliebt wie ich, kann sich meinen Zustand denken. – Endlich, nachdem ich ihn in 4 Tagen nicht gesehen hatte, tratt er in mein Zimmer. Nur halb frölig und furchtsam war sein Blik. – In mir war Freude – Angst. Doch eilte ich ihm mit offenen Armen entgegen. – Ohne es wehren zu kennen, lag er vor mir auf den Knieen. „Hier bin ich“, sagte er, „mein Leben oder Tod aus Ihren Munde zu hören“. Ich hob ihn auf und schloß ihn in meine Arme. „O mein D. – mein wilder, wilder D., und so leicht konnten Sie Ihre Caroline verlaßen?“ – Wir weinten beyde – ich küßte seine Thränen – er die meinigen von den Wangen – wir
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waren Kinder – Kinder der Liebe, der zärtlichsten Liebe. – Er wolte sich anklagen – ich fiehl ihn ins Wort: „Hören Sie mich, seyn Sie ruhig. Sie haben meine beyden Vorschläge verworfen. Nun will ich Ihnen den dritten thun. Ich spreche jezt vor Ihnen, als ob ich vor Gott stünde. Ich liebe Sie, dieß wißen Sie – doch machen Sie, das ich Sie ohne Gewißensbiße lieben – und mit Ihnen leben kann. – Jezt, wenn ich hierbliebe, würde es zuviel Aufsehen machen – will mit Ackermann bleibe[n], aber nicht länger, als bis die Meße in Braunschweig weret, den er selbst will nicht länger dableiben – unter der Zeit bekömmt er leicht jemand an meine Stelle. Sie machen Anstalt, das wir, es sey, wo es sey, in der Stille zusammengegeben werden. – Nur meine Mutter soll es wißen, das ich Ihre Gattin bin – sonst niemand. [268]
Mag mich alle Welt halten, für was sie will! Wenn ich nur vor Gott – vor meinen Gewißen rein bin. – Und, D., solte sich je Ihr Herz endern – oder ich Ihrem Glüke in Wege stehen, Sie mich nicht mehr lieben – o, so will ichs Ihnen an den Tage, da Sie ganz der meinige werden, durch den feuerlichsten Eid zuschwören, mich nie der Rechte einer Gattin gegen Sie zu bedienen“. – Ich schwieg – er sah mich an und sagte endlich: „Und dieß ist alles, was Sie noch thun kennen? – und glauben Sie, das es so verschwiegen bleiben wird? – Nein, das wird es nicht“. – Wir stritten wieder gegeneinander, doch nicht so heftig wie vor 4 Tagen. – Was soll ich sagen? Ich laß jeden Gedanken seiner Seele. – Ich sagte es ihm auch. „Wollan! Weil Sie dieses auch verwerfen, so weiß ich, ohne das Sie mir es eingestehen dürfen, alles was Sie befürchten. Sie glauben, das, wenn ich mit Ihnen verbunden wär, ich den Namen einer – nicht würde ertragen kennen; ich vielleicht meinen Rang würde suchen zu behaupten; ich vielleicht auf Thorheiten fallen würde. Wenn Sie daß meinen, so kennen Sie auch nicht glauben, daß ich Sie liebe, sondern sehen mich für ein einbilderisches Mädchen an, die nur wünscht, gnädige Frau zu heißen. – Nein, solche eigennüzige Absichten sind der Schulzen nicht würdig. – Ich sehe also klar, wir missen uns trennen. – Doch denken Sie einmal, wenn Sie Ihre Augen auf eine eitele Puppe werfen, an die redliche und uneigenniezige Schulze“. – – Der Rest des übrigen Tages war nichts weniger wie vergnügt – es wurde Abend, er wolte fort und frug mich: „Wie lange werden Sie wohl noch hierbleiben?“ – „Ich weis es [269]
nicht recht, Herr Major, noch 3 oder 4 Tage“. „Ich werde Sie noch jeden Tag sehen“. – „Das hof ich – das wünsche ich“. Er ging fort und kam den andern Tag auch wieder; nicht lange war er da, als er anfing: „Nun, liebe Caroline, ich bin entschloßen! Doch etwas müßen Sie mir versprechen“. „Laßen Sie hören?“ – „Sie müßen mich noch
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einmal besuchen“. – „Ja! wie kommen Sie doch darauf ? Von Herzen gerne“. – – „Ja, aber allein! – Ganz allein!“ – – „Ich allein?? – und warum, Herr Major?“ – „Daraus will ich schliesen, ob Sie mich für redlich halten, den noch, weiß ich gewiß, trauen Sie mir nicht. Dieses soll der Beweiß seyn: ob Sie mich so sehr lieben, wie Sie sagen“. – „Nein, Herr Major, das geschied nicht, das wär wieder allen Wohlstand510“. – Er schwur – doch alles half nichts. „Und wenn Sie sich Hände und Füße binden liesen, so gesche es doch nicht. Denken Sie, was würden Ihre Bediente denken? Und wenn Sie auch nicht aus den Schranken der Tugend wichen, so könnten doch die Leute sprechen, was sie wollten“. – „Ich will alles entfernen“. – „Desto schlimmer!“ – Nun wars wieder nicht recht. Und war wieder ein Nachmittag wie so viele andere, von Klagen und Beschwerden. Den Tag darauf kam er wieder. Nach wenig gewechselten Worten frug er mich: „Nun, wie lange bleiben Sie wohl noch hier?“ – „Ich weis es nicht recht“ – den ich war seid jenen Verlangen von ihm, daß er mir den Antrag machen konnte, zu ihm allein hinauszukommen, sehr ernsthaft geworden. – Er hatte es gemerkt und schien Reue zu fühlen. „O Gott! Ist es den nicht möglich, daß Sie hierbleiben kennen?“ – „Nein!“ – „Caroline, nicht so ernsthaft. – Liebe! nur noch eine Bitte gewehren Sie mir – o schlagen Sie mir solche nicht ab. [270]
Einziges Geschöpf. – Hier sind zwey Goldbörsen, wählen Sie sie, damit Sie an nichts Mangel leiden, und wenn Sie nicht genug haben – laßen Sie michs wißen“. – „Herr Major, Sie beleidigen mich. – Wenn habe ich geklagt über Mangel? – Ich bedarf nicht viel – drum brauch ich auch nicht viel. – Sie wißen, daß ich Ihr Geld nicht achte – und haben schon Beweise. – Behalten Sie alles. – Wolte Gott! ich wer reich und Sie arm. – Nichts habe ich von Ihnen genommen, seid der Zeit ich wuste, daß Sie mich liebten – wie Sie mir glauben machen wollen. – Ohne Sie zu beleidigen, kann ich Ihnen das, was ich von Ihnen habe, nicht zurickgeben – Sie wißen die Art, mit der Sie’s mir zuschickten. – Doch das ist vorbey! – Behalten Sie das Ihrige, damit Sie nicht einmal sagen – oder nur denken kennen, ich war nur eine Buhlerinn, die versucht hat, Sie zu schnellen511 – zu betrügen“ – – „Gott! Gott! was sagen Sie. – Ach, lassen Sie mir Gerechtigkeit wiederfahren. – Ich will ja nur, das es Ihnen an nichts mangele – o meine Caroline – meine“ – – er sank zu meinen Füßen. Sein Kopf lag auf meinen Schoß, meine beyden Hände benezte er mit seinen Thränen. – „O laßen Sie mich sterben – zu Ihren Füßen sterben! Sonst kann ich Sie nicht überzeigen. – Welch ein elender Mensch
510 Anstand. 511 Übervorteilen, prellen, betrügen.
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bin ich geworden. Bin ich noch Soldat? – Da lieg ich zu den Füßen eines Mädchens, die kein Mitleid, kein Erbarmen mit mir hat. – Mich wie einen bösen Hund von sich stößt – wer, wer von meinen Camerraten würden den Major Dalwig noch kennen“. – O Gott! den Mann meines Herzens in dem Zustand zu sehen. Um Gottes willen bat ich ihm aufzustehen, sich zu faßen! – „Leide ich weniger [271]
wie Sie?“ Mit allen meinen Kräften half ich ihn, das er aufstand. – „Meine Caroline! O Gott, wie ist mir!“ Ich sah ihm an, und kein Wunder wär es gewesen, wenn ich von Sinnen gekommen wär. – Er war blaß wie der Tod, die Augen starr im Kopf – ich warf ihm auf mein Bett. „O Gott! Dalwig, Dalwig, was ist Ihnen?“ Er hörte nicht! Sah nicht! ein kalter Todesschweiß wie Perlen stand auf seinen Gesicht und Händen. Ich war außer mir, meine Mutter kam auf mein Geschrey. Ihr Schreck war nicht geringe. – O, das ich stürbe hier, hier an der Seite des einzigen Mannes, den ich geliebt – meine erste einzige Liebe, wahre Liebe – wie elend hat sie mich gemacht! – Mein Geliebter kam nach vieler Mühe, die wir angewand, nach einer langen Stunde erst wieder zu sich. – „Soll ich Ihnen danken – oder nicht. Warum liesen Sie mich nicht in den Armen des Todes – mir war wohl – und das wünschen Sie ja“. – „Nicht so, Lieber“. – Er sprach und ich den Nachmittag wenig. Drauf ging er fort – es war an einen Donnerstag. Und meine Mutter hatte gehert, das wir den Sonabend fortreisen würde[n]; dieses hatte der Major noch gehert. – Ich wagte es nicht, ihm zu fragen: „Sehe ich Sie noch wieder?“ – Nur meine Augen sahen ihn nach, soweit ich ihm sehen konnte. Freytag und Sonabend hörte ich nichts von ihm. Den Sonabend noch spät des Abens kam der Herr Leutenant Wolf vor unsern Haus vorbey. Er sah mich am Fenster und frug mich, wenn wir reißten? – „Morgen mit der frühsten512. Haben Sie den Herrn Major nicht gesehen?“ „Ja! ich lies ihn gestern keine Ruh, und da mußte er mit mir meiner Schwester (die sich erst verheyrathet hatt und mich hier besuchen will mit ihren Mann) entgegenreiten; [272]
sie kam erst heute Morgen, wir baten ihm, er solte heute noch bey uns bleiben, er schlug es aber wegen wichtigen Verrichtungen aus“. Ich bat den Leutenant, mich dem Herrn Major zu empfehlen, und das sagte er zu, und so nahmen wir Abschied – im Herzen hatte ich gewünscht, das Wolf seiner Schwester allein entgegengeritten wär – und wie gut wärs gewesen! Den was that mein D.? Er wuste nicht anders, als das wir den Sonabend reisen würden, weil er mich also den Freytag nicht gesprochen, so ritt er den
512 Zu ergänzen ist: Kutsche.
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Sonabend auf der Landstraße herrum, mich einzuholen und noch ein Stik Weges zu begleiten. Wir reißten den Sontag früh – mußte fort ohne Abschied. Wie mir war? – wie mir wurde, als ich sein Haus in der Ferne liegen sah! – – So war ich noch nie gereißt. – Ich kam nach Braunschweig513, und mein erstes Geschäft war, den Major zu schreiben. Bald bekam ich Antwort – doch welch ein Brief ! Seine Hand war es, aber kaum zu kennen, so verzogen und verzert, erbrachte ich514 und las die Worte zusammen: „Ich bin meinen Ende nahe, wollen Sie mich noch einmal sehen – so erbarmen Sie sich Ihres sterbenden D.“ Ohne Sinne schlug ich zur Erde. Meine Mutter war allein bey mir, nach vieler Sorge brachte sie mich wieder zu mir selbst. „Was ist dir? Was ist wieder vorgefallen? Unglükliches Mädchen! Bringst dich und mich noch um“. – „Mutter, Mutter, mein Dalwig ist tod – ich bin seine Mörderin. Da, da lesen Sie“ – sie hob das Blat auf, las – und weinte, wolte mich trößten – doch für mich war kein Trost. Sie wolte das Blat ins Couvert steken und wird gewahr, das noch ein Blat darinnen stak. – „Siehe, sieh, da ist noch ein Brief“. – Das Wort wahr Balsam. Ich lasCXII daraus: Er wär [273]
den Sonabend bis spät in die Nacht herrumgeritten in der Hofnung, mich noch einmal zu sehen: weil er geglaubt, wir würden mit der frühsten schon von Caßel fortgefahren seyn. Da er mich aber nicht fand, hofte er, die Reise wer verschoben worden. – Den Sontag hätte er einen Freund sprechen mißen, und im Weggehen bekam er auf der Treppe einen Schwindel, schlug solche ganz herrunter und hatte sich sehr beschädiget. Er hätte sich in einen Wagen nach seiner Wohnung bringen laßen. Man wär nach Caßel um Hilfe geeilt –CXIII Die Docters, die mit seiner Mutter zu ihm gekommen, fanden ihm in der größten Gefahr seines Lebens. – Nur mich wünschte er noch einmal zu sehn. Er hätte sein Verlangen seiner Mutter endeckt. Und in dieser Hoffnung, weil seine Mutter bey ihm gewesen, hatte er an mich die beygelegten wenigen Zeilen geschrieben – der Bediente erhielte Order, mir das übrige mündlich zu sagen. Doch da er zurükkam mit dem Brief und der Nachricht, das ich den Morgen fort wär, hätte dieses seinen elenden Zustand noch vermehr[t]. – Noch wär er sehr matt, ob er beßer oder nicht würde, wär ihm gleichviel etc., etc. – Mit mir war es auch nicht viel beßer. Meine starke Arbeit – der innerliche Gram machte mich zusehends abfallen. Ich fung an, Blut zu brechen – und dem ohngeachtet arbeitete ich fort, den ich wolte mein Leiden – mein Leben enden. Der Major wurde beßer, und wir wechselten noch einige Briefe. Alles, was ich von ihm so oft mündlich und schriftlich gehert hatte, wiederholte er aufs 513 Aufenthalt vom 18. Juli bis 14. Oktober 1763, gespielt wurde in Nicolinis Pantomimentheater; Eichhorn, Ackermann, S. 71, 222, 234. 514 Gemeint ist: erbrach ich [i. e. das Siegel].
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neue – und ich blieb bey meinen festen Entschlus. – Er ward böse und antwortete nicht wieder, ich schrieb ihm noch dreymal die freundschaftlichsten Briefe, obgleich nichts [274]
von Liebe mehr noch Vorwürfen, aber ich erhielte keine Antwort515. Einen Geliebsten solte ich verlieren, aber eine Freundinn wiederfinden. Ich war keine zwey Tage in Braunschweig, als ich mich nach meiner Demoiselle Günther erkundigte. Ich erfur, daß sie ihren Bräutigam, Herrn Fleischer, der Hofbaumeister war, geheyratet hätte, und nahm Abrede, das man mich, weil ich ihre Wohnung nicht wuste, den ersten Tag, wenn keine Comödie wär, wolte hinführen laßen. Erst den 5ten Tag, als ich in Braunschweig war, wurde nicht gespielt. Ich sagte am Morgen meiner lieben Mutter: „Nun, heute Nachmittag will ich gewiß mein Rikelgen aufsuchen“. Ich kleidete mich also schon besuchgemäß an und ging zu Madame Ackermann zur Leseprobe, die wir hatten. War kaum eine Stunde da, als man mir sagte: Ein Bedienter wolle mich sprechen, hätte an mich einen Brief. Madame Ackermann scherzte: „Nun, das ist früh! Noch keine 5 Tage da? erst dreymal gespielt? und schon Briefe?“ – „Wird für mich nicht gefährlich seyn“. – Ich spreche den Bedienten, und indem er mir den Brief reicht, kannte ich gleich die Hand meiner Friederike. – Die erste Freude, die ich seid langer Zeit wieder zu fühlen imstande war. Kurz, sie war in der Comödie gewesen, erinnerte sich meiner Züge, lies sich erkundigen und hatte erfaren, daß ich dieselbe Schulze sey, die 1755 in Braunschweig gewesen. Nun lies sie mich auch gleich bitten, sie den Nachmittag zu besuchen. – Der Bediente holte mich ab, und ich ging nicht, ich flog nach ihrer Wohnung. Ein allerliebster Knabe von 5 Jahren516 stand auf der Gaße, und da er mich mit den Bedienten sah, lief er in ein Haus und schrie: „Mama! Mama! Karlinchen, Karlinchen“. Das Rufen wies mir das Haus an, in welches ich gehen solte, die theuerste, beste Freundin stürzte mir
515 Georg Wilhelm Christoph Adam von Dalwigk verheiratete sich mit Louise Dorothea von Nimptsch zu Gundernhausen und hatte mit ihr einen Sohn und zwei Töchter. Lit.: Reinhard von Dalwigk, Denkwürdigkeiten, S. 84; von Dalwigk, Schulze-Kummerfeld, S. 134. 516 August Wilhelm Fleischer (* Febr. 1759 Braunschweig, † 9. März 1821 Wolfenbüttel). 1776–1783 kämpfte Fleischer mit den braunschweigischen Truppen im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (s. u. HHS, Anm. 518 und WHS, S. [181v/368]). Am 12. März 1807 wurde er von König Gustav IV. von Schweden unter dem Namen Nordenfels in den Adelsstand erhoben. Seit dem 25. Dezember 1813 war Fleischer Stadtkommandant in Wolfenbüttel. Herrn Dr. Pingel vom Niedersächsischen Landesarchiv Standort Wolfenbüttel sei für seine Auskünfte bestens gedankt.
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schon auf der halben Treppe entgegen. Wir lagen einander um den Hälsen, konnte nichts sprechen – Thränen der Freude mischten sich in unsere Küße. – O der seligen Empfindung. – O der freudigen, nie vergeßenden Augenbliken. Ihr vortreflicher Mann sagte: „Nun, Rikgen, soll ich den meine kleine Freundin nicht auch küßen. Kenne ich Sie nicht ebenso lange wie du? – Da, da sehen Sie meinen kleinen August – der hat Sie uns gemeldet, und der hat noch keinen Kus zur Belohnung von Carolingen bekommen“. Ich nahm den Knaben auf den Arm, und so hielten wir uns alle vier lange umschlungen. Wie wir den uns so von den ersten Wiedersehn erholt hatten und noch mehr Besuch kam, nehmlich ihre Schwägerin mit ihren Mann, den berühmten Musicus Fleischer517, und ein Officier mit Namen Wilhelm Fredersdorf518, Premierleutenant 517 Friedrich Gottlob Fleischer (* 14. Febr. 1722 Köthen, † 4. April 1806 Braunschweig). Fleischer, Hofmusiker und Musiklehrer der herzoglichen Kinder, zugleich seit 1747 Organist im protestantischen Kirchendienst und Komponist, war seit 1757 verheiratet mit Conradine Augusta Dorothee Maria Stisser aus Braunschweig (1731–1772); Gernot Maria Grohs, Ein unbekannter Köthener – der Komponist Friedrich Gottlob Fleischer (1722–1806), in: Ders. (Hg.), Bildung ist ein großes Vergnügen. Aufsätze, Vorträge, Rezensionen über Musik-Geschichte(n) aus drei Jahrhunderten, Dessau, 2004, S. 9–25. Dass auch die Prinzessin Anna Amalia von Fleischer unterrichtet worden sei, trifft nicht zu; Joachim Berger, Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739–1807). Denk- und Handlungsräume einer ‚aufgeklärten‘ Herzogin, Heidelberg 2003 (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800, Ästhetische Forschungen 4), S. 56. 518 Wilhelm Ludwig Fredersdorff (* um 1737 Wernigerode, † 1778 Albany, N.Y.). Fredersdorff, der sich am 14. Oktober 1755 an der Universität Helmstedt für das Fach Jura eingeschrieben hatte (Die Matrikel der Universität Helmstedt 1685–1810, bearb. von Herbert Mundhenke, Hildesheim 1979, S. 211, Nr. 9013), schlug eine Militärlaufbahn ein und nahm 1776/77 im Rang eines Stabskapitäns zusammen mit dem oben genannten Adjutanten August Wilhelm Fleischer im Braunschweigischen 5. Musketierregiment von Rhetz am Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775–1783) teil. Er wurde am 7. Oktober 1777 in der Schlacht bei Freeman’s Farm verwundet und erlag im darauffolgenden Jahr in Albany seinen Verletzungen; Orderly Book of Lieut. Gen. John Burgoyne, from his entry in the state of New York until his surrender at Saratoga, 16th Oct. 1777 […], edited by E. B. O’Callaghan, M. D., Albany, N. Y. 1860, S. 59. So auch in: The Specht Journal. A Military Journal of the Burgoyne Campaign. Translated by Helga Doblin, edited by Mary C. Lynn […], New York 1995 (Contributions in Military Studies 58), S. 164. Das bei Claus Reuter, Die Braunschweigischen Truppen in Nordamerika, 1776–1783, Index aller Soldaten, die in Nordamerika verblieben, Scarborough, Ontario [um 1997] (Veröff. des German-Canadian Museum of Applied History), Nr. 720, genannte Todesdatum 28. Oktober 1777 dürfte demnach nicht zutreffen. – Das Geburtsjahr Fredersdorffs ist unklar. Nach Karoline Kummerfeld war er im Jahr 1764 27 Jahre alt. Das könnte auf das Geburtsjahr 1737 deuten, 1737 ist jedoch nachweislich Leopold Friedrich Fredersdorff, sein Bruder, geboren. Entweder waren Wilhelm Ludwig und Leopold Friedrich Zwillinge (sie schrieben sich auch am selben Tag an der Universität Helmstedt ein), oder Kummerfeld hat sich geirrt und Wilhelm Ludwig ist 1736 oder 1738 geboren. Auf jeden Fall unzutreffend dürfte das bei Reuter genannte Geburtsjahr 1742 sein, denn Fredersdorff wird sich nicht 13-jährig immatrikuliert haben. Hinweise auf zahlreiche Fehler Reuters
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unter des Durchlauchtigen Erbprinzen von Braunschweig519 Regiment, sagte meine Fleischer zu mir: „Aber Carolinchen! – mich so ganz vergeßen zu haben“. – Ich sah sie an. – „Ich Sie vergeßen? – Hier ist meine Antwort“, und in den Augenblük überreichte ich ihr ihre Adreße, die sie mir vor 7 ½ Jahr gegeben hatte. Da lag sie wieder an meiner Brust und weinte mit mir. – Alles war bewegt. Ich versicherte sie, daß ich von Potztam aus ihr geschrieben, aber keine Antwort erhalten. – Das viele Herrumreise[n], die weite Entfernung – der Mangel an Geld – und nachher, da ich’s zwar hätte in Ansehung des leztern thun kennen, hätte ich mich nicht mehr recht auf den Namen ihres Bräutigams besinnen kennen. Fleisch – Fleisch wär mir wohl eingefallen, aber ob Fleischmann oder Fleischhard und so fort hätte ich nicht gewust. Also wollten wir daran nicht mehr gedenken, die Zeit wär vorüber. Genug, daß ich sie nicht vergeßen, bezeigte ihr [276]
die so lange wie ein Heiligthum verwahrte Adreße, und daß sie mich nicht vergeßen, wär der Beweis ihres heutigen Briefes an mich. Und das wir gewiß recht zusammen sympathisiren müßten, so hätte sie mich denselben Tag zu sich rufen laßen, da ich gewilliget war, sie aufzusuchen. Nun war Abrede genommen, das, sooft Comödie wär, sie keine, ohne solche auch zu sehn, würde vorbeygehen laßen. Und die Nachmittage, wenn nicht gespielt würde, solte ich bey ihr oder ihrer Schwägerinn seyn. Der Cirkel war also von uns Sechsen geschloßen, ohne die Kinder mit darzuzurechnen. – War auch sonst (auser meiner Arbeit und einigen Aufwartungen, die ich bey Hof zu machen die Gnade hatte) für sonst niemand in Braunschweig, alle Miehe, die auch angewand wurde; so wolte und konnte ich sonst für niemand leben. Das Auge meiner Freundin sah tief in mein Herz. Als ich einmal mit ihr allein war, sprach diese gute Seele zu mir: „Kind! wenn ich Sie auf dem Theater tanzen oder eine muntere Rolle spielen sehe, so sind Sie ganz ein anderes Wesen als bey mir und in Geselschaft. – Da bey mir denke ich Sie mir nur als eine Sara, Lindane, Pamela. Alle Ihre Munterkeit ist Zwang. – Oft leide ich viel mit Ihnen, wenn ich sehe, wie viele Gewalt Sie sich anthun, es nicht merken und uns, wenn wir frölig sind, entgelten zu laßen. – Ich würde es für
bei der Berechnung von Geburtsjahren finden sich bei Stephan Huck, Soldaten gegen Nordamerika. Lebenswelten Braunschweiger Subsidientruppen im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, München 2011 (Beiträge zur Militärgeschichte 69), S. 21. S. a. Otto Elster, Geschichte der stehenden Truppen im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel, Bd. 2: 1714–1806, Leipzig 1901, S. 381, 494 (mit Todesdatum 7. Okt. 1777 und 1778). 519 Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel (* 9. Okt. 1735 Wolfenbüttel, † 10. Nov. 1806 Ottensen bei Hamburg).
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Ihr Temparament halten, aber einmal, Kind, haben Sie sich verrathen, das ein innerer heimlicher Gram Sie nagt. – Als Sie das lezte Mal die Sara spielten – Blut spieen, wo der ganze Hof und alle Ihre Freunde Todesangst um Sie ausstanden, und wie ich Ihnen einen zärtlichen Verweis gab, da man Sie so schwach und elend nach Hause trug, Sie sagten: Gottlob! Viel[277]
leicht habe ich bald alles überstanden. – Tanzten den zweyten Tag wieder mit zwey verbundenen Armen so entsezlich – troz alles Bitten und Vorstellen des Docters und Ihrer Freunde. – Das ist nicht Eifer für Ihr Brod, das ist aus Verzweiflung, sich das Leben zu kürzen. O meine Caroline, kann ich Ihnen helfen?“ – „Sie nicht – kein Mensch – nur Gott, Gott allein, der mich rufen soll“. – Ich fühlte wieder aufs neue, daß ich liebte – noch nicht von der tiefen Wunde, die diese Liebe mein[em] Herzen geschlagen, geheilt war. – Ich schütte dieses Herz ganz in den treuen Busen meiner Freundin, sie theilte meinen Schmerz mit dem ihrigen, und ihrer zärtlichen Sorgfalt, ihren eifrigen Bemühungen hatte ich meine Ruhe zu verdancken, Zeit, Nachdenken und der Vorsaz, nicht wieder zu lieben, nur der Freundschaft allein mein Herz zu weihen, brachte in mir bald meine ehemalige Munterkeit wieder her. – Ist der Major dir bestimmt von Gott, solst du mit ihn glüklich seyn, so wird er der Deinige. War er aber nur ein Feind deiner Tugend, so hat Gott für dich gewacht und alles so gelenkt zu deinen Besten. – Doch leugne ich nicht, sein Bild lag lange Jahre noch tief in meinen Herzen und konnte nicht ganz verdrengt werden. Jeder Tag in Braunschweig unter meinen 5 Freunden verschwand mir kürzer als alle meine Tage, die ich von meinen Daseyn an verlebt hatte. An Kartenspiele, um die langweiligen Stunden zu verschleidern, wurde nicht gedacht, den wir hatten immer Stof zum Gespräch. Ich zweifle, ob noch so ein vereinigter Cirkel vor uns oder nach uns in der Welt war. – Doch auch dieses Vergnügen solte ich mich gewöhnen zu verliehren – um Verluste noch mehr ertragen zu lernen. Im October war unsere [278]
Reise nach Hannover angesezt. Der Abschied von meinen Rickgen und den übrigen war traurig. Wir versprachen uns, durch fleißigen Briefwechsel den Verlust der Trennung erträglich zu machen; und so schieden wir auseinander. Auf der Reise hatten wir das Unglük, das der Wagen, auf welchen Madame Ackermann mit ihren Kindern, meine Mutter und ich saßen, durch Unvorsichtigkeit des Fuhrmanns umgeworfen wurde. Meine Mutter sties sich sehr unglüklich an einen Koffer, so das sie wohl in 4 Wochen in Hannover nicht aus den Haus konnte. Auch muß ich anmerken, das uns Herr Ackermann in Braunschweig 2 Gulden wieder zur Gage zulegte und wir nun 14 Gulden
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wöchendlich hatten. Wir spielten in Hannover mit vielen Beyfall und Glük520. Alles ging gut. Ich war munter und frölig und hüpfte so in Lachen und Scherzen meine Tage durch. – Der Briefwechsel mit meiner Fleischer, ihrer Schwägerin521 und Fredersdorf wurde ununterbrochen fortgesezt. Und was ich nicht am Tage zu schreiben die Zeit hatte, nahm ich die Nächte zu Hilfe. – Ich war einige Wochen da, als mir Fredersdorf ohne Vorwißen meiner Freundin geschrieben hatte. In den zärtlichsten Ausdriken gestand er mir seine aufrichtige Liebe. – Nie hätte er es gewagt, sich in Braunschweig gegen mich zu offenbaren, ungewiß, ob es vielleicht nur für ihn eine vorübergehende Empfindung wär. – Aber meine Entfernung hatte ihn überzeigt, ihn sein ganzes Herz kennengelernt. Nur auf mich käm es an, ob ich sein Herz annehmen wolte und könnte. Auch zweifelte er nicht, die Bewilligung des Durchlauchtigen Herzogs522 zu erhalten, da der Herzog so viele Gnade für mich hätte, und auch er sich rühmen könnte, die Gewogenheit des Herrn zu haben. – Fredersdorf [279]
war ein schöner Mann – männlich schön, 27 Jahre alt, besas in seinen Betragen, in seiner Art zu sprechen, zu handeln so viel Liebenswürdiges und Edles, das ich ihm gewiß geliebt haben würde, wenn ich ihm eher wie den Major gekannt hätte. – Und wie glüklich wär ich gewesen. Fredersdorf besaß meine ganze Freundschaft, die vollkommenste Hochachtung – aber lieben, lieben konnte ich ihm nicht. Aufrichtig, ohne Verstellung schrieb ich ihm solches. Und wenn ich auch durch mein Geständniß seine Freundschaft, die mir so schäzbar geworden, verlieren solte, so wolte ich sie lieber verlieren, als ihm betrügen oder eine Empfindung vorlügen, die ich nicht hätte. – Wolte er mehr wißen, so solte er mein anderes Ich, mein Rickgen, fragen. – Nur mich verschonen, es ihm nicht selbst zu sagen oder zu schreiben. Bald erhielte ich von ihm wieder Antwort. „Liebe Caroline! Ewig werde ich Sie lieben, muß ich Sie lieben – aber Sie werden es nie wieder von mir hören. Ihr Freund bleibe ich – und bitte um die Fortsezung der Ihrigen; die Sie mich gewürdiget – die Zeit wirds Ihnen lehren, das ich solcher nicht unwürdig war – noch bin etc., etc.“. Nun kamen seine Briefe wieder mit denen von Rikgen und ihrer Schwägerinn, und der Ton der zärtlichsten Freundschaft herrschte nicht allein in unsern Briefen, sonder[n] sie erfüllte ganz unsere Seelen. Sie erfuren alles, alles, was mir begegnete – auch das Unbedeutenste; und so lebte ich auch abwesend ganz bey ihnen, wie sie bey mir. Nicht lange war ich in Hannover, als ich in 520 Aufenthalt in Hannover vom 24. Oktober 1763 bis 1. Juni 1764, gespielt wurde im Ballhof; Eichhorn, Ackermann, S. 71 f., 222, 235 f. 521 Conradine Augusta Dorothee Maria Fleischer geb. Stisser, die Ehefrau Friedrich Gottlob Fleischers. 522 Karl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel (* 1. Aug. 1713 Braunschweig, † 26. März 1780 Braunschweig).
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zween Häusern Bekanndschaft erhielte. Das eine war in des königlichen Leibgerurgus523 Bothe524 Haus und das andere bey einer Pastorswittwe Deterding525. [Wo]CXIV mein Bru[280]
der ihren Sohn, der Postsekretair526 war, und die Nichte, Mademoisel Deterding527, im Tanzen informirte. Die erste Bekantschaft war auf eine drolligte Art. Ich kam von der Tanzprobe gegen Mittag lachend und springent, den sachte, wie andere Menschen, konnte ich gar nicht auf der Straße gehen, über jeden Rennstein muste ich hinüberspringen, schreiten konnte ich nicht – und das war mir nun einmal zur andern Natur geworden.CXV Ich weiß wenige Frauenzimmer, die gern mit mir spazieren gegangen wären, den immer hies es: ich lief, und wenn ich auch noch so ordendlich nach meiner Meinung zu gehen glaubte. Wie ich also so hergesprungen kam, sah ich von Ferne einen sehr alten Mann stehen, an einen Bach, wie bekantlich durch Hannover fast in allen Straßen Waßer fließt. – Ich sah den Alten, der zwar sehr reinlich und ordendlich gekleidet war, doch – ich weis selbst nicht, durch welche Idee, für einen Hausarmen528 an; und daß er wohl für hohen Alter nicht über den sehr stark angelauffenen Bach schreiten könnte. Geschwinde grief ich nach meinen Beutel, nahm einen halben Thaler herraus, will den Alten über den Bach leiten und ihm das Geld heimlich in die Hand drüken – schon standen mir mitleidige Thränen in den Augen, ich ging auf ihm zu, wolte die Hand ausstrecken und sagen: „Komm, lieber alter Vater“. – Als er mit eins meine Hand fest packte und zu mir sagte: „Weiß Sie wohl, daß ich Sie recht liebhabe?“ – „Ja, Herr!“ schrie ich, ris mich los, sprang über den Bach und lief, was ich laufen konnte, nach Hause, ich dachte, der Alte säß mir auf den Rüken – ganz athemlos kam
523 Leibchirurg. 524 Johann Christian Bothe (* 1685, † 17. Febr. 1765 Hannover), Leib- und Hofchirurg; Siebenfacher Königl. Groß-Britannisch- und Churfürstl.-Braunschweig-Lüneburgischer Staats-Calender über dero Chur-Fürstenthum Braunschweig-Lüneburg, und desselben zugehörigen Lande aufs 1763. Jahr Christi, Lauenburg 1763, S. 20; Schloß-Kirchenbuch Hannover 1680–1812, bearb. von Hans Funke, Hannover 1992 (Niedersächsischer Verein für Familienkunde e. V. Hannover, Sonderveröff. 24), S. 86 Nr. 515. – Was Bothes Alter anbelangt, gibt es eine Unstimmigkeit. Kummerfeld schreibt weiter unten (HHS, S. [282]), Bothe sei damals, 1763, 83 Jahre alt gewesen. Dann wäre er aber, wenn das Geburtsjahr 1685 stimmt, erst 78 Jahre alt gewesen – oder aber sein Geburtsjahr war 1680. 525 Es lassen sich Pastoren mit dem Namen Deterding nachweisen, um wen es sich aber bei dieser Pastorenwitwe Deterding handeln könnte, ließ sich nicht ermitteln. 526 Nicht ermittelt. 527 Nicht ermittelt. 528 Ortsansässige Arme, die regelmäßig Almosen bekamen und in striktem Gegensatz zu durchreisenden Straßenbettlern standen.
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ich nach Hause. „Mein Gott!“ sagte meine Mutter, „wie bist du einmal wieder gelaufen?“ Ich erzelte, was mir begegnet, und das der Alte müßte närrisch seyn, ich dachte: er hatte mich schon bey dem Kopf. – Ich erzelte es den Abend auf dem Theater – sie lachte[n] alle gewaltig, aber besonders Herr Ackermann fing an und sagte: „Ich wette, das war der alte Herr Bothe, der Leibgerurgus!“ Ich beschrieb ihn – – „Ja, ja, er ists, und, Mädchen, den woltest du Allmosen geben? – Der Mann mit seiner Familie ist eine[r] meiner besten Kunden. – Alle Abend auf den ersten Plaz und imer mit 10, 11 Personen“ – das machte ebenso viel Gulden. Nun schämte ich mich, daß ich einmal wieder einen albern Streich gemacht hatte – aber der Alte hatte mich gar zu sehr erschrökt. Etlieche Tage darauf war Herr Bothe in der Billardstube, den wir spielten im Ballhaus. So wie ich in den Hof trat, kam der Alte aus der Stube gewackelt und auf mich zu. Nun blieb ich stehn und machte ihm meinen Dienergen. – – „Neilich wolte Sie mir nicht stehen bleiben – was Henker! ist Sie vor mir gelaufen? – Muß es Ihr nur noch einmal sagen: daß ich Sie recht herzlich liebhabe. – Aber das verfluchte Springen las Sie mitsamt Ihren Bruder. Kinder, Ihr thut euch gewiß noch alle beyde Schaden! Und was habt Ihr den davon? – Wie ich vor 50 Jahren in Frankreich war und Italien, seht, da hat man so getanz[t]: tal tal tatla tala triridum“ – und sang die Fol des Spagne529 und hob den einen Fuß und die beyden Arme dazu – nun hätte ich gleich den Mann küßen kennen, so lieb war er mir. „Sie muß mich besuchen, hab große Töchter – sind mir schon über den Kopf gewach[s]en – aber wir haben Sie alle lieb – herzlich lieb – nun auf den Sontagnach[282]
mittag sehe ich Sie in meinen Haus“. – 83 Jahr war dieser liebenswürdige Greis alt. Auch da lernte ich die Anmerkung machen: daß das Alter oder alte Leute immer selbst schuld sind, wenn die Jungen sich ihrer Gesellschaft entziehen: Wen der Alte nicht vergißt, daß er auch ehemals jung gewesen. Nicht mürrisch, nicht verdrießlich ist und mit Theil an fröligen Scherz nimmt. Keinen Sontag hab ich in Hannover verlebt, wo ich nicht bey meinen lieben Bothe war. Er hatte zwoo Töchter und einen Sohn. – Der Sohn war Hofadvocat530. Es schien, als ob die ganze Natur sich verschworen hatte 529 Unter Folia wird sowohl ein vom 15. bis 17. Jahrhundert verbreiteter volkstümlicher Tanz iberischer Herkunft verstanden, der auch im höfischen Theater Verwendung fand, wie auch eine harmonischmelodische Formel, die in der Komposition von Tänzen, Liedern und Instrumentalvariationen eingesetzt wurde. Mit Lullys „Les folies d’Espagne“ (1672) erfolgte die Umformung von der frühen zur späten Folia; John Griffiths, Art. Folia, in: MGG Sachteil 3, Sp. 600–607. 530 Franz Johann Bothe, Advokat in Hannover, bei dem Königl. und Kurfürstl. Ober-Appellationsgericht
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gegen ihm, eine häßliche Gestalt hervorzubringen. Aber so ungestalt er war von Kopf bis auf den Fuß, so war er der Mann von den besten Herzen, den rechtschaffensten Grundsezen. Voll Verstand. – Wenn Geselschaft auch zuweilen von jungen liebenswürdig gestallten jungen Herrchens da war, so waren wenige Worte, die der junge Bothe sprach, mir lieber als allen denen süßen Herrchens ihr Geschwäz. Zum Glük, das solche Geselschaft nicht oft da war. Die gewöhnliche waren lauter alte Freunde von dem Hause – Knaben von die Siebzig, 60, 50 und in die 40zig Jahren. – Auch seine Töchter hatten ihre Jahre und hätten meine Mütter seyn kennen. Und in diesen Cirkel sas ich mit meine 18 Jährgen mitten darunter, freuden uns und lachten und waren oft so lustig, das die Nachbarn in die Fenster lagen und die Leute auf den Straßen stille standen. – Und niemand wurde beleidiget; noch weder im Witz oder Scherz der Nebenmenschen Ehr und Redlichkeit abgeschnitten, noch durch zweydeutige häßliche Zoten Gott und die Menschheit beleidiget. Ich lebte das herlichste Leben! In Unschuld und Freude schwanden [283]
die Tage meines Daseins. Freilich hatten wir auch ernsthafte Stunden und Gespreche. Den ein immerwerendes Lachen kann so läßtig werde[n] wie bestendiger Ernst. So wie es sich schickte, wie das Gesprech sich lenkte. Ein vor allemal hatte mir Gott die Gabe gegeben: lustig mit dem Lustigen und traurig mit dem Traurigen zu seyn. Nie vergas ich mich oder die Aufmerksamkeit, die ich jeden seines Alters und Würde schuldig war – und dadurch erwarb ich mir so viele Freunde. Unter denen kann ich auch ohnmöglich einen herrlichen Mann, ohne solchen zu nennen, vorübergehen. Es war der Hofsecretair Baring531. Einer meiner edelsten und besten Freunden; der mit in dem sontägischen Cirkel geherte, der in Bothens Haus war. – Einmal wurde von Guten und Bösen geurtheilt und darüber Anmerkungen gemacht. Der alte Bothe ward sehr ernsthaft und sagte: „Hab nun 83 Jahre gelebt. Bin meiner lezten Tage nicht fern mehr. – Erwarte mit jeden Morgen, mit jeder Nacht, daß es vielleicht die lezte ist. Will auch gerne vor meinen Gott erscheinen, wenn er will – wenn er mich abruft. – Aber ich würde noch freudiger sterben, wenn ich mir nur nicht einer Handlung bewußt wär, die ich wünschte nicht gethan – oder ungeschehen zu machen. – Doch Gott ist in Celle immatrikuliert; Siebenfacher Königl. Groß-Britannisch- und Churfürstl.-Braunschweig-Lüneburgischer Staats-Calender über dero Chur-Fürstenthum Braunschweig-Lüneburg, und desselben zugehörigen Lande aufs 1763. Jahr Christi, Lauenburg 1763, S. 13 f. 531 Christian Ludwig Baring (get. 8. Aug. 1721 Hannover, † 20. Okt. 1792 Hannover), Hofgerichtssekretär und Calenbergischer Landrentmeister in Hannover, Kanonikus des Stifts St. Cosmae und Damian in Wunstorf; Schloß-Kirchenbuch Hannover, S. 32 Nr. 159.
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barmherzig und wird mir vergeben“. – Das wir alle auf die eine Handlung neugierig waren, solche zu wißen, kan man leicht denken. – Und besonders ich. Ich leugne auch nicht meine kleine unverschämte Dreistigkeit – den was ich dachte, mußte ich auch sagen – „Was kann das gewesen seyn, lieber Papa?“ – den so nannte ich ihm und er mich seyn kleines Inglineschgen. „Wils sagen! Als ich noch bey der Armee stand und auch noch munter war, wars im Sommer um die Zeit der Heuerndte. Ich war Regimentsfeldscherer und wolte mit einigen meiner Kammerathen, [284]
die unter mir standen, nach dem Lager reiten; wir drafen auf eine schene Wiese, die die Bauern eben abmähthen. ‚Ha, die Wiese ist schön‘, sagte ich: ‚Kommt, las uns hier unsere Pferde grasen!‘ Und so stiegen wir ab und fiehrten unsere Pferde im Grase herrum. Die Bauern baten mich, ich solte doch mit dem Pferden von der Wiese gehen, sie wolten uns abgemäht Graß geben, soviel wir wolten. Die Zeiten der Erndten wären ja des Kriegs wegen ohnedieß schlecht und des guten Heus wenig – nur die einzige Wiese war noch verschont geblieben. Ich lachte, schallt und fluchte der Bauern – und habe es nicht gethan“. Bothe schlug seine Augen in die Höhe, und Thränen standen in solchen. – – Ich wuste vor Angst nicht aus noch ein. Und um ihm einst ein ruhiges Sterbestündchen zu machen, so sagte ich – – „Aber, lieber Papa, das war doch auch so was schrecklich Böses nicht“. – „Inglineschchen! Inglineschchen! Ey, ey? sage Sie das nicht. Nichts Böses? – Viel, viel Böses! Die armen Bauern mich zu bitten und unbarmherzig zu seyn? – wolte mir unentgeldlich Graß geben? Nahms nicht, schaltete, lachte? Hätte Sie das sehen und billigen kennen?“ – „Nein, lieber Papa. – Aber ich habe gehört, die Pferde freßen lieber das Graß ab, als wen man es ihnen in Bunden hinreicht?“ – „Ja, das ist wahr! Aber war nicht Graß genug am Wege? Mußte ich auf die Wiese mit den Pferden? Was verdarb nicht all der Kriech532! Was war für Noth?“ – Mir fiel die Reise nach Caßel ein, meine melancholische Bäuerin, und fing bitterlich an zu weinen – wann der, der der Armen ihr leztes Kind an die Wand zerschmetterte, einst seiner lezten Stunde nahe seyn wird? – oder solcher schon gewesen, [285]
welch entsezliches Ende wird er nehmen oder genommen haben? – Wem muß dieser 83jährige Greis nicht verehrungswürdig gewesen seyn? Jetzt sterben Junge und Greise mit wenigern Scrubeln533, die Menschen geräubert, geblindert534 und Wittwen 532 Krieg. 533 Skrupel. 534 Geplündert.
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und Waysen auch mitten im Frieden zu Bettlers gemacht. – Wer kann sich wundern: Wenn Alte auf ihr Leben voll Laster zurükblicken, daß sie sich scheuen und murren und knurren, wenn die Jugend lacht? – Daß sie zu schwach geworden, lasterhaft mehr seyn zu kennen? O mein alter Bothe! Heilig sey mir stets dein Andenken! – Glüklich und gesegnet der Tag, da ich dich kennenlernen, du mich deiner Freundschaft, Liebe und Achtung würdig geschäzt. Solche Menschen lies mich Gott finden. Dank, ewiger Dank, gütiger Gott! Doch ich solte in diesen heutern Zeiten nicht vergeßen lernen: das auch noch trübe Augenblike und Tage für mich bestimmt wären. Meine gute Mutter wurde krank und bekam heftige Blutstürzungen, die mich nach und nach an den Gedanken gewöhnen solten: Du wirst auch sie bald verlieren. Keine Aufwartung, kein Geld, nichts wurde gespart, um ihr theures Leben für uns zu erhalten. Auch erholte sie sich wieder, so daß sie wieder ausgehen konnte. Kurz vor dem Advent kamen meinen Bruder aus seinen Beinkleidern, die er hingehengt, eine Steinschnalle weg. Die Garnitür hatte ihm 40 Thaler gekostet. Wir suchten alle nach dem Ballet, aber die Schnalle war weg. Endlich sezte er ein gut Trinkgeld darauf, wer sie ihn wiederschafte, und solche wurde auch den andern Abend in einen Leichter535 gefunden. – Diese kleine Episode, die ich hier einstreue, fiel nachher für mich sehr wichtig aus. Der Advent kam, und es wurde nicht [286]
gespielt. Ich wurde wie gewöhnlich an einen Sontag in der Nacht von Bothens Haus nach dem meinigen getragen, als ich ankam, sagte meine Mutter zu mir: „Heute Abend ist jemand Fremder da gewesen und hat nach dir gefragt“. „Wer wars? Was wollt er?“ „Ja, das weis ich nicht, er sagte: er müße dich sprechen“. – „Wenn’s was Nothwendiges ist, wird er schon wieder kommen. – Inzwischen ists sehr wunderlich von ihm, daß er’s Ihnen nicht gesagt hat. – Warum gerathe mir? Das gefällt mir nicht. – Der muß mich auch noch nicht kennen“. 8 Tage gingen hin, und ich war wieder bey Bothens. Wie gewöhnlich, daß sie ja wusten, das mir nichts Unangenehmes begegnen konnte so, hatten sie mich niemals mit einen Bedienten nach Hause gehen laßen, sondern sie waren so gütig und bestellten immer eine Portschaise536, die manche nur den verfluchten Kasten nannten. Doch der Kasten war mir bey den kalten, unangenehmen Wintertagen lieb. Wie ich zu meiner Mutter in die Stube trat, sagte sie zu mir: „Der Fremde war wieder da“. – „Nun?“ – „Ja, ich glaube nicht, das es ebenderselbe war von 8 Tagen – oder vielleicht habe ich ihm das erste Mal nicht recht gesehen, weil ich noch
535 Leuchter. 536 Portechaise: Sänfte.
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kein Licht brennen hatte, heute Abend aber kam er später. Er war ganz vermumt, hatte eine Reisecapuce auf den Kopf, vor den Mund zugeknöpft, das nur so ein bisgen die Nase herrausstekte und man kaum die Augen sah. Hatte einen Mantelrok an, doch sah ich weiße seidene Strümpfe. Dieser allso beschriebene Herr, nachdem er einen guten Abend gesagt hatte, frug nach dir? ‚Meine Tochter ist nicht zu Hause‘. ‚Das ist doch ergerlich, das sie nie zu Hause ist?‘ – ‚Und warum? Soll sie [287]
nicht ausgehen?‘ – ‚Aber wo ist sie denn?‘ – ‚Wo sie immer ist, bey Herrn Bothe. – Was wollen Sie von ihr?‘ – ‚Ich habe ihr einen Brief zu geben, und das in ihre eigene Hände‘. – ‚Hören Sie und nehmen Sie mir es nicht übel. Wen Sie einen Brief an meine Tochter haben, so kennen Sie solchen mir ebenso gut geben wie ihr. Ich erbräche keine meiner Tochter Briefe – den ich kenne mein Kind! und weis, daß sie mir alle ihre Briefe lesen läßt – sie hat vor mir keine Geheimniße; haben Sie also einen Brief an meine Tochter, den die Mutter nicht lesen soll oder darf – so wird solcher auch der Tochter nicht anständig seyn. Gehen Sie also in Gottes Namen mit Ihren Brief dahin, wo Sie hergekommen sind‘. Er schwieg still und sah mich an, endlich sagte er: ‚Madame, ich wolte Ihnen gern den Brief dalaßen, aber so bin ich beordert. Inzwischen will ich fortgehen und das wiedersagen, was Sie mir gesagt, ich komme also entweder bald wieder oder gar nicht‘. – ‚Sehr wohl, mein Freund‘, und so leuchtete ich ihm die Treppe hinunter. Nach einer kleinen halben Stunde kam er wieder. ‚Nun da, Madame! hier ist er, aber nochmals wird gebeten, das Mademoselle solchen erbricht‘. – ‚Daran dürfen Sie nicht zweufeln!‘ Er ging fort – und da hast du ihn“. Wieder ein neuer Auftritt! – „Laßen Sie doch sehen. – Der Brief ist schwer – da ist ja was darinnen“. – – Ich fühlte und fühlte – – „Ich wette, das sind Schnallen!“ – Dafür hielt ichs und Carl auch – nun wurde das Siegel von meiner Hand erbrochen, und ich fand ein Bar englische Steinschuchschnallen in Silber gefast, mit folgenden Zeilen: „Mademoiselle, da ich neulich nach geendigter Comödie gehöret, das dero Steinschnallen in der Suche gewesen [288]
und also vermuthlich verlohren gegangen; so nehme ich mir die Freyheit, Ihnen hiebey ein Paar andere zu überreichen. Ich bitte solche ohne Bedenken anzunehmen, da Sie niemahls erfaren werden, woher oder von wem sie kommen. Es geschiehet dieses aus keiner andern Ursache als in Ansehung der großen Approbation, welche Sie sich bey dem hiesigen Publico erwerben, auch wiederum etwas dazu beyzutragen, das Dero hiesiger Auffenthalt Ihnen angenehm werden möge. Ich möchte aber auch gerne gewiß seyn, ob der Überbringer sie Ihnen auch ehrlich überliefert hat. Ich bitte also, wenn Sie das erste Mahl nach dem Feste wiederum vorstellen, dieses Zeichen des richtigen
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und Ihnen nicht unangenehmen Empfanges mir zu geben, das Sie entweder in der Vorstellung oder im Ballet – wenn es Ihnen anders beliebig ist, den Schnupftuch gelegentlich fallen laßen. Ich bin ein Ihnen stets Unbekandter. Hannover, den 11. December 1763“. „Ein Par Schnallen wegen so viele Umstende zu machen!“ sagte ich. Doch freude ich mich auch gewiß recht sehr. Von wem solche etwa kommen konnten? gab ich mir keine Miehe zu wißen. Wolte unbekand seyn? Gönnte solches ihm herzlich. – Genug, es zeigte von einen edlen Betragen. Nur war ich noch gar nicht bey mir schlüßig, ob ich das Schnupftuch solte fallen laßen oder nicht? – Ohngeachtet niemand was davon wuste oder sonst merken konnte: so war ich doch zu delicat in meiner Denkungsart. – Da ich also noch Zeit hatte zu überlegen, schrieb ich den ganzen Vorfall nach Braunschweig an mei[289]
ne Freunde, und das, was sie mir riethen, wolte ich thun. Die meisten Stimmen sagten: Ja, ich solte ein Schnupftuch fallen lassen. Im dem ersten Stick nach dem Feste hatte ich nur im Nachspiel und Ballet zu thun. Das Nachspiel war Der geschwäzige Barbier von Holberg537, ich spielte das Mädchen und warf ein Schnupftuch nieder, und indem ichs fallen lies, warf ich eine große Flasche an einen steinerne Saurbrunnengruke538, das die Flasche in Sticken zerbrach – da lachte ich den aus vollen Herzen, aber Herr Ackermann fluchte und mußte für solche einen Gulden bezahlen. Alles gescha in einen Augenblik. Wenige Tage darauf erhielte ich eine Schachtel und bey derselben folgenden Brief: „Mademoiselle, Ein Ihnen Unbekanter, mir aber sehr vertrauter Freund hat mir committiret, Ihnen zu melden, daß er das sich ausgebetene Zeichen durch Fallenlaßen einen Schnupftuches den Tag nach den Feste im Nachspiel Der geschwäzige Barbier bey einer von Ihnen angenommenen Bouteille bemerket habe, daß er über daraus geschloßene richtige Ablieferung sich sehr gefreuet und er umso mehr danke, daß Sie die Kleinigkeit mit diesem Zeichen beehren wollen, indem er den Tag mit einer grossen Curieusitat in die Comödie gegangen. Ich habe ihm zwar vorgeworffen: das er eine kleine Thorheit gethan. Es gefällt mir aber die Art der Thorheit so gut, das ich eine ähnliche begehe und, um diesen Brief nicht zu trocken abzufaßen, Ihnen vorerst 1 Paar rothe, 1 Paar weiße Allongen539 und 3 Paar weiße Handschu in einer Schachtel durch die Hände Dero Frau Mutter überreichen. Den nicht alle Thorheiten sind schlimm. 537 Der geschwätzige Barbier, Posse von Ludvig Holberg. 538 Mineralwasserkrug. 539 Gebräuchlich war der französische Begriff (wörtlich „Verlängerung“) für Perücken. Allongeperücken wurden aber von Männern getragen und waren zu dieser Zeit auch nicht mehr in Mode, sondern
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Man bittet, solche Kleinigkeiten sich gefallen zu laßen, den jener und ich haben niemals mit Ihnen gesprochen, sind auch niemals nach geendigter Comödie auf den Theater gewesen, werden auch niemahls hinaufkommen, sind weder Officiere noch Hofleute, sondern solche, die wegen der Achtung, worinnen Sie stehen, etwas dazu beytragen wollen, daß es Ihnen hier gefallen möge, und Ihnen alles Gute wünschen. Wir bitten de[s]halb auf niemanden von denen, die Sie auf den Theater oder sonst etwa gesehen haben, zu rathen, den Sie treffen gewiß nicht die Rechten. Daß Sie aber über unsere Thorheit lachen, das kennen wir zugeben, den wir sind und bleiben dero stets Unbekandte. Hannover, den 31. December 1763. Bitte die Hand540 außer dero Frau Mutter nicht zu zeigen, sondern zu caßiren541“. Daß that ich den auch, niemand bekam solche zu sehen. Wär unartig und undankbar von mir gegen meine unbekandte Freunde und Wohlthäter gewesen. Selten verging eine Woche, wo nicht auch eine Schachtel kam. Immer zu der Zeit an meine Mutter adreßirt, wenn ich im Theater war. – Jede Schachtel war immer reicher und reicher angefült; der Inhalt der Billette immer derselbe: „Das Sie mich nie in Geselschaft gesehen oder gesprochen“. Nur in dem einzigen war ich dieser großmüthigen Gesellschaft ungehorsam, das ich die Briefe nicht verbrand habe542. – Mit der Zeit wuste ich, würde ich alles auftragen und aufbrauchen, doch von denen Billetten konnte ich mich nicht trennen. Die verwahrte ich und werden, solange ich lebe, nicht aus meinen Händen kommen. Noch dankt euch allen mein Herz, Ihr großmüthi[291]
ge Unbekandte und Freunde. Und wenn ihr mich auch nicht so reich, als wie ihr that, beschenkt hättet, so war die Art, wie ihr mir euere Achtung gegen mich bewiesen, zu verehrungswürdig, als das ein Herz wie das meinige nicht euren ganzen Werth, euer
allenfalls Bestandteil von Amtstrachten. Offenbar handelt es sich bei den hier gemeinten Allongen eher um geknüpfte modische Accessoires; s. den Werbetext für „Erstes Toiletten-Geschenk. Ein Jahrbuch für Damen 1805“ im Intelligenzblatt der Zeitung für die elegante Welt 52, 10. November 1804: „Künstliche Arbeiten mit dem Schiffchen zu knupfen, als Franzen, Allongen, Crepinchen und Agrements zu verfertigen“. 540 Gemeint ist Handschrift im Sinn von: Brief. 541 Kassieren: Hier im Sinne von vernichten. 542 Von einem weiteren Verehrer in Hannover berichtet Kummerfeld hier nichts. In ihrer Samlung vermischter Ungedruckter gedancke (s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2) finden sich jedoch sechs Briefe eines „R“ (vielleicht Rudolf Erich Raspe?) aus Hannover aus der Zeit zwischen 28. Februar und 5. Juni 1764, der sie offensichtlich in ihrer Rolle als Lindane in der Schottländerin verehrt und ihr auch Geschenke gemacht hat.
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edeles BezeigenCXVI in seinen ganzen Umfang gefühlt haben solte. Nun war ich auch imstande gesezt, die drey neuen Kleider verfertigen zu laßen, wozu ich in Caßel durch den Major die Zeige543 erhalten. – Und wer weis, wie lange solche ungemacht hätten liegen mißen, wenn ich nicht die lieben Briefe von der unbekandten Gesellschaft bekommen hätte. – Wie oft ich gewünscht, es ihnen zu wißen zu thun – doch wagt ichs nicht aus Furcht, sie kennten denken: daß ich unverschämt wäre und ihnen einen Fingerzeig geben wollte, mir noch mehr zu schenken. – Hier also in diesen Blättern, wen sie je solten einst öffendlich im Publico erscheinen, sage ich euch allen meinen Dank laut, wenn noch einer von euch leben solte, der dieses lißt. – Seht daraus: das nicht immer Wohlthaten an Undankbaren, die es nicht verdienen, zugewendet wird. Gott lohns euch. An jenen großen Tage, wo wir uns alle finden und kennen werden, freue ich mich, auch euch zu finden. Wir blieben bis in den Juni 1764 in Hannover und solten nur auf 4 Wochen nach Göttingen. Der Abschied von Hannover ging mir nahe, besonders von meinen alten Bothe. – Es hies zwar, wir würden den Winter wieder hinkommen, aber mein Herz sagte es mir: Du siehst deinen liebenswürdigen Alten nie wieder544. Ich war untröstlich. – Doch ich mußte fort. Nun waren wir in Göttingen und spielten bey reicher Einnahme mit sehr vielen Beyfall545. Wer weiß, [292]
was das sagen will? zu spielen auf einer Universität, und wie die, die in Göttingen war, wo in so langer Zeit nicht gespielt worden546? Und Herr Ackermann auch bloß
543 Zeuge: Stoffe, Spitzen, Band etc. 544 Bothe hat Karoline nach Braunschweig, wo die Truppe im Sommer 1764 gespielt hat, ein Gedicht gesandt: „An den kleinen Seelenhirten S.“ Dieses Gedicht nahm Kummerfeld in ihre Samlung vermischter Ungedruckter gedancke auf; s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. – Johann Christian Bothe starb am 16./17. Februar 1765; s. u. HHS, S. [316 f.]. 545 Aufenthalt in Göttingen vom 13. Juni bis 11. Juli 1764, gespielt wurde im alten Brauhaus am heutigen Waageplatz. Lit.: Eichhorn, Ackermann, S. 72 f., 222, 235 f.; Friedrich Hassenstein, Das literarische Göttingen, in: Böhm/Vierhaus (Hg.), Göttingen, S. 945–978, hier S. 958. Über Schulze-Kummerfeld und ihren Aufenthalt in Göttingen berichtet ausführlich mit Auszügen aus ihrer Autobiographie und dem detaillierten Spielplan: Otto Deneke, Göttinger Theater im achtzehnten Jahrhundert, Göttingen 1930 (Göttinger Nebenstunden 8). – Was die „reiche“ Einnahme anbelangt, heißt es bei Deneke, S. 30, „die Einnahme sei mäßig gewesen, habe sich nämlich auf 2235 Thaler belaufen“. 546 Die Universität Göttingen, die die Aufsicht über das Theater ausübte und die Spielerlaubnis erteilte, hatte erstmals seit Eröffnung der Universität (1737) im Jahr 1746 mit der Gesellschaft von Felix Kurz eine Schauspieltruppe zugelassen, darauf war 1749 ein Gastspiel der Schönemannnschen Gesellschaft gefolgt. Erst nach einer Pause von 15 Jahren gab es nun wieder Theateraufführungen. Lit.: Deneke, Göttinger Theater; Sigrid Fährmann, Aspekte kulturellen Lebens in Göttingen im 19. Jahrhundert:
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wegen der guten Aufführung seiner Gesellschaft in Hannover die Erlaubniß erhalten: wird wißen, das Verstand und Tallent erfordert wird zu spielen, seine Rolle so gut auf dem Theater als vor denselben. – Und lieber sich eines Thatels als Schauspielerinn sich unterwerfen als denn einer guten Bürgerinn. Ich nahm mir vor, bey aller meiner Flichtigkeit und muntern Wesens sehr auf meiner Hut zu seyn, gede547 Gelegenheit einer Bekandschaft auszuweichen, und wenn es auch mit dem Gesittesten von der Universität gewesen wär. – Nie ging ich allein über die Gaße, mein Bruder muste mir seinen Arm geben. Ich war ohne Afectation548 gegen den, der sehr einfach, wie gegen die, die reich gekleidet waren, gleich heflich und freundlich. Alle mögliche Versuche wurden angestellt, mich zu sprechen in meinen Haus. – Aber nie fand man mich, und oft war ich im Zimmer versteckt, das mich keiner sah. Bald kamen sie um ComödienzettelCXVII, bald um Billete, bald frug man nach Herrn Ackermanns Wohnung? bald wolten sie die Stüke zum Durchlesen haben, die gespielt worden? u.s.w. Endlich, da daß Kommen nicht aufhören wolte, sagte meine Mutter: „Meine Herren! ich bin gewiß, Sie wißen es beßer, als ichs Ihnen sagen darf, das hier bey mir weder Zettel noch Billette noch Bücher zu haben sind. Auch werden Sie beßer wißen wie ich, wo Herr Ackermann wohnt, weil ich es nicht weis, da ich noch nicht in seinen Hause gewesen bin? Was Sie vielleicht hier suchen, werden Sie nicht finden. Wir haben alle mögliche Hochachtung für Sie. Aber Sie sind selbst alle zu vernünftig, um nicht selbst einzuse[293]
hen, wie nothwendig es ist: jeden Umgang und jeder Bekandtschaft auszuweichen. Verschonen Sie also meine Thochter und mich. – Wie sehr würde es uns krenken, wenn wir Verdruß hier haben solten. Und Sie sind gewiß alle zu sehr gesittet, um dieses zu wünschen“. Da standen sie alle, sahen einander an, wurden roth – und lächelten. Endlich sagte einer: „Madame, Sie sind eine vortrefliche Frau. Sollen von uns allen wie Ihre vortrefliche Mademoiselle Toch[t]er keinen Verdruß haben. Ich versichere Sie durch mich die Hochachtung der ganzen Universität. Keiner von uns wird es wieder wagen, Sie zu belästigen“. Sie bickten sich und alle zum Zimmer hinaus und die Treppe herunter. Und ich kam unter den Tisch hervor, wo ich immer verstekt war und mich keiner wegen des großen Teppichs549, der herrum war, sehen konnte. „Gott sey Lob und Dank!“ sagte ich. „Nun kann ich endlich einmal ruhig in meinen Zimmer seyn“. Musik, Theater, Kunst und Vereine, in: Böhm/Vierhaus (Hg.), Göttingen, S. 905–944, hier S. 922–929; Hassenstein, Das literarische Göttingen, in: Böhm/Vierhaus (Hg.), Göttingen, S. 945–978. 547 Jede. 548 Affektation: Geziertheit, gekünsteltes Wesen. 549 Tischteppich: Tischdecke.
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In der zweyten Woche wurde das Türken-Ballet550 gegeben, wo mein Bruder als Mohr tanzte. Das forderte immer längere Zeit mit seinen Auskleiden, ehe er die Schwärze vom Gesicht wegwischte. Alle waren schon fort, nur wir noch nicht. Nun hörte ich einen ganzen Schwarm von denen Herren Burschen551 aufs Theater kommen. Kein Winkel zum Versteken war da. Ich lief zu dem ersten Vorhang und lies mich mit dem Theatermeister552 in ein Gespräch ein, aber nur um ihm zu sagen: „Lösche nicht alle Lichter aus, bis ich mit meinen Bruder fort bin“. Hinter mir wars wie ein Binenschwarm, doch wolte ich durchaus nichts hören noch sehen. Als einer anfing und sagte: „Guten Abend, Mademoiselle Schulze“. – Ja, nun half nichts! Ich wendete mich um und antwortete: „Guten Abend, [294]
meine Herren“. Da standen sie alle in einen Cirkel – der nicht zu überzählen war, die Hüthe in den Händen; und zween von ihnen führten das Wort, die andern waren alle still. Sie überhäuften mich mit Complimenten, sagten mir so viel Schönes und Artiges, daß ich gewünscht hätte zu verdienen, und wie sie damit fertig waren, schwiegen sie stille und erwarteten meine Antwort. Hab unter der Zeit ihrer Anrede mich gefaßt, den das weis Gott, ich zitterte und bebte, ob das auch von Folgen seyn könnte? Endlich, nachdem ich ihnen wieder mein Compliment gemachtCXVIII und gedankt für die gütige Nachsicht, die sie alle gegen mich hätten, hub ich an ihnen zu sagen: „Aufrichtig, meine Herren, muß ich Ihnen gestehn, daß ich noch nie an einen Ort mit so vielen Wiederwillen hingereist bin wie hieher nach Göttingen“. – „Warum, Mademoiselle?“ frugen sie mich sehr hastig. – „Wills Ihnen gestehen: Man machte mir so Angst! Unter einer so großen Zahl von jungen Leuten wärs unmöglich, das nicht auch einige wilde und unartige seyn solten; die nur Verdruß machen würden; sich ungestim im Theater betragen; würden Hendel und Verdrieslichkeiten suchen553. – Nun aber kann ich Ihnen
550 Der Aufzug des Groß-Sultans im Serail (Le serail du Grand Turc), pantomimisches Ballett. Die Aufführung fand am 18. Juni 1764 im alten Brauhaus statt; Theaterzettel UFB Gotha, Poes. 2° 2176, Bd. 6, Bl. 20. 551 Studenten. 552 Der Theatermeister, dem heutigen Inspizienten vergleichbar, war z. B. für die Bühnenmaschinerie, das Beleuchtungswesen, den raschen Ablauf bei Dekorationswechsel zuständig, auch die Aufsicht über die Bühnenarbeiter gehörte zu seinen Aufgaben; Maurer-Schmoock, Theater, S. 93 f. 553 Vielleicht spielt Kummerfeld hier darauf an, dass Johann Friedrich Schönemann sich beim Gastspiel seiner Truppe im Sommer 1749 über das ungesittete Betragen der Studenten während der Aufführungen beschwert hatte und nach 23 Tagen abgereist war. Ohnehin bestand das Göttinger Publikum im Wesentlichen aus Studenten. Theaterbesuche gehörten zu den zwar nicht verbotenen, aber doch von der Universität ungern gesehenen Aktivitäten der Studenten. Lit.: Deneke, Göttinger Theater. S. 8–16;
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auch mit derselben Aufrichtigkeit gestehen, daß ich ohngeachtet der kurzen Zeit, daß ich hier bin, noch nie an einen Ort gespielt habe, wo ich so viele Sitte – sollch eine Stille im Schauspielhaus erlebt habe wie hier. – Welche Belohnung ists also nicht dem Künstler, wen er sieht: das man Aufmerksamkeit für seine Arbeit hat? – Dazustehen, zu spielen nicht für Pöbel? – Nein; für lauter Personen, die sich alle dene[n] schönen Künsten und Wißenschaften gewitmet haben? Von denen [295]
mit Beyfall, mit gütiger Nachsicht beehrt zu werden; die wißen: das nichts vollkommen ist oder seyn kann – besonders bey unsern Stande? – Bleiben Sie alle so ruhig, wie Sie bisher gewesen sind, so weiß ich gewiß, das Göttingen, solange ich leben werde, einer mit von denen Örtern seyn wird, wo ich am liebsten gewesen bin. Und was ich in Ansehung meiner Rollen zu Ihrer aller Vergnügen werde beytragen kennen, werde ich gewiß nicht unterlaßen. – Nur nochmals bitte ich um Nachsicht. – Ist nicht zu verlangen, das bey so verschiedenen Rollen, die wir Deutsche nun einmal spielen mißen, in allen gleich gut seyn sollen?“ – Nun schwieg ich stille, und Beyfall erschalte aus aller Munden. Nun kam mein Bruder und sagte mir: „Caroline, ich bin fertig“. Ich verneigte mich gegen sie alle, wünschte ihnen wohl zu leben und sagte Gute Nacht. Noch war ich kaum auf der Treppe, als sie ein dreymaligesCXIX Vivat auf dem Theater erschallen ließen. – Ich dachte, ich wär des Todes über den Lärm, und eilte mit Carln nach Hause. Sie nun alle hinter uns beyde her, und wie wir zum Tor hinein waren, den das Schauspielhaus stand vor dem Wender Tor554: liesen sie uns vor, machten den großen Torweg von meinen Hause auf, ich wohnte bey einen Becker, und das Haus hatte einen Torweg, wo ein aufgeladener Wagen mit Mehlsäcken hineinfahren konnte, der aber nur ganz zu dem Gebrauch aufgemacht wurde. – Nein, für mich aber machten die Herren Pursche selbst beyde Thüren auf, stelten sich in einen halben Cirkel vor meinen Haus, die Hüthe inn Händen, neigten sich tief, ich mich wieder vor ihnen, so tief wie ich konnte. Und wie ich (wie sie dachten) nun könnte ich im Zimmer seyn? erschalte [296]
wieder ein dreymaliges Vivat, ich tratt ans Fenster, machte ihnen ein stummes Compliment, und nun wanderten sie alle fort. So schmeichelhaft es einer jeden andern vielleicht gewesen wär, so war es mir doch nicht. Den immer war mir angst für unangenehme
Hassenstein, Das literarische Göttingen, S. 955 f.; Stefan Brüdermann, Studenten als Einwohner der Stadt, in: Böhm/Vierhaus (Hg.), Göttingen, S. 395–426, hier S. 412, 416. 554 Gemeint ist das Innere Weender Tor.
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Folgen. Den Tag darauf wurde Leßings Sara Sampson555 gegeben. – Das Haus war zum Brechen voll. Und ich zweifle, ob je so eine allgemeine Stille, werend wir spielten, in einer Kirche gewesen ist. Nachdem das Stük aus war, wolten sie wieder aufs Theater und sich bey mir bedanken, weil ich den Tag gewiß vorzüglich gut gespielt (dieses Compliment machte mir selbst der große Eckhoff556, der in Hannover zu uns gekommen, kurz vor unserer Abreise, und mich die Rolle der Miß Sara noch nicht hatte spielen sehen). Dieser so sehr berühmte Schauspieler sagte zu mir: „Mademoiselle Schulz, ich bin nicht der Mann, der Complimente macht. Bisher habe ich geglaubt, das nur eine Starkin557 zu der Miß Sara geboren wär. – Aber Sie übertreffen diese vortrefliche Frau“. – Das sagte mir Eckhoff ! und doch solte ich nachher seine Schülerinn gewesen seyn. – Nicht als ob es mir nicht eine Ehre gewesen wär. – Nein; nur das boßhafte Menschen mir öffendlich alle Verdienste abgesprochen und daß ich erst durch Herrn Eckhof hätte Einsicht bekommen: mit Verstand eine Rolle zu spielen – und vorher das unwißenste Geschöpf auf Gottes Erdboden – (Theater gehört doch auch dazu, weils Gott so lange duldet) gewesen wär558. – Doch von der Matirie werde ich noch mehr zu sagen haben. Herr Ackermann aber hatte Wache vor die Thüre stellen laßen, und die Herren Pursche wurden abgewiesen, dieses verursachte einige Unruhen. Mir mußte dabey am ängsten seyn. [297]
Den stand ihnen nicht allen frey zu denken, daß ich es Herrn Ackermann gesagt? und ihm darum ersucht habe? – Wie leicht hätte[n] sie gegen mich einen Purschenstreich ausüben kennen – und wär doch unschuldig gewesen. Auch waren unter ihnen selbst Händel. Einige sagten: ich hätte hin und wieder zu viel, andere: nein, zu wenig Afect gezeigt, und die 3te Parthey sagte: sie hat gut gespielt. Also über das Zuviel und Zuwenig, Stark und Schwach und wieder: Gut und Recht fuchtelten sich einige herrum und 555 556 557 558
Am 19. Juni 1764; Theaterzettel UFB Gotha, Poes. 2° 2176, Bd. 6, Bl. 21. Hans Conrad Dietrich Ekhof (1720–1778), Schauspieler. Johanna Christiane Star(c)k(e) geb. Gerhard (1731–1809), Schauspielerin. Karoline Kummerfeld stellt ihre schauspielerische Leistung stets als Ergebnis eigenen Bemühens und autodidaktischen Lernens dar. Wie sie oben in HHS, S. [199] und WHS, S. [69v/146] ausführt, lässt sie als einzigen Lehrmeister nur ihren Vater gelten. S. dazu künftig: Gudrun Emberger, „Was ich bin, was ich kann, lehrte ich mich selbst – What I am, what I know, I taught myself“ (Überarbeitete Fassung eines Vortrags im Rahmen der Tagung „Eighteenth-Century Ego-Documents: The Individual in Society“, Universität Zürich, 8.–10. März 2017, Ms abgeschlossen). Lit.: Laura Deiulio, Der Beruf der Schauspielerin. Der Briefwechsel mit Auguste Brede, in: Barbara Hahn (Hg.), Begegnungen mit Rahel Levin Varnhagen, Göttingen 2015, S. 91–103 (Kummerfeld S. 95). Benezé vermutet, die Verwechslung mit einer anderen „Demoiselle Schulze“ (Sophie Elisabeth Schulz, verh. Boeck), tatsächlich einer Schülerin Ekhofs, habe hauptsächlich dazu beigetragen, auch Karoline Schulze als Ekhofs Schülerin zu betrachten; Benezé II, S. 200.
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machten sich blutige Finger. Bis den der gesezte Theil sich hineinmengte und ihnen sagte: „Sind wir nicht ruhig, so bekommen wir niemals wieder Comödie her; und das war doch unser einziger Wunsch, und ist hier unser bester Zeitvertreib“. Also wurde unter ihnen Friede, und ich wurde durch nichts in der Folge beleidiget. Ob man wohl sagen konnte, hier war mehr Glük wie Verstand von Ackermanns Seite, der es gewiß klüger hätte machen kennen. Wir spielten nun ruhig fort, und alle Abende hatte ich die gewöhnliche Begleitung und das dreymalige Vivat. Ja, wen die Beckerknechte vor dem Haus saßen, um sich abzukühlen von ihren Backofen, und sie sahen den Zug von ferne, liefen sie von ihren Bäncken und Steinen und machten die ganze Thüre auf, den Herren die Mühe zu ersparen und mich hineingehen zu laßen. Als einmal ein neuer Rector erwählt wurde, hatten sie einen feuerlichen Zug559. – Auch bey meinen Hause musten sie (ob’s gleich nicht ihr Weg gewesen wär) vorüberziehen – und ich bekam das zweyte Vivat – dan gingen sie erst nach denen Häusern der Profeßoren und des alten Generals. Der noch gesagt hat: „Haben recht gethan. Häts ihnen übelgenommen, wen sie erst zu mir und den zu den lieben braven Mädchen [298]
oder etwa gar nicht hingegangen wären“. Ging ich in die Kirche, so konnte man nur glauben, das ebenso viele Protestanden und noch weit mehr als Katholiken darinnen waren560. Oft, um ihre Geduld zu ermieden, mich nicht überall hinzubegleiten, blieb ich oft in der ganzen Predigt und ganzen Gottesdienst. – Aber keiner wich! Solange ich blieb, blieben sie auch. – Inzwischen war’s doch zu etwas gut. Der Geistliche, der da war, hatte sehr wenige Einkinfte, muste sich und alles, was zum Gottesdienst geherte, aus den Klinge[l]beutel erhalten. Wein, Lichte, Wäsche. – War wohl nie eine Capelle ärmer wie die. Den nie sah ich auf einen Altar Dalchlichte561 brennen wie in Göttin-
559 Vermutlich handelte es sich um einen Fackelzug anlässlich der Wahl des Professors für Naturrecht und Politik Gottfried Achenwall (1719–1772) zum Prorektor der Universität Göttingen. Achenwall übte dieses Amt vom 3. Juli 1764 bis zum 2. Januar 1765 aus; https://www.uni-goettingen.de/de/achen wall%2c+gottfried/103705.html, Zugriff am 9.7.2020. 560 Im Toleranzedikt vom 9. April 1746 erlaubte Kurfürst Georg II. von Hannover erstmals wieder die ständige Anwesenheit und Wirksamkeit eines katholischen Geistlichen in Göttingen. Den ersten Gottesdienst im April 1747 hielt der Benediktinerpater Aemilianus Jordan ab. Spätestens seit 1751 fand in Göttingen der katholische Gottesdienst im Ebel’schen Haus an der Barfüßerstraße (heute Barfüßerstr. 15) statt; Sabine Wehking, „Ein jede darf sich gleichen Rechts erfreu’n …“. Die Geschichte der Katholischen Kirche in Göttingen 1746–1990, Göttingen 1992 (Studien zur Geschichte der Stadt Göttingen 17); Dies., Die Entwicklung der katholischen Gemeinde in Göttingen 1746–1866, in: Göttingen, Geschichte 2, S. 587–608, hier S. 594. 561 Talglichte.
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gen. Ich versorgte also den Altar mit Wachslichte. – Der gute Alte kam zu mir, dankte vor die Lichte und versicherte mich, nie wär im Klinge[l]beutel so viel eingekommen, als seiddem ich dagewesen562. – Nun versäumte ich auch keine Predigt mehr. – Nicht des Vortrags wegen, den er war ein guter Mann, aber kein Redner auf der Canzel, sondern des Klinge[l]beutels wegen; solt, mich zu sehen, auch ebenso gut bezahlen wie in der Comödie. – War Leichtsinn dabey? – Nun, so verzeyhe es mir Gott! – Ich war jung! und gewiß die Begleitung nicht angenehm. – Also mußten sie doch eine Strafe dafür haben. – Auch leugne ich nicht, daß ich jeden scharf ins Gesicht faste, vor dem der Klinge[l]beutel hingehalten wurde. Sie mußten also einwerfen. Von denen breiten Steinnen, die in allen Straßen an den Häusern sind, wär gewiß keiner, wen er mir begegnet, darauf geblieben, um so gegeneinander wegzugehen. – O nein, sie traten von denselben aufs P[f ]laster. [299]
Blieben dan stehen wie die Soldaten vor ihren General. Und würden mit jeden sich herrumgehauen haben, ders unterlaßen hätte, mir mit weniger Aufmerksamkeit zu begegnen. – Sind wir nicht alle Thoren, wenn wir jung sind? Nun kam die lezte Comödie563. Aber wie solche aus war und das Ballet; da ließen sie es sich nicht währen und wurde ihnen auch nicht versagt, kamen alle aufs Theater, bedankten sich in kurzen Worten bey mir und küßten mir die Hände. Ich dachte, der Zug würde gar nicht alle werden. Späth wars in der Nacht, als ich erst vom Theater mit Carln nach Hause kam. Alle Pursche hatten sich in 2 Reyen vom Wender Thor an bis an mein Haus gestellt – durch diese Gaße muste ich durch, jeder sagte „Gute Nacht – leben Sie wohl!“ Glükwünsche und Danksagung aus jeden Mund564. – Ich mußte weinen und kann sagen, daß ich gewiß ihre Güte und Liebe fühlte mit den dankbarsten Herzen. Sobald sie Licht in meinen Zimmer sahe[n], donnerten sie wieder ihr dreymaliges „Mademosell Schulz, Vivat, Hoch! und abermals Hoch“ – das man sie gewiß in ganz Göttingen 562 Vermutlich handelt es sich bei dem Geistlichen um Antonius Diederich, der von 1764–1767 in Göttingen die katholische Pfarrstelle innehatte. Die Einnahmen der Geistlichen bestanden zu der Zeit im Wesentlichen aus 100 Scudi aus Rom und dem Ertrag aus der eigens für den Unterhalt des Pfarrers abgehaltenen Neujahrskollekte, dazu kamen weitere Kollektengelder und Spenden der Gemeindeglieder; Wehking, Katholische Kirche, S. 9–22, 179; Dies., Entwicklung, S. 587–590. 563 Die letzte Aufführung fand am 11. Juli 1764 statt. Gegeben wurde als Vorspiel Die Aussöhnung des Verstandes mit der Einbildungskraft, als Hauptstück La Force du Naturel – Die Stärke des Naturells, eine Übersetzung der Komödie von Philippe Néricault Destouches und als Nachspiel Der Bauernstreit über eingeschlagene Fenster, pantomimisches Ballett; Theaterzettel UFB Gotha, Poes. 2° 2176, Bd. 6, Bl. 35. 564 Auch Gedichte, u. a. die in HHS , S. [309]–[311] genannte Ode von Daniel Schiebeler, wurden in Göttingen auf Karoline Schulze verfasst; Deneke, Göttinger Theater, S. 71–75.
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gehört hatte – und mir die Ohren gelten. – Gott bewahr, welch ein Lärm. – Doch tratt ich wieder ans Fenster, und nun zog alles stille fort. Den Tag darauf zweif[l]e ich, ob noch ein Pursch in Göttingen übrig war, die nicht alle auf meinen Zimmer gewesen. Ich war bey dem Einpaken und solche nicht vermuthen. Ich that nichts, als daß ich dastand mit beyde ausgestreckten Händen, die einer nach dem andern küßten. Die meisten sagten nichts, kaum: „Leben Sie wohl“. – Aber viele weinten, und ich kleiner Narr stand da und weinte, das eine Thräne die andere schlug. [300]
Sind doch liebe, gute Jungens, dachte ich bey mir selbst. Und unter so vielen lieben, guten Jungens kein einziger, der bey mir vorzüglicher wär angesehen worden? möchte mancher vielleicht fragen wollen. Nein, gewiß nicht! – Nicht einer, obgleich welche aussahen, das Amor selbst nicht liebenswürdiger seyn kann. – Noch herrschte der Major ganz in meiner Seele. Und ob es ihm gleich gewiß gleichgültig geworden, weil ich nichts von ihm wuste, so freute ich mich selbst über meine Standhaftigkeit. – Wolte und wünschte noch immer, obgleich von ihm vergeßen, ihm ewig treu zu bleiben. Den Morgen darauf verliesen wir Göttingen und kamen wieder nach Braunschweig565. Meine Fleischer, ihre Schwägerin und Fredersdorf überraschten mich und kamen mir schon 2 Meilen weit entgegen. – So krank auch mein Rickgen war, den sie war wieder schwanger, wolte sie mir doch die Liebe bezeigen. Ich ging von die Wagens ab und fuhr mit ihnen nach Braunschweig. Meine Mutter wolte nicht mit uns fahren der Sachen wegen, den Fredersdorf war zu Pferde. Wir kamen also nach Braunschweig, wo mein Rükgen gleich zu Bette mußte, den sie wurde immer kränker im Fahren und machte uns alle Angst, das es von schlimmen Folgen seyn dürfte, ich wolte die ganze Nacht nicht von ihr weichen, doch auf ihr zu heftiges Bitten mußte ich sie verlaßen. Sie war aus ihrer alten Wohnung gezogen in ein eigen Haus nahe bey dem Schloß; und meine Mutter hatte für uns Zimmer bekommen dem Schloß gegenüber, das ich also von meinen Fenstern in Rickgens Zimmer sehen konnte. Wer war nun wieder glüklicher wie ich? – So nahe bey der zu seyn, die ich mehr liebte wie mich selbst. – O, was wurden für Abreden genommen, uns nun jeden Augenblick zu sehen, zu küßen, uns zu [301]
freuen. Auf Verlangen des Hofes wurde mit der Miß Sara Sampson566 angefangen. Als ich mit dem ersten Act fertig war und in die Garderobe tratt, um mich umzugleiden, 565 Aufenthalt in Braunschweig vom 26. Juli bis 29. August 1764; Eichhorn, Ackermann, S. 222, 236 f. 566 Miß Sara Sampson, Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing. Die Aufführung fand am 26. Juli 1764 statt.
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frug ich nach meiner Mutter? Da hörte ich, daß sie sich nicht recht wohl befunden und nach Hause gegangen wär. Ich schmeichelte mir mit der Hofnung, das es eben von keiner Bedeutung seyn würde; und spielte meine Rolle ruhig fort. – Aber, mein Gott! wie erschrak ich, als ich heimkam und hörte: daß sie alle gebeten, es mir nicht zu sagen, wie elend sie wär. Sie hatte wieder ihre heftigen Blutstürzungen bekommen, man hatte sie nach Hause getragen, und ich fand sie mehr tod wie lebendig. Ich eilte zu meiner Freundin, bat, sie möchte fortschiken nach dem Docter, der kam auch noch in der Nacht; und ich wich nicht von ihrem Bette. Kindliche Liebe, Pflicht und Dankbarkeit weichte der Freundschaft, und aus allen projectirten Verabredungen wurde nichts. Die Stunden, wo ich nicht zu Proben und Comödie muste, geherten alle meiner Mutter, nicht eine Minute hätte ich ihr rauben kennen. Wenn es nun die Stunde der Proben war und des Nachhausegehens, sowie auch wenn ich in die Comödie und von solcher zurükkam, stand mein Rickgen an ihrer Hausthüre und erwartete mich – da sahen wir uns den an, küßten uns und trenten uns wieder, immer mit Thränen in den Augen. Der Docter sprach meiner Mutter das Leben ab. – Und sie verlangte einen Prister, der ihr auch das heilige Abendmahl reichte. – Mein Zustand war traurich. Zwey Abende, da meine Mutter sich etwas leidlicher anfing zu befinden, besuchte mich mein Rickgen und Fredersdorf. – Wir weinten, und Fredersdorf, der uns trößten wolte, litt so viel – und wohl noch [302]
mehr wie wir beyde. Er war der zärtlichste, theilnehmenst[e] Freund von mir, derselbe, der er war, als ich ihn kennenlernte, aber Liebe kam nicht auf seine Lippen – und er hielte Wort. – Und dieses beruhigte mich umso mehr. Den wen ich an den stürmischen Major dachte, war mir bange für jede Liebe und Liebhaber. Wir solten in Braunschweig nicht länger bleiben als bis gegen das Ende von dem Monat August567. Meine Mutter zu unserer aller Freude erholte sich wieder, doch war sie so matt, das Fredersdorf, meiner Rickgen ihr Mann und mein Bruder sie in die Kutsche heben und tragen mußten. Der Abschied, wie wir uns trenten, geschah unter vielen Thränen. – So traurig dachte ich nicht, als ich hinkam, meine Stunden zu verleben. – Doch Gott schenkte mir aufs Neue meine Mutter, und ich war solchen den feuerlichsten Dank schuldig. Unser Weg ging nach Hamburg. Meine liebe Mutter erholte sich auf der Reise so zusehens, daß sie frisch und gesund wurde, als wir nach Haarburg kamen. Herr Ackermann und seine Frau und Kinder hatten auch eine Kutsche genommen, und wir reisten 567 Die letzte Aufführung in Braunschweig fand am 29. August 1764 statt. Gegeben wurde Der Sonderling, Komödie von Philippe Néricault Destouches und als Nachspiel Der Jahrmarkt von Tirolern und Savoyarden, ein pantomimisches Ballett; Theaterzettel UFB Gotha, Poes. 2° 2176, Bl. 6, Bl. 47.
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zusammen. Endlich stiegen wir in Haarburg in einen Eber568 und musten in solchen bis vollends nach Hamburg auf der Elbe die Reise beschliesen. Je näher ich Hamburg kam, je mehr fühlte ich in mir ein – ich weis nicht was? das mich beunruhigte; der Anblik des Havens, wo die prächtigsten Schiffe lagen und für so viele Fremde ebenso viel Augenweide ist, hatte für mich keinen Reiz. – Alles machte mich beben. Alles zog und zerte und preßte mein Herz zusammen – ich selbst war mir ein unbegreifliches Wesen569. Wir landeten an und traten ins Baumhaus570. [303]
Herr Ackermann lies Erfrischungen reichen, ich aber eilte aus den Zimmer, sezte mich in die erste beste Stube, die ich leer von Menschen fand, und lies meinen schmerzhaften Empfindungen ihren Lauf. Meine Mutter, die nicht wußte, wo ich hingekommen, suchte mich; entlich fand sie mich auch. Doch wie erschrak die gute Frau, als sie mich fast in Thränen schwimmend fand. – „Was ist dir, Kind? was hast du“ – „Ach, meine beste Mutter! Ich weis es nicht. – Ach laßen Sie uns fort, forteilen, fort, weit fort von diesen abscheuligen Ort“. – „Rasest du? – Ort? Hast ihn ja noch nicht gesehen“. – „Will, mag ihn nicht sehen, hab schon an dem genug. – O Mutter, Mutter, wie komme ich von hier weg. Muß ich hier bleiben, so bin ich gewiß zu meinen Unglük hergekommen. Diese Ahndung meines Herzens trügt mich nicht. Haben Sie mich je so, so gesehen?“ – „Du weinst um deine Fleischer“ – „Nein, Mama! gewiß nicht. – Weinte ich, als ich nach Hannover kam? Weis ich nicht, das ich in Braunschweig nicht immer bleiben konnte? Sind Sie nicht auf der Reise beßer geworden? – War ich nicht darüber so außer mir vor Freuden, das ich gewiß auf keiner Reise mehr Spaß gemacht habe wie auf der? Sprang ich nicht mit Lachen und Singen in den Eber? – Aber Hamburg ganz vor mir liegen zu sehen und Todesangst zu fühlen war eins, o Mutter, Mutter, es ist eine Warnung von meinen guten Engel – fort, fort, hier ist mehr für mich als Tod und Grab – unsichtbares Elend, Elend auf mein ganzes Leben. – O verflucht der Augenblik, da Ackermann den höllischen Gedanken gefast“. – Meine Mutter stand da, weinte und sagte: „Du bist mir unbegreiflich“, als
568 Ewer: Ein Segelschiffstyp mit Flachkiel und ein oder zwei Masten. 569 Zu Karoline Kummerfelds zwiespältigen Gefühlen Hamburg gegenüber s. Gudrun Emberger, „Aber in Hamburg war Sollen und Wollen gegen mich“. Karoline Schulze-Kummerfeld (1742–1815) und das Hamburger Publikum, in: Bernhard Jahn/Claudia Maurer Zenck (Hg.), Bühne und Bürgertum. Das Hamburger Stadttheater (1770–1850), Frankfurt/Main 2016 (Hamburger Beiträge zur Germanistik 56), S. 391–408. 570 Das 1662 erbaute Baumhaus war die Hamburger Zollstation am Baumwall in unmittelbarer Nähe des Binnenhafens; Hamburg Lex, S. 54 f.
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Herr Ackermann zu uns ins Zimmer trat. – „Wo, Teufel, steckt Ihr? – Aber was ist daß? Was giebts, was fehlt“. Meine Mutter sagte: „Gott weis, was meiner Carline ist, sie sagt, hier ahntete ihr ihr Unglik“. – „Hier? – Poßen! – Hat was Liebes in Braunschweig gelaßen“. – „Ja, wohl was Liebes, aber nicht in Ihren Verstande. Sonst würde ich nicht so lustig auf der Reise gewesen seyn. – Kurz, Herr Ackermann, hier bleibe ich nicht bey Ihnen, wo Sie nicht machen, das wir alle bald wieder fortreisen“. „Mädel, bist du närrisch geworden? – Mach mir ja keinen Streich“ – „Ja, Herr Ackermann, hier stehe ich Ihnen nicht dafür, den hier kann ich nicht bleiben“. Madame Ackermann kam auch dazu, wolten mich aufmuntern, aber da war an kein Aufmuntern zu denken, ich war und blieb in den tiefsten Gram versenkt. Nun führte mir Herr Ackermann einige Hamburger zu und wolte mich ihnen bekandt machen, aber alle bekamen von mir sehr kurzen Bescheid, den ich konte mir nicht helfen, nicht Empfindungen lügen, und alle hatten das Glük oder Unglük, wie mans nehmen wolte, mir von Herzen zu mißfallen. Wir sezten uns in die Kutschen, die Ackermann kommen laßen, und fuhren in die Statt. Das Gewüle erregte mir Ekel, kurz, ich blieb bey derselben Empfindung. Wir traten bey einer Bekantten von Herrn Ackermann ab – die Leute mochten in ihrer Art gut seyn, mir aber waren sie so hölzern wie möglich. Man sezte sich zu Tische – „Ach, Taschencrebse, Taschencrebse571“, sagte Madame Ackermann am Tisch, wie sie aufgetragen wurden. – Ich fand keinen guten Bissen daran. – „Die gewöhnlichen Crebse sind mir lieber“. – „Ja, hier kann man alles haben.“ – „Auch ein vergnügtes Herz?“ – „Hier [305]
sind Füsche, Fleisch, kurz, was man nur wünscht, im Überfluß, hier ist am besten leben in der ganzen Welt“. – „Vor die, die ihre Glükseligkeit in Magen haben; und da sizt die meinige nun eben gar nicht“. – Nun wurde eine Wohnung gesucht, wir fandten solche zie[m]llich nah nach Wunsch, und nun saß ich darinnen wie in einen Kerker. Den 6. September wurde die erste Comödie gegeben572, wir gefiehlen alle, und besonders das Ballet, das rasend Lerm machte – aber ich war und konnte nicht vergnügt werden, nur 571 Taschenkrebse sind eine in der Nordsee verbreitete Krabbenart. 572 Am 6. September 1764 wurde gegeben Canut, Tragödie von Johann Elias Schlegel, als Nachspiel die Komödie Der bestrafte Hochmuth oder: Johann Scherenschleifer, den Beschluß bildete ein pantomimisches Ballett; Theaterzettel UFB Gotha, Poes. 2° 2176, Bd. 6, Bl. 48. In den erhaltenen Druckfassungen trägt das Stück Johann Scherenschleifer den Titel Der bestrafte Hochmuth, ein Nachspiel von einer Handlung (1751). Die Autorschaft wird teils Steiner (Eichhorn, Ackermann, S. 237; David G. John, The German Nachspiel in the Eighteenth Century, Toronto 1991, S. 171 f., 316), teils Johann Heinrich Kirchhof zugeschrieben. – Die erste Spielzeit im Theater am Dragonerstall, das Ackermann von Koch gemietet hatte, dauerte vom 6. September bis 7. Dezember 1764; Eichhorn, Ackermann, S. 76–79, 222, 237 ff.
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der Trost blieb mir, das unsers Dableibens von keiner langen Dauer seyn solte. Wir spielten am Drajonerstall in einen dazu eingerichteten Comödienhaus, wo immer auch vor uns deutsche Comödie war, und ein Tag wie den andern war immer dasselbe gleich voll. Nun kam der Advent herran, und wir machten die lezte Comödie573. Da war ich den wieder ganz das selbige muntere, lustige und muthwillige Mädchen – und was noch mehr? Es solte wieder nach Hannover. Wie wir die lezte Comödie machten, ja, das war für mich der erste und beste Tag, den ich in Hamburg erlebt hatte: Als ich nach Hause kam, sagte ich: „Nun, gottlob, nun ist hier alle! Mich soll man einpacken sehen? – So geschwind will ich gewiß noch nie fertig geworden seyn“. Alle Tage lauerte ich nun, daß es uns gesagt werden solte: den und den Tag reisen wir. An einen Morgen stand ich und packte Kästgens ein. Herr Eckhoff trat zu mir ins Zimmer: „Guten Morgen!“ – „Wieder so viel“. – „Was machen Sie“. „Was ich mache? – Da sehen Sie, ich packe Gott sey Dank ein, übermorgen reisen wir ja“. – „Nun, so paken Sie nur wieder aus, wir reisen nicht!“ – „Nicht!!! – Ey was, Sie spaßen?“ – „Nein, nein ich [306]
sage die Wahrheit. Ackermann läßt den Concert-Saal zurechte machen, darinnen fangen wir gleich nach dem Fest wieder an zu spielen.“ – „Nun, so wolte ich – – – !“ – So aufgebracht war ich lange nicht – Eckhof macht ich alle mögliche Vorwürfe, den der allein war schuld und dem war Hamburg an die Seele gewachsen. Ich war so aufgebracht, das, wenn man mir in den Augenblik einen Contract zu einen andern Directeur vorgelegt hätte, ich würde solchen ohne Bedenken unterschrieben haben. – Eckhof wolte wißen, was mir den in Hamber574 nicht anstendig sey? – „Alles! Menschen, Vieh, alle Elemente – alles ist mir zuwieder vom ersten Augenblick an. Ackermann hat uns hier 2 Gulden die Woche zugelegt, und bey unserer Haushaltung, die gewiß von jeher aufs sparsamste eingerichtet, kommen wir hier mit 16 Gulden die Woche nicht so weit, als wir sonst mit 12 gekommen sind. – Muß man nicht jeden Tropfen Waßer bezahlen. – Hab noch in meinen Leben nicht Wasser gekauft575. – Ja, hier muß man 573 Es war die Aufführung am 7. Dezember 1764. Gegeben wurde Die Menschlichkeit oder: Das Gemählde der Armuth, eine Übersetzung der Tragödie L’humanité ou le tableau d’indigence von Jean-François de Bastide, als Nachspiel Die Heyrath durch Wechselbriefe, eine Übersetzung der Komödie Le mariage par lettres de change von Philippe Poisson, und zum Beschluß ein Ballett Von Schiffern und Matrosen; Theaterzettel UFB Gotha, Poes. 2° 2176, Bd. 6, Bl. 111. 574 Hamburg. 575 Wer in Hamburg nicht an die gebührenpflichtige Wasserversorgung der Alsterwasserkünste angeschlossen war oder selbst Wasser von Brunnen in seinen Haushalt transportieren konnte, musste Wasser an umherfahrenden Wasserwagen oder bei Wasserträgern kaufen. Lit.: Alfred Meng, Geschichte der Hamburger Wasserversorgung, Hamburg 1993, hier S. 15–24; Cornelia Moeck-Schlömer, Wasser für
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den Mist ins Haus und wieder herraus kaufen – mag seyn für die hiesige Einwohner, die das gewohnt sind und nicht beßer verstehen – ja, die gewohnt sind, im Gelde zu wühlen. – Mir kanns nicht gefallen; hier sezt man zu, was man sich sauer und miehsam seid Jahren erspart hat“. – „Ach was, schmehlen576 Sie mir auf Hamburg nicht. – Sie kennen es noch nicht. Es wird Ihnen gewiß gefallen, wenn Sie nur erst 7 Jahre hier gewesen sind“ – „Ey, so hol Sie der Teufel! 7 Jahre? Gott strafe mich nicht so sehr. – 7 Jahre. – Also 7 Jahr soll ich warten? Da fange ich an alt zu werden. – Nein, die Schulzen ist eines beßern gewohnt. – Nicht 7 Wochen war ich an andern Ör[307]
ter und war bekandt in denen ersten und besten Häusern in der Stadt. Danckt man – oder vielmehr verstehen eure Einwohner einen nur zu dancken, wen man auf der Straße geht und solche grießt? Ich weis gewiß, ich grieße keinen mehr und bleibe stehen, wenn sie mir in ihren verguldeten Wagens vorbeyrollen. Hier heist es wie in dem Boockesbeutel 577: ‚Hat der Hund Geld?‘ – Hat er das nicht, so achtet man einen nicht. – Geld, heißt es: ist die Losung!“ „Aber Sie sind ja noch nirgens gewesen“. – „Ja, einmal in Harv[e]stehude – ich wolte nicht, die Hausleute überredeten mich. Wir kamen halb 3 Uhr an. Nun gab man Caffe, dan Thee. – Eins wie das andere war nicht zu geniesen, den in allen war Salz. Wie die Stube endlich warm wurde, hies es, wir mißten machen, das wir in die Stadt kommen. ‚Warum?‘ – ‚Ja, in den kurzen Wintertagen wird das Tor 4 Uhr geschloßen‘. – ‚So zahlt man Spergeld‘578. ‚Nein hier geht das nicht, hilft kein Spergeld, und wens ein Fürst wär‘. – Nun die Angst noch; die vergeß ich nicht. Des Nachts aus dem Hause zu seyn ohne meiner Mutter Wißen. – Ich weis, was ich lief, und kamen noch so eben zur Stadt. Solch ein Spaziergang kan einen alle Spaziergänge verbittern“, etc., etc. Eckhoff kam mit mir nicht aus mit seiner ganzen Beredsamkeit. Lies sich auch in 14 Tagen und länger nicht bey uns sehen. Und es war mir lieb, den der Anblik von dem erregte nur meine Galle. Mein einziges, was ich hatte, war meine Corespontenz; sonst wär ich unsinnig geworden, den auch nicht einmal wußte ich, wo Hamburg. Die Geschichte der Hamburger Feldbrunnen und Wasserkünste vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, Hamburg 1998 (Beiträge zur Geschichte Hamburgs 53), hier S. 39–45. 576 Auf jemand schmälen: Schelten, gering machen, herabsetzen. 577 Der Bookesbeutel oder Der Grobian, Lustspiel in drei Aufzügen von Heinrich Borkenstein. In diesem Stück werden die herkömmlichen, veralteten, teilweise sinnlos gewordenen Sitten der Hamburger aufs Korn genommen. Nach dem Namen für einen Beutel für das Kirchengesangbuch, in dem Frauen angeblich zunehmend auch weltliche und unnütze Dinge aufbewahrten, wurden solche Gebräuche im Volksmund „Booksbüdel“ (Booksbeutel) genannt; Albert Borcherdt, Das lustige alte Hamburg. Scherze, Sitten und Gebräuche unserer Väter, 6. Aufl. Hamburg 1912, ND o. J., S. 61–77. 578 Sperrgeld: Geld, das man für den Einlass in ein bereits gesperrtes Tor bezahlen muss.
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ich Bücher zum Lesen herbekommen solte. Kannte niemand. Kurz vor dem Fest lies sich Herr Eckhof wieder sehen und brachte mir einen großen [308]
Brief. – „Von wem ist der“. – „Von Herrn Schiebeler579, der in Göttingen studiert hat, wie wir da waren“. „So!“ Ich breche auf und ziehe eine Ode an mich herraus, die Herr Schiebeler hatte druken laßen. Las solche in die He[l]ffte und ward roth – „kann nicht weiterlesen“. „Bescheidenes Mädchen!“ sagte Eckhof, „ich wills auslesen“. Wie er fertig war, den es war auch ein Brief an mich von Schiebelern dabey, sagte ich zu Eckhoff: „Als Poesie betrachtet ist die Ode schön – aber das Bild, was Schiebeler entworfen, bin ich nicht – und wohl keine, die ich kenne, beym Theater. – Hätte Schiebeler weniger geschmeichelt, würde ich ihm antworten. – Aber darauf kann ich nicht. – Antworten Sie ihm für mich. Sagen ihn wieder, was ich gesagt, und sezen noch hinzu: Ich lies ihn dancken für seine guten Willen und Meinung. – Das würde ich nie werden, was ich in seiner Ode schon seyn soll. – Mich aber zu bestreben, beßer zu werden als ich bin, werde ich gewiß keinen Eifer und Fleis vorbeygehen laßen“. Eckhoff versprachs mir; und sagte noch: „Nein, Mademoiselle, Sie verdienen mehr wie daß“. – „Nun, Eckhoff, schweigen Sie still. Aber noch eine Bitte an Sie. Schiebeler hat Ihnen ohne Zweifel auch ein ExemplarCXX geschickt?“ – „Ja!“ – „Nun, so versprechen Sie mir, solches keinen zu zeigen. Man möchte denken, ich bildete mir was darauf ein, machte mich eitel oder stolz. Auch sagen Sie keinen was davon. Soviel versichere ich Sie, daß das, was Sie mir gegeben, soll nicht einmal mein Bruder sehen“. Eckhoff frug mich, ob ich in Göttingen den nichts zugeschikt bekommen oder gelesen. – „Ja“, sagte ich, „vieles. Doch weil es immer viele Kritic auf meine Mit- und Nebenkammeraten war, habe ich
579 Daniel Schiebeler (* 25. März 1741 Hamburg, † 19. Aug. 1771 Hamburg), Schriftsteller, Librettist und Kirchenlieddichter. Nach dem Studium der Rechte in Göttingen (1763–1765) und Leipzig, wo er 1768 zum Dr. beider Rechte promoviert wurde, kehrte Schiebeler nach Hamburg zurück und erhielt dort ein Kanonikat beim Domkapitel. Lit.: Gottfried Schmidtmann, Daniel Schiebeler, Göttingen 1909; Schmidt, Daniel Schiebeler; Lexikon Schriftsteller 6, Nr. 3429; Kosch Theater, Bd. 3, S. 1998. – Zu Schiebelers Verehrung für Karoline Schulze vgl. Schmidtmann, Schiebeler; Emil Benezé, Daniel Schiebeler aus Hamburg, Mademoiselle Schulze und stud. iur. Goethe, in: Hamburger Nachrichten Nr. 449, I. Morgen-Ausgabe vom 24. Sept. 1911, Beilage Zeitschrift für Wissenschaft, Literatur und Kunst Nr. 39. Sein Biograph Schmidtmann attestiert Schiebeler einen Hang zur „Schwärmerei für Schauspielerinnen, bei denen Talent mit edler Gesinnung gepaart war“, eine Schwärmerei, die sich durch Schiebelers ganzes Leben verfolgen lasse und nicht nur auf Karoline Kummerfeld gerichtet war (Schmidtmann, Schiebeler, S. 12 f.).
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alle verbrennt. Solte nicht in unrechte Hände kommen. Mich freud kein Lob zum Nachtheil meines Nächsten. – Und jeden Ehrliebenden muß es wehthun, sich auf Kosten anderer loben oder thadeln zu hören“. Eckhoff versprach mir einige, die ich vielleicht nicht gelesen, zu bringen, und er hielte Wort. Doch was half mich meine Bescheidenheit, die, so wahr Gott Gott! ist, nicht erkünstelt war? Diese Ode gab zu dem bittersten Verdruß Anlas580. – Hier will ich sie abschreiben von Wort zu Wort. Ode An Mademoiselle Schulze, eine vortrefliche Schauspielerin und Tänzerin in der Gesellschaft des Herr Ackermann. 1764. A voi rivolgo il mio debil stile Pigro da se; ma’l gran piacer lo sprona: E chi di voi ragiona, Tien dal Suggetto un habito gentile; Non perch’io non m’arv[e]ggia, Quanto mia laude ê ingiuriosa â voi: Ma contrastar non posso al gran desio; Lo quale ê in me, dappoi Chi vidi quel, che pensier non pareggia; Non che l’agguagli altrui parlar, o mio. Petrarca.581 Wie, wenn im Lenz der Welt, hoch aus des Himmels Chören, Sich ein Unsterblicher zur Erde niederließ, Gesandt von den, der schuf, die Sterblichen zu lehren, [310]
Was ihnen seine Huld verhieß; Noch lang’ um ihren Blick der Gottheit Bote schwebte, Nachdem zum Himmel sich sein Flug zurükgewandt; Noch lang’ in ihrem Ohr die sanfte Stimmte bebte, 580 Kummerfeld spielt auf den durch die Veröffentlichung der Ode in der Presse ausgetragenen Streit zwischen Daniel Schiebeler und Johann Friedrich Löwen an; s. u. HHS, S. [374 f.], [398]–[404]. 581 Es handelt sich hier um Auszüge aus „Perché la vita è breve“, dem 71. Gedicht der „Canzoniere“ des Francesco Petrarca (1304–1374).
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Daß ihre ganze Brust empfand: Du, die zur Priesterin die Tugend sich gewählet, So hör’ ich immer noch der Stimme Silberschall, Mit der Dein Mund die lehrt, die Deine Brust beseelet, So folgt Dein Bild mir überall. Bald mald die Phantasey Dich mir, umringt von Schmerzen. Mit unverwandten Blik sieht dieses Heer auf Dich, Und plötzlich stürzet es in Deiner Hörer Herzen Auf einen Deiner Winke sich. Sie stürzen sich dahin und martern und verwunden, Und alles, alles weint und seufzet in Dein Leid. Hier ist kein Schauplatz mehr, die Fabel ist verschwunden, Hier ist vollkommne Wirklichkeit. Bald führt sanftlachelnd Dich mit jugendlichen Tänzen Der Scherze leichter Schwarm herauf vor meinen Blick. Sie flattern um Dich her und werfen Dich mit Kränzen, Und fliehn und kehren schnell zurück. Erschein im Fürstenschmuck, und Lob muß Dich erheben. Erschein im Hirtenkleid, und Beyfall folgt Dir nach. So ist der Weise groß, wenn ihn Pallast’ umgeben, Und groß auch unterm Hüttendach. Vor Dir legt die Kritik die scharfen Waffen nieder Zu loben zwingst Du sie, was sie zu tadeln kam. [311]
Du gieb[s]t dem Gallier, Du giebst dem Britten wieder, Was ihm ein Übersetzer nahm. Den Lorbeer, der die Stirn erhabner Dichter krönet, Vortrefliche! Den muß auch Dir die Ehre weyhn. Wenn, was ein Schlegel582 schrieb, von Deinen Lippen tönet, So wird, was er geschrieben, Dein. In welche Gegenden entreißt mich das Entzücken? Eröfnet zeigt sich mir der Sitz des ewgen Ruhms. Wie strahlt Dein reizend Bild vor meinen trunknen Blicken Im Inner[n] dieses Heiligthums!
582 Johann Elias Schlegel (* 17. Jan. 1719 Meißen, † 13. Aug. 1749 Sorø, Dänemark).
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Daniel Schiebeler583 Ist auf manche nach mir noch weit mehr übertriebene Lobeserhebungen gesagt worden und nahmens mit mehr Zuversicht auf. Doch ich will fortfaren in meiner Erzehlung. Da ich doch im Abschreiben von Gedichten bin, will ich noch ein paar hieherfiegen, der Drolligkeit wegen. Eckhoff gab sie mir: Bey einen feyerlichen Aufzuge, wo man der Demoiselle Schulz Wohnung vorbey durch eine unsaubere Gaße gehen muste: Erhebet nur den sehnsuchtsvollen Blick, Besorget für den Fuß kein wiedriges Geschick. Wie sicher ist nicht Euer Schritt? Den Amor geht ja mit. Gespräch zwischen X und Y: X: „Sie scheinen mir bewegt. Wo kommen Sie den her?“ Y: „Die Kirche sahe mich in ihren heilgen Wenden.“ [312] X: „Die Predigt war gewiß von guten Lehren schwer; Es scheint, als wenn Sie viel empfänden. Wer predigte? Der Eindruk seiner Lehren Wird noch die Wiederhohlung mehren. Ich bitte Sie darum!“ Y: „Verzeihen Sie! ich muß gehen.“ X: „O bleiben Sie!“ Y: „Die Wahrheit zu gestehn, Ich sah die Meße jezt. Der heilige Gebrauch Ist Ihnen ja bekand? – – Ach!“ – – – X: „Und so kann sie auch Die Catholiken so wie Lutheraner rühren! Wer hätte daß gedacht? Man wird Ihr Herz entführen, Bewahren Sie es doch ja unsrer Lehre treu.“ Y: „Schon längstens ist es nicht mehr frey!“ 583 Abdruck der Ode in: Daniel Schiebeler/Johann Joachim Eschenburg (Hg.), Unterhaltungen, 1. Bd., Hamburg 1766, S. 36–38; Daniel Schiebelers […] Auserlesene Gedichte, hg. von Johann Joachim Eschenburg, Hamburg 1773, S. 142–144; Deneke, Göttinger Theater, S. 71 f. – Kummerfelds Wiedergabe ist nicht wortgetreu.
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X: „Was hör ich, Himmel! Wie? Verführt!“ – – Y: „Verstehen Sie mich. Die Kezer lieb ich nicht, nur schöne Ketzerinnen. O schickte die der P., sie würden sich Die ganze Welt gewinnen! Die liebenswürdge Zauberin, Die bald die Herzen stimmt für mitleidsvolle Zähren, Bald für die Zärtlichkeit, bald für der Tugend Lehren, Zog heute mich zur Meße hin. Ich sah sie nicht nach zweyen langen Tagen! Urtheilen Sie nun selbst? das war nicht zu ertragen! Wahr ist es. Ehrfurcht flößt sie meinen Herzen ein; [313] Das kleine Zimmer schien mir Peterskirch zu seyn. Der Priester selbst ein P., nur ihre Grausamkeit!“ – – X: „Ist das, was mich erfreut! Zum Neubekehrten scheint sonst wenig noch zu fehlen.“ Y: „Ja, wollte sie mich nur zu ihren Pater wählen!“* * Nota: Noch viel Gedichte wird man finden in einen Foliobuch von meiner Hand abgeschrieben584. Nach dem Feste gingen die Comödien in dem Concertsaal an585, und nach dem Neuen Jahr 1765 wurden die Einnahmen von Tage zu Tage immer schlechter. – Denen Herr[en] fehlte das Parter586, und solten nun vor ihren Mark oder halben Gulden hinter die Gulden stehen, das war ihnen nicht gelegen. Immer hatte ich Ackermann das beste
584 Damit ist Kummerfelds Samlung vermischter Ungedruckter gedancke gemeint, ein im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar verwahrter Sammelband (Landesarchiv Thüringen, HStAW F 905), der im Band 2 dieser Gesamtausgabe der Schriften Kummerfelds ediert wird. „Bey einen feyerlichen Aufzuge“ ist in dieser Samlung unter der Nr. 59, das Gespräch zwischen X und Y unter der Nr. 60 zu finden. – Das Gespräch zwischen X und Y ist eine Anspielung auf die von Kummerfeld oben [HHS, S. 298] erwähnten Besuche des katholischen Gottesdiensts durch die Göttinger Studenten. 585 Vom 28. Dezember 1764 bis 22. Februar 1765 spielte die Truppe in dem von Ackermann errichteten Konzertsaal am Valentinskamp; Eichhorn, Ackermann, S. 79, 222, 239 f. 586 Parterre: Der Zuschauerraum des Theaters war gegliedert in Parterre (häufig nur Stehplätze), Logen und Galerie, wobei das adlig-noble Publikum in den Logen, die Bürger im Parterre und die Domestiken und andere Angehörige des „Dritten Standes“ auf der Galerie saßen; Maurer-Schmoock, Theater, S. 76–82.
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Glük gewünscht und alles, was bey mir stand, mit beygetragen. Aber nun – ich gestehe es aufrichtig, den meine Absicht ist es gewiß nicht, mich beßer zu machen, als wie ich war – ich freute mich, und oft kam ich wie im Triumphe nach Hause und sagte: „Mama! Heute wars wieder leer“. Mit jeder schlechten Einnahme wuchs meine Hofnung, Hamburg bald verlaßen zu kennen. Meinen Bruder gefiehl es schon beßer, der hatte Bekandtschaften die Menge. Unter solchen war ein junger Mensch mit Namen Herr Soltau587, der als Handlungsdiener bey einen Kaufmann war. Zuweilen kam er und frug, ob nicht mein Bruder zu Hause wär? „Nein“, dan ging er weg. Gegen allen Wohlstand588, glaube ich, wers gewesen, wen wir ihn nicht erlaub[t] hätten, eine halbe Stunde bey uns zu bleiben, in seinen ganzen Betragen war so viele Bescheidenheit und Sitte, das wir ihm gern den Zutritt in unsern Haus gestatteten. Und was ihn einen Wehrt mehr bey mir gab, war, das er kein Hamburger war. Freylich nicht weit davon, aus Bergedorf – doch kein Hamburger589, den ich haßte es nun einmal und war nicht fehig, die ersten Eindrük[e] [314]
zu überwinden. Ich bat ihm um Bücher zu lesen, und er versorgte mich damit, das ich nie Mangel hatte. Das erste war der Hamburger „Patriot“590, und das war Waßer auf meine 587 Dietrich Wilhelm Soltau (* 15. März 1745 Bergedorf, † 13. Febr. 1827 Lüneburg), Kaufmann, Schriftsteller und Übersetzer. Nach seiner Ausbildung zum Kaufmann in Hamburg war Soltau von 1766 bis 1798 in St. Petersburg tätig, zuletzt als Teilhaber des Handelshauses der Gebr. Meybohm. In St. Petersburg verheiratete er sich 1789 mit Maria Agathe König (* 3. Juni 1771 Riga, † 21. Jan. 1847 Lüneburg). Neben seinen Geschäften war Soltau zeitlebens auch schriftstellerisch und als Übersetzer tätig. Aber erst nach seiner Übersiedelung nach Lüneburg im Jahr 1798 konnte er sich als Privatgelehrter ganz der Schriftstellerei widmen. Soltau schuf vielbeachtete Übersetzungen: Zu seinen bedeutendsten Werken zählen eine hochdeutsche Fassung des „Reineke Fuchs“ (1803) sowie die Übersetzungen von Miguel de Cervantes’ „Don Quijote“ (1800) und Giovanni Boccaccios „Decamerone“ (1803). 1801 wurde er von der Universität Wittenberg zum Dr. phil. promoviert. Lit.: Kathrin Klohs, Dietrich Wilhelm Soltau, in: Killy, Literaturlexikon, Bd. 11, 2. Aufl., Berlin/New York 2011, S. 51 f.; Kosch, Bd. 18, S. 63 f.; Bardo Metzger, Dietrich Wilhelm Soltau. Ein Weltbürger aus Bergedorf, Hamburg 2011. Weiterführende Informationen unter http://soltauhaus.de/, Zugriff am 26.7.2020. 588 Hier im Sinne von: Anstand. 589 Was Karoline Kummerfeld vielleicht nicht wusste: Die Herrschaft über Bergedorf teilten sich seit 1420 die beiden Städte Hamburg und Lübeck, Bergedorf war also zumindest halb hamburgisch. 1868 kaufte Hamburg der Stadt Lübeck ihre Besitzrechte ab. Seit dem Groß-Hamburg-Gesetz vom 1. April 1937 ist Bergedorf Stadtteil von Hamburg; Handbuch der historischen Stätten Deutschlands, Bd. 1: Schleswig-Holstein und Hamburg, 3. Aufl. Stuttgart 1976, S. 95 f. 590 „Der Patriot“, wichtiges Sprachrohr der beginnenden Aufklärung, gilt als die bedeutendste deutsche Moralische Wochenschrift zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Sie erschien von 1724 bis 1726 in Hamburg. Die drei Jahrgänge wurden bis 1765 viermal neu aufgelegt; Jörg Scheibe, „Der Patriot“ (1724–1726)
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Mühle. Er selbst las gut, das war uns lieb, meine Mutter und ich arbeiteten, werend er laß. Die Stunden, die er kam, waren nur wenige, und das nur des Sonabends und Sontags, den an denen Tagen, wo Comödie war – war es einmal bey mir zum Gesez geworden, das ich keinen Besuch annahm und keinen abstattete. Und des Abens 7 oder auf das längste halb 8 Uhr war niemand mehr bey mir zu hören noch zu sehen. – Das war nun einmal unsere Art so, und meine Mutter, die bald gesund, bald krank wurde, dieser durfte nichts im Wege seyn, das ihre Haushaltung um eine Stunde einen andern Gang hätte nehmen sollen. – Kurz, wir waren die Leute nach der Uhr. – Den wenn jemand um halb 8 Uhr noch mit dem Hut in der Hand in der Stube stand, so konnte sie so verdrieslich werden, das ich oft viele Geduld nöthig hatte. – Doch sie ward alt und kränklich, und ich wußte, was meine Pflicht war: gab nach. – Ja, sagte es freu herraus: Hab ein paar leidliche Stunden gehabt – also wünschte ich nicht, das solche mir durch verdriesliche Gesichter wieder verbittert würden. Im Februar solte ich von Gott heimgesucht werden von der Seite, wo ich von jeher am empfindlichsten war. – Doch erst noch eine Anmerkung. In Hamburg nahm überhaupt mein ganzes Schiksal eine sonderbare Wendung. Kam ein Tag, wo ich recht vergnügt war, so kam auch bald ein so harter Schlag darauf, der mir anfing mein Leben, das nun erst angehen solte, zu einer waren Last zu machen. Sonst sagt man: auf Regen folgt Sonnenschein, aber mit mir gings umgekehrt. – Und je weiter ich fortfaren werde zu erzählen, wird man finden, das ich die Wahrheit sage. – Ich selbst ward es nicht sogleich gewar – nur die Erfarung lehrte es mich. [315]
Und wenn ich auch Stunden hatte, wo ich recht vergnügt war und vergnügt seyn konnte, so schitterte591 ich oft in mich selbst zusammen und sagte zu mir selbst: „Freue dich nicht zu sehr. – Vergißt du dein Schicksal? – Weißt du nicht, das du dich nicht mehr freuen solst? Soll ja nur eine Erholung seyn; – das bedenke. Heute warst du lustig, morgen hast du Schmerz. – Morgen wird dein Herz gerißen, gefoltert werden“. – In tiefe Schwermut sank ich zurick, nahm und konnte keinen Theil an alledem nehmen, was sich auch bestrebte, mein Leben zu versüßen. Meine liebes theures Rükgen592 schrieb mir, das sie den 7. Februar mit einer Tochter glüklich wär entbunden worden und befände sich mit ihrer lieben Wilhelmine593 allen Umstenden nach vortreflich. – Mein Gott! wer kann sich an meine Stelle denken! Wie ich für die einzige Geliebte und sein Publikum. Untersuchungen über die Verfassergesellschaft und die Leserschaft einer Zeitschrift der frühen Aufklärung, Göppingen 1973 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 109). 591 Schüttern: Seelische Bewegung im Sinne von erschüttern, sich betrüben. 592 Friederike Fleischer. 593 Wilhelmine Fleischer (* 7. Febr. 1765).
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meines Herzen so lange gezittert, und nun mit einmal die freudige Nachricht? Einmal war nun mein Temparament so, das Freude und Leid mich immer gleich stark packtenCXXI – doch nicht jedes Leiden – vieles, was andere würde toben und rasen gemacht haben – rührte mich nicht. Da blieb ich gelaßen. – Die Folge wird es lehren, wie ich mich in Unglük zu schicken gewußt. Was für mich Unglük war und keines. Die Freude, die mich wie eine Rakette herrumtrieb, konnte nicht höher steigen, und meine Mutter sagte: „Mädchen, du wirst noch närrisch, kanst du dich den nicht mäßigen – deine heftigen Leidenschaften werden dich gewiß noch unglüklich machen“. – „O laßen Sie mich seyn, was ich bin. – Bin nun einmal, was ich bin; ganz. Weg mit den hölzernen, schwerfälligen Machinen. Ich kan mir nicht helfen! wolte mich um keinen Preiß anders wünschen“ – „Aber nur [316]
Mäßigung!“ – „Mäsigung bey einen Blut wie meines? Fordern Sie das nicht. Gott gab mir dieß Herz, dieß Gefühl. – Und haben Sie nicht Proben meiner Gelaßenheit, meiner Geduld in täglichen Vorfällen des Leben[s]? – Nur da, wo Liebe und Freundschaft, Ehre oder Schande, wenn davon was dasteht – davon die Rede ist? Nein, da muß, darf kein kalt Blut seyn“. – „Wirst gewiß noch an mich denken!“ – „Ja, beste Mama, solange ich lebe. Wolte Gott, Sie wären weniger schwächlich und geben mir Hof[n]ung, noch 20 Jahr zu leben. Und Sie würdens sagen, das ich im 40ten – freilich nicht mehr von Gesich[t], aber von Herz und Seele, von lebhaften Gefühl und Temparament dieselbe seyn werde“. – „Gott gebs – zu deinen besten“. Den Sonabend darauf bekomme ich von Herrn Baring aus Hannover einen Brief – schon der ganze Eingang wolte mich nicht behagen. – Da ist was paßirt? – Ich laß – laß, meine Mutter schlummerte auf den Bet – als ich laut, laut anfing zu schreuen: „Er ist tod, tod! tod!!“ – „Wer, wer ist tod, wer? – Ach! hast du mich nicht erschrökt“. – „Bothe – mein Bothe – mein Freund, mein zweyter Vater!“ – Herr Sekretair Baring, der die Lebhaftigkeit kante, wie ich Schmerz und Freude aufnahm, wünschte, das ich durch den Trauerbrief vom Hause nicht solte zu heftig erschrokt werden, und brauchte die Vorsicht, es mir so behutsam wie möglich zu melden. Dank ihm davor – aber alle Behutsamkeit konnte doch dem Worte: „Der alte Bothe ist tod“594, keinen andern Verstand geben als den, den es hatte. – 84 Jahr dünkte mich nun nur 48 – hätte noch lange leben kennen, nun tod. – – 14 Tage 594 Das Schloß-Kirchenbuch Hannover, S. 86 Nr. 515, nennt als Todes- oder Begräbnistag Bothes den 17. Februar 1765. Kummerfeld datiert in einer wohl von ihr selbst verfassten Ode seinen Tod auf den 16. Februar 1765: „Ode auf die Nachricht von seinen Todt, meines mir würdigen Freundes, Hamburg den 16. Februar 1765“. Diese Ode hat sie in ihre Samlung vermischter Ungedruckter gedancke aufgenommen; s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2.
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kannte mich kein Mensch, die Verenderung, die mit mir vorgegangen, war zu merklich, nur weinen konnte ich. Und wer mich frug, was mir wär? – und dem [317]
ichs sagte und die mir nach meinen Gefühl nicht Theil genug nahmen, o, die hätte ich priegeln kennen – die haßte, die verachtete ich in den Augenblick. – Als wenn alle den guten Mann so in seinen Werth haben kennen sollen wie ich? – Viele mochten gedacht haben, das wer natürlich. – Nun blieb ich einsam in meiner Kammer, so kalt es auch war, so wolte ich niemand sehen noch sprechen, und die Stunden, die mich zum Theater ruften, würde ich gern mit Geld erkauft haben, wenn ich nur aus meinen Winkelgen nicht hätte kommen dürfen. Jeder Brief, den ich schrieb, war eine Eligie – das war der erste Sterbefall, den ich so ganz durchfühlte. So traurig als ich war bey dem Verlust meines Vaters, so konnte ichs zu sehr entscheiden, das jener Schmerz doch nichts war gegen diesen – natürlich, selbst noch sehr mat von der schweren überstandenen Krankheit – und doch auch noch zu sehr Kind. Bereits ging es in die 3te Woche, und mein Schmerz war und blieb derselbe. – Es war des Sontags Nachmittag, ich schlumerte in meinen Schmerz und unter unzähligen Thränen ein. Mir wurde in diesen Schlummer, als ob jemand, den ich nicht kannte, zu mir trat und sagte: „Was weinst du? Gerecht waren deine Thränen um solch einen Freund. – Doch gönne ihn nach 84 Jahren, die er gelebt, Ruhe. Und du bereite dich auf solche Verlüste. – Wer weis, wem du heute über ein Jahr beweinst“ – – und ich erwachte. Schon war es Abend geworden und alles dunkel um mich her. – Was war das? – Was für ein Gesicht. – Gott sey mir gnädig! wen ich ihm durch meinen wilden Schmerz beleidiget. – Will mich zu faßen suchen, will mich gewönnen595 an die ewigen Trennungen. – Ich kam zu meiner Mutter heruntergegangen, die sagte: „Nun sieht man dich endlich einmal wieder. Dachte, würdest wieder nicht zum Vorschein kommen“. Ich küßte [318]
sie. „Vergeben Sie mir, liebe Mama. Nie werde ich wieder von Ihnen seyn, wenn ich nicht muß. – Mein Schmerz ist über – ja – vergeßen kan ich ihn nie – aber nur die Bitte: Wollen nicht von ihm reden“. Herr Soltau war bey meiner Mutter, und wir schwazten nun allerley untereinander, blos um mich zu zerstreuen, wir sagten uns Räthsel vor, schrieben was hin, das der andere lesen solte und den Verstand auflösen; und so ging der Abend heuter genug hin. Den Sonabend darauf kam Herr Soltau gleich nach 4 Uhr des Nachmittags. Ich wunderte mich, den sonst kam er selten vor halb 6 oder 6 Uhr.
595 Gewöhnen.
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„Haben Sie nichts auf dem Contooir596 zu thun? – Schon fertig mit Ihrer Arbeit?“ – „Hab heute mir Urlaub von meinen Herr erbeten – den ich habe heute eine Visite gemacht, rathen Sie“. – „Wie kann ich?“ – „Bey meinen Beichtvater bin ich gewesen; der hat sich gewundert! Hat mich sehr lange nicht gesehen“. – „Das war nicht recht, lieber Soltau. – Doch freue ich mich, daß Sie da gewesen. Las Welt Welt seyn – Gott ist doch Gott! Und wen wir auch noch so moralisch gut leben, warum will sich der Mensch schämen, Religion zu haben. – Und warum nicht auch die Pflichten, die uns die Religion und die Kirche befiehlt, uns zu üben. – Wie sehr beschämen oft darinnen die Juden uns Christen“. Soltau nam meine Hand, küßte solche und sah mich sehr vielbedeutend an. „O! Mademoiselle Schulz. Es ist auch noch nicht lange, das ich so denke“. Ich war wirklich etwas verlegen in der Antwort und zog meine Hand zurüke. – „O laßen Sie mich es Ihnen gestehen. Bin ein ganz anderer Mensch worden, seid ich das Glük hatte, Sie und Ihre Mama [319]
kennenzulernen. Ich spielte, ich schwärmte manche Nacht, ich tranck mehr als ich solte – genug, ich wurde mit dem großen Haufen fortgerißen. Doch seiddem Sie mir den Zutritt in Ihren Hause verstattet, seid ich seh, wie Sie leben – und wie glüklich Sie in dieser ruhigen Stille sind – wünschte ich mir solches auch – ich bestrebte mich, und es gelang mir. Ich spiele, ich trinke nicht mehr, allen Umgang, der mich sonst zum Schwärmen fortzog, habe ich aufgegeben – mein Herr selbst sagt: so fleissig habe er mich nie gesehen und ordendlich, wie ich jezt wär. Man wird ja alles satt, sagte ich, und endlich findet man doch nur seyn wahres Glük in Ordnung und Ruhe. – Und was sich mein Vater freud! Nun komme ich volkommen aus und hab noch über bey dem, was ich einzunehmen hatte – sonst wolte es nicht zulangen. – Und wem verdank ichs? Ihnen!“ „Dan ist’s mir toppelt lieb, daß ich Sie habe kennenlernen. Mißen aber auch so bleiben und nicht wieder zurükfallen“. – „Wills nicht hoffen! Doch wen Sie fortreisen solten, wie es heist – ja, dan sehe ich nicht hin. – Wer wird mich dan befestigen in meinen guten Anfang?“ – „Ja, das weis ich nicht“. – „Ich wüste eins, wen Sie es mir nicht versagten?“ – „Wen ich kann, gewiß nicht!“ – „Dürfte ich mich unterstehen, an Sie zu schreiben? – Und werden Sie mir antworten?“ – „Wen’s sonst nichts ist als das? – Ja, das soll geschen, wir schreiben einander – wißen, ich schreibe gern“. Der gute Soltau war recht sehr vergnügt und ich auch. Er sagte Gute Nacht, bat aber, [daß er] morgen, wenn des Nachmittags seine Kirche aus wär, zu uns kommen dürfte. „Ja, kommen Sie, lieber Freund“. Er kam in seinen schwarzen
596 Comptoir: Kontor, Büro.
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Kleide, und meine Mutter und ich, wir küßten ihn beyde und wünschten ihm Glük. Wir hatten mit dem Caffee gewartet, er trank solchen mit uns, und war den Nachmittag der erste Tropfen, den wir geselschaftlich miteinander genoßen. Wir lasen im „Messias“597, und der Abend ging hin in stiller Ruhe und Zufriedenheit. Die Faste war bereits da, wo nicht gespielt wurde. Mein Bruder wurde krank und lag sehr gefährlich. – Das viele Schwermen598 mochte wohl mit die größte Ursach seiner Kra[n]ckheit seyn. Auf einmal kam die frölige Nachricht, das wir von Hamburg fort nach Bremen reisen solten. – Wer war nun glüklicher wie ich. Freylich wuste ich zum voraus, das wir würden wieder zurükekommen, den Herr Ackermann wurde Bürger in Hamburg, und der Grundstein zum neuen Comödienhaus, das er auf seine Kosten wolte bauen laßen, war bereits gelegt599. – Mir wars Trost, doch nur auf einige Monate fortzukommen: Und wer weis? wen das Haus fertig wird? dachte: dazu geht wohl ein Jahr hin. Meine Mutter blieb bey meinen Bruder in Hamburg, und ob es gleich das erste Mal war, das ich beyde zugleich verlaßen mußte, da mein Bruder noch nicht aus aller Gefahr – und meine Mutter selbst schwächlich war, so würde ich lügen, wen ich sagte: Ich habe viel geweint; ich war untröstlich? – Konnte es nicht seyn. Die Freude, Hamburg endlich verlaßen zu kennen, war zu groß; und die 6 Monate, die ich da war, waren mir die längsten meines Lebens geworden. Um 10 Uhr an einen Dienstag des Morgens stiegen wir in ein Schiff und wolten zu Waßer bis Buxtehude und von da weiter mit Extrapost bis Bre[321]
men rollen. Wie gesagt, halb 10 fuhren wir auf der Elbe fort und kamen des Nachts halb 11 nach Altona. Wer nicht weis, wie weit das voneinander liegt, dem sage ich, das ich in Zeit von 3 Viertelstunden mit der größten Bequämlichkeit vom Hamburger Tor bis ans Altonarer zu Fuß gehen konnte. – Alle Tage wurden wir von unsern Wirthshaus auf ’s Schiff geholt, eins-, auch wohl zweymal. Mit jeder Ebe, mit jeder Fluth solte fortgesegelt werden, aber der Wind war und blieb contrair. – Auch war es so richtig wie was, sobald wir von dem Wirthshaus auf den Schiff waren, regnete
597 Damit könnte gemeint sein: „Der Messias. Ein Heldengedicht“, Epos in 20 Gesängen von Friedrich Gottlieb Klopstock, Halle 1749–1773. 598 Schwärmen bezeichnet hier einen ausschweifenden Lebenswandel, Vergnügungssucht. 599 Zu Ackermanns Theater am Gänsemarkt vgl. Johann Friedrich Schütze, Hamburgische TheaterGeschichte, Hamburg 1794 (ND Leipzig 1975); Eduard Devrient, Geschichte der deutschen Schauspielkunst, neu hg. von Rolf Kabel und Christoph Trilse, Bd. I, Berlin 1967, S. 353–360; Eichhorn, Ackermann.
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es – und regnete fort, bis wir wieder ins Wirthshaus kamen, da wurde gut Wetter. So foptte uns das Wetter bis des Sonabens, wo wir den endlich unter den heftigsten Sturm und Regenwetter in derselben Nacht gegen 10 Uhr ankamen. Vor Freude und Vergnügen sahe und fühlte ich nichts von aller Gefahr, in der wir uns befanden. Wie ich lustig seyn und eßen konnte? war jeden unbegreiflich. – Mir nicht. Erst reise ich von dem fatalen Hamburg, und zweytens freue ich mich, das meine Mutter und Bruder nichts von aller der Unbequämlichkeit füh[l]ten – welche Angst würde meine Mutter ausstehen? die ohnedieß bey Wasserfahrten so ängstlich ist? – Ich bin es nicht! Gott ist mit mir und in meinen nun zufriedenen Herzen. So wie wir in Buxtehude in das PosthausCXXII kamen, ward nun alles mit frölig. Wir wolten Punsch machen und es uns wohl seyn laßen. Und wie ich so in besten Arbeiten bin, tritt der Postmeister mit einer sehr traurigen Miene zu uns ins Zimmer: „Danken Sie Gott insgesamt, daß Sie da sind! – Eben kommt die Nachricht, das der [322]
Post-Eber600 mit 17 Personen vom Sturm umgeschlagen worden601. Nur der Schaffner ist gerettet – 16 haben ertrinken müßen“. Stille legte ich Citronen und Meßer weg und frug: „Herr Postmeister, wen geht die Reitente Post nach Hamburg“. – „Morgen früh“. - „Gut, alles, was zum Briefschreiben gehört, laßen Sie mir doch gleich auf mein Zimmer sezen“. – Das gescha. – „Kinder, nun macht euren Punsch selber und trinkt! Ich werde wohl ein Glaß noch übrig finden“. Fand alles zum Schreiben und fung so an: „Liebe Mama! Wen ich mit der Gesellschaft ersoffen wär, könnte ich ohnmöglich schreiben – nur eines Mißverstandes auszuweichen. Dem Post-Eber traf das Unglük – wir kamen mit dem unsrigen gesund und glüklich in Buxtehude an etc. etc.“. Den Brief gab ich mit der besten Recommentation meinen Herrn Postmeister, fand noch Punsch, asen und tranken und wurden frölig. – Den Morgen darauf war Palmsontag602. Es regnete die Tage nur einmal, und das bis wir nach Bremen kamen den Mitwoch 600 Post-Ewer. – Die Fährleute in Buxtehude besaßen das ausschließliche Recht, Personen und Güter nach Hamburg und Altona zu befördern. Lit.: Karl E. Fick, Buxtehudes Nah-, Fern- und Pendelverkehr, einst und heute, in: Heimatliches Buxtehude 3 (1965), S. 17–63, hier S. 28, 43 f.; Erich Kuhlmann, Die Post im alten Hamburg (Postgeschichtliche Blätter Hamburg 1984, Heft 27). 601 Recherchen zum Unglück des Postewers in der einschlägigen Literatur sowie im Stadtarchiv Buxtehude (Dank an Bernd Utermöhlen), im Niedersächsischen Landesarchiv Standort Stade (Dank an Robert Gahde) und im Staatsarchiv Hamburg blieben ergebnislos. – Es war bekannt, dass die Passage zwischen Hamburg und Buxtehude „wegen Ebbe und Fluth, auch wegen Wind und Witterung zuweilen verdrießlich, gefährlich und ungewiß“ war; Johann Peter Willebrandt, Historische Berichte und Practische Anmerkungen auf Reisen […], Hamburg 1758, S. 88 Nr. 43 und 45. 602 31. März 1765.
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früh603. – Den des Nachts hatten wir immer stillegelegen und lange Mittage gemacht, das also die Reise länger sich verzog, als sie sich verziehen sollen. Da ich nicht wuste, wenn meine Mutter mit Carln nachkommen würden, wolte ich in keinen Wirthshaus wohnen. – Fand also eine Wohnung bey einen sogenanten Herrendiener, Herr Kirchhoff604 genannt, seine Frau lebte, zwey herzensgute Leute und ein paar liebe Mädchens von Töchtern, seine zween Söhne waren schon bey Kaufleuten in der Lehre. Wir wurden wegen der Zimmer bald einig. Ich bat sie: Ob sie mich nicht solange zu sich in die Kost nehmen wolten, bis meine Mutter käm? – Das gescha, und weil die Leute gehört: daß ich catolisch [323]
sey, kam bis Ostern nurCXXIII Fasten-Eßen auf den Tisch, es freute mich sehr – ob ich gleich in diesen Stük eben nicht scrupelös gewesen bin. Ich machte mir aus Fastenoder Fleischeßen keine Sünde und konnte mir keine machen. – Und überdies vertrug solche in die Länge mein Magen nicht. – Und fastete ich gewiße Tage im Jahr, so speiste ich gar nichts. – Nun befand ich mich auserordendlich wohl. In Bremen schöpft ich eine ganz andere Luft, die Einwohner sahen uns auch für Menschen an, und es war eine Lust, über die Straße zu gehen, den man sah lauter freundliche und leidselige605 Gesichter. Auch kamen Briefe von meiner Mutter und Carln an mich, das es beßer würde; ich bat sie inständig, der Bequemlichkeit wegen eigene Gelegenheit zu nehmen und nicht die fatale Post. Es so einzurichten, daß sie an einen Sonabend oder Sontag in Bremen einträfen, weil ich ihnen entgegen wolte fahren. Nun erwartete ich den lezten Brief und bey meinen Hausleuten hatte ich ein kleines Soupée bestellt und wolte die Meinigen tractiren. Alles war abgeredet. Da ich in guter Ruh auf dem Theater size, auf einmal meine Mutter mit Carln vor mir stand. Statt mich zu freuen, sagte ich: „Mein Gott! wo kommen den Sie schon her?“ – „Ein hübscher Willkommen!“ – Doch ich konnte mir nicht helfen. – Meine gute Muter sagte auch zu mir: „Ist daß deine Freude, deine alte Mutter wieder zu sehen?“ – und mein Herr Bruder machte mir ein zimlich schiefhengendes Maul. – An ihrer Stelle würde ich es auch so gemacht haben, aber einmal sah ich mein ganzes herliches, mich so lange darauf gefreutes Projekt
603 Gespielt wurde in Bremen vom 10. April bis 16. Juli 1764 im Theater am Walle auf der Reitbahn. Lit.: Rüppel, „Nur zwei Jahre Theater, und alles ist zerrüttet“. Bremer Theatergeschichte von den Anfängen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, Heidelberg 1996 (Neue Bremer Beiträge 9); Eichhorn, Ackermann, S. 79 f., 222, 240–243. 604 Kirchhoff war demnach Diener einer der Bürgermeister in Bremen. 605 Leutselige.
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zertrümmert. – – „Ach, Sie wißen nicht“. – Nun dachte ich erst daran, daß ich sie noch nicht geküßt und willkommen geheisen habe. – War aber doch [324]
nicht mit der Lebhaftigkeit, als es gewesen wär, wen ich sie hätte überraschen kennen. Demoiselle Kirchhoff, die bey mir war auf dem Theater, bat ich, sie möchte doch nach Hause gehen und die unvermuthete Ankunft ihrer Mama sagen. – Aus dem, was wir verabredet, könnte nun nichts werden; ich bethe also nur, das wir satt etwas Suppe fänden. Dem Mädchen wars auch nicht recht, das die nach Hause gehen mußte – kurz, die ersten verdriesliche Gesichter sah ich den Abend. – Wie alles aus war, gingen den Mama und Carl mit mir nach unsrer Wohnung. Freundlich wurden sie willkommen geheisen. Nachdem meine Mutter und Bruder die Zimmer gesehen, die ihnen den sehr wohl gefiehlen, rufte man uns zu Tische. O, nun ward alles gut, meine gute Hausfrau hatte doch in der Eile alles angeschaft, was ich bestellt hätte, wen wir den Tag ihres Ankommens gewust hätten. – Nun lies ich erst der Freude des Wiedersehens Raum. Carl, Mama und meine Hausfrau mit ihre zwoo Töchter, die ihr geholfen, wurden geherzt und gedrükt und geküßt. Alles war vorbey und wir wieder vollkommen ausgesehnt. Mußtens selbst eingestehen, daß ich nicht ganz Unrecht gehabt, da sie meine Lage wußten und ich nicht in einen Wirthshaus wohnte. 8 Tage speißten wir alle 3 bey ihnen am Tisch, dan fing meine Mutter wieder selbst an zu kochen, und das Monat war um. – Ich hatte mit Kirchhofs nichts acordiert606 wie die Zimmer, und nun, da ich die 6 Thaler auf den Tisch gezählt hatte, frug ich: „Nun, was bin ich mehr schuldig?“ – „Nichts“, war die Antwort. – „Ohnmöglich! Habe ja bey Ihnen alles gehabt, Kost, Wein, Caffee“ – „Nein, nichts! [325]
haben mit uns vorlieb genommen. Und geben Sie mir und den Meinen nicht alle Tage ein Billet in die Comödie“ – „Das kostet mir nichts. – Aber da Sie so gut sind, sollen Sie nun meines Bruders Billet dazu haben“; ich bedankte mich und sagte es Mama, die den sehr verwundert war. – Aber so gastfrey wie meine Hausleute waren, so ist ganz Bremen. Madame Docen607, ein allerliebstes Weibgen von Herzen, suchte meine Bekandschaft. Ihr Man schenkte und handelte mit Weinn. Wenn ichs übers Herz hätte bringen kennen, von die guten Kirchhofs auszuziehen, so hätte ich mit den Meinen nicht nöthig gehabt, noch einen Großchen608 für Eßen und Trinken und Wohnung 606 Akkordiert: Vereinbart. 607 Nicht ermittelt. 608 Groschen.
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auszugeben. – Doch die Dankbarkeit ging dem Intreße bey mir vor. – Manche von der Gesellschaft trafen es ebenso und gaben die Woche nicht einen Groten609 von ihrer Gage aus. Da ich also meiner lieben Docen das vorgestellt, gab sie sich darein. Aber die Tage, wenn nicht gespielt wurde, kam der Wagen, und da fuhren wir 3 Frauensleute in und um Bremen überall hin – alles mußte ich sehen, was sehenswerth war. Mein Bruder bekam vortrefliche Informationen610 und wurde sehr resonabel bezahlt. – Das war ein Unterschied wieder von Hamburg, wo er zwar Information anfänglich annahm, aber sich nur auf etliche Judenhäuser erstrekten, und da die nicht hinreichend waren und er mehr an Schuen abriß, als sie einbrachten, war er gezwungen aufzuhören. Den von Stadtleuten konnte er keine bekommen. – Nun hies es, wieder zurük nach Hamburg, und bey dem Gedanken schauderte mich – doch es solte seyn. Nun kam der lezte Sontag, den ich noch dort zu leben hatte; den noch 2 oder 3 Comödien sol[326]
ten gegeben werden. Wir waren wieder ausgefahren, hatten des Abens bey Madame Docen gespeißt und kamen späth nach Hause. Meine Hausfrau sagte: das eine Frau nach mir gefragt, die einen Brief an mich hat abgeben wollen. – „So? – Wenn was daran gelegen ist, wird sie wohl wiederkommen“. Wir gingen nach unsern Zimmer, und ich schlief ganz vortrefflich bis an den Morgen und würde noch länger geschlafen haben, wenn mich meine Mutter nicht gewekt hätte; und nachdem ich halb schlaftrunken sie ansah, zu mir lächelnd sagte: „Wem’s der Himmel beschert, dem beschert ers im Schlafe“; und würft mir einen Brief, in dem was lag, aufs Bette. – Wie der Blitz war ich munter. „Was ist das?“ – „Die Frau, die gestern Abend da war, frug nach dir, ich sagte ihr, du schliefst noch, da gab sie mirs, um es dir zu überreichen“. Ich erbrach das Siegel und fand folgenden Brief: „Mademoiselle. Es ist mir von einigen Freunden des Theaters – von einigen Ihrer Bewunderer, der beneidenswehrte Auftrag geschehen, Ihnen in derselben Namen die heißesten Versicherungen von Hochachtung und Dankbarkeit zu geben. Wie sehr unzufrieden bin ich nicht mit mir selbst, daß ich solches nicht mit aller der Stärke, mit dem Nachdruk verrichten kan, den diese schöne Pflicht verdient. Wie gerne schrieb ich jezo so schön – so schön! – (verzeihen Sie, wann ich Ihre Sittsamkeit beleidige), als Sie selbst sind. Allein, was könnt ich bey dieser Gelegenheit Ausserordentliches sagen? Nichts! Nichts,
609 In Bremen gültige Münze (1 Taler Gold = 72 Grote = 360 Schwaren). 610 D. h. er bekam Schüler aus guten Häusern, die er unterrichten (= informieren) konnte.
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als was ein jeder, der das Glük hat, Sie zu sehen, Sie zu kennen, empfinden, denken und sagen muß? Es giebt Verdienste, welche zu erhaben, Vorwürfe, welche zu groß sind, als daß ein Lob dieselben erhöhen solte. – Die Welt ist so gerecht gegen Sie, Mademoiselle, daß sie Ihre vorzügliche Verdienste vollkommen erkennet, der allgemeine Beyfall bezeuget solches sattsam. – Wie reizend wird die Tugend, wan sie von einem schönen Munde gelehret wird! Welcher großer Gedanke: Eine schöne Schauspielerinn, eine Anbeterinn, eine Lehrerin und eine Außüberinn der Tugend – wie oft haben Sie uns über uns selbst erhöhet und unsere Seelen in die erhabenste Denkungsart versezt? Wie oft hat durch Ihre Kunst sich eine angenehme Schwermuth unserer Herzen bemeistert? Welches unsere dankbare Thränen bezeuget haben; und wie offt haben Sie die schwarze Traurigkeit von unserem Gesichte verjaget! Welches Stük haben Sie nicht verschönert? und wie viele matte Stellen sind in Ihrem Munde stark und rührend geworden – die göttliche Tugend bedecke Sie mit ihrem Schirm, der Himmel stärke Ihren Fuß auf der schlüpfrigen Bahn dieses menschlichen Lebens! Möchte doch Ihr Glück Ihren Verdiensten gemäß, möchte es so schön, so reizend, so heiter als Ihre schönen Augen seyn! – Empfangen Sie mit der einnehmenden Freundlichkeit, die Sie so schön macht, die Opfer, die Ihnen gebühren, die Erkentlichkeit unsrer Herzen, unserer Hochachtung und unserer wahren Ergebenheit. Wie glüklich werden wir uns schäzen, wan beygefügte Kleinigkeit nicht unwürdig ge[328]
schäzet wird, von Ihnen geneigt aufgenommen zu werden. Und wan Sie derselben so viel Werth beylegen, das solche auch abwesend die Erinnerung geben darf: das hieselbst einige Kenner nicht blind oder taub gegen Verdienste gewesen sind. Ich habe die Ehre, vollkommmen zu seyn, Mademoiselle, dero gehorsamer Diener Bremen, den 13. Juli 1765. Die sogenante beygefügte Kleinigkeit war einen vortreflich ausgearbeitete zimlich schweren silberne Tobaksdose611, und in derselben lagen 18 Stük Ducaten. Daß ich mich sehr gefreut? wer kann es mir verdenken? – Solche gute Menschen findet man nicht aller Orten. Und was meine Freude noch vertoppelte, war, als ich zur Probe kam, da ich hörte, das Herr Eckhof auch einen Brief mit 18 – der alte Herr Schröter mit 12 und Herr Böeck mit seiner Frau612 10 Stük Ducaten zugesand worden mit Briefen 611 Zum Tabakschnupfen von Frauen s. o. HHS, S. [181]. 612 Ludwig Schröter (1699–1769), Johann Michael Boeck (1743–1793) und seine Frau Sophie Elisabeth Boeck geb. Schulz (1745–1800).
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und derselben Art. Erst wie ich schon ein ziemlich Weilgen in Hamburg war, schrieb mir Madame Docen, das sie nun vernommen, von wem uns dieses Geschenke zugeschickt. Die Ersten von der Stadt bringen einige Erholungsstunden nach ihrer Arbeit in dem Rathsweinkeller zu. Bald nach unsern Hinkommen sagten die Herren untereinander: Wen die Leute so gut bleiben in ihrer Arbeit und Aufführung, so sollen sie ein Andenken von Bremen mitnehmen, wan sie einst fortreisen. Bey jeder Zusammenkunft wurde zugelegt, bis zu unserer Abreise in denen wenigen Wochen die Summa von 58 Ducaten, ohne die Dose, die ich erhielte, beysammen war, einge[329]
theilt und uns Vieren zugeschickt wurde, und das ging so geheimnißvoll zu, das es auch keinen von uns im Schlaf eingefallen wär. Mit schweren Herzen verlies ich Bremen. Meine liebe Docen war untröstlich. – Und ich zweifle, ob je eine Mansperson gegen seine Geliebt[e] so viele zärtliche Aufmerksam[keit] haben konnte wie die Gute! gegen mich. – Wie dankbar ihr mein Herz war, wie oft ich mich ihrer noch erinnerte nach Jahren, weiß sie. – Und weiß der Allwißende noch mehr. – Als wir den endlich wieder in das berühmte Hamburg gekommen waren, wolten wir nicht wieder in unsere alte Wohnung, weil es zu weit vom Theater war. Herr Goßlar613, der Apotheker, wo wir unsere Medicin nahmen und was wir sonst brauchten, hatte uns eine bey einen Schuhmacher auf der Kleinen Drehbahn614 gemiethet. Herr Soltau besuchte uns gleich den ersten Tag und hies uns willkommen. Wir freuten uns, ihm wiederzusehen. Doch fand ich – ich weis selbst nicht, was Niedergeschlagenes in allen seinen Wesen. – Ich sagte es ihm auch. „Es sind Überbleibsel von meiner Krankheit, habe ichs Ihnen doch geschrieben“. Ich liebte ihn wie einen Bruder – er mich vielleicht noch etwas mehr wie eine Schwester? – Kan seyn. Aber um sein Herz von mir abzulenken, das er mir nichts seyn solte wie Bruder, gestand ich ihm frey meine noch immer fortwehrende Leidenschaft gegen dem Major. – Ich zog sowohl aus denen Briefen, die ich hatte, theils was mir noch selbst zu lebhaft in dem Gedächtniß war, die ganze Geschichte zusammen und schikte ihn solche mit der Post zu. Noch mehr, durch Herrn Soltau erfuhr ich, das der Major wohl
613 Johann Eibert Gossler jun. (* 24. Okt. 1735, † 9. März 1787 Hamburg), Apotheker, 1768 Mehlkaufsbürger zu St. Michaelis, 1776 wirklicher Rats- und Herrenschenk; Deutsches Geschlechterbuch, Genealogisches Handbuch bürgerlicher Familien, hg. von Bernhard Koerner, Bd. 19, Görlitz 1911 (= Hamburger Geschlechterbuch 2), S. 23. 614 Die Kleine Drehbahn war nicht weit vom Theater am Gänsemarkt entfernt.
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wär, aber nicht vermählt; und ich viel zu gewißenhaft, einer neuen Leidenschaft in meinen Herzen Raum zu geben. Ich schrieb Herrn Soltau: Meine erste Liebe – obgleich unglüklich, doch zu tief in meiner Seele noch wär. – Und wenn er auch mich vergeßen, er sich von seiner Zusage losgerißen. – Ich darum ebenso frey wär? – Nach meinen Grundsezen hebe das meine Pflichten nicht, ihm treu und solange treu zu bleiben, bis andere Bande mir sagten: Nun ist er für mich auf ewig hin. – Inzwischen würde ich meinen Schicksal nicht entgehen. Den, denn eine höhere Macht über mich bestimmt hätte, würde einst mein Gatte werden. „Sollen Sie es einst seyn oder ein anderer? Alles wird die Zeit lehren – Ihre jezige Verfaßung sowohl wie die meinige verlangt, das wirs der Zukunft anheimstellen“. Das war es ohngefehr alles, was ernsthaft von der ganzen Sache zwischen uns gehandelt wurde, übrigens waren unsere Briefe in scherzenden, munteren Tone abgefast. Den in Bremen war auch jar nichts, das mir nur einen unangenehmen Augenblik gemacht hätte – und meine Mutter war gesund. Nachdem ich ohngefehr einige Tage in Hamburg gewesen, kam er (ich war bey dem Auspaken). Er giebt mir ein Packet. „Was ist daß?“ „Alle Ihre Briefe“ – „Warum geben Sie solche mir wieder?“ – „Ey, haben Sie vergeßen, das Sie mir aus Bremen schrieben, wir wolten einst gelegendlich an einen Nachmittag der Mama alles, was wir uns zugeschrieben, gegeneinander vorlesen?“ „Auch wahr! Hab’s ordendlich vergeßen. – Hier, lieber Bru[331]
der, lege ich solche zu denen Ihrigen“. Den Nachmittag kam er wieder, noch immer packten meine Mutter und ich aus. Soltau fast in seine Westentasche hinne[i]n und sagt zu uns: „Da will ich Ihnen was zeigen, daß Sie bey mir noch nicht gesehen“. – Indem zieht er einen Rosenkranz hervor. – „Was soll das?“ sagte ich zimlich ernst. „Ich bin nicht abergläubisch, aber alle Religionsspötterey haße ich“. – „Der kommt mir zu!“ – „Ihnen ein Rosenkranz?“ „Ja! Ich bin katolisch – nein, bins nicht – ja – werde es – – ja, wahrhaftig, ich bins“. – Meine Mutter und ich dachten, das Haus fällt über unsern Kopf zusammen. „Weiß es Ihr Vater schon?“ – „Nein, noch nicht, und Gott gebe, das es nur so lange verschwiegen bleibt.“ – „Und Gott gebe“, antwortete ich, „das es nicht so lange verschwiegen bleibt. – Mir werden Sie den größten Verdruß zuziehen.“ – „Ihnen?“ „Ja, mir, weil man weis, daß Sie zu uns kommen dürfen – ha! da ist eine meiner unglüklichen Ahndungen erfüllt, als mich der Teufel nach Hamburg führte – nie Umgangs wegen Verdruß oder Schümpf gehabt – und hier! Mit so vieler Ehre noch aus Bremen gereist – und Sie machen und hengen ohn mein Verschulden so eine Nachrede über mich?“ – Kurz, was wir den Tag einander noch gesagt, wird bald gesagt werden, und ich vermeide in meiner Erzählung so viel wie möglich die Wiederholungen. Wir verboten ihm unser Haus – er ging. Und die Unterhaltung zwischen uns beyden war die
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einzige von der Art, die wir jemals miteinander gehabt. Den andern Morgen kam er ganz außer Adem geloffen. – „Mein Vater615 [332]
ist hier und weis alles“. – „Was soll ich thun? Das hätten Sie eher bedenken mißen. Sie wißen, was ich Ihnen gestern gesagt habe“. – „Haßen Sie mich nur nicht!“ „Nein; Gott aber verzeihe Ihnen, welcher Kränkkung Sie über mich bringen – wen Sie es sich jemals selbst verzeihen kennen. Sagen kan ich nicht: Nein, Sie sollen nicht katolisch werden! Da wär ich nicht werth, ein Heide zu heißen. – Thun Sie, was Sie für gut und für Ihr Heil finden – uns beyde aber trennt dieser Schritt, den Sie gethan, auf ewig! Selbst von den freundschaftlichen Umgang“. – Er ging traurig fort, und ich wußte nicht: solte ich auf ihn schmehlen oder ihn bedauern. – Wenige Tage, und der Lärm in der Stadt war allgemein. Nie mußte wohl so viel auf eines Menschen Kosten zusammengelogen worden seyn als damals. – Doch das Bewußtseyn, das ich unschuldig litt, sezte mich über alle die Afterreden weit hinaus. Auf nichts lauerte ich, als das man mich öffendlich solte belangen und befragen laßen. – Endlich kam die schrökliche Post (den der Vater hatte ihn mit Gewalt nach Bergedorf mitgenommen und ihm Stubenarrest gegeben), das der junge Soltau den Vater entwischt und sich ins Waßer gestürzt hätte616. – Ich 615 Martin Wilhelm Soltau (* 25. Sept. 1720 Bergedorf, † 31. Juli 1801 Bergedorf ), wohlhabender Kaufmann, 1768 Bürgermeister in Bergedorf. 616 Dietrich Wilhelm Soltau hat eine Autobiographie hinterlassen, in der er auch auf seine Beziehung zu Karoline Schulze eingeht. Er schreibt darin, dass er um ihre Liebe geworben habe und dass sie „beyde einander liebgewannen“. Ihr „ebenso unsträflicher als zärtlicher Umgang“ miteinander habe „neun bis zehn Monate“ gedauert, wie aber dieser „arkadische Roman sich zuletzt endigen sollte“, daran hätten sie beide lange Zeit nicht gedacht. Soltau sah die einzige Möglichkeit für ein glückliches Ende, also die Eheschließung mit Karoline, in der Konversion zum katholischen Glauben. Er schreibt, er habe mit zwei Jesuiten-Patres in Hamburg Kontakt aufgenommen und sich unterrichten lassen. Aus Rücksicht auf seinen Vater hätte aber die Konversion nicht in Hamburg, sondern in Wien stattfinden sollen. Von den Jesuiten erbat sich Soltau daher Empfehlungsschreiben an einen Minister in Wien, bei dem er als Sekretär arbeiten wollte. Karoline war Soltaus Autobiographie zufolge in seine Konversionspläne tatsächlich nicht eingeweiht. Mit keinem Wort geht Soltau auf seinen Selbstmordversuch ein. Nach seiner Schilderung hatte sein Vater „zum Unglück (oder vielmehr zum großen Glück)“ von den Konversionsplänen erfahren und ihn nach Bergedorf zurückholen wollen. Er aber sei durch die Kellertüre zu den Jesuiten-Patres entwischt, die ihm zur Flucht aus Hamburg verhelfen sollten. Diese jedoch rieten ihm, zum Vater zurückzukehren und mit nach Bergedorf zu gehen, was er auch umgehend getan habe. Soltau schreibt, die Sache habe in Hamburg Aufsehen erregt, sein Vater habe ihm aber „ohne seine Bitte“ die „schwere Kränkung, die er ihm an diesem Tage verursacht hatte“, verziehen. Er selbst habe sich in der Folge „seine ausschweifenden Schritte nie verziehen und sie nie vor sich selbst entschuldigen können“. – Eine Edition der Autobiographie von Dietrich Wilhelm Soltau wird derzeit von Bardo Metzger M. A. vorbereitet, dem herzlich für die Einsicht in die Karoline Kummerfeld
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dachte, der Schlag träf mich auf der Stelle über die Post. – Und den Tag spielte ich, und noch dazu eine sehr lustige Rolle – ja, ich rafte mich zusammen, und wer mich ansah, den faste ich gewiß so scharf in die Augen, das sie bald die ihrigen [333]
niederzuschlagen gezwungen waren. Wenn er nur lebt, nur lebt, dachte ich. – Doch alles sagte ihn tod. – Thränen hatte ich nicht. – Nicht eine, ich tobte, ich raste in mirCXXIV. Der erste, der einzige Fall von der Art, den ich je erlebt. – Mein Stolz, meine Ehre war gekrenkt, und daß in Hamburg, wo mir alles Katzen- und Papageyenköpfe617 schien. – Da, just da. – Gar keinen Umgang gehabt zu haben? und just der – wo ich mich so vieles Guten, so vieler Rechtschaffenheit bewust war – der breitet Schande über dich? Die ganze Nacht konnte ich kein Auge zuthun und war nur froh, das meine Mutter schlief – mein Bruder sagte: „Ich weis von nichts, ich war nicht zu Hause, wirst dich zu rechtfertigen wißen“. – „Ja, wenn es nur erst so weit wär. Wenn der unglükliche Mensch nur lebte – nur daß! – Aber seine Seele! Wenn er nur lebte: – mich dan gerichtlich belangen laßen; – dan soll der Donner und das Wetter denen Hamburgern auf die Köpfe fallen – dann sollen sie mich erst kennenlernen“. Ich ging aus, um mich zu zerstreuen, und im Gehen fällt mir ein: Wilst Apothekers Goslers618 besuchen. – Fand sie alle beysammen. Weils nun einmal das Gesprech der ganzen Stadt war und man nicht denken solte, ich fürchtete mich, davon zu reden, so hub ich selbst von freyen Stiken an. – Ich sprach sehr freu, so wie es mir ums Herz war. – Nur wünschte ich zu wißen, ob er tod oder lebendig wär. Sie wolten mit der Sprache nicht herraus, aber alles lies mir seinen Tod vermuthen. – Als der Provisor619 zu uns in die Stube tritt: [334]
„Ich habe Ihnen vielleicht was Fröliges zu sagen. Eben war ein Herr bey mir in der Apotheke, der sah Sie in der Stube sizen und frug mich: ‚Ist das nicht Mademoiselle Schulze?‘ ‚Ja‘ – ‚Das gute Mädchen muß jezt auch viel leiden wegen den jungen Soltau. Hat er sich in sie verliebt – wer kanns ihn verdenken? Nur das sich der Teufelsjunge ins Waßer gestürtz[t] hatte – nicht eine Minute später gerettet, so wär er hin betreffenden Passagen gedankt sei. Zur Beziehung Kummerfeld–Soltau s. a.: Bardo Metzger, Dietrich Wilhelm Soltau – Zwischen Ratio und Leidenschaft, in: Neuer Schlosskalender 9, Hamburg-Bergedorf 2010, S. 13–18. 617 Katzenkopf: Dummkopf; Papageienkopf: Schwätzer. 618 Der Apotheker Johann Eibert Gossler jun. war seit dem 17. Oktober 1762 verheiratet mit Anna Elisabeth Waack (* 26. Febr. 1726, † 25. Jan. 1781); Hamburger Geschlechterbuch 2, S. 23; Staatsarchiv Hamburg 622-1/28 Nr. 2 (Tagebuch der Herrenschenken Johann Eibert Gossler sen. und jun.). 619 Der Erste Gehilfe in der Apotheke.
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gewesen. – Der Vater muß es ihm zu arg gemacht haben. – Nun liegt er krank, aber den Vater wird er gewiß nicht lange mehr aushalten, und nach Hamburg will er auch nicht mehr. Die Nachricht habe ich heute Morgen aus Bergedorf erhalten‘“. – „Nun Gott sey dank! daß er noch lebt!“ sagte ich und überbrachte meiner Mutter die frölige Botschaft. Ein par Tage nachher kommt an einen Nachmittag ein Art von einen Arbeitsmann und giebt mir einen Brief in die Hand. – Ich erkandte sogleich Hand und Siegel des Herrn Soltaus. – Eine gute Weile war ich unschlißig, soll ich den Brief lesen oder nicht – oder unerbrochen wieder fortschiken – nein, lies ihn. Zu antworten steht ja bey dir. Der Brief war schon 3CXXV Tage alt und fing an mit einen „Mademoiselle!“ und einen so leidenschaftvollen Ausruhfungszeichen, das meine ganze Aufmerksamkeit rege machte. Der Inhalt war höflich und kalt und enthielte nichts weiter, als, weil es seinen lieben Vater aus gewißen Ursachen unangenehm wär, wen er mein Haus noch öfterer besuchte, so würde er niemals wieder zu uns kommen und wünschte mir wohl zu leben. – Nun hätte ich nicht Schulzen seyn müßen, wen ich nicht im Geist den armen Jungen wiederstre[335]
bend an einen Schreibtisch sizend in heftigen Dispüt mit den Herrn Vater, das dem rechtschaffenen Mädchen zu viel geschied – und Herr Papa hinter den Knaben mit drohenden Bliken und Händen, oder wohl gar einen Stock, in ihm hineinschreuend: ‚Du Hund! willst du schreiben‘. Da kam den das Ausrufungszeichen zu dem Mademoisell hin und sagte mir: ‚Folgenden Worten werden Sie mir verzeihen, meine Schwester? – Wer weis so sehr Ihre Unschuld wie ich? Aber ein grausamer Vater‘. – Etc., etc., etc. Kurz, so klug, als der alte Papa sich dachte, so war die Schulzen doch klüger wie der ehrliche, aber voreilige Mann. Da der junge Soltau wußte, das sein Umgang in meinen Haus von der Beschaffenheit war, das auch die strängste Moral nichts würde zu tadeln gefunden haben, konnte dieser Brief ohnmöglich aus seinen Kopf und Herzen kommen. Die Hamburger Welt dachte freilich anders: Das Allergeringste, was sie sagen konnte, war: Soltau hat sich in die Schulzen verliebt und will sie heyrathen. Sie will ihn aber nur mit dem Bedinge, das er katolisch wird. – Hätten Hamburger mit mir Umgang gehabt und hätten mich also beßer gekannt, so würden sie bald den Schluß haben machen kennen: das, wenn auch das wirklich unter uns wär verabredet worden: der junge Soltau hätte sollen katolisch werden, ohne das es einer gewahr geworden wär. – Ich hatte viele Miehe, den Arbeitsmannn, der den Brief brachte, nicht gerathe ins Gesicht zu lachen, doch hielte ich an mich und sagte: „Heute“ – wies den auch wahr war, „habe ich keine Zeit zu antworten, will morgen schreiben mit der Post“. – Der Mann sagte: „So will ich lieber morgen wieder kommen und die Antwort abhohlen“. „Auch daß“.
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Mich dauerte der junge Soltau von Herzen. – Den gewiß konnte ich denken, das er weit mehr leiden mußte wie ich. – Hat einen jugendlichen unbesonnenen Streich begangen. – Hat ihn meine Art zu denken und zu handeln dazu gebracht? – Kurz, alles Verdrußes, den er mir auch gemacht, konnte ich ihm nicht haßen. – Und wahrlich! – man mußte es mir gar zu arg machen, wen ich jemanden ganz verwerfen solte. Wie ich die Feder zur Antwort in die Hand nahm, wußte ich’s auch zum voraus, das der junge Soltau nie den Brief würde in die Hände bekommen, ich schrieb also und gab solchen nur den Herrn Papa zu verdauen. – Ist mir leid, das ich keine Abschrieft davon besize. So fing er sich an: „Mein Herr, Sie suchten meinen Umgang, meine Freundschaft und meinen Briefwechsel, ich aber nicht den Ihrigen“. Ganz troken sagte ich Bescheid, doch auch so, das der Vater ihn gewiß wieder zu Gnaden annehmen mußte, und hoffte, dieser Brief würde Vater und Sohn wieder volkommen aussehnen. Wer war nun wieder froher wie ich. – Doch wuste der Satan, woher auf einmal wieder eine Reihe von Infamien geschwazt wurde. Unser Briefwechsel war in Characteuren620 abgefast gewesen, und noch lagen ja alle Briefe da in meinen Haus, und ich nur wartete, das man solche zu lesen fordern solte. – Nun wurde ich rabs in Kopf621. Der Ackermann sagte mir selbst das Zeigs, was noch immerfort gesprochen würde. – „Der Donner und das Wetter soll denen Kanallien, die auf meine Kosten sich wollen lustig machen, auf den Kopf fahren. – Bis jetzt war ich still. – Aber nun will ich anfangen“. – Ackermann sagte: „Wolten Sie einen Advocaten“. – „Ich! so [337]
einen Rechtsverdreher? – Nein, gewiß nicht! In meiner so gerechten Sache bin ich mein eigener Advocat. Kennten denken, ich wolte auf Geldschneiderey ausgehen. – Ruhe will ich wieder haben, sonst nichts, die Advocaten sollen keinen Groschen zu verdienen bekommen. – Der Teufel brachte mich nach dem verdamten Nest. – Hab ich je, je in meinen Leben so was gehabt?“ „Gewiß nicht“, sagte Ackermann, „und darum dauern Sie mich so. Aber was wollen Sie den thun?“ – „Einen Aufsaz will ich machen ganz nach meiner Art. Kennen sollen und mißen sie mich hier lernen“. – „Will Ihnen die Titulatur622 verschaffen“. – „Ich brauche keine. – Die was erschleichen wollen, mögen sich in großen Titeln bicken – ich bicke mich nicht, und wenn mein Leben darauf steht. – Die Titel bleiben so lange in mir verschloßen, bis ich weiß: welche Titel sie von mir verdienen. Nun haben sie von mir noch gar keinen“. – „Bist ein verdamtes 620 Charaktere: Buchstaben, Zeichen. Hier im Sinne von Chiffren: Geheimschrift. 621 Rabs in Kopf: Einen Rappel bekommen. 622 Das Anreden einer Person oder einer Behörde mit sämtlichen Titeln.
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Mädchen“. – „Ja, Herr Ackermann, Sie wißen, ich bin eine Sonderling. – Nur eine Schulzen ist in der Welt. – Nur eine, hab meinesgleichen noch nicht gefunden – so in allen wie ich bin“. Ich nach Hause. Des Mittags zu eßen hatte ich keine Zeit noch Apetit. „Die Schrift muß fertig seyn; und Sie, liebe Mama, richten mir alle meine Sachen zum Theater“. Hier ist solche von Wort zu Wort: „Ein Freund gab mir die Nachricht, das daß Gesprech zwischen mir und den Herrn Soltau noch nicht gestillt sey. Man ginge immer weiter; mein Name würde täglich stärker beleidiget. Ich bin dem, der mir diese Verläumdungen en[t]deckte, verbunden, den alle diejenigen, die mich abwesend zu schmähen suchen, sind mehr zu befürch[338]
ten und verabscheuungswürdiger als Meuchelmörder. Was will man von mir? – und was kann man mich beschuldigen? Daß ich diesen Herrn Soltau durch meinen Bruder kennenlernte; das wir Umgang mit ihm gehabt wie in meinen Leben mit mehreren Personen; ohne das ein Mensch auftreten soll, der mir nachsage: Ich habe jemals klein gedacht. Was mehr? Dieser Soltau schrieb an mich, nachdem ich von hier weggereißt, ich antwortete ihm; komm wieder hieher und erfahre von ihm: Er sey willends, seine Religion mit einer andern zu verwechseln. Ich schreibe dieses, das, wenn es vor höhere Augen als eines weltlichen Richters kommen sollte, ich es ihm, ohne etwas zu fürchten, darlegen kann. – Anfänglich lachte ich darüber, doch nachher, als er mich versicherte: das es wahr sey! so erstaundte ich selbst über diese Nachricht und war nicht vermögend mehr zu sagen als: ‚Was haben Sie gemacht‘. – S.: ‚Eine Sache, die nicht mehr zu endern ist‘. Ich: ‚Was soll ich Ihnen rathen?‘ S.: ‚Sie kennen mir nicht rathen: aller Rath kömmt zu speth‘. Ich: ‚Warum haben Sie mir solches nicht geschrieben?‘ – S.: ‚Dafür habe ich mich wohl gehüthet‘. – Ich: ‚In was für eine übele Nachrede kennen Sie mich bringen! Alle Welt wird mich in Verdacht haben. Ich wünschte, daß ich Sie niemals gekand! Was wird Ihr Herr Vater, den Sie mir selbst als einen der rechtschaffensten Männer geschildert, was wird der dazu sagen? – Wie werden Sie ihm betrüben? – Ihre Verwa[n]dte!! – Wenn ich noch glauben soll, das Sie jemals ein Freund von mir waren, so sagen Sie mir: Warum wollen [339]
Sie katolisch werden? Geschied es aus Gewinnsucht; oder um eine Bedienung zu erhalten; oder aus Zuneugung gegen ein Person – so sind Sie der schlechste Mensch, der nur seyn kann‘. S.: ‚Keines von allen diesen ist die Ursach. Schon vor dreyviertel Jahren habe ich solches meiner Großmutter gesagt, daß ich es willens sey‘. Ich: ‚Gut, ich will wünschen, das dieses wahr ist. Sie aber müßen mein Haus kinftig meiden. – O! wollte
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Gott! Sie hätten es nie – niemals betreten‘. Ich sagte ihm noch alles, was ich für meine Pflicht hielte ihm zu sagen. Sein Spiel wurde verrathen, der Vater kam und hohlte ihn ab. Auf einmal wurde diese neue Zeitung623 herumgetragen. Der sagte was; dieser sezte etwas noch hinzu; jener schmükte es mit ehreschänderischen Farben noch mehr aus – kurz, ein jeder wollte es auf meine Unkosten beßer wißen. Anfänglich war ich ganz ruhig und dachte: Die Zeit würde es lehren, wenn zuviel geschähe; wolte mich der ganzen Sache nicht annehmen, weil ich mir nichts bewußt war. Doch wartete ich mit Verlangen, das man mich solte belangen und befragen laßen. Doch dieses geschah nicht, den keiner hatte Beweise, sondern alles kam vom Sagen her. Endlich kam ein Brief von den jungen Herrn Soltau. Ich beantwortete denselben; und ich weis nicht, ob sein Vater die Briefe gesehn? – Hat er sie gelesen, so kann er daraus schliesen, inwieweit wir bekand waren. Weil ich nach der Zeit nichts mehr von allen hörte, so glaubte ich, das alles beygelegt sey. Doch wie empfindlich ist es einen ehrliebenden Gemithe, neue Schmähungen zu vernehmen. Man ist gottloß genug, mich zu beschuldigen, das ich mit Characteure [340]
an ihm geschrieben. Eine Schreibart, zu der ich niemals Lust, viel weniger Zeit gehabt. Wer mißen die niederträchtigen Seelen seyn, die solches ausstreyen? Wofern sie solches gewiß wißen, warum kommen sie nicht zu mir? Lebe ich verborgen? Meine Handlungen kennen von aller Welt Augen beurtheilt werden. – Doch diejenigen schließe ich aus, die nicht imstande sind, redlich zu denken, viel weniger zu sprechen. Man lase den jungen Soltau gegen mich auftreten, er soll sagen, ob jemals, sooft er in meiner Geselschaft war, ein Wort von Religionsstreutigkeiten gesprochen wurde. Man stelle mir zugleich diejenigen verabscheuende Creaturen vor, die meinen Namen beschimpfen wollen, sie sagen mir solches ins Angesicht, wofern sie kennen. Ich will mit zugleich das schröklichste Gelibte ablegen – – doch nein, mit ihnen zugleich nicht, den ich fürchte, die gerechte Allmacht Gottes möchte mit ihren Donner ihre vermaledeyten Köpfe treffen. – Ich, ich allein will es beschwören, wan und wo man will, das ich von allen frey und mich nie mit ihm in Religionszwistigkeiten eingelaßen. Wie getretene Würmer sollen meine Verläumder unter meinen Füßen griechen. Mich soll und wird man für edel, sie für Bösewichter erkennen. Die Schmach, mit welcher man suchet mich zu belegen, ist mir schmerzhaft, doch es ist ein Schmerz ohne Gewißensbiße. Frey kan ich Gott und den Menschen vor Augen stehen; nichts kann mich beunruhigen. Halten mich auch kleine Seelen
623 Nachricht.
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vor niedrich zu denken fehig, so bin ich in meinen Herzen zu groß, als daß ich mich ferner um sie bekümmern solte. Noch bin ich imstande, mich auf eine mihsame, doch tugendhafte Art zu ernähren. Keine Flüche ruhen auf den Meinigen; in mir selbst glüklich bringe ich meine Tage zu – und solte ich diese Glükseligkeit um einen jungen Menschen haben verscherzen wollen? – Einen Menschen, der unter der Aufsicht eines rechtschaffenen Vaters noch ist. Ich, die ich auf der Büne die Tugend lobe, das Laster strafe, ich! – ich selbst solte anders denken, als ich die Menschen belehren will? – Verwünscht sey von mir der Gedanke: die Verführerin eines jungen Menschens zu seyn! Nie miße mich der Fluch eines Vaters, die Thränen einer Mutter, das Klagen einer gekränkten Familie und die Reue eines Sohnes treffen. Wie elend würden meine Stunden; und wie fürchterlich jener Hintritt seyn, welcher mich einst vor Denjenigen rufet, der mein Leben gesehen und nun meine hingelebten Jahre richtet. Dan ist Reue zu spät – dan hilft kein Wiederrufen, keine Endschuldigung. Ich habe die Lehre Gottes gewust, warum bin ich denselben nicht gefolgt. – Genug, aus dem, was ich geschrieben, soll man mich weiter beurtheilen. Gott! als den einzigen Zeugen, den ich anrufe, weis, was daß ich gesagt, was das Innerste meines Herzens denkt. Ich habe zu viele Religion, als das ich ihn, wofern ich anders dächte, zu einen Zeugen fordern solte. Dieses Blatt mag hinkommen, wohin es will, es mag von den strengsten Richtern gerichtet [342]
werden, findet man, das ich zuviel gesagt, so stellen sich diejenigen in meine jezige Verfaßung, fühlen mit mir die Beschimpfung eines guten Namens, und dan sagen sie: ob zuviel sagen kann die Carolina Schulze sst624 Hamburg, den 14. August 1765“. Fertig ward sie, aber abschreiben mußte ich sie im Theater. Es wurde gegeben den Tag Das Herrenrecht625. – Sowie ich fertig war, gab ich solche zum Schluß des lezten Acts an Herrn Ackermann, und Ackermann gab solche dem Herrn Sindicus Schubach626 in 624 Sst = subscripsit: Hat unterzeichnet. – Hiermit kennzeichnet Kummerfeld in der Unterschrift offenbar Briefe, die für sie von wichtiger bzw. rechtlicher Relevanz waren, wie z. B. in HHS, S. [498] und [591]. 625 Das Herrenrecht oder Die Klippe des Weisen, Übersetzung der Komödie Le droit du Seigneur ou l’ecueil du sage von Voltaire. 626 Jacob Schuback (* 8. Febr. 1726 Hamburg, † 15. Mai 1784 Hamburg), Jurist. Nach Jurastudium und Promotion in Göttingen kehrte Schuback nach Hamburg zurück, wo er 1752 zum Adjunkt des Archivars und 1760 zum Syndikus ernannt wurde. 1771 war er hamburgischer Komitialgesandter beim Reichstag in Regensburg. Schuback, der sich für den Bau eines Konzertsaales in Hamburg und für die
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der Loge. Alle Tage lauerte ich, vor Gericht zu erscheinen – aber es kam kein Mensch, und mit einmal wurden alle Mäuler gestopft. – Erst einige Jahre darauf erfur ich, das der Herr Sindicus meine Schrift im Rath verlesen und das solche ins Archiv gekommen und noch da sey627. – Nun lebte ich wieder stille für mich weg. Ich hatte das Glük, eine der herrlichsten Frauen kennenzulernen. O, man darf nur eine Herzochin von Meklenburg-Schwerin628 – und Prinzeß Ulerika629 nennen. Ich wurde zu ihnen berufen, und das überaus leidselige Betragen riß mich ganz für sie hin. Auch lernte ich Förderung des Musikunterrrichts in Schulen einsetzte, wirkte auch als Verfasser von Bühnenwerken und als Komponist. Lit.: Otto Beneke, Jacob Schuback; Lexikon Schriftsteller 7, Nr. 3601. 627 Kummerfelds Verteidigungsschrift hat sich erhalten und wird im Staatsarchiv Hamburg im Bestand 111-1 unter der Signatur Senat Cl. VII Lit. Hf Nr. 3 Vol. 14, Quadrangel 4 verwahrt. Die Wiedergabe des Originals findet sich in Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. Es entspricht mit nur wenigen unwesentlichen Abweichungen der hier in der HHS von Kummerfeld wiedergegebenen Abschrift. Auffällig ist allerdings, dass das Original auf den 18. Oktober 1765 datiert ist, Kummerfeld jedoch in der Abschrift als Datum den 14. August 1765 angibt. Die Akte enthält zu dem Vorfall außer Kummerfelds Schrift auch ein Memorial der Hamburger Geistlichkeit an den Senat vom 16. August 1765, in dem Karoline Schulze als eine für die Jugend sehr gefährliche Person beschrieben wird, vor deren „Stricken“ Eltern und Kinder zu warnen seien. Die Geistlichen bitten den Senat, „auf ihre künftige Auffürung ein wachsames Auge zu richten: überhaupt aber die Komoedianten unter eine strenge Aufsicht zu nehmen“. – Als der Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze im Jahr 1769 seine Schrift „Theologische Untersuchung der Sittlichkeit der heutigen deutschen Schaubühne […]“ veröffentlichte, glaubte Karoline Kummerfeld darin auch eine Anspielung auf die Soltau-Affäre zu finden und schrieb an Goeze, ob sie mit der in der Schrift erwähnten „Theater-Göttin“ gemeint sei. Goeze verneinte dies; s. dazu Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. – Zu Soltau s. a. HHS, S. [449]–[452]. 628 Luise Friederike von Mecklenburg-Schwerin (* 3. Febr. 1722 Ludwigsburg, † 2. Aug. 1791 Hamburg), Tochter des Erbprinzen Friedrich Ludwig von Württemberg, seit 1746 mit Herzog Friedrich von Mecklenburg-Schwerin (1717–1785) verheiratet, hielt sich während der Sommerzeit regelmäßig in Hamburg auf, seit April 1763 in einem von ihr erworbenen Haus am Jungfernstieg/Ecke Große Bleichen. Wie ihre Schwägerin Ulrike Sophie, die sie alljährlich nach Hamburg begleitete, war Luise Friederike theaterbegeistert, und wie sie übersetzte sie ein Theaterstück aus dem Französischen: L’Amant de sa femme ou la Rivale d’elle-même von Louis de Boissy – Der Liebhaber seiner Frau. Lit.: Klaus Merten, Luise Friederike, in: Das Haus Württemberg. Ein biographisches Lexikon, hg. von Sönke Lorenz, Dieter Mertens und Volker Press (†), Stuttgart 1997, S. 175; Anne Fleig, HandlungsSpielRäume. Dramen von Autorinnen im Theater des ausgehenden 18. Jahrhunderts, Würzburg 1999 (Epistemata: Reihe Literaturwissenschaft 270), S. 41; Ulrike Wendt-Sellin, Herzogin Luise Friederike von MecklenburgSchwerin (1722–1791). Ein Leben zwischen Pflicht, Pläsier und Pragmatismus, Köln/Weimar/Wien 2017 (Quellen und Studien aus den Landesarchiven Mecklenburg-Vorpommerns 19). 629 Prinzessin Ulrike Sophie, geb. Herzogin zu Mecklenburg-Schwerin (* 1. Juli 1723 Grabow, † 7. Sept. 1813 Rostock), galt als Förderin der Künste und Liebhaberin der dramatischen Kunst. Für die Schönemannsche Theatertruppe übersetzte Ulrike Sophie das Lustspiel L’Ingrat/Der Undankbare von Philippe Néricault Destouches. – Zusammen mit ihren Brüdern Friedrich und Ludwig war Prinzessin Ulrike Patin des am 3. Nov. 1744 in Schwerin geborenen Schauspielers Friedrich Ulrich Ludwig Schröder gewesen. Lit.: Fleig, HandlungsSpielRäume, S. 41; Meyer, Schröder I, S. 12.
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mir gegenüber Herrn Licentiat Dreßer und seine Frau630 kennen, die mir manchen vergnügten Nachmittag und Abend machten. Kurz, es war doch etwas – – auch wurde ich an einen Nachmittag zu Herrn Bubbers631 geladen, bey dem auch zum Besuch war: Herr Secretair Löwe aus Meklenburg-Schwerin632, der die berühmte Demoiselle Schönemann633 geehlicht vom Theater. Auch sie war da. Beyde, Mann und Frau sowohl, waren sehr artig gegen mich. Besonders Herr Löwe, der sich unge[343]
mein glüklich prieß, eine Person von so seltenen und vortreflichen Naturgaben, wie ich wär, kennenzulernen. – Nie hat mich ein Mensch mehr um meine Freundschaft gebeten als eben der Herr Löwe, daß ich so bestürzt dastand, ohne ihn fast antworten zu kennen. Ich sagte es ihm auch: daß er mich ganz beschämte. Und gewiß wär der heutige Tag einer meiner liebsten, die ich in Hamburg gehabt, an welchen ein redlicher Mann, wofür ich ihn hielte, mich so sehr seiner Freundschaft und Achtung versichert hätte. – „Den was hätten Sie davon, wenn Sie anders dächten, als wie Sie zu mir sprechen?“ „Nein, Mademoiselle: ich versichere Sie auf Ehre! Ich wünsche nichts mehr: als eine Gelegenheit zu haben, Ihnen dienen zu kennen; um zu zeigen, wie sehr ich Ihr Freund bin. – Gott mache mich doch so glüklich!“ Noch weit mehr sagte er mir, und das mit einen so ehrlichen Gesicht, als obs aus dem Munde und Herzen eines Engel käm. – Meine Mutter wurde immer schwächlicher, und jeder Tag überzeigte mich immer mehr und mehr von der Gewißheit, daß ich sie nicht lange mehr haben würde. Den 6. December war die lezte Comödie vor dem Advent. Ich ging zur Probe; es solte mit dem Blinden Eheman634 und der Nachcomödie: A la greuqe635 geschloßen werden. 630 Johann Philipp Dresser (* 3. Juni 1734 Hamburg, † 23. Okt. 1783 Hamburg) war nach dem Jura-Studium in Helmstedt und Jena 1757 in Jena zum Licentiaten beider Rechte promoviert worden, anschließend wirkte er als Advokat in Hamburg. 1763 hatte er sich mit Hanna Margaretha Balcke verheiratet. Dresser war Mitglied der Freimaurer-Loge Absalom zu den drei Nesseln. Lit.: Lexikon Schriftsteller 2, Nr. 824; Friedrich Kneisner, Geschichte der Loge Absalom zu den drei Nesseln zu Hamburg in den Jahren 1901–1926. Mit einer Einführung in die Entstehungszeit nebst Stammmatrikel 1737–1769, Hamburg 1927, S. 160. – Zu Dresser und seiner Ehefrau s. a. WHS, 2. Buch, 13., 17., 18. Kap. und 3. Buch, 5. Kap. 631 Adolph Siegmund Bubbers (um 1726–1790), Schauspieler, Teppichfabrikant und Mitbegründer und -unternehmer des Hamburger Nationaltheaters. 632 Johann Friedrich Löwen (1727–1771), Dichter, Bühnenautor und Theatertheoretiker, Privatsekretär des Prinzen Ludwig von Mecklenburg-Schwerin. 633 Elisabeth Lucia Dorothea Schönemann (1732–1783), Tochter des Theaterdirektors Johann Friedrich Schönemann. 634 Der blinde Ehemann, Lustspiel von Johann Christian Krüger. 635 Comédie à la grecque, Komödie in einem Akt, Straßburg/Berlin 1764, aus dem französischen übersetzt
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Da ich in beyden zu thun hatte, sagte Herr Schröder636 zu mir: „Im Ballet sind Sie heute freu, wir machen Die blinde Kuh637“. – „Das ist schön“, sagte ich und wolte fort. „Ach!“ sagte Madame Courtée, „ich werde froh seyn, wenn es heute aus ist“ – sie wahr hochschwanger und hatte keine Stunde mehr vor sich. – Das jammerte mich – „Sie haben ja nur heute zu figuriren?“ – „Ja“ – „Nun, so gehen Sie nach Hause, ich will für Sie figuriren und Ihre Figur geschwinde einlernen. Wenn ich einmal [344]
in Ihre Umstände kommen solte, so mögen Sie einmal wieder für mich tanzen.“ Wir lachten zusammen, und ich lernte die Figur. Da mein Bruder mit Herrn Schröder und seiner Schwester638 tanzte, solte ich im Final das Minor mit ihnen tanzen639. Alles ging den Abend vortreflich, das Haus war sehr voll und ich sehr aufgeräumt, da ich wuste: Ich könnte nun im Advent bey meiner guten Mutter seyn und die warten und pflegen. Das Final vom Ballet geht an, ich tanze mit, wir machen alle Viere die Folten640 inn einem Tempo, gehen auch 4 bis 5 mal gut – paf, saß ich an der Erde und sah statt links rechts. – „Jesus!“ war alles, was ich sagte. Mein Bruder hob mich auf, aber ich konnte nicht stehen und wurde von ihm vom Theater getragen. Der linke Fuß war aus dem Gelenke gefallen. Wurde eingerichtet – unter den rasensten Schmerzen. Herr Manteufel von Zögen, schwedischer Gesandte641, kam aufs Theater, lies seinen Wagen vorfahren von Friedrich August von Braunschweig-Lüneburg-Oels; Carl Johann Gottlieb Wolffram, Versuch einer Nachricht von denen gelehrten Herzogen und Herzoginnen von Braunschweig-Lüneburg, Braunschweig 1790, S. 53. Sie spielte darin die Lisette, s. WHS, S. [52r/113]. 636 Friedrich Ludwig Schröder (1744–1816), Schauspieler, Theaterdirektor und Dramatiker. 637 Blinde Kuh, auch: Das Blinde-Kuh-Spiel, pantomimisches Ballett, Verfasser nicht ermittelt. 638 Dorothea Elisabeth Ackermann 639 Im Finale eines Balletts kamen einige Tänzer zu den bisherigen Solisten für effektvolle Schritte und Sprünge hinzu (Eichhorn, Ackermann S. 201). Mit Minor ist der Passepied mineur, ein Teil des dem Menuett ähnlichen Passepieds gemeint, ein sehr rascher Tanz. Der Passepied besteht aus zwei Teilen in Dur (Passepied majeur) und zwei Teilen in Moll (Passepied mineur). Lit.: Franz Ludwig Schubert (Hg.), Die Tanzmusik, dargestellt in ihrer historischen Entwickelung, nebst einer Anzahl von Tänzen aus alter und neuer Zeit, Leipzig 1867, S. 33; Stephanie Schroedter, Vom „Affect“ zur „Action“. Quellenstudien zur Poetik der Tanzkunst vom späten Ballet de Cour bis zum frühen Ballet en Action, Würzburg 2004. 640 Volten. 641 Der spätere schwedische General Otto Jakob Zöge v. Manteuffel (* 2. April 1718 Stockholm, † 6. Febr. 1796 Stockholm), seit 1764 Mitglied der Hamburger Loge Absalom, war von März 1762 bis Dezember 1765 schwedischer Gesandter im Niedersächsischen Kreis. Lit.: Genealogisches Handbuch der estländischen Ritterschaft (Genealogisches Handbuch der baltischen Ritterschaften, Teil Estland, 1), hg. v. Otto Magnus von Stackelberg, Görlitz 1931, S. 625; Kneisner, Absalom, S. 169; SBH, S. 766. Frau Francisca Hoyer, Universität Uppsala, sei herzlich für die Übersetzungshilfe gedankt.
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und brachte mich mit Herrn Docter Lossau642 nach meinen Haus. Carl war voraus fortgelaufen, um meine Mutter vorzubereiten, daß sie keinen Schreck haben solte. – Ging auch noch so ziemlich mit ihr über – da lag ich, Schreck und Schmerz zogen mir ein heftiges Wundfieber zu. – Durch diesen Unfal, der mir begegnet, fingen an meine Augen aufzugehen. – Kurz, ich sah, das man auch in Hamburg Liebe für mich hatte. Das Geschicke aus der Stadt und Erkundigen nach meinen Befinden? nahm fast gar kein Ende. Die Bediente und Dienstmädchens drängten sich untereinander. – Ich lag elend; und meine Mutter legte sich den 10. December. [345]
Herr Dr. Dahl, unser Medicus643, sagte zu mir: „Mademoiselle Schulz, Sie mießen sich von Ihre Mama betten, es ist nicht mehr rathsam, das Sie bey ihr schlafen.“ – Da wurde mir den ein Betgen auf Stühlen gemacht. – War ein wahres Laceret bey uns im Kleinen. An Ergerniß fehlte es mir auch nicht. Weil ich nicht wie ein Ochs hingeplumpt, da ich gefallen bin, hies es: Ich wäre mit Willen gefallen, damit ich den ganzen Advent zu Hause bleiben und nicht zur Tanzprobe gehen dürfte. – Noch mehr: Auch hies es, ich würde ein Present bekommen. Ein gewißer Terslin644 hätte gesagt auf den Kaffeehaus: „Die Bremer haben die Hamburger doch recht beschämt. Nur so kurze Zeit waren sie dort, und man bezeugte ihnen so viel Aufmercksamkeit. Wie lange ist nun schon die Mademoiselle Schulz hier, und hat ihr wohl einer noch eine Freude gemacht? Wie sauer läßt sie sich es werden, und wie viele Freude macht sie uns nicht allen. – Nun liegt sie gar da.“ etc. etc. Da hätten den einige die Rede gebilligt und sich vorgenommen, mir eine unvermuthete Freude zu machen. – Nun war ich bis an den Hals voll Galle. – An einen Sontagmorgen kommt Herr Ackermann zu uns. – „Ach 642 Karl Ernst August (* 10. April 1726 Hamburg, † 17. März 1781) oder Christian Joachim (* 20. April 1732 Hamburg, † 2. Okt. 1798 Schleswig) Lossau; beide Brüder waren im betreffenden Zeitraum als Ärzte in Hamburg tätig. Lit.: IBIM, Bd. 2, S. 524; Lexikon Schriftsteller 4, Nr. 2324, Nr. 2327. Für Literaturhinweise sei Frau Ursula Weisser, ehemalige Leiterin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin in Hamburg, bestens gedankt. – Christian Joachim Lossau war seit 1752 Mitglied der Loge Absalom zu den drei Nesseln; Kneisner, Absalom, S. 154. 643 Peter Heinrich Dahl (* 24. Mai 1724 Lübeck, † 6. April 1794 Hamburg). Dahl kam 1743 nach Hamburg, um dort Chirurgie zu studieren. Weitere Stationen seines Studiums waren 1746 Berlin, 1747 Kopenhagen, 1755 Paris, 1757 England und 1759 Göttingen. 1760 wurde er in Göttingen mit einer chirurgischen Arbeit „De humeri amputatione ex articulo“ promoviert. Anschließend wirkte er in Hamburg als Arzt. Lit.: IBIM, Bd. 1, S. 213; Lexikon Schriftsteller 1, Nr. 713. Über die medizinische Versorgung Hamburgs zu dieser Zeit s. Heinz Rodegra, Die Medizin in Hamburg im 18. Jahrhundert, in: Hamburg im Zeitalter der Aufklärung, hg. von Inge Stephan u. Hans-Gerd Winter, Berlin/ Hamburg 1989 (Hamburger Beiträge zur öffentlichen Wissenschaft 6), S. 305–332. 644 Terslin/ Derslin: Nicht ermittelt.
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Ihro Dienerin, Herr Ackermann, gelegener hätten Sie mir auch nicht kommen kennen wie eben jezt. Bin eben bey meinen Fuß waschen – da, sehen Sie doch die Verstellung mit an, sind ein Chirurgus645 und mißens verstehen, ob man sich mit Willen so was machen kann.“ – Machte meinen Fuß von denen Bandagen loß. – „Mein Gott!“ sagte Ackermann, „wie sieht der Fuß aus.“ – „Ist ja Verstellung! damit ich nicht zur Tanzprobe gehen darf.“ – „O Mademoiselle Schulz, ergern Sie sich [346]
nicht. Sie wißen ja, was ich für Kanallien mit bey der Geselschaft habe.“ – Mein Fuß, der von der äusersten Spitze der Zähen bis ans Knie alle nur mögliche Farben hatte, den ich hatte solchen ganz unter mir gequettschet, wurde von mir einbalsamirt. Ackermann sah sich in der Stube rund und frug an: „Nun! ist noch nichts geschickt worden?“ – „Was meinen Sie? – Etwa das Present, wovon schon die Jungens und Mägde auf den Strasen von sprechen? – Und hab’s nicht einmal noch gesehen? – Da kommt man mir eben recht. – Sehen Sie, Herr Ackermann, nicht einmal zu geben verstehen Ihre so sehr gepriesene Hamburger. Kurz, ich mag – ich verlange nichts von hier. – Und zu toll sollen Sie es mir nicht machen. Wißen Sie, Herr Ackermann, Herr Koch in Leipzig hat sehr gewünscht, das ich mich mit Carln bey ihm engagiren sollen. – Auch gestehe ichs Ihnen, wir wären fortgegangen, wenn Madame Hensel nicht wieder hieher gekommen wär. Den Hamburg war ich satt von ersten Augenblik an. Weil aber die ganze Stadt gesagt hätte: Wegen der Hensel ist die Schulzen von Hamburg gegangen, – zwoo gute Actricen kennen sich nicht vertragen – sehen Sie, so lies es mein Stolz nicht zu. (Den mein Stolz verursachte gewiß mir den dritten dummen Streich, den ich meines Glüks und Zufriedenheit halber selbst gemacht hatte) – Sie hat ihre Verdienste – aber auch ich die meinigen, und ich kann ihr immer die Wagschaale halten. – Nun noch das dumme Gerede. – Hab ich von jemanden noch in meinen ganzen Leben was verlangt? – Und das sag ich Ihnen, ich nehme nichts. – Erst glaube ich, das es Lügen sind – aber solte es wahr seyn, so schike ich
645 Wie Karoline Kummerfeld zu dieser Aussage kommt, bleibt unklar. Da Ackermanns Biograph Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer, Schröder I, S. 10, berichtet, Ackermann „verstand sich auf Wundarznei“, vermutet Eichhorn, dass er sich diese Kenntnisse vielleicht als Soldat bei Feldscherdiensten angeeignet habe (Eichhorn, Ackermann, S. 8). Weiter spekuliert Eichhorn, ob Ackermann möglichweise für kurze Zeit Medizin studiert haben könnte, da er später mit Ärzten wie Dr. Dahl in Hamburg, Dr. Behr in Straßburg oder Hofchirurg Bothe in Hannover befreundet gewesen sei (Eichhorn, Ackermann, S. 8 und Anm. 21).
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das Present dahin, wo es herkhommt.“ Herr Ackermann sagte darauf: „Thun Sie das um Gottes willen nicht. – Das Gesprech kommt von Leuten, die es Ihnen vielleicht nicht gönnen. Ihren hitzigen Kopf kennen und hoffen: Das Sie’s zurückschicken sollen, um sich den größten Theil der Stadt zum Feind zu machen. Sie wißen, ich liebe Sie wie mein Kind, aber wenn Ihre Ehre dadurch nur im geringsten beleidiget würde, wenn Sie es annehm[en], so wolte ich Ihnen selbst sagen: Kind, nehmen Sie es nicht – Sie brauchen es ja nicht. Aber so trauen Sie mir als Ihren wahren Freund. Und nehmen Sie es an – oder Sie machen sich unerhörte Feinde im Publikum. Noch gestern war ich in einer Gesellschaft, wo gesagt worden: Wenn doch nur einer wär, der Mademoiselle Schulz rathen wolte, daß sie es annehm, wir haben gehört, das sie es nicht nehmen wolle. – So habe ich geantwortet: Ich wil’s über mich nehmen und es ihr sagen. Und darum bin ich heute gekommen. Machen Sie also ja keinen tollen Streich, ich bitte Sie.“ – „Nun, Herr Ackermann, das müßen Sie doch selbst gestehen, daß ich noch in meinen Leben an keinen solchen Ort gewesen bin wie hier. – O mein Hannover! – O ihr guten Bremer! – Jede Freude, die man hier einen auch einmal machen will, wird so recht Hamburgerisch angefangen. – Nun, ich sag es Ihnen: Hier sterbe ich gewiß nicht.“ – etc. etc. Am Christabend kommt meine Aufwärterin646 ins Zimmer und sagt: „Da, Mademoiselle, ist jemand dagewesen und hat mir daß an Sie gegeben.“ – „Wo ist er“, sagte ich? – Aber fort war fort. – Ich breche es auf, und es waren 24 Ducaten Holländer647, aber keine Zeile dabey geschrieben. – Das war nun [348]
das ganze schrekliche Presend von den größten Theil der Hamburger Freunde vom Theater, wo man schon 3 Wochen vorher sich die Mäuler zerriß und aufsperte? – Gott weis, daß ich in Hannover über die 2te Schachtel, wo doch nur 2 Allongen648 (die ich mir selbst wolfeil machen konnte und in Überfluß damit versorgt war) und die 3 Paar Handschu, die dabey lagen, mir mehr Freude gemacht wie die 24 Ducaten. – Alles kommt auf die Art an, wie man es giebt. – Kurz, ich freute mich nicht und konnte mich nicht freuen. – Nichts hatte noch dabey gefehlt, als daß ich mich auch noch dafür hätte bedanken sollen. – Nun muß ich noch nachholen, das zwar immer noch aus der Stadt von Verschiedenen nach meinen Befinden sich erkundiget wurde, doch manche schickten nur noch die Woche 2mal, seiddem ich sagen laßen, es beßerte sich. Nur der
646 Dienerin. 647 Holländische Golddukaten waren im 18. Jahrhundert ein international anerkanntes Zahlungsmittel. 648 Zu den Allongen als Geschenk in Hannover s. o. HHS, S. [289].
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Name Herr Kummerfeldt649 blieb. Ich frug kurz vor den Feuertagen meine Hausfrau, wer den das wär? – Die Frau lächelte und sagte: „Je, Mamsell, kennen Sie den Ihren nächsten Nachbar nicht?“ – „Meinen Nachbar? – Wo denn? – In welchen Haus? – Ich bekümmere mich nicht um meine Nachbarn.“ – „Da, Ihnen grathe gegenüber ist er diesen Martini650 eingezogen.“ „Wer ist er?“ „Bancoschreiber“651 – ja, nun war ich so gescheit wie vorher, was wußte ich? was ein Bankoschreiber ist? Den ersten Feuertag fuhr ich zum ersten Mal wieder in die Kirche. Als ich nach Hause kam, sah Herr Kummerfeldt mit Herrn Docter Bensen652 zum Fenster heraus (Herrn Dr. Bensen hatte ich einmal bey Goslers653 zu sprechen die Ehre gehabt). Ich grießte sie beyde, sie wolten mit mir reden, da ich aber [349]
hinkte und mir das Stehen zu sauer wurde, sagte ich, da der Wagen fortgefahren war: „Eine kleine Geduld, bis ich in meinen Zimmer bin.“ – Also sprachen wir zusammen aus den Fenster gleichgiltige Dinge von Fragen und Antworten; und machte nach einen Compliment mein Fenster wieder zu. 1766, gleich nach Neujahr den ersten Sontag654, lies Herr Kummerfeld mich und meinen Bruder zu sich bitten, er würde Geselschaft von mehr Herren und Damen haben. Ich lies mich empfehlen, da aber meine Mutter täglich übler würde, könnte ich nicht kommen und müßte mir’s verbitten; Carl wolte ohne mich auch nicht hinübergehen. So schickte Herr Kummerfeld zu verschiedenen Malen, aber immer kam dieselbe abschlägliche Antwort. Sonabend und Sontag waren die zwey einzige Tage, da ich mir selbst leben konnte. – Und mir selbst leben hies, auch nicht einen Augenblick von den Krankenbette meiner Mutter seyn. Hätte 649 Diedrich Wilhelm Kummerfeld. 650 Martini: 11. November. 651 Bankbuchhalter. Kummerfeld war bei der 1619 gegründeten Hamburger Bank angestellt, in der Todesanzeige für ihn heißt es, er sei seit dem 5. Januar 1748 als Bankoschreiber tätig gewesen (s. Kap. III.1 Anhang Cropp, [Bl. Iv]). Akten der Hamburger Bank aus dem betreffenden Zeitraum, etwa Personallisten, sind nicht erhalten, da das meiste Archivgut beim Großen Brand 1842 zerstört wurde. Erhalten ist ein „Eydt und Caution Buch der Lehn und Wechsel Banco“ 1764–1801, in dem die Bankbuchhalter Meno Christian Stresow, Diederich Wilhelm Kummerfeld und Hinrich Christoph Schröder für ihren Assistenten Johann Otto Hilbrandt 1771 (Tag und Monat fehlen) eine Kaution stellen. Hier finden sich die Unterschrift und das Siegel Kummerfelds; Staatsarchiv Hamburg, 312-9, 19 Bd. 1, S. 89. Lit.: Manfred Pohl, Hamburger Bankengeschichte, Mainz 1986, S. 19–28. 652 Möglicherweise – wie schon Benezé II, S. 217 vermutet – der Hamburger Advokat Siegfried Bentzen (* 10. Juni 1723 Hamburg, † 20. Nov. 1792 Hamburg). Bentzen war 1747 in Utrecht zum Lizentiaten beider Rechte promoviert worden. Lit.: Lexikon Schriftsteller 1, Nr. 262. 653 Die Familie des Apothekers Johann Eibert Gossler jun., s. o. HHS, S. [329]. 654 5. Januar 1766.
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ich die Proben und Comödienstunden mit Geld erkaufen kennen, ich wirds gethan haben. – Durch den vielen Blutverlust, den sie seid Jahren gehabt, kam die Auszehrung und Waßersucht. Mit einer bewundernswürdigen Heiterkeit – mit der Heiterkeit einer Christin – sahe sie ihr Ende herrannahen. Eines Tages sagte sie zu Carln und mir, es war des Mittags: „Kinder, warum weint ihr. – Freud euch, das Gott endlich mein Leiden enden will. Ich bin euch jezt doch nur eine Last – kann nicht mehr arbeiten. Das weis Gott, wie gern ich sterbe! – Ja, wenn ihr noch kleine Kinder werd. – Wie zufrieden kann ich diese Welt verlaßen. Ich laß euch zurück gesund – nicht reich – aber doch auch nicht arm. Ihr seid geliebt, geachtet in der Welt, hab[t] was gelernt, um euch euer Brod zu verdienen, seid nicht lüderlich, nicht gott[350]
loß – habt keine Schulden. – Glaubt, wenn ihr weint, so beneidet ihr mir mein Glük – und macht mir das Herz schwer. Seid noch fröhlig mit mir die wenigen Tage. – Ich bitte euch.“ Mein Bruder stand vom Tisch auf, legte seine Serviette hin und sagte zu mir: – „Gieb mir für jede Mahlzeit 100 Thaler – Ich eß nicht mehr zu Hause – das kann ich nicht aushalten.“ – – „O unsere Mama! – Ich soll allso allein vor den Rest bleiben? – Carl, thue es nicht!“ – „Wie du es aushalten kannst, weiß ich nicht – genug, ich kanns nicht!“ Weg war er. Nur Augenblike lies er sich sehen. Der Mutter war es empfindlich, und ich hatte meine ganze Beredtsamkeit nöthig, das sie sein Bezeigen so nahm, als sie’s doch nehmen solte. Er war zu weich. – Ich aber durch das beständige um sie Seyn, durch den täglichen Anblick, ward es mehr gewohnt. Oder wuste mich allso mehr hineinzuschicken. Gleich von Neujahr an kam ich in kein Bett mehr. Hatte mir nur eine Madratze des Abends an den Fußboden legen laßen, und so warf ich mich auf solche in meinen Hauskleide. Gott gab mir Stärke, das ichs aushielte. – Die Schmerzen meines Fußes ausgenommen, an dem ich viel nach jeden Ballet litt, und das von den vielen NachtwachenCXXVI meine Füße schwollen, war ich übrigens655 gesund. That alles gerne, und was sie wünschte, erhielt sie. – Wie dankte ich Gott, daß ichs konnte. Ackermann hatte uns wieder zur Gage zugelegt, so das wir schon einige Zeit 18 Gulden die Woche hatten. Den 12. Februar sagte sie des Morgens zu mir: – „Was ich vor Apetit zu Austern habe. – Sind wohl keine in der Stadt?“ – „Weis es [351]
nicht, liebe Mama. Ich glaube wohl nicht.“ – „Nun, auch gut!“ Ich geschwind zu meinen Bruder in sein Zimmer – „Lieber Carl, Mama wünscht Austern zu eßen. Ich hab
655 Im übrigen.
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gesagt: ich glaubte nicht, das welche zu haben sind – nun lauf und bestell auf den Mittag selbst welche so schön so gut, als du sie haben kannst. Wollen sie damit überraschen. – Must aber heute Mittag auch zum Eßen kommen.“ – „Nun ja! Das will ich.“ – Kaum konnte ichs erwarten, bis die Probe vorbey und der Mittag da war. Sprach noch ein paar Mal von Austern, und ich beklagte mit einen kläglichen Gesicht, das keine zu haben wären. – Der Mittag kam. Sie hatte etwas Suppe gegeßen, und nun brachte Carl und ich ihr ein Brett mit den ausgesuchtesten Auster[n] auf ihr Bette hingetragen. – – O mein Gott! Die Freude. Wie sie uns dankte – uns ihre lieben, guten Kinder nannte, die auch die kleinsten ihrer Wünsche befriedigten – außerordendlich war sie munter. – Sie erinnerte uns an manche fröhlige Stunden, die wir gehabt, und so krank wie sie war, machte sie durch ihren Scherz Carln und mich herzlich zu lachen. Die Nacht von den 13. auf den 14ten hatte sie gut geschlafen, so das auch ich ruhen konnte. – Aber als es Tag wurde und ich sie ins Gesicht faste, fand ich jeden Zug in solchen dem Tode ähnlich. – Ich verbis um mich selbst656, was ich sah. – „Wie befinden Sie sich?“ – „Wohl. Habe diese Nacht gut geschlafen.“ „Das haben Sie!“ – „War mir lieb deinetwegen. – Armes Mädgen, hast jezt wenige Ruhe.“ – „Ist meine Pflicht.“ – „Ich weis, du thust es gerne.“ – Ich ging zu Carln und sagte es ihm. „O wen ich doch heute [352]
nicht spielen dürfte.“ – Ich ging wieder zu ihr. „Siehe“, sagte sie zu mir, indem sie mir ihre geschwollenen Füße zeigte – „bald wirds mit mir vorbey seyn. Siehe, wie hoch schon die Geschwulst ist? – Noch ein wenig höher – und ich schlafe ein. Wahr! Hab viel ausgestanden, aber um so viel sanfter wird mein Ende seyn. – Und noch eine Bitte – doch die hat Zeit. Kleide dich nun an, es wird Zeit, das du zur Probe mußt.“ – – Wie mir war? – Gott! du allein weist es. Hatten den Tag noch dazu ein neues Stük: Die Wayse oder Der bestrafte Betrüger657, die Liesette. – Ein Stük und Rolle – das erste und die erste, wovon ich auch von allen nichts, nichts wuste als den Namen. – Wie oder wan hätte ich lernen sollen? – Und wie war ich gequält? Jede Woche neue Rollen. – Und wenn wir noch so ein altes Stük gegeben hätten, wär das Haus ebenso voll geworden: Den es war die lezte Comödie den Tag vor der Faste658. Aber Ackermann
656 Sich etwas verbeißen: Unterdrücken, verdrängen. 657 Die Waise oder Der bestrafte Betrüger/Der falsche Großmüthige, eine Übersetzung des Lustspiels L’Orpheline ou le Faux généreux von Antoine Bret. 658 Gemeint ist: Es war an diesem Tag die letzte Aufführung vor der Fastenzeit, und das war der 14. Februar 1766, s. Theaterzettel UFB Gotha, Poes. 2° 2176, Bd. 8. Die Fastenzeit begann am Aschermittwoch, am 19. Februar 1766, der nächstfolgende Theaterzettel stammt vom 2. April, dem Mittwoch nach Ostern; vgl. Eichhorn, Ackermann, S. 246 f.
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sey’s nachgesagt: Die hatten für sowas kein Gefühl. – Noch lebten sie alle zusammen und waren gesund. Als die Comödienprobe vorbey war, zog Eckhoff seine Uhr aus der Tasche, sah darauf und sagte: „Das Stük spielt zu kurz – muß noch ein Nachspiel gegeben werden.“ – „Warum nicht gar!“ sagte ich. – Eckhoff: „Nur ein kurzes. Den Herzoch Michel 659.“ – „Nun, so wolte ich, das Sie der Teufel holte. – Jezt fehlt nichts, als daß ich auch noch tanzen soll.“ Eckhoff, der selbst den Herzog Michel gern spielte und wußte, das den Abend das Haus voll seyn würde, bestand darauf. – In solcher Rage hatte man mich wohl noch nie gesehn. „Ha! [353]
Das geht zu weit! – So ist gegen mich kein Erbarmen, kein Mitleid? – Muß ich heute auch noch tanzen, so – – – (ich that einen fürchterlichen Schwur) bin ich heute das lezte Mal hier auf dem Theater. Ihr kennt mich! Nichts in der Welt kann und soll mich mehr halten. – Meine Mutter stirbt. – Nun kann ich reisen. Ihrendwegen litt ich manches, das nicht zu leiden meine Schuldigkeit gewesen wär.“ – Schröder, der mich so noch nie sah, kam auf mich zu. „Beruhigen Sie sich. Ich will ein Ball[e]t geben, in welchen Sie nichts haben – kennen ja geben, was wir wollen, da keins auf den Zettel benannt ist.“660 „Gut! Aber noch eins, das Nachspiel muß gleich nach der Vorcomödie seyn.“ Eckhoff: „Sie werden nicht fertig!“ – „O darum bekümmer[n] Sie sich nicht. Wer frägt sonst, ob ich fertig werden kann? – Muß wohl immer fertig seyn.“ – Nun ging ich nach Hause – noch lebte sie, aber sehr schwach. – Eßen konnte ich keinen Bißen. Es war etwas nach 5 Uhr, als der Docter zugefahren kam. – Ich stürzte ihn entgegen. „Herr Docter, ich will alles wißen – muß es wißen – wie lang kann nach Menschen Vermuthen meine Mutter noch leben?“ – „Mamsell! Faßen Sie sich – laßen Sie mich sie sehen.“ Er tratt an ihr Bette, sie antwortete ihn wenig und schwach. Er verordnete wieder herzstärkende Medicamente, und da er fort ging, begleitete ich ihn. –„ Nun, Herr Docter! Was sagen Sie? – Aber die Wahrheit.“ – „Die Wahrheit? – Sie kann in zwey Stunden tod seyn. Kann es aber so noch 3 Tage machen – aber schwerlich, sie ist zu matt. – Faßen Sie sich.“ – Er ging fort. – Ich sank auf meine Knie und weinte. – Ich rafte mich wieder auf und ging zu ihr
659 Herzog Michel oder Das fehlgeschlagene Glück, Lustspiel von Johann Christian Krüger, nach der Erzählung „Das ausgerechnete Glück“ von Johann Adolf Schlegel. 660 Laut Theaterzettel wurde Das Obstschütteln, ein pantomimisches Ballet, gegeben; Theaterzettel UFB Gotha, Poes. 2° 2176, Bd. 8. Der Urheber des Balletts ist nicht bekannt (nicht aufgeführt bei Meyer, Schröder II,2, S. 76 unter: IX. Verzeichniß der, auf der Ackermannschen und Schröderschen Bühne, von 1754 bis Ostern 1812, gegebenen Ballette und Pantomimen), es gehört aber in die Reihe der von Ackermann verfassten Schilderungen eines ländlichen Milieus; Eichhorn, Ackermann, S. 197, 246.
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ins Zimmer ans Bette. „Mama, Sie sprachen heute Morgen von einer Bitte. – Was befehlen Sie.“ „Gut, das du mich daran erinnerst. Ich will, das du mit meinen alten abgemergelten Körper keinen Pomp vornimmst. Las mich vor niemanden im Sarg zur Schau sehen. – Und wen du dich nicht scheust, so wünsche ich, das mich niemand ankleide im Sarg – wie du!“ Liebreich drükte sie meine Hand. – – „Aber ohne Puz: Meinen Kopf so, wie ich gewöhnlich im Hause ging. – Ein Hemt – ein Tuch um den Hals – ein Paar weiße Strümpfe und in ein Laken eingewickelt.“ – „Ist’s das alles, was Sie verlangen?“ – „Ja!“ „Ich verspreche es Ihnen. – Hier ist meine Hand.“ Ich lies meinen Hauswirth kommen und sagte ihm vor den Zimmer, das es meine Mutter nicht hören konnte: „Herr! Ich muß zu meiner Arbeit. Er bleibe bey meiner Mutter. Stirbt sie, so spreche Er ihr in den lezten Augenbliken zu, wie Er seiner Mutter oder Frauen zusprechen würde. Das kein Fremder auf mein Zimmer komme. – All das Meinige bleibt da. Kommt was fort – fordere ich es von Ihm. Das wenn sie stirbt, sie niemand aus den Bette nimmt, bis ich komme. Ich will sie darinnen finden und herrausnehmen. Das niemand sich unterstehe, mir die Nachricht von ihren Tod aufs Theater zu bringen – wills nicht wißen. – Und komme ich nach Hause – und lebt sie dann nicht mehr – o um Gottes willen – so gebe Er mir die Nachricht mit Behutsamkeit. – Schlag Er mich nicht auf der Stelle tod.“ – – „Soll geschen, Mamsel, alles, wie Sie es befehlen. Klingeln Sie mir nur, wenn sie fortgehen.“ – – – [355]
Die Stunde 4 rufte mich zu meiner Arbeit, gesprochen hatte ich nichts den Nachmittag. – Nun trat ich an ihr Bett, küßte ihre Hand, Mund und Stirne – und ging fort in mein lustiges Elend661. Was ich gespielt, weiß ich nicht mehr. – Das weiß ich, daß ich kein ander Wort sagte, als was ich aus den Soufleurloch hörte. – Stacken ein paar die Köpfe zusammen und sahen mich dazu an – ach! so dachte ich, mein Hauswirth hätte nicht Wort gehalten, und die Nachricht von ihren Tode wär bereits da. – Ich spielte mein Hanchen im Nachspiel662 gewiß nur mechanisch. – Den las Kunst und Zwank alles anstrengen, ich war Mensch. – Endlich wurde ich fertig, und wie ich fortging an 661 Anne Fleig versteht diese Formulierung als eine Zusammenfassung der zentralen Erfahrungen, die Karoline Schulze in ihrem Leben gemacht hat: „[…] nämlich die zutiefst widersprüchliche Situation, einen Beruf auszuüben, den sie liebt, aber physisch und psychisch kaum erträgt, der sie obendrein stets nur am Rande des Existenzminimums hält und zugleich der Unterhaltung einer Gesellschaft dient, die Schauspielerinnen verehrt und verachtet.“; Anne Fleig, „Mein lustiges Elend“ – Zur Situation der Schauspielerinnen in den Wanderbühnen des 18. Jahrhunderts am Beispiel von Karoline SchulzeKummerfeld, in: Frauenforschung an der Uni Marburg, Marburg 1991, S. 33–58, hier S. 37. 662 Herzog Michel, s. o. Anm. 659.
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meinen Stoke, war das Ballet bereits angegangen663. Carl sprang herrum, und die Thränen flokerten664 ihm über die Backen. – Ein erbärmlich Tanzen und Lustigseynsollen. – Je näher ich meiner Wohnung kam, je mehr nahm meine Angst zu. – Zitternd und schwankend stieg ich die Treppe hinauf. – Sachte klopfte ich an. Mein Wirth kommt und macht mir auf – ich sehe ihn an – und rufe laut! – „Sie lebt, ja, sie lebt noch! Ich sehs an Seinen Gesicht.“ – „Ja, sie lebt auch“, antwortete er mir. – Nun war alles vergeßen, all mein Leiden – o wie kann ich sagen, wie mir war? – Als wenn sie mir von neuen wär geschenckt worden. Ich warf meinen Pelz von mir, um nicht so viele Kälte ins Zimmer zu bringen, und eilte zu ihren Bett, küßte sie mit Thrän[en] der Freude. „Bist du da? Liebe Line! – O! das ist gut. Gelt, nun bleibst du auch bey mir?“ – „Ja, liebste Mama. – Nun komme ich keinen Augenblik mehr von Ihnen. – Nun mag es Gott mit Ihnen machen, wie er will. – Und solte er Ihnen Ihre Tage noch verlängern, so gebe ich Ihnen mein Wort, eher abzudancken als, solange Sie in Gefahr sind, zu einer Probe zu gehen. – Die Komödien sind ja [356]
heute auf 6 Wochen vorbey.“ Nun kleide ich mich ruhiger aus, als wie ich mich angezogen hatte, sezte mich an ihr Bette und betete mit ihr. Den andern Morgen wolte sie das heilige Abendmahl und die lezte Oelung empfangen. – Die Nacht schlummerte sie einige Stunden. Ich blieb allein bey ihr. Den andern Tag kam der Geistliche, den ich hatte rufen laßen, und reichte ihr die lezte heilige Speise. – Er blieb, nachdem er noch mit ihr betete, eine halbe Stunde da und wolte sie, wenn sie die Nacht über erleben solte, den Sontag nach geendigten Gottesdienst wieder besuchen. – Gegen den Abend bat sie mich, daß ihr doch noch einmal ihr Bette möchte gemacht werden. – Ich lies es ungern geschehen – doch sie wolte es. Es wurde gemacht, und sie saß so ruhig und mit einer Munterkeit, die ich nie an einen so nahe am Rande des Todes stehenden Kranken je gesehen hatte. – Noch einmal wiederholte sie ihre Verordnung, wie es mit ihren Körper nach ihren Tod solte gehalten werden. Und dan sagte sie zu mir: „Höre, Liene, du weißt, Ackermanns gaben mir hier für jede Rolle, die ich noch zuweilen mitspielen mußte, immer einen Gulden. Das Geld liegt extra eingewikelt im Kuffer – nicht bey der Gage. – Sind 9 Gulden. Nun solt ihr das Geld dazu665 anwenden und euch beyde ein jeder einen silbern Eßlöffel mir zum Andenken davon machen laßen; mit meinen Namen darauf. – Ists nicht genug, so legt noch so viel zu. – Aber 2 silberne 663 Das Obstschütteln, s. o. Anm. 660. 664 Flocken oder fladern: Sich hin- und her bewegen, flackern, zittern. 665 Auf den Worten Kuffer, Gage und dazu befindet sich jeweils ein runder Klecks. Am Rand steht erklärend: Die Flecken auf diesen Blatt sind meine Thränen.
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Löffel läßt Ihr machen.“ „Ja, liebe Mama, auch daß soll gewiß geschehen.“ – „O ich weis, du hälts Wort. – Carl ist gut, auch gut, aber zu flüchtig. – Er ist jung! – Wie mir so wohl ist. – Ich fühle doch gar keine Schmerzen! – Auch das verdanke ich mit deiner Wartung. – Hast so gesorgt, daß ich mich nicht durchgelegen habe. – Nun, Gott vergelte es dir, was du an [357]
deiner alten kranken Mutter gethan hast.“ – „Noch viel zu wenig! Könnte ich Ihr Leben fristen!“ – „Nein, das wünsche ich nicht! Das hies Gott in seinen Willen greifen. – Bald werde ich in meiner kühlen Erde ruhn – die Würmer bekommen an mir wenig zur Nahrung.“ – Drauf bat sie mich, alle meine Freunde zu griesen, an denen ich ihren Tod melden würde. – Sie frug nach Carln. – „Nicht zu Hause? – Das auch der Mensch gar nicht zu Hause seyn kann!“ – „Wird wohl bald kommen, liebe Mama!“ – „Ich wünsche es!“ Sie wurde sehr mat, die Uhr war 8, ich frug, ob sie sich nicht wieder wolte ins Bett bringen laßen? – „Wenn du meinst?“ – Und nun hob mein Hauswirth und ich sie ins Bette. – Den Mann seine Frau war auch krank. – Nun sagte ich ihm, das, wenn was vorfallen solte die Nacht, ich die Kloke ziehen würde. Sie sprach immer mit fort, so heuter wie nur möglich. – Ich sprach wenig – ich konnte nur hören, sehen und bewundern. Die Uhr schlug 9, und der Nachtwächter rief die Stunde. Aber statt 9 Uhr verstand meine Mutter ein Uhr. Sie richtete sich im Bette auf, hob ihre Arme hoch empor und rüf wie in einer Entzükung – – „Bald, bald, werde ich bey meinen Jesu seyn. – Schon ein Uhr! – Nicht wahr, Carline, war das nicht eins?“ – „Nein, liebe Mama, 9 Uhr ists.“ – „Erst 9. – Ach Gott! Noch so früh – so früh!“ Traurig sank sie wieder auf ihr Lager zurük. Bis halb 10 lag sie so, nun fing sie an, etwas unruhig zu werden. Ich sprach ihr zu. Die Nachthaube wolte nicht festhalten auf ihren Kopf, dieses verursachte ihr Beschwerden. – Ich nahm eine von meines Bruders Mützen und band ihr solche fest auf den Kopf. – Sah mich an und drükte mir die Hand. [358]
Endlich frug sie mich wieder nach Carln – ich war in Todesangst. „Er ist nicht da.“ – „Mein Gott! Das ist doch entsezlich!“ – „Beste Mutter! Glauben Sie mir: Nicht aus Gleichgültigkeit. – Weis Gott der Allmächtige – das nicht – nur kan er Ihr Leiden nicht mit ansehen – kann’s nicht aushalten!“ – „Aber du hälts es doch aus?“ – „Ja – aber es macht, weil ich immer um Ihnen war und es mehr gewohnt worden bin.“ „Ja, ja! Ich weis wohl, wen von Carln die Rede ist, muß ich immer Unrecht haben.“ – „Mama!“ sagte ich etwas ernst! – „Sie werden doch wohl nicht mit einen Groll in Ihren Herzen auf Ihren Sohn aus der Welt gehen wollen.“ – „Nein!!!! – Gott bewahre mich. – Weder auf ihn noch auf keinen Menschen. – Aber weh thut es mir.“ – Ich sprach ihr
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zu. Und flehte Gott und alle Heilige an, das sie Carln eingeben solten, nach Hause zu kommen. – Sie wurde wieder unruhig und legte sich immer mit den Kopf und Leib vorwerts auf das Deckebette. – Mir war bange, daß sie so grum666 liegend im Augenblik tod seyn könnte, und legte sie sanft auf den Rüken. Das Hin- und Wiederlegen geschah sehr oft. Endlich schlug die Uhr 11, und ich hörte Carln kommen. – Wie froh war ich – ich ging ihm mit dem Licht entgegen. – „Nun, was macht Mama?“ frug mich der gute Junge und hatte ein Paar dick verschwollene Augen von Weinen im Kopf. – „Gut, das du kommst, sie hat viel nach dir gefragt.“ – „Ach, ich wolte gar nicht nach Hause gehen. Aber ich dachte, du wärst doch ganz allein! Und so wolte ich bey dir seyn, wenn was vorfällt.“ – „Gut, Lieber! Komm nur mit mir in die Stube.“ – Sie lag und hatte die Augen geschlossen. Ich sagte zu ihr: „Mama! Da ist Carl.“ Wie ein Mensch, der schlaftrunken ist, machte sie die Augen nur halb auf und sagte: „So? [359]
Das ist gut!“ und legte sich wieder aufs Gesicht mit übergebogenen Körper. – Carl sah mich an und sagte: „Waß ist daß?“ „O Lieber, so ist sie seid anderthalb Stunden.“ – Er stand da, das ich ihn nicht ansehen konnte vor Jammer. Wieder legte ich sie auf den Rücken. Und es schien, als wenn sie schlummer[n] wolte. Carl sagte: „Ich will mich auskleiden und den wieder zu dir kommen. Will wachen – du kanst schlafen.“ – „Nein, lieber Carl, halte es die Nacht wohl aus. Lege du dich im Schlafrok zu Bette. Solte sie noch schwächer werden, will ich dich rufen. – Lebt sie aber morgen noch, so mußt du mir versprechen, nicht auszugehen, da solst du bey ihr bleiben, und ich will einige Stunden in deinen Zimmer schlafen, damit ich für die Nacht Kräfte habe, und so wollen wir es halten, so lange sie uns Gott noch läßt.“ – „Nun, das will ich.“ Carl küßte mich und ging in seine Stube – ich gab ihm meinen Hund, den ich hatte, mit, den der war so unruhig und machte mir den größten Lärm, den er wollte nicht aus dem Bett von meiner Mutter bleiben. Wie die Uhr 12 geschlagen hatte, fing sie an, laut zu seufzen so hohl aus der Brust. – Ich gestehe es, die Angst hatte mich nicht denken laßen; nun fühlte ich mich mehr, da Carl in seinen Zimmer war. Ich kniete vor ihr Bett, küßte ihre Hände und sprach zu ihr: „Ach, meine Mutter! Noch haben Sie Ihre Tochter nicht gesegnet.“ – Sie sah mich an, legte ihre Rechte auf meine Stirn, schlug ihre Augen in die Höhe und betete stille mit den Mund. – „Auch für Carl sey dieser Segen“. Sie nickte ein Ja mit ihren Kopf und betete stille. – Gern hatte ich Carl dazu gerufen zu dieser feuerlichen Scene, doch fürchtete ich seinen Ungestüm. – Ich stand auf, nahm ein Buch in die
666 Krumm.
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Hand und sagte: „Wollen wir noch beten?“ – Sie hob ihre linke Hand in die Höhe, wies mit solcher nach dem kleinen Crucifix, daß sie an den Bettvorhang hengen hatte, schlug die Augen zum lezten Mal auf, faltete mit hoch emporhabenden Armen die Hände zum Gebet, lies solche sanft auf ihre Brust nieder und sprach die lezen Worte: „Im Herzen, Im HerzenCXXVII.“ Mund und Augen schloß sie selbst, sie schlummerte hin in die Arme ihres Erlösers! Ihr Odem ward immer schwächer und schwecher – wolte sie in diesen Schlummer des Todes nicht durch lautes Zurufen stöhren. Wie eine Lampe nach und nach verlischt – so losch sie aus. Kein Seufzer, kein Röcheln, kein Zuck[en]. – O Allmächtiger, laß doch auch einst mein Ende so sanft, so ruhig seyn! Amen! Amen! Die Uhr war 4 den Sontag Morgen, als den 16. Februar, da ich überzeigt war – nun ist sie bey ihren Jesu667. Carln wolte ich noch nicht rufen und erst den Tag vollends erwarten. Etwas nach 6 Uhr löschte ich daß Licht und zog die Vorhänge von die Fenster weg. – Herr Kummerfeld zog auch seine Vorhänge auf, und wir sahen einander. Ich machte stille mein Fenster auf und winkte ihn. Er öfnete das seinige, und nun sagte ich ihm, das meine Mutter gestorben wär. Der Mann hatte täglich geschikt und sich nach ihren Befinden erkundigen laßen, mir Citronen zugeschikt und, wenn er Freunde hatte und sich unter seinen Schüßeln ein Krankeneßen mit befand, solches für meine Mutter geschickt. Wer aus diesen Blättern nachgerathe meinen Character hat kennenlernen, kan leicht den Schluß machen: Wie verehrungswürdig mir der [361]
Mann geworden. Der erste und einzige, der für mich in Hamburg den Namen Mensch hatte. – Wie ich ihm den Tod angekindigt hatte, antwortete er zwar nichts – aber in seinen Gesicht stand alles. Ich machte mein Fenster zu, blieb aber stehen, um ihm zu beobachten. – Den ich beobachtete von jeher die Menschen da am liebsten, wen sie nicht dachten, beobacht zu werden. – Und wer das nicht thut, kann auch nicht sagen: Er habe Menschen gesehen. – Auch er machte sein Fenster zu. Nahm sein Schnupftuch aus den Schlafrokärmel, sezte sich ans Fenster nieder und verhilte, auf den Arm sich stizend, sein Gesicht. „Guter Mann!“ sagte ich zu mir selbst. „Bist also wohl der einzige in ganz Hamburg, der meinen Jammer mit mir fühlt – theilnimmt an meinen Verlust. – Gott lohns dir!“ Ich küßte die Leiche meiner selgen Mutter. – „Wills nun deinen Sohn sagen, das wir Waysen sind.“ – – – Ich tratt zu Carl in die Stube, er wachte. – „Nun, 667 Die Sterberegister für St. Michaelis der Jahre 1750–1782 sind nicht erhalten, sondern nur die Namensverzeichnisse. Für den Zeitraum 1765 bis 1769 ist darin keine Augustina Schulze aufgelistet. Auch die Suche in allen aus diesem Zeitraum erhaltenen Sterbe- bzw. Begräbnisregistern anderer Pfarreien, auch der katholischen, blieb ergebnislos.
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wie ists? – Soll ich wachen? – Wilst du schlafen?“ – „Carl, die Mama ist sehr schwach – bald ists vorbey!“ – „Was!!“ schrie er und tobte mit Ungestim ins Zimmer, ich trette vor – „Carl, faß dich – sie ist tod.“ – – „Tod – tod – tod –“, schrie er und stürzte in die Stube. – Wolte auf sie zu ans Bett, ich ihm nach – „so faße dich“ – „fort“, schrie er und warf mich in die Ecke ans Fenster, daß ich bald um und um geschlagen wär, wen ich mich nicht noch erhalten668. „Nein, sie ist nicht tod – so sah sie immer aus – Mama – Mama“, schrie er – ich riß ihn weg. „Carl, Carl, faß dich doch um Gottes willen – sie ist tod.“ – „Aber warum hast du mich nicht gerufen?“ – „Weil ich dich kenne. – Wolten wir Specktakel in der Nacht machen? – Ihr Ende durch unser Geschreu verbittern – sie ist hin – und da,“ ich fiehl ihn um den Hals, „hast [362]
du ihren lezten Abschiedskuß und Segen.“ – „Ach! Carline – hast Recht gehabt – wenn starb sie?“ – „4 Uhr war sie ganz verschieden.“ Wir standen vor ihr, hatten uns beyde bey der Hand und weinten. Der Frieseur kam, um Carln zu friesiren. Wie er den sieht, fährt er wieder auf – „was wollen Sie? – Sind Sie toll? Ich mich friesiren laßen? und Mama ist gestorben? Gehen Sie“ – – ich beruhigte ihn wieder – „Carl, Carl, wie bist du? – Hast du ihn nicht selbst bestellt? – Ist ja seine Stunde. – Gehen Sie und sagens Sie’s an Ackkermanns, das Mama tod ist.“ – Nun wars Zeit, wegen den Leichenbegängniß zu sprechen. Die Seelige wolte ohne Aufwand beerdigt seyn – aber ordendlich wolten wir es beyde haben, damit man uns keine Vorwürffe machen solte. Aber nun, zu wem wollen wir schicken? Ich besann mich auf meinen Schuhmacher, der für mich arbeitete und katolisch war, den lies ich rufen, er kam. „Meister, Er ist katolisch und nicht aus Hamburg“ (war ein Maynzer), „will Er alles besorgen? – Ist doch hier schon bey solche Fälle gewesen? – Ich bin fremd und wüste nicht eine Seele, zu der ich mich wenden kennte.“ – „Gut Mamsel, sorgen Sie für nichts. Ich will alles über mich nehmen. – Aber wohin wollen Sie sie begraben laßen.“ – „Wohin ich darf und muß. Kann sie hier auf einen Kirchhof zur Ruhe gestattet werden, sols mir lieb seyn. – Jede Erde ist die Erde des Herr[n]! Darf ich nicht – gut, so laß ich sie nach Altona auf den katolischen Kirchhof669 bringen. – Alles übergebe ich Ihm. Schicke Er mir seine Tochter, 668 Festgehalten. 669 In Altona befand sich zu der Zeit die einzige katholische Gemeinde, St. Joseph. Sie hatte das unbefristete Recht der Religionsausübung 1658 vom dänischen König Friedrich III. erhalten. Auf dem Altonaer Friedhof wurden auch Katholiken aus Hamburg und Durchreisende beigesetzt, so z. B. 1781 der Theaterdirektor Johann Joseph von Brunian, der Schwager Karoline Kummerfelds. Katholische Gottesdienste fanden im 17. und 18. Jahrhundert nicht nur in der St. Josephskirche in Altona, sondern auch in der kaiserlichen Gesandtschaftskapelle und den Kapellen der spanischen und französischen Gesandten in Hamburg statt; Holger Wilken, Katholische Bevölkerung und katholische Gemeinden
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damit sie mir hilft, meine Mutter aus dem Bette bringen.“ – Der Mann ging fort und die Tochter kam. Ich wusch sie selbst, zog ihr ein Hemt an, und wir trugen sie in Carls Zimmer, der nun bey mir in der Stube blieb. Der Sarg wurde bestellt [363]
und acordiert670 vor 10 Thaler. Der Schuster kam des Mittags wieder und sagte, alles wär besorgt. – Wir machten den Aufsaz der geherigen Kosten; und er sagte zu mir: „Die Selige kommt nach dem kleinen Michaeliskirchhof671. – Da ist die längste katholische Kirche gewesen. Die Erde ist also noch am längsten geweyht.“ – „Gut, Alter, mir ists recht.“ Ich war nun mit Carl wieder alle[i]n. Er frug mich: „Wie viel Geld muß wohl da seyn?“ – „Ja, Carl, das weiß ich nicht. Du weist, Mama hatte alles Geld; und solange sie krank war und wir ihr alle Sonabend die Gage gaben, legte sie solche selbst ins Futeral. Gieb das Futeral doch her.“ Ich nahms und fand auch im Koffer die 9 Gulden, von denen sie gesprochen hatte, und meldete es Carl. – „Die gute Mama! Wollen uns auch gleich die Löffel machen laßen.“ – „Ja, Carl, kinftige Woche, so Gott will.“ Nun zählten wir unsere Baarschaft, und es waren nicht mehr wie 57 Gulden – Carl sagte – „Damit kommen wir nicht aus? – Wo nehmen wir Geld her? – Begräbniß – Trauer?“ – „Hier“, sagte ich und sezte meine kleine Chatulle auf den Tisch. – „Gut“, sagte Carl, „kannst es den von der Gage wieder nach und nach abnehmen.“ – „Nein, lieber Carl! So nicht. Als unser Vater starb, waren unsere Umstände so kläglich, das Papas Sachen alle verkauft werden mußten, die dir doch alle von Gott und rechtswegen hätten zukommen müßen. – Wenn wir nun auch Mamas paar Kleidergens verkaufen wollten und das Geld theilen – was würde davon herrauskommen? Und jedes Fäßgen672 von dem ihrigen ist mir zu heilig, als das ein Fremder solches tragen solte. – Was du also von ihr haben
im Raum Hamburg. Größe und Zusammensetzung 1750–1866, in: Inge Mager (Hg.), Das 19. Jahrhundert. Hamburgische Kirchengeschichte in Aufsätzen, Teil IV, Hamburg 2013 (Arbeiten zur Kirchengeschichte Hamburgs 27), S. 567–585, hier S. 570, 580. 670 Akkordieren: Eine Vereinbarung treffen, einen Vertrag abschließen; hier: Die Summe wurde vertraglich vereinbart. 671 Die Kleine Michaeliskirche vor dem alten Millerntor wurde 1661 zur Fililalkirche der großen St. Michaeliskirche. Nach der Besetzung Hamburgs durch die Franzosen wurde der Neubau von 1754 im Jahr 1811 der römisch-katholischen Gemeinde übergeben. Es ist allerdings unklar, warum Karoline Kummerfeld den Friedhof als katholisch benutzt bezeichnet. Lit.: Wilhelm Jensen, Die hamburgische Kirche und ihre Geistlichen seit der Reformation 1, Hamburg 1958, S. 153 f.; Reinhold Pabel, Der Kleine und der Große Hamburger Michel, Hamburg 1986, S. 37–42. 672 Fäserchen.
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wilst, solst du haben. Das übrige eigene ich mir zu. Von heute an bis auf den Sonabend geht die Ausgabe von mir. Von denen 57 Gulden nehme ich für mich, was zur Trauer gehert, keinen Schilling. Es sey für dich und zum Begräbniß. – Und was nicht zureicht, gebe ich von meinen Gelde zu. – Du, mein lieber Carl, solst und mußt nicht zu kurz kommen. – Bist du zufrieden?“ – „Jawohl, dank dir. – Was bin ich froh, das wir von Ackermann keinen Vorschuß bedürfen.“ – „Ja, Carl, glaube mir – eher borgte ich von Fremden.“ Nun war das auch abgethan. Madame Ackermann und ihr Herr schikten und ließen uns condolieren – und mir’s zugleich sagen: das, wenn wir Geld nöthig hätten, wir es ihnen doch solten sagen laßen. – Auf den Abend würde Madame selbst kommen. Ich lies danken und zugleich versichern, das wir kein Geld brauchten. Madame Ackermann kam auch den Abend selbst und bezeigte mir ihr Beyleid. – Sie zog mich an die Seite und sagte: „Kind, seyn Sie aufrichtig – brauchen Sie Geld, so sagen Sie es mir. Ich dachte, Sie wolten es der Klara673 nicht gestehen. Es würde mich kränken, wenn Sie von Fremden borgten. Solche Fälle kosten Geld.“ – Nochmals versicherte ich ihr meinen aufrichtigen Dank für ihre gütige Vorsorge. Versicherte sie aber zugleich, das ich Geld hätte – und hinlänglich, hofte ich – „Hanover und Bremen hat mich in den Stand gesezt. – Und die 24 Hamburger Ducaten hoffe ich nicht anrühren zu dürfen. – Von dem Gelde kommt nichts dazu. – Meine Mutter ist mir zu lieb!“ – „Sind doch immer ein närrisches Mädchen. – Doch ist’s mir lieb, das Sie in der Verfaßung sind.“ – Dienstag Abend solte meine Mutter beerdiget werden. Montag aber schickte Herr Kummerfeld und lies mich und meinen Bru[365]
der bitten, das wir den Abend mit ihm speisen solten. Wir liesen uns entschuldigen. Solange meine Mutter noch bey mir ist – obschon tod –, wich ich doch nicht von ihr. Dienstag Abend wird sie ganz zur Ruhe gebracht. – Das Mädchen kam wieder und sagte: „Nun, so läßt mein Herr bitten: Ob Sie nicht mit Ihren Herrn Bruder den Mitwoch Abend kommen wolten!“ – Gern wär mein erster Gang künftigen Sontag erst nach der Kirche gewesen! – „Doch ja, wir wollen kommen. – Aber erst, wenn es dunkel ist. Den Carln und meine Trauerkleider sind noch nicht fertig. – Und wir sind in Hamburg, wo man alles zum Bösen auslegt. Auch daß: Wen wir in gefärbten Kleidern über die Straße gingen.“ – „Ja, mein Herr hätte Sie sonst selbst bitten lassen, erst etwas späth zu kommen, den er kommt erst nach 8 Uhr aus der Bank.“ – „Gut also – darf nicht wieder schiken, wenn wir Licht in seinen Zimmer sehen, so wollen wir kommen.“ Montag Abend kam der Sarg. Ich kleidete meine Mutter, wie sie es befohlen hatte. – Dienstag
673 Klara Hoffmann († 1776), die Souffleuse der Ackermannschen Truppe; Eichhorn, Ackermann, S. 135.
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den 18., des Abens 7 Uhr, wurde sie nach Hamburger Gebrauch mit 14 brennenden Laternen ohne weitere Gefolge fortgetragen674. – Wie gern wären wir mitgegangen – aber wir durften nicht – ist ja dort so der Gebrauch – niemand war weiter bey uns den Abend wie die Mamsel Klara von Ackermann und Herr Steinfeld675, ein Bekandter von meinen Bruder, und ein gutes Mädchen, die in denselben Hauß mit mir wohnte und mir bey der Trauerarbeit Dienste leistete. Nun kam mein alter Schuhmacher im langen Trauermantel und weiß glasurten Handschuen676 in die Stube und berichtete, daß sie glüklich zur Erde gekommen. – Wünschte, uns auch bey freudigern Vor[366]
fällen dienen zu kennen. Und wie er den mit seiner Rede fertig war, hub er an: „Ja, Herr Schulze und Mamsell! Ich hab rechte Angst ausgestanden.“ – „Ja, wir auch! Den wir dachten, ihr würdet bey dem elenden Gehen auf der Straße durch euer Hin- und Herschwanken den Sarg von der Baare werfen.“ – „Nein, daß nicht, Mamsell – das ist der Staad677 und muß so getragen werden, die Träger verstehen das schon – aber hören Sie nur. Um Ihnen die großen Kosten zu ersparen – den hat es doch nicht Geld genug gekostet? – gab ich die Mama vor lutherisch aus, sonst wär sie nicht auf den Kirchhof gekommen, und sie hätten sie mißen nach Altona fahren laßen. – Nun war unter allen Trägern und Laternentragern kein einziger Lutheraner. Also begegneten uns Verschiedene, die bei den Lutheranern die Laternen tragen, und die wolten mit uns Händel678 anfangen und sagten: Das ist eine katolische Leiche – wir stritten es ihnen aber ab, und der Todengräber wuste nicht, solte er sie einsenken oder nicht? – Ich drükte ihm aber geschwind noch einen Mark in die Hand, und nun sagte er: Was wollt ihr, ist eine lutherische Frau! – Und damit wars gut.“ – Mir bebten alle Knochen bey dem Gespräch. – „Aber Meister, ist Er toll! Wen sie mir die Mutter wieder ausgrüben? – Nun, das fehlte mir noch in Hamburg. – Wie kan ich Ihm schützen? – Ich weis von nichts und übergab Ihm ja alles.“ – „Sorgen Sie nicht – aber ich thats aus Liebe zu Ihnen.“ – „Seine Liebe kann mir aber noch theuer zu stehen kommen?“ Nun gab ich ihm den Mark wieder und zahlte ihm für seine Bemühung, und er ging fröher fort, als Carl und ich waren. Wir wurden nach und nach heuterer, sagten
674 Seit Mitte des 18. Jahrhunderts waren in Hamburg abendliche Leichenzüge zwischen 20 und 22 Uhr üblich; Semjon A. Dreiling, Pompöser Leichenzug zur schlichten Grabstätte. Die vergessenen Toten im Gruftgewölbe der Hamburger St.-Michaelis-Kirche 1762–1813, Hamburg 2006, S. 57. 675 Nicht ermittelt. Vielleicht der Lübecker Postmeister Heinrich Detlev Steinfeldt (1740–1788)? 676 Weiße Glacéhandschuhe. 677 Staat: Hier im Sinne von Vorschrift, Anweisung. 678 Streit.
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oft: „Wenn daß Mama gewust noch hätte.“ – Und wie mich den in allen Begebenheiten meines Lebens mein munteres Temparement nie ganz verlies – und ich immer alles sehen mußte, so sagte ich zu Karln, wie wir wieder ganz allein waren: „Carl, du weist, Mama war so schön von Wuchs. – Und nie müßen bey einen Leichenbegängniß so viele schiefe und bucklichte Leute beysammen gewesen seyn wie heute. Des Schusters Tochter, ihre Mutter und die andere Trauerfrau, die bey dem Sarg waren den Nachmittag. – Die 3, die zum Besuch bey uns waren, und die Helfte der Laternenträger – doch alle schief und bucklich“ – „Hast wirklich recht“ – und wir musten lächeln. Von seinen und meinen Bette, daß ich geborgt hatte, hatten wir uns des Abens eine Streue an den Fußboden in meinen Zimmer gemacht, und da schliefen wir zusammen. Den 19. des Abens nach 8 Uhr gingen wir unsern Versprechen gemeß zu Herrn Kummerfeld – und ich war zum ersten Mal in des Mannes Hauß. – Ha! Wie gut wärs oft, wen man seyn Schiksal vorher wüste??? Doch – weiter. Wir lernten an ihm einen Mann kennen – so recht für uns. Aufrichtig, ohne Umstände. Der Abend ging sehr vergnügt vorbey, und wie sehr er sich wunderte, daß ich von Hamburg so wenig wüste? Wolte mit uns gute Nachbarschaft halten und bat uns den Sontag wieder zu sich, wo er mehr gute Freunde bey sich haben würde. Dieses gescha, er hatte einige Herrn von seiner Verwandschaft bey sich und seinen jüngern Bruder, Herrn Hinrich Kummerfeld679, Herrn Herzog mit seiner Frau, der Caßirer in der Bank war680, und Herrn Steinfeld. Wir waren sehr vergnügt, und es war der erste Tag, wo ich endlich fand, das [368]
ich auch in einer Gesellschaft von lauter Hamburgern recht von Herzen vergnügt seyn könnte. – Wir wurden alle so munter wie möglich, und es entstand unter uns ein gewaltiges Gelächter, als mein Hund, den ich bey mir hatte, auf einmal ein so gewaltiges Geheule anfing, das wir alle erschraken. Der närrische Hund! muß des Lachens und lauten Lärms nicht mehr gewohnt seyn, hies es. – Und so machte er auch, so oft es im Zimmer laut wurde, denselben Spektakel. Inzwischen, als wir nach Hause kamen, sagte mein Bruder: „Höre Caroline, ich fürchte, dein Hund wird toll. – Ich will ihn lieber ausführen, der Hund ist lange nicht in die frische Luft gekommen.“ Das geschah auch, und eines Tages kam der Hund allein wieder zu mir nach Hause gelauffen. Carl, als er kam, wunderte sich, den Hund zu sehen, und sagte mir, das er unter dem Tor 679 Hinrich Kummerfeld (* 11. Dez. 1727 Hamburg, † 15. Sept. 1790 Hamburg). 680 Ernst Johann Herzog, Kassierer bei der Bank; Staatsarchiv Hamburg, Bürgerbücher A I a 7 und A I a 8 (Bezahlung von Bürgergeld 1732, 1749). Seine Ehefrau hieß vermutlich Elisabeth mit Vornamen, da Karoline Kummerfeld sie „Liesgen“ nennt.
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hingefallen, alle vier von sich gestreckt, er ihm mit Wasser begiesen laßen, sich aufgeraft und fortgelauffen wär. Der Hund, den ich gewiß um kein Geld weggegeben, der in so mancher einsame, traurigen Stunde mich aufheute[rte], kurz, der so liebe Alegro wurde zum Hundedocter geschickt – 8 Tage war er da, ich bezahlte 5 Reichsthaler für ihn, und es hies, nun wär er geheilt, man hatte ihn den Wurm genommen, und ich solte seinetwegen ohne Sorgen seyn. – Glaube es auch. Eines Morgens sagte Carl zu mir: „Ist heute so ein schöner Tag. – Bist hier doch noch nirgens gewesen. Komm, Carline, wollen uns einen Wagen kommen laßen und nach Neuensteten681 fahren – wollen da speisen – wirst sonst noch krank von allen Sizen zu Hause seyn.“ „Ja, Lieber! Ich wils, und mein Allegro soll mit.“ – Der Wagen kommt, und wir fahren fort. Die schöne Gegend gefiehl mir, ich schöpfte frische Luft. Wir speißten [369]
den Mittag gut und waren so herzlich vergnügt alle beyde! – nur der Gedanke – o das Mama noch bey uns – und gesund wär – unterbrach uns – doch ihr ist noch wöhler wie uns. – Nach dem Eßen gingen wir in dem Garten; unsern Hund bey uns. Auf einmal fängt solcher an, wie wild den Garten rundzulauffen, kollert den hohen Berg hinnunter in die Elbe hinein, schwimmt wieder herrauß und läuft an den Waßer fort, fort – und in wenigen Minuten war nichts mehr von Alegro zu sehen. Da stand ich mit übereinandergeschlagenen Armen. – Sah ihn nach, schlug mich mit der Hand vor den Kopf – „ha! ha! – Carl! laß einspannen, wollen wieder nach Hause.“ – Es geschah, sprachen lange zusammen kein Wort. – Endlich brach ich zuerst das Stillschweigen: „Aber Carl! – Sag selbst: Ist es nicht entsezlich, daß ich doch hier in den Hamburg gar keine Freude haben soll? – Seid meiner lezten Reise von Bremen komme ich heute zum ersten Mal wieder aus der Stadt – muß meinen Hund einbiesen. – Hab ihn 8 Jahre gehabt. – War mir so treu? – Nun, nun auch keinen Hund mehr.“682 Gut, da er fort ist! Das es auf die Art war – wir hätten unglüklich mit ihm seyn kennen. – Und was ich selbst nie geglaubt hätte – hab nicht eine Thräne um ihn geweint. Wer dieses ließt und mich tadeln will, das ich auch meines Hundes mit erwehne – muß wohl nicht wißen, das den Menschen ein treuer Hund lieber ist als 10 und mehr falsche Freunde. Wenigstens fehlte den Hund nichts, als das er sprechen kennen. Manche Thräne kißte 681 Nienstedten, damals ein Hamburger Vorort an der Elbe, war ein beliebter Ausflugsort; Richard Ehrenberg, Aus der Vorzeit von Blankenese und den benachbarten Ortschaften Wedel, Dockenhuden, Nien stedten und Flottbek, Hamburg 1897. 682 Sie hatte in ihrer Ehe einen Hund namens Mignon (HHS, S. [568a]) und in Weimar wieder einen Hund namens Allegro. In einem fragmentarisch erhaltenen Brief vom 21. Juli 1810 an Friederike Oeser berichtet sie von dessen Tod; s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2.
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er von meinen Gesicht – Weinen konnte er mich nicht sehen. Dan machte er mir alle seine gelernte Künste vor, um mich aufzumuntern. Und [370]
wer mich tadeln will, der tadele mich – wär er in meinen Hause crepirt – er hatte gewiß von mir sein Grab bekommen. – Nun war ich recht allein! Ich theilte meine Stunden ein. Die, die ganz mein waren, wurden meinen abwesenden Freunden gewibtnet; oder wenn den Briefe von ihren Wohl und der Versicherung, mich nie vergeßen zu kennen, einliefen? Wer war in solchen Augenblicken glücklicher wie ich? – Doch auch daß solte mir nicht lange gegönt seyn. Mein Bruder kam und sagte, wie man sich über das Geschenk die Mäuler zerriß, das man mir zugeschikt – algemein würde davon gesprochen, das ichs nicht annehmen sollen; – an wem soll ich die verwünschten elenden 24 Ducaten wieder geben? – Wären sie mir von einen zugeschikt worden, der sich genennt hätte, wiederhaben solte er sie. – Herr Kummerfeld schikte zu uns und lies uns zu sich bitten. Wir gingen hinüber; waren nicht lange da, als er anfing: „Mamsel Schulz, ich bin noch in Ihrer Schuld.“ – „Daß ich nicht wüßte.“ – „O ja! Bey dem Weinachtengeschenk, das man Ihnen zugeschikt. Ich solte auch mit dabey seyn, meine Antwort aber war: Wen ich Mademoiselle Schulz gesonnen werde seyn ein Present zu machen, so kann ichs selbst thun. – Und so sprach mancher, also erlauben Sie, daß ich so frey bin, Ihnen“ – damit zog er eine Rolle mit Geld aus seiner Tasche und wolte die mir hinreichen – ich aber war schon bis an den Hals voll Galle. – „Herr Kummerfeld, Sie haben die Wahl, den Augenblick Ihr Geld wieder einzustecken, oder ich gehe auf der Stelle aus Ihren Haus und betrette, so wahr Gott lebt, nicht wieder Ihre Schwelle. – Hab wegen den verwünschten 24 Ducaten Verdruß genug gehabt. – Mißen nicht denken und keiner hier in Hamburg, daß ichs so nöthig brauche. – Hab meine Gage. – Nun die Woche 20 Gulden, weil uns Ackermann gleich nach den Fall, den ich thatt auf dem Theater, 2 Gulden wieder zugelegt. Erlauben Sie, daß ich nur [371]
auf einen Augenblick nach Hause gehe, will Ihnen die 24 Ducaten holen. Geben Sie solche dem, der Ihnen für mich Geld abgeforder[t], in meinen Namen zurük, sagen ihn: Ich lies danken für seinen guten Willen – den aus Boßheit hat er’s nicht gethan. Nur hat er vergeßen oder nicht daran gedacht: daß er in Hamburg ist. Wirds683 nicht genommen haben, aber Ackermann war schuld.“ – Hier erzelte ich ihn den ganzen Verlauf der Sache. „Nun glauben Sie nicht troz den vielen Schlägen, die mich hier getroffen,
683 Gemeint ist: Ich würde es nicht genommen haben.
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daß ich deswegen noch ganz leer von Geld bin. – Und wenn ich auch nicht viel habe, so bin ich doch reich, weil keiner sagen kann: Ich bin einen Gulden schuldig. Erlauben Sie allso“, und damit wolte ich zur Stube hinaus und das Geld holen. – „Bleiben Sie, ich glaube Ihnen alles. – Aber ich kann die Comißion nicht über mich nehmen. – Ich bin gewiß Ihr Freund, wollen Sie mir als solchen folgen, so bitte ich Sie, behalten Sie nun das Geld. – Unzähliger Verdruß könnte daraus entstehen. Sind angesehene Männer dabey. – Um Gottes Willen, thun Sies nicht, man würde es Ihnen falsch auslegen.“ – Ich weinte vor Erger. Herr Kummerfeld bat, mich zu beruhigen. „Ich nehme es auf mich, daß alles öffendlich zu sagen, was ich von Ihnen gehört, und das Geschwäz wird ein Ende haben.“ Was solte ich nun thun? Carl, der die Zähne biß – den ich kannte, der schon Willens war, die 24 Ducaten auf Dreyers Caffeehaus684 in die Stube zu werfen, eben nicht mit dem höflichsten Compliment – den für Thätigkeiten685 zu schonen – kurz, ich mußte das Mal und durfte nicht meinen Willen haben. – Nichts blieb mir: Als daß ich die ganze Geschichte an alle meine Freunde schrieb und sagte: „Bedauert ihr mich nicht, daß ich unter solche Menschen lebe?“ – Der Abend war eben nicht der angenehmste, wir gingen auch bald fort. Ich befand mich nicht wohl! und konnte die ganze Nacht kein Auge zuthun. Der [372]
Tag darauf war ein Sontag. Ich ging oder hinkte mehr nach die Kirche, den mein Fuß schmerzte mich sehr. Als ich aus selber gehen will, steht Herr Boeck686 da und sagt zu mir: „Mein Gott, Mademoiselle, wie sehen Sie aus?“ „Ists ein Wunder? Was habe ich nicht hier vor Zeiten gehabt. – Nun noch das verdamte Present.“ – „Ja, Mademoiselle, mich wundert, das Sies genommen haben?“ Auch dem erzelte ich Wort vor Wort, was für Worte den Tag zwischen Herrn Ackermann und mir gewechselt worden. „Das war schlecht von Herrn Ackermann. – Ich mit meiner Frau waren den Sonabend vorher mit ihm bey dem Münzmeister Herrn Knorr687. Man bat Ackermann, er solte Ihnen 684 Dreyers Kaffeehaus (später Stuarts Kaffeehaus) befand sich Auf dem Neß. Lit.: Wegweiser durch Hamburg, oder Nachweisung aller Gassen, Märkte, Plätze, Kirchen, Stadtgebäude etc. und anderer Merkwürdigkeiten in Hamburg, wie solche nach dem besonders dazu eingerichteten Grundrisse dieser Stadt bequem aufzufinden sind. Ein Anhang zu den Hamburgischen Denkwürdigkeiten, 3. Aufl. Hamburg 1803, S. 26; Franklin Kopitzsch, Grundzüge einer Sozialgeschichte der Aufklärung in Hamburg und Altona, 2 Bde., Hamburg 1982 (Beiträge zur Geschichte Hamburgs 21), Bd. 1, S. 307 f. 685 Tätlichkeiten. 686 Johann Michael Boeck (1743–1793), Schauspieler. 687 Otto Heinrich Knorre (* 24. März 1724 Clausthal, † 4. Juni 1805 Hamburg) war seit 1761 Münzmeister in Hamburg, Gastgeber von Abendgesellschaften (Lessing, Klopstock u. a.), Metallologe, Sammler von Münzen und Medaillen sowie seit 1763 Mitglied der Loge Absalom. Lit.: Konrad Schneider, Otto
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sagen, es nicht zu nehmen. Er stritt zwar dagegen an, aber alle sagten, Herr Ackermann, Sie verstehen das nicht – es thut Mamsell Schulz tort688, der Art wegen und weil es von Derslin herkommt, das der den Gedanken gehabt und der, wie bekannt, ein Spieler ist. – Ich und meine Frau standen dabey, als mehr wie einer sagte – nimmt sie es nicht, so gebe ich 12, ich 25 – ich 50 Ducaten – – ho, ho.“ „Herr Böck: – Das sind Worte: – Ich verlange gar nichts – aber Herrn Ackermann werde ich terb die Wahrheit sagen.“ Sagte es ihm auch. – Ja, was antwortete er? „Schulzen! So wahr ich ein ehrlicher Mann bin, die, die den meisten Lärm gemacht, war bange vor die paar Ducaten – die sie haben Schande halber hergeben sollen; verspielen sie lieber am L’Ombertisch689 und verführten durch ihr Gewäsche andere, die nicht wußten, was recht oder nicht recht ist? das die nichts gaben. Bey den Theater muß man sich niemand zu Feind machen. Und wenn Sie 50 Jahre hier spielten, keiner hätte Ihnen was zugeschikt. Nun haben Sie gut reden und die beste Entschuldigung. – Wenn ich nicht alle die Leute kennte, die zusammen in Knorrs Haus waren, das keiner Ihnen einen Schilling an Werth zugeschickt, würde ich [373]
der erste gewesen seyn, der Ihnen gesagt: Nehmen Sie nichts. Großbrahlerey wars. – Und da ich weis, das Sie’s verdienen, wär’s mir leid gewesen, wenn Sie gar nichts bekommen hätten.“ – Nun, alles Geschwäz an die Seite gesezt. So denke ich immer: Ackermann hatte doch recht. – Derslin war ja ein Fremder? Der brachts aufs Tabet690, und das war genug. – Was ich aber dachte von die Einwohner Hamburgs? – Das kann jeder abnehmen. Habs aufrichtig erzelt, wie mans in Hannover angefangen und ohne eine Summe anzugeben, die ich bis hieher versparen wollen. Reichen keine 100 Ducaten zu, die ich an Geld und Geldes Werth in Hanover bekommen. – So lerne man die Art von Menschen kennen, die wußtens, das Geben seeliger ist wie Nehmen. – Und so muß man geben, wen die Gabe einen Werth haben soll, und größern Werth selbst, als die Gabe an und vor sich ist. Das hätte ich denCXXVIII überstanden gehabt; doch es stand nicht lange an, als wieder was Neues zum Vorschein kam, um mich zu ergern. War schon gegen Ostern, als der Frieseur zu meinen Bruder sagte: „Haben Sie den noch
Heinrich Knorre. Münzmeister in Schwerin, Stralsund und Hamburg (1724–1805), in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 70 (1984), S. 146–166; Kneisner, Absalom, S. 169. 688 Tort antun: Unrecht antun. 689 L’Hombre: Kartenspiel. Lit.: David Parlett, The Oxford Dictionary of Card Games, Oxford 1992, S. 124 129; Albert Stabenow, Ausgewählte Kartenspiele 3. Tarock. Schafkopf. L’hombre, 3. Aufl. Leipzig 1910, S. 41–79. 690 Auf ’s Tapet bringen: Eine Sache zum Gegenstand eines Gesprächs machen.
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gar nichts davon gehört, das eine ganz infame Cridic auf Ihre Mamsell Schwester herraus seyn soll?“ „Nein! Woher weis Er daß?“ – „Ja die ganze Stadt und alle Mäuler bey der Gesellschaft sind davon voll, in einer Zeitung steht sie.“ Carl kommt zu mir und sagt es mir. – „Nun, was wird daß wieder seyn? Thue doch keinen Menschen was, und mich kan man nicht ungehudelt691 laßen. Bin ich den nur zu meiner Quaal, und das Schurcken ihre Boßheit an mir auslaßen, hier?? – Siehe, daß du die Zeitung bekömmst, wo es darinnen seyn soll.“ Nachmittags sah ich Herrn Kummerfeld an seinen Fenster. Ich redete ihn aus den meinigen an [374]
und frag ihn darum? – „Ja, Mamsell, das ist was altes! Und daß haben Sie erst heute gehört?“ – „Ja, wer soll mir das sagen? Ich komme ja nicht aus meinen Haus, habe mit keinen Menschen Umgang und lese keine Zeitung. In welcher steht solches? Kennen Sie mir solche nicht verschaffen? Wils lesen.“ – „Wie die Zeitung heist, weiß ich nicht; ich halte die nicht, aber ein Freund von mir hat solches aus der Zeitung herrausgeschrieben. Kann ich eine Abschrift davon haben, so schicke ich sie Ihnen morgen zu.“ – Herr Kummerfeld hielte Wort und schickte mir die Abschrieft. Woraus es abgeschrieben hies: Auszug aus den „Freyen Nachrichten aus dem Reiche der Wißenschaften und der schönen Künste“: Hamburg, den 21. Februar 1766692. Schiebeler hatte die Ode, die er auf mich gemacht, in eine Monatsschrieft693 einrüken laßen. Darüber machte sich den ein hämischer Schuft her und spricht mir auch den kleinsten Werth darinnen ab, den ich als Schauspielerinn verdiente. Macht also, wo nicht in Worten, doch in Ansehung der hämischen Art, womit er mich beurtheilt, alle die, die mir doch manche Gerechtigkeit wiederfaren liesen, zu Eselsköpfe und mich herrunter – wo man gegen ein Mädchen, die noch kein Jahr auf dem Theater ist, mehr Nachsicht und mehr Aufmunterung, ja, mehr Lob giebt als mir in den Wisch. – Mir, die wahrlich! Ackermann so lange Jahr sehr gestüzt hatte. – Kurz, nicht einen Heller werth Ehre in Ansehung alles meines Fleises und Arbeit und Mühe. Bringt hinterher die elende Entschuldigung, solch ein übertrieben Lob würde mich stolz machen694. – Sagt, das es mein Glük wär und daß 691 Jemanden hudeln: Plagen, quälen, schlecht behandeln. 692 Diese von Johann Friedrich Löwen herausgegebene Zeitschrift erschien zwischen 1765 und 1767 in jährlich 52 Nummern und wurde 1768 weitergeführt unter dem Titel „Gemeinnützige Nachrichten aus dem Reiche der Wissenschaften und der Künste“. Lit.: Karl Waentig, Johann Friedrich Löwen und sein Ansehen als Journalist und Bühnenschriftsteller. Ein Beitrag zur Geschichte des Deutschen Nationaltheaters von 1767, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 54 (1968), S. 21–49; Lexikon Schriftsteller 4, Nr. 2313. 693 Zur Ode und ihrer Veröffentlichung s. o. HHS, S. [309]–[311]. 694 In den „Freien Nachrichten“ vom 21. Februar 1766 hatte Johann Friedrich Löwen die Verse Schiebelers
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ich mich anfing, nach Eckhof vermöge seines Unterrichts zu bilden. – Als wenn ich ohne Eckhof die unwißenste Dirne wär, die je das Theater nur betreten hätte? – Wie sehr es mich gekränkt, kann ich nicht sagen! Man weis, wie ich mich benommen, da Eckhof mir über 14 Monate vorher die Ode [375]
gab, auf die ich Schiebelern nicht einmal geantwortet695. – Daß, das that mir weh. Daß ich nicht fehlerfrey war? wer Vernünftige weis daß nicht? Aber so unbillig so gemißhandelt zu werden. – Nicht war’s mir wegen denen Örtern, wo ich war, nein, wegen denen, wo man mich nicht kannte und wo solche Blätter in der Welt herrumgestreut werden, die dem Besten und Rechtschaffenste an seiner Aufnahme und Fortkommen schaden. Nun bat ich meinen Bruder, Herrn Kummerfeld und alle die wenigen, die ich kanndte, ob sie mir nicht den Verfaßer herrausbringen kennten? Oder dem, der das Blat herrausgab? Aber keiner wuste es, und die es mir sagen konnten, thatens nichtCXXIX. Ich nahm die Feder und beantwortete den Wisch. Und wolte, das solcher in einer der Zeitungen solte eingerükt werden; da man aber nichts einsezen darf laßen, ohne das es vorher der Herr Sindicus Schuback durchsieht696, so schikte ich solches zu ihm. Er lies mir das Compliment darüber machen, das es gut, pünklich und richtig beantwortet wär. Doch lies er mir zugleich mit sagen, das jeder, der mich kennt, eines weit beßern von mir überzeigt wär, als was ein schlechter Kerl mehr aus einen Privathaß gegen mich geschrieben, um mich zu krenken, als das es eine Krit[i]k sey – wie eine Kritik seyn miße. Er wolle es einrüken laßen, aber der Kerl würde wieder antworten, und auf die lezt würde es ein Federkrieg, und bey dem der Rechtschaffene sich doch immer ergere. auf Karoline Schulze eine „poetische Lüge“ genannt. Karoline Schulze wollte Löwen nur als mittelmäßige, in einigen Rollen „ziemlich gute“ Schauspielerin, die sich erst noch bilden müsse, gelten lassen. Nach Löwens Artikel entspann sich eine in immer schärferem Ton zwischen ihm und Schiebeler geführte Diskussion, die auch im „Hamburger Correspondent“ ihren Niederschlag fand. Dessen Herausgeber allerdings wollte sich in den Streit nicht einmischen: „Ueberhaupt deucht uns, es wäre einmal Zeit, diesem Streite, der eben nicht von großer Erheblichkeit ist, ein Ende zu machen. Mademoiselle S. ist eine gute Schauspielerin; wer verläugnet es? aber eine vollkommene? Das ist eine andre Frage“; Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten Nr. 94 vom 13. Juni 1766. Lit.: Schmidtmann, Schiebeler, S. 17–22. – S. dazu auch HHS, Anm. 711. 695 S. dazu HHS, S. [308]–[311]. 696 In Hamburg oblag die Pressezensur seit dem 16. Jahrhundert dem Syndikus, dem Justitiar des Senats; Isabelle Pantel, Die Hamburgische Neutralität im Siebenjährigen Krieg, Berlin 2011 (Veröff. des Hamburger Arbeitskreises für Regionalgeschichte 32), S. 13, 21, 209–216. In Hamburg gab es neben Schuback drei weitere Syndici: Johann Klefeker (seit 1725), Jacob Faber (seit 1748) und Peter Amsinck (seit 1749); Hamburgischer Staats-Calender, Hamburg 1766, [S. 51]. Laut Pantel, S. 213, war von 1741 bis 1775 Syndikus Johann Klefeker für die Zensur zuständig.
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Ich solte also, wenn seine Bitte bey mir etwas vermag, es nicht einrüken laßen. 10 solcher Pasquillanten697 würden nicht imstande seyn, die Liebe und Achtung zu unterdrüken – die ich mir von Freunden und Kennern des Theaters erworben. – Was solte ich nun thun? – Ich gab nach – o wie oft hatte es mich nach der Zeit gereut. – Nur den Verfaßer unter meine Augen zu bekommen, der Wunsch blieb. Meine im Grunde zur Munterkeit geneigte Gemits-Art kam auch wieder, und vergaß den Verdruß, den ich von neuen gehabt. Nun, um etwas [376]
mehr bequemer zu wohnen und näher bey dem Theater zu seyn, zog ich aus meiner Wohnung – die Gegenstände, die mich zu sehr an meinen Verlust erinerten, und meine Gesundheit, die dadurch litt, kurz, das alles bewegte mich. Ich zog auf den Gänsemarkt698 und war da viel beßer logirt. Herrn Kummerfeld that es leid, mir soweit wohl auch, aber meine Bequämlichkeit ging mir über die gute Nachbarschaft. Nun wurden wir immer beßer bekannt, Herr Kummerfeld, Herr und Madame Herzoch, Herr Steinfeldt, mein Bruder, ich, wir waren ein Cirkel. Und nun wechselte es ab: Wir waren bald bey einen, bald bey dene andern und 3ten und sie wieder bey uns. Herr Steinfeldt reißte nach Leipzig auf die Ostermeße699, und wir versprachen ihn, bey seiner Zurükkunft ihn entgegenzufahren. Herr Steinfeldt wolle es so einrichten, das er an einen Sontag wiederkäm, wo keine Comödie wär. – Also kamen den Briefe von ihm, das er den 4ten May gegen Mittag auf dem Zollenspiker700 eintreffen würde, und so weit wolten wir ihn entgegen. Der 3te May an einen Sonabend war der Tag, wo wir fort wolten. – Ich hatte den Morgen einen seltsamen Traum. Mir wars, als wenn ich auf einen schönen Bette läg mit einen roth seidenen Negligée, alles besezt mit Brabander Spitzen. – Ich lag da voll Stolz und Hoffart. Eine alte Frau, die mich besuchte und sich an die Füße von meinen Bette sezte, zu der sagte ich: „Da, sehen Sie, Madame, solche Kleider trage ich im Bette. – Hab solche noch weit prächtiger, aber weil ich jezt in der Trauer bin, 697 Verfasser von Schmähschriften. 698 Am Hamburger Gänsemarkt wurde 1765 an der Stelle der alten Hamburger Oper das Deutsche Nationaltheater errichtet; Kopitzsch, Sozialgeschichte 2, S. 652–666. 699 Die Kernzeit der Ostermesse dauerte auf der Grundlage eines kaiserlichen Privilegs aus dem Jahr 1497 traditionell vom dritten Sonntag nach Ostern ( Jubilate) bis zum darauffolgenden Sonntag (Cantate); Ernst Hasse, Geschichte der Leipziger Messen, Leipzig 1885 (ND Leipzig 1963), S. 17. 700 Die Fährverbindung zwischen Hoopte (heute Stadtteil von Winsen an der Luhe)und dem Zollenspieker (heute Stadtteil von Hamburg-Kirchwerder, Bezirk Bergedorf ) ist eine der ältesten Hamburger Elbfährstellen. Ab 1746 war der Zollenspieker Poststation, bis 1806 befand sich dort auch eine Zollstation. Das Fährhaus Zollenspieker ist bis heute Gasthaus geblieben. Lit.: Otto A. Fischer (Red.), Der Zollenspieker zu Hamburg. Geschichte und Geschichten, Hamburg 1999; Hamburg Lex, S. 538 f.
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kan ich nichts tragen.“ – Die Frau sah aus, als wenn sie ihren Theil tachte – ich prahlte noch so immerfort, als auf der Gaße Lärm wird, springe aus den Bette, sehe zum Fenster hinaus und frage, was vorgeht? – Es stand eine Menge Volks um einen Brunnen, welche rufen mir zu: Ein Kind wär hineingefallen – ich eile zum Hause hinaus, sehe in den Ziehbrunnen das Kind zappeln im Waßer. [377]
Ich gebe mir alle mögliche Mühe, mit der eisernen Kette, daran ein Eimer ist, das Kind zu retten, rette es aber nicht und kanns nicht retten – in der Angst erwache ich. – Ich sehe nach meiner Uhr, und es hatte eben 5 geschlagen. – Mein Gott! Welch ein Traum? Noch ekelte ich mich vor mir selber, als ich mich in den Stolz und Hoffart dachte – in meiner ganzen Garderobe hatte ich kein solches Kleid, wie ich im Traum anhatte. – Heute solst du ausfahren? – Welch ein guter Engel sagt dir, bleib zu Hause! Wie fange ich es an, das nichts daraus wird? – Wär nur mein Bruder nicht mit von der Partie? – Ja, dann könnst du es. Ich hatte einen sehr schwarzen melancholischen Morgen. Mein Bruder, der reiten wolte, dem bat ich bey dem Früstick, er möchte doch vorsichtig seyn, das er kein Unglük hätte – „Ey waß? Poßen, kann ich etwa nicht reiten?“ – „Das nicht – aber nimm dich in acht. Ich blieb lieber mit dir zu Hause“ – „Das wär was Schönes! Komme mir ja nicht – wollen recht lustig seyn.“ – „Das gebe Gott!“ Gegen 10 Uhr ging ich zu Madame Ackermann, und da versamleten wir uns immer, bis das ganze Tänzercor zur Probe beysammen war. Da mich Madame im Huthe sieht, sagte sie: „Wollen gewiß aufs Land?“ – „Ja, Madame! – Aber ich blieb lieber zu Hause.“ – „Warum, Kind! Haben ja doch wenig Vergnügen.“ „Wohl wahr – ein Traum macht mir Angst von diesen Morgen.“ Ich erzähle ihr solchen, und sie sagt: „Wahrhaftig in Gott! Ein seltsamer Traum! “ „Nicht war? – Ich bin ja das gar nicht. – Hab kein solches Kleid – und wenn puze ich mich? – Und das Kind, das ich retten wollen und nicht kennen? – Ach, mein Carl – mein Bruder!“ „Ist der mit dabey?“ – „Freylich.“ „So bleiben Sie zu Hause.“ – „Wie kann ich – ja, wenn Carl nicht wäre? Aber würde der nicht sagen: Ich wäre toll, eines Traumes wegen zu Hause zu [378]
bleiben? – Sie kennen ihn, und blieb ich ohne ihn zu Hause, so wär ich gar in Todesängsten. – Fahr heute hier zum zweyten Mal spazieren – die erste wurde mir durch Verlust meines Hundes verbittert; durch was wirds die heutige werden? – Ach, wär ich doch aus Hamburg“701. – – Nun hies es: Zur Probe. Nach 11 kamen wir an unser Haus,
701 Gemeint ist: Weg aus Hamburg.
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wo bereits Carls Pferd vorgeführt, Herr und Madame Herzog und Herr Kummerfeldt uns im Wagen erwarteten. Wir fuhren fort. Carl ritt bey her; den ich hatte ihn gebeten, immer so nahe wie möglich bey den Wagen zu bleiben, damit ich ihn nur immer sehen konnte. Wolte es der Weg nicht zulaßen, sah ich immer zum Wagen nach ihn herraus – immer fühlte ich Thränen in den Augen, die ich mit aller Gewalt verbiß und in den Magen hinnunterschlukte. Herr Kummerfeld saß mir gegenüber und bemerkte es zuerst, daß ich eiserst niedergeschlagen war, und hub an: „Ich weis gar nicht, was heute unser Schulzerle fehlt? – Sagt doch gar nichts. – Ist heute nicht so munter wie sonst.“ „Wahr!“ sagten Herzogs, „haben’s auch schon bemerkt! Kind, was ist Ihnen?“ – „Kaum mag ichs sagen. – Ein Traum beunruhiget mich – vielleicht lachen Sie mich aus – aber so wahr ich lebe, mir ist nicht lächerlich.“ „Ein Traum?“ – „Ja, hören Sie“: Nun erzehlte ich solchen von Wort zu Wort, und wie ich damit fertig war, frugen sie mich, wie ich solchen auslegte? Ich hub an: „Die Betten, worinnen ich lag, ist Krankheit; mein Hochmuth, Stolz und Übermuth Verdruß, Sorge, Gefahr. – Die Spizen Gram – das Kind, daß ich retten wollenn und nicht kennen – jemand von uns, den ich auch nicht retten werde; mein rothes Kleid Blut – Blut – Blut!“ – „Kind, Sie schwärmen? – Wo wollen Sie hin? – Welche Einbildung?“ – „O gewiß, gewiß nicht. Glauben Sie mir? Mein Kleid ist Blut, so wahr Gott“ – – – [379]
„Hier ist Blut!“ sagte Kummerfeldt, indem er mir sein Schnupftuch hinhielte und mir einige Tropfen aus der Nase trieften. – „Ihr Traum ist ausgelegt“, schrieen sie einmiethig – ich erschrak, so das ich die kalte Bläße in meinen Gesicht fühlte, und sagte: „Das gebe Gott!“ „O gewiß ists nun vorbey – sind eine kleine Schwärmerin.“ Es wurde angehalten und etwas weniges gegeßen. Mein Bruder sagte: „Das ist mir auch verdrießlich, es ging mir vom Pferde ein Riemen los, und wie ich wieder aufspringen wolte, dreht sich die Bestie, und da blieb ich hängen und riß mir mit dem Sporn ein Loch in Stiefel.“ – „Doch nicht in den Fuß?“ schrie ich hastig – „Denkst du schon, es ist mir waß? Nein, nur mein Stie[fe]l“ – „O wens das ist! Immerhin! Wen dir nur nichts ist.“ Wir fuhren weiter, und ich meine Warnungen an ihn: sich doch in Acht zu nehmen! wiederholt. – „Fahr doch so ruhig, wie ich reite und bekümmere dich um nichts.“ – „Mein Gott, welch ein Mensch! – Der bricht heute noch den Hals oder hat doch noch ein Unglük! – Das nur nicht viel getrunken wird.“ – Wir fuhren weiter, und es wird wieder angehalten. Ich wolte nicht aussteigen, und Madame Herzog blieb auch in Wagen. Nicht lange dauerte es, als Herr Herzog sagte: „Das mir ja niemand mit der Tabakspfeiffe hinten an den Wagen kommt.“ Ich ruf ihn an: „Warum, Herr Herzog?“ – „Hab ein Feuerwerk mitgenommen, das wollen wir heute Abend abbrennen.“ – „Gott! stehe uns bey! Da, da haben wirs. – Herr Herzog, das Feuerwerk von
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Wagen, um Gottes Willen! wo meine Bitte noch etwas vermag?“ – „Kind, mein Mann verstehts, damit umzugehen.“ – „Kann seyn, aber mein Bruder ist naseweis – ich kenn ihn – mein Traum wird wahr. Um Gottes Willen, Herr Herzog, das Feuerwerk weg.“ Mein Bruder kommt dazu. [380]
„Was, Teufel, ist das für ein Lärm.“ – O wie gern hät ich’s vor ihm verschwiegen, aber Herr Herzog sagte es ihm. – „O das ist vortreflich, das haben Sie schön gemacht – das ist herrlich! Wie wollen wir die Racquetten702 steigen laßen“ – – „Ja, und uns herrlich und schön die Finger verbrennen!“ – „Poßen!“ – „Carl!“ – „Ey was! Weibergeschwäz. – – Und dein Traum?“ – „Nicht?“ – „O über euch Weibsleute.“ „Carl, Carl, wo du mich lieb hast, bleib davon“ – – „O ja, hab dich lieb, aber Herzog und ich brennen heute Abend das Feuerwerck ab.“ – Voll Unmuth warf ich mich auf meinen Siz und weinte. – „Da, da haben wirs. Das war ein unglüklicher Gedanke von Ihnen“ – er versprach mir, wie wir weiterfuhren, alles allein abzubrennen, Carl solte nicht dabey seyn. Nun hofte ich, das noch einmal angehalten werden solte, und war willens, heimlich den Kasten von den Wagen zu nehmen. Aber wir fuhren nun in einen weg und kamen, als es anfing dunkel zu werden, auf den Zollenspicker. Das verdamte Feuerwerk wurde in die Stube gebracht und ausgepackt. Für uns deckte man die Tafel, und wir sezten uns zu Tische – wenig wurde getrunken. Meine Predigt voll Warnungen hob sich von neuen an, und alles, was ich mich von Kindes Gebeinen erinnern konnte, daß ich durch Pulver und Schiesgewähr und Feuerwerken erlebt und mir sagen laßen, kam in mein Gedächtniß und wurde Carln vorgesagt. – Der aber blieb bey seinen Späßgens – und seinen: Weiberschnak. – Kaum aß er sich mit Herzog satt; und gingen an die Elbe und richteten an Pfähle ihr Feuerwerk auf. – Ein Bauer sagte es dem andern, und in kurzen stand das ganze Dorf im Greiß beysammen zum Zusehen. Madame Herzog, Herr Kummerfeld und ich wurden gerufen, und wir sezten uns alle 3 auf eine kleine Anhöhe, wo eine Bank stand. Sie hatten mich beyde [381]
in der Mitte – ob ich wirklich nichts mehr vom Feuerwerk weiß, oder ob die Bauern uns alles Sehen durch ihr Vorstehen verhinderten, genug, ich sah nichts! Oder ob ich zu gedankenvoll war – als ich auf einmal die Stimme meines Bruders hörte, der schrie: „O Jesus, meine Hand! – O Jesus, meine Hand. O Jesus, meine Hand.“ – Noch war ich wie im Traum. – Die Herzog, Kummerfeld sprangen auf. „Was ist das“ – „Ach“, sagte
702 Raketen.
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ich, „will mir einen Schrök machen, weil ich so Angst war“ – das Geschreu nahm zu. „O Jesus, meine Hand“ – das Echo gab den fürchterlichsten Wiederhall – ich ruhfe: „Carl, ist dir was“ – man schrie: „O Jesus! Meine Hand ist fort!“ – Und ich sank sinnloß703 zur Erde. – Als ich meine Augen wieder aufschlug, graute bereits der Tag. Ich lag auf Stühlen, wo man einige Betten hingelegt. – Beyde Ärme verbunden – Eßig um die Pulsadern geschlagen – „Ach, sie lebt, sie lebt wieder“, schrie die Herzog, Kummerfeld und die Wirthin von Hause. – Kaum konnte ich mich besinnen, wo ich war. – „Was ist die Kloke?“ – „4 hats geschlagen.“ „Wo bin ich?“ „Seid 5 Stunden liegen Sie hier – gottlob, Sie leben, unser Schulzele lebt.“ – „Aber Carl – Carl – hat Carl nicht Schaden genommen.“ Alles weinte – – „Wo, wo ist Carl? Tod! Tod! Auch tod. Carl, Carl! Mein Carl, mein Bruder!“ – Herzog kam ins Zimmer und frug nach mir – „Gottlob!“ schrie er, „leb[t] sie“ – „Ja“, antwortete man. „Ach, Ihr Bruder schreut nach Ihnen – will Sie sehen, durchaus sehen. Er glaub[t], Sie wären tod – oder wolten ihn nicht mehr sehen“ – „Ach, bringt mich zu ihm“ – man trug mich, ich konnte nicht gehen. – Allmächtiger, welch ein Anblick – mann hatte in der Eile ein Lager von Stroh gemacht und einige Betten darauf geworfen. Alle voll Blut, Carl [382]
lag in wüthenden Schmerz, warf sich herrum wie ein Rasender. Als [er] mich bringen sah, streckte er die zerschmetterte Hand, die verbunden war, mir entgegen, schrie –CXXX – –CXXXI „Carline! Carline.“ Ich warf mich zu ihm auf sein blutiges Lager. Er umklamerte mich – „Ach Gott – Gott – Carline“. Ich glaube zu vergehen. Ihn Vorwürffe zu machen, konnte ich nicht. – Ach! Er war ja gestraft genug an dem, was er litt! – Er mußte nun schrecklich fühlen, was er durch mich nicht hören – sich nicht durch seinen guten Engel, der mich sich bediente, wolte warnen, sein Unglük vorherzusagen. – Alles weinte in unser Leiden, aber helfen? seinen Schmerz lindern, wer konnte das? – „Ach, die arme blutjunge Frau, wie jammert uns die“, schrieen und heulten die guten Landleute und die Wirthin untereinander. – „Wen meinen Sie“, frugen Herzogs. – „Nun, da, die junge Frau bey ihren Mann, wenn es ihr nur nicht schadet“ – „Ach, das ist keine Frau, es ist Bruder und Schwester“ – „Bruder? Schwester? – Und solche Liebe? – Wir dachten, es wären junge Eheleute, die sich nicht lange genommen.“ Bruder? Schwester? – Bruder? Schwester? Ich mußte mich ergern. – Also lieben sich im Unglük Bruder und Schwester hier nicht? – Muß Mann und Weib seyn? Nein, so, so nicht. – Die Herzogin und ihr Mann, Kummerfeld, alle baten mich, den Anblick, wie Carl raste, zu verlaßen. „Sie mißen Ruhe haben.“ – Ruhe, ich – ich? Man brachte mich fort. Carl wurde auf
703 Ohnmächtig.
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einen Eber704 geschaft, Herzog und der Barbier vom Ort wolten ihn auf der Elbe nach Hamburg bringen. Madame Herzog, Kummerfeld, ich, wir fuhren langsam im Wagen zur Stadt. Gegen den Mittag kamen wir nach unser Haus. Carl war eher angelangt und lag bereits zu Bette, als ich kam. Sie haben ihn sehr scharf bewachen und halten mißen, den er wolte sich immer in den Fluß [383]
stirzen, Gott haben sie zusammen gedankt, als er erst im Haus war. Nach Herrn Dr. Dahl war bereits geschickt705. Doch was konnte er gleich sagen, noch Hoffnung geben? Den die ganze rechte Hand war nur eine Wunde. – Gott! der allmächtige, gütige Gott, der mich immer geschüzt – und wunderbahr geschizt, stärckte mich – und lies mich meine verlohrne Kräfte bald samlen. War den Montag mit auf dem Theater im StükCXXXII, nur daß ich nicht tanzte. – Der 8. Maii, als am Criste Himmelsfarttage, war eines der entsezlichsten meines Lebens. Der Docter war den Morgen nicht lange bey ihm; ich paßte solchen auf, da er weg wolte. „Docter, wie steht es? – O, sagen Sie mir nur alles!“ – Er stand einige Augenblicke an – dan sagte er: – „Kommt vieles auf heute Nachmittag an. Ob er die Hand behält oder nicht“ – „Ach Gott!“ – „Beruhigen Sie sich – wo ist Ihr Muth?“ – „Docter! Lieber tod wie ein Kripel.“ – „Wahr – doch Ihr Bruder ist jung, hat gesundes Blut. – Werde alles thun, um ihm die Hand zu erhalten, nur vor den Daumen stehe ich nicht. – Kann nicht – doch vielleicht behält er auch den. – Kommt auf seine gesunde Natur an.“ – „Sie kommen also heute Nachmittag wieder?“ – „Ja!“ „Und er wird operirt?“ – „Ja!“ – „Gott stehe ihn und mir bey.“ – Dahl fuhr fort. Ich in mein Zimmer, die Haube von Kopf und in die Stube geworfen und raufte in den lange Haaren – o Mutter, siehe deinen Sohn. – Wie du dich freutest, das wir unsere gesunden Gliedmasen hätten – – da, da, sieh! Will mit den Kopf an die Wand, als Carl zu mir in mein Zimmer tritt wie ein Gespenst. – Starr stand ich da und sehe ihn an. – „Was fehlt dir?“ – „Nichts!“ – „Nichts? Das mach einen Narren weiß und nicht mir. – Hast mit dem Docter gesprochen; was sagte er?“ – Nun war guter Rath theuer. Doch ich, die ich schrecklich auffahren konnte, hatte nun einmal die Gnade von Gott, daß ich mich ebenso schnell wieder faßen konte. [384]
Und mein guter Engel, der mich immer geleitet, mußte mir wohl selbst die Worte, die ich sprach, im Munde gelegt haben, um nicht eine Brudermörderinn zu werden. Ich 704 Ewer: Ein Segelschiffstyp mit Flachkiel und ein oder zwei Masten. 705 Da Dahl 1760 mit einer chirurgischen Arbeit „De humeri amputatione ex articulo“ promoviert worden war, wird er auf dem Gebiet ein ausgewiesener Fachmann gewesen sein; s. o. HHS, Anm. 643.
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sagte also: „Carl! Faß dich – sey ein Mann. Du wirst heute nachmittag operirt. – Du weist, welche schreckliche Abscheu ich habe vor alle Operationen – Kann ja weder an mir selbst, noch an andern sehen, wenn man nur eine Ader schlägt – liegt in meiner Natur. – Nun, da ich mich so fürchte, ist die Angst, die ich deinetwegen leide, weil es nicht ohne die entsezlichsten Schmerzen abgehen kann, die Ursach, daß du mich so jezt gefunden, wie ich bin.“ – „Ists das alles?“ – „Ja, Carl! Würde dir es sonst sagen! – Wärs nicht meine Schuldigkeit, dir zu sagen, Carl! Du must den Daumen – oder wohl gar die Hand verlieren? – Was wählst du? Als ein Kripel herrumzugehen? Oder zu sterben? – Müßte ich’s dir nicht sagen?“ – Carl sah mich steif an. „Also ists gewiß! – Nehmen sie mir heute nicht die Hand ab?“ – „Nein.“ „Behalte ich sie?“ – „Ja!“ – „Schwör mirs zu, ob das wahr ist? – Ob das alles ist, was der Docter gesagt.“ Und er reicht mir seine Linke hin. In der Angst schreie ich, indem ich ihm meine Rechte reiche: „Ja, es ist wahr! So wahr mir Gott helfen soll!!!“ – „Nun glaube ich dir – und es ist gut.“ – Nie hatte mein Bruder von mir eine Lüge gehört – nie! Noch viel weniger einen falschen Schwur. – Grosser Gott, vergieb es mir – ja, den Tag schwur ich falsch – doch Gott selbst wolte es und machte diesen falschen Schwur zum Segen über Carln und mich. Carl, der mich mit dem Docter reden hören, aber nicht alles verstehen konnte, aber fest glaubte, das man ihn die Hand abnehmen würde, wolte lieber sterben als sich martern oder zum Kripel und Bettler werden. Holte seine Pistole und ladete solche mit der linken Hand sehr scharf und legte sich solche zurecht. – Nun wolte er von mir die Gewißheit vernehmen; sagte ich ja, so war er entschloßen, sich die Kugel durch den Kopf [385]
zu jagen. Carl ging beruhigter in sein Zimmer, als ich in den meinigen zurükblieb. Zum Eßen hatten wir beide wenige Lust. Kaum war der Mittag vorbey, als Mamsell Klara von Ackermanns zu mir kam, und kaum war ich mit ihr allein, als sie anhub: „Wie sehr bedauere ich Sie. Wie der Herr Dr. Dahl von Ihnen wegfuhr, kam er zu uns, und ich will Ihnen nur sagen, daß er zu Madame Ackermann gesagt hat: Das er heute Nachmittag Ihren Herrn Bruder die Hand abnehmen würde. – Wolt es Ihnen nicht sagen, weil Sie zu sehr erschroken war[en]“ – – – „Und so sagen Sie es mir!! – Gott stehe mir bey! „Noch bis jezt hatte ich Hoffnung, nun keine, keine mehr?? Ach, mein Carl, mein Carl – – mit jeden Augenblik mehrte sich meine Angst. – Der Docter kam, mit ihm Herr Böck706, und Gott mag es wißen, wer noch alles – ich weis es nicht. Man wolte mir zusprechen, aber alles war vergebens – ich sagte wieder, was ich gehört; der 706 Bevor er sich 1762 als Schauspieler der Truppe von Ackermann anschloss, hatte Johann Michael Boeck als Barbier und Wundarzt gearbeitet; Hans E. Hirsch, Johann Michael Boeck (1743–1793). Ein Kapitel aus der Theatergeschichte des XVIII. Jahrhunderts, Phil. Diss. München [1931].
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Docter versicherte, es sey nicht an dem – aber ich glaubte niemand. Die Operation solte in meinen Zimmer, das heller war wie Carl seyns, vorgenommen werden. Ich lief herraus und verstekte mich vor Carl, das er mich nicht sehen solte, und dan ging ich in seyn Zimmer. Besuch war da, aber wer da war? Das weis ich auch nicht mehr. Stille saß ich und weinte. Auf einmal hörte ich ein Brüllen. – Was ist daß? Wird ein Ochse geschlachtet? – Ist den heute nicht Feuertag? – Ha! Carl! Carl, ich erkante nun seine Stimme. – Ich war in Verzweiflung! Ohne zu wißen, was ich that, zerriß ich mein Kleider, mein Hemt, meine Hauswirthin kommt auch auf das Cedergeschreu zu mir ins Zimmer. Alles sties und schlug ich von mir, mann überweltigte mich und schleppte mich in mein Schlafzimmer und warf mich ins Bett. Carl konnte, den Schmerz ausgenommen, ohnmöglich das leiden, was ich litt. Er schrie, [386]
das alle Menschen auf der Straße zusammenliefen, ich schrie, das alle Nachbarn in ihre Höfe liefen. Ich war meiner nicht mächtig, die Angst meiner Seelen war zu groß. – Ich, die ich nie einen Fisch töden oder einen Hahn den Hals abschneiden sehen konnte – kein Vieh martern, keine Fliege oder Schmetterling als Kind an eine Nadel steken sehen konnte, ohne zu weinen – um meinen Bruder – meinen Bruder, den ich mehr wie mich selbst liebte, diesen nun unter dem Hänk[er], unter dem Meßer – sein Geschreu, sein Schmerz – Hand, Hand ab. – Und Blut wie meins? – Ja, das mußte, das konnte sich nicht anders benehmen. – Über 2 Stunden tobte ich so fort, und wär ich allein gewesen, ich würde mir das Gehirn eingerand oder mich zum Fenster hinnuntergestürzt haben, ohne es selbst zu wißen, was ich thäte – Herr Böeck suchte mich und erschrak nicht wenig über den Zustand, worinnen er mich fand. Er wolte sprechen, aber zum Wort kam er nicht – „Fort, fort, alles fort von mir, will nun nichts mehr wißen, habt meinen Bruder zum Gripel gemacht. – Oder ist er tod“ – – „Nichts! Nichts von allen. Faßen Sie sich. Ihr Bruder lebt, hat seine Hand und verlangt nach Ihnen.“ – Alle meine Stärke, mit der ich rumschlug, war weg – ich erwachte wie aus einen schweren Traum. – „Hat die Hand noch?“ – „Ja!“ – „O mein Gott! Mein Gott. Ists wahr?“ „Ja, kommen Sie nur. Er sehnt sich nach Ihnen – wünscht Sie“ – „Ja gleich“ – – aber ich hatte nicht die Kraft, mich aufzurichten. Man half mir – nun sehe ich erst, das ich halbnackend da saß. „Herr Jesu, wie sehe ich aus? – Was ist daß.“ Meine Hausfrau warf mir einen Mantel über: Meine Kräfte waren alle erschöpft. Man hub mich auf und brachte mich zu Carln geschlepp[t], den gehen kon[387]
te ich nicht. Welch Anblick, als wir uns ansahen. Wir hungen einander um den Hälsen und weinten. „Wie ist dir?“ sagten wir beyde in eins. – „Da, sehen Sie die Hand“, sagte
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der Docter und wies auf den Tisch, wo ein Stick wild Fleisch lag, das sie ihm aus der Hand geschnitten – „Carl behält seine Hand? Auch den Daumen?“ – „So Gott will! – Ja! Ja! Alle Hofnung ist da. Nur werden Sie nicht krank, das Carl seine gute Wärterinn behält – ja, dann seh’s schlim aus.“ – „O, das wird Gott verhüten.“ – „Viel fehlt nicht mehr, und Sie müßen was brauchen, heute mißen Sie beyde Ruhe haben, das war ein heißer Tag.“ – Wohl heiß!! Carls Nacht wie die meinige war ruhig. – Ich blieb durch Gottes gütiger Hilfe gesund, und Carl war außer Gefahr und tanzte, obgleich nicht mit der Stärke wie sonst, schon den 26. wieder auf dem Theater mit707. Gott und der großen Geschicklichkeit seines Arztes hatte ers zu danken. Glüklich wurde die Hand wiederhergestelt, ohne sehr unförmich zu werden, und konnte solche, wie sie erst ganz beßer war, ebenso wieder gebrauchen wie vorher. NB NB708. Unsere Freunde thaten alles, um uns, was wir ausgestanden, vergeßen zu machen. Nun erst lernte ich alle Vorzüge, die Hamburg vor so vielen Städten in Deutschland hat, kennen. – Will mich darüber in keine Beschreibung einlaßen, den wer weis es nicht? Und alles, was ich von denen herrlichen und zum Theil paradiesischen Gegenden und Aussichten sagen wolte, 707 Am 26. Mai 1766 wurde in Hamburg das pantomimische Ballett Der verjüngte Greis gegeben. Vorausgegangen waren das Lustspiel Der Mann nach der Uhr von Theodor Gottlieb von Hippel d. Ä. und das Nachspiel Der Hintergangene Vormund von Filippo Nicolini; Eichhorn, Ackermann, S. 248. 708 Am Rand: NB NB die beygelegten Blätter mit einzurüken als Note. Es handelt sich um zwei zwischengeheftete Blätter, deren Seiten nachträglich mit Bleistift als [386a, b, c, e] paginiert sind ([386 b, c, e] sind unbeschrieben, [386d] fehlt). Der Text, offenbar ein Dialog zwischen Karoline und ihrer Mutter, setzt mitten in einem von ihrer Mutter gesprochenen Satz ein. Vermutlich fehlt hier ein erstes Blatt, auf dem ein Zusammenhang hergestellt wird zwischen Karls Handverletzung und einer Verletzung, die sich einige Jahre zuvor der Tänzer Friedrich Karl Koch wohl in einem Duell mit Karl Schulze zugezogen hatte. Koch war von 1756 bis 1763 bei Ackermann, also im gleichen Zeitraum wie der hier ebenfalls genannte Karl Mylius. In beiden Fällen hat Karoline ihrer eigenen Darstellung zufolge im Voraus von dem Unglück geträumt. Der Text der Note lautet: […] läßt den Degen sinken und sagt: Ich habe genug. Die Sache sey vergessen. Carl half ihm den Arm verbinden, und so kehrten sie nach dem Dorf zurücke, ohne das Milius [Karl Mylius] und Mischo [nicht ermittelt, vielleicht Michaud?], die bey dem Wein sassen, was gewahr worden. – Denke, welch ein schlechter Kerl. – Er war reisefertig. Wenn Carl nicht nichtern gewesen, welch Unglük hatte daraus entstehen können?“ – Ich: „Sonderbar, das Koch ohne Rock und Weste im Hemde dastand. – Da, Mama, haben Sie Ihre Brille, und hier lesen Sie, was ich diesen Morgen geschrieben.“ Damit reichte ich ihr die Rolle hin. – Sie las und sah mich starr und stum an. – „Das heute meine Angst. (Ich erzählte ihr meinen Traum). Das, warum Carl nicht mit Koch gehen sollte“. Wie wir beyde Gott dankten, darf ich nicht wiederholen, jeder, der dieses liest, kann es sich denken. – Jezt, nach so viele Jahren, wo sich so vieles in der Welt geendert, kann es vielleicht auffallen, daß sie sich mit Degen schlugen? Wo sie solche hergenommen? Darauf muß ich antworten, das in denen Jahren keiner, der [gestrichen: die] einen Degen tragen durfte, nicht ohne denselben würde von einen Haus in das andere gegangen seyn. Freilig ist der Gebrauch [gestrichen: bis] nun gänzlich aus der Mode gekommen. Zur Gesetzgebung für das Tragen von Degen s. Krünitz, Degen=Tragen; um 1780 geriet das Tragen von Degen aus der Mode.
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würde doch meine Feder zu schwach seyn. Kurz, es hatt alles für den Reichen, für den Mittelsmann und selbst für den Armen. Dem bleibt der herrliche Wall709. – Nun sah ich solchen erst, und wenn ich sogleich nach dem Tod meiner Mutter fortgereißt wär, mit der Unwißenheit, als wie ich bis dahin gelebt – und nie wieder hingekommen, weis ich nicht, was die von mir gedacht haben würden, die auch da gewesen und mich um Hamburg befragt hätten? Wirklich lebte ich nun einige [388]
Wochen in und mit den kleinen Cirkel meiner Freunde recht vergnügt. – Doch ich sollte in Hamburg nicht vergnügt seyn, wenigstens nicht mehr ganz. Es kamen Schrieften, Kritiken – oder vielmehr Basquille710 auf Ackermann sowohl wie auf seine ganze Gesellschaft herraus711. – Nur die einzige Madame Hensel wurde verschont. Man hätte sehr kurzsichtig seyn mißen, wer nicht hätte merken kennen, das solche von einen Freund von ihr wären geschrieben worden. Diese Frau, die gewiß unendlich viele Verdienste in Ansehung ihrer theatralschen Kentniße hatte, war doch eben so gut wie wir alle nicht ohne Fehler. Doch auch ihre Fehler sah man nicht, wolte sie nicht sehen und machte auch solche zu Schönheiten. – Ich machte mir aus allen denen schiefen Beurtheilungen vielleicht am wenigsten, weniger wie die andern, nur blieb ich stehen bey dem allerersten, das mich nun von neuen anfing zu verdriese[n], weil das eine alle die andern nach sich zog und gezogen hatte. Mich reute es nun von ganzen Herzen, daß ich den Herrn 709 Die 1616–1628 geschaffene Befestigung (Wall) wurde seit Anfang des 19. Jahrhunderts bis 1826 geschleift und in Grünanlagen umgewandelt; Hamburg Lex, S. 515. 710 Pasquille: Schmähschriften. 711 Gemeint ist das von Johann Friedrich Löwen anonym verfasste „Schreiben an einen Freund über die Ackermannische Schaubühne in Hamburg“, Hamburg und Leipzig 1766. Über Kummerfeld heißt es darin (S. 16 f.): „Mademoiselle Schulz aus Wien, eine junge Actrice von großen Talenten, die es in ihrer Kunst einmal zu einer hohen Vollkommenheit bringen wird, wenn sie sich nicht durch Schmeicheleyen verführen läßt, sich schon für vollkommen zu halten. Nicht, als ob sie nicht jetzt schon große Lobsprüche verdiente; aber das Lob wird einer jungen und artigen Actrice so verschwenderisch zugemessen, daß eine mehr als gewöhnliche Selbsterkenntniß dazu gehöret, um das verdiente von dem unverdienten zu unterscheiden. – Sie ist klein und ziemlich stark, aber sie weiß sich vortheilhaft zu tragen; ihre Gesichtszüge und Stimme hat sie ziemlich in ihrer Gewalt. In Lustspielen sind die Coquetten ihre Hauptrollen, und überhaupt gelingen ihr alle muntere Rollen sehr gut. Die Roxelane im Solimann II. macht sie unverbesserlich. In ernsthaften Rollen ohne Affekt ist ihr Ton bisweilen zu gedehnt, und am unrechten Orte feierlich. In Trauerspielen ist die unterdrückte Unschuld der Charakter, dem sie am vollkommensten Genüge leistet. Sie macht die Ines von Castro schön; die Arrica in der Phädra vortreflich; die Miß Sarah Sampson macht sie in einigen Auftritten ungemein gut, andere aber, insonderheit solche, worinn Leßing sie viel declamiren läßt, mißlingen ihr. Doch dies ist vielleicht mehr ein Fehler des Stücks, als der Schauspielerinn. – Sie tanzt auch, und es fehlt ihr nicht an Kunst.“ – Zur Kritik an Ackermann und seiner Gesellschaft s. a. Eichhorn, Ackermann, S. 83 f.
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Sindicus gefolgt. An so vielen Orten, wo wir Ackermann Brod verdient und alle zusammen in dem Ruhf standen, das die Ackermannsche Geselschaft eine der ersten ist; – wo gewiß in keiner Gesellschaft Deutschlands solcher Fleis, Eiffer und Unverdroßenheit geherrscht – und gewiß auch Einigkeit, so lange Madame Hensel von Ackermann weg war, die nun einmal den Fehler hatte, das neben ihr keiner gefallen sollte. – Sie wolte alle[i]n glänzen; – sie allein die Leute ins Theater bringen. – Das ganze Publickum war Ochsenzeig in ihren Augen, wenn solche ein Stück ansahen mit Beyfall, [389]
in welchen sie nichts hatte. – Und war, wenn solches zwey und 3mal wiederholt wurde, das Haus voll – ja, dann war der Teufel vollends los. – Solch ein elendes Stück! – Dem Verfaßer und Zuschauern blieb gewiß für keinen Heller Ehre. – Nun wolte sie abdanken – fortgehen von solchen dummen, undankbaren Publikum. – Gar nicht mehr spielen, ihre besten Rollen verhunzen. – Und (so eine gewiß große Schauspielerinn, wie sie war) so verhunzte sie jede Rolle, die ihr nicht anstand. Schon war in ihren Ausdricken der Autor unter den mittelmäßigsten, wenn in einen neuen Stück zwoo oder drey Frauenzimmerrollen gewesen, die alle zwoo oder drey gleich gut waren. – Inzwischen war und blieb das Publikum nur infam und Ochsen, Esels, undankbar, ungerecht, wenn solches der Nebenschauspielerinn auch aplaudierten. – Ja, wenn eine Alte, Mutter, Tante oder Kuplerinn darinnen war, die durfte ablaudiert werden, und dan stand Autor und Publikum in Gnaden das ganze Stück durch. Ich, die ich sie nun ganz in ihrer Schwäche kannte, handelte gegen ihr weit großmithiger, als sies wahrlich an mir verdient hatte. Nicht selten zogen ihr das Aplaudißement anderer Mutterbeschwerden712 zu, so das sehr oft andere Stücke mußten in Eile gegeben werden, weil Madame Hensel krank geworden. An alle meine Freunde, die ich kannte, ging also die Bitte von mir: Ich mag spielen, so gut ich will, rierth für mich keine Hand. Sie versprachens, und es gescha. – Mein Stolz wär gekränkt gewesen, wenn eines von denen, mit welchen man wuste, das ich Umgang hielte, mir Beyfall zugeklatscht hätten. Nie ist wohl vor Madame Hensel oder mit ihr zugleich damals noch eine Actrice in der Welt gewesen, die sich so oder mehr an alle Neben-, gute [390]
und junge Actricen versündiget hatte wie sie. Nur nach der Zeit bekam sie eine würdige Nachfolgerinn, sowohl in ihrer Kunst als in ihren Neid. Oft hatte ich Lust zu sagen: 712 Mutterbeschwerden oder Mutterbeschwerungen, auch passio hysterica genannt. Diese auf hysterischen Zuständen oder Gemütsverstimmungen beruhende Krankheit kann sich beispielsweise in schmerzhaften Blähungen der Gebärmutter äußern.
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„Herr Ackermann, sehen Sie sich an meiner Stelle nach einer andern um.“ – Doch weil ich mich besann, daß das eben der Wunsch von Madame Hensel gewesen wär, wolte ich ihr nicht die Freude machen. Troz allen ihren Anstifften und Schreiben überzeigte es mich nun mehr erst von meinen großen Verdiensten. – Den wär ich nur mittelmäßig, nicht einmal schlecht gewesen, so würde sie ruhig und zufrieden gewesen seyn. – Da ich aber die Einzige war, die die Waagschale gleich hielt – ja, eher bey mir, als bey ihr noch das Übergewicht bekam, so mußte sie sich nach ihren neidischen Herzen auch so geberthen. Inzwischen kann man leicht denken, welch ein Gährung unter der ganzen Gesellschaft war. Wie alles sich Mühe gab, den Schurken zu en[t]decken, der das Zeigs so recht, nicht, um uns alle zu beßern, nein, uns zu krenken und zu beschimpfen, hinschmierte. Der Argwohn fiel auf dem Sekretair Wöwe713; und die Ursach war, weil sein Schwager, der „ewig jung“ genante Schönemann714 – (den auch in die vierzig Jahren hies der noch jung, weil er nie aus den Gan715 gekommen), kurz, der dumme, erbärmliche Pursche war aus Schwerin gekommen und stack immer auf dem Theater, sowohl bey Proben als Comödien. Nun wurde verschiedenes, was der eine und andere gesagt hatte, gedrukt, also hies es: Das ist der Spion, trägt alles über, und Löwe läßts druken. – Ich war die Einzige, die Löwens Partey nahm. Konnte nicht denken, das ein Mann wie er, der mir in dem Hause bey Herrn Bubbers so viel Verbindliches gesagt, mich so sehr um meine Freund[391]
schaft gebeten, das der so ein abscheuliger Schurke sein solte. Ich glaubte es nicht und hatte darieber mit manchen Streut. Nicht lange dauerte es, als ein neues Bubenstick herraus solte. Der Frieser, Fersen716 hies er (wo mir recht ist), der meinen Bruder und die ganze Gesellschaft als Theaterfriser friesirte. – Nur mich nicht, den so viel gab ich 713 Gemeint ist Johann Friedrich Löwen. 714 Karl Heinrich Schönemann (* wohl vor 1732), Sohn des Prinzipals Johann Friedrich Schönemann, Bruder von Löwens Ehefrau Elisabeth Lucia Dorothea geb. Schönemann. Nach Hans Devrient hatte Karl Heinrich Schönemann zunächst in der Gesellschaft seines Vaters mitgespielt. Später betätigte er sich in Schwerin als Pferdehändler und war kurze Zeit als Bote in herzoglichen Diensten. Insgesamt lautet das Urteil Devrients: „Ein verzogenes Bürschgen; als Akteur unbedeutend“ (S. 279). „Er hat später dem Vater noch schwere Sorgen gemacht“ (S. 294); Hans Devrient, Johann Friedrich Schönemann und seine Schauspielergesellschaft. Ein Beitrag zur Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts, Hamburg/ Leipzig 1895, ND Nendeln 1978 (Theatergeschichtliche Forschungen 11), S. 8, 279, 293–295; Benezé II, S. 207. 715 Damit ist wohl Kahm/Kahn gemeint, ein Schimmelpilz in Essig, Wein, Bier etc. „Nie aus dem Kahm kommen“ dürfte dann sinngemäß bedeuten: „Nicht aus dem Quark kommen“, d. h. nicht vorankommen, schwach und antriebslos sein, was auf den jungen Schönemann allem nach zutraf. 716 Friseur Fersen: Nicht ermittelt.
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nicht aus, den mich hatte der Mangel an Geld gelehrt, mein eigener Frieseur zu werden. – Und nun wärs für mich Verschwendung gewesen, für etwas Geld auszugeben, daß ich ebenso gut konnte, wie es damals Mode war. Der sagte eines Morgens zu mir, er wolte mir was sagen, wen ich ihm nicht verriethe. Käms raus, so brächte ich ihm um sein Brod. – Gab ihn mein Wort. Der erzehlte mir den: Was Madame Hensel für eine abscheuliche Creatur sey. – „Wahr, sie bezahlt mich gut, und ichCXXXIII hab neulich erst einen Ducaten von Herrn SeylerCXXXIV 717 bekommen, Madame eine Maske zu kaufen, die sie vors Gesicht nehmen soll, damit ihr der Puder nicht schaden soll. – Aber sie machts zu doll. Auf ihren Puztisch liegt ein Epigram, da heist die Überschrief[t]: An die beste kränckliche Actrice.“ – Nun sagte er mir die 6 oder 8 Zeilen, die es hatte, die ich abschrieb – aber ich habe solche verlohren, der Inhalt war ohngefehr dieser: Das Wiener Theater bey Schuch und Bernardon, als Herr Kurz718, hätte so viele schlechte Schauspieler, wo es gut wär, wenn die stürben. – Warum den immer eine so vortrefliche Frau wie Madame Hensel müßte krank seyn. – Und wer keine da, die der Tod hinnehmen wolte, so hies es: Raf die weg, die man schlecht als Sara sterben sah. – Das solte den auf mich gehen. Und man dachte, weil Madame Henseln zu oft gesagt hatte, daß [392]
das ihre liebste Rolle gewesen, solche aber von mir gespielt wurde und gewiß, solange ich da war, nicht zu spielen würde bekommen haben, daß ich ihr solche hurtig abgeben würde. Noch war das Epigram geschrieben. Der Friseur hatte es nach und nach auswendig bey Madame ihren Puztisch, nicht wörtlich, doch den Inhalt gelernt, und ich wollte nur abwarten, ob es auch gedrukt zum Vorschein kommen würde. Schwieg also ganz still. – Nur wundert mich, das diese große Schauspielerinn von mir in der Sara nachher so viel copiret hatte. Eine Stelle, wo ihr der große Leßing in seiner Dramaturgie so ein großes Compliment gemacht, in der Sterbescene, ist von mir719. – Ich,
717 Abel Seyler (1730–1800), Kaufmann, Schauspieler, Theaterdirektor. 1772 heiratete er Friederike Sophie Hensel. 718 Bernardon ist der Künstlername von Johann Joseph Felix (von) Kurz und zugleich eine von ihm geschaffene komische Bühnenfigur. 719 Miß Sara Sampson von Gotthold Ephraim Lessing. – Im 13. Stück seiner Hamburgischen Dramaturgie vom 12. Juni 1767 schreibt Lessing: „Madame Henseln starb ungemein anständig; in der mahlerischsten Stellung; und besonders hat mich ein Zug ausserordentlich überrascht. Es ist eine Bemerkung an Sterbenden, daß sie mit den Fingern an ihren Kleidern oder Betten zu rupfen anfangen. Diese Bemerkung machte sie sich auf die glücklichste Art zu Nutze; in dem Augenblicke, da die Seele von ihr wich, äusserte sich auf einmal, aber nur in den Fingern des erstarrten Armes, ein gelinder Spasmus; sie kniff den Rock, der um ein weniges erhoben ward und gleich wieder sank: das letzte Aufflattern eines verlöschenden Lichts; der jüngste Strahl einer untergehenden Sonne. – Wer diese Feinheit
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die ich bey so vielen Sterbebetten war, nicht bey meinen Eltern allein – nein, schon in meiner frühen Jugend. Den wenn ich alle, alle Begebenheiten und Anectoten hier abfaßen wolte – wenn, wenn würde ich fertig werden? Ich habe, um in meiner Kunst zu werden, was ich war, alle Stände, alle Menschen, alle Auftritte, Leidenschaften, kurz, alles an andern studiert, nachgedacht und behandelt. – Sogar die Tollhäuser720. – – Welchen Nuzen ich davon gehabt, beweißt bey unpartheyischen Kennern, wie weit ich es in meiner Kunst gebracht. Ich habe Menschen studiert, nicht auf dem Theater – nein, wie sie in der Natur waren, nur solche verfeinert; so, wie auf dem Theater auch ein Bauernmädchen seidene Schue und Strümpfe anhaben darf und nicht, wie auf dem wahren Dorfe, barfuß gehen darf. Ich hoffe, man wird mich verstehen. Madame Hensel bestahl mich, ich, weis Gott! nicht sie. Oder ich hätte auch in der Sara die Marwood so anfahren und den Stuhl packen und an die Seite werfen mißen, das dem Zuschauer noch anfangs ungewiß war, ob solcher der Marwood an Kopf oder an die Coließe721 fliegen würde. Madame Hensel [393]
benuzte, nur ohne Kopf, eine Stelle von mir in dem Codrus722 als Philaide. Die mir meisterhaft gelang und angebracht war zuerst von mir im 3ten Act der zwesten Scene, wo Codrus die Ursach ihrer Thränen und die schle[u]nige Abreise des Medons von Philaiden wißen will? Liebe, Ehrfurcht, Schmerz, Angst und Furcht, alles hat sich ihrer Sele bemeistert. Sie sagt: „Verzeihe, Herr! wenn dich mein Wort betrübt. Verzeih, du willst es so! Er floh.“ Nun verursacht die ganze Verfaßung, in der sie ist, der Natur gemäß eine lange Pause. Das Geständniß schwebt auf ihrer Zunge – nur Angst hält es noch zurik. Endlich ist sie ihrer nicht mehr mächtig, sie fällt Codrus zu Füßen, indem sie sagt: „Weil er mich liebt.“ – Hier fühlte ich es meiner Leidenschaft richtiger angebracht, mit dem Geständniß zugleich die Verzeihung – und nicht sowohl der Verzeihung, sondern mich für strafwürdig zu bekennen, daß ich Medon und nicht den König lieben konnte. Hier wars allso richtiger; der Situation des Edlen – der nie gefehlt – mehr angemäßen, bey dem Bekenntniß der Schuld auf die Erde zu fallen als nachher bey dem Worten: „Verzeih und gieb die Schuld dem herrschenden Geschike!
in meiner Beschreibung nicht schön findet, der schiebe die Schuld auf meine Beschreibung: aber er sehe sie einmal!“; [Gotthold Ephraim Lessing], Hamburgische Dramaturgie, Bd. 1, S. 104. – Zum größeren Zusammenhang s. Susanne T. Kord, Tugend im Rampenlicht: Friederike Sophie Hensel als Schauspielerin und Dramatikerin, in: The German Quarterly 66/1 (1993), S. 1–19. 720 Irrenanstalten. 721 Kulisse. 722 Codrus oder Das Muster der Vaterlandsliebe, Tragödie von Johann Friedrich Freiherr von Cronegk.
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etc. etc.“. So habe ich nachgedacht über mein Spiel, was sich thun und nicht thun läßt? schikt und nicht schikt, als ein Mädchen von 15 Jahren, den in Straßburg 1761 wurde Codrus zum ersten Mal von uns gegeben723. Madame Hensel, die voll Erger es sah und hörte, mit welchen großen Beyfall man die kleine Schulz deswegen beehrte und aufmunterte in ihrer Kunst, dachte nun, wo bringst du daß auch an? – Ha! in der Zayre724. Wie sie also bey der Erkennungsscene im 2ten Act ist und Lusignan zu ihr sagt: „Sprich, ich will christlich seyn“, grümte725 sie sich und drükte und preßte, als ob sie stüken726 wollte, die Worte herraus: „Ja = = Herr“ – – (puf, lag sie auf allen beyden Knieen), „ich will es seyn.“ – In Strasburg wurde die Stelle [394]
nicht so bewundert, ob sie gleich dort wie anderwerts einige überraßte727. Nirgens machte man so viel daraus als in Hamburg ihre Verehrer, in Hamburg, wo man glaubte, alle Weißheit und Kenntniß allein verschlukt zu haben728. Ohne an den wircklichen Unsinn, den Madame Hensel beging, zu denken. Da liegt sie nun zu Lusignan Füßen. Er sagt: „Nimm dieß Bekenntniß, Gott, das sie uns vorgetragen.“ Sie bleibt liegen, und der Corasmin, der Vertraute des Sultans und Feind der Christen, redet sie an: „Der Sultan schikt mich her, Prinzeßinn! dir zu sagen, du sollst den Augenblik dich diesem Ort entziehn, vornehmlich aber ganz der Christen Umgang fliehn.“ etc. etc. Und findet sie zu den Füßen eines Christen? Ja, sie stand auf, sobald sie ihn hörte. Aber nicht, da sie ihn sah. – Den wo konnte sie ihn sehen, da sie mit ihren Kopf auf Lusignans Knieen lag? Das Schnupftuch vor dem Augen? – Und Corasmin und jeder Mensch im gemeinen Leben wohl nicht eher einen anreden kann und wird, bevor er nicht auch sieht, ob der da ist, dem er was zu sagen hat? Und ich zweifle, wenn’s auch noch so ein Anfänger gewesen wär, er, um ihren Fehler zu bedeken, sich für einen Esel würde haben halten laßen: die erste Zeile seiner Rede in der Coliße zu sagen. Doch solche Streiche machte Madame Hensel unzählige – eben in ihrer so berühmten Zayre. Wenn sie in den 5ten Act abgeht mit den Worten: „Wohlan, ermuntre dich, unglikliche Zayre!“, welche mit einen sanften, doch schwermüthigen Ton, mit einer kleinen, doch unterdrükten Thräne 723 Nach Eichhorn, Ackermann, S. 54 hat Ackermann den Codrus zum ersten Mal am 1. März 1760 in Basel aufgeführt. Eine Aufführung des Codrus 1761 in Straßburg ist bei Eichhorn nicht nachgewiesen. – Karoline Kummerfeld war 1761 nicht 15, sondern 18 Jahre alt. 724 Zayre, eine Übersetzung des Trauerspiels Zaire von Voltaire. 725 Krümmte. 726 Ersticken. 727 Überraschte. 728 Sophie Hensel wurde am 1. November 1765 vom Hamburger Publikum als Zaire gefeiert; Meyer, Schröder I, S. 141; Eichhorn, Ackermann, S. 244.
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wollen und mißen nach aller Vernunft gesagt seyn, lief sie und schrie das Wort Unglickliche so zetermäßig herraus, das man sich die Ohren hätte zustopfen mögen. Und sagte es mit der Gebarthe729, Gesicht und Action wie im 3ten Act, da sie vom Orosman geht mit denen Worten: „Mein Weinen, meinen Wunsch und Abscheu und Verdruß, [395]
nebst der Verzweifelung dir nicht verrathen muß.“ Hier ist’s recht – dort aber nicht. Doch solche Schnizer machte sie unendlich, um nur ein Donnerwetter von Ablaudieren hinter sich her zu haben. – Jeden biethe ich Troz, der mir so was Unverzeiliches nachsagen kann, solange ich Actrice war. Hatte ich was zu donnern, wo es seyn mußte, ja, so konnte ich laut genug seyn, und meine Lunge vertrugs so gut wie mancher ihre. Nur troz des Lärms, den sowas macht, troz der Überraschung, die kitzelt, hüthete ich mich für unsinnige Überraschungen, die ich mir selbst nicht vergeben hätte, wenn solche mir gleich der Kenner (bey so vielen Guten, daß ich hette) durch die Finger würde gesehen haben. So bemerkte ich also mehr die Fehler, um nicht in selbe zu fallen, und blieb deswegen nicht blind bey dem Guten. So würde der, der hämisch ist, nur dabey stehenbleiben und, wenn jemand die Blätter lesen solte, glauben, Madame Hensel habe die ganze Zayre verhunzt? – Bewahre der Himmel, nein! Sie hatte unendlich mehr Gutes. – Die zwey Fehler machen noch nicht das Ganze schlecht. Im Gegentheil spielte sie solche so schön, das sie Kenner und Nichtkenner auch gegen Fehler blind machte. Wer würde auch so bößartig seyn und das nicht jeden großen Schauspieler gönnen? Nur soll er nicht glauben, er sey volkommen. Soll an den Balken denken, der ihm aus dem Augen steht, und seinen Nebenmenschen den kleinen Splitter lieber steken laßen, als solchen so unfreundlich herrausreisen, das er blind am gesunden und unbeschädigten Auge zugleich wird. Jeder, der sich anmaaßt, Theater und Schauspieler zu kritisiren, muß nicht allein geg[r]ündete Kentniße der Kunst haben, sondern von aller Partheylichkeit sich frey wißen. Thadelt, aber seid nicht boßhaft, nicht hämisch. [396]
Ich kann nicht mich allein nennen, nein, ich wolte ganze Seiten voll Schauspieler und Schauspielerinnen nennen, mit Namen nennen, die unbillige Kriticken mehr in ihrer Kunst vernachläßiget, mißmüthig gemacht, als Lob und Beyfall sie sollen stolz, oder: Ja, du bist das, was man von dir sagt – glauben gemacht haben solte. Und der unbillige Kritiker, der einen Schauspieler auf des andern Kosten lobt oder tadelt, verdiente öffendlich mit Ruthen gestrichen zu werden. Macht gegeneinander gehäßig; bringt
729 Gebärde.
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so manchen Rechtschaffenen um seyn Brod. Von allen Kritiken – da ich doch einmal bey der Materie bin, kann ich mich noch nicht von ihr trennen, obgleich das, was ich jezt sagen will, noch in spätere Jahre hingehörte, als in dem 1766., wo ich in meiner Geschichte bin. Von allen Kritiken und Beurtheilungen, die ich gelesen, weis ich keine, die richtiger und wahrer ist, als die, wo man in der „Berliner Theaterzeitung“ Brockmann730 und Schröders Hamlet gegeneinander beurtheilte731. Inzwischen war Brokmann immer der erste Hamlet. – Und ob Schröder (so ein großer Mann solcher ist!), wen er, da Hamlet zuerst in Hamburg gegeben worden, solchen vor Brokmann gespielt hätte? Bleibt immer noch die Frage: Ob Schröder mit dem Beyfall würde gespielt haben wie nachher? Brokmann und Schröder sind von denen 9 Hamlets immer die größten und werdens wohl auch bleiben, die ich gesehen. Unter 7 bleibt noch ein einziger, der solchen weder von Schröder noch Brokmann spielen sah – aber das, was von ihren Spiel gesagt wurde, benuzte und glükliche benuzte – Doch das hat Zeit, soll aber genant werden. Und so richtig diese Berliner Beurtheilung war, so hätte ich doch die Stelle vom Lorbeerkranz weggewünscht. Hab solche vergeßen, wie sie wörtlich hies. – Und die einzige Stelle giebt der Beurtheilung einen Pinselstrich, der ihren Werth verdunkelt. Und wenn Herr Brokman, den [397]
ich außer Hamburg noch nicht wieder spielen sah, die Vergleichung nicht benuzt, so kan der Verfaßer dieses Vergleichs sicher glauben, der Lorbeerkranz allein mag die Ursach seyn. – Der Künstler ist nicht anders, so wie der Mensch immer Mensch bleibt; und kan den Schlus ein jeder machen, wie behutsam man im Tadel seyn muß, wen’s unsere Absicht ist: zu beßern. Herr Schröder ergänzte die Stellen, die Herr Brokmann vergrif. – Nur vergriff. – Bleibt Fehler. – Aber konnte Schröder bey aller seiner Stärcke
730 Johann Franz Hieronymus Brockmann (1745–1812), Schauspieler. 731 Gemeint ist die zwischen 1778 und 1784 in Berlin erscheinende „Litteratur- und Theater-Zeitung“ (als Nachfolgerin des „Berlinischen litterarischen Wochenblattes“; fortgesetzt als „Ephemeriden der Litteratur und des Theaters“). Der Beitrag „Merkwürdiger Zeitpunkt bey der hiesigen deutschen Schaubühne“ über Johann Franz Brockmanns gefeierte Darstellung des Hamlet bei der deutschen Uraufführung des Stückes in Berlin erschien in der Litteratur- und Theater-Zeitung 1 (1778), S. 5–9. Dort heißt es S. 6: „Brockmann kniete nicht umsonst für Shakespears Büste, glücklich entwand er ihm einen der Kränze, die seine Stirn umflockten, und setzte ihn sich selbst auf“. Der Vergleich Brockmanns mit Friedrich Ludwig Schröder in der Rolle des König Lear (nicht Hamlet) erschien unter der „Chronik des hiesigen deutschen Theaters von 1778“ in der Litteratur- und Theater-Zeitung 2 (1779), S. 23–26. Zum Lorbeerkranz bemerkt der Kritiker S. 24: „Schröder kniete auch vor selbiger [vor Shakespears Büste], und Shakespear neigte sich gegen ihn, umwand seine Scheitel mit einem Lorbeer, den er von den seinigen nahm“.
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auch manchen Stellen den Ton, das Gesicht, Action, Ausdruk geben: die Brokmann ganz eigen waren? Auch nicht. Will nur einige kleine Worte bemerken. Wo er die erste Nachricht erhält, das man den Geist seines Vaters gesehen, wie Brokmann sagte: „Ich wollte, ich wäre dabey gewesen“. Dann: „Und ich für mein Theil will hingehn und beten.“ – Weiter: „O Gott, ich wollte mich in eine Nußschaale einsperren laßen etc. etc.“. – Das konnte Schröder bey aller seiner Kunst nicht leisten, was Brockmann leistete – und so sind mehr Stellen. Verdiente nun nicht der Lorbeerkranz getheilt zu seyn? oder, um beyden Gerechtigkeit wiederfahren zu laßen: So stand der Lorbeer auf Brokmanns Kopf in der schönsten Blüthe. Schröder nahm ihn solchen ab, sezte sich solchen auf den Kopf, und er kam zur vollen Reife. – Wie oft dachte ich: Daß ist unverbeßerlich – und dan wieder: O, das ist abscheulig. – Und Erfahrung hat mich gelehrt, das nichts so gut ist, was nicht noch beßer seyn könnte, und nichts so schlecht ist, das nicht auch noch schlechter seyn kann. – Von der Entscheidung des Guten und Beßern habe ich mich bereits erklert und Stellen gezeigt. Nun noch zum Schluß etwas von Schlechten. Ich sah in Hamburg Herrn Queqo732 in Barbier von Sevilla den Bedienten733, der immer nist, [398]
so natürlich vorstellen, das ich zweifele, ob ein anderer das nachmachen würde: Ja, manchen zog das gute Niesen ins Schauspielhaus, ob es ihm wohl einmal mißlingen kennte? Aber niemals. Ich kam weg von Hamburg und sah einen die Rolle spielen. – Nein, das ist nicht anzusehen noch zu hören. – Kurz, wenn der oft zum Vorschein gekommen wär, ich wär aus dem Parter gelauffen. Nur konnte ich mich des Einzigen wegen nicht entschließen: noch einmal den Barbier von Sevilla zuzusehen. – Kam von dem Ort weg und an einen andern, wo das Stick auch gegeben ward. – Da kam erst einer! – Der jagde mich wirklich fort, wie er kaum 3mal geniest hatte, und wie der Act aus war, kam ich wieder, um die übrigen spielen zu sehen – aber öfter als das eine Mal sah ich den Barbier nicht wieder. – – Das ist nur Niesen – aber freilich eine Naturgabe, sonst nichts – die kleinste und unbedeutenste. – Hat mich aber belehrt, nicht zu strenge oder zu geschwind ausrufen zu laßen: Das ist schlecht. – Im Grunde konnte der, der noch schlechter wie sein Vorgänger nießte: doch mehr als kleiner Schauspieler, wie der andere, der nicht so ganz schlecht wie jener nieste – kurz, er war gar nichts – damals. Ob aus bede was geworden? Weis ich nicht. Doch es ist Zeit, das ich wieder 732 Heinrich Leopold Quequo, Schauspieler. 733 Der Barbier von Sevilla oder Die nutzlose Vorsicht, nach dem Schauspiel Le Barbier de Séville ou la Précaution inutile von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais. In dem Stück gibt es einen alten, Pietro genannten, ständig niesenden Diener.
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einlenke und zu meiner eigenen Geschichte komme. Noch immer blieb der Schurke unentdeckt – kroch wie ein blinder Maulwurf umher und verwüstete Ackermans Garten, an dem so lange mit so vielen Fleis und Kosten gearbeitet war. Mein Bruder und ich hatten unsern freundschaftlichen Cirkel zu uns geladen, und wir wolten zusammen lustig seyn. Mein Eßen, das ich den Abend haben wolte, lies ich zum Theil aus dem Haus machen. Alle sind in meiner Stube frölig und ver[399]
gnügt, mein Eßen wird gebracht vom Koch, wie ich die Schüßeln abnahm, so hatte man, um die Serviette nicht fettig zu machen, Papier auf den Braten gelegt. Gewohnheit oder Neugirte, was es war, Papiere, die gedrukt oder beschrieben waren, immer nachzusehen, was darauf stand, und wens auch noch so ein kleines Stükgen war, das mir auf die Art in die Hände kam, bewog mich auch damals. Es waren Zeitungen, sehe solche an, und siehe: Da ist dieselbe, in welcher ich daß nun gedruckt lesen konnte, was ich vor so manche Wochen abgeschrieben erhalten: „Freye Nachrichten aus den Reiche der Wissenschaften und der schönen Künste. 8tes Stük“, Hamburg, den 21. Februar 1766. „Tryumph! Tryumph!“ kam ich ins Zimmer gesprungen und sang mit der Zeitung, die durch die fetten Kapaunen erst Fett und Salz bekommen und davon triefte. „Freut euch mit mir – da habe ich nun den Schurken unvermuthet endeckt.“ – „Wen?“ „Den Kritikenschreiber – da, da ist er. Wer schreibt die Zeitung? Wer giebt sie herraus?“ „Wißens nicht!“ „Nicht? Fort! Fort, keiner bekommt eher einen Bißen zu eßen, das muß ich erst wißen.“ Hurtig nimmt einer die Zeitung und damit fort, kommt wieder und sagt: „Löwe!“ – „I, du infama Kanallge! Ist noch so ein Schuft auf Gottes Erdboden? – Hab ich den Kerl je was zu Leide gethan? – Komm nach Hamburg, solst an mich denken.“ – – Meine Freunde waren mir alle zu lieb, als daß ich weniger munter hätte seyn sollen, und mein langer Wunsch ward endlich erfült. Wir blieben frölig beysammen bis späth in die Nacht. Den Morgen kam ich mit meiner Zeitung zur Tanzprobe und nannte nun öffendlich Löwen das, was er war. Sein Herr Schwager734, der auch in einen Eckgen stand und spioniren wolte, dem zog ich vor und ersuchte ihm als seines [400]
Herrn Schwagers Packesel, nur brühwarm zu berichten, daß er nicht mehr blindschleichen dürfte, das wir ihn nun kennten, solte machen, das er nach Hamburg käm, damit wir nun alle unsern Spaß mit ihn haben könnte. Der alte Junge wuste nicht, wie er vom
734 Karl Heinrich Schönemann.
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Theater kommen solte, und war bange vor seine schiefe Knochen, das die etwa unter den Händen der Tänzer gerathe[n] könnten oder noch s[ch]iefer gemacht werden. Er wählte also den besten und kürzten Weg, lief davon und lies sich bey keiner Tanzprobe mehr sehen. Herr Löwe, dem seine oekonomischen Umstände nöthigten, wagte seinen Rüken, den auch der Hunger thut weh und kan nicht so bald geheilt werden wie blaue Flecke, kam nach Hamburg. Er schlich herrum, wie jeder schleicht, der kein gutes Gewißen hat. – Kurz, so gepickt735 und demüthig auch für den Niedrigsten von uns, das es nicht der Mühe werth gewesen wär, den Wurm zu tretten. Mit jeden schichtern Blik, womit er den lezten Figuranten und dem, der Briefe zu bringen und Stühle auf dem Theater sezte, ansah, laß man auch die Worte: „Ja! Ich bin der verla[r]vte736 Schurke, weis das Unrecht, was ich euch angethan – aber habt Erbarmen mit meinen ohnedieß gebeugten Rüken – was thut man nicht ums Brod.“ – Kurz, er kroch so, das jeder sich selbst geschämt haben müßte, an den verzagten Berheiter737 Hand anzulegen. – Und es war sein Glük. Den hätte er ein Wort, ja, nur eine Mine gemacht, er wär so zugericht worden, das ihn seine Frau auf den Bett hätte zu Tode füttern mißen, wärs auch nur mit Kartoffeln gewesen. Auch hielte er sich gemeiniglich und sehr nahe bey Madame Hensel auf, in Fall der Noth, es etwa ja Ohrfeigen oder Nasenstiber sezen möchte, sie seine Schuzwehr seyn solte, um sich hinter sie zu verkrichen, den so ein Männchen wie daß konnte sie l[e]icht [401]
zudecken. 8 Tage gingen so vorbey. Am 9ten hatte ich ein Stük. Den wurde Serva Pa trona738 gegeben, in welchen ich nichts hatte als bis wieder zum Ballet, war auch dazu angezogen und saß und strikte an Strümpfen, als der arme Sünder sehr gebeugt sich wagte, mich volgender Maasen anzureden: „Mademoisell! Sie werden mich für einen Mann ohne alle Lebensart halten, da ich schon 8 Tage hier bin, ohne Ihnen noch mein Compliment gemacht zu haben. Ich weiß, Sie sind aufgebracht wegen denen vielen Kritiken, die geschrieben worden, und halten mich für den Verfaßer; aber so wahr Gott le“ – – „Herr Löwe, von allen denen Kritiken ist ja nicht die Rede. Ich bins ja nicht allein, die angetastet worden. – Hier ist die Rede von meiner Seite nur von dem ersten, 735 Gebückt. 736 Maskiert. 737 Bärenhäuter: Feiger, nichtswürdiger Mensch. 738 La Serva Padrona oder Die Magd als Frau, auch Die zur Frau gewordene Magd, Opera buffa von Giovanni Battista Pergolesi mit einem Libretto von Gennaro Antonio Federico. Das Stück wurde am 22. August 1766 als Nachspiel zu Löwens Der Liebhaber von Ungefähr gegeben, zum Abschluss ein auf dem Theaterzettel nicht weiter benanntes Ballett; Theaterzettel UFB Gotha, Poes. 2° 2176, Bd. 8; Eichhorn, Ackermann, S. 250.
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das Sie in Ihre Zeitung rüken ließen, über die Ode von Schiebeler„ – „Mamsell, ich – so wahr – Gott“ – „Laßen Sie mich ausreden. Herr! Erinnern Sie sich, wie ich Sie das erste Mal sprach auf dem Theater und dann in Bubbers Haus739?“ – – „Aber Mansell, ich weis von nicht“ – – – „Wollen Sie Ihre Zeitung leugnen? – Kan Sie Ihnen weißen. Das Bratenfett ist noch daran zu sehen – so geht man mit Ihren Beurtheilungen um. Ihr Schwager wirds Ihnen bereits geschrieben haben. Das ist ja Ihr Packesel von neuen Zeitungen.“ – „Ja, Mansell, es steht in der Zeitung, aber ich bin nicht der Verfaßer, es ist mir durch einen Unbekanndten zugeschickt worden.“ – „Herr! Sie mißens fühlen, wie gottverworffen Sie da vor mir stehen. Was sind Sie vor ein erbärmlicher Kerl.“ – Er wolte reden. Aber mit einen Blik, den ich ihm zuwarf, schwieg er mäusgenstille. „Nun haben Sie Zeit, das Sie schweigen und mich ausreden laßen. Noch ein [402]
mal, denken Sie an den Nachmittag bey Bubbers, an gedes Wort, was Sie mir sagten. An jeden Ausdruck, wie Sie mich baten um meine Freundschaft; an jeden Wunsch, den Sie äuserten, mir Beweise Ihrer Freundschaft, Ihrer Hochachtung zu geben. An den Eifer, mir einst dienen zu kennen? – Bat ich Sie darum? Schrieb ich Ihnen, Sie solten mich loben? – Was war meine Antworten? – Da stehen Sie nun wie der ärmste Sünder und wißen nicht zu antworten. Nun, Herr! Stellen Sie sich an meine Stelle. Gesezt, Sie wären daß, was ich bin. Und ich wäre so – – so – – so ein Zeitungschreiber, wie Sie sind. Ein Unbekantder schickte mir was zu, zu Ihren Nachtheil in meinen Wisch zu sezen. Das Ihnen auswerts, wo man Sie nicht kennt, an Ehre, Aufnahme und Brod verhinderte. Was würde ich gethan haben? Hät’s den Unbekandten zurükgeschickt. Mit dem Worten: Der Mann verdient das nicht. Thut es nicht! Oder wollt ihrs gegen meinen Willen doch thun, so seze ichs doch nicht in meine Zeitung. Hätte ich so nicht handeln müßen, wen ich Ihnen meine Freundschaft so versichert hätte wie Sie mir? Und wär ich nicht die infamste Kanallie, der größte Schurke, die weggeworffenste, griechenste Bestie gewesen, die auf Gottes Er[d]boten herrumgriegt740, wenn Sie mir als mein Freund nicht lieber gewesen wären wie der unbekandte Pasquillante? Nun reden Sie.“ „Ja, Mademoisell, da haben Sie recht.“ – „Nun gut, Herr. Die infame Kanallie, der größte Schurke, die weggeworffene, griechende Bestie – mit einem Wort, der H. F.741 sind Sie, bleibens,
739 HHS, S. [342 f.]. 740 Die auf Gottes Erdboden herumkriecht. 741 Vermutlich Abkürzung für Hundsfott, ein im 18. Jahrhundert geläufiges Schimpfwort, vorrangig für einen feigen Menschen; HHS, S. [409] schreibt Karoline Kummerfeld das Wort aus.
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solange Sie sich nicht legitimiren. Kennen Sies, das Sie an allen, was geschrieben worden, keinen Theil haben, so thue ich Ihnen eine öffendliche Ehrenerklerung, wo Sie wollen. – Kennen Sie nicht und finden sich beleidiget, so gehen Sie hin und verklagen mich. Daß sage ich Ihnen hier – vor dem Richter noch mehr. Vor dem bekommen Sie, NB in Handschu742, Nasenstüber – und nun weg von mir, und hüthen Sie sich, mir in Wurf zu kommen743.“ Sollte man denken, das der Kerl mit einer demüthigen Verbeugung fortging, auch nicht ein Wort sagte, das ich ihm den Leuchter oder sonst was hätte nachwerffen kennen. – Ja, nicht einmal eine Miene, auf die ich lauerte. – Kann man sich was Elenders denken als so eine Memme? – Und mußte man nicht vor ihm ausspuken? – Das geschah den auch, so oft er mir in Weg kam, den seine Rechtfertigung kam nicht, spie ich aus, und so machte es jeder, bis auf Henseln, Eckhofs und Boecks nicht – hatte aber seine Ursachen, die sich auch bald aufklärten. Und NB Eckhoff hatte er in seinen Wischen auch gelobt. – Ja, oft saß ich mit ausgestreckten Füßen da und hatte meine Lust ihn anzusehen, wen er bey mir vorbey mußte und sich doch sorgfältig hüthet, mich nicht anzustoßen, da kam er mir ebenso vor wie mein Alegro744, wenn ich ihn nicht auf den Schooß nehmen wollte, stieg auf den Tisch, sah sich schichtern um, ging so behutsam bey Lichter und Gläser, Teller oder was sonst noch alles darauf stand, vorbey, nahm sich in acht, das er an nichts stoßte, und kam so zu mir und wartete auf, bis ich ihn den nahm. – Nur das ich Löwen nicht so sanft in meine Ärme genommen haben würde, wen der über meine Füße gestolbert und mir auf den Schooß gefallen wär. – Und verdient auch nicht ein Hund mehr Achtung wie so eine [404]
Mißgeburt, so ein Scheusal? Doch leider! Zur Schande der Menschheit seys gesagt: S’giebt noch mehrere. Das Schreiben hörte nun etwas auf, den man hatte an etwas Wichtigern zu arbeiten und nun zustandezubringen, warum und weswegen soviel geschrieben wurde. Kein ander Mittel und Weg war nicht, das Madame Hensel allein alles spielen und nach Wohlgefallen austheilen konnte, als wenn sie, wo nicht Directrice selbst, doch zum allerwenigsten Vicedirectrice würde745. Herr Seyler, der ihr großer 742 743 744 745
Notabene [= wohlgemerkt] in Handschuhen. Einem von ungefähr begegnen, über den Weg laufen. Ihr Hund Allegro. Kummerfeld spielt hier an auf den von Löwen mitinitiierten Versuch der Gründung eines deutschen Nationaltheaters, der sogenannten Hamburger Entreprise. Die Finanzierung durch ein Konsortium von 12 Geldgebern war von Anfang an unsicher. Hinzu kamen Probleme, die in den führenden Persönlichkeiten gründeten. Löwen, der künstlerische Direktor, war seiner Aufgabe nicht gewachsen. De facto hatte Abel Seyler als Hauptfinanzier die Oberleitung inne. Er wurde beeinflusst von Friederike
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Patron war, den er war auch sehr reich, wurde aus Liebe zu ihr mit noch einigen breitgeschlagen, das Hamburger Theater zu übernehmen. Ackermann war es sehr verleit746 ohnedieß geworden, und Schulden hatte er auch noch, und daß war den der Weg, auf einmal aus den Schulden und von der ganzen Last zu kommen. Entreprineur747 wolte[n] Herr Seyler, Herr Tyllemann748 und Herr Bubbers seyn, Directeur Löwe, und seine Frau Actrice von neuen. – Bubbers, der nicht gern sah, wenn ich wegging, war denen andern entgegen, nun dachte man, mir durch alle Kridiken den Muth zu benehmen, aus Hamburg zu weichen, und glaubten, das ich mir gern alles würde gefallen laßen, was man mir bieten würde, ja, noch dazu Gott danken, wenn ichs nur annehmen könnte. – – Ballette solten nicht seyn, den die geheren auf kein regelmaßiges Theater. Kurz, alles solte ein Non plus ultra seyn. – Und bey Gott! es wurds auch. Hab manchen dum zu Werk gehen sehen, aber so noch nicht. Kurz, sie machten Einrichtungen, das sie das Geld nicht stükweis, nein, hüthevoll zum Fenster hinauswarfen. Die Sache solte ein Geheimniß noch seyn. Aber zum Unglük wuste es der dumme, junge Carlgen
Hensel, derentwegen Karoline Schulze Hamburg verließ. Lessing, der Dramaturg des Nationaltheaters, sprach von „Uneinigkeit unter den Entrepreneurs – keiner weiß, wer Koch oder Kellner ist“. Die Entreprise wurde ein wirtschaftlicher Misserfolg. 1769, nach noch nicht acht Monaten, wurde das erste deutsche Nationaltheater wieder geschlossen, das Hamburger Theater wieder von Konrad Ackermann übernommen. Lit.: Ossip D. Potkoff, Johann Friedrich Löwen. Der erste Direktor eines deutschen Nationaltheaters, Heidelberg 1904; Devrient, Schauspielkunst, S. 360–375; Eichhorn, Ackermann, S. 84 ff.; Kopitzsch, Sozialgeschichte 1, S. 367–378; Franklin Kopitzsch, Gotthold Ephraim Lessing und Hamburgs Gelehrte 1767–1781, in: Hans-Dieter Loose (Hg.), Gelehrte in Hamburg im 18. und 19. Jahrhundert, Hamburg 1976 (Beiträge zur Geschichte Hamburgs 12), S. 9–55; hier S. 24–29; Beate Hochholdinger-Reiterer, Kostümierung der Geschlechter. Schauspielkunst als Erfindung der Aufklärung, Göttingen 2014 (Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa 18), hier S. 293–307; Ortrud Gutjahr, Im Licht des Hamburger Nationaltheaters: Lessings Aufklärungskomödie Minna von Barnhelm, in: Jahn/Maurer Zenck (Hg.), Bühne, S. 441–471, hier S. 449–451. – Karoline Kummerfelds kritische Darstellung des Intrigenspiels um die Hamburger Entreprise wird von Hans Landsberg als „durchaus korrekt“ angesehen; Hans Landsberg, Ekhof und Seyler, in: Theater-Kalender auf das Jahr 1912, hg. von Hans Landsberg und Arthur Rundt, Berlin 1912, S. 93–113, hier S. 101 f. 746 Verleidet. 747 Entrepreneur: Gründer und Inhaber eines Unternehmens. 748 Johann Martin Tillemann, der mit Abel Seyler in Hamburg bereits eine Silberraffinerie betrieben und in den Bankrott geführt hatte, fungierte bei der Errichtung des deutschen Nationaltheaters als stiller Gesellschafter. Lit.: John A. McCarthy, Lessing and the Project of a National Theatre in Hamburg. „Ein Supplement der Gesetze“, in: Peter Uwe Hohendahl (Hg.), Patriotism, Cosmopolitanism, and National Culture: Public Culture in Hamburg 1700–1933, Amsterdam/New York 2003 (Internationale Forschungen zur allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft 69), S. 71–90; John George Robertson, Lessing’s dramatic theory. Being an introduction to & commentary on his Hamburgische Dramaturgie, Cambridge 1939, S. 16.
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Schönemann, der das Glük und den hohen Schwung, den sein Herr Schwager durch alle Kritiken sich zum Directeur geschrieben, nicht zeitig genug auszuschwatzen. Der sagte es dem Secretair des französischen Gesanten, das sein Schwager Directeur würde, der sagte es an den Secretair Dreyer749 und dieser mir. Den 6. September, an einen Sonabend NachmittagCXXXV, kommts so rauß? Aha! Nun kommt und wird alles klar. Den 8. wurde von Herrn Löw das Stük gegeben: Ich habe es beschloßen750, und zwar zum ersten Mal. Hat wenig Beyfall gefunden, und bey denen meisten Geselschaften, sowie sies durchgelesen, beschloßen sie auch, es nicht zu geben. Auch ich hatte die hohe Gnade, eine Rolle darinnen zu spielen, das Kammermädchen. Hät’s ihn gern vergeben, wenn er mir auch nichts zugetheilt. Und schon bey der Probe bekam Madame Hensel mit Herrn Löwen einen Streut, das sie schwarze Blümgens solte in den Haaren haben, da sie doch nicht in Trauer ging. Doch er wolte es, weil seyn Narr, der Chevallier, es zu sagen hatte und die schwarzen Blümgen der Dame aus der Frisur zieht. – Und NB die Dame hat Verstand, sowohl an Geist, als an Geschmack, sich zu kleiden. – Doch sowas nimmt sich ein Löwe nicht übel, und kurz, er wuste in der Eile oder an Mangel, selbst was Neues zu sagen, kein ander Mittel, als den Chevallier aus dem Tryumph der guten Frauen751 zu bestehlen. Tapfer stritten beyde miteinander, und ich dachte – o, es wird noch beßer kommen, und hatte meine wahre Lust daran. Madame Hensel frug
749 Johann Matthias Dreyer (* 16. Febr. 1717 Hamburg, † 20. Juni 1769 Hamburg), Schriftsteller, Zeitungsherausgeber und diplomatischer Agent. Wegen seiner Publikationen, in denen er den Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze kritisierte, geriet Dreyer mehrfach in Konflikt mit dem Senat der Stadt Hamburg, der ein Verbreitungsverbot seiner Schriften verhängte. 1763 schließlich wurde er aus Hamburg ausgewiesen, konnte aber 1766 zurückkehren. Einige der Verse aus Dreyers anonym erschienener inkriminierter Schrift „Schöne Spielwerke beym Wein, Punsch, Bischof und Krambambuli in Hamburg“, Hamburg und Leipzig 1763, hat Karoline Kummmerfeld in ihre Samlung vermischter Ungedruckter gedancke aufgenommen, s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. Eine Ausgabe der Gedichte Dreyers erschien postum ( Johann Matthias Dreyer, weyl. Hochfürstl., Hollsteinischen Secretairs vorzüglichste deutsche Gedichte, auf Kosten der Witwe, Altona 1771). Darin auch „An Mademoiselle Caroline Schulz. Bey ihrer Reise nach Leipzig 1767“ (S. 170 f.) und „An Mademoiselle Caroline Schulz, den 24. Februar 1768“ (S. 301). Unter den Subskribenten des Bandes wird „Herr Bancoschreiber Cummerfeldt in Hamburg“ aufgeführt. Lit.: Alfred Dreyer, Johann Matthias Dreyer 1717–1769. Ein Hamburger satirischer Dichter und Holstein-Gottorper Diplomat, Hamburg 1934 (Veröff. des Vereins für Hamburgische Geschichte 8); Otto Beneke, Johann Matthias Dreyer; Lexikon Schriftsteller 2, Nr. 827; Dirk Brietzke, Johann Matthias Dreyer. 750 Ich habe es beschlossen, Lustspiel von Johann Friedrich Löwen. Karoline Schulze spielte die Rolle der Liesette; s. Eichhorn, Ackermann S. 250; Meyer, Bibliographia, 2. Abt., Bd. 22, S. 90; Theaterzettel UFB Gotha, Poes. 2° 2176, Bd. 8. 751 Triumph der guten Frauen oder Der Ehemann nach der Mode, Lustspiel von Johann Elias Schlegel.
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mich sogar, ob sie nicht recht hätte. – Ich, die ich in meinen Leben nie verblümt sprach, sondern immer so, das man mich gleich verstehen konnte, antwortete: [406]
„Freylich haben Sie recht. Den Sie sind in der Rolle gescheut, der Chevallie aber ein Narr. Unsinnig ists, schwa[r]ze Blumen ohne Trauer – doch es kommt von Herrn Löwen her.“ Weg ging er, und alle Schurken, die ich ihm genannt, thaten ihm nicht so weh, als das ich seine Autorschaft als dramatischen Dichter angriff. Doch zu sagen etwas hatte er doch keine Courage. Madame steckte keine schwarze Blümgen in die Haare – und Madame Böck752, die den Chevallier machte, nahm doch, wo keine waren, um den Autor ja nicht zu krenken, schwarze Blümchen in Worten aus der Frisur. – – Etc. etc. etc. Bin ich doch schon auf den Abend 8 Uhr, und solte noch nicht 10 des Morgens geschlagen haben. Gut, das ich mich besinne, wo ich geblieben. Des Morgens bey der Probe rufe Herrn Ackermann, das ich ihm was zu sagen hätte. Kam zu mir. „Apropo, Herr Ackermann, gestern habe ich gehört, das Sie gesonnen wären, auf die Faste Ihr Theater aufzugeben. Kaufleute aus der Stadt wollens übernehmen. Nun bin ich 8 Jahre bey Ihne, ohne aufgesagt zu haben. Wißen, wie ehrlich wir Sie behandelt. Hoffe nun gleiche Ehrlichkeit von Ihnen, das Sie mir die Wahrheit sagen werden.“ – „Wer hat Ihnen daß gesagt?“ „Der Sekretair Dreyer. Der hats vom Sekretair des franzosischen Gesandten und dieser vom jungen Schönemann, der dabey gesagt: sein Schwager würde Directeur. – Also, Herr Ackermann?“ „Ja, es ist war! Haben mir und meiner Frauen alles zum Eckel gemacht. Aber Sie werden untereinander ankommen! Nur thun Sie mir den Gefallen und sagen noch niemanden was davon.“ – „Nein, Herr Ackermann, das verspreche ich nicht und kanns nicht versprechen. [407]
Das Ballet soll eingehen. Sind welche hier, die nicht so geschwind wieder Brod haben könnten wie ich, sollens wißen! – Alle, heute noch.“ Kaum konte ich die Zeit erwarten, bis die Stükprobe aus war. Das Tanzercor kam. Schon solte angefangen werden, als ich sagte: „Along753, alle her“. Nun stellte ich sie in eine Reihe. – „Herr Böeck, Sie geheren nicht mit dazu. Nun hört auf mich. Kund und zu wißen sey euch hiemit durch mich gethan, das ihr auch mit mir und meinen Bruder alle eure Wege geht und hiemit auf die Faste euren Abschied habt. Kaufleute aus der Stadt übernehmen das Theater, und der Kritikenschmierer Herr Secretair Löwe wird Directeir.“ – Das war nun wirklich
752 Sophie Elisabeth Boeck geb. Schulz. 753 Allons: Auf !
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eine Comödie, alle die Gesichter zu sehen. Doch keins sah betrübt. – Und von nun an fing erst recht unsere Lust an. Ballet und Tanzproben war die einzige Schadloshaltung, den aus der Comödie machten wir uns wenig oder nichts mehr. Ich selbst verlohr alle Lust zu spielen. Herrn Koch in Leipzig, den ich mein Wort gegeben, bey der ersten Gelegenheit, wenn ich Ackermanns Theater gesonnen sey zu verlaßen, er der erste Directeur seyn würde, an dem ich schreiben würde, hielte ich auch mein Wort und schrieb an solchen. Verlangte nicht mehr Gehalt, als was ich mit Carl bey Ackermann hatte, 20 Gulden die Woche. Mich für Agiren und Tanzen, Carln für Tanzen allein. Es dauerte wenige Wochen, als wir einig wurden, und ohngeachtetCXXXVI in Hamburg schwerer Geld754 wie in Sachsen ist, rechnete ich nicht mehr und dachte: Wie ichs einnehme, muß ichs ausgeben. Nicht lange, als die Verenderung in der Theaterwelt laut wurde, bekam ich Briefe von Herrn Klem755 aus Wien, [408]
der mir 24 Gulden für meine Person allein bot. Und Carl solte auch Engagement haben. – Doch Koch hatte mein Wort – ohne Contract. Aber das Wort muß jeden Rechtschaffenen so heilig seyn wie hundert Contracte. – Kurz, war das 2te Mal, wo ich Wien meines Worts wegen und redlichen Herzens mußte aus die Hände gehen laßen. Niemand wuste, ob ich schon Engagement hätte oder nicht. Nur meine Freunde, und die schwiegen. Das ich nicht bleiben wolte, wuste mann – ja, weil ich nicht prahlte mit meiner baldigen Versorgung, so standen viele in den Wahn, ich wär um Engagement verlegen. Freuten sich, und um ja jeden den Apetit zu mir zu benehmen, wurde nun erst in den „Wansbeker Boten“756 das Epigram abgedruckt, das auf Madame Henseln 754 Schwereres Geld: Münzsorten, die nach einem besseren Münzfuß ausgeprägt sind. Im gesetzlich bestimmten Münzfuß wird festgelegt, welche Menge eines Edelmetalls in einer bestimmten Münze enthalten sein soll. 755 Christian Gottlob Klemm (* 11. Nov. 1736 Schwarzenberg/Erzgebirge, † 26. Jan. 1802 Wien), Dramatiker und Zeitungsunternehmer in Wien. Nach dem Studium der Theologie, Rechtswissenschaften und Mathematik wirkte Klemm 1757–1759 als Sprachlehrer in Frankfurt/Main. Seit 1759 lebte er in Wien, wo er sich als Herausgeber von Wochenschriften, Schriftsteller und Dramatiker betätigte. 1766 war er Sekretär am Kärntnertortheater, 1770 Bibliothekar und Sekretär von Johann Joseph Fürst Khevenhüller-Metsch, 1771 Lehrer an der Normalhauptschule in Wien. Sein besonderes Interesse galt der Theaterreform, was sich auch in seinen Schriften niederschlug. Lit.: Joseph Kürschner, Christian Gottlob Klemm; Matthias Mansky, Christian Gottlob Klemm (1736–1802). Ein Sachse in Wien zwischen Theaterreform und Komödienpraxis, in: Estudios filológicos alemanes. Revista del Grupo de Investigación Filología Alemana 20 (2010), S. 679–690. 756 Der „Wandsbecker Bothe“ erschien erst ab 1771. Karoline Kummerfeld meint vermutlich das Vorgängerblatt, die ab 1745 erscheinenden „Wandsbeckischen Zeitungen von Staats- und Gelehrten Sachen“. Das wegen der Titelvignette „Wandsbecker Mercurius“ genannte Blatt wurde 1770 eingestellt. Lit.:
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ihren Puztisch so lange gelegen und von dem mir der Friseur gesagt hatte. Nun, dachte ich, wirds zu arg. Rodogüne757 wurde gegeben, ich spielte sie, die Hensel ihre berühmte Cleopater. Ich suchte zum ersten Mal in meinen ganzen Leben Händel. Als ich abgehe im ersten Act, wird mir stark ablaudiert, ich sage, als ich in die Couliße trette: „Ob man mir in Hamburg noch ablaudirt, oder ich k[l]opfe mir selbst auf den Hintern, gild mir gleich! Und mich wunderts, das man so einer elenden Actrice, die der Tod doch wegraffen bald soll, noch ablaudieren mag.“ Und sah dabey der Hensel scharf in die Augen. Sie erhob ihre Stimme und sagte ganz im Ton der Königin Cleopater: „Ja, das muß sich jede Actrice gefallen laßen, das man sie kritisire.“ Nun hatte ich, was ich wollte. Die bekam nun von mir alles ins Gesicht gesagt, [409]
was ich ihr schon so lange zugedacht. Ohne mit niedrigen Schimpfwörter zu kommen, hat ihr wohl schwerlig weder vor noch nach beßer die Wahrheit gesagt wie ich. Sie knirschte vor Wuth – aber den Muth hatte sie nicht, ein Wort mir zu antworten – und wer eine Hensel und ihr Maul kannte, wen sie anfing, kan dencken, wie ich sie in der Preße hatte, das sie nicht muxte. Auch nicht eine Sylbe. Den Friseur verrieth ich nicht, den mehr hatten solches auf ihren Tisch liegen sehen. Sagte ihr, welch ein elendes Geschöpf sie wär, voll Niedrigkeit, Neid und Boßheit. – Und wie sie noch an mich denken würde. Ohne mich an ihr zu rächen, würdens andere thun! „Wagen Sie es, den Mund gegen mich zu öffnen! Wagen Sies – wenn Sies kennen. Guschen758 müßen Sie, wie hier Ihr Handlanger“. Löwe saß neben ihr auf seinen Stock gelehnt. Ich ging zu meinen Stuhl, und mein Bruder kam dazu. „Was giebts?“ Ich sagte es ihm. Carl geht auf Löwe los, nimmt solchen und packt ihn fest in seine linke Hand und schittelt ihn bey seiner Halskrause, das ihn die Zähne klapperten, und sagt dazu: „Den Hunsfott, den Kritikenschreiber schlage ich noch Arm und Bein inzwey.“ – Der Kerl
Annette Gerlach, Matthias Claudius und sein „Bothe“ aus Wandsbek, in: Lichtenberg-Jahrbuch 3 (1990), S. 89–103; hier S. 90; Holger Böning, Eine Stadt lernt das Zeitungslesen, in: Johann Anselm Steiger/Sandra Richter (Hg.), Hamburg. Eine Metropolregion zwischen Früher Neuzeit und Aufklärung, Berlin 2012, S. 391–416, hier S. 413 f. 757 Rodogüne, eine Übersetzung des Trauerspiels Rodogune, princesse des Parthes von Pierre Corneille. In der WHS, S. [80r/167] datiert Kummerfeld diese Aufführung auf den 19. Dezember 1766. Eichhorn, Ackermann, S. 252 führt aber lediglich Vorstellungen des Stückes am 19. November und 5. Dezember auf. Da Karoline Kummerfeld im Folgenden von einem „Nachmittag vor dem Advent“ berichtet, ist vermutlich die Aufführung am 19. November gemeint. – Zu Hensels Auftreten in Hamburg s. Kord, Tugend. Die Auseinandersetzung mit Friederike Sophie Hensel schildert Kummerfeld in WHS, S. [80r/167]–[82v/172]. 758 Kuschen.
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sizt da, läßt sich von meinen Bruder schitteln und schimpfen, hat einen Stock in der Hand und werth sich nicht. – Heist das nicht, ein rechter Philosoph – nur von denen unechten. – Speit [man] und muß man vor so einen Kerl nicht ausspeien und „Pfui, Pfui des Elenden“ sagen? – Da er sich gar nicht rügen759 wolte, faße ich Carl bey den Arm und sagte zu ihm: „Entehre deine Hände nicht, das du sie an solch eine Meme legst, ist er nicht verzagter wie ein Weib. Längst hätte er ja von mir Ohrfeigen [410]
bekommen, wenn ich nicht wüste, das ich meine Hände entheiligte und solche den keinen redlichen Menschen mehr reichen kennte, weil ich sie besudelt. – Den muß der Henker zichtigen, den der Scharfrichter ist noch ehrlich.“ – Nicht ein Wort sprach er. Aber von der Zeit kam er nicht wieder aufs Theater, und alle Schreiberey hörte auf. Nun hatte ich für mich meine Genugthuung. Hatte gesagt, was ich noch sagen mußte. Viele standen auf dem Theater, die es angesehn und gehört hatten, und es breitete sich bald im ganzen Schauspielhaus aus. Ich spielte nun den Abend auch so, das ichs fühlte, ich spielte gut. – Doch solte ich noch eine eglatante Revange760 haben. Im lezten Act, wo die Königen nun auf den Punk[t] steht, das alle ihre Laster sollen bekant werden, und sich, um die Mordthat des Sohns nicht aufbürden zu laßen, den Schein derselben auf Rodogünen wirft, antwortete ich in den ganzen Ton der sich redlich Bewusten der Königin mit aller Gelaßenheit. – – Schade! Die Rede fällt mir nicht mehr ganz ein etc. etc.: „Aus Furcht, er hätte den Mörder ihn verrathen,/ doch da sein Ausspruch nichts Entscheidendes enthällt,/ wilst du, das der Verdacht nur auf uns beyde fäll[t]./ Gewiß! Wen Sterbliche so sehr von Laster brenen,/ wen eine unter uns die Unschuld töden können,/ so fällt zwar mein Verdacht aus Erfurcht nicht auf dich. Doch du!!!“ – – Nun machte ich eine Pause von einer starken Minute, sah die Konigin Hensel von Fuß bis zum Kopf an und maaß sie, hefte meine Augen starr an die ihrige und sagte in einen sehr tüefen, kalten, verachtlichen Ton, doch schnell – so recht hingeworffen: „D u b i s t z u m M o r d w e i t f e h i g e r w i e i c h ! “CXXXVII [411]
Unstreutig war das Aplaudieren, das aus allen Logen und Parter auf einmal erschallte, das stärckste, was den ganzen Abend gehört worden war. Die Königen Hensel stand da, als ob ihre Mutterbeschwerungen761 kommen wolten. Nun wars vorbey! Meine Rache hatte ich mir genommen. Weder sie, noch Löwe, noch alles, was zu ihnen gehörte, kam 759 Regen, rühren. 760 Eklatante Revanche. 761 s. o. HHS, S. [389], Anm. 712.
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mehr in meinen Mund; und die Hoffnung, bald einen Ort zu verlaßen, in dem ich so viel Unangenehmes erlebt, trug zu meiner Zufriedenheit nicht wenig bey. Inzwischen solte sich in denen lezten Monaten doch noch ein neuer Auftritt ereignen. An einen Nachmittag vor dem Advent sas ich ganz allein in meinen Zimmer, als ich ganz unerwartet einen Besuch erhielt von Herrn Stein762, der ein Portraitmahler war, ein Mann, deßen ganzes Gesicht und Betragen mir im höchsten Grade, schon seid ich ihn das erste Mal [gesehen], als ich nach Hamburg gekommen, zuwieder war, hatte mir freilich nicht, das ichs wuste, was zuwieder gethan, aber genug, ich konnte solchen nicht ausstehn. Wo kommst du noch her? dachte ich, den nie war er bey mir. Also nach dem ersten kalten und heflichen Complimenten hub er an: „Ach! Mademoiselle Schulz, ich habe eine große Bitte an Sie, aber Sie müßen mir solche nicht abschlagen.“ – „Herr Stein, wenn ich kann!“ „O ja, Sie kennen. Ich habe Madame Hensel gemalen, nun wünschte ich auch Ihr Portrait zu machen. Dan will ich beyde (weil Sie doch die berühmtesten Schauspielerinnen sind) in Kupfer stechen laßen. Madame Hensel als Tragödie und Sie als Comödie.“ – „Herr Stein, Sie erweisen mir alzu viele Ehre. Hat Madame Hensel sich malen laßen und will sich in Kupfer stechen laßen, kann sies gerne thun. – Ich aber will weder das eine noch das andere, besonders hier.“ – Herr Stein bat und flehte, ich aber blieb bey meinen Entschluß. – Herr Stein sagt: „O wahrhaftig, Sie mißen“, und sezte [412]
sich nieder, nimmt eine kleine elfenbeinerne Tafel herraus nebst Pinsel und Farben und fängt an, mich anzusehen, sehr scharf, und punktirt auf dem Täfelgen herrum. – Ich dachte, der Mann ist toll geworden, sa[h] ernst und lachte, so das mein Gesicht gewiß keinen Augenblik einerley Mine hatte. – Wie wirst du den Bengel loß? Hurtig besann ich mich und sagte: „Herr Stein, machen Sie mir keinen Verdruß, den Augenblick wird mein Bruder kommen. Der würde nicht wenig aufgebracht werden. Wißen Sie was, kommen Sie kinftigen Sontag gleich um ein Uhr, da kennen Sie mich malen, haben ja jezt hier kein gutes Licht.“ Voller Vergnügen packte er seine Sächeln zusammen und trippelt fort. Niemand fröher wie ich. Ich hinnunter zu meiner Hausfrau und erzehle ihr, was Stein gewolt, bitte sie, das, wen er auf den Sontag wiederkäm und ich allein wär, solte sie sagen, ich wär nicht zu Hause. Hätte ich aber Besuch, so könnte sie ihn immer gehen laßen, den würde doch nichts daraus. Als mein Bruder nach Hause kam, erzehlte ich, was vorgefallen. – „Gut, das ich nicht da war, hätte Herr Stein mitsamt seiner Malerey die Treppe hinnuntergeworfen.“ – „Der Kerl steht in einen schlechten
762 Theodor Friedrich Stein (* um 1730 Hamburg, † 1. Aug. 1788 Lübeck), Porträtmaler. Lit.: Benezé II, S. 209; Thieme/Becker 31 (1937), S. 547.
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Renomée – das weis ich, und vor schlechte Leute muß man sich mehr in Acht nehmen und auf der Hut seyn wie für redliche. Las ihn nur den Sontag wiederkommen, da wird ers wohl merken.“ Herr Kummerfeld kam, und wir lachten alle herzlich. Sontag, wie gesagt, kommt Herr Stein, muß aber wieder fortgehen, weil ihn meine Hausfrau sagte, ich wär nicht zu Hause und käm vor späth in der Nacht nicht wieder. Es gehen 14 Tage vorbey, an einen Sonabend hatte ich eine zahlreiche Gesellschaft bey mir, und Herr Stein mit einen sehr jungen Menschen tretten zu uns ins Zimmer. Stein entschuldigte sich, das er seinen Freund mitgenommen. „Hat nichts zu sagen, nehmen Sie Plaz“. Das Gespräch ward bald allgemein. Endlich [413]
frägt mich Stein: „Madame, haben Sie noch nicht mit der Person davon gesprochen, und wird sie sich dazu entschliesen?“ „Gesprochen habe ich sie, aber sie kann und wird sich niemals dazu entschliesen, das soll ich Ihnen sagen.“ „Das thut mir leid!“ und in dem stand er auf. „Ja, Sie mißen ihr das nicht übelnehmen, sie hat einen ganz eigenen Kopf.“ – „So scheint es!“ machte sein Compliment und ging mit seinen jungen Herren wieder fort. Meine Gesellschaft frug mich, was das gewesen wär? – Ich erzehlte ihnen die ganze Sache. Alle gaben mir recht, und es wurden von Herrn Stein so viele schlechte Streiche erzelt, das zu wünschen wär gewesen, das die Helfte nicht wahr wär. Sontag darauf, gleich wie ich abgespeißt habe, kommt mein Mädchen ins Zimmer mit einen Brief in der Hand. „Ein Brief ! – Was ist dafür? Kommt nicht von der Post! – Wer bracht ihn?“ „Ein junger Mensch in einen blauen Kleide.“ „Geschwind nach, ruf ihn zurick“ – sie kommt wieder: „Da ist kein Mensch mehr zu sehen noch zu hören“. Ich gebe ihr einen Verweiß, ein andermal die Leute warten zu heisen. – „Wo ist der Brief ?“ „Da habe ich ihn hingelegt“. Ich nehme den Brief, und er ist schwer. – Was ist daß wieder, Hand und Siegel war mir unbekand. Ich breche auf, sehe nach der Unterschrieft, aber aller Mihe, die ich mir gebe, kan ich den Namen nicht herrausbringen, so verzogen war er, und wuste nicht, ists ein deutscher, f[r]anzösischer, wellischer763 oder der Himmel weis was für ein Name. In den Brief lagen ein Paar vortrefliche Armbraseletts von Tabosen764, brächtig gefaßt und sehr groß. Ich fange endlich den Brief an zu lesen, der ein voller halber Bogen war765, so conpreß766 wie möglich geschrieben. Je länger ich las, je weniger wurde ich klug. Das der Schreiber hellerlichterloh brandte, ja, 763 Welscher: Italienischer. 764 Bracelets (Armbänder) von Topasen. 765 Der Bogen war zum Quart-Format zweimal gefaltet, hatte also acht Seiten (Vorder- und Rückseiten), vier Seiten davon waren beschrieben. 766 Kompress: Eng gedrängt.
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das sagte mir die erste Zeile – aber wer, wer der Verbrendte oder Angebrande ist, blieb mir ein Räthsel. – – Endlich, zum Schluß der 4ten Seite, kamen die Worte: „Gestern wagte ich es endlich auf Zureden meines Freundes, Herrn [414]
Steins, zu Ihnen zu gehen.“ – Auf einmal wurds nun helle. Der ists? Der stille blöde junge Mensch, der kein Wort gesprochen? – Ich laufe mit Brief und Armbänder zu meinen Bruder und sag ihm alles. – „Ja, was wirst du thun?“ – „Den Menschen seinen Brief und Armbänder wiedergeben.“ „Das ist recht!“ – „Nur ohne Aufsehen. Der Mensch kann seine Eltern hier haben oder bey Lehrern in der Kost seyn, und da möchte ich kein Verdruß machen. Von allen denen, die gestern Nachmittag bey mir waren, kent ihn keiner. Du must mir behilflich seyn, das wir erfaren, wär er ist.“ Carl studierte wie ich an den Namen und konte solchen so wenig lesen wie ich. Abens kam Herr Kummerfeld, um bey mir zu speisen. „Da will ich Ihnen was zeigen“ und halte ihm die Armbänder hin. – „Der tausend! Die sind schön.“ – „Ja, sie sind schön! So schön, so schön – – das ich sie morgen wieder wegschike, wenn ich nur wüste wohin?“ Herr Kummerfeld liest den Brief – aber der Name ist ihm auch Räthsel. Kummerfeld, der den Tag vorher nicht bey mir war, erzelte ich nun alles. War sehr meiner Meinung, dem jungen Menschen glimpflich zu behandeln. – Nun kam der Advent. Wir spielten nicht767, und weder Briefbringer noch Schreiber ließen sich sehen. Die Comödien gingen wieder an, und in einen der ersten Vorstellungen kam der junge Mensch aufs Theater768, nur auf wenige Minuten, sprach mit Herrn Eckhoff und ging fort. Wie er weg war, frägt Carl Herrn Eckhoff, wer der junge Mensch sey? „Es ist dem reformirten Prediger769 sein Sohn und heist“ (ich will den Namen schreiben, wie er ausgesprochen wird, ob er sich gleich ganz anders schreibt): „Schiero“.770 – Soviel wuste ich nun, aber 767 Laut Eichhorn, Ackermann, S. 252 fand die letzte Aufführung am 5. Dezember 1766 statt, dem Freitag vor dem 2. Advent. Regelmäßig wurde in der ersten Dezemberwoche noch gespielt. 768 Am 29. oder 30. Dezember 1766; Eichhorn, Ackermann, S. 252. 769 Prediger der Französisch Reformierten Gemeinde war damals Pierre Jean (Peter Johann) Géraud (* 17. Sept. 1703 Hamburg, † 23. Febr. 1785 Hamburg), seit 1744 Pastor der Chapelle reformée française in Hamburg, verh. 3. April 1737 mit Elisabeth Maret de la Rive († 3. Okt. 1788 Hamburg); Staatsarchiv Hamburg 521-3 (Französisch Reformierte Gemeinde), Nr. 33, 4 (Eheschließung); 521-3, Nr. 38, S. 44, 47 (Sterberegistereinträge). Lit.: Lexikon Schriftsteller 2, Nr. 1190; Benezé II, S. 210. – Ein Druck von Christian Fritzsch aus dem Jahr 1786 nach einer Zeichnung von Theodor Friedrich Stein mit dem Porträt Pierre Jean Gérauds befindet sich in der Sammlung des Rijksmuseums in Amsterdam. 770 Dabei handelt es sich wohl um den um diese Zeit 17-jährigen Samuel Géraud (* 30. März 1749 Hamburg, † 1828 Paris). Den Kirchenbüchern der Französisch Reformierten Gemeinde in Hamburg zufolge war er das jüngste Kind von Pierre Jean und Elisabeth Géraud; Staatsarchiv Hamburg 521-3 Nr. 30, S. 15: Samuel * 1749.
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ins Haus schicken ohne Aufsehen zu machen, das ging nicht an, muste es der Zeit überlaßen. Gleich nach dem Neujahr 1767 gingen die Maskeraten an, auf der ersten wolte ich nicht seyn771. Carl ging hin, und er sagte mir am Morgen: „Was meinst du: Stein war mit zwoo liederlichen Weibspersonen aus Altona diese Nacht auf der Maskerate, der junge Schiro war auch da. Stein hatt recht gefreßen und gesoffen mit denen Menschern, der junge Schiero hat aber nur getanzt, wie es aber ans Be[415]
zalen ging, holte ihn Stein, und der junge Pursche hat alles bezalt.“ „Der arme Mensch ist in einer schönen Gesellschaft! Carl! Könnte ich ihn retten.“ Sonabend 8 Tage darauf772, ich kleidete mich an, um auszufahren, kommt mein Mädchen und sagt: „Da ist wieder der Mensch, der lezthin hier war, und hat wieder einen Brief an Sie – hab ihn nicht genommen.“ „Gut, las ihn herreinkommen.“ – Ich nehme den Brief und sage zu den Menschen: „Mein Compliment an Monsieur Schiero. Antworten kann ich jezt nicht, den ich fahre den Augenblick aus. Morgen Nachmittag aber mit dem Schlage zwey Uhr lies ich ihn bitten, selbst zu mir zu kommen, den um 3 Uhr fahr ich in Gesellschaft.“ – Er ging fort, und nun las ich erst den Brief, voll wieder der zärtlichsten Liebesversicherun[g], und wo er mich bittet, ihm einen Tag zu sagen, das er mich besuchen dürfte. Ohne vorher gelesen zu haben, hatte ich geantwortet, was er zum Theil wollte, und ich war ordendlich froh. Mit dem Schlage 2 Uhr stand er auch den andern Nachmittag in meiner Stube. Ich hies ihn leidselig willkommen, er sezte sich zu mir, und nun frug ich ihn, was eigendlich sein Anbringen sey? Bat ihn aber zugleich, um sein selbst willen, mir nichts zu verschweigen und mir aufrichtig alles zu gestehen, was in seinen Herzen und Kopf vorgehe. Mit einen Blick voll Bescheidenheit gestand er, das er mich schon sehr lange liebte, nie aber gewagt hätte, es mir zu sagen – bis jezt, da er wüste, ich würde Hamburg bald verlaßen. Seines Vaters Absicht sey, das er die Theologie studieren soll, und wolte ihn nach Holland schicken. Wärs auch entschloßen gewesen, wenn ich nach Wien gegangen wär. – „Nun ich aber gehört, Sie gehen nach Leipzig, will ich meinen Vater bitten, das er mich auch dahin sende. Aber anstatt zu studieren, will ich mich bey Herrn [416]
Koch zum Theater engagiren, und wenn ich den bey solchen bin und Sie mich Ihrer würdig finden – sey es den auch erst in 6 Jahren, Sie um Ihre Hand bitten, das Sie mich 771 Eichhorn, Ackermann, S. 252 verzeichnet den ersten Maskenball für den 2. Januar 1767, weitere folgten am 16. und 30. Januar. 772 10. Januar 1767.
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heyrathen und den zu den glüklichsten Menschen meines Lebens machen. Wollen Sie aber dieses nicht, so gehe ich nach Holland, studiere da – nur versprechen Sie mir, sich in 6 Jahren nicht zu verheyrathen – vielleicht stirbt mein Vater noch ehe[r], der schon sehr alt ist773 – ich komme von Holland zurück und reiche Ihnen meine Hand.“ – „Liebes Kind! Sie müßen noch sehr jung seyn? – Wie alt sind Sie?“ „16 Jahr.“ – „Schön! Und ich? 21. Also in 6 Jahren sind Sie 22 und ich 27. Sehen Sie, das ist ein Punkt, das, wenn ich Sie auch lieben könnte, um Sie zu heyrathen, ich Sie doch nicht heyrathen würde. – Der Mann muß älter seyn wie die Frau. – Sie lieben doch Ihren Vater?“ „Ja, recht sehr!“ „Und wünschen ihm den Tod – eines Mädchens wegen, von der Sie nicht einmal wißen, ob sie Sie lieben wird – oder kann. Weiter, gesezt, Sie hatten Ihr Project unternomen, ohne mir vorher ein Wort zu sagen, wären nach Leipzig gegangen, hätten sich zum Theater engagirt – wo ich stark zweifele, ob Herr Koch Sie angenommen haben würde. Verschwiegen wärs nicht geblieben, und allgemein würde es geheisen haben, Mamsel Schulz hat einen Knaben von 16 Jahren verführt, der des reformirten Predigers Sohn aus Hamburg ist, ist seinen Vater davongelauffen und will ihr zuliebe Comödiant werden. Vielen Dank für so eine Liebe, die mich um Ehre und guten Namen bringen würde, und daß an einen Ort, wo man weder mich noch meine Denkungsart kennt. Sie verdienten von mir einen dichtigen774 Verweiß. – Doch ich habe Mitleid mit Ihrer Jugend. Ihr Vater soll ein würdiger Mann seyn. – Sie sagen selbst, er sey sehr alt; und glauben nicht, das er noch 6 Jahre leben kann? – Und Sie, seyn Sohn, [417]
wollen ihn diese wenigen Jahre durch Ungehorsam verkürzen. Wollen, das er Ihnen am Rande des Grabes fluche und wollen diesen Fluch auch über mich bringen? – Dancken Sie Gott, das diese Ihre erste Liebe auf ein ehrliebendes rechtschaffenes Mädgen gefallen ist. Wär ich eine von denen verworffenen Creaturen, würde ich Ihnen mit Liebe schmeicheln, Sie überreden, Ihre Eltern zu bestehlen, Ihnen alles abnehmen und den sizen laßen. – Laßen Sie sich das eine ewige Warnung seyn. Ich spreche mit Ihnen wie eine Freundin, die Ihr Wohl wünscht. – Nun haben Sie die Wahl. Erstlich, auf mich machen Sie sich keine Rechnung. Und wenn Sie auch ganz Ihr eigener Herr wären, heyrathe ich keinen Mann, der jünger ist wie ich. Sie folgen Ihren Eltern, gehen nach Holland und studieren das, was Ihr Vater will und gewiß deswegen wird wollen, weil er gesehen, das Sie Lust dazu gezeigt. Hier sind Ihre zwey Briefe und Ihr Geschenk. Haben Sie solche noch nicht bezalt, so geben Sie solche den Kaufmann zurük. Folgen775 773 Géraud war zu dieser Zeit im 64. Lebensjahr, er starb 1785 im Alter von 81 Jahren. 774 Tüchtigen. 775 Gehorchen.
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Sie mir aber nicht und kommen nach Leipzig, so bin ich Ihre größte Freindin776, und der Augenblik, da Herr Koch Sie engagir, ist der lezte, das ich bey ihm bleibe.“ „O Mademosell! Ich bitte Sie um Gottes Willen, gehen Sie nicht so unbarmherzig mit mir um.“ (Er warf sich vor mir nieder, weinte, das eine Thräne die andere schlug). „Haben Sie doch Mitleid mit mir. – Sollen ja so gut, so milde seyn, und warum, warum so grausam gegen mich. Ach! Laßen Sie mich doch nur hoffen – nur hoffen. – Und wenn Sie das nicht wollen, o, so beschimpfen Sie mich nicht und behalten meine Briefe und die Armbänder zum Andenken.“ – Alle Gewalt hatte ich nöthig, um meine Thränen zurükzuhalten, er jammerte mich. Doch hielte ich mich und zwang mich zum Lächeln. „Wenn ich die Unbarmherzige wär und kein Mitleiden mit [418]
Ihnen hätte, wißen Sie, was ich gethan haben würde? Alles Ihren Eltern berichtet haben; und solche ersucht, Ihnen zu sagen, mich mit dergleichen zu verschonen. Ich hatte aber mehr Mitleid mit Ihnen und mit Ihren Eltern. Denen will ich den k[r]enkesten Verdruß und Ihnen die Vorwürffe Ihrer Eltern ersparen und zugleich von einer Unbesonnenheit abhalten, für die Zukunft weiser machen, mehr auf Ihrer Hut zu seyn.“ „Was soll ich den aber thun?“ – „Den Vater folgen, ans vierte Geboth denken. – Nach Holland reisen und mich vergeßen“ – „Das kann ich nicht, kann Sie nicht vergeßen.“ Mit aufgehobenen Hände bat er, nur 6 Jahre zu warten und mich nicht zu verheyrathen. Dan wolle er nach Holland gehen. – „Reisen Sie nur erst nach Holland, und keine 6 Jahre werden hingehen, wo Sie nicht einmal mehr denken werden, daß eine Schulzen in der Welt war.“ – Nun sprang er von der Erde auf. – „Nein, das ist zu hart. Mich so was zu beschuldigen. Ich Sie vergeßen? Nie, niemals – weil Sie den das von mir denken, nun, so sollen Sie auch alles wißen. Kann sie nicht vergeßen, den wißen Sie, ich habe Ihr Portrait 4 Mahl. Einmal in einer Dose, die hatte ich bey mir, als ich das erste Mal bey Ihnen war, ging aufs Caffeehaus, spielte Billard und stoste an die Tasche, zerbrach den Deckel, die Dose ist von Porcelain und nun in Berlin, damit ein neuer Deckel darauf gemacht wird777. Dan habe ich Ihr Portrait, um es an die Wand zu hengen, dan in einen Peelok778 und den in einer Kapsel.“ – – „Und die sind?“ „Von Stein.“ – „Und kosten wohl schenes Geld?“ – „Und wens mich Tausende gekostet hätte“ – – „Hören Sie mich nun auch, Sie, der Sie noch unter der Zucht eines Vaters stehen, sehen mir noch gar nicht darnach aus, das Sie so von Tausenden sprechen kennen. So viel Taschengeld giebt kein 776 Gemeint muß sein: Feindin. 777 Möglicherweise war die Dose von der 1763 gegründeten Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur (KPM) und wurde deswegen zur Reparatur nach Berlin geschickt. 778 Berloque: Uhrenkettenanhänger.
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Prediger seinen Sohn, der noch dazu bey ihm im Haus ist, und kanns nicht geben. – Aber ich will Ihnen nun auch noch alles sagen. Stein ist ein Schurke. – Ein Kupler und junger Leute Verführer, dafür kennt ihn die ganze Stadt. – Wehe ihn, wo er mir im Wurf kommt. Meinen Sie nicht, das ich es weis, das Sie mit ihm auf der lezten Maskerathe waren, das er zwoo liederliche Menscher bey sich gehabt – und Sie bezahlen müßen.“ – „Er hat mir gesagt, es wären zwoo gute Freundinnen von ihm“ – „Solche Freundinnen, wie er ein Freund von Ihnen ist!“ – „Bezahlt, ja, habe ich – aber er sagte, er hätte sein Geld vergeßen, und wolts mir wiedergeben, den die Portraits habe ich ihn bezalt.“ – „Wiedergeben? Ja, wenn der Teufel stirbt, aber er ist noch nicht krank. – Kind, Kind, betrachten Sie den Abgrund von zeitlichen und ewigen Verderben, worauf Sie stehen. Ein Spizbube ist Stein – und noch mehr – ein Kupler. Laßen Sie sich doch warnen. Sie sind jung, ohne Erfahrung, der Mensch sucht Ihr Verderben. – Ist das ein Freund von Ihnen, der Ihnen böse Rathschläge geben kann? Und bin ich Ihre Feindin, die ich Ihnen den Irrweg zeige, auf den Sie sind. Hab ich kein Mitleid, spotte ich Ihrer, wen ich sage, Sie sollen ein folgsamer, gehorsamer Sohn Ihrer Eltern seyn? Gesellschaften meiden, die Ihnen keine Ehre bringen? Was bin ich nun?“ „Ein Engel.“ – „Ja, Ihr Schuzengel, der bin ich auch – doch Sie sehen, mein Wagen ist vor der Thüre, ich muß fort. Noch einmal, hier sind Ihre Briefe und die Armbänder.“ – „Ach Mamsell, um Gottes willen, nur den, den einzigen Schimpf nicht.“ – „Ich stehe Ihnen sonst vor nichts. – Ich kan aber von Ihnen kein Geschenk annehmen – und die Briefe wolte ich Ihnen deswegen wieder zu[420]
stellen, damit Sie überzeigt sind, das ich nicht gesonnen bin, einen Gebrauch davon zu machen.“ – Von neuen fiel er vor mir nieder, sagte, er stehe nicht eher auf, als bis ich ihm verspreche, solche zu behalten. Ich stand an. – Endlich sagte ich ihm: „Nun, bey meinen Wort, das mir heiliger als alle Schwüre sind, sage ich Ihnen, unter welcher Bedingung ich sie behalten will. Erstlich, das Sie nichts anders thun und unternehmen, als was Ihre Eltern billigen, erfahre ich aber das Geringste, das Sie solche betrüben, so fahre ich selbst zu Ihren Eltern und entdeke ihnen alles. – Keinen Umgang mehr mit Stein; keinen Gedanken mehr auf mich – und keinen Fuß mehr in mein Haus.“ – „Nun ja – alles, was Sie wollen – haben mich unglüklich gemacht!“ – „In Ihrer Einbildung jezt – aber im reiffern Alter werden Sie mir in Ihren Herzen danken, wenn aus einen779 ein rechtschaffener Mann geworden ist.“ Er nahm meine Hand, küßte sie und
779 Ihnen.
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weinte entsezlich, ich bat ihn, sich zu faßen und fortzugehen. – Sprechen konnte er nicht, ich wünschte ihm das beste Wohlergehen, versicherte ihm meiner aufrichtigsten Freundschaft, wen er folgsam sein würde, und mit lauter guten Worten brachte ich ihm an die Treppe und rufte meinen Mädchen, da ging er den fort – Gott weis, wie froh ich war. Aber meine Galle auf Stein, die fühlte ich auch kochen. Ich warf mich in Wagen und fuhr zu Herzogs. Herrn Kummerfeld, den ich seid Freytag nicht gesehen hatte, erzelte ich nun allen, wie es abgelauffen – und das ich die Armbänder behalten müßen, stand mir nicht an. – Ich solte kein Kind seyn, sagten sie. – Ja, aber wenn er sie schuldig noch wär? Wüste ich nur, wo sie gekauft sind. – Bald wurde was anders gesprochen und vollens Abrede auf den Freytag780 genommen, wo wir alle in braunen tafften Dominos781, weis garnirt, auf die Maskerade fahren wolten. [421]
Freytag Morgen richte ich mir eben meinen Puz zurechte, als Herr Eckhoff wie ein Bär in meine Stube tritt und mir sehr trozig: „Guten Morgen“ sagt. „Guten Morgen!“ lachte ich her, den ich war in meiner besten Laune. Machte mein weißes Hüthgen mit Blumen zurechte und t[r]illerte dazu. Eckhoff aber lief mit schnellen Schritten in der Stube auf und nieder und brummte: „Schöne Wirthschaft, das ist wahr! – Wo ist er hin? Ist abscheulig! – Eine Schande vor uns alle. Wo ist er hin mitsamt den andern.“ – Ich lachte aus vollen Halse und sagte: „Weis Gott, Eckhoff, habs lange gedacht, das Sie noch einmal ein Narr werden würden.“ – „Und Sie lachen?“ – „Warum soll ich den weinen? – Etwa, das ich vom Hamburger Theater komm. – Wär auch der Mühe werth.“ „Machen Sie keinen Scherz, Mansel, die Sache ist ernsthaft.“ – „Aber was den, was wollen Sie denn?“ – „Ist nicht der junge Mensch fort mit noch einen?“ – „Was für ein junger Mensch.“ „Pastor Schiro sein Sohn.“ „So!! Ist der fort. – Ja, was geht das mich an. Kenen ihn wieder holen.“ – „Und Sie wißen nicht, wo er hin ist? Ist er nicht auf Ihr Zureden fort, weil er sich in Ihnen verliebt hat, hatt er Ihnen nicht vor so viele Tausende Presente gemacht – – Da, da“ (indem er mein neu Kleid anfaste), „das wird wohl auch von ihm seyn“ – – „Herr Eckhoff, danken Sie Gott, das Sie heute zu mir gekommen sind. Wo ich in meiner besten Laune bin. Wär ich in einer andern, so hätte ich Sie schon bereits die Treppe hinunterrollen laßen. – Heute will ich mich nun durchaus nicht aus diesen rosenfarbenen Humor782 bringen laßen, obgleich mein Kleid braun ist – aber weiß garnirt. Hier! 780 16. Januar. 781 Domino, loser, langer Mantel oder Überwurf mit Kapuze, hier aus braunem Taft mit weißer Garnierung. 782 Humeur: Laune, Stimmung.
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Betrachten Sie dieses Kleid ganz. Ists nicht allerliebst garniert – nun sehen Sie diese Schleiffen und den niedlichen Hut!“ – – „Mamsel“ – „Eckhöffgen, halten Sie noch Ihr Maul. – Glänzen will ich diesen Abend – wie eine Gratie. – Tanzen, lustig seyn die ganze Nacht. Morgen den ganzen Tag ausschlaffen und auf den Sontag – – ja, den Sontagnachmittag dem Herrn Pastor Schiro meine Aufwartung machen.“ – „Und das wolten Sie sich unterstehen?“ – – „Höffgen – – ich fühle, das meine rosenfarbene Laune begint schon braun zu werden, hüten Sie sich, das sie nicht schwarz wird, oder, hol mich der Teufel! ich werfe Sie zum Zimmer hinaus und die Treppe hinunter.“ – Meine Stimme stieg immer stärcker. „Kennen Sie mich? – Wißen Sie, wär ich bin. – Muß mann den mit aller Gewalt mit grob werden, um Euch Hamburger höflich zu machen? – Hat Ihre ganze Anrede nicht ganz was anders von mir verdient? Welcher Ausdrücke unterstanden Sie sich gegen mich zu bedienen – Wißen Sie, was sie gesagt haben. Und bin ich die, der Sie sich unterstehen dürfen so was zu sagen. Sie, der Sie nichts wißen, urtheilen wie der Blinde von der Farbe.“ – – „Aber, Mansell Schulz, so seyn Sie doch nicht böse. Sie wißen, wie viel ich auf Ihnen halte.“ – „Ja, das weiß ich, aber grob mißen Sie nicht seyn.“ „Der Pastor ist mein Freund.“783 – „Kann seyn, aber mich wird er noch lieber haben, wenn er mich nur erst kennt.“ – – „Aber so sagen Sie mir doch, kennen Sie den jungen Menschen? Und wie?“ – – „Sehen Sie, Herr Eckhoff, wären Sie artig gewesen und mich bescheiden gefragt, so wüsten Sie nun die ganze Geschichte – nun aber zur Strafe sollen Sie nichts wißen, und das ist die größte Strafe, die ich Ihrer hamburgischen Neugierte geben kann. Warum waren Sie grob, lernen Sie hiebsch dadurch höflich [423]
werden, und sagen dabey, das Sie mein Schüler, ich aber nicht Ihre Schülerinn bin.“ Nun trillerte ich wieder und übte mich, wie ich den Abend voll Grace die Minuetten tanzen würde. Eckhoff wuste nicht, woran er war. Ergerte sich, war neugierig und erfur nichts und ging endlich fort. Ich blieb bey meiner guten Laune und sagte es Carl, als er kam. – Der den brumte und meinen guten Herzen Vorwürfe machte, das ich den Jungen geschont und nicht gleich den Vater den Handel entdeckt hätte. – Hatte freylich ganz Unrecht nicht. – Doch nach meiner Denkungsart, die, wenn ich Gelegenheit hatte, lieber in der Stille Tugenden ausübte, wenn mir gleich der Schein derselben oft abgesprochen wurde, war ichs doch in meinen Herzen. Wie viele wies ich nicht so in Stillen von mir ab. – Ohne Geräusch, ohne Aufsehen. Uberhaubt ist nicht mein 783 In Hermann Uhde, Komödiantenleben, S. 399 heißt es dazu: Ekhof war „bei dem Prediger der refor mirten Gemeinde, Giraud, einem würdigen Greise von 70 Jahren, täglicher Gast […]. ‚Der Pastor ist mein Freund!‘ pflegte Eckhof nicht ohne Stolz zu sagen“; s. Kap. III.5.2.
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Entzweck, einen Liebesroman zu schreiben. – Nein, manchen der, der sagt, er habe in der Welt was erfahren, was gelitten – wird auch den meinen beykomme[n]? – Und doch sage ich nichts, als nur daß, was zum Theil Menschen wißen; theils stükweiß, theils aber auch nicht recht. Hier in diesen Blättern ist Wahrheit ohne Schmuck, ohne Wortgesuche. So wie ich im Leben sprach und handelte und wie man mit mir sprach und mich behandelte. Kommen keine Ordensbänder und -sterne zum Vorschein, die ich spazieren geschickt. – Was nicht ganz laut wurde, will ich auch nicht laut machen. – Meine Freunde kamen der Abrede gemäß und kleideten sich vollend bey mir an. Ich erzehlte ihnen den Morgenbesuch, und alle lachten herzlich – den man mußte Eckhoff und mich kennen, um das alles so poßirlich zu finden, als wie es war. [424]
Ich hatte Zeugen, was wolte ich mehr. Nur, wo der Teufelsjunge hingeloffen, wünschten wir zu wißen. Doch solten sie ihn nicht wiederbekommen, so war meine Absicht, nach Leipzig zu schreiben. Wir fuhren nun nach der Maskerade, und ich tanzte wacker mit. Als die erste Tour der englischen Tänze vorbey war, ging ich mit meinen Freunden zum Theetisch und trank Thee. Wie ich so dastehe, sehe ich mich um, und nicht fern von mir steht der verdamte schielende Maler Stein als Spanier gekleidet. Den zu sehen und so recht ganz a la Schulz aufzufahren, war eins. „Da, da ist er, der infame Kupler.“ „Wer, wer“, schrieen die Masken um mich herrum. „Stein, die Kanallie. Hierher Kerl!“ und will auf ihn zu. Herr Kummerfeldt hielte mich ab – und Stein verlohr sich unter den Masken. Alles drengte sich um mich herrum, und ich erzehlte die ganze Geschichte. Nun gings ans Schimpfen, jeder sagte, der Schurke muß fort vom Saal – aber Stein war schon fort und lies sich auf keinen Ball mehr sehen, müßte den nach der Zeit sehr vermumt dagewesen seyn. Den Sonabend schon lies ich mich zum Sontag bey dem Pastor Schiro melden. – Man lies mir zurüke sagen: Ob ich nicht so gut seyn und den Montag Nachmittag 2 Uhr kommen möchte, er hätte den Sontag wegen den Kirchendienst nicht wohl Zeit. Lies sagen: Ja, ich wolte den Montag kommen. Herr Eckhoff kam den Sontag mit der Zeitung784, sie hätten den jungen Herrn in Bergedorf noch angetroffen und solchen mit Gewalt nach der Eltern Haus gebracht. Das freut mich herzlich! – Nun brauche ich meine Zeugen nicht. [425]
So außerordendlich höflich Eckhoff den Morgen war, so erfuhr er doch nichts und ging mit Kopfschittel[n] fort. Montag fuhr ich nach des Pastors Haus. Ich wurde sehr
784 Nachricht.
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höflich von ein Paar alte würdige Leute aufgenommen, deren erster Anblick Ehrfurcht einflößte. Der Pastor, ein Mann in die 70, und seine Frau in die 60 Jahre. „Es ist mir ungemein angenehm, noch vor meiner Abreise so ein Paar würdige Personen kennenzulernen, nur wünschte ich, das die Veranlaßung nicht die wär – die sie ist. Ich habe gehört, Ihr Sohn ist wieder da, haben Sie die Güte und laßen ihn ruhfen.“ – „Mademosell, kennen Sie nicht ohne ihn“ – – „Nein, Herr Pastor, nur in Ihres Sohns Gegenwart kann und werde ich sprechen.“ Ich sezte mich; die Frau Pastoren ging fort und kam bald wieder, doch ohne ihn. – „Er ist nicht angezogen und in seinen Hauskleid.“ – „Frau Pastorinn, Ihren Sohn hab ich zu sprechen. – Sein Kleid nicht, kan kommen, wie er ist.“ Sie ging zum zweyten Mal und kommt auch zum zweyten Mal wieder ohne ihn: „Er schämt sich zu kommen.“ „Hat er sich nicht geschämt zu thun, was er nicht sollte, so muß er sich auch nicht schämen, das Geschehene zu verbeßern und wiedergutzumachen.“ Die Frau Pastörin ging zum 3ten Mal und kam zum 3ten Mal ohne ihn: „Sein Bruder will vor ihm herrunterkommen. – Er schämte sich vor mir – und er käme nicht.“ „Frau Pastörinn! Herr Pastor! – Mein Vater war nur ein Comödiant, aber das hätte ich mich auf meiner Eltern Befehl nicht unterstehen dürfen, ob ich gleich ihr Liebling war. Was soll ich seinen Bruder sprechen? Was weis der? Kenne ich ihn? – Ich bin kein Kind. Endweder er komme herunter zu uns. Oder“ (in dem stand ich auf ) „Sie führen mich beyde nach seinen Zimmer; und wollen Sie daß nicht, ja, so ists mir leid, das ich unverrichte[r] [426]
Sache hergekommen bin. Doch auf mein Wort! Ich suche die Sache weiter, kan solche so nicht liegen laßen, und dan wird er mich wohl sehen und sprechen müßen. – Soll ich nun so fort? oder wollen Sie als Vater befehlen.“ – Der Alte sah mich an, wurde etwas bestürzt – wendet sich zu seiner Frau – zum lezten Mal lies ichs ihn befehlen. Nun, zum vierten Mal endlich, erschienen beyde. Mühe hatte ich, an mich zu halten, wie ich den unbesonnenen Jüngling sah! Mein Gott, wie sah er aus. Wie aus dem Grabe genomen. Er erregte mein ganzes Mitleid – doch ich mußte es verbergen. Er konte mich nicht ansehen, pükte sich, lies sich auf einen Stuhl nieder und sa[h] starr vor sich hin. „Monsiur Schiero, Sie wißen unsere Abrede. – Wißen, was Sie mir, was ich Ihnen versprochen. Sie hielten nicht Wort; und entbinden mich also dadurch auch meines Versprechens gegen Sie. Doch bitte ich Sie vorher, ehe ich mehr sage, das, wen ich in meiner gegenwertigen Aussage ein Wort solte sprechen, das nicht die heiligste Wahrheit ist: Sie mich hier öffendlich vor Ihren Eltern ein[e] Lügnerin nennen.“ Nun erzelte ich von Wort zu Wort alles, was ich bereits geschrieben; und so, wo die Stellen waren, das ich den einen, dann den andern Brief erhielte, überreichte ich solche den Vater. Als ich an die Stelle kam von den Pflichten, den er seinen Eltern schuldig
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wäre, weinten die Alten bitterlich, der Sohn saß da mit gesenkten Haupt, hatte seine Hände auf seine beyden Knie gelegt, und Thränen tropften darauf. – Es war alles still, nur ich sprach – und wahrlich! ich ward so feuerlich, als ich es noch nie gewesen. Die Pflichten der Kinder gegen ihre Eltern – der Eltern gegen ihre Kinder, das, wenn sie [427]
auch aus Jugend und Leidenschaft einmal fehlten, sie deswegen noch nicht lasterhaft wären. „Dieser Vorfall, Herr Pastor, hat Ihnen vielleicht schlaflose Nächte gemacht. – Doch preisen Sie Gott dafür. Denken Sie, wenn Ihr Sohn an eine leichtsinnige Dirne sich gehenkt? Glüklich die Eltern, wen die erste Liebe ihrer Kinder auf reelle Gegenstände fallen. – Haben mich wohl schon in Ihren Herzen verdammt, haben mir geflucht – wo Sie mich doch hatten segnen sollen. Aber Sie wustens nicht beßer. – Sehen Sie, das man nie voreilig mit Beurtheilen seyn soll. Lernen Sie daraus, guter Vater, das jeder Stand rechtschaffene, edle Menschen hat. Das man nicht auf den Stand, sondern auf den Menschen selbst sehen muß. Auch in dem Rok des Priesters sah ich Bösewichter.“ „Mademoiselle“, sagte der Alte. „45 Jahr bin ich Prediger. 45 Jahr bediene ich den Altar. – Aber mehr und beßere Lehren kan ich weder meiner von Gott mir anvertrauten Gemeine sagen, noch meinen Sohne geben. – Gott segne Sie! Folgt mein Sohn Ihren Vermahnungen, Ihren Lehren, so bin ich der glüklichste Vater. – Madmosell, darf ich mich unterstehen, Ihnen nun selbst diese Armbänder“ – – „Ich danke Ihnen, Herr Pastor! Nehmen kann ich sie nicht. – Legen Sie solche in Ihre Bibliothek zur Erinnerung der Geschichte. – Geht Ihr Sohn einst auf Reisen, so geben Sie ihm eine davon mit, und wenn er Neugung auf ein ander Mädchen werfen will – erinnere er sich des Armbands und werde weise. Überlege, ob solche sich für ihn schicke – ob solche so redlich war wie die, der er sie zuerst gab. – Ist sie den werth, Ihr Schwiegertochter zu heisen, nun, dann geben Sie ihr die andere [428]
dazu, dan trage sie solche und denke, die zuerst sie hatte, ist mit Ursach, das dein Gatte ein tugendhafter Jungling und rechtschaffener Ehemann wurde.“ – „Mademoiselle, Sie beschämen mich ganz. – Gott! wenn es Ihnen je unglüklich gehen könnte? – Nein, Sie müßen einst noch sehr glüklich werden!“ – „Was Gott will, Herr Pastor. Sind nicht alle Menschen bestimmt, hier glüklich zu seyn. – Doch leben Sie wohl! Ich muß zu meiner Arbeit.“ Der Alte nahm meine Hand und legte solche in die Hand seines Sohns. – „Hier, versprich meiner, deiner Freundinn, das [du] ihren Lehren folgen wilst“ – der Sohn weinte entsezlich, war kalt wie Eis, ich dachte immer, er würde hinsinken. Die Mutter sagte: „Küße die Hände deiner, unserer Wohlthäterinn.“ Er neigte sich auf solche, hielte sie zitternd, küste sie, und heise Thränen fühlte ich – mein Herz blutete – doch
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alle Kräfte räfte ich zusammen und nahm Abschied – noch hielte mich der Sohn bey meiner rechten, der Vater meine linke Hand, die Mutter lag auf meinen Schultern, alles weinte um mich – und ich war nicht imstande mehr, ein Wort zu reden. Der Alte zu mir: „Kind! Gott sey auf allen Ihren Schritten. Nie werde ich erwachen, nie mein Auge schliesen, nie die Canzel, nie den Altar betretten, ohne nicht auch zugleich für Sie zu beten. Ihnen zu danken. Gott, Gott segne Sie, gutes, liebes Kind.“ Stillschweigend dankte ich, küßte die Mutter und eilte zum Zimmer hinaus. Der Alte mit seinen Silberhaar und halbnackten Kopf und die Mutter brachten mich an Wagen – der Sohn flog außer sich die Treppe hinauf – vielleicht nach seinen Zimmer. – Und so kam ich in meine Wohnung zurük mit dem ganzen Gefühl und Bewustseyn: Hast rechtschaffen gehandelt – hast Menschen glüklich gemacht! [429]
Billig muß ich nun auch, ehe ich mich ganz von Hamburg entferne, etwas zuverleßiger von Herrn Kummerfeld reden, dieser Mann, der so vielen Antheil an meinen ganzen nachherigen Leben nimmt. Er hies Diederich Wilhelm Kummerfeld. War in Hamburg geboren den 2. December 1723785. Ein Mann von den besten Herzen. Wahre Gottesfurcht, die er mehr in seinen Handlungen als scheinender Frömigkeit zeigte. Kein Säufer, kein Spieler. Ordnung war in seinen ganzen Haus. – Kein Verschwender, und doch auch nicht geitzig. Nicht gelehrt, aber einen hellen, gesunden Menschenverstand. – Geehrt von jeden, der ihn kannte. – So lernte ich ihn kennen, so hatte ich ein ganzes Jahr mit ihm Umgang, und wenn ich in dem ganzen Jahr nur einen Schein von Fehler an dem Mann bemerkt hätte, würde ich eine Lüge sagen. Sein edler Karacter, sein über alle Masen tugendhaftes Betragen gab ihm meine ganze Freundschaft und Hochachtung. Ich verehrte ihn wie eine Gottheit. Nie dachte ich, das noch ein Mensch in der Welt seyn könnte, der ihm gleiche. Er hatte mein ganzes Zutrauen. Ohne Scheu, ohne Furcht war ich oft halbe Tage, ja, bis spät in der Nacht in seinen Haus, er in den meinigen, und ohne von Liebe zu reden, ohne zu küßen, zu schekern, wunderten wir uns oft, wie schnell die Stunden vergangen. Täglich sahen wir uns, er mußte den etwa bey einen Freund auf einen Garten gebeten worden seyn, wo er ein oder zwey Nächte auser seinen Hause schlief786. Er war ebenso ein Freund von Lesen 785 Die Taufe fand am 5. Dezember 1723 statt; Staatsarchiv Hamburg 512-3 St. Nikolai, VIII 4 G Taufen 1711–1730, S. 384. Die Angaben über Kummerfelds Geburtsjahr und Alter in der bei Cropp zitierten Todesanzeige sind demnach nicht korrekt; Kap. III.1 Anhang Cropp, [Bl. Iv]. 786 Friedrich Theodor Nevermanns „Almanach aller um Hamburg liegenden Gärten in zwei Abschnitte. Zuförderst ihrer Lage aus jedem Thor und dann ein Namenverzeichnis derer resp. Bewohner, Hamburg 1792“ vermittelt einen Eindruck von der Bedeutung der Gärten für die Hamburger Stadtbevölkerung.
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wie ich. Auch mochte er mich gern lesen hören. Nun laß ich, auch spielten wir, wen das Lesen zu starck meine Brust angrief, Piket787, dan schwazten wir, hielten den eine kleine Mahlzeit zusammen, und so war ein Tag wie der andere, ohne zu wißen, was das sagen will, einförmig oder [430]
langweilig. Ganz natürlich war es, das unser täglicher Umgang in der Stadt Geschwaz hervorbrachte, als ob wir ein paar ineinander verliebte Leute wären. Mich kümmerte es wenig. Hatte in Hamburg zu viel Unangenehmes erlebt, als das ich eines albern Geschwätzes wegen einen Umgang hätte aufgeben sollen, der so ganz nach meinen Geschmack war. Eines Abens, der uns auch so schnell hinschwand, und wir beyde sehr ernsthaft waren, den ich hatte das Buch „Die Sitten“788 eben geendiget, sagte ich zu Herrn Kummerfeld: „Wie glüklich, lieber Kummerfeld, könnten die Menschen in der Welt seyn, wen sies nur seyn wolten. Wenn mehr Menschen in der Welt wären wie wir. Wenn sie lebten, dächten, handelten wie wir – wie Sie gegen mich – ich gegen Sie. Welch eine Welt wäre den daß.“ „Sie haben recht, liebe Mademoiselle Schulz. Sie wißen, ich bin kein Feind von Gesellschaft, doch so die Tage, wo ich mit Ihnen meine Stunden hinbringe, versichere ich Sie auf Ehre, sind mir noch die angenehmsten gewesen, die ich von jeher gehabt habe. – Ich schwöre es Ihnen zu, ich kann gar nicht an den Abschied gedenken. – Weis nicht, wie ich mich in Ihre Entfernung werde schiken kennen.“ – „Laßen Sie uns nicht traurig machen. Trennen mißen wir uns! Doch wollen wir uns oft schreiben.“ – „Gut! allso wie oft?“ – „Wird auf Sie ankommen. Einmal?“ – „O, das ist zu wenig! Also zwey Briefe?“ – „Ja, zweymal. Kummerfeld, ich muß noch lachen über die zwoo Mädchen[s], die uns recht dachten zu überraschen und unangemeldet von zwey Thüren zugleich eintraten. – Wenn ich nun reise, wird alles Geschwäz mit einmal vorbey seyn. – Ists nicht entsezlich, das nicht zwey Personen von verschiedenen Geschlecht miteinander umgehen kennen, ohne das die Leute glauben Mit Dr. Bentzen und Professor Nölting und deren Gärten in Wandsbek nennt der Almanach Personen aus dem Umfeld der Kummerfelds; Nevermann, Almanach, S. 37 f. Zur Rolle der Gartenkultur für alle Hamburger Schichten im 18. Jahrhundert s. Peter Gabrielsson, Zur Entwicklung des bürgerlichen Garten- und Landhausbesitzes bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Gärten, Landhäuser und Villen des hamburgischen Bürgertums. Kunst, Kultur und gesellschaftliches Leben in vier Jahrhunderten, Hamburg 1975 (Aus den Schausammlungen des Museums für Hamburgische Geschichte H. 4), S. 11–18. 787 Piquet: Ein Kartenspiel für zwei Personen; Heinrich Stich, Theoretisch-praktische Anleitung zum edlen Piquet-Spiele. Nach allen Regeln, Grundsätzen und bewährtesten Kenntnissen bearbeitet und durch zwölf Musterbeispiele erläutert, Wien 1823. 788 Das stark rezipierte Werk von François Vincent Toussaint mit dem Originaltitel „Les mœurs“ von 1748 erschien 1749 erstmals in deutscher Übersetzung.
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und sagen: Da geht was Böses vor, oder, sie sind ein Brautpaar? – Wie lächerlich! Sie mich, ich Sie heyrathen?“ [431]
So machten wir uns beyde über ein Gericht789 lustig, woran wir nie dachten, das je etwas daraus werden könnte. Nun kam die Zeit meiner Abreise immer näher. Mir war bey dem Gedanke wohl und weh. Kummerfeld allein verlies ich ungerne, der einzige, durch dem ich vergaß, das ich in Hamburg war; der einzige, der sich bestrebt, mir das lezte Jahr durch seine aufrichtige, ungekünstelte Freundschaft alles vergeßen zu machen, was ich gelitten. Als die lezten Tage meiner Abreise immer näher rickten, sagte er zu mir: „Liebe Schulze, ich hab an Sie eine Bitte, die Sie mir nicht abschlagen müßen.“ – „Nun, lieber Freund, laßen Sie hören.“ „Sie müßen von mir ein Andenken annehmen!“ und in dem überreichte er mir einen sehr schönen Ring. „Was soll daß? – Nein, Kummerfeld, ich nehme von Ihnen kein Geschenk von großen Wehrt!“ – „So schlagen Sie alles aus?“ – „Ich habe von Ihnen einige Kleinigkeiten, und die behalte ich gewiß zum ewigen Andenken. – Den Andenkensgeschenke müßen nie von großen Werth seyn. – Man könnte in Umstände gerathen, solche weggeben zu müßen, sind sie aber nicht von Werth, so behält man sie, solange man lebt. – Auch werden sie einen nicht gestohlen.“ – „Aber warum, warum wollen Sie nichts von mir annehmen?“ – „Lieber Kummerfeld, darf ich Ihnen mein ganzes Herz ausschitten? Darf ich Ihnen sagen, was ich wünschte?“ – „O, ich bitte Sie darum.“ „Nun gut, so hören Sie mich. Sie wißen den größten Theil meiner Lebensgeschichte. Wißen, wie oft ich mit meinen Eltern in Noth und Elend war. – Wer steht mir dafür, das nicht eben solche Tage des Mangels einst über mich verhengt seyn kennen. Oft habe ich mir gewünscht, wenn ich einst entweder durch Feuersgefahr, Diebstal, Krankheit, Mangel an Engagement – oder Betrug durch andere und so fort, wie alle die Arten von Unglükfällen sich ereignen kennen, und die kein Stand in der Welt mehr [432]
bloß gestelt ist wie der meinige, wen ich, sag ich, in solch eine Art von Mangel fiel, dan in der Welt ich mag seyn, wo ich will, einen Freund zu haben, an dem ich mich wenden könnte. – Dem ich sagen oder schreiben dürfte: Jezt konnt ihr mich retten, mir helfen mit ein, zwey, dreyhunterd Thaler, und dems nicht darauf ankäm, mir zu geben? – Wollten Sie von mir einst der Freund in Noth seyn? – Sie kennen mich! meine Haushaltung; ich vernasche, ich verwandele, ich verschwende nichts. Auch kennen Sie glauben, das
789 Gerücht.
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ich nicht anders als in der äusersten Noth mich Ihrer Güte bedienen würde. – Aber da ich weis, wie weh Armuth und Noth thut, würde es für mich eine große Beruhigung seyn, solch ein Freund zu wißen.“ – „Gott bewahre Sie, liebe Schulzen, vor je so einen Mangel. – Aber wollen Sie den auch, wenn sich je solch ein Fall sich ereignete, sich auch an keinen andern wenden, wenn ich lebe, wie an mich?“ – „An keinen sonst! Da haben Sie meine Hand.“ – „Und hier ist die Meinige. Ich bleibe und bin Ihr Freund in jeden Fall, in jeder Abwechselung des Lebens.“ – Das war unser Bindniß. Kummerfeld behielte seinen Ring und gab solchen den Jubelier zurük, und ich hatte den einzigen Wunsch erreicht, den ich schon seid Jahren in meinen Herzen hegte. Den 6. Merz war die lezte Comödie790. Den 14. reißte ich mit meinen Bruder ab. Kummerfeldt, Herzog und seine Frau und Herr Steinfeldt gaben uns das Geleite. Wir blieben in Bergedorf bis den 16. des Morgens, sie begleiteten uns noch bis nach dem Zollenspiker und den noch bis über die Elbe auf den Hobt791. – Der Abschied war sehr traurig. Und wenn ich solchen nicht mit aller Macht des Schmerzes gefühlt hätte, hätte ich mich haßen müßen. – Die Einzigen, mit denen und in deren Gesellschaft ich Freude hatte. – Und wen ich die nicht kennengelernt, welch [433]
ein erbärmliches Leben würde ich allein in den weltberühmten Hamburg gehabt haben. Wir hatten Extra-Post und fuhren ohngeachtet des abscheuligsten Wetters Tag und Nacht fort und kamen des Abens 8 Uhr den 18. gesund und wohl in Leipzig an. Gleich bey meiner Ankunft schickte ich zu Herrn Schiebeler, der nun in Leipzig studirte792 und mit dem ich in Briefwechsel gekommen, seiddem ich gewiß wuste, das Löwe der Verfaßer von denen Kritiken etc. etc. war. Schiebeler sagte mir, wie ganz Leipzig in einer ungeduldigen Erwartung nach mir sey; das Herr Koch bereits alle Logen schon zum ersten Stük nach denen Feuertagen vermiethet hätte und keine mehr zu haben wär793. – „Das ist mir schmeichelhaft und wünsche, das ich der Leipziger Erwartung Genüge 790 Gegeben wurde Der Ruhmredige, eine Übersetzung des Lustspiels Le Glorieux von Philippe Néricault Destouches. Karoline Schulze spielte die Rolle der Lisette; Eichhorn, Ackermann, S. 253; Theaterzettel UFB Gotha, Poes. 2° 2176, Bd. 8. 791 Hoopte, heute Stadtteil von Winsen an der Luhe. 792 Daniel Schiebeler hatte sich am 27. Juni 1765 in Leipzig immatrikuliert; Die jüngere Matrikel der Universität Leipzig 1559–1809, hg. v. Georg Erler, Bd. 3: Die Immatrikulationen vom Wintersemester 1709 bis zum Sommersemester 1809, Leipzig 1909, S. 353. 793 Zur Gesellschaft von Heinrich Gottfried Koch in Leipzig s. Emil Kneschke, Zur Geschichte des Theaters und der Musik in Leipzig, Leipzig 1864, S. 29–46; Heinrich Blümner, Geschichte des Theaters in Leipzig. Von dessen ersten Spuren bis auf die neueste Zeit, Leipzig 1818, S. 77–188. Erst am 7. Oktober 1766 war das neue Schauspielhaus auf der Rannischen Bastei (später Richard-Wagner-Platz) mit
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thät. – Inzwischen bin ich froh, das ich von Hamburg bin, meines Spiels wegen. – Ich wär schlecht geworden, wenn ich da geblieben. – Alle Lust war weg. Den wenn die Stunde kam, das ich nach dem Theater solte, so wars nicht anders, als wenn ich in meinen Tod solte. – Was hielft der Beyfall, der einen im Schauspielhaus zugerufen wird – wen den ein Schurke sich hinsezt und was gleich darauf in die Welt hineinschreibt – wem wird geglaubt? In der Ferne dem, den man ließt, immer mehr als dem Schauspieler, den man nicht kennt? ein ganzes Publikum, das man nicht hört. – Nur Gerechtigkeit – mehr verlange, mehr wünsche ich nicht. Habe ich gefehlt, so zeige man mir, wo ich gefehlt habe. – Und finde ichs nicht gut, so belehre man mich eines beßern. – Aber mit Bosheit und hämischen Anmerkungen beßert man mich nicht. – Es erbittert mich. Der mich tadeln will, von deßen Freundschaft gegen mich muß ich überzeigt seyn. Er will mich beßer haben! – Und das verdient Dank. – Aber der, der mir alles, alles abspricht, auch das kleinste Verdienst nimmt, ist der imstande, mich zu beßern? [434]
Nein, im Gegentheil, ich glaube gar nichts. Halte Fehler den selbst für schön und gut.“ So schwazten wir über manches, zugleich erfuhren wir, das Herr Koch seinen Balletmeister entlaßen794. – Darüber wunderten wir uns nicht wenig, das er uns nichts davon geschrieben. Doch konnten wir auch nicht wißen, ob Herr Koch noch mehr Leute auser uns bekommen würde. Herr Schiebeler versprach uns, den Morgen darauf wiederzukommen und uns zu Herrn Koch und seine[r] Frau795 zu begleiten. Das geschah den auch den 19. – Schiebeler, den jeder in der Stadt kannte, als er mit uns fortging über die Straße, verursachte, das alles an die Fenster lief und uns nachsah. Alles grießte uns, und die Erinnerung an Göttingen, die mir einfiel, befahl mir, mit eben der freymüthigen, doch bescheidenen Miene zu danken. Wir kamen den endlich zu den guten, alten Vater Koch. Herzlich zufrieden schien er über unsere Ankunft und führte uns zu seiner Frau. Auch sie bewilkommte uns artig, doch schien sie etwas stuzig zu seyn, das mir zwar gleich auffiehl, aber auch wieder dachte: Das ist vielleicht der Frauen ihre Art so. Ich hatte wohl eine gute Stunde mit ihr geschwazt, als sie endlich anfing: „Mademoiselle Schulz, Sie werden vielleicht in meinen Betragen etwas Son[der]bares bemerkt haben. – Und gewiß, ich bin auch in so einer besondern Art von Verlegenheit. – Kurz, ich kanns gar nicht sagen, wie mir ist.“ „Madame Koch, noch habe ich zu wenig die Ehre, Sie zu kennen. Weis also nicht, wie Ihr Benehmen mit andern ist. – Aber eine Johann Elias Schlegels Trauerspiel Hermann in der Anwesenheit des in Leipzig studierenden jungen Goethe eröffnet worden. 794 Kochs gleichnamiger Ballettmeister, Friedrich Karl Koch (1738–1794). 795 Christiane Henriette Koch geb. Merleck (1731–1804), Schauspielerin und Theaterdirektorin.
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Art von Zerstreuung nahm ich an Ihnen war, wie ich ins Zimmer trat. – Hatten Sie Geschäfte? So ists mir leid, das ich mich nicht melden laßen.“ – „Ach nein, das nicht. – Das Sie heute mich besuchen würden, wuste ich schon gestern, weil man gleich zu mir lief und sagte, Sie wären gekommen. – Aber ich bin so verwundert, Sie nun selbst zu sehen – nach der Beschreibung, [435]
die man mir von Ihnen gemacht hat.“ – „Doch um des Himmels Willen nicht zu schön? – Den daß bin ich nicht. – Aber auch nicht häßlich – so ein Geschöpf, das mit ihren Schöpfer vollkommen zufrieden ist, das er sie nicht häßlicher schuf.“ – „Nein, Mamsel, das wahrhaftig nicht. Kein Affe kann so aussehen, als wie man Sie uns beschrieben. Klein wie ein Kind von 10 Jahren, aber so dük! Und düker wie lang. – Ich würde für Sie eine eigene Garderobe anschaffen müßen, weil wir unmöglich solch einen Wechselbalg796 noch bey unserer Geselschaft haben würden. Kleine, schielende Augen, die so tief in den Kopf lagen, das man solche ka[u]m seh. Einen großen, abscheuligen Mund mit starken, aufgeworffenen Lippen; schwarze, heßliche Zähne, eine eingedrickte Nase. – – Nein, Mademoselle, es ist nicht möglich, Ihnen alles zu sagen. Was giebt es für abscheulige Menschen!“ „Liebe Madame Koch, die kenne ich lange. Ich danke Ihnen, das Sie mir das gesagt. – Ergern kann ich mich nun nicht darüber, den ich bin hier und mache nun alle die, die mich so allerliebst geschildert, zu Lügner. Den so häßlich bin ich nicht. Und so, Madame, wie man Sie und Ihren Herr in Ansehung meiner Bildung belogen hat, so werden Sies auch finden in Ansehung meines Spiels. O die Esels! – Und dinken sich alle so klug und weise. Wieder ihren Willen gereicht mir nun daß, was mir schaden solte, zu meinen großten Vortheil. – Hätte man geschrieben, ich wär schön wie ein Engel – ja, dan kam ich schlecht weg. – Nun, in Ansehung des Agierens, kommts ebenso. Man erwartet von mir nichts. – Und das Nichts ist noch unter dem Nichts. – Den lies man mir für einen Heller Ehre in meiner Kunst? – Madame, ich verstehe mein Metije797. Verstand es zu gut – drum drängte man mich, das ich fort solte. – Nun waren viele auch auf meiner Seite, bestanden darauf, mich nicht zu entlaßen. [436]
Nun wolten sie aber, das ich das Hamburger Engagement als ein Gnadengeschenk ansehen solte, und wolten mir allen Ruf auf andere Theater abschneiden. Da sie nun 796 In der ursprünglichen Bedeutung ein von einer Hexe und dem Teufel gezeugtes einer Wöchnerin untergeschobenes Kind. Hier in der übertragenen Bedeutung von Missgeburt, Missgestalt. 797 Métier.
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Wind hatten, das ich bey Ihnen engagiert wär troz allen Kritiken, nun grieffen sie meine Bildung und vielleicht auch wohl gar meinen moralischen Karacter an.“ – „O Mamsell, Sie wißen, wie es geht. – Doch von Ihnen nicht so sehr als von Ihren Herrn Bruder, den man uns als einen grundliederlichen Menschen geschildert, der nie nich tern aufs Theater käm. Den Ackermann mehr als einmal mit der Wache aufs Theater bringen und so wieder wegführen laßen. Der Hendel suchte und allen Muthwillen ausübte.“ – „Gut, Madame. Sie müßen wißen, das mir Herr Schiebeler das schon nach Hamburg geschrieben. – Und dem Brief verdanken Sie es einst, wen ich mit meinen Bruder Ihren Wercke einst nüzlich bin, das wir gekommen. Vielleicht wär ich doch nach Wienn gegangen. Herr Koch acordierte mit uns – hatte mein erstes Wort. – Das wolte ich halten, und – meine und meines Bruders Verläumder beschämen. In einem Stüke habe ich sie bereits zu Schanden gemacht – und für die übrigen darf mir nicht bange seyn.“ Nun wars gegen den Mittag, und wir gingen in unsre Absteigewohnung, und dann bezog ich meine für mich gemiethete Zimmer. Wär mich nicht gekand oder gesehen hat, dem will ich doch nun auch mit meiner Bildung bekand machen. Groß von Person war ich nicht. Doch aber auch nicht von denen ganz Kleinen. Inzwischen paßten sich alle geherige Gliedmase in gleichmasigen Verhältniß zu meiner Länge. Mein Fuß war hübsch. Aber meine Beine, Waden und Lenden waren zu starck. Doch so gerathe und förmlich gewachsen, wie man sehr selten an Frauenzimmern warnimmt, meine Taillie nicht stärcker als eine gewöhnliche kurze Elle (man denke sich aber keine östereicher oder bayersches Maaß798), nicht zu kurz, nicht zu lang, proborzionirt mit den Schultern. Meine Hände waren sehr hiebsch, so wie meine Arme, klein von Knochen, aber rund und zart, nicht [437]
blendend weiß, das sie eine Kranke ankündigen, nein, eine gesunde Weiße. Mein Hals und meine Brust ein Meisterstük der Natur. – Schöner war gewiß keine mehr. – Alles fand ich stükweis an andern Frauenzimmern schöner. Nur die Höhe, die volle – ohne eckelhaft zu seyn – (den eine zu starke Brust ist eckelhaft und will lieber eine magere sehen – wenigstens nach meinen Geschmack), und die feine, zarte Haut, die weiße, und wo die kleinste, blauste Ader durchschimmerte. – Nein, solch eine Brust sah ich nie! Kleine, sehr schön geformte Ohren. Dunkelbraunes, langes, starckes Haar, das mir bis an die Helfte der Waden reichte, den wen ich mit aufgelößten Haar kniedte, lag es handbreit auf den Fußboden. Mein Kopf war klein. Die Stirne hoch; und breit. Die 798 Eine Hamburger kurze Elle maß 57 cm, wohingegen eine Wiener Elle 77,76 cm, eine bayrische 83,30 cm maß; Harald Witthöft, Handbuch der historischen Metrologie 2, Deutsche Maße und Gewichte des 19. Jahrhunderts, Teil 1: Die Orts- und Landesmaße, St. Katharinen 1993, S. 71, 506.
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Augenbraunen nicht ganz regelmäßig. Doch verstelten sie mich nicht, die Nase, was man ein Stupsnäßgen nennt. Die Augen blau und voll Feuer, aber nicht groß. Doch sagen konnten sie, was sie wolten. Der Mund nicht groß und nicht klein. Die Lippen nicht häßlich, aber zwey Reyhen Zähne, die man schöner nicht sehen konnte. Übrigens zart im Gesicht, weis und roth – würde mich geschämt haben, auf der Straße zu schminken. – Weis auf dem Theater nun gar nicht – oder ich mußte eine Sterbescene haben, da mußte ich – den wenn ich auch die Rothe abwischte, sah ich doch zu gesund aus, um den Zuschauer teuschen zu kennen, da mußte ich wohl weiße Schmü[n]ke auflegen. So sah ich aus. Und wenn ich nicht so ausgesehen hatte, würde ich mich nicht nach einer langen Reihe von Jahren so erhalten haben. Wo Mädchens von 20 Jahren neben mir aussahen, als wen sie meine Mütter wären. – Hübsch, ohne regelmäßig schön zu seyn. Wenige Tage nach unserer Ankunft mußten wir bey Herrn Koch des Abens speisen. Wurde wie natürlich von meinen Debüt gesprochen. Herr Koch [438]
hatte die Cenie799 für mich gewählt. Ich machte dagegen Einwendung. „Herr Koch!“ sagte ich. „Nicht etwa, als ob die Rolle nicht schön oder gut genug sey. Nein! Aber ich will Ihnen meine Gründe sagen. Madame Starck800, die nun von Ihnen weg nach Wienn ist und deren Stelle ich nun ersezen soll, ist, wie ich weiß, eine Lieblingactrice hier in Leipzig gewesen, und besonders in denen zärtlichen Rollen, die sie meisterhaft spielen soll. – Ich gestehe es Ihnen, das ganz zu zärtliche, hinschmelzende Fach ist das meinige noch nicht. – Affec801 muß ich haben, entweder recht lustig oder auch recht traurig – noch sind alle meine Leidenschaften starck. Ines de Castro802 habe ich Ihnen mitgebracht. Laßen Sie das Stük einstudieren, ich spiele die Ines. Weis, das ich sie spielen kann. Bedenken Sie selbst, welche eine harte Nuß ich hier aufzubeisen habe. Ganz Leipzig geht mit einer Art von Vorurtheil gegen mich hin. Gefalle ich den ersten Abend nicht – wem ist der Schade? – Mir! Ihnen zwar auch – aber mir, mir unersezlich. Denken Sie, was Löwe und Consorten tryumphiren würden.“ – Koch bestand darauf. Machte mir wegen der Meße Einwendung, wo alle so viel zu studieren hätten u.s.w. Kurz, ich war verdrieslich und lies es mir nicht undeutlich merken. Koch sagte, er wolle mir die Austheilung von denen Stüken schicken, so wie sie die ersten 799 Die Titelrolle in Cenie oder die Grossmuth im Unglücke. Ein moralisches Stück in fünf Aufzügen, aus dem Französischen der Frau Graphigny, übersetzt von Louise Adelgunde Gottsched. 800 Johanna Christiane Starke geb. Gerhard, Schauspielerin. 801 Affekt: Leidenschaftliche Gemütsbewegung. 802 Ignes von Castro, auch Ines von Castro, eine Übersetzung des Trauerspiels Ines de Castro von Antoine Houdar de La Motte.
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vier Wochen hintereinander folgen würden. Gut, da will ich den sehen, ob was darauf folgt, das ich wieder gut machen kann, wen mir den ersten Abend nicht alles nach Wunsch gelingen kann. Einige Tage darauf wurde mein Bruder zu ihm allein berufen und wegen denen Balletten gesprochen. Carl sagte, „Ja, warum nicht.“ – Koch legte nun Gage zu, so das wir stadt 20 Gulden [439]
15 Reichsthaler hatten. Carl war zu gut, den Kochs abgegangener Balletmeister hatte für seine Person allein mehr wie 15 Thaler803 – nur wenige waren bey der Gesellschaft, die ich kannte. Madame Steinbrechern mit ihrer Tochter804 und Herr Schubert805, mit denen ich zugleich bey Doebbelin war, und Herr Löwe mit seiner Frau806, die vor einigen Jahren bey Ackermann waren. Von leztern hörte ich, das das eine Prinzibals ursach sey, warum Herr Koch mich mit der Cenie wolte auftretten laßen. „So schön das Stük ist, so ist es doch sehr alt und hier schon so oft gegeben, das es fast niemand mehr sehen will. Nun wißen Sie, das bereits schon alle Logen bestellt gewesen zum ersten Abend, noch wie Sie in Hamburg waren. Wär Koch nicht ein Narr, wenn er ihnen hier an einen Tag ein neu Stük, neue Actrice, neu Ballet und Balletmeister und neue erste Tänzerinn geben wolte? – Nein! Ein neu Stük muß das Haus wieder voll bringen“. „Koch hat freilich recht und ich nicht unrecht. – Doch ich will sehen, wie ich mich durchschlage. Mache ichs mit der Comödie nicht ganz gut, nun, so hab ich noch das Ballet noch, wo ich den mit dem zweyten das erste vergeßen mache“. Nun wurde in Namen meines Bruders Balletprobe angesagt. Tanzer und Tänzerinnen kamen alle und bestanden aus 6 Frauenzimmern und 5 Herren, ein, zwey Kindern, nehmlich ein Knabe und ein Mädchen. Mein Bruder bat sie, sie möchten sich nach ihren Rang stellen, indem er nicht wißen könnte, wer von ihnen die ersten und lezten Figuren gehabt. Sie schwiegen alle still und sahen sich an; endlich sagten sie einstimmig, so wie sie mein Bruder stellen würde, wolten sie es sich gefallen laßen. – Also nach Gutdü[n]ken wies er endlich einen jeden seine Stelle an. Nehmlich 5 Herren und 5 Frauenzimmer, ich mit Carl und die zwey,
803 Ein Reichstaler hatte 24 Groschen, ein meißnischer Gulden 21. Der abgegangene Ballettmeister: Friedrich Karl Koch. 804 Wilhelmine (1701–nach 1772) und Karoline Elisabeth (1731/33–nach 1772) Steinbrecher, Schauspielerinnen. 805 Johann Gottlieb Schubert(h) (1717–1772), Schauspieler. 806 Johann Karl Löwe (1730–1807), Schauspieler, und Katharina Magdalena Löwe geb. Ling (um 1746– 1807), Schauspielerin.
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waren 14 Personen starck. Alles lernte gut, war aufmerksam und schmeichelten uns, das wir Ehre davon haben würden. Auch lies ich mir von Herrn Koch Stükprobe ausbitten, indem für mich die Schauspieler und Theater neu sey. Das wurde mir ohne Wiederrede gewährt. Den das hatte ich schon erfahren, das sie untereinander etwas bequem waren und nicht gern alte Stüke probirten. Die zu thun hatten, erschienen alle. Ich machte ihnen mein Compliment, und nach diesen sagte ich zu ihnen: „Meine Damen und Herren, heute habe ich zum ersten Mal die Ehre, mit Ihnen zu spielen. Wir kennen uns also noch nicht. Müßen uns aber kennenlernen. Bleiben wir gegeneinander zurükhaltend, so werden wir uns nie kennenlernen. Ein jedes hat seine Art und Weise, wie es spielt. – Ich zum Exempel habe in einigen Rollen, worunter den auch die heutige ist, einige Anmerkungen und Stellen, die vielleicht Madame Starck nicht gemacht. Darf ich von Ihnen hoffen, das Sie mir beystehen werden? – Das Sie mir es als der Jüngsten nicht übelnehmen werden, wenn ich Sie um eins und das andere bitte, es zu thun? – Sie sind hier alle fest. Ich nicht. Doch wünsche ich, mit der Zeit mir hier die Liebe zu erwerben, die Sie sich bereits erworben. Sein Sie von mir wieder versichert, das, Sie mögen von mir verlangen eine Bewegung des Arms, Hand, Fuß oder Miene, ich sie Ihnen gewiß in den Augenblick bringen und entgegenkommen will, wenn Sie es nur wünschen. Legen Sie mir aber meine Anmerkungen nicht für Stolz oder Eigendünkel aus. Finden Sie, das ich unrecht habe – will ich mich gern eines Beßern belehren laßen.“ Anfänglich machte sie alle meine Anrede stuzig. Doch versicherten sie mich einmüthig auf das freundschaftlichste, das ich ungehindert alles sagen konnte. Ja, es solte ihnen lieb seyn, wen ich viele neue Stellen hatte, den das Stük wär ohnedieß sehr alt. – Nun probirten [441]
wir. Die Probe ging vortreflich. Herr Brükner807 war Mericour, Herr Herliz808 Clerval, Herr Schubert Doriman, Madame Brückner809 Orphise. Madame Brükner bey der Erkennungsstelle sagte zu mir: „Wo wollen Sie, Mamsel Schulz, das ich stehen soll?“ „Hier, liebe Madame, wo Sie stehn, um gleich in Ihre Arme zu fallen, sobald Doriman ließt: Orphise ist deine Mutter.“ – „Nun, das freut mich, das ich wieder da stehen kann, wo ich noch zu der Neubertins Zeiten auch stand810. So oft ich nachher die Rolle gespielt habe, mußte ich drüben stehen, etc. etc.“. Einige Stellen mit Herrn Herliz probierte 807 Johann Gottfried Brückner (1730–1786), Schauspieler. 808 Johann Christoph Herrlitz (1748?–1776), Tänzer und Schauspieler. 809 Katharina Magdalena Brückner geb. Klefelder (1718–1798/1804), Schauspielerin. 810 Friederike Karoline Neuber (1697–1760), Schauspielerin und Prinzipalin. Katharina Magdalena
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ich zweymal, und so verschiedene mehr. Alles war mit mir zufrieden und freuden sich auf den Abend. Voller Freude kam ich nach Hause. Das weis Gott, das ich mich nie erinnern konnte, so vergnügt von einer Probe weggegan[gen] zu seyn. „O, Carl, was bin ich nun froh, das ich mit der Cenie anfange. So solst du mich sie nie haben spielen sehen. – Aber ich habe auch eine Orphise, wie ich noch keine gehabt. – Ha, was ist die Brücknern für ein herrlich Weib.“ Den 22. Aprill war also für mich der große Tag! Das Haus war gedrengt voll. Im ersten Act waren die Zuschauer unruhig, den es schien, als ob sie nicht den ersten Auftritt des zweyten Acts erwarten könnten, bis ich kam. Ich tratt mit Madame Brückner auf. Eine allgemeine Stille herrschte. Den ganzen Auftritt aller Augen auf mich. Kein Wort, so wir beyde sprachen, ging verloren, und als ich abging, so soliede, wie es die Rolle erforderte, folgte mir lautes Händegeklatsche nach. – Nun kam mein zweyter Act. Jede neue Stelle wurde bemerckt und mit Beyfall belohnt. In meinen dritten ebenso, bey der Erkennungsscene wolte das Ablaudieren und Pravo, Pravorufen fast nicht aufhören. Im 5ten Act, wo ich nicht [442]
viel mehr hatte und das Stük zu Ende war, belohnten sie uns alle mit lauten Beyfall. – Alle wünschten mir Glük. Madame Koch kam aus ihrer Loge zu mir aufs Theater mit offenen Armen. „O meine Schulzen, meine liebe, liebe Schulzen, prav, prav. – Alle Ihre Feinde und Neider haben Sie heute beschämt.“ – Die Thränen standen mir in den Augen. „Geduld, liebe Madame, Sie sollen noch mehr beschämt werden. Aber nun laßen Sie mich zum Ballet umkleiden, ich las die Zuschauer nicht gern warten.“ Wie der Wind war ich fertig. Das Ballet hies Das Leben der Bauern811. Mein Bruder, der mit mir nicht zu denen Bauern angehörte, kam mit mir angewandert. Ich saß auf einen Esel, das war Löwe aus Hamburg, und hielte ihn bey dem Ohren. Hatte das Mädchen auf den Schoß, und Carl führte den Esel. Hung ein Schild auf, wo Geschichten darauf gemald waren, und theilten unsere Lieder aus, es waren einige Verse, verfertig[t] von Herrn Schiebeler, zierlich in Kupfer gestochen, sie sagten: „An das Publicum. Stadt, wo in ihrem Heiligthum Geschmack und Einsicht glänzen! Wen du erhebst, krönt wahrer Ruhm Brückner war 1741 zu Karoline Neuber gekommen, mit der sie in einer engen Mutter-Tochter ähnlichen Beziehung stand. 811 Das Leben der Bauern, Ballett von Karl Schulze; Woldemar Frh. von Biedermann, Goethe und Caroline Schulze, in: Ders., Goethe-Forschungen N. F., Leipzig 1886, S. 189–198, hier S. 193. Bei Holtei, Bruchstücke, S. 218 heißt das Ballett Das Landleben (s. Kap. III.5.1).
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Mit ewig grünen Kränzen. Laß deines Lobes Melodie Laß sie auch uns erschallen. Süß wird der Fleiß und leicht die Müh, Befeuret ihn, belohnet sie Das Glück, dir zu gefallen. Carolina Schulze Carl Schulze.“ Wir wolten solche unter die Zuschauer auswerfen. Herr Koch aber befürchtete, es möchte zu Streut oder Händel Anlaß geben, also warteten wir, wie [443]
das Ballett aus war, und gaben denen, die uns nach geendigten Ballet alle begrießten, solche erst hin. Aber nun vom Ballet und von meinen und Carls Tanzen812. Wären wir nicht so fest im Tact gewesen, wir konnten vor all dem Ablaudiren und Pravorufen keine Music hören. Keiner, auch die Ältesten vom Theater, konnten sich erinnern, je 812 Dass Karoline auch als Tänzerin auftrat, gefiel nicht allen Leipziger Theaterbesuchern. Goethe, der diese Aufführung am 22. April 1767 besucht hatte (s. WHS , Anm. 313), berichtet, dass Karoline Schulze „durch ihre tragischen Tugenden uns dergestalt gewonnen [hatte], daß wir sie in keiner mindern Rolle, am wenigsten aber als Tänzerin sehen wollten und sie davon sogar in kleinen ausgestreuten Versen abzumahnen gedachten“. In einer Parodie auf das oben erwähnte Gedicht von Karoline und Karl Schulze hieß es: „O Du, die in dem Heiligthum / Der Grazien verdient zu glänzen / Auch ohngebeten krönt der Ruhm / Dich mit den besten Kränzen; Doch soll des Lobes Melodie / Dir immer gleich erschallen; So gib Dir nicht vergebne Müh, / Durch Tanzen zu gefallen“; Robert Steiger, Goethes Leben von Tag zu Tag. Eine dokumentarische Chronik, Bd. I (1749–1775), Zürich/München 1982, S. 217 f., 222. Ob Goethe der (Mit-)Verfasser dieser Verse war, ist unklar. Woldemar von Biedermann hat den Vers Goethe zuschreiben wollen (Goethe-Forschungen, N. F., S. 194). Diese Position ist aber wenig später durch Max Herrmann widerlegt worden (Leipziger Theater während Goethes Studentenzeit, in: Goethe-Jahrbuch 11 (1890), S. 185–193). S. a.: Der junge Goethe, Bd. 1, August 1749–März 1770, hg. v. Hanna Fischer-Lamberg, Berlin 1963, S. 485. Das Gedicht ist als Nr. XXIX abgedruckt in: Sammlung theatralischer Gedichte nebst einigen Gedichten und Epigrammen auf Schauspieler und Schauspielerinnen. Erste Sammlung, Leipzig 1776, S. 191. – Ein anderes Gedicht: „Melpomene, an die Mademoiselle Schulz“, in dem Karoline von Melpomene, der Muse der tragischen Dichtung, aufgefordert wird, Terpsichore, der Muse des Tanzes, zu entsagen, hat Karoline Kummerfeld in sehr gekürzter Form als Nr. 100 in ihre Samlung vermischter Ungedruckter gedancke aufgenommen. Sie bemerkt dazu: „Tanzen und nicht tanzen hing ja nicht von mir ab. Ich war für beydes bei Koch engagirt. – Man wollte länger eine Schauspielerin haben und glaubte, das Tanzen brächte mich um meine Gesundheit. Und wie wenig tanzte ich auf Kochs Theater gegen das Ackermannsche. Und dann erst, da Madame Withoft und Demoiselle Giranek abgegangen, trat ich in alle Ballets“; s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. Das Gedicht ist als Nr. XIX ebenfalls in der oben erwähnten „Sammlung theatralischer Gedichte“ auf S. 184–186 abgedruckt.
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in Leipzig so einen einstimmigen, lauten, allgemeinen Beyfall je gehört zu haben. Alles nahm Theil daran. Von Herrn Koch und seiner rechtschaffenen Frau, von Acteur und Actricen, Tänzer und Tänzerinnen, ja, gar die Theaterleute813, alles hatte uns lieb gewonnen. Da sa[h] man keine Verstellung, es kam von Herzen, keinen Neid, kein Naserümpfen. – Kurz, wir waren unter Menschen gekommen. Welch ein glorreicher Sieg über alle meine Feinde. – Wenn Löwens Ohren gehört, was man laut über ihn geschimpft. Wär der Schurke doch in Leipzig, hies es, das wir ihn zeichnen könnte, damit er jeden gleich in die Augen fiehl, welch eine Art von Kerl der ist. – Das ist mehr wie Bosheit. Solche Leute haben wir in Lei[p]zig noch nicht gehabt. Das Mädchen beydes in eins, eins in beyden. Gut und lieb. Schiebeler speißte den Abend mit uns. Nun fung der erst an: „Ach, Mademoiselle Schulz, wüßten Sie, wie ich für Sie gezittert habe. – Nun gestehe ichs Ihnen offenherzig, ich wolte Ihnen nicht Angst machen. Ich selbst habe gedacht, Sie hätten sich verschlimmert, wären nicht mehr daß, was Sie in Göttingen waren. – Denken Sie selbst, was hat man nicht von Ihnen geschrieben. Keiner kannte Sie hier als blos aus denen Schrieften. Durch die Ode, die ich auf Sie gemacht, beurtheilte man mein Lob aus ganz andern Absichten. Wißen Sie, das heute unter der großen Menge von Menschen nicht 5 für Sie waren, alle gegen Sie. Nun haben Sie sich gar nirgens sehen laßen. Das be[444]
starckte, das Sie grundhäßlich seyn müßten.“ „Und nicht wahr, Schiebeler, wen ich ausging, hatte das boshafte Mädchen eine dichte Florkappe814 vors Gesicht hengen, war eingewickelt im Pelzmantel und lief so, schlich weg?“ – „Jawohl! – Vom ersten Act konnte man kein Wort verstehen. Den Sie waren der Inhalt von Parter und Logen. Ich wuste gar nicht mehr, wo ich hin solte. Wenn Sie alles gehört hatten! Sie kann nichts – wen sie was nüz wär, man hätte sie gewiß nicht von Hamburg gelaßen. – Nun, weinen wir nicht, so haben wir doch was zu lachen. – Wenn sie nur nicht gar zu häßlich ist. Aber heßlich und nichts kennen. Das ist zu toll! – Wenn doch der Act aus wär, das wir ihre besungene Actrice sehen. – Verstehen soll man sie auch nicht – nun ist kein Sprachfehler mehr in der Welt, den Sie nicht alle haben solten. – Einige sagten wieder, was welche von der Gesellschaft zu Ihren Lobe sollen gesagt haben – das hielten die andern für Ironie. – Kurz, ich schwizte und ward bald wieder wie Eis, wuste selbst nicht, was ich anfangen solte. Endlich tratten Sie auf. – Noch hatten Sie kein Wort gesprochen, und alles zeigte Zufriedenheit in seinen Blicken, Sie gungen fort, und Lob und Beyfall folgte Ihnen.
813 Damit sind die Bühnenhandwerker und das andere nicht-künstlerische Personal gemeint. 814 Eine Kappe aus Flor, einem dünn gewebten Stoff aus Wolle oder Seide.
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Wär sie nur schon wieder da, hies es – fatal, das das Stük so alt ist, sie spielen zusammen heute sehr gut, aber wir wolten, das die Schulzen nur ihre Scenen allein mit ihnen spielte. Nun kamen Sie wieder, alle rißen Sie hin. – Alle glaubten, zum ersten Mal Cenie zu sehen. Alles fühlte mit Ihnen – doch Sie sahens, Sie hörtens. Nun wolte man mich fast erstüken mit Küßen und Umarmungen, das ich Sie hieher gebracht, heißt es. – Und auf meine Landleute ist geschimpft worden. – Bis ich sagte, Löwe, der allein schuld ist, was man von Mamsel Schulz zu ihren Nachtheil gesagt, ist ja nicht mein Landsmann. [445]
Aber das half nichts: So hätten Sie den Hundekerl grum und lahm schlagen sollen. – Aber so bedenken Sie doch, das Hamburg keine Universität ist, sondern meist Kaufleute hat. – Auch wahr! Kurz, hies es, Schiebeler, Sie allein machen das Unrecht Ihrer Landsleute wieder gut.“ „Und das freud mich. Leipzig soll erfahren, ob mich ihr außerordentlicher Beyfall verschlimmern wird. Ich haße das Sprichwort: Neue Besen kehren gut. – Nein, lieber: Wie der Anfang, so das Ende, und je länger, je lieber. Das wird mein Bestreben, mein Fleiß sein“. Gewiß, ich glaubte mich nun auf einmal in eine ganz neue Welt versezt zu sehen. Die größte Ordung herrschte. Zu meinen Bruder sagte ich: „Höre, Carl! Ich stelle mich nun ganz in die Situation der ältern Demoiselle Giraneck815, die solange mit Koch die erste Tänzerin war wie auch Madame Withöft816, die es vor ihr und nachher abwechselnt mit ihr war. Ich haße alles, was Unterdrickung heißt. Und da doch eine Tänzerin mehr ist wie ein Tänzer, so kann ich in einigen Balletten frey seyn. Sobald du erstlich nur etliche Ballette im Gang hast, solst du welche ohne mich machen. Wo du den in einen mit Madame Withöft, im andern mit der ältere Giranek tanzt. – Sie ist hiebsch, jung und sehr gut gewachsen – nimm sie also zu die Halbcharacterballette817 und Madame Withöft, die klein ist, zu denen komischen. Das wird mir Liebe und Freundschaft sowohl bey der Gesellschaft wie auch bey dem Publikum erhalten, wen man sieht, das ich nicht gern unterdrüke – nicht allein glänzen und alles machen will.“ Das gescha, mir wars Erleichterung, und ich erwarb mir dadurch die Achtung von jeden. Meine 8te Rolle, die ich in Leipzig spielte, war den 6ten Maii die Julie in Romeo und Julie818. Da wurde das Stück zum 815 Franziska Romana Giraneck verh. Koch (1748–1796), Sängerin, Tänzerin, Schauspielerin. Auch ihre jüngere Schwester Karoline Krüger (1753–1831) war Schauspielerin. 816 Josepha Withöft (* 1734 Wien), Tänzerin und Schauspielerin. 817 Halbcharakterballett (Demi-Caractère): Zwischen den ernsthaften Tänzen (Genre sérieux) und den Komischen Tänzen und Grotesken (Genre comique) angesiedelter Darstellungsstil im dramatischen Handlungsballett; Gunhild Oberzaucher-Schüller, Art. Tanz, in: MGG, Sachteil 9, Sp. 320. 818 Romeo und Julie, Trauerspiel von Christian Felix Weiße. Weißes Bearbeitung basiert weniger auf Shakespeares Drama Romeo and Juliet als auf den Novellen von Matteo Bandello (La sfortunata di due
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allerersten Mal gegeben, noch im Manuscript819. Mit dieser Rolle, die ich mit vielen Glüke spielte, band ich aller Herzen in Leipzig vollends an mich. War mein voller Sieg über meine abwesende Feinde, den gewiß in Leipzig hatte ich keinen. Den wie wars möglich, mich zu haßen oder mir Feinde zu machen? Auch die kleinsten, unbedeutensten Rollen spielte ich gern und mit allen möglichen Fleiß, zu ver[n]ünftig, von Herrn Koch zu verlangen, das er mir nun allein alles geben solte und diejenigen, die ihm so lange Jahre Brod verdienten, hintenanzusezen. – Nein, Koch war zu gerecht und ich zu billig, solches nur zu wünschen. – So konnte kein Neid, keine Eifersucht statthaben. Jedes hatte seine Fecher, wo es gefallen konnte und mußte. Nur das einzige von Herrn Koch war mir leid, das er zu seinen eigenen Schaden einen unüberwindlichen Eigensinn hatte. Koch hätte sich gewiß durch mich manche hundert – ja, ich kann sagen, tausend Thaler mehr machen kennen, wenn er gefolgt hatte. Er gab zu viele alte Stüke und lies wenige neue einlernen, und viele neue fielen durch, die erstlich an und vor sich nicht gefallen konnte, und wo er auch die Mannsrolle, so bald an dem Stück selb nichts war, mei[s]t unter die Anfänger vertheilte. Ines de Castro820 und Soliman der 2te821, die Ackermann so viel Geld eingebracht, hatte ich. Die Ines war in Versen, und Schiebeler wollte einige, gegen denen man was einzuwenden hatte, umendern. Koch hatte zweyerlei an der Ines auszusezen. Erstlich, weil sie in Versen wär, und zweytens, weil er keine spanische Garderobe hatte. – Und doch gab er nach dem Democrit 822
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infelicissimi) und Luigi da Porto (Giulietta e Romeo). – Dieser Aufführung am 6. Mai 1767 wohnte auch der junge Goethe bei, der später darauf und auf Karoline Schulze Bezug nahm, ihr aber wohl nicht näher begegnet war. Lit.: Biedermann, Goethe-Forschungen N. F., S. 193–196; Steiger, Goethes Leben, I, S. 217 f., 222; Johann Wolfgang von Goethe, Das Leipziger Theater 1768, in: Sämtliche Werke, Propyläen-Ausgabe, Bd. 38, Berlin 1928, S. 469–471. – Johanna Schopenhauer schrieb am 13. März 1828 an Karl von Holtei, Goethe habe ihr erzählt, wie er als Student zum Sterben in Karoline Schulze verliebt gewesen sei und sich die Hände fast wund geklatscht habe, wenn sie im Weiße’schen Trauerspiel als Julie auftrat; Johanna Schopenhauer, Damals in Weimar! Erinnerungen und Briefe von und an Johanna Schopenhauer, hg. von Heinrich Hubert Houben, 2. erw. Aufl., Berlin [1929], S. 359. Die erste Aufführung von Weißes Stück in Leipzig fand am 27. April 1767 statt. Im Druck erschien es erstmals 1768. Lit.: Robert R. Heitner, German Tragedy in the Age of Enlightenment. A Study in the Development of Original Tragedies 1724–1768, Berkeley/Los Angeles 1963, S. 342–350; James A. Loehlin (Hg.), Shakespeare in Production: Romeo and Juliet, Cambridge 2002, S. 40; Steiger, Goethes Leben, I, S. 218. Ignes von Castro, auch Ines von Castro, eine Übersetzung des Trauerspiels Ines de Castro von Antoine Houdar de La Motte. Soliman der zweite oder Die Sultaninnen, eine Übersetzung des Lustspiels Soliman second ou les trois sultanes von Charles-Simon Favart. Democrit. Der lachende Weltweise, eine Übersetzung des Lustspiels Démocrite von Jean-François Regnard.
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Crispins Leichenbegengniß 823 und dem Polyeuctes824 in Versen – und kan was Schreck lichers gedacht werden, wie die Reime sind? – und Richard der Dritte825 wurden in gewöhnlicher französischer Kleidung gegeben, wie auch die Alzyre826. Gegen Soliman hatte er die Einwendung, das es in Dreßden mit so [447]
vieler Pracht von denen Franzosen wär gegeben worden. Ohngeachtet seine türkische Kleider nicht schlecht waren, so waren sie ihm nicht gut genug – scheute die Kosten, und die Music, die mein Bruder hatte von Hamburg, an der tadelte er, das kein Janischarenmarsch827 dabey sey – und nicht gefallen würde in Leipzig, weil Herr Hiller828 solche nicht componirt hätte. – Nun mußte er nachher ansehen, das fremde Directeurs hinkamen, sich weder daran kehrten, das solche in Dreßden mit mehr Pracht gegeben, auch nicht Hillers Composition war, und rasend Geld darauf verdienten, ja, den Himmel dankten, das Koch so scrubolös gewesen, den nun hatten sie was Neues. – Doch worauf der Alte bestand, da bestand er darauf, und meist zu seinen eigenen Schaden. Mich dauerte es. Und weil ich in so vielen Stüken sowohl sein wie seiner Frauen vortrefliches, dankbares Herz sah, o, so hatte ich gerne Tag und Nacht gearbeitet, und wen ich ihm Milionen verdienen kennen, um so glüklicher würde ich mich geschazt haben und doch nichts weiter verlangt haben als meinen gewöhnlichen Gehalt. Wie bekant, so wird in Leipzig die Meße hindurch alle Woche 7mal gespielt, wen nun solche zum Schluß geht, so machte Koch an die Frauenzimmer sowohl zur Oster- wie Michaelismeß829 Geschenke. Das bestand an jede Actrice einen Luisd’or830 und an die
823 Der Schiffbruch oder Crispins prächtiges Leichenbegängnis, eine Übersetzung des Lustspiels Le Naufrage, ou Le Funèbre de Crispin von Joseph de la Font. 824 Polyeuctus oder Tragoedia vom christlichen Märtyrer Polyeuctus, Übersetzung des Trauerspiels Polyeucte von Pierre Corneille von Christoph Kormarten. 825 Richard der Dritte, Trauerspiel von Christian Felix Weiße, das Weiße nach eigenem Bekunden ohne die vorherige Lektüre von Shakespeares Richard III. verfasst hat. 826 Alzire oder Die Americaner, eine Übersetzung des Trauerspiels Alzire ou les Américains von Voltaire. 827 Von türkischer Militärmusik inspirierte Stücke waren eine Mode der Zeit, die auch in das Werk von Komponisten wie Gluck, Haydn, Mozart und Beethoven Eingang fanden. Die Bezeichnung „Janitscharenmusik“ ist insofern irreführend, als die türkische Einheit der Janitscharen (14.–19. Jh.) aus Zwangsrekrutierten bestand, die zwar auch Militärmusik spielten, aber nicht deren Urheber waren; ÖEML, S. 2464–2466. 828 Johann Adam Hiller (* 25. Dez. 1728 Wendisch-Ossig (Görlitz), † 16. Juni 1804 Leipzig), Komponist, Musikschriftsteller und Kapellmeister; Leipzig SL, S. 238. 829 Von altersher gab es in Leipzig eine Frühjahrsmesse zu Jubilate (dritter Sonntag nach Ostern) und eine Herbstmesse zu Michaelis (29. September). Lit.: Hasse, Leipziger Messen. 830 Louisd’or: Französische Goldmünze im Wert von 11 Gulden. Der Louisdor war bis zur Französischen
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Figurantinnen831 einen Ducaten832. So was erfährt man den nun gleich. Als nun die Ostermeß bald aus war, kam der alte Vater Koch und gab mir auch mein Papiergen, ich bedankte mich und steckte es zu mir, als ich nach Hause kam, fand ich in solchen zwey Luisdor statt einen. Das machte mich stuzig, den Abend darauf nehm ich mein Papiergen mit dem doppelt Luisd’or mit mir und sage zu ihm: „Lieber Papa Koch, Sie haben sich gestern vergriffen.“ – „Wieso?“ – „Ja, ich weis, Sie geben den [448]
Frauenzimmern jeder einen Luisd’or. – Mir gaben Sie zwey; und wißens nun nicht, und da könnte er Ihnen in der Rechnung mangeln, und Sie nicht wissen, wo solcher hingekommen. Da haben Sie ihn wieder, geben mir einen einfachen, ich verlange nicht mehr wie die andern.“ „Gutes Mädchen, ich weis wohl, das ich Ihnen zwey gegeben. – Arbeiten Sie nicht auch für zwey?“ – „Thue nur meine Schuldigkeit, lieber Koch. Hab ich mich nicht für beydes engagirt? – Doch danke ich Ihnen und werde Ihr gutes Herz nicht vergeßen.“ – Auch mein Bruder bekam 2 Luisd’or. – Nicht des Luisd’ors wegen – aber sinds nicht Zeichen eines erkentlichen Herzens? – O, wo sind noch solche Directeurs. Ich hatte nur in drey Opern kleine Partien mitzusingen, und auch die bezahlte Herr Koch an jeden extra, wer große und die Hauptrollen sa[n]g, bekam das erste Mal einen Luisd’or, dan jede Repetition 2 Gulden, wer kleine hatte, einen Ducaten und fürs Repitiren einen Gulden. Diese drey kleinen Partien brachten mir doch in einen Jahr drey Ducaten und 16 Gulden ein. Nun 4 Luisd’or die zwey Meßen? Das war doch mitzunehmen. Nicht gar lange war ich in Leipzig, so bekam ich Briefe von Wienn und von den Herrn von Kurz833 aus Maynz. Ansehnlicher Gehalt wurde mir geboten. – Doch ich schrieb es ab. Koch hätte ich für kein Theater in der Welt vertauscht; und man hatte mir noch so viel bieten kennen, was den auch gescha, in Wien solte ich nur fordern, und Kurz bot mir allein 19 Thaler. Ich sagte niemand was davon und war bey meine 71/2 Thaler so glüklich, als ichs nur wünschen konnte. Bald darauf bekam ich auch einen Brief von dem jungen Herrn Schiro, er meldet mir, wie das er sich in meine Entfernung nicht zu finden wüste, das er zwar alles versprochen, aber unfehig wär zu halten. Das er mich liebe und ewig lieben müßte. Er wolle nach Holland gehen, aber blos in der Hoffnung, das ich einst, wenn er zurükkäme, seine Hand nicht ausschlagen würde u.s.w.
Revolution die wichtigste Goldmünze in West- und Mitteleuropa. 831 Chortänzerinnen des Balletts. 832 Dukat: Goldmünze. 833 Johann Joseph Felix (von) Kurz gen. Bernardon.
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Ohne mich viel zu besinnen, siegelte ich den Brief wieder zu, schickte solchen an Herrn Kummerfeld mit der Bitte, solchen den alten Pastor Chiro zu geben und seinen Sohn für eine neue Unbesonnenheit zu warnen. – Eben da ich die Brief von Herrn Kummerfeld nachsehe, finde ich den Nahmen, wie sich der Pastor schrieb: Guiraud. Herr Kummerfeld schikte den Pastoren durch Herrn Herzog den Brief zu. Der alte Vater sagte: „Nun komme ich doch hinter meines Sohns Melancholie; ist er den noch ein Narr?“ Darauf wandte er sich zu Herzog und sagte: „Griesen Sie mir Mademoiselle Schulze tausendmal, und ich bin von den abermaligen Beweiß ihrer Freundschaft sehr verbunden. Gott wird ihr so viel Gutes schenken, wie ein Sterblicher empfangen kann. Ich werde Bedenken tragen, meinen Sohn nach Holland zu schiken, den er könnte mir doch noch nach Leipzig chapiren834.“ – Kurz, so rechtschaffen wie ich gegen den Vater und Sohn gehandelt, so hab ich doch nach der Zeit erfahren, das der Herr Pastor sich über die Sache sehr zweydeutig herrausgelaßen, wenn er befragt worden, und mehr die Schuld auf mich als auf seinen Sohn gelegt. – Doch das ist der Lauf der Welt. – Mit Macht kamen Briefe, von aller Orten, auch einer von Petersburg von dem Herrn Soltau835, die Versgen, die ich im ersten Ballet ausgetheilt, sind in der „Hamburger Zeitung“836 abgedrukt worden, Herr Soltau bekam solche in die Hände und sah daraus, das ich in Leipzig wär. Er schrieb mir auf das Heflichste und erzehlte mir nun seine ganze Geschichte. Nehmlich wie sein Vater ihm mit Gewalt von Hamburg geschleppt. Das er ihn unter den heftigsten Drohungen gezwungen, den Brief an mich
834 Echappieren: Entkommen. – Tatsächlich ging Samuel Géraud in die Niederlande. Am 1. August 1768 trug er sich als Student der Theologie in die Matrikel der Universität Leiden ein (Willem Nicolaas Du Rieu (Hg.), Album Studiosorum Academiae Lugduno Batavae 1545–1875, Den Haag 1875, Sp. 1094). 1771 wurde er Prediger der wallonischen Gemeinde in Rotterdam, dort 1775 Eheschließung mit Marie Madeleine Boudet (http://www.genealogieonline.nl/genealogie-de-la-rive/I0077.php, Zugriff am 26.11.2018), 1803 Prediger in Paris, wo er 1828 starb (wohl nicht 1826). Lit.: Lexikon Schriftsteller 2, Nr. 1190; Bulletin de la Commission pour l’histoire des églises Wallonnes 3 (1888), S. 113. 835 Dietrich Wilhelm Soltau war, nachdem sein Vater von seiner Beziehung zu Karoline Schulze und den Konversionsplänen erfahren hatte (s. o. HHS, S. [313]–[320], [329]–[342]) von seinem Vater im Frühjahr 1766 nach London geschickt worden, von wo er dann im August des Jahres nach St. Petersburg gelangt war. 836 Die Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten hatte am 20. Mai 1767 über die Wiedereröffnung des Leipziger Theaters am 22. April mit einer Aufführung der Cenie berichtet, „worinn die Demoiselle Schulz, bisherige Actrice bey dem Herrn Ackermann, zum erstenmale die Hauptrolle mit ungemeinem Beyfall spielte. Sie empfahl sich, nebst ihrem Bruder, dem hiesigen Publicum durch folgende Verse, die mit artigen Verzierungen in Kupfer gestochen ausgetheilt wurden“; es folgt der Wortlaut des Gedichts, das Karoline Schulze vorgetragen hatte – s. o. HHS, S. [442].
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zu schreiben, das ers gethan, aber aus Verzweiflung wegen des Verdrußes, den er mir gemacht und nun machen [450]
müßen aufs Neue, sich ins Waßer gestürzt, um nur von der Welt zu kommen. Weil er sehr bewacht worden, hätte man ihn vermüßt und endlich gefunden. – Als man ihn wieder zu sich selbst gebracht, hatte ers denen wenig Dank gewust, die ihm gerettet. Ob ich nun diesen Brief bekommen oder nicht, wüste er nicht, weil ihn keine Antwort darauf wär zu Gesicht gekommen. Weil alles stille gewesen wär und ihm seyn Vater mit mehrerer Nachsicht begegnet, hatte er es gewagt, an mich zu schreiben. Und in Fall seyn Brief würde aufgefangen, hatte er sich der Schreibart bedient, wie wir eines Abens uns Räthsel vorgeschrieben. – Aber außer sich wär er gewesen, als ihm seyn Vater den ganzen Brief entziffert vorgelegt, und ihm mit ewigen Gefängniß gedroht, wen er nicht allen Umgang und Briefwechsel mit mir aufhebe. Um also ein Land zu verlaßen, in dem für ihn keine Freude mehr seyn solte, hatte er den Schluß gefast, nach Rusland zu gehen, und würde, solange sein Vater lebte, es nicht wieder verlaßen. – „Glüklich wär ich, wenn ich mir mit Ihrer Verzeihung schmeicheln dürfte, nach allen den Verdruß, den Sie meinetwegen unschuldig erlitten.“ – Auch wies er mir eine Adreße an, durch die ich ihm antworten könnte und durch die kinftig alle unsere Briefe gehen könten, und sicher, das sie durch meine Hand und Siegel in Hamburg auf der Post nicht konnten verrathen werden und so fort. Meine Verwunderung über den Brief und deßen Inhalt kann man sich denken. Nun wuste ich, woher das Gerede kam, das ich mit ihm correspontirte unter characteurischer Schrift. Nicht träumen hätte ichs mir laßen, das er sich sowas unterstehen solte, einen Scherz, einen Spas so zu mißbrauchen und solchen sich in einer mehr als ernsthaften Sache zu bedienen. Ich antwortete im [451]
gleich den ersten Postag837. Stelte ihn seine jugendliche Unbesonnenheit vor, wie sie war. Schrieb ihm, wieviel ich gelitten bey der Nachricht seines Selbstmordes. – Wie ich den Brief von ihm erhalten, oder vielmehr durch seinen Vater, den jedes Wort hätte ich von selbst eingesehen, das solches nicht aus seinen Herzen kommen kennen, da er ja gewust, wie mein Umgang mit ihm beschaffen gewesen. Das ich auch leicht denken konnte, das meine Antwort ihm nicht würde gezeigt werden, und so wär solche so abgefast gewesen, ihm eher mit seinen Vater auszusehnen, als ihn mehr zu verbittern – ohne mir etwas zu vergeben von meinen Rechte, das mir zukam. Überhaupt hätte ich
837 Posttag: Tag, an dem die Post abgeht.
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über den albern Einfall von seinen Vater mehr gelacht wie geergert, das er mich für so dum ansehen konnte. Auch hätte ich gut Lachen gehabt, da ich ihm lebend wuste, und mit Verlangen darauf gelauer[t], mich gegen ihn und ihm gegen mich abzuhören. – Worüber ich aber den sehr aufgebracht worden, wär das neue Gericht gewesen der Ciffer-Correspontenz838. Die ich nicht klar bekommen kennen, weil ich mir nicht träumen laßen, das er es noch einmal wagen würde, an mich zu schreiben, und noch dazu auf eine Art, wie wir nie aneinander geschrieben, das ich einen eigenhändigen Aufsaz gemacht und solchen dem Herrn Sindicus Schubach geben laßen839. – Was geschehen wär, wär nicht mehr zu endern. Das Bewustseyn meiner Unschuld wär mir genug. Was aber einen neuen Briefwechsel mit ihn anbelangte, würde nie mehr geschehen. Er kenne mich. Wenn er ferner noch an mich schriebe, würde er sich vergebens mit einer Antwort schmeicheln. Sein Vater wär stolz – ich aber noch stolzer. Und nie konnte er mich so verachten wie ich ihm. – Ja, noch mehr. „Wenn er auch tod wär, Sie Ihr freuer Herr und böthen mir nun Ihre Hand an, und ich durch Sie mein größtes Glük auf mein ganzes Leben hindurch machen könnte, würde ich solche [452]
ausschlagen und eher die äuserste Armuth und Dürftigkeit wählen. Würde nicht die ganze Welt dencken, alles wer wahr gewesen? Nein, meine Ehre, mein ganzer Stolz will, das ich mit Ihnen weder personlichen noch schriftlichen Umgang mehr habe. – Haßen werde ich Sie nie, werde, so lange ich lebe, Ihre Freundin seyn und bleiben und mich freuen, wenn ich einst höre, das es Ihnen wohl und glüklich geht etc. etc.“ Das war mein Brief, den ich hoffe, das er ihn erhalten. Er kannte mich zu gut und schrieb auch deswegen nie wieder. Auch erhielte ich von Herrn Comißionsrath Schmidt840 aus Hamburg einen Brief mit folgenden Inhalt: „Mademoiselle! Sie kennen die Achtung, die ich für Sie habe; Sie wißen, wie sehr ich Ihre Entfernung von dem hamburgischen Theater bedauert! Diese Gesinnungen werden mich rechtfertigen, wenn ich sage: 838 In Chiffren, Geheimschrift. 839 Damit ist ihre oben HHS, S. [337]–[342] wiedergegebene Verteidigungsschrift gemeint. 840 Johann Friedrich Schmidt (* 1729 Langensalza, † 22. März 1791 Wien), Übersetzer, Bearbeiter und Verfasser von Bühnenstücken, Sachsen-Weimarischer Kommissionsrat. Schmidt, der Hauswirt Lessings in Hamburg, war später Direktor der Pyrmonter Zahlenlotterie, 1780 Leiter des Trattnerschen Lesekabinetts in Wien und bis 1786 Redakteur der „Gazette de Vienne“. 1778 bis 1779 erschien das von Schmidt herausgegebene „Journal von auswärtigen und deutschen Theatern“. Lit.: Reinhard Markner/Monika Neugebauer-Wölk/Hermann Schüttler (Hg.), Die Korrespondenz des Illuminatenordens, Bd. 1: 1776–1781, Tübingen 2005, S. 250 f.; Rüppel, Großmann, S. 209, Kosch Theater, Bd. 3, S. 2034; http://dictionnaire-journaux.gazettes18e.fr/journal/0533-gazette-de-vienne, Zugriff am 28.3.2018. S. a. WHS, Anm. 333 und 575.
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Möchten Sie doch bald wieder bey uns seyn! Ich habe zu persöhnliche Freundschaft gegen Herrn Koch, zu viel Liebe für das Leipziger Publicum, das Ihnen schmeichelhaften, verdienten Beyfall schenckt, als daß ich die Erfüllung meines Wunsches zu übereilt hoffen sollte; aber ich weiß auch, wie oft Sie an Hamburg zurückdenken, an Ihre Freunde, deren ungekünsteltes Lob Sie für den Neid, der wahren Talente stets verfolgt, schadloß hielt. Die Entrepreneurs unsers Theaters wünschen Ihre Zurükkunft. Herr Bubbers ist Ihr Freund; er läßt Sie durch mich versichern, daß, wenn Sie Vertrauen in ihm setzten und sich näher und schriftlich gegen ihn erklären wollten, er für Sie und Ihren Herrn Bruder für Advent des Jahres oder noch eher die besten, vortheilhaftesten Bedingungen festsezen könnte. Wie groß ist mein Vergnügen, das ich Ihnen diese Nachricht geben kann. Kommen Sie doch wieder zu uns! geben Sie unsern Theater die liebenswürdige [453]
Actrice zurück! Empfehlen Sie mich den Herrn Bruder und bleiben Sie von mir versichert, daß ich mit der vorzüglichsten und verbindlichsten Hochachtung sey, Mademoiselle Dero Hamburg ganz ergebenster Diener Schmidt, den 29. Julii 1767. Commißions-Rath.“ Konnte ich noch mehr Revange841 verlangen? Gaben sie mir solche nicht alle selbst, ohne das ich sie suchte? – Ich leugne nicht, ich tanzte mit den Brief in der Stube herrum. Wem konnten sie beßer zum Briefschreiben in dieser Sache wählen wie dem Commissionsrath, von dem ich gewiß wuste, das mich der Mann nie beleidiget und immer mein Freund war, troz der genauen Bekandtschaft, in der er mit denen übrigen stand. Der Teufel mißte mich ganz gepackt haben in seine Klauen, wen ich aus dem reizenden Lustgarten gewichen und mich nach Hamburg auf das Mistbett gesezt hätte. – Nun antwortete ich, und, wohl zu merken, die Worte mit lateinischen Lettern sind der Hamburger Critici ihre eigene Worte842: „Werther Freund! Ich bin zu sehr von Ihrem rechtschaffenen Herzen gegen mich überzeigt, das Sie es sind, als das ich mich eines Namens bedienen solte, der in der jezigen Welt nur in dem Schall des Worts allein besteht. Wie angenehm ist es mir, das Sie mir Gelegenheit geben, ohne alle Verstellung mein Herz auszuschitten; die Ursachen zu zeigen, die mir einen Ort, der entlich angefangen mir lieb zu werden, nun aber vollends zu einen
841 Revanche. 842 Hier im Folgenden gesperrt wiedergegeben.
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Abscheu geworden. Vielleicht verlangen Sie dieses nicht zu wißen, in dem Ihnen alles, zum mindesten die vornehmsten Personen darunter, noch beßer mögen bekannt seyn [454]
als mir, und blos allein von mir hören wollen, ob ich willens bin, mich zu verendern oder nicht? Wie sehr ist es mir leid, das Sie es sind, dem ich sagen muß: Es ist unmöglich! bey allen Vortheil, den mir auch immer die Herren Entrepreneurs anbieten kennen. Legen Sie mir dieses nicht als einen Eigensinn oder als eine kleine Rache aus. Nein, in beyden Stüken thun Sie mir zu viel. Ich bin schon gerächt gewesen, ehe man mir durch Ihnen sagen lies: Ich möchte doch wiederkommen! Ich läugne es nicht, das ich anfänglich und durch das viele Zureden meiner Freunde wünschte zu bleiben. Nach meiner Denkungsart war ich überzeigt, das ich mit denen Entrepreneurs keinen Verdruß haben könte. Den von einer gewißen Theaterseuche, wovon der größte Theil unserer Theaterhelden und -heldinnen angesteckt sind, und in Neid der Rollen und des Puzes besteht, bin ich, den Himmel sey Danck! niemals mit angestekt worden. Eine Rolle hatte ich mir zu der meinigen gewählt, nehmlich die Mädchens, weil solche sich n i c h t a l l e i n mit meiner Sprache, sondern überhaubt zu meinen körperlichen B a u – kurz, sich am besten für mich schickten. – Das ich andere Rollen spielte, war oft die größte Noth da; und Herr Ackermann mußte ja froh seyn, das man solche ohne Wiederwillen von mir ansah? – Doch dieses konte man mir nicht verdenken, und ich sagte es Ihnen ja: Das, wenn ich bliebe, ich keine Hanna in der Sara843 oder sonst eine schlechtere Rolle in einen Stük annehmen würde, in welcher ich sonst die erste gehabt hätte. – Ja, auf jeden andern Theater, wenn solche schon besezt sey, wär mein Verlangen unbillig – doch nicht in Hamburg und in der Verfaßung. Mit der Direction hätte ich mich auch nicht abgegeben, weil ich als Actrice bezalt werde. Hätte ich gefehlt und man mir freundschaftlich meine Fehler gezeigt und ich gefunden, das man [455]
recht hätte, [würde] es ein andermal anders gemacht haben; und übrigens mir auf dem Theater eines so lieb gewesen wie das andere, und nie mich geweigert haben, neben dieser oder jener nicht zu spielen – wie sies da machen – von gewißen Rollen und dergleichen. Von diesen allen überzeigt und in Gesellschaft meiner rechtschaffenen Freunden, die ich nie vergeßen werde, konnte ich auch angenehme Tage mir versprechen. Weiter! M a n w u s t e n i c h t , w a s m a n m i t m e i n e n B r u d e r a n f a n g e n s o l t e . – Das war viel! da man doch weit schlechtere, als er war, ansprach zu
843 Miß Sara Sampson, Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing.
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bleiben – und Personen annahm, die noch gar nichts konnten. Ich weis, das mein Bruder aus dem Agieren nur ein Nebenwerck gemacht. Allein, oft verendern die Umstände die Sache, und wenn auch keine Ballets gewesen, er gewiß nicht den Schimpf auf sich genommen: Er verdiene seine Gage nicht. Herr Ackermann selbst war schuld, das er sich auf das Agiren niemals gelegt. Den ein Norton in der Sara und ein Blant844 in Kaufmann von London845 waren keine Rollen vor einen Purschen von 17 Jahren. Nach der Zeit war es zu spät, und er hatte in vielen Stiken recht, das er nicht zwey Theile bestreuten wolte. Ferner (den Sie müßen wißen, ich weis alles, wie es zuging), es wurde auf Recommendation fortgeschrieben, ein junges, hiebsches Weibgen verlangte man, die meine Stelle vollkommen b e s e t z e n k o n n t e . Vollkommen? Da ich nicht so stolz noch bin, nur zu denken: Ich machte eine Scene vollkommen, viel weniger eine ganze Rolle. – Das Weibgen kam nicht. Nun solte ich der Nothnagel seyn. – Und das nicht allein: Ich solte noch Gott danken, das man mich würdigte, mich zu behalten. Deswegen schrieb und druckte [456]
man die infamsten Sachen, um an andern Örtern mir meinen Weg abzuschneiden. Epigrams, die wochenlang auf den Puztischen lagen, man mir sie auswendig sagte, ehe sie noch in die „Wansbecker Zeitung846 kamen – kurz, elende Creaturen, die alles mögliche ersonnen, mich nicht allein in Hamburg, sondern auch in der ganzen Welt verhaßt zu machen. Die Lügen erfanden und mich zu einen Monster, zu einen Teufel an Körper und Seele abbildeten. – Das ging zu weit! Und wenn ich alle Glükseligkeit in Hamburg erwarten kennen, mußte mir diesen Ort zum Ekel werden laßen. Geringschäzig kan ich mich nicht ansehen laßen, dazu bin ich zu stolz. Da habe ich es mir in meinen Leben zu sauer werden laßen und niemals das Theater zu einen Deckmantel gebraucht. Von allen diesen Streichen wuste ich, und ich versichere Sie, das ich mich eher auf die kümmerlichste Art hätte behelfen wollen, als in Hamburg zu bleiben. Wie ruhig lebe ich hier! Mit welchen Vergnügen gehe ich auf das Theater! und wenn ich weggehe, ist es immer mit dem Wunsch: Das es doch bald wieder der andere Abend da seyn möchte! Hier bey Herrn Koch kann ich sagen: Das ich das erste Mal mit meinen Stand zufrieden bin. Und Gott danke, das ich bin, was ich bin. Wenn es 844 Norton, Bedienter des Mellefont in Miß Sara Sampson. Blunt, ein Diener. 845 Der Kaufmann von London oder Begebenheiten Georg Barnwells. Ein bürgerliches Trauerspiel. Übersetzung von The London Merchant: or, The History of George Barnwell von George Lillo (1731), 1752 von Henning Adam von Bassewitz aus der französischen Übersetzung von Pierre Clément (1748) ins Deutsche übertragen. 846 Gemeint ist der „Wandsbecker Mercurius“, s. o. HHS, S. [408].
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nicht an dem wär, weswegen solte ich es sagen? Warum sollte ich bleiben? Und noch dazu, da ich mich in Ansehung der Gage verbeßern könnte? In Hamburg würde man mir mehr geben; nach Wienn kann ich jeden Augenblick, vor 4 Tagen bekam ich von Herrn von Kurz aus Frankfurt Briefe, der mir mit dem Bruder 24 Reichsthaler Gage bietet. Doch keine geldgierige Milwoot847 bin ich nicht. Zufriedenheit und Ruhe kan man mit Gelde nicht erkaufen. Die Gesellschaft liebt [457]
mich, ich sie wieder. Hier weis man von keinen Neid! Und entweder außerordentliche Glüks- oder Unglüksfälle mißen mich von Herrn Koch bringen – sonst nichts!! Sollt ich mir selbst so verhaßt seyn und in eine solche Verwirrung zurükkehren, wie auf dem Hamburger Theater herrscht? – Man weis hier alles. Die werden fett von anderer Magrigkeit. Und wie viel haben die Vernünftigen darunter nicht zu thun, den Frieden nur noch öffendlich vor der Welt zu erhalten. – Den heimlich? – Ich muß lachen, und Sie lachen gewiß auch, indem Sie oft ein Zuschauer mancher tragisch comischer Auftritte gewesen. Sie sehen, das es mir nicht möglich ist, in Ihr Verlangen zu willigen. Vielleicht kennten Sie mir einwenden und sagen: Man spräch oft mehr, als an dem ist? Doch es ist unmöglich, alles zu erdenken, und das meiste davon bleibt doch immer wahr. Leben Sie wohl! Vergeben Sie, das mein Brief zu lang geworden; doch Sie wißen, Mädchens in Comödien und auch außer derselben blaudern gerne. Mein Bruder und ich, wir empfehlen uns denen Herren Entrebreneurs und danken ihnen für die Ehre, die sie uns erzeigten. Leben Sie wohl, werther Freund! Bleiben Sie derselbe allezeit von uns, mein Bruder vereinigt diesen Wunsch mit mir, und glauben Sie, das ich stets mit aller Hochachtung seyn werde Dero ergebenste C. Schulze. Leipzig, den 5. August 1767“ Meine Antwort machte, das mancher heimlich lachte; mir recht gab. Auch bekam eine Person das Fieber, so hatte sie sich über den Innhalt geergert, und jedes Wort war Wahrheit. Und gewiß ists, ich würde, wenn ich auch außer Brod gewesen wär, lieber den ersten und besten Budenprin[458]
[zi]bal wie die große Hamburger Entreprise gewählt haben, und wo mehr Ordnung gewesen seyn würde, wie da war. Verdient hätten sie es nach ihrer Großspracherey, nach ihrer vorläuffigen Nachricht, die sie ganz ohne gesunde und reiffe Uberlegung, den
847 Rolle der Milwood im Kaufmann von London.
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Secretär Löwe hatte solche geschrieben, in die Welt hineingeschickt und manchen, der gut saß, damit hingelekt, zu sein und der Seinigen Schaden, das man aufgezeichnete Narrheiten von ihnen öffendlich dem Publikum vorgelegt. Ich, die ich sie alle gesamlet habe, würde sie hier öffendlich mit anführen, wen, wie ich schon einmal gesagt, diese Blätter andere Theaternachrichten enthalten sollten, als die mich nur unmittelbar selbst angehen. Ich schweige also von solchen, da ich nicht selbst dabey war. Alles bestrebte sich, mich von Leipzig wegzuhaben. Herr Kummerfeld, mit dem ich fleißig Briefe wechselte, stimmte nun aus dem zärtlich freundschaftlichen Ton nun den aufrichtig liebenden hinzu. „Mein Herz haben Sie längst – nehmen Sie auch meine Hand an.“ Aus Ursachen von Famil[i]e wegen und dergleichen wünschte er, das ich solches noch geheim halten; und sezte die Zeit unserer Verheyrathung auf die Ostern 1769. – Den Antrag war ich nicht vermuthen[d]. Er sezte mich in ein tiefes Nachdenken. – Troz alles des Ruhms, alles des Beyfals und Liebe, die man mir zolte und von Jugend an gezollt hatte, so blieb doch mein Herz bey allen Schmeicheleien auf eine gewiße Art kalt. Alles Lob, das so manches junges Mädchen bey dem Theater stolz, übermüthig, neidisch, hämisch und boßhaft gegen ihre Gespielinnen gemacht hatte – wü[r]ckte in keinen denen Fehlern auf mich und verrükte nie meinen Kopf, noch vergiftete solche mein Herz. – Die vielen Unglüke, die ich mit meinen Eltern in meiner [459]
Kindheit erlebt hatte, das Alter und die langen kränklichen Umstände meiner Mutter war mir das sicherste Verwahrungmittel, das mich die allgemeine Theaterseuche848 nie mit hinriß. Auch meine Mutter war schön, jung. Auch ihr band man Blumen- und 848 Sie spielt hier an auf eine übertriebene Neigung, Theateraufführungen zu besuchen, selbst auf der Bühne zu stehen oder Theaterstücke zu schreiben, die damals weit verbreitet war. Zeitgenossen sprachen von „Theaterfieber“ (C. M. Wieland), „Theaterlust“ (E. T. A. Hoffmann), „Theaterwut“ (L. Tieck), „Theatergrille“ (K. P. Moritz) oder gar von einer „Epidemie“ ( J. G. Seume). Auch ein Roman des Schauspielers August Wilhelm Iffland, erstmals publiziert 1812, hat diese Theatersucht zum Thema: August Wilhelm Iffland, Das Leben des Soufleurs Leopold Böttger, hg. von Georg-Michael Schulz, St. Ingbert 2018. In Johann Wolfgang von Goethes Roman „Wilhelm Meister“ sucht der Romanheld im Theater persönliche Selbstverwirklichung und Flucht aus der bürgerlichen Existenz. In Karoline Kummerfelds Memoiren sieht Renate Möhrmann ein „bürgerliches Gegenstück“ zu Goethes Theaterroman: „Was Wilhelm die Bühne ist, sind Karoline die bürgerlichen vier Wände: die Zufluchtsstätte vor den Widrigkeiten des Alltags“; Renate Möhrmann, Die Schauspielerin als literarische Fiktion, in: Dies. (Hg.), Die Schauspielerin. Zur Kulturgeschichte der weiblichen Bühnenkunst, Frankfurt/Main 1989, S. 154–174, hier S. 156. S. a. Walter D. Wetzels, Schauspielerinnen im 18. Jahrhundert – Zwei Perspektiven: Wilhelm Meister und die Memoiren der Schulze-Kummerfeld, in: Barbara Becker-Cantarino (Hg.), Die Frau von der Reformation zur Romantik. Die Situation der Frau vor dem Hintergrund der Literatur- und Sozialgeschichte, Bonn 1980 (Modern German Studies 7), S. 195–216.
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Lorbeerkränze – was wär sie nun im Alter, wenn sie keine Kinder hätte? Die Ehen bey dem Theater? Ich hatte keine gesen, die auf mein Herz Eindruk gemacht; und nur sehr wenige hatten Kopf genug, ihr Loos, das sie getroffen, mit Anstand zu tragen. Und die jungen Männer, die nicht beweibt waren, waren endweder zu wild und ungezogen oder auch zu ungeschickt in ihren theatralschen Künsten. – Und ich weis nicht, aber entweder muß Mann und Weib beyde Brod verdienen kenen, oder der Mann muß das Weib erhalten. Der Mann, der ein Weib nimmt, um sich von ihr nähren und erhalten zu laßen, ist mir eins von denen gemeinsten, niedrigsten Geschöpfen. Kan keine Achtung für ihn haben. – Ja, ein anders ist es, wen er durch Krankheit oder Unglück unfähig wird, Brod zu schaffen – oder nicht fehig ist, allein mehr seiner Familie ganz vorzustehen, das dan das Weib sich auch ihre liebste Neigung entsagen und nebst ihrer häuslichen Wirthschaft nun jeden Augenblik anwende, ganz den Mann das zu seyn, was er ihr war. Kummerfeld bietet dir seine Hand an! Wie vieles sagen Herz und Verstand zu dir, den Mann nicht auszuschlagen. Werth war er mir geworden; er hatte meine ganze Hochachtung und zärtlichste Freundschaft. Ich forschte mein Herz durch und fand wahre Liebe – Liebe, die ich mir nun selbst zuerst gestand – den lieben wolte ich ja nicht mehr, die erste hatte mir zu viele trübe Stunden gemacht. Ja, Kummerfeld ist der einzige Mann, der dich glüklich machen wird und mit dem du es seyn kannst. Er lebt still, ist freygebig ohne zu verschwenden; wirthschaftlich ohne Geiz; [460]
kein Säuffer, kein Spieler. Da er fast 22 Jahre älter ist wie du849, so bist du sicher, das dir sein Herz unverenderlich bleiben wird. Ein angesehener Bürger; ein Mann von Ehre! Hochachtung und Freundschaft zu dir, daraus entstand Liebe. Ohne schön zu seyn, so ist er doch auch so gebildet, das er gefällt; und die Aufrichtigkeit und Redlichkeit ist gebrägt auf sein Antlitz. Wirst, kannst nie eine beßere und beständige unbereuende Wahl treffen. – Doch hat Kummerfeld auch an alles gedacht? Alles überlegt? – Hat er nicht? – Nun, so will ich ihm erinnern, weils noch Zeit ist. Ich schrieb ihm: „Ihr leztes Schreiben, mein werthester Freund, hat mich – ich gestehe es, in ein angenehmes Erstaunen gesezt. Sie kennen mich. Sie wißen, wie hoch ich Sie schäze, wie zärtlich meine Freundschaft für Sie ist. Der Schritt zur Liebe liegt nah dabey; und wenn ich Sie auch nicht in Hamburg geliebt hätte, so hätte ich Sie nun, entfernd durch Ihre fortwärende Neigung zu mir, lieben müßen. Sie schreiben mir, das Sie nur jezt entfern[t] von mir fühlten, das ich Ihnen mehr geworden wie Freundinn; das Sie sich nun erst selbst kennten und überzeigt wären, ohne mich nicht leben zu kennen. Schmeichelhaft für
849 Nach ihrem tatsächlichen Geburtsjahr berechnet betrug der Altersunterschied 19 Jahre.
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mich. Fast möchte ich stolz seyn auf mich selbst, das meine Denckungsart, meine Art zu handlen, mein Umgang mit Ihnen fehig war, ein Herz wie das Ihrige zu rühren; das so viele weit schönere, lieben[s]würdige und reichere Mädchen in Hamburg nicht über Sie vermocht. Den welche Eltern in Hamburg würden Ihnen ihre Tochter versagen; und welches Mädchen von Verstand und Herz würde Ihre Hand ausschlagen. Weg also, liebster Freund, alle Verstellung. Ich liebe Sie, muß Sie lieben. Wer kann meine Liebe mehr verdienen wie Sie? Ihr Antrag macht mir Ehre – und ist für mich ein Glük, das ich nie gehoft. Aber, Freund! [461]
haben Sie auch alles wohl überlegt? Eine ewige, unzertrenbare Verbindung mit Ihnen sehe ich zwar für das größte Glük an, das mir je begegnen konnte – aber ich würde doch dieses Glük ausschlagen, wofern der geringste Zweifel in meiner Seele zurükblieb, das Sie mit mir und ich mit Ihnen nicht bis zu dem Augenblick, da Gott uns voneinander trennt, gleich glüklich leben solten. Vier Punkte, lieber Freund, müßen Sie mir aufrichtig beantworten, damit keiner von uns beyden einst einander Vorwürfe machen kann. Der erste ist die Religion. Ungestört will ich in der meinigen leben und sterben; so wie ich Sie ungestört die Pflichten der ihrigen werde erfüllen laßen. Keins darf das andere abhalten. Meine Religion sey mir daß Meinige, so wie Ihnen die Ihrige das Ihrige ist. Der zweyte Punkt ist das Theater. Sie wißen die Vorurtheile, die die meisten dagegen haben. Fühlen Sie sich stark genug, alle Vorwürffe, die man Ihnen einst machen kann und wird,CXXXVIII darüber hinauszusezen? – Sie wißen, so wenig der Fürst zu seiner Geburt selbst was dazu beygetragen, so wenig hab ichs. Nicht um freu, müßig, bequämer oder freyer zu leben, bin ich auf dem Theater. Meine Eltern waren vor mir auf denselben und gaben mir bey dem Theater mein Dabeyseyn. – Gereicht mir also zu keinen Vorwurf, und unglüklich wer der oder die, die über mich die Nase rümpfen oder mir Achtung entsagen würden, die mir zukäm. – Den auch darinnen kennen Sie mich: Ich bin stolz und hizig wie ein Mann. Der dritte ist: Ich habe kein Vermögen. Mein Reichthum ist meine Kunst. Und wen Gott mich gesund läßt und vor außerordendliche Unglüksfälle beschizt, ja, so bin ich imstande, mir jezt was zu samlen bey meiner ordendlichen und wohl eingerichteten Wirthschaft, das ich nicht befürchten [462]
darf, im Alter zu darben. Noch habe ich mir durch die vielen Ungliksfälle, die mich betroffen, freylich keine Schäze sammlen kennen. Erst mußte ich in allen meinen Stand nach eingerichtet seyn. Das bin ich, bin frey von Schulden, und nun kan ich bey der Lage, in der ich nun bin, auch nach und nach mir ein kleines Vermögen an Geld sammlen. Nie, lieber Kummerfeld, habe ich mich um das Ihrige bekümmert! Ich weis
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nicht, wie reich oder nicht reich Sie sind. Wenngleich meine Art zu leben (und von der ich auch als Ihre Frau nicht gesonnen bin abzugehen), von denen Hambur[ger] Damen weit entfernt ist – und die zum Theil entschuldiget werden kennen wegen dem Vermögen, so sie ihren Männern zugebracht, so wißen Sie doch selbst, das dan allemal Ihre Ausgabe größer seyn wird, als wen Sie allein sind, und wen ich auch alles beobachte, was einer guten und aufmerksamen Hausfrau zukömmt; ich Ihnen doch ohnmöglich das erwirthschaften kann, was ich Ihnen koste. – Also, Freund, bitte ich Sie bey Gott, bey aller der Rechtschaffenheit, die ich Ihnen zutraue, überlegen Sie es, sind Sie in der Situation, ein Mädchen zu heyrathen ohne Vermögen? – Und gesezt, Sie kennen es jezt vermöge Ihres Dienstes, sind Sie auch sicher, das, wen Gott Sie vor mir – das ich nicht wünsche, aus der Welt nehmen solte, ich auch den als Ihre gewesene Gattin mit Anstand werde leben kennen. – Freilich so nicht, als ich leben konnte, da der tägliche Verdiener noch da war. – Aber doch, doch leben wie eine gute einsame Bürgerin ohne Nahrungssorgen? Kummerfeldt, denken Sie, das ich bloß Ihrentwegen das Theater als meinen einzigen Stecken und Stab850 von mir lege. Blos aus Liebe für Sie. Blos als die einzige Hoff[n]ung, im Alter versorgt zu seyn. [463]
Gottloß, unverantwortlich wär es von Ihnen, wenn Sie mich jezt in der Blüte meines Alters – jezt, wo ich arndten851 kann aufs Alter, jezt mich aus meinen Brod sezten, meine Jugend in Ruhe und inCXXXIX meinem Alter hilflos zurikliesen? Das ich wieder gezwungen wär, mein Leben zu erhalten, bey dem Theater Schuz zu suchen? Das Mitleid der Edlen und der Spott des gemeinen, niederträchtigen Auswurfs von Menschenwürde? – Sie sind kein Jüngling! Sie sind ein Mann. Weg allso lieber jeden verliebten Gedanken. Als Mann will ich von Ihnen geliebt seyn. Als Mann, der weis, was zum täglichen Unterhalt erfordert wird. Nicht wie der unbesonnene Knabe mit seinen Mädchen, der nur den gegenwärtigen Augenblik vor Augen hat und für die Zukunft blind ist. Nein, lieber Kummerfeld, lieber wollen wir Freunde bleiben. Ewige Freunde. Die Abwesenheit, ja, die Zeit wird Ihnen Ihre vorige Gemitsruhe wiedergeben. – Und so, wie Sie ehema[l]s ohne mich gel[e]bt, werden Sie auch nach und nachCXL wieder gewöhnen zu leben, ohne mich täglich zu sehn. Prüfen Sie sich. Ihre Freundin wird Sie segnen bis zum lezten Augenblick Ihres Lebens – aber als betrogenes Weib würde ich Ihrer Asche im Grabe fluchen. Der vierte Punkt ist, das Ihre ganze Familie mich als Ihre Frau erkenne und so mit mir umgehe. Sie wißen, das ich keinen davon die Ehre 850 Redewendung nach Ps 23,4 in der Übersetzung Luthers: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich“. 851 Ernten.
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habe persöhnlich zu kennen wie Ihren Herrn Bruder, Hinrich Kummerfeld, und Ihre zween nahe Vettern, die Herren Lippeldings852, die Schwerdtnersche Familie, die Ihnen nur außerordendlich weitleiftig verwand sind, wie Sie mir selbst gesagt, und, den alten Vater ausgenommen, mich aber Mama und ihre Tochter und Sohn wenig behagen853. WarumCXLI das ich solchen noch nicht gut seyn kann, weis ich nicht, warum? Genug, die kann ich entberen. Ich meine nur allein Ihre nahe Verwandte. [Einen] Onkel, [464]
von dem ich gehört, den Sie noch haben sollen854. Den, lieber Kummerfeld, ob ich gleich noch jung bin, so habe ich doch vieles gesehen und erlebt, weis, was am Ende für mürrische Auftritte, ja, oft ganze Zerrittungen der zärtlichsten Liebenden daraus entstanden, wenn ein Theil sich gegen den Willen und Absicht der Anverwandte verheyratet. Ich will keine Uneinigkeit unter Ihre Anverwandte stiften. Lieber begebe ich mich der Ehre, je mit solchen verwand zu werden. Den nie, nie würde ichs mir vergeben, wen Sie durch mich Bande trennen solte, die Ihnen von Jugend an und durchs Blut jeztCXLII näher verwand sind wie ich. Denen ihre Gutheißung, ihr Zuruhf zu mir, und ich komme und bin die Ihrige. Nun, Freund, überlegen Sie alles, kennen Sie mir bürgen für die 4 Punkte? so bin ich die Ihrige. – Kennen Sie nicht, so bleiben wir Freunde. Überzeigen Sie mich aber durch Gründe, das Sie selbst alles vorher überlegt und erwogen, so sezen Sie den Tag unserer Verbindung noch 2 oder 6 Jahre hinaus, und erhalt mich Gott am Leben, so gebe ich Ihnen hiemit mein Ehrenwort, das, wenn sich auch mir noch so glänzende Aussichten anbieten solten, ich gewiß nie eines andern seyn werde, sondern ganz die Ihrige C.S.“ Dieß war mein Brief von Wort zu Wort, so wie ich solchen aus dem Original abgeschrieben, den 16. August datirt. Kummerfeldt antwortete mir mit der ersten Post. Hier sind die Hauptstellen, und ich liefere der Länge wegen nur den Auszug. – Was die Religion anbelangte, würde ich von ihm ungestört bleiben, er kennte mich und wüste, das ich vernünftig wär und fern von gewißen Aberglauben und Alvanzereyen855, die jede Religion lächerlich machen 852 Friedrich August Cropp identifiziert sie als die Kanzlisten Johann Joachim (* 11. Juni 1720 Hamburg, † 1. Okt. 1786) und Johann Gabriel Lippelding (* 10. Febr. 1724, † 16. Jan. 1783), das genaue Verwandtschaftsverhältnis zu Kummerfeld bleibt aber ungeklärt; s. Kap. III.1 Anhang Cropp, [Bl. IIr]. 853 Johann Christoph Schwerdtner (* 6. März 1713 Regensburg, † 27. Mai 1774 Hamburg). Schwerdtner war verheiratet mit Anna Margarethe Stamer, mit der er drei Söhne und sieben Töchter hatte. Auch das Verwandtschaftsverhältnis der Familie Schwerdtner zu Wilhelm Kummerfeld bleibt in Cropps Darstellung (Kap. III.1 Anhang Cropp, [Bl. IIr]) offen. 854 N. Hilbrandt (um 1714–1770), der unverheiratete Bruder von Wilhelm Kummerfelds Mutter Catharina, s. u. HHS, S. [484]. 855 Alfanzereien: Gaukeleien, Possenreißereien.
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kann, wen man blind handelte. Und das ich ja selbst bey Gelegenheit gesagt: Das mancher gottloß aus falschen [465]
Religionseifer wär. Der 2te, meines Standes bey dem Theater betreffend: Den hätte ich selbst beantwortet, lächerlich wers, jemanden seine Geburt vorwerffen zu wollen, für die er nicht kann. Nur Denken und Handeln macht den Fürsten zum Fürsten und den Comödianten zum Comödianten. Was das Vermögen anbelangte, so solte ich doch nicht von ihm denken, das er so gottlos wär, mir seine Hand anzutragen, wofern er nicht auch in denen Umständen wär, das er nicht allein jetzt eine Frau auch ärmer wie ich erhalten, sondern das auch solche nach seinen Tod wohl und anständig leben könnte. „Meine Umstände verbeßern sich eher, als das sie sich verschlimern, und je mehr Jahre mir Gott schenkt, je reichlicher kan ich für meine Frau sorgen. Ich bin ein ehrlicher Mann und als solcher in ganz Hamburg bekant. Gott würde mich straffen in der Ewigkeit, wenn ich ein so gutes, edeldenkendes Mädchen unglüklich machen wolte. Ich weis, Sie werden sich nach meinen Mitteln richten, und was ich Ihnen als ein ehrlichbleibender Mann nicht geben kann, auch Ihres kinftigen Bestens wegen, nicht von mir verlangen. Was den 4ten Punkt anbelangt, so dürfen meine Verwandte Sie nur sehen, Sie nur kennenlernen, und alle werden meine Wahl billigen, ja Sie einst so lieben wie ich Sie. Sie, die einzige Ihres Geschlechts. Aber nun eine Anfrage von mir. Wenn Gott uns Kinder geben solte, so gestehe ich Ihnen, das ich wünschte, das solche in der evangelischen Religion erzogen würden und Sie mir hierinnen meinen Willen liesen. – Der Zeitbunkt, Sie erst in fast zwey Jahren wiederzusehen, deucht mir zu lange. Wie wär es möglich, so lange [466]
ohne Sie zu leben! Der Zeitbunkt sey also auf den Advent des kinftigen Jahrs etc. etc.“ – Ich schrieb ihn wieder: „Kinder stehen ja noch dahin, ob wir welche haben sollen oder nicht. Doch weils ein möglicher Umstand ist, so ists billig, das auch der ausgemacht werde. Da also allen denen, die wir bekommen können, ihr zeitlich Glük von Ihnen einst abhengt und ihres Vortkommens wegen es beßer sey, wenn solche evangelisch wie katolisch werden – da sie von ihrer Mutter einst nichts als gute Lehren erben kennen, so gebe ich Ihnen gern in diesen Punkt nach. Söhne oder Töchter sollen in der evangelischen Religion erzogen werden. Ich mache mir darüber auch gar keine Gewißensscrubel. Glauben wir den nicht alle an einen Gott? – Wenn ich in meiner Seele den geringsten Zweifel fühlte, das meine Kinder, wenn ich deren haben soll, verdamt würden, weil sie nicht katolisch erzogen, so würde ich wahrlich auch keinen lutherischen Mann heyraten. Welch ein Barbar und wie ungerecht wer Gott – ja, könnte man
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gegen dem Höchsten die tiefe Ehrfurcht, den Gehorsam und Liebe haben, wen man dencken und glauben wollte, das er nur deswegen so viele Religion dulde, um sie einst alle zu verdamen, und nur unter denen vielen eine einzige die rechte, wahre und allein seligmachende sey? Gott bewahre mich vor so einen boshaft fromen Aberglauben. Wär jemand imstande, das für gewiß zu behaupten und in die tiefen Geheimniße des Welterschaffers zu bliken. – Nein, wen ich gleich in der katolischen Religion getauft und erzogen worden, so wär es mir doch nicht möglich, solch einen Gott zu lieben. Nur behaupte ich, das der Mensch in seiner Religion verharre; es sey dan, in seinen [467]
Herzen stiegen Zweifel auf. Glaubt er in einer andern, als er erzogen wurde, Gott mehr zu dienen, mehr die Pflichten eines wahren Christens auszuüben – und zweifelt er in der seinigen an seine kinftige Seligkeit, ja dann, dan werde er luterisch, calvinisch oder katolisch. Aber nicht zeitlichen Wohls wegen, nicht um reich, vornehmer, um geehrter zu werden. Ich behaupte, das, wär um zeitliches Glük seinen Glauben abschwört, gar keine Religion habe – und wen sich ihm die Gelegenheit darböth, noch höher sein Glük zu machen, er von einer zur anderen übersprenge und ein Türcke und Heide würde, nur um zu glänzen und sich zu mesten. – Ich denke, lieber K., das wir auch darinnen so ganz einig denken werden. – Aber auch ich habe, da wir doch von Kindern reden, noch einen Punkt, in dem wir nicht einig sind. Sie erinner[n] sich vielleicht noch, wie ich in den Cirkel von so vielen Ihrer Bekanten gegen die schändliche, einreisende856 Hamburger Mode loszog, Kinder gleich an Ammen zu geben oder solche wohl gar fort aus den Haus zu schicken, das die Damen ja nicht aus ihrer Ruhe gestört und beßer nach ihren Wochenbette in Gesellschaften herrumschwärmen kennen857. Lieber, ich bitte Sie, nie zu vergeßen, das ich keine Hamburgerin bin. Gern will ich alles, was sie Gutes an sich haben und ich noch nicht weis, von solchen lernen, aber was nun einmal nicht nach meinen Sinn ist, nie in solchen hineinkommen wird, mitmachen. Das gewöhnliche Wort ist, das diese theuren Ehehelften zu ihre Herrn sagen: Ja, das hab ich so bey Mama gesehen, das hat Mama auch bey Papa gehabt, das muß ich auch so haben. – Nun, Kummerfeld – will auch so sagen. Aber denken Sie, das meine Mutter ganz Mutter ihrer Kinder war – und so will ich, wen
856 Einreißende. 857 Das Ammenwesen breitete sich in den bürgerlichen Schichten der Großstädte im 18. Jahrhundert immer weiter aus, obwohl die Kindersterblichkeit dabei überdurchschnittlich hoch war. 1780 waren in Hamburg ca. 4000 bis 5000 Ammen tätig; Mary Lindemann, Love for Hire. The Regulation of Wetnursing Business in 18th Century Hamburg, in: Journal of Family History 6 (1981), S. 379–395.
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Gott mich so glüklich werden läßt, Mutter mich zu nennen, auch ganz Mutter seyn. – Was an meiner Erziehung verfehlt worden, an meinen Kindern nicht aus der Acht laßen. Meine Nahrung reichte mir meine Mutter, und so solle[n]s meine Kinder auch haben. Ja, ich will Gott bitten, das er mich lieber nie den süßen Namen Mutter hören laße, als wenn er mir nicht auch die Kraft und Stärcke schenke, es ganz seyn zu kennen. Schande für die Menschheit, aber ein Vieh liebt mehr seine Jungen wie manche Mutter ihr Kind. – Wen man einen Hund seine Jungen nimmt, wie winselt, wie geberdet er sich? – Und Mütter, Mütter giebts, die gleich, sobald das Kind nur getauft ist, einen Wagen anspannen laßen und so ihre Kinder weit von sich wegschiken. Ich würde und kennte keinen zufriedenen Augenblick mehr haben. Also zum Schluß: Die Kinder werden evangelisch, aber ich bin ihre Amme, und die ersten Jahre sind sie ganz mein, bis es Zeit ist, ihnen Lehrer zu geben und ihnen Begriffe der Religion und andern Wißenschaften, die ich ihnen nicht geben kann, beyzubringen, doch immer unter Ihrer und meiner Aufsicht. Im Advent soll ich kommen kinftiges Jahr? – Wie Sie wollen, ich bins zufrieden. Aber, lieber Kummerfeld, noch etwas ist auf meinen Herzen, das ich Ihnen sagen muß. Und wenn mit diesen Geständniß ich Sie auch als meinen kinftigen Gatten verlieren solte, so mißen Sie es wißen. So wenig ich Ihnen glauben würde, wen Sie mir sagten, Sie hatten nie geliebt und ich wär ihre erste und einzige Liebschaft, eben so lächerlich war es, wen ich Ihnen weismachen wolte, das ich nun bald 22 Jahr gelebt und nie verliebt gewesen wär. Nein, Sie mißen alles wißen. Beygelegte Briefe lernen Ihnen den Mann kennen, der mir [469]
lieb – sehr lieb war. Aus seinen Briefen kennen Sie meine Antworten darauf leicht erklären, die ich Ihnen nicht mitschicken kann, den wer nimmt von Liebesbriefen eine Copey? – Solche Liebe wär Geziere. Beygelegter Auszug, wie sich unsere Bekantschaft anfing und endigte, sagt Ihnen das weitere. Wen Sie solche durchlesen, werde ich Ihnen auch die ganze Correspontens überschicken, die ich mit dem jungen Herrn Soltau gehabt. – Zu viel wurde von der Sache geschwazt, und da Sie gewiß so gut davon gehört wie andere, so ist es billig, das Sie sich nun völlig überzeigen, wie und auf was Art wir zusammen gestanden. Nicht der geringste Zweifel miße in Ihren Herzen gegen mich zurük seyn. Finden Sie nur einen Schein, der Ihnen blieb, das Sie nach diesen, was ich Ihnen zuschicke und noch zuschicken werden, nicht hoffen solten, mit mir glüklich zu leben, so entlaße ich Sie jeder Versicherung Ihrer Liebe und Ihres Versprechens, mich zu ehligen. Nur Aufrichtigkeit und gegenseitiges Vertrauen sind die Stizen einer glüklichen Ehe. Wehe, wo sich das erste Mißverständniß einschleust und man solches nicht eben so geschwinde aufklärt, als solches entstand. – Glüklich will
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ich werden. – Oder lieber nie, nie heyraten, über die Vorurtheile einer alten Jungfer bin ich hinaus; und lieber eine alte Jungfer als ein unglükliches Weib etc. etc.“. Kummerfeld nahm die Aufrichtigkeit von mir mit Dank an. Scherzte, das ich recht verliebt in dem Major müßte gewesen seyn. Wohl verliebter wie in ihm. – War erste Liebe! Er erhielte nun auch die Briefe von Herrn Soltau und die meinigen an ihm. Ja, selbst die Zuneigung, die Fredersdorf858 zu mir gehabt, [470]
und das ich nicht für mich gut stinde, ob ich ihm nicht geliebt haben würde, wenn Dalwig859 sich meines Herzens nicht zu sehr bemeistert hätte. Fredersdorf war nun Haup[t]mann, noch immer wechselten wir Briefe, so wie mit meiner zärtlichen unvergeßenen Freundin. Und sie, die immer von allen, was mich betraf, die genausten Nachrichten erhielte, so konnte ich mich doch nicht entschließen, ihr die vorgeschlagene Heyrath, die nun immer gewißer wurde, zu melden. Jeder Brief des Haup[t]manns zeigte von dem zärtlichsten, redlichsten und theilnehmensten Freund. – Ja, oft wünschte ich, das sich der Mann verehligte. – Und ich leugne es nicht, mich schauderte recht für den Brief, den ich doch einmal, das ich mich mit Herrn Kummerfeldt verlobt hatte, würde schreiben müßen. Mein Rickgen860 war nun mit dem andern Sohn entbunden worden, hatte nun drey Kinder861, und beschloßen hatte ich es, das, wen ich einst Leipzig verlies und nach Hamburg reisen würde, meinen Weg über Braunschweig zu nehmen und etliche Tage bey ihr zu bleiben. Kummerfeld rükte nun die Zeit meiner Überkunft wieder einen Schritt näher, nehmlich Michaeli des kinftigen Jahrs862. Wars wieder zufrieden. – Nicht lange, so dinkte ihn auch diese Zeit zu lange und wolte, das ich nach der Ostermeße863 kommen solte. Nun schrieb ich ihm, er miße endlich mit sich selbst einig werden wegen meiner Überkunft. Ich müßte es wißen, nicht meinetwegen allein, sondern um es Herrn Koch zu sagen, das der Mann durch mich nicht in Verlegenheit gesezt würde. An meine Stelle müßte er sozusagen zwoo andere haben; und wie ich bisher redlich in guten Stick gehandelt, so möchte ich nicht
858 859 860 861
Zu Wilhelm Ludwig Fredersdorff s. o. HHS, S. [275]. Zu Georg Wilhelm Christoph Adam von Dalwigk s. o. HHS, S. [255]–[274]. Karolines Freundin Friederike Fleischer geb. Günther. Nach Karoline Kummerfelds Angaben waren das August Wilhelm (* 1759), Wilhelmine (* 1765) und Friedrich Fleischer (* 1767). 862 29. September 1768. 863 D. h. nach dem 1. Mai 1768.
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gern zum Schluß einen Schritt thun, der meiner unwürdig wär. Endlich sezte Herr Kummerfeld den letzten Termin, und zwar die Fasten864, bat mich aber sehr, Herrn Koch nicht eher als nach der Michaelimeß865 aufzusagen. – Weil so viele Hamburger in der Meße immer in Leipzig wären, so könten diese es ausblaudern, und er wolte es nur seiner Familie wegen, nicht das es hiese: Noch sey seine Braut bey dem Theater. – Also wars nun beschloßen? – Ja! den größten und wichtigsten Schritt in meiner Laufbaan des Lebens zu betreten. Wie sonderbar ist mein Schicksal. Jezt, jezt, da ich zum ersten Mal ausrufen konte und oft ausgerufen hatte: Allmächtiger, ich dancke dir, das du mich in diesen Stand versezt. Jezt, da ich zum ersten Mal Ursach hatte, mit meinen Stand vollkommen zufrieden zu seyn –sollte ich davon weg! – Und wohinn? Nach Hamburg – Hamburg, einen Ort, den ich so gehaßt, so von ganzen Herzen und Seele. – Soll Gott dir den Mann zugeschickt haben, das er alles Unrecht, alles Leiden und Gram, den ich dort erlitten, mich vergeßen mache. – Lohne, was ich geduldet? – Mein Verstand stand still. Oft wünschte ich, Kummerfeld möchte die Neugung bey meinen Daseyn in Hamburg gefühlt haben, und das ich nie nach Leipzig gekommen, um Koch und seiner guten Frau den Schlag nicht zu versezen. – Werden sie mir glauben? Oft, wenn Madame Koch so freundlich und gut mit mir sprach, standen mir Thränen in den Augen. Oft machte sie mein stilles, schwermithiges Betragen stuzig – ja, als sie mich einst frug, was mir wär? wer mir was zu Leide gethan hätte? riß ich mich aus ihren Armen, weinte laut, wünschte, das sie in mein Herz sehen könnte. Ich würde [472]
gern die Helfte meiner noch übrigen Lebensjahre hingegeben haben, wenn ich zu gleicher Zeit Kummerfeldt Gattin und bey Koch Schauspielerin hätte seyn kennen. Noch war es sogar vor meinen Bruder ein Geheimniß, und ebenso zitterte mein Herz, ihm mein Glük kundzuthun, den mein Glük riß mich von Carl. Doch ein Zufall solte ihm solches sagen. Eines Tags hatte ich an Kummerfeld geschrieben, ich mußte ausgehen und lies die Briefe offen auf den Tisch liegen. Carl kam wieder seine Gewohnheit eher zu Hause und nimmt sich die Freyheit, die offenen und angefangenen Briefe zu lesen, die ihm den sagten, in welcher Verbindung seine Schwester mit Herrn Kummerfeld stand. Als ich nach Hause kam, sah ichs an der Lage der Briefe, das jemand dagewesen, und das konnte sonst niemand wie Carl seyn, weil er zu seinen Zimmer den Schlißel hatte und aus seinen in das meinige kommen konnte. Ich merkte solches noch
864 Die Fastenzeit 1768 begann am Aschermittwoch, dem 17. Februar. 865 D. h. nach der Michaeli- oder Herbstmesse 1767 (29. September).
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denselben Abend, und weil er sich sehr trozig benahm, ohne ein Wort sich von der Ursach merken zu laßen, lies ich ihm gehen. Dieses Trozen wärthe lange Tage, bis es endlich ausbrach, und zwar zu einer Zeit, wo er Geld brauchte, und zwar nicht wenig. Wir kamen freilich hart mit Worten aneinander. Bis Carl mir endlich doch recht geben mußte. Und wie ich ihm bewiß, das es ja nur wenige Wochen wären, seiddem Kummerfeld den Antrag gemacht, das erst manches unter uns ausgemacht werden mußte, bis es gewiß war und ich selbst nun erst aus dem lezten Brief wüßte, das ich auf die Faste reisen und Ostern meine Hochzeit seyn würde, so wars ja nicht mehr wie billig gewesen, das ich ihm noch nichts gesagt. – Und jesezt866 unsere Ver[473]
bindung wär bis Ostern ein Jahr noch hinausgesezt worden, was kann in so langer Zeit sich nicht alles ereignen kennen, das vielleicht nie was daraus geworden und ich mich nicht gern lächerlich gemacht hatte zu sagen: ich sey Braut so lange vorher, und die ganze Heyrath zurükgegangen. Carl sah es ein und wünschte nur, das es ihm in Ansehung seines Engagements bey Kochen keinen Schaden brächte. „Bey meiner Aufkindigung muß dein Engagement befestiget seyn bey Herrn Koch; und ich werde dich nicht eher verlaßen, als bis ich gewiß bin, das du hier zu bleiben hast, und ists nicht, dir Anderwertiges verschaffen, entweder zu Kurz, mit dem ich nicht ohne Ursach in Briefwechsel bleibe867, oder zu Herrn Deobbelin nach Berlin868, der sich freuen wird, dich bey sich zu haben.“ Nun war alles gut. Karl erhielte von mir eine zimliche Summa, um sich aus seinen verdrieslichen Handel zu ziehen, folgte meinen Vorstellungen und Ermahnungen und schwärmte nun einige Zeit wenniger, als er bisher gethan. – Wenn ich auch wirklich nicht auf meine kinftige Versorgung gedacht hätte, so mußte ichs, den hatte ich einige Zeit gesamlet – ja, so gab ichs wieder hin für meinen Bruder, der damals nun gar nichts von Wirthschaften oder Einschre[n]ckung was wißen wolte – und freylich konte er auch mit 7 ½ Thaler keine großen Springe machen, da er in Leipzig keine Information869 haben konte, auch solche so nicht abwarten870, da die Ballette 866 Gesetzt [den Fall, dass]. 867 Nach seinen größten Erfolgen mit Stegreifkomödien als Bernardon in Wien (1754–1760) und nach der Theaterleitung in Prag (1760–1764) wurde Johann Joseph Felix (von) Kurz vom Münchener Theaterintendanten Joseph Anton Johann Adam Dismas Graf von Seeau nach Bayern berufen und mit der Zusammenstellung einer Schauspielertruppe für das neue Residenztheater beauftragt. In diesem Zusammenhang stand er vermutlich auch mit Karoline Schulze im Briefwechsel; Raab, Johann Joseph Felix von Kurz, S. 134 f. 868 Carl Theophil Doebbelin (1727–1793) war seit 1766 bei Franz Schuch in Berlin. 869 Erteilung von Unterricht; d. h. Karl Schulze gab in Leipzig keinen Unterricht. 870 Nicht die gehörige Zeit und Sorgfalt darauf verwenden.
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ihm zu viele Stunden wegnahm, und er immer alle seine Music selbst schrieb. So stand nun die Sache, und die Meße kam herran. Kummerfeld, der es einen und dem andern Freund in Hamburg hat zu sehr verrathen, das er [474]
mich liebte, vielleicht bald selbst wieder in Hamburg seyn wirde, brachten diese Neuigkeit als eine Sache, die bereits schon so gut wie ausgemacht sey, nach Leipzig. – Kam auch bald vor Herrn Koch. An einen Abend sagte der gute Alte zu mir, mit einer Miene und Ton, der mich ganz erschitterte: „Ist den wahr. – Soll ich meine Schulzen verlieren.“ – Ich war ganz bewegt, faste mich so gut ich konnte und antwortete: „Heute nichts davon, lieber Herr Koch, hab noch so viel zu thun. Morgen aber tanze ich nur, da wollen wir miteinander sprechen.“ – Ich konnte die ganze Nacht kein Auge zuschliesen und weinte. – So sehr ich meinen Wilhelm liebte, so glüklich ich zu werden hoffen konnte, so verdunkelte der Gedancke: Koch wird betriebt seyn, dem must die krencken, alle die herrlichen Aussichten in die Zukunft871. – Nun wünschte ich, das ich in Leipzig weniger gefallen. – Der Abschied von meinen Bruder; von so vielen, die mir so ganz von Herzen gut waren – Gott, du weißt es! – Ich hatte in ganz Leipzig nicht einen Feind. – Was, Feind? – Ich hätte nicht einen zu nennen gewust, der mir nur gleichgiltig begegnet wär. – Und das alles – alles zu verlaßen. Um mich zu beruhigen, um das laute Geschrey in meinen Herzen zu stillen, las ich meines Wilhelms Briefe, die Versicherung seiner ewige[n] Liebe, wie er nur mir leben würde – dachte an seine Rechtschaffenheit – an die Seligkeit einer Ehe, die wahre Liebe verspricht – an die ruhige Aussicht im Alter, und so bereitete ich mich nach und nach vor, um mit Herrn Koch in der geherigen Faßung sprechen zu kennen. – Viele Briefe hatte ich angefangen und wolte es ihm erst schriftlich sagen, – doch meine Thränen liesen mich keinen vollenden. – Ja, ich kann sagen: Lange hatte ich nicht so eine [475]
qualvolle Nacht durchwacht. Der Morgen und Mittag war nicht viel beßer. Endlich kam die Stunde, um nach dem Theater zu gehen. Als ich zum Ballet angekleidet war, wartete bereits der gute Alte auf mich. Wir gingen abseits, das uns niemand hören konnte, und mit bebender Stimme frug ich ihm: „Nun, lieber Herr Koch, was haben Sie mir zu sagen?“ „Alles sagt mir, ich soll Sie wieder verlieren. Einige behaupten, Sie gingen auf die Faste nach Wienn; andere sagen, zu Herrn Kurz nach Maynz; wieder
871 Gemeint ist wohl: Koch wird betrübt sein, ihm mußt du alle die herrlichen Aussichten auf die Zukunft beschädigen.
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welche, nach Hamburg aufs Theater zu der neuen Direction; und endlich noch andere, das Sie sich in Hamburg verheyraten würden; was ist nun von den vier Aussagen die wahre?“ – „Die Lezte!“ – „Ach Gott!“ sagte der Alte, lehnte sich an die Mauer und blieb mit herrunterhängenden, gefaltenen Händen vor mir stehen. – Thränen stirzten aus meinen Augen; und eine gute Zeit lang sprach keiner von uns ein Wort. – Star sah er mir endlich in die Augen und sagte: „Sie hintergehen mich doch nicht?“ – „Herr Koch! Welch ein Argwohn? – Kennen Sie sagen, das, so lange ich bey Ihnen bin, Sie von mir eine Unwahrheit gehört? – Ich solte Sie hintergehen? Das ich von Wienn, von Herrn Kurz und vom Hamburger Theater Engagementbriefe erhalten, ist war, das ich aber alle drey ausgeschlagen, ist auch wahr. Das ich, so lange ich so zufrieden bey Ihnen gewesen wär wie bisher, ich gewiß nie von Ihnen gegangen seyn würde, und wenn man mir auch noch so große Gagen angeboten hatte. – Ja, wenn ich gewust, das ich nur eine so kurze Zeit bey Ihnen zu bleiben Gelegenheit gehabt, wär ich gar nicht gekommen. – Ich selbst weis es erst seit kaum 6 Wochen. – So lange ists, das mir alles, was ich zu bedenken hatte, beantwortet ist, und ich mein Jawort ganz von mir gegeben. Herr Kummerfeldt der Ältere872, der in der Bank ist, ist mein Bräutigam. – Den ich nicht unverschämt ge[476]
nug seyn würde, Ihnen zu nennen, wenn es nicht gewiß wär. Nichts wie der Dot kan die Sache bis Ostern rükgängig machen. Noch mehr: Sind Sie mit meinen Bruder zufrieden wie bisher, so bleibt er bey Ihnen. Sprechen Sie mit ihm und machen mit ihm Ihren neuen Acord873. Würde ich ohne meinen Bruder reisen, wenn ich auf ein ander Theater ging? – Sie kennen meinen Wilhelm! Kennen Sie meine Wahl tadeln?“ – „Nein, das kann ich nicht. – Das weis Gott! Noch habe ich keinen, solange ich das Werk führe, so ungern verloren wie Sie. – Aber ich muß Ihnen recht geben. Herr Kummerfeldt ist ein zu rechtschaffener Mann. – Werden eine glückliche Frau werden. – Aller Segen Gottes über Sie, gutes, braves Mädchen. Wünsche Ihnen alles erdenkliche Glük.“ – „Tausend Dank, redlicher Mann! Und so gewiß, wie ich hoffe, glüklich zu werden, so gewiß ist, das ich nie, solange ich auf dem Theater war, so zufrieden, mit so vieler Liebe dabey war, wie hier bey Ihnen. – Auch Ihnen Dank dafür! – Jezt verlas ichs mich schwerern Herzen874, weil ich endlich mit meinen Stand zufrieden seyn konnte. – Nur ein Mann wie mein Wilhelm konnte mich Ihnen entreisen. – Doch zuviel spricht für ihn – alles 872 Diedrich Wilhelm Kummerfeld (* 2. Dez. 1723) war vier Jahre älter als sein Bruder Hinrich (* 11. Dez. 1727). 873 Akkord: Vertrag. 874 Gemeint ist: Jetzt verlasse ich es [das Theater] mit schwererem Herzen.
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muß meine Wahl rechtfertigen.“ Koch ersuchte mich, wo möglich niemanden noch die Wahrheit einzugestehen, weil er seine Ursachen hätte. – „Sie kommen mir mit derselben Bitte zuvor, den auch ich wolte Sie darum ersucht haben; und gleich nach der Meße hätte ich mir vorgenommen, mit Ihnen zu sprechen.“ – Gottlob, das es herraus war! Mir war nun viel leichter um mein Herz. – Den ich war eine Zeitlang herrumgegangen wie eine Verbrecherinn – so schwer fiels meinen Herzen, glüklich zu werden auf Kosten eines andern. – Und welche Kosten? Immer solche, die sich ja ersezen und vergeßen liesen. – Wie unbegreiflich [477]
sind mir also die Menschen, die recht darauf sinnen, ihren Nebenmenschen zu schaden? Auf deßen Untergang ihr Glük und Vortheile bauen zu wollen. Dieses Gespräch mit Herrn Koch war am 10. SeptemberCXLIII. Mein Bruder machte nun mit Herrn Koch auch alles richtig, bekam Zulage zur Gage, und so gingen nun verschiede[ne] Wochen fort in einen abwechselnten Taumel von Freude und Betrübniß. Ich arbeitete fleisich an meiner Aussteuer und wolte mich in allen so gut und volständig einrichten, das ich wenigstens in denen ersten Jahren meinen Mann auch keine Kosten von ein Paar Schuen machen wolte. – Geld brauchte er ja von mir nicht. Ich lies mir von weißen Mantuaner Taft875 ein neu Kleid machen. Als ich erst ins Garnieren kam, so viel solches hübscher aus, als ich selbst anfänglich gedacht hatte. Es gefiel mir auch so wohl, das ich meinen Wilhelm schrieb: Wen’s für seine Braut nicht zu schlecht wär, so solte es mein Brautkleid werden; ich wüste zwar wohl, das die Hamburger Bräute an ihrem Ehrentage schwere Kleider anhatten. Auch wär meine Caße in den Stand, solches zu bezalen. Doch wolte ich es reichen Bräuten nicht nachmachen noch zuvorthun. Nur diesen Schimpf wolte ich nicht haben, das es hies: Sein Mädchen hatte nicht einmal ein Bett mitgebracht. Auch daß würde ich in Leipzig machen laßen und mitbringen. Kummerfeld antwortete mir: Wenn mir mein Kleid gefiel, so solte es ihm auch recht seyn. – Was aber das Bett anbelangte, solte ich es seyn laßen, weil ich ja ohnedieß eine große Fracht hätte und der Transport Kosten machte, ohne die Unbequämlichkeit des Packen etc. etc. Ich antwortete wieder: Weil er den nicht wolte, das ich ein Bett noch solte machen laßen, wohl, so solte ers thun. Dafür aber wolte ich auch nun auf meine eigene Reisekosten kommen, welches ich nicht allein würde haben bey meinen gegenwärtigen starken Ausgaben
875 Taft (steifer Seidenstoff ) aus Mantua.
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bestreuten kennen. So aber brauchte ich nun von ihm keinen Groschen. Überhaupt wär mein Wunsch, ihm so viel wie möglich alle Kosten zu ersparen, wozu ich stark genug wär, da er nun ohnedieß viele Ausgaben haben würde. Den ich weis, wie theuer in Hamburg die Ausgaben bey Hochzeiten sind. – „Für Nachrechnungen sind Sie sicher, bin keinen was schuldig und wärs keinen seyn bey meiner Abreise, und bin ich erst Ihre Frau, so werde ich Ihnen, den täglichen Unterhalt ausgenommen, auch gewiß in denen ersten 4 Jahren keine Elle Band kosten, und wen solche auch nur von Zwirn seyn muß“. – Gegen dem Advent breitete es sich nun allgemein aus. Und wenn ich es auch noch nicht gewust hätte, wie sehr man mich in Leipzig geliebt hatte und wie ungern man mich verlor, so mußte ichs nun vollkommen überzeigt werden. Herr Professor Oeser bestand darauf, mich zu malen als Julie in Romeo und Julie. Er wählte die Stelle im 3ten Act, lezte Scene, wo Julie sagt: „Mit dem Romeo!“ und im Begrief ist, mit dem Worten den Schlaftrunk auszutrinken. Ich war damals mit Herrn Professor Oeser nicht einerley Meinung, und weil doch einmal ich in einer Stelle aus dem Monolog solte gemalt werden, wünschte ich, er solte die wählen: „Komm, glücklicher Trank, du solst mich mit dem Romeo vereinigen.“ – Weit leichter würde es mir gewesen seyn, mich in der Stellung zu erhalten, als bey den abgebrochenen Worten: „Mit dem Rom[e]o“ – die einen Blick voll Entzüken haben muß. – Künstler, und mir würde es leichter geworden seyn. – Doch weil nun einmal ein jeder so viel Wahres – in gewiß einer der schwersten Stellen finden wolte, so blieb er dabey. – Und auch ich lies es mir gefallen. Solte in Kupfer gestochen werden876. – Damals waren die deutschen Actricen noch nicht so heiffig in Kupferstichen herraus. – Nun, da es 876 Adam Friedrich Oeser (* 17. Febr. 1717 Preßburg, † 18. März 1799 Leipzig), Maler und Bildhauer, seit 1764 Direktor der Zeichenakademie in Leipzig, an der er auch Goethe unterrichtet hat, porträtierte Karoline Schulze in ihrer Paraderolle, der Rolle der Julie in Christian Felix Weißes Trauerspiel Romeo und Julie. Der Verbleib dieses Pastells, das sich 1865 im Besitz Woldemar von Biedermanns befand, ist unbekannt. Bei dem in der Literatur immer wieder als das Oeser’sche Original abgebildeten Kupferstich könnte es sich um eine im 19. Jahrhundert entstandene freie Nachahmung eines Ausschnittes aus dem Original handeln. Dieser Kupferstich ist neben zwei nicht zeitgenössischen Karikaturen der alten Kummerfeld und einer Silhouette das einzige authentische Porträt, das wir von Karoline Kummerfeld kennen. Lit.: Thomas Friedrich, Das Porträtwerk Adam Friedrich Oesers (1717–1799). Ein Beispiel der Selbstverortung eines Künstlers in einer sich ausdifferenzierenden Gesellschaft, Weimar 2005, bes. S. 197 f., 269; Timo John, Adam Friedrich Oeser 1717–1799. Studie über einen Künstler der Empfindsamkeit, Beucha 2001. S. a. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. – Die Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten meldete am 30. Januar 1768, dass „Demoiselle Schulz“ ganz vom Theater abgehen werde und „daß der Herr Professor Oeser diese Schauspielerinn in der Stellung, wie sie als Juliet den Schlaftrunk nimmt, ungewiß, ob es nicht Gift sey, mahlen, und Herr Bause […] dieselbe in Kupfer stechen werde“.
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so allgemein wurde, freude ich mich, das es Herr Oeser nicht that und meinen Bitten nachgab. – Und ich glaube, das wohl keine deutsche Actrice so einstimmig zugleich miteinander sagten und schrieben: „Jezt ists eine Schande, in Kupfer gestochen zu seyn“, wie Madame Starck877 und ich878. Endlich kam das für mich so wichtige neue Jahr 1768. Jeder Posttag brachte mir zärtlichere und vertrautere Briefe von meinen theuren Wilhelm. Wie er sich freute, nun bereits die Wochen abzehlen zu kennen, die mich ihm näher brächten. Welches Glük, welche Seligkeit wartete meiner. Nun hatte er es der Familie kundgethan, die zwar wie natürlich gestuzt haben, ein Mädchen vom Theater heyrathen zu wollen, ohne Vermögen, katolisch – und in seinen Alter. Alles beantwortete er ihnen und blieb bey allen, was man ihm einwendete, standhaft. Nun hies es: „Er muß sie kennen. Wir kennen sie nicht.“ Zugleich schrieb mir mein Liebster (es war eine Antwort, wo ich ihm vorher geschrieben, das es Herr Koch nicht glauben wolte, das ich mich mit ihm erst hier in Leipzig versprochen hätte). „Der Brief war vom 6. Jenner, etc. etc.: Der Alte ist ein Narr, wenn er glaubt, das wir unsere Verbindung vor einen Jahr schon geschloßen. Verdenken kann ich es ihm nicht, es wird von vielen hier auch geglaubt, nur unsere Briefe überzeugen davon ein anders. Nun will ich dir auch was Neues von meiner Familie berichten; du nimst gewiß Antheil daran, und ist eine besondere Freude für uns. Meine jüngste Halbschwester, Marie von Bostel879, verheirat sich an einen großen Rechtsgelehrten, und ist hier Procurator im Gericht, ein junger Wittwer, hat zwey kleine Kinder, seine Frau ist ihm vor einen halben Jahr in Kindbett gestorben. Er heist Herr Abendroth880. Frage nur den Herrn Professor Clodius881 darnach, der kennt ihm sehr genau. Ein braver Mann! und ist schon lange mein Herzens877 Johanne Christiane Starke geb. Gerhard (1731–1809). 878 Zu Schauspielerporträt und Rollenbild s. Werner Kelch, Theater im Spiegel der bildenden Kunst. Deutschland und Frankreich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Berlin 1938 (Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 51), hier zu Kummerfeld S. 55. 879 Anna Maria von Bostel (* 5./7. Febr. 1739 Hamburg, † 7. Dez. 1796 Hamburg). 880 Abraham August Abendroth (* 23. Jan. 1727 Scheibenberg/Erzgebirge, † 19. Nov. 1786 Hamburg) und Anna Maria von Bostel heirateten am 9. Februar 1768. Abraham August Abendroth war seit 1756 Gerichtsprokurator in Hamburg. Daneben verfasste er Beiträge für Zeitschriften, u. a. für Friedrich Nicolais „Allgemeine deutsche Bibliothek“. Zur Familie Abendroth s. Hamburgisches Geschlechterbuch 9 (Deutsches Geschlechterbuch 127), Limburg/Lahn 1961, S. 1–14, hier S. 4; Daniel Tilgner, Amandus Augustus Abendroth, Hamburg 2006. 881 Christian August Clodius (* 5. Jan. 1737 Annaberg/Erzgebirge, † 30. Nov. 1784 Leipzig), Dichter und Gelehrter. Clodius wirkte von 1760 bis 1778 als Professor für Philosophie, von 1778 bis 1782 für Logik, 1782–1784 für Poesie an der Universität Leipzig. Daneben verfasste er Dramen und Gedichte. 1771 verheiratete sich Clodius mit der späteren Übersetzerin und Schriftstellerin Julie Friederike Henriette Stölzel (1755–1805), mit der Karoline Kummerfeld im Briefwechsel stand (s. Kummerfeld, Schriften,
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freund gewesen, ich habe auch die Heirath gemacht. Wie alles richtig war, sagte ich zu ihm: Lieber Bruder, Sie werden doch auch bereits gehört haben von meiner Heirath mit der Mademoiselle Schulz? Ja, das ist mir bekannt. Sie kommen mir soeben mit der Frage zuvor. Wenn Sie daß Mädchen lieben, so kehren Sie sich nicht an das Raisonniment882 der Welt. Heyrathen Sie, der Welt zu gefallen oder sich? Verlaßen Sie sich auf mich. Der Teufel soll den holen, der dagegen was einzuwenden hat. Ich erkenne sie gleich für meine liebe Schwester. Sobald wie sie herkommt, führen Sie sie in mein Hauß. Ich werde ihr ein Zimmer einräumen; und hat noch ein und anderer in unsrer Familie was dagegen, werde ich es ihm bald benehmen. Mein Schaz! Das ist ein Mann, der die Welt kennt, ein Sachse von Geburt, und hat ein gewandtes Maulleder883, und dabey ein braver, aufrichtiger Mann, der von jeden geehrt und gelobt wird. Mein Engel, bey Gelegenheit will ich bitten, das du einen Brief an ihm bey meinen mit einschließt. Ich kann über meine Familie nicht klagen. Sie schicken sich darein und machen mir keinen Verdruß, sondern sprechen: Er muß am besten wißen, was er thut, wen er sich nur nicht von der Liebe hat blenden laßen. Das sind so einige Dünste, die dan und wan noch aufsteigen! Ich weiß aber solche bald zu beantworten. O meine Caroline, wie glüklich wollen wir leben. Meinen neuen Schwager seine Hochzeit wird bald seyn, noch vor der Fasten. Er will es kurz und gut machen, von Weitläuftigkeiten ist er nicht. Wir wollen seinen Exempel folgen und es ebenso einrichten – wenn du wilst?“ Er schloß mit der Versicherung seiner ewigen Liebe. Sobald es meine Geschäfte erlaubten, schrieb ich an Herrn Abendroth, wie freute ich mich über das, was mir mein Liebster von dem Mann Gutes gesagt hatte. Bald darauf erhielte ich wieder Antwort, hier ist solche von [481]
Wort zu Wort: „Meine Gute! Nun, das klingt zwar ein bißgen vertraut, aber, wenn ich Ihnen doch auch die Wahrheit gestehen soll, das sollte es nun eben seyn. Ihr Kummerfeld, liebste Schwester (erlauben Sie mir immer diesen Namen, den anders wüste ich meines Kummerfelds Geliebte nicht zu nennen), konnte Sie allerdings meiner Freundschaft versichern, den seine Wahl ist mir der kräftigste Beweiß von Ihrer rechtschaffenen Denkungsart und verdient nicht nur meine Freundschaft, sondern meine Bd. 2). Lit.: Elschenbroich, Christian August Clodius; Professorenkatalog der Universität Leipzig/ Catalogus Professorum Lipsiensis: https://research.uni-leipzig.de/catalogus-professorum-lipsiensium/ leipzig/Clodius_1341/ , Zugriff am 20.7.2020. 882 Raisonnement: Bedenken, Einwände. 883 Hat ein gewandtes Mundstück, kann sehr gut reden.
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Hochachtung – meine Ehrerbitung. Ich danke Ihnen tausendmal für den Antheil, den Sie so aufrichtig an meinen Glük nehmen. Wenn ich und mein Mädchen erst die Ehre haben, Ihnen näher bekant zu seyn, so würden Sie mich beneiden, wenn Sie anders nicht tugendhaft wären. Laßen Sie uns – – o ja – – laßen Sie uns in Zukunft eine Wette eingehen, welches Paar das verliebteste, das glüklichste seyn wird. Laßen Sie uns, süße Schwester, einander erinnern und zu Hilfe kommen in der Ergründung des Herzens des geliebten Gegenstandes. Ein bißgen mehr Erfahrung habe ich leider, den so zärtlich ich meine holde Braut liebe, so wird mir dennoch die Asche meiner seligen Frau immer heilig seyn. Sie war schön, hatte Verstand und Tugend, und wir waren im 4ten Jahre unsers Ehestandes noch immer verliebt884. Gott gebe ein gleiches in unserer künftigen Verbindung. Meine Geliebte von Bostel ist die einzige Person in der Welt, die mir mein voriges Glük ersezen konnte und, das danckbare Andencken ausgenommen, verdient sie auch mein ganzes Herz. Ich bin stolz auf dieses eroberte Herz, und wie viel ich meinen lieben Bruder Kummerfeldt bey dieser Eroberung schuldig bin, behalte ich mir vor, Ihnen, wen wir zusammen kommen, zu erzehlen. Ich werde ihn ein bißgen dabey loben müßen, aber wenn ich auf so eine Stelle komme, sollen Sie ihm küßen, [482]
das er es nicht hört, den er möchte mir sonst ein bißchen eitel werden. Vorurtheile, liebe Schwester! werden wir allerdings zu überwinden haben, aber nicht bey mir, den ich verehre die Tugend, wo ich sie finde. Aber bey andern, das wird anfänglich ein bißchen Mühe kosten, aber wir wollen sie schon überwinden. Hier haben Sie meine Hand und zugleich mein Herz, daß ich den Mittler mit größten Vergnügen und mit der redlichsten Freundschaft abgeben werde. Es wird stuffenweis gehen, meines Madchens, meines lieben Mädchens Herz habe ich gewiß in meiner Gewalt, das soll Ihnen ihre Freundschaft zuerst ganz geben, und durch dieses wollen wir ein nach dem andern erobern, bis wir die ganze Familie auf unserer Seite haben. Tiefäugigte Heuchler mit überhengenden Augenbraunen (Kummerfeld wird ihn namhaft zu machen wißen) sollen gar bald von dem ohnmächtigen Eindruck auf unsere Familie überzeigt werden, an mir ist er schon zu schanden worden, die Kummerfeldsche und von Bostelsche Familie liebt mich dennoch, und meine Geliebte – – – (o kommen Sie doch bald,
884 In erster Ehe war Abendroth seit dem 31. Juli 1763 mit Johanna Maria Groot aus Bargteheide verheiratet gewesen. Mit ihr hatte er zwei Kinder: Concordia Catharina (* 26. April 1765 Hamburg, † 31. Juli 1832 Hamburg) und Amandus Augustus (* 16. Okt. 1767 Hamburg, † 17. Dez. 1842 Hamburg), den späteren Hamburger Bürgermeister. Johanna Maria Abendroth starb am 27. November 1767, wenige Wochen nach der Geburt des Sohnes.
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um sie kennenzulernen) lacht über seine heuchlerische Mine885. Kommen Sie, liebste Schwester! Ich will Ihr Aristarch 886, Ihr Criticus seyn. Meinen Kummerfeld könnte die Liebe etwas blenden, aber an mir sollen Sie einen scharfen Richter finden – – jedoch zu Ihrem Vergnügen, ich will Ihnen die Wege zeigen, in kurzen der Herzen der ganzen Familie sich zu bemächtigen, Sie sollen in kurzen erfaren, wie weit vorzüglicher und reizender das Vergnügen in den Schooße einer geliebten Familie ist als das rauschende Gelärme der großen Welt. Wie schmeichelhaft ist die Vorstellung, die ich mir von dem Vergnügen des kinftigen Sommers mache. Ich habe, Gott sey dank, einen artigen Garten in der Vorstadt St. Georg887, auf den wollen wir uns der sanften Wollust einer festen Freundschaft ganz über[483]
laßen. Wie geringe wird uns der taumelnde Reichthum vorkommen? Wie verächtlich wird uns der unvernü[n]ftige Geldsack seyn? Den wen meine Lust noch eine Vermehrung leidet, so ist es blos in der Freundschaft eine so angenehme Schwester, wie Sie sind. Verzeihen Sie, reizende, geliebte Carolina, mein langes Geschmiere. Meine neue Familie ist mir nun schon einmal so intresant, das ich wieder meine Gewohnheit ins Schwazhafte verfalle, wenn ich davon schreibe. Ich habe ein kleines Gedicht auf das 29te Geburtsfest meiner Geliebten gemacht, welches auf den 5ten Februar fällt888. Und sobald es gedrukt ist, werde Ihren Kummerfeld eins davon zusenden. Ich glaube, daß auch der Herr Profeßor Clodius mir Beyfall geben wird, wen ich behaupte, das die Liebe auch einen 40jährigen Mann noch munter machen kann, und davon sollen die kurzen Zeilen einen Beweiß abgeben. Empfehlen Sie mich dem wackern Mann, aber halten Sie immer Ihre Liebe noch ein bißchen geheim gegen ihn, den er möchte es an seine Schwester schreiben, und die könnte uns leicht den Beyfall der Familie noch ein bißchen sauer machen. Fahren Sie nur fort, mich ein bißchen zu lieben, aber denken Sie ja dabey, daß ich aller Empfindung unfähig bin, wen nicht meine Geliebte von Bostel mit eingeschloßen wird. Auf meinen Hochzeittag will ich Ihren und meinen lieben 885 Damit meint Abendroth, wie Wilhelm Kummerfeld später erklärt (HHS, S. [485]), Herrn Schwerdtner, allerdings stellt Karoline Kummerfeld mit der Abschrift dieses Briefes Abendroth selbst als Heuchler dar. 886 Aristarchos von Samothrake (* um 216, † 144 v. Chr.); seine Hauptbeschäftigung galt der Literaturund Textkritik. 887 Bei den Gärten auf St. Georg ist in Nevermann, Almanach aus dem Jahr 1792 keiner im Besitz der Familie Abendroth aufgelistet. Abraham August Abendroth war allerdings bereits 1786 verstorben. 888 Friedrich August Cropp nennt als Geburtstag den 7. Februar 1739 (s. Kap. III .1 Anhang Cropp, [Bl. IIIr], das Hamburgische Geschlechterbuch den 5. Februar (Hamburgisches Geschlechterbuch 9, S. 1–14, hier S. 4).
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Kummerfeld Dero Gesundheit zubringen889, ich bin, reizende Schulzin, Dero treuer Bruder und Freund A. A. Abendroth. Hamburg, den 29. Jenner 1768.“ Diesen Brief schickte Herr Abendroth erst an meinen Kummerfeld mit folgenden Billet: „Liebster Bruder, ich hätte doch wircklich geglaubt, das Du ein wenig mehr Vertrauen in meine Freundschaft seztest, und diesen zufolge hättest Du gewiß nicht Ursach, mich um eine Antwort auf den angenehmen Brief Deiner [484]
geliebten Carolina zu bitten. Hier ist die Antwort, wie sie mir mein Herz dictirt hat. Ich sende Dir zugleich mein Pettschaft890, das Du den Brief versiegeln kannst. Habe ich aber etwas geschrieben, das Dir anstößig ist, so streiche es aus und sende mir ihn wieder zu, ich will ihn umschreiben. Fahre fort, mir Deine Liebe zu erhalten, Du verwendest sie an keinen Undankbaren, sondern an Deinen aufrichtigen Bruder Abend roth, von Haus, den 29. Jenner 1768.“ Nachfolget das Schreiben meines Liebsten, in welchen der Brief und das Billet des Herrn Abendroths eingeschloßen waren: „Liebe Carolina, Gott sey Dank, da habe ich Deinen Brief wieder, wie süß ist er mir immer. Es ist doch fast so etwas wie eine Umarmung, ein Brief von Dir. Ach! Wenn Du nun selbst ankommst! – – Nein, ich kann, ich darf mir das nicht vorstellen! Dich würcklich in die Arme habend! Dich küßen! Dich sehen! bringt meine ganze Seele in Bewegung. Gottlob, das Du gesund und wohl bist, und unser Carl auch. Dein ganzer Brautpuz ist fertig? Ist mir lieb. Meine Tante heißt Madame Schreibern, ist ein Schwester von Herrn Hilbrand und beyde Geschwister von meiner seligen Mutter891. Wen Du an sie schreiben wilst, kanst Du den Brief nur an beyde zugleich einrichten, da sie in einen Haus zusammen wohnen und sie seiner Wirthschaft vorsteht. Ich danke Dir herzlich vor Deinen Brief an Herrn Abendroth, hierin folgt gleich seine Antwort, da kannst Du sein Herz gegen dich ausersehen, schickte mir solchen gestern Morgen zu, und den Mittag mußte ich bey ihm speisen. Ich sagte ihm, die Bitte wegen Herrn Professor Clodius ist unnöthig, in Leipzig ist es überall bekant, und unsere hiesigen nächsten Verwandte wißens alle, und die weitläuffigen bekümmerte es nicht. Er wollte 889 Anwünschen der Gesundheit beim Trinken. 890 Petschaft: Siegelstempel. 891 Diedrich Wilhelm Kummerfelds Mutter Catharina geb. Hilbrandt war in erster Ehe (10. Juni 1720) mit Hinrich Kummerfeld († Juli 1727) und in zweiter Ehe (8. Sept. 1728) mit Hieronymus von Bostel († 1762) verheiratet. Sie starb 1753 und hatte eine Schwester und zwei Brüder: Die Schwester war Gertrud Schreiber (* 31. Dez. 1710, † 10. Juni 1778), Witwe von Abraham Schreiber. Sie lebte bei ihrem unverheirateten Bruder („Onkel Hilbrand“, * um 1714, † 10. Jan. 1770). Ihr Bruder Martin († vor 1759) war der Vater von Hinrich Sebastian Hil(de)brandt (s. u. HHS, S. [530]); Kap. III.1 Anhang Cropp.
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also den Brief wieder umschreiben, das wollte ich nicht haben, sondern sagte: Ich will es ihr wol melden. [485]
Ich kann Dir schon zum Voraus die Liebe meiner Schwestern, Brüder, Onkel und Tante wahrhaftig versichern, nun sie sehen, das ich beständig bleibe, werden sie Dir gut. Mache Dir nur keine Sorge. Gestern Abend war ich noch bey meiner rechten leiblichen Schwester892, die ist verheiratet hier an einen Mann mit Namen Fritsch893. Die haben mich beyde gebeten, Dich tausendmal zu griesen, und wünschen mir allen Segen von Gott. Die haben mir ihr Hauß angebothen, und alles, womit sie uns dienen konnten, hatten wir zu befehlen, wenn Du bis an unsern Hochzeittag bey ihnen wohnen woltest. Weißt Du, wem Abendroth in seinen Brief meint mit die im Kopf fallenden Augen? Schwerdtner! Die kan er nicht ausstehen, und vor allen das ältste Mädchen. Ich kan mich eben nicht über ihm beschweren, etliche Minen hat er wohl gemacht, die mir nicht anstunden, aber Mademoiselle, die vielleicht durch meinen Bruder Hinrich Kummerfeldt einst unsere künftige Sch[w]iegerin wird, thut ziemlich dicke894. – Doch nun nicht mehr. – Ach, wenn sie Dich nur erst recht kennen, werden sie Dich lieb genug gewinnen, und wollen sie nicht, so ect. ect. ect. Mein Abendroth scheint schon sehr confidant mit Dir zu seyn? Schreibt: Liebste Carolina? Ihr gelehrten Leute könnt so bald Freundschaft machen? – Aus einliegender Zeitung wirst Du einen Artikel von Leipzig finden, ich glaube, der gehet dir an895. Von heute also an verleugne ich unsere Verbindung gegen keinen. Den warum solte ich es länger thun? Du bist meine ewige Liebe, meine Wonne, meine Freude – ja, mein All! Gestern Mittag war ich auf dem Rathhauß, kam ein Herr des Raths zu mir: Lieber Kummerfeld! Soll ich Ihnen gratulieren? Leugnen thue ich es nicht, aber mein Mädchen kommt erst in 5 Wochen zu mir. Soll ich es in der Rathsversamlung sagen? Wie Sie
892 Catharina Elisabeth Fritsch geb. Kummerfeld (get. 26. Okt. 1721 Hamburg). 893 Johann Otto Fritsch (* 1701 Hamburg, † 7. März 1774 Hamburg) heiratete Catharina Elisabeth Kummerfeld am 21. August 1742 und hatte mit ihr eine Tochter, Catharina Fritsch (* 1746, † 14. Nov. 1778), die sich 1771 mit Johann Peter Pauli verheiratete. 894 Die Verbindung Hinrich Kummerfelds mit der Schwerdtner-Tochter kam nicht zustande. 895 Die Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten meldete am 30. Januar 1768 aus Leipzig, dass „Demoiselle Schulz, die bisher mit dem größten Beyfalle das dortige Theater, dessen Zierde sie gewesen ist, betreten hat“ ganz vom Theater abgehen werde; s. a. HHS, Anm. 876 und 908.
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wollen. Sie heyrathen also nun gewiß? Ja, hochweiser Herr, das ist gewiß. Nun, so wünsche ich Ihnen zum voraus allen Segen. Sie bekommen ein herrlich Mädchen. Du kannst denken, meine Liebe, was ich empfinde? Nach der heutigen Zeitung wird es mir an Anlauf nicht fehlen; ich wolte, die 5 Wochen wären vorbey, die werden mir noch sehr lang dauern, nun, sie werden auch hingehen! Wen nur meine Schulzen so um 4 und 5 Wochen solches schönes Wetter hat wie jezo, wenn es nur nicht zu schlecht ist! Doch die Liebe überwindet alles. Mein Kind. Das kennen und wollen meine Verwandte nicht glauben, das wir uns nicht vor Deiner Abreise verlobt haben, und warum ich Dich den habe reisen laßen, da solches geschehen? Das weißt Du am besten und kannst mündlich Zeugniß abstatten, das es nicht geschehen ist. Was Du doch für ein liebes, modestes896 Kind bist, ganz weis gekleidet wilst Du an Deinen Brauttag seyn? Wirst aussehen wie ein Engel! Welcher Himmel von Freuden erwartet mich! – Weist Du, was ich mir vorgenommen habe? Von heute an kein Frauenzimmer mehr zu küßen, ehe Du kommst; solst von heute an den ersten Kuß wieder haben. Sobald ich zu der Herzog897 komme, melde es ihr: Sie bekommen in 5 Wochen keinen Kuß, Madame. – O meine Seele! Wenn ich an Dich denke! Ich küße Dich in Gedanke – grüse Bruder Carl. Heute über 5 Wochen, so Gott will, drückt Dich an sein Herz Dein getreuer Kumerfeldt. Hamburg, den 30. Jenner 1768.“ Meines Liebsten seine Wünsche zu erfüllen, schrieb ich einen Brief an seinen Onkel und Tante898. – Nur mein Herz lies ich reden. Ich bat um ihre Freundschaft nicht in demüthigen noch kriegen899 Ausdrücken. – Auch diese für mich so wichtige Freundschaft verlangte ich noch nicht ganz. – Wär lächerlich, solche schon jezt in ihren ganzen Umfang haben zu wollen. – Kennen solten sie mich erst [487]
lernen und den so nach Graden mir ihre Freundschaft ertheilen. Hätte ich eine Abschrif[t] meiner Briefe, ich würde solche alle mit einrücken, und nur von einigen, wo ich dachte, das ich solche heute oder morgen als redende Beweise nöthig haben würde, behielte ich eine Copey. Was mein Brief auf Onkel und Tante für Wirkung gemacht, kan man aus der Antwort an mich von meinen Wilhelm schliesen: „Hamburg, den 2. Februar 1768 abens halb 11 Uhr. 896 Bescheiden. 897 Elisabeth (?) Herzog. 898 Also an die Geschwister seiner Mutter Catharina Kummerfeld geb. Hilbrandt, Gertrud Schreiber („Madame Schreiber“) und „Onkel Hilbrand“. 899 Kriecherischen.
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Guten Abend, meine beste Seele, Du mein All! Mein Herz hüpfet vor Freuden, soeben komme ich von meinen Onkel und Tante, habe ihnen Deinen Brief übergeben. Mit Thränen haben sie ihn gelesen. Sie wünschen uns tausend Glück und alles Wohlergehen. Wo Du so wärst, wie wie Du schriebst, so hätte ich eine glükliche Wahl getroffen. Sie haben mir also aufgetragen (dieses sind warhaftig, so wahr Gott lebt, ihre Worte), ihre Freundschaft Dich zu versichern, sie wolten Dich mit Vergnügen umfaßen, Gott möchte uns alle das Gute schencken, so wir selber von ihm erbitten; und das unsere Verlobung uns beyderseits niemals gereuen möchte. Das mein Onckel nicht selber geschrieben, möchst Du ihm verzeihen, den er hätte in Jahren keinen Brief geschrieben, und was ich Dir meldete, wär ebenso sicher und gut, als wenn er es selbst gethan hätte. Mein Engel! Wie vergnügt ich über die Antwort und ihr ganzes Bezeigen nun bin, kan ich dir nicht beschreiben. Ich konnte nicht schlafen gehen, muste Dir es erst berichten. Mit treuen Herzen haben sie mir Deine Gesundheit zugebracht. Wir drey speiseten allein. Sie bedauern sehr, das Du noch solche weite Reise vor Dir hättest, möchte Dir doch melden, das Du vorsichtig auf Deiner Reise wärst und Dich vor Schaden möchtest in Acht nähmen. Meine Carolina, diese Nachricht wird Dir gewiß auch [488]
Vergnügen machen. Habe ich nicht immer gesagt: Mit meinen Verwandten soll alles gut werden? Morgen ein mehreres. Den 3ten morgens 9 Uhr. Bey dem Weggehen sagte meine Tante zu ihren Bruder: Lieber Bruder, wan du aber selbst einen kleinen Brief an unsren Vetter seine Braut machst, das würde ihr doch gewiß noch angenehmer seyn. Wie ich merkte, das er nicht gern daran wollte, kam ich ihm in Antworten zuvor und sagte: Ach, liebe Tante! Ich werde sie alle Liebe und Freundschaft in Ihren Namen versichern, ich weiß, das traut sie mir zu. Nun, so griesen Sie sie den noch vielmal von uns, und sie soll uns herzlich willkommen seyn. – Leb wohl! Nun muß ich fort nach der Bank. Abens ein viertel nach 7 Uhr. Guten Abend, meine Seele! Heute in der Bank sagte nochmalen mein Onkel900 zu mir: Vetter, griesen Sie doch Ihren Schaz, und sie möchte es nicht übelnehmen, das nicht selber an sie geschrieben. Vergeßen Sie doch nicht: Ihr zu versichern unsere Freundschaft und Liebe. Mein Engel! Ich kann nicht aussprechen, wie vergnügt ich über ihr freundschaftliches Bezeigen bin, nimmermehr hätte das geglaubt, das sie mich so lieb hätten. O, dafür wollen wir sie auch wieder lieben, und was ich ihm dienen kann in seinen Geschäften, soll mit Vergnügen geschehen. Wilst du ihm bey Gelegenheit ein paar Zeilen wieder schreiben und dancken für ihre Freundschaft, und das Du die Versicherung durch mich ebenso gut aufgenommen, als
900 N. Hilbrandt war wohl wie Wilhelm Kummerfeld selbst Bankoschreiber, also Bankbuchhalter.
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wenn er selber geschrieben? Sie verdienen es gewiß. Heute begegnete mir einer von meinen alten verheyrateten Bekandten, wünschte mir viel Glück. Dem habe ich versprechen mißen, die ersten Tagen Deines Hierseyn mit Dir zu besuchen. Sagte, ob es nicht möglich wär, das Du schon köntest vom Theater bleiben, weil es algemein be[489]
kannt. Ich sprach: Nein! Das geht wol nicht an, die 14 Tage muß sie noch aushalten. Mein Linchen! Was mir aber jezo die Zeit lang wird, kann Dir nicht sagen. Wochen kommen mir vor wie Monateen. Gottlob! Heute über 14 Tage schreibe den lezten Brief nach Leipzig, und um 3 Wochen ist mein Herz schon auf der Reise. O! Gott begleite Dich und sey Dein Führer. Du must Dich ja nicht länger als den 24. dieses in Leipzig aufhalten. Das muß gewiß der Tag Deiner Abreise seyn. Kinftigen Dienstag, bleibt es dabey, ist meiner Schwester Hochzeit901. Da werde ich gewiß viel an Dich und Du wieder an mich denken, unser Bruder Abendroth wird mir Deine Gesundheit mit Freuden zubringen. Was Schwerdtners dabey vor Gesichter ziehen werden, werde absehen. Der alte Bekandte, der uns schon zu sich gebeten, ist mit seiner Frau auch bey der Mahlzeit. Ich habe Dich vielmals zu griesen von Bekandten und Unbekandten. Griese unsern lieben Carl, ich bin und verbleibe Ewig Ewig Ewig Dein treuer Kummerfeldt.“ Wie sehr ich Ursach hatte, zufrieden zu seyn mit allen, was mir mein theurer Wilhelm schrieb, muß jeder von selbst einsehen. Meine Liebe wurde mit jeden Brief größer gegen ihn. Wenigsten glaubte ich es so zu fühlen. – Kummerfeld liebte mich aufrichtig, man kann es aus seinen Briefen an mich abnehmen. Da ist nichts Romantisches – da ist reelle Liebe, so wie der Mann liebt, lieben muß. Nichts von Schwärmerey. Manches Mädchen, deren Kopf und Herz schwindlich geworden von Empfindeleien, Geziere und phantastischen Einbildungen, werden freylich diese Briefe nicht nach ihren Geschmack seyn. Mein Mann solte mich lieben, nicht anbeten oder vergöttern. – Mein Freund seyn und mich hochschäzen mein selbst wegen. Nicht meiner Jugend und meines glatten Ge[490]
sichts wegen. Beydes nimmt mir die Zeit und das Alter. Aber nicht mein Herz, nicht meine Kenntniß von dem, was recht sey. Dieses Bewustseyn meiner selbst lies mich hoffen, ihm seyn Leben so glüklich, so angenehm zu machen, das er nicht Ursach haben soll, einen andern zu beneiden oder deßen Wahl selbst getroffen zu haben. Alle diese frohen Nachrichten, die er mir gab, waren mir Herzstärkungen. Den sah ich meinen Bruder an, deßen Augen immer in Thränen schwammen – das Bedauern meiner
901 9. Februar 1768.
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Freunde, das Wehgeschrey über meine Abreise – ja, da sank aller Muth, alle Freuden einer glüklichen Braut. Wer ein Herz hat, das wirklich zu fühlen, das Wahre zu fühlen im Stande ist, denke sich an meine Stelle, und er wird und muß mit mir gleich starck Freude und Schmerz fühlen. Ich hatte wieder an Wilhelms Onckel, an Herrn Abend roth und auch an Herrn Hinrich Kumerfeldt, seinen Bruder, geschrieben. Hier ist die Antwort von Herrn Abendroth: „Liebste Schwester! Ihren Brief hätte ich nun allenfalls in die Feder dictiren wollen, den wenn man selbst empfindet, so weiß man ungefähr, wie solche Briefe lauten, darinnen man die Natur nicht vergeblich sucht. Aber um Verzeihung, ein Procurator pflegt zuweilen zu chicaniren902, und Sie – Sie – kleines liebes Mädchen! Sie wollen mein Geschlecht chicaniren, als wen wir nicht gleiche Stärcke der Empfindung fähig wären als das Frauenzimmer? Das hab ich meinen Mädchen noch nicht eingeräumt, und sie scheint fast überzeugt zu seyn, daß ich recht habe, aber ohne Küßen, ohne das langsame umrauschende Küßen behalte ich freylich nicht recht, und wer wollte da nicht recht behalten! Wie sehr wünsche ich, daß Sie diesen Augenblick Ihren liebsten Wilhelm bey sich hätten, er würde Sie gewiß ebenso kräftig überzeugen. Und aus Bosheit wollte ich ihm noch einige [491]
geheime Fächer der Mädchenherzen zeigen, das sollte ein schönes Spiel abgeben, und Sie würden, liebe Carolina, völlig verlieren und hernach offendlich – – doch nein, das Mal will ich meinen männlichen Eiffer fahren laßen, nur unter uns, eine solennen903 Wiederruf thun müßen. Da haben Sie es, hüten Sie sich ja in Zukunft, die Männer anzugreifen, wen Sie die Handlange der lieben Gerechtigkeit an der Hand haben, den die Gerechtigkeit ist blind, die sieht auf kein kleines schelmisches Auge. Spielt sie ja einmal unter der dünnen Decke hervor, so spricht das strenge Urte[i]l – – zittern Sie! Der Stab wird gebrochen – – – den kleinen reizenden Dingergen ewig (nun, das ist ein bißchen lange?), es hilft nichts, es ist nicht anders, ewig gut zu bleiben. Unsers Wilhelms Declaration an seine Familie, deren Briefe, meine Aufführung hat allerhand Bewegungen gemacht, aber ich denke doch, das sie nicht von Dauer seyn sollen. Ich muß nur immer von ferne miniren904, unsern Bruder Hinrich habe ich gestern sehr freundschaftlich hart zugesezt, und er schien bewegt zu werden. Mein Mädchen habe ich schon auf meiner Seite. Das einzige, was ich an unsern Wilhelm tadele, ist seine gar zu große Offenherzigkeit, er hat mir schon zwey Mienen, die ich eben wollte springen 902 Schikanieren. 903 Feierlich. 904 Minieren in der ursprüngl. Bedeutung: Einen unterirdischen Gang für Sprengungen graben. Hier übertragen wohl: Die Vorurteile gegenüber Karoline innerhalb der Familie untergraben, unterhöhlen.
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laßen, verdorben, blos weil er mein Desseins905 nicht gemerkt hat und nicht überzeugt war: Das die Welt durch Meynung regiert seyn will. Mein liebstes Mädchen, das ich morgen um 4 als meine reizende Frau küßen werde, empfield sich zu Dero Freundschaft. Ich würde noch einige Bogen beschmieren, wenn mich nicht die Beschäftigung der nothwendigsten Prepa[ra]turen906 auf den morgenden Tag davon abhielten. Fahren Sie nur fort, liebe Carolina, mich ein wenig zu lieben, ich will es durch allen möglichen Diensteyfer [492]
zu verdienen suchen. Ich bin, liebste Schwester, Dero gehorsamster Diener und Bruder Abendroth. Hamburg, den 8. Februar 1768.“ Der Brief von meinen Liebsten, in welcher dieser und zugleich einer von seinen Bruder Hinrich an mich eingeschloßen, war folgenden Inhalts: „Hamburg, den 10. Februar 1768. Guten Morgen, meine beste Seele. Der gestrige Tag ist in Vergnügen paßirt. O Du mein Kind! Wie oft habe ich gestern Abend an Dich gedacht. Unser bester Bruder Abendroth trank mir Deine Gesundheit zu um 10 ¼ Uhr. Ich habe Dich tausendmal zu grießen von den neuen Ehepaar, Verwandten und Bekandten. Möchten wir es erst auch soweit gebracht haben! O Du mein Linchen. – Doch die Zeit paßirt auch. Sobald ich den Herrn Licenciat Wittenberg907 spreche, oder ich gehe auch zu ihm, werde ich Dein Ersuch[en] ausrichten.“ – (Hier muß ich abbrechen und die Stelle erkleren. Wieder meinen Willen ward in die „Hamburger Zeitung“908 eingerickt, das ich von dem Theater ging, und zwar mit sehr schmeichelhaften Ausdrüken. – Nie bin ich für das Ausposaunen gewesen, weder zu meinen Lobe noch Tadel. Da Herr Licentiat Wittenberg die Besorgniß des „Hamburger Correspontenten“909 hatte, so bat ich meinen Liebsten, er möchte ihn in meinen Namen 905 Dessins: Pläne. 906 Präparaturen: Vorbereitungen. 907 Albrecht Wittenberg (* 5. Dez. 1728 Hamburg, † 13. Febr. 1807 Hamburg), Lizentiat beider Rechte, Advokat in Hamburg, Schriftsteller und Zeitungsredakteur. Sein Werk umfasst u. a. zahlreiche Texte zum Hamburger Theater und Übersetzungen fremdsprachiger Dramen. Lit.: Lexikon Schriftsteller 8, Nr. 4445; Hans-Werner Engels, Albrecht Wittenberg; Wolfgang Bürsgens, Albrecht Wittenberg (1728–1807). Ein Hamburger Zeitungsschriftsteller der Aufklärung, Phil. Diss. Bochum 1988; Brigitte Tolkemitt, Der Hamburgische Correspondent. Zur öffentlichen Verbreitung der Aufklärung in Deutschland, Tübingen 1995, S. 34. 908 S. o. HHS, Anm. 876 und 895. 909 Die älteste und auch überregional bedeutende Zeitung der Stadt wurde 1712 als „Privilegirter Hollsteinischer Unpartheyischer Avisen-Correspondent“ von Hermann Heinrich Holle in dem HolsteinGottorpischen Dorf Schiffbek gegründet und erschien unter diesem Titel bis 1714. Ab 1721 erschien sie erneut und hieß seit 1731 (nun mit Verlagsort Hamburg) mit vollem Titel „Sta[a]ts- und Gelehrte
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ernstlich ersuchen, nichts auf meinen Abschied selbst hineinzurüken noch annehmen, wen man ihm was zuschicken solte. Die Schulzen als Schauspielerin soll man ansehen als tod – als wär sie nie dagewesen. Nur die Schulzen als ein gutes Mädchen, wüste ich, wird nie in den Herzen meiner Freunde vergeßsen werden. – Nur dieses Wißen solte mein Ruhm seyn. Alles andere würde mir noch Neider und Mißgönner zuziehen. Und ich wünschte nun, das mich keiner mehr mit scheelen Augen ansehe – da ich Plaz gemacht und allen aus dem Weg sey). [493]
„Heute über 14 Tage bist Du schon auf der Reise. Sage aber dem Fuhrmann, das Du erst den 5. Märzi910 auf dem Hopt seyn wilst, er möchte Dir sonst Schwierigkeiten machen und in Braunschweig nicht solange wollen stille liegen. Des Nachts muß meine Seele aber nicht fahren, die Wege werden schlecht seyn, weil es nun mit Macht hier anfängt zu thauen und regnet jezo ziemlich starck. Gottlob! nun kommt das Waßer frey und kann uns in der Überfahrt nicht hindern. Was vor ein himmelweiter Unterschied unter vergangener und dieser Fasten! Jene waren betrübt und traurig, diese aber vergnügt und voll Freuden. Gott sey Dein Begleiter und bringe Dich glüklich, gesund und wohl hier. O meine Schulzen, so viel in Deinen Vermögen stehet, brauch alle Vorsichtigkeit auf Deiner Reise. Deinen Kuß habe ich meinen Abendroth gegeben, sonst auf der Mahlzeit keine Seele geküßt. Mit Dir bey Abschied nähmen, gehet es nun nicht an. Mein Kind! Meinst Du, das ich ein Narr bin, das ich es deswegen gemeldet, den wer solte Dir nicht den Abschiedskuß geben, und das wollte ich Dir verbieten? Dein Mäulchen bleibt doch mein. Die besten Küße sind für mich aufgehoben. In Deinen Arm werden sie mir himmlisch schmecken. O, wie wallet mein Herz, wenn ich daran gedenke. Hierin erfolgen zwey Briefe, einen von meinen Bruder und der andere von unsern Bruder Abendroth. Was habt ihr Leutchen vor einen Streit? Er sagte zu mir: Er hätte noch wichtige Sachen mit Dir auszumachen, müßtest ein lustiges närrsches Mädchen seyn. Hoffte den doch, Mund gegen Mund mit Dir auszukommen. Meinen Bruder seinen Brief habe ich erbrochen, Abendroth wollte es haben, der sagte zu mir: Gieb acht, er ist aus der Feder einer Schwerdtner gefloßen. Mein [494]
Kind! Ich kann Dich versichern, seyn Herz ist doch gut gegen Dich. Was thut man nicht aus Liebe, einen närrischen Mädchen zu gefallen. Gieb nur acht! Du wirst bey Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten“. Albrecht Wittenberg war von 1767 bis 1770 ihr leitender Redakteur. Lit.: Tolkemitt, Correspondent. 910 Martii: März.
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allen meinen Freunden doch die beste Freundin werden. Sie sagen es nun schon, wan du so seyn wirst, wie ich Dich beschreibe. Meine Caroline, ich befinde mich wohl, hoffe von Dir ein Gleiches. Höre, mein Kind! Alle meine alten guten Freunde und Freundinnen wünschen mir Glük und sagen: Es bleibt bey der alten Freundschaft. O, wie vergnügt wollen wir leben. Die Einsamkeit soll doch unsere größte Wonne seyn. Du weißt, ich gebe nicht groß um, um Weitläuftigkeit. Und du bist auch nicht darnach. Wen mein Linchen allein zu Hause ist, so ließt sie und erzehlt es mir auf den Abend wieder. Von unsern Abendroth kannst du die besten Bücher erhalten. Er hat eine sehr schöne Bibliotek911. Griese den lieben Carl. Hier ein Kuß von mir – so, meine Seele. Ich bin und verbleibe Dein ewiger treuer Kummerfeldt. N. S. Abens um 6 Uhr. Heute Mittag habe ich bey meinen Schwager Abendroth gespeißt, meine Geschwistert waren auch da. Ich kann Dir sagen, mein Bruder Hinrich brachte mir zuerst Deine Gesundheit zu. Es ist sehr gut, mein Engel, das Du ein Attestatum besorgt hast vom Superentenden912, bringe es mit, wir mißen es nothwendich haben.“ Weil ich fast ein Jahr in Leipzig gewesen, ein Zeugniß, das ich mich mit keinen andern verlobt habe. Das war das Atestat. Nun der Brief von Herrn Hinrich Kummerfeld: „Wertheste Freundinn. Dero Zuschrieft vom 31ten vorigen Monath habe ich zu erbrechen das Vergnügen gehabt. Es würde mir freylich angenehmer seyn, wen ich mich auf einmal von allen vorgefaßten Meynungen befreyen konnte. Allein, das geht nun freylich auf einmahl [495]
nicht an, zumalen mich doch immer die Vorurheile der Welt halb mittreffen, die meinen Bruder Wilhelm ganz treffen. So oft ich dieses nur halbweg mir aus den Sinne schlagen kann, so kann ich nicht umhin, Ihnen die Achtung zu gönnen, die man der Geliebten eines lieben Bruders schuldig ist. Offters wird zwar diese Idee durch allerhand Umständen verdunkelt, aber die Liebe zu meinen Bruder behält doch noch immer die Oberhand, und in dieser Absicht würde ich freylich nicht umhin können, Ihnen 911 Abendroths Sammlung gelangte nach seinem Tod in die 1735 von der Hamburger Commerzdeputation (seit 1835 Handelskammer) gegründete Commerzbibliothek, deren Bestände im Zweiten Weltkrieg großenteils vernichtet wurden; Fabian HB. – Neben der Bibliothek hat der vielseitig interessierte Abendroth auch ein „ansehnliches naturkundliches Museum“ zusammengetragen; Tilgner, Amandus Augustus Abendroth, S. 17. 912 Vom Superintendenten, dem leitenden Geistlichen des Kirchenbezirks Leipzig. Dieses Amt hatte von 1755 bis 1773 der Thomaskirchenpastor Johann Christian Stemler inne; Tschackert, Johann Christian Stemler.
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meine Freundschaft zu versichern, weil (welches Argument könnte mir wichtiger seyn?) die Ruhe meines Bruders davon abhängt, die ich so gern erhalten wißen wollte. Er ist mein Bruder, mithin zu redlich, seyn Wort im geringsten zu brechen, aber prüfen Sie sich auch, wertheste Freundin! das ihn seine Redlichkeit nicht gereue. Laßen Sie ihm in Dero bezeigen und der behutsamsten Familie dasjenige wiederfinden, was er in den Augen vieler verliehret, so wird Dero Verbindung glüklich und meine aufrichtigen Wünsche gemäs seyn. In dieser Hoffnung unterschreibe ich mich mit aufrichtigen Herzen Deroselben Freund und ergebenster Diener Hinrich Kummerfeldt. Hamburg, den 10. Februar 1768.“ Der Brief war mir unerwartet. Die schmeichelhaften Versicherungen von Onkel und Tante, von Schwester und Sch[w]ägern, und der Brief vom Bruder in dem Ton? – Nachdem ich einigemal in einer zimlich starken Bewegung in meiner Stube auf- und abgegangen, alles wohl überlegt hatte, nahm ich die Feder und schrieb folgendes an meinen Liebsten: „Lieber Wilhelm! Wenn ich von Deinen Onkel, Tante und denen übrigen Deiner Familie auch solche Briefe wie der von Deinen Bruder bekommen hätte, würde ich gesagt haben: Las uns mit meiner Überkunft noch etwas war[496]
[ten], Herrn Bruder Abendroths Briefe solten mich fast zweifeln laßen, ob das, was mir mein guter Wilhelm schreibt, auch alles so wahr sey, als er es sagt? – Ich sinne hin und wieder. Nehme ichs so, wie’s vor mir liegt, so muß ich dencken, das nur allein die Schwerdtnersche Familie die Urheber alles deßen sind. Die Deinen Bruder gegen mich aufhetzen, Deinen Bruder, von dem ich mir das meiste zu unsern Vortheil versprach; der mich kennt; mit dem ich so oft in Deinen Hause zusammen war; der so gerne sich mit mir unterhielte und gern in meiner Gesellschaft zu seyn schien. – Ein Mann mehr von Welt, als mir nach einigen Deiner Beschreibungen weder Onkel und Tante noch Schwester zu seyn scheint, die, wenn sie auch noch Vorurtheile hätten, ich mehr entschuldigen kann wie Deinen Bruder Hinrich. Die Sache, lieber Wilhelm, ist mit uns bereits zu weit zum Schluß, um zurükzugehen. – Aber ich besorge, das sie ganz zurükgehen würde, wen ich Hinrich nach meinen Gefühl seinen Brief beantwortete. Jezt will ich also die Sache nur von der Seite nehmen. Hinrich liebt Dich mit der vollkommensten Liebe eines redlichen Bruders, und der für deßen Wohl nicht genug besorgt seyn kann. Also frey und ohne Zurükhaltung vom Herzen wegschreibt. – So will ichs annehmen und würde es ganz angenommen haben, wenn mir das gallsüchtige913
913 Hier im übertragenen Sinne: Mürrisch, verdrießlich.
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neidische Mädchen, wie ich sie schon zu Dir in Hamburg genannt habe, nicht mit im Spiel wär. – Inzwischen raune Deinen Bruder von mir ins Ohr: das, wenn er Demoiselle Gretgen Schwerdtnern914 er einst heyrathen solte, ich von Herzen wünsche, das seine Ehe mit ihr so glücklich seyn möge, als es die unsrige mit Gotte Hilfe gewiß seyn wird. – Wüste ich von dieser Familie nichts, so hätte ich Hinrichen geantwortet, nun aber würde ich mich ohnmöglich so verstellen kennen und nichts davon erwehnen. – Du kennst mich. Verstellen kann [497]
ich mich nicht, und wenn meine ganze zeitliche Glükseligkeit davon abhing. Also noch einmal: Wilhelm! Ich liebe Dich, das weis Gott, von ganzen Herzen. Und der Gott weis es auch, das, wen ich Dich nicht liebte, ich immermehr Dein Weib würde, und wenn Du ein Engel von Gestalt und der reichste und vornähmste in ganz Hamburg wärst. Gott müßte mich für so ein glänzendes Elend behüten, meine Tage in den Armen eines Mannes zu verleben, den ich nicht lieben konnte. – Inzwischen, Lieber! prüfe Dich. Sind mehr in Deiner Familie, die so dencken wie Hinrich. – Fühlst du in Deinen Herzen mehr Recht auf ihrer wie Deiner Seite. – Sag ein Wort und du solst frey seyn von Deinen Versprechen. – Noch mehr: Wenn Du beharst und noch verlangst, das ich kommen soll, ich werde kommen. Solte aber mein Betragen, meine Art zu denken Deiner Familie nicht anstehen; soltest Du selbst in Deiner Seele nur den kleinsten Zweifel fühlen, mit mir nicht glüklich seyn zu kennen; – ja, am Traualtar solst Du noch ganz von Deinen Versprechen frey seyn und statt „ja“ „nein“ sagen zu kenen. Befürchte nichts von Proceßkosten etwann. So wie ich mit meinen Gelde und mit meinen Kosten nach Hamburg reise, so reise ich wieder auf meine Kosten hieher nach Leipzig und weis, ich werde willkommen seyn. Eine Schulz macht sich aus solchen Geschwäz, was man davon auch sagen möchte, nichts. Und lieber eine gewesene Braut als ein unglüklich Weib auf die ganze übrige Zeit ihres Lebens. Kummerfeld, ich bitte Dich, untersuche Dich ganz. – Keine Vorwürfe heute oder morgen; weder von Dir, noch von mir. Laß uns auf unserer Hut seyn. – Wehe! Wehe, wo sich nur das erste Mißverständniß [498]
einschleicht, aus einen Mißverständniß kennen die größten Zerrittungen der besten Menschen erfolgen. Meine kinftigen Pflichten, die mir obliegen, weis ich alle. – Aber
914 Margarete (Gretchen) Schwerdtner: Tochter von Johann Christoph und Anna Margarethe Schwerdtner; s. HHS, Anm. 853.
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elend würde ich seyn, wenn sie nicht erkannt oder verkannt würden. Mit Ungeduld erwarte ich Deine Antwort. Leb wohl! Griese mir alle Deine Verwandte und Bekanndte, die von mir gegrießt sein wollen; ich umarme Dich und höre ich auch auf, Deine Braut zu seyn – werde nie Deine Gattin, so glaube, das ich, solange ich lebe, gewiß bleiben werde Deine edle und treuste Freundin C. Schulze sst. Leipzig, den 13. Februar 1768.“ Kummerfelds Antwort war vom 17. Februar: „Liebe, wie hast Du mich erschreckt. Kleine Schwärmerin, wie quälst du Dich und mich. – Ich aufhören, Dich, mein All, zu lieben, mich es reuen zu laßen? Hab den Brief von Bruder Abendroth nicht gelesen, gab mir solchen versiegelt. Auch wolte ich Dir Hinrichs Brief, nachdem ich solchen auf Abendroths Zureden erbrochen, gar nicht schicken, aber er überredete mich. Nun ists mir leid, weil er Dir Verdruß gemacht. – Gewiß, glaub mir, er ist Dir so gut wie alle meine Verwandte. – Schwerdtners mögen allein schuld seyn, und die haben auf mich noch allen meinen Verwandten keinen Einfluß. – Ja, sehens nicht einmal gern, das Hinrich das Mädchen heyratet – bey Deiner Ankunft ein mehrers davon. – Vor Gratuliren kann ich mich fast nicht sehen laßen, allerorten kommt ein Freund und wünscht mir Glük. Das macht, weil wir beyde so bekant sind. Neilich machte man mir den Einwurf wegen Deinen Versprechen. Ich sagte aber: Meiner Schulzen ihr Versprechen ist mir so heilig als Gottes Zusage selbst. – Habe ich da nicht wahr gesprochen? – Und konntest noch zweifeln? – Aber sind mir neue Beweise Deines edlen, großen [499]
Herzens. O, Du liebst mich! Welcher neuender Beweiß Deiner Liebe. Wen ich an die Seeligkeit gedenke. Du wirst mir ein Himmel auf Erden seyn, Dein Herz meint es allzu gut mit mir. Du bist meine einzige Freude. Sage mir jederzeit, womit ich Dir dienen kann. Ewig will ich Dich lieben und mit meinen Wißen niemals betrüben. Gott begleite Dich und bringe Dich glüklich und gesund hier. Das ist mein lezter Brief an Dich nach Leipzig. Gottlob, das wir so weit sind. Wie mein Herz hüpfet, kannst Du leicht gedenken. Du! O meine Liebe! Bald, bald werde ich Dich umfaßen. Ich hoffe, in Zeit von 8 Tagen nach Deiner Ankunft Hochzeit zu halten. Es ist ein Zanck unter meinen Verwandten, der will Dich noch lieber im Haus haben wie jener, und sind unzufrieden, das ich Dich bey Fremde will logiren. Vielleicht um allen Streit ein Ende zu machen, nähme ich Dich gleich bey mir in mein Hauß915. Du mußt wißen, ich habe
915 Kummerfeld wohnte auf der Kleinen Drehbahn im Kirchspiel St. Michaelis; in der Nähe des Gänsemarktes gibt es die Straße Drehbahn bis heute.
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noch eine Bettstelle und Bett aufrichten laßen in meinen Nebenzimmer. Da kannst Du schlaffen und nimmst eine von meinen Schwestern916 oder Schwestertochter917 zu Dir, um allen bösen Schein zu meiden. Mündlich, geliebts Gott, davon ein mehreres. Ich weis, Du gutes Kind läßt dir alles gefallen. Bist auch gleich in Deinen Hause und hast alle Sachen bey Dir. Kannst die Thüren auf beyden Seiten verschließen, damit ich Dich nicht überraschen kann. Mich deucht, das wär das beste. So hätte ich mein Linchen gleich bey mir und darf des Abens eben nicht so späth den weiten Weg zu Hause gehen. Denk mahl! Wan solte ich wohl von Dir gehen kennen? Wir haben jezt schönes Frostwetter, möchte es doch noch 14 Tage anhalten. Gott begleite Dich und sey Dein Beschüzer. O Gott! Bringe sie gesund und wohl hieher. Nimm Dich vor [500]
die Kälte in acht. Des Nachts reise mir nicht. Wan die Wege gut sind, kommst Du bald nach Braunschweig. Heute über 8 Tage, wills Gott, bist Du schon auf der Reise. So ist der Abschied überstanden. Heute über 8 Tage will ich nach Braunschweig schreiben, mein Brief soll dich empfangen. Diesen Sonabend habe ich keinen Posttag, das ist in 48 Wochen nicht gewesen. Soll mir wunderlich vorkommen, aber in Gedanken, meine Seele, bin ich stündlich bey Dir. O, wie geschäftig seh ich sie. Gestern hattest Du den Schluß gemacht mit der Sara918, wie oft habe ich an Dich gedacht! Nun noch ein paarmal getanzt. – Gottlob, gottlob, denn ist es vorbey. O, möchte ich Dein Herz sehen. Meine Blumen stehen alle schön in der Blüthe, ich glaube nicht, mein Kind, das Du noch welche davon wirst sehen. Sobald du hier ankommst, habe ich schon was für Dich zu arbeiten, mein fleißiges Weibgen, meine Samtmitze ist aufgerißen, sollst Du machen und kein andrer. Ich habe Dich abermals zu grießen von Onkel und Tante und laßen Dir von Herzen glükliche Reise wünschen, so wie all meine Verwandten, Schwestern und Brüder. O, wie will ich für Dich beten! Diesen Sontag oder künftigen gewiß will ich comuniciren919. Bleibe den recht gesund und wohl. Versorge Dich mit allen auf der Reise; fahre nicht bey Nacht. Ich befinde mich recht wohl. Grieße unsern Carl. Nochmals glükliche Reise. Du meine ewige Liebe. Jezt verlangen die Meinigen schon sehr darnach, Dich zu kennen. Es freud mich doch, mein Engel, und muß es
916 Damit meint Kummerfeld seine Schwester Catharina Elisabeth Fritsch geb. Kummerfeld und seine Halbschwestern von Bostel. Seine zweite Schwester Louise Margaretha Kummerfeld (get. 11. Nov. 1725) war bereits als Kind verstorben. 917 Catharina Fritsch. 918 Miß Sara Sampson, Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing. 919 Kommunizieren; hier im Sinne von: Am Abendmahl teilnehmen.
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Dir zum Ruhm berichten, das jeder von Dir in Hamburg gut spricht. Bald, bald umfast Dich und drükt Dich an sein Herz Dein ewig treuer Kummerfeldt.“ Solte dem Durchleser bey diesen Brief Durchlesen die Zeit lang [501]
geworden seyn, so kan ich jeden mit Wahrheit versichern, das sie mir nicht lang geworden, als ich solche erhielte. Ich mußte solche abschreiben, damit man alle die Leute aus ihren eigenen Worten kennenlernt, um sich nach dem, wenn sie in dieser Geschichte weiterricken, einen beßern Begrief von ihnen haben. Ja, fast möchte ich bitten, ehe Sie weiterlesen in diesen Blättern, alle die Briefe noch einmal durchzulesen, damit Sie solche recht in dem Gedächtniß behielten und Ihnen der Erfolg nicht etwa glauben macht, ich spreche nun von andern und nicht von dieselben Personen. – Doch nun ganz wieder auf mich selbst zurück. Meine nahe Verbindung hatte ich allen meinen Freunden in Briefen wißen laßen. Aber all und von allen Orten erfolgte der warmste Antheil an meinen Glük. – Wär der Lohn eines guten Mädchens, das sich vor so vielen ausgezeichnet. Meine Fleischer, ihr Mann und der Hauptmann920, wie freuden sie sich! Und besonders, das sie mich ein paar Tage noch bey sich im Haus haben solten. – Wünschten, das es so viel Wochen seyn möchten. Gern hätte ichs zugestanden, wen mein Liebster mir nicht geschrieben, das die Hochzeit noch vor Ostern seyn solte. Schon betrachtete ich mich nicht mehr als mein Eigen, sondern als die Gattin eines Mannes, wo es meine Pflicht erfolgte, auch denen liebsten Wünschen zu entsagen, wenn solche nicht nach seiner Genehmigung sind. So wie ich meinen Wilhelm berichtet, so spielte ich den 17. Februar das leste Mal die Sara von Leßings Trauerspiel921. Das Haus war den Abend sehr voll, den man wuste es allgemein, das ihre Schulzen zum lezten Mal mitspielen würde; und jeder wollte sie noch zulezt sehen. Wars die Stimmung, in der ich den A[502]
bend war? Aber jeder sagte, so oft ich auch die Sara in Leipzig gemacht, so wär sie mir doch so noch nie gelungen wie den lezten Abend. Besonders der lezte Act. – Alles weinte um mich her, und diese aufrichtigen Zähren922, die ich um mich fliesen sah, 920 Friederike Fleischer geb. Günther, ihr Mann Karl Christoph Wilhelm Fleischer und Wilhelm Fredersdorff. 921 Miß Sara Sampson, Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing. 922 Tränen.
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waren meinen Herzen mehr empfindlich als der laute Beyfall, den man von so vielen Händen mir zuklatschte. Den 18. spielte ich nicht mehr mit: Das Ballet war die Bauernhochzeit923, und alls ich als Braut, mit Kränzen und Bändern geschmickt, in der Reye folgte, schrie alles und ablaudirte: „Die Braut, die Braut, unsere Schulz, unsere Schulz.“ Den 19. war den der lezte Abend, das ich auf dem mir ewig unvergeßenen Leipziger Theater im Ballet auftretten solte. Das Ballet hies Der bezauberte Walt924. Herr Koch hatte noch so eine volle Einnahme, das man nichts sah wie Kopf an Kopf. Schon als ich in meinen Wolkenwagen noch in der Höhe schwebte, erschalte die lezte Ehre, die man mir beweisen wollen. Gott weis es! ich nicht, wie ich den AbendCXLIV noch so, so mit aller Stärcke habe tanzen kennen. Ich fühlte nichts von dem Glük, das meiner wartete – ich fühlte nur das: Heute das lezte Mal bey deinen guten Leipzigern – die ganz Nachsicht, ganz Liebe, ganz Güte gegen dich waren. – O, das ich mehr für sie thun kennen. – Das ich so manchen Abend frey seyn mußte, das ich hier nicht so viel wie bey Ackermanns zu thun hatte. Als ich mit meinen Bruder im Final das Minor925 fast zum Schluß hatte, blieb ich stehen und wies durch Pantomime, das ich nun aufhörte, mit ihm zu tanzen. Mein Bruder drükte seinen Verlust aus durch eine wehmithige Stellung. Ich tratt nun vor, neigte mich gegen Parter, allen Logen und Gallerie. Mein Blick mußte, sagte, was ich fühlte, Thränen, die mit Macht aus [503]
meinen Augen stürzten, mehr – weit mehr, als Worte hätten sagen kennen. Wen ich auch wircklich, wie es der Wunsch von so vielen war, eine Abschiedsrede hätte halten wollen, ich würde nicht drey Worte haben vernehmlich herrausbringen kennen. Noch fühl ich den schmerzhaften Augenblick so lebhaft, das ich mich oft jezt noch im Schreiben unterbrechen muß, weil meine Thränen die Worte verlöschen – dankbare Thränen! Ich schäme mich euer nicht. – Kann euch, ihr Edlen, die ihr damals in Leipzig wohntet – und zum Theil noch da seid, ja sonst nichts zur Wiedervergeltung bringen. – Mein Bruder! alls ich den stumen Abschied genommen hatte, stand wie außer sich da, fiel mir um den Hals und küßte mich. Alles weinte laut, nicht ein Auge im ganzen Schauspielhaus war troken. Man schrie, man schlug in die Hände, man rufte „Vivat“ – „Lebe wohl“ – „Leb glüklich, seys!“ – „Dank! Dank dir!“ Nein, solchen Abschied wie dieser war wohl nie erlebt worden – und wird nie wieder erlebt werden. Noch hatte ich etwas weniges zu tanzen, aber ich konnte nicht, ich schwankte nur hin 923 Die Bauernhochzeit, Ballett von Konrad Ernst Ackermann. Benezé I, S. 280 liest fälschlicherweise Die Blumenhochzeit. 924 Der bezauberte Wald, Ballett von Karl Schulze; Steiger, Goethes Leben I, S. 259. 925 S. o. HHS, S. [344].
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und her und konte keinen ordendlichen Pas926 mehr machen. – Auch alle übrigen Tänzer und Tänzerinen nicht, den sie weinten. – Ja, sogar die geringsten, die Theaterleute, reichten mir, als alles aus war, ihre treuherzigen Hände und sagte, „Gott las es Ihnen doch wohl gehen, Sie waren immer so gut, auch sogar gegen uns, und haben keinen eine böse Miene gemacht – viel weniger ein unfreundlich Wort gesagt“. Spät wars, als ich den Abend nach Hause kam, weil so viele, die ich nie gesprochen, noch gekannt hatte, alle nach den Ballet [504]
auf das Theater gestürzt kamen und Abschied nahmen. Als ich nach Hause gekommen, dachte ich so allen nach. Gott! Wenn ichs je bereuen mißte, Leipzig verlaßen zu haben? – Heute, heute vor zwey Jahren das erste Mal in deines Kummerfeldts Haus. – Heute das lezte Mal auf dem Theater. – Und was heute über eins, zwey oder mehreren Jahren? – Glüklich – oder unglüklich? – Gott, du, du wirst es wißen. Den Tag darauf kam viel Besuch, sowohl von Personen, die ich kannte, wie viele, die ich nicht kannte; wie froh war ich, das ich nicht viel mehr einzupacken hatte, weil bereits meine großen Koffers fort waren und ich nur noch einen bey mir hatte. Den Sontag Nachmittag und Abend bis spät in die Nacht brachte ich bey Herrn und Madame Zemisch927 zu. Montag nahm ich vollends Abschied bey allen meinen Bekandten. Dienstag, als den lezten Abend in Leipzig, wurde mir zu Ehren in Örtels Haus928 ein Soupée gegeben. Die nicht selbst bey dem Soupée seyn konnten, kamen vor denselben, alles, was in Leipzig in Ansehn und geacht wahr, Kaufleute und Gelehrte, von Adel und bürgerlichen Standes – kurz, jeder bezeigte mir noch zu guter Lezt seine Aufmerksamkeit und versicherten mich, das ich mit Achtung der ganzen Stadt Leipzig verliese. Bedauerten, das eben demCXLV Abende noch 3 große Soupées in der Stadt wären, das sies nicht alle von diesem gewust, indem sich gewiß keiner von dem Vergnügen würde abgehalten haben, noch den lezten in meiner Geselschaft zu seyn. Doch da sie vernommen, das ich in Örtels Haus wär, hätten sie doch das Vergnügen sich verschaffen wollen, mich noch einmal zu sehen, zu sprechen, wenn auch nur auf wenige Minuten. Gegen 9 Uhr sezten wir uns zur Tafel. Einige 30 Personen waren wir zu Tische. Man sezte mich als Braut oben 926 Schritt. 927 Der Kaufmann Gottlieb Benedikt Zemisch (* 1716, † 1789) war der Erbauer und Besitzer des 1766 auf der Rannischen Bastei (später Richard-Wagner-Platz) erbauten Schauspielhauses. Lit.:Leipzig SL, S. 657; Blümner, Geschichte, S. 131–158. 928 Damit ist wohl das nach seinem Bauherrn, dem Leipziger Bürgermeister Franz Konrad Romanus, benannte Barockpalais Ecke Brühl/Katharinenstr. 23 gemeint (auch Richtersches Café und Dufours Haus genannt). Zwischen 1735 und 1770 war das Haus im Besitz der Familie des Hofrats Dr. Friedrich Benedikt Oertel; Leipzig SL, S. 507 f.
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an. Auf der Blatmenage929, dieCXLVI Beziehung auf mich vorstelte, war ein kleiner Amor, der mir die Deviese ent[ge]genreichte: „An Mademoiselle Schulze. Zur Ehre des Geschmacks, zum Ruhm der deutschen Bühne, Bewundert und geliebt, leb unsre Caroline.“ Gegen 12 Uhr, wir saßen noch an der Tafel, kamen noch alle die, die vor der Tafel nicht kommen konnten. – Weis solche nicht alle zu nennen. Aber die, die meine ganze Zärtlichkeit rege machte, deren Namen vergaß ich nicht: Es war die Frau Hofräthin Langin mit ihren Gemal930, ein paar alte, so ehrwürdige Personen. „Wo ist meine Schulz?“ mit dem Worten trat sie in den Saal. – „Nun, da ist sie! – Weg, alle weg, ihr hab[t] sie nun lange genug gehabt, nun muß ich sie auch haben.“ Da fiel sie mir um den Hals, küßte mich und drükte mich an ihre Brust. Nun sezte sie sich mir zur rechten, ihr Gemahl zur linken Seite, jeder von ihnen hielte eine meiner Hand in die ihrige geschloßen. – „Das Sie als ein junges, hübsches Mädchen allen unsern jungen Leuten gefallen mußten, das war keine Kunst bey Ihren Talenten. Aber so, wie meinen Mann und mich in Sie verliebt zu machen, dazu gehert mehr. – Wir sahen Sie nicht allein mit tausend Freuden gern agiren und tanzen. – Nein, wir lieben und schäzen Sie besonders Ihrer vortreflichen Aufführung, Ihres edlen Characters wegen. Und das mußte ich Ihnen sagen, und wens noch später in der Nacht gewesen wär. – Allgemeine Hochachtung nehmen Sie mit sich aus Leipzig von Jungen und Alten, von Kinder wie von Greisen. Wir weinen ja alle um Sie. – Aber sollen wir nicht weinen? – Haben noch keine Schulz gehabt und bekommen gewiß keine wieder.“ – Reden konnte ich nicht, ich lag an ihren Busen und weinte Thränen des Danks. Es wurde allgemein stille, den jeder hatte Thränen – nicht Worte. Herr Profeßor Clodius [506]
überreichte mir ein Blat, das ein Epigram auf meinen Abschied war und er drucken laßen, das enthielte die Worte: „An Mademoiselle Carolina Schulz, den 24ten Februar 1768. O Freundin, mit dem Reiz Melpomenes931 geschmückt, Nie hörst Du auf, das Herz zu rühren. 929 Plattmenage: Tafelaufsatz für Tischgewürze. 930 Dr. Johann Gottfried Lange, kurfürstlich-sächsischer Hofrat und Prokonsul der Stadt Leipzig. Lit.: Leipziger Adreß-, Post u. Reise-Kalender auf das Jahr Christi 1768 […], S. 12, 45, 68, 83, 85, 97, 110; Ulrike Eichhorn, Goethe in Berlin 1778, Berlin 2013, S. 9. 931 Muse der tragischen Dichtung und des Trauergesangs, eine der neun Musen.
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Jüngst weinten wir, von deiner Kunst entzückt: Jezt weinen wir, Dich zu verliehren.“932 Ich konnte nicht länger am Tisch bleiben, sprang auf in der äusersten Bewegung – „Sie töden mich durch Ihre Güte“. Tief in mich selbst gehült saß ich da – ich weiß kaum mehr, was vorging, endlich brachte man mich wieder an die Tafel, und ich bat alle, bey der Liebe, die sie gegen mich hätten, nur nichts mehr vom Abschied zu sprechen. Man willigte ein. Man trank meines Liebsten Gesundheit, nun wollte die liebe Frau Hofräthin noch recht viel von meinen Bräutigam wißen: „Verdient den auch Herr Kummerfeld unsere liebe Schulz?“ „Liebe Frau Hofräthin! Das Zeugniß einer Braut ist verdächtig – einer Braut wie ich; freue Wahl, ohne Zwang noch Zureden. Wahl, alleinige Wahl des Herzens. – Ich kann mich nur hier auf die Gegenwärtigen, die meinen Kummerfeld kennen, beruhfen. Hier ist Herr und Madame Winkler933, Herr Kreuchauf934 und vielleicht noch mehr, die mein Kummerfeld die Ehre hat von ihnen gekannt zu seyn.“ – Ja, nun stimmten solche mit ein, lobte meine Wahl! – welch glükliche Frau ich bey solch einen Mann werden müßte. – „Nun, gottlob!“ sagte der gute Hofrath und seine Gattin, „gottlob! wen aber auch so ein Mädchen nicht glüklich seyn solte.“ Das Gespräch solte zwar munter werden, aber an Fröligkeit, die sonst bey Festins935 herrscht, war freilich den Abend nicht zu denken. Den so wie einer nach dem andern Abschied nahm, so wurde Stillstand des Scher-
932 Das Epigramm ist abgedruckt in: Sammlung theatralischer Gedichte nebst einigen Gedichten und Epigrammen auf Schauspieler und Schauspielerinnen. Erste Sammlung, Leipzig 1776, S. 191:„XXX. An Mdslle Schulz, als Sie Leipzig verliß. / Von Clodius.O Freundin mit dem Reiz Melpomenens geschmückt! / Nie hörst Du auf, das Herz zu rühren. / Jüngst weinten wir, von Deiner Kunst entzückt; / Jetzt weinen wir Dich zu verlieren!“ Karoline Kummerfeld hat das Epigramm auch als Nr. 66 in ihre Samlung vermischter Ungedruckter gedancke aufgenommen; s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. 933 Gottfried Winckler (* 16. Febr. 1731 Leipzig, † 23. Nov. 1795 Leipzig) und seine Ehefrau Johanna Henriette Schmidt (1738–1829). Winckler war Kaufmann, Ratsherr und Kunstsammler, 1781 gehörte er zu den Mitbegründern der Gewandhauskonzerte. Seine vom Vater ererbte, von ihm wesentlich erweiterte Kunstsammlung gehörte zu den bedeutendsten der Stadt Leipzig. Wincklers Sammlung hat Franz Wilhelm Kreuchauf 1768 ausführlich beschrieben: Historische Erklaerungen der Gemaelde, welche Herr Gottfried Winkler in Leipzig gesammlet, Leipzig 1768. Lit.: Leipzig SL, S. 645; Nina Simone Schepkowski, Johann Ernst Gotzkowski, Kunstagent und Gemäldesammler im friderizianischen Berlin, Berlin 2009, S. 59; Doris Mundus, Gottfried Winckler – und nebenbei Gewandhausdirektor, in: Gewandhausmagazin Nr. 70 (2011), S. 49. 934 Franz Wilhelm Kreuchauf (1727–1803), Kaufmann, Kunstsammler und -schriftsteller in Leipzig. Kreuchaufs Katalog der Wincklerschen Sammlung erwähnt in: Manfred Koltes (Bearb.), Briefe an Goethe, Gesamtausgabe in Regestform 1764–1817, Bd. 7/1 (1816–1817), Weimar 2004, Regest-Nr. 814. 935 Festessen.
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zens. Die Uhr war schon nach zwey, als ich sagte: „Es muß seyn. Leben Sie alle wohl.“ Die gute Hofräthin, ihr Herr und alle übrige sagten wenig mehr, ich umarmte alle mit Thränen, und sprachloß ging ich fort und lies mich nach Hause tragen, eine große Anzal von denen Herren waren meinen Seßel gefolgt und begleiteten mit meinen Bruder solchen. Solte noch einen Sturm auf mein Herz noch vor meinen Hause aushalten. – Es schien, als ob es ihnen ohnmöglich schien, mich nun auf immer zu verliehren. Man schrie, man schluchzte. Ich versprach ihnen, das, wenn ichs möglich machen könnte, sag in ein oder mehr Jahren, gewiß mit meinen Liebsten nach Leipzig zum Besuch zu kommen. Dieses hatte ich schon einmal an der Tafel versprochen und gesagt: Mein Kummerfeld solte sich als mein Ehemann noch danken für die Liebe und Ehre, die man seiner Frau als Braut erzeigt hätte. Nun verliesen sie mich, und ich ging mit Carln nach unsere Zimmer. Wir sprachen beyde nichts, und er ging mit einen stummen Kuß, den er mir gab, zu Bette. Ich packte nun vollends alles ein, um den Morgen nichts mehr zu thun zu haben. Warf mich auf mein Bett im Reisekleide, schlaffen konnte ich nicht. Gegen 5 Uhr weckte ich meinen Bruder, halb 6 Uhr kam noch der größte Theil von der Gesellschaft und wolten mich abfahren sehen. So auch noch Herr Professor Clodius, Herr Torchiane936, ein italienischer Kaufmann, der mir viele Freundschaft erwiesen, mir viele Dienste geleistet, ja, noch zulezt alles zumCXLVII Transport der Koffer besorgt. – Gegen 6 Uhr kam mein Wagen. – „Kinder, um Gottes willen, schont mich – bleibt ruhig. – Lebt, lebt wohl!“ Ich küßte alle, riß mich aus ihren Armen und warf mich im Wagen. – Durch die Straßen, wo ich durchfuhr, lag alles in die Fenster und ruften mir noch glükliche Reise nach. Ich hatte die Gläßer vom Wagen auf beyden Seiten niedergelaßen und sah von einen [508]
zum ander herraus. Herr Brückner937 und mein Bruder begleiteten mich zu Pferde; und ich hatte einen alten, treuen Markthelfer mit Namen Christian bedungen, der mir zur Aufwartung unterwegens seyn solte, nebst den Kutscher und seinen Knecht als Vorreiter, den ich fuhr mit 6 Pferden. – Kein Wunder, das alles, was ja noch hätte schlafen kennen, von dem Geraßel wach wurde. So verlies ich den 24. Februar mein geliebtes Leipzig. – Und! soll ichs vorher sagen? – Nein – nichts vorher. Gott! Gott 936 Maximilian Torchiana (* um 1723 Nesso, Provinz Como, † 17. März 1791 Leipzig) unterhielt zusammen mit Anton Buzzi einen Laden am Markt. Torchiana wirkte auch als italienischer Sprachmeister in Leipzig. Lit.: Leipziger Adreß-, Post u. Reise-Kalender auf das Jahr Christi 1768 […], S. 126 f.; Leipziger gelehrtes Taschenbuch auf das Jahr 1791, S. 49. 937 Johann Gottfried Brückner (1730–1786), Schauspieler.
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segne noch an die spätesten Enkel und vergelte es an diesen die Liebe, die Güte, so ihre Voreltern mir erwiesen. – Ich kanns nicht, als dankbar an sie denken – und werde sie segnen noch in der lezten Stunde meines Lebens. Noch muß ich einen seltsamen Auftritt nachholen, der sich wenige Tage vor meiner Abreise zutrug. Ein Lehnbedienter938 kam zu mir und brachte mir ein Compliment von seinen Herrn mit Namen Beier939. Derselbe hätte gehört, das ich in wenigen Tagen nach Hamburg reisen wolte; er müßte auch dahin und böthe mir seinen Wagen an, wenn ich noch keinen bestelt hätte, so konnten wir auf diese Art wolfeiler hinkommen. Ich frug den Bedienten: „Wer ist sein Herr?“ – „Ein Fremder; ich glaube: ein Kaufmann.“ „Hör Er, mein Freund, mache Er wieder Herrn Beier mein Compliment und sage Er ihm, das ich bereits meinen Wagen schon acordirt und darauf bezalt. Ich kennte von dem gütigen Anerbieten keinen Gebrauch machen.“ Der Bediente ging fort, kam aber bald wieder und sagte: Wenn ich schon einen Wagen bestellt hätte, so wolte er seinen absagen und die Helfte zu den meinigen bezalen. Meinen Gruß an Herrn Beier, ich lies ihn [509]
danken. Aber gegenwärtig ging das nicht an. Herr Beier würde Eile haben, die ich nicht hätte, den ich wär gesonnen, etliche Tage in Braunschweig mich zu verweilen, und das könnte ihn unangenehme Verhinderung in seinen Geschäften machen. – Der Bediente kam nun zum dritten Mal wieder. Sagte, das hätte nichts zu sagen, Herr Beier wolte sich mir zu Gefallen gern in Braunschweig verweilen. – Nun war ichs satt. – „Hör Er! Ich sehe, mit Höflichkeit komme ich mit seinen Herrn nicht zurechte. Ich bin nicht gern grob, aber Er zwingt mich dazu. Wenn sein Herr Verstand hätte, so hätte ers mir gar nicht anbieten sollen. Mit einen fremden Herr, den ich gar nicht kenne, allein zu reisen in einer eigenen Gelegenheit? Fährt man mit der gewöhnlichen Post, so muß man sich sowas gefallen laßen. Bey meiner Reise kommt es nicht aufs Geld an, sie mag kosten, was sie will. – Also sag Er seinen Herr: Ich reise nicht mit ihm, und wenn er auch die ganze Fuhr allein bezahlen wolte; und nun gehe Er und komm Er mir ja nicht wieder.“ Als ich das lezte Mal in der Sara940 spielte, sah ich eine fremde Figur, die ich noch nie gesehen hatte, auf dem Theater stehn, und der mir so recht die inpertinente Mine hatte, das ich dachte: Daß ist gewiß der Herr Beier. Schien ein Mann so in die 30 Jahren, mit einen Blick im Gesicht, die viele Unverschämdheit verrieth. Er grießte
938 Lohnbedienter: Ein Bedienter gegen Lohn auf Zeit, im Gegensatz zum festangestellten Diener. 939 Nicht ermittelt. 940 Miß Sara Sampson, Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing.
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mich etwas dreust, und ich dankte ihm mit einer sehr er[n]sthaften und pratiösen941 Gesicht. „Mademosiel Schulz! Sie werden nach Hamburg reisen?“ – „Ja!“ – „Und allein?“ „Ganz allein mit einen Bedienten.“ „Aber warum wollen Sie niemand mitnehmen?“ – „Weil es mir so ansteht.“ „Aber in Gesellschaft zu reisen ists doch angenehmer?“ „Da [510]
haben Sie recht, wenn man angenehme Gesellschaft haben kann. Wenn mich mein Bruder oder eine Freundinn begleiten könnte, würde ich mich sehr freuen.“ – „Aber warum wollen Sie mich nicht mitnehmen?“ – „Aha! Sie sind allso der Herr Beyer? Dacht ichs doch gleich, als ich Sie sah. – Hören Sie, es ist mir leid, das ich Ihnen nun das selbst sagen muß, was ich Ihnen bereits 3mal habe sagen laßen. Sie kennen ein ehrlicher, rechtschaffener Mann seyn, aber ich kenn Sie nicht. Sie wißen gewiß, in welcher Situation ich reise. Würde sich das schicken, wenn ich da mit einen fremden Herr angefahren käm? – Noch mehr! Mein Liebster hätte mir entweder selbst einen Begleiter zuschicken oder mir schreiben müßen: Mit dem und dem sollen Sie kommen, wen ich Gesellschaft in meinen Wagen hätte annehmen sollen. So viele brave, rechtschaffene Freunde ich hier habe, so würde ich doch eines jeden Gesellschaft abgeschlagen haben, wir hätten den unserer mehrere in Wagen seyn müßen wie zwey. – Nun hoffe ich, werden Sie mich verstanden haben, und ich ersuche Sie, mich nicht weiter zu beläßtigen.“ – Ich machte ihm eine kurze Verbeugung und lies ihn stehen. Den lezten Sonabend des Nachmittags, ich hatte eben soviel Besuch, kommt der Bediente wieder. Brachte abermals einen Gruß, und ob ich mich noch nicht anders besonnen hätte? – „Was soll ich mich den noch mehr besinnen?“ „Ja, Mamsell!“ sagte der Kerl. „Mein Herr ist nun schon so lange hier, hat immer auf Gelegenheit gewartet, in Geselschaft nach Hamburg zu reisen, und nun eine da ist, wollen Sie ihm nicht mitnehmen. Sie müßen recht courios seyn, sagt mein Herr.“ [511]
„Ja, ich bin nun einmal so curios – und nun hat Er Zeit, das Er geht, oder ich werde bald noch curioser mit ihm seyn.“ – „Aber Mamsell, Sie müßen nach Hamburg und mein Herr auch. Und da wollen Sie ein jeder in einen eigenen Wagen allein fahren?“ – „Nicht wahr? Wie die Narren! will Er sagen? – Nun hat Er Zeit, das Er geht, oder ich brauche mein Hausrecht und werf Ihm die Treppe hinunter. Sage Er seinen Herrn: Das ich noch keinen so unverschämten Flegel je angetroffen. – Sein Herr hat kein Geld und denkt mit mir zu fahren, das es ihm nur etwa ein Tri[n]ckgeld an den Knecht kostet.
941 Pretiös: Geziert, gekünstelt, unnatürlich.
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Hat er Geld und will er Gesellschaft, so kan er die Post nehmen. Nun marsch, fort!“ Ich machte die Thüre auf; „und hat sein Herr die Unverschämtheit selbst zu kommen, so wird er, ohne ihm anzuhören, zum Haus hinausgeworfen. Und kommt Er wieder, so bekommt Er einen Bukel voll Schläge.“ – „Aber Mamsel!“ „Fort, Unverschämter“ – weg war er. Meine Freunde wusten nicht, was das zu bedeuten hatte, und nun erzelte ich die ganze Sache, sie lachten und mußten eingestehn, das sie sowas mein Tage nicht erlebt hätten. Wo ich solange die Geduld hergenommen hätte? Ich sagte: „Geben Sie acht, ich habe noch unterwegens mit dem Mann Verdruß?“ Über des Herrn Beiers unverschämter Zudringlichkeit wurde die lezten Tage noch gescherzt, den es kam bald in ganz Leipzig herrum. Alls ich nun einige Stunden auf der Reise war, kam Herr Brückner mit meinen Bruder an meinen Wagen geritten und sagten mir, das ein Mann, den sie aus meiner Beschreibung für den Herrn Beier hielten, mit einen Studenten in einer Halb-Chaise942 nachführe, sie hätten nur einen Mantel[512]
sak943 bey sich. – „Kinder, gebt acht, ich habe noch ein Intermetz944 mit dem Kerl. Nur bitte ich euch beyde, mengt euch in nichts, ich werde gewiß mit ihm allein fertig, das es eine Lust seyn soll.“ Beier mit seinen Studenten (sein Reisegefahrte hies Schüler945) fuhren meinen Wagen vorbey und voraus nach dem Mittagsquartir. Ich kam nun auch an, und Herr Brückner nebst meinen Bruder hatten bereits das Mittagseßen für uns 3 bestellt. Herr Beier mit seinen Studenten saßen an einen kleinen Tisch, hatten kalte Küche vor sich, die sie sich geben laßen, und Wein. Ich grießte die Herren nur so im Vorbeygehen und sezte mich an dem Tisch, der bereits für uns gedeckt war. Wir speisten, und ich lies durch Christian Wein aus meinen Wagen holen. Die Herren tranken unsere Gesundheit – wir dankten und sagten gleichfals „Ihr Wohlseyn!“ – Darauf both
942 Zweisitziger Wagen ohne Türen und Vorderwände. 943 Mantelsack: Aus Stoff oder Leder gefertigtes längliches Behältnis für Reiseutensilien, das besonders bei Reisen zu Pferde benutzt wurde. 944 Intermezzo. 945 Da Schüler, wie sie schreibt, Student war, könnte es sich um Carl Julius Christian Schüler/Schüller (1746–1828) aus Irmelshausen in Unterfranken (heute Ortsteil von Höchheim) handeln, der sich am 25. Mai 1767 in Leipzig immatrikuliert hatte; Die jüngere Matrikel der Universität Leipzig 1559– 1809, hg. von Georg Erler, Bd. 3, Leipzig 1909, S. 376. Dann wäre ihm Karoline Kummerfeld, ohne es zu wissen, während ihrer Gothaer Zeit (1778/79) wiederbegegnet, denn Schüler wurde Schauspieler und war in Gotha engagiert. Lit.: Richard Hodermann, Geschichte des Gothaischen Hoftheaters 1775–1779, Hamburg und Leipzig 1894 (Theatergeschichtliche Forschungen 9), S. 179; Elisabeth Dobritzsch, Barocke Zauberbühne. Das Ekhof-Theater im Schloß Friedenstein Gotha, Weimar/Jena 2004 (Gothaisches Museums-Jahrbuch 8 [2005]), S. 130, 135 f.
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Herr Beier uns seinen Wein an, der ganz vortreflich wär. Ich antwortete ihn: „So werden Sie ihn brauchen. – Mir fehlts an Wein nicht. Ich habe Vorrath von Pontack946, Burgunter, Chambagner, Reinwein, Malaga und Madera in meinen Wagen.“ – Es war keine Lüge. Meine Freunde in Leipzig beschenkten mich damit. Herr Beier sagte zu mir: „Ich wundere mich, Madame, das Sie mich nicht kennen?“ „Nein, die Ehre habe ich nicht.“ „Ich bin doch so oft in der Schweiz in Herrn Ackermanns Haus gewesen.“ – „Das kann möglich seyn. Aber da hätte ich viel zu thun gehabt, mir alle Herrn Ackermanns Freunde zu merken.“ – „O, ich und Herr Ackermann waren Herzensfreunde in der Schweiz.“ – „Kan seyn. Herr Ackermann war an vielen Orten in der Schweiz.“ – „Ja! In Zürrich, Schafhausen, Wintertur.“ – „Bin ich überall nicht mit gewesen, folglich kan ich Sie [513]
auch nicht gesehen haben.“ – „Auch in Bern.“ – „So! Auch in Bern, ja, da war ich. Aber wie gesagt, mich kennen mehr tausend Menschen wie ich huntert.“ – Nun brach ich das Geschwäz ab und unterhielte mich nur mit Herrn Brücknern und meinen Bruder. – Eine gute Weile darauf frug Herr Beier den Wirth: „Was bin ich schuldig?“ – „14 Groschen!“ „Was Teufel, Herr Wirth, nur 14 Groschen? Für alles, was wir gehabt? Wie will der Herr da bestehen, wenn er nicht mehr seinen Gästen abnimmt. 14 Groschen! Für Schinken, Brod, Käß, Butter und was der Knecht verzehrt, das ist ja gar zu wenig.“ – Der Wirth krazte sich hinter den Ohren, und man sahs ihn an, das es ihm reute, nicht mehr gefordert zu haben. Der Student saß ganz still und sprach nicht ein Wörtgen. Mitlerweile hatte Herr Beier einen gewaltigen großen grünen Seidenbeutel aus der Tasche hervorgezogen und warf den auf den Tisch. – Wie ich solchen blumpen947 hörte, sagte ich leise zu Herrn Bricknern und Carl: „Das k[l]ingt wie kleine Steine und Zahlpfenige948“. Carl lachte, und Brückner sagte: „Sie bleiben doch immer ein gottloses Mädchen!“ „Glauben Sie den, Herr Brükner, das daß Geld ist? Ich nicht! Der Kerl ist ein Windbeutel. Mich sols loken, ihn noch zu sagen: Reisen Sie mit mir.“ – Carl sagte: „So halt doch dein Maul und schweig still.“ – „Mag ers hören, was scher ich mich drum.“ Unterdeßen hatte Herr Beier zimlich verdeckt von der Seite, wo man das Geld in dem Beutel steckt, einen Luisdor herrausgesucht und gab solchen den Wirth 946 Pontiac, Pontac: In Deutschland im 18. Jahrhundert gebräuchlicher Name für Bordeauxweine aus dem Médoc; s. a. Bernd Maether, Kochen für den König, in: Michael Kaiser/Jürgen Luh (Hg.), Friedrich der Große und der Hof (https://www.perspectivia.net/publikationen/friedrich300-colloquien/fried rich-hof/maether_kochen, Zugriff am 20.7.2020). 947 Plumpsen. 948 Marken in Gestalt von Münzen, die zum Rechnen verwendet wurden.
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hin. „Geben Sie mir darauf heraus!“ Der Wirth ging, und ich sagte wieder: „Um 14 Großen einen Luisd’or wechseln zu laßen – so entledigte ich mich doch lieber des schweren Silbergelds, den der Beutel muß ihm ja eine rechte Last zum Tragen seyn.“ Brükner lachte, und Carl sagte: „Wo du nicht stillschweigst, [514]
gehe ich vom Tisch.“ Der Wirth brachte Münze, kaum sah solche Herr Beier an: „Wird wohl recht seyn! Stecks ungezehlt ein. Aber das sage ich Ihnen nochmal: Müßen mehr von Ihren Gästen fordern, wenn Sie bestehen wollen.“ Beier steckte das Geld in die Tasche und nicht in den Beutel. – Wir forderten unsere Rechnung, bezalten, ohne zu sagen: „Es ist zu viel oder zu wenig“, sezte mich in meinen Wagen und fuhr weiter. Meine Begleiter frugen, wo den Nachmittag angehalten werden würde, man sagte es, und so ritten sie voraus, um mir Caffee zu bestellen. Kam so um 5 Uhr an. Auch Herr Beier hielte da mit seiner Chaise. Ich trank Caffee; die Pferde, nachdem sie wieder Heu und Waßer bekommen hatten und die Leute ihren Schnaps getruncken, so fuhr ich fort und eher als Beier. Schon wurde es dunkel, als in vollen Calop949 Brückner und Carl auf meinen Wagen zukamen; sie schrieen mir in den Wagen: „Kleine Steine und Zahlpfenge. Hatten einmal wieder recht – o, das ist zum Todlachen!“ – „Nun, Kinder, was giebts.“ Kaum konnten sie für Lachen reden: Endlich hörte ich, das Herr Beier, wo ich Caffee getru[n]ken, mit den Studenten sich Brandwein geben laßen, und wie sie den Brandwein mit der Müntze bezahlen wollen, die Beier der Wirth aus dem Mittagsquartir herrausgegeben hatte, man solches nicht annehmen wolte, weil es lauter abgeseztes Geld950 war. Das Beier mit dem Studenten nicht so viel Baargeld bey sich gehabt, um den Brandwein zu bezahlen, und der Kutscher, der sie fuhr, mit vielen Wiederstreben endlich die wenigen Groschen [515]
hergegeben. „Nun, was habe ich gesagt! Kommt’s nicht so herraus? Gebt acht, ich habe noch einen Auftritt mit dem Kerl. Aber nochmals wiederhol ich meine Bitte an euch: Mengt euch in nichts. Machs ganz allein mit ihm aus. Ich wolte nicht gern, das das Nachspiel, welches heute Abend gewiß noch kommen muß, tragisch ausfiel – und das würde es, wenn ihr euch darein mischtet. Nein, lustig solls seyn.“ Beyde versprachen es mir, und sie ritten voraus weg nach Halla951, um mir ein warmes Zimmer und das Abendeßen zu besorgen, weil ich nicht in der Gaststube seyn wolte. Es war schon gegen 949 Galopp. 950 Außer Kurs gesetztes Geld. 951 Halle an der Saale.
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9 Uhr, als ich nach Halle kam, eine halbe Stunde nach mir kam auch Herr Beier mit seiner Chaise. Das Zimmer, was ich hatte, an diesen war noch eins mit zwey Betten. Ich sah darnach und wählte mir eins davon und legte mein Nachtzeig zurechte. Als ich wieder in die Stube kam, siehe da! Da lag der Mantelsack und der Pelz von Herrn Beier in meinen Zimmer. Ich rufte nach denen Wirthsleuten, der Knecht kam und die Frau Wirthin. „Da, die Bagage aus meinen Zimmer!“ „Die fremden Herren wollen nicht in der Gaststube seyn.“ „Nicht! Nun, so kennen sie sich eine aparte Stube geben laßen. Aber nicht hier bey mir. – Durchaus nicht! Christian!“ – „Mademosell“, da warf er die Sachen aus meiner Stube. „Der Donner und das Wetter soll den verdamten Kerl auf den Kopf fahren, wofern er es mir zu arg macht“. Christian packte auf und trug solche gegenüber in die Gaststube. Herr Beier kam heraus und wolte mit mir reden, aber ich lies ihn nicht zum Wort kommen. „Hab viele unverschämte Menschen gesehen, aber Sie, Herr, [516]
übertreffen alle. Wißen, was ich Ihnen gesagt und sagen laßen; wißen, das heute der lezte Abend ist, wo ich in der Geselschaft meines Bruders bin. Wo ich nicht weis, ob ich ihm je wiedersehe, und Sie wollen mir meine lezte vergnügte Stunde mit ihm rauben. – Mit Ihrer mir läßtigen unerträglichen Gegenwart. – Herr, das sage ich Ihnen! Es mag kosten, was es will, aber Sie sind mir so abscheulig, das, wofern Sie morgen weiter hinter mir herfahren, ich in keinen von denen Wirthshäusern abtrete, wo Sie einkehren.“ Beier stand da und wuste kein Wort zu antworten. Die Wirthin frug nun: „Geheren Sie den nicht zusammen?“ – „Zusammen, Gott bewahre mich.“ – „Ja, aber der Herr hat mir gesagt, das ich für 5 decken soll.“ – „Die zween Herren, die vorausgeritten, haben für drey bestellt; und dabey bleibs. Was ich mit diesen zween Herrn hier in diesen Zimmer verzehre und hier meinen Bedienten, das bezahl ich. Aber der Herr da mitsamt den andern, gehen mir nichts an, von denen wird sie allein bezalt; und nun genug, ich will mit denen zween Herrn allein seyn, also Herr Beier, machen Sie, das Sie aus meiner Stube gehen, und Sie, Frau Wirthin, besorgen die Küche, das wir bald speisen und recht was Gutes haben; den wir haben Apetit alle drey!“ Beier ging mit hengenden Kopf fort, ohne ein Wort weiter zu sagen. Wie wir wieder allein waren, so sagte ich: „Nun, das war kurz und gut. Laßt uns nun soviel wie möglich lustig seyn.“ Einige Zeit darauf kommt mein Christian und sagt: [517]
Beier hätte eine Unterredung mit meinen Kutscher. „Noch nicht alle? Gebt acht, nun will er den breitschlagen.“ Dauert auch nicht lange, so kommt mein Kutscher in die Stube und fängt sehr höflich an: „Mademoiselle, der Wagen ist groß und kennen doch
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vier Personen darinnen sizen. Laßen Sie mich das noch mit verdienen, was mir Herr Beier geben will. Die Wege sind schlecht und das Futter theuer.“ – „Hör Er, Kutscher! Wie ist unser Acord? Den 24. Februar will ich reisen, erst nach Braunschweig, mich da zwey oder 3 Tage aufhalten. Dann bringt Er mich bis auf den Hopt, wo ich den Son abend als den 5. Merz mittags 12 Uhr gewiß eintreffen muß, ich bin allein mit Christian und habe diesen einen Koffer bey mir. Was soll ich ihm dafür bezahlen?“ Er ging fort, machte seinen Überschlag und forderte 50 Thaler. Ohne ihm einen Groschen abzuziehen, sagte ich: „Ja, die soll Er haben. Halte Er sein Wort, ich halte meines“ und gab ihm 2 Luisdor auf die Hand. „Nun hat Er zu wählen. Entweder es bleibt bey unserer Verabredung, oder wofern Er sich untersteht, darauf zu beharren, den infamen Kerl mitzunehmen, so wird noch heute Abend sein Wagen und Pferde in Beschlag genommen, und ich verklage Ihm auf seine Kosten. – Ist Er toll! Ich soll mit einen fremden Kerl fahren, der keinen Groschen in der Tasche hat, mich in ersten, besten Nachtquartir bestehlen kann? – Frag Er den Knecht, der ihm fährt, der hat den Brandwein bezahlen müßen, sie haben beyde keinen Groschen im Sack, der Wirth im Mittagsquartir gab ihm falsche Münze. – Nun thue Er, was Er will? – Ich nehm ihn nicht mit.“ – „Ja, Mamsell, wens so ist!“ – „Ja, so, so ists. – Nun gehe Er und mach Er mir weiter [518]
keinen Erger.“ Als wir beynahe abgespeißt hatten, kam mein Christian und erzehlte uns, das er [= Beiers Kutscher] Beiern nicht weiterfahren wollte: „Mein Geld, oder Sie müßen morgen wieder mit mir zurük nach Leipzig.“ Beier hat seinen Kutscher vertrößtet, das der meinige ihn die Fuhr bis Hanau952 bezalen solte. Da nun dieser hörte, wie des Beiers Umstände beschaffen waren, so war er froh, das ich solchen nicht mit mir genommen. Beiers Kutscher, der nun wohl einsah, das er im Wirthshaus würde für seine zween Herren bezalen müßen, was die verzehrt, nahm, um sicher zu seyn, das ihm Beier nicht davonläuft, seinen Mantelsack in seine Kammer zur Verwahrung: „Morgen früh fahre ich Sie wieder nach Leipzig, meine Herren; und nun schlafen Sie wohl.“ So endigte sich die Geschichte. Es ist fast unglaublich, das es solche Menschen geben kenne – und doch ists so. Beier soll, wie ich gehört habe, ein Spieler gewesen seyn. Ohne Zweifel verstanden die lezten, mit denen er gespielt, das Handwerk beßer wie er. Auch mögen ihm solche Streiche, wie er gegen mich in Sinn hatte, einst geglükt haben, nun aber kam er zur Unrechten. Wir drey brachten den Rest des Abens noch so ziemlich vergnügt zu, wenigsten[s] sagte keiner was, das zu
952 Hanau liegt nicht an der Route Leipzig–Braunschweig–Hamburg. Vielleicht ist gemeint, dass Beier nach Hanau wollte.
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traurigen Ideen hätte veranlaßen kennen. Wir tranken noch zwey Flaschen Champagner, und durch dieses Mittel hofte ich uns allen einige Stunden guten Schlaf zu verschaffen. Die Herren gingen zu Bette, aber ich schlief auch nicht eine Minute und weinte die ganze Nacht. [519]
Der Zwang, den ich mir den Abend selbst anthat, das bluten[de] Herz nicht zu verrathen und unter dem heutersten Gespräch mit lächelnden Gesicht mich selbst zu verläugnen, mußte ja froh seyn, das es endlich freu in Thränen ausbrechen konnte; um für den nahen Morgen wieder Kräfte zu sammlen. Endlich, den 25. des Morgens 5 Uhr, verlies ich mein Lager, kleidete mich an und machte mich in allen fertig, um ganz noch die wenigen Minuten meines Bruders zu seyn. Gegen 6 Uhr weckte ich sie. Sobald sie angekleidet waren, tranken wir das Frühstück, und um 6 Uhr wolte ich fortfahren – noch eine Stunde weit wolten sie mich begleiten. „Wie ihr wolt, Lieben“. Jede Minute, die im Fahren dahinging, war ein Stich an mein Herz. – Nun wars 7, der Wagen hielte, sie stiegen von ihren Pferden, ließen sich solche halten und näherten sich mir. Wir hielten uns umschlungen – Worte hatten wir nicht, nur das einzige sagte ich: „Brückner, sorgen Sie für meinen Bruder, Ihnen vertrau ich solchen“ – ich riß mich los. Brickner und mein Christian halfen meinen Carl aufs Pferd – ich winkte fortzufahren, Brükner hatte sich auf das seinige gesezt. Solange mein Auge sie erreichen konnte, sah ich hinaus. Carl machte viele Bewegungen, um mir nachzureiten, und Brükner hielte ihn zurük – endlich bog mein Wagen um, und sie waren beede meinen Augen entrißen. In einer stummen Betäubung lag ich im Wagen. Die Uhr war bald eins, da mein Wagen an dem Mittagsquartir stille hielte, und wenn mein Christian es mir nicht gesagt hätte, mich aufgeschittel[t], mich gebeten, doch ruhig zu seyn, ich würde bis in die Nacht so fortgefahren seyn, ohne zu wißen, wie mir ist, noch wo ich [520]
bin. Inzwischen ging meine Reise glüklich fort. Der gute Christian sorgte sich für mich recht väterlich, war für jede Kleinigkeit so emsig besorgt, das es mir auch an nichts fehlte. Ja, wenn wir vor einen Wirthshaus stillhielte, wo es schmutzig war, trug er mich auf seinen Armen aus den Wagen und wieder hinein. Sontag den 28. des Nachmittags 3 Uhr kam ich gegen Braunschweig. Herr Fleischer und der Haup[t]mann waren mir zu Fuß entgegengegangen. „Nun gottlob, da sind Sie!“ ruften sie mir zu. Ich wolte, sie solten sich in meinen Wagen sezen. Aber Herr Fleischer sagte: „Nein, ich gehe geschwinder einen nähern Weg, um meiner Frau zu sagen, das Sie da sind“; „und ich“, sagte der Haup[t]mann: „weise den Kutscher den Weg an, wo er hinfahren soll.“ – Halb 4 Uhr war ich nun in den Armen meiner Fleischer. Welche Freude! Welche Freude, die zwey
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Kinder zu sehen, die ihr Gott, seitdem wir uns nicht gesehen hatten, geschenkt. Ihr August war nun bald 9 Jahr alt. Ihre Wilhelmine 3, und Fritze lag noch an der herlichen Mutter Brust. Vieles hatten wir uns zu sagen, nun hies es: „Wie lange behalten wir Sie?“ „Bis Sonabend muß ich auf dem Hobt seyn.“ – Mein Kutscher wurde gerufen: Er wolte schon den Dienstag fort, weil es in der Stadt immer theurer zu zehren wär. „Da, Kutscher!“ Und so reichte ich ihm noch einen Luisdor. „Mittwoch morgen will ich reisen. Die Helfte des Wegs ist zurükgelegt – und bis über die Helfte; den von Hamburg bis zum Hopt ist ja eine starcke Halbtagsreise; und weiter bringt Er mich ja nicht.“ – Der Kutscher wars zufrieden und wir vergnügt. [521]
Montag den 29.953 gingen wir zusammen nach der französi[s]chen Comödie954. Es wurde eben vor dem Fest das lezte Mal gespielt und der Galeeren-Sclave955 gegeben. Das ich als Zuschauerin im Schauspielhaus wär, breitete sich bald allgemein aus. Herr Lessing956, Herr Profeßor Zacharie957 und Herr Professor Ebert958 bewillkommten mich im Parcet. Der Durchlauchtigste Herzog959 ging aus der großen Loge und kam in die kleine, rechts am Theater. Meine Fleischer sah es zuerst und sagte zu mir: „Carlingen, sieh dich um, da ist der Herzoch, ich wette, er ist deinetwegen in die Loge gekommen.“ Ich sah hinauf, und noch ehe ich aufgestanden, winkte der gnädigste Herr 953 29. Februar 1768: das Jahr war ein Schaltjahr. 954 Aufgrund der Überschuldung des Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel wurde das französische Theater 1768/69 geschlossen, nur die französischen Komödianten blieben bis 1769. Die Aufführungen der Franzosen fanden im Redoutenhaus des Opernhauses statt. Lit.: Thomas Biskup, Friedrichs Größe. Inszenierungen des Preußenkönigs in Fest und Zeremoniell 1740–1815, Frankfurt a. M./New York 2012, S. 50; Thomas Biskup, German Court and French Revolution: Émigrés and the Brunswick Court around 1800, in: Francia 34/2 (2007), S. 61–87; Fritz Hartmann, Sechs Bücher braunschweigischer Theater-Geschichte, Wolfenbüttel 1905, 207 f. 955 L’Honnête criminel ou L’Amour filial von Charles-Georges Fenouillet de Falbaire. In der deutschen Übersetzung: Der Galeerensklave oder Belohnung der kindlichen Liebe, Lustspiel. 956 Der Dichter Gotthold Ephraim Lessing (* 22. Jan. 1729 Kamenz, † 15. Febr. 1781 Braunschweig). 957 Justus Friedrich Wilhelm Zachariä (* 1. Mai 1726 Frankenhausen, † 30. Jan. 1777 Braunschweig) war nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Leipzig und Göttingen (mit Kontakten zum Gottsched-Kreis) seit 1748 Hofmeister am Braunschweiger Collegium Carolinum und seit 1761 Professor. Er wirkte als Zeitungsherausgeber, Schriftsteller, Übersetzer und Komponist; Schüddekopf, Justus Friedrich Wilhelm Zachariä. 958 Johann Arnold Ebert (* 8. Febr. 1723 Hamburg, † 19. März 1795 Braunschweig) war nach dem Studium der Theologie und Philologie in Leipzig (mit Kontakten zum Gottsched-Kreis) seit 1748 Hofmeister am Braunschweiger Collegium Carolinum und seit 1753 Professor. Er wirkte als Dichter und als Übersetzer aus dem Englischen; Schröder, Johann Arnold Ebert. 959 Karl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel (* 1. Aug. 1713 Braunschweig, † 26. März 1780 Braunschweig).
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mir mit beyden Händen den gnädigsten, herablaßenden, freundlich und leitseligsten Willkommen zu. Ich konte nicht ungerührt bleiben, Thränen standen in meinen Augen. Zacharie sagte zu mir: „Sehen Sie, liebe Schulze, das man Sie auch hier noch nicht vergeßen hat? – Das man Sie auch hier zu schäzen weis? Aber wer solte es auch nicht, wenn man Sie einmal gekannt hat!“ – Mit vieler Aufmercksamkeit sah ich dem Stück zu; und ich mußte den Schauspielern die Gerechtigkeit wiederfaren laßen, das die meisten sehr gut spielten. Besonders Madame Messieure960 als Cecile. Die Stelle, als sie dem Galeerensclaven frug, ob er in Rochell Lisiman gekant? Er sagte: „Lisiman? – Ist mein Vater.“ – Sie ausrufte: „Andre!“ – Welch ein malerisches Bild! So meisterhaft von dem größten Künstler gezeichnet zu werden – und doch würde des größten Künstlers Gemälde tod seyn gegen ihr Bild. – Wer könnte den Übergang zeichnen? Sehen mußte man sie! Sie riß mich auch so hin, das ich aufstand, pravo, pravo rufte, in die Hände schlug und mir die Thränen über die Backen rollten. So hatte sie [522]
mich mich selbst vergeßen machen, das ich nicht daran dachte, das niemand in Braunschweig eher anfängt zu ablaudiren, als bis der Herzog selbst seinen Beyfall bezeigt. – Doch nahms der ganze Hof sehr wohl auf und ablaudirten mit und alles übrige, was Hände hatte. Leßing sagte: „Unsere Franzosen greiffen sich heute besonders an, mißen wißen, das die Schulz da ist.“ Zacharie sagte: „Ja, ich bin auf dem Theater gewesen und habs ihnen gesagt, was für eine Kennerin der Kunst sie heute zur Zuschauerin hätten“. Madame Messieure muß ich es zum Ruhm nachsagen, das sie ihren Character durchaus getreu blieb. Nichts hatte sie in ihrem ganzen Spiel, was wir Deutsche nun einmal nicht gewöhnen kennen. Sie war ganz Natur. Ganz Natur! Und wieviel verlor sie noch in ihrem Spiel, da sie hochschwanger war. Monsieur Le Bœuf961 war Andre. Sehr gut, doch keine Messieur – noch zuviel Francos962 für mich! – Als das Stük aus war, wurde
960 In WHS, S. [122r/249]–[123r/251] von Karoline Kummerfeld von Messieure zu Meziere korrigiert; vielleicht handelt es sich um die von Henry Lyonnet nur knapp und ohne Quellenangaben genannte Mademoiselle Mézières, die am 14. Juli 1755 in der Comédie française als Alzire debütierte; Henry Lyonnet, Dictionnaire des Comédiens français (ceux d’hier). Biographie, Bibliographie, Iconographie, Bd. 2, Paris/Genf 1908, S. 426. 961 Jean-Joseph Le Bœuf (um 1730–1799), französischer Schauspieler und Dramatiker. In Braunschweig stiftete er 1764 mit der Erlaubnis des Herzogs zusammen mit anderen französischen Schauspielern die französische Loge St.-Charles de l’indissoluble fraternité, deren Großmeister er bis zu seinem Weggang 1767 war; C. Lenning, Allgemeines Handbuch der Freimaurerei, 2. Aufl., Bd. 1, Leipzig 1863, S. 126, 129 f. – Zu Le Bœufs Werken s. Alexander Cioranescu, Bibliographie de la littérature française du 18e siècle 2, Paris 1969, S. 1060. 962 Franzose.
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einer von der Geselschaft an mich ins Parcet geschickt, der sagte zu mir: „Mademoiselle, die Gesellschaft hat mit vielen Vergnügen vernommen, das Sie heute im Theater sind. Als eine Kennerin wie Sie, bitten sie Sie alle einstimmig um Ihre Critik.“ – Die Anrede machte mich etwas stuzig. Ich antwortete ihm aber freumithig: Ich wünschte, das ich der franz[ös]ischen Sprache so vollkommen mächtig wär, um ihnen selbst zu sagen, welch einen überaus angenehmen Abend sie mir gemacht hätten. Madame Messieure hätte meine ganze Hochachtung, ich bewunderte sie so sehr, wie ich noch keine Deutsche hätte bewundern kennen, wenn sie in jeder Rolle die Satisfaction leistete wie in dieser heutigen. Solte nicht glauben, das ichs nicht bemerckt haben solte, wie sehr ihre hohe Schwangerschaft ihrem Spiel im Wege gewesen. Sie hat so sehr meinen Wünschen Genüge geleistet, das mir zur Vol[523]
kommenheit ihrer Kunst keiner wär übrig gewesen. Nur hatte ich gewünscht, das sie eine andere Amalie gehabt, die noch gar zu viel Anfängerin ist. Von der Seite hätte sie auch nicht die geringste Unterstizung gehabt. Freilich wär an der Rolle der Amalie sehr wenig, aber um so mehr hätte solche von einer geübtern Schauspielerinn sollen besezt seyn; den man sieht sie zu oft und zu lange; und das thut dem ganzen großen Schaden, wen was dasteht, das entweder beßer oder gar nicht da seyn solte. Auch Monsieur Le Bœuf spielte gut, und noch mehr würde ich das, was er gesagt, auch geglaubt haben, wenn er den großen Brillantring nicht bey dem Ketten und der großen Ar muth am Finger gehabt hatte. Bitten lies ich ihm, nie solchen zu vergeßen abzulegen in dergleichen Rollen. Le Bœuf kann Ringe haben, verdient solche und noch weit mehr, Andre aber darf und muß keinen haben. Auch die übrigen drey Herren spielte sehr gut; und blos Amalie und den Ring des Andre wünschte ich nicht gesehen zu haben. Man gab mir einstimmig recht. Zum Schlus war die Operette Das Milchmädchen und die Jäger963. Doch dabey halte ich mich nicht auf, alle 3 spielten und sangen französisch gut. Doch war mir ihr Spiel lieber wie ihr Gesang. Dienstag erhielte ich bis gegen den Abend verschiedene Besuche, selbst der Durchlauchtigste Herzog lies mir zu meiner Heyrath gratuliren und eine glükliche Reise wünschen. Hätte ich nur
963 Les deux Chasseurs et la Laitière, comédie en un acte melée d’ariettes, Text von Louis Anseaume, Musik von Egidio Romualdo Duni, Uraufführung 1763. Die Komödie erschien 1771 in deutscher Übersetzung von Christian Friedrich Schwan: Das Milchmädgen und die beiden Jäger, Operette. – Im Unterschied zur klassischen Operette ist hier mit „Operette“ vermutlich ein „Sprechtheater mit Liedern“ als Vorläufer der „Oper mit gesprochenen Dialogen“ zu verstehen, im 18. Jahrhundert meist als „Singspiel“ bezeichnet. Lit.: Abbate/Parker, Geschichte, S. 194–196, 203; Michael Walter, Oper. Geschichte einer Institution, Stuttgart 2016, S. 113.
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ein Kleid in meinen Koffer gehab[t], so wär ich selbst nach Hofe gegangen. Aber im Amazonenkleid964 fand ichs nicht für schicklich. Vergeßen darf ichs doch auch nicht, das mir gleich Madame Fleischer, sobald ich angekommen war, mir einen Brief von meinen Wilhelm überreichte, den er ihr zugeschickt. Der Inhalt war so voller Liebe und zärtlichster Besorgniß. Gleich den Montag, da die Post nach Hamburg abging, schrieb ich ihn wieder und meldete meine glükliche Ankunft in Braun[524]
[schweig] . Dienstag965 bekam ich noch ein Schreiben, und zwar den lezten, es war seid meiner Abreise der 110te Brief von ihm. Es war dabey ein Korb mit 10 frischen Döschen966, herrlich schmeckenden Füschen, die wir auf meines Wilhelms Gesundheit verzehrten. Er schloß seinen Brief mit folgenden Worten: „Bald bist Du an einen Ort, wo Du viel Verdruß ausgestanden, aber nun solst Du mit Gott auch wieder Freude haben. Wundern solst Du Dich, meine Caroline, wie freundlich Du von den Meinigen wirst aufgenommen werden. Sie werden dir alles zu Gefallen thun, was nur möglich, weil sie überall und von jeden hören, wie Du gelobt und geehret wirst. Heute schliese ich denn meinen Briefwechsel, Du meine ewige Liebe. Gütiger Gott! dir sey ewig Dank gesagt, das du unsere Herzen in der Abwesenheit immer mehr und mehr verbunden. Verknipfe sie auch in der Vereinigung und schenke uns alle das Gute, das du denen verheisen hast, die dich lieben und dein Wort halten. Nun, meine Seele, so komme den mit Freuden zu mir. Meine Arme sind schon ausgebreitet, Dich zu empfangen. Die Hände, die Tag und Nacht für Dich arbeiten sollen, reichen sich Dir schon dar. Gott bringe und begleite Dich doch gesund und glüklich hieher. Beten will ich für Dich, meine Seele. Bald, bald küßet Dich Dein ewiger Kummerfeldt.“ Dienstag schickte ich meinen lezten Brief an ihn fort, es war an der Zahl der 112te. Wie schnell mir die Stunden schwanden bey meinen lieben und treuen Freunden – nur zu schnell, ohngeachtet mir doch noch weit größere und die größten, die ein Mädchen sich einbilden kann, zu erwarten stünden. So sehr ich mich nach Hamburg freuen mußte, so gern wär ich auch länger in Braunschweig geblieben. Doch es mußte seyn. Und den Mitwoch967 morgen 8 Uhr fuhr ich fort, nach dem [525]
zärtlichsten und wehmüthigsten Abschied. Nun wurde, was mich um ein großes aufheuterte, das Wetter sehr angenehm. Wohl nie habe ich noch auf einer Reise so viel 964 Damen-Reitkleid. 965 1. März 1768. 966 Dorsche. 967 2. März 1768.
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und so wenig gedacht. Kurz, ich wuste selbst nicht, was ich war. Bald lächelte ich, bald floßen Thränen. Bücher zum Lesen hatte ich genug bey mir, jedes ward angefangen, aber keins ausgelesen. Tausend Gedanken durchkreuzten sich – wirst du, kanst du, solst du in Hamburg glüklich seyn?? – Schwere Fragen! Gott, du, du wirst wißen. Freytag Abend sehr zeitig, als den 4ten Merz, kam ich in Lüneburg an. Mir wars lieb, und ich backte so gut wie möglich alles in meinen Schloßkorb968, den[n] Sonabend morgen! Gott! welch Erwachen. Heute allso, heute solst du ihn wiedersehen, den theuern Gefährten meiner übrigen Tage. Alle Glieder bebten mir voll des zärtlichsten Verlangens, ihn, meinen Wilhelm, in meine Arme zu schliesen. Mein Christian frug mich den Morgen sehr besorgt: „Sie sind doch nicht krank?“ „Nein, lieber Christian, mir ist wohl“ – „Aber Sie sehen so blaß. Ach, das ich Sie doch ja gesund zu Ihren Herrn Bräutigam hinbringe.“ „Guter, ehrlicher Mann! Mein Bräutigam soll Seine Vorsorge für mich von mir hören.“ Ich hatte mich den Morgen gut gekleidet, mein grün mit gold reich beseztes Amazonenkleid und mein Hut mit der weiße Feder dü[n]ckte mich nie so hübsch gebildet zu haben wie den Morgen. Als ich aus meinen Zimmer kam, um fortzufahren, stand das ganze Haus voll Leute, um die Braut zu sehen, die die Nacht in Lüneburg geschlaffen, den meine drey Leute hatten es der Frau Wirthin und die allen ihren Nachbarn gesagt. Wie ich herrunterkam, schrieen sie: „Ach, welch eine schöne Braut, nun, der Bräutigam wird sich freuen. Ja, so ists gut Hochzeitmachen. Schön und bemittel[t].“ Ich grießte alle freu[n]dlich, sie reichten mir ihre Hände, die ich so allen [526]
ohne Unterschied drükte. Die, die mir bedürftig schienen, gab ich Geld, mit den freudigsten Segenswünschen ruften sie mir Glük und Segen von Gott zu. „Ach, das ist eine liebe Braut, sie ist so freundlich und gut, wie sie schön ist.“ „Gott segne euch wieder, ihr guten Leute,“ und mit Thränen im Auge fuhr ich fort. Als ich mich gesamlet hatte, bat ich zu Gott: „O Herr Himmels und der Erden, laß mich doch nie, wenn es dein Wille ist, das ich glüklich seyn soll, nie je vergeßen, das ich arm und auch unglüklich war. Las mich nie übermühtig, nie stolz werden, nie meinen Nächsten vergeßen.“ So betete ich. Doch mit jeder Stunde, die verging, klopfte mein Herz bänger und bänger. Die Uhr war nach 11, als mir ein Bauer mit einen sogenanten Kohlwagen969 entgegenfuhr. Ich lies das Glaß nieder und rufte den Bauern auf Blattdeu[t]sch zu: „Sint Fremde aus Hamburg auf dem Hobt?“ – „Ja, Mamsell!“ – „Nun Kutscher, fahr zu, fahr zu – fahr zu!“ Der Kerl gehorchte, und mein Wagen flog – ach, und mir schiens, als ob es nicht
968 Verschließbarer geflochtener Behälter für den Transport von Gütern. 969 Kohlenwagen: (Korb-)Wagen, auf dem gebrannte Holzkohle transportiert wird.
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von der Stelle ging. Nun kam ich dem Hopt näher, schon sah ich das Haus, wo sie seyn musten – ich sah durch düre Bäume etwas Rothes schimmeren – ha, das ist Madame Herzog in ihren rothen Pelz – „Kutscher, fahr doch zu.“ Nun sahe ich aus dem Hause meinen Wilhelm eilen im grünen Kleide, die Herzog und ihren Mann, sie zu sehen, die Kutschenthür aufzureißen, aus den Wagen springen und meinen Wilhelm in die Arme fallen, war nur ein Augenblick. – Wo war Gedanke von der Gefahr, die ich mich aussezte? Sprechen noch denken konnte ich nichts, nur sehen und fühlen, das ich in Wilhelms, in meines Wilhelms Armen lag. [527]
Wie ich in die Stube kam, weis ich selbst nicht. Unterdeßen wurde mein Wagen ab- und ausgepackt. Wir waren alle Viere so innig froh, nur mein Christian ging sehr mürrisch in sich herrum, ich bemerkte es und frug nach meinen Kutscher und Knecht? Christian schittelte sich zurechte, reußperte sich, spuckte aus und stelte sich zwey Schritte von Wilhelm und mir ganz gerade hin. Nun hielte er an uns beyde eine Anrede, die ich von Herzen wünschte auswendig zu wißen. Mit „Hochzuehrender Herr Bräutigam und Madmosell Braut!“ weis ich, fing solche an. Er wünschte uns in solcher sehr vieles Glük, Heil und Segen von Gott. Mich nante er ein Kleinot, das ihn anvertraut worden, er hätte auch recht für mich gesorgt, wie ich selbst nicht anders sagen könnte. Nun (indem er seine beyden Arme gegen uns ausstreckte): „Hier, auf diesen meinen Armen habe ich sie getragen, damit sie ihren Fuß nicht in den Koth sezte.“ Nachdem er also eine gute halbe Viertelstunde ohne zu stoken fortgeredet hatte, trat er näher, nahm meine rechte Hand und legte solche in Kummerfelds rechte und sagte zum Schluß: „Und so, wie ich sie empfangen habe: gebe ich sie Ihnen wieder.“ Wir hatten alle Gewalt nöthig, um nicht zu lachen. Nun begrief ichs erst, warum Christian oft halbe Tage so still auf seinen Bock in Gedancken saß, weder Kutscher noch Knecht antwortete, wen sie mit ihm sprachen; ja, ich manchmal aus den Wagen ihm zurüf: „Schläft Er, Christian?“ Da hat er seine Anrede studirt. Nun erklärte ich mir auch sein verdrießliches Herrumgehen. Christian mochte was in denen Zeitungen gelesen haben von Begleitung und Überlieferung einer Braut. Er sah sich also für einen Ambasa[528]
teur970 an; war verdrießlich, das ich ihm durch mein Herrausspringen aus dem Wagen sein ganzes Concept verruckt hatte. Und hat gedacht, das er mich an der Hand gestiefelt und gesattelt mit seiner Anrede meinen Bräutigam ganz cermoniellmässig überliefern
970 Ambassadeur: Botschafter.
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wollte. Nun kam der Kutscher und sein Knecht, die machten es kürzer. Mein Liebster frug mich: „Verlangen sie Geld?“ – „Nein, Lieber, hab schon alles in Lüneburg abgezehlt.“ Nun gab ich Kutscher, Knecht und meinen Christian, was jeden zukam und ihre guten Trinkgelder. Auch mein Wilhelm gab den Knecht ein gutes Trinkgeld, und besonders bedachte er Christian für seine Treue und gutes Herz, Christian bekam noch auf die Zurükreise meinen ganzen Eßvorrath. Und nun sezten wir uns in einen Eber und fuhren im schönsten Wetter über die Elbe nach dem Zollenspicker. Da wurde zu Mittag gegeßen. Den Nachmittag fuhren wir fort nach Bergedorf, wo wir die Nacht bleiben wolten. Als wir bey unsern Abendbrod waren, sagte mein Wilhelm: „Nun, meine Braut ist bereits hier und noch weis sie nicht, wo sie in Hamburg bis an dem Tage unserer Hochzeit wohnen wird.“ Ich antwortete ihm: „Wo Sie es gut finden werden, Lieber. Meine Herrschaft hat mit dem heutigen Tage aufgehört. Nun gehere ich weiter weder mir selbst noch jemand andern an, nur Ihnen. – Sorge auch nicht weiter um mich.“ „Bey meiner Schwester, Madame Fritsch, wird meine Caroline wohnen!“ – „So, nun, wie Sie es meinen – mir ists recht. Sie kennen Ihre Verwandte beßer wie ich.“ Madame Herzog sagte zu mir: „Glaub mir, liebe Caro[529]
line, mein Haus war gern zu deinen Befehl; da aber Kummerfelds Anverwandten sich so nehmen, so ists so beßer.“ So lieb mir meines Wilhelms Geselschaft war den Abend, so herzlich sehnte ich mich auch, mit Madame Herzog allein zu seyn. Die Uhr war etwas nach 10, als mir mein Wilhelm und Herr Herzog gute Nacht sagten, und nun war ich den mit meinen lieben Liesgen allein. Keine von uns hatte Schlaf, tausend Dinge hatte ich sie zu fragen und sie mir zu beantworten. So deutlich und kurz wie möglich machte sie mir eine Beschreibung von der ganzen Familie, und die ich auch nachher ebenso fand. „Madame Fritsch ist älter wie dein Wilhelm und die Ältste von allen Geschwister; eine gute Frau und dienstfertig, ihr Mann ist schon in die 60 Jahre, aber g[r]undehrlich, war ehemals ein angesehener Kaufmann, kam aber zurük durch große Unglicksfälle; ist nun Mackler. Aber der rechtschaffenste Mann, den du dir denken kannst. Sie haben nur noch eine Tochter, ein Mädchen von 22 Jahren971, aber ein gesundes, munters, liebes Geschöpf, die du bald recht lieb gewinnen wirst. Dann haben sie bey sich des Herrn Fritsch Schwester, eine alte Jungfer von 64 Jahren972, sie ist etwas taub, das man sehr laut reden muß, wen man mit ihr spricht. Sie ist eine Klosterjungfer aus dem Johannskloster973, lebt aber der Geselschaft wegen bey ihren Bruder. Doch 971 Catharina Fritsch (* 1746, † 14. Nov. 1778). 972 N. Fritsch (* 1704). 973 Das 1246 gestiftete Zisterzienserinnenkloster Harvestehude wurde nach der Reformation 1530 in den
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hat sie Verstand und ein gut Herz. Der Onkel Hilbrand ist auch ein treuherziger ehrlicher Mann, war niemals verheyrathet und hat seine Schwester Madame Schreiber, die eine Wittwe ist und keine Kinder hat, bey sich. Sie versieht ihm die Wirthschaft, und beyde sind sehr gastfrey und tractiren gerne, gehen aber selbst wenig aus noch zu Gaste. Hinrich Kummerfeld kennst du, und glaub mir, er ist ein guter Mann, Schwerdtners müßen und haben ihn nur ein wenig aufgehezt. [530]
Sein Stiefbruder Peter von Bostel974 ist gar ein guter Mensch, der kein Kind beleidigen soll. Beede Brüder sind in Compagnie und Kaufleute in Großen975, Laden haben sie nicht. Sie haben ihr Haus in der Deichstraße976. Die Wirthschaft führt ihnen ihre drey Schwestern, eine hei[s]t Catarine, die andere Marichen, die dritte Gretgen977. Alle von Bostels. Eine Schwester ist verheyrathet in Trittau an dem Pastor Hilbrand, der ein Brudersohn von deines Liebsten Onkel ist978. Die Pastörin hies auch von Bostel. Die jüngste Schwester979 von allen hat Herrn Abendroth geheyratet, wie du weist, ist auch ein gut Mädchen gewesen, wie ihre übrige Schwester. Alle sind sehr still erzogen worden, von Welt wißen sie nicht viel, haben auch nur in der Familie Umgang, aber wirthschaftliche und haushälterische Mädchen. Lieben sich sehr untereinander, und ist gut mit ihnen umgehen. Dan ist noch ein Bruder, der von Bostel heist, aber schon seit manchen Jahren von hier weg und in Trontheim lebt, wo er etabelirt ist980.“ – „Hilf Klostergebäuden St. Johannis in der Innenstadt (heute südl. Rathausmarkt) untergebracht. Seit 1536 war es evangelisches Konventualinnenstift für unverheiratete Hamburger Patrizier- und Bürgertöchter, die dort von ihren Verwandten eingekauft werden mussten. 1837 erfolgte ein Umzug in den Neubau auf dem Klosterwall, 1914 in die Heilwigstr. 162 in Eppendorf, wo es als evangelisches Damenstift bis heute fortbesteht. Lit.: Silke Urbanski, Geschichte des Klosters Harvestehude „In valle virginum“. Annäherung an die wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung eines Nonnenklosters bei Hamburg 1245–1530, 2. Aufl. Hamburg 2001 (Veröff. des Hamburger Arbeitskreises für Regionalgeschichte 10); Hamburg Lex, S. 259; Michael Eissenhauer, Die Hamburger Wohnstiftungen des 19. Jahrhunderts, Hamburg 1987 (Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Hamburg 9), S. 126. 974 Peter Martin von Bostel (* 29. Juni 1729, † 4. Juli 1790). 975 En gros, also Großhändler. 976 Kummerfeld & von Bostel, Deichstraße; Almanach für Reisende, Hamburg 1782, S. 44. 977 Anna Katharina (* 1730, † 1791), Maria Christina (* 1731, † 1792) und Anna Margaretha (* 1735, † 1810) von Bostel. 978 Diedrich Wilhelm Kummerfelds Halbschwester Katharina Gertrud (get. 13. Mai 1733 Hamburg, † 31. Mai 1788 Trittau) war seit dem 10. Juli 1759 mit ihrem Cousin Sebastian Heinrich Hil(de) brand/Hilbrandt (1732–1787), Pastor in Trittau, verheiratet; Kap. I.2 und Kap. III.1 Anhang Cropp, [Bl. IIr]. 979 Anna Maria Abendroth geb. von Bostel (* 1739, † 1796). 980 Hieronymus von Bostel (* 1736), Kaufmann in Trondheim.
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Himmel! So hat mein Wilhelm noch 9 Geschwister?“ „Ja. Deines Wilhelms Vater starb, als solcher noch sehr jung war. Die Mutter, eine Frau von 22 oder 23 Jahren, ward Wittwe und hatte einen Sohn981 und zwoo Töch[t]er, wovon eine gestorben, sie war schwanger mit Hinrichen, der 5 Monat nach seines Vaters Tod geboren wurde. Weil die Handlung groß war, dan 4 Kinder da waren, so verheyrathe[te] sie sich zum 2ten Mal mit dem Herrn von Bostel, der mit ihren seligen Mann in Compagnie der Handlung stand. 10 Kinder erzeugte sie mit solchen, wovon 3 gestorben. Sie selbst starb anno 53. Von Bostel war 11 Jahr Wittwer und kam nach einer so langen Zeit auf dem Gedanken, sich wieder zu verehligen. – So sehr er herrumfreute982, so wolte sich doch keine entschließen, ihm zu nehmen, der vielen erwachsenen Kinder wegen, und [531]
die gewiß mit sehr vieler Aufmerksamkeit und kindlichen Liebe seine Haushaltung vorgesehn und dem Vater allen seinen Verlangen zuvorkamen. – Kurz, aber er wollte nun einmal eine Frau haben, fand entlich eine Wittwe983, die nahe an die 40 Jahr war und welche schon zween Männer begraben laßen. Sie heyrateten sich, nach der Hochzeit sa[h]s der Alte ein, das er eine Thorheit begangen hatte, zog sich solches sehr zu Gemüthe und starb schon im ersten Vierteljahr nach der Hochzeit, dadurch wurde denen Kindern ein angesehener Theil ihres Vermögens entzogen. Bald darauf heyratethe deines Mannes Stiefmutter, die noch lebt auf dem Lande, den vierten Mann984, hat aber mit der ganzen Familie von deinen Kummerfeld keinen Umgang. Das sind die Hauptpersonen von deinen baldigen Verwandten, die übrigen wirst du den bald auch nach und nach kennenlernen.“ So schwatzten wir den größten Theil der Nacht durch. Alles, was ich gehört hatte, konnte mir angenehm seyn, und nun sehnte ich mich recht, sie alle von Person kennenzulernen. Sontag, als den 6ten, wurde beschloßen, noch den Mittag in Bergedorf zu bleiben und den Nachmittag den in Gottes Namen nach Hamburg zu fahren. Das gescha auch. Wir brachten erst Herrn Herzog und seine Frau nach ihrer Wohnung. Alsdann fuhren wir fort nach dem Haus des Herrn Fritsch, ich hatte mich gefast gemacht, drey alte stille Leute zu finden in Geselschaft ihrer Tochter. Es war bereits spät des Abens, als wir hinkamen. Die Thüre wurde geöfnet, und kaum war ich aus den Wagen gestiegen, so eilte mir die Tochter, die Mutter und
981 Karolines Bräutigam Diedrich Wilhelm Kummerfeld. 982 Herumfreien: Sich nach einer Ehefrau umsehen. 983 Catharina Maria Grünenberg, Witwe des Friedrich Wilhelm Grünenberg. Die Eheschließung mit Hieronymus von Bostel fand am 21. September 1762 statt; Kap. III.1 Anhang Cropp, [Bl. Ir]. 984 Nicht ermittelt.
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der Vater entgegen. Ma Soeur und Ma Tante985 wurde ich von ihnen genannt. Alles, was sie sagten, zeugte von ihrer Freude, mich zu sehen gesund und wohl, ob ich was geantwortet, oder was ich geantwortet, davon [532]
weis ich keine Rechenschaft zu geben. Ich wurde in die Stube begleitet, die voll Menschen war, wovon ich keinen wie den einzigen Herrn Professor Nölting986 von Person kannte, aber mit dem ich nie ein Wort gesprochen hatte. Mir wars vor den Ohren wie ein Binenschwarm. Alle Damen küßten mich, und ich hörte nichts wie Masoeur. Ein mittelmäßiger kleiner, aber dücker Mann in einen schwarzen Rock und runden Perücke, mit einen Kopf und Gesicht wie der volle Mond erregte zuerst meine Aufmerksamkeit, es schien: Als hätte er mich griesen wollen, stand am Fenster, drehte sich aber gleich, sobald er mich nur mit einen Blick angesehen hatte, herrum, zeigte uns allen seinen breiten Rüken und betrachtete die Sterne. Nachdem ich mich gegen jeden stum verneigt hatte und alle Damen geküßt, wendete ich mich zu meinen Wilhelm und sagte zu ihm: „Nun, lieber Kummerfeld, lernen Sie mir auch die Personen kennen, die ich gegenwärtig die Ehre habe das erste Mal zu sehen.“ – Mein guter Wilhelm stand da, als wen ers Fieber hätte, blas von Gesicht und klappernt mit den Zähnen, Thränen in dem Augen, wolte reden, konnte nicht. Wär ich selbst nicht in einer so fühlbaren Verlegenheit gewesen, so würde er mich erschrökt haben. Herr Nölting nahm also das Wort und sagte: „Das ist Herr und Madame Fritsch, Demoiselle Fritsch, die Schwester, und Mademoiselle, die Tochter, das sind zwo Mademoiselles von Bosteln, diese Madame Abendroth und hier“ (indem er nach dem düken Schwarzrock an den Fenster zeigte) „Herr Abendroth.“ – „Ach, mein Bruder!“ sagte ich so ganz aus der Fülle meines Herzen, wolte ihm schon um den Hals fallen, als er sehr lang seine Hand ausstreckte und mit einen lachenden Gesicht ein gewißes: „Gehorsamer Diener“ hermurmelte; das mich [533]
hätte mißtrauisch machen kennen, wenn Mißtrauen, schnelles Mißtrauen je mein Fehler gewesen wär. Herr Professor Nölting nahm das Wort wieder und bezeigte mir
985 Ma soeur: Meine Schwester. Ma tante: Meine Tante. 986 Johann Heinrich Vincent Nölting (* 23. Febr. 1736 Schwarzenbek, † 23. Aug. 1806 Hamburg) war nach dem Studium der Theologie in Jena seit 1761 Professor für Logik, Metaphysik und Beredtsamkeit am Hamburgischen Gymnasium. Im zweiten Hamburger Theaterstreit 1769 zwischen dem Bergedorfer Pastor und Dramatiker Johann Ludwig Schlosser und dem Aufklärungsgegner Johann Melchior Goeze ergriff Nölting in mehreren Publikationen Partei für Schlosser. Lit.: Lexikon Schriftsteller 5, Nr. 2828; Beneke, Johann Heinrich Vincent Nölting; Kopitzsch, Sozialgeschichte 2, S. 463.
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mit so wahren, aufrichtigen Gesicht, in welchen man den vortreflich Abdruck seines Herzens las, seine Freude über meine Ankunft. „Heute wünschte ich nicht allein Proffeßor, sonder Pastor zu seyn. Noch heute müßten Sie Kummerfelds Gattin werden.“ – Ich dankte ihn herzlich für seinen guten Willen. Doch es hätte noch Zeit. Mädchens wären doch auch gern einige Zeit auch Braut, und Braut in der Geselschaft des Bräutigams. – „Schriftlich sind wirs nur seit wenigen Monaten. Nun wollen wirs doch auch gegenwärtig erst ganz fühlen.“ Man lächelte und gab mir recht. Nölting, nachdem er mich seine ganze Achtung und Freundschaft versichert hatte, sagte: „Nun muß ich doch auch nach Herrn Hilbrand eilen und der Gesellschaft der Braut ihre glükliche Ankunft melden. Ich weis, das ich ein rechter froher Bothe seyn werde. Ich habe heute Mittag da gespeißt und bin auch noch den Abend dort. Aber meine Ungeduld, Sie noch heute Abend mit zuerst zu sehen und willkommen zu heisen, hies mich nicht ruhn – mußte fortgehen.“ Ich sagte ihm den aufrichtigsten Dank, bat ihm, mich Herrn Hilbrand, Madame Schreiber nebst der ganzen Gesellschaft, die da wär, unbekanter Weise doch ergebenst zu empfehlen, und damit ging er fort. Wir sezten uns alle, ich mußte wieder Willen ganz obenan sitzen, und es wurde von meiner Reise gesprochen. Endlich machte man Anstalt, das die Tafel solte gedeckt werden; und Madame Fritsch nebst ihrer alten Jungfer Schwiegerinn sagten, sie wolten mir doch nun auch mein Zimmer anweisen, wo ich bis an meinen Hochzeittag wohnen würde. Mir wars sehr lieb, um ein[534]
mal frische Luft zu schöpfen. Mein Wilhelm ging mit, die übrigen blieben im Zimmer. Sie führten mich eine Treppe hoch und hatten mir das beste Zimmer im Haus eingeräumt. Sie küßten mich herzlich, die gute Frau und Schwiegerin versicherten mich, das mein Wilhelm der Liebling aller Geschwister sey, und wenn er nicht glüklich seyn solte, sie alle untrößtlich seyn würden. Da standen nun mein Wilhelm, meine zwoo Schwägerin vor mir und weinten alle drey. Ich wendete mich freymühtig zu ihnen und sagte: „Hören Sie mich. Ihr Herr Bruder kennt mich. – Alles, was ich Ihnen jezt sagen oder verspräche, ist und wär unniz. Sie alle kennen mich noch zu wenig. Wir müßen uns zusammen erst kennenlernen. Und dan hof ich, das wir gewiß miteinander werden zurechtkommen. Heute machen Sie sich überhaupt kein Bild von meinen Herzen. Ich bin noch zu betäubt. Ist natürlich! Ich versah mich heute Abend keine so große Geselschaft und hätte gewünscht, das es mir mein Wilhelm vorher gesagt hatte. Wen Ihr Bruder nicht glüklich seyn solte, würde ich am meisten zu bedauern seyn. Mein Glük hengt von den seinigen ab, und ich bin weis Gott! nicht hieher gekommen, um zu wünschen, unglüklich zu seyn. – Ich bin jung, hatte Brod, konnte arbeiten und bin von jederman, der mich kennt, geachtet. Urtheilen Sie, wie mir das vorkommen würde, wenn ich nun in allen das Gegentheil fände, was ich mir doch gewiß versprochen. Noch
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mehr: Unsere Hochzeit ist erst nach Ostern; da ist noch 5 bis 6 Wochen hin. Kann ich mir in dieser Zeit nicht Ihre Freundschaft und Zutrauen erwerben, und denkt Kummerfeld und alle seine Anverwandten, das er mit mir nicht glüklich seyn kann, so nehme er sein Wort zurük; und ich reise ohne [535]
Umstände wieder fort. Steht mir in der Zeit etwas an Ihnen zusammen nicht an, so sage ich es Ihnen gerathe herraus. Den Verstellen ist meine Sache nicht. – Ich bin gerathezu, und so soll man auch gegen mich seyn. Das ich gerathezu bin, gebe ich Ihnen hirmit den Beweis, das ich gleich frage, Sie beyde und meinen Wilhelm, ist Herr Bruder Abendroth immer so? – Der Mann hat mich in Nachdenken gesezt, und ich war mir nach seine zween Briefe einen freundlichern Willkommen erwartent.“ Madame Fritsch gestand mir, das ihm die Zeit lang geworden wär, weil wir so lange ausgeblieben sind. „Nun, das las ich gelten, und es zeigt von einer freundschaftlichen Ungeduld. Ich wolte eher von Bergedorf abreisen, aber der Wirth lies uns solange nach der Rech[n]ung und der Kutscher auf sein Einspannen warten, das wir soeben noch vor dem Torschluß in die Stadt kamen.“ Nun gingen wir wieder zur Geselschaft. Die Tafel war gedeckt, und kurz vorher, ehe wir uns zu Tische sezten, kam Hinrich mit seinen Bruder von Bostel987 nebst Herrn Alkofer988, einen guten Freund von ihnen, die den Abend noch mit uns eßen wolten. Hinrich ward blas, als er mich sah. – Freymüthig ging ich ihm entgegen, reichte ihm meine Hand, als ob nichts zwischen uns vorgefallen. Er hies mich weder zu sehr freundlich noch mürrisch wilkommen und küßte mich, ich küßte ihm wieder, und eine Thräne glänzte in meinen Augen. Sein Stiefbruder entsprach dem, was mein aufrichtig Liesgen von ihm sagte, nicht. Recht treuherzig küßte er mich, und der gute Mann nahm mich gleich für ihn ein. So wie ich fühlte, das ich die Tochter vom Haus schon herzlich anfing zu lieben. Wir sezten uns nun zur Tafel, und das Gespräch war zimlich allgemein. Doch hörte ich mehr zu, als das ich selbst ge[536]
sprochen hatte, den mir lag zuviel daran, die Leutgens zusammen kennenzulernen. Wir waren wohl anterthalb Stunden zu Tische, als auch die zween Herren Vettern Lippeldings dazu kamen (waren auch bey Onkel Hilbrand gewesen, der den Tag ein Tractement989 von einige 30 Personen gehabt hat, sowohl den Mittag als Abend). Das waren noch immer dieselben, gute alte Jungens, wie ich sie in Wilhelms Haus hatte 987 Peter Martin von Bostel. 988 Nicht ermittelt. 989 Tractament: Bewirtung von Gästen, Festmahl.
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kennenlernen, ich war ihre liebe Madmosell Nichte, und wünschten mir und Wilhelm herzlich Glük. – Ich weis selbst nicht, wie das Gespräch von Kranckseyn aufs Sterben kam. Hinrich befand sich seid einiger Zeit nicht wohl und kam, glaube ich, daher. Er sagte: Der Mensch müße sich sein Ende geden Augenblick vorstellen. Doch wen er sterben solte, so wünschte er doch lieber vorher Schmerzen zu leiden, als auf einmal gesund und tod zu seyn. Abendroth antwortete: „Das wünsche ich nicht. Gott gebe, das, wenn einmal meine Stunde da ist, mich sogleich Knall und Fall der Schlag trieft!“ – Ihm wurde starck wiedersprochen, Abendroth immer hiziger, man sprach von Religion, auch da waren sich die Herren nicht einerley Meynung. Kurz, Hinrich und Abendroth kamen so aneinander, das nur fehlte, sie nannten sich Schurken und würfen sich nachher Flaschen und Teller an die Köpfe. Mein Wilhelm saß so stumm am Tisch wie ich. Endlich in dem Gelärme wende ich mich sachte zu Wilhelm und sagte ihm ins Ohr: „Ist das die friedliebende, einige Familie?“ – Mein guter Wilhelm wuste kein Wort zu antworten. Freylich war meine Frage so boßhaft wie wahr. – Doch bezog sie sich nur auf den Brief von Hinrich an mich. Mitten in ihren Streut warf ich ein Apropo, erzehlte die erste beste Geschichte, die mir einfiel, und lenkte alle um, [537]
gab ihnen so einen stillen Beweis, wie unangenehm mir Streit und Uneinigkeit ist; alle richteten nun ihre Aufmerksamkeit auf mich, die finstern und ängstlichen Gesichter verschwandten, meinen Wilhelm sah ichs an der Miene an, das er sagen wolte: „Da, seht den Verstand von meiner Braut. Hab ich nicht gut gewählt?“ Und nun wurde alles wieder gut, nur Hinrich war noch etwas betreten und in Gedanken, nach 12 Uhr kamen die Wagens. Alle fuhren fort, mein Wilhelm brachte mich mit denen 3 Frauenzimmern in mein Zimmer, wünschte mir gute Nacht und sagte: „Morgen gleich nach 9 Uhr sage ich dir einen guten Morgen“. Auch meine Schwäreinen990 und Nichte sagten mir gute Nacht, wolten mich selbst auskleiden, das ich mir aber verbat. Doch mußte ich nun zugeben, das sie mir ihr Hausmadchen herraufschicken wolten, die kam den auch und bediente mich, als sie sich aber zum Schue und Strümpfe ausziehen anbot, sagte ich ihr: „Mein Kind, die bin ich gewohnt mir selbst aus- und anzulegen.“ Sie wunderte sich und sagte: „Das ist aber in Hamburg der Gebrauch.“ „Das kann seyn. Aber ich bin eine Fremde und nicht aus Hamburg. Müde von Arbeit oder krank, fest geschniert, da gebe ichs zu. Aber nicht, wen ich gesund und in meiner Bequämlichkeit bin. Gute Nacht, liebes Mädchen.“ Nun war ich allein, dachte allen wie in einen
990 Schwägerinnen.
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Traum nach, betete zu Gott um Segen und Beystand, legte mich zu Bette und schlief zimlich ruhig bis an den Morgen. Hier muß ich eine Anmerkung machen. Gewiße schlechte Leute, die gegen mich mehr als eine Lüge ersonnen hatten, sprengten auch wegen meiner Heyrath mit Herrn Kummerfeld verschidenes in der Welt aus, unter andern aber haupsächlich daß: Das mich Herr Kummerfeldt gegen den Willen der ganzen Familie genommen, ich mit keinen Um[538]
gang gehabt; und mit ihnen in einer immerfort werenden Feindschaft gelebt hätte. Aus dieser Ursach nun bin ich wegen der Erzehlung seiner Anverwandten, wie sich die dabey genommen, weitläuftiger gewesen, als ich es sonst wohl nicht gewesen wär. Und überhaupt, wer nur ein wenig mit Aufmerksamkeit bis hieher gelesen hat, wird gewiß alles so wahr und übereinstimmig finden, das man so selten in wahr seyn sollenden Geschichten sonst antrieft. Alles geht so gerathe seinen Gang. Keine überspante und lang darauf nachgedachte Wunderwerke, die dem Leser zwar überraschen, aber nachher auch denken macht: Wie kann das wahr seyn? Doch nun weiter in meiner Erzehlung. Als das Hausmädchen den Morgen 8 Uhr sehr leise ins Zimmer trat, wunderte sie sich, mich schon ganz in meinen Morgenkleide angezogen zu sehen. Sie frug mich, ob es mir gefällig war, zum Frühstük zu kommen? Ich sagte „Ja! Sind Ihre Herrschaften schon auf ?“ – „Ja, der Caffee ist auf den Tisch.“ „Gut, so sollen sie auf mich nicht warten.“ Ich ging hinunter, und wir sagten uns alle einen freundlichen guten Morgen. Wir wurden alle bald vertrauter und lustiger. Und was den so ganz meine Sache war, war daß, das sie alle vier ebenso gerne lachten wie ich. Die alte Mansel Fritsch sagte: „Nein, fürwar, ich kanns Kummerfeld nicht verdenken, das er sich so sehr in Sie verliebt hat. Schon gestern gefielen Sie mir, aber heute, weis Gott, noch mehr. Sind ein sehr hübsches Mädchen.“ Ich dankte ihr und ver[539]
sicherte sie, das ich sehr gedemüthiget seyn würde, wenn Herr Kummerfeldt mehr meine Gestalt wie mein Herz liebte. „Aber nun, meine lieben Freunde, eine sehr ernste Bitte von mir an Sie alle. Sie sind so gütig gewesen, mich bey Ihnen aufzunehmen; nun bin ich also bey Ihnen zu Hause. Also von heute an keine Umstände mit mir. Ich würde bey Ihnen mit Zwang seyn, wofern Sie sich in Ansehung meiner den geringsten Zwang gebrauchten; so wie Sie’s untereinander gewohnt sind, müßen Sie es auch mit mir halten. Ihre Haushaltung muß ebenso bleiben, wie sie war und wie sie seyn soll, wenn ich von Ihnen wegziehe.“ Das war in des alten Mannes und seiner Schwester Seele gesprochen, Mutter und Tochter waren von mehr Complimenten, für die ich in
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meinen Leben niemals war. Mein lieber Wilhelm kam nun auch; nachdem wir uns herzlich geküßt hatten, versicherte ich ihm, das wir bereits so bekant wären, als wenn wir schon seit Jahren Umgang miteinander gehabt. Die alte Mamsel bediente sich immer eines Horn von Meßing, das sie ans Ohr hielte, wen man mit ihr sprach. Kummerfeld war recht froh, und die alte Mamsel sagte zu ihm: „Er hat recht gehabt, Mon Freur991, das er sich so eine Braut gewählt und sich von allen denen Narren nicht hat abra then laßen. Wär ich ein Mann wie er, fürwahr! Sie hät mich selbst verliebt gemacht.“ Kummerfeld freute sich und sagte: „Ja, lernt nur erst mein gutes Lienchen noch ganz kennen, doch nun muß ich fort in die Bank“, ich bath ihm, mein Compliment an alle seine Herrn Collegen zu machen, die ja nun bald auch die meinen seyn würden, alle lachten herzlich, Kummerfeld ging fort, kam den Mittag wieder und speißte mit uns. Jeden Tag zu beschreiben, würde mich bey dem Schreiben eben[540]
so ermieden wie andere, mich zu lesen. Meine Koffers blieben über 8 Tage aus, ich hatte nur mein Amazonenkleid und ein weistaffend Negligée bey mir. Im Amazonenkleid damals in Geselschaft zu gehen, war damals nicht so Mode wie einige Jahre nachher, und in weis taffend Rock und Kontusch992 schickte es sich auch nicht, mithin blieb ich immer zu Hause und konnte noch keine Visiten machen. Inzwischen kam immer Besuch, theils Freunde von meinen Kummerfeld, die meisten aber aus Neugirte, mich zu sehen und persönlich kennenzulernen. Meine freundlichen Wirthe waren froh, das meine Koffers noch nicht da waren. Sie sagten: „Ja, wenn Sie erst Ihre Kleider hier haben werden, den werden wir manchen Tag ohne Sie zubringen müßen.“ Endlich waren meine Koffers gekommen und nach Kummerfelds Haus gebracht. Meine liebe Nichte begleitete mich hin, und ich packte aus und brachte nur so obenhin einiges in Ordnung. 8 Kleider, die zur Jahrszeit schicklich waren, nahm ich nur mit mir, den 24 hatte ich, vollständig und gut, das keine Dame sich schämen durfte solche anzuziehen. Auch an Wäsche war kein Mangel, und was noch nicht verarbeitet war, lag zugeschnitten und in Stücken neuer Leinewand. Mein Silber machte auch Aufsehen, ich hatte einen vollständigen Caffee- und Theeserviec, 2 Leuch[t]er, Lichtscheren und Teller, dazu auch gewiße nothwendiege Stüke zur Tafel, kurz, nichts überfließig, aber auch alles bis auf die geringste Kleinigkeit vollständig und ordentlich. Als wir des Abens späth nach Hause kommen, sagte meine Nichte: „Ich habe [nicht]
991 Mon frère: Mein Bruder. 992 Contouche: Weiter, vorne offener und hinten faltiger mantelartiger Überwurf, der nur wenig über die Hüften reicht.
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geglaubt, das es möglich wär, so viel in Koffers zu bringen.“ Nun freuten sie sich noch mehr, da sie hörten, das Kummerfelds Braut, wenn sie gleich keine Capitalie hätte, doch so eingerichtet wär, das sie vor jedermann sich könnte sehen laßen. Besonders gefühl ihnen das Reelle der Wäsche. Den sie hatten sich eine Idee gemacht, das, wenn Actriecen nur Blumen, Band, Flor und Blonden993 haben, mag das übrige beschaffen seyn, wie es will. Das meine Kleider nicht neu vom Schneider gekommen, konten sie sehen, aber sie sahen doch auch an keinen Schmuz oder Flecke. Daraus schloßen sie, wie richtig zu sch[l]iesen war, das ich das Meinige schonte und eine gute Wirthin seyn müßte. Und Gott sey noch mein Zeuge, der weis es, das es wahr ist, das ich mich nie genauer beholfen als damals in Leipzig. War mir den Mittag nichts von meinen Eßen übriggeblieben, so speißte ich des Abens ein Stükgen trocken Brod. Keine Butter, noch Käß. Ja, den ganzen Sommer, Herbst und Winter habe ich nicht einen Groschen für Obst ausgegeben. Den wenn ich nicht so sehr genau für mich gelebt hätte, hätte ich freylich so große Kosten und Ausgaben nicht bestreuten kennen. Wie viele würden bey dem Gedanken eines reichen Bräutigams so gedacht haben? Mein erster Besuch, den ich abstattete, war bey Madame Schreiber, ihr Bruder war nicht zu Hause, sondern in der Banko. Ich fand an ihr eine gute alte Frau, mit der es sich wohl umgehen liese. Die Tage gingen in einen immer fortwehrenden Taumel hin, heute hier, morgen da zu Gaste. Herr Hilbrand hatte Herrn Abendroth an seinen Hochzeittag zu Gaste gehabt, und Hinrich Kummerfeld bat sichs aus, uns an unsern Ehrentage das Tractement zu geben, welches wir mit Danck annahmen. Unsere Trauung solte den ersten Dienstag [542]
nach Ostern, als den 12. Aprill, seyn. Mein Wilhelm frug mich, ob ich den alles zum Anbuze994 des Tages hätte? „Ja, Lieber, alles.“ Er wolte, das ich einen beßern juvelenen Ring, als der meinige wär, haben solte, ich verbath mir alle Geschenke. – „Haben ja Kosten genug! Nichts für mich unnüzen Staat oder Tänteleyen995. Unsere Ringe sollen goldene Reifringe seyn, die wir wechseln wollen.“ – Weil er den sagte, es wär für ihn ein Schimpf, wenn ich keinen größern juvelenen Ring am Finger hätte, so antwortete ich ihm – „Nein, Schimpf sollen Sie nicht haben. Hier ist der meinige; wollan! So laßen Sie noch eine Reihe Rosetten herrumsezen.“ In wenigen Tagen war der Ring fertig, und er brachte mir ihn. Nun sagte er wieder: „Wollen Sie an Ihrem Hochzeittag keinen echten Schmuck haben?“ – „Ich! Kummerfeldt, wo denken Sie hin?“ – „Nein, kauffen will ich 993 Hellfarbene, aus Rohseide geklöppelte Spitzen. 994 Anputzen: Festlich zurecht machen. 995 Tändeleien: Spielereien.
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solchen nicht. Aber ein Juvelierer will Ihnen solchen an dem Tage leihen, so viel Sie wollen. Es ist hier so Mode, das die Bräute, wenn sie nicht selbst Juvelen haben, solchen sich zu ihrem Hochzeittag borgen.“ „Lieber Wilhelm, ich bitte Sie, vergeßen Sie nicht, das ich keine Hamburgerin bin. Da, sehen Sie! In schottischen Perlen996 besteht dem Tage mein Schmuk. Ich prange nicht gern in geborgten Puz. – Bin zu stolz! Laßen Sie mich bey der Grille zu wißen, das alles, was ich dem Tage anhabe, so einfach es auch ist, bezahlt ist und mein gehert. Geben Sie meinen Eigensinn nach.“ – „Er kostet Ihnen ja nichts. In Hamburg ist ohnedieß sehr theuer Hochzeitmachen. Was kosten die Hochzeitgeschenke an die Bediente?“ Zwo Mädchens waren in Fritsch Haus, und mein Liebster hatte eine Magd; kurz, es geherten Summen dazu. Mein Wilhelm gab zu allen diesen das Geld her, wo ich solches hätte eigendlich geben müßen. Leicht kan man denken, das meine Geld[543]
kaße nicht würde zugereicht haben, den in huntert Thalern bestand noch ohngefehr meine ganze Baarschaft. So vergnügt und lustig ich auch immer war, wenn ich in den Zimmer meiner lieben Schwiegers war, so still, nachdenkend und in mich traurich war ich auf meinen Zimmer. Ein – ich weis nicht was, sagte mir, dein Wilhelm ist bey aller seiner Gefälligkeit und scheinenden Munterkeit doch nicht mehr der, der er war, als ich noch das erste Mal hier war, und der, der er in seinen Briefen an mich war, gar nicht. – Was ist den Mann? – O Gott! Wie oft lag ich einsam in meinen Zimmer auf meinen Knieen, weinte und bat Gott: „Sollen wir nicht glüklich miteinander werden, o, so las, las diese Heyrath noch zurüke gehen.“ 14 Tage ohngefehr vor den 12. Aprill saß ich wieder so in stillen Nachdenken, den Kopf auf meine Hand gestüzt, und Thränen rollten mir über den Arm, als mein Wilhelm auf einmal in mein Zimmer tritt. Ich erschrack und suchte meine Thränen durch ein munters Lächeln zu verbergen. Wilhelm sah mich aufmerksam an und sagte: „Was ist dir, Liebe? Du hast geweint?“ – „Ich? Ach nein! – War in Gedancken. – Sie haben mich erschreckt, weil ich Sie nicht kommen hörte. – Mir ist nichts.“ – „Nichts? Du hast geweint, viel geweint, das sagt dein ganzes Gesicht. – Sinds Thränen um Carl? – Hast du ihn lieber wie mich? Wärst du lieber bey ihm wie bey mir? – Betrübe mich doch nicht!“ – „Kummerfeldt, welch einen Gedanken haben Sie. – Ich Sie betrüben? Carln mehr lieben wie Sie? O, dann wär ich nicht gekommen. Bester Mann! Sie haben recht, ich habe geweint. – O, solche Morgen, solche Abende und Nächte habe ich hier schon viel gehabt! – Ich zittere mit Ihnen zu sprechen, und doch muß es seyn – oder ich bin die Unglüklichste von
996 Als Schottische Perlen (Perles d’Écosse) bezeichnete man unregelmäßige, halbkugelförmige Perlen, aber auch künstliche Perlen von unnatürlicher Größe.
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allen Menschen.“ Wilhelm stand vor mir voller Erwartung, in sichtbarer Unruhe. „Mein Gott, was wollen Sie mir sagen.“ „Das, was uns beyde glücklich machen soll. Sezen Sie sich.“ Er lies sich neben mir auf einen Stuhl nieder, ich ergrief eine von seinen Händen, hielte sie fest in die meinige geschloßen und sah ihn freu in die Augen. „Kummerfeld, Sie kennen mich, kannten mich eher wie ich Sie. Sie wißen, wie und durch welche Art ich die Ihrige ward – oder werden soll. Da Sie mir Ihre Absicht, mich zu heyrathen, wißen liessen, hatte ich für Sie auch kein Geheimniß mehr. Ich gestand Ihnen alles. So gewiß das alles wahr ist, so gewiß ist es, das ich Sie liebe, liebe über alles, was ich auf der Welt gehabt und noch habe. Aber, lieber Kummerfeld, hintergehen Sie sich nicht selbst! Bin ich in Ihren Augen, in Ihrem Herzen noch vielmehr auch noch die, die ich Ihnen bey meinen ersten Hierseyn und bey meiner Abwesenheit in Leipzig war? – Nein, Kummerfeld, ich bins nicht mehr. Sie sind gegen mich verendert. Ihr ganzes Wesen, Ihr Betragen, alle Ihre Gefälligkeit, Ihre Liebe, Zärtlichkeit, ja sogar Ihr Kuß verräth Zwang, Kälte. Lieber, um Gottes Willen, prüfen Sie sich um Ihrer, um meiner, um unserer zeitlichen und ewigen Glükseligkeit willen, entdecken Sie mir Ihr Herz! Habe ich noch Feinde, die Sie gegen mich abwendig machen wollen. Hat sich meine Gestalt verendert, oder stimmt mein Betragen gegen dem Ihrigen nicht überein? – Kummerfeld, noch ists Zeit – noch kennen wir uns trennen. Sie sind für mich so freu wie der Vogel in der Luft. – Ich will reisen, zurükreisen. Besorgen Sie von mir weder Vorwürffe noch Kosten. Der Mann meines Herzens muß mich lieben. [545]
Starck lieben! Lieben, wie ich ihm, oder ich werde das elendste von allen Weibern. Ich bin nichts halb, ich war ganz Tochter, ganz Schwester, ganz Freundinn, ganz Liebhaberin, muß ganz Gattin seyn und werden kennen. – Oder lieber nie, nie Weib.“ Kummerfeldt hatte mich ohne zu unterbrechen angehört, doch Thränen liefen aus seinen Augen. „Fast“, sagte er zu mir, „solte ich glauben, das Sie sich verendert haben.“ – „Ich? – Kummerfeldt, weichen Sie mir nicht aus! Ihnen fehlt etwas, es sey, was es wolle.“ „Nun gut, Sie kennen einigermasen recht haben. – Nur in diesen nicht, das ich Sie weniger liebte, wie ich Sie geliebt habe. Gott weis es, mein Linchen ist mir alles auf der Welt, was ich habe. Aber ich bin verdrieslich – ich wolte, unsere Hochzeit wär schon vorbey. Das beständige zu Gaste seyn, die cermoösen997 Complimente, Sie wißen, mir ist am besten, wenn ich zeitig in meinen Haus bin, mich 10 Uhr zu Bette legen kann, wens meine Arbeit erlaubt. – Nun komme ich oft spät in der Nacht von meiner Arbeit – nach
997 Zeremoniös.
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Hause gehen kann ich nicht, muß Sie erst noch einmal sehen, sehen, was Sie machen. – Nun bin ich verdrieslich, das ich nicht wegkommen kann, wenn ich erst da bin.“ „Aber Lieber! Welche Grillen. Halte ich Sie den auf ? Sorge ich nicht selbst für Ihre Ruhe? Würde ich böse seyn, wenn Sie nicht kämen?“ – „Ja, das weis ich all! – Und da bin ich ergerlich über mich selbst, das ich so bin. – Wer nur schon alles vorbey! Hätte ich nur mein Weibgen erst in meinen Haus. Dan werde ich ganz anders seyn.“ – „Das ist allso die Ursach Ihrer üblen Launen? – Soll ich mich damit beruhigen? Kann ichs? [546]
Darf ichs.“ – „Ja, du solsts! Du must’s.“ – „Allso Wilhelm liebt mich noch, liebt mich wie ich ihm?“ – „Über alles.“ Wir küßten uns und sehnten uns aus. „Mußt mich aber nie wieder so erschrecken.“ „Nein, mein Wilhelm, nicht gern, aber lieber erschrecken als ein Mißtrauen gegen dich in meiner Seele.“ Kummerfeld sagte: „Komm, las uns hinnuntergehen, werden nicht wißen, was wir solange miteinander geschwazt haben. – Wenn sie dir es nur nicht ansehen, das du geweint hast.“ – „Will sagen, ich habe Kopfweh. Und wenn sies nicht glauben, so erzehle ich ihnen den ganzen Inhalt von unsern Gespräch.“ – „Nein, das thue doch nicht.“ „Also, es bleibt bey dem Alten, und wir sind eins.“ Da wanderten wir Hand in Hand die Treppe hinnunter, ich war munter, und warum solte ichs auch nicht – ach, man beruhiget sich so leicht über das, was man wünscht. Inzwischen leugne ich es nicht, das mir selbst alle die steiffen Besuche schon zum Eckel geworden waren. Niemand kannte ich genau, wurde ich den mit allen nur erdenklichen Cermoniell in ein neues Haus eingeführt, da standen obenan zwey große Armstühle, in die durfte sich keine alte würdige Matrone oder Greiß sezen, nein, die gehörten für das Brautpaar. – Wie oft raunte ich Wilhelm ins Ohr: „Hat der Teufel da schon wieder so ein Paar Stühle?“ – Und wen man den nachdachte, heute sizt du obenan, und den Tag nach der Hochzeit als die jüngste Frau ganz unten, das stimmte mit meinen Gesinnungen so wenig überein. Ich, die ich lieber stieg als fiel. – Oder doch gern in einer gewißen Mitte gern blieb, wo man nicht steigt noch fällt. Den 11. Aprill [547]
waren wir den endlich ganz unter uns, der Brautstaad wurde gerichtet, und der Friseur wickelte die Haar in Papillioken998. Als der weg war, kam mein Wilmichen munter zu mir ins Zimmer. Wolte meinen Puz sehen. „Nun, da ist er.“ „Schön“, sagte er, „nicht prächtig, aber geschmackvoll.“ – „Gespart, Lieber, ist auch nichts, den es sind zu dem ganzen Staat über 200 Ellen Blonden. Also morgen!“ „Morgen?“ – „Noch haben Sie
998 Papilloten: Haarwickler.
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über 24 Stunden, sich noch zu bedenken, ja oder nein zu sagen, und wenn es vor dem Trauschämel ist.“ – „Bald machst du mich böse. – Ists dir so gleichgiltig?“ – „Mir nicht. – Nur laßen Sie es Ihnen nicht gleichgiltig werden, was ich Ihnen gesagt habe, und denken oft daran, das Sie immer der liebe, zärtliche Mann gegen Carolinen bleiben. Lieber Wilhelm, wie deine Caroline das einzige Mädchen ist, so will sie so gern auch das einzige glükselige Weib seyn. – O, und es wird so leicht seyn, wenn du nur wilst.“ Ich schlug meine Arme um seinen Hals und küßte ihn so mit dem ganzen Gefühl meines Herzens, als meine Schwiegerin kam und uns zum Eßen rufte. „Gern! Heute habe ich noch Apetit, auf den Abend auch, aber morgen Mittag wird’s nicht schmecken wollen. Will mich also heute auf morgen mit sateßen.“ Der Nachmittag ging vergnügt hin, gegen den Abend kam mein Wilhelm zeitig, speißte mit uns, und da die Uhr 10 geschlagen hatte, sagte ich: „Nun gehen Sie nach Hause, damit Sie mir morgen Nachmittag ja ein frohes Gesicht mitbringen.“ Er lächelte, und wir wünschten uns gute Nacht, und so gingen wir alle den Abend zeitig zu Bette. Ich schlief wenig, meine sorgsame Unruhe für die Zukunft warf mich von einer [548]
Seite zur anderen. Es war nicht in mir der Gedanke: Bald bist du nun ganz des einzigen Mannes deines Herzens. – Nein! Wär es bey mir gestanden, ich würde den Tag noch Jahre hinausgesezt haben. Soll mit den morgenden Tag vielleicht all dein Vergnügen, alle deine Freuden ein Ende haben? – So dachte ich! Ach, und ich hatte gehoft, zu mir zu sagen, von den morgenden Tag werden erst alle deine Freuden sich anheben. Wenn der Mann dich nicht glüklich macht – sein Vermögen kann es nicht, und wenn er reich wie Cresus999 wär. – Wie dachte ich seines Karacters nach! So, so mußt du ihm begegnen; so nachgeben; so zuvorkommen. Das hat er gern; das nicht. Ja, wen du so und so bist, dann wird er dich lieben – lieben, unaussprechlich lieben. Ich wolte verdriesliche Bilder wegwischen, aber sie waren immer wieder vor mir; ich schlummerte ein wenig ein, aber mein Schlaf war nichts weniger wie erquickend gewesen. Die Uhr war halb 6, als ich aufstand, ich erschrack vor mir selbst, als ich in den Spiegel sah, mein ganzes Gesicht hatte eine Todesbläße. Gleich nach 6 Uhr kam der Frieseur, kam deswegen so zeitig, weil er den Tag mehr Bräute aufzusezen1000 hatte. Ich lies in die Haare Mirten1001 mit ihren Blütchen hineinstecken, weil damals in Hamburg nicht mehr Mode war, das Bräute einen Kranz oder Krone auf den Kopf trugen, so wählte ich blos einzelne Mirten; und perlendurchflochten. Wir speißten den Mittag vor 12 Uhr – aber wie ich 999 Krösus. 1000 Aufsetzen: Den Haarputz besorgen, frisieren. 1001 Myrtenzweige waren seit der Antike ein Symbol für die Jungfräulichkeit der Braut.
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mich hingesezt hatte, stand ich auf. – Ich konte nicht eßen und war in einer schrecklichen Angst. Die gute Madame Herzog kam und brachte mir einen kleinen frischen [549]
Blumenstraus, bestand in einer weisen Hiazinte, Orangenblüten, Mürten und einer Rose. Ich küßte das gute Weib. „Was ist dir, Jungfer Braut? Wie siehst du aus. Hast ein Gesicht, das sich eher zur Leiche wie zur Hochzeit schickt.“ „Ach Liesgen! Ich fürchte auch, ich gehe heute in den Tod – in den Tod aller meiner gehoften Freuden.“ – „Las das ja nicht deinen Wilhelm hören. Sey doch klug. So hofte ich dich nicht zu finden.“ – „Ach, ich auch nicht! Ich dachte auch nicht, das ich so, so seyn würde. – Mein Herz ist sehr schwer, wenn ich nur weinen dürfte. Es erstükt mich noch.“ Meine Schwiegerin, ihre Tochter und das Hausmädchen, alle drey wolten mich ankleiden. – „Liebe Kinder! Sie müßen ja selbst angekleitet seyn, Madame Herzog wird mir helfen, wen ich Hilfe bedarf.“ Sie wichen nicht, alle Hände halfen und mehrten dadurch meine Angst, ich schöpfte nur nach Luft. – Mußte mich einige Mal sezen, den mir wurde mercklich schlimmer, man ward besorgt. Ich bat um ein Glaß Waßer und den, mich nur stille gehen zu laßen, dan würde mir wohl beßer werden. Endlich wurde ich vollends angekleidet, nichts wolte mir nun gefallen. Keiner konnte aus mir klug werden, ich aber selbst nicht aus mir. Mein Brustbuquett1002 war von Blonden und weißen Band. Liesgen sagte zu mir: „Gut, das ich dir die Rose brachte und den Straus, warst auch sonst ganz weis.“ – „So wolte ichs.“ – „Nun, so komm doch vor den großen Spiegel und sie dich recht an. Siehst aus wie ein Engel.“ – „Ja, wenn ich die Augen zu hätte und in meinen Sarg läg – dan recht wie ein Todesengel.“ – Meine Schwiegerin kam und sagte zu mir: „In der ganzen Nachbarschaft haben sie Besuche, man wünscht Sie zu sehen, das [550]
ganze Haus unten ist voll Menschen, die alle gern herrauf wollen, um die Braut zu sehen; das ist so der Gebrauch hier.“ „Liebe Frau Schwester, wie bedaure ich Sie der Unruhe wegen, die Sie meinetwegen haben. – Sie wißen, ich bin keine Freundin von den Hamburger Gebräuchen1003. – Was will man an mir sehen? Verschonen Sie mich – kan mich ohnmöglich heute mit fremden Gesichtern herrumcompliementiren. Griesen Sie alle und sagen, ich lies es mich verbitten. Wen ich im Wagen steigen werde, dan werden 1002 Brustbukett: Ansteckgebinde. 1003 Die Kritik an den in ihren Augen absurden, in ihrem usprünglichen Sinn nicht mehr erkennbaren Sitten und Gebräuchen zieht sich durch Karoline Kummerfelds gesamte Darstellung ihrer Hamburger Zeit. Sie greift damit eine offenbar weit verbreitete Haltung gegen die im Hamburger Volksmund „Booksbüdel“ genannten Gebräuche auf; s. o. HHS, Anm. 577.
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sie mich alle sehen. Entschuldigen Sie mich als eine Fremde.“ Meine Schwiegerin ging nur halb vergnügt fort. Liesgen sagte zu mir: „Du machst närrisches Zeig.“ – „Ja, ich denke, wils Gott, das ich noch mehr machen werde.“ – „Aber Karlingen, das ist so hier der Gebrauch.“ – „Und wilst du also, das ich mich zum Opfer aller Eurer närrischen Gebräuche machen soll? Hab schon mehr solche Stükgens hier gemacht. Man muß mich gewohnt werden. Am Ende wirds heisen: Es ist die Kummerfeld, sie thuts nicht anders, so wie es bisher geheisen hat: Es ist die Schulzin, sie ist nun nicht anders. Denk, was man mich hier schon mit die vielen Gesundheiten1004 mortiviziert1005 hat, und wie sie sich selbst untereinander mortiviziren. Weist du, was ich thu? Dem Wirth und der Wirthin von Hause trinke ich ihre. Dan bin ich fertig. Sagt jemand zu mir: Sie sollen leben! nehme ich mein Glas in die Hand und sage: Gleichfals, Ihr Wohlseyn. Wo kann ich 30 und mehr Menschen bey einen Glase Wein nennen? Immer einen Tropfen hinunterschluren1006 und wieder einen nennen, [551]
bis die Reie rum ist. Da bricht mir der Angstschweiß aus. Und dan soll ich meinen Nachbar 30mal incomodieren1007, das er mir sagt, wie der und der heist. Und wen es noch dabey blieb: Aber trinkt man meines Wilhelms Gesundheit, so muß ich mich mitbedancken. Den so gehts: Mademosell Braut, ich nehme mir die Ehre, Ihre Gesundheit zu trincken. Herr Bräutigam! Ich trincke Ihrer Mademosel Braut ihre Gesundheit – nun tri[n]ckt der höfliche Mensch, und wenn er getrunken und seyn Glaß hingesezt hat, muß ich das meinige nehmen und mich gegen ihn und meinen Herrn Bräutigam verneigen mit den Kopf und halben Leib und nun gleichfals trinken. Wen das vorbey ist, sagt der hefliche Mensch: Herr Bräutigam, ich nehme mir die Ehre, Ihr Wohlseyn zu trinken! Mademoisell Braut, ich trinke des Herr Bräutigams Gesundheit, und tri[n]cke ich mit ihm, und wen wir fertig, muß sich Wilhelm gegen uns beyde verneigen und nachtri[n]cken. Ist das nicht zum Todschiesen? Nun denk dir, wenn 30 und mehr Menschen an Tafel sind, was das vor eine Arbeit ist. Und ich! Deine Carolina solte sich so sehr haßen, all das närrische Zeig auf ihre ganze Lebzeit mitzumachen? Nein, 1004 Anwünschen der Gesundheit beim Zutrinken. Gesundheit wurde auch jeder Trinkspruch genannt. Auf das Wohl der einzelnen Tischgäste und auf die Gesundheit des Gastgebers zu trinken, war ein alter (nicht nur) Hamburger Brauch, der allem nach nicht nur Karoline Kummerfeld als lästig galt; Borcherdt, Das lustige alte Hamburg, S. 69. – Unter dem Titel „Gesundheiten und Wünsche“ hat Karoline Kummerfeld 136 solcher Trinksprüche in ihre Samlung vermischter Ungedruckter gedancke aufgenommen; s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. 1005 Mortifizieren: Absterben lassen, kasteien, demütigen. 1006 Gemeint ist wohl: Hinunterschlürfen. 1007 Inkommodieren: Belästigen.
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wahrlich nicht. Lieber soll man mich jezt entweder für unwißend oder für ein Mädchen ohne Lebensart halten, als das man sage: Sie hat sich die erste Zeit verstellt. Den freilich halten viele die Lebensart und Verstand nur darinnen, wen man sich hübsch steif verneigen, Compliemente machen und Gesundheiten trinken kann. Denck, was mir das vor ein wahres Spektakel ist, wen Mann und Frau, Tochter und Sohn am Tische mit sind, und so ein heflicher Mensch fängt an: Madame [552]
(sie mag Hamburg heisen!), also, Madame Hamburg, ich nehme mir die Ehre, Ihr Wohlseyn zu trinken, Herr Hamburg, ich trinke Madame ihre Gesundheit. Mademoisell, ich trinke der Frau Mama ihre Gesundheit, Monsieur Hamburg, ich trinke Frau Mamas Gesundheit. Nun tri[n]ck er, dan gehts an den Herrn Papa, dan ebenso an Mademoiselle Tochter und Herrn Sohn, bis es in der Familie rund ist. Hab nach meiner Uhr gesehen, und solche vier Gesundheiten haben eine halbe Stunde gedauer[t]. Das du des Teufels wirst! sagte ich dan zu Wilhelm. Das ist nicht auszuhalten. – Nein, Linchen, da waren wir vergnügter und wollens, wills Gott, noch öfterer seyn. Aber las mich gehen. Kummerfeld ist auch nicht dafür so sehr mehr wie anfänglich, fängts an zu fühlen, das sich die Menschen aus lauter Höflichkeit zu Tode ängstigen. Dan stell dir die Marter vor, einen bey jeden Bißen zu nöthigen1008. Mann hat den Mund voll, und die höflich besorgte Wirthin ruft einen zu: O, so eßen Sie doch. Läuft man da nicht Gefahr zu ersticken, oder das einen der Bißen aus den Maul fällt? – Wie soll man antworten. Keiner nöthiget mehr wie meine Schwiegerinn Fritsch und Tante Schreiber. Sie meine[n]s gut und machen, das ich keinen Bißen vor Galle verdauen kann. – Doch um ihnen das noch abzugewöhnen, habe ich schon auf ein Mittel gesonnen. Bey Gott versichern, ich kann nicht mehr eßen. Oder zu sagen: Mich soll der Teufel holen, wo ich noch einen Bißen freßen kann. Das hielft nichts, den ehe ichs mir versehe, liegt bey den noch aufgehäuften Teller wieder ein frisches Stük. Nun habe ich [553]
mir eine neue Art vorgenommen“ – – „Der Herr Bräutigam im Wagen.“ – „Gott! Ist er da?“ Mein Schwazen hatte mich munter gemacht, aber auf einmal wars weg. Ich zitterte und fühlte, wie eiskalt mein Gesicht wurde. Mein Lieschen küßte mich. „Sey glüklich, liebes Carolinchen.“ „Das gebe Gott, liebes Lieschen. Wie gerne hätte ich dich heute bey mir und deinen Mann, ist ohnedieß sein Geburtstag heute. Gries mir ihn. Ich werde eure Gesundheit trinken nach unserer Art. Du weist, ich und Wilhelm
1008 Von diesem Brauch berichtet auch Borcherdt, Das lustige alte Hamburg, S. 69.
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sind heute selbst Gäste. Dich soll ich nicht haben und muß dafür in der fatalen Geselschaft der Schwerdtnern und ihrer unerträglichen Tochter seyn, die dich ebensosehr haßt wie mich. – Muß mich verstellen. Ich und verstellen? – Bedaure mich.“ – Auf einmal wurde mir gemeldet, Herr Kumerfeldt erwartete mich. – „Ich will kommen!“ Ich glaubte, er würde zu mir herraufkommen? – Ich ging hinnunter, da stand Wilhelm im aschgrauen, seiden moornen Kleide mit kleinen weißen Blümgen, die Weste war ganz weißes Moor1009 mit silbernen Treßen. Er war so blas von Gesicht wie ich, zitterte und reichte mir seine eiskalte Hand. – Ich fühlte die Kälte durch die Handschu, die ich anhatte. – „Bist du fertig?“, sagte er. „Ja!“ Seine Schwester weinte, auch die alte Schwiegerin, der alte Mann und die Tochter, alles wünschte und schrie untereinander – „Komm, las uns fahren“, sagte er. – „Nun ja, in Gottes Namen. Heute von mir keinen Dank, Lieben, ich bin“ – – damit gingen wir fort. Die ganze Straße war voll Menschen, und an allen Häusern und an deren Fenstern war Kopf an Kopf. Ich grießte sie alle rund, so weit ich sie mit denen Augen er[554]
reichen konnte. Alles dankte mir und sah vergnügt. Und ich hörte nichts wie die Worte: „Das ist eine freundliche Braut, sie ist doch gar nicht stolz!“ Die Uhr war zwey. Der Wagen fur ganz langsam, so recht staatsmäßig, und wir hatten uns zu büken und zu danken nach allen Seiten. An dem Hause meines Wilhelms stand der Wagen still, und nun fuhr unser Brautwagen fort und holte den Pastor Wagner1010 vom Hamburger Berg1011. Eigendlich, da ich im Michaeli-Kirchspiel gewohnt hatte als Braut, hatte mich der Prediger von der Michaeliskirche trauen müßen. Mein Wilhelm aber war einst so artig, zu mir zu sagen: „Du weist, Linchen, das wir durch einen evangelischen Prediger müßen getraut werden. Nun wolte ich gern, das uns einer zusammengeb, zu welchen du Zutraun hättest, du solst also mit mir und meiner Schwester alle Hauptpastors1012 hören. Der dir nun am besten in seiner Predig gefällt, soll uns zusammengeben.“ Ich wars zufrieden, und so fuhr ich mit ihm einige Sontage bald in die, bald in jene protestantische Kirche. Am Charfreytag1013 fuhr Wilhelm, seine Schwester und Tochter und ich hinaus 1009 Moornen, Moor: Aus Seidenmoiré, einem Seidengewebe mit Maserung. 1010 Friedrich Gottlob Wagner (* 10. Sept. 1733 Stargard, † 4. Jan. 1769 Hamburg) war von 1766–1769 Pastor von St. Pauli; Jensen, Hamburgische Kirche, S. 180. 1011 Hamburger Berg war bis ins 19. Jahrhundert die übliche Bezeichnung für die Vorstadt St. Pauli. 1012 Als Hauptpastoren werden die Pastoren der fünf Hamburger Hauptkirchen (St. Petri, St. Michaelis, St. Nikolai, St. Katharinen, St. Jacobi) bezeichnet, Kummerfeld bezieht auch St. Pauli mit ein. Neben dem Hauptpastor gab es in jeder Gemeinde weitere Geistliche, die nicht als Pastoren, sondern als Diakone bezeichnet wurden. 1013 1. April 1768.
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auf dem sogenannten Hamburgerberg. Ich hörte Pastor Wagner, und sowie er auf der Canzel Amen sagte, wandte ich mich zu Wilhelm, ohne erst meine Thränen abzutroknen, die ich über seinen herrlichen Vortrag geweint hatte: „Der, lieber Wilhelm, soll uns trauen. – Brauch nun keinen andern weiter zu hören.“ Mein Liebster lächelte, und als wir wieder nach Hause kamen, sagte er: „Nun gewiß, du hast in meiner Seele gelesen. [555]
Hab es gewünscht. Den er ist mein Freund; ein vortreflicher Mann. So wie er auf der Canzel ist, so ist er auch in seinen Leben. Der rechtschaffenste Mann.“ Dieses mußte mir um so lieber seyn, das ich ihm vor allen andern gewählt hatte. Freylich nahms der Herr Hauptpastor an der Michaeliskirche1014 übel, doch das kümmerte uns nicht. Herr Kummerfeld schickte ihm seinen holländischen Ducaten zu, aber Wagner solte und mußte uns trauen. Bald nachdem wir in Kummerfelds Haus waren, kam sein Bruder Hinrich und von Bostel auch zugefahren als Trauzeugen von meinen Liebsten, und Herr Fritsch nebst Herrn Abendroth waren meine Beystände. Nach 3 Uhr kam Herr Pastor Wagner1015. Er grieste uns und trat hinter dem Trauschämel, wir traten vor denselben und die vier Zeugen hinter uns. Herr Pastor Wagner hatte zu dem Trautex[t] die Worte gewählt: „Prediget denen Gerechten, den sie werden es wohl haben.“1016 Herrlich führte er solche hinaus. Und mir ist es sehr leid, das dieser rechtschaffene Mann einige Monate nach unserer Trauung starb, das ich also nie der Anrede an uns habe habhaft werden kennen. Mein Liebster sprach seyn „Ja“ frey von Herzen, ich das meine auch ohne Reue, er wechselte unsere Ringe, legte unsere Hände ineinander, gab uns seinen Segen, voll inniger Andacht beteten wir auf unsere Knie gebeugt das heilige Vaterunser. – Nun wars vorbey. Der samtne Trauschämel und Teppigt ward aus dem Zimmer gebracht, Caffee, Thee, Wein und Confect herrumpresentrirt. Die Uhr war nach 5, als der Herr Pastor in den Brautwagen wieder nach seiner Wohnung gebracht wurde. Die Herren Brüder und Schwäger fuhren nach der Deichstraße und ersuchten uns, bald nachzukommen. Der Brautwagen hatte einen weiten Weg. Mein Wilhelm und ich, jeder von uns saß mäusgenstill da, und keiner redete ein Wort. Endlich hub er an: „Ich wolte, der Wagen käm.“ „Ja, ich auch!
1014 Georg Ludwig Herrenschmidt (* 11. Jan. 1712 Bopfingen, † 23. Nov. 1779 Hamburg) war Hauptpastor von St. Michaelis von 1765 bis 1779; Jensen, Hamburgische Kirche, S. 160 f. 1015 Laut Eintrag im Verzeichnis der Trauungen 1667–1772 der St. Michaeliskirche (Staatsarchiv Hamburg 512-7 D 1a, S. 674) wurde die Eheschließung nicht von Pastor Wagner, sondern von Diakon Evers vorgenommen. Daniel Konrad Heinrich Evers (* 12. Okt. 1721 Celle, † 7. Nov. 1784 Hamburg) war von 1765 bis 1784 Diakon an St. Michaelis; Jensen, Hamburgische Kirche, S. 168 f. 1016 Jes 3,10.
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Sie werden in der Deichstraße auf uns warten.“ – „Das denke ich auch.“ – „Wen du wilst, will ich nach einen andern schiken, freylich schickt es sich nicht, weil wir Brautleute sind.“ „Ja, ans Schiken, da kehr ich mich nicht. Ob in einen Staadswagen oder in einen gewöhnlichen Mithswagen, nur mißen Sie wißen, ob es Herr Meyer1017, der uns seinen besten Wagen ja selbst angetragen und auch zu dem Tage gegeben hat, es nicht übel nimmt.“ – „O nein, der gewiß nicht, das ist mein zu guter Freund.“ „Nun, das müßen Sie wißen. Den ich las mir alles gefallen.“ Hurtig wurde nun fortgeschickt nach einen andern Wagen, der auch gleich kam, und wie wir erst aus unserer Straße herraus waren, hatte uns gewiß kein Mensch für Braut und Bräutigam halten sollen. Herzlich froh war ich, wie wir erst im Wagen saßen, den mein lieber Wilhelm schien so ängstlich, das er mich mit seiner Angst mit anstekte. Ja, ich würde die abscheulichste Lüge sagen, wenn ich sprech, ich wär nur einen Augenblick vergnügt gewesen. – Ich dachte manchmal, ob den allen Bräuten so zumuthe ist wie mir? – Ohne ein Wort zusammen zu sprechen, kamen wir dan in der Deichstraße an. Hätte der Wagen nicht vor dem Hause stillgehalten, gedacht hatten sies nicht, das wir darinnen säßen. Ja, manchen neugirigen Nachbar waren wir auf die Art entwischt, die auf die Staadskutsche warteten. Alle waren sie nun beysammen, die Geselschaft bestand also – Ehre, dem Ehre gebürt – an den oft genannten Brautpaar. Hinrich und sein Bruder Peter; zwoo Demoiselles von Bostel, Onkel und Tante, aus Fritsch Haus vier. Die zwoo Brüder Lippeldings, Herr und Madame Schwerdtner nebst Sohn und Tochter, die alten Herr Abendroth und seine Frau. 20 Personen in allen. Die Herren bis auf den Herrn Bäutigam und seinen Bruder von Bostel sezten sich an zwey Spiele1018. [557]
Alle Frauenzimmer bis auf Madame Schwerdtnern und ich verlohren sich aus den Zimmer, auch von Bostel verschwand und der Herr Bräutigam dazu. Die 8 Herrn spielten ihr Catrillie1019, und wenns der liebe Gott nicht beßer weis wie ich, was ich mit Madame Schwerdtner von 6 Uhr bis halb 10 miteinander gesprochen haben, so kann ich gewiß nichts dafür. In diesen viertehalb Stunden war mein Bräutigam ohngefehr zweymal in die Stube gekommen, meine Hand angefast, solche geküß[t] und mich gefragt: „Nun, 1017 Vielleicht der bei Uhde, Komödiantenleben, S. 396 (s. Kap. III.5.2) erwähnte Hamburger Postmeister Heinrich Meyer († 12. März 1774), der Vater des Schröder-Biographen Friedrich Wilhelm Ludwig Meyer. Lit.: Erich Kuhlmann, Die Post im alten Hamburg, Hamburg 1984 (Postgeschichtliche Blätter Hamburg 27), S. 68. 1018 Spieltische. 1019 Quadrille: Kartenspiel für vier Personen.
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was machst du dann?“ – „Wir schwazen.“ – „Hast recht“, und so ging er wieder fort, nachdem er vorher noch als eine Vorsorge gesagt hatte: „Laßt Euch die Zeit nicht lang werden.“ Das gescha also zweymal und so acurat, als obs mein Bräutigam auswendig gelernt hatte. – Ich dachte zu zerspringen. Das ist ein Hochzeitabend! Oft stieg der Gedanke – o, wärst du in Leipzig, in meiner Seele auf. – Und gleich wieder bebte ich vor dem Gedanken zurück wie für eine Todsünde. Vergieb, Herr, vergieb – nur verleyhe mir Geduld. Endlich kam eine von denen Demoisels von Bosteln und frug: Obs gefällig wär? Man schloß allso die Spiele ab, und jeder erhob sich, nicht zu vergeßen, das Herr Abendroth sich einige Mal unter dem Spiel sich umsah und frug: „Wo ist den meine Frau?“ – War aber niemand zugegen, der ihm hätte Red und Antwort ertheilen kennen. Da es den hies, nun zur Tafel! wendete sich Hinrich sehr leidselig1020 zu mir und sagte: „Müßen so vorlieb nehmen, Masoeur.“ Ich dankte ihm für seine Güte. Den noch nie hat es mir geschienen, das mir Hinrich so einen freundlichen Blick gegeben hatte, und das war Balsam für mein krankes Herz. Der Herr Bräutigam kam den auch und reichte mir die Hand. Ich that mir sehr viel Gewalt an, lustig zu seyn, ja, ich scheckerte1021 sogar un[d] lief mehr [558]
als ich ging nach dem Saal zu: „Kommen Sie, lieber Wilhelm, ich bin recht hungrig, hab alles für heute abend verspart“ – aber Himmel, sowie ich in den Saal hineintrat und das Frauenzimmer ansichtig wurde, war ich doch mit einen Mal so satt, als wen 10 Pfund hartes Rindfleisch im Magen läg. – Das waren Gesichter. Alle wolten freundlich seyn und keine wars. Einige sahen blasgelb aus wie holländischer Käß. Andere glüten braunroth, einige Gesichter waren gestreift. Ich glaubte, das ein böser Demon alle verzaubert hatte. Wie ich geworden, mag der Himmel wißen. Doch neue Farben konte den Tag mein Gesicht wohl nicht mehr annehmen, den es hatte solche den ganzen Tag über alle Schatirungen durchgegangen. Die meisten Augen hatten geweint – viel geweint – das konte ich sehen – aber warum? Weswegen? Das blieb mir auch bey allen möglichen Nachsinen ein unerklärbares Räthsel. Bey Tische hofte ich vielleicht es aufzulösen. Hinrich lies viel und kräftig auftragen. – Aber ich will des Todes seyn, weis ich, was ich den Tag gegeßen habe. Man wolte gern munter werden, aber alles war verstimmt. Mein Bräutigam küßte mir oft mit vieler zärtlicher Ehrerbietung die Hand, sah mir freundlich in die Augen und sagte: „O wie ich dich liebe! – Bist mein Alles!“ Das fühlte ich warm ans Herz dringen. – Blicke seitwerts und werde gewahr, das Madame
1020 Leutselig. 1021 Schäkerte.
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Abendroth Thränen verbergen will, die so voll in ihren Augen waren, doch trank sie solche in einen Glas Wein vermengt mit Waßer ganz langsam in ihren Magen. Ihr Mann blikte sie einige Mal an mit einen Gesicht – das viel sagte, nur nichts, das angenehm gewesen wär anzuhören. Darauf lächelte sie, und es war ein Lächeln wie ein Kind, [559]
das man blutig gehauen, und nun verlangt, es soll mit Läche[l]n die Ruthe küßen, die ihm so weh gethan. Ich wuste nicht, solte ich wünschen: Ach, wärst du schon in deinen Haus, oder nicht. Kurz, das bin ich gewiß, das ich an solche hochzeitliche Empfindungen gewiß nie gedacht, noch sie mir so vorstellen kennen. Endlich war die Gloke nach halb ein Uhr, und es wurde gemeldet, das unser Wagen vorgefahren wär. Nun wurde es laut, ich fühlte von allen nichts, was mir gesagt wurde, theils in Scherz, theils in Ernst. Madame Fritsch sagte zu mir: „Nach dem hiesigen Gebrauch müßte ich Sie nach Hause bringen und auskleiden, wollen Sie’s, so fahr ich gerne mit, aber ich weis, Sie lieben die Ceremonien nicht.“ „Tausend Dank, liebe Frau Schwester, haben meinetwegen Unruhe genug gehabt. Sie kennen mich nun und wißen, wie unangenehm mir alles das ist, was meine Freunde incomodirt. Werde mich mit Hilfe des Mädchens schon allein auskleiden.“ Ich umarmte alle Frauenzimmer, jede sah heuterer, und jede drükte mir zärtlich die Hand, selbst Madame Schwerdtner war artig, und ihre Tochter zwang sich, artig zu scheinen. Hinrich küßte mir die Hand (nachdem ich auch denen Herren mein Compliment gemacht hatte, worunter der Onkel und Peter von Bostel mich herzlich geküßt hatten). Darauf küßte mich Hinrich und sagte: „Liebe Schwester, ich versichere Sie meiner ganzen Freundschaft und Achtung, Gott gebe, das Sie so glüklich mit meinen Bruder seyn mögen, als Sie es verdienen. Kinftigen Donnerstag erzeigen Sie mir die Ehre und kommen mit meinen Bruder den Nachmittag zu mir, da wollen wir die übrigen Broken von den heutegen verzehren.“ Nun hob er mich im Wagen, indem er mir noch Hand und Mund küßte. Mein Wilhelm und er fielen einander um die Hälse und küßten sich. „Hör, Bruder“, sagte Hinrich, „ich habe deiner Braut gesagt, das du mit ihr Donnerstag Abend [560]
hier bey mir sein sollt.“ „Wir werden kommen“, sagten wir beyde, „gute Nacht“, und nun rollte der Wagen mit uns fort. Wir saßen alle beyde stumm da, der Weg, den wir nach unsern Haus auf die kleine Drehbahn hatten, war weit1022. Endlich faste mein Bräutigam mit seiner Hand nach der meinigen und sagte: „Du bist ja so still?“ – „Was
1022 Nach dem heutigen Straßenverlauf sind es von der Deichstraße bis zur Drehbahn rund 1,4 Kilometer.
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ich bin, weis ich selbst nicht. Ist’s wircklich so – oder ist ein Traum? Bin ich heute wircklich verheyratet worden? Oder spiele ich nur eine Comödie. – Gott weis es, ich nicht, wie mir ist.“ – „Nein, ist keine Comödie. Bist von heute an meine Frau.“ „Mir ists nicht so!“ sagte ich; und damit war unser Gespräch am Ende. Mein Wilhelm behielte meine Hand fest in die seinige geschloßen, und so kamen wir, ohne ein Wort weiter gesprochen zu haben, in unser Haus an. Das Mädchen kam mit Licht, öffnete den Wagen, hob mich herraus und sagte mit einen recht lüstigen Gesichte: „Guten Abend, Madame!“ Mit auffahrenden Ton dankte ich ein: „Guten Abend“ her, dachte: Die Närrinn! ‚Madame‘, mich verdroß das Wort, als wenn sie mich geschimpft hätte – im Augenblik besann ich mich und dachte: Bist du nicht selbst eine Närrinn, wird dich nicht von morgen an jeder Madame nennen. Ich kam in mein Zimmer und legte die mürrische Miene schon vor der Stubenthür ab. Sie kleidete mich aus, und ich legte mein weißes Nachtkleid an, alles gebunden mit blauen Schleiffen, kroch in meine blau adlaßenen1023 Pantöffelgen und wickelte mich in eine weis Muslinen Sallob1024. Drey kleine Zimmer gingen in eins herrum. Mein Mädchen frug mich, ob ich noch was zu befehlen hätte, ich sagte nein, sie soll aber erst ihren Herrn fragen, ob dem noch was gefallig wär. Sie thats, und ich hörte ein „Nein!“ Nun [561]
wünschte sie mir recht schelmisch eine angenehme Ruh, doch las ich den Wunsch in ihrer Seele: Ach! Wers doch auch schon so gut hätte. Häts ihr gern gegönnt – alle die Freuden, selbst die, die noch kommen solten, wär ich so weit aus Hamburg gewesen, als ich da war. Das Mädchen war eine Jungfer in die 30 Jahre und hatte auch einen Bräutigam, der ein Grönlandfahrer1025 war. Ich nahm das Licht und ging ins Nebenzimmer, sezte mich in einen Lehnstuhl an den Tisch. Wenige Augenblike darauf kam mein Wilhelm und sezte sich gleichfals in einen Lehnstul mir gegenüber an den Tisch. Die Uhr hatte bereits längst eins geschlagen. Erst war zwischen uns beyden eine lange Pause. Nun faltete Kummerfeldt die Hände wie zum Gebet, schlug die Augen voll von Thränen in die Höhe und rufte mit einer Stimme, die meine ganze Seele erschitterte, aus: „Bin ich nicht der unglükseligste Mann! O mein Gott! Mein Gott! Wo soll ich Ruhe 1023 Aus blauem Atlas. 1024 Saloppe: Überwurf, Umschlagtuch; hier aus weißem Musselinstoff (feiner glatter Stoff aus Wolle oder Baumwolle). 1025 Der Walfang vor Grönland spielte für die hamburgische Schiffahrt eine wesentliche Rolle, war aber durch verschiedene Faktoren wie Kriege, Konkurrenz, die Walrouten und -bestände starken Schwankungen unterworfen. Zwischen 1742 und 1769 hatte es einen starken Aufschwung gegeben; Wanda Oesau, Hamburgs Grönlandfahrt auf Walfischfang und Robbenschlag vom 17.–19. Jahrhundert, Glückstadt/Hamburg 1955, S. 80.
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finden? – Nein, für mich ist keine Ruhe mehr. Mein Gott, wie hast du mich gestraft, für mich ist alles aus. – Keine Freude, keine Glükseligkeit mehr auf dieser Welt. – Ich bin der Elendeste von allen Menschen, wo soll ich Ruhe suchen? – Wo finden? – Mein Gott, mein Gott, erbarme dich meiner!“ – Wär ich in meinen Leben zu Ohnmachten geneigt gewesen, gewiß wär ich in solche gesunken, hätte auch darinnen sterben kennen, mein Bräutigam wärs nicht gewahr geworden. Einigemal machte ich einen Versuch zu reden oder aufzustehen, aber ich konnte eins so wenig wie das andere. Das weis ich, das mir die Zunge ganz dük im Mund schien, der Hals wie zugeschnirt, das Herz zum Springen, und sich alles wie in einen Greisel in meinen Kopf herrumdrehte. Kalt ward, wie der Tod selbst nicht [562]
kalter seyn kann. Wie lange mein Wilhelm so fortdeclamirt, weis ich auch nicht. Er hätte für mich und ich für ihn sterben kennen, und ich glaube, wir hätten uns verwundert, uns so mit einen Mal jenseit versezt zu sehen. Wen wir so gestorben wären, hätte ich wohl wißen mögen, was man gesagt hatte: Das ist die Ursach ihres Todes. Doch Gott wolte es nicht und hatte mich noch zu mehreren Auftritten des Lebens vorbehalten. Er gab mir mit Macht endlich Thränen. Die größte Wohltat der Menschen. Ich weinte, weinte laut, das ich schluchzte, aber mein Kummerfeld, der von Herzen auch weinte und schluchzte, blieb dabey, das er nie wieder glüklich seyn würde. Natürlich, das mir mein lange herrumgeschlepter Zweifel wieder in den Sinn kam und ich nun anfing: „Aber Kummerfeld, was habe ich Ihnen noch gestern Morgen gesagt. Das ist das Wort zu weit getrieben. Warum entließen Sie mich nicht Ihres und meines Worts. Warum mußten wir heute getraut werden? – So soll den Hamburg mir zum Fluch bleiben. So soll ich hier elend seyn – Gott! Gott! So las mich nicht verzweifeln. Was habe ich Ihnen gethan? – Konnten wir nicht Freunde bleiben, warum Liebende? Warum Trauung? Was habe ich Ihnen gethan? Was verbrochen? – Warum haßen Sie mich?“ – Das Wort weckte ihm, den es schien, als ob er alles andere nicht gehört hatte. – „Ach Gott! Nein! Ich dich haßen? Ich liebe dich unaussprechlich.“ – „Sie lieben mich, und so ein Betragen? Heute! Heute! Was ist Ihnen? Um Gottes willen, beruhigen Sie mich! Wodurch habe ich Ihr Zutrauen verlohren? – Gegen wem wollen Sie Zutrauen haben, wen ich nicht die Vertraute alles Ihres Kummers seyn [563]
soll.“ – „Bleib ruhig, dich geht es ja nicht an, nur ich bin der unglükseligste Mann, der nie mehr eine ruhige Stunde haben wird.“ – „Das machen Sie gut. – Ich soll ruhig seyn, wenn Sie selbst sagen, das für Sie keine ruhige Stunde mehr auf der Welt ist. Sagen Sie mir, wie Sie solches nur denken kennen. – Heute ist was vorgefallen; aber
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was? Das müßen Sie mir sagen, wenn ich ruhig seyn soll; weis ichs, so hoffe ich auch Sie zu beruhigen. Haben Sie durch Unglüksfälle einen Theil oder auch Ihr ganzes Vermögen verlohren, sagen Sie es mir. Ihnen bleibt Ihr Dienst, und ich will mich in allen einschrenken. Sie habe ich gewählt, nicht Ihren Reichthum, wen Sie reich sind, wie die Welt sagt. – Ist man mir noch entgegen, haßen mich Ihre Verwandte – so verzeihe es ihnen Gott. Mein Betragen gegen Sie soll und wird alle beschämen. Nur sagen Sie mir, was vorgefallen ist und was ich aus denen verstörten Gesichtern von Ihren Verwandten machen soll?“ – „Du thust ihnen Unrecht, alle lieben dich und freuen sich deines Glicks.“ – „Meines Glüks?? Gott! Gott! Meines Glüks!!“ Ich dachte, ich müßte mir bey dem Wort die Hirnschaale einschlagen. – „Meines Glüks“, das wiederholte ich wohl 10 mal. – „Du bists, du bists! Den ich liebe dich.“ „So geben Sie mir Beweise und martern mich nicht länger. Sagen mir, was Ursach ist an alle dem Spektakel.“ – „Wer Ursach ist?? O, der verdamte Schurke, der Abendroth!“ – „Abendroth! Abendroth!“ – „Ja, der. Der Teufel in der Gestalt eines Menschen. Der Heuchler, der mich und alle Welt mit seiner Rechtschaffenheit betrog. Meine arme Schwester ist das unglüklichste Weib durch ihn1026. – Und ich, ich habe sie unglüklich gemacht, den ich stiftete die [564]
Ehe. Hätte ich mich nicht genauer nach seinen Karacter erkundigen sollen? Darum drang er so ums Jawort, darum so bald auf die Volziehung der Hochzeit – darum haste er den alten Schwerdtner, weil der zu meinen Bruder gesagt: er hätte mit seiner ersten Frau eine unglükliche Ehe geführt. – Ich war oft mit beyden in Gesellschaft, sie war immer sehr still, hat nie geklagt, aber wer wuste, das sie nie in Geselschaft sprechen durfte. Und der Kerl, der infame Kerl hatte unter meinen vier Schwestern die Wahl zu wählen, welche er wolte. Die gute Schwester! sas so ruhig bey ihrer Schwester, der Pastörin in Trittau. Gretgen, die Jüngste, die du noch nicht kennst. Er kommt zu mir und sagte, Kummerfeld, Sie müßen mir noch einen Gefallen erweisen. Ich höre, Sie haben noch eine unverheyratete Schwester, laßen Sie die kommen. Gretgen gefällt mir zwar am besten, aber wenn ich mich mit der versprochen hätte und sehe hirnach die Jüngste, die mir noch beßer gefähl[t] – da wär der Henker los. – Ich sprach darüber mit meine Brüder. Gretgen mußte, ohne zu wißen warum noch weswegen, nach Trittau zu ihrer Schwester, der Pastörin, weil sie krank liegt und das am heiligen Christabend in der Kälte, und die Jüngste kam nun zu 1026 Dass Abraham August Abendroth tatsächlich despotische Züge an sich gehabt haben muss, wird in einem Nachruf auf seinen Sohn Amandus Augustus im „Hamburgischen Correspondenten“ vom 22. Februar 1843 angedeutet. Es heißt dort: „Von einem solchen Vater ward unser Abendroth […] mit ungewöhnlicher, fast an Härte gränzender Strenge erzogen“. Gleichwohl habe aber Amandus Augustus noch in seinem letzten Willen verfügt, dass sein Vater nur mit Lob erwähnt werden solle.
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ihren Unglük den ersten Feuertag herrein. Er sah sie, und sie gefiehl ihm von allen, weil sie immer die Munterste von allen war. Sie wurde nun gefragt, ob sie auch ihm leiden mochte? Sie sagte gleich ja. – Mein Gott, wie hat sich der Mann verstellt. Wie zärtlich, wie verlieb[t] that er. Noch hat sie keine ruhige Stunde bey [565]
ihm gehabt. Heute vor 9 Wochen war doch ihre Hochzeit, seid dieser Zeit hat er ihr alle Gelegenheit abgeschnitten, ihre Verwandte allein sprechen zu kennen, mit Schmerzen hat sie nach dem heutigen Tage verlangt, um einmal ihren Herzen Luft zu machen. Seine Tochter Concordia, der Fraz von 3 Jahren1027, schert1028 sie, um toll zu werden. Und sie sezte sich von dem Schuft Schläge aus, wen sie nicht gleich alles thut, was das Ding haben will. Meine Schwestern haben sich von jeher selbst frisirt, ausgenommen bey feuerlichen Gastgeboten, da zog er nun immer sie als Braut mit ihrer Frisur auf, bis sie ihm endlich versprach, sich frisiren zu laßen: ‚Meine Frau muß alle Tage, wen ich sie lieben soll, in Haaren aufgesezt seyn‘. Den zweyten Tag nach der Hochzeit gings schon an. Bald kam der Friseuer zu früh, bald zu späth – kurz, sie wuste selbst nicht mehr, zu welcher Stunde sie ihm solte kommen laßen. Bis er endlich sagte, ‚sobald der Friseur wieder ins Haus kommt, werf ich euch alle beyde hinaus‘ – das Monat war noch nicht ganz um, da zog er die einige Schillinge ab, die der Frieseur nach seiner Meinung zu viel sonst bekäm; sie aber, um sich nicht zu prostituiren1029, hat aus ihrer Tasche das übrige zugelegt und frisirt sich nun selbst. Keine Schüßel wird ihm zu Tische gebracht, worüber er nicht flucht und schimpft. Die Mädchens, die so lange die Haushaltung meines Vaters und Brüder geführt, soll[en] nun bey dem Kerl erst lernen. Da verlangt er Gerichte, wie sie in seiner Heimat auf dem Harzt in St. Annastadt oder Annaberg1030 zugerichtet werden, die kochen auf ihr gut Hamburgs1031, wie sies gewohnt sind. Du weist, das der Pastor Hilbrand vor einigen Wochen hier war; er ging [566]
von dir zu Abendroth. Noch hatte er ihm nicht gekand und sie seid ihrer Verheyrathung nicht gesehen. Er wünschte ih[r] nun Glük und küßte sie. Wie der Pastor zum Haus 1027 Concordia Catharina (1765–1832), Abendroths Tochter aus erster Ehe. 1028 Scheren: Plagen. 1029 Prostituieren: Bloßstellen. 1030 Gemeint ist hier nicht der Harz, sondern das Erzgebirge. Annaberg („St. Annastadt“) liegt rund 10 Kilometer nordöstlich von Abendroths Heimatstadt Scheibenberg, wo auch seine sieben Geschwister lebten; Stephan Schmidt-Brücken, Erzgebirgschronist Christian Lehmann, seine Familie, Vorfahren und Nachfahren, Annaberg-Buchholz 2011 (Erzgebirgische Genealogien 14), S. 32 f. 1031 Hamburgisch.
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hinaus war, so hub er einen Lärm an, das alle Nachbarn hätten mögen zusammenlauffen: ‚Was ist das für ein Hurengram, den Pastor zu küßen; habe ich dir nicht verboten, keine Mannsperson zu küßen‘. ‚Aber mein Gott, er ist ja mein Schwager und wir sind noch dazu Geschwisterkinder und miteinander aufgewachsen‘. – ‚Wenn schon – solst nicht küßen, nicht deinen Bruder! Eher las ich mich von dir scheiden!‘“ – „Ja, lieber Wilhelm, wen der Mann so ist, so thät er am besten, er lies sich scheiden. Aber Geduld, Lieber! Deine Schwestern sind stille erzogen. Vielleicht giebt es sich noch, wenn sie sich erst beßer kennenlernen. Und macht ers zu arg, so giebt es, den Himmel sey Danck, Gesetze. In diesen Stick sind die Luteraner glüklicher wie wir Katoliken. Auch du kannst eine andere Frau nehmen – aber ich keinen andern Mann. Und weil das nun so ist, so wünschte ich, das wir beyde immer bey einerley Gesinnungen blieben. Als Bruder hast du recht, deine Schwester zu beklagen, wenn gar keine Hoffnung mehr da wär, das doch noch einst die Leutgens glüklich miteinander werden. Von heute aber an hast du heiligere Pflichten. Weil deine Schwester unglüklich mit ihren Mann ist, also soll ich auch mit dir unglüklich seyn? – Denken Sie nach! Wo ist Ihr Versprechen? Wünschen Sie, das ich den heutigen Tag segnen oder ihn fluchen soll? Laßen [567]
Sie michs nicht entgelten, soll die Unschuldige für den Schuldigen leiden? K[l]agt Ihre Schwester fort; nun wollan, Sie haben die Heyrath gemacht, stellen Sie ihm zur Rede. – Ja, er hat ein verdamtes Maul. – Bleibt nur ein Maul! Und dafür wollen Sie sich fürchten? Ich wette, er hat alle seine Curage gegen die, die er weis, das sie sich nicht währen kennen oder dürfen. Das einzige fürchte ich, das er Ihre Schwester schon zu sehr ins Bockshorn gejagt hat. – Soll ich Kopf entgegensezen. Sehen will ich, was er den machte. – Das verspreche ich Ihnen, das ich mit Abendroth gewiß auskommen will. Und ist Ihre Schwester vernünftig genug, so soll sie durch meine Art, wie ich ihm begegne, lernen, mit ihm auszukommen. Sorgen Sie nicht, Lieber, soll noch alles ruhig und gut werden, wir wollen gewiß noch manchen lustigen Auftritt mit ihm haben. Bin nur froh, das mich die Gesichter von dem heutigen – (oder vielmehr gestrigen) Abend nicht mit angingen, wie war ich besorgt! Nun, an den 12. Ap[r]ill will ich zeitlebens denken.“ – „O du glaubst nicht, liebe Carolina, wie sie dir alle gut sind, und wie oft die Abendroth gesagt: Ach, wenn mein Mann so dächte wie mein Bruder.“ „Nun, Kummerfeld, wenn unsere Ehe nicht glüklich seyn solte, so dürfen wirs dem nicht Schuld geben, das wir uns vorher zu wenig gekannt.“ – Nun fing ich an, für lauter Kalte schon mit den Zahnen zu k[l]appern, den der Tag graute, und die Uhr war nach vier. Mein Wilhelm stand auf und sagte zu mir: „Ich glaube, du frierst?“ Mit Beben sagte ich „ja“ von Herzen, das weis der Himmel. Wilhelm schlug seinen Arm auf meine Schulter, küßte mich und sagte: „Lege dich zu Bette, ich komme bald
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nach.“ In dem Augenblick mogte ich wohl recht dumm ausgesehen haben, wenigstens fühl ichs noch, wie einfältig ich dastand. – Er wiederholte das: „Leg dich nur zu Bette, ich komme bald nach“, und damit wendete er sich von mir und ging aus den Zimmer. Ich wuste nicht, ob ich weinen oder lachen solte. Wie ich meine Strümpfe ausgezogen, meinen Mantel abgeworfen und den einen Rock fallen laßen, das alles wuste ich selbst nicht, kurz, ich kam und lag in meinen weißen Rökgen und Leibgen im Bett – mehr Frost wie Wärme trieb mich. Mein Wilhelm kam ins Zimmer, frug mich: „Liegst du zu Bette“. Ich dachte Ja, ohne es zu sagen – er mochte es auch dencken, den er sagte: „Nun, ich komme! Ich komme“. – Mein Herz schlug! Zitternd und bebend fühlte ich mein Blut durch meine Adern schleichen. – Wilhelm kam, stieg mit seinen Bettschlafrock zu mir ins Bet, er richtete mich auf, mein Kopf sank auf meinen Busen nieder. Er schlug seinen rechten Arm um meinen Hals, küßte mich dreymal auf meinen Mund; sagte: „Gute Nacht, schlaf wohl!“, kehrte sich um und schlief in wenigen Minuten so fest, das man mich ihm hätte wegtragen kennen, er würde es nicht gehört haben. – Nun schlug mein Herz nicht mehr, auch mein Blut bekam mit einen Mal Stillstand. – – Gottlob, das ich von so guter gesunder Natur war. – Ein schwaches Geschöpf hätte alle mogliche Fieber und Suchten leicht den andern Morgen nach so einen Tag, Abend und Nacht haben kennen. – Und ich blieb gesund!! [569]
Als ich des Morgens gegen 8 Uhr aufwachte, befand ich mich in meinen Zimmer ganz allein. Sah mich um, wo ich wohl wär? – Besann mich, stand auf, warf mir meine Salob über, trat vor den Spiegel um zu sehen, ob meine Nachthaube auch gerate säß. – Als wen ich dich eben aufgesezt hätte. Sehe ich nicht der Mamsel Schulz so ähnlich wie ein Tropfen Waßer dem andern. Aber bin ich nicht klug? Verliehrt man den mit den Nahmen auch das Gesicht? Kurz, ich freudte mich über mich selbst, das ich in so einer Munterlaune war. Unschuldig und voll Liebe ging ich aus den Schlafzimmer ins Wohnzimmer zu mein Mann. Er saß am offenen Fenster und rauchte sein Pfeiffgen. Gab mir die Hand und reichte mir seine Backe zum Kuß dar, die ich ihm voll Zärtlichkeit küßte. „Wie hast du geschlaffen, Liebe?“ „Recht gut, so gut, das ichs nicht bemerkt habe, das Sie aufgestanden sind.“ „Ja, ich war auch recht sachte.“ Nun klingelte er, und man brachte den Caffee. Nun sagte mein Mann: „Was werden wir den heute Mittag speisen?“ „Ja, mein Schaz, da hab ich gewiß noch nicht daran gedacht. Zu was hätten Sie wohl Apetit?“ – Er besann sich: „Hamelflei[s]ch und gelbe Wurzeln1032“. „Gut, das sollen
1032 Hamburgisch für Möhren.
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Sie haben“. Küßte mein Mänchen und sprang die Treppe hinnunter, besorgte meine Küche für Mittag und Abend und schickte mein Mädchen auf dem Marckt. Nach 9 Uhr wurden die Bediente und Mädchens von allen Verwandten geschickt, sich nach unsern Befinden zu erkundigen, jeden fertigte ich selbst mit einen: Ich lies danken und wir befindeten uns recht sehr wohl, ab. – Auch kamen einige Bekandte von meinen Mann zum Besuch. Sie scherzten, ich scherzte mit, und mein Mänchen war über alle Maßen vergnügt. Nachmittags, weil das Wetter sehr schön war, blieben wir ein paar Stunden in unsern kleinen Gärtgen am Hause. Wir tranken unsern Caffee und nachher [570]
spielten wir eine Partie Piket. Mein Mänchen sagte: „Heute Abend wollen wir früh zu Bette gehen, weil wir die lezte Nacht doch nur wenige Stunden geschlaffen.“ – „Wie Sie befehlen, Lieber“. Also gleich nach 8 Uhr wurde zu Abend gespeißt. Das Mädchen sagte gute Nacht! Ich las den Abendsegen und ging nach 10 Uhr zu Bette. Mein Mänchen kam zu mir, streckte seinen rechten Arm gegen mich aus, in dem ich hinsank, wir küßten uns. Nachdem ich so eine kleine halbe Viertelstunde gelegen hatte, sagte er: „Mein Arm thut mir weh, Liebe, bist mir zu schwer. Gute Nacht, Kind, schlaf wohl“, drehete sich nach der linken Seite und schlief in wenigen Mienuten so feste, das es eine Lust war anzusehen. – Lange saß ich im Bette und sah seinen ruhigen Schlaf zu. – Ich dachte und dachte und schlief den auch über alles Denken und Denken endlich ein. Den Donnerstag Morgen wachte ich um 6 Uhr auf. Mein Mänchen war ebenso sachte wie den Morgen vorher aufgestanden. Unser Gutesmorgensagen war so ganz gleichförmig den vorhergehenden Morgen. Nur mit dem Unterschied, das, sobald ich meinen Caffee getrunken hatte und für mein Mädchen gesorgt, ich mich vollständig ankleidete, auch er zog sich an, und wir gingen zusammen nach der Michaelskirche1033 in die Betstunde. Mein Mann sagte mir an der Kirche nach geenten Gottesdienst Adieu, ging nach der Banco, speiste auch da, und ich ging nach Fritschens Haus, wo ich auch den Mittag blieb. Meine Lustigkeit und munteres Wesen freute sie alle; gute Leute freudten sich meines Glüks! Wurde viel von Abendroth gesprochen. Ich sagte kein Wort von dem Auftritt, den ich mit meinen [571]
Mann gehabt. Ich sagte zu ihnen: „Sie kennen versichert seyn, mein Schicksal mag noch so eine wunderliche Gestalt bekommen, so soll Ihr Bruder doch nie Ursach haben, in 1033 Entweder die Kleine Michaeliskirche, Neubau geweiht 1754, oder der zweite Bau der Hauptkirche St. Michaelis, geweiht 1762; Reinhold Pabel, Der Kleine und der Große Hamburger Michel, Hamburg 1986, S. 41, 59.
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Jahren so zu klagen wie Madame Abendroth schon in denen ersten 9 Wochen. – Hier haben Sie eine Heyrath, wo Familie, Geld und Gleichheit der Religion ist. Fragen Sie den, wenn wir erst noch ein Jahr älter zusammen geworden, welche von denen zwey Heyrathen die glüklichste ist?“ Des Nachmittags gingen wir alle zusammen nach der Deichstraße und wurden recht freundlich aufgenommen. War fast dieselbe Geselschaft bis auf Onkel und Tante und Abendroths. Mein Mann kam erst spät des Abens, wir eilten einander mit offenen Armen entgegen. Alle seine Brüder und Verwandten freudten sich über die Heuterkeit meines Mannes. Wir brachten den Abend recht vergnügt zu, mein Mann, der nicht wolte, das ich den weiten Weg in der Nacht zu Fuße gehen solte, hatte einen Wagen bestellt, und so fuhren wir nach 12 Uhr nach Hause. Wir saßen so in den Wagen, das wir, da wir vor unser Haus ankamen, mein Mann zuerst aussteigen mußte. Er stieg aus und ging gerathe ins Haus, ohne sich nach mir umzusehen. Ha! Was ist daß? – Ich blieb wie bedäubt in den Wagen sizen. So das das Mädchen mich frug, die am Wagen stand: „Ists nicht gefällig auszusteigen.“ – Gut, das sie mich damit weckte, sonst glaub ich sicherlich, ich wär sizen geblieben. Voll von Gedancken ging ich nach mein Schlafzimmer und lies mich auskleiden. Als das Mädchen fort war, sagte mein Mann zu mir: „Die beyden lezten Nächte habe ich gar nicht gut geschlaffen; heute ists wieder so späth, also will ich in meinen kleinen Bette diese Nacht allein schlafen.“ – „Wie [572]
es Ihnen gefällig ist.“ – Ich glaube, das ich das etwas hastig aussprach, den er sagte zu mir in einen weichen Ton: „Du bist doch nicht böse?“ – Ich rafte mich zusamen und antwortete, wo nicht ganz so weichen, doch gewiß sehr leidseligen1034 Ton: – „Gott bewahre mich! – Sorgen Sie nur für Ihre Ruhe.“ – Er küßte mich und meine Hand, sagte mir gute Nacht und ging in sein Kabinet. – Nun war ich allein und das erste Mal seit drey langen, langen Tagen mir selbst gelaßen. – Was ist daß! – Sein allein aus den Wagen Steigen und ins Haus die Treppe vor mir herraufzugehen, ohne sich nach mir umzusehen, that mir weher als mein kaltes, unempflindliches Ehebette mit ihm. O mein Gott! Hebt den das Wort Mann und Frau alles auf ! – Wie bist du gegen ihm? – Und er gegen dich! – O, wie sorgte er noch vorgestern, als du mit ihm nach Hause kamst, das du ja keinen Fehltritt aus den Wagen thätest – vorgestern – und heute so! Und warum? – Weil der Priester dich ihm gab – weil mich die Welt sein Weib nennt? – Bin ich Weib? – Bin ich Mädchen? – Was bin ich?? – Allmächtiger, gieb mir Geduld – Geduld! Will ja leiden; will all mein Gefühl in mir selbst erstüken. Will seine Freundin
1034 Leutselig.
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seyn – bleiben. – O Wilhelm! Wilhelm, das ich dich weniger liebte. – Nur Freundschaft, nur Achtung fühlte – aber ich liebe dich – Gott, Gott, und wie! Wie! – Wie schrecklich ist mein Schicksal. – Was dabey anzufangen? – Ihn mercken zu laßen – nein, das will mein Stolz nicht. – Liebt er mich! – Hofs, hofs! Aber was ist ihm? – Aber wehe, wehe mir, Kummerfeld, wo du dich nach und nach so in allen vergißt wie heute Abend mit den Wagen. – Das trag ich nicht. Kannst du nicht lieben, o, so gebe Gott [573]
nie zu, das du die Höflichkeit vergißt. Eine öffendliche Grobheit vor der Welt – und es ist aus. Haßen würde ich dich, wie ich dich liebe. – Haßen, haßen, meinen Mann, meinen Wilhelm? – Wieder meinen Willen dachte ich an den Major. Hatte seid der Zeit, als ich die Briefe meinen Wilhelm übersand hatte, nicht mehr an ihn gedacht. – Du bist gerächt, Dalwig! Bist gerächt. – Verzey mir. Geseze, nothwendige Geseze stifteten den pristerlichen Segen. – Aber uns glüklich zu machen – nein, dazu hilft er nicht. – Dalwig, du bist gerächt. – Hast du mir geflucht, o, so nimm ihn zurük, schwer, schwer liegt er auf mir. – Meine Nacht, die ich hatte, war schreklich, erst gegen den Morgen schlief ich zu. Als ich erwachte und sah an meiner Uhr, das es bald 9 war, erschrack ich – aber noch weit mehr über meine Gestalt. Zittern[d] und ängstlich kam ich zu meinen Mann ins Zimmer und bat um Vergebung, das ich so lange geschlafen hätte. Warum er mich nicht wecken laßen. – „Schliefst so fest. Konnte nicht wißen, ob du gestern Abend auch so bald zugeschlafen bist. – Hast ja nichts zu versäumen. – Nur, das ich mir selbst mein Frühstick einschenken müßen.“ „Das ist mir leid. Soll nicht wieder geschen; will den Mädchen befehlen, das sie mich ein ander Mal wecken soll. Nur mißen Sie nicht böse seyn.“ – Er sah mich an und frug mich, ob mir nicht wohl wär? – „Nicht ganz wohl! Doch, hof ich, es wird nichts zu bedeuten haben.“ – „Werde mir nicht krank, ich würde untröstlich seyn.“ – „Wirklich? – Guter Mann!“ – „Nun muß ich mich ankleiden und nach meiner Arbeit, um 2 Uhr komm ich nach Hause. Womit werden sich Euer Lieben die Zeit vertreiben“, frug er scherzend. – „Erst meine Küche besorgen. Dan mich [574]
ankleiden und den einige Briefe schreiben an meine Freunde“. „Darf doch solche lesen?“ – „Gern – jede Zeile. – Hab für Sie keine Geheimniße. So wie Sie jeden Brief, der an mich kommt, werden zu lesen bekommen: sobald ich solchen erbrochen. – Sie wißen in diesen Punkt meine Delicateße1035 – so wenig ich einen Brief oder Billet,
1035 Delikatesse: Feingefühl, Empfindlichkeit.
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das an Sie kommt, erbrechen werde, ebenso wünsche ich, das kein Brief an mich erbrochen wird. – Selbst meine Mutter unterstand sich das nicht.“ – „Ich kenne dich! – Und werde es nie thun. Weis ich doch alle deine Correspontenten.“ – Nun kleidete er sich an und ging fort; ich brachte ihm bis vor die Hausthüre; sah ihn nach! – Wie er mir aus dem Augen war, besorgte ich alles; und nun sezte ich mich an meinen Schreibepult in meinen Schlafzimmer. Ich meldete meinen Bruder und Freunden meine Verheyrathung. – Freilich nicht so, wie sie war, wie sie ist. Nur allgemein, wie und wenn wir getraut, das es bey dem 12. Aprill, wie ich vorher gemeldet, geblieben, und als ich an die Brautkammer kam, zog ich hurtig die grünen Vorhänge zu, wo kein neugieriges Auge durchdringen könnte. Die gute Begegnun[g] der Familie – wie glüklich ich wär – und so wie ich Thränen fühlte, füng ich solche hurtig mit den Schnupftug auf, das mich solche ja keine Lüge straffen solten – vielleicht hätten sie gedacht: sind Thränen der Freude. – Meine Briefe wurden fertig, aber eine unbekandte Macht hilte mich zurüke, wen ich Caroline unterschrieben hatte, weder Schulz noch Kummerfeld hinzuzusetzen. Mit dreyen war ich fertig, als ich meinen Mann kommen hörte. [575]
Ich eilte ihn schon auf der halben Treppe entgegen; und brachte ihn mit meinen Arm umschlungen die Treppe hinauf. Gleich in den Zimmer zog sich das freundliche Gesicht in eine mürrische Falte: „Schon nach zwey Uhr, und der Tisch ist noch nicht gedeckt!“ – „Lieber, das Wetter ist so angenehm, ich habe im Garten den Tisch decken laßen, wollen da speisen.“ – Gleich ward er wieder freundlich: „Bist doch ein lieb Weib, habs gewünscht, wolte aber nicht wieder umkehren und dachte: wils morgen sagen.“ – „So freue ich mich, das ich in Ihrer Seele gelesen. – Gott geb das doch so immer.“ „Nun, hast du geschrieben?“ „Ja! drey Briefe. Die wollen wir lesen, wen wir abgespeist haben.“ – Munter hielten wir unsere Mittagsmalzeit. Nach Tische sezte er sich zu mir an meinen Schreibebuld1036. Ich reichte ihm die Briefe. „Du hast doch nun nicht mehr Schulz unterschrieben?“ – Ich wurde roth – roth zum ersten Mal, da ich meinen Namen nennen hörte. – Wär erklert mir daß? – Ward doch sonst nie roth – ach! Ich durfte mich ja nie meines Namens schämen. – Und mußte da roth werden? Kummerfeld sah nach der Unterschrift: und fand nur Carolina. „Mußt noch Kummerfeld hinzusezen.“ – „Soll ich?“ – „Ja, freylich! Bist du nicht meine Frau?“ – „Also bin ich Ihre Frau?“ – „Welch eine närrische, wunderliche Frage! Freilich bist du’s.“ – „Nun, so verzeihen Sie mir, ich bin noch immer wie
1036 Schreibpult.
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in einen Traum. Schreiben Sie für mich.“ Er las die Briefe, lachte so herzlich, als er an die Stelle der Brautkammer kam und sagte: „Das hast du recht gut gemacht, nun las sie rathen.“ – Welch ein Mann! Welch ein unklärbarer Mann. – Fühlt er nichts! Wirklich nichts! Oder [576]
will er nichts fühlen. Er unterschrieb selbst „Kummerfeld“. Und ich freudte mich, das ich noch Raum fand, hinzuzusezen, mit zimlich großen Lettern, „geborne Schulze“. – Ach, der Name! Ich fühlte so ganz, wie lieb er mir noch war. – Wie glüklich er mich gemacht. – Kummerfeld! – Ja, wohl ein ängstlicher, gramvoller Name, ein großes unüber sehbares Feld. Bepflanzt mit Kummer. – – Kummer – Kummerfeld. – O, wen meine Freunde den ganzen Begrif des entsezlichsten Namens wüsten. – Ein Kummerfeld ist aus eurer Carolina, aus eurer Schulzen geworden. – Ein Kummerfeld – bedauert mich – nein, ihr solt es nicht wißen. – Nie! Nie. Warum soll ich euch quälen, wils allein tragen. – Kein Freund, keinen Vertrauten haben. – So saß ich vor mich weg und siegelte meine Briefe. Mein Mann sah, ob ich nicht bald fertig wär, und bemerkte, das ich geweint hatte. – „Was ist dir?“ – „Ich weine über die Freude, die alle haben werden zu hören, das ihre Schulzen glüklich ist.“ – „Werden sich recht freuen!“ – „O gute, gute, Menschen.“ – „Aber so weine du nicht. Komm, lies mir was vor.“ Ich holte ein Buch und las, es waren muntere Gedichte, hatte kaum eine Viertelstunde gelesen, als mein Mann dabey einsch[l]ief. – Wieder ein neuer Auftrit. – Schlief er sonst auch, als du noch Mamsel Schulz hiest? – Hat den der Nahme Kummerfeld alles in sich verschlungen! – Ha! Das du auch schlafen könntest, schlafen, um nie wieder zu erwachen. – Nie, nie! Bis an jenen großen Tage. – Der Caffe wurde gebracht, er trank, rauchte sein Pfeiffgen, aber vorher, wie er aufwachte, sagte er: „Ich glaube, ich [577]
habe geschlafen?“ Er trank, ging aus, kam den Abend wieder, wir spielten eine Parthie Domino, speißten zu Abend, und weil er besorgte nach meinen übelen Aussehen, das mir nicht wohl wär, schlief er allein, um mich nicht zu stören. Solch ein Leben wurde geführt über zwey Wochen. Wenn es ihm einfiel, die Nacht in meinen Bette zu sch[l]afen, so wars auch nicht um ein Wort anders als die zweyte Nacht, die ich an seiner Seite zugebracht. Ich mußte solange in seinen rechten Arm liegen, bis er sagte: „Der Arm thut mir weh! Nun gute Nacht, Liebe.“ – Der Mann war und blieb mir unerklärbar. Seine Heflichkeit, seine Versicherun[g], wie sehr er mich liebte, seine Besorgniß, wenn ich oft nur so wie in Gedanken meinen Kopf hielte: Ob ich krank wär? – Und die Kalte, die er gegen mich hatte. – Ich konnte es nicht zusammenreimen! Ein Mädchen, wie
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ich war. Gesund; so eiserst prober1037 bis zur Übertreibung – wie es oft meine Mutter nannte. Was ist ihm? Was hat er gegen dich? – Meine Jugend! Mein warmes Blut. – Das Gefühl, so uns die Natur gab. – Es forderte Gerechtigkeit. Wie oft weinte ich ganze Nächte durch. Wie oft war mein Kopfkißen so naß von Thranen, das ich still aufstand, mir ein Tuch zu holen und solches überbreitete. Ihn fragen? – Mich beklagen? – Nein, das konnte ich nicht. Nein, erst wilst du alles versuchen. – Du must dahinter kommen, ist wirklich Abneigung – ist Temparement. Ich stelte mich, als ob ich fest schlief und in dem Schlaf meinen Arm auf seine Brust gelegt hätte. Er wurde wach. Ganz leise hob er sich in die Höhe, horchte, ob ich schlief, faste mit seiner linken Hand nach meinen Gesicht, doch ohne solches zu berühren, um an solcher meinen Athem aufzusaugen. Wen er den nun gewiß glaubte, das ich feste zuschlief, nahm er so leise wie möglich meine Hand und legte [578]
solche vor mir hin und von ihm weg. – Dan rükte er fort von mir ganz auf seine Seite, das zwischen uns immer noch für den Dritten Raum genug gewesen wär. – Was ich dann fühlte! – Wie ich alle Macht anwandte, um nicht aus dem Bette zu springen, ihm allein zu lasen. – Ha! Das kostete Überwindung. – Auch sogar der Arm von dir ist ihm eine Last! Der Arm, den er des Tages küßt, wirft er des Nachts von sich. – Und doch, doch war ich Weib oder Närrin genug, es noch zweymal in einigen darauffolgenden Nächten zu wiederholen. – Nun nachgerathe war ich recht froh, wenn er des Nachts allein sch[l]ief. – Lieber allein als an der Seite eines so unempfindlichen Mannes. Will keinen von allen denen Auftritten, die ich mit ihm gehabt und deren ich mich noch besinnen kann, übergehen. Eines Abens sagte er zu mir: „Heute schlaf ich allein; aber morgen früh sage ich dir einen guten Morgen.“ – Ich schwieg still. „Soll ich nicht?“ „Wenn es Ihnen nur nicht incomotirt.“ – „Was solt’s mich!“ – Allso den andern Morgen um 5 Uhr kam er, warf sich zu mir, küßte mich, mein Herz schlug ihm entgegen. Ich drickte ihn an meine klopfende Brust. Ich bebte vor Verlangen, ihm nun ganz den Meinigen nennen zu dürfen. – Und er! streckte seinen rechten Arm wie gewöhnlich aus, das ich mich in solchen legte, schlief ein – schlief bis gegen 6 Uhr, wachte auf, klagte, wie ihm sein Arm eingeschlaffen – o, weh – o, der thut weh. – Und so stand er auf. – – Nun war ichs satt. Jetzt schlief er fast gar nicht mehr des Nachts bey mir, sondern sagte immer: „Morgen früh sage ich dir einen guten Morgen.“ Ich that, als ob ichs nicht hörte: Aber sobald nur der Tag graute, war ich aus meinen Bett und
1037 Äußerst propper.
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völlig angekleidet, schien auch nicht, wenn er kam, das ers übel genommen hätte. Von dieser Zeit an war ich jeden Morgen eher auf wie er. Inzwischen bekam ich so ein kränkliches Aussehen, als ob ich wircklich eine junge Frau gewesen wär. Man scherzte darüber in Gesellschaft, H. i. K., die in Hamburg gewöhnliche Gesundheit, und die heist: Hänschen im Keller, wurde oft getrunken1038. Mein Mänchen nahms als bekannt an und bezeugte sich so froh dabey, das jeder hätte schwören sollen, es wär war! Und das bald nach Neujahr ein junger Kummerfeld würde angezapelt kommen. – Wie mir den dabey zumuthe war, läßt sich leicht errathen. – Ich, die ich nie zur Eifersucht den geringsten Hang hatte, fühlte nun sich sowas in mir regen. Genau beobachtete ich ihn in Gesellschaft mit andern Damen. Wenn die Geselschaften auseinandergingen, er der einen freundlicher sein Compliment machte wie der andern; der sorgsam den Sallob umgab; jener den Fecher hielte; dieser das, jener was anders sagte; dan zu mir nicht freundlich und nicht ernst sagte: „Bist du fertig!“ – oder: „Nun, kommst du? – Der Wagen ist ja vor.“ – Ha! Da arbeitete es in mir. – Oder jeder im Wagen half, nur mir nicht mehr, weder bey dem Ein- noch Aussteigen. – O Gott! so wünschte ich mir oft das Ende meiner Tage. Alles fras ich in mich und beobachtete gegen ihm die größte Aufmercksamkeit. Wie den ersten Freytag nach unserer Trauung ging ich ihm jedes Mal, so oft ich ihm nach Hause kommen hörte, entgegen. – Auch das wurde ihm läßtig. – „Was soll daß! Laß mich! – Werde mich schon allein auskleiden. – Kan das Hebeln1039“ (ein Hamburger Wort, sols Geziere heißen? – Ists aber doch nicht – eigendlich Kosen, so wird’s am verständlichsten) „nicht leiden.“ – Dachte das erste Mal, als er mich so wegwies: Hat vielleicht außer dem Haus Verdruß gehabt! So nahm [580]
ich alles von der besten Seite, um den Hausfrieden zu erhalten, ging ihm dem ohngeachtet noch ein-, zweymal entgegen. – Da ers mir also zum dritten Mal verboten hatte – nun lies ichs! Der Undankbare gegen alle meine Zärtlichkeit. – O, wenn ich ihm kommen hörte, wie gern wär ich ihm entgegengehüpft – aber er wils ja nicht! Bleib zurüke. So kämpfte ich mit mir selbst zwischen Thun und Laßen. Doch die Länge trug die Last. – Mein Zustand war schrecklich. Ging er fort, so gab ich meinen Mädchen Befehl, jeden Besuch, es sey Herr oder Dame unter dem Vorwand, ich wär nicht zu 1038 Der scherzhafte Trinkspruch „Hänschen im Keller“, mit dem auf das Wohl des Kindes im Mutterleib getrunken wurde, bezog sich ursprünglich auf ein spezielles Trinkgefäß, in dem ein aus Silber gefertigtes Kind unter einem Deckel verborgen lag. Wurde Wein in das Gefäß gegossen, hob sich das Kind in die Höhe, stieß den Deckel auf und zeigte sich. 1039 Tändeln, unnötig Aufhebens machen; Michael Richey, Idioticon Hamburgense, Hamburg 1755, S. 90.
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Hause, abzuweisen. Da saß ich den allein ganz in meinen Schmerz gehült und weinte manchen Morgen, manchen Nachmittag, manche Nächte durch. Wenn er zu Hause war, wich ich ihm, so viel mirs nur möglich war, aus. Geschäfte, die ich im Zimmer zu bestellen hatte, besorgte ich in seiner Abwesenheit, und die Geschäfte, die ich außer meinen Wohnzimmer hatte, wen er da war – nur um ihm nicht ansehen zu dürfen, den wenn ich ihm nur einen Blick gab, fühlte ich Thränen. – Die solte er nicht sehen. – Das gab Gelegenheit zum Wortwechsel. Um ihm solte ich seyn jeden Augenblik, wenn er im Haus war. – Ich konnte nicht. Entschuldigungen von meiner Seite waren genug da, die er freylich alle verwarf. – Auch recht hatte. – O! Und die ich ihm gern zugestanden, aber möglich war’s mir nicht. Auch gestehe ich f[r]ey und offenherzig, das ich nie mehr solche Geschäfte aus dem Zimmer hatte, als wenn er sich des Tages über hatte merken laßen, er wolle die Nacht bey mir in meinen Bette schlafen. Um allso dieser abscheuligsten von allen Martern auszuweichen, lies ich ihm des Abens ein oder zwey Stunden allein, das gab den Gelegenheit zu einen Zwist, und so war ich ich ihn los, und er schlief in seiner Kammer allein. – Glükliche Reise, [581]
dachte ich dann. Nun war mir wohl. Wilst dein Hauswesen besorgen wie die treuste Magd. – Soll ihm an nichts fehlen. Aber bist’s dir selbst schuldig, so zu seyn. Vielleicht bringt ihm das zur Erkenntniß, das ers merkt. – Warum wilst du, das dein Blut bey seinen Anblick warm werden solte? – War ich nicht oft wie ein Durstiger! Mich selbst zu reizen! Mir den vollen Becher zu zeigen, und indem ich ihn hoffte auszutri[n]cken, wegzuwenden, mich schmachten zu laßen. Wilst seine erste Magd im Haus seyn. Dafür hast du die Ehre, mit ihm an einen Tisch zu sizen. Genißt in Gesellschaft gleicher Ehre mit ihm. – Aber das sey auch alles. Haushälterinn bist du, aber nicht Weib. – Nicht Kummerfelds Gattin. – Erstüke alle Triebe, alle Zärtlichkeit. Denk an deine Gesundheit. Hast ihm alle Freuden deines Lebens aufgeopfert – heist Weib und bist es nicht. Wer weis, in welchen buhlerischen Armen er sich erschöpft, erschöpft hat. Mich nahm er nur seiner Bequämlichkeit wegen, das, wenn er krank einst daliegen wird, er gute Wartung hat. – Weis, wie du deine Mutter, deinen Bruder gepflegt hast. Das hat ihm gefallen, darum nahm er dich. – Wilst deine Pflicht thun, in allen! Nur erwarten soll er keine zuvorkommende Zärtlichkeit, keinen Kuß. – In Gesellschaft? Ja, vor der Welt. – Vor der Welt, aber unter vier Augen soll er dir gleichgiltig seyn. – So vergingen viele Tage. Geduldig las ich ihm manchen Nachmittag und Abend in Schlaf, auch war unter uns kein Streut oder Zank, sobald er nicht auf den Einfal kam, in meinen Bett zu schlafen. Dan wars immer jeden Abend richtig. Ich trug sonst alles geduldig, gab in allen nach, doch seine Unarten gingen immer weiter. Ohne zu wißen warum, wenn er noch so munter und zufrieden war ausgegangen, kam er mit Poltern und Schelten nach Hause. Alle
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Mühe, die ich anwandte ihm zu fragen, was er vorhätte, was er wolle? was er verlange? konnte ihm oft nicht halbe Tage lang aus der mürrischen Laune bringen. Eines Tages kam er wieder so. – „Nein, Kummerfeld, nachgerathe wirds zu arg mit Ihnen. Wenn Sie nur sagten, was Sie wolten? – Aber zu schelten ohne Ursach, das ist doch auch zu arg! – Fürchten muß ich mich nachgerathe, wenn ich Sie nur kommen höre. – O Kummerfeld, Kummerfeld! Wie halten Sie Ihr Versprechen. – Heute zum ersten Mal sage ichs Ihnen – ich wünschte, Sie wären nie auf den Gedanken gekommen, mich von Leipzig wegreisen zu laßen.“ – Ich sagte ihm das mit verbißenen Thränen. „Du selbst bist schuld“, antwortete er mir. – „Ich! Wodurch? Thue ich nicht alles, was ich nur weis, das meine Pflicht ist?“ „Ja, du! Du bist schuld! Sonst, wenn ich nach Hause kam, kam sie mir gleich auf der ha[l]ben Treppe entgegen. – Nun aber? mag ich kommen, wen ich will, sie rührt sich nicht.“ – „Aber Kummerfeldt, um Gottes Willen, wo denken Sie hin. – Seit wen komme ich Ihnen nicht mehr entgegen? Hab ich mich durch Ihren ersten Verboth abhalten laßen? Nur erst wie Sie bis nahe an der Grobheit sich zum dritten Mal von mir rißen mit Worten, die ich noch nicht verschmerzt habe, that ich mir selbst Gewalt an. – Blieb zurüke, um Sie nicht zu erzirnen.“ – Da stand er, wuste nicht, was er sagen soll – endlich hob er an: „Das muß Sie mir ansehen kennen, sobald ich nach Hause komme, obs mir gelegen ist oder nicht, das Sie mir entgegen kommt.“ – Nun wurde ich ernst und antwortete im selben Ton. – „So kann Er mir vorher einen Bothen ins Haus schicken, der’s mir vorher ansagt: Heute ists den Herrn Kummerfeld gelegen, das Sie ihm entgegen kommen sollen. So werde ich mich darnach zu richten wissen, Ihm auf der Treppe oder in den Zimmer einen [583]
guten Tag oder guten Abend zu sagen. – Herr Kummerfeld, Sie kennen mich! Fordern Sie alles, was recht ist; ich werde es thun. Aber bey meinen Ja und Nein nichts Unbilliges. – Keine Grobheiten, die dulde ich nicht – die Folgen mögen den seyn, welche es wollen. Ist der Schulzen sehr gleichgiltig. Ich habe auch meinen Kopf.“ – Und damit ging ich aus den Zimmer. Ich ging in dem Garten und besorgte den Thee, Kaffee fand ich nicht für dienlich. Aus den Kammerfenster hatte er gesehen, das alles parat stand, sonst hätte ich es ihm melden laßen. Er kam mit einer sichtbaren reuigen Miene, küßte meine Hand, das ich zulies, und wie er sich mir zum Kuße ins Gesicht neigte, drehete ich so in Herrn Kummerfelds Manier meinen Kopf herrum, das er so eben die Backe zu küßen bekam. Ohne ihm wieder zu küßen. Das that ihm weh! Er sah mich an und sagte: „Verdien ich keinen Kuß mehr von dir?“ – „Wils Ihnen nur wieder fühlen laßen, wie mir solche Küße von Ihnen behagen. Sind die, wenn ich Sie lange nicht gesehen habe, die Sie mir hinreichen. – Wolte, Sie fühlten es recht sehr! Kennen also nur nach
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den Ersten von mir den Schluß machen, wie vieler solcher Küße ich schon bey Ihnen verdaut habe, ohne es mich merken zu laßen.“ – „O vergieb! Vergieb, bestes Weib. – Was bist du gut. – Will nicht mehr böse nach Haus kommen! Komm mir entgegen – bleib zurük – alles, wie du wilst. Sei nur nicht böse. Ich habe unrecht.“ – Ich schlung meine Arme um seinen Hals. „O Wilhelm, Wilhelm, wüstest du, wie sehr ich dich liebe. – Wie du mir so alles bist.“ Friede war gemacht. Mußte auch die Nacht fast eine halbe Stunde auf seinen rechten Arm liegen. Ja, sogar schlief ich zum ersten Mal auf seiner Brust ein. War die erste Nacht, wo ich zuerst mochte [584]
eingeschlafen seyn und so fest, das ichs nicht gewar worden bin, wie er sich von mir gewand hat. Als ich den Morgen zu ihm in die Stube kam, versicherte er mich, das ich ihm fast aus den Bett geworfen hätte; er gern sich in sein ander Bet gelegt hätte, aber besorgt, ich möchte es ihm übelnehmen. – „Hatte eine Miserabele Nacht gehabt, so ängstlich!“ Ich dachte, ich müßte mich todlachen. „Wenn Sie ohne Schaden zu nehmen aus dem Bet gefallen wären, das wär für mich ein rechter Spas gewesen. Auf Ehre! Hätte es Ihnen von Herzen gegönnt.“ – „Nein, Liebe, diese Nacht schlaf ich in meinen Bette wieder aus.“ – „Da thun Sie wohl daran. Ich versichere Sie, es schmeckt der Schlaf, wen man die vorhergehende nicht gut geschlafen hat. Ich für meinen Theil kann Sie versichern, diese Nacht war die erste, die ich in Ihrem Hause in einen fort geschlafen habe, ohne zu erwachen.“ – Er schien oder wollte es nicht bemerken; was ich wohl damit sagen konnte, sondern er antwortete nur: „Ja, das ist war, du bist ohne dich zu bewegen auf einen Fleck gelegen, so wie ich dich ganz sachte hingelegt hatte.“ Nun war wieder Friede unter uns, ich lauerte den Mittag am Fenster, und wie er kam, rufte ich ihm aus dem Fenster zu: „Darf ich?“ – Er lachte. Ha, da war ich unten! und hüpfte mit ihm die Treppe hinauf. „Bist mein liebes, liebes Weib.“ – „Ja, wenn ich dich auch nicht lieben müßte.“ Inzwischen aller meiner Munterkeit und aller Verenderungen, die ich ihm machte, war [er] doch immer eigensinnig und launisch. Freylich wars oft bald über, aber er exerzierte meine Geduld recht. Besonders, wenn wir entweder Picket1040 oder Domino spielten. Ich spielte gegen ihm mit vielen Glüke, und so klein, als unser Spiel war, so er[585]
gerte er sich doch immer, wen ich gewann. – Da er aber sonst gegen mich nicht geizig oder genau war, so übersah ich ihm gerne die Schwachheit – freylich wohl als
1040 Piquet.
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Mademoiselle Schulz, wie man mich sonst nante, that ers nicht – doch nun hies ich seine Frau!! An einen Nachmittag war ich mit ihm bey seinen Bruder Kummerfeld; es war mehr Geselschaft da, unter andern auch die Schwerdtnersche Familie. Mein Mann kam mit dem jungen Schwerdtner1041 an einen Spieltisch zu sizen. „Wie spielen wir?“ fragte Hinrich. – „Unser gewöhnlich Spiel: 2 Schillinge Einsaz“, sagte mein Mann. „Ey was!“ antwortete der junge Schwerdtner, „um 2 Schillinge ist nicht der Mühe werth. 4 Schillinge Einsaz und mit dem Blok. Wenn ich spiele, so seze ich mich hin, um zu gewinnen.“ – Ich hörte es, bis die Zähne übereinander, huste und räusperte mich und hatte alle Gewalt nöthig, um nicht darauf zu antworten. – Der dumme Junge, dachte ich, der noch nichts ist wie Diener seines Vaters, darf sowas zu deinen Mann, Schwager und Caßens1042 sagen? – Ich sah dem Spiel zu, einen Thaler ohngefehr hatte der Bursch aus der Tasche genommen. Sie spielten, und der Bengel verlohr. – Wurde angeschrieben. Als ich auf den Abend mit meinen Mann nach Hause kam, sagte ich zu ihm: „Schwerdtner hat ja verlohren.“ – „Ja!“ – „Wieviel wohl?“ – „Mir ist er 18 Mark schuldig geblieben.“ – „Sie werden sichs doch geben laßen?“ – „Von dem?“ – Nun lachte er. „O, von dem Hans Arsch1043 bekomm ich keinen Schilling und niemand, der ist aller Welt schuldig.“ – „Und mit so einen inpertinenten Bengel spielen Sie? – Ja, laßen sich vorschreiben, wie hoch er spielen will? Nimmt Ihnen das Geld ab, wenn er gewinnt; und bezahlt nicht, wen er verliert? – Und Sie sind auch so gut und rechnen es ihm nicht ab? – Das ist [586]
diebisch. Solch einen Auftritt laßen Sie mich nicht mehr mit ansehen, und wenn Sie und keiner Muth hat, solch einen Jungen Bescheid zu sagen, so thue ichs. – Sie kennen mich. Spielen Sie noch ein einziges Mal mit dem Jungen 4 Schillinge Einsaz, so frage ich ihm, ob er auch Geld in der Tasche hat.“ – „Gewiß, Liebe, du hast recht. Will auch mit dem Jungen nicht mehr spielen. – Wen ich nachdenke, was er mir schon schuldig ist.“ – „Kummerfeld, Sie sind gut, wo Sie’s nicht seyn solten.“ „Ist wohl recht.“ Nun war ich mit ihm wohl schon über zwey Monate verbunden, war an einen Sontag Abend, wir speißten früh, und er wollte nach dem Abendeßen noch eine Partie Piket mit mir spielen. 10 einen Schilling war unser Spiel. Die Karten vielen mir so glüklich wie möglich. – Er wurde verdrieslich – ich verwarf mich oft mit Willen, warf Aß und König weg und mußte 14, 10 bekommen. – Freylich ists verdrieslich, aber was konnte 1041 Nicht ermittelt. 1042 N. Cassens, ein Freund von Wilhelm Kummerfeld und ein Verwandter der Schwerdtners (s. WHS, S. [168r/341]): Nicht ermittelt. 1043 Gebräuchliches Schimpfwort.
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ich dafür. – Ich bat ihn aufzuhören und lieber Domino oder Mariage1044 zu spielen, er wär vielleicht glüklicher? Das wolte er nicht, und ich blieb so geduldig wie möglich.CXLVIII Ich gebe, er hat einen 60ger und ich in der Hinterhand einen 90ger. „Das ist ein verdamtes Spiel!“ sagte er, warf die Karten auf den Tisch, das einige Blätter mir um den Kopf und ins Zimmer flogen. – Nun wars mir zu arg, ich sprang auf und sagte: „Und das ist ein verdamtes Leben mit Ihnen. Hol der Teufel solch eine Wirthschaft und solchen Zeitvertreib.“ Mein Herr Gemahl wurde grob. – „Herr Kummerfeld, nehmen Sie sich in Acht. – Kein Wort, das mich noch mehr beleidigen kann. Was wollen Sie noch mehr von mir? Was kann ich mehr dulden. Von dummen Jungen, von Jaunern1045 laßen Sie sich das Geld abnehmen, laßen [587]
Sie sich betrügen. Und wenn ich 16 oder 20 Schillinge einmal gewinne, machen Sie ein Lärm, als obs Haus würde einfallen. – Schurken, die Sie mit sichtlichen Augen betrügen, dazu lachen Sie, machen einen Spas daraus, und mir, wen ich durch Zufall gewinne, Sie bezahle, wenn ich verliere, werfen mir die Karten beynahe an den Kopf ? – Ist das recht? Schämen Sie sich. – Schande ist vor Gott. – Selbst für Sie.“ Mein Herr Gemahl brumte weg, konnte ihm unter 20 Wörter nicht eins verstehen, nahm sein Licht und drolte sich1046 in seine Schlafkammer. Glük auf den Weg. – Ich schlug mich mit der Faust vor die Stirne, das wenn sie Holz oder Stein gewesen wär, ich gewiß weder Piket noch Domino mehr würde gespielt haben. – Ha! Was wagst du? Was bist du? Ich lief über die Hälfte der Nacht auf und nieder in Zimmer und Schlafgemach. – Du mußt es endern? – Aber wie? Wie? Ehre! Welt! Deine Ruhe – ohne mich auszukleiden, warf ich mich auf mein Bet. – Der Schlaf war von mir gewichen. Endlich, wie der Tag wieder angebrochen war, sezte ich mich an meinen Schreibbuld und schrief folgenden Brief, so wie mir ihn die Lage meines Herzens in die Feder sagte: „Ein neuer Tag ist da! Was bringt er mir mit? Gram – heimlichen Gram – Thränen! – O, wie viele habe ich deren nicht schon geweint? Geweint in Stillen, wen alle oft glaubten, mein Herze sey am frölichsten. Jeden Tag werde ich immer mehr und mehr in der entsezlichsten Gewißheit bestärckt, das die Liebe desjenigen erloschen, der – Gott! der der Theuerste meines Lebens ward. Grausame Gefälligkeit, das Sie meine Hand verlangten. – Hätte ich gewust, das es Sie je reuen könnte, es würde nie geschehen
1044 Mariage (franz. für Hochzeit): Kartenspiel ähnlich dem Sechsundsechzig und dem Schnapsen; Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon […] , Leipzig 1715, Sp. 1234 f. 1045 Gauner. 1046 Trollte sich: Ging weg, verzog sich.
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seyn. Wo ist der anhängliche Kummerfeld, der mir, als ich von ihm reißte, nachschrie, so weit ich ihm noch hören konnte: Schulzele, [588]
o Schulz, vergeßen Sie mich nicht!! – Wo ist der zärtliche Freund, der sich sehnende Liebhaber, der in Ihren Briefen sprach? – Ich komme an; – welch eine Enderung! Meine Freude betäubte mich, doch da sie vorbey war, sagte ichs Ihnen. – Was war Ihre Antwort? – Einen Tag nach dem andern bekam ich Ursach zu neuen Argwohn. – Ha! Und er war wahr? Wie oft lag ich auf meinen Knieen in Fritsch Haus, flehete zu Gott, er solle Ihr Herz sich selbst kennenlernen, ob es wirckliche Kälte, oder ob der wichtige Schritt einer nahen und ewigen Verbindung Sie so verendert hatte. Der für uns große Tag kam. – Was empfand mein Herz? O wie gerne hätte ich alle Menschen geflohen – mich selbst. Welch Betragen gegen eine Braut, die man blos aus Liebe, aus freuer wohlüberlegter Wahl wolte gewählt haben! – Wie gerne hätte ich geweint – doch die Nacht und alle darauffolgenden waren ja lang genug und werdens noch seyn. – Sie heilten zwar oft durch ein leidseliges und gefälliges Betragen die tiefe Wunde meiner Seele – doch es dauerte nicht lange, so reißen Sie solche von frischen auf durch Ihren störischen Karacter. – Wie suche ich es zu verbergen! – Bin ich kranck, ja, so beklagen Sie mich, machen Anstalt, das ich genese. Fehlt mir was an Puz, so geben Sie es mir, kommen (ohne zu begehren) selbst darauf. Verlange ich selbst was von Ihnen, und Sie wißen, es muß sehr nothwendig seyn, wen ich was verlangen soll? so schlagen Sie es mir nie ab. – Dieses kommt alles von Ihren guten Gemith. – Wie Sie gegen andere sind, sind Sie auch gegen mich. – Und soll ich nicht das Recht eines Vorzugs aus Gründen verlan[589]
gen kennen? O Kummerfeldt, Sie kennen das beste Herz von der Welt haben und mich deswegen doch nicht lieben. Sie bleiben deswegen immer der redliche Mann; – aber was bin ich? Nichts – nichts mehr. – Da size ich ganze Tage in meiner einsamen Kammer eingespert, weine wie die elendeste Creatur. – Fliehe das Antliz der Menschen, las mich verleugnen vor Ihren Verwandten und Freunden, glauben mich vielleicht meinen Vergnügen nachhängen, mich auf den Wegen der Freude, da ich meine Augen fast blindheule und meine Hände wund winde, jamere zu Gott, schreue um Geduld, nicht aus Verzweufflung einen Schritt zu wage[n], der Ihre, meine Ehre schände. – O! womit habe ich die Liebe des Mannes verlohren? – Hatte ich für Sie ein Geheimniß. Selbst dieses nicht, das ich geliebt und wieder geliebt wurde. O Kummerfeld, Sie wißen, was ich Ihnen geschrieben, was ich Ihnen in Fritsch Haus gesagt, noch den 11. Ap[r]ill gesagt: Wen es Ihnen am Traualtar reuen solte, so solten Sie es sagen. Sie wolten mir nicht glauben. Ich kante Sie beßer wie Sie sich selbst. Es reut Sie nun, und nun fühlen
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Sie sich, das Bande der Ehe für Sie nicht geschaffen. Auch ich sehe es jezt ganz – aber zu späth. Sind dieses die Seeligkeiten, die Sie mir – ich mir selbst prophezeyte? Der gefälligste Freund ist der mürrischte Ehemann geworden – doch nur gegen mich, gen andere ist er noch gefällig. Der zärtliche feurige Liebhaber in seinen Briefen; der kalte Gatte. Der ganze Tage bey mir bleibende gute Wilhelm; eilt nur, sobald er gegeßen, das er fort kommt; kommt verdrießlich nach Hause, ergert sich über seine eigene Befehle, die alle bestelt worden, schilt mit mir und Bediente, das nichts auszuschelten vorhandten. – Wenn ich an die ehemaligen Zeiten zurükdenke – Allmächtiger! Wo [590]
sind sie? Wie hat sich alles so verendert. Auch die kleinsten Gefälligkeiten, die ich ihm leiste, sind ihm eine Last; meine Umarmungen verdrießlich; meine feurigste Liebe macht ihm kalt und schläfert ihm ein; – ebenso ein, als wenn ich ein Buch nehme und ihm was vorlese. Bey allen, was ich thu, wird man ermiedet – und gegen andere! – Welch Unterschied. Gott! Du wilst es? – Es sey! Vielleicht habe ich mich mehr in Gedancken mit dem Liebling meines Herzens beschäftiget als mit dem Allmächtigen, der in einen Hui alles verstören kann. Gott ziehet Ihr Herz von mir ab, das ich sehen soll: wieviel auf Menschen zu bauen. Wollte Gott, ich dürfte keinen Fremden mehr sehn und nicht mehr aus dem Haus kommen; einsam leben, von der ganzen Welt entfernt ist mein einziger Wunsch. – Was habe ich mehr in der Welt gehabt als Dich! Dich habe ich verlohren! – O, so ist mein Leben eine melancholische Last, unter der ich hoffe bald zu erliegen. – Ich wollte Hunger, Armuth, den schrecklichsten Mangel ertragen – ja, wenn wir beyde nichts mehr hätten, Ihre und meine Nahrung erbetteln – wenn ich nur hoffen könnte, noch so von Ihnen geliebt zu seyn, wie ich sonstdachte. All[e]s nun alles, alles zu haben – doch Sie nicht! – Aber vielleicht befreut Sie Gott bald von einer Last. O, mit welcher Freude würde ich kommen, wen er mich rufte, der alles Kennende. – Ich würde bald selbst Anstalt dazu machen, wenn – vielleicht sind Sie den wieder vergnügt, und Sie nur vergnügt zu wißen, ist mein Wunsch. – Mit meinen Leben kann ich Ihnen ja keine Freude machen – sey mit mein Tod. Bin ich Ihnen [591]
nun eine Last, so kennen Sie sich weder gegen mich, noch jegen niemand beklagen. – Sie, Sie wolten es so – mir zum Unglük, das ich Ihnen glaubte. – Doch Sie sollen mich wieder loswerden und erfülle dadurch das Liebste, was Sie wünschen, wo Sie es darauf anlegen. Ich habe Sie zu sehr geliebt – liebe Sie noch, mir zur Schande, diese Liebe macht mein Unglük. – Mag gleich alle Welt denken, ich war glüklich, sie glaube es – o, ich bin es nur Augenblicke in meiner Ehe gewesen, nicht Minuten. – Doch ich, die ich immer ein Leben voll Leiden geschlept, konnte denken, das ich in der Ehe glüklich seyn
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würde? Wie thöricht war ich! – Es ist keine Ehe in der Welt glüklich; es ist ein Mann wie der andere – man suche solche, wie sie vor Gott seyn sollen, nur in Büchern. Armselige Mädchens, die ihr solchen tyrannischen Gebiethern zutheil werdet, wer beklagt euch? Die Schuld, wenn ihr aus Mishandlung euch entlich in einen Abgrund stürzt, ist immer euer, weil ihr der schwächste Theil seid und Männer die Geseze gemacht haben. Elende Geseze! Ich verachte euch, da sie nur dazu dienen, uns unglüklich zu machen – und wer ist es mehr als Ihre ehemalige geliebte Caroline sst.“ Sowie ich meinen Namen geschrieben hatte, trat mein Mann aus seinen Cabinet in das Meinige und frug sehr ernsthaft: „An wem schreibst du?“ Ohne ihm ein Wort zu antworten, stand ich auf, alle Schlißel steckten an Comoden und Schränken, mein Schreibepult offen, und der volländete Brief lag da, und so ging ich nur mit meinen Schnupftuch wegnehmend aus den Cabinet, lies ihn allein und ging eine Treppe höher in eine kleine Kammer, die ich hatte. Nach ohngefehr einer halben Stunde kam er zu mir herrein, hatte mich im Gärtgen und übrigen Zimmern gesucht, nun fand er mich. Blaß und zit[592]
ternt, die Augen voll Thränen, meinen Brief in den Händen näherte er sich mir. – Er blieb stehen, sah mich an und rufte aus: „Welch ein Brief.“ – Ich drehte mein Gesicht von ihm ab – er stürzte zu meinen Füßen. „Caroline! Mein Weib, was hast du vor?“ – Ich antwortete nicht – konnte nicht. – „So haßt du mich? – Keinen Blick, kein Wort mehr bin ich werth? – Brich dein Stillschweigen, um Gottes willen!“ – „Stehen Sie auf ! Was soll das? – Hab Ihnen alles gesagt, wir mißen uns trennen, entweder so oder so. Wie Sie wollen. Ihre Begegnung trag ich nicht länger.“ Er wolte nicht aufstehen, sank mit seinen Kopf auf meine linke Hand, die er festhielte und benezte sie mit Thränen – „Ihre Anverwandte, wenn Sie nicht wollen, sollen entscheiden. – Freu fordere ich Sie auf, mir zu sagen, worinnen ich gefehlt. – Über was ich solch ein Leben, wie ich bey Ihnen zu führen gezwungen bin, verdient habe. – Wozu und warum nahmen Sie mich? – Wer hezt Sie gegen mich auf ?“ – – „Niemand, Liebe! Niemand. Vergieb, vergieb!“ – „Sie, Sie also ganz allein sind der Störer meiner, Ihrer Ruhe. – Machen sich Ihr Haus zu einer Hölle, das ein Himmel seyn könnte? – Das ist Sünde; schwere Sünde. – Gott wolle Sie nicht strafen.“ – „Ach, du hast recht. Sey nur wieder gut. – Ist mein Tod, wenn du mich verleßt. – Den Allmächtigen ruf ich zum Zeugen, wie sehr ich dich liebe.“ – Wir capitulirten1047 lange. – Er stand auf, hielte mich fest umschlungen und bat nur um das einzige, ihm zu versprechen, das ich ihm nicht verlaßen,
1047 Kapitulieren: Hier im Sinne von verhandeln.
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niemand was davon schreiben; und zu sagen: Ob ich ihn noch lieben könnte. – „Wenn ich Sie weniger liebte, würde ich anders gehandelt haben.“ – „Du liebst mich noch? Meine, meine Caroline.“ Thränen waren meine Antwort. – Er sezte sich, nahm mich auf seinen Schoß, und ich weinte auf seiner Schulter. – Wir beyde konnten lange nicht sprechen. – „Ach!“ sagte er endlich: „Was sie gut ist. – Himmlisch [593]
Weib. Also alles vergeben?“ – Ich rafte mich zusammen so gut ich konnte: „Wenn Sie wollen? – Ja, aber unter Bedingungen. – Ich solte verlangen, Sie mißen sich endern. Müßen sich Ihr mürrisches Wesen abgewöhnen. Müßen Ihr eigener Freund werden. – Nicht für den Augen der Welt, nein, für Ihr Haus, für sich und mich. Vorsäzlich habe ich Ihnen nichts zuwieder gethan. – Das einzige, worüber Sie sich beschweren konnten, war: das ich Geschafte im Haus vornahm, wen Sie da waren. – Ich gestehe es Ihnen, ich thats mit Willen – weil ich Sie nicht ohne Thränen ansehen konnte, und die verbarg ich vor Ihnen. – Soll nun nicht mehr geschen, will bey Ihnen bleiben, aber machen Sie es mir auch darnach, das ich bleiben kann. – Sonst stehe ich für nichts. – Ja, noch mehr; fangen Sie ohne Ursach Händel an, so nehm ich meinen Mantel und Handschu und gehe aus und komm Ihnen vor Abend nicht wieder. Dafür konnen Sie sicher seyn, das ich nur auf den Wall spazieren gehen werde, oder mache eine Visite bey Ihren Schwestern oder Tante. Wo Sie mich finden kennen, wenn Ihr Tollkopf vorüber ist. – Dann noch eins. Wir wollen mit denen Betten wechseln. – Das meinige, worinnen ich liege, muß ich haßen. – Kann’s nicht mehr ansehen. – Sie kennen darinnen schlafen und geben mir das Ihrige, es ist kleiner. – Will nicht wißen, warum Sie so gegen mich sind, wie Sie sind. – Nur sagen Sie mir, ists Abneigung.“ – „Nein, bey Gott!“ – „Nun gut, es sey also Temparament. – Weiter keine Erklärung. Wir sind Freunde! Die besten Freunde, unter uns; – und vor der Welt bin ich Ihre Frau. – Auch hierinnen will ich Ihnen den Beweis meiner Liebe geben, das ich Sie weder Ihres Vermögens noch aus Wollust genommen. Nach Jahren schwindet [594]
ja ohnedieß alles. – Nur wahre Freundschaft nicht. War ja immer mein Wunsch, in meinen Mann meinen besten Freund zu haben. Doch als solche habe ich das Recht zu verlangen, das Sie mir begegnen, wie Sie der Mademoiselle Schulz begegnet sind. – Im Haus wie in Geselschaft. – Auch von mir kennen Sie das versichert seyn, das ich Ihnen mit der zärtlichsten Freundschaft immer begegnen werde. Und nun kein Wort mehr von allen. Was wir sind, wißen wir, und es bleibt unter uns. – Sind Sie mein Freund? Bin ich Ihrer Achtung, Ihrer Freundschaft werth?“ – „O meine, meine Caroline. – Habe Geduld mit mir.“ „Gewiß. – Gewiß. Nun kommen Sie! Im Garten wollen
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wir frühstüken.“ – „Ach! Wenn es nur das Mädchen nicht sieht, das du geweint hast! Wirst doch nun nicht mehr weinen?“ – „Gewiß nicht! Sobald Sie nur zufrieden scheinen. Aber es auch sind.“ – Von diesen Morgen an hatte ich nun die glüklichsten Tage. – Mein Männchen kam vergnügt nach Hause, ging so vergnügt aus, und keines trübte das andere. Wo ich nur wuste, ihm Freude zu machen, das geschah. – Ihm gefällig zu seyn, war mein einziges Bestreben. Stand ihn ein Aufsaz1048 von mir nicht an, nie kam die Haube wieder auf meinen Kopf – ein Kleid? Es wurde geendert und den im Haus getragen. Röcke und Kantuschen konnte er an mir nicht leiden, wenn ich mit ihm ausging – nun war ich immer in langen Kleidern. So führten wir das beste Leben, und vermöge meiner Munterkeit nannte man mich nur Madame Freudenfeld. Wenn es die Zeit war, das er in der Banco am Buch war, wo er des Morgens um 9 Uhr ausging und erst späth des Abens oder in der Nacht nach Hause kam und ich ihm in 4 Wochen nur allein des Sontags bey mir hatte, so wuste ich ihm in Gespräch gemäß zu sagen, was ich den Tag über gemacht; wär bey mir gewesen; wo ich hingangen. Kurz, ich stattete [595]
ihn von allen Bericht ab. Nie mußte er eine Unwahrheit finden, und sowie er mein ganzes Vertrau[en] hatte, so schmeichelte ich mir, das ich auch das seinige hätte. Wenig ging ich aus, nur jeden Donnerstag brachte ich meist in Fritschens Haus zu und zuweilen auch bey unserer Tante. Gewiß würde ich in meinen glüklichen Zustand mit keiner Frau in ganz Hamburg getauscht haben. – An keinen öffendlichen Orte, Spaziergang oder Promenaden, großen Gesellschaften sah man mich ohne meinen Mann. Und doch, nie mußte es nur den Schein haben, als ob er’s nicht gern sehe. Würde ihm unrecht thun, wen ich sagte, er hätte es mir untersagt. Aber ich war nun einmal so altfränkisch1049 in meiner Denkungsart zu glauben, das die anständigste Begleitung an solchen Orten für eine Frau immer ihr Mann ist. Eines Tages, als er nach Hause kam, sagte er zu mir: „Mein Bruder Hinrich läßt dich griesen.“ „Ich danke Ihnen.“ „Wir haben viel von dir gesprochen.“ – „Und doch auch was Gutes?“ – „Jawol! höre nur. Hinrich kommt zu mir, und kaum war er bey mir, so erkundigte er sich nach dir? – Ich sagte ihm, das du wohl und vergünt1050 bist. Darauf sagte er zu mir: Bruder, ich kann deine Frau nicht ansehn – Warum, hat sie dir was gethan? – Nein, gewiß nicht! Aber ich schäme mich vor ihr. Sie muß mich haßen. – Ich versicherte ihm das Gegentheil, und warum solte dich meine Frau haßen. – Ja, wegen den groben Brief, den ich ihr nach Leipzig geschrieben. – Ich hätte es auch gewiß nicht gethan, aber der verfluchte Kerl, der Abendroth, 1048 Aufsatz: Kopfputz. 1049 Altmodisch, altertümlich. 1050 Vergnügt.
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war schuld. – Ich sagte zu ihm, das ich von deiner Braut einen Brief bekommen. Nun sagte er darauf, wie er ihn gelesen: – Schöne Worte! – Aber wenn sie erst da seyn wird? Bruder, ich fürchte, ich fürchte unser Bruder kommt da übel an. Hat ihn verführt, wie es solche Leute bey dem Theater machen. – Ich rathe [596]
Ihnen, ihr ja nicht in dem Ton wieder zu antworten, sagen Sie ihr derb bescheid, man hat wohl [m]ehr der Exempel, das durch eine solche Person der Friede einer ganzen Familie ist gestört worden. – Nun antwortete ich ihm: Ich wüste nicht, was ich ihr antworten solte, so sagte er, gut, so will ich Ihnen einen Brief an sie aufsezen, und den kennen Sie abschreiben. Das hat er gethan, und einige Stellen habe ich noch ausgelaßen, die mir zu arg vorkamen. Aber der Brief ist von ihm. Nun sehe ich, wie glüklich du bist und wie übel unsere Schwester mit dem Schurken angekommen. Wenn mir nur deine Frau vergeben hat. Wolte es ihr gern selbst sagen – aber ich schäme mich. – Nun urtheile von meinen Erstaunen. Aber ich sagte Hinrich alles, was er zu mir gesprochen, ja, das ich in seinen Haus den Brief erbrechen müße, siehe, Liebe, was das vor ein Kerl ist. – Und ist kein Schauspieler! – Das es also in jeden Stande schlechte Leute giebt wie gute.“ – „Sie kennen mich! Schonte ich nicht Abendroths Frau, das ihre Ehe noch unglüklicher und sie dadurch den Umgang ihrer Verwandten ganz durch ihm verlöhr, so glaub mir, in Gegenwart aller deiner Verwandten sagte ich ihm das Bubenstick1051 unter die Augen. – Das ist ein abscheuliger Mensch! Doch Fritschens und deiner Tante gebe ich seine zwey Briefe an mich und den, den Hinrich nur abgeschrieben an mich, zu lesen. Sie müßen den Schuft ganz kennen; der ist zu mehr Niederträchtigkeiten fehig.“ Mein Mann gab mir recht, und gleich den Donerstag ging ich mit denen drey Briefen zu Fritschs und erzelte ihnen die ganze Geschichte. – Da solte ich den noch mehr zu erfaren. – „O, Frau Schwester! Das ist uns bekannt, was das für ein Kerl ist. Er hat doch Ihren Mann angetragen, das Sie bis zu Ihrer Hochzeit [597]
bey ihm in seinen Haus wohnen solten?“ – „Ja, das hat mir mein Mann auch geschrieben?“ – „Ja, hören Sie nur! Ihr Mann sagte es an unsere Tante. Abendroth komm[t] zu Madame Schreiber, so sagt die zu ihm: Nun, Herr Vetter, also wird unsers Kummerfeld Braut bey Ihnen wohnen? – Was! Frau Tant[e]? Bey mir? – Ich solte mir so eine Last in mein Haus nehmen, mir einen Floh in Pelz sezen? Die mir mein junges Weib verführen könnte? Eine Person vom Theater, man weis, wie die sind. Zu mir darf
1051 Bubenstück: Boshafter Streich.
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sie nicht kommen, und überhaupt weis ich noch nicht, ob ich mit ihr einen Umgang haben werde. – So sprach er und noch weit mehr. – Der Tante verdroß es, wolte ihren Mann nichts sagen, um keine Feindschaft zu machen, und sagte es mir. – Nun erst both ich meinen Bruder mein Haus für Sie zur Wohnung an.“ – „Hören Sie, mir ist’s lieb, das die Familie den Abschaum von Menschen kennt. – Für mich aber soll er sich in Acht nehmen, und wenn er noch 10mal mehr Advocat ist, so wasch ich ihm den Kopf. – Wenigstens soll er scherzweis von mir Pillen zu verschlucken bekommen, an die er was zu verdauen hat, so oft ich nur weis und kann.“ Solte man glauben, das es Menschen gebe mit so vielen Zungen? Wer sich der Briefe und des Benehmen von ihm gegen meinen Mann erinnert, muß Verachtung für ihn fühlen, den Haß eines Redlichen verdient er nicht. Doch man wird ihn noch mehr kennenlernen. Meine Tage schwanden nun hin in vielen Vergnügen, mein Mann war glücklich durch mich, ich in ihm. Seine Familie freuden sich, begegneten mir mit Liebe und Achtung. In die Helfte des Septembermonats wars an einen Morgen, wo ich die Nacht wieder treflich geschlafen hatte – den wie wohl schläft es sich, wenn man sich ohne Sorgen und Gram in den Schlaf wiegt? Ich wache früh am Morgen auf und sagte so für mir weg: „Gott Danck! Wie gut hab ich geschlafen“ [598]
und dehne meine Ärme aus, ohne mich umzusehen, und indem ich so die Hand zum Bette hinausstrecke, stoße ich an jemand, ich sehe um, und siehe da, mein Wilhelm sizt vor meinen Bette. – „Ja! Guten Morgen. Wie viel Uhr ists? – Habe ich so lange geschlafen? Wollen Sie sich schon ankleiden?“ – (den in dem Kabinet kleidete er sich alzeit an). Er sagte zu mir: „Es hat noch nicht lange 5 geschlagen.“ – „Und Sie sind schon auf ? Bin schon erschroken, das Sie allein gefrühstickt hätten.“ Wilhelm sah mich an mit Blicken, die ich noch nie in seinen Gesichte gesehen. Ergrief meine Hand, drükte sie an seine Brust und sagte: „O wie schön schliefst du! – Hier size ich schon über eine Stunde und sah dich schlafen.“ Laut fing ich an zu lachen. „Nun gestehen Sie es nicht selbst, das Sie zuweilen wunderliche Einfälle haben? – Mir zuzusehen, wie ich schlafe! – Da hätten Sie doch beßer gethan, in Ihren Bette zu bleiben, und auch so lange wie ich schlafen sollen.“ – „Ich konnte nicht! – O mein Linchen, wie schön du schliefst!“ Er küßte meine Hände und wolte mich küßen. – „Nichts da! Nichts küßen. – Will aufstehen.“ – „O bleib! Liebe! Bleib!!“ Er sezte sich zu den Füßen meines Bettes. – „Weg da, Herr Kummerfeld, das Bettgen ist mein, ist mein heilig lieb Bett. – Da dürfen Sie mir nicht sizen.“ Wilhelm wich nicht – ich wuste nicht, was ich aus dem Mann machen solte. Thränen im Auge, zitternt seine Lippen, seine Hände, schmigte sich an mich, und abgebrochen sagte er nur: „Mein Weib! Mein himmlisch Weib! Meine Carolina“ – „Spasen Sie! Was ist Ihnen? Wo bleibt unsere Abrede?“ „Laßen Sie
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mich!! – Nichts Abrede mehr. – Was Abrede, mein, mein Weib.“ – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Mein Mann! Nun ich sein Weib. – – – Weg war in diesen seligen Morgen alle vergangene traurige Erinnerungen. Sagen, sagen durfte ichs nun in den zärtlichsten Umarmungen unter tausend feurigen Küßen, wie sehr ich ihm liebte, drüken an mein klopfendes Herz! – – O, wer, wer kann fühlen, was ich fühlte! – – Liebe und Entzüken schlummerte uns ein. Wir erwachten Arm in Arm. [599]
Als ich meine Augen auf die seinigen heftete, frug ich ihm: „Thut Ihnen auch der Arm weh?“ – War ein bisgen boshaft, ich gestehe es. Doch strafte er mich mit einen Kuß. – Und sagte: „Wirst mir doch keine Vorwürfe machen?“ „Nein!“ – „Doch was mag die Uhr seyn?“ – „Bald 10. Was das Mädchen denken wird!“ Nun standen wir auf und hörten, das der Barbier dagewesen, den Herrn zu rasieren; und der geschickt, jener was zu sprechen gehabt. Er sah mich an und lächelte – – und ich? – Ich schämte mich, ja, konnte den ganzen Tag solcher nicht freu in die Augen sehen, scheute jedes Blick und dachte: Man lese auf meiner Stirn, das ich nicht mehr bin, was ich war. Was die Ursach meines Mannes bisherige Betragen bis an diesen Morgen gewesen, weis ich nicht. Ein einziges Mal in einer vertrauten Stunde frug ich ihm. – „Mir war immer so ängstlich – weis selbst nicht! Frag mich nicht!!“ – Und ich frug ihm auch nicht mehr. Mags gewesen seyn, was es wolle. Wir waren ja nun beyde glüklich. Doch konte ich mich nicht überwinden, wieder in meinen Zimmer zu schlafen, sondern blieb in meinen kleinen Bettgen, das für uns beyde Raum genug hatte. Was unsere Bediente gedacht, wen sie des Morgen nun immer nur ein Bett zu machen hatte, habe ich nie gefragt. Wilhelm war nicht mehr imstande, ohne mich allein zu schlafen. Oft sagte er: „Was ich für ein Narr war!“ – An einen schönen Herbsttage zu Ende des Octobers ging ich mit mein Mänchen auf dem Wall spazieren. Wir begegnen den Herrn Licentiat Dresser, er redete uns an und sagte: „Ich soll Ihnen ein Compliment von meiner Frau machen.“ „Herr Licentiat, ich fühle den Stich. – Ich weis, das es unartig von mir war, schon so lange in Hamburg gewesen zu seyn, ohne Ihnen eine Visite gemacht zu haben. Auch sage ich es Ihnen freu, da ichs einmal versäumt hatte, so schämte ich mich, [600]
nachher hinzukommen oder mich melden zu laßen, und lauerte nur auf so eine unvermuthete Zusammenkunft, wie die heutige ist. Nun sollen Sie mich aber auch bald bey sich sehen. Sagen Sie mir nur, wen Madame zu Hause ist.“ – „Alle Tage. Aber des Montags gewiß.“ – „Nun gut, bald bin ich bey Ihnen.“ – Es gingen fast zwey Wochen hin, da traf sichs, das mein Mann bey dem Onkel an einen Montag zu Gaste war. – War
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ein Gastgebot1052 von lauter Herren. – Das gab den mehr Trinkgeld an die Bediente, als wenn Damen mit dabey sind. – Und der liebe Onkel und Tante tractirten mehr ihren Bedienten zu Gefallen des Trinkgeldes wegen, als um sich selbst Vergnügen zu machen1053. Ich sagte also zu mein Mänchen: „Weist du was“ – das Sie war nun in meinen Mund gegen ihm längst zum Du umgestimmt. – „Du bist heute bey dem Onkel, so will ich mich bey Dreßers melden laßen.“ – „Das thu, Liebe!“ Ich lies mich melden, ward angenommen und fuhr hin. Fand große Geselschaft, den Dresser hatte des Montags immer offene Tafel für viele seiner Freunde, die unter sich so ein Kränzgen hatten. Man bestand darauf, das ich den Abend da zu Tische bleiben solte, ich entschuldigte mich wegen meines Mannes, der gewiß wüste, das ich nach Hause kam. – „Ey was! Der muß auch kommen, kurz, wir laßen Sie nicht und haben den Wagen fortgeschickt, der erst 12 Uhr wieder bestellt ist.“ Ich war in nicht geringer Verlegenheit und wer gern zu Fuß fortgegangen, wen nur das Wetter beßer gewesen und ich nicht zum Zufußgehen angekleidet war. – Da ich nicht loßkommen konte, so bath ich mir Schreibzeig aus, um meinen Mann einige Zeilen zu schicken. Das wurde mir zugestanden. Ich schrieb meinen Liebsten den Vorfall und bat ihn inständig, mich nicht in die Verlegenheit zu sezen, ohne ihm in Gesellschaft zu seyn, wo ich vor 12 Uhr nicht fortkäm; ich würde es [601]
als einen neuen Beweis seiner Liebe zu mir nehmen, und er könnte versichert seyn, das ich sonst keinen zufriedenen Augenblick haben würde etc. etc. Mein lieber, lieber Mann war auch so gut und kam und meine Freude unaussprechlich, Wilhelm nicht böse zu sehen. Der Abend ging vergnügter nun für mich hin. Wir sezten uns zur Tafel, schon waren wir bey dem Nachtisch, als ein paar Herren einen dummen Spaß machten, der für mich sehr unglüklich ablief. Ich lebte nicht nach der Mode und wuste also auch nichts von allen ihren Narrheiten. – Mode wars, das die Herren Döschens in der Tasche trugen, und wen sie solche aufmachten, sprang eine sehr künstlich gedrehte Schlange herraus1054. – Ich war eben in einen sehr ernsthaften Gespräch mit dem Herrn Dr. Schützer1055. Ein Herr, der neben mir saß zur Rechten, lies so eine Schlange vor mir 1052 Einladung, Gastmahl. 1053 Zur hohen Bedeutung des Trinkgelds in Hamburg und zu den damit verbundenen Gewohnheiten und Pflichten s. Borcherdt, Das lustige alte Hamburg, S. 63–66. 1054 Derartige Scherzartikel gibt es bis heute, und sie sind bereits für das späte 16. Jahrhundert im Inventar der Ambraser Kunst- und Wunderkammer Erzherzog Ferdinands II. von Österreich von 1597 überliefert; Julius von Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance. Ein Beitrag zur Geschichte des Sammelwesens, Leipzig 1908, S. 67. 1055 Dr. Johann Christoph Schützer (* 1711 Stockholm, † 3. März 1771 Hamburg) war in Hamburg als praktischer Arzt tätig; Lexikon Schriftsteller 7, Nr. 3621.
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vorbeyspringen, ich fahre auf, und paf, fliegt die zweyte bey mir vorbey von ebenso einen absurten Herrn, der sich sachte hinter meinen Stuhl gestelt hatte. – Jeder Mensch – wo nicht, doch viele haben für etwas einen Abscheu. Von Natur war der meinige Mäuse und Ratzen. – Alle Mühe, die ich mir gegeben, solches abzugewöhnen, half nicht. – Kurz, es ist und bleibt im Blut und geht so weit, das ich solche weder gemald noch von Holz geschnizt u.s.w. sehen konnte. – Dachte, es wären Mäuse. – Mein Schrök war weg, und ich fühlte in denselben Augenblick einen gewaltigen Schmerz an der lincken Seite. Mein Mann war heftig erschrocken und kaum hielte er an sich, seinen Unwillen nicht öffendlich ausbrechen zu laßen, ich verbis so viel wie möglich meinen Schmerz, um ihm zu beruhigen. Der Wein, der viele begeistert hatte, brachte solche zum sinreichen Wiz: Eine junge Frau! Wen da was rükgängig gemacht wär u.s.w. Ich ergerte mich noch obendarein, mir wurde schlimmer, gab meinen Liebsten einen Wink: sich zu [602]
erkundigen, ob kein Wagen da wär? Ich wünsche in meinen Haus zu seyn. – War einer da, aber nicht der unsrige. Stille schlichen wir uns fort und liesen die Nachricht zurick, das der, deßen Wagen wir uns bedient hätten, nur den unsrigen nehmen solte, wen er käm, und so fuhren wir fort. Mein Schmerz in Wagen von den Schitteln wurde stärker, mein Mann war in Todesangst. Ich kam endlich in meinen Haus an. Noch in der Nacht wolte er nach Hilfe schicken. – „Las es, vielleicht wirds beßer. Es ist späth, will niemand beunruhigen.“ Man kleidete mich aus, ich nahm ein Bulver ein, trank Thee, und der heftige Schmerz lies nach, blieb aber immer ein empfindliches schmerzliches Gefühl. – Hatte eine unruhige Nacht. – Natürlich! – Den ich war schwanger. Den Morgen machte ich mich stärcker, als ich war. – War jung und unbesonnen genug, nicht nach dem Docter zu schicken. – Endlich, den 3ten Tag erst, sagte ich zu meinen Mann: „Lieber, las mir einen Medicus kommen.“ „Welchen verlangst du?“ „Da dein Docter gestorben, will ich Herrn Dr. Dahl annehmen. War unser Medicus bey Ackermanns, wo ich ihm nicht bezahlen durfte – nun wärs Undank von mir, wenn ich ihm nicht nähm, da ich ihm bezahlen kann. Und er ist ein geschickter Mann, der seine Kunst versteht.“ Wurde hingeschickt, er kam; ich erzeh[l]te ihm den Vorfall. – „Aber warum lies man Ihnen nicht gleich eine Ader.“ – „Ja, Medicis waren genug da, aber gescherzt haben sie, anstatt einen klugen Rath zu geben, und ich verstands nicht.“ Er verschrieb mir Medicin, und ich solte mir weder zu viel noch zu wenig Bewegung machen. Das that ich den auch. Aber den 9ten Tag des Abens, ich saß mit Wilhelm bey dem Abendbrod, fange ich mit einen Mal an zu schreuen: „Wilhelm, sieh doch! Sieh doch! Sie[h] d..“
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Ein gewaltiger Grampf zog mich zusammen, beyde Knie in die Heh, so das solche am Mund waren und ich zusammengebogen wie eine runde Kugel war. Meine Sprache war weg, nur ein fürchterliches ängstliches Geschreu und Geächtze, bis sich dieses in ein Gewümer verlohr und ich jede Minute glaubte zu ersticken. Weder mein Mann noch Magd konnten mich regieren, ich mir selber nicht helfen, so fuhren sie mich mit dem Lehnstuhl in mein Zimmer, schnitten mir die Kleider von den Leib und rolten mich ins Bett. Man eilte fort nach Hilfe, der Docter kam, auch meine Schwiegerin Madame Fritsch, alles war um mich besorgt, mein Mann außer sich. Erst den 4ten Tag darauf konnte ich wieder ausgestreckt daliegen, die Hofnung, im kinftigen Jahr Mutter zu seyn, war fort. – Doch mein guter lieber Mann war nur froh, das seine Caroline nun aus aller Gefahr war. – „Wenn ich nur dich behalte. Wenn ich auch nie den Namen Vater hören soll.“ Soviel ich ausgestanden hatte und so nahe ich am Rande des Grabes stand, so erholte ich mich vermöge meiner guten, gesunden Natur bald wieder. Ich ging zu Ende des Novembers schon wieder in meinen Haus herrum. – Auf die Angst, die mein lieber Mann mit mir ausgestanden, wolte ich ihm nun auch eine unvermuthete Freude, und das zu seinen Geburtstag, machen, der bald einfallen solte. Ohne ihm daran zu erinern oder was zu sagen, ladete ich einige von unseren Bekandten ein. Nehmlich Herrn Dr. Bensen, Herrn Professor Nölting, Herrn Dr. Schiebeler, der nun auch in Hamburg war1056, Herrn Sekretair Dreyer und die zween Brüder Bernegau1057. Mein Mänchen war am Buch an seiner sauern Arbeit, wie ich sie nannte. Des Morgens machte ich mir die Haare zurechte: Das befremdete ihm, und er frug mich, ob ich ausgehen wolte. – „Ja! Will in der Nachbarschaft Frau von Rumor1058 besuchen, war so oft in meiner Krankheit [604]
bey mir“, mein Mänchen glaubte meiner kleinen Lüge. Wär ich schon einmal so schwer krank gewesen, würde er mir nicht geglaubt haben, eher eine Visite zu machen, als in der Kirche gewesen zu seyn und Gott mein Dankopfer zuerst zu bringen. – „Bleibst doch nicht da?“ – „Nein, Lieber! 6 Uhr bin ich schon zu Hause. Auch dich wolte ich bitten, nach deiner Arbeit gleich zu Hause zu gehen.“ – „Das thue ich ja immer. Seid ich dich 1056 Daniel Schiebeler erhielt nach seiner juristischen Promotion in Leipzig im März 1768 eine Domherrenstelle in Hamburg. 1057 Möglicherweise die Kaufleute Hieronymus (* 1. Jan. 1722) und Valentin (* 26. Dez. 1722) Bernegau; beide waren seit 1751 Mitglied der Loge Absalom zu den drei Nesseln; Kneisner, Absalom, S. 153 f. 1058 Nicht ermittelt. Ein H. B. von Ruhmor war seit 15. November 1743 Mitglied der Loge Absalom zu den drei Nesseln; Kneisner, Absalom, S. 146.
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habe, bin ich auf kein Caffeehaus noch in ein Weinhaus gegangen.“ Mein Mänchen ging fort, und nun brachte ich alles in Ordnung. Des Abens kamen meine Herren, wir freudten uns alle, was mein Mann sagen würde, eine Gesellschaft von 6 Herrn bey mir anzutreffen. Mein Mädchen im Haus hatte ihre Befehle, und das er nichts argwöhnen solte, so lies ich die Speisen außer dem Haus verfertigen. Gleich nach 6 Uhr kam den mein Wilhelm, wir tranken eben den Cafee und Theh. Schon hatte er vernommen, das Besuch da sey, er trat oder steckte vielmehr vor Verwunderung den Kopf in die Stubenthür und brachte ein: „Guten Abend, meine Herren!“ zum Vorschein, das mich herzlich belustigte. „Wilkommen, Lieber! Findest du mich nicht in guter Gesellschaft? Siehe, so gehts, da size ich oft manche Woche allein, und den kommts Gute all auf einmal.“ Mein Mann, troz er sich zwang, kams ihm doch seltsam vor und gab mir einigemal einen Wink, mich gern allein zu sprechen. Die Herrn hatte ein jeder seine besondere Ursach, warum sie heute gekommen, die den alle sehr wahrscheinlich und wie eine Sache, die sich von ohngefehr eintraf, hervorschien. Endlich, da das Winken von Kummerfeld nicht aufhören wolte, ging ich zum Zimmer hinaus, und er folgte mir. Kaum war er mit mir allein, so sagte er: „Sage mir nur, Liebe! wo kommen [605]
die alle heute hieher?“ „Ja, da frägst du mich zu viel. Aber das fiegt sich manchmal so.“ „Bleiben sie den da zum Eßen?“ – „Das kömmt auf dich an. Wen du wilst – ja, was geben wir ihnen?“ – „Höre, Kind! Sie sind vernünftig und wißen, das man so in der Eile nicht vor so viele gleich warm Eßen hernehmen kann.“ – „Wollen sie fragen, ob sie mit kalter Küche vorlieb nehmen wollen. Vorrath dazu ist im Haus.“ – „Aber auch Wein genug?“ „Ja, dafür ist gesorgt. Nun las uns munter seyn.“ Wie wir ins Zimmer kamen, machten die Herren Aufstand um wegzugehen, nach einigen Nöthigen sagten sie den, sie wollten bleiben. Gegen 9 Uhr gab mir mein Mädchen das verabredete Zeichen, das alles in Ordnung war. – Kurze Zeit sagte ich darauf: „Kommt, Kindergen, wir wollen unten im Zimmer unser Butterbrod eßen, hier ists so eng.“ – „Aber unten kalt.“ – „Ey, was! Wollen wir nicht alle noch junge Leute sein? – Wollen uns warm schwazen und lachen und mit Wein einheitzen – kommt.“ „Aber du“, sagte Kummerfeld, „wen du dich nur nicht verkälst, bist noch nicht ganz wohl“ – – „O so wickele ich mich im Pelz und Fußsack, kommt nur.“ – Wir gingen hinunter, und da stand die Tafel in vollkommener Ordnung, mein Kummerfeld stuzen! – „Was heute meine Frau vorhat. – Muß sie wohl gewehren laßen – obschon ich nichts begreife.“ Wir wurden munter, nur mein Mann sann und sann hin und wieder und blieb in Gedancken. – Wir alle machten uns darüber in Minen lustig. – Nun endlich, wie er den Braten zerlegte, eilte ich und steckte mit meinen Mädchen die 18 Wachslichter an, die auf denen Armleuchtern an der Wand waren – nun wurde es mit einen Male um so viel heller, er
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sah auf, und nun trank ich ihm eine Gesundheit zu, die ich auf eine bekante Meledo1059 gemacht hatte: „Ja, lebe, bester Freund. O, wer fühlt mein Vergnügen! Ihr Freunde halft mir heut den guten Mann betrügen. Doch sieh die Ursach an, warum ich es gethan? am Tage der Geburt – von dir, mein bester Mann.“ Kaum das ichs zuende singen konnte, so war ich gerührth. Mit Thränen fiel er mir um den Hals und küste mich und dankte mir. Freude war allgemein. Hatte gar nicht an seinen Geburtstag gedacht, und nun wurde beschloßen, das alle die Herren, solange wir zusamen lebten, am 12. Aprill, den 30. September und den 2. December immer unsere Gäste seyn solten. Herr Sekretair Dreyer hatte auf dem Tage ein Epigram gemacht, hier ists: „An Madame Kummerfeldt, den 2. December 1768, an den Geburtstag ihres Gatten. Dein Freund, dein Kummerfeld. Er müße lange leben. Was man sonst wünschen kann, ist ihm in dir gegeben, In dir, die du ihm alles bist. Dein Lächeln täglich sehn, in deinen Armen liegen, Die Welt, der Himmel hat kein Glück und kein Vergnügen, Das diesem vorzuziehen ist.“ Bis gegen 3 Uhr in der Nacht waren wir beysammen. Mein lieber Mann vol Danck gegen mich und unsere Freunde, das sie mir halfen, [607]
ihm so angenehm zu überraschen. Wie glüklich ich wahr, meinen Wilhelm so glüklich zu wißen. – Nie glaubte weder das eine noch das andere von uns, das je unsere wahre Zufriedenheit abzunehmen imstande sey. Wir schloßen das alte Jahr und traten ins neue 1769 in einer so glüklichen Verfaßung, das wir nicht Ursach hatten, die Vornehmsten und Reichsten in Hamburg zu beneiden. Die Maskenbälle, die angefangen waren1060, mußte ich auf allen mit seyn, mein Mann 1059 Melodie. 1060 Maskenbälle zur Winters- und Fastnachtszeit waren ein fester Bestandteil des zeitgenössischen Theaters. Konrad Ernst Ackermann hatte beim Bau des Nationaltheaters am Gänsemarkt darauf geachtet,
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begleitete mich auf alle und war oft unwillig, wen ich nicht alle englische Tänze1061 mittanzte. – Doch wie hätte ich auch im größten Cirkel von Vergnügen ohne ihm seyn kennen, da er nicht tanzte? Merkwürdiges begegnete uns nichts, und wir hatten Tage, Wochen, Monate, wo wir uns immer die liebste Geselschaft waren und blieben. Mein Mann klagte nicht über mich, ich nicht über ihm. Etwas, das ich vergeßen anzumerken, war, das Madame Abendroth schon im November mit einer Tochter entbunden wurde1062. Aber ihr Schicksal blieb dasselbe. Wahre Freude war von ihr entfernt, und wo die hernehmen bey einen solchen Mann. Ackermann hatte das Theater wieder übernommen1063. Mit seinem Haus sowohl als Verschiedenen von der Geselschafte hatten wir Umgang. Ich sagte zu meinen Mann: „Wenn ich keinen Umgang mit ihnen unterhielte, kennte man mir den Vorwurf machen: Ich hätte vergeßen, das auch ich sonst bey dem Theater war.“ – Das wünschte ich doch nicht. Nie soll mich mein Glük stolz machen, so wie mich Armuth nie erniedrigen soll. – Ackermanns, so oft es ihre Zeit oder der zwoo Töchter1064 ihre erlaubte, waren sie bey mir, und ich suchte ihnen so gut wie möglich Freude und Vergnügen zu verschaffen. Herr und Madame Ackermann [608]
bestanden darauf, das sowohl mein Mann wie ich freuen Eintritt in ihr Schauspielhaus haben solte. – Kummerfeld wolte nicht. Ackermann sagte: „Wenn Sies nicht annehmen, so komme ich mit meinen Kindern nie wieder in Ihr Haus. – Bin Ihrer Frau von altersher vielen Danck schuldig; das freue Entree sollen Sie haben, das Sie in Maynz
dass Zuschauerraum und Bühne leicht in einen Tanzsaal umgewandelt werden konnten. 1767 erhielt er die Erlaubnis, pro Jahr sechs Maskenbälle abzuhalten. Auch nach seinem Weggang diente das Theater im Winter und in der Karnevalszeit als Tanzsaal; Eichhorn, Ackermann, S. 81, 83, 212. 1061 Englische Tänze (Anglaisen) waren volkstümliche Kontratänze für eine beliebige Anzahl von Paaren und vom 17. bis in das 19. Jahrhundert hinein auf größeren Tanzveranstaltungen wie Maskenbällen im Wechsel mit Menuetten besonders beliebt. Der Name Kontratanz/Country Dance rührt vom Ursprung dieses Tanztyps, einem ländlichen Tanz, der auf den britischen Inseln gepflegt wurde. Lit.: Eichhorn, Ackermann, S. 321; Dahms, Country Dance, Contredanse, in: MGG Sachteil 2, Sp. 1008–1020, hier Sp. 1016. 1062 Charlotta Augusta Abendroth (* 19. Nov. 1768 Hamburg, † 12. Nov. 1785 Hamburg). 1063 Die Hamburger Entreprise mit dem Nationaltheater war nach zwei Spielzeiten aus finanziellen Gründen gescheitert. Konrad Ackermann übernahm auf Ostern 1769 erneut das Theater. Er reiste mit seiner Gesellschaft zunächst vom 15. März bis 15. September nach Braunschweig, vom 21. September bis 8. Dezember spielten sie wieder in Hamburg; Eichhorn, Ackermann, S. 90–97, 254. 1064 Dorothea Elisabeth und Charlotte Ackermann bildeten nach dem Abgang der meisten Hamburger Schauspieler mit ihren Eltern und ihrem Halbbruder Friedrich Ludwig Schröder den Stamm der Ackermannschen Gesellschaft; Eichhorn, Ackermann, S. 95.
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nicht das Engagement nach Wienn annahmen1065. Nein, den redlichen Streich, den Sie an mir bewiesen, habe ich Ihnen noch nicht vergeßen. – Auch nicht belohnen kennen. Nehmen Sie also nun das zur Wiedervergeltung an.“ – Also, wir nahmens, für mich wars angenehm und der einzige öffendliche Ort, wo ich allein hinging, aber wo mein Kummerfeld mich auch jedes Mal des Abens abholte. An einen Morgen, schon im August, schickte Herr Abendroth zu mir und laßt mich bitten, den Mittag auf seinen Garten zu speisen. Ich antwortete seinen Bart1066, mein Mann weis es nicht, und der ist nicht mehr zu Hause. Bart sagte: „Ich bin bey Herrn Kummerfeld in der Banco gewesen, und er hat gesagt, Sie solten nur hinausgehen.“ – „Gut, wenn das ist, will ich kommen.“ – Doch da Herr Abendroth von mir kein Zutrauen hatte, schrieb ich ein Billet an meinen Mann und erkundige mich darinnen, ob es wahr sey. Die Antwort kam zurück, ja! und des Abens wolle er kommen und mich abholen. Nun wars gut, und ich kam an, wurde auch sehr wohl aufgenommen. Gegen Abend kam mein Mann. Abendroth sezte ihm zu, das wir die Nacht dableiben solten. Auf vieles Bitten gab mein Mann nach, und wir blieben. – Den Morgen wolte ich in die Stadt; aber er bestand durchaus darauf, das ich den Mittag noch dableiben solte und mich mein Mann den Abend abholen. Mehr seiner Frau als ihm zu Gefal[609]
len blieb ich, das sie Geselschaft hätte. Den Mittag kommt nach der Suppe ein Stück eingesalzen Schweinefleisch – auf einmal verenderte sich die ganze Luft. Ich nahm ein Priese Tabak um die andere1067, Abendroth zerlegte das Fleisch und wolte mir vorlegen, ich dankte. – „Will mich an die Zuspeise halten.“ Seine Frau rürte nicht einen Bißen an, und die Kinder bekamen kein Schweinfleisch, allso fraß Herr Abendroth allein, und das mit beyden Backen. – Um den Ekel zu vertreiben, den ich hatte, hielte ich mich an den Wein und trank statt meine zwey Gläser wohl drey und ein halbes. – Als er sich volkommen sattgegeßen und gewiß über 1 1/2 Pfund hinnuntergeschlukt hatte, fing er an zu rüchen und sagte zu seiner Frau: „Mama, ich glaube, das Fleisch ist nicht recht frisch mehr – es rücht.“ – „Ich weis es nicht; ich habe den Schnupfen.“ – „Frau Schwester, was sagen Sie?“ – Mir bange für die Frau, antworte ich – „Ich glaube auch,
1065 Ackermann spielt hier auf Karoline Kummerfelds Loyalität zu ihm im Jahr 1762 an, von der sie in HHS, S. [241]–[245] ausführlich berichtet. 1066 Nicht ermittelt. 1067 Dass der Gebrauch von Schnupftabak nicht nur dem Vergnügen, sondern auch zum Übertünchen unangenehmer Gerüche dienen konnte, darauf weist Otto Ulbricht am Beispiel dieser von Kummerfeld geschilderten Mahlzeit hin; Ulbricht, Tabakkonsum, S. 305 f. (zum Schnupfen von Frauen s. a. oben HHS, S. [180]).
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das es etwas weg hat – hab keins gegeßen.“ – „Gewiß, das Fleisch stinckt. Aber Mama, hast du es den nicht gerochen, als es zum Feuer kam?“ – „Wie gesagt, ich habe den Schnupfen.“ – „So hät es die Köchin rüchen sollen. Eine kluge Hausfrau richtet sich den auf etwas anders, besonders, da Frau Schwester Kummerfeld auch da ist.“ – „O, ich bin satt. Mache mir überhaupt aus dem Fleisch nichts.“ – Bey mir selbst aber machte ich die Betrachtung: Man spricht über Abendroths Tollkopf, mag aber auch wohl Ursach haben. – Dein Mann ist gewiß gut; aber wen du ihm solch eine Schüßel auf den Tisch brächtest, und wen wir auch allein wären, würde er sie die Treppe hinunterwerfen und hätte recht. – Abendroth giebt nur so einen kleinen Verweis – mag wohl nicht so ein gar böser Mann gegen seine Frau seyn. [610]
Wie wir vom Tisch aufgestanden waren, blieb ich mit ihr im Zimmer. Er aber ging und wühlte im Garten herrum, um seine Malzeit zu vertauen. Kaum waren wir alle[i]n, so fing sie an: „Nein, solch ein Mann ist in der ganzen Welt nicht. – Sie wißen, wie sehr er Sie gestern bat, die Nacht dazubleiben, auch schon vom heutigen Mittag sprach. – Da sagte ich zu ihm: Papa, du hast die Frau Schwester auf morgen Mittag gebeten; weist, das ich das lezte Schweinfleisch kochen soll, kanns nicht länger liegenlaßen, den es ist seid den lezten November im Salz, wo er soviel Schweinefleisch einkaufte, weil ers so wolfeil bekam. Will nach die Stadt schicken und ein Pfund Kalbskarbinat1068 holen laßen. – Was! Kalbfleisch holen laßen? Das unterstehe dich! Hat sie heute den ganzen Tag hier gefreßen, morgen habe ich sie wieder. – Will sie das nicht freßen, so kann sies bleiben laßen. – Geb keinen Schilling für sie aus.“ – „Frau Schwester, wer wahrlich nicht gekommen, wen er mich nicht hätte bitten laßen.“ – „Ach, laßen Sie es mich nicht entgelten! Aber da sehen Sie, welch ein Mann er ist.“ – Nun hörte ich den Klagen und Geschichten, wo 20 Weiber genug gehabt hätten, es zu tragen, ich trößtete sie, so gut ich konnte, gab ihr den Rath, ernsthaft mit ihm zu sprechen, und wenn das nicht hilft, es ihren Onckel und Brüder zu sagen, damit die ihr ein beßeres Schicksal bey ihm machten. – „Ich würde es thun, wenn ich sehe, das ich mit aller meiner Güte und Nachgeben nichts bey ihm ausrichtete.“ – Sie weinte und sagte nur: „Ach, er ist ein gar zu böser Mann, brächte mich um. – Ich liebe die Kinder. – Und nun meine kleine Auguste.“ Sie konnte keine Maßregel nehmen1069, aber ich hatte die meinen
1068 Kalbskarbonade: Auf dem Rost gebratenes Rippenstück vom Kalb, Kotelett. 1069 Vorkehrung treffen, seine Handlungen danach einrichten.
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schon gemacht und wartete auf meinen Mann mit vieler Ungeduld. Endlich kam er. „Ha! Mein Männchen! Mein Mänchen“, sagte ich und flog ihn wie ein Pfeil entgegen, wo mir freylich Abendroth mit seinen dücken Wanst nicht nachkonnte. Wie ich bey ihm war, sagte ich mit einen Blick voll Ernst: „Kummerfeldt, wo du mich lieb hast, so las dich nicht überreden, die Nacht wieder dazubleiben, die Ursach solst du zu Haus erfahren – doch nun still! und las dir nichts merken.“ – Nun kam uns dan das gute Geschöpf entgegen, auch ihr liebenswürdiger Mann. Durchaus solten wir die Nacht dableiben. – Aber mein Mann kannte mich und lies sich nicht überreden. – Wir gingen fort, und nun erzelte ich ihm, was vorgefallen. Kummerfeld erstaunte! Welch ein Mann – und einfältig von seiner Frau, das sie mir es gesagt. – Aber beschloßen von uns beyden, keine Nacht wieder in seinen Haus zu schlaffen. – Ja, sogar nie wieder ohne förmliche Einladung zu ihm zu gehen. Und das haben wir beyde redlich gehalten. – Den 27. September bin ich den Abend in der Comödie1070. Mein Mann kommt zu mir in die Loge und sagt mir ins Ohr: „Weist du was Neues? Guthart1071 ist tod.“ – „So?“ war meine Antwort. Guthart war ein College von meinen Mann, dem aber schon vor einige 30 Jahren der Schlag getroffen hatte, folglich nicht mehr arbeiten konnte. Nun, weil er noch lebte, mußte allezeit der jüngste von denen 3 ältesten Bancoschreibern diesen Guthart von ihren Einkommen 1000 Thaler Banco auszahlen, solange Guthart lebte, nebst 24 Hüten Zucker, die ein Extraeinkommen ist von denen Zukerbeckern an die Herren in der Banco1072 – uns blieb dem ohngeachtet soviel Zucker nach, das wir nicht allein genug in unsere Haushaltung übrig hatten, sondern auch noch an Verwandte [612]
und gute Freunde Presente machte. Dieses Geld hatte mein Mann 11 Jahre an Guthart ausgezalt. – 1000 Thaler Banco ist eine artige Summa in ein Hauswesen, wie die unsrige war. Wir kamen nach Haus und sprachen nun von dem Alten, sein Leben und Tod. – Mein Mann wurde ernsthaft, sah mich an und sagte: „Ich weis nicht, wie du mir vorkommst.“ „Warum?“ – „Du bist so kalt. – Freust dich nicht. – Bedenke selbst, 1000 Thaler Banco.“ – „Warum sol ich mich freuen? – Hab ich nicht alles, was ich 1070 An diesem Abend spielte Ackermanns Gesellschaft Die ungewöhnlichen Nebenbuhler, Lustspiel von Theodor Gottlieb Hippel; Eichhorn, Ackermann, S. 254. 1071 Jacob Guthart († Sept. 1769) Buchhalter in der Kaufmannsbank der Hamburger Bank, als verstorben erwähnt in: Staatsarchiv Hamburg 312-9, 19 Bd. 1, S. 92 („Eydt und Caution Buch der Lehn und WechselBanco 1764–1801“). 1072 Wie vielfach in der Neuzeit bestand der Lohn der Hamburger Bankangestellten nicht nur aus Geld-, sondern auch aus Naturallohn, hier aus 24 Zuckerhüten, die die Zuckerbäcker lieferten. Lit.: Reinhold Reith, Lohnarbeit.
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wünsche? – Verlange ich beßer zu leben? – Geld kann mich nicht glüklich machen. – Gott erhalte dich mir nur. – Reicher kannst du werden, mich machen, aber nicht glüklicher.“ – „Ja, aber nun kann ich noch beßer für dich sorgen. – Warscheinlich sterbe ich doch eher wie du, nun kann ich also auch mehr für dich thun, als wie ich sonst für dich hätte sorgen kennen.“ – „Dank dir, Lieber! und sey versichert, wenn du Millionen Einkinfte hättest, ich doch immer mich so betragen würde in Kleider und Aufwand wie bisher. – Nicht brächtig, nur ordendlich.“ – Wir lebten also still – aber nun wolte mein Mann ein größeres Haus mithen – war zwar so viel wie möglich dagegen, doch versprechen wolte er mirs nicht. – Den Anfang von Winter wurde ich durch eine große Verkältung sehr krank. – Oft wuste weder Docter noch ich selbst, was mir war, ich nahm zusehens ab, und alle meine Freunde besorgten eine abzehrende Krankheit1073. – Erst gegen dem Ende des Decembris enderte es sich, und ich wurde wiederhergestelt. – Mein Mann wolte durchaus in ein ander Haus – und ich weis nicht, mein kleines Häusgen zu verlaßen, bey dem Gedanken wars nicht anders, als ob sich die Seele vom Körper trenen solte. – Er blieb dabey und bekam Anschlag auf ein neu Haus [613]
in der Neuen Straße1074. Den 10. Jenner 1770 kommt mein Mann und sagt zu mir: „Heute, gleich sobald wir abgespeißt haben, solst du mit mir das Haus besehen, ob es dir auch gefällt.“ „Sehr gerne, wenns nicht anders seyn soll.“ – Er geht fort, kommt um 2 Uhr nach Haus und bringt mir einen Gruß vom Onckel mit. – „Dank dir! Was macht der gute Alte?“ „Er ist wohl. Ich wolte ihm noch bey seiner Arbeit helfen, sagte aber: ich werde schon allein fertig, gehe er lieber zu seiner kleinen Frau nach Hause und griese er mir sie.“ Wir speisten, besahen das Haus, das sehr hiebsch war, und kamen halb 4 schon wieder in unsere Wohnung. Kaum waren wir in Zimmer, so trat der Bediente vom Onckel ganz außer sich zu uns herrein: „Ach! Herr Kummferfeld, kommen Sie doch geschwinde zu Madame Schreiber, Herr Hilbrand ist sehr krank.“ Wir wolten beyde fort, mein Mann wolte nicht: „Schone deine Gesundheit, ich bitte dich“, und fort, fort war er. – Doch würde ich nachgegangen seyn, wenn nicht so vieler Besuch gekommen – ich war in schrecklicher Angst. Endlich, als ich michs merken lies, gern bey meinen Mann in Onkels Haus zu seyn, so gingen sie fort des Abens, ich wolte 1073 Wie z. B. Auszehrung: Schwindsucht. 1074 Die heutige Neustädter Straße; Horst Beckershaus, Die Hamburger Straßennamen, 5. Aufl. Hamburg 2002, S. 261. – In den Rechnungsbüchern des Marstallkutschers als Leichenwagenfuhrmann, der 1777 Diedrich Wilhelm Kummerfeld zu seiner letzten Ruhestätte gebracht hat, wird als Adresse Neue Straße 8 genannt; Staatsarchiv Hamburg, 111-1 Sen. Cl VII Lit. Cc Nr. 7 Vol. 22 Fasc. 1 Bd. 2, S. 147a.
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nun mit ihnen gehen, so bat mich mein Mädchen, doch zu Hause zu bleiben – nach vielen Nachforschen sagte sie mir die Wahrheit, nehmlich das der Onckel schon tod gewesen wär, da Jeroms1075, der Bediente, die Nachricht brachte, er wär nur kranck. – Ich liebte den guten Onckel. Wer kann sich meinen Schreck denken, nun lief ich wie rasend nach dem Haus und fand alles noch in der größten Bestirzung. – War gesund nach Hause gekommen, wolte sich auskleiden laßen, fält um und war tod. – Die große Kälte und die gleich sehr heiße Stube, in die er kam, mag mit [614]
zu seinen schnellen Tod mit beygetragen haben, den als ein Mann von noch nicht 56 Jahren hätte [er] noch länger leben kennen. Tod war er, und die liebe Tante bestand darauf, das ihr Bruder so prächtig, wie man nur in Hamburg beerdigen kann, solte zur Ruhe gebracht werden. – Der Bruder hats verdient. Ihre größte Sorge war nur noch der Bediente Jerom Kühn, zu dem sie Gefatterin war, und dem ihr Bruder Rechnen und Schreiben lehren laßen und Bedienter im Haus war. – Wen der keinen guten Herrn bekäm. Ich sprach mit meinen Mann davon: „Selten“, sagte ich, „vertragen sich zwey weibliche Bediente. Der Bursch ist treu und ehrlich, mich traf das Unglük, das ich zwey Winter krank gewesen und wir doch noch eine Bediente gegen den Winter nehmen wollen, nimm Jerom zu dir. – Auch beßer für dich des Nachts aus der Banco zu begleiten. – Bey dem Onckel ist Jerom auf keine Kutsche gestiegen, bey mir soll ers auch nicht. – Über so was bin ich hinaus, Tante zuliebe, das die eine Sorge weniger hat, deiner Bekömlichkeit wegen in der Banco und für mich, wenn ich wieder krank und bettlagerig werden solte, nicht aus dem Bett in die Kälte zu gehen und das Haus selbst auf- und zuzumachen, wie es mich traf, wenn Wärterinnen nicht sind, wie sie seyn sollen.“ Kummerfeld thats ungerne – doch er sagte doch entlich ja. – Wer war fröher wie ich, da ich mit der Nachricht zur lieben Tante kam. Sie küßte mich für Freude, und was sie so froh sey, das Kummerfeld eine so gute Frau bekommen. Jerom kam nun in die Stube und ihm [615]
seine neue Versorgung berichtet. Vor lauter Freude warf er sich mir zu Füßen und dankte unter vielen Thränen. – „Ach Gott! Heute Morgen betete ich zu Gott auf meinen Knieen um Versorgung, und nun schickt er sie mir durch Madame zu. Gott lohns Ihnen.“ „Still davon, ich hoffe, Er bekommt eben so einen guten Herrn wieder. Muß aber nie vergeßen, was Er Madame Schreiber schuldig ist. Nur ihr zuliebe kommt Er zu
1075 Jérôme Kühn, Patensohn von Gertrud Schreiber (HHS, S. [614]): Nicht ermittelt.
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mir.“ – Die gute Tante war auch nun so vergnügt wie möglich. Endlich den 17ten1076 war der Tag des Begräbniß. – Alles war nun in Trauer versezt: Herrschaft und Bediente, Waßereimer und Margtkörbe, Theetisch und alle Schlößer an Schränken und Thüren am Haus und auf der Diele1077, Zimmer, wo der Sarg stand, der brächtig war mit vollen zinnern Beschlag, das nur hin und wieder das schwarze Tuch, womit er bezogen war, durchschimmerte. Küßen und das Lacken1078, so in aufgedudelten Falbalas1079 um den Sarg hung, war von weißen Adlas1080. Der Tode selbst hatte ein Sterbekleid von weißen geblümten Moor an, und das alles war garniert mit weißen Chenillien-Blonden1081, und da solche in der Mitte zusammengeneht waren, um die geherige Breite zu haben, so kam nun jede Elle nur einen halben Thaler. Wie viele Stüke darauf gegangen, weis ich nicht. Übrigens war noch das Kleid mit vielen dutzenden weißen italienschen Naturellblümgens1082 besezt. Zweiffele, ob je ein großer Monarch prächtiger im Tod dalag, hätte den müßen in Gold- oder Silberstof liegen und Geschmeide an sich gehabt haben. – – 4 Pferde zogen den [616]
den besten Himmelwagen, und reitende Diener1083, wie man sie nante, folgten. – Mein guter Mann hat mir nie gesagt, wieviel es überhaupt gekommen mit Strafgelder, weil man sich über die gewöhnliche Verordnung der Bürger erhob, und allen Kosten1084. – Übertrieben wars immer. – Wär die ganze Familie so reich gewesen – nun gut. Aber Fritschens waren es nicht. – Und wen man dieser mehr erben laßen wie die übrigen,
1076 17. Januar 1770. 1077 Tatsächlich mussten nach Hamburger Brauch im 18. Jahrhundert nicht nur alle im Haus lebenden und arbeitenden Personen mit Trauerkleidung ausgestattet, sondern auch Utensilien „vom Türdrücker bis zum Kücheneimer“ schwarz behängt oder angemalt werden; Otto Erich Kiesel, Die alten Hamburger Friedhöfe. Ihre Entstehung und ihre Beziehungen zum städtischen und geistigen Leben Alt-Hamburgs, Hamburg 1921, S. 76. 1078 Kissen und Laken. 1079 Wohl aufgebauschte Rüschen. 1080 Atlas: Satin, ein Gewebe das in Atlasbindung hergestellt wird. 1081 Borten oder Spitzen aus Chenillegarn (franz. chenille = Raupe), einem Garn mit einer samtigen Oberfläche, das aus einem inneren Faden und vielen kurz geschnittenen, damit verzwirnten Florfäden besteht. 1082 Naturellblümchen: Der Natur sehr ähnliche Kunstblumen. 1083 Die Reitendiener waren ursprünglich eine Garde des Hamburger Rats. Reitendiener begleiten bis heute als Sargträger feierliche Begräbnisse; Hamburg Lex, S. 398. 1084 Mit den Leichenordnungen von 1729, 1743 und 1746 wurde versucht, dem bei Beerdigungen üblichen Luxus Einhalt zu gebieten. Es war in weiten Kreisen üblich, die Bestimmungen wissentlich zu übergehen und die Zahlung von Strafgeldern in Kauf zu nehmen; Dreiling, Leichenzug, S. 57 f.
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von der Verschwendung der Leichenkosten abgerechnet, würde unstreutig die Familie mehr Gottslohn, mehr Ehre und weniger Nachrede gehab[t] haben. – Es ist in Hamburg gebräuchlich, das, sobald in einer Familie Trauer einfällt, jeder Verwandter die Fensterladen zumachen muß1085, ich hatte das auch thun laßen und erkundigte mich, wen ich solche wieder wegnehmen dürfte? – „Sobald die Zuckerhüte in Hause sind.“ Das gescha den den Morgen nach dem Leichenbegängniß. Im Trauerwagen kamen die Dienstmädchen in tiefer Trauer angefahren, hatten auf großen Schüßeln in einer Torte einen Hut Zucker stehen mit vielen Confect belegt, sehr kinstlich in eine Serviette gestochen, und sezten eine solche Schüßel ab1086. – Was für Moden! dachte ich, die nur Verschwendung ist. – Da wir also Himmelfart ausziehen wolten, das Haus vom Onckel verkauft wurde, so wolte die Tante nun unser klein Häusgen beziehen. – Gönte es ihr am liebsten, ja würden ihr noch lieber mein größeres gegönt haben, wen ich nur nicht hätte ausziehen dürfen. – Ein großers Haus forderte mehr Mobilien. Da nun Onkels Hausrath verkauft wurde, solten die schönen Möbel in der Familie bleiben, und Herr Vetter Kummerfeld mußte vieles an sich kaufen. – Herr Vetter Kummerfeld war auch viel zu gefällig, um solches ab[617]
zuschlagen, kaufte drauf los, das mir die Augen hätten mögen übergehen. Den die Aufkäuffer merktens, das er gewiße Stücke durchaus haben wollte, also mußte er solche auch bezahlen. – Wo Vortheil gewesen wär bey Silber und dergleichen – ja, das bekamen die Juden1087. – Sagen durfte ich nichts, den es würde doch nichts geholfen haben. Nur bey zwey große Spiegel und Marmortische konte ich nicht an mich halten und sagte laut: „Aber merkst du den nicht, das man dich mit aller Gewalt in die Höhe treibt.“ – Der Auftreiber1088 wurde bestürzt, und das Gebot war auf meines Manns Seiten, und so bekam er einen Spiegel mit dem Tisch um 22 Mark wolfeiler wie den andern. – Mein Mann wolte auch für mich sorgen und kaufte mich in die dort errichtete Christen-Mäckler-Wittwenn-Kaße mit 400 Mark1089. Zulage war alle Vierteljahr 16 Mark. 1085 Dies ist eine Steigerung des im 18. und 19. Jahrhundert allgemein üblichen Brauchs, die Fensterläden eines Trauerhauses geschlossen zu halten. 1086 Sog. „Trauer-Marzipan“ oder „Zuckertoppen“, mit Wachsblumen verziert, wurden am Tage nach der Beerdigung in Servietten gehüllt als Dank an die Trauergäste gesandt; Kiesel, Friedhöfe, S. 77. 1087 Möglicherweise spiegelt sich in dieser Äußerung die in Hamburg weit verbreitete Judenfeindschaft wider; zur Situation der Hamburger Juden im 18. Jahrhundert s. Kopitzsch, Sozialgeschichte 2, S. 502– 516. 1088 Mitbieter. 1089 Die Statuten der 1758 gegründeten Versorgungskasse sind abgedruckt in: Artikel zur Witwen- und Waisen-Casse der hiesigen beeidigten Christen-Mäckler. Revidiret im Jahre 1761, Hamburg 1774
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Stürbe ich eh[e]r wie er, ist das Geld verlohren, stirb[t] er nach 4 Jahren des Einkaufs, so wird der Wittwe alle Jahr 400 Mark ausgezalt. – „Ist auch sicher?“ Die Antwort war: „Wirst es doch nicht beßer verstehen wollen als so viel geschickte RechenmeisterCXLIX in der Stadt?“ – eingekauft war ich. Nun erhielte ich das Buch, wo in Artikeln die Einrichtung derselben abgefast stand1090, nebst meinen Billets darüber. – Las solche sehr aufmerksam durch, und kurz, ich kont mir nicht helfen, mußte die Anmerkung darüber machen: „Ich bin kein großer Rechenmeister – aber soviel kann ich mit eins übersehen, das, wenn halweg ein Absterben unter die Männer kommt, die Kaßa in die Luft fliegt. – Kann nicht das ausführen, was sie verspricht.“ – Kummerfeld wurde böse. – „Wünsche, das du recht und ich unrecht behalte, Gott las alle Männer leben, das keiner von denen Intresenden unter 20 bis 30 Jahren stirb – sterben aber nur 10 oder [618]
15 alle Jahr, und die Wittwen haben Kinder nur die Helfte von ihnen, so ist die Kaßa in 10 Jahren zum Teufel. – Wirst erleben! Ich sag dir, hätte ichs vorher gewust, mich hättest du nicht hineinkaufen sollen. – Hatte mir lieber die 400 Mark von dir geben laßen und die 64 Mark jährlicher Zulage, würde sie beßer zu nüzen wißen. Und wenn die Caßa bancrot wird, war ich mit meinen Capitälgen gekommen und hätte gesagt: Da, Lieber, das habe ich dir und mir gerettet.“ – Geschen wars, das mir sehr leid war; aber mein Mann konnte von seinen Landleuten nicht dencken, das [es] darunter Leute ohne Köpfe gab und seine Frau mehr Kopf haben solte. – Blieb der Entscheidung der Zeit über, wer recht behalten würde. – Himmelfart1091 zogen wir den in unsere neue Wohnung. – Alles zeigte von Geschmak und guter Ordnung. War gewiß jedes von denen 7 Zimmern so, wie es sein mußte. Eingeweiht wurde es nach und nach den Sommer, den alle Verwandte und Freunde solten sich mit uns freuen. – Mein lieber Kummerfeld fing auch nachgerathe wieder an, seine übele Launen zu bekommen – doch gingen solche bald über. – Nur behauptete ich in gewissen Dingen meinen Kopf, und davon hätte ich mich nicht wegbringen laßen. – Mein Mann liebte den Aufwand – ich nicht. Geizig war ich nicht – nur Verschwenden wolte ich nicht zugeben. – Meine Tafel solte gut, aber nicht toll seyn. Durchaus blieb ich bey meine z[w]ey oder, wenns hochkam,
(VD18 11820160; http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/dms/werkansicht/?PPN=PPN723567999, Zugriff am 5.7.2020). Lit.: Eve Rosenhaft, Geschlecht und Sicherheit. Paradoxien an den Anfängen der Lebensversicherung in Deutschland, in: Christoph Kampmann/Ulrich Niggemann (Hg.), Sicherheit in der Frühen Neuzeit. Norm – Praxis – Repräsentation, Köln/Weimar/Wien 2013, S. 430–440; Joseph Ehmer, Witwenkasse. 1090 Also eine frühere Ausgabe des unter VD18 11820160 verzeichneten Buches (s. vorherige Anm.). 1091 24. Mai 1770.
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3 warmen Hauptschißeln1092. – Die waren gewählt und schmackhaft. Der Nachtisch war brilland – das konte ich leicht, den der Zucker kostete mich nichts, und alles verfertigte ich theils selbst oder wurde in meinen Haus gemacht. – Wenn wir einige bey uns zu Tische hatten, in deren Häusern oft drey, vier und mehr Gänge waren und jeder Gang von 6 Speisen, sagte den mein Mann: „Wir solten doch [619]
gewiß, da die bey uns sind, einige Schüßeln mehr haben.“ – „Und warum? Du weist, wie gern ich dir nachgebe, nur darinen nicht. Hätte ich die gewiße Versicherung von Gott, das, solange ich lebe, ich meinen Freunden 10, 12 und mehr warme Schüßeln vorsezen könnte, ich würde es thun. – Bin zu stolz, als das man mir einst nachsagen solte: Ja, nun stimmt sies herrunter. – Soviel bin ich gewiß, das Gott mir immer soviel laßen wird, meinen Freunden eine Schüßel Fisch und Braten geben zu kennen. – Besuchen sie mich, wenn ich weniger habe, gut, sie waren von jeher gewohnt, meinen Tisch so bey mir zu haben und werden dan ebenso vergnügt bey mir seyn wie bisher.“ – So blieb ich mir gleich in allen. Lies ich mir ein neu Kleid machen, so mußte ich es kehren, wenden und stürzen kennen, wens alt wurde, wie ich wolte. Kaufte weder Stoffe noch Adlas. – Brachte es zwar in meiner Garderobe mit – lies aber kein Neues verfertigen. – Wenn ich nicht unumgänglich fahren mußte, fuhr ich nie. Auch im schlechtesten Wetter ging ich zu Fuße und kleidete mich darnach an. Wenn man den zu mir sprach: „Madame, Sie gehen in solchen elenden Wetter! Wenn Sie nicht fahren wollen, wer soll den fahren.“ „Die, die fehig sind zu fahren bis an ihr Ende. – Jezt bin ich noch jung, kann gehen und meiner Füße mich bedienen. Stirbt mein Mann eher wie ich, so weis ich, das ich den daß nicht mehr so haben kann wie jezt. – Will in der Gewohnheit bleiben. Mir soll man nicht nachsagen: Ja! Jezt kann sie schön zu Fuß gehen; aber wie der Mann noch lebte, nicht quer über die Straße. – Das nicht! Will Gott mir die Gnade geben, wenn ich alt werden solte und ich mir dann einen Wagen bedienen kann, sols meinen alten Füßen wohl thun. [620]
Aber solange solche noch jung und gesund sind, sollen sie laufen und mich selbst tragen.“1093 Mit meinen brächtig eingerichteten Haus machte ichs ebenso. Wenn man 1092 Hauptschüssel: Hauptgang. 1093 S. dazu: Heidi Ritter, Über Gehen, Spazieren und Wandern von Frauen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Wolfgang Albrecht/Hans-Joachim Kertscher (Hg.), Wanderzwang – Wanderlust. Formen der Raum- und Sozialerfahrung zwischen Aufklärung und Frühindustrialisierung, Tübingen 1999 (Hallesche Beiträge zur europäischen Aufklärung 11), S. 91–104, hier v. a. S. 100–102 (Karoline
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mir sagte: „Wie glücklich sind Sie, wie herrlich können Sie leben.“ – „Seh alles an wie geborgt. Gott gabs mir, Gott kanns mir nehmen. – Will gute Absicht darüber haben. – Das, wenns mir heute oder morgen wieder abgefordert wird, ichs so gut überliefere, als wie ichs erhielte.“ – Manche hielten es für Afectation – „Nein, ihr irrt. Wünsche freylich nicht, das Gott mich arm machen soll. Will ihm loben und preisen, wenn er mich im Wohlstand läßt bis an mein Ende.“ Wie ich noch bey dem Theater war, da war mir meine alte Mutter, ihr Anblick und nach ihren Tode das Andencken an sie meine Schuzweste gegen allen Eigendinkel und Hochmuth oder Verachtung gegen alte Schauspielerinen. – Jezt, da die Welt sagt, ich bin eine reiche Frau, seht (hier halte ich mein blechenes Kästgen mit den Perlen), seht, dieses mein liebes Kästgen ist das Mittel, mich für Übermuth zu schüzen. Aus diesen Kästgen nahm ich Perlen, schnirte solche zu einen Halsband, nahm dergleichen Ohrnringe, als mein Vater mit dem Tode rang, meine Mutter ohne Hofnung zur Genesung im hizigen Fieber lag – mein Bruder und ich in 24 Stunden nichts gegeßen hatten, keinen Heller Geld hatten – aus dem Kestgen nahm ich Hilfe, Carl holte uns Brod und ein wenig Käß – stillten unsern Hunger. – Muß mir das Kästgen nicht ewig heilig seyn? – Das soll und wird bey mir bleiben, und wenn ich Millionen Einkinfte hätte1094. – Wird mich nie vergeßen laßen, das ich auch einst arm war. – Und soll ichs wieder werden, mich nicht in Verzweuflung stürzen. Mich nicht niederdrächtig im Creuz und Elend, aber mich nicht stolz und übermüthig im Wohlstand machen. [621]
So blieb ich mir stets gleich; – und mußte bey solchen Gesinnungen, die Grundlagen meines Herzens waren, mir auch stets gleichbleiben. Da ich, weil es zu viele Beziehungen weiter hinaus auf Vorfälle hat, die zum Ganzen geheren, muß ich einige Vorfälle berühren, die hier am besten sich hinpaßten. – Ich hatte meine Spielkaße für mich. Zu der schenkte mir mein Mann, sooft er in der Banco ans Buch kam, weil er den mehr verdiente wie sonst, von seinen Verdienst einen Spezies-Thaler1095, war also in einen Jahr 5 und in zwey folgenden jedes Mahl 4. Auch zum neuen Jahr bekam ich 3 Hollender Ducaten von ihm. – Ich spielte in Geselschaft – nicht hoch, aber immer Schulze-Kummerfeld – Gehen als Freizeitvergnügen); Gudrun König, Eine Kulturgeschichte des Spaziergangs. Spuren einer bürgerlichen Praktik 1780–1850, Wien 1996. 1094 Karoline Kummerfeld bezieht sich hier auf eine Passage, die sie in der HHS, S. [147 f.] erzählt. Auch in der WHS spielt sie auf dieses „Kästchen gegen Übermut“ an: WHS, S. [17v/48]. 1095 Speziestaler: Silbermünze, meist mit ausgeprägtem Kopf- oder Brustbild. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts war Speziestaler die Bezeichnung für die nach dem 9-Taler-Fuß geprägten Reichstaler, 1753 wurden die Konventionstaler so genannt. Ein Hamburger Speziesbanktaler galt drei Bankmark. Lit.: Schrötter, Münzkunde, S. 317, 645.
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ein gleiches Spiel und war zimlich glüklich. Hätte ich den erst eine kleine Summa beysammen, so war mein Wille, solche auf die Kammer zu belegen1096. – Mein Mann, da ich ihm heuratete, hatte nichts von Silber wie 6 Eßlöffel – das war alles; da ich also an Silber reicher war wie er und es einmal meine Schwachheit war, lieber Silber wie Dinge zu kauffen, in denen gar kein Werth ist, wen sie alt und verbraucht sind, bekam er auch Geschmack an Silber – er wolte mit einen Mal viel anschaffen. – Ich war vors viele dagegen. „Nein, da es doch für mich seyn soll, so schaffe alle Jahr nur etwas an. – Das zu unsern jedesmaligen Hochzeittag zum Andenken.“ – Das geschah den auch. In einen mehr, im andern minder, nur so, wie es seine Caße zulies. – Soweit mit uns. Der Tod des Onckels hatte viele aufmerksam gemacht und flößte Freuersgedancken gen die junge Demoiselle Fritsch1097 ein. Natürlich, eine alte Familie, die so gut wohnen, ein einziges Kind, so ein reicher Onckel, den sie geerb[t] – wer solte nicht Lust haben. – Ein Fähndrich oder Unterleute[622]
nant von der dasigen Garnison mit Namen Herr Pauli1098 wohnte in der Nachbarschaft und hatte nicht unterlaßen, meine Nichte mit vieler Ehrerbietung zu griesen. – Meine Nichte war auch wohl jedes Mal am Fenster, wenn dieser höfliche Offizier vorbeyging, welches den des Tages über oft genug war. – Doch lies sie sich nichts merken. Er, der vielleicht aus ihren freundlichen Dancken schloß, das sie ihm nicht abgeneugt seyn möchte: schickte einen Freuwerbrief1099 ab und läßt förmlich um Mademosell anhalten. Ich war den Nachmittag da. Das Mädchen war nicht mißvergnügt, gestand, das sie ihn lieber zum Mann haben würde wie einen andern. – Und was das Wunderlichste war, das nach Verlauf von einer Stunde ein anderer Leutenant1100 denselben Antrag machen lies. Zween Offiziers in meine Nichte, die ein Nönchen war, in denselben Johaniskloster1101, in welchen meine Schwiegerin sich hineingekauft hatte. Wirklich waren die Glüksumstände des andern beßer in jeden Betracht wie Herrn Paulis. Der war ohne Schulden, ein guter Wirth und besaß ein artiges Vermögen, auch war er jünger, viel hübscher von Person und Gesicht. – Herr Pauli hatte Schulden und weder Vermögen 1096 Geld belegen: Geld anlegen. 1097 Catharina Fritsch. 1098 Johann Peter Pauli (* 16. Febr. 1730 Hamburg, † 18. Febr. 1800 Hamburg). Pauli war 1761 Fähnrich, 1766 Unterleutnant, 1772 Oberleutnant, 1784 Kapitän. 1099 Freierbrief: Brief des Brautwerbers. 1100 Friedrich August Cropp identifiziert ihn mit Hinrich Plahn (* 5. Jan. 1741 Altenbruch/Hadeln, † 2. April 1785), 1764 Fähnrich, 1770 Unterleutnant, 1779 Oberleutnant; Kap. III.1 Anhang Cropp, [Bl. Iv]. 1101 Zum Johanniskloster s. HHS, Anm. 973.
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noch jemals was zu hoffen und 38 Jahre alt – auch nichts weniger wie hübsch, aber er konnte so schöne Complimente machen, sagte immer unterthäniger Diener – ganz unterthäniger Diener – wär doch ein gar artiger lüttger1102 Ofizier – kurz, Mutter und Tochter hatten sich, wie es schien, in den artigen, heflichen Menschen verliebt. Wurde also beschloßen, den mein Mann kam auch dazu, das Mutter, Tochter, die alte Schwiegerin und der Herr Pauli einen Nachmittag zusammen in un[623]
ser Haus kommen, sich da sehen, sprechen und einander kennenlernen sollen. Das gescha, wurde aber nichts von Heurathen oder Bindniße gesprochen, sondern nur von gleichgiltigen Dingen. Ging ganz nach dem alten Hamburger Gebrauch. Tochter und die Mutter ausgenommen, die ihm zum Manne und Schwiegersohn haben wolten, so war auch nicht einer in der ganze Fasilie1103, der’s gern gesehen, alle sagten: Ist eine dumme Heurath, die schlimme Folgen nach sich ziehen würde. Mir wurde die Comißion aufgetragen, weil sie alle wusten, das ich die Gabe hatte, das Kind bey dem rechten Namen zu nenen, Herrn Pauli so viel, wie nur immer möglich wär, abzuweisen. Strenge gegen die liebe Tochter und das Wort: Du solst nicht, konte man nicht gebrauchen, Trinaken (sie hies Catharina) könnte krank werden und sterben und fand an der Mutter zu vielen Beystand. Herr Pauli kam also zu mir, versichert mich, das ihm meine Nichte sehr wohl gefallen hat, und wen Mademoiselle und die Familie nichts dagegen hätten, er sie vor allen andern Frauenzimmern zu seiner Frau wünschte. „Herr Leutenant, mir ist die Sache übergeben worden, mit Ihnen zu sprechen. Muß Ihnen also reinen Wein einschencken, damit Sie wißen, was Sie sich zu versprechen haben. Nicht etwa heute oder morgen es meiner Nichte, die ich warhaft liebe, der ihr Glük und Ruhe ich wünsche, es entgelden laße. Sie bilden sich vielleicht ein, das meine Nichte reich ist oder wird? Aber Sie betrügen sich. Der Alte war einst in guten Umständen. Wurde durch böse Menschen und andere Verluste an Wahren ba[n]cerott. – Sein Acort, den er getroffen, war ehrlich – mithin blieb ihm wenig oder nichts nach. Machte keinen schelmischen1104 Bancerott, wie wir hier der Beyspiele genug [624]
haben. Die vor den Fall zu Fuß gingen und nach ausgemachter Sache sich Kutschen und Pferde anschaffen konnte. – Seiner Ehrlichkeit wegen erhielte er durch seinen alten
1102 Lütt: Klein. 1103 Familie. 1104 Betrügerisch.
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Patron1105, auf deßen Contooir er war, den Amsterdammer Bothendienst1106. – Stirb er, so hat meine Schwiegerin daran keinen Theil mehr. – Weiter: Ein rechtschaffener menschenfreundlicher Mann und alter Freund meines Schwagers giebt ihm alle Jahr eine angesehene Summa in seine Haushaltung. Dieser Mann ist Herr Lükens1107. – Niemand kann sich versprechen, das, wenn Fritsch stirbt, Herr Lükens das für die Wittwe thue, was er für den Mann that. – Den Herr Lükens hat selbst Kinder und thut unzählige Wohlthaten in der Stadt an dürftige Familien. – Das Übrige, was die Eltern mit ihrer Tochter brauchen, thut die Familie ihnen Guts. – Als Mäckler verdient der Alte nichts mehr. – Vielleicht kan Madame Fritsch Ihnen im Gespräch sagen (wenn Sie noch bey Ihren Gedanken bleiben wollen), das ihr Mann noch ein kleines Vermögen bey meinen Schwager Kummerfeld in der Deichstraße stehen hat. – Ich sage Ihnen aber in Namen meines Schwagers Fritsch, Hinrichs und meines Mannes: Nichts steht mehr da. Der Alte hats bey 100 Marken sich nach und nach auszahlen laßen. Seine Frau weis es nicht. – Die Geschwister wollten es ihr nicht sagen, um zwischen ihnen nicht noch mehr Uneinigkeit zu erregen, weil ja doch, wenn sie einmal Wittwe werden sollte, ihre kinftige Versorgung auf die Familie kommt. Weil in Hamburg ein Mädchen Geld haben muß, wenn sie nur halwegs eine gute Partie finden soll, und meine Nichte kein Vermögen hat, war die Familie für ihre kinftige Versorgung bedacht. Der selige Onckel und noch einige schoßen ein Capital zusammen und kauften sie [625]
gleich nach dem Fallissement1108 des Vaters als ein Kind ins Johannikloster. Nur noch eine oder zwey von denen Alten mißen sterben, so ist meine Nichte an der Hebung1109. Kann, wenn der Vater stirbt, ihre Mutter zu sich ins Kloster nehmen und ist, vermöge, was die Verwandte gewiß an beyden thun werden, versorgt und wohl, reichlich
1105 Nicht ermittelt. 1106 Fritsch war nicht Amsterdamer, sondern Emder Bote; s. Kap. III.1 Anhang Cropp, [Bl. Ir]. 1107 Nicht eindeutig ermittelt. Vielleicht handelt es sich um Nicolaus Gottlieb Lütkens (* 10. Mai 1716 Billwerder, † 10. Jan. 1788 Hamburg), Kaufmann und Senator in Hamburg. Sein Leben wurde als „ein Musterbild patriotischen Strebens und segensreicher Wirksamkeit“ beschrieben, nach seinem Tod wurde zu seinem Andenken „von seinen dankbaren Mitbürgern“ eine Denkmünze geprägt; Lexikon Schriftsteller 4, Nr. 2375. 1108 Falissement, Falliment: Als Falliment wird die Zahlungsunfähigkeit einer Person bezeichnet, die unschuldig oder durch Zufall nicht in der Lage ist, die Forderungen der Gläubiger zu erfüllen, im Gegensatz dazu bedeutet Bankrott die mutwillige oder mutwillig herbeigeführte Zahlungsunfähigkeit; Krünitz, Bankerot. 1109 Hebungen sind Einkünfte aller Art. Hier ist gemeint: nach dem Tod weiterer Verwandter bekommt die Nichte die Einkünfte.
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versorgt. – Denken Sie etwa, das sie nun durch die Erbschaft des Onckels reich geworden, so irren Sie sich auch. – Ja, wohlhabend war er, aber so reich nicht, als man vermöge des Begräbnißes glauben soll. Inzwischen würden Fritsch, wenn sie allein die Erben wären, freylich wohlhabende Leute werden. Doch mit der Erbschaft ists so beschaffen: Die ganze Maße, die nachbleibt nach Abzug aller Kosten, wird in 4 gleiche Theile getheilt. Drey Theile fallen an andere, und nun wird der 4te Theil in 10 Theile getheilt, davon erhält Madame Fritsch einen Theil, sowie mein Mann einen, weil der Geschwister zusammen 10 sind. Freilich kennen Sie denken, es sind noch viele Geschwister nach von Madame Fritsch. Wir haben keine Kinder. Dan bleiben noch 5. – Aber wenn meine Nichte und ihre Mutter eher sterben solte – welches doch mögliche Fälle sind, den die Mutter ist kränklich, und die Nichte kann in Wochenbett sterben, so fallen alle die Erbschaften weg. – Und nichts bleibt Ihnen noch, wen Sie ihr Mann werden und Kinder bekommen, wie die alte Klostertante. – Und die kann nur leben ordendlich, ist aber nicht reich. So ists, und wir wünschen, das Sie von Ihren Vorhaben abstehen. Tretten Sie zurick, so hoffen wir, das Sie davon in der Stadt kein Gerede machen. Was Sie der Folgen wegen wißen mußten, geht der Stadt nichts an; ob die wißen, wie es in Familien wahr beschaffen ist oder nicht.“ – [626]
Herr Pauli stand in Gedanken. Endlich sagte er zu mir: „Das mann Ihre Nichte ins Kloster gekauft hat, hat doch sonst keine Bewandniß, das sie etwa körperliche Gebrechen hat und nicht gesund ist.“ Ich mußte lächeln über die Frage. – „Nein, Herr Leutenant, dafür kann ich stehen! Sie ist von Herzen gesund; nur ihrer Versorgung wegen kaufte man sie ins Kloster, nicht aber wegen Leibesgebrächen.“ – „Ja, Madame, gestehen muß ich Ihnen, das ich mir ihre Glüksumstände doch beßer gedacht habe. – Den um auch aufrichtig zu seyn, muß ich Ihnen nur sagen, das ich auch einige Schulden habe; – und Erbschaften habe ich nicht zu hoffen.“ – „Also, Herr Leutenant, stehen Sie ab. – Die feurige zärtlichste Liebe erkaltet und bricht in Haß und Zwiespalt aus, wenn Mangel einschleicht. Meine Nichte kann vermöge ihrer guten haushalterischen Erziehung und ihres redlichen Herzens wegen noch immer einen Mann bekommen; wo nicht, glüklicher in ihren Kloster leben. Den so ein Kloster hat nichts von allen den Unangenehmen wie die Klöster bey uns.“ „Madame, ich will mich besinnen. Will mit meinen Vater1110 davon sprechen“ (der war Rathsmusicant, konnte aber seines hohen Alters wegen auch nicht viel mehr verdienen. – Die Mutter war lange Zeit krank, ein Bruder, der viel Menschenscheues an sich hatte, war auf einen Contooir,
1110 Nicht ermittelt.
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und die Schwester führte die Wirthschaft. Das war seine Familie1111). „Das thun Sie, Herr Leutenant, besinnen Sie sich, besinnen Sie sich wohl, und Sie werden uns wilkommner seyn, wen Sie ‚Nein‘ sagen laßen, wie ein ‚Ja‘ selbst bringen. Bauen Sie nicht auf die Liebe, die alle Onkels und Tanten zu meiner Nichte haben. Die Herzen der Menschen verendern sich. Leben Sie mit ihr in Unfriede, so haben Sie von allen nichts wie Has zu erwarten. – Allein zu wohnen, dazu reicht Ihr Auskommen nicht zu, und in einem Haus bey Schwiegereltern [627]
und Tante zu seyn, die alt und eigensinnig, ja selbst oft unter sich uneins sind, verspreche ich Ihnen nicht viel Gutes. – Im Gegentheil, noch weit mehr Böses, als gewiß noch nicht in dem Hause gewesen. Ihrer und meiner Nichte eigenen wa[h]ren Bestens wegen bitte ich Sie: Stehen Sie von Ihren Gedancken ab, aus wahrer Freundschaft rathe ich Ihnen daß. Ja, ich sage Ihnen noch mehr. – So sehr die Welt über mein Glük schreut, das ich gemacht habe mit meiner Heurath, so versichere ich Sie: Wenn ichs gewust hätte, das mein Mann eine so dürftige Schwester hätte – ich hätte ihm nie genommen. Noch kennen Sie mich zu wenig, aber Gott weis es, das es wahr ist.“ – Nun machte der Herr Leutenant sein Compliment und drolte fort. Bist du klug und erkenst dein Bestes, so kommst du nie wieder. – Und das gebe Gott, den meine Nichte rent sonst in ihr Verderben. Hurtig kleidete ich mich an und ging nach Fritschens Haus, wo man mich mit vieler Ungeduld erwartete. Der Alte schlief; und um solchen nicht zu stören, waren wir auf der alten Mamsell Zimmer. Wort von Wort erzelte ich jede Sylbe. Bis auf den Umstand, das Papa kein Geld mehr bey Hinrich stehen hatte. Meiner Nichte schiens nicht ganz recht. Den die weinte, die Mutter war still, nur die alte Mamsel sagte: „Nun, gewiß, der soll nicht sagen, das man ihm betrogen hat. – Gott gebe, das er wegbleibt. – Inzwischen ist meine Nichte noch nicht so ganz arm. Hat ohne ihren Spartopf 400 Mark Banco1112 auf der Kammer stehen. Auch eine Leibrente im Hannöverschen, wo sie noch – – (die Summa habe ich vergeßen) bekommt – und die noch beßer wird, wenn noch ein paar wegsterben. Das thut ihm nichts und ist umso viel beßer für unsere Nichte.“ „Kind, Sie wißen, wie sehr ich Sie liebe! Stehen Sie von dem Gedanken ab. Es ist warlich
1111 Familienmitglieder Pauli nicht ermittelt. 1112 Mit Eröffnung der Hamburger Bank 1619 wurde die bis 1873 gebräuchliche Bancomark eingeführt. Sie war im Unterschied zum umlaufenden Geld (Courantmark) mit schwankendem Wert eine Rechnungseinheit, deren Kurs zwischen 110 und 125 Courantmark betrug.
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Ihr Unglük. – Ein Unterleutenant, der nichts hat wie Schulden, keine Familie, um durchzusezen, das er höher steigt – dazu geheren Herrn Vettern, wenn nicht eine kleine epitemische Krankheit unter die Hauptleute kommt. – Hätte ich Ihre Verfaßung gewust, so lieb mir Ihr Onkel war, so wär er doch nicht mein Mann geworden. Wie glüklich, wie ruhig kennen Sie leben. – Alles macht Ihnen Freude, haben Sie erst Mann und Kinder, weg ist alles – wo Mangel an Geld ist.“ – Meine Nichte weinte und sagte: „Ja, Sie sind doch nun schon 2 Jahre verheyratet und haben doch noch keine Kinder!“ – „Wahr! Aber wißen Sie nicht, das die die meisten Kinder haben, wo das wenigste Brod ist?“ – Die Mutter sagte: „Ja, das muß man Pauli sagen, das er sich in acht nimmt. Ja, heist sich was in acht nehmen bey jungen Leuten.“ – Meine Nichte sagte: „Was hat es den meiner Mama geholfen, das sie einen reichen Mann geheyratet? Und noch dazu einen Mann, den sie nicht geliebt hat. – Soll ich also nicht viel haben, nun, so will ich doch lieber mit einen Mann leben, den ich liebe, als mit einen, den ich nicht leiden kann.“ – „Die Absichten Ihrer Großeltern waren gut. – Ihr Vater ist ein ehrlicher Mann. – Fand auch seiner Rechtschaffenheit wegen Freunde. – Haben noch mit Ihrer Mutter keine Noth gehabt, wenn Sie gleich nicht reich sind, und werden keine haben. – Die aber kennen Sie sich bey Pauli nicht versprechen. – Auch seine Höflichkeit und Compliemente werden schwinden, beßer er machte wenigere. – Wollen Sie einen Mann, nun so wählen Sie Blan1113, den andern.“ – „Ja, wenn der das so hört, wer weis, ob er sich nicht zurükzieht.“ – „Nein, das hof ich nicht. Hat keine Schulden, Sie auch nicht, nun Ihr beyderseitiges Vermögen zusammengenommen“ – – „Ja“, sagte die Mutter, „der gefält aber meinen Trinaken nicht. – Und da hat sie recht, will doch lieber mit einen Mann leuden, den ich mag.“ – Die [629]
gute Mutter dachte an ihren ehemaligen Freuer, der auch Leutenant war, nun aber Capitain ist, eine Compagnie hat, und wen sie den bekommen, jezt eine wohlhabende Frau seyn könnte. – Was sollte man anfangen? – Nun, es kommt darauf an, ob Pauli wiederkömmt oder nicht. Bis dahin Geduld. Der Vater war von seiner Nachmittagsruhe aufgestanden, wolte mich allein sprechen: „Haben Sie ihm den alles gesagt“, frug mich der redliche Alte, und Thränen waren in seinen Augen. „Ja, lieber Herr Bruder!“ – „Auch den Umstand, das ich nichts mehr von Hinrich zu fordern habe.“ – „Ja, auch den.“ „Recht so! Bin ein ehrlicher Mann. – Sie kennen ja mein Hauscreuz1114. – Will 1113 Hinrich Plahn, s. o. HHS, S. [622]. 1114 Hauskreuz: Den häuslichen Frieden störende Umstände; mit Hauskreuz kann aber auch die Ehefrau bezeichnet werden.
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meine Tochter nicht zwingen, ist mein einziges Kind; ich liebe sie. Sagen darf ich nichts, will sie sich nicht warnen laßen – so kann ich nichts dafür. Meine Frau bestärkt sie zu sehr. – Sie baut darauf, das ich einst reich war, nun nicht mehr – – doch Sie wißen ja alles.“ Nun kamen die Übrigen dazu. Wurde manches gesprochen noch, und gegen den Abend ging ich nach Hause. Mein Mann kam mit Hinrich, denen legte ich Bericht ab, und waren sehr wohl zufrieden, besonders, wenn aus der Heyrath nichts würde. Wenige Tage darauf meldete sich der Herr Leutenant und bat ums Jawort. – Was war nun anzufangen? Das Mädchen wolte, er wolte, und die Eltern mußten ja sagen. – Doch solte die Hochzeit nicht eher seyn, als bis der Herr Unterleutenant Oberleutenant wär. – Dabey blieb es. – Für mich fiel nun weiter nichts Merkwürdiges in diesem Jahre vor, als das ich der Launen und wunderlichen Betragens meines Mänchens manche unangenehme Stunde hatte. Der Gedanke: Bist versorg[t], heute oder morgen in deinen alten Tagen, lies mich vieles ertragen mit Geduld. – Hast keinen warmen zärtlichen [630]
Gatten – hast einen Freund! – Lebst ohne Nahrungssorgen. Geburtstage wurden gefeuert; wo ich ihm und unsern Freunden Freude machen konnte, das gescha. Auch wurde noch eine weibliche Bediente angeschaft – wuste sich bey uns einzuschmeicheln. Nun hatten wir drey Bediente – und Gott weis es, die drey machten mir mehr Verdruß, als ich bey einer nicht gehabt habe. – Wie oft dachte ich an mein kleines Häusgen zurick. Mann und Diensten waren anders. Am Cristheilige Abend bat ich meinen Mann, da wir bald abgespeist hatten, denen Bedienten ihr Weinachtengeschenk zu geben. – „Hat Zeit bis morgen.“ – „O gieb es ihnen doch heute!“ Er besann sich, ging zu seiner Komode und überreichte mir ein zusammengelegtes Papier. „Da! Wenn ich Weinachten Geschenke austheilen soll, mußt du das deinige zuerst haben.“ – Ich hatte ihn um golden Quasten in meinen Samtpelz gebeten. – „Ha, sind die Quasten“, sagte ich und schittelte das Papier. – „Zerbrich doch nichts.“ „Was kann ich den an Quasten zerbrechen?“ – „Nun, so mach doch auf.“ – Endlich öffnete ichs und fand darinnen einen sehr schönen Schmuk von Cranaten1115 in Gold gefast. – Ich freude mich und bezeigte ihm meinen Danck. – „Ja, aber nun bekommst du keine Juwelen.“ – „Habe ich schon welche verlangt? – Nicht einmal diesen.“ „Weis ich. Doch da jede Frau Schmuk hat, soltest du auch welchen haben, nur zu Juwelen erstreckt sich mein Vermögen nicht.“ – „Werde nichts verlangen, das über dein Vermögen je gehen wird. Ist mir lieb, wen du bey jeder Gelegenheit daran denkst. – Lieber du sagst es mir frey herraus, das kann ich nicht thun, als wenn du dich hingerißen von andern zu
1115 Granatsteine.
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Thorheiten verleiten liesest, dadurch aber der ehrliche Mann mit dem Jahren leidet und sich der wohlha[631]
benste ruiniret.“ Wir traten nun ins 1771. Jahr. Herr Pauli war noch immer Unterleutenant, und denen Verliebten wurde die Zeit lang, sehnten sich nach der Hochzeit. Die Mutter klagte, das ihr Trinaken so mager würde, auch glaubte sie, der Menage1116 wegen wärs beßer, wenn die Hochzeit wär. Pauli ersparte doch dadurch die Hausmithe. An Eßen würde doch nichts erspart, weil er alle Abende, wenn er nicht auf der Wacht ist, bey ihnen wär, und als Bräutigam müßte doch auch ein Gericht mehr seyn, was den doch hernach als Eheman wegfiel. – Um Trinaken nicht mager oder gar sterben zu laßen, wurde die Zeit der Hochzeit festgesezt, solte gleich den Dientag nach Ostern, als den 16. Aprill seyn1117. Das der Herr Bräutigam hochzeitmäßig erscheinen konnte, gab Trinaken ihren Kamereybrief 1118 von 400 Mark her. Ich kaufte solchen an mich, weil die Zeit der Auszahlung auf der Kammer erst den 12. October um war. Und die 400 Marck Banco war mein kleines Vermögen, so ich mir wärend der 3 Jahre, die ich nun verheurath war, zusammengespart, theils von meinen noch mitgebrachten Geld hatte. Auch wurde zur Bestreutung, um des Herrn Bräutigams Schulden zu bezalen, die Erbschaft vom Onckel mit hergegeben. – Mit einen goldenen Reifring war Pauli nicht zufrieden, gab seiner Braut einen juwelnen Ring, sie ihm einen dagegen – der alte Fritsch mußte das Geld dazu hergeben. Der Tochter ihre Aussteuer war da, die hatte sie von der Mutter, durfte solche nicht in Gebrauch nehmen, weil sie in ihres Mannes Haus alles vorfand. – Also wurde nichts weiter wie alles nach der Tochter Namen gezeichnet. Um nun die Reihe durchzuge[632]
hen, so gaben wir in unsern Haus das Tr[a]ctament; und ersparten die großen Kosten, die Hinrich meinen Mann erspart hatte. – Den nach dem Hamburger Gebrauch darf man an seinen Hochzeittag weder Wein noch Braten haben. – Solches muß man mit vielen Kosten freu machen. – Deswegen läßt man sich lieber den Tag von einen Freund tractiren. – Wir würden zimlich vergnügt gewesen seyn, wenn Herr Abendroth 1116 Haushalt. 1117 Catharina Fritsch und Johann Peter Pauli heirateten am 16. April 1771. Die Trauung fand laut Friedrich August Cropp in Paulis Logis „bei Fritsch“ in der Neustädter Fuhlentwiete statt; Kap. III.1 Anhang Cropp, [Bl. Ir]. 1118 Kammerbrief: Wertpapier der städtischen Kämmerei.
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vermöge seiner übeln Laune nicht alle angesteckt hätte. – Als sie alle fort waren, sagte ich zu Kummerfeld: „Hol doch der Teufel die Hamburger Hochzeiten, alles sizt da, als wenns ein Leichenbegängniß wär. Wolts lustig in meinen Haus haben – aber der verdamte Kerl verdarb doch jeden Spaß.“ – Wenige Tage in der Himmelfahrtswoche1119 hatte ich einen Auftritt, der eines meiner traurigsten und glüklichsten war, solange ich verheyratet gewesen. – Ich wolte in die Comödie gehen. Mein Jerom sagte: „Madame, es ziehen Regenwolken auf. Befehlen Sie einen Schirm.“ – „Ach nein! Hab nicht weit, komm wohl noch d[r]ocken hin.“ Ich gehe fort, kaum war ich in der Helfte des Wegs, so kommt mit einen Mal so ein gewaltiger Blazregen, das ich lief, was ich nur laufen konnte, um unter den Bogen der Einfart nach dem Schauspielhaus zu kommen. Stand nicht lange da, als eine Kutsche zugefahren kommt, die mich weiter trieb, ich lief und lief und springe theils vor den Wagen, theils des Regens wegen in eins der ersten besten Häusergens, die ich in den Einfahrtgang offen fand. Ein Mädchen hatte einen Besen in der Hand und fegte die Spinneweben ab auf der Diele. Wie ich nun im Hause stehe, hört sie auf zu kehren. Ich sehs, sage zu ihr: „Mein Kind, störe Sie sich nicht in Ihrer Arbeit, der Wagen ist vorbey, [633]
der Regen wird auch bald aufhören, und das bisgen Staub thut mir nichts.“ – „O Madame! Mit meiner Arbeit hats keine Eile, ich thue es ja doch nur umsonst.“ – „So! – Wer wohnt den hier?“ „Eine arme Wittwe mit ihren Kindern. Sie war lange kranck. Darauf wurde es ihr Mann. Er war ein Fasbinder, der so in der Stadt rumgeht und frägt: ob die Leute nicht Altes zu binden1120 haben? – Kein Meister. Nun konnte er nicht mehr ausgehen, arbeiten, sie konnte auch nichts verdienen, er ist gestorben und vergangene Woche begraben worden, und nun muß die Wittwe ausziehen, weil sie nicht die Mithe bezalen kann. – Allso mache ich ihr das Haus rein.“ – „Wo ist die Wittwe?“ – „Da in der Stube“, wies auf die Thüre zu. – Ich trat hinein! Gott! Welch ein Gemälde der Armuth, des größten Elendes und der äusersten Dürftigkeit. – Ein alter Tisch, ein kleines zerbrochenes Kinderstühlgen von Stroh geflochten, etwas altes Stroh mit einen Labben von Bettuch war das ganze Geräthe im Zimmer. Die Wittwe, auf deren Gesicht man noch Spuren fand, das sie einst hübsch gewesen war, saß an der Erde, hatte einen aufgehäuften Berg von alten Lappen vor sich, wo sie alles, was schwarz war von Wolle und Kortun1121, aussuchte, um vielleicht einge Trauerskleidergen für die Kinder zusammenzuflicken. Sie selbst hatte eine schwarze Jacke an. – Aber ihre Gestalt. – Ihre Gestalt! Bloß mager, 1119 Himmelfahrt 1771: 9. Mai. 1120 Faßbinder: Böttcher. 1121 Kattun.
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abgezährt von Krankheit, Hunger und des tiefsten Grams. Alles lag auf dem Gesicht und in ihren Ziegen. Ihr Auge schien ausgeweint zu haben. Das altste Kind, die ganz gebrächlich war, saß in den alten Kinderstühlgen, konnte nicht gehen und schien noch nicht 7 Jahre, vier kleinere krochen auf den alten Stroh herrum und spielten [634]
– alle mehr nackend wie gekleidet. – Meine ganze Seele war erschittert. – Wolte reden – konnte nicht. Stumm und bewegt nickte ich ihnen nur zu. – Es herschte eine feuerlige Stille. Mutter und Kinder sahen mich stum an und schienen voller Erwartung, was ich wohl bey ihnen wolte. – Ich grief nach meinen Beutel, zog solchen aus der Tasche und schittelte alles Geld, was darinnen lag, auf den Tisch. – Starr sah mich die Mutter an. Schien unbeweglich, eine Thräne, aus der Seele geweint, trat in ihr Auge, die 5 Kinder bey den Anblick des Geldes sprangen auf, krochen auf mich zu, die Gebrächliche hüpfte mit ihren Stühlgen, alle hielten mein Kleid, hungen sich daran und schrien: „O Mutter! Nicht wahr, heute bekommen wir doch Brod zu eßen. – O Brod, Brod“, ich riß mich los – Mühe hatte ich, der Kinder Händchen wegzuthun, schleuderte auch einige weg – war außer mir, stürzte aus dem Haus ins Schauspielhaus bey der Kaße vorbey, ohne zu sehen, noch zu hören – kam so in meine Loge und warf mich auf einen Stuhl hin. – Mein Mann war da, der nicht wenig über meinen Anblik erschrack. – „Was ist dir“ – „O las mich – kann nicht reden.“ – „Ein Unglük?“ – Ja, für andere, nicht für mich. – Glüklich! glüklich bin ich – o wie mich Gott lieb hat! – Dank, Dank ihm.“ – Mein Mann stand voller Erwartung, aber ich weinte nun erst von Herzen weg, und mußte sich wohl eine halbe Stunde gedulden. – 10mal wolte ich sprechen, und 10mal schwieg ich wieder still. – Das Stük war längst angegangen, ehe ich ihm sagen konnte, was mir begegnet. Endlich samlete ich mich und erzehlte ihm, so gut ich in der Situation war, den Vorfall. Wie ich ihm den Eintritt ins Zimmerchen beschrieben hatte, fiel er mir in die Rede: „Liebe, hast ihnen doch was gegeben?“ – „O ja! Da sieh, den ganzen Beutel! Was ich [635]
bey mir hatte! – Da hast du ihn, kanst ihn wieder füllen“, und warf ihm solchen zu. – „O da hast du recht gehabt! Wie gern will ich ihn wieder füllen.“ – Da, da, solche Züge von meinen Mann – wo er so ganz mit mir sympatisirte, feßelte ihn an mein Herz. – Wie gern trägt den eine dankbare Frau auch die grilligen1122 Stunden des Mannes. – Wenige Wochen darauf bekam ich Briefe von Mademoiselle Bothen, die mit ihrer Schwester1123 1122 Wunderlich, bizarr, verschroben, närrisch. 1123 Über ihre Bekanntschaft mit der Familie des Hannoverschen Hofchirurgen Johann Christian Bothe im Jahr 1763 berichtet Karoline Kummerfeld in HHS, S. [279]–[285].
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von Hannover nach Staade zu der Frau von Berg1124, einer verheyrateten Schwester, gereist war und mich zu sehen wünschten. Mit Erlaubniß meines Mannes lud ich sie ein, zu mir nach Hamburg zu kommen, sie kamen auch beyde. Blieben 14 Tage bey mir, und gern würde ich ihnen noch mehr Vergnügen gemacht haben, aber die Jüngere wahr kränklich und hatte einen Ansaz von Schwindsucht, und die Ältere konte nicht mehr so gut gehen, weil sie sich den Fuß sehr verrenkt hatte – – mußten also fast immer zu Hause zubringen. Doch waren wir lustig, und ich erinnerte mich der glüklichen Zeiten, die ich in Hannover gehabt habe. – Nun frug ich sie, ob es sich den nach meiner Abreise nicht entwickelt hätte, von wem die vielen Geschenke damals an mich gekommen wären. Sie sagten: „Ja, die Herrn von der Loge der Masongs“1125. – Also meine lieben Brüder, dachte ich, ohne es zu sagen. Doch laut mußte ich sagen: „Ja, solche Handlungen sind nur die, die fehig“ – trank oder feuerte für mich selbst ihr[e] Gesundheit. – Des A ben[ds] sagte mein Mann zu mir: „Hast mir immer so viel Gutes von dem Orden gesagt, ich wünschte nun selbst ein Mitglied von ihnen zu werden.“ – „Wünscht du es endlich“, sprach ich ganz entzükt. „Wünscht du es! – O Kummerfeld! Wie oft sagte ich in meinen Herzen: Solte ich einmal heyrathen, so muß mein Mann Masong seyn, und ist ers nicht, [636]
so muß ers werden. – Hab noch keinen Schurcken unter ihnen gefunden. Nur edele Handlungen üben sie aus.“ – Sagte mehr – doch nichts mehr, als was mir zu sagen erlaubt war. – – – Man wird dieses vielleicht auf mancherley Art auslegen. Auch kann und darf ich nicht alles so auseinandersezen, wie ich für die, die mich lesen, auseinandersezen könnte. – Schon in meinen zartesten Alter, schon als ein Mädchen von 15 Jahren, dachte ich nach über den Ursprung, Bestimung, Entzweck, Fortgang, Bestand1126. – Was ist nicht alles zerstört worden. – Der Bau wurde erschittert, oft erschittert, aber wer kann ihn zerstören?1127 – Gottes Allmacht und Segen ruth darauf. Die Religion, die wahre Religion war mein Führer. – Daran hielte ich mich, lies mich leiten. – Sah vielleicht nun tiefer, als ich nicht sehen solte. – Doch machte es mich ruhig, heuter und Gott dancken. – Ich wurde erforscht. – Man priefte mich – – und nante mich Schwester – würdigte mich, Schwester zu nennen. Und diesen heiligen Namen würde ich um 1124 Nicht ermittelt. 1125 Loge der Franc-maçons, der Freimaurer. Die erste Freimaurerloge in Hannover wurde 1746 gegründet; Siegfried Schildmacher (Hg.), Freimaurer – Geheimbund oder Ethikschule? Geschichte und heutiges Wirken der Freimaurer in Hannover, Hannover 2012. 1126 Über Kummerfelds Affinität zur Freimaurerei seit dem „grossen Tage, da ich erst 15 Jahr zehlte“ vgl. Nr. 99 in ihrer Samlung vermischter Ungedruckter gedancke in Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. 1127 Die Bau-Metaphorik ist zentraler Bestandteil der Freimaurer-Lehre und bezieht sich auf die Arbeit am Tempel der Humanität; Freimaurer-Lex, S. 106.
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keinen fürstlichen Titel vertauschen. – Für jezt genug, bald, wenn es sich baßen wird und die Zeit kommt, mehr. Meine Freundinnen reißten fort, bald darauf erhielte ich einen Brief von meinen Bruder, das er von Herrn Koch abgegangen und mich, bis er wieder ein neues Engagement hätte, in Hamburg besuchen wolte. Herzlich freude ich mich! Er meldete mir den Tag seiner Ankunft, und so fuhren wir ihm den 4ten Julius entgegen. Carl wohnte bey uns im Haus. Ich führte ihn bey allen Anverwandten auf, und man begegnete ihn mit Liebe und Achtung. Jeder erzeigte ihm die Aufmerksamkeit, zu sich ins Haus zu laden, und ich konnte und mußte vollkommen zufrieden seyn. [637]
Den 19. August starb Herr Dr. Schiebeler1128, des Tod meinen Mann und mir sehr nahe ging. War ein rechtschaffener Mann. Den 24. October reißte mein Bruder wieder von uns ab, wurde bey Herrn Seyler als Balletmeister engagirt, der in Weimar an dem herzoglichen Hof engagirt war1129. Der Abschied ging mir nahe, so groß die Freude des Wiedersehens war, nach einer dreyjährigen Abwesenheit, so schmerzhaft mußte unsere Trenung seyn. – Auch Herr Ackermann starb den 13. November1130. Solte in diesen Jahr Freunde sehen und verlieren. Mußte Ackermann manche Zähre1131 weinen, hatte ihm so lange gekannt, er mich, sah ihn wie meinen Vater an und als ob einer meiner nächsten Verwandten gestorben wär. – Gewiß hätte Trauerkleider anziehen mögen, wenn es sich 1128 Daniel Schiebeler starb nach langer Krankheit am 19. August 1771 im Alter von nur dreißig Jahren an Tuberkulose. 1129 Nach dem Scheitern der Hamburger Entreprise war Abel Seyler mit einem Großteil der Hamburger Schauspieler nach Hannover gezogen und dort 1769 Direktor des Hoftheaters geworden. Aufgrund finanzieller Probleme wandte er sich im Frühjahr 1771 mit Ekhof nach Wetzlar. Von dort aus wurden beide mit ihrer Gesellschaft im Herbst des Jahres von Herzogin Anna Amalia für drei Jahre am Weimarer Hoftheater engagiert, das bis zu dem Schlossbrand von 1774 eine erste Blütezeit erlebte. Lit.: Schlenther, Abel Seyler; Andrea Heinz, Wieland und das Weimarer Theater (1772–1774). Prinzenerziehung durch das Theater als politisch-moralisches Institut, in: Marcus Ventzke (Hg.), Hofkultur und aufklärerische Reformen in Thüringen. Die Bedeutung des Hofes im späten 18. Jahrhundert, Köln/ Weimar/Wien 2002, S. 82–97. – Zur Berufung Karl Schulzes nach seinem Leipziger Engagement von Berlin aus nach Weimar [hier handelt es sich wohl um eine Fehlinformation, über einen Aufenthalt von Karl Schulze in Berlin ist nichts bekannt], wo er 1772 Wielands Ballett Idris und Zenide in Szene setzte s. Gabriele Busch-Salmen/Walter Salmen/Christoph Michel, Der Weimarer Musenhof. Dichtung. Musik und Tanz. Gartenkunst. Geselligkeit. Malerei, Stuttgart 1998, S. 166, 168; Rudolf Schlösser, Vom Hamburger Nationaltheater zur Gothaer Hofbühne 1767–1779. Dreizehn Jahre aus der Entwicklung eines deutschen Theaterspielplans, Hamburg/Leipzig 1895. 1130 Konrad Ernst Ackermann spielte zuletzt am 11. September 1771, zog sich nach einer Knöchelverletzung ein als „Kalter Brand“ bezeichnetes Absterben von Gewebe zu und verschleppte dieses, so dass auch sein Arzt Dr. Peter Heinrich Dahl nicht mehr helfen konnte; Eichhorn, Ackermann, S. 106 f. 1131 Träne.
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geschickt hätte. Auf Leid solte Freude folgen1132. Herr Professor Nölting, der sich zwey Jahre vorher mit einen vortreflichen Mädchen aus Damgarten verheyratet hatte, kam den 15. December mit einer Tochter nieder, das Jahr vorher hatte sie ihm einen Sohn geboren. Diese herrliche Frau zeichnete sich ihres edlen Herzens und Karacters vor vielen sehr aus; und verdiente allgemeine Achtung1133. Mein Kummerfeld beschenkte mich zum Weinachten mit einer sehr schönen goldenen Uhr. „Woltest keine als Braut von mir nehmen – so nimm sie jezt.“ Er war wohl, ich wars; an Geld war kein Mangel; – Liebe und Achtung von unsern Freunden: – Wer kann da nicht zufrieden seyn? Wir warens und schlosen so vergnügt das alte [ Jahr], als wie wir ins Neue 1772. traten. Mir fiel nichts in einigen Monaten von Erheblichkeit vor, meine Nichte Pauli wurde den 31. Maii mit einer Tochter glüklich entbunden1134. – Vergeßen darf ich es doch auch nicht, das mein Man schon im Herbst des vorhergehenden Jahres in dem würdigen großen Orden [638]
der Freumaurer aufgenommen wurde1135. Zerstreuungen, die ich dieser Tage gehabt, wird man wirklich in einigen dieser Bogen merken. – Und ich gestehs, das ich nicht gerne 1132 Ein bei Seite [568] mit der nachträglichen Seitenzählung [568a] eingeheftetes Blatt gehört dem Inhalt nach zum Dezember 1771: Wie? Schlaffen sollen wir, da alles frölig ist? / Da man bey Wein und Punsch uns (leider!) nur vergißt. / Behalte Wein und Punsch, nur gieb mir von den Kuchen. / Er schmecket ja so süß! Ich möcht ihn gern versuchen! / Wir gehen heute nicht aus unserer Natur, / Man spricht von Glück und Heil, ich denck ans Freßen nur. / Siehst du verdrießlich aus? Ich bin ja eine Dame. / Und bin ich es nicht ganz, mein Kleid giebt mir den Name. / Ich will recht artig seyn, ach las mich doch noch hier! / Beschimpfen thäst du mich, wirfst du mich aus der Thier [korrigiert aus: Thür]. / Doch wirst du das nicht thun, wir sind ja deine Lieben! / Und da du fröhlig bist, so sollst du uns betrüben? / Du guter, lieber Herr! Sey munter, sey beglückt! / Ich mach mein Compliment [korrigiert aus: Compliement]: = = Wies sichs zum Anzug schickt. / Du weist, ich liebe dich ohne alle Sann Facon [gemeint ist: sans façon]. / Und du, du liebst mich auch. Mich, (ach!) deinen Miniong [gemeint ist wohl: Mignon]. Hamburg, den 3. December 1771. Bracht mein Hund an meines Mannes Geburtstag. Kummerfelds Geburtstag war der 2. Dezember. Im ganzen Gedicht spricht der Hund, dem Gedicht nach eine Hündin namens Mignon, zu ihrem Herrn. Demnach hat sich Karoline Kummerfeld nach dem Tod ihres Hundes Allegro – s. o. HHS, S. [369 f.] – wieder einen Hund angeschafft. 1133 Johann Heinrich Vincent Nölting heiratete 1770 nach dem Tod seiner ersten Frau, Ernestine Katharina geb. Tympe († 1762), seine Cousine Johanna Elisabeth Hedwig Lokewitz; Lexikon Schriftsteller 5, Nr. 2828. 1134 Sie war das erste von sechs Kindern; s. Kap. III.1 Anhang Cropp, [Bl. Ir]. 1135 1737 wurde in Hamburg die erste deutsche Loge, die „Loge d’Hambourg“ gegründet, 1741 „Absalom“, dann „Absalom zu den drei Nesseln“ benannt. „Absalom“ gehörte später zu den „Vereinigten fünf Hamburgischen Logen“ (zusammen mit „St. Georg zur grünenden Fichte“, „Emanuel zur Maienblume“, „Ferdinande Caroline zu den drei Sternen“ und „Ferdinand zum Felsen“). Kummerfeld war zunächst Mitglied der 1770 entstandenen Loge „Zu den drei Rosen“, die dem Rosenbergischen oder Zinnendorfischen System, einer anderen Richtung der Freimaurerei, angehörte. 1773 erfolgte
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etwas umschreibe, also hole ich lieber nach. Mein Mann wurde gemeldet und einmüthig bewilligt, das er ein Mitglied werden solte. – Ich! (auf was Art und wodurch bleibt ein Geheimniß) hatte in Erfahrung gebracht, das gewiße Personen Brüder wären, an denen Chrarak[t]er, Lebensart, Dencken, Handeln – kurz, christlich und moralisch betrachtet, ich sehr viel auszusezen hatte1136. – Nicht etwa so obenhin, nein, mit Gründen. – Meine Begriffe von diesen hohen Orden waren groß. – Alle, die ich das Glük hatte von ihnen zu kennen, waren die herrlichsten Menschen. Mithin wolte es mir gar nicht in den Kopf, das nur ein einziger konte aufgenommen werden, der von der moralischen Seite nicht volkommen sey. – Meine vielleicht zu hoch gespannten Begriffe sanken. – Vieleicht, wie vieles nicht mehr das ist, was es war, ist auch dieses nicht mehr. – Kurz, ich sagte es meinen Mann: „Nein, Lieber! Von solchen solst du kein Bruder seyn.“ – Die Sache kam also ins Stocken. – Mein Mann bemühte sich nun auch nicht weiter. Es ging eine ziemliche Zeit hin. Wir bekommen eines Abens Besuch, und zwar von dem, der meinen Mann gemeldet hatte, ganz von ohngefehr fällt das Gespräch dahin. – „Apropo, Herr Kummerfeld! Ich habe Sie auf Ihr Verlangen gemeldet; man freude sich, und nun begreift man nicht, warum Sie zurückgetreten.“ – Ich nahm das Wort für meinen Mann. – „Hören Sie mich! Sie kennen mich und meine Art zu dencken. Keine Würde, [639]
kein Stand ist mir verehrungswürdiger als der Orden der Freumaurer. – Wer in jeden Stande durch Geburt, Reichthum und weltliche Würden den Vortritt hat – muß da zurückestehen. Denckt der Monarch nicht moralisch gut, so kann er nicht werth seyn, Bruder genant zu werden. – Das Heiligthum ist vor ihm verschloßen, und wen er Herr der halben Welt wär. – Muß für ihn verschloßen seyn und bleiben. – So wie das Heiligthum den Bettler geöfnet wird, wenn er denkt: wie der Große denken solte. – Der Stand ist zu würdig, als das man nicht alle nur erdenkliche Vorsicht anwenden solte bey der Aufnahme der Mitglieder. – War man’s sonst, so ist man’s nicht mehr. Wie ist möglich, das Sie den und den u. s.w. Bruder nennen kennen?“ – Der Freund seine Aufnahme in die Loge „Absalom“. Bei der Gründung der Loge „Emanuel zur Maienblume“ im Juli 1774 wird Kummerfeld als Steward genannt. Am 9. Oktober 1777 fand eine Trauerloge statt, in der u. a. Diedrich Wilhelm Kummerfelds gedacht wurde; Staatsarchiv Hamburg 614-1/71 5.2 H 44 Nr. 146, 431, 455. Wir danken den Vereinigten 5 Hamburgischen Logen (Günter Lazar, Hans-Ludwig Schulz) für die Genehmigung der Einsichtnahme in die Bestände. Lit.: Kneisner, Absalom; Kopitzsch, Sozialgeschichte 1, S. 313–316 und Sozialgeschichte 2, S. 586–593; Hamburg Lex, S. 168 f. – Über ihre eigene Neigung zur Freimaurerei s. o. HHS, Anm. 1126. 1136 Vermutlich eine Anspielung auf die bei Kneisner, Absalom, S. 37–41 genannte „Zeit der Verirrungen“ 1762–1769, in der es zu Umbildung der Gesetze, Gebräuche und Gewohnheiten und finanziellen Unregelmäßigkeiten gekommen war, so dass die „maurerische Arbeit“ bis zum 24. April 1773 ruhte.
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schlug die Augen nieder: „Haben recht, liebe Schwester! Dencken, wie Sie dencken mißen. – Aber wenn ich Ihnen nun sage: sie dürfen nicht mehr in unsere Versamlung eintreten!“ – „Nicht??“ – „Nein!“ – „Ja, so seid ihr wider alle meine lieben Brüder.“ – Die Woche darauf war auch mein Mann mein Bruder geworden. – Welcher Tag der Freude es für mich war. Wolte und war für niemand zu Hause. Zweifele, ob je eine Gattin, der ihr Mann Freymaurer wurde, in solcher Betrachtung und Beschäftigung den Abend für sich vollendet. Christus hatte nur 12 Aposteln – und unter der kleinen Zal war ein Judas. – Wie kennen und solten die nicht irren in Ansehung ihrer Wahl. – Aber Christus irrte nicht, wusts und nahm einen Judas in seinen Cirkel, das vollendet wurde die große Verheisung. – Doch bleibt es immer eine Anwen[640]
dung1137. Wie würde man sonst sagen kennen: „Viele sind berufen, aber wenige auserkoren. – Sezet das Licht auf einen Leuchter, er erhellet die ganze Wohnung. Wer siehts unter ein Scheffel gestelt – wem theilt es da seinen Glanz mit? Vollende, o Ewiger Vater, das keine Nacht mehr da ist, das wir keines Lichts noch Sonne mehr bedürfen um zu sehen. Das Gott uns erleuchte, uns regiere von Ewigkeit zu Ewigkeit1138.“ Wie ich vergnügt war! – Warum konnte ich es nicht bleiben? Ich verehre und werde nur mit meinen Leben aufhören, mit Ehrfurcht von diesen hohen Entzweck zu denken. Aber Brüder! Maurer! Ich bitte, beschwere1139 Euch bey dem Lichte der Weisheit, das Ihr wünscht zu finden, seid vorsichtiger in der Wahl Eurer Mitglieder, straft sie, wenn sie moralisch böse sind. Stost sie hinaus aus dem Heiligthum. – Welche Bösewichter sind zu Euch eingeschlichen. – Keine Tugend ist ihnen heilig, sie übertretten alle Geseze der Menschheit. – Glaubt mir, einen Weibe. Die verdiente Mann zu seyn, bloß aus der Ursach, um ganz in den heiligen Tempel eintreten zu dürfen. – Glaub[t] ihr. Freu ist mein Herz von schändlichen Eigennuz. Prüft! Straft, seid vorsichtig. Ich kenne unter Euch die erhabensten, die größten tugendhaftste Seele – aber ich, ich kenne auch unter Euch die abgefeimsten Bösewichter. – Wäret Ihr vorsichtiger, Eure Versamlungen würden Männer noch haben, die blos der Bösen, die einmal unter Euch sind, sich zurükhalten. Wüst, das ich nach Jahren mehr Redliche fand, die nicht Mitglieder waren, als die es sind. – Wie will oder wird einer, dem seyn Herz und Gewißen sagt, bist ein schlechter Kerl – einen andern schlechten Kerl, der nicht in
1137 Anwendung im Sinne von: Übertragung, Beziehung auf einen bestimmten Fall. 1138 Hier reiht Karoline Kummerfeld drei Bibelzitate aneinander: Mt 22,14; Mt 5,15; Offb 22,5. 1139 Beschwöre.
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der Versamlung ist, im Weg seyn? – Und so konnt Ihr nur glauben, das immer die Helfte von denen, die eintreten, Judase sind. Im Junius an einen gewißen Tag wolte ich meinen Geliebten überraschen, hatte mir zufolge desen ein neues blaues Kleid machen laßen. War ihm bis auf die Alte Rabe1140 einen Spaziergang entgegengefahren und nahm ihn mit seinen Begleitern scherzweise in Arrest. Hatte, weils Wetter so schön war, ein Fahrzeig auf den Waßer bestellt, und hielten unter den angenehmsten Abend ein Freudenmal. – Mein Bruder überraschte mich von Weimar aus mit einen sehr angenehmen Geschenk. War das Portrait der Durchlautigsten Herzoginn von Weimar 1141 und sein Bildniß. Er schrieb mir, das man bey Hofe erfaren, das er sich malen lies. Die Durchlauchtigste Herzogin hätte ihn gefragt, für wem es seyn solte: „Für meine Schwester.“ „Nun, wen das ist, so sollen Sie ihr das meinige mitsenden. Wenn Ihre Schwester das Portrait von mir sieht, vielleicht wird sie den neugirig, das Original einmal wiederzusehen, griesen Sie sie von mir.“ Die Gnade der vortreflichsten Fürstin entzükte mich. Ich sagte es meinen Mann; und er versprach mir das, wen er es kinftiges Frühjahr möglich machen könnte, mit mir eine Reise nach Weimar zu unternehmen. – Das weis der Himmel, das ich jeden Tag froh war, wen er zurükgelegt, jeder brachte mich den Winter näher – kam herran, doch weil doch immer etwas seyn solte, wurde ich den Winter wieder krank – jeder Winter, den ich erlebte, warf mich einige Wochen hin. – Und immer gefährlich, so das ich immer dachte, mein Testament zu machen. – Mein Mann war wohl, und dafür dankte ich Gott, wenn ich gleich leiden mußte. [642]
Zum Heilichen Christ war mein Mann so galant, mir eine goldene Damenskette an meine Uhr zu schenken. Wie fröhlig sah ich das neue Jahr. Den in diesen 1773. Jahre solte ich nach Weimar reisen. Weil ich den doch immer bey jeder Lustbarkeit immer doch auch auf die Sparsamkeit sah, so bemühete ich mich um einen Wagen, der meinen Mann nichts kosten solte; und war auch so glüklich, durch die Vermittelung einer Freundin von mir solchen zu bekommen. Meinen Mann wars ebenso lieb und mußte eingestehen, das, wenn sich seine Frau was vornähm, sie es auch immer durchzusezen weis. – Der Wagen, den ich bekommen hatte, mußte ichs wohl mit verdanken, das aus der Spazierreise was geworden. Doch der Himmel verläßt ja nie seine Kinder. – Und so verlies er mich auch nicht. – Meine Nichte Pauli war fruchtbar und wurde den 14. Maii von einen Sohn glüklich entbunden1142. Und 1140 Die Alte Rabenstraße an der Außenalster, benannt nach einem Gasthaus. 1141 Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel, seit 1756 durch ihre Ehe mit Ernst August II. Konstantin Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach. 1142 Er war das zweite von sechs Kindern; s. Kap. III.1 Anhang Cropp, [Bl. Ir].
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den 18. MaiiCL reiste ich mit meinen Mann ganz allein von Hamburg fort. Die Bediente blieben alle in meinen Haus zurük. Wir fuhren bey dem schönsten Wetter aus, des Nachmittags 3 Uhr waren wir schon in Lüneburg, die Wolcken verzogen sich, wurde trübe und verkindigten uns ein nahes Gewitter. Ich bat mein Mänchen, weil ich wuste, das er bey dem Gewitter furchtsam war, lieber die Nacht in Lüneburg zu bleiben, aber er wolte nicht. Kurz, sobald die Postpferde angespannt waren, so gings weiter. Des Abens kam ein Wetter, als wenn Himmel und Erde seine Endschaft erreichen würde. – Mir mehr Angst für meinen Mann, als für Gewitter und mir selbst. – Froh war, das mein Mann endlich in den Schlaf kam. Aber was mich mehr wie Angst machte, [643]
war, das der Postilion so fest schlief, und wenn seine Pferde nicht vorsichtiger und wacher wie er gewesen, wir 10mal um und um würden gefallen seyn. – Der Kerl sagte, als ich ihm immer mit meines Manns Stok oft zimlich starck in die Rippen stieß: „Ach, Madame! Weil nun die Meßleute1143 kommen, sind wir gar zu stark geblagt. Ist heute die 6te Nacht, das ich fahre und in kein Bett gekommen bin.“ – Der arme Teufel! Erst gegen den Morgen wurde das Wetter wieder angenehm. So das ich nun auch schlief, aber ein sehr unangenehmes Erwachen hatte. Ich hatte einen vortreflichen Boloneser Hündchen1144 gekauft, den ich der Durchlauchtigsten Herzogin mitbringen wolte, der Hund war schon über 4 Monate und so klein, das ich solchen in einen Arbeitsbeutel stecken hatte. Wie sich das kleine Tier aus den Arbeitsbeutel gemacht, weis ich nicht. – Der Hund fiel aus den Wagen, wurde mit dem Rade gestreift. – Jammer wars anzusehen. Um dem Tiergen seiner Leiden zu enden, den crepiren hätte er doch müßen, und wir das Jammergeschreu und Winseln nicht länger zu hören, den alle Leute liefen an die Fenster und den Wagen, wen wir durch ein Dorf kamen, frugen, was das wär – so mußte der Postillion solchen ersäufen. – War die Freude auch hin! – Solte nun so kommen und mußte sich darüber hinausgesezt werden. Den 19. des Nachts gegen 10 Uhr kamen wir in Braunschweig an. Der Hauptmann Fredersdorf1145 hatte einen Unteroffizier hinbestelt ans Tor, der uns erwarten und uns nach
1143 Damit ist wohl die Rückreise von der Leipziger Frühjahrs- oder Jubilatemesse gemeint, die vom Sonntag Jubilate bis zum Sonntag Cantate dauerte, im Jahr 1773 also vom 2. bis 9. Mai; Hasse, Leipziger Messen, S. 17. 1144 Der Bologneser oder Bichon Bolognese ist eine alte, vermutlich von den Balearen eingeführte Schoßhundrasse, die schon in der Renaissance in Italien und Frankreich als höfisches Haustier und vornehmes Geschenk beliebt war. Lit.: Aline Steinbrecher, Hunde und Menschen. Ein Grenzen auslotender Blick auf ihr Zusammenleben (1700–1850), in: Historische Anthropologie 19 (2011), S. 192–210. 1145 Wilhelm Ludwig Fredersdorff.
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unsern Wirthshaus hinbringen solte. – Meine Fleischer1146 bewohnte nicht mehr ihr eigen Haus. – Viele Unglüksfälle, die ihren rechtschaffenen Mann [644]
ohne seyn Verschulden getroffen, hatte diese würdige Menschen in große Wiederwärtigkeiten gestirzt1147. – Reich oder arm, mir blieben sie immer die Lieblinge meines Herzens. Aus dieser Ursach traten wir in einen Wirthshaus ab. – Wir waren keine halbe Viertelstunde da, so kam mein Rickgen, ihr Mann und Fredersdorf. – O Gott Dank des wonnevolsten Augenbliks. – Meine Freunde! Wie wir uns noch alles das waren wie ehemals. Sie speißten mit uns. Nach 11 Uhr gingen sie fort, das wir ruhen, und die Abrede war, den Morgen darauf recht frühzeitig zusammenzukommen. Wie sie weg waren, sagte mein Mann zu mir: „Liebe, hast mir viel von deinen Freunden gesagt; aber gewiß, nun ich sie selbst gesprochen, viel zu wenig. – Ich weis, du bist entusiastig – glaubte es auch da. – Höre, meine Willensmei[n]ung war, bey der Rükreise über Leipzig zu gehen. – Aber nein, das ein andermal. Muß deine Freunde nun noch beßer kennenlernen, da wir uns jetzt nur einen Tag hier aufhalten.“ – „Sprichst in meine Seele! Alle meine Leipziger Freunde sind ja glüklich – aber meine hiesigen nicht. – Weis, wir machen sie durch unsere Gegenwart ihr Unglük vergeßen – welcher Trost ist das für mich, da ich sie nicht ganz retten kann.“ Den Morgen waren sie alle bey uns, brachten die Kinder mit. Der Hau[p]tmann und Fleischer zeigten meinen Mann die Stadt, ich blieb in Rickgens Haus mit ihren Kindern – wie vieles hatten wir uns zu sagen!! Den Mittag musten sie mit uns auf unsern Zimmer eßen, des Nachmittags gingen wir spazieren und besahen das Schloß und die Ku[n]stkammer nebst den Zeuchhaus1148. Der Hof war auf einen Lustschloß1149. Abens blieben wir wieder 1146 Friederike Fleischer geb. Günther. 1147 Die Kritik an der Tätigkeit Fleischers, der angeblich zu große Kosten verursacht hatte, war so umfassend, dass Karl I. im April 1774 in Erwägung zog, ihn zu entlassen. Letztlich konnte er mit eingeschränkten Befugnissen bleiben, was ihm als „unverdiente Gnade“ unter Auflagen gewährt wurde. Fleischer behielt bis zu seinem Tode den Titel des Hofbaumeisters und auch sein Gehalt; Bessin, Regent, S. 176 ff. 1148 Mit dem Bau des Schlosses, seit 1753 Residenz der Herzöge von Braunschweig-Wolfenbüttel, wurde 1717 begonnen, doch erst 1791 war der Bau vollendet. 1830 brannte das Schloss ab, ein Nachfolgebau wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und 1960 abgetragen. Die Kunstkammer ging auf das Mäzenatentum und die Sammelleidenschaft Herzog Anton Ulrichs (1633–1714) zurück. Herzog Karl I. (1713–1780) eröffnete 1754 nach seinem Umzug aus Wolfenbüttel mit dem Kunst- und Naturalienkabinett eines der ersten öffentlichen Museen in Deutschland. Zwischen 1765 und 1887 befand es sich im Südflügel des 1902 abgerissenen Paulinerklosters, seitdem in dem heutigen Gebäude des Anton-Ulrich-Museums. Das fürstliche Zeughaus war seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts ebenfalls im Paulinerkloster untergebracht; BsLex, S. 20, 105, 123, 178, 203, 252 f. 1149 Als Sommerresidenzen nutzte Karl I. die beiden (nicht erhaltenen) Schlösser Salzdahlum und
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in unsern Zimmer bis spät in die Nacht beysammen, den Morgen darauf, als den 21., sahen sie uns weiterreisen. Ohne Zweifel würde der Abschied trauriger gewesen seyn, wen sie nicht unser Versprechen gehabt, uns in wenigen Wochen auf längere Tage bey sich zu haben. – Glüklich ging nun unser Weg weiter. Die Nacht blieben wir in Blankenburg1151. Von allen meinen Reisen, die ich in meinen Leben gemacht, verschafte mir keine so vieles Vergnügen wie diese. Troz der elenden und gefährlichen Wege über den Harzt. Aber auch die herrlichen, mannichfältigen, recht fehenmaßigen1152 Aussichten und Gegenden. Die beste Jahreszeit, das gute Wetter. Da der Wagen [wegen] der Felsen und ungebanten Wege oft langsam fahren mußten, gingen wir manche Stunde zu Fuß. – Oft blieben wir Hand in Hand stille stehen in süßen Betrachtungen, Thränen zitterten in unsern Augen, drückten uns sanft unsere Hände; keiner konnte sprechen – dan, wie aus einen Traum erwachend, sahen wir uns an, sagten gestimmt von gleichen Gefühl: – „Ach, fühlst dus den auch so ganz – so ganz, wie himmlisch es hier ist?“ Wenn den mein lieber Wilhelm mir oft, sehr oft sagte: „O wie gut, das du mich zu dieser Reise beredet! – Nie war ich noch so vergnügt. – Nie gab ich Geld aus, das mir so viele Freude verschaft“ – da, da war ich recht froh. – Und freilich muste es auf ihn noch weit mehr Eindruck machen, da er nie weiter von Hamburg gereist wie nach Lübeck. – Unsere Postillions wurden oft ungeduldig und ruften uns zu, ob wir den nicht wieder in den Wagen steigen wolten? die Wege würden beßer. – Die folgende Nacht blieben wir inCLI [Duderstadt?] 1153. Der Postmeister sagte, des Nachts zu fahren, konnten wir leicht ein Unglik haben, weil die Wege zu elend wären; wir liesen uns gern überreden und blieben. – Unmöglich kann ich umhin und muß einige Betrachtungen anmerken, die wir zusammen auf dieser Reise Gelegenheit gehabt zu machen. Wir kamen durch [648]
verschiedener Herrschaften Land. – Fanden aber sehr wenige glükliche Unterthanen. – Da durch die 1771CLII große Überschwämmungen1154 und den darauffolgenden MißAntoinettenruh, wo seit 1762 auch seine Frau, Philippine Charlotte von Preußen (1716–1801), wohnte; Holger Wittig, Das fürstliche Lustschloß Salzdahlum, Wolfenbüttel 1996. 1150 Die Seitenzahlen [645] und [646] sind von Kummerfeld nicht vergeben. 1151 Blankenburg am Nordrand des Harzes. 1152 Feenmäßig. 1153 Karoline Kummerfeld hat den Ortsnamen „Rudelstatt“ gestrichen, vermutlich deshalb, weil Rudolstadt nicht auf der von ihr beschriebenen Strecke Braunschweig – Harz – Weißensee – Weimar, sondern südlich von Weimar liegt. Möglicherweise meint sie Duderstadt, so auch bei Benezé II, S. 26. 1154 Von der durch Wetterextreme ausgelösten europäischen Hungerkrise von 1770/72 waren auch die
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wachs und theure Zeit viele Unterthanen großen Schaden gelitten, so fanden wir fast auf den Weg allgemeine Noth noch an. Wenn wir ersuchten um baldige frische Vorspan, ja, da hies es: „Müßen sich gedulden. Vor Jahren waren sie freylich immer in denen Ställen gestanden, aber wo nun hernehmen. – Wenn die gewöhnliche Post kommt und abgeht, ja, da müßen wir parat seyn – aber wer fährt jezt noch mit Extra-Post? – Wir brauchen also unsere Postpferde mit zum Pflug, um unser Land zu bauen. – Wären dadurch eher stumpf und unbrauchbar – aber wie sollen wir es machen, um nicht zu verhungern“. – Wen sie den hörten, das wir nach Weimar reisten, ruften sie voll Entzüken aus: „In welch glüklich Land reisen Sie! – Zu der besten Landesfrau1155! Zu der Muter, guten Mutter ihrer Unterthanen. – Das einzige Land, das von der allgemeinen Noth nichts gefühlt hat. – O wie sie gesorgt, das ihre Unterthanen keinen Mangel litten. Gott muß die gute, liebe Frau Herzogin segnen. – Ja, wenn wirs auch so gut gehabt hätten? – Man verlangt, wir sollen für unsere Herrschaften beten. – Kennens nicht. – Gott weis, wir kennens nicht! Dencken, wir sind Hunde und keine Menschen. – Da, da fuhren sie gestern noch unsern Schweis – unser Blut zum Tor hinaus. – Müßens geben. – Ist kein Erbarmen, wen wir auch mit unsern Kinder kaum zweymal die Woche ein wenig Suppe haben eßen kennen. – Glaubens unsere Herren und Frauen an ihren vollen Tischen, das sie sich satigen mit unsern Mark, mit unsern Blut – mit unsern Thränen. – Gottlob, das ihr Regement nicht auch in der Ewigkeit gild. – Da wird einer seyn, der sie wie uns richtet – und dan wehe, wehe ihnen. – Beßer wärs, wen sie ihre [649]
Soldaten ins Land schickten und uns mit Weib und Kinder niedersäbel[n] liesen, so wären wir doch mit einen Mal von unsern Jammer. – Beten sollen wir, verlangt der sächsischen Territorien in hohem Maße betroffen. Hier lag der Höhepunkt der Krise, der unzählige Menschen und Tiere zum Opfer gefallen waren, im Sommer 1771, doch waren die Auswirkungen auch in den folgenden Jahren noch massiv zu spüren. Eine detaillierte Beschreibung des Elbhochwassers im Jahr 1771 gibt: Christian Gottlieb Pötzsch, Chronologische Geschichte der großen Wasserflu then des Elbstroms seit tausend und mehr Jahren, Dresden 1784, S. 82–87. Zum größeren Kontext: Dominik Collet, Hungern und Herrschen. Umweltgeschichtliche Verflechtungen der Ersten Teilung Polens mit der europäischen Hungerkrise 1770–1772, in: Jahrbuch für Geschichte Osteuropas 62, 2014, S. 237–254. 1155 Gemeint ist damit die Regentin Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach. Auch in den unter ihrer Vormundschaftsregierung stehenden Herzogtümern litten die Menschen unter den Folgen der großen Krise, doch waren in Weimar wirksamere Maßnahmen gegen den Hunger ergriffen worden als im Umland. Die Landesfürstin hatte dabei nur begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten. Lit.: Berger, Anna Amalia (2003), S. 268; Ders., Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach, in: Helmut Reinalter (Hg.), Lexikon zum aufgeklärten Absolutismus in Europa, Herrscher, Denker, Sachbegriffe, Wien/Köln/Weimar 2005, S. 115–119, bes. 117 f.
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Pastor! – Gott straf uns, wen wir beten. Wir thuns nicht – bet der Pastor im Kirchengebet für die Landesherschaft, möchten wir alle lieber laut fluchen. – Nun, da sich das doch in der Kirche nicht schickt, so schweigen wir still und laßen den Pastor allein beten. – Einer hust, der andere schneizt sich – jeder macht den was anders, bis vorbey ist. – Wir kamen um vor Hunger – unser Vieh fiel – mustens todschlagen oder weit unter den Werth verkaufen – den wie solten wirs erhalten? – Reit der Teufel unsere Landesmutter, das die nach R. reist und den P. ein Paar Pantoffeln von einen unerhörten Werth zum Geschenk macht1156. – Wie vielen Hunterten hätte sie mit dem Geld, was die Reise und die Sapperments-Pantoffeln gekostet, nicht das Leben retten kennen. – Nein, lies uns lieber verschmachten. – Ist das recht? Ists zu verantworten? – Das wollen Christen seyn? – Lieben sollen wir sie? – Kennen nicht. Wärs doch mal all mit ihnen und uns – stünden wir nur schon da vor den lieben Gott in der Ewigkeit – wollen sehen, ob sie sich den Himmel mit denen Pantoffeln erkauft hat. – Fluch hat sie damit ins P. Schaz1157 gebracht – werdens erleben – wen wir nicht, doch unsere Kinder. Unser Blut, unsere Thränen und Seufzer hengen an jeden Füßgen, der 1156 Da die Reise der Kummerfelds von Braunschweig nach Weimar auch durch das thüringische Herrschaftsgebiet der albertinischen Wettiner führte, wird hier vermutlich auf die Romreise der Kurfürstin-Witwe Maria Antonia Walpurgis von Sachsen im Jahr 1772 angespielt. Maria Antonia Walpurgis von Sachsen (* 18. Juli 1724 München, † 23. April 1780 Dresden), eine geborene Prinzessin von Bayern, seit 1747 verheiratet mit Kurfürst Friedrich Christian (* 5. Sept. 1722 Dresden, † 17. Dez. 1763 Dresden), wusste sich als Herrscherin zu inszenieren. Sie trat als Förderin der Wissenschaften auf, war Mäzenin zahlreicher Künstlerinnen und Künstler und erlangte Anerkennung als Dichterin, Komponistin und Übersetzerin von Theaterstücken. Seit dem Tod ihres Mannes (1763) beteiligte sie sich aktiv an den Regierungsgeschäften des kursächsischen Hofes, wurde allerdings bereits 1768 von ihrem Sohn Friedrich August, Kurfürst von Sachsen, aus der Regierung ausgeschlossen. Im Frühjahr 1772 war sie nach Rom gereist. Sie wollte ihrem noch minderjährigen Sohn Anton einen Bischofsstuhl verschaffen, wofür sie – letztlich jedoch erfolglos – von Papst Clemens XIV. das Wählbarkeitsbreve zu erlangen suchte. Maria Antonia hielt sich dort vom 15. April bis zum 20. Mai 1772 auf, insgesamt dauerte die Reise, bei der sie noch andere italienische Städte besuchte, vom 29. März bis zum 3. Juli. Die Reise dürfte also durchaus, wie bei Kummerfeld geschildert, mit hohen Kosten verbunden gewesen sein. Ob sie allerdings dem Papst tatsächlich ein Paar wertvolle Pantoffeln geschenkt hat, läßt sich nicht nachweisen. Lit.: Schmid, Maria Antonia Walpurgis von Sachsen; Münster, Maria Antonia Walpurgis Symphorosa, in: MGG, Personenteil 11, Sp. 1085 f.; Anne Fleig, „Entre souverains, ce n’est pas le sexe qui décide“ – Höfische Selbstinszenierung und Geschlechterrollen, in: Ulrike Weckel/ Claudia Opitz/Olivia Hochstrasser/Brigitte Tolkemitt (Hg.), Ordnung, Politik und Geselligkeit der Geschlechter im 18. Jahrhundert, Göttingen 1998 (Das achtzehnte Jahrhundert – Supplementa, 6), S. 41–64, hier S. 42–48; Fürstenau, Geschichte, S. 183–193; Heribert Raab; Die Romreise der Kurfürstin-Witwe Maria Antonia Walpurgis von Sachsen 1772, in: Erwin Gatz (Hg.), Hundert Jahre deutsches Priesterkolleg beim Campo Santo Teutonico, Freiburg im Breisgau 1977 (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 35), S. 93–107. 1157 Gemeint: Papst Schatz?
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dran ist. – Gott muß strafen etc. etc.“. Wer wolte bei solchen Klagen Fürst, Regente seyn! – Gewiß wars, das wir, ohne zu fragen, immer aus denen verschiedenen Klagen wusten, in welches Herr Gebiet wir traten. – Je näher wir nun ins Weimarsche Land kamen, je heuterere, zufriedene, gesundere Menschengesichter trafen wir an. – Wie verendert war die Sprache, [650]
sie weinten auch! Aber welcher Unterschied von Thränen? Dankvolle, heilige, bittente Thränen für die Gesundheit, langes Leben der besten Landesmutter1158. – „Wir haben keine Regentin, nein, wir haben eine gute, liebe Mutter, liebt uns wie unsere Kinder.“ Noch weinten sie um den Verlust des alten Grafen von Greiner1159. „Der war auch unser Vater. – Nun ist sie aber allein Vater und Mutter. – Ach Gott! Wenn nur einst unser Herr Erbprinz in die Fußstapfen seiner Mutter tritt1160. – Ja, dan wollen wir gewiß mit keinen andern Unterthanen und denen ihren Landesherren tauschen. – Wen wir nur hören, das unsere liebe Mutter kranck ist, so halten wir unter uns Betstunde, wens auch der Pastor nicht befählt. – Da sind wir gleich alle so angst und bitten den lieben Gott, das er uns doch unsere Mutter laße. Den der Erbprinz ist doch noch so jung. – Ist zwar ein lieber, guter junger Herr und hat einen wackern Herrn Hofmeister1161 – sagt man, aber er könte doch verführt werden, wenn unsere Mutter nicht mehr lebte. O wenn sies doch wüste, wie sehr wir sie alle lieben. Wie wir gern unser Vermögen, unser Leben für sie hingeben. – Wär auch unsere Schuldigkeit. Den haben wir Mangel gehabt in der allgemeinen Noth um uns her? – Wir haben sogar von unsern Überfluß
1158 Zur zeitgenössischen und späteren Wahrnehmung Anna Amalias als „Landesmutter“ s. Berger, Anna Amalia (2003), S. 227–294. 1159 Johann Poppo Graf von Greiner (* 14. Jan. 1708 Ilmenau, † 17. Sept. 1772 Weimar) war Mitglied des Geh. Consiliums und Prinzenerzieher in Weimar. Lit.: Effi Biedrzynski, Goethes Weimar. Das Lexikon der Personen und Schauplätze, Zürich 1992, S. 177 f.; Joachim Berger, Europäische Aufklärung und höfische Sozialisation. Prinzenerziehung in Gotha und Weimar, in: Werner Greiling/ Andreas Klinger/Christoph Köhler (Hg.), Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg. Ein Herrscher im Zeitalter der Aufklärung, Köln/Weimar/Wien 2005 (Veröff. der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe 15), S. 201–226, hier S. 208; Berger, Anna Amalia (2003), S. 263 f. 1160 Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach (* 3. Sept. 1757 Weimar, † 14. Juni 1828 Schloss Graditz/ Torgau), der älteste Sohn (Erbprinz) Ernst August II. Konstantins und Anna Amalias von Braunschweig-Wolfenbüttel, war seit 1758 Herzog, stand aber bis 1775 unter der Vormundschaft seiner Mutter; Tümmler, Karl August. 1161 Johann Eustach Graf von Görtz (* 5. April 1737 Schlitz, † 7. Aug. 1821 Regensburg) trat 1755 als Regierungsassessor mit dem Titel eines Regierungsrats in den Weimarischen Staatsdienst ein und wurde 1762 von Anna Amalia mit der Erziehung des Erbprinzen Carl August beauftragt; Berger, Anna Amalia (2003), S. 111–120.
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unsern Nachbarn mittheilen kennen, ihre Vorsicht für uns erstreckte sich durch uns über die Gränzen und brachte Segen über uns und ihr Land. – Da, damals wustens wir recht zu erkennen, was wir für eine gute Landesmutter hatten. – Gott vergelte, Gott lohns ihr und ihren Prinzen hier und in der Ewigkeit.“ – Welch Unterschied! Und nun bald, bald solte ich diesen Engel sehen. Wieder sehen! Dachte sie mir, wie ich noch ein Kind war. – Wie mir das Herz schlug bey dem Ge[651]
danke, solst sie sehen, die große, die göttliche Frau. Früh noch am Morgen den 23. kamen wir auf die lezte Station vor Weimar, Weißensee 1162. Bis dahin wolte uns mein Bruder entgegenkommen. Wir hoften ihn schon zu treffen, aber noch war er nicht da. Unsere Stube war hoch im 2ten Stock, und weil das Haus auch hoch lag, so das wir gerathe auf die Landstraße, die nach Weimar geht, sehen konnten, wich ich mit meinen Perspecktif1163 nicht mehr von den Fenster. – Entlich entdeckte ich ein Gewölke von Staub – nun sehe ich Reiter – „Wilhelm, Wilhelm, zween zu Pferde.“ – „Du bist nicht gescheut.“ – „Gewiß! Da, siehe selbst. Einer in einen weißen Kleid, das ist Carl, der andere hat ein dunkeles an, die Pferde sind schwarz. So siehe doch – nun, siehst du nichts?“ – „Hast fürwahr recht. Da kommt er“; ich wehete mit einen weißen Tuch zum Fenster herraus und war schwach genug zu glauben, das daß Carl über eine halbe Stunde weit im Reiten ebenso sehen müßte wie ich durch mein Glaß. – Wozu verleitet uns nicht die Freude? Entlich brauchte ich mein Glaß nicht mehr und konnte ihn mit meinen Augen erreichen. – Kummerfeld und ich weheten mit weisen Tüchern – entlich sahen wir ein Hutabziehen und gleiches Wehen mit Carls Schnupftuch – mein Mann sagte: „Fall mir nur nicht zum Fenster hinaus – bald wird mir Angst. – Was bist du für ein Weib! – In der Freude wie im Leid gleich heftig.“ – „O laß mich, Lieber! Laß mich seyn, was ich bin. – Alles ganz! Was sind die Mitteldinger, die nichts fühlen kennen, für erbärmliche Menschen.“ – „Aber deine Gesundheit leidet.“ – „Las sie! Will lieber 10 Jahr früher sterben, als ein altägliches Menschengesicht seyn.“ – Carl kam nun näher. – Nun ergerte ich mich, das der Weg nicht gleich gerathe über die Häuser wegging – kurz, ich mußte es mir aber doch gefal[len] [652]
laßen, das Carl erst durch das Städtgen durch zu uns kommen mußte. Endlich, als wir ihn antrappen hörten, eilten wir ihm entgegen. Noch waren wir gegen 4 Meilen
1162 Weißensee, rund 35 Kilometer nordwestlich von Weimar. 1163 Perspektiv: Fernrohr.
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von Weimar, die Klocke war 10 Uhr des Morgens, Carl war scharf geritten, und um den Weg nicht zu verfehlen, weil er niemals an dem Ort war, hatte er einen Begleiter mit sich genommen. Wir hielten Mittag. Des Nachmittags erst nach 3 Uhr fuhren wir fort, die Hize des Tages zog ein großes Gewitter herran, wir hielten uns einige Stunden in einer Mühle auf. Dieses verursachte, das wir erst des Nachts gegen 11 Uhr in Weimar ankamen. Wir wohnten beyCLIII meinen Bruder im Haus, und alles war zu unserer Aufnahme gerichtet. – Miede von der Reise, das Auspacken, Visiten, die uns bewilkommten, so verging der folgende Tag. Den Abend gingen wir in die Comöde1164. Den 26. hatten wir die erste Audienz bey der Durchlauchtigsten Herzogin1165, die uns voll Huld und Gnade aufnahm. Wer konnte die große Frau sehen und nicht ganz für sie hingerißen werden? Je länger man mit derselben sprach, je mehr mußte man sie lieben. Über zwey Stunden waren wir bei derselben im Zimmer. – Sie entlies uns entlich, wünschte, das es uns in Weimar recht wohl gefallen möchte, und sagte: „Muß Sie noch öfterer bey mir sehen.“1166 – Jeden Tag waren wir aus, heute hier, morgen da; theils in Gesellschaften, theils an Lustörter, Comödie und Concert. In leztern spielte sie selbsten mit ihre herrliche Prinzen ein Concert. Den 2. Juni des Morgens hatte ich das Glück, der großen Frau ganz allein aufzuwarten. – Welch ein Herz, welche Seele, welchen Karakter lernte ich in ihr kennen. – Wie einen Gott hätte ich sie anbeten mögen. O, das sie in mein Herz sehen, in meinen Augen lesen kennen, welche Ehrfurcht sie mir eingeflößt, wie groß, wie erhaben sie vor mir stand. Wie wahr, wie unwiedersprechlich gewiß ists, das der Große den [653]
am größesten ist, wen er es gar nicht zu seyn scheint. Nie habe ich zu den Füßen eines Fürsten oder Fürstin gelegen, aber huntermal hätte ich vor ihr hinstürtzen mögen und ausrufen: „Las mich dich anbeten, Engel.“ – Wie hielte ich an mich! Ach! Der Gedanke, Große sind nur mit Schmeichler umgeben – nur der hielte mich zurück. Wie ewig 1164 Im Schlosstheater in der Wilhelmsburg wurde am 24. Mai 1773 gegeben: Der Kobold im Bergwerk, ein Ballett (Musik: Anton Schweitzer) und Die treuen Köhler, eine Operette (Text: Gottlieb Ephraim Heermann, Musik: Ernst Wilhelm Wolf ); Theaterzettel UFB Gotha Chart. A 1287, Bl. 3. 1165 Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach. 1166 Über Kummerfelds Besuch in Weimar berichtete am 29. Mai 1773 Johann Eustach Graf von Görtz, der Prinzenerzieher am Weimarer Hof, in einem Brief an seine Frau: „Habe ich Ihnen schon gesagt, dass wir eine fremde Dame hier haben. Es ist Fr. Kummerfeld aus Hamburg, die Schwester des Ballettmeisters Schultze. Ich bin ihr noch nicht vorgestellt worden“; Norbert Leithold (Hg.), Liebesbriefe und Geheimdepeschen. Aus der Korrespondenz des Grafen Johann Eustach von Goertz mit seiner Gemahlin und Friedrich II. von Preußen 1771–1782, Berlin 2012, S. 72. – In den amtlichen Akten lassen sich die Audienzen bei Herzogin Anna Amalia nicht nachweisen.
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unvergeßlich wird mir jedes Wort bleiben, so diese huldreiche Dame zu mir sprach. – Alles zu sagen, zu wiederholen, würde vielleicht mancher Zweifel hineinsezen, der nicht so glüklich ist, sie zu kennen wie ich. Nur etwas muß ich erwehnen. Unser Gespräch war ernsthaft, sehr ernsthaft, himmlische Thränen glänzten in den schönsten Augen, sie sagte: „Die Großen haben die wenigsten Freunde! Wie kann man es jeden recht machen. – Auch bey dem besten Wünschen alle glüklich zu wißen.“ – Nun konnte ich nicht länger an mich halten. Ich wiederholte jedes Wort, was ich auf meiner Reise bis Weimar von ihr und von andern sprechen gehört. – „Zelen Sie mich auch mit unter Schmeichlern, das ich Ihnen dieses sage? – Etwa sage, weil ich die Gnade habe, mit Ihnen allein zu seyn. – Kennen Sie das von mir glauben, thut es mir weh. – Hab noch keinen Menschen geschmeichelt. – Spräch mann anders von der Durchlautigsten Herzogin von Weimar, so würde ich entweder gar nichts sagen, oder ich würde, wenn ich mich auch Ihre Gnade verlustig machte, Ihnen aus Mitleid für Ihre Unterthanen ihr Wehklagen vorstellen. – Laßen Sie einen reisen, den Weg reisen, den ich mit meinen Mann hiehergekommen – deßen Treue Sie versichert sind – und dan hören Sie selbst, ob nicht jedes Wort die helste Wahrheit ist. Noch mehr, Euer Durchlaucht Unterthanen haben nur einen einzigen Wunsch.“ – „Nun?“ (sprach sie lächelnd) „und der ist?“ – „Das der Durchlauchti[gste] [654]
Erbprinz einst, wenn er zur Regierung kommt, in die Fußstapfen unserer lieben Mutter (wie Sie allgemein Ihre Unterthanen nennen) tritt.“ – Mit einen Blick – o wer kann den beschreiben, mit einen Ton, so ganz aus der Fülle des Herzens gesprochen, sagte sie: „Wir wollen hoffen. – Noch ist er jung – an mir sols nicht fehlen, auch nicht an seiner Erziehung.“ – O mein Gott! Wie mir vor Dank das Herz schlug, durch das, was ich gesagt, dieser mir so theuer Fürstin einen vergnügten Morgen gemacht zu haben. – Sie schien so wehmütig, freudig, vergnügt. – Nie, nie werde ich sie vergeßen. Nie!! Nie den Druck ihrer Hand, den Kuß auf meine Wange – o, nie. Gott, du weist es. Sind gleich seid diesen seligen Morgen schon viele Jahre verfloßen, o, so würde ich noch noch gern mein Leben, um das ihrige zu verlängern, willig hingeben. Du weist es nicht, erhabene Frau, wie unaussprechlich ich dich liebe. Wie manche dankvolle Thräne ich deinem Andencken weine. – Wie mein Herz schlägt, wenn ich in stiller Einsamkeit vor deinen Bildniß liege, für dich, für deine Prinze[n] zu Gott bitte und flehe. – Weist es nicht! Solst es auch nicht wißen. – Mein, mein Herz weis, das es aufrichtig treu gemeint hat und noch treu ist und bleibt. Den 9ten, des Nachmittag von 3 bis 7 Uhr des Abens, hatte sowohl ich wie mein Mann und Bruder die Gnade, wieder bey Derselben ganz allein zu seyn. Gott! Wie liebenswürdig sie war. Sie war so herrablasend
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gegen uns, das sie uns selbst alle Pretiosa1167, die sie in ihren Kabinet hatte, zeigte. – Doch was sind alle Kleinnodien! Sie selbst war und blieb das Größte. – Würde das Größte seyn, auch wenn sie [655]
nicht wär, was sie ist. Sah bisher viele große Frauen, viele. – Aber das weis Gott, noch keine Herzogin von Weimar. Die Dame hatte bey der außerordendlichen Herrablaßung, Freundlichkeit, auch da, wo sie nur schien ein gewöhnlicher Mensch wie andere zu seyn, doch so etwas Großes in ihrem Blik und Anstand, das man auch in einen Hirtenkleide die Fürstin hätte erkennen müßen. In jeden Anzuge, in jeden Kleide verdunckelte sie alles um sich her. Alles schien tod, nur sie hatte Leben. – Und ihre Anmuth! Ihre Art zu sprechen, wie huldreich! Als sie mir ihr Brilliantenhalsband zu besehen in die Hand gab, so sagte ich zu ihr: „Das hätte ich auch nicht gedacht vor 17 Jahren, als ich in Braunschweig war, das ich heute dieses Halsband würde in Händen haben.“ – „Warum?“ frug sie. – „Mir ist dieses Band deswegen merkwürdig geworden, weil man am Vermählungstage1168 von Ihro Durchlaucht davon sprach. Besonders von dem großen Werth des mittelsten Steines.“ – „Nein“, antwortete sie, „das ist nicht dieser. Den ich an meinen Vermählungstag hatte, ist dieser Nebenbrilland. Diesen mittelsten ist ein Geschenk von meinen selgen Herrn. Solte mein Wochen-Geschenk seyn zu meinen Constantin. Wie mein Herzog krank war, so rufte er mich zu sich ans Bette und sagte zu mir: Da, Amelie! Wolte dir den Juvel in dein Kindbett schencken – weil ich aber doch bis dahin nicht mehr leben werde, so will ich mir doch die Freude machen, dir ihn selbst zu geben.“ – Sie schwieg einige Augenblicke still – eine Thräne trat in ihr Auge, und tief hochathment aus der Brust sagte sie entlich: „Auch hat er den Tag meiner Entbindung nicht mehr erlebt1169.“ – – Sie bemerkte es, das ich bewegt war – ja, das es mich reute, was ich gesagt, und sie an ihren Vermählungstag erinnerte. – Voll Huld [656]
fur sie fort: – „Nun bekam ich nach der Zeit diesen Stein zu sehen, kaufte ihn, weil er ebenso groß und geformt war wie dieser aus Braunschweig, und lies dem Herzog seinen 1167 Pretiosen: Kostbarkeiten. 1168 Die Eheschließung mit Ernst August II. Konstantin von Sachsen-Weimar-Eisenach (* 2. Juni 1737 Weimar, † 28. Mai 1758 Weimar) fand am 16. März 1756 in Braunschweig statt. Karoline Kummerfeld war mit ihren Eltern von Fasten 1755 bis Fasten 1756 in Braunschweig bei Anton Quar(t)tal engagiert und berichtet über diesen Aufenthalt – ohne Verweis auf die fürstliche Hochzeit – in HHS, S. [94]–[96]. 1169 Friedrich Ferdinand Konstantin von Sachsen-Weimar-Eisenach (* 8. Sept. 1758 Weimar, † 6. Sept. 1793 Wiebelskirchen).
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in die Mitte sezen. – – Ja, wenn ich so nachdencke. Gott hat mich mächtig erhalten. – Mein Constantin war ein elendes Kind, wie er auf die Welt kam. Den erhielt mir Gott, das Gebet meiner Unterthanen und die Medicis. Nun ist er gesünder von Aussehen – und hübscher wie mein Erbprinz.“ – – So, so sprach die liebe, die beste Fürstin. Und so sie sprechen hören, wer mußte nicht ganz entzükt von ihr werden. Den 10ten machten wir eine kleine Spazierreise nach Erfurt. War am Fronleichnamsfeste. Da mein Mann nie dergleichen Cermonien zu sehen Gelegenheit hatte, so verschafte es ihm vieles Vergnügen, besonders aber der Nachmittag, wo ihn mein Bruder nach dem Cardäuserkloster1170 führte. – Als Fremde, wie sie waren, und ihr Verlangen gemeldet wurde, sich mit einigen Paters unterhalten zu dürfen, so wurde auch einigen die Erlaubniß des Sprechens ertheilt. – Sehr spät in der Nacht kamen wir wieder nach Weimar. Den 12. des Morgens war ich wieder bey der Durchlauchtig[sten] Herzogin, und zwar das lezte Mal. Sie gab mir zum Andenken einen Ring und Tabacksdose1171. Nicht der Werth beider wars, das mir solche angenehm machte – wahrlich nicht! Sondern, weil solche von ihrer Hand kamen. – Mir würde ein Endgen Band, ja die geringste Kleinigkeit ebenso schäzbar gewesen seyn – wen solche von ihr gewesen. Der Abschied hatte für mich viel Schmerzhaftes, tief lag solcher in meinen Herzen – wenig konnte ich sagen. War wie verwirrt; – wie ich fortging, wie ich nach Hause kam – kurz, ich weis von nichts mehr. Der 13. war zur Abreise festgesezt. Die gütig[e] Fürstin wolte nicht, das wir denselben Weg wieder zurüklegen sol[657]
ten, weil solcher zu gefährlich wär, und befahl, das man uns die Reiseruthe gebe, die sie mit ihren Prinzen einige Jahre vorher nach Braunschweig gemacht. „Die erste Nacht sollen Sie auf den Schloß in Altstädt1172 zubringen, ist mein Wittwensiz1173, und so 1170 Das Kartäuserkloster St. Salvator in Erfurt lag südlich der Altstadt beim Löbertor, es bestand bis 1803. Nach einem Visitationsbericht von 1772 lebten dort zur Zeit von Kummerfelds Besuch neun Mönche, drei Donati und vier Novizen; Joachim Kurt, Die Geschichte der Kartause Erfurt Montis Sancti Salvatoris 1372–1803, Salzburg 1989, S. 213 f. 1171 Die Audienzen und die Geschenke an Karoline Kummerfeld ließen sich in den Akten des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar nicht nachweisen. 1172 Allstedt (Sachsen-Anhalt). 1173 Die ernestinischen Herzöge von Sachsen-Eisenach bauten die hoch- und spätmittelalterliche Burganlage, die auf eine Ottonische Pfalz zurückging, zu einem Wohnschloss aus und bestimmten sie zum Witwensitz. Nach dem Ende der Linie mit dem Tod Wilhelm Heinrichs im Jahr 1741 fiel Allstedt an Anna Amalias Schwiegervater, Ernst August I. von Sachsen-Weimar-Eisenach (1688–1748), der das vordere Schloss im Barockstil neu errichten ließ. Anna Amalia zog sich nach dem Ende ihrer Regentschaft (1775) nicht wie vorgesehen nach Allstedt zurück, sondern blieb in Weimar. Ihr Sohn Carl August hielt sich gerne auf dem Schloss auf und wurde dabei mehrmals von Goethe begleitet.
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sind Sie doch noch eine Nacht länger in meinen Gebiete.“ – Und ich solte je vergeßen kennen diese Vortreflichste ihres Gesch[l]echts? – Nein! Da vergeße Gott meiner, wenn mein Herz aufhören solte dankbar zu seyn. – Gott segne dich! Engel! Gott segne deine Prinze[n]. – O, das daß Haus nie aussterbe, das es von Gott gesegnet sey, solange diese Erde steht, steht bis an der Welt Ende. – Aber wenn es stehenbleibt noch viele Jahrtausende, keine größere, keine beßere, keine volkommere Regentin wird, kann es nicht mehr haben, wie du warst, göttliche Frau. Noch kann ich mich nicht ganz von Weimar trennen, bis ich nicht auch gesagt, wie jeder, bey dem wir die Ehre hatten Besuch abzulegen, uns wahre Gastfreyheit erzeigten. – Sich alles vereinigte, uns unsern Auffendhalt angenehm zu machen. – Dank, Dank allen denen Guten, Dank euch allen. Gewiß ist das Weimarsche Land ein kleines Paradies für mich gewesen. Wie viele der anmuthigsten Gegenden, der Lustschlößer, Gärten. – Das weis der Himmel, würde es gern um Hamburg vertauscht haben, wenn auch die Einkünfte meines Mannes weniger gewesen. – Würden mit wenigeren Geld mehr Freude gehabt haben. Den 13. gegen den Abend kamen wir auf dem Schloß zu Altstädt an. Der Herr Secretair Bachmann1174 empfing uns und bestrebte sich recht, uns so viel Vergnügen zu machen, als es nur immer die kurze Zeit unsers Auffendhalts gestatten konnte. Das Schloß liegt hoch auser [658]
der Stadt und verursacht dadurch die herlichste Aussicht1175. Er führte uns in alle Zimmer des Schloßes; für mich hatte es vielen Reiz, weil ich mich immer über die edle, alte Einfalt mehr freuen konnte als über alles neumodische, moderne Geziere. – Die Geniegsamkeit der Alten hat für mich so was Ehrwürdiges. – Kurz, ich bin nun einmal so, wie ich bin. Des Abens wurden wir treflich bewirthet. Herr Secretair Bachmann war ein vortreflicher Geselschafter; und sehr schnell schwanden uns die Stunden in seiner Gesellschaft. Ohngeachtet wir des Morgens früh fort welten, so wars doch schon nach
Lit.: August Nebe, Geschichte des Schlosses und der Stadt Allstedt, in: Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Alterthumskunde 20 (1887), S. 18–96, hier S. 90; Berger, Anna Amalia (2003), S. 107 f.; Joachim Säckl, Schloss Allstedt. Fürstliche Herrschaftsvermittlung zwischen Anspruch und Realität, in: Barocke Fürstenresidenzen an Saale, Unstrut und Elster, Petersberg 2007, S. 358–365. 1174 Der Allstedter Rentsekretär Johann Gottlieb Bachmann; Hochfürstlicher SachsenWeimar= Eisenachischer Hof= und Adress-Calender auf das Jahr 1773, S. 28; Marcus Ventzke, Das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach 1775–1783. Ein Modellfall aufgeklärter Herrschaft?, Köln/Weimar/Wien 2004 (Veröff. der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe 10), S. 172. 1175 Die Höhenburg liegt etwa 800 Meter nordöstlich der Altstadt auf einem Geländesporn in ca. 260 Meter über NN. Nach dem Tod von Ernst August I. von Sachsen-Weimar-Eisenach (1748) blieb der barocke Ausbau des Schlosses unvollständig und die mittelalterliche Kernanlage in ihrer ursprünglichen Form erhalten.
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12 Uhr, ehe wir zu Bette kamen. Doch schliefen wir recht gut, aber ich war wohl die erste, die des Morgens aufgestanden. Kaum hatte es 3 Uhr geschlagen, trat ich ans Fenster, wolte die Sonne aufgehen sehn. O mein Gott! Noch danke ich dir für all das Gefühl, was ich hatte. Noch nie hatte ich auf einer so großen Anhöhe die Nacht zugebracht – hoffte auch nicht, das es je wieder geschen würde, mithin wolte ich auch alles geniesen, alles sehen, alles durchfühlen. Hab’s auch gewiß. – Wär gern einige Tage dageblieben – aber das konnte nun nicht seyn. Halb 7 Uhr waren erst die Postpferde bestellt, und die kamen. Wir trennten uns nun, dankten Carln für jede Freude, die er uns zu machen gesucht. Und gerürt sagten wir Herrn Bachmann Dank. – Der redliche Mann sagte: „Nicht mir. – Wünschte nur, es früher gewust zu haben. That nach dem Befehl der besten Fürstin, durch Order des Herrn Ministers von Witzleben1176. Gott geleite Sie glüklich. Solte nicht alles so gewesen seyn, wie man gewünscht hat, wars nicht meine Schuld, sonder der zu kurze Bericht, als ichs erfuhr, weil ich in Amtsgeschäften nicht auf [659]
den Schloß war, als der Befehl kam; hoffe, Sie werden es melden.“ Nun reißten wir fort über Eißleben1177, Harkerothe1178, Quedlinburg, Blankenburg, Wolfenbüttel nach Braunschweig. Die Wege waren um vieles beßer, auch die Gegenden schön, doch so schön nicht wie die über Haßelfelde1179, Nordhausen etc. etc. Den 15. gegen den Abend kamen wir glüklich in Braunschweig an. Was meine Freunde sich freudten! Den 16. besahen wir des Vormittags die Kirchen und die herzogliche Gruft1180, des Abens waren wir in der Comödie. – Der gute Herr, der Herzog1181, als er uns erblikte, kam aus der großen Loge in die kleine und hatte die Gnade, mich und meinen Mann ebenso freundlich zu griesen wie damals vor 5 Jahren, als ich als Braut durchgereist. Den 17. brachte ich den Morgen mit meiner Fleischer auf ihren kleinen Garten zu. Herr Fleischer führte meinen Mann auf den Wall, um dem Exerciren mit anzusehen. Den Mittag speißten wir bey Fleischers. Schon waren wir im Haus, als endlich unsere zween Männer ankamen, beede waren so voller ungewöhnlicher Freude, das ich zu Rükgen sagte: „Siehe, was müßen die haben! Die sind ja ganz erschrecklich vergnügt.“ – Bald erfuren wirs. Herr Fleischer kam mit meinen Mann erst nach 10 Uhr auf den Wall, da 1176 Friedrich Hartmann von Witzleben war Oberhofmeister in Weimar; Hochfürstlicher SachsenWeimar= Eisenachischer Hof= und Adress-Calender auf das Jahr 1773, S. 75. 1177 Eisleben. 1178 Harkerode. 1179 Hasselfelde. 1180 Die Krypta im Braunschweiger Dom; Mechthild Wiswe, In der Gruft des Braunschweiger Domes. Die letzte Ruhestätte der Welfenfürsten, Braunschweig 1990. 1181 Karl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel.
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das Exerciren vorbey war und alle Soldaten bereits abmargiren1182 solte. Der Herzog wird meinen Mann und Fleischer gewahr, kommt auf beede zugeritten. „Fleischer, ist das Herr Kummerfeld aus Hamburg?“ „Ja, Ihro Durchlaucht.“ – „Ihre Frau kenne ich schon lange, länger wie Sie. Haben ein sehr braves Mädchen zur Frau bekommen. Wir alle hatten Achtung und Liebe für sie, theils ihrer Talente, theils ihrer guten Aufführung. Warum ist sie nicht auch auf den Wall? Schläft wohl noch?“ [660]
Mein Mann sagte, das ich bereits früh aufgestanden und mit Madame Fleischer nach ihren Gärtgen gegangen. – Der Herzog lächelte: „Ja, das sind die Unzertrenlichen. – Die waren schon als Mädchens immer beysammen, das sind Freundinnen! – Aber Sie haben also länger geschlafen, weil Sie so späth gekommen sind; müßen so früh aufstehn wie ich. Ich bin schon um 5 oder halb 6 auf dem Wall mit meinen Leuten. – Wolte fort, doch sollen Sie nicht umsonst gekommen seyn; warten Sie noch, adieu, griesen Sie mir Ihre Frau“ – wolte fort, kehrte wieder um mit dem Pferd und frug ihm: „Wo kommen Sie den jezt her?“ „Von Weimar, Ihro Durchlaucht“ – „Haben doch die Herzogin gesehen.“ – Mein Mann sagte ja. Und das wir viele Gnade von ihr empfangen. – „Keinen Gruß an mich?“ Mein Mann erwiederte, das die Durchlauchtigste Herzog[in] wohl nicht daran gedacht, das er die Gnade haben würde, den Herzog selbst zu sprechen. Prinz Leopolt1183, als er hörte, das er von Weimar käme und die Durchlauchtig[ste] Herzogin gesprochen, rufte aus: „Von Weimar!“ und sprang von Pferde, lies solches halten und trat meinen Mann nun näher. Der Herzog sagte: „Adieu, Herr Kummerfeld, gleich sollen Sie noch etwas zu sehen bekommen.“ Dieser gute, genädige Fürst lies nun seine Leute von neuen exerxiren, und das über eine halbe Stunde. Der Prinz erkundigte sich sehr und mit so vieler Liebe nach dem Befinden seiner Schwester und deren Prinzen und war mit jeder Antwort sehr verg[n]ügt. – Mein guter Mann war auch so entzükt noch bey der Wiederholung, das ihm Thränen in die Augen kamen. Ich wars gewiß nicht weniger. – Und es bleibt gewiß, der Braunschweigische Hof und alle die Kinder aus dem Haus zeichne[661]
ten sich doch immer vor vielen aus vermöge der Leitseligkeit. Mancher reiche Bürger oder Edelmann hat mehr Stolz. Würde wunder meynen, was er sich von seiner Würde 1182 Abmarschieren. 1183 Maximilian Julius Leopold Prinz von Braunschweig-Wolfenbüttel, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg (* 11. Okt. 1752 Wolfenbüttel, † 27. April 1785 Frankfurt/Oder), jüngster Bruder der Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach; Zimmermann, Leopold.
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benähm, wen er sich weniger dünkte. Und gewiß ist, das ich oft in meinen Leben große Herr und Frauen herrablasender und leitseliger gefunden wie manchchen Bürger und sein Weib, die wusten, wir sind reich. Den Nachmittag fuhren wir nach Salzdahl1184 und divertirten1185 uns vortreflich. O, wie gerne wär ich noch einige Tage in Braunschweig geblieben. Doch mein Mann wolte nun wieder nach Hamburg, und das war mein Frühstick, als ich den 18. des Morgens aufstand, das er den Nachmittag fortreisen wolte. – Das weis Gott, das ich den Schreck nie vergeße, den er mir gemacht, so behutsam er es auch einfädelte, so dachte ich, ich solte in Ohnmacht sincken. Kummerfeldt jammerte es, weil er sah, wieviel ich heimlich litt, das die Glücksumstände meiner Freundinn nicht die mehr waren wie vor Jahren. „Ich muß dich fortreißen“, sagte er, „du wirst gewiß sonst hier noch krank.“ Alle meine Versicherungen vom Gegentheil halfen nichts. Ich gab nach und mußte nachgeben, den ich kannte ihm zu genau; und so gut er auch war, so war er unausstehlig in Laune, wenn nicht gescha, was er sich einmal in Kopf gesezt hatte. – Der Abschied hatte für mich ganz etwas Entsezliches. – Meine Fleischer nicht mehr glüklich! Und ich? Nun auf immer nach Hamburg zurük? – Nach Hamburg? Wo ich zwar alles – und im Grunde doch nichts hatte, den ein gewißes Etwas blieb in mir, daß ich unmöglich aufzulösen imstande war. Den 20. des Nachmittags kamen wir den gottlob gesund und wohl wieder nach Hamburg und fanden alles in unsern Haus in der größten Ord[n]ung; alle unsere Freunde und Bekannden waren wohl. [662]
Inzwischen muß ich anmerken, das in Fritschens Haus nicht mehr der Friede war wie sonst, der Alte fühlte die stärkere Ausgabe zu sehr. Das Kostgeld, was der Herr Schwiegersohn gab, war nicht hinlänglich, und die alte Jungfer Schwester, die für alles, was sie hergab, keinen ruhigen Tag hatte, ward es überdrießig und hatte bereits ihr Zimmer in dem K[l]oster bezogen, lebte da ruhig und zufrieden. – Auch ich kam nicht mehr so oft hin. Der neue Herr Vetter hatte längst meinen Credit verloren. Die Hauptursach war die: Die alte Mademoiselle Fritsch, ohngeachtet man sie aus dem Hauße gebißen, hörte doch nicht auf, sie mit Wohlthun zu überhäufen. – Behalf sich mit sehr wenigen, zählte die Tropfen Wein fast in ihr Brodwaßer1186, daß sie trank. – That sich in ihren hohen Alter nichts zu gute, um nur für Paulis und ihren Kindern was zu ersparen 1184 In Salzdahlum zwischen Braunschweig und Wolfenbüttel lag die unter Herzog Anton Ulrich zwischen 1688 und 1694 in Fachwerkbauweise erbaute großzügige Schlossanlage, in der sich auch Karl I. häufig aufhielt. 1813 wurde sie von der Stadt Braunschweig abgerissen; Wittig, Lustschloß. 1185 Sich divertieren: Sich belustigen, ergötzen. 1186 Brotwasser: Mit Brotrinde schmackhaft gemachtes Wasser zum Trinken.
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und ihnen hinzugeben. – Natürlich wars, wenn sie Herrn Pauli großthun hörte, sie zuweilen ein Wort von Sparen mit einfliesen lies, wozu sie recht hatte. – Konnte eine junge, gesunde Frau nicht selbst Amme von ihren Kind seyn? – Sie konnte es – aber freylich thats anfangs weh – und den hätte Herr Pauli nicht so seine Lust und Bequämlichkeit haben kennen – mithin wurde eine Amme gehalten. Mehr Kinder kamen; die Einnahmen blieben dieselben, nur die Ausgaben wurden größer. Eines Mittags hatten uns die Alten zu sich zu Tische geladen. Tante Schreibern nebst allen Brüdern und Schwestern waren da. Als die Mahlzeit vorbey war und einer dem andern die Hand reichte und sich wünschte, das daß Eßen wohl bekommen möchte, kam Herr Pauli und küßte voller Ehrerbietung seiner Klostertante die Hand und sagte, sich tief, tief bükend: „Ich habe die Ehre, Ihnen eine gesegnete Mahlzeit zu wünschen.“ Trit zu mir, ergreift meine Hand und sagt: „Gott weis? Ich kann das Mensch vor meine Sünde nicht ausstehen.“ – Ganz erstarrt stand ich [663]
da, noch begreif ich’s nicht, daß ich ihm nicht in den Augenblick nach meinen Temparament eine Ohrfeige gab. – Nur das weis ich, das, wie er mich küßen wolte, ich meinen Kopf zurückzog; mich herrumdrehete und zu durch die Glaßscheiben hinaus in den Hof sah, voll Betrachtung über den allerliebsten Schwiegersohn vom Hause. – Bey mir hast du es aus. Daß war da, und das blieb. Der Streich war zu schlecht. Schmeicheln und Lästern in einen Augenblick; und das gegen seine Wohlthäterin. – In dieser tiefen Betrachtung beging ich arme Närrin auch ein großes Familenstaadsverbrächen. Ich vergaß über die Unverschämdheit des Herrn Vetters, Tante Schreiber gesegnete Mahlzeit zu wünschen. Weis Gott! daß ich’s nicht mit Willen that. – Weiß auch nicht: ob ich mehr vergeßen? – Den wär’s Wunder? Wir waren ja unser 8 Frauenzimmer. Wenige Wochen darauf kommt mein Gemahl sehr stürmisch nach Hause; fängt mit mir einen Zanck an, den ich nicht begreifen konnte. Wie er mir den einige Stunde das Leben zimlich sauer gemacht, kams den entlich herraus. Was ich gegen seine Tante Schreibern hätte? – Warum ich auf die Frau einen Groll geworfen und ihr unverschämt begegnet wär? „Ich deiner Tante? – Nun bey Gott! Herr Gemahl, Sie rasen, und wenn das Ihre Tante gesagt, ist die auch toll geworden. – Wan? Wo? Weis ja nicht einmal mehr, wenn ich sie zulezt gesehen?“ – „Ja, du bist vom Tisch aufgestanden und hast ihr keine gesegnete Mahlzeit gewünscht, das that ihr weh! Indem sie dir doch nie was zuleide gethan und du ihr doch so verächtlich begegnest.“ – „Wenn soll den daß gewesen seyn? – Wenn war ich den zulezt mit deiner Tante zu Tische?“ – Ich sann nach. – „Ha, das muß in Fritsch Haus gewesen seyn. – Nun, so ists mir leid – aber da kann ich nichts dafür, und mich wunderts, daß ich nicht noch mehr vergaß. – Noch habe ich nichts gesagt, den meine Art ists nicht, Feindschaft in Familien zu machen. Aber nun,
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wenn ich gefehlt, so wars unschuldig. Der unverschämte Pauli war schuld.“ (Nun er zehlte ich den niederträchtigen Streich) – „So was kan mich mich selbst vergeßen machen. – Falsch zu seyn, habe ich nicht gelernt. Nun kannst du’s der Tante wieder sagen. – Und einen freundlich warnenden Gruß von mir, das, wenn sie wieder was gegen mich hätte, sie so gut seyn und es mir selbst sagen soll, nicht aber dich gegen mich aufhezen. – Und hörst du was, so erkundige dich ein andermal erst nach dem Zusammenhang der Sache, ehe du wie ein Rasender zu Werke gehst. – Dein Herr Pauli hats bey mir aus. – Der kommt nun nie wieder bey mir in Gunst, das sag ich dir. Du kannst es halten, wie du wilst – und mit Madame Schreiber spreche ich auch noch ein paar Worte. – Und das morgen! – Das ist eben der Fleck, wo man mich berühren darf ? – Wehe! wehe! wärs wagt. Der Donner soll ihnen allen auf die Köpfe fallen.“ – Herr Kummerfeld, der mich kannte, gab nun gute Worte; versicherte mich, er wolle bey der Tante vorsprechen und es ihr sagen. – „Das kannst du thun, aber sprechen muß ich sie auch.“ Den andern Tag war ich da. „Liebe Tante, Sie haben mich bey meinen Mann verklagt? – Ich bitte Sie, thun Sie das ja nicht wieder, das sezt kein gut Blut. – Habe ich Sie beleidiget, das ich Ihnen keine gesegnete Malzeit gewünscht, thuts mir leid. – Gott weis! mit Willen that ichs nicht. Ich wurde durch ein gewißes Etwas decondenentsier1187. – Fragen Sie mich nicht, was es war? – Ich haße Klätschereyen. – Will keine machen. Wünsche es aber gegen mich ebensowenig. – Kan seyn, das ich mich vergaß. Will mich in Acht nehmen, mich nie wieder zu vergeßen.“ Sie versicherte mich, das es sie sehr beunruhiget hätte. – „Das thut mir leid! Aber liebe Tante, wir blieben ja den ganzen Nachmittag und Abend noch beysammen. Brachte Sie des Nachts mit unsern Wagen nach Hause – that ich den da auch noch was, worüber [665]
Sie sich beleidiget finden konnten?“ „Nein! Sie waren wieder sehr freundlich und gut.“ – „Nun also, wie konnte Sie die einzige gesegnete Malzeit beunruhigen?“ – Nun sah sies ein – aber was ich dachte? – – Ja, ja, wir wollen alle vernü[n]ftige Leute seyn. Geduld geherte dazu. Und das mein lieber Mann zu der Familie geherte, fühlte ich täglich mehr und mehr. Nun vergingen wieder einige Monathe im stillen häuslichen Leben. Ohngeachtet ich sparsamer zu Fritsch hinging: so bliebs doch noch zum Neujahrstag festgesezt. Allso am ersten Jenner des 1774. Jahres ging ich wie gewöhnlich hin mit meinen Neujahrsgeschenk für Madame Pauli. Ich stuzte nicht wenig, als ich in die Stube trat, nichts wie verstörte Gesichter zu sehen. – Man verstelte sich gegen mich, und jeder
1187 Se décontenancer: Aus der Fassung geraten.
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zwang sich ein Lächeln ab. Kurze Zeit, als ich da war, kam mein Jerom, der mich in Namen meines Mannes zu sprechen hatte. Kaum sprach ich mit solchen etliche Minuten an dem Vorhaus, als mit einen Mal sich ein so gewaltiger Lärm unter Schwiegereltern, Schwiegersohn und Tante erhob, das man glauben solte: sie hätten bereits sich alle bey die Köpfe. Von dem Geschrey war nichts vernehmlich als Herr Pauli, der mit seinen lispelnten Ton quikend donnerte: „Ich sch. auf Sie und die ganze Familie.“ – „O ho!“ sagte mein Geroms, „das war grob.“ – Ich ergerte mich, das es der Kerl gehört hatte, fertigte ihn ab und lies meinen Man in die Banc sagen: Ich würde den Abend [666]
nicht bey Fritsch bleiben, sondern erwartete ihm in unsern Haus. – Da sie sich noch in einen weg herrumbißen und ich nichts wißen wolte: ging ich im Hof und blieb da eine gute Viertelstunde. – Nun konnte ichs für Kälte nicht länger aushalten und ging nach der Stube, wo den zwar alle wieder still waren, aber glüten und zitterten, nach dem jedes Temparament in Zorn geniegt war. – Die Suppe wurde gebracht, und wir sezten uns. – Der alte Mann, da er den ersten Löffel voll an den Mund nehmen wolte, lies solchen fallen, grief zitternd nach dem Meßer, hobs gegen Pauli – sah ihn mit einen schröklichen Blik an und blieb so ganz erstart sizen, daß ich dachte, der Schlag hätte ihm getroffen. – Ich flog vom Tisch, schittete das Salzfaß um in ein Glaß Waßer und goß es dem Alten im Hals. Schittelte ihm, nahm eine Flaßche Wein, goß ihm die ins Gesicht, kurz, ich brachte ihm ins Leben zurück, den alle viere saßen da und regten sich nicht, so waren sie erschroken. – Ich, die ich immer sprach, was ich dachte, hob nun an: „Hohl der Teufel so ein Freßen. Dagewesen am Neujahrstag und auch gewiß an keinen mehr wieder. – Wolte, ich wär in meinen Haus geblieben.“ – Nun brachs wieder loß von allen Ecken. Sie zankten sich nach Herzens Lust und sagten einander die abscheulichsten Sotisen1188. Der Herr Vetter aber [667]
prahlte zu arg, ich konnte es nicht länger mit anhören. „Hören Sie, Herr Vetter, thun Sie nur nicht gar zu düke. Alles, alles haben Sie der Familie zu danken. Noch wären Sie Fähndrich – die Familie drang durch, andere, die näheres Recht hatten, mußten zurükstehen, und Sie wurden Oberleutenant. Ihre Schulden wurden bezahlt. Noch thut die Familie alles an Ihnen, was sie nur kann. Und meine Nichte wär glüklicher, wenn sie Sie nie gesehen hätte. Inzwischen ist Undank aller Welt Lohn. – Mich werden Sie von heute an wenig mehr hier im Haus sehen, komme ohnedieß sparsam schon genug.
1188 Sottise: Grobheit, Unsinn, Dummheit.
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Wenn ich ausgehe, will ich mich vergnügen, aber keinen Schrök und Erger haben.“ – Nun wurde es stille. Den sie dachten wohl alle: Nein, das geht nicht – Kummerfelds sind zu wichtige Nummern für unser Haus. – Die Mahlzeit wurde stille eingenommen, und wie wir vom Tisch aufgestanden waren, empfahl sich der Herr Vetter. Noch wuste ich nicht, warum oder weswegen sie sich gezankt hatten. Entlich hob die alte Mamsell an: Das Herr Pauli lezteren Martini von ihr Geld borgen wollen, sie hätte ihm gefragt: „Viel?“ Weil sie nun taub wär und es nicht laut schreuen wollen, so hätte ers auf einen Zettelgen geschrieben, und da las sie die Summa von 4 oder 500 Marck. – „Das ist viel, Herr Vetter! Das kann ich nicht geben. – Er soll beßer wirthschaften“. Damit wärs vorbey gewesen, er hätte ihr seid der Zeit nichts [668]
mehr davon gesagt, bis auf dem heutigen Tag, wo er von freuen Stücken angefangen hätte: Wenn sie ihm nichts geben wolle, so solte sie nicht von beßer Wirthschaften resoniren. Mir wars genug. Gleich nach 4 Uhr ging ich nach Hause, lies Austern bestellen, holte R[h]einwein aus meinen Keller und wolte mir mit meinen Mänchen einen vergnügtern Abend machen, als der Mittag nicht war. Mein Mann kam, wißen mußte er es, warum ich nicht wie sonst in Fritsch Haus geblieben. Ich erzehlte es ihm so kalt wie möglich und schloß mit der Bitte, nicht von mir zu verlangen, viel nach dem Haus hinzugehen. „Kann’s dir nicht verdenken“, war seine Antwort, „Herr Pauli ist ein Flegel.“ – Ruhig ging nun alles hin bis zum 16. Februar, wo von Fritschs nach unsern Hause die Nachricht kam, den Alten hätte der Schlag getroffen. – Wir liefen hin, trafen ihn zwar nicht tod, aber seinem Ende nicht fern mehr. Durch Hilfe des Arztes bekam er nur schwach die Sprache wieder, eines Morgens, als ich da war, winkte er, das alle aus der Stube gehen solten, er wolte mit mir allein seyn. Wie sie weg waren, sagte ich: „Nun, lieber Herr Bruder, wir sind allein; was verlangen Sie von mir.“ Er reichte mir die Hand, Thränen standen in seinen Augen und stammelnd brachte er die Worte hervor: „Pauli – gott – loser – Mensch. – Schuld – meinen – Tod. – Kein Groll. – Vergeben – alles – da“ –, und nun langte er ein zusammengelegtes Papier hervor, [669]
das er mir gab – „behalten Sies – auf Zukunft. Nichts sagen – an meine – Frau. – Meine arme Tochter – ich bin unschuldig – wollt ihn haben. – Meine Frau – Sie wißens – ja!“ – Ich bat ihm, ruhig zu seyn. Er dankte mir für alles ihm erwiesene Gute – und das solte ich auch meinen Mann sagen. Schloß noch einmal, Gott kenne ihm abfordern, wen er wolte, er hätte Pauli vergeben. Ich nahm von ihm Abschied, den wenige Stunden, sah ich wohl, waren ihm im Leben nur noch bestimmt. – Herr Pauli begleitete mich. Auf den Heimweg fing er an: „Wenn mein Schwiegervatter stirbt, so kann
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ihm die Familie begraben laßen! Ich habe kein Geld dazu.“ – „Das wird so geschehen, Herr Vetter.“ – „Nein, es ist doch entsezlich, das die Umstände so gar schlecht mit dem Mann geworden.“ – „Und, Herr Vetter? Was wollen Sie damit sagen? – Ists Ihnen ein Geheimniß geblieben? – Hab ich Ihnen nicht alles vorhergesagt?“ – „Ja, Frau Tante, ich hab’s nicht geglaubt.“ – „Schlim genug für Sie! – Hätte[n] Sie mir Gehör gegeben, so wär meine Nichte nun versorgt im Kloster mit ihrer Mutter. Mehr Geld hätten Sie auch, was unter der Zeit, um Ihre Schulden zu tilgen, sie zu kleiden, Hochzeit und Wochenbett gekost hat. – Sie dürfen niemand die Schuld geben wie sich selbst. Den so schlecht wie jezt war Fritschens Haushaltung nicht. – Ich habe solche zwar kümmerlich genug gemacht, weil ich voraussah, daß sie durch die [670]
Heyrath werden würde. Nun mögen Sie’s haben.“ Unter solchen angenehmen Gespräch kam ich an mein Haus, wo sich an der Hausthüre der Herr Vetter gehorsamst empfahl. Nun wolte ich doch sehen, was mir der alte Mann für ein Papier gegeben hatte? Es war ein Brief, den Pauli nach dem Spektakel am Neujahrstag an seinen Schwiegervater geschrieben hatte, hier ist der Inhalt: „Herr Papa! Da ich sehe, daß ich leider keine ruhige Stunde in Ihren Hause haben werde noch kann und meine Gesundheit ganz zu Trümmern gehet, so finde ich für das beste, daß wir uns separiren, wie Sie den gestern sagten und wünschten. Ich erbiete mir also an, meine Frau, wann sie bey Ihnen bleiben will, und meine Tochter 300 Marck Courrant zu geben, dagegen will ich den kleinen Jung und das liebe Kind, womit sie mit schwanger gehet, zu versorgen über mich nehmen; ich glaube, daß ich nach Proportion meiner Gage so honet und redlich handele, wie meine Umstände es immer leiden. Solte mich aber der höchste Gott das Leben schenken, daß ich eine Compagnie erhalte, so will ich diese 300 Marck verdoppelen. Sie können dieses mit Ihre und meine Frau und alle Ihre Verwandte in Überlegung nehmen, wozu ich Ihnen 14 Tage Zeit laßen will, als dann aber mir Resolution ausbitte. [671]
Ich werde nichts mit mir nehmen als meine Kleidungs-Stüke, Coffer und Commode. Pauli. Den 2. Jan. 1774.“ Das war der Brief. Mein Mann hatte von dem Alten schon die Copey erhalten, um die Sache zu überlegen, aber er wolte sich nicht darein mengen, und nun hatte ich das Original. Über Tisch sagte ich meinen Mann, was dort vorgefallen und mit welchen Gespräch wir nach Hause gegangen. Drauf hub ich an: „Fritsch kommt nicht auf, im Hause ist kein Geld. – Also begraben muß der Alte werden. Bestimme du nun, was du zur Beerdigung geben willst. – Nur das wolte ich mir verbitten, daß du alles allein
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besorgst. Las deine Brüder und Schwestern auch was thun. – Wenn das besorgt ist, so las uns an deine Schwester, die den Wittwe ist, auch dencken. Hier schlage ich dir drey Dinge vor, die du mit ihr in Abrede nehmen kannst: Wir haben oben das leere Zimmer. Will sie von ihrer Tochter weg, soll sie bey uns wohnen. Alles im Hause haben, was wir haben, nur unter der einzigen Bedingung, sich in meine Wirthschaft nicht zu mengen. Ich bin Frau, sie Gast. Und daß sie nicht verlangt, überall, wo wir hingehen, mitzuspazieren, dafür soll sie eben so frey seyn, aus- und eingehen, wann und wohin sie will. Der zweyte Vorschlag ist: Deine Schwester Gretgen wär so lieber bey ihren Schwestern in der Deichstraße wie bey der alten Tante [672]
Schreibern. Das Kostgeld, was Gretgen ihr giebt, kannst du und deine Geschwister zusammenlegen und der Schreibern geben. – Will sie aber durchaus bey Paulis bleiben, nun, so bestimmt zusammen, was ihr den Herrn Leutenant geben wollt, damit er nicht sage: Er muß Eure Schwester erhalten. – Inzwischen gegeben, und Geben ist wohl gut, aber wenn sich jährlich die Ausgaben mehren und die Einnahmen dieselben bleiben, so giebt das in der Haushaltung Unordnung. Du weißt, lieber K., das du mir alle Jahr an unsern Hochzeittag ein Geschenk in Silber gemacht hast. Ein Jahr wars mehr, im andern weniger. Dieses Geschenkes entlaß ich dich hiemit. Das Geld dafür sey deiner Schwester. – Nur bestimme eine gewiße Summe, und bey der sols bleiben, solange sie oder wir leben. Den was man von einer Seite mehr ausgiebt, muß von einer andern wieder eingebracht werden, sonst kann keine Haushaltung bestehen.“ Nun schwieg ich still, mein Mann, der mir sehr aufmercksam zugehört, sah mich sehr bewegt an; reichte mir seine rechte Hand über den Tisch hin, eine Thräne glänzte in seinen Auge, und sagte zu mir: „Bist doch immer ein vortrefliches Weib!“ – „Wieso? – Ich thue nichts wie meine Schuldigkeit. Sie ist deine Schwester.“ – K. schwieg einige Augenblike, dan sagte er zu mir: „Sage mir, Liebe! Haben sich Fritschs nie bey dir bedanckt?“ – „Für waß? – Ja, gedankt, wenn ich Fictualien1189 hinsante oder [673]
selbst brachte“ – „Sonst für nichts??“ – „Nein! Warum?“ – „Nun, so will ich dirs gestehen: Seid dem ersten Wochenbett von der Paulin bezahl ich alle Jahr 240 Marck für Fritschens Hausmithe. Sie klagten mir, daß es ihnen so sauer würde, und da hab ichs gethan.“ Nach eben einer kleinen Pause antwortete ich meinen Mann: „K., du wirst wißen, ob du es thun kannst oder nicht. Ich mache dir aus deinen geheimnißvollen
1189 Viktualien: Lebensmittel.
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Betragen gegen mich keine Vorwürfe. Nur daß will ich sagen: Unrecht hast du immer, daß du mir nichts davon gesagt. Du weißt, ich mache wenig Debaucen1190, und doch versichere ich dich, wenn ich die Ausgabe gewust, ich würde mir noch manches kleine Vergnügen entzogen haben. – Fahren thue ich ohnedieß wenig – aber von nun an wirst du mich noch weniger fahren sehen. – Ich bitte dich, Lieber! Sey offenherziger gegen mich! Was hilft mir all mein Einschrenken? – Ich entziehe es mir an halbe Schillings, und du giebst zu Hunterten weg. Weiß ich, was du einzunehmen hast? – Weis ich deine Ausgaben? – Wenn ichs wüßte, würde ich wißen: was man thun und was man nicht thun kann? – Doch nun genug davon, soll vorbey seyn. Nun sag mir, was wilst du für deinen Theil zum Begräbniß geben?“ „100 Marck.“ „Und was deiner Schwester alle Jahr?“ „200 Mark. Wenn der Alte stirb, so kennen sie in eine wohlfeilere Wohnung ziehen.“ Ich wolte den Nachmittag zu dem Kranken, aber mein Mann [674]
bat mich, zu Hause zu bleiben, weil er besorgte, es könnte der traurige Anblick zu viele Wirkung auf mich machen und meine Gesundheit darunter leiden. Versicherte mich nochmals bey Gott und allem, was ihm heilig sey: von nun an kein solches Geheimniß mehr für mich zu haben, er sehe es ein, das es zu unser beyder Wohl wär. Den andern Morgen, es war der 7te Merz, wurde uns in aller Früh angesagt: Das die Nacht Herr Fritsch das Zeitliche mit dem Ewigen verwechselt hätte. Beynahe 73 Jahre war der redliche Mann geworden. Nun nahm mein Kummerfeld den Beutel mit die 100 Mark und ich ein fein schwarz und weis KortunkleidCLIV, womit ich meine Mutter betrauerd, um ihnen solches für die Kinder hinzubringen, unter meinen Pelz, und so kamen wir beyde, die Wittwe und Tochter zu trößten. – Kummerfeld sagte, das ich von allen wüste, was er gethan. – Ha, da war keine beßere Schwiegerin und Tante wie ich. Die übrigen von der Familie kamen auch und wolten alle zusammen noch 200 Ma[r]k zum Begräbniß hergeben. Alles wurde besorgt, zwar ohne Pracht, aber ordentlich, das niemand Schande davon hatte. Im Juni kam Madame Pauli mit einen Sohn glüklich nieder1191. Herr Pauli sagte zu mir: „Ich hoffe, Sie werden es nicht übelnehmen, daß ich den Herrn Onkel nicht zu Gefatter gebeten habe. – Da er aber in diesen Jahr schon so, [675]
so viel gethan, so will ich nicht so grob seyn.“ „Da haben Sie recht, Herr Vetter. Ich stehe für mich und meinen Mann, das es keins von uns übelnehmen wird. Nehmen Sie,
1190 Débauche: Prasserei, Ausschweifung. 1191 Er war das dritte von sechs Kindern; s. Kap. III.1 Anhang Cropp, [Bl. Ir].
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wo Sie bekommen konnen, den mein Mann ist Ihnen ja so immer gewiß, und wißen ihm zu finden.“ Mich verdroß es, da wir ohnedieß alles thaten, der Herr darunter eine Art von großmüthiger Enthaltung suchte, die doch im Grunde nichts wie Prahlerey war. Den 7. September kam mein Bruder zu uns nach Hamburg. Er wohnte dieses Mal nicht bey uns im Hause, sondern solte nur den Tisch bey uns haben. Er, der nicht gern schmarozte, wolte durchaus nicht den Wein umsonst haben, sondern hielte sich seinen eigenen und – mein Mann nahms an. Ob’s mit meinen Willen gescha?? – So wie er auch das Eßen für seine zwey Windhunde für sein Geld bezahlte. Carl hatte sich bey Madame Ackermann zum Ballet engagirt1192. Er gab ein Ballet her, Die Fischer1193, wo er einmal mitgetanzt, aber vermöge des Schadens, dem er sich bey dem Schloßbrand in Weimar zugezogen, sich unfehig fühlte und beständig kräncklich war1194. Nicht gewohnt, Gage zu nehmen und nicht zu arbeiten, so ging er wieder von Madame Ackermann ab. Lebte sehr stille für sich und bey uns, nahm Herrn Docter Dahl an, der ihm den Bruchschaden anfing zu kuriren. Eines Tages ging ich zu Fritsch, und da war nichts als Klagen. Mich jammerte deßen. Dieselbe Woche waren wir alle drey auf Herrn Abendroths Garten gebe[676]
ten. Über Tische lenkte ich daß Gespräch auf Baulis. Ich wuste, das Abendroth an ihnen, außer einmal eine Mahlzeit Eßen, nichts noch an ihnen Gutes gethan hatte, er schien zimlich bey Laune, so sagte ich zu ihm: „Hören Sie, Herr Bruder, die Umstende bey Paulis sind traurig. Sie werden wißen, das sie von der ganzen Familie unterstüzt werden. Thun Sie doch auch einmal Ihren barmherzigen Beutel auf.“ – „Frau Schwesder, Herr Vetter Pauli ist viel zu stolz und zu groß. Der lebt und macht Kinder auf Kosten der Familie. Was er sieht, will er haben, ohne zu bedenken, ob ers zahlen kann. Gleich damals, wie der alte Mann gestorben, sagte ich zu ihm: Herr Vetter, nun kennen Sie nicht mehr in der theuern Hausmithe bleiben, ich weis in meiner Nachbarschaft ein 1192 Zum Niedergang des Balletts in Hamburg nach dem Tod Ackermanns (1771) und seiner Tochter Charlotte (1775) bis zu dessen Auflösung 1778 s. Eichhorn, Ackermann, S. 216 ff. 1193 Die Fischer, Ballett; Verfasser unbekannt. Nach Meyer, Bibliographia, 2. Abt., Bd. 21, S. 38, hatte Ackermann pantomimische Ballette „mit Fischern“ im Repertoire. 1194 Nach dem Schlossbrand am 6. Mai 1774, bei dem auch das Hoftheater völlig zerstört wurde, waren die Schauspieler und Tänzer gezwungen, neue Engagements anzunehmen. Johann Karl August Musäus schildert den Schlossbrand ausführlich an dem darauffolgenden Tag in einem Brief an seine Schwester. Dabei erwähnt er Karl Schulze nicht direkt, schreibt aber von mehreren Verletzten und lobt „die Comödianten, die sich bei dieser traurigen Gelegenheit ganz vorzüglich hervorgethan“ und die Theatergarderobe gerettet hätten; Johann Karl August Musäus, Nachgelassene Schriften, hg. v. August von Kotzebue, Leipzig 1791, S. 222–235; hier S. 228, 231 f.
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artiges Wohnhaus, kostet das Jahr 50 Thaler Mithe, der Mann hat mir Verbindlichkeit, so das ich hoffe, wenn Sies in Contract nehmen, Sie’s wohl vor 40 Thaler bekommen. Kommen Sie zu mir, ich will Sie hinführen. Nicht einmal hat er so viele Politeße1195 gehabt, zu mir zu kommen, um es zu besehen. Herr Pauli bekommt von mir nichts.“ So wenig Abendroth mein Mann war, so konnte ich ihm doch darinnen [677]
nicht unrecht geben. – Kurz, Abendroth hatte recht, also nach Abrede mit meinen Mann ging ich den Morgen darauf zu ihnen hin und sagte ihnen derb meine Meinung. Nehmlich, das mein Mann alle Jahr 200 Mark für ihre Hausmithe zahlen wolte, die 40 fielen weg. „Kennen Sie nun eine wohlfeilere Wohnung bekommen, so ists ja um so viel beßer für Sie? – Sie kennen Abendroth, konnten Sie ihm nicht zu Willen seyn und die Wohnung nur ansehen? Sta[n]d ja noch immer bey Ihnen, ob Sie hieneinziehen wollen oder nicht.“ Meine Frau Schwägerin, die den Kopf verbunden hatte und krank war, wurde so impertinent und schrie, das kein Gesunder hätte lauter seyn kennen: „Eine Wohnung für 50 oder 40 Thaler, ja, tat werd och en Hus darnach sin“1196. Wen ihr Abendroth nichts geben wolle, so könte er es bleiben laßen, hätte von ihm noch nichts verlangt – auch er hätte Kinder, wiße nicht, was aus ihnen werden könnte u.s.w. „Frau Schwester, deutsch herraus, das ist alles dummer Schnack. Auch ich weiß nicht, wie lange mein Mann noch leben kann. – Mich dinkt, ich habe schon mehr gethan, als eine andere an meiner Stelle nicht thun würde – inzwischen thut es mir weh, das mein Mann sich den Wein bezahlen läßt, den mein Bruder trinkt, und es von andern Seiten wegwirft. Und noch dazu an Herrn Pauli, ders so wenig an uns und der ganzen Familie verdient hat. Weis gewiß, wenn ich in [678]
einer solche Lage käm, Sie würden das an mir nicht thun, und hiemit das Ende vom Lied, diesen Martini bezahlt noch mein Mann für die halbjahrige Mithe 120 Marck und Himmelfahrt auch noch, aber Sie werden sich um eine wolfeillere Wohnung umsehen. – Den in Zukunft nicht mehr wie 200.“ Ich kam nach Hause und sagte rein die Wahrheit. „Deine Schwester sagte zwar, sie ist krank, aber wetten will ich 10 gegen eins, sie läuft heute zu Tante Schreibern, und da wirds über mich und Abendroth loßgehen. Den die Wahrheit will man nicht gesagt wißen.“ Mein Mann, ders nicht glauben wolte, das seine Schwester ausgehen würde, trieb die Neugirte hin. Und wer wieder
1195 Politesse: Höflichkeit. 1196 Plattdeutsch für: Ja, das wird auch ein Haus darnach sein.
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Recht hatte, war ich. Frau Tante und Frau Schwester gaben sich alle mögliche Mühe, meinen Mann gegen mich aufzuhezen. – Der aber mich beßer kannte und sich mit ihnen dichtig herrumzankte, als sie’s zu toll machen wolten. – Er erzehlte es mir mit lächelnden Munde wieder. – Und ich lachte selbst dazu, den beyde Weiber übersah ich, und mehr war von ihnen nicht zu verlangen. Einige Tage darauf war bey meinen Schwager Kummerfeldt ein Abendeßen angeordnet, meinen Bruder zu Ehren, wo die ganze Familie dazu gebeten war. Daß ich mir kein gut Gesicht von Madame Fritsch und Schreiber versprach, wuste ich vorher. – Aber sogar gegen meinen Bruder sezten sie alle gewöhnliche Höflichkeit so aus [679]
den Augen, als es mich nicht wenig verdroß. Herr Pauli nicht ausgenommen. Nur seiner Frau merkte ich es an, das es ihr sauer wurde, gegen mich kalt zu seyn, da sie freilich mehr gesunden Verstand hatte wie Mutter und Tante. Als ich den Abend nach Hause kam, sagte ich zu meinen Mann: „Von heute an bekümmere ich mich nicht weiter um Fritsch, Paulis und Schreibern. Gieb, mach, thue, was du wilst. Nur denck, ich bin deine Frau. Handele so, das du es vor Gott und vor mir verantworten kannst. Was sie alle Jahr aus meiner Hand bekommen, sollen sie haben. Aber zu ihnen hinzugehen – wo es nicht die äußerste Nothwendigkeit befiehlt, geschied nicht. Mich haben sie toppelt beleidiget in meinen Bruder. Die tummen Gesichter sollen fühlen. Bey mir haben sies rein aus.“ Mein Mann konnte mir nicht unrecht geben, und so lebte ich nun für mich weg, ohne mich um dem Theil von Familie zu bekümmern. Weinachten schikte ich wie gewöhnlich einen Korb voll mit Fictualien und meinen gewöhnlichen Neujahrsgeschenken ins Haus, und zwahr in allen noch mehr, als ich sonst gegeben hatte, ohne aber selbst hinzugehen, auch ließ sich keiner von ihnen bey mir sehen. Nur meinen Mann wurde aufgepaßt, und dem seyn Geldbeutel mußte herhalten. – Mir bliebs verheimliget. Auch mein Bruder wurde nun sehr kranck und lag ohne Hofnung – so trat ich ins neue Jahr 1775. Ich theilte [680]
mich, das ich weder als Gattin noch als Schwester meine Pflichten verabsäumte. – Doch hatte ich von jeder Seite viele Geduld auszuüben. Den mein Mann wurde täglich wunderlicher und eigensinniger, und Karl hatte auch seinen Kopf ! – War ich bey meinen Mann, so war dem dies und daß nicht recht, und sagte: „Du wärst lieber jezt bey deinen Bruder, um dem zu warten.“ – War ich bey Carln, so sagte der: „Du wärst lieber zu Haus bey deinen Mann.“ – Kurz, beyde presten mir oft die bittersten Thränen aus. Mochte thun, was ich wolte, keinen wars recht. – Endlich im Februar wurde mein Bruder beßer, doch mußte er sich noch sehr schonen. Er erholte sich indeßen
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doch mercklich und bekam bald seine Kräfte wieder. – Inzwischen wurde je länger ge mehr eine Gleichgültigkeit zwischen meinen Mann und Bruder, die ich nicht begreifen konnte. Was ich zwischen denen Leuten für eine Rolle spielen mußte, ist Gott allein bekand. Einer Mann, der andere Bruder, beyde liebte ich, und beyde machten mir für alle Liebe so vielen Gram, als wenn ich ihre Feindin gewesen. Doch muß ich meinen Bruder die Gerechtigkeit wiederfaren laßen, das er manchen Tag viele Geduld mit meinen Mann hatte. Inzwischen war einmal ein Mißverständniß zwischen denen Leuten, das mein Bruder manches Wort, das mein Mann mehr aus Zerstreuung als aus [681]
bösen Herzen gesagt hatte, anders auslegte oder doch immer von der schlimsten Seite nahm. Gegen Himmelfahrt1197 ging eine Verenderung in meinen Haus vor, nehmlich, das unser Bedienter Jerom mein Stubenmädchen Lieschen heyratethe, wofür ich Gott herzlich dankte, die Geschöpfe los zu werden, die mir 5 Jahre hindurch vielen Verdruß verursacht hatten. Bediente verlangte ich keine mehr wieder, ich nahm ein junges Mädchen von 17 Jahren zu mir, eine Gärtnerstochter mit Namen Gretgen Höpfner1198. Noch hatte sie nie gedient, und das Mädchen wolte ich mir so recht nach meiner Hand ziehen. Sie hatte rechtschaffene Eltern, und die gaben mir über sie nicht nur die Rechte einer Frau, sondern auch einer Mutter. Als Johanni1199 herrankam, wolte Herr Profeßor Nölting mit seiner Frau eine Spazierreise nach Lübeck machen. Er sagte es meinen Mann, der ohne mein Wißen zusagte, mit mir und Carln die Reise mitzumachen. Also Carl wars zufrieden, und ich mußte es wohl seyn. Der 22. Juni war dazu angesezt. [Letztes Drittel der Seite unbeschrieben] [682] unbeschrieben [683]1200
An dem, der heute oder morgen nach meinen Tode gesonnen ist, diese Geschichte öffentlich drucken zu lassen, muß ich berichten, das alles, was zum Theater gehört: noch deutlicher abgefaßt ist in dem Werck, was man finden wird unter dem Titel: Caroline
1197 25. Mai 1775. 1198 Gretchen Höpfner: in der WHS wird die Gärtnersfamilie „Höpner“ genannt: WHS, S. [173v/352], [174r/353 f.], [175v/356]. 1199 Johannis: 24. Juni. 1200 Die folgenden Bemerkungen wurden von Karoline Kummerfeld offensichtlich (nach) 1793 und nach Friedrich Nicolais Ablehnung der Publikation ihrer „Wahren Geschichte“ angefügt. Zu Kummerfelds Publikationsplan 1793 s. Kap. I.3.2.
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Kummerfeldt, geborne Schulze. Wahre Geschichte meines theatralschen Lebens. Weimar 17931201. Jedes Wort ist so heilig wahr, als ich hoffe zu Gott an meine Seligkeit. – Als ich diese Geschi[ch]te schrieb, glaubte ich nicht, noch so lange zu leben, und eilte. Mithin ist manches nicht so wörtlich auseinandergesezt wie in dem andern Werk, daß ich hoffte, im Jahr 1793 herrausgeben zu kenen. Man sehe nur nach: pag. 511202. – Kurz, um das Ganze vollständig zu machen: muß der Herrausgeber sich beyder Werke bedienen. Wiederspruch findet er nicht, nur bessere Auseinandersetzung. – Den wo Wiederspruch ist: Da ist keine Wahrheit.
1201 Die sog. Weimarer Handschrift (WHS). 1202 Worauf sich diese Seitenangabe bezieht ist unklar. Weder in der Hamburger noch in der Weimarer Handschrift findet sich auf S. 51 ein Hinweis auf die Geschichte ihres „theatralschen Lebens“.
Textkritische Anmerkungen I Gestrichen: Nicht lange. II Gestrichen: da. III Buchstaben dazwischen unleserlich gemacht. IV Gestrichen: mit. V Gestrichen: alt. VI Korrigiert aus: Stiefbruder. VII Gestrichen: weg; eingefügt: auf. VIII Gestrichen: was; eingefügt: Ecken, die. IX Gestrichen: die Uhrsach. X Korrigiert aus: sag, du wilst. XI Korrigiert aus: Stiefbruder. XII Der Satz: um sich bey ihm kinftig feste zu engagiren ist korrigiert aus: und engagirte sich mit seiner Frau. XIII Gestrichen: wenn sie. XIV Korrigiert aus: Stief-. XV Gestrichen: das er tief. XVI Gestrichen: Waßer; eingefügt: Die Donau. XVII Gestrichen: nur. XVIII Korrigiert aus: Stiefbruder. XIX Korrigiert aus: weg. XX Gestrichen: Leute; eingefügt: Zuschauer. XXI Gestrichen: Ihr. XXII Eingefügt von anderer Hand: 1755 preuß. Privileg erhalten. XXIII Korrigiert aus: Stiefbruder. XXIV Gestrichen: alten. XXV Korrigiert aus: 2000. XXVI Gestrichen: nun. XXVII Eingefügt: Halb. XXVIII Gestrichen: der sehr reichsten. XXIX Gestrichen: solte; eingefügt: konnte. XXX Gestrichen: verliehren; eingefügt: erhalten. XXXI Korrigiert aus: Stiefbruder. XXXII Gestrichen: aber. XXXIII Gestrichen: aber. XXXIV Gestrichen: so wie sie ihn. XXXV Gestrichen: unsere. XXXVI Gestrichen: nach den Haus meiner Eltern; eingefügt: zu meiner Mutter. XXXVII Die folgende Passage S. [56a]–[56e] wurde von Karoline Kummerfeld nachträglich als an diese Stelle einzufügen mit + bezeichnet. XXXVIII Gestrichen: Zorn; eingefügt: Hüze. XXXIX Gestrichen: ein. XL Gestrichen: nicht. XLI Gestrichen: Absichten.
586 | Textkritische Anmerkungen XLII Gestrichen: unsern, eingefügt: dem. XLIII Korrigiert aus: zum. XLIV Gestrichen: Herr v. Michelanzky.; eingefügt: die bey ihm herrschte. XLV Die Passage von arm bis Haben ist von Kummerfeld größer, gesperrt und in lateinischer Schrift geschrieben. XLVI Korrigiert aus: Wir. XLVII Gestrichen: der ihr Aufwärter schon bey le. XLVIII Gestrichen: reißte; eingefügt: spielt. XLIX Gestrichen: mit. L Die Bedeutung dieses von Kummerfeld gesetzten Striches ist unklar, vielleicht sollte hier ein Absatz gemacht werden. LI Gestrichen: bey/ zu Brunian den Abend zubringen wolten, fangen mei-. LII Gestrichen: auszahlen; eingefügt: geben. LIII Gestrichen: Und erst nach einer Zeit von 4 [korrigiert aus: 3 oder 5] Jahren erfuhren wir von ohngefehr den eigendlichen wahren Zusammenhang. LIV Gestrichen: Grafen; eingefügt: Baron. LV Gestrichen: Conteßen; übergeschrieben: Fräuleins. LVI Gestrichen: Grafen; übergeschrieben: Barone. LVII Gestrichen: Gräflichen; eingefügt: Greiffenklauischen. LVIII Gestrichen: 1753 [Überschrift]. LIX Gestrichen: Gräfinnen; eingefügt: Nichten. LX Der ganze Satz (nachträglich?) über die oberste Zeile eingefügt. LXI Korrigiert aus: Stiefbruder. LXII Gestrichen: Von da reißten w. LXIII Gestrichen: Wizleben; Witzmann korrigiert aus: Wittmann. LXIV Gestrichen: Gräfin; eingefügt: Fräulein. LXV Eingefügt am Rand: Der Graf hies Nostitz. LXVI Gestrichen: Abend. LXVII Gestrichen: Taße. LXVIII Gestrichen: bis auf einen. LXIX Korrigiert aus: Sonntag. LXX Gestrichen: Achsel. LXXI Gestrichen: wenigen. LXXII Gestrichen: nun. LXXIII Gestrichen: Brodt; eingefügt: Amt. LXXIV Gestrichen: da ich so weit war. LXXV Gestrichen: Er kaum. LXXVI Gestrichen: aber. LXXVII Eingefügt: Dienst. LXXVIII Korrigiert aus: muß. LXXIX Eingefügt: Nacht. LXXX Gestrichen: Reflexionen; eingefügt: Betrachtungen. LXXXI Korrigiert aus: meiner. LXXXII Gestrichen: kam. LXXXIII Gestrichen: albern. LXXXIV Gestrichen: nun. LXXXV Korrigiert aus: Der.
Textkritische Anmerkungen | 587 LXXXVI Gestrichen: besuche. LXXXVII Gestrichen: so den Sommer war. LXXXVIII Gestrichen: mehr. LXXXIX Gestrichen: ich. XC Gestrichen: nachher erfuhren; eingefügt: so lange wir da. XCI Gestrichen: wieder. XCII Gestrichen: Bübe; eingefügt: Kinde. XCIII Korrigiert aus: 20. XCIV Dieser Satz scheint nachträglich eingefügt. XCV Gestrichen: lauten. XCVI Gestrichen: und; eingefügt: oder. XCVII Gestrichen: stechenn; eingefügt: Seufzer. XCVIII Gestrichen: Gesellschaft; eingefügt: Meinigen. XCIX Gestrichen: nun. C Gestrichen: da. CI Wohl verschrieben für: Meyer. CII Gestrichen: Menschen; eingefügt: Vornehmen. CIII Gestrichen: Hof; eingefügt: fürstlichen Personen. CIV Gestrichen: Niedrigen; eingefügt: Geringen. CV Korrigiert aus: mir. CVI Gestrichen: Den für uns:. CVII Gestrichen: und so hatte jede Frau für sich und ihren Mann zu sorgen. CVIII Dreifach unterstrichen: Hart. CIX Gestrichen: gewesen, da. CX Die restliche Zeile und der Beginn der neuen Zeile auf S. [265] sind unleserlich gemacht und gestrichen. CXI Gestrichen: geht. CXII Gestrichen: und fand. CXIII Die restliche Zeile und der Beginn der neuen Zeile ist durch Streichungen unkenntlich gemacht. CXIV Von Kummerfeld – sinnentstellend – gestrichen: wo. CXV Gestrichen: Das. CXVI Gestrichen: nicht. CXVII Gestrichen: zu haben. CXVIII Gestrichen: hatte. CXIX Korrigiert aus: zweymaliges. CXX Gestrichen: Abdruk; eingefügt: Exemplar. CXXI Gestrichen: angriffen; eingefügt: packten. CXXII Gestrichen: ein Wirthshaus; eingefügt: das Posthaus. CXXIII Gestrichen: die Tage. CXXIV Gestrichen: von fiever. CXXV Korrigiert aus: 6. CXXVI Korrigiert aus: unordendlichen Nachten. CXXVII Im Herzen, Im Herzen: zur Hervorhebung größer und in lateinischen Buchstaben geschrieben. CXXVIII Gestrichen: wieder. CXXIX Dreifach unterstrichen: nicht. CXXX Ein Wort unleserlich gemacht (Tintenklecks). CXXXI Zwei Spiegelstriche über einem ausrasierten Wort.
588 | Textkritische Anmerkungen CXXXII Eingefügt, dann gestrichen: hatte ich nichts. CXXXIII Eingefügt: und ich. CXXXIV Eingefügt: Herrn Seyler [ursprünglich stand hier nur: = =]. CXXXV Korrigiert aus: Morgen. CXXXVI Gestrichen: der Gulden. CXXXVII Dieser Satz ist sehr deutlich durch größere Schrift hervorgehoben, daher hier gesperrt wiedergegeben. CXXXVIII Gestrichen: sich. CXXXIX Eingefügt: in. CXL Gestrichen: sich. CXLI Eingefügt: Warum. CXLII Gestrichen: noch. CXLIII Korrigiert aus: October; Datum mehrfach korrigiert. CXLIV Gestrichen: Tag; eingefügt: Abend. CXLV Gestrichen: Tag. CXLVI Gestrichen: geziert war. CXLVII Korrigiert aus: zu meinen. CXLVIII Gestrichen: Er gibt. CXLIX Gestrichen: Leute; eingefügt: Rechenmeister. CL Bei Benezé II, S. 23 fälschlicherweise März. CLI Gestrichen: Rudelstatt. CLII Korrigiert aus: 1772. CLIII Am Rand (möglicherweise von anderer Hand): 1773 Mai. CLIV Gestrichen: Citzenes; eingefügt: Kortun.
Sämtliche Schriften Band 1 Herausgegeben von Claudia Ulbrich und Gudrun Emberger Teilband 2
Selbstzeugnisse der Neuzeit
Karoline Kummerfeld Die Selbstzeugnisse (1782 und 1793)
Selbstzeugnisse der Neuzeit Herausgegeben von Kaspar von Greyerz, Hans Medick, Iris Schröder, Kim Siebenhüner und Claudia Ulbrich Band 27,1
Selbstzeugnisse sind Aufzeichnungen, die individuelle und auf das »Selbst« bezogene Beobachtungen und Erfahrungen zusammenhängend zum Ausdruck bringen. In größerer Zahl gibt es sie seit dem 16. Jahrhundert. Besonderes Interesse in der internationalen Forschung wie beim interessierten Publikum findet die populare Autobiographik, also die Selbstzeugnisse aus Unterund Mittelschichten. Gerade sie erweisen sich als unverzichtbar für alle Versuche, soziale Praxis, Erfahrungszusammenhänge und Lebenswelten zu rekonstruieren. Selbstzeugnisse eröffnen neue Zugänge, um die historischen Akteure als empfindende und wahrnehmende, leidende und handelnde Personen zu zeigen. Selbstzeugnisse der Neuzeit wollen bisher noch nicht publizierte Individualquellen zugänglich machen, die historische Zeitgenossenschaft einprägsam reflektieren. Weiterhin wird die Reihe zu Unrecht vergessene oder vergriffene Selbstzeugnisse als kommentierte Nachdrucke verfügbar machen. Veröffentlicht werden auch exemplarische Analysen sowie beschreibende Verzeichnisse und Übersichten. Die Herausgeber hoffen zudem, daß mit diesem Vorhaben Schätze gehoben werden können, die bisher unbekannt sind.
Karoline Kummerfeld
Die Selbstzeugnisse (1782 und 1793) Sämtliche Schriften. Band 1 Herausgegeben von Claudia Ulbrich und Gudrun Emberger Unter Mitarbeit von Marc Jarzebowski Teilband 2
BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR
Veröffentlicht mit der freundlichen Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Cie. KG, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung : Porträt von Karoline Kummerfeld aus Benezé II, Schriftproben Kummerfelds aus Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar F 904, Bl. 2 und Großherzogliches Hausarchiv A XXII Nr. 425, Bl. 363v. Korrektorat : Constanze Lehmann, Berlin Einbandgestaltung : Michael Haderer, Wien Satz : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51941-4
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 I. Einleitung
I.1 Leben schreiben – Die Selbstzeugnisse der Karoline Kummerfeld geb. Schulze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I.2 Theater und Lebenswelt – Die Familien Schulze und Kummerfeld . . . . . . 1. Geburt, Taufe und Herkunft der Eltern (bis 1740) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Familie von Christian und Augustina Sibylla Schulze (1740–1766) .. . 3. Die Geschwister von Karoline Kummerfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Ehe mit Diedrich Wilhelm Kummerfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Familie Kummerfeld .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Familiengeschichte(n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I.3 Die autobiographischen Schriften von 1782/83 und 1793 . . . . . . . . . . . . . . 1. Äußere Beschreibung der Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Überlieferung und Editionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Editionsrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81 81 83 105 108
31 34 46 53 62 65 74
II. Editionen
II.1 Karoline Kummerfeld geb. Schulze. Die ganze Geschichte meines Lebens. Linz 1782/83 – Hamburger Handschrift (HHS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Textkritische Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 II.2 Karoline Kummerfeld geb. Schulze. Wahre Geschichte meines theatralschen Lebens. Weimar 1793 – Weimarer Handschrift (WHS) .. . . 595 Textkritische Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 961
594 | Inhalt
III. Anhang
III.1 Beilage zur Hamburger Handschrift: Friedrich August Cropp, Die Familie Kummerfeld betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 967 III.2 Vorbemerkung zur Weimarer Handschrift: Memoiren der Karoline Kummerfeld, geborne Schulze .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 971 III.3 Auszüge aus den Taschenbüchern für die Schaubühne (Theaterkalender – TKR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 972 III.4 Synopse der beiden Handschriften: Aufenthaltsorte und wichtige Ereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 978 III.5 Die Teileditionen von Karl von Holtei und Hermann Uhde . . . . . . . . . . . 985 III.6 Kurzbiographien der von Karoline Kummerfeld erwähnten Schauspielerinnen und Schauspieler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1012 III.7 Quellen- und Literaturverzeichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verzeichnis der Primärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verzeichnis der Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verzeichnis abgekürzt zitierter Theaterkalender und Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verzeichnis weiterer Nachschlagewerke und Datenbanken . . . . . . . . . . .
1058 1058 1061 1063
1091 1094
III.8 Indices .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1098 1. Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1098 2. Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1111 III.9 Verzeichnis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1114
II.2 Karoline Kummerfeld geb. Schulze Wahre Geschichte meines theatralschen Lebens. Weimar 1793 Weimarer Handschrift (WHS) Landesarchiv Thüringen – Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, HA A XXII Nr. 425 Inhaltsverzeichnis1 [Vorbemerkung] Erstes Buch 1. Kapitel [fehlt] 2. Kapitel [Überschrift fehlt, da Anfang des Manuskripts nicht erhalten] 3. Kapitel: Man nenne es nach Belieben 4. Kapitel: Wer Recht oder Unrecht hat? 5. Kapitel: Die Auflösung des Schlüssels 6. Kapitel: Für den guten Freund 7. Kapitel: Die Gelegenheit, die ich gehabt, mich nach französischen Schauspielern zu bilden 8. Kapitel: Viel Wahrheit 9. Kapitel: Mein erstes Theaterleben 10. Kapitel: Fortsetzung 11. Kapitel: Sie waren sich die Nächsten 12. Kapitel: Unsere Ankunft bey der Ackermannischen Direction 13. Kapitel: Es geht nicht so wie mit der Iphigenia 14. Kapitel: Meine Mutter hatte recht – im 12ten Kapitel 15. Kapitel: Bezieht sich auf meinen Bruder 16. Kapitel: Wer that das vor? – wer nach 17. Kapitel: Anträge, unser Engagement zu verwechseln
1
2r/17 – 603 8v/30 – 611 9v/32 – 612 11r/35 – 613 12r/37 – 615 13r/39 – 616 14v/42 – 619 16r/45 – 620 17v/48 – 623 18r/49 – 624 18v/50 – 625 21v/56 – 628 22r/57 – 629 23r/59 – 630 24r/61 – 631 25v/64 – 633
Von der Bearbeiterin anhand der von Karoline Kummerfeld im Manuskript eingefügten Überschriften zusammengestellt.
596 | Weimarer Handschrift (WHS)
18. Das achtzehnte Kapitel ist eine Note 19. Kapitel: Das Wetter machte grosse Striche durch die Rechnung 20. Kapitel: Kinder, daß vergesse ich euch nie!! 21. Kapitel: Ja, nun sehe ich’s – tanzen hätte sie heute nicht können 22. Kapitel: Enthält Gutes und Böses 23. Kapitel: Diese Ahndung meines Herzens trügt mich nicht 24. Kapitel: Die Ode 25. Kapitel: Gottes Allmacht lies uns in den Sturm nicht umkommen 26. Kapitel: Ach! Das liebe Bremen 27. Kapitel: Leid! – Kam ich wieder nach Hamburg 28. Kapitel: Hätte der Bruder doch vergeßen, was man von der Schwester gesagt 29. Kapitel: Mein gutes Hertz spielt mir einen Streich, der Einfluß auf mein ganzes künftiges Schicksal hatte 30. Kapitel: Die lezten Tage meiner Mutter 31. Kapitel: O Gott! Laß auch so mein Ende seyn 32. Kapitel: Enthält mancherley 33. Kapitel: Die Kritiken kommen im Gang 34. Kapitel: Der Herr Sekretär Löwe 35. Kapitel: Madame Hensel 36. Kapitel: Ein theatralsches Geheimniß 37. Kapitel: Lange geborgt ist nicht geschenkt 38. Kapitel: Ich reise von Hamburg 39. Kapitel: Ich komme in Leipzig an 40. Kapitel: Die Probe und mein Debüt 41. Kapitel: Directeur und Schauspieler 42. Kapitel: Neue Anträge 43. Kapitel: Herr Kummerfeldt verlangt mich zur Gattin 44. Kapitel: Noch konnte mich mein Glük nicht freuen 45. Kapitel: Ich spielte und tanzte zum lezten Mal und reise von Leipzig
29v/72 – 637 30v/74 – 638 34r/81 – 642 35r/83 – 643 37v/88 – 646 40r/93 – 649 43v/98 – 652 46r/101 – 654 48v/106 – 656 49r/107 – 657 50r/109 – 658 52r/113 – 660 57v/122 – 665 62v/132 – 669 65r/137 – 672 70r/147 – 677 72v/152 – 679 75v/158 – 682 76v/160 – 683 79r/165 – 686 83r/173 – 690 86r/177 – 692 91v/188 – 698 96v/198 – 703 101r/207 – 707 104r/213 – 710 109v/224 – 715 113r/231 – 719
Zweites Buch 1. Kapitel: Dieser Bericht schien mir nothwendig 2. Kapitel: Ich komme nach Braunschweig
117v/240 – 724 121r/247 – 727
Inhaltsverzeichnis | 597
3. Kapitel: Fortsätzung der Reise 4. Kapitel: Meine Aufnahme in Fritschens Haus 5. Kapitel: Meine Tage als Braut 6. Kapitel: Der Tag meiner Hochzeit 7. Kapitel: Meine Hochzeitnacht 8. Kapitel: Auch als Frau bleib ich meiner Denckungsart treu 9. Kapitel: Die Christen-Mäkler-Wittwen-Cassa 10. Kapitel: Von häuslicher Einrichtung 11. Kapitel: Geldbelege 12. Kapitel: Ja, so mußte ich handeln 13. Kapitel: Gott bewahre alle ehrliche Menschen für solche gute Freunde 14. Kapitel: Madame Schwerdtner und ihre Töchter in Trauer 15. Kapitel: Meine vergnügste Reise 16. Kapitel: Gehofte Freuden werden zu Leiden 17. Kapitel: Was waren alle vergangenen Leiden gegen die, die nun kommen sollten? 18. Kapitel: Hatte ich Unrecht im 9ten Kapitel? 19. Kapitel: Bey allen Leiden Entschlossenheit 20. Kapitel: Theatervorschläge von mir; und andern an mich 21. Kapitel: Die Familie macht mich zur Diebin 22. Kapitel: Die Kummerfeldt fängt an sich zu regen
124v/254 – 730 128v/262 – 735 133r/271 – 739 137r/279 – 742 145v/296 – 749 148v/302 – 752 151v/308 – 755 154v/314 – 757 159v/324 – 762 163r/331 – 765 166r/337 – 768 171r/347 – 773 176r/357 – 778 178v/362 – 780 185r/375 – 786 193v/390 – 793 195v/394 – 794 200r/403 – 799 204v/412 – 802 206v/416 – 804
Drittes Buch 1. Kapitel: Ich gehe wieder zum Theater 2. Kapitel: Ich bekomme Muth, aber er fällt auch wieder 3. Kapitel: Es ist wieder die Kummerfeldt 4. Kapitel: Gottes Allgewalt rette mich 5. Kapitel: Verwandte und Creditores 6. Kapitel: Die Erbschaft 7. Kapitel: Mißverständnisse werden beygelegt 8. Kapitel: Zu empfindlich seyn ist ein Fehler 9. Kapitel: Daß durfte nicht vergeßen werden zu sagen 10. Kapitel: Ich suche ein anderes Theater und finde es 11. Kapitel: Zweyundvierzig Mark 12. Kapitel: Abschiedsvisiten
211r/425 – 809 215r/433 – 812 217r/437 – 815 225r/453 – 821 227v/458 – 824 231v/466 – 827 234r/471 – 830 237r/477 – 832 240r/483 – 835 246r/495 – 841 249r/501 – 844 251r/505 – 846
598 | Weimarer Handschrift (WHS)
13. Kapitel: Gehert zum Ganzen 14. Kapitel: Gotha 15. Kapitel: Mannheim 16. Kapitel: Innspruk 17. Kapitel: Augspurg 18. Kapitel: München 19. Kapitel: Die Menschen wollen keinen Frieden 20. Kapitel: Wird Ruhe – Einrichtung und – manche angenehme Erinnerung 21. Kapitel: Linz 22. Kapitel: Weiß es nicht zu nennen, enthält zu mancherley 23. Kapitel: Hab doch vielerley erlebt 24. Kapitel: Traurig komisch und komisch traurig 25. Kapitel: Etwas von Debütrollen 26. Kapitel: Das heißt seine Leute scheren 27. Kapitel: Der ist vom Schicksal nicht ganz verlassen, dem ein Freund noch übrig bleibt 28. Kapitel: Der Winter wird in Weimar zugebracht 29. Kapitel: Da wär ich denn bey dem Theater des Herrn Bellomo 30. Kapitel: Der Herr Bellomische Directeur 31. Kapitel: Endlich Emilie Galotti und der Herr Kunst 32. Kapitel: Das Theaterleben hatte ich zur Genüge genossen 33. Kapitel: Madame Ackermann 34. Kapitel: Wie viele gute Menschen fand ich 35. Kapitel: Wer sieht hier nicht Wahrheit? 36. Kapitel: Sagt für das Gefühl meines Herzens – zu wenig
256v/516 – 850 258r/519 – 852 264r/531 – 859 271v/546 – 867 277v/556 – 874 282v/568 – 879 292r/589 – 888 297r/599 – 893 301r/607 – 896 304v/614 – 890 307v/620 – 903 313r/631 – 908 316v/638 – 912 318v/642 – 914 323r/651 – 918 325v/656 – 921 327v/660 – 923 334v/672 – 930 340v/684 – 936 344r/691 – 939 349r/701 – 943 357v/718 – 951 363v/730 – 956 368v/740 – 960
Vorbemerkung | 599
Vorbemerkung Das erhaltene Manuskript setzt erst mit Seite 17 ein mit den letzten Zeilen eines Briefes vom 22. April 1792, den Karoline Kummerfeld in dem von Heinrich August Ottokar Reichard herausgegebenen Theaterkalender (TKR) von 1793 publiziert hatte2. Da auch die folgenden Seiten des Manuskriptes lange Passagen aus diesem Kalender zitieren, kann es als sicher gelten, dass zumindest dieser Brief Teil der WHS war. Vermuten kann man aber ebenso, dass Karoline Kummerfeld auch die sie betreffenden Artikel in den Theaterkalendern von 1791 und 1792 in der WHS zitiert hat, da ihr Brief vom April 1792 eine Replik auf diese Artikel ist3. Karoline Kummerfeld reagiert mit ihrem Brief auf Angaben, die über ihre Person im Verzeichnisteil der Kalender von 1791 und 1792 gemacht wurden. Sie fand ihren Namen 1791 im „Verzeichniß einiger außer dem Theater lebenden ehemaligen Mitglieder der deutschen Schaubühne“ (TKR 1791, S. 177–180, hier S. 179), das im TKR von 1792 in einer neuen Version „umgearbeitet und vermehrt“ gedruckt wurde (TKR 1792, S. 205–214, hier S. 210). Diesen „umgearbeiteten“ Eintrag nahm sie zum Anlass, dem Herausgeber am 22. April 1792 einen zornigen Brief zu schreiben, in dem sie den Text Wort für Wort auseinandernahm und korrigierte. Der Herausgeber wies die Kritik in einem langen Schreiben zurück, änderte aber den Eintrag über Karoline Kummerfeld im entsprechenden Verzeichnis des Kalenders von 1793 (TKR 1793, S. 248–261, hier S. 255–256). Sowohl die Änderung wie auch die Korrespondenz zwischen ihr und Reichard wurden im TKR von 1793 gedruckt. Mit dem letzten Satz ihres Briefes und einer erneuten heftigen Kritik an der Antwort Reichards, die sie im Wortlaut wiedergibt, setzt der erhaltene Teil der WHS ein. Zum besseren Verständnis werden die entsprechenden Textstellen aus den Theaterkalendern 1791–1793 im Anhang III.3 der Edition der WHS abgedruckt. Die Passagen
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Taschenbuch für die Schaubühne (TKR) auf das Jahr 1793, S. 297–299. Auf die Passagen aus dem Theaterkalender hat Wendy Arons zuerst hingewiesen: Performance and Feminity in Eighteenth Century German Women’s Writing: The Impossible Act, New York 2006, S. 230, Anm. 4. Für ein förderliches Gespräch sei Wendy Arons herzlich gedankt. – Der TKR bestand zu einem wesentlichen Teil aus statistischen und biographischen Angaben, die in Verzeichnisform angelegt waren. Der Theaterkalender von 1791 hatte einen Verzeichnisteil von 154 Seiten (S. 113–267), 1792 umfasste er 235 Seiten (S. 125–360) und 1793 226 Seiten (S. 85–294 und S. 307–324). Zur inhaltlichen Erschließung der Bände s. Bender, Teil 3, S. 689 f. In ihrem Brief an den Verleger Friedrich Nicolai vom 8. August 1793 bemerkt Karoline Kummerfeld, ihr Manuskript enthalte „den ganzen Zusammenhang der Streutsache zwischen H. R. Reicherd“ und ihr; Staatsbibliothek zu Berlin, Nachlass Nicolai, Bd. 42, fol. 387r. Zu diesem Brief s. Kap. I.3.2 und Kummerfeld, Schriften, Bd. 2.
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aus den Theaterkalendern, die – wenngleich in anderer Reihenfolge und mit Kommentaren versehen – von Karoline Kummerfeld in das erhaltene Original der WHS übernommen wurden, sind in der Edition durch Kursivschreibung kenntlich gemacht.
Edition
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[Erstes Buch] [Erstes Kapitel: fehlt] [Zweites Kapitel: Anfang fehlt, setzt S. [2r/17] ein] [2r/17] Uebrigens ist von allen Ihren Berichten dieß der glaubwürdigste und richtigste p. 222, wo es heißt: Cynnas – – Frau, geb. Wenzig, starb, wann? und wo? ist uns unbekannt.4 Machen Sie es künftig bei allen Ihren Aufsätzen so, so beleidigen Sie weder Lebendige noch Tode wie mich und die verstorbene Eckhof, die Sie nur allein arm und elend in Gotha konnten sterben laßen5. Weimar, den 22. Aprill 1792. Caroline Kummerfeldt, geb. Schultze Dem Herrn Rath6 wird es zwar sehr gleichgültig seyn, wenn ich sage: wie viel er bei mir verlohren, da er sich nun selbst als den Verfasser der drey Verzeichniße nennt. – Den 4 5
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TKR 1792, S. 222. Der unveränderte Eintrag für Frau Cynnas befindet sich auch im TKR 1793, S. 271.
Die Schauspielerin Cynnas geb. Wen(t)zig (Lebensdaten unbekannt) war verheiratet mit dem Schauspieler N. Cynnas († 1778 Neuwied). Georgine Sophie Karoline Auguste Ekhof (1706–1790), Schauspielerin. Der von Kummerfeld monierte Eintrag im TKR 1792, S. 224 lautet: „Eckhof […] Frau, geb. Spiegelberg, die jüngste Tochter einer in den Annalen des Theaters berühmten Prinzipalin, und die selbst in ihrer Jugend als Soubrette glänzte, starb arm und elend zu Gotha 1790, nachdem sie schon seit mehreren Jahren ihren Verstand verloren hatte. Sie heurathete Herrn Eckhof beim Schönemannschen Theater 1746 und verließ schon 1765 die Schaubühne“. – Dass die Witwe Konrad Ekhofs in ärmlichen Verhältnissen in Gotha lebte, geht aus einem Schreiben des Gothaer Pagenhofmeisters Johann Wilhelm Dumpf an den Oberhofmeister von Forstner in Schwerin vom 17. Juli 1778 hervor. Da sie laut Dumpf zwar nicht „mente capta“ (verrückt), aber doch „imbecile“ (verwirrt) sei, konnte ihr keine größere Geldsumme anvertraut werden, sie musste ihren Lebensunterhalt mit einer ihr wöchentlich von Dumpf ausgehändigten sehr geringen Summe bestreiten; Devrient, Schönemann, S. 331 f. – Georgine Ekhof war ab 1765 aus Krankheitsgründen nicht mehr aufgetreten. Dafür, dass es sich bei dieser Krankheit um eine Geisteskrankheit gehandelt habe, gibt es nach Carla Pietschmann, der Biographin Ekhofs, nur ein einziges zeitgenössisches Zeugnis; Carla Pietschmann, Konrad Ekhof. Theaterwissenschaftliche Rekonstruktion einer Schauspielerpersönlichkeit aus dem 18. Jahrhundert, Phil. Diss. (masch.) F U Berlin 1954/56, S. 7. Auch Beate Hochholdinger-Reiterer äußert an der angeblichen Geisteskrankheit Zweifel; Hochholdinger-Reiterer, Kostümierung, S. 229–231. Heinrich August Ottokar Reichard (* 3. März 1751 Gotha, † 17. Okt. 1828 Gotha), Publizist, Bibliothekar und 1775–1779 Mitdirektor des Gothaer Hoftheaters, Kriegsrat. Herausgeber des Theaterkalenders, des Theater-Journals und des Revolutions-Almanachs, Reiseschriftsteller und Übersetzer aus dem Französischen. Lit.: „Unter die Preße und ins Publikum“. Der Schriftsteller, Publizist, Theaterintendant und Bibliothekar Heinrich August Ottocar [!] Reichard. Beiträge der Tagung […] Gotha […] 2008, Gotha 2009 (Schriftenreihe des Museums für Regionalgeschichte und Volkskunde Gotha 2);
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auf Ehre! Ich hielte ihn nicht dafür; mehr der verstorbenen Eckhof als meinetwegen. Der Mann allso, dem die edle Denkungsart seiner Land-Leute in Gotha so gleichgültig ist; der auch noch im dießjährigen Theater-Kalender die Eckhof arm und elend sterben läßt: konnte ja wohl auch mir im Theater-Kalender so antworten7: Madame! Zwar hätte[n] wir von Ihnen als einen Frauenzimmer von Lebensart einen anständigern und das ehemalige Metier weniger verrathenden Ton erwarten können, doch sind wir [2v/18] Ihnen für die in vorstehenden Schreiben uns mitgetheilten Berichtigungen sehr verbunden, und daß unser Dank dafür aufrichtig ist, werden Sie aus dem Sie betreffenden Artikel in dem diesjährigen Verzeichniß der außer dem Theater lebenden Schauspieler mit mehreren zu ersehen belieben. Wir haben ihn, was die historische Fakta betrift, ganz darnach abgeändert und in Ansehung Ihres ehemals gezeigten Schauspieler-Talentes einen Gewährsmann für uns reden lassen, mit dem Sie es nun, wenn Ihnen seine Beurtheilung auch nicht anstehen sollte, zu thun haben werden. Wahrheit ist die Pflicht des Geschichtschreibers, und da dergleichen Verzeichnisse, wenn ihnen die fehlt, gar nichts werth sind, so hätten Sie wohl voraussetzen sollen, daß wir nicht geflissentlich Unwahrheiten der Art, die Sie uns zeihen, niederschreiben würden. Der Geschichtschreiber kann aber nicht alles selbst erlebt haben, und wenn er zu gleicher Zeit lebte, so war er vielleicht von dem Orte der Begebenheit zu weit entfernt; auch nimmt er seine Nachrichten aus Büchern, oder läßt sie sich [von] gleichzeitigen Perso[3r/19] nen erzählen. Sehen Sie, Madame, auf diese Art schleichen sich bei dem besten Willen Fehler
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„Unter die Preße und ins Publikum“: Der Schriftsteller, Publizist, Theaterintendant und Bibliothekar Heinrich August Ottokar Reichard (1751–1828). Katalog zur Ausstellung der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha 2008, hg. von Kathrin Paasch, Gotha 2008 (Veröff. der Forschungsbibliothek Gotha 44); Schumann, Heinrich August Ottokar Reichard; Christoph Köhler, Gotha als Medienstandort von den Anfängen bis 1815. Kommentierte Bibliographie der Zeitungen, Zeitschriften, Intelligenzblätter und anderer Periodika nebst biographischen Hinweisen zu Herausgebern, Verlegern und Druckern, Jena 2014 (Zeitschrift für thüringische Geschichte, Beiheft 19). Nach Ruth B. Emde war Karoline Kummerfelds Leserbrief der einzige kritische Beitrag einer Schauspielerin in und über Theaterzeitschriften, der je publiziert wurde. Wie aus Reichards Antwortbrief deutlich wird, kam nach seiner Meinung Kummerfeld weder als Frau noch als Schauspielerin eine solche polemische Schreibweise zu; Ruth B. Emde, Frauen und Fiktion – Caroline Schulze-Kummerfeld im Gothaischen Theaterkalender 1793, Transactions of the Ninth International Congress on the Enlightenment II, hg. von der Voltaire Foundation, Oxford 1996 (Studies on Voltaire and the Eigh teenth Century 347), S. 572–577; Dies., Schauspielerinnen, S. 15–25. – Zur Kontroverse zwischen Kummerfeld und Reichard s. a. ATB 12, 1793, S. 110–112, worin sich der Verfasser ganz auf die Seite Reichards schlägt. Kummerfelds Schreiben an Reichard nennt er einen „Schutz- und Trutzbrief“, den sie sich „und dem Publikum hätte ersparen sollen, da er eine Thatsache nicht widerlegt, und sie in einem schwachen Lichte zeigt.“ (S. 112).
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ein, die nur gerade dadurch, daß sie durch den Druk zu mehrerer Publicität gelangen, in der Folge berichtigt werden können. Eben diese Bewandniß hat es mit der Kritik über den verstorbenen oder vom Theater abgegangenen Schauspieler. Das Werk jedes andern Künstlers ist außer ihm und kann noch nach Jahrtausenden, wenn es nicht Barbaren oder der wüthende Zahn der Zeit zerstöhrten, angeschauet und beurtheilt werden. Von der Darstellungskunst des Schauspielers hingegen kann man sich nur aus Büchern oder von Leuten unterrichten, die ihn auf dem Theater sahen. Und daß das Werk des Schauspielers nur an ihn selbst und nicht außer ihm beurtheilt werden kann, eben darin liegt der Grund seiner allzu grossen Empfindlichkeit bei dem geringsten Tadel. Dies mag auch Sie, Madame, bei uns entschuldigen, wenn Sie manches niederschrieben, das wir aus Achtung für das schöne Geschlecht nicht beantworten mögen. Den die Stelle, bei der Sie [3v/20] in den gewöhnlichen theatralschen Zorn ausbrechen, zeigt die Veranlassung Ihres ganzen Briefs nur zu deutlich. „Daß Ihr Spiel geältert gehabt habe, als Sie zum zweyten Mal die Schaubühne betreten“ – diese Behauptung hat Sie in Feuer gesetzt und ist – was Sie nicht an sich kommen lassen wollen. Indeß haben wir dieses Urtheil doch von Männern, die Sie in Hamburg nach Ihres Mannes Tode als Julie wieder hervorkommen sahen (1 NB: hier kömmt eine Note des Verfaßers8), allein geben Sie sich darüber zufrieden; mancher zu seiner Zeit sehr gepriesener Schauspieler hat schon gleiches Schiksal gehabt und würde es haben, wenn er in unsern Tagen, wo sich das deutsche Theater so sehr umgeformt hat (2 NB hier die zweyte Note des Verfassers9) – erscheinen sollte. Wie der Schriftsteller sich den Zeiten anschmiegen muß, wenn er, so lange er lebt, fortgelesen werden will, so auch der Schauspieler, der mit Beilfall 10 fortzuspielen verlangt; dies kann er aber nur, solange er auf der Schaubühne in Uebung bleibt. Eine Kluft von 8 bis zehen Jahren [4r/21] macht ihn, wenn er nach dieser Zeit wieder auftritt, ganzI fremdartig, und es ist gar kein Wunder, daß er den alten Beifall nicht wieder findet. Wollte er dessen versichert seyn, so müßte er auch seine ehemaligen Zuschauer wieder mitbringen, vorausgesezt, daß diese bis dahin kein Schauspiel sahen, den sonst würden sie doch nur aus Gefälligkeit oder Erkentlichkeit für das bei seinen ehemaligen Spiel empfundene Vergnügen applaudiren, und ein solches Applaudissement ist nur immer erzwungen und kann also nicht dauernd seyn. – Man pflegt sonst in gemeinen Leben zu sagen, der Zorn kleidet einen Frauenzimmer nicht übel, allein am Ende Ihres Aufsatzes scheint er Sie, Madame, entstellen zu wollen, da Sie auch noch die Todten gegen uns zur Rache aufrufen. Wir fragen Sie aber, von wem man mit mehrerem Rechte sagen kann: er starb arm und elend – wen man es nicht von einer Frau sagen soll, die viele Jahre vor ihrem Tode den Verstand verlohren hat? Der Verfasser der drey Verzeichnisse: 8 s. u. S. [4r/21 f.]. 9 s. u. S. [4v/22]–[5v/24]. 10 Beifall.
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Der Herausgeber des Theater-Kalenders. Erste Note | Auch in einem Schreiben vom deutschen Thea[4v/22]ter zu Weimar, welches im 20. und 21sten Stük der Ephemeriden der Litteratur und des Theaters vom Jahr 178511 stehet, findet man folgendes Urtheil: Madame Kummerfeldt, ehemals Mademoiselle Schultze, war in jüngern Jahren als eine vorzügliche Aktrize bekannt. Ihre Jahre haben sie vielleicht etwas herruntergesezt, und wenn sie nicht allemal den verdienten Beifall mehr erhält, so mag sie sich mit dem heutigen Geschmack trösten, der nicht allemal daß, was gut, sondern was neu ist, liebt und schätzt. In einigen Rollen zeigt sie immer noch ihren alten Glanz, obgleich man ihr allzu viel Einförmigkeit in Aktion und Stimme nicht mit Unrecht vorwirft. Zweyte Note. Die Periode, wo Madame Kummerfeldt auf der Bühne glänzte, war zum Theil eben die noch, welche Herr Schink12 in den Bruchstücken zu einer Geschichte des Ackermannischen Theaters (in seiner Hamburger Theaterzeitung, No. 3513) also beschreibt: „Das deutsche Theater vor ihm (Ackermann14) stellte außer denn meist von Spaniern und Italienern entliehenen Burlesken und Haupt- und Staatsaktionen hauptsäch[5r/23]lich nur Uebersetzungen aus dem Französischen vor, und selbst die damaligen deutschen Originalwerke waren nach französischen Leisten zugeschnitten. So wie nun das Schauspiel selbst, wie wohl in deutschen Worten ausgedrückt, nur französisch war, so auch die Darstellung von Seiten der Schauspieler. Deklamation, Gestikulation, Anordnung, Gruppen und Stellungen, alles war den französischen Theater abgeborgt. Die Deklamation strozte von Schwulst und falschen Pathos, drückte sich im Tragischen äußerst schwerfällig, hohl, heulend, dumpf und weinerlich aus und schnatterte und plapperte im Lustspiel. Die Gestikulation trat gänzlich aus dem Gleise der Natur. Die Hände fuhren in der Luft herrum, die Armschwingungen hatten französische Mensur15, die 11 Von dem Deutschen Theater in Weimar, in: ELB , Zwanzigstes Stück, 14. Mai 1785, S. 316–319; Einundzwanzigstes Stück, 21. Mai 1785, S. 330–336. Die hier zitierten Bemerkungen über Karoline Kummerfeld finden sich im Einundzwanzigsten Stück, S. 334 f. – Die Ephemeriden der Litteratur und des Theaters, hg. von Christian August Bertram, erschienen in Berlin zwischen 1785 und 1787 in sechs Nummern. 12 Johann Friedrich Schink (1755–1835), Schriftsteller, Theaterdichter, Kritiker, Dramaturg und Bibliothekar. Lit.: Bernhard Jahn/Alexander Košenina (Hg.), Johann Friedrich Schink (1755–1835). Dramaturg – Bühnendichter – Theaterkritiker, Berlin 2019 (Hamburger Beiträge zur Germanistik 62). 13 Bruchstükke zu einer Geschichte des Akkermannschen Theaters, in: HTS Nr. 35, 1. Sept. 1792, S. 561– 565. Schinks Hamburgische Theaterzeitung erschien wöchentlich vom 7. Januar bis 29. Dezember 1792; Peter Heßelmann, Johann Friedrich Schink und das Theater in Hamburg in den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts, in: Jahn/Maurer Zenck (Hg.), Bühne, S. 345–374, hier bes. S. 360–368. 14 Konrad Ernst Ackermann (1712–1771), Schauspieler und Prinzipal. 15 Mensur: Maß. Zum französisierenden Schauspielstil mit gedrechselten, abgezirkelten Bewegungen s. Maurer-Schmoock, Theater, hier bes. S. 150–157.
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Körper hingen in schwebenden Stellungen, die Füße wurden nach dem Takte aufgesezt – mit einem Worte, alles war überladen französischer Art und Weise. Einzele Ausnahmen gab es allerdings, aber diese einzeln Ausnahmen wurden nie Muster, konnten es auch nicht werden, eben ihrer Einzelichkeit wegen. Ihre Natur stach gegen die Afterkunst16 der herrschenden [5v/24] Parthey zu grell ab, um nicht mehr auf- als zu gefallen. Vielmehr mußten sie den Schauspieler sowohl als den Zuschauern nur sonderbar vorkommen, den der gesammte theatralsche Körper hatte durch ganz Deutschland nur eine Gestallt; nur diese eine Gestallt zu sehen und schön zu finden, hatte man sich durch ganz Deutschland gewöhnt.“ (So weit hat Herr Schinck gesprochen, nun aber sezt der Herr Verfasser der drey Verzeichnisse und der Herausgeber des Theater-Kalenders noch selbst dazu:) – „Herr Schink sezt diesen Zeitpunkt zwar vor Ackermann hinaus, allein er geht meines Bedünkens zu weit zurük; – (daß hätte Herr Schink nicht thun sollen) – denn wie schon oben gesagt, war diese Periode zum Theil noch zur Zeit, als Madame Kummerfeldt auf der Schaubühne in Ruf stand und ist auch noch nach ihrer Zeit gewesen.“ Die Herren denken: Ja, da kann man’s ihnen recht geben, wenn man einer Person vom Theater so hinwirft: – sie verriethe den Ton des ehemaligen Metier. – Bedanken Sie sich alle, meine schönen Damen, die sie bei dem Theater sind und die, die noch [6r/25] Lust bei sich fühlen, Schauspielerinnen zu werden. Alle Herren Kritikenschreiber sehen sich für ohnfehlbar an, der ist mir noch nicht zu Gesicht gekommen, der die Bescheidenheit gehabt, von sich zu denken: Du bist auch ein Mensch und kannst unrecht haben? – Macht der Schauspieler eine Miene zur Vertheitigung, so ist die erste Rechtfertigung der Herren, womit sie so gern den Schauspieler todzuschlagen glauben: Er vereth den Ton des Metier. Dieses Theater-Metier sezt also schon zum voraus, daß man mit denselben keine anständige Lebens-Art hat und haben kann? – – Oder hat man sie denn nur, wenn man wie die Kinder die Ruthe küßet, mit der man sie schlägt17? – – Hab schon so oft über die lächerliche Prätension gelacht und werde nie ernsthaft dabey seyn können; den der lustige Einfall kommt immer anspaziert. Der liebe Herr Rath! – Ja, dem sey nun, wie ihm sey, so kann ich mir nicht helfen, mag den das ehemalige Metier zum Vorschein kommen oder nicht. Doch nun auch, wie der Herr Rath mir im diesjährigen Theater-Kalender eine Stelle angewiesen:
16 Kunstlose Leistung, unkünstlerisches Gebaren. 17 Diese Redensart findet sich z. B. in William Shakespeares Drama König Richard II., 4. Aufzug, 2. Szene und in Johann Heermann, Poetische Erquickstunden […], Nürnberg 1656, S. 75.
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„Kummerfeldt, Caroline, geb. Schultze in Wien 1743, war von [6v/26] Jugend auf beym Theater und lebt jetzt zu Weimar, wo sie eine Nähschule errichtet hat. Herr Schinck sagt von ihr in den Bruchstüken zur Geschichte des Ackermannschen Theaters*18 folgendes: „Demoiselle Schultze – jezige Madame Kummerfeldt, privatisirend zu Weimar – versprach eine vortrefliche Aktrize. Sie wußte sich vortreflich zu tragen, hatte Gesichtszüge und Stimme ziemlich in ihrer Gewalt. Ihre Koketten im Lustspiel gefielen am meisten, und ihre Roxelane im Soliman den Zweyten galt für ihre Forcerolle19. In ernsten Rollen war ihr Ton bisweilen zu gedehnt und am unrechten Orte feyerlich. Im Trauerspiel gelang ihr der Karakter der unterdrückten Unschuld am besten. Ignes von Castro20 und Arricia in der Phädra21 waren ihre ersten tragischen Rollen. Auch als Tänzerin fehlte es ihr nicht an Kunst“ – 1767 vermehrten die Rollen der Minna22 und Julie23 ihren Schauspieler-Ruf. Herr Oeser 24 hat sie in lezterer Rolle gemalt. Sie verheurathete sich 1768 an Herrn Kummerfeldt25 in Hamburg, welcher als Buchhalter an der dasigen Bank stand. 1777 trente der Tod dieses Mannes ihre Ehe. Sie war kaum [7r/27] fünf Monate Wittwe, als sie die Schaubühne in Hamburg schon wieder betrat. 1778 kam sie zum Hoftheater nach Gotha, wo sie mit der Sara in den Holländern26 debütirte, und als 1779 diese Bühne entlassen wurde27, gieng sie mit den meisten Gliedern 18 Bruchstükke zu einer Geschichte des Akkermannschen Theaters, in: HTS 39, 1792, S. 626 f. 19 Paraderolle, Glanzrolle. – Solimann der Zweyte oder die drey Sultaninnen, ein Lustspiel in drey Handlungen aus dem Französischen des Herrn Favart, übersetzt von Karl Starke, 1765. Zur Rolle der Roxelane s. Michael Hüttler, Istanbul. Die Stadt als Serail, in: Susana Zapke/Stefan Schmidl (Hg.), Partituren der Städte und musikalischer Ausdruck, Bielefeld 2015, S. 89–100, hier S. 95–97. 20 Ignes von Castro, auch Ines von Castro, nach dem Trauerspiel Ines de Castro (1723) von Antoine Houdar de La Motte. 21 Phaedra und Hippolytus nach dem Trauerspiel Phèdre et Hippolyte (1677) von Jean Baptiste Racine. Korrekte Schreibweise des Rollennamens: Aricia. 22 Minna in: Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück, Lustspiel von Gotthold Ephraim Lessing. 23 Julie in: Romeo und Julie, Trauerspiel von Christian Felix Weiße. Weißes Bearbeitung basiert weniger auf Shakespeares Drama Romeo and Juliet als auf den Novellen von Matteo Bandello (La sfortunata di due infelicissimi) und Luigi da Porto (Giulietta e Romeo); zu Weißes Stück s. a. HHS, Anm. 819. 24 Adam Friedrich Oeser (* 17. Febr. 1717 Preßburg, † 18. März 1799 Leipzig), Maler und Bildhauer. Oeser, seit 1764 Direktor der Zeichenakademie in Leipzig, an der er auch Goethe unterrichtet hat, porträtierte Karoline Schulze in ihrer Paraderolle, der Rolle der Julie in Christian Felix Weißes Romeo und Julie; s. dazu HHS, Anm. 876. Zur Freundschaft Karoline Kummerfelds mit der Familie Oeser s. WHS, Anm. 504. 25 Diedrich Wilhelm Kummerfeld (1723–1777). 26 Die Holländer oder Was vermag ein vernünftiges Frauenzimmer nicht! nach I mercanti von Carlo Goldoni in einer Bearbeitung von Johann Christian Bock. 27 Das Gothaer Hoftheater wurde 1779 aufgelöst und alle Verträge gekündigt. Zahlreiche Schauspieler und Schauspielerinnen, unter ihnen August Wilhelm Iffland, Johann David Beil, Johann Michael Boeck, Heinrich Beck und Karoline Kummerfeld erhielten von Dalberg einen Vertrag in Mannheim. Sophie Boeck blieb in Gotha, wo sie, da ihr Mann nach Mannheim ging, die Hälfte der ausgemachten
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derselben zum Nationaltheater in Mannheim. Im Theater-Kalender auf 1781 befindet sie sich aber im Verzeichniß der Mannheimer Bühne schon wieder unter den abgegangnen Personen und muß also bis zu 1784, wo sie bei der Bellomoschen Gesellschaft 28 debütirte, noch bei einer andern Schaubühne gestanden haben29. 1785 zog sie sich gänzlich vom Theater zurük, und über diesen Rückzug findet man in 45. Stück der Ephemeriden der Litteratur und des Theaters vom Jahre 1785 folgende Nachricht: „Madame Kummerfeldt hat den vernünftigen Entschluß gefaßt, Ruhe und Eingezogenheit dem ängstligen Herumtreiben bei kleinen Theatern vorzuziehen, sie lebt in Weimar, beschäftigt sich mit dem Unterricht junger Frauenzimmer in Handarbeiten und ist so zufrieden, als sie es je nach einem theatralischen Triumphe war.“ 30 ____________ * Siehe No. 39 der Hamburgischen Theaterzeitung vom 22. Sept. 1792. Wie viele Leute sich Mühe gemacht, von mir was zu sagen? – und habe doch keinen darum ersucht? und habe keinen [7v/28] den geringsten Dank dafür? Nur für ihr Nichtssagen hatte ich Dank. Bei der Sache, wie sie nun einmal ist, habe ich keinen Menschen und wüste keinen, der sich meiner annehmen solte. – Den wer würde die Vertheitigung einer Frau über sich nehmen, die nicht mehr jung ist? – Daß weiß der Herr Rath wohl. – Da muß ich den die Sache nur selbst übernähmen. Der Herr Rath, der von mir auch was sagen wollte – vielleicht aus keiner andern Ursach, als nur eine Seitte in dem Theater-Kalender mehr zu haben, hatte in dem Bericht 179231 doch ganz und gar vergeßen, daß er mit mir an einen Ort gelebt, mir selbst den Contrakt zur Unterschrift auf mein Zimmer gebracht32; – hat aus Schriften gezogen, wo die Verfasser ihre wohlweisen Ursachen hatten, mir immer eins anzuhängen; – oder sich auch bei Leuten erkundiget, die mir nie gern Gerechtigkeit wiederfahren liesen. – Aber
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Pension, nämlich 200 Taler erhielt, s. u. 3. Buch, Kap. 14. Lit.: Hirsch, Johann Michael Boeck, S. 53; Hodermann, Geschichte, S. 189; Schmitt, Schauspieler, S. 70. Die Truppe um den Prinzipal Joseph Bellomo spielte zwischen 1784 und 1791 in Weimar (s. u. WHS, 3. Buch, Kap. 28–32, S. [325v/656]–[349r/701]. Lit.: Pasqué, Theaterleitung I, S. 30–40; Satori-Neumann, Frühzeit; Weimar Lex, S. 36. Karoline Kummerfeld wechselte 1780 ans Hoftheater in Innsbruck, s. u. 3. Buch, Kap. 16. Ephemeriden der Litteratur und des Theaters, zweiter Bd., 45. Stück, Berlin 1785, S. 303 f. TKR 1792, S. 210. Diese Bemerkung bezieht sich auf ihr Engagement in Gotha 1778/79 und ihre Vertragsunterzeichnung bei Reichard, s. u. WHS, 3. Buch, Kap. 14, S. [259v/522]–[261v/526]. Lit.: Elisabeth Dobritzsch, „Da ich mit den meisten dieser Künstler auf vertrautem Fuße stand …“. Reichards Wirken am Gothaer Hoftheater, in: „Unter die Preße …“ (2009), S. 171–192.
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es ist nichts in der Welt so schlimm, es kann auch was Gutes daraus kommen. – Zum Beispiel: Ich würde nie, nie auf den Gedanken gekommen seyn, – jetzt schon der Welt zu sagen, wie es mir bei dem Theater ergangen. – Vielleicht würckt diese Nachricht noch etwas Gutes. Vielleicht, wenn man sieht: So machte man’s gar der, so lohnt man sie noch jetzt, da sie nur ihren Schülerinnen, nur ihrer Arbeit [8r/29] lebt: Was sollen wir uns von der Zukunft versprechen? – Wir, die wir nicht wissen, ob wir Talente fürs Theater haben? – – O, möchte ich doch laut, laut genug schreyen können: Wählt nie, nie Theater! – Laßt euch von dem äußern Schimmer nicht blenden, nicht locken, daß man nach eurer Meynung mit so weniger Arbeit doch so viel Geld die Woche verdienen kann. Der Herr Verfasser des Theater-Kalenders beklagt sich mit Unrecht, daß so wenige bei dem Theater sind, die Antheil an den Kalender zu seiner Verbesserung nehmen. – Wenn man nun nicht will? – Wenn man sich’s zur Schande rechnet, darinnen zu stehen? – Wenn man den Theater-Kalender so oft zur Schand-Säule33 herabgewürdiget sieht: wo so manchen Rechtschaffenen sein Name hingehängt worden? – Der von Pasquillen34 angefüllt wird? – Und wenn einer auf eine ehrenschänderische Art angegriffen wird, erst ein ganzes Jahr warten muß, bis er sich vertheitigen kann? – Dan oft noch nicht weiß, wer ihm angegriffen und blamirt hat? – – Kurz, wenn jemand einen Groll oder Haß auf eine Person vom Theater hat, darf nur sicher solches zu dem Herrn Verfasser des Theater-Kalenders schicken, da findet er ein Pläzchen, sich zu rächen35. Des vielen Dankes, den er mir verbunden scheint zu haben, daß er durch meine Berichtigung die historischen Fakta ganz dar[8v/30]nach abgeändert; so ist mir der Dank sowohl als die Achtung, die er für das schöne Geschlecht zu haben mir weißmachen will, doch nicht so einleuchtend. – Hätte der Herr Verfasser würkliche Achtung für mich, für die Kummerfeldt, haben wollen – das schöne Geschlecht ganz beiseite gesezt – er hätte mir schriftlich auf meinen Brief an ihm geantwortet; mir gesagt, weil er es vergeßen, daß er mich in Gotha gekannt: aus welchen Quellen er geschöpft; – die ganze Sache hätte eine andere Wendung genommen. – Ich war doch in jeden Fall die, die beleidiget sich fühlen mußte? – Oder hielte er mich für so dum, daß ich’s 33 Pranger. 34 Pasquille: Anonyme Schmähschrift. 35 Ruth B. Emde bezeichnet die ausdrücklich als nicht fiktiv gekennzeichneten Schauspieler-Verzeichnisse in Reichards Theaterkalender als eine „Chronique Scandaleuse für Neugierige, in der im Einzelfall Rufmord betrieben werden konnte und dem Ansehen des Schauspielerstandes allgemein sehr geschadet wurde“. Den Abdruck von anonymen Einsendungen im Theaterkalender vergleicht Emde mit den bekannten und noch heute fortbestehenden „Mechanismen der Regenbogenpresse“; Emde, Schauspielerinnen, S. 17 f.
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als ein Compliment meiner ehemaligen Verdienste aufnehmen solte? – Oder für zu furchtsam, weil ich immer bei allen Unrecht, daß man mir anthat, stilleschwieg? – Ich bin ein gutes Weib! Ein Wort von dem Herrn Rath – und ich hätte meinen Aufsaz zurückegenommen. – Aber recht haben wollen bei allen Unrecht – nein, nachgerade wird es mir den doch zu arg gemacht. Man hat ja einen Dank daran – so will ich den nun selbst von mir sprechen; – und auch von allen, wie sie es mit mir gemeint, so wohl die Lebendigen wie die Toden. Drittes Kapitel Man nenne es nach Belieben Ich unternähme eine halsbrecherische Arbeit, ich weiß es wohl; – ich steche in ein verzweufeltes Wespennest. – Wenn ich noch [9r/31] ein junges Mädchen oder Frau wäre? – Aber eine alte Frau – viel zu gelinde noch – ein altes Weib! und die wagt sowas? – Nein, daß ist auch gar zu inpertinent! – Den selten sind sich gewiße gelehrte Leute einig – aber nur dann, wenn es über einen Währlosen hergeht. – Nur mein kleiner Aufsatz wird als ein Hochverrath gegen die Gelehrsamkeit und tiefe TheatralKentniße des Herrn Rath Reicherd angesehen werden – wie wird es nicht erst diesen Büchlein ergehen? – Aber mag es! Ich habe beyde Mal, da ich das Theater verlies, um nichts gebeten als: Last mich als Schauspielerinn vergeßen seyn. Würdigt der Freundin – wenn ich mich eurer Freundschaft würdig gemacht – euer Andenken. Ich hatte es bis jetzt geglaubt, weil ich so selten Schriften, die von Theater handeln, Gelegenheit habe zu lesen; nun aber werde ich mit eins eines ganz andern belehrt. Ja, ich muß denken, daß der Herr Rath Reicherd – um ja recht viele Quellen zu haben, – mich recht tief herrunterzusetzen –, daß er selbst Herrn Schink aufgefordert hat: „Können Sie von der Kummerfeldt nichts sagen?“ Den da Herr Schink in Hamburg ist? – da sizt er ja an der reinen, ohnfehlbaren Quelle, aus der man lauter Orackelsprüche schöpft? – Schon das Wort: Hamburg [9v/32] soll Furcht und Respekt einflößen! – Und was da herkommt, muß wahr seyn. – Da hat er gewiß die beste Gelegenheit, sich bei die Rechten zu erkundigen. – Wie wahr man ihm berichtet, sehe ich daraus, weil die Ignes36 und Arricia37 meine ersten tragische Rollen seyn sollen – können die zwey Rollen in einen Vergleich beisamen stehen? Um Herrn Schink also die kennenzulernen, bei denen er sich nach mir erkundiget, muß ich sagen, daß ich die Ignes in 36 Ignes von Castro, auch Ines von Castro, nach dem Trauerspiel Ines de Castro (1723) von Antoine Houdar de La Motte. 37 Phaedra und Hippolytus nach Phèdre et Hippolyte (1677) von Jean Baptiste Racine.
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Maynz 1762 zum ersten Mal gespielt und die Arricia in Hamburg den 3. December 1765. So authentisch sind die Quellen von jeher gewesen, wenn man über mich was sagte. Auch den theuren Mann, den Herr Schink nachgeschrieben hat, will ich ihm nun näher kennenlernen – ohngeachtet der Jahre, die seit der Zeit verflossen, so verräth doch die Pfeiffe das Holz, woraus sie geschnizt ist38. – Leid ist es mir, daß so manche von den lieben Leuten tod sind! Inzwischen: – Warum haben sie mir es in ihren Leben so gemacht? Wärmt man ihre Schriften auf, so zeige ich, warum sie so schrieben und schreiben mußten. – Alle, die ein gutes Gewißen haben, geht es nichts an, der mag sich kratzen, dem es juckt39. Viertes Kapitel Wer recht oder unrecht hat? Wenn der Herr Rath Herrn Schink nicht aufgefordert: – wie käm [10r/33] Herr Schink dazu, mich den 29. September 1792 in ein Bruchstük der Hamburger Theater-Zeitung zu bringen? – Ich bin schon so lange von Hamburg weg – und in dem 1792. Jahr, in denselben Jahr, wo ich es endlich müde ward, Beleidigungen von der Art mit Stillschweigen zu übergehen, muß Herr Schink auch was von mir schreiben? – Irre ich mich? So bitte ich aufrichtig um Vergebung. – Aber der Irrthum ist mir sehr zu verzeihen. – Den wenn man erfahren wird, wie man mit mir herrumgesprungen – das macht endlich mißtrauisch gegen alles, was von Schauspielern schreibt. Ich zweifele, ob gegen Fehler, die ein Staats-Minister gemacht, jemals so viel Aufhebens entstand, als gegen die paar Fehler, womit ich mich gegen die strengen, nichts übersehenden Richtern – die es von der Theaterkunst seyn wollten – versündiget haben kann. Warlich! Ich muß mehr gewesen seyn, solange ich beyde Mal auf dem Theater war, als ich selbst von mir gedacht – sonst würde man ja einmal aufhören und mich in Ruhe laßen. Herrn Schink habe ich meines Wißens nicht die Ehre pörsöhnlich zu kennen. – Hätte ich gar keine Fehler gehabt, so wär ich ja vollkommen gewesen? Und die Lächerlichkeit, das von mir zu glauben, wird man mir doch nicht zutrauen? – Ich that nach meinen bestmöglichsten Kräften, was ich konnte; war darauf so wenig stolz und [10v/34] eitel, daß ich gewiß zu denen wenigen Aktrizen zu zählen bin, die keine Kaprizen40 hatten und dem Directeur gewiß nie fühlen ließen, daß sie das Publikum gern sah. Man lese 38 Sprichwort; auch in Gotthold Ephraim Lessings Drama Der Freigeist, dritter Akt, achte Szene: „Die Pfeife verrät das Holz, woraus sie geschnitten ist“. 39 William Shakespeare, Hamlet, 4. Akt, 5. Szene: „Der mag sich kratzen, dem es juckt.“ 40 Kapricen: Eigensinn, Launen.
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und halte nur die Beurtheilungen über mich, die ich aus dem Kalender geschrieben, zusammen, und man wird das geflissentliche Bestreben finden, Fehler ausfindig zu machen – und wie immer eins dem andern wiederspricht. Wenn ich Gesichtszüge und Stime ziemlich in meiner Gewalt hatte; wenn mir in Lustspiel die Rollen der Koketten und im Trauerspiel der der unterdrükten Unschuld am besten gelangen, so ist doch kein Zweifel, daß ichII Ton und Gesichtszüge würklich in meiner Gewalt haben mußte? – Koketten und unterdrückte Unschuld? – Wie viele Schauspielerinnen könen das? Und so kann man doch auch wohl denken, daß es noch vielerley Rollen gegeben hat, die ich durch mein Spiel gewiß nicht verdorben? – Und wenn Herr Schink sagt: In ernsthaften Rollen war ihr Ton bisweilen zu gedehnt und am unrechten Ort feyerlich – so sagt er selbst bisweilen? – That ichs immer? – Und warum macht man den mir ein solches Staatsverbrächen [11r/35] daraus? – Wer ist vollkommen?? – Gewiße Fehler, die man einen Schauspieler – der auch Verdienste hat – vorwirft, muß man betrachten wie einen Sprachfehler, und man wird den Fehler gewohnt. Nun ist solcher immer ein Fehler, aber wie gerne duldet man einige Fehler, wenn das Ganze nicht zu verwerffen ist. Sicher kann man von mir glauben, ich war mir selbst der strengste Richter; und gieng nicht alle Mal da am vergnügsten zu Hause, wenn man mir applaudirt hatte? – Wodurch ich mir – wenn ich mich einmal vergessen – etwas Feyerliches angewöhnt hatte, will ich den Schlüssel dazu geben zur Auflösung. Fünftes Kapitel Die Auflösung des Schlüssels Im Jahr 175541 spielte ich schon im Kaufmann von London42 die Marie; im Tartüffe43 die Mariann, im Verschwender44 das Fräulein Liebreich (auch Buhlwiz und Clarisse,
41 In der bei Holtei, Bruchstücke, veröffentlichten Fassung der Kummerfeld’schen Memoiren (s. Kap. III.5.1) heißt es S. 191, sie habe 1756 als Zwölfjährige diese hier genannten Rollen gespielt. 42 Der Kaufmann von London oder Begebenheiten Georg Barnwells. Ein bürgerliches Trauerspiel nach The London Merchant: or, The History of George Barnwell (1731) von George Lillo, von Henning Adam von Bassewitz aus der französischen Übersetzung von Pierre Clément (1748) ins Deutsche übertragen. 43 Tartüffe oder Der Betrüger, auch Der scheinheilige Betrüger Tartüffe, Übersetzung des Lustspiels Le Tartuffe ou L’Imposteur (1664) von Molière. 44 Der Verschwender oder Die ehrliche Betrügerin, Übersetzung des Lustspiels Le Dissipateur ou L’honnête fripponne (1736) von Philippe Néricault Destouches von Louise Adelgunde Gottsched (1741).
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nachdem die Übersetzungen waren genannt45), in Cavalier und Dame46 die Colombine und mehr dergleichen. – Im Jahr 1756 im Helsehenden Blinden47 die Eleonora, im Blinden Ehemann48 die Laura u.s.w.; 1757 die Fürstin im Grafen von Essex49 und viel dergleichen Rollen mehr und dabei auch die Kinderrollen als Louischen im Kranken in der Einbildung50 und Lottchen im Poeti[11v/36]schen Dorfjunker51, so war’s ganz natürlich, – da ich mich zu vielen Rollen zu jung fühlte und klein von Person war, ich dachte, um mich von Kinde zu unterscheiden, mir durch die ernste Stimme ein Ansehn zu geben. Mit den Jahren, weiß ich, legte ich den Fehler ab, und wenn ich mich vergaß, war ich mehr ärgerlich über mich selbst, als es der strenge Kunstrichter über mich war – und meine Kammerraden, die heimtükisch sich aufhielten, anstatt sowas freundschaftlich zu sagen – bewahre der Himmel! daß wär ihnen ja das Wasser von der Mühle genommen. – Gesezt, ich hatte den Fehler bisweilen: Kan man wegen einen oder ein paar Fehler Menschen so tief herruntersetzen wollen, daß sie ganz unausstehlich der Nachkommenschaft geschildert werden? – Und thun dies der Herr Rath nicht? indem er – was Herr Schink in der Hamburger Theater-Zeitung nachgesagt hat, von dem Spiel, daß vor dem Ackermannschen Theater im Brauch soll gewesen seyn, recht geflißendlich seine hochgelehrte, viel wißen wollende (ob er gleich zu der Zeit vielleicht noch nicht auf der Welt war – oder noch mit seiner Amme spielte) Anmerkungen macht. – „Herr [12r/37] Schink sezt diesen Zeitpunkt zwar vor Ackermann hinaus, allein er geht meines Bedünkens zu weit zurük. Den wie schon oben gesagt, war diese Periode zum Theil noch zur Zeit, als Madame Kummerfeldt auf der Schaubühne in Ruf stand, und ist auch noch
45 Sie bezieht sich hier auf die oben von ihr wiedergegebenen Bemerkungen von Schink, vor Ackermann habe es eine Periode im deutschen Theater gegeben, in der hauptsächlich Übersetzungen aus dem Französischen gespielt und deutsche Originalwerke „nach französischem Leisten zugeschnitten“ worden seien. Nach Reichard dauerte diese Periode aber auch noch zur Zeit Kummerfelds und danach an; [4v/22]–[5v/24]. 46 Der Cavalier und die Dame oder Die zwey gleich edlen Seelen, Übersetzung des Lustspiels Il Cavaliere e la dama von Carlo Goldoni. 47 Der hellsehende Blinde, auch Der sehende Blinde, nach L’Aveugle clairvoyant von Marc-Antoine Le Grand. 48 Der blinde Ehemann, Lustspiel von Johann Christian Krüger. 49 Der Graf von Essex, Übersetzung des Trauerspiels Le Comte d’Essex von Thomas Corneille von Peter von Stüven. 50 Der eingebildete Kranke oder Der Kranke in der Einbildung, Übersetzung des Lustspiels Le Malade imaginaire von Molière von Friedrich Samuel Bierling. 51 Der poetische Dorfjunker, auch Die Poeten vom Lande oder Der Poet vom Lande, eine Übersetzung des Lustspiels La Fausse Agnès ou le poète campagnard von Philippe Néricault Destouches.
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nach ihrer Zeit gewesen.“ 52 Nun möchte ich doch wißen, wenn so viel Unsinn vor und nach mir bei dem Theater in Schwung war: – wann war den der Zeitpunkt des rechten Spiels??? – Ha! ich besinne mich: Gerade in dem Jahr 1785, da ich abgieng. Sechstes Kapitel Für den guten Freund Und auch aus Weimar hat ein guter Freund mir in der Litteratur- und Theater-Zeitung53 noch einen Klaps versetzen wollen? Der liebe Mann! – Er sey nun tod oder lebend noch, so ist eine Person noch lange kein ganzes Publikum – wofür sich die Herrchen so gern halten, wenn sie ein Wischchen zum Einrücken senden. – Wenn ich in Weimar in der kurzen Zeit, als ich hier gespielt, nicht alles so gut gemacht als ich gesollt: So hat der Herr Einsender vergeßen zu sagen: „Das Madame Kummerfeldt hier erst angefangen hat, gute ernsthafte und komische Mütterrollen zu [12v/38] spielen.“ – Jede in der Art Karakterrolle war für mich ein Debüt. – Und wie wenige Stücke wurden wiederholt, wo ich in der Art Rolle hätte verbessern können, wenn ich ja das erste Mal was versehen? – Proben? – noch so viele gehalten, für den wahren Künstler ist das die Generalprobe, wenn er vor dem ganzen Publikum seine Rolle zum ersten Mal spielt. – Mir war’s wenigstens so. – Fühlt sich der Schauspieler in unsern jezigen aufgeklärten Zeiten so geschickt, das von sich nicht zu denken? – Verlangt oder weiß das der kunstrichterliche Einsender nicht? – – Ja, so ist meine Kenntniß der Kunst freilich für die verfeinerte Welt zu altmodisch. – Der Herr Einsender ist mir gar zu spashaft. – Ich wünschte, daß er sich nennte! – Das hinter den Ofen Hucken – o, da hat man keine Ehre davon. Auge in Auge, daß ist meine Art. – Und den würde man auch den Einsender Gerechtigkeit wiederfaren laßen. – Schnurrig54! Daß ich doch weiß – wie ich
52 TKR 1793, S. 301, 303. 53 LTS 1784, dritter Theil, S. 136 f.: „Aus einem Schreiben an den Herausgeber. Madam Kummerfeld, welche jetzt bei der Bellomoschen Gesellschaft ist, gehört noch immer zu unsern guten Schauspielerinnen und würde in ernsthaften und tragischen Müttern den Verlust der M** zur Zufriedenheit des dortigen Publikums ersetzt haben. Denn das Spiel der letztern gränzte in solchen Rollen auch etwas an die alte Manier. Unsre Modeschauspieler führen einen freiern, kühnern Pinsel – aber um nicht schwerfällig zu scheinen – werden sie oft nachläßig; aus übertriebener Delikatesse, verwischen sie die Kontoure und schwächen den Ausdruck. Die Zeichnung der Aeltern ist steif, aber korrekt. Ihre Farben sind hart, aber Licht und Schatten fällt eben darum destomehr ins Auge, und Niemanden wirds einfallen, eine ihrer Madonnen mit einer Phryne zu verwechslen; dahingegen die Königin der Neueren sehr oft zur Natur ihrer Kammerfrau herabsinkt.“ 54 Lustig, seltsam.
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nicht mehr bei der Bellomoschen Gesellschaft war und nach der Zeit manche Stücke wieder gegeben wurden, in welchen ich gespielt hatte –, öffendlich gesagt [13r/39] wurde: „Die heutige Rolle hat die Kummerfeldt beßer gespielt.“ Siebendes Kapitel Die Gelegenheit, die ich gehabt, mich nach französischen Schauspielern zu bilden So billig nun auch Herr Schink war, die Periode des ganz übertriebenen Spiels vor Ackermanns Theater zu setzen, so will der Herr Rath daß doch durchaus nicht. – Er will, daß die jezige und nachkommende Welt von mir ohne Barmherzigkeit glaube, daß ich alle die Fehler gehabt: und mich nach französischen Schauspielern gebildet. – Was ein französischer Schauspieler thun kann und ihm auch in seiner Art kleidet, kleidet keinen deutschen. – Und wie? wie hätte ich mich nach französischen Schauspielern bilden sollen, da ich keine Gelegenheit hatte, solche zu sehen? – Ich war zwar mit Ackermann in Straßburg zwey Winter55. Aber wie ich mit ihm das erste Mal da war, so spielten wir an denselben Tagen, wenn französisches Schauspiel war; und ich habe keinen einzigen Tag gehabt, wo ich frey gewesen wär, daß ich ein französisches Schauspiel doch auch einmal hätte sehen können! – Und noch dazu hatten die französischen Schauspieler freyen Einlas in unser Schauspielhaus, wie wir in dem ihrigen56. – Als wir den zweyten Winter hinkamen, war’s den französischen Directeur sehr ungele[13v/40] gen, weil ihm unser Schauspiel den lezten Winter großen Schaden gethan. Er bot alle seine Kräfte auf, das Ackermann nicht spielen sollte; aber es gelang ihm nicht ganz, und er that ihm nur insoweit Schaden: daß wir die schlechten Comödien-Tage in der Woche nehmen mußten; die Franzosen hatten die besten: – Den einzigen Sontag ausgenommen, da spielten wir zusammen. – Weil nun das französische Personal viel grösser war wie das unsrige: ward Ackermann böse und gab keinen französischen Schauspieler 55 Karoline Schulze spielte bei der Ackermannschen Truppe während ihres Aufenthalts vom 26. Dez. 1759 bis zum 29. März 1760 (HHS, S. [205]–[206]) und vom 28. Nov. 1760 bis zum 12. März 1761(HHS, S. [210]–[214]). Auch in der HHS schreibt sie, dass beim ersten Aufenthalt die deutschen und französischen Truppen an den gleichen Tagen spielten, während beim zweiten Mal die Ackermannsche Gesellschaft auf die ungünstigeren Spieltage ausweichen musste. 56 In der HHS erwähnt Karoline Kummerfeld diese Theaterbesuche nicht. Stattdessen berichtet sie, ähnlich wie in der WHS, 1. Buch, Kap. 17, S. [26r/65 f.], dass der Direktor des französischen Theaters sie und ihren Bruder abwerben wollte. Die Geschwister sollten zuerst im Ballett auftreten und sie hätte, nachdem sie die Sprache gelernt hätte, im französischen Theater Schauspielerin werden können; HHS, S. [211]. Zum Theater in Straßburg s. HHS, Anm. 402.
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freyen Einlas. – Was war natürlicher, als daß wir auch bezahlen mußten? – Ich war ein armes Mädchen und hatte kein Geld zu französischen Comödie übrig. Dreymal wurde ich frey mitgenommen. Das erste Mal gab man eine Art von Oper, wo jedes Wort gesungen wurde nach einer Melodie von ein paar Tacte ohne Music – – wär ich musikalisch, der Seltenheit wegen für die jezige Welt sezte ich solche in Noten, weil ich sie noch weiß. – Zu dieser entsezlichen Katzen-Oper57 wurde Das Orakel 58 gegeben. – Von der Lucinde ihren Spiel habe ich nichts nachgemacht wie das Späschen: Daß ich nachher meinen Alzindor59 auch eine Musche60 ins [14r/41] Gesicht klebte. – Man trug ja damals Muschen. Das zweyte Mal, als ich sie spielen sah, war der Don Juen61 und die Operette: Die Magd als Frau62. Das dritte Mal der Tartüff 63 und Die dreyfache Heurath64. Daß waren die französischen Schauspiele alle, die ich in Straßburg sah. Im Jahr 1764, wie ich mit Ackermann nach Braunschweig kam, war auch französisches Schauspiel dort. Die Franzosen spielten in denselben Hause, wo wir spielten65, mit
57 In der bei Holtei, Bruchstücke, veröffentlichten Fassung der Kummerfeld’schen Memoiren (s. Kap. III .5.1) heißt es S. 204: „Das einemal sah ich eine Art von Oper, wo jedes Wort nach einer Melodie von Tacten gesungen wurde, ohne Begleitung von Instrumenten. Im Milchmädchen war diese vorhanden und also klangs nicht wie Katzenmusik, aber dafür nahm sich der Bär spasshaft aus, er trug Schuhe mit rothen Absätzen, Steinschnallen und nette weisse Manschetten.“ Katzen-Oper wird hier folglich als Synonym für Katzenmusik und nicht als Bezeichnung eines bestimmten Musikstückes verwendet. 58 L’Oracle, Comédie von Germain-François Poullain de Saint-Foix. Christian Fürchtegott Gellert verfasste nach dieser Komödie ein von Johann Adam Hiller vertontes Singspiel Das Orakel. 59 Lucinde, eine junge Prinzessin, und ihr Sohn Alcindor sind Rollen im Orakel. 60 Mouche: Schmink- oder Schönheitspflaster. 61 Don Juan: es ist nicht klar, um welches Stück es sich handelt. Die bekanntesten Stoffrezeptionen sind von Molière und Carlo Goldoni. 62 La Serva Padrona oder Die Magd als Frau, auch Die zur Frau gewordene Magd, Opera buffa von Giovanni Battista Pergolesi mit einem Libretto von Gennaro Antonio Federico. Französische Übersetzung von Pierre Baurans: La servante maîtresse, 1754. Zum Begriff Operette im 18. Jahrhundert s. HHS, Anm. 963. 63 Le Tartuffe ou L’Imposteur, Comédie von Molière; in der deutschen Übersetzung: Tartüffe oder Der Betrüger, auch Der scheinheilige Betrüger Tartüffe. 64 Le triple mariage, Comédie von Philippe Néricault Destouches; in der deutschen Übersetzung: Die dreifache Heirat. 65 Spielstätte in Braunschweig war das am 4. Februar 1690 eröffnete Opernhaus am Hagenmarkt, in dem seit 1735 auch Schauspieltruppen auftreten durften; s. dazu HHS, Anm. 229. Im Jahr 1768 besuchte Karoline Schulze erneut die französische Komödie in Braunschweig. Sie schreibt in der HHS eine ausführliche positive Kritik und inszeniert sich als gute Kennerin des französischen Theaters; HHS, S. [521]–[523].
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uns abwechselnd. Da traf es sich aber, daß meine Mutter66 schwer krank wurde. – Die bedurfte meiner Wartung und Pflege. Nur ein einziges Mal, als sie sich leidlich befand, sah ich die Zayre67 und die Parodie dazu68. Und niemals habe ich bei Ackermann die Zayre gespielt. Das fünfte und sechste Mal, daß ich französische Schauspieler zu der Zeit gesehen, war im Jahr 1766 in Hamburg. Sie spielten bei ihrer Durchreise nach Copenhagen in Ackermanns Hause die Hypermnestra69 – und die habe ich nie gespielt. – Dazu wurde gegeben die Operette Die Jäger und das Milchmädchen70. – Lezteres machte mir vielen Spas, weil der Bär Schuhe [14v/42] mit rothen Absätzen, Steinschnallen und nette weiße Manchetten hatte – ich sagte: „Bei den Franzosen sind sogar ihre Bäre gallant, – daß haben unsere deutschen Bäre doch nicht“. – Das zweyte Stük war Der Glorieux71 – – da müßte ich denn die Lisette copirt haben. – Es war meine lezte Rolle in Hamburg als Mamsell Schultze, den 6ten Merz 1767. Nach diesen Bericht, der wahr ist, kann man nun urtheilen, ob ich mich nach französischen Schauspielern habe bilden können? Ob ich ihre Fehler nachgeahmt haben kann? – Um Wahrheit ist es den Herrn Verfaßer nicht zu thun, sonst hätte er sich bei seinen historischen Berichten ganz anders nehmen können. Wenn er auch gern die Schauspieler, die ausser dem Theater leben, hatte berichtigen wollen, so hätte er im Jahrgang 1791 von denen, wo er seiner Sache nicht gewiß war, weiter nichts sagen sollen als: N. N. geboren – debütierte – lebt da oder dort, und nun ersucht, das jeder, der will, das mehr gesagt werde, es dem Herrn Verfasser zuschiken solte. In diesen Falle hätte jeder von sich selbst gesagt, was er gewollt. – Oder stillgeschwiegen. – Der Herr Verfasser hätte weniger Mühe gehabt und seine Berichtigungen Wahrheit.
66 Augustina Sibylla Schulze (1708/12–1766), Schauspielerin. 67 Zaire, Tragédie von Voltaire. 68 Auf Voltaires Zaire wurden verschiedene Parodien verfasst, darunter: Arlequin au Parnasse, ou la Folie de Melpomène, comédie critique de la tragédie de Zaire von Abbé Augustin Nadal (1732); Les Enfants trouvés ou le Sultan poli par l’amour von Dominique, Jean-Antoine Romagnesi und Antoine-François Riccoboni (1732); Caquire, Parodie de Zaire par M. de Vessaire (Pseudonym für Charles-Jean de Combles oder Benoît-Michel/François-Isaac-Hyacinthe Decomberousse). 69 Hypermnestre, Trauerspiel von Antoine-Marin Lemierre. 70 Les deux Chasseurs et la Laitière, Comédie en un acte melée d’ariettes, Text von Louis Anseaume, Musik von Egidio Romualdo Duni. In der deutschen Übersetzung: Die Jäger und das Milchmädchen, auch Die Jäger und die Milchhöckerinn; Das Mädchen und die beyden Jäger, Das Milchmädchen und die beiden Jäger. 71 Le Glorieux, Lustspiel von Philippe Néricault Destouches; in der deutschen Übersetzung: Der Ruhmredige.
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Achtes Kapitel Viel Wahrheit Der Herr Verfasser weiß, das man von jeden Künstler durch die Werke, die er nachläßt, noch nach Jahrtausenden urtheilen kann [15r/43] – aber nicht von dem Schauspieler, der mit dem Augenblick, wan er aufhört zu spielen, auch aufhört Künstler zu seyn. – Man lese die Stelle seines Briefs an mich – bitte ich! – noch einmal. – Eben weil man das weiß, so dächte ich, um so vorsichtiger müßte ein Sammler seyn, der historischen Bericht von einen Schauspieler geben will. – Schon habe ich mich erklärt, was man vom Lobe wie vom Tadel urtheilen kann, auf die ist sich so wenig zu verlaßen wie auf mündlichen Bericht, und wenn es die unparteyischte Person ist. – Auch hier kommt es auf Kenntniß, auf Gefühl an. Dem einen gefällt eine Sache, die den andern unerträglich scheint. Daß habe ich in nichts mehr gefunden als bei der Beurtheilung über Schauspieler. Wenn ein Schauspieler weiß, was er sagt, richtig accentuirt, das ganze Stük kennt, seinen Karakter, ja sogar das Temparament der vorstellenden Rolle studirt hat; nicht übertreibt, der Natur getreu bleibt, dann ist er Schauspieler. Mag er kleine Fehler haben, o, die übersieht man leicht. Meine größte Kunst im Spiel war die, daß ich mich zu verfielfältigen verstand. Nicht das man sagen konnte: Wer sie ein- oder ein paarmal sah, hat sie auf immer gesehen. – Gewiß, ich wünschte den Ehren-Mann zu kennen, der mir „Einförmigkeit in Aktion und Stimme nicht mit Unrecht vorwirft.“ – Alle, die [15v/44] mich hier spielen sahen, bin ich dreiste genug zu fragen: Ob ich in den Stücken: Die Nebenbuhler72, Frau v. Storrwald; Verbrechen aus Ehrsucht73, Madame Ruhberg; Badekur74, Altdorf; Irrthümer einer Nacht75, Frau Hardcastle; Mädchen im Eichdahl 76, Gräfin Silbersee77; Jeannette78, 72 Die Nebenbuhler, nach dem Lustspiel The Rivals von Richard Brinsley Sheridan bearbeitet von Johann Andreas Engelbrecht. 73 Verbrechen aus Ehrsucht, Familiengemälde von August Wilhelm Iffland. 74 Die Badekur, Lustspiel von Johann Friedrich Jünger. 75 Die Irrthümer einer Nacht oder Sie lässt sich herab um zu siegen, auch Irrtum in allen Ecken, Übersetzung des Lustspiels The Stoops to Conquer or The Mistakes of a Night von Oliver Goldsmith. 76 Das Mädchen im Eichthale oder Die Vatergrille, Übersetzung des Lustspiels The Maid of the Oaks von John Burgoyne, bearbeitet von Johann Christian Bock. 77 Benezé II, S. XXIX liest fälschlich Silbroser. 78 Jeanette oder Nanine, Übersetzung des Lustspiels Nanine ou le préjugé vaincu von Voltaire von Friedrich Wilhelm Gotter.
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Baronin; Emilia Galotti79 Claudia; Dankbare Sohn80, Rachel; Clavigo81, Sophie; – ob ich nur in diesen neun so verschiedenen Rollen einförmig in Aktion und Stimme war? – Nach dem Beyfall, den man mir in jeder von diesen Rollen hier schenkte, konnte ich warlich! nicht merken, das mein Spiel geältert hat – und brachte mich auch nicht zu dem Entschluß, denn vernünftigen Gedanken zu faßen, vom Theater abzugehn. Nein gewiß, für alle die Schauspielerinnen, die ich kannte – und noch kenne, durfte ich mich nicht verkriechen, ich könnte immer noch neben ihnen spielen, ohne mich zu fürchten. Wehe den Menschen, der gleichgiltig bleibt, wenn man ihn erniedriget! Der ist entweder durch gehäuftes Unglück ganz niedergedrückt, daß er nichts mehr fühlt; oder er gehört zu denn Seelen, denen es einerley ist, man mag sie loben oder tadeln. Wird einen Schauspieler in einen gedrukten Werke Vorwürfe gemacht, und er ist noch bei dem Theater, so kann er [16r/45] durch sein Spiel wiederlegen, nicht so, wenn man abgegangen. Und ist man nicht still, hat man Muth, auch als Weib Muth, einen gelehrten Herrn auch gedrukt zu sagen, daß er Unrecht gehabt – ja dann heist es:„Zwar hätten wir von Ihnen als einen Frauenzimmer von Lebensart einen anständigern und das ehemalige Metier weniger verrathenden Ton erwarten können“, etc. etc. und was dergleichen Sentenzen mehr sind – dan ist man grob. Da man mich nun einmal – gegen meinen Willen so weit gebracht hat, daß ich die Feder zu meiner Rechtfertigung ergreiffen müßen, so will ich solche nicht eher weglegen, bis ich in diesen Blättern eine Schilderung geliefert über meine theatralsche Laufbahn. Neuntes Kapitel Mein erstes Theaterleben Als Kinder, wie mein Bruder82 und ich noch nicht deutlich sprechen konnten, wurden wir in Wien auf den Kaiserlichen Hoftheater sowol in der Comödie wie in den italienschen Opern zu denen Kinderrollen, die stumm erschienen, abwechselnd mit andern Kindern vom Theater – (weil die Eltern dafür extra bezahlt wurden) – gebraucht. Unsere ersten Rollen, die wir spielten, war in dem Stück Esop in der Stadt83, die zwey Kinder, 79 80 81 82 83
Emilia Galotti, Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing. Der dankbare Sohn, Lustspiel von Johann Jakob Engel. Clavigo, Trauerspiel von Johann Wolfgang von Goethe. Karl Schulze (1740–1801), Tänzer, Schauspieler und Ballettmeister. Aesop in der Stadt, Übersetzung des Stücks Les Fables d’Ésope ou Ésope à la ville von Edmé Boursault, hier offensichtlich in einer Bearbeitung von Johann Wilhelm Mayberg aufgeführt. – Eine Aufführung
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die sich um den Spiegel zanken. Herr Mayberg84 hatte das Stük bearbeitet fürs Kaiserliche Theater. – In welchen Jahr, weiß ich nicht. Nur dieses weiß ich: Daß ge[16v/46] gen das Ende des Stücks ein schrekliches Donnerwetter kam, und als wir eben nach Hause gefahren und in unsern Zimmer waren, das Gewitter in die St. Anna-Kirche schlug und solche in die Asche legte85. Wir spielten nachher noch einige Rollen und reisten im Jahr 1749 in der Fasten mit unsern Eltern86 nach München zu dem Churfürstlichen Hoftheater. Schon zu Anfang dieser Blätter habe ich gesagt, daß meine Eltern viel Unglück hatten, von vielen um ansehnliche Summen gekommen und daß man sie sowol mit als ohne Vorsaz betrogen. Meine Eltern hatten schon vieles von ihren Sachen an Werth zugesezt, die sie, wenn sie keine Gage bekommen, verkauft hatten, um ihre Schulden, die sie hatten, bezahlen zu können. Mein Vater, um sowol sich wie den Direkteur zum Nutzen, hatte uns in zwey Stücken erste Rollen einstudirt. Das eine Stück war: Das gelehrte Kind 87 (eine wahre Familie[n]geschichte, die sich vor Jahren wirklich in Lübeck zugetragen, hatte er bearbeitet88). Das zweyte, im Trauerspiel Cid 89, die Rollen des Rodrichs und der Chimene. Sicher konnte die Direction rechnen, daß, wenn die zwey Stüke gegeben wurden, das Haus voll war. Da wir also auch in denen Ballets und Pantomimen immer mit dabey seyn mußten und nichts dafür bekamen; ja, für alle
84 85 86 87 88
89
für Juni 1747 ist bei Zechmeister, Wiener Theater, im chronologischen Verzeichnis der 1747 bis 1776 an den Wiener Theatern nächst der Burg und nächst dem Kärntnerthor aufgeführten Stücke nicht enthalten. Johann Wilhelm Mayberg (1714–1761), Schauspieler und Textautor. Am 25. Juni 1747 brannten nach einem Blitzeinschlag der Turm und das Dach der Wiener St. Annakirche ab. Augustina (1708/12–1766) und Christian Schulze (1693–1757) waren nach einer Intrige in Wien entlassen worden und hatten bei Johann Schulz in München ein neues Engagement erhalten; s. HHS, S. [17]–[22]. Das gelehrte Kind, Stück von Christian Schulze. Gemeint ist das sogenannte Lübecker Wunderkind Christian Heinrich Heineken (* 6. Febr. 1721 Lübeck, † 27. Juni 1725 Lübeck). Heineken soll schon zweijährig Latein und Französisch beherrscht und mit drei Jahren eine Geschichte Dänemarks verfasst haben. Gestorben ist er an den Folgen der damals noch nicht erkannten Zöliakie. Die Lebensgeschichte dieses Wunderkindes, das dem Publikum in Lübeck und auf Reisen vorgeführt wurde, ist in zeitgenössischen Darstellungen überliefert, zuerst bei Christian von Schönaich, Merkwürdiges Ehren-Gedächtniß von dem Christlöblichen Leben und Tode des weyland klugen und gelehrten Lübeckischen Kindes, Christian Henrich Heineken […] von der Wahrheit beflissenen Feder, seines […] gewesenen treuen Lehrers und Beförderers, unpartheyisch entworfen […], Hamburg 1726. Lit.: Klaus J. Hennig, Ein Kind zum Anbeten, in: Die Zeit 52/1999 v. 22. Dezember 1999 (siehe auch: ZEIT ONLINE: Die Zeit Archiv, Jahrgang 1999, Ausgabe 52). Der Cid, Übersetzung des Trauerspiels Le Cid von Pierre Corneille von Gottfried Lange.
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Arbeit nicht einmal richtige Gage: so that [17r/47] mein Vater den Vorschlag: mich die Abschiedsrede90 halten zu laßen. Damals war es im Gebrauch, das die Abschiedsgedichte von dem, der sie gesagt, im Schauspielhaus ausgetheilt wurden. Der Prinzipal war es gern zufrieden, und so weiß ich noch sehr gut, daß, wenn ich das lezte Wort gesagt, man nicht wartete, bis ich ins Parter91 kam, sondern man hob mich vom Theater herrunter. Die Damen hatten mich auf den Schooß, die Herren nahmen meine Abschiedsrede, theilten solche aus und brachten mir in den Hüthen das Geld. – Ich glaube, daß die jetzt noch gebräuchlichen Benefic-Comödien92 ihren Ursprung daher haben. – Damals waren Benefic-Comödien nicht in der Mode. Auch wurde keine Abschiedsrede gehalten, es wurde auf den Comödienzettel93 gemeldet. Nun wußte das Publikum allemal zum voraus, daß sie gedrukt ausgetheilt würde. Wer sich allso nicht in Contribution setzen94 wollte, mehr zu zahlen als sein gewöhnliches Legegeld95, nun, der blieb zu Hause. – Doch kann ich zur Steuer der Wahrheit sagen: Daß ich nie gehört, daß einer deswegen weggeblieben, wenn er anders hineingehen wollte und konnte. Ich mochte nun die Rede sagen oder ein anderer. – Durch diesen Bericht erklär ich nun die Worte, wo ich im Theater-Kalender sagte: „Schon von meinen 6ten Jahr an half ich meinen guten Eltern das Brod mitverdienen.“96 [17v/48] Von dem Jahr 1755 in Braunschweig bei Nicolini97, als er eine deutsche Schauspielergesellschaft von Prag kommen lies, hatte mein Bruder und ich schon wöchendliche Gage. 90 Theaterreden boten im 18. Jahrhundert die Möglichkeit, zwischen Schauspielern und Publikum eine enge Verbindung herzustellen. Die Anlässe für solche Reden waren vielfältig: Neue Ensemblemitglieder stellten sich vor, sie verabschiedeten sich beim Weggang von einer Truppe. Reden gab es zur Eröffnung und, wie hier geschildert, zum Ende der Spielzeit. Diese Theaterreden waren ein eigenständiges Aufführungselement und wurden dem Publikum auf den Theaterzetteln angekündigt. Lit.: Hermann Korte, Das Mannheimer Theaterpublikum im 18. Jahrhundert, in: Thomas Wortmann (Hg.), Mannheimer Anfänge. Beiträge zu den Gründungsjahren des Nationaltheaters Mannheim 1777–1820, Göttingen 2017, S. 75–113, hier S. 90–99. 91 Parterre. Zur Raumaufteilung der Theater im 18. Jahrhundert s. HHS, Anm. 586. 92 Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wurden vielfach Benefizvorstellungen gegeben, womit die Gage der Schauspieler aufgebessert werden konnte; Maurer-Schmoock, Theater, S. 116. 93 Komödien- bzw. Theaterzettel wurden bereits seit dem 17. Jahrhundert verteilt. Sie waren auch ein beliebtes Sammlungsobjekt; s. HHS, Anm. 202. 94 Jemand in Kontribution setzen bedeutet, jemand einen (finanziellen) Beitrag zur Unterstützung einer Sache abzuverlangen, in diesem Falle also bei einer Benefizvorstellung Spenden für die Schauspieler zu geben. 95 Eintrittsgeld. 96 S. WHS, Vorbemerkung, TKR 1793, S. 298. 97 Filippo/Philipp Nicolini († nach 1773), Prinzipal, Ballettmeister und Pantomime. In der HHS berichtet Karoline Kummerfeld, Nicolini habe Anton Qua(r)tal, der in Prag den Hanswurst spielte, angeschrieben
Erstes Buch, 10. Kapitel | 623
Zehntes Kapitel*III Fortsetzung Im Jahr 1757 den 10. Juni, in Freyberg bei Dreßden, starb mein Vater!! – Er war geboren den 8. November 169398. – Daß war der grosse Zeitpunkt, der mich lehrte, im Unglük nicht zu zweifeln an Hülfe von den Allmächtigen. – Hier war’s, wo mir ein Kästchen zum Preservatif bestimmt wurde gegen Übermuth99. – Hier war’s, wo der Grund in mir gelegt wurde, daß ich mir in meinen Handlungen so gleich blieb; daß mich kein Wohlstand blendete, meine Nebenmenschen geringer anzusehen wie mich; – daß mich nach der Zeit lehrte: im Unglük mich nicht tiefer zu bücken wie im Glük. Mein Vater hatte kurz vor seinen Tod an Herrn Döbbelin100 geschrieben um Engagement. – Aber er lebte nicht mehr, da die Antwort mit dem Wechsel den 11. Juni kam. – Meine Mutter reiste mit uns zu Herrn Döbbelin nach Erfurt. Freyberg, kann ich sagen, war auch meiner Mutter Grab. Eine schwere hizige Krankheit – der Tod ihres Gatten hatte ihr Gedächtniß geschwächt – alle Lust und Eiffer für ihr Spiel ins Grab versenkt. – Ihr Glück waren ihre Kinder, und umso fleißi[18r/49] ger waren wir, damit uns Herr Döbbelin keine Vorwürffe machen konnte. Ich muß es Herrn Dobbelin zum Ruhm nachsagen, daß er es verstand, junge aufkeimende Talente nicht zu unterdrüken – ohngeachtet er eine sehr hübsche junge Frau101 hatte. – Im
und ihn aufgefordert, mit einer Gesellschaft in Braunschweig zu spielen. Dieser habe daraufhin eine Truppe zusammengestellt, zu der auch Christian Schulze, seine Frau und seine beiden Kinder, Karl und Karoline, gehörten; HHS, S. [95]–[96]. 98 Christian Schulze wurde am 6. November 1693 in Frankfurt an der Oder getauft ; s. HHS, Anm. 2. Sein Tod am 10. Juni 1757 ist im Totenbuch der St. Petrikirche zu Freiberg bezeugt (S. 171, Nr. 122). Krankheit, Tod und Beerdigung des Vaters werden ausführlich geschildert in HHS, S. [141]–[167]. 99 Gemeint ist im übertragenen Sinne ein Kästchen, das sie vor Übermut beschützte. Das Bild von einem Kästchen für Übermut verwendet Kummerfeld erstmals in der HHS, S. [147]: Sie musste in Freiberg, als ihr Vater im Sterben lag, Perlen aus einem schwarzlackierten Kästchen verkaufen, das sie später „in glücklicheren Zeiten“ als ihr „Kästgen für Stolz und Übermuth“ bezeichnet hat. Nennung des Kästchens auch in HHS, S. [620]. 100 Carl Theophil Doebbelin (1727–1793), Schauspieler und Prinzipal. Doebbelin hatte 1756 in Erfurt eine Gesellschaft gegründet, mit der er wenig später nach Weimar ging, wo er bald in Ungnade fiel. Die Schauspieler seiner Truppe durften in Weimar bleiben. 1757 gründete Doebbelin daraufhin eine neue Gesellschaft, zu der neben Karl und Karoline Schulze und ihrer Mutter auch Johann Gottlieb Schubert(h) (1717–1772) und Wilhelmine Steinbrecher geb. Spiegelberg (1701–nach 1772) gehörten. Er spielte 1757 in Weimar, Erfurt und Köln, nachdem er in Mainz und Koblenz abgelehnt worden war. 101 Maximiliane Christiane Doebbelin geb. Schulz (?–1759) , Schauspielerin.
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Gegentheil, durch Lob, durch hübsche Rollen munterte er auf; und fehlte102 man, so war sein Tadel bescheiden, kein spizfindiges Hohngelächter. Er freute sich selbst, wenn man es gut machte und Beifall hatte; und hatte keinen Familienneid. – Auch seine Gattin nicht, welche eine liebenswürdige Frau war und nur 20 Jahre zählte. Sie wär gewiß eine der ersten Schauspielerinnen geworden, wenn Gott sie nicht in ihrem 23. Jahre nach langen geduldigen Leiden zu sich genommen. Uber zwey Jahre hatte sie wenige gesunde Stunden. Man wußte bei Dobbelin gar nicht, was Neid war. Jeder bekam gute Rollen; jeder wußte, das alle zum Ganzen gehören. Auch mein Bruder würde durch die Aufmunterung, die er durch Herrn Dobbelin hatte, ebenso ein guter Schauspieler geworden seyn, wie er durch seinen Fleiß ein guter Tänzer wurde. Schade, das Herr Dobbelin nicht mehr Glük hatte. Er verlies uns in Cöllnn gleich nach Ostern im Jahr 1758103 und lies uns alle in der traurigsten Lage. ______________ * Note zum 10ten Kapitel: Sollte dieses Buch einer zweyte[n] Auflage gewürdiget werden – man verzeihe mir die stolze Einbildung! – so werde ich diesen für mich unvergesslichen Zeitpunkt ganz berichten. Elftes Kapitel Sie waren sich die Nächsten Mein Bruder schrieb an drey Directeurs, nehmlich: an Herrn [18v/50] Koch104, Herrn Ackermann und Herrn Schuch105. – Der, der uns das erste Engagement gab, zu den wolten wir gehen. Von Herrn Koch kam das erste, und zwar schon in den ersten Tagen des Juni – aber Herr Koch war so treuherzig zu glauben: Alle Menschen sind so rechtschaffen wie er, und begieng den Fehler, diesen Brief an uns in gewißer Leute ihren Brief mit einzulegen: denen er schrieb: er könnte sie nicht engagiren wegen den grossen Vorschuß. Die Einlage sollten sie an uns geben. – Diese Einlage enthielte Engagement und die Frage: Wieviel Vorschuß? und Reisegeld wir brauchten? – Diese gewißen 102 Etwas Unrechtes tun, etwas falsch machen. 103 Ostern war 1758 am 26. März. – Wenige Tage vor seiner Abreise, am 19. März 1758, wurde Doebbelins erste Tochter Caroline Maximiliane (1758–1818) in Köln geboren. Über die prekäre Lage, in die Familie Schulze, insbesondere Karoline, nach dem Weggang von Doebbelin geriet, berichtet sie ausführlich in HHS, S. [177]–[187]. 104 Heinrich Gottfried Koch (1705–1775), Schauspieler und Theaterprinzipal. 105 Franz Schuch d. Ä. (1716–1763/64), Schauspieler und Prinzipal. – Schuch d. Ä. spielte 1758 in Berlin und Breslau, Koch von 1758 bis 1764 in Hamburg, Ackermann war in der Schweiz; s. HHS, Anm. 336–338.
Erstes Buch, 12. Kapitel | 625
Leute aber gaben uns den Brief nicht: fanden einen Freund in Cöllnn, der ihnen GeldIV borgte, und so reisten sie auf Gerathewol zu Herrn Koch. – Dieses saubere Stückgen erfur ich erst 1776, wie ich meinen Bruder in Leipzig besuchte106, von einen vertrauten Freund des guten Kochs. – Da diese Leute zu derselben Zeit bei Herrn Koch waren, wie wir uns bei ihm 1767 engagirten, blieb es ein Geheimniß, um die Leute bei mir nicht herunterzusetzen. Zwölftes Kapitel Unsere Ankunft bey der Ackermannischen Direction Endlich im July-Monat kam ein Engagementbrief nebst Wechsel von Herrn Ackermann aus der Schweiz und [19r/51] in wenigen Tagen darauf ein Brief von Herrn Schuch. Leztern schrieben wir es nun ab. Wir konnten nach unsern Wunsch nicht sogleich abreisen, weil wir Order hatten: bis Maynz zu Wasser zu gehen, und der Rhein wegen den langen eingefallenen Regenwetter nicht gegen den Strohm zu fahren war. – Endlich gieng es den 10ten August zu Schiffe fort, und den 26. August 1758 kamen wir bei Herrn Ackermann in Zurzach an. Es wurde den selben Tag das erste Mal gespielt und Der Geitzige107 gegeben. Tags darauf reisete Herr Ackermann in Theaterangelegenheiten fort, und Madame Ackermann108 führte die Direction allein. Ich mußte ihr alle meine Rollen bringen, die ich hatte. Sie sah sie durch und fand unter solchen auch die Iphigenia in demTrauerspiel desselben Namens109. Madame Ackermann: „Haben Sie diese Rolle schon gespielt? Ich: „Nein! Sie war mir zugetheilt bei Herrn Schuch, wie wir 1756 bei ihm waren mit unsern Eltern in Pozdam. – Auch bei Herrn Dobbelin nicht. – Für mein Vergnügen und daß ich auf der weiten Reise hieher was zu thun hatte, habe ich daran studirt und zwey Acte auswendig gelernt.“ [19v/52]
106 Zu ihrem Besuch in Leipzig vom 13. April bis 15. Mai 1776 s. u. WHS, 2. Buch, Kap. 15, S. [176v/358]– [181r/367] und den Brief Karoline Kummerfelds an Julie Friederike Henriette Clodius vom 10. Juni 1776 in Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. 107 Der Geizige, Übersetzung der Komödie L’Avare von Molière. Das Stück wurde am 26. August 1758 in Zurzach zusammen mit Der hellsehende Blinde von Marc-Antoine Le Grand und einem Pandurenballett aufgeführt; Eichhorn, Ackermann, S. 230. 108 Sophie Charlotte Ackermann (1714–1792), Schauspielerin und Prinzipalin. 109 Iphigenie, Trauerspiel von Jean Baptiste Racine, übersetzt von Johann Christoph Gottsched.
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Madame Ackermann: „Nun Kind! So lernen Sie die andern zwey Acte dazu. Mit der Rolle sollen Sie anfangen.“ Ich: „Ach, Madame Ackermann! Ich möchte lieber mit der Chimene110 anfangen. – Eine Rolle die ich schon oft gespielt; – und auch bei Herrn Dobbelin.“ Madame Ackermann: „Kind! Das geht nicht! Ich kann hier keine andern Stücke geben, als wovon die Zettel111 schon gedruckt sind. Hier ist keine Buchdruckerey.“ Ich: „Aber Madame! Wenn die Zettel schon gedruckt sind, so haben Sie ja schon eine bei der Gesellschaft, die die Rolle spielt? – und daß könnte mir Feindschaft machen. Lieber wollte ich Sie bitten um die Chimene! Daß ist Ihre Rolle, weiß ich. Daß hat mir Madame Vintzingerin112 in Cöllnn gesagt. Und die Sie mir von den Ihrigen geben, dazu darf man nichts sagen.“ Madame Ackermann: „Die Iphigenia spielt bei mir Madame Antusch113, und sie hat mich lange gebeten, ihr die Rolle abzunehmen, den sie spielt nicht gern im Trauerspiel. – Sie dürfen es aber ja nicht sagen, daß Sie die Rolle noch [20r/53] nicht gespielt haben.“ Ich wackelte auf meinen Stuhl hin und her, und das Weinen war mir sehr nahe. – „Aber Madame Ackermann! Probe werden wir doch daran haben?“ Madame Ackermann: „Mit der Probe ist es so – Kind! Wenn Sie Probe haben wollen, so glaubt man’s nicht, daß Sie die Rolle schon gemacht?“ (Daß wollte ich eben, das sie’s alle bei der Probe merken sollten, daß ich sie nie gespielt) „Liebe Madame Ackermann! Ich kenne das Stük gar nicht! Wenn meine Rolle nicht richtig geschrieben wär? – Sie werden doch so gütig seyn und mir das Stük zum Durchlesen geben?“ Madame Ackermann: „Ja, das sollen Sie haben.“ Madame Ackermann überhörte mich, was ich von den zwey Acten auswendig wußte; war so ziemlich zufrieden und sagte: „Es wird schon gehen, Kind! Lernen Sie nur bald die andern zwey Acte.“ Ich kam nach Hause und weinte bitterlich. Meine Mutter trößtete mich, so gut sie konnte, und sagte: „Wenn du nur das Stück zum Lesen bekömmst? Bist ja nicht fremd auf dem Theater. Wirst dir wohl helfen.“ [20v/54] Ich: „Aber wenn ich mich schlage? – Wenn ich falle?“114 110 Die Chimene ist eine Rolle in Der Cid, einer Übersetzung des Trauerspiels Le Cid von Pierre Corneille. 111 Theaterzettel. 112 Madame Finsinger, Schauspielerin und Tänzerin. Sie und ihr Mann, der bei Ackermann Ballettmeister war, haben die Ackermannsche Truppe 1758 bzw. 1759 verlassen; Valentin, Théâtre, S. 475: Auszug aus der Straßburger Wochenschrift „Der Sammler“ vom 28. März 1761. 113 Madame Antusch, Schauspielerin und Tänzerin. Sie trat während der Schweizerreise unter Joseph Curioni als Tänzerin auf; HHS, Anm. 369. 114 Gemeint ist: Wenn sie durchfällt, wenn sie Misserfolg hat.
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Mutter: „Nun, so spielst du einst eine von deinen alten Rollen, und da stehst du wieder auf.“ Meine Rolle hatte ich auswendig gelernt, daß war alles – das Stück bekam ich nicht. Madame Ackermann sagte: Ich sollte es mir von der Mademoiselle Klara115 geben laßen – (so hies die Souflöse) – und die sagte: – „Mamsel Schultze, ich gebe kein Stück aus den Händen. Madamchen muß es befehlen.“ – Kurz, ich bekam kein Buch und war zu furchtsam, die Mamsell Klara zu verklagen, den ich hatte es mehr wie einmal gesagt. – Sowohl Madam Ackermann wie der Mamsel Klara – die eine sagte: „Laßen Sie es sich geben“ – und die andere wollte den Befehl selbst hören – und immer, wenn ich kam, war Mamsell weg, etc. etc. – Als ich wegen der Probe ein Wörtchen quer einwarf, hatte der Achillspieler einen schrecklichen Rachen116. – „Probe eines alten Stücks wegen? Hier, wo wir 8 Mal in 7 Tagen spielen.“ – Und ich Schaaf mußte stillschweigen, durfte nicht sagen: daß es für mich das Neueste von allen Neuen wär?? Kurz, ich mußte ohne Probe, ohne das Stück gelesen zu [21r/55] haben, spielen117. – Ich paßte auf wie ein Spürhund: ob ich auch recht stand und dergleichen. – Im 4ten Act hatte ich eher wegzugehen als mit der Königinn, wie in meiner Rolle stand. Da erhielte ich einen Wink von der Königinn mit den Augen. – „Geh fort!“ – – Und aus dem Soufleurloch kam der lange Finger der Klara, die gleichfals winkte, daß ich gehen soll, wie ich schon auf den Weg war. – Über das leztere konnte ich bei allen meinen Jammer doch das Lachen nicht laßen – den für mich war das Schimpf, mir unter dem Spiel sagen zu laßen, wenn ich weggehn müßte. – So was wußte ich, wie ich 6 Jahr alt war. Man gratulirte mir ganz theatralisch – zum Anfang. – Ich nahm’s an, wie ich’s nehmen mußte. – Denn wie sie allein waren, machten sie sich über mich von Herzen lustig – hab’s nach der Zeit gar schriftlich gesehen – wie man sich lustig gemacht. – Erstaunt wären sie – (so sagten sie mir nach der Zeit, wie ich mit der Gesellschaft bekandter worden) – wie ich die erste Scene mit dem König gespielt – aber nachher wär ich daß nicht mehr geblieben. – Ganz natürlich? Die [21v/56] Angst war zu groß! Ich dachte immer: Nun fehlst du – nun kannst du fehlen. – – Der Achil hatte was von wechwenden zu mir zu sagen – und ich wendete mich wech, nachdem er’s gesagt hat. Er gab mir zwar auch einen Wink mit den Augen – aber wie konnte ich wissen: was er mir
115 Klara Hoffmann († 1776), die Souffleuse der Ackermannschen Truppe; s. HHS, Anm. 371, 372 u. 422. 116 Lauthals tadeln. 117 Die Iphigenie von Jean Baptiste Racine, übersetzt von Johann Christoph Gottsched, wurde in Zurzach am 31. August 1758 aufgeführt; Eichhorn, Ackermann, S. 230.
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zu sagen hatte? – Solch Zeuch kam die Menge zum Vorschein. Daß war mein sprechender Debüt – nun zum tanzenden. Dreyzehntes Kapitel Es geht nicht so wie mit der Iphigenia Herr Curioni118, der Italiener, war Balletmeister. Der Mann machte meinen Bruder viele Geschichtgens. Ihm wollte unser Tanzengagement gar nicht einleuchten. Die Tänzer, die da waren, hatten von ihm gelernt und tanzten damals nur, was er wollte. Mit meinen Bruder, so jung er war, gieng das nicht. – Wenn mein Bruder glaubte, er hätte es ihm recht verständlich gemacht, so sagte er: „Ick verstah Sie nit!“ V Mein Bruder: „Nun, so verstehn Sie mich einmal. Ich bin hier zum Ballet mit meiner Schwester engagirt, wie Sie mit Ihrer Frau119 in Prag bei Lokatelli120 engagirt waren. Schutti121 war Balletmeister, machte das Ballet; und Sie gaben ihre Music ins Orchester und tanzten nach Ihrer Music [22r/57] Ihr von Ihnen selbst geseztes Pas de deux mit Ihrer Frau.“ Herr Curioni: „A, so!“ Mein Bruder: „Ja. So!“ Den Tag darauf, als ich mich Iphigenisirt122 hatte, solten wir tanzen. Das Ballet war damals nur 6 Personen stark. Wir machten das vierte Paar. Wir hatten uns in Cöllnn, da wir doch nichts zu thun hatten und in der Übung bleiben wollten, ein komisches 118 Joseph Curioni aus Mailand, Ballettmeister. Bei Holtei, Bruchstücke (s. Kap. III.5.1), S. 202 ist das ganze 13. Kapitel zusammengefasst in dem Satz: „Curioni, der Balletmeister, sah es nicht gern, dass in meinem Bruder und mir, Tänzer auftraten, die ihm und seiner Frau einen Eintrag thun konnten.“ 119 Maria Curioni († 1759), Tänzerin. Maria Curioni war schon während der ersten Schweizerreise sehr krank und wurde öfter durch die sechsjährige Dorothea Ackermann ersetzt; Hulfeld, Zähmung, S. 525. Sie starb ein Jahr später, am 6. September 1759, wenige Tage nach dem Ende der Spielzeit in Zurzach (3. September 1759); s. HHS, Anm. 386 und 388. 120 Giovanni Battista Locatelli (1713–1790), Impresario und Librettist. Locatelli hatte von Herbst 1748 bis 1756 das Privileg erhalten, am Prager Kotzentheater italienische Opern und deutsche Komödien aufzuführen. Christian Schulze hatte dort 1754 die Direktion des Locatelli unterstellten deutschen Schauspiels übernommen und zusätzlich zu seiner Gage freien Unterricht im Ballett für seine Kinder erhalten. Als Locatelli das Prager Theater heimlich verließ, blieb er den Schulzes 200 Gulden schuldig; s. Holtei, Bruchstücke, S. 191 (s. Kap. III.5.1) und HHS, S. [93] und Anm. 223. 121 Vermutlich Franz Joseph Scotti (1713–1770), Tänzer und Choreograph. 122 Gemeint ist wohl: Am Tag nach ihrem Auftritt als Iphigenie, also am 1. September.
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Pas de deux einstudirt, mein Bruder als ein Kohlenbrenner. Anfänglich wolte der Balletmeister mittanzen und ein Concert und Final dazu machen. – Den lezten Morgen, wie Tanzprobe seyn solte, sagte er: „Ick hab kein Seit. Tans sick allein.“ VI – „Auch gut!“ sagte mein Bruder, lief nach Hause, holte eine paßende hübsche Sinfonie, und wir tanzten beyde den Abend allein mit vielen Beifall. Dieß war unser Anfang bei der Ackermannschen Gesellschaft. Vierzehntes Kapitel Meine Mutter hatte recht – im 12ten Kapitel Wir reiseten nach der Zurzacher Messe nach Baaden. Nur zweymal hatten wir in Baaden mitgetanzt – (in Zurzach kamen wir nicht weiter an die Reihe zum Tanzen), [22v/58] auch hatte ich in einen Schäferspiel123 mitgespielt. Madame Ackermann lachte herzlich und sagte: „Ist ein närrisches Mädchen! So drollig hab ich noch nie die Rolle spielen sehen.“ Sie lobte mich, wie das Stük aus war – und wie froh war ich! Gelobt von Madame Ackermann, deren Verdienste und Kentniße des Theaters so entscheidend gross waren. Ich war jung und gut und gerne lustig. Ein freundliches Gesicht, das man mir machte, gieng mir über alles. – Keine Ader von Neid, Mißgunst, Verfolgungsgeist lag in mir. Mein einziger Stolz war: nicht mit Sünden meine Gage zu nehmen, meinen Gehalt zu verdienen und nicht aus Barmherzigkeit Theaterbrod zu eßen. Zu Ende des Septembers kamen wir nach Basel, wo wir Herrn Ackermann schon fanden124; und von dieser Zeit geht es an, wo ich keinen Tag mehr frey war: Spielte ich gleich noch nicht in den meisten Stüken mit, so tanzte ich doch in allen Ballets. Meine erste Rolle in Basel war wieder in dem Schäfferspiel125. Und die zweyte? – Die so lange gewünschte Chimene126. Und wie gut ich mußte gespielt haben, konnte ich daraus [23r/59] absehen, weil die weiblichen und männlichen Schauspieler sagten: „Heute haben Sie sehr hübsch
123 Das Kätzgen, ein Schäferspiel von Johann Sigismund Scholze gen. Sperontes. Karoline Kummerfeld spielte hierin die Rolle der Margaris; HHS, S. [198]. 124 Am 20. September 1758 hatte Ackermann in Basel die Erlaubnis erhalten, vier Wochen im Ballenhaus zu spielen mit der Auflage, zwei Vorstellungen zugunsten der Armenkasse zu geben und abends nach 7 Uhr keine Veranstaltung mehr zu haben. Zwischen dem 27. September und 10. November 1758 fanden etwa 30 Aufführungen statt; Eichhorn, Ackermann, S. 50 und S. 220. 125 Am 27. September wurden in Basel aufgeführt: Sterbender Cato, Trauerspiel von Johann Christoph Gottsched, Das Kätzchen von Johann Sigismund Scholze gen. Sperontes und ein Schäferballett; Eichhorn, Ackermann, S. 230. 126 Der Cid, eine Übersetzung des Trauerspiels Le Cid von Pierre Corneille.
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gespielt – aber Sie haben auch schon unsern Ton angenommen.“ – – (Ist doch wirklich viel bey der zweyten Rolle) – dachte ich! – und machte ihnen eine stille Verbeugung. Mein Bruder bekam keine einzige gute Rolle. Briefträger, Soldatenanführer und Statisten war sein Fach. – Nun ward sein ganzer Fleiß auf die Tanzkunst gelegt. – Ich arbeitete mit ihm viele Stunden und hatte es nur meiner ausserordentlichen gesunden Natur zu verdanken, daß ich nicht die Schwindsucht bekam. Fünfzehntes Kapitel Bezieht sich auf meinen Bruder In Bärn127 gab mein Bruder das erste Ballet her: Die betrunkenen Bauern128. Curioni sezte Concert und Final. Das Ballet gefühl. Herr Ackermann sagte – (nach seiner gewöhnlichen Art, wenn er’s recht gut meinte) „Hast’s gut gemacht, Junge! Mach bald wieder eins.“ – So lieferte er manche neue Ballets, die gefielen und der Cassa auch Nutzen brachten. So bestrebte er sich, kein unnützes Mitglied bei dem Ganzen zu seyn. Jahre darauf, als grosse Verenderungen bei der Gesellschaft vorfielen, solte er auch spielen, be[23v/60]kam schöne Rollen – aber da war’s zu späth. Er lebte ganz fürs Ballet. Chevallirs129 und Dümmerlinge waren die einzigen Rollen, die er leidlich spielte. Gern gab er, sobald nur einer zur Gesellschaft kam, ernsthafte Rollen ab. – Diesen Zusammenhang der Dinge wußten nun freilich die Herren Kunstrichter nicht, wenn sie kritisirten. – Wenn ich nachdachte, daß er auch als Schauspieler beßer werden können; es mir wehthat, da ich die Ursach wußte – da sagte er: „Laß sie schreiben! Sie wissens nicht anders.“ Durch diese kurze Nachricht meinen Bruder betreffend will ich nur zeigen, wie schwer es ist: Schauspieler beurtheilen zu wollen und nicht in Ungerechtigkeit zu fallen. Wenn ein Schauspieler oder Schauspielerinn Anspruch auf alle gute Rollen macht, sie mögen lustig oder ernsthaft; jung, alt oder Mittelalter erfordern; ja, dann dächte ich, die Kritik 127 Ackermann hatte am 11. September die Genehmigung erhalten, in der Zeit des Martinimarktes in Bern zu spielen. Seine Vorstellungen zwischen dem 16. November und 17. Dezember 1758 waren so erfolgreich, dass er weitere Genehmigungen erhielt und bis zum 1. April 1759 in Bern bleiben konnte; Eichhorn, Ackermann, S. 50 f. und S. 221. 128 Die betrunkenen Bauern, auch Die besoffenen Bauern, Ballett von Karl Schulze. 129 Chevalier: Ritter.
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könnte nicht scharf genug seyn. Wenn aber die Schauspielerinn bescheiden war, keine Ansprüche auf Rollen gemacht, spielte, was ihr die Direction zugetheilt; so viel Fleiß auf eine kleine Rolle wandte wie auf eine große; alles [24r/61] untereinander spielen mußte: – Dann ist es boshaft, hämisch Anmerkungen über sie zu machen. Und wenn sie noch obendarein das Verdienst gehabt: – zwar nicht alle Rollen gleich gut zu spielen, – aber doch kein Stück durch ihr Spiel zu verderben – dann verräth man noch mehr wie Bosheit, wenn man ihre Verdienste nach Jahren so in Dunkelheit hüllt, daß die Welt, die sie nicht sah, glauben muß, daß alle die berühmten grossen Männer, die ihr Gerechtigkeit wiederfaren liesen, in Beurtheilung über ihr Spiel – Strohköpfe waren. – Durch diese Dunkelheit verstehe ich den Herrn Verfasser des Theater-Kalenders seine Anmerkung: Das Herr Schink den Zeitpunkt des guten Spiels – seines Wißens – zu weit hinausgesezt hätte. Sechzehntes Kapitel Wer that das vor? – wer nach Selten waren wir an einen Ort, wo nicht 5 Mal die Woche gespielt wurde. Ich war keinen Tag frey. Auch hatte der gute Gott über mich gewacht, daß ich nur ein Mal tödlich krank wurde. Es war auf einer Reise, die wir im Sommer 1761 von Freyburg in Brisgau nach Rastatt machten. Herr Ackermann bekam nicht die Erlaubniß, [24v/62] in Rastatt zu spielen, weil der Herr Margraf130 sehr krank war. Ackermann reiste nach Carlsruhe, wurde bei dem Herrn Margrafen131 engagirt, und die Gesellschaft folgte bald nach, nur ich mit meiner Mutter mußten zurückbleiben, weil ich noch zwischen Tod und Leben schwebte. – Hier kann ich nicht umhin, mich zwoer guten Frauen mit Dank zu erinnern, die bei der Gesellschaft waren: Madame Wolfram132 und Madame VII
130 Ludwig Georg Simpert von Baden (* 7. Juni 1702 Ettlingen, † 22. Okt. 1761 Rastatt), 1707 bis 1761 Markgraf von Baden-Baden. 131 Karl Friedrich von Baden (* 22. Nov. 1728 Karlsruhe, † 10. Juni 1811 Karlsruhe), 1738–1771 Markgraf von Baden-Durlach, 1771–1803 Markgraf von Baden, 1806 Großherzog von Baden. 132 Madame Wolfram (1739–um 1762), Schauspielerin und Sängerin, Tochter der Prinzipalin Anna Christina Ohl geb. Vogt (* um 1720 Königsberg) und des Johann Ohl, Ehefrau von Georg Friedrich Wolfram, seit 1756 als Madame Fleischmann bei Ackermann engagiert. Nach dem hier geschilderten Vorfall zog die Truppe nach Karlsruhe, wo Madame Wolfram während des mehrmonatigen Gastspiels wohl eine Affaire mit Markgraf Karl Friedrich von Baden-Durlach hatte, weshalb Ackermann das Ehepaar Wolfram im Februar 1762 entlassen hat. Kurze Zeit später starb sie. Lit.: Eichhorn, Ackermann, S. 32, 34, 66; Pies, Prinzipale, S. 269 f., 390; Benezé II, S. 193; Rudin, Wien – Berlin – Riga, S. 21–59, hier S. 43, 47 f.
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Garbrecht133. Sie sind beyde tod! Aber vergeßen kann ich’s nicht, daß sie meine Mutter bei den Nachtwachen ablößten, das die gute Mutter bey ihrer Sorge um mich nicht ganz erlag. – Große Freundschaft wars, den ich lag an der rothen Rur134 danieder – und danke noch Gott, das niemand von allen solche bekam und ich nur allein an der schmerzhaften Krankheit litt. – Eine Woche hatte die Gesellschaft ohne mich gespielt. Die Woche darauf holte uns mein Bruder ab. Wir kamen an einen Sontag an. Donnerstag darauf spielte ich wieder mit, und den Freytag tanzte ich wieder frisch darauf los. Nach der Zeit, so lange ich bei der Ackermannschen Gesellschaft war, wurde viermal der Vorhang aufgezogen, wo ich sagen konnte: Heute bin ich ganz frey!135 Diese [25r/63] vier Tage waren in Hamburg im Jahr 1765 den 31. Otober und den 11. November, 1766 den 2ten Aprill und den 10ten September. Gewiß! Da ist keine Schauspielerinn vor noch nach mir gewesen und kommt wieder, die daß sagen wird können. Und in diesen langen Jahren meinetwegen nie ein Stück einen Tag länger aufgeschoben; nie einen Zank um eine Rolle; nie einen Zank wegen einen Kleide gehabt; nie der Direction aufgesagt136 noch von derselben aufgesagt worden und nie Zulage der Gage verlangt; nie Vorschuß gehabt. Wie mancher Sommer vergieng, ich sah kein Bäumchen blühen, wir hätten den auf einer Reise seyn müßen. Wie mancher Winter, in welchen Maskenbälle gehalten wurden: – Ich kam auf keinen. – Ich war doch jung? – Aber nein! Mein Theater gieng mir über alles. – „Ich könnte krank werden, meine Schuldigkeit nicht thun.“ – So dachte ich. Meine Stunden, wenn nicht Theater, nicht Proben waren, brachte ich mit Handarbeit in meiner Wohnung zu. – Man gewann mich an jeden Ort lieb – meines Fleißes, meiner Unverdrossenheit wegen. Und wenn ich nicht gleich unverbeßerlich spielte, so verdarb ich nichts, und solche Leute sind einen [25v/64] Directeur viel werth, der sie im Nothfall überall hinstellen kann: Zu lustig und traurig, zu Kluge, zu Einfältige; zu der königlichen Prinzeß bis zum Bauernmädchen herab.
133 Madame Garbrecht, Schauspielerin. 134 Ausführlich zur Krankheit von Karoline Schulze und dem Aufenthalt in Rastatt in HHS, S. [219]– [232]. 135 Gemeint ist: Sie hat während ihrer Zeit bei der Ackermannschen Gesellschaft nur viermal nicht mitgespielt. 136 Kündigen.
Erstes Buch, 17. Kapitel | 633
Siebenzehntes Kapitel Anträge, unser Engagement zu verwechseln Doch ich wende mich wieder eines Vorfalls wegen nach Carlsruhe. Gegen Michaeli137 bekamen wir Engagements-Briefe von Herrn Koch, der damals in Hamburg war. Er verlangte uns, und ich gestehe es, wir hatten Ursache, uns von Ackermanns zu trennen. Aber ebenso aufrichtig gesteh ich es: das uns die Gage, die Herr Koch uns both, zu klein war. Wir hatten, da wir zu Ackermann kamen, nicht mehr wie 9 Gulden die Woche. Aus freyen Stüken, ohne es zu verlangen, hatte er uns 2 Gulden zugelegt. Nun both uns Herr Koch 6 Thaler, also 9 Gulden, und schrieb dabei: Auch seine ersten Schauspieler hätten nicht mehr als 6 Thaler, Mann und Frau. Herr Koch war der Mann nicht, der viel versprach. – Hätte Herr Koch zugleich mitgeschrieben: wie er die Singe-Rollen apart bezahlte, – und, wie ich nach der Zeit erfur: daß die mehr einbrachten wie 2 Gulden Gage die Woche mehr oder weniger – ja, dann glaube ich gewiß, wir wären nicht geblieben. – Zu der Zeit sang man nur Liederchen und keine Pravour-Arien138, [26r/65] und ich mußte ja auch oft mittrillern. – Kurz, mein Bruder schrieb an Herrn Koch im zweyten Brief: Er glaube es gern, das seine besten Schauspieler nicht mehr hätten; aber wenn man ihnen statt 9 Gulden 7 geben wollte? Ob sie wohl dieses Engagement dem seinigen vorzögen? – Auf diese Art wurde nichts daraus, und niemand erfur etwas davon. Da ich zu die Engagements komme, so muß ich doch auch der Seltenheit wegen eines erwehnen. Es war in Straßburg, da wir das erstemal da waren. Der französische Directeur, Monsieur Le Boef 139, gönnte mich der Ackermannschen Direction nicht. Er wußte, das wir damals 10 Gulden wöchendlich hatten. Er ließ uns Engagement bei seinen Theater antragen mit 8 große Thaler anfänglich wöchendlichen Gehalt. Wir solten in denen Ballets mittanzen. Mir wollte er auf seine Kosten einen französischen Sprachmeister halten, bis ich der Sprache kundig, dann sollte ich auch Schauspielerinn werden. Mademoisell Troeng140, die erste Actrize, sollte mich unterrichten. Auch war sie eine 137 Michaelis: 29. September. 138 Bravourarie. 139 Hier ist M. Villeneuve gemeint, der von 1756 bis 1782 das französische Theater in Straßburg leitete. Die erwähnten Straßburgaufenthalte beliefen sich auf den Zeitraum vom 26. Dez. 1759 bis zum 29. März 1760 und vom 28. Nov. bis zum 12. März 1761; Valentin, Théâtre, S. 459, 494. In der HHS nennt Karoline Kummerfeld den Direktor des französischen Theaters, der sie und ihren Bruder 1760/61 abwerben wollte, „Le Neuff“, auch hier meint sie Villeneuve; s. HHS, Anm. 420. 140 Damit könnte die Schauspielerin N. Drouin gemeint sein; Pantaléon Deck, Histoire du théâtre français à Strasbourg (1681–1830), Straßburg/Paris 1948, S. 214 f. Eine Tochter der Schauspieler Jacques
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vortrefliche Schauspielerinn, den wenn sie eine von ihren grossen Rollen spielte, so mußte Herr Ackermann ein Stück geben, wo Madame Henseln141 frey war, damit sie sie konnte [26v/66] spielen sehen. – Auch das zweyte Mal, da wir in Straßburg waren, lies er es uns wiederholt antragen: Ob wir uns nicht entschließen wollten? – Manches junge Mädchen hätte sich können blenden laßen: Aber ich war ein deutsches Mädchen. Wir reisten den 29. Jener142 1762 von Carlsruhe nach Maynz143, spielten auch einige Wochen in Frankfurt; kamen im August wieder nach Maynz zurük. Hier zog sich ein theatralsches Gewitter zusammen. Es dankte ab: Madame Hensel, die nach Rusland wollte, und noch 8 Personen, die wichtig zum Theil waren. Wer blieb noch? Herr Ackermann und seine Familie; Herr Dobbelin und seine Frau; Herr Garbrecht und Frau144; Herr Mylius – ein guter Schauspieler, der aber so gut wie tod war (den er hatte die Auszehrung145), mein Bruder, ich. – Und der Balletmeister mit seiner Frau, die zwote, die er geheurathet146. – Und zuderselben Zeit bekamen wir folgendes aus Wien zugeschickt. Nota:147 Die Frau Augustina Schultzin, deutsche Actrize von dem Theater Herrn Ackermann betreffend, deßen Trouppe vor kurzen zu Frankfurt gewesen und vielleicht noch daselbst oder zu Maynz befündlich ist. [27r/67] Die Kaiserliche Theatral-Direction wünschet Drouin und Michelle Sallé spielte in Straßburg Theater. Sie war mit dem Komödianten Clerval verheiratet; Jean-Jacques Olivier, Pierre-Louis Dubus-Préville de la Comédie-Française (1721–1799), Paris 1913, S. 105 f., Anm. 4. 141 Friederike Sophie Hensel (1737–1789/90), Schauspielerin. 142 Jänner: Januar. 143 Zum Aufenthalt in Mainz und Frankfurt, der bis zum Ende des Siebenjährigen Krieges dauerte, s. HHS , S. [240]–[241]. – Am 7. Juni wurde in Mainz Crispin als Arzt aufgeführt, die Übersetzung der Komödie Crispin médecin von Noël Lebreton Sieur de Hauteroche. Darüber berichtet Christian Heinrich Schmid in seiner Chronologie des deutschen Theaters, [Leipzig] 1775, S. 203 f.: In Mainz hatte Ackermann „so viel Frauenzimmer in seiner Gesellschaft, daß ihm jemand den Einfall an die Hand gab, einmal zum Scherz eine Komödie mit lauter Frauenzimmern zu besetzen. Er wählte dazu den Krispin als Arzt, und Demoisell Schulzinn machte darinnen den Krispin“; s. a. Meyer, Schröder I, S. 109. 144 Friedrich Garbrecht und seine Frau, beide Schauspieler. 145 Karl Mylius († 1763), Schauspieler und Tänzer. Er starb am 12. November 1763 in Braunschweig an Lungenschwindsucht. 146 Joseph Curioni und seine zweite Ehefrau, eine angesehene Schauspielerin. 147 Die „Nota“ und die anschließende Passage (mit Ausnahme der letzten beiden Abschnitte dieses Kapitels) sind, von kleineren, vor allem orthographischen Abweichungen abgesehen, identisch mit dem entsprechenden Text der HHS, S. [241]–[245].
Erstes Buch, 17. Kapitel | 635
der Frau Augustina Schultzin ihre Jungfer Tochter, Carolina, und ihren Herrn Sohn, Carl, in Wien zu sehen; da man aber die Kinder ohne der Mutter nicht haben kann: so muß man diese zugleich versorgen. Man wird also gedachte Frau Augustina ingeheim berufen laßen und sie cattogorisch148 befragen: ob sie belieben trägt, sich und ihre beyden Kinder für das nächste Theatral-Jahr 1763 auf das deutsche privilegirte Theater zu Wien zu engagiren. Die Theatraldirection biethet diesen drey Personen zusammen wöchendlich 24 Gulden Gage an. Die Bezahlung dieser Gage wird in der ersten Fastenwoche 1763 anheben und bis zum Ende der Fastnacht 1764 gehen. Fasten und Advent werden wie die Agir-Zeit149 durchaus gleich bezahlt. Für diese Zahlung accordieren sich Mutter und Tochter zum Agiren. Die Tochter zugleich zum Singen und der Sohn zum Agiren und Tanzen. NB: Solte die Mutter nicht mehr agiren und die Tochter nicht singen können, so gilt es gleich, und die angebothene Gage [27v/68] der 24 Gulden bleibt alsden für das Agiren der Tochter und für das Agiren und Tanzen des Sohnes stipulirt150. Die Frau Schultzin wird verpflichtet seyn, nebst ihren beyden Kindern gleich mit Anfang der Fasten 1763151 von dem Orte ihres Aufendhaltes aufzubrechen und längstens zu Mitterfasten152 in Wien eintreffen zu können. Dagegen wird die Theatraldirection zu Wien diese Reisekosten für diese drey Personen von Maynz oder Frankfurt aus bis Wien vergüten; auch, wenn es nöthig, durch den Herrn Correspondenten einen Vorschuß assig[n]ieren153, um diese Reisekosten betreiben zu können. NB: Doch wird dieser Vorschuß eher nicht als bey der würklichen Abreise nacher Wien bezahlet. Wenn der Frau Schultzin diese angebothene Bedingungen anständig sind, wie man nicht zweifelt; wird selbe nebst beyden Kindern diese Nota sogleich unterschreiben und diese sodan vorläufig die Gültigkeit eines förmlichen Contractes erlangen. NB: Solte es mehrgedachter Frau Schultzin bedenklich fallen, eines einzigen Jahrs wegen die jezige Ackermannische Trouppe und das Engagement bey derselben zu verlaßen? so [28r/69] kann zu Vermeidung aller Weitläuftigkeiten der Accord auf zwey Jahre, daß ist: bis Ende Fastnachten 1765154 verlängert werden. Wan, welches Gott verhüten wolle, durch einen Hohen Todesfall eine Landestrauer verursacht und wärend der accordirten Zeit durch solche Klagen das Theater gesperret würde: so accordiret die
148 Kategorisch: Eindeutig, unmissverständlich. 149 Spielzeit. 150 Stipulieren: Festsetzen, verabreden. 151 16. Februar 1763. 152 Mitterfasten: 13. März 1763, Sonntag Lätare. 153 Assignieren: Anweisen. 154 Ostern 1765: 7. April.
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Theaterdirection alsden die Hälfte der bedungenen Gage. Wien, den 10. September 1762 Friedrich Wilhelm Weißkern155, Director der deutschen Comödien Auf Befehl Seiner Excellenz, Herr Jacobs Grafen von Durazzo156. Diese Nota war von Frankfurt nach Maynz an die Zanderische Handlung157 geschickt. Es war an einen Sontag Abend, da man mich hinrufen lies. Offen reichte sie mir die älteste Demoisell Zander, und das Schreibzeug stand auf den Tisch. „Hier gebe ich Ihnen was, daß Sie nur gleich unterschreiben müßen.“ – Erstaund stand ich da, ich sagte, nachdem ich’s gelesen: „Unterschreiben kann ich nicht, ich muß erst mit meiner Mutter und Bruder sprechen. Geben Sie mir die Nota mit, morgen bringe ich Bescheid.“ Ich gieng nach meiner Wohnung, fand meine Mutter und Bruder im Gespräch: Was meine so geschwinde Abrufung müßte zu [28v/70] bedeuten haben? – Ich las ihnen die Nota vor und schwieg still. Mutter: „Kinder! Was Ihr thut, ist mir recht. – Ganz zu verwerfen ist’s doch auch nicht. – Wien! – Und 24 Gulden – und hier 12.“ Bruder: „Mir ist alles recht. Was Carline thut, will ich auch.“ – – – Ich solte allso Rath ertheilen? – – O! und er war einen jungen Mädchen, die die Welt und Menschen noch nicht genug kannte – und zuviel gutes Herz hatte, vollkommen ähnlich. – „Mit Freuden würde ich ja sagen, wenn nicht die ganze Gesellschaft beinahe aufgesagt. – Den was bleibt nach? – Ackermann, seine Frau und Kinder. Döbbelin – seine Frau kommt Ostern in die Wochen. – Mylius ist mehr tod wie lebendig – Garbrechts. Gehen wir, so ists Ackermann ein unersäzlicher Verlust. Bleiben wir, so kann er sich immer noch helfen, da er uns zu so vielen brauchen kann. Wo soll der Mann gleich wieder so viele Leute hernehmen, wenn auch wir giengen? – Ja, wenn nicht so viele abgiengen – nun, so könnte er uns mißen. Ackermanns thaten uns eine große Freundschaft, als sie uns von Cöllnn aus verschrieben – hätten es zwar die vier Jahre ersäzt: – Doch dieß sey unser Opfer der Dankbarkeit. – Und wenn ich bitten darf: – So laßt uns Ackermanns nicht ein Wort von der Nota sagen! – Könnten denken, wir wollten [29r/71] trotzen, da sie in Verlegenheit sind, und mehr Gage haben wollen. – Sind wir doch bei unsern 12 Gulden niemand was schuldig.“
155 Friedrich Wilhelm Weiskern (1709–1768), Schauspieler, Bühnenschriftsteller und Topograph. 156 Graf Giacomo ( Jakob) Durazzo (1717–1794), Diplomat und Intendant. 157 Möglicherweise ist hier der Handelsmann und Ratsverwandte Friedrich Zentner gemeint; s. HHS, Anm. 475.
Erstes Buch, 18. Kapitel | 637
– Gesagt: – Und es wurde gebilliget von Mutter und Bruder. Ich schrieb die Nota ab und schrieb zugleich an Herrn Weißkern. Ich stellte ihm alles vor, wie die Sache war. Bat mir aber aus, die gute Gesinnung für uns beizubehalten: daß, wenn sich eine Gelegenheit ereignete, wo wir ohne den Schein eines Trotzes Ackermanns verlaßen könnten, wir trachten wollten nach Wien zu kommen. Ich trug den Tag darauf die Nota und meinen Brief zu Zanders, die mir sagten, nachdem ich ihnen alles vorgestellt: „Mademoisell Schultzen! – Sie werden es bereuen.“ – – Ja, wohl habe ich’s bereut – und bereue es noch in diesen Augenblik, da ich dieses schreibe. Kein Mensch erfur von unsern Freundschaftsopfer ein Wort. – Aber wie sahen wir uns an, da alle sich wieder aufs neue bei Ackermann engagirten; bis auf Madame Hensel, die nun, nachdem ich’s abgeschrieben hatte, nach Wien verschrieben wurde und auch gieng. Es hatte sich Kirchhoff158, Schröter159 und Wolfram160, alle drey, als Directeurs nach Hildburgshausen engagirt – „Drey Directeurs?“ sagte der Herzog161. – „Daß geht nicht!“ – Keiner wollte [29v/72] Schauspieler allein seyn, und so kam auch keiner hin162, waren froh, bleiben zu können, und – Ackermann froh, daß sie blieben. Das achtzehnte Kapitel ist eine Note Diejenigen, die mich vielleicht zu viel Stolz und Eigenliebe beschuldigen möchten: daß ich meine kleine Person für so wichtig hielt, dient zur schuldigen Nachricht: Daß dieses 1762 war und nicht 1793 – folglich über 30 Jahre. Und vor 30 Jahren, troz des gedehnten, feyerlichen Tons, troz des einförmigen Spiels in Aktion und Stimme; troz alle der Fehler, die der Herr Theater-Kalender-Sammler in Noten gesammlet, kurz, aller der Fratzen, wie wir arme Sünderin gespielt haben sollen, war’s doch nicht so leicht, 158 Gustav Friedrich Kirchhof(f ) (1723/25–1764), Schauspieler. 159 Es lässt sich nicht erkennen, welcher der beiden bei Ackermann engagierten Schröter/Schröder gemeint ist. Da Friedrich Ludwig Schröder (1744–1816), der Stiefsohn von Konrad Ernst Ackermann, zu diesem Zeitpunkt noch jung und unerfahren war, ist zu vermuten, dass hier Ludwig Schröter (1699–1769) gemeint ist, der von 1754–1766 ein angesehenes Mitglied der Gesellschaft Ackermanns war. Lit: Eichhorn, Ackermann, S. 31 f. und S. 287 f., Anm. 180–194, Meyer, Schröder I, S. 145. 160 Georg Friedrich Wolfram (1725–nach 1784), Schauspieler. 161 Ernst Friedrich III . Carl von Sachsen-Hildburghausen (* 10. Juni 1727 Königsberg in Franken, † 23. Sept. 1780 Jagdschloss Seidingstadt). 162 Wolfram war vom Sommer 1763 bis 1769 „Hauptacteur“ am Hildburghauser Hoftheater. Das ihn dorthin begleitende Ehepaar Garbrecht spielte dort bis 1767; Eichhorn, Ackermann, S. 65, 289 Anm. 215.
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Schauspieler schockweiß163 zu haben wie jezt. – Und doch soll es jezt schwerer gut zu spielen seyn wie vor Jahren? – Ich begreif es nicht. Vor Jahren half es nicht, nur jung und hübsch zu seyn. Vor Jahren mußte man auch was können. – Wie oft kamen und giengen junge hübsche Figuren, ohne weiter bemerkt zu werden, mit der Anmerkung des Publikums fort: „Hübsch ist sie – aber sie kann nichts!“ Und wie viele, die weder mehr jung noch hübsch waren, sah man – wenn sie auf ihren Plaz standen – mit grossen Beyfall. – Würcklich kommt es noch stark darauf an zu entscheiden: wär recht hatte? – Ich wenigstens denke, daß es jetzt weit leich[30r/73]ter ist, guter Schauspieler zu heißen wie vor Jahren. – – Jung und eine hübsche Figur; und nun darf der Hals zum Singen gestimmt seyn, so kommt er fort. – Kann ein paar Specktakelmacher-Rollen in unsern jezigen Ritterspielen machen, im Komischen recht übertreiben, – mag es sich schicken oder nicht, genug, man lacht, man applaudiert. – Warum schläft man ein bei einen Französischen Hausvater164 und dergleichen Stüken? – – – Weil der größte Theil der heutigen Schauspieler nicht mehr sprechen können; – weil sie zum Theil wachend schlafen, wenn sie nicht Ritterspiele, Oper oder Fratzen anbringen können. Ich habe manche Stüke gesehen, wo ich hätte weinen mögen, wenn man lachte – und lachte, wenn der Schaupieler weinen wollte. Wenige bei Theatern versteht man mehr. Sie sprechen in einen so leisen Stuben-Konversationston, daß, wer das Stük nicht voroder nachliest, gewiß nicht weiß, was sie gesagt haben. – Wenigstens nicht die Schönheiten des Autors, die er doch schrieb, daß man sie hören und verstehn soll. – Geht nun eins von dem Stubenton ab, denkt: es steht auf dem Theater! – und daß der in der Entfernung so gut etwas verstehn will, als der, der vorn ansteht: – Ja, da hat er den etwa das Unglük gehabt, mit seinen Ton das zarte Ohr eines [30v/74] Kunstrichters zu treffen, der auch das Gras wachsen hört – das erschütterte sein zartes Nervensystem und klingte ihm einförmig. Neunzehntes Kapitel Das Wetter machte grosse Striche durch die Rechnung Wir reisten in der Fasten 1763165 nach Heßen-Cassel. Es traf Herrn Ackermann viel Unglük166. Der Fälle waren viele, die alle zusammenkamen, um das herrliche Theatergebäude in einen Augenblick zu zertrümmern. 163 164 165 166
Schock: Altes Zählmaß, entspricht 60 Stück. Le Père de famille, Schauspiel von Denis Diderot. Die Fastenzeit begann am 16. Februar. S. dazu HHS, S. [253] und Eichhorn, Ackermann, S. 68 f.
Erstes Buch, 19. Kapitel | 639
Ackermann war von dem HerrnVIII Landgrafen167 verschrieben worden, mit seiner Gesellschaft in Cassel zu spielen. Ackermann schlug es keinen Augenblik aus. Der Herr Landgraf wollte mit ihm einen Accord schließen, Ackermann, sein und seiner Gesellschaft Werth bewußt, sagte: „Erst will ich die Ehre haben, vor Euer Durchlaucht mit meiner Gesellschaft zu spielen. Dann schliesen Dieselbe mit mir einen Accord.“ Den Fürsten gefiel die Entschloßenheit, war voll Verlangen, voll Begierte: „Wan kann ich das erste Stück sehen?“ – Ackermann bestimmt eine sehr kurze Zeit und sezte den Tag fest. – „Wenn nur das Schauspielhaus zustande wär! – wo wir spielen sollten.“ – Das Ballhaus wurde dazu bestimmt und der Befehl zur schleinigen Arbeit gegeben. – Ackermann hatte die Reise zu Pferde hin und her gemacht, er kam – und nun hies es: die lezte Comödie! – Eingepakt und fort. [31r/75] – So hies es – aber es war Thauwetter eingefallen und der Rhein weder zu gehen noch zu fahren. – Dem Adel von Maynz war’s sehr unangenehm, das Ackermann fort wolte, nur ungern liesen sie ihm. Das Wetter war ihnen sehr erwünscht, wir spielten also alle Tage: Heute zum lezten Mal – und spielten noch in Maynz, da wir schon in Cassel hätten spielen sollen; den der bestimmte Tag war vorbei. Herr Ackermann hatte nicht verabsäumt, den Herrn Hofmarschall168 in Cassel den Vorfall des Wetters zu melden: war ruhig, ob er gleich keine Antwort erhielte. Endlich war der Rhein zur höchsten Noth zu fahren möglich, wir spielten würklich das lezte Mal und reisten den Tag darauf ab – nicht ohne Lebensgefahr. Doch kam alles glüklich über, Menschen und Pagage169. Es wurde alles in Kutschen und auf Wagens gepakt, und froh und frölig fuhren wir fort. Zwischen Maynz und Frankfurt wurde Mittag gehalten. – Fuhrleute, die den Weg von Cassel gekommen, frugen unsere Kutschers, wo sie hinwollten? – „Nach HeßenCassel!“ – „Mit Euren Kutschen? – Da bringt Ihr kein Stük ganz davon hin, bei dem Mordwegen.“ – Die Knechte sagten – nun ja, wenn daß so ist, so müßten sie erst Order [31v/76] von ihre Wirths haben: – ob sie uns fahren solten oder nicht? Nach langen Streiten war kein ander Mittel, als Herr Ackermann und ein Knecht ritten nach Maynz. – Wir blieben den Tag und den folgenden in dem Dorfe – Herr Ackermann kam wieder. Der Eigenthümer des Fuhrwesens hatte seinen Knecht recht gegeben und blieb dabey: uns entweder nach Maynz zurük oder doch nicht weiter als bis nach Frankfurt zu liefern. In Frankfurt waren wir von unsern Kutschern auf Frachtwagens 167 Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel (* 14. Aug. 1720 Kassel, † 31. Okt. 1785 Schloss Weißen stein in Kassel). 168 Johann Adolf Ferdinand von Bischoffshausen (*29. Aug. 1706 Neu-Eichenberg, † 28. Dez. 1764 Kassel). 169 Bagage: Gepäck.
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gepackt. 6 Tage waren mit dem Spas vorbeygegangen. – Es war eine schrökliche Reise, lustig und traurig so untereinander verwebt, daß schwer wär zu entscheiden gewesen, welches von beyden den Sieg hatte. – Die Herren giengen fast alle zu Fuß. – Sogar der kranke Mylius wollte gehen, es half kein Abrathen, er gieng – mit Schuhen und weißen seidenen Strümpfen – da versank er bis an die Kniee in Morast. – Er schrie, man solte ihn helfen – – die jungen Herren konnten nicht – ein guter Freund erbarmte sich des Kranken, waadete durch den Koth, Mylius mußte sich auf seinen Rüken hocken – pauz, da lagen beyde – der Menschenfreund unten, der [32r/77] Kranke auf ihm. – Wir alle wollten uns todlachen, den der Auftritt mit allen Nebenumständen war gar zu komisch – der Kranke selbst lachte herzlich und drükte dadurch seinen Retter immer tiefer in den Koth. Wir Frauenzimmer mochten uns in unsern Wagens setzen wie wir wollten, so lagen wir immer eins auf den andern mitten im Wagen auf den Stroh. – Kein Dorf, kein Örtchen wurde paßirt, es mußte an denen Wagens was ausgebessert werden. – Einen Morgen fuhren wir gegen 7 Uhr des Morgens aus einen Wirthshause, es war gleich bei der Einfahrt im Dorf – und den Abend gegen 6 Uhr kehrten wir am Ende desselben Dorfes wieder ein und blieben die Nacht da. – Der Schmidt und Wagner170 kam gar nicht von unsere Wagens. Die Pferde stürzten, unsere Wagens mit. – Mit Kutschen wär’s gar nicht durchzukommen möglich gewesen. Den 14. oder 15. Tag, nachdem wir aus Maynz gereist, kamen wir erst in Cassel an. – Die lezte Tagreise verlies uns Herr Ackermann und gieng voraus nach Cassel. – Ach! wie froh waren wir des Abens, als wir die Thurmspitzen [32v/78] von Cassel sahen. – Voll von Jubel vergaßen wir über Freude den Schmerz unserer Rippen, Arme, Beine und Köpfe. – Die Reise war für mich – ja gewiß für uns alle – die einzige in ihrer Art. – Der Siebenjährige Krieg171 war zu Ende. – Wir brachten den guten armen Landleuten die Gewißheit des Friedens – sie hielten uns für geflüchtete Heßen – und wir liesen sie dabey. Sie sahen uns als Engel von Himmel gesandt – gern hätten sie uns für Geld alles gegeben – aber sie hatten selbst nichts – kaum Brod fanden wir – in manchen Dorf daß nicht einmal. – Zum Glük hatten wir uns in Maynz gut proviantirt, Herr 170 Schmied und Wagner (Stellmacher), die z. B. die Räder von Kutschen herstellten. 171 Im Februar 1763 endete der Siebenjährige Krieg, der der Landgrafschaft Hessen-Kassel mehrfache Belagerungen Kassels, auch zahlreiche Plünderungen und Brandschatzungen gebracht hatte, mit dem Pariser Frieden und dem Frieden von Hubertusburg. Obwohl die französische Besatzung Kassels bereits im November 1762 aufgehoben und die Kampfhandlungen in der Region mit der Unterzeichnung der englisch-französischen Friedenspräliminarien eingestellt wurden, hatten die Menschen noch lange unter den Kriegsfolgen zu leiden. Siehe dazu die eindrucksvolle Schilderung von Traumatisierung und Gewalt in HHS, S. [248]–[252]. Zum Kriegsgeschehen in der Region s. Gerhard Bätzig (Hg.), Die Isthaer Chronik des Pfarrers Johann Georg Fülling. Zur Geschichte Niederhessens im siebenjährigen Kriege, Kassel 1957 (Hessische Chroniken, Bd. 1).
Erstes Buch, 19. Kapitel | 641
Ackermann sagte es uns, daß wir uns vorsehen solten. – – Noch viele Seiten könnte ich von der Reise vollschreiben – aber es gehert ja nicht in diese Blätter172. – – – Das Prinz Maxische Palais war uns zur Wohnung in Cassel bestimmt173. – Aber Gott! wie legte sich die Freude, als wir Herrn Ackermann ganz verstört sahen. – Welche Nachricht! – Der Herr Hofmarschall war tödlich krank gewesen, als der Brief von Herrn Ackermann aus Maynz an ihm gekommen, und es war vergessen worden, [33r/79] den Herrn Landgrafen davon zu benachrichtigen; der Fürst, aufgebracht, daß die Zeit verstrichen und nichts von uns allen gesehen noch gehört worden – hielte Ackermann für einen Mann, der Fürsten belügen wollte – und hatte eine italienische Opera Puffa174 verschreiben lassen. – Als Ackermann den Morgen auf die Parade175 gekommen und der Fürst ihm in der Ferne sah und erkandte: wandte er ihm den Rüken zu. – Ackermann war betroffen und konnte sich daß nicht erklären. – Der Herr Major von Stirn176 kam auf ihm zu und sagte ihm die Ursach von dem Zorn des Herrn. – Ackermann vertheidigte sich wie ein rechtschaffener Mann, eilte zum Hofmarschall. – Der rang fast mit dem Tod. – Ackermann lies sich nicht abweisen, verlangte ihm zu sprechen – müßte ihm sprechen. – Er kam vor – – der Hofmarschall, sich besinnent: – – „Ach Gott! Daß habe ich vergessen, – wie leid ist es mir, lieber Ackermann.“ Er besann sich, wo der Brief lag und lies sich solchen geben und gab dan solchen Herrn Ackermann. Ackermann, gerührt über die traurigen Umstände seines Freundes – den der Hofmarschall soll es von ihm gewesen seyn [33v/80] – verlies ihn mit den besten Wünschen seiner Genesung und eilte mit dem Brief zum Fürsten. – Nachdem er gelesen, sagte der Herr Landgraf: – „Daß ich das nicht gleich erfaren. – Mir ist’s leid! – Aber es ist nicht zu ändern. – Ist Ihre Gesellschaft da?“ – „Nein, Ihro Durchlaucht! – Aber heute kommt sie noch.“ – – „So muß ich morgen Ihre Comödie sehen. – Die Italiener kommen erst gegen den Sommer.“ Diese Nachricht war unser Willkommen. – Wie war uns nun? – Wir haben gedacht: vielleicht Jahre dort bleiben zu können. – Vielleicht immerwährende Versorgung. – – – Es 172 Die Reise von Mainz nach Kassel ist ausführlich beschrieben in der HHS, S. [245]–[252]. 173 Das Palais des Prinzen Maximilian von Hessen-Kassel war während des Siebenjährigen Krieges zu Einquartierungen genutzt worden; s. HHS, Anm. 488. 174 Eine Gesellschaft, die Opere buffe (komische Opern) aufführte. 175 Vermutlich die Wachparade. 176 Johann Daniel Stirn (* 22. Okt. 1712 Borken, † Okt. 1779), Generalmajor im Regiment Erbprinz und einer der Kommandeure der Truppen aus Hessen-Kassel im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, aus dem er 1779 nach Hessen zurückkehrte; Hessische Truppen in Amerika (http://www.lagis-hessen. de/de/subjects/idrec/sn/hetrina/id/35571, Zugriff am 20.7.2020).
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solte nicht seyn. – – Den Tag darauf solte gespielt und getanzt werden. – Eine Nacht zur Erholung – wir fanden schönes, frisches – – Stroh! – Betten hatten wir nicht. – – Und doch spielten und tanzten wir, wie befohlen war, so grum und lahm wir auch alle waren. – – Der Hofmarschal starb! – Und der Sommer zeigte sich kaum, so waren die Italiener da. – Sie spielten ein paarmal mit uns abwechselnd, der Herr Landgraf giengen nach ihren Sommerschlössern177, wir mußten aufhö[34r/81]ren zu spielen, wie der Hof weg – und die Wohlhabensten auf ihre Güther gegangen waren. – Was in Cassel blieb, war zu wenig, um die Unkosten zu verdienen. 20tes Kapitel Kinder, daß vergesse ich Euch nie!! Ackermann verlies uns, um einen neuen Ort zu suchen. Die Lage war traurig, der Schade gross, so groß: daß viele glaubten: es würde und müßte das ganze Werk auseinandergehen. Wir waren noch gutes Muths; sprachen zusammen an einen Morgen: „Wenn nur Ackermann wieder einen neuen Ort hat, dann erholt er sich wieder“ – und indem ich daß sagte, wird unsere Stubenthüre aufgerißen. – Madame Ackermann stürzte in unser Zimmer, weinend und schreuend, ganz ausser sich fieng sie an – „Wollt Ihr fort? – auch fort? – So sagt’s! – So ruinirt mich ganz – gebt mir vollends den Rest.“ – Wir standen alle drey wie betäubt und konnten es uns nicht erklären. – „Mein Gott! Madame, was ist Ihnen? – Was wollen Sie damit sagen?“ Madame Ackermann: „Ich will wißen, ob Ihr auch fort wollt?“ Wir untereinander: „Fort? Fort? Warum? Weswegen?? Madame Ackermann: „Weil sie fast alle gehn. Garbrechts178, Wolfram, [34v/82] Kirchhoffs179, Koch“ – – Wir alle drey: „Unmöglich! – Ists auch wahr? – – Kann nicht seyn!“ Madame Ackermann: „Gewiß! – Ach, ich unglükliche Frau! – Mein Mann nicht da – – sagt’s nur heraus – sagt’s nur, ob Ihr mich vollends ruiniren – den Rest geben wollt?“ 177 Eines der Sommerschlösser war Schloss Wilhelmsthal bei Caldern, nordwestlich von Kassel. Das Schloss entstand 1744–1761 nach Plänen des Münchner Hofarchitekten François de Cuvilliés. 178 Das Ehepaar Garbrecht wechselte zusammen mit Georg Friedrich Wolfram 1763 nach Hildburghausen. Garbrechts blieben dort bis 1767, Wolfram bis 1769; Eichhorn, Ackermann, S. 65 und S. 289, Anm. 215. 179 Gustav Friedrich und Barbara Christine Kirchhof(f ) waren 1762 nach der Entlassung der Wolframs von Ackermann engagiert worden. Sie verließen die Gesellschaft bereits 1763, um zu Schuch zurückzukehren; Eichhorn, Ackermann, S. 69 und S. 304, Anm. 519.
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Ich: „Madame! Faßen Sie sich, Sie sind ausser sich! – Sezen Sie sich. – Und nun hören Sie mich ruhig an. – Wenn es jemals unsere Sache gewesen wär, Sie ruiniren – oder nur trotzen zu wollen, so hätten wir es in Maynz thun können, wie noch mehr abgedankt hatten. – Nie hätten Sie oder Herr Ackermann etwas davon erfaren, aber der jetzige Auftritt zwingt mich zu reden. – Warten Sie!“ – Ich stand auf und holte aus meinen Papieren die abcopirte Nota aus Wien. – „Hier Madame, lesen Sie! Und lernen uns einmal kennen.“ Sie sah mich stillschweigend an und las. – Ihre Hände zitterten, strohmweiß floßen ihre Thränen; unter Schluchzen fiel sie mir um den Hals und stammelte, indem sie mich fest in ihre Arme schloß, die Worte: „Kinder! daß vergeße ich Euch nie!!“ „Madame! Daß war dafür, daß Sie uns von Cöllnn aus soweit verschrieben. – Wir sind nicht undankbare Menschen. – Fassen Sie Muth! Wir wollen gern arbeiten wie bisher. – [35r/83] Kommen wir an einen neuen Ort, und die Gesellschaft ist nicht groß – nun, so geben Sie die Stücke, die Sie geben können. – Es wird gewiß gehen. – Wir verlassen Sie nicht, und wenn alles Sie verläßt. – Sie müßten den sagen: – Ich kann mein Theater nicht länger behalten, sucht euch ein ander Brod.“ Madame Ackermann: „Daß ist redlich gedacht! Daß muß und wird euch Gott lohnen.“ Wie beruhigt gieng sie aus unsern Zimmer. Und was glich meiner Freude? – Ach! Nun reute es mich nicht mehr: das Wiener Engagement ausgeschlagen zu haben. Ganz fühlte ich den Werth einer guten Handlung! Meine Mutter, mein Bruder, wir drückten uns die Hände, küßten uns mit Thränen der Freude. Herr Ackermann kam wieder, hatte in Braunschweig einen Accord mit Herrn Nicolini geschloßen und erfur die grosse Veränderung. Einundzwanzichtes Kapitel Ja, nun sehe ich’s – tanzen hätte sie heute nicht können Im July kamen wir in Braunschweig an. Die Gesellschaft bestand aus Herrn Ackermann und seiner Familie; Herrn und Madame Döbbelin180, Herrn und Madame Schrö-
180 Carl Theophil Doebbelin war seit Juni 1762 in zweiter Ehe mit der Schauspielerin Catharina Friderici (von Klinglin) verheiratet. Das erste Kind aus dieser Beziehung, Conrad Carl Casimir, wurde am 21. April 1763 geboren; s. HHS, Anm. 451.
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ter181, Herrn Boeck182 und kranken Mylius; noch ein junges Frauenzimmer, nachherige Madame Courte183, die aber nur tanzte. – Herr Hensel184 nebst ein paar französische Figuranten kamen dazu. – Gute Stücke, die wenige Personen erforderten, wählte Herr Ackermann, und wir arbeiteten alle, alle mit gleichen Eifer. Wir aerndteten Lob und Beifall. Damals war es noch ge[35v/84]bräuchlich, daß, wenn das Stück nicht sehr lang war, nebst den Ballet auch ein Nachspiel gegeben wurde. – Ballet war alle Abende. Und so weiß ich, das Herr Boeck oft an einen Abend zwey neue Rollen hatte. Er spielte jezt alle Tage mit und gewiß meist immer eine oder zwey Rollen, die er nie gespielt; den er mußte alle Rollen von Mylius übernehmen, der gar nicht mehr fort konnte. – Wenn ich so nachdenke, was die Schauspieler für die Directeurs – für’s Ganze arbeiteten? – und wenn ich nur sagen könnte, daß ich’s einmal gehört, daß sich eins beklagt hätte über die viele Arbeit? – – – Doch ist’s würklich im Grunde einerley! – Selten und am öftersten wird es gar nicht erkannt: wenn man mehr thut, als die Schuldigkeit ist. Ich darf nicht vergeßen: daß uns Herr Ackermann wieder zwey Gulden zu unserer Gage zugelegt und wir nun 14 Gulden hatten. Das Stük Miß Sara Sampson185 hatte sehr gefallen und mußte auf Befehl des Hofes wieder gegeben werden. – Ich hatte mich schon einige Zeit nicht wohl befunden und fühlte einen Schmerz auf der Brust, hatte dabei einen fatalen Husten. – In der Nacht von Montag auf den Dienstag kam der Husten stärker und mit solchen ein Blutauswurf. Meine Angst! Wie kann ich die schildern? – Nicht um mich, das weiß Gott! – nur [36r/85] wegen Ackermanns jammerte ich: – „Ach Gott! Wenn ich morgen nicht spielen könnte? – Das Stück von Ihro Hoheit186 verlangt. – Müssen froh seyn, wenn wir ein Stück wiederholen können, da so wenige besezt sind.“ – Nach Hülfe wurde geschikt. – Mir solte eine Ader geschlagen werden. – „Das geht nicht“, sagte ich; „sonst kann ich morgen nicht spielen und tanzen“. – „Tanzen? – Tanzen dürfen Sie gar nicht“,
181 Der Schauspieler Ludwig Schröter (1699–1769) hatte 1760 geheiratet. Seine Frau (sein „Aschchen“) war von 1762 bis zu ihrem Tod im Mai 1765 bei Ackermann als Schauspielerin engagiert. Lit.: Meyer, Schröder II,2, S. 82 und 84; Eichhorn, Ackermann, S. 31 f. und S. 287 f., Anm. 180–194. 182 Johann Michael Boeck (1743–1793), Schauspieler. 183 Catharina Courtée geb. Schirmer (* 1744), Schauspielerin und Tänzerin. 184 Johann Gottlieb Hensel (1728–1787), Schauspieler. 185 Miß Sara Sampson, Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing. 186 Karl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel (* 1. Aug. 1713 Braunschweig, † 26. März 1780 Braunschweig), 1735–1780 regierender Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel. Karl I. hatte 1753 die Residenz von Wolfenbüttel nach Braunschweig verlegt und für den Auf- und Ausbau des kulturellen Lebens gesorgt. Er war der Vater der von Karoline Kummerfeld hoch geschätzten Anna Amalia, Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach.
Erstes Buch, 21. Kapitel | 645
sagte der Medicus; „wenn Sie nur spielen können“. – – Den Morgen eilte mein Bruder zu Herrn Ackermann und meldete den Vorfall. – Herr Ackermann, sehr aufgebracht, sagte: „Das Stück muß seyn und Das Müller Ballet187“ (für mich eins meiner fatigantesten188 Pas de deux). – „Meine Schwester spielt, und wenn sie halb tod wär, – aber weiß Gott, sie kann und darf heute nicht tanzen.“ – Lange stritten sie, endlich drang mein Bruder durch, und es solte ein Ballet ohne mich gegeben werden. Mein Bruder kam nach Hause. – Thränen hatte er im Augen und sagte: „Weiß Gott, sie glauben es nicht, daß du kranck bist. – So habe ich mich noch nie geärgert wie heute.“ – „Laß es gut seyn, Carl! – werden es wohl sehen.“ Ich rafte mich aus den Bette, kleidete mich an – lies mich nach dem Theater tragen und – spielte. [36v/86] Bei dem Schluß des vierten Acts, wo Sara die Marwood erkennd – und ich nach der heftigen Rede abeilte –, stürzte mir das Blut aus dem Halse – Herr Boeck, – derselbe, der jezt noch in Mannheim ist189, * trug mich in die Garderobe bey Herrn Ackermann vorbei, der seine Pfeiffe Tabak rauchte und jezt sagte: -„Ja, nun sehe ich’s – tanzen hätte sie heute nicht können.“ – Herr Boeck sah meine Bewegung, die ich machte, und sagte: „Um Gottes willen, ergern Sie sich nicht! – Sie kennen ihn ja, es ist Ackermann.“ – – Ich dachte für Angst und Schmerzen, es wär mein Ende da. – – Der Blutsturz gieng über. – Ich schlukte meine Mixtur und nahm auf einmal, was mir zu dreymalen verordnet worden. – Ackermanns bekümmerten sich um mich nicht weiter als nur in soweit: – ob ich nicht bald den 5ten Act anfieng. – Dafür aber hatte Ihro Hoheit die Gnade, mir sagen zu laßen: ich möchte mich schonen – und der 5te Act solte lieber nicht gespielt werden. – Ihro Hoheit hätten meinetwegen viele Angst das Stük hindurch gehabt; wie ich die schwere Rolle aushalten können? – (Den troz aller der vielen weißen Schnupftücher, die ich mitgenomen, konnte ichs doch so nicht ganz ver[37r/87]bergen, daß man es nicht hätte sehen sollen). Ich ließ Ihro Hoheit in Unterthänigkeit für die hohe Gnade danken – und hofte, die Rolle noch zu enden. – Ich spielte meinen 5ten sterbenden Act – ohne weiße Schminke gewiß nie so natürlich. – Das Stük wurde aus. – Herr Dobbelin half mir auf und sagte: – „Wie ists Ihnen, arme Schultzen?“ 187 Damit dürfte das von der Ackermannschen Truppe öfter aufgeführte Ballett Der vom Müller betrogene Bauer von Karl Schulze gemeint sein. 188 Ermüdend, anstrengend. 189 Johann Michael Boeck war von 1779 bis zu seinem Tode am 18. Juli 1793 in Mannheim. August Wilhelm Iffland notiert zu seinem Tod: „In eben diesem Jahr starb Herr Böck. Das Theater litt dadurch einen empfindlichen Verlust, den es lange nicht verschmerzen konnte. […] An seinem Grabe hielt der Stadtdechant, Herr Spielberger, eine rührende Rede, welche seinen Einsichten und seinem Herzen gleich große Ehre machte, und mit dankbaren Empfindungen von uns allen aufgenommen wurde“; August Wilhelm Ifflands dramatische Werke, Bd. 1: Meine theatralische Laufbahn, Leipzig 1798, S. 219 f.
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Ich: „Schlimm – sehr schlim!“ Er: „Daß sieht man.“ Ich: – „Es ist ja doch nur Verstellung.“ Er: „Ha! – Es ist abscheulig!“ etc. etc. Daß war das erste Mal, wo ich gegen das Theaterleben einen Wiederwillen fühlte und in mir der sehnliche Wunsch rege wurde: Ach! Köntest du es verlassen! – Bei dem Theater ist kein Dank zu verdienen. Elend kam ich nach Hause. Und noch denselben Abend wurde mir an beiden Armen Adergelaßen. – Dieser für mich unvergeßliche Tag war der 7te September 1763 – den Tag darauf wurde nicht gespielt – aber den 9ten stack ich schon wieder im Müllersack, – tanzte, ohne daß man von Directions wegen hätte fragen lassen: – ob ich auch könnte? [37v/88] ____________ * Note: Damals, als ich dieses niederschrieb, lebte er freilich noch – jezt, da ich mein Buch abschreibe, ist auch er tod! – Mir ists leid eben dieses Buchs wegen, daß er und so manche nicht mehr am Leben sind. 22. Kapitel Enthält Gutes und Böses Im October reiseten wir nach Hannover. Gleich nach Ostern 1764190 kam Herr Eckhof 191 und seine Frau nebst Demoiselle Schulz, nachherige Madame Boeck192, zu uns. Daß erste Stük, wo ich mit Eckhof spielte, war das Lustspiel Der Spieler193. Er war Valer, ich Angelique. Als das Stück aus war, kam Eckhof zu mir und sagte: „Mademoiselle Schultze! Ich danke Ihnen für Ihr heutiges Spiel! – Ich bin nicht der Mann, der Complimente macht. – Meine liebste Schauspielerin, mit der ich gespielt, war Madame S.194 – aber so zufrieden war ich mit ihr nicht, als ich das erstemal mit ihr spielte, wie mit Ihnen. – Ich kann Ihnen nichts sagen, daß Sie künftig, wen das Stück wieder gegeben wird, anders machen sollen. – Ich sage Ihnen: Ich freue mich darauf, mit Ihnen in 190 22. April 1764. 191 Hans Conrad Dietrich Ekhof (1720–1778), Schauspieler. 192 Sophie Elisabeth Schulz (1745–1800), Schauspielerin, kam 1764 mit Ekhof aus Hamburg und heiratete noch im gleichen Jahr Johann Michael Boeck. 193 Der Spieler, Übersetzung des Lustspiels Le Joueur von Jean-François Regnard. 194 Johanne Christiane Star(c)k(e) (1731–1809), Schauspielerin.
Erstes Buch, 22. Kapitel | 647
grossen Stüken zu spielen.“ – Man denke sich meine Freude, da mir ein Eckhof, ein so grosser Mann in seiner Kunst, das sagte. Ich konnte mich wirklich nicht gleich faßen, den ich war nur gewohnt – finstere Gesichter zu sehen. – Endlich sammelte ich mich wieder und antwortete Eckhof. – „Noch nie sagte man mir was Angenehmes, daß mir so lieb gewesen wär. – Von Ihnen sowas zu hören, muß mir lieber seyn als Lob des Publikums in Versen und Prosa. – Die warlich! auf mein Herz keinen [38r/89] Eindruck machen. – Wenn ich Hang zum Stolz hätte, daß könnte mich stolz machen. – Aber nein! Ich beßere gern meine Fehler und danke dem, der sie mir zeigt. – Rechne das Gesagte von Ihnen auch nur an – nicht als ob ich’s ganz verdient, sondern nur, daß Sie mir Muth in meiner Laufbahn machen wollen. – Glauben Sie mir, ich bin nicht eigensinnig, man kann ja nicht alles gleich gut machen. – Sagen Sie mir, wenn wir künftig mehr zusammen spielen, alles, was Sie wünschen, daß ich ändern soll! Ich ändere es, ich richte mich gern nach andern, die mehr Erfahrung haben. – Wenn man nur mit mir zufrieden ist“ etc. etc. Nach der Zeit, als Eckhof mich in verschiedenen Rollen spielen sah, sagte er oft zu mir: „Beßer habe ich die Rolle nie spielen sehen.“ – Meine Antwort? – „Was ist gut, Eckhof ! daß nicht noch beßer gemacht werden kann? – Stellen kann man unnachahmlich treffen – aber ganze Rollen? – Nein! Die Schultzin wird es nie von sich glauben! – Nur zufrieden soll man mit mir seyn, – mit meinen guten Willen, daß ist der einzige Punkt meines Wunsches.“ Im Sommer giengen wir nach Göttingen195. – Wär in mir ein Zug von Eigendünkel gewesen, da hätte ich eine Närrin werden können. Mit welcher ausgezeichneten Aufmerksam[38v/90]keit wurde mir begegnet. – Wie benahm ich mich? – O! es leben gewiß noch viele, die damals in Göttingen waren. Konnte ein Mädchen bei allen den Lob und Beifall sich bescheidener, demüthiger betragen wie ich? – und es auch seyn? – Oder lies ich’s je meinen Kammerraden oder der Direction fühlen? – That ich mir etwas darauf zu gute? – Es leben ja noch so viele, sie sollen auftreten gegen mich, mich Lügen strafen, ob ich einen kränkte nur mit einer Miene. Wie viele Kritiken wurden mir zugesandt: daß ich solche der Direction geben solte. – Ich las sie durch, benuzte die Anmerkungen, die man auch gegen mich gemacht, aber alle die Schriften warf ich ins Feuer. – Den troz der Anmerkungen meiner Fehler war ich doch zu sehr gelobt. Ich dachte also: Die Bekandtmachung macht dir bei der Direction noch mehr
195 Den Aufenthalt in Göttingen vom 13. Juni bis 11. Juli 1764 schildert Karoline Kummerfeld detailliert in HHS, S. [291]–[300].
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Feinde. – Leid ist es mir jezt, daß ich sie alle vertilgt, aber damals war’s beßer vertilgt als etwas aufbewahrt, daß meinen Nebenmenschen an seinem Brod nachtheilig seyn konnte. So dachte ich. War froh, daß man sie mir zugeschikt, – schriftlich – nicht gedrukt; daß der Neid nicht noch mehr Nahrung bekam. Nach dem kurzen Aufendhalt in Göttingen kamen wir [39r/91] wieder nach Braunschweig, – eben damals fanden wir eine Gesellschaft französischer Schauspieler. – Herr Ackermann mußte Miß Sara Sampson196 das erste Stück seyn laßen, daß wir gaben – alle die Herren Gelehrte und Freunde des deutschen Schauspiels verlangten, wünschten es, um den französischen Schauspielern durch deutsche ein deutsches Trauerspiel zu zeigen, sonst würden wir nicht mit einen Stück angefangen haben, daß wir das Jahr vorher schon zweymal gegeben. Meine Arbeit wurde mir durch häusliche Leiden sehr getrübt! – Den meine Mutter, die schon seit zwey Jahren gekränkelt hatte, wurde den Abend, als wir das erste Mal spielten, tödlich krank. Ich hatte keinen Trost als den: daß wir nicht 5 Mal die Woche spielten. Meine Nächte waren schlaflos, ich kam nicht von ihren Bett, als wenn ich zur Probe und zur Comödie mußte, – wie nur ein einziges Mal – daß ich bereits in diesen Blättern anzeigte – in die französische Comödie, da Zayre197 gegeben wurde198. Unser Aufendhalt war dießmal nur die Messe hindurch. Der neue Ort, wo wir hin solten, war Hamburg! Den Tag vor der Abreise lies ich meine Mutter aus dem Bette [39v/92] heben und erst eine, dan zwey Stunden aufseyn, um zu versuchen, ob sie’s aushalten könnte, ausser dem Bette zu seyn? – Ich wünschte nicht die Direction durch mein Zurückbleiben in Verlegenheit zu setzen, – und doch würde ich nie meine Mutter allein gelassen haben. – Directeurs kannst du immer wieder haben, aber keine Mutter. – Hier war’s Pflicht: Tochter – nicht Schauspielerinn zu seyn. – Gott gab seinen Segen zu meinen gerechten Wunsch. Ihr Aufseyn von einigen Stunden bekam ihr gut. Den andern Tag traten wir die Reise an – Gott weiß es, mit welcher Angst – als ich sie sah von meinen Bruder und zween Freunden die Treppe herruntertragen und so in die Kutsche heben. – Wie gern ich jeden Stein aus den Weg genommen, wenn der Wagen einen Stoß bekam; – wie unzählige Male ich sie frug: „Wie ist Ihnen, gute Mama? – Sie sind doch wohl!“ – es nicht recht glauben wollte, wenn sie sagte: „Ich bin wohl!“ – Ins Mittag- und Abendquartir trug sie der Kutscher 196 Miß Sara Sampson, Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing. Aufführung am 26. Juli 1764. 197 Zaire, Trauerspiel von Voltaire. 198 S. WHS, 1. Buch, Kap. 7.
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auf dem Arm. – Den andern Morgen konnte sie, unterstüzt von meinen Bruder und mir, schon gehen, und so wurde sie mit jeder Stunde besser. – Ach! Wer kann mit mir fühlen, was ich damals empfand? – Meinen [40r/93] Dank zu den Allmächtigen? – Meine Mutter, so nahe am Rande des Grabes, mir wieder geschenkt? – Wie froh – wie unaussprechlich glüklich war ich! – Meine ganze Munterkeit war wieder da, alle Angst, alles Leiden war vergessen. In dem ersten Nachtquartir waren wir mit der ganzen Gesellschaft zusammen eingetroffen. Herr und Madame Ackermann mit ihren zwo Töchtern199 und wir, da unsere Kutschen nicht bepackt waren, giengen den andern Morgen voraus fort. Den Tag darauf des Mittags kamen wir nach Haarburg, und sowie die Fluth kam, gieng’s zu Schiffe, um nach Hamburg zu segeln. – Singend und springend hüpfte ich ins Fahrzeug – – aber welche Enderung! Je näher ich Hamburg kam, je mehr fühlte ich in mir ein – ich wußte nicht, was? daß mich beunruhigte. Der Anblik des Havens, wo die vielen Schiffe lagen, und für so viele Fremde eine prachtvolle Augenweide ist, hatte für mich keinen Reiz – alles machte mich beben – alles zog und preßte mein Herz zusammen. – Ich selbst war mir ein unbegreifliches Räthsel. Dreyundzwanzigstes Kapitel Diese Ahndung meines Herzens trügt mich nicht Wir landeten und traten ins Baumhaus200 ein. Herr Ackerman lies Erfrischungen reichen, ich aber eilte aus dem [40v/94] Zimmer, sezte mich in die erste Stube, die ich leer von Menschen fand, und lies meinen schmerzlichsten Empfindungen ihren Lauf. Meine Mutter, die nicht wußte, wo ich hingekommen, suchte mich auf. Doch wie erschrak die gute Mutter, als sie mich weinend und schluchzend fand. Mutter: „Was ist dir? Was hast du?“ Ich: „Ach, beste Mama! ich weiß es nicht! – Ach lassen Sie uns fort! – forteilen, fort! weit fort, von diesem abscheuligen Ort!“ Mutter: „Rasest du? – Ort? – Hast ihn ja noch nicht gesehen?“ – Ich: „Will, mag ihn nicht sehen. Hab schon an dem genug. – O Mutter! Mutter! Wie komme ich von hier weg? – Muß ich hier bleiben, so bin ich gewiß zu meinen Unglük
199 Dorothea Ackermann (1752–1821) und Charlotte Ackermann (1757–1775), Schauspielerinnen. 200 Das Baumhaus war die Hamburger Zollstation. Die Ankunft in Hamburg wird in der HHS, S. [302]– [303] weitgehend identisch beschrieben.
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hergekommen. – Diese Ahndung meines Herzens trügt mich nicht. – Haben Sie mich je so gesehen?“ Mutter: „Du weinst um deine Freundin, um Madame Fleischer201“.* Ich: „Nein, Mama! gewiß nicht! – Weinte ich, als ich nach Hannover kam? – Sind Sie nicht auf der Reise hieher gesund geworden? – War ich nicht darüber so ausser mich für Freuden, daß ich gewiß auf keiner Reise mehr Spas gemacht habe wie auf der? – Sprang ich nicht mit Lachen und Singen in den [41r und 41v]IX [42r/95] Eber202? – Aber Hamburg vor mir liegen zu sehen und Todesangst zu fühlen, war eins. – O Mutter! Mutter! Es ist Warnung von meinen guten Engel. – Fort! Fort! Hier ist mehr für mich als Tod und Grab. – Unsichtbares Elend – Elend auf mein ganzes Leben.“ – – Ich brach sogar in Verwünschungen aus, das Ackermann den Gedanken gefaßt, nach Hamburg zu gehen. – Meine Mutter sah mich starr an und sagte: „Du bist mir unbegreiflich.“ – – Herr Ackermann, der soeben in die Stube trat, rufte aus: „Wo, Teufel, stekt ihr?“ – (Er hatte Herrn Bode bei sich. – Jezigen Herr Geheime Rath Bode, der gegenwärtig hier in Weimar lebt **203. Ackermann wolte mich denselben vorstellen, aber ich hatte auf nichts Acht, sogar den äusern Schein von Höflichkeit konnte ich nicht annehmen) – „Aber was ist das? – Was giebts? Was fehlt?“ Mutter: „Gott weiß, was meiner Caroline ist. Sie sagt: Hier ahndete sie ihr Unglük.“ Herr Ackermann: „Hier? – Poßen! Hat was Liebes in Braunschweig gelaßen.“ Ich: „Jawohl, was Liebes! – Aber nicht in Ihren Ver[42v/96]stande, sonst würde ich nicht so lustig auf der Reise gewesen seyn. – Kurz, Herr Ackermann, hier bleibe ich nicht bei Ihnen, wo Sie nicht machen, daß wir alle bald wieder fortkommen.“ Herr Ackermann: „Mädel, bist du toll – närrisch geworden? – Mach mir ja keinen Streich.“ Ich: „Ja, Herr Ackermann! Hier stehe ich Ihnen nicht dafür. – Hier kann ich nicht bleiben.“
201 Christine Marie Friederike Fleischer geb. Günther († 6. Febr. 1822 Braunschweig), Ehefrau des Braunschweiger Hofbaumeisters Karl Christoph Wilhelm Fleischer (* 10. Juli 1727 Köthen, † 20. Aug. 1787 Braunschweig). – Über ihre Freundschaft mit Friederike Fleischer berichtet Karoline Kummerfeld ausführlich in der HHS, z. B. S. [95 f.], [274]–[278], [300]–[303]. 202 Ewer: Ein Segelschiffstyp mit Flachkiel und ein oder zwei Masten. 203 Johann Joachim Christoph Bode (* 16./19. Jan. 1731 Braunschweig, † 13. Dez. 1793 Weimar), Militäroboist, Musiklehrer, Journalist, Übersetzer, Verleger in Hamburg und sachsen-weimarischer Hofrat. Bode war Mitglied der Hamburger Freimaurer-Loge Absalom. Lit.: Weimar Lex, S. 47; Hamburg Biogr. I, S. 50 f.; Schreinert, Johann Joachim Christoph Bode.
Erstes Buch, 23. Kapitel | 651
Herr Ackermann sprach manches zu meinen Lobe zu Herrn Bode – was der aber von mir mag gedacht haben? – So viel weiß ich, daß ich zu mir selbst sagte: – „Muß einen schönen Begriff von dir bekommen.“ – Doch war mir alles sehr gleichgültig. – Hatte nur einen Wunsch, und der war: – fort! Madame Ackermann kam auch dazu, hörte, erfur und wolte mich aufmuntern – aber bei mir half nichts. – Ich fühlte es recht in mir, wie absurd, wie unausstehlich ich seyn mußte. – Wir fuhren in die Stadt – alles war mir ängstlich, schröklich: – Auch die hübsche Wohnung, die wir mietheten, war mir ein Gefängniß. //X Den 6ten September wurde zum ersten Mal gespielt204. Wir wurden mit Beyfall belohnt, – nur auf mein Herz machte es keinen Eindruck. [43r/97] So schön Hamburg ist, so viele Vorzüge es vor andern grossen Städten hat, – ja, so einzig der Ort mit in Deutschland ist – ich war nicht aus meinen Zimmer zu bringen. Das Theater am Dragonerstall205, daß sehr nahe bei meiner Wohnung war, und nach unserer Kapelle bei dem kaiserlichen Gesandten auf der Neuen Wallstraße206 waren alle meine Gänge. Der erste glükliche Tag, den ich lebte, war der 7te December, da es hies: „Heute spielen wir das lezte Mal in Hamburg“. – Den Tag war ich ganz wieder ich selbst. Das lustige, muntere, muthwillige Mädchen. – – Gottlob! Nun ist’s hier alle. – Mich soll man einpaken sehen! – Ich lauerte mit Sehnsucht, daß man uns den Tag der Abreise ansagen sollte. Endlich hies es: in zwey Tagen. Wer war froher wie ich? – – Herr Eckhof kam; ich packte eben einige Kleinigkeiten, die herrumlagen, ein. Herr Eckhof: „Guten Morgen!“
204 Gegeben wurden im Theater am Dragonerstall Canut, ein Trauerspiel von Johann Elias Schlegel, als Nachspiel Johann Scherenschleifer und das Ballett Die Heuernte; Eichhorn, Ackermann, S. 78, 222, 237; Theaterzettel UFB Gotha, Poes. 2° 2176, Bd. 6, Bl. 48; Schütze, Theater-Geschichte, S. 320. In den erhaltenen Druckfassungen trägt das Stück Johann Scherenschleifer den Titel Der bestrafte Hochmuth, ein Nachspiel von einer Handlung (1751). Die Autorschaft wird teils Steiner (Eichhorn, Ackermann, S. 237; David G. John, The German Nachspiel in the Eighteenth Century, Toronto 1991, S. 171 f., 316), teils Johann Heinrich Kirchhof zugeschrieben. 205 Das Theater am Dragonerstall war 1751 von Pietro Mingotti in einem ehemaligen Reithaus am Dragonerstall errichtet worden. Von 1758 bis 1764 diente es Heinrich Gottfried Koch als Spielstätte, der es an Ackermann für den Winter 1764/65 vermietete. Ackermann spielte dort vom 6. September bis 7. Dezember 1764. Lit.: Erich H. Müller, Angelo und Pietro Mingotti. Ein Beitrag zur Geschichte der Oper im XVIII. Jahrhundert, Dresden 1917, S. 111–120 (S. 114 ein Plan des Theaters); Schütze, Theater-Geschichte, S. 90, 303, 320 f.; Eichhorn, Ackermann, S. 78 f. 206 Heute Neuer Wall. – Der einzige Ort, an dem man damals in Hamburg die katholische Messe besuchen konnte, war das Palais des kaiserlichen Gesandten. Es war ab 1710 für Georg Heinrich von Görtz (1668–1719) erbaut worden. Seit 1722 bis 1806 diente das Görtz-Palais dem kaiserlichen Gesandten bei den Hansestädten als Residenz; Hamburg Lex, S. 180, s. v. Görtz-Palais.
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Ich: „Wieder soviel.“ Herr Eckhof: „Was machen Sie?“ Ich: „Was ich mache? Ja, daß sehen Sie! Ich packe – Gott sey Dank! ein. Übermorgen reisen wir ja?“ Herr Eckhof: „Nun, so packen Sie nur wieder aus, wir reisen nicht.“ [43v/98] Ich: „Nicht?? – – – Was Sie spaßen können?“ Herr Eckhof: „Nein! Nein! Ich sage die Wahrheit. Ackermann läßt den Concert-Saal207 zurechte machen, darinnen fangen wir gleich nach dem Feste an.“ Wär ich zu Ohnmachten geneigt gewesen, hier hätte ich gewiß eine bekommen. – Aber daß weiß ich, daß ich nie, nie sowas gefühlt. Eckhof machte ich die bittersten Vorwürffe, den der allein war schuld. – Kurz, wär mir da ein Contract so schnell vorgezeigt worden wie in Maynz, auf der Stelle hätte ich unterschrieben, ohne mich zu besinnen, und wenns die Woche nur für 12 Gulden gewesen wär, ohngeachtet wir nun 16 Gulden hatten. Man verzeihe mir, das ich mich so lange bei dieser Stelle aufgehalten. – Aber bei Gott! Es war Warnung eines guten Engels – oder Ahndung meines künftigen Schicksals, dem ich nicht entgehen sollte. _______________ * Note: Madame Fleischer, des Hofbaumeister Fleischers Gattin in Braunschweig. Meine erste Freundin. Den in dem Jahr 1755, als sie noch in dem Hause ihrer Mutter, Madame Günther, lebte, fieng sich unsere Bekandtschaft an. ** Note: Gelebt hat, muß ich bei dem Abschreiben sagen. – Stirbt den alles weg? Vierundzwanzigtes Kapitel Die Ode Auch aller Beifall, wodurch Ehrgeiz hätte können geschmeichelt werden, machte mir nicht die geringste Freude. – Meine Mutter wurde oft bange, wenn ich angstvoll meine Hände rang und nicht wußte, wo ich mich bergen sollte; bis ich in Thränen ausbrach, ohne zu wißen: warum? – So [44r/99] gieng der Advent hin. Wenige Tage vor dem 207 Das Konzerthaus Große Drehbahn wurde 1760 von dem Baumeister Joachim Hinrich Nikolassen errichtet und seit 1761 für Konzerte benutzt, u. a. durch Telemann und C. P. E. Bach. Ackermann nutzte es gelegentlich für Theateraufführungen. 1813 wurde es als Hospital, 1815 als Kaserne genutzt; Hermann Heckmann, Barock und Rokoko in Hamburg. Baukunst des Bürgertums, Berlin (DDR) und Stuttgart 1990, S. 171 f.
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Feste kam Herr Eckhof das erste Mal wieder zu uns – denn ich gestehe es, ich hatte ihm gesagt: er sollte sich ja nicht vor mir sehen laßen, weil ich’s ihm auf den Kopf zu sagte: daß er schuld sey, daß wir nach Hamburg gekommen. Er hatte einen grossen Brief in der Hand und überreichte mir solchen. Ich: „Von wem ist der Brief ?“ Herr Eckhof: „Von Herrn Schiebeler208, der in Göttingen studirt hat, als wir da waren.“ Ich: „So!“ – Ich breche das Siegel, las den Brief, und bei denselben lag eine gedruckte Ode209 an mich dabei. – Ich las ein paar Strofen – und sagte: – „Weiter lese ich nicht.“ Herr Eckhof: „Bescheidenes Mädchen! – Ich will’s auslesen.“ Er las zu Ende – ganz a la Eckhof. Ich: „Als Poesie betrachtet – so viel ich davon verstehe – ist die Ode schön. – Aber das Bild, was Herr Schiebeler entwirft, bin ich nicht – und wohl keine, die ich kenne bei dem Theater. – Hätte Schiebeler weniger in der Ode geschmeichelt, würde ich seinen Brief beantworten. – Aber wegen der Ode kann ich nicht. – Antworten Sie für mich. – Sagen ihm wieder, was ich gesagt, und sezen noch hinzu: ich ließ ihm danken für [44v/100] seinen guten Willen. Daß würde ich nie werden, was ich in seiner Ode schon seyn soll. Mich aber zu bestreben, beßer zu werden, als ich bin, werde ich gewiß keinen Eifer und Fleiß vorbeigehen laßen.“ Eckhof versprach’s und sagte noch: „Nein, Mademoiselle Schultze, Sie verdienen mehr als daß –.“ Ich: „Nun, Eckhof ! bitte ich, schweigen Sie still. – Aber noch eine Bitte an Sie: – Schiebeler hat Ihnen ohne Zweifel auch einen Abdruck geschickt? – Freilich nicht in Goldpapier – den einen Vorzug muß ich doch haben“. Eckhof lachte – sagte „ja“. Ich: „Nun, so versprechen Sie mir als ein ehrlicher Mann! solchen keinen zu zeigen. – Man möchte denken, ich bildete mir was darauf ein; machte mich eitel oder stolz. Auch sagen Sie keinen was von der Ode. So viel versichere ich Sie, von mir soll sie keiner zu sehen bekommen – selbst mein Bruder nicht“ – (und er hat sie auch nie gelesen). Eckhof gab mir seine Hand und Ehrenwort darauf und sagte: „Schultzen! Groß sind Ihre Talente für’s Theater, aber wer Sie kennt: Ihr Herz, Ihre Denk[45r] [46r/101]
208 Daniel Schiebeler (* 25. März 1741 Hamburg, † 19. Aug. 1771 Hamburg), Schriftsteller, Librettist und Kirchenlieddichter; s. HHS, Anm. 579. 209 S. dazu HHS, S. [307]–[311], dort auch der von Karoline Kummerfeld wiedergegebene Wortlaut der Ode S. [309]–[311], der von der gedruckten Fassung leicht abweicht. – Abdruck der Ode in: Unterhaltungen, hg. von Daniel Schiebeler und Johann Joachim Eschenburg, 1. Bd., Hamburg 1766, S. 36–38. Daniel Schiebelers […] Auserlesene Gedichte, hg. von Johann Joachim Eschenburg, Hamburg 1773, S. 142–144. Deneke, Göttinger Theater, S. 71 f.
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ungsartXI grösser.“ – Eine Thräne glänzte in Eckhofs Auge, als er das sagte. – Dann frug er mich: ob mir den in Göttingen nichts zugeschickt worden?*XII Ich: „O ja, manches – vieles! Doch weil es meist Kritiken auf meine Mit- und Nebenschauspieler war, habe ich alle verbrent. Sollte nicht in unrechte Hände kommen. Mich freuet kein Lob zum Nachtheil meines Nächsten. – Und jeden Ehrliebenden muß es wehthun, sich auf Kosten anderer loben oder tadeln zu hören.“ Eckhof versprach, mir einige Gedichte und Einfälle zu bringen, die ich vielleicht nicht gelesen, und er hielte Wort. (Auch sind nach Eckhofs Tod verschiedene in Druk erschienen, die man aus seinen nachgelassenen Papieren gesammlet. – Von mir hat sie niemand bekommen) – Was half mir alle meine Vorsicht? – Wie verfolgte mich der boshafte Neid! – – Doch hier ist noch nicht die Zeit, davon zu sprechen. ____________ * (Den ohngeachtet man mich zu einer Schülerin von Eckhof gemacht, so muß ich sagen, daß Eckhof in Hamburg das erste Mal auf unser Zimmer gekommen.) Fünfundzwanzigtes Kapitel Gottes Allmacht lies uns in den Sturm nicht umkommen Nach dem Feste fiengen die Comödien im Con[46v/102]certsaale an, und nach Neujahr 1765 wurde die Einnahme von Tage zu Tage schlechter. – Nicht daß wir, wie Hamlet sagt, wären rostig geworden210, sondern weil die gewöhnlichen Partergeher vor ihr Marklübisch211 solten hinter die Zweymark Lübscher stehen. – Das war ihnen ungelegen. – Auch leugne ich nicht – – ich, die ich trauren konnte, wenn es nicht alle Abende gleich voll war – ich kam lachend nach Hause und sagte: „Mama! Heute wars wieder leer.“ – Das schmeichelte mir, daß wir desto eher wieder von Hamburg wegkommen würden. Herr Ackermann hatte sich aber fest vorgenommen, in Hamburg zu bleiben; wurde Bürger, und der Grundstein zu dem neuen Comödienhaus wurde gelegt212. Bis der Bau 210 William Shakespeare, Hamlet, Prinz von Dänemark, übers. von August Wilhelm von Schlegel. Im 2. Akt, 2. Aufzug, kündigt Rosenkranz Hamlet den Besuch einer Schauspielergesellschaft an. Darauf Hamlet: „Genießen sie noch dieselbe Achtung wie damals, da ich in der Stadt war? Besucht man sie ebensosehr?“ Rosenkranz: „Nein, freilich nicht.“ Hamlet: „Wie kommt das? Werden sie rostig?“ 211 Die in Lübeck übliche Währung, die Lübische Mark, die auch in Hamburg galt. 212 Das Opern- und Schauspielhaus am Gänsemarkt wurde 1764/65 von Johann David Fischer im Auftrag von Konrad Ernst Ackermann als Nachfolgebau des Opernhauses von 1677 errichtet. Der äußerst schlichte Fachwerkbau wurde 1827 zum Wohnhaus umgebaut; Heckmann, Barock, S. 286–293.
Erstes Buch, 25. Kapitel | 655
fertig, mußten wir einen andern Ort haben, mithin: reisen! Daß war für mich nicht wenig angenehm. – Doch ich solte in Hamburg keine Aussicht zu etwas Angenehmen haben, daß nicht mit trüben Wolken eingehüllt war. Meine Mutter war selten gesund. Oft, wenn ich miede von meiner Arbeit nach Hause kam und dachte mich auszuruhen, fand ich sie krank. – Auch mein Bruder hatte das Unglük, krank zu [47r/103] werden – dabei hatte ich die einzige Beruhigung, daß er sich legte, wie wir wegen eingetretner Faste213 nicht mehr spielten. Der neue Ort, den ich sehen sollte, war Bremen. Mein Bruder konnte nicht mitreisen, meine Mutter blieb mit ihm zurück, und ich reisete mit der Gesellschaft auf der Elbe bis Buxtehude, und von da solte es mit Extrapost bis Bremen gehen. Mein Abschied von Mutter und Bruder war sehr gelaßen; ich lies ihn ja in den Händen eines würdigen Arztes, des verdienstvollen Herrn Docter Dahl214. Seine Jugend, seine gute Natur – mein Herz sagte es mir: Ich würde Mutter und Bruder bald gesund und wohl wiedersehen. – Troz des Sturmes, der uns wegtrieb von Hamburg – troz, daß viele bebten auf der Wasserfahrt – und auch Ursach hatten, – so konnte ich mir nicht helfen, ich war lustig. Saß auf meinen Schloßkorb215, eingehüllt in einen Mantel von Wachsleinen, denn es regnete und stürmte in einen fort. – Man frug mich: Wie es möglich sey, daß ich so guter Dinge seyn könnte? bei der Gefahr, in der wir schwebten? – „Erstlich: Mein Vertrauen auf Gott, der uns beschützen wird. – Zweytens: – Das wüßt ihr doch alle, daß ich nicht gern in Hamburg war? [47v/104] – Drittens: Habe ich nicht Ursach, frölich zu seyn? Da meine gute Mutter bei ihrer schwächlichen Gesundheit, – daß mein Bruder, wenn er hätte reisen können, das Ungemach nicht mitfühlen dürfen? – Wendet mir da was gegen ein? – – Meine Mutter, die so ängstlich ist bei Wasserreisen, hätte von der Reise den Tod haben können“. //XIII Ich blieb frölig. – Endlich in der Nacht gegen 10 Uhr kamen wir glüklich nach Buxdehude. Triefend naß kamen alle ins Posthaus, die es in der Kajütte, so wie ich, nicht hatten aushalten können. Glüklich war alles überstanden. Man wurde froh, und es ward beschlossen, Punsch zu machen216. Da ich für niemand zu sorgen hatte als für mich allein – so wollte ich Mundschenk seyn und half den Punsch machen. – Mitten in den Geschäft trat der Postmeister mit 213 Aschermittwoch 1765: 20. Februar. 214 Peter Heinrich Dahl (* 24. Mai 1724 Lübeck, † 6. April 1794 Hamburg). Zu seiner Person s. HHS, Anm. 643. 215 Gemeint ist wohl ein verschließbarer Reisekorb. 216 Vgl. für das Folgende HHS, S. [321 f.]. Im Anschluss (bis HHS, S. [329]) berichtet Karoline Kummerfeld sehr ausführlich über den Aufenthalt in Bremen.
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einen todesähnlichen Gesicht in unser Zimmer und sagte: „Danken Sie Gott, daß Sie insgesammt hier sind. – Eben kommt die Nachricht, das der Post-Eber mit 17 Personen vom Sturm umgeschlagen worden; nur der Schaffner ist gerettet, – 16 Menschen haben ertrünken müßen“. – Still legte ich Citrone und Messer weg und frug den Postmeister: „Wann geht die reitende Post nach Hamburg?“ [48r/105] Postmeister: „Morgen Vormittag.“ Ich: „Alles, was zum Briefschreiben gehert, laßen Sie mir in mein Zimmer setzen. – Aber gleich!“ Das geschah, ich schrieb und meldete meiner Mutter, daß wir von Gott glüklich erhalten und dem Post-Eber das Unglük betroffen. – Wie ich das besorgt und meinen Brief auf des Postmeisters Seel und Seligkeit anempfohlen, war ich wieder im großen Cirkel. – Nun schmeckte mir auch mein Glas Punsch und ich war wieder die Alte. – Madame Ackermann machte die Anmerkung: „So ein Mädchen lebt nicht mehr! Bei aller ihrer Lebhaftigkeit und Possen, die sie macht, ist sie doch immer gefaßt und sich gegenwärtig.“ – Wie gut war’s, daß ich geschrieben! – Aber aller Vorsicht ohngeachtet, kam doch jemand zu meiner Mutter, die ihr die Nachricht brachte: daß unser Eber das Unglük gehabt. – Die arme Mutter! – Doch nur eine Stunde blieb sie in der Angst, meinen Bruder hatte sie’s verschwiegen. – Mein Brief kam – – wie sie mit den Brief vor ihres Sohns Bette trat – nach der Angst – die Freude? – wer vermag das zu schildern??[48v/106] Sechsundzwanzigtes Kabittel Ach! Das liebe Bremen Wir waren nun in Bremen. Ach Gott! wie wohl war mir. – Ich bekam eine schöne Wohnung bei so guten Menschen. Die alten Leute gewannen mich in den ersten Tagen schon so lieb, als wenn ich ihr Kind gewesen. – So gut war es mir lange nicht geworden – wenigstens nicht in Hamburg. – Sieben Jahre, sagte Eckhof, müßte man in Hamburg erst gewesen seyn, wenn es Personen von unsern Stande da gefallen könnte; – sie würden nicht in Familien gezogen. – – In Bremen war man nicht so scrupulös. – Auch nicht in Hannover. – Frey, der Wahrheit zu Ehren, muß ich es laut sagen. – Ich war schon weit im deutschen heiligen Reich herrumgewesen, überall – nur damals Hamburg ausgenommen – hatte ich Menschen, gute, uneigennützige Menschen gefunden; hatte Zutritt in den ersten, besten Häusern. – Dank, den wärmsten Dank noch allen den Guten. – Aber Hannoveraner und Bremer hatte ich noch nicht gefunden. – Die Menschen waren einzig. – Und daß hatte ich nicht allein Ursach zu sagen – Viele von der Gesellschaft auch. – Und [49r/107] lieb ist es mir, daß noch manche leben, die mit
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mir zugleich in Bremen waren, keiner kann es leugnen – jeder wurde mit ausgezeichneter Achtung, freundschaftlicher Liebe begegnet bis an den Tag unserer Abreise. – O, daß wir nur eine so kurze Zeit da waren! – Den 10. Aprill war die erste Comödie und dem 18. July die lezte. – Wir reiseten wieder nach Hamburg. – Es waren schöne, helle Tage – aber in mir war trübes Wetter. Siebenundzwanzigtes Kapitel Leid! – Kam ich wieder nach Hamburg Den 30. July wurde das neue Schauspielhaus eingeweyht217. Zu dem Fest kam von Schwerin der Herr Sekretär Löwe mit seiner Frau218, die eine Tochter des alten Directeurs Schönemann219 war, welche er von dem Theater geehligt. Löwe hatte den Prolog gemacht, womit wir den Tag feyerten; ich hatte eine der ersten Rollen bekomen. Ich war nicht zu stolz, ihm zu sagen: „Herr Sekretär Löwe! Wenn Sie was zu erinnern haben, sagen Sie es mir“. – Ja, wie derselbe den andern Tag wiederholt wurde, frug ich noch einmal: „ – Wars gestern recht? – oder soll ich’s heute anders machen?“ – „Schön, – o schön! – Nein, nicht anders – eben so.“ [49v/108] Nach einiger Zeit darauf wurde ich mit verschiedenen von der Gesellschaft von Herrn Bubbers220 eingeladen in sein Haus. Löwe und seine Frau wohnten bei ihm. Löwe überhäufte mich mit Complimenten, daß ich oft verlegen wurde. – Wie lobte er mich! – Meine Talente, meinen Fleiß – und wie nahm ich mich? – Immer mir gleich. – Wie bat der Mann, daß ich ihn meiner Freundschaft würdigen solte. – Er sagte: – „Ich kenne keine Person vom Theater, für die ich mehr Achtung habe als für Sie. Deren Freundschaft ich mehr wünschte. – Ich sah noch keine von so vorzüglichen Talenten. Gott weiß es! Es ist eins meiner liebsten Wünsche: daß ich Gelegenheit haben möchte, Ihnen zu dienen; Ihnen meine aufrichtige Freundschaft im ganzen Umfang zeigen zu können. – Geben Sie mir Gelegenheit; – ich bitte Sie darum.“
217 Die Eröffnung des Schauspielhauses fand am 31. Juli 1765 statt; Schütze, Theater-Geschichte, S. 325. 218 Johann Friedrich Löwen (1727–1771), Dichter, Theatertheoretiker und Privatsekretär des Prinzen Ludwig von Mecklenburg-Schwerin, und Elisabeth Lucia Dorothea geb. Schönemann (1732–1783), Schauspielerin. 219 Johann Friedrich Schönemann (1704–1782), Schauspieler und Prinzipal. 220 Adolph Siegmund Bubbers (1726–1790), Fabrikant, Schauspieler und Theaterunternehmer.
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So etwas sagen hören von einen Mann, der mein Vater seyn konnte? – Mit dem Gesicht, Miene, Ton des rechtschaffensten Mannes? – Ach Gott! Welche Ehrfurcht, welchen Dank fühlte ich in meinen Herzen, das keine Falschheit kannte. – Und wer wird [50r/109] es glauben? – Der Mann – derselbe Mann – war ein Schurke! – Der Mann, der Sekretär Löwe, ist der, der mich verfolgte; ist noch der – (ohngeachtet er zu meinen Leidwesen lange tod ist). – Der, wodurch die Herren Sammlers wie die Echos ihm nachlallen. – Bezeugen kann ich’s, daß ich stets jedes Lob, jeden Beyfall aufnahm: als eine Art von Ermunterung, nicht aber, daß ich vollkommen sey und keine Fehler hätte. – – Nie, nie hatte ich den Mann beleidiget. – – – Doch vor jezt genug von den Sekretär Löwe. – Was er für ein Patron war – werde ich noch zeigen. Achtundzwanzigtes Kapitel Hätte der Bruder doch vergeßen, was man von der Schwester gesagt Im October kam Madame Hensel wieder zur Gesellschaft221. Sie war von Wien verschrieben, wo sie seit der Zeit bereits das zweyte Mal schon bei dem Kaiserlichen Theater gewesen. Den 29. October sollte sie das erste Mal als Zayre222 auftreten. Sie wurde aber zum ersten Mal krank, und um drey Uhr des Nachmittags wurde uns angesagt: daß ein ander Stück müßte gegeben werden. Bis zu den 31. October wurde sie beßer und spielte [50v/110] mit allen den Beyfall, den sie als eine grosse Künstlerinn verdiente. Herr Ackermann hatte durch ihre Person seinen Theater einen neuen Glanz gegeben, daß damals wohl wenige deutsche Theaters waren, die so viele gute Leute beisammen hatten, wie wir nun waren; und nur eine Person von ihren Talenten hatte noch gefehlt. – Schade war’s, daß sie so oft krank war und wir nicht wenig dadurch geschoren wurden, den solange die Klocke nicht 4 Uhr geschlagen hatte, waren wir immer noch ungewiß: Ob auch das bestimmte Stück den Abend seyn würde? – wenn sie darinnen zu thun hatte. – Sogar Eckhof wurde über das Krankwerden ungeduldig, so daß er einmal öffendlich ansagte: „Heute kann das versprochene Stük nicht gegeben werden, weil Madame Hensel wieder krank geworden.“ Wenn nun eine grosse Künstlerinn nach einer Krankheit auftritt, eine dankbare Rolle hat und mit all den Feuer spielt, als der Allergesündeste nie wagte – muß nicht alles 221 Friederike Sophie Hensel hatte die Ackermannsche Gesellschaft 1763 verlassen und hatte sich in Wien und Hildburghausen verpflichtet. 222 Zayre, Übersetzung des Trauerspiels Zaire von Voltaire.
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hingerissen werden? – Freylich sah man daß nicht am Körper und hörte es noch weniger an der Stimme: – Aber genug, die arme Frau war doch krank. – Und wir alle – wenn nicht eine junge Frau in den Wochenbette lag – waren so dummerhaft gesund und wollten nicht auch krank werden – [51r/111] Madame Hensel war noch keine drey Wochen in Hamburg gewesen, so bekam ich einen Brief von Herrn Koch aus Leipzig, der mich und meinen Bruder bei seinen Theater wünschte – sehnlich verlangte. „In 6 Wochen? – Daß wird Schwierigkeiten kosten. – Vielleicht! – Doch auf die Faste, gewiß. – Ackermann hat nun genug Leute. – Vorstellen will ich’s auf die suptilste Art, daß er uns womöglich noch vor der Faste wegläßt. – Wir haben jezt 18 Gulden die Woche bei ihm, aber ich nehme 2, 4 weniger und reise fort. – Habs zu lange satt gehabt, um nur wünschen zu können, länger zu bleiben.“ Mutter: „Und deine kranke Mutter?“ – (sie war nun fast ganz bettlägerig geworden.) „Sie, liebe Mama? – laß ich tragen, wenn Sie das Fahren nicht mehr aushalten können. – Laß Ihnen so einen Trag-Seßel machen, wie ich in der Schweiz gesehen, wo zwey Personen darinnen sitzen können. – Carl soll reiten neben uns her; – die Koffers mit der Fracht fort. – – O! Ich will Sie einpacken, daß Sie kein Lüftchen anwehen soll. – Mag es kosten, was es will! – Was bin ich vergnügt! – Wenn nur Carl da wär!“ – Mein Bruder kam, – ich sprang ihn entgegen. „Carl! Freue dich! – Koch verlangt [51v/112] nach uns. – Nun, hast du Lust wie ich?“ Bruder: „O ja! – Gern.“ – (Er las den Brief, und nachdem er gelesen, sagte er:) „Nun wird’s doch wahr, was man gesagt hat. – Ich: „Was hat man gesagt?“ Bruder: „Ich habe es nur vergeßen, dir zu sagen. – O, schon lange! Die Hensel hatte kaum gespielt, so sagte man auf dem Caffe-Haus: ‚Jezt, haben wir gehört, wird Ihre Mademoiselle Schwester nicht hier bleiben, weil die Madame Hensel da ist.‘ Ich habe es nur vergeßen, dir zu sagen. Du weißt wol, wie ich bin – ich laß sie reden.“ – Ich: „So!! – Daß hat man gesagt? – – Daß ist mir leid! – Ich wollte: – Ich wüßte es noch nicht!!! – Denn nun – kann ich nicht zu Koch. – – Von mir denken lassen: ich wär neidisch? – Könnte neben keiner grossen Henseln bleiben? – Pfui! – Pfui! Wie klein denkt man hier von mir. – Nun bleibe ich – gegen meinen Willen – und warlich! – nicht einer Hensel wegen wär ich fort.“ Ich schrieb auf der Stelle an Herrn Koch, wie leid es mir sey, seinen Antrag nicht annehmen zu können. Aber das Gericht, daß sich verbreitet: daß ich fort wollte wegen Madame [52r/113] Hensel, müße ich wiederlegen. Ich wär stolzer auf meinen Karakter als auf meine wenige Talente für’s Theater. Meine Ehre erlaubte mir nicht, von Ackermann fortzugehen. Aber ich gäbe Herrn Koch mein Ehrenwort, daß, wenn eine
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Veränderung bei Ackermann vorfiel, wo ich, ohne meinen guten Namen zu verletzen, weggehen könnte: er, Herr Koch, der erste Directeur seyn sollte, an den ich schreiben würde: „Können Sie mich und meinen Bruder nun brauchen?“ etc. etc. Daß war ohngefehr der wesendliche Inhalt meines Briefs an Herrn Koch. – Ich blieb – leider!!! – – O, wollte Gott! wollte Gott, mir wär weniger gleichgültig gewesen, was man von mir sprach! – Mein ganzes Schicksal hätte dann eine andere Wendung genommen. – Doch, es sollte nicht seyn! – Neunundzwanzigtes Kapitel Mein gutes Herz spielt mir einen Streich, der Einfluß auf mein ganzes künftiges Schicksal hatte Den 6. December wurde das lezte Mal vor dem Advent gespielt. Wir gaben den Blinden Ehemann223; ich spielte die Laura. Zum Nachspiel wurde ein ganz neues gegeben, es hies: A la greuqe224. Ich hatte die Lisette. Als die Probe vom Nachspiel vorbei war, sagte Herr Schröder zu mir: „Im Ballet haben Sie nichts, wir ge[52v/114]ben die Blinde Kuh225.“ – Ich antwortete: „Das ist schön!“ – und will fort. – „Ach!“ sagte Madame Courte : „Ich werde froh seyn, wenn es heute aus ist.“ – Sie war hochschwanger und wußte sich keine Stunde mehr sicher. – Das jammerte mich. – „Sie haben ja heute nur zu figuriren? Nicht wahr?“ – Sie sagte: „Ja!“ – „Nun, so gehen Sie nach Hause, ich will für Sie figuriren und Ihre Figur geschwind einlernen.“ Madame Courte dankte mir herzlich, gieng fort, und Herrn Schröder war es lieb, daß ich ihre Stelle vertrat. – Aber mein gutes Herz kam mir abermals theuer zu stehn. Das Minor226 im Final tanzte ich mit Herrn Schröder, seiner Mademoiselle Schwester227 und meinen Bruder, und ich hatte das Unglük zu fallen, daß ich nicht wieder aufstehen konnte – mein Bruder trug mich fort. Wenig fehlte, daß ich den Fuß nicht gebrochen.
223 Der blinde Ehemann, Lustspiel von Johann Christian Krüger. 224 Comédie à la Grecque, Übersetzung einer französischen Komödie von Friedrich August von Braunschweig-Lüneburg-Oels; s. HHS, Anm. 635. 225 Blinde Kuh, auch: Das Blinde-Kuh-Spiel, pantomimisches Ballett, Verfasser nicht ermittelt. 226 Mit Minor ist der Passepied mineur, ein Teil des dem Menuett ähnlichen Passepieds gemeint, ein sehr rascher Tanz. Der Passepied besteht aus zwei Teilen in Dur (Passepied majeur) und zwei Teilen in Moll (Passepied mineur); s. HHS, Anm. 639. 227 Dorothea Elisabeth Ackermann.
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Ach Gott! Ich war den Tag so froh * und so lustig auf dem Theater, wozu man mir Anlas gegeben. Ich saß mit meiner Rolle in der Hand stille da. Ein Herr Hamburger sah mir über die Schulter in meine Rolle und fragte mich: „Und dat Tieg mot Sey all in den Kopf heben?“ Ich: – „Ja!“ Der Herr: „Ne! Da hab ich doch leber ene Buttel versegelten Rhin-Win und en paar gebratene Karuschen im Kopf.“ – Die gebratenen Karuschen im Kopf konnte ich gar nicht vergeßen. (NB: Ob das Blattdeutsche richtig geschrieben, weiß ich nicht. So viel soll es heißen: Und das Zeig müßen Sie alles in den Kopf haben? Nein! Da hab ich lieber eine Bouteille versiegelten RheinWein und ein paar gebratene Karauschen228 (ist ein Fisch, der so heist) im Kopf )*.229 [53r]XIV, [53v) leer [noch 52v/114] Dachte: Nun kannst du deine kranke Mutter recht warten und pflegen; den ganzen Advent keine Comödie – und nun brauchte ich selbst Wartung und Pflege. – Da lag sie im Bette krank – und ich lahm auf [54r/115] Stühlen, weil unser Zimmer zu klein war und nicht zwey Betten stehen konnten. – – Doch daß war noch nicht genug. Ich erfur, daß man gesagt: Ich wär mit Willen gefallen, um nicht den Advent zu Tanzproben gehen zu dürfen. O, was giebt es für elende, miserabele Menschen! – – Menschen? – Nein! So kann man die Gesichter nicht nennen. – – Menschen? – Wieviele, die man Menschen mit Recht nennen kann, mögen wohl bei dem Theater seyn??? Herr Ackermann kam den Sontag darauf des Morgens, eben da mein Fuß sollte verbunden werden: – „Ha! Herr Ackermann, wie gerufen! – Gelegener hätten Sie nicht kommen können. Da sehen Sie die Verstellung“. Herr Ackermann: „Mein Gott, wie sieht der Fuß aus!“ Ich: „Ist ja nur Verstellung, damit ich nicht zurTanzprobe gehen darf.“ Herr Ackermann: „O Mademoiselle Schultze! Was wollen Sie sich noch ärgern. Sie wißen ja, was ich für +++ mit bei der Gesellschaft habe.“ – – Und den Sonnabend da[54v/116]rauf legte uns Ackermann wieder 2 Gulden zur Gage zu. 228 Fischart aus der Familie der Karpfenfische. 229 Ein Blatt mit dem zwischen den Sternchen wiedergegebenen Text wurde von Kummerfeld als „Note“ nachträglich an Seite 114/52v angenäht, vom Archiv als Bl. 53 paginiert.
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Nun ein Wörtchen wegen den Einwohnern von Hamburg, die das Schauspiel besuchten. Bis den Tag, da ich beinahe das Bein gebrochen, sa[h] ich das ganze Publikum an, daß in die Comödie geht, als Leute, die die Abendlust, welche ihnen das Schauspiel macht, bezahlen können; für ihr Geld sich divertiren; uns als Tagelöhner betrachten, die durch ihren Zuspruch den Directeur in die Verfassung sezt, uns zu bezahlen: Und da müßen sie uns was davor herspielen und tanzen. Dafür applaudiren wir, wen’s uns gefällt, lachen und weinen, nachdem das Stück ist. Und damit punktum. – – – Aber ich hatte mich geirrt. Dieß zeigte sich, wie ich lahm dalag. – Personen, die ich weder von Ansehn noch Namen kannte, schickten und liesen sich nach meinen Befinden erkundigen? – Gedrängt voll standen Bediente und Mägde in den Vorhause.– Dieß rührte mich – und rührte mich umso viel mehr! – weil ich’s vorher nie gedacht hatte. – Eckhofs Sage: „Daß man 7 Jahre in Hamburg seyn müße“ – fiel mir dabei ein. – Und [55r/117] es waren ja nur erst 11 Monate, daß ich in Hamburg in allen gewesen. – Ich hatte mich geirrt – und weinte eine Thräne der Reue. – Ich leugne es ja nicht, ich war verwöhnt. – Beifall hatte ich das Glück, überall wo ich war, zu haben. – Aber man bestrebte sich: mich auch kennenzulernen von den bretternen Stand – und noch, noch ist es mir Wonne, wenn ich Briefe erhalte von meinen alten Freunden, die mich als Mädchen gekannt. – Wer, wer kann den Werth der wahren, uneigennützigen Freundschaft beßer kennenlernen als Personen bei dem Theater? – Fremd wie der Vogel in den Lüften kömmt man an. Man findet Menschen! Sie gönnen einen Zutritt in ihren Hause; sie bestreben sich, uns den kurzen oder langen Auffendhalt unsers Bleibens angenehm zu machen, und daß ohne Absicht, ohne Intereße – o, wer daß nicht mit Dank erkennen sollte? – Zudringlich war ich nie. – Keiner meiner Freunde kann mir nachsagen: daß ich ihn mit Undank gelohnt. – Oder daß ich bei neuen Bekandschaften die alten vergessen. – Wirklich würden meine Tage in Ham[55v/118]burg noch trauriger gewesen seyn, wenn nicht der Briefwechsel mit meinen auswärtigen Freunden mich aufgeheitert hätte. – Wie würde ich nach meiner vielen Arbeit die Nachtwachen bei meiner Mutter ausgehalten haben, wenn ich nicht meine Leiden in Briefen mitgetheilt? – Wenn nicht der liebevolle Trost ihrer Antworten mich gestärkt? – Wer mich also tadeln will, der setze sich ganz in meine Situation. – Aber er muß auch von meinen feinen – vielleicht zu feinen Gefühl sich einen Begriff machen können. – Vielleicht war’s zu überspannt – vielleicht ist’s noch! – Den noch, da ich bald ein halb Jahrhundert zähle, fühl ich mich in diesen Punkt noch eben so, als wie ich ein Mädchen von 20 Jahren war230.
230 Karoline Kummerfeld war 51 Jahre alt, als sie den Text verfasste.
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In der dritten Woche konnte ich wieder am Krickenstock gehen. Ich lies danken denen Nachfragenden und Besserung melden. Der Nachfragen geschah nun nach und nach immer weniger, bis endlich niemand mehr schickte, weil ich sagen lies: Ich hoffte gleich nach den Fest wieder zu spielen. Dem ohngeachtet [56r/119] fand ich auf den Bogen, wo die Namen angeschrieben worden, noch jeden Tag Herrn Kummerfeldts Nahmen, wenn auch sonst kein Mensch geschickt231. Dieses machte mich aufmerksam, da der eine Name wohl 6 Tage allein auf dem Bogen stand. – Ich frug also meine Hausfrau: „Wer ist den der Herr Kummerfeldt?“ Sie: Lachte. Ich: „Warum lachen Sie?“ Sie: „Ja Mamselchen! Kennen Sie den Ihren nächsten Nachtbar nicht?“ Ich: „Meinen Nachbar? Wo denn? In welchen Hause? Ich bekümmere mich nicht um meine Nachbarn.“ Sie: „Er wohnt Ihnen gerade gegenüber. Ist diesen Martini232 eingezogen.“ Ich: „So! Wer ist er?“ Sie: „Bankoschreiber.“ – Ja, nun war ich so klug wie vorher. Was wußte ich, was ein Bankoschreiber war. Den ersten Feuertag war ich zum ersten Mal wieder nach der Kirche gefahren. Als ich nach Hause kam, lag Herr Kummerfeldt am Fenster und hatte Besuch. Wie ich aus den Wagen war, machten die Herren [56v/120] mir ihr Compliment und gratulirten mir zum ersten Ausgang. Ich verneigte mich und sagte: – „Hier kann ich mich nicht bedanken, das Stehen auf den Steinen wird mir zu sauer. Eine kleine Geduld, bis ich auf mein Zimmer gehinkt.“ – Hier trat ich ans Fenster und dankte Herrn Kummerfeldt für die gütigen Nachfragen. Daß war das erste Mal, als ich Herrn Kummerfeldt von Gesicht sah und mit ihm sprach. In dem alten Jahr wurde nur noch einmal gespielt, und in dem neuen 1766 tanzte ich wieder mit. – Freilich, wenn ich einen Sprung machte, fiel ich nur auf den rechten Fuß, und der linke blieb schwebend, den ich durfte und konnte auch noch nicht auf beyde zugleich fallen! – Wie oft sezte ich mich aus, den rechten zu zerbrechen wegen der ungleichen Last und in der Kälte. Den Garderoben waren noch nicht, und ein kleines Kohlenfeuer war alles, woran ich mich wärmen konnte. – Der Ofen stand auf der linken Seite, wo sich die Herren ankleideten. Auf der rechten war ein grosser Kamin, da 231 Zur ersten Begegnung mit Diedrich Wilhelm Kummerfeld und zu seiner Tätigkeit als Bankbuchhalter s. HHS, S. [348], insbes. Anm. 651. 232 11. November 1765.
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brandte es wie im Backofen; aber das konnte ich nicht vertragen. – (Wie gut haben es die jezigen Schauspieler! – Wir [57r/121] mußten viele Bequemlichkeit entberen. – Und wenn in Ballhäusern gespielt oder wie in Maynz ein Haus von Brettern gebaut wurde – o wie oft, wie oft schüttelte ich den Schnee erst von meinen Kleidern, wenn ich mich umkleiden mußte! – Und doch nicht geklagt. Wir wußten es nicht anders.) Nach meiner Arbeit hinkte ich an meinen Stock nach Hause – oft mit Thränen! Und was fand ich? – Eine todkranke Mutter, die mit jedem Tage schwächer wurde. – – – Wer hat mich klagen hören? – Oder wurde meinetwegen ein neues Stück aufgeschoben? – Nein, ich fehlte gewiß nie. Da die Maskenballe angiengen, wurde nur viermal die Woche gespielt233. Aber die vier Comödientage war ich auch immer auf dem Platze – wie sauer es mir ward! und daß ich nicht krank wurde. – Aber Gott gab mir da immer die größte Stärke, wenn ich sie am nöthigsten brauchte. Seid Neujahr kam ich in kein Bett mehr. Eine Matratze wurde auf den Fußboden gelegt, einige Kißen darauf, und so warf ich mich in meinen Hausklei[57v/122]de hin; weil, wenn meine Mutter des Nachts was bedurfte, es mir zu umständlich war, hinter den Stühlen hervorzukriechen, so konnte ich eher bei der Hand seyn. Herr Kummerfeld lies mich und meinen Bruder bitten, wenn er Gesellschaft hatte, ich lies danken: – „Nur drey Tage habe ich frey, wo ich mir selbst leben kann“ – und mir selbst leben, hies: nicht einen Augenblick von dem Krankenlager meiner Mutter kommen. – O, mir war es leid genug, daß ich sie in fremden Händen bei meiner Abwesenheit an Comödientagen lassen mußte! Was sind Krankenwärter, die man mit Geld erkaufen muß, gegen Wartung aus Liebe? – Und Gott weiß es! Hätte ich die Stunden, die ich den Dienst laßen mußte, mit Geld abkauffen können – mit Freuden hätte ich meine wöchendliche Gage hingegeben.
233 Zu den Maskenbällen s. HHS, Anm. 1061 f.
Erstes Buch, 30. Kapitel | 665
Dreißigtes Kapitel Die lezten Tage meiner Mutter Man hat so manches in die Welt hinein geschrieben, was den Schauspielern eben nicht zum Ruhm gereicht. – Man vergönne mir also, mich etwas länger bei den lezten Tagen meiner Mutter zu verweilen, weil sie auch Schauspielerinn war234. Nach ihren vielen Blutstürzungen bekam sie die Auszehrung und Wassersucht. Mit einer bewundernswürdigen Heiterkeit – mit der Heiterkeit einer Christin – sah sie [58r/123] ihr Ende herannahen. Eines Mittags, da weder mein Bruder noch ich essen konnten, sagte sie: – „Kinder! Warum weint Ihr? Freut euch, daß Gott endlich mein Leiden enden will! – Ich bin euch doch nur eine Last. – Kann nicht mehr arbeiten. – Das weiß Gott, wie gern ich sterbe! – Ja, wenn Ihr noch kleine Kinder wäret? – – Wie zufrieden kann ich diese Welt verlaßen: Ich laß euch zurück: gesund – nicht reich – aber doch auch nicht arm. – Ihr seid geliebt, geachtet in der Welt, habt was gelernt, um euch euer Brod ehrlich zu verdienen; seid nicht lüderlich – nicht gottlos – habt keine Schulden. – Glaubt! wenn Ihr weint, so beneidet Ihr mir mein Glük – und macht mir das Herz schwer. – Seit noch frölig mit mir die wenigen Tage: – Ich bitte euch!“ – – – Mein Bruder sprang vom Tisch auf, warf seine Serviette hin und sagte zu mir: – „Gieb mir für jede Mahlzeit hundert Thaler – ich eße nicht mehr zu Hause – daß kann ich nicht aushalten.“ Ich: „O Carl – und Mutter? Ich soll allein vor den Rest bleiben? – Carl! thu es nicht!“ Carl: „Wie Du es aushalten kannst – weiß ich nicht. – Genug, ich kann’s nicht.“ – Weg war er! – – Der arme Bruder! – Ich [58v/124] mußte es freilich mehr gewohnt werden, weil ich gar nicht von ihr kam. – O, solche Auftritte, wo sie mir Trost – Muth zusprach, hatte ich schon viel mit ihr gehabt. – Und nach solchen Scenen des Jammers – spielte ich, mußte in lustigen Rollen das ganze Publikum zu lachen machen, und das Herz blutete mir. – – Wußte so mein Leiden in mich zu verschließen, daß kein Mensch es merkte noch wußte, daß ich eine sterbende Mutter im Hause hatte. – – Ach! und wie dankte ich Gott, daß ich’s konnte! – Das Publikum will für sein Geld zufriedengestellt seyn. – Was kann’s dafür, daß der Schauspieler Kreuz im Hause hat? – – Den 12. Februar des Morgens sagte sie zu mir: „Was ich für Apetit zu Austern habe. – Sind wohl keine in der Stadt?“ Ich: „Ich weiß es nicht, liebe Mama! – Ich glaube wohl nicht.“ 234 Die Krankheit und das Sterben ihrer Mutter beschreibt Karoline Kummerfeld ausführlich in HHS, S. [349]–[360]. Viele Passagen wurden in der WHS fast wörtlich übernommen, dennoch wurden unterschiedliche Schwerpunkte in der Beschreibung des Lebensabends gesetzt. In der HHS wird viel ausführlicher auf das Verhalten Karls eingegangen. Auf die umfassenderen Annotierungen dieser Passage in der HHS sei verwiesen.
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Mutter: – „Nun, auch gut!“ Ich eilte auf meines Bruders Zimmer. „Lieber Carl! Mama wünscht Austern zu essen. Ich habe gesagt: Ich glaube nicht, daß welche zu haben sind. – Nun lauf, bestell auf den Mittag selbst welche, so schön, so gut als du sie haben kannst. – Wollen sie damit überraschen. – Mußt aber auch heute mittag zum Eßen kommen!“ – „Ja, das will ich! – Will [59r/125] ich! Will sie noch vor der Probe bestellen. – O ich weiß, wo sie die besten Austern haben.“ – – Kaum konnte ich es erwarten, daß die Probe vorbei und der Mittag da war. – Noch sprach sie einige Mal von Austern – und ich beklagte, daß keine zu haben wären – – doch konnte ich sie dabei nicht ansehen, den mein Gesicht würde mich verrathen haben. Wir kamen von unserer Probe – der Mittag war da, und, nachdem sie etwas Suppe gegeßen, brachte Carl und ich ihr ein Brett mit den ausgesuchtesten Austern vors Bette. – – – – – O mein Gott! – Die Freude! – Wie sie uns dankte – uns ihre guten, lieben Kinder nannte – die auch die kleinsten ihrer Wünsche befriedigten. – Ach! Und wie glüklich priesen wir uns, daß wir’s thun konnten. – – Da uns Gott zu vaterlose Waysen machte – konnten wir’s nicht! – Waren wir zu arm. – – – – – – Wie munter war die gute Mutter! Sie erinnerte uns an manche frölige Stunden, die wir unter uns gehabt, und so krank sie war, machte sie durch ihren Scherz Carln und mich herzlich zu lachen. – Verzehrte die Austern mit einer Munterkeit, wie sie in den gesündesten Tagen nie munterer war. – O welch eine Frau!! [59v/126] Den 14. sollte die letzte Comödie seyn vor dem Osterfest235, und zwar noch ein neues Stück: Die Englische Wayse oder der bestrafte Betrüger236.Ich hatte das Lieschen, eine Rolle, die nicht klein war, – und wußte von derselben wenig oder nichts. – Wie froh war ich, daß meine Mutter vom 13. auf den 14. in einen festen, ruhigen Schlaf fiel. Da konnte ich meine Rolle durchlesen – nur lesen, den zum Studiren war mein Kopf unfähig. – Späth nach Mitternacht warf ich mich auf mein Lager und schlief einige Stunden ruhig. – Früh war ich wach. – Aber welch ein Anblick für mich! – Alle ihre Gesichtszüge hatten sich verändert, und ich sah in jeden das Bild des Todtes. – Es war ihre Gestalt nicht mehr. – Ich verbiß in mir, was ich sah. – Mit bebenden Lippen frug ich: – „Wie befinden Sie sich?“ Mutter: „Wohl! – Habe diese Nacht gut geschlafen.“ Ich: „Daß haben Sie?“ 235 30. März 1766. 236 Die Waise oder Der falsche Großmüthige, Übersetzung der Komödie L’Orpheline où Le Faux Généreux von Antoine Bret; Theaterzettel UFB Gotha, Poes. 2° 2176, Bd. 8.
Erstes Buch, 30. Kapitel | 667
Mutter: „Ist mir lieb deinetwegen. – Armes Mädchen! Hast jetzt wenige Ruhe.“ Ich: „Ist meine Pflicht!“ – Mutter: „Ach ich weiß, du thust es gerne.“ Nach einigen Stunden hub sie an: „Bald wird es mit mir vorbey seyn. – Siehe, wie hoch schon die Geschwulst meiner [60r/127] Füße ist. – Noch ein wenig höher – und ich schlafe ein. – Wahr! hab viel ausgestanden; aber umsoviel sanfter wird mein Ende seyn. – – Und noch eine Bitte – doch die hat Zeit. – Kleide Dich nun an, es wird Zeit, daß du zur Probe mußt.“ – – – – Wie mir war? – – Wie ich zur Probe kam? Daß kann ich nicht beschreiben! – Daß fühlt man nur. – Die Comödienprobe war aus. Eckhof sieht nach der Uhr: wie lange es gespielt, und sagte: – „Das Stück spielt zu kurz – muß noch ein Nachspiel gegeben werden.“ Ich: „Warum nicht gar! Ist ja keins abgedank[t] worden? – Steht keins auf den Zettel?“ Eckhof: „Nur ein kurzes. Der Herzog Michel 237.“ – Ich: „Nun, daß sey Gott geklagt! – Jetzt fehlt nichts: als daß ich auch noch tanzen soll. – Herr Eckhof ! Sie wißen, daß das Haus heute voll wird, und da wollen Sie sich noch als Herzog Michel produciren. – Ja zum Teufel! Die Hamburger wißen es ja, daß Sie den Herzog Michel schön spielen“ etc. etc. – – – – Kurz, Eckhof behielte vor Herrn Ackermann recht. Den er sagte nichts dazu. „Daß geht zu weit! – So ist gegen mich kein Erbarmen? – Kein Mitleid?? – Muß ich heute auch noch tanzen – [60v/128] so!“ – – ich that einen fürchterlichen Schwur, den ich war ausser mir – – „bin ich heute das lezte Mal hier auf dem Theater. – Ihr kennt mich! – Nichts in der Welt soll mich mehr hier halten. – Meine Mutter stirbt – nun kann ich reisen. – Ihrendwegen litt ich manches, daß nicht zu leiden meine Schuldigkeit gewesen wär.“ – Herr Schröder, der mich so noch nie sah – und gewiß fühlte, daß man heute zuviel von mir verlangte, kam auf mich zu und sagte: „Beruhigen Sie sich! – Ich will ein Ballet geben, in welchen Sie nichts haben; können geben, was wir wollen, da keins auf den Zettel benannt ist.“ „Ich danke Ihnen, Herr Schröder! – Aber noch eins: – Das Nachspiel muß gleich nach der Comödie seyn.“ Eckhof: „Sie werden nicht fertig –“ Ich: „O, darum bekümmern Sie sich nicht! – Wär wohl das erste Mal in meinen Leben. – Wär frägt sonst: ob ich auch fertig werden kann? – Ich muß wohl fertig seyn.“
237 Herzog Michel oder Das fehlgeschlagene Glück, Lustspiel von Johann Christian Krüger nach Johann Adolf Schlegels Erzählung Das ausgerechnete Glück.
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Herr Schröder:– „Ja! Das Ballet soll den Schluß machen – wir geben Das Obstschütteln.“238 Eckhof schüttelte auch den Kopf und gieng. – Und er [61r/129] hatte Zeit, daß er gieng. Ich kam nach meiner Wohnung, fand sie lebend, aber sehr schwach. – Der Docter war da gewesen, aber ich hatte ihn nicht gesprochen. – Ich schickte fort und lies ihm aufsuchen. Er kam, ich stürzte ihm entgegen: „Um Gottes Willen, Herr Docter, ich will alles wissen! – Muß es wissen! – Wie lange kann nach Menschen Vermuthung meine Mutter noch leben?“ Docter: „Faßen Sie sich! Ich will sie sehen und es Ihnen sagen.“ – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Ich: „Nun, Herr Docter? – Was sagen Sie? – Aber die Wahrheit!“ Docter: „Die Wahrheit? – Sie kann in zwey Stunden tod seyn. – – – Kann es aber so noch drey Tage machen – aber schwerlich! – Sie ist zu matt. – Faßen Sie sich!!“ – – – Er gieng fort. – Ich sank auf meine Knie, weinte – betete. – Ich stand auf und gieng mit aller Fassung, die nur zu erzwingen war, zu ihr ins Zimmer. – „Liebe Mama! Sie sprachen heute Morgen von einer Bitte. – Was befehlen Sie?“ Mutter: „Gut, daß du mich daran erinnerst! – Ich will, daß du mit meinen alten Körper keinen Staat239 vornimmst. – Laß [61v/130] mich vor niemand, wie es hier Brauch ist, im Sarg sehen. – Ja keinen Staat! – Den ich kenne dich; weiß, wie du denkst: wenn du glaubst, man sieht auf dich. – Und wenn du dich nicht scheuest, so wünschte ich, daß mich niemand ankleide – wie du. – – (Sanft drückte sie mir meine Hand und lächelte mich an) – Du scheuest dich für keine Todte, wie könntest’ du es für deine Mutter? – Eine von meinen Doppelthauben240, wie ich sie im Hause trug, auf den Kopf – und nur in ein leinen Laken gewikelt.“ Ich versprach es und frug: „Ist das alles, was Sie verlangen?“ Mutter: „Ja!“ Ich: „Ich verspreche es Ihnen!“ – Nun gieng ich aus dem Zimmer und lies meinen Hauswirth kommen. – Seine Frau war auch krank. – „Herr! Ich muß zu meiner Arbeit. Er bleibt mit bei meiner Mutter – stirb sie – so spreche Er ihr in den lezten Augenblicken zu, wie Er seiner Mutter zusprechen würde. – Daß kein Fremder auf mein Zimmer komme – all das Meinige bleibt da. – Kommt was fort – fordere ich es von Ihm. – Stirbt sie? Daß sie niemand aus dem Bette nimmt, bis ich komme. Daß niemand sich unterstehe, mir die Nachricht von ihren Tod aufs [62r/131] Theater zu 238 Das Obstschütteln, Ballett. Nähere Angaben konnten nicht ermittelt werden. 239 Staat hier im Sinne von: Aufwand, teure Ausstattung. 240 Eine Haube aus doppelt verarbeitetem Leinen oder Baumwolle.
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bringen. – Will’s nicht wissen! – – Und komme ich nach Hause – und – lebt sie dann nicht mehr – – – o, um Gottes willen! so gebe Er mir die Nachricht mit Behutsamkeit – schlage er mich nicht auf der Stelle tod!“ Hauswirth: „Soll geschehen, Mamsellgen! Alles, wie Sie befehlen.“ – Nun packte ich meinen Theaterkorb ein und frisirte mich. – – – Die Stunde vier Uhr rufte mich zu meiner Arbeit. – Sprechen konnte ich nicht. – Ich küsste ihre Hände, Mund und Stirne – – – und gieng fort in mein lustiges Elend. – – – Was? und wie? ich gespielt, wußt ich nicht. – Weiß es noch nicht. – Soviel ist gewiß, daß ich kein Wort sagte, als was ich aus dem Soufleurloch hörte und man mir zuwinkte: Die Rede müßte ich sagen. – – Mein Glük war es noch, daß es keine von denen lustigen Mädchensrollen war – daß ich nicht lustig seyn durfte. – Nie ist das Stück wieder gegeben worden. – Aber das Nachspiel? – Was half Kunst? Zwang? Anstrengung? – Ich war Mensch!!! Natürlich war’s, daß mein Spiel den Tag sehr auffallend seyn mußte, den ich hatte die ganze Zeit hindurch [62v/132] mit so vieler Selbstverläugnung gespielt. Und nun? Mich und meine ganze Gestallt so verändert? – Man frug, man kam auf ’s Theater, steckte die Köpfe zusammen, sah mich dabey an; ich wurde es gewahr; bebte zusammen und dachte: – Ach, sie ist tod, die gute Mutter! Mein Wirth hat nicht Wort gehalten. – Wie verrückt kam ich in die Scene und frug: – „Ist sie tod??“ – – – Ach! Schon den Morgen war’s das zweyte Mal, daß ich in meinen Herzen sagte: Gott! Gott! Nimm mich vom Theater – las mich auf denselben nicht so alt werden wie meine Mutter. Kaum war das Nachspiel aus, so gieng das Ballet an – – mit einen Blick, als ich forteilte, sah ich meinen Carl: – Er sprang herrum, alles klatschte in die Hände, freute sich – – und den armen Jungen stürzten die Thränen über sein Gesicht. – – – Weinen – und Tanzen. – – – – – – – – – – – – – – – – – Einunddreißigtes Kapitel O Gott! Laß auch so mein Ende seyn Ich gieng an meinen Stock nach Hause – welch ein Gang war das? – O, so muß es einen armen Sünder seyn, wenn er zum Gerichtsplaz geht – wenn ihn der Kopf vor die Füsse gelegt werden soll. – – Sachte klopfte ich an die Vorhausthüre – mein Wirth kommt, macht auf – [63r/133] – ich sehe ihn an – und rufe laut: „Sie lebt! Ja, sie lebt noch, ich sehe es an seinen Gesicht.“
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Wirth: „Ja, sie lebt noch.“ O, nun war alles Leiden vergeßen – sie lebt noch – sie lebt noch!! In den Augenblick war der Grad meiner Freude der grösste, den ich je gehabt. Pelz, Stock, Kappe, eins flog da-, das andere dorthin – ich wollte nicht die Kälte vor ihr Bett bringen – wie ich die Thüre aufriß, waren ihre Arme schon aus den Bette gestreckt, um mich zu umfangen. – Ich warf mich in solche und lag sprachlos darinnen. – Ihre ganze Macht hatte sie angestrengt, mich fest an sich zu drücken. „Bist du da, liebe Line! O, daß ist gut! – Nun bleibst du bei mir – die Comödien sind vorbey.“ – – „Ja, liebe Mutter! Nun komme ich keinen Augenblick mehr von Ihnen – nun mag es Gott mit Ihnen machen, wie er will.“ Die Nacht wurde im Gebet zugebracht. – O, jedes Wort, was sie sprach, war Gebet. – Den Morgen, als den 15., verlangte sie noch einmal das Heilige Abendmahl. Der Geistliche kam, segnete sie ein – o, welch eine frome Sterbende! – Uns tröstete sie. – Sie bedurfte keines Trostes. – Sie war die Freude selbst. – Mit Freuden [63v/134] segnete sie ihre Kinder. – Befahl mir noch, alle die guten Menschen noch von ihr zu grüßen, denen ich ihren Tod melden würde. – Und wer sie gekränckt, denen hätte sie vergeben. – „Ach! Und gut, daß ich noch daran denke. Du wirst in den Koffer ein Päckgen mit Geld finden; – es liegt nicht bey eurer Gage – sind 9 Gulden. – Du weißt, wenn ich noch zuweilen eine Rolle mitspielte, gab mir Ackermann immer einen Gulden. – Die habe ich für euch zu einen Andenken aufgespart. – Laß für dich und Carln einen silbern Löffel machen – was fehlt, leg zu – und die hebt auf, mir zum Angedenken. – Aber meinen Namen laß darauf stechen.“ Ich: „Ja, liebe Mutter.“ Mutter: „O, ich weiß, du hälts[t] Wort.“ Wie dankte sie mir für alle Wartung – – Danken? – eine Mutter danken hören – – es war Pflicht-Schuldigkeit – – „O, ich that noch zu wenig – könnte ich Ihr Leben fristen!“ – „Nein, daß wünsche ich nicht – daß heist Gott in seinen Willen greiffen. – Jetzt sage ich dir’s – weil du nicht mehr von mir weggehst. – Aber wenn du nicht bei [64r/135] mir warst, habe ich dich sehr vermißt, – deine weichen Hände. Du hobst mich so sachte, faßtest mich so sanfte an; – die Leute verstehn daß nicht.“ Es wurde Abend – die Uhr schlug 9. Der Nachtwächter rufte die Stunde. – Sie richtet sich auf, hob ihre Arme in die Höh und rief wie in einer Entzückung: „Bald – bald werde ich bei meinen Jesu seyn! – Schon ein Uhr! – Nicht war, Line? – War daß nicht eins?“ Ich: „Nein, liebe Mama. 9 Uhr ist’s.“ Mutter: „Erst 9 Uhr – ach Gott! Noch so früh – so früh!“ Traurig sank sie nieder – schlummerte, wachte, seufzte zuweilen. – Die Uhr war nach 12 – Sie sah mich an – – – „O, was wünschen Sie? – Soll ich noch mit Ihnen beten?“ – Sie
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hebt ihre linke Hand in die Höh und zeigt mit solcher nach einen kleinen Cruzifix, daß in dem Bette hieng, schlug die Augen gross auf, falltete mit hoch emporhebenden Armen die Hände zum Gebet, lies solche sanft auf ihre Brust nieder und sprach die lezten Worte: „Im Herzen! Im Herzen!“ – – – Mund und Augen schloß sie selbst, ihre Hände blieben gefaltet zum Gebet. – Sie schlummerte hin in die Arme [64v/136] ihres Erlosers. – Keine Zuckung, kein Röcheln, kein Seufzer. – Wie ein Lämpchen, das nach und nach erlößcht. – Als ich keinen Othemzug mehr von ihr an meinen Gesicht fühlte, war’s Sontags, den 16. Februar, des Morgens 4 Uhr. – O Gott! – Laß auch so mein Ende seyn. Amen! Amen! Sie war geboren im Jahr 1712241 – noch keine 54 Jahr. – Wären in den Jahren meiner Jugend so grosse Gagen im Brauch gewesen wie jetzt. – Dann hätte sie vielleicht länger leben können. Sie hätte sich, da das Alter herrannahte, mehr pflegen können. – Sie scheute nicht Hitze, nicht Kälte. „Ich muß für euch sorgen, damit ihr keine Schulden, damit ihr keinen Vorschuß bei Ackermanns habt“. Wenn Carl und ich baten, sie möchte sich mehr schonen, war daß immer ihre Antwort gewesen. Die ersten Jahre bei unsere 9 und 10 Gulden Gage – borgte sie entweder von Garbrechts oder Wo[l]frams einen kleinen Laubthaler242, wenn die Reise nicht weit war. – War sie gross, so borgte sie von beyden einen kleinen Thaler – sparte, wenn wir an Ort und Stelle waren, bei Kreutzer und Kreutzer zusammen und bezahlte ihre [65r/137] Schuld – um, wenn’s wieder auf eine Reise gieng, es ihr auch gern wieder geborgt würde. – Und doch klagten wir nicht und ließen manches Unrecht – manches Herzeleid, daß man uns zufügte, über uns ergehen. Nur erst, wie wir 12 Gulden Gage hatten und länger uns an einen Ort aufhielten, erholten wir uns. – Jetzt durfte sie uns nicht alle harte Arbeit mehr thun. Wir litten es durchaus nicht mehr. – Aber ihre Gesundheit war hin, und sie fieng an bettlägerig zu werden, schon in Maynz. – Wie sie Mutter für ihre Kinder war, habe ich keine – keine bei dem Theater gefunden. Wie der Tag angebrochen und ich die Vorhänge von denen Fenstern aufzog, sah ich Herrn Kummerfeldt an seinen Fenster, der dasselbe that. – Ich winkte ihn und sagte
241 In der HHS gibt Karoline Kummerfeld das Geburtsjahr der Mutter mit 1708 an; HHS, S. [5]. 242 Laub- oder Lorbeertaler ist die deutsche Bezeichnung für das in Frankreich 1726–1790 geprägte 6-Livre-Stück, eine auch in Deutschland im 18. Jahrhundert verbreitete silberne Handelsmünze; Wörterbuch der Münzkunde, S. 345 f.
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zu ihm: daß meine Mutter tod sey. – Er antwortete mir nichts – aber sein Blick sagte mehr. – Sagte: daß er meinen Verlust fühlte. Zweyunddreisigtes Kapitel Enthält mancherley Noch hatte ich einen heftigen Sturm zu befürchten: – Es war mein Bruder. – – Ich kannte seine unbändige Hitze. – Ich hatte ihn gebeten: die Nacht auf seinen Zimmer nur zu bleiben; – den hätte er daß so alles mit angehört, [65v/138] er wär rasend geworden – den der eine Mittag war mir in zu frischen Andenken. Nach 6 Uhr wollte ich ihn wecken. – Ich küßte die Leiche meiner Mutter – „Will’s nun deinen Sohn sagen, daß wir Waysen sind!“ – Er wachte – lag angekleidet im Schlafrock auf den Bett. Carl: – „Nun – was macht Mama? – Soll ich wachen? – Willst du schlafen?“ Ich: „Carl! – Die Mama ist sehr schwach – bald ist’s vorbey.“ – Carl: „Was? – Herr Jesu!!“ – schrie er und wollte mit Ungestüm ins Zimmer – ich trete vor. „Carl! Faße dich – sie ist tod!“ – – „Tod! Tod! Tod!“ schrie er und stürzte in die Stube – ich ihm nach – „So faße dich, faße dich!“ – Er wollte auf sie zu ans Bett – ich will ihm zurückhalten: – „Fort!“ schrie er und warf mich in die Ecke ans Fenster, daß, wenn ich mich nicht zwischen Tisch und Stuhl erhalten, ich um- und umgeschlagen wär. – – „Nein, nein sie ist nicht tod – so sah sie immer. Mama! Mama!“ schrie er und schüttelte sie, daß sie erwachen sollte. – Ich wollte ihn wegreißen. „Carl! Carl! faße dich doch. Um Gottes Willen! – Sie ist tod!“ – Stumm und schluch[66r/139]zend lag er auf ihr. – Ich lies ihn weinen und dankte Gott, das er’s konnte. – – Endlich sah er mich an und sagte: „Warum hast du mich nicht gerufen?“ Ich: „Weil ich dich kenne. Wollten wir Specktakel in der Nacht machen? – Ihr Ende durch unser Geschreu verbittern?– Sie ist dahin – und da!“ – ich fiel ihn um den Hals – „hast du ihren lezten Abschiedskuß und Segen,– den Sie mir kurz vor 12 Uhr gab.“ Carl: „Ach Line! – Hast recht gehabt. – Wann starb sie?“ Ich: „Vier Uhr war sie ganz verschieden.“ – Wir tratten vor ihr hin, Hand in Hand geschlungen und weinten. Der Friseur kam dazu – wie mein Bruder den sieht, fährt er wieder auf – – „Was wollen Sie? – Sind Sie toll? Ich mich frisiren lassen? – Und meine Mutter ist gestorben – gehen Sie!“
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Ich: „Carl – Carl! Wie bist du? – Es ist ja seine Stunde. – Gehn Sie, guter Fersen243! und sagen Sie an Ackermanns, – daß unsere Mutter tod ist.“ Sonst ließen wir es an keinen sagen, den es hatte sich ja keiner um uns bekümmert. [66v/140] Herr und Madame Ackermann schickten die Mademoiselle Klara zu uns und ließen uns conduliren und uns zugleich sagen, daß, wenn wir Geld nöthig hätten, sollten wir es ihnen doch melden. – Wir dankten – und sagten: „Nein!“ Gegen den Abend kam Madame Ackermann selbst und sagte zu mir: „Kind! Seyn Sie aufrichtig, brauchen Sie Geld? So sagen Sie es mir. Ich dachte, Sie wollten es der Klara nicht sagen. – Es würde mich kränken, wenn Sie von Fremden borgten. Solche Fälle kosten Geld.“ (Da hatte sie recht – und besonders in Hamburg. Da kostet oft der Sarg mehr wie an anderen Orten ein ganzes Leichenbegängniß. – Ländlich, sittlich.) – Aufrichtig versicherte ich ihr meinen Dank für ihre Fürsorge – „Und Madame, auf Ehre! Ich brauche nicht zu borgen. Auch von keinen Fremden.“ Madame Ackermann: „Daß ist mir herzlich lieb, daß Sie in der Verfassung sind.“ Ich: „Ja, Madame Ackermann! Daß verdanke ich noch dem Andenken von Hannover und Bremen.“ Auch Herr Kummerfeldt hatte geschickt und uns sein Beileid bezeigen lassen und uns zugleich bitten lassen: wir [67r/141] sollten ihm den Montag abend die Ehre erzeigen und bei ihm speisen. Ich ließ danken: „Solange ich meine Mutter habe – obgleich tod – weiche ich nicht von ihr.“ Dienstag abend wurde sie zur Ruhestätte gebracht. Wie sie es befahl, habe ich sie gekleidet. Ihre Beerdigung war nicht prächtig – aber machte uns auch keine Schande244. Mitwoch abend, als den 19. Februar, war ich mit meinen Bruder das erste Mal in Herrn Kummerfeldts Wohnung. Wir lernten an ihm einen geraden, schlichten Mann kennen, ohne gekünstelte Complimente und Schmeicheleien; der aber das, was er sagte, auch schien zu meynen. – So mußten die Menschen seyn, wenn ich sie zu meinem Freunde wünschen sollte. – Den Sontag darauf hatte er Gesellschaft gebeten und uns auch dazu geladen; es war der erste Tag wieder, wo ich frölig war. – Man frug mich: wie mir Hamburg gefiel? Ich versicherte, daß ich nicht davon richtig urtheilen könnte. Den ausser Theater und unsere Kapelle weiß ich von Hamburg wenig – fast nichts.
243 Friseur Fersen: Nicht ermittelt. 244 Zu den näheren Umständen der Beerdigung s. HHS, S. [362]–[367].
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Nicht einmal den schönen Wall245, den Hamburg haben soll, habe ich betreten. – Ich konnte ja nicht! „Nein, das ist nicht recht. Nun, Sie sollen Hamburg kennenlernen.“ [67v/142] Noch war’s in der Faste und die Comödien nicht angegangen, als eines Morgens der Friseur zu meinen Bruder sagte: „Haben Sie, Herr Schultze, den noch gar nichts davon gehört, daß eine ganz infame Kritik auf Ihre Mamsell Schwester herraus seyn soll.“ Schulze: „Nein! – Woher wissen Sie daß?“ Friseur: „Je, die ganze Stadt und alle Mäuler bey der Gesellschaft sind davon voll. In einer Zeitung steht sie.“ Mein Bruder kommt zu mir und sagt mir das Gespräch mit seinen Friseur. Ich: „Nun, was wird daß wieder seyn? – Thue keinen Menschen was zuleide, – beleidige niemand – und mich kann man nicht ungehudelt seyn lassen. – Die Zeitung muß ich haben.“ Den Nachmittag sah ich Herrn Kummerfeldt am Fenster. Ich redete ihn aus den meinigen an und frug darnach? Herr Kummerfeldt: „Je, Mademoisell, daß ist was Altes! Und daß haben Sie erst heute gehört?“ Ich: „Ja! – Wer soll mir was sagen? Ich komme ja nicht aus meiner Wohnung. – Habe mit keinen Menschen Umgang und lese keine Zeitung. In welcher steht solches?“[68r/143] Herr Kummerfeldt: „Wie die Zeitung heißt, weiß ich nicht. Aber ein Freund von mir hat solches ausgeschrieben; kann ich eine Abschrift davon haben, so schicke ich sie Ihnen morgen zu.“ Herr Kummerfeldt hielte Wort. Ich bekam die Abschrift. Oben stand: „Auszug aus dem Reiche der Wissenschaften und der schönen Künste. Hamburg, den 21. Februar 1766.“246 Gerade um die Zeit an was gearbeitet, mich zu kränken, wo ich meines Jammers weder Anfang noch Ende wußte. Ich war wie aus den Wolken gefallen. Schiebelers Ode247, an die ich nicht mehr gedacht, hatte jemand zu Gesicht bekommen und sich waydlich auf meine Kosten lustig gemacht. – Keine Anfängerinn, keine halbjährige Schauspielerinn, kurz, die Schlechteste von allen Schlechten
245 Damit sind die 1616–1628 geschaffenen Wallanlagen (Befestigungen) gemeint. Sie wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts geschleift und in Grünanlagen umgewandelt; Hamburg Lex, S. 515. 246 „Freye Nachrichten aus dem Reiche der Wissenschaften und Künste“, 8tes Stück, Hamburg, den 21. Februar 1766. Vgl. dazu WHS, 1. Buch, Kap. 33 und 34 und HHS, Anm. 692. 247 S. dazu oben WHS, 1. Buch, Kap. 24, S. [44r/99]–[46r/101].
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konte man nicht so herruntersetzen wie mich248. Zum Schluß sagte der liebe Mann: deswegen hätte ers geschrieben, damit mich so ein übertrieben Lob nicht stolz machen sollte. Sagte: daß es mein Glück wär – daß ich anfieng, mich nach Eckhofs Unterricht zu bilden. Sehr dumm hätte ich seyn müßen, wenn ich den Canal – woher es kam, nicht hätte merken sollen. – Aber wer hat’s geschrieben? – Wer schreibt die Zeitung? – Daß wußte [68v/144] niemand, selbst Eckhof, der doch alle Weißheit allein haben wollte, sagte, er wisse es nicht! – Und die übrigen Consorten schwiegen mit Vorbedacht still. – Alle Mühe, die ich anwandte, war vergebens. Weh that es mir – denn wie habe ich mich bei Empfang der Ode von Schiebeler genommen? – Eckhof, der grosse Eckhof wich mir aus – konnte mich nicht ansehen – mich, seine Schülerinn nicht – die nun erst anfieng, sich nach ihm zu bilden. – Kam schnell auf den Bescheid, den ich ihm wegen den Herzog Michel 249 in Gegenwart der ganzen Gesellschaft gegeben hatte. Jezt, da ich dem Theater – hoffe ich! – Gute Nacht gegeben – jezt sage ich: Meine Verdienste bei dem Theater waren gross! – So gross, wie sie nur wenige erreichen. Eckhof, Kenner der Schauspielkunst, sah daß wohl. – Aber hatte den Eigendünkel, daß bey dem Theater, wo er war, alles Gute seinen Ursprung von ihm und durch ihm herkommen sollte. – Daß sollten die Leute glauben. – Darum machte auch er mich bei den Leuten zu seiner Schülerinn. Nie! nie, war ich eine Schülerinn von Eckhof. Wär er mein [69r/145] Lehrer gewesen, laut wollte ich’s sagen, den es brächte mir Ehre und keine Schande. Aber es ist nicht wahr! Er war als Schauspieler, wenn er an seinen Plaz stand, ein grosser Künstler. – Aber auch der grosse Eckhof hatte Rollen, die er miserabel spielte; und den Fehler, daß er es nicht einmal von sich glauben wollte. Wenn ich ihm sagte: „Mit der Rolle solten Sie auch zu Hause bleiben“, antwortete er mir: „Die Rolle habe ich gespielt, wie Sie noch nicht auf der Welt waren.“ – „Eckhof ! Daß ist noch kein Beweiß, daß Sie sie gut spielen? – Masuren250, Strabo251 und dergleichen sind Ackermanns Rollen, wenn Sie gleich hier in Hamburg darauf applaudirt werden. Die Wahrheit zu sagen: Sie machen Bickelheringe252 daraus.“ – So sprach die sein sollende 248 Zu der in der Presse ausgetragenen Diskussion über die Verse Schiebelers und und das schauspielerische Talent von Karoline Schulze s. HHS, Anm. 694. 249 Herzog Michel oder Das fehlgeschlagene Glück, Lustspiel von Johann Christian Krüger nach Johann Adolf Schlegels Erzählung Das ausgerechnete Glück. 250 Herr von Masuren: Rolle im Theaterstück Der poetische Dorfjunker, auch Die Poeten vom Lande oder Der Poet vom Lande, eine Übersetzung des Lustspiels La Fausse Agnès ou le poète campagnard von Philippe Néricault Destouches. Zu Rollenfächern s. Maurer-Schmoock, Theater, hier v. a. S. 157–168. 251 Strabo: Rolle im Theaterstück Democrit – Der lachende Weltweise, eine Übersetzung des Lustspiels Démocrite von Jean-François Regnard. 252 Pickelhering: Spaßmacher, Narr im Lustspiel. Der Begriff kam mit den englischen Wanderkomödianten
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Schülerinn mit ihren Meister. – Wenn mir in einer Rolle oder in einen Gespräch oder Buch ein fremdes Wort, ein Ausdruk, ein Name usw. vorkam, den ich nicht verstand: ja, so frug ich: „Was will daß sagen?“ – So frug ich Wolfram, Döbbelin, Schröder, Boeck, Brückner253, [69v/146] Borchers254, Seipp255 etc. etc. etc. und schäme mich nicht, daß zu gestehen – frage noch? und frage gern. – Schülerinn heist: Wenn man einen die Rollen wie den Kindern das Vaterunser vorbetet. – Und daß hat nur mein Vater gethan, und weiter hatte ich keinen Lehrmeister, der sich die Mühe mit mir gegeben. Keine Zeile zum Dank hatte ich an Schiebeler geschrieben; kannte ihn nicht einmal von Ansehn. – Für Hamburg und an denen Örtern, wo ich war, war’s mir gleichgültig – aber die Örter, wo man mich nicht kannte? – Ein solcher Wisch kann dem Schauspieler um Brod, um alle seine Verdienste, die er hat, bringen. – Da ich mich also an den Verfasser nicht selbst wenden konnte: beantwortete ich die Kritik, und es sollte in die „Grundsche Zeitung“256. – Alle diese Art Aufsätze mußten – (so sagte man mir) dem Herrn Syndicus Schu back257 zugeschickt werden. Ich that es, – und hier ist seine Antwort an mich. Erst
zu Beginn des 17. Jahrhunderts nach Deutschland. – Zur Kritik Kummerfelds an Ekhofs Spiel s. a. Holtei, Bruchstücke, S. 214 (s. Kap. III.5.1): „Er wollte ein Talent erzwingen, das ihm die Natur versagte, denn nur zu dem trocknen komischen hatte er es, entstellte sein Aeusseres zur scheusslichsten Fratze, und wurde als Masuren, Lehrbursch im politischen Kannengiesser, in dem bürgerlichen Edelmann, Kranken in der Einbildung u.s.w., in der That ekelhaft.“ – Zu Ekhof, der noch zu Lebzeiten ‚Vater der deutschen Schauspielkunst‘ genannt und zu einer Vaterfigur geradezu stilisiert wurde s. die kritischen Bemerkungen von Beate Hochholdinger-Reiterer, Kostümierung, bes. S. 145–250. – Zu Karoline Kummerfelds Bemühen, nicht unter die Schüler Ekhofs gezählt zu werden, s. a. HHS, S. [199], [296] mit Anm. 558 und künftig Gudrun Emberger, „Was ich bin, was ich kann, lehrte ich mich selbst – What I am, what I know, I taught myself“ (Überarbeitete Fassung eines Vortrags im Rahmen der Tagung „Eighteenth-Century Ego-Documents: The Individual in Society“, Universität Zürich, 8.–10. März 2017, Ms abgeschlossen). – Auch wenn Karoline Kummerfeld nicht Ekhofs Schülerin sein wollte, so war er doch gern gesehener Gast im Hause Kummerfeld; Hermann Uhde, Konrad Ekhof, in: Der neue Plutarch, hg. von Rudolf Gottschall, 4. Theil, Leipzig 1876, S. 119–238, hier S. 155. 253 Johann Gottfried Brückner (1730–1786), Schauspieler. 254 David Isaak Borchers (1744–1795), Schauspieler. 255 Christoph Ludwig Seipp (1747–1793), Schauspieler und Theaterdirektor. 256 Damit ist die erste in Hamburg regelmäßig erscheinende Tageszeitung, der Hamburgische Correspondent (Sta[a]ts- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten) gemeint, auch Grundsche Zeitung genannt, da sie seit 1731 im Verlag von Georg Christian Grund bzw. der Grundschen Erben in Hamburg erschien; Tolkemitt, Correspondent. Zum Hamburgischen Correspondenten s. a. HHS, S. [492], Anm. 909. 257 Jacob Schuback (* 8. Febr. 1726 Hamburg, † 15. Mai 1784 Hamburg), Jurist, Verfasser von Bühnenwerken und Komponist, war seit 1760 Syndikus in Hamburg; s. HHS, Anm. 626.
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machte er mir ein Compliment, daß es gut, richtig und püncktlich beantwortet sey, – doch sprach er zugleich: daß jeder, der mich [70r/147] kennt, eines weit beßern von mir überzeugt wär, als was ein schlechter Mensch mehr aus Privathaß gegen mich geschrieben, um mich zu kränken, als daß es eine Kritik sey, wie eine Kritik seyn müßte. Er wolle es einrüken lassen, aber der Mensch würde wieder antworten, und auf die Lezt würde es ein Federkrieg, bei dem der Rechtschaffene sich doch immer ärgerte. Ich sollte also, wenn seine Bitte bei mir etwas vermögte – es nicht drucken lassen. Zehn solche Pasquillanten258 würden nicht imstande seyn, die Liebe und Achtung zu unterdrüken, die ich mir von Freunden und Kennern des Theaters erworben etc. etc. Was sollte ich nun thun? – Wenn ich auch noch so aufgebracht war – mich konnte ein Wort, – ein Blick besänftigen. – Ich gab nach! – Hat mich oft gereut. Nur den Verfasser noch zu wissen, war der einzige Wunsch, der übrig blieb. Dreyunddreysigtes Kapitel Die Kritiken kommen im Gang Sorgen, Gram, Verdruß hatten auf meinen Körper gewirkt; um mich zu erhalten, um mich nicht stets an den Verlust meiner Mutter zu erinnern, hatte mein Bruder ein munterers Quartir gemie[70v/148]thet. Herr Kummerfeldt sowohl als diejenigen, die ich durch ihn kennenlernte, suchten mir Hamburg angenehm zu machen. Jetzt lernte ich erst Hamburg in seiner ganzen Schöne kennen. – Ich hätte vergnügt und die ganze Gesellschaft es seyn können – wenn Neid und Boßheit hätten ruhen können. Der Sommer war kaum angegangen, so erschienen die abscheuligsten Kritiken – oder vielmehr Pasquillen. Da blieb weder Ackermanns Familie noch der ganzen Gesellschaft für einen Groschen Ehre. Nur Madame Hensel und Herr Eckhof blieben und waren die Non plus ultra. – Jede Woche war was Neues da, Kritiken und Antworten. Eine so schlecht wie die andern. Eine erschien, wo die zwey Ausschusse auch ihren Antheil so derb erhielten als keiner von uns. Die soll ein durchreisender Schauspieler gemacht haben: Herr Unterfutter259, damals Doublure genannt. – Ob es wahr war? – weiß ich
258 Verfasser einer anonymen Schmähschrift. 259 Ausschuss: hier im Sinne von Auslese. – Herr Unterfutter genannt Doublure, Schauspieler. Er war 1766 für einige Monate Mitglied der Ackermannschen Gesellschaft; Meyer, Schröder I, S. 151.
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nicht! Madame Hensel sagte es – und die mußte es doch wissen. [71r/149] – Ich war noch die Ruhigste mit, ob es mich gleich auch ärgerte. Nur wissen wollte ich, wer die erste, die im Februar, auf mich, gemacht. Endlich wurde still, dann laut gesagt: – Der Verfasser von den Pasquillen wär niemand als Sekretär Löwe in Schwerin. Ich wollte es nicht glauben und nahm seine Partie. Endlich sagte Herr Mirck260: „Sie sollen überzeugt werden.“ Löwens Schwager, der junge Carl Schönemann261 – jung wurde er genannt, ob er gleich schon in die 40 Jahre hinein war, der hielte sich damals in Hamburg auf, war immer auf dem Theater, sowohl bei Proben als Comödien. – Dieses Männlein, dessen Geschäffte das Acouchement262 bei den vornehmen Hunden in Schwerin war, denn sonst konnte man ihn zu nichts nützen, als daß er Raport brachte, wenn junge Hunde geworffen waren und wieviel? – dieses Männlein schrieb jedes Wort, was er hörte und glaubte, sein Schwager könnte es brauchen, nach Schwerin. – Mann machte die Probe: Herr Mirck sagte etwas zu mir, daß er aber hören konnte, den wir stellten uns, als wenn wir ihn nicht sähen – und richtig war’s in 8 Tagen gedrukt zu lesen. – Dem ohngeachtet konnte ich es nicht glauben, das Löwe so ein schlechter Mann seyn könnte. – Ich dachte mir damals die Menschen noch nicht [71v/150] so arg, daß sie mit der einen Hand umarmen und mit der andern morden könnten. – Bin aber zur Erkenntniß gekommen. – Mir fiel jedes Wort ins Gedächtniß, daß er mir ehemals gesagt. – Nein! nein, so boßhaft, so niederdrächtig kann der Mann nicht seyn. Das Geschreibe hörte nicht auf. Die ganze Gesellschaft kam in Gährung; der schöne Garten, woran Ackermann so lange sorgfältig gebaut, wurde von Maulwürfen untergraben. – Inzwischen sollte es doch mir vorbehalten seyn, den verlarvten Schurken die Maske abzureißen. – Schnurrig263 kam ich dahinter. – Ich hatte den kleinen Cirkel meiner Freunde bei mir zu Tische geladen. Die Speisen lies ich ausser Hause machen. Man bringt solche. Ich sehe sie nach der Reihe an – und der Braten war mit Papieren überdeckt. Es waren Zeitungen dabey. Die erste, die ich ansehe, les ich: „Freye
260 Georg Ehrenfried Mierk, Ballettmeister. 261 Karl Heinrich Schönemann (* wohl vor 1732), spielte als Kind in der Gesellschaft seines Vaters, wurde später u. a. Pferdehändler und war zeitweise in Schwerin als Bote in herzoglichen Diensten; s. HHS, Anm. 714. 262 Accouchement: Geburtshilfe. 263 Drollig.
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Nachrichten aus dem Reiche der Wissenschaften und Künste. 8tes Stück. Hamburg den 21. Februar 1766.“264 – „Tryumpf ! Tryumpf !“, kam ich ins Zimmer gesprungen mit der Zeitung, die durch die fetten Kapaunen265 erst Fett und Salz bekommen und davon triefte. – „Freut euch [72r/151] mit mir – da hab ich nun den Patron unvermuthet entdeckt.“ – „Wem? Wem?“ – schrieen meine Freunde und mein Bruder untereinander. – „Den Kritikenschreiber. – Da, da ist er! – Wer schreibt die Zeitung? – Wer giebt sie herraus?“ – Keiner von meinen Freunden wußte es. – „Fort! fort, keiner bekommt eher einen Bissen zu essen – daß muß ich erst wissen.“ – Einer von der Gesellschaft nahm die Zeitung und damit fort. – Er kam wieder, und daß erste Wort, was er sagte, war: – „Sekretär Löwe.“ – – – O, du elender Kerl! Ist noch so ein Schurke auf Gottes Erdboden? Hab ich den Kerl je was zu Leide gethan? – – Komm nach Hamburg! – Sollst an mich denken. – Wie freute ich mich auf den künftigen Morgen. – Mit der Zeitung in der Hand kam ich aufs Theater zur Tanzprobe; nannte nun öffendlich Löwen, was er war. Bat um Verzeihung, daß ich dessen Partie genommen. Schönemann, der in einen Winkel stand und spioniren wolte, den zog ich vor und ersuchte ihm, als seines Schwagers Packesel, solchen nur brühwarm zu berichten, daß er nicht mehr blindschleichen könnte, daß wir ihn nun kennten; soll[72v/152]te machen, daß er nach Hamburg käm, damit wir alle unsern Spaß mit ihm haben könnten. – Der alte Knabe wußte nicht, wie er vom Theater kommen solte; sprach kein Wort und war bange für seine schiefen Knochen, daß die unter den Händen der Tänzer gerade – oder noch schiefer gemacht würden. Er wählte allso den besten und kürzten Weg: lief davon, und lies sich bei keiner Tanzprobe mehr sehen. – Vierunddreisigtes Kapitel Der Herr Sekretär Löwe Herr Sekretär Löwe, den seine Schriften nicht mehr das tägliche Brod gaben und dem nun auch der verborgene Kanal, womit er sich einige Thaler verdiente, durch diesen Vorfall war abgeschnitten worden, wagte seinen Rücken und kam nach Hamburg – der 264 Zu dieser von Johann Friedrich Löwen herausgegebenen Zeitschrift s. WHS, Anm. 245 und HHS, Anm. 692. 265 Kapaun: Ein kastrierter, gemästeter Hahn. Im 18. Jahrhundert bekannt als Delikatesse, die zuerst in Salzwasser eingelegt und danach mit viel Butter gebraten wird.
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Hunger thut weh – und kann nicht so bald geheilt werden wie blaue Flecke. Er schlich herrum, wie jeder schleicht, der kein gutes Gewissen hat. So gebükt und demüthig auch für den geringsten bei der Gesellschaft, daß es nicht der Mühe werth gewesen wär, den Wurm zu treten. – Mit jeden schüchtern Blick, womit er den lezten Figuranten und den, der Stühle auf dem Theater sezte, ansah, las man auch die Worte: „Ja, ich bin der verlarvte Kritikus. Weiß das Unrecht, daß ich euch gethan – aber habt Erbar[73r/153] men mit meinen ohnedieß gebeugten Rücken. – Was thut man nicht ums Brod.“ Wirklich sahen wir ihn alle mit Mitleiden an; auch hielte er sich nur zu Madame Hensel, daß er sich im Nothfall hinter sie versteken konnte. Acht Tage kroch er so herrum. Am neunten wagte er es, mich anzureden. Löwe: „Mademoisell! Sie werden mich für einen Mann ohne alle Lebensart halten, da ich schon 8 Tage hier bin, ohne Ihnen mein Compliment gemacht zu haben. Ich weiß, Sie sind aufgebracht wegen denen vielen Kritiken, die geschrieben worden, und halten mich für den Verfasser. Aber so wahr Gott le-b-tIch: „Herr Löwe! Von allen Kritiken ist ja nicht die Rede. Ich bin’s ja nicht allein, die angegriffen worden? Hier ist die Rede von der ersten, die Sie in Ihre Zeitung rücken liesen über die Ode von Schiebeler –“ Löwe: „Mademoiselle! Ich – so wahr – Gott – – “ Ich: „Lassen Sie mich ausreden. – Herr! Erinnern Sie sich, wie ich Sie das erste Mal sprach, auf dem Theater und dann in Herrn Bubbers Hause?“266 – Löwe: „Aber, Mademoiselle! Ich weiß von nichts –“ [73v/154] Ich: „Wollen Sie Ihre Zeitung leugnen? – Kann Sie Ihnen weisen. Das Bratenfett ist noch daran zu sehen – so geht man mit Ihren Producten um. Ihr Schwager wird’s Ihnen bereits geschrieben haben, daß ist ja Ihr Packesel von neuen Zeitungen.“ Löwe: „Ja, Mademoiselle! Es steht in der Zeitung, aber ich bin nicht der Verfasser. Es ist mir durch einen Unbekandten zugeschickt worden.“ – Ich: „Herr! Sie müßen’s fühlen, wie gottverworffen Sie da vor mir stehen. – Was sind Sie für ein erbärmlicher Mensch.“ – Löwe: (Will reden – aber mit einen Blick, dem ich ihn zuwarf, schwieg er mäuschenstill.) „Nun haben Sie Zeit, daß Sie schweigen und mich ausreden lassen. – Noch einmal: Denken Sie an den Nachmittag bei Bubbers. An jedes Wort, daß Sie mir sagten; an jeden Ausdruk, wie Sie mich baten um meine Freundschaft; an jeden Wunsch, den Sie äusserten, mir Beweise Ihrer Freundschaft, Ihrer Hochachtung zu geben; an den Eifer, mir einst dienen zu können. – Bat ich Sie darum? – Schrieb ich Ihnen, Sie sollten mich loben? – Was war mein Ant[74r/155]wort?? – Nun ?? – – – Da stehen Sie
266 Siehe WHS, 1. Buch, Kap. 27 und HHS, S. [398]–[404].
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nun wie der ärmste Sünder und wissen nichts zu antworten. – – Nun Herr! Stellen Sie sich an meine Stelle. Gesezt, Sie wären daß, was ich bin, und ich wäre so – so – so ein Zeitungsschreiber, wie Sie sind. Ein Unbekandter schickte mir was zu, zu Ihren Nachtheil in meinen Wisch zu setzen: daß Sie auswärts, wo man Sie nicht kennt – an Ehre, Aufnahme und Brod verhindern könnte. – Was würde ich gethan haben? – Hät’s den Unbekandten zurückgeschickt mit den Worten: Der Mann verdient daß nicht! – Thut es nicht! – Oder wollt Ihr’s gegen meinen Willen doch thun: – so setze ich’s doch nicht in meine Zeitung. – Hätte ich so nicht handeln müßen, wenn ich Ihnen meine Freundschaft so versichert hätte, wie Sie mir? Und wär ich nicht der infamste, grösste Schurke gewesen, der auf Gottes Erdboden herrumkriecht, wenn Sie mir als mein Freund nicht lieber gewesen wären wie der unbekandte Pasquillante? – Nun reden Sie!“ Löwe: „Ja, Mademoiselle! Da haben Sie recht.“ Ich: „Nun gut, Herr! – Der infamste, grösste Schurke, der auf Gottes Erdboden herrumkriecht, sind Sie! [74v/156] Bleiben’s, solange Sie sich nicht legitimiren. Können Sie daß, das Sie an diesen, wie an allen, was geschrieben worden, keinen Theil haben: so thue ich Ihnen eine öffendliche Ehrenerklärung, wo Sie wollen. Können Sie nicht – und finden Sie sich beleidiget: so verklagen Sie mich. Zeugen haben Sie hier an allen, die da herrumstehen. – Können Sie sich aber nicht rechtfertigen und verklagen mich: so sage ich Ihnen vor dem Richter noch mehr. – Vor dem bekommen Sie – NB in Handschuhen – Nasenstüber. – Und nun weg von mir, und hüthen Sie sich, mir in den Wurf zu kommen.“ Diese Unterredung hatte ich den 22. August 1766 des Abends auf dem Theater. *XV Das ist der Held, den man nachgeschrieben, noch nachschreibt. Diese Geschichte bezieht sich nun auf daß, was ich in dem dießjährigen Theater-Kalender sagte: „Mir machte jedes gedrukte Lob mehr Verdruß als Freude. Dieß auseinanderzusetzen, müßte ich ein Buch schreiben. – Hier ist das Buch. – Und noch mehr soll’s auseinandergesezt werden, damit man auch erfare den Grund, warum das geschah. – Möchten nur alle noch leben! Denn daß ist das einzige, was ich zu bedauern habe; daß so viele schon davon tod sind. [75r/157]XVI Sollte man es glauben, daß der Löwe mit einer demüthigen Verbeugung fortgieng? – Kann man sich was elenders denken als so eine Memme von einen Mann? Und müßte man nicht vor ihm ausspucken, sooft man ihn nahekam? – Seine Rechtfertigung kam nicht, und da wurde er einige Monate darauf in einen Ballet als Kritikus in einen Vogelbauer gesperrt, wo alles in Logen und Parter sagte: Daß haben sie gut gemacht. Der Kerl hat’s an ihnen und mehr noch verdient.
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Seitdem sich Löwe selbst in Hamburg aufhielt, hörten die Kritiken auf, sie hatten ja den Grund zu dem gelegt: was werden solte: Nehmlich die Gesellschaft unruhig und verdrieslich zu machen und selbst bey Herrn Ackermann den Wunsch zu erregen: Ich wollte, daß ich den ganzen Gram267 los wär! – Dieß war auch der Wunsch der Madame Hensel, daß endlich einmal ein Theater zustande käm, wo sie allein Primadonna seyn konnte. Hamburg war der Ort, den sie fand, ihr Lieblingsproject zustan dezubrin[75v/158]gen. Löwe verschoß die Bolzen, die sie geschmiedet, und sie fand reiche Freunde, die mit ihren Geld das Project ausführten. Herr Seyler268 und Herr Bubbers waren die Hauptunternehmer, und Herr Löwe wurde zur schuldigen Danksagung Directeur, seine Frau wieder Schauspielerinn. Daß ist der wahre Ursprung des Hamburger neuen Theaters, daß nach Ostern im Jahr 1767 seinen Anfang nahm269. Fünfunddreissigtes Kapitel Madame Hensel Herr Bubbers soll der Einzige gewesen seyn, der es nicht gern gesehen, wenn ich fortgegangen. – Um mir also den Muth zu benehmen, mich auf einen andern Theater zu engagiren, ja, mir durch die vielen Kritiken bei jeden grossen Theater zu schaden, wurde ich so geschmäht, so ganz herruntergesezt. Damals war es ja noch nicht Mode, wie es seit einigen Jahren geworden: theatralsche Reisen zu machen. Im Gegentheil, man hielte von denen Schauspielern nichts, die von selbst zugeloffen oder -gefahren kamen. Madame Hensel, die nun einmal ganz allein glänzen wollte, schlug Schauspielerinnen vor, die ihr freilich nicht schaden konnten. Unbegreiflich war’s, daß eine Frau wie sie, die so viele Kunst und Talente hatte, durchaus keine dulden wollte, die ihrer Kunst ebenso gewachsen war wie sie270. – Und ist den [76r/159] die Schauspielerinn wirklich gross zu nennen, die keine neben sich von Talenten hat? – Wer kennt nicht das alte Sprichwort: Unter den Blinden ist der Einäugige König. Ist’s den Kunst, den Vorzug vor allen zu haben, wenn ich mir in jeden Stük die beste Rolle herauswählen kann? – Das
267 Kram. 268 Abel Seyler (1730–1800/1801), Kaufmann, Theaterdirektor. 269 Damit ist der von Löwen mitinitiierte Versuch der Gründung eines deutschen Nationaltheaters, die sogenannte Hamburger Entreprise, gemeint; s. HHS, S. [404] mit Anm. 745. 270 Auf ihr angespanntes Verhältnis zu Friederike Sophie Hensel geht Karoline Kummerfeld auch in der HHS , S. [388]–[395] ausführlich ein. Längere Textpassagen werden hier leicht überarbeitet erneut wiedergegeben. Siehe dazu auch Meyer, Schröder I, S. 141 f., 149 f.
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weiß Gott, daß ich Madame Hensel oft bemitleidete und noch öffterer über sie lachen mußte. Wenn ein Stück gegeben wurde, in dem sie nichts hatte und es gefiel: war das ganze Publikum Ochsenzeig – wurde es zwey, dreymal bei vollen Hause wiederholt, ja dann war der Teufel vollends los. – „Solch ein elendes Stück!“ – Den Verfasser wie den Zuschauer blieb gewiß für keinen Heller Ehre – Nun wollte sie abdanken – fortreisen von solchen dummen, undankbaren Publikum – gar nicht mehr spielen – ihre besten Rollen verhunzen – und weiß der Himmel! sie hat manche verhunzt, die ihr nicht anstand. – Schon war der Autor unter dem Mittelmäßigen, wenn in einen neuen Stück zwey oder gar drey Frauenzimmerrollen gewesen, die alle gleich gut waren. Wenn sie gleich die erste hatte, und die zweyte oder gar die dritte wurde applaudirt, so hies und blieb das Publikum „infam; und Ochsen, Esel, undankbar und ungerecht“. Nur eine Aus[76v/160]nahme fand bei ihr statt; nehmlich eine alte Mutter, Tante oder Kupplerinn. Die durfte auch applaudirt werden, dann stand Autor und Publikum bei ihr in Gnaden, das ganze Stück durch. – Mich, die ich sie so ganz nach allen ihren Schwächen kannte – (den bei der ganzen Stelle habe ich nur Madame Hensel eigene Worte und Ausdrücke nachgeschrieben) – und sie wußte es, daß ich sie kandte, mußte sie ja alles, alles aufbieten, mich von ihr zu entfernen? – Oder wenn ich blieb? – nur Rollen spielen, die sie für gut fand. Bei einer neuen Direction – wo die Unternehmer so ihre Freunde waren? – Löwe, der ihren Neid gegen mich kandte, mußte, um die Direction zu erschleichen, gegen mich seyn – und ja auch gegen das Ballet! – Den Madame Hensel war ja keine Tänzerinn – – und es sollte nichts mit Beifall belohnt werden, wo sie nicht Primadonna seyn konnte. Dieses war der heimlich geschmiedete Plan. Sechsunddreissigtes Kapitel Ein theatralsches Geheimniß Herr Ackermann wurde nun eine ansehnliche Summa gebothen für Hauß und Garderobe; ihn und seiner Familie eine grosse Gage angetragen – doch Herr Schröder, der war davon ausgeschlossen, weil er zu sehr für’s Ballet eingenommen war, und in ihren ganz fehlerfreyen Stüken, die sie geben wollten, [77r/161] konnten sie Herrn Schröder nicht gebrauchen – „nicht gebrauchen“ – (alles dieselben Worte, die gesagt worden). – Dankten aber den Himmel, wie sie Herrn Schröder, nachdem er einige Zeit weg war, in ihre fehlerfreyen Stüken konnten wiederbekommen. Herr Ackermann nahm den Antrag an271. Doch sollte alles bis Michaeli ein Geheimniß bleiben. – Aber
271 Ackermann hatte sein Theater samt Dekoration und Zubehör am 24. Oktober 1766 an die Hamburger
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Carlchen Schönemann wußte um die Sache, der konnte das Glük und den hohen Schwung, daß sich sein Herr Schwager durch die Kritiken zum Directeur geschrieben, unmöglich verschweigen. Er sagte es dem Sekretär des französischen Gesandten den 5ten September; dieser denselben Tag an dem Sekretär Dreyer272 und dieser mir den 6.ten September an einen Sonabendnachmittag. – Montag, den 8.ten September wurde ein neues Stück von Herrn Löwe gegeben: Ich habe es beschlossen273. Ich hatte auch eine Rolle, das Kammermädchen. Unter der Probe rufe ich Herrn Ackermann beiseite: „Apropos Herr Ackermann! Vorgestern habe ich gehört, daß Sie gesonnen sind, auf die Fasten Ihr Theater aufzugeben? Kaufleute aus der Stadt wollen’s übernehmen. – Nun bin ich 8 Jahre bei Ihnen, ohne aufgesagt zu haben, Sie wissen, wie ehrlich wir Sie behandelt? Ich [77v/162] hoffe nun gleiche Ehrlichkeit von Ihnen, daß Sie mir die Wahrheit sagen werden.“ Herr Ackermann: „Wer hat Ihnen daß gesagt?“ Ich: „Der Sekretär Dreyer. Der hat es vom Sekretär des französischen Gesandten274 und dieser vom jungen Schönemann, der dabey gesagt: Sein Schwager würde Directeur! – Also, Herr Ackermann – ?“ – Herr Ackermann: – „Ja, es ist wahr! – Haben mir und meiner Frauen alles zum Eckel gemacht. – Aber sie werden ankommen. – Nur thun Sie mir den Gefallen und sagen noch niemand was davon.“ Ich: „Nein, Herr Ackermann, daß verspreche ich nicht und kann’s nicht versprechen. Das Ballet soll eingehen. Sind manche hier, die nicht so geschwind wieder Brod haben könnten; sollen’s wißen, und daß heute noch“ etc. etc. etc. Die Comödienprobe war aus und die Tänzer beysammen. – „Kommt, Kindergens! Alle um mich her, ich habe allen was zu sagen.“ Sie stellten sich im halben Zirkel um mich herrum. – Die, von denen ich wußte, daß sie blieben und bleiben sollten bei der neuen Direction: als Herr Boeck und so fort, sagte ich: „Sie treten herraus, [78r/163] den Ihnen geht daß, was ich zu sagen habe, nichts an. – Nun hört mich. – Durch mich sey euch kund und zu wissen gethan, daß Ihr euch mit mir und meinen Bruder
Entrepreneurs vermietet und ihnen die Garderobe gegen eine beträchtliche Summe als Eigentum überlassen. Die Mietdauer sollte 10 Jahre betragen (von Fasten 1767 bis Fasten 1777). Zu den Vertragsdetails s. Meyer, Schröder I, S. 153 f.; Eichhorn, Ackermann, S. 85. 272 Johann Matthias Dreyer (* 16. Febr. 1717 Hamburg, † 20. Juni 1769 Hamburg), Schriftsteller, Zeitungsherausgeber und diplomatischer Agent; s. HHS, Anm. 749. 273 Ich habe es beschlossen, Lustspiel von Johann Friedrich Löwen. 274 Von 1762–1768 war Charles François Raymond de Modène französischer Gesandter in Hamburg.
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alle eurer Wege packt und hiemit auf die Faste euren Abschied habt. – Kaufleute aus der Stadt übernehmen das Theater. Der Kritikenschmirer Herr Sekretär Löwe wird Directeur. – Kein Ballet wird geduldet, das ist Gaukeley. – Ich habe Herrn Ackermann vor wenigen Augenblicken darum befragt, und er hat es mir bestätiget.“ – Die verschiedenen Gesichter zu sehn, war ein Auftritt zum Mahlen. – Doch kein einziges war betrübt. – Von dieser Zeit gieng das wahre Vergnügen bei dem Ackermannschen Theater erst recht an. Nie waren unsere Tanzproben vergnügter gewesen. Die Abende tanzte alles mit Lust und strengte die äussersten Kräfte an275. Ich schrieb an Herrn Koch276 nach Leipzig, diesen hatte ich ja mein Ehrenwort gegeben: Wenn ich das Ackermannsche Theater verlies, er der erste Directeur seyn solte, an dem ich um Engagement schreiben würde. Ich verlangte nicht mehr Gage, als was ich mit meinen Bruder [78v/164] bey Ackerman hatte, 20 Gulden die Woche. Ich zum Agiren und Tanzen und mein Bruder allein zum Tanzen. Hier war keine Rede von Auswahl der Rollen. Ob Liebhaberinn oder Mädchens; lustig oder traurig. Man engagirte sich zum Agiren, und tanzte man, zugleich zum Tanzen. Von erster und zweyter Actrize wußte man nichts. – Man hätte sich lächerlich gemacht, wer davon was geschrieben. Wer die beste und erste Rolle im Stük zu spielen hatte, war für den Abend erste Actrize – und den Abend darauf die lezte. – Hatte der eine mehr Verdienste wie der andere – nun, so wurde er besser bezahlt. – Mich lehrte es nie, meine Nebenschauspielerinnen, wenn sie weniger konnten wie ich, über die Achsel anzusehen; noch die zu beneiden, die heute eine bessere Rolle hatten wie ich. Wenngleich Hamburger 40 Mark mehr war wie 20 Gulden sächsisches Geld, so dachte ich: darf ich’s doch nicht nach schweren Gelde ausgeben? so ists ja immer einerley. Und Leipzig ist kein so theurer Ort wie Hamburg. Es wurden nur wenige Briefe gewechselt, und in einer [79r/165] kurzen Zeit war unser Engagement bei Herrn Koch richtig, und bei dieser Gelegenheit schrieb Herr Schiebeler an mich, und wir kamen dadurch in Briefwechsel bis zu meiner Abreise.
275 Im Herbst/Winter 1766/67 hatte Johann Christian Ast das Singspiel Circe umgearbeitet in „ein Zauberstück mit Gesang und sechs Balletten“, das unter der Leitung von Friedrich Ludwig Schröder mehrfach mit großem Erfolg aufgeführt wurde; Meyer, Schröder I, S. 155. 276 Siehe HHS, S. [407] und WHS, 1. Buch, Kap. 28. Heinrich Gottfried Koch spielte mit seiner Gesellschaft seit 1763 in Leipzig und Dresden. Über ihr Engagement bei ihm äußert sich Karoline Kummerfeld auch in dem bei Holtei überlieferten Fragment sehr positiv: „Es war als käme man aus der Hölle in den Himmel, von den Zänkereien und Ränkemachereien in Hamburg zu der friedlichen Eintracht, dem gegenseitigen Anerkennen, und Gefälligkeiten in Leipzig“; Holtei, Bruchstücke, S. 218 f. (s. Kap. III.5.1).
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Siebenunddreißigtes Kapitel Lange geborgt ist nicht geschenkt Nun wurde es laut in der Welt, daß das Ackermannsche Theater auseinandergieng. Wie wir mit Herrn Koch richtig waren, bekam ich von Herrn Klemm277 aus Wien einen Engagementsbrief, wo mir die kaiserliche Direction 24 Gulden für meine Person allein both, auch mein Bruder solte Engagement haben und fordern, da man nicht wisse, ob er nur allein tanze oder auch agire? – Aber Herr Koch hatte schon mein Wort – zwar waren keine Contracte ausgewechselt – aber das Wort muß jeden Rechtschaffenen so heilig seyn wie hundert Contracte. – Es war das zweyte Mal, da ich Wien aus den Händen lies. – Einmal meines guten Herzens, das zweyte Mal meines Worts wegen278. Ich und mein Bruder, wir handelten nach unserer Art und waren still. Niemand wußte, daß wir schon unser neues Brod wieder hatten. – Der kleine Cirkel von unsern Freunden, die wußten es, schwiegen aber auf unsere Bitte still. Viele standen in den Wahn: ich wär um Engagement verlegen, freuten sich, daß [79v/166] die Kritiken was gefruchtet. – Der grössere und bessere Theil von Hamburg glaubte das nicht – und sagte laut und öffendlich: Die Schulzen dürft ihr nicht fortlassen. – Nun blieb meinen Feinden noch zwey Wege: Endweder mich so in Harrnisch zu jagen279, daß ich mich eher bei dem kleinsten Theater engagirte, als in Hamburg zu bleiben; oder wenn ich ja in Hamburg mich durch ihre grossen Gagen blenden liese, ja keinen Anspruch auf Madame Hensel ihre Lieblingsrollen zu machen mich unterstehen solte, die sie längst gern wieder gehabt hätte. – Um zu den Endzweck zu gelangen, so lag schon im Sommer auf ihrer Toilette ein geschribenes Epigram, daß das bewerkstelligen sollte. Eine Person, die von ihr Vortheil hatte, hatte Gelegenheit, es einige Mal durchzulesen, und sagte es mir fast auswendig her. – Ich verrieth ihn nicht! sagte niemand etwas davon und wartete ab: Ob sie und ihr Anhang wirklich so niederträchtig seyn würden, es drucken zu lassen? – Es geschah: Im December kam es in den Wandsbecker Bothen280 zum Vorschein; – den in keiner Hamburger Zeitung wollte man es annehmen. Der Wandsbecker Bothe aber hatte sich damals für so was privilegirt gemacht. 277 Christian Gottlob Klemm (1736–1802) war von 1766–1770 Sekretär am Kärntnertortheater Wien, das bis Frühjahr 1767 von Franz Anton Christoph Hilverding von Wewen geleitet wurde; Pies, Prinzipale, S. 164. 278 Vgl. WHS, 1. Buch, Kap. 17. 279 Zornig machen. 280 Gemeint sind die „Wandsbeckischen Zeitungen von Staats- und Gelehrten Sachen“, die 1771 durch den „Wandsbecker Bothen“ ersetzt wurden; HHS, Anm. 756. Zu den Anfeindungen in Hamburg s. HHS, S. [455]–[456].
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Die Aufschrift war: An die beste kränckelnde Actrize [80r/167] und der Inhalt: Warum sie immer krank seyn müßte? Das deutsche Theater hätte in Wien und bey Schuch281 und Kurz282 und Ackermann viele Gegenstände, die der Tod wegnehmen könnte, nur sie solle er schonen, und wenn er nirgens was finden könnte: so: Raf die weg, die man schlecht als Sara sterben sah. Daß war der Schluß. Wörtlich ganz kann ich’s nicht mehr, und die Zeitung ist mir weggekommen. Diese Niederdrächtigkeit von der Frau brachte mich endlich gegen sie auf, – den noch hatte ich ihr nichts gesagt; auf alle ihre anzügliche Reden nichts geantwortet; ich war blind, taub und stumm. – Doch nun wurde es mir zu arg gemacht. Wehe dir Henseln, wo du noch ein Wort sprichst, daß mich angehen soll!! Den 19. December wurde Rodogüne283 gegeben; ich spielte solche und Madame Hensel ihre berühmte Königinn Cleopatra284. Das Haus war voll, und gewiß, da waren wenige Zuschauer, die nicht den Wandsbecker Bothen gelesen oder doch von dem Epigram wußten. – Ich spielte – und ich gestehe es, ohne mir Mühe zu geben. – Den meine Lust war lange zum Agiren in Hamburg vorbey. – Dem ohngeachtet wurde ich – so wenig ich es durch mein Spiel verdient hatte, bei [80v/168] den ersten Abgang allgemein applaudirt. Mich ärgerte nun alles! Selbst das Applaudissement, und sagte, wie ich abgegangen war: Ob man mir in Hamburg noch applaudirt oder nicht! gält mir gleich – „und mich wunderts: Daß man so einer elenden Actrize, die der Tod bald wegraffen soll, noch applaudiren mag“. Und sah dabey die Henseln scharf in die Augen. Madame Hensel erhob ihre Stimme und sagte ganz in dem Ton der Königinn Cleopatra: „Ja, daß muß sich jede Actrize gefallen lassen, daß man sie kritisirt.“ – Nun hatte ich, was ich wollte. Sie bekam aber auch nun alles von mir ins Gesicht gesagt, was ich ihr schon 281 Franz Schuch d. Ä. (1716–1763/64), Schauspieler und Theaterdirektor. 282 Johann Joseph Felix (von) Kurz gen. Bernardon (1715/17–1784), Schauspieler und Theaterdirektor. 283 Rodogüne, Prinzeßin der Parther. Ein Trauerspiel in fünf Ackten des Herrn Corneille (Zum Behuf des Hamburgischen Theaters), Hamburg und Bremen bei Johann Heinrich Cramer 1769 nach Rodogune, princesse des Parthes von Pierre Corneille. Das Stück war nach Aussage des Übersetzers schon früher ins Deutsche übertragen worden, er ließ es wegen Lessings harscher Kritik in der Hamburgischen Dramaturgie 1769 ohne Überarbeitung drucken. 284 Johann Benjamin Michaelis verfasste ein Epigramm an Madame Hensel in dieser Rolle: An Madame Hensel, als Kleopatra in der Rodogüne. Die du, in Scenen voll Verderben, / Mit Blitzen deinen Tod in unsre Seele gräbst; / Nie kannst du oft genug für Deutschlands Ehre sterben, / Damit du lang’ genug für Deutschlands Ehre lebst!; Johann Benjamin Michaelis, Sämmtliche poetische Werke, I. Theil, Wien, 1791, S. 187.
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so lange zugedacht hatte. – Ohne mit niedern Schimpfwörtern zu kommen, hat ihr wohl schwerlich weder vor noch nach jemand beßer die Wahrheit gesagt wie ich. Sie knirschte vor Wuth – aber Muth hatte sie nicht, ein Wort mir zu antworten. – Und wer eine Hensel und ihr Maul kandte, wenn sie anfieng, kann denken, wie ich sie in der Presse hatte, daß sie – außer Mienenspiel – nicht muxte. – Auch nicht eine Sylbe hatte sie, sich zu verantworten. Dem, der mir von dem Epigram schon im Sommer gesagt, verrieth ich nicht! – Den es lag ja öffendlich auf den Puztische? [81r/169] Jeder konnte es sehen. – Dann sagte ich ihr, welch ein elendes Geschöpf sie wär. Voll Niedrigkeit, Neid und Boßheit. – Und wie sie noch an mich denken würde! – Ohne mich an ihr zu rächen, würden’s andere thun. „Wagen Sie es, den Mund gegen mich zu öffnen, um sich zu rechtfertigen? Wagen Sie es, wenn Sie können? – Kuschen müßen Sie vor mir wie ein Budel, troz Sie Königinn Cleopatra hier sind. Kuschen müßen Sie vor der kleinen Schultzin wie hier Ihr Handlanger“ (Löwe saß neben ihr, auf seinen Stock gelehnt). Ich gieng zu meinen Tische. Mein Bruder kam dazu. Er frägt mich: und ich sage ihn mit wenigen Worten, was es gegeben. Er tritt zu Löwen, packte ihn fest bei der Halskrause und schüttelte ihn, daß ihm die Zähne klapperten unter den Worten: „Den Schurken, den Kritikenschreiber schlage ich noch Arm und Beine entzwey.“ Löwe, ohngeachtet er einen Stock in der Hand hatte – ließ sich von meinen Bruder schütteln und sagte kein Wort. – Da das erbärmliche Kerlchen wie ein Pfefferkuchenmann am Spinnroken dasaß und sich gar nicht regen wollte, sagte ich zu meinen Bruder:„Entehre deine Hände nicht, daß du sie an solch eine [81v/170] Memme legst! Ist er nicht verzagter wie ein Weib? Längst hätte er von mir Ohrfeigen bekommen – wenn ich nicht wüßte: daß ich meine Hände entheiligte und solche den keinen redlichen Menschen mehr reichen könnte, weil ich sie durch ihn besudelt.“ – Löwe dankte Gott, daß er so gnädig weggekommen, und da Madame Hensel ihren Auftritt hatte, schlich er sich fort. Ackermann, der auch den Vorfall stillschweigend mit angehört, sagte zu uns beyden: „Habt recht gehabt, Kinder! Haben es lange schon an euch verdient. Nun spielt und tanzt noch recht brav“. Lachte und freute sich. Manche Herrn Hamburger, die auf dem Theater waren, haben den Auftritt gesehen und gehört; und versäumten nicht, es in Logen und Parter zu erzählen. Mir war recht wohl, daß ich einmal so öffendlich den Leuten die Wahrheit gesagt hatte; auch spielte ich meine Rolle nun so, daß ich’s fühlte, ich spiele gut. – Doch sollte ich den Abend noch eine eglatante Satisfaction haben. Gegen den Schluß des 5ten Acts, wo die Königinn in Furcht kömmt, daß man sie als die Mörderinn ihres Sohnes halten könne – glaubt sie sich dadurch freyzumachen, wenn sie [für] den Mord Rodogünen mit [82r/171] Schuld giebt. – – Mir ist
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es leid, daß ich die ganze Antwort auf die Anklage der Königinn nicht mehr weiß285. Madame Hensel spielte mit der grössten Wuth. Ich sah es recht, wie von Herzen sie mich schmähte. Als sie geendet, antwortete ich mit den ganzen Ton der sich unschuldig Bewußten, mit aller Gelassenheit und Sanftmuth: „An jetzt beschuldigst du nicht mehr den Tymagen. etc. etc. etc. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Aus Furcht, er hätt’ den Mörder ihn verrathen. Doch da sein Ausspruch nichts Entscheidendes enthält, Willst du, das der Verdacht nur auf uns beyde fällt. Gewiß! Wenn Sterbliche so sehr von Rache brennen, Wenn eine unter uns die Unschuld tödten können: – So fällt zwar mein Verdacht aus Ehrfurcht nicht auf dich, Doch Du!!! (in meiner Rolle stand kein Ausrufungszeichen, ich aber sagte das: „Doch Du“ so, daß man drey dabey denken konnte. Machte nach dem Du eine Pause von einer starken Minute lang.XVII Kein Arm, keine Hand, kein Fuß bewegte sich. Nur mein Auge, mein Gesicht sprach. Ich maaß die Königinn Hensel vom [82v/172] Fuß bis zum Kopf, heftete meine Augen starr an die ihrigen und sagte in einen tiefen, kalten, verächtlichen Ton – schnell – so recht hingeworfen:) Du bist zum Mord Weit FehigerXVIII wie Ich“. – – – Unstreitig war das Applaudiren, daß aus allen Logen und Parter auf einmal erschalte, das stärkeste, was den ganzen Abend gehört worden ist. Länger als 5 Minuten hielte es an, ehe ich weiterreden konnte. – Die Königinn Hensel stand da, – als ob ihre Maladie286 käm. Sie hob und drehte sich, als wenn sie schon den Giftbecher getrunken. – Aber es war auch Gift für so ein neidisches Weib. Das war meine ganze Rache, die ich genommen.
285 In der gedruckten Fassung des Stücks von 1769 lautet die Antwort von Rodogüne: „Die Unschuld schickt sich nie zu vertheid’gen an,//Und zweifelt, daß sie je ein Argwohn treffen kann,//Sie kann, vom Zorn verklagt, sich keinen Rath ertheilen, Sie staunt, wenn man ihr schmäht, und ist zu übereilen.//Anjetzo beschuldigst du nicht mehr den Timagen;//Dein Haß verflucht nur mich, und will mich schuldig sehn; Erst klagtest du ihn an, unfähig, dir zu rathen,//Du glaubtest, daß dein Sohn den Mörder ihm verrathen, Doch da sein Ausspruch nichts entscheidendes enthält,//Willst du, daß der Verdacht nur auf uns beyde fällt.//Gewiß! Wenn Sterbliche so sehr von Rache brennen,//Wenn eine unter uns die Unschuld tödten können://So fällt zwar mein Verdacht aus Ehrfurcht nicht auf dich,// Doch du…du bist zum Mord weit fähiger als ich,// […].“; 5. Aufzug, vierter Auftritt, S. [75]–67. 286 Krankheit.
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Rodogüne wurde nun nicht wieder gegeben. Aber daß weiß ich, daß nach mir keine Rodogüne die Stelle so meisterhaft, malerisch, schön gesagt hat wie ich. So lange mußten sie mich reitzen, ehe ich losdonnerte. Aber nun war auch mit einen Male Friede im Lande. Löwe kam nicht mehr auf ’s Theater: und schrieb keine Kritiken noch Epigrams. Madame Hensel gab nicht mehr den Ton an; und Eckhof commandirete nichts mehr [84r/173] wie die Theaterklocke, wenn Act wurde. Achtunddreissigtes Kapitel Ich reise von HamburgXIX Herr Löwe gab herraus „Vorläufige Nachricht von der auf Ostern 1767 vorzunehmenden Veränderung des Hamburgischen Theaters“287. Zwar sein Name wurde nicht gebraucht, aber unmöglich konnte die Schrift von denen Herrn Unternehmern vorher gelesen seyn worden, sie würden sonst selbst eingesehen haben, wie lächerlich sie sich damit machen würden. Alles lachte darüber, wer es las, und ehe noch das neue Theater seinen Anfang nahm, machte man sich schon öffendlich darüber lustig. Von sich selbst sagte Herr Löwe: etc. etc. „Man hat zu dem Ende das Directorium derselben den Händen eines Mannes anvertrauet, dessen untadelhafte Sitten und dessen bewußte Einsichten in die Geheimniße dieser Kunst zu der Aufnahme des Theaters nothwendig sind. Da dieser Mann nichts mit der eigentlichen Arbeit als Acteur zu schaffen haben wird, sondern lediglich ausser den bekannten Pflichten, die einen jeden Directeur obliegen, noch die so höchst nothwendige Verbindlichkeit über sich genommen hat, für die Bildung des Herzens, der Sitten und der Kunst junger angehender Schau[84v/174]spieler zu sorgen, so kann man leicht denken, daß das Publikum sich in der Erwartung, die man ihm macht, gewiß nicht betrügen wird“ etc. etc. Der Mann hatte untadelhafte Sitten? Der Mann solte Herzen und Sitten bilden? – Zwar sagte er: daß er mit der eigentlichen Arbeit als Acteur nichts zu schaffen haben wird; aber doch wollte er, da das neue Spektakel im Jahr 1767 angegangen, die Kunst denen Schauspielern auch in einer Rolle anschaulich machen und nahm den Geist in der Semiramis288. Sein ers287 Der Text ist abgedruckt bei Meyer, Schröder II, 2, S. 31–37; die von Kummerfeld zitierte Passage S. 33. 288 Semiramis nach der gleichnamigen Tragödie von Voltaire, in der Voltaire zum ersten Mal in Frankreich einen Geist auf die Bühne brachte. Das Stück war 1755 von Johann Friedrich Löwen übersetzt worden und ist erschienen unter dem Titel: Semiramis – ein Trauerspiel in Versen und fünf Aufzügen vom Herrn Sekretär Löwen, aus den Werken des Hrn von Voltaire übersetzt und an dem Glorreichen Allerhöchsten Namens Feste Ihrer Apostol. Majestät, unser allergnädigst- regierenden LandesFürstinn und Frau, aufgeführet zu Wienn auf der K. K. privilegierten Schaubühne, den 15ten des Weinmonats, Wien 1763; http://www. nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:384-uba000016-0013-5, Zugriff am 5.7.2020.
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ter Versuch aber scheuterte so, daß er’s nicht wagte, als ein lebendes Gespenst sich zu produzieren. Von dieser Zeit an, da er als Geist sah, wieviel leichter es sey, über Schauspieler zu kritisiren, als fehig zu seyn: die kleinste Rolle selbst gut vorzustellen, hat er, meines Wissens, nie wieder kritisirt. [85r/174]XX *Note: Überhaupt wünschte ich, daß alle die Herren Kritiker, die mit dem Schwerdt in der Hand wie der Nachrichter289 mit einen Streich über Leben und Tod des Schauspielers gebieten, sich erst selbst auf die Schaubühne hinstellten und die Rolle, die der Schauspieler nicht recht gemacht, [85r/175] vortragerirten290. Ich wollte sicher all das Meinige wetten, die Lust zu kritisiren würde ihnen vergehen. Tausende von Freunden können einen Schauspieler nicht schadlos halten für einen hämischen Kunstrichter. – Ja, wenn alle gute Schauspieler so glüklich wären, daß sie immer an einen Ort zu bleiben hätten; nicht von ihren Kammeraden oder Direction oder etc. etc. etc. weggebissen zu werden, dann könnten sie durch ihr Spiel den Kritikus beschämen. – Aber da daß die wenigsten gute Schauspieler – (den von den Guten rede ich allein) zu hoffen haben, so sind solche Kritikenschreiber schändlicher wie der Räuber, der auf der Landstraß den stillen Wanderer todschlägt. Der nimmt ihn das Leben und die kleine Habseligkeit, die ihn nichts mehr nüzet; aber der in finstern schleichende Bube raubt ihm alles: Ehre, Brod, Nahrung. Macht ihn mißmuthig; stürzt ihn endlich nach und nach in den Abgrund des Verderbens. – Nennen könnte ich manche, die elendiglich umkamen, die ein beßers Schiksal verdient und die nichts zur Verzweiflung brachte, als daß es hieß: Sie sollen nicht gefallen. [85v/176] Nach der Leipziger Neujahrs-Meße wurde es den endlich in Hamburg bekannd, daß wir zu Herrn Koch giengen. Man spielte uns den lezten niederdrächtigen Streich. – Den lezten, der uns stürzen – oder doch gegenwärtig um unser Brod bringen solte. – Winke hatte ich davon von Herrn Schiebeler bekommen, doch die ganze infame Art und Weise erfur ich erst in Leipzig. Die lezten Wochen spielte ich noch in Hamburg mit vielen Fleiß. Und manche Rolle so gut, daß mir selbst Herr Schröder, der wenig Complimente pflegte zu machen, öfterer wie einmal gesagt hat: „So gut haben sie die Rolle noch nicht gespielt.“ – „Daß freut mich, Herr Schröder! Wenn Sie mir das sagen – aber es geht auch nun hier zum Abschied, es muß heisen: Ende gut, alles gut.“
289 Scharfrichter. 290 Tragerieren: Eine Rolle in einer Tragödie (bzw. einem Theaterstück allgemein) spielen. Vortragieren: In der Art eines tragischen Schauspielers vortragen oder darstellen.
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Endlich wurde den 6ten Merz 1767 von uns das lezte Stük gegeben: Der Glorieux291. Ich spielte die Lisette. Ein Ballet von Herrn Schröder, Cephalus und Brocris292, machten den Schluß. Wir hatten alle wacker gearbeitet den lezten Tag. Froh ga[86r/177]ben wir uns die Hände, wir, die wir weggiengen, und eins sagte zu den andern von Herzen: „Gottlob, daß es vorbey ist!“ Nur die, die in Hamburg blieben, nahmen an unserer Zufriedenheit keinen Theil und schlichen sich fort. Wir beneideten keinen sein Glück, daß ihnen in der „Vorläufigen Nachricht“ war angekündiget worden. Wir reiseten den 14. Merz aus Hamburg293, und ich würde es mit troknen Augen verlassen haben, wenn ich Herrn Kummerfeldt, Herrn und Madame Herzog294 nicht hätte kennengelernt. Diese waren die einzigen, die mir Hamburg noch angenehm zu machen sich bestrebt hatten. – – Und wollte Gott! wollte GottXXI – ich hätte auch die nicht kennengelernt. Neununddreißigtes Kapitel Ich komme in Leipzig an Den 18. Merz gegen den Abend kamen wir glüklich in Leipzig an295. Ich schickte sogleich zu Herrn Schiebeler. Er kam, und nun lernte ich den jungen, rechtschaffenen Mann von Person kennen296. Er sagte mir, wie die Leipziger in einer ungeduldigen
291 Der Ruhmredige, Übersetzung „in Versen“ der Komödie Le Glorieux von Philippe Néricault Destouches; Theaterzettel UFB Gotha 2° 2176, Bd. 8. 292 Cephalus und Procris, Ballett von Friedrich Ludwig Schröder nach dem Stoff Cephalus und Procris aus Ovids Metamorphosen. 293 In der bei Uhde abgedruckten Version schreibt Karoline Kummerfeld, sie sei bereits am 7. März mit ihrem Bruder nach Leipzig aufgebrochen, unmittelbar nachdem sie ihre letzte Gage erhalten hatte; Uhde, Komödiantenleben, S. 400, s. Kap. III.5.2. 294 Ernst Johann Herzog war Kassierer bei der Bank; s. HHS, Anm. 680. Seine Ehefrau hieß vermutlich Elisabeth mit Vornamen, da Karoline Kummerfeld sie „Liesgen“ nennt; s. HHS, S. [367], [529]. 295 Der Inhalt des Kapitels findet sich fast wörtlich in HHS, S. [433]–[439], allerdings fehlt in der WHS die ausführliche Selbstbeschreibung (HHS, S. [436 f.]. 296 Daniel Schiebeler studierte damals in Leipzig. Er interessierte sich für das Theater, schrieb kleinere Stücke und war ein hervorragender Kenner der spanischen, italienischen und französischen Literatur. In Leipzig arbeitete er mit dem Komponisten Johann Adam Hiller zusammen. Sein Biograph Schmidtmann attestiert Schiebeler einen Hang zur „Schwärmerei für Schauspielerinnen, bei denen Talent mit edler Gesinnung gepaart war“, eine Schwärmerei, die sich durch Schiebelers ganzes Leben verfolgen lasse und nicht nur auf Karoline Kummerfeld gerichtet war; Schmidtmann, Schiebeler, S. 12 f. Für weitere Angaben zu Daniel Schiebeler s. HHS, Anm. 579.
Erstes Buch, 39. Kapitel | 693
Erwartung nach mir wären; daß Herr Koch bereits alle Logen zum ersten Stück vermiethet hätte und keine mehr zu haben wär. [86v/178] „Das ist mir schmeichelhaft, und ich wünsche der Leipziger Erwartung Genüge zu thun. – Mein Stand hier ist hart! Inzwischen bin ich froh, daß ich von Hamburg bin; meines Spiels wegen. Ich wär schlecht geworden, wenn ich da geblieben. – Alle Lust war weg, den wenn die Stunde kam, daß ich nach dem Theater solte, so war’s nicht anders, als wenn ich zum Tode gieng. Was hilft der Beifall, der uns im Schauspielhaus zugerufen wird – wenn den ein schlechter Mann sich hinnsezt und gleich was darauf in die Welt hinschreibt? Wem wird geglaubt? Gewiß dem, den man liest, immer mehr als den Schauspieler, den man nicht sieht, und ein ganzes Publikum, daß man nicht hörte? – Nur Gerechtigkeit, mehr verlange, mehr wünsche ich nicht. – Habe ich gefehlt, so zeige man mir, wo ich gefehlt habe? – Aber mit Bosheit und hämischen Anmerkungen beßert man mich nicht. – Es erbittert mich. Der mich tadelt, von deßen Freundschaft muß ich überzeigt seyn. Er will mich beßer haben, und das verdient Dank. – Aber der, der mir alles abspricht, auch das kleinste Ver[87r/179]dienst nimmt oder solches doch zweifelhaft macht? ist der imstande, mich zu beßern? – Ich, ich glaube gar nichts; halte Fehler dan selbst für schön und gut.“ So schwazten wir über manches; und zugleich erfuren wir, das Herr Koch seinen Balletmeister gleiches Namens297 entlassen. Darüber wunderten wir uns nicht wenig, daß uns Herr Koch nichts davon geschrieben. Doch konnten wir nicht wissen: wer noch alles engagirt worden? Den andern Morgen fürte uns Herr Schiebeler zu Herrn Koch. Er schien herzlich zufrieden über unsere Ankunft und führte uns zu seiner Frau. Auch sie bewillkommte uns artig. Doch schien sie etwas stuzig zu seyn, daß mir zwar auffiel: aber auch dachte: – Es ist vielleicht ihre Art so. Herr Koch führte meinen Bruder nach seinen Zimmer, und ich blieb mit Madame Koch298 allein. Ich hatte wohl gegen eine Stunde mit ihr gesprochen, als sie endlich anfieng: „Mademoiselle Schultzen! Sie werden vielleicht in meinen Betragen etwas Sonderbares bemerkt haben? – Und gewiß, ich bin auch noch in einer Art – ich kann Sie nicht genug ansehen – kurz, ich kann’s gar nicht sagen, wie mir ist.“ [87v/180] Ich: „Madame Koch! Noch habe ich zu wenig die Ehre, Sie zu kennen, weiß also nicht, wie Ihre Art, Ihr Benehmen mit andern ist. – Jeder aber, der die Ehre hat, Sie zu kennen, hat mir gesagt, daß Sie eine liebenswürdige Frau wären nicht allein von Ansehn,
297 Friedrich Karl Koch (1738–1794), Schauspieler, Tänzer, Ballettmeister. 298 Christiane Henriette Koch (1731–1804), Schauspielerin, Theaterdirektorin.
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sondern von Karakter. – Eine Art von Zerstreuung nahm ich an Ihnen war, wie ich ins Zimmer trat. – Hatten Sie Geschäfte? so ist’s mir leid, daß ich mich nicht melden laßen.“ Madame Koch: „Ach nein! Daß nicht – daß Sie mich heute besuchen würden, wußte ich schon gestern, weil man gleich zu mir lief und sagte: Sie wären angekommen. – Aber ich bin so verwundert, Sie nun selbst zu sehen – nach der Beschreibung, die man uns von Ihnen gemacht“ – Ich: „Doch um des Himmels willen nicht schön? – Den daß bin ich nicht – aber auch nicht häßlich – so ein Geschöpf, daß mit ihren Schöpfer zufrieden ist, daß er sie nicht häßlicher schuf.“ Madame Koch: „Nein, Mademoiselle! Das wahrhaftig nicht! Im Gegentheil. Kein Affe kann so aussehen, als wie man Sie uns beschrieben hat. – Klein wie ein Kind von 10 Jahren. Aber so dick – und dicker wie lang – ich würde für Sie eine eigene Garderobe anschaffen müßen, weil wir unmöglich solch eine Figur noch bei der Gesellschaft haben würden. Kleine Augen, die so tief in den Kopf lägen, daß man solche kaum seh; einen [88r/181] garstigen Mund, häßlich[e] Zähne, eine eingedrükte Nase – nein, Mademoiselle, es ist nicht möglich, Ihnen alles zu sagen, kurz, eine wahren Wechselbalg! – Was giebt es doch für abscheulige Menschen!“ Ich: „Liebe Madame Koch! Die kenne ich, leider! – Ich danke Ihnen, daß Sie mir das gesagt. Ärgern kann ich mich nun nicht darüber, den ich bin hier und mache alle die, die mich so allerliebst geschildert, zu Lügner. Und so, Madame! wie man Sie und Ihren Herrn in Ansehung meiner Bildung belogen hat, so werden Sie’s auch finden in Ansehung meines Spiels. – O, die einfältigen Tropfe! – Und dünken sich alle so klug und weise. – Wieder ihren Willen gereicht mir nun daß, was mir schaden solte, zu meinen größten Vortheil. – Hätte man geschrieben: ich wär schön wie ein Engel, ja den käm ich klatrig299 weg. – In Ansehung des Agirens kommt es ebenso. Man erwartet von mir nichts – und das Nichts ist noch unter dem Nichts – den lies man mir für einen Heller Ehre in meiner Kunst? – Madame! Ich verstehe mein Metier, verstand es zu gut – drum Kabale aller Art, daß ich fort sollte. Viele waren auch auf meiner Seite. Die bestanden darauf, mich nicht fortzulassen; sie wollten aber, daß ich das Hamburger Engagement als ein Gnadengeschenk annehmen müßte, und [88v/182] wollten mir allen Ruf bei andern Theatern abschneiden. – Und wenn ich wär gezwungen gewesen, in Hamburg zu bleiben – auch keinen Anspruch machen dürfen auf Rollen. – Darum das Epigram in den „Wandsbecker Bothen“: Madame Hensel wollte ihre Lieblingsrolle, ihre Sara, wieder spielen – ich sollte mich zur Hanna oder, wen’s hoch käm, zur
299 Klat(e)rig = norddt. Veraltet für: Heruntergekommen, jämmerlich, schlimm, bedenklich.
Erstes Buch, 39. Kapitel | 695
Betty verstehen300. Ich dränge mich nicht zu Rollen: Madame! Ist die Sara bei Ihnen besezt und fehlt die Hanna – bey Ihnen spiel ich sie; nicht aber in Hamburg bei der neugebacknen Direction. Meinetwegen sollen Sie Ihre alten Leute, die jahrelang bei Ihnen gearbeitet, nicht zurüksetzen. Da sie nun Wind hatten, daß ich bei Ihnen engagirt wär troz aller Kritiken, so griff man meine Bildung – und vielleicht auch meinen moralischen Karakter an?“ Madame Koch: „O Mademoiselle: Sie wissen, wie es geht. – Doch von Ihnen nicht so sehr, als von Ihren Herrn Bruder, den man uns als einen grundlüderlichen Menschen geschildert. Der nie nüchtern aufs Theater käm. – Den Ackermann mit der Wache mußte aufs Theater schicken und sofort wieder in Arrest bringen lassen, wenn er seine schuldige [89r/183] Arbeit hat thun sollen. – Der Händel suchte und allen Muthwillen ausübte – – Der – “ Ich: (Ich konnte Madame Koch nicht ausreden lassen – meinen Bruder, meinen guten, guten Carl! – Das that mir zu weh! Noch weher als die Lästerungen über mich) – „Lassen Sie es gut seyn, Madame Koch. Sie müßen wissen, daß mir Herr Schiebeler schon etwas davon nach Hamburg geschrieben, was man Ihnen von meinen Bruder gesagt.XXII * [89v/184]XXIII Aber was man von mir Herrn Koch gesagt oder geschrieben, davon hat mir Herr Schiebeler nichts gemeldet, sondern nur etwas von der Biographie meines Bruders. – Aber so gar unverschämt hätte ich’s nicht gedacht. – Lernen Sie erst den guten Jungen, seinen Fleiß und seine Arbeit kennen. – Ich glaube, Madame Koch! daß ist mit wenigen Worten alles gesagt. Neuntehalb Jahre301 waren wir bey Ackermann. Ich habe nie Zank um eine Rolle, nie um ein Kleid gehabt; nie haben wir Zulage verlangt; nie haben wir Ackermann, nie er uns aufgesagt; und so lange Zeit ich bey [90r/185] ihm war, ist nur viermal der Vorhang aufgezogen worden, wo ich ganz frey war302. Mich nie über meine Arbeit beschwert; kein Stück meinetwegen aufgeschoben worden; und nur ein Mal so krank gewesen, daß man achtmal ohne mich gespielt – den kleine Krankheiten, Kopfweh, Husten und dergleichen, die achtete ich nie. Wären wir so böse Menschen, was müßte Ackermann für ein Mann seyn, der solche Menschen so lange behielte?“ etc. etc. Drey Stunden waren wir bei Kochs, aber sie vergiengen mir schnell. Madame Koch hatte mich ganz für sie hingerissen. Ihr Aufrichtigkeit, ihr offenes freyes Betragen. – Kurz, ich mußte sie lieben. – Und wer mußte das nicht? O gewiß: jeder, jeder, der die vortrefliche Frau kandte. 300 In Lessings Miss Sara Sampson ist Betty die Dienerin der Sara, Hannah die Dienerin der Marwood. 301 Das sind 8½ Jahre. 302 Vgl. WHS, 1. Buch, Kap. 16, S. [25r/63].
696 | Weimarer Handschrift (WHS)
Wenige Tage darauf wurden wir zu Herrn Koch hingebeten. Es waren ein paar Freunde aus der Stadt bei ihm. Es wurde von meinen Debüt gesprochen. Herr Koch hatte die Cenie303 für mich gewählt. Ich machte dagegen Einwendung und sagte: „Herr Koch! Nicht etwa, als ob mir die Rolle nicht schön oder nicht gut genug sey. Nein! Aber ich will Ihnen meine Gründe sagen. – Die Vorgängerin, die hier war und [90v/186] deren Stelle, wie ich gehört habe, nun ersetzen soll: ist, wie ich weiß, eine Lieblingsactrize hier gewesen, und besonders in denen zärtlichen Rollen, die sie meisterhaft spielen soll. Cenie war eins ihrer Forcerollen. Ich habe Ihnen Ines de Castro304 mitgebracht. Laßen Sie das Stück einstudieren, ich spiele die Ines. – Weiß, daß ich sie spielen kann. Bedenken Sie selbst, welch eine harte Nuß ich hier aufzubeißen habe? – Ganz Leipzig geht mit einer Art von Vorurtheil gegen mich ins Schauspielhaus? Gefalle ich den ersten Abend nicht – wem ist der Schade? – Mir! – Ihnen zwar auch – aber mir unersätzlich! Denken Sie, was Löwe und Consorten tryumphiren würden?“ Herr Koch bestand darauf, machte mir wegen der Messe Einwendung: wo alle soviel zu studieren hätten und dergleichen mehr. – Ich ward verdrieslich und lies es mir nicht undeutlich merken. Herr Koch sagte: er wolle mir die Austheilung von den Stüken schicken, wie sie die ersten vier Wochen hintereinander folgen würden. – „Gut, Herr Koch! Da will ich den sehen, was darauf folgt, womit ich wiedergutmachen kann, wenn mir den ersten Abend nicht alles nach Wunsch gelingen solte.“ [91r/187]Wär ich kein so gutes Mädchen gewesen, eine andere hätte sich’s – – und besonders jetzt in den neuern Zeiten, wol schwerlich gefallen laßen – – die erste Rolle Cenie. Die zweyte Nerine in dem Nachspiel die Dreyfache Heurath305. Die dritte Criseis im Democrit306. Einige Tage darauf wurde mein Bruder zu Herrn Koch berufen und ihm die Balletmeisterstelle angetragen. Mein Bruder sagte ja, er wolle sie übernähmen, und Herr Koch, der uns für 20 Gulden verschrieben, sagte, er wolle uns nun 15 Thaler geben. – Mein Bruder wars zufrieden, ohngeachtet er wußte, das Herr Koch, der Balletmeister, für seine Person allein 15 Thaler gehabt. – Carl kam nach Hause, sagte es mir, und – mir war’s auch recht.
303 Cenie oder Die Grossmuth im Unglücke. Ein moralisches Stück in fünf Aufzügen, aus dem Französischen der Frau Graphigny, übersetzt von Louise Adelgunde Gottsched. 304 Ignes von Castro, auch Ines von Castro, nach dem Trauerspiel Ines de Castro (1723) von Antoine Houdar de La Motte. 305 Le triple mariage, Comédie von Philippe Néricault Destouches; in der deutschen Übersetzung: Die dreifache Heirat. 306 Democrit. Der lachende Weltweise, eine Übersetzung des Lustspiels Démocrite von Jean-François Regnard.
Erstes Buch, 39. Kapitel | 697
Nur wenige waren bei der Gesellschaft, die ich kandte, nehmlich Madame Steinbrecher307 mit ihrer Demoiselle Tochter308, Herr Schubert309 nebst Herrn und Madame Löwen310, die einige Zeit im Jahr 1764 bey Ackermanns waren. Herrn Löwe kandten wir schon aus Dresden, wie wir im Jahr 1756 mit unsern Eltern da waren; nun waren wir mit ihm zum dritten Mal bei einen Theater. Herrn Löwe und seine Frau habe ich nie von einer bösen Seite kennenlernen; es waren rechte gute Leute. Mit diesen sprach ich wegen meinen Debüt: Ob keiner freye Wahl hätte, sich [91v/188] eine Debütrolle zu wählen? Herr Löwe antwortete mir: „Ich will’s Ihnen erklären. Das ist eine Prinzipals-Ursach. So schön das Stück ist, so ist es doch sehr alt und hier schon so oft gegeben, daß es fast niemand mehr sehen will. Alle Logen zum ersten Abend sind bestellt. – Wär Koch nicht ein Thor, wenn er Ihnen hier an einen Abend ein neu Stück, neue Actrize, neu Ballet und Balletmeister und eine neue Tänzerinn geben wollte? Nein! Ein neu Stück muß das Haus wieder voll bringen“. Ich sagte: „Die Gründe, die Sie mir anführen, da hat freilich Herr Koch recht – nur ich nicht unrecht. Doch ich muß sehen, wie ich mich durcharbeite. Mach ich’s in der Comödie nicht ganz gut, nun, so habe ich noch das Ballet nach, wo ich den sehen muß, daß ich mit dem zweyten das erste vergeßen mache.“ ___________ *Note: Und daß ist’s, was ich unter den lezten Schurkenstreich meynte, den man uns gespielt hat. – Schurken- mehr als Schurkenstreich. – Oder sind die Beinamen vor den Ohren der gesitteten Welt zu plump? – Verrathen sie auch das ehemalige Metier? Ist der schlechte Mensch in unsern feinern gesittetern Zeiten kein schlechter Mensch? Mich findet man veraltet – oder läßt mich und mein Spiel doch verältert seyn: Daß es folglich durch eine Kluft von acht bis zehn Jahren ganz fremdartig geworden. Und doch will man mich in noch ältere Zeiten zurükweisen, wo es heist: „Wenn man auf eine Backe eine Schelle bekommen hat, so soll man stillschweigend auch die andere herhalten.“ – Hat man nur mit einiger Aufmerksamkeit gelesen, was ich geschrieben und dieser Aufmerksamkeit gewürdiget: so wird man finden, daß ich mehr als zu sehr Theatermetier verläugnet – mehr als Geduld und Mäßigung ausgeübt habe. – Aber was hat es mir geholfen? – Nichts! – Weil ich mit meinen Handlungen nicht prahlte. – Nun aber, da man mich noch nicht in Ruhe läßt; da mir alle meine Geduld, 307 Wilhelmine Steinbrecher geb. Spiegelberg (1701–nach 1772), Schauspielerin. 308 Karoline Elisabeth Steinbrecher (1731/33–1796?), Schauspielerin. 1772 heiratete sie in Leipzig den Sänger N. Hübler. 309 Johann Gottlieb Schubert(h) (1717–1772), Schauspieler. 310 Johann Karl Löwe (1730–1807), Schauspieler, und seine Ehefrau, die Schauspielerin Katharina Magdalena geb. Ling (um 1745–1807?). Löwe ist nicht zu verwechseln mit Johann Friedrich Löwen (1727– 1771), den Kummerfeld als ihren Widersacher darstellt und der zu dieser Zeit Direktor des Hamburger Theaters war.
698 | Weimarer Handschrift (WHS)
all mein Schweigen nichts half; – nun las ich nicht mehr auf mich herrumtanzen und sage: Daß war ich – und seht, daß bin ich noch. Vierzigtes Kapitel Die Probe und mein Debüt Die Faste gieng hin mit Studieren und Balletproben. Alles gieng gut. Endlich nahte der 22. Aprill, wo die erste Comödie gegeben wurde; alle, die im Stück zu thun hatten, kamen Tages zuvor zur Probe, weil wegen des Ballets nicht beide Proben an einen Tag seyn konnten311. Wie wir beisammen waren, redete ich alle so an: „Meine Damen und Herren! Morgen habe ich die Ehre, zum [92r/189] ersten Mal mit Ihnen zu spielen. Wir kennen uns also noch nicht: müßen uns aber kennenlernen. – Bleiben wir gegen einander zurückhaltend, so werden wir uns nie kennenlernen. – Ein jedes hat seine Art und Weise, wie es spielt. – Ich zum Beispiel habe in einigen Rollen (worunter den auch die heutige ist) einige Anmerkungen und Stellen, die vielleicht andere nicht gemacht. – Darf ich von Ihnen hoffen, daß Sie mir beistehen werden? – Daß Sie es mir als der Jüngsten unter Ihnen nicht übelnehmen, wenn ich Sie um eines und das andere bitte, wo Sie meinen Spiel zu Hülfe kommen können? – Sie sind hier alle fest an einer Kette – ich nicht, ich komme als ein neues Glied daran und wünsche, so fest daran zu werden wie Sie alle. Sein Sie von mir wieder versichert, daß, Sie mögen von mir verlangen: eine Bewegung des Arms, Kopfs, Miene – ich bringe es Ihnen in den Augenblik, wenn Sie es wünschen. Legen Sie mir aber meine Anmerkungen, die ich machen werde, nicht für Stolz oder Eigendünkel aus! – Finden Sie, daß ich unrecht habe – will ich mich gern eines Bessern belehren lassen.“ Anfänglich machte sie alle meine Anrede stutzig – doch versicherten sie mich einmüthig auf das freundschaftlichste: Daß ich ungehindert alles sagen könnte. Ja, es sollte ihnen [92v/190] lieb seyn, wenn ich viele neue Anmerkungen hätte, den das Stück wär ohnedieß sehr alt und oft gegeben. Nun probirten wir, es gieng vortreflich. Ich probirte einige Stellen mit Herrn Herrliz312, der den Clerval machte, wohl dreymal, und er that es gerne; freute sich auf den morgenden Abend. Madame Brückner313 war Orphise. – – – O, die verehrungswürdige, liebe Frau! Sie war nicht zu stolz, bey der Erkennungsscene zu mir zu sagen: „Mademoiselle 311 Zum Inhalt dieses Kapitels vgl. HHS, S. [440]–[444]. 312 Johann Christoph Herrlitz (1748?–1776), Tänzer und Schauspieler. 313 Katharina Magdalena Brückner (1719–1804), Schauspielerin.
Erstes Buch, 40. Kapitel | 699
Schulze! Wo wollen Sie, daß ich stehen soll?“ – „Hier, liebe Madame Brückner, wo Sie stehen, um gleich in Ihre Arme zu fallen, sobald Dorimon liest „Orphise ist deine Mutter“. – „Nun, das freut mich, daß ich wieder da stehen kann. Bei der Neuberten Zeiten stand die Orphise auch da.“ – Die Probe wurde aus, alles war mit mir zufrieden und freute sich auf den morgenden Abend. – Und wie war mir? – Ach! so gut war’s mir lange nicht geworden! Den ich fand mich zum ersten Mal wieder unter Menschen. Ich gieng nicht, ich hüpfte nach Hause, fiel meinen Bruder um den Hals, küßte ihn für Freuden – „O Carl! Was bin ich nun froh, daß ich mit der Cenie anfange. So sollst du mich nie die Rolle haben spielen sehen. – Aber ich habe [93r/191] auch eine Orphise, wie ich noch keine gehabt. Herrlich, herrlich spielt die Brüknern die Rolle, – gieb acht morgen Abend. O, das ist eine göttliche Frau!“ Der 22. Aprill 1767 war also für mich der grosse, entscheidente Tag314. – Das Haus315 war gedrängt voll und im ersten Act nicht ruhig. – Herr Brückner, der den Mericour spielte, sagte, als er abgegangen war, zu mir: „Die Zuschauer wissen die Comödie auswendig und hätten uns gern den ersten Act geschenkt. – Es ist, als ob sie den zweyten nicht erwarten könnten. – Machen Sie nur, daß Sie bald hinauskommen.“ Ich: „Ja, die guten Zuschauer müßen doch noch warten, bis die Music alle ist.“ – Sie wurde es und mit eins alles so still, als ich mit Madame Brükner auftrat, daß man ein Blatt Papier hätte fallen hören können. – Die Stille herrschte den ganzen Auftritt durch; aller Augen waren auf mich gerichtet; kein Wort, was wir beide sprachen, gieng verlohren, und so solide wie ich abgieng (den meine Rolle brachte es so mit sich – ohne theatralsche Kniffe) folgte mir ein allgemeines lautes Applaudissement, daß lange anhielt, ehe Herr Herrliz anfangen konnte zu sprechen, der mit Madame Brükner die zweyte Scene hatte. 314 Goethe sah Karoline Schulze am 22. April in der Cenie zum ersten Mal. Er schildert den lebhaften Eindruck, den sie auf ihn und seine Freunde machte: „Sie war nicht groß, aber nett, schöne schwarze Augen und Haare; ihre Bewegungen und Rezitation vielleicht zu scharf, aber doch durch die Anmut der Jugend gemildert. Sie zog uns in die Bühne, sooft sie spielte“; Robert Steiger, Goethes Leben von Tag zu Tag. Eine dokumentarische Chronik, Bd. I (1749–1775), Zürich/München 1982, S. 217 f. Zur Aufführung am 22. April 1767 s. a. HHS, S. [439]–[442]. 315 In Leipzig war 1766 auf Betreiben bürgerlicher Geldgeber auf der Ranstädter Bastei das erste feste Theatergebäude errichtet worden. Lit.: Gertrud Rudloff-Hille, Das Leipziger Theater von 1766, in: Maske und Kothurn 14 (1968), S. 217–238; Döring, Leipzig, S. 1278. Über die Dekorationen und Verwandlungstechnik des neuen Leipziger Theaters berichtet Kummerfeld in der von Hermann Uhde abgedruckten Fassung ihrer Memoiren; s. Kap. III.5.2.
700 | Weimarer Handschrift (WHS)
[93v/192] Herr Brückner stand da, als ich hineinkam, und sagte: „Von Herzen gratulire ich Ihnen. Sie haben es weg, Sie gefallen.“ – Ich: „O Herr Brückner! Nicht zu früh!“ Herr Brückner: „Nein, ich kenne die Leipziger. Hätten Sie nicht gefallen – keine Hand hätte sich geregt. – Den Ihr erster Auftritt in der Rolle will nicht viel sagen – und denken Sie: welch ein Applaudiren“ etc. etc. Jede neue Stelle wurde bemerkt und mit Beifall belohnt. – Im vierten Act bei der Erkennungsscene wollte das Applaudiren und Brava, Bravarufen gar nicht aufhören. Jeder wurde mit Beyfall belohnt, und zum Schluß des Stüks lohnten Sie uns alle. – Alle meine nun neue Kammeraden wünschten mir Glük. „Sie haben das alte Stück wieder zu einen neuen gemacht.“ Madame Koch kam aus ihrer Loge zu mir aufs Theater mit offenen Armen. „O meine Schultzen! Meine liebe, liebe Schultzen. Alle Ihre Feinde und Neider haben Sie beschämt. Brav! Brav!“ – – Die Thränen standen mir in den Augen. –„Geduld, liebe Madame! Ich hoffe, sie sollen noch mehr beschämt werden. – Aber nun lassen Sie mich zum Ballet umkleiden, ich laß die Zuschauer nicht gern warten.“ Bald war ich fertig, und das Ballet gieng an. Es war von [94r/193] Bauern316. – Mein Bruder und ich kamen nicht gleich. Er stellte einen Bänkelsänger vor, der Mordgeschichten absingt. Ich saß auf einen Esel und hielte ihn bei den Ohren; hatte ein Mädchen auf den Schooß; mein Bruder einen Knaben an der Hand, und mit der andern leitete er den Esel. – Man applaudirte, wie wir gekommen waren. Mein Bruder hieng sein Schild aus, und ich theilte die Lieder aus an die Tänzer. Es war eine Empfehlung ans Publikum in Versen, zierlich in Kupfer gestochen. Wir wollten solche unter die Zuschauer auswerfen. Herr Koch aber befürchtete, es möchte zu Streit oder Händel Anlaß geben; also warteten wir, bis das Ballet aus war, und gaben solche denen, die nach geendeten Ballet aufs Theater kamen. Hier sind die Verse. Herr Schiebeler hat solche verfertiget. Stadt, wo in ihrem Heiligthum Geschmack und Einsicht glänzen! Wen Du erhebst, krönt wahrer Ruhm Mit ewig grünen Kränzen. Laß Deines Lobes Melodie, [94v/194]
316 Das Leben der Bauern, Ballett von Karl Schulze; Biedermann, Goethe-Forschungen N. F., S. 193. Bei Holtei, Bruchstücke, S. 218 (s. Kap. III.5.1) heißt das an diesem Abend getanzte Ballett Das Landleben.
Erstes Buch, 40. Kapitel | 701
Laß sie auch uns erschallen. Süß wird der Fleiß und leicht die Müh, Befeuert ihn, belohnet sie, Das Glück, dir zu gefallen. Caroline Schultze. Carl Schultze.317 Aber noch einige Worte vom Ballet. Wären wir nicht so fest im Tact gewesen, daß wir nicht fehlen konnten – von der Music – so stark das Orchester auch besezt war – hörten wir nichts. Das Applaudiren und Bravo, Bravorufen übertäubte die Music. Keiner, auch die Ältesten vom Theater, konnten sich erinnern, je in Leipzig so einstimmigen lauten, allgemeinen Beifall je gehört zu haben! Alles nahm theil daran, von dem alten Vater Koch, seiner rechtschaffenen Frau, Acteurs und Actrizen, Tänzer und Tänzerinnen. Ja, sogar die Theaterleute318 sahen freundlich. Alles hatte das Geschwisterpaar liebgewonnen. Da sah man keine Verstellung; es kam von Herzen. Kein Neid, kein Naserümpfen. Kein Schümpfen auf die Leipziger – – auch kein Weinen aus Bosheit. Kurz, wir waren unter Menschen! Welch ein glorreicher Sieg über alle meine Feinde! [95r/195] Wenn Sekretärs Löwe Ohren gehört, was man laut über ihn geschimpft auf dem Theater: „Ha, wär Er doch hier in Leipzig“, sagte man, „daß wir ihn zeichnen könnten! Damit er jeden gleich in die Augen fiel“. //XXIV So ganz in meinen Gott vergnügt, so ruhig, so freudevoll, bin ich nie vom Theater gegangen. Wer kann sein Gefühl mit Worten schildern, für daß keine Worte stark genug sind? – Herr Schiebeler kam noch den Abend zu uns, um mir zu danken, wie er sagte. „Für was wollen Sie mir danken?“ Herr Schiebeler: „Ach, Mademoiselle Schultze! Wüßten Sie, wie ich für Sie gezittert habe. – Nun gesteh ich’s Ihnen offenherzig: – Ich wollte Ihnen nicht Angst machen. – Ich selbst habe gedacht: Sie wären daß nicht mehr, was Sie in Göttingen waren. – Denken Sie selbst, was hat man nicht von Ihnen geschrieben? – Keiner kanndte Sie hier als blos aus den Schriften. – Durch die Ode, die ich auf Sie gemacht, beurtheilte man mein Lob aus ganz andern Ursachen.“ – Ich: „Daß Sie ein Liebhaber von mir gewesen?“ Herr Schiebeler: „Ja!“
317 Siehe dazu HHS, S. [442] und Anm. 813. 318 Die Bühnenhandwerker und das andere nicht-künstlerische Personal.
702 | Weimarer Handschrift (WHS)
Ich: „Und habe Sie niemals gesprochen. – Nie gesehen?“ [95v/196] Herr Schiebeler. „Wahr! – Wissen Sie, daß heute unter der grossen Menge von Menschen nicht 5 für Sie waren. Alle gegen Sie. Von dem ersten Act konnte man kein Wort verstehen; den Sie waren der Innhalt von Parter und Logen. – Ich wußte gar nicht mehr, wo ich hinsollte. – Wenn Sie alles gehört hätten! ‚Sie kann nichts! – Wenn sie was nütz wär, man hätte sie gewiß nicht aus Hamburg gelassen.‘ – ‚Nun, weinen wir nicht, so haben wir doch was zu lachen‘ etc. etc. etc. etc. ‚Wenn doch der Act aus wär, daß wir ihre besungene Actrize sähen.‘ – ‚Verstehen soll man sie auch nicht.‘ – Nun hatten Sie alle mögliche Sprachfehler. Einer sagte: Daß verschiedene von der Gesellschaft zu Ihren Lobe sollen gesprochen haben. Man stritt dagegen und sagte, wer weiß, warum sie’s gesagt?‘ – Kurz, ich schwizte und ward bald wieder wie Eis; wußte selbst nicht, was ich anfangen sollte. – Endlich traten Sie auf ! Noch hatten Sie nicht gesprochen, und alle Blicke zeigten Zufriedenheit. – Sie spielten, giengen fort, – und den Beifall hörten Sie selbst. Als Sie abgegangen, hies es: ‚Wär sie nur schon wieder da!‘ – – – Sie kamen, alle rissen Sie hin! Die [96r/197] rohhesten Bursche hatten Thränen in den Augen. Alle glaubten, zum ersten Mal Cenie319 zu sehen. – Alles fühlte mit Ihnen. – Doch Sie sahens – Sie hörten es ja! – Nun wollte man mich fast erstücken mit Küssen und Umarmungen; daß ich Sie hieher gebracht – glaubte man. Und auf meine Vaterstadt ist geschimpft worden! Ich sagte: ‚Löwe, der an allen schuld ist, was man von Mademoiselle Schultze zu ihren Nachtheil gesagt, ist ja kein Hamburger‘. – Aber das half nichts! ‚So hätten Ihre Landsleute den Hundekerl krumm und lahm schlagen sollen.‘ – ‚Aber so bedenkt doch, das Hamburg keine Universität ist.‘ – ‚Auch wahr!‘ – ‚Kurz, Schiebeler, Sie allein machen das Unrecht Ihrer Landsleute wieder gut.‘ – – Mademoiselle Schultze! was bin ich froh! Ich allein war durch die Ode, die ich schrieb“ – – Ich: „Stille, Herr Schiebeler! – Heute bin ich gerochen320. Und Leipzig soll erfaren, ob mich der ausserordendliche Beifall, womit man mich heute beehrt, verschlimmern wird.“ Herr Schiebeler: „O, noch was zum Lachen: Wie Sie im Ballet auf dem Esel herrausgefahren kamen, so wurde doch applau[96v/198]dirt und gelacht? Und wissen Sie, warum? – Man sagte: Der Esel ist der neue Directeur Löwe vom Hamburger Theater. Sie hält ihn bei den Ohren. – Man glaubte, Ihr Herr Bruder hätte es mit Willen gethan.“ Mein Bruder: „Mag sowas daran seyn; so unrecht hatten sie nicht.“ etc. etc.
319 Cenie oder Die Grossmuth im Unglücke. Ein moralisches Stück in fünf Aufzügen, aus dem Französischen der Frau Graphigny, übersetzt von Louise Adelgunde Gottsched. 320 Gerächt.
Erstes Buch, 41. Kapitel | 703
Einundvierzigtes Kapitel Directeur und Schauspieler Mir war in Leipzig, als ob ich in eine neue Welt versezt worden. Es herrschte die grösste Ordnung. Die Schauspieler begegneten einer dem andern höflich, gefällig, freundlich. Brüderschaften, daß alles sich Du und Du nannte, war ebensowenig der Ton (wie bei Ackermannn). Aber da war kein Gezäncke. Jedes lebte für sich. Man besuchte sich auch. Aber wie es Bürger in Städten machen, die ihre Freunde, wenn es Zeit und Geschäffte erlauben, gegenseitig mit ihren Besuchen ehren. – Froh kam man bei Proben und zur Comödie auf dem Theater zusammen, und ebenso froh schied man voneinander; gegenseitige Achtung und Respekt sezte keines gegen den andern aus den Augen. Es waren drey Garderobenzimmer. Eine für die Actrizen, die zweyte für die Acteurs, die dritte für die Tänzer. [97r/199] Vereheligte Schauspielerinnen waren nur Madame Brückner und Madame Löwen. Wenn die Männer von ihren Gattinnen etwas brauchten oder ihnen etwas zu sagen hatten, so kamen sie nie geradezu in unsere Garderobe. Sie klopften an die Thüre an und frugen vor derselben: ob sie hinneinkommen dürften? Stand eine von uns noch in der Schnürbrust, so hies es: Nein, – und so weiß ich sehr oft, das Herr Brückner wie Herr Löwe vor der Thüre abgewiesen worden und sie denn erst wiederkamen, wenn wir alle angekleidet waren. *XXV __________ *Note: Der Schauspieler verlangt, daß man Achtung für ihn haben soll. Aber wie kann er Achtung verlangen, wenn man unter sich allen Wohlstand [= Anstand] aus den Augen setzet? – Altmodisch ist freilich meine Erzählung. Nicht mehr unsern jetzigen Zeiten anpassend; wo sich das deutsche Theater so sehr umgeformt. – Ich sollte mich freilich wie der Schriftsteller an die Zeiten anschmiegen, worinnen ich lebe, wenn ich hoffen wollte, auch mit Beifall gelesen zu werden. – – Ich bitte deswegen um Vergebung! Und bitte, nur das einzige zu bedenken: daß ich hier bei meinen Geschreibsel nicht im Jahr 1785 lebe, sondern im Jahr 1767. Daß ist noch 18 Jahr zurük. ___________ [97v/200] Jeder Tag machte mir Leipzig lieber. O, ich war so glüklich! Man neidete mich nicht, man haßte mich nicht, troz alles Beifals, den ich behielte. – Auch sey es zum Ruhm, zur Gerechtigkeit des Leipziger Publikums gesagt: Sie schäzten, liebten mich nicht allein; sie schäzten und liebten jeden Schauspieler, lohnten jeden mit Beifall, der es verdiente. Hatte ich eine kleine Rolle, bei der nichts war, daß man applaudiren konnte, so war ich ebenso wenig böse wie meine Kameraden. Alle Abende konnte man
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keine Julie321, keine Minna322, keine Sara323 und Clelien324 spielen. – Aber man verdarb auch keine kleine Rollen. Nie hörte ich, daß dem einen die, der andern jene Rolle nicht recht gewesen; jeder spielte, was Herr Koch zutheilte. Auch muß ich’s Herrn Koch noch sagen: Es war nicht möglich, daß eins das andere hassen konnte. Er theilte seine Stücke nicht nach Gunst und Gewogenheit aus, oder wer das Glück [98r/201] hatte, heute bei ihm in Gnaden und morgen in Ungnade zu stehen? Jedes bekam gute Rollen. Er entzog keinen mit Willen, was er spielen konnte. Er gab nicht einer bey der Gesellschaft alle guten Rollen: – selbst seine Gattin mußte zurückstehen. – Kurz, nur einen Directeur Koch, nur eine Directrice Koch habe ich bei dem Theater kennengelernt. Ehe ich zu Kochs kam, war Madame Withöft325 und Mademoiselle Giraneck326 (nachherige Madame Koch) die ersten Tänzerinnen327. Ich sagte zu meinen Bruder: „Carl! Ich stelle mich nun ganz in die Verfassung der Madame Withöft und Demoiselle Giraneck. Sie waren abwechselnd, ehe ich kam, die ersten Tänzerinnen. Denke, wie es sie kränken müßte, wenn sie jezt immer zurückstehen müßten? Zum Tanzen sind ohnedem mehr Frauenzimmer wie Herrn da. Wenn du erst ein paar Ballete im Gang hast, den hast du mehr Zeit und kannst Ballette einstudieren lassen, wo du mit beyden abwechselnt die erste Partie mit ihnen tanzst. Ich bin den in denen Balletten frey.“ Mein Bruder gab mir recht. Beyde tanzten mit ihm. Mir war’s Erleichterung, wenn ich nach einer grossen Rolle nicht tanzen durfte, und gewann noch obendarein mir Achtung und Liebe bei der [98v/202] Gesellschaft wie bey dem Publikum, da sie sahen: Ich wollte nicht allein glänzen, nicht alles allein machen, nicht meine Gespielinnen unterdrüken.
321 Romeo und Julie, Trauerspiel von Christian Felix Weiße. Goethe bewunderte ihre Darstellung der Julie und notierte: „[…] besonders wie sie in dem weißen Atlaskleide aus dem Sarge stieg und sich sodann der Monolog bis zur Vision, bis zum Wahnsinn steigert. Wenn sie die Ottern, welche sie an sich hinaufkriechend wähnte, mit lebhafter Bewegung der Hand wegzuschleudern schien, war ein unendliches Beifallklatschen ihr Lohn“; Steiger, Goethes Leben, I, S. 218. Dass Goethe als Student „zum Sterben“ in Karoline Schulze „verliebt gewesen, und sich im Leipziger Parterre die Hände fast wund geklatscht habe, wenn sie […] als Julia auftrat“ berichtete auch Johanna Schopenhauer in einem Brief an Holtei 1828; ebda. 322 Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück, Lustspiel von Gotthold Ephraim Lessing. 323 Miß Sara Sampson, Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing. 324 Gemeint ist wohl die Rolle der Clelie im Lustspiel Medon oder die Rache des Weisen von Christian August Clodius. 325 Josepha Wit(t)höft (* 1734), Schauspielerin und Tänzerin. 326 Franziska Romana Giraneck (1748–1796), Sängerin, Tänzerin, Schauspielerin. 327 Vgl. HHS, S. [445].
Erstes Buch, 41. Kapitel | 705
Den 18. May wurde Romeo und Julie328 zum dritten Mal gegeben. Man hatte das Stück verlangt, alle angesehene Baadegäste aus Lauchstädt329 kamen deswegen nach Leipzig, und unter denenselben auch der Herr Kanonikus Gleim330. Es war ein heisser Sommertag. Gegen 4 Uhr kam ein schröckliches Donnerwetter mit Hagel, der viele Fenster in der Stadt und auf den Lande einwarff. – Aber ohngeachtet des schauderhaften, schröklichen Wetters war das Schauspielhaus zum Brechen voll. Die Hitze in dem Haus und auf dem Theater war drückend. Wie die Music angehen sollte, sagte Vater Koch: „Wer auf dem Theater zu thun hat, der komm herein. Wer weggehen will, der gehe jezt. Die Thüre muß zubleiben, solange der Act dauert, damit Mademoiselle Schultze keine Zugluft trieft, wenn sie spielt.“ Das sagte Koch! – Und der alte gute Mann blieb den ersten, zweyten und dritten Act, solange das Gewitter und der Sturm angehalten, an der Thüre stehen; ließ keinen heraus noch hinein. – Er hatte nicht gewußt, daß ich es [99r/203] gehört; – auch nicht geglaubt, daß ich bei meinen Spiel sein Thürhüthen beobachten würde? – Daß war Liebe! Daß war Aufmerksamkeit! – Ich dachte an Ackermann und sein in Braunschweig gesagtes: „Ja, nun seh ichs: Tanzen hätte sie heute nicht können.“ Bekand ist es, daß in Leipzig in der Messe alle Tage gespielt wird. Koch dachte nicht: Wenn meine Gesellschaft auch jezt drey mühsame Wochen hat, nun, so kommen nach der Messe 10 Wochen, wo nur dreymal gespielt wird; und gebe doch die ganze Gage. – O nein! Sowohl zur Oster- als Michaelismesse331 bekamen von ihm die Schauspielerinnen einen Louis d’or, die Tänzerinnen einen Ducaten. – Löwens hatten es mir gesagt. Da sie die einzigen waren, die ich kandte, so erkundigte ich mich bei ihnen: wie überhaupt bei Kochs sowohl wie bei der Gesellschaft die Gebräuche wären? Sie sagten mir alles, was gut – was noch besser seyn könnte; und hatten als redliche Leute mir in keinen Stüke eine Unwahrheit gesagt. Durch sie und ihren Bericht wurde ich also mit 328 Romeo und Julie, Trauerspiel von Christian Felix Weiße. 329 Das etwa 40 km von Leipzig entfernte Lauchstädt, das von 1739 bis 1815 zu Kursachsen gehörte, entwickelte sich im 18. Jahrhundert zu einem beliebten Heilbad. Zu den „Curgästen“ zählte in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine große „Anzahl Fürstl. und anderer hoher Standespersonen“; Daniel G. Frenzel, Die Natur und Würkung des mineralischen Wassers zu Lauchstädt, Halle 1768, S. 39. 330 Johann Wilhelm Ludwig Gleim (* 2. April 1719 Ermsleben, † 18. Febr. 1803 Halberstadt), Dichter, Literaturmäzen und Sammler, seit 1747 Sekretär des Halberstädter Domkapitels und seit 1756 auch Kanonikus des Stiftes Walbeck. Gleim gilt als erster deutscher Anakreontiker und Exponent der Freundschaftskultur im Zeitalter der Aufklärung; Lorenzen, Ludwig Gleim. 331 Zu den Leipziger Messen s. HHS, S. [447] mit Anm. 829.
706 | Weimarer Handschrift (WHS)
der ganzen Kochischen Theater-Verfassung so bekandt, als wenn ich viele Jahre schon wär dabei gewesen. – Welch ein Vortheil war daß für mich! Ich konnte ausweichen, nirgends an[99v/204]stossen und durch Vernunft manches gutmachen! Es sind nun bereits 25 Jahre verflossen, daß ich Löwens nicht gesehen – und wahrscheinlich nie wiedersehen werde.– Aber noch danke ich ihnen. Und verdienen solche Menschen keinen Dank? – O, man findet bei dem Theater nur selten solche Leute! Auch sagten sie mir, daß die Singerollen extra bezahlt würden. Wer in einer Oper von drey Acten eine Hauptpartie zu singen hätte, bekäm – sowol der Herr wie die Dame – das erste Mal, wenn sie gegeben würde, eine[n] Louisdor. Bey der zweyten Vorstellung einen Ducaten und dann, sooft sie wiederholt würde, allemal zwey Gulden. Die nur kleine Partien zu singen haben, bekämen das erste Mal einen Ducaten und bei der Wiederholung einen Gulden. – Gewiß, bei Kochs war’s der Mühe werth, singen zu können! Den wer recht in den Opern einstudiert war, verdiente mit seinen Singerollen mehr wie mit der Wochengage. Auch ich bekam in drey Opern kleine Partien. Solche Sporteln332 kommen bei einer ordendlichen Einrichtung treflich zustatten. Was verdienten nun die nicht erst, die in allen Opern und Stüken, wo zu singen war, mit dabeiwaren und die ersten [100r/205] Rollen hatten? – Und wenn ich nur sagen könnte, das eine Actrize oder Acteur, die gar nicht sungen, folglich auch gar keinen Antheil an diesen Sporteln hatten, sich aufgehalten, gestichelt, die Singkameraden beneidet hätten? so müßte ich die abscheuligste Lügnerinn seyn. Nach der ersten Ostermessewoche kam Vater Koch zu mir in die Garderobe und sagte: „Da, liebe Schultzen, von mir eine kleine Messe“ und gab mir ein Papierchen in die Hand. Ich bedankte mich, wie sich’s gebürte. Erst wie ich zu Hause war, machte ich das Papierchen auf und fand einen Doppelt-Louisdor darinnen. – Da hat sich Koch versehen! – Ich wickelte solchen wieder ein und nehme ihn den andern Tag mit nach dem Theater. – Koch kam in unsere Garderobe, ich rufe ihn zu mir: „Lieber Herr Koch! Da haben Sie ihr Päckgen zurücke, Sie haben sich geirrt.“ – Koch erschrak und sagte: „Was? mich geirrt!“ Ich: „Ja, lieber Herr Koch! Ich weiß, Sie geben Ihren Schauspielerinnen zur Messe einen Louisdor, – hierinn sind zwey! – Sie könnten in Ihrer Rechnung nicht wissen, wo der Louisdor hingekommen?“ Herr Koch: „Nein, liebe Schultzen! Ich wußte es, ich habe mich nicht [100v/206] geirrt.“
332 Sporteln sind eigentlich Gebühren für Amtshandlungen; hier aber im Sinne von: Nebenverdienst.
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Ich: „Aber die andern bekommen ja nur einen – ich will auch nicht mehr. – Verlange keinen Vorzug –“ Herr Koch: „Gutes Mädchen! – Sie arbeiten aber für zwey Personen.“ Gott weiß es! Thränen kamen mir in die Augen. Dank, Dank zu sehen gegen mich, wo ich dachte: O, du thust ja nichts wie deine Schuldigkeit; hast manche Tage frey; darfst nicht alle Tage tanzen und spielen. – Erkenntlichkeit! Bist du hier zu Hause? Ich glaubte, du wärst bei keinen Theater zu finden. Den Sonabend darauf, als mein Bruder die Gage holte, gab Herr Koch auch ihm zwey Louisdor, zu Notenpapier, wie der gute Mann sagte, und so bekamen wir auch zur Michaelismesse jeder von uns zwey Louisdor. Mich nicht allein, auch meinen Bruder hatte man ebenso lieb. Herr Löwe sowol wie Herr Herrliz, die gar nicht mehr tanzten, traten aus Liebe zu meinen Bruder in einige grosse Ballets. Vater Koch hätte es sich nicht unterstanden beiden zuzumuthen. ⁄ XXVI Als mein Bruder ein neues Ballet – in welchen viele Decorationen waren – machen wolte, sagte er einmal in der Garderobe. – „Ach, Herr Kirchhöfer333, [101r/207] wenn ich Sie doch in dem neuen Ballet nicht dürfte mittanzen lassen – daß Sie ganz bei denn Decorationen bleiben könnten!“ – Herr Löwe und Herr Herrliz hörten es: und beyde sagten: „Aus der Verlegenheit wollen wir Sie bringen, wir wollen mittanzen.“ Meinen Bruder geschah ein grosser Gefallen, er mißbrauchte aber auch ihre Güte nicht; verlangte nicht, daß sie in allen folgenden kleinern Ballets mittanzen sollten. Den leider! wird bei dem Theater jeder gute Wille zur Schuldigkeit gemacht (wie es mir nach der Zeit bei meiner zweyten Theaterperiode ergangen – und wie man noch das mehrere davon erfaren soll). So aber dachte mein Bruder nicht.XXVII Wenn mein Bruder und ich, wenn wir beyde wären imstande gewesen, Kochs Millionen zu verdienen – wir hätten’s gethan. Zweyundvierzigtes Kapitel Neue Anträge Mit dem August fiengen für mich neue Auftritte an. Ich bekam von dem Directeur Herrn Kurz Engagementbriefe aus Maynz. Er both uns grosse Gage – wir waren bei Herrn Koch vergnügt und schlugen sein Anerbiethen bescheiden aus. [101v/208] Zwey Tage darauf bekomme ich aus Hamburg folgenden Brief: Mademoiselle!
333 Johann Georg Kirchhöfer († 1804), Schauspieler und Theater-Dekorateur.
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Sie kennen die Achtung, die ich für Sie habe; Sie wissen, wie sehr ich Ihre Entfernung von dem Hamburgischen Theater bedauerte! Diese Gesinnungen werden mich rechtfertigen, wenn ich sage: möchten Sie doch bald wieder bei uns seyn! Ich habe zu persönliche Freundschaft gegen Herrn Koch, zu viele Liebe für das Leipziger Publikum, das Ihnen schmeichelhaften verdienten Beifall schenkt, als daß ich die Erfüllung meines Wunsches zu übereilt hoffen sollte; aber ich weiß auch, wie oft Sie an Hamburg zurükdenken, an Ihre Freunde, deren ungekünsteltes Lob Sie für den Neid, der wahre Talente stets verfolgt, schadloß hielt. Die Entrepreneurs unsers Theaters wünschen Ihre Zurückkunft; Herr Bubbers ist Ihr Freund; er läßt Sie durch mich versichern, daß, wenn Sie Vertrauen in ihm setzen und sich näher und schriftlich gegen ihn erklären wollten, er für Sie und Ihren Herrn Bruder für Advent des Jahres oder noch eher die besten vortheilhaftesten Bedingungen festsetzen könnte. Wie gross ist mein Vergnügen, da ich Ihnen diese Nach[102r/209]richt geben kann? Kommen Sie doch wieder zu uns! Geben Sie unsern Theater die liebenswürdigste Actrize zurük! Empfehlen Sie mich dem Herrn Bruder und bleiben Sie von mir versichert, daß ich mit der vorzüglichsten und verbindlichsten Hochachtung sey Mademoiselle Dero ganz ergebenster Diener Schmidt334. Commissionsrath. Hamburg, den 29. July 1767 Wer kann es mir verdenken, wenn ich sage: daß ich mit dem Brief in der Hand in der Stube herrumtanzte und dazu sang: Revanche! Revanche! Wohl hatten es die Herrn Entrepreneurs angefangen, daß sie dem Herrn Commissionsrath Schmidt den Auftrag gaben. Den ohngeachtet ich damals keinen Umgang mit ihm und den seinigen gehabt und er der Freund von der ganzen neuen Direction war, so hatte ich doch nie gehört, daß er feindselig gegen mich gehandelt. In meiner Antwort an ihm konnte ich so mein ganzes [102v/210] Herz ausschütten. Ich sagte ihm: Wie mir keine heimliche 334 Der Sachsen-Weimarische Kommissionsrat Johann Friedrich Schmidt (* 1729 Langensalza, † 22. März 1791 Wien) lebte bis 1774 als Kaufmann in Hamburg. Er hatte mit Friedrich Nicolai in Berlin die Schule besucht und schrieb gelegentlich Lustspiele. Als Lessing nach Hamburg ging, wohnte er – auf Empfehlung Nicolais – bei Johann Heinrich Schmidt und fand Anschluss im Freundeskreis der Familie Schmidt, zu dem später auch Karoline Kummerfeld gehörte. Ein Bankrott im Jahr 1772 infolge riskanter Lottogeschäfte veranlasste Schmidt, 1774 Hamburg zu verlassen. Er ging zunächst nach Leipzig und später nach Wien, wo er Direktor des Lesekabinetts wurde und weiter Lustspiele schrieb; Paul Raabe, Eva König, Hamburg 2005, S. 29 und 38; HHS, S. [452 f.], HHS, Anm. 840 und WHS, Anm. 575.
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noch öffendliche Kabale, die man gegen mich geschmiedet, wäre verborgen geblieben. Nannte sie ihm alle und mit den Worten, die meine Feinde sich bedient. – Auch daß mir gegenwärtig ihr unaufhörliches Gezänke, Zwitracht, Neid und Haß, womit eins gegen das andere bei dem Hamburger Theater angefüllt sey, nicht unbekand wär. – Mir hatte man Hamburg, das angefangen mir zu gefallen, zur Hölle gemacht. Bei Herrn Koch wär der Zeitpunkt gekommen, wo ich das erste Mal mit meinen Stand als Schauspielerinn vergnügt wär. Um mehr Gage die Woche zu bekommen, verließ ich keinen Directeur. Den Ruhe und Zufriedenheit könnte man nicht für Geld erkaufen. Die Gesellschaft hier liebte mich wie ich sie. – Und nur ausserordendliches Glück oder Unglück müßte mich, solange Herr Koch lebt, von ihm bringen – sonst nichts!! – Sollte ich mir selbst so verhaßt seyn und in eine solche Verwirrung zurückkehren, wie sie auf dem Hamburger Theater herrscht? – Man weiß hier alles – [103r/211] die werden fett von Anderer Magerheit. Und wieviel haben die Vernünftigen darunter nicht zu thun, den Frieden nur noch öffendlich vor der Welt zu erhalten etc. etc. Leipzig, den 5. August 1767335. Wie hatte sich das seit einem Jahr geändert! Nun war ich auf einmal die liebenswürdigste Actrize geworden, die ich dem Hamburger Theater wieder schenken sollte. – Daß ich oft nach Hamburg zurückedachte, daß war wahr. – Aber warlich! nicht um dort auf dem Theater zu seyn. – An Herrn Kummerfeldt dachte ich, an den Mann seine edle, uneigennüzige Freundschaft – den wär Herr Kummerfeldt nicht gewesen – diesen seine Bitten, sein Zureden hielte mich – ich wäre gleich zu Anfang des Sommers weggegangen, hätte nicht abgewartet, bis Ackermann die ganze Wirthschaft aufgegeben. – Nun hatte ich wahre Talente. – Und in Löwens Schriften hies es: ich hätte einige – aber auch gewiß nur einige Rollen, wo man mit Zuverlässigkeit sagen könnte: ich spielte selbige ziemlich gut – – mein Ton wär schleppend, geziert; meine Action comisch [103v/212] gravitätisch, die sich dem Haupt- und Staatsactionen nahte. Ich fienge zwar an, mich nach dem Muster eines Eckhofs zu bilden – aber wenn man mich lobte, würde ich in Gefahr stehen, vielleich etwas mehr als mittelmässig zu bleiben – – – *XXVIII Wär ich eitel und stolz gewesen, oder hätte mir das Lob mein Herz verdorben, meine Denkungsart verändert: Ich hätte grossgethan und es in der Welt auspoßaunt. [104r/213] Nein, ich that es nicht. Kein Mensch erfur von mir und meinen Bruder die Anträge, die man uns von Herrn Kurz und von der Hamburger Direction gemacht. Welche
335 Der Brief ist vollständig wiedergegeben in HHS, S. [453]–[457].
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Actrize – und man hätte sie weit weniger wie mich beleidigen dürfen – würde nicht diesen Brief von Herrn Comissionsrath Schmidt öffendlich bei Proben und in Gesellschaft vorgelesen haben? – Und wär’s nicht recht gewesen, wenn ich solchen in allen Zeitungen hätte abdrucken lassen? – Wer kann sagen, daß ich Herrn Comissionsrath Schmidts Brief gezeigt? Da ich selben doch noch in Händen habe und jeden vorzeigen kann, der Lust hat, das Original mit der Copey zu vergleichen? Nein! Sogar die kleine Rache erlaubte ich mir nicht. – Und nun zwingt man mich, endlich doch noch loszubrechen? – Ich mußte! – Gewisses Naserümpfen und zweydeutiges Achselzucken über das, was ich wol müße gewesen seyn? steht mir nicht an. – Und allen denen sage ich: Sie können zu mir in die Schule gehen, wenn sie richtige Begriffe vom Schauspieler und der Kunst lernen wollen. ___________ *Note: So gieng Herr Sekretär Löwe mit mir um. Und das sind nur kleine Schmähungen. Der doppeltzüngige Heuchler bediente sich noch viel ärgerer Ausdrücke in seinen Schriften, die vielleicht noch mancher in Händen haben mag; macht Auszüge daraus noch gegenwärtig, wo ich keinen Menschen mehr im Wege steh, mir doch noch was anzuhengen. Herr Rath Reicherd, der auch manches durch den Tod Eckhofs mag erhalten haben, hat auch daraus sein Gift gesogen, daß er gegen mich aussprudelt – ohne die Veranlassung zu wissen; – ohne zu wissen, wie man das verachtete Mädchen suchte, um es nur wieder zu bekommen. Dreyundvierzigtes Kapitel Herr Kummerfeldt verlangt mich zur Gattin Nur Herrn Kummerfeldt schrieb ich’s nach Hamburg mit [104v/214] der Bitte: keinen Gebrauch davon zu machen336. Wie gross war mein Erstaunen, als ich in der Antwort auf diesen Brief die Worte las: Mein Herz haben Sie längst – nehmen Sie auch meine Hand an. Aus Ursachen von Familie und dergleichen wünschte er, daß ich sein Anerbiethen geheimhalten, und sezte die Zeit einer Verbindung auf die Ostern des Jahrs 1769. Den Antrag war ich nicht vermuthen[d]; er sezte mich in tiefes Nachdenken. – Troz alles des Ruhms, alles des Beifals und Liebe, die man mir schenkte, so blieb doch mein 336 Längere Passagen dieses Kapitels sind fast wörtlich aus der HHS, S. [458]–[471] übernommen. Dort werden allerdings zusätzliche Aspekte (u. a. über die Ehe unter Schauspielern und die konfessionsverschiedene Ehe sowie Kindererziehung) thematisiert und mehrere Briefe im Wortlaut zitiert. Der Brief von Karoline Schulze an Diedrich Wilhelm Kummerfeld vom 16. August 1767 ist in der HHS, S. [460]–[464] etwas ausführlicher und zum Teil anders formuliert wiedergegeben.
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Herz kalt. – Alles Lob, das so manche junge Person bei dem Theater stolz, übermüthig, neidisch, hämisch und boßhaft gegen ihre Gespielinnen gemacht hatte, wirkte auf mich nicht und verrückte nie meinen Kopf, noch vergiftete solches mein Herz. Die vielen Unglüksfälle, die ich mit meinen Eltern in meiner Kindheit erlebt hatte; das Alter – und die kränklichen Umstände meiner Mutter war mir das sicherste Präservativ, das mich die allgemeine Theatersäuche337 nie mit anstekte. Meine Mutter war schön, jung. Auch ihr band man Blumen- und Lorbeerkränze. – Was wär sie ohne ihre Kinder im Alter gewesen? – Die Ehen bei dem Theater? – Ach! [105r/215] ich kenne ja so wenige, die auf mein Herz Eindruk machen können. – Kummerfeld bietet dir seine Hand an: Herz und Verstand sagen dir: den Mann nicht auszuschlagen. Werth war er mir geworden; er hatte meine ganze Hochachtung und die zärtlichste Freundschaft – ich forschte mein Herz durch – und fand Liebe. Wahre Liebe, die ich mir nun selbst gestand. – Ja, Kummerfeldt ist der einzige Mann, der dich glüklich machen wird und mit dem du es seyn kannst. Er lebt still; ist freygebig, ohne zu verschwenden; wirthschaftlich ohne Geitz. Kein Säufer, kein Spieler; hat ein gutes Herz. Und da er einige zwanzig Jahre älter ist wie du338, so bist du sicher, daß dir sein Herz unveränderlich bleiben wird. Ein angesehener Bürger, ein Mann von Ehre und guten Namen. Aus Hochachtung und Freundschaft zu dir entstand seine Liebe. – Du kannst nie, nie eine beßere, eine unbereuentere Wahl treffen. – – – Doch hat Kummerfeldt auch an alles gedacht? – Alles überlegt hat er nicht. – Ich will ihm daran erinnern, weil’s noch Zeit ist – – – Nein! – Nein, lieber bleib ich, was ich bin – nur kein unglükliches Eheweib! – – Alles, nur das – das nicht! Man wird mir verzeihen, wenn ich hier die ganze Antwort [105v/216] einrücke, die ich an Herrn Kummerfeldt geschrieben. – Aber ich muß. „Ihr leztes Schreiben, mein werthester Freund! hat mich – ich gestehe es, in ein angenehmes Erstaunen gesezt. – Sie kennen mich, Sie wissen, wie hoch ich Sie schätze, wie zärtlich meine Freundschaft für Sie ist. – Der Schritt zur Liebe liegt nahe dabey, und wenn ich Sie auch nicht in Hamburg geliebt hätte, so hätte ich Sie nun entfernt durch Ihre fortwährende innige Freundschaft zu mir lieben müßen. Sie schreiben mir, daß Sie nur jetzt entfernt von mir fühlten, daß ich Ihnen mehr geworden wie Freundin? Daß Sie sich nun erst selbst kennten und überzeigt wären: ohne mich nicht leben zu können? – Schmeichelhaft für mich! Fast möchte ich stolz seyn auf mich selbst, das
337 Zur Theaterseuche s. HHS, S. [459], Anm. 848. 338 Kummerfeld ist 1723 geboren, war also 19 Jahre älter als die 1742 geborene Karoline.
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meine Denkungsart, meine Art zu handeln, mein Umgang mit Ihnen fähig war, ein Herz wie das Ihrige zu rühren, das so viele weit schönere, liebenswürdigere und reiche Mädchens in Hamburg nicht über Sie vermocht. Den welche Eltern würden Ihnen ihre Tochter versagen? – Weg also, liebster Freund, alle Verstellung! – Ich liebe Sie! Muß Sie lieben. Wer kann meine Liebe mehr verdienen wie Sie? Ihr Antrag macht mir Ehre – und für mich ein Glück, daß ich nie gehofft. – Aber, Freund! haben Sie auch alles wohl [106r/217] überlegt? – Eine ewige unzertrenbare Verbindung mit Ihnen sehe ich zwar für das grösste Glück an, daß mir je begegnen konnte – aber ich würde doch dieses Glück ausschlagen, wofern der geringste Zweifel in meiner Seele zurückblieb, daß Sie mit mir und ich mit Ihnen nicht bis zu den Augenblick, da Gott uns voneinander trennt, gleich glücklich leben sollten. Vier Punkte, lieber Freund, müßen Sie mir aufrichtig beantworten! damit keiner von uns beiden einst einander Vorwürffe machen kann. Der erste ist die Religion: Ungestört will ich in der meinigen leben und sterben. So wie ich Sie ungestört die Pflichten der Ihrigen werde erfüllen lassen. Keines darf das andere abhalten. Meine Religion sey mir die meinige, so wie Ihnen Ihre die ihrige ist. Der zweyte Punkt ist das Theater: Sie wissen die Vorurtheile, die die meisten dagegen haben. Fühlen Sie sich stark genug, über alle Vorwürffe, die man Ihnen machen kann und wird, hinauszusetzen? – Sie wissen, so wenig der Fürst zu seiner Geburt selbst was beigetragen, so wenig hab ich’s. Nicht um freyer, müßiger, bequem zu leben, bin ich auf dem Theater. Meine Eltern waren vor mir auf [106v/218] solchen und gaben mir mein Daseyn. – Gereicht mir also zu keinen Vorwurf. – Und unglüklich wär der oder die, die über mich die Nase rümpften oder mir die Achtung entzögen, die mir zukömmt. – Den darinnen kennen Sie mich, bin ich zu stolz und denke in den Punkte, was wahre Ehre ist, wie ein Mann. Der dritte Punkt ist: Ich habe kein Vermögen. Mein Reichthum ist meine Kunst. Und wenn mich Gott gesund läßt und für ausserordentliche Unglücksfälle beschüzt – ja, so bin ich imstande, mir jezt was zu sammeln bei meiner ordendlichen und wohleingerichteten Wirthschaft, daß ich nicht befürchten darf, im Alter zu darben. – Von Schulden bin ich frey, die habe ich nicht. Und da mir jezt nichts meinen Stande gemäß gebricht – so kann ich auch darauf denken, mir baares Geld zu sparen. Nie, lieber Kummerfeldt, habe ich mich um das Ihrige bekümmert. Ich weiß nicht, wie reich oder wie nicht reich Sie sind? – Wenngleich meine Art zu leben – (und von der ich auch als Ihre Frau nicht gesonnen bin abzugehen) von denen Hamburger Damen weit entfernd ist – die aber zum Theil entschuldiget werden können wegen der reichen Aussteuer, die sie
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ihren Männern zugebracht – so wissen Sie doch selbst, daß [107r/219] dann allemal Ihre Ausgaben grösser seyn werden, als wenn Sie allein sind? Und wenn ich auch alles beobachte, was einer guten und aufmerksamen Hausfrau zukömmt: ich Ihnen doch unmöglich daß erwirthschaften kann, was ich Ihnen koste? – Also, Freund! bitte ich Sie bei Gott! bei aller der Rechtschaffenheit, die ich Ihnen zutraue – überlegen Sie es: Sind Sie in der Situation, ein Mädchen zu heurathen ohne Geld? – Und gesezt, Sie könnten es jetzt wegen Ihres Dienstes, sind Sie auch gewiß, das, wenn Gott Sie vor mir – daß ich nicht wünsche – aus der Welt nehmen sollte, ich auch den als Ihre gewesene Gattin mit Anstand werde leben können? – Freilich so nicht, als ich leben konnte, da der tagtägliche Verdiener noch bei mir war – aber doch, doch leben wie eine gute, stille Bürgerinn ohne Nahrungssorgen? Kummerfeldt! denken Sie, daß ich blos Ihrentwegen das Theater als meinen einzigen Stecken und Stab von mir legte, blos aus Liebe für Sie! Blos als die einzige gewisse Hoffnung, in meinen Alter versorgt zu seyn. Gottlos, unverantwortlich wär es von Ihnen, wenn [107v/220] Sie mich jezt in der Blüthe meiner JahreXXIX – jezt, wo ich aerndten kann auf ’s Alter, jezt mich aus meinen Brod sezten – meine Jugend in Ruhe und mich in meinen alten Tagen hülflos zurükliessen? – Daß ich wieder gezwungen wäre, um mein Leben zu erhalten, bei dem Theater Schuz zu suchen. – Das Mitleid der Edeln und der Spott des gemeinen niederträchtigen Auswurfs von Menschen würde? – Sie sind kein Jüngling. Sie sind ein Mann! Weg also lieber jeden verliebten Gedanken. Als Mann will ich von Ihnen geliebt seyn. Als Mann, der weiß, was zum tagtäglichen Unterhalt erfordert wird. – Nicht wie der unbesonnene Knabe mit seinen noch unbesonnenern Mädchen, der nur den gegenwärtigen Augenblick vor Augen hat und für die Zukunft blind ist. Mein lieber Kummerfeldt! Lieber wollen wir Freunde bleiben. Ewige Freunde! Die Abwesenheit, ja die Zeit wird Ihnen Ihre vorige Gemüthsruhe wieder geben – und so, wie Sie ehemals ohne meinen Umgang gelebt, werden Sie sich auch nach und nach wieder daran gewöhnen. – Prüfen Sie sich! Ihr[e] Freundin wird Sie segnen bis zum lezten Augenblick ihres Lebens. – Aber als betroge[108r/221]nes Weib würde ich Ihrer Asche im Grabe fluchen. Der vierte Punkt ist: Das Ihre ganze Familie mich als Ihr[e] Frau anerkenne und so mit mir umgehe. Sie wissen, daß ich ausser Ihren Herrn Bruder sehr wenige davon zu kennen die Ehre habe. Den, lieber Freund! ob ich gleich noch jung bin, so habe ich doch vieles gesehen und erlebt, weiß, was am Ende für mürrische Auftritte, ja oft ganze Zerrüttungen der zärtlichsten Liebenden daraus entstanden, wenn ein Mann
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oder Mädchen sich gegen den Willen und Absichten der Anverwandten verehligt. Ich will keine Uneinigkeit unter Ihre Anverwandten stiften, lieber begebe ich mich339 der Ehre, mit ihnen verwandt zu werden; den nie, nie würde ich’s mir verzeihen, wenn Sie durch mich Bande trennen sollten, die Ihnen von Jugend an und durchs Blut verwand sind. Denen ihr Gutachten zu unserer Verbindung müßen Sie mich vorher überzeugend versichern. Freund, überlegen Sie alles! Der Schritt ist für Sie so wichtig wie für mich. Können Sie mir bürgen für diese vier Punkte, so bin ich die Ihrige. – Können Sie nicht? so bleiben wir Freunde. – Überzeigen müßen Sie [108v/222] mich aber durch Gründe, daß mir kein Zweifel übrigbleibt. – Dann setzen Sie den Tag unserer Verbindung hinaus, solange Sie wollen, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort: Daß, wenn Sie statt anderthalb Jahre solche auch 6 Jahre hinaussetzen wollten, es zufrieden seyn wird, Ihre Freundin Caroline Schultze. Leipzig, den 16. August 1767.“ Das war mein Brief. Ich schrieb, wie ich dachte, den ich war keine von denen empfindsamen Schäfferinnen, auch war mein Schäfer über die Schäferjahre hinnaus – zu der Zeit hies das noch Schäferleben340. Herr Kummerfeldt antwortete mir bald. Was die Verschiedenheit unserer Religion anlange, würde er mich nicht stören etc. etc. – Den Punkt meines Standes als Schauspielerinn hätte ich selbst beantwortet: Er seze nur noch hinzu: daß ich solchen mit meiner Denkungsart Ehre brächte. Lächerlich wär’s, jemanden seine Geburt vorwerffen zu wollen, für die er nicht kann etc. etc. Was das Vermögen anbelangte, so sollte ich doch nicht von ihm denken, daß er so gottlos wär, mir seine Hand anzutragen, wofern er nicht auch in denen Umständen wär, [109r/223] daß er nicht allein jetzt eine Frau, auch ärmer wie ich, erhalten, sondern daß auch solche nach seinen Tod wohl und anständig leben könnte. „Meine Umstände verbessern sich eher, als das sie sich verschlimmern können, und je mehr Jahre mir Gott schenkt, je reichlicher kann ich für meine Frau sorgen. Ich bin ein ehrlicher Mann und als solcher in ganz Hamburg bekannt. Gott würde mich strafen in der Ewigkeit, wenn ich ein so gutes, edeldenkendes Mädchen unglüklich machen wollte. Ich weiß, Sie werden sich nach meinen Mitteln richten, und was ich Ihnen als ein ehrlichbleibenwollender Mann nicht geben 339 Verzichten auf. 340 Anspielung auf die in der Schäferdichtung mit Zärtlichkeit, sanften Empfindungen und in Unschuld auftretenden Schäferinnen und Schäfer.
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kann – auch Ihres künftigen Bestens wegen nicht von mir verlangen. Doch ich kenne Ihre Häuslichkeit, Ihre Liebe zur Ordnung – auch darinnen zeichnen Sie sich aus vor so viele Ihres Geschlechts. Was den vierten Punkt anbelangt: So dürfen meine Verwandte Sie nur sehen, Sie nur kennenlernen, und alle werden meine Wahl billigen, ja, Sie so lieben wie ich – doch sollen Sie, ehe Sie Leipzig verlassen, auch von solchen überzeigende Beweise bekommen“ etc. etc. Nun sezte Herr Kummerfeldt die Zeit, daß ich kommen sollte, [109v/224] auf den Advent des Jahrs 1768341, und auch das war ich zufrieden. Der Termin war ihn wieder zu lang. Er rükte näher mit jeden Brief; bis er unwiederruflich die Faste festsezte des künftigen Jahrs342. Vierundvierzigtes Kapitel Noch konnte mich mein Glük nicht freuen Ich sah Kummerfeldts Liebe – liebt ihn gewiß wieder. – Aber von Kochs wegreisen war mir ein schreklicher Gedanke. – Jezt, zu einer Zeit, wo ich so oft gesagt hatte: Gott! ich danke dir, daß du mich in den Stand hast geboren werden lassen! – Jezt fort? Werde ich glüklich seyn? – Und mich entfernen von meinen Bruder? – von dem ich nie getrennt war? – – Ich hatte schreckliche Tage. – Ich war kein leichtsinniges Mädchen bei aller meiner Munterkeit. – Kochs konnte ich nicht frey ins Gesicht sehen. Ich gieng herrum wie eine Verbrecherinn. Ich zitterte, wenn ich an den Augenblick dachte, da ich ihnen sagen sollte: Ich gehe von euch. – Und wohin? – Nach Hamburg!! – Hamburg? – Einen Ort, den ich gehaßt so von ganzen Herzen und Seele. Solte Gott dir den Mann zugeschickt haben, daß er alles Unrecht, alles Leiden [110r/225] und Gram, den ich dort erlitten – nicht allein bei dem Theater – mich vergessen mache? – Lohne, was ich duldete? – Mein Verstand stand still. – Oft wünschte ich: Kummerfeldt möchte die Neugung, mich zu ehlichen, bei meinen Daseyn in Hamburg gefühlt haben, und daß ich nie nach Leipzig gekommen, um Koch und seiner guten Frau den Schlag nicht zu versetzen. Oft, wenn Madame Koch so freundlich und gut mit mir sprach, standen mir Thränen in den Augen – oft machte sie mein stilles, schwermüthiges Betragen aufmerksam. Ja,
341 1. Advent 1768: 27. November. 342 Beginn der Fastenzeit 1768: 16. Februar.
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als sie mich einst frug: Was mir wär? – Wer mir was zu Leide gethan? riß ich mich aus ihre Armen, weinte laut. – Wünschte, daß sie in mein Herz sehen könnte. Ich würde gern die Helfte meiner noch übrigen Lebensjahre hingegeben haben, wenn ich zu gleicher Zeit: Kummerfeldts Gattin und bei Koch Schauspielerinn hätte seyn können. In dieser Zeit bekam ich die dritte Einladung nach Wien. Jede Bedingung sollte mir bewilliget werden; ich sollte mich nur entschliessen zu kommen. [110v/226] Ach! Wenn der Mensch sein Schicksal vorauswüßte? – Oft wär’s doch gut! – Gewiß, ich wär von allen Verliebtsein in Herrn Kummerfeldt geheilt gewesen. – Oder wär’s denen doch gelungen, die mir ihm abspenstig machen wollten. – Die Familie nicht! – Einen ausgenommen343, der in Finstern schlich. – Und doch sagte: „Wenn du glaubst, mit Mademoiselle Schultze glüklich zu seyn, so nimm sie! Sie sey unsere liebe Schwester.“ – Aber es gab andere gute Freunde und Freundinnen. Die Wahl sollte Herr Kummerfeldt haben, unter drey reichen Schwestern eine zu wählen. – Man schlug ihn so viele Partien vor – aber seine Schultzen war ihm alles. – Ach! – Alles daß erfur ich, wie ich erst in Hamburg war – und schon seine Frau. – Gelingt so manchen, Bindnisse zu zerreissen – Aber bei der meinigen wollte es keinen gelingen. Herr Kummerfeldt, der mit der Familie von seiner Absicht, mich zu heurathen, gesprochen, und die um das Schiksal ihres Verwandten besorgt: erkundigten sich bei dem einen und den andern, die mich kannten: Was ich den für ein Geschöpf sey? – Mithin wars sehr natürlich, daß es in Hamburg bekannt [111r/227] wurde, auch Herrn Kochs Freunde es hörten und ihm solches nach Leipzig schrieben. Es war den 10. September. Cenie344 wurde gegeben und Der Schwätzer345. Herr Koch kam zu mir – mit einer Miene und Ton, der mich ganz erschütterte346. – „Ist’s den wahr – soll ich meine Schultzen verlieren?“ Ich war ganz bewegt – faßte mich, so gut ich konnte, und antwortete: – „Heute nichts davon, lieber Herr Koch! – Hab noch zu thun – mit meinen Rollen – morgen aber tanze ich nur, da wollen wir miteinander sprechen.“
343 Gemeint ist damit Abraham August Abendroth. 344 Cenie oder Die Grossmuth im Unglücke. Ein moralisches Stück in fünf Aufzügen, aus dem Französischen der Frau Graphigny, übersetzt von Louise Adelgunde Gottsched. 345 Der Schwätzer, Lustspiel von Paul Weidmann, eventuell eine Übersetzung von Carlo Goldonis Il Contrattempo o sia il Chiacchierone imprudente. 346 Für das Folgende vgl. die ähnliche Darstellung in HHS, S. [474]–[477]. In HHS schildert Karoline Kummerfeld noch ausführlich die Vorbereitungen, die sie in Leipzig für die Ehe getroffen hat, und berichtet über die Reaktionen in Kummerfelds Familie auf die Heiratspläne.
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Ich hatte einen fürchterlichen Abend. Viele Briefe hatte ich angefangen und wollte es Herrn Koch schriftlich sagen, doch meine Thränen, meine Angst ließ mich keinen vollenden. So sehr ich meinen Wilhelm liebte, so glücklich ich zu werden hoffen konnte, so vernichtete der Gedanke: – Koch wird betrübt seyn? Den mußt du kränken! alle die herrlichen Aussichten in die Zukunft. – Nun wünschte ich sogar, daß ich in Leipzig weniger gefallen. – Der Abschied von meinen Bruder – von so vielen, die mir so ganz von Herzen gut waren – Gott! Du weißt es: – ich hatte in Leipzig nicht einen Feind – [111v/228] – was Feind? – Ich hätte nicht einen gewußt, der mir nur gleichgültig begegnet wär. – Und das alles – alles zu verlaßen!! – Um mich zu beruhigen, um das laute Geschrei in meinen Herzen zu stillen, las ich meines Wilhelms Briefe, die Versicherungen seiner ewigen Liebe – wie er nur mir leben würde; dachte an seine Rechtschaffenheit – an die Seligkeiten einer Ehe, die Achtung und Freundschaft geschlossen; an die ruhige Aussichten in meinen Alter. So bereitete ich mich nach und nach vor, um mit Herrn Koch in der geherigen Fassung sprechen zu können. – Aber troz alledem konnte ich die ganze Nacht kein Auge schließen und weinte bis an den Morgen. Froh war ich, daß ich den Tag nur zu tanzen hatte. Sobald ich zum Ballet angekleidet war, wartete der gute alte Vater Koch auf mich. Mit bebender Stimme frug ich ihm: „Nun, lieber Herr Koch! – Was haben Sie mir zu sagen?“ Herr Koch: „Alles sagt mir, ich soll Sie wieder verlieren. Einige behaupten, Sie giengen auf die Fasten nach Wien; andere sagen, zu Herrn Kurz nach Maynz; wieder welche, nach Hamburg aufs Theater zu der neuen [112r/229] Direction; und endlich noch andere: daß Sie sich in Hamburg verheurathen würden. – Was ist nun von den vier Aussagungen wahr?“ Ich: „Die lezte!“ – Herr Koch: „Ach Gott!“ – – – sagte der alte Vater; lehnte sich an die Mauer und blieb mit herrunterhängenden gefaltenen Händen vor mir stehen. – Thränen stürzten aus meinen Augen, und eine gute Zeitlang sprach keins von uns ein Wort. Starr sah er mir endlich in die Augen und sagte mit einen viel bedeutenten, ausforschenden Ton: – „Sie hintergehen mich doch nicht?“ Ich: (Diese Worte gaben mir meine ganze Besonnenheit wieder) „Herr Koch! Welch ein Argwohn?? – Können Sie sagen, daß ich Ihnen je eine Unwahrheit geschrieben oder gesagt? – Daß ich von Wien, von Kurz und von der neuen Direction aus Hamburg Anträge bekommen, ist wahr! – Woher Sie es wissen, weiß ich nicht. – Daß ich es aber an keinen Menschen gesagt und es überall abgeschrieben, ist auch wahr. – Nichts hätte mich von Ihnen weggebracht! Gewiß auch nicht die größte Gage“. Herr Koch: „Und Ihr Bräutigam ist?“ [112v/230]
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Ich: „Herr Kummerfeldt der Ältere, der in der Bank ist. Ich selbst weiß es erst seit einigen Wochen, da er mir den Antrag gemacht und ich ihm mein Jawort gab.“ Herr Koch: „Ists auch gewiß wahr?“ Ich: „Würde ich so tollkühn seyn, den Mann zu nennen? Nichts wie der Tod kann die Sache bis Ostern rückgängig machen. – – Herr Koch! Hätte ich in Hamburg das denken können – ich wär nicht nach Leipzig gekommen. – – Ich sehe es Ihnen an: Sie zweifeln noch immer? – Noch mehr: Sind Sie mit meinen Bruder zufrieden wie bisher, so bleibt er bei Ihnen. Sprechen Sie mit ihm und machen mit ihm einen neuen Accord. – Würde ich ohne meinen Bruder reisen, wenn ich auf ein ander Theater gienge? – – Sie kennen meinen Wilhelm! Kennen Sie meine Wahl tadeln?“ Herr Koch: „Nein, daß kann ich nicht, das weiß Gott! – Aber noch habe ich keine, solange ich das Werk führe, so ungern verloren wie Sie. – Aber ich muß Ihnen recht geben. Herr Kummerfeldt ist ein rechtschaffener Mann. – Werden eine glückliche Frau werden. – Aller Segen Gottes über Sie, gutes braves Mädchen. [113r/231] (Er legte seine Hand auf meinen Kopf. – Ach! ich dachte, es segnete mich mein Vater. – Den das empfand ich) Ich wünsche Ihnen alles erdenkliche Glück!“ Ich: „Tausend Dank, redlicher Mann! Und so gewiß, wie ich hoffe, glüklich zu werden, so gewiß ist’s, daß ich nie bei einen Theater so zufrieden war wie bei Ihnen. Und dafür meinen wärmsten Dank.“ Herr Koch: „Noch etwas: Ich wünsche, daß es noch nicht ganz laut werde, daß Sie von mir gehen. Ich habe meine Ursachen.“ Ich: „Sie kommen meiner Bitte zuvor. Auch ich möchte es nicht. – Was kann bis die Faste sich nicht noch alles ereignen?“ – etc. etc. Jezt war mein Herz um vieles leichter geworden. Ich wurde wieder ruhig und das muntere Mädchen, daß ich sonst war. Mein Bruder wurde mit Herrn Koch auch einig wegen der Zukunft, und so ließ ich’s nun in Gottes Willen dahinn gestellt seyn. Mein Weggehen und Bleiben blieb zweifelhaft bis gegen Neujahr. Nun ward es allgemein bekannt und laut davon gesprochen.
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Fünfundvierzigtes Kapitel Ich spielte und tanzte zum lezten Mal und reise von Leipzig Nach allen, was ich bereits von meinen Auffendhalt in Leipzig gesagt, kann man denken, wie un[113v/232]gern man mich verlohr347. Den 17. Februar 1768348 spielte ich die lezte Rolle. Es war die Miß Sara Sampson349. Ich habe nie kalt gespielt, aber was ich den Tag empfand – fühlte ich nie. – Die ganze Gesellschaft sagte: so habe sie ihre Sara nie gespielt wie heute. Den 18. tanzte ich in einen Ballet: Die Bauernhochzeit350. Ich war die Braut, und als ich mit Blumenkränzen geschmückt herauskam, rief alles laut: „Die Braut! Die Braut! Unsere Schultzen, unsere Schultzen.“ Den 19ten war also der lezte Abend, wo ich auf dem mir ewig unvergessenen Leipziger Theater in Ballet auftreten sollte. Das Ballet hies: Der bezauberte Wald 351. – Es war sehr voll. Man sah nur Köpfe an Köpfe. Als ich in meinen Wolkenwagen noch in der Höhe schwebte, übertäubte das Händegeklatsche das Gewitter und die rauschende Music. – Gott weiß es, ich nicht, wie ich den Abend noch so, so mit aller Stärke habe tanzen können. – Ich fühlte nichts von dem Glück, das meiner in Hamburg warten sollte. – Ich fühlte nur das: – Heute das lezte Mal vor deinen guten Leipzigern auf dem [114r/233] Theater!! – Die ganz Nachsicht, ganz Liebe, ganz Güte gegen dich waren. – O, daß ich mehr für sie thun können! – Daß ich so manchen Abend frey seyn mußte! Daß ich hier nicht soviel wie bey Ackermann zu thun hatte! Als ich mit meinen Bruder im Final das Minor ta[n]zte, blieb ich stehen und wies durch Pantomime, ich hörte nun auf, mit ihm zu tanzen. Mein Bruder sah mich wehmüthig an. Ich trat vor, neigte mich gegen Parterr, Logen und Gallerie – mein Blick sagte alles, was ich fühlte – und Thränen, die mit Macht aus meinen Augen stürzten, mehr – weit mehr als Worte hätten sagen können. – Wenn ich auch wirklich, wie es der Wunsch von so vielen war, eine Abschiedsrede hätte halten wollen, ich würde nicht drey Worte verstehlich herrausgebracht haben. – – Es sind 25 Jahre seit diesen Tag verflossen, und noch fühle ich den schmerzhaften Augenblick so lebhaft, daß ich mich
347 Das Kapitel ist eine in einigen Punkten veränderte bzw. aktualisierte Version der Darstellung in HHS, S. [501]–[508]. 348 Bei Benezé I, S. 280 fälschlich 10. Februar 1768. 349 Miß Sara Sampson, Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing. 350 Die Bauernhochzeit, ein Ballett von Konrad Ernst Ackermann. – Benezé I, S. 280 liest fälschlich Blumenhochzeit. 351 Der bezauberte Wald, Ballett von Karl Schulze; Steiger, Goethes Leben, I, S. 259.
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jezt noch, indem ich dieses schreibe, oft unterbrechen muß, daß meine Thränen die Worte nicht verlöschen. – Dankbare Thränen – ich schäme mich euer nicht! – Kann euch, ihr Edeln! die ihr damals in Leipzig wohntet – und zum Theil noch lebt – ja sonst nichts zur Vergeltung – zum Dank bringen. Mein Bruder – als ich den zwar stummen, doch vielsagenden [114v/234] Abschied genommen hatte, stand wie ausser sich da, fiel mir um den Hals und küßte mich. – Alles weinte laut! Wol nicht ein Auge im ganzen Schauspielhaus war troken. Man schrie aus allen Ecken; man schlug in die Hände; – man rufte Vivat! Vivat! Leb wohl! Leb glüklich! Dank, dank dir Schultzen! – – – Nein! nein, solcher Abschied vom Theater wie dieser war wol nie erlebt worden; und ist wol nach der Zeit nicht wieder gewesen. – Nur der, als die grosse verehrungswürdige Brükner352 ihren Abschied vom Berliner Theater nahm, mag mit den meinigen in Vergleichung kommen. – O, was freute ich mich! Und wie nahm ich Theil daran, als ich es las. Auch Berlin ehrt und schäzt seine Künstler. Noch hatte ich etwas weniges im Final zu tanzen, aber ich konnte nicht, ich schwankte nur hin und her und konnte keinen Pas mehr machen. – Auch alle übrigen Tänzer und Tänzerinnen nicht – den sie schluchzten und weinten alle. – Der Vorhang fiel, und noch hörte das Geklatsche nicht auf. Das Theater ward voll Menschen, alles umringte mich und dankten mir für die Freuden, die ich ihnen gemacht. – Ich konnte nicht sprechen – nur weinen. – Ja, sogar die Geringsten, [115r/235] die Theaterleute, reichten mir ihre wohlmeinende, treuherzigen Hände unter Thränen und sagten: „Gott lasse es Ihnen doch wohl gehen. Sie waren immer so gut, auch sogar gegen uns. Haben keine böse Miene gemacht – viel weniger ein unfreundliches Wort.“ Sehr späth kam ich vom Theater. Als ich nach Hause gekommen, dachte ich dem allen nach. – Gott! Gott! Wenn ichs bereuen müßte, Leipzig verlassen zu haben? – Heut – heut vor zwey Jahren das erste Mal in Kummerfeldts Haus? – Heute: – das lezte Mal auf dem Theater – – und was heute über eins, zwey oder mehreren Jahren? – Glüklich – oder unglüklich?? – Gott! Du weißt es allein. Die guten Leipziger erwiesen mir in den lezten Tagen noch so viele Ehre, so viele Aufmerksamkeit, deren ich mich noch mit dankbaren Herzen erinnere. Den lezten Abend, es war der 23te, hatte man eine grosse Abendtafel in dem Ertelschen353 Hause veran352 Katharina Magdalena Brückner stand von 1771 bis 1791 in Berlin auf der Bühne, wo sie am 8. Juli 1791 ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum feiern konnte und dann abtrat. 353 Barockpalais Ecke Brühl/Katharinenstr., das damals von Hofrat Dr. Friedrich Benedikt Oertel und seiner Familie bewohnt wurde; s. HHS, Anm. 929.
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staltet. Es waren auf den selben Abend (vorher) noch drey grosse Souppers verabredet gewesen, daß allso viele keinen Antheil an dem nehmen konnten, bei welchen ich geladen war und daß man mir zu Ehren gab. Wer nicht zur Tafel bleiben konnte, kam [115v/236] vor und nach derselben, um von mir Abschied zu nehmen; der Saal war immer getrengt voll. Gegen 9 Uhr sezte man sich zur Tafel von einige dreißig Couverts. Man führte die kleine Schultzen an die oberste Stelle. Auf dem Aufsaz schwebte ein kleiner Amor, der hielte mir die Devise entgegen: An Mademoiselle Schultze. Zur Ehre des Geschmacks, zum Ruhm der deutschen Bühne Bewundert und geliebt, leb unsre Caroline. Gegen 12 Uhr, wir sassen nochXXX an der Tafel, kamen noch viele, die vor der Tafel nicht hatten kommen können; unter denen vielen, die mir nicht möglich waren alle zu merken, war auch die Frau Hofräthin Langen mit ihren Herrn Gemahl354. Ein altes ehrwürdiges Paar. „Wo ist meine Schultzen?“ – Mit diesen Worten trat sie ein. – „Nun, da ist sie! – Weg, alle weg, Ihr habt nun lange genug bei ihr gesessen, nun muß ich sie bei mir haben.“ Da fiel sie mir um den Hals, küßte und drükte mich an ihre Brust. Sie sezte sich mir zur rechten, ihr Gemahl zur linken Seite; jeder von ihnen hielte eine meiner Hände in die ihrigen geschlossen. „Daß Sie als ein junges hübsches Mädchen allen unsern jungen Leu[116r/237]ten gefallen mußten, daß war keine Kunst bei Ihren Talenten. Aber so wie meinen Mann und mich in Sie verliebt zu machen, dazu gehört mehr. Wir sahen Sie nicht allein mit tausend Freuden gern agiren und tanzen – nein, wir schäzten Sie besonders Ihres Karakters wegen. Und daß mußte ich Ihnen sagen, und wenn’s noch später in der Nacht gewesen wär. – Allgemeine Hochachtung nehmen Sie mit sich aus Leipzig von Jungen und Alten, von Kindern wie von Greisen – wir weinen ja alle um Sie. – Aber sollen wir nicht weinen? Haben noch keine Schultzen gehabt und bekommen gewiß keine wieder.“ Ich konnte nichts antworten, ich lag an ihrem Busen, und weinte Thränen des Danks. – Es wurde allgemein stille, den jeder hatte Thränen, nicht Worte. Herr Professor Clodius355 überreichte mir ein Blatt, es war ein gedruktes Epigram auf meinen Abschied. An Mademoiselle Caroline Schultze. Den 24. Februar 1768.
354 Dr. Johann Gottfried Lange (1705–1778), kurfürstlich-sächsischer Hofrat und Prokonsul der Stadt Leipzig war ein Freund Goethes; s. HHS, Anm. 930. 355 Christian August Clodius (1737–1784), Dichter und Gelehrter; s. HHS, Anm. 880.
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O Freundin, mit dem Reitz Melpomenens356 geschmückt, Nie hörst Du auf das Herz zu rühren. Jüngst weinten wir, von Deiner Kunst entzückt: [116v/238] Jetzt weinen wir, Dich zu verliehren.357 Ich konnte nicht länger am Tisch bleiben! Sprang auf in der äussersten Bewegung – „Sie töden mich durch Ihre Güte! Ach! So viel habe ich ja nicht verdient.“ – In mich selbst gehüllt saß ich in einen Winkel. – Ich weiß nicht mehr, was vorgieng. Endlich brachte man mich wieder an die Tafel. Ich bat alle, bei der Liebe, die sie gegen mich hätten, nur nichts mehr vom Abschied zu sprechen. – Man willigte ein; nahm die Gläser und trank Herr[n] Kummerfeldts Gesundheit. Nun wünschte die Frau Hofrathin noch recht viel von meinen Bräutigam zu wissen. „Verdient den auch Herr Kummerfeldt unsere liebe Schultzen?“ „Liebe Frau Hofräthin! Das Zeugniß einer Braut ist verdächtig. – Einer Braut wie ich! Freue358 Wahl, ohne Zwang, noch Zureden. Wahl – alleinige Wahl meines Herzens. – Ich kann mich nur hier auf die Gegenwärtigen, die meinen Kummerfeldt kennen, berufen: Hier ist Herr und Madame Winckler359, Herr Kreuchauf360 – und vielleicht noch mehrere, die ihn kennen.“ – Ja, nun stimmten alle mit ein; lobten meine Wahl. – „Nun, gottlob!“ – sagte der Herr Hofrath und seine Gattin. – „Gottlob!!“ [117r/239] Man zwang sich, frölig zu seyn, aber wahre Fröligkeit war nicht zu finden. ⁄ XXXI Die Uhr war nach zwey, als ich sagte: – „Es muß seyn. – Leben Sie alle wohl!!“ – Keiner sprach mehr. Ich umarmte und küßte alle mit Thränen. – Sprachlos gieng ich fort und lies mich nach Hause tragen. Eine grosse Anzahl war mit meinen Bruder der Portchaise gefolgt. – Ich wußte es nicht! – Es schien, als ob es ihnen unmöglich wär, mich auf immer zu verliehren. Nochmals nahm ich Abschied. – Und wie ich die wenigen Stunden, die ich in Leipzig noch zu leben hatte, zugebracht – kann man denken. 356 Melpomene: Die Muse der tragischen Dichtung und des Trauergesangs, eine der neun Musen. 357 Das Epigramm ist abgedruckt in: Sammlung theatralischer Gedichte nebst einigen Gedichten und Epigrammen auf Schauspieler und Schauspielerinnen. Erste Sammlung, Leipzig 1776, S. 191. Karoline Kummerfeld hat das Epigramm auch als Nr. 66 in ihre Samlung vermischter Ungedruckter gedancke aufgenommen; s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. 358 Freie. 359 Gottfried Winckler (1731–1795), Kaufmann, Ratsherr und Kunstsammler, war mit Johanna Henriette Schmidt (1738–1829) verheiratet; HHS, Anm. 933. 360 Franz Wilhelm Kreuchauf (1727–1803) war Kaufmann, Kunstsammler und Kunstschriftsteller in Leipzig; HHS, Anm. 934.
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Den 24. des Morgens 6 Uhr kam mein Wagen. Viele von der Gesellschaft waren gleich nach 5 Uhr zu mir gekommen, wie auch noch Herr Professor Clodius, Herr Torchiani361 und mehrere aus der Stadt. – Gott lohne doch alle noch jenseit des Grabes ihre Freundschaft gegen mich! – Ach! ich konnte es ja nie. Ich stieg in meinen Wagen; Herr Brückner und mein Bruder begleiteten mich zu Pferde. Durch alle die Strassen, wo ich durchfahren mußte, war schon alles wach, lagen in den Fenstern und ruften mir glükliche Reise und die besten Wünsche nach. Ich sah von einen Kutschenfenster zum andern hinaus, dankte und segnete Leipzig und seine Inwohner. [117v/240] Herr Brükner und mein Bruder begleiteten mich bis Halle. Da blieben wir die Nacht. Am Morgen geleiteten sie mich noch eine halbe Stunde, und nun trennten sie sich von mir und ich von ihnen!!!
361 Maximilian Torchiana (um 1723–1791 Leipzig), ein italienischer Kaufmann, der einen Laden in Leipzig hatte; HHS, Anm. 936.
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Zweytes Buch
Erstes Kapitel Dieser Bericht schien mir nothwendig So verlies ich das erste Mal das Theater. Welche Schauspielerinn, die auch von dem Theater sich verehligte, kann sagen, daß sie es so, so verlassen wie ich? – Bedauert, ja! Aber mit so vieler ausgezeichneter Ehre nicht. Wenn man aus einer Schauspielerinn so viel machte, so muß sie doch gewiß anerkandte Verdienste gehabt haben? Verdienste; da man des Guten wegen gern einige Fehler vergaß – den vollkommen ist nichts in der Welt. Ich rufe frey auf alle, die noch leben, die Zeuge von allen dem waren, was ich gegenwärtig davon gesagt: Ob ich eine Unwahrheit geschrieben? Ob ich’s grösser geschildert, als wie es wirklich war? Noch mehr: Wer hat mich gehört von dem glänzenden Abschied sprechen? – That ich mir, um zu prahlen, etwas darauf zugute? – Wollte ich’s in der Welt ausposaunen: – ja, da seht, daß war ich! – Nein, ich wollte auch entfernt als Kummerfeldt eben die stille, in sich demüthige Frau seyn, wie ich’s als Mädchen war. – Ich wiederhole es noch einmal,*XXXII ___________ *Note: Hätte der Herr Rath Rei[118r/241]cherd auf meine bescheidene Bitte gehört, hätte er mich in Ruhe gelassen; oder hätte er mir nur schriftlich meinen Brief an ihm beantwortet, es wär gewiß das alles nicht daraus entstanden. Ich hätte ihm gezeigt, wie er sich geirrt: – (Aber freylich! Alle die Art Herren wollen sich nie geirrt haben.) Er hätte es abendern können, und so wär, ohne Aufsehen in der Welt zu machen, die Sache beigelegt worden. Aber nein! Man wollte mich demüthigen, man suchte nur daß hervor, was mehr Boßheit und Neid gesagt, als daß es wirklich so viel Aufhebens verdient, was man an mir zu tadeln sich bestrebte; und zog noch einen tichten Vorhang über das Gute, was ich gehabt. Man lese die Note des Herrn Raths nach, die ich aus dem dießjährigen Theater-Kalender in diesen Buch mit eingerükt habe, nebst allen, wie er mich zu beschämen sich bestrebt hat. Sie sind, Herr Rath! ein weit grössers Genie wie ich. So weit in Ansehung Ihrer Gelehrsamkeit und Verstandes über mich erhaben, daß ich mich mit Ihnen in allen diesen mit einverstandenen Punkten gar in keine Vergleichung sezen kann. Sie sind ein Mann, ich nur ein Weib. – Aber troz aller der Vorzüge, die Sie über mich haben, so steht es dahin: daß, wenn Sie das Schicksal als Mann an meine Stelle gesezt, wo ich als [118v/242] Mädchen und als Weib stand, ob Sie es mit der Standhaftigkeit, mit der Selbstverläugnung getragen? Ob Sie fehig gewesen, sich immer gleich zu bleiben, wie ich? Ruhm, Ehre, Pracht, Glücksgüter machten mich nicht stolz. Aber auch all mein über mich verhengtes Unglük nicht demüthiger. – Meine Art zu handeln war nie, daß ich mich des Guten, was ich zu thun Gelegenheit fand, berühmte, mir genügte an dem
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bewußt seyn. – Aber jezt, jezt da Sie es wagten, mich in Ihrer Antwort zur Comödiantin zu machen; mich hinzustellen, das man mit Fingern auf mich weisen soll; – mich lächerlich machen wollen: – O, Herr Rath Reicherd! Da sind Sie mir doch noch lange nicht der Mann darnach. Und wenn auch daß wieder das ehemalige Metier verrathen sollte, so glauben Sie mir für allen Respekt, den Comödianten von Metier oder ohne Metier für Titel, Gelehrsamkeit und Geld haben: – Ich fürchte mich für Sie und allen Ihnen vielleicht nachfolgenden Herren Collegen nicht. Mag nun auch daraus entstehen, was da will. __________ [118v/242]XXXIII Noch einmal muß ich es wiederholen, daß ich nichts weiter versprochen in diesen Blättern zu liefern wie die Geschichte meines Theatralschen Lebens. Ich müßte also 9 volle Jahre [119r/243] übergehen. So gerne ich es wünschte thun zu können, so sehe ich mich doch gezwungen, nicht ganz davon stillzuschweigen. Meine Nachrichten werden freilig einige Bogen füllen – aber man liest ja so viele Bücher, wo alles Erdichtung ist, warum sollte man nicht auch einmal Wahrheit lesen wollen? Sind jene gleich beßer, richtiger geschrieben, zierlicher, angenehmer zu lesen: So bitte ich für mich zur Nachsicht nur wenige Gerechtigkeit aus. Nie war ja bei mir der Gedanke gekommen, als Schriftstellerinn in der Welt aufzutreten. Gelehrte schaffen sich ihre Helden und Heldinnen; sie können solche Worte in den Mund legen, welche ihre Einsicht für gut findet. – – Daß kann ich nicht! Und wenn ich sogar die Gabe hätte, schön zu schreiben, die ich ja, ich weiß es, nicht habe. Ich muß, da ich Wahrheit schreibe, einen jeden auch die Worte sprechen lassen, die sie sagten, die ich sprach. Der Mensch, leidenschaftliche Mensch im gemeinen Leben sucht nicht Worte; er spricht, wie sie ihn in den Mund kommen. Vielleicht fällt jeden, wo nicht, doch manchen, ein, der dieses liest: – „Wie weißt du aber noch jedes Wort, das man gesagt?“ Die Frage will ich beantworten. – – Eins der grössten Geschenke, so Gottes [119v/244] Allmacht mir gegeben, war mein Gedächtniß. Dann, bei aller Geduld und Nachsicht, die ich in meinen Leben ausgeübt habe, hatte ich nicht den kleinsten Grad von Pflegma362. Alles fühlte ich stark, das Gute wie das Böse, so mir begegnete. Natürlich ist’s also, daß das, was man fühlt, sich mehr in unser Gedächtniß einprägt, als daß, was man nicht fühlt – nicht fühlen kann. Gewisse mir merkwürdig gewordene Auftritte schrieb ich mir gleich auf. – Viele solche Zettelchen hatte ich liegen; nun faßte ich einmal den Entschluß: „Trag alles zusammen in ein Buch. Dir ist so vieles in der Welt begegnet! – Solange du lebst, soll es kein Mensch sehen. Sterbe ich, so vermache ich dieses Buch, wie alle meine Briefschaften, Schriften, Nachrichten, Aufsäze etc. etc. etc. der Person, die dir in deinen lezten Stunden am treusten geblieben. Mag sie alsden damit machen, was sie will!“
362 Phlegma: Trägheit.
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Ich spreche mich nicht von aller Eitelkeit frey! – Doch ist eine solche Eitelkeit doch auch nicht ganz sträflich. – Und stand ja noch dahin: Ob das meiste, was ich geschrieben, jemals vor die Augen der Welt kommt? – Ob die oder der, der einst meine Papiere in die Hände bekömmt, nicht alle unge[120r/245]lesen in den Ofen würft und sich damit eine warme Stube macht? – Oder sich den Kühn363 zum Feueranmachen dadurch erspart? – – Wenn ich einsam, mir selbst gelassen, mich in meiner Einbildung hinschwärmte von einen Ort zum andern – o, da war ich nie allein. Wie manche sanfte Thräne floß dem Andenken meiner Freunde, meiner Wohlthäter. – Wirst sie nie wiedersehen! – Kannst ihnen nicht sagen, wie voll Dank noch jezt dein Herz ist. – Gott, Gott segne sie! Gott lohne es an den spätesten ihrer Enkel, was ihre Grossmuth, was ihre vortrefliche Herzen an dir, an den meinigen thaten. – Meine Gefühle rissen mich hin; ich nahm die Feder und schrieb: – Die Geschichte meines Lebens. – Ich dachte dabei: Werden diese Blätter nach deinen Tode gefunden, – kommen sie in Hände, die sie einst öffendlich der Nachwelt überliefern; o, so kommen sie vielleicht durch ein Ohngefähr vor die Augen der Kinder, der Enkel deiner Freunde, – ja vielleicht vor deine Freunde selbst – den es wär ja schröcklich, wenn du alle überleben solltest!364 – O, da sehen sie noch, welch dankbares Geschöpf ich war. – Zum Danken hatte ich nie die Gabe viel zu sagen. Wer [120v/246] Freundschaft, Wohlthaten so fühlt wie ich – der hat nicht Worte. – Ja, auch eine zu grosse Empfindlichkeit und Delikatesse von meiner Seite hält solche zurük. – Man verschwendet zu oft Wohlthaten an Menschen, die es so wenig verdienen, denen wird es auch selten an Danksagungen in Worten gebrechen. – Ich habe vor Auge in Auge keine. Wenn ich in Worten mündlich danksagen, gratulieren oder Beileid bezeigen soll – o, da stehe ich da wie die Ärmste unter den Armen. Meine Zunge, die sehr geläuffig ist, meine Sprache ohne Anstoß stotter[t] und stammelt was her. Ich stehe da und schäme mich vor mir selbst: daß ich so gar nichts sagen kann. – In den Augenblik schweben mir nur die vor den Sinnen, die mir auch süße Worte geheuchelt – ihres Vortheils wegen. – Gott! Wenn man auch dich unter die Zahl von niedern Classen zehlte? – Wenn man von dir glaubte, auch dich führe nur das leidige Cermoniell, nicht dein Herz, her? – Dann werde ich stumm. Tausend Gefühle durchkreutzen sich in mir: – Dank, Furcht, Besorgniß: – Ich wünschte, das man in meinen Herzen lesen könnte, ohne selbst [121r/247] sprechen zu dürfen. – – So war ich, so bin ich noch. Vielleicht einzig in meiner Art, aber ich kann mir nicht helfen. –XXXIV
363 Kienspan. 364 Die „Geschichte meines Lebens“ ist die sog. Hamburger Handschrift (HHS). – Das Ohngefähr: Zufall.
Zweytes Buch, 2. Kapitel | 727
Mit der Geschichte meines Lebens bin ich noch nicht weiter als bis in das Jahr 1775. Den die neuntehalb Jahre, daß ich hier in Weimar lebe, habe ich freilich keine Zeit gehabt, nur eine Stunde daran zu schreiben365. – Was nicht in meinen Gedächtniß liegt, liegt in zerstreuten Papieren, Briefschaften etc. etc., mithin kann ich mit Gewißheit versichern, daß, was ich bis jetzt berichtet, nur ausgeschrieben ist – stückweiß, wie es mir bei der gegenwärtigen Sache nöthig schien. Zweytes Kapitel Ich komme nach Braunschweig Gegenwärtig size ich also noch in meinen Wagen mit 6 Pferden bespannt366. – Hätte Christian367, der alte Diener, den ich zur Bedienung mit mir genommen, nicht gesagt: „Mamsell! Hier wird Mittag gehalten“, ich hätte es nicht gewußt: fährt der Wagen oder steht er still? So betäubt saß ich in solchen. Ich fühlte nichts, ich war und blieb lebendig tod. – Und gewiß war’s mein Glück, daß ich den redlichen Alten bei mir hatte, der mußte für mich denken, und er dachte auch für mich. Nichts als eine neue Erschütte[121v/248]rung konnte mich aus den betäubten Zustand reißen, und das gescha den 28. in Braunschweig, als ich in den Armen meiner Freundin Madame Fleischer lag. – – O, der unnennbaren Seligkeit! – Freundschaft, wahre Freundschaft, bleibt und ist die größte Glückseligkeit, die der Mensch hienieden hat. Gott danke ich, daß er mir dieses Gefühl gegeben; daß ich Gelegenheit gehabt, den Werth derselben in seinen ganzen Umfang kennenzulernen. Es war damals französisches Schauspiel in Braunschweig, und den 29. wurde Der Galeerensclave368 gegeben. Ich gieng mit meiner Freundin hinein. Daß ich den Abend in der Comödie wär, hatte sich bald ausgebreitet. Herr Leßing369, der auch in Braunschweig
365 366 367 368
Die Hamburger Handschrift bricht im Juni 1775 ab. – „Neuntehalb“ = 8½. Zum Folgenden s. HHS, S. [519]–[524]. Diener Christian: Nicht ermittelt. L’Honnête criminel ou L’Amour filial von Charles-Georges Fenouillet de Falbaire. In der deutschen Übersetzung: Der Galeerensklave oder Belohnung der kindlichen Liebe, Lustspiel. 369 Der Dichter Gotthold Ephraim Lessing (* 22. Jan. Kamenz, † 15. Febr. 1781 Braunschweig) war zum damaligen Zeitpunkt Dramaturg am Hamburger Nationaltheater.
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war, die Herren Professors Ebert370 und Zachariä371 bewillkommten mich in Parquett, und ich hatte zwischen den Acten gewiß eine sehr angenehme Unterhaltung. Wie ich so mit ihnen sprach, sagte meine Fleischer zu mir: „Carolinchen, sieh dich um! Da ist unser gnädigster Herzog372 aus der grossen Loge in die Seitenloge gekommen; ich wette, er ist deinetwegen hineingegangen.“ Ich sah hinnauf, und noch ehe ich aufgestanden, winkte mir der gnädigste Herr [122r/249] mit den herablassensten, freundlichsten, leitseligsten Blick einen Gruß zu. – O, was empfand ich! – Ich konnte nicht ungerührt bleiben. – Zachariä sagte: „Sehen Sie, liebe Schultzen! daß man Sie auch hier noch nicht vergeßen hat? – Daß man Sie auch hier zu schäzen weiß?“ – „Herr Professor! Haben Sie die Gnade, den gnädigsten Fürsten zu sprechen, so legen Sie denselben meine tiefste Ehrfurcht, meinen namenlosen Dank zu Füssen.“ „Daß will ich. Daß werde ich.“ Mit vieler Aufmerksamkeit sah ich dem Stük zu. Und ich mußte den Schauspielern die Gerechtigkeit wiederfaren lassen, daß die meisten sehr gut spielten. Besonders Madame Meziere373 als Cecilie. Die Stelle, als sie den Galeerensclaven frug: Ob er in Rochell Lisimon gekannt? Er sagte: „Lisimon! – ist mein Vater!“ – Sie ausrufte: „Andre!“ – Welch ein malerisches Bild! So meisterhaft von den grössten Künstler gezeichnet zu werden. – Und doch würde des grössten Künstlers Gemählde tod seyn gegen ihr Bild. – Wär könnte den Übergang zeichnen? Sehen mußte man sie. Sie riß mich auch so hin, daß [122v/250] ich aufstand, Brava! Brava rufte, in die Hände schlug und mir die Thränen über die Backen rollten; so hatte sie mich, mich selbst vergessen machen, daß ich nicht daran dachte, das niemand in Braunschweig eher anfieng zu applaudieren, als bis der Durchlauchtigste Herzog selbst seinen Beifall erst bezeigt. – Doch nahm es die Hohe Herrschaft nicht ungnädig, applaudirten selbst und alles übrige, was Hände hatte. Herr Lessing sagte: „Unsere französischen Schauspieler greiffen sich heute besonders an. Müßen wissen, daß die Schulzen da ist.“ Herr Professor Zachariä sagte: „Ja, ich bin auf dem Theater gewesen und hab’s ihnen gesagt, was für eine Zuschauerinn sie hätten.“
370 Johann Arnold Ebert (1723–1795) war seit 1748 Hofmeister am Braunschweiger Collegium Carolinum und seit 1753 Professor. Er wirkte als Dichter und als Übersetzer aus dem Englischen; HHS, Anm. 958. 371 Justus Friedrich Wilhelm Zachariä (1726–1777) war 1748 Hofmeister am Braunschweiger Collegium Carolinum und seit 1761 Professor. Er betätigte sich als Zeitungsherausgeber, Schriftsteller, Übersetzer und Komponist; HHS, Anm. 957. 372 Karl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel (1713–1780). 373 Vielleicht handelt es sich um Mademoiselle Mézières, die am 14. Juli 1755 in der Comédie française als Alzire debütierte; HHS, Anm. 960.
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⁄ XXXV Madame Meziere mußte ich es zum Ruhm nachsagen, daß sie ihren Karakter durchaus getreu blieb. Nichts hatte sie in ihren ganzen Spiel, was wir Deutsche nun einmal nicht gewöhnen können. Sie war ganz Natur! Und wieviel verlohr sie nicht in ihren Spiel, da sie ihrer Niederkunft so nahe war. Monsieur Le Bœuf war Andre, sehr gut – doch keine Meziere. Noch zu viel Franzose [123r/251] für mich. Als das Stück aus war, wurde einer von der Gesellschaft, der gut deutsch sprach, an mich ins Parkett geschickt, der sagte zu mir: „Mademoiselle! Die Gesellschaft hat mit vielen Vergnügen vernommen, daß Sie im Theater sind. Als eine Schauspielerinn wie Sie bitten Sie sie alle einstimmig um Ihre Beurtheilung.“ Die Aufforderung war ich nicht erwartent. – Ich antwortete aber freymüthig: Ich wünschte, daß ich der französischen Sprache mächtig wär, um ihnen selbst zu sagen: welch einen überaus angenehmen Abend sie mir gemacht hätten. Madame Meziere hätte meine ganze Hochachtung. Ich bewunderte sie so sehr, wie ich noch keine Deutsche mehr hätte bewundern können, wenn sie in jeder Rolle die Satisfaction leistete wie in dieser heutigen. Sie sollte nicht glauben, daß ich’s nicht bemerkt haben sollte, wie sehr ihr gegenwärtiger Zustand ihren Spiel im Wege gewesen. Sie hat so sehr meinen Wünschen Genüge geleistet, daß mir zur Vollkommenheit ihrer Kunst keiner wär übrig gewesen. Nur hätte ich gewünscht: daß Sie eine andere Amalia ge[123v/252]habt! Diese schien noch gar zu viel Anfängerinn zu seyn. – Von der Seite hätte sie auch nicht die geringste Unterstützung gehabt. Freilig wär an der Rolle der Amalia sehr wenig; aber umso mehr hätte solche von einer geübtern Schauspielerinn sollen besezt seyn: den man sieht sie zu oft und zu lange, und daß thut den ganzen grossen Schaden: Wenn etwas dasteht, das entweder beßer oder gar nicht dastehen sollte. – Auch Monsieur Le Bœuf 374 spielte gut, und noch mehr würde ich daß, was er gesagt, auch geglaubt haben: wenn er den grossen Brillantring* nicht bei den Ketten und in der grossen Armuth am Finger gehabt hätte. Bitten ließ ich ihm, nie solchen zu vergessen abzulegen in der Rolle. Le Bœuf kann als Le Bœuf Ringe haben, verdient solche und noch weit mehr; Andre aber darf und kann keinen haben. Auch die andern drey Herren spielten recht sehr gut; – und blos Amalie und der Ring wünschte ich besser und nicht gesehn zu haben. Der Abgeschickte nebst denen Herren Herr Ebert, Lessing [124r/253] und Zachariä gaben mir recht. Zum Schluß war die Operette Das Milchmädchen und die Jäger375 – aber der Bär sah einen Bär ähnlich. 374 Jean-Joseph Le Bœuf (* um 1730, † 1799), französischer Schauspieler und Dramatiker; HHS, Anm. 961. 375 Les deux Chasseurs et la Laitière, Opéra-comique, Text von Louis Anseaume, Musik von Egidio Romualdo Duni. In der deutschen Übersetzung in einer Bearbeitung von Christian Friedrich Schwan: Das Milchmädchen und die Jäger, auch Der Jäger und das Milchmädchen.
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⁄ XXXVI Wie sehr man mich in Braunschweig muß geachtet haben, davon erhielte ich noch grosse Beweise, die ich nie vergeßen werde. Wie schnell schwanden mir die Stunden in dem Hause meiner Freundin? Wie bemühten sie sich, mich aufzuheitern? – Briefe von meinen Wilhelm fand ich bei ihr, als ich angekommen, und den lezten als seine Braut erhielte ich den ersten Merz! Er schloß solchen mit folgenden Worten: „Bald bi[s]t Du an einen Ort, wo Du vielen Verdruß ausgestanden, aber nun solst Du mit Gott! auch wieder Freude haben. Wundern sollst Du Dich, meine Caroline! wie freundlich Du von den Meinigen wirst aufgenommen werden. Sie werden Dir alles zu Gefallen thun, was nur möglich, weil sie überall und von jeden hören, wie Du gelobt und geehrt wirst. Heute schließe ich den meinen Briefwechsel, Du meine ewige Liebe. Gütiger Gott! Dir sey ewig Dank gesagt, daß du unsere Herzen in der Abwesenheit immer mehr und mehr verbunden. Verknüpfe ewig sie auch in der Vereinigung und schenke uns all das Gute, daß du denen verheisen hast, die dich lieben [124v/254] und dein Wort halten. Nun, meine Seele! so komme den mit Freuden zu mir. Meine Arme sind schon ausgebreitet, Dich zu empfangen; die Hände, die Tag und Nacht für Dich arbeiten sollen, reichen sich Dir schon dar. Gott bringe und geleite Dich doch gesund und glücklich hieher. Beten will ich für Dich, meine Seele! Bald küsset Dich Dein Dich ewig liebender Wilhelm Kummerfeldt.“ Wie viele Liebe, gutes Herz, Rechtschaffenheit, Religion, Gottesfurcht und Vertraun auf dem Allmächtigen fand ich in jeden Wort. – Und den Mann hätte ich nicht lieben sollen? Nicht gern jede glänzende Epoche des Theaters für solch einen Mann aufopfern sollen? – Wer konnte mich tadeln? Wer meine Wahl nicht gutheißen? – Oder den Schritt, den ich that, unbesonnene Übereilung nennen? ___________ *Note: Der Ring war ein Geschenk des Durchlauchtigen Erbprinzen an ihn. Drittes Kapitel Fortsätzung der Reise Den 2ten Merz des Morgens 8 Uhr war meine Abreise festgesezt376. Zärtlich wehmüthig war unsere Trennung. Es war ein heiterer Tag, und so blieben die ganze kleine
376 Für das Folgende siehe HHS, S. [524]–[531]. Dort nimmt jedoch die Familiengeschichte einen weit
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Reise hindurch auch die übrigen und trugen nicht wenig dazu bei, daß ich gelassen wurde. Wohl nie habe ich auf einer Reise so viel und so wenig gedacht. Bücher hatte ich [125r/255] bei mir, jedes ward angefangen zu lesen, aber keines geendet. Den 4ten des Abends gegen 5 Uhr kam ich nach Lüneburg. Mir war’s lieb, daß ich so früh hingekommen, den ich hatte manches noch zu besorgen. Auch schrieb ich Briefe, die Christian mit nach Leipzig den andern Tag nehmen solte. Sonabend, den 5ten, war ich früh wach. Heute, heute ist also der Tag! Da sollst du ihn wiedersehen! Ihn, den theuern Gefährten deiner übrigen Tage. Als Christian mir das Frühstük brachte, frug er mich sehr besorgt: „Sie sind doch nicht krank?“ Ich: „Nein, guter Christian, mir ist wohl.“ Christian: „Aber Sie sehen so blaß? – Ach! daß ich Sie doch gesund zu Ihren Herrn Bräutigam hinbringe.“ Ich: „Guter, ehrlicher Mann! Mein Bräutigam soll Seine Sorge für mich von mir erfaren.“ Ich hatte mich angekleidet; mich frisirt; mein grün Amazonenkleid mit Gold und mein Huth mit der weißen Feder dünkte mich nie so hübsch – auch ohne rothe Backen gebildet zu haben. – Den Morgen sollte ich noch einen Auftritt haben, der mich sehr überraschte. Mein Christian hatte es meiner Frau Wirthin gesagt, daß sie die Nacht [125v/256] eine Braut logirt hätten. Die mit ihren Töchtern hatten es in der Nachbarschaft ausgebreitet. Wie ich fortfahren wollte, standen sowol im Hause wie auf der Straße alles voll von Leuten, die die Braut sehen wollten. Ich wußte nicht, was es gab, bis ich das Geschrey hörte: „Da ist sie! – Ach, welch eine nette Braut! – Nun, der Bräutigam wird sich freuen; ja, so ist gut Hochzeitmachen: schön und reich!“ etc. etc. Ich grüßte alle – sie drängten sich um mich herrum. Auch Dürftige waren darunter – – man wünschte mir Glück und Segen. – – Nicht ohne Rührung fuhr ich fort. – Auf der Landstrasse sammelte ich wieder meine Betrachtungen – Bräute sind immer in den Augen des gemeinen Mannes schön. – Die Kutsche, die drey Leute, dein Gold auf dem Kleide machte die Leute glauben: du wärst reich. – O Gott! Herr Himmels und der Erden. Laß mich doch, wenn es dein Wille ist, daß ich glüklich seyn soll, nie ja vergeßen, daß auch ich dürftig – und unglüklich war. Laß mich nie übermüthig, nie stolz werden, nie meine Nächsten in seiner Armuth vergessen. – So betete ich. [126r/257]
größeren Raum ein als in der WHS.
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Mit jeder Stunde, die vergieng, klopfte mein Herz bänger und bänger. – Die Uhr war nach 11, als mir ein Landmann mit einen sogenannten Kohlwagen377 entgegen fuhr. Ich rufe den Mann zu: „Sind Fremde aus Hamburg auf dem Hopt378?“ „Ja!“ – – „Nun, Kutscher! Fahr zu! Fahr zu!“ – Mein Wagen flog – ach! und mir schien’s, als wenn er nicht von der Stelle gienge. – Nun kam ich den Hopt näher – schon sah ich das Haus, wo sie seyn mußten; ich sah durch die noch unbelaubte Bäume etwas Rothes schimmern; – ha! das ist Madame Herzog in ihren rothen Pelz – Kutscher, fahr doch zu! – Nun sah ich aus dem Haus meinen Wilhelm eilen im grünen Kleide, Madame Herzog, ihren Mann; sie zu sehen, die Kutsch-Thüre aufzureißen, aus den Wagen zu springen und meinen Wilhelm in die Arme fallen, war nur ein Augenblick. – – – Wo war ein Gedanke von der Gefahr, die ich mich ausgesezt? – Sprechen noch denken konnte ich nichts! – Nur sehen und fühlen, daß ich in meines Wilhelms Armen lag. Wie ich in die Stube kam, weiß ich nicht. Unterdeßen wurde mein Wagen aus- und abgepackt. Wir waren alle vier so vergnügt, nur mein Christian gieng sehr [126v/258] mürrisch in sich herrum. Ich bemerkte es und frug nach den Kutscher und Knecht? – Christian schüttelte sich zurechte, räusperte sich, spuckte aus und stellte sich zwey Schritte von Wilhelm und mir ganz gerade hin. – Nun hielte er an uns eine Anrede, die ich von Herzen wünschte auswendig zu wissen. Mit „Hochzuehrender Herr Bräutigam und Mademoisel Braut“, weiß ich, fieng sich solche an. Er wünschte uns in solcher sehr vieles Glück, Heil und Segen von Gott. Mich nannte er ein Kleinod, das ihn anvertraut worden; er hätte auch recht für mich gesorgt, wie ich selbst nicht anders sagen könnte. – „Und“ (indem er seine beiden Arme gegen uns ausstreckte) „hier auf diesen meinen Armen habe ich sie aus und in den Wagen getragen, damit sie ihre Füße nicht in den Koth sezte“. – Nachdem er also eine gute halbe Viertelstunde ohne zu stoken fortgeredet hatte, trat er näher, nahm meine rechte Hand und legte solche in Herrn Kummerfeldts rechte und sagte zum Schluß: „Und so, wie ich sie empfangen habe, gebe ich sie Ihnen wieder.“ Wir hatten alle vier viele Gewalt nöthig, um nicht laut aufzuschreien. – Nun begriff ich’s erst, warum Christian oft halbe Tage so still auf den Bocke in Gedanken saß: [127r/259] weder Kutscher noch Knecht antwortete, wenn sie mit ihm sprechen wollten; ja ich oft aus den Wagen ihn zurüf: „Schläft Er, Christian?“ – Da hat er seine Anrede studirt. Nun erklärte ich mir auch sein verdrießliches Herrumgehen. Christian mochte
377 Kohlenwagen: (Korb-)Wagen, auf dem gebrannte Holzkohle transportiert wird. 378 Hoopte: Heute Stadtteil von Winsen an der Luhe.
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einmal was in denen Zeitungen gelesen haben von Begleitung und Überliefferung einer Braut. Er sah sich also für einen Ambassadeure an, war verdrießlich, daß ich ihm durch mein Herrausspringen aus den Wagen sein ganzes Concept verrückt hatte, und hatte gedacht: daß er mich an der Hand, gestiefelt und gesattelt, mit seiner Anrede meinen Bräutigam ganz cermoniellmäßig überliefern wollte. // XXXVII – Nun kam der Kutscher und sein Knecht, die machten es kürzer. Mein Liebster frug mich: „Brauchen Sie Geld?“ – „Nein, Lieber! – Habe schon alles in Lüneburg abgezehlt.“ Ich gab jeden, was ich accordirt, nebst ihren Trinkgeldern; auch Herr Kummerfeldt beschenkte alle, besonders Christian. Wir stiegen in den Eber und fuhren über die Elbe nach den Zollenspiker379 . Da wurde des Mittags gegessen; den Nachmittag fuhren wir fort nach Bergedorf, wo wir die Nacht blieben. Als wir bei unsern Abendbrod waren, sagte mein Wilhelm: „Nun, meine Braut ist bereits hier, [127v/260] und noch weiß sie nicht, wo sie in Hamburg bis an den Tag unserer Hochzeit wohnen wird.“ Ich: „Wo Sie es gut finden werden, Lieber! Meine Herrschaft hat mit den heutigen Tage aufgehört. Nun gehöre ich weiter weder mir selbst noch jemand andern an. Nur Ihnen! Sorge auch nicht weiter um mich.“ Kummerfeldt: „Bey meiner Schwester, Madame Fritsch380, wird meine Caroline wohnen.“ Ich: „So? – Nun, wie Sie meynen. Mir ist’s recht. Sie kennen Ihre Verwandte besser wie ich.“ Madame Herzog: „Glaub mir, liebe Caroline, mein Haus war gern zu deinen Befehl. Da aber Herrn Kummerfeldts Verwandte sich so nehmen, so ist’s so beßer.“ So lieb mir meines Wilhelms Gesellschaft war, so herzlich sehnte ich mich, mit Madame Herzog allein zu seyn. Nach 10 Uhr wurden wir es; keine von uns hatte Schlaf, tausend Dinge hatte ich sie zu fragen und sie mir zu beantworten. Sie machte mir eine Beschreibung von der ganzen Familie, und die ich nachher ebenso fand. Nur etwas weniges von der langen nächtlichen Unterredung: Madame Fritsch und Herr Hinrich Kummerfeld381 waren meines [128r/261] Wilhelms rechte Geschwister. Nach seines Vaters382 Tode verehligte sich seine Mutter als eine 379 Der Zollenspieker war Post- und Zollstation; HHS, Anm. 700. 380 Catharina Elisabeth Fritsch geb. Kummerfeld (* 1721). – Zu den im Folgenden genannten Verwandten aus dem Hause Kummerfeld s. Kap. I.2 und III.1. 381 Hinrich Kummerfeld d. J. (1727–1790). 382 Hinrich Kummerfeld d. Ä. († 1727).
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junge Wittwe von 22 Jahren mit dem Herrn von Bostel383, von dieser zweyten Ehe waren zween Söhne und fünf Töchter noch am Leben, wovon zwo verehligt waren. Der ältere Herr von Bostel384 hatte mit seinen Bruder Hinrich Kummerfeldt die Handlung en gros von dem verstorbenen Vater. Der jüngere Halbbruder, den ich nie gesehen, war in Trontheim385 etablirt. Der verstorbenen Mutter Bruder, Herr Hilbrand386, war der älteste Bankoschreiber in der Hamburger Bank und nie verehligt gewesen; bei dem lebte Madame Schreiber387, seine Schwester, eine Wittwe. Herr Fritsch388, ein Mann von 67 Jahren, war Kaufmann gewesen. Durch Unglück anderer – nicht durch sein Versehen, kam er zurück und ward Mäkler. Nur eine Tochter hatten sie, ein gutes, liebes Mädchen von 22 Jahren389. Bey ihnen wohnte seine Schwester, Mademoiselle Fritsch390, die 64 Jahr alt und von dem Johannesklosterstift eine Klosterjungfrau war. – etc. etc. etc. //XXXVIII Bei Fritsch sollte ich wohnen: – Da finde ich also drey alte Leute – (den Madame Fritsch war älter wie mein [128v/262] Wilhelm) – und eine Junge391? – Alles gute Leute? – desto beßer! Konnte mich ja immer in die Alten schicken. Nur vom Onkel, von Herrn Hinrich Kummerfeld und von einem Herrn Schwager A.392 hatte ich Briefe – und besonders von dem leztern sehr freundschaftliche: der mich seine gute, liebe Schwester genannt hatte; und auf dem ich mich am meisten freute, ihn kennenzulernen. Daß mein Wilhelm so viele Geschwister hatte, davon wußte ich vorher kein Wort.
383 Catharina Kummerfeld geb. Hilbrandt (* um 1705, † 1753?) heiratete am 8. September 1728 den Kaufmann Hieronymus von Bostel († 1762). 384 Peter Martin von Bostel (1729–1790), Kaufmann. 385 Hieronymus von Bostel in Trondheim. 386 N. Hilbrandt (um 1714–1770), Bankbuchhalter. 387 Gertrud Schreiber geb. Hilbrandt (* 31. Dez. 1710, † 8. Juni 1778), Witwe von Abraham Schreiber. 388 Johann Otto Fritsch (1701–1774), Kaufmann und Makler. – Makler waren in Hamburg die vereidigten bzw. amtlich bestellten Vermittler zwischen Anbietern und Abnehmern von Waren und Dienstleistungen; Hamburg Lex., S. 313. 389 Catharina Fritsch (1746–1778 Hamburg), später verh. Pauli. 390 N. Fritsch (* 1704). Zum Johanniskloster s. HHS, Anm. 973. 391 Catharina Fritsch. 392 Abraham August Abendroth(* 23. Jan. 1727 Scheibenberg/Erzgebirge, † 19. Nov. 1786 Hamburg), Gerichtsprokurator.
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Viertes Kapitel Meine Aufnahme in Fritschens Haus Sontags, den 6ten, fuhren wir erst des Nachmittags von Bergedorf 393. Wir brachten Herrn und Madame Herzog nach ihrem Hause und schickten nach einen andern Wagen – der blieb uns zu lange; das Wetter war gut, also kamen wir zu Fuß an die Wohnung des Herrn Fritsch. Ich hatte mich gefaßt gemacht, drey alte stille Leute zu finden und die Tochter. – Es war bereits späth des Abends, als wir hinkamen. Kaum waren wir ins Haus getreten, so eilte mir die Tochter394, die Mutter und Vater entgegen. „Masoeur!395“ „Matante396!“ wurde ich von ihnen genannt. Alles, was sie sagten, zeugte von [129r/263] ihrer Freude, mich gesund und wohl zu sehen. – Ob ich was geantwortet? – oder was ich geantwortet, weiß ich keine Rechenschaft zu geben. Ich wurde in die Stube geführt, wo eine zahlreiche Gesellschaft war und wovon ich keinen wie dem Herrn Professor N+397 von Person kannte, aber nie mit denselben je ein Wort gesprochen. – Mir war’s vor den Ohren wie ein Binenschwarm. Alle Damen küßten mich, und ich hörte nichts wie „Masoeur“. – Ein mittelmäßiger, kleiner, aber dücker Mann in einen schwarzen Rock und runden Perücke, mit einen Kopf und Gesicht wie der Vollmond erregte zuerst meine Aufmerksamkeit. Es schien – als hätte er mich grüssen wollen – stand am Fenster, drehte sich aber gleich, sobald er mich nur mit einen Blik angesehen hatte, herrum, zeigte uns allen seinen breiten Rücken und betrachtete die Sterne durchs Fenster am Firmament. – Nachdem mich und ich die Damen geküßt und mich stumm verneigt hatte, wendete ich mich zu meinen Wilhelm und sagte zu ihm: „ – Nun, lieber Kummerfeldt! Lehren Sie mich auch die Personen kennen, die ich gegenwärtig die Ehre habe das erste Mal [129v/264] zu sehen!“ – Mein guter Wilhelm stand da, als wenn er’s Fiber hätte, blaß von Gesicht, und klapperte mit den Zähnen; – Thränen in den Augen – wollte reden, konnte nicht. – Wär ich nicht selbst in einer so sichtbarlichen Verlegenheit gewesen, so würde er mich erschröckt haben. – Herr Professor N++ nahm also das Wort und sagte: „Das ist Herr und Madame Fritsch; Demoisell Fritsch, die Schwester, und Mademoiselle, die Tochter. Dieses die
393 Vgl. HHS, S. [531]–[538]. 394 Catharina Fritsch. 395 Ma sœur: Meine Schwester. 396 Ma tante: Meine Tante. 397 Johann Heinrich Vincent Nölting (1736–1806). Nölting war seit 1761 Professor für Logik, Metaphysik und Beredsamkeit an der Hamburgischen Gelehrtenschule Johanneum; HHS, Anm. 986.
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Mademoisels von Bostel398, diese Madame A++399 – und hier – (indem er nach den dücken Schwarzrock an dem Fenster zeigte) Herr A++“. – „Ach! mein Bruder!“ – sagte ich so ganz aus der Fülle meines Herzens; wollte ihn schon um den Hals fallen, als er sehr lang seine Hand ausstrekte – daß ich ihm ja nicht zu nahe kommen sollte – und mit einen lächelnden Gesicht ein gewisses – „Gehorsamer Diener“ hermurmelde, daß mich hätte mißtrauisch machen können, wenn Mißtrauen – schnelles Mißtrauen mein Fehler gewesen. – Herr Professor N++ nahm das Wort wieder und bezeigte mir mit so wahren, aufrichtigen Gesicht, in welchen man den vortreflichen Abdruk seines Herzens las, seine Freude über meine [130r/265] Ankunft. „Heute wünschte ich nicht allein Professor, sondern auch Pastor zu seyn. Noch heute müßten Sie Herrn Kummerfeldts Gattin werden.“ „Ich danke Ihnen herzlich für Ihren guten Wunsch! – Doch es hat noch Zeit. – Mädchens sind doch gerne einige Zeit auch Braut – und Braut in der Gesellschaft des Bräutigams. Brautleute sind wir schriftlich nur erst seit einigen Monaten, nun wollen wir es auch gern gegenwärtig seyn: damit wir doch auch nachsprächen können, wie’s Brautleuten ist?“ Man lächelte und gab mir recht. Herr Professor N++, nachdem er mich seine ganze Achtung und Freundschaft versichert hatte, sagte: „Nun muß ich doch auch nach Herrn Hilbrand eilen und der Gesellschaft der Braut ihre glükliche Ankunft melden. Ich weiß, daß ich ein recht froher Bothe seyn werde. Ich habe heute Mittag da gespeißt und bin auch noch den Abend dort; aber meine Ungeduld, Sie noch heute mit zuerst zu sehen und willkommen zu heißen, lies mich nicht ruhn – mußte fortgehen.“ Ich sagte ihm den aufrichtigsten Dank. Bath ihm, mich [130v/266] Herrn Hilbrand und Madame Schreiber nebst der ganzen Gesellschaft zu empfehlen; und damit gieng er fort. – Wir sezten uns nun alle, und es wurde von meiner Reise gesprochen. – Endlich machte man Anstalt, daß die Tafel solte gedekt werden, und Madame nebst der alten Mademoiselle Fritsch sagten: sie wollten mir doch nun auch mein Zimmer anweisen, wo ich bis an meinen Hochzeittag wohnen würde. Mir war’s lieb, nur einmal frische Luft zu schöpfen. Mein Wilhelm gieng mit, die übrigen blieben im Zimmer zurük. Sie führten mich eine Treppe hoch und hatten mir das beste Zimmer im Haus eingeräumt. Sie küßten mich beyde herzlich und versicherten mich: daß mein Wilhelm der Liebling der ganzen Familie sey. Und wenn er nicht glücklich seyn solte: sie alle untröstlich 398 Anna Katharina (1730–1791), Maria Christina (1731–1792) und Anna Margaretha (1735–1810) von Bostel. 399 Anna Maria von Bostel (* 5./7. Febr. 1739 Hamburg, † 7. Dez. 1796 Hamburg), seit 1768 verheiratet mit Abraham August Abendroth. – In HHS, S. [532] sind weder Abendroth noch Nölting anonymisiert.
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seyn würden. – Da stand nun mein Wilhelm und meine zwo Schwiegerinnen vor mir und weinten alle drey. – Ich wendete mich freymüthig zu ihnen und sagte: – „Hören Sie mich! Ihr Herr Bruder kennt mich. – Alles, was ich Ihnen jetzt sage oder verspräche, ist und wär unnüz. Sie alle kennen mich noch nicht, wir müßen uns zusammen erst kennenlernen, und [131/267] dann hoffe ich, daß wir gewiß miteinander werden zurecht kommen. Heute machen Sie sich überhaupt kein Bild von mir. Ich bin noch zu betäubt. Ist natürlich! Ich versah mich heute Abend keiner so großen Gesellschaft und hätte gewünscht: daß es mir mein Wilhelm vorher gesagt hätte. – Wenn Ihr Herr Bruder nicht glüklich seyn solte, würde ich am meisten zu bedauern seyn. Mein Glük hängt von den seinigen ab, und ich bin, weiß Gott! nicht hieher gekommen, um unglüklich zu seyn? Ich bin jung, hatte Brod, konnte arbeiten und bin von jedermann, der mich kennt, geachtet. Urtheilen Sie, wie mir daß vorkommen würde: wenn ich in allen das Gegentheil fände von dem, was ich mir gewiß versprochen? Noch mehr: Unsere Hochzeit ist erst nach Ostern400. Da ist noch 5 bis 6 Wochen hin. Kann ich mir in dieser Zeit nicht Ihre Freundschaft und Zutrauen erwerben: und denkt Herr Kummerfeldt und alle seine Anverwandten: daß er mit mir nicht glüklich seyn kann: so nehme er sein Wort zurük, und ich reise ohne Umstände auf meine Kosten, so wie ich gekommen bin, wieder fort. Steht mir in der Zeit etwas an Ihnen zusammen nicht an: so [131v/268] sage ich es Ihnen geradeheraus: – den Verstellen ist meine Sache nicht. – Ich bin geradezu, und so soll man auch gegen mich seyn. Daß ich geradezu bin, gebe ich Ihnen hiemit den ersten Beweiß: daß ich gleich frage, Sie beyde und meinen Wilhelm: – Ist Herr P. + A+++401 immer so? – Der Mann hat mich in Nachdenken gesezt; ich war mir nach seinen zween Briefen einen freundlichern Willkommen und Unterredung gewärtiget.“ Madame Fritsch gestand mir: daß ihm die Zeit lang geworden, weil wir so lange ausgeblieben sind. „Nun, daß laß ich gelten! – Und es zeigt von einer freundschaftlichen Ungeduld. – Ich wollte eher von Bergedorf abreisen, aber der Wirth ließ die Herrn so lange auf die Rechnung warten; – wir kamen noch so eben vor dem Thorschluß in die Stadt. – Bey Herzog warteten wir auf einen andern Wagen, und da der nicht kommen wollte, eilte ich fort und gieng den weiten Weg zu Fusse. – An mir und Herrn Kummerfeldt lag die Schuld nicht – und daß ist nun vorbey“ etc. etc. Wir giengen wieder zur Gesellschaft. Noch ehe wir uns zu Tische sezten, kamen meines Wilhelms Brüder: Herr [132r/269] Kummerfeldt402 und Herr von Bostel403 nebst einen 400 401 402 403
Ostern: 3. April 1768. P. A. = Prokurator Abendroth. Hinrich Kummerfeld d. J. Peter Martin von Bostel.
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guten Freund von ihnen. Sie wolten mit uns speisen und waren von Onkel weggegangen. Herr Kummerfeld hieß mich weder freundlich noch mürrisch wilkommen – küßte mich, ich ihn wieder – und die erste Thräne kam mir ins Auge. Sein Halbbruder war ganz daß, was mir Madame Herzog von ihm gesagt. Er hieß mich so treuherzig willkommen, küßte mich, als ob wir uns schon lange gekannt hätten. Der gute Mann nahm mich gleich ganz für sich ein, so wie ich fühlte, daß ich die Tochter vom Haus schon herzlich anfieng zu lieben. – Wir sezten uns zur Tafel, und das Gespräch war ziemlich allgemein. – Doch hörte ich mehr zu, als daß ich selbst gesprochen hätte, den mir lag zu viel daran, die Leutchens kennenzulernen. – Ich machte auch Anmerkungen – die aber nicht hieher gehören – und bleiben darinnen, wo sie stehen404. – Nach 12 Uhr kamen die Wagens, alles fuhr fort. Mein Wilhelm und die drey Frauenzimmer vom Hause brachten mich auf mein Zimmer. Wilhelm wünschte mir gute Nacht, dankte seiner Schwester und sagte: „Morgen gleich nach 9 Uhr sage ich euch einen guten Morgen.“ [132v/270] Wie ich allein war, dachte ich dem allen wie in einen Traume nach; – betete zu Gott um Segen und Beystand, legte mich zu Bette und schlief ziemlich ruhig bis an den Morgen. ___________ //XXXIX* 2. Note [eine 1. Note fehlt im Manuskript]: Hier muß ich eine Anmerkung machen für diejenigen und – vielleicht für alle, die diese Blätter lesen, daß sie mir vorwerffen können, ich habe mich zu umständlich und zu weitläuftig bei dem Empfang aufgehalten? – Hier also meine Rechtfertigung: Gewiße Leute, die gegen mich mehr wie eine Lüge ersonnen hatten, sprengten auch wegen meiner Heurath Verschiedenes in der Welt aus, unter andern aber auch daß, das mich Herr Kummerfeldt gegen den Willen der ganzen Familie genommen; ich mit keinen Umgang gehabt und mit ihnen in einer immerfortwärenden Feindschaft gelebt hätte. Dieß mußte ich noch hören, da ich über 100 Meilen weit von Hamburg entfernt war und schon einige Jahre Wittwe gewesen. Aus dieser Ursach nun bin ich wegen des Empfangs von der Familie weitläuftiger gewesen, als ich es sonst nicht gewesen wär. – Und überhaupt: Bin ich den Anschein weitschweifig, denkt mancher: daß hätte wegbleiben [133r/271] können, so glaube man, das manches, das unbedeutent scheint, für mich wichtig wurde und Bezug auf ’s Ganze hat.
404 Hier bezieht sie sich auf die Hamburger Handschrift, HHS, S. [535]–[537].
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Fünftes Kapitel Meine Tage als Braut Den Morgen bei dem Frühstück wurden wir bald bekandter und lustiger405. Ich machte für mich die angenehme Entdeckung: daß sie alle Vier ebenso gerne lachten wie ich. Mein Wilhelm kam und fand uns so vertraulich beisammen, als ob wir schon Jahre lang Bekandschaft gehabt hätten. Die alte Mademoiselle sagte: „Er hat recht gehabt, Monfrere406, daß Er sich so eine Braut gewählt und sich von allen denen Narren nicht hat abrathen lassen. Wär ich ein Mann wie Er; fürwahr! Sie hätte mich selbst verliebt gemacht.“ Mit jeden Tag wurden wir bekanter und vertrauter. Viele Liebe erzeigten sie mir. Noch hatte ich keine Visiten machen können, weil meine Koffers länger ausblieben, als ich gedacht hatte. Inzwischen kamen täglich Besuche, die mich sehen und in der Nähe kennenlernen wolten. – Endlich kamen die Koffers, und da man mich auspacken sah und mir dabey half, sagten sie: „Sie müßen sehr ordendlich seyn. Wir haben gedacht: Personen vom Theater sehen nur auf Blumen, Blonden407, Flor [133v/272] und Band – kurz, Flitterstaat408. – Nein! So waren wir Sie nicht vermuthen.“ Ich brachte meine 24 vollständige Kleider mit, ohne Hauskleider. Das solche nicht etwa erst neu angeschaft waren, konnte sie sehen, bis auf mein Brautkleid, das ganz neu war. In Wäsche vollständig. Was nicht fertig genäht war, lag theils zugeschnitten oder in Stüken Leinen da. Meinen Koffer und Theeservies in Silber, nebst vielen nothwendigen Stüken zur Tafel geherig. – Kurz: nichts überfließig, aber alles bis auf die geringste Kleinigkeit vollständig und ordendlich. Bares Geld konnte ich nicht viel haben, und was wären einige hundert Thaler für meinen Mann gewesen? – Nein! So dachte ich: Schaf dir alles an, was eine ordendliche Hausfrau in ihrer Wirthschaft braucht und wovon der Mann nichts versteht, daß du ihm wenigstens in dem ersten Jahren nichts weiter kost, als was Essen und Trinken ist. In Leipzig konnte ich für 100 Thaler so viel kauffen, wozu ich in Hamburg schon 200 Thaler nöthig hatte. Mein Brautkleid war nur von weissen Mantuaner [134r/273] Tafft. Wie ich es kaufte, wußte und dachte ich noch nicht, daß es mein Brautkleid werden solte. Wie ich es mit 405 Vgl. HHS, S. [538]–[548]. 406 Mon frère: Mein Bruder. 407 Hellfarbene, aus Rohseide geklöppelte Spitzen. 408 Aufputz.
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Madame Löwen zu garnieren anfieng, gefiel es mir so sehr, daß ich es dazu bestimmte. – Doch wußte ich nicht, ob es in Hamburg für Herrn Kummerfeldts Braut auch nicht zu geringe seyn würde, weil die Bräute damals noch in Stoff oder Moor409 gekleidet giengen. – Die Bräute müßen sich in Hamburg ihr Brautkleid selbst anschaffen. Ich schrieb also Herrn Kummerfeldt: Ob es ihm auch schimpflich wär, wenn ich an dem Tage nur in Tafft gekleidet erschien? – „Noch habe ich so viel, mir ein neu Stoff- oder Moorkleid zu kauffen. Aber ich wollte nicht gern, daß man sage: ich wollte es reichen Bräuten nachmachen. Mein Puz soll so beschaffen seyn wie mein Vermögen.“ – Herr Kummerfeldt antwortete mir zurück: Wenn es mir gefiele, ihn wär’s recht. Auch die Familie hätte nichts dagegen. Ich hatte die Ehre, den Herr Onkel410 und die Frau Tante411 kennenzulernen. Wohl wurde ich von ihnen aufgenommen. Mein Wilhelm brachte mich in alle die Häuser seiner Verwandte und einigen guten Freunden, und so wurde ich nach und nach [134v/274] mit den größten Theil bekannt. Eines Tages frug mich Herr Kummerfeldt: Ob ich auch allen Puz zu meinen Hochzeittag hätte? Ich: „Ja!“ Herr Kummerfeldt: „Verlangen Sie keine Juwelen?“ Ich: „Bewahre Gott! Wo denken Sie hin?“ Herr Kummerfeldt: „Nein, kauffen kann ich Ihnen solche noch nicht. Aber hier ist der Gebrauch, das Bräute Juwelen am Hochzeittage haben; ein Juwelirer hat mir solche angetragen. Um einen billigen Preiß will er sie Ihnen leihen; so schön und so viele, als Sie haben wollen. – Machen es viele so hier.“ Ich: „Lieber Wilhelm! Vergeßen Sie doch nicht, daß ich nicht von hier bin. – Da sehen Sie! In schottischen Perlen412 besteht den Tag mein Schmuck. Ich prange nicht gern mit geborgten Federn. Ich bin zu stolz! – Laßen Sie mir meine Grillen zu wissen: das alles, was ich den Tag anhabe, bezahlt ist – und mein gehört. Geben Sie meinen Eigensinn nach – er kostet Ihnen ja nichts. – Hier ist es ohnedies sehr theuer, Hochzeit machen. – Vieles müßen Sie bezahlen an Geschenken, die ich machen [135r/275] muß und wozu ich kein Geld habe.“ Herr Kummerfeldt: „Liebe! – Willst du den gar nichts??“
409 Moiré: Gewebe aus Seide oder Halbseide mit Maserung. 410 N. Hilbrandt. 411 Gertrud Schreiber geb. Hilbrandt. 412 Als Schottische Perlen (Perles d’Écosse) bezeichnete man unregelmäßige, halbkugelförmige Perlen, aber auch künstliche Perlen von unnatürlicher Größe.
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Ich: „Nein! Nichts. – Wie du nichts von der kleinen Schultzen bekömmst wie den goldenen Reifring, der in der Arbeit ist, und du mir eben einen solchen wieder geben sollst.“ Herr Kummerfeldt: „Aber einen juwelenen Ring mußt du von mir annehmen – er ist auch schon bestellt.“ Ich: „So bestellen Sie ihn wieder ab. Ich habe ja meinen? Ob ich nun an jeder Hand einen habe oder nicht?“ Herr Kummerfeld: „Der ist zu klein. – Man sieht hier gar zu sehr darauf. Es schimpft mich, wenn du keinen grössern hast – und gereicht mir zur Schande. Der Bräutigam muß einen juwelnen Ring hier der Braut geben.“ Ich: „Nein! Schimpf und Schande, wie Sie sagen, sollen Sie nicht haben. – – Hier ist der meinige! Lassen Sie noch eine Reihe Steine herumsezen, so wird er größer.“ Und das geschah den auch. – Ich hatte noch mancherley Auftritte – Aber sie gehören nicht in dieses Buch, sie gehören zur Geschichte meines ganzen Lebens413. __________ XL // *Note 3: – Nur muß ich manches anmerken, das Beziehung [135v/276] auf die Folgen hat. Man vergebe mir, daß ich es zum Überfluß wiederhole, noch einmal zu erinnern! Und bitte mir Geduld und Nachsicht aus. Ich schreibe keinen Roman – ich schreibe Wahrheiten. [135v/276] Nie war mir eine grössere und schwerere Rolle zutheil worden als die, die ich nun angefangen hatte zu spielen. Den welcher Mensch hat nicht seine Rolle? Kommt darauf an: wie er sie spielt. Bald, bald, meine verehrungswerthe Leser, will ich Kummerfeldt heißen. Noch bin ich Schultzen – ein Nahme, der mir sehr werth war! Nur etwas, nur das kleinste noch vor meinen Ehrentag. Der 11te Aprill war der Tag vor meiner Trauung. Herr Kummerfeldt kam und wollte meinen Puz sehen auf den morgenden Tag? – „Nun, da ist er!“ – „Schön!“ sagte er, „nicht prächtig, aber geschmackvoll.“ Ich: „Also morgen! – Morgen? – Noch haben Sie über 24 Stunden, sich zu bedenken: ja oder nein zu sagen – und wenn es vor dem Trauschämel ist.“ Kummerfeldt: „Bald machst du mich böse! – – Ist es Ihnen so gleichgültig?“ Ich: „Mir nicht! – Nur lassen Sie es sich nicht gleichgültig [136r/277] seyn, was ich Ihnen gesagt habe, und denken oft daran: damit Sie auch immer der liebe, zärtliche Ehemann gegen Carolinen bleiben, wie Sie Liebhaber in Ihren Briefen waren. – Lieber Wilhelm! Wie deine – deine Caroline das einzige Mädchen – vielleicht in ihrer Einbildung ist – so will sie so gern auch das einzige Weib seyn. – O! und es wird so leicht seyn – wenn du nur willst. – Ich bin nichts halb. Ich war ganz Tochter, ganz Schwester, ganz Freundinn, ganz liebendes Mädchen. – Ich muß ganz Gattin seyn und werden
413 Damit ist die Hamburger Handschrift gemeint.
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können oder – nie, nie Weib! – Und wärst du reicher wie der Reichste, dein Geld macht mich nicht glüklich – kann mich nicht glüklich machen.“ Ich hatte meinen Arm um seinen Hals geschlagen, küßte ihn mit dem ganzen Gefühl meines Herzens – als meine Schwiegerin kam und uns zum Eßen rufte. Froh gieng der Tag hin bis auf den Abend. Ich schlief die Nacht wenig, meine sorgsame Unruhe für die Zukunft warf mich von einer Seite zur andern. – Es war in mir nicht der Gedanke: Bald bist du [136v/278] die Gattin des einzigen Mannes deines Herzens – Nein, – wär es bei mir gestanden, ich würde den Tag noch Jahre hinnausgesezt haben. – Ob allen Bräuten so ist? – Bei freyer Wahl? – Bei einer Heurath aus Liebe? – – Bei mir war’s mehr – bei mir war’s Ahndung meines künftigen Schicksals. ___________ * Die folgenden Zeilen hat Karoline Kummerfeld gestrichen und auch 33 Seiten aus dem Manuskript entfernt und neu paginiert. Ihrer Bedeutung wegen sollen die Streichungen dennoch hier wiedergegeben werden: Dienstag, den 12. Aprill war der Tag meiner Trauung. Ich erschrak vor mir selbst, als ich in den Spiegel sah, mein ganzes Gesicht hatte eine Todesbläße. – – Der Tag – als ein Hochzeittag genannt, war gewiß der einzige in seiner Art. – Ich hatte solchen ganz ausgeschrieben, wie er war. – – – Doch nun, da ich die Blätter zum zweyten Mal abschreibe – lege ich die Bogen zurük. Es kostet mir einige Überwindung, ich gestehe es. – – – – – – – – – Ich bin also nun Madame Kummerfeldt. Mein Bruder, alle meine Freunde glaubten, ich wär glücklich. – Alle lies ich in den süßen Wahn. – Ich machte keinen, selbst meine Fleischer, selbst Madame Herzog nicht zu meine Vertraute. – Wenn ich an [Textverlust, da die ursprünglichen Seiten 279–312 herausgetrennt wurden] […]kunft, warf mich von einer Seite zur andern. Es war in mir nicht der Gedanke: bald bist du die Gattin des einzigen Mannes deines Herzens – nein, wär es bei mir gestanden; ich würde den Tag noch Jahre hinnausgesezt haben. Ob allen Bräuten so ist? – Bei freyer Wahl? – Bei einer Heurath aus Liebe? – Bei mir war’s mehr – bei mir war’s Ahndung des künftigen Schicksals. [137r/279] Sechstes Kapitel Der Tag meiner Hochzeit Dienstag, den 12ten Aprill, die Uhr war halb 6, da ich aufstand414; ich erschrak vor mir selbst, als ich in den Spiegel sah, mein ganzes Gesicht hatte eine Todesbläße. Gleich
414 Vgl. HHS, S. [548]–[561].
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nach 6 Uhr kam der Friseur und kam so früh, weil er noch mehr Bräute hatte zu frisiren. Das Bräute Kränze oder Kronen auf den Kopf hatten, war damals nicht mehr unter den vornehmen Bräuten Mode – und ich war auch eine vornehme Braut. Also schmükten meine Haare Mirthen mit ihren Blüthen und Knöspchen und mit Perlen durchflochten. Wir speißeten den Mittag vor 12 Uhr – aber wie ich mich zum Tisch gesezt hatte, stand ich wieder auf: „Ich kann nicht essen!“ – Ich war in einer schrecklichen Angst und eilte auf mein Zimmer. – Die gute Madame Herzog [137v/280] kam und brachte mir einen kleinen frischen Blumenstrauß; eine weiße Jazinthe415, Orangenblüthen, Mirten und eine Rose. Ich küßte das gute Weib. Madame Herzog: „Was ist dir, Jungfer Braut? Wie siehst du aus? Hast ein Gesicht, daß sich eher zur Leiche wie zur Hochzeit schickt.“ Ich: „Ach Lieschen! Ich fürchte auch, ich gehe heute in den Tod – in den Tod aller meiner gehofften Freuden.“ Madame Herzog: „Laß daß ja nicht deinen Wilhelm hören! – Sey doch klug! So hoffte ich dich nicht zu finden.“ Ich: „Ach, ich auch nicht! Ich dachte auch nicht, daß ich so, so seyn würde. – Mein Herz ist so schwer; wenn ich nur weinen dürfte! – Es erstückt mich noch.“ – //XLI Meine Schwiegerinn, ihre Tochter und das Hausmädchen, alle drey kamen und wollten mich ankleiden. Ich: „Lieben Kinder! Sie müßen ja selbst angekleidet seyn? Madam Herzog wird mir helfen – wenn ich Hülffe bedarf.“ Sie wichen nicht, alle Hände halffen und mehrten dadurch nur meine Angst. – Ich schöpfte nur nach Luft – mußte mich einige Mal niedersetzen, den mir wurde merklich schlimmer. – Man ward besorgt! [138r/281] Ich bat um ein Glas Wasser und mich den nur stille gehen zu lassen, dann würde mir wol besser werden. – Endlich wurde ich vollends angekleidet. Keine konnte aus mir klug werden? – Ich aber selbst nicht aus mir. Froh war ich, so lieb mir auch Mutter und Tochter waren, als ich wieder mit meinen Lieschen allein war. Mein Brustpukett416 war von Blonden und weißen Band. Lieschen sagte: „Gut, daß ich dir die Rose brachte in den Strauß. Wärst auch sonst ganz weiß.“ 415 Hyazinthe. 416 Brust-Bukett: Ein Gesteck aus Blumen auf der Brust. Hier scheint es nur aus Spitzen und weißen Bändern bestanden zu haben.
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Ich: „So wollt ich’s.“ Madame Herzog: „Nun, so komm doch vor den grossen Spiegel und sieh dich auch einmal an. Siehst aus wie ein Engel.“ Ich: „Ja, wenn ich die Augen zu hätte und in meinen Sarg läg. – Den recht wie ein Todesengel.“ – Meine Schwiegerinn kam wieder und sagte zu mir: In der ganzen Nachbarschaft hätten sie Besuch, man wünscht Sie zu sehen! – Auch das ganze Haus unten ist voll von Leuten, die alle gern herauf wollen, um die Braut zu besehen, daß ist so der Gebrauch hier. [138v/282] Ich: „Liebe Frau Schwester! Wie bedaure ich Sie der Unruhe wegen, die Sie meinetwegen haben! – Sie wissen, ich bin keine Freundinn von den hiesigen Gebräuchen. – Was will man an mir sehen? – Verschonen Sie mich! – Kann mich ohnmöglich heute mit fremden Gesichtern herrumcompliementiren. – Griesen Sie alle! Sagen: ich ließ es mir verbitten. – Wenn ich in Wagen steigen werde, dann werden sie mich alle sehen. – Entschuldigen Sie mich als eine Fremde.“ – Meine Schwiegerinn gieng nur halb vergnügt fort. Lieschen sagte zu mir: „Du machst närrisches Zeig!“ Ich: „Ja, ich denke, will’s Gott! daß ich noch mehr machen werde.“ Madame Herzog: „Aber Carolinchen! Daß ist so hier der Gebrauch.“ Ich: „Und willst du also, daß ich mich zum Opfer aller eurer närrischen Gebräuche machen soll? – Hab schon mehr solche Stükgens hier gemacht. Man muß mich gewohnt werden. Ich verlange ja nicht, daß man sich nach mir richten soll? – Am Ende wird es heißen: Es ist die Kummerfeldt, sie thut’s nicht anders, so wie es bisher geheißen hat: Es ist die Schultzen, [139r/283] sie ist nicht anders. Denk nur, wie man mich hier schon mit den vielen Gesundheiten-Trinken417 mortificiret418 hat? Und wie sie sich selbst untereinander mortificiren? Weißt du, was ich thue? Den Wirth und der Wirthin vom Haus trinke ich ihre Gesundheit, dann bin ich fertig. – Sagt jemand zu mir: Sie sollen leben! – nehme ich mein Glas in die Hand und sage: Gleichfals, Ihr Wohlergehen! – Wie kann ich 30 und mehr Menschen bei einen Glase Wein nennen? Immer einen Tropfen hinnunterschlurfen und wieder einen nennen, bis die Reihe rund ist? – Da bricht mir der Angstschweiß aus. – Und den soll ich meinen Nachbar 30 Mal incomodieren, daß er mir sage, wie der und die heißt? – Und wenn es noch dabei bliebe. Aber trinkt man meines Wilhelms Gesundheit, so muß ich mich mit bedanken. 417 Auf das Wohl der einzelnen Tischgäste und auf die Gesundheit des Gastgebers zu trinken, war ein alter Hamburger Brauch; HHS, Anm. 1004. 418 Mortifizieren: Kasteien, abtöten.
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Den siehe, so geht’s: Mademoiselle Braut! Ich nehme mir die Ehre, Ihre Gesundheit zu trinken. – Herr Bräutigam! Ich trinke der Mademoiselle Braut Gesundheit. Nun trinkt der hefliche Mensch, und wenn er genippt und sein Glas hingesezt hatt, muß ich daß meinige nehmen und mich gegen ihn und meinen Herrn Bräutigam verneigen mit den Kopf [139v/284] und halben Leib und nun gleichfals aus meinen Glase nippen. Wenn das vorbei ist, sagt der hefliche Mensch: Herr Bräutigam, ich nehme mir die Ehre, Ihr Wohlsein zu trinken. Mademoiselle Braut, ich trinke des Herrn Bräutigams Gesundheit. Nun trinke ich mit ihm, und wenn wir fertig sind, muß sich Wilhelm gegen uns beide verneigen und nachtrinken. – Ist daß nicht zum Todschießen? Nun denk nach: Wenn 30 und mehr Menschen an Tafel sind, was daß für eine Arbeit ist? – Und ich, deine Caroline, sollte sich so sehr hassen, all das närrische Zeig auf ihre ganze Lebzeit mitzumachen? – Nein, wahrlich! nicht. – Lieber soll man mich jezt entweder für unwißend oder für ein Mädchen ohne Lebensart halten, als daß man sage: sie hat sich verstellt. Denk, was mir das für ein wahres Spektakel ist, wenn ein Mann mit seiner Frau – und nur einen Sohn und Tochter am Tisch sitzen, und so ein heflicher Mensch fängt bei Madam an; – sie mag Hamburg heißen! – Also: Madame Hamburg! Ich nehme mir die Ehre, Ihre Gesundheit zu trinken. – Herr Hamburg! Ich trinke der Madam Gesundheit; Mademoiselle [140r/285] Hamburg, ich trinke der Frau Mama Gesundheit. Monsieur Hamburg! Ich trinke der Frau Mama ihre Gesundheit. – Nun trink er, und dann geht’s an den Herr Gemahl und Papa; dann ebenso an Mademoiselle Tochter, Schwester und Monsieur Hamburg, Sohn und Bruder, bis die Familie rund ist. – Ich habe nach meiner Uhr gesehen, und solch eine Familien-Gesundheit hat eine halbe Stunde gedauert. Ich wollte stücken419 vor Lachen, und Kummerfeld bat mich oft, um Gottes willen, ich sollte mich zwingen, und konnte doch selbst das Lachen nicht laßen. – Nein, Lieschen! Da waren wir vergnügter bei unsern Brätchen oder Gericht Fische und wollens noch öffterer seyn. – In meiner künftigen Wirthschaft schaffe ich das alles ab. – Die Menschen hier sind gut, aber, nimm mir’s nicht übel, Lieschen! – noch hundert Jahre zurük.“ Madame Herzog: „Sind auch nicht alle so.“ Ich: „Daß hoffe ich, daß ist mein Trost. – War ja nicht so in deinen und Kummerfeldts Haus“ – – – „Der Herr Bräutigam im Wagen hält vor dem Haus…“ Ich: „Gott! – Ist er da?“ – – Mein Schwatzen hatte mich [140v/286] munter gemacht, aber auf einmal war’s weg. Ich zitterte und bebte und fühlte, wie eiskalt mein Gesicht wurde. – Mein Lieschen küßte mich: „Sei glücklich! liebes Carolinchen.“
419 Ersticken.
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Ich: „Das gebe Gott! Liebes Lieschen, wie gerne hätte ich dich heute bei mir und deinen Mann – ist ohnedieß heute sein Geburtstag. – Griese mir ihn – ich werde eure Gesundheit trinken – nach unserer Art. – Du weißt, wir sind heute selbst Gäste. – Nur Familie ist bei Hinrich Kummerfeldt.“ – Auf einmal wurde mir gemeldet, Herr Kummerfeldt erwartete mich. – „Ich will kommen!“ – Ich glaubte, er würde zu mir herraufkommen. – – Ich gieng hinnunter. – Da stand Wilhelm im aschgrauen seidenen Moorkleide mit kleinen weißen Blümchens, weißen Moorweste mit Silber. – Er war so blaß von Gesicht wie ich, zitterte und reichte mir seine Hand – ich fühlte die Kälte durch den Handschuh. „Bist du fertig?“ stammelte er. – Ich: „Ja!“ Seine Schwester und die andern alle weinten, wünsch[141r/287]ten mir Glück und schrien durcheinander – – Bräutigam: „Komm, laß uns fahren!“ – Braut: „Nun ja – in Gottes Namen! – – Heute von mir keinen Dank – Lieben! – Ich bin“ – – damit gieng ich an der Hand meines Wilhelms fort – . Die ganz[e] Straße war voll Menschen, und an den Fenstern war Kopf an Kopf. Ich blieb stehen, grießte sie alle rund, soweit ich sie mit den Augen erreichen konnte. Alles dankte mir und sah vergnügt. Ich hörte nichts wie die Worte: „Das ist eine freundliche Braut – sie ist gar nicht hochmüthig“. – Die Uhr war zwey; der Wagen fuhr ganz langsam, so recht staatsmäßig, und wir hatten uns zu büken und zu danken nach allen Seiten. – An dem Hause meines Wilhelms stand der Wagen still. – Ich blikte nach dem Fenster, wo meine Mutter sonst geseßen – glaubte sie zu sehen. – Nun fuhr unser Wagen fort und holte Herrn Pastor Wagner420 vom Hamburger Berg421, den ich gewählt hatte, daß er uns trauen sollte. Unsere vier Brautführer waren die zween Brüder von meinen Wilhelm [141v/288] nebst Herrn Fritsch und Herrn Abendroth. Nach drey Uhr kam Herr Pastor Wagner. Er grießte uns und trat hinter den Trauschämel von rothen Samt mit Gold besezt. Herr Pastor Wagner hatte zum Trautexte gewählt: Predigt denen Gerechten, den sie werden es wohl haben422. Herrlich führte er solche hinnaus. (Leid war es mir, daß der vortrefliche Mann wenige Monate nach unserer Trauung starb und ich die Rede nicht habhaft werden konnte, war ein Meisterstück einer Traurede). Mein Liebster sprach sein Ja frey von Herzen, ich das meinige auch, ohne Reue zu fühlen. Pastor Wagner wechselte
420 Friedrich Gottlob Wagner (1733–1769) war von 1766 bis 1769 Pastor von St. Pauli; HHS, Anm. 1010. 421 Hamburger Berg war die bis ins 19. Jahrhundert übliche Bezeichnung für die Vorstadt St. Pauli. 422 Jes 3,10: Predigt von den Gerechten, dass sie es gut haben, denn sie werden die Frucht ihrer Werke essen.
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unsere Ringe, legte unsere Hände ineinander und gab uns seinen Segen. – Voll inniger Andacht beten wir auf unsere Knie gebeigt das heilige Vaterunser. – – Nun war’s vorbei! – der samtne Trauschämel und Teppich ward aus dem Zimmer geschaft. Caffee, Thee, Wein und Confect herrumpresentiert. Die Uhr war nach 5, da der Herr Pastor Wagner in den Brautwagen wieder nach seiner Wohnung gebracht wurde. Die Herren Brüder und Schwäger [142r/289] fuhren nach der Deichstraße und ersuchten uns bald nachzukommen. – Der Brautwagen hatte einen weiten Weg. Mein Bräutigam und ich, jeder von uns, saß mäuschenstill da, und kein’s redete ein Wort. Endlich hub er an: „Ich wollte, der Wagen käm.“ Ich: „Ja, ich auch!“ Er: „Sie werden in der Deichstraße auf uns warten.“ Ich: „Daß denke ich auch.“ Er: „Wenn du willst, will ich nach einen andern Wagen schicken. – Freilich schikt es sich nicht, in einen Miethswagen zu fahren, weil wir Brautleute sind“ – – (und lächelte dazu). Ich: „Ja, an das Schicken kehr ich mich nicht. Ob in einen Staats- oder Miethwagen, wir fahren. Nur missen Sie wißen, ob es Herr Mayer423, der uns seinen Wagen gab, nicht übel nimmt?“ Er: „O nein! Der gewiß nicht, daß ist mein guter Freund.“ Ich: „Nun, daß müßen Sie wissen.“ Hurtig wurde nach einen andern Wagen geschickt, der auch gleich kam, und wie wir nur erst aus [142v/290] unserer Straße heraus waren, hätte uns kein Mensch für Braut und Bräutigam gehalten. – Wir kamen nun in das Haus des Herrn Kummerfeldts und von Bostel, wir waren in allen 20 Personen. Alle Herren, bis auf den Herrn Bräutigam und seinen Bruder von Bostel, hatten sich an die Spieltische gesezt; alle Frauenzimmer – bis auf Madame Schwerdtner424 und ich – verlohren sich aus den Zimmer; auch Herr von Bostel verschwand, und der Herr Bräutigam dazu. Die übrigen acht Herren spielten ihr Katrillie425, und wenn’s der liebe Gott nicht beßer weiß wie ich, was ich mit Madame Schwerdtner von 6 Uhr bis halb 10 miteinander gesprochen haben, so kann ich gewiß nichts dafür. In diesen viertehalb426 Stunden war mein Herr Bräutigam zweymal in die Stube gekommen; meine Hand ergriffen, solche geküßt und mich gefragt: – „Nun, was machst du denn?“ Ich: „Wir schwatzen.“ 423 424 425 426
Herr Mayer: Nicht ermittelt. Anna Margarethe Schwerdtner geb. Stamer. Quadrille: Ein Kartenspiel für vier Personen, eine Weiterentwicklung des L’Hombre. Viertehalb: 3½.
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Er: „Hast recht!“ – Und so gieng er wieder fort, nachdem er vorher noch als eine Fürsorge gesagt [143r/291] hatte: „Laßt euch die Zeit nicht lang werden“ – das geschah also zweymal und so acurat, als ob’s mein Bräutigam auswendig gelernt hätte. – Ich dachte zu zerspringen. Daß ist ein Hochzeittag? – Oft stieg der Gedanke: – O, wärst du in Leipzig! in meiner Seele auf – und gleich wieder bebte ich vor den Gedanken zurück wie für eine Todsünde: Vergieb, Herr! vergieb. Nur verleihe mir Geduld. – Nicht zu vergessen, das Herr Bruder A.XLII sich einige Mal unter dem Spiel umsah und frug: „Wo ist meine Frau?“ War aber niemand zugegen, der ihm hätte Red und Antwort geben können. Endlich kam eine von denen Demoiselles von Bosteln und frug: Ob’s gefällig wär? – Man schloß also die Spiele, und jeder erhob sich vom Stuhle, da es denn hieß: „Nun, zur Tafel!“ – wendete sich Bruder Kummerfeldt sehr leidselig zu mir und sagte: „Müßen so vorliebnehmen, Masoeur“. Ich dankte ihm für seine Güte: den nie hat es mir geschienen, daß mir Herr Kummerfeldt so einen freundlichen [143v/292] Blick gegeben hatte, und daß war Balsam für mein krankes Herz. – Der Herr Bräutigam kam den auch und reichte mir die Hand. Ich that mir sehr viele Gewalt an, lustig zu seyn, ja, ich schäkerte sogar und lief mehr als ich gieng nach dem Saal zu. – „Kommen Sie, lieber Wilhelm! Ich bin recht hungrig! Hab alles für heute Abend verspart.“ – – – Aber, hilf Himmel! – Sowie ich in den Saal hineintrat und das Frauenzimmer ansichtig wurde, war ich doch mit einen Mal so satt, als wenn ich 10 Pfund Rindfleisch im Magen liegen hätte. – Das waren Gesichter! – Alle wollten freundlich seyn und keine war’s. – Einige sahen blaßgelb, andere glüthen braunroth – einige Gesichter waren gestreift. Ich glaubte, daß ein böser Demon alle verzaubert hätte. – Wie ich geworden, mag der Himmel wissen, doch neue Farben konnte den Abend mein Gesicht wol nicht mehr annehmen, den es hatte den ganzen Tag über alle Schattirungen durchgegangen. Die meisten Augen hatten geweint. – Viel geweint, [144r/293] daß konnte ich sehen – aber warum? – Weßwegen? Daß blieb mir auch bei allen nur möglichen Nachsinnen ein unerklärbares Räthsel. – Bei Tische hoffte ich, es vielleicht aufzulösen. Bruder Hinrich ließ prächtig auftragen – aber ich will des Todes seyn, weiß ich, was ich den Abend gegeßen habe. – Man wollte munter werden, aber alles war verstimmt. Mein Bräutigam küßte mir oft mit vieler zärtlicher Ehrerbiethung die Hand, sah mir freundlich in die Augen und sagte: „O, wie ich dich liebe! Bist mein Alles!“ – Daß fühlte ich warm an’s Herze dringen – blicke seitwerts und werde gewahr, das Madame A ++XLIII Thränen verbergen will, die so voll in ihren Augen waren, doch trank sie solche in einen Glas Wein, vermengt mit Wasser, ganz langsam in ihren Magen. Ihr Mann blickte sie an mit einen Gesicht, das viel sagte, nur nichts, das angenehm gewesen wär anzuhören. – Darauf lächelte sie, und es war das Lächeln eines Kindes, daß man blutig gehauen und nun mit Lächeln die Ruthe küßt. – – [144v/294] Ich wußte nicht
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mehr, was ich selbst war; an solche hochzeitliche Freuden habe ich nie gedacht noch denken können. Endlich war die Uhr nach halb eins, und unser Wagen, hieß es, wär vorgefahren. – Nun wurde es laut, ich empfand von allen nichts, was man aus Ernst und Scherz sagte. Madame Fritsch wollte mich begleiten, das wär so der Gebrauch. Ich verbat es: „Habe Ihnen Mühe genug gemacht.“ – Ich umarmte alle Damen. Jede sah wieder heiter und drükten mir zärtlich die Hände. – Nachdem ich den Herren mein Compliment gemacht hatte, worunter der Onkel und Bruder von Bostel mich herzlich geküßt hatten; reichte mir Bruder Kummerfeldt die Hand und sagte, indem er mich umarmte: „Liebe Schwester! Ich versichere Sie meiner ganzen Freundschaft und Achtung. Gott gebe, daß Sie so glücklich mit meinen Bruder seyn mögen, als Sie es verdienen. Kinftigen Donnerstag erzeigen Sie mir die Ehre und kommen mit meinen Bruder den Nachmittag zu mir, da wollen wir die übrigen Brocken von heute verzehren.“ Nun [145r/295] hob er mich in Wagen, indem er mir noch Hand und Mund geküßt hatte. Ich konnte ihm nicht danken, wie ich’s gewünscht hatte, mein Herz war zu voll. Mein Wilhelm und er hielten sich lange umschlungen. Küßten sich voll warmer brüderlicher Liebe – und nun rollte der Wagen mit uns fort. Wir saßen beide stumm da. Endlich sagte mein Bräutigam, indem er meine Hand faßte: „Du bist ja so still?“ Ich: „Was ich bin, weiß ich selbst nicht. – Ist’s würcklich so? Oder ist’s ein Traum? Bin ich heute würcklich verheurathet worden? Oder spiele ich nur eine Komödie? – Gott weiß es, ich nicht, wie mir ist.“ Bräutigam: „Nein, ist keine Komödie. Bist von heute an meine Frau.“ „Mir ists nicht so“ – sagte ich, und damit war unser Gespräch zu Ende und wir vor unsern Haus. Ich gieng in mein Zimmer, Herr Kummerfeldt nach seinen Kabinet, das Mädchen half mich auskleiden, ich entließ sie und gieng mit dem Licht in der Hand ins [145v/296] Wohnzimmer, sezte mich in einen Lehnstuhl an den Tisch hin. Siebendes Kapitel Meine Hochzeitnacht Bereits war es schon nach ein Uhr427. Mein Wilhelm kommt, sezt sich mir gegenüber an die andere Seite des Tisches mit schwermüthigen, trüben Blick. – Eine lange, stille Pause von beiden Seiten. – Nun faltete Wilhelm die Hände wie zum Gebet; schlug
427 Das Folgende ist in HHS, S. [561]–[567] viel ausführlicher dargestellt.
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die Augen voll von Thränen in die Höh und rufte mit einer Stimme, die meine ganze Seele erschütterte, aus: „Bin ich nicht der unglükseligste Mann? – O mein Gott! mein Gott! wo soll ich Ruhe finden? – Nein, für mich ist keine Ruhe mehr! – Mein Gott, wie hast du mich gestraft. – Für mich ist alles aus. – Keine Freude, keine Glükseligkeit mehr auf dieser Welt. Ich bin der elendeste von allen Menschen. Wo soll ich Ruhe suchen? – Wo finden? – Mein Gott! Mein Gott, erbarme dich meiner.“ Wär ich in Ohnmacht gesunken, ich hätte darinnen sterben können, mein Bräutigam war’s nicht gewahr worden. – Einige Mal machte ich [146r/297] einen Versuch zu reden – aufzustehen – aber ich konnte eins so wenig wie das andere. Daß weiß ich, daß mir die Zunge ganz dück im Mund schien, der Hals wie zusammengeschnürt – das Herz zum Zerspringen, und sich alles wie in einen Greisel in meinen Kopf herrumdrehte. Kalt ward, wie der Tod selbst nicht kälter seyn kann – wie lange mein Wilhelm so fort deklamirt, weiß ich auch nicht. Er hätte für mich und ich für ihn sterben können, und ich glaube, wir hätten uns verwundert, uns so mit einen Mal jenseit versezt zu sehen. – Wenn wir so gestorben wären? Hätte ich was wissen mögen: was man an unsern Tode die Schuld gegeben? – – – Doch Gott wollte es nicht und hatte mich noch zu mehreren ganz eigenen Auftritten des Lebens vorbehalten. – Er gab mir mit Macht endlich Thränen – die grösste Woh[l]that der Menschen. – Ich weinte, weinte laut, daß ich schluchzste. Aber mein Kummerfeldt, der von Herzen auch weinte und schluchzste, blieb dabei: daß er nie wieder [146v/298] glüklich seyn würde. – Natürlich, daß mir wieder gewiße Zweifel in den Sinn kamen, und endlich anfieng: – „Aber Kummerfeldt! Was habe ich Ihnen noch gestern Morgen gesagt? Daß ist das Wort zu weit getrieben! Warum entliesen Sie mich nicht Ihres und meines Worts? – Warum mußten wir heute getraut werden? – So soll den Hamburg mir zum Fluch bleiben? So soll ich hier elend seyn? – Gott, Gott laß mich nicht verzweifeln! – Was habe ich Ihnen geschrieben? – Konnten wir nicht Freunde bleiben? – Warum Trauung? Was habe ich verbrochen? Warum meine Reise hieher? – Sie sind der Mann nicht mehr, der Sie in Ihren Briefen waren – daß ist nicht Liebe, daß ist Haß. – Sie hassen mich.“ – – Das Wort Haß weckte ihn, denn es schien, als ob er alles andere nicht gehört hätte. – „Ach Gott, nein! Ich dich hassen? Ich liebe dich unaussprechlich.“ Ich: „Sie lieben mich? Und solch ein Betragen? Heute, heute? Was ist Ihnen? – Um Gottes willen, beruhigen Sie mich. – Wodurch habe ich Ihr Zu[147r/299]trauen verlohren? – Gegen wem wollen Sie Zutrauen haben, wenn ich nicht die Vertraute Ihres Kummers seyn soll.“ Er: „Bleib ruhig! Dich geht es ja nicht an. Nur ich bin der unglüklichste Mann, der nie mehr eine ruhige Stunde haben wird.“
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Ich: „Daß machen Sie gut. – Ich soll ruhig seyn, wenn Sie selbst sagen: daß für Sie keine ruhige Stunde mehr auf der Welt ist? – Sagen Sie mir, wie Sie so etwas nur denken können? – Heute ist was vorgefallen. Aber was? Daß müßen Sie mir sagen, wenn ich ruhig seyn soll; und denn hoffe ich auch Sie zu beruhigen. – Haben Sie durch Unglüksfälle Ihr Vermögen verlohren? – Sagen Sie es mir? – Ihnen bleibt ja Ihr Dienst! Ich werde mich in allen einschrenken. – Sie habe ich gewählt – nicht Ihr Geld. – Ist man gegen Ihre Heurath? – Hassen mich welche von Ihren Verwandten heimlich? – so verzeihe es ihnen Gott!“ – – Er: „Du thust ihnen Unrecht! – Alle lieben dich [147v/300] und freuen sich deines Glücks“ – – Ich: „Meines Glücks?? – Gott! Gott, meines Glücks.“– Ich dachte, ich müßte mir bei dem Wort: meines Glücks die Hirnschale einschlagen. – „Meines Glüks“, schrie ich wol zehen Mal und lief wie rasend im Zimmer herrum über das Glük. „Du, du bist mein Glük! Du, den ich noch liebe. – Geben Sie mir Beweise und martern mich nicht länger; sagen mir, was Ursach ist an all der Specktakel?“ – Er: „Wer Ursach ist? – – O, der verdamte – – – – – –XLIVA**“ Ich: „A**! – A **??XLV“ Er: „Ja. Der – – der Teufel in der Gestallt eines Menschen. –XLVI – Meine arme Schwester ist das unglükseligste Weib durch ihn. – Und ich, ich habe sie unglüklich gemacht, den ich stifftete die Ehe. – Hätte ich mich nicht genauer nach seinen Karakter erkundigen sollen? – Darum drang er so ums Ja-Wort? Darum so bald die [148r/301] Vollziehung der Hochzeit? Darum“ – u.s.w. Nicht alles, was Kummerfeldt noch sagte. – Herr A++XLVII war Wittwer, hatte zwey Kinder. Die erste Frau starb in Wochenbette, er mußte eine zwote Frau haben; kannte meinen Kummerfeldt, wußte, daß er noch vier Schwestern hatte, die unverheurathet waren; hatte die Wahl, unter vieren sich die jungste zu wählen. Den 6ten Januar sahen sie sich zum ersten Mal, gefielen sich, und den 9ten Februar war die Hochzeit. Eben den 12ten Aprill waren es 9 Wochen, daß ihre Trauung gewesen. Er hatte ihr alle Wege abgeschnitten, einen von der Familie allein zu sprechen. Sie sehnte sich nach den 12ten Aprill und schüttete ihr Leiden in den Schooß ihrer Verwandten. Kummerfeldt war Zeige428 dieser ihrer Klagen. – * [148v/302] Solch ein Mann – hoffe ich! – ist nicht wieder in der Natur zu finden429. Die Stückgens, die er mir mit Hinrich Kummerfeldt gespielt, wie ich noch in Leipzig war – daß alles gehört nicht hieher. – Alles erfur ich erst nach einigen Monaten meiner Ehe. Und nun war mir meines lieben Bruders Kummerfeldt sein ganzes Benehmen klar geworden.
428 Zeuge. 429 Zu Abendroths Ehe mit Kummerfelds Schwester s. HHS, S. [563]–[567].
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__________ *Gestrichen: Bei dem Mann konnten böse Männer in die Schule gehen, wie ausstudirt man es machen muß, eine gute liebe Frau zu quälen. Solche Scenen sind weder in Romanen noch Komödien zu finden. Immer würde es heißen: der Autor hat es übertrieben. Achtes Kapitel Auch als Frau bleib ich meiner Denckungsart treu Was hatte ich für eine schwere Ehestands-Rolle zu spielen? – Wie viele Mühe und Vorstellung, um meinen Mann zu beruhigen, der sich immer als den Unglüksstifter seiner Schwester hielt. Mein Bruder, alle meine Freunde glaubten, ich wär glücklich – alle ließ ich in den süßen Wahn. – Ich machte keinen – selbst meine Fleischer, selbst Madam Herzog, nicht zu meine Vertrauten. – Wenn ich an meine Freunde von der glüklichen Lage, in der ich lebte, schrieb, so fing ich mit meinen Schnupftuch die Thränen auf, daß solche mich nicht der Unwahrheit zeigen sollten. – Ich glaubte, Herrn Kummerfeldt zu kennen, und ich kannte ihn nicht? Mein ganzes System, ihn zu [149r/303] behandeln, mußte ich umstoßen. Endlich durch Geduld, Nachsicht – und ich kann sagen – durch Klugheit, und nachdem sich Räthsel, dunkele Räthsel aufgelöst hatten, wurde ich mit meinen Stande zufrieden – und konnte es seyn430. – O, wie glücklich war ich! Nichts fühlte ich mehr von denen ersten traurigen – unnennbaren, traurigen Monaten meiner Ehe. Da war gewiß kein weibliches Geschöpf, daß ich beneiden können. Ich allein dünkte mich das glüklichste Wesen, das Gott geschaffen hatte. Ganz lebte ich in meinen Gatten; ganz, konnte ich glauben, lebte er in mir. Im Jahr 1769, den 27ten September, bin ich den Abend in der Komödie431. Mein Mann kömmt zu mir in die Loge und sagt mir heimlich: „Guthart432 ist tod.“ – „So?“ war meine Antwort. – Herr Guthart war ein College von meinen Mann, dem aber schon vor einige 30 Jahren der Schlag getroffen hatte, folglich nicht mehr arbeiten konnte. Solange er nach diesen Zufall gelebt hatte, mußte der jüngste von denen drey ältesten 430 Vgl. dazu die Schilderung der ersten schwierigen Monate ihrer Ehe in der HHS, S. [568]–[594]. 431 Zu der Episode über den Tod Jacob Gutharts s. HHS, S. [611 f.]. 432 Jacob Guthart, Buchhalter in der Kaufmannsbank der Hamburger Bank; HHS, Anm. 1071.
Zweytes Buch, 8. Kapitel | 753
Bankoschreibern diesen Herrn Guthart von ihren Einkommen tausend Thaler banko aufs ganze Jahr voraus auszahlen nebst 24 [149v/304] Hüthen Zucker433. (Zucker, Wein, Oel – etc. etc. ist eine extra Einnahme, die die Banko-Herren haben) – Mein Mann kam in einen Alter von 24 Jahren in die Bank. War 11 Jahr einer von denen zween Jüngsten – die nach der damaligen Einrichtung nicht mehr des Jahrs einzunehmen hatten wie tausend Mark banko434. Nach 11 Jahren war er vorgerückt, so daß er nun der jüngste von den drey ältesten Banko-Herrn war. Seit dieser Zeit waren wieder 11 Jahre vergangen, so daß mein Mann in denen 11 Jahren 11tausend Thaler banko nebst 268 Hüthen Zucker an Herrn Guthart gegeben. Schön ist die Einrichtung. Die Herren kauffen ihre Dienste, aber wenn sie Krankheit halber nicht mehr arbeiten können, bleibt ihnen dem ohngeachtet was Gewisses, wovon sie immer anständig leben können. Wie wir den Abend aus der Komödie kamen, sprachen wir von dem Verstorbenen, Leben – Krankheit u. s. f. Mein Mann wurde ernsthaft, sah mich an und sagte: „Ich weiß nicht, wie du mir [150r/305] vorkömmst?“ Ich: „Warum?“ Er: „Du bist so kalt. Freust dich nicht. – Bedenke selbst: tausend Thaler banko alle Jahr mehr in unsere Haushaltung?“ Ich: „Warum soll ich mich mehr freuen? – Habe ich nicht alles, was ich wünsche? – Verlange ich, beßer zu leben? – Geld allein kann mich nicht glüklicher machen. Gott erhalte dich mir nur. – Reicher kannst du werden – mich machen – aber nicht glüklicher.“ Er: „Ja, aber nun kann ich noch beßer für dich sorgen. – Wahrscheinlich sterbe ich doch eher wie du? Nun kann ich also auch mehr für dich thun, als wie ich sonst für dich hätte sorgen können.“ Ich: „Dank dir, Lieber! Und sey versichert: Wenn du noch so viel einzunehmen hättest – ich gehe von meiner Art zu leben nicht ab: – Ordendlich – nicht prächtig.“ Ich hielte mein Wort, und es ward mir nicht schwer zu halten. Im December bekomme ich gegen alle Erwartung [150v/306] folgenden Brief. Madame! Auch nach dem traurigen Zeitpuncte, da die deutsche Bühne durch Ihren Abgang verwayst ward, ist Ihr Andenken bei allen Liebhabern des d[e]utschen Theaters unvergeßlich, wer kann Romeo und Minna lesen, ohne an die Demoiselle Schultzen zu denken? Ohnstreitig lieben auch Sie noch das Theater, auf welchen Sie so viel Lorbeern
433 Zuckerhüte, die zur Besoldung gehörten. 434 Zur Hamburger Mark Banco s. HHS, Anm. 1112.
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geerndtet, und verzeihen daher meine kühne Bitte, wenn ich Sie um einige Nachrichten von Ihren Leben ersuche. Sollte Ihnen von dem Wiener und Hamburger Theater einige interessante Anecdoten bekant seyn, so würden Sie mich durch deren Mittheilung unendlich verbinden: Ich beschäftige mich jezt mit einer Geschichte des deutschen Theaters und habe dabei die Unterstützung von allen Freunden desselben sehr nöthig. Leben Sie so glüklich, als Sie es verdienen, und glauben Sie, daß ich mit der größten Hochachtung verharre, Madam Erfurt, den 9ten Decembris 1769 ein Bewunderer Ihrer Talente [151r/307] Christian Heinrich Schmidt.435 Doctor der Rechten und Professor. Ich hatte nicht die Ehre, den Herrn Docter Schmidt zu kennen. Und wenn ich ihm auch gekannt hätte, so hätte ich sein Verlangen nicht gewähren können. Leid war es mir – den nichts that mir weher, als Bitten versagen – solche abzuschlagen. Ich wollte nicht mehr glänzen! Der rauschenden Welt war ich abgestorben, ich fühlte ganz die stille häusliche Ruhe im Bürgerstande. – Ich bat denselben: Wenn sein Werck nicht so abgefaßt seyn könnte, dem deutschen Theater Vortheil zu bringen, keine Feder weiter anzusetzen; auch nicht so viel Falsches enthalten würde, wie Herrn Sekretär Löwe seine Geschichte des deutschen Theaters436. Ich blieb meiner Denkungsart immer gleich. Ich konnte einen Stand nicht verachten, nicht herruntergesezt wünschen, bei dem ich geboren, erzogen und fast 23 Jahr mein Brod gehabt. – Wer weiß, ob ich so hätte denken gelernt, wenn mir das Schicksal bei einen andern Stand mein Daseyn gegeben? – Nie vergaß ich, wer ich war; ich sah nicht meine ehemalige Kammeraden [151v/308] anderst an, als wie ich sie ansah, da ich noch mit ihnen lebte. Wo ich, wo mein Mann gefällig seyn konnten, waren wir es. Ich stand Gevatter437 bei denen meisten, die in die Wochen kamen. – Ja, bei Schneider- und Kutscherfrauen schickte ich keinen an meiner Stelle und kam allezeit selbst. Nie waren mir Menschen lächerlicher, als, wenn sie der Zufall eine Spanne höher versezt, sie sich was darauf einbildeten, nicht wußten, ob sie ihren ehemaligen Collegen 435 Christian Heinrich Schmid (1746–1800), Rechtswissenschaftler, Literaturwissenschaftler und Rhetoriker. Schmid war zur Zeit der Anfrage an Karoline Kummerfeld außerordentlicher Professor der Rechtswissenschaften in Erfurt, 1771 wurde er an die Universität Gießen als Professor für Rhetorik und Poesie berufen. 1772 erschien in Gießen Schmids „Theaterchronick“, 1775 in Leipzig seine Chronologie des deutschen Theaters. 436 Johann Friedrich Löwen, Geschichte des deutschen Theaters, in: Ders., Schriften, 4. Theil, Hamburg 1766, S. 1–66. Lit.: Potkoff, Löwen, S. 92–106. 437 Gevatter stehen: Die Patenschaft übernehmen.
Zweytes Buch, 9. Kapitel | 755
im Schurzfell438 danken dürften oder nicht, wenn er sie grießte. Mein Mann hätte Reichsgraf seyn können, mein Herz wär der Schultzen ihrs geblieben. Neuntes Kapitel Die Christen-Mäkler-Wittwen-Cassa439 Im Jahr 1770 den 10ten Januar starb meines Mannes Oheim, Herr Hilbrand. Mein Mann war ein Miterbe, ich fühlte den Tod des guten Oheims mehr, als daß ich an die Erbschaft gedacht. – Für mich hätte er ruhig leben können, den er war ein sehr guter Mann. Durch den Tod dieser zween Männer, wodurch mein Mann Vortheil hatte, wollte er nun auch ein grössers Haus bewohnen. – O, wie gern wär ich in meinen kleinen geblieben! – Aber meine Vorstellungen drangen nicht [152r/309] durch. – Ich wollte es durch andere versuchen: – Aber da erhielte ich zur Antwort: Ihr Mann kann es ja thun. – Und die das sagten – wußten doch mehr wie ich! Auch für mich wollte er nun anfangen zu sorgen, wollte mich in die Christen-Mäkler-Wittwen-Cassa kauffen. – Ich frug ihn: „Ist’s den auch sicher?“ – Seine Antwort war: „Das sollte ich denken!“ Ich bat ihm, machte ihm Vorstellungen, den Plan mir zum Durchlesen vorher zu bringen – oder sich doch wenigstens vorher genau zu erkundigen? daß er etwas empfindlich wurde und sagte: „Wirst es doch nicht besser verstehen wollen als so viele grosse geschickte Rechenmeister in der Stadt?“ Eingekauft war ich; es kostete 400 Mark. Mit 4 Billets. Starb der Mann im ersten Jahr des Einkaufs, so bekam die Wittwe 100 Mark des Jahrs; im zweyten 200; im dritten 300; und im 4ten und mehreren Jahren 400 Mark festgesezt. Zulage war alle Quartal 16 Mark. – Nachdem der Einkauf geschenhen, bekam ich das Buch, wo in Artikeln die Einrichtung derselben abgefaßt stand, [152v/310] nebst meinen zierlich in Kupfer gestochenen 4 Billets darüber. Ich las solches sehr aufmerksam durch und, kurz, ich konnte mir nicht helfen, mußte die Anmerkung machen: „Ich bin kein grosser geschickter Rechenmeister; aber soviel kann ich mit eins übersehen, daß, wenn halbwegs ein Absterben unter die Männer kömmt, die ihre Frauens eingekauft, die Cassa in die Luft fliegt. – Kann 438 Eine Lederschürze, wie sie Handwerker tragen. 439 Die Hamburger Witwen- und Waisenkasse der beeidigten Christen-Makler war 1758 gegründet worden; s. dazu HHS, S. [617 f.] und Anm. 1089.
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nicht das außführen, was sie verspricht.“440 Herr Kummerfeldt wurde böse – aber ich konnte mir doch nicht helfen und mußte sagen: „Ich wünsche, daß du Recht und ich Unrecht behalte. Gott laß alle Männer leben, das keiner von denen Interesenten unter 20 bis 30 Jahren stirbt. – Sterben aber nur 10XLVIII alle Jahr und die Wittwenn haben Kinder, nur die Helfte von ihnen, so ist die Kassa in 10 Jahren zum Teufel? – Wirst’s erleben. Ich sage dir: hätt’s du mir das Buch vorher verschaft, wie ich dich gebeten: mich hättest du nicht hinneinkaufen sollen. – Hätte mir lieber die 400 Mark von dir geben laßen und die 64 Mark jährlicher Zulage, [153r/311] würde sie beßer zu nützen wissen. Und wenn die Cassa bankrott wird – wär ich mit meinen Kapitälchen gekommen und hätte gesagt: Da Lieber! daß habe ich dir und mir gerettet.“ Geschehen war’s, daß mir sehr leid war! Aber mein Mann konnte zuweilen von seinen Landsleuten nicht denken, daß es darunter Leute ohne Köpfe gab und seine Frau mehr Kopf haben sollte. – Blieb der Entscheidung der Zeit über, wer Recht behalten würde. Da ich nun einmal bei der Wittwencassa bin, muß ich mehr davon sagen. Gleich, da ich den Artikel VI las, machte ich meine Anmerkungen. Man lese und urtheile, ob da viel Kopf dazu gehöre, um anderer Meinung zu seyn als die meinige war? „Diese Pension (nehmlich 100 Mark par Billet) genieset eine Wittwe, wenn sie unverheurathet bleibt, zeitlebens; die unmündigen Kinder aber, wenn keine Wittwe am Leben ist oder solche innerhalb zehen Jahren nach ihres Mannes Tode verstirbet, zehn Jahre nach ihres Vaters Tode, [153v/312] es wäre dann, daß sie vorher ihre Majorenität441, welche bei den Söhnen nach den hiesigen Stadt-Gesetzen gerechnet wird, in Ansehung der Töchter aber gleichfals auf zweyundzwanzig Jahr gesezet seyn soll, erreichten oder sich auch vor Erlangung derselben verheuratheten, als in welchen Fällen die Pension aufhöret. Wenn aber eine Wittwe sich wieder verheurathet, so hat sie zwar nichts weiter zu empfangen; die unmündigen Kinder aber geniessen dennoch auf obige Conditionen die Pension zehn Jahre nach des Vaters Tode.“ Wenn auch noch so ehrlich die Verwalter der Cassa sind, konnte sie nicht bestehen. – Alle Jahr wurde ein neuer Verwalter oder Vorsteher gewählt. Und konnte es sich nicht treffen, daß der in seiner Familie einen schwindsüchtigen Herrn Vetter oder einen oder ein paar auf den lezten Füssen stehenden Freunde hatte, die wünschten, daß deren Frau mit ihren Kindern – und wenn sie auch noch so jung ist und wieder heurathet, doch 440 Kummerfelds Vorahnung bewahrheitete sich: Die Kasse hatte nur bis 1777 Bestand; Johann Augustin Kritter, Sammlung wichtiger Erfahrungen bey den zugrunde gegangenen Wittwen- und Waisen Cassen, Leipzig 1780, S. 5. 441 Majorennität: Volljährigkeit, Mündigkeit.
Zweytes Buch, 10. Kapitel | 757
die Kinder 10 Jahr nach des Vaters Tode die Pension [154r/313] von ein, zwey, drey oder vierhundert Mark zögen? – Bist ja nur ein Jahr Vorsteher! – Ein oder ein paar von meinen Vettern, wenn sie sterben, werden die Cassa nicht gleich ruiniren. Fallen den dir nicht so ganz zur Last; – oder machst dir doch ein paar gute Freunde; – oder thust gar ein gutes Werk! – – Halte man mich für christlich oder nicht: – Ich nenne das wie der Crispus oder Crispinianus442, wie sie geheißen haben sollen? Das Leder gestohlen und den armen Leuten die Schuhe davon gemacht. Ich hatte nun an die Christen-Mäkler-Wittwen-Cassa keinen Glauben. Ich sagte einmal, so nach meiner Art, wenn ich gern wissen wollte, wieviel die Klocken schlügen; daß mich mein Mann in die Cassa hineingekauft hätte. – Ich traf den endlich den rechten Mann, den er antwortete mir: „O, das ist vortreflich! Daß hat Herr Kummerfeldt recht gut gemacht – ist eine herrliche Einrichtung! – Meine Cousine N.N. genießt auch 100 Mark – freylich nur 100 – wenn doch der Mann nur et[154v/314]was länger gelebt hätte. – Dan hätte sie doch 200 Mark gehabt mit den Kindern. – Freilich hat es mir viele Mühe gekostet, den ihr Mann war gar zu schwach – der Tod war vor Augen da – aber der Jahrverwalter war mein guter Freund. – Schon im ersten halben Jahr starb er, nun ist daß der guten Frau und ihren Kindern doch eine grosse Hülfe, wenn es auch nur 100 Mark sind. –“ Ich sagte nichts – aber dachte: Da haben wir die Bescherung! – Wollte mich nicht weiter erkundigen – aber ohne zu erkundigen, starben die Herren Vettern und guten Freunde endlich so weg, daß erst im Jahr 1776 zum Osterquartal statt 16 20 Mark Zulage gegeben werden mußte. – Und daß war doch würklich nach der Einrichtung späth genug! Zehntes Kapitel Von häuslicher Einrichtung Ich hatte die wenigen Jahre meiner Ehe Freuden, aber gewiß, wenn ich meine Leiden dagegen auf eine Waageschale gelegt, so würden die leztern die ersten weit in die Höhe geschnellt haben. – Gelassen trug ich alles – niemand hörte mich klagen. [155r/315] – Kann und darf nichts vollkommen in der Welt seyn. – Hast dein Brod; lebst ohne Nahrungssorgen: – und die Hofnung: einst meine alten Tage – wenn ich alt werden sollte – in Ruhe zu schliesen – im Alter versorgt zu seyn: keines Menschen Gnade, 442 Crispinus und Crispinianus: Zwei christliche Märtyrer († um 287 in Soissons). Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und gleichzeitig für die Armen spenden zu können, hatten die beiden Schuhe angefertigt.
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leben zu dürfen – o, der Gedanke würkte so stark auf mein dankbares Herz, daß ich ja gern die einzigen in ihrer Art Originallaunen meines Mannes ertrug. Er hatte ja auch soviel Gutes! Gab mir so viele Beweise seiner Liebe – und vergaß nie, eine gewiße Art von zärtlicher Höflichkeit, von Hochachthung gegen mich, daß er mir lieb bleiben mußte. – Nichts von lächerlicher Ziererey und Affectation. Man sah, es kam von Herzen. – Ich leugne es nicht; dieses war wieder ein Punkt meiner schwachen Seite. – Alles hätte ich ertragen, nur das nicht: einen groben, ungeschliffenen Mann. – Durch mich und mein Versehen hätte er es nicht werden können. – Aber wie manches gutes Weib habe ich gekannt, die auch nichts dazu beitrug, [155v/316] und der Mann wurde doch ein Grobian. Wollte Gott! wollt Gott, daß ich in Hamburg unter denen, die meines Mannes Umstände kannten, nur einen aufrichtigen Freund gehabt hätte. – Oder er die Gabe der Aufrichtigkeit. – Und wußte doch, aus wie manchen verdrießlichen Handel ich ihm riß, wenn ich ihn wußte! – Hatte ihn sein gutes Herz verleidet, etwas zu thun, daß er nicht thun sollte; – hatte er sich wieder zu einen Schwamm brauchen lassen, den man nach Gefallen ausdrükte – nie machte ich ihm Vorwürfe, wenn ich es erfur. – Hier size ich und bezeige vor Gott! vor Gott dem Allwissenden, der alle seine Barmherzigkeit von mir wenden soll, wenn ich lüge. Ich verleitete nie meinen Mann zu unnüzen Ausgaben. In meinem Haus herrschte die grösste Ordnung. Hatten wir Gesellschaft, fehlte gewiß nichts, dem ohngeachtet ward man keine Verschwendung gewahr. Mit keiner Stafette ließ ich aus Frankreich Pasteten holen; auch wurden keine indianischen Vogelnester443 verzehrt, noch Ragau’s [156r/317] von Karpenzungen444 und mehr dergleichen theuren Ingredientien, die dazukamen, bei den berühmtesten Köchen bestellt. – Auch lebt ich in keinen solchen Zirkel von Freunden, die daß bei mir erwarten gewesen; im Gegentheil würde ich gewiß ihre Achtung verlohren haben, wenn sie dergleichen bei mir gefunden hätten. Die Moden in Kleidung war damals auch noch nicht so oft der Veränderung unterworfen wie heutzutage, – aber dem ohngeachtet machte ich gewiß auch die wenigen sehr selten mit. Sie mußten bequem seyn und mir nicht zur Last fallen, wenn ich sie mitmachen sollte. Daß war von jeher meine Meinung bei der Kleidung, die ich ausser 443 Die aus einem gallertartigen essbaren Stoff bestehenden Nester der Salanganen, einer in Südostasien heimischen Vogelart aus der Familie der Segler, in Deutschland als „Schwalbennester“ bekannt. 1834 wurde in Hamburg ein Pfund dieser Nester („wahrscheinlich von zweiter Qualität“) für 120 Mark Courant gehandelt; J. R. Mac Culloch, Handbuch für Kaufleute […], bearb. von C. F. E. Richter, 2. Bd., Stuttgart und Tübingen 1834, S. 1 f. 444 Ragau’s: Ragouts. Karpfenzungen: Der obere Teil des Karpfenrachens, der als das beste am Fisch galt.
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dem Theater trug. Die wenigen Kleider, die ich mir wärend meiner Ehe machen ließ, waren alle nur von Tafft, die ich kehren und wenden konnte, wenn sie alt wurden, wie ich wollte – wie die von Stoff, Adlas etc. etc., die ich mitgebracht, alle wurden, kaufte ich keine dergleichen an ihre Stelle wieder. Mein Schmuck, der nur Granaten in Gold gefaßt war, hatte mir mein Mann heimlich machen lassen. – „Alle tragen ja [156v/318] Schmuck! – Mußt auch einen haben. – Aber Juwelen bekömmst du nicht. – Die kann ich dir nicht geben?“ – „Habe ich nur diesen verlangt? – Nie werde ich was fordern, daß ich nicht brauche.“ So kann ich mit Wahrheit bezeigen, daß alle kleine Preziosen, die er mir nach und nach als Weinachtsgeschenke gab, er mir’s ins Haus brachte, ohne daß ich nur den Wunsch darnach geäußert. – Von Wäsche und Silbergeschirr war ich eine Freundin schon als Mädchen. Da ich noch bei dem Theater war, war’s Mode, daß man vielen Puz von gold- oder silbernen Spizen und Tressen trug. – Sobald ich’s thun konnte, kaufte ich alles echt. Auch meinen Bruder unterhielte ich im Gold und Silber, daß er auf Hüthen oder als Schleiffen an den Degen trug. – Wenn es alt geworden, so mußte er es mir wiedergeben, ich zopfte es aus, und hatte ich viel oder wenig, so schafte ich mir ein Stükchen von Silber an. Einen guten Vorrath hatte ich in Leipzig, da ich meinen Theaterstaad ablegte. Dieser wurde verwandt an Silbergeschirr. – Daher kam solches, auch meine Singe-[157r/319] und Meßgeschenke von Koch wurde daran verwendet. Daher kam’s, daß ich manches Stük neu mitbrachte. Auch bekam ich in Leipzig einige Geschenke von Silber in meine künftige Haushaltung. Jedes Stück war mit den Anfangsbuchstaben meines Namens bezeichnet. Mein Mann bekam auch Gefallen an Silber, den mehr fand ich nicht bei ihm wie 6 silberne Eßlöffel, und die waren alt und nicht einer wie der andere. – Herr Kummerfeldt, wie er nun einmal war, wollt mit eins viel anschaffen. – Ich sezte mich dagegen. „Laß alle Jahr etwas machen! – In einen mehr, in andern weniger, wie du es müßen445 kannst“. – „Hast recht, Liebe! – Und damit es nicht vergessen wird, so soll der 12. Aprill in jeden Jahr der Tag seyn, und es sei ein Geschenk von mir an dich – dein Name soll darauf, nicht meiner, damit es dir nach meinen Tode bleibt.“ Ich finde es in diesen Augenblick am schicklichsten – wie mein Mann für mich gedacht hat, etwas mehr zu sagen. [157v/320] Es wurde zwischen uns kein Ehekontrakt verfertiget, worinnen er mir eine gewiße Summe verschrieben, wovon ich – in Fall ich ihm überlebte – leben konnte.
445 Müßen hier im Sinne von: Können, vermögen.
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Man hatte es ihm abgerathen. Von ererbten Güthern konnte er mir nichts vermachen. Was er mir aber schenkte und was ich (mit einen Eide – dafern man einen Zweifel hätte) bezeigen könnte: daß er mir es geschenkt, wär und blieb mein; so wie alles, was ich an meinen Leibe getragen. – Dann fiel mir, wenn wir keine Kinder hätten, von seinen ganzen Vermögen von Geldern sowohl als Mobilien etc. etc. bis auf die geringste Kleinigkeit in und ausser den Hause die Hälfte anheim. – NB: ist zu verstehen, wenn keine Schulden da sind – „und die habe ich gottlob nicht!“ – sagte er mehr wie einmahl! Da nun durch den Tode des Herrn Gutharts sein Dienst ganz rein geworden, glaubte er, wenn ihm Gott das Leben schencke, mir mehr nach und nach geben zu können, als was er mir in einen Ehekontrackt hätte verschreiben können. Das sagte [158r/321] er mir, und ich, die ich die Hamburger Rechte nicht kannte, mußte ihn ja wol glauben? Auch glaube ich gewiß, daß er selbst nicht anders mag gewußt haben, und Gott soll mich bewahren, noch jetzt, gegenwärtig in diesen Stück, an seiner Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit zu zweifeln. Er war entweder falsch berichtet oder betrogen, und diejenigen, an die er sich wandte, wußten es etwa selbst nicht beßer oder hatten ihre Absichten, ihm daß so vortheilhaft für mich weißzumachen. Daß ich eine gute Wirthin von jeher war, das Zeigniß kann ich mir selbst so gut geben, als es mir die Welt giebt, die mich gekannt hat. Als gute Wirthin sparte ich die kleinen Geschenke an Geld, die mir mein Mann gab, zusammen. Mit die einigen Louidors, die ich noch mitbrachteXLIX, machte ich den Anfang zu meiner eigenen Cassa, legte die Geldgeschenke von meinen Mann dazu, und sie wurde genannt mein Spielgeld. – Geitzig war ich nie. – Wenn ich Dürftige fand, die hatten Theil daran – die ich den meine Armen nannte. – In Gesellschaft – wenn man solche mitmacht, muß man spielen können, ist und bleibt der Ton der [158v/322] Welt. – Auch ich spielte und war selten unglüklich, den hätte ich immer mehr verlohren wie gewonnen, keine Karte – (so wie ich es jezt halte) wär in meine Hand gekommen. Aber kein Hazardspiel446 spielte ich – auch in meinen Hause litt ich es nicht; und wenn je einer sich hinsezte und eine kleine Bank447 machte: – ehe sie es sich versahen, hatte ich unter lauter Possen, die ich machte, die Karten weggenommen. Zweymal machte ich den Spas, nie bekam einer wieder Lust, zum dritten Mal Bank zu machen.
446 Glücksspiel. 447 Bank bedeutet im Glücksspiel das Geld desjenigen, gegen den die übrigen Spieler spielen.
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In meinen Haus sollte sich niemand ruiniren oder ich Theil an seinen Ruin haben. Ich spielte aber immer ein gleiches Spiel. Nie zu hoch. – Das Höchste war die Marke448 zu 4 Schillinge in Whist, Triset 4 Schillinge. Tarok449 die Marke einen Dreyling. Niedriger konnte man von mir verlangen, so klein man wollte, ich spielte und verdarb kein Vergnügen. Wenn ich aber das Unglück hatte, mich in eine steiffe Gesellschaft zu verirren, wo alles hoch spielte, man Mienen machte, wenn ich sagte: Whist spielte ich nicht höher wie das Point450 vier Schillinge und Trisett ebenso! – so machte ich [159r/323] keine Complimente und sagte: „Spielen Sie Lomber451! Daß kann ich nicht. Mir soll die Zeit nicht lang werden“, und damit zog ich meinen Arbeitsbeutel aus der Tasche. – Ich bin die erste in Hamburg gewesen, die in Gesellschaften den Arbeitsbeutel mitzunehmen in die Mode gebracht hat – an den Arm solchen hängend hätte es mein lieber Gemahl nicht gelitten, glaubte, es wär eine Schande, es läßt nicht. – Darum trug ich ihn in der Tasche. Dieß alles mußte man so nach und nach an mir gewohnt werden, wurde es auch und machte es in kleinen Gesellschaften endlich gar mit. Nur in einen Fall war es möglich, daß ich mich in ein hohes Spiel einließ, nehmlich: in meinen Haus. Man bittet seine Gäste, kennt solche, weiß, die spielen hoch, jene niedrig; nun sezte ich sie immer so, daß die hohen Spieler an einen, die mitlern und ganz niedrig spielende wieder ihre Spieltische hatten; sorgte, daß mein Mann und ich immer übrig waren und bleiben konnten, im Fall eintreten zu können, wenn einer von unsern Gästen [159v/324] durch einen unvermuthenen Zufall absagen ließ – und man in Hamburg nicht sogleich einen andern an dessen Stelle bitten konnte, weil man ja wenigstens 8 Tage voraus seine Freunde bestellen muß, wenn man das Vergnügen haben will, solche bei sich zu sehen. – Ich weiß, wie seltsam mir das vorkam in Anfang, daß ich mit meinen Mann oft 4 und 6 Wochen voraus gebeten wurde und die InvitirKarten452 nach der Reihe am grossen Spiegel stecken hatte im Ankleidezimmer, den gewöhnlichen Plaz, wo solche hinplaziert werden. – Ließ nun ein hoher Lomberspieler absagen, so trat mein Mann an deßen Stelle. War’s ein Whistspieler, war ich zu Befehl.
448 Spielmarke. 449 Whist ist ein ursprünglich aus England stammendes Kartenspiel für vier Personen, aus dem das Bridgespiel hervorgegangen ist. Triset (Tressette), ebenfalls ein Kartenspiel für vier Personen, stammt wie das Tarock ursprünglich aus Italien. 450 Der Stich im Kartenspiel. 451 L’Hombre: Ein ursprünglich aus Spanien stammendes Kartenspiel für drei Personen. 452 Einladungskarten.
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Ich verlohr den gern und mein Männchen auch, und verlohren lieber beyde, als wenn einer von unsern Freunden hätte gegen seinen Willen in einen hohen Spiel verliehren sollen. – Mit Vergnügen mußten meine Freunde, die ich die Ehre hatte zu bewirthen, bei mir seyn. – Und ich weiß, sie waren’s. Elftes Kapitel Geldbelege453 Mit allen meinen eigenen und gesparten Geld hatte ich im October 1770 ein Kapitälchen von 400 Mark ban[160r/325]ko beisammen. Dieses wurde auf der Kammer belegt zu 3 p. c. curant. Mehr Procente giebt die Hamburger Kammer nicht. Im December 1771 wurde eine Renten-Lotterey gezogen. Man konnte 3, aber auch mehrere Procente gewinnen. Nach dem man nun viel oder wenige Procente gewann, wurde das Kapital nach einigen Jahren wieder gezahlt. Die 3 p. c. gewonnen, hatten den längsten Termin zu warten, nehmlich von den Tag der Ziehung 1771 bis in November 1782. Ich wollte es wagen, da das Loss nur 200 Mark banko kostete und ich soviel in meiner Spielcassa hatte, gab solche meinen Mann, und er war so gütig, mir noch ein Loss zu schenken. Die Lotterey wurde gezogen, und ich gewann auf ein Loss 8, auf das zweyte 3 p. c. – war damit zufrieden. – Nun hatte ich schon 800 Mark banko belegte Kapitalien; und in meine Spielcasse zu legen alle Jahr 34 Marck curant Interesse454. – Was war ich reich? Im Jahr 1773 kam eine Leibrenten-Lotterey zustande. Der kleinste Gewinnst war 7 p. c., da nahm ich auch ein Loss, den es kostete auch nur 200 Mark banko, [160v/326] und die hatte ich. Mein Mann sagte: „Da du so gut wirthschaftest, so sollst du auch von mir noch ein Loss zum Geschenk haben. Möchtest du recht viel gewinnen!“ 50 p. c. war der höchste Gewinnst. – „Was Gott mir bescheren will, bin ich zufrieden“. Eines Tags kömmt er nach Hause und sagte: „Höre! daß ist doch eine verdrießliche Sache. Die Tante (Madam Schreiber, mein Mann war ihr Curator geworden nach des Onkels Tode455) will auch in die Leibrenten-Lotterey sezen und hoft auf die 50 p. c.
453 Geldanlagen. Geld belegen: Geld anlegen; p. c.: pro cento = Prozent. 454 Zinsen. 455 Nach den Hamburger Statuta von 1603, die auch im 18. Jahrhundert Gültigkeit hatten, standen Frauen vor, während und nach der Ehe unter Vormundschaft. Hatte der Ehemann zu Lebzeiten keinen Curator für seine Frau bestellt, so wurden die nächsten eigenen Verwandten als gesetzliche Vormünder berufen;
Zweytes Buch, 11. Kapitel | 763
Ich sagte nichts, weil ich glaubte, sie will nur ein Loss nehmen; aber denke: nun will sie 3 Losse haben! Sind doch 600 Mark banko, und auf ihren Namen schreiben lassen?“ Ich: „Die Tante ist Herr von ihren Geld, kann damit machen, was sie will.“ Mein Mann: „Aber 600 Mark! – Ich hätte einen Einfall; wenn ich wüßte, daß du länger lebtest wie die Tante, so wollte ich lieber die RenteL auf deinen Namen schreiben lassen.“ Ich: „Nach den Jahren wahrscheinlich länger wie sie. – Aber Kummerfeldt! ja nicht ohne der Tante Vorwissen. – [161r/327] Mit ihren Willen. – Schlag ihr doch die Pauli vor!“ (Madame Pauli war die Nichte Mademoiselle Fritsch von meinen Mann, die sich im Jahr 1771 mit dem Herrn Unterlieutenant Pauli456 verehligt hatte) – „Oder eins von derselben Kindern.“ Mein Mann: „Ja, daß will ich thun. Zieht sie aber dich vor, und du solltest eher sterben – nun, so bezahle ich der Tante die Interessen, die sie gewinnt, solange sie lebt. Den mit ihren Tode wär ja ohnedieß das Kapital verlohren, sobald es auf ihren Namen geschrieben ist.“ Mein Mann gieng zu ihr hin und kam wieder. Ich: „Was hat die Tante gesagt?“ Mein Mann: „Ja, sie wil’s auf deinen Namen schreiben lassen; weil du so ordendlich lebtest.“ Ich: „Du hast ihr doch die Pauli vorgeschlagen?“ Mein Mann: „Ja, aber sie will nicht. Die bekäm so viele Kinder, käm nun bald mit den dritten nieder. Könnte, ob sie gleich jung wär, im Wochenbette sterben.“ Ich: „Oder auf der Pauli eins ihren Kindern?“ – Mein Mann: – „O, gar nicht! Kinder wären zu viel Gefahr un[161v/328]terworffen, hätten noch nicht die Pocken gehabt. – Nein, auf dich. Und besonders mit darum: weil, wenn du auch sterben solltest, sie die Interessen nicht verliehren soll.“ Ich: „Nun gut! – Aber ich frage die Tante noch selbst.“ Ich besuchte die Frau Tante, und in Gegenwart der jüngsten von denen unverehligten Schwiegerinnen, Margaretha von Bostel457, die zur Gesellschaft bei ihr lebte, wiederholte Madame Schreiber mir jedes Wort ebenso, wie es mein Mann mir gesagt hatte. Die Lotterey wurde gezogen. Ich gewann auf ein Loss 8 p. c., aufs zweyte 7 ½ p. c., das waren 31 Mark Interesse. Die Frau Tante auf jedes ihrer 3 Losse nicht mehr wie Diana Haji Mirza Massih, Das Hamburgische Vormundschaftsrecht im 19. Jahrhundert, Hamburg 2011, S. 450 und 493. 456 Catharina Fritsch hatte sich am 16. April 1771 mit Johann Peter Pauli (1730–1800) verheiratet; HHS, Anm. 1098. 457 Anna Margaretha von Bostel (1735–1810).
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7 p. c., mithinn 42 Mark Interesse, die ich ihr jedesmal, wenn mir mein Mann die 73 Mark von der Kammer brachte, gleich 42 Mark davon zuschickte oder selbst hintrug. Jetzt war ich 1200 Mark banco reich, den der Tante ihr Capital rechnete ich wahrlich! nicht für das meinige, und hatte 65 Mark Interesse alle Jahr für mich. Was meine gewißen Geschenke im Jahr an Geld von [162r/329] meinen Mann waren, geschah Neujahr, wo ich 2, auch wohl 3 Ducaten von ihm bekam, und sooft er bei seinen Geschäft in der Bank ans Buch kam, wie es hies, weil er dann grössere Einnahmen hatte, allemal einen Speties-Thaler458. Dieses traf sich im Jahr 4-, auch wohl 5 mahl. Nun hatte ich lange nichts belegt und eine artige Summe beisammen. Ich machte einen nachbarschaftlichen Besuch bei Madame Amberg459, einer sehr guten und lieben Frau. – O, die! – Die mochte viel wissen, was ich nicht wußte. – Sie selbst lenkte das Gespräch auf die Frage: ob auch mein Mann in den ein und andern Stück für mich gesorgt hätte? Aufrichtig sagte ich ihr, was ich an Kapital hätte, und daß er mich in die ChristenMäckler-Wittwen-Casse mit 4 Billette gekauft. Madame Amberg: „Ich wollte, er hätte Sie in die Kahlenberger Wittwencasse460 gekauft. Die ist viel besser.“ Ich: „Die kenne ich gar nicht.“ Madame Amberg: „Mein Schwiegersohn461 [162v/330] hatte meine selige Tochter selbst hinneingekauft. – O, Sie müßen sich auch von Herrn Kummerfeldt hineinkauffen lassen.“
458 Zu Speziestaler s. HHS, Anm. 1095. Ein Hamburger Speziestaler hatte den Wert von 3 Mark Banko. 459 Die Kaufmannsfamilie Amberg hatte einen Wein- und Commissionshandel in der Neuenburg, einer Straße im Hamburger Nikolaiquartier. Ehemann der Frau Amberg war wohl Johann Diedrich Gerhard Amberg, der Sohn Melchior Amberg übernahm die Handlung nach des Vaters Tod (Melchior Amberg & Sohn); Hamburger Kaufmannsalmanach auf das Jahr 1785, S. 1; Adressbuch 1788, S. 4.: http://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/digbib/view?did=c1:154329&sdid=c1:154335&hit=13, Zugriff am 7.7.2020. 460 Die Calenbergische Witwen-Verpflegungsgesellschaft, die größte Witwenkasse Deutschlands, wurde 1766 gegründet. Sie geriet 1780 in die Krise und lief 1851 aus. Lit.: Johann Augustin Kritter, Sammlung wichtiger Erfahrungen bey den zugrunde gegangenen Wittwen- und Waisen Cassen, Leipzig 1780, S. 5, 25; Friedrich Ebel (Hg.), Quellennachweis und Bibliographie zur Geschichte des Versicherungsrechts in Deutschland, Karlsruhe 1993, S. 322; Rosenhaft, Geschlecht. 461 Gestrichen: der Herr Licentiat Bokelmann. – Georg Ludwig Bokelmann (* 1. Febr. 1748 Bergen/Hannover, † 1822 Itzehoe), 1770 Lizentiat der Rechte in Göttingen, Advokat in Hamburg; Lexikon Schriftsteller 1, Nr. 377. Bokelmann war wohl in erster Ehe mit Margaretha Amberg verheiratet.
Zweytes Buch, 12. Kapitel | 765
Ich: „Liebe Madame Amberg! Wie kann ich das? – Mein guter Mann hat ja schon so viel für mich gethan? Wenn ich nun stirbe, so verlöhr er so viel und müßte ja auch noch die Interessen der Leibrente an Madame Schreiber bezahlen – ich sterbe gewiß eher wie mein Mann. Sie wißen, wie oft ich krank bin. Fühle mehr, als ich sage – aber der gesunden Tagen zähle ich seit Jahren wenige – kann ihm nicht um soviel Geld bringen.“ Madame Amberg: „Liebe Madame Kummerfeldt! Sie bringen ihm auch nicht darum? Den in Fall Sie auch sterben sollten, so bekommt Herr Kummerfeldt das Capital wieder.“ Ich: „Würklich? – Ja, wenn daß ist, will ich mit ihm reden.“ Jetzt machte mich Madame Amberg mit der ganzen Einrichtung der Kahlenberger Wittwencasse bekannt. Ich kam nach Hause, zählte mein Geld und hatte etwas über 100 Thaler beisammen. Mein Männchen kam nach Hause und brachte eine gute Laune mit, und so konnte [163r/331] ich von der Sache mit ihm sprechen. „Von mir bekommst du 100 Thaler. Das Capital von 100 Thaler kostet dich also nichts. Die Symbla462 aber und den Ankauf müßtest du den freylich bezahlen. – Den habe ich nicht.“ Kummerfeldt sagte, weil, wenn ich stirbe, das Geld nicht verlohren wär, so wollte er mich hinneinkaufen. Und wenn er nicht zu viel nachzuzahlen hätte, wollte er noch 300 Thaler zulegen, daß ich mit 400 Thaler in der Cassa wär. Die Zulagen kamen ihm zu hoch, so sagte er: „Nur mit 300 Thaler habe ich dich überhaupt einkaufen können. Zulegen kann ich immer, und wenn mir Gott das Leben schenkt, will ich alle Jahr 100 Thaler nachlegen. – Kann ich’s aber nicht, nun, so hast du doch 300 Thaler Revenüen463 gewiß, im Fall du mich überlebst.“ Eingekauft wurde ich zu Anfang des Jahrs 1776. Dieses waren die Summen, die mein Mann für mich verwendet hatte und die er fest glaubte, daß sie mein wären. Zwölftes Kapitel Ja, so mußte ich handeln Was für manche Hausfrau ein wahres grosses [163v/332] Unglük ist, wär für mich ein Glück gewesen: Nehmlich: wenn mein Mann gegen mich Geiz geeisert464; wenn er gebrumt, wenn ich gesagt: Kummerfeldt! Mein Geld ist alle. – Nein, im Gegentheil, 462 Simpla = Plural von Simplum: Das einfache einer Summe, eine einfache Abgabe. Hier sind wohl die Beiträge zur Kasse gemeint. 463 Revenue: Ertrag, Einkommen. 464 Geäußert.
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sagte er: „Bist lange ausgekommen, Liebe! – Laß dir ja nichts abgehen, wenn ich in der Bank speise und am Buch bin!“ – „O, gewiß nicht, lieber Wilhelm!“ – Ihn schickte ich, was ich wußte, daß er gerne essen mochte und seine Herrn Collegen – ich für mich hatte kein anderes Gericht als daß, was meine drey Bediente hatten. Meine Seele lag ja nie in den Magen. Wär er aber geizig gewesen gegen mich; hätte ich mit Brummen jeden Groschen von ihm bekommen: ja, dann hätte ich ihn sicher betrogen. Jedes Stück, daß ich mit meinen Händen gearbeitet, hätte er mir bezahlen müßen; für jedes Stück, daß ich gekauft, mehr gefordert; – hätte ich es nur gewußt, wie sehr er verschwendet, ich hätte mitverschwenden wollen, daß er wenigstens 4 Jahre eher hätte da stehen sollen, wo er stand, als keine Hofnung mehr zu seinen längern Leben war. Ich hätte die Rolle der Frau von Ehrlichsdorf in der [164r/333] Komödie Der Verschwender465 gespielt und ihm von seiner Blindheit geheilt – und mein Wilhelm, mein guter Mann, lebte vielleicht noch. – Aber leider! leider, ich wußte von nichts, und die es wußten, sagten mir nichts und sprachen untereinander: Wir wollen die Frau in ihrer glücklichen Unwißenheit lassen – daß waren ihre Worte. Wenn ein Mann, auch bei allen Eigensinn, so viel gutes Herz gegen seine Frau hat: wie hätte ich ihn betrügen können? Nicht um einen Schilling! – Wie oft gieng ich zu Fuß, wenn andere gewiß sich fahren liesen. Wenn ich den weiten Weg nach der Kapelle in den elendesten Wetter gieng – er es oft nicht wollte, sagte: „Laß dir doch einen Wagen holen!“ – „Nicht doch, liebes Mänchen, ich ziehe mich darnach an – wir machen in unsern Kirchen keinen Staat466.“ – Wenn den die Kirche aus war und man sagte: „Aber sagen Sie, Madame Kummerfeldt, warum gehen Sie bei den Wetter? – Wenn Sie nicht fahren, wer soll den fahren?“ – – „Die, die auch fahren können, wenn der Mann nicht mehr lebt. Sollte ich das Unglük [164v/334] haben, meinen Mann zu verliehren, so kann ich daß nicht mehr thun, was ich jezt thun könnte. – Den mit ihm stirb[t] sein Dienst – nicht so bei einer Handlung. Jezt sind meine Füsse noch jung, will sie nicht von den Zufußgehen entwöhnen, daß sie es im Alter nicht etwa erst wieder lernen müßten.“ Ich war zu stolz! Mir sollte man nicht nachreden: Ja, nun kann sie gehen, aber wie der Mann noch lebte, nicht quer über die Gasse. In manche Visiten fuhr ich nicht hinn; nach Hause? ja, wenn’s sehr weit war. – Sogar Staats-Wochenbettenvisiten467 machte ich zu Fuß. – Und so eine Visitte in Hamburg zu Fuß machen, war ein starkes Stück gegen die Etikette. Drey Domestiken hatte ich, 465 Der Verschwender oder Die ehrliche Betrügerin, Übersetzung des Lustspiels Le Dissipateur ou l’honnête friponne von Philippe Néricault Destouches. 466 Kleiderpracht. 467 Staatsvisiten: Im Sinne von offiziellen, feierlichen Besuchen.
Zweytes Buch, 12. Kapitel | 767
zwoo Mägde und einen Bedienten. Aber wer kann sagen, daß ich jemals den Bedienten hätte auf meinen Wagen steigen lassen? – Wie oft geschah es, daß, wenn ich mit meinen Mann in Gesellschaft fuhr, er oder ich uns den Wagen selbst aufmachten? Daß man sich halb todlachen wollte, einen Bedienten zu haben und nicht sich solchen zu bedienen und seinen geherigen Posten anzuweisen? – Ihn abzuschaffen, hatte ich lange in Sinn, sobald er versorgt wär. – Er wurde es, und ich sorgte, [165r/335] daß, nachdem wir ihn 5 Jahre gehabt, kein anderer an seine Stelle kam. Wenn ich bei der Ankunft der Durchlauchtigsten Herzogin von Mecklenburg-Schwerin468 und der Durchlauchtigsten Prinzes Ulrika von Mecklenburg-Schwerin469 meine erste unterthänige Aufwartung zu machen die Gnade hatte, ja, da nahm ich des Meldens wegen einen Bedienten auf meinen Wagen, aber nie meinen. Mein Friseur mußte seinen Puderrock ausziehen und hinten aufsteigen, den er that auch LehnbedientenDienste470, den gab ich lieber für das eine Mal seinen Mark libisch471. Ich brauchte ihn ja nur ein Mal im Jahr zu den Dienst? Den bei der ersten Aufwartung, wo ich die hohe Gnade hatte diese verehrungswürdigen Fürstinnen zu sprechen, erhielte ich den gnädigen Befehl, daß sie mir sagten: „Dienstags und freytags des Morgens ungemeldet kommen Sie.“ Nun nahm ich keinen Wagen und Bedienten wieder, gieng zu Fuß: – O, daß wär für mich zu viel Aufsehens gemacht gewesen, wenn der Wagen von 10 des Morgens bis oft nach ein Uhr hätte halten müßen; der Kutscher die Neugierte der [165v/336] meisten Vorübergehenden zu stillen, die den fragen, sobald ein Miethwagen vor dem fürstlichen Hause hält: Wem hat er gefahren? – der ganze Jungfernstieg voll Menschen stand, um zu sehen: wer wegfährt. – – Hatte leider! den Anblick immer bei der ersten Aufwartung. Nein, da gieng ich nachher bescheidendlich zu Fuße; gieng in das Haus und wieder herraus, man wußte es nicht. Man hatte die hohe Gnade, mich gern zu sehen. – Süßes Angedenken! Wie wohl thust du noch meinen Herzen. Aber wie trauerte es, da ich erfur, das eine dieser grossen
468 Herzogin Luise Friederike von Mecklenburg-Schwerin (1722–1791) hielt sich während der Sommerzeit regelmäßig in Hamburg auf, seit April 1763 in einem von ihr erworbenen Haus am Jungfernstieg/Ecke Große Bleichen. Wie ihre Schwägerin Ulrike Sophie, die sie alljährlich nach Hamburg begleitete, war Luise Friederike theaterbegeistert und wie sie übersetzte sie ein Theaterstück aus dem Französischen; HHS, Anm. 628. 469 Prinzessin Ulrike Sophie geb. Herzogin zu Mecklenburg-Schwerin (* 1. Juli 1723 Grabow, † 7. Sept. 1813 Rostock); HHS, Anm. 629. 470 Gemeint ist wohl: Lohnbedienten-Dienste. 471 Die Lübische (= lübeckische) Mark, die auch in Hamburg galt.
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Fürstinnen nicht mehr sey? Sie ist tod, aber nicht ihre Tugenden. O, die werden noch lange, lange leben in der Herzen derer, denen sie wohlthat. Noch lebt die Durchlauchtigste Prinzeß UlerikaLI! Nie kann ich mehr hoffen, mit der tiefsten Ehrfurcht ihre Hand zu küßen. O Gott, erhalte sie! Guter Vater im Himmel, erhalte und beschütze sie! – Ich darf es ja nicht allein denken, ich da[r]f es sagen: meine fürstliche Freundin. [166r/337] Dreizehntes Kapitel Gott bewahre alle ehrliche Menschen für solche gute Freunde So war ich. – O, daß es mein Mann auch gewesen! – Oder, da er es nicht seyn wollen, hätte er es nur nicht an undankbare verschwendet. Mein Verstand stand stille, als ich erfur, wie abscheulig, wie so ganz ohne Nachdenken er sich hat können bestehlen lassen? Bestehlen! – Jeden Lobspruch, den man seinen Gelde machte, glaubte er, es gelte ihn. – Und eben die, die er für seine besten Freunde hielte, zogen ihn aus. Zu Hunderten verschenkte er es, zu Tausende verbürgte er sich. Wie er noch der Jüngste mit in der Bank war und nur 1000 Mark Einkünfte hatte, hatte er einen Umgang mit Herrn Most und seiner Frau472, die sehr reich gewesen seyn sollen, aber durch ihre Schlampampen-Wirthschaft473 sich gänzlich ruinirt. Für diesen Mann, der sein Freund war, hat er von dem Herrn Herzog 1200 Thaler banko aufgenommen, die er für diesen Most bezahlt. – Mir sagte es die ehemahlige Madame Herzog wenige Tage vor meines Mannes Tode. – (Sie hatte ihren ersten Mann verlohren, war nun zum zweyten Mal verheurathet in Altona mit Herrn Beelendorb474). „O Lieschen, warum schriebst du mir dieses nicht nach Leipzig! – Nimmermehr würde ich Kum[166v/338]merfeldt, so lieb er mir gewesen, geheurathet haben, wenn ich gewußt – er hätte Schulden.“ 472 Ehepaar Most: Nicht ermittelt. 473 Schlampampen: Prassen, Schlemmen, in Saus und Braus leben. 474 Das Neue Hamburger und Altonaer Adressbuch 1789, S. 174 nennt einen Jacob Beelendorff, Tabakhändler in Altona: http://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/digbib/view;jsessionid=E9E7B51DC6CAEECC55807678D4C2E19E.agora13?did=c1:153596&sdid=c1:153693, Zugriff am 7.7.2020. 1790 wird die Witwe des Jacob Beelendorp genannt; http://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/ digbib/view;jsessionid=E9E7B51DC6CAEECC55807678D4C2E19E.agora13?did=c1:392490&sdi d=c1:392622, Zugriff am 7.7.2020.
Zweytes Buch, 13. Kapitel | 769
Madame Beelendorb: „Dein Mann hatte schon lange meinen verstorbenen Mann wieder bezahlt. – Sein Dienst mußte auch beßer noch werden. – Leider habe ich, da du schon seine Frau warst, erfaren, wieviele solche Schulden er noch hatte. Und wie große Summen er, seitdem du mit ihm verheurathet bist, nach und nach abtrug.“ Most mußte ihm viele Summen gekostet haben, den man denke selbst nach wegen der Länge der Zeit, daß dieser Umgang gedauert? Ein Kapital von 750 Mark banko – war es Bürgschaft für Most oder hatte er es für ihn bar aufgenommen, weiß ich nicht – hatte der Juwelierer, Herr Peter Joachim Hacke475, noch zu fordern, die mein Mann kurz vor seinen Tode im Anfang des Januars 1777 bezahlt. Die Quittungen von denen Interessen dieser 750 Mark banko, die mein Mann alle halbe Jahr richtig bezahlt, sind noch zum Theil in meinen Händen. Die erste 6monatliche Quittung ist datirt Primo Aprill 1764 und bezahlt mit 15 Mark banco. So hat er für [167r/339] diesen Freund Most nicht allein Kapitalien bezahlt, sondern auch sogar die Intereßen, 13 Jahre. Man rechne nach: 750 Mark banko Kapital; alle Jahr 30 Mark banko Interesse, macht in 13 Jahren 390 Mark banko. Und nun 750 dazu, sind 1140 Mark banko, ohne die zwölfhundert Thaler banko mit denen Interessen. Daß ist, was ich nur weiß? – Was mag ihm nun das Haus gekostet haben, wovon ich nichts erfur? Und der Most war in meines Mannes Augen einer der redlichsten Männer in Hamburg. Gesehen habe ich den theuer Freund zweymal. Einmal in seinen Haus und einmal in den unsrigen; seine zwo Töchter öfterer – gute Mädchens – was konnten die Kinder für ihre Eltern? Und wie ich den Herrn Most die zweymal sprechen hörte, war der liebe Gott und Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit immer in seinen Mund. – Mein alter Schwager Fritsch sagte einmal zu mir: „Ist ein schlechter Kerl, der Most.“ etc. etc. – Dieses hielte mich vom zweyten Besuch ab. – Aber mein Mann wußte ihm zu finden bis an sein seliges Ende. Er starb [167v/340] im Jahr 1770, und da mußten ihm alle quittiren, daß er sie bezahlt hatte. Im Jahr 1775 – und wenn ich mich noch recht besinne, so war es den 21. September den Abend, war bei mir: Frau Licentiat Dresser476 mit Madame Schütt477. Wir drey Frauen 475 Peter Joachim Hack(h)e (* 19. Juli 1724, † 3. Sept. 1797), Juwelier; Wolfgang Scheffler, Goldschmiede Niedersachsens. Daten – Werke – Zeichen, 1. Halbbd., Berlin 1965, S. 583 Nr. 468. 476 Hanna Margaretha Balcke war seit 1763 mit Lic. Johann Philipp Dresser (* 3. Juni 1734 Hamburg, † 23. Okt. 1783 Hamburg) verheiratet, einem Mitglied der Freimaurer-Loge „Absalom zu den drei Nesseln“. Karoline Kummerfeld hatte das Ehepaar Dresser bereits 1765 kennengelernt; HHS, S. [342 f.]. 477 Möglicherweise die Ehefrau des Hamburger Arztes Hans Peter Andreas Schütt (1750–1802); Lexikon Schriftsteller 7, Nr. 3612. Schütt war Meister vom Stuhl der Hamburger Loge Ferdinande Caroline zu den drei Sternen, also Freimaurer wie Diedrich Wilhelm Kummerfeld und Johann Philipp Dresser.
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sassen so ruhig beisammen, da mein Mann nach Hause kömmt; aber so alterirt, daß ich glaubte, er wär vom Schlage getroffen. Ich flog von meinen Stuhl auf. „Um Gottes willen, lieber Kummerfeldt, wie siehst du aus? Was fehlt dir?“ – Er würft sich auf einen Stuhl, schlägt die Hände zusammen und sagt: „Was meinst du, Liebe! – Morgen kommen Schwerdtners zu Rath ein“.478 – Es war mir nicht anders, als göß man mir kaltes Wasser über den Kopf. – Doch faßte ich mich, so gut ich konnte, gab ihm Citronensafft mit kalten Waßer, strich ihm die Sch[l]äffe mit Kräuteressig – den ich hatte immer eine kleine Haußapotheke bei der Hand. – Und wie ich so mit ihm beschäftiget bin, sage ich: „Lieber Kummerfeldt, das Unglück hat ja mehreren von deinen Freunden getroffen. Du hast theil daran genommen; aber [168r/341] so habe ich dich nie gesehen.“ Mein Mann: „Aber, Liebe! Denke nur, mein Bruder Hinrich verliehrt so viel – Allkover479, Cassens480, just alle ihre besten Freunde! – Und mein Bruder!!!“ Ich nehme eine so heitere, ruhige Miene an, als ich nur konnte, nehme seine Hand, drücke sie fest in der meinigen, blicke ihn scharf in die Augen und sagte lächelnt zu ihm: „Du verliehrst doch nicht auch?“ – „Bewahre Gott!“ antwortete er mir. – Da ich Besuch hatte, so würde es sich nicht geschickt haben, weiter davon zu sprechen. – Mein Mann hatte sich erholt, wollte nicht bei uns bleiben, so sehr ich’s wünschte, und gieng nach der Loge481, die den Abend gehalten wurde. Ich konnte, wie er weg war, meine Besorgniß nicht zurükehalten und sagte zu meinen Freundinnen: „Wenn mein Mann nur nicht meinen Bruder sein Geld dahinn gegeben hat“ – (den mein Mann hatte von meinen Bruder noch 1200 Thaler in Händen, die er für ihn in Hamburg hat belegen sollen). – Des Nachts kömmt er mit Herrn Licentiat Dresser gefahren, sehr vergnügt und heiter. Meine Gesellschaft fuhr nach [168v/342] Hause, und wir giengen nach unsern Schlafzimmer, ohne ein Wort von der Sache zu sprechen. Mein Mann schlief sehr ruhig, aber ich konnte die ganze Nacht kein Auge schließen. Ich saß im Bette und betrachtete ihn und seinen ruhigen Schlaf. – „Nein, nein so ruhig könnte er nicht schlafen, wenn er Verlust hätte. – Aber meines Bruders Geld – sollte er so unvorsichtig gewesen seyn?“ etc. etc. O! wie dachte ich nach! Wie bereitete ich mich auf den morgenden Tag vor!!
478 In Hamburg bedeutet „zu Rat einkommen“: Durch eine Eingabe an den Rat seinen Bankrott erklären. Zum Verfahren s.: Der Stadt Hamburg Neue Falliten-Ordnung. Auf Befehl E. Hochedlen Raths publicirt d. 31. August 1753 (Digitale Ausgabe http://resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/PPN779956206, Zugriff am 7.7.2020). 479 Allkover: Nicht ermitttelt. 480 Cassens/Carstens: Nicht ermittelt. 481 Diedrich Wilhelm Kummerfeld gehörte seit 1770 den Freimaurern an; s. HHS, S. [637]–[641].
Zweytes Buch, 13. Kapitel | 771
Den Morgen, als wir frühstückten und mein Mann ziemlich heiter war, so fieng ich so an mit ihm zu sprechen: „Lieber Kummerfeldt! Du hast mir gestern Abend einen grossen Schröck gemacht. – Ich konnte, weil wir nicht allein waren, nicht weiter mit dir sprechen. Ich wiederhole es noch einmal: daß ich dich bei eines andern Unglük nie so theilnehmend sah. Ich bitte dich um Gottes willen, sey aufrichtig! – Verliehrst du auch bei Schwerdtners, so hat dein gutes Herz dich dazu verleitet. – Was geschehen ist, ist nicht zu endern. Hier Verlust: – und von der andern Seite muß so gut wie möglich solches wieder ersezt werden. – Höre, [169r/343] mein Lieber! – Hast du verlohren, so wollen wir uns so gut wie möglich einschränken. Wir wollen, solange der Schaden nicht ersäzt ist, keine grosse Mahlzeiten geben; nicht spazierenfahren; in keine grosse Gesellschaften gehen – und hauptsächlich nichts kauffen oder machen lassen, was nicht höchst nothwendig ist. – Nur bitte ich dich, sey aufrichtig! – Glaube nicht, wenn du auch noch soviel Schaden leiden solltest, daß ich dir Vorwürffe machen werde. – Aber sey offenherzig gegen mich. – Wie kann ich mich hie und da genug einschränken, wenn ich nicht den wahren Zustand meines Mannes weiß? – Du kennst mich! – Ich esse ebenso vergnügt mein Stükgen Butterbrod als andere ihre grossen Traktamente, und sind bei weiten nicht so vergnügt dabei wie ich.“ Mein Mann: „Ich bitte dich um Gottes willen, Liebe! – Siehst du mich den für so toll an, daß ich an Schwerdtners Geld geben sollte? – Ist es nicht genug, daß mein Bruder so viel verliehrt? Habe ich mich auch sollen betrügen lassen? – Habe ich nicht die ganze Wirthschaft [169v/344] vorhergesehen, daß es mit Schwerdtners keinen Bestand ha[ben] könnte? – Sei ruhig, mein Kind! Gottlob! ich verliehre nichts.“ Ich: „Gut, mein Kummerfeldt! Du beruhigst mich; ich glaube dir. – Aber du weißt, ich kann keinen dir nachtheiligen Gedanken auf meinen Herzen haben. – Ich will dir nun aufrichtig gestehen, daß ich diese Nacht kein Auge zugehabt. Siehe, ich habe gedacht: du hättest meines Bruders Geld an sie gegeben; und weil du damals so aufgebracht wurdest, wie ich dich frug: wo du meines Carls Geld belegt? – so dachte ich, du hättest es mir nicht sagen wollen, weil du wußtest, daß ich nie viel von der Schwerdtnerschen Haushaltung was gehalten habe. – Aber nun sage mir: Wo hast du Carln sein Geld hingethan?“ Mein Mann: „Nein, mein Kind! Wegen Carls Geld, da sey ganz ruhig. Du mußt wissen, mit Carls Geld da discontire482 ich auf Wechsel.“ Ich: „Doch wol sicher?“ [170r/345]
482 Discontieren: Einen noch nicht verfallenen Wechsel vor der Ablaufzeit ankaufen oder verkaufen an jemand, der ihn sofort bezahlt.
772 | Weimarer Handschrift (WHS)
Mein Mann: „O ja! Auf His483, Matthiessen und Sillem484, Port485“ etc. etc. Lauter Männer, die ich kannte und in den besten Ruhf mit Recht standen. – Die Aufrichtigkeit, die in seinen Ton und Gesicht war, ließ mich keinen Augenblick an der Wahrheit zweifeln. Herr Schwerdtner486 war ein Regenspurger, der mir bekandt wurde als ein braver, rechtschaffener Mann, aber zu wenig Herr in seinen Haus. Durch seine Frau schrieb sich die Verwandtschaft her mit meines Mannes Familie. Kinder, ganz erwachsene, hatten sie damals noch vier Töchter und einen Sohn im Hause. Die Mutter stellte vor der Welt eine wichtige Person auf ihres Mannes Contoir vor. – Wenn man des Morgens von ohngefehr kam; hatte sie meist eine Feder hinter dem Ohr. – Sie wußte um das ganze Geschäfte ihres Mannes, der ein Mäckler war oder Commissionshandel trieb; – führt die Correspontenz, trug die Briefe ins Hauptbuch – und versah die Stelle des ersten Contoirbedienten. – Oft unterbrach sie sich mitten in Briefschreiben und kam zu ihren Demoiselles Töchtern und sagte: „Holt die Butter, es ist Zeit, und [170v/346] gebt sie der Köchin.“ – Aber wenn die lieben Mademoisells bei dem Filletstricken487 dasaßen, hies es „Hol sie die Mama selbst! Kan mir jezt nicht die Hände fuhl*488 machen.“ Mama schüttelte wol den Kopf, aber holte doch die Butter selbst. – Gott weiß es! mir waren sie alle fatal. Wenn mein Mann von den Verdiensten dieser Frau sprach, so konnte ich freilich nicht umhin zu sagen: „Der Contoirbediente würde daß nicht kosten, was die Töchter verschlampampten. Wär beßer, sie lehrte die besser wirthschaften und ließ sie nicht alle Moden mitmachen.“ – Daß war das einzige Haus, wo mich mein Mann
483 François His (1725–1803), Kaufmann und Bankier („Merchant Banker“) in Hamburg, Sohn des sehr wohlhabenden Bankiers Pierre His (1692–1760). Nach dem Tod des Vaters wirtschaftete François His das große Geschäftshaus „Pierre His et Fils“ so herunter, dass es 1781 die Zahlungen einstellen musste. Lit.: Schramm, Art. Pierre His; Pohl, Bankengeschichte, S. 35 f.; Klaus Weber, Deutsche Kaufleute im Atlantikhandel 1680–1830, München 2004 (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 12), S. 247 f. 484 Das Bankhaus Matthiessen & Sillem wurde zu der Zeit von Conrad Johann Matthiesen (* 15. Juli 1751 Hamburg, † 23. Jan. 1822 Paris) und Garlieb Helwig Sillem (* 29. Aug. 1728 Hamburg, † 10. Juli 1801 Wellingsbüttel) geleitet. Lit.: W. Sillem, Conrad Johann Matthiessen, in: Mitteilungen des Vereins für Hamburgische Geschichte, 5. Bd., 14. Jg. 1891, S. 303–312 und 319–325; H. Carl Sillem und HansWolf Sillem, Genealogie der Familie Sillem in Deutschland, 2002; Hans-Wolf Sillem, Die Sillems in Hamburg, Hamburg 2005. 485 Nicht ermittelt. – 1788 ein Juwelenhändler von der Porten genannt. 486 Johann Christoph Schwerdtner (1713–1774). Mit seiner Ehefrau Anna Margarethe Stamer hatte er drei Söhne und sieben Töchter; HHS, Anm. 853. 487 Filetstricken: Eine alte Stricktechnik. 488 Von Kummerfeld am Rand mit * eingefügt: „Ein Hamburger Wort, soviel als: schmutzig“.
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bitten mußte, wenn ich mit ihm hinn sollte. – – In der Geschichte meines Lebens489 sind die theuern Freunde und Verwandte ganz auseinandergesezt; und es hat mir viel Zwang gekostet, in diesen Blättern von ihnen bis jezt zu schweigen; nur daß es eben und dieselbe Madame Schwerdtner ist, mit der ich mich an meinen Hochzeitstag viertehalb Stunden unterhalten, muß ich erinnern, und man kann denken, wie mir die Unterredung behagt hat. [171r/347] Vierzehntes Kapitel Madame Schwerdtner und ihre Töchter in Trauer Herr Schwerdtner war einige Jahre sehr krank, bekümmerte sich nicht und konnte sich auch nicht um die Brodgeschäffte bekümmern, alles das trieb der Herr Sohn und die Frau Mama. Wieviel List und Schmeicheleien sie gebraucht; was Mama mit den Kindern alles meinen Mann mußten vorgelogen haben, daß weiß ich nicht. Den mich konnten sie bei dem saubern Schelmstückarbeit freilig nicht gebrauchen. Kurz, wie sie sahen, daß der Mann nur noch eine kurze Zeit leben konnte, schlugen auch sie meinen schon so oft betrogenen Mann breit, daß er ihnen tausend Thaler banko (macht viertausend Mark curant) geben oder verschaffen sollte, auf 6 Monat wieder zu bezahlen. – Mein Mann hatte es nicht baar stehen, spricht also mit den Juden, Herrn Popert490, einen grundrechtschaffenen und braven Mann: Herr Kummerfeld: „Herr Popert! Könnten Sie mir wohl 1000 Thaler banko für einen Freund geben?“ Herr Popert: „Wenn ich weiß, für welchen? ja, warum nicht!“ Herr Kummerfeld: „Für Herrn Schwerdtner“. Herr Popert: „Herr Kummerfeldt! Ihr Wort in Ehren! – Aber Herrn Schwerdtner kenne ich nicht, – nicht an der Börse [171v/348] als einen Mann, der für mich für tausend Thaler Credit hätte.“ – Mein Mann wollte sich seines Herrn Vetters annehmen, aber Herr Popert blieb dabei: „An Schwerdtners nicht einen Schilling.“ Herr Kummerfeld: „Wenn ich aber nun Bürgschaft für ihn leiste.“ 489 Hier verweist Kummerfeld auf die Hamburger Handschrift. Zum Hochzeitstag und der Unterhaltung mit Madame Schwerdtner s. HHS, S. [556 f.]. 490 Meyer Wolf Popert († 19. Dez. 1812 Hamburg), Bankier; Arno Herzig (Hg.), Die Juden in Hamburg 1590 bis 1990, Hamburg 1991 (Die Geschichte der Juden in Hamburg 2), S. 67; http://www.steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat?function=Ins&sel=hht&inv=0029, Zugriff am 15.4.2016.
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Herr Popert: „Ja, dann ist’s was anders! – Sie haben bei mir Credit, aber Herr Schwerdtner nicht.“ – So ward den die Bürgschaft geleistet, und den 16. May 1774 ist das Geld ausgezahlt und die Obligation datiert. So erzählte mir Herr Popert wenige Wochen nach dem Tode meines Mannes die Unterredung, die er der tausend Thaler wegen mit ihm gehabt. – Bedauert mich! sagte: „Ich will Sie nicht drüken – ich will Geduld mit Ihnen haben. – Hab gar viel Gutes von Ihnen gehört. Sie und Ihr seliger Mann haben doch gar nichts von den tausend Thalern gehabt. – Wär doch schade“ – (indem er einen Blick in meinen Zimmer herumwarf ), „wenn Sie so alles verkauffen müßten. – Will gewiß Geduld mit Ihnen haben, [172r/349] sehen Sie nur zu, wie Sie fertig werden mit den andern“, etc. etc. //LII Wenn die Bürgschaft geleistet, weiß man: Und zu Ende des May-Monats starb Schwerdtner. 1774, den ersten Juni, war das Begräbniß491. – Auch ich und mein Mann wurden dazu geladen – für tausend Thaler konnten sie uns ja wol auch dazu bitten. Die Frau Mama sagte bei dem Caffee: „Für mich zur Trauer habe ich wenig machen lassen, den ich komme nicht viel aus492. – Aber meinen Kindern, da sie doch einmal Trauer haben mußten, habe ich sie gut gegeben.“ – Und da hatte sie recht, alle Viere sassen da, daß sie mit Anstand bei Hofe hätten erscheinen können. – Sogar der Trauerschmuck war nicht vergessen: Schwarze geschliffene Steine – wie man sie nennt, weiß ich nicht – in Gold gefaßt, zierten die Ohren – jede hatte von derselben Art Ringe an den Fingern. – Madame Schwerdtner versicherte, ihren Trauerschmuk von einer Freundin, Madame L+, geborgt zu haben, weil sie keine Trauer jezt hätte. – War daß [172v/350] nicht eine wirthschaftliche Frau? – Sich keinen Trauerschmuk zu kauffen?? – Sie war nur froh, daß der Sommer noch nicht ganz vorbei wär, um sich auf ihren Hoff (so nennt man in Hamburg die Gärten und Landhäuser) zu erholen, weil sie es diesen Sommer noch gar nicht hätten geniesen können. Der Hoff war nicht ihr eigen, sondern sie hatten ihn in der Miethe. Ich hätte von des Herrn Poperts tausend Thaler und meines Mannes Bürgschaft was wißen sollen? Da wär ich gewiß nicht blos Zuhörerinn gewesen, ich hätte auch gesprochen.
491 Staatsarchiv Hamburg 512-3 VIII 6 Y: Namensverzeichnis der Begrabenen an der Hauptkirche St. Nikolai zu Hamburg 1750–1774, S. 118: Joh. Chr. Schwerdtner, 1. Juni 1774. 492 Ich komme/gehe nicht viel aus dem Haus.
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Nur wie ich wieder in meinen Haus war, konnte ich meinen Unwillen nicht länger zurückhalten; mußte ich gegen meinen Mann die Anmerkung machen: „Als dein Onkel starb, kaufte ich mir ein Paar Ohrngehänge in Tampach493 gefaßt. – Du wolltest, ich sollte welche in Gold gefaßt nehmen. – Wenigstens einen Trauerring. – Was sagte ich? – Wer wird das Geld so wegwerffen, der wenigen Monate wegen? – Und Schwerdtners Gold! – Haben sie den würcklich so viel, daß sie es thun können?“ [173r/351] Mein Mann: „Ach! Was sollten sie!“ etc. etc. Statt in ihren Umständen darauf zu sehen, daß ein anderer ihren Hoff gemiethet, lebten sie jede Woche einige Tage darauf, traktierten drauflos und lebten herrlich und in Freuden. Ganz schwartze Kleider waren im Sommer zu warm zu tragen; nun mußten welche von den feinsten Kortun494 des Sontags seyn; und um die zu schonen, brauch[te] man Alletagskleider zum Ausgehen; und daß die Alletagskleider nicht so oft durften gewaschen werden, mußte man auch Hauskleider haben; und im Bette konnte man doch auch nicht bei einer so tiefen Trauer bund495 liegen, der Verstorbene Papa hätte es können übelnehmen, so mußten den auch Nacht-Kamsölchen496 – doch nur ein paar von geringen Kortun, gemacht werden. – Alles aus Menage!497 – Da es die Mama einmal gab, und die Kinder doch Trauer haben mußten. – Die Mama hatte sich ja kein Kleid machen lassen – nur ein paar Wittwen-Kontuschen498 – und den Schmuk geborgt! – So war’s nicht mehr wie billig. [173v/352] Im Anfang des Jahrs 1775 kam ich an einen Morgen durch ein ohngefähr vor Schwerdtners Haus vorbei. Ich wurde hinneingeruffen, aber nicht lange war ich da, so wurde ein rechtes Specktakel. Die Gärtnersfrau mit Namen Höpner kam hinn, von der sie den Hoff in der Miethe hatten. Die versicherte: es wär ein Irrthum, das neue Haus auf den Hoff hätte sie und ihr Mann499 nicht um den Preiß gelassen – (wie viel es war, habe ich vergeßen) – daß hätte sie schon den selgen Herrn Schwerdtner gesagt – er hätte ihn also gar nicht mehr miethen wollen – „und wir hatten auch schon andere, die ihn nehmen wollten.“ – Nun aber wär Monsieur Schwerdtner gekommen und hätte gesagt: „Mein 493 Tombak: Kupferhaltige Messing-Legierung, die für Schmuck verwendet wurde. Ein hoher Kupferanteil macht die Farbe goldähnlicher. 494 Kattun. 495 Bunt. 496 Kamisol: Leichtes Unterkleid, Korsett. 497 Gemeint ist damit wohl: Aus dem Haushaltsgeld. 498 Kontusche: Weites, lose fallendes Oberteil, das über Mieder oder Korsett und Rock getragen wurde. 499 Herr und Frau Höpfner, Gärtner: Nicht ermittelt.
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Vater ist krank und das macht, daß er oft auf einer Sache besteht. – Lassen Sie ihn meinen Vater vor den Preiß. Ich will Ihnen aus meiner Tasche die 10 Thaler geben, die Sie mehr für das neue Haus verlangen“. – „Nun haben wir Monsieur Schwerdtner geglaubt – den bewahre Gott! – , wie hätten wir denken [174r/353] können, daß er sagen würde: es wär nicht wahr? Und haben nichts Schriftliches mit ihm gemacht.“ Der junge Herr stritt es rund der guten, rechtschaffenen Frau ab. Ob man ihr die 10 Thaler noch zu den übrigen Miethgeld gegeben, weiß ich nicht. – Die Mutter sagte: „Nein, nun kömmt mir der Hoff zu theuer – ich kann ihn nicht länger behalten.“ – Aber nun wollten die Mädchens toll werden: „Keinen Hoff ? Daß wird ein Sommer seyn! – Sollen kein Plaisir haben?“ – Die schrie, jene heulte, die weinte – die vierte und jüngste, die noch unter den Comando der ältern Schwestern stehen mußte, murmelte nur und war die stillste. Wüthend giengen sie zu Werke. Und nun [war] der ältesten Mademoisell ihr geläuffiges Maulwerk zu hören – Herr Brückner, der in der Rolle des Schwätzers500 so meisterhaft und unnachahmlich gespielt, war doch nur ein Pfuscher gegen die. – Und über die Höpners giengs los – denen blieb auch nicht [174v/354] für einen Heller Ehre. – Ich kannte Höpners nur als gemeine Gärtnersleute, aber als die ehrlichsten und rechtschaffensten, die man sich denken kann. Ich hatte eine von ihren Töchtern501 in meinen Dienst genommen – von der ich noch zu sprechen Gelegenheit haben werde. – Nur eine Magd! Aber ich schätze Redlichkeit und gutes Herz, da wo es zu finden ist. Mag nun der Besitzer desselben eine Haube tragen oder im frisirten Kopf gehen, mir ist das gleich viel. Dieses ist nur eine kleine Skizze von der Schwerdtnerschen Familie. – Wollten noch in den Sommer einen eigenen Hoff haben und mußten im Herbst sich für Bankrott erklären. – Noch mehr: Zwey Tage vor den Bankrott nahmen sie ihren Freund und nahen Anverwandten Herrn Cassens, der ihnen so viel Gutes gethan, eine ansehnliche Summa ab, wovon sie bequem leben konnten, wärend der Zeit der Bankrott in Ordnung gebracht wurde. – Cassens hatte keine andere Revange [175r/355] gehabt, als daß er zu Madame Schwerdtner ins Haus gieng und ihr gerade ins Gesicht sagte: daß sie ihm bestohlen – schändlicher wie eine Diebin. – Aber der rechtschaffene Mann holte sich seinen Tod – den der Verlust und der Gram nagten zu sehr in ihm und brachten ihn näher ans Ziel seiner Lebenstage. – Doch ihn nicht allein. Auch meinen Mann kostete es mit das Leben. – Von der Zeit an, das Schwertner gestorben, ward mein Mann täglich unzufriedner und mürrischer. – Heiliger, allmächtiger Gott! Was hatte 500 Gemeint sind der Schauspieler Johann Gottfried Brückner und das Lustspiel Der Schwätzer von Paul Weidmann. 501 Gretchen Höp(f )ner; zu ihr s. im Folgenden und HHS, S. [681].
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ich zu leiden? – Zehnmal des Tages fing er ZanckLIII und Streit mit mir an, und ebenso oft bat er mich wieder um Vergebung. – Er wurde ganz der gutherzige Murrkopf. – Hassen konnte ich ihm nicht! – Aber hätte ich mein Schicksal so ganz gewußt? – Ich bin kein Engel – ich bin Mensch. – Ich glaube nicht, daß ich’s getragen, mein Hauskreuz. – Ich wär wieder zu meinen Bruder gegangen und gewiß drey Jahre eher auf ’s Theater. – Hätte die Welt gesagt, was sie gewollt! – So aber betrachtete ich ihm als einen Kranken. – Leide geduldig! Bist durch ihm versorgt im Alter – [175v/356] wenn du bei dem Leben alt werden kannst! – Heiter lächelte ich in Gesellschaft. – Saß ich die langen Abende allein, floßen meine Thränen. – Wenn den mein treues Gretchen (die Tochter der Gärtnersleute) in mein Zimmer kam und mich um etwas fragen wollte, und sie mich so fand: – blieb das gute junge Geschöpf vor mir stehen mit Thränen in ihren schönen Augen und sagte: „Weinen Sie schon wieder? Meine arme Madam! – Der Herr ist ja wohl; wird nicht krank werden.“ – Den das nahm ich zum Vorwand. – Den nie waren Bediente – auch die besten, meine Vertraute. Wie Schwerdtners zu Rath einkamen, war daß noch das Schändlichste, daß sie das Valissement502 auf den verstorbenen Mann schoben. – Der Mann und der Vater war schuld? – Der gute Mann! Der nach der Mutter und Kinder Pfeiffe tanzen mußte, der nur den einzigen Fehler in gesunden Tagen hatte, daß er gegen solche zu nachsichtsvoll war. Wenn man zu mir sagte: „Herr Kummerfeldt verliehrt auch an Schwerdtners?“ – „Ja, meines Mannes [176r/357] Bruder, aber nicht mein Mann.“ – Mein Schwager verlohr auch – wieviel? mögen seine Erben wißen. Die wußten es auch alle, das mein Mann auch an das Volk verlohr – nur mir sagten sie es nicht. – Und hätte ich auch einen Freund gehabt, der redlich gewesen, es mir zu sagen, so hätt er es selbst nicht wissen können, weil alle, die sich bei der Massa503 meldeten, ihre Namen sagten. – Wie nun die Reihe auch an Herrn Popert kam, so hies es: „Herr Popert, tausend Thaler banko. – Hat aber einen Bürgen.“ – Und der Bürge wurde nicht genannt. Wie hätten nun Fremde es mir sagen können? – Mithin war ich in den Punkt ruhig und konnte es auch seyn. – Aber so schändlich wurde ich betrogen. Lange habe ich mich bei meinen wiedrigen Begebenheiten aufhalten müßen und brauche Erholung – und vielleicht auch die, die mich kennen – und mit Theilnahme an meinen Begebenheiten mich lesen.
502 Falissement: Bankrott, Konkurs; s. HHS, Anm. 1108. 503 Konkursmasse.
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Fünfzehntes Kapitel Meine vergnügste Reise In den ersten Wochen des neuen Jahrs 1776 bekam ich aus Leipzig von dem Herrn Professor Oeser Briefe, nebst den Silhouetten von ihm, seiner Frau, und Kinder504. [176v/358] Ich hatte eine grose Freude. Mein Mann sagte: „Gewiß, ich glaube, deine Freunde in Leipzig würden sich recht freuen, wenn du einmal hinnkämst.“ Ich: „Ja gewiß! Daß würden sie. – Aber daß ist nicht möglich.“ Mein Mann: „Und warum nicht? Mit Kaufleuten, die die Messe besuchen.“ Ich: „Wie könnte ich mit denen reisen? – Daß würde sich nicht schicken. Ja, wenn ein Frauenzimmer mitreiste, dann ließ sich’s weiter davon sprechen.“ Mein Mann: „Will mich erkundigen.“ Ich dachte: Das hat gute Wege. – Wenige Tage darauf kömmt mein Mann und sagte: „Nun, du reist diese Ostermesse nach Leipzig. Schreibe es deinen Freunden, schreib es Carln.“ (Mein Bruder kam mit Herrn Seyler die Ostermesse von Dreßden dahin). „Ich habe mit Herrn Ziegeler505 gesprochen, und der nimmt seine Frau mit. Mit denen kannst du die Reise mitmachen, mußt sie besuchen.“ Nie hatte ich von beiden gehört. Ich besuchte Madame Ziegeler. Sie war eine allerliebste Frau und aus Leipzig; war seit ihrer Heurath nicht wieder dagewesen – auch ihr Mann war ein Sachse. [177r/359] Gute Menschen lernte ich in ihnen kennen. Mein Mann gab mir 100 Thaler in Louisdor-Geld mit, die ich in Leipzig anwenden sollte, und brachte mich den 13. Aprill bis auf den Schinkenkrug506, ein paar Stunden von Hamburg – dort erwarteten wir Herrn und Madame Ziegeler mit dem Reisewagen. In meinen Haus hatte ich die besten Anstalten zurückgelassen, das gewiß nichts 504 Der Maler und Bildhauer Adam Friedrich Oeser (s. WHS, Anm. 23 und HHS, Anm. 876) war seit 1745 mit Rosine Elisabeth Hohburg († 22. Sept. 1794) verheiratet. Von den acht Kindern dieser Ehe starben vier bereits im Kindesalter. Mit den Töchtern Friederike Elisabeth (1748–1830) und Wilhelmine verh. Geyser (1755–1813) blieb Karoline Kummerfeld zeitlebens in Verbindung, wie Briefe an Friederike und Wilhelmine aus den Jahren zwischen 1798 und 1810 bezeugen. – Die Silhouetten erwähnt Karoline Kummerfeld auch in einem Brief vom 10. Juni 1776 an Julie Friederike Henriette Clodius. Demnach hat der Porträt- und Historienmaler Friedrich Rehberg (* 22. Okt. 1758 Hannover, † 20. Aug. 1835 München), ein Schüler Oesers, sie gefertigt; die genannten Briefe an Oeser und Clodius s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. 505 Herr und Madame Ziegeler, Kaufleute in Hamburg. Ein Johann Georg Ziegeler wird 1785 im Hamburger Kaufmannsalmanach erwähnt. 506 Der Schinkenkrug in Horn (Hamburg-Horn, Bezirk Hamburg-Mitte) war ein Gasthof, an dem auch die Postkutschen hielten und in dem die Reisenden übernachten konnten; Albert Borcherdt, Das lustige alte Hamburg. Scherze, Sitten und Gebräuche unserer Väter, 6. Aufl. Hamburg 1912, ND o. J., S. 40.
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vergeßen war. Und ohngeachtet mein Mann sagte – und ich selbst nicht besser glaubte, Herr Ziegeler blieb nur 14 Tage weg, hatte ich doch auf vier Wochen fürLIV alles gesorgt, das mein Mann nur befehlen durfte, was er speisen wollte? Und wenn ich wiederkäm, mir nicht jede Kleinigkeit durfte abgeforder[t] werden, um ungehindert mit meinen Männchen schwatzen zu können. Mein Mann sah mich wegfahren. – Wie wir ein Weilchen gefahren, sagte Herr Ziegeler: „Schon dachte ich, Sie würden einen betrübtern Abschied nehmen.“ Ich: „Mein Mann ist gottlob! wohl. – Und es dauert ja kaum 14 Tage, da sehen wir uns wieder.“ Herr Ziegeler: „14 Tage? – Nein, es dauert länger.“ Ich: „Warum nicht gar? – Himmelfahrt, sagte mir mein [177v/360] Mann, wär ich schon lange wieder in Hamburg.“ Herr Ziegeler: „Himmelfahrt ist ja noch die Zahlwoche507“ – oder was er von der Zahlwoche sagte, genug, ich (Närrinn) war so erschrocken, daß ich nicht wußte, sollte ich aus den Wagen springen und zu Fuß wieder nach Hamburg gehen oder weiterfahren. – Beyde hatten viele Mühe, mich zufriedenzustellen, und sagten: vielleicht hätte es Herr Kummerfeldt mit Willen gethan, um mir die Freude zu machen, weil er zum Voraus gesehen, daß, wenn ich gewußt, daß es 5 Wochen dauern sollte, ich vielleicht die Reise nicht gemacht. – „O, gewiß nicht! – 5 Wochen ohne meinen Mann? – Gewiß nicht!“ – Ich war und blieb den ganzen Tag verstimmt. Abends kamen wir in ein Dorf vor Lüneburg, wo wir die Nacht blieben, da fanden wir die übrigen Reisegefährden. Zehen Herrn Kaufleute, wovon ich auch keinen zu kennen die Ehre hatte. Diese machten die Reise zu Pferde. – Wir waren uns zusammen alle fremd und folglich sehr still. – Ich fieng an, meine Betrachtungen in den Kopf hinund herzuwerffen: – „Die Reise ist vielleicht gut. [178r/361] Denkt Kummerfeldt: nur 14 Tage – desto besser, wenn es länger dauert. – Dann wird ihm die Zeit nach dir lang, und er fühlt’s, was er an dir hat.“ – Das eitele Weib blickt hervor – zugegeben. – Aber ich fühlte auch einmal wieder meinen Werth. – „Die Leutchens zusammen machen alle Jahr zweymal die Reise; sind untereinander bekannt; sind wol vergnügt: – und du wolltest ihnen die Reise verderben? Wolltest ein Bumuchels508 Kopf seyn? – Nein! – Sey einmal wieder ganz die muntere Schultzen, die du warst.“ – – Und ich wurde es. Bald lernte ich allen ab: was das Steckenpferd war509? – Ich nahm also auch eins, und 507 Die letzte Woche der Messe, in der alle Wechsel bezahlt werden müssen. 508 Bumuchel = Pomuchel: Vor allem im Danziger Raum die Bezeichnung für Dorsch. Ein Pomuchelskopf sein bedeutet im übertragenen Sinne: Ein Dickkopf, Dummkopf, Narr sein; eigenwillig, launisch sein. 509 Ablernen: Durch stilles Zusehen und Zuhören etwas erkennen. Steckenpferd: Eine Sache, mit der
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nun ritten wir zusammen. Ach! Was wurde auf der Reise gelacht! – Nie hatte ich eine lustigere. – Aber sie sagten es auch alle: 12 Mal hätten sie die Reise zusammen gemacht, aber so lustig und vergnügt wären sie nie gewesen. Den 18. des Vormittags traf ich meinen Bruder. Er war mir entgegengefahren, wir reiseten zusammen bis ins Mittagsquartir. Nachdem wir zusammen gespeißt, [178v/362] trennte ich mich von meinen guten Reisegefährden und fuhr mit meinen Carl nach Leipzig. – – – O, das liebe, liebe Leipzig!! NBLV Sechzehntes Kapitel Gehofte Freuden werden zu Leiden Meine Freunde fand ich noch alle so gut und lieb, wie ich sie verlassen. Ich hatte himmlische Tage. – Aber doch sollten sie getrübt werden. Meinen Mann hatte ich versprochen, zweymal die Woche gewiß zu schreiben, und ich hielte Wort. – Aber ich bekomme Briefe von ihm und welche? – Er hätte von mir keine Nachricht (es war bereits sein vierter an mich, und ich hatte ihn schon drey zugeschickt). Er meldete mir auch, daß er krank gewesen – wär besser – sollte mich beruhigen. Seine Briefe waren so konfus geschrieben, das, wenn ich nicht Züge seiner Hand erkannt, ich nicht hätte denken können, daß er sie geschrieben. – Hier nur einiges zum Beweiß. Hamburg, den 26. Aprill 1776510 Meine Liebe! Noch habe kein Brief von Dir erhalten, ist das nicht böse, das ich nichts von Deiner Reise weiß. Oder sind Deine Posten daran schuld, denk doch, Du hast ein Mann in Hamburg. Ein [179r/363] jeder, der mich um Dich fragt nach Dir, was Du machst, und ich kann niemand antworten. Heute hat es hier den ganzen Tag geregnet und viel Wind. Den 27ten Morgen umb 7 Uhr, Ich habe eine unruhige Nacht Deinetwegen gehabt, gedenke mahl, es ist 14 Tage, das ich nichts von Dir gehört habe, das macht mir manche betrübte Stunde, bist Du mir böse? Mein Engel, ich schicke am Dienstag ein Vässel mit 400 Stück* [am Rand: *Austern meinte er, die auch kamen], wünsche wohl zu empfangen, und das sie auch gut man sich zum Vergnügen beschäftigt. Hier dürfte sinngemäß gemeint sein, dass die Reisenden eine vergnügliche, lebhafte Unterhaltung führten. 510 Offensichtlich im Hinblick auf eine mögliche Publikation fügte Kummerfeld hier am Rand ein: „NB: An den Brief meines Mannes wird nichts geändert. So ist er im Original geschrieben“.
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schmäcken mögen. Als (soll heißen: laß) Carl nun veranstalten bey de Licente511, damit Ihr nicht so fexirt512 werdet. Der K++ ist Cadet unter den Amerikaniern Cadet geworden, er woll ein 12 000 Mark Schulden. – Mein Engel, erwarte ich Deinen Brief, ich will selbst nach der Post schicken und ihn holen zu lassen, den sonsten dauert mir das zu lange – morgen Mittag speiset mein Bruder bei mir. Ich grieße Dir viel tausendmal – in 14 Tagen, geliebt Gott, sehen wir uns, verbleibe Dein lieber Mann bis in den Kuß.LVI D. W. Kummerfeldt [179v/364] Man denke sich meinen Zustand! Ich mußte den Innhald herausbuchstabiren, und mit bebender Hand war er geschrieben. Schon waren von mir drey Briefe abgeschickt worden – und solche Briefe von meinen Mann, – ich war ausser mir. Mein Bruder dauerte mich, den ich wurde für Sorge krank. – „Du krank hier?“ – „Was soll das werden?“ – „Noch einen Postag warte ich ab, kommt wieder so ein Brief, nehme ich Extrapost und reise zu meinen armen Mann.“ Der 5te Brief von ihm kommt, datirt den 28. Aprill. Ich reiße das Siegel ab, lese: „Meine Liebe, ich war heute so gewiß, einen Brief von Dir vermuthen – und wieder keinen erhalten.“ – Gott stehe mir bei! Ich muß fort – wie rasend lief ich im Zimmer herrum. „Mein Mann! Mein Mann!“ schrie ich und war ausser mir. Wir hatten Besuch, mein Bruder und alle baten mich, ruhig zu seyn und den Brief zu Ende zu lesen. – Ach. Er war noch verwirrter wie der lezte – er besorgte, ich wär krank. – – Endlich, ganz unten zum Schluß, eine deutliche Zeile mit den [180r/365] Worten: „Wer ist vergnügter? Ich habe beyde Briefe zugleich erhalten.“ O mein Gott! Die wenigen Worte, deutlich geschrieben, gaben mir Ruhe, Vergnügen, alles, alles wieder. Nun war die Freude so gross als kurz zuvor noch meine Angst. – O, wie fühlte ich, daß mir mein Wilhelm doch alles – so alles war. – Jeder Augenblick, wo ich mir selbst gelassen war, schrieb ich ihm – von jeder Stunde gab ich ihm Rechenschaft. Vergnügt brachte ich die Tage mit meinen Carl und in dem Cirkel meiner Freunde hinn. Gott vergelte es ihnen allen – allen noch! Den 15. May reiste ich wieder mit der Gesellschaft, mit der ich gekommen, nach Hamburg, und den 20ten kam ich des Nachmittags auf den Schünkenkrug an, wo mir mein Mann so weit entgegengefahren. Er hatte Herrn Suse513 zur Gesellschaft mitgenommen, 511 Licent: Zoll. 512 Vexieren: Beschweren, Mühe verursachen. 513 Hieronymus Johann Bernhard Suse (* 30. Mai 1745 Hamburg, † 3. Juni 1809), nach Studium in Jena
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war mit ihm schon weit weg von dem Schünckenkrug meinen Wagen entgegengegangen. Sobald er solchen ansichtig wurde, lief er ihn entgegen; ich wollte aus den Wagen springen, Herr Ziegeler hielte die Pferde an. Kummerfeldt kommt [180v/366] näher an Wagen, ich sehe ihn – aber über den Anblick war ich so erschrocken, daß ich erstarrt dasaß. – Nicht die Freude eines Mannes war das – es war eines Menschen im Paroxismo514 des stärksten Fibers. Er lachte und weinte, zitterte und bebte. Stotterte alles untereinander her, kein vernünftig zusammenhängendes Wort noch Gedanke; – war blaß wie der Tod. Strohmweiß lief der Schweiß über sein Gesicht; eiskalt war solches wie seine Hände. – Über den Anblick konnte ich mich nicht freuen. – Herr Suse sagte zu mir: „Sie werden sehr von ihren Mann geliebt. Nun muß ich’s glauben“ – O, daß: muß ich’s glauben! verstand ich damals nicht. – Aber wenige Zeit späther wurde es mir verständlich. – Es entwickelte sich mir viel – aber doch nie Alles. Mein Mann hatte sich in vieles eingelassen. Immer ängstlich und in Sorgen, ich möchte es erfahren und er alsden meiner Liebe verlustiget seyn. – Ich reise nach Leipzig. – Durch einen Zufall bleiben meine ersten zwey Briefe auf den Posten liegen. – Der Mann, der mich so ganz kannte, glaubte, [181r/367] da er von mir keine Nachricht bekömmt: ich käm gar nicht wieder, blieb bei meinen Bruder, weil ich seine Handlungen erfaren. Hätte nur das Nothwendigste mitgenommen, ließ ihm alles Übrige. – Den er kannte meinen uneigennützigen Karakter. Daher die Besorgniß, daher die Frage, ob ich ihm böse wär. Daher die unbändige Freude des Wiedersehens. Gern gäbe ich zu, daß der Gedanke: ich habe ihm verlassen, seinen armen Verstand auch einen Stoß gab. Ich aber, gewohnt, die Veränderungen seiner Launen zu dulden, hielt alles für Eigensinn, was schon würklicher Wahnsinn war. Den in einer Stunde konnte er so unbillige Forderungen machen, die einen vernünftigen Menschen nie in den Sinn kommen konnten; und in der Stunde darauf sprach er wie der vernünftigste Mensch; lachte entweder über seinen Irrthum, wie er es nannte, oder bat mich um Verzeihung, daß er mich gekränkt hatte, ohne Ursach zu haben. Wollte es nie wieder thun, sollte nur wieder freundlich aussähen – nur nicht aufhören, ihn zu lieben. [181v/368] Noch eine Freude sollte ich den Sommer haben. Meiner lieben Madame Fleischer ihr ältester Sohn, ein junger Mensch von 17 Jahren, der von seiner Kindheit an und Göttingen 1777 Advokat und Prokurator in Hamburg. Suse war Sekretär der Loge Emanuel zur Maienblume und Mitglied der Loge Abasalom. Lit.: Friedrich Georg Buek, Die Hamburgischen Oberalten, ihre bürgerliche Wirksamkeit und ihre Familien, Hamburg 1857, S. 366; Lexikon Schriftsteller 7, Nr. 3993. 514 Paroxysmus: Fieberschub, Krampf, Anfall.
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einen unwiederstehlichen Trieb zum Soldatenstande gehabt, war durch nichts zurückzuhalten gewesen, mit den braunschweigischen Truppen nach AmerikaLVII zu gehen515. Die guten Eltern ließen ihm also seinen Willen. Was der zärtlichen Mutter gefühlvolles Herz dabei litt, kann nur die Mutter empfinden, die auf gleiche Art ihr Kind von sich lassen muß. – Meine Freundin bedurfte einer Zerstreuung, einer Erholung. – Mein Freund Fleischer noch seiner Gattin; die jüngern Kinder noch ihrer Mutter. – Ich lud sie mit der Erlaubniß meines Mannes ein, zu mir zu kommen mit ihren Kindern, einer Tochter von 11 und einen Sohn von 9 Jahren516. – Sie kannte das Herz ihrer Caroline, wußte, daß ich keine Complimente machte, nahm die Einladung an und kam mit ihren zwey Kindern den 12. July zu mir. Meinen Mann kannten sie auch und hatten ihn bei unserer Durchreise durch Braunschweig kennenge[182r/369]lernt, als wir im Jahr 1773 meinen Bruder hier in Weimar besuchten, als er mit der Seylerschen Gesellschaft hier war517. Für mich war daß ein unnennbares Vergnügen, die Freundinn meines Herzens bei mir zu haben; aber bange war mir auch für meinen Mann, seiner gewöhnlichen Stückgens wegen, weil ich nicht wünschte, daß sie Zeuginn meiner Leiden seyn sollte, den sie dachte mich als die glücklichste Frau von der ganzen Welt, und sie selbst hatte der Leiden zu viel, als daß ich ihr auch die meinigen hätte auflasten sollen zu tragen. – Durch meinen Kopf und Gegenwart des Geistes gab ich manchen Dinge einen andern Anstrich – aber sie war doch zu klug, daß sie nicht durch vieles – freilich wie durch einen dücken Nebel, durchsah. – Inzwischen gieng es doch noch beßer, als ich dachte. Wir giengen und fuhren spazieren und machten uns manchen Spaß. – Aber einen Tag konnte ich nicht ausgehen, hatte Johannesbeere einzukochen. Meine Fleischer mit ihren lieben, frommen Kindern halfen mir, und [182v/370] wir vier waren den ganzen Tag so vergnügt bis des Abends 6 Uhr. – Lieber Himmel! Mein Mann kam, und
515 Braunschweig-Wolfenbüttel unterstützte Großbritannien im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775–1783) und entsandte fast 6000 Soldaten nach Nordamerika, darunter August Wilhelm Fleischer (1759–1821) als Adjutant von Wilhelm Ludwig Fredersdorff im Braunschweigischen 5. Musketierregiment von Rhetz. Am 31. Mai 1776 war die Division von Rhetz in Stade eingeschifft worden, im Oktober 1783 kehrten die Braunschweigischen Truppen zurück; Huck, Soldaten, S. 127, 232 f. Fleischer wurde im Oktober 1783 zum Leutnant, im Juni 1794 zum Kapitän, im Oktober 1805 zum Major ernannt; Elster, Geschichte, S. 381, 494; s. auch HHS, Anm. 516. – Zu Wilhelm Ludwig Fredersdorff, einem früheren Verehrer Karoline Schulzes, s. HHS, S. [278 f.], [302], [469 f.] und Anm. 518. 516 Wilhelmine Fleischer (* 7. Febr. 1765) und Friedrich (Fritz) Fleischer (* 1767). 517 Zu dieser Reise s. HHS, S. [642]–[661].
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ich hörte ihn laut schelten und tournieren518 in Haus. – Ich erschrack heftig, meine Fleischer mit den Kindern nicht weniger. – „Was giebt’s?“ – „Was ist das?“ – sagten sie untereinander. – „Gott weiß es! Sollten meine Leute so unvorsichtig gewesen sein, was auf die Diehle zu sezen, woran er sich gestoßen hat?“ – Ich hatte nicht den Muth, ihn entgegenzugehen. – Mit Poltern kam er ins Zimmer, ohne uns zu grießen. Fluchte über die verdammte Wirthschaft, das gar keine Ordnung wär. – „Daß muß geändert werden, daß ist bei Gott nicht zu verantworten“ u. s. f. – Madame Fleischer hatte sich in einen Lehnstuhl, der am lezten Fenster stand, hingesezt, blaß wie eine Leiche; die Kinder in Winckels zitterten und bebten und wollten weinen. – Ich stand am zweyten Fenster und wollte abwarten, was es einmal wieder seyn würde. Nachdem er ohne zu hören und zu sehen in immerwährenden Schelten, wovon [183r/371] ich mir nichts verständlich machen konnte, auf und ab in den grossen Zimmer gieng, griff er nach der Klocke und klingelte den Mädchens. – Mein Gretchen kam gesprungen „Was befiehlt der Herr?“ – „Gleich hinnieber, die Küfferswittwe aus den Keller soll zu mir gleich heraufkommen“. – Sie kam. – „Frau! Was ist daß für eine Wirthschaft? Ist daß zu verantworten? – Wie ich heute morgen ausgehe, sehe ich Ihre Kinder am Renstein sitzen und in den Koth wühlen. Schämd Sie sich nicht? – Die Kinder müßen in die Schule? Sollen Tagediebe daraus werden? – – Da ist Geld auf Schuhe und Strümpfe un[d] Spangen (so nennt man die Schuhschnallen) – – hier der Freyzettel in die Armschule519; – hab mir ihn geben lassen. – Hier ein ABC-Buch. Hier die andern Schulbücher, habe sie gekauft. – Aber gebe Sie acht, daß sie sie nicht zerreißen, die Schule giebt keine. Wenn die Schuhe inzwey sind – sollen sie andere haben. – Aber daß sage ich Ihr: daß ich so was nie wieder sehe! Nie wieder die Kinder auf der Straße – und im Renste[i]n liegen, wenn sie [183v/372] in der Schule seyn müßen“. Die arme Frau war erst bestürszt, dan brach sie in Thränen aus: – „O, Gott lohne es Ihnen, lieber Herr Kummerfeldt! – Gott vergelte es Ihnen, was Sie und Madam schon an mir armen Frau gethan“ – – Mein Mann: (wehmüthig) – „Nun gehe Sie nur – fehlt was, komm Sie nur zu mir oder meiner Frau.“ Noch hatte keins von uns Vieren ein Wort gesprochen. – Ich gehe zu meiner Fleischer, faße ihre Hand und sagte: – „Hasse den Mann, wenn du kannst!!“ Madame Fleischer: „Nein, daß kann ich nicht! – Hast recht. Man muß ihn lieben – kann dir nun nichts mehr verdenken.“
518 Turnieren: Sich lärmend und tobend aufführen. 519 Berechtigungsschein für die Armenschule als Zeichen der Abgabenfreiheit.
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– Die Frau war weg – und nun sah er uns. „Je, guten Abend, Kinder! – O meine Liebe!“ fiel mir um den Hals, küßte mich, Madame Fleischer, die Kinder – alles heiterte sich auf. Wollte wißen, wie wir den Tag zugebracht? – Ob wir auch recht vergnügt gewesen u. s. f. – Dieses war nur ein einziger auf die Art ganz auseinandergesezter Auftritt – und solche hatte ich täglich mehr wie einen – bald auf die, bald [184r/373] auf eine ander[e] Art. – Und das seit Jahren. – Und der gute Gott halfs mir tragen, daß ich nicht erlag. – – O, die schlimmsten hatte ich noch zu erwarten. Den 31. July reiste die Geliebte meiner Seelen mit ihren lieben, frommen, wohlgezogenen Kindern wieder fort – und mit ihr alle meine Freuden! – Ich muß dieses 1776. Jahr noch mit einen mir unvergeßlichen Auftritt schließen. Wegen den wunderlichen Kopf meines Mannes bat ich gar keinen Menschen mehr, zu mir zu kommen, auch wendete ich, so gut wie ich konnte, jede grosse Gesellschaft ab – wenn er nicht mit Gewalt darauf bestand. Es traf sich zum ersten Mal, solange wir verheurathet waren, daß wir die drey Weinachtfeuertage nicht engagirt waren und auch keine Gesellschaft bei uns hatten. Nur Herr Docter Dahl, unser Medicus, blieb den ersten des Mittags bei uns, fuhr aber gleich nach Tische wieder fort. Nirgends waren wir die drey Tage hingekommen wie er in seine, ich in meine Kirche; niemand sonst bei uns gewesen; auch war mein guter Mann die drey Feuertage recht wohl, heiter und ruhig gewesen. [184v/374] Da wir den dritten Feuertag das Abendbrod gegeßen hatten, faltte[te] er seine Hände und sagte: „Du lieber Gott! Nun sind die drey Feuertage auch vorbey; ich bin doch nirgends gewesen wie in der Kirche, war niemand bei uns wie der Docter den ersten des Mittags, und wenn ich doch sagen könnte: es wär mir eine Minute lang geworden?“ Ich: „Lieber Kummerfeldt! – Weißt du auch, was du jetzt gesagt hast?“ Mein Mann: „O ja! Warum?“ Ich: „Kummerfeldt! Du hast mir manches gesagt, daß mir angenehm gewesen, aber daß, was du in den Augenblick gesagt: – übertrifft alles!“ Mein Mann: „– Wieso?“ Ich: „Was bin ich für eine glükliche Frau! – bald 9 Jahre vereheligt, drey Tage mein Mann bei mir ohne andere Gesellschaft – und sagt so von Herzen – mit dem Ton: Es wär ihm keine Minute lang geworden? – Bester! Daß vergesse ich dir nie! – Daß könnte mich stolz machen.“
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Mein guter, lieber Mann reichte mir seine Hand über [186r/375] den Tisch hinn und sagte: „Es ist wahr, Liebe! – Aber wie könnte auch einen Mann bei einer Frau, wie du bist, die Zeit lang werden.“ Ich eilte von mein Stuhl, schloß ihn in meine Arme, küßte ihn mit dankvollen Thränen. – – Ach! es waren die lezten Thränen der Freude! die ich an seinen Halse geweint!! – – – – – – – – – – – – – [185r – so der bei 186r eingefügte Zettel mit der Kapitelüberschrift nachträglich foliiert, der Text fährt fort auf 186r] Siebenzehntes Kapitel Was waren alle vergangene Leiden gegen die, die nun kommen solten? 1777, den 18. Januar, schickte mein Herr Schwager A.520 und ließ mir sagen: Ich möchte zu ihm hinnkommen, aber mein Mann dürfte es ja nicht wissen, – ich konnte den Tag nicht und versprach, den folgenden des Morgens zu kommen. NB: Ich war den Abend bei der Frau Licentiat Dresser zu Tische. „Was wird es wieder seyn! – Sicher hat dein Mann wieder einen Streich gemacht, den du in Ordnung bringen sollst? – Nun, wir werden es ja erfahren.“ Sontag Morgen, den 19. Jenner, sagte ich, ich gienge nach der Kirche. – Gieng aber zum ersten Mal in meinen ganzen Leben mit einer Lüge vorbei und zu Herr A. – Kaum hatte ich einen guten Morgen gesagt, mußte sich seine Frau entfernen. – Und er schrie [186v/376] ihr nach: „Ich bin vor keinen Menschen zu Hause.“ – Nun, was soll daß werden? – dachte ich und war in der ruhigsten Verfassung. Herr A. mit dem ganzen Gesicht und Ton, als ob er einen Dieb, Strassenräuber und Mörder in der Inquisition hätte, hub an: „Frau Schwester! Was fehlt ihren Mann?“ Ich: mit dem ganzen Bewußtseyn der Wahrheit, daß ich keine Lüge sagte, antwortete: „Daß weiß ich nicht! – Daß mag Gott wißen!“ Herr A.: „Sie wissens nicht? Wissen Sie den nicht, daß er um seinen Dienst soll? – daß er so viele Fehler macht, daß keiner mehr von seinen Collegen es neben ihm aushalten kann? – Wissen Sie den nicht, daß er – daß er – – daß er – daß – daß“ – – – – – – – – – – – Ueber alles „daß wissen Sie nicht“ und folgenden „daß – – das“ – – ziehe ich einen Vorhang. – Aber es waren so viele herzdurchbohrende „Wißen Sie nicht“ dabei, daß ich
520 Der Name war hier und in den folgenden Nennungen ursprünglich ausgeschrieben: Abendroth.
Zweytes Buch, 17. Kapitel | 787
dachte, der Schlag hätte mich auf der Stelle getroffen. – – – [187r/377] Thränen? – O, die hatte ich keine – die Wohlthat gewährthe mir mein Unglük nicht – auch war’s zu groß, um weinen zu können. – Wär ich in Ohnmacht hingesunken – vielleicht wär’s beßer ge[we]sen mit mir. – Mein Hals war trocken – meine Zunge klebte an Gaumen an. – Mein Herz schlug nicht, es lag wie tod – mein ganzer Körper Eis. – – Daß Erste, was ich mich besinnen kann, daß ich sprach, war: „– – Halten Sie ein – – Warten Sie – – nicht so schnell – – ach! ich erstüke. – – – O, geben Sie mir ein Scheibchen Citrone – – – oder nur einen – – einen einzigen Tropfen Wasser – – ich bitte Sie um Gottes Willen!! nur einen Tropfen Wasser!“ – – – – Und – – glaubt Ihr es, die Ihr dieses leset? – – glaubt Ihr es? – – – Er gab mir Keinen!!! – – – So kann ich sagen: Ich flehte in der grössten meiner Leiden um einen Tropfen Wasser – und er wurde mir nicht gereicht. – Mir nicht – – ich sollte auf der Stelle crepiren, daß mußte der Wille seyn – um nachher machen zu [187v/378] können, was sie wollten. – Ich gieng fort um die Zeit – oder vielmehr – er sagte: „Nun ist’s wohl Zeit, daß Sie gehen, damit es ihr Mann nicht merkt, daß Sie nicht in der Kirche waren. – –“ Wie ich gieng? – wie ich nach Hause kam? Daß weiß nur der, der mir die vielen Prüfungen aufgelegt. – Auch wer mir alles auf den Strassen begegnet seyn mußte, weiß ich nicht; – nur daß erfuhr ich nach der Zeit, daß die Leute, die mir begegnet und mich gekannt hatten, gesagt: „Schade um die Kummerfeldt! War doch eine brave Frau – aber die Streiche ihres Mannes müßen sie zum Trunck gebracht haben. Wir haben sie begegnet, und sie war besoffen.“ – – – – – – – – – – – – – – Daß ich also den Sontag morgen wär besoffen gewesen, kam bald in der Stadt rund, den Montag Morgen wurde es an der Börse und auf dem Rathhaus gesagt. – Es kam auch vor die Frau Licentiat Dresser schon den Sontag – [188r/379] hielte es für einen seyn sollenden witzigen Einfall eins müßigen Kopfes. Nun aber auch ihr Mann den Montag vom Rathhaus mit der Neuigkeit kömmt und sagt, die ganze Stadt wär davon voll, das Gerede wär allgemein. – Da sagte sie: „Was, die Kummerfeldt? – die Wassertrinker[i]n – die alle 14 Tage in meinen, ich in ihren Hause bin. – Nimmermehr! – – Ach, vielleicht weiß sie“ etc. etc. – „Hat erfahren“ etc. etc. – – „Ich muß hinn – muß wissen, was sie macht.“ Madame Schütt sagte: „Ich will erst hinn, will mir schon ein Gewerbe521 machen.“ – Sie kam – und es hieß: „Niemand wär zu Hause.“ Mußte fort! – Ich verkroch mich, wollte niemand sehen. – Doch sah Madame Schütt an den verweinten Augen meines Gretchens, daß es nicht richtig im Hause wär. –
521 Gewerbe: Besorgung, Anliegen; hier im Sinne von: ein Anliegen vorschützen.
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Den Tag darauf kommen beyde gute Frauens zugefahren, mit den festen Vorsaz, daß ganze Haus nach mir auszusuchen, bis sie mich fänden; sich nicht, ohne mich zu sehen, abweisen zu lassen. – Den es wurde die Tage von nichts gesprochen, als daß die [188v/380] Kummerfeldt jetzt söff und schon des Morgens besoffen wär auf der Strasse gegangen. – – Sie fanden mich im dunkeln Zimmer – alle Vorhänge zu und mich – starr sehend auf einen Fleck. – – „Ach Gott!“ schrieen die Weiber – „ist daß unsere Kummerfeldt??“ – Auch mein guter, rechtschaffener Docter Dahl kam, der Mann, der der Medicus von meiner Mutter und Bruder war – der die kleine Schultzen kannte – auch die reiche Kummerfeldt – die so beneidet worden ihres Glücks wegen, daß sie in Hamburg gemacht. – Daß der Herr Kummerfeld sie geheurathet – daß sie – den Mann bekommen. Mit Thränen im Auge hatte Herr Dr. Dahl denen guten Frauens gesagt: „Unsere Kummerfeldt ist hinn. – Mit ihren Verstand ist es vorbei. – Sie wird wie Herr Niclas Adolph Schmidt seine Frau522. Nichts kann sie retten als eben so eine Erschütterung wie die, die sie gehabt. – Da kann eins von beyden seyn: entweder sie stirbt [189r/381] – oder sie bekömmt ihre Sinne wieder.“ – – – – Ich sollte sie wiederhaben! – Den mein Mann verlohr den Rest seines Verstandes – und stieg mir des Morgens zum Fenster hinnaus. – Weg war er, und ich wußte nicht, wo er hinngekommen. – Dieser neue Schlag brachte das zu Eis gewordene Blut wieder in Wallung – die dreystündige Todesangst, in der ich um seinetwillen war, machte mich wieder zur Kummerfeldt. – – – – Gott! was hast du mir für eine Natur gegeben? – Wenn ich so mit einen Blicke überschaue die vielen Erschütterungen in meinen Leben – wie? wie ist es möglich, daß ich noch so, so bin? – An mir hat Gott Wunder gethan! – Ich kann nicht dankbar genug den Allmächtigen seyn. – Himmlischer Vater! – nimm die Thräne, nimm mein Willen – als ein feierliches Dankgebet. Ich wußte also nun seid den 31. Januar, das mein Mann rasete!! – – – – Nicht mein Tagebuch der lezten Schreckensscenen – oft waren wir alle unsers Lebens nicht [189v/382] 522 Nicolaus Adolph Schmidt (* 4. Febr. 1712, † 10. Juli 1786), Kaufmann in Hamburg. Schmidt hatte zahlreiche Ehrenämter inne, so wurde er 1759 Mitglied der Commerzdeputation und 1778 Mitglied des Kollegiums der Oberalten; Buek, Die Hamburgischen Oberalten, S. 259. Zur Krankheit von Anna Elisabeth Schmidt s. WHS, 3. Buch, Kap. 12, S. [252r/507]–[254r/511].
Zweytes Buch, 17. Kapitel | 789
sicher. Einmal war die Raserey so heftig, daß er sich alle Kleider vom Leibe riß und nakend im Zimmer herumlief. – – Schaudervolle Auftritte hatten wir. – – Was war meine Ruhe vom 19. Januar bis zum 27ten? – und von den 27. Januar bis zu den 19. Februar war mein Jammerrock, wie ich ihn nannte, – nicht von meinen Leibe gekommen. – Keine reine Wäsche. – Geschlafen – ruhig, fest geschlaffen in diesen 23 Tagen – mehr nicht: wie neun Stunden – den meine Freundinnen sperrten mich drey Mal dazu ein. – – Wird man das glauben? – Wird man nicht denken: Ich übertreibe es? – – Und doch – doch ist es wahr! – So wahr: daß ich’s vor Gott bezeugen kann! Eingesperrt, um mich nicht ganz zu opfern, haben mich meine Freundinnen, daß ich nur ein paar Stunden schlaffen sollte, weil ich meinen Mann nicht verlassen wollte. Diese zwoo Freundinnen, die abwechselnd Tag und Nacht bei mir aushielten [190r/383] – Madame Schütt und Mademoiselle Willers523 hiesen sie, die Edlen, die Guten. – Unmenschen lernte ich kennen, aber gewiß christliche, tugendhafte Menschen. O, daß ich sie lohnen, noch lohnen könnte! – Nein, nein, es giebt Wohlthaten, die der Mensch nicht vergelten kann! Ich fühl’s zu sehr. – Daß ist eins von denen Dingen, die Gott sich allein vorbehalten zu lohnen, jenseits des Grabes – und du, mein treues Mädchen? – Mein Gretchen! – Nie vergeße ich dich. – Nie, wie du des Nachts meine Hand ergrifst, mit deinen Thränen sie beneztest und sagtest: „Will mich den Madam auch nicht behalten? Ich bleibe bei Ihnen. – Wenn alles Sie verläßt – ich verlasse meine liebe Madam gewiß nicht.“ – O Mädchen, daß ich deine Thränen aufbewahren können! – Als ein Kleinod würde ich sie an meinen Halse tragen. – – Aber sie haben sich eingegraben in mein Herz. – Da liegen sie unverweslich, bis ich selbst nicht mehr bin in der Zahl der Lebenden. – [190v/384] Hätte ich nicht auch so gute Menschen gefunden, so lebte ich nicht mehr. Ich hätte mir längst das Gehirn zerschmettert. Ich, ich könnte eine Gallerie von Engeln und Teufeln aufstellen, jedes nach seiner eigenen Art.
523 Damit ist vermutlich Wilhelmine Willers (* um 1728, † 2. Juli 1810) gemeint. Sie war die Tochter des holländischen Residenten Wilhelm (Wilken) Willers (1670–1760), des Förderers der hamburgischen Theaterunternehmungen Sophie Charlotte Schröders und Ackermanns. Nach ihres Vaters Tod war Wilhelmine Willers Eigentümerin des Opernhofes am Gänsemarkt geworden, den sie gegen eine Grundmiete 1764 Ackermann überließ, um darauf ein neues Schauspielhaus erbauen zu können. Von Wilhelmine Willers soll auch überhaupt die Initiative zu diesem Bau ausgegangen sein. Lit.: Lexikon Schriftsteller 8, Nr. 4397; Litzmann, Schröder I, S. 304 f., 308; Eichhorn, Ackermann, S. 9 f., 80; Schütze, Theater-Geschichte, S. 322.
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Leser! dieses Buchs. – Denken Sie nicht, daß die verzweifelt Lage wegen den Vermögen meines Mannes mir fast alle Sinne raubte? – Nein, Ehre, Ehre war’s. – 524 – das brach mir fast das Herz. DürftigLVIII konnte ich mit ihm leben, aber nicht, ihn verachtet zu wißenLIX. – Daß erste wollte ich – zu den zweyten verleitete ihn die Verwirrung seiner Sinne – woran falsche Freunde und weggeworffene Creaturen schuld waren. – Daß mußte ich wiedergutmachen. – Ich vergab alles – alles – er war mein Mann! – Vor Gottes Angesicht legte ich meine Hand in die seine, versprach, Glück und Unglük mit ihm [191r/385] zu theilen. – Und daß wollte ich halten. – Noch halten nach seinen Tode. – Und ich hielte es. Noch hoffte ich auf seine Genesung – ach! wenn er seinen Verstand wiederbekömmt? – Wenn er hören wird, mit welcher Treue, mit welcher Liebe du ihm gewartet, gepflegt? – Dann wird deine Ehe erst glüklich werden. – Welchen Eindruck wird es auf sein gutes Herz machen. – So schmeichelte ich mir. – Die Tag und Nacht fortwährenden Unruhen, die in meinen Haus waren, machten meine Nachbarn unwillig. – Mir wurde es endlich von meinen Freundinnen gesagt – gegen ihren Willen, weil sie mich schonen wollten. – Endlich mußten sie und sagten: „Die Nachbarn murrten zu sehr! – Sie sagten: Ein Wahnsinniger gehöre auf den Pesthoff“525 (der Ort, wo dergleichen Unglükliche hingebracht werden). Ich antwortete: „Ich bedauerte meine Nachbarn. – Bestehen sie darauf, und es wird nicht anders – wohl, so muß ich Anstallt machen. Ich lasse meinen Mann nach den Pesthoff bringen, aber ich gehe mit. Ich weiche nicht von ihm! – Ich vertraue [191v/386] meinen Mann keinen fremden Händen.“ – Es wurde stille geschwiegen von den Nachbarn. Ich frug, da in meinen Haus noch immer der Lärmen seinen Wohnsiz hatte: Ob man klage? – Ob ich Anstallt machen müßte? – Nein! die Nachbarn hätten mich zu lieb, bedauerten mich zu sehr und wollten lieber die Unruhen leiden, als daß ich mit nach dem Pesthoff gehen sollte. – „Dankt ihnen! – Meine Nachbarn kennen mich, daß ich Wort halte“. – Und unter solchen Umständen erfuhr ich von meinen Freund Herrn Simon Hinrichs526 – zum ersten Mal nenne ich diesen mir theuren – diesen mir unvergeßlichen 524 Gestrichen: „Meinen Mann – meinen ganzen ehemaligen Stolz, tief erniedriget zu wissen,“. 525 Seit 1527 gab es in Hamburg ein Haus für Pestkranke. Seit 1637 nahm der Pesthof auch Geisteskranke auf, 1797 wurde er in Krankenhof umbenannt. Der Pesthof lag damals westlich des Heilig-Geist-Feldes und nördlich der Reeperbahnen, dicht an der Grenze zu Altona. Lit.: Heinz Rodegra, Vom Pesthof zum Allgemeinen Krankenhaus. Die Entwicklung des Krankenhauswesens in Hamburg zu Beginn des 19. Jahrhunderts, Münster 1977 (Studien zur Geschichte des Krankenhauswesens 7); G. Hermann Sieveking, Zur Baugeschichte des Pesthofes in Hamburg, und Ders., Die Verwaltung des Pesthofes in Hamburg, in: Hamburgische Geschichts- und Heimatblätter 12 (1940), S. 281–291 und S. 305–316. 526 Simon Hinrichs d. J. (* 1. März 1742, † 14. April 1808), seit 1780 vereidigter Makler, später Bankier,
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edeln – grossen Freund – der auch zu denen gehört, die Gott für mich nicht allein hienieden – nein, noch jenseit lohnen wird – muß! muß!! – was dieser edle Mann für mich gethan hat und noch thut. – Von ihm erfuhr ich die Geschichte der tausend Thaler wegen Schwerdtners – und daß mein Mann der Bürge sey527. Und unter solchen Umständen, wenn ich keine [192r/387] Freunde gehabt? – den keiner von meines Mannes Anverwandten war mir zum Trost. – Keiner both seinen Dienst mir an, und die ich darum ersuchte, schlugen es ab. – Sagten auch, das könnten sie nicht aushalten – wär ihnen zu fürchterlich. – – – – – – – – Den 16. Februar sprach man ihm das Leben ab. – „Heute sollte er sterben? – O nein! – Heute nicht! – Heute sind es 11 Jahre, daß meine Mutter starb. – An einen Tage macht Gott mich nicht zur Wayse und Wittwe. – Den 19ten wird er sterben.“ – Der Docter frug endlich nach manchen Einwendungen, daß es den Anschein nicht möglich sey – und ob ich das wünschen könnte? Ich: „Nein, wünschen darf ich es nicht. – Aber denken Sie an mich. Den 19. des Abends wird er sterben.“ Dahl: „Und warum den 19ten?“ Ich: „Ich weiß nicht! – Aber mein Herz sagt es mir. – – Der Tag ist für mich wichtig. – Vor 11 Jahren war ich den Tag des Abends zum ersten Mal in seinen Haus. – Vor 9 Jahren den Tag das lezte Mal auf den Theater – – und dieß Jahr – wird er den Tag – den 19. des Abends sterben“. – Und er starb auch den 19ten des Abends 7 Uhr! – – – [192v/388] – – – – – – – – – – In diesen leidenvollen Zeiten schenkte mir Gott viele Gnade, viele Barmherzigkeit. Er hörte auf das einzige Flehen seiner Magd – erfüllte den sehnlichen lezten Wunsch, und gab meinen Gatten in diesen lezten Tagen – stundenlang – seinen Verstand wieder. – – War daß nicht die grösste Gnade, die mir mein Vater in Himmel schenken konnte?? – Man wollte, ich sollte ihn nützen; fragen nach seinen zeitlichen Güthern; – nach seinen Geld? – nach die tausend Thaler banko, die er in den ersten Tagen des Januari Monat
Sohn des Kaufmanns Simon Hinrichs d. Ä. (* 1716) und seiner Frau Magdalene geb. Tungerjan, die das Geschäft nach dem Tod ihres Mannes weitergeführt hat. Simon Hinrichs d. J. befindet sich im Hamburger Kaufmannsalmanach von 1785 im Verzeichnis der geschworenen Christen- und Judenmäckler; http://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/digbib/view?did=c1:154329&p=32, Zugriff am 7.7.2020. Simon Hinrichs d. J. war seit 1784 mit Christiane Elisabette Louise Schmidt verheiratet, einer Tochter aus der zweiten Ehe von Johanna Christiana Schmidt (s. WHS, Anm. 575). 527 S. o. WHS, 2. Buch, Kap. 14, S. [171r/347]–[172r/349].
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aus unsern Haus tragen lies, und ich nicht wußte und niemand wißen wollte, wohinn sie gekommen? – – „O weg! weg damit. Nach seinen Beichtvater geht. – Holt ihm in Wagen, und daß er das heilige Abendmahl mitbringe. Mein Mann hat seinen Verstand wieder.“ – – Herr Pastor Schulz528 kam, reichte es ihm. – Und ich war glücklich! – Der Mensch, der Religion hat, ist sich nie seinen Schöpfer am ähnlichsten als an den Sterbebette eines geliebten Gatten – oder Freundes. – Viel habe ich bei den Mei[193r/389]nigen erduldet – und wie ich seine Reue sah – wie er mich um Vergebung bat – wie er mir dankte – wie er die Worte wimmerte: „Ach! wenn nur meine arme Frau versorg[t] wär!!!“ – – – Da hatte er mich nie beleidiget! Da hatte ich nichts, nichts für ihn gethan! – Noch viel zu wenig gelitten, geduldet – – wenn ich nur noch mehr, nur recht viel, viel, viel hätte zu vergeben gehab[t]! – – O Gott! Du, du weißt es! – Diese Thränen bezeugen es, die mit Macht, da ich dieses schreibe, aus meinen Augen stürzen, bezeigen die Wahrheit. – – O, wär ich damals in diesen Gefühl mit ihm gestorben! – Warum verdrängte sich dieses Gefühl? – Warum gab es Stunden, daß mir sein Andenken gleichgiltig ward? – Warum muß ich diese Stunden oft noch haben?? – – – Der Mensch – bleibt Mensch! – Augenblüke, Stunden können ihm in eine höhere Sphäre versetzen, können ihn selbst Engeln gleich machen – aber darinnen erhalten – kann er sich nicht – Ich Nicht? – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – [193v/390] Den 19. gegen Mittag sagte sein Beichtvater, Herr Pastor Schulz, zu mir: „Madame! Ich war Zeuge. Sie erfüllten alle Pflichten, die einer Gattin zukamen. – Aber nun erfordert es Ihre Pflicht, Ihr Gewißen, daß Sie ihn verlaßen – sonst kann er nicht sterben. – Und mir meine Pflicht und Gewißen, daß ich Ihnen das sagen muß.“ Meine Pflicht? – mein Gewissen?? – – Ich will gehorchen. – Aber Gott! Du siehest mein Herz. – – Ich tratt ans Bett. – Küßte seine Hand zum lezten Mal, da noch Leben in ihm war – – und verließ ihn – – verlies ihn – mußte ihn verlassen, nicht bei ihm bleiben, wie ich bleiben durfte bei meinen Vater – bei meiner Mutter – – nicht bei ihm bleiben bis zum lezten Athemzug!! Des Abends 7 Uhr starb er. – Und ich war Wittwe – Wittwe und eine Wayse. – O, wie fühlte ich so ganz das Schröckliche dieses Worts: – Wittwe!!! – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – 528 Georg Heinrich Schultze (* 30. Nov. 1718 Perleberg, † 20. März 1780 Hamburg). Schultze war seit 1758 Pastor am St. Johanniskloster, 1759 zugleich am Spinnhaus; seit 1774 außerdem am Werk-, Armen- und Zuchthaus in Hamburg; Herwarth von Schade, Hamburger Pastorinnen und Pastoren seit der Reformation, hg. von Gerhard Paasch, Bremen 2009, S. 238.
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Achtzehntes Kapitel Hatte ich Unrecht im 9ten Kapitel? Da stand ich nun ganz da als eine arme Wittwe. Die Schulden gross! – An der Kahlenberger Wittwen-Cassa hatte ich keinen Antheil. Er hätte bis Ostern [194r/391] leben müssen, dann hätte ich 300 Thaler gehabt. – Aber, Gott weiß es! es schmerzte mich nicht; die 300 Thaler thaten mir nicht weh. – Ja, wenn ich länger wär eingeschrieben gewesen; aber so? so hätte ich ja der Cassa Schaden gebracht? – Gottlob! daß noch das kleine Capital gerettet ist. O, das verdanke ich der guten Madame Amberg! Ohne ihren Rath wär auch das verlohren gewesen. Gott selbst gab es ihr damals in den Sinn. – Und die Christen-Mäkler-Wittwen-Cassa – war bankrott. – Noch nicht ganz, aber doch so weit durch alle Herrn Vettern und guten Freunden herruntergekommen, das troz der erhöhten Zulage der Interessenten von 16 Mark des Jahrs mehr wie sonst die armen betrogenen, unschuldigen Wittwen statt 100 Mark nur 25 das Vierteljahr bekamen. – Und wir? – Da ich nun einmal bei der saubern Cassa bin, will ich’s nur auch gleich zum Schluß bringen, damit ich mit eins davonkomme. 1777, den 22. May, bekam ich daß Osterquartal mit 25 Mark. – Weil aber auch mein Mann in dem [194v/392] Osterquartal starb, mußte ich 20 Mark die Zulage zum letzten Mal geben und bekam 5 Mark heraus. – – Und da ließ sich schon was Artiges mit anfangen. – – Ob ich 75LX Mark weniger hatte oder nicht. Den 23. July bekam ich das Johanniquartal. Den 22. December das Michaeliquartal. 1778, den 27. Februar, das Weinachtenquartal vom Jahr 1777. Den 29. May das Osterquartal. Den 10. September das Johanniquartal. Daß sind 150 Mark529. – Und meinen Mann hatte der Spaß gekostet in allen 868 Mark. Den 9. December 1778 reiste ich aus Hamburg; und da ist mir auch bei denen 25 Mark statt 100 die Cassa doch noch Michaelis- und Weinachtenquartal – also 50 Mark, schuldig geblieben – Sobald eine Wittwe ausser Landes reiset und sich anderwärts niederläßt: hat sie keinen Antheil weiter an der Cassa. – Mach auch keinen Anspruch daran. – Aber um die 50 Mark bin und bleibe ich doch noch immer betrogen. – Wenn der hinkende Bothe530 das Quartal brin[195r/393]gen sollte, brachte er einen Wisch 529 Offensichtlich wurden später die rückständigen Renten nachbezahlt, denn in einem Brief vom 24. März 1815 berichtete Kummerfeld an Henriette Keil, dass sie nun die Rente vom Jahr 1811 erhalten habe und die des Jahres 1812 folgen werde; s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. 530 Der hinkende Bote steht fig. für: eine unangenehme Nachricht nach einer vorhergegangenen angenehmen erhalten.
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von Buche, worinnen sich die Herren die Köpfe zerstoßten. – Und ja nicht zu vergeßen, daß die Kosten für die Wischchens alle von den Wittwen und ihren Männern Gelde genommen wurde. – Den die Herrn Vettern hätten sich schön dafür bedankt. – In einen von diesen allerliebsten Werkchens stand gar: – Die Wittwenn, die jetzt darinnen wären, sollten ausgestrichen werden. Und wenn die Cassa durch einen billiggen Zuschuß von denen noch lebenden Herrn Interessenten in Ordnung ist, nur den noch lebenden Interessenten ihre künftigen Wittwen Antheil haben. – Ohne ein Wort zu sagen, daß man denen vorhandenenLXI Wittwen das Capital wiedergeben wollt, daß doch ihre Männer hergegeben. – Nun hatte ich es satt, las gar nichts mehr von den Zetteln und warf all die weisen Spekulationswerke ins Feuer. – Ist mir jezt leid! Aber ich hatte ja Verdruß ohnedieß genug. – Sollte ich mir noch mehr Galle machen? Mein Mann war tod. – Friede seiner Asche! – Aber mit seiner Wittwe gieng man barbarisch [195v/394] um. – Und noch ärger würde man mit mir umgegangen seyn, wenn Herr Licentiat Dresser531 nicht für mich gedacht: und noch bei Lebzeiten meines Mannes den Herrn Hofrath Hüffel532 gebeten, mein Curator533 zu werden. – Wie hat man mir condoliert? – Gott vergebe es allen! – Ich hab’s ja auch – wollte ja so gern nichts sagen! – Aber ich muß ja! Man muß ja erfahren: – Warum man mich nach meines Mannes Tode als Julie wieder hervorkommen sah. – Hervorkommen, so nennt es ja der Herr Rath Reicherd534. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Neunzehntes Kapitel Bey allen Leiden Entschlossenheit Den 20ten Februar des Morgens ließ die Familie nicht die Creditores535 versiegeln. – Es geschah der auswärtigen Erben wegen – wovon selbst mein Mann nichts gewußt, daß 531 Johann Philipp Dresser; s. WHS, Anm. 475. 532 Ludwig Amandus Hüffel (* 9. Nov. 1740, † 31. März 1805 Hamburg), kaiserlich-russischer Hofrat und Advokat in Hamburg. Hüffel, seit 1771 Mitglied der Patriotischen Gesellschaft, heiratete 1770 Anna Katharina, Tochter des Senators Ulrich Moller; Buek, Die Hamburgischen Oberalten, S. 201. 533 Vormund. – Nach Hamburger Recht konnte der Ehemann zu Lebzeiten für seine Witwe einen Vormund bestellen; Massih, Vormundschaftsrecht, S. 492 (s. o. WHS, Anm. 454). 534 So Reichard im TKR 1793, S. 301, in der Antwort auf ihren Leserbrief. – Dieser Satz wurde von Kummerfeld zur Hervorhebung besonders groß geschrieben. 535 Creditor: Gläubiger. – Normalerweise würden die Gläubiger den Besitz versiegeln lassen, in diesem Fall tat es die Familie am 20. Februar 1777. Sie ließ offensichtlich Schuldscheine verschwinden. Dies
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er Erbe von den Halbgeschwistern, noch sie von ihm wären. – Inzwischen konnte es möglich seyn, den er wußte vieles nicht. Meines Mannes Schränke und Komoden wurde versiegelt. Meine nicht, nur mein Silber wurde angeschrieben, weil es den Begräbnißtag gebraucht [196r/395] wurde. – Jetzt schreibe ich einer Sache wegen mit zitternder Hand! – – – Das Geld, was mein Bruder an meinen Mann gegeben, für ihn zu belegen, hatte er den Empfang angeschrieben; – auch hatte mein Bruder eine Obligation in Händen. – Aber wo er es hinngethan, fand sich keine Spur – und ich habe es auch nie erfaren – ebensowenig wie von den Beutel mit tausend Speciesthalern, die ihn der Arbeitsmann im Januar nachtragen mußte – und wovon er – nach Muthmasung nur, nicht daß man es für gewiß sagen konnte: 1900 Mark banko Schulden abgetragen. 1100 Mark banko aber waren verschwunden. – – – Meinen Bruder sein Geld – daß war mir das – Schröcklichste. – Mein Bruder betrogen! – und von wem? – von meinen Mann!! – – Nicht um mich – nicht um mein künftiges For[t]kommen weinte ich – fiel keine Thräne! – Nur mein Bruder! – nur mein Carl! mein [196v/396] Carl, schrie ich, rang meine Hände, wühlte inn meinen Haaren. Mein Mann als ein Schurke in Grabe? – Nimmer, nimmermehr!! Die Schulden gehen voraus – laß Schwerdtners Volk – laß die Race536, laß das betrügerische Weib bezahlen. – Für meinen Bruder gebe ich den lezten Rock her – aber für die nichts! – Carl soll meinen Mann nicht im Grabe fluchen. – – Ich, ich allein will die Betrogene seyn. – Wie? wie rette ich meinen Carl seyn Geld? Ich war ausser mir! Herr Licentiat Dresser sagte: „So decken537 Sie Ihren Bruder!“ (Mehr von meinen Freunden waren dabei, als er das sagte) Ich: „Wie kann ich? und mit was? Ich habe kein Geld.“ Herr L. Dresser: „Mit Ihren Sachen!“ Ich: „Kan ich daß? – darf ich das?“ geschah vor der Beisetzung, denn erst am 25. Februar 1777 wurde Diedrich Wilhelm Kummerfelds Leichnam nach St. Michaelis übergeführt; Staatsarchiv Hamburg 111-1 Cl VII Lit. Cc Nr. 7 Vol. 22 Fasc. 1 Bd. 2, S. 147a. 536 Rasse. – Das aus dem Französischen entlehnte Wort „Race“ wurde im 18. Jahrhundert hauptsächlich für Tiere gebraucht. In Bezug auf Menschen hatte es eine abwertende Bedeutung. Das Kriterium der „Rasse“ zur Einteilung der Menschheit setzte sich erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch; Antje Sommer und Werner Conze, „Rasse“, in: Otto Brunner u. a. (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Stuttgart 1984, S. 135–178, hier S. 141 ff. 537 Absichern.
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Herr L. Dresser: „Ja! den es ist nicht versiegelt – nicht angeschrieben.“ Ich: „O, mit Freuden!“ – [197r/397] Nun packte ich alle meine besten Sachen, Kleider, Wäsche, Schmuk, Uhren etc. etc. etc., alles zusammen. Nicht ein Fäschen von meines Mannes Sachen war dabei, sogar die Tischtücher und Servietten, worein ich es schlug, waren noch mit C. S. gezeichnet. Ohngeachtet nur meines Mannes Leibwäsche versiegelt war – nahm ich nichts von der Wäsche, die ich nicht mehr mein nannte. – Herr Bubbers nahm es zu sich. Und an dem schickte mein Bruder die Obligation gerichtlich. – Und ehe es meinem Bruder gerichtlich in Dreßden ausgefertigt wurde, mußte mein Carl einen Eid schwören, daß er das Geld wahr und wahrhaftig meinen Mann gegeben. Schwören konnte er mit guten Gewissen – aber war es nicht hart für einen ehrlichen Mann: Schwören zu müßen für sein Eigenthum? So stand es in den ersten 24 Stunden, daß ich zur Wittwe geworden. – Und nun wurde auch mein Entschluß festgesezt, unumstößlich festgesezt. Tief lag er in meiner Seele. [197v/398] Erst muß man die Schulden wissen, die gehen vor alles. Glauben den die Erben, das Vortheil bei der Erbschaft ist, so nehmen sie alles hinn, nur mit den Beding: Daß die Schulden bezahlt werden. Ich will nichts herrausnehmen, als was ich mein nennen kann; was mit meinen Namen gezeichnet und er mir geschenkt hat. Einige Stücke nur von MobilienLXII und meiner Bibliothek. Nur allein daß: Was ich mit einen körperlichen Eide beschwören kann: Daß schenkte mir mein Mann vor, das nach der Hochzeit. Es waren nur zwey Schränke, zwey Komoden, ein Bett und zwey Tische, der eine mein Arbeitstisch und der, worauf meine Toilette stand. Das Silber und meine Bücher. – Daß war es alles! Wollten sie mir auch daß nicht lassen, – gut, so nehmt es hinn! – Ich nehme nur, was ich an meinen Leibe getragen, und das von Silbergeschirr, worauf mein Zeichen C. F. S.538 gestochen, gehe fort, wie ich gekommen. – Erbt! Erbt! Aber nur bezahlt Kummerfeldts Schulden. Glaubt man aber nach der strengsten Taxirung und [198r/399] Untersuchung, daß mehr Schulden wie Vermögen da ist: – Wohl! so übernehme ich die Massa mit Schuld und Unschuld, und man entsage der Erbschaft. – Konnte ich mehr thun? – Die Hamburger Rechte539 kannte ich nicht; wußte nicht mehr, als was mir mein Mann davon gesagt und ich bereits gemeldet. – Nehmlich, 538 C. F. S.: Carolina Francisca Schulze. 539 Die Haftung der Ehefrau für die Schulden ihres Mannes war in Hamburg weitreichender als im gemeinen Recht. Auch der Brautschatz war von der Haftung nicht ausgenommen. Nach der Neuen Fallitenordnung von 1753 musste die Ehefrau sogar für Schulden haften, die der Ehemann vor der Eheschließung gemacht hatte; Massih, Vormundschaftsrecht, S. 469 f.
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daß, wenn die Schulden über des Mannes Vermögen stiegen, die auch von der Frauen Vermögen müßten bezahlt werden. Wenn aber daß nicht ist: So behält die Frau das Ihrige. Von des Mannes Nachlaß würden die Schulden und alle Kosten, nebst Trauer, Begräbniß, kurz, alles bezahlt. Und wann den noch etwas nach ist? Theilt die Frau mit den Erben; daß ihr eine, denen Erben die andere Hälfte bleibt. – Alles zu verstehen, wenn keine Kinder da sind, wie bei mir der Fall war. Ja, und es überzeigte mich noch mehr darinnen, weil man nur meines Mannes Komoden und Kleiderschränke versiegelt hatte und von den meinigen nichts. – Wegen den Silber? – Daß konnte man [198v/400] nicht wissen, und man war da, um davon sprechen zu können. Inzwischen bei der ganzen Art und Weise, wie man sich gegen mich nahm und man mich ansah wie das Tipchen auf ’s i – ahndete mir, daß man meine Erklärung für Großsprächerey nehmen würde: – Den mein Plan blieb ein Geheimniß, den durfte die Familie nicht wißen. Da mir der englische Minister, Herr Mathias540, die Condolenzvisite machte, sagte ich zu ihm: „Freund! mir ahndet so etwas – mir ahndet: daß ich des kaiserlichen Herrn Ministers541 Schuz und Fürsprache werde nöthig haben. – Als eine geborne Wienerin wird er sich meiner annehmen. Finde ich’s für nöthig – dann schicke ich zu Ihnen, lasse Ihnen mündlich oder schriftlich sagen: Jetzt ist es Zeit! – Sobald Sie das hören oder lesen, – so fahren Sie zu dem Herrn Gesandten und melden mich bei demselben.“ Der Herr Minister versprach es mir, ohne zu fragen, warum? [199r/401] Nun mein Plan: Zwey Wege hatte ich mir bestimmt. Läßt sich die Familie gerecht finden, sieht sie, daß die Erbschaft wenig oder nichts ist, wen auch von meines Mannes Nachlaß was übrig bleibt? – Was wollte das sagen? da es mußte in 9 Theile getheilt werden? – Waren ja alle 9 Geschwisterte wo nicht gleich reich, doch alle sehr wohlhabend,
540 Emanuel Mathias (* um 1725, † 14. Juli 1790 Hamburg), seit 1756 Sekretär bei der englischen Gesandtschaft in Hamburg, 1763 Agent bei den Hansestädten, 1772–1790 Ministerresident. Mathias war Theater- und Musikliebhaber und befreundet mit der Schröder-Ackermannschen Familie. Auch einige Mitglieder der Ackermannschen Truppe, darunter Karoline Kummerfeld, verkehrten in seinem Haus. Lit.: Johann Martin Lappenberg, Listen der in Hamburg residirenden, wie der dasselbe vertretenden Diplomaten und Consuln, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 3 (1851), S. 443; David B. Horn (Hg.), British Diplomatic Representatives, Bd. 1, London 1932, S. 72; Schröder und Gotter. Eine Episode aus der deutschen Theatergeschichte. Briefe Friedrich Ludwig Schröders an Friedrich Wilhelm Gotter 1777 und 1778, hg. von Berthold Litzmann, Hamburg/Leipzig 1887, S. 70, 118. 541 Anton Freiherr Binder von Kriegelstein, k. k. Hofrat, von 1775 bis 1794 bevollmächtigter Minister am Niedersächsischen Kreis; Erwin Matsch, Der Auswärtige Dienst von Österreich(-Ungarn) 1720–1920, Wien/Köln/Graz 1986, S. 132.
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bis auf Madame Fritsch und ihrer Tochter, die bereits 5 Kinder hatte. – Leztere ist meine Sorge. Sie kannte mich, wußte, wie ich mich bei vielen betragen – o, denen willst du recht viel Gutes thun, sobald du nur wieder athmen kannst. Läßt mir die Familie nun alles und sagt: „Sehen Sie, wie Sie mit denen Creditores zurechte kommen, wir wollen nichts.“ – Gut. Die Creditores hatte ich alle in den Händen. Herr Popert sagt: Er wolle mich nicht drücken; mein Bruder gar nicht. Daß sind, hoffe ich! die Wichtigsten. – Mein Credit ist zu groß! Tausende von Schulden und kein Groschen von Schuld, die ich gemacht? Sobald ich sage: „Habt Geduld mit mir! Ihr sollt nichts verliehren, ich will handeln als das ehrlichste Weib.“ – O, so warten sie alle. Frem[199v/402]de sind immer in Hamburg; ich vermiethe meine Zimmer, nehme Kostgänger; schicke Essen aus dem Haus; arbeite; bist Bürgerin, hast das grosse Bürgerrecht. Kannst Nahrung treiben, welche du kannst und willst542. – Gott wird dich segnen, wird dir beistehen! Machst zu Geld alles, was du nicht brauchst, nach und nach, nicht in Auction, da sind die Kosten auch erspart, und bezahlst so nach und nach. Bist vielleicht in Zeit von vier Jahren aus allen; wirst noch eine Frau, die nicht für sich, die auch für andere leben und wird sorgen können. – Dann soll’s die Fritsch und ihre Tochter und Enkels recht gut haben! – – Machen sie dir’s aber zu bund – dann – Gott steh mir bei! – dann – dann mußt du wieder auf ’s Theater. – Dann bleibt dir kein anderer Weg. – Doch wissen sollen sie es nicht. Sprächst du vom Theater, so könnten sie denken, du willst ihnen nur wie den Kindern mit der Ruthe drohen, ohne sie zu schlagen. – Dessen glauben sie dich nicht fähig. Daß nicht: Daß du imstande bist, [200r/403] wieder auf ’s Theater zu gehen. Daß waren die zwey Entschlüße, die ich gefaß[t]. Die feßt standen. Und die noch fester wurden, da man – wie noch lange nicht die ersten sogenannten vier Ruhewochen um waren, die Herrn Verwandten nebst dem gehörigen Gefolge erschienen. Mir in meinen Zimmer mit nur allen möglichen Respeckt einen Armstuhl zum Sitzen presendirten; und da ich mich auf solchen niedergelassen, kurz darauf frug: „Madame! wie viele Röcke haben Sie auf den Leibe an?“ – – Ich ganz kalt zählte: „Eins, zwey, drey!“ Die Zahl drey sagte ich mit einenLXIII Gesicht – das verdient hätte, in Kupfer gestochen zu werden, glaube ich. Ein Schreiber, der hinnsah, ob ich auch ri[ch]ttig zählte, sagte: „Einen Rock müßen Sie zur Trauer haben. – Allso“ – (dictirte er den andern) „zwey Röcke am Leibe!“ – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
542 Nahrung treiben: Ein Gewerbe betreiben, womit man sich den Lebensunterhalt verdient. – Zum Hamburger großen Bürgerrecht gehörte die Handels- und Gewerbefreiheit; Matthias Wegner, Hanseaten. Von stolzen Bürgern und schönen Legenden, Berlin 1999, S. 34.
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Zwanzigtes Kapitel Theatervorschläge von mir; und andern an mich Madame Ackermann besuchte mich und bezeig[200v/404]te mir aufrichtigen Antheil an meinen Unglük. Ich entdekte mich ihr, den ich war von ihrer Verschwiegenheit versichert. „Madame! bleibt mir kein anderer Weg, muß ich wieder auf ’s Theater, so muß ich’s hier. Meine ganze Ehre verlangt es: Und wenn ich hier nur ein- oder zweymal spiele. Genug, hier muß es seyn, damit man, wen ich mich nachher auswerts engagire, nicht sagen kann: ‚Es muß doch nicht so ganz richtig mit ihr gewesen seyn. Den hätte sie nicht mit Schuld an den Bankrott ihres Mannes gehabt: Warum gieng sie den nicht in Hamburg auf Theater? Sie muß sich gefürchtet haben‘ – daß darf man nicht sagen. – Nicht Denken!!! Ist mir nun alles genommen; bleibt der Kummerfeldt nichts, woran sie sich stützen kann: Dann sag ich’s Ihnen und spiele ein, zwey oder drey Rollen. Glauben Sie und Herr Schröder, daß ich noch nicht alles verlernt, so sagen Sie es mir, engagiren mich und geben mir Gage, so viel Sie wollen. Kann ich nicht damit in der Länge [201r/405] auskommen, so sage ich zu Ihnen: Ich nähme es jetzt vor der Hand und bin damit zufrieden. – Und wenn es noch so wenig ist! – Bin ich aber erst Ihren Werke brauchbarer, dann werden Sie mir schon von selbst zulegen, wie Sie es immer gethan haben, ohne daß wir es forderten. Erhalte ich so viel, daß ich auch in die Zukunft auskommen kann: – O, Madame! so bin ich, wenns möglich ist! noch 50 Jahre bei Ihnen, nie will ich mehr fordern! Will ganz als Kummerfeldt daß bei Ihnen seyn, was ich als Schultzen war. – Aber, Madame! nicht allein unbillig, – lächerlich wär’s von mir, von Ihnen zu verlangen, daß Sie mich engagiren, mich füttern sollten, ohne mich auch brauchen zu können? Geht es nicht, so sagen Sie es mir eben so gerade heraus: ‚Kummerfeldt! ich wollt Sie gern engagiren, aber es geht hier nicht mit Ihnen auf meinen Theater‘. So ist es mir auch recht. – Nur aufrichtig, liebe Madame Ackermann! Nur keine Falschheit. – Ich richte den meine Sachen anders ein. – Wenn Sie mich auch nicht [201v/406] engagiren, wir bleiben Freunde. Auch verlange ich nichts für mein Spielen, wenn Sie mich nicht behalten. Das Haus, weiß ich, bekommen Sie voll, wenn es heißt: ‚Die Kummerfeldt spielt mit den Abend‘. – Und daß soll mich freuen! und nehmen dann die zwey Einnahmen dafür zur Erkentlichkeit an: Daß Sie mir und meinen Mann freyen Einlas in Ihr Schauspiel die vielen Jahre hindurch gegeben. – Auch gestehe ich Ihnen, ich habe hier wenig Muth. 9 Jahre bin ich davon? – Denken Sie, was habe ich gelitten? – und hauptsächlich mein Kopf. – Weiß nicht, ob ich noch studieren und was auswendig
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werde lernen können. – Doch bin ich hier nur ein paarmal aufgetretten, ist nur erst die Bahn gebrochen, an einen andern Ort wird es gewiß schon beßer gehn.“ Madame Ackermann fand es gut. Ja, sie sagte selbst: „Sie können es mir bei meinen grossen Ausgaben nicht verdenken, wenn ich Sie nicht engagire, so gern ich es wünsche.“ Ich antwortete: „Nein, Madam, daß sollen Sie auch nicht; ja nicht! Nur zwey von meinen alten Rollen will ich spie[202r/407]len; nur daß es den Namen hat, ich bin hier wieder zum ersten Mal aufgetreten. – Ich würde es auch nicht ertragen, das fünfte Rad am Wagen zu seyn. – Nicht aushalten können zu wißen, ich wär Ihnen eine Last. – Nein! ganz wollen wir bei der Abrede bleiben. Sie mögen mich engagiren oder nicht: Wir bleiben Freunde – – hier ist meine Hand darauf“ – „Da!“ sagte sie – „die Meinige.“ – Und sezte hinnzu: „Wenn doch alle Menschen so aufrichtig handelten.“ Von meinen Bruder hatte ich Briefe, daß ich zu ihm kommen sollte. Wie ich ihm schrieb: „Dein Geld muß gerettet werden, und sollte es mich meinen lezten Rock kosten.“ – So antwortete er mir: „Nein! lieber will ich nichts haben, als daß es dich deinen lezten Rock kosten sollte.“ Auch von Herrn und Madame Seyler bekam ich folgende Briefe. Liebste Freundinn! Schon längst habe ich Ihnen schreiben wollen, [202v/408] allein, ich habe gefürchtet, Ihnen in der ersten Zeit mehr beschwerlich zu fallen; ich habe es also verschoben. Wie nahe mir Ihre Umstände gegangen sind, kann ich Ihnen nicht beschreiben, ich habe mich so ganz an Ihre Stelle gesezt und den ganzen Umfang Ihrer Lage gefühlt. Doch hoffe ich, liebste Freundin, daß Sie eben die Trost-Gründe gefunden haben, die ich dabei sehe. So wie die Sache stunde, wie ich sie seit einiger Zeit erfahren, hat die Vorsicht Ihnen eine grosse Gnade erzeigt, daß er Ihren Mann so bald zu sich genommen hat. Erstlich haben Sie nicht so lange mitleyden dürfen; und endlich, weil Sie jetzt noch in den Jahren sind, wo Sie noch angenehme Tage hoffen können; und wenn ich Ihnen etwas rathen darf, so wählen Sie Ihren vorigen Stand wieder, ich weiß, Sie lieben ihn noch, und in Ihren Alter können Sie noch lange der Schaubühne nüzlich seyn, noch lange eine grosse Rolle darauf spielen. Sie sind noch überall in frischen Andenken und werden im Triumph und mit Ehren wieder empfangen werden. Darf ich noch etwas hinzusetzen? – Kommen Sie [203r/409] zu uns, liebste Freundin! Ja, Sie sollen nicht allein als eine gute Schauspielerin, sondern als unsere Freundin, als unsere Tochter aufgenommen und angesehen werden. – Wir haben jezt nach so mannigfaltige Unruhen und Beschwerden eine sehr reizende Aussicht und auf 10 Jahr ein festes Engagement
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an den Mannheimer Hof543, wie Sie von Ihren Herrn Bruder schon werden erfahren haben: dazu kommt noch, daß der Churfürst544 denen, die diese Zeit dort aushalten und sich Mühe für die Kunst geben, Pensionen verspricht. Andere vortrefliche Einrichtungen mehr, die zu weitleuftig sind, hierher zu schreiben, und die überhaupt so vortheilhaft und reizend sind, daß ich fürchten müßte, Sie möchten glauben, ich wollte Sie nur damit locken. Den noch nie hat das deutsche Schauspiel solche Aussichten gehabt. Leben Sie wohl, liebste Freundin, und seyn Sie versichert, daß ich mit dem wärmsten Herzen und den redlichsten Gesinnungen bin und immer sein werde Ihre wahre und ergebenste Freundin Friedericke Seyler. [203v/410] Auch von mir ein paar Worte, liebe Freundin! Von ganzen Herzen bedauer ich die Unruh, in die Sie jetzt verwikelt sind; schaffen Sie sich solche so bald möglich vom Halse und bedenken Sie, daß das Leben kurz ist, seyn Sie wieder, was Sie sonst waren, eine Zierde unsern deutschen Theater; es fehlt ihn leider noch immer an Leuthen, die mit Rechtschaffenheit Talente verbinden. Kommen Sie zu uns, liebe Freundin, und versichern Sie sich alles deßen, was Freundschaft nur gewähren kann; Ihr Bruder mag Bürge unserer Gesinnung seyn, wenn Sie anders welche brauchen; offene Arme und freundschaftliche Herzen erwarten Sie. Ich umarme Sie von ganzer Seele als Leipzig Dero den 23ten Merz 1777 Ergebenste Ihrer Freunde A. Seyler. Auch mein Schwager, Herr von Brunian545, der meine Halbschwester546 zur Frau hatte, schrieb mir von Prag, ich sollte kommen. – Nicht genug, auch meine auswärtigen Freunde trugen mir bei ihnen Auffendhalt und Credit an. Allen, [204r/411] allen dankte ich, wie ich’s fühlte. – Aber aus Hamburg weiche ich nicht eher, bis die Sache entschieden, und sollte es mich hier auch noch mein Leben kosten. Ich bleibe, will ihn
543 Abel Seyler war bereits 1777 an der Leitung des Mannheimer Nationaltheaters interessiert, doch erhielt zunächst Theobald Marchand den Zuschlag. Nach dessen Abgang spielte Seyler zeitweilig in Mannheim. Erst 1779 erhielt er die Bestallung als künstlerischer Direktor des Mannheimer Nationaltheaters, wurde aber 1781 wieder entlassen; Daniel, Hoftheater, S. 186–191. 544 Carl Philipp Theodor von der Pfalz (* 10. Dez. 1724 Schloss Drogenbusch bei Brüssel, † 16. Febr. 1799 München), seit dem 31. Dez. 1742 Pfalzgraf und Kurfürst von der Pfalz, seit dem 30. Dezember 1777 auch Kurfürst von Bayern. 545 Johann Joseph von Brunian (1733–1781), Schauspieler und Theaterdirektor. 546 Maria Anna/Marianna Brunian (1735–1822), Schauspielerin.
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austrinken, den mir voll eingeschenkten herben Trank bis auf den lezten Tropfen. Es muß nach meinen Kopf gehen, und wenn sie alle des Henkers werden. Den 4ten May besuchte ich Herrn Schröder. Ich wiederholte alles daß, was ich seiner Frau Mutter547 gesagt. Noch mehr! Ich sagte: „Und den, Herr Schröder! Ich wünschte, wenn ich wieder auf ’s Theater komme, daß ich auch in Ruhe darauf leben könnte. Lassen Sie uns aufrichtige Freunde seyn. Sie wissen, wie es bei dem Theater ist. Fehle ich, mache ich etwas nicht recht – ich bin 9 Jahre von Theater gewesen – sagen Sie es mir. Mit Dank will ichs annehmen. Hören Sie was – oder steht Ihnen etwas an mir nicht an: Sagen Sie es mir gerade ins Gesicht. Ich will’s wieder so machen, hier haben Sie meine Hand darauf.“ Herr Schröder [204v/412] sagte: „So habe ich’s gern. Wenn es alle so machten, würde weniger Verdruß seyn.“ Einundzwanzigtes Kapitel Die Familie macht mich zur Diebin So standen meine Sachen, und ruhig wollt ich abwarten, wozu sich die Familie entschließen würde. Aber mein Gott! Was war der 16te May für mich für ein Tag des Schröckens. Ich bekomme eine Abschrift von einen Schreiben, daß die Familie gegen mich zu Rathe eingegeben548. Es stand darinnen: Die Schuldfoderung meines Bruders wär eine Lüge; ich wollte die Erben betrügen; hätte nach der Versiegelung einen Dieb stal an ihnen begangen und Sachen versezt, folglich heimlicher Weise die Erbschaft angegriffen. Erben und Creditores kämen durch mich um daß Ihrige. Man sollte also einen Weibe, wie ich wär, der nicht zu trauen ist, alles wegnehmen, damit ich keine Gelegenheit hätte, sie mehr zu bestehlen; mir in den Hause eine Kammer anweisen und mir nichts lassen, als was ich zur höchsten Nothdurft brauchte. Alle Zimmer und übrigen Sachen gerichtlich versiegeln. Daß war der wesendliche Inhalt. – [205r/413] Ach! Hätte ich doch die Schrift. Hätte sie mir mein Herr Curator doch alle ausgeliefert, daß ich solche von Wort zu Wort hätte abschreiben können. – – Und bei der Schrift lag ein Zettelchen: Daß, wenn ich nicht in Zeit von 8 Tagen die Schrift
547 Sophie Charlotte Ackermann. 548 Eingabe an den Rat. – Aufgrund von Überlieferungslücken ließen sich im Staatsarchiv Hamburg keine Unterlagen zum Prozess der Verwandtschaft gegen Karoline Kummerfeld finden.
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beantwortete und mich gegen die Anklage rechtfertigte, man die Execution an mir vollstrecken549 würde, wornach ich mich zu richten hätte. Da hatte ich also einen Prozeß am Halse und wußte nicht, wie ich dazu kam. Ich war faßt rasend. – Ich und Betrug – die Kummerfeldt und Betrug? – Ich die Erben bestehlen? Die Creditores betrügen wollen? Meines Bruders Forderung eine Lüge – wir beide unter einer Decke spielen? – Mich vor den Majestrat550 eine Diebin, ein schlechtes Weib zu heisen? – Das heilige Donnerwetter soll euch allen die Köpfe zerschmettern, ihr Elenden alle zusammen. – – – Wär einer von der Familie in den Augenblick zu mir gekommen, Mord und Todschlag wär geschehen. Um weniger als einer Stecknadel war mir mein Leben feil. [205v/414] In 8 Tagen muß ich mich verantwortet haben! – Ich kann’s – aber wer wirdLXIV dir die Schrift machen? Heute ist Lämmerabend551, der Freytag vor den Pfingstfest. Da werden vor dem Steintor die Lämmer verkauft. Wenige Einwohner der Stad bleiben den Tag in ihren Häusern. – Heute arbeitet in Hamburg kein Mensch! Alles ist in Gesellschaft. – Morgen ist Sonabend; – da fährt alles auf die Gärten; Sontag ist der erste Pfingstfeuertag552; – wer macht sich die drey Feuertage nicht gern lustig? – Mitwoch muß man sich erholen – nun bleibt der einzige Donnerstag, der 22te – wer wird daß gleich den Tag besorgen? – und wird es nicht: – Nun, so kommen sie den Freytag, den 23ten, die dienstbaren Geister, und sperren dich ein. – – – O, Kummerfeldt! Kummerfeldt. Siehe, siehe, wie man mit deiner Wittwe umgeht! – – – – Mein Gretchen mußte fort zu meinen Hüffel! – Zu meinen Greilich553 – – ach, diesen würdigen Mann habe ich noch nicht genannt. Er ist Licentiat, ist der Schwager von meinen lieben Simon Hinrichs. – Gott! wenn ich die Menschen nicht gehabt hätte – ich hätte in meinen Jammer verzweifeln müßen. – – Die Guten blieben – viele 549 Zwangsvollstreckung. 550 Magistrat. 551 Am Freitag vor Pfingsten fand vor dem Steintor im Stadtteil St. Georg ein Lämmermarkt statt. Der Lämmerabend, ursprünglich ein Festtag für Kinder, die auf dem Lämmermarkt aus Holz geschnitzte Lämmer zum Spielen bekamen, entwickelte sich im Lauf der Zeit zu einem allgemeinen Volksfest; Hans Roß, Volksfeste im alten St. Georg, in: Blätter aus St. Georg. Mitteilungen des Bürgervereins zu St. Georg von 1880 R. V., Hamburg-St. Georg, Juni 1951, S. 6 f. 552 18. Mai 1777. 553 Johann Christian Greilich (* 8. Nov. 1737 Hamburg, † 22. Juni 1820 Hamburg), Advokat in Hamburg, seit 21. Juli 1775 Aktuar beim Fallitwesen. Greilich war seit 14. Mai 1775 verheiratet mit Katharina Helena Hinrichs; Lexikon Schriftsteller 2, Nr. 1313.
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[206r/415] – o, die, die ich nicht nennen mag! ließen sich keiner vor mir sehen – Nicht einmal die kleine Cermonie554 der Condolenzvisite haben sie mir gemacht. – Waren bange: sie sollten mir was borgen. – – – Von Herrn Hofrath Hüffel bekam ich ein Billett: Ich möchte ihn doch die Papiere zuschicken. (Hat auch nachher gesorgt, daß mir keine von allen Schriften, die man gegen mich eingab, je wieder vor Augen sollte gebracht werden; so sorgte mein guter Curator für mich, für meine Gesundheit – für meine Ruhe). Mein lieber Licentiat Greilich kam selbst. – „Ruhig, liebe Kummerfeldt! So geschwind geht das nicht. Was die 8 Tage anlangt, will nichts sagen, wenn daß in 4, auch oft in 6 Wochen erst beantwortet wird. – Sie verstehen daß nur nicht.“ Wie sollte ich es auch verstehen? Hatte nie Prozeß und verlange keinen wieder. – Mein Greilich war mein Schuz-Engel und Engel des Trostes. Nun ward ich ruhig. Und nun soll geschehen, was ich gedacht, daß wohl geschehen müßte. In der Pfingstwoche sezte ich einige Punkte [206v/416] auf, die mein Herr Curator wissen mußte wegen meines Bruders Geld. Sie waren wichtig. – Und die ganze Unterredung, die ich das Jahr vorher den 23. May mit meinen Schwager Kummerfeldt darüber gehabt, wie er selbst die Obligation in seinen Händen gehabt, keinen Zweifel geäusert, daß sie falsch wär, und gewiß meinen Mann wird gefragt haben: „Hat der Bruder deiner Frau dir Geld gegeben?“ – Auf diese Schrift, die sie nun auch zu verdauen hatten – antworteten sie: Ja, mit den Gelde hätte es seine Richtigkeit, und sie hätten sich geirrt und es vergessen. – Aus Irrthum und Vergessenheit Bruder und Schwester zu falsche Obligationenschmiede zu machen!! Zu Spizbubengesündel? – – – Zweyundzwanzigtes Kapitel Die Kummerfeldt fängt an sich zu regen Wie die Feyertage vorbei waren, schickte ich Sonabend, den 24. May, zu dem englischen Minister, Herr Mathias, und ließ ihm die Worte sagen: „Jetzt ist es Zeit!“ Die Antwort, die mir mein Gretchen brachte, war: „Sollte heute noch geschehen.“ Auch kam mein Freund gleich nach 12 Uhr des Mittags selbst bei [207r/417] mir vorgefahren und brachte mir die Antwort: „ LXVI Ihro Excellenz555 erwartet Sie übermorgen früh LXV
554 Zeremonie. 555 Gestrichen: der Herr Baron von Biender.
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halb zehen Uhr.“ –Ha! nun gut. Montag also, den 26. fahre ich zu seiner Excellenz, den kaiserlichen Minister556. Erst sagte ich alles, was ich der Familie antragen laßen und was ich Bericht davon geschrieben. Dann sezte ich noch hinzu: „Muß alles verkauft werden, so habe ich drey Stücke, die laß ich nicht verkauffen. – Hier sind zwey: Ein Ring und eine Dose. Ich habe solche aus den Händen der Durchlauchtigsten verwittweten Herzogin von Weimar erhalten, nebst derselben Portrait, daß ich in Wagen nicht mitnehmen konnte, weil es in Oelfarbe ist557. – Will mir die Familie die drey Stücke nicht lassen – dann nehme ich solche vor ihren Augen weg und schicke solche Ihro Excellenz zu. Machen Sie damit, was Sie wollen. Behalten Sie solche, schicken Sie solche an die gnädigste, huldreichste Fürstin zurück. – Den ich verkauffe die drey Stücke nie! nie! [207v/418] und laße sie nicht verkauffen! Es entstehe darauß, was nur will.“ Der Herr Minister: „Ha! wenn sie’s wagen sollten, die drey Stücke verkauffen zu wollen – dann sollen sie es mit mir zu thun haben. – Aber nun, Madam! Wenn Sie nur das Ihrige herrausnehmen wollen, haben Sie Ihren Mann soviel mitgebracht, wovon Sie leben können?“ Ich: „Nein! – Wäsche, Kleider, etwas Silbergeschirr – – Bigouderien558 – – Geld wenig – nichts –“ Der Herr Minister: (etwas stutzend) – „Aber, Madam! – Wovon wollen Sie leben?“ Ich: (Nach einer ehrfurchtsvollen Pause) – „Halten Sie mir zu Gnaden – daß ist mein Geheimniß. Daß kann ich nicht sagen. Ihro Excellenz! Ich bin eine Wienerin; ich habe die Ehre, Ihre Landsmännin zu seyn. Ich will den Hamburgern zeigen, daß ich, als ein Mädchen bei dem Theater geboren und erzogen, als eine ehemalige Schauspielerin, als eine Fremde, mehr für die Hamburger Bürger thun will, als was manche Einheimische nicht thaten. Nicht vor dem Banckrott zu Fuße gehen, und nach denselben mit eigenen [208r/419] Kutschen und Pferden fahren. – – Nehmen sich Ihro Excellenz meiner an! Mache ich Ihnen Schande, thue ich einen Schritt, der nicht mit dem strengsten Punkte der Ehre übereinstimmt – dann, Ihro Excellenz, machen Sie mit mir, was Sie wollen. Lassen Sie mich einsperren, wo mich weder Sonne noch Mond bescheint. Geduldig will ich’s leiden. – Auf Ehre versichere ich, ich gehe nicht heimlich aus Hamburg, werde nicht flüchtig. Sie sollen mich finden können.“
556 Anton Freiherr Binder von Kriegelstein. 557 Diese Geschenke der Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach an Karoline Kummerfeld ließen sich in den Akten im Hauptstaatsarchiv Weimar nicht nachweisen. Zu den Geschenken s. a. HHS, S. 656 f. 558 Bijouterien: Schmuck.
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Herr Minister: „Nun, wohlan, Madam. – Ich will mit dem Herrn * * *LXVII ihrendwegen reden. – Aber auf Ihr Risico!“ Ich: „Ja, auf daß Meinige.“ Ich fuhr stolz nach Hause; habe gewiß nie mit dem Air559 im Wagen gesessen wie den Tag. O, daß in sich selbst edle Bewußtseyn ist süß. Zwey Tage darauf bekam ich von dem Herrn Sekretär des Herrn Ministers folgenden Brief: Madame! Der Herr * *LXVIII ist, besonders in Rücksicht der an ihn gelangten Anempfehlung des Freyherr von B560 * [208v/420] Excellenz, nicht ungünstig gesinnet; und glaube ich fast überzeugt seyn zu können, daß er auf seiner Seite alles beytragen werde, was zu Dero Soulagement561 und Auseinandersetzung mit den Anverwandten gereichen können. Nur scheinen ihm der gethane Vorschlag: nähmlich die Verlassenschaft Dero seligen Ehemannes taxiren zu lassen und, wenn solche alsdenn hinreiche, die Creditores zu befriedigen, und noch Überschuß da wäre, nichts erben zu wollen, wenn aber der Bestand nicht zureichte, solche mit Schuld und Unschuld übernehmen zu wollen, nicht begreiflich und selbst Dero Interesse nachtheilig zu seyn; mithin fast zu vermuthen stünde, daß darunter sonst etwas verdeckt seyn müße. Inzwischen wäre es eine in Rechten allerdings gegründete nothwendige Sache, daß der Ablauf des Proclamatis abgewartet werden müße, wo er sodenn zu Dero möglichsten Besten es an nichts erwinden562 lassen werde. Bei diesen Umständen gebe ich es Dero Ermeßen anheim, ob es nicht rathsamer seye, mit Ubergebung des Memo[209r/421]rials ad Senatum künftigen Montag noch innezuhalten; doch, da ich von der ganzen Lage der Sache nicht vollkommen und umständlich genug unterrichtet bin, überlasse ich das weitere Dero Gutfinden und habe die Ehre, mit aller Hochachtung zu verharren Madame Dero gehorsamer Diener. H.LXIX Meine Antwort war kurz. Mein Schluß blieb fest. Ich wünschte aber, den H.*LXX selbst meine Aufwartung zu machen, dann sollte aufgeklärt werden, was dunkel scheint: – Einige Tage darauf wurde mir gesagt: Man erwartete mich. Ich sollte mich nur melden laßen. 559 560 561 562
Air: Haltung, Miene. Anton Freiherr Binder von Kriegelstein. Erleichterung, Entspannung. Proklamation: Verkündigung, Bekanntmachung. Erwinden: Fehlen.
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Der Familie ihre Meinung war: Sie wollten erben, wenn mehr Vermögen wie Schulden da wären – meins mit dazugerechnet. Wären aber mehr Schulden da, dann sollte mit denen Creditores accordirt werden. – Und wär den ja was nachgeblieben, hätten sie doch noch die Hälfte davon mir genommen. – – – Auch war noch das saubere Werk in der Arbeit, daß man auf das Geld in der Kahlenberger Wittwencasse wollte einen Arrest legen. – – Wär aber wohl nicht [209v/422] angenommen worden, den ich hatte in Hannover noch Freunde. Da mir allso gesagt worden, man erwartete mich, so schickte ich in das Haus des Herrn563 und ließ mich melden! – Wie freute ich mich auf die Unterredung. Da wollte ich so ganz mein Herz ausschütten. Auch mich ganz offenbaren. – Den mir ward gesagt, er wär der Vater der Wittwen und Waysen. – – Und daß war ich ja! Den Tag, da ich mich melden ließ, war Trauer in der Familie eingefallen, und mir absagen lassen. Ich wartete mithin noch 8 Tage, und wie die verfloßen, schickte ich zum zweyten Mal hin, mit der Bitte: Welchen Tag und Stunde es mir erlaub[t] sey zu kommen? – Mein Mädchen kam wieder und sagte: Nicht angenommen. – Nicht angenommen? – Keine Stunde und Tag gesagt? – – Was ist das? – – Hm! – Hm! – – Ich will noch 8 Tage warten. – Vielleicht wird unter der Zeit geschickt. Ich wartete noch acht Tage – Es wurde nicht nach mir geschickt. – Nun schrieb ich einen Brief. Zu meinen Gretgen sagte ich: „Werde ich angenom[210r/423]men, so ist es gut. – Werde ich nicht angenommen: so giebst du den Brief ab, den ich dir mitgeben werde. – Merke es ja wohl!“ Eben hatte ich meinen Brief abgeschrieben und meinen Namen daruntergesezt, so bekomme ich Besuch von einer Freundin. „Sie schreiben? Und ich störe Sie.“ Ich: „Gar nicht! Ich bin fertig.“ Freundin: „Ja, ich muß Ihnen was sagen, aber Sie werden sich ärgern.“ Ich: „Nur heraus! Habe ja die Zeit her sonst nichts anders gehabt – nur heraus, wenn ichs wissen muß.“ Freundin: „Mir ist es leid, es Ihnen zu sagen. – Aber Sie müßen es wissen: – Sie werden bei dem Herrn *564 nicht angenommen!“ Ich: „Nicht? – Nicht angenommen??“ Freundin: „Nein! Sie sind entsezlich bei denselben von H. P. A +++565 angeschwärzt worden. Ihre Erklärung, die Sie gethan, hält man für Unsinn – oder Betrug. Man hat zu ihm gesagt: Es wär deutlich zu sehen, daß Sie die Familie und die Creditores 563 Gestrichen: von F.; nicht ermittelt. 564 Gestrichen: von F. 565 Herrn Prokurator Abendroth.
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betrügen wollten; oder müßten soviel zusammengestohlen haben, den wo[210v/424] von Sie denn leben wollten, wenn daß nicht wär?“ Ich: „Ärgern sollte ich mich? – Nein, wahrhaftig nicht! – Dank, Liebe! Tausend Dank für die Nachricht.“ „Und du?“ – (indem ich meinen Brief ansah) „Wirst Nicht Abgegeben!!“ Und so riß ich ihn in Stüken. – – „Gottes Lohn Ihnen für die Nachricht. – Die bringt mich entlich zum Schluß. – In 8 Tagen, liebe Freundin, hören Sie mehr“. etc. etc. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Abgeschnitten alle meine Wege – auch den lezten – und bei dem, der der Vater der Wittwen und Waysen seyn soll? – Ein A + +LXXI kann das bewerkstelligen? – Warten soll ich, bis so ein Prozes alle ist? – Ei, wovon soll ich den leben? – Borgen? Nie machte ich Schulden, wenn ich nicht wußte, du kannst sie bezahlen. – – Und habe ich nicht schon geborgt? – Bin ich nicht schon schuldig auf mein Ehrenwort? – – – – – Bürgerliche Nahrung hier treiben: – – Dir muß ich nun entsagen! – Es sey! – Ich muß wieder aufs Theater. – Ist’s bei der Ackermann nichts, geht es nicht, [211r/425] nun, so sage ich zur Familie: – Gäbt mir, was Ihr wollt – nur etwas, daß ich nicht ganz nackt und blos aus Hamburg reise – Ihr wüßt ja: So kam ich nicht her. – Macht euch doch die Schande nicht! – Behaltet alles – aber bezahlt meines Mannes – eures Bruders Schulden, daß er als ein ehrlicher Mann im Grabe liege. Macht ihn nicht zum Schurken, hat’s an euch nicht verdient. – Hatt mich, nicht euch zur Bettlerinn gemacht. – Hat gesorgt zu meinen Nachtheil für die Dürftigen von Euch. – Ich reise! Schüttele den Staub von meinen Füßen vor dem Thor und auf den Hamburger Gränzen ab. – Nun seht Ihr ja, wovon ich wieder leben will. – – Ehrlich leben will. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
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Drittes Buch Erstes Kapitel Ich gehe wieder zum TheaterLXXII Die Abrede, die ich lange vorher wegen meinen Debüt mit Herrn Schröder gehabt, war erst die Frage: Welche Rolle? – Ich wußte es nicht. – Ich wollte nach meiner Art nirgens anstossen. Er selbst schlug mir im Romeo566 die Julie vor und sagte dabey: „Haben in derselben viel Lärm gemacht“. [211v/426] „Ja, gemacht. – Aber so lange vom Theater? – und meine Situation? – Wenn ich sie nur aushalte. – Gewünscht hätte ich, das erste Mal aufzutreten in einer Rolle, wo ich in Trauer und Schwarz gekleidet seyn könnte – und weiß keine, die ich gemacht.“ Herr Schröder: „Ja, nehmen Sie die Julie. Meine Schwester macht sich ohnedieß nichts mehr aus der Rolle, weil die Oper Romeo und Julie567 gemacht wird, dann wird das Stück ohnedieß nicht mehr gegeben.“ Ich: „Nun, wenn Sie meinen? Will’s versuchen – der Himmel mag mir beistehen.“ Herr Schröder: „Und die zweyte?“ Ich: „Ich dächte im Herrenrecht568 die Collette. – – Das Stück ist besezt, glaube ich, bis auf die Rolle – hab sonst darinnen gefallen. – Auch ist die Collette kein ganz junges Mädchen.“ Herr Schröder: „Gut, Das Herrenrecht.“ Ich: „Und nun noch etwas, lieber Herr Schröder. Die zwey Rollen – – wenn ich wieder auf ’s Theater gehen muß, spiele ich hintereinander. – Glauben Sie den, daß es mit mir wieder geht, und [212r/427] werde ich bei Madame Ackermann ja wieder engagirt, – – o, so bitte ich Sie! Laßen Sie mich nur vom Anfang an oft hintereinander spielen. – Nicht verlange ich gute Rollen – nein! Sollen keiner was entziehen – geben Sie mir die kleinsten. – Aber nur oft lassen Sie mich spielen, daß ich wieder das Theater und das Publikum mich gewohnt wird. – O, die Gewohnheit thut viel! Das wißen Sie.“ Herr Schröder gab mir recht und sagte: Er wolle es schon machen. – Ja, noch mehr. Er frug mich einige Mal: Wann ich mich den entschließen würde? – „Den geht es, so möchte ich gern ein und die andern Stücke austheilen, wo ich wünschte, daß Sie die Rolle spielten.“ 566 Romeo und Julie, Trauerspiel von Christian Felix Weiße. 567 Diese Bemerkung bezieht sich auf das Singspiel Romeo und Julie (Libretto: Friedrich Wilhelm Gotter, Musik: Georg Anton Benda), das am 25. September 1776 in Gotha uraufgeführt worden war. 568 Das Herrenrecht oder Die Klippe des Weisen, eine Übersetzung der Komödie Le Droit du Seigneur ou l’Ecueil du Sage von Voltaire (1762).
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Ich kann und darf mich nicht eher entschliesen, als bis mir keine andere Rettung übrigbleibt. – Als bis mir alle Wege abgeschnitten sind. – Nun waren sie es, und ich schrieb an Herrn Schröder ein kleines Brieflein, darinnen ich ihm bath: mich Freytags, den 5ten July, auftreten zu lassen. – Wählte darum den Freytag, daß, wenn ich etwa bei meinen [212v/428] ersten Hervorkommen – – (in das Wort habe ich mich des Biedern wegen, daß darinne liegt, verliebt) ein hitziges oder kaltes Fiber bekäm, ich doch zwey Tage zur Erholung hätte; und auch ihm nicht in Verlegenheit sezte, wenn ich krank würde oder gar den Tod davon hätte und gar nicht mehr spielen könnte. – Blieb ich gesund, nun, so blieb es den auch den 7ten bei dem Herr[e]nrecht. Daß war so ohngefehr der Inhalt meines Briefs, soviel ich mich deßen noch erinnern kann. Herr Schröder wollte selbst zu mir kommen, war aber seiner vielen Geschäfte wegen abgehalten worden und schrieb mir Tages darauf die Ursachen, warum mein Debüt 8 Tage später, nehmlich den 11. Julius, und den 14. das Herrenrecht seyn sollte. Und freute sich meines Entschlußes. Nun, so wars den beschlossen. Donnerstag bat ich mir Probe aus. Wollte es nicht wagen bei meiner durch so vielen Gram sehr zerrütteten Gesundheit, Probe und Stük an einen Tage herzusagen. Den 11. des Morgens hatte ich einen Trost. Herr [213r/429] Docter Dahl kam zu mir und sagte: „Sie haben gestern Probe gehabt? Herr Schröder hat mir gesagt: Er wär recht mit Ihnen zufrieden gewesen. Sie hätten alles sehr richtig und mit vieler Einsicht gesagt.“ Daß war Trost – aber doch noch nicht fähig, daß aus meiner Seele zu wischen, was darinnen lag. Das Haus war ganz voll. – Da saß ich, und der Vorhang rollte in die Höh. – Erst war alles still – den erscholl ein lautes Händegeklatsche. – Ob ich gedankt? weiß ich nicht! – Ich sah auf – und sah viele weiße Schnupftücher in Parter und Logen, wo man sich über mein erstes Hervorkommen die Thränen abtrocknete. – – Ich hatte keine. – Wie ich gespielt? – Was ich gespielt? – Ich weiß es nicht. – Ich war nach meinen Gefühl – nichts. – – Erst wie ich in den Sarg lag, rollten sanft meine Zähren. – Ich lag da in einen Gefühl, daß, wenn man zu mir gesagt hätte – du bleibst nun in den Sarg, stirbst jetzt – o, ich würde lächelnd ausgerufen haben: – Gott sey Dank! So haben endlich alle meine [213v/430] Leiden ein Ende.
Drittes Buch, 1. Kapitel | 811
Dieses ist nun mein Wiederhervorkommen als Julie569. – Welch eine Seele müßte daß seyn, die imstande ist, über mich zu spotten? __________ LXXIII NB, Note 1: Haben denn, Herr Rath Reicherd! die Männer, die ihr Urtheil über mich fällten – und daß Sie als Orakelsprüche annehmen, – daß mein Spiel geältert, als ich zum zweyten Mal die Schaubühne betretten, und mich in Hamburg als Julie hervorkommen sahen, verlangt: Daß ich hätte spielen müssen so wie in Leipzig vor 9 Jahren? – und öfterer als das eine Mal habe ich ja in Hamburg die Rolle nie wieder gespielt? – Dann hätte man – (und doch nur vielleicht) ein Urtheil fällen können. – Aber alle Ihre zuverläßigen Männer: Und – (wenn es auch abermal den Ton des ehemaligen Metier verrathen sollte) – Sie, werther Herr Rath, mit. – Wenn Sie zusammen daß von mir verlangt – o, zu viel! – erwarten, – nur hoffen konnten. – Müßen Sie alle ein Bret vor den Kopf gehabt haben. [214r/431] – – Keinen von Ihnen allen wünsche ich, daß Sie – jeder nach seiner Art – so ein Wiederhervorkommen an sich selbst erleben mögen. [214r/431] Das Stück war aus. – Herr Schröder sagteLXXIV: „Nun, sind Sie miede?“ – „Ein bischen – ich weiß selbst nicht, wie mir ist.“ – Madame Mecour570 kam freudig zu mir mit einen Gesicht, daß ich kannte, wenn sie etwas recht herzlich gut meinte – drückte mir die Hände und sagte so recht innig: „Ich freue mich.“ – Die gute Frau! – Auch sie ist nicht mehr. – Ruhe sanft!! – – Ob mehrere was zu meiner Aufmunterung gesagt? – – – – Ich weiß es nicht.
569 Das Theater-Journal für Deutschland berichtete: „[…] Der Tod eines guten mildthätigen Ehemannes, der eben darum, weil er gut und mildthätig war, ihr kein Vermögen hinterlassen konnte, das stolze Selbstgefühl der Künstlerinn, sich Alles, und der kalten Unterstützung von Freunden und Nichtfreunden Nichts zu verdanken, schenkten sie unsrer Bühne wieder; und die Zuschauer gaben ihr Beyfall und Thränen […]“; TDR 1777, 3. Stück, S. 95. – Kritisch sieht die Aufführung vom 11. Juli Johann Friedrich Schütze: „Sie misfiel als Julie. Mad. Kummerfelds Spiel hatte sich während ihres Abseyns von der Bühne verändert, verschlimmert […]“; Schütze, Theater-Geschichte, S. 458 f. Ein ähnliches Urteil findet sich bei Meyer, Schröder I, S. 296: „Madam Kummerfeld, als Caroline Schulz hochgefeiert, trat am 11ten Julius in Weißens Romeo und Julie, ihrem ehemaligen Triumph, wieder auf. Ihr Beifall war der nämliche nicht mehr. Vielleicht weil die Zeit sichtbarer mit ihr fortgegangen war, als sie mit der Zeit. Schröder hätte dem Publikum gern Unrecht geben mögen, und berührte selbst in der Folge diesen Gegenstand ungern. Er that Alles sie zu heben und zu trösten, was der erfindungsreichste Schauspielvorsteher aufbieten kann; doch Zuschauer und Schauspielerin ließen sich nicht umstimmen“. S. dazu auch WHS, Anm. 609. 570 Susanne Mecour (1738–1784), Schauspielerin.
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Da ich nach Hause fahren wollte, stand Madame Ackermann in ihrer Hausthüre und erwartete mich. – „Brav, Kind! brav. – Haben’s recht gut gemacht. Ich freue mich – ach! Ich habe meine Schulzen wieder.“ Ich: „Schulzen? – O, daß noch lange nicht.“ Madame Ackermann: – „Nun Kummerfeldt, auch gut. – Habe ich Sie doch nun wieder. – Gieng recht gut, recht brav, faßen Sie Muth. – War das erste Stück, daß ich wieder ganz nach meiner [214v/432] Lotte Tod571 gesehen. – – – Kommen Sie den Sontag zu mir und essen mit mir eine Suppe. – Hören Sie? – Vergessen Sie es nicht; ich schicke nicht wieder. Gute Nacht, liebe Kummerfeldt.“ – – Daß that meinen Herzen wohl – nach unserer Abrede, die wir genommen. – Ach Gott! hilf mir! Will gern alles, alles thun – nur laß mich nicht vor meinen Feinden mit Schande bestehen. Den andern Tag hatte ich Besuch von meinen Freunden und Bekandten. Alle wünschten mir Glück und nahmen Theil, daß es so gut gegangen – ich zweifelte – den mein Mißtrauen in mich selbst war zu groß – sie versicherten mich, daß man mir recht applaudirt hätte – unter den Spiel und bei jeden Abgang. – Aber Gott weiß es! daß ich es noch bis diesen Augenblick nicht weiß – den ich hörte und sah nichts bis auf den ersten Anblick. – Aber daß ist gewiß: Wär ich Schuld an meinen Unglük gewesen, hätte ich Kummerfeldts Vermögen mit durchgebracht, mit faulen Citronen hätte man mich herruntergeworffen, und man hätte recht gehabt. [215r/433] Zweytes Kapitel Ich bekomme Muth, aber er fällt auch wieder Sontag besuchte ich Madame Ackermann. Sie war freundlich, sprach mir Muth ein und konnte mir nicht lebhaft genug ihre Freude bezeigen, daß sie wieder eine von ihren Alten hätte, von der sie versichert wär durch so mannigfaltigen Proben, daß sie’s ehrlich mit ihr meinte. – Des Nachmittags sagte sie zu mir, indem sie mir ein versiegeltes Päckgen mit Geld in die Hand drückte: – „Da, liebes Kind, haben Sie Ihre Gage. Ist es nicht genug, sind Sie nicht damit zufrieden, fordern Sie mehr.“ Ich: „Nein, Madame Ackermann! Daß ist gegen unsere Abrede: – Lassen Sie mich morgen erst noch die Rolle spielen; dan entschliesen Sie sich mit Herrn Schröder bis
571 Charlotte Ackermann starb am 4. Mai 1775.
Drittes Buch, 2. Kapitel | 813
auf den Sonabend. Wenn Sie mich den noch behalten wollen und können, will ich mit Dank Gage nehmen. – Ach, ich habe ja erst einmal gespielt.“ – Wir stritten lange. Endlich sagte sie: „Wahrhaftig, ich werde böse, wenn Sie sie nicht nehmen – haben sie verdient. – Ach, ich bin froh, daß ich Sie wiederhabe.“ – Ich nahm die Gage. Nahm sie mit Dank. Den Abend, da ich erst späth von ihr [215v/434] nach Hause kam und das Päckgen entsiegelte – wie erstaunte ich, da ich zählte 10 Thaler. Ich wollte es gar nicht glauben und zählte solchen drey vier Mahl – den ich war es nicht vermuthen. – 10 Thaler!! Gute Ackermann! – Ich sollte mehr fodern, wenn es nicht genug wär? – sollte nicht damit zufrieden seyn? – O, nie, nie fordere ich mehr! möchte ich sie nur bald verdienen können, die Gage. – Hatte, das weiß Gott der Allmächtige! auf mehr nicht gerechnet als wie auf 6 Thaler, wenn ich engagirt würde, weil ich mich selbst gänzlich als eine neue Anfängerin betrachtete. Dan hätte ich auch nach unserer Abrede gesagt: „Ich nehme die 6 Thaler mit Dank. Bin ich Ihnen erst brauchbarer, dann geben Sie mir mehr.“ – 10 Thaler die Woche, gleich nach der ersten Rolle? – Hast du den würcklich so gut gespielt? – Nun, so weiß ich kein Wort daran. – Mußt es beßer gemacht haben, als du es denken kannst. Meine zweyte Rolle spielte ich munterer und wurde in keinen Gesichte von Zuschauern Mißfallen gewahr. [216r/435] – Auch spielte ich in denselben Monat noch dreymal. Die Braitfort in der Neusten Frauenschule572 und zweymal die Hedwig im Argwöhnischen Ehemann573. Zwey schöne Rollen. Auch hörte ich über nichts klagen – als daß mein Kleid zur lezten Rolle so gar schlecht gewesen. – – – –
572 Die neueste Frauenschule, auch Die Schule der Damen oder Was fesselt uns Männer? Nach dem Lustspiel The Way to Keep Him von Arthur Murphy bearbeitet von Christian Gottlob Stephanie d. Ä. Dieses Stück wurde in Hamburg seit November 1771 mehrfach unter Leitung von Konrad Ernst Ackermann und Friedrich Ludwig Schröder aufgeführt; s. Hamburger Stadttheater 1770–1850: Digitaler Spielplan (www.stadttheater.uni-hamburg.de, Zugriff am 7.7.2020). 573 Der argwöhnische Ehemann, nach dem Lustspiel The Suspicious Husband von Benjamin Hoadley übersetzt und bearbeitet von Friedrich Wilhelm Gotter. Karoline Kummerfeld spielte Hedwig von der Aue (www.stadttheater.uni-hamburg.de; Aufführungsdatum 28. Juli 1777, Zugriff am 7.7.2020). Gotters sehr freie Bearbeitung des Stücks wurde 1777 in Hamburg uraufgeführt. Zum Stück: Thorsten Unger, Friedrich Wilhelm Gotters Hoadley-Übersetzung Der argwöhnische Ehemann im Kontext des englischen Spielplananteils am Gothaer Hoftheater, in: Anke Detken/Thorsten Unger/Brigitte Schultze/ Horst Turk (Hg.), Theaterinstitution und Kulturtransfer II. Fremdkulturelles Repertoire am Gothaer Hoftheater und an anderen Bühnen, Tübingen 1998 (Forum Modernes Theater 22), S. 69–96; Ranke, Literatur, S. 72.
814 | Weimarer Handschrift (WHS)
Madame Ackermann blieb gut; Herr Schröder sagte mir nichts; sprach nichts, daß mich ermuntern konnte: That aber auch nichts, daß mir den wenigen Muth hätte benehmen können. Madame Schröder war die gute Frau damals selbst; und alle in Gage stehende Frauenzimmer waren gegen mich artig und freundlich und hatten mich lieb. Im August spielte ich nur ein einziges Mal die Hedwig und in denselben Kleide, daß man nicht an mir sehen wollte – und daß zu wißen und in Hamburg zu spielen, kann nur der fühlen, der 9 Jahr Zuschauer war, wie ich. Der Tag war für mich so gut, als käm ich zum ersten Mal wieder hervor. – – Mein Muth fiel mit je[216v/436]der Stunde, 10 Thaler die Woche konnte mir ihn nicht geben. – O, hätte ich 5 und könnte mitspielen. Selbst meine Freunde sagten: „Wir wünschten, Sie spielten öfter. – Sie kennen die Hamburger?“ – „Ja, wohl kenne ich sie!! – Das Eisen muß hier vorzüglich geschmiedet werden, wenn es warm ist. – Aber Herr Schröder wird noch nicht können.“ – So sagte ich; und dachte es auch – doch wünschte ich oft, mehr zu thun zu haben, um mich zu zerstreuen. Die grausame Verfassung bei meinen kränklichen Körper und dabei die schwärzeste Melancholie574 – die oft so weit gegangen, daß ich geglaubt, mein gutes Gretchen, wenn sie ins Zimmer kam, wollte mich schlagen. – Wen den meine Freundinnen mich oft so überraschten – die gute Frau Commissionsräthin Schmidt575 – sie lebt Gott sey Dank! noch, ist die Schwiegermutter meines Freundes Herrn Simon Hinrichs. Madame Schütt, Mademoiselle Willers. – „Ei! hies es – was soll das vorstellen? – daß geht nicht!“ – Wieder meinen Willen, den ich war den wie ein wiederspenstiges Kind, kleideten sie mich an und schleppten [217r/437] mich zum Haus hinaus. – O, welche Geduld hatten meine Freunde mit mir! – Man lasse sie reden. – O, sie lernten ordendlich meine Kranckheit der Seele. Wußten, wie sie mich behandeln müßten; – liesen mich, wenn die Angst erst bis zum Thränenausbruch
574 Schwarze Melancholie: Im Verständnis der Zeit wurde Melancholie durch schwarze Galle ausgelöst und verursachte Schwermut und „Wahnwitz“. 575 Johanna Christiana Schmidt verw. Wiesenhaver (1732–1805), seit 1763 in zweiter Ehe mit Johann Friedrich Schmidt (s. o. WHS, Anm. 334) verheiratet. Sie hatte vier Kinder aus ihrer Ehe mit Justus Karl Wiesenhaver (1719–1759) und sechs Kinder in zweiter Ehe (s. o. WHS, Anm. 526). Seit 1774 lebte sie mit ihren Kindern allein in Hamburg, nachdem ihr Mann nach seinem Bankrott die Stadt verlassen hatte. Sie war mit der seit 1770 verwitweten Eva König befreundet, die 1776 mit Lessing eine zweite Ehe einging. Im Briefwechsel zwischen Lessing und Eva König wird Johanna Christiana Schmidt häufig erwähnt. Lit.: „Meine liebste Madam“. Gotthold Ephraim Lessings Briefwechsel mit Eva König (1770–1776), hg. von Günter und Ursula Schulz, München 1979, S. 388; Wolfgang Albrecht (Hg.), Briefe aus der Brautzeit 1770–1776 (Gotthold Ephraim Lessing und Eva König), Weimar 2000; Raabe, König, S. 29.
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kam, weinen. – Wenn ich den wieder zu mir selbst gekommen – ihnen gedankt für die Geduld, die sie mit mir Armen hätten. – O, wer wollte das nicht! – Die vortrefliche Mutter576 und Schwester577 meines Freundes Herr Hinrichs – o, was thaten die nicht alles um mich? – Wenn alle Menschen solche Herzen hätten wie diese Familie – der Himmel wär hienieden. – Der Druck, der meine Nerven getroffen den schröcklichen 19. Januar578. – O, der Rausch würckte auf mich noch viele Jahre. Drittes Kapitel Es ist wieder die Kummerfeldt Durch einen nicht vorhergesehenen Zufall hatte ich die Ehre, Ihro Magnificenz, den Herrn Syndicus S579, zu sehen. Um beßer wegen meinen Prozeßsachen mit mir sprechen zu können, sagte er: Ich möchte den Montag zu ihm kommen. Es war der 15. September. Ehe ich aber hinfuhr, schickte ich mein [217v/438] Gretchen zu Herrn Licentiat Greilich, ließ ihn bitten, er möchte gegen 12 Uhr bei meinen Herrn Curator seyn, und auch diesen ließ ich bitten, zu Hause zu bleiben, weil ich ihnen vielleicht von etwas Wichtigen würde Bericht ertheilen können. Ich mußte bei dem Herrn Syndicus aufs neue wiederholen, alles, was ich schon gesagt habe. – Und sagte ich weiter: „Daß, was dunkel bei meiner Erklärung war, ist nun hell. Ich bin wieder auf dem Theater, folglich weiß man, wovon ich in die Zukunft leben will. Nur das meinige verlange ich heraus.“ Herr Syndicus: „Was nennen Sie den das Ihrige?“
576 Magdalene Hinrichs geb. Tungerjan. Sie führte das Geschäft ihres Mannes Simon Hinrichs d. Ä. nach dessen Tod weiter; Kaufmannsalmanach von 1785 (http://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/ digbib/view?did=c1:154329&p=14, Zugriff am 7.7.2020). 577 Katharina Helena Hinrichs, Schwester Simon Hinrichs d. J., verheiratet mit Johann Christian Greilich (s. WHS, Anm. 553). – Katharina Helena Hinrichs hatte einen weiteren Bruder, Johann (von) Hinrichs (1752–1834), der nach seinem Studium in Göttingen eine militärische Laufbahn eingeschlagen hatte und u. a. im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg kämpfte. Friedrich Ludwig Schröder berichtet am Sonntag, 8. März 1778: „[…] soupirten wir bei einem Kaufmann Hinrichs, deßen jüngster Sohn in Amerika in heßischen Diensten ist“; Litzmann, Schröder und Gotter, S. 120. Zu Johann (von) Hinrichs: Hans-Joachim Heerde, Das Publikum der Physik: Lichtenbergs Hörer, Göttingen 2006, S. 300 f. 578 Sie bezieht sich hier auf ihren in WHS, 2. Buch, Kap. 17 geschilderten Besuch bei Abraham August Abendroth. 579 Jacob Schuback (1726–1786) war seit 1760 Syndikus in Hamburg; HHS, Anm. 626.
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Ich: „Nichts, – wenn mehr Schulden wie Vermögen da sind. – Nichts, als was mir den die Creditores aus freyen guten Willen lassen wollen. – Im Gegenfall aber daß, was ich gehabt und was mir mein Mann geschenkt hat und ich mit dem schwersten Eide betheuern kann, daß es mein ist. – Sind die Anverwandten klein genug, daß auch behalten zu wollen, was mir mein Mann geschenkt: – nur daß, was ich als [218r/439] Braut mitbrachte, und daß, was ich am Leibe trug als Frau.“ Herr Syndicus: „Ich sehe, Madame! Sie sind von unsern hiesigen Stadtgesetzen580 nicht unterrichtet. – Haben Sie mit Ihren Mann einen Ehecontract gemacht?“ Ich: „Nein! – Weil man ihm gesagt hatte, es wäre besser.“ Herr Syndicus: „Nun, so will ich Ihnen das erklären. – Sobald sie keinen Ehecontract gemacht haben, so sind des Mannes Güther wie der Frauen ihre unter sich gemeinschaftlich. Was er hat, gehört der Frau, was die Frau hat, den Mann. – Nun sagen Sie: Wie konnte Ihnen Ihr Mann von dem Ihrigen was schencken? – Oder Sie ihm von den Seinigen ein Present machen? – Was hätten den die nächsten Verwandten? Den wenn das angieng, daß der Mann der Frau, und die Frau den Manne was schenken könnte? – Ja, so könnten sie sich ja alles schencken, und den nächsten Verwandten blieb nichts?“ Ich: „Von Erbgüthern sagte er, da kann er nichts weggeben, nicht aber von erworbenen Vermögen? – Nicht, was er mir vor und nach der Hochzeit geschenkt?“ Herr Syndicus: „Ja, aber es ist kein Testament da? – Und dann müßten alle geerbten Gelder baar da seyn.“ [218v/440] Ich: „Wie konnte daß? – Sein Stiefvater581 zahlte seinen gekauften Dienst582; und mein Mann mußte das Capital, was der Dienst gekostet, seinen Stiefvater alle Jahre von seinen 1000 Mark Einkünften mit – Gott weiß wieviel Procent verinteressiren583,
580 Das eheliche Güterverhältnis war in Hamburg im 18. Jahrhundert umstritten. Grundsätzlich ging man von einer Gütergemeinschaft der Ehegatten aus, aus der die Haftung der Ehefrau mit ihrem gesamten Vermögen für die Schulden des Ehemanns abgeleitet wurde. Lit.: Massih, Vormundschaftsrecht, S. 462–468; Jan Jelle Kähler, Französisches Zivilrecht und französische Justizverfassung in den Hansestädten Hamburg, Lübeck und Bremen (1806–1815), Frankfurt/Main u. a. 2007 (Rechtshistorische Reihe 341); Hermann Baumeister, Das Privatrecht der freien und Hansestadt Hamburg, Bd. 2, Hamburg 1856, hier bes. §§ 76–89 (Eheliches Güterrecht). 581 Hieronymus von Bostel. 582 Im Staatsarchiv Hamburg sind über die Hamburger Bank aus dem betreffenden Zeitraum, in dem Kummmerfeld seinen Dienst angetreten hat, keine Akten erhalten. Im „Eydt und Caution Buch der Lehn und Wechsel Banco“ 1764–1801 finden sich vereinzelt Angaben zu Kaufpreisen der Dienste, die als Anhaltspunkt dienen können. So kostete das Amt des jüngsten Buchhalters in der Kaufmannsbank 23.225 Mark im Jahr 1770, 27.400 Mark im Jahr 1777. Das Jahresgehalt betrug unverändert 1000 Mark (zuzüglich verschiedener Akzidentien); Staatsarchiv Hamburg 312-9, 19 Bd. 1, S. 67, 72, 160, 164. 583 Verzinsen.
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bis er das Capital bezahlt oder ihmLXXV von der Erbschaft abgezogen wurde; und nach 22 Jahren wurde sein Dienst erst ganz rein?“ Herr Syndicus: – „Gut, Madame! Aber nach unsern Gesätzen, wenn keine Kinder und keine Schulden da sind; kein Ehecontract gemacht worden und kein Testament vorhanden: und es stirb eins von beiden, so fällt des Verstorbenen, wie des noch Lebenden Vermögen in eine Masse. Die geht in die Hälfte. Alles muß taxirt oder verkauft werden; dann wird es getheilt. Und es ist so streng: daß in unsern Stadtbuch steht: Wenn sie sich um den hölzernen Löffel auf den Brete nicht vertragen können, so wird solcher in zwey Stücke gebrochen, die Wittwe bekömmt die eine und die übrigen Verwandte die andere Hälfte. – Nichts können Sie für sich [219r/441] herausnehmen als daß, was Sie an Ihren Hochzeittag angehabt. – Auch nicht einen kleinen Fingerring mehr, Sie müßen ihn abziehen und zu der Masse legen.Den alles, alles andere gehört zur Hälfte den nächsten Verwandten.“ Ich: „Ja, Ihro Magnificenz, wenn daß ist, so komme ich freylich klatrig584 weg. – Keine Braut konnte simpeler angezogen seyn wie ich. – War alles mit meinen Gelde bezahlt; wollte es reichen Bräuten nicht zuvorthun oder nachmachen – nahm nichts dazu von Geschenken von meinen Mann – nicht einmahl einen neuen Fächer. – – O, schade, daß ich daß nicht vor meiner Hochzeit wußte! – So wär noch keine Braut erschienen wie ich. – Alle meine Kleider, Wäsche und Leinen, – das Silber in einen Sack hätte ich um mich herrumhängen und anziehen wollen, um nun sagen zu können: Ich hatte es an meinen Hochzeittag am Leibe. – – – Wär ist den des Mannes nächste Verwandte? – Die Frau oder – Verwandte, die nur in guten Tagen sich sehen ließen, aber in den bösen wichen? – Also für [219v/442] wem sorgte, sparte die Frau? – Für wem entzog sie sich so vieles? – Für gierige Verwandte? – Wär trug in Ehestand so vieles Ungemach? Wer opferte seine Gesundheit? – Wer wartete und pflegte den Mann? – Die Frau? Oder die Verwandte?? – Und zum Lohn alles deßen behält sie ein HemdLXXVI und theilt die übrigen mit den nächsten Verwandten. – Dafür habe ich in Leipzig gespart, mir alles entzogen. –LXXVII Keinen Apfel in meinen Mund gehabt. – Des Abends nach meiner schweren Arbeit ein Stükgen Rettig gefressen, keine Butter zu meinen Brodt, um keine Schulden zu haben und mich in allen einzurichten, daß mir mein Mann in den ersten Jahren nichts kauffen durfte? – Für Kummerfeldts Verwandte, die ich nicht kannte? Für die hätte ich daß alles thun müßen? – – Schenken konnte mir mein Mann nichts!? – Allso sind ja die Männer ohne Ehecontract in Hamburg nicht mündig. – Pfui! über die Männer etc. etc. – – – – – – – – – – – O, daß ich alle gute Mädchens warnen könnte, wenn [220r/443] sie das Glük oder Unglük nach Hamburg führt: Ja,
584 Norddt. veraltet für: Heruntergekommen, jämmerlich, schlimm, bedenklich.
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einen Ehecontract – und hinterher gleich ihr Testament zu machen. – Wie bin ich betrogen! Jung und gut übergab ich mich meinen Mann ohne Curator, ohne Vormund, ich brauchte keinen, war immer der meinige selbst. Ganz trauend: – ist so ein ehrlicher Mann? – Er war’s – ist selbst hintergangen, wußte es nicht besser. – – – – Doch es sey! – Also, Ihro Magnificenz! Mein Mann konnte mir nichts, ich ihm nichts schenken?“ Herr Syndicus: „Nein! Nach unsern Gesetzen nicht!“ Ich: „Gut! – Wohl! – Ich unterwerffe mich dem Gesetz. – Ich habe viel zu viel Respekt dafür. – Aber sehen Sie, Ihro Magnificenz!, da meines Kummerfeldts Vermögen ohne Ehecontract auch das Meinige war; so konnte mein Mann ohne meinen Willen und Mitwißen sich auch nicht verbürgen? Ich hätte die Obligationen mit unterschreiben müßen, und daß fehlt. – Desgleichen konnte [220v/444] er von den Meinigen nichts heimlich wegschenken. etc. etc. – Die Bürgschaften spreche ich hiermit null und nichtig, daß heimlich Weggeschenkte muß herbeigeschaft werden, den es ist mir genommen. – Alle Summen, die ich in Erfahrung gebracht, müßen her. Bezahlen, auf Kind und Kindeskind alles, was nach meiner Hochzeit man ihm abnahm: – Meine Genähmigung fehlte. – Ihro Magnifizens haben die Güte und kündigen daß, was ich gesagt, einen hochedlen, hochweisen Rath an. – Können Sie daß nicht: – Wohllan, so thue ich, was noch kein Weib in Hamburg gethan: – Ich erscheine selbst in der Rathsstube, sage daß, was ich jezt hier gesagt, den Herren Herren vier Bürgermeistern, vier Herrn Syndicis, vierundzwanzig Rathsherrn, Protonotaris585 und Herrn Sekretären frey und geradeheraus. – Nun können Sie mir weiter nichts thun, als mich aus der Stube herrausweisen: – Doch hoffe ich daß nicht. – Man kann den Kaiser sprechen und warum also nicht auch einen hochweisen Rath in Hamburg. [221r/445] – Sie kennen mich. Ich halte mein Wort.“ – (Und damit stand ich auf und wollte fort). Der Herr Syndicus hielten mich zurück und sagte: „Sie sind hitzig!“ Ich: „Wer sollte es nicht werden? Ich muß heute erfaren, daß mir mein Mann nichts schenken, aber doch zur Bettlerinn machen durfte. – Und da er mich dazu gemacht, wirft man mir einen Prozes an den Hals, weil ich nicht wollte, daß auch der Bruder so über ihn sollLXXVIII jammern wie die Schwester, wie sein Weib.“ Herr Syndicus: „Unsere Gesetze scheinen freylich den Fremden hart586. – Sonst war es anders. Aber man ist gezwungen worden, sie so zu machen. Waren Schulden da, so konnte die Frau ihr ganzes Vermögen herausnehmen vor denen Creditores; aber wegen denen vielen Ungerechtikeiten, die dabei vorgiengen, ist jetzt der Zeitpunkt auf 585 Protonotar: Gerichtsschreiber oder Stadtschreiber, teilweise auch allgemein als Bezeichnung für höhere Kanzleibeamte gebraucht. 586 Vgl. dazu die entsprechenden Regelungen in „Der Stadt Hamburg Neue Falliten-Ordnung vom 31. August 1753“; s. o. WHS, Anm. 477.
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5 Jahre gesezt. Sobald eine Frau 5 Jahr vereheligt ist, so darf sie von den ersten Tag im 6ten Jahr nichts von ihren Vermögen angreiffen; so wie sie noch den lezten Tag vor [221v/446] Ablauf des 5ten Jahrs ihr ganzes Vermögen herausnehmen kann. – Aber die Weiber. Die Weiber! haben gar zu übel gewirthschaftet, daß man den 5jährigen Termin setzen mußte.“ Ich: „Also, was die Hamburger Weiber durch ihre übele Wirthschaft eingebrockt haben – – daß soll ich ausfressen? – Aber die Weiber wißen sich noch schadlos zu halten. – Daß weiß ich, wie zum Theil hier Bankrotte gemacht worden. – Aber sehen Sie, Ihro Magnifizens!, dazu bin ich zu dumm oder zu ehrlich.“ (Nun sezte ichs den Herrn Syndicus auseinander, wie ich mir habe sagen laßen, daß es die Weiber und ihre Verwandte vor dem Bankrott machen, daß sie doch nicht zu kurz kommen. Zum Theil, nicht alle.) Dann fuhr ich fort: – „Andere machen es noch toller, wie die Madame Schwerdtner. Die nahm meinen schwachen Mann 1000 Thaler ab, wie der alte Mann587 in lezten Zügen faßt lag – der den mit den Kopf ja nickte und den Ausspruch der Frau nachlallen mußte. Ein oder zwey Tage vor den [222r/447] Bankrott betrog man Herrn Cassens. – Die Kinder? – O, denen ihre Schränke und Betten sind gewiß voll – sind 5 da, und wo 5 schlafen können, wird die Mama und Magd auch Plaz finden. – Solch ein Weib gehert ins Zuchthaus zum Exempel, daß man ehrliche Leute in Zukunft nicht um das Ihrige betrüge, damit die, die sie betrogen, nicht wieder zu Schelme gegen ihren Willen werden müßen. – O, ich hatte keine Verwandte, die meine Schräncke leerten; ich habe keinen Heller, den die Familie nicht auch weiß. – Erst nach den Tode Kummerfeldts, da ich mein Unglück in seinen ganzen Umfang erfuhr, nahm ich meine Kleider, Wäsche und Schmuck, – weil ich glaubte, es wäre mein, und deckte damit meinen Bruder. Man untersuche, ob ein Fäßchen588 von meines Mannes Sachen dabei ist. – Hätte ich’s gewußt, daß es so wär: – Ja, dann hätte ich meinen Bruder vor meines Mannes Tode mit so viel gedeckt589, daß die Summe der 1200 Thaler mit denen Intereßen wär heraus[222v/448]gekommen, und hätte dann gesagt: Nun nehmt mir den lezten Rock. – Mich wird Gott schützen, den mich drückt nicht des Manns, nicht des Bruders Fluch. Darum, da man wußte, mir gehört nichts wie mein Brautstaat590 – den man mir laßen konnte, pflügte man mit doppelten Pflugscheeren591. – Laß den
587 Johann Christoph Schwerdtner. 588 Fäserchen. 589 Abgesichert. 590 Brautausstattung. 591 Pflugscharen: Die den Boden schneidenden Messer eines Pfluges. Doppelte Wirkungskraft kann beim Pflügen mit sogen. Zwillings- oder Doppelscharen erzielt werden, d. h. hier im übertragenen Sinn, dass Karoline Kummerfeld „doppelt“, also besonders übel mitgespielt wurde.
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Mann ihr schenken, was er will: Fällt von der Casse in die Beylage! Die Hälfte bleibt uns doch. – Welche Spiegel-Fächterey! – Wie bin ich genarrt worden. Allso für die 9 Jahre Last, die ich getragen, soll ich nichts voraus haben wie meinen Brautstaat und 31 Mark Leibrente – und die ungewißen 100 Mark aus der saubern Wittwencasse? – Ist je einen redlichern Weibe, wie ich bin, so mitgespielt worden. – O, verflucht war der Augenblick, da ich vom Theater gieng, mich aus meinen Brod sezte! – Und ohngeachtet ich allein die Betrogene bin, will ich, daß nur die Unschuldigen nicht mitleiden sollen; – will nicht, daß, wenn ich auf der Straße gehe, man mit Fingern auf mich weise, und sage: ‚Ja, durch [223r/449] der Frauen, die da hingeht, ihren Mann, verliehre ich auch so und so viel.‘ – Denn last meine, last meines Mannes Habseligkeiten alle verkauffen, – in Auctionen verkauffen – es sind mehr Schulden da wie Vermögen. – Um also nicht alles für ein Ey und Butterbrod wegzugeben, gehe ich wieder aufs Theater; wil’s nach und nach verkauffen und von meinen wöchendlichen Verdienst die Schulden meines Mannes mitbezahlen, daß keiner über ihn wehzuklagen Ursach hat. – – Wär darf ’s dann wagen, schlecht von ihm unter meinen Augen zu sprechen, wenn ich nur allein die Betrogene bleibe? – Kann ein Weib in meiner Lage edler, grösser handeln wie ich? – und wenn der Gedanke von Betrug in meiner Seele wär: Kann man mich nicht finden? Bin ich nicht hier? – Der Prozeß muß zuende! Ich brauche meine Gage zu andern Dingen. Muß mich auf ’s Theater wieder ganz neu einrichten, weil ich nichts von allen den Puz behielte; da kann ich nicht noch mehr Prozeßkosten zahlen. – Sie haben die Freundschaft für mich und sprechen mit einen hochedlen, hochweisen Rath, [223v/450] den Abendroth – zum Theil gegen mich eingenommen hatte – ich habe mich erklärt: Und kommt kein baldiger Schluß, so mache ich selbst mein Aufwartung, und Sie sehen mich in der Rathsstube.“ Der Herr Syndicus hatte mich mit Aufmerksamkeit und Theilnahme angehört. „Leider“, sagte er, „geschehen viel Ungerechtigkeiten. – Aber man weiß sie nicht, sie kommen nicht immer an gehörigen Ort. Der Betrüger sind so viel, und dann muß den freylig wohl oft der Unschuldige mit dem Schuldigen leiden.“ Ich: „Richtig. Der Aufwand ist zu groß, keiner schränkt sich ein. – Verliehrt mancher, zuckt er die Achsel und schweigt still, geht nicht auf den Grund, aus Furcht: das Unglük könnte auch ihn oder den Seinigen treffen. – Ich aber habe hier keine Verwandte, die meines Mannes Schicksal treffen kann, mithinn sage ich die Wahrheit, wie es zum Theil geht. – Viele – wie mein selger Schwager Fritsch zum Beispiel, kam von seinen Fall nicht wieder in die Höh, weil er sich ebensowenig wie ich [224r/451] auf ’s Bankrottmachen verstand.“
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Der Herr Syndicus versicherten mich seiner ganzen Hochachtung und Freundschaft und sagten: „Madame Kummerfeldt, eine Frau wie Sie habe ich noch nicht gekannt. – Sie verdienten ein beßers Schicksal. Was ich zu Ihrer Ruhe beitragen kann, werde ich thun. Vieles haben Sie mir gesagt, wofür ich Ihnen Dank weiß und es gewiß in der Zukunft benutzen werde. Sorgen Sie für Ihre Gesundheit! Schade wär’s, wenn die Welt eine Frau wie Sie so bald verliehren sollte – sind Ihrer gewiß nicht viel.“ So verließ ich den würdigen, vortreflichen Mann. – O, Hamburg hat viele, viele solche Männer, aber sie werden betrogen, hintergangen bei den besten Willen. In diesen Betrachtungen kam ich angefahren bei meinen Herrn Hofrath und fand auch meinen guten Herrn Licentiat Greilich. Nicht wenig stuzten sie, als sie hörten, wo ich herkäm – noch mehr aber über die Unterredung, die ich ge[224v/452]habt. – Sie sahen sich an und lächelten – mein lieber Greilich sagte: „Es ist wieder die Kummerfeldt.“ – Glaubte aber, man könne nicht gegen den Strohm an. – Ich aber sagte: „Ich kann mir nicht helfen! Ich muß gegen den Strohm an, sonst komme ich nicht vom Fleck,“ etc. etc. Ich wußte, ich hatte recht. – O, wie wenige Prozesse würden in der Welt seyn, wenn jeder den geraden Weg gienge, gehen dürfte – oder nicht gleich was in den Weg geworffen würde, daß er solchen nicht gehen kann. – O, wie oft hatte ich auf meinen Reisen die Gelegenheit, über vieles meine Betrachtungen anzustellen. Wahrheit, heilige Wahrheit, warum darfst du nicht mehr nakend erscheinen? – Warum mußt du verhüllt gehen? – Ach! Oft so schwerfällig und mit so vielen Stücken bekleidet, daß die Zeit dabei zu lang wird, dir auf den blossen Leibe zu kommen. – Da nehmen die, denen Vortheil es ist, schöne Masken an; jeder nach der Rolle, die er zu spielen hat. – Daß ist kein Betrug in der feinen Welt – nein, daß ist nur [225r/453] Politik. – Ach, und an die Politik konnte ich mich nie gewöhnen – konnte keinen Geschmak daran finden, und wenn ich politisch seyn sollte, schüttete ich immer daß Kind mitsamt den Bade aus. Viertes Kapitel Gottes Allgewalt rette mich Ich sollte in Hamburg immer gegen etwas anzukämpfen haben. Richtete mich auch ein schwacher Strahl von Hoffnung in etwas auf, so schlug mich Krankheit des Körpers nieder; und je heftiger die Schmerzen waren: um so viel stärker würkten sie auf
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meine Nerven. – Ich fühlte mich in einer Nacht von der schrecklichsten Hämorrhoidalkolike592 ergriffen. Nicht fähig, aus meinen Bette zu kommen und meinen Gretchen zu rufen, den die Klocke, mit der ich k[l]ingeln wollte, entfiel meiner Hand, warf ich alles, was vor meinen Bette auf den Nachttisch stand, nach der Thüre meines Zimmers. Endlich hörte sie. Das gute Geschöpf ! – Sie machte Anstalt, um mir Linderung zu verschaffen. – Ihre häuslichen Geschäfte entfernten sie von mir. Die wüthenden Schmerzen hatten sich gelegt. – Aber schlafen konnte ich nicht, den Gedanken und Sorgen ließen mich nicht [225v/454] ruhn, und, leider! – wenn ich so in Gedanken fiel, waren sie die schwärzesten. – Womit hast du dein Schicksal verdient? – Daß hieng ich nach und lief ’s durch – wird es anders mit dir werden??? – – Nein, nein, du gehörst zu denen, die hier bestimmt sind, auch bei den besten Absichten stets ein jammervolles Leben herrumzuschleppen. – Ende es! so bist du davon. – O, jenseit ist es gewiß so schlimm nicht – da haben Menschen keine Gewalt mehr, Menschen zu quälen, zu verfolgen – ende es – hier, hier wird’s nicht anders – ich greiffe um mich nach einen Werkzeig hinter den Vorhang am Fenster, und stattdeßen faße ich Neumeisters Comunionbuch593 – ich ergreiffe es – schlag es auf und treffe den Gesang 1. Was hilft’s, daß ich mich quäle, durch diß und jenes Leid? Entschütte, meine Seele, dich aller Traurigkeit, Gott machet alles wohl; der wird’s auch ferner machen, Wie dir’s und deinen Sachen zum Besten dienen soll. 2. [226r/455] Du wirst doch nichts gewinnen, wenn du gleich Nacht und Tag Wilt hin und wieder sinnen, wie dies noch gehen mag: Bey Gott besteht’s allein. Laß seine Hand dich führen, Die wird dich so regieren, wie dir’s wird nützlich seyn. 3. Was dich will niederschlagen, was dich zur Erde bringt, Und was mit Angst und Klagen dir auf dem Herzen liegt,
592 Kolikartige Schmerzen im Unterleib, einer Darmentzündung ähnlich. 593 Erdmann Neumeister (1671–1756), zuletzt Hauptpastor an St. Jacobi in Hamburg, war Theologe, Liederdichter und Schriftsteller. Mit dem „Communion-Buch“ ist sein 1705 erstmals in Weißenfels publiziertes Werk „Der Zugang zum Gnaden-Stuhl Jesu Christi, Das ist: Christliche Gebete und Gesänge vor, bey und nach der Beichte und heiligem Abendmahle; Nebst Morgen- und Abend-Segen und dergleichen neuen Liedern […]“ gemeint. In einer Ausgabe des Buches von 1746 findet sich das von Kummerfeld zitierte „Trost-Lied aus Psalm LV,33“ auf S. 151 f.
Drittes Buch, 4. Kapitel | 823
Das wirff in seinen Schooß und wickle dein Gemüthe, Durch Trost auf seine Güte, von allen Kummer los. 4. Er wird dich wohl versorgen, und beßer, als man denkt; Wer weiß, wie noch der Morgen, der dir den Segen schenckt, Auf den die Hoffnung blickt. Ein Herz, daß ihm vertrauet Und gläubig auf ihn bauet, wird doch zulezt erquikt. – Da tritt mein Gretchen ins Zimmer, erschrickt, als sie mich anblikt. Wild hungen meine langen Haare um den Kopf – ich war eingehüllt in solche wie in einen Mantel. – Ausgesehen mochte ich haben wie das Bild einer büßenden Magdalena. – Mord – Selbstmord hatte ich in Sinn; – eine heilige Vorsicht, die über mich wachte, schafte durch die Hand meines [226v/456] Mädchens – rein und schuldlos wie ein Engel, das Werckzeig weg – in der Angst das Buch ergreifend und den Gesang zu treffen? – Den!! – – – Reuvoll schwamm ich in Thränen. – Mein Mädchen kommt und sagt: „Madame, Herr Abendroth schickt her; sein Schreiber ist drausen, hat Sie nothwendig zu sprechen. Darf er hereinkommen?“ – Antworten konnte ich nicht. Ich nickte nur ein ja – oder meinetwegen. – Der Schreiber tritt ein. – Nicht bekandt von einen zarten, weichen Gefühl, – aber Entsetzen ergreift ihn, da er mich erblickt – er taumelt zurück, lehnte sich an die Wand – Thränen kommen in des Mannes Augen, gewiß seit langer Zeit die ersten. – „Ach, um Gottes Willen, Madam! Wie sehen Sie aus?“ – „Vielleicht ende ich bald. Vielleicht erbarmd sich Gott meiner – dann ist Seines Herrn und der Familie Wunsch erfüllt.“ Der Schreiber: „Ja, Madame! Böse sind sie mit Ihnen umgegangen. – – Doch ich muß sagen, warum ich komme. Mein Herr, Herr A.LXXIX, läßt sich Ihnen [227r/457] empfehlen; und Sie ersuchen, Sie möchten die lezte Schrift, die er gegen Sie in Namen der Familie zu Rath eingegeben, nicht beantworten lassen. – Er und die Familie treten die Erbschaft ab an Sie.“ Ich: „Es ist gut, ich will zu meinen Curator schicken und es ihm sagen lassen. Griese Er seinen Herrn und die Familie wieder.“ Der Schreiber dachte wohl, ich sollte mich freuen? Aber Freude war ich nicht fehig zu fühlen, und wenn die Erbschaft auch grösser gewesen wär als die Schulden, mit der sie belastet war. Ich war wieder allein, nahm mein Buch und las den 5ten und 6ten Vers des Liedes:
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5. Ach wenn wir nur bedächten, wie treulich er es meint, Er fördert die Gerechten und ist ihr Herzens-Freund. Sieht’s gleich gefährlich aus; kan er sie doch nicht hassen Noch in der Unruh lassen, und reißt sie endlich raus. 6. So fall ich denn mit Freuden in Gottes Armen hin; Von ihm kann mich nichts scheiden, weil ich sein eigen bin: Er bleibt auch ewig mein und wird mir alles geben, [227v/458] Was meinen Stand und Leben wird gut und selig seyn. Gott! – grosser Gott, kannst du mir verzeihen? – Was wollte ich beginnen?? – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –– – – – – – – – – – – – – – – – – – O, Menschen! die Ihr dieses Buch durchblättert – und wenn unter euch auch welche sind, über die Gott Creuz und Trübsal verhängt hat: Zweifelt nicht an Erlösung bei eurem Leiden. – Bei Gott suchet Trost. Werffet euch wie ein folgsames Kind in die Arme eures Vaters. – Seht an mir, wie nahe ich am Rande der Verzweifelung stand – so weit – aber weiter lies mich seine Allmacht nicht sinken. – Fromme Wünsche erhört Gott gewiß. – Er hörte auch die meinigen. Nicht wollte ich die Erbschaft an mich reissen, um nun nach Wohlgefallen leben zu können; – nein, nein, ich sollte nun zeigen, daß alles wahr gewesen, was ich gesagt; daß ich nicht geheuchelt: Das Liebe, und nicht Eigennuz allein mich meinen Mann verband. – – Fünftes Kapitel Verwandte und Creditores Nun erfuhr ich, daß man denen Erben von ho[228r/459]her Hand hatte zu verstehen gegeben: Sie möchten sich doch nicht länger prostituiren! Ich wär ja wieder auf den Theater, wo ich Brod hätte; man könnte ja sehen, wie ich mich nehmen würde; ob Klagen gegen mich kämen. Machte ich so viel als Betrüger Putzenmacher-Streiche594, würde man mich schon zu finden wißen. – Ich war in den Punkte ruhig, konnte es seyn, den ich war ehrlich. – Also traten sie grossmüthig zurük und ersuchten nur, daß ich auch ihre Prozeskosten, die sie sich gemacht, mittragen möchte, weil sie doch nichts erbten. – „Nöthig haben Sie es nicht, ist nicht Ihre Schuldigkeit“, sagte mein Herr
594 Possenmacher-Streiche.
Drittes Buch, 5. Kapitel | 825
Curator. „Aber seyn Sie grossmüthig! – Dencken Sie: Die Kosten treffen auch die mit, die unschuldig an den ganzen Lärm waren.“ Ja, es sey! – Ich will auch die noch auf mich nehmen. – Sie sollen’s sehen – und mich einst noch kennenlernen. Der Kopf schwindelte mir, wenn ich die Schulden[228v/460]last ganz übersah. – Muß ich Herrn Popert ganz bezahlen die Schwerdtnersche Schuld – dann kommt es zum Concurs – dann verliehren alle! – Herr Popert und Herr Stern595. – Popert will mich nicht drüken, hat er gesagt. – Vielleicht lassen sich beide billig finden. – Mein guter Hinrichs war mein Retter! Der, der lief, rennte und both alle seine Kräfte auf: Mein Freund im ganzen Umfang des Worts zu seyn. So gut Herr Popert auch anfänglich war, hielte es hart, weil er auch durch den schlimmern Theil von Familie war gegen mich aufgebracht worden. – Endlich, auf Verpfändung meines Freundes Ehrenworts: „Es wär nicht an dem, mir bliebe wenig“ – o, er hätte schwören können: Nichts – war er endlich mit 33 1/3 Procent zufrieden, – doch mit Vorbehalt seines Regresses an die Schwerdtnersche Massa. – Die haben nach Verlauf von manchen Monat an die Schuldleute statt hundert Thaler einen halben Thaler gegeben. – Ich habe sie nie ge[229r/461]mahnt, daß sie mich bezahlen sollten. – Und sie haben mir nie danken, nie mich mündlich oder schriftlich um Vergebung bitten lassen; wohnten und lebten in einen besern Hause, als meine kleine Hütte war. Herr Stern war mit 40 Procent zufrieden, und Herr Popert bekam noch die Interesse von 16 Mark von der Rentenlotterey, wo das Capital von 200 Mark banko eben in dem Jahr ausgezahlt wurde. Daß war der ganze Accord, der meinetwegen mußte getroffen werden. Herr Popert war nicht der Einzige, den man gegen mich aufzubringen gesucht – man wollte die übrigen Schuldner auch. – Man sagte zu ihnen: Sie sollten nun machen, daß sie zu ihrer Bezahlung kämen. Sie hätten die Erbschaft abgetreten; ihnen giengen die Schulden nichts mehr an. – Und was wurde ihnen geantwortet? – Madame Kummerfeldt hätte sie nicht gemacht. – Da ich sie nun aber über mich genommen, wären sie ganz ruhig. – Sie mahnten mich nicht, den ich würde sie [229v/462] schon bezahlen, sobald ich könnte: – „Hat als Mademoiselle Schultzen immer ehrlich bezahlt auf ihr Wort, – auch als Frau, – allso würde sie’s nun als Wittwe wohl auch thun.“ Und Ihr alle,
595 Jacob Meyer Stern und Meyer Wolf Popert waren jüdische Kaufleute und Bankiers.
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Ihr Guten! Ihr mahntet mich nicht! Empfangt dafür noch öffentlich meinen Dank! Ich konnte so ruhig – wenn ich Schlaf gehabt hätte – vor euch ruhen. Da ich bei den Creditores bin, so muß ich noch den leztenLXXX Streich – den es ist ja ein Aufwaschen – erzählen, den mir der Herr Procurator A.LXXXI gespielt – oder spielen wollen. Da die Sache nach meines Mannes Tode so stand, schickte ich gleich zu allen, wo ich wußte, das Rechnungen waren, herum und ließ solche einfordern mit dem Zusaz: Man möchte sie unquittirt zu mir schicken. Ich meinte es gut und wollte dadurch jeden die Kosten ersparen, wenn sie sich vor Gericht meldeten (und eben deswegen hat man nicht gewußt, wie hoch sich die Schulden beliefen). [230r/463] – Sie schickten sie mir alle auf mein Wort zu, ohne zu besorgen, daß ich welche unterschlagen würde. Bei dem Schornsteinfeger mußte es nicht recht bestellt worden seyn. Seine Rechnung von einen Thaler kam quittirt. – Es war die 25te. – Sie wurde geschickt in meiner Abwesenheit. Ich fand solche, strich daß: Zu Dank bezahlt! – aus und schrieb darunter: Ist nicht bezahlt. – legte sie zu denen übrigen Rechnungen. – Der Schornsteinfeger war um seinen Thaler besorgt und mahnte mich zweymal. Gern hätte ich den Mann seine Unruhe benommen, aber gleich in den ersten Wirwar erinnerte mich Herr Licenticiat Dresser: Daß ich keine Dreyling596 vor ausgemachter Sache auf die alten Schulden bezahlen dürfte. – Und dem verdanke ich daß, sonst wär ich in noch tieferen Verdruß aus Unwißenheit gekommen. – Den Schornsteinfeger hatte ich’s so viel wie möglich begreiflich gemacht, daß ich ihm seinen Thaler nicht bezahlen dürfte: Gäb ihm aber mein Wort: Daß, wenn mit allen sollte accordirt werden: Er von [230v/464] mir seinen Thaler bahr haben sollte. – Möchte aber so gut seyn und nicht wiederkommen. Sobald die Sache in Ordnung, sollte er auch der Erste seyn, den ich bezahlen würde. Nun kam der Schornsteinfeger nicht wieder, bis gleich den Morgen mit dem frühesten, als Tages vorher Herr A.LXXXII seinen Schreiber geschickt. Der Mann kommt und fordert seinen Thaler, weil er gehört: Die Erben hätten mir die Erbschaft abgetreten. Ich: „So ließ man mir gestern sagen, und heute so früh kommt Er schon und mahnt mich? – – Hm! Hm! – Raus mit der Sprache, guter, ehrlicher Mann! Wer hat ihm abgeschikt? – Wer gesagt? – Er bekömmt seinen Thaler – aber nur heute nicht – ich halte Wort. – – Nun? Soll ichs nicht wißen? – – Thue Er mir den Gefallen. – Er soll der Erste seyn, der bezahlt wird, sobald ich kann – darf“. – Wär kann sich den ehrlichen Mann denken, wie er hin und her wankte, seinen Huth auf der Hand herumdrehte, endlich und endlich doch [231r/465] sagte: – „Ja Madam!
596 Dreiling: Münze zu 3 Pfennig.
Drittes Buch, 6. Kapitel | 827
Herr A.LXXXIII hat es mir sagen lassen. War heute da, sagte: Sollte machen, daß ich mein Geld bekäm. Sie erbten alles – und so kam ich“ etc. etc. Ich: „Hör Er, Freund! Er soll Danck haben. Nun thue Er mir aber auch den Gefallen und sage Er an Herrn A.LXXXIV alles von Wort zu Wort wieder: Mit Speck finge man Mäuse. Hinter den Berg wohnten auch Leute. – Herr A.LXXXV hätte viel Verstand, aber er sollte nur denken, daß ich auch noch einigen hätte übrig behalten. – Möchte sich vors erste Thee kochen lassen und dabei harren, bis ich mit die fertig wär, die Tausende zu fodern hätten, – dann käm’s an die Kleinen auch. Aber eher, wüßte er selbst als ein so grosser Rechtsgelehrter, könnte ich seine und meine Schornsteinfeger nicht bezahlen. Sagt nun Herr A.LXXXVI: Ja, ich könnte, so las er sich daß von ihm schriftlich geben. – Aber ja unterschrieben von einigen Zeugen. Und dann bezahl ich ihm seinen Thaler [231v/466] auf der Stelle“. – – Der Schornsteinfeger kam nicht wieder, brachte mir auch kein mündliches noch schriftliches Gegencompliment. Sechstes Kapitel Die Erbschaft O, so viele Freude war nicht bei der Erbschaft, daß ich in Fröhligkeit des Herzens, wie Herr A.LXXXVII dachte, einen unbesonnenen Streich machen würde, wo mir kein Curator, kein Hinrichs hätte helfen können. – Doch man erfahre nun auch die Summa der Schulden, die ich übernommen, und die Capitalien, die da waren. Alles Currant gerechnet. Schulden – – – – – – – 9753 Mark Prozeßkosten – – – – 600 Mark 10353 Mark meines Mannes bahre belegten Gelder, so noch vorhanden 1700 Mark meine belegten Gelder auf der Kammer – – 1000 Mark aus der Kahlenberger Wittwencassa bekam ich – 1000 Mark 3700 Mark bleiben Schulden – – – 6653 Mark Wie sollten diese nun von den Mobilien herauskommen? Bei der Auction, die ich nun gezwungen war zu halten, wurde eingenommen 2070 Mark 8 Schillinge. [232r/467] Nach Abrechnung der Kosten bekam ich nicht mehr wie 1856 Mark 6 Schillinge. – Ohne die schröklichen Kosten, die noch extra dabei verknipft waren, so daß ich von denen 1856 Mark gewiß mehr nicht wie 1800 rechnen kann, mithin blieben doch noch Schulden 4853 Mark. Waren nun die Sachen, die ich in meine Hütte nahm, 4853 Mark werth? Was hätten nun die Creditores bekommen, wenn sie mir auch alles das
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Meinige genommen? – Was hätten sie bekommen, wenn ich nicht von meiner Gage gezehrt? – Wenn sie mir, bis die Sache wär entschieden gewesen, Lebensunterhalt geben müßen? – Lassen hätten sie mir was müßen, und besonders wenn ich nicht wieder wär auf ’s Theater gegangen. Verstossen, betteln konnten sie mich nicht schicken, da ich die Schulden nicht gemacht. – Ich gehörte nicht zu denen muthwiligen Bankrottmachern. Mußte also nicht mit Herrn Popert und Stern accordirt werden? – Und würden die Prozeßkosten nicht noch mehr wie 600 Mark betragen haben, wenn solche mit zur Massa wäre gerechnet worden? Ich würde den Namen einer Undankbaren auf mich [232v/468] laden, wenn ich davon schweigen sollte. Weil ich keinen Bescheid wußte, wenn ich bei Gericht alles zu bezahlen hätte, so bat ich: Man möchte doch alle Rechnungen abfordern und mir zuschicken. Mein edler Hofrath Hüffel, mein Curator, schickte mir die seine. Es waren nur die Kosten, die der rechtschaffene Mann selbst gehabt; und für alle seine Mühe als Advocat und Curator quittirte er mich und verlangte – Nichts!! Mein menschenfreundlicher, edler Greilich schickte mir eine Quittung – ohne die Summa mir zu nennen, die ich ihm hätte bezahlen müßen. – Ja! Die Thränen des Danks, die ich euch in Stillen weinte, waren Thränen einer redlichen Wittwe, die Gott zählte. – Segen werden sie euch und den Eurigen bringen. Herr Carl Friedrich Leve, Notar und verordneter 10 Pfenningsbediente597, verlangte für alle seine Bemühungen bei der Versiegelung und seinen übrigen dabei verbundenen Geschäften und Gängen – die nicht gering sind, wenn sie nach den Gebrauch bezahlt werden müßen – [233r/469] Nichts! Und von seiner Rechnung, die 181 Mark
597 Carl Friedrich Leve (* 10. April 1728, † 14. Nov. 1792), Notar und Zehnpfennigsbedienter. – Zwei Zehnpfennigsbediente waren die obersten Beamten des Zehntenamts auf der Grundlage der hamburgischen Zehnpfennigsordnung von 1771. Die Zuständigkeit der Behörde erstreckte sich auf die Erhebung des Abzugszehnten (für aus Hamburg abgezogene Erbschaften, Mitgiften und sonstige Kapitalien), die Erhebung von Erbschaftssteuern sowie die Sicherstellung und Verwaltung von Nachlässen, wenn Erben unbekannt waren, wenn eine Erbschaft an Personen fiel, die nicht der hamburgischen Jurisdiktion unterstanden, wenn Hamburger und auswärtige Erben konkurrierten oder wenn Hamburger Erben freiwillig beantragten, dass der Nachlass durch das Zehntenamt verwaltet werden sollte. Weitere Aufgaben des Zehntenamtes waren die Aufsicht über Erbschaften, die als erbenlos an den Staat fielen, die Hinterlegung und Eröffnung von Testamenten und die Erhebung der fälligen Abgabe bei Testamentseröffnungen; Martin Ewald, Das Erbschaftsamt in Hamburg (1869–1909). Eine Behördengeschichte, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 55 (1969), S. 205–218; hier: S. 205–208.
Drittes Buch, 6. Kapitel | 829
4 Schilling war, erlies er mich – ungefodert aus eigenen guten Willen 30 Mark; und schickte mir von denen 151 Mark, die ich ihm zusandte durch meinen Freund Hinrichs, noch einen Ducaten zurük. Dank den Mann! – O, es wird bei mir nichts vergeßen. Nun war noch eine Rechnung. Mein Mann hatte von den alten Herrn Köhn598, der eine Bedienung auf dem Rathhause hatte, 60 Mark geborgt. Es war so lange, daß der gute ehrliche Alte nicht mehr wußte, in welchen Jahr er es meinen Mann gegeben – „Ich glaube Ihnen. Sind ein redlicher Mann! Und Sie sollen die 60 Mark haben, die mein Mann wie vieles vergaß.“ Statt daß der Mann vor die 60 Mark hätte Interesse mir abfodern können, – und die ich gewiß auch bezahlt hätte – nahm er nicht mehr wie 40 und schickte mir 20 Mark zurük. Mit gleich zahlbaren Obligationen und baren Gelde hatte ich 3050 Mark. Davon sollten 10353 Mark Schulden bezahlt werden? [233v/470] Herr Popert erließ mich – – Herr Stern – – – – – Herr Leve – – – – Herr Köhn – macht zusammen bleiben noch Schulden – –
2650 Mark 187 30 20 2887 Mark 4416 Mark
Woher die? Meinen Starrkopf hatte ich nun einmal darauf festgesezt: Ich wollte noch in den alten Jahr in Hamburg an Geld keinen Menschen etwas schuldig seyn. Den Credit mußt du noch einmal nutzen, den dir deine Freunde auswerts gaben. – Haben dich ja noch nicht gemahnt. Mein Bruder wollte sich verheurathen und brauchte Geld. In vier verschiedenen Malen erhielt er durch die Hülfe meiner Freunde 351 Thaler. – Ich ward Bürgin dafür – daß hätte Herr A.LXXXVIII wißen sollen – aber in Hamburg wußte es kein Mensch. Nun hofft ich, wenn ich nur noch eine Summe von 400 Thaler hätte, durchzukommen. Und ich erhielte auch die noch auf mein Wort, ohne Obligation, ohne daß ich Interesse bezahlen durfte, [234r/471] mit den Worten: „Zahlen Sie wieder, wenn Sie können.“
598 Rathausbedienter Köhn: Da die Bank sich im Rathaus befand, könnte es sich vielleicht um den „Bancoknecht und Wäger“ Joachim Hinrich Köhn sen. handeln; Staatsarchiv Hamburg, 312-9, 19 Bd. 1, S. 109.
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Ja! wie war mir wohl. In Hamburg war alles abgezahlt. Aber auswärts belief sich noch mein Schuld auf 1230 Thaler, gerade die Summe, die mein Bruder zu fordern hatte, den ich hatte ihm versprochen, auch die Intereßen, die ihn mein Mann schuldig geblieben, zu bezahlen. – Und habe sie bezahlt. So standen meine Actien, als ich das Jahr mit denen drey bösen Sieben599 schloß. Siebendes Kapitel Mißverständnisse werden beygelegt Jetzt muß ich mich wieder zu meiner theatralschen Verfassung wenden. Einmal hatte ich im Augustmonat mitgespielt und zweymal im September, eine neue Rolle in Wissenschaft geht vor Schönheit600, die Caroline, und die Hedwig601 wieder. Daß meine Bitte Herr Schröder so ganz vergeßen: Mich womöglich in der ersten Zeit öfterer spielen zu lassen, konnten viele Umstände ihm hindern. – Aber freilich, wenn er wollte – was war, was ist einen Schröder nicht möglich? – Meiner häuslichen Umstände nach war es beßer, in Hamburg zu bleiben. Hamburger Thaler war ich schuldig – und mit Hamburger Geld erhielte ich [234v/472] meine 10 Thaler Gage. – Erfüllte ich die Wünsche meines Bruders und fühlte ich schon selbst seine Besorgniß: „Du hälst es jetzt nicht mehr aus, denk an die alten vergangenen Zeiten“. – So wünschte ich meiner Confenienz602 wegen – wenn es nur halbwege auszuhalten wär, in Hamburg zu bleiben. – 5 Thaler in Leipzig und in Dreßden ist oft hier nicht mehr wie 4 Thaler 8 Groschen – in Maynz und Frankfurt gar 6 ThalerLXXXIX, wieviel mußt du zulegen, ehe 5 Hamburger Thaler herauskommen? – Aber hier so ganz daß 5te Rad am Wagen zu seyn? – Daß wird gar nicht gehen. – – Geduld! wird sich ja aufklären. – Mach dir nicht noch mehr Sorgen – hast davon mehr als genug.
599 Die Zahl Sieben gilt in der Zahlensymbolik sowohl als Glücks- wie auch Unglückszahl. Kummerfeld konnotiert sie hier als böse Zahl. Die „böse Sieben“ steht auch figürlich für ein „boshaftes Weib“, sie kann Unglück bedeuten. 600 Wissenschaft geht vor Schönheit, auch Liebe macht erfinderisch; Das gelehrte Dienstmädchen oder Die gewandte Frau, Übersetzung des Lustspiels La donna di garbo von Carlo Goldoni von Johann Christian Bock. – Aufführung am 4. September 1777; www.stadttheater.uni-hamburg.de/spielplan, Zugriff am 7.7.2020. Kummerfeld spielte die Karoline in diesem Stück auch später am Weimarer Hoftheater, s. Theaterzettel der dortigen Erstaufführung am 9. April 1785; HAAB ZC 120. 601 Der argwöhnische Ehemann, nach dem Lustspiel The Suspicious Husband von Benjamin Hoadley übersetzt und bearbeitet von Friedrich Wilhelm Gotter, aufgeführt am 12. September 1777; www.stadttheater. uni-hamburg.de/spielplan, Zugriff am 7.7.2020. 602 Convenienz: Bequemlichkeit.
Drittes Buch, 7. Kapitel | 831
Nun kam ein Vorfall, der mir mehr Nachdenken verursachte und mußte. – Vieles hatte ich schon in denen 10 Wochen erduldet. – Aber daß gieng nicht, ich mußte wissen, woran ich wär? – Ich hatte ja Herrn Schröder mein Wort gegeben: Daß, wenn sich was ereignete, wodurch ich glaubte gekränckt zu seyn, ich es sagen würde. Ich hielte [235r/473] Wort und schrieb Herrn Schröder ein Billet, gewiß! nicht ein Wort, daß ihm beleidigen konnte. Ich wollte nur wissen, woran ich wär? Ob meines Bleibens bei dem Hamburger Theater seyn könnte oder nicht? damit ich meine Einrichtung darnach machen könnte. – Herr Schröder antwortete mir – aber auf daß, was er mir schrieb, wollteXC ich ihn nicht antworten, den die Antwort hatte mein Billet nicht verdient. O Kummerfeldt, gehe fort! Bewahre mich Gott für solch ein Hierseyn! – 603 Den Morgen darauf gehe ich zu Madame Ackermann. „Liebe Madame Ackermann, ich möchte gern wissen, woran ich bin?“ – Jezt erzählte ich ihr den ganzen Vorfall. Darauf gab ich ihr die Abschrift meines Billets und Herrn Schröders Antwort zu lesen. – Ihre Mademoiselle Tochter war gegenwärtig. – „Verdiente ich die? – Sie haben mich engagirt, nicht Herr Schröder, also muß ich mit Ihnen sprechen. Sagen [235v/474] Sie es mir gerade heraus. Was soll ich mit einer eingerichteten Wirthschaft, wenn meines Bleibens nur auf ein halbes oder ein ganzes Jahr seyn solle. – Noch ist es Zeit. – Ich verkauffe den alles. – Was ich an mein kleines Haus verwandt, kann ich und will es verschmerzen. – Noch ist nichts tapeziert. – Ich komme, wenn ich nicht einziehe, mit einer vierteljährigen Miethe vielleicht davon, wenn ich für daß, was ich darinnen machen laßen, nichts abziehe. – Noch ist’s Zeit, um aufzusagen. – Nur bitte ich Sie bei aller Freundschaft – um Gottes Willen bitte ich Sie, seyn Sie aufrichtig und setzen mich nicht in noch grössere Verlegenheit. – Arbeiten muß ich. Mit Sünden kann ich keine Gage nehmen; – mich nicht ansehen lassen als das 5te Rad am Wagen; Ihnen eine Last zu seyn, da bewahre mich Gott.“ Kein Wort, was mir Madame Ackermann geantwortet, soll aus meinen Gedächtniß verwischt seyn. 604 [236r/475] – Nur daß: Das sie mich bei Gott versicherte, sie hätte davon nichts gewußt. Nochmals wiederholte sie, wie froh sie wär, daß sie mich wiederhätte. Daß ich nicht von ihr weg sollte, und daß sie mit ihren Sohn sprechen wollte u. s. f. „Aber, Madame Ackermann, ohne Verbitterung. Uberlegen Sie es beyde zusammen. Herr Schröder ist Ihnen näher wie ich. – Nur wünsche ich vor meiner Auction es zu
603 Gestrichen: „Herr Schröder, Sie sind stolz – aber ich bin es auch. – Jeder nach seiner Art.“ 604 Gestrichen: Stehen noch alle da – und sollen da bleiben.
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wißen. – Wir bleiben Freunde, und wenn ich in 8 Tagen aufhören sollte, bei Ihren Theater zu seyn. – Lieber fort, als in Unfriede hier,“ etc. etc. Jezt machte ich neue Plane und dachte an mein Wegreisen. Ganz war ich darauf gefaßt, daß man sagen sollte: – „Gehen Sie!“ – Und Gott der Allwißende ist mein Zeuge: – Ich wünschte es. Wenn ich in Hamburg hätte müßig herrumgehen wollen, o, so hätte ich’s ohne Theater gekonnt. – Mehr Menschenfreunde als ich zählen konnte, hatte mein Unglük gerührt, [236v/476] da mein Mann starb. Von einer Subscription605 war die Rede, mein Mann war noch nicht begraben – Hunderte von wohlthätigen Händen würden sich gefunden haben zum Unterschreiben. – Ich verbat es – und schlug es aus. – Nicht geschämt habe ich mich auch, den einen Ducaten, den mir Herr Leve von der Rechnung zurükschickte, anzunehmen, sondern es auch zu sagen – o, es ist ein grosser Unterschied bei Geben wie bei Nehmen. – Zwischen Hülfe ohne Erröthen annehmen zu können – oder wie ein Kind im besten Alter sich füttern zu lassen. Nein! Solange der Mensch sich fühlt, daß er arbeiten kann, muß er sich nicht von den Schweiße seines guten Nebenbürgers nähren und faulenzen wollen. Das heißt sonst den Bürger und den Dürftigern, der nicht mehr arbeiten kann, zugleich bestehlen. Montag gieng ich aufs Theater. Herr Schröder kam mir entgegen und sagte: „Madame Kummerfeldt! Meine Absicht war nicht, Sie zu beleidigen. – Ich hatte es aus Zerstreuung bei meiner vielen Arbeit vergeßen. – So wahr Gott lebt! mir ist es Leid.“ – Ich: „Herr Schröder! Sobald Sie sagen, Sie haben es vergeßen, so ist es gut; wollten mich nicht kränken, und es wär Ihnen leid; – so ist alles vorbei! Ich bin wieder die Alte und habe keinen [237r/477] Groll – und alles ist nun wieder gut. – Nach unserer Abrede mußte ich es thun, konnten Sie es mir nicht verdenken. – Sezen Sie sich an meine Stelle? Ich mußte fragen, woran ich bin?“ „Nein, daß kann ich nicht, kann’s Ihnen nicht verdenken“, war seine Antwort. Freundschaftlich gaben wir uns die Hände. Herr Schröder schien gerührt. – Ich war’s würcklich. Ich war wieder frölig und hoffte: – Es wird ja wohl einmal alles besser werden. Achtes Kapitel Zu empfindlich seyn ist ein Fehler In manchen Dingen thue ich gerade daß Gegentheil von dem, was andere Leute thun. – Dieß hat mir manchen Tadel zugezogen. – Wüßte man aber, warum ich dieß und jenes
605 Gemeint ist offensichtlich ein Spendenaufruf zu ihren Gunsten.
Drittes Buch, 8. Kapitel | 833
anders mache, ich weiß nicht, ob man mir nicht recht geben würde. – Mir gieng es den auch so in Hamburg. Man tadelte mich nicht allein, man hielte mich für undankbar, nannte mich stolz, einbilderisch, und der Himmel weiß, was alles man mich genannt hat. – Und dem Schein nach mich hat halten müßen. – Jezt will ich’s sagen. Und den steht es in einen jeden seinen Willen, mir recht oder unrecht zu geben: Mir ist es gleich. Den 30. September fiel mein Geburtstag. Da mein Mann [237v/478] noch lebte, lud er zu dem Tage einige Freunde zu uns, wie ich an dem seinigen. Wir waren fröhlig und wünschten, daß es unsere lieben Freunde auch seyn möchten. – Jezt war er wieder da, der Tag – und zum ersten Mal fühlte ich mich ganz allein. – Man nenne es Schwachheit und verzeihe es den zu empfindlichen Weibe. – Ich bin keine von denen, die philosophiren und sagen: Es ist ein Tag wie der andere – mir sind nun gewiße Gedächtnißtage im Jahr von mehreren Werth. – An dem Tage hatte ich manche Freude: Den Kuß meiner Eltern, meines Bruders, meines Gatten – ich müste606 sie alle – ich suchte alle – und fand sie nicht! – Ich fühlte so ganz das Schröckliche: – Du bist allein!! – – O, wenn ein einziger von allen meinen Bekandten sich erinnert hätten des Tages, den sie doch 7, auch 8 Mal in meinen Haus in Fröligkeit zugebracht. – Welch ein Trost, – welches Vergnügen würde es einen Herzen wie daß meinige gemacht haben: – Wenn einer gekommen oder geschickt hätte und mir sagen lassen: Gott gebe dir in der Zukunft nie einen solchen Geburtstag wieder. – (Und man wußte es. Es war bei manchen nicht Geschäfte und Vergeßen[238r/479]heit schuld.) – Nein, ich sah niemand! – – Man hatte seinen Entzweck erreicht – man freue sich noch, den ich gestehe es: Es that mir weh. – Und daß wollte man. – Den ich erfuhr es wieder noch denselben Abend. – Alle die schwarzen Ideen, die ich von den Menschen hatte, standen vor mir. – Erinnert man sich nur gewißer Tage im Jahr, wenn es uns wohl geht? – Hast du dich auch darinnen geirrt – glaubtest du, die Menschen könnten sich so freuen wie du an solchen Tagen? – O, wie hast du dich betrogen!! – Von heute an hat für dich, solange du in Hamburg bist, kein Mensch in Hamburg mehr einen Geburtstag. – O, mögen sie alle, wenn die Festtage kommen, sich schmiegen607 und ihre heuchlerischen Complimente anbringen. Du sollst nicht mit dabei seyn. – Du geherst nicht unter die Menschen. – Würdest du schweigen können, wenn sie mit ihren gekünstelten Thränen im Auge, mit honigsüßen Worten im Munde und Galle im Herzen Glück wünschen? – O, die Teufels in Engelgestalten. Laß das Glüksrad sich drehen: – Keiner denk mehr daran. Laß sie fort seyn, so haben sie’s ganz und gar vergessen.
606 Misste: Vermisste. 607 Hier im übertragenen Sinn als Ausdruck der Unterwürfigkeit.
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[238v/480] Wie sehnte ich mich nun aus meinen Thränenhaus! Ich machte Anstallt und bezog den 17ten October meine neue Wohnung. Wie wohl war mir. Wegen denen Sachen, die ich in den alten Hause zurückgelaßen hatte, mußte mein Gretchen noch darinnen schlafen bis nach der Auction. Wie sie den 18ten des Morgens kam, sagte ich zu ihr: „Liebes Kind, du wirst dich freuen. Diese Nacht war die erste wieder, da ich ununterbrochen ruhig geschlafen. O, Gott sey Dank dafür.“ „Ach, das freut mich auch. – Aber was meinen Sie, liebe Madame! – Diese Nacht ist der Madame Schwerdtnern ihr Sohn gestorben.“ „Dann haben sie keine so ruhige Nacht gehabt wie ich.“ – Es war meine erste wieder – Gott, deine Wege! – Wär kann die erforschen wollen. Da saß ich denn in meiner Eremitage, hoffte und hoffte mit jeden Tag, es sollte sich dieß oder jenes endern. – Ich klagte nicht und sah heiter. Das Gerücht breitete sich nun zur Gewißheit aus, daß Mademoiselle Ackermann vom Theater abgehen und sich vereheligen würde608. – Meine Freunde sagten: „Dann [239r/481] bekommen Sie gewiß mehr zu thun.“ – Ich hoffte es auch – aber es blieb bei der Hoffnung609. Zum Theil hatte ich hübsche Rollen und keine schlechte. – Aber auch keine, wodurch man sich, wenn man sie glüklich spielt, Ruhm erwerben konnte. – 17 Rollen hatte ich in einen runden Jahr bekommen, die erste rechnete ich nicht mehr zu den meinigen. 4 bis 5 Wochen gieng ich oft müßig; wenn mir die Gage geschickt wurde, wurde ich immer roth und schämte mich, solche zu nehmen – nahm sie oft mit Thränen und sah sie an als ein Almosen, daß der beglükte Reiche dem edel sich fühlenden Ärmern giebt. – Oft verstekte ich mich, und mein Mädchen mußte sie im Empfa[n]g nehmen. Ich konnte dem Publikum unter solchen Umständen nie gewohnt
608 Dorothea Elisabeth Ackermann heiratete am 2. Juli 1778 den Arzt und Schriftststeller Dr. Johann Christoph Unzer aus Altona; die Ehe wurde 1796 geschieden. 609 Friedrich Ludwig Schröder sah Karoline Kummerfelds Auftritte sehr kritisch. Dies kommt in Schröders Briefen an Friedrich Wilhelm Gotter deutlich zum Ausdruck. 24. Oktober 1777: „Heute ward also das Herrenrecht und die Comödie aus dem Stegreif gegeben. Das Vorspiel habe ich deswegen hervorgesucht, um zu sehen ob M. Kummerfeld sich gebessert habe! – Aber es war eben so toll, als das erste mahl.“ 14. November 1777: „Das Mädchen im Eichthal. M. Kummerfeld hat sich den Rest gegeben“. 20. Dezember 1777: „Wenn doch ein wohlthätiger Geist einige Direktionen bewegte, mich auch von […] Mad. K.[ummerfeld] zu befreyen!“ 9. Januar 1778: „[…] unsre theure Kummerfeld hat ihr Mädchen so Hop, hop gespielt […]. – Ich hoffe zur Ehre des Theaters und des Publicums, daß man sie ehestens auspfeifen wird!“; Litzmann, Schröder und Gotter, S. 83, 87 f., 95, 105. – Als Karoline Kummerfeld sich später in Weimar als Leiterin einer Nähschule niedergelassen hatte, wurde sie von Schröder finanziell unterstützt, wie der Briefwechsel zwischen Schröder und Karl August Böttiger zeigt. Im April 1791 besuchte Schröder sie in Weimar, und Kummerfeld trug sich in sein Stammbuch ein; s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2.?
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werden, – und ich das Publikum nicht. Den mit Vorurtheil gegen daßselbe und gegen mich trat ich auf. Und wie konnte ich anders? – Wenn man zu mir sagte: „Die lezte Rolle haben Sie recht hübsch gespielt. Sie wären auch gewiß applaudirt worden; aber man will Mademoiselle Ackermann nicht böse machen, weil sie [239v/482] nur noch eine kurze Zeit bei dem Theater ist.“ – Man denke ja nicht, daß das von mir ein satyrischer oder witziger Einfall seyn soll? – Ich schreibe Wahrheit. – Nun las den Künstler auftreten und mit Lust spielen, wenn man so zu ihm spricht? – Schmeicheln konnte ich nicht – mich schmiegen und kriechen noch weniger – ich hätte mehr politisch seyn müßen – aber dazu war ich nun einmal verdorben. – Ich gratulirte zu keinen Geburtstag, ich gratulirte nicht zur Hochzeit – und da konnte ich auch nicht anders handeln; – den einmal wollte ich nur fragen, ob es an dem wär, daß Mademoiselle Ackermann Braut sey? – So fuhr Madame Ackermann auf und sagte: Sie wiße von nichts – und war das erste finstere Gesicht, daß sie mir gemacht, seitdem ich das zweyte Mal bei ihr engagirt war. – Nun dachte ich, ich sollte es nicht wißen, sollte für mich ein Geheimniß seyn. – Es waren bald 20 Jahr, daß wir uns kannten. Mich dünkt, ich wär’s doch auch werth gewesen so gut wie andere, daß man zu mir gesagt hätte: Meine Tochter verehligt sich. – [240r/483] – Oder von Mademoiselle: Ich heurathe. – So schwieg ich also auch still, lies Hochzeit machen, war die einzige, die nichts sagte, nichts gesagt hat. – War freilich unpolitisch – doch lieber unpolitisch, nur nicht falsch. – Den gelassen hätte ich es nicht und hätte doch eine Anmerkung gemacht. – Also blieb ich lieber zu Hause. Neuntes Kapitel Daß durfte nicht vergeßen werden zu sagen Nun kam noch dazu, daß man wußte, ich wär niemanden in Hamburg was schuldig, die Rente von 200 Mark auf der Kammer stand, man glaubte nun nicht, daß mich die Noth auf dem Theater zu bleiben befahl, mithin stand ich als ein Vorwurff da, weil meine auswärtigen Schulden auch meinen besten Freunden ein Geheimniß blieb. – Ich konnte nie klagen, – kann’s noch nicht – solange ich nicht unter der Last zu erliegen glaube. Doch auch daß, das meine Glücksumstände beßer schienen, als sie waren – hätte mir noch nicht ganz schaden können, hätte ich nur einmal eine rechte gute, vorzüglich gute, sogenannte dankbare Rolle haben können. Das ganze Publikum hätte mit Vorurtheil ge[240v/484]gen mich in die Comödie kommen sollen, hätte sogar den Morgen an der Börse, am Rathhaus und in allen Caffehäusern sagen sollen:
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„– Nun, heute abend bekommen wir was zu lachen. Die Kummerfeldt will die Rolle spielen! – Hat ihr ganzes Spiel verlernt. Wollen aber doch hinneingehen.“ Das Haus wär voll geworden, daß weiß ich. – Vor dem Stück aber hätte ich herauskommen müßen, schüchtern, demüthig und voll Ehrfurcht. Hätte, nachdem ich mich einigemal bis an die Erde gebükt, gesagt: „Ich wage es heute, vor dem einsichtsvollsten Publikum die grosse, schwere Rolle zu spielen. – Ich fühlte, daß ich solcher nicht gewachsen sey; daß ich in denen 9 Jahren, die ich von dem Theater gewesen, alle die wenigen Talente, die ich vielleicht zu der Zeit könnte gehabt haben – vergessen. – Aber H a m b u r g s K e n n e r !XCI Nachsichtsvolle Kenner, die so manchen ihrer Lieblings-Schauspieler gezogen – der herkam als ein Schaafs-Kopf – und Sie! – Sie einsichtsvolle Kenner haben ihn gezogen, gebildet, und [241r/485] er ist durch Sie geworden, was er ist. – Warum sollte ich nicht hoffen, durch Ihre Zucht auch noch etwas wieder zu werden? Wenn Sie nur die Großmuth haben, einige Zeit Geduld mit meinen Fehlern zu haben, die ich gerne mit aller bescheidenen Demuth abzulegen gewilliget bin. Schlagen Sie in mir – ich bitte Sie – diese Hoffnung nicht nieder, nie kann und wird mein Dank aufhören – “ u.s.w. So, vor der Aufführung der Hauptrolle den Brey zurechte gemacht und ihnen solchen in den Mund gestrichen; so die Nüße und Castangen610 vergüldet und sie damit spielen lassen. – Ja! die Kummerfeldt hätte die Hauptrolle gespielt mit Beifall, wie ihn keine vor ihr gehabt. – Wenn das Stük wär aus gewesen, hatte man gesagt: „Nein, fürwahr, sie hat’s gut gemacht! – Daß hätten wir nicht geglaubt. – Sie muß aufgemuntert werden, sie verdient es.“ So, meine Leser! war das Publikum in Hamburg zu meiner Zeit beschaffen; so mußte man mit ihm umgehen. [241v/486] Wenn es sich beleidiget glaubte – selbst von ihren Lieblingsschauspielerinnen, so ließen sie es ihnen fühlen; – nicht etwa in einer Rolle? – O nein! – Die zwo Demoiselle Ackermann,611 die ihre grosse Verdienste hatten, spielten ein rundes Jahr so – der ältern Mademoisel ihres gieng eher zu Ende, weil es früher angegangen. Der Charlotte Ackermann ihres aber dauerte vom 11. May 1774 bis zum 8ten May 1775, da sollte es sich auch den 10. enden – es endete auch; den sie starb den 10. May, und nun konnte es nicht wieder gut gemacht werden.
610 Kastanien. 611 Dorothea und Charlotte Ackermann. Dorothea Ackermann (1752–1821) trat in Hamburg bis zu ihrer Eheschließung mit Johann Christoph Unzer im Jahr 1778 auf. Charlotte Ackermann (1757–1775) spielte bis zu ihrem frühen Tod in der Truppe ihres Vaters, in der sie im Oktober 1761 ihr Debüt gegeben hatte.
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___________ XCII Note 1: Alle gute und unpartheyische Hamburger bitte ich um Vergebung, daß ich nur auf einige Augenblicke sagte – und man auch denken muß – ich meinte das ganze Publikum. – Aber weil man mir vorgeworffen, das Hamburger Publikum hätte gesagt, ich hätte alles verlernt. – Der Herr Rath Reicherd spricht nur von Männern, die ihm gesagt, daß mein Spiel geältert, wie sie mich wieder in Hamburg als Julie hervorkommen sahen. – Nun muß ich die Unkundigen, die Hamburg nicht so wie ich kennen, das Wort Publikum und Männer erklären. ____________ [242r/487] Das ganze Publikum, wovon das Schicksal des Schauspielers, es sey gut oder böse, abhengt, besteht manchmal nur aus wenigenXCIII Personen. Die machen sich oft so unnüz im Parterre und nehmen sich so viele Gurken heraus612, daß sie oft verdient hätten, aus dem Schauspielhaus herausgewiesen zu werden. Ehe ich noch daran denken konnte, daß ich je wieder selbst auf ’s Theater gehen würde, nannten die Schauspieler bei der Ackermannischen Gesellschaft solche: Das gelehrte Bändchen613. Mehr als einmal – ich rufe Herrn Simon Hinrichs, der noch lebt614, zum Zeugen – sagte ich zu ihm: wie das Complott gegen die zwo Demoiselles Ackermanns615 war: „Lieber Herr Hinrichs! Heute haben unsere Ackermanns gute Rollen. Spielen sie gut, wir wollen ihnen recht applaudiren.“ – Herr Hinrichs gieng in alle Logen, wo er seine Bekandte hatte, und nahm dieselbe Abrede. Die Mädchens spielten, spielten schön! – Wir applaudirten – das gelehrte Bändchen sah nach unsern Logen und rufte ein Schü-Schü! – Kurz, stampften mit den [242v/488] Stöcken – lachten laut und wollten uns Stillschweigen gebiethen. In die Gesichter verspottete ich sie aus meiner Loge. Wie oft, wenn Dorothea Ackermann eine grosse Arie in einer Oper zu singen hatte, verhöhnten sie sie
612 Sich bei jemand eine Gurke herausnehmen: Sich eine unerlaubte Freiheit herausnehmen. 613 Zum zeitgenössischen Hamburger Publikum vgl. Schütze, Theater-Geschichte, S. 398–400. Schütze sieht den von Kummerfeld und der Ackermannschen Truppe als „gelehrtes Bändchen“ apostrophierten Teil des Publikums durchaus positiv: Die „nicht kleine Gesellschaft von Schauspielfreunden […], die als ein Publikum im Publikum […] sich bildeten, […] welche dem Theater, der Kunst und Geschmacksbesserung nicht wenig nachgeholfen haben“ (S. 398). Vgl. Emberger, Hamburger Publikum. 614 Simon Hinrichs d. J. lebte 1793 als Bankier in Hamburg; Neues Hamburger und Altonaer Adreß-Buch auf das Jahr 1793. 615 Zu diesem Komplott gehörte der öffentlich gemachte Skandal um Dorothea Ackermanns Ablehnung des Heiratsantrags von Johann Arnold Heise. Lit.: Malchow, S. 151–173; Emde, Schauspielerinnen, S. 312–330. Über die Gründe für den frühen Tod Charlotte Ackermanns am 10. Mai 1775 gab es verschiedene widersprüchliche Aussagen und Interpretationen (Selbstmord? Mord?); Emde, Schauspielerinnen, S. 318–320. Nachdem sie zuvor vom Publikum ein Jahr ausgezischt worden war, wurde sie nach ihrem Tod „wie eine Heilige betrauert […], ihr Tod wie ein Gesamtkunstwerk zelebriert“; Emde, Schauspielerinnen, S. 323 f.
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so sehr, daß sie die Cadance616 nicht ausmachte – nicht ausmachen konnte und mit Thränen vom Theater gieng. – – – Was empfand ich? – Hatte manchen Abend vor Ärger nicht essen können. – Mein Mann sagte: „Nein, so ein Weib lebt nicht mehr. – Was geht es dich an!“ – „Ich kann solche Ungerechtigkeiten nicht ansehen.“ O, so sagte ich oft bei jeder Gelegenheit die Wahrheit laut und machte mir aus Liebe zur Wahrheit manchen zum Feinde. Nun trat ich selbst wieder aufs Theater! – Konnten die meine Freunde seyn? – Nicht einmal Freunde, nur unpartheyisch? – Daß war das Hamburger Publikum zu meiner Zeit in Hamburg. Daß das gelehrte Bändchen mag zum Theil ausgestorben seyn – und nun auch älter und vernünftiger geworden, [243r/489] sich auch vielleicht jezt seiner Jugendstreiche schämt. – Aber ganz ausgerottet muß es nicht seyn, muß Nachahmer gefunden haben; den die Geschichte des Herrn Schröders wegen der Mademoiselle Boudet617 bekräftiget noch zum Überfluß daß, was ich gesagt. O, es ist ein grosser Unterschied: Von nicht gefallen und nicht gefallen sollen. Was ich gesagt, erklärt zum Theil die Worte meines Briefes im diesjährigen Theater-Kalender618: „Mit Ruhm habe
616 Cadence: Kadenz. 617 Die Schauspielerin Sophia Boudet (1771–1804), die im Sommer 1791 von Mannheim nach Hamburg gekommen war, hatte Anfang Januar 1792 Hamburg heimlich wieder verlassen und ihr Engagement bei Friedrich Ludwig Schröder aufgekündigt. Die Verehrer Boudets warfen danach Schröder vor, seine Art des Umgangs mit den Gerüchten um eine Schwangerschaft Boudets (es war auch spekuliert worden, Schröder sei der Vater des Kindes) habe diese geradezu zur Flucht gezwungen. Ihren Unmut brachten Teile des Publikums in der Folge in Schmähschriften und während Schröders Auftritten lautstark zu Gehör, so dass Schröder erwog, sich gänzlich vom Hamburger Theater zurückzuziehen. Mit einer von ihm publizierten Gegendarstellung der Ereignisse vermochte es Schröder aber, das gesamte Publikum wieder für sich zu gewinnen. Sophia Boudet brachte am 6. Februar 1792 eine Tochter zur Welt. Zur Geburt von Margaretha Sophia Karolina Boudet steht im Domkirchenbuch Frankfurt/Main: Sophia Boudet, Schauspielerin an einem Theater, gebar auf dem Wege von Hamburg nach Frankfurt eine Tochter, die sie in Frankfurt unter dem Siegel der Verschwiegenheit der Witwe Magdalena Hey(in) zur Erziehung anvertraute und der sie für die Ernährung des Kindes nur einen geringen Preis zahlte. Auf die Frage nach der Taufe hatte Sophia Boudet gesagt, dieses Kind sei getauft. Nach ihrem Tod (28. Febr. 1804) beanspruchten ihre zwei Schwestern das Erbe, der Magistrat erklärte am 30. Mai gegen diesen Anspruch die Tochter zur Erbin. Da es keine Unterlagen über Geburtsort oder Taufe der Tochter gab, wurde am 21. September 1805 eine Konditionstaufe vorgenommen. Im Intelligenzblatt der freien Stadt Frankfurt Nr. 65 vom 31. Juli 1804 ist die Versteigerung der Mobilien von Sophia Boudet angekündigt, u. a. zahlreiche weiße und farbige Kleider und ein vollständiger Savoyardenanzug. Lit.: Schütze, Theater-Geschichte, S. 650–661; Annalen des Theaters, 9. Heft, Berlin 1792, S. 47–65; Kaps, Theater-Leute, S. 114, Nr. 9 und S. 125. 618 S. WHS, Vorbemerkung, TKR 1793, S. 298 f.
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ich gespielt da, wo man mich hat wollen spielen lassen.“ – Aber in Hamburg war Sollen und Wollen gegen mich. Ich würde nie fertig, den Stoff hätte ich, noch so ein Buch zu schreiben, wenn ich alle Kränkungen rügen wollte. Satt hatte ich’s. Noch hatte ich an kein ander Theater geschrieben, – den auch daß war mir zu klein, zu niedrig, den Stuhl vor die Thüre zu setzen, wenn man schon weiß, ob man sich nach Osten oder Süden zu wenden hat. – Nicht mein Bruder wußte ein Wort davon, und keiner meiner Freunde. [243v/490] Den 26. August, gerade an dem Tage, da es 20 Jahre waren, daß ich Madame Ackermann zum ersten Mal sah, schickte ich ihr einen Brief und bat um meine Entlaßsung. Den daß hielte ich nicht aus, wenn es nicht anders ins Künftige seyn könnte. – Und wenn solche auf der Stelle erfolgt wär – mir wär’s recht gewesen. Herr Schröder antwortete mir, daß man Michaeli mit mir gesprochen hätte, daß das Publikum nach dem Advent, wie die Gunst der Fürsten619 gegeben worden, sich nach der ersten Vorstellung (bei der Rolle der Nottingham) fast allgemein sich gegen mich erklärt – (man tadelte zwey Fehler) und fügte hinzu: „Den gegen die Richtigkeit Ihres Spiels und Accentuation habe ich und vermuthlich keiner das Mindeste zu sagen,“ etc. etc. ___________ XCIV Note 2: Wenn daß selbst ein Schröder von mir sagte, mir die Gerechtigkeit bei meinen damals noch ängstlichen Spiel mußte wiederfaren lassen – o, so konnte ich doch wohl mit Recht dem Verfasser im Theaterkalender schreiben: Gut wär’s für manchen bei dem Theater, wenn er imstande wäre, mein veraltetes [244r/491] Spiel sich zu geben620. _____________ [244r/491] Mir war wohl, daß es nur die Rolle der Nottingham war, wo sich das Publikum gegen mich erklärt. – Daß machte mir Freude. Die Rolle spielst du so bald nicht wieder. – Him! Him! – Madame Stark621 fiel mir ein, die mir denselben Abend gesagt hatte: „Wie Sie der Königin den Ring gaben, Kummerfeldt, – daß war ein 619 Die Gunst der Fürsten, Trauerspiel, nach The Unhappy Favourite or The Earl of Essex von John Banks, The Earl of Essex von Henry Brooke, The Earl of Essex von Henry Jones und The Fall of the Earl of Essex von James Ralph. Es gibt Bearbeitungen dieses Stücks von Christian Heinrich Schmid und Johann Gottfried Dyck; s. dazu auch Hulfeld, Zähmung. 620 TKR 1793, S. 299. 621 Johanne Christiane Stark(e) geb. Gerhard (1731–1809), Schauspielerin. – In einem in der Litteraturund Theaterzeitung von 1778 abgedruckten Brief vom 30. Januar 1778 werden neben Demois. Ackermann, Madame Schröder, Herrn Brockmann und Schröder auch Madame Stark und Madame Mecour als „vorzueglich gute Schauspielerinn“ gelobt, für den Rest wird das Urteil „Minima non curat Praetor“
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Meisterstück.“ – Das Publikum, daß sich gegen mich erklärt hatte, sah und fühlte daßselbe wie Madam Stark. – Aber es durfte nichts bemerken; Demoisell Ackermann nicht böse zu machen, weil sie nur noch wenige Monate bei dem Theater wär. – Noch mehr. – Wie das Stück den andern Tag wieder gegeben wurde und wir beide bald hinausgehen wollten, sagte sie: „Suchen Sie nicht so lange nach den Ring.“ Ich: „Suchen? – Da, sehen Sie, ich hab ihn schon in der Hand.“ Mademoiselle Ackermann: „Nun, so lassen Sie mich nicht so lange darnach [244v/492] warten.“ Ich: „Mademoisell Ackermann! Die Nottingham, die ich heute spiele, hat keinen Gift getrunken. – Ihr Kopf steht auf den Spiel, sie sieht sich verrathen und braucht ewas längere Zeit, ehe sie den Ring hingiebt. Die Nottingham aber, die den Gift getrunken, der die Königin das Leben nicht nehmen kann, weil der Tod in ihr bereits ist: – giebt den Ring gleich und sagt nur nach einer kleinen Pause: Hier, Ihro Majestät!“ Mademoiselle Ackermann nahms übel, wie gewöhnlich! Murmelte was von Rechthaben und beßer Verstehen – – und wir giengen heraus. – Wie es nun an die Stelle kam und ich sie wieder so machen wollte – stampfte sie, die Königin, mit den Fuß und sagte: „Nu!!!“ – – – – – – – – – Mit einen mitleidigen Lächeln sah ich die Majestät an und – gab ihr den Ring. Die arme Kummerfeldt! Das ganze Publikum hatte [245r/493] sich doch den Abend vorher in der Rolle gegen sie erklärt, und sie sollte auch gar nichts gut machen – ja! wär mir nur die Stelle mißlungen – ihrendwegen hätte ich den gar nicht lange genug nach den Ring suchen können. – – O, es wär viel, viel zu sagen. Gott vergebe es allen! – Seid bei euren vielen Gelde, seid bei euren reichen Privatstande so glüklich – wenn Ihr’s könnt! – Wie ich in meiner Nähschule mit meinen guten Kindern. Ich nahm mich wohl in acht, nichts von dem Herrn Schröder zu schreiben. – – Wurde mir schwer – aber ich versuchte auch einmal politisch zu seyn – und es gelang mir. – Den freilich mein Gesicht hätte man nicht sehen dürfen – und daß sah man nicht. – Den ich schrieb und bat, da Madame Mecour nicht mehr bei der Gesellschaft war, um die Rolle der Roxolane. Sie hatte sie gespielt. Ich hofte auf die Neugierde der Hamburger, daß das Haus voll würde, wenn ich die Rolle wieder [245v/494] spielte – den der Gedanke war mir der allerschröcklichste: Soviele Gage gezogen zu haben und solche
gefällt; LTB 1778, S. 123 f. (http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN556490444_0001, Zugriff am 7.7.2020).
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nicht auch wieder eingebracht. So aber hofte ich: Bekämst du die Roxolane zu spielen, so hast du mit deiner ersten Rolle und mit dieser denn den Schaden, und was du der Ackermann gekostet, wieder ersäzt. – – Herr Schröder sagt ja. – – O, so glüklich war ich lange nicht gewesen. – Und was meine Freude vollkommen machte, so wurde Soliman der Zweyte am 30. September gegeben622. – Daß war mir wieder ein Geburtstag!! – Das Hauß war voll, zum ersten Mal wieder voll, seitdem Mademoiselle Ackermann den 19. Junius zum lezten Mal gespielt. Ich war zum ersten Mal wieder mit ganzer Seele dabei; auch merkte ich nicht an den Beifall, den man mir schenkte, daß mein Spiel geältert. Den Abend nach der Komödie traktirte ich mich auch mit 25 der schönsten Austern und trank ein paar Gläser alten Rheinwein aufs [246r/495] Wohl von allen, die heute Abend in der Komödie waren. Das Stück wurde im October wieder gegeben, es war nicht so voll, aber doch eine gute Einnahme. Zehntes Kapitel Ich suche ein anderes Theater und finde es Nun gute Nacht, Hamburg! – Wohin? daß du nicht immer reisen darfst? – Nach Berlin oder Gotha. Hätte ich’s gemacht wie viele und wär gerade nach Berlin gereist, ich wär noch da. So aber schrieb ich an Herrn Doebbelin, und da ließ er den freilich bei der Menge von Leuten, die er hatte, keine neuen dazukommen; wär aber angereist kam, da erlaubte es ihm sein gutes Herz nicht, die wieder gehen zu lassen. Und mich hätte er gewiß nicht wieder reisen laßen. – Nicht alle wußten’s ihn Dank. Nun schrieb ich nach Gotha an Herrn Böck623, der als Regisseur bei dem Hoftheater angestellt war. Herr Böck hatte mich bei seiner Reise durch Hamburg gleich den Sommer, da ich wieder auf ’s Theater gegangen, spielen sehen. Von Gothaer [246v/496] Hoftheater hatte ich viel Gutes gehört; von Pensionen, die die Schauspieler bekämen, wenn sie sich gut aufführen
622 Soliman der zweite oder Die Sultaninnen, Übersetzung des Lustspiels Soliman second ou les trois sultanes von Charles-Simon Favart. – Mit dieser Aufführung am 30. September 1778, in der sie die Roxelane spielte, hat Karoline Kummerfeld von der Hamburger Bühne Abschied genommen; JTS 2, 1779, S. 31. 623 Johann Michael Boeck. Nach dem Tod Ekhofs im Juni 1778 war Johann Michael Boeck und Heinrich August Ottokar Reichard die Direktion des Gothaer Theaters übertragen worden; Hodermann, Geschichte, S. 91 f. Zu Boecks Gothaer Zeit s. Hirsch, Boeck, S. 33–51.
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und einige Zeit da gewesen. – Kurz, eine Versorgung auf seine ganze Lebzeit624. Wär sollte da nicht Lust haben hinzugehen? – Bald bekam ich Antwort, nur wenige Briefe wurden gewechselt. Ich sollte nur 7 Thaler Gage die Woche haben und einige Klafter Holz. – Doch machte mir Herr Böck zum 8 Thaler die Woche Hoffnung, wenn ich nur erst einige Zeit wär dagewesen; auch sollte ich sobald wie möglich zu Anfang des Advents kommen. 7 Thaler die Woche war nicht viel – und noch Schulden zu bezahlen? – Doch ich hätte 5 genommen und gern solche mit denen mir blutsauer und mit so manchen Thränen benezten 10 Ackermannischen Thalern vertauscht – die Hoffnung zur Pension, zeitlebens an einen Ort. – Meine Denkungsart: – Du behülfst dich, und Gott wird dir die geringe Gage segnen. Kurz, ich gab mein Wort, und alles war richtig. – Nun aber bekomme ich einen Besuch von einer Person, wovon ich überzeigt seyn mußte, sie meynte es gut mit mir. – Die sagte mir: „Liebe Kummerfeldt, ich habe gehört, Sie wol[247/497]len nach Gotha? – Um Gottes Willen, thun Sie es nicht, so – so – u. s. w.“ Sie sagte mir vieles, daß mir nicht gleichgültig seyn konnte, und ich mußte ihr dafür danken. – Die Nachricht machte mir eine schlaflose Nacht. Am Morgen bekomme ich einen Brief von Herrn Großmann625, der fieng sich mit den Worten an: Eine Person von meinen Verdiensten müße nicht um Engagement schreiben, die müßte man aufsuchen, um sie zu bekommen. – Sehr verbindlich! – Noch waren meine zwey Fehler nicht von der Elbe an den Rhein geschwommen. – Herr Grossmann und Herr Helmuth626 waren auf zeitlebens – oder doch solange der Churfürst von Cöllnn627 leben sollte, bei denselben in Bonn engagirt. Es waren herrliche Aussichten! Gage sollte ich 624 Das 1775 von Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg gegründete Gothaer Hoftheater (das heutige Ekhof-Theater) war das erste stehende deutsche Hoftheater. Die Schauspieler wurden mit Einzelverträgen und festen Gehältern eingestellt, 1776 wurde eine Pensionskasse eingerichtet. Lit.: Hodermann, Geschichte; Dobritzsch, Zauberbühne; Dies., Das Theater im Schloß Friedenstein, in: Hans Erkenbrecher/Helmut Roob (Hg.), Die Residenzstadt Gotha in der Goethe-Zeit, Bucha bei Jena 1998 (Palmbaum. Texte 5), S. 73–84; Christoph Köhler, Gotha, eine thüringische Residenz zur Aufklärungszeit. Studien zum geistig-kulturellen Leben unter Ernst II. (1745–1804), Habil. (masch.) Jena 1992; Wolfgang Ranke (Bearb.), Europäische Literatur am Gothaer Fürstenhof, Gotha 1999; Siegrid Westphal/Andreas Klinger, Gotha, in: HB kult. Zentren, S. 641–668, hier S. 658 f. – Zur sozialen Absicherung der Schauspieler und Pensionskassen vgl. Schmitt, Schauspieler, S. 57–72. 625 Gustav Friedrich Wilhelm Großmann (1743–1796), Schauspieler und Prinzipal. 626 Johann Friedrich Helmuth d. Ä. (* 1744/45–1785), Sängerschauspieler, Komponist, Prinzipal. 627 Maximilian Friedrich von Königsegg-Rothenfels (* 13. Mai 1708 Köln, † 15. April 1784 Bonn). 1761–1784 Kurfürst und Erzbischof von Köln, zugleich Fürstbischof von Münster. Unter seiner Regierung wurde 1778 das bis 1784 von Gustav Friedrich bzw. Karoline Großmann geleitete Hoftheater
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fodern. – Ich dachte: Kannst du von Gotha deines Wortes entlassen werden, so nimmst du daß Engagement nach Bonn an. Ich schrieb an Herrn Böck, man hätte mir vor Gotha bange gemacht; nur sehr selten könnte eine Person weiblichen Geschlechts da gefallen bei allen theatralschen Verdiensten, wenn in ihrer Phisiognomie oder Figur was wär, das man nicht leiden kann. Man hätte sie in Gotha gehabt [247v/498] von allen Altern und Couleuren – wahre Mariengesichtergen, und man hätte sie doch nicht leiden können. – „Sie müßen Gotha kennen. Schön bin ich nicht, aber glauben Sie, daß ich ein Gesicht und Figur habe, bei der man nicht, wenn sie auftritt, die Hände über den Kopf zusammenschlägt, so bin ich verbunden mein Wort zu halten. Sie haben mich gesehen den lezten Sommer. Es würde mir leid seyn, das Gothaische Engagement angenommen zu haben, wenn es nur auf eine kurze Zeit wär, den nach denen Anstalten, die ich gemacht, möchte ich nicht gern so bald wieder wegreisen. – Wär es aber nach Herrn Boecks Meynung in die Länge für mich nicht in Gotha, so verkaufte ich mehr von meinen Sachen und richtete meine Bagage kleiner ein. – Den ich wär gegenwärtig nicht verlegen, weil mir Herr Grossmann und Herr Helmuth Engagement nach Bonn antragen,“ etc. etc. Daß war so ohngefehr mein Brief. Mit denselben Postag schrieb ich auch an Herrn Großmann628, weil er baldige Antwort verlangt: Ich hätte mein Wort gegeben, nach Gotha zu kommen, es läg nur noch an einer Bedingung. Sagte [248r/499] man mir die zu, so müßte ich mein Wort halten. In Fall man es mir aber abschrieb, so wär ich bereit zu kommen. Um also alle Weitläuftigkeit zu vermeiden, verlangte ich – wenn ich käm – 10 Thaler Gage in Gold oder 2 Louisdor die Woche, und nun noch wegen Rollen u.s.w. Den 17te October bekomme ich von Herrn Boeck Antwort. Ruhig sollte ich seyn wegen des Punkts, und da ich mein Wort gegeben, hoffte er, ich würde kommen, und es würde mich auch nicht gereuen etc. etc. Mein Wort mußte ich halten und würde es gehalten haben, wenn ich mich auch nur für 5 Thaler engagirt hätte. Denselben Abend kömmt der jüngste Herr Helmuth 629 zu mir und bringt einen Brief von Herrn Grossmann mit den Inhalt, daß er mir alles bewillige und daß in wenigen Tagen eine Kutsche eintreffen würde, die mich nach Maynz lifern sollte. Herr Helmuth sagte: „Sie nehmen mich mit, den ich reise auch zu meinen Bruder.“ – „Liebes Kind, wie kann ich daß? Bis an den Advent muß ich hierbleiben; und nach meinen heutigen Brief von Herrn Boeck kann ich nicht zu Ihren gegründet. Lit.: Günter Christ, Maximilian Friedrich Graf von Königsegg-Rothenfels; Erwin Gatz, Art. Königsegg und Rothenfels, Max Friedrich Reichsgraf von; Rüppel, Großmann. 628 S. den Brief Karoline Kummerfelds an Großmann vom 1. Oktober 1778 in Kummerfeld, Schriften, Bd. 2 629 Johann Georg Gottlob Helmuth (* 1754), Schauspieler und Sänger.
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Herrn Bruder und Herrn Grossmann. [248v/500] Auch wißen Sie es ja aus meinen Brief, daß es noch nicht gewiß war? – Wie können Sie mir eine Kutsche schicken?“ Ich schrieb an Herrn Grossmann, daß ich nicht kommen könnte630. Und was daß für ein Irrthum sey u. s. f. Herr Grossmann antwortete mir sehr inpertinent und drohte mir gar mit einen Prozeß und Arrest. Daß ich mein Wort den Herrn Churfürsten, bei dem ich mich engagirt hätte, nicht halten wollte. Und daß der Churfürst Herrn Boeck vorgienge etc. etc. etc. Ist der Mann von Sinnen, oder sind’s Komödiantenkniffe? Denkt der mich ins Bockshorn zu jagen? – Herr Grossmann! Da kennen Sie die Kummerfeld noch nicht, die von Kniffen keinen Gebrauch macht. – Ich sezte es Herrn Grossman deutsch nach meiner Art auseinander. Daß ich mich nicht bei Herrn Boeck, sondern auf das Herzogliche Hof-Theater in Gotha engagirt hätte. Daß das mein erstes Wort gehabt; daß ich nicht mehr die Woche wie 7 Thaler und einige Klafter Holz hätte; daß, wenn ich gewohnt wär, mein Wort zu brechen: mir doch 10 Thaler in Gold lieber seyn müßten wie 7 Thaler. [249r/501] Daraus sollte er mich kennenlernen, ob ich gewohnt wär, mit meinen Wort zu spielen u.s.w. Die Sache war auch abgethan, und ich bekam keine Antwort wieder. Auch machte ich Anstalt und verkaufte nach und nach ein Stück um’s andere – alles aus der Hand631. Elftes Kapitel Zweyundvierzig Mark Den 10. Junius, an den Sterbetage meines Vaters, war Madame Schreiber gestorben632; folglich die Rente der 42 Mark, wäre sie auf ihren Namen geschrieben gewesen, verlohren. Meinen Schluß hatte ich schon festgesezt, den ersten Augenblick, da ich die Nachricht bekam. Von der Familie that niemand des Geldes wegen Erwähnung, und ich auch nicht. Auch hatte ich die ganze lange Zeit keinen von ihnen gesehen, wie Madame Fritsch und ihre Tochter, und die alte Schwiegerin vom Kloster. Sie hatten mich einige Mal besucht und ich sie wieder.
630 S. dazu den die Chronologie der Ereignisse etwas anders darstellenden Brief Karoline Kummerfelds an Großmann vom 28. Oktober 1778 in Kummerfeld, Schriften, Bd. 2 631 Im freien Verkauf. 632 Gertrud Schreiber, die Tante von Diedrich Wilhelm Kummerfeld, starb am 10. Juni 1778; s. auch WHS, Anm. 387.
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Den 14. November starb meine Nichte Madame Pauli633 gleich nach der Entbindung eines toden Sohns. – Es war ihr sechstes Kind! – – Meiner alte[n] Schwiegerin Madame Fritsch ihr einziges Kind. – Und nun ihre 5 mutterlose Enkels – daß war [249v/502] hart. – Ich mußte nun auch einige Wochen daß eher thun – was ich thun wollte ein paar Tage vor meiner Abreise. Ich schrieb an meinen Schwager Herrn Kummerfeldt, daß ich nicht denken könnte, daß mir die Familie die 42 Mark Renten würden streutig machen wollen, weil solche ja, wenn ich sie auszahlte, in 12 Theile müßten getheilt werden; und Gott verhüten wolle, daß einer von ihnen in die Verfassung käm, daß er im ganzen Jahr die paar Groschen nicht sollte müssen634 können. Für einen wär es eine kleine Hülfe, aber nicht für 12. Wenn sie’s also zufrieden wären, so wollte ich durch Herrn Simon Hinrichs die 42 Mark an Madame Fritsch und ihre Enkel alle Jahr auszahlen lassen; so lange, bis ich nicht selbst durch Umstände gezwungen würde, solche für mich zu behalten. Und in diesen Decembermonat sollte der Anfang gemacht werden. Ich hatte den 15ten, als ich die Condolenzvisite machte, nichts zu meiner Schwiegerin gesagt von dem, was ich in den Sinn hatte. – Sie bat mich, den Tag, [250r/503] wenn die Beerdigung seyn würde, sie mit meinen Besuch zu beehren; ich sagte es zu: – Wenn ich in der Comödie nichts zu thun hätte. – Ich hatte nichts – und bekam auch nichts mehr zu thun. Ich fuhr also den 18. hin am Tage des Begräbnißes. – Zum ersten Mal sollte ich die ganze Familie wiedersehen. – Wie wurde ich empfangen? – Ich sah es, sie wußten bereits von meinen Briefe. Sprechen konnte meine Schwiegerin nicht, aber alles, alles lag in ihren Bliken und Thränen. – Und ich weinte nicht. – Woher kam’s, daß ich keine Thräne hatte? – Nach und nach sammlete sich die Familie. Meine zween Schwäger Kummerfeldt und von Bostel nebst zwo ihren Schwestern waren die lezten, die zugefahren kamen. Mein Schwager Kummerfeldt, da er in die Thür trat, blieb stehen, sah in der Stube rund, bis sein Auge mich traf. – Nun eilte er auf mich zu. – „Vergebung, Frau Schwester! Vergebung! Können Sie uns verzeihen, wie wir Sie beleidiget?“ – Er lag auf meiner Schulter und weinte. – Alles schwam, bis auf einen, in Thränen – und ich, ich konnte [250v/504] nicht weinen. – „Welch eine Frau verliehren wir aus unserer Familie! – O, was sind Sie für eine ehrliche Frau.“ Ich: „Herr Bruder, Ihre Erkäntniß freut mich. – Aber es thut mir weh, das Tausende von Schulden, die ich für Ihren Bruder, meinen Mann bezahlte – und noch bezahlen 633 Catharina Pauli geb. Fritsch starb im Alter von 32 Jahren; s. a. WHS, Anm. 389; sie war eine Nichte von Diedrich Wilhelm Kummerfeld. 634 (Ver)missen.
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muß: – Ihnen daß nicht sagen ließ. – Und daß mich 42 Mark zur ehrlichen Frau machen müßen.“ Herr Kummerfeldt: „– Vergebung! Wir sind aufgehezt und verführt worden. – Der da“ – (indem er auf Herrn AXCV hinblikte) – „war an allen schuld.“ Und der da! stand da und hörte es, als ob von ihm gar nicht die Rede wär, – troz aller ernsten, verächtlichen Blicken, die ihm die ganze Familie zuwarf. – Aber der da. – O, den seine fette Wange färbte keine Schaam mehr roth. – – Darauf wandte sich mein Schwager gegen alle – „Wir alle, wie wir da sind, haben Sie beleidiget; [251r/505] wir haben Ihnen Unrecht gethan, Sie öffendlich prostituiret. Es ist billig und recht, daß wir auch öffendlich wiederruhfen. Morgen lese ich Ihren Brief öffendlich auf der Börse vor, daß man auch von uns nun erfahre, was für eine rechtschaffene Frau Sie sind. – Diese Genugthuung sind wir Ihnen schuldig zu geben. – O, daß wir Sie aus unserer Familie verliehren müßen! daß Sie nicht hierbleiben können!!“ etc. etc. – – – – – Auch daß ließ mich Gott noch in Hamburg erleben. O Ehrlichkeit, Ehrlichkeit, welch ein Kleinod bist du? – Wie gerieng schäzte ich die That. – 42 Mark konnten daß thun? – Daß hätte ich nie gedacht. Zwölftes Kapitel Abschiedsvisiten Ausgesöhnt mit der ganzen Familie. Mein guter Bruder Kummerfeldt besuchte mich. – Nun konnte er’s selbst nicht begreiffen, wie Herr AXCVI sie alle so hätte hinreissen können? – Ich noch weniger, da mein Schwager doch wußte, welchen Streich er mir mit ihm vor der Hochzeit gespielt. – Jezt mußte ich noch alle besuchen – o, und da erk[l]ärte sich mir manches. Die Zeit meiner Abreise rükte näher. Ich nahm [251v/506] Abschied, auch von denen, die bange waren, ich würde von ihnen borgen, – die aus Furcht, mir etwas geben zu sollen, nicht einmal die Condolenzvisitte bei mir gemacht und allen Umgang mit mir aufgehoben. Laßen konnte ich’s nicht, jeder mußte zu guter Lezt noch haben, was ihm gehörte. „Die Satisfaction nehme ich mit aus Hamburg, daß keiner Schaden von meinen Umgang gehabt; daß die, die mein Haus nicht aufgaben, es nicht bereuen, nicht durch mich zu kurz gekommen sind.“ – Lieber Himmel! Wie die Geschöpfchens klein vor mir standen, in ihren grossen Häusern.
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Ich theilte, – wenn es mir gleich aus den Weg war, meine Abschiedsbesuche so ein, daß, wenn ich einen machte, wo ich zum voraus sah, sie würde mich angreiffen, ich darauf ein paar nahm, wo ich gewiß keine Thräne würde fallenlaßen oder mir schmeichelte: Die nehmen die Karte635 und erlassen mich des leidigen Cermoniels. – Gleich nach dem Abschied von dem Herrn Professor Nölting und seiner vortreflichen Gattin636 fuhr ich nach Herrn Nicolas Adolph Schmitt637. – Da dachte ich, ich würde [252r/507] in meinen Wagen bleiben, und stuzte nicht wenig, da mein Friseur sagte: „Angenommen!“ – Angenommen?? – Ich stieg aus, und in Augenblick kommt mir Herr Schmitt entgegen! – Ein Mann weit in die 60 Jahre. Herr Schmitt: „So ist es Ihr Ernst, Madame Kummerfeldt! daß Sie Hamburg verlassen wollen?“ Ich: „Ja, Herr Schmitt.“ Vieles sagte er zu meinen Lobe; endlich hub er an: „Aber Madame, warum sind Sie meinen Hause so vorbeygegangen und haben mich und meine Frau gar nicht mehr besucht?“ Ich: „Daß will ich Ihnen sagen. – Wie mein Mann starb und alles Unglük sich über meinen Kopf zusammen schlug, flohen mich die reichen Freunde – daß merkte ich. – Daß fühlte ich! – Also floh ich sie wieder. – Verzeihen Sie, Herr Schmitt. – Auch Sie sind reich – folglich – und so entzog ich mich auch den Umgang mit Ihrem Hause.“ – Herr Schmitt: „Ach! Sie haben mich verkannt. – Ich weiß wohl, [252v/508] man hält mich für einen gleichgültigen Mann, der kalt bei dem Unglük anderer Menschen bleibt. – Aber man irrt sich. – Man wird zu oft betrogen; ist man merklich zu gut, hat man das Schicksal Ihres Mannes. – – Ich bin bei allen meinen Vermögen selbst zu unglüklich, als daß ich keinen Theil an andern Menschen Leiden nehmen sollte. – Sie wissen mein Hauscreuz!638“ (Bitterlich fieng der Greiß an zu weinen – lange dauerte es, ehe er weitersprechen konnte. – Ich war selbst so weg, daß ich ihm nicht ein Wort des Trostes sagen konnte – ich weinte mit ihm.) – „Ihnen, gute Frau, die Sie daßselbe Unglük hatten, kann ichs sagen. – Mit Ihnen kann ich ohne Zurückhaltung sprechen. – Mich zeigen, wie ich bin. – Alles liegt auf mir alten Mann – ich habe keinen
635 Vor einem Besuch wurde die Visitenkarte auf einem Kartenteller abgegeben, wobei auf der Rückseite der Karte der Grund des Besuchs abgekürzt vermerkt wurde, hier „p. p. c.“: pour prendre congé – um Abschied zu nehmen. 636 Johanna Elisabeth Hedwig Nölting geb. Lokewitz (1739–1802), die zweite Ehefrau von Johann Heinrich Vincent Nölting. 637 Nicolaus Adolph Schmidt (1712–1786), Kaufmann, 1778 Mitglied des Kollegiums der Oberalten; s. WHS, Anm. 522. 638 Häusliches Unglück.
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Trost; – keine Hülfe und Unterstützung in meinen Alter. – Meine Frau639 weiß von nichts, sie ist und bleibt wie ein Kind. – Ach! Wie viele Angst leide ich um sie; – wie viele [253r/509] Sorgen. Und bei meinen Geschäften die ganze Last des Hausstandes auf mir – Wäsche und Küche sogar – alles. – Gott weiß allein die Sorgen, die mich drüken. – Was ist die Unterstützung von Leuten, die man mit Geld bezahlen muß? – Thun es aus Intereße – ach, es sind nicht die treuen Sorgen einer Gattin. – Wär fühlt daß mit mir? – Sie fühlen’s. – Sie können’s.“ Da lag der gute verehrungswürdige Mann mit seinen Kopf auf meiner rechten Schulter, und seine Thränen rollten auf mein Kleid herab. – Nie, nie habe ich das empfunden – ich bin auch nicht imstande, daß auseinanderzusezen, was in meiner Seele vorgieng. – Diesen Mann, den ich nicht allein, – den jeder, der ihm kannte – zwahr für einen ehrlichen und rechtschaffenen Mann – aber auch für den kältesten und unempfindlichsten Mann in ganz Hamburg hielte – da stand er vor mir wie ein Heiliger. – Hinstürzen wollte ich vor ihm, auf die Knie; um Vergebung bitten; daß auch ich ihm unrecht gethan; – mich oft mit andern [253v/510] über ihn und seiner scheinenden Gleichgültigkeit lustig gemacht. – Ach! wie schämte ich mich vor mir selbst – wie klein, wie verächtlich kam ich mir nun selbst vor. – Welche Reue drükte mein Herz. – Sprechen konnte ich nicht. – Ich schluchzte. – – O, daß ich mit jeder Thräne sein Unglük hätte wegweinen können. – Mit dem, was ich litt, seiner Gattin ihren Verstand wiedergeben können – wie glücklich würde ich gewesen seyn! – Ich mußte mich losreißen. – Was ich herstotterte: Von Vergebung – Gott über ihm seye, weiß ich nicht. Ich küßte ihn und wollte fort. Schmitt: „Liebe Madame Kummerfeldt! Stoßt Ihnen in der Fremde ein Unglük zu – wenden Sie sich an mich – ich helfe Ihnen gewiß. – Eine Frau, die so redlich für Hamburgs Bürger gehandelt, zu ihren eigenen Schaden, darf man nicht verlassen, – muß geholfen werden. – Sie haben als eine Fremde mehr gethan wie mancher Hamburger Bürger – Gott segne Sie dafür zeitlich und ewig. – Sie nehmen die Hochachtung aller Rechtschaffenen aus [254r/511] Hamburg mit sich. – Schade, daß Sie ein Weib seind. – Ein Mann hätten Sie werden müßen – Ihre Handlun[gen] sind männlich, würden Männern Ehre machen und wär manchen zu wünschen.“ Ich, die ich mich wieder in etwas gesammlet, sagte: „Wär ich ein Mann geworden mit diesen Kopf und Herzen – dann lebte ich gewiß nicht mehr. – Will, weil ich ein Weib
639 Anna Elisabeth Schmidt geb. Eding (* 26. Juli 1726, † 20. Juni 1791); Buek, Die Hamburgischen Oberalten, S. 259.
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seyn sollte, mit meinen Geschlecht zufrieden seyn. Will Weib seyn, wenn ich’s fühle, daß ich’s bin. – Aber wenn es seyn muß, handeln wie ein Mann.“ Schmitt: „Recht. So handeln wie bisher. – Und hier verschmähen Sie nicht diese Kleinigkeit. – Es geschied, daß Sie sich auf Ihrer Reise nichts sollen abgehen lassen. – Legen Sie’s zu dem, was Sie bestimmt zu verzehren. – Auf Reisen muß man sich nichts abbrechen, – nicht sparen wollen, – die Gesundheit leidet, – und Sie bedürfen jezt solche.“ Ich dankte – wie nur ich danken kann, ich, die ich mehr auf die Hand des Gebers als auf den Werth des Geschenks sehen kann. – Ich stieg in Wagen, [254v/512] und rufte: „Nach Hause!“ – Ich wollte noch ein halbes Dutzend Besuche den Vormittag machen – aber ich war’s nicht imstande. – Gott stehe dir bei, daß du nicht erliegst. Wie wirst du das aushalten? – Und welche Abschiede hast du noch zu machen!!! Da ich meinen lieben Hinrichsens den Auftritt mit Herrn Schmitt erzählte, saßen alle eben so verwundert und erstaund da, wie ich geseßen hatte, in solchen Vorurtheil stand der Mann. – Mein lieber Hinrichs sagte: „Sagte daß ein anderer wie Sie – ich würde es nicht glauben. – Hochachtung hatte ich für ihn. – Und wär muß daß nicht? – Aber jetzt habe ich Ehrfurcht für solchen. – Und wenn ich ihn nun wiedersehe, bücke ich mich gewiß ein gutes Theil tiefer für ihn.“ Uber 14 Tage hatte ich mit Abschiednehmen zugebracht. Jeder wollte mich noch so gern in seinem Hause bewirthen. – Auch Herr A.XCVII – Ich überwandt mich, gieng hin, aber blieb nur wenige Stunden! – Nichts wurde von [255r/513] Vergangenen gesprochen. Er hatte sich ein neues grösseres Haus gekauft und führte mich in denselben herum; zeigte mir die dicken, festen Mauern, die er errichten lassen. 8 Uhr wurde mein Wagen gemeldet. – Meine Schwiegerin drükte ich von Herzen an meine Brust. – Herr AXCVIII schüttelte ich mit meiner rechten Hand fest die seinige, sah ihn scharf in die Augen und sagte: „Herr Bruder! Ich wünsche, daß Sie Ihre Mauern so feste mögen gebaut haben: daß sie auf Kind und Kindeskind halten.“ – Daß waren die lezten Worte, die ich ihm sagte – „Nun Kutscher, fahre mich zu meine Hinrichs“ – und die lezten, die er von mir hörte. Seine Gattin erblaßte – das jammerte mich – gern hätte ich sie entfernt gewußt. – Und er stand da und bebte. – Ich sah, daß er erschüttert war, und that den Wunsch: O, möchte er sich bekehren! und seine Gattin Hoffnung haben zu beßern Tagen. Ich hoffe, daß ich keinen vergeßen, daß ich von [255v/514] allen Abschied genommen. – Hätte ich einen vergeßen, mit Willen wär’s gewiß nicht geschehen. – Auch von meinen Mann. – Ich lies mir die Gruft öffnen, und eine Thräne fiel auf seinen Sarg. – Ruhe
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sanft! – Dein Weib hat die Zusage, die sie dir vor deinen Sterbebette gegeben, erfüllt. Sie hat deine Schuld getragen; ich versprach, dir keine Schande zu machen; auch daß habe ich erfüllt bis jezt, und Gott wird mir beistehen auch in der Zukunft. – Ruhen wird meine Asche nicht bei der deinigen. – Aber unsere Seelen werden sich wiederfinden. „Ja gewiß, gewiß sehen wir uns wieder“, waren deine Worte zu mir – fast deine lezten. – – Und meine lezten zu dir: – „Ja gewiß, gewiß sehen wir uns wieder“. Der 9te December war der Tag meiner Abreise. Ich fuhr mit meinen Gretchen und ihren Schwager, Herrn von Spreckelsen640, nach den Baumhaus641. Ich mußte bei Schwerdtners neuen Wohnung vorbei, und da konnte ich es nicht unterlassen, mein Glaß von der Kutsche niederzulassen: [256r/515] Aber blos um auszuspuken, denn sie waren am Fenster und standen vor der Hausthüre. – Wie sahen sie sich untereinander an? Man sah’s, daß das Gewißen sich regen wollte. HerrXCIX Simon Hinrichs kam noch den weiten Weg hin, um mich noch einmal zu sehen. – Ach, Ihr alle! Ihr alle guten Seelen! Ihr meine Freunde, Wohlthäter. Ihr meine Tröster, Beschüzer, Theilnähmer meiner Leiden, lebt wohl! – Glaubt, ich fühle noch jetzt all das unzählige Gute, daß Ihr an mir gethan. Gott lohn es euch: Nicht allein an zeitlichen Glük, – nein, auch noch in jener Ewigkeit. – Nie, nie werde ich aufhören zu danken und euch zu segnen. Es gehe Hamburg wohl, der vielen Edlen wegen, die da wohnen. Und denen, die mich haßten, verfolgten, unterdrükten, mich tadelten bis jezt: die Ihr euer zärtliches Ohr an meine Declamation und euer helsehendes Auge an meine Action nicht gewöhnen wolltet – euch vergebe ich und wünsche, daß immer die Welt mit eurer Declamation und Action beßer zufrieden seyn möge, wie Ihr hier mit mir ward. [256v/516] Dreizehntes Kapitel Gehert zum Ganzen Ich würde mich kürzer gefaßt haben; würde manches, wie mir nach den Tode meines Mannes ergangen, überhüpft haben, aber hier meine Ursach. Noch im Jahr 1783 mußte ich von meinen eigenen Bruder in Frankfurt hören, als einen Vorwurf hören: Daß ich 640 Franz Hermann von Spreckelsen (* 27. Sept. 1740, † 23. Jan. 1789), Zuckerfabrikant, verh. mit Maria Cäcilia Höpfner. 641 Das 1662 erbaute Baumhaus war die Hamburger Zollstation in unmittelbarer Nähe des Binnenhafens; HHS, Anm. 570.
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gar nicht Ursach gehabt hätte zu klagen; – daß ich sehr gut weggekommen, daß hätte er selbst von Hamburgern gehört: Daß man ganz anders noch mit mir hätte umgehen können. – – Streiten war meine Sache nie. – Und immer scheint man partheyisch: wenn man von seinen eigenen Angelegenheiten spricht. – Ich schwieg. – Mein Schweigen half mir nichts. Neckte man mich nicht von der einen, so neckte man mich von der andern Seite. Lange fühlte ich meinen Werth in mir, und mir genügte. Ich dachte – wie Gotters Hedwig642 – : „Laß die Schlangen zischen und die Bären brummen, ihre Natur bringt’s nicht anders mit sich“. Ich schlief, aber endlich weckte man mich zu laut auf, und da will ich den nicht länger schlafen. – Auch meine Geduld hat endlich ihr Ende erreicht. Man stelle mir ein Weib, daß mir gleich war, an die Seite und lehre [257r/517] mich solche kennen: – Als Schwester will ich sie umarmen. Daß, was mir mein Bruder sagte, ist es noch nicht allein. Mir wurde sogar gesagt von Freunden, daß sie auch von Hamburgern und in Hamburg gehört, wie reichlich mein Mann für mich gesorgt. – Wieviele Tausende er für mich belegt; was ich aus Wittwencassen und Leibrenten zöge; – und die Familie noch obendarein mir alles gelassen; die Schulden wenig oder nichts gewesen; ich gar nicht nöthig gehabt, wieder aufs Theater zu gehen, weil ich reichlich von meinen Intereßen leben könnte. In ein so zweydeutiges Licht sezte man meinen Karakter. Wie weh mußte mir dieses thun. – Ich duldete und schwieg. – Beweiß, wie wenig ich der Welt gesagt, wie es mir ergangen. Selbst meinen Bruder nicht. – Er weiß es noch nicht, daß ich seinetwegen in Prozeß kam – so wenig als er von diesen Buch weiß, daß ich schreibe – nichts von den vielen Kränkungen, die ich erduldet. – Jetzt erfahre es mein Carl! Jetzt lerne deine Schwester erst ganz kennen. Daß ich dir dein Kapital mit denen Intereßen gerettet, ohne [257v/518] daß ich dir was abgezogen, daß weißt du. – Aber nicht, was es mich gekostet. – Jezt denke, was ich zu der Zeit, – die dir wohl bekannt ist! – ertragen habe – die du nie in den ganzen Umfang gekannt – und mich endlich zu den Schritt trieb, den ich that – – deine Wohnung zu verlassen – unempfindlich wurde und bleiben hies; – weil mich die Erfahrung lehrte: daß, wer ein böses Herz hat, nie zu beßern ist643. Meinen Weg nahm ich erst nach Hannover. – Hier mußte ich selbst danken für die edle Theilnahme, für die Unterstützung, die ich gehabt. Ich wohnte in dem Hause meines Freundes, dem Postsekretär Herr D644. Wie vielen Dank hatte ich den Mann! 642 Hedwig von der Aue im 4. Aufzug, 5. Auftritt in Friedrich Wilhelm Gotters Stück Der argwöhnische Ehemann. 643 S. dazu auch WHS, S. [307v/620]. 644 Gestrichen: Dethering. Postsekretär Deterding ist der Sohn einer Pastorenwitwe, der bei Karl Schulze
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Den durch ihn lernte ich – wie soll ich ihm nennen, meinen Wohlthäter? Herr **645 kennen. – Ich lernte ihm in Hamburg kennen den 3ten May 1777, in einer Zeit der schröcklichsten Unruhen. Daß war ein Freund!! – Ein Engel in der Gestalt eines Menschen, mir von Gott gesand. – Hier trug ich meine Schuld ab. – Aber die der Unterstützung, der Freundschaftsdienste, muß ich diesen edlen Mann [258r/519] wie allen meinen Wohlthätern eine Schuldnerin bleiben, bis an daß Ende meines Lebens. Wie gerne wär ich in Hannover länger geblieben! Aber ich mußte fort, ohnedieß kam ich später nach Gotha, wie ich sollte. – Wie leid war es mir, als ich bei dem Haus des Herr Landrenthmeisters B*646 vorfuhr und niemand zu Hause traf. – Auch dieser ist einer meiner alten edlen Freunden erster. Den 14. reiste ich von Hannover und kam die Nacht nach Braunschweig. – Welch ein Wiedersehn! Meine Fleischer, ihren Gatten und die zwey Kinder. – Nur wenige Stunden konnte ich da seyn, den den 15. des Nachmittags gieng die Post nach Gotha. Doch hatte ich die Freude, Herrn von Brunian, den Gatten meiner Halbschwester, auf ein paar Stunden zu sprechen647. Sie, meine Mariane, war noch in Prag. – So gut sollte es mir nicht werden, das vortrefliche, seelengute Weib noch einmal zu sehen. – Getrennt sind wir seid dem Jahr 1753648. Vierzehntes Kapitel Gotha Den 18. kam ich nach Gotha. Den 22. hatte ich die Gnade, der Durchlauchtigsten Herzogin649 meine erste Aufwartung zu machen. Auch der gnädigste Herzog650 kamen in das Zimmer seiner fürstlichen Gemahlin. [258v/520] Ich sprach wenig, – aber fühlte ganz die Gnade, mit der man mich gewürdiget mich aufzunehmen. Tanzunterricht nahm; HHS, S. [279 f.]. 645 Gestrichen: Demmers [?]. Vielleicht handelt es sich um ein Mitglied der Hamburger Kaufmannsfamilie Dammers. 646 Gestrichen: Barin. Christian Ludwig Baring (1721–1792), Hofgerichtssekretär und Calenbergischer Landrentmeister in Hannover; HHS, Anm. 531. 647 Johann Joseph von Brunian hielt sich mit seiner Gesellschaft vom Sommer 1778 bis September 1779 in Braunschweig auf; Scherl/Rudin, Johann Joseph von Brunian, S. 79. 648 S. HHS, S. [91 f.]. 649 Herzogin Charlotte von Sachsen-Gotha-Altenburg geb. Prinzessin von Sachsen-Meiningen (* 11. Sept. 1751 Frankfurt/Main, † 25. April 1827 Genua). 650 Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (* 30. Jan. 1745 Gotha, † 20. April 1804 Gotha).
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Den 28. spielte ich zum ersten Mal in den Holländern651 die Sara. Das Urtheil, daß der Durchlauchtigste Herzog nach meinen ersten Auftritt über mich fällte, war: „Die Frau ist auf dem Theater bekannt und wie zu Hause, sie spielt nur damit, und ist ihr nichts in den Wege.“ Wie das Stück zu Ende gieng, kamen Ihro Durchlaucht der Herzog in die linke Seitenloge nahe am Theater; und wie es aus war, nickte Derselbe mir Seinen hohen Beifall zu. – „Daß hat, solange wir hier sind, unser gnädigster Herzog noch nicht gethan“, – sagten die Herrn Schauspieler. – Wär war glüklicher wie ich! Meine zweyte Rolle war die Roxolane652; ein Stük, daß nicht den Beifall des gnädigsten Herrn gehabt der Roxolane wegen, die vor mir die Rolle gespielt und nicht mehr in Gotha war653. – Es wurde zum zweyten Mal gegeben, mit denselben Beifall, den es hatte, als ich das erste Mal [259r/521] darinnen gespielt. Und auf Befehl des gnädigsten Herrn zum dritten Mal bei der Anwesenheit von hohen Herrschaften. Die dritte Rolle, die ich spielte, war in Lessings Freygeist654 die Henriette. Ich spielte – und hatte das Glück zu gefallen. Ich spielte mit Lust. – Und wär hätte es nicht sollen? – O, mein Gott! wie glüklich schäzte ich mich? Hier lebst du, hier stirbst du. Ich hatte mich von Hamburg aus in Gotha engagirt, ohne zu wißen: daß man einen Contract haben müßte. Herr Boeck schrieb mir nichts davon, und ich dachte auch nicht daran. Mir war’s zu vergeben, den nie hatte ich noch einen Contract gehabt noch unterschrieben. Herr Boeck sagte mir, als ich einige Wochen da war: „Sie müßen einen Contract unterschreiben655.“ – „Nur her damit, wenn es seyn muß?“ Nun dachte ich 651 Die Holländer oder Was vermag ein vernünftiges Frauenzimmer nicht? Übersetzung des Lustspiels I mercanti von Carlo Goldoni in einer Bearbeitung von Johann Christian Bock. In Gotha war Goldoni der meistgespielte Lustspielautor und somit neben Hamburg der zweite Hauptort der Goldoni-Rezeption im nord- bzw. mitteldeutschen Raum. Allerdings wurden die Stücke oft sehr frei bearbeitet; Ranke, Literatur, S. 70. 652 Soliman der zweite oder Die Sultaninnen, eine Übersetzung des Lustspiels Soliman second ou les trois sultanes von Charles-Simon Favart. 653 Bei der ersten Aufführung am 10. April 1778 hatte Elisabethe Klara Hartmann geb. Pilotti (* 1753) die Rolle der Roxelane gespielt. Ekhof notierte in seinem Tagebuch zu dieser Aufführung: „nicht angekommen“; Hodermann, Geschichte, S. 165, 178. 654 Der Freigeist, Lustspiel von Gotthold Ephraim Lessing. 655 In Gotha wurden Einzelverträge mit den Schauspielerinnen und Schauspielern abgeschlossen. Lit.: Dobritzsch, Theater, S. 80; Andrea Heinz, Liebhabertheater, Wandertruppe oder Hoftheater? Theater in den Residenzstädten Weimar und Gotha um 1800, in: Werner Greiling/Andreas Klinger/Christoph Köhler (Hg.), Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg. Ein Herrscher im Zeitalter der Aufklärung,
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erst nach: – Siehe, daß hättest du schon in Hamburg thun müßen? – Gesezt, du hättest nicht gefallen? – Aber freylich, so war ich: Mein [259v/522] Wort war mir immer Contract. – Wie säzte daß immer (für mich – und meine Denkungsart) die Menschen herrunter, – daß sie erst durch ihres Namens Unterschrift bekräftigen müßen: sie wollen ehrlich seyn. – Wären alle Menschen so wie ich und manche, die ich kenne und gekannt habe, – es wär kein Contract in der ganzen Welt nöthig. Man erinnerte mich öfters an den Contract, daß ich den Tag doch endlich bestimmen sollte, wenn es mir gefällig wär zu unterschreiben. – Neuer Beweiß, daß ich nicht mißfiel? – Man müßte es doch nicht gern gesehen haben, wenn es mir nicht in Gotha gefallen und ich wieder weggereist wär? – Mich hätte man wieder fortschicken können. Den ohne Contract war der Hof ja nicht gebunden, mich zu behalten? – Doch auch daß sollte so seyn, so kommen, um mich zu rechtfertigen und meine Verläumder zu beschämen. Endlich redete mich der Herr Bibliothekar Reicherd (er war damals noch nicht Rath) selbst [260r/523] in der Garderobe an: Wenn ich den Contract unterschreiben wollte? Ich: „Ich stehe zu Befehl jeden Tag. Wollen Sie so gütig seyn und mir solchen zuschicken?“ Herr Bibliothekar Reicherd: „Nein! Ich werde die Ehre haben, Ihnen solchen selbst zu bringen.“ Und daß geschah auch den 24. Februar 1779. Da hatt[e] ich die Ehre, den Herr Bibliothekar Reicherd in meinen Zimmer zu sehen. Ich las den Contract durch und stutzte, daß er nur auf zwey Jahre war. – Den ich hätte solchen gern auf die ganze übrige Zeit meines Lebens gemacht. – Daß war ein Punkt. Der zweyte und noch härtere Punkt war der: „Daß, wenn der Hof in denen zwey Jahren Ursach hätte, jemanden zu verabschieden, er solches thun könnte, bei einer halbjährigen Vorheraufkündigung, der Schauspieler aber nicht.“ Ich: „Hören Sie, lieber Herr Bibliothekar! Daß sind zwey harte Punkte. Ich glaubte auf längere [260v/524] Zeit als auf zwey Jahre?“ Herr Bibliothekar Reicherd: „Der ganzen Gesellschaft ihre Contracte sind nicht länger als bis nach Verlauf von zwey Jahren. Dann werden wieder neue Contracte gemacht, wenn der Hof Theater behält. Selbst die Herren Boeck und Mayer656, die Pensionen Köln/Weimar/Wien 2005 (Veröff. der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe 15), S. 239–250. 656 Wilhelm Christian Dietrich Meyer (1749–1783), Schauspieler.
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haben sollen Zeit Lebens, wenn sie hier bleiben, haben auch so einen Contract noch wie dieser unterschrieben.“657 Ich: „Gut. – Den sehen Sie, ich bin mit der vielen Fracht nicht hergekommen, um so bald wieder zu gehen. Ich dachte und wußte auch nur, daß, wenn man sich gut aufführe – und gefiel – versteht sich – Hoffnung hätte, Zeit Lebens zu bleiben. – – – Aber der zweyte Punkt ist gar zu hart.“ Herr Bibliothekar Reicherd: „Auch dazu war der Hof gezwungen, daß man solche Punkte hinsetzen mußte. – Sie wißen, wie es oft geht.“ Ich: „Jawohl! – Dachten vielleicht manche: Habe ich meinen Contract, so kann ich thun, was ich will. Will mich der Hof entlassen, nun, so bezahle er mir die Gage auf die ganze Zeit meines Contracts, [261r/525] und ich gehe.“ Herr Bibliothekar Reicherd: „Ja, daß war es eben, und eben deswegen solchen Punkt. – Aber eine Frau wie Sie – eine Kummerfeldt riskirt dabei nichts.“ Ich: „Nun, sehen Sie, lieber Herr Bibliothekar! Auf Ihr Wort. – Und daß ich noch einen Thaler Zulage die Woche bekomme. – Dafür, hoffe ich, werden Sie sorgen.“ Herr Bibliothekar Reicherd: „Auch der wird Ihnen nicht entgehen, und Sie werden ihn bekommen.“ Mit Lächeln nahm ich die Feder; im Lächeln sagte ich: „Auf Ihr Wort! Mit dem Bedinge, daß ich noch einen Thaler Zulage die Woche bekomme; – mit dem Bedinge, daß man nicht in einigen Wochen sage: In einen halben Jahr kannst du wieder gehen? – unterschreibe ich.“ – Ich unterschrieb. Und Herr Bibliothekar Reicherd sagten, wärend ich schrieb: „Unterschreiben Sie nur; Sie haben daß gewiß nicht zu befürchten.“ Nun hatte ich unterschrieben und war vergnügt, ruhig und glaubte mich sicher. Der Herr Bibliothekar Reicherd war so artig, so gefallig und [261v/526] freundschaftlich, daß der Mann meine ganze Hochachtung mit sich nahm. Wie vergnügt lebte ich in meinen Gotha. Der Herr Geheime Legationssekretär Gotter658 – wär weiß oder kennt den guten, freundschaftlichen Mann nicht? – erneu657 Das Ehepaar Boeck profitierte von dieser Pensionsregelung. Als Johann Michael Boeck nach Mannheim wechselte, blieb seine Frau Sophie Elisabeth Boeck in Gotha und erhielt lebenslänglich die Hälfte der Pension, die der Herzog dem Ehepaar in Aussicht gestellt hatte; Hirsch, Boeck, S. 18. 658 Friedrich Wilhelm Gotter (* 3. Sept. 1746 Gotha, † 18. März 1797), Dramatiker und Lyriker. Gotter studierte 1763–1766 in Göttingen die Rechte, kehrte nach Gotha zurück und wurde zum zweiten Geheimen Archivar ernannt. 1767 und 1769–1771 wirkte er als Legationssekretär am Reichskammergericht in Wetzlar, wo er 1769 die Bekanntschaft mit Goethe machte. Von 1772 bis zu seinem Tode lebte er als herzoglicher Geheimsekretär in Gotha. Der als Dramatiker äußerst produktive Gotter hatte schon während seiner Studienzeit in Göttingen und seinem Aufenthalt in Wetzlar mit der Theater- und
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erte die kurze Bekanntschaft, die ich in Hamburg mit ihm zu machen die Ehre hatte. – Auch lernte ich den guten, lieben Herrn Ettinger659 kennen – und so manche gute freundschaftliche Menschen hatte ich das Glück, daß sie mir gut wurden und mich ihres Umganges nicht unwerth schäzten. – Kurz, ich lebte ganz wieder auf. – Schuldig war ich noch 550 Thaler660. Aber ich dachte: Hast du gottlob so viel bezahlt, die sollen auch noch zusammenkommen. Man mahnt dich nicht, man drükt dich nicht. Sparst, so gut du kannst – und trägst deinen Versprächen gemäß auf Neujahr wieder einen Posten ab. Troz hätte ich dem geboten, der gesagt: Er wär glüklicher wie ich – bis den 18. Merz661. – Den Morgen kommt ein Theaterbediente und bringt [262r/527] auf einen offenen Bogen Papier den Abschied der ganzen Gesellschaft, daß sie auf Michaelie Literaturszene enge Verbindungen geknüpft. Damals könnte er Karoline Schulze im Sommer 1764 auf der Göttinger Bühne gesehen haben. 1773 gründete er in Gotha ein bürgerliches Liebhabertheater, das auch gelegentlich im Schloss Vorstellungen gegeben hat. Lit.: Käte Lorenzen, Friedrich Wilhelm Gotter; Ranke, Literatur, S. 72–74; Karl August Böttiger, Literarische Zustände und Zeitgenossen. Begegnungen und Gespräche im klassischen Weimar, hg. von Klaus Gerlach und René Sternke, 3. Aufl. Berlin 1998, S. 313–315; Detlef Ignasiak, Das literarische Gotha. Von den Anfängen bis zum Ausgang des 20. Jahrhunderts, Bucha bei Jena 2003, S. 228 f. – Friedrich Wilhelm Gotter empfahl Karoline Kummerfeld „nach ihrem Wiedereintritt in den Schauspielerberuf“ in einem Schreiben vom 20. März 1784 an „einen Sekretär in Berlin“, wohl an Christian August Bertram, den Herausgeber der Litteratur- und Theaterzeitung. Der Brief wurde 2009 im Autographenhandel (http://autographen. org/Maigloeckchen2009.pdf, S. 10 f., Nr. 39, Zugriff am 27.9.2011) angeboten und laut Auskunft des Antiquariats Köstler am 24.9.2009 verkauft. 659 Carl Wilhelm Ettinger (* 5. Juni 1741 Eisenach, † 14. Juni 1804 Gotha), Buchhändler und Verleger, Schwager von Heinrich August Ottokar Reichard, dessen Theaterkalender Ettinger verlegte; Christoph Köhler, „Dass keiner was unternehme, daß bloß ihm alle Vortheile, den andern aber Schaden bringt“. Carl Wilhelm Ettingers Verlagsunternehmen in Gotha, in: Werner Greiling/Siegfried Seifert (Hg.), „Der entfesselte Markt“. Verleger und Verlagsbuchhandel im thüringisch-sächsischen Kulturraum um 1800, Leipzig 2004, S. 107–128. 660 Die Aussage bezieht sich auf ihre Schulden in Hamburg. 661 Am 18. März 1779 wurde allen Schauspielern ein von Reichard unterzeichnetes Schreiben übergeben, in dem ihnen die geplante Schließung des Hoftheaters auf Michaelis (29. September 1779), mitgeteilt wurde. Die letzte Gage sollte am 1. Oktober ausbezahlt werden. Abdruck dieses Schreibens bei Hodermann, Geschichte, S. 100 f. – Der Auflösungsbeschluss lässt sich nicht allein mit den Ausgaben für die Hofbühne erklären. Als einer der Gründe wird angeführt, dass nach Konrad Ekhofs Tod (16. Juni 1778) unter der Leitung H. A. O. Reichards und Johann Michael Boecks sich die Qualität des Theaters verschlechtert und der sehr enge Kreis des Gothaer Publikums, das anspruchsvoller und kritischer geworden war, dem Theater den Rücken gekehrt hatte. Der Herzog selbst war am Theater nicht sehr interessiert; Dobritzsch, Zauberbühne, S. 142 f. Für Iffland war die „wahrscheinlichste Ursache“ „eine gewisse Einförmigkeit“ der Aufführungen. Die „damalige Regie“ (also Reichard und Boeck) sei nicht bemüht genug gewesen, „mit dem Geiste der Zeit vorwärts zu gehen“; Iffland, Laufbahn, S. 81 f. – Insgesamt hatten permanente Bühnen in kleineren Städten ein Problem damit, dem Hof und Publikum dauerhaft zu gefallen; Hirsch, Boeck, S. 50 f.
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hingehen könnte, wohin sie wollte. Alle sollten den Bogen unterschreiben. – Ich unterschrieb nicht662 – den ich hatte ihn ja gesehen. – – – – Dieß die Hoffnung, Zeit Lebens hier zu bleiben ??? – – – – – – – – – – – – Nun reute es mich und reuete mich von Herzen, daß ich mich hatte blenden lassen durch den Gedanken eines lebenslänglichen Brods; – daß ich nicht zu Herr Grossmann und Helmuth gegangen: und es gemacht wie so viele, die den Directeur wählen, der die meiste Gage giebt. In welche Kosten hatte ich mich gestekt! – Lauter neue Mobilien angeschaft; – manches mitgenommen, daß ich in Hamburg besser verkauffen können, um meine Fracht zu erleichtern. – Mein Quartir in Hamburg – weil ich nach Martini wegreiste, habe ich bis Himmelfahrt mit 20 Thalern bezahlen müßen; – in Gotha mein Quartir auf ein Jahr genommen, weil der Hauswirth unter keiner andern Bedingung es wollte neu tapezieren [262v/528] und ganz nach meinen Verlangen einrichten lassen; – folglich auch von Michaeli bis Weinachten ein viertel Jahr Miethe, daß war: 8 Thaler 18 Groschen, zum Fenster hinnausgeworffen. – Den konnte ich meinen Wirth mein Wort brächen, weil ich abgedankt worden? – Mein Wirth hatte nichts Schriftliches von mir in Händen. – Er brauchte es auch nicht, den kein Unglük kann meine Grundsätze wankend machen. – Ich hätte den Mann betrogen, wenn ich ihm nicht bezahlt. – Und noch schuldig 550 Thaler! – Daß war ein harter Schlag, bei 7 Thaler Gage. – Und war so unschuldig an allen. Ich, die ich gewiß von allen den meisten Schaden gehabt; ich, die ich noch wenig Gutes genossen – und von dem Hof – den Beifall, den man mir gab; meine 7 Thaler die Woche Gage663; und 40 Thaler Reisegeld – womit ich freilig nicht ausgekommen war – sonst nichts gehabt: Ich sage es gerade heraus – verdenken konnte ichs dem Herzog nicht, daß er das Theater eingehen lies. [263r/529] Leben hätten wir alle können wie im den Himmel, aber da gab’s doch immer was zu necken und zu klagen. Nun schlug Herr Boeck mit seiner Forderung vollends dem Faß den Boden aus664 – und da mußte es nun der Unschuldige mit dem Schuldigen entgelten. – Wie ich nach der ersten Bestürzung wieder zu mir selbst kam, dachte ich nach: Ist ja immer dein Schicksal gewesen zu leiden, 662 Hodermann, Geschichte, S. 101. 663 Das „Theaterreglement“ vom 17. Juli 1775 sah vor, dass die wöchentliche Gage der Schauspieler und Schauspielerinnen, die „erste Rollen“ spielten, nicht mehr als 8 Reichsthaler betragen sollte. Zu Karoline Kummerfelds Gage von 7 Thalern wöchentlich gehörten auch 6 Klafter Holz; Hodermann, Geschichte, S. 19 f., 110.; Dobritzsch, Zauberbühne, S. 121. 664 Auch Hodermann berichtet, zeitgenössische Stimmen hätten die von Johann Michael Boeck beim Herzog im unpassenden Moment vorgetragenen überzogenenen Gehaltsforderungen für den Entschluss des Herzogs verantwortlich gemacht; Hodermann, Geschichte, S. 104.
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was andere verschuldet. – Bin ich schuld? – Kann ich mir Vorwürffe machen? – Habe ich unredlich gehandelt? Habe ich meine Schuldigkeit verabsäumt? – Nein! – Allso – der alte Gott lebt noch, der wird dir helfen. Wie gesagt, ich habe den größten Schaden gehabt. – Aber sagen muß ich’s: Schwerlich bekommen es Schauspieler je wieder so gut, als wie sie es in Gotha gehabt. – Dreymal wurde nur die Woche gespielt665. – Wenig zu studieren, den wie oft wurde ein Stük, das gefiel, wiederholt; zu Proben wie zur Comödie wurden wir gefahren666; im Winter das warme Theater ohne Zugluft; die präch[263v/530]tige Garderobe, in der alles, alles war, bis auf die geringste Kleinigkeit eines Fächers. – Den alles, was die gnädigste Herzogin ablegten, kam ja in die Garderobe667? Die Achtung, mit welchen jeden begegnet wurde. Nur ein Stück wurde an einen Abend gegeben. Wie oft fuhren wir im Sommer von dem Theater, und die liebe Sonne stand noch am Himmel, daß wir nach einen Garten giengen und frölig seyn konnten. – – Dann die grossen ansehnlichen Präsente, die die Schauspieler bekommen haben. – Und doch, doch konnten sie nicht zufrieden seyn, machten so vielen Verdruß dem Herrn, daß er es überdrüsig werden mußte. – Ich überlief668 nicht den Hof, nicht die Vorgesezten; nicht den Herrn Baron von Lenthe669, nicht den Herrn Bibliothekar Reicherd; ich klagte nicht; that meine Schuldigkeit, war stille, forderte weder Präsent noch Schadloshaltung – und bekam auch nichts670. Den 27. September spielten wir zulezt. – War noch [264r/531] eine Beneficecomödie für uns, da kam auf meinen Theil 7 Thaler 17 Groschen 6₰C 671. – Wie ich Abschied 665 666 667 668 669
Dobritzsch, Zauberbühne, S. 121. Zum Fahrdienst vgl. Dobritzsch, Zauberbühne, S. 136. Zu den Kostümen als Schenkungen der Herzogin vgl. Dobritzsch, Zauberbühne, S. 134. Überlaufen: Jemand mit Bitten beschwerlich werden. Carl Levin Otto von Lenthe (* 19. Juni 1746 Hannover, † 28. Nov. 1815 Celle), Oberhofmarschall in Gotha. Ihm war die Aufsicht über das Theater übertragen; Dobritzsch, Zauberbühne, S. 138. 670 Kummerfeld erwähnt nicht, dass sie zu denen gehörte, die – freilich vergebens – am 1. Mai 1779 ein an den Herzog gerichtetes Gesuch der Schauspielerinnen und Schauspieler unterzeichnete, das Theater doch bestehen zu lassen. Die Supplik ist abgedruckt bei Hodermann, Geschichte, S. 107 f.; Dobritzsch, Zauberbühne, S. 140 f. 671 Die letzte Vorstellung fand am 24. September 1779 mit dem Melodram Medea (Libretto: Friedrich Wilhelm Gotter, Musik: Georg Anton Benda) und dem Lustspiel Rache für Rache von Johann Karl Wezel statt. Nach dieser Vorstellung wurden die Schauspieler zum Abschied noch einmal in das Haus Carl Wilhelm Ettingers eingeladen; Hodermann, Geschichte, S. 116 f.; Dobritzsch, Zauberbühne, S. 140. Bei der Benefizvorstellung am 27. September wurde das Singspiel Romeo und Julie (Libretto:
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nahm bei dem Herrn Baron von Lenthe, so sagte er: „Ihrendwegen wär gewiß das Theater nie abgedankt worden, wären von jeher alle so ruhig gewesen wie Sie. Ihrendwegen hätte keiner eine Klage noch Verdruß gehabt.“ – Ich dankte. Hätte es mir nur auch was geholfen! Aber nicht um einen Groschen wurden meine 550 Thaler Schulden weniger. – Und wer wußte es, daß mich die mit Sorgen niederdrükten? – Keiner – aber dafür war ich auch die Kummerfeldt. Fünfzehntes Kapitel Mannheim Mit Schaden hatte ich wieder die Mobilien und andere Sachen verkauft und reiste den 28. September von Gotha mit denen, die mit mir engagirt waren672, nach Mannheim zu den Hoftheater, daß der Freyherr Herr Baron von Dahlberg673 errichtete und wovon Herr Seyler als Directeur angestellt war. Um keinen Zank und Streut mit denen übrigen Damen bei dem Theater zu haben, hatte ich mich hauptsächlich für die ersten Mädchenrollen engagirt. Freilich, bei ei[264v/532]nen Theater, daß erst eingerichtet werden sollte, konnte nicht leicht ein jeder nur ein oder ein paar Fächer, ohne Friedrich Wilhelm Gotter, Musik: Georg Anton Benda) gegeben. Der Abend brachte für die Schauspieler insgesamt 129 Reichstaler und 10 Groschen ein; Hodermann, Geschichte, S. 114; Dobritzsch, Zauberbühne, S. 141. – Bei der Auflösung des Theaters wurde der Kostümfundus zunächst registriert und verwahrt, 1825 verauktioniert. Die Theaterbibliothek, zu der auch Ekhofs Nachlass mit der Theaterzettelsammlung gehörte, kam an die herzogliche Bibliothek, der heutigen Universitäts- und Forschungsbibliothek Gotha; Köhler, Residenz, S. 103. 672 Außer ihr wurden Johann Wilhelm Backhaus, Heinrich Beck, Johann David Beil, Johann Michael Boeck, Christian Friedrich Hönicke, August Wilhelm Iffland, Wilhelm Christian Dietrich Meyer und seine Frau Christine Henriette geb. Preißler sowie Christiane Henriette Wallenstein geb. Zeitheim nach Mannheim engagiert; Hodermann, Geschichte, S. 114; Daniel, Hoftheater, S. 211–220. – Heinrich Beck und seine Frau, die Opernsängerin Josepha Scheeffer, betreuten und unterrichteten in Mannheim Caroline Jagemann, die dort 1791 als 14-jähriges Mädchen ihre Karriere begannn. Die Mannheimer Jahre sind Thema in Jagemanns Autobiographie; Caroline Jagemann, Autobiographie 1777–1801, in: Ruth B. Emde (Hg.), Selbstinszenierungen im klassischen Weimar: Caroline Jagemann, Bd. 1, Göttingen 2004, S. 91–264, hier S. 111–147. 673 Wolfgang Heribert Freiherr von Dalberg (* 18. Nov. 1750 Worms-Hermsheim, † 27. Sept. 1806 Mannheim), badischer Großhofmeister und Staatsminister, ab 1778 Intendant des Nationaltheaters in Mannheim. Seiner Idee ist die Gründung eines Nationaltheaters in Mannheim zu verdanken. Die erste Premiere fand am 7. Oktober 1779 statt; Hans Knudsen, Wolfgang Heribert Freiherr von Dalberg. – Zum Mannheimer Nationaltheater: Friedrich Walter (Hg.), Archiv und Bibliothek des Grossh. Hof- und Nationaltheaters in Mannheim 1779–1839, Bd. I: Das Theater-Archiv, Bd. II: Die TheaterBibliothek, Leipzig 1899; Wortmann, Anfänge; Daniel, Hoftheater, S. 180–269.
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auch andere Rollen mitspielen zu müßen, verlangen674. – War mir auch recht. Herr Ifland675, Herr Beil676, Madame Wallenstein677 (jetzige Frau des ältern Herrn Beck678) wünschten mit dem Stük Geschwind, eh es jemand erfährt679 anzufangen; und nun hies es: Wenn nur der Kummerfeldt das Mädchen, die Christinchen, nicht zu schlecht ist? – Madame Wallenstein, Herr Seyler, Herr Ifland kamen zu mir und ersuchten mich, die Rolle zuCI spielen, und hatte zum Studieren und Spielen nicht mehr wie zwey Tage Zeit680. – Doch sagte ich ja. An der Rolle ist wenig, aber ich hoffe, es wird alsden die Reyhe auch an mich kommen. Das Stück wurde gemacht681. – Meine zweyte Rolle war die Minette im Argwöhnschen Ehemann682, die dritte die Colombine in der Verstelten Kranke683. Endlich wurde die Neuste Frauenschule unter den schon in Gotha umgeänderten Titel: Die Schule der Damen684 gegeben, und ich spielte die Braitfort. Ich wurde 674 Kummerfeld hatte einen besonderen Wunsch geäußert: „Verlangt: ‚erste Mädchens Rollen‘, spielt aber auch alle anderen, zu denen man sie fähig hält. Nur verbittet sie sich ‚die alten komischen Mütter‘“. Als Gage sollte sie wöchentlich 16 Gulden, also 832 Gulden im Jahr erhalten; Walter, Mannheim I, S. 58; Maurer-Schmoock, Theater, S. 161. Von ihrem Gothaer Schauspielerkollegen Wilhelm Christian Dietrich Meyer waren sie und die anderen Mitglieder des Gothaer Theaters nach Mannheim empfohlen worden. Über Kummerfeld schrieb Meyer: „Mad. Kummerfeld (unverheirathet). Spielt Liebhaberinnen und Coquetten gut; ihr Name ist als Mademoiselle Schulz sehr bekannt gewesen, hat 7 Thlr. Gage und 6 Klafter Holz“. Auch würde sie nach seiner Meinung, falls man über die Gage einig würde, ein Engagement nach Mannheim jedem anderen vorziehen; Hodermann, Geschichte, S. 110 f. 675 August Wilhelm Iffland (1759–1814), Schauspieler, Intendant, Dramatiker. – Am 26. Februar 1780, kurz vor ihrem Weggang aus Mannheim, hat sich Karoline Kummerfeld zum Abschied in das Stammbuch Ifflands eingetragen; s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. 676 Johann David Beil (1754–1794), Schauspieler und Bühnenautor. 677 Christiane Henriette Beck geb. Wallenstein (1756–1833), Schauspielerin und Sängerin. – Henriette Wallenstein hatte 1784 im Streit um die Rollenvergabe für einen Eklat gesorgt, der als der „Wallen steinische Theaterkrieg“ eine breite öffentliche Resonanz erhalten hat; Daniel, Hoftheater, S. 211–215. 678 Johann (Hans) Christoph Beck d. Ä. (1754–nach 1800), Schauspieler. 679 Geschwind eh es jemand erfährt oder Der besondere Zufall, Übersetzung des Lustspiels Un curioso accidente von Carlo Goldoni in einer Bearbeitung von Johann Christian Bock. 680 Iffland geht in seiner Autobiographie ausführlich auf die Reise von Gotha nach Mannheim und das erste Auftreten der Truppe mit dem Stück Geschwind eh es jemand erfährt ein und betont: „Die erste Vorstellung wurde angesetzt. Wir bereiteten uns fast gar nicht darauf vor, denn wir sahen es für entschieden an, daß wir nur wenig gefallen würden. […] Der Churfürst und das Publikum fanden Vergnügen an der ungeschminkten Wahrheit unserer Darstellung.“; Iffland Laufbahn, S. 94–101, hier S. 101 f. 681 Im Tagebuch der Mannheimer Schaubühne wurde über die Vorstellung vom 7. Oktober 1779 berichtet: „Madame Kummerfeld mißfiel gänzlich als Christinchen“; Walter, Mannheim II, S. 264, Anm. 1. 682 Der argwöhnische Ehemann, nach dem Lustspiel The Suspicious Husband von Benjamin Hoadley übersetzt und bearbeitet von Friedrich Wilhelm Gotter. 683 Die verstellte Kranke, eine Übersetzung des Lustspiels La finta ammalata von Carlo Goldoni. 684 Die neueste Frauenschule, auch Die Schule der Damen oder Was fesselt uns Männer? nach dem Lustspiel
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in der ersten Scene dreymal [265r/533] allgemein applaudirt – daß war das Signal, daß ich nun nichts mehr haben sollte – wenigstens keine Rolle, in der was konnte applaudirt werden. – In der Olivia685 bekam ich eine Laura, – aber in der Minna686 die Franciska nicht. – Schon in Gotha wurde mir die Klytemnestra im Orest687 und Elektra zugetheilt, die ich auch schon in Gotha studiert hatte. Ich dachte, Madame Brandes688 würden die Elektra spielen. Nun aber wollte Madame Seyler solche machen. – Daß war nicht möglich, daß ich die Mutter von Madame Seyler vorstellen konnte. Aber daß konnte Herr Seyler in voraus wißen, daß mich meine Lage in Hamburg mehr mager wie fett mußte gemacht haben? – Und überdieß hatte er mich 1776 in Leipzig gesehen, wo ich auch keine Anlage zum Fettwerden hatte. „Ich will die Rolle der Klytemnestra umsonst studiert haben, will sie hergeben. – Aber an deren Stelle verlange ich, mir eine Rolle zu wählen, welche ich will. Schlage ich mich, ist die Schuld den [265v/534] mein und mein eigner Schade. – Aber die gewählte Rolle spiele ich erst, und wenn ich sie gespielt, gebe ich die Klytemnestra her, aber eher nicht. – Wollen Sie daß nicht, Herr Seyler? Gut, so behalte ich meine Klytemnestra als die einzige vorzüglich gute Rolle, die ich habe – und Madame Brandes kann die Elektra machen.“ Nein! nein. Ehe man mir eine Rolle hätte wählen lassen, so blieb das Stük Orest liegen. Noch mehr. Wie wir noch in Gotha waren, fingen sie schon in Mannheim an zu spielen; mußten, weil nur wenige Schauspieler beisammen waren, geben, was sie besetzen konnten. Sie gaben unter andern das Stück: Der Schein betrügt689. Madame The Way to Keep Him von Arthur Murphy bearbeitet von Christian Gottlob Stephanie d. Ä. In Gotha wurde das Stück nach Stephanie d. Ä. in einer Bearbeitung von H. A. O. Reichard gespielt; Hodermann, Geschichte, S. 164. – S. a. WHS, Anm. 572. 685 Olivia, auch Olivie, Trauerspiel von Johann Christian Brandes. 686 Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück, Lustspiel von Gotthold Ephraim Lessing. 687 Orest und Elektra, Trauerspiel nach Oreste von Voltaire und Électre von Prosper Jolyot de Crébillon, bearbeitet von Friedrich Wilhelm Gotter (1774). 688 Esther Charlotte Brandes (1742–1786), Schauspielerin. – Friederike Sophie Hensel war fünf Jahre älter als Brandes und Kummerfeld. Die Rivalität zwischen Esther Charlotte Brandes und Sophie Friederike Hensel, die „das häusliche Vergnügen beider Familien […] zerrüttete“ (Iffland, Laufbahn, S. 104–108, hier S. 104), ist auch ein Thema, das Johann Christian Brandes in seiner Lebensgeschichte wiederholt anspricht; Johann Christian Brandes, Meine Lebensgeschichte, Berlin 1800, 1. Th, Kap. 15, S. 99; 2. Th., Kap. 9, S. 192, 3. Th., Kap. 8, S. 273 f. (http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12bsb10061982-9, Zugriff am 7.7.2020). 689 Der Schein betrügt oder Der Weltmann, auch Der gute Ehemann und Der liebreiche Ehemann, Lustspiel von Johann Christian Brandes.
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Seyler spielte Frau von Milbach; Madame Toscani690 Mathilde, Madame Brandes Hannchen. Nun wollte Madame Brandes mir die Rolle des Hannchen abtreten und sagte: „Die Kummerfeldt ist für die ersten Mädchenrollen engagirt.“ Nein, sie durfte nicht. Madame Seyler dachte: Dann mußt [266r/535] du deine Milbach an die Brandes abtreten. Das Stük wurde den 14. Januar 1780 gegeben ohne mich, und die Rolle, die ich in den nächsten Stück bekam, war – im Geitzigen691 die Frosine. Wenn ich meine Talente verlohren hatte, ja, warum scheute, warum war man in Furcht vor mir? – Las alle reden, alle, die noch in Mannheim sind und mit mir in Gotha waren: Wie sie die Kummerfeldt und ihr Spiel vermißt, da sie nun von denen groß berühmten Schauspielerinnen, die nicht 9 Jahr wie ich vom Theater waren und mit der Kunst fortgeschritten sind, ihre Rollen nachspielen sahen, die ich in Gotha gemacht. Wie barbarisch manche Rolle verhunzt wurde. Was haben sie gesprochen? – Nicht mir ins Gesicht, nein, auch hinter meinen Rüken. Wie der Herr Baron von Dahlberg selbst eine Schauspielerin frug: „Wie werden Sie heute die Rolle nehmen?!“ Schauspielerin: „Naif.“ Herr Baron von Dahlberg: „Ja, was meynen Sie damit? – So naif wie die – und die * Rolle? – Den die haben Sie gespielt [266v/536] wie ein Hökerweib692.“ – Ich stand dabei, wie der Herr Baron das sagte. Wollte, wenn ich in Mannheim wär, noch die Stelle auf dem Theater zeigen, wo der Herr Baron, die Schauspielerinn und ich gestanden haben. – Nichts antwortete sie. Aber dafür spielte sie den Abend ihre Rolle so, wie man den uralten Schauspielern nachsagt, daß sie ihre Königsrollen sollen hertragedirt haben. – Sie geht ab. – Ich sehe sie an. – Sie lacht und sagt: „Spiele ich nicht schön?“ – – Ich: „Was machen Sie aus der Rolle.“ Sie: „Ich muß ja tragisch spielen, weil von Dahlberg gesagt – die * Rolle hätte ich wie ein Hökerweib gespielt.“ Daß alles sah ich – hörte ich – und doch war ich still, machte keine Unruhen, fraß Ärger hinein und hofte auf Änderung. Wenn bei einer Direction keine Partheylichkeit herrscht; wenn nicht ein oder ein paar alles, was gut ist, an sich reißen wollten; o, so könnte jeder zufriedengestellt werden. 690 Anna Elisabeth Toscani geb. Endemann (1761–1799), Schauspielerin. 691 Der Geizige, Übersetzung der Komödie L’Avare von Molière. 692 Kleinhändlerin, Marktfrau.
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Warum war den [267r/537] kein Rollenzank bei den Vater Koch? Wer könnte Madame Seyler und den übrigen Damen ihre Verdienste absprechen?693 – Nie sah ich nach einer Brandes Ariadne694, nie nach einer Seyler ihre Medea695 und eine Königin im Richard den Dritten696 beßer spielen. In Leipzig, da ich zum Besuch 1776 da war, rißen mich die zwo Schauspielerinnen in Ariadne und Medea ganz hin, da ich sie zum ersten Mal in denen Rollen spielen sah. Was hatte Madame Seyler in Mannheim für Nutzen, daß sie mich gar nicht in guten Rollen spielen ließ? – Kabale war gegen sie697. Sie sollte 693 Satz von Kummerfeld korrigiert aus: Wer könnte Madame Seyler, Madame Brandes und Madame Toscani ihre Verdienste absprechen? Leztere war doch die Ruhigste und mußte sich auch viel gefallen lassen. – Der letzte Satz spielt sicherlich auf die handgreifliche Auseinandersetzung Abel Seylers mit Anna Elisabeth Toscani, einer Schülerin von Friederike Sophie Hensel, an, die 1781 zur Entlassung Seylers durch den Theaterausschuss führte. Toscani erhielt eine Geldstrafe; Daniel, Hoftheater, S. 204, 210. 694 Ariadne, auch Ariadne auf Naxos, musikalisches Drama von Johann Christian Brandes und Georg Anton Benda. Die Uraufführung fand am 27. Januar 1775 in Gotha statt. Das Stück erlebte in den späten 1770er-Jahren zahlreiche Aufführungen. In seiner Lebensgeschichte betont Brandes, dass er es geschrieben habe, um seiner Frau Gelegenheit zu geben, ihr Talent auf der Bühne zu entfalten zu können. Tatsächlich feierte Esther Charlotte Brandes als Ariadne in Leipzig und Dresden Triumphe. Ein Gemälde von Anton Graff, das sie in der Rolle der Ariadne zeigt, gilt nach Marianne Schartner als das erste repräsentative deutsche Rollenbildnis. Lit.: Michaela Bieglerová, Johann Christian Brandes, Georg Anton Benda und das Melodram „Ariadne auf Naxos“ von 1775 ((https://musikwissenschaft-leipzig. com/2013/09/07/johann-christian-brandes-georg-anton-benda-und-ariadne-auf-naxos/, Zugriff am 25.7.2020); Marianne Schartner, Die Geschichte des Rollenporträts in Deutschland. Ein Beitrag zur Ikonographie der Schauspielkunst, Diss. München 1962, S. 76 f.; Hans Ost, Melodram und Malerei im 18. Jahrhundert. Anton Graffs Bildnis der Esther Charlotte Brandes als Ariadne auf Naxos, Köln 2002. 695 Medea, Singspiel von Friedrich Wilhelm Gotter und Georg Anton Benda. – Nach Aussage von Johann Christian Brandes wurde Medea eigens für Friederike Sophie Hensel geschrieben. In seiner Lebensgeschichte, 2. Th., Kap. 9. heißt es: „Der außerordentliche Beifall den meine Charlotte in der Rolle der Ariadne fortdauernd erhielt, erregte endlich die Eifersucht bei den übrigen Schauspielerinnen, besonders bei Madame Seyler, welche zwar dem Spiel ihrer Nebenbuhlerin alle Gerechtigkeit widerfahren ließ, aber doch auch sehnlich in einer ähnlichen Rolle zu glänzen wünschte. Sie wendete sich deshalb an den Professor Engel, der, bei Gelegenheit einer Reise durch einen Theil von Deutschland, sich hier so eben gegenwärtig befand. Auf ihr wiederholtes Ansuchen entwarf er endlich einen Plan zu einem nicht weniger interessanten Stücke, welchen er dem Archivar Gotter zur Ausführung übergab. Daher entstand Medea, wozu Benda die Musik ebenso meisterhaft komponierte, und so wurde auch diese Künstlerin, welche in der Hauptrolle allgemeinen und verdienten Beifall erhielt, befriedigt.“; Brandes, Lebensgeschichte, S. 192. Lit.: Magdalena Havlová, Frauentragödie als Paradenummer, Antiquitätenladen und Lernprozess. Zur Gestaltung des Ariadne- und Medeastoffs in Jiří Antonín Bendas Melodramen, in: Christine Heyter-Rauland/Christoph-Hellmut Mahling (Hg.), Untersuchungen zu Musikbeziehungen zwischen Mannheim, Böhmen und Mähren im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, Mainz 1993 (Beiträge zur mittelrheinischen Musikgeschichte 31), S. 178–201. 696 Richard der Dritte, Trauerspiel von Christian Felix Weiße, vermutlich nicht nach Shakespeare. 697 Die Rivalität zwischen Esther Charlotte Brandes und Friederike Sophie Hensel wirkte sich nachteilig
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bei allen ihren Verdiensten nicht gefallen. Hier ein Beweiß. Richard der Dritte wurde in Mannheim den 18. November gegeben. Ich sah das Stük im Parter mit an. Madame Seyler spielte ihre Königin meisterhaft. 698 [267v/538] Und für Madame Seyler wurde doch keine Hand geregt? Den Auftritt von einer Seyler zu sehen, wenn sie von denen gemordeten Söhnen kömmt. – Wie meisterhaft – wie unnachahmlich schön. – Verdient hätte sie, von den größten Künstler gezeichnet und in Kupfer gestochen zu werden – nicht einmal, nein, von jeder Periode zu Periode. Ein Studium der Kunst wär es geworden, wie weit es der Künstler bringen kann, wenn er Verstand, Einsicht, Gesicht und Stimme in seiner Gewalt hat. Ich bewunderte sie; ich fühlte keinen Neid. – Nichts von dem, wie sie mich vor Jahren als Madame Hensel, und nun in Mannheim auch nicht aufkommen laßen will. Ich ärgerte mich über das Mannheimer Publikum699. – Auch im Parter war ich Kummerfeldt und schwieg nicht still, sobald ich Ungerechtigkeit sah, die man gegen andere hat, und wenn die andern auch meine Freunde nicht sind. Ich sagte: „Das begreiffe ich nicht, wie alles so still, so unempfindlich bei [268r/539] dem meisterhaften Spiel von der Seylern bleiben kann?“ Ein Herr: „Ja, spielen thut sie gut, aber applaudirt wird sie nicht.“ Ich: „Ist daß recht? Gott bewahre! Wie geht es hier zu?“ Der Herr: „Ja, die Seyler hat’s hier verdorben, weil sie keine will aufkommen laßen. Will Rollen spielen, die sich nicht für sie schicken.“ Ich: „Aber die heutige schickt sich für sie. Sie ist bestraft genug, wenn sie keinen Beifall bekömmt in Rollen, die sich nicht für sie schicken. – Wenn sie aber an ihren Plaz steht wie heute, muß man gerecht seyn: – Dann weiß sie, welche Rollen sie spielen und welche sie nicht spielen soll.“ Der Herr: Lachte. – Kurz, Madame Seyler bekam nicht den kleinsten Beifall. – Ich gieng, nachdem’s aus war, in die Garderobe. Nahe stand ihr Ankleidetisch bei dem von Madame Brandes. – Auch jetzt war ich Kummerfeldt. – Ich trat zu Madame Seyler. Sagte ihr jedes Wort, was ich geschrieben, von und über ihr Spiel. – Aber nichts von meinen Gespräch mit
auf die Beliebtheit der Schauspielerinnen beim Publikum aus. Lit.: Iffland, Laufbahn, S. 104; Brandes, Lebensgeschichte, S. 274. 698 Gestrichen: Madame Brandes die Prinzeß. – – Wie sie gespielt, habe ich ihr selbst gesagt. Herr Boeck als Richard war ein Knabe gegen sie. – Und all das Spektakel, was sie machte, wurde beklatscht, bewundert. 699 Zum Mannheimer Publikum s. Hermann Korte, Das Mannheimer Theaterpublikum im 18. Jahrhundert, in: Wortmann, Anfänge, S. 75–113.
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dem Herrn. – Laut sagte ich’s ihr, die andern hörten jedes Wort – und schwiegen still700. [268v/540] Madame Seyler antwortete mir: „Daß von Ihnen zu hören, ist mir lieber als aller Beifall, den mir die Mannheimer hätten geben können. Ich bin überzeugt, daß ich muß gut gespielt haben, wenn Sie es sagen. Sie heucheln nicht.“ Freilich, wär ich in meinen Leben Comödiantin gewesen, – würde ich andereCII geküßt haben und gesagt: „Ach, wie schön haben Sie heute gespielt.“ Daß hätte ich müßen thun. Aber nein! Jeden sein Recht. – 701 Als Comödiantin hätte ich mich freuen müßen, daß eine Seyler nicht mit Beifall belohnt worden ist. – Und hätte ich Madame Seyler die Reden des Herrn wieder gesagt: – Den hätte sie geglaubt: ich lobte sie, um die Rollen zu ha[269r/541]ben, in denen sie die Mannheimer nicht sehen wollten. Ich bekomme Briefe von Herrn Seipp aus Inspruk, um auf den dortigen Hoftheater zu spielen. Die Anträge waren nicht zu verwerfen. Ich sprach mit dem Herr Baron von Dahlberg: „Man halte mir meinen Contract, so halte ich denn, den ich unterschrieben. Meine Rollen, die ich hier habe, können die Schülerinnen, die Madame Seyler unterrichtet, spielen. – Was keine spielen würde, giebt man mir. – Noch würde ich nichts sagen und die Anträge, die man mir gemacht, ausschlagen. Wenn nur nicht die Namen auf den Zetteln stünden, und die schicken unsere Schauspieler fort. – Da steht mein Name immer bei der schlechtesten Rolle. – Wär weiß die hiesige Verfaßung? Und wie es zugeht? – Muß man nicht denken, ich kann nichts? Ich wär die Schlechste? – Haben die Frauenzimmer ihre Verdienste, so habe ich die meinigen auch – und daß noch zum voraus, daß ich keine Rolle verderbe. Weder mit noch ohne Willen. – Also, auf die Fasten gehe ich, oder ich muß meine Rollen haben, für die ich [269v/542] engagirt bin. Madame Seyler schickt sich beßer zu einer Amtshauptmannin im Poetischen Dorfjunker702 wie ich.“ Herr Baron v. Dahlberg: „Soll ich die beste von meinen Schauspielerinnen verliehren?“ Ich: „Ich bin zu bescheiden, daß auf die Kunst des Spiels zu wenden, 703 – aber wenn Sie mich für Ihre Beste halten: So ändern Sie es, daß ich bleiben kann.“
700 Von Kummerfeld korrigiert aus: Madame Brandes hörte jedes Wort – und schwieg still. 701 Gestrichen: Mit Madame Brandes – so verschrieen die Frau war, habe ich nie einen Mißverständniß, also noch weniger einen Zank gehabt. Ich durfte und konnte es ihr sagen, „heute haben Sie nicht gut gespielt“. Aber sie wußte auch, wenn ich sagte: „Brav haben Sie heute gespielt!“ daß es mir von Herzen gieng. 702 Der poetische Dorfjunker, auch Die Poeten vom Lande oder Der Poet vom Lande, eine Übersetzung des Lustspiels La Fausse Agnès ou le poète campagnard von Philippe Néricault Destouches. 703 Gestrichen: sondern glaube, Sie sagen es meines Karacters wegen.
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Herr Baron von Dahlberg: „Ach, ich habe gar zu böse Weiber darunter, ich kann nicht.“ Ich: „Ja, wenn Sie sich für die bösen Weiber fürchten – ich fürchte sie nicht. – Und so habe ich weiter nichts zu sagen, als daß ich das Engagement nach Inspruck annehme und auf die Faste abgehe.“ Ich machte mein Engagement richtig, bekam mein Reisegeld. Aber ich wurde noch sehr krank. Madame Seyler besuchte mich, es wurde wie gewöhnlich vom Theater gesprochen. Sie kam in Affect und sagte: „Ja, wenn ich noch so [270r/543] jung aussehte wie Sie und Ihre Figur hätte: Mich soll der Teufel holen, hätte ich noch bis diese Stunde eine einzige von meinen jugendlichen Rollen hergegeben.“ Ich: „Ei, Madame! Warum sagen Sie den daß jetzt, da Sie wißen, ich gehe fort? – Warum nicht eher? – Und doch mußte ich eine Amtshauptmannin machen? – Doch sollte ich in der Elektra704 Ihre Mutter spielen, und wurde mir samt der Frau Thomsen aus dem Verliebten Werber705 nach Gotha geschickt?“ Da saß sie und wußte nichts zu antworten. – Wenn ich die mannheimische Rollenvertheilung zu den Brief halte, den mir beyde, Herr und Madame Seyler nach Hamburg geschickt706. Freundschaft und Freundschaft auf so vielen Zeilen – sind daß eben und dieselben Menschen? 707 Ich fieng wieder an zu verkaufen. Wäsche, Silber, ein Bett, Bücher etc. etc. Kurz, alles, was nur zu entberen war, mußte fort, um meine Schul[270v/544]den vollends zu bezahlen. – Hätte sich das Engagement nach Inspruck nicht gefunden – ich wär freilich dageblieben und wär vielleicht noch da. – Aber als ein geduldiges Schaaf hätten sie mich vielleicht auch immer dahin gestellt, wo sich keine andere hinstellen lies. – Vielleicht wär’s beßer geworden? – Vielleicht auch nicht? – Aber auszuhalten, sobald man ein ander Brod hatte, – war es nicht. Inzwischen sollte ich auch zu guter lezt in Mannheim noch erinnert werden, daß ich mir ja keine Hoffnung machen soll, reich zu werden708. – 704 Orest und Elektra, Trauerspiel nach Oreste von Voltaire und Électre von Prosper Jolyot de Crébillon, bearbeitet von Friedrich Wilhelm Gotter (1774). 705 Der verliebte Werber, eine Übersetzung des Lustspiels Les Amours de Nanterre von Alain-René Lesage und Jacques-Philippe d’Orneval. 706 S. WHS, 2. Buch, Kap. 20, S. [202r/408]–[203v/409]. 707 Gestrichen: Nein, daß sind nur Comödianten. 708 Karoline Kummerfeld war in Mannheim wie eine Anfängerin bezahlt worden. Sie erhielt 600 Gulden, das war halb so viel wie die Gage von Esther Charlotte Brandes und Anna Elisabeth Toscani, die jeweils 1200 Gulden erhielten. In der Regel wurden Schauspieler besser bezahlt als ihre weiblichen Kolleginnen. Zum Gagenetat der Mannheimer Bühne von 1779 s. Daniel, Hoftheater, S. 222.
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Man zog mir von meiner lezten Monatsgage nicht mehr wie 55 Gulden 58 Kreutzer ab, wegen den Transport meiner Koffer. – Man zog es mir ab, ohne mir eine Rechnun[g] von Fuhrmann zu weisen; – und zugesagt war’s mir geworden, daß die Fracht transportirt würde. Die Hälfte wollte ich tragen. Daß hatte ich gesagt und wollte es gleich richtig machen, [271r/545] wie ich nach Mannheim kam, aber da hatte Herr S709 keine Zeit. – Unverschämt war ich nie. Und soviel Grütze von Verstand hatte ich noch im Kopf, daß ich den ganzen Transport nicht verlangen konnte. Ich bekam 36 rheinsche Gulden von Gotha bis Mannheim Reisegeld. Daß war blos für meine Person, aber nicht für die Kuffer710. – Wer in aller Welt, der nicht seine ganze Bagage in einen Strumpf gepackt hat, kann mit 36 rheinsche Gulden so weit reisen? – Mit denen ich fuhr, die hatten die Kutsche so voll gepackt, daß nicht einmal für meinen kleinen Koffer Raum war – ich sogar den mit der Post fortschicken mußte – und mußte meinen Antheil an der Kutsche auch nicht einen Groschen wolfeiler bezahlen ohne Fracht wie die mit ihrer Fracht. – Kurz, mit mir haben’s die Menschen, besonders bei dem Theater, immer herrlich schön gemeynt. Wie ich dem Herrn Baron von Dahlberg darüber meine Vorstellung machte, [271v/546] sagte derselbe: Die Theatercasse hätte es nicht und könnte es nicht müßen. – Ich antwortete: – „Ja, so bewahre mich der Himmel, daß ich die Theatercaße der 55 Gulden 58 Kreutzer wegen ruinieren wollte.“ Sechzehntes Kapitel Innspruk Den 3ten Merz 1780 reiste ich fort. Ohngeachtet der noch rauhen Jahrszeit hatte ich eine sehr glükliche Reise. Es gieng Tag und Nacht fort, nur in Augspurg mußte ich mich der Post wegen 24 Stunden aufhalten. Herr Seipp und Herr Bulla711 waren mir entgegengefahren. Ich gestehe es, die Aufmerksamkeit gefiel mir. Glüklich, gesund und wohl kam ich den 11. in Innspruck an. – O, das schöne Inspruck! – O, die herrliche Gegend! Wenn die Menschen so sind wie ihr Land, so bist du in deinen Elément. – – Das Mannheimer Beispiel konnte mich doch nicht verführen, und ich gab Herrn Seipp einen Louisdor von dem Reisegeld wieder zurück, den ich übrig behalten habe. – „Daß 709 Gestrichen: Sartory. Ludwig Sartori, der früher dem Orchester in Mannheim angehört hatte, war seit 1780 Kassier des Nationaltheaters. Er hatte auch die Verhandlungen mit den Gothaer Schauspielern zur Übernahme nach Mannheim geführt; Walter, Mannheim I, S. 46, 55 und passim; Hodermann, Geschichte, S. 113 f. 710 Koffer. 711 Franz Heinrich Bulla (1754–1819), Schauspieler und Prinzipal.
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heist gewirth[272r/547]schaftet“CIII sagte er. – Aber wie konnte ich meines Vaters Sinnspruch vergeßen? – Beßer Unrecht leiden wie Unrecht thun. Die Gesellschaft wurde erst errichtet, alle Mitglieder waren neu712. Herr Seipp und Herr Bulla standen in Compagnie. Der Herr Graf von Ferraris713 führte die Oberdirection. Das Militair war abonnirt. – Aufrichtig gestehe ich, nie, nie habe ich mich erkundiget, was und wieviel Herr Seipp und Herr Bulla hatten? Ich wußte sonst von weiter nichts als daß: Wenn ja nicht soviel einkäm, wie die Ausgabe wär, es die Noblesse aus ihren Mitteln ersäzten. Sehr selten soll Inspruk ohne Theater gewesen seyn. Sie haben sowohl große italiensche Oper wie deutsches Theater gehabt714. Viel, viel mußte es der Nobleße in denen Jahren gekostet haben, – aber auch entsezlich muß die Wirthschaft gewesen seyn. Man sah es an der Garderobe. – Von allen war etwas da, das andere war weg. – Ich konnte nicht umhin, den Herrn Grafen von Ferraris zu sagen, wie [272v/548] ich zum ersten Mal die Garderobe sah. – Bei der Garderobe fällt mir die Unterredung des Wirths mit Just in der Minna von Barnhelm715 ein. Von der einen Seite war das Zimmer des Majors noch tapeziert und, ehe der Nachtbar die Aussicht verbauet, solche vortreflich gewesen. – Für Frauenzimmer waren 6 Roben Leibchens da – aber nur eine Schleppe – und kein Rock mehr dazu. Zu einen neuen Stück hatten sie unter andern Kleidern auch ein schwarz samten Mannskleid mit rosa Adlas gefüttert und mit sehr hübschen Knöpfen von venezianischen Schmuck machen 712 1779 hatte Franz Heinrich Bulla das Innsbrucker Theater zusammen mit dem Ballettmeister Giuseppe Albonico („Maestro Roland“) geleitet. Nach dem Abgang von Roland, der ein Engagement in Regensburg erhalten hatte, gründete Bulla mit Seipp eine neue Gesellschaft, die ab Juli 1780 in Augsburg spielte. Zu den Schauspielern gehörten neben Karoline Kummerfeld Elisabeth Paartl und Herr Betge, die beide von der Gesellschaft Karl Wahrs aus Prag gekommen waren, auch der Ballettmeister Friedrich Simoni und eine Demoiselle Hufnagel. Lit.: TDR 19, 1782, S. 96 f.: Brief aus Innsbruck vom 17. Sept. 1781; Schreiben über die Regensburgische Nationalschaubühne (1783) von Wilhelm Rothammer, mit Anm. hg. von Manfred Knedlik (http://nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:355rbh-2528-2, Zugriff am 21.7. 2020). 713 Josef Johann Nepomuk Leopold Graf Ferrari zu Occhieppo und Chiavezza (* 19. Aug. 1735 Hall in Tirol, † 2. April 1794 Innsbruck). Graf Ferrari, kaiserlicher Kämmerer und oberösterreichischer Regierungsrat, hatte seit 1773 die Oberdirektion der adligen Impresa des Innsbrucker Hoftheaters inne, das seit 1765 aus einem „Fundus Publicus“ (Bierakzise) gefördert wurde. Zum Theater in Innsbruck s. Ursula Simek, Das Berufstheater in Innsbruck im 18. Jahrhundert. Theater im Zeichen der Aufklärung in Tirol, Wien 1992 (Theatergeschichte Österreichs, Bd. II, Heft 4). 714 Mit dem Abgang der Schopfschen Gesellschaft 1776 endete die erste erfolgreiche Zeit des Theaters. Versuche, neue Truppen zu engagieren (die Opera Buffa Gesellschaft von Pietro Rosa und die deutsche Gesellschaft von Johann Martin Leppert) waren wenig erfolgreich. Zu dieser Phase der Innsbrucker Theatergeschichte s. Simek, Berufstheater, S. 146–168. 715 Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück, Lustspiel von Gotthold Ephraim Lessing.
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laßen. – Prächtig muß das Kleid ausgesehen haben. – Nun hatte der ganze Rock noch 6 Knöpfe – und auch die verlohren sich nach und nach zu Ringen. – Den lezten, den der Rock hatte, bat ich mir vom Herr Grafen von Ferraris aus zum Angedenken – und ich habe ihn noch. Der Herr Graf erzählte mir, daß, wenn ein gutes neues Stück zu einen festlichen Tage wär gegeben worden, auch alles neu dazu gemacht, für Schauspieler und Ballet. Sogar Flor, Blumen, Schmuck, Band, Federn – kurz, alles. – So wurde einmal auch ein [273r/549] grosses Türkenballet gegeben. Die Tänzer sollten auch Türkisch beschuht seyn. – Einmal wärs gemacht worden. – Da man es wiederholen wollte, hatte nur noch der Balletmeister716 und die erste Tänzerin ihre türkischen Tanzschuhe, alle übrigen Tänzer und Tänzerinnen hatten sie zu Pantoffeln im Haus aufgetragen. – Nun mache man sich einen Begriff von den Ganzen der Garderobe, die so viele Tausende muß gekostet haben. Die Gesellschaften, die da waren, reiseten immer im Sommer auf einige Monate weg, und da wurde die Garderobe mitgegeben. Nie kamen die Mitglieder der Gesellschaft alle wieder zurück717. – Die Aufseher der Garderobe waren nicht aufmerksam genug. – Und den, was sollte der Schneider einwenden, wenn die Frauenzimmer sagten: „Das Kleid gehört mein. Daß hat mir der oder der Herr Graf auf meinen Leib machen lassen und mir geschenckt.“ – So kamen wir um unsere Garderobe, die uns so vieles Geld gekostet hat. – So sagte mir der Herr Graf von Ferraris und mehrere. – Und zweifeln konnte ich nicht an der Wahrheit. [273v/550] Daß ganze Personal zur Komödie und Ballet war 18 Personen stark. Unter diesen 18 war es beschaffen wie bei jeden Theater. Es waren Gute, Mittelmäßige, Schlechte – doch der leztern nur wenige. – Dafür aber fand ich Madame Partl718, wie 716 Friedrich Simoni (* 1754 Dresden), Ballettmeister. 717 Der Ballettmeister Giuseppe Albonico gen. Roland nahm 1779 bei einer Reise nach Linz die gesamte Hof-Theatral-Garderobe mit, kehrte aber nicht mehr nach Innsbruck zurück. Danach spielten dort Studentengruppen und Bürgergesellschaften. Diese Laienschauspieler versuchten, so das Urteil eines Reisenden, „das zum Teil äußerst dürftige darstellerische Vermögen […] mit üppig-pompösen Garderoben zu überdecken“; Simek, Berufstheater, S. 166. 718 Elisabeth Paartl, Schauspielerin. Paartl war vorher bei Karl Wahr in Wien engagiert, den sie 1779 auf Einhaltung ihres Vertrags verklagt hatte. Wahr hatte sie daraufhin gekündigt, u. a. mit dem Argument, sie „habe dem Publicum gründlich mißfallen“ (Oscar Teuber, Geschichte des Prager Theaters. Von den Anfängen des Schauspielwesens bis auf die neueste Zeit, Th. 1, Prag 1883, S. 358). Das überaus positive Urteil Karoline Kummerfelds wird von Simek, Berufstheater bestätigt. Elisabeth Paartl war 1782 nach der Auflösung des Innsbrucker Ensembles nach Linz gegangen, kehrte aber von 1786–1789 nach Innsbruck zurück. Nach einer kurzen Episode in Wien war sie um 1793 wieder in Innsbruck engagiert; Simek, Berufstheater, S. 172.
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ich sie noch auf keinen Theater gesehen. Ihr Hauptfach waren die komischen Mütterrollen. – Wenn die Frau zuweilen aufmerksamer in ihrer Accentuation gewesen wär, beßer wie sie hätte keine wieder nach ihr werden können. So viele Natur, Gewandheit; – nicht ein Schatten von Übertreibung. – Kurz, ich sah noch bis jetzt, da ich dieses schreibe, keine Partl in Komischen-Alten-Rollen. Sie war noch eine hübsche Frau; um komisch seyn zu wollen, hatte sie nicht nöthig, ihr Gesicht zu beschmieren, daß bei mancher komisch seyn wollenden Schauspielerin oft aussieht, als wenn sie aus den Schornstein gekrochen, und der Zuschauer sich dabei Runzeln denken soll. – Hohesoder blaßroth auf den Backen und weil sie sehr blond war – nicht sogenantes rothes Haar – schwarze Augenbraunen war ihre ganze Malerey; – und Pech klepte [274r/551] sie auf einige von ihren schönen Zähnen, daß es aussah wie Zahnlücken. – Daß war ihre ganze Veränderung, die sie mit ihren Gesichte vornahm. – Nun konnte sie aber sicher seyn, daß sie mit diesen Gesicht machen konnte, was sie wollte. – Auch in ihren ernsthaften Müttern und jungen Weibern war sie brav. Gern mußte man mit ihr spielen. Sie verdarb einen nichts, es mochte komisch oder ernsthaft seyn. – Und wie gesagt: Schade, daß die Frau über manches Feine, das oft in einer Rolle liegt, so leicht weggleitete; nicht mehrere Aufmerksamkeit auf den wahren Sinn des Worts legte. Gross würde man sie als Künstlerin mit Recht haben nennen können. Den österreichischen Dialeect, ja, den hatte sie, inzwischen ist der nicht so auffallend, wen mehr so sprechen, als wenn er einzeln dasteht; – und ich weiß Beispiele, wo man auch den einzeln in 8 Tagen gewohnt war. – Er719 war Schauspieler; spielte schnell hintereinander gute, hervorstechende, dankbare Rollen und ward der Liebling des ganzen Publikums im ersten Monat seines Auffendhalts. [274v/552] Herr Seipp wußte, was er sagte, und spielte manche Rolle sehr gut. – Wußte, wie jede Rolle sollte gespielt werden, übernahm aber keine – es hätte ihn den die höchste Noth treiben müßen – von der er wußte, sie kleidete ihn nicht. – Auch die Tänzer waren gut. Madame Simoni720 vorzüglich. Kurz, dem ganzen fehlte insoweit nichts, als daß sie sich zusammen erst einspielen mußten. Lust war bei allen; Fleiß nicht minder, und wir waren vergnügt. Keinen einzigen von denen Schauspielern, die sich nicht in Ober- und Nieder- Sachsen und am Rhein- oder Maynstrohm aufhalten, will man Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Wahrlich! Habe ich sie auch nicht so gut gefunden, so habe ich sie doch auch nicht schlechter gefunden wie bei manchen grossen Theater. – Und das Publikum? – O, es 719 Hier fehlt offensichtlich ein Satz, durch den ein Bezug hergestellt wird. Möglicherweise bezieht sich die Aussage auf den Schauspieler Betge, der mit Elisabeth Paartl in der Truppe von Karl Wahr gespielt hatte. 720 Marianne Simoni geb. Hufnagel (* 1758), Schauspielerin und Tänzerin.
Drittes Buch, 16. Kapitel | 871
giebt überall Kenner. Die Insprucker, Augspurger und Linzer, wo ich mich in diesen drey Städten drey Jahre aufgehalten, – muß ich’s ihnen zur Gerechtigkeit nachsagen: Von Kabalen wußten sie nichts. – Sie hoben nicht einen Schauspieler – und [275r/553] Schauspielerin hervor, und wenn es auch ihr Liebling war, um den Nebenschauspieler zu stürzen, – oder Gelegenheit zu geben, daß sie sich des vorzüglichen Beifals wegen hassen mußten, wenn sie sich nicht von selbst untereinander hassen wollten. Ich war engagirt für die ersten Rollen, im Lust- und Trauerspiel. – Aber hätte es mir in den Sinn kommen können, in den Französischen Hausvater721 die Cecilie nicht spielen zu wollen, da ein ganz junges Frauenzimmer da war, die sich für die Sophie beßer schickte wie ich? Es war Mademoiselle Haller, jetzige Madame Scholtz722, die Talente hatte und grosse Fortschritte that – und wenn sie so fortgefahren, muß sie jetzt eine unserer vorzüglich guten Schauspielerinnen geworden seyn. – Ich habe sie gewiß nicht unterdrükt, im Gegentheil sie aufgemuntert und zurechtegewiesen. – Und wenn ich auch sie nicht zu denen Undankbaren zählen soll, so muß sie gestehen: daß sie das nicht geworden, wenn sie nicht fast drey Jahre neben mir gespielt, aufmerksam zusah, wie ich meine Rollen genommen [275v/554] und ausgearbeitet habe. – Ihr kann das zu keiner Schande gereichen. – Ich wünsche, daß sie sich nie auf Abwege und zu theatralschen Unsinn habe mögen verleiten laßen; – den von mir sah sie keinen. Oder hätte der König Lear723 und die Sechs Schüsseln724 nicht sollen gegeben werden, weil ich in den ersten nicht die Regan machen wollen und in den zweyten nicht die Frau von Schmerling? – Leztere Rolle kam Madame Partl zu; sie aber sagte: „Ich komme des Französischen wegen nicht mit der Rolle fort. – Ich bitte Sie, machen Sie sie.“ Und nun spielte ich sie den725. – Kurz, nie waren Schauspielerinnen friedfertiger und einiger beisammen.
721 Der französische Hausvater, Übersetzung des Schauspiels Le Père de famille von Denis Diderot. Von Diderots Le Père de famille (1758) gab es verschiedene Übersetzungen, die wichtigste war sicher die von Lessing (1760 anonym erschienen, in der Bearbeitung von 1781 mit seinem Namen). 722 Josepha Haller verh. Scholtz (1765–1832), Schauspielerin und von 1807–1810 Theaterleiterin. 723 König Lear, Übersetzung des Trauerspiels King Lear von William Shakespeare. Am Innsbrucker Hoftheater wurde König Lear in der Bearbeitung des Wiener Burgtheaters von Johann Christian Bock aufgeführt; Simek, Berufstheater, S. 104 f. und S. 173. 724 Sechs Schüsseln, auch Nicht mehr als sechs Schüsseln, Familiengemälde von Gustav Friedrich Wilhelm Großmann. 725 „Inspruck, den 17ten Sept. 1781 […] Madam Kummerfeld, welche ohngeachtet ihres Alters noch immer eine Julie mit sehr vieler Einsicht und Beyfall spielt, überrraschte noch kürzlich sowohl das hiesige als das Augsburger Publikum in einer ihrem Fache ganz entgegengesezten Rolle; und spielte
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Man wird denken, ich schreibe eine Fabel! – Aber las auftreten und einen das Gegentheil sagen. Und was war die Ursach? – Weil die, die für die ersten Rollen engagirt war, keine Närrin war; – nicht allein glänzen wollte. Weil ich nicht weinte und für Ärger bersten wollte, wenn die andern ihre Rollen auch gut spielten; – nicht auf das Publikum schümpfte, wenn andere auch nach Verdienst applaudirt wurden. [276r/555] Wir spielten in Inspruk vom 27. Merz bis zum 25. Juni. In dieser Zeit habe ich geliefert 32 neue Rollen und 8 von meinen alten, die ich in Leipzig, Hamburg und Gotha einstudiert hatte. Auch wir machten eine Sommerreise und nahmen die Garderobe mit, den wir sollten den Herbst wieder nach Inspruck zurück. Die Reise war mir lieb, um in etwas mich zu erholen, den ich war nie gewohnt, nach dem Soufleur726 zu spielen. – Ich mußte meine Rolle wißen und das ganze Stük. – Mußte wissen, um meinen Karakter ganz zu treffen, jedes Wort, was von mir in den Stück gesagt wurde. – Ich wünsche, daß das viele unserer Schauspieler und Schauspielerinnen beherzigen möchten, damit weniger Unsinn zum Vorschein käm. – In 5 Stücken war ich frey: Folglich hatten wir 45 Stüke im Gang, und ehe die gespielt waren, konnte man mit mehrerer Musse studieren. – Die Reise war also nothwendig. Ich wenigstens hätte es nicht ausgehalten, ohne krank zu werden. – Die andern konnten sich – ob sie’s gleich auch hart hatten, – eher durch [276v/556] den Soufleur helfen, – aber daß konnte ich nicht. Eher extemporirte727 ich in leichten Lustspielen – und wendete mein Gedächtniß auf Stücke von Wichtigkeit. Keiner klagte. – – Was eine Gesellschaft thun kann, wenn sie will und einig alles zusammen ist, will ich ein Beispiel anführen. Herr Bulla war verreist, und Herr Seipp bekam das Stück: Der Adjutant728. – Wär kennt das sehr hübsche Stück nicht – sehr stark sind die Rollen nicht, aber sie wollen studiert seyn, wen das Stük gutgehen soll. Herr Seipp sagte: „Es bringt Geld in die Casse und kann gewiß einige Mal gegeben werden.“ – Daß zu hören, sagte ich: „Nun laßt uns wetteifern, wär seine Rolle am besten kann.“ – „Daß wollen wir einmal sehen“, sagten die andern. – Wir hatten drey Proben, und manchen Auftritt probirten wir einzeln eben so oft, bis er ohne Anstoß gieng, und in Zeit von
die Frau von Schmerling in Sechs Schüsseln mit ausnehmendem Beyfall“; TDR, 19. Stück, Gotha 1782, S. 97. 726 Souffleur der Truppe war Herr Kals; Simek, Berufstheater, S. 240. Souffleur: s. HHS, Anm. 372. 727 Extemporieren: Stilmittel im Theater, in der Bedeutung von improvisieren. Das Wort bezieht sich auf das bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts verbreitete Stegreifspiel, das mit der Literarisierung des Theaters in Misskredit geraten war. 728 Der Adjutant, Lustspiel von Wilhelm Heinrich Brömel.
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drey Tagen lieferten wir unsern Adjutanten ohne Anstoß. – Wohl zu merken, daß in den drey Tagen zum Studiern auch gespielt wurde. – Der Soufleur hatte wenig zu thun. Madame Partl spielte den Adjutanten brav. Ich die Wilhelmine gewiß mit aller der Fein[277r/557]heit, wie sie gespielt werden muß. Madame Seipp729 das Mädchen mit aller der Naivität, die in der Rolle liegt. Herr Seipp den General mit Gefühl und Wahrheit. – Ich habe das Stück nicht und kann mich nicht auf alle die Namen besinnen. – Aber jeder leistete, was er sollte. Der allgemeine Beifall, den wir hatten, lohnte uns reichlich, und schwer würde es dem geworden seyn, der hätte entscheiden sollen: wär der Vergnügste von uns war? – Wir gaben es kurz hintereinander drey Mal. Ich gestehe es, es würde kein Stand in der Welt glücklicher seyn wie der Stand des Schauspielers, wenn nicht so viele Wenn wären, die alles verderben. – Ein gerechtes, unpartheyisches, verständiges Publikum; ein Directeur, der keinen zuliebe und keinen zuleide handelt; und Schauspieler ohne Neid. Kann den einer allein oder ein Paar Comödie spielen? – dem müßte nichts gegeben werden wie Ariadnen730, Medeen731, Pigmalions732 und Pollixinas733 u.s.w. – wie unendlich gross ist die Zahl der Schauspieler, die daß wünschten. – Man denke doch nur, [277v/558] daß das Ganze darunder leidet; daß ja jeder gern gefallen will? – Und stelle sich, so wie ich that, an die Stelle derer, die fühlen, waß das sage: Unterdrückt werden.
729 Sophie Seipp geb. Kovács (1758–1838), Schauspielerin und Prinzipalin. Sophie Seipp war eine Cousine Friederike Elisabeth Oesers, mit der Karoline Kummerfeld korrespondierte (s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2). Karl Seipp, der Sohn von Sophie und Christoph Ludwig Seipp, wurde zeitweilig von Friederike Elisabeth Oesers Vater, dem Maler und Bildhauer Adam Friedrich Oeser, in Leipzig unterrichtet. Friederike Elisabeth Oeser bemühte sich, wenngleich vergeblich, auch darum, dass Christoph Ludwig Seipps Theaterstücke in Sachsen verlegt und in Leipzig aufgeführt würden; Ludwig Geiger, Vorträge und Versuche. Beiträge zur Litteratur-Geschichte, Dresden 1890, hier S. 199–215. 730 Ariadne, auch Ariadne auf Naxos, musikalisches Drama von Johann Christian Brandes und Georg Anton Benda; s. o. WHS, Anm. 691. 731 Medea, Singspiel von Friedrich Wilhelm Gotter und Georg Anton Benda; s. o. WHS, Anm. 692. 732 Zu den beliebtesten Bearbeitungen des Pygmalion-Stoffes gehörte das Melodram Pigmalion von JeanJacques Rousseau (1770), das im deutschen Sprachraum in Vertonungen von Georg Anton Benda und Anton Schweitzer verbreitet war. Lit.: Mathias Mayer/Gerhard Neumann (Hg.), Pygmalion: die Geschichte des Mythos in der abendländischen Kultur, Freiburg/Breisgau 1997. 733 Polyxena, Monodram von Friedrich Justin Bertuch, vertont von Anton Schweitzer; uraufgeführt in Gotha am 7. April 1775.
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Siebzehntes Kapitel Augspurg Den 26. Juni reisten wir von Inspruck und kamen den 29. glücklich in Augspurg an. Wir bekamen Herrn Starke zur Gesellschaft. Starke war von ihm ein angenommener Name. Sein eigendlicher war: Amsing, er war von Geburt ein Hamburger734. Er studierte, wie ich bei Koch in Leipzig war, daselbst735, und ich lernte ihn in dem Hause des Herrn Brückners kennen. Ob Lust zum Schauspiel oder zerrüttete Glücksumstände ihm bewogen, Schauspieler zu werden, weiß ich nicht. – Doch glaube ich eher das erste wie das lezte. – Er war ein Mann von entschiedenen grossen Verdiensten; seine Sprachkenntniße waren das wenigste. – Ein Mann, der so viel wußte, so viel gelernt hatte, hätte ausser dem Theater überall sein Brod haben können. Er war ein grundrechtschaffener, ehrlicher Mann. Er hatte seine Ursachen, warum seine Familie in Hamburg nicht wissen sollte, wo er wär. – Das erste Mal, als er mich besuchte, nann[278r/559]te ich ihn Amsing; er ersuchte mich, ihm Starke jetzt zu nennen, nichts von ihm nach Hamburg zu schreiben, ich versprach’s. Jetzt ist der gute Mann tod und ich meines Versprechens, weil es ihm auf keine Art schaden kann, entlaßen. – Mademoiselle Weissinn736, die ein gutes, rechtschaffenes Mädchen war, heurathete er in Augspurg. Nach einigen Jahren habe ich erfahren, daß er in Carlsruhe gestorben. – Gestorben wie Sokrates737. – Wenigstens kann ich mich keines andern erinnern, mit dem ich ihn vergleichen könnte, als mit dem, was ich einmal von dem Tode des Sokrates gehört738. Er war Schauspieler
734 Der Schauspieler Karl Starke ist Zimbert Amsinck (1743–1783) aus einer der bedeutendsten Familien Hamburgs. – In der Theatergeschichte gibt es zahlreiche Beispiele von Schauspielern, die nach der Flucht aus dem Elternhaus einen Künstlernamen angenommen haben, weil die Eltern ihrer Berufswahl nicht zugestimmt hatten, vgl. Schmitt, Schauspieler, S. 98–100. 735 Zimbert Amsinck hat sich am 7. Januar 1763 an der Universität Leipzig immatrikuliert; Die jüngere Matrikel der Universität Leipzig 1559–1809, Bd. 3: Die Immatrikulationen vom Wintersemester 1709 bis zum Sommersemester 1809, hg. v. Georg Erler, Leipzig 1909, S. 5. 736 Nach Karoline Kummerfeld heiratete Starke/Amsinck in Augsburg eine Mademoiselle Weiß. Das Deutsche Geschlechterbuch Bd. 127 (= 9. Hamburgisches Geschlechterbuch), Limburg/Lahn 1961, S. 48 VIII b nennt als seine Ehefrau Christiane Caroline Grooth aus Stuttgart, Datum der Eheschließung unbekannt. 737 Starke/Amsinck starb am 25. März 1783 in Karlsruhe. Eine Tochter Caroline Wilhelmine Albertine, am 14. September 1782 in Karlsruhe geboren, starb ebenda am 26. Januar 1783. S. a. Caesar Amsinck, Die niederländische und hamburgische Familie Amsinck. Ein Versuch einer Familiengeschichte, 2. Teil, 1. Heft, Hamburg 1891, S. 22–25. 738 Der zum Tode verurteilte Sokrates starb, nachdem er einen Schierlingsbecher getrunken hatte. Worauf Karoline Kummerfeld mit der Bemerkung „gestorben wie Sokrates“ anspielt, bleibt unklar.
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auf dem Theater, spielte mit Kunst und Einsicht. Herr Seipp gewann durch ihn, wie wir alle – den wir hatten durch ihn einen guten Schauspieler mehr. Den ersten July fiengen wir mit dem Stük Die Reue nach der That739 an. Für eine so grosse Stadt und reiche Inwohners stutzten wir alle nicht wenig, daß das Haus740 zum ersten Mal nicht voller war. – Wir spielten, und es wurde nicht viel beßer. – Wir frugen? Und es hies: Ja, man wollte erst von denen, die uns spielen sahen, hören, [278v/560] ob was an uns wär oder nicht. – Wir spielten fort; und von dem – zwar nicht zahlreichen – Publikum hatten wir Beifall; alles lobte uns in der Stadt, und doch war das Haus oft leer. Die Ursachen des nicht Kommens waren viel – endlich hies es: Man würde sich zahlreicher einstellen, wenn wir den Winter dablieben. Ob das Gespräch – oder was sonst Ursach war? Genug, Herr Seipp und Herr Bulla wollten nicht mehr nach Inspruck zurück. – Daß glaube ich gerne, daß, wenn es in Augspurg nur zweymal die Woche ganz voll war – oder auch nur einmal, es mehr Geld einbrachte wie in Inspruk, weil der Einlaß dort sehr geringe ist. – Kurz, ich weiß es nicht, den ich war zu sehr mit meiner Arbeit und Rollen beschäftiget – und fragen – war meine Sache nie, was die wahre Ursach war? – Wir blieben in Augspurg. Die Inspruker wurden böse, die Garderobe nebst Demoiselle Haller und alles, was Inspruck zugehörte, mußte auch hin. – Herr Seipp hatte sich vorgesehen, fand einen Kauf-[279r/561]mann mit Namen Herr von Very741, der ihm aus seinen Laden alles überlies, was er zu einer neuen Garderobe brauchte, und es wurde eine rechte artige gemacht. – Jetzt dachten wir, wird es recht gut werden und – es wurde schlechter. Ich konnte den Auffendhalt mit zweyen, die ich schon bei dem Theater erlebt hatte, vergleichen. Bei Doebbelin in Düsseldorf 742 und 739 Die Reue nach der Tat oder Der Familienstolz, Schauspiel von Heinrich Leopold Wagner, bearbeitet von Gustav Friedrich Wilhelm Großmann. 740 An Stelle eines im Jahr 1665 in der Jakobervorstadt am Lauterlech errichteten hölzernen Komödienstadels wurde ein steinerner Theaterbau errichtet, in dem ab Oktober 1776 die Aufführungen der reisenden Truppen stattfanden. Lit.: Werner Lutz, Die Augsburger Theaterlandschaft – der Weg zum modernen kommunalen Mehrspartenhaus, in: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege (Hg.), Denkmalpflege Informationen Nr. 155, Juli 2013, S. 54; Tschopp, Augsburg, S. 29; F. A. Witz, Versuch einer Geschichte der theatralischen Vorstellungen in Augsburg von den frühesten Zeiten bis 1876, [Augsburg] 1876. 741 Karl Konrad de Veri war wohl seit dem Sommer 1778 als Kaufmann in Augsburg tätig und hatte dort um das Bürgerrecht angesucht. In den Akten heißt es, dieser „Handelsmann von London“ besitze zwar in London Haus und Hof, handele aber im ganzen Reich mit englischen Manufakturwaren und habe damit „ein schönes Vermögen“ erworben. Auf sein Gesuch wurde ihm, seiner Ehefrau sowie seinem vierjährigen Sohn am 22. Oktober 1778 das Augsburger Bürgerrecht erteilt; Stadtarchiv Augsburg, Reichsstadt (RSt.), Rat, Bürgeraufnahmen, Fasz. 38, Nr. 34/1778; RSt., HWA Kramer, Fasz. 42, Nr. 437. 742 S. o. HHS, S. [174].
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bei Ackermann in Collmar743. Auch da spielten wir mit Beifall – vor leeren Bänken. Was gaben wir uns alle für Mühe! – Nun hies es: Ja, warum man in die Comödie gehen sollte bei dem guten Wetter, daß ohnedieß bald vorbei wär, da wir den Winter blieben. – Wenn Directeurs nichts zuzusetzen haben – sich kein Freund findet, der eine Summe wagen will, um ihn aufzuhälfen, – ja, den geräth die ganze Machine ins Stocken. Wenn die Woche keine richtige Gage mehr fällt – so fällt der Muth; – und doch arbeiteten alle und dachten: Wir wollen’s erzwingen – aber – es erzwang sich nichts. – Jezt wollte man Opern haben, Ballette wollte man müßen744. – Herr Bulla trennte sich [279v/562] von Herrn Seipp und nahm daß ganze Ballet mit, reisete mit solchen nach Linz745. Neue Leute wurden verschrieben, die auch singen konnten; unter andern Herr und Madame Smitt746. Sie eine sehr gute Sängerin, auch er ein Mann in seinen Fächern recht gut. – Aber nun sollten mehr solche gute Sänger da seyn – und wo die hernehmen, wenn der Directeur nichts einnimmt? – Es mußte zugrundegehen. Nachgerade wurde unter Administration der Schuldleute gespielt. – Auch für uns wurden zwey Stüke gegeben747, das Haus wurde beide Mal sehr voll, und daß war gut, sonst würde mein Verlust noch grösser gewesen seyn. Herr von Very hatte viel zu fordern der Garderobe wegen; in Innspruck sollte wieder Comödie seyn, und zwar Winter und Sommer wegen der Ankunft der Erzherzogin Elisabeth748 Königliche Hoheit, welche daselbst in Zukunft residieren würde. Herr B749 – auch ein Schauspieler bei unserer Gesellschaft – war die Haupttriebfeder, Herrn
743 S. o. HHS, S. [208 f.]. 744 Missen: Hier im Sinne von darauf verzichten. 745 Bulla erhielt in Linz eine Spielgenehmigung bis Anfang 1782. Zum Linzer Theater unter der Leitung Franz Heinrich Bullas s. Fritz Fuhrich, Theatergeschichte Oberösterreichs im 18. Jahrhundert, Wien 1968 (Theatergeschichte Österreichs, Bd. I: Oberösterreich, Heft 2), S. 46 f. und S. 189–191. 746 Möglicherweise handelt es sich um das bei Kosch Theater, Bd. 4, S. 2219 erwähnte Ehepaar Wilhelm Smitt (* 1750) und Maria Catharina (* 1759), die 1780 bei Johann Heinrich Böhm und 1782 in Olmütz auftraten. In der von Fuhrich erstellten Liste der von Bulla in Linz engagierten Schauspieler werden sie nicht erwähnt; Fuhrich, Theatergeschichte, S. 189–191. 747 Benefizaufführungen zugusten der Schauspieler. 748 Maria Elisabeth Josepha, Erzherzogin von Österreich (* 13. Aug. 1743 Wien, † 22. Sept. 1808 Linz), Tochter Kaiser Franz I. Stefan und Maria Theresias, Schwester von Erzherzog Maximilian II. Franz. Erzherzogin Elisabeth lebte seit 1780 im Innsbrucker adeligen Damenstift, das sie von 1781 bis 1806 als Äbtissin leitete. Das Theater stand ab 1781 unter der Verwaltung und Oberaufsicht ihres Hofes (Leitung v. Schenk) und war seiner Funktion nach Hoftheater. Lit.: Brigitte Hamann, Die Habsburger. Ein biographisches Lexikon, Wien 1988, S. 320 f.; Simek, Berufstheater, S. 42, 176. 749 Gestrichen: Betge. Herr Betge, Schauspieler.
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von Very zu überreden, eine Ge[280r/563]sellschaft nach Inspruck zu liefern. Herr von Very konnte seiner Handlung wegen – (die aber schon auf schwachen Füßen soll gestanden haben, wie ich nach der Zeit sehr späth erfuhr750) nicht mit; Herr B dachte also Regysseur zu werden. Ich kannte Herrn von Verys Umstände nicht; den nie habe ich einen Mann mehr von Tausenden und Tausenden – sprächen hören – man mußte glauben, er sey reich. – – Noch so reich! Wirst du Directeur von einen Schauspiel und du verstehst es nicht, so wirst du ein armer Mann. – Ich wollte die Sünde nicht auf mich laden: schrieb Herrn von Very ein Billet mit der Bitte, zu mir zu kommen. Meine Absicht war, Herrn v. Very mündlich zu sagen: Sehen Sie zu, wer Ihnen die Garderobe abkauft. Leiden Sie lieber den Verlust; aber wenn Ihnen Ihre Ruhe lieb ist, werden Sie nie Directeur von Schauspielern. – Er kam! Kaum hatte er sich niedergelassen, so sagte ich: „Ich bitte Sie um Gottes Willen, Herr v. Very! werden Sie nicht“ – [280v/564] – und in den Augenblick tritt Madame Partl und Herr BCIV in mein Zimmer. – Was sollte ich thun?? – – Von den glänzensten Aussichten wurde gesprochen – ich konnte nicht wiedersprechen, sie hatten Briefe – ich keine. – Wahrscheinlich wars, daß es sehr gut in Inspruk werden könnte, wenn ein Hof da wär, daß der Adel und die übrigen der Stadt nicht alles allein bestreiten sollten; weil die Stadt klein ist. – Doch schwieg ich und wollte mich in nichts bemengen. – Noch gestehe ich es, es war schade, daß die Gesellschaft, so wie wir alle im Anfang beysammen waren, zu Trümmern gieng. – Lange waren sie geduldig, wie ich bei so traurigen Umständen noch wenige gesehen. Herr Seipp war ein Mann von vielen Kopf, und durch seinen Kopf erhielte er es auch so lange beisammen. Seine liebe, gute Frau jammerte mich, den daß war so ein herzengutes Weibchen, wie ich wenige bei dem Theater gekant. – Hätte Herr Seipp mehr Glük und Segen gehabt – wär vielleicht manches anders gewesen. [281r/565] Gewiß, auch damals sah ich, daß es nur eines einzigen Menschen bedarf, um alles zu verwirren – ich übergehe vieles – will es übergehen.
750 De Veris Geschäfte standen schon damals auf schwachen Füßen, wohlhabend war er sicherlich nicht mehr. In „The London Gazette“ des Jahres 1779 finden sich mehrfach Aufrufe an Gläubiger des bankrotten Kaufmanns John Archenholtz und seines Partners aus Augsburg, Konrad Veri; The London Gazette, 2. Februar 1779, S. 7; 20. März 1779, S. 2; 27. März 1779, S. 2; 20. Dezember 1779, S. 7. Waren, die Veri 1779 von England nach Augsburg und Erlangen gebracht hatte, wurden beschlagnahmt und seine ausgestellten Wechselbriefe amtlicherseits für ungültig erklärt; Erlanger Real-Zeitung vom 30. April 1779, S. 284. Somit dürfte Veris finanzieller Ruin nicht nur in seiner unglücklich verlaufenen Theaterunternehmung begründet sein, wie Ursula Simek, Berufstheater, S. 175, aufgrund der Darstellung bei Kummerfeld vermutet.
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Die Verwirrung war gross! Ein Theil von der Gesellschaft sagte: „Wir spielen nicht mehr!“ – Wollten mich dazu haben – ich sagte zum Fenster hinaus: „Last mich in Ruhe und macht, was Ihr wollt.“ – So lief ein ganzer Rudel bei meinen Fenster vorbei nach einen Herrn Bürgermeister. – Was da gesagt und abgehandelt worden, weiß ich nicht. – – Den Morgen darauf sollte auch ich zum Herrn Bürgermeister – ich wollte nicht. – Ich mußte. – Da war ich. Man frug mich, was mein Entschluß wär? – „Wird fortgespielt, und sie spielen alle, so spiele ich mit. – Wenn ich nun sagte: Ich wollte spielen und die andern nicht – nun, so wißen Sie ja selbst, daß ich allein keine Comödie spielen kann. – Nur bitte ich, daß einzige zu bedenken: daß, wenn es morgen bei dem Stück bleibt – dann spiele ich nicht mit – weil ich in denselben nichts habe. – Es ist eine Oper [281v/566] – jetzt kann jedes thun, was es will, und ich nehme weiter an nichts und von nichts Antheil.“ – Und damit machte ich mein Compliment und gieng nach Hause. – – – Wurde dem ohngeachtet gesagt: ich hätte gesagt: ich wollte nicht spielen. – Und durch die Lüge – ach, was erfuhr ich alles! – Wie fielen die schon halb geöfneten Masken ganz. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Eine ganze Woche gieng hin, und man wußte nicht, wär Koch oder Kellner war. Endlich wurde beschlossen, das gespielt werden sollte: Zwey Schauspieler, eine Comödie, für sich die Einnahme davon nach Abzug der Unkosten zu theilen. Das erste Stück war den 8. Februar 1781. Die Einnahme für Herren Starke und Peyerl751 – es waren keine 5 Gulden in der Caße752. – – Herr Starke fühlte daß – trat aus und spielte nicht wieder mit. – Was bat ich Madame PCV und Herr BCVI , sie möchten wieder mitspielen? – Aber nein, durchaus nicht. – Nun, wär blieb noch? – Ich wär geblieben, den daß wußte ich – ich hatte das Stück der Miß Sara [282r/567] Sampson753 für mich gewählt, war zu beliebt in Augspurg und gewiß, das Haus wär voll geworden, – ich wär nicht allein zu meiner zurükstehenden Gage gekommen, sondern hätte noch Vortheil gehabt. – Aber es war mir nicht möglich. Die zwey oder drey, die man noch Schauspieler nennen konnte, wenn sie standen, wo sie hingehörten, mußten Stellen nehmen, wo sie nicht stehen konnten. Wär auch das eine Stück wegen den wenigen Personen noch zur Noth gegangen, so wär’s schlecht von mir gewesen, mich bezahlt zu machen und den auszutreten. – Ich konnte mich nicht überwinden mitzuspielen unter solchen 751 Johann Nepomuk Peyerl (1761–1800), Sänger, Violinist und Schauspieler. Peyerl hatte sein Bühnendebüt 1780 in Augsburg in der Truppe von Johann Heinrich Böhm gegeben. Lit.: Christoph Meixner, Musiktheater in Regensburg im Zeitalter des Immerwährenden Reichstags, Sinzig 2008 (Musik und Theater 3), S. 232. 752 Demnach eine Benefizvorstellung für Starke und Peyerl. 753 Miß Sara Sampson, Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing.
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Menschen, die sich Schauspieler wollten nennen laßen. – Vielleicht sind sie’s nach der Zeit geworden – damals waren sie es nicht. – Wenn daß Ohngefähr754 einen Fremden durchführte, der dich kennt, und du stündest da mitten unter? – Fort! Schade für das Geld. Hast mehr verloren in deinen Leben. Ich sagte also: „Ich kann so nicht mitspielen. Theilen sie untereinander auch denn [282v/568] Abend, der zur Hälfte für mich seyn sollte755.“ – Und der, der mit mir theilen sollte, hatte daß meiste zu fordern – es war der Soufleur. – Ein guter Mann. – Mich dauerte er. – Auch konnte ich denken, daß er mich bitten würde mitzuspielen, um zu den Seinigen zu kommen. Was thue ich? Ich entschloß mich, nach München zu reisen. Herrn v. Very schrieb ich ein Billet: Daß ich ihm mein Wort gegeben, wenn er noch mit Inspruk richtig würde, er sich auf mich sicher zu verlassen hätte. – Inzwischen nähme ich an der ganzen Sache keinen Antheil – und wenn sie zurücke gienge, sollte es mir auch recht seyn. Denn ich wollte keine Verantwortung haben, wenn es ihm heute oder morgen reuen sollte und es nicht nach Wunsch ausschlüge. Achtzehntes Kapitel München Den 10. Februar reiste ich nach München. Ich machte den 11. den Herrn Grafen von Seeau756 meine Aufwartung. „Herr Graf ! Meine Absicht ist nicht, mich jetzt hier bei Ihrem Theater757 zu engagiren. – Auch [283r/569] könnte ich nicht, weil ich mich verbindlich gemacht, nach Inspruck zu kommen, wenn daß neue Theater zustande käm. – Ich weiß aber, wie es bei den Theatern zugeht. Vielleicht ist es wieder nicht von Bestand. – Ich wünschte allso, hier drey Gastrollen zu spielen. Man kann nicht wißen nach einigen Jahren, welche Veränderung 754 Zufall. 755 Diese Aufführung sollte demnach eine Benefizvorstellung zugunsten Kummerfelds und des Souffleurs sein. 756 Joseph Anton Johann Adam Dismas Graf von Seeau (1713–1799), von 1753 bis 1799 Hofmusik- und Theaterintendant in München. 757 Seit 1772 veranstaltete Graf Seeau im alten Hoftheater (Salvatortheater) auf eigene Rechnung Opern-, Ballett- und Schauspielaufführungen, wozu er eine jährliche Subvention vom Hof erhielt. Unter Kurfürst Carl Philipp Theodor wurde ab dem 1. April 1779 dieses Unternehmen unter Seeaus Leitung als „Deutsche Schaubühne“ weitergeführt; Robert Münster, Die Münchner Hofmusik bis 1800, in: Silke Leopold/Bärbel Pelker (Hg.), Süddeutsche Hofkapellen im 18. Jahrhundert, Heidelberg 2014 (Schriften zur südwestdeutschen Hofmusik 1), S. 381.
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bei Ihrem Theater vorgehen? – Nun denke ich, werden Sie doch lieber heute oder morgen eine Person engagiren wollen, die Sie zum voraus kennen, als eine andere, die Sie nicht kennen? – Und an der Sie Reisegeld und Vorschuß wagen müßen. – Leztern, hoffe ich, werde ich nie brauchen. – Auch denken Sie nicht, Herr Graf ! daß Sie mir für die drey Rollen, die ich spielen will, ein Geschenk machen sollen? – Nein! – Ich weiß die Verdrießlichkeit, die Sie deswegen erst kürzlich gehabt. – Ich verlange und nehme nichts. Auch ohne hier zu spielen, hatte ich mir vorgenommen, nach München zu reisen, weil es so nahe bei Augspurg ist, und ich die erste fremde Stadt, die ich in meiner Kindheit sah758, [283v/570] wiedersehen wollte.“ Der Herr Graf versicherte mich seiner Hochachtung, sagten: Wenn daß mein Ernst wär, er es zufrieden sey. Ich versicherte ihn, daß ich bei solchen Gelegenheiten immer sehr ernsthaft wär. Daß ich ihm auf Ehre versicherte, mich für jetzt nicht zu engagiren noch engagiren zu wollen. – Daß aber eine Frau wie ich, die reell dächte, nur auf die Zukunft hinaus seh. – Daß ich wünschte, nach einigen Jahren einen Ort zu finden, wo ich Hoffnung haben könnte, zeitlebens zu bleiben. – Das München dafür bekannt sey; und daß ich gegenwärtig auch gar kein anderes Intereße hätte als die Zukunft. Der Herr Graf sagten, daß ihm meine Art zu denken gefiel; und da ich nicht für gegenwärtig wollte engagirt seyn – auch für meine Rollen zu spielen nichts haben wollte: – Den er hätte es des leztern Verdrußes wegen verredt759, keinen mehr spielen zu laßen, der nicht engagirt wär. – So sollte ich drey Rollen spielen. Nun wurden Comödienzettel geholt und Stüke ausgesucht. – Endlich, nach vielen Hin- und Wieder-Denken, [284r/571] wurde bestimmt zur ersten die Gräfin Orsina in Emilie Galotti760, die zweyte Minna von Barnhelm761, die dritte, mehr durch den Herr Grafen wie durch mich, die Juliane von Lindorak762. Die Rollen, die ich spielen wollte, sollten aus folgenden drey ausgesucht werden, Gräfin Orsina, Braitfort763, Cecilie im
758 759 760 761 762
Sie war 1749 mit ihren Eltern in der Truppe von Johann Schulz in München gewesen, s. HHS, S. [35 f.]. Verreden: Sich selbst geloben, es nicht wieder zu tun. Emilia Galotti, Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing. Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück, Lustspiel von Gotthold Ephraim Lessing. Juliane von Lindorak, Übersetzung des Schauspiels Doride o sia La rassegnata von Carlo Gozzi, bearbeitet von Friedrich Ludwig Schröder und Friedrich Wilhelm Gotter. 763 Rolle in Die neueste Frauenschule, auch Die Schule der Damen oder Was fesselt uns Männer? nach dem Lustspiel The Way to Keep Him von Arthur Murphy bearbeitet von Christian Gottlob Stephanie d. Ä.; s. a. WHS, Anm. 572.
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Ehescheuen764, Franciska im Schmuk765, die Baronin in der Jeannetta766. Aber gegen alle waren Einwendungen, das welche gar nicht einstudiert waren etc. etc. Kurz, nur die drey benannten: Dabei sollte es bleiben. Ich war und konnte auch nicht anders, als mit der Aufnahme des Herrn Grafen zufrieden seyn. – Meiner Schuldigkeit gemäß wollte ich nun auch denen Damen meine Besuche abstatten. – Einige waren artig – andern war’s aber nicht gelegen, mich vor sich kommen zu lassen – konnte seyn, daß ich ungelegen kam, da ich mich nicht melden lies – wenn es aber nur nicht die Bediente so gar plump gemacht hätten wie bei Madame A+767. Nicht so [284v/572] bei Madame Urban768 – sie war so ganz gerade, wie ich die Menschen, wenn ich Liebe und Freundschaft für sie fühlen soll, seyn müßen. Die gute Frau! Der Herr Graf hatten es an Ihro Churfürstliche Durchlaucht769 gesagt, daß ich da wär und spielen wollte; und ohngeachtet ich ein Jahr von Mannheim weg war, haben Ihro Durchlaucht sich doch noch meiner zu erinnern die Gnade gehabt und gesagt: „Ja, sie hat die Braitfort in Mannheim recht gut gespielt, sonst aber wenig zu thun gehabt.“ – Das sagte mir der Herr Graf selbst. – Und ich antwortete: „Das ist ja eine von den Rollen, die ich für die Juliane gern gespielt hätte.“ Der Herr Graf: – „Ja, das Stük habe ich nicht besezt. – Ich will es aber doch einstudieren laßen.“ 770 Ich übergehe vieles mit Stillschweigen, nur: daß man Schwierigkeiten sogar machte, daß kein Kleid für mich in der Garderobe wär, den sie [285r/573] triegen meist ihre eigenen Kleider. – Ich hätte mich nicht unterstanden, von meinen paar Kleidergens welche mitzunehmen; und zudem wußte ich ja nicht, ob ich zum Spielen kommen würde? und welche Rollen? – Ja, ich hatte nicht einmal mein Neglige, daß ich zur Minna pflegte anzuziehen, bei mir, weil ich auf diese Rolle nicht gerechnet. – Eine Freundin,
764 Der Ehescheue, Übersetzung des Lustspiels Le Célibataire von Claude-Joseph Dorat, bearbeitet von Friedrich Wilhelm Gotter. 765 Der Schmuck, Lustspiel von Anton Matthias Sprickmann. 766 Jeanette oder Jeannette, Übersetzung des Lustspiels Nanine ou le préjugé vaincu von Voltaire, bearbeitet von Friedrich Wilhelm Gotter. 767 Franziska Antoine (1750–1825), Schauspielerin, war von 1778 bis 1799 in München engagiert. 768 Madame Urban geb. Koller († 1781), Schauspielerin und Sängerin. 769 Carl Philipp Theodor von der Pfalz, der seit dem 30. Dezember 1777 auch Kurfürst von Bayern war. 770 Gestrichen: Madame Urban sagte, an uns werden jezt die Kranken gesund und die Gesunden krank. Vorige Woche wollten sich viele ja noch priegeln, und jezt sind sie alle Herzensfreunde. Doch.
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die ich in Augspurg kennenlernte, DemoiselleCVII Khaser771, die in München bei einer Dame als Kammerfrau stand, wollte mich aus der Verlegenheit bringen und mir einen Morgenanzug von ihrer Herrschaft verschaffen. – Sonst hätte ich des Umstandes wegen den Herrn Grafen sagen müßen: Ich kann die Minna nicht spielen. Was wären meine Kleider gewesen auf solch einen grossen Theater? – Kurz, der Herr Graf mußte mit Ernst befehlen, und nun führte mich der Schneider nach der Garderobe. – Hier war gewiß kein Mangel! Eins schöner und prächtiger als das andere. Die Wahl fiel schwer. – Doch stand ich im Irrthum, weil sie sagten: „Wir tragen meist unse[285v/574]re eigene Kleider, daß die nicht zur Garderobe des Herrn Grafen gehörten.“ „Unter diesen“, sagte ich, „möchte ich mir wohl aussuchen. – Aber ich darf wohl nicht.“ Der Schneider: „Und warum nicht? Sie können! Sie gehören den Herrn Grafen.“ Ich: „Und doch sagte man mir, es wär kein Kleid für mich da?“ Der Schneider: „O, was sagen die nicht.“ Ich suche also drey Kleider, zwey reiche und ein ganz einfach tafftes zur Juliane. Der Schneider: „Daß zieht nur Madame M. +772 an.“ Ich: „O, daß muß mir passen, wie auf meinen Leibe gemacht.“ – Ach, und daß war freilich auch mit ein unverzeyliches Verbrächen – daß das Kleid mir auf meinen Leibe paßen mußte. Endlich und endlich, nach so vielen Schwierigkeiten, bei denen sich der Herr Graf nicht wenig geärgert hat, hies es Juliane von Lindorak773. – Ich sagte: „Herr Graf, daß ist nicht die Abrede – aber der Himmel weiß, wer nicht gesund werden wollte, das Emilie Galotti774 nicht könnte [286r/575] gegeben werden.“ – Der Herr Graf sagte: „Madame Kummerfeldt wird sonst zu lange hier aufgehalten. – Ich versicherte den Herrn Grafen, daß auch ohne zu spielen ich nicht nur auf ein paar Tage nach München gekommen wär. – Endlich sagten der Herr Graf ganz in dem Ton, der mir Zutrauen
771 Es könnte sich um Anne Therese Khaser (* Arnstorf/Bayern) handeln, Kammerfrau bei einer Freifrau v. Zindt in München, Autorin der 1780 anonym in Augsburg erschienenen „Briefe eines Frauenzimmers zur Probe“. Lit.: Allgemeiner litterarischer Anzeiger vom 12. April 1798, Sp. 606; Vollständiges Bücher-Lexicon […] von 1750 bis […] 1832 in Deutschland […] gedruckten Bücher, hg. von Christian Gottlob Kayser, Leipzig 1834, S. 349; D. Klement Alois Baader, Das gelehrte Baiern […], 1. Bd., Nürnberg/Sulzbach 1804, Sp. 586; Rolf Engelsing, Dienstbotenlektüre im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland, in: International Review of Social History 13, 3 (1968), S. 384–429, hier S. 418. 772 Möglicherweise Magdalena Marchand geb. Brochard (1749–1794), Schauspielerin und Ballett-Tänzerin, die Frau von Theobald Marchand, der seit 1778 das Nationaltheater München leitete. 773 Juliane von Lindorak, Übersetzung des Schauspiels Doride o sia La rassegnata von Carlo Gozzi, bearbeitet von Friedrich Ludwig Schröder und Friedrich Wilhelm Gotter. 774 Emilia Galotti, Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing.
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zu ihm geben mußte, indem er meine Hand fest drükte: „Spielen Sie nur die Juliane zuerst, ich will Sie steigen laßen“. – Was sollte ich thun? – Gar nicht spielen, daß wär recht gewesen. Warum ich die Juliane nicht als die erste Rolle spielen wollen? – Gleich meine Gründe. – Warum die Minna nicht? – Dieselben. – Aber nach der Orsine konnte ich Minna und Juliane in München machen – daß wußte ich. Doch meine Gründe: Alle die Frauenzimmer, die in München waren,CVIII wußte ich, waren zum Theil schön, – ja, auch die nicht schönen doch hübscher und jünger wie ich. Das schöne Marien-Gesicht, wovon ich schon in Hamburg gehört, war Madame Neuhaus775. – Mithin wählte ich [286v/578 – ab hier Paginierungsfehler] Rollen, die ich wählen mußte. – Daß die Stüke nicht im Gang waren, war freilich weder des Herrn Grafen noch meine Schuld. – Und da bei den Grossen auch die Wände Ohren haben, so hatte man erfahren, wie ich mich gegen die Juliane gesperrt – und darum mußte die zuerst gegeben werden. – Hätte der Herr Graf nicht mit den Ton, nicht mit dem Gesicht gesagt: „Ich will Sie steigen laßen“, warlich! ich hätte gar nicht gespielt. Auch kann ich versichern, ich weiß es noch bis diese Stunde nicht, wem die drey Rollen zugehört. – Auch das Cermoniell würde ich beobachtet und die Dame selbst darum angesprochen haben. – Aber ich war zurückgescheucht durch so mancher Betragen – und ich gehörte nicht zu denen, die sich so vor der Thüre solten abweisen lassen. – – – Ich kam nicht hin, um eine Collekte776 zu holen. Madame Neuhaus muß ich’s noch sagen, daß sie die Rolle der Henriette einstudirt hat. Eben keine Rolle, die eine Schauspielerin gern spielt. [287r/579] Ich kam zur Probe, es war der 16. Februar. Madame A++, denke ich, wär’s ihre Schuldigkeit gewesen zu sagen: „Madame Kummerfeldt, Sie wollten mich besuchen, aber ich war nicht zu Hause“, oder so etwas dergleichen – Sie sagte nichts. – Ich auch nichts. – Doch daß sie Madame A. war, sah ich am ersten Blick – den sie spielte die Königinnen. Frauenzimmer waren in der Garderobe: Madame Neuhaus, Madame Urban nebst allen Tänzerinnen. – Lezten giengen fort, um das Ballet zu probieren. Da wir Schauspielerinnen nur noch da waren, sagte ich zu Madame A++: „Ich glaube, ich habe die Ehre, in Ihnen Madame A. zu sehen? – Entschuldigen Sie mich, daß ich Ihnen nicht eher mein Compliment 775 S. WHS, 3. Buch, Kap. 10, S. [247v/498]. Mit dem Gothaer „Mariengesicht“ war die Schauspielerin Regina Franziska Neuhaus geb. Piloti (1757–1791) gemeint, die erste Ehefrau des Schauspielers Karl Ludwig Christian Neuhaus, mit dem sie von 1776–1778 in Gotha engagiert war. Bis 1788 spielte Regina Franziska Neuhaus in München. Lit.: Hodermann, Geschichte, S. 178; Theater-Journal für Deutschland, 13. Stück, Gotha 1780, S. 61; TKR 1796, S. 223. 776 Kollekte: Milde Gabe, Spende.
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gemacht, aber ich hielte Sie für eine von denen Figurantinnen – oder Tänzerin. – Weil ich bei Ihnen in Haus gewesen – ich hoffe, man wird es Ihnen gesagt haben.“ – Madame stand da, fühlte, was ich sagte – aber wußte nicht, was sie antworten sollte. – Und ich bemitleidete sie. – Sie murmelte eine Art von Entschuldigung, wovon ich kein Wort verstand – aber es dauerte [287v/580] nicht lange, so sagte sie so recht mit allen möglichen Königspielerstolz – daß sie kranck wär, lieber zu Bette sich legte – aber wenn den jemand käm und spielen wollte – so hies es den gleich, es wär Verstellung – „den ich habe eine Blatter777 auf der Zunge. Ich weiß nicht, wie ich heute werde sprechen kennen“. – Ich wendete mich zu Madame Urban und sagte was über die Blatter. – Madame A. hat es wieder erfahren, welches mir den recht lieb war. Ich spielte, und an der Stille, wenn ich sprach, und an den lauten Beifall, den ich hatte, wenn ich abgieng, merkte man nicht, daß ich mißfallen – auch nicht an denen Thränen, die ich mancher Dame in den Logen und Parter durch mein Spiel entlockte. Ich habe gespielt und würde noch beßer gespielt haben, wenn mein Hals ganz rein gewesen und ich nicht etwas heisehrig war, daß ich nicht alle Töne so in meiner Macht hatte, wie ich sie hatte, wenn ich ganz wohl war. Mit Madame Urban wollte ich auch wieder [288r/581] nach Hause fahren. Im Weggehen bei dem Logengang begegnete uns ein Gavalier, dieser sagte „Ha! Madame Kummerfeldt! Brav! recht brav, – wir sehen Sie doch noch öfterer spielen?“ „Ich hoffe es.“ „Wie gesagt, wir waren alle recht sehr zufrieden – Gute Nacht!“ – Und damit war derselbe fort. Madame Urban: „Nun gratuliere ich Ihnen – nun haben Sie gewonnen Spiel. Daß war der Prinz! N.N.“ Ich: „Der Prinz! – Ich wußte es nicht.“ Madame Urban: „Ja! Auf dem kommt viel an. Wen Sie ihm nicht gefallen, so hätte er kein Wort zu Ihnen gesagt, wär stillschweigend bei Ihnen vorbeigegangen. – Den ich kenne ihm.“ Ich lies mich bei keinen von der sehen wie bei Madame Urban. Den Herrn Grafen hatte ich die Ehre in der Musicalischen Accademie778 zu sprechen, wo mich Madame Urban mitgenommen, und der Herr Graf war sehr wohl [288v/582] mit mir zufrieden, wir sprachen über manches.
777 Blase. 778 Académie musique: Musikalische Veranstaltung, Konzert.
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Dreymal hatte man Minna von Barnhelm779 abgedankt. – Und sie wurde nicht gegeben. Solange haben sie gearbeitet, bis sie endlich durchgedrungen, daß ich nicht wieder zum Spielen kam. – Und die Ursach? wurde auf eben den Prinzen geschoben. Diesen hätte ich mißfallen. – Ich wollte dem Herr Grafen meine zweyten und lezten Besuch abstatten – aber ich kam nicht vor. – An seiner Stelle hätte ich mich auch nicht sprechen laßen. – Aber seine Schwester780 hatte ich die Ehre durch Madame Urban zu sprechen. – Eine vortrefliche Dame. – Ich leugne nicht, daß ich weinte über die Boßheit der Menschen. – Die Gräfin von Seeau sagte zu mir: „Sie haben gefallen, daß weiß ich. – Denn hätten Sie nicht gefallen, so hätten sie es Ihnen gemacht wie der“ – sie nannte mir eine Schauspielerin, deren Namen ich vergeßen – „die mußte mein Bruder öfterer spielen laßen, damit sie sie auslachen konn[289r/583]ten.“ Ich wünschte und hofte, daß die gnädige Gräfinn jedes Wort ihren Herrn Bruder mag wieder gesagt haben, den ich sprach scharf der Sache gemäß und sagt geradeherraus: Daß man den Herrn Grafen N++++781, und die gnädige Gräfin konnten nicht Nein sagen. Was haben sie nun alle davon gehabt? Ich blieb ja nicht? Ich konnte und wollte ja nicht bleiben? Wenn der Schauspieler seiner Sache so gewiß ist? – Wofür scheut er sich? – Ich sie alle ausstechen wollen? – Wie lächerlich! – Wenn kam je so ein Gedanken in meinen Sinn? – Hatten sie nicht alle ihre Verdienste? Konnte ich sie um ihr festes Engagement bringen? Hatten sie nicht alle ihr Brod? – O, die Gräfin hatte recht. Sie sagte: „Nein, Madame! Es ist gut, daß Sie nicht mehr unter denen Leuten spielen, sie wären imstande gewesen, es anzustellen, daß man Ihnen hätte p[f ]eiffen müßen, oder so etwas – und wer weiß, was mein Bruder gemerkt und Sie eben deswegen nicht mehr spielen lassen will – und Ihnen sein Wort nicht hält.“ „Da haben Sie recht, gnädige Gräfin! – Und daß ist ihnen nicht gelungen – weil sie sich vielleicht nicht eher darauf [289v/584] besonnen. – Nein, so ist es beßer; und sie sollen sehen, daß ich nicht einen Tag früher wegreise, als ich mir vorgenommen habe. – Den es geht nicht so bald nach Inspruck. – Nicht hergekommen bin, um mir von den Herrn Grafen einige Louisdor zu erbetteln. Sagen Sie ja alles wieder, gnädige Gräfin! Und wär sich durch meine Reden zu nahegetreten glaubt, der frage mich selbst, den ich bleibe noch hier.“
779 Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück, Lustspiel von Gotthold Ephraim Lessing. 780 Vermutlich Maria Walpurgis Therese Elisabeth Gräfin von Seeau (* 1722), kurbayerische Hofdame, 1736 Sternkreuzordensdame; Hörner, Joseph Anton Johannes Adam Dismas Graf von Seeau zu Mühlleuthen, S. 129. 781 Gestrichen: „Narete“, gemeint ist also: narrte. Vermutlich hat Kummerfeld das Wort beim Überarbeiten für den Namen des Grafen gehalten und daher alle Buchstaben bis auf die Initiale gestrichen.
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Freilich, die Art und Weise, wie ich mit dem Herrn Grafen von Seeau gesprochen, mußte befremden; und hätte ich nur die Geschichte des Herrn L+ beherziget, die er mir in Augspurg erzählt – so hätte ich mich gar nicht sehnen sollen, in München Gastrollen zu spielen. – Aber hier war der Fall: Ich wollte mich nicht engagiren, und Herr L+ hätte sich engagirt. Hätten sie sich freundschaftlicher auch nur den Schein nach gegen mich betragen, und ich hätte mißfallen – ich würde es eben so aufrichtig gesagt haben. Manchen verdienstvollen Schauspieler ist das begegnet. Herr Boeck und Herr Borchers [290r/585] haben an vielen Orten gespielt, wo man sie ihren Verdiensten gemäß geschäzt, und an einen oder ein paar Örter fielen sie durch. – Selbst Herr Schröder hat in München, wie ich gehört, nicht in allen Rollen gleich gefallen. – Auch Madame A+, die nach der Zeit in Wien ein paar Gastrollen soll gespielt haben, wär dort durchgefallen und hätte gar nicht gefallen. – Daß sind mögliche Fälle und hängen von Umständen ab. Aber in München machten sie es eben zu plump, und ich will wünschen, daß sie ja alle da leben und sterben, damit ihnen nicht anderwärts mit dem Maas zugemeßen werde, womit sie andere masen. Noch ehe ich die Rolle in München gespielt, bekam ich Briefe von Herrn von Very aus Augspurg, wo er mir schrieb, daß Herr von Wibmer782 in München mit ihm in Compagnie getreten. – Und sonderbar, eben dieser Herr von Wibmer, nachdem er mich nur daß eine Mal in München spielen sah den 16. Februar, brachte mir den 17. den Contract zu unterschreiben, auf ein Jahr nach Inspruck mit 12 Kaysergul[290v/586] den die Woche Gage und an die Stelle der ersten Rollen – dieses wußte ich – aber freilich die Münchner Schauspieler nicht. Herr von Wibmer eilte und sagte: „Ich wünschte nicht, Sie zu verlieren. Man möchte Sie mir sonst hier behalten; wenn Sie den Contract unterschrieben haben, bin ich sicher.“ Ich: „O, daß hat keine Noth. – Aber auch ohne Contract wären Sie es: Den Herr v. Very hat mein Wort. – Mir dürfte der Herr Graf von Seeau 24 Gulden bieten die Woche, ich nehme die 12 und reise mit Ihnen und Herr von Very nach Inspruck. Für was? Oder warum strapazirten Sie sich? Ich weiß es wohl, die Münchner dachten, auch ich wär eine Comödiantin.“
782 Herr von Wibmer (* um 1752), Schauspieler und von März bis Juli 1781 Regisseur in Innsbruck.
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Ich ließ es mir in München recht wohl gefallen, war mit Herr von Wibner in Gesellschaft und auf einen Ball und Soupee. Sah Schloß und Bildergallerie; die reiche Kapelle, die Kirchen u. s. f. Kurz, für Geld und gute Worte kann man überall hin; den troz der 88 Gulden, die ich in Augspurg bei [291r/587] der Seippischen Direction verlohren, ohne die lezten Wochen, die ich nicht mitgespielt, stand sich meine Casse doch nicht schlimm. Ich lebte und wohnte in Inspruck wie in Augspurg für ein Spottgeld; war keinen Menschen mehr was schuldig. Ich kann also mit Recht zu mir sagen: Den Rock, das Hemd, daß du trägst, hast du dir nach deines Mannes Todte wieder verdient. Gott sey Dank! Niemand was schuldig! – Der gute Gott segnete mich – wird mich segnen bei manchen Verlust, den es ist ja bei den meinigen kein Heller, den ich durch Unrecht an mich gebracht. Den 28. Februar reiste ich von München weg und kam den Abend in Augspurg wieder an. Die ganze Gesellschaft war fort, bis auf Madame Partl und Herrn B.CIX, die mit nach Inspruck giengen. Sie hatten für den Herrn von Very die Garderobe besorgt. Sie war hübsch, und er hatte alles hergegeben und bezahlt. Ich war einmal in Gesellschaft, und da sagte ich: [291v/588] mir wär’s unbegreiflich, nachdem wir bei Herrn Seipp so viele Stüke gegeben, die doch so sehr, so allgemein gefallen, und doch keine Leute gekommen? Als zum Beispiel: Henriette oder Sie ist schon verheurathet783. Wo so viele gesagt: in München hätten sie es aufführen sehen, wo es bei weiten unserer Henriette hätte zurückstehen müßen; – die Zuschauer hier gar nicht aus den Applaudiren gekommen; – Herrn Seipp und alle Schauspieler angeredet: wie vortreflich wir alle gespielt, sollten es doch ja bald wieder geben; – wir uns so innig darüber gefreut, „endlich doch einmal wieder ein Zugstück!“ – Wir gaben es! – Und wieviel war über die Unkosten mehr??– „Ja, daß wollen wir Ihnen sagen. Hier in Augspurg ist man gewohnt, daß der Prinzipal oder die Prinzipalin selbst die Comödienzettel in die Häuser der Vornehmen hinbringen und solche invitieren. Aber Madame und Herr Seipp ließen sich nirgends sehen, und da hielte man sie für stolz. – Alle Prinzipale und Prinzipa[292r/589]linen, die sonst hier waren, haben das gethan“. – O, schade! daß ich daß nicht gewußt habe. – Die gute Seipp war zu sehr Hausmutter, konnte nicht von ihre kleine Kindern – und er – konnte daß gar nicht. – Aber hätte ich daß vor 6 oder 7 Monaten nur gewußt – Zettel
783 Henriette oder Sie ist schon verheyrathet, Lustspiel von Gustav Friedrich Wilhelm Großmann nach JeanJacques Rousseaus Roman Julie ou la nouvelle Héloise.
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hätte ich nicht gebrach[t] – Aber weiß Gott! das Ganze zu erhalten – ich hätte mich in einen Wagen gesezt, wär herumgefahren und hätte invitirt in die Comödie. – Daß hätte mir viele Freude machen sollen. Wär hätte daß denken können? – Und daß war die Ursach, daß die Gesellschaft mußte auseinandergehen. Neunzehntes Kapitel Die Menschen wollen keinen Frieden Den 27. Merz reisen wir fort nach Inspruck. Neue Leute waren in Augspurg zu uns gekommen. Herr Krenzin784 und andere mehr785. Wir kamen alle gesund und wohl den 29. Merz an. Herr v. Very war nicht mitgereist, sondern hatte einen Cassirer nachgeschickt, der mit dem Herrn von Wibmer bald nach uns eintraf. Die Herrschaften hatten das Schauspielhaus sehr ver[292v/590]schönern laßen. Wir waren 17 Personen stark mit dem Ballet, und die Gesellschaft war an guten Schauspielern zahlreicher als das Jahr vorher. Auch die Garderobe gewiß recht hübsch, die Insprucker dazugenommen, so konnte jedes Stück gemacht werden. Man war auch mit allen zufrieden, nur einCX Liebhaber fehlte noch. Herr von Wibmer entschloß sich also, selbst mitzuspielen. Er war ein schöner Mann von Bildung und Person und gewiß noch keine 30 Jahre alt. Ein Mann von vielen Talenten, der viele grosse Theater bei seinen Reisen nach England und Frankreich, auch in Deutschland gesehen. Die erste Rolle, die er spielte, war in der Agnes Bernauerinn786 der Herzog Albrecht. Er leistete alles in der Rolle, was man von einen Mann verlangen kann, der zum ersten Mal als Schauspieler auftritt. – Auch kann ich nicht umhin, etwas von HerrCXI Krenzin zu sagen, und dieses etwas ist: Er war Schauspieler. Er spielte mit so vieler Feinheit und Einsicht; arbeitete manche Rolle so [293r/591] aus, wie ich sie nie beßer spielen sah. – Unvergeßlich wird mir sein Orest787 bleiben. Nie sah ich den Mann Leidenschaften in Fetzen zerreißen; stets blieb er der Natur getreu. Nicht allein glänzte er über so viele – die Wunder glauben, was sie sind? in Trauerspiel, auch im Drama und Lustspiel; seine
784 Anton Adolph von Cren(t)zin (auch: Creutz) (1753–1804), Schauspieler, Dramatiker, Regisseur. 785 Korrigiert aus: Herr und Madame Wezel, Herr Leo. – Zu dieser neu zusammengestellten Truppe, die unter der Oberleitung des Herrn v. Schenk stand und bis Dezember 1781 von de Veri geleitet wurde, gehörten insgesamt 17 Personen; vgl. die Namensliste bei Simek, Berufstheater, S. 240 f. 786 Agnes Bernauerinn oder Agnes Bernauer, Trauerspiel von Joseph August Graf von Toerring. 787 Orest und Elektra, Trauerspiel nach Oreste von Voltaire und Électre von Prosper Jolyot de Crébillon, bearbeitet von Friedrich Wilhelm Gotter (1774).
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ernsthaften Liebhaber und junge Männer; sein Licentiat Frank und der Fähndrig in der Grossen Patterie788; er verfehlte keinen von denen Karakteren. Sehr früh hat er sich auf das Fach der ernsten, zärtlichen Väter gelegt; sie müßen ihn gelingen, wenn ich bedenke, wie schön ihm die erste Rolle in den Fach gelang, nehmlich in der Agnes Bernauerin der Kanzler. Er mußte einige Mal auch komische Alte übernehmen – aber die gelangen ihm damals nicht. Ein Mann von so ausgezeichneten Verdiensten, den das ganze Publikum schäzte und verehrte, fand – wie es immer geht, auch seine Neider. – Wie hätten wir vergnügt seyn können – wenn nur der böse Neid und Zwietracht nicht gewesen wär. – Die Frauenzimmer waren wieder die ruhigsten. – Im Grunde bedarf [293v/592] es nur einen einzigen, um alles zu verwirren. – O, Theater! Schauspieler und Neid. Warum kann keins ohne leztern seyn? – Wenn in einen jeden Stand die Collegen sich so untereinander verfolgen sollten wie die Schauspieler; welcher würde bestehen? – Und wie unbegreiflich ist es mir, daß eben dieser Stand an Mitgliedern jährlich so zunimmt? – Aber freilich, sie sind auch darnach. – Mit Gewalt muß ich mich zwingen, Auftritte zu übergehen, die der Menschheit zur Schande gereichen. – – – – – – – – – – – – – – Herr von Wibmer versprach sich beßern Vortheil; die Gesellschaft hatte gute Gage, bei der sie bestehen konnte – aber es kam nicht so viel ein, als es gekostet, uns hinzuliefern. Herrn von Wibmer machte das ernsthaft. – Er war im Wege – andere wollten herrschen und dirigiren, damit sie Rollen spielen konnten, welche sie wollten.– Wibmer war ein Mann von Ehre und ohne Partheylichkeit. – Er wurde gemißhandelt auf die unverantwortlichste Weise. Der erste [294r/593] July 1781 war der Tag, wo das Feuer ausbrach – daß zwar lange – aber sichtlicher den 5ten Juni angeschirrt789 – den 6ten zu ein paar Flammen brachte, die zwar gedämpft wurden, aber desto fürchterlicher unter der Asche glimten, – bis es hellaufloderte diesen ersten July, den ich wünschte nicht erlebt zu haben. Ungerechtigkeiten von der Art sind wir in unsern jezigen traurigen Zeiten mehr zu hören gewohnt. – Aber damals war noch keine Revulution in Frankreich. – Folglich ungewohnter. – Und wär war schuld? Eine einzige Person. Herr von Wibmer reiste den 21. July nach Wien, den 23. kam Herr von Very. – Aber nun gieng der Specktakel erst recht an. – Den Mann hatte der Zorn des Himmels zum
788 Die große Batterie, Lustspiel von Cornelius Hermann von Ayrenhoff. 789 Angeschürt.
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Directeur einer Schauspielergesellschaft gemacht. – Mitleid hatte ich mit ihm. – Es hatte ihm doch das viele Geld gekostet – aber es war unbegreiflich, daß er nicht hören wollte. – Er versprach – [294v/594] aber immer hatte er’s wieder vergeßen – und that gerade das, was ihm schaden mußte. – Und leider! konnte man ihm nichts glauben. Wenige Wochen war er da, und man konnte sicher rechnen, daß des Freytags Händel seyn würden, den es war Gagetag, und keiner wollte oder konnte ihm eine Woche borgen. – Nun dankte er die Gesellschaft auf ein paar Stunden ab. – Die hatten den zu lauffen, bis er Anstalt machte und auszahlte. – Ich sah die Zucht790 nur einmal an. Kam nicht wieder an Gagetagen hin und schickte meine Magd. – Bekommen sie alle, nun, so bekömmst du deine Gage auch; schickte er solche nicht den Freytag, nun, so schickt er sie doch ein paar Tage später. Sonabend, den 22. September sollte Elfriede791 wieder gegeben werden, ich sitze ruhig bei meiner Rolle, weil wir keine Probe hatten, als ein Bedienter kömmt vom Herrn von Schenk792, ich möchte doch so gut seyn und gleich hinkommen. – Nie war ich da gewesen, der Bediente mußte warten, [295r/595] um mir das Haus zu weisen. Ich komme hin und fand Herrn v. Very nebst die meisten Herren von der Gesellschaft. Herr von Schenk sagte: „Nun, Madame Kummerfeldt, noch kommt es auf Ihren Ausspruch an. Die Gesellschaft will, daß dem Herr von Very die Direction genommen werde, weil er gestern keine Gage gegeben. Soll er sie behalten oder nicht? Noch kömmt es auf Ihre Stimme an.“ Ich: „Auf mich?“ von Schenk: „Ja!“ Ich wendete mich zu Herrn von Very und sagte gerade nach meiner Art alle die Fehler, die er gemacht. – Daß er würklich kein Mann sey, den man mehr glauben könnte; zeigte die Beweise an und foderte, er sollte das Gegentheil behaupten, – wenn er könnte? – Er schwieg. – Und nun wendete ich mich zu den Herrn von Schenk und sagte: „Herr von Very hat auf seine Kosten die Gesellschaft hergeliefert; [295r/596] die Garderobe machen lassen; und es hat ihm viel Geld gekostet. – Jetzt sind Aussichten da, wo zu hoffen ist, das mehrere gute Abende seyn müssen. Ihro Königliche
790 Schlechtes Verhalten. 791 Elfriede, Trauerspiel von Friedrich Justin Bertuch. Bertuch schrieb das Stück für die Gesellschaft von Abel Seyler, Uraufführung am Weimarer Hoftheater am 4. September 1773; Böttiger, Zustände und Zeitgenossen, S. 301, 489. 792 N. von Schenk, tätig am Innsbrucker Hof der Erzherzogin Maria Elisabeth, 1781–1783 Oberleiter des Innsbrucker Theaters; Simek, Berufstheater, S. 176, 240 f.
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Hoheit der Ertzherzog Maximilian793 werden erwartet; desgleichen die Prinzeßin von Sardinien794; der Namenstag von unserer Ertzherzogin795 Königliche Hoheit fällt ein; ich fände es also für die grösste Ungerechtigkeit, Herr von Very die Direction zu nehmen, da er Aussichten hat, wo er sich erholen kann von seinen Schaden und jezt die gute Comödienzeit hier erst angeht? – Wenn aber Herr von Very als den wieder sagt: er könne kein Geld geben, wie er es seit Wochen alle Freytage gesagt hat: – Ja, dann kann gemacht werden, was man will, und ich habe nichts mehr zu sagen.“ Herr von Schenk: „Madame Kummerfeldt! Das heist in meine Seele gesprochen. – Ja, Herr von Very behält die Direction, bis er wieder umsattelt und von neuen anders Sinnes wird.“ [296r/597] Da standen wir denn. – Ob ich mir Freunde gemacht? Weiß ich nicht. – Manche waren wohl auf meiner Seite in ihren Herzen und hatten sich nur durch die unruhigen Köpfe mit fortreissen laßen. Herr B.CXII blieb dabei: Er gehe mit keinem Fuß aufs Theater, wenn er nicht noch heute vor der Comödie seine Gage hätte. – Die andern wollten nur mit etwas zufrieden seyn und mit dem Rest bis morgen oder Montag warten. – Und Herr von Very versprach, jeden was zu schicken. Herrn B. aber seine Gage ganz. Wir waren den Abend alle auf dem Theater, und der Herr B. fehlte. – Es hies: Er käm nicht, den er hätte noch nicht seine Gage bekommen. – Ich kannte ihn zu gut von jeher, daß er in dergleichen Punkten Wort hielt – die höchste Zeit war’s, den alle waren fast
793 Maximilian II. Franz, Erzherzog von Österreich (* 8. Dez. 1756 Wien, † 26. Juli 1801 Schloss Hetzendorf bei Wien), Kurfürst-Erzbischof von Köln und Fürstbischof von Münster, jüngster Sohn von Kaiser Franz I. Stefan und Kaiserin Maria Theresia. Maximilian hielt sich vom 28. September bis 2. Oktober 1781 in Innsbruck auf, wo er von seiner Schwester, der Erzherzogin Elisabeth, empfangen wurde. Am 29. September fand eine Theateraufführung statt. Lit.: Hamann, Habsburger, S. 367–370; Carl Unterkirchner, Chronik von Innsbruck, Innsbruck 1897, Nr. 1388. 794 Maria Carolina von Savoyen, Prinzessin von Sardinien (* 17. Jan. 1764 Turin, † 28. Dez. 1782 Dresden), Tochter von König Viktor Amadeus III. von Sardinien-Piemont und der Maria Antonia von Spanien. Maria Carolina machte auf ihrer Reise nach Dresden zur Hochzeit mit Prinz Anton Clemens Theodor (1755–1836), dem späteren König Anton I. von Sachsen, in Innsbruck am 9./10. Oktober 1781 Station. Am Abend des 9. Oktober wurde dort das Theater besucht, anschließend fand ein Maskenball statt, zu dem auch die Erzherzogin Elisabeth erschien. Lit.: Unterkirchner, Chronik, Nr. 1392. Von Maria Carolina wurde in jüngster Zeit eine Arie Per Costume o mio bel Nume wiederentdeckt, die sie als gut ausgebildete Komponistin zeigt; Nina Eichholz, Eine neue Komponistin ist geboren http://hofmusik. slub-dresden.de/news/details/single/eine-neue-komponistin-ist-geboren/, Zugriff am 8.8.2020. 795 Erzherzogin Maria Elisabeth Josepha. Ihr Namenstag (Elisabeth) war der 19. November.
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angekleidet. – Ich schrieb mit Bleystifft auf einen leeren Stecknadelbrief796 Herrn v. Very etliche Zei[296v/598]len: Warum er den Herrn B. nicht seine Gage geschickt? – Er wiße ja, was er bei dem Herrn von Schenk gesagt? Er käm sonst nicht aufs Theater, und es wär ja die höchste Zeit. – – Da antwortete mir Herr von Very: „Ich danke Ihnen, liebste Freundin, daß Sie mich daran erinnert. Ich hatte es vergessen“ etc. etc. – Immer hatte es der Mann vergeßen, das war und blieb seine Entschuldigung. Das Haus war den Abend voll, auch waren fremde Herrschaften aus Wien da. – Volles Haus, und der Gedanke: Hast heute wieder eine gute That gethan und dazu Gelegenheit gehabt; – machte mich so recht zum Spielen aufgelegt. Ohngeachtet der Verwirrung am Morgen und auch ohne Probe gieng das Stück gut. Warum soll ichs nicht sagen, was die Wiener Herrschaften von mir gesprochen? – „Warum geht die Frau nicht nach Wien? So gut, wie sie die Elfriede spielt, wird sie in Wien nicht gemacht.“ – Der erste Präsident, Herr Graf von Heister797, ant[297r/599]wortete: „Ja? – Aber wir wollen hier auch was Gutes haben“ etc. etc. Es kamen gute Einnahmen, auch gieng es ziemlich ruhig bis den 21. December, da sagte Herr von Very wieder, er hätte und könnte keine Gage geben. – Nun schwieg ich still. Herr v. Very mußte einen Aufsaz machen, wieviel und was er allen schuldig – 798 Herr von Schenk schickte jeden, was er zu fordern hatte, und Herrn von Very war die ganze Direction genommen. – Gott weiß, wo der Mann hingekommen? Er war von Inspruk weg, niemand wußte wohin?799 – Und nie habe ich seit der Zeit etwas von ihm gehört. Möchte er der lezte gewesen seyn, der eine Schauspielerdirection übernahm, ohne solche zu verstehen.
796 Ein zusammengefaltetes Papier, in das die Stecknadeln reihenweise gesteckt werden. 797 Johann Gottfried Graf von Heister (* 1718, † 1800 Klagenfurt), Gouverneur (1772–1786) und Landeshauptmann (1774–1786) in Tirol. Lit.: Helmuth Oberprantacher, Johann Gottfried Graf von Heister: Versuch einer Charakterisierung seiner Regierungstätigkeit als Gouverneur (1772–1786) und Landeshauptmann (1774–1786) in Tirol, Diss. Innsbruck 1982; Simek, Berufstheater, S. 35, 37, 58–60, 179 f. 798 Gestrichen: wie er denn manches vergaß, an das ich ihm erinnern mußte. 799 Veri wurde die Direktion entzogen und seine Schuldsache vor das Innsbrucker Stadtgericht gebracht. Er sollte verhaftet und seine Immobilien beschlagnahmt werden, konnte aber fliehen; Simek, Berufstheater, S. 179 f. In der in WHS, Anm. 747 erwähnten Konkurssache John Archenholtz in London wird Veri noch weiter als Kaufmann in Augsburg bezeichnet; The London Gazette, 30. April 1782, S. 8; 19. November 1785, S. 536.
Drittes Buch, 20. Kapitel | 893
Zwanzigtes Kapitel Wird Ruhe, – Einrichtung und – manche angenehme ErinnerungCXIII Den ersten Feyertag schickte der Herr Graf von Heister um 12 Uhr zu mir, ich möchte um ein Uhr zu ihm kommen. – Ich war den Tag in grosse Gesellschaft gebeten, wollt mich nicht gern drey[297v/600]mal ankleiden, folglich brauchte ich mehr Zeit zur Toilette, daß es beinahe zwey Uhr war, ehe ich zu dem Herrn Grafen kam. Ich fand bei demselben die ganze Gesellschaft. Herr Graf von Heister: „Sie kommen noch, Madame Kummerfeldt! Ich habe gedacht, Sie würden nicht kommen?“ Ich entschuldigte mich mit der Wahrheit. Herr Graf v. Heister: „Es geht Ihnen auch nicht an, was ich vorgetragen habe; doch sollen Sie es doch wißen, was ich denen Herren gesagt habe. Wir sind gesonnen, die Gesellschaft bis an den Aschermitwoch zu behalten. Jeder soll bis dahin seine Gage haben, wofür er engagirt ist. – Aber wär seine Schuldigkeit nicht thut oder Händel und Zänkereyen anfängt, ist entlassen, und das Theater hört auf. – Aber wie schon gesagt, Madam! Ihnen geht es nichts an.“ Troz des mir sehr Schmeichelhaften, was der Herr Graf von Heister gesagt haben, dauerten mich die, die ebenso friedfertig dachten [298r/601] wie ich und oft in Verdrießlichkeiten kamen, ohne zu wißen, wie? Oder warum? 800 Gewünscht hätte ich, daß der Adel wieder selbst ein Theater errichtet. – Aber bei so vielen Unruhen? – Und doch war es nicht leicht möglich nach der damaligen Einrichtung, das ein fremder Directeur ohne Schaden bestehen konnte. – Das Legegeld801 war zu wenig. Immer kostete es dem Adel sehr viel, aber der Directeur hatte doch davon keinen Nutzen. Der Hof gab 800 Gulden. Jede adelige Familie vom ersten Rang hatte ihre eigene Loge und einen Sitz im Parter, der aber fest angeschloßen war. Die Person zahlte im ersten Rang 21 Kreutzer – (nach Reichswährung 24 Kreutzer) – sie waren nicht abonirt, folglich zahlten sie nur, wenn sie kamen. Zwey Regimenter lagen da, alle Herrn Offiziers [298v/602] waren abonnirt, sie mochten kommen oder nicht. Wie viel das eintrug, weiß ich nicht mehr. Der zweyte Plaz war die Persohn die Hälfte des ersten; und die Gallerie die Person 2 Kreutzer. 800 Gestrichen: Herr von Krenzin, Herr und Madame Wezel würden keinen was in Wege gelegt haben, wenn man’s nicht an sie gebracht, daß sie antworten auch einmal mußten und noch einige [korrigiert aus: ein paar], über die man aber nur oben hinsah, waren gute verträgliche Leute [korrigiert aus: Menschen]. 801 Eintrittsgeld.
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Jede adliche Familie zahlte ansehnliche Summen für ihre Loge, gab auch die Beleuchtung mit Wachslichtern in derselben; diese Summe aber fiel in die Theatercasse. Von dem Geld wurde das Schauspielhaus unterhalten; Decorationen gemacht, auch Kleider u. s. f. Die Faste wurde nicht gespielt. Welche Summe wurde erfordert, die eingenommen werden mußte, wenn ein Directeur das wieder ersätzt haben wollte? – Die Reise; Verschreibung von neuen Leuten; und 6 wöchendliche Fastengage? – Wenn sie auch nur halbe Fastengage hatten? – Schon war er halb bankrott, ehe er anfieng zu spielen. – Dieses alles erfuhr ich erst das zweyte Mal, als ich da war. – Hat man mich falsch berichtet, so kann ich keine Rechenschaft weiter davon geben und nur sagen: – So habe ich gehört. [299r/603] Ich leugne es nicht: Hätte ich stille, friedfertige Schauspieler gefunden, ich hätte die Direction in der Faste über mich genommen. – Vielleicht bei einer vernünftigen Sparsamkeit und Einrichtung wär’s gegangen. –– Mich frug einmal bei Gelegenheit der Herr Graf von Heister: Ob ich die Gesellschaft übernehmen wollte? – „Ja, Herr Graf ! – Aber – ich kann rechnen?“ – „So?“ sagte er und lächelte. – „Es sind zu wenige ruhige Menschen bei dem Theater.“ – Hätte ich hoffen können, solche Gesinnte habhaft zu werden, wie ich bei meinen Directeurs gedacht – und wie einige, die ich kannte, dachten – aber leider! nur einige, ich hätte es gewagt. – Welch Vergnügen wär es mir gewesen? Wie würde ich gearbeitet, gesorgt und gewacht haben, um ein Häuflein guter Menschen ein ruhiges Brod zu geben? – Wir hätten es alle in Inspruck finden können. Herr Bulla sollte mit seiner Gesellschaft, die er hatte, an unsere Stelle kommen. [299v/604] Gleich zu Anfang des Jahrs 1782 kam Herr Borchers und suchte Schauspieler nach Linz. Er hatte Order von dem Herr Grafen von Rosenberg802, der eine neue Gesellschaft errichten wollte, von der Herr Borchers Directeur wurde803. Ich schloß mit ihm einen Contract auf ein Jahr – Herr Borchers wünschte auf längere Zeit, den er hätte den seinigen auf 4 Jahr. – Ich konnte nicht. Er engagirte die Personen, die er wußte – oder vielmehr gesagt worden: Die fehlen. – Wählte von der Gesellschaft noch 6 Personen804. Ich wünschte so sehr Herrn und Madame Wezel805 und Herr Krenzin. –
802 Philipp Graf von Rosenberg (1734–1821), 1782–1786 Theaterunternehmer in Linz. 803 Zum Ensemble des Kavaliersunternehmens von Graf Philipp Rosenberg (1782–1786) unter der Direktion von David Isaak Borchers s. Fuhrich, Theatergeschichte, S. 191–199. 804 Ursprünglich hatte Kummerfeld hier die Namen der Schauspieler genannt: Madame Partl, Herrn Betge, Herrn und Madame Simoni, Mademoiselle Haller, Herrn Ziegler . 805 Christian We(t)zel und seine Frau, Schauspieler. Laut Simek, Berufstheater, S. 177, 241 sind es Christian We(t)zel und „Mam.“ We(t)zel, also Mademoiselle We(t)zel, seine Tochter.
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Aber er sagte: „Ich kann nicht! Den ihre Stellen, die sie besetzen, hat der Herr Graf schon durch andere verschrieben.“ – Ich wünschte, daß die andern auch so gut seyn möchten. – Mühe, viele Mühe gab ich mir, aber Herr Borchers sagte: „Ich kann, ich darf nicht! Ich käm sonst in die Verantwortung; – ich habe einmal meine Order.“ – Dem ohngeachtet glaubten sie, ich wär schuld, daß sie nicht engagirt wurden. [300r/605] Wir spielten nun in Inspruk ruhig und friedlich fort – hätte es nicht immer so seyn können? – bis den 12. Februar. Wir haben in der Zeit gespielt 172 Mal; geben sind worden 16 Trauerspiele, 81 Drama und Lustspiele, 32 Nachspiele. Ich habe mitgespielt 123 Mahl, ohne die Ballets, daß, wenn eine in Wochen lag, ich eintrat oder bei einen grossen festlichen Ballet, wo es mehr auf Pantomime als auf daß Tanzen ankam, eine pantomimische Partie übernahm. Rollen habe ich geliefert 84, darunter waren 56 ganz neue. – Ich glaube, daß das alles Mögliche ist, was man leisten und liefern kann, wenn man will. Auch weiß ich gewiß, daß, solange ein einziger lebt, der mich gekannt, ich gewiß in Inspruk nie vergeßen werde: – Gewiß ebensowenig, wie ich Inspruck vergeßen kann. Ich hatte das Glük, so manche gute, vortrefliche Menschen kennenzulernen; man machte mir so manchen vergnügten Tag; man begegnete mir mit so vieler ausgezeichneter Ehre – unvergeßlich wird mir der lezte Maskenball seyn. Der Herr Graf von Heister sagten: – „Da ist ja unsere liebe Kummerfeldt! Wir sehen [300v/606] sie heute zum lezten Mal hier. Und da müßen wir auch noch alle mit ihr tanzen.“ – Und das geschah, ich tanzte fort bis fast am Morgen. Nie werde ich Inspruck wiedersehen; aber wie oft war schon meine ganze Seele da. Wie könnte ich vergeßen den Herrn Grafen von Trapp,806 seine vortrefliche Frau Gemahlin807 und seine Gräfin Mutter808? – O, diese liebenswürdige edle Dame ist leider! nicht
806 Kaspar Ignaz Graf von Trapp, Freiherr zu Pisein und Kaldonatsch (* 26. Oktober 1742, † 26. Juli 1794), k. k. Kämmerer und oö. Regierungsrat, Erblandhofmeister von Tirol in Innsbruck. Lit.: Simek, Berufstheater, S. 57, 60, 181 f.; Reinhard Markner/Monika Neugebauer-Wölk/Hermann Schüttler (Hg.), Die Korrespondenz des Illuminatenordens Bd. 2, Berlin 2013, S. 8. Neues Genealogisches Reichs- und Staatshandbuch, Theil I, Frankfurt/M. 1795, S. 597 https://books.google.de/books?id=MJJAAAAAcAAJ, Zugriff am 7.7.2020. 807 M. Rosa Gräfin von Cavriani, Freiin von Unter-Waltersdorf (* 1. Mai 1744 Wien, † 19. März 1808 Innsbruck), Tochter des Grafen Max von Cavriani, Sternkreuzordensdame, seit 1764 verheiratete Gräfin Trapp von Matsch, nach 1794 verheiratete Gräfin von Wolkenstein-Rodenegg. Lit.: Reichsund Staatshandbuch, T. 1, S. 597; Genealog. Jahrbuch des deutschen Adels für 1847, Stuttgart [1846], S. 501. 808 Catharina Elisabeth, Tochter des Grafen Leopold von Künigl (* 6. Aug. 1714, † 12. Aug. 1784), Sternkreuzordensdame. Lit.: Reichs- und Staatshandbuch, ebda.; Genealog. Jahrbuch, S. 501.
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mehr. – Den Herr Grafen von Feraris, Herr Grafen von Selb809; das Haus des Herrn von Pannitzi – und meinen kleinen – nun freilich älter gewordenen Lieblings, meines Xavers Pannitzi810 – – und wie viele sind noch nach, die so freundschaftlich gegen mich gedacht. – Nie, nie werde ich sie vergeßen. Nie habe ich gelernt, bei dem glüklichen Bekanntschaften der neuern Freunde die alten zu vergeßen. Mein Herz ist gross, es hat Raum für viele, kann viele in sich schliessen. – Dann die schönen Gegenden. Die mitCXIV Schnee bedeckten ehrwürdigen Gebürge. – Wenn ich hingieng, die mit Blumen bedeckten Wiesen an den Innstrohm – wenn ich des [301r/607] Morgens vor Sonnenaufgang so ganz allein die steilsten Berge erkletterte, ein Pläzgen fand und zu mir sagte: – „Ach, was ist es hier schön!“ – an meinen Bruder und so nach Hamburg an meine Hinrichs dachte – an alle meine Freunde – Wohlthäter! – „O, daß Ihr alle in den Augenblick um mich her versammlet wäret! – mit mir sehen, mit mir fühlen, mit mir freuen könntet!“ – Da fiel manche sanfte Thräne. Da schnizte ich wenigstens eure Namen in die Bäume, küßte sie und glaubte euch bei mir. Den 15. Februar reisten wir fort. Es war eine fürchterliche, schöne Reise. Doch hatten wir kein Unglück. Überhaupt weiß ich nicht und kann auch Gott nicht genug dafür danken, wie er mich immer auf so vielen gefahrvollen Reisen so gnädiglich beschüzt. 21. Kapitel Linz Den 20. kamen wir in Linz811 an. Die Gesellschaft wurde 22 Personen stark812. Herr Borchers gab sich sehr viel Mühe, daß mit der Zeit ein gutes Ganze daraus werden möchte. – Wie sehr wünschte ich es mit. Madame Prottcke813, eine Schauspielerin und Figurantin, war ihrer Entbindung nahe; und eine Tänze[301v/608]rin war noch nicht eingetroffen. Das erste Ballet sollte gross 809 Anton Graf von Selb, bei der 1783 gegründeten Innsbrucker Loge „Zum symbolischen Zylinder“; Simek, Berufstheater, S. 58. – Ein Johann Anton Graf Selb bei den Freimaurern in Linz 1785/86; Hans Sturmberger, Die Anfänge der Freimaurerei in Linz, in: Histor. Jb. der Stadt Linz 1955, S. 99–134. 810 Herr von Pannitzi, Innsbrucker Bürger, und sein Sohn Xaver Pannitzi: Nicht ermittelt. 811 Zum Theater in Linz: Konrad Schiffmann, Drama und Theater in Österreich ob der Enns bis zum Jahre 1803, Linz 1905; Fuhrich, Theatergeschichte. 812 Liste der Mitglieder des Ensembles des Kavaliersunternehmens Graf Philipp Rosenberg in Fuhrich, Theatergeschichte, S. 191–194. 813 Josepha Prottcke (1751–nach 1799), Schauspielerin und Tänzerin, war 1776 zum ersten Mal in Linz
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seyn, ich wurde von den Balletmeister Herrn S.814 ersucht mitzufiguriren, den man sagte: Es wären nur 4 Frauenzimmer, die 5te nur noch ein kleines Kind, die nicht gerechnet werden könnte. Was that ich nicht von jeher für’s Ganze. Weder zum Tanzen noch zum Figuriren kam mir in den Sinn mich zu engagiren; ich sagte also aus Gefällichkeit ja, – doch nur mit dem Bedinge: In grossen Ballets, und wenn Madame Prottcke wieder aus den Wochen käm, dann hörte die Gefälligkeit ganz auf. – Wir kamen zur Tanzprobe – und das ganz kleine Kind war ein Mädchen von 10 bis 11 Jahren, die sehr gut figurirte und schon kleine Solos tanzte. – Daß hätte ich wißen sollen! – Doch schwieg ich still. – Im zweyten Ballet lies man Demoisell Ruphofer815 frey. – Im dritten blieb Madame Simoni weg. – Ich sollte figuriren und war nicht dafür engagirt? – Die zwo Damen spielten nur dann und wann kleine Rollen mit. – Da machten sie es mir zu grob, und ich bedankte mich für die Ehre. – So wird der gu[302r/609]te Wille und Höflichkeit gemißbraucht. Ich war keine Tänzerin mehr, – würde ohne Wiederrede in grossen Ballets mitfigurirt haben, aber foppen816 lies ich mich nicht. Und zudem litt meine Brust zu stark, weil ich nicht selten Blut auswarf. Ich mußte mich in acht nehmen. Ich ersuchte also mit aller Höflichkeit die Herrn Balletmeisters S und H817, einige Ballette zu machen, wo ich frey wär, denn wenn erst die Comödien angehen, würde ich nach einer grossen Rolle gar nicht tanzen. Wär Madame Prottcke aus den Wochen und Madame Maraskelli818 erst da, gienge ich ganz heraus. Herr Borchers konnte mir nicht unrecht geben und gestand ein, es wär inpertinent! Ja, daß er es sich nicht unterstanden mir zuzumuthen, und da ich so gut war, machten die Herren eine Schuldigkeit daraus. Den ersten Aprill wurde angefangen, mit dem
engagiert und dann wieder von 1782 bis 1785. Zuletzt trat sie 1792 in Linz auf; Fuhrich, Theatergeschichte, S. 36, 185 und 193. Ihre Tochter Carolina Theresia wurde am 14. Mai 1782 getauft; (https:// data.matricula-online.eu/de/oesterreich/oberoesterreich/linz-stadtpfarre/101%252F11/?pg=256, Zugriff am 28.7.2020). Über die unzureichende Forschungslage zur Schauspielerfamilie Prottckhe s. Jennyfer Großauer-Zöbinger, Obwohl hier spielen mehr heißt als „auswendig lernen“. Leopoldstädter Bühnenkünstler realisieren Karl Friedrich Henslers Taddädl der dreyssigjährige ABC Schütz (1799), online-Beitrag zu LiTheS. Zeitschrift für Literatur- und Theatersoziologie (http://lithes.uni-graz.at/kasperls_erben/ pdfs_erben/erben_artikel_abc_schuetz.pdf, Zugriff am 27.7.2020). 814 Gestrichen: Simoni. Friedrich Simoni, Schauspieler und Ballettmeister, war ebenso wie seine Frau von 1782 bis 1783 in Linz. 815 Demoiselle Ruphofer, Schauspielerin; spielte von 1782 bis 1783 in Linz. 816 Jemand zum besten haben, sich über jemand lustig machen. 817 Gestrichen: Horscheldt. Franz Horschelt (1760–1828), Schauspieler, Tänzer, und Ballettmeister; Engagement in Linz 1782 bis 1784. 818 Madame Maraskelli, Schauspielerin und Tänzerin; Engagement in Linz 1782 bis 1783.
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Deutschen Hausvater819, man war zufrieden, und das Stück gieng gut. Madame Prottcke spielte den 28. May zum ersten Mal mit, und ich hörte auf zu figuriren; auch kam Madame Maraskelli, spielte den 14. [302v/610] August zum ersten Mal; sie war eine sehr gute Tänzerin und vortreflich von Wuchs. Herrn Borchers wurde es sehr sauer gemacht. Schadlos konnte ihn nichts halten als seine Gage. Solch einen Wirrwarr konnte man sich gar nicht denken. Da wars in Inspruk güldene Zeit. Es müßen vorher schröckliche Menschen und wares Gesindel zum Theil mit unter gewesen seyn. Daß sah man an den Respeckt der Theaterleute und Stadisten. Wenn Herr Borchers mit dem Herrn Grafen820 sprach von Stüken, die gegeben werden sollten; stellte sich der alte Theatermeister – Thomerle821 hies er – zu ihnen hin mit der Mütze auf den Kopf und sagte: „Na, schauen’s! Das missen’s nit gäben, das bringt ka Gäld ein.“ – Nannte Stücke. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Die Stadisten tranken in unserer Garderobe Bier – und spasten zimlich laut untereinander. – Wär an nichts theilnahm, hies stolz. – [303r/611] Nie habe ich gedacht, das Schauspieler so gemein seyn könten? – Nicht alle waren so, saßen an ihren Tischen so still wie ich. – Herr Borchers und ich sahen uns nur zuweilen an und hatten wohl einerley Gedanken. – Was für einen Ekel bekam ich nun noch mehr und mehr für’s Theaterleben. – Was konnte mich der Beifall freuen, den ich hatte? – Den ohne Eigenliebe zu mir selbst war ich in meiner Kunst als Kummerfeldt mehr, als wie ich noch Schultzen war. – Herr Borchers weiß es vielleicht nicht, daß ich wieder erfahren, was er hinter meinen Rüken gesprochen. Den 16. May wurde Der Sekretär822 gegeben, bearbeitet von Gotter. Ich spielte die Julie. Man sagte zu Herrn Borchers: „Was hat die Kummerfeldt schön gespielt!“ – „Schön? – So habe ich nie spielen sehen. So hat vor ihr hier gewiß noch keine Schauspielerin gespielt, und so wird nach ihr keine hier wieder spielen. – Ich habe die Rolle von Madame Seyler und der ältern Mademoiselle Ackermann – unstreutig zwo von unsern besten Schauspielerinen, spielen sehen. – Aber so, wie sie die Kummerfeldt [303v/612] durchdacht, wie sie sie ausgearbeitet, wie sie sie gespielt – daß haben beide nicht.“
819 Der deutsche Hausvater oder Die Familie, Übersetzung des Schauspiels Le Père de famille von Denis Diderot, bearbeitet von Otto Heinrich Freiherr von Gemmingen-Hornberg. 820 Philipp Graf von Rosenberg. 821 Theatermeister Thomerle: Nicht ermittelt. 822 Der Sekretär, auch Die falschen Entdeckungen, Übersetzung des Lustspiels Les fausses Confidences von Pierre Carlet Chamblain de Marivaux von Friedrich Wilhelm Gotter.
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Im Französischen Hausvater823 spielte ich die Cecilie. – Herr Borchers sah mich an und sagte: „Kummerfeldt, was machen Sie aus der Rolle. – Sie haben solche zu einer Debütrolle gemacht und können mit solcher auf den größten Theater debütiren.“ – „Es freut mich, Herr Borchers, wenn Sie das sagen.“ – Und hatten nicht die Schauspielerinn unrecht, die sie nicht gern spielten, weil sie glaubten, die Sophie sey beßer? – Mir ist – für Kenner die Cecilie lieber. Minna von Barnhelm824 war ein altes Stück; ich machte es zu einen neuen, den laut wurde gesagt: „Heute sahen wir das Stück zum ersten Mal.“ Im Schmuck825 die Franciska – sagte Mademoisell Haller und mehrere von der Gesellschaft: – „Heute spielen wir nicht. – Kennen nicht spielen, wir sehen der Kummerfeldt ihr Spiel zu“. Und nie, nie hatte ich mit Herrn Borchers nur ein Mißverständniß, noch viel weniger einen Streit. – Um ihm keinen Verdruß zu machen, nahm ich manche Rolle, die schlechter war, wie die, die ich bereits in [304r/613] Inspruk in eben und denselben Stück gespielt. Wenn er sagte: „Die und die will die Rolle machen. – Ich gäbe sie lieber Ihnen.“ Da sagte ich – „Geben Sie sie ihr.“ – Dann machte sich auch wohl Herr Borche[r]s in dem Stück frey – oder nahm eine Nebenrolle. Nur ein einziges Mal wiedersezte ich mich, eine Rolle zu spielen; und spielte sie auch nicht. Herr Borchers hatte mir in der Gunst der Fürsten826 die Königin Elisabeth zugetheilt. – „Nein Herr Borchers! Ich spiele sie nicht. – Wer eine Königin in Hamlet827 spielen muß, der gehert auch eine Königin Elisabeth. – Frey bin ich nun in dem Stück, daß versteht sich. – Aber ungerecht kann ich nicht seyn.“ – Herr Borchers sah mich an. – War wohl der einzige Fall in seiner Art. – – Und wird es, denke ich, auch wohl bleiben: Daß eine gute Schauspielerin, die beliebt ist bei dem ganzen Publikum, solch eine schöne Rolle frey, 823 Der französische Hausvater, eine Übersetzung des Schauspiels Le Père de famille von Denis Diderot. Von Diderots Le Père de famille (1758) gab es verschiedene Übersetzungen, die wichtigste war sicher die von Lessing (1760 anonym erschienen, in der Bearbeitung von 1781 mit seinem Namen). Offenbar wurde so in Abgrenzung zu dem Stück von Gemmingen-Hornberg das Stück Le Père de famille (1758) von Denis Diderot genannt. 824 Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück, Lustspiel von Gotthold Ephraim Lessing. Kummerfeld spielte die Minna; Fuhrich, Theatergeschichte, S. 194. 825 Der Schmuck, Lustspiel von Anton Matthias Sprickmann. 826 Die Gunst der Fürsten, Trauerspiel, nach The Unhappy Favourite or The Earl of Essex von John Banks, The Earl of Essex von Henry Brooke, The Earl of Essex von Henry Jones und The Fall of the Earl of Essex von James Ralph. Es gibt Bearbeitungen dieses Stücks von Christian Heinrich Schmid und Johann Gottfried Dyck; s. dazu auch Hulfeld, Zähmung. 827 Hamlet, Prinz von Dänemark, Übersetzung des gleichnamigen Trauerspiels von William Shakespeare, bearbeitet von Friedrich Ludwig Schröder. In Linz spielte Elisabeth Paartl die Königin; Fuhrich, Theatergeschichte, S. 194.
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aus Liebe zur Gerechtigkeit, einer andern überläßt. – Und Madame Partl, die sie nun spielte, erfuhr es nicht; – und keiner bei der Gesellschaft. [304v/614] Zweyundzwanzigtes Kapitel Weiß es nicht zu nennen, enthält zu mancherley Meine Maladie und dabei ein anhaltenter Blutauswurf mattete mich sehr ab. – So krank ich mich oft fühlte, spielte ich doch. – Es war kurz vor Michaeli; ich freute mich, daß ich in 5 Tagen nichts zu thun hatte, um mich abwarten828 zu können, – als der Herr Graf von Rosenberg einen Bedienten schickte. Der Bediente, da er in die Stube trat und mich sah, erschrak und sagte, ohne mir vorher seinen AuftragCXV zu sagen: „Ach, Herr Jesus! – Madame, wie sehen Sie aus?“ „Ich bin die lezte Nacht sehr krank gewesen, bin es noch. – Wird wohl bis zum Dienstag beßer werden. – Was will Er?“ Der Bediente: „Der Herr Graf von Rosenberg schickt mich. Er läßt Ihnen seine Empfehlung machen, und Sie möchten doch so gut seyn und zur Tanzprobe kommen. Sollen mittanzen in einen neuen grossen Ballet von Herrn H.829“ Ich: „Mein liebes Kind! Sage Er an den Herrn Grafen, was Er gesagt, wie Er jezt zu mir in die Stube trat: Herr Jesus! Madame, wie se[305r/615]hen Sie aus. – Dieß sey Zeuge, daß ich weder zur Tanzprobe gehen noch mittanzen kann.“ Dieses, oder weil es die Umstände nicht anders mit sich brachten, veranlaßte den Herrn Grafen, mir gleich nach Michaeli sagen zu lassen: daß die Unternähmer des Theaters darauf sehen müßten, Schauspieler und Schauspielerinnen zu haben, die zugleich mittanzten. – Wollte ich mich dazu entschließen wie die anderen, so wär es ihnen lieb, wenn ich bliebe, wo nicht, so könnten sie mich nicht länger behalten. Ich wählte das lezte, meinen Abschied auf die Fasten. Meine Gesundheit erlaubte es mir nicht; und wär ich auch würklich noch das Weib gewesen, wie ich das Mädchen vor 15 Jahren war, bei denen Tanzproben hatte ich die Schwind- und Gallsucht und alle mögliche Suchten an den Hals bekommen. Daß man in der Comödie alles leistete und mehr that, als die Schuldigkeit war; – daß man seine eigene Garderobe trug – wovon kein Wort im Contract stand – den es war
828 Sich pflegen. 829 Ballettmeister Franz Horschelt.
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kein rechtliches Frauenzimmerkleid in der ganzen Garderobe – daß ward für nichts gerechnet. Die Stadt und Gegend gefiel mir, sie ist angenehm; auch hatte ich Bekanntschaft in ein paar Häuser, wo es mir wohl ge[305v/616]fiel; auch war es nicht theuer zu leben, und hätte ich nicht das Unglück gehabt, daß man mir aus meinen verschloßenen Zimmer, ohne das französische Schloß830 an der Thüre zu beschädigen, den 18. Aprill des Abends zwischen 7 und 8 Uhr (– da hörte man es, glaubte aber nicht, das es ein Dieb seye) – wie ich die Julie im Romeo831 spielte, zwey Uhren, eine goldene und eine silberne, nebst einer silbern Tabaksdose gestohlen, so würde ich keinen Schaden gehabt haben. – Inzwischen mußte ich Gott danken, daß es den Dieb nur um Uhren zu thun war; – aus der Dose nahm er vielleicht eine Priese Tobak und steckte solche in Gedanken in seine Tasche, anstatt wieder auf die Toilette zu setzen. – Sonst nahm er nichts mit, sogar mein Geldbeutel blieb unangerürt auf den Tisch liegen. – Daß war ein rechter christlicher Dieb! Man mußte in Linz an eine eigene Art von Schauspielern gewöhnt gewesen seyn. – Verschiedene Monate darauf wurde auch Herr Borchers bestohlen. – Nun sagte man mirCXVI: Jezt glaubte man, daß mir meine Uhren und Dose wär gestohlen worden, [306r/617] man hätte gedacht, ich hätte es nur so gesagt, in der Hoffnung, ein Präsent zu bekommen, weil den Abend Romeo und Julie war. – Auch hätte ich nicht geweint und wär nicht traurig genug um solch einen Verlust gewesen. – Die haben mich und meinen Karakter recht gekannt!! – – Herr Borchers entdeckte seine Diebin – ich aber war nicht so glücklich, meinen Dieb zu entdecken. Er konnte sich aus seinen zertrennten Rock noch einen Frack machen laßen und aus die abgeschnittenen Vorhänge Schnupftücher; – ich aber mußte mir ein neues Pettschaft832 stechen laßen – und einen Uhrschlißel an meine Uhr – die sie mir ließen – weil ich sie bei mir hatte zur Julie – kaufen. Ich blieb lange unschlüßig, was ich thun wollte. Kochs Theater, daß mein leztes war, hatte ich immer vor mir, vor Augen schweben; die Ordnung, die Ruhe, der Respeckt, die Achtung untereinander selbst – ach, all das Vortrefliche ist mit Koch zu Grabe gegangen833. – Nun mein 9jähriger Privatstand – mit manchen trüben Wolken zwar 830 Französisches Schloss oder Tourschloss: Benannt nach der Schlüsseltour, d. i. das durch eine volle Schlüsselumdrehung verursachte Verschieben des Riegels. 831 Romeo und Julie, Trauerspiel von Christian Felix Weiße. 832 Petschaft: Siegelstempel. 833 Heinrich Gottfried Koch war 1775 in Berlin gestorben.
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vermischt – aber so ein Hottentotten- und Zigeunerleben? – Wenn [306v/618] man sich auch zurükzieht – wenn man sich in acht genommen, – mit keinen einen Zank gehabt. Wär kann sich so verleugnen, daß er zeitlebens: blind, taub, stumm und unempfindlich bleiben soll? – Und daß muß jetzt der Gutdenkende bei dem Theaterleben seyn, wenn er Ruhe haben will. Schade um noch manchen guten gesitteten Menschen, den sein Schicksal zwingt dabeizubleiben. – Ich entschloß mich, ganz davon abzugehen; noch eher, als ich’s in Sinn hatte, da ich es in Hamburg 1777 wieder betrat. – Ich schrieb damals an meine vertrautesten Freunde: „Wenn es Gottes Wille ist. – Länger als 10 Jahre bleibe ich nicht auf dem Theater. So lange wünschte ich bei solchen zu arbeiten; mir eine kleine Summe Geld zu ersparen und mich denn in Ruhe zu setzen – freilich nicht, um von meinen Intereßen leben zu können, – dazu gehört viel! – Nein, auch zu arbeiten im Privatstandt mit Handarbeit. – Wenn ich nur so viel gewiß habe an Einkünfte, daß ich nicht für Miethe, Feuerung und Wäscherlohn sorgen darf – o, so viel, was ich zu meiner Lebensnahrung gebrauche, verdiene ich mir gewiß mit meinen Händen.“ [307r/619] Nach Frankfurt am Mayn hatte ich mein Augenmerk gerichtet, weil mein Bruder dort als Tanzmeister sein gutes Auskommen hatte und bald drey Jahre da war. – Ich hofte alles durch die Vermittelung seiner Freunde, die ihm so rechtschaffen unterstüzt. Mein Bruder schrieb mir, ich sollte kommen. Mit frohen Herzen nahm ich Abschied. Herr Borchers allein gieng mir nahe. Er sagte, wie ich zu ihm hinkam, indem er eine nach der andern von meinen Rollen in die Hände nahm: „Wem werde ich nun, wenn Sie weg sind, meine Weiber geben.“ – „Daß weiß ich nicht. Doch laßen Sie das Sorgen. Hier kommt es nicht darauf an bei der Direction, wie sie gespielt werden, wenn man nur alles macht: Spielt, tanzt und singt. Sie haben Ihren guten Accord, und die Mohren waschen Sie nie weiß.“ Öffendlich danke ich Herrn Borchers, daß er so freundschaftlich mich behandelt, und mich freut es innig, daß ich ihm gewiß nie, nie mit einen Gedanken beleidiget. – Allen gut gesinnten Schauspielern wünsche ich einen Directeur wie Herr Borchers und Herrn Borchers als [307v/620] Directeur und Schauspieler solche Collegen und Colleginnen, wie ich war. Den 4ten Merz 1783 spielte ich das lezte Mal. 200 Mal ist in den Jahr gespielt worden. 120 Mal habe ich mitgespielt ohne die Ballets. Ich hatte 63 Rollen und neue einstudiert 39. Ich glaube, ich bin auch in Linz fleißig gewesen. Den 25. Merz reiste ich von Linz ab und kam den 2ten Aprill in Frankfurt gesund und wohl an. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – CXVII
Drittes Buch, 23. Kapitel | 903
23. Kapitel Hab doch vielerley erlebt Jegenwärtig ist eine Lüke. Sie soll – wenn ich je die Zeit gewinne, ausgefüllt werden in der ganzen Geschichte meines Lebens834. – Es kömmt ja auch nichts darinnen vor, das gesagt werden muß wie damals, da ich mich verheurathete und Wittwe ward. Genug, mein Lieblingsprojeckt, ganz ein ruhiges Leben von den Theater zu führen, scheiterte in Sturm, Donner und Hagelwetter auf die allerschmerzlichste Art. – – Auch daran war eine Person schuld. Wär die sieben Jahre eher gestorben, ich schrieb jezt nicht an diesen Buch835. – Auch daß sollte so seyn. [308r/621] Ich mußte wieder aufs Theater. – Zu Herrn Grossmann hatte ich zwar kein Vertrauen – der Prozeß, womit er mir gedroht hatte, lag mir noch in Sinn. – Doch um nur in der Eile einen Schluß zu faßen – den ich war in einer Lage, daß ich mich in der Hölle, wenn ein Teufel Directeur gewesen, engagirt hätte; so hätte ich doch nur mit einen zu thun gehabt – den vor mir hatte ich hundert in einer einzigen. – In der Situation, in prima furie836, wie man pflegt zu sagen, schrieb ich an Herrn Grossmann.
834 Dazu ist Karoline Kummerfeld nicht gekommen. Die sog. Hamburger Handschrift, „Die ganze Geschichte meines Lebens“, die sie in Linz zu schreiben begonnen hatte (s. HHS, S. [109]) umfasst nur den Zeitraum bis Juni 1775. 835 Emil Benezé bezieht diese Worte ohne nähere Begründung auf die Ehefrau Karl Schulzes, Karoline Kummerfelds Schwägerin, Karolina Mombauer; Benezé II, S. 228, Anm. zu S. 121. Da Karoline Kummerfeld offensichtlich bereits 1783 den Wunsch hatte, wieder ganz vom Theater abzugehen und ihre Schwägerin 1790 starb, also nicht „sieben Jahre eher“, ist Benezés Vermutung durchaus plausibel. – Karl Schulze war mit Karolina Mombauer verheiratet, die am 14. Februar 1790 im Alter von 33 Jahren starb; Kaps, Theater-Leute, S. 124, Nr. 38, s. a. WHS, Anm. 845. Vermutlich handelt es sich dabei um die Demoiselle Mombauer, die als Schauspielerin der Seylerschen Truppe im Herbst 1777 in Frankfurt/Main nachweisbar ist; erwähnt in Mentzel, Geschichte, S. 366 und im Theaterjournal für Deutschland, Gotha 1778. Dort heißt es in dem Artikel „Kurze Karakteristik der Seylerschen Schauspieler-Gesellschaft: aus den Vorstellungen gezogen, die gegen Ende des Jahres 1777 in den Gegenden des Rheins von ihr gegeben wurde“, S. 29–44, hier S. 29 f.: „Mademoiselle Mombauer, ebenfalls noch nicht lange bey dieser Gesellschaft; sie debütirte als Nerine im Hinderniß ohne Hinderniß,und war sehr gut aufgenommen; einmal sah ich sie auch die dritte Liebhaberinn, Charlotte im Mann nach der Welt spielen, eigentlich aber werden, wie es scheint, französische Soubretten ihr Fach hier bleiben. Nur muß ich, wie alles in der Welt fast unvollkommen ist, bedauren, daß ihre große ansehnliche Figur, ihr bey diesen Rollen nicht selten im Licht stehn wird. An Geläufigkeit der Zunge scheint es ihr übrigens nicht zu fehlen, und mit dem bey dieser Gesellschaft (zur Ehre aller Mitglieder besonders aber ihres Direktors sey es gesagt) eingeführten ungekünstelten, ganz natürlichen Konversationston kann sie sich gar bald vollends bekannt machen.“ 836 In prima furia: In der ersten Wut.
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Er stand auf den Punkt, zwey Theaters stellen zu müßen; eins in Frankfurt und Maynz, daß andere in Bonn837. Herr Grossman antwortete mir: Er würde bald selbst nach Frankfurt kommen, und wenn ich’s wagen wollte, eine Rolle zu spielen, dan lies sich das weitere verabreden. Er kam, und ich besuchte ihm. Ich sollte spielen eine Rolle, und die sollte entscheiden, ob ich als Kummerfeldt nicht vergeßen, was die Schultzen gewußt! –Die Kummerfeldt konnte ohne Furcht seyn. Ich schlug vor Erwine von Steinheim838. – Die gieng nicht an, weil Herr Schimann839 eine Rolle darinnen hatte, [308v/622] jezt krank war und um des einen Mals wegen kein anderer die Rolle für ihn einstudiren könnte. Ich schlug die zweyte vor, nehmlich: Die gute Tochter840, – in derselben die Rolle der Therese. Die Antwort: Das Stück hätte nicht gefallen. Ich schlug die dritte vor in dem Stück: Nicht alles Gold, was glänzt841, die Gräfin Altenstein. – Das Stück wär bei ihm nicht besezt. – Nun schlug ich nichts mehr vor und schwieg ganz still. Einmal sollte ich nur spielen. – Mit Wille nahm ich die drey Rollen, weil es drey Rollen waren, die weder Schönheit noch Jugend erfordern. Erwine sagt selbst im zweyten Act des 8ten Auftritts zu Treuhold – (Ich will die ganze schöne Rede ausschreiben für diejenigen, die das Stück nicht kennen sollten): „Wahr, Treuhold, wohl wahr! O, ich habe gutes Gedächtniß! Es ist mein ganzer Reichthum; aber es liegen auch Schätze darinn – ein Tagebuch von Urachs ganzem Leben! Wenn ich oft so den Schatz aufschließe, mir vor die Seele rufe die Scenen alle, wieder werde, was ich [309r/623] war, Kind, Mädchen und Frau an Urachs Seite; dann Treuhold, dann fühl ich wieder Leben und Seligkeit. – Und erst die grossen Perlen in meinem Schatze, die ich immer im Herzen trage, die Scenen, wo Urachs Seele in ihrer ganzen Schöne sich malte! Wo wir als Kinder schon zusammentrafen auf einen Punkt! – O, ich denk’ es noch wie gestern, wie wir das Mährchen vom grossen Stein, der Ritter Grab genannt, spielten, daß du uns erzählt hattest: Wie er mich hinanführte den nächsten 837 Großmann hatte 1778 die Direktion des Bonner Hoftheaters übernommen, von 1780 bis 1786 spielte er regelmäßig auch in Frankfurt am Main sowie seit 1783 in Mainz. Lit.: Rüppel, Großmann, Kap. II: Theaterdirektor an Rhein und Main; Jakob Peth, Geschichte des Theaters und der Musik zu Mainz, Mainz 1879, S. 64–73. 838 Erwine von Steinheim, Trauerspiel von Alois Blumauer. 839 Joseph Schiemann (1745–1784), Schauspieler und Bühnenautor. 840 Die gute Tochter, Lustspiel von Friedrich Ludwig Schröder (1780). 841 Nicht alles Gold was glänzt, Übersetzung des Lustspiels Il saggio Amico von Francesco Albergati Capacelli, bearbeitet von Joseph Gottwill von Laudes.
Drittes Buch, 23. Kapitel | 905
Berg, mich setzen hieß und ein groß Felsenstük zu mir hinantrug, um den Sold der Minne, wie er sagte, und mir’s eng und süß dabey ums Herz ward, obschon wir beyde noch nicht wußten, was für Sinn im Worte lag. Oft wallfahrteten wir nachher zu den Felsenstük, als heller in unsern Herzen geworden war. – Und wie er eines Tages ein dicht belaubtes Bäumchen mir zur Laube bog, den Wipfel in die Erde steckte, und als ich ihm abends sagte, das Bäumchen würde welken, er noch bei Nacht hinauslief und es, wie er sagte, ins Leben zurückschnellen ließ. – O, ich möchte nicht sterben, [309v/624] Treuhold, wenn der Tod mich um das Andenken dieser Scenen brächte.“842 Dieses sagt Erwine. Und nun frag ich alle: Ist Urach ein Jüngling? – Las ihn jung seyn, so ist er doch ein Mann weit in die 40 Jahre; und Erwine nahe an die 40 und eher schon 40 Jahre vorbei. Wegen der Schönheit? Urach sagt selbst: „Das Erwine? Das deine Tochter, Steinheim? – Blaß und hager, als käme sie aus dem Grabe.“843 – Der Brief des Kaisers sagt zwar: Deiner schönen Wittwe. Aber daß ist ein Hofcompliment, und der Kaiser denkt sich Erwine noch, wie er sie sah an der Seite des Urachs, und nachher hatte er sie nicht gesehen. Urach sieht mit seinen eigenen Augen, darum sagt er auch: „Das Erwine?“ Das meine Rechtfertigung, weil Herr Großmann mir zu verstehen gab, als wär ich zu alt für die Erwine – daß ich ihm aber seine Unwißenheit des Stüks betreffend nicht ganz auseinandersetzen konnte, war, – weil ich wollte engagirt seyn, folglich wieder einmal politisch seyn mußte. [310r/625] Jetzt zur Therese. Die kann doch kein Mädchen von 20 Jahren seyn? – Ihre Schwester Louise ist 15 Jahre, und die hat sie von ihren ersten Daseyn ernährt, weil 15 Jahre der Vater im Gefängniß schmachtet, den auch sie unterstüzt. Nichts wird von der Mutter gesagt; ist also zu vermuthen daß die Mutter für Angst und Leiden in Wochenbette muß gestorben seyn. – Ja, Friederich von Waldburg sagt zu Dettingen, wenn er von Theresen spricht – sie wär in einen Alter, wo es die Frauenzimmer nicht gern mehr eingestehen, wie alt sie sind. – Mithin Therese auch ein Mädchen in die 30 Jahre hinnein. Die Gräfin von Altenstein ist gewiß noch älter wie Erwine und Therese, sie sagt im vierten Aufzug in der ersten Scene zur Julie: „Wäre ich ein junges hübsches Mädchen wie Sie“ etc. etc., und kurz darauf sagt sie: „Ich habe mich späth verheurathet“ etc. etc. Und gewiß, sie lebte mit den Grafen nicht in dem ersten Jahren ihrer Ehe. Ich hatte also meine drey ältesten Rollen, die ich [310v/626] nur wußte, gewählt. – Auch
842 Erwine von Steinheim zu dem Minnesänger Treuhold im 2. Akt, 8. Auftritt. 843 Graf von Urach zu Konrad Freiherr von Steinheim im 3. Akt, 4. Auftritt.
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wußte ich, wie ich sie spielte. Wenn alle unsere ersten Liebhaberinn-Spielerinnen ihren Tauftag statt des Nahmens bei der Rolle, die sie den Abend spielen, sollten einrücken laßen? – Wie würde auf einmal eine Lücke unter denen Liebhaberinnen werden und die Theaters mit alten Müttern überschwämmt werden. Nun sagte Herr Grossmann, er müßte, weil jetzt so viele kämen, die sich engagiren wollten, es so einrichten, immer ein paar Fliegen auf einen Schlag zu treffen. – Ob ich wohl in der Jeannette844 schon die Baroninn gespielt hatte? Ich: „Ja.“ Herr Grossmann: „Wollen Sie die spielen? Ich weiß sonst kein anderes Stük.“ Ich: „Ich bin es zufrieden. Ich habe sie gespielt und gerne. – Die Rolle ist hübsch.“ Nun bitte ich alle, die das Stück Jeannette kennen, ob die Baroninn nicht jünger seyn muß wie meine drey, die ich vorgeschlagen? – Der Graf ist [311r/627] 30 Jahr. Und die Baroninn gewiß eine Frau von keine 26 Jahren. – Ich muß folglich noch das Ansehn gehabt haben, eine Frau von den Alter vorzustellen; die nicht durch ihre Bildung und Alter, die mehr durch ihren Karakter den Grafen wankelmüthig gemacht hat? – Nur zur Erwine war ich nicht schön genug, weil der Kaiser schreibt ‚schöne Wittwe‘. – Und der Mann gar nichts mehr Schönes sieht. 845 Herr Grossmann machte mir also schon einen grossen Schnitzer seiner Kenntniß über Stücke, die er sich doch gewiß einbildete zu kennen. Mir wars recht. Den daß ich die Baroninn auch spielte, wußte ich. Den 16. August wurde Jeannette gegeben – wenn ich eine Beschreibung machen wollte von dem, was ich den Tag zuvor erleben mußte; – welch eine [311v/628] Nacht das gewesen, – mein ärgster Feind würde zu mir gesagt haben: „Kummerfeldt! Spielt nicht! Laßt euch krank melden und legt euch zu Bette.“ Neu Theater, neu Publikum, neue Gesellschaft, wo ich noch mit keinen einzigen gespielt; in 5 Monaten kein Theater betreten; – und das zerrißene blutende Herz, daß in mir lag. – Rothverweinte Augen – ich die Schuld auf das Kind meines Bruders warf, daß es so krank sey – da man mich bei der Probe frug, was mir wäre846. – – Und ich spielte. – Spielt[e] mit Beifall – den 844 Jeanette oder Jeannette, Übersetzung des Lustspiels Nanine ou le préjugé vaincu von Voltaire, bearbeitet von Friedrich Wilhelm Gotter. 845 Gestrichen: und welch ein Mann? – Ein Mann, der seine Gattin anbetethe. Warum sonst den Kampf mit Henneberg. – Ehre? Ja, aber Eifersucht ist mit im Spiel, ist Liebe eines treuen Ehemannes. 846 Benezé II, S. 123 hat diese Textstelle falsch gelesen und gibt ihr so einen ganz anderen Sinn: „Rotverweinte Augen; ich, die schuld an dem Kind meines Bruders wäre, daß es so krank sei.“ – Karl Ferdinand
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sonst hätte mir Herr Grossmann nicht nach der einen Rolle Engagement und 10 Thaler Gage die Woche bewilliget. – Mich dünckt, daß ist Beweiß, daß ich Schauspielerin wieder geworden, nicht meine Kunst in den 9 Jahren vergeßen und mit dem Neuern auch mit fortgeschritten! Engagirt war ich für Bonn, nicht für Frankfurt. Wenn wir reisten, sollte meine Gage erst angehen. Ich war’s zufrieden. Wenn es aber möglich wär, wollte ich gern mitspielen, um in der [312r/629] Übung zu bleiben, und wollte nichts dafür haben. Ich sprach mit Herrn Grossmann davon, und unter andern sagte ich auch: „Sie haben meist lauter junge schöne Frauenzimmer, ich verlange keine jugendliche Rollen – laßen Sie mich nur anfänglich Rollen spielen, die sich für mein Aussehen und Figur schicken. – Nur nicht gleich im Anfang komische Mütter. – Nie habe ich noch in den Fach gespielt. Ich muß jezt nachgerade hinnein; ich wünsche es selbst, mich nach und nach hinneinzuarbeiten. – Auch weigere ich mich nicht, solche zu spielen, aber nur wünschte ich dann erst, wenn ich einige andere Rollen gemacht, wodurch ich mir erst den Beifall des Publikums erworben. Mißlingt mir den auch anfänglich so eine komische Alte – nun, so übersieht man es mir eher, wenn man weiß: Ich habe vorher Rollen gespielt, in denen ich gefallen. Dieses ist mein Wunsch. – Nur möchte ich mich nicht gern zu Anfang bei einen neuen Publikum, daß mich gar nicht kennt, durch komische Mütterrollen schlagen. – Die Schmerling847 hatte ich gespielt, und [312v/630] wenn er keine hätte, die mehr Französisch verstünd und spräche wie ich, wollte ich solche gern spielen. Für die ernsthaften Mütter bin ich weniger besorgt – aber Sie wißen daß selbst, wenn man an einen Ort spielt, wo man einen ganz und gar noch nicht kennt; was daß sagen will: Neu seyn und in der ersten Rolle nicht gefallen?“ Herr Grossmann konnte mir nicht Unrecht geben, und ich hofte das Beste: – Auch schikte er und lies mir sagen, das Loch in der Thür848 sollte gemacht werden, er schickte mir das Buch und die Rolle der Louise. Ich schrieb ihm zurük, daß ich beides nicht brauchte, hätte die Rolle noch, weil ich sie schon gespielt, wär eine von meinen Friedrich Schulz[e], der Sohn des Ballettmeisters Karl Schulz[e] wurde am 13. Juni 1783 in Frankfurt am Main geboren und ist dort am 25. August 1783 gestorben. Im Taufbucheintrag (Frankfurt-Dom) ist der Name der Mutter nicht erwähnt, Paten waren Karl Ferdinand Friedrich Franz Keller, luth., und Friederika Franziska von Barkhausen; Kaps, Theater-Leute, S. 120, Nr. 97. Die Mutter ist in dem Eintrag nicht erwähnt, doch dürfte es sich um die Schauspielerin Karolina Mombauer aus Mainz handeln, die im gleichen Verzeichnis als „Ehefrau von Karl Schulz aus Wien, hies. Ballettmeister“ erwähnt ist; Kaps, Theater-Leute, S. 124, Nr. 28 und oben WHS, Anm. 835. 847 Die Rolle der Schmerling spielte sie in Die sechs Schüsseln, auch Nicht mehr als sechs Schüsseln, Familiengemälde von Gustav Friedrich Wilhelm Großmann. 848 Das Loch in der Thüre. Ein ursprünglich deutsches Lustspiel in fünf Aufzügen (Wien 1781) von Johann Gottlieb Stephanie d. J.
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Lieblingsrollen, und – daß hätte ich freilich nicht schreiben sollen, daß war nicht politisch – den statt der Louise bekam ich die Regan in König Lear849 zu spielen. – Doch nahm ich solche, sagte aber Herrn Grossmann selbst: Ich wär heute so kalt, konnte bei meiner Rolle nicht warm werden. – Er antwortete: „Ja, man müßte.“ – Ich zuckte die Achsel und sagte: „Ich kann nicht.“ Dieses war den 12. September. [313r/631] Ich lauerte tagtäglich auf Das Loch in der Thür. Aber das Loch wurde zugedeckt, man wußte mir beßere Löcher und Gruben zu graben. – Hätte ich nur meine Freude unterdrüken können und nichts von Lieblingsrolle geschrieben – das Stück wär gegeben worden, und dann hatte es Herrn Grossmann mit mir so gehen können wie mit so vielen von seiner Gesellschaft, die die Herren Frankfurter durchaus nicht nach Bonn wollten geschickt wißen. – Den die Louise spielte ich mit denselben Beifall wie die Cecilie im Hausvater850 – und welch ein Unterschied ist nicht zwischen diesen zwey Rollen? – Um wie vieles ist die Louise besser wie die Cecilie. 24. Kapitel Traurig komisch und komisch traurig Ich kam nicht wieder zum Spielen; wir reiseten den 12ten October alle ab und kamen den 15. in Bonn an. Herr Grossmann war bei der Frankfurter und Maynzer Gesellschaft geblieben, Madame Grossmann851 aber mit ihren Kindern war bei uns in Bonn. Ich miethete mir ein kleines Quartier, das wolfeilste, das beste. Denn: 100 Gulden hatte mich meine Reise von Linz gekostet; 31 Wochen hatte ich keinen Heller ein[313v/632]genommen; in Frankfurt viele Ausgaben gehabt; also mußte ich sparen. Es dauerte lange, bis wir zum Spielen kamen, die Gesellschaft war nicht beisammen, man erwartete Madame Gensike852
849 König Lear, eine Übersetzung des Trauerspiels King Lear von William Shakespeare. Von dem Stück gab es verschiedene Bearbeitungen, u. a. die des Wiener Burgtheaters von Johann Christian Bock und die von Johann Christoph Unzer und Friedrich Ludwig Schröder, die in Hamburg aufgeführt worden war. 850 Der französische Hausvater, eine Übersetzung des Schauspiels Le Père de famille von Denis Diderot. Von Diderots Le Père de famille (1758) gab es verschiedene Übersetzungen, die wichtigste war sicher die von Lessing (1760 anonym erschienen, in der Bearbeitung von 1781 mit seinem Namen). 851 Karoline Sophie Auguste Großmann (1752–1784), Schauspielerin und Prinzipalin. 852 Charlotte Marie Friederike Gensicke (1758–1796), Schauspielerin.
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als erste Liebhaberinn und Herrn Dunst853 als ersten Liebhaber. – (Auch, wo mir recht ist, war der Churfürst854 noch abwesend) – Angefangen sollte werden mit der Mutter855, ein Stück von Herrn Gotter, ich hatte darinnen eine schöne Rolle, die Emilie, und freute mich darauf. – Ein kalter Angstschweiß konnte mir auf die Stirne kommen, wenn ich dachte: Muß[t] du mit einer komischen Alten-Mutter-Rolle anfangen, so bist du verlohren. – Ich hatte so ein paar Geschöpfe zum Studieren; – Madame Partl schwebte mir vor Augen; der ihr Körperbau, ihre Natur, das natürliche ihres Spiels in solche Art Rollen – und bei dir alles Zwang; – nie gespielt; Mißtrauen gegen mich selbst! – O, wenn die Gensicke doch kommen wollte!! – Sie kam nicht. – Und der Tag war festgesezt, wo zum ersten Mal gespielt werden mußte. – Nun wurde gewählt. – Und was? – – [314r/633] Doctor Guldenschnitt!!!856 Das war ein Stück, womit sich eine neue Gesellschaft empfehlen sollte, bei einen Publikum, das Hamlet857, Otto von Wittelsbach858 und Fiescos859 gewohnt war zu sehen. – Herr Dengel860 wollte mir zwar sagen, meine Rolle, die Frau von Schernburg, wär eine schöne Rolle – ja? Kaum für die, die sie spielen kann und die sich in solch ein Fach schon hinneingearbeitet hat. – Ich aber bin noch ganz Anfängerin und lern die Art Rollen nie spielen. – Wenn ich noch hätte wegstreichen dürfen. – Ich hätte gestrichen!! – Aber das durfte man nicht, weil seine Churfürstliche Gnaden alle Stücke in seiner Loge nachlasen, da mußte man solche auf ’s und sagen861. – Auch daß erfuhr ich zum voraus. – – – Nun hies es recht: Friß, Vogel, oder stirb! – An der fraß ich mir noch nicht ganz den Tod, es war nur die ersten Anzeigen von den langsam tödtenden Gift Aqua Tophana,862 daß man für mich: Lebend tod zu seyn, zubereitet hatte. 853 Johann Dunst (1756–1821), Schauspieler und Regisseur. 854 Maximilian Friedrich von Königsegg-Rothenfels (* 13. Mai 1708 Köln, † 15. April 1784 Bonn), 1761–1784 Erzbischof von Köln. 855 Die Mutter, Übersetzung des Lustspiels La Mère rivale von Stéphanie Félicité Du Crest de Saint Aubin de Genlis, bearbeitet von Friedrich Wilhelm Gotter. 856 Doctor Guldenschnitt, Lustspiel von Franz Heufeld. 857 Hamlet, Prinz von Dänemark, Übersetzung des gleichnamigen Trauerspiels von William Shakespeare, bearbeitet von Friedrich Ludwig Schröder. 858 Otto von Wittelsbach (Pfalzgraf in Bayern), Trauerspiel von Joseph Marius von Babo, bearbeitet von Carl Franz Guolfinger von Steinsberg. 859 Die Verschwörung des Fiesco wider Genua, auch Die Verschwörung des Fiesko zu Genua, Trauerspiel von Friedrich von Schiller. 860 Friedrich Wilhelm Dengel (1741–1791), Schauspieler. 861 Den Rollentext wortgetreu sprechen. 862 Ein geruch-, farb- und geschmackloses Gift aus Arsenik, Antimon und Bleioxid, das erst nach einigen Monaten seine Wirkung entfaltet; Krünitz online, Art. Tophana.
910 | Weimarer Handschrift (WHS)
Ein junger Mensch, der zugereist kam – ach! Es ist [314v/634] mir leid, daß ich seinen Namen nicht weiß, um ihm mein Compliment seines Verstandes wegen öffendlich machen zu können – der sollte den ältern Sohn spielen von den Herrn und Frau von Schernburg, die Rolle hat ein oder zwey Auftritte, die auch nichts sagten. – Der junge Mann aber hatte nicht Lust, sich mit uns zu prostituiren, und war fortgereist, ohne Abschied zu nehmen. – Er hätte sich doch wenigstens für die Gnade bedanken müßen, daß er zur Gast-Rolle kommen sollen. – Einige nannten den Streich schlecht. – Ich aber klug – und wär gern selbst mitgereist. – Herr Beck der Ältere mußte die zween Brüder zusammen spielen. – Der gute Mann machte uns allen noch Freude. Er sah gar zu hübsch in seinen neuen Nachtkäppchen und Fellhut aus. – Ich hätte nicht gedacht, daß ich den Abend bei mein Elend noch hätte lachen können. – Aber wie ich ihm füttern mußte, konnte ich für Lachen kein Wort mehr sprechen. Herr Jütner863! – Ein guter Mann, der vielleicht seine Rollen konnte gehabt haben, wo er erträg[315r/635]lich hat seyn können, traf das Unglück der Hauptrolle – oder eigendlich der Rolle von den Namen des Stücks. – Der war also zum Docter Guldenschnitt gemacht worden. – Verstand kein Wort Latein! – Mich jammerte der Mann, als er mich fragte: „Liebe Madame Kummerfeldt, was ist denn aequinoctio864?“ – Hätte ich doch mehr Latein verstanden, um es ihm sagen zu können! – „Todtesangst stehe ich mit der Rolle aus! – Ich habe in meinen ganzen Leben keine solche gespielt.“ „Ich auch nicht, lieber Herr Jüttner! – Trösten Sie sich mit mir.“ Mit der Operette Die Liebe ist sinnreich865 wurde den 3ten November866 angefangen. – Die Oper gefiel nicht867. – O, seid heute ja zufrieden! Spart eure Klagen auf übermorgen.
863 Herr Jüttner († 1784), Schauspieler. 864 Im 2. Aufzug, 1. Auftritt des Lustspiels Doctor Guldenschnitt bemerkt Dr. Guldenschnitt. „Wir haben itzt Equinoktium, gehen gar böse Krankheiten herum“. Mit Aequinoctium oder Tagundnachtgleiche bezeichnet man den Kalendertag, an dem die Sonne den Erdäquator überquert und damit den astronomisch definierten Frühlings- und Herbstanfang (20. oder 21. März bzw. 22. oder 23. September). 865 Nach Maurer, Dokumente, S. 285 handelt es sich um Die Liebe ist (macht) sinnreich, Operette von Friedrich Christoph Gestewitz, Libretto von Johann Gabriel Bernhard Büschel. 866 Benezé II, S. 126 liest irrtümlich September. 867 In ihrer Korrespondenz mit ihrem Mann hat Karoline Großmann, die das Bonner Theater leitete, ihrem Mann regelmäßig über die Aufführungen berichtet und dabei teilweise ganz andere Urteile gefällt als Karoline Kummerfeld. Karoline Großmann berichtete vor allem darüber, wie ihre Tochter Friederike spielte; s. dazu die bei Maurer, Dokumente abgedruckte Korrespondenz, z. B. S. 162.
Drittes Buch, 24. Kapitel | 911
Den 5ten also erschienen wir mit unsern Docter Guldenschnitt868. – Über des Docters Angst vergaß ich meine eigene der Rolle wegen und war, wenn ich mit ihm spielte, mehr die theilnehmende Kummerfeld wie eine Frau von Schernburg. – Und [315v/636] leider! hatte ich mit ihm die meisten Auftritte. – Vom Deutschen brachte er das hinterste vorn – wie sträflich muß es erst mit dem Latein ausgesehen haben, die’s verstehn konnten? – Weinen hätte ich können! – Den wenn so ein lateinischer Brocken kam, drükte er mir allemal krampfartig die Hände, daß ich laut hätte schreyen mögen: – „Ach ja! Ich weiß es ja, armer Herr Jüttner! Aber ich verstehe ja selbst kein Wort davon. – Ich wollte ja herzlich gern Ihr Kreuz und Leiden noch zu den meinigen nehmen – wenn ich Ihnen nur helfen könnte.“ – Ach wär nur alles aequinoctium! – Daß sagte er allein mit ganzer Zuversicht! – Nein, solange ich lebe, vergeße ich das erste Stük von Hofschauspielern nicht. – Herr Dengel rettete uns alle durch sein vortrefliches Spiel, sonst wären wir – oder Stück – wie man’s nehmen wollte – gewiß ausgepfiffen worden. – Inzwischen wußte es Herr Dengel auch schon vorher, daß, wenn keiner von uns auf seinen Plaz stand, er seinen sicher hatte; – und hätte er daß nicht gewußt, es [316r/637] wär gewiß nicht gegeben worden. Er unterstüzte Madame Grossmann bei der Direction. – Traurig, wenn man bei einen Stük nur auf eine Rolle sieht. – Gern hätten wir neue alle ihm und Madame Brand869 die Ehre überlaßen, solches als ein Duo Drama Comik870 allein zu spielen, den auch sie konnte gut spielen. Das zweyte Stück, mit dem wir uns zu scandalisiren hatten, war der Verschriebene Bräutigam871. Herr Brand872 – ein braver Sänger und Schauspieler, der auch in Bonn sehr beliebt und zu Hause war – spielte den verschriebenen Bräutigam wie Herr Jüttner den Guldenschnitt. War keine Rolle für ihn; – und ich als Madame Hartha kam von Regen in die Trauffe. – Ich war mir selbst zum Ekel und unausstehlich – was muß ich nicht erst den Zuschauer gewesen seyn? – Vorher wurde die Oper gegeben: Die Reue vor der That873 (die nicht gefiel). – Hätt’ ich’s doch den ganzen Publikum inspiriren können, daß ich auch Reue vor der That fühlte – Warlich! sie hätten mich der harten Geburt entlassen, [316v/638] eine Frau Hartin874 zu gebähren. 868 869 870 871 872 873
Doctor Guldenschnitt, Lustspiel von Franz von Heufeld. Christiane Sophia Henrietta Brandt (1761–nach 1826), Schauspielerin. Drama comique: Lustspiel. Der verschriebene Bräutigam aus Paris, Lustspiel von Johann Gottfried Dyck. Christoph Hermann Joseph Brandt (1747–1818), Violinist, Schauspieler, Sänger. Die Reue vor der That, auch Julie, Übersetzung des Singspiels L’erreur d’un moment, ou la suite de Julie von Jaques-Marie Boutet de Monvel, bearbeitet von Gustav Friedrich Wilhelm Großmann. 874 Vermutlich ist hier die oben erwähnte Rolle der Madame Hartha gemeint.
912 | Weimarer Handschrift (WHS)
Mit der dritten Rolle konnte ich wohl nicht ersetzen, was ich mit den zwey ersten verliehren müßen: Es war in der schönen Rosette875 die Madame Freymuth. 25. Kapitel Etwas von Debütrollen Nun hatte ich 10 Tage Ruhe, wieder zu mir selbst zu kommen. In der Zeit kam Madame Gensike mit ihren Mann876 und Herrn Dunst an. – Gott sey Lob und Dank! Aber auch sie, die noch keine Mutter gespielt hatte, mußte mit der Auguste und Herr Dunst mit den Herrn von Troppau anfangen877. Den 23. wurde das Stück gegeben. Daß wir mißfallen, kann ich eben nicht sagen. Jeder, – sogar ich – was ich mir nach meinen drey gespielten Rollen nicht schmeichelte – erhielte in zwey Auftritten lauten Beifall. – Aber so wie ich mich auf ’s Publikum habe verstehen lernen – so war das Stück für die meisten Zuschauer zu fein. – Und nun, – was ich schon bereits in diesen Punkt gesagt: – Wenn man ein Stük zum ersten Mal giebt, weiter nichts mehr und nichts weniger sey: wie Generalprobe. Jetzt lasse man noch neu ankommende [317r/639] Schauspieler auftreten in Rollen, die sie sich nicht versahen; solche mit Ärger und Wiederwillen spielen – so können sie unmöglich den Beifall haben, den sie gewiß gehabt, wenn man weniger despotisch gegen sie verfahren. Pflicht, Schuldigkeit ist es von jeder Direction, daß, wenn der Schauspieler Gast- oder Debütrollen spielt, ihm die zu geben, die er verlangt. Will man daß nicht, gut, man laße ihn, wo er ist – oder erlaube ihm nicht zu spielen und sage: Es ist bei unsern Theater nicht der Brauch, Gastrollen spielen zu lassen. So blamirt sich wenigstens nicht die Direction und die Schauspieler, die bei solcher Direction sind. – Kommt aber ein Schauspieler und verlangt eine Rolle, und man erlaubt ihn zu spielen, und in dem verlangten Stück fehlt wirklich eine Rolle, so muß der Schauspieler oder die Schauspielerin, die sie übernehmen kann, so viele Lebensart haben, sie zur bestimmten Zeit einzustudieren und zu liefern.
875 Die schöne Rosette, Übersetzung des Lustspiels Le Triomphe du temps von Marc-Antoine Le Grand von Karl Christian Gärtner. 876 David Friedrich Gensicke (1750/1760–1784), Schauspieler. 877 Gemeint sind die Rollen der Auguste von Banner und des Barons von Troppau in Die Mutter, Lustspiel von Friedrich Wilhelm Gotter nach La Mère rivale von Stéphanie Félicité Du Crest de Saint Aubin de Genlis.
Drittes Buch, 25. Kapitel | 913
Madame Koch, geborne Giraneck, kam nach Gotha. Sie wollte Gastrollen spielen, eine darunter war der Philint in den Triumph der guten [317v/640] Frauen878. Es fehlte die Juliane und die Frau Agatha. – Schwierigkeit sezte es unter den Damen. Zur Juliane hatten sie nicht Zeit genug zum Studieren, und die Frau Agatha? – War keiner ihrer Rollen. Von Madame Boeck, da ihre Rolle der Philint war, konnte man nicht verlangen, daß sie die Agatha spielen soll. Ich wußte wie gewöhnlich von nichts. Was konnte ich wissen, die ich selbst nicht lange in Gotha gewesen, welche Stüke einstudiert waren und welche nicht? An einen Nachmittag war ich zu Herrn Ettinger eingeladen, und wie ich an die Thüre trat, hörte ich von mehr als 6 Stimmen zugleich schreyen: „O, die Kummerfeldt thut es gewiß!“ – Nun trete ich ein und frage: „Was thut die Kummerfeldt gewiß?“ – Mir wird der Vorfall erzählt. „Das leugne ich nicht, daß es mich verdriest, daß ich jezt der Nothnagel879 seyn soll. – Daß ich die lezte bin, die man frägt, ob sie will? – – Wenn soll das Stück seyn?“ – „Übermorgen.“ – „Nun, Madame Koch! So sorgen Sie, daß ich noch heute die Rolle bekom[318r/641]me, damit ich sie noch diese Nacht einige Mal durchlesen kann. – Morgen studiere ich sie, und übermorgen soll das Stük seyn, damit ich den Hof die Freude mache und Ihnen Ihren Spaß nicht verderbe.“ – Viele Gesellschaft war bei Herrn Ettinger, auch Freund Gotter. – Man strafe mich Lügen, wenn ich mich beßer zu machen suche, als ich wirklich war. – Ich fordere alle auf, die mich die Juliane spielen sahen, ob ich meine Rolle studirt hatte oder nicht? – Ob ich Madame Koch oder den andern etwas verdorben? Auch Madame Mayer880, die nur zum Souflieren engagirt war, spielte die Agathe. – Auch sie war gut und verdarb gewiß nicht das Stück durch ihr Spiel. Welch einen Vorrath von Debüts- und Gastrollen-Anekdoten habe ich gelegendlich gesammlet. – Weiß Gott! Es macht vielen Herren und Damen ihren Herzen wenig Ehre. Mahomet, der falsche Prophet881, das schwere Trauerspiel, wurde in Gotha gegeben. Madame Mayer [318v/642] wurde krank und konnte nicht souflieren. – Keiner war 878 Triumph der guten Frauen oder Der Ehemann nach der Mode, Lustspiel von Johann Elias Schlegel. Das Stück wurde in Gotha am 28. Mai 1779 aufgeführt; Hodermann, Geschichte, S. 171, 180. Mit Philint ist die Rolle der Philinte („ein Frauenzimmer in Mannskleidern“) gemeint. 879 Lückenbüßer. 880 Christine Henriette Meyer, Souffleuse und Rollenkopistin. 881 Mahomet der Prophet oder die Schwärmerey, anonyme Übersetzung des Trauerspiels La Fanatisme ou Mahomet le prophète von Voltaire. Das Stück wurde in Gotha am 10. Februar und 8. März 1779 aufgeführt; Hodermann, Geschichte, S. 169 f.
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da, der das Stück imstande gewesen zu souflieren. Den die es gekonnt hätten, mußten im Stück spielen. – „Ich will euch aus der Noth helfen. Her mit dem Stük, will’s die Nacht durchlesen und mir bekandt machen.“ – Ich nahm’s. – Laß es die Nacht zweymal durch. – Den Morgen mit zur Probe, – den Abend saß ich im Soufleurloch und souflirte. – Hat einer durch mich gefehlt? Oder ist ein Fehler vorgegangen? – Und wie soufliert ich? – – Daß laß mir einer nachmachen, so zu souflieren, das der Schauspieler jedes Wort und der Zuschauer kein einziges hört auf so einen kleinen Theater. – Eine andere, weil sie nicht die Palmire882 zu spielen bekommen, würde sich gefreut haben, das durch einen unkundigen Soufleur das ganze Stük wär verdorben worden. 26. Kapitel Das heißt seine Leute scheren883 Doch ich wende mich wieder nach Bonn. Wer sollte es glauben, daß es möglich sey? – Oder wer will den gordischen Knoten lösen, warum? – – Seit [319r/643] manchen Jahren hatte Herr Grossmann das vortrefliche Engagement in Bonn; hatte in denen Jahren gute, verdienstvolle und brave Schauspieler, die alle Stücke, auch die schwersten, mit Ehre vorstellen konnten; – nun werden wir hingeschleppt wie zur Marterbank. Die alten guten Leute mißen Rollen spielen, wo sie sich selbst untereinander bei Proben und vor der Komödie und zwischen der Komödie auslachten. – Diesen allen that es keinen Schaden, den das Publikum wußte es: Sie hatten ihre Fächer, wo sie sich mit jeden messen konnten. Sie hatten sich also gut foppen. – Aber die Neuen? – Mit vielen Kosten wurden sie verschrieben, ansehnliche Gagen gegeben, – und nein! Sie sollen nicht gefallen, ebensowenig wie ich, die ich 15 Gulden die Woche hatte. Vier Grossmannische oder Dengelsche – lezteres weiß ich nicht gewiß – Rollen habe ich genannt. – Man soll sie aber alle wißen. Die 5te war in den Einsiedler884 die Hedwig, eine Liebhaberinn, die ich gewiß nicht bekommen, wenn ein guter Bissen an der ganzen [319v/644] Rolle gewesen. – Zu der war ich nicht zu alt noch zu häßlich. Es machte aber: Es war nichts an der Liebhaberin. Ich schrieb es auch zur Grossmannischen Beherzigung darunter. Zweymal wurde Der Einsiedler gegeben.
882 Palmire: Mohammeds Sklavin im Trauerspiel Mahomet der Prophet oder die Schwärmerey. 883 Plagen, drücken. 884 Der Einsiedler, Schauspiel von Bernhard Christoph d’Arien.
Drittes Buch, 26. Kapitel | 915
Die 6te in der Gegenseitigen Probe885 die Madame Barneck – Daß war doch einmal eine? – Vorher wurde Gotters Mariane886 gespielt. Herr Dengel der Präsident!!! – Madame Neefe887 die Präsidentin!! – Demoisell Flittner888, Tochter von Madame Grossmann, Mariane. – Ein Kind von unnenbaren vielen Verdiensten, die alles leistete, was man von einen jungen Frauenzimmerchen, die noch keine 15 Jahre zählte, verlangen konnte; – nur eine Mariane konnte sie noch nicht spielen. – Aber sie mußte sie machen, damit man ja nicht in Madame Gensike die ehemalige Gensike wiedersehen sollte. Herrn Dunst gaben sie den Geistlichen – weil er für die Rolle des Waller engagiert war. – Dagegen machte den Waller Herr Kunst889. – Und Herr Beck – den guten Beck steckten sie in den Fähndrich. Nun unpartheyisch! – Wär alle die Leute zu der Zeit kannte, [320r/645] noch kennt und kennengelernt; stand ein einziger auf seinen Plaz? – Jetzt kann Madame Unzelmann, die von allen die einzige ist, nicht nur eine Mariane, sondern gewiß grössere und schwerere Rollen spielen; daß sie es aber vor 10 Jahren noch nicht konnte, wird doch wohl keiner in Abrede seyn? – Ihre eigene Mutter, die schöne Madame Grossmann – Gott habe sie selig! – stand in der Scene und schimpfte und ärgerte sich, den ganz und gar fiel das schöne Stück durch. Ich stand mit Madame Gensike in einer Scene dicht nebenan und sagte: „Ist doch kurios! Das Stück gefällt nicht, und wir spielen doch nicht mit?“ – Madame Gensike winkte mir, das Madame Grossmann es hören könnte. – Ich sagte aber: „Ich weiß es wohl; darum sag ich’s.“ Das Stük war mit ein Nagel zu Madame Grossmann ihren Sarg, den so voller Wuth und Ärger hatte ich sie nie gesehen – und war ihrer Entbindung so nahe890. Nun kam Herr Grossmann selbst zur Gesellschaft, [320v/646] und ich bekam die 7te Rolle. – Da hätte ich nun freilich Bahn brechen können, den welche Schauspielerin
885 Die gegenseitige Probe, Bearbeitung der Komödie L’Épreuve réciproque von Marc-Antoine Le Grand von August Gottlieb Meißner. 886 Mariane, auch Marianne, nach der Tragödie Mélanie ou La réligieuse von Jean-François de la Harpe übersetzt und bearbeitet von Friedrich Wilhelm Gotter. 887 Susanne Neefe (1725–1821), Schauspielerin. 888 Friederike Bethmann-Unzelmann geb. Flittner (1768–1815), Schauspielerin. Das bei Kosch Theater, Bd. 1, S. 137 angegebene Geburtsjahr ist nicht korrekt. 889 Christian Friedrich Karl Kunst (1756–1811), Schauspieler. 890 Die Abwesenheit ihres Mannes und das Gerücht, die Schauspielerin Wolmar erwarte ein Kind von ihm, machten Karoline Großmann zusätzlich zu Geldsorgen und den Problemen mit ihrer Gesellschaft sehr zu schaffen; Rüppel, Großmann, S. 265–272; Claudia Ulbrich, Caroline Großmann (1752–1784). Ein Schauspielerinnenleben zwischen öffentlichem Auftreten und den „Rollen des häuslichen Lebens“, in: Uta Fenske/Daniel Groth/Matthias Weipert (Hg.), Grenzgang – Grenzgängerinnen – Grenzgänger. Historische Perspektiven. Festschrift für Bärbel Kuhn zum 60. Geburtstag, St. Ingbert 2017, S. 91–102.
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sollte das nicht, in der Rolle der Anna im Deutschen Hausvater891? – Pfui! pfui! über den gottserbärmlichen, miserabelen Grossmann, muß jeder Rechtschaffene mit mir sagen. Die 8te in Gasner den Zweyten892 die Frau Docterin. – Auch eine saubere Rolle. Die 9te sogar in einen Trauerspiel, Leichtsinn und Verführung893, die Frau Kammerherrn. Wär in einer Mariane und überhaupt alle die guten ernsthaften Mütter spielte, hätte die Frau Kammerherrn auch machen können. – In dem Stück schämte ich mich, daß ich nicht die Augen aufschlagen konnte. – Den nie sind mehr Thränen in einen Trauerspiel gelacht worden wie in dem. – Bei der Lese-Probe machte ich gegen meinen Willen ein Bonmot. Ich frug: Ob denn nun auch das eine Frauenzimmer noch närrisch würde? – Alle warfen die Rollen hin und fiengen an zu lachen und zu schreyen. – und mir war’s doch so [321r/647] wenig lächerlich zumuthe. Wie der eine unter der Music zum Galgen oder Schafott geführt worden – lieber Himmel! Vergieb mir’s – was habe ich da geflucht! – Alle schämten wir uns – einzeln saßen wir an Tischen auf Stühlen und Bänken herrum – glüklich die, die mit dem Publikum lachen konnten. – Keiner von uns allen zeigte sein Gesicht; wir deckten uns zu mit Schnupftüchern. – Nie waren solche nothwendiger als bei dem traurigen Trauerspiel; – und dazu war’s besezt, troz der Mariane. Weil ich mich in der Mutter Anna so signalisirt894 hatte, so hat Herr Grossmann gedacht, er beleidigte mich, wenn er mir die Mutter Anne im General Schlenzheim895 nicht gegeben hätte. Es war also meine 10te Rolle. Sicher, hätte ich mich auch zum ersten Mal um eine Rolle gezankt, so wär’s um die gewesen. – Und was das beste war, man gab mir ein Kleid dazu, daß sich eher für ein Hannchen in der Jagd 896 als für eine Bauernfrau [321v/648] geschickt hat, die schon 50 Jahr verheurathet ist. – Ich richtete aber auch meinen Kopfpuz darnach ein. – Nun war’s mir einerley, den aufgesagt war 891 Der deutsche Hausvater oder Die Familie, Übersetzung des Schauspiels Le Père de famille von Denis Diderot, bearbeitet von Otto Heinrich Freiherr von Gemmingen-Hornberg. 892 Gasner der Zweite, auch Die bezähmte Widerbellerin, Übersetzung des Lustspiels The Taming of the Shrew von William Shakespeare, bearbeitet von Johann Friedrich Schink. 893 Leichtsinn und Verführung oder Die Folgen der Spielsucht, Trauerspiel von Johann Gottfried Dyck. Sie spielte darin die Frau von Dahlen. 894 Sich auszeichnen, sich hervortun. 895 General von Schlenzheim, Schauspiel von Christian Heinrich Spieß. 896 Die Jagd, Singspiel, bearbeitet von Christian Felix Weiße, Libretto nach der Komödie La partie de chasse de Henri IV von Charles Collé, Musik von Johann Adam Hiller.
Drittes Buch, 26. Kapitel | 917
mir bereits. – Denn Kopfpuz und was ich zu dem Anzug bestimmt hatte, ließ ich in meinen Korb liegen, da ich das Kleid sah, und holte mir geschwind einen zu dem Kleid schicklichern. – Ich war darauf gefaßt, daß mir Herr Grossmann was sagen sollte – den hätte ich nach Hause geschickt! – Aber er wagte es nicht – und daß war mir leid. Die 11te war in der Rechnung ohne Wirth897 die Wilhelmine. – Der Entzweck, den die Rolle erreichen muß, ist: daß das Publikum lacht. – Den erreichte Madame Neefe in der Grossmutter und ich in der Tante. Man lachte und applaudirte uns beiden, wie wir uns eine nach der andern sehen ließen. Die 12te und beste unter allen den Schofel898 und Auswurf von Rollen war in der Juliane von Lindorak899 die Mariane. Was man aus der Rolle machen konnte, machte ich. Der Beifall des Chur[322r/649]fürsten und des ganzen Publikums bewieß es900. – Keiner erlangte den Abend ein so allgemeines Applaudissiment wie ich. – Beweiß, wie ich muß gespielt haben. – Und solchen Beifall von einen Publikum, den mich die Grossmannische Direction zum Ekel und Abscheu gemacht haben mußte. – Daß beweißt, daß ich troz der niederdrächtigen Grossmannischen Behandlung Schauspielerin war. Die 12 Rollen und 13 Mal mitgespielt nebst ein paar Statistenauftritte kosteten den Herrn Churfürsten 315 Gulden. Ich konnte nichts dafür, daß ich so das Geld aus der Chatoulle mußte mitstehlen helfen. – Hätte mich der gute Herr gekannt, er hätte mir meiner Geduld wegen noch 315 Gulden dazu geschenkt. – So aber schäzte er mich nur nach den Rollen und den Werth, nach dem er mich kennenlernen sollte und mußte. – Herr Grossmann verlangte noch Zulage für das Spektakel, daß er dem Herrn für das viele Geld gab. – Der Herr Churfürst konnte es nicht begreiffen, das Herr Grossmann nicht [322v/650] auskäm, da die Gesellschaft um hundert Procente schlechter war wie sonst? Er erkundigte sich nach den Gagen, die der eine und der andere hätte? – Es kam auch auf mich, und nun hies es: 15 Gulden die Woche? 15 Gulden! – Daß verdient die Frau nicht. – Und da hatten Seine Churfürstliche Gnaden recht. – Alles 897 Die Rechnung ohne den Wirth oder In der Liebe gibt’s Narren die Menge, Übersetzung des Lustspiels La Famille extravagante von Marc-Antoine Le Grand, bearbeitet von Salomo Friedrich Schletter. 898 Ausschuss, Plunder. 899 Juliane von Lindorak, Übersetzung des Schauspiels Doride o sia La rassegnata von Carlo Gozzi, bearbeitet von Friedrich Ludwig Schröder und Friedrich Wilhelm Gotter. 900 Friedrich Wilhelm Dengel schrieb am 20. Febr. 1784 an Großmann: „Juliane von Lindorack wurde recht brav vorgestellet. Ich sage brav, weil es mit solchen Leuten ein Wunderwerk ist, solche Stücke nur so zu besetzen, daß sie erträglich gefunden werden. Mad. Kummerfeld und Hr. Hülsner [ Johann Christoph/Christian Friedrich Hülsner] wurden tüchtig beklatscht.“; UB Leipzig, Slg. Kestner, 1/C/ III Nr. 1 e 14; auch abgedr. bei Maurer, Dokumente, S. 124.
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daß erfuhr ich erst, nachdem ich schon von Herr Grossmann weg war. – – Nun hies es also, ich hätte nicht gefallen. – Die Worte des Herrn Schröders mußte ich in Bonn zum ersten Mal wieder hören, die er mir in Hamburg schrieb: Ich wär nicht in denen 9 Jahren, daß ich von dem Theater gewesen, mit denselben fortgeschritten. – Hören von so einen Männlein wie Grossmann, nachdem ich schon wieder über 6 Jahre dabei war, und wie? und was ich gespielt, habe ich bereits gesagt. – So kann man durch ein Wort den Menschen nach vielen Jahren Tort thun901 – wenn ein Grossman in der Welt ist, der Gebrauch davon macht. Und wie hat er’s benuzt? – Doch litt ich geduldig und verlies mich auf ein höheres [323r/651] Wesen, das die Schicksale aller Menschen in Händen hat. Litt und war still. – Nun aber, da man mich noch nicht, da ich keinen mehr in Licht und Wege stehen, ungehudelt lassen kann – nun mag auch daraus entstehen, was da will. Nun zeige ich, wär ich war und wär die waren und sind, die mich gedrückt. 27. Kapitel Der ist vom Schicksal nicht ganz verlassen, dem ein Freund noch übrigbleibt Bei meiner Entlassung hatte ich Collegen. Es war Madame Gensike, Herr Dunst, Herr Jüttner und noch einige. – Auch Madame Gensike war schlechter geworden – NB hies es – die arme Frau! – Wenn sie wirklich nicht alles geleistet, was sie leisten sollen – Wunder wär’s nicht. Wenige von ihren alten Rollen – (oder hat sie auch nicht gefallen in dem Ton der grossen Welt??902) spielte sie, und zu Hause einen Mann, deßen Tod man vor Augen sah. – Da spiele man nichts wie neue Rollen – und doch wußte sie sie auswendig – und das war schon genug. – – Herrn Grossmann brachte es keinen Segen. Seine Frau nach ihrer glüklichen Entbindung hatte ein dreymonätli[323v/652]ches Krankenlager. Endlich starb sie zwischen den 28. und 29. Merz 1784 in der 12ten Stunde der Nacht. – Und 10 1/2 Stunde darauf, den 29. Merz, folgte ihr Herr Gensike in die Ewigkeit nach. – Wenn sich die zwey Seelen noch begegnet haben sollten – doch wir werden es ja einst erfahren, was sie sich einander gesagt.
901 Unbill, Schaden zufügen. 902 Der Ton der großen Welt, Lustspiel von Christian Georg von Helmolt nach dem Stück Bon Ton or High Life above Stairs von George Colman the Elder und David Garrick. Helmolts Stück wurde 1778 mit dem abgekürzten Autorennamen C. G. v. H. publiziert, was später vielfach fälschlich als C. G. v. Henold/ Herold aufgelöst wurde. Christian Georg v. Helmolt (1728–1805), der mehrere fremdsprachige Schauspiele übersetzt hat, war sachsen-gothaischer Obrist des Gardecorps, Geheimer Rat und Schlosshauptmann in Gotha.
Drittes Buch, 27. Kapitel | 919
Guter Gensike! Ich vertrat bei dir die Stelle eines Beichtvaters. – Mir übergabst du deine Gattin, ihr beizustehen. – Von mir verlangtest du zu wissen, wenn wahrscheinlich deine lezte Stunde schlagen würde? – Mich bat’s du zu sorgen, daß dein Weib nicht vor dir weine. – „Auch Sie müßen nicht weinen, wenn ich sterbe. – Schmerzhaft würde mir denn die lezte Stunde seyn. – Ein Kranker wie ich, so nahe am Rande des Grabes, lügt nicht, spricht Wahrheit. – Wissen Sie, wodurch ich so viel Zutrauen zu Ihnen bekommen? – Weil ich Sie nie auf einer Unwahrheit ertappt. – Nie haben Sie sich wiedersprochen. – Wie oft lenkte ich die Gespräche herum. – Aber nie fand ich Wiederspruch, immer blieben und waren Sie sich [324r/653] gleich. – Ich habe nie eine Frau höher geschäzt wie Sie – – aber ich habe auch nur eine Kummerfeldt kennengelernt. – Welcher Trost für mich, das mein gutes liebes Weib, die ihren lezten Rock für meine Wartung und Pflege hingeben würde, ich in Ihren Händen weiß. – Eine Kummerfeldt, eine solche thätige Frau, ihre, meine Freundin ist. – Gott lohne Sie! Wir können es beide nicht. Und Gott lohne Ihre Freunde, deren Sie meiner Frauen Angelegenheit nach meinen Tode anempfehlen wollen“ etc. etc. CXVIII
Dir, Gensike, gab ich in Namen meines Hinrichs, meines Greilichs die Hand, daß sie beide auf meine Bitte sorgen würden, daß deine Gattin den Rest deines noch übrigen Vermögens erhalten sollte. – O, und sie, die Guten! waren auf meine Bitten der Wittwe Gensike, die sie nicht kannten, das, was sie der Wittwe Kummerfeldt waren. – O Dank! Dank euch, daß ich den Sterbenden nicht zur Lügnerin ward. Von mir erfuhr Gensike, das wahrscheinlich keine Hoffnung zu seinen Aufkommen wär. – Ich betete ihm vor und mit ihm. – „Bleibe ich auch die Nächte [324v/654] in Ihren Hause – dann, Freund, glauben Sie, das jede Stunde Ihre lezte seyn kann.“ – Nur er, nur ich, nur wir verstanden uns. – Seine Gattin war in den Wahn, er stürbe nicht gern. – Es war natürlich, den noch zählte Gensike keine 24 Jahr – und stand noch unter Vormundschaft. – Jeder Mensch würde ihn für 10 Jahre älter gehalten haben. – Wenn ihn die Todesangst ergrif und ich ihm zusprach – er sich erholte von einen heftigen Anfall und dann sagte: „Dank, Kummerfeldt! Dank! Das sind Trostworte! – O mehr – mehr so! ich höre, ich versteh alles – wenn ich gleich nicht mitbeten kann.“ – – Von meiner Hand erhielte der Sterbende die lezte Labung. – Sein brechendes Auge, der lezte Druck seiner Hand dankte mir. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – O, Menschen! Wüßtet ihr alle, welch ein Gefühl daß ist, Mensch – Christ zu seyn. – Nie hatte ich vorher Gensikes gekannt; mich zog zu ihnen nicht Eigennuz. – Sie verfolgt zu sehen, – ihr Leiden, ihr Unglück warf mich [325r/655] ihnen in die Arme. – Zu glüklichen, reichen Menschen drengt sich eine Kummerfeldt nie. – Freß-Freunde in
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guten Tagen – o, deren giebt es in der Welt genug. – Gottlob, daß ich mich nie darunter mit zählen dürfen. – Vielen meiner Bekanndten traf das Schicksal, daß sie auch arm – oder ärmer wurden. – War die Kummerfeldt nun anders als in euren Wohlstand? – War sie’s, so war sie’s nur in den Punkt, daß sie sich nun erst noch fester an euch anschloß. Ich, die ich oft so unglüklich war und wußte, was es heist: „Wenn ein geprestes Herz sich an ein redliches, theilnehmendes Herz anlehnen und athmen kann: O, da ist ein Mensch viel für den andern“, konnte eine Gensike nicht verlassen, und ich glaube, sie kennt mich als ihre Freundin in den ganzen Inbegriff des Worts. Herr Grossmann sollte noch mehr Unglük haben, denn den 15. Aprill starb der Churfürst, und nun hatte seine ganze Bonnische Glückseligkeit ein Ende. [325v/656] Ich wünsche Herrn Grossmann der vielen Kinder wegen, die er hat, nichts Böses – aber er ist nicht unsterblich, und oft tragen Kinder die Schuld ihrer Eltern – auch er ist Mensch – und ein Gott lebt über uns. Ich wünsche, das er vor seinen Ende mag in sich gehen – den an mich und an die Gensike hat er sich grob und schwer versündiget903. 903 Von Karoline Großmann war Karoline Kummerfeld vorgeworfen worden, sie habe sich nach der Aufführung von Leichtsinn und Verführung am 25. Januar 1784 dem Kurfüsten gegenüber „unanständig aufgeführt“ (Brief Friedrich Wilhelm Dengel an Großmann vom 26. Januar 1784, in: Maurer, Dokumente, hier S. 116). Dengel, der Karoline Großmann in der Direktion der Bonner Bühne unterstützte, schrieb daraufhin an Großmann am 27. Januar: „Die Sache wegen Mad. Kummerfeld entwickelte sich gestern ganz unvermuthet. Ich fand sie nach gehaltener Leseprobe von Schlenzheim bey meiner Frau; nach vielen Klagen, daß sie gar keine einzige Rolle ihrem Charackter gemäß zu spielen bekömme, kam auch das Gespräch auf die vorgestrige Rolle. Sie sagte, daß der Kurfüst bey der Stelle im 4ten Ackt, Scen. 3, wo sie zu mir ganz ironisch sprechen müßen: ‚Wenn mir’s Hr. Krohne‘ etc. sehr laut gelacht und gesprochen habe; dieses wäre ihr so aufgefallen und so kränkend für sie gewesen, daß sie die bittersten Thränen in der Garderobe geweint, weil sie sich gar keines Fehlers bewußt wäre, von Schimpfen oder unanständigen Ausdrücken sagte sie kein Wort, und ich kann nichts davon wißen, weil es in der Garderobe gewesen ist. Sey es nun Zusatz oder Wahrheit (denn in der Hitze kann sich der Mensch leicht vergeßen), so kann man ihr doch kein so niedriges Betragen zutrauen, sich öffentlich mit Worten gegen einen Fürsten zu vergehen, von dem sie und wir alle abhängen. Unwißend fehlen und mit Vorsatz sündigen, macht einen merklichen Unterschied; vom erstern ist niemand frey und vors letztere kann sich jeder vernünftige Mensch hüten. – Sie wünscht indeßen doch sich in einer guten Rolle zeigen zu können und schlug deshalb das Stück: Nicht alles ist Gold, was glänzt von Stephanie vor. Wollen Sie sie darin auftreten laßen, so müßte ich das Buch sogleich verschreiben, wenn Sie es mir nicht schicken können“; UB Leipzig, Slg. Kestner 1/C/III Nr. 1 de 9 (auch – leicht fehlerhaft – abgedruckt bei Maurer, Dokumente, S. 116 f.). Dass der Kurfürst Karoline Kummerfeld und Jüttner „durchaus nicht mehr“ auf der Bühne sehen wollte, hatte Karoline Großmann schon in einem Brief an ihren Mann vom 11. Nov. 1783 berichtet und hinzugefügt: „und er hat Recht“; Christian Gottlob Neefe, Karoline Großmann. Eine biographische Skizze, 1784, zit. nach Maurer, Dokumente, S. 165. Vgl. auch Rüppel, Großmann, S. 264 f., 272. Über die Gründe der Entlassung Kummerfelds machte sich Christian August von Bertram, der Herausgeber der Litteratur- und Theaterzeitung, Gedanken.
Drittes Buch, 28. Kapitel | 921
28. Kapitel Der Winter wird in Weimar zugebrachtCXIX Ich schrieb an meinen F[r]eunden den neuen Unfall, der mir zugestoßen – gewiß wieder ohne mein Verschulden. Unter diesen Freunden war auch Freund Gotter, dem ich’s nach Gotha schrieb. Er, der mich kennt mit und ohne meinen Fehlern, aber troz der ersten des leztern wegen nicht aufhören kann, mein Freund zu seyn, schrieb mir von Herr Bellomo904, der mit seiner Gesellschaft in Gotha jezt auf dem Rathhaus spielte, den Sommer sich in Eisenach und Erfurt aufhalten würde: Der Winter aber würde in Weimar zugebracht – wollt mir bei solchen Engagement anrathen und verschaffen. Nie hatte ich in meinen Leben von einen Herrn Bellomo gehört. – Aber [326r/657] die Worte: „Der Winter wird in Weimar zugebracht“, brachte in mir eine Art von guter Vorempfindung hervor in denselben Grade, wie die schröckliche war, da ich die Spitzen von Hamburgs Thürmen sah905. Ich schrieb Freund Gotter „Ja“, und meine Bedingungen: Hauptsächlich den Fach der ersten ernsthaften Mütter mich zu widmen. Wer dieses Vorgefühl bei dem Saz: „Der Winter wird in Weimar zugebracht“ nicht – nie hätte ich mich für die jämmerliche Gage 5 Thaler die Woche engagirt. Daß ich meine 315 Gulden, die ich in Bonn eingenommen, nicht verzehrt, kann man denken. Geld hatte ich und war gesonnen, eine Reise in die Welt zu machen, auch schon meine Örter, die ich besuchen wollte, in Sinn. – Aber nun? – Nach Weimar! – Ja, nach Weimar!! Den 18. May reiste ich von Bonn ab und kam den 26. in Eisenach an. – Wie ich durch Frankfurt reiste, gieng ich, weil ich mich der Post wegen einige Tage dort aufhalten mußte, aufs Theater. Wie ich sagte, ich gienge [326v/658] zu Herrn Bellomo, so sagte Herr * * zu mir: „Um Gottes Willen, Madame, thun Sie das nicht. Sie verliehren Ihr ganzes Ansehen bei allen Theatern.“ Ein kalter Schauer überfiel mich – ich mußte mich fassen, um bei den Donnerwort meine Ehre zu retten. – Auch sagte
Er schrieb am 3. Juli 1784 an Großmann: „Warum haben Sie Madam Kummerfeld abgedanckt? Ist sie nicht mehr die [Textverlust] Aktrize, die sie ehedem gewesen seyn soll. […] Den Schauspielern geht es wie unsern Kleidern, sie kommen wie diese aus der Mode; die mit der Zeit gleichen Schritt halten, haben außerordentliche Talente.“; UB Leipzig, Slg. Kestner I/C/III/29/Nr. 1. – Zu Charlotte Marie Friedrike Gensicke und Großmann s. Maurer, Dokumente, S. 117 f., 122, 124. Zu einem Streit zwischen David Gensicke und Großmann s. Rüppel, Großmann, S. 222 und Maurer, Dokumente, S. 97. 904 Joseph Bellomo (1754–1833), Schauspieler und Prinzipal. 905 HHS, S. [302]–[304].
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ich keine ganze Lüge: – „Der Winter wird in Weimar zugebracht. – Ich bin bei dem Hof in Weimar engagirt – und“ – stotterte die Worte – „nicht bei Bellomo906“ – heraus. Himmel! dachte ich. Was ist das? – Man verliert sein ganzes Ansehn und Theaterreputation, wär sich bei Bellomo engagirt? – Und wie konnte – wenn Gotter das wißen sollte, wißen muß, dir rathen dahinnzugehen? Herr * sagte ferner: Er hätte in Dreßden in Bade907 gespielt mit zusammengeraften Leuten; wär ganz erbärmlich in Ruf u.s.w. Alles spekulirte908 ich denselben Abend noch [327r/659] durch und hielte folgenden Monolog an die tapezierten Wände meines Zimmers in dem Wirthshaus zum Schwan909: „Bellomo muß also noch ein nagelneuer Directeur seyn. – Hat bei Dreßden in Bade gespielt? – Seyler hat ja, wo dir recht ist, auch da gespielt? – Spielen nicht mehr Directeurs in Bäder? – Warst du nicht selbst mit Ackermanns in Baaden in der Schweiz und in Sulzbach bei Collmar? – Hätte zusammengerafte Leute? – Ist es den größten Directeurs beßer gegangen? – Mußte Bellomo nicht auch anfänglich nehmen: nicht, wem er haben wollte, sondern wem er bekommen konnte. – Der Winter wird in Weimar zugebracht. – Auch hat er schon einen Winter da gespielt; – und Weimar, durch die Kochische und Seylersche Gesellschaft910 gewöhnt, kann Bellomo doch unmög906 Die Gesellschaft Bellomos stand in Weimar unter der Oberaufsicht des Hofmarschallamtes, ohne dessen Zustimmung kein Schauspieler engagiert oder entlassen werden durfte; Satori-Neumann, Frühzeit, S. 10. 907 Die Gesellschaft von Joseph Bellomo hatte vom 10. Juni bis 21. Oktober 1783 im Theater auf dem Linckeschen Bad in Dresden gastiert. Dieses 1776 von Karl Christian Lincke auf dem Gelände seiner Badeanstalt errichtete Theater und das Kleine Kurfürstliche Theater am Zwinger waren im ausgehenden 18. Jahrhundert die wichtigsten Theaterspielstätten Dresdens. Lit.: Petrick, Musik- und Theaterleben, S. 174, 191 f., 467–473; Rosseaux, Freiräume, S. 253, 291–297. 908 Spekulieren: nachsinnen, intensiv betrachten. 909 Das Gasthaus „Zum (weißen) Schwan“ im Frankfurter Steinweg 12, 1371 erstmals urkundlich erwähnt, diente seit 1592 als Gasthaus. 1791 wurde ein Neubau im klassizistischen Stil errichtet. Der „Schwan“ galt als eines der angesehensten Hotels in Frankfurt. Dort wurde am 10. Mai 1871 der Friedensvertrag von Frankfurt unterzeichnet.1919 erfolgte der Umbau zum Geschäftshaus, 1944 wurde das Gebäude zerstört, 1949 wiederaufgebaut. 910 Gottfried Heinrich Koch spielte mit seiner Gesellschaft von 1769 bis 1771 in Weimar, die Gesellschaft von Abel Seyler von 1772 bis zum Schlossbrand im Jahr 1774. Nach dem Schlossbrand bildeten sich drei Liebhabertheater: ein fürstliches Theater unter Moritz Ulrich Graf von Putbus, in dem Aristokraten für Aristokraten in französischer Sprache spielten, ein bürgerliches Theater, wohl unter Friedrich Justin Bertuchs Leitung, und eine gemischte Theatertruppe, die seit 1776 von Goethe geleitet wurde. Lit.: Pies, Prinzipale, S. 196, 310; Peter Huber, Goethes praktische Theaterarbeit, in: Goethe-Handbuch,
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lich auch den zweyten Winter und noch mehrere spielen lassen wollen, wenn es so gar miserabel mit den Mann und seiner Direc[327v/660]tion beschaffen wär911. – Was zu thun? – Hast A gesagt, mußt nun auch B sagen. – Der Winter wird in Weimar zugebracht“, wiederholte ich mir – – die 7 Worte brachten mich zu Herr Bellomo und seiner Direction. 29. Kapitel Da wär ich denn bey dem Theater des Herrn Bellomo Ich wär allso in Eisenach. Herr Bellomo war just an den Tag allein dort, der Einrichtung des Schauspielhauses wegen. Die Gesellschaft spielte diese Woche zulezt in Gotha, dann käm sie auch zum Landtag nach Eisenach912. – Ich mußte sie also erwarten – wär gern nach Gotha kutschirt – aber ich sollte nicht. Wie ich Herrn Bellomo das erste Mal sah, so dachte ich: Wenn jeder nach seiner Art solch eine Figur spielt wie er, so weiß ich nicht, was Herr * wollte?913
Bd. 2: Dramen, hg. von Theo Buck, Stuttgart/Weimar 1996, S. 21–42; Gabriele Busch-Salmen, Theaterpraxis in Weimar, in: Goethe Handbuch, Supplement 1: Musik und Tanz in den Bühnenwerken, hg. von Gabriele Busch-Salmen, Stuttgart 2008, S. 1–53., hier S. 10 f.; Heinz, Wieland, S. 82–97; Böttiger, Zustände und Zeitgenossen, S. 300–302 und 489 f. 911 Joseph Bellomo, der 1783 einen Vertrag für 8 Jahre erhalten hatte, spielte mit seiner Truppe von November bis März/April in Weimar, in der übrigen Zeit spielten sie auch in Gotha, Eisenach, Erfurt, Lauchstädt, Altenburg und Magdeburg; Pies, Prinzipale, S. 43. Ein detaillierter Überblick über die Truppe und ihre Schauspieler findet sich unter dem Titel: „Ein chronologisches Verzeichnis der Bellomoischen Gesellschaft, in NTJ 1789, 2, S. 47–77. – Finanziell war Bellomo auf diese Gastspiele angewiesen. Vor allem die Sommersaison in Lauchstädt brachte ihm hohe Einnahmen. Seit 1761 soll es in Lauchstädt Aufführungen von Wandertruppen gegeben haben, 1776 wurde eine Bretterbude als Theatergebäude errichtet. Joseph Bellomo ersetzte diese 1785 durch eine neue, die er 1790 zu einem ordentlichen Komödienhaus umgestaltete. Das Weimarer Hoftheater unter Goethes Leitung kaufte 1791 Bellomo das Gebäude für seine Sommergastspiele ab, 1802 wurde dafür ein neues Theater, das heute noch bespielte „Goethe-Theater“ errichtet. Lit.: Satori-Neumann, Frühzeit, bes. S. 16, 43–50, 153–155; Carsten Jung, Historische Theater in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Berlin/München 2010, S. 68–71; s. a. WHS, Anm. 328. 912 Im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach gab es eigene landständische Vertretungen für den Weimarer, Eisenacher und Jenaer Landesteil. – Zum Eisenacher Landtag im Juni/Juli 1784, in dessen Zentrum die Bewältigung der Finanzkrise des Herzogtums stand, s. Ventzke, Herzogtum, S. 118–126. 913 Christoph Martin Wieland bezeichnete Bellomo als einen „feinen, sehr schönen Menschen, wiewohl ganz und gar kein Acteur“; Konrad Kratzsch, Klatschnest Weimar, 3. Aufl., Würzburg 2009, S. 65.
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Die Gesellschaft kam, den 4ten Juni wurde zum ersten Mal gespielt Der Argwöhnsche Liebhaber914. Alle zusammengeraft waren sie nicht. – Ich fand würklich gute. – Welche, die werden konnte[n] – – und nun freilich auch noch zusammengerafte. [328r/661] Madame Ackermann915 war die erste Actrice bei Bellomo, vorher, glaube ich, noch nirgends – wenigstens: Ich hatte nie von ihr gehört. – Aber wer hört auch von allen ersten Actricen was? Sie hatte einen schönen Wuchs und vielen Anstand, auch fehlte es ihr nicht an Talenten, einst beßer werden zu können, – und besonders, daß man ihre über alle Massen schnarrende Sprache mußte gewohnt werden. – Ärger Schnarren habe ich nie gehört. – Aber ich gestehe es, ich wurde es auch so gewohnt nach einen Vierteljahr, daß es mir nun in mindesten nicht mehr auffiel. Die Opern gienge beßer wie bei Großmanns in Bonn – ohngeachtet Bellomo nicht die guten Sänger hatte. Meine erste Rolle war in Emilie Galotti916 die Claudia. Zum ersten Mal spielte ich so eine Art Rolle und war mit meinen Debüt vollkommen zufrieden. – Der grosse Beifall des Publikums – wovon mich noch keiner spielen sehen – ich auch nicht mein altes Publikum habe mitbringen können, daß mich [328v/662] vor 17 Jahren oder in Inspruck, Augspurg und Linz spielen sah, machte mich aller Grossmannischen Ungerechtigkeit vergeßen. – Bestellt konnte ich’s auch nicht haben, den ich hatte nicht die Ehre, einen einzigen zu kennen. – Wenige Reden im dritten Aufzug bei der Scene mit Marinelli sagte ich, die nicht auch alle lauten Beifall erhielten. – Und was man selten sieht, selbst die Schauspieler standen in den Scenen mit Thränen in den Augen. – Falschheit war es nicht, was sie mir sagten – den Falschheit hatte ich zu oft an Menschen gesehen, daß ich die nicht von den wahr gemeinten und wirklich empfundenen Gefühl hätte unterscheiden sollen; auch haben Herr Regglen917,
914 Der argwöhnische Liebhaber, Lustspiel von Christoph Friedrich Bretzner. 915 Sophie Ackermann geb. Tschorn (1760–1815), Schauspielerin, verheiratet mit Gottfried Ackermann (1755–1799), Schauspieler und Sänger. 916 Emilia Galotti, Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing. 917 Christian Heinrich Gottfried Rögglen, Schauspieler und Tänzer. 1784–1786 und 1787–1791 in Weimar, 1795 in Braunschweig. Gottfried Rögglen d. J. schreibt aus Braunschweig 1794 an Franz Kirms nach Weimar, dass er gerne wieder ans Theater nach Weimar zurückkehren würde; Regestausgabe Briefe an Goethe, Regestnr. 1/1302*.
Drittes Buch, 29. Kapitel | 925
Herr Metzner918, Herr Leonhard919, Herr Felser920 mehr gute Claudia- Spielerinnen gesehen, aber wie die Kummerfeldt sie spielte, doch noch nicht. – Emilie Galotti war auch kein neues Stück. – Und das zu bewirken in einer oft gesehenen Rolle, was ich über Publikum und Schauspieler wirkte durch mein Spiel, ist der sprechende abermalige Bewiß, daß ich Meisterin in meiner Kunst war. Wir spielten in Eisenach bis den 6ten August. Nachdem der Landtag vorbei und der Hof erst weg war, war die [330r/663CXX] Einnahme sehr wenig. Man wollte es zwingen mit ein paar Ballets – ich, doch wieder die gutwillige Närrinn – tanzte mit – und hatte Linz vergeßen. Eisenach gefiel mir sehr wohl. – Die Direction – bleib zu Parantesen921 liegen. Ich hatte wieder Berge vor mir – – die Warteburg922, die Hohe Sonne923 – und von da nach dem Wilhelmsthal924 – o, was war das für mich eine Lust? – Bei jeden müßige Tage machte ich’s mir zunutze; – ich war so zufrieden, wie ich’s keinen Tag in Bonn war. – Und doch? – Wären wir nur schon in Weimar! –
918 Sigismund Metzner (* 1750), Schauspieler, spielte ebenso wie Felser und Leonhard(t) 1783 bei Bellomo in Dresden und anschließend in Weimar (TDR 1783, 21, S. 184, ATB 1788, S. 43 f., 46ff., NTJ 1789, 2, S. 50 f., 63, 69–73, 75 f.) Seit 1785 war auch seine Frau Johanna Christiane Metzner geb. Voigt bei Bellomo engagiert. 919 Samuel Friedrich Leonhard(t) (* 1761), Schauspieler und Sänger, war zusammen mit seiner Frau ab Januar 1784 bei Bellomo. Von dort erhielt er die Einladung für ein Engagement nach Mannheim, wo er im September 1784 zum ersten Mal auftrat. Lit.: Die erste Chronik des Nationaltheaters. Mit allerlei höchst beachtlichen Anmerkungen des Souffleurs und Kopisten Trinkle, S. 5–8, LTB 1784, S. 140. 920 Carl Johann Georg Felser (* um 1760), Schauspieler, war 1783 bei Bellomo in Dresden und anschließend in Weimar engagiert. Seit 1786 hat er sich mehrfach – und wohl immer vergeblich – bei Großmann um ein Engagement beworben. Die Absenderorte dieser Briefe geben einen Anhaltspunkt, wo sich Felser nach seinem Weimarer Engagement aufgehalten hat: Febr. 1786 Sondershausen; Mai 1787 Clausthal; Aug. 1787 Braunschweig; Aug. 1789 Amsterdam; UB Leipzig, Slg. Kestner. In Amsterdam war er noch im Mai 1793, wo er zum deutschen Theater gehörte. Als die Gesellschaft entlassen wurde, schrieb er in einem Brief an Christian August Vulpius, er wäre froh, wieder nach Weimar kommen zu können; Regestausgabe Briefe an Goethe, Nr. 1/575 Felser an Christian August Vulpius. 921 Bleibe ausgeklammert (mettre quelque chose entre parenthèses). 922 Die Wartburg. 923 Das Jagdschloss Hohes Kreuz/Hohe Sonne bei Eisenach; Heiko Laß, Jagd- und Lustschlösser. Kunst und Kultur zweier landesherrlicher Bauaufgaben. Dargestellt an thüringischen Bauten des 17. und 18. Jahrhunderts, Petersberg 2006, S. 296–298. 924 Das Jagdschloss Wilhelmsthal bei Eisenach war von der Größe seiner Anlage her für Thüringen einmalig. Für ein Jagdschloss ungewöhnlich, verfügte es über große, vielfältige Gartenanlagen und eine Lustflotte auf dem künstlich geschaffenen See; Laß, Jagd- und Lustschlösser, S. 397–402.
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Eines Tages vor der Comödie hatte ich die Ehre, den Herrn Hofsekretär, – jetzigen Herrn Landkammerrath Kirms925 zu sprechen926. Er frug mich, wie es mir gefiel? – „Gut“, sagte ich, „und ich freue mich, auf den Winter nach Weimar zu kommen.“ – Ob der Herr Hofsekretär Kirms dachte, ich sagte daß nur so, um den Herrn Weimaranern ein Compliment zu machen? – weiß ich nicht – doch schien’s mir so – aber ich fühlte mehr als ein Compliment und sagte ganz auß der Fülle meines Herzens und wie in einen prophetischen Geiste: „Sie glauben es vielleicht nicht? – Aber geben [330v/664] Sie nur acht: Bin ich erst einmal in Weimar, so werden Sie mich nicht wieder los. – – Sie denken, es ist mein Spaß? – Nein, nein, nein, wahrer Ernst. – Was ich sage, das denk ich auch.“ Wir reisen den 9ten August ab, und weil es nach Weimar zu gehen noch nicht die bestimmte Zeit war, so blieben wir in Erfurt927 und gaben den 11ten zuerst Oper. In Erfurt gieng es schlimm, und sehr selten waren so viel Zuschauer da, die das einbrachten, was die Gesellschaft bei der wenigen Gage kostete. – Denn die höchste war a Person 5 Thaler, – bis auf Herrn und Madame Ackermann, die beßer standen. Auch in Erfurt tanzte ich einmal und hatte das Unglük, daß mir der Schuh plazte; ich tanzte mit Todtesangst und getraute mich nicht mehr, den Fuß mit dem aufgerißenen Schuh hart auf den Boden zu bringen. Zu Herrn Regglen, der das Ballet gemacht, sagte ich, wie es aus war: – „Da! sehen Sie das Spektakel.“ – Denn beide waren nun inzwey. – Herr Bellomo kommt und sagte, es wär recht gut gegangen. – Ja, wenn mein Schuh mir nicht den Streich gespielt. – Er lachte darü[331r/665]ber herzlich – ich versicherte ihn aber, mir wär’s nicht lächerlich gewesen.
925 Franz Kirms (* 21. Dez. 1750 Weimar, † 3. Mai 1826 Weimar), ab 1789 Hofkammerrat und seit 1814 Geh. Hofrat in Weimar. Kirms führte vom April 1788 bis im April 1791 die Aufsicht über das Bellomosche Theater. Danach unterstand Kirms bis 1824 die Verwaltung des unter Goethes Leitung stehenden Weimarer Theaters. Aus dem Nachlass von Franz Kirms gelangte die erste von Karoline Kummerfeld verfasste Autobiographie an Hermann Uhde (s. Kap. I.3.2). Auch die Journale der Nähschule und die Samlung vermischter Ungedruckter gedancke stammen aus seinem Nachlass. Zur freundschaftlichen Beziehung zwischen Karoline Kummerfeld und der Familie Kirms in Weimar s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. Lit.: Weimar Lexikon, S. 249 f. (Kirms-Krackow-Haus). 926 Jetzigen Herrn Landkammerrath Kirms hat Kummerfeld ursprünglich gestrichen, dann aber am Rand vermerkt: NB: bleibt. Eingeheftet ist an dieser Stelle im Manuskript ein Zettel mit der Frage an Kirms: Eine Frage an Sie, Verehrung würdiger Mann! Dürfte ich wohl den Namen ganz abdrucken laßen? Ich wünschte es! – Doch Sie müßen besser davon urtheiln können wie Ihre verpflichtete Kummerfeldt. m. p. [m. p.: manu propria = eigenhändig]. 927 Spielstätte in Erfurt war der Theatersaal im Hintergebäude des alten Universitätsballhauses in der Futterstraße; Satori-Neumann, Frühzeit, S. 155 f.
Drittes Buch, 29. Kapitel | 927
Daß ich nur ein Paar Tanzschuhe hatte, wußte Herr Bellomo. – Daß ich sie inzwey getanzt, auch. – Konnte Herr Bellomo nicht sagen: „Das Ballet soll übermorgen wieder gegeben werden?“ – Wer wär so unfreundlich, – oder ist ein Zug in meinen ganzen Karakter, einen Directeur hinderlich zu seyn, wenn er Geld verdienen kann? – In Linz wollte man mich scheren928, den es waren 7 Frauenzimmer zum Tanzen da – und das Theater so schmal, daß, wenn nur 6 Paar tanzten, sich keine einzige Figur ausnehmen lies – sie aufeinander gep[f ]ropft anrenten und so ausweichen mußten wie bei dem Englischen Tänzen929 auf Maskenbällen. – Und noch dazu war ich krank. – In Erfurt war ich gesund, mithin, wenn Herr Bellomo gesagt hätte: „Ich möchte gern das Ballet auf den Sontag wieder geben“, so hätte mir für Geld und gute Worte ein Schuster den Sonabend ein Paar neue gemacht. So aber sagte er nichts, und ich dachte auch nicht daran, mir den Sonabend gleich ein Paar neue wieder machen zu lassen. [331v/666] Den Sonnabend des Abends auf dem Theater hörte ich: Morgen sollte das Ballet wieder seyn, der Zettel – wär schon in der Buchdruckerey. – „Unmöglich!“ sagte ich zu Herrn Regglen; „ich habe ja keine Schuhe zum Tanzen?“ – Herr Bellomo kömmt, ich frage, und er sagt ja. – „Aber mein Gott! Warum sagten Sie das nicht gestern nach dem Ballet, so hätte ich mir heute neue machen laßen?“ – Herr Bellomo schien mir, als ob er zweifelte, daß die Schuhe inzwey wären – ich sagte also zu meiner Hausfrau: – „Hier ist mein Stubenschlüssel. – Da und da müßen die Schuhe stehen, holen Sie sie mir.“ – Die Frau geht und bringt sie. – „Da, sehen Sie selbst. – Kann ich in solchen Schuhen tanzen? – Und daß ich nur ein Paar Schuhe noch vom Tanzen übrigbehalten, sagte ich Ihnen ja schon in Eisenach. – Doch kann mir ein Schuster bis morgen ein Paar neue machen, so ist’s gut, so will ich tanzen.“ Eine Schustersfrau, die für einen Herrn ein Paar neue aufs Theater gebracht, ist da, die wird gerufen. Herr Bellomo sagt: „Man könnte solche mit neuen [332r/667] Dammast beziehen.“ – Da stehe ich und sperre den Mund auf, weil ich nie in meinen Leben gewußt, daß man Schuhe beziehen kann, ich hatte nie solche getragen und mir dadurch manchen Thaler ersparen können, wie ich noch Tänzerin war. Wenn ich daß gewußt. – Wie ich noch Tänzerin war, gieng ich nie aufs Theater, es lagen gewiß 2 Paar Tanzschuhe in meinen Korb. – Daß, wenn einen ein fataler Streich begegnete, man sich geschwind durch ein Paar andere helfen konnte. Oft weiß ich, daß ich nicht einmal in ein Paar Schuhen getanzt, wo sie theurer waren wie in Erfurt. – Die Schustersfrau
928 Plagen, drücken. 929 Englische Tänze (Anglaisen): s. HHS, Anm. 1061.
928 | Weimarer Handschrift (WHS)
sagte: „Ja, man kann Vorderblätter einziehen, aber die bringen wir nicht fertig, und neue auch nicht: den Morgen arbeiten wir nicht.“ – „Ist’s nicht möglich, mir ein Paar neue zu machen?“ – Den zu den bezogenen hatte ich kein Vertrauen, besonders zum Tanzen! – Herr Bellomo aber sprach von Beziehen – dachte er etwa: Er hätte mir die neuen bezahlen sollen? – O, weder neue noch bezogene, so intereßirt auf ein Paar Schuh war die [332v/668] Kummerfeldt, dächte ich, wohl nie. – – Kurz, die Frau wollte nicht, und ich konnte ohne Schuhe nicht tanzen. – Schuhe hatte ich genug – aber alle mit so hohen Absätzen und zum Tanzen nicht eingerichtet. – Damit war’s vorbei, – mir aber sehr ärgerlich. Es ereignete sich noch ein Vorfall. Herr Leonhardt, der die ersten Liebhaber in der Oper wie in der Comödie spielte, war in Erfurt abgegangen. Zur Oper war Herr Frankenberg930 dazu gekommen – aber nun zur Comödie? Wo den hernehmen? Wie ich noch in Eisenach war, schrieb mir Herr Kunst, daß er von Herrn Grossmann aufgesagt worden und kein Engagement hätte, ob für ihn nicht ein Plaz bei dem Bellomoschen Theater sey? – Ich sprach mit Herrn Bellomo davon: – „Als ersten Liebhaber kann ich ihn nicht vorschlagen. So gut wie Herr Leonhardt ist er bei weiten nicht. – Aber zum zweyten hätten Sie ihn höchst nöthig. – Denn Herr Regglen hat seine Chevallier- und Karakter-Rollen, und da brauchen Sie ja nach Weimar [333r/669] einen zweyten Liebhaber wie den Bißen Brod im Munde. – Auch braucht Herr Kunst keinen Vorschuß und Reisegeld, – lezteres können Sie ihm geben bei Gelegenheit.“ – – Aber da hatte Herr Bellomo keine Ohren, denn es gieng ihm wie den Geitzigen: Geld wollte er einnehmen, aber es sollte ihm nichts kosten. – Weimar war ihm gewiß – auch die Nachsicht des Hofes und des Publikums. – Was gieng ihm das an, ob viel oder wenigere brauchbare gute Leute da sind. Die Nachtstücke waren ihm seine Lieblingsstücke. Wenn im dritten Aufzug Nacht wurde, so blieb es Nacht auch noch die zwey
930 Franz Frankenberg (1759–1789), Sänger (Bass) war vom 9. Okt. 1784 bis Ende März 1785 in Weimar engagiert. Sein anonymer Biograph schreibt 1789, dass in Weimar seine „Hauptperiode als Schauspieler“ begonnen habe: „Hier nemlich fing er an die ernsthaften Liebhaber in der Oper zu spielen, und spielte sie sogleich mit Beifall“; Leben und Charakter Frankenbergs nebst einem Gedicht und einer gehaltenen Rede, Berlin 1789, S. 11.
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lezten. – Wären nur Leute genug bei der Gesellschaft gewesen, so hätte ich ihm gern Die zwey schlaflosen Nächte931 von Gotzi gegeben. –932 [333v/670] Nun war Noth in allen Ecken. Wo einen Liebhaber hernehmen, der sowohl entberen als haben und nicht haben mußte? – Diese drey Eigenschaften mußte der erste Liebhaber haben. Den entberen mußte er: Vorschuß und Reisegeld und grosse Gage. Haben mußte er: Eine eigene Garderobe, um als erster Liebhaber wenigstens den Rock zu haben, den in der Garderobe war doch gar nichts. Nichthaben: Ein anderes Engagement, um ja gleich kommen zu können. – Welch Glück! – Diese Eigenschaften hatte Herr Kunst alle – daß war also alles, was Herr Bellomo in der Situation, in der er war, brauchte. – Abgeschrieben hatte ich’s Herrn Kunst, und er schrieb mir wieder: Er gienge nach Hamburg und nach Bremen. Nun schickte ich an beide Örter Briefe ihm nach, ob er noch zu haben wär? – Und – siehe da! er kam933. Herr Kunst war keiner von den vorzüglich hübschen Männern.934 Herr Leonhardt [334r/671] sah beßer aus. Um also Herrn Kunst nicht zu schaden, machte ich ihmCXXI heßlicher von Bildung und Figur – 935 Nun noch: Daß er nicht so gut wie Herr Leonhard spielte, aber doch beßer wie der und der: Das war das größte Freundschaftsstück, daß ich für Herrn Kunst thun konnte. – Mein Gerede hatte sich bis Weimar verbreitet; – und um nicht zu vergeßen, daß ich – wie ich auch nicht anders als mit Wahrheit
931 Die zwey schlaflosen Nächte oder Der Betrug der Einbildung, auch Die zwei schlaflosen Nächte, oder der glückliche Betrug und Wie man sich die Sache denkt! oder: Die zwey schlaflosen Nächte, eine Bearbeitung der Tragikomödie Le due notti affannose von Carlo Gozzi. Dieses Stück erschien 1780 unter dem Titel Wie man sich die Sache denkt! oder: Die zwey schlaflosen Nächte in einer Bearbeitung von Johann Gottfried Dyck, der in der Vorrede schreibt, Gozzis Vorlage wiederum sei Gustos y desgustos son no mas que imaginacion von Pedro Calderón gewesen. Eine Bearbeitung von Friedrich August Clemens Werthes unter dem Titel Die zwei schlaflosen Nächte, oder der glückliche Betrug wurde 1785 publiziert. Da die Bellomosche Truppe sich im Sommer 1784 in Erfurt, danach ab Oktober 1784 in Weimar aufhielt, könnte Kummerfeld das Stück in der Bearbeitung von Dyck gemeint haben. 932 Gestrichen: Wenn es einen auch eingefallen wär, Tag zu machen, so war der Kasten mit den Lichtern schon nach Hause geschickt. – Alle Herrn hatten, um sich aus- und anzukleiden, hinter dem Theater ein oder zwey Stumpfen [= Stumpen] Lichte. – Die Frauenzimmer oft gar keins, die sollten von den Nachtschein des Theaters sehen. – Sowas fordern? – Oder gar darum [333v/670] zanken? – Bewahre der Himmel! – Da brachte ich mir einen Wachsstock mit und brandte diesen. 933 Christian Friedrich Karl Kunst war vom 5. Okt. 1784 bis Ostern 1785 bei Bellomo engagiert; Pasqué, Theaterleitung, S. 296. 934 Der mehrfach geänderte Satz hieß ursprünglich: Wer Herrn Kunst kennt, weiß, daß er weder hübsch noch vorzüglich gut gewachsen ist. 935 Gestrichen: daß mir selbst Madame Bellomo sagte: „Nein, so garstig ist er doch auch nicht, wie Sie ihn gemacht“.
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sagen konnte, – nicht vergaß zu sagen: Herr Kunst sey ein ordendlicher, fleißiger, 936 rechtschaffener Mann. – So kandte ich ihn, und nicht anders, in Bonn. – Dieses die Ursach, warum erCXXII gefiel. Man forderte nicht mehr, als man zum voraus wußte, was er würde leisten können. Herrn Leonhardt brachten wir nicht mit, aber doch keinen schlechtern in seinen Fach als die, die Weimar schon gesehen hatten.CXXIII – Im ganzen war die Gesellschaft beßer wie den [334v/672] Winter vorher, das sagte jeder: Den auch Herr Regglen mit seiner Frau937 waren neu dazugekommen. Wie glüklich spielte es mit Herrn Bellomo? Hätte er nicht die Hoffnung gehabt, nach Weimar kommen zu dürfen: In Erfurt hätte seine Gesellschaft wieder auseinandergehen müßen. Weimar allein verdankte er sein Glück, so lange Directeur zu seyn. Weimar allein; daß sich so mancher gute Schauspieler bei ihm engagirt; – daß seine Gesellschaft auch einen Namen bekam; – daß er es wagen konnte, an andern Orten zu spielen – ja, daß man ihm bis Grätz938 berüf. – Weimars Gnade allein, die die Geduld hatte, sein Specktakel den ersten Winter auszuhalten; ihm den zweyten auch noch zu kommen erlaubte und er nach und nach zu dem kam, was er hatte. 30. Kapitel Der Herr Bellomische Directeur Den 5ten October gaben wir das erste Stück in Weimar, Verbrechen aus Ehrsucht939, und es gefiel. Es wurden noch einige Stüke gegeben, die auch nicht mißfielen, man hatte Geduld und nahm den Willen für die That. 936 Gestrichen: Mann; kein Säufer, nicht liederlich, kein Zänker oder Kabalenmacher, ein ordendlicher,. 937 Madame Rögglen: Ehefrau von Christian Heinrich Gottfried Rögglen, deb. bei Bellomo 5. Okt. 1784, geht ab 1786, kehrt zurück Nov. 1787, geht ab Ostern 1791; Pasqué, Theaterleitung II, S. 308. 938 Joseph Bellomo war von 1791–1797 Direktor des Theaters in Graz. Lit.: Fleischmann, Berufstheater, bes. S. 126–138; Norbert Oellers, Bemerkungen über Joseph Bellomo und seine Leitung des Grazer Theaters, in: Christoph Fackelmann (Hg.), Literatur – Geschichte – Österreich. Probleme, Perspektiven und Bausteine einer Literaturgeschichte. Festschrift für Herbert Zeman, Wien/Berlin 2011, S. 271–277. 939 Verbrechen aus Ehrsucht, Familiengemälde von August Wilhelm Iffland. Kummerfeld spielte die Madame Ruhberg; HAAB ZC 120 Theaterzettel vom 5. Okt. 1784. – Gespielt wurde in Weimar in dem 1779 an der Stelle des heutigen Deutschen Nationaltheaters errichteten Komödien- und Redoutenhaus. Trotz großer finanzieller Schwierigkeiten und Risiken hatte der Fürst dem in Weimar als Bau- und Fuhrunternehmer tätigen Hofjäger Anton Georg Hauptmann den Auftrag erteilt, das Projekt auszuführen. Lit. Ventzke, Herzogtum, S. 95–97. Zu Hauptmann s. Volker Wahl, Der „Entrepreneur“ von Weimar. Zur Biografie des Hofjägers Anton Georg Hauptmann (1735–1803), in: Weimar-Jena: Die große Stadt 8/4 (2015), S. 391–417. Zum Theater: Alexander Weichberger, Goethe und das Komödienhaus
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[335r/673] Den 4ten November wurde mir Herr Bellomo anschaulicher. In dem ersten Stück, daß den Abend sollte gegeben werden, hatte ich nichts, und den Schluß sollte machen die Oper Der Lahme Husar940. Die Oper war schon in Eisenach gegeben worden, und ich wußte, daß ich mit denen andern auch eine Statistenrolle hatte. – Es befremdete mich aber sehr, daß der Bursch, der die Proben ansagte, kam und sagte: Ich sollte zur Statistenprobe kommen. – Wär’s eine neue Oper gewesen, o ja, warum nicht? Auch Statisten können oft was gut machen oder verderben. – So aber, in der Oper, wo nichts von denen Statisten zu verderben war, ich schon in Eisenach mit hinausgegangen? – Daß ist Irrthum oder Bosheit, eins von beiden. Ich schrieb ein höflich Billet an Herrn Bellomo und erkundigte mich, wie das zusammenhieng? – Er antwortete mir, daß er von der Probeansage nichts wiße; auch von mir überzeugt wär, daß ich mich von nichts ausschließte und thät, was mir zukäm; über mich nichts zu klagen hätte, „als wie nur das eine [335v/674] Mal in Erfurt, wo meine Schuhe mit Fleiß zerreißen mußten. – Merken Sie sich das“ etc. – Daß habe ich, Herr Bellomo! und freuen sollen Sie sich über mein gutes Gedächtniß. Ein kleines Pröbchen davon habe ich bereits geliefert. Nun kannte ich den ganzen Herrn Bellomo. – Daß er in Ansehung der Direction nichts verstand, wußte ich längst, nicht aber, daß er ein malitiöser Mann war. – Die Tänzerin oder Tänzer möchte ich wißen, die mit Fleiß unter den Tanzen einen Schuh zerreißen könnten; – und doch forttanzen? – Ich glaube, ich hätte in Strümpfen und ohne Schuh das Ballet geendet und wär nicht gewichen. – Herr Regglen und die in der Garderobe bei ihm waren, sahen solche an meinen Füßen, wie die Zähen herraus standen, noch ehe ich die Schuhe von den Füßen brachte. – Noch mehr, Bellomo war klein genug zu sagen: Ich hätte der Schusterfrau zugewinkt, daß sie sagen sollte: Sie könnte die alten Schuhe nicht beziehen noch liefern. – Ich einer fremden Frau, die ich nie gesehen? [336r/675] Die von mir keinen Groschen verdient? Mich gegen so eine bloßzustellen? – Der winken, nein zu sagen, bei einer Gelegenheit, wo sie einige Groschen verdienen konnte? – – Nein, da hatte ich dümmer noch wie Bellomo als Directeur seyn müßen – Himmel! Was ist das für einCXXIV Mann. – So empfindlich hatte mich noch keiner beleidiget. – Wär’s nicht in Weimar gewesen, ich wär auf der Stelle fort und abgegangen. – Der muß ausgewichen werden. – Jezt mußte ich ihm verachten. Was würde ich, ich, die ich Weimar lieb hatte, nicht alles gethan haben, um den besten Hof, den man sich nur wünschen konnte, und einen so guten Publikum, wie das in Weimar 1779–1825. Ein Beitrag zur Theaterbaugeschichte, Leipzig 1928 (Theatergeschichtliche Forschungen 39); Satori-Neumann, Frühzeit, S. 145–152; Busch-Salmen, Theaterpraxis. 940 Der lahme Husar, komische Oper von Franz Seydelmann, Libretto von Friedrich Karl Koch.
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Weimarasche war, eine Freude zu machen? Herrn Regglen, der brav tanzte, und er sowohl wie seine gute Frau mir freundschaftlich begegneten; er selbst gern, da er Tänzer war, um in der Übung zu bleiben, gern Ballette gemacht hätte; wie würde ich mich gern bemüht haben, meine Füße wieder in Gang zu bringen; – was solche nicht mehr [336v/676] gekonnt, hatten sie lassen können; aber Körper, Kopf und Arme hatte ich noch ziemlich in meiner Gewalt. – Auch spielte ich ja nicht mehr solche angreiffende Rollen. – Da aber Herr Bellomo so grob war, nein, nun tanzst du nicht wieder. Meine Schuhe hing ich zum Denkzeichen in der Stube auf, als ein Sinnbild. Hatten wir ein und ander gut Stück gegeben, das gefallen, so war’s nicht möglich, daß es Herr Bellomo lassen konnte, er mußte eins von seinen Lieblingsstücken mit einmengen – sein Jost von Bremen941 unter andern. Da konnte er in der Coulisse lachen, daß er sich den Bauch hielte und die Thränen ihn über die Backen liefen – besonders, wenn der Jost den Hering in den Caffee titschte942 und verzehrte, die Scene des Übelwerdens so natürlich spielte, daß mir in Eisenach in Parter angst wurde, ich würde in natura das thun, was er pro forma darstellen mußte – keinen Blick mehr auf ’s Theater wandte; wie das Stück aus war, aufs Theater zu Herrn Bellomo kam und sagte: „Um Gottes Willen! Herr Bellomo, was ist das für einCXXV [337r/677] Stük? – Daß gehört auf den Zahnarztenstand943, nicht aber auf ein regelmäßiges Theater“ – er zu mir sagte: „Still, sagen Sie das ja nicht laut. Es ist dem Herzog und den Hof in Weimar sein Lieblingsstück.“ – Daß??? Unmöglich!!!CXXVI Er behauptete es. In Weimar erkundigte ich mich. Und so ist der Zusammenhang. Wie Herr Bellomo den ersten Winter in Weimar war, vergriff er sich einige Mal an Stücke – besonders Trauerspiele. Weil die nun gar nicht anzusehen waren, so hies es: Er möchte bei seinen Trunkenbolden in der Hölle944, Eingebildeten Philosophen945, Lahmen Husa-
941 Jost von Bremen, auch Der schriftliche Aufsatz, Lustspiel von Gabriel Eckert. 942 Eintunken. 943 Eine Anspielung auf die umherziehenden Zahnärzte, die auf Jahrmärkten praktizierten und von denen einige zugleich als Schauspieler auftraten. Nach Ursula Geitner meint Kummerfeld mit „Zahnarzten stand“ eine schlechte Wanderbühne; Ursula Geitner (Hg.), Schauspielerinnen. Der theatralische Eintritt der Frau in die Moderne, Bielefeld 1988, S. 246. 944 Der Trunkenbold in der Hölle, komische Oper von Christoph Willibald Gluck, Libretto von Friedrich Gessner. Dieses Werk wurde 1760 in Wien unter dem Titel L’Ivrogne corrigé (Libretto: Louis An seaume und Jean-Baptiste Lourdet de Santerre) uraufgeführt. 945 Die eingebildeten Philosophen, Übersetzung des Singspiels I filosofi immaginari (Musik: Giovanni Paisiello, Libretto: Giovanni Bertati) von Johann Gottlieb Stephanie d. J.
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ren946, Jost von Bremen u.s.w. – daß ist: Schuster, bleib bei deinen Leisten, bleiben. – Daß war aber den Mann zu hoch, zu fein, zu unverständlich, weil es höflich und verblümt gesagt wurde, und glaubte daher: – Das ist vortreflich! Weimar hat auch deinen Geschmack. Ich bekam eine Rolle zugeschickt, wo unten der [337v/678] Name Madame Ackermann weggestrichen und der meinige dafür hingeschrieben war. – Die Rolle war nicht neu geschrieben, daß es ein Versehen hätte können gewesen seyn. – Das Stück hies: Besuch nach dem Tode947; die Rolle: Louisens Geist. – Ich laß die Rolle durch und dachte: Was ist den das wieder? – – Der erste Auftritt – aber der zweyte?? – Das Stück konnte ich nicht bekommen, und Leseprobe war auch nicht – die Rollen waren ja nicht neu geschrieben. Ich dachte: – Ohngeachtet ich es nicht in der Rolle merken konnte, – gewiß, es entwickelt sich das zulezt, das du keinen wirklichen Geist vorstellst, sondern daß das alles eine Verstellung ist. – Ich sagte nichts, wanderte zeitig zur Probe, nahm einen Stuhl und sezte mich zu den Soufleur, daß ich auch nicht ein Wort, nicht einen Gedanken von den Stück verlieren konnte. – – Die Probe war aus – ich nach Hause. Wie? – Das ist ein Stük zum Lesen oder als Roman und Geschichte. – Nicht aber auf ’s Theater. – Wieder ein Bellomoischer Findling, den er mit vä[338r/679]terlicher Zärtlichkeit auf- und angenommen. – Darum also mein Name? – Selbst Madame Ackermann liebt das Bellomosche Kind nicht mehr. – Du sollst dich damit beschleppen948. Wart! – Heute wird in den zweyten Auftrit, den du hast, gewiß gepfiffen. – Dann hörst du auf, Louisens Geist zu seyn, schlägst deinen Schleier zurük und bist Kummerfeldt. Ich machte mir einen kleinen Entwurf von einer Rede, die ich halten wollte. Hier ist er: Mit welchen Gefühl ich heute auf ’s Theater gekommen. Ich hätte gehört, das Herr Bellomo das heutige Stück in Dreßden oder in den Bade dort spielen laßen, ihn von angesehenen Personen gesagt: Er sollte es nicht wagen wieder zu geben. Ob sie Narren wären? – Noch mehr: Der Autor selbst soll ihn gebeten haben, es nie wieder spielen zu laßen, weil er es nicht geschrieben als ein Stück, das man aufführen, sondern nur lesen sollte. – Aber nein! Er gab es doch noch hier in Weimar. – Ob der Künstler gleichgieltig bleiben könnte, wenn [338v/680] er durch seinen Directeur, der alle Achtung aus den Augen sezt, die er für Weimar haben sollte – gezwungen würde, eine Rolle 946 Der lahme Husar, komische Oper von Franz Seydelmann, Libretto: Friedrich Karl Koch. 947 Der Besuch nach dem Tode, Schauspiel von Karl Martin Plümicke nach August Gottlieb Meißners Erzählungen und Dialogen. Kummerfeld spielte Louisens Geist; HAAB ZC 120 Theaterzettel vom 27. Nov. 1784. 948 Belasten.
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zu spielen, die, so wie der Geist ist, gar nicht auf den Theater geduldet werden kann. – Ich, die ich die Theaterwelt kenne, wüßte zu genau, daß man in der Welt aussprengen würde, weil ich Neider darunter hätte, nicht Bellomo und Louisens Geist, – nein – die Kummerfeldt ist gepfiffen worden. – Und dieß wär die Ursach des Schrittes, den ich gewagt. – Ich bedauerte Weimar, daß bei so vieler Gnade und Nachsicht und Geduld so gemißbraucht würde. Aber ich bete949 auch mich und die guten Mitglieder, die mit mir daßselbe fühlten, auch einiges Mitleiden zu würdigen: Daß das Schicksal Bellomo zum Directeur gemacht und uns zu ihm geführt. Daß war so ohngefehr meine Rede, und nun gieng ich getrösteten Muthes aufs Theater. In Weimar solch ein Stück? – In Weimar, dem er’s verdankte, daß er noch Directeur seyn konnte? – Welch ein undankbarer Mann! – Welch ein Mann [339r/681] ganz ohne Kopf ? – Aber da traf ’s ein: Mehr Glük wie Verstand. Meine zweyte Scene kam – und es blieb nur dabey, daß man lachte. – War das nicht alle mögliche Nachsicht? – Nur zu lachen? – O, hätte nur eins gepfiffen – dann hätte auch ich mitgelacht. //CXXVII Denselben Abend kam Herr Neumann950 zur Gesellschaft. Nur einmal habe ich ihn in Bonn spielen sehen, um Achtung für den Mann als Schauspieler zu haben. Er spielte den Carl Moor in den Räubern951 mit allgemeinen Beifall. – Den Himmel sey Dank! Nun, hoffe ich, werden beßere Stücke kommen. Wenn Herr Bellomo nun auch eins nahm – aber er konnte es nicht lassen und mußte was von seinen Unsinn hineinbringen. – Hier etwas von ihm – und die ganze Theaterwelt erstaune, das der Mann Directeur seyn wollte. Der Argwöhnische Ehemann952 wurde zum ersten Mal hier gegeben – wär kennt das Stück nicht? – Ich lese den Zettel und finde unter den Personen stat: Kät949 Bäte. 950 Johann Christian Neumann (1754–1791), Schauspieler. Neumann war 1791 vom Weimarer Hof als Nachfolger Bellomos für die Theaterleitung in Erwägung gezogen worden, er starb aber am 15. Februar des Jahres, noch vor Beendigung der Bellomoschen Spielzeit; Satori-Neumann, Frühzeit, S. 12. – Die Tochter der Schauspieler Johann Christian und Johanna Elisabeth Neumann geb. Hütter (1752–1796), die spätere Schauspielerin Christiane Becker-Neumann (1778–1797), war 1791 Schülerin der Kummerfeldschen Nähschule; Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. 951 Die Räuber, Schauspiel von Friedrich von Schiller. 952 Der argwöhnische Ehemann, nach dem Lustspiel The Suspicious Husband von Benjamin Hoadley übersetzt
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chen – Heinrich – – – Monsieur Herr953, [339v/682] ein Knabe von 11 oder 12 Jahren, den Herr Frankenberg bei sich hatte. Ist der Mann ganz von Sinnen? Der Junge soll die Rolle spielen? – Heinrich anstatt Kätchen? – – Ich komme zur Probe. Herr und Madame Frankenberg954 sezten sich dagegen, daß der Knabe Monsieur Herr als Knabe die Rolle nicht spielen könnte. Er sollte. – Der Spektakel war arg unter die drey Leute. – Aber Herr Bellomo wollte als Directeur recht haben. –CXXVIII Es blieb dabei und – ich sagte noch nichts. – Wir kamen den Abend aufs Theater. Madame Frankenberg hatte die Minette zu spielen. – Noch wußte ich nicht, ob es so bleiben sollte oder nicht. – Ich konnte nun nicht länger stillschweigen, ich mußte sagen: „Solch ein Auftritt ist noch in keinen Stück gewesen. – Der erste Act in der Kindermörderin955 ist arg. Aber der heutige ist gar + + + + + Ei, pfui [340r/683] Teufel!“ – Daß es mag brühwarm übergetragen worden seyn – daran war nicht zu zweifeln, und darum sagte ich’s – weil die es hätten verhindern können, daß sich der Mann nicht so ganz bloß gegeben. Madame Frankenberg blieb bei ihren Wort: Unser Junge soll die Rolle nicht spielen, und hielte es redlich. – Sie zog über ihr Minettenkleid einen andern Rock, nahm eine Saloppe956 um und spielte die Rolle selbst. So wurde die Ehre des Stücks gerettet, das niemals noch in Weimar war gegeben worden. – Waren den sonst keine Frauenzimmer da, die die Rolle übernehmen konnten? – Auch die Frage kann ich mit ja beantworten. Madame Bellomo war da. – Die hätte
und bearbeitet von Friedrich Wilhelm Gotter. Die Erstaufführung in Weimar fand am 24. Januar 1784 statt, von dieser Aufführung ist kein Theaterzettel erhalten. Kummerfeld spielte die Rolle der Klara. Auf dem Theaterzettel der Aufführung vom 11. Dez. 1784 (HAAB ZC 120) spielte „Mr. Herr“ den Lohnbedienten Fritze, die Rolle des Kätchens wurde offensichtlich von Bellomo gestrichen. 953 Monsieur Herr: Nicht ermittelt. 954 Marianne Frankenberg geb. Weiß (1749–1811). Der Biograph von Franz Frankenberg, der mit den Familienverhältnissen gut vertraut war, schrieb 1789, Frankenberg habe „sich mit der jetzt traurenden Wittwe, einer Waise aus dem Hause der Castelli“ verheiratet. Auch sie habe in Weimar die Bühne betreten, „spielte zu großer Zufriedenheit des Hofes und des dortigen Publikum; mußte aber, Krankheitshalber, schon nach acht Monaten diese angefangene Laufbahn wieder verlassen“; Anonym, Leben, S. 11 f. 955 Die Kindermörderin, Trauerspiel von Heinrich Leopold Wagner. – Offensichtlich vergleicht Kummerfeld hier den ersten Akt des Trauerspiels Die Kindermörderin mit dieser Aufführung des Argwöhnischen Ehemanns, in der Madame Frankenberg nicht nur die Rolle der Minette, sondern auch die des Kätchens gespielt habe. Laut Theaterzettel vom 11. Dez. 1784 spielte Madame Frankenberg nur die Minette, ein Kätchen kommt nicht vor und „Mr. Herr“ spielt den Lohnbedienten Fritze; HAAB ZC 120. 956 Überwurf oder Umschlagtuch.
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sie spielen können, – und würde sie auch ohne Wiederrede gespielt haben. – Den sie war eine verträgliche Frau. Dieß sey nun genug gesagt von der Bellomoschen Direction957. – Man wird vielleicht denken, wie es möglich gewesen, bei so einen Mann [340v/684] zu bleiben? – Auch darauf kann ich antworten. – Weimar war zu sehr für Schauspiel eingenommen; ich, und vielleicht viele mit mir, dachten: – Vielleicht wird ihm ein Dam gelegt958, – ihm – seiner Frau wegen, nicht ganz der Abschied gegeben, nur die Oberherrschaft genommen; – wir noch ganz in Weimarschen Sold kommen können und ihm selbst ein Vormund gesezt würde, ohne dessen Zulassung er keinen albern Streich spielen kann. Das hoffte ich. 31. Kapitel Endlich Emilie Galotti und der Herr Kunst Endlich, endlich kam Emilie Galotti959 zum Vorschein. – Was gab ich mir für Mühe! – Madame Regglen, die so ganz die Emilie vorstellen konnte, der es aber an einer Freundin gebrach, die sie zurechtwies, – weiß es: Ich nahm sie vor. – Und gewiß, sie sagte kein Wort anders, als sie’s sagen mußte. – Nicht alle Männer, und wenn sie noch so viele Talente haben, sind imstande, Schauspielerinnen zu bilden, zu unterrichten. – Herr Regglen hat Rollen, die so leicht keiner beßer spielen wird – aber seiner Gattin [341r/685] konnte er daß nicht sagen, was ich ihr sagen konnte. Auch Herrn Kunst überhörte ich seine Rolle, machte ihn aufmerksam auf jede Schönheit, die in der Rolle liegt und die ich oft so meisterhaft spielen sah. So, so nahm Herr Brockmann960 die Stelle, so sagte er dies, so jenes. – Kurz, ich wünschte, das ein einziges Mal ein gutes Stück gut gegeben würde.
957 Mit dem Engagement des Prinzipals Bellomo durch Herzog Carl August begann in Weimar eine öffentliche Theaterkultur, d. h. erstmals in der Geschichte der Stadt traten die Schauspieler auch vor zahlendem Publikum auf. Bellomo war daher in der Spielplangestaltung vom Publikumsgeschmack abhängig, was ihm letztlich zum Verhängnis wurde, da die Zufriedenheit mit seinen Aufführungen sank. Dies führte dazu, dass Carl August Anfang 1791 Bellomos Vertrag kündigte und das Hoftheater gründete, das er unter Johann Wolfgang v. Goethes Leitung stellte; Birgit Himmelseher, Das Weimarer Hoftheater unter Goethes Leitung. Kunstanspruch und Kulturpolitik im Konflikt, Berlin/New York 2010 (Theatron 56), hier S. 3 f. Zeitgenössische kritische Stimmen über die Bellomoische Theater bei Oscar Fambach, Ein bisher unbekannter Goethescher Theaterbericht, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1966, Tübingen 1966, S. 125 f. 958 Jemanden einen Damm legen: Wohl im Sinne von bändigen, sein Tun in vernünftige Bahnen lenken. 959 Emilia Galotti, Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing. 960 Johann Franz Hieronymus Brockmann (1745–1812), Schauspieler.
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Herr Neumann war Galotti und spielte ihn, wo nicht als Eckhof, Borchers und Schröder, doch so, daß man ihm nach solchen auch mit Wohlgefallen spielen sehen konnte. Herr Frankenberg den Rath Camilla Rothe961. Nie sah ich die Rolle beßer spielen. Und die Rolle, die so oft das Schiksal hat, bei den besten Theatern durchzufallen, hatte das Glück, einmal meisterhaft durch ihn gegeben zu werden. – Herr Regglen war Graf Apiani – ich hätte gewünscht, daß er auch Marinelli seyn können. Nicht so gut wie in Eisenach hatte ich zu meiner [341v/686] Claudia alle Töne in meiner Gewalt – den das Durchgehen der Rollen mit der Emilie und den Prinzen hatte mich so angegriffen, daß ich sagte (noch nach der Hauptprobe ) vom Theater in meinen Zimmer: „– Nun kann und darf ich nicht ein Wort mehr reden. – Oder ich selbst kann heute Abend kein Wort sagen. – Was thut mir meine Brust weh.“ Es war der 14. December962. Nie waren die Weimeraner, solange unter der Bellomoschen Direction gespielt worden, zufriedener weggegangen wie den Abend. „Ei! was hat unsere kleine Regglen ihre Emilie schön gespielt, wie hat sich die Frau gebessert“ – so sagten einstimmig alle, die sie hier und in Eisenach die Rolle spielen sahen. – Aber wär kann sagen, daß ich gesagt: Daß ist mein Werk? – Wenn auch meine Rolle nicht so gut noch gegangen wär, als wie sie gieng, so hätte ich mich doch freuen müßen. – In mir war nie Neid. Ich war auch für Freude ausser [342r/687] mir und sagte zu Herrn Bellomo: „Nun, wie steht’s? Ich dachte, in Weimar liebt man keine Trauerspiele? Wollen keine sehen? – Ist noch, solange wir hier sint, der Beifall so groß, so einstimmig gewesen wie heute??“ Madame Ackermann lies sich den Abend krank nach dem Theater bringen. Ihre Figur und Anstand war ganz Orsine963 – aber sie spielte sie nur nicht. – Mit der Rolle hat sie oft gewechselt, wie sie sie nehmen soll? – In Eisenach stand mir der Verstand still, wie sie sie nahm; – diesen Abend war sie krank – und wie ich sie ihr zum dritten Mal spielen sah, nahm sie Orsine wie das Fräulen von Rosenhayn im Flatterhaften Ehemann964. – Sie wurde bei den Auftritt, wie sie kam, mit Applausu empfangen von einigen. – Man machte die Anmerkung darüber: – Weil sie doch krank die Rolle spielte und dem Publikum den Abend die Freu[de] nicht verdorben hätte, das Stük zu sehen. Inzwischen war ihr der Beifall des Empfangs und Weggehen in der Rolle nicht genug, und das [342v/688] Stück troz allen Wünschen und Verlangen des Publikums 961 Camillo Rota. 962 Theaterzettel der Aufführung vom 14. Dez. 1784 mit Kummerfeld in der Rolle der Claudia: HAAB ZC 120. 963 Die Rolle der Gräfin Orsina in Lessings Emilia Galotti. 964 Der Flatterhafte Ehemann, auch Wie man eine Hand umkehrt, Übersetzung des Lustspiels The School for Wives von Hugh Kelly, bearbeitet von Johann Christian Bock.
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und der vollen Einnahme, die Herr Bellomo gewiß gehabt hätte, blieb es liegen bis den 9ten Juni 1785965, und er gab die Schöne Weimeranerin966, den Bettelstudenten967, die Irrungen968, Jurist und Bauer969 und – Tod, Teufel und Schildwache970, daß er sich einmal wieder sattlachen konnte. So kam den das Jahr 1785 heran. Ich bekomme Briefe aus Hamburg mit der Nachricht, daß Herr Schröder von Wien abgienge und selbst in Hamburg das Theater wieder übernehmen würde; ich hatte es in der Garderobe gesagt. – Herr Kunst kommt zu mir, sagt, wie er wünschte, bei Herrn Schröder engagirt zu werden; was er unter solch einen Mann lernen könnte; wollte gern Verzicht auf alle die guten Rollen bei Bellomo thun, wenn er da ein Pläzchen haben könnte. Bat mich um alles in der Welt Willen, ich möchte seinetwegen schreiben. Ich that es nicht gern und wollte Herrn Bellomo, – so wenig er sich auch um mich verdient gemacht – doch nichts vor[343r/689]säzlich zu leide thun. – Auch sagte Herr Kunst: „Meine Zeit halte ich aus bei Bellomo.“ Unter Zeit aushalten – verstand ich immer ein rundes Jahr wenigstens. Ich sagte, ich wollte schreiben. Herr Kunst schien mir nicht zu trauen, weil er mochte gemerkt haben: Ich zweifelte, wenn er engagirt würde und man ihm eher verlangte, er bis Michaeli bey Herrn Bellomo bleiben würde. – Er wollte also meinen Brief selbst auf die Post geben. – Sein Mißtrauen war mir lächerlich. – Den wenn ich nicht schreiben wollen, hätte ich’s gewiß gesagt. – Ich schrieb, jedes Wort konnte ich verantworten. In Hamburg kannte man Herrn Kunst von Person. Er hatte schon da gespielt; folglich sagte ich: Er wär beßer geworden, hätte bei Herrn Grossmann und Herrn Bellomo die Rollen der ersten
965 Bei dieser Aufführung der Emilia Galotti spielte Karoline Kummerfeld nicht mit; Theaterzettel HAAB ZC 120. 966 Die schöne Weimaranerin oder Die schöne Weimaranerin in Wien, Lustspiel von Paul Weidmann. Die Aufführung mit Kummerfeld als Gräfin Elisabeth fand am 12. oder 13. Dez. 1784 (Theaterzettel beschnitten) statt; Theaterzettel HAAB ZC 120. 967 Der Bettelstudent oder Das Donnerwetter, auch Der reisende Student, Lustspiel (mit Gesang) von Paul Weidmann. 968 Die Irrungen, Übersetzung des Lustpiels The Comedy of Errors von William Shakespeare, bearbeitet von Gustav Friedrich Wilhelm Großmann. Aufführung am 20. Dez. 1784 mit Kummerfeld in der Rolle der Henriette; Theaterzettel HAAB ZC 120. 969 Der Jurist und der Bauer, Lustspiel von Johann Rautenstrauch. Aufführung am 21. Dezember 1784 mit Kummerfeld in der Rolle der Catharine; Theaterzettel HAAB ZC 120. 970 Schildwache, Tod und Teufel, auch Liebe macht Narren, Die lächerliche Verkleidung oder Der Tod, der Teufel und die Schildwache, Posse, aus dem Spanischen, bearbeitet von Christian Ferdinand Anselm von Bonin. Der spanische Titel und der Verfasser (Pedro Calderón de la Barca?) konnten nicht eindeutig ermittelt werden. Die Aufführung (ohne Kummerfeld) fand ebenfalls am 21. Dezember 1784 statt; Theaterzettel HAAB ZC 120.
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Liebhaber spielen müßen und könnte unter Anführung des Herrn Schröders noch in einigen Rollen ein brauchbarer guter Schauspieler werden. Seine Sitten wären hier tadelfrey gewesen, und jedermann hätte Achtung für ihn und sehe ihn gern spielen, weil er sich viele Mühe gäbe und fleißig wär. – – [343v/690] Herr Kunst kam, und ich übergebe ihm mit folgenden Worten den versiegelten Brief in die Hand: „Hier, Herr Kunst, empfangen Sie aus meiner Hand Ihr Engagement bei Herrn Schröder und zugleich meinen Abschied bei Bellomo.“ – Daß wollte Herr Kunst nicht glauben, ich aber sezte es ihm so auseinander, daß er zwar bei seinen Nichtglauben blieb, – aber bei sich denken mußte, – es könnte doch wohl seyn. Es kam Antwort zurück – und Herr Kunst war engagirt. – Er rechnete die Gage nach, und für Freude über das Engagement fiel er gegen das Fenster gewendet nieder auf die Knie und that ein feyerliches Dankgebet gegen den Himmel: Das Gott so für ihm sorgte. Thränen standen in seinen Augen. – – Mir sollte es der liebe Gott vergelten. – Ja! Wenn ich auch nicht von jeher meinen guten lieben Gott gehabt hatte, hätt’s böß um mich ausgesehen. – Nie würde er es mir vergeßen u.s.w. Herr Kunst sollte bald kommen. – Aber ich wünschte, [344r/691] daß er bis Michaeli bleiben möchte; – und so versicherte er, er wolle es nun schon machen – wie er es gemacht, weiß ich nicht, den er und Herr Bellomo kamen bis aufs Priegeln zusammen. Lezterer schallt ihm – nach seiner Art einen Esel. Herr Kunst fieng das Wort auf und sagte: „Ein Esel kann nicht auf Ihren Theater mehr spielen“, und so gieng er Knall und Fall ab. – Und in 14 Tagen darauf hatte den auch ich meine Entlassung von Herrn Bellomo, die mir den gar nicht unerwartet kam. 32. Kapitel Das Theaterleben hatte ich zur Genüge genossen In Stillen hatte ich schon lange wieder an meinen Lieblingsprojeckt gebrütet, das war: – Ganz von dem Theater. Die wenigen guten Menschen können dich von der Brut, die bei denen Theatern ist, nicht schadlos halten. Weimar ist der Ort – sonst keiner. – Du hast Freunde, sie lassen dich nicht. Was du bittest, kann man dir gewähren. – Guter Gott! Du kannst allein die Herzen lenken. – – Nie, nie bat ich dich um etwas, da du [344v/692] mein Herz sahest – war’s noch so zweifelhaft – du erhörtest meine Bitte. – Segnetest mein Verlangen – ich tauge ja nicht unter die Menschen – die Menschen nicht zu mir.
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Hier ist’s wolfeil zu leben. – Du bittest um Schuz, bittest um die Gnade, hier leben zu dürfen; bittest um Arbeit – ja! Wenn bittet das Kind den Vater um Brod und daß er ihm einen Stein reiche? Ich machte Überschlag. – Arbeit! Du bist fleißig, kannst es seyn. – Deinen Mund bringst du durch. – Nur so viel verdient, als die kleinen tagtäglichen Ausgaben erfordern – nur Gesundheit – so kannst du hier bleiben, sagst Theater, Rollen, Beifall und nicht Beifall – sagst allen gute Nacht. Fest und unerschütterlich stand er vor mir, mein Entschluß, so fest, wie er immer vor mir stand, wenn ich was mit Überlegung beschloß. Voll Vertrauen auf Gott und gute Menschen wagte ich’s an einen Morgen und machte unserer [345r/693] Durchlauchtigsten Herzogin Mutter971 meine unterthänigste Aufwartung. Mache Deroselben meinen Entschluß wißen und die Ursach, warum ich es that. Voll Huld und Gnade gaben mir diese grosse Fürstin recht. Versicherten mich ihres hohen Schutzes. Wer war glüklicher wie ich?? – Noch denselben Nachmittag gieng ich zu den Kammerfrauen an dem regierenden Hof972. Ich fand die guten lieben Demoiselles 973 nicht zu Hause. Sie erfuhren, ich wär da gewesen, und schikten den andern Tag schon, ich möchte hinkommen. Ich kam; bath dasselbe, bath, mich unserer Durchlauchtigsten Herzogin974 zu Füßen zu legen. Sagte dasselbe, was ich den Morgen vorher an den Hof der gnädigsten Herzogin Mutter gesprochen. – O, die guten, lieben, vortreflichen Kammerfrauen. Wie freuten sie sich meines Entschlußes und versprachen mir Arbeit. Wie wohl war mir! 971 Anna Amalia, Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach geb. Herzogin von Braunschweig-Wolfenbüttel (* 24. Okt. 1739 Wolfenbüttel, † 10. April 1807 Weimar). Zur Wahrnehmung Anna Amalias als „Landesmutter“ s. Berger, Anna Amalia (2003), S. 227–294. 972 Der Hof des Sohnes von Herzogin Anna Amalia, Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach (* 3. Sept. 1757 Weimar, † 14. Juni 1828 Graditz bei Torgau). 973 Gestrichen: Musculus und Demoisell Kotzebue. – Charlotte Musculus (1748–1817) und Johanna Caroline Amalie von Kotzebue (1757–1827) waren Kammerfrauen der Herzogin Louise. Lit:. Stefanie Freyer, Der Weimarer Hof um 1800. Eine Sozialgeschichte jenseits des Mythos, München 2013 (bibliothek altes Reich 13), S. 184 f., 191–194 (Musculus); Hendrikje Carius/Katrin Horn, Johanna Caroline Amalie Ludecus, geb. von Kotzebue, in: Stefanie Freyer/Katrin Horn/Nicole Grochowina (Hg.), FrauenGestalten in Weimar-Jena um 1800. Ein bio-bibliographisches Lexikon, 2. Aufl., Heidelberg 2009 (Ereignis Weimar-Jena, Kultur um 1800. Ästhetische Forschungen 22), S. 231–234. 974 Herzogin Luise von Sachsen-Weimar-Eisenach geb. Prinzessin von Hessen-Darmstadt (* 30. Jan. 1757 Berlin, † 14. Febr.1830 Weimar), Gemahlin Herzog Carl Augusts. Lit.: Marcus Ventzke, Luise Auguste Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach, geb. Prinzessin von Hessen-Darmstadt (1757–1830), in: Freyer/Horn/Grochowina (Hg.), FrauenGestalten, S. 282–287.
Drittes Buch, 32. Kapitel | 941
Den 31. May erhielte ich [345v/694] schon die erste. – Nie habe ich eine Arbeit vorher mit so frohen Herzen gemacht; nie bei dem Durchlesen der schönsten Rolle, wo ich mir eine höhere Staffel des Ruhms als Künstlerin zu bauen gewiß war, das gefühlt, was ich bei dem Buder-Mantel975 für unsere Durchlauchtigste Herzogin Louise empfand. – Ich schämte mich nicht, solchen selbst denen Kammerfrauen zu überbringen, und die Zufriedenheit, die sie mir über meine Arbeit zeigten, war mir lieber als daß Herausrufen in Inspruck nach der Rolle der Minna und Elfriede – und ich nicht kam –976 wollte keinen Vorzug vor andere. –977 Manche hundert Gulden hatte ich eingenommen in meinen Leben, aber die Freude machten sie mir nicht wie dieser Gulden, den ich aus der Hand für meine Arbeit 978 [346r/695] nahm. Wär er in einen Stück gewesen, ich hätte ein silbern Henkelgen daran machen lassen und solchen Zeitlebens an mir getragen. Dieser Arbeit folgte bald mehr. So saß ich den schon und nähte für Geld, da Herr Bellomo schickte, ich möchte die Claudia an Madame Hahn979 abgeben zu ihrer zweyten Debütrolle; – o, von Herzen gern! – Jezt wurde Emilie Galotti 980 zum ersten Mal wiederholt. – – O, nehmd die – nehmt alle! Ich hatte den frommen Wunsch: Sie möchten so vergnügt bei ihren Rollen seyn wie ich bei meiner Arbeit. Den 14. Juni wurde Graf Walltron981 gegeben, zum zweyten Mal. Der Tag war ausser ordendlich schön, aber auch sehr heiße Witterung; wenige Zuschauer waren da, anfänglich wollte Herr Bellomo gar nicht spielen. – Man spaßte darüber in der Garderobe, endlich hies es doch, das gespielt werden sollte; Madame Ackermann spielte den Grafen Gronenburg. Es waren wenige Zuschauer da, mithin spielten [346v/696] die meisten untereinander so, wie ich mich erinnere, wenn Directeurs oft auf und ohne Befehl ein elendes Stück gaben, die Schauspieler sagten: „Heute spielen wir für uns“; – daß thaten sie denn 975 Pudermantel: Umhang, um die Bekleidung beim Pudern des Haares vor dem Puder zu schützen. 976 Gestrichen: auch die Bescheidenheit hatte und sagte: Dem ganzen Stück gienge es an. – Mir nicht allein. – Man sagte: Kummerfeldt, welche Frau sind Sie? – Sie treiben die Bescheidenheit zu weit. 977 Ursprünglich hieß der Satz: Ich will nur keinen Vorzug vor andere. – Hassen sollte man mich nicht. 978 Gestrichen: von Mademoiselle Musculus. 979 Madame Hahn war ebenso wie ihr Mann von 1785–1791 bei Bellomo engagiert; Pasqué, Theaterleitung II, S. 293. 980 Emilia Galotti, Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing. Die Aufführung mit Madame Hahn als Claudia fand am 9. Juni 1785 statt; Theaterzettel HAAB ZC 120. 981 Der Graf von Walltron oder Die Subordination, Schauspiel von Heinrich Ferdinand Möller. Kummerfeld spielte die Gräfin von Walltron; Theaterzettel HAAB ZC 120.
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mehr als die noch. – Aber die machten es noch ärger. – Sie sagten, was ihnen in den Mund kam, den einer nahm des andern Reden weg, der kam zu früh, jener zu späth, und wie sie sich darüber foppten – oder vielmehr die Zuschauer. Ich sah den Unfug und sagte einmal wieder zu mir selbst: Kummerfeldt! Sehe nichts, höre nichts. Denke den einen Gedanken fest: Du spielst heute zum lezten Mal – gehe als Kummerfeldt vom Theater. Wer weiß, ob du noch einmal zum Spielen hier kömmst, – und kömmst du, ist’s vielleicht eine Rolle, aus der nichts gemacht werden kann. – Was können die Zuschauer dafür, daß das Haus nicht völler ist? – Haben die, die da sind, nicht ihr Geld hingegeben? – Sind sie hereingekommen, sich narren zu lassen? – Spiel und nimm [347r/697] an nichts Antheil, was außer deiner Rolle vorgeht. – – Mit dieser meiner Festigkeit im Entschluß trat ich auf. Ich muß noch eine Anmerkung machen wegen der Rolle der Gräfin. Schon in Inspruck, wo ich sie zuerst gespielt, hatte ich sie sehr gestrichen. – Weg mit den vielen Verwünschungen, 982 – mit allen denen Wiederholungen, die den aufmerksamen Zuschauer Ekel machen müßen. – So, wie ich die Gräfin Walltron zugestuzt hatte, war es erst eine schöne Rolle geworden. – Ich gehörte nicht zu die Gern-Specktakelmacher-Actricen. So also, wie ich sie in Inspruk abgekürzt, spielte ich sie in Weimar den 14. Juni; so – daß ich mit mir zufrieden war – und daß war viel, das pflegte ich nicht immer vor meinen strengen Richterstuhl mir zu sagen. – Das fühlt nur der wahre Künstler; und daß kann man auch nur wenige Schauspieler fragen: Ob sie das Gefühl [347v/698] kennen? – Ob sie’s verstehen?? Die wenigen Zuschauer, die da waren – o, mir waren sie viel! – – – Ich erreichte meinen Zweck und meinen Triumph – die Thränen, die man meinen Spiel zollte, die Aufmerksamkeit, der laute Beifall zwischen meinen Spiel und bei jeden Abgang, den ich hatte – o, der vertrieb auf der Gallerie den bestellten Burschen den Schnupfen – der niesen mußte, gerade in den Augenblick, wo die Gräfin erfährt, ihr Mann sey im Arrest. – Und doch wollte auser den Schauspielern selbst keiner von denen Zuschauern lachen! – Daß sind Comödiantenstreiche, wär kennt die nicht. – 983 [348r/699] Das Stück war aus – und nun hielte ich an Madame Ackermann und denen Herren, die in der Garderobe waren,CXXIX noch folgende Schlußrede: 982 Gestrichen: und mit denen vielen Vergleichungen – kurz. 983 Gestrichen: Selbst Herr Neumann – schade, daß er tod ist! – der den Grafen Walltron die ersten drey Aufzüge so miserabel spielte, als er nur wußte und konnte, fieng doch im vierten Aufzug an, Lunte zu riechen und mußte denken: Nein, das geht nicht länger! und spielte nun etwas mehr seiner Schuldigkeit gemäß.
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„Ich dankte Ihnen insgesamt, daß Sie sich heute so viele Mühe gegeben, das Stück fallen zu machen. – Mir gaben Sie dadurch mehr Gelegenheit noch zu zeigen, daß ich Schauspielerin bin und meine Kunst verstehe – daß kann nur der wahre Künstler. – Sonst heißt es: Einer allein kann keine Comödie spielen. – Ich aber habe heute Ihnen gezeigt, daß einer allein ein Stück halten kann, daß es doch nicht fällt. Glauben Sie, jeder Schlag des Beifals nach geendeten Stück gehörte heute mir – daß Sie keinen Antheil daran haben können, müßen Sie sich selbst sagen. Ich danke Ihnen insgesammt für Ihre [348v/700] lezte mir geleistete Kammerradschaft und wünsche Ihnen insgesamt eine angenehme Ruh.“ Verneigte mich vor allen und gieng fort. Da standen sie, schlugen die Augen nieder, und keiner konnte mir ein Wort antworten. Manche von den hiesigen Inwohnern sagten mir den andern – und noch verschiedene Tage darauf: Es reute sie, daß sie nicht in den Stück gewesen wären, meinetwegen, weil ich noch weit beßer wie das erste Mal die Rolle gespielt. – Ich werde keine Gräfin Walltron mehr spielen. Noch zweymal kam ich an den Tanz. – Meine Lieblingskönigin Gertrude im Hamlet984 – 985 [349r/701] Das lezte Stück wurde noch neu einstudiert, Gianetta Montaldi986, ich hatte die Marchese und spielte den 22. Juni zum lezten Mal. Die Einnahme war für die Schauspieler. 33. Kapitel Madame Ackermann Ich habe in diesen Buch wenig von mir bekandten Schauspielern ihren Spiel gesagt. – Was ich davon sagte, ist fast allgemein gesagt, daß nur die angehen kann, die sich getroffen fühlen. Wo ich den Künstler sein Talent loben konnte, habe ich es gewiß nicht unterlaßen. Nur bei Madame Ackermann habe ich einige Anmerkungen gemacht. – Es 984 Hamlet, Prinz von Dänemark, eine Übersetzung des gleichnamigen Trauerspiels von William Shakespeare. Diese letzte Aufführung mit Karoline Kummerfeld fand am 18. Juni statt. Zuvor hatte sie die Königin Gertrude in Weimar am 30. April und 17. Mai 1785 gespielt; Theaterzettel HAAb ZC 120. 985 Gestrichen: wegen der Königinn hatte ich auf alle Königinnen Verzicht gethan. Doch verdarb ich Herrn Neumann als Hamlet nichts. – Wo er beschämt zu mir sagte: „Das Stük ist doch lange nicht gegeben worden, und Sie haben doch nichts vergeßen?“ – „Vergeßen ist gegen meine Gewohnheit – ich vergeße so leicht nichts.“ 986 Gianetta Montaldi, Trauerspiel von Johann Friedrich Schink. Kummerfelds Rolle war die der Marchese Portia Vercelli. Dass die Einnahmen dieser Aufführung von Bellomo den Schauspielern überlassen wurden, bestätigt der Theaterzettel; HAAB ZC 120.
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hilft aber nichts, ich muß noch einige machen987. – Was ich gesagt, war nur so erst im Vorbeigehen. Wenn man selbst neben einer Schauspielerin mitspielt, kann man nie solche so ganz beurtheilen, als wenn man gerade im Parter vor ihr sizt, und daß konnte ich einige Mal, – nachdem ich, wie es meine Zeit [349v/702] mir erlaubte, wieder Zuschauerin geworden. Madame Ackermann hat sich in denen Jahren sehr gebeßert. – Talente hat sie und verdirbt jezt gewiß keine Rolle mehr ganz, die sie spielt – auch hatte sie Gelegenheit, das werden zu können, weil in jeden Stück ihr die beste Rolle zu Befehl stand: – sie gewiß keine Liebhaberin spielte, wenn das Kammermädchen beßer war; – auch neben ihr gewiß keine Schauspielerinn geduldet, die ihr die Wagschale gleich gehalten hätte. – Doch daß ist der Naturfehler der meisten, die erste Actricen seyn wollen. – Aber ich habe vernommen, daß mich die gute Frau hat parodieren wollen? – Ich habe sonst noch immer einen scharfen Blick und gutes Gehör gehabt. – Aber ich habe es nicht bemerkt. – Hätte ich’s, – so konnte doch wohl Madame Ackermann denken, daß ich sie nach Hause würde geschickt haben nach meiner Art. – Da es von jeher meine Art war, den Leuten hübsch gerade ins [350r/703] Gesicht zu sagen, wenn ich etwas gegen ihnen hatte. Wo mich Madame Ackermann verspottet, parodiert oder lächerlich machen wollen, soll in den Flatterhaften Ehemann988 gewesen seyn, wenn sie als Fräulein von Rosenhayn mitCXXX den Herrn von Ellborn die Comödie spielt. Der Herr von EllbornCXXXI hatte den Herrn Kunst in der Mache, der nicht mehr hier in Weimar war, und der es auch nicht verdiente nach dem, was ich von ihm gesagt989. – Der Verzicht auf die ersten Rollen gemacht und zu Herrn Schröder geht, um nun erst womöglich ein guter Schauspieler zu werden. – Ein Zug, den ich manchen ersten Liebhaberspieler anempfehlen möchte.
987 Die folgenden kritischen Bemerkungen Karoline Kummerfelds stehen im Kontrast zu der im wesentlichen positiven zeitgenössischen Kritik über Sophie Ackermann, die innerhalb der Truppe Bellomos eine herausragende Rolle einnahm: war sie krank, wurde der Spielplan kurzfristig geändert und sie allein hielt die Antritts- und Abschiedsreden der Theaterspielzeiten. Auch der Weimarer Hof schätzte ihr Spiel ausserordentlich; Laura Bergander, Sophie Ackermann, geb. Tschorn, in: Freyer/Horn/Grochowina (Hg.), FrauenGestalten Weimar-Jena, S. 33–35. 988 Der Flatterhafte Ehemann, auch Wie man eine Hand umkehrt, Übersetzung des Lustspiels The School for Wives von Hugh Kelly, bearbeitet von Johann Christian Bock. 989 WHS, 3. Buch, Kap. 31, S. [342v/688]–[344r/691].
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Madame Ackermann will doch gewiß zu den klugen Schauspielerinnen gerechnet werden: – Und nie, nie hat sie 990 mehr ihre oft so mangelhafte Einsicht in eine Rolle richtig zu beurtheilen verrathen als in eben den Auf[350v/704]trit. – Ich hätte es Madame Ackermann gesagt. – Aber da der Unsinn, den sie beide darstellten, von manchen mit Beifall, durch Lachen und Händeklatschen belohnt wurde – da hätte Madame Ackermann denken können: Ich beneidete sie wegen dem Applaudißement. SieCXXXII nahmen die Scene wie in der Comödie aus den Stegreif991 der Liebhaber mit seinen Diener. Hat Madame Ackermann nie Gelegenheit gehabt, von Noblesse eine Comödie spielen zu sehen?992 – Sind Adeliche, wenn sie Comödie unter sich spielen, so unwißend, daß, wenn sie zu ihren Vergnügen ein Schauspiel geben, aus ihrer Marquisinn eine Tollhäuslerinn machen? – Sie sind kein! Heringsweib993 in dem Stück, sie sind ein Fräulein.994 – Wenn Madame Ackermann glaubt, keine adeliche Dame könne eine Comödienrolle spielen, und sie nicht imstande wär, richtig zu treffen: – So trifft sie gewiß, wenn sie eine Marquisin spielt, den adeli[351r/705]chen Anstand. – Daß bringt ihre Erziehung mit sich und ist ihr ganz Natur geworden. – Was bei Schauspielerinnen nicht immer – Erziehung – der Fall ist. Ich sah das Stück in Hamburg unter der Direction des Herrn Schröders. Seine Frau995 spielte das Fräulein von Rosenhayn. Wißen Sie, wie sie den Auftrit nehmen mußte? – Einen Ton sprach sie tiefer – und mit allen Ernst und Anstand einer Dame. – In den Zwischenreden: „Rosaura mag Ihre Gemahlin heisen. – – Halt, halt, Herr von Ellborn! Zu jeden Schwure muß geknieet werden.“ – Da sprach sie wieder in ihren Fräulein-von-Rosenhayn-Ton – aber freilich nicht mit einen so vollen Maul und groben Ton wie eine Bauernmagd, in dem sich Madame Ackerman so schrecklich verliebt hat, wenn sie naif seyn will. Oder dachten sieCXXXIII es beßer zu verstehen wie Schröder? – Auch in Gotha nahm man den Auftritt wie in Hamburg. – Wem haben sie nun beide lächer[351v/706]lich machen wollen? – Mich und Herrn Kunst? – Oder die Noblesse, wen sie Comödie spielen? – Manche von Adel habe ich spielen sehen, wo Schauspieler hätten müßen in die Schule gehen. Gepfiffen und ausgepocht996 zu werden, hatten sie beide verdient: Wenn die, 990 Gestrichen: mit Herrn Neumann, der bei allen seinen Verdiensten gewaltige Pudels [= Fehler] machte. 991 Komödie aus dem Stegreif nach L’Impromptu de campagne von Philippe Poisson, bearbeitet von Friedrich Wilhelm Gotter. 992 Gemeint ist das adelige Liebhabertheater. 993 Fischhändlerin. 994 Gestrichen: und Herr Neumann gleichfals von Adel. 995 Anna Christina Schröder geb. Hart (1755–1829), Schauspielerin. 996 Auspochen: Einem Schauspieler Missfallen zu erkennen geben.
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die Ihnen applaudirten, wären Kenner des richtigen Spiels gewesen. – Sie sehen, wie wenig man sich auf manches Händegeklatsche zugute thun kann, wenn der Schauspieler nicht selbst richtige Gefühle und Kenntniße von seiner Rolle hat: – Ob er gut und richtig gespielt hat, auch ohne von denen applaudirt zu werden. Merken Sie sich das, wenn es Ihnen etwa eingefallen ist, an fremden Orten, wo man mich nicht kennt, auch nicht mehr kennenlernen kann, etwa zu sagen: Heute spiele ich, wie die Kummerfeldt gespielt hat. Madame Ackermann, dächte ich, müßte daß gar nicht; wenn sie nur daran dächte, daß man sie in mei[352r/707]ner Gegenwart dreymal bei der Probe des Clavigo997, in welchen sie die Marie hatte, erinnern mußte, daß die Marie krank ist – und es doch vergaß, wie sie die Rolle den ganzen Publikum darstellte. Auch machte Herr Neumann die Anmerkung über sie, daß, wenn sie auftritt, immer so käm, als schwemme sie auf den Wasser. Die von Ihnen verspottete Kumerfeldt will Sie belehren, da Sie wirklich so viel Gutes als Schauspielerin haben, daß Sie noch beßer werden sollen. – Ich bin nichts weniger wie neidisch mit meinen Kenntnißen, die ich mir erworben. Wenn sie mir gleich manches Vergnügen entzogen, manche schlaflose Nacht machten. Und will Ihnen noch einige Bemerkungen über Ihr fehlerhaftes Spiel mittheilen. In jeder ernsthaftenCXXXIV Rolle, sogar in der Oper Der Deserteur998, ist Madame Ackermann als Louise nicht Louise – das zwar wohlerzogene – doch immer Bauern-Mädchen – nein, eine Dame von er[352v/708]sten Range. – Und wenn sie immer Dame seyn will, wie ist es möglich, daß sie sich in der Gunst der Fürsten999 als Königinn so sehr vergeßen kann, so oft in der lezten Unterredung mit den Grafen von Essex ihre Hand auf seine Schulter zu legen und ihm immer bei den Arm anzupacken? – Schickt sich nicht. Selbst wenn man Mann und Frau, Bruder und Schwester vorstellt, schickt es sich nicht immer. – Können den Schauspieler nie in einer kleinen Entfernung miteinander sprechen? – Müßen sie sich immer aneinander stossen und drengen? – Dann Madame Ackermann ihr immerwärendes Lächeln! – Lächeln im Zorn, Lächeln in 997 Clavigo, Trauerspiel von Johann Wolfgang von Goethe. 998 Der Deserteur, Übersetzung der Oper Le Déserteur von Pierre Alexandre Monsigny, Libretto von Michel Jean Sedaine. Zwischen dem 31. März 1785 und dem 9. März 1786 lassen sich in Weimar fünf Aufführungen nachweisen; HAAB ZC 120. 999 Die Gunst der Fürsten, nach The Unhappy Favourite or The Earl of Essex von John Banks, The Earl of Essex von Henry Brooke, The Earl of Essex von Henry Jones und The Fall of the Earl of Essex von James Ralph, aufgeführt in Weimar unter dem Titel Graf von Essex, Trauerspiel von John Banks, bearbeitet von Johann Gottfried Dyck, mit Sophie Ackermann in der Rolle der Elisabeth, Königin von England. Drei Aufführungen zwischen 3. April 1785 und 11. Oktober 1788; HAAB ZC 120.
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Weinen. – O ja, es hat eine große Würkung, wenn das Auge weint und der Mund zum Lächeln sich zu ziehen scheint. – Aber da sind wenige Rollen, wo die Schauspielerinn, nur in sehr seltenen Stellen, solch Mienenspiel anbringen kann. – Es thut gewaltigen Efekt – eben weil es so wenig anzubringen ist. In der Elfride1000 im zweiten Aufzug des 6ten Auf[353r/709]tritts sagt Madame Ackermann die Rede zu den König: „O Gnade, Sire, Gnade! Ich falle Ihnen zu Fusse als die Demüthigste“ u. s. fern. Vorzüglich, schön. – Hier war sie ganz Elfride und nicht Ackermann. Also kann sie das Lächeln laßen. – Aber der stumme Auftritt? – War die Music schuld, oder was war es? – Madame Ackermann machte lauter porte pras1001 und gieng die ganze Tanz-Schule mit denen Armen durch. Die erste Solotänzerin hätte in einen Grand-Serioes-Solo1002 nicht mehr machen können; sie blieb meist immer auf einen Fleck stehen, mitten auf dem Theater, und tanzte mit ihren Armen tactmäsig nach der Music. – 1003 In der Ignes de Castro1004: Welcher todter Mensch sizt? oder kann so steif sitzen und mit aufgestüzten Arm, wie sie da saß nach der Ermordung? – Nur bei Menschen, die, ohne vorher krank gewesen, und plözlich vom Schlage getroffen wurden, weiß ich solche Stellungen, in denen man sie [353v/710] gefunden, nicht aber von Ermordeten – aber es sollte wieder ein malerisch schön Tableau1005 von Madame Ackermann seyn. Das Vervielfältigen versteht Madame Ackermann auch nicht. – Wär auch sie in 6 Rollen gesehen hat, sieht sie immer. Dan die Maria Stuart1006, Königinn von Schottland! Wenn sie sich auch nie in der englischen Geschichte umzusehen die Zeit gehabt; nie von dieser Königinn was gelesen, wie standhaft diese unglückliche Fürstin zu ihren Tode sich vorbereitet; und wie sie 1000 Elfriede, Trauerspiel von Friedrich Justin Bertuch. 1001 Port de bras: Die Bewegung und die Position der Arme im Ballett. 1002 Gemeint ist vermutlich ein Ballett-Solo in einer ernsthaften, heroischen, ins tragische gehenden Rolle. 1003 Gestrichen: Herr Neumann war auch ein sauberer Olgar.– Olgar Graf von Devonshire, eine Rolle in Bertuchs Trauerspiel Elfriede. 1004 Ignes von Castro, auch Ines von Castro, nach dem Trauerspiel Ines de Castro (1723) von Antoine Houdar de La Motte, unter Bellomo in einer Bearbeitung von Julius Heinrich von Soden gespielt. Zwischen dem 18. Nov. 1786 und dem 4. Dez. 1787 sind drei Aufführungen nachweisbar; Theaterzettel HAAB ZC 120. 1005 Wirkungsvoll gruppiertes Bild. 1006 Maria Stuart, Trauerspiel von Christian Heinrich Spieß. Die Erstaufführung des Stücks fand am
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zu dem Schaffot gieng, so läßt es doch der Autor der Maria oft genug sagen: „Ich will als Königinn sterben – als Königinn zum Tode gehen“ und so und dergleichen mehr. – Ich glaube, der Autor lies es aus Vorsicht deswegen der Königinn Maria so oft wiederholen, daß die, die die Königin Maria spielen, es sich merken und den Karakter nicht vergreiffen sollen. – Aber all das Sagen und alle Noten und Anmerkungen der Autoren helfen doch nichts, – wenn der [354r/711] Schauspieler meint, er versteht das beßer, und Freund vom Spektakelmachen ist. – Die Königinn Maria gieng nur, wenn sie’s sagte. – Aber wie sie gieng – nein! Keine halbjährigen Schauspielerinn wär’s zu vergeben gewesen, wen sie so abgegangen wär. Schon der ganze schwarze Armesünder-Anzug war falsch – und Madame Ackermann puzt sich doch so gern. – Auch die wahre Maria Stuart, Königinn von Schottland, war anständig und mit Fleiß gekleidet – so sagen ihre Geschichtschreiber. – Den die Königin Elisabeth von Engeland wollte Mariens Leben, nicht ihre Garderobe. – Die königliche Standhaftigkeit der Madame Ackermann ihrer Königinn Maria bestand, daß sie hin und her wankte, ob sie gehen sollte oder nicht? – Nun streckte sie, so lange sie strecken konnte, die Arme in die Höh, über den Kopf zum Gebeth die Hände gefaltet zusammen. – – – – Daß ist der Verzweifelung höchste Bewegung der Arme und Hände; die ich nie gemacht, weil mich weder in der Co[354v/712]mödie, noch im Ballet der Teufel geholt hat. – Da kann die Bewegung der Arme angebracht werden von einen Don Juan oder Docter Faust. – Auch noch von einen in der heftigsten Raserey und Verzweifelung, wenn ihm auch nicht der Teufel holt. Nun den Kopf noch zurükegebogen und sich sträubend wegführen zu laßen? Wie ich sie so dahinngehen sah, war mein erster Gedanke: – So stand das Mädchen in Hamburg an den Pfahl angebunden, die den Staubbesen bekam1007! – So bog sie den Kopf ins Genicke. – Himmel! Und so soll eine Königin von Schottland, Maria Stuart, zum Tode gegangen seyn, will eine Ackermann den Publikum weißmachen. Es wurde auch applaudirt. Sehen Sie, wie oft falsch applaudirt wird, wenn uns unser Studium nicht sagt: Jezt haben wir es verdient, jezt nicht? O ja, mir ist auch oft applaudirt worden, wenn [355r/713] ich mich selbst hatte maulschelieren1008 können; – solchen Unsinn habe ich freilich nie gemacht, aber auch die beste Rolle spielt man nicht immer gut – weil der Schauspieler auch Mensch ist. – 30. Dezember 1788 in Weimar statt. Bis zum 18. Dezember 1790 lassen sich aufgrund der erhaltenen Theaterzettel drei Aufführungen unter Bellomo nachweisen. 1007 Die mit einem Reisigbesen vollzogene entehrende Körperstrafe des Stäupens war in Hamburg noch 1827 in Gebrauch; Johann Christian Plath, Ansichten der freien Hansestadt Hamburg und ihrer Umgebungen, 2, Hamburg 1828, S. 244. 1008 Eine Maulschelle geben, ohrfeigen.
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Wenn mir aber oft gar nicht applaudirt wurde, wußte ich doch: Heute hast du gut gespielt. – Auch das Publikum ist oft Mensch. Im Lustspiel habe ich Madame Ackermann nicht so oft zu sehen Gelegenheit gehabt, nur in einigen Opern. In der Oper Die Zauberhöle1009, da die Ernsthaften lustig und die Lustigen ernsthaft werden, spielte Madame Bellomo1010 die Ernsthafte. Man würde ungerecht seyn, wer Madame Bellomo strenge als Schauspielerinn beurtheilen wollte. Sie ist Sängerinn, aber dem ohngeachtet blieb sie doch ihren Karakter getreu. Sie war ernsthaft, wo sie ernsthaft seyn mußte, und wurde nachher lustig, und sie machte es wirklich drollig und hübsch. Aber Madame Ackermann? – Ihr Lustiges: Ja, charmant! – Aber nun das Ernsthafte? – Sie war in der Art, wie [355v/714] sie spielte, komischer im Ernsthaften, als wie sie’s wirklich vorher im Komischen war. – Der maulvolle grobe Ton war da, wo sie sich was rechts darauf zugute thut. Sah Madame Ackermann den nicht, wie Herr Regglen, der doch gleichen Karakter mit ihr hat, seine Rolle nahm? Blieb bei ihm ein Schatten von seiner vorhergegangenen Lustigkeit? Und machte er das Ernsthafte in einer andern Art komisch? – Alsden, die Oper Die Wahnsinnige aus Liebe1011 vergeße ich mein Tage nicht, des Küßens wegen. – Was wurde in der Oper geküßt! – Alles küßte untereinander, Madame Ackermann; Madame H.1012; die Menge der Kinder, die alle Madame Ackermann die Hände zerküßen mußten wie sie der Kinder Gesichter. – Da das Mädchen durch den einen Kuß ihres Liebhabers wieder mit ihre Besinnungskraft bekömmt – hätte sie gar nicht küssen sollen. Freilich ist’s ein Unterschied zwischen dem Kuß eines Liebhabers und Kuß von [356r/715] Kindern oder einer treuen Wärterinn. – Aber da nun einmal ein Kuß die grosse Veränderung der Besinnungskräfte wieder hervorbringen sollte, dächte ich, man hätte es bei den einzigen Kuß lassen müßen. – Gelesen habe ich die Oper nie. Ob so viele Küßsage vorgeschrieben steht, weiß ich nicht. – Doch konnte ich’s nicht denken. Hätte ich einen Mann noch oder einen Liebhaber gehabt, in den ersten drey 1009 Die Zauberhöhle, auch Trofon oder die Zauberhöhle, auch Trofons Zauberhöhle, auch Die Zauberschule des Trofonio, Oper von Antonio Salieri, Libretto von Giambattista Casti. – Bei Benezé II, S. 155 fälschlich: Die Zauberflöte. 1010 Therese Bellomo geb. Nicolini (* 1759), Sängerin und Tänzerin. 1011 Die Wahnsinnige aus Liebe, auch Nina oder Wahnsinn aus Liebe, ein Schauspiel mit Gesang, Übersetzung der Komischen Oper Nina ou La Folle par amour von Nicolas Dalayrac. Libretto von Benoît-Joseph Marsollier des Vivetières nach der Novelle Clementine aus Les Délassements de l’homme sensible von François-Thomas-Marie de Baculard d’Arnaud. Giovanni Paisiellos 1789 uraufgeführte Opera buffa Nina ossia la pazze per amore beruht auf der Oper Dalayracs. – Sophie Ackermann spielte in dem Stück Nina, die Tochter des Grafen; Theaterzettel HAAB ZC 120. 1012 Gestrichen: Hahn. – Madame Hahn spielte die Erzieherin Ninas, Elise.
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Tagen – nachdem ich das Stück von ihnen zusammen sah, hätt’ ich ihn nicht küßen können. Gewiß ist’s: Daß meine Kinder1013 in einer ganzen Woche kein Mäulchen von mir bekamen, solchen Eckel bekam ich von der Küß-Oper – die sie zur Küß-Oper gemacht hatten. Ueberhaupt wünscht mit mir mancher, daß das viele Küßen von dem Theater abgeschaft würde. – Besonders, wenn sich die alten Knaben alle Augenblicke, auf der Straße oder im Zimmer, und wo sie beisammen sind, küßen. – Geschied es denn in Gesellschaft? – Es müßte [356v/716] den bei einen Pfänderspiel seyn! – Oder in den gewöhnlichen Leben? Zu ihrer Küß-Oper, glaube ich – oder war’s bei einen andern Stück, gaben sie ein Nachspiel von Herrn Schröder, Der Schulgelehrte1014. – Wär das Stück nach seiner ganzen Schöne beurtheilen will und kann, muß Latein verstehen. Aber auch ohne Latein zu verstehen, so haben sie es bei Herrn Schröder gewiß nicht gegeben. – Wenn doch die Schauspieler einen wahren Begriff von den komischen Spiel hätten. Daß sie nicht komisch seyn können, ohne Fratzen zu machen und von ihren eigenen Späßchens was anzuflicken. – Um den Liebhaber vor den Alten unkentlich zu machen, kleiden ihm die Mädchens als Frauenzimmer an. – Aber wie zogen sie ihn an? – Den Rock verkehrt und das Hinterste vorn. – Machten es so sichtlich, daß man es sah, sie thun es mit Willen. – Was für ein Schöps1015 mußte der Alte seyn, wenn er das nicht merken sollte? – Und ist es den nicht ganz gegen den Wohlstand1016? [357r/717] Wenn männliche Bediente sich untereinander in weibliche Kleider verkleiden sollten, so mag so ein Späßchen noch hingehen. Die Rolle des Liebhabers1017 als Französinn wurde richtig gut gespielt, – daß ich auch einmal applaudiren konnte. – Den er übertrieb nicht, und sein Ernst machte das wahre Komische. Wär Herr Schröder da gewesen: Der Auftritt hätte ihm selbst Bravo sagen laßen. Aus diesen Anmerkungen mag man mich nur so obenhin beurtheilen, ob ich troz meinen eigenen Fehlern imstande war, mein Spiel zu dirigiren, und solches altmodisch 1013 Sie meint damit die Schülerinnen ihrer Nähschule. – Das Stück wurde zwischen dem 17. April 1788 und dem 4. Februar 1790 viermal in Weimar aufgeführt, und eine dieser Aufführungen wird Karoline Kummerfeld besucht haben. 1014 Der Schulgelehrte, Übersetzung des Lustspiels Who’s the Dupe? von Hannah Cowley, bearbeitet von Friedrich Ludwig Schröder. – Laut Theaterzettel als Nachspiel nach Nina oder Wahnsinn aus Liebe gegeben; HAAB ZC 120. 1015 Hammel, dummer, einfältiger Mensch. 1016 Anstand. 1017 In der Aufführung am 17. April 1788 spielte diese Rolle Andreas Dietrich Einer (eigentlich: Krako); Theaterzettel HAAB Nr. ZC 120. Zu Einer: Satori-Neumann, Frühzeit, S. 12 f., Anm. 20.
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geblieben – wenn es 1777 in Hamburg war. – Ich mußte als Kunstverständige sprechen, weil ich mich nicht wie andere Künstler in den Werken ihrer Kunst anschaulich in meinen Rollen habe machen können auf die Nachwelt. Ich habe mich also selbst in diesen Buch dargestellt so lange – bis der barbarische wüthende [357v/718] Zahn der Zeit solches zerstöhret – und der Würz- und Käsekrämer zerreißt. – Wär doch schade um dieses, mein erstes, einziges Kind, zu dem ich so ganz Vater und Mutter bin. – Habe die Regel nicht einen Augenblik aus der acht gelaßen: das Wahrheit die Pflicht des Geschichtschreibers sey, und wenn diese fehlt, solche gar nichts werth ist. – Hier ist Wahrheit! – Die fehlt den endlich meinen Kinde nicht. – Und so hoffe ich getrost, daß es einigen Werth haben wird. 34. Kapitel Wie viele gute Menschen fand ich Von dem Theater war ich nun zum zweyten Mal ab; und überließ mich ganz meiner häuslichen Ruhe; ein hübsches Quartier hatte ich schon den 10. Juni bezogen; Ich richtete solches nach und nach – nicht prächtig, aber doch ordendlich ein. Ich bedurfte keiner Marmortische, keiner Stühle bezogen mit Damast und Samt – o, ich habe geweint auf seidenen Stühlen, ich habe geweint auf einen Holzstuhl. – Die auf weicher Seide waren so bitter wie die auf Holz. Ich habe gelernt, frölich [358r/719] zu seyn bei dem Champagner wie bei dem Glas Wasser – und wär die Frage: – Ob ich nicht öfterer mehr von Herzen bei meinen Glas Wasser gelacht wie bei dem Champagner. – Ich war nun in meinen Weimar, und mein Vorgefühl, daß ich in Bonn hatte, hatte mich – bis jezt, da ich dieses niederschreibe, noch ebensowenig getäuscht wie damals, als ich Hamburg sah. Was mir wehthat, war – daß ich nun nicht mehr die 42 Mark meiner Schwiegerin und ihren Enkeln lassen konnte. – Doch Gott hatte gesorgt, der Vater der Kinder war nun Hauptmann und hatte seine Compagnie. – Auch daß that der gute Gott, um mich zu beruhigen, da ich solche für mich behalten mußte. – Nun nährte ich mich ganz [von] meiner Hände Arbeit – nun konnt’ ich’s nicht mehr. Frankfurt1018 und das lezte Theaterjahr kostete mich zuviel. Wär dieß nicht gewesen, – ich glaube, ich hätte sie nie für mich genommen. [358v/720]
1018 S. o. WHS, S. [313v/632].
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Meine Arbeit fand Beifall. Die guten Mütter hier sprachen unter sich: An einer solchen Person fehlt es uns hier in Weimar, die unsere Kinder im Nähen unterrichten kann. – Unsere Kinder gewinnen doppelt, den die Kummerfeldt ist eine rechtschaffene Frau. – Man sprach davon mit mir, und mit tausend Freuden sagte ich ja. Den Preiß, den ich das Quartal für ein Kind sezte, war so billig wie möglich. – In keiner Stadt können es gleich bemittelte Inwohner geben, – aber unter den weniger bemittelten viele gute Eltern, die wünschen, auch ihren Kindern – wo nicht daß, was reichere Eltern können, – doch das Nothwendigste lehren zu laßen. Darum sezte ich den billigen Preiß, um ihnen den Weg zu mir nicht zu erschweren und solche abzuhalten. Wie preißte ich meinen Vater und Erhalter im Himmel. Ich selbst hatte an keine Nähschule hier anzulegen gedacht, weil ich nicht wußte, ob schon welche vorhanden. [359r/721] Doch ohngeachtet des Vortheils, der mir dadurch zuwuchs, wußte ich meine Schuldigkeit, meine Pflicht. Nicht eher wollte ich meine Schule halten, bis ich auch die gnädige Erlaubniß von dem Durchlauchtigsten gnädigen Vater seines Volks, dem Herrn seiner treuen Unterthanen, Weimars geliebten Herzogs1019 hätte. Sobald ich erfuhr, das Ihro Durchlaucht wieder in Weimar waren, sagte ich zu einen Freund das, was ich wünschte, und bath um die unterthänige Erlaubniß, aufwarten zu dürfen. Ihro Durchlaucht erfuhren, warum ich kommen wollte. – – – Nie, nie werde ich vergeßen, was Ihro Durchlaucht die Gnade hatten mir sagen zu lassen. Nicht allein desselben Schuz und die hohe Erlaubniß, hierbleiben zu dürfen: Nein, noch den milden, gnädigen Ausdruck beigefügt: Seine Durchlaucht freue mein Entschluß hierzubleiben. Was fehlte mir nun noch? – Wie segnete ich den Tag, da ich nach Weimar kam; wie fleh[359v/722]te ich zu den grossen alleinigen Erhalter der Welten für die Beschützung des Weimarschen Hauses. Nicht die Rechte der Geburt, nicht Liebe zum Vaterland lies mich flehen für Weimar. Dankbarkeit, Dankbarkeit gegen erzeigte Gnade und Wohlthat. O, möchtest du derselben stets würdig bleiben. Den 22. August 1785 war bei mir der erste Schultag. Nur mit vier Kindern war der Anfang, aber bald wurde er stärker1020. Wär ich die größte Schauspielerinn gewesen, 1019 Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach. 1020 Die ersten Schülerinnen waren Amalia und Doris Wetke, Caroline Krüger und Carolina Ludewig. Karoline Kummerfeld hielt Namen, Eintritts- und Austrittsdatum sowie Beurteilungen ihrer Schülerinnen in zwei Journalen fest. Darin führte sie auch genau auf, was von jeder Schülerin im Unterricht angefertigt wurde. Die Journale werden in Kummerfeld, Schriften, Bd. 2 ediert. Lit.: Karl Bechstein,
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hätte ich alle Vollkommenheiten als Actrice gehabt, hätte die strengste Kritik an mir nichts – nichts zu tadeln gefunden: – Nicht ein einziges Elternpaar hätte mir ihr Kind zum Unterricht anvertraut. – Die Kinder, die man mir schickt, verdankt sich nur die rechtschaffen denken[de] und handelnde Kummerfeldt, nicht die mehr oder weniger berühmte, alt- oder neumodische Actrice. Und kann mir das gleichgültig seyn? Recht[360r/723]schaffen denken und handeln ist jedes Menschen heiligste Pflicht – ist Schuldigkeit. – Aber soll’s der Rechtschaffene, wenn er’s ist, nicht auch wißen, wissen sollen, daß er’s ist? – O, der Edeldenkende, der die Selbstverläugnung hat: werfe einen Stein auf mich. – Er sage, wenn er kann, ich habe unrecht. Ich handelte aus Grundsätzen rechtschaffen. Mancher wird sagen, die Kummerfeldt war eine Närrinn, daß sie so oft ihren Vortheil aus den Händen lies. – In der Welt muß man alles nur für sich und nur wenig für andere thun, und auch das nicht, wenn es gegen unsere Convenienz ist. – Daß ist der Welt Ton. O, ich kannte ihn auch. – Aber meinen Grundsaz blieb ich treu; schwieg bei allen Undank, den ich fand. – Aber, man treibt, man reißt mich mit Gewalt aus diesen stillen Bewußtseyn. – O, ein Weib wie ich, die Handlungen ausgeübt, deren sich kein Mann schämen dürfte, die läßt sich nicht so fortschicken, wie man wohl dachte, daß mich ein Herr [360v/724] Rath Reicherd nun nach Hause geschickt hat. – Daß ich nun wohl schweigen müßte. – Allen meinen Neidern, denen es mag gekitzelt haben; und gesagt: So, das ist recht! Und sich bei den Lesen halb todlachen wollen. – Aber man irrte sich. Mich will man in ein Licht stellen, das mancher denken muß: Nothgedrungen entschloß ich mich zu den Schritt, von dem Theater zu gehen? – Verspottet, verlacht, verhöhnt lies mich die Verzweifelung meine jezige Nahrung ergreifen? – Seufzte vielleicht oft in Stillen: Ach! Könntest du doch noch eine Sara1021, eine Julie1022, eine Elfride1023, eine Minna1024 u[nd] m[ehr] d[er]g[leichen] Rollen spielen? O, Ihr Thoren, die Ihr von mir, von einer Kummerfeldt das denken könnt.
Tagebuch der Madame Kummerfeld über ihre Nähstube in Alt-Weimar in den Jahren 1785–1815, in: Thüringer Heimatkundliche Blätter, Nr. 4, Sept. 1934, S. 1–3 und Nr. 5, Dez. 1934, S. 2. 1021 Miß Sara Sampson, Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing. 1022 Romeo und Julie, Trauerspiel von Christian Felix Weiße. 1023 Elfriede, Trauerspiel von Friedrich Justin Bertuch. 1024 Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück, Lustspiel von Gotthold Ephraim Lessing.
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Setzet den Fall einer schweren Krankheit. Einzelne Beispiele sind mir bekannt, daß man sich der Kranken angenommen. – Bekannt von der Madame Ackermann in Hamburg, die viel, viel an kranken und sterbenden Schauspielern gethan, auch [361r/725] Herr Schröder, auch Herr Doebbelin und Berlin1025 erwarb sich den Ruhm. – Sind noch mehrere, wo Menschen zu finden? Desto beßer! – Aber nun frage ich die vielen, die unzähligen, die krank geworden, ob sie diesen Trost hatten auf ihren Krankenlager, den ich hier in Weimar hatte, als ich zweymal so schwer, so nahe am Rande des Grabes darnieder lag. – Es blieb nicht allein bei den Schicken und Erkundigenlaßen, wie ich mich befände? – Nein! man erquickte mich; man dachte, man sinnte recht darauf, womit man mich laben könnte. – Ich bin allein. Habe keinen Verwandten, der für mich Sorge trage. – Und ich als eine Fremde: Wie wurde ich gepflegt, gewartet. – Da kamen meine Kinder, meine Schülerinnen, rangen ihre Hände, weinten um ihre Kummerfeldt. – Die Eltern konnten sie kaum in ihren Häusern trößten. Wie ich mich in etwas wieder zu erholen anfieng – wie ersuchten sie mich, die guten Eltern, ja [361v/726] nicht Schule zu halten, mich zu schonen – mich nicht zu früh mit Arbeit anzugreiffen. – Keiner zog mir was von dem Quartalgeld ab. – Wie ich nach meiner Krankheit das erste Mal ausgieng, redeten mich gute, ehrliche Bürger und Bürgerinnen – die ich nicht kannte, auf der Straße an und wünschten mir Glück; freuten sich, mich wiederhergestellt zu sehen; reichten mir ihre treuherzigen Hände; drükten die meinige. – Welch Gefühl für ein Herz wie das meinige? – Solches Gefühl konnte mir keine der besten Rollen noch nach den größten Beifall geben. – Hier hies es nun nicht, ich sollte mittanzen. – Auch nicht: Es ist Verstellung, weil sie keine Schule einige Zeit halten will; – hier kam kein theatralsches Nachfragen zum Vorschein, von Eigennuz begleitet, – nicht zu wißen aus Liebe zur Kranken, ob es sich beßert? – O nein, ob sie bald wieder mitspielen kann, damit man ihr die Gage [362r/727] nicht umsonst gäbe; – wo man ihr Rollen schickt, das die Schauspielerinnen wenigstens studieren sollen, wenn sie nicht spielen können. – Was muß nach der Beßerung manche für Vorwürffe leiden, wenn man glaubt, sie hätte das geringste versehen. Wenn mich, und besonders meine erste Nervenkrankheit, die noch eine Folge des schreklichen 19. Januar 1777 war, da man mich für betrunken hielte1026 – an einen ganz fremden Ort betroffen, ich unter keinen so ehrlichen Menschen gewesen, wie ich hier in Weimar an meinen Hausherrn, Herr Witzel und seiner Frau1027 hatte? – Und an 1025 Gemeint ist: Herr Doebbelin in Berlin. 1026 Sie bezieht sich hier auf ihren WHS, 2. Buch, Kap. 17, S. [186r/375]–[187v/378] geschilderten Besuch bei Abraham August Abendroth. 1027 Herr und Frau Witzel: Möglicherweise die Familie des Weimarer Silberdieners („Silber-Cämmerers“)
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meinen Freunden, die sich meiner annahmen? – Zur Bettlerinn hätte man mich machen können. – Ich, die ich von mir in so vielen Tagen nichts wußte – nur eine Ohnmacht hatte. – Wie hätte man mich betrügen können? Wie hätte ich wissen können, wär bei mir war? – Und nicht [362v/728] eine Nadel fehlte bei meinen Erwachen. – Und daß ich wieder erwachte – daß ich jezt dieser Gesundheit geniese: Wem verdank ich’s? – Gott! Ja, dem verdankt man alles – aber man verdankt Gott auch den Arzt. – – – Nicht mehr hier in Weimar ist dieser mir unvergeßliche Mann. – Nach Jena ist er gezogen, dieser zum Medicus geschaffene Herr Hofmedicus Hufeland1028 – jezt Professor. – Seinen unermiedeten Fleiß, seiner Aufmerksamkeit, seiner Kenntnis als Medicus verdank ich meine Gesundheit. Wie unermüdet war er, welche Geduld! – – O, nie, nie vergesse ich ihm – nie sein vortrefliches Herz, nie den Morgen, da er mich nach der Medicin frug, ob sie mir ordendlich gegeben würde? – Es war dreyerley zu verschiedenen Stunden – und ich ihm – vielleicht zum ersten Mal richtig sagte – wenn ich sie nehm. – Er, der Gute, die Hände zusammenfaltete und ausruhfte: „O, Gott sey Lob und Dank! Sie haben Ihr Gedächtniß wieder.“ Den Blick, den Ton, die Theilnah[363r/729]me vergeße ich nie. – Aber auch Gott wird sie nicht vergeßen, den sie kam aus den Herzen des Edlen, des Menschenfreundes Hufeland. Ich kann mir nicht helfen, wie ich bin, so bin ich. Ach, ich kann nächst Gottes Hülfe nicht alles auf die gute Natur schieben. – Die beste Natur muß erliegen, wenn der Medicus fehlt. – Unsterblich kann kein Medicus machen. – Nie habe ich in der Welt ein Gleichniß passender gefunden als die eines Medicus und Schauspielers. Der Medicus rette Hundert. – 99 davon hat nächst Gott die gute Natur geholfen. Der Medicus nicht! – Und nun sterbe ihn einer, der nicht sterben sollte, der Medicus hat ihn umgebracht. Der Schauspieler erwerbe sich in 50 Städten Ruhm, er komme an einen Ort, da ihn Neid, Kabale oder Rache nicht aufkommen liesen. – Alles wird vergeßen. Er ist schlecht geworden und soll schlecht bleiben, und bezweifelt wird alles Gute, was er als Künstler hat. [363v/730]
Johann Friedrich Witzel (gest. zw. 1809 und 1812); s. Freyer, Weimarer Hof, S. 266, Anm. 508; Kerrin Klinger (Hg.), Kunst und Handwerk in Weimar, Köln/Weimar 2009, S. 27. – Die Tochter Christiane Witzel war Schülerin der Nähschule und wurde von Karoline Kummerfeld kostenlos unterrichtet; s. Kummerfeld, Schriften, Bd. 2. 1028 Christoph Wilhelm Hufeland (* 12. Aug. 1762 Langensalza, † 25. Aug. 1836 Berlin), Hofarzt in Weimar, Leibarzt Goethes, 1793 bis 1801 Professor an der Universität Jena, 1801 Berufung nach Berlin als königlicher Leibarzt, Direktor des Collegium Medicum und Erster Arzt der Charité; Markwart Michler, Christoph Wilhelm Hufeland.
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35. Kapitel Wer sieht hier nicht Wahrheit? Mein Büchlein, daß ich nur schreiben wollte, ist nach den vielen Bogen, die ich beschrieben, herangewachsen zu einen Buch. Das solches einer Feilung von mir bedürfte, glaube ich gern – ich mache ja aber keinen Anspruch auf ein gelehrtes Frauenzimmer, die sich durch ihr Talent als Schrieftstellerinn berühmt machen will. Und wünsche, das dieses, mein dreustes Kind, das so ganz ohngerufen in die Welt tritt, allein bleibe, ohne ihn noch einen Bruder oder eine Schwester geben zu müßen. Ich lebe meinen Kindern und meiner Arbeit und bin ängstlich genug, daß ich seit 4 Monaten – solange ich an diesen Blätter[n] geschrieben – und nun noch abgeschrieben, muß meine Kunden nach ihrer mir zugeschickten Arbeit länger muß warten laßen, wie es sonst meine Gewohnheit ist. – Ganz und voll Vertrauen auf ihre Güte, wenn ihnen die Ursach bekandt wird, hoffe ich, werden sie mich entschuldigen. Hätte also ein gelehriger[er] Kopf wie der meinige, [364r/731] eine geübtere Feder wie die meinige vieles beßer gesagt wie ich – habe ich nichts dagegen. – Schöner, beßer hätte er’s sagen können, aber nicht wahrer, nicht so ganz aus den Herzen wie ich. Wollte Gott, ich stiftete auch damit noch etwas Gutes. Vielleicht! – Ich wenigstens lebe ganz der Hoffnung, und wär’s auch nur des Theaters betreffend. Ich bin bei dem Theater geboren, erzogen worden. – Dieses war Zufall, aber da ich das zweite Mal meine Zuflucht zu solchen nahm, so verdank ich dem Theater den Rock, das Hemd, daß ich rettete aus dem Schiffbruch, denn ich verdiente es mir wieder und bezahlte es zum zweyten Mal. – Daß verdient meinen ganzen Dank; daß kann ich ebensowenig vergeßen wie die kleinste Gefälligkeit, die man mir erwiesen. – Ich wünsche also dem Stande Gutes. – Doch wünschen würde zu wenig seyn, ich will bitten – will alle bitten; – die zuerst, für denen das Theater so viel Reizendes, so viel Anlockendes hat: sie lesen mit [364v/732] Aufmerksamkeit diese Blätter durch. – Nur nicht als Roman, – als eine wahre Geschichte. Und dann prüfen sie sich; ob sie ihren Stand, zu dem sie ihre Eltern, ihre Vorgesezte erzogen, Geld, Sorge, Fleiß und Mühe angewandt, ob sie solchen mit dem Stand des Schauspielers vertauschen sollen? – Laßt ab. Ich bitte euch! Wie viele Jahre der Übung werden erfordert, Meister in der schwersten und undankbarsten aller Künste zu werden? – Und wieviele können es werden? – Ist ein trauriger, betrübterer Gegenstand in der ganzen Welt zu finden als ein Schauspieler, der nichts kann? – Den die Natur, Künstler seyn zu wollen, alles versagte? – Welcher Stand hat es denn nicht besser? – Der Schuhknecht, der nicht das Talent hat, Meister in seiner Arbeit zu werden – wird Schuhflicker. – Keiner lacht und
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verspottet ihm, er flickt ruhig seine Schuhe, hat sein täglich Stückgen Brod und kann ruhiger schlafen wie mancher verdienstvolle Schauspieler. – Welches Unglük kann sich über ein Land verbreiten, daß den Schauspieler nicht mittrifft? – Jeder Handwerker, jede Pro[365r/733]fession bleibt in ihren Gewerbe; – nur der Schauspieler muß seinen Wanderstab ergreiffen, herumirren, seine besten Habseligkeiten der Schulden wegen zurüklaßen und sehen, wär ihn wieder aufnimmt. – Ja, ist manchen – solch ein Fall – die Ursach seines gänzlichen Ruins geworden. – Laßt ab! ich bitte euch. – Laßt es doch nicht immer der Entzweck seyn, warum ihr das Theater wählt: Weil man bei dem Theater die Woche mit so weniger Mühe doch so viel Geld verdienen kann? – Ihr irrt! Der Schauspieler, bei dem Ehre im Spiel ist, hat die größte Mühe, die mühsamste Mühe. In dem zweyten Aufzug des ersten Auftritts1029 der Agnes Bernauerinn1030 kostete mich die eine erste Rede der Agnes drey schlaflose Nächte. – Ich schäme mich nicht, das zu sagen. – Ich fühlte, wie sie gesagt werden müßte, aber sagen konnte ich sie noch nicht. – In der vierten Nacht gelang es mir erst, – und nun schlief ich froh ein, wie nach einen Siege. So muß dem Schauspieler theuer seyn sein Ruhm, seine [365v/734] Ehre. – Und auch die Mühe, die Ehre der Autors, das die nicht sagen müßen, wie Lessing: „Schöne Freude, wenn man sein Kind an den Galgen findet.“1031 – Und dann, wan der Künstler ein Publikum findet, daß ihm nachsinnt – jede Schönheit mitfühlt; so leise horcht, um nicht ein Wort zu verlieren, weil die Schauspielerin nicht Schreuen und Specktakel machen darf – und wenn es dann nach geendeter solcher schweren Rede von solch einer Stille zu den lautesten Beifall übergeht, längere Zeit braucht, um wieder zu seiner vorigen Stille zu kommen – dann kann sich die Schauspielerin sagen: Hast es getroffen, deine drey schlaflosen Nächte dauern dich nicht. – Hast Kenner vor dir. – Und dieses war in Augspurg. Wie viele, die die Agnes spielten, haben in diesen Monolog einen solchen Triumph erlangt? – Wen trieft die Schuld?
1029 Gemeint ist: In dem zweiten Auftritt des ersten Aufzugs. 1030 Agnes Bernauerinn oder Agnes Bernauer, Trauerspiel von Joseph August Graf von Toerring. 1031 Gotthold Ephraim Lessing soll in Leipzig auf die Frage eines Gelehrten, warum er nicht in die Aufführung seiner Sara Sampson gehe, das Stück seie doch sein Kind, geantwortet haben: „Wenn ich’s nun am Galgen finde?“. Diese Anekdote ist in Reichards Theaterkalender auf das Jahr 1776 auf S. 88 abgedruckt (und findet sich danach z. B. auch im St. Petersburgischen Journal 1776 und im Berliner Litterarischen Wochenblatt, 1. Bd., 1776).
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Die Schauspieler haben Kinder genug; laßt diesen, die dabei erzogen und geboren werden, ihr Brod. [366r/735] – Nehmt es ihnen nicht durch euer Zudringen, auch Schauspielers zu werden. – Jetzt stirbt er gewiß nicht mehr aus, dieser Stand. Es ist: leider! möchte man wohl sagen – zu leicht gemacht worden, Schauspieler – und noch leichter, Directeur zu werden. Sonst kostete es mehr Mühe. – Man hatte weniger Schauspielers und Directeurs, aber da fand man auch darunter, unter den wenigen mehr, die Känntniß von der Kunst hatten; – fleißiger waren und mehr Aufmerksamkeit auf sich selbst und für das Publikum hatten. Welche grosse und kleine Stadt hat jetzt nicht ihr stehendes Schauspielhaus? – Daß war sonst nicht. Der Directeur mußte reisen; und kam er an Ort und Stelle, mußte er sein Haus oder Theater erst bauen laßen; alle Decorationen mitnehmen. Was erforderte daß für Geld? Neuntehalb Jahre1032 war ich bei Ackermann; in 19 Städten habe ich bei ihm mitgespielt; und mehr nicht wie 5 stehende Theater gefunden, und [366v/736] selbst das Hamburger, das zu den fünffen mitgehert, kann nur für ein halbes gerechnet werden, denn es hatte keine Decorationen. Schauspieler mußten mit vielen Kosten verschrieben werden. – Jezt kommen die meisten selbst zugefahren oder zu Fuß angewandert. Die Directeurs sehen den nicht mehr auf Sitten und Karakter, auch nicht mehr, ob der, der so kommt, auch Verdienste hat? – Was er spielt? Spielen kann? – O nein! – Ob er recht viel spielt und wenig kostet. Attestate mußten die Directeurs, ihrer und der Gesellschaft guten Aufführun[g] wegen, von dem Fürsten oder dem Magistrat, wo sie zulezt gespielt, mitbringen. – Daher auch die Wichtigkeit der Prüvilegien, wenn ein Prinzipal solches hatte, um sich die Thore in einer neuen Stadt zu öffnen. – Mithin wollt der Prinzipal mit seiner Gesellschaft Brod haben, mußten sie auch eine anständige Aufführung haben. – Wie viele Thore wurden der Ackermannischen [367r/737] Gesellschaft geöffnet, die für alle Directeurs überhaupt, sie mochten gut oder nicht gut seyn, geschlossen waren?1033 Mithin ist es jezt leichter, Directeur und Schauspieler werden zu können, in unsern so hochbelobten, aufgeklärten Zeiten, wo die Kinder mehr wißen müßen, als das Mädchen von 20 Jahren nicht wißen sollte – oder wenigstens so thun, als wüßte sie es nicht.
1032 Das sind 8½ Jahre. 1033 Gestrichen: Die ganze Schweiz, Freyburg in Breißgau, Carlsruhe, Göttingen und mehr Städte und Länder noch.
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Daher die Menge. Jetzt, wenn man sie alle zählen könnte, giebt es mehr Directeurs, als es sonst gute Schauspieler gab. – Mithin ist es jezt leichter und die Verführung, auch Schauspieler zu werden, grösser. Nie, nie würde ich mich ausschwazen, wenn ich den Punkt ganz auseinandersetzen wollte. Und nun Ihr, Ihr, die Ihr einmal bei dem Theater seid, seid doch nicht so sehr einer des andern Teufel. – Hat ein Directeur einen Redlichen [367v/738] gefunden, so denke er, daß er nicht sein Sclave sey, den er despotisch tyrannisieren und behandeln müße – begegne ihm so, wie der alte Vater Koch, und wie es überhaupt bei deßen Theater Sitte war. Und Ihr Schauspieler, die Ihr halbweg ein ruhiges Brod findet, denkt doch um eurer eigenen Ruhe und Glückseligkeit nicht, wenn Ihr auch das ganze Publikum zu Freunde habt, daß Ihr den Directeur oder die Direction scheren1034 könnt? – Daß euch die Freundschaft des Publikums noch zu wenig ist, das Ihr wollt angebetet seyn; – daß Ihr euch mit eurer Kunst einbildet, mehr zu seyn wie der erste Staatsminister. – Trozt nie mit Weggehen, mit Aufsagenwollen, – denkt nicht, das euer Verlust nicht zu ersätzen: – O, in diesen fruchtbaren Schauspielerzeiten seid Ihr zu ersätzen. – Der vernünftige Theil des Publikums denkt – und muß denken: Wie hätten wir thun müßen, wenn er gestorben. – Seht, Ihr guten Leutchens, daß lezte dachte ich immer, bei allen Bei[368r/739]fall, den ich hatte – und darum schor ich nie meine Prinzipale noch Directeurs, darum war ich bescheiden bei dem Lobe; dienstfertig, gefällig, verträglich mit meinen Kammerraden. – Darum wollte ich nicht allein glänzen, biß keinen fort; und gönnte es andern, wenn auch sie gefielen. Wollen denn nicht alle leben? Seid also verträglich, laßt euren Neid, und begegene einer dem andern mit Achtung, dann können sie alle die Achtung des Publikums wieder versichert seyn. – Ihr vergebt sonst euren Respekt. – Die unter euch stehen, versagen euch solchen. Bei Vater Koch gieng die Ehrfurcht des Theatermeisters und seiner Gehülfen1035 so weit, daß der alte Mann, wenn er, mit Decorationen belastet, solche bei einen Schauspieler vorbeitragen mußte, er seine Pelzkappe auf die Decorationen legte, um nicht mit bedeckten Kopf vor dem Schauspieler vorüberzugehen. – Nennt es pedantisch! – O, es wär gut, wenn noch manche Pedanterien in unsern aufgeklärten Theaterzeiten Sitte wär. – Zieht euch von denen zurück, [368v/740] wen welche darunter sint, die nicht ganz gut denken. – Lacht darüber wie ich, wenn sie euch Spiznamen anhengen, wie man sie mir anhung. Antwortet 1034 Plagen, drücken. 1035 Dem Theatermeister, einer Art technischer Leiter der Bühne, oblag u. a. die Aufsicht über die Bühnenarbeiter; s. HHS, Anm. 552.
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den Narren nicht, damit Ihr ihn nicht gleich werdet, dachte ich. Ich schwieg zu vieles, macht es auch so. Und könnt Ihr nicht Freunde seyn, so seid nur ruhige Menschen! 36. Kapitel Sagt für das Gefühl meines Herzens – zu wenig Bald werden es 9 Jahre, daß ich in Weimar bin, und nahe an 8 Jahre, daß ich mich von meiner Hände Fleiß und meiner Schule mich zu erhalten so glüklich bin. – Diese lezten 8 Jahre sint mir die kürzesten geworden, die ich gelebt, – folglich kann ich niemals zufriedener gewesen seyn. Und wem verdanke ich’s? – Den Guten, den unzähligen Guten, die an mich gedacht: – Diese mit Arbeit, – jene durch die Zuschickung ihrer Kinder. – Ich versprach, und habe nichts mehr versprochen, als was ich leisten, was ich halten konnte. Die Zahl meiner Schülerinnen ist bis jezt 85 gewesen. Von den vornehmsten bis zu den geringern sint sie mir alle1036
1036 Hier ist die Seite zu Ende, und das Manuskript bricht ab. Benezé II, S. 164 ergänzt: gleich lieb geworden.
Textkritische Anmerkungen I Gestrichen: fremd. II Gestrichen: meinen. III Auf einem Zettel, der auf den Papierrand aufgenäht ist: Note zum 10ten Kapitel. IV Gestrichen: 100 Gulden; eingefügt: Geld. V Wohl um die eigentümliche Sprechweise des Italieners hervorzuheben, verwendet sie bei diesem Satz die lateinische Schreibschrift. VI Auch bei diesem Satz verwendet sie die lateinische Schreibschrift. VII Gestrichen: Ich komme wieder zu meinen Engagement bei Ackermann. VIII Gestrichen: Regierenden. IX Ein eingehefteter Zettel mit der Note zu Madame Fleischer vom Archiv als Bl. 41r und 41v bezeichnet. X Gestrichen am Blattrand: Vierundzwanzigtes Kapitel. XI Eingeklebter Zettel mit der Überschrift für das 25. Kapitel vom Archiv als Bl. 45r bezeichnet. XII Am Rand nachträglich mit anderer Tinte eingefügt: * Diese Zeilen kommen in eine Note. XIII Die Striche // werden am Rand wiederholt, es ist jedoch keine Einfügung notiert. XIV Die *Note von Kummerfeld an Seite 114/52v angenäht, vom Archiv als Bl. 53 bezeichnet. XV Am Rand: *Dieses kömt als eine Note, soweit es eingeschloßen; Bericht für den Sätzer. XVI Gestrichen: Doch ich lenke wieder ein. XVII Gestrichen: Maß die Königin Hensel vom Fuß bis zum Kopf. XVIII Die Worte Mord und Fehiger sind dreifach unterstrichen. XIX Name des Kapitels auf eingeklebtem Zettel, der vom Archiv als S. 83r foliiert ist. Am Rand gestrichen der ursprüngliche Kapitelname: Endlich entfernte ich mich von den Sitz der Zwietracht und des Neides. XX Am Rand: NB Für den Sätzer zur Nachricht, wird zu einer Note. Der Umfang der Note ist mit Strichen und Bis hieher markiert. XXI Unterstreichungen bei Und wollte Gott! wollte Gott getilgt. XXII Am Rand: NB. wird wieder als eine Note abgedrukt. Textausschnitt mit Strichen und Bis hieher gekennzeichnet. XXIII Gestrichen: Doch wieder zu meiner Unterredung mit Madame Koch. XXIV Worauf dieses Zeichen verweisen soll, bleibt unklar – Absatz? Geplante Kapitelüberschrift? XXV Textanfang und Ende der von ihr gewünschten Note mit * und Strichen kenntlich gemacht. Am Rand: * wird eine Note im Abdruck. XXVI Verweiszeichen. Am Rand eine Zeile tiefer wiederholt, Bedeutung unklar. XXVII Gestrichen: Dankte jedem nach [gestrichen: der] einer Probe und nach dem Ballett für die Gefälligkeit, und daß bei jeder Wiederholung. XXVIII Ab hier der Text in Klammern (bis um es nur wieder zu bekommen), am Rand der Hinweis: wird gleichfals als eine Note abgedruckt. XXIX Gestrichen: Alters; eingefügt: Jahre. XXX Gestrichen: alle. XXXI Verweiszeichen am Rand wiederholt, Grund nicht erkennbar (Absatz?). XXXII Am Rand: * (Asterisk im Kreis): wieder eine Note. XXXIII Ende der um den Notentext gesetzten Klammer; am Rand: bis hieher. XXXIV Gestrichen: Nie habe [ich?] keine [kleine?] ich einen Menschen was [?] Heuchler oder Lügner.
962 | Textkritische Anmerkungen XXXV Verweiszeichen am Rand nicht wiederholt (Absatz?). XXXVI Verweiszeichen am Rand nicht wiederholt (Absatz?). XXXVII Verweiszeichen unklar (Absatz?). XXXVIII Verweiszeichen // unklar (Absatz?). XXXIX Am Rand: * 2. Note. Umfang der Note am Rand des Manuskripts markiert. XL Am Rand: Note 3, im Text mit // und * eingefügt. XLI Verweiszeichen // unklar (Absatz?). XLII Korrigiert aus: Abendroth. XLIII Korrigiert aus: Abendroth. XLIV Gestrichen: Abendroth. XLV Jeweils gestrichen: Abendroth. XLVI Gestrichen: Der mich und alle Welt mit seinen Karakter betrog. XLVII Gestrichen: Abendroth. XLVIII Gestrichen: oder 15. XLIX Gestrichen: an baren. L Gestrichen: Losse. LI Der Name in Auszeichnungsschrift geschrieben. LII Verweiszeichen // unklar (Absatz?). LIII Gestrichen: Händel. LIV Gestrichen: meine zwoo Mädchens. LV Am Rand: Kapitelüberschrift. LVI Das Wort Kuß ist eingekringelt. LVII Wort in Auszeichnungsschrift geschrieben. LVIII Korrigiert aus: Arm. LIX Gestrichen: in Schande; übergeschrieben: ihn verachtet zu wißen. LX Korrigiert aus: 25. LXI Korrigiert aus: Lebenden. LXII Gestrichen: bestehend. LXIII Gestrichen: erhabenen Ton und [?]. LXIV Gestrichen: macht; eingefügt: wird. LXV Gestrichen: Aber ich denke wieder in. LXVI Gestrichen: der Freyherr. LXVII Abgekürzter Name unleserlich gemacht. LXVIII Abgekürzter Name unleserlich gemacht. LXIX Voller Name [?] gestrichen. LXX H. v. F. [?], alles außer der Initiale H nachträglich gestrichen. LXXI Korrigiert aus: Abendroth. LXXII Zettel mit der Kapitelüberschrift ist am Seitenrand aufgenäht. LXXIII Text mit NB, Note 1 und großer Klammer am Rand als Anmerkung markiert. LXXIV Eingefügt: Mit einen freundlichen Gesicht. LXXV Gestrichen: vielmehr. LXXVI Eingefügt: Von 50. LXXVII Gestrichen: Keine Kirsche. LXXVIII Satz an mehreren Stellen korrigiert aus: [..]., daß er auch den Bruder so übersehn soll […]. LXXIX Gestrichen: Abendroth. LXXX Gestrichen: niederthrächtigen. LXXXI Gestrichen: Abendroth.
Textkritische Anmerkungen | 963 LXXXII Gestrichen: Abendroth. LXXXIII Gestrichen: Abendroth. LXXXIV Gestrichen: Abendroth. LXXXV Gestrichen: Abendroth. LXXXVI Gestrichen: Abendroth. LXXXVII Gestrichen: Abendroth. LXXXVIII Gestrichen: Abendroth. LXXXIX Gestrichen: 8 gr. XC Gestrichen: konnte. XCI Besonders groß geschrieben, daher hier gesperrt wiedergegeben. XCII Text mit *, Note 1 und großer Klammer am Rand als Anmerkung markiert. XCIII Korrigiert aus: drey. XCIV Text mit *, Note 2 und großer Klammer am Rand als Anmerkung markiert. XCV Gestrichen: Abendroth. XCVI Gestrichen: Abendroth. XCVII Gestrichen: Abendroth. XCVIII Gestrichen: Abendroth. XCIX Korrigiert aus: Mein. C Kurrent-d als Zeichen für Pfennig (denarius). CI Gestrichen: lernen und zu. CII Korrigiert aus: Madame Brandes. CIII Gestrichen: Wie ich nach Mannheim kam, aber da hatte Herr Sartory keine Zeit. CIV Gestrichen: Betge. CV Gestrichen: Partl. CVI Gestrichen: Betge. CVII Gestrichen: A. CVIII Gestrichen: und die Rollen spielten. CIX Korrigiert aus: Betge. CX Gestrichen: zweyter. CXI Gestrichen: von. CXII Korrigiert aus: Betge. CXIII Ein Zettel mit dieser Kapitelüberschrift wurde von Kummerfeld mit einer Stecknadel an das Manuskript angeheftet. CXIV Gestrichen: ewigen. CXV Korrigiert aus: sein Gewerbe. CXVI Gestrichen: gerade heraus. CXVII Verweiszeichen //, am Rand eingefügt: 23 Kapitel. Beides gestrichen. CXVIII Am Rand gestrichen: 27 Kapitel. CXIX Gestrichen: Auch diese Ahndung meines Herzen trog mich nicht. CXX Die vom Archiv angebrachte Foliierung springt von 328v zu 330r, da der eingeheftete Zettel mitgezählt wird. CXXI Gestrichen: noch. CXXII Gestrichen: in Weimar. CXXIII Gestrichen: das wahr [korrigiert aus: fahr] vorher. CXXIV Gestrichen: miserabler. CXXV Gestrichen: infames. CXXVI Durch deutlich größere Schrift zusätzlich hervorgehoben: Daß??? Unmöglich!!!
964 | Textkritische Anmerkungen CXXVII Am Rand gestrichen: 31 Kapitel. CXXVIII Gestrichen: und [?] nichten [?] was solte Herr Mezier als Licentiat Frank anders sagen. CXXIX Gestrichen: ohngefähr. CXXX Gestrichen: Herrn Neumann als. CXXXI Korrigiert aus: Neumann. CXXXII Gestrichen: und Herr Neumann. CXXXIII Gestrichen: mit Herrn Neumann. CXXXIV Korrigiert aus: echten.
III. Anhang
III.1 Beilage zur Hamburger Handschrift: Friedrich August Cropp1, Die Familie Kummerfeld betreffend
Der Hamburger Handschrift ist auf Bl. I bis II eine Genealogie der Familie Kummerfeld beigebunden, die hier im Wortlaut wiedergegeben wird. Einige Abkürzungen werden aufgelöst, Ergänzungen und Korrekturen zur Genealogie s. Kap. I.2. Die bei Cropp in Klammern angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Hamburger Handschrift. [Bl. 1r] Die Familie Kummerfeldt betreffend Hinrich Kummerfeld, Bürgerssohn, wurde Bürger in Hamburg am 15. Juli 1718, Theehandlung (Kaufmann, aufm Herrengraben), heirathete Jgfr. Catharina Hilbrandts, Diedrich Wilhelm Hilbrandt, Bürgercapitains zu St. Nicolai Tochter, Montag, 10. Juni 1720 in Hilbrandts Hause aufm Herrengraben (St. Michaelis). – Er starb 5 Monate vor Hinrich’s Geburt, also im Juli 1727. Seine Frau war damals 22–23 Jahre alt und verheirathete sich 2) Mittwoch, 8. Sept. 1728 (St. Nicolai) mit Hieronymus von Bostel, Kaufmann in der Deichstraße, der mit ihrem Mann in Compagnie gewesen; und mit dem sie 10 Kinder hatte, wovon 3 vor 1768 gestorben. Sie starb angeblich 1753 [Lücke]. Nach 11 Jahren, rectius Dienstag, 21. Septbr. 1762 (St. Jacobi) verheirathete sich Hieronymus von Bostel, Kaufmann in der Deichstraße, mit Frau Catharina Maria Grünenberg, seligen Friedrich Wilhelm Grünenberg’s Wittwe (40 Jahre alt, die schon zwei Männer begraben hatte). Er starb im ersten Vierteljahr nach der Hochzeit, sie heirathete einen vierten Mann auf dem Lande und lebte noch 1768. Kinder (Erster Ehe: 2 Töchter, 2 Söhne) 1) Kummerfeld, Catharina Elisabeth (*rectius: Catharina, getauft zu St. Michaelis 1721 Octbr. 26), heirathete Dienstag, 21. Aug. 1742 (bei von Bostel, Deichstraße, St. Nicolai) Johann Otto Fritsch, Kaufmann, dann angeblich Makler, 1763–1774 Embder (nicht Amsterdamer) Bothe, welcher 73 Jahr alt, am 7. März 1774 starb und außer 1
Dr. phil. h. c. Friedrich August Cropp (* 20. Juni 1805 Hamburg, † 19. März 1889 Hamburg), Kaufmann und Privatgelehrter. Cropp widmete sich ab 1838 der Erforschung der Geschichte Hamburgs, der Genealogie und der Literaturgeschichte. Er war Mitverfasser des „Lexikons der hamburgischen Schriftsteller bis zur Gegenwart“, Hamburg 1851–1883. Lit.: Renate Hauschild-Thiessen: Art. Cropp, Friedrich, in: Hamburg Biogr 3, Göttingen 2006, S. 85 f.
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der Wittwe eine Tochter hinterließ: Catharina Fritsch, geb. 1746 [Lücke], heirathete Dienstag, 16. April 1771 (in seinem Logis bei Fritsch, Neustädter Fuhlentwiete, St. Michaelis) Johann Peter Pauli, Lieutenant bei hiesiger Garnison (1761 Fähnrich, 1766 Unterlieutenant, 1772 OberLieutenant, 1784 Capitain) geb. in Hamburg 1730 Febr. 16, gest. 1800 Febr. 18, verh. 2) 1779 Novbr. 16 mit Anna Eleonora Charlotta Lotze, geb. in Hamburg 1750 Decbr. 6, gest. 1810 Octb. 21. Er hatte in erster Ehe 6 Kinder und in zweiter Ehe 6 Kinder, von welchen 7 ihn überlebten. Von den 6 Kindern zweiter Ehe überlebten 4 die Mutter, und von einer verheiratheten Tochter sahe sie 4 Kindeskinder, wovon 3 sie überlebten. (Erste Ehe 1772 Mai 31 Tochter S. 637, 1773 Mai 14 Sohn S. 642, 1774 Juli Sohn S. 674) [Bl. Iv] NB Blan, der laut S. 622 ebenfalls um Catharina Fritsch warb, ist ohne Zweifel: Hinrich Plahn (vgl. S. 202: der geblagte Mann, ein Bosamentirer), Oberlieutenant bei der Garnison (1764 Fähndrich, 1779 UnterLieutenant, 1779 OberLieutenant), geb. zu Altenbruch im Lande Hadeln 1741 Januar 5, gest. 1785 Apr. 2, verh. 1771 Juli 29 mit Maria Elisab. Flesseln. NB Eine Schwester von Joh. Otto Fritsch, geb. 1704, taub, im St. JohannisKloster. 2) Kummerfeld, Diedrich Wilhelm, Bankschreiber, geb. (1723 S. 429) 1726 Decbr. 2, gest. 1777 Febr. 19, heirathete Dienstag, 12. April 1768 (in seinem Hause, Kleine Drehbahn, St. Michaelis) Carolina (Francisca) Schulze aus Leipzig, sel. Christian Schulze Tochter, geb. in Wien 1745 Sept. 30, gest. in Weimar 1815 Apr. 20, alt 70 Jahr. Vgl. Gemeinnützige Hamburg. Anzeigen, 24. Stück, Dienstag 25. Febr. 1777: „Todesfälle. Den 19ten dieses, des Abends um 7 Uhr, ging mit Tode ab Herr Diederich Wilhelm Kummerfeld. Er war den 2ten Decbr. 1726 gebohren und verehelichte sich den 12ten April 1768 mit Jgfr. Carolina Francisca Schultze. Den 5ten Januar 1748 wurde er Banco-Schreiber bey hiesiger Löbl. Banco. Ein Entzündungs-Fieber verkürzte sein Leben, und er hat ein Alter von 50 Jahren 2 Monaten und 17 Tagen erreichet.“ NB Er ist getauft zu St. Nicolai 1723 Decbr. 5. 3) Kummerfeldt, Louise Margaretha, getauft zu St. Nicolai 1725 Novb. 11. NB Im Taufregister zu St. Michaelis 1724 Septbr. 17 pag. 882 kommt vor: Hinrich Kummerfelts Kind (ohne Namen). 4) Kummerfeld, Hinrich, geb. 1727 Decbr. 11, gest. 1790 Septbr. 15, Kaufmann unter der Firma Kummerfeldt & von Bostel, Deichstraße No 54, Nicolai 5 (NB 1768 S. 485 glaubte man, daß er die älteste Dem.ell Schwerdtner heirathen werde). NB Er ist getauft zu St. Nicolai 1727 Decbr. 14.
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[Kinder] (Zweiter Ehe: 10 Kinder, wovon 3 vor 1768 gestorben) 1) von Bostel, Peter Martin, geb. 1729 Juni 29, gest. 1790 Juli 4, unverheirathet. Kaufmann, Compagnon seines Stiefbruders Hinrich Kummerfeld, Deichstraße. [Bl. IIr] 2) von Bostel, [Lücke] Kaufmann, in Drontheim établirt. 3) von Bostel, Anna Catharina, geb. 1730 Septbr. 6, gest. 1791 Decbr. 25. 4) von Bostel, Maria Christina, geb. 1731 Decbr. 21, gest. 1792 Novbr. 3. 5) von Bostel, Anna Margaretha, geb. 1735 April 7, gest. 1810 Novbr. 10. Diese 3 Schwestern führten die Wirtschaft ihrer Brüder in der Deichstraße. Alle 3 sowie ihr Bruder Peter Martin begraben zu St. Johannis. 6) von Bostel, Catharina Gertrud, geb. [Lücke], heir. Dienstag, 10. Juli 1759 (bei Wwe. Hilbrandten aufm Herrengraben, St. Nicolai) Sebastian Heinrich Hilbrandt, Pastor zu Trittau, Brudersohn von D. W. Kummerfeld’s Onkel. 7) Anna Maria von Bostel, geb. 1739 Febr. 7, gest. 1796 Decbr. 7, heir. Dienstag 9. Febr. 1768 (in seinem Hause aufm Dreckwall, St. Nicolai) Abraham August Abendroth, Procurator, geb. zu Scheibenberg im Erzgebirge 1727, gest. 1786 Novbr. 19 (vorher verheir. 1763 mit Johanna Maria Grot, gest. 1767 mit Hinterlassung einer Tochter Concordia Catharina, geb. 1765 Apr. 26, gest. 1832 Juli 31, verh. 1788 Apr. 15 mit Carsten Nicolaus Biesterfeld, Professor am Johanneum, und eines Sohnes, des späteren Bürgermeisters Amandus Augustus J. U. Dr., geb. 1767 Octbr. 16, gest. 1842 Decbr. 17, verh. 1792 Oct. 6 mit Johanna Magdalena von Reck) – mit welchem sie 2 Töchter hatte: Charlotta Augusta, geb. 1768 Novbr. 19, gest. 1785 Novbr. 12, und Auguste Pauline, geb. [Lücke]. Als anderweitige Verwandte erwähnt Caroline Kummerfeld: Kummerfeld’s Onkel Hillbrand (unverheirathet gestorben 1770 Janr. 10, noch nicht 56 Jahre alt), bei welchem seine Schwester Wittwe Schreiber mit ihren Kindern wohnte. Zwei Vetter Lippelding, wahrscheinlich: Johann Joachim Lippelding, Kanzellist, geb. in Hamburg 1720 Juni 11, gest. 1786 Octbr. 1, und Johann Gabriel Lippelding, Kanzellist, geb. 1724 Febr. 10, gest. 1783 Janr. 16. Herrn Schwerdtner, mit Frau, Sohn und Tochter.
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[Bl. IIv] Der zuerst 1765 S. 313–319 erwähnte junge Soltau war der bekannte Dietrich Wilhelm Soltau, Dr. Phil. und Senator zu Lüneburg, geb. in Bergedorf 15. März 1745, gest. 13. Febr. 1827, ein Sohn des Ratmanns Martin Wilh. Soltau zu Bergedorf aus dessen erster Ehe mit Engel Margaretha Schumacher, also Halbbruder des Oberalten Carsten Wilh. Soltau. Vgl. Hamb. Schriftsteller-Lexikon. Er widmete sich der Handlung, war 1765 bei De Dobbeler am Comptoir (sein Beichtvater war der Diac. Rüter zu St. Nicolai). Die S. 329–342 erwähnte Rechtfertigungsschrift von Carolina Schultz, Hamburg d. 18. October 1765, ist aufm Stadtarchiv in der Acte von 1759ff.: Wegen Uebertritt zur Römisch-Catholischen Religion, aufbewahrt. Er ging dann nach St. Petersburg, von wo er laut S. 449 1768 an sie schrieb und wo er in Firma Meybohm & Co. bis 1798 etablirt war, dann in Lüneburg. NB Die CommerzBibliothek in Hamburg besitzt (T 636) in gleichzeitiger Abschrift
folgenden Brief von Caroline Kummerfeldt geb. Schulze: „Hochehrwürdiger, hochgelahrter Herr, hochgeehrtester Herr Senior, In der Schrift: „Theologische Untersuchung der Sittlichkeit des heutigen Deutschen Theaters“ stehet S. 198 eine Anmerkung, von welcher meine Freunde sowol als ich überzeugt zu seyn glauben, daß sie auf den Vorfall ziele, der mir vor vier Jahren mit dem jungen Soltau aus Bergedorf begegnet. Es kommt in dieser Sache nicht allein auf meine eigene Ruhe, sondern auf die Ruhe meines Mannes und seiner ganzen Familie an, und dies ist die Ursache, warum ich Sie, Herr Senior, frage, ob Sie mich mit der Theater-Göttin meinen? Ich bitte mir hierauf eine bestimmte Antwort aus. Sie machen allenthalben in Ihren Schriften auf den Ruhm eines recht practischen Christen Anspruch. Dieses nicht allein, sondern auch schon die Pflichten eines redlichen Mannes setzen Sie in der Nothwendigkeit, meine Anfrage ohne Zweydeutigkeit zu beantworten. Sollte Ihre Antwort ausbleiben, so werde ich dies als eine Bejahung ansehen und meine Maaßreguln danach zu nehmen wissen. Hamburg, den 4. Septbr. 1769. C. K. geb. S.“ „Madame, Ich habe Sie damit nicht gemeinet. Es sind mehrere Exempel von dieser Art vorgefallen. Goeze.“ Hamburg, 28. Janr. 1876. Zusammengestellt von Friedr. Aug. Cropp Dr. ph.
III.2 Vorbemerkung zur Weimarer Handschrift: Memoiren der Karoline Kummerfeld, geborne Schulze
Der Weimarer Handschrift ist eine anonym verfasste Vorbemerkung zu Leben und Werk von Karoline Kummerfeld beigebunden, die hier im Wortlaut wiedergegeben wird. [Bl. 1r] Memoiren der Karoline Kummerfeld, geborne Schulze 1750–1800 [!]. Die Tochter von Schauspielern, ward sie zu diesem Beruf erzogen. Sie verließ die Bühne, um sich in Hamburg zu verheirathen. 10 Jahre später, als Wittwe kehrte sie indeß zur Kunst zurück – wie es jedoch scheint, um wenig Beifall zu erndten. In Weimar lebte sie von ihrer Hände-Arbeit und gründete eine Nähschule. Karoline Kummerfeld war tugendhaft, aber nicht geistreich, mehr fleißige und geschickte Näherin als Künstlerin. – Von der großen Theater-Zeit in Hamburg, unter Schröter und [Bl. 1v] Eckof, die sie miterlebte, weiß sie nur kleine, auf ihre eigene Persönlichkeit sich beziehende Intriguen zu berichten, und die Weimarische Glanzperiode, ging spurlos an ihr vorüber. Ueber das Kummerfeldsche Waschwasser, welches sie bereitete und dessen Rezept sie in ihrem Testament der Armenkasse vermachte, ist in den vorliegenden Memoiren nichts erwähnt, welche die Verfasserin nur geschrieben zu haben scheint, um die Angriffe der Presse auf ihr Künstler-Wirken zu rügen und alle diejenigen zu warnen, welche Lust haben sollten, die dornenvolle Laufbahn des Schauspielers zu wählen.
III.3 Auszüge aus den Taschenbüchern für die Schaubühne (Theaterkalender – TKR)
Taschenbuch für die Schaubühne (Theaterkalender) auf das Jahr 1791, Gotha 1791, S. 179: Kummerfeld, Karoline, geb. Schulzin zu Wien 1743, deb. 1757, lebt zu Weimar, wo sie eine Pensionsanstalt errichtet hat. Taschenbuch für die Schaubühne (Theaterkalender) auf das Jahr 1792, Gotha 1792, S. 210: Kummerfeld, Caroline, geb. Schulzin zu Wien 1743, deb. 1757, lebt zu Weimar, wo sie eine Pensionsanstalt errichtet hat. Munterkeit, Naivität, Drolligkeit, Muthwille auf der einen, der Enthusiasmus der Liebe und der höchste Schmerz des Trauerspiels auf der andern Seite sind als das Eigenthum dieser ehemals berühmten Aktrize betrachtet worden. 1767 gaben die Rollen der Minna und Julie ihrem Ruhme neue Flügel. Herr Oeser hat sie in letzterer Rolle verewigt. Sie verheurathete sich 1768 zu einer Zeit, da sie die Erwartung des Publikums aufs höchste gespannt hatte, an den Kaufmann Herrn Kummerfeld in Hamburg, der sie aber in einigen Jahren durch seinen Tod zur Wittwe machte. Nachdem sie nun 16 Jahre außer dem Theater gelebt hatte, versuchte sie es 1784 noch einmal auf der Schaubühne; allein da auch sie gewahrt ward, daß ihr Spiel geältert habe, so verließ sie diese Laufbahn gar bald auf immer wieder, und etablirte sich in Weimar. Taschenbuch für die Schaubühne (Theaterkalender) auf das Jahr 1793, Gotha 1793: Auszug aus dem „Verzeichniß einiger außer dem Theater lebenden ehmaligen Mitglieder der deutschen Schaubühne“, S. 255–256: [255] Kummerfeld Caroline, geb. Schulzin zu Wien 1743 war von Jugend auf beym Theater, und lebt jetzt zu Weimar, wo sie eine Nähschule errichtet hat. Hr. Schink sagt von ihr in den Bruchstücken zur Geschichte des Ackermannschen Theaters (*Siehe Nr. 39 der Hamburgischen Theaterzeitung, vom 29. Sept. 1792) folgendes: „Demoiselle Schulz – jetzige Madame Kummerfeld, privatisirend zu Weimar – versprach eine vortrefliche Aktrize. Sie wußte sich vortreflich zu tragen, hatte Gesichtszüge und Stimme
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ziemlich in ihrer Gewalt. Ihre Koketten im Lustspiele gefielen am meisten, und ihre Roxelane im Soliman dem zweyten, galt für ihre Forcerolle. In ernsthaften Rollen war ihr Ton bisweilen zu gedehnt und am unrechten Orte feyerlich. Im Trauerspiel gelang ihr der Karakter der unterdrückten Unschuld am besten. Ignes von Castro und Arricia in der Phädra waren ihre ersten tragischen Rollen. Auch, als Tänzerin, fehlt’ es ihr nicht an Kunst.“ – 1767 vermehrten die Rollen der Minna und Julie ihren Schauspieler-Ruf. Hr. Oeser hat sie in letzterer Rolle gemalt. Sie verheurathete sich 1768 an Hrn. Kummerfeld in Hamburg, welcher als Buchhalter an der dasigen Bank stand. 1777 trennte der Tod dieses Mannes ihre Ehe. Sie war kaum fünf Monate Wittwe, als sie die Schaubühne in Hamburg schon wieder betrat. 1778 kam sie zum Hoftheater nach Gotha, wo sie mit der Sara in den Holländern debütirte, und als 1779 diese Bühne entlassen wurde, ging sie mit den meisten Gliedern derselben zum Nationaltheater in Manheim. Im Theater-Kalender auf 1781 befindet sie sich aber im Ver[256] zeichniß der Manheimer Bühne schon wieder unter den abgegangnen Personen, und muß also bis zu 1784 wo sie bey der Bellomoschen Gesellschaft debütirte, noch bey einer andern Schaubühne gestanden haben. 1785 zog sie sich gänzlich vom Theater zurück, und über diesen Rückzug findet man im 45sten Stück der Ephemeriden der Litteratur und des Theaters vom Jahre 1785 folgende Nachricht: „Mad. Kummerfeld hat den vernünftigen Entschluß gefaßt, Ruhe und Eingezogenheit dem ängstlichen Herumtreiben bey kleinen Theatern vorzuziehen. Sie lebt in Weimar, beschäftigt sich mit dem Unterrichte junger Frauenzimmer in Handarbeiten, und ist so zufrieden, als sie es je nach einem theatralischen Triumphe war.“ Auszug aus dem Anhang des Theaterkalenders. Im Nachtrag Nr. 2 und 3 sind ein Brief Karoline Kummerfelds sowie die darauf erfolgte Antwort des Herausgebers abgedruckt, S. 297–303: [297] 2. An den Herrn Verfasser der drey Verzeichnisse: der Lebenden, Todten, und außer dem Theater Lebenden. Wenn man von den lebenden Personen etwas hinschreibt daß man der Welt als Wahrheit aufdringen will, so sollte man doch nach allem Recht, sich erst genau erkundigen: ob es Wahr oder Falsch sey? Schon im Theater-Kalender vom Jahr 1791 fand ich mich wieder: als lebend in Weimar, wo ich eine Pensions-Anstalt errichtet haben soll. Wer hat ihnen die Windbeuteley aufgehefft? Was zu einer Pensions-Anstalt gehört, weiß ich; aber selbst eine zu errichten, habe ich weder Vermögen noch Talente genug; und zwey oder drey Kostgängerinnen machen noch lange keine Pensions-Anstalt aus. Ich nenne
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so gern das Kind bey seinen Namen! Weiß wohl, daß Pensionsanstalt viel prunkmäsiger klingt als Nähschule. – Aber sehen Sie mein Herr! es ist nichts mehr und nichts weniger wie eine Nähschule. – – Diesen nähern Bericht sollten Sie schon im diesjährigen Theater-Kalender haben, nur [298] ließ ichs aus der Acht, aber nun da sie gar mit einer Verbesserung hergestolpert kommen, kann ich doch nicht länger schweigen: Ich gehöre mit zu denen, die sich zu Weh gethan glauben, wie in der Vorrede steht. Daß Sie mich im Jahr 1757 debütiren lassen, ist falsch. Schauspieler Kinder sind von Jugend auf bey dem Theater, und haben (möchte man wohl sagen!) gar kein Debütjahr. Schon von meinem 6ten Jahr an half ich meinen guten Eltern das Brod mit verdienen; und 1757 schon erhielte mein Bruder und ich durch unsern Verdienst unsere Mutter. – Das folgende: von meiner Munterkeit, Naivität, Enthusiasmus der Liebe, und dem höchsten Schmerz im Trauerspiel; – Minna und Julie, und daß mich Hr. Professor Oeser in letzterer Rolle verewigt u.d.g. Schnikschnack ist schon so oft gesagt worden, daß ich gar nicht weiß wie man sich die Mühe geben mag, es aufzuwärmen. Mir geschah kein Gefallen wie ich noch Jung war, denn mir machte jedes gedrukte Lob mehr Verdruß als Freude. – Dies auseinander zu setzen, müßte ich ein Buch schreiben. Das mein Mann Kaufmann war, ist wieder nicht wahr. – Aber nun: „einige Jahre war ich nur verheurathet. Nachdem ich 16 Jahre außer dem Theater gelebt hatte, versuchte sie es 1784 noch einmal auf die Schaubühne zu treten; allein, da auch sie gewahr ward daß ihr Spiel geältert habe, so verließ sie die Laufbahn etc.etc.“ hier kann man sagen, so viele Worte so viele Lügen! und offenbahre Beleidigung. Wissen Sie mein Hr. was Ehre ist? Wenn sie dies wüßten so würden Sie behutsamer sein, und anderer Ehre nicht als ein Spielzeug betrachten. Stolz bin ich noch und werde es seyn bey dem Gedanken. Warum ich gleich 1777 nachdem ich noch keine fünf Monate Witwe war wieder in Hamburg das Theater betrat! Mit Ruhm habe ich gespielt da wo [299] man mich hat wollen spielen lassen. Und gut wärs für manchen bey dem Theater, wenn er im Stande wäre mein veraltetes Spiel sich zu geben. – Warum ich wieder von dem Theater gegangen bin? – Weil ich nicht mehr im Theater-Kalender stehen wollte. So viel zur Nachricht. Uebrigens ist von allen Ihren Berichten dies die glaubwürdigste und wichtigste p. 222. wo es heißt: Cynnas Frau, geb. Wenzig, starb Wann? und Wo? ist uns unbekannt. Machen Sie es künftig bey allen ihren Aufsätzen so, so beleidigen Sie weder Lebendige noch Tode, wie mich, und die verstorbene Eckhof, die Sie nur allein arm und elend in Gotha konnten sterben lassen. Weimar, den 22ten Aprill 1792
Carolina Kummerfeldt, geb. Schulze.
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3. Antwort. Madame, Zwar hätten wir von ihnen als einem Frauenzimmer von Lebensart, einen anständigeren und das ehemalige Metier weniger verrathenden Ton erwarten können, doch sind wir Ihnen für die in vorstehendem Schreiben uns mitgetheilten Berichtigungen sehr verbunden, und daß unser Dank dafür aufrichtig ist, werden Sie aus dem Sie betreffenden Artikel in dem diesjährigen Verzeichniß der außer dem Theater lebenden Schauspieler, mit mehreren zu ersehen belieben. Wir haben ihn, was die historischen Fakta betrifft, ganz darnach abgeändert, und in Ansehung ihrer ehemals gezeigten Schauspie[300] ler-Talente einen Gewährsmann für uns reden lassen, mit dem Sie es nun, wenn Ihnen seine Beurtheilung auch nicht anstehen sollte, zu thun haben werden. Wahrheit ist die Pflicht des Geschichtschreibers, und da dergleichen Verzeichnisse, wenn ihnen diese fehlt, gar nichts werth sind, so hätten Sie wohl voraussetzen sollen, daß wir nicht geflissentlich Unwahrheiten der Art, die Sie uns zeihen, niederschreiben würden. Der Geschichtschreiber kann aber nicht alles selbst erlebt haben, und wenn er zu gleicher Zeit lebte, so war er vielleicht von dem Orte der Begebenheit zu weit entfernt; auch nimmt er seine Nachrichten aus Büchern, oder läßt sie sich von gleichzeitigen Personen erzählen. Sehen Sie, Madame, auf diese Art schleichen sich bei dem besten Willen Fehler ein, die nur gerade dadurch, daß sie durch den Druck zu mehrerer Publicität gelangen, in der Folge berichtigt werden können. Eben diese Bewandniß hat es mit der Kritik über den verstorbenen oder vom Theater abgegangenen Schauspieler. Das Werk jedes anderen Künstlers ist außer ihm und kann noch nach Jahrtausenden, wenn es nicht Barbaren oder der wüthende Zahn der Zeit zerstöhrten, angeschauet und beurtheilt werden. Von der Darstellungskunst des Schauspielers hingegen kann man sich nur aus Büchern, oder von Leuten unterrichten, die ihn auf dem Theater sahen. Und daß das Werk des Schauspielers nur an ihm selbst und nicht außer ihm beur theilt werden kann, eben darin liegt der Grund seiner allzugroßen Empfindlichkeit bei dem geringsten Tadel. Dies mag auch Sie, Madame, bei uns entschuldigen, wenn Sie manches niederschrieben, das wir aus Achtung für das schöne Geschlecht nicht beantworten mögen. Denn die Stelle, bey der Sie in den gewöhnlichen theatralischen Zorn ausbrechen, zeigt die Veranlassung Ihres ganzen Briefes nur zu deutlich. „Daß Ihr Spiel geältert gehabt habe, als Sie zum zweitenmal die Schaubühne be[301]treten,“ – diese Behauptung hat Sie in Feuer gesetzt, und ist – was Sie nicht an sich kommen lassen wollen. Indeß haben wir diese Urtheil doch von Männern, die Sie in Hamburg nach Ihres Mannes Tode als Julie wieder hervorkommen sahen.* (* Auch in einem Schreiben vom deutschen Theater zu Weimar, welches im 20 und 21sten Stück der Ephemeriden der Litteratur und des Theaters vom Jahre 1785 stehet,
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findet man folgendes Urtheil: „Mad. Kummerfeld ehemals Mademois. Schulze, war in jüngern Jahren als eine vorzügliche Aktrize bekannt. Ihre Jahre haben sie vielleicht etwa heruntergesetzt, und wenn sie nicht allemal den verdienten Beifall mehr erhält, so mag sie sich mit dem heutigen Geschmack trösten, der nicht allemal das, was gut, sondern was neu ist, liebt und schätzt. In einigen Rollen zeigt sie immer noch ihren alten Glanz, obgleich man ihr allzuviele Einförmigkeit in Aktion und Stimme nicht mit Unrecht vorwirft.“). Allein geben Sie sich darüber zufrieden; mancher zu seiner Zeit sehr gepriesener Schauspieler hat schon gleiches Schicksahl gehabt, und würde es haben, wenn er in unsern Tagen, wo sich das deutsche Theater so sehr umgeformt hat,** (** Die Periode, wo Madame Kummerfeld auf der Bühne glänzte, war zum Theil eben die noch, welche Hr. Schink in den Bruchstücken zu einer Geschichte des Ackermannschen Theaters (in seiner Hamburger Theaterzeitung, No. 35.) also beschreibt: „das deutsche Theater vor ihm (Ackermann) stellte, außer den meist von Spaniern und Italienern entliehenen Burlesken und Haupt- und Staatsaktionen, hauptsächlich nur Uebersetzungen aus dem Französischen vor, und selbst die damaligen deutschen Originalwerke waren nach französischen Leisten zugeschnitten. So wie nun das Schauspiel selbst, wiewohl in deutschen Worten ausgedrückt, nur französisch war, so auch die Darstellung von Seiten der Schauspieler, Deklamation, Gestikulation, Anordnung, Gruppen und Stellungen, alles war dem französischen Theater abgeborgt. Die Deklamation strozte von Schwulst und falschem Pathos, drückte sich im Tragischen äußerst schwerfällig, hohl, heulend, dumpf und weinerlich aus, und schnatterte und plapperte im Lustspiel. Die Gestikulation trat gänzlich aus dem Gleise der Natur. Die Hände fuhren in der Luft herum, die Armschwingungen hatten französische Mensur, die Körper hingen in schwebenden Stellungen, die Füße wurden nach dem Takte aufgesetzt – mit einem Worte, alles war überladene französische Art und Weise. Einzelne Ausnahmen gab es allerdings, aber diese einzlen Ausnahmen wurden nie Muster, konnten es auch nicht werden, eben ihrer Einzelichkeit wegen. Ihre Natur stach gegen die Afterkunst der herrschenden Parthey zu grell ab, um nicht mehr auf als zu gefallen. Vielmehr mußte sie den Schauspielern sowohl, als den Zuschauern, nur sonderbar vorkommen, denn der gesammte theatralische Körper hatte durch ganz Deutschland nur eine Gestalt; nur diese eine Gestalt zu sehen, und schön zu finden hatte man sich durch ganz Deutschland gewöhnt“ – – Hr. Schink sezt diesen Zeitpunkt zwar vor Ackermann hinaus, allein er geht meines Bedünkens zu weit zurück; denn wie schon oben gesagt, war diese Periode zum Theil noch zur Zeit, als Madame Kummerfeld auf der Schaubühne in Ruf stand, und ist auch noch nach ihrer Zeit gewesen.-)
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erscheinen sollte. Wie [302] der Schriftsteller sich den Zeiten anschmiegen muß, wenn er, so lange er lebt, fortgelesen werden will, so auch der Schauspieler, der [303] mit Beifall fortzuspielen verlangt; dies kann er aber nur, so lange er auf der Schaubühne in Uebung bleibt. Eine Kluft von acht bis zehn Jahren macht ihn, wenn er nach dieser Zeit wieder auftritt, ganz fremdartig, und es ist gar kein Wunder, daß er den alten Beifall nicht wieder findet. Wollte er dessen versichert seyn, so müßte er auch seine ehemaligen Zuschauer wieder mitbringen, vorausgesetzt, daß diese bis dahin kein Schauspiel sahen, denn sonst würden sie doch nur aus Gefälligkeit oder Erkenntlichkeit für das bei seinem ehemaligen Spiel empfundene Vergnügen applaudiren, und ein solches Applaudissement ist nur immer erzwungen, und kann also nicht daurend seyn. – Man pflegt sonst im gemeinen Leben zu sagen: der Zorn kleide einem Frauenzimmer nicht übel, allein am Ende Ihres Aufsatzes scheint er Sie Madame, entstellen zu wollen, da Sie auch noch die Todten gegen uns zur Rache aufrufen. Wir fragen Sie aber von wem man mit mehrerm Rechte sagen kann: er starb arm und elend – wenn man es nicht von einer Frau sagen soll, die viele Jahre vor ihrem Tode schon den Verstand verloren hatte? Der Verf. der drey Verzeichnisse: Der Herausgeber des TheaterKalenders.
III.4 Synopse der beiden Handschriften: Aufenthaltsorte und wichtige Ereignisse
1742 Wien
1742–1748 Engagement der Familie Schulze am Kärntnertortheater in Wien 1. Okt.: Taufe der Catharina Carolina Paulina Schulze, Tochter der Schauspieler Augustina Sibylla und Christian Schulze
1747 Wien
25. Juni: Erster Auftritt in einer Sprechrolle
HHS, 20; WHS, 16r/45
1748 Wien
29. Sept.: Aufkündigung des Engagements der Eltern
HHS, 17
1749 Wien/ München/ Freising/ Straubing/ Landshut/
Fastenzeit: Engagement der Familie bei Johann Schulz am Kurfürstlichen Hoftheater München
HHS, 22, 25; WHS 16v/46
Auftritte mit der Gesellschaft von Johann Schulz in:
HHS, 27f.
- Sommer: Freising, Straubing, Landshut
HHS, 35f.
- Herbst: München 1750
München/ Erlangen/ Nürnberg/ Ingolstadt
Fastenzeit: Engagement der Familie bei Johann Andreas Weidner in Erlangen
HHS, 37, 40
Auftritte mit der Gesellschaft von Johann Andreas Weidner in:
HHS, 42, 47–49
- Nürnberg und Fürth Sommer: Rückkehr nach Erlangen
HHS, 49–51
Gründung einer eigenen Gesellschaft von Christian Schulze Auftritte der Gesellschaft von Christian Schulze in: - Erlangen und Nürnberg - ab 26. Dez.: Ingolstadt 1751 Ingolstadt/ Passau/ Straubing/ Regensburg
Auflösung der Gesellschaft Christian Schulzes Ende Juli: Engagement der Familie bei Johann Schulz in Passau Auftritte mit der Gesellschaft von Johann Schulz in: - 30. Sept. bis Advent: Straubing - Regensburg
HHS, 71–73
Synopse der beiden Handschriften | 979 1752 Regensburg/ Straubing/ Nürnberg/ Würzburg/ Eichstätt
- Karnevalszeit: in Straubing Näharbeiten zur Überwindung finanzieller Engpässe
HHS, 74
- Nach Ostern: Auftritte in Nürnberg
HHS, 75
Anfang Sept.: Würzburg, Engagement bei Johann Joseph Brunian
HHS, 83, 86
Auftritte mit der Brunianschen Gesellschaft in: 1753
Eichstätt/ Würzburg/ Mergentheim/Prag/ Kolin/ Regensburg
1754 Prag/Kolin
1755 Prag/ Braunschweig
- Advent bis Fastenzeit 1753: Eichstätt
HHS, 88
- Fastenzeit bis Pfingsten: Würzburg
HHS, 89–91
- Mergentheim
HHS, 91
Ende Juli: Engagement bei Joseph Kurz in Prag, Auftritte im Militärlager bei Kolin
HHS, 92
Rückkehr nach Prag - Advent bis Fastenzeit 1754: Auftritte in Regensburg Fastenzeit: Nach Prag, Engagement bei Giovanni Battista Locatelli. Übertragung der Direktion des deutschen Theaters an Christian Schulze
HHS, 93
- August: Auftritte im Militärlager bei Kolin
HHS, 93
Fastenzeit: Engagement bei Filippo Nic(c)olini in Braunschweig
HHS, 94; WHS 17v/48
Fastenzeit: Engagement bei Franz Schuch d. Ä. in Mag1756 Braundeburg schweig/ Magde- Auftritte in Potsdam, Stettin, Frankfurt an der Oder burg/Potsdam/Stettin/FrankAuflösung des Vertrags mit Schuch furt an der Oder/Dres- Ende Juli: Engagement bei Johann Christoph Kirsch in Dresden. Aufnahme von Karoline Schulze und ihrem Bruden der Karl in die Tanzakademie 1757 Dresden/ Freiberg/ Erfurt/Köln
- 16. April bis 14. Juni: Auftritte in Freiberg
HHS, 95 HHS, 96f., 99–101; WHS, 19r/51 HHS, 102–
106 HHS , 124f.,
135 10. Juni: Tod des Vaters
WHS, 17v/48; HHS, 151
14. bis 22. Juni: Reise mit Mutter und Bruder nach Erfurt, Engagement bei Carl Theophil Doebbelin
HHS, 168; WHS, 17v/48f.
Auftritte mit der Doebbelinschen Gesellschaft in: - Sept. bis nach Neujahr 1758: Köln
HHS, 174
980 | Anhang
1758
Köln/ Düsseldorf/Köln/ Zurzach/ Baden/ Basel/Bern
- Januar bis Fastenzeit: Düsseldorf
HHS, 174
- 26. März: Köln
HHS, 175
26. Aug.: Engagement bei Konrad Ernst Ackermann in Zurzach
HHS, 187– 192; WHS, 18r/49–19r/51
Auftritte mit der Ackermannschen Gesellschaft in:
HHS, 198– 201; WHS, 22r/57f.
- 10.-17. Sept.: Baden - 27. Sept. bis 10. Nov.: Basel - 16. Nov. bis 1. April 1759: Bern 1759
Bern/ Solothurn/ Aarau/ Baden/ Zurzach/ Luzern/ Bern/ Straßburg
- 4. April bis 12. Juni: Solothurn
HHS, 200–
205 - 21. Juni bis 2. Juli: Aarau - 5. Juli bis 21. Aug.: Baden - 24. Aug. bis 3. Sept.: Zurzach - 24. Sept. bis 30. Okt.: Luzern - 12. Nov. bis 15. Dez.: Bern - 26. Dez. bis 29. März 1760: Straßburg
1760
Straßburg/ Basel/ Colmar/ Sulzbach
- 9. April bis 13. Juni: Basel
HHS, 205–
209 - 18. Juni bis 31. Juli: Colmar - 5. bis 17. Aug.: Sulzbach - 19. Aug. bis 8. Okt.: Colmar - 16. Okt. bis 14. Nov.: Basel - 21. bis 25. Nov.: Colmar - 28. Nov. bis 12. März 1761: Straßburg
1761 Straßburg/ - 9. April bis 19. Juli: Freiburg im Breisgau Freiburg im Breisgau/ Ende Juli: Rastatt, Karoline Schulze erkrankt an der Roten Rastatt/ Ruhr Karlsruhe - 28. Aug. bis 28. Jan. 1762: Karlsruhe
HHS, 214–
219 HHS, 219– 231, WHS, 24r/61 f. HHS, 232– 240; WHS, 24v/62– 25v/64
Synopse der beiden Handschriften | 981 1762 Karlsruhe/ Mainz/ Frankfurt am Main/ Mainz
- 3. Febr. bis 18. Juni: Mainz
- Sept. bis 14. Febr. 1763: Mainz
WHS, 26v/66
1763
- 2. März bis 11. Juni: Kassel
HHS, 245, 252; WHS, 30v/74
18. Juli bis 14. Okt.: Braunschweig. In Braunschweig verspürt Karoline Schulze erstmals Widerwillen gegen das Theater
HHS, 272; WHS, 35r/83,
- 24. Okt. bis 1. Juni 1764: Hannover
HHS, 278; WHS, 37v/88
- 13. Juni bis 11. Juli: Göttingen
HHS, 291; WHS, 38r/89
- 26. Juli bis 29. Aug.: Braunschweig
HHS, 300; WHS, 14r/41,
Mainz/ Kassel/ Braunschweig/ Hannover
1764 Hannover/ Göttingen/ Braunschweig/ Hamburg
1765 Hamburg/ Bremen/ Hamburg
- Ende Juni bis 30. Aug: Frankfurt am Main
HHS, 238–
241
37r/87
39r/91 - 6. Sept. bis 7. Dez./ 28. Dez. bis 22. Febr. 1765: Hamburg
HHS, 302, 305; WHS, 42v/96
- 10. April bis 18. Juli: Gastspiel in Bremen
HHS, 322; WHS, 49r/107
- 31. Juli bis 6. Dez.: Hamburg
HHS, 329
- 25. Dez.: Erste Begegnung mit Diedrich Wilhelm Kummerfeld
HHS, 349; WHS,
56r/119 1766 Hamburg
- 16. Febr.: Tod der Mutter
HHS, 360; WHS,
64v/136
1767 Hamburg/ Leipzig
- 19. Febr.: Erster Besuch in Kummerfelds Haus
HHS, 367; WHS, 67r/141
- 6. März: Letzter Auftritt in Hamburg
HHS, 432; WHS, 14r/41
- 18. März: Engagement bei Heinrich Gottfried Koch in Leipzig
HHS, 432f.; WHS, 86r/177
Heiratsantrag von Diedrich Wilhelm Kummerfeld
HHS, 458– 469; WHS, 104v/214, 105v/216– 108v/222
982 | Anhang
1768
Leipzig/ Hamburg
19. Febr.: Letzter Auftritt bei Koch in Leipzig
HHS, 502f.; WHS,
113v/232– 115r/235 24. Febr. bis 6. März: Reise nach Hamburg
HHS, 507– 532; WHS, 117r/239f., 121r/247– 129r/263
12. April: Eheschließung mit Diedrich Wilhelm Kummerfeld
HHS, 548– 561; WHS, 137r/279– 145v/296
Rückzug ins Privatleben 18. Mai bis 20. Juni: Reise mit Diedrich Wilhelm Kummerfeld nach Weimar
HHS, 642– 661; WHS, 182r/369
1775 Hamburg
22. Juni: Plan einer Reise nach Lübeck – Schluss der HHS
HHS, 681
1776 Hamburg/ Leipzig/ Hamburg
13. April bis 20. Mai: Reise nach Leipzig (ohne Diedrich Wilhelm Kummerfeld)
WHS, 177r/359, 178r/361f., 180r/365
1777 Hamburg
19. Febr.: Tod des Ehemanns
WHS, 192r/387
1773
Hamburg/ Weimar/ Hamburg
Rückkehr zum Theater 11. Juli: Erster Auftritt bei Friedrich Ludwig Schröder in Hamburg
WHS,
17. Okt.: Umzug in eine neue Wohnung
WHS,
213r/429f. 238v/480
1778
Hamburg/ Hannover/ Braunschweig/ Gotha
26. Aug.: Bitte um Entlassung
WHS,
30. Okt.: Letzter Auftritt in Hamburg
WHS,
9. Dez. bis 18. Dez.: Reise von Hamburg nach Gotha über Hannover und Braunschweig
WHS,
243v/490 245v/494 255v/514; 257v/518– 258v/520
Engagement am Hoftheater Gotha - 28. Dez.: Erster Auftritt
WHS,
258v/520
Synopse der beiden Handschriften | 983 1779 Gotha/ Mannheim
- 24. Febr.: Unterzeichnung eines Zweijahresvertrags
WHS,
- 18. März: Kündigung aller Gothaer Hof-Schauspieler zum 29. Sept.
WHS,
- 27. Sept.: Letzte Vorstellung in Gotha
WHS,
- 28. Sept.: Abreise nach Mannheim, Engagement am von Abel Seyler geführten neu eröffneten Hoftheater
WHS,
Annahme eines Engagements in Innsbruck bei Christoph Ludwig Seipp und Franz Heinrich Bulla, Kündigung in Mannheim
WHS,
3. bis 11. März: Reise aus Mannheim über Augsburg nach Innsbruck
WHS,
260r/523f. 261v/526– 264r/531 263v/530f.
1780
Mannheim/ Innsbruck/ Augsburg
264r/531 269r/541f.
271v/546
27. März bis 25. Juni: Auftritte in Innsbruck 26. bis 29. Juni: Reise nach Augsburg 1. Juli: Erster Auftritt in Augsburg
WHS,
10. Februar: Reise Karoline Kummerfelds nach München, Auftritte als Gast an der Deutschen Schaubühne des Grafen von Seeau
WHS,
17. Februar: Vertrag für ein weiteres Jahr bei der SeippBullaschen Truppe
WHS,
28. Februar: Rückkehr nach Augsburg
WHS,
29. März: Ankunft in Innsbruck, dort Auftritte bis 12. Febr. 1782
WHS,
- 20. Febr. bis 4. März 1782: Auftritte in Linz
WHS,
Sept.: Vereinbarung, zur nächsten Fastenzeit ihren Abschied von der Truppe zu nehmen
WHS,
Jahresende: Beginn der Niederschrift ihrer ersten Autobiographie („Die ganze Geschichte meines Lebens“)
HHS, 109
- 4. März: Letzter Auftritt in Linz
WHS,
277v/558f. 1781 Augsburg/ München/ Innsbruck
282v/568– 290r/585 290r/585f. 291r/587
1782 Innsbruck/ Linz
1783
Linz/ Frankfurt am Main/ Bonn
292r/589; 300r/605 301r/607 305r/615
307v/620 25. März bis 2. April: Reise nach Frankfurt am Main, wo der WHS, Plan, sich ins Privatleben zurückzuziehen, scheitert 306v/618f. Engagement bei Gustav Friedrich Wilhelm Großmann
WHS,
15. Okt.: Ankunft in Bonn
WHS,
307v/620 313r/631
984 | Anhang
1784 Bonn/ Eisenach/ Erfurt/ Weimar
18. bis 26. Mai: Reise nach Eisenach
WHS,
Engagement bei Joseph Bellomo
WHS,
326r/657 327v/660f. Auftritte mit der Bellomoschen Gesellschaft in: - 4. Juni bis 6. Aug.: Eisenach
WHS,
327v/660f. - ab 11. Aug.: Erfurt
WHS;
330v/664ff. - 5. Okt.: Erster Auftritt in Weimar
WHS,
334v/672 1785 Weimar
Endgültiger Entschluss zum Rückzug ins Privatleben 31. Mai: Erster Auftrag für eine Näharbeit von Herzogin Luise
WHS,
10. Juni: Bezug einer neuen Wohnung
WHS,
344r/691ff.
357v/718 22. Juni: Letzter Auftritt in Weimar
WHS,
349r/701 22. Aug.: Erster Schultag in ihrer Nähschule
WHS,
Niederschrift ihrer zweiten Autobiographie („Wahre Geschichte meines theatralschen Lebens“) – die Überlieferung der WHS bricht S. 368v/740 mitten im Satz ab
WHS,
359v/722 1793 Weimar
1815 Weimar
20. April: Tod Karoline Kummerfelds
363v/730
III.5 Die Teileditionen von Karl von Holtei und Hermann Uhde
1. Karl von Holtei (Hg.): Beiträge zur Geschichte dramatischer Kunst und Literatur, 3 Bde., Berlin 1828. Bd. 3, S.180–220 [Holtei, Bruchstücke] Johanna Schopenhauer übersandte Karl von Holtei 1828 eine Abschrift der Weimarer Handschrift, von der er 1828 eine Teiledition vorlegte, die hier abgedruckt wird. Namen und Orte sind im Index erschlossen. Der Text ist online verfügbar unter https://haabdigital.klassik-stiftung.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:gbv:32-1-10005624318. Zu Holteis Edition s. o. Kap. I.3.2. [S. 180] IX. Biographisches. Denkwürdigkeiten, und was sich daran reiht, sind eine Lieblingslektüre unserer Tage, man meint aus ihnen besser oder doch auf minder anstrengende Weise, den Geist der Zeit, wie er auf Individuen [S. 181] und Stände, bedingend und bedingt wirkte, kennen zu lernen, und dadurch ein recht anschauliches Bild vergangener Jahre, ihrer Meinungen und Ansichten zu gewinnen. Jedes Geschlecht, Personen aus jeder Rangordnung der Gesellschaft steuerten bei, jenem ziemlich allgemeinen Hang sich auf diese Art über Vergangenheit und Gegenwart zu unterrichten, Genüge zu leisten. Schauspieler säumten noch weniger als andere Personen ihr Scherflein beizutragen, auch sind sie vorzugsweise dazu befähigt, ihr Leben ist ein öffentliches, sie hängen mehr als jeder andre Stand von Meinung und Geschmack ab, sind genöthigt darüber nachzudenken, sich Rechenschaft davon zu geben, und wenn auch Selbsttäuschungen hierbei sich nicht immer vermeiden lassen, macht sich die Wahrheit dennoch durch Nebel und Trübe siegreich Platz, und die Anforderungen die man in einem bestimmten Zeitpunkt an darstellende Künstler machte, die Begriffe von dramatischer Kunst, und was sie zu leisten habe, werden durch solche Anschauungen deutlicher und fasslicher, als durch noch so gelehrte Theorien. Schriften in der Art ziehen schon durch den Inhalt an, selbst dann, wenn die Individualität des Schreibers es nicht thut, wenn es uns gleichgültig lässt, ob seine innere Bildung mit der äussern gleichen Schritt hielt, wodurch er’s bewirkte, und wie er die Einsicht der Nothwendigkeit harmonischer Ausbildung erlangte. [S. 182] Unter solchen Voraussetzungen dürfen Bruchstücke aus der theatralischen Laufbahn einer Schauspielerinn, die während eines gewissen Zeitraums nicht zu den
986 | Anhang
unberühmten gehörte, es wagen an das Licht zu treten, in der Hoffnung, dadurch manches Dunkel in dem Kunstgeschmack vergangner Jahre, aufzuhellen, und über Sitte und Wesen der damaligen Theaterzustände noch genauere Kunde zu geben, als bisher geschehen. Dem was sie selbst niedergeschrieben, soll ein kurzer Lebensabriss vorangehen. Karoline Kummerfeld, geb. Schulz wurde 1745 in Wien geboren, und war, wie dies bei Kindern von Schauspielern häufig, ehedem fast durchgängig geschah, von Kindheit an bei der Bühne. Die Unfälle des siebenjährigen Krieges, und manches andre unverschuldete Ungemach ergriffen ihre Aeltern, und mittelbar auch sie, öfters wurden sie genöthigt bei kleinen herumziehenden Truppen (stehende gab es damals nur wenige) Unterkommen zu suchen, und fanden sich nicht selten in drückender Verlegenheit. Das alles beugte nicht des jungen Mädchens Frohsinn, der ihr in jeder Lage treu blieb, sie auch im Alter, unter manchen Kümmernissen nicht verliess, und sie in der beneidenswerthen Eigenschaft zufriedener Genügsamkeit befestigte, die ihr und ihrer Umgebung das Leben leicht machte. Nach und nach bekamen ihre Verhältnisse ein freundlicheres Ansehen. Sie erhielt Engagement bei den vorzüglichsten Ge[S. 183] sellschaften jener Tage, der Ackermannischen und Kochischen. Bei jener traf sie den Stiefsohn des Prinzipals, den grossen Schröder, in dem sie sich einen Freund für das ganze Leben gewann. Er unterstützte sie in ältern Tagen, rühmte die Reinheit ihrer Sitten, die Sorgfalt für ihre verwittwete kränkliche Mutter, ihre Gutmütigkeit und Verträglichkeit, und die Rechtlichkeit ihres Betragens gegen seine Aeltern, die sie nicht verliess, als glänzende Anerbieten sie von da weglocken wollten, ja die die nicht einmal Forderungen darauf gründete, so sehr sie auch wusste, dass ihr Abgang Ackermanns unerfreulich gewesen wäre. Das ehrende Zeugniss welches Schröder in seiner Biographie der Freundinn giebt, legt höhern Werth sowohl auf ihre sittlichen, als künstlerischen Verdienste. Er meinet, dass sie nicht frei von einem gespreizten Wesen, einem falschen Pathos, und sogenannten Tänzermanieren geblieben, dagegen in ihren muntern Mädchenrollen recht vorzüglich, und ohne jene Angewöhnungen gewesen sey, welche der Geschmack jener Zeit billigte, und welche blos die bessere Einsicht der Kenner als Manier und Unnatur verwarf. Ihre Triumphe feierte Caroline Schulz am glänzendsten bei Koch, namentlich als Julie in Romeo und Julie von Weisse, in welcher Rolle sie Oeser malte. Die mächtigen Schwingen des Genius haben in der wunderlichen Bearbeitung des deutschen [S. 184] Zurechtschneiders alle Schwungkraft verloren, es bedurfte keiner schöpferischen Phantasie, nicht der wahren innigen Naturlaute der Julia des grossen Britten unerlässlich, die accomodirte forderte sogar allerlei Theaterflitter in der Darstellung, und so darf sich Keins deshalb verwundern, dass die Schauspielerinn, von Jugend und einem angenehmen Aeussern unterstützt, in jener Rolle so sehr gefiel.
Die Teileditionen von Karl von Holtei und Hermann Uhde | 987
Nicht lange darnach verliess sie das Theater, indem sie sich 1768 mit dem Buchhalter der Bank in Hamburg, Kummerfeld, der für sehr wohlhabend galt, verheirathete. Dass sie der Ruf und der Schein getäuscht, erfuhr sie nach seinem Tode. Der Mann hinterliess weniger als nichts, eine nicht ganz unbedeutende Schuldenlast. Um diese zu tilgen, obgleich sie keineswegs dazu verpflichtet war, und sich ihren Unterhalt zu erwerben, sah sie sich genöthigt gegen ihre Neigung, abermals sich dem Theater zu widmen. Der Erfolg stimmte nicht mit ihren und ihrer Freunde Erwartungen überein. Ihr Spiel habe gealtert, hiess es, wohl mit Unrecht. Nicht dies, der Geschmack hatte sich geändert, und die Zeit ihr Recht an Gestalt und Aussehen geübt. Sie verliess die Ackermannische Gesellschaft, spielte auf mehreren Bühnen Deutschlands, und gefiel am besten in komischen Müttern, Rollen die einige Ueberladung und Geziertheit begehrten, und doch nicht eigentlich niedrig komisch waren. Ihr letztes Engagement [S. 185] war bei der Gesellschaft des Schauspieldirektors Bellomo. Sie trennte sich von dieser 1785 in Weimar, und errichtete daselbst eine Nähschule für Töchter der bessern Stände, und erwarb sich bald die Achtung der Aeltern, die Liebe der Kinder. Ihr treffliches Gedächtniss, und unverfälschte Wahrheitsliebe veranlasste, dass sie um manche Ereignisse, besonders theatralische, aus vergangnen Tagen befragt wurde, wie denn dies unter andern öfters von Schröder geschah, wie er dies auch in seiner Lebensbeschreibung mehr als einmal sagt. Sie hatte die Absicht, die Bruchstücke ihrer theatralischen Laufbahn und der Geschichte ihres Lebens zu einem Ganzen zu vereinen, und es in Druck zu befördern, aber ehe dies noch geschehen, übereilte sie im Frühling 1814 der Tod. Ihre Lebensgeschichte kann nur ihre Bekannten interessiren, von dem allgemeiner gültigen der Theaterverhältnisse, werde hier einiges dem Publikum vorgelegt. „Meine erste Rolle war eins von den Kindern die sich in „Aesop in der Stadt“ um einen Spiegel zanken, dann in einem Alter von 3½ Jahr das gelehrte Kind, welches viel Latein sprechen musste, das mir mein Vater gut einlernte. Aber das Ende verdarb den Anfang. Pantalon hatte mich aus dem Kasten in dem ich hergetragen wurde, und wie es das Stück mit sich brachte, hineinschlüpfte, heraus[S. 186]zulassen, ich schrie, als ich die abscheulichen Grimassen, und das Messer sah, mit dem er mich zu erstechen drohte, von welchem allen ich in der Probe nichts wahrgenommen, das Weinen wollte nicht aufhören, man musste mich fortschaffen, ehe noch die Rolle zu Ende ging. Bald darauf verliessen meine Aeltern mit mir und meinen Geschwistern Wien, und nahmen Engagement bei einem Schauspieldirektor in München, Namens Johann Schulz. Trotz der bunt aufgetakelten Frau Prinzipalin, die selbst im Hause sich roth und weiss schminkte, und mit Muschen belegte, war der Herr Prinzipal ein Lump, der seine Burschen (so nannten damals die Direktoren ihre Schauspieler) schändlich betrog, vor allen meinen Vater, der sich bereden liess, Bürgschaft für ihn zu leisten, und selbst dadurch in die
988 | Anhang
grösste Verlegenheit, ja in offenbares Elend gerieth. Wir wechselten häufig den Aufenthalt, spielten in Landshut, Freisingen, Eichstädt, Würzburg, Erlangen, Regensburg und Nürnberg. Am letztern Orte wurde im Fechthause gespielt, am hellen Tage um drei Uhr, und nur ein Theil der Bühne war bedeckt. [S. 187] X. Biographisches. (Fortsetzung.) Trotz den Gebeten der Principalin, deren Wirksamkeit sie öfters rühmte, denn jedesmal vor der Vorstellung knieete sie nieder, und flehte um Abwendung des Regens, konnte sich die Truppe nicht halten, wie das in jener Zeit überhaupt keine, der vielen Abgaben wegen, in Nürnberg konnte. In Erlangen übernahm der Vater selbst eine Direction, erhielt in verschiedenen Städten Permission, bis er 1753 in Ingolstadt sie aufgeben musste, durch die Ränke eines undankbaren, schlechten Mädchens, und die Bigotterie der Jesuiten, welche ihren Beichtkindern die Absolution verweigerten, wenn diese die Todsünde begangen, das Theater zu besuchen. Mein Vater verlor dabei den Rest seiner Habe, wir mussten uns dürftig behelfen, und ich nun ernstlicher darauf bedacht sein, das Brot zu verdienen. Schon früher würde bei den geringen Gagen, die damals ge[S.188]geben wurden, die Noth eingebrochen sein, wenn nicht manches Nebenher zu erwerben gewesen wäre. Mein Vater mahlte und schriftstellerte, die Mutter war geschickt in Handarbeiten, und bekam ausserdem Gratiale von den Directoren für singen und verkleiden. Jedes Liedchen in den Lustspielen, (deutsche Singspieler kannte man damals nicht) wurde besonders bezahlt, desgleichen jede Verkleidung in den damaligen beliebten Zauber- und Maschinenstücken, die grösstentheils aus dem Stegreif gesprochen wurden, und in deren einem, der verliebte Teufel, meine Mutter sich wohl an 30 Mal umzuziehen hatte. In Wien wurde eine Arie mit 1 Fl., ein Lied (beides ohne Begleitung gesungen), mit 30 Kr., eine Umkleidung mit 20 bis 30 Kr. bezahlt, bei mindern Bühnen war der Preis niedriger. Und doch war auf diesen die Mühe ungleich grösser. Fast so selten wie die stehenden Theater-Gesellschaften, waren die eingerichteten Theatergebäude. Hatte ein Principal das Privilegium oder die Permission erlangt, so schlug er das leichte Brettergerüst in irgend einem Saal, oder grossem leeren Raum auf, wobei es nur zwei Rücksichten gab, die Bühne und der Platz für die Zuschauer, und höchstens als Zugabe ein Versammlungszimmer für die Schauspieler. Eigentliche Garderoben kannte man nicht, die Gänge hinter den Coulissen wurden dazu benutzt, auf der einen Seite für die Herrn, auf der andern für die Da[S. 189]men. Allenfalls wurden die sich Ankleidenden durch spanische Wände gegen neugierige Blicke, aber nicht gegen die Unbilde der Witterung geschützt, nur zu oft musste von
Die Teileditionen von Karl von Holtei und Hermann Uhde | 989
den Kleidern, Regen und Schnee, die ihren Weg durch Mauer und Dach gefunden hatten, abgeschüttelt werden. Und doch bildete sich unter solchen Verhältnissen ein Eckhof, ein Ackermann, und dessen Frau! Ein Verdienst für meine Aeltern waren auch noch die geistlichen Comödien. Erhielt der Director die Erlaubniss, solche während der Fasten, des Advents u.s.w. zu spielen, so wurden seine Herrn Bursche (womit man auch die Frauen bezeichnet) nicht ausser ordentlich belohnt, es müsste denn der Fall eingetreten sein, dass sie in der verbotenen Spielzeit keine Gage erhielten, wo dann jede Vorstellung besonders bezahlt wurde. Aber an Festtagen spielten Mönche und Nonnen in den Klöstern ähnliche Stücke, wobei Vater und Mutter hülfreiche Hand leisteten, theils um die Schauspieler einzuüben, theils mitzuspielen, meine Mutter gewöhnlich in Hauptrollen. Kamen Kinder vor, so wurden mein Bruder und ich mit dazu genommen. So erinnere ich mich noch recht gut, wie ich in Straubingen den Engel vorstellte, welcher der h. Dorothea, meiner Mutter, das Körbchen mit Rosen reicht. Die Klostercomödien gefielen mir vor allen, denn die Nonnen küssten und herzten mich, und liessen es an [S. 190] Zuckerwerk u. dgl. nicht fehlen. Solche Spenden gefielen mir besser, als die klingenden, die mir wurden, wenn ich die Rede austheilte, die an gewissen Tagen, zum Antritt oder Abschied, meine Mutter oder ich, gehalten hatte. Sie vertraten die Stelle der Benefize. Auf dem Zettel hies es ausdrücklich der, oder die werde mit einer Rede sich dem Publicum empfehlen, das denn recht gut wusste, was solches zu bedeuten habe. Die gedruckte, meistens gereimte Rede, wurde manchmal an der Kasse, öfter in den Zwischenakten ausgegeben, wofür denn ein Jeder nach Gutdünken bezahlte. Mich hielten bei diesem Gange gleich die vordersten Damen fest, während sie mich liebkosten, übernahmen freundliche Herrn das Geschäft des Einsammelns, und übergaben das Geld, welches mir zu beschwerlich wurde zu tragen, meinen Aeltern. Endlich erhielten wir festes Engagement bei Herrn v. Brunian. Er spielte mit seiner Truppe hauptsächlich Pantomimen, in Würzburg, Eichstädt und Rothenburg, und machte gute Einnahmen. Weil er jedoch ein schlechter Wirth war, wollte es nirgends langen, die Gagen wurden unordentlich gezahlt, fielen wohl ganz aus, deshalb nahm mein Vater das Anerbieten des zu seiner Zeit viel genannten Joseph Kurz an, sich bei ihm bis zur Fasten 1759 zu engagiren. Wir spielten da, im Lager bei Collin und in Regensburg, wo Kurz sich sehr gut [S. 191] stand. Mein Vater zog es aber doch vor, die Direction des deutschen Schauspiels unter dem italienischen Impressario Locatelli zu übernehmen, der in Prag einem deutschen und italienischen Theater vorstand, und ein sehr vorzügliches Ballet zusammengebracht hatte. Gage erhielten meine Aeltern 12 Fl. für die Regie eine Kleinigkeit, und freien Unterricht für die Kinder von dem Balletmeister im Tanzen. Locatelli wirthschaftete übel, ging heimlich fort, und blieb meinen Aeltern über 200 Fl. schuldig. Sie nahmen unter solchen Umständen sehr gern
990 | Anhang
Nicolini’s Anerbieten an, der in Braunschweig neben seinen so berühmten Pantomimen und italienischen Opern, auch ein deutsches Schauspiel errichten wollte. Der Regisseur der deutschen Gesellschaft überwarf sich mit Nicolini, was ihn vermochte seinen Unwillen über alle Mitglieder auszudehnen, er dankte sie sämmtlich ab, und wir kamen 1756 in den Fasten zu Schuch, der in Magdeburg und Potsdam spielte. Die Schauspielerin, welche das Fach der jugendlichen Liebhaberinnen hatte, war krank, und blieb es noch eine Zeitlang, so dass ich die zwölfjährige, ausser meinen Kinderrollen, auch von jener ihren welche übernahm, z. B. die Marie im Kaufmann von London, im Tartüffe die Mariane, die Clarisse im Verschwender, im Cavalier und Dame, die Fürstin (Rutland) im Grafen Essex u.s.w. Vielleicht war dies eine Mitursache, dass der heftige und grobe Schuch mei[S. 192]nen Vater, der mit uns und ihm auch in Stettin und Frankfurt an der Oder gespielt hatte, kündigte, denn trotz meines unreifen Alters, gefiel ich besser als jene Schauspielerin, der Schuch sehr gewogen war. Wir gingen nun zu Kirsch nach Dresden, brave Leute, aber durch die Kriegsjahre heruntergekommen. Hier musste ich nun durchaus mich zu Liebhaberrollen qualificiren, selbst junge Frauen und Wittwen spielen, durch hohe Absätze und Frisur, und einen umfangreichen Reifrock, machte man eine kleine schmächtige Gestalt ansehnlicher, gab mich auch für älter aus, und ich spielte und tanzte in jeder Vorstellung, jedem Ballet. Die Preussen hatten Dresden eingenommen, und das Theater musste aufhören, um so mehr, da es wie andre öffentliche Gebäude, zu einem Magazin eingerichtet worden. Mein Vater rieth Kirsch sich an den König von Preussen zu wenden, bei ihn um Räumung eines schicklichen Orts zu theatralischen Vorstellungen, und die Erlaubniss dazu, nachzusuchen, es geschah mit dem besten Erfolg. Das Schauspielhaus im Zwinger wurde für uns geleert, und wir hatten gute Einnahme. Aber die Truppen zogen weiter und für uns auch die Zuschauer. Kirsch musste seine Gesellschaft entlassen, wir suchten Unterkommen, bei einem Director, der in Freiberg sein Theater aufgeschlagen, das sich aber fast eben so schnell löste, als es entstanden. Nervenfieber waren [S. 193] in dem Maasse in der Stadt heimisch, dass fast kein Haus davon verschont blieb, und an das Theater Niemand dachte. Auch ich wurde von einem hitzigen Fieber mit Friesel ergriffen, und noch nicht genesen, legte sich meine Mutter, und war noch besinnungslos, als mein Vater 1757 am Schlage starb. Der Arzt, selbst krank, unterstützte uns auf alle Weise, nicht so der Hauswirth, der uns, weil wir wenig mehr zu veräussern hatten, aus dem Hause trieb. Bald nach des Vaters Begräbniss führte mein Bruder und ich, die sehr schwache und betäubte Mutter zu einem gutmüthigen Barbier, der uns unentgeldlich ein Kämmerchen einräumte, wohl auch eine Suppe kochen liess. Der Ausgang hatte eine Krise bei meiner Mutter bewirkt, sie war völlig bei sich, und im Genesen begriffen, als ein Brief und Wechsel von Döbbelin aus Erfurt kam, der uns Engagement antrug. Wir reisten sobald es die Kräfte der Mutter erlaubten, zu unsrer neuen
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Bestimmung ab, kamen aber Ende Juni fast nur an, um den Ort zu verlassen, wo die Einnahmen die Ausgaben nicht mehr deckten. In Mainz erhielt Döbbelin keine Permission, und wollte die Gesellschaft entlassen. Auf Zureden entschloss er sich weiter am Rhein hinunter zu ziehen, ob es ihm irgendwo besser gelänge. Er liess uns in Coblenz, und musste, als er in Kölln Erlaubniss erhalten zu spielen, uns auflösen, denn Gage hatte während dem keins von uns gesehen. [S. 194] In Köln gings recht gut, nicht so in Düsseldorf, wo das Ballhaus übel und bös zu einem Theater eingerichtet worden. Wir reisten deshalb in der Fasten 1758 nach Köln zurück, in der Hoffnung nun wieder volle Gagen zu sehen, da wir in den letzten Wochen kaum die halben bekamen. Aber auch in Köln hatte der Zulauf abgenommen, die starke Garnison war ausgezogen, das war zu spüren. Döbbelin wollte seinen Verlust durch das Spiel wieder ersetzen, aber die Karten brachten ihn nur tiefer ins Verderben, er suchte nun in Bonn beim Kurfürsten um die Erlaubniss nach dort zu spielen, und nahm nebst seiner Frau und ihrem Säugling, auch mich mit. Es ging nicht nach Wunsch, er mochte das geahnet, und deshalb die besten Sachen mitgenommen haben, mich schickte er unter dem Vorwande zurück, dass ich nicht länger in Köln entbehrt werden könne. Die Strassen lagen voll französischen Militairs, die Offiziere, junge leichtsinnige Fäntchen, hatten nicht übel Lust, mit mir ein Abentheuer zu bestehen, oder doch das junge unerfahrne schutzlose Mädchen in Verlegenheit zu setzen. Glücklicherweise nahm sich der Kutscher meiner an, rieth mir mich als eine Taubstumme zu stellen, und gab mich für einen Geck (Närrin) aus. Wir spielten nun auf eigene Rechnung, mussten aber, da der Besucher stets weniger wurden, bald aufhören. Endlich kam Döbbelin, mit Frau und Kind, jedoch ohne [S. 195] Koffer zurück, leistete vor Gericht den Eid, die Forderungen der Bürger und Schauspieler an ihn gewissenhaft zu tilgen, sobald er zurückkäme. Der Rath gab ihm eine Empfehlung nach Aachen mit, er ging aber heimlich nach Frankfurt, um die Gesellschaft und deren Schicksal sich nicht kümmernd. Nun brach abermals die Noth ein, wir schrieben um Engagement, konnten jedoch nicht sogleich eins erhalten. Unsre Wirthin hatte schlechte Absichten mit mir, die glücklich vereitelt wurden, und uns ausserdem in der Achtung der Einwohner hoben, und manche Unterstützung verschafften. Dabei arbeiteten meine Mutter und ich, und so brachten wir uns nothdürftig hin, bis ein verspäteter Brief von Herrn Ackermann uns traf, der uns, 9 Fl. Gage, und 50 Fl. Reisegeld bis Strasburg anbot, wo wir dann durch Dr. Behr weiter nach Zürich, wo damals die Gesellschaft sich befand, befördert werden sollten. Dort angekommen, verweilten wir einige Tage, um die Frau Dr. Behr mitzunehmen, die sich als eine genaue Freundin Ackermanns ausgab, was jedoch nicht der Fall zu sein schien, denn Madame Ackermann war über deren Ankunft eher verwundert, als erfreut, was denn auch auf uns nachtheilig wirkte, so dass der Empfang in Zurzach Ende August ziemlich kaltsinnig war. Der treuherzige Ackermann, der wie er am liebsten im tiefsten
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Negligee herumging, sich auch in Reden und Wesen ganz [S. 196] so zeigte wie’s ihm ums Herz war, bewillkommte uns schon freundlicher. Er reiste bald darauf fort, seiner Frau allein die Direction überlassend, die in sehr guten Händen war, vielleicht in bessern als in den seinigen, er verschwendete, sie sparte. Ohne ihre vernünftige Einrichtung, und gewisse in diesem Falle unschuldige, kleine Uebereinkunft mit der Cassierin, die von den zur Haushaltung bestimmten Münzsorten immer mehr als eingekommen, ablieferte, wäre er längst zu Grunde gegangen. Geschickt und überaus fleissig wie sie war, erhob sie den Glanz der Garderobe durch ihre Stickereien. Damals befanden sich noch verschiedene Kleider ganz von ihrer Hand verfertigt, bei dem Theater, die von lauter kleinen Stücken seidnen und goldnen Zeug im grossen Blumenmuster, vermittelst verbindender Stickerei zusammengesetzt, von der Bühne, reichem modischen Stoff glichen. An Mannigfaltigkeit der Anzüge war das Publikum nicht gewöhnt. Die Directionen sorgten blos für Staatskleider und fremde Trachten, und zu denen rechnete man damals bekanntlich sehr wenig, höchstens Landleute, Schäfer, Chinesen, und Türken, Clytemnestra und eine altdänische Prinzessin waren wenig in Putz verschieden, sie trugen Reifrock und faltenreiche Manschetten, so gut, und nach demselben Schnitt, wie eine modische Dame am Hofe Ludwig des XV. In der Ackermannischen Garderobe waren zum Gebrauch für jüngere Schauspielerinnen ausser [S.197] einigen reichen Roben und schwarzen Kleidern, eins von rosenfarbner Seide, eins mit bunter Seide, für muntre, ein hell violettes, und ein ganz weisses für zärtliche Liebhaberinnen, die wurden denn ein- und aufgenäht, wenn das neue Subject das hineinkam, sie nicht so ausfüllte, wie das abgegangene. Künstler die in der Folge zu den trefflichsten gehörten, bildeten sich bei dieser Gesellschaft, die ihnen so herrliche Muster anbot. Schröder glänzte schon als ein unvergleichlicher Komiker, die Hensel nachmals Seiler, hatte noch nicht ihre Kunsthöhe erreicht, aber ihre herrlichen Anlagen wurden von äusserm Reiz und Jugendfrische unterstützt, und einem eifrigen Streben, vorwärts zu schreiten. Die kleine Schwäche vieler Schauspieler, und besonders Directoren, gern Rollen zu spielen, die nicht für sie passten, hatte das sonst so verdienstvolle Ackermannsche Ehepaar denn auch. Wenn einmal der grosse derb gebaute Ackermann, seine nichts weniger als schöne und junge Frau dem geheimen Hang nachgegeben, er einen jugendlichen naiven Burschen, sie eine kindliche Agnes gespielt, und laue Aufnahme gefunden hatten, gabs üble Laune auf lange Zeit, ohne doch dadurch die Lust zu einem neuen Versuch der Art zu verlieren. Eintracht vermisste man überhaupt sehr bei dieser Gesellschaft, und allein in diesem Punkte stand sie der Döbbelinschen nach, wo Rollenneid etwas unerhörtes war. Das Wunder wurde [S. 198] durch Döbbelins erste Frau bewirkt, die, obgleich jung und reizend, und von den ausgezeichnetesten Anlagen, die wenn sie nicht im 22sten Jahre gestorben wäre, ihr eine bedeutende Stelle unter den deutschen Schauspielerinnen würden eingeräumt haben, durchaus anspruchslos war, nicht jede
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gute Rolle für sich nahm, und es ohne Verdruss ertragen konnte, wenn andre neben ihr gefielen. Madame Ackermann gab manche Rolle erst auf, als ihr die elf- bis zwölfjährige Tochter erwachsen genug schien, um sie an diese abzugeben. Doch war das leichter zu ertragen, als das Uebel was aus dem Vertrauen entstand, welches sie der boshaften Klätscherin, der Souffleuse Klara, schenkte. Das schlechte Geschöpf, welches Schrödern so unsäglichen Verdruss bereitete, wie er das mehr als einmal in seiner Lebens-Beschreibung zu erkennen giebt, benutzte die unglückliche Neigung ihrer Patronin zur Eifersucht, ihr halbe Wahrheiten, und ganze Lügen in den Kopf zu setzen, um sich beliebt zu machen, und andere anzuschwärzen. Viele bedienten sich desselben Mittels zu gleichen Zwecken, und aus Gewohnheit zu lügen und zu trügen, verhetzten und verklatschten sie sich unter einander, der Rollenneid trat aufs grellste hervor, so dass selten eine Woche ohne Zank, Hader und den ärgsten Zwiespalt verfloss. Wer ausharren musste, konnte nur auf zweierlei Art bestehen, entweder mit streiten, verläumden und schmeicheln, und so unvermerkt [S. 199] doch seine Wünsche erreichen, oder dem Beispiel weniger, und auch dem meinen folgen, sich in nichts mischen, und sich so ziemlich alles gefallen lassen. Mein Debüt konnte mir als Vorbedeutung dienen, damals war ich nachgiebig aus natürlicher Gefälligkeit, hernach aus Grundsatz. Es wurde während des vierwöchentlichen Aufenthalts täglich des Abends um 8 Uhr, den Sonntag überdies noch den Nachmittag um 4 Uhr, also 8 mal die Woche in einer leicht zusammengeschlagenen Bretterbude gespielt. Ueberhaupt mussten wir uns hier in der Messe sehr behelfen. Sie wollte mich bald in Thätigkeit setzen, was denn auch meinen Wünschen entgegenkam, nur handelte sichs darum, worin ich auftreten sollte. Ich brachte ihr alle meine Rollen, auch die der Iphigenie von Racine, die ich, bis auf die letzten zwei Akte unterwegs gelernt hatte, sie bestand darauf, dass ich in dieser auftreten solle. – Aber Madame, versetzte ich, da ich ganz neu hier bin, und keinen von der Gesellschaft kenne, wünscht’ ich in einer Rolle aufzutreten, die ich schon öfters gespielt. Mad. A. Ja das geht nicht so, wie Sie meinen, ich kann hier keine andere Stücke geben, als wo ich die Zettel schon gedruckt habe, hier giebts keine Buchdruckerei. Ich. Aber Madame, wenn die Zettel zur Iphigenie gedruckt sind, so haben Sie ja schon eine bei [S. 200] der Gesellschaft, welche die Rolle spielt, und das könnte mir Feindschaft machen. Lieber wollt’ ich sie um die Chimene bitten, die ich bei Schuch und Döbbelin öfter gespielt, und die mein Vater mir noch einlernte. Die Chimene ist Ihre Rolle, wie ich in Köln erfahren, wenn Sie mir eine abgeben, darf Niemand schel dazu sehen. Mad. A. Die Iphigenie spielt bei mir Madame Antusch, und hat mich lange gebeten, ihr die Rolle abzunehmen, denn sie spielt ungern im Trauerspiel. Sie dürfen es aber ja nicht sagen, dass Sie die Rolle noch nicht gespielt haben. Ja warum denn nicht, fragte ich fast weinend? Das will ich Ihnen bei Gelegenheit erklären, war die Antwort.
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Ich. Aber Probe werden wir doch davon haben? Mad. A. Nun, wir wollen sehen. Ich. Ich kenne das Stück gar nicht. – Wenn meine Rolle nicht richtig geschrieben wäre? – Sie werden doch so gütig sein, und mir das Stück zum Lesen geben? Mad. A. Ja, fordern Sie’s nur von der Soufleuse. Madame Ackermann überhörte mich, schien zufrieden zu sein, und ermahnte mich die letzten zwei Akte schnell einzulernen. Ich wusste die Rolle, aber das Stück bekam ich nicht, weil es Mamsell Klara nicht beliebte. – Als [S. 201] ich wegen der Probe ein Wörtchen fallen liess, wurde der Achillspieler erschrecklich grob. Probe eines alten Stückes wegen? Hier wo wir 8 mal in 7 Tagen spielen. Und ich dummes Kind musste stillschweigen, durfte nicht sagen, dass es für mich das Neueste von allem Neuen wäre. Kurz ich musste die Rolle, ohne Probe, ohne das Stück gelesen zu haben, spielen. Ich passte nach Möglichkeit auf, ob ich auch recht stand, und dgl. Im 4ten Akt hatte ich eher wegzugehen als mit der Königin, wie in meiner Rolle stand. Da erhielt ich einen Wink von der Königinn mit den Augen, und aus dem Soufleurloche kam Klaras langer Finger, der mir gleichfalls zuwinkte zu gehen, wie ich schon auf dem Wege war. Ueber das Letztere konnte ich bei allem Jammer doch das Lachen nicht lassen. Man gratulirte mir ganz theatralisch zum Anfang; ich nahms wie ichs nehmen musste. Wie ich bekannter wurde, sagten sie mir, dass sie über mein Spiel in der ersten Scene erstaunt gewesen wären, hernach aber wäre ich gesunken. – Ganz natürlich, die Angst war zu gross! Ich dachte immer, nun fehlst Du, nun kannst Du fehlen: Der Achill hatte etwas von wegwenden zu mir gesagt, und ich wendete mich erst weg, nachdem er gesprochen. Er winkte mir zwar auch mit den Augen, aber wie konnt’ ich wissen, was dies bedeute? – Solch Zeug kam die Menge zum Vorschein. Das war mein [S. 202] sprechender Debüt, mit dem Tanzenden gings wenig besser. Curioni, der Balletmeister, sah es nicht gern, dass in meinem Bruder und mir, Tänzer auftraten, die ihm und seiner Frau Eintrag thun konnten. Von Zurzach gings nach Baden, dann nach Basel und Bern, wo wir bis in die Fasten 1759 blieben. Von da gings nach Solothurn, Aarau, Baden und abermals Zurzach, Bern und im Advent Strasburg. Kaum hatten wir Zurzach das erstemal verlassen, als ich auch in die stärkste Thätigkeit versetzt wurde. Von da an, bis zu meinem Abgange von Ackermanns 1766 spielte ich, mit Ausnahme einer tödtlichen Krankheit, die mich in Rastatt noch 8 Tage festhielt, als die übrige Gesellschaft schon in Carlsruhe ihre Vorstellungen angefangen hatte, fast jedesmal mit, und nur viermal, und das in Hamburg, die beiden letzten Jahre war ich ganz frei. Binnen diesen 8 Jahren wurde meinetwegen ein Stück um einen Tag länger aufgeschoben, ich hatte nie einen Zank um eine Rolle, wegen eines Kleides, keinen Vorschuss, nie sagte ich der Direction auf, noch diese mir,
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freiwillig, ungefordert, legte mir Ackermann, als ich wenige Monate bei der Gesellschaft war, 2 Fl. wöchentlich zu. Strasburg war für die Bildung der Schauspieler damals ein sehr vorzüglicher Ort. Kein Publikum unterschied so bestimmt wie das Strasburgische, ob der Beifall oder das Missfallen, dem Dichter, dem [S. 203] Directeur, dem Schauspieler galt. Mode wars in jener Zeit nicht, die Namen der spielenden Personen auf den Zettel zu setzen. Wurde nun ein dem Publikum bekanntes Stück gegeben, so besetzte das Publikum nach seinen Gedanken die Rollen. Traf dies nun ein, so wurde der Schauspieler, wie er heraustrat, mit Beifall bewillkommt, geschah das Gegentheil, so liessen sie es den Schauspieler nicht entgelten, weil er spielen musste, was man ihm gab, aber der Director musste es fühlen. Hatte der Director oder eins seiner Familie eine für ihn umpassende Rolle, so mochten sie sich noch so sehr anstrengen, es lohnte sie nicht das mindeste Zeichen des Beifalls, das ihnen vielleicht noch den nämlichen Abend zu Theil wurde, wenn sie in einem Nachspiel auftraten, oder in dem grössern Stück, und man ihnen sagen wollte, hier steht ihr auf eurem Fleck. Junge aufkeimende Talente ermunterte man, aber verzog sie nicht, und klatschte ihnen gewiss nur, wenn sie es verdienten, auch die unbedeutendste Rolle wurde durch Beifall gelohnt, wenn sie so wie sichs gebührte, vorgetragen wurde. Schlechtes Memoriren, Vernachlässigungen im Anzug, Anstand und Haltung gingen selbst dem Liebling nicht ungestraft durch, kurz es war ein Publikum wie es seyn sollte. Dabei hatte man Gelegenheit die im recitirenden Schauspiel sehr vorzügliche französische Gesellschaft zu sehen, ich kam aber beidemal wo [S. 204] wir in Strassburg waren, sehr selten dazu. Das erstemal,wo wir an einem Tage mit den Franzosen spielten, war ich niemals frei, das zweitemal gabs zwischen dem Director Streitigkeiten, Ackermann musste die ungünstigen Theaterabende nehmen, nur am Sonntag war deutsches und französisches Schauspiel, und die Folge des Zwistes war, dass die freien Entreen aufhörten, ich hatte nichts übrig für das Legegeld, und besuchte daher nur selten das französische Theater. Das einemal sah ich eine Art von Oper, wo jedes Wort nach einer Melodie von einigen Tacten gesungen wurde, ohne Begleitung von Instrumenten. Im Milchmädchen war diese vorhanden, und also klangs nicht wie Katzenmusik, aber dafür nahm sich der Bär recht spasshaft aus, er trug Schuhe mit rothen Absätzen, Steinschnallen und nette weisse Manschetten. Der französische Director wollte mich für das Ballett engagiren, und wenn ich der fremden Sprache mächtig geworden, auch fürs Schauspiel. Das lehnte ich mit leichterer Ueberwindung ab, als sich uns in der Folge ein Antrag in Wien, wo man uns Dreyen 24 Fl. wöchentlich anbot, Fasten und Advent nicht die Gage kürzen wollte, und noch die Aussicht zu andern Vortheilen, die eine Privatunternehmung selten hat, eröffnete. Damals war Ackermann in Verlegenheit, weil mehr Schauspieler mit uns
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gekündigt hatten, wir wollten ihn nicht [S. 205] drängen, schrieben in Wien ab, was ich gar manchmal bereute, und forderten keine Entschädigung. In der Fasten 1760, verliessen wir Strassburg, und zogen nach Basel und Luzern, von da im Juny nach Colmar. Hier wollte es nicht glücken. Wir gingen also weiter zum Gesundbrunnen nach Sulzbach, wo der grösste Theil der Gesellschaft in einer grossen Scheune, die Herr Ackermann gemiethet, wohnte, und die gemeinschaftliche Wirthschaft von Madame Ackermann geführt wurde. Das Theater war auf einem grossen Boden aufgeschlagen, es ging Anfangs zur gewöhnlichen Zeit des Abends an, das dauerte den Brunnengästen zu spät in die Nacht, die Spielstunden wurden verändert, und das sehr oft. Bald war Comödie gleich nach Tische, - da wars ihnen zu heiss, dann früh um 8 Uhr, das währte zu lange wegen des Ankleidens und Essens, - Nachmittag um 4 Uhr, da wollte man lieber spazieren gehen, sogar haben wir einigemal des Abends nach Tische gespielt, kurz wie es ihren Grillen behagte, und trotz dem kamen kaum die Unkosten heraus. Die Spielwuth hatte die Badegäste ergriffen, und mancher liess da Hab und Gut sitzen, an dem Theater fanden sie weniger Vergnügen. Michaelis zur Basler Messe gings besser, zum Unglück bekam Ackermann Verdruss mit einem Schuster, der im Rath gewählt worden, und der brachte es dahin, dass das Theater geschlossen werden musste, Pup[S. 206]pen- und Taschenspieler und Marktschreier mussten auch am letzten Messtag mit ihren Gaukeleien aufhören, so hiess es, und dabei blieb es. Wir hofften nun, dass in den Herbstabenden unser Schauspiel in Colmar solle besser besucht werden, wie im Sommer, aber die Einnahmen waren und blieben gering. An einem Feiertag hofften wir zahlreichen Besuch, zum Unglück ging den Abend vorher der Tänzer Koch in einem Garten spazieren, auf welchen die Fenster eines Kloster sahen, der Abt stand daran, und Koch sagte unbedachterweise, das ist ja ein rechter Dickkopf, wie Luther. Der Abt liess den Naseweisen sogleich zu sich bescheiden, fertigte ihn mit ein paar tüchtigen Ohrfeigen ab, und brachte es dahin, dass Koch eingesperrt wurde. Vergebens stellten die katholischen Mitglieder der Gesellschaft dem Abte vor, dass Koch lutherisch sey, also durch die Vergleichung mit Luther nichts schimpfliches beabsichtigen können; der geistliche Herr war schwer zu besänftigen, die Festtagsvorstellungen mussten unterbleiben, es kostete Ackermann Aerger, Mühe und Geld genug, bis er den Gefangenen frei bekam, und die Vorstellungen wieder anfangen konnten, die nach dem Ereigniss noch spärlicher wie zuvor besucht wurden. Auch in Strassburg waren der schlechtern Spieltage wegen, die Einnahmen weniger gut wie das erstemal, doch blieb uns nach wie vor, die Theilnahme und Liebe des Publikums. Die[S. 207]selbe freundliche Aufnahme fanden wir in Freiburg, in Breisgau, wohin wir in den Fasten 1761 uns wendeten. Selbst nicht in Bern und Strassburg, wo man die gesitteten Mitglieder doch gern in Gesellschaft zog, wurden wir so herzlich und freundschaftlich behandelt, wie hier. Im July verfügten wir uns nach Rastatt. Unterwegs fiel ein
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starkes Regenwetter ein, ich sass in einem offenen Wagen, erkältete mich, und erreichte Rastatt gefährlich krank. Sobald ich nur wieder nothdürftig hergestellt war, reiste ich der Gesellschaft nach Carlsruhe nach, wo ich eben so viele Gönner und Freunde fand, als ich in Freiburg verlassen. Den 28sten Januar 1762 war die letzte Vorstellung, die um 4 Uhr anfing, weil dem Namenstag des Markgrafen zu Ehren, noch ein Maskenball seyn sollte. Ich spielte in den Trojanerinnen die Kassandra, tanzte in dem Ballet, die Maskerade, Solo’s und pas de deux, und hatte auch in Epilog zu thun. Trotz dem tanzte ich auf dem Ball bis an den Morgen, wo ich kaum Zeit hatte einzupacken, um nach Mainz abzufahren. Ackermanns legten uns 1 Fl. wöchentlich zu, machten uns auch zuweilen ein kleines Geschenk, wenn wir besonders fleissig gewesen. In Mainz war es damals sehr wohlfeil, mein Bruder gab Unterricht im Tanzen, und wir konnten etwas zurücklegen. Das ging aber bald drauf, als wir nach Frankfurt kamen, wo es sehr theuer war, so dass wir uns alle freu[S. 208]ten, als die französische Garnison ein französisches Theater durchsetzte, und wir nach Mainz zurückkamen, wo es uns gut ging. In der Fasten 1763 wanderten wir abermals aus, diesmal nach Kassel. Ackermann der berufen worden, hatte unterlassen, vorher einen Contract abzuschliessen, er wolle, antwortete er, erst die Ehre haben, vor dem Herrn Landgrafen mit seiner Gesellschaft zu spielen, und es auf dessen Urtheil ankommen lassen, wie die Bedingungen einzurichten seyen. Dem Landgrafen gefiel das, er bestimmte eine ziemlich kurz anberaumte Zeit, wo Ackermann die erste Vorstellung in Kassel geben sollte. Aber nun fiel Thauwetter ein, der Weg (damals überhaupt nicht sonderlich,) war nicht zu befahren, ja nicht einmal über den Rhein zu kommen. Alle Tage spielten wir zum letztenmal, und spielten noch, als wir schon in Kassel seyn sollten. Ackermann hatte nicht verabsäumt, den Hofmarschall von der Ursache seiner Verspätung zu unterrichten, und blieb ruhig, obgleich er keine Antwort erhielt. Endlich machten wir die Fahrt über den Rhein, nicht ohne Lebensgefahr. Zwischen Mainz und Frankfurt begegneten uns Fuhrleute, die von der Kasseler Strasse kamen. Diese beschrieben unsern Kutschern den Weg dahin so fürchterlich, dass diese Anstand nahmen, uns weiter bis Frankfurt zu schaffen, und erst mit ihren [S. 209] Herrn, Rücksprache nehmen wollten. Ackermann ritt mit einem Knechte zurück, und das Ergebniss war, dass wir sämmtlich, des leichtern Fortkommens wegen, uns mussten auf Frachtwagen packen lassen, nachdem wir anderthalb Tage in einem Dorfe liegen geblieben waren. Es war eine schreckliche Reise, lustig und traurig, so untereinander verwebt, dass es schwer war zu entscheiden, welches von beiden siegte. Die Verheerungen des Krieges, mit dem es nun bis zum Friedensschluss gekommen, waren allenthalben sichtbar, in manchen Dörfern konnte man um keinen Preiss ein Stückchen Brot von den gutherzigen Bauern erhalten. In einem Dörfchen wo wir einkehrten, sah die blasse hagre Wirthin unverrückt auf eine Stelle der schwarz geräucherten Wand.
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Sie war schwermüthig geworden, als betrunkene Franzosen, die nicht glauben wollen, das sie ausgeplündert sey, und gar nichts mehr habe, den ihr noch übrig gebliebenen Sohn aus der Wiege rissen und an die Wand schleuderten, dass das Gehirn daran klebt. Die Männer gingen alle zu Fuss, sogar der schwindsüchtige Schauspieler Mylius wollte es thun, versank aber mit seinen seidenen Strümpfen bis an die Knie im Morast, und schrie man solle ihm helfen, ein Barmherziger hockte ihn auf, da lagen beide, Mylius auf dem Menschenfreund, wir mussten alle lachen, es hielt schwer, bis der Kranke und [S. 210] Gesunde wieder flott wurden. Wir Frauenzimmer mochten uns setzen wie wir wollten, immer fielen wir eine auf die andre ins Stroh. Kein Oertchen wo nicht Reparaturen nöthig waren, Schmidt und Wagner kamen nicht von uns weg. Einmal fuhren wir früh um sieben Uhr aus Langendorf an der äussersten Spitze des sich lang hindehnenden Dorfs aus, und kehrten um 6 Uhr des Abends in demselben Dorfe am entgegengesetzten Ende wieder ein. Die Pferde stürzten, unsre Wagen mit, in Kutschen wäre die Fahrt unmöglich gewesen. Endlich den 14ten oder 15ten Tag, trafen wir in Kassel ein. Aber wie wurde unsre Freude getrübt, als Ackermann, der vorausgegangen, uns die Nachricht gab, wie der tödlich erkrankte Hofmarschall es vergessen habe, dem Landgrafen, den an ihn geschriebenen Entschuldigungsbrief mitzutheilen; der über solche Nachlässigkeit, die er Ackermann zuzutrauen berechtigt war, aufgebrachte Fürst, habe an Statt des Wortbrüchigen eine opera buffa verschreiben lassen. Als der Landgraf den wahren Verlauf der Sache erfahren, und er ihm vom Hofmarschall bestätigt wurde, beklagte er den unangenehmen Zufall, und erlaubte Ackermann bis die Italiener ankämen, zu spielen. In dem Prinz Maximilianischen Palais, das uns zur Wohnung angewiesen wurde, sah es auch übel aus, die Franzosen hatten da schlimm gewirthschaftet. Die erste Nacht, ehe unsre Bagage noch [S. 211] eingetroffen, hatten wir nicht hinlänglich Stroh zum Lager. Wer keine eigenen Betten hatte, musste die acht Wochen unsers Aufenthalts mit Stroh und einer alten Friesdecke vorlieb nehmen. Meine Mutter wurde krank, und mein Bruder verrenkte sich den Fuss, ich hatte also die kleine Haushaltung allein zu besorgen, die Kranken zu pflegen, und obendrein neue Rollen zu lernen, die durch den Abgang der Hensel mir zufielen. Gleich den nächsten Tag nach unserer Ankunft, mussten wir von der grässlichen Fahrt halb krumm und lahm Geschlagenen schon spielen. Binnen 14 Tagen hatte ich an neuen Rollen die Pamela, die Sara, in Miss Sara Sampson, und die Lindane in der Schottländerin, kleiner Soubretten und Mädchen-Parthien in Nachspielen zu geschweigen. Der Sommer kam, mit ihm die Italiener, die Einnahmen hatten sich verringert, da der Hof weg, und die Wohlhabenden auf ihre Güter und nach den Bädern gingen. Es musste nun ein neuer Ort aufgesucht werden. Ackermann schloss einen Accord mit Nicolini in Braunschweig, und führte ihm seine Gesellschaft zu, die aus ihm, seiner Frau, 2 Töchtern, dem Stiefsohn Schröder, Herrn und Madame Döbbelin (die zweite Frau),
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Herrn Boek, Hensel, Herrn und Madame Schröter, dem kranken Mylius, der Tänzerin Courté, und noch einigen Figuranten bestand. Herr Ackermann wählte gute Stücke, die [S. 212] kein starkes Personal erforderten, und wir arbeiteten alle mit Lust und Eifer, und ernteten Lob und Beifall. Damals war es noch gebräuchlich zu jedem nicht sehr langen Stücke noch ein Ballet und ein Nachspiel zu geben. Ballet war jeden Abend. Nicht selten hatte Boek an einem zwei neue Rollen zu spielen. Er spielte jedesmal mit, und gewiss eine Rolle, die er noch nicht gehabt, denn Mylius war fast ganz unbrauchbar. Miss Sara Sampson hatte sehr gefallen, und sollte auf Befehl des Hofs wiederholt werden. Ich fühlte mich nicht wohl, aber der Hof verlangte die Vorstellung, und Ackermann, der unsre Gage nun auf 14 Fl. gesetzt, wollte ich doch auch gern gefällig seyn, und so spielte ich trotz dem Blutspucken, aber dem Tanzen widersetzte sich der Arzt, und auch meine Schwäche, an die Ackermann’s nicht so recht glaubten. Den 7. September kroch ich aus dem Bette, zog mich an, und spielte, im vierten Act musste mich Boek halten, dass ich nicht umfiel, er trug mich in die Garderobe, es erfolgte ein Blutsturz, - Ackermann meinte nun selbst, dass das Tanzen unmöglich gewesen. Es wurde mir etwas besser, man verlängerte den Zwischenact, und ich spielte die Rolle, ohne weisse Schminke in der Sterbenscene, aus. Aderlässe beschleunigten meine Herstellung, den 10. September stak ich schon wieder im Sack, und tanzte im Müllerballet. [S. 213] Im October reisten wir nach Hannover, wo wir mit Beifall und Glück spielten, und sehr angenehme gesellige Beziehungen hatten. Ostern 1764 kamen Eckhof und Frau, und Mlle. Schulz, nachherige Madame Boek zu uns. Der grosse Eckhof lobte mich wegen meines Spiels als Angelique im Spieler, wo er den Vater gab, und das wollte etwas sagen, denn er kargte eher mit seinem Lob als dass er es verschwendete. Die sittlich gute Aufführung der Gesellschaft verschaffte ihr die Erlaubniss in Göttingen spielen zu dürfen, wo wir eine ehrende Aufnahme, und grosses Interesse am Theater fanden. In Braunschweig spielten wir während der Messe, und nun ging’s nach Hamburg. Damals war da allenfalls Geld, aber keine Freude zu erwerben, das Publikum hatte im Durchschnitt keinen geläuterten Geschmack, war leicht zu beleidigen, und dann sehr unartig, es schmollte wie ein verzogenes Kind, wie das beide Mlle. Ackermann zu verschiedenenmalen unverdienter Weise erfahren müssen. Selbst in seinen Beifallszeichen verletzte es, und die Geschenke wurden mit einer Art gegeben, die dem Feinfühlenden den Wunsch aufdrangen, doch ja nichts empfangen zu haben. Dass es Ausnahmen gab, dass man auch in Hamburg in angenehme freundschaftliche Verhältnisse kommen konnte, dass es Kenner, und empfängliche Zuschauer gab, wer möchte es leugnen, [S. 214] es ist nur im Allgemeinen von dem herrschenden Geschmack die Rede. Dieser ertrug ein derbes Ueberladen, und mochte mit Schuld seyn, dass der in vielen Rollen unerreichbare Eckhof, in niedrig-komischen Parthien sich zum Pickelhäring herabliess. Er wollte ein Talent erzwingen, das ihm die Natur versagte, denn
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nur zu dem trocknen komischen hatte er es, entstellte sein Aeusseres zur scheusslichsten Fratze, und wurde als Masuren, Lehrbursch im politischen Kannengiesser, in dem bürgerlichen Edelmann, Kranken in der Einbildung u.s.w., in der That ekelhaft. Nie erlaubten sich Ackermann und der jugendlich muthwillige Schröder solche gemeine Hauswurstspässe. Beide hatten Laune, und ächt komisches Talent, so dass sie in der Posse glänzten wie im Lustspiel, und der Tragödie, und in vielen niedrig komischen Rollen vortrefflich waren. Ackermann liess bauen, und ging nach 6 monatlichem Aufenthalt in Hamburg auf einige Zeit nach Bremen. Wir fanden da ein empfängliches und gerechtes Publikum, eine liebevolle Aufnahme. Ackermanns hatten meinem Bruder und mir, (meine Mutter spielte nicht mehr) von neuem zugelegt, und wir hatten nun 18 Fl. Im October 1765 kam Madam Hensel wieder zur Gesellschaft, und gab ihr einen grossen Glanz, wie es denn damals wenige Theater gegeben, die so [S. 215] viel gute Mitglieder beisammen, und ein so gutes Zusammenspiel hatte, als die Ackermannische. Nur eine Person von ihren Talenten hatte noch gefehlt, ihr Ruhm war verdient, und die Hensel in der That eine treffliche Künstlerin. Wäre sie nur nicht so ganz und gar vom Neide besessen gewesen, und hätte es ertragen können, dass neben ihr, noch Jemand gefiel. Das häufige Krankwerden, was von der ganzen Gesellschaft allein sie überfiel, war auch vom Uebel, und hudelte uns nicht wenig. Ehe die Glocke vier Uhr geschlagen, waren wir noch immer ungewiss, ob auch das bestimmte Stück den Abend seyn werde, wenn die Hensel darin zu spielen hatte. – Selbst der ihr so ergebene Eckhof wurde ungeduldig, und sagte einmal an: Heute kann das versprochene Stück nicht gegeben werden, weil Madame Hensel wieder krank geworden. – Trat dann die grosse Künstlerinn nach einer Krankheit in einer dankbaren Rolle auf, und gab sie mit einer Vollendung, der keine zurückgebliebene Ermattung anzumerken war, so wurde natürlich alles hingerissen. Anfang Decembers war die letzte Comödie vor dem Advent, es sollte mit dem blinden Ehemann, einem Nachspiel, und dem Ballet, die blinde Kuh, geschlossen werden. In diesem war ich frei, allein die körperlichen Umstände einer jungen Frau machten dieser das Tanzen sehr beschwerlich, sie klagte [S. 216] es bei der Probe, und ich lernte ihre Figur ein, war aber so unglücklich mir zuletzt, wo wir 2 Paar in einem Tempo die Volten schlugen, zu stürzen, und mir den linken Fuss aus dem Gelenke zu fallen. Nun konnte ich in der Ruhezeit nicht wie ich mir vorgesetzt, die kranke Mutter pflegen, und musste froh seyn, zu Weihnachten wieder auftreten zu können. Mit der Krücke und Stock ging ich noch lange, und musste mich immer erst in den Coulissen einüben, und in Gang bringen, um ohne Hinken aufzutreten, und vor allen zu tanzen.
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Neujahr 1766 wurde meine Mutter immer elender, und ich stets betrübter, dass ich sie so oft verlassen musste. Den Tag der letzten Vorstellung vor den Fasten lag sie im Sterben, nichts half mein Bitten, und Herrn Schröders und noch einiger Verwender, Eckhof bestand auf einem neuen Stück, dem bestraften Betrüger, wo ich das Kammermädchen hatte. Ein altes Stück hätte das Haus eben so gefüllt, wie es bei der letzten Vorstellung vor Fasten allemal geschah. Als die Probe aus war, meinte Eckhof, es spiele zu kurz, und müsse noch ein Nachspiel gegeben werden, der Herzog Michel, mein Bitten und Schelten half nichts, Eckhof wollte eine seiner Lieblingsrollen, den Michel vor einem vollen Hause spielen. Ich bestand darauf, dass das Nachspiel unmittelbar nach dem Stücke gegeben werde, und wollte auf der Stelle aufsagen, wenn man mich [S. 217] zwänge, auch im Ballet zu tanzen. Schröder nahm sich meiner an, und schob ein andres Ballet ein, in welchem ich frei war. Meine neue Rolle sagte ich Wort für Wort der Soufleuse nach, die so hartherzig sie auch war, doch Mitleid hatte, und mir die Sache möglichst erleichterte. Ans Auswendiglernen war unter solchen Umständen nicht zu denken. Wie schlecht ich das muntre Zöfchen, und das naive Hannchen spielte, lässt sich denken. Noch traf ich sie lebend, sie starb erst den folgenden Tag. Ackermann gab die Direction auf, eine Gesellschaft von Kaufleuten, und andern Privatpersonen übernahm sie, viele hatten nicht Lust, bei der neuen Entreprise zu bleiben, auch mein Bruder und ich nicht. Wir erfüllten das an Koch in Leipzig gegebene Versprechen, bei ihm anzufragen, wenn wir von Ackermann abgingen, und blieben dem getreu, obgleich wir keinen schriftlichen Accord geschlossen und um 20 Fl., wieviel wir zuletzt bei Ackermann gehabt, einig geworden, und mir vortheilhafte Anerbieten von Kurz und aus Wien geschahen, am letztern Orte für mich allein 24 Fl. Endlich wurde den 6ten März 1767 das letzte Stück gegeben, der Ruhmsüchtige nach Destouches, und ein Ballet von Schröder, Enphalus und Procris. Es war als käme man aus der Hölle im Himmel, von den Zänkereien und Ränkemachereien in Hamburg, zu der friedlichen Eintracht, dem gegenseitigen Anerkennen, und Ge[S. 218]fälligkeiten in Leipzig. Der alte Koch und seine Frau waren die rechtschaffensten Leute, und dabei überaus billig und wohlwollend, und schätzbare Künstler. Sie duldeten auf ihrer Bühne keine Klätschereien, und hielten streng auf Anstand und gute Sitte. Deshalb waren sie und ihre Schauspieler in den besten Gesellschaften gern gesehen, und selbst in Familien, die es sehr genau mit der Schicklichkeit nahmen, einheimisch. Das Publikum konnte man nicht besser wünschen, empfänglich und unpartheiisch. Den 22. April trat ich als Cenie auf, ich hätte es lieber in Ignez von Castro gethan, aber die war nicht einstudirt, und darnach tanzte ich in einem Ballet meines Bruders, das Landleben. Ausser der Gage zahlte Koch noch Accidenzien. So wurde für eine Hauptparthie in den damaligen Singspielen von 3 Acten bei der ersten Vorstellung ein Louisdor
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extra gezahlt, bei der zweiten ein Ducaten, bei jeder folgenden 2 Fl. Wer kleine Parthien zu singen hatte, bekam das erstemal einen Ducaten, bei der Wiederholung 1 Fl., zur Messe erhielt jedes 1 Louisdor, mir und meinem Bruder gab der gute Alte aber zusammen 4 Louisdore. Von ersten und zweiten Rollen wusste man nichts. Wer heute eine Rodorgune, Sara u. dgl. gespielt, übernahm morgen ein unbedeutendes Röll[S. 219]chen, im Lustspiel und umgekehrt, die ersten Tänzerinnen wechselten, Naserümpfen und Sticheleien fiel gar nicht vor, kurz es war ein Zustand wie man nicht meinen sollen, dass er auf dem Theater Statt finden können. Nimmermehr hätte ich um öconomischer Vortheile willen, die zufriedene Lage mit einer glänzendern vertauscht, andre Rücksichten bestimmten mich Leipzig zu verlassen. Ein Buchhalter bei der Bank in Hamburg, Kummerfeld etliche 20 Jahr älter als ich, hielt um meine Hand an, ich hatte ihn als einen wackern Mann und zuverlässigen Freund geachtet, und so trug ich kein Bedenken, mein Schicksal mit dem seinigen zu vereinen, unter der Bedingung, dass seine Familie mit der Verbindung zufrieden wäre, und er mich sicher stellte, dass ich im Fall des Ueberlebens, nicht genöthigt sey, wieder meinen Unterhalt beim Theater zu suchen. Ueber beides beruhigte er mich, aber das Aufschieben der Heirath kürzte er ab, wir wurden einig, dass unsre Verbindung Ostern 1768 vollzogen werden sollte. Den guten Kochs aufzusagen, fiel mir sehr schwer, wir weinten herzlich. Was hätte ich nicht drum gegeben, zugleich Kummerfelds Gattin, und zugleich bei Kochs Schauspielerin seyn zu können. Den 17ten Februar spielte ich zuletzt die Sara Sampson, und den 19ten tanzte ich zum letztenmal in dem Ballet, der bezauberte Wald. Es war sehr [S. 220] voll, Kopf an Kopf, der lauteste Beifall empfing mich. Als ich mit meinem Bruder im Final das Minco tanzte, blieb ich stehen, und zeigte durch Pantomime, dass ich nun aufhörte mit ihm zu tanzen. Mein Bruder sah mich wehmüthig an, ich trat vor, neigte mich gegen Parterre, Logen und Gallerie, mein Blick sagte alles was ich fühlte, und Thränen die aus meinen Augen stürzten, weit mehr als Worte sagen können. – Wenn ich auch wirklich, wie es der Wunsch vieler war, eine Abschiedsrede hätte halten wollen, ich würde nicht drei Worte vernehmlich herausgebracht haben. Mein Bruder, als ich den zwar stummen aber viel sagenden Abschied genommen, stand wie ausser sich, und fiel mir um den Hals, und meine Mittänzerinnen thaten desgleichen. Alles weinte, man rief laut leb wohl, glücklich! – ich empfing noch den Abend und die folgenden Tage Zeichen der aufrichtigsten Liebe und wahren Achtung, und ging den 25sten zu meiner neuen Bestimmung nach Hamburg ab. (Die Fortsetzung später.) [Anm: Das Erscheinen der Zeitschrift wurde 1828 eingestellt.]
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2. Aus dem Komödiantenleben des vorigen Jahrhunderts. Denkwürdigkeiten von Karoline Schulze. Mitgetheilt von Hermann Uhde, in: Historisches Taschenbuch 1873, S. 375 – 407 [Auszug] Hermann Uhde hat aus dem Nachlass des Weimarer Hofrats Kirms ein „Manuskript von 681 engbeschriebenen Quartseiten“ (gemeint ist eine Version der HHS) erhalten und 1873 daraus veröffentlicht, „was jetzt noch denkwürdig erscheint“ (S. 364). Einige Passagen legen nahe, dass er den Text nicht nur gekürzt, sondern auch längere Passagen mit eigenen Worten zusammengefasst bzw. in der Ich-Form umformuliert und ergänzt bzw. modernisiert hat (S. 365: „einige fernere Data sollen an passender Stelle eingeschaltet werden“). Besonders auffällig ist der Umgang mit Namen und Titeln, der sich deutlich von den überlieferten Handschriften aus dem 18. Jahrhundert unterscheidet. Im Folgenden werden neben Einleitung und Schluss nur jene Ausschnitte aus Uhdes Edition wiedergegeben, auf die in der vorliegenden Neuedition verwiesen wird. Namen und Orte sind im Index erschlossen. Der vollständige Text einschließlich der Anmerkungen ist online verfügbar unter http://mdz-nbn-resolving.de/urn.nbn.de.bvb:12-bsb 11041840. Zu Uhdes Edition s. o. Kap. I.3.2. [S. 366] Ich bin Theaterkind. Mein Vater hieß Christian Schulze und wurde am 8. November 1693 zu Frankfurt a. O. geboren. Von meinem Großvater, einem gesuchten Porträtmaler, zum Gelehrten bestimmt, mußte er die kaum bezogene Universität in seinem zwanzigsten Jahre wieder verlassen, und zwar aus Mangel an Geldmitteln, denn sein Vater starb unerwartet und hinterließ kein Vermögen. Der Student, gezwungen einen neuen Beruf zu ergreifen, wurde Schauspieler: als solcher hatte er sogleich ein bescheidenes Auskommen, überdies konnte er reisen, konnte Welt und Menschen sehen. Fast dreißig Jahre lang war er gewandert, als er meine Mutter kennen lernte, mit der er sich im Jahre 1741 zu Prag ehelich verband. Sie hieß Augustina von D. und war 1708 gleich meinem Vater zu Frankfurt a. O. geboren. Ihre Mutter, geborene von B., die einzige Tochter eines der ersten Männer Berlins, war mit dem reichen Herrn von D. verheirathet, der, weil er nicht wußte was er mit seinem Gelde anfangen sollte, sich auf den Juwelenhandel verlegte und glücklich Tausende verhandelte. Von seinen vielen Kindern war Augustina das jüngste. Wirksame Empfehlungen verschafften ihr schon früh in Mitau am Hofe der Herzogin Anna von Kurland eine Stelle, in welcher sie sieben Jahre lang verblieb, bis die gütige Fürstin Kaiserin von Rußland wurde. Als einzige Deutsche, welche in Hofdiensten stand, sollte ihr meine Mutter nach Petersburg folgen, allein meine Großältern wollten dies aus religiösen Rücksichten nicht zugeben. (Meine Mutter war reformirt. Mein Vater ist evangelisch geboren, wechselte aber, lange bevor er meine Mutter kannte, die Confession und wurde katholisch, zu
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welchem Glauben dann auch seine Braut kurz vor der Ehe übertrat. Wir Kinder sind katholisch geboren.) [S. 367] Meine Mutter verließ also den Hofdienst und ging nach Deutschland zu ihrem Vater zurück, welcher nach dem inzwischen erfolgten Tode seiner Frau durch unglückliche Juwelenspeculationen immer mehr herabgekommen war. Er hatte endlich die Mildthätigkeit eines seiner Schwiegersöhne um ein Unterkommen in Anspruch nehmen müssen: meine Mutter sah sich gezwungen, dieses mit ihm zu theilen. Da indessen ihr Schwager sie mit Zärtlichkeiten verfolgte, so gerieth sie bald in die unangenehmsten Zerwürfnisse, in denen selbst ihr Vater ihr nicht beistehen konnte, der sein Gnadenbrot nicht in die Schanze schlagen durfte. Der Verzweiflung nahe, erinnerte sich meine Mutter der Güte ihrer vormaligen Herrin; sie beschloß, sich an diese zu wenden und machte sich heimlich auf die Flucht nach Petersburg. Ihr nächstes Ziel war S., von wo sie zu Schiffe die Reise fortzusetzen gedachte. Doch wie erschrak sie, als sie von den Unruhen hörte, die zu jener Zeit in Rußland herrschten! Denn von Politik wußte sie nichts; welches Mädchen las damals Blätter, und wie viele Herren hielten sich eine Zeitung! In S. befand sich gerade eine Schauspielergesellschaft; in dem Wirthshause, das meine Mutter zum Quartier genommen, wohnte der Principal mit seiner Frau. Diesen beiden schloß meine Mutter sich an; rathlos wie sie war, ließ sie sich leicht bereden, Schauspielerin zu werden: unter angenommenem Namen trat sie bei jenem Principal als Actrice ein. Nach mehreren Jahren lernte sie bei dem Directeur Hake meinen Vater kennen, dem kurz zuvor die erste Frau gestorben war. Zwei kleine Kinder machten dem Witwer so viel zu schaffen, daß er bald der neuen Kunstgenossin seine Hand bot, welche diese auch annahm; am 7. Dezember 1741 [S. 368] wurden sie zu Prag getraut. Bald darauf erhielt mein Vater eine vortheilhafte Stellung am k.k. Theater zu Wien; in dieser Stadt wurde ich am 30. September 1745 geboren – das zweite Kind der zweiten Ehe meines Vaters; das älteste war ein Sohn, mein Bruder Karl. Wir sowie unsere Halbgeschwister wurden sehr sorgfältig erzogen. Der Stiefbruder Christian war ursprünglich zum Studiren bestimmt, allein er ging heimlich davon und zum Theater; wir hörten nicht eher von ihm, als bis er Unterstützung gebrauchte. Meine Stiefschwester, ein gutes, aber wildes Mädchen, als Schauspielerin nicht ohne Begabung, lief meinen Aeltern auch zweimal davon; es schien in der Familie zu liegen. Ich zählte drei Jahre, als ein für uns folgenschweres Ereigniß eintrat: mein Vater wurde aus Anlaß einer Cabale Prehauser’s (welcher damals den Hanswurst in Wien gab) und dessen Geliebten, Madame Walter, abgedankt; das falsche Spiel glückte um
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so leichter, als gerade Herr von Sellier für das nächstfolgende Theaterjahr dem Herrn von Lopresti das Werk übergeben wollte. Meine Aeltern waren äußerst bestürzt: mit 14 Gulden wöchentlich und etwa 100 Gulden Accidenzien jährlich hatten sie keine Ersparnisse machen können. Sogleich schrieb mein Vater an seinen Sohn Christian, welcher in München spielte, und fragte diesen: wie er mit seinem Principal, dem in Kurbaiern privilegirten Johann Schultz zufrieden sei? Die Nachrichten lauteten günstig, und so trug sich mein Vater jenem Principal an; wir alle wurden angenommen, auch Karl und ich, die wir schon damals in Balleten tanzten und Kinderrollen spielten. Meine Hauptpartie war die kleine Louison in Molière’s „Eingebildetem Kranken“. Wie groß aber war der Schreck meiner Aeltern, als sie nach langwieriger Fahrt mit der gewöhnlichen Landkutsche in München eingetroffen waren und bei dem ersten [S. 369] Besuche, den sie Herrn Johann Schultz machten, dessen Elend entdeckten! Er saß in einem abgetragenen Rocke, die reiche Principalsweste war mit Nadeln zugesteckt, da die Knöpfe gleich dem Silber an den Taschen längst verschwunden waren; die Frau Principalin präsentirte sich in zerissenem Haushabit, aber geschminkt und mit Mouchen auf dem Gesicht. Hundert Gulden hatte die Reise gekostet; der Prinzipal hatte keine hundert Kreuzer! Die Aeltern erklärten, sofort umkehren zu wollen, falls er die Reise nicht bezahlte, worauf Schultz nach etlichen Tagen das Geld brachte. Erst dann erhielten wir unsere bis dahin mit Beschlag belegten Koffer. Meine Mutter trat in der Titelpartie einer Burleske: „Die politische Kammerjungfer“, zum ersten male auf. Der Kurfürst war mit seiner Gemahlin und dem ganzen Hofstaate im Theater; am Schlusse der Vorstellung ließ die Kurfürstin meine Mutter zu sich rufen, sagte ihr Artigkeiten und schloß mit den Worten: „Mache Sie, daß mehrere Ihresgleichen hieher kommen!“ In der That war die Gesellschaft schlecht, sie genügte nicht einmal in Straubing und Landshut, wohin wir bald zogen. Das Publikum blieb aus und mit ihm die Gage; zum Glück erhielt mein Vater vom Directeur Franz Schuch für einige neue Komödien, welche er demselben zuschickte, das Geld. Doch kaum war dies bekannt, als sich der Principal bei uns einstellte und um 30 Gulden bat: er habe seit dem Tage zuvor keinen Bissen genossen, geschweige denn die Herren Pursche (so nannten die Principale ihre Acteurs) soulagiren können. Wirklich händigte ihm mein Vater die erbetene, für jene Zeit beträchtliche Summe ein; Schultz berichtigte seine Schulden und dirigirte die Gesellschaft nach München. Wir waren die einzigen, welche eine Kutsche bezahlen konnten; alle übrigen wanderten zu Fuße. Im ersten Nachtquartier erreichten wir [S. 370] sie im erbärmlichsten Zustande: von einem starken Regen bis auf die Haut durchnäßt, hatten sie ihre Kleider an den Ofen gehängt, um sie zu trocknen. Um den Principal herum, der in seiner rothen Weste, Allongenperrüke und weißen Strümpfen komisch genug aussah, hantierten die Frauenzimmer in weißen
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Schuhen mit rothen Bändern, bunten Schleifen am Kopfe, hohen Toupets und feinen Manschetten. Auf einem Ackerwagen, der mit ein paar Schütten Stroh praktikabel gemacht wurde, zogen sie dann weiter. …. [S. 395] Am 24. Juli 1765 kehrten wir nach Hamburg zurück, wo unterdessen das neue von Baumeister David Fischer (übrigens mit wenig Geschick) errichtete Schauspielhaus am Gänsemarkt vollendet war. […] [S. 396] […] Dann freilich traf uns das Misgeschick, daß durch Kaiser Franz’ I. Ableben Landestrauer eintrat, während deren die Bühne (vom 6. September bis zum 6. Oktober) geschlossen blieb. Ich konnte unterdessen gesellschaftliche Beziehungen pflegen, welche sich mir im Hause des Tapetenfabrikanten Bubbers – desselben, der ein Jahr später das Theater mit übernahm – geboten hatten. Ich traf bei diesem Kunstfreunde den Theaterdichter Secretär Löwen, der die berühmte Schauspielerin Demoiselle Schönemann geheirathet hatte, den Postmeister Meyer, Vater des spätern Freundes Schröder’s, den durch satirische Schriftstellerei bekannt gewordenen holsteinischen Secretär Dreyer – und andere. Auch Herrn Lessing lernte ich später bei Bubbers kennen. Im October traf Madame Hensel aus Wien wieder bei Ackermann’s ein. Wir hatten soeben ein sehr günstiges Anerbieten des Directeurs Koch in Leipzig erhalten, welches ich nun ablehnte, damit man nicht sagen solle, ich hätte Hamburg aus Scheu vor der Hensel verlassen. Ackermann entschädigte uns indessen: er erhöhte unsern Gehalt von Neujahr 1766 an auf 40 Mark wöchentlich. Um diese Zeit hatte ich das Unglück, in einem Ballet, welches ich mit Schröder und dessen Schwester Dorothea Ackermann tanzte, zu fallen und mir den Fuß zu verstauchen. Ich erfuhr vielfältige Antheilnahme; anonym sandte man mir sogar eines Tages 24 Stück holländische Dukaten. Unter den Leuten, welche am beharrlichsten waren sich nach meinem Befinden erkundigen zu lassen, befand sich der mir gerade gegenüberwohnende Bancoschreiber Kummerfeld. Hier [S. 397] hörte ich den Namen des Mannes, der mir einst so wichtig werden sollte, zum ersten male. Kaum war ich genesen, als meine Mutter einen Blutsturz bekam, der sie an den Rand des Grabes brachte. Sie lag hoffnungslos – ich mußte den nämlichen Abend im „Bestraften Betrüger“ eine neue Rolle spielen! Vergebens beschwor ich Ackermann’s, mich freizugeben, sie hatten für meine Stimmung kein Herz. Sie lebten noch alle und waren gesund, keine Heimsuchung wie zehn Jahre später die des plötzlichen Todes von Charlotte Ackermann hatte sie getroffen. Eckhof, der nie genug spielen konnte, bestand sogar darauf, daß noch ein Nachspiel gegeben werden sollte: „Herzog Michel“, worin er brillirte; allein Schröder, der allezeit menschlich fühlte, legte sich in’s Mittel und arrangirte ein Ballet, in welchem ich unbeschäftigt blieb. Ich arbeitete – und
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wußte nicht, ob ich meine Mutter noch lebend wiederfände! Kaum war der Vorhang über dem „Bestraften Betrüger“ gefallen, so warf ich meinen Pelz über und eilte nach unserer Wohnung, welche in der Kleinen Drehbahn, also sehr nahe war. Noch lebte meine Mutter, aber in der nämlichen Nacht verschied sie; Karl und ich waren Waisen. […] [S. 401] Wir erreichten Leipzig nach fünftägiger Reise; außer dem guten alten Vater Koch bewillkommnete uns ein göttinger Bekannter, der nun in Leipzig studirte: der Dichter Daniel Schiebeler. Im allgemeinen ging es etwas bequem bei Koch her; alte Stücke wurden nicht gern probirt. Doch aber bewilligte mir der Principal sogleich eine Stückprobe zur „Cenie“, in welchem von Frau Professor Gottschedin übersetzten Stücke ich zum ersten male auftreten sollte; ein von Karl angeordnetes Ballet: „Das Leben der Bauern“, worin wir beide tanzten, war zum Beschluß des Abends bestimmt. – Am 22. April sollte nach der Fastenzeit zuerst wieder gespielt werden und zugleich unser Auftritt stattfinden. Das Schauspielhaus war erst am 10. October 1766 mit Schlegel’s „Herrmann“ eröffnet worden; alles war daher ganz neu und man rühmte mit Recht die Pracht und die täuschende Perspective des Theaters; die Verwandlungen waren nach optischen Regeln entworfen. Besonders gut gingen auch die scenischen Veränderungen vor sich, da die Coulissen nicht mehr aufgezogen, sondern vorgeschoben wurden. Der Besuch war immer zahlreich; am 22. April war das Haus sogar überfüllt und der Beifall groß; zum Schlusse vertheilten wir an die Zuschauer Verse, welche Herr Schiebeler angefertigt hatte. Mit artigen, in Kupfer gestochenen Verzierungen nahmen sie sich sehr hübsch aus und wurden vom Publikum, dem wir uns damit empfahlen, freundlich empfangen. Als nun gar am 6. Mai des leipziger Dichters Christian Felix Weiße Trauerspiel „Romeo und Julia“ – damals noch Manuscript – mit neuen, vortrefflichen Decorationen vom Professor Oeser zuerst gegeben ward und ich die Julia agirte, war mein Sieg gewiß. Ich spielte diese Rolle binnen acht Monaten zehnmal; dreimal gab ich während meines leipziger Engagements die Sarah [S. 402] Sampson, und vom 18. November 1767, wo das Stück zum ersten male bei uns aufgeführt ward, bis zum 7. Januar 1768 sechsmal Minna von Barnhelm, welches neue Lustspiel gleich so sehr gefiel, daß wir es durchschnittlich jede Woche einmal vorstellen mußten. Der Principal war mir auch dankbar: da während der Messe in Leipzig täglich Komödie stattfand und es hergebracht war, daß die Acteurs eine Extravergütung erhielten, bemaß der alte Vater Koch mein Meßgeschenk besonders reichlich. Die Herren Studirenden waren bald, wie vordem in Göttingen, meine besondern Freunde; mehr als einer unter ihnen widmete mir Verse; auch Daniel Schiebeler besang meine Kunst. Viele dieser Gedichte habe ich in ein Foliobuch geschrieben: die Lobeserhebungen machten jedoch wenig Eindruck auf mich, da Herr Kummerfeld aus Hamburg mir bereits seine Hand angetragen hatte, was aber zunächst
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noch Geheimniß blieb. So beliebt wurde ich endlich in Leipzig, daß der Director der Zeichnenakademie, Herr Professor Oeser, sich herbeiließ, mich zu malen, und zwar als Julia in „Romeo und Julia“. Ich gerieth mit dem wunderlichen Künstler über das Bild in Zwist: in einer Stelle aus dem großen Monologe sollte ich dargestellt werden, nun wollte ich gemalt sein bei den Worten: „Komm glücklicher Trank, du sollst mich mit Romeo vereinigen.“ Oeser aber wählte den Ausruf der Julia: „Mit dem Romeo – !“ bei dem sie im Begriff ist, den Schlaftrunk zu nehmen. Es wurde mir sehr schwer, bei diesen abgebrochenen Worten, die ein Blick voll Entzücken begleiten mußte, in der richtigen Attitude zu bleiben, doch Oeser bestand auf seinem Kopfe. Sein Gemälde sollte auch von Herrn Bause, der soeben erst in einem wohlgetroffenen Bildniß des Herrn Professor Gellert seine Kunst gezeigt hatte, in Kupfer gestochen werden – eine Ehre, die ich mir indessen verbat. [S. 403] Als solchergestalt mein Ruhm als deutsche tragische Actrice wuchs, wünschten zu meiner großen Genugthuung auch die Entrepreneurs des hamburger Theaters meine Zurückkunft. Herr Bubbers bot vortheilhafte Bedingungen, allein lieber wäre ich zum ersten besten Budenprinzipal gegangen als zu der großen hamburger Entreprise. Nein, ich spürte kein Verlangen danach, unter Madame Hensel’s Vicedirection zu stehen, welche sich mit niemand, nicht einmal mit einem so kenntniß- und verdienstreichen Manne wie Herrn Lessing, vertragen konnte. Richtig ging denn auch in Hamburg alles den Krebsgang, trotz der großsprecherischen „vorläufigen Nachricht von der vorzunehmenden Veränderung des hamburger Theaters“, welche Herr Löwen ganz ohne Überlegung prahlerisch in die Welt geschrieben hatte und die Manchen, der anderswo gut situirt war, zu seinem Schaden nach Hamburg lockte. Nirgends herrschte Ordnung; eine Narrheit nach der andern wurde begangen, und – wie immer, wo solche heillose Verwirrung herrscht – kehrte Unfriede im höchsten Maße bei den Acteurs ein. Viel hatten die Vernünftigen zu thun, den Frieden nur noch vor der Welt aufrecht zu erhalten; aber heimlich? Du lieber Himmel! Schöne Dinge berichteten mir meine hamburger Freunde darüber! Inzwischen war ich in Leipzig desto glücklicher; meine Beliebtheit wuchs; ich spielte tragische Rollen, arbeitete in Gellert’s Lustspielen sowie in Schiebeler’s und Weiße’s Singstücken, zu denen Herr Hiller die Musik gesetzt hatte, und tanzte Ballet. Wie gern man mich sah, wies sich erst aus, als ich, da der Zeitpunkt meiner ehelichen Verbindung mit Herrn Kummerfeld inzwischen herbeigekommen war, am 24. Februar 1768 zum letzten male auftrat. Man gab mir in Oertel’s Hause ein Souper; einige dreißig Personen waren zu Tische, darunter Herr Professor Clodius, der mir [S. 404] ein Blatt, welches er auf meinen Abschied hatte drucken lassen, überreichte. (Vgl. den „Gothaischen Theaterkalender“, 1775, S. 12.) In äußerster Bewegung saß ich da – man hatte
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mir als Braut den ersten Platz bei Tische gegeben; beziehungsvoll reichte mir ein kleiner Amor auf dem Tafelaufsatze die Verse entgegen: Zur Ehre des Geschmacks, zum Ruhm der Deutschen Bühne Bewundert und geliebt, leb’ uns’re Caroline! Auch in die Zeitungen – selbst in den weit in die Welt gehenden „Hamburgischen Correspondenten“, den damals Herr Licentiat Albrecht Wittenberg besorgte – ward es mit sehr schmeichelhaften Worten eingerückt, daß ich den Schauplatz gänzlich verlassen würde. („Hamburgischer Correspondent“, 1768, Nr. 18, vom 30. Januar.) Am 26. Februar, früh 5 Uhr, reiste ich nun von Leipzig ab; Herr Professor Clodius, Herr Schiebeler, mein Bruder und einige Schauspieler begleiteten mich noch eine kleine Strecke Weges zu Pferde. Wohlbehalten erreichte ich Braunschweig, wo ich bei lieben Freunden kurze Rast hielt. Es war französische Komödie in dem Orte; wir besuchten sie am Schalttage, man spielte den „Galerensklaven“. Daß ich im Theater war, konnte, da so viele Leute mich von früher her kannten, nicht verborgen bleiben. Die Herren Professoren Zachariä und Ebert sowie auch der zufällig anwesende Herr Lessing traten im Parket zu mir und bewillkommneten mich. Der Herzog Karl Wilhelm Ferdinand1, ein großer Liebhaber der Komödie, hatte mich kaum erblickt, als er mir gnädig mit der Hand winkte und leutselig nickte; Zachariä sagte: „Sehen sie, liebe Schulzin, daß man sie hier nicht vergessen hat?“ Und als die Acteurs so trefflich spielten, daß alles was Hände hatte lebhaft applaudirte, [S. 405] meinte Lessing scherzend: Unsere Franzosen greifen sich ja heute besonders an! Sicherlich wissen sie daß die Schulzin da ist!“ – „Freilich!“ fiel Zachariä ein; ich bin auf dem Theater gewesen und hab’s ihnen gesagt!“ Wie gern ich auch in Braunschweig verweilte: es trieb mich doch nach Hamburg zu meinem Bräutigam. Am 5. März schloß ich ihn in meine Arme – sechs Wochen später, und Kummerfeld ward mit mir – am 12. April 1768 – durch den Segen der Kirche verbunden. Die ruhige Aussicht für mein Alter mußte mich heiter, die Rechtschaffenheit meines Gatten ganz glücklich machen. Wahre Liebe kettete mich an den allgemein geehrten Mann, die Gefühle aufrichtiger Zuneigung wurden nicht beeinträchtigt durch die Jahre Kummerfeld’s, welcher am 2. December 1723 geboren, mithin bedeutend älter war als ich. Strenge erfüllte ich meine häuslichen Pflichten; die Bühne schaute ich nur noch von fern an.
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Karoline Kummerfeld schreibt in HHS und WHS nur „Herzog“ und meint damit Karl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel. Uhde hat hier eigenmächtig in den Text eingegriffen.
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Im Frühjahr 1772 erhielt ich Briefe von meinem Bruder, der mir anzeigte, daß er von Koch abgegangen und als Balletmeister beim Principal Abel Seyler angestellt sei, der zu Weimar am herzoglichen Hofe engagirt war. Karl befand sich noch nicht lange in dieser Residenz, als ihn die regierende Fürstin Anna Amalie, welche uns als junge Prinzessin oft auf dem Theater ihrer Vaterstadt Braunschweig gesehen hatte, um mein Schicksal befragte und ihm ihr Porträt für mich schenkte. „Grüßen Sie Ihre Schwester von mir“, hatte sie hinzugesetzt, „und ich hoffte, daß sie beim Anblick des Porträts neugierig würde, das Original einmal wiederzusehen!“. Die Gnade der Herzogin entzückte mich, und wirklich unternahmen wir im Frühjahr 1773 die mühselige Reise von Hamburg nach Weimar. Wir kamen durch verschiedener Herren Länder, fanden aber wenig glückliche Unterthanen, da Ueberschwemmungen [S. 406] und Miswachs bittere Armuth erzeugt hatten. Allgemein beneidete man uns, daß wir nach Weimar reisten; „ein gesegnetes Land,“ rief man aus; „das einzige, welches dank der Fürsorge der durchlauchtigsten Regentin keine Noth gelitten hat“. Wirklich wurden die Gesichter der Menschen heiterer und gesunder, als wir das weimarische Land betreten hatten. Wir hörten vollkommen bestätigen was man uns zuvor gesagt. „Die Herzogin liebt uns wie ihre Kinder“, riefen die Unterthanen. „Wenn nur einst unser Herr Erbprinz in die Fußstapfen seiner Mutter tritt!“ Wie freute ich mich darüber – denn innig verehrte ich die hohe Frau. Auch sie hatte mich lieb: gleich am Tage nach meiner Ankunft in Weimar ließ sie mich rufen. Welchen Charakter lernte ich in ihr kennen! Ich sagte ihr, was ich unterwegs vernommen. „Ach!“ seufzte sie, „auch bei den besten Wünschen, alle glücklich zu wissen, kann man es nicht jedem recht machen!“ – „Ew. Durchlaucht Unterthanen“, entgegnete ich, „haben nur den Wunsch, daß der Erbprinz einst in Ihre Fußstapfen trete!“ – „Wir wollen hoffen!“ sagte sie mit einem Blick aus der Fülle des Herzens „Karl August ist jung, feurig; an mir soll’s nicht fehlen, auch nicht an seiner Erziehung.“ – Dann war sie so herablassend, mir alle Pretiosen zu zeigen, welche sie in ihrem Cabinet hatte. Auf den mittelsten Stein ihres Brillanthalsbandes weisend sagte sie: „Dieser ist ein Geschenk meines seligen Herrn. Es sollte meine Wochengabe sein zu meinem Konstantin. Als der Herzog erkrankte, rief er mich an sein Bett und sagte: „Nimm Amalie. Ich wollte dir den Juwel in dein Kindbett schenken; weil ich aber doch bis dahin nicht mehr leben werde, so will ich mir die Freude machen, ihn dir selbst zu geben.“ Hier schwieg die Fürstin, eine Thräne trat in ihr Auge. Endlich fuhr sie fort: „Auch hat er den Tag meiner Entbindung nicht [S. 407] mehr erlebt. Mein Konstantin war bei seiner Geburt ein elendes Kind, aber Gott hat ihn mir erhalten – und das Gebet meiner Unterthanen, und die Medici. Nun sieht er gesünder und hübscher aus, als mein Erbprinz.“ – Beide Prinzen sah ich am Abend im Hofcirkel, wo sie mit der Mutter ein Concert spielten.
Die Teileditionen von Karl von Holtei und Hermann Uhde | 1011
Schweren Herzens nur trennten wir uns, als Kummerfeld endlich nach Hamburg zurückkehren mußte, von dem freundlichen Weimar; beim Abschied reichte mir die Herzogin einen Ring und eine Tabacksdose zum Andenken. Es hätte dieser äußern Zeichen nicht bedurft, um Anna Amalia’s Bild tief in mein Herz zu prägen. Leider fand niemand von uns Gelegenheit, seine Anhänglichkeit an die edle Frau thätig zu beweisen, außer meinem Bruder Karl, der 1774 bei dem Schloßbrande zu Weimar Leib und Leben in die Schanze schlug und sich so verletzte, daß er seine Kunst als Tänzer nicht ferner ausüben konnte. Mich selbst aber, als meines Gatten Tod meinem ganzen Leben eine andere Richtung gegeben hatte, zog es unwiderstehlich her nach Weimar, wo ich als alte Frau diese Blätter schreibe und wo man mich wol dereinst begraben wird. […]
III.6 Kurzbiographien der von Karoline Kummerfeld erwähnten Schauspielerinnen und Schauspieler
In diesem Verzeichnis werden alle in den beiden Editionen erwähnten Schauspielerinnen und Schauspieler erfasst. Die Funktionsbezeichnungen geben nur einige der wichtigsten Tätigkeitsbereiche wieder. Aufgenommen wurden neben den biographischen Daten ausgewählte Informationen zum familiären Umfeld, zum Bildungsweg, zur Tätigkeit am Theater (Truppen, Spielorte) sowie vereinzelt zur Rezeption. Bei Personen, die in der theatergeschichtlichen Literatur wenig oder keine Beachtung gefunden haben, wird die von Karoline Kummerfeld genannte Tätigkeit ergänzend erwähnt. Grundlage für die Recherche waren die einschlägigen biographischen Lexika, deren Einträge zum großen Teil online über die Deutsche Biographie (www.deutsche-biographie.de) mit weiterführenden Links erschließbar sind, sowie theater- und musikgeschichtliche Nachschlagewerke (BMLO; Kosch Theater; TBMS; WeGA; Kutsch/ Riemens), Überblickswerke zu einzelnen Epochen oder Aspekten der Theatergeschichte (Eichhorn, Ackermann; Pies, Prinzipale; Schmid, Chronologie; Werner, Gallerie), die von Bender erschlossenen Theaterperiodika aus dem 18. Jahrhundert und die für die Anmerkungen zur Edition benutzte Spezialliteratur. In begründeten Einzelfällen wird weitergehende Literatur in Klammern angegeben. Ausführlichere Angaben zu Familie und Verwandtschaft sind in der Regel nur bei einem Familienmitglied aufgeführt, auf das mit einem Pfeil (→) hingewiesen wird. Personen, die einen eigenen Eintrag haben, sind bei Verweisen mit * gekennzeichnet. Namensvarianten werden kursiv in Klammern angegeben. Ackermann, Charlotte (* 23.8.1757 Straßburg, † 4.5.1775 Hamburg) – Schauspielerin (Charlotte, Maria Magdalena, Maria Magdalena Charlotte) Die Tochter von → K. E. Ackermann* und S. Ch. Schröder* war Mitglied der Ackermannschen Gesellschaft. Sie debütierte 1761 und wurde 1771 Nachfolgerin v. S. Mecour* als Soubrette. Sie galt als begabte Schauspielerin, deren früher Tod das Hamburger Publikum tief bewegte und eine breite publizistische und literarische Debatte auslöste. Ackermann, Dorothea Elisabeth (* 12.2.1752 Danzig, † 21.10.1821 Hamburg) – Schau-
spielerin (Cornelia Dorothea Elisabeth Unzer; Dorothea Karoline) Die Tochter von → K. E. Ackermann* und S. Ch. Schröder* war von 1778 bis zu ihrer Scheidung 1790 mit dem Arzt und Schriftsteller Johann Christoph Unzer (1747– 1809) verheiratet. Ihr Sohn Carl Unzer war Schauspieler und Arzt. Sie debütierte im
Kurzbiographien | 1013
Alter von 6 Jahren in Danzig. Von 1767–1778 war sie Mitglied der Ackermannschen Gesellschaft in Hamburg, wo sie 20–30 Rollen pro Jahr spielte und auch als Sängerin und Tänzerin auftrat. Ackermann, Gottfried (* 1755 bei Leipzig, † nach 1799) – Schauspieler, Sänger (Johann Friederich Gottfried) A. war seit 1780 mit S. Ackermann* geb. Tschorn verheiratet. Er debütierte 1774, spielte in Lübeck (1778/79) und Berlin (1781) und war seit 1784 Mitglied der Bellomoschen Theatertruppe in Weimar, aus der er 1791 von Goethe entlassen wurde. Ackermann, Konrad Ernst (get. 4.2.1712 Gut Redefin, Mecklenburg, † 13.11.1771 Ham-
burg) – Schauspieler und Prinzipal (Conrad Ernst) Der Sohn des Försters und Pächters Joachim Hinrich Ackermann und der Sophia Metta Theloni heiratete 1749 in Moskau S. Ch. Schröder geb. Biereichl*. Seine Töchter Charlotte* und Dorothea* waren ebenso wie der Stiefsohn F. L. Schröder* Schauspieler. Nach höherer Schulbildung, Studium und Militärdienst debütierte er 1739 bei Johann Georg Stolle. Er war anschließend bei J. F. Schönemann* und seit 1742 bei seiner späteren Ehefrau S. Ch. Biereichl* engagiert. 1751 gründete er eine eigene Gesellschaft, die zu den bekanntesten Theatertruppen des 18. Jh. gehörte. Seit 1764 war er in Hamburg (Bau eines eigenen Theaters am Gänsemarkt, das 1767–1769 von der Hamburger Entreprise genutzt wurde). Seine Gesellschaft spielte u. a. in der Schweiz, im Elsass, in Hamburg, Braunschweig, Wolfenbüttel, Kiel und Schleswig. Er gilt als Mitbegründer der deutschen Schauspielkunst und prägte gemeinsam mit C. Ekhof* den „Hamburger Stil“ (natürliche Deklamation, mimische und gestische Gestaltung), der von seinem Stiefsohn F. L. Schröder* weiterentwickelt wurde. Ackermann, Sophie geb. Tschorn (* 1760 Celle, † 5.7.1815 Weimar) – Schauspielerin, Sängerin (Sofie) Das Schauspielerehepaar Sophie und Gottfried Ackermann* war seit 1780 verheiratet und hatte vier Kinder, zwei Söhne ( Joseph und Louis) und drei Töchter (Carolina Louise Wilhelmina, Sophia Louisa Carolina und Henrietta Carolina Sophia). A. debütierte 1779 in Weimar und war seit 1783 als Mitglied der Bellomoschen Truppe bekannt und für ihre Leistungen in Schauspiel und Oper hochgeschätzt. Sie verließ die Stadt 1791 nach der Entlassung ihres Mannes mit ihren Kindern, die sie fortan allein erzog. Sie spielte nun an verschiedenen Orten, u. a. in Mannheim, 1798–1799 in Nürnberg, 1810 in Naumburg, seit April 1811 auch wieder in Weimar, wo sie 1815 verarmt und – nach dem frühen Tod ihrer Kinder – einsam starb.
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Ackermann, Sophie Charlotte geb. Biereichl (* 10./12.5.1714 Berlin, † 13./14.10.1792 Hamburg) – Schauspielerin, Prinzipalin, Leiterin einer Schauspielschule (Sophie Charlotte Schröder) Die Tochter eines Goldstickers war von 1734 bis zur Trennung 1738 mit dem Organisten Johann Dietrich Schröder († 1744) verheiratet. 1749 heiratete sie → K. E. Ackermann*. Sie ernährte sich nach der Trennung von ihrem ersten Mann mit Näharbeiten in Hamburg, debütierte 1740 als Mitglied der Schönemannschen Truppe in Lüneburg und leitete von 1742 bis 1744 eine eigene Schauspieltruppe. 1746 schloss sie sich der Hilverdingschen Truppe an, mit der sie u. a. in Danzig, Königsberg, St. Petersburg und Moskau spielte. Mit der Ackermannschen Truppe hatte sie seit 1751 Auftritte in zahlreichen Städten im deutschsprachigen Raum. Seit 1764 lebte sie mit ihrem Mann in Hamburg. Nach seinem Tod leitete sie von 1771–1780 gemeinsam mit ihrem Sohn F. L. Schröder* die Truppe ihres Mannes. Ab 1780 beherbergte sie bei sich zuhause Schauspielerinnen, die sie „in theatralischen, theoretischen und praktischen Kenntnissen, wie in weiblichen Handarbeiten“ unterrichtete (Werner, Gallerie, S. 242). Antoine, Franziska geb. Amberger (* 15.11.1750 Mannheim, † 20.1.1825 München) – Schauspielerin Die Ehefrau des Schauspielers und Theaterdirektors Dionys Crux war 1777–1778 bei Theobald Marchand in Mannheim und von 1778–1810 am Kurfürstlichen Hof- und Nationaltheater in München engagiert. Als angesehene Hofschauspielerin feierte sie 1809 in München ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum. Ihr Name rührt daher, dass die aus Frankreich stammende Familie des Webers Antoine Lecru sich (nach dem Vornamen des Vaters) Antoine nannte. Die Familie wurde aber vor allem unter dem eingedeutschten Namen Crux bekannt. Franziska Antoine war die Mutter von Heinrich Antoine (Crux) (1768–1809), Hofmusiker und Schüler Mozarts, und von Ernest Antoine Crux, Oboist am Hof in Koblenz und königlicher Lotto-Kollektor in München. Die Sängerin, Geigerin und Pianistin Marianna Antoine (1772–1807) war ihre Nichte. Ihr Schwager war der Tänzer, Ballettmeister und Choreograph Peter Anton Crux (1756–1806), ihre Schwägerin die Tänzerin Marie Cathérine Crux. Antusch, Frau (* Leipzig) – Schauspielerin
Gemeinsam mit ihrem ersten Mann, dem Schauspieler und Tänzer N. Antusch, war A. 1754–1759 bei K. E. Ackermann*, wo sie – wie ihr Ehemann – unter Ballettmeister Curioni* tanzte. Danach war sie bis 1763 bei F. Schuch d. Ä*. in Königsberg. Dort trennte sie sich von ihrem Mann „und gieng von Königsberg heimlich mit einem Herrn Lemke durch, den sie drauf in Rußland heurathete“ (Schmid, Chronologie, S. 226).
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Arnold, Herr und Frau – Schauspielerehepaar K. Kummerfeld schreibt, das Ehepaar Arnold habe während des Siebenjährigen Krieges – im Sommer 1757 – mit N. Witzmann in Freiberg bei Dresden gespielt und die Familie Schulze für diese Spielzeit engagiert. Vielleicht handelt es sich bei Herrn A. um Johann Bernhard Arnhold, Schauspieler in der Gesellschaft des J. Chr. Kirsch*, der 1786 im Alter von 70 Jahren gestorben ist. Die Sterbeanzeige für J. B. Arnhold ist bei Petrick, Dresdens Musik- und Theaterleben, S. 67, erwähnt. Beck, Christiane Henriette geb. Zeitheim (* 1756 Graz (?), † 24.2.1833 Jena) – Schau-
spielerin (Christiane Henriette Wallenstein) Die Tochter von N. Zeitheim und erste Ehefrau eines Herrn Wallenstein heiratete 1786 in zweiter Ehe Johann Christoph Beck*. Nach einem Engagement in der Gesellschaft Churfürstliche Sächsische Privilegierte Deutsche Schauspieler von Pasquale Bondini in Leipzig (1777) war W. von 1777–1779 am Hoftheater in Gotha verpflichtet. Von dort ging sie ans Hoftheater in Mannheim, das sie 1784 im Streit verlassen musste. Ihr wegen einer Rollenvergabe (Bürgersfrau oder Baronin) mit den Ausschussmitgliedern des Mannheimer Theaters ausgetragener Konflikt, der mit ihrer fristlosen Kündigung durch Dalberg endete, fand große öffentliche Resonanz und ist breit dokumentiert (Friedrich Schiller, „Wallensteinischer Theaterkrieg“). 1794 verpflichtete Goethe sie für das Hoftheater in Weimar. Hier blieb sie bis 1823. Beck, Johann Christoph (* 11.1754 Gotha, † nach 1800?) – Schauspieler und Bühnen-
autor (Hans) Der Sohn des herzoglichen Kommissionssekretärs Johann Christoph Beck und der Johanna Sophia Gensel gehörte zu einer bekannten Schauspielerfamilie. Er war seit 1786 mit Christiane Henriette Wallenstein* verheiratet. Sein Bruder Heinrich (1760–1803) war Schauspieler und Regisseur und in erster Ehe mit der Schauspielerin Caroline Ziegler (1766–1786) verheiratet. Die zweite Ehefrau von Heinrich B., Josefa Scheefer († 1827), war Opernsängerin in Mannheim und München. Eine Nichte, Luise Beck (1789–1857), war Schriftstellerin und Schauspielerin, eine andere, Auguste, Sängerin. Weitere Verwandte aus dem Künstlermilieu waren seine Schwägerin Luise Ziegler* und Johann David Beil*. B. spielte von 1790–1783 am Hamburger Theater. Es folgten Engagements u. a. in Bonn, Gotha, Mannheim, Hamburg, Köln, Frankfurt/M. und Mainz. Von 1793–1800 war er am Hoftheater in Weimar verpflichtet.
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Beil, Johann David (* 11.5.1754 Chemnitz, † 12.8.1794 Mannheim) – Schauspieler und Bühnendichter (bis 1779: Johann) Der Vater von B. war Tuchmacher, die Mutter Tochter eines Pächters aus Bayreuth. B. hatte in Leipzig ein juristisches Studium aufgenommen, das er abbrach, um zum Theater zu gehen. 1776 war er Mitglied der Gesellschaft von Johann Friedrich Speich, seit 1777 war er bei C. Ekhof am Hoftheater in Gotha. Nach Auflösung des Theaters wechselte er wie die meisten Schauspieler aus Gotha 1779 zum Mannheimer Hoftheater. Er war mit H. Beck* und A. W. Iffland* befreundet. Durch seine 1787 geschlossene Ehe mit der Schauspielerin Luise Ziegler war er mit der bekannten Schauspielerfamilie Beck* auch verwandtschaftlich verbunden. Der gemeinsame Sohn Karl (1788–1867) war Schauspieler und Dramatiker. Bellomo, Joseph (* 16.3.1754 Tajo bei Cles/Südtirol, † 18.10.1833 Graz) – Prinzipal (Joseph Edler von Zambiasi) Der Sohn des kaiserlichen Leutnants Franz v. Zambiasi und der Franziska Fuxhuber heiratete 1777 in Graz die Sängerin und Schauspielerin Therese Nicolini*, eine Tochter des Prinzipals F. Nicolini*, von der er sich Anfang der 90er Jahre trennte. B. war von 1776–1779 in Graz bei einer italienischen Singspielgesellschaft engagiert, trat mit seiner Frau 1779–1781 am Wiener Burgtheater auf, wirkte danach 1781/82 in Münster, 1782 bei Pasquale Bondini in Dresden und in Prag. 1783 gründete er eine eigene kleine Gesellschaft in Dresden. Im gleichen Jahr wurde er mit seiner Teutschen Schauspieler-Gesellschaft in Weimar engagiert und leitete die dortige herzogliche Liebhaberbühne bis 1791 erfolgreich. Gleichzeitig organisierte er Gastspielreisen nach Gotha und Eisenach und unterhielt ein ständiges Sommerquartier in Lauchstädt. Von 1791–1797 war er Direktor des Grätzer Ständischen Nationaltheaters. Während des 1. Koalitionskrieges, am 6. April 1797, kurz bevor Graz von französischen Truppen besetzt wurde, gab B., der mit seinen Opernaufführungen (v. a. Mozart) beim Publikum beliebt war, seine Abschiedsvorstellung. Im Theater sollten fortan französische Stücke gespielt werden (Flügel, Bonaparte, S. 120). Spätere Versuche, zum Theater zurückzukehren, scheiterten. Er soll im Alter in Graz eine Gastwirtschaft betrieben haben. Bellomo, Therese geb. Nicolini (* 1759 Braunschweig, † nach 1799) – Sängerin, Tän-
zerin, Schauspielerin Die Tochter des Pantomimen → F. Nicolini* kam nach ihrem Debüt 1776 noch im gleichen Jahr mit einer italienischen Operntruppe nach Graz, wo sie → J. Bellomo* heiratete. Mit ihm blieb sie bis 1779 in Graz, anschließend trat sie 1779/80 im Wiener Burgtheater auf. 1783 kam sie nach Weimar und blieb dort nach der Trennung von ihrem Mann bis 1791. 1795 spielte sie bei F. H. Bulla* in Lemberg. Ihr weiterer
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Lebensweg ist unklar. Im TKR 1800 wird berichtet, dass sie 1799 mit ihrem Sohn bei der Gesellschaft Anton Fallers in Schlesien abgegangen sei. Betge, Herr – Schauspieler (Betke)
Betge spielte 1779/80 bei Karl Wahr am Kotzentheater in Prag, anschließend bei F. H. Bulla* und Chr. L. Seipp* in Innsbruck und Augsburg, 1782–1785 in Linz und 1786–1787 erneut in Innsbruck. Bethmann-Unzelmann, Friederike geb. Flittner (* 24.1.1768 Gotha, † 16.8.1815 Berlin) – Schauspielerin und Sängerin (Friederike Auguste Conradine geb. Flittner, gen. Großmann) Die Tochter des herzoglichen Regierungsregistrators Jakob Flittner und der Schauspielerin → Karoline Großmann nahm 1782 den Namen ihres Stiefvaters Großmann* an und heiratete 1786 den Schauspieler Karl Wilhelm Unzelmann (1753–1832). Nach der Scheidung 1803 wurde sie 1805 Ehefrau des Schauspielers Heinrich Eduard Bethmann (1774–1857). Ihre Kinder Karl Wolfgang, Luise Friederike, Wilhelmine und August wurden Schauspieler. Die Angaben zum Geburtsdatum Friederike Flittners variieren in der Literatur zwischen 1760 und 1771. B.-U. spielte zunächst in der Gesellschaft ihres Stiefvaters, wo sie 1777 debütierte. Seit 1788 war sie am Königlichen Nationaltheater in Berlin tätig. Biereichl, Sophie Charlotte s. Ackermann Boeck, Johann Michael (* 1743 Wien, † 18.7.1793 Mannheim) – Schauspieler (Böck,
Boek) Der Sohn eines Barbiers und Wundarztes war nach seinem Debüt 1762 in Wien bei K. E. Ackermann* engagiert. Er wechselte 1769 mit C. Ekhof* nach Weimar und spielte ab 1774 am Gothaer Hoftheater, wo er nach Ekhofs Tod zusammen mit Heinrich August Ottokar Reichard die Leitung übernahm. Von 1779–1793 war er am Hoftheater in Mannheim. B. war seit 1764 mit der Schauspielerin Sophie Elisabeth Schul(t)z* verheiratet. Boeck, Sophie Elisabeth geb. Schul(t)z (* vor 1745 Lauenburg, † Anfang 1800 Gotha) – Schauspielerin (Böck) Nach ihrem Debüt 1764 bei K. E. Ackermann* in Hamburg heiratete die Schauspielerin 1764 → J. M. Boeck*, mit dem sie in Weimar und Gotha engagiert war. In Gotha erhielt sie bis zu ihrem Lebensende eine Pension (s. WHS, Anm. 657).
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Borchers, David Isaak (* 1744 Hamburg, † 15.4.1795 Carlsruhe/Schlesien) – Schau-
spieler, Theaterdirektor Der Sohn eines Hamburger Schiffspredigers heiratete vermutlich 1778 die verwitwete Schauspielerin Maria Anna Frank geb. Spaz (1752–1787) („Josepha“, auch: Karoline Jeannette Spaz, verwitwete Frank). Das Paar trennte sich 1781. Nach seinem Debüt 1764 in Carlsruhe in Schlesien als Mitglied des FürstlichWürttembergischen Theaters war B. bei K. E. Ackermann* in Hamburg. Weitere Engagements waren 1774/1775 bei C. Th. Doebbelin* in Berlin, 1775–1778 bei A. Seyler* und 1779 bei der Vereinigten Gesellschaft deutscher Schauspieler. Ab 1779 spielte er in Hamburg, Prag und Wien, 1782–1785 am Linzer Nationaltheater im Kavaliersunternehmen Graf Philipp Rosenbergs*, der ihn auch zum Direktor berief, seit 1788 bei der Secondaschen Gesellschaft.
Boudet, Sophie (* 1771? Mannheim, † 30.5.1804) – Schauspielerin Die Tochter des Schauspielers Johann Boudet erhielt nach einer Ausbildung am Hoftheater in Mannheim 1791/92 ein Engagement bei F. L. Schröder in Hamburg. Ihre uneheliche Schwangerschaft und ihre Flucht im Jan. 1792 lösten in Hamburg einen Skandal aus. Nach der Geburt ihrer Tochter Margaretha Sophia Karolina im Febr. 1792, die sie einer Witwe zur Erziehung anvertraute, arbeitete sie in Frankfurt/M. als Schauspielerin. Zur Konditionstaufe ihres Kindes und zum Streit mit ihren beiden Schwestern um das Erbe s. WHS, Anm. 617. Brandes, Charlotte Esther geb. Koch (* 1742 Groß-Rosinsko, Litauen, † 13.5.1786
Hamburg) – Schauspielerin (Koch, Esther Charlotte) Die Tochter des Pächters Gottfried Salomon Koch, die nach dem Tod ihrer Eltern in Tilsit bei Pfarrer Regge, einem Verwandten, aufgewachsen war, heiratete 1764 den Dramatiker, Theaterdirektor und Schauspieler Johann Christian Brandes (1735–1799), der in seiner Lebensbeschreibung ausführlich über sie berichtet. Ihr Bruder F. K. Koch* war Tänzer und mit F. R. Giraneck* verheiratet, die gemeinsame Tochter Charlotte Wilhelmine Franziska „Minna“ Brandes (1765–1788), ein Patenkind Lessings, Pianistin, Sängerin, Komponistin. Nach ihrem Debüt 1764 bei Franz Schuch d. J. in Breslau war B. mit ihrem Mann u. a. bei K. E. Ackermann*, A. Seyler*, C. Th. Doebbelin* und Theobald Marchand in Hamburg, Leipzig, Weimar, Dresden, Berlin, Mannheim, München und Riga engagiert. Besonders geschätzt wurde sie wegen ihrer Rollen als Ariadne auf Naxos, Minna von Barnhelm, Medea und Gräfin Orsina in Emilia Galotti. Sie gilt als eine der großen Rivalinnen der Sophie Hensel.
Kurzbiographien | 1019
Brandt, Christiane Sophia Henrietta geb. Hartmann (* 29.7.1761 Gotha, † nach1826) – Schauspielerin (Soubrette) und Sängerin (Christine Sophie) Die Schwester von K. S. A. Großmann* debütierte 1775 bei der Seylerschen Gesellschaft in Gotha und war von 1779–1784 und von 1789–1793 am Bonner Hoftheater engagiert. Zahlreiche weitere Engagements u. a. bei Koberwein, Seconda, Witter, Vanini und Kindler folgten.1780 heiratete sie Christoph Herrmann Joseph Brandt* (WeGA, Kutsch/Riemens). Ihre älteste Tochter, Maria Theresia (1780–nach 1822), war Schauspielerin. Die jüngere Tochter, die Schauspielerin und Sängerin Carolina Elisabeth Antonia (1792–1852), war seit 1817 mit Carl Maria von Weber verheiratet. Auch der 1791 geborene Sohn Ludwig war Schauspieler. Bei Maurer, Dokumente, S. 259 f. wird vermutet, dass sie mit Franz Brand(t), der in Bonn, Weimar, Frankfurt/M. und Mannheim engagiert war, verheiratet gewesen sei. Brandt, Christoph Hermann Joseph (* 1747 Bonn, † zw. 30.11. und 13.12.1818 Mainz) – Violinist, Schauspieler, Sänger B. war von 1760/1769–1793 Mitglied der Hofkapelle in Bonn, später in Berlin und Dresden. Von 1780–1784 hatte er ein Engagement als Sänger und Schauspieler bei G. W. und K. Großmann* am Hoftheater in Bonn. Seit 1780 war er mit Chr. S. H. Hartmann* verheiratet. Brenner, Johann Michael (* um 1718, † nach 1771) – Prinzipal (Prenner, Hans Michael) B. war vermutlich der Sohn des Komödianten Johann Leopold Brenner. Er ist seit 1748 als Prinzipal nachgewiesen (u. a. in Innsbruck, Hall, Schwaz, Wien, Regensburg, Nürnberg). 1751 wurden er und seine 12-köpfige Gesellschaft in Wertheim zu privilegierten Hofkomödianten ernannt, 1752 kam er über Eichstätt, Regensburg und Biberach nach Basel. Weitere Spielorte u. a. in Böhmen und vor allem in Mähren. Sein Repertoire aus Nürnberg (1750), Eichstätt und Basel (1752) ist aus 35 Theaterzetteln bekannt (Scherl/Rudin, TBMS, S. 70–72). Brockmann, Johann Franz Hieronymus (* 30.9.1745 Graz, † 12.4.1812 Wien) – Schau-
spieler, Theaterleiter, Bühnenautor Der Sohn eines Turmwächters und Zinngießers aus Paderborn und einer Wäscherin aus Graz begann eine Lehre als Bader und begleitete später einen kroatischen Offizier, vor dem er in ein Kloster floh. Auch dort ergriff er die Flucht und schloss sich einer Gruppe von Seiltänzern und Gauklern an, mit denen er 1760 zum ersten Mal auftrat. Nach längerem Wanderleben kam er schließlich 1762 zur Bodenburgischen Gesellschaft in Ungarn. Er war seit 1765 mit der Schauspielerin Therese Marie Bodenburg (1738–1793), der Tochter der Prinzipalin Maria Theresia Bodenburg, verheiratet.
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Nach einem Engagement mit seiner Frau am Wiener Burgtheater 1766 trat er mit der Truppe der Madame Kurz (Theresina Morelli) u. a. in Würzburg, Frankfurt/M., Mainz, Köln und Düsseldorf auf. Ab 1771 war er bei F. L. Schröder in Hamburg engagiert. Weitere Stationen seiner Theaterlaufbahn waren Berlin und Wien, wo er von 1789–1791 Leiter des Burgtheaters war. Besondere Aufmerksamkeit erhielt er in seiner Rolle als Hamlet. Er war der Gründer der Ersten Krankenversicherung für Schauspieler. Brückner, Johann Gottfried (* 1730 Ilmersdorf/Sachsen, † 18.10.1786 Berlin) – Schau-
spieler (Brükner, Brikner) Der Sohn eines Predigers heiratete 1756 die Witwe Katharina Klotzsch geb. Klefelder (Brückner, Katharina*). Vor Beginnn der Schauspielerlaufbahn war er Lehrling in der Voß’schen Buchhandlung in Berlin. Er debütierte 1752 in Dresden bei Starke und war 1753 bei H. G. Koch in Leipzig. 1756 verpflichtete er sich mit seiner Frau bei F. Schuch d. Ä. in Berlin, 1757 in Weimar und bis 1775 bei H. G. Koch*. Anschließend ging das Ehepaar Brückner zu C. Th. Doebbelin* nach Berlin, wo er bis zu seinem Tod 1786 spielte. Brückner Katharina Magdalena geb. Klefelder (* 1719 Königstein b. Dresden, † 16.11.1804
Köthen) – Schauspielerin (Kleefelder, Klot(z)sch, Brückner, Brükner, Brukner, Brickner) B. war seit 1747 in erster Ehe mit dem Schauspieler N. Klotzsch († 1754) verheiratet. 1756 ging die Witwe eine Ehe mit J. G. Brückner* ein. Carl Heinrich Klotzsch (* 1751 Danzig), ihr Sohn aus erster Ehe, ist um 1780 als Schauspieler in Berlin nachgewiesen und war ab 1804 Hoftanzmeister in Köthen. B. debütierte 1741 bei C. Neuber*. Sie war mindestens bis 1751 mit N. Klotzsch in Danzig, später bei H. G. Koch* und bei F. Schuch* engagiert. Bis 1775 war sie Mitglied der Kochschen Gesellschaft, danach bei C. Th. Doebbelin*. Am Königlichen Nationaltheater in Berlin, wo sie seit 1786 verpflichtet war, feierte sie 1791 ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum, nahm ihren Abschied vom Theater und erhielt einen Pensionsanspruch. Sie verbrachte die letzten Jahre bei ihrem Sohn in Köthen. Brunian, Frau († 1773 Prag) – Sängerin
Der Name der ersten Frau von → J. J. von Brunian*, einer Sängerin, ist nicht bekannt. Brunian, Johann Joseph von (* 19.3.1733 Prag, † 15.6.1781 Altona) – Marionettenspieler,
Seiltänzer, Tänzer, Pantomime, Ballettmeister, Schauspieler, Prinzipal Der aus einem verarmten Adelsgeschlecht stammende B. heiratete 1773 nach dem Tod seiner ersten Frau die Witwe → M. Mion geb. Schulze*, die Halbschwester von Karoline Kummerfeld. Sein Adoptivsohn Johann Ellenberger war ebenfalls Schauspieler.
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Brunian war seit 1745 beim Theater. Er spielte u. a. bei Hölzel, Nachtigall, M. Brenner* und J. J. F. Kurz* und trat vor allem in Mähren, Österreich und Bayern teils als Schauspieler, teils als Leiter einer eigenen Gesellschaft auf. Seine Spielzeiten in Brünn, Prag und Braunschweig waren durch prekäre finanzielle Verhältnisse beeinträchtigt. Erst am Hof des dänischen Statthalters in Schleswig konsolidierte sich seine wirtschaftliche Lage. Er gilt als Initiator einer neuen Dramaturgie. Brunian, Marianna von (* 1735?, † 1822) geb. Schulze, verw. Mion – Schauspielerin, Tänzerin, Prinzipalin (Maria Anna, Anna Marie) Die Tochter aus der ersten Ehe von Chr. Schulze* und Halbschwester von Karoline Kummerfeld spielte bis 1750 in der Gesellschaft ihres Vaters, verließ die Familie heimlich und schloss sich der Gesellschaft des Prinzipals M. Brenner* an. Nach der Eheschließung mit dem Tänzer und Balletmeister Mion († 1770) trat sie bis 1757 u. a. bei K. E. Ackermann* auf. 1773 heiratete sie den Prinzipal → J. J. von Brunian*, zu dessen Gesellschaft sie seit 1765 gehörte. Nach seinem Tod hatte sie u. a. Engagements in Hamburg (1784) und Strelitz (1788). Von 1786–1799 war sie am Vaterländischen Theater in Wien engagiert, danach wohl in Diensten des Grafen Joseph Carl Emanuel von Waldstein auf Schloss Dux, wie aus der Korrespondenz Karoline Kummerfelds hervorgeht (s. dazu Kap. I.2 und Kummefeld, Schriften, Bd. 2). Ihr Geburtsjahr ist nicht gesichert. Bubbers, Adolph Siegmund (* um 1726, † 1.6.1790 Hamburg) – Schauspieler, Teppich-/ Tapetenfabrikant, Mitbegründer und -unternehmer des Hamburger Nationaltheaters B. spielte von 1741–1746 bei J. F. Schönemann. 1746 etablierte er sich als Tapetenfabrikant in Hamburg. Seit 1758 war er Hamburger Bürger. Bulla, Franz Heinrich (* 1754 Prag, † 15.1.1819 Lemberg) – Schauspieler, Prinzipal
Nach einem Studium in Prag 1771–1773 und dem Beginn eines Jurastudiums debütierte B. 1775 in der Gesellschaft von Karl Wahr. 1777/78 verpflichtete er sich bei Josef Jacobelli in Graz. 1779 leitete er zunächst gemeinsam mit H. Rolland, später mit Chr. L. Seipp* eine Gesellschaft, die in Innsbruck, Linz und Augsburg auftrat. Anschließend gründete er eine eigene Gesellschaft, die 1780/81 in Linz und Passau, 1781/82 in Salzburg und danach in Innsbruck spielte. Von 1782–1784 war er in Karlsruhe, wo er den Titel eines Hochfürstl. Markgräfl. Badischen Hofschauspiel-Directors erhielt. Für wenige Monate leitete er 1785 die zweite Bondinische Gesellschaft in Prag. Wegen Schulden aus der Karlsruher Zeit musste er fliehen. Er arbeitete von 1785–1787 mit der Prinzipalin Johanna Schmallögger in Österreich-Ungarn zusammen, u. a. 1785/86 in Pest und 1785–1787 in Temeswar. Seine Laufbahn beendete er in der überwiegend polnischsprachigen Stadt Lemberg, in der er das deutsche Theater prägte.
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Seit 1782 war B. mit Edmunda Fiedler, der Tochter des Theaterdirektors Andreas Fiedler, verheiratet, die als Schauspielerin am Wiener Burgtheater verpflichtet war. Die gemeinsame Tochter Sophie Wilhelmine (1783–1842) war beim Theater, ebenso der Schwiegersohn Joseph Koberwein (1774–1857). Canza(c)chi, Giovanni Camillo (* Bologna, † 3.3.1777 Dresden) – Schauspieler und Autor (gen. Lo Zoppo) C. war zunächst in Wien bei einer italienischen Truppe der Commedia dell’Arte engagiert, dann 1740 in Venedig und Dresden. Er fertigte in Wien „verschiedene Burlesken“ an (Benezé II, S. 181). Seit mindestens 1748 war er am polnisch-sächsischen Hof in Warschau und Dresden tätig. Seine Werke sind verzeichnet in: Meyer, Bibliographia, 2. Abt., Bd. 14, S. 310–312 f. und Bd. 15, S. 19 f., 234 f., 235 f., 357 f. Courtée, Catharina geb. Schirmer (* 1744) – Schauspielerin und Tänzerin (Courte)
C. Schirmer war 1760 im Alter von 16 Jahren in Straßburg der Familie von → K. E. Ackermann* anvertraut worden, verließ die Gesellschaft 1763, heiratete N. Courtée* und kehrte 1764 mit ihrem Mann, einem Tänzer, zu Ackermann*, der inzwischen in Hamburg war, zurück (HTS 1793,3, S. 578). 1776 heiratete sie den Sänger, Schauspieler und Regisseur Christian Wilhelm Opitz. Mit ihm war sie 1778 als Mitglied der Seylerschen Gesellschaft in Mannheim engagiert. 1785 wird Catharina Opitz in Bautzen erwähnt, und 1801 spielte sie am Theater am Ranstädter Tor in Leipzig unter der Direktion ihres Mannes (Schiller-Handbuch, S. 181). Im TKR 1793, S. 257 wird eine Madame Opitz, ehemalige Madame Courté, bereits unter den Personen genannt, die aus dem Theater ausgeschieden seien. Courtée, Herr – Tänzer (Courte) s. Catharina Courtée* Crenzin, Anton Adolph von (* 1753 München, † nach 1799) – Schauspieler, Regisseur
und Bühnenautor (Krenzin, Crentz, Crentzin) Der Sohn eines kurbayerischen Artilleriehauptmanns ging nach dem Studium zum Theater. Nach seinem Debüt im Jahre 1774 spielte er 1776 bei der Reichardschen Truppe und 1777–1779 in Ansbach. Er gehörte 1781 zu der siebzehnköpfigen Truppe, die K. de Veri* für das Innsbrucker Theater zusammengestellt hatte (Simek, Berufstheater, S. 240 f.), 1785 ist er dort als Regisseur nachgewiesen. Es folgten u. a. Engagements in Linz (1787), Karlsruhe (1788) und Regensburg (1792). Seit 1774 erschienen zahlreiche Bühnenwerke, die er verfasst hatte.
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Curioni, Joseph (* Mailand) – Ballettmeister
C. war in erster Ehe mit der Tänzerin Maria Grassinger* († 1759) verheiratet, der Name seiner zweiten Ehefrau ist nicht bekannt. C. war zweiter Tänzer bei Locatelli in Prag, seit 1756 Ballettmeister bei F. Schuch d. Ä.*, von 1758–Jan.1761 und von Herbst 1761–1763 Ballettmeister bei K. E. Ackermann*. Anschließend war er bei der Gesellschaft von Johann Martin Lepper verpflichtet. Weitere Stationen waren 1767/68 die Hamburger Entreprise und 1769 das Rastatter Hoftheater. Hier wurde er vom Hofmedicus des Markgrafen von Baden von der Ruhr geheilt (Frank, Selbstbiographie, S. 62). 1773 kaufte er nach der Auflösung des Rastatter Hoftheaters die zum Theater und Ballett gehörige Garderobe für 400 Gulden (Schiedermair, Oper, S. 203). 1775 war er in Münster. C. verbrachte lt. TKR 1799, S. 143 den Lebensabend verarmt in Heidelberg, wobei er angeblich von seiner zweiten Frau, einer angesehenen Schauspielerin, die sich in Regensburg bei einem kath. Geistlichen aufgehalten haben soll, monatlich mit 8 Gulden unterstützt wurde. – Ein Josef Curioni (Coroniae) wurde am 30. April 1760 für zwei Jahre am Stuttgarter Hoftheater angenommen. Eine Schauspielerin namens Curioni soll 1782 Friedrich Schiller und dem Musiker Andreas Streicher bei ihrer Flucht aus Württemberg geholfen haben (ÖhmKühnle, Johann Andreas Streicher, S. 32). Curioni, Maria geb. Grassinger († 6.9.1759 Baden/Schweiz) – Tänzerin
Die erste Ehefrau von → Joseph Curioni* war von 1758 bis zu ihrem Tod Tänzerin in der Ackermannschen Gesellschaft. Cynnas, Frau geb. Wen(t)zig (* 1753) – Schauspielerin Die Tochter von Ludwig Wen(t)zig, Prinzipal der Markgräflich-Badenschen Komödianten, war mit N. Cynnas* verheiratet. Sie stammt aus einer Schauspielerfamilie. Nicht nur ihre Schwester Sophie Reine(c)ke (1745–1788), auch ihr Schwager Johann Friedrich Reine(c)ke (1747–1787) und ihr Neffe Georg Reine(c)ke waren beim Theater, ebenso zwei weitere Schwestern, Maria Anna Reuling und deren Ehemann, der Prinzipal Karl Ludwig Reuling, sowie Thekla (Therese?) Schopf und deren Ehemann, der Prinzipal Andreas Schopf d. Ä. C. spielte 1772/73 in Graz, 1775/76 bei Peter Florenz Ilgner in Rostock und 1776 für kurze Zeit am Hoftheater in Neustrelitz. Cynnas, Herr († 1778 in Neuwied) – Schauspieler, Leiter des Hoftheaters in Neustre-
litz s. Cynnas, Frau*
Defraine, Josepha d. J. s. Prottcke
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Dengel, Friedrich Wilhelm (* 28.12.1741 Dresden, † 1791) – Schauspieler D. war mit der aus Königsberg stammenden Schauspielerin Anna Maria Elisabeth Abrat (* 1757) verheiratet. Er debütierte 1770 bei der Neuhoffschen Gesellschaft in Riga. 1783/84 unterstützte er K. Großmann* bei der Leitung des Bonner Theaters. Anschließend war er bei F. L. Schröder* in Hamburg engagiert, wo er 1788 wegen Trunkenheit entlassen wurde. Er spielte bei G. W. Großmann* und später bei J. Bellomo*. Deppe Johann Franz (* 2. Hälfte d. 17. Jh. Ochsenfurt bei Würzburg, † nach 1757) – Hanswurst-Darsteller, Schausteller, Zahnarzt, Prinzipal (Teppi, Töppe, Döppe) D. war urspr. Marionettenspieler, der erstmals 1717 in Prag nachgewiesen ist. Er reiste als Schausteller zu diversen Messen und ließ sich später in Prag als Barbier, Zahnarzt und Operateur nieder. Seit 1740 wirkte er als Prinzipal. Er trat u. a. mit seinen Praagerischen Hochteutschen Comödianten im Dresdner Gewandhaus auf. Die letzte bekannte Vorstellung war 1756/57 mit einem dressierten Kamel in Prag. Die Identifizierung des in der HHS genannten Zahnarztes Teppi mit Johann Franz Deppe stammt von Benezé II, S. 179 f. Doebbelin, Carl Theophil (* 27.2.1727 Königsberg/Neumark, † 10.12.1793 Berlin) –
Schauspieler und Prinzipal (Döb(b)elin, Karl Gottlieb) D. war seit 1757 in erster Ehe mit der Schauspielerin Maximiliana Christiana geb. Schulz* und seit 1762 in zweiter Ehe mit Friederike geb. v. Klinglin* verheiratet. Seine Tochter Caroline Maximiliane*, die beiden Söhne Conrad Carl Casimir und Conrad Carl Theodor Ernst sowie die Ziehtochter Auguste wurden Schauspieler. Nach dem Besuch des Gymnasiums zum Grauen Kloster in Berlin und einem Jurastudium in Frankfurt/O. und Halle, das er wegen Teilnahme an studentischen Tumulten nicht abschließen konnte, war D. Mitglied in mehreren Gesellschaften von Wanderschauspielern, u. a. 1750 bei C. Neuber*, 1752 bei F. Schuch d. Ä*., 1754 und 1758–1766 bei K. E. Ackermann*, 1767 bei F. Schuch d. J. Dazwischen versuchte er wiederholt, eine eigene Truppe zu gründen, u. a. 1757 im Rheinland, 1767 in Preußen. Er erhielt 1774 in Leipzig wegen seiner Schulden eine Haftstrafe. Das von ihm 1775 gegründete Döbbelinsche Theater in der Behrensstraße in Berlin wurde nach der Schließung 1786 und dem Umzug in das französische Komödienhaus auf dem Gendarmenmarkt zum Königlichen Nationaltheater erhoben. Doebbelin, Caroline Maximiliane (* 19.3.1758 Köln, † 1818 Berlin) – Schauspielerin (Döb(b)elin) Die Tochter von → Carl Theophil* und → Maximiliane Christiane D.* hatte ihr Debüt 1762 als Kind bei K. E. Ackermann*. Seit 1775 spielte sie in Berlin in der Gesellschaft
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ihres Vaters. Am 13. Juli 1812 feierte sie ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum am Königlichen Nationaltheater in Berlin. Seit dem Tod ihres Vaters erhielt sie eine Pension und, solange sie als Schauspielerin agierte, eine Gage. Sie zog sich 1815 von der Bühne zurück und starb 1818 erblindet. Doebbelin, Friederike geb. v. Klinglin (* 5.3.1739/45 Brüssel oder Straßburg, † 10.4.1799 Redekin) – Schauspielerin (Döb(b)elin, Catharina Friderici, gen. Friederi(c)ke, Anna Catharina Friderici, Künstlername: Neuhoff ) Vermutlich war Friederike die Tochter des Straßburger königlichen Prätors FrançoisJoseph de Klinglin, der wegen seiner Finanzgeschäfte und angeblicher persönlicher Machenschaften 1752 bei Hof denunziert und wenig später hingerichtet wurde. Seine Tochter soll in einem Kloster aufgewachsen sein. Sie wurde später in der Familie des Prinzipals K. E. Ackermann* als Pflegekind aufgenommen und war seit 1761 Mitglied der Ackermannschen Truppe. Seit 1762 war sie in erster Ehe mit dem Witwer C .Th. Doebbelin* verheiratet. Nach der Geburt ihres zweiten Sohnes August trennte sie sich von ihrem Mann und heiratete Johann Friedrich von Alvensleben (1736–1819), den Vater des Kindes. Sie war die Großmutter des Schriftstellers Ludwig Karl Friedrich Wilhelm Gustav von Alvensleben (1800–1868), der 1836 vorübergehend das Meininger Hoftheater leitete. Nach einer Ausbildung in Schauspiel und Ballett fand die „Jungfer Friedericke“ 1761 als ungefähr 18-Jährige große Anerkennung für ihr Auftreten mit der Ackermannschen Gesellschaft in Straßburg. 1764 verließ sie Ackermann* und ging mit ihrem Ehemann zu F. Schuch d. J.*. Seit 1767 war sie in der Truppe ihres Mannes in Braunschweig, Magdeburg, Leipzig, Halle und Berlin aktiv. Nach der Trennung von Doebbelin beendete sie die Bühnenlaufbahn. Ausführlich berichtet Joseph Anton Christ, der 1773/74 der Doebbelinschen Truppe angehörte, über das Ehepaar Doebbelin. Für weitere Lit. s. HHS, Anm. 451. Doebbelin Maximiliane Christiane geb. Schulz (* um 1737, † 14.9.1759 Baden/Schweiz) – Schauspielerin (Döbbelin) Erste Ehefrau von → C. Th. Doebbelin*. Drouin, Frau – Schauspielerin Bei der in WHS erwähnten „Mademoisell Troeng“, die 1759/60 „die erste Actrize“ in Straßburg gewesen sein soll, könnte es sich um eine Tochter von Jacques Drouin und Michelle Sallé handeln (s. WHS, Anm. 140).
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Dunst, Johann (* 1756 Wien, † 21.1.1821 Wien) – Schauspieler und Regisseur D. war bei G. W. Großmann* in Mainz, anschließend bis 1784 bei K. Großmann* in Bonn engagiert. Seit 1789 war er als Schauspieler und später als Regisseur am Leopoldstädter Theater in Wien. Durazzo, Giacomo Pier Francesco (Jacob) Graf (* 27.4.1717 Genua, † 5.10.1794 Vene-
dig) – Diplomat, Theaterintendant und Kunstmäzen Der aus einer bedeutenden Adelsfamilie stammende Botschafter von Genua in Wien (1749–1752) war von 1754–1764 Direktor aller kaiserlichen Theater in Wien, bevor er kaiserlicher Botschafter in Venedig wurde. Zu seinen Verdiensten zählen die Reform der Oper und des Balletts und die Förderung des deutschen Theaters. Seit 1750 war er mit Ernestine Aloisia geb. Ungnad von Weissenwolff (1732–1794) verheiratet.
Ekhof, Georgine Sophie Karoline Auguste geb. Spiegelberg (* 1706, † 11.11.1790 Gotha) – Schauspielerin Die Tochter des Prinzipals Johannes Spiegelberg und der Schauspielerin Elisabeth Denner stammte aus einer bekannten Schauspielerfamilie. Ihre Eltern waren in der Gesellschaft des Johann Velten engagiert und hatten eigene Theatertruppen geleitet, in denen auch die Kinder auf der Bühne standen. 1739/40 spielte G. Spiegelberg bei J. F. Schönemann*. Seit 1746 war sie mit dem viele Jahre jüngeren → C. Ekhof* verheiratet und wechselte wie er zu F. Schuch d. Ä., H. G. Koch und K. E. Ackermann. 1765 trat sie aus gesundheitlichen Gründen (angebl. Verwirrtheit) von der Bühne ab und lebte seit 1775 in Weimar, zuletzt in Gotha. Ihr Geburtsjahr wird in GND mit 1706 verzeichnet, die Ekhof-Biographin Pietschmann gibt 1708 an, andere (z. B. Dobritzsch, Zauberbühne, S. 240) gehen von 1713 als Geburtsjahr aus (Weiteres s. WHS, Anm. 5). Ekhof, Hans Conrad Dietrich (* 12.8.1720 Hamburg, † 16.6.1778 Gotha) – Schauspieler und Theaterdirektor (Hans Konrad Dieterich Eckhof) Der Sohn des Schneiders und Stadtsoldaten Niklas Ekhof hatte die hamburgische Gelehrtenschule des Johanneums besucht und als Schreiber gearbeitet, bevor er sich 1739 gemeinsam mit S. Ch. Schröder* der neu gegründeten Schönemannschen Truppe anschloss. Später spielte er bei F. Schuch d. Ä. (1757), H. G. Koch und K. E. Ackermann (1764), 1767 am Hamburger Nationaltheater, 1771 in Weimar und seit 1774 in Gotha, wo er Mitdirektor des Hoftheaters wurde und eine Freimaurerloge gründete. Der seit 1746 mit G. Spiegelberg* verheiratete Akteur gilt als „Vater der deutschen Schauspielkunst“.
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Endemann, Anna Elisabeth s. Toscani Favier, Jean („Monsieur Jaen“) – Ballettmeister In einem Verzeichnis der Mitglieder der Dresdner Kapelle wird ein J. Favier 1756 als Balletmeister genannt. 1764 begab er sich von Dresden nach Stuttgart, ab 1768 wirkte er als Solist und Choreograph in Mailand, wo er mit Charles Le Picq Ballette zu Mozarts Ascanio in Alba schuf (Dahms, Revolutionär, S. 320). Hinweise, dass er der 1694 geborene Sohn des berühmten gleichnamigen Tänzers und Tanzlehrers am Hof Ludwigs XIV. war, der später Tanzlehrer unter Maria Leszczyńska und Erster Tänzer am Dresdner Hof war, sind aufgrund des Geburtsjahrs nicht überzeugend. Felser, Carl Johann Georg Friedrich (* um 1760 Ansbach) – Schauspieler Lt. TKR v. 1799 hatte F. sein Debüt 1778. 1783 wurde er von J. Bellomo* nach Dres-
den engagiert, später spielte er in Weimar. In seiner Korrespondenz zwischen 1786 und 1793 (s. WHS, Anm. 920) sind als weitere Aufenthaltsorte Sondershausen, Clausthal, Braunschweig und Amsterdam überliefert. Finsinger, Frau – Schauspielerin und Tänzerin
F. war von 1754–57 Mitglied der Ackermannschen Gesellschaft, wo ihr Ehemann* von 1754–Ende 1757 Ballettmeister und Tänzer war. Finsinger, Herr – Tänzer, Tanzlehrer und Ballettmeister 1754 wurde Finsinger bei K. E. Ackermann als Ballettmeister angenommen, später arbeitete er als Tanzlehrer in Frankfurt/M.,1765 war er für kurze Zeit Ballettmeister bei F. Schuch d. J. Fischer, Herr – Schauspieler Lt. HHS, S. [44] gehörte ein Herr Fischer neben einem Herrn Hildmeier*, L. Mecour*, Chr. F. Schulze* und C. Ulerici* 1750 zur Gesellschaft von Chr. Schulze* in Erlangen. Fleischmann, Frau s. Wolfram Flittner, Friederike s. Bethmann-Unzelmann Flittner, Karoline Sophie Auguste geb. Hartmann s. Großmann
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Frankenberg, Franz (* 25.7.1759/60 Mattighofen/Salzburg, † 9./10.9.1789 Berlin) – Sänger und Schauspieler Der Sohn eines Beamten war Sängerknabe in Salzburg und hat Philosophie und Theologie studiert, bevor er zum Theater ging. Er spielte von 1779–1784 in Wien und Prag, 1784/85 bei J. Bellomo* in Weimar, 1785–1788 in Frankfurt/M. und Mainz und war von 1788 bis zu seinem Tod am Königlichen Nationaltheater in Berlin engagiert. Seit 1779 war er mit der Sängerin Marianne Weiß (Castelli)* verheiratet. Frankenberg, Marianne geb. Weiß (* 1749 Wien, † 21.4.1811 Wien) – Schauspielerin und Sängerin (Castelli) Die Ehefrau von F. Frankenberg* war von 1771–1776 Mitglied der italienischen Oper in Wien. Von 1779–1783 war sie erneut am Burgtheater in Wien engagiert. 1783 reiste sie mit ihrem Mann nach Prag und anschließend nach Weimar. Sie musste ihre Schauspielerinnentätigkeit in Weimar aus gesundheitlichen Gründen nach kurzer Zeit aufgeben, konnte ihren Mann nicht nach Frankfurt/M. und Mainz begleiten, pflegte ihn aber in Berlin. In einer anonym erschienenen Biographie ihres Mannes (Leben und Charakter Frankenbergs nebst einem Gedicht und einer gehaltenen Rede, Berlin 1789, S. 11) heißt es, seine Frau sei eine „Waise aus dem Hause Castelli“. Es ist unklar, ob sie den Namen Weiß angenommen hatte oder ob eine Verwechslung vorliegt. Von den fünf Kindern aus der Ehe lebte 1789 nur noch eine Tochter. Garbrecht, Friedrich und Frau – Schauspielerehepaar
Das Schauspielerehepaar Garbrecht wechselte 1753 von Diedrich in Danzig zu Hilverding in St. Petersburg und war anschließend bei F. Schuch d. Ä.* und ab 1756 bei K. E. Ackermann* engagiert. Danach spielten sie 1763 am Hoftheater in Hildburghausen, 1767 für einige Monate bei der Hamburger Entreprise, anschließend bei C. Th. Doebbelin* und danach 1769 bei A. Seyler* in Hannover. Gensicke, Charlotte Marie Friederike geb. Krüger (* 1758 Halle/S., † 1796 Pest) – Schau-
spielerin (Karoline Friederike Genseke) Die mit D. F. Gensicke* verheiratete Schauspielerin hatte ihr Debüt 1777 in Erfurt und trat bis 1784 gemeinsam mit ihrem Mann auf. Danach hatte sie Engagements in Mannheim, Berlin, Hamburg und 1793 in Frankfurt/M. In zweiter Ehe war sie mit einem Arzt namens Hirsch verheiratet.
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Gensicke, David Friedrich (* 1750 Altona, † 20.3.1784 Bonn) – Schauspieler, Sänger, Theaterdirektor und Bühnenautor (Gensike, Genseke, Pseud. Dorville) Der Sohn eines Predigers studierte in Halle, bevor er zum Theater ging und in Erfurt unter dem Pseudonym Dorville eine Gesellschaft errichtete. Nach deren Scheitern spielte er mit seiner Frau in Gotha, 1778 in Berlin, 1779 in Bonn, 1781 in Münster und in Prag, bevor er 1782 erneut eine Gesellschaft gründete, die 1783 am Kärtnertortheater in Wien auftrat. Er war mit der Schauspielerin Charlotte Marie Friederike Gensicke geb. Krüger* verheiratet, die er lt. TKR 1784 aus Halle entführt haben soll. Gerschlin, Carolina Sophia – Schauspielerin
G. war mit Chr. F. Schulze* verheiratet. Die gemeinsame Tochter Anna Theresia wurde 1762 in Linz geboren. Giraneck, Franziska Romana (* 1748 Dresden, † 1796 Dresden) – Sängerin, Tänzerin,
Schauspielerin (Gieraneck, Giwraneck, Giraneck bzw. Jiránek) Die Tochter des Violinisten Anton Gieraneck war seit 1765 bei H. G. Koch* als Tänzerin engagiert. Seit 1766 war sie mit dem Ballettmeister F. K. Koch* verheiratet. Mit ihm ging sie 1771 an das Hoftheater in Weimar und 1775 an das Hoftheater Gotha, wo sie ins Opernfach wechselte. Von 1777–1787 stand sie mit ihrem Mann bei Pasquale Bondini in Leipzig unter Vertrag. Dort war auch ihre Schwester Karoline Krüger engagiert. K. starb 1796 in Dresden an Auszehrung. Ihre Töchter Friederike Koch-Krickeberg (* 1770), Sophie (* 1781) und Marianne (* 1783) wurden Schauspielerinnen. Grassinger, Maria s. Curioni Großmann, Christiane Sophia Henrietta s. Brandt Großmann, Gustav Friedrich Wilhelm (* 30.11.1743 Berlin, † 20.5.1796 Hannover) – Schauspieler, Bühnendichter und Prinzipal Der Sohn des Berliner Schreib- und Rechenmeisters Johann Gottlob Großmann arbeitete in Berlin und war Sekretär beim preußischen Residenten in Danzig, bevor er unter großen Schwierigkeiten nach Berlin zurückkehrte, eine Gefängnisstrafe verbüßte, mit Literaten Kontakt aufnahm und sich als Theaterschriftsteller versuchte. 1774 begann er in Gotha bei A. Seyler* als Schauspieler zu arbeiten. Von 1778–1784 leitete er zunächst zusammen mit J. F. Helmuth* das Kurfürstlich kölnische Hoftheater in Bonn, das ab 1783 von seiner ersten Frau Karoline Großmann* geleitet wurde, weil er die Intendanz in Frankfurt/M. und Mainz übernommen hatte. Seine Zeit als Theaterdirektor an Rhein
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und Main endete 1787 nach einem Streit mit dem Prinzipal Christian Wilhelm Klos, mit dem er sich 1786 zusammengetan hatte; dies führte zu einem kostspieligen Prozess vor dem Reichshofrat. Großmann baute sich in Hannover und Umgebung, seit 1792 auch in Bremen, eine neue Existenz auf, wurde aber wegen seiner revolutionsfreundlichen Einstellung verfolgt, verhaftet und verurteilt und erhielt Berufsverbot. Nach seinem Tod führte seine Witwe Victoria G. geb. Schroth die Gesellschaft ihres Mannes unter dem Namen Großmanns Erben weiter. Die Versteigerung des Hausrates wenige Monate nach dem Tod ihres Mannes zeigt, dass die Familie vor dem finanziellen Ruin durchaus vermögend gewesen war. Großmann, Karoline Sophie Auguste geb. Hartmann verw. Flittner (* 25.12.1752 Gotha, † 29.3.1784 Bonn) – Schauspielerin, Theaterleiterin Die Tochter des Ober-Polizei- und Steuerkommissars Hartmann, die bei einem Onkel in Dresden aufgewachsen war, wurde im Alter von 13 Jahren mit dem Registrator Jakob Flittner verheiratet. Als Witwe und Mutter von zwei Kindern ernährte sie im Alter von 17 Jahren die Familie mit Putz- und Modearbeiten. 1774 heiratete sie Gustav Friedrich Wilhelm Großmann*. Ihre beiden Schwestern Christiane Sophia Henrietta Brandt* und Christine Hartmann waren Schauspielerinnen. K. G. debütierte 1780 in Frankfurt/M., leitete 1783 das Bonner Theater in Stellvertretung für ihren Mann und schrieb bzw. bearbeitete Bühnenstücke. Sie starb 1784 einige Monate nach der Geburt ihres zehnten Kindes im Alter von 31 Jahren. Obwohl sie Protestantin war, erhielt sie ein feierliches Begräbnis auf dem katholischen Friedhof bei der St. Remigius-Kirche in Bonn. Haacke, Johann Caspar (* um 1670 Dresden, † Mai/Juni 1722) – Schauspieler und Prinzipal (Hake, Hacke, Haack) H. war ursprünglich Barbier in Dresden. 1694 kam er zur Truppe um Andreas Elenson († nach 1706), die nach dessen Tod von dessen Sohn Julius Franz Elenson (1680– 1708) geleitet wurde. 1711 heiratete H. die Witwe von Julius Franz Elenson, Sophie Julie, und leitete die Elensonsche Gesellschaft, die Anfang des 18. Jahrhunderts das hochfürstlich-mecklenburgische Privileg und 1714 das kursächsisch-polnische Privileg innehatte. Damit war eine umfassende Spielerlaubnis für die Leipziger Messe verbunden. Das Privileg ging nach seinem Tod an seine Witwe über, die die Gesellschaft von 1723–1725 leitete. Hahn, Frau – Schauspielerin
H. spielte 1785 in J. Bellomos Gesellschaft in Weimar. Möglicherweise handelt es sich um jene Schauspielerin Hahn, die 1778 mit ihrem Mann am herzoglichen Hoftheater
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in Neustrelitz engagiert war (LTB 1778, S. 186) und die 1779 mit ihrem Mann in Hannover bei Joseph Nouseul spielte (LTB 1779, S. 735). Haller, Josepha s. Scholtz Hart, Anna Christina s. Schröder Hartmann, Christiane Sophia Henrietta s. Brandt Helmuth, Johann Friedrich, d. Ä. (* 1744/45, † 24.7.1785 Schwedt) – Sänger, Schauspieler,
Komponist und Prinzipal (Hellmuth) Die Brüder Johann Friedrich, Carl Christian (* 1751) und Johann Georg Gottlob* (* 1754), die alle drei als Schauspieler bei A. Seyler* engagiert waren, wurden in der Lit. häufig verwechselt, doch sind die biogr. Daten inzwischen u. a. von Jürgen Neubacher und in der WeGA geklärt. Johann Friedrich H. war seit 1770 mit der Schauspielerin und Sängerin Maria Franziska Wolff verheiratet. Die Tochter Marianne (1772–1851), spätere Madame Müller, war eine bekannte Schauspielerin und Sängerin. H. begann seine Theaterlaufbahn 1766/67 bei K. E. Ackermann*. Nach Engagements bei J. J. F. Kurz* und Franz Joseph Sebastiani von 1768 bis 1776 spielte er mit seiner Frau bei der Seylerschen Gesellschaft, anschließend war er Mitglied des Bonner Hoftheaters, wo er bis 1781 gemeinsam mit G. W. Großmann* die Direktion hatte. Ab 1785 hatte die Familie ein festes Engagement am Hoftheater in Schwedt. Helmuth, Johann Georg Gottlob (* 4.11.1754 Braunschweig) – Schauspieler Bevor Johann Georg Gottlieb zu seinem Bruder Johann Friedrich H. nach Bonn kam, war er bei A. Seyler* und bei Schröder* in Hamburg engagiert. Er ist 1782/83 in Riga und 1788/89 in Mainz und Frankfurt/M. nachweisbar. Hensel, Friederike Sophie geb. Spa(a)rmann (* 23.5.1738 Dresden, † 22.11.1789 Schleswig) – Schauspielerin, Bühnenautorin (Sophie Friederike Spa(a)rmann; Seyler) Sophie Spa(a)rmann, die Tochter des Dresdner Arztes Johann Wilhelm Spa(ar)mann und der Luise Catharina Pöppelmann, deren Ehe ca. 1749 getrennt wurde, wuchs bei einem Onkel auf, floh 1754 zum Theater und heiratete 1755 den Schauspieler J. G. Hensel*, von dem sie sich später trennte und scheiden ließ. Sie spielte u. a. bei J. Chr. Kirsch*, F. Schuch* und K. E. Ackermann*. In Hamburg lernte sie ihren späteren zweiten Ehemann A. Seyler* kennen, in dessen Gesellschaft sie viele Jahre auftrat, unterbrochen durch Engagements in Wien und Hamburg (1785–1787). Zuletzt war sie bei dem von A. Seyler geleiteten Schleswiger Hoftheater.
1032 | Anhang
Lessing zählt sie zu den besten Schauspielerinnen des deutschen Theaters. Hensel, Johann Gottlieb (*1728 Hubertusburg, †1787 Freiburg/Br.) – Schauspieler Nach der Trennung von seiner Frau Sophie Friederike Hensel* spielte H. u. a. bei K. E. Ackermann*, A. Seyler*, C. Th. Doebbelin*, Karl August Dobler und Joseph Voltolini. Die meisten biografischen Einträge über ihn halten es für bemerkenswert, dass er als Protestant 1787 in Freiburg/Br. eine prachtvolle Beerdigung in Begleitung eines katholischen Geistlichen erhielt. Herrlitz, Johann Christoph (* 1748? Schwerin, † 1776 bei St. Helena) – Schauspieler,
Tänzer (Herlitz) Der bei C. Ekhof* ausgebildete H. spielte unter anderm bei H. G. Koch* in Berlin und Leipzig (bis 1773), bei Ilgner in Erfurt und Zwickau, bei Dobler in Münster und bei Karl Friedrich Abt in Holland. Lt. TBMS verließ er die Abtische Gesellschaft 1776 und heuerte als Soldat auf einem ostindischen Schiff an. Er soll 1776 bei St. Helena gestorben sein. Heydenschild, Barbara Christine s. Kirchhof(f )
Hildmeier, Herr – Schauspieler Lt. HHS, S. [44] gehörte ein Herr Hildmeier neben einem Herrn Fischer, L. Mecour*,
Chr. F. Schulze* und C. Ulerici* 1750 zur Gesellschaft von Christian Schulze* in Erlangen. Hilverding, Maria Margaretha s. Prehauser Hoffmann, Klara (†1776) – Souffleuse H. war bei der Ackermannschen Gesellschaft angestellt.
Horschelt, Franz (* 1760 Köln, † 1828 München) – Schauspieler, Tänzer, Ballettmeister Von 1782–1784 war H. als Ballettmeister in Linz engagiert. Danach war er Ballettmeister bei Prinzipal Simon Friedrich Koberwein (1733–1808), dessen Tochter Katharina er 1791 heiratete. Mit ihr ging er 1796 nach Krakau, wo er die Direktion übernahm. Der Sohn Friedrich war Tänzer, Ballettmeister und Choreograph, die Schwestern Caroline und Barbara Tänzerinnen.
Kurzbiographien | 1033
Hübler, Karoline Elisabeth (* 1.1.1731/33 St. Petersburg, † 1796 Riga?) – Schauspielerin Die Tochter der Schauspielerin W. Steinbrecher geb. Spiegelberg* und des Harlekins Steinbrecher und Nichte von C. Ekhof* kam 1745 mit ihren Eltern von Dresden nach Leipzig zu C. Neuber*. Die Familie wechselte ein Jahr später zu Diedrich nach Danzig und ging von dort nach Russland, wo sich die Eltern trennten. Mutter und Tochter waren seit 1752 bei H. G. Koch*, J. F. Schönemann* und C. Th. Doebbelin* engagiert. 1772 heiratete sie bei H. G. Koch* in Leipzig den Sänger N. Hübler, mit dem sie nach Riga ging. Hufnag(e)l, Marianne s. Simoni Iffland, August Wilhelm (* 19.4.1759 Hannover, † 22.9.1814 Berlin) – Schauspieler,
Theaterdirektor, Dramatiker Der Sohn einer wohlhabenden Beamtenfamilie brach im Alter von 17 Jahren mit seiner Familie, die wollte, dass er Theologie studierte, und floh nach Gotha, wo er 1777 Mitglied des Hoftheaters wurde. Nach dessen Auflösung etablierte er sich in Mannheim als Schauspieler und Bühnenautor. 1796 wurde er Direktor des Nationaltheaters in Berlin, 1811 Generaldirektor der Berliner Königlichen Schauspiele. 1798 verfasste er in Berlin seine Autobiographie. Jüttner, Herr († 1784 in Mergentheim) – Schauspieler
J. war von 1783–1784 bei K. Großmann* in Bonn. Lt. TKR 1793 war er später Mitglied der Thimmschen Gesellschaft. Keller, Herr s. Köhler
Kirchhöfer, Johann Georg (* um 1735, † 13.1.1804 Mannheim) – Schauspieler und Theater-Dekorateur Nach Engagements u. a. bei G. F. Kirchhof(f )*, H. G. Koch* und A. Seyler* in Weimar und Frankfurt/M. war K. am Hoftheater in Mannheim verpflichtet, wo 1797 sein 50-jähriges Bühnenjubiläum gefeiert wurde (Hamburger Nationaltheater (Hg.), 150 Jahre, S. 7). 1782 hatte er bei der Uraufführung von Friedrich Schiller, Die Räuber in Mannheim den Alten Moor gespielt. 1795 hatte Karoline Jagemann für ein halbes Jahr bei dem Ehepaar Kirchhöfer gewohnt (Emde, Jagemann, Bd. 2, S. 288).
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Kirchhof(f), Barbara Christine geb. Heydenschild (* 1734 Ottensen) – Schauspielerin (Stor(r)beck, Storrbäck) Die Tochter eines schwedischen Offiziers aus Livland war seit 1754 mit dem Schauspieler G. F. Kirchhof(f ) verheiratet, mit dem sie u. a. 1759 in Mitau und 1760 in Wien auftrat. Nach seinem Tod ging sie nach St. Petersburg, wo sie 1764 den Schauspieler und Schriftsteller Sauerweid heiratete, mit dem sie bis 1775 in Riga engagiert war. Nach der Scheidung 1776 lebte sie mit ihrem dritten Ehemann, dem Schauspieler und Prinzipal Johann Friedrich Stor(r)beck (1746–nach 1794), zeitweilig in Münster. Sie trat 1778 in Münster auf. Sie soll dort später in ärmlichen Verhältnissen gelebt haben. Kirchhof(f), Gustav Friedrich (* 13.6.1723 Halle/S., † 1764 Frankfurt/M.) – Schauspieler und Prinzipal Der Sohn eines Organisten war bei J. F. Schönemann* (1746) und F. Schuch d. Ä.* (1757) verpflichtet, bevor er sich 1758 in Altona selbstständig machte. 1759 ging er mit seiner zweiten Frau B. Heydenschild* nach Mitau, anschließend spielte er 1760 in Prag und 1761 bei Stephanie in Wien. Es folgten Engagements bei K. E. Ackermann*, F. Schuch* und Gottfried Köppe. Kirsch, Frau – Schauspielerin Die Ehefrau von → J. Chr. Kirsch* war lt. HHS eine Schülerin von → C. Neuber*. Kirsch, Johann Christoph (* um 1710, † nach 1761) – Schauspieler und Prinzipal K. trat Ende Dez. 1741 mit seiner Gesellschaft erstmals in Dresden auf und erhielt am 5. Dez. 1750 das Prädikat eines Hofkömodianten, das ihm 1761 wegen seines angeblich politisch zweifelhaften Verhaltens während der preußischen Besatzungszeit entzogen wurde. Sophie Friederike Spa(a)rmann, spätere Hensel* bzw. Seyler hatte ihr Theaterdebüt in seiner Gesellschaft. Klefelder, Katharina Magdalena s. Brückner Klinglin, Friederike von s. Doebbelin Koch, Christiane Henriette geb. Merleck (* 1731 Leipzig, † 11. 4. 1804 Berlin) – Schau-
spielerin und Theaterleiterin Die Ehefrau von H. G. Koch* wirkte an seiner Seite zunächst in Soubrettenrollen, später im Lustspiel und im tragischen Fach. Sie führte nach dem Tod ihres Mannes bis April 1775 die Direktionsgeschäfte weiter und verkaufte Theater und Inventar anschließend gegen Jahresrente an C. Th. Doebbelin.
Kurzbiographien | 1035
Koch, Franziska Romana s. Giraneck Koch, Friedrich Karl (* 1738 Kosanken in Westpreußen, † 19.2.1794 Charlottenburg/ Berlin) – Schauspieler, Tänzer, Ballettmeister Der Bruder von Ch. E. Brandes* ging nach dem Abruch seines Jurastudiums in Königsberg zum Theater. Von 1756–1763 war er Mitglied der Ackermannschen* Gesellschaft. Ab 1763 war er bei F. Schuch d. Ä.*, später bei F. Schuch d. J., H. G. Koch* und A. Seyler* verpflichtet. Weitere Engagements folgten 1771 in Weimar, 1774 in Gotha, 1777 mit seiner Frau F. R. Giraneck* bei Pasquale Bondini und 1783 bei Karl Wahr. 1787 wurde er Kastellan am Königlichen Nationaltheater in Berlin. Koch, Heinrich Gottfried (* 9.1.1705 Gera, † 3.1.1775 Berlin) – Schauspieler, Bühnen-
autor, Übersetzer, Dekorationsmaler und Theaterprinzipal Der Sohn eines Kaufmanns studierte in Leipzig Jura und ging zum Militär, bevor er 1728 Mitglied der Neuberschen Truppe wurde und u. a. in Wien und Göttingen spielte. Nach seiner Rückkehr nach Leipzig, wo er 1749 eine eigene Gesellschaft gegründet hatte, erhielt er die Ernennung zum „Hof-Comödianten“ mit kursächsischem Privileg. Seine Truppe wurde 1756 infolge des Kriegsausbruchs aufgelöst. Weitere Stationen waren u. a. Lübeck, Hamburg, Leipzig und Weimar. Von 1771 bis zu seinem Tode im Jahr 1775 war er Direktor der „Kochischen Gesellschaft Deutscher Schauspieler“ in Berlin. Sein Nachfolger war C. T. Doebbelin*. K. war in erster Ehe mit einer Schauspielerin aus der Neuberschen Truppe (Maria Buchner, † 1741?) und in zweiter Ehe mit Christiane Henriette Merleck* verheiratet. Zu seiner Leipziger Zeit s. Corinna Kirschstein: Koch, Heinrich Gottfried (http://www.isgv.de/saebi/, Zugriff am10.11.2019). Köhler, Demoiselle (* 1736) – Schauspielerin (Madame Schuch)
Die Tochter des bei F. Schuch d. Ä.* engagierten Schauspielers N. Köhler war die Maitresse von Franz Schuch d. Ä.*, der von seiner katholischen Frau M. B. Rademin* getrennt lebte. Demoiselle Köhler wurde nach dem Tod von Chr. S. Schleißner* (1755) als Schuchs zweite Ehefrau („Madame Schuch“) angesehen. Das Paar hatte eine gemeinsame Tochter (s. HHS, Anm. 236). Lt. TKR von 1796 und 1800 heiratete sie nach Schuchs Tod den preußischen Hauptmann von Stutterheim und lebte auf dessen Rittergut in Schlesien. Eine ausführliche Würdigung ihrer schauspielerischen Leistung ist 1758 anonym in Danzig erschienen (Critische Nachricht von der Schuchischen Schauspielergesellschaft, Nach denen in der letzteren Hälfte des Jahres zu Danzig vorgestellten Schauspielen).
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Köhler, Herr – Tänzer und Tanzmeister (Keller?) Lt. HHS ist K. ein Tänzer, den Karoline Schulze in Erlangen kennengelernt hat. 1756 traf sie ihn als Tanzmeister in Mainz. Vermutlich meint sie den Ballettmeister Keller (s. HHS Anm. 316). Kunst, Christian Friedrich Karl (* 1756 Berlin, † 1811 Hamburg) – Schauspieler Nach seinem Debüt 1779 in Berlin spielte K. dort bis 1782, danach ging er nach Hamburg. Er war 1783 bei G. F. Großmann*, vom 5. Okt. 1784–Ostern 1785 bei J. Bellomo* und von 1785–1787 bei F. L. Schröder* in Hamburg engagiert. K. verließ das Theater 1794 und ließ sich als Kaufmann in Schleswig nieder (TKR 1799). Kurz, Johann Joseph Felix (von), gen. Bernardon (* 22.2.1717 Wien, † 2.2.1784 Wien) –
Schauspieler und Prinzipal, Besitzer einer Papiermühle in Warschau K. war in erster Ehe seit 1743 mit der Schauspielerin Franziska Toscani († 1755) verheiratet, seine zweite Ehefrau war seit 1758 die Schauspielerin Theresina Morelli, von der er sich 1768 vorübergehend trennte. Er entwickelte die Figur des Bernardon in Wien zwischen 1737 und 1740 zu einer stehenden Rolle und trat in sog. Bernardoniaden auf. 1753 verließ er Wien wegen des Verbots des extemporierten Theaters und spielte zunächst im Militärlager bei Kolin, dann in Prag, danach u. a. in Preßburg, Nürnberg und München, wo er 1765 das Residenztheater leitete. 1768 war Madame Kurz (Theresina Morelli) für kurze Zeit Prinzipalin einer eigenen Truppe, ab 1769 waren beide wieder gemeinsam in Wien, anschließend in Breslau, Danzig und Warschau. Zwischen 1772 und 1781 war K. Prinzipal und Besitzer einer Papiermühle. Le Bœuf, Jean-Joseph (* um 1730, † 1799) – Schauspieler und Dramatiker Le Bœuf stiftete 1764 zusammen mit anderen französischen Schauspielern mit Erlaubnis des Herzogs von Braunschweig die französische Loge St. Charles de l’indissoluble fraternité und war deren Großmeister bis 1767; 1768 arbeitete er als Schauspieler in Braunschweig (s. HHS, Anm. 961). Leo, Georg Ludwig (* Gotha?) – Schauspieler
Ein Herr Leo wird 1781 als Mitglied des von de Veri* geleiteten Theaters in Innsbruck erwähnt. Möglicherweise handelt es sich um den in Gotha geborenen Schauspieler Georg Ludwig Leo, der laut TKR 1792 und 1794 nach der Auflösung des Gothaer Hoftheaters als Privatier lebte. Ein Friedrich Leo (* 1748 in Hof im Vogtland) wird im TKR 1799 unter den noch aktiven Schauspielern aufgeführt.
Kurzbiographien | 1037
Leonhard(t), Samuel Friedrich (* 1761 Dresden) – Schauspieler Von Jan. bis Ostern 1784 war das Ehepaar L. Mitglied der Gesellschaft von J. Bellomo*, im Sept. 1784 ist L. im Mannheimer Hoftheater nachweisbar. Im TKR 1799 wird er unter den noch aktiven Schauspielern aufgeführt. Die gemeinsame Tochter Amalie war Schauspielerin und gehörte seit 1802 der Gesellschaft Wilhelm Vogels an, der Schwiegersohn war Opernsänger in Wien. Locatelli, Giovanni Battista (* 7.1.1713 Mailand?, † nach 1790?) – Impresario, Librettist (Johann Baptist) L. war seit 1743 Mitglied der Mingottischen Operngesellschaft in Graz und Prag. 1744 heiratete er Giovanna della Stella, ebenfalls Mitglied dieser Gesellschaft, die 1745 Hofsängerin in Köln wurde. 1748 gründete er eine eigene Gesellschaft und mietete 1748–1757 das Prager Kotzentheater. Zu seinen wichtigsten Stationen gehörten Prag (Kotzentheater), Dresden (Hofoper, gemeinsam mit N. Leppert am Brühlschen Theater), Leipzig (Frühjahrs- und Herbstmesse), Hamburg, St. Petersburg und Moskau. In Prag ließ er unter Leitung von J. J. F. Kurz* und Chr. Schulze* deutsche Schauspiele aufführen. Lo Presti, Rocco (Rochus) Baron de (* 1703 Palermo, † 15.8.1784 Wien) – Theaterunternehmer in Wien, Offizier und Impresario L. erhielt 1747 als Nachfolger von J. C. Selliers* das Ball- und Opernprivileg des Wiener Burgtheaters mit der Verpflichtung, umfangreiche Umbau- und Renovierungsarbeiten im Theater durchführen zu lassen und hervorragende Künstler zu engagieren. Er übernahm im April 1751 die Leitung des Kärntnertortheaters. Hoch verschuldet ging er zum Ende der Spielzeit 1751/52 von beiden Theatern ab. Löwe, Johann Karl (* 1730 Dresden, † 1807 Lübeck) – Schauspieler L. war von 1747–1758 bei J. Chr. Kirsch* verpflichtet. Später spielte er bei F. Schuch d. Ä.*, J. J. F. Kurz* und Moretti, wo er 1762 Katharina Magdalena Ling* heiratete. Mit ihr war er 1763/1764 bei K. E. Ackermann*. 1773–1784 stand die Familie am Hoftheater in Schwedt unter Vertrag, von 1784–1787 war sie am Königlichen Nationaltheater in Berlin engagiert. Es folgten Auftritte bei G. W. Großmann* in Hannover und Hildesheim, Karl Heinrich Butenop und Christian Wilhelm Klos in Altona sowie bei Johann Carl Tilly u. a. in Braunschweig und Lübeck. Löwe, Katharina Magdalena geb. Ling (* um 1746 Dresden, † 1807?) – Schauspielerin
Die Ehefrau von → J. K. Löwe* war mit ihrem Ehemann an verschiedenen Theatern verpflichtet. Ihre Kinder Louise Wilhelmine, Heinrich Christian Friedrich August,
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Friedrich August Leopold (* 1777) und Dorothea Friederike Louise Amalie (* 1779) waren Schauspieler und spielten von Kind an in den Gesellschaften, in denen die Eltern engagiert waren. Löwen, Elisabeth Lucia Dorothea geb. Schönemann (* 10.11.1732 Lüneburg, † 6.9.1783 Rostock) – Schauspielerin Die Tochter des Prinzipals J. F. Schönemann* war seit 1757 mit J. F. Löwen* verheiratet. Von 1749–57 spielte sie bei der Schönemannschen Gesellschaft und nach zehnjähriger Pause 1767/68 in Hamburg. Löwen, Johann Friedrich (* 13.9.1727 Clausthal, † 23.12.1771 Rostock) – Theaterdirektor, Bühnenautor Der Sohn eines Bergmanns studierte nach dem Besuch des Braunschweiger Collegium Carolinum Philologie in Helmstedt und Göttingen. Er brach sein Studium 1749 ohne Abschluss ab und wirkte seit 1751 in Hamburg u. a. als Herausgeber von Zeitschriften und als Theaterkritiker. Nach der Eheschließung 1757 mit D. Schönemann* hatte er eine leitende Funktion in der Schönemannschen Theatertruppe. Außerdem war er Privatsekretär des Prinzen Ludwig von Mecklenburg-Schwerin in Schwerin. Nach der Rückkehr nach Hamburg 1766 wurde er Protagonist und 1767–1769 Direktor der Hamburger Entreprise, später war er Registrator in Rostock. Maraskelli, Madame – Schauspielerin und Tänzerin M. wurde 1783 von D. Borchers* in Linz für Nebenrollen und als zweite Tänzerin engagiert und blieb dort bis 1785. Marchand, Magdalena geb. Brochard (1749–1794) – Schauspielerin und Tänzerin
Die Stieftochter des Prinzipals Franz Joseph Sebastiani war mit Theobald Marchand (1741–1800) verheiratet, der 1777 zum Direktor des Mannheimer Theaters ernannt worden war und 1778 mit einem Großteil seiner Truppe Kurfürst Karl Theodor nach München folgte, wo er bis 1793 das Hof- und Nationaltheater leitete. Das Ehepaar hatte vier Kinder, darunter Margarethe Danzi-Marchand (1768–1800), die wie ihr Bruder Heinrich von 1782–1784 Leopold Mozart zur Erziehung und Ausbildung anvertraut war. Magdalena Marchand wirkte in allen Theatersparten (Sprechtheater, Operette, Ballett) mit; Kammerlander, Margarethe Danzi-Marchand, S. 268 f. Mayberg, Johann Wilhelm (* 1714?, † 17.10.1761 Wien) – Schauspieler und Bühnenautor
M. war seit 1743 als Schauspieler bei J. J. F. Kurz* in Wien und schrieb zahlreiche Theaterstücke für seinen Prinzipal.
Kurzbiographien | 1039
Mayer (Meyer), Herr – Prinzipal In HHS wird ein Prinzipal dieses Namens erwähnt, der 1752 in Luxemburg war. Mecour, Louis († 21. 5. 1777 Regensburg) – Tänzer, Ballettmeister und Sprachlehrer M. war mit französischen Schauspielern und Sängern an den Hof Friedrichs III. von
Brandenburg-Bayreuth gekommen. Er ging 1742 nach München, war ab 1748 als Ballettmeister in Regensburg, 1750 in der Gesellschaft von Chr. Schulze* in Erlangen, 1752 in Wien und 1754 bei H. G. Koch* in Leipzig verpflichtet. 1757 war er gemeinsam mit seiner Frau S. Mecour* in Weimar und 1763 nach der Trennung von ihr bei Schuch d. J. in Breslau engagiert. Von 1774 bis zu seinem Tod 1777 war er erneut in Regensburg. Dort soll er seinen Lebensunterhalt als Tanz- und Französischlehrer verdient haben. Mecour, Susanne geb. Preissler (* 1738 Frankfurt/M., † 18. 2. 1784 Berlin) – Schau-
spielerin Die Ehefrau von → Louis Mecour* hatte ihr Debüt bei Schuch d. Ä.* in Potsdam. Nach einer kurzen Zeit, in der sie mit ihrem Mann engagiert war, trennte sie sich von ihm. Sie spielte u. a. in München, Wien, Prag, Frankfurt/M., Hamburg, Hannover, Braunschweig, Weimar, Gotha, Leipzig und Dresden. Seit 1778 war sie bei C. Th. Doebbelin* in Berlin. Dort wurde sie am 22. Febr. 1784 auf dem Friedhof der katholischen Hedwigskirchengemeinde in Oranienburg beerdigt. Menninger, Johann Matthias (* um 1733 Komarn/Ungarn, † 15.1.1793 Wien) – Schau-
spieler, Hanswurst, Prinzipal M. war seit den 1750er-Jahren bei Johann Schulz* (Kurbayerische Komödianten) engagiert, der seit 1760/61 während der Saison in Baden bei Wien spielte. Er heiratete 1766 dessen Witwe, die Prinzipalin Josepha Schulz*, und leitete mit ihr die Baadnerische Gesellschaft deutscher Schauspieler, die in Baden, Brünn, Preßburg, Graz und Olmütz und seit 1767 wiederholt in Wien auftrat. Später war das Ehepaar Menninger am Leopoldstädter Theater beteiligt. Nach dem Tod seiner Frau im Jahr 1786 zog M. sich von der Bühne zurück. Menninger, Josepha s. Schulz Merleck, Christiane Henriette s. Koch Metzner, Sigismund (* 1750 Dresden) – Schauspieler
M. war seit 1777 bei verschiedenen Wandertruppen engagiert. 1784 trat er in der Gesellschaft von Joseph Bellomo* in Eisenach auf, danach in Weimar (bis 1791). Weitere
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Spielorte waren Hamburg (1792), Salzburg (1801) und vermutlich Stuttgart (1796– 1816). Meyer, Christine Henriette – Souffleuse und Rollenkopistin
Die Ehefrau von Wilhelm Christian Dietrich Meyer* arbeitete in Gotha als Souffleuse und erhielt nach dem Wechsel nach Mannheim die Funktion einer Hilfssouffleuse und Rollenkopistin. Sie war später am Mannheimer Hoftheater als Garderobiere beschäftigt. Meyer, Wilhelm Christian Dietrich (1749–1783) – Schauspieler und Regisseur M. debütierte 1769 bei A. Seyler*. Er trat seit 1774 am Hoftheater Gotha auf und war seit 1779 Schauspieler und von 1781–1783 Regisseur am Hoftheater Mannheim. Er war verheiratet mit Christine Henriette Meyer*. Mézières, Mademoiselle – Schauspielerin Lt. HHS und WHS war sie 1768 Mitglied der Comédie française in Braunschweig; s. HHS, Anm. 960. Michaud, N. – Schauspieler (Mischo)
Ein Schauspieler namens Michaud war 1783 bei A. Seyler* in Hamburg engagiert und spielte offensichtlich auch noch 1796 dort. Michelanzky, Johann Baptist – Hoftänzer und Fechtmeister Lt. HHS war M. Tänzer in Wien, wurde wegen der Liebesbeziehung mit einer Adligen von Kurfürst Maximilian III. Joseph von Bayern geadelt und zum Hoftanzmeister ernannt. In der Matrikel für Ingolstadt wird er 1747 als Hoftänzer und Fechtmeister erwähnt, in den Kurbayerischen Hof- und Staatskalendern von 1777 und 1781 als Hoftanzmeister. Weiteres s. HHS, Anm. 142. Mierk, Georg Ehrenfried – Ballettmeister (Mirck, Mirk) M. war 1755 Ballettmeister bei H. G. Koch*, 1757 bei J. F. Schönemann* und 1758 zusammen mit C. Ekhof* und Johann Ludwig Starke provisorischer Direktor der Schönemannschen Gesellschaft. Er debütierte bei K. E. Ackermann* am 16. Sept. 1763 und war bis März 1767 mit Frau, Tochter Maria Henriette Wilhelmine und Sohn Joseph bei der Ackermannschen Gesellschaft engagiert (Eichhorn, Ackermann, S. 207 f.). Mitte der 1770er-Jahre war er bei Theobald Marchand in Mainz, wo auch die Tochter Maria und der Schwiegersohn Franz Ludwig Stierle unter Vertrag standen.
Kurzbiographien | 1041
Mion (Mignon/Myon), Marianna (Maria Anna) s. Brunian Müller, Herr und Frau – Schauspielerehepaar Lt. HHS kam das Ehepaar Müller 1748 von Breslau nach Wien und wurde dort engagiert. Mylius, Karl († 12. 11. 1763 Braunschweig) – Schauspieler und Tänzer
Nach einem Studium in Leipzig ging M. 1750 zur Schönemannschen Truppe in Breslau, danach zu C. Neuber* und 1751 zu H. G. Koch*. Seit 1756 war er bei K. E. Ackermann* engagiert. Neefe, Susanne geb. Zink (* 1751 Warza, † 7.11.1821 Wien) – Sängerin (Sopran)
Die Pflegetochter von Georg Anton Benda war Hofsängerin in Gotha, bevor sie Mitglied der Gesellschaft A. Seylers* wurde. 1778 heiratete sie den Musikdirektor Johann Christian Gottlob Neefe (1748–1798), mit dem sie 1779 zum Kurfürstlichen Hoftheater in Bonn ging. Neefe, der Lehrer von Beethoven, war auch Hoforganist des Erzbischofs und Kurfürsten von Köln. Nach der Auflösung des Bonner Theaters hatte das Ehepaar große wirtschaftliche Schwierigkeiten. 1796 erhielten J. Chr. und S. Neefe mit ihren Töchtern Louise (1779–1846), Felice (1782–1826) und Margarete (1787–1807) ein Engagement nach Dessau, wo J. Chr. Neefe Musikdirektor wurde und seine Frau und die drei Töchter als Sängerinnen auftraten. Neuber, Friederike Caroline geb. Weißenborn (* 9.3.1697 Reichenbach im Vogtland,
† 30.11.1760 Laubegast bei Dresden) – Schauspielerin und Bühnenautorin Die Tochter des Advokaten Daniel Weißenborn, die seit 1705 Halbwaise war, floh nach jahrelangen Zerwürfnissen mit dem Vater 1718 aus dem Elternhaus, heiratete Johann Neuber (1697–1759) und begann mit ihm zusammen bei der Spiegelbergischen Truppe ihre Theaterlaufbahn. Von 1727–1733 leitete das Ehepaar eine eigene Schauspielgesellschaft in Leipzig (Neubersche Komödiantengesellschaft, sächsisches Hofprivileg), anschließend spielte sie auf verschiedenen Bühnen im deutschen Sprachraum. 1743 wurde ihre Theatertruppe erstmalig, 1750 endgültig aufgelöst. Sie starb 1760 in Armut. Mit Johann Christoph Gottsched hatte sie eine Reform des deutschen Theaters angestoßen. Neuhaus, Charlotte Amalie geb. Gösting (* 1.11.1763 Wetzlar, † 13.11.1788 Hanno-
ver) – Schauspielerin (Gesting) N. kam 1786 mit ihrem Mann, dem geschiedenen Sänger Karl Ludwig Christian Neuhaus (1749–1798), zur Gesellschaft von G. W. Großmann* und Christian Wilhelm Klos, die im Rheinland spielte. Ihr Mann blieb nach der Trennung der beiden
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Prinzipale bei Großmann* (Auftritte in Hannover, Braunschweig, Hildesheim, Wolfenbüttel und Lübeck). Als Ch. N. im Alter von 25 Jahren im Kindbett starb, wurde für ihr neugeborenes Kind beim hannoverschen Publikum eine Kollekte organisiert (Rüppel, Großmann, S. 403 f.). Neuhaus, Regina Franziska geb. Piloti (* 1757 Wiener Neustadt, † 1791 München) – Sängerin und Schauspielerin (Piloty) Die erste Ehefrau von Karl Ludwig Christian Neuhaus (1749–1798) war von Juli 1776–1778 mit ihrem Mann in Gotha engagiert. Seit 1782 stand sie als Sängerin an der National-Schaubühne in München unter Vertrag, konnte aber ab 1788 wegen Schwerhörigkeit nicht mehr auftreten. Sie verbrachte ihren Lebensabend in München und erhielt vom Theater eine Pension. Regina Neuhaus war von ihrem Mann geschieden, der spätestens 1786 mit Charlotte Amalie Neuhaus geb. Gösting* verheiratet war. Neumann, Johann Christian (* 1754 Königsberg, † 25.2.1791 Weimar) – Schauspieler,
Bühnenschriftsteller Der mit der Schauspielerin Johanna Elisabethe Hütter (1752–1796) verheiratete N. war mit seiner Frau 1778 in Magdeburg bei Johann Christian Wäser, anschließend bei G. W. Großmann* in Bonn und ab Herbst 1784 bei J. Bellomo* in Weimar engagiert. Seine Tochter Christiane Luise Amalie Becker-Neumann (1778–1797) war Schauspielerin (s. a. WHS, Anm. 950). Nicolini, Filippo/Philipp († nach 1773) – Prinzipal eines Kindertheaters, Ballettmeister
und Pantomime N. war verheiratet mit Magdalena N. († 1775) und hatte mindestens 4 Kinder. Seine Tochter Therese Bellomo* war Sängerin. Er leitete eine Kindertruppe, mit der er erstmals 1742 in Amsterdam nachweisbar ist. Er führte 1745 bei der Krönung Franz I. in Frankfurt/M., 1746 in Regensburg und danach in Wien Pantomimen auf. Weitere Stationen seines Wirkens waren 1747/48 Prag, 1748/49 Hamburg, dann Leipzig, Dresden, Braunschweig und zuletzt wieder Hamburg. Von 1749–1766 war er Generalintendant für das Theaterwesen im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel und errichtete am Burgplatz in Braunschweig ein kleines Hoftheater, doch entzog ihm Erbprinz Karl Wilhelm Ferdinand, der bereits in den 1760er-Jahren angesichts eines drohenden Staatsbankrotts viele Regierungsaufgaben übernommen hatte, 1768 die finanzielle Unterstützung. N. ging nach Hamburg, musste dort 1773 hochverschuldet vor seinen Gläubigern fliehen und soll sein Leben in einem Kloster bei Goslar beschlossen haben. Anderen Angaben zufolge tauchte er
Kurzbiographien | 1043
in London unter. Eine ausführliche Beschreibung der Opera pantomima de piccoli Hollandesi di Nicolini findet sich bei Schütze, Hamburgische Theater-Geschichte, S. 73–83. Nicolini, Therese s. Bellomo Ohl, Frau s. Wolfram Paartl, Elisabeth geb. Schmidt – Schauspielerin (Partl, Barthl, Bärtel, Bärtlin) P. war 1779/80 bei Karl Wahr am Kotzentheater in Prag engagiert, anschließend bei F. Bulla* und Chr. L. Seipp* in Innsbruck und Augsburg. 1782 nach der Auflösung des Innsbrucker Ensembles ging sie nach Linz, wo sie bis 1785 im Kavaliersunternehmen Graf Philipp Rosenberg bei D. Borchers* spielte. 1786 kehrte sie für drei Jahre nach Innsbruck zurück. Im April 1790 trat sie im Theater auf der Landstraße in Wien auf. 1793 ist sie wieder in Wien nachweisbar. Peyerl, Johann Nepomuk (* 9.12.1761 Eichendorf, † 21.8.1800 München) – Sänger, Violonist und Schauspieler (Peierl, Peyrl) Der Sohn eines gräflichen Gutsverwalters war seit 1782 verheiratet mit der Sängerin und Schauspielerin Elise Berner (1766–1824), einer Tochter des Prinzipals Felix Berner. Nach einer Ausbildung in München sammelte er erste Bühnenerfahrungen als Chormitglied am dortigen Hoftheater. Er debütierte 1780 in der Schauspielergesellschaft des Johann Heinrich Böhm in Augsburg. Von 1781–1784 war das Ehepaar P. in Regensburg, danach 1784/85 in Salzburg, 1786/87 in Wien und Graz und ab 1787 am Hof- und Nationaltheater in München engagiert. Piloti (Piloty), Regina Franziska s. Neuhaus Prehauser, Gottfried (* 8.11.1699 Wien, † 28.1.1769 Wien) – Schauspieler, Bühnen-
autor und Prinzipal Der Sohn von Johann Paul Prehauser, Hausmeister bei Freiherr Anton von Selb, und seiner Frau Maria war als 16-Jähriger als Feldpage im Krieg in Ungarn und stand 1716 zum ersten Mal in einem Wiener Vorstadttheater auf der Bühne. Anschließend war er bei verschiedenen Wandertruppen engagiert, u. a. bei Johann Heinrich Brunius und Johann Baptist Hilverding. 1722 heiratete er in Salzburg die Witwe Maria Anna Schulz († 1723), mit der er sich als Prinzipal der Bande hochdeutscher Komödianten in Augsburg niederlassen wollte, sich aber hoch verschuldete. 1724 schloss sich P. mit der Prinzipalin Maria Elisabeth Steinmetz zusammen, die die Truppe ihres verstorbenen Mannes Ernst Ludwig Steinmetz übernommen hatte. Er trennte sich nach kurzer
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Zeit 1724 in Linz von ihr und heiratete 1725 in Wien die 14–20 Jahre ältere Witwe M. M. Hilverding geb. Rosetta* (* 1685?, † 1759). Am Kärtnertortheater wurde er als Nachfolger von Joseph Anton Stranitzky engagiert. Dort wirkte er bis zu seinem Tod als führendes Ensemblemitglied. Prehauser, Maria Margaretha geb. Rosetta, verw. Hilverding (1685?–1759) – Schau-
spielerin, Prinzipalin M. M. R. stammte aus einer Schaustellerfamilie und spielte um 1700 mit ihrem ersten Ehemann Johann Baptist Hilverding in Dresden, Frankfurt/M., Prag, Köln und St. Gallen. Es folgten längere Engagements in Wien. Dort gründete Hilverding mit Joseph Anton Stranitzky und Jacob Hirschnackh die Gesellschaft Teutscher Comoedianten, zu der auch M. M. H. gehörte. Die Mutter von 10 Kindern heiratete nach Hilverdings Tod (1721) am 15. Jan. 1725 den Witwer Gottfried Prehauser*. Preissler (Preisler), Susanne s. Mecour
Prottcke, Josepha geb. Defraine (* 1751 Wien, † nach 1799) – Schauspielerin und Tän-
zerin (Prothke, Prockhe, Prokhe, Protkhe) Die mit dem Schauspieler Johann Prottcke verheiratete Tänzerin trat 1764 in Wien und 1775 in Preßburg auf. Ihre Anwesenheit in Linz ist erstmals 1776, danach 1782–1785 und zuletzt 1792 belegt. Quartal, Anton († 1781) – Schauspieler und Landschaftsmaler (Quatal)
Qu. spielte in der Gesellschaft des Johann Carl von Eckenberg, später, 1743, bei J. F. Schönemann* und 1752–1754 bei F. Nicolini* in Braunschweig. Lt. WHS trat er 1755 in Prag auf. Zwischenzeitlich hatte er eine eigene Gesellschaft. Quequo, Heinrich Leopold – Schauspieler, Tänzer, Ballettmeister (Queqo)
Der mit der Schauspielerin Anna Dorothea Böschen verheiratete Tänzer war von 1771– 1774 bei H. G. Koch* in Berlin und von 1775–1783 bei F. L. Schröder*/S. Ackermann* in Hamburg engagiert. Laut WHS war er bereits 1766 schon einmal in Hamburg. Rabenau, Josepha s. Schulz Rademin, Maria Barbara (get. 7.11.1719 in Wien, † nach 1760) – Schauspielerin und Prinzipalin Die Tochter des Prinzipals, Dramatikers und Schauspielers Heinrich Rademin (1674– 1731), der eine juristische Ausbildung hatte (Iuris Licentiatus), und seiner zweiten
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Ehefrau Maria Margaretha heiratete den Prinzipal → F. Schuch d. Ä.*, mit dem sie ein gemeinsames Kind hatte. Nach der Trennung von ihrem Mann trat sie 1745 in Brünn als Prinzipalin einer eigenen Truppe auf. Rinzinger, Herr und Madame – Schauspielerehepaar Das Ehepaar Rinzinger war 1758 in Köln in der Gesellschaft von C. Th. Doebbelin* engagiert. Roegglen, Christian Heinrich Gottfried – Schauspieler (Regglen) R. ist möglichwerweise ein Sohn des Schauspielers Gottfried Rögglen (1728–1784) und Bruder der Johanna Friederike Marie Jakobine Diestel (1765 Rostock–1790 Hannover), Schauspielerin (Soubrette), die unter anderem bei A. Seyler* in Hamburg (1783/1784) und G. W. Großmann (1787–1790) engagiert war. Johanna Rögglen und ihr Vater gehörten zu den Gründungsmitgliedern der Gesellschaft von Gottfried Heinrich Schmidt in Rostock (WeGA ). Hr. Roegglen, der Sohn, trat 1780 bei dieser Gesellschaft auf. (TJD 18, 1871). R. war 1784–1786 in der Bellomoschen Gesellschaft und spielte von 1787–1791 in Weimar, danach in Braunschweig. Roegglen war mit einer Schauspielerin verheiratet, die 1787/88 in Weimar auftrat. Roegglen, Frau – Schauspielerin
Ehefrau von → Christian Heinrich Gottfried Roegglen*. Rosenberg, Philipp Graf von (* 1734, † 1821) – Theaterunternehmer
R. leitete von 1782–1786 das Theater in Linz (Kavaliersunternehmen Graf Philipp Rosenberg) und berief D. Borchers* als Direktor. Ruphofer, Demoiselle – Schauspielerin R. ist als Schauspielerin nachgewiesen in Linz. Sie ging 1784 vom Theater ab. Sartori (Sartory), Ludwig († 25.6.1794 Mannheim) – Musiker S. war Orchestermitglied in Mannheim und 1780 Kassier des dortigen Hoftheaters (Weiteres s. WHS, Anm. 709). Möglicherweise handelt es sich um den Flötisten Georg Ludwig Sartori, dessen Lebensdaten allerdings mit 1749–1778 angegeben werden (Pelker, Hofmusik, S. 324 f.). Schädel, Catharina (* Nürnberg, † 2.2.1759) – Schauspielerin (Schedel)
Über S. berichtet Karoline Kummerfeld, dass sie als junges Mädchen von zu Hause weggelaufen sei und 1750 in der Gesellschaft von Chr. Schulze* mit dem Theaterspielen
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begonnen habe. Später heiratete sie J. G. Schwager* und spielte u. a. am Wiener Kärtnertortheater. Schiemann, Joseph Gottfried (* 13.2.1745 Graz, † 8.2.1784 Mainz) – Schauspieler und
Dramatiker (Schiemann, Johann) Sch. war Mitglied der Gesellschaft von Franz Joseph Sebastiani in Linz (Debüt: 1764), der deutschen Schauspieler-Gesellschaft in Prag und ab 1782 der Großmann’schen Gesellschaft in Bonn. Er war verheiratet mit Therese Bayer (Peyer, Pahr) (* 1747 Linz, † 1790 Prag), die angeblich als Kind vom Prinzipal einer Wandertruppe entführt worden war und so zum Theater kam, wo sie eine äußerst erfolgreiche Schauspielerin wurde. Schirmer, Catharina s. Courtée Schleißner, Christiane Sophie († um 1754/55) – Schauspielerin? Die Tochter des Rektors N. Schleißner aus Gera war die Mätresse von → F. Schuch d. Ä.*, mit dem sie in einem eheähnlichen Verhältnis lebte. Sie war die Mutter seiner Kinder Franz, Christian, Wilhelm und Anna Christine. Schmidt, Elisabeth s. – Paartl Scholtz, Josepha geb. Haller (* 1765, † 18.8.1832 Bremen) – Schauspielerin und Theaterleiterin (Scholz) Nach ihrem Debüt 1778 in Innsbruck trat J. Haller als Soubrette, Naive und Liebhaberin in Augsburg, Innsbruck und Linz auf, wo sie 1784 den Schauspieler Leopold Scholtz (1748/56–1826) heiratete. Das Ehepaar war ab 1785 in Innsbruck, ab 1790 am Ständischen Theater in Graz und ab 1792 in Regensburg engagiert. Nach der Trennung von ihrem Mann 1792 ist sie erst 1800/01 wieder auf der Bühne nachweisbar in der Gesellschaft von Wilhelm Frasel († 1807/1810), deren Mitdirektorin sie 1803 wurde. Von 1807–1810 oblag ihr die künstlerische Leitung des Ständischen Theaters in Klagenfurt. Bis 1816 arbeitete sie dort als Schauspielerin, zuletzt trat sie 1829/30 in Bremen auf. Ihre beiden Söhne Wenzel und Gottfried Leopold waren Schauspieler, ihr Schwiegersohn Carl Mercy Regisseur. Schönemann, Johann Friedrich (* 21.10.1704 Crossen/Oder, † 16.3.1782 Schwerin) –
Schauspieler und Prinzipal Der als Waise von einem Verwandten erzogene Sch. studierte möglicherweise einige Semester Medizin, bevor er Schauspieler wurde. Seit 1730 war er verheiratet mit der Schauspielerin Anna Rahel Weigler resp. Weitzler, Weichler (1708–1770) aus Lüneburg,
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der Mutter von Elisabeth Lucia Dorothea Löwen* und K. H. Schönemann*. 1771 ging er eine zweite Ehe mit Catharina Magdalena Ritter (1742–1784) ein. Erste Engagements hatte Sch. 1724 in der Schauspielertruppe von Johann Gottlieb Förster und von 1730–1739 als Harlekin bei der Neuberin*. 1739 gründete er eine eigene Truppe, zu der 15 Personen gehörten, darunter C. Ekhof*, F. L. Schröder* und K. E. Ackermann*. Sie spielte u. a. in Lüneburg, Ratzeburg, Rostock, Schwerin, Wismar, Güstrow und Hamburg. Sch. erhielt 1743 die Konzession, in allen schlesischen und preußischen Städten zu spielen. Ihre größten Erfolge hatte die Truppe, die 1757 aufgelöst wurde, 1750–1754. Sie wurde zuletzt von C. Ekhof* geleitet. 1753 hatte Sch. die deutsche Schauspielerakademie (Academie der Schönemannischen Gesellschaft) gegründet. 1757 trat er eine Stelle als Rüstmeister im Dienste des Erbprinzen Ludwig von Mecklenburg an. Er stand in Korrespondenz mit Johann Christoph Gottsched. Schönemann, Karl Heinrich (* wohl vor 1732) – Schauspieler und Pferdehändler Der Sohn des Prinzipals J. F. Schönemann* und Bruder von Löwens Ehefrau Elisabeth Lucia Dorothea Schönemann* war zunächst Schauspieler in der Gesellschaft seines Vaters. Später wurde er Pferdehändler in Schwerin, kurze Zeit stand er als Bote in herzoglichen Diensten. Schröder, Anna Christina geb. Hart (* 9.11.1755 St. Petersburg, † 25.6.1829 Rellingen
bei Hamburg) – Schauspielerin, Tänzerin Anna Christina Hart wurde als Kind in St. Petersburg zur Tänzerin ausgebildet. Im Alter von neun Jahren kam sie 1764 mit der Gesellschaft des Prinzipals Johann Christian Wäser nach Deutschland, wo sie Mitglied der Ackermannschen Truppe wurde. 1773 heiratete sie F. L. Schröder*, mit dem sie 1781 nach Wien ging, wo sie ein Engagement am Burgtheater erhielt. 1785 kehrte sie mit ihrem Mann nach Hamburg zurück. Sie zog sich 1798 mit ihm auf das Landgut Rellingen zurück, wo sie ihren Lebensabend verbrachte. Schröder, Friedrich (Ulrich) Ludwig (* 3.11.1744 Schwerin, † 3.9.1816 Rellingen bei Hamburg) – Schauspieler, Sänger (Tenor), Theaterdirektor, Regisseur und Dramatiker Der Sohn der Sophie Charlotte Schröder geb. Biereichl* hatte 1747 sein Bühnendebüt bei seinem Stiefvater → K. E. Ackermann*. 1771 übernahm er mit seiner Mutter die Leitung der Ackermannschen Truppe in Hamburg. 1781–1785 spielte er am Wiener Burgtheater. Von 1786–1798 leitete er das Hamburger Theater am Gänsemarkt. Anschließend zog er sich mit seiner Ehefrau Anna Christina Schröder* auf sein Landgut in Rellingen zurück. Sch. war 1774 in die Hamburger Freimaurerloge Emanuel zur Maienblume aufgenommen und gilt als einer der wichtigsten Reformer der deutschen
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Freimaurerei. Er bemühte sich um die soziale Aufwertung des Schauspielstandes und richtete 1793 eine Pensionskasse für Schauspieler ein. Karoline Kummerfeld wurde in ihrer Weimarer Zeit von ihm finanziell unterstützt (s. WHS, Anm. 609). Schröder, Sophie Charlotte s. Ackermann Schröter, Ludwig (* 1699 Berlin, † 1769 Basel) und Frau – Schauspielerehepaar
Sch. debütierte 1729 in Hamburg bei C. Neuber*. 1746/47 war er in Danzig bei einem Prinzipal Diedrich, der ein Goldschmied gewesen sein soll (Schmid, Chronologie, S. 123). Hier traf er K. E. Ackermann*, mit dem er nach St. Petersburg und von da zurück nach Danzig zog (Eichhorn, Ackermann, S. 31). 1748 war er in Wien. Von 1754–1766 war er Mitglied der Gesellschaft Ackermanns, bei der er hoch angesehen war, anschließend bei Johann Martin Lepper, mit dem er 1769 in Basel spielte. Nach dem Tod seiner Frau („Aschchen“), die er 1760 geheiratet hatte und die von 1762–1765 bei Ackermann* als Schauspielerin engagiert war, erhielten seine beiden Kinder Louis (* 1763) und Babette (* 1764) eine Waisenrente von Karoline Henriette, Landgräfin von Hessen-Darmstadt (1721–1774). Sie wurden von Gottfried Konrad Pfeffel erzogen und waren später auf Heinrich Pestalozzis Neuhof. Schubert(h), Johann Gottlieb (* 1717 Zittau, † 2.8.1772 Charlottenburg) – Schauspieler
Sch. spielte u. a. in Leipzig, wo er zuvor Jura studiert haben soll, in Hamburg, Prag, Danzig und Berlin. Er hatte 1742 und ab 1747(?) Engagements bei der Neuberin*, 1746 bei Diedrich in Danzig, 1757 bei C. Th. Doebbelin* und ab 1752 sowie 1758–1772 bei H. G. Koch*. Schuch, Franz d. Ä. (* um 1716 Wien, † 1763/64 Frankfurt/O.) – Schauspieler, Prin-
zipal, Bühnenautor und Hanswurstdarsteller Sch. soll ein Jesuitenkolleg besucht haben, bevor er (ohne Abschluss) zur Bühne kam und 1739 eine eigene Gesellschaft gründete, mit der er zunächst in Baden bei Wien auftrat. Später spielte er mit seiner Gesellschaft auch in anderen Regionen des deutschsprachigen Raums, u. a. in Breslau, Hamburg und Regensburg.1755 erhielt er das preußische Generalprivileg, das ihm Aufführungen im Raum zwischen Berlin, Danzig, Königsberg und Stettin erlaubte. Seine Gesellschaft blieb selten länger als zwei Monate an einem Ort. Die Zahl der Mitglieder seiner Truppe schwankte zwischen sechs bis acht und 20 bis 30 Personen. Lt. Meixner, Musiktheater, S. 98, gehörte Sch. zu den ersten deutschen Prinzipalen, „die regelmäßig Ballette im Spielplan führten“. In Breslau war er bereits 1742 von einer achtköpfigen Musikertruppe unterstützt worden.
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Zu seinen familiären Beziehungen s. die Einträge zu N. Köhler*, Maria Barbara Rademin* und Christiana Sophie Schleißner*. Sein Sohn Franz d. J. († 1771) trat 1764 die Nachfolge seines Vaters an, unterstützt von seiner Ehefrau Karoline Schuch († 1787). Er erbaute in der Behrensstr. in Berlin das Schuchsche Komödienhaus. Christian Brandes berichtet in seinen Lebenserinnerungen ausführlich, wenn auch nicht immer zuverlässig, über die Schuchsche Gesellschaft. Schuch, Maria Barbara s. Rademin Schulz, Johann (* 1690 wohl Prag, † 27.6.1764 Baden bei Wien) – Schauspieler und
Theaterprinzipal (Schultz) Der Name der ersten Ehefrau von Sch. ist nicht bekannt. Sie war Schauspielerin und mit ihm 1741 bei den Grazer Komödianten engagiert. In zweiter Ehe war Sch. mit Josepha Rabenau, spätere Menninger* verheiratet. Erste Belege für seine Tätigkeit als Schauspieler stammen aus Danzig (1718) und Kopenhagen (1721). Schulz erhielt 1728 für seine Truppe das kurfürstlich-bayerische Privileg, spielte fortan in Süddeutschland und gelegentlich in Böhmen und Mähren. Seit 1749 wurde er zunehmend durch Franz Gerwald Wallerotti, der 1753 das kurfürstlich-bayerische Privileg erhielt, verdrängt. Fortan spielte er vor allem in Mähren und Niederösterreich und seit 1761 regelmäßig im Sommer in Baden. Nachdem er 1764 erblindet in Baden gestorben war, übernahm seine Witwe die Leitung der Truppe. Die Spielpläne aus Nürnberg von 1748 und 1752 und die Theaterzettel aus Brünn und Preßburg sind erhalten. Schulz, Josepha geb. Rabenau (* um 1734 Bayern, † 12.1786 Wien) – Schauspielerin
und Prinzipalin J. R. war in erster Ehe mit J. Schulz* verheiratet. Sie übernahm 1764 die Badener Truppe von ihrem verstorbenen Mann und führte sie zunächst alleine und seit ihrer Hochzeit im Aug. 1766 mit ihrem zweiten Ehemann J. M. Menninger* weiter. Die Schulz-Menningersche Badnerische Gesellschaft trat u. a. in Baden und Wien, Brünn und Preßburg auf. Sch. hinterließ ihrem Mann 1786 ein Guthaben von über 20.000 Gulden. Schulze, Augustina Sibylla (* 1708/1712 Frankfurt/O., † 16.2.1766 Hamburg) – Schau-
spielerin Sch. war die zweite Ehefrau von → Chr. Schulze* und Mutter von K. Schulze* und Karoline Kummerfeld. Weiteres s. Kap. I.2.
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Schulze, Christian (get. 6.11.1693 Frankfurt/O., † 10.6.1757 Freiberg/Sachsen) – Schau-
spieler und Prinzipal Der Sohn eines Kunstmalers aus Frankfurt/O. wurde nach einem nicht abgeschlossenen Studium der Rechte Schauspieler. Von 1742–1748 war er mit seiner Familie am Wiener Kärntnertortheater engagiert. Nach einigen Wanderjahren, in denen die Familie immer wieder prekäre Zeiten erlebte, machte er sich selbstständig. Er war in zweiter Ehe mit A. S. Schulze* verheiratet. Von seinen Kindern waren → M. von Brunian*, Chr. F. Schulze*, K. Schulze* und Karoline Kummerfeld beim Theater. Weiteres s. Kap. I.2. Schulze, Christian Ferdinand (get. 24.4.1728 Weißenfels, † 1779) – Schauspieler Nach dem Besuch des Jesuitenkollegs in Wien verließ der Halbbruder von Karoline Kummerfeld heimlich seine Familie und wurde Schauspieler bei J. Schulz* in München. 1751 soll er Mitglied in der Truppe seines Vaters in Nürnberg gewesen sein. Er war mit der Schauspielerin Carolina Sophia Gerschlin* verheiratet. Eine weitere Spur führt nach Linz, wo 1762 seine Tochter, die spätere Schauspielerin Anna Theresia Madstädt, getauft wurde. Weiteres s. Kap. I.2. Schulze, Karl Alois (* 21.6.1740 Graz, † 14.1.1801 Frankfurt/M.) – Schauspieler, Tänzer
und Ballettmeister (Schul(t)z) Der Bruder von Karoline Kummerfeld war wie seine Schwester gemeinsam mit den Eltern bzw. der Mutter engagiert. 1767 gingen die Geschwister zu H. G. Koch* nach Leipzig, wo Karoline ihre Theaterlaufbahn vorläufig beendete. Karl war später u. a. in Weimar, Leipzig und Frankfurt/M. als Tänzer und Tanzlehrer tätig. In Frankfurt heiratete er die Schauspielerin Karolina Mombauer († 1790). Karl Schulze werden zahlreiche Ballettkompositionen zugeschrieben. Weiteres s. Kap. I.2. Schulze, Marianna (Maria Anna) s. Brunian Schul(t)z, Sophie Elisabeth s. Boeck Schwager, Johann Georg (* Bamberg) – Schauspieler Sch. war von 1756–1760 mit seiner Ehefrau K. Schädel* Schauspieler am Kärtnertor theater, anschließend bei der Badnerischen Gesellschaft engagiert. Weitere Stationen waren u. a. Köln, Düsseldorf und Graz.
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Scotti, Franz Joseph (* 1713, † 12.4.1770) – Tänzer und Ballettmeister (Schutti) S. entstammte einer für ihre Tanzkunst bekannten Wiener Familie, die in den 1730erJahren zum Ensemble von Johann Adam Graf von Questenberg (1678–1752) im mährischen Jarmeritz gehörte. Seeau, Joseph Anton Johann Adam Dismas Graf von (* 10.9.1713 Linz, † 25.3.1799 München) – Theaterintendant Der 1753 von Kurfürst Maximilian III. Joseph zum Hofmusik- und Hoftheaterintendanten ernannte S. engagierte seit 1758 zahlreiche fahrende Schauspieltruppen. Er wurde 1786 von Kurfürst Karl II. bestätigt und gab dem Münchner Theater wichtige Impulse. Seipp, Christoph Ludwig (* 7.1.1747 Worms, † 20.6.1793 Wien) – Schauspieler, Theaterdirektor, Bühnenautor (Pseudonym Johann Lehmann) Der Sohn eines Gastwirts und Weinhändlers studierte Theologie und Rechtswissenschaften in Jena, Gießen und Heidelberg, bevor er sich der Gesellschaft von Karl Friedrich Abt anschloss, die damals in Mitteldeutschland spielte. Es folgen Engagements u. a. bei L. Hartmann und Karl Wahr in Esterhaz, Preßburg und Salzburg. Neben Linz, Innsbruck, Augsburg und Nürnberg waren verschiedene Orte Siebenbürgens seine wichtigsten Spielstätten. Er starb 1793 in Wien, wo er kurz vor seinem Tod das Theater auf der Landstraße übernommen hatte. S. war ein „konsequenter Verfechter eines Repertoires mit literarischen Texten, das ab dem Beginn der 1770er-Jahre schrittweise eine Kanonisierung erfuhr“ (TBMS, S. 632). Er vertrat den Anspruch, dass das Theater eine Erziehungsfunktion habe. Verheiratet war er mit der Schauspielerin S. Seipp geb. Kovács*. Seipp, Sophie geb. Kovács (* 1758 Preßburg, † 1.7.1838 Wien) – Schauspielerin und Theaterleiterin Die Tochter eines Ratsherrn und Verwalters der Stadtfinanzen in Preßburg war mit → Chr. L. Seipp* verheiratet. Sie debütierte 1779. Als Witwe leitete sie für kurze Zeit das Theater auf der Landstraße in Wien. Selliers, Joseph Carl (* 1702 Wien, † 29.10.1755 Wien) – Tänzer und Theaterdirektor (Sellier, Selge, Selgö) Der Sohn des Wiener Hoftänzers Franz Joseph Selliers wurde nach einem zweijährigen Paris-Stipendium 1711 Tanzmeister-Adjunkt der Edelknaben am Wiener Hof und 1717 Scolar. 1724 wurde er nach der Heirat mit Theresia Borosini zum Hoftänzer ernannt und erhielt 1728 gemeinsam mit seinem Schwiegervater ein 20-jähriges
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Privileg auf das Kärntnertortheater. Von 1742–1751 war er alleiniger Pächter. 1741 wurde ihm auch die Leitung des Wiener Burgtheaters übertragen. Seyler, Abel (* 23.8.1730 Liestal/Basel, † 25.4.1800/01 Rellingen bei Hamburg) – Kauf-
mann, Schauspieler, Theaterdirektor Der Sohn eines reformierten Predigers war in erster Ehe verheiratet mit Sophie Elisabeth Andreae. Gemeinsam mit Johann Martin Tillemann war er Inhaber einer Hamburger Silberraffinerie, die 1766 vor dem Konkurs stand. Anschließend wirkte S. bei der Hamburger Entreprise mit und gründete nach deren Scheitern 1769 die Gesellschaft Hannöversche Hofcomödianten. Von 1771–1774 war er Theaterdirektor in Weimar. In dieser Zeit heiratete er → Sophie Friederike Hensel geb. Spa(a)rmann*. Weitere Stationen seines Wirkens waren u. a. Gotha, Leipzig, Altenburg, Frankfurt/M., Mainz, Köln, Heidelberg und Bonn. Von 1779–1781 war er künstlerischer Leiter des Mannheimer Hoftheaters, anschließend 1781–1783 Direktor des Schleswiger Hoftheaters und von 1783–1784 des Hamburger Theaters. Nach seiner Tätigkeit u. a. als Souffleur in Hamburg übernahm er von 1787–1792 die Regie des Schleswiger Hoftheaters. Ab 1798 lebte er bei → F. L. Schröder* auf dessen Landgut Rellingen. Seyler, Friederike Sophie geb. Spa(a)rmann s. Hensel Simoni, Friedrich (* 1754 Dresden) – Schauspieler, Tänzer und Ballettmeister Der Ehemann der Tänzerin M. Hufnag(e)l* hatte in München eine Ausbildung als Tänzer erhalten. Er debütierte 1770 bei J. J. von Brunian* in Prag, war 1780/1781 bei F. H. Bulla* und Chr. L. Seipp* in Innsbruck und 1782/1783 in Linz engagiert. Seit 1788 war er Schauspieler und Balletttänzer am Königlichen Nationaltheater in Berlin. Simoni, Marianne geb. Hufnag(e)l (* 1758 München) – Tänzerin und Schauspielerin S. war mit ihrem Ehemann F. Simoni* in Innsbruck, Linz und Berlin engagiert. Smitt, Wilhelm (* 1750 Braunschweig) und Maria Catharina (* 1759 Paris) – Schau-
spielerehepaar und Sängerin Lt. Karoline Kummerfeld waren Herr und Madame Smitt 1781/82 bei F. H. Bulla* in Linz engagiert (s. WHS, Anm. 746). Madame Smitt sei eine gute Sängerin gewesen. Möglicherweise handelt es sich um Wilhelm (* 1750) und Maria Catharina Smitt (* 1759), die 1780 in der Gesellschaft von Johann Heinrich Böhm, 1782 in Olmütz, 1783 bei Johann Christian Wäser, 1787 bei Johann Carl Tilly und 1788 bei C. Th. Doebbelin* engagiert waren. Johann Heinrich Böhm gastierte 1778/79 in Salzburg und anschließend in Süddeutschland.
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Spiegelberg, Georgine Sophie Karoline Auguste s. Ekhof Starke, Frau geb. Weiss – Schauspielerin Lt. WHS, Anm. 736, war sie Ehefrau von K. Starke*. Starke, Johanna Christiane geb. Gerhardt (* 19.6.1731 Breslau, † 2.3.1809 Rellingen
bei Hamburg) – Schauspielerin (Starcke, Stark, Starck, Johanne) Die Tochter eines Breslauer Kaufmanns und Schülerin ihres späteren Ehemanns, des Schauspielers und Prinzipals Johann Ludwig Starke (1723–1769), debütierte 1748, im Jahr ihrer Eheschließung, bei J. F. Schönemann*, in dessen Truppe sie bis 1757 blieb. Anschließend war sie bis 1766 bei H. G. Koch* engagiert, spielte 1768 in Wien, danach, von 1768–1775 bei H. G. Koch* in Berlin, 1775 bei C. Ekhof* in Gotha und 1777–1783 sowie 1787–1797 bei F. L. Schröder* in Hamburg. Starke, Karl († 25.3.1783 Karlsruhe) – Schauspieler (eigentlich Zimbert Amsinck)
Der aus einer bedeutenden Hamburger Familie stammende Leipziger Student Zimbert Amsinck ging 1774 unter Annahme eines Pseudonyms zum Theater. In der WHS wird berichtet, dass er unter dem Namen Karl Starke 1780 in Augsburg zur Seipp-Bullaschen Truppe stieß. Weiteres s. WHS Anm. 734–738. Steinbrecher, Wilhelmine geb. Spiegelberg (* 1.1.1701, † nach 1772 Riga?) – Schau-
spielerin Die Mutter von K. E. Hübler war 1736 Mitglied der Neuberschen Truppe. 1745/46 war sie mit ihrem Mann, einem Schauspieler (Harlekin), in Dresden, Leipzig, und Danzig engagiert, bevor sie nach Russland ging, wo ihr Mann sich von ihr trennte. Mit ihrer Tochter war sie ab 1752 bei H. G. Koch*, J. F. Schönemann*, C. Th. Doebbelin* und zuletzt wieder bei H. G. Koch* engagiert. Thomerle, Herr – Theatermeister In WHS wird ein Theatermeister T. erwähnt, der 1782 in Linz beschäftigt war. Toscani, Anna Elisabeth geb. Endemann (* 1755/1761, † 1799) – Schauspielerin
Nach Engagements u. a. 1770 in Stralsund und 1776/77 bei A. Seyler* in Frankfurt/M. war T. 1779 bis ca. 1784 am Hoftheater in Mannheim. Ihr Streit mit A. Seyler* im Febr. 1781 führte zu dessen Entlassung als Direktor. Später war sie bei Pasquale Bondini in Dresden. Ob sie, wie oft geschrieben, mit Johann Friedrich Toscani verheiratet war, ist unklar, denn die Brüder Toscani, Johann Friedrich (* 1750/54 Warschau), Joseph und Carl
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Ludwig (1769–1796), die alle drei Schauspieler waren, werden lt. WeGa in der Lit. häufig verwechselt. Nachweislich war Joseph Toscani zur gleichen Zeit wie sie in Mannheim. Troeng, Mademoiselle s. Drouin Tschorn, Sophie s. Ackermann Ulerici, Caroline – Schauspielerin (Ulrich, Karoline) U. war als Mademoiselle Caroline Mitglied von Chr. Schulzes* Gesellschaft 1750 in Erlangen. Unterfutter, Herr – Wanderschauspieler (Doublure)
Johann Christian Brandes erwähnt in seiner Lebensgeschichte (Bd. 2, S. 26 und 29–33), dass er 1765 in Berlin einen Wanderschauspieler namens Doublure getroffen habe, der bei F. Schuch d. J. um Engagement gebeten hatte und, da er erfolglos war, zu J. J. F. Kurz* nach München ging. Auch hier erhielt er keine Anstellung. 1766 spielte er für einige Monate bei K. E. Ackermann* in Hamburg. Unzelmann, Friederike s. Bethmann-Unzelmann Urban, Madame geb. Koller († Mai 1781) – Schauspielerin und Sängerin Die Ehefrau des Sängers Friedrich Urban († nach 1816) spielte bei Theobald Marchand 1771 in Mainz, 1777 und 1778 in Mannheim und danach in München. Veri, Karl Konrad de – Theaterunternehmer (Very, Conrad) V. war Handelsmann in London und hielt sich spätestens seit Sommer 1778 als Kaufmann in Augsburg auf, wo er am 22. Okt. 1778 das Bürgerrecht erhielt. 1779 war sein Londoner Partner bankrott. V. übernahm die Gesellschaft von F. H. Bulla* und Chr. L. Seipp*, mit der er 1781 in Innsbruck auftrat. Er floh von dort, um einer Verhaftung wegen Insolvenz zu entgehen (s. WHS, Anm. 741 und 750). Villeneuve, Monsieur – Theaterdirektor V. leitete von 1756–1782 das Theater in Straßburg, das zum damaligen Zeitpunkt eine Blütezeit erlebte. Er war verheiratet und hatte eine Tochter, die Schauspielerin war. Weitere biograpische Daten sind nach Aussage von Valentin, Théâtre, S. 493 f. nicht ermittelbar.
Kurzbiographien | 1055
Vinzinger, Madame s. Finsinger Wallenstein, Christiane Henriette s. Beck Weidner, Elisabeth – Schauspielerin
Zweite Ehefrau von J. A. Weidner*.
Weidner, Johann Andreas (* Sachsen) – Schauspieler, Theaterdichter und Prinzipal W. kam 1733 mit seiner ersten Frau, der in Salzburg geborenen Sängerin (Maria) Theresia Schorn († 1738), von Wien nach Berlin zu Johann Carl von Eckenberg. Nach dem Bankrott Eckenbergs begab er sich 1736 nach Riga, übernahm 1737 die Direktion des Theaters in Mitau und war 1738/39 Theaterdirektor in Riga. Weitere Stationen waren Kiel (1740/41) und Wien (1745–47). Dort heiratete der verwitwete Vater von vier Kindern die Schauspielerin Elisabeth W.*. Von 1749–1751 war er als Prinzipal in Erlangen, Nürnberg und Fürth; 1752 soll er sich vergeblich um Spielerlaubnis in Innsbruck bemüht haben. Weiskern, Friedrich Wilhelm (get. 9.9.1709 Niedertrebra, † 29.12.1768 Wien) – Schau-
spieler, Bühnenautor, Kartograph (Weißkern, eigentlich: Weis(s)ker, Pseudonyme: Filip von Zesen; Odoardo) Der Sohn von Friedrich Wilhelm Weiskern (um 1672–um 1717), Soldat im kursächsischen Kürassierregiment von Damnitz, und der Maria Elisabeth (1682/83–1750) war seit 1733 verheiratet mit Paulina Ehrenbahr (1712–1784). W. war seit 1731 in Wien, zunächst als Bedienter der Gräfin Schäfftenberg, ab 1734 als Schauspieler am Kärtnertortheater und Darsteller der von ihm entworfenen Figur des Odoardo. W. entwarf 1741 die Pläne für den Umbau des Ballhauses zum Burgtheater, verfasste zahlreiche Lustspiele und Burlesken und unterstützte J. C. Selliers*, der von 1742–1751 das Kärtnertortheater leitete, bei der Spielplangestaltung. 1766 zog er sich vom Theater zurück. Seine „Topographie von Niederösterreich“ ist postum erschienen (Weiteres s. o. Kap. II.1, Anm. 6).
Weiss, Frau s. Starke Weiß, Marianne s. Frankenberg Weißenborn, Friederike Caroline s. Neuber Wen(t)zig, Frau s. Cynnas
1056 | Anhang
We(t)zel, Christian (* 1738) – Schauspieler W. trat 1781 mit seiner Frau oder Tochter Marianne We(t)zel in der Truppe von de Veri* auf und blieb auch nach 1782 in Innsbruck. Wibmer, Wimmer von (* 1752?) – Schauspieler (Wibner)
Über W. berichtet Karoline Kummerfeld, er sei 1781 30 Jahre alt gewesen und habe in Frankreich, England und Deutschland Theater gesehen. Sie sei ihm zuerst in München begegnet und dort von ihm nach Augsburg engagiert worden. Von Augsburg ging W. 1781 mit de Veri* nach Innsbruck, spielte auch „als Anfänger“ Theater (TDR 1782, S. 97), konnte sich in Innsbruck aber nur wenige Monate halten und ging am 21. Juli 1781 nach Wien ab (Simek, Berufstheater, S. 178). Withöft, Josepha (* 1734 Wien) – Schauspielerin und Tänzerin (Witthöft)
Sie war die Ehefrau von Karl Wilhelm Withöft (1728–1798), der von 1751–1775 mit Unterbrechungen bei H. G. Koch*, dann bei C. Th. Doebbelin* und ab 1785 bis zu seinem Rückzug von der Bühne 1797 mit seiner Frau und der 1761 geborenen Tochter Christiane Henriette in Mannheim war. Ihr Schwiegersohn war der Hofmusiker Peter Nicola.
Witzmann, Madame und Herr – Schauspielerehepaar
Das Ehepaar W. spielte in der Gesellschaft von J. Chr. Kirsch* in Dresden.
Wolfram, Georg Friedrich (* 1725 Bad Langensalza/Thüringen, † nach 1784) – Schau-
spieler Nach dem Studium in Leipzig debütierte W. bei C. Neuber*. Danach war er 1750 bei F. Schuch d. Ä.*, anschließend bei H. G. Koch*. Von Sommer 1754–Febr. 1762 und von Okt. 1762–Juni 1763 spielte er in der Gesellschaft von K. E. Ackermann*. Weitere Stationen waren: 1763–1769 Direktor und Hauptakteur des Hildburghausener Hoftheaters, März 1769–Dez. 1772 Mitglied der Gesellschaft von K. E. Ackermann*, 1773/74 Schauspieler bei der Truppe Karl Josephis, zu der er nach einem kurzen Engagement bei Theobald Marchand in Frankfurt/M. zurückkehrte. Nach der Entlassung bei Josephi (1775) ist er 1776 bei Karl Friedrich Abt (1733–1783) in Amsterdam und 1776/77 bei Carl August Dobler in Cleve nachgewiesen. Danach reiste er mit „Schwindelgesellschaften“ umher. 1782 wurde er Prinzipal einer eigenen Gesellschaft, bevor er sich erneut bei K. F. Abt engagierte, mit dem er in Bremen und Hannover auftrat. Wolfram betätigte sich auch als Geigenspieler, Theaterschriftsteller und Übersetzer. Er war in erster Ehe von 1757–1762 mit einer Tochter von Anna Christina Ohl verheiratet
Kurzbiographien | 1057
(Madame Wolfram*). Seine zweite Ehefrau war eine Schauspielerin und Tänzerin der Ackermannschen Truppe († 1770). Wolfram, Madame (get. 6.2.1739 Riga, † um 1762) – Schauspielerin und Sängerin
Die Tochter der Prinzipalin und Schauspielerin Anna Christina Ohl (1720–1751) kam 1756 als Madame Fleischmann von Riga zu K. E. Ackermann* nach Königsberg. Wenig später heiratete sie den Schauspieler → G. F. Wolfram*. Da sie eine Affäre mit Markgraf Karl Friedrich von Baden-Durlach gehabt haben soll, wurde das Ehepaar Wolfram im Febr. 1762 entlassen. Zelius, Johann Christian (* Frankfurt/M.) – Schauspieler, Hanswurst
Hanswurst bei den von Johann Schulz* geleiteten Chur-Bayerischen privilegirten Teutschen Comoedianten. Sein Nachfolger als Hanswurst war J. J. von Brunian*.
Ziegler, Herr – Sänger und Schauspieler
Ziegler spielte 1781 in Innsbruck und 1782–1783 bei D. Borchers* in Linz. Im Personalverzeichnis für Innsbruck werden eine Madame und eine Mademoiselle gleichen Namens erwähnt (Simek, Berufstheater, S. 241).
III.7 Quellen- und Literaturverzeichnisse
1. Quellenverzeichnis Augsburg Stadtarchiv Augsburg: Reichsstadt, Bürgeraufnahmen, Fasz. 38, Nr. 34/1778 Reichsstadt, HWA Kramer, Fasz. 42, Nr. 437 Basel Staatsarchiv Basel-Stadt: Protokolle des Kleinen Rats, Bd. 133 Berlin Evangelisches Landeskirchliches Archiv Berlin: Taufbuch der Marienkirche Frankfurt/Oder 1688–1716 (Mikrofilm 12959/2) Traubuch der Marienkirche Frankfurt/Oder 1618–1700 (Mikrofiche 12980/3) Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz: Nachlass Herbert Adam 141/122 Nachlass Friedrich Nicolai, Bd. 42 Braunschweig Stadtarchiv Braunschweig: D I 7: 18 Testament Friederike Fleischer Brünn/ Brno Mährisches Landesarchiv Brünn/Moravský zemský archiv v Brně: B1 Gubernium, 47/1, kart. 72 Dresden Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden: 10026 Geh. Kabinett, Loc. 1295/29 Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB): Nachlass Böttiger, Mscr. Dresd. h 37, 4°: Bd. 111, Nr. 80; Bd. 208, Nr. 7 Frankfurt am Main Freies Deutsches Hochstift: Hs 5313
Quellen- und Literaturverzeichnisse | 1059
Freiberg Ephoralarchiv Freiberg: Totenbuch der St. Petrikirche 1757 Gotha Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt-Gotha, Forschungsbibliothek Gotha (UFB): Chart. A 1287: Verzeichnis der Aufführungen an den Hoftheatern Weimar und Gotha 1772–1778 Poes. 2° 2176: Theaterzettelsammlung, Bd. 6, 7, 8 Graz Diözesanarchiv Graz: Taufbuch der Pfarre Hl. Blut Graz, Bd. XIV Hamburg Staatsarchiv Hamburg: A I a 7; A I a 8: Bürgerbücher 111-1 Sen. Cl. VII Lit. Hf Nr. 3 Vol. 14: Konversionen zur römisch-katholischen Kirche 111-1 Sen. Cl. VII Lit. Cc Nr. 7 Vol. 22 Fasc. 1 Bd. 2: Einnahmen des Marstallkutschers 1764–1784 312-9, 19 Bd. 1: Eid- und Kautionsbuch der Hamburger Banco 1764–1801 512-3 VIII 4 G: St. Nikolai, Taufen 1711–1730 512-3 VIII 4 H: St. Nikolai, Taufen 1731–1780 512-3 VIII 6 y: St. Nikolai, Verzeichnis der Begrabenen 1750–1774 512-7 D 1 a: St. Michaelis, Trauungen 1667–1772 512-7 D 16: St. Michaelis, Heiratsregister 1667–1772 521-3, Nr. 28–30, 33, 38: Französisch Reformierte Gemeinde 614-1/71 5.2 H 44 Nr. 146, 431, 455: Vereinigte 5 Logen 622-1/28 Nr. 2: Tagebuch der Herrenschenken Joh. Eibert Gossler sen. und jun. 741-2 Genealogische Sammlungen 40, Bd. 1–6: Hübbes Todesfälle 1771–1850 Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky: Cod. hist. 383d: Karoline Schulze-Kummerfeld, Die ganze Geschichte meines Lebens (= HHS) Karlsruhe Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandesarchiv Karlsruhe: Rep. 173/299; Rep. 220/816 (Personenkartei) Landshut Staatsarchiv Landshut: Regierung Straubing (Rep. 209) A 1540
1060 | Anhang Leipzig Universitätsbibliothek Leipzig: Slg. Kestner I/C/III Nr. 1 e 14; I/C/III Nr. 1 de 9; I/C/III/29 Nr. 1 Limburg Diözesanarchiv Limburg: Kirchenbuch Frankfurt-Dom, FDom K 36, Jahr 1801 – Tod Magdeburg Archiv der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen: Taufregister der Schlosskirche Weißenfels 1724–1738 (Rep. R 3. Mikrofilm 4739; KB-Nr. 358/4). Marburg Hessisches Landesarchiv, Staatsarchiv Marburg: Bestand 5, Geh. Rat, Nr. 12442 Nürnberg Staatliche Archive Bayern, Staatsarchiv Nürnberg: Eichstätter Archivalien 1126; 1158; 405 B1; 405 C2; 408 D3 Hochstift Eichstätt, Literalien 290 Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern: Kirchenbuch Erlangen-Neustadt 9.5.0001 – 330-2 Prag/Praha Nationalarchiv der Tschechischen Republik Prag/Národni archiv Staré české mistodržitelství Praha: Sign. 1163 Weimar Landesarchiv Thüringen – Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (LATh-HStA Weimar): HA A XXII (Carl Friedrich) Nr. 425: Karoline Schulze-Kummerfeld, Wahre Geschichte meines theatralschen Lebens (= WHS) Kunst und Wissenschaft – Hofwesen A 11357 Kunst und Wissenschaft – Hofwesen A 11375 Jahr 1909 und Jahr 1910 Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Weimar: Sterberegister 1815–1821 der Stadtkirche St. Peter und Paul Weimar Wien Domarchiv Wien Taufbuch der Pfarre 01. St. Stephan Wien 1741–1742, 01–73 (http://data.matricula-online. eu/de/oesterreich/wien/01-st-stephan/01-073/?pg=655, Bildnr. 02-Taufe_0653, Zugriff am 7.7.2020).
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4. Verzeichnis abgekürzt zitierter Theaterkalender und Nachschlagewerke Abgekürzt zitierte Theaterkalender ATB ELB
Annalen des Theaters/Christian August von Bertram, Berlin 1 (1788)–20 (1797). Ephemeriden der Litteratur und des Theaters/Christian August von Bertram, Berlin 1 (1785)–6 (1787).
1092 | Anhang HTS JTK JTS LTB NTJ TDR TKR
TSB
Hamburgische Theaterzeitung/Johann Friedrich Schink, Hamburg 1792 (1792/93). Journal für Theater und andere schöne Künste/Heinrich Gottlieb Schmieder, Hamburg 1797. Journal von auswärtigen und deutschen Theatern/Johann Friedrich Schmidt, Wien 1 (1778)–3 (1779). Litteratur- und Theater-Zeitung/Christian August von Bertram, Berlin 1 (1778)–7 (1784). Neues Theater-Journal für Deutschland/Wilhelm von Bube, Leipzig 1 (1788)–2 (1789). Theater-Journal für Deutschland/Heinrich August Ottokar Reichard, Gotha 1 (1777)– 22 (1784). Theater-Kalender, auf das Jahr […]/Heinrich August Ottokar Reichard, Gotha 1775– 1794, 1796–1800 (inhaltlich identisch erschienen als Taschenbuch für die Schaubühne, auf das Jahr […]/Reichard). Taschenbuch für Schauspieler und Schauspielliebhaber, Offenbach 1779.
Abgekürzt zitierte Nachschlagewerke ADB
Allgemeine Deutsche Biographie, 56 Bde., hg. durch die Historische Commission bei der Königl. Akademie der Wissenschaften, Leipzig 1875–1912. Asper Asper, Helmut G.: Spieltexte der Wanderbühne: ein Verzeichnis der Dramenmanuskripte des 17. und 18. Jahrhunderts in Wiener Bibliotheken, Wien 1975 (Quellen zur Theatergeschichte 1). Bender Bender, Wolfgang/Bushaven, Siegfried/Huesmann, Michael: Theaterperiodika des 18. Jahrhunderts. Bibliographie und inhaltliche Erschließung deutschsprachiger Theaterzeitschriften, Theaterkalender und Theatertaschenbücher, 3 Teile in 8 Bänden, München u.a. 1994–2005. BMLO Bayerisches Musiker-Lexikon Online (http://www.bmlo.lmu.de/). BsLex Braunschweiger Stadtlexikon, hg. i. A. der Stadt Braunschweig von Luitgard Camerer/Manfred R. W. Garzmann/Wolfdieter Schuegraf, Braunschweig 1992; Ergänzungsband, hg. von Manfred R. W. Garzmann/Wolfdieter Schuegraf, Braunschweig 1996. BsBLex Braunschweigisches Biographisches Lexikon: 8. bis 18. Jahrhundert, hg. von Horst-Rüdiger Jarck mit Dieter Lent u. a., Braunschweig 2006. DBE Deutsche Biographische Enzyklopädie, 2. Ausgabe, hg. von Rudolf Vierhaus, 12 Bände, München 2005–2008. EDN Enzyklopädie der Neuzeit, hg. von Friedrich Jaeger im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachherausgebern, 16 Bde., Stuttgart 1999–2012. Erlangen SL Erlanger Stadtlexikon, hg. von Christoph Friederich/Bertold von Haller/ Andreas Jakob, Nürnberg 2002 (https://stadtarchiv-erlangen.iserver-online2. de, Zugriff am 8.7.2020).
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Fabian-HB
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1094 | Anhang
NDB
Nürnberg SL
ÖBL
OEML RDK
Saebi SBH
Schiller-Handbuch TBMS
WeGA Weimar Lex
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1
Aufgenommen wurden vor allem ältere Nachschlagewerke und wichtige Datenbanken.
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III.8 Indices
1. Personenregister Für die mit * gekennzeichneten Schauspielerinnen und Schauspieler wurde in Kap. III.6 eine Kurzbiographie erstellt. A Abendroth, Abraham August 69, 72, 73, 429, 441, 442, 445, 446, 449 – 454, 456, 479, 481, 483, 484, 487, 496 – 499, 502 – 504, 506, 507, 522, 523, 531 – 534, 549, 580, 581, 716, 734, 736, 737, 746, 748, 751, 786, 807, 815, 823, 826, 827, 829, 846, 849, 954 Abendroth, Amandus Augustus 72, 73, 443, 502 Abendroth, Anna Maria 68, 72, 73, 441, 443, 444, 446, 449 – 451, 454, 457, 479, 481, 497, 502, 504, 507, 523, 531 – 534, 736, 748, 751, 849 Abendroth, Charlotta Augusta 531 Abendroth, Concordia Catharina 72, 443, 503 Abendroth, Johanna Maria 72, 441, 443, 751, 849 Achenwall, Gottfried 303 Ackermann, Charlotte* 224, 244, 531, 580, 636, 643, 649, 677, 812, 836, 837, 998, 1006 Ackermann, Dorothea Elisabeth* 244, 274, 338, 531, 636, 643, 649, 660, 677, 809, 831, 834 – 837, 839 – 841, 898, 998, 1006 Ackermann, Gottfried* 924, 926 Ackermann, Konrad Ernst* 52, 58, 182, 215, 218, 224 – 230, 232, 235, 239, 240, 242 – 244, 254, 257, 262 – 266, 270 – 272, 277, 280, 281, 288, 291, 296, 298, 299, 302, 303, 306 – 309, 312, 315, 321, 332, 333, 335, 339 – 341, 343, 344, 347, 353, 354, 357 – 360, 368, 371 – 373, 376, 380, 384, 386, 387, 408, 410, 416, 423, 424, 459, 467, 527, 530, 531, 553, 580, 606, 607, 614, 616 – 618, 624, 625, 629 – 631, 633, 634, 636 – 645, 648 – 652, 654, 658, 659, 661, 662, 667, 670, 671, 673, 675, 677, 678, 682 – 688, 695, 703, 705, 709, 719, 789, 808, 813, 876, 922, 958, 961, 989, 991, 995 – 1000, 1006 Ackermann, Sophie* 924, 926, 933, 937, 941 – 949, 989
Ackermann, Sophie Charlotte* 77, 224, 228 – 232, 235, 239, 242 – 244, 250, 254, 265, 271, 274 – 278, 285, 288, 306, 308, 353, 363, 368, 531, 580, 625 – 627, 629, 636, 642, 643, 649, 651, 656, 673, 677, 684, 789, 799, 800, 802, 809, 812 – 814, 831, 835, 839, 841, 954, 991 – 993, 996 – 999, 1006 Adami, August Christian 40 Adelsheim in Wagbach, Juliane Ernestine Freiin von, siehe Münchhausen Albonico, Giuseppe gen. Roland 868, 869 Alexander Ferdinand, Fürst von Thurn und Taxis 160 Alkofer, Herr 483, 770 Alvensleben, August von 250 Alvensleben, Johann Friedrich von 250 Amberg, Frau 764, 765, 793 Amberg, Johann Diedrich Gerhard 764 Amberg, Margarethe 764 Amberg, Melchior 764 Amberger, Franziska, siehe Antoine* Amsinck, Zimbert, siehe Starke, Karl* Anna Amalia, Herzogin von Sachsen-WeimarEisenach 56, 173, 553, 557, 558, 561, 563 – 570, 644, 805, 940, 1010, 1011 Anna Iwanowna, Zarin von Russland 35, 37, 38, 116 – 118, 1003 Anseaume, Louis 474, 618, 729, 932 Antoine, Franziska* 881, 883, 884, 886 Antusch, Frau* 229, 626, 993 Antusch, Herr 229 Arbes, Frau 149, 150 Archenholtz, John 877, 892 Arien, Bernhard Christoph d’ 914 Arndt, Johann 194 Arnold, Frau* 189, 203, 204, 207 Arnold, Herr* 189
Indices | 1099 Ast, Johann Christian 685 August Georg Simpert, Markgraf von BadenBaden 249 Ayrenhoff, Cornelius Hermann von 889 B Babo, Joseph Marius von 909 Bachmann, Johann Gottlieb 569, 570 Backhaus, Johann Wilhelm 859 Baculard d’Arnaud, François-Thomas-Marie de 949 Bandello, Matteo 415, 608 Banks, John 839, 899, 946 Baring, Christian Ludwig 292, 318, 852 Bassewitz, Henning Adam von 424, 613 Bastide, Jean-François de 309 Baurans, Pierre 617 Bause, Johann Friedrich 1008 Beaumarchais, Pierre-Augustin Caron de 379 Beche, Johann Wolter de 224 Beck, Christiane Henriette* 859, 860 Beck, Heinrich 608, 859 Beck, Johann Christoph* 860, 910, 915 Beelendorp (Beelendorff ), Elisabeth, siehe Herzog Beelendorp (Beelendorff ), Jacob 768 Beethoven, Ludwig van 61 Behr, Anna Maria 226 – 229, 991 Behr, Georg Heinrich 224 – 227, 340, 991 Beier, Herr 464 – 470 Beil, Johann David* 608, 859, 860 Bellomo, Joseph* 609, 921 – 924, 926 – 928, 930 – 939, 941, 943, 947, 948 Bellomo, Therese* 929, 935, 949 Benda, Georg Anton 215, 809, 858, 863, 873 Benda, Heinrich 215 Beneke, Ferdinand 32, 75 Benezé, Emil 18, 96, 98 – 100, 102 – 104 Bentzen, Siegfried 342, 403, 528 Berg, Frau von 552 Berger, Herr 247 Bernegau, Hieronymus 528 Bernegau, Valentin 528 Bertati, Giovanni 932 Bertram, Christian August von 920 Bertuch, Friedrich Justin 873, 890, 922, 947, 953 Betge, Herr* 868, 870, 876 – 878, 887, 891, 892, 894
Bethmann-Unzelmann, Friederike* 915 Bierling, Friedrich Samuel 614 Binder von Kriegelstein, Anton Freiherr 797, 805, 806 Bischoffshausen, Johann Adolf Ferdinand von 271, 272, 639, 641, 642, 998 Blumauer, Alois 904 Blümel, Christoph 148 Bock, Johann Christian 608, 619, 830, 853, 860, 871, 908, 937, 944 Bode, Johann Joachim Christoph 92, 272, 650, 651 Boeck, Johann Michael* 318, 326, 358, 359, 368, 369, 383, 386, 608, 644, 645, 676, 684, 841 – 844, 853, 854, 856, 857, 859, 864, 886, 999 Boeck, Sophie Elisabeth* 302, 326, 358, 383, 386, 608, 646, 855, 913, 999 Böhm, Johann Heinrich 876, 878 Bohse, August (Talander) 181 Boissy, Louis de 336 Bokelmann, Georg Ludwig 764 Bonin, Christian Friedrich Ferdinand Anselm von 938 Bonnarz, Frau von 184 Borchers, David Isaak* 676, 886, 894 – 899, 901, 902, 937 Borkenstein, Heinrich 310 Bossart, Johann Carl Caspar 265 Bostel, Anna Katharina von 68, 479, 481, 736, 748 Bostel, Anna Margaretha von 68, 72, 479, 502, 578, 736, 748, 763 Bostel, Anna Maria von, siehe Abendroth Bostel, Catharina Maria von 480 Bostel, Hieronymus von 67, 69, 445, 480, 734, 816 Bostel, Katharina Gertrud von, siehe Hilbrandt Bostel, Louisa Margaretha von 67 Bostel, Maria Christina von 68, 479, 481, 736 Bostel, Peter Martin von 68, 69, 479, 483, 496, 497, 499, 734, 737, 738, 746, 747, 749, 845 Bothe, Franz Johann 291, 292 Bothe, Johann Christian 290 – 295, 298, 318, 319, 340, 551 Bothe, Schwestern 551, 553 Böttiger, Karl August 83, 94, 834 Boudet, Sophie* 838 Boursault, Edmé 126, 620 Boutet de Monvel, Jacques-Marie 911 Brandes, Esther Charlotte* 861 – 864, 866
1100 | Anhang Brandes, Johann Christian 861, 863, 873 Brandt, Christiane Sophia Henrietta* 911 Brandt, Christoph Hermann Joseph* 911 Brenner, Johann Michael* 51, 60, 153 Bret, Antoine 344, 666 Bretzner, Christoph Friedrich 924 Breuner, Carolina Gräfin von 34, 120 Brief, Johann Adolph 114 Brockmann, Johann Franz* 378, 379, 839, 936 Brömel, Wilhelm Heinrich 872 Brooke, Henry 839, 899, 946 Brückner, Johann Gottfried* 411, 463, 466 – 468, 471, 676, 699, 700, 703, 723, 776, 874 Brückner, Katharina Magdalena* 411, 412, 698, 699, 703, 720 Brunian, Frau* 166 Brunian, Johann Joseph von* 51, 60, 61, 166 – 170, 351, 801, 852, 989 Brunian, Marianna von* 46, 49 – 51, 55, 60, 61, 119, 121, 122, 128, 142, 150, 152, 166, 170, 801, 852, 987, 1004 Bubbers, Adolph Siegmund* 337, 373, 382, 384, 422, 657, 680, 682, 708, 796, 1006, 1008 Buck, Inge 18, 100, 102, 104 Bulla, Franz Dominicus 53, 141 Bulla, Franz Heinrich* 867, 868, 872, 875, 876 Burgoyne, John 619 Büschel, Gabriel Bernhard 910 Buttlar zu Grumbach, Friederike, siehe Dalwigk C Calderón de la Barca, Pedro 929, 938 Canza(c)chi, Giovanni Camillo* 177 Capacelli, Francesco Albergati 904 Carl August, Herzog von Sachsen-WeimarEisenach 563 – 566, 568, 569, 936, 940, 952, 1010 Carl Philipp Theodor, Kurfürst von der Pfalz und von Bayern 801, 879, 881 Casanova, Giacomo Girolamo 61 Cassens, Herr 516, 770, 776, 819 Casti, Giambattista 949 Charlotte, Herzogin von Sachsen-GothaAltenburg 852, 858 Christian, Herzog von Sachsen-Weißenfels 43, 44, 119 Cicognini, Giacinto Andrea 148
Clemens August I., Herzog von Bayern, Kurfürst und Erzbischof von Köln 216, 217, 991 Clemens Wenzeslaus von Sachsen, Kurfürst und Erzbischof von Trier 55 Clément, Pierre 424, 613 Clodius, Christian August 441, 444, 445, 461, 463, 704, 721, 723, 1008, 1009 Clodius, Julie Friederike Henriette 441, 625, 778 Collé, Charles 916 Colman, George d. Ä. 918 Corneille, Pierre 230, 233, 388, 417, 621, 626, 629, 687 Corneille, Thomas 614 Courtée (Courte), Catharina* 274, 338, 644, 660, 999 Courtée (Courte), Herr* 274 Cowley, Hannah 950 Crébillon, Prosper Jolyot de 861, 866, 888 Crenzin, Anton Adolph von* 888, 894, 895 Cronegk, Johann Friedrich Freiherr von 375 Curioni, Joseph* 177, 229 – 231, 277, 626, 628 – 630, 634, 994 Curioni, Maria* 177, 229, 230, 235, 277, 628, 994 Cynnas, Frau* 603 D Dahl, Peter Heinrich 339, 340, 367 – 370, 527, 528, 553, 580, 655, 785, 788, 791, 810 Dalayrac, Nicolas 949 Dalberg, Wolfgang Heribert Freiherr von 608, 859, 862, 865 – 867 Dalwigk zu Dillich, Friederike Wilhelmine 276 Dalwigk zu Dillich, Georg Wilhelm Christoph Adam von 273 – 276, 278 – 285, 288, 289, 298, 305, 306, 327, 434, 508 Dalwigk zu Dillich, Louise Dorothea von 285 Da Porto, Luigi 416, 608 Defraine, Franz Albert 42, 44 Defraine, Josepha, siehe Prottcke* Dengel, Friedrich Wilhelm* 909, 911, 914, 915, 917, 920 Deppe, Johann Franz* 43, 163, 164 Derslin/Terslin, Herr 339, 359 Destouches, Philippe Néricault 304, 306, 336, 405, 613, 614, 617, 618, 675, 692, 696, 766, 865 Deterding, Familie 290, 851 Deterding, Frau 290
Indices | 1101 Diderot, Denis 638, 871, 898, 899, 908, 916 Diederich, Antonius 304 Docen, Frau 324, 325, 327 Doebbelin, Carl Conrad Casimir 250 Doebbelin, Carl Theophil* 41, 52, 207, 208, 211, 213 – 217, 221, 229, 234, 265, 410, 436, 623 – 626, 634, 636, 643, 645, 676, 841, 875, 954, 990, 991, 993, 998 Doebbelin, Caroline Maximiliane* 218, 624, 991 Doebbelin, Christina Luise 215 Doebbelin, Friederike* 250 – 252, 254, 634, 636, 643, 998 Doebbelin, Johann Ludwig 214, 215 Doebbelin, Maximiliane Christiane* 215 – 218, 234, 235, 265, 277, 623, 991, 992 Dorat, Claude-Joseph 881 Döring, Joseph 214 Dorsch, Maria Josepha Franziska, siehe Molitor Dresser, Hanna Margaretha 337, 525, 769, 786, 787 Dresser, Johann Philipp 337, 525, 526, 770, 794 – 796, 826 Dreyer, Johann Matthias 385, 386, 528, 530, 684, 1006 Drouin, Frau* 633 Duni, Egidio Romualdo 474, 618, 729 Dunst, Johann* 909, 912, 915, 918 Durazzo, Giacomo ( Jacob) Graf* 264, 636 Dürckheim, Baron von 137, 138 Dürckheim, Friedrich Chr. Eckbrecht von 137 Dürckheim, Ludwig Karl von 137 Dyck, Johann Gottfried 839, 899, 911, 916, 929, 946 E Ebert, Johann Arnold 472, 728, 729, 1009 Eckert, Gabriel 932 Edelsheim, Wilhelm Freiherr von 257 – 260 Einer, Andreas Dietrich 950 Ekhof, Georgine Sophie Caroline Auguste* 383, 603, 604, 646, 999 Ekhof, Hans Conrad Dietrich* 302, 309 – 312, 314, 326, 345, 361, 383, 392, 397 – 399, 553, 603, 646, 647, 651 – 654, 656, 658, 662, 667, 668, 675, 677, 690, 709, 710, 841, 859, 937, 989, 999 – 1001, 1006 Elenson, Sophie Julie 43 Endemann, Anna Elisabeth, siehe Toscani*
Engelbrecht, Johann Andreas 619 Engel, Johann Jakob 620 Erbs, Antoni von 149 Ernst II., Herzog von Sachsen-GothaAltenburg 842, 852, 853, 856, 857 Ernst August I., Herzog von Sachsen-WeimarEisenach 568, 569 Ernst August II. Konstantin, Herzog von SachsenWeimar-Eisenach 173, 557, 567, 1010 Ernst Friedrich III. Carl, Herzog von SachsenHildburghausen 637 Ernst Johann von Biron, Herzog von Kurland und Semgallen 38 Eschenbrenner, Frau von 223 Ettinger, Carl Wilhelm 856, 858, 913 Evers, Daniel Konrad Heinrich 496 F Falbaire, Charles-Georges Fenouillet de 472, 727 Favart, Charles-Simon 416, 608, 841, 853 Favier, Jean* 177 Federico, Gennaro Antonio 381, 617 Felser, Carl Johann Georg Friedrich* 925 Ferrari zu Occhieppo und Chiavezza, Josef Ludwig Johann Nepomuk Leopold Graf 868, 869, 896 Finsinger, Frau* 626 Finsinger, Herr* 626 Fischer, Herr* 141 Fischer, Johann David 654 Fleischer, August Wilhelm 285, 286, 434, 782, 783 Fleischer, Conradine Augusta Dorothee Maria 286, 287, 289, 305 Fleischer, Friederike 173, 174, 285 – 289, 305 – 307, 317, 434, 458, 471, 472, 475, 559, 570 – 572, 650, 652, 727, 728, 730, 742, 752, 782 – 785, 852, 961 Fleischer, Friedrich 434, 783 Fleischer, Friedrich Gottlob 286 Fleischer, Karl Christoph Wilhelm 173, 285 – 287, 306, 458, 471, 559, 570, 571, 650, 652, 783, 852 Fleischer, Wilhelmine 317, 434, 783 Fleischmann, Frau, siehe Wolfram* Flittner, Friederike, siehe Bethmann-Unzelmann* Flittner, Karoline Sophie Auguste, siehe Großmann* Frankenberg, Franz* 928, 935, 937 Frankenberg, Marianne* 935 Franz I. Stephan, Kaiser 171
1102 | Anhang Fredersdorff, Wilhelm Ludwig 285, 286, 289, 305, 306, 434, 458, 471, 558, 559, 783 Friderici, Anna Catharina, siehe Doebbelin* Friederike Charlotte, Prinzessin von HessenKassel 271 Friederike Sophie Wilhelmine, Markgräfin von Brandenburg-Bayreuth 137 Friedrich II., König von Preußen 51, 178 Friedrich II., Landgraf von Hessen-Kassel 271, 272, 639, 641, 642, 998 Friedrich III., Markgraf von BrandenburgBayreuth 137, 144 Friedrich August, Herzog von BraunschweigLüneburg-Oels 338, 660 Friedrich Christian, Kurfürst von Sachsen 179 Friedrich Ferdinand Konstantin, Prinz von Sachsen-Weimar-Eisenach 564 – 566, 568, 569, 1010 Friedrich Wilhelm I., König in Preußen 36 Friedrich (III.) Wilhelm Kettler, Herzog von Kurland und Semgallen 37 Fritsch, Catharina, siehe Pauli Fritsch, Catharina Elisabeth 67, 70, 446, 457, 478, 480 – 485, 491 – 495, 499, 521, 523, 528, 537, 543 – 549, 573, 575 – 582, 733 – 738, 742 – 744, 746, 749, 798, 844, 845, 951 Fritsch, Familie 481, 735, 736, 738, 739 Fritsch, Frau 71, 478, 482, 484 – 486, 495, 542, 543, 546, 572, 575, 576, 734, 844 Fritsch, Johann Otto 70, 71, 446, 478, 480, 481, 485, 488, 495 – 497, 506, 518, 522, 523, 537, 543 – 547, 549, 572 – 580, 734, 735, 746, 747, 769, 820 G Garbrecht, Frau* 229, 250, 252, 277, 632, 634, 642, 671 Garbrecht, Friedrich* 229, 252, 277, 634, 642, 671 Garrick, David 918 Gärtner, Karl Christian 912 Gäß, Franz Dominik 245 Geissler, Anton Joseph 42, 43 Gellert, Christian Fürchtegott 117, 617, 1008 Gemmingen-Hornberg, Otto Heinrich Freiherr von 898, 899, 916 Genlis, Stéphanie Félicité Du Crest de Saint Aubin Comtesse de 909, 912
Gensicke, Charlotte Marie Friederike* 908, 912, 915, 918 – 921 Gensicke, David Friedrich* 912, 918, 919, 921 Géraud, Elisabeth 392, 396, 400 – 402 Géraud, Pierre Jean (Peter Johann) 392 – 402, 419 Géraud, Samuel 392, 393, 397 – 402, 418, 419 Gerhard, Johanna Christiane, siehe Starke* Gerschlin, Carolina Sophia* 57, 172 Gessner, Friedrich 932 Gestewitz, Friedrich Christoph 910 Giraneck, Franziska Romana* 413, 415, 704, 913 Gleim, Johann Wilhelm Ludwig 705 Gluck, Christoph Willibald 932 Goethe, Johann Wolfgang von 11, 61, 96, 262, 406, 413, 416, 426, 620, 699, 704, 721, 922, 923, 936, 946 Goeze, Johann Melchior 336, 481 Goldoni, Carlo 272, 608, 614, 617, 716, 830, 853, 860 Goldsmith, Oliver 619 Görtz, Georg Heinrich von 651 Görtz, Johann Eustach Graf von 563, 565 Gossler, Anna Elisabeth 330 Gossler, Johann Eibert jun. 327, 330, 342 Gotter, Friedrich Wilhelm 619, 809, 813, 830, 834, 851, 855, 858, 860, 861, 863, 866, 873, 880 – 882, 888, 898, 906, 909, 912, 913, 915, 917, 921, 922, 935, 945 Gottsched, Johann Christoph 226, 230, 625, 627, 629 Gottsched, Luise Adelgunde Victorie 409, 613, 696, 702, 716, 1007 Gozzi, Carlo 880, 882, 917, 929 Graff, Anton 863 Graffigny, Françoise d’Issembourg d’Happoncourt de 409, 696, 702, 716 Grassinger, Maria, siehe Curioni* Greiffenclau zu Vollrads, Anna Margaretha von 168 Greiffenclau zu Vollrads, Johann Philipp, Fürstbischof von Würzburg 169 Greiffenclau zu Vollrads, Lothar Gottfried Heinrich von 168, 170 Greiffenclau zu Vollrads, Maria Anna Frederike Esther von 168 Greiffenclau zu Vollrads, Maria Anna Josepha von 168, 183
Indices | 1103 Greilich, Johann Christian 803, 804, 815, 821, 828, 919 Greilich, Katharina Helena 803, 815 Greiner, Johann Poppo Graf von 563 Grooth, Christiane Caroline, siehe Starke Groot, Johanna Maria, siehe Abendroth Großmann, Gustav Friedrich Wilhelm* 59, 235, 842 – 844, 857, 871, 875, 887, 903 – 908, 911, 914 – 918, 920, 924, 925, 928, 938 Großmann, Karoline Sophie Auguste* 77, 908, 910, 911, 915, 918, 920 Grund, Georg Christian 676 Günther, Familie 173 Guthart, Jacob 534, 752, 753, 760 H Haacke, Johann Kaspar* 43, 44, 164, 1004 Hacke, Peter Joachim 769 Hahn, Frau* 941, 949 Haller, Josepha, siehe Scholtz, Josepha* Hanisch(en), Eva 40 Hart, Anna Christina, siehe Schröder* Hartmann, Elisabethe Klara 853 Hauptmann, Anton Georg 930 Hauteroche, Noël Lebreton Sieur de 634 Heermann, Gottlieb Ephraim 565 Heineken, Christian Heinrich 621 Heise, Johann Arnold 244, 837 Heister, Johann Gottfried Graf von 892 – 895 Helmolt, Christian Georg von 918 Helmuth, Johann Friedrich d.Ä.* 842 – 844, 857 Helmuth, Johann Georg Gottlob* 843 Hensel, Friederike Sophie* 38, 177, 234, 265, 272, 340, 371 – 377, 381, 383, 385 – 390, 634, 637, 658, 659, 677, 678, 680, 682, 683, 686 – 690, 694, 800, 801, 861 – 866, 898, 992, 999, 1000, 1006, 1008 Hensel, Johann Gottlieb* 644, 999 Herr, Monsieur 935 Herrenschmidt, Georg Ludwig 496 Herrlitz, Johann Christoph* 411, 698, 699, 707 Herzog, Elisabeth 70, 72, 345, 355, 362, 364 – 367, 397, 405, 447, 477, 478, 480, 483, 492 – 494, 692, 732, 733, 735, 737, 738, 742 – 746, 752, 768, 769 Herzog, Ernst Johann 355, 362, 364 – 367, 397, 405, 419, 477, 478, 480, 494, 692, 732, 735, 737, 768 Heufeld, Franz 909
Heydenschild, Barbara Christine, siehe Kirchhof(f )* Hilbrandt, Catharina, siehe Kummerfeld Hilbrandt, Diedrich Wilhelm 67 Hilbrandt, Herr 68, 70, 418, 430, 433, 445 – 448, 450, 454, 457, 479, 482, 483, 487, 497, 499, 507, 525, 526, 533, 535 – 538, 542, 544, 545, 549, 734, 736, 740, 749, 755, 762, 775 Hilbrandt, Katharina Gertrud 68, 69, 71, 502 Hilbrandt, Martin 68, 445 Hilbrandt, Sebastian Heinrich 71, 72 Hil(de)brandt, Hinrich Sebastian 445, 479, 503, 504 Hildmeier, Herr* 141 Hiller, Johann Adam 417, 617, 692, 916, 1008 Hilverding, Maria Margaretha, siehe Prehauser* Hinrichs, Christiane Elisabette Louise 791, 849, 896 Hinrichs, Johann (von) 815 Hinrichs, Katharina Helena, siehe Greilich Hinrichs, Magdalene 791, 815 Hinrichs, Simon d. Ä. 791, 815 Hinrichs, Simon d. J. 790, 803, 814, 815, 825, 827, 829, 837, 845, 849, 850, 896, 919 Hippel, Theodor Gottlieb 534 His, François 772 His, Pierre 772 Hoadley, Benjamin 813, 830, 860, 934 Hoffmann, Klara* 231, 243, 353, 354, 368, 627, 673, 993, 994 Holberg, Ludvig 296 Holtei, Karl von 92, 95, 96, 104 Hönicke, Christian Friedrich 859 Höpfner, Frau 775, 776 Höpfner, Gretchen 583, 776, 777, 784, 787, 789, 803, 804, 807, 814, 815, 822, 823, 834, 850 Höpfner, Herr 775, 776 Höpfner, Maria Cäcilia 850 Höpner, Gretchen, siehe Höpfner Horschelt, Franz* 897, 900 Hübler, Karoline Elisabeth* 410, 697 Hufeland, Christoph Wilhelm 955 Hüffel, Anna Katharina 794 Hüffel, Ludwig Amandus 794, 804, 815, 821, 823, 825, 827, 828 Hufnagel, Marianne, siehe Simoni* Huth, Caspar Jacob 140
1104 | Anhang I Iffland, August Wilhelm* 426, 608, 619, 645, 856, 859, 860, 930 J Jagemann, Caroline 859 Johann Adolf II., Herzog von SachsenWeißenfels 42 Johann IX. Philipp von Walderdorff, Erzbischof und Kurfürst von Trier 214 Jones, Henry 839, 899, 946 Jordan, P. Aemilianus 303 Josephie, Frau 245 Joseph Ignaz Philipp von Hessen-Darmstadt, Fürstbischof von Augsburg 54, 119 Jünger, Johann Friedrich 619 Jüranz, Gräfin 245 Jüttner, Herr* 910, 911, 918, 920 K Kals, Herr 872, 873 Karl I., Herzog von Braunschweig-Wolfen büttel 289, 472 – 474, 559, 570, 571, 644, 645, 728, 1009 Karl Friedrich, Markgraf von Baden(-Durlach) 256, 257, 259 – 261, 631 Karl Theodor, Kurfürst von der Pfalz 216 Karl Wilhelm Ferdinand, Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel 287 Karoline Luise, Markgräfin von Baden(-Durlach) 256, 258, 259, 261 Kegel, Herr 141 Keil, Henriette 793 Keller, Herr* 214 Kelly, Hugh 937, 944 Khaser, Anne Therese 882 Kirchhof, Johann Heinrich 308, 651 Kirchhöfer, Johann Georg* 707 Kirchhof(f ), Barbara Christine* 273, 277, 642 Kirchhoff, Familie 323, 324 Kirchhoff, Frau 323, 324 Kirchhof(f ), Gustav Friedrich* und Barbara Christine 273, 277, 637, 642 Kirchhoff, Herr 323, 324 Kirms, Franz 83, 85, 90, 91, 95, 96, 926 Kirsch, Frau* 177, 178, 189
Kirsch, Johann Christoph* 51, 174, 177 – 179, 189, 190, 990 Klefelder, Katharina Magdalena, siehe Brückner* Kleist, Heinrich von 187 Klemm, Christian Gottlob 387, 686 Klinglin, François-Joseph de 250 Klinglin, Friederike von, siehe Doebbelin* Klopstock, Friedrich Gottlieb 321 Kloß, Gräfin 160 Knape, David 40 Knape, Elisabeth, siehe Schulze Knorre, Otto Heinrich 358, 359 Koch, Christiane Henriette* 406 – 408, 412, 414, 417, 435, 693 – 695, 700, 701, 704, 715, 1002 Koch, Franziska Romana, siehe Giraneck* Koch, Friedrich Karl* 230, 370, 406, 410, 693, 696, 931, 933, 996 Koch, Heinrich Gottfried* 53, 58, 211, 218, 277, 340, 387, 393 – 395, 405, 406, 408 – 411, 413 – 418, 422, 424, 425, 434 – 439, 441, 459, 553, 624, 625, 633, 651, 659, 660, 685, 686, 691, 693 – 697, 700, 701, 704 – 709, 715 – 718, 759, 863, 874, 901, 922, 959, 1001, 1002, 1006, 1007, 1010 Köhler, Demoiselle* 174, 188 Köhler, Friedrich 174, 188 Kohn, Balthasar 45 Köhn, Joachim Hinrich 829 Kormarten, Christoph 417 Kotzebue, Johanna Caroline Amalie von 940 Kovács, Sophie, siehe Seipp* Kreuchauf, Franz Wilhelm 462, 722 Krüger, Caroline 952 Krüger, Johann Christian 180, 337, 345, 614, 660, 667, 675 Krüger, Karoline 415 Kühn, Jérôme 536 Kummerfeld, Catharina 65, 67, 431, 445, 480, 733 Kummerfeld, Catharina Elisabeth, siehe Fritsch Kummerfeld, Diedrich Wilhelm 15, 31, 32, 53, 56, 59, 61, 62, 64, 65, 67 – 70, 72 – 74, 84, 98, 178, 180, 342, 350, 353, 355, 357, 358, 360 – 362, 364 – 366, 385, 391, 392, 397, 399, 402 – 405, 419, 426 – 430, 432 – 439, 441 – 451, 453 – 456, 458, 460, 462, 463, 465, 475 – 478, 480 – 502, 504 – 510, 512 – 532, 534 – 536, 538 – 560, 564, 566, 568 – 583, 605, 608, 663, 664, 671, 673, 674,
Indices | 1105 677, 692, 709 – 718, 720, 722, 730 – 741, 743, 745 – 753, 755 – 797, 799, 800, 804 – 806, 808, 812, 816 – 820, 826, 827, 829, 830, 832, 833, 838, 845, 847, 849 – 851, 887, 1002, 1006 – 1009, 1011 Kummerfeld, Hinrich d.Ä. 65, 445, 480, 503, 733 Kummerfeld, Hinrich d.J. 67 – 69, 72, 355, 430, 446, 450 – 456, 479, 480, 483, 484, 487, 496 – 499, 502, 507, 516, 522, 523, 544, 546, 548, 549, 573, 582, 713, 733, 734, 737, 746 – 749, 751, 770, 771, 777, 781, 804, 845, 846 Kunst, Christian Friedrich Karl* 915, 928 – 930, 936, 938, 939, 944, 945 Kurz, Felix 45, 49 Kurz, Johann Joseph Felix (von) gen. Bernardon* 51, 168, 170, 171, 215, 374, 418, 425, 436 – 438, 687, 707, 709, 717, 989, 1001 L La Font, Joseph de 273, 417 La Harpe, Jean François de 915 La Motte, Antoine Houdar de 409, 416, 608, 611, 696, 947 Lange, Frau 461 – 463, 721, 722 Lange, Gottfried 230, 621 Lange, Johann Gottfried 461 – 463, 721, 722 La Place, Pierre Antoine de 130 Laudes, Joseph Gottwill von 904 Le Bœuf, Jean-Joseph* 473, 474, 729 Leckert, Hermann 97 Le Grand, Marc-Antoine 614, 625, 912, 915, 917 Leinhaas, Johann Ernst 43, 126 Lemierre, Antoine-Marin 618 Lenthe, Carl Levin Otto von 858, 859 Leo, Georg Ludwig* 888 Leonhard(t), Samuel Friedrich* 925, 928 – 930 Leopold, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg 571 Leppert, Johann Martin 868 Lesage, Alain-René 866 Leslie, Carl Cajetan Graf von 48, 120 Lessing, Gotthold Ephraim 272, 305, 364, 374, 384, 421, 423, 457, 458, 464, 472, 473, 608, 612, 620, 644, 648, 687, 695, 704, 708, 719, 727 – 729, 814, 853, 861, 868, 871, 878, 880, 882, 885, 899, 908, 937, 941, 953, 954, 957, 1006, 1008, 1009 Leve, Carl Friedrich 828, 829, 832 Liebich, Johann Karl 265
Lillo, George 424, 613 Lincke, Karl Christian 922 Ling, Katharina Magdalena, siehe Löwe* Lippe, Graf von der 273 Lippelding, Johann Gabriel 68, 430, 483, 497 Lippelding, Johann Joachim 68, 430, 483, 497 Litzmann, Berthold 18, 87, 98 Locatelli, Giovanni Battista* 51, 57, 171, 172, 179, 229, 230, 628, 989 Lo Presti, Rocco Baron de* 125, 127, 1005 Lossau, Christian Joachim 339 Lossau, Karl Ernst August 339 Lourdet de Santerre, Jean-Baptiste 932 Löwe, Johann Karl* 410, 697, 703, 705 – 707 Löwe, Katharina Magdalena* 410, 697, 703, 705, 706, 740 Löwen, Elisabeth Lucia Dorothea* 337, 381, 384, 657, 682, 1006 Löwen, Johann Friedrich* 312, 337, 360, 371, 373, 380, 381, 383 – 386, 388, 389, 405, 409, 412, 414, 415, 426, 657, 658, 678 – 685, 688, 690, 696, 701, 702, 709, 710, 754, 1006, 1008 Ludewig, Carolina 952 Ludwig Georg Simpert, Markgraf von BadenBaden 631 Lueger, Franz Georg Heinrich Aloys von 131, 159, 160 Lueger, Kordula von 159 Luise, Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach 940, 941 Luise Christine, Herzogin von Sachsen-Weißenfels 119 Luise Friederike, Herzogin von MecklenburgSchwerin 336, 767 Lükens, Herr 544 Lütkens, Nicolaus Gottlieb 544 M Madstädt, Anna Theresia 57 Madstädt, Johann Joseph 57 Maraskelli, Madame* 897, 898 Marchand, Magdalena* 882 Marchand, Theobald 882 Maret de la Rive, Elisabeth, siehe Géraud Maria Anna von Sachsen, Kurfürstin von Bayern 130, 1005
1106 | Anhang Maria Antonia Walpurgis, Kurfürstin von Sachsen 562 Maria Carolina von Savoyen, Prinzessin von Sardinien 891 Maria Elisabeth Josepha, Erzherzogin von Österreich 876, 891 Maria Kunigunde von Sachsen 55 Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich 171 Marie Antoinette von Österreich-Lothringen, Königin von Frankreich 55 Marivaux, Pierre Carlet de Chamblain de 898 Marsollier des Vivetières, Benoît-Joseph 949 Massé, Grete 100 Mathias, Emanuel 797, 804 Matthaei, Carl Johann Conrad Michael 11 Matthiessen, Conrad Johann 772 Maximilian, Prinz von Hessen-Kassel 270 Maximilian II. Franz, Erzherzog von Österreich 891 Maximilian III. Joseph, Kurfürst von Bayern 130, 1005 Maximilian Friedrich Graf von KönigseggRothenfels, Kurfürst und Erzbischof von Köln 842, 844, 909, 917, 920 Mayberg, Johann Wilhelm* 126, 620, 621 Mayer, Herr 747 Mayer, Herr* 165, 167 Mayer (Meyer), Herr, Leibarzt 249, 250, 252, 254 – 256 Mecour, Louis* 141 Mecour, Susanne* 811, 839, 840 Meisenbug, Ernst-Wolrad von 276 Meißner, August Gottlieb 915, 933 Menninger, Johann Matthias* 163, 165 Menninger, Josepha, siehe Schulz* Merleck, Christiane Henriette, siehe Koch* Metzner, Johanna Christiane 925 Metzner, Sigismund* 925 Meyer, Christine Henriette* 859, 913 Meyer, Friedrich Wilhelm Ludwig 497 Meyer, Heinrich 497 Meyer, Postmeister 1006 Meyer, Wilhelm Christian Dietrich* 854, 859, 860 Mézières, Frau* 473, 474, 728, 729 Michaelis, Johann Benjamin 687 Michaud, N.* 370
Michelanzky, Johann Baptist* 144, 145, 150, 151, 153 – 156, 158, 586 Mierk, Georg Ehrenfried* 211, 213, 678 Mingotti, Pietro 651 Mion, Gottlieb 61, 170 Mion, Marianna, siehe Brunian* Modène, Charles François Raymond de 684 Molière 127, 227, 272, 613, 614, 617, 625, 862 Molitor, Franz Anton von 56, 168 Molitor, Maria Josepha Franziska von 56, 168 Möller, Heinrich Ferdinand 941 Mombauer, Karolina, siehe Schulze Monrat von und zu Schönbrunn, Johann Christoph Felix Freiherr von 131 Monsigny, Pierre Alexandre 946 Montfort, Maria Franziska, siehe Gäß Moretti, Pietro 179 Most, Frau 768 Most, Herr 768, 769 Müller, Andreas 169 Müller, Herr und Frau* 125, 127 Müller, Joseph Ferdinand 44 Münchhausen, Juliane Ernestine Freifrau von 169 Murphy, Arthur 813, 861, 880 Musäus, Johann Karl August 580 Musculus, Charlotte 940, 941 Mylius, Karl* 265, 370, 634, 636, 640, 644, 998 N Naumann, Cornelia 104 Neefe, Susanne* 915, 917 Neuber, Friederike Caroline* 38, 41, 77, 177, 178, 238 Neuhaus, Karl Ludwig Christian 883 Neuhaus, Regina Franziska* 883 Neumann, Christiane 934 Neumann, Johanna Elisabeth 934 Neumann, Johann Christian* 934, 937, 942, 943, 945 – 947 Neumeister, Erdmann 822 Nicolai, Friedrich 29, 90, 91, 93, 94, 599, 708 Nicolini, Filippo* 172, 370, 622, 643, 990, 998 Nicolini, Therese, siehe Bellomo* Nikolassen, Joachim Hinrich 652 Nölting, Ernestine Katharina 554 Nölting, Johanna Elisabeth Hedwig 554, 583, 847
Indices | 1107 Nölting, Johann Heinrich Vincent 403, 481, 482, 528, 554, 583, 735, 736, 847 Nostitz, Graf 51, 179, 185 – 195, 200, 206 Nüth, Franz Anton 238 O Oertel, Friedrich Benedikt 460, 720, 1008 Oeser, Adam Friedrich 11, 428, 440, 441, 608, 778, 873, 1007, 1008 Oeser, Friederike Elisabeth 778, 873 Oeser, Rosine Elisabeth 778 Oeser, Wilhelmine 778 Ohl, Anna Christina* 631 Ohl, Frau, siehe Wolfram* Ohl, Johann 631 Orneval, Jacques-Philippe d’ 866 Otway, Thomas 130 P Paartl, Elisabeth* 868 – 871, 873, 877, 878, 887, 894, 900, 909 Paisiello, Giovanni 932, 949 Pannitzi, Herr von 896 Pannitzi, Xaver von 896 Pauli, Catharina 70, 71, 457, 478, 480, 481, 483 – 486, 492, 495, 542 – 549, 554, 557, 572, 574 – 579, 582, 734, 735, 738, 743, 763, 845 Pauli, Johann Peter 71, 446, 526, 542, 543, 545 – 549, 572 – 582, 763, 951 Pergolesi, Giovanni Battista 381, 617 Peter I., Zar von Russland 37 Petrarca, Francesco 312 Peyerl, Johann Nepomuk* 878 Piloti, Regina Franziska, siehe Neuhaus* Plahn, Hinrich 542, 547 Plümicke, Karl Martin 933 Poisson, Philippe 309, 945 Popert, Meyer Wolf 773, 774, 777, 798, 825, 828, 829 Prehauser, Gottfried* 43, 124 – 127, 1004 Prehauser, Maria Margaretha* 124 Preissler, Susanne, siehe Mecour* Preysing, Johann Carl Joseph Clement Maria Graf von 145 – 147 Prottcke, Josepha* 896 – 898 Putbus, Moritz Ulrich Graf von 922
Q Qua(r)tal, Anton* 172, 567, 622 Quequo, Heinrich Leopold* 379 R Rabenau, Josepha, siehe Schulz* Racine, Jean Baptiste 226, 230, 608, 611, 625, 627 Rademin, Barbara Maria* 77, 174, 188 Rademin, Heinrich 77 Ralph, James 839, 899, 946 Rautenstrauch, Johann 938 Regnard, Jean-François 416, 646, 675, 696 Rehberg, Friedrich 778 Reichard, Heinrich August Ottokar 88, 92, 93, 603, 605, 607, 609 – 612, 614, 616, 618, 619, 631, 676, 710, 724, 725, 794, 811, 837, 841, 854 – 856, 858, 861 Reiman(n), Rahel 40 Riccoboni, Luigi 148 Richardson, Samuel 272 Richter, Barbara 120 Rinzinger, Herr und Frau* 222 Rögglen, Christian Heinrich Gottfried* 924, 926 – 928, 930 – 932, 936, 937, 949 Rögglen, Frau* 930, 932, 936, 937 Rosa, Pietro 868 Rosenberg, Philipp Graf von* 894, 896, 898, 900 Rousseau, Jean-Jacques 873, 887 Rumohr, Frau von 528 Ruphofer, Frau* 897 S Saint-Foix, Germain-François de 617 Salieri, Antonio 949 Sartori, Ludwig* 867 Schädel, Herr 142, 143, 150, 153 Schädel (Schedel), Catharina* 51, 142, 143, 150 – 156 Scheefer, Josepha 859 Schenk, Herr von 888, 890 – 892 Scheppeler, Herr de 241 Schiebeler, Daniel 11, 304, 311, 312, 314, 360, 361, 382, 405, 406, 408, 412, 414 – 416, 528, 553, 653, 674 – 676, 680, 685, 691 – 693, 695, 700 – 702, 1007 – 1009 Schiemann, Joseph* 235, 904 Schiller, Friedrich von 61, 909, 934
1108 | Anhang Schink, Johann Friedrich 606 – 608, 611 – 614, 616, 631, 916, 943 Schirmer, Catharina*, siehe Courtée* Schlegel, August Wilhelm von 654 Schlegel, Johann Adolf 345, 667, 675 Schlegel, Johann Elias 260, 308, 385, 406, 651, 913, 1007 Schleißner, Christiane Sophie* 174, 188 Schletter, Salomo Friedrich 917 Schlosser, Johann Ludwig 481 Schmid, Christian Heinrich 754, 839, 899 Schmidt, Anna Elisabeth 788, 848 Schmidt, Christiane Elisabette Louise, siehe Hinrichs Schmidt, Elisabeth, siehe Paartl* Schmidt, Johann Friedrich 421, 422, 708, 710, 814 Schmidt, Johanna Christiana 791, 814 Schmidt, Nicolaus Adolph 788, 847 – 849 Scholtz, Josepha* 871, 875, 894, 899 Scholze, Johann Sigismund gen. Sperontes 232, 629 Schönemann, Elisabeth Lucia Dorothea, siehe Löwen* Schönemann, Johann Friedrich* 41, 298, 300, 657 Schönemann, Karl Heinrich* 373, 380, 382, 385, 386, 678, 679, 684 Schopenhauer, Johanna 11, 95, 96, 416, 704 Schopf, Andreas 868 Schorn, (Maria) Theresia, siehe Weidner Schreiber, Abraham 68 Schreiber, Gertrud 68, 445 – 448, 454, 457, 479, 482, 487, 494, 497, 507, 521 – 523, 526, 535, 536, 538, 573, 574, 578, 581, 582, 734, 736, 740, 762 – 765, 844 Schröder, Anna Christina* 814, 839, 945 Schröder, Friedrich Ludwig* 336, 338, 345, 378, 379, 531, 637, 660, 667, 668, 676, 683, 685, 691, 692, 799, 802, 809 – 812, 814, 815, 830 – 832, 834, 838 – 841, 880, 882, 886, 899, 904, 908, 909, 917, 918, 937 – 939, 944, 945, 950, 954, 992, 998, 1000, 1001, 1006 Schröter, Anna 127 Schröter, Frau* 644 Schröter, Johann Andreas 127 Schröter, Ludwig* 326, 637, 644, 999 Schröter, Mademoiselle* 127
Schuback, Jacob 335, 336, 361, 372, 421, 676, 815 – 821 Schubert(h), Johann Gottlieb* 410, 411, 623, 697 Schuch, Barbara Maria, siehe Rademin* Schuch, Franz d.Ä.* 51, 77, 131, 171, 173 – 176, 188, 218, 229, 374, 624, 625, 687, 993, 1005 Schuch, Margareta Christiane Sophie 174 Schüler, Carl Julius Christian 466 Schultze, Georg Heinrich 792 Schulz, Johann* 50, 51, 56, 126, 127, 129 – 136, 158 – 166, 621, 880, 987, 1005 Schulz, Josepha* 129, 130, 161, 162, 164, 165, 987, 988, 1005 Schulz, Maximiliane Christiane, siehe Doebbelin* Schulz, Sophie Elisabeth, siehe Boeck* Schulze, Augustina Sibylla* 34 – 38, 46, 48 – 50, 52, 53, 55, 60, 113 – 145, 147 – 152, 154 – 160, 162, 165 – 176, 179, 180, 182 – 184, 186 – 196, 198 – 213, 217 – 219, 221 – 223, 226, 232, 236, 241, 246, 247, 249 – 255, 261, 263 – 265, 267 – 269, 271 – 273, 278, 281, 283 – 285, 288, 291, 294 – 297, 299, 305 – 308, 310, 316 – 325, 328, 330, 331, 333, 337 – 339, 342, 343, 345 – 356, 367, 371, 375, 426, 428, 432, 433, 509, 511, 513, 541, 579, 618, 621 – 623, 625, 626, 629, 631, 632, 634 – 637, 643, 648 – 650, 652, 654 – 656, 659, 661, 662, 664 – 670, 672, 673, 677, 697, 711, 712, 746, 788, 791, 792, 833, 974, 987 – 989, 998, 1000, 1003, 1005, 1006 Schulze, Carolina Sophia*, siehe Gerschlin* Schulze, Christian* 34, 38 – 46, 48 – 52, 55 – 57, 60, 113 – 116, 118 – 152, 155, 157 – 213, 230, 233, 278, 302, 319, 352, 375, 400, 426, 428, 541, 621 – 623, 625, 676, 697, 711, 712, 718, 792, 833, 844, 868, 974, 987 – 989, 1003, 1005 Schulze, Christian Ferdinand* 44, 49 – 51, 55 – 57, 119, 121, 122, 126, 129, 132, 135, 142, 172, 1004 Schulze, Dorothea 42 – 44, 46, 119, 164 Schulze, Elisabeth 38, 40, 114 Schulze, Familie 114 – 118, 172, 174, 175 Schulze, Franz Dominicus 50, 53, 140 – 143 Schulze, Georg 38 – 40, 114, 1003 Schulze, Karl Alois* 46, 48 – 50, 52, 53, 55 – 61, 119 – 123, 126 – 128, 141, 142, 151, 152, 156 – 158, 162, 163, 166, 171, 174 – 178, 184, 189, 191 – 193, 196 – 208, 211 – 214, 217, 218, 223 – 226, 230, 231, 241 – 243, 245, 247, 249,
Indices | 1109 251 – 259, 261 – 265, 271 – 273, 277, 290, 291, 294, 295, 299 – 301, 304, 306, 316, 321 – 325, 330, 333, 338 – 340, 342 – 344, 347 – 370, 373, 380, 386 – 390, 392, 393, 398, 408, 410, 412, 413, 415, 417 – 419, 422 – 425, 435 – 439, 445, 447, 449, 453, 457, 459, 463, 465 – 469, 471, 488, 509, 513, 541, 553, 557, 564 – 566, 568, 570, 580 – 583, 620, 622, 624, 625, 628 – 630, 632 – 637, 643, 645, 648, 649, 653, 655, 656, 658 – 660, 664 – 666, 669 – 674, 677, 679, 684 – 686, 688, 693, 695, 696, 699 – 702, 704, 707 – 709, 715, 717 – 720, 722, 723, 742, 752, 759, 770, 771, 777, 778, 780 – 783, 788, 795, 796, 798, 800 – 804, 819, 829, 830, 833, 839, 850, 851, 896, 902, 903, 906, 962, 974, 987, 989, 994, 998, 1000 – 1002, 1004, 1007, 1009 – 1011 Schulze, Karl Ferdinand Friedrich 58, 907 Schulze, Karolina 58, 59, 903, 907 Schulze, Marianna, siehe Brunian* Schütt, Frau 769, 787, 789 Schütt, Peter Andreas 769 Schützer, Johann Christoph 526 Schwager, Johann Georg* 142, 156 Schwan, Christian Friedrich 474, 729 Schweitzer, Anton 565, 873 Schwerdtner, Anna Margarethe 68, 74, 430, 455, 495, 497, 499, 747, 770 – 774, 776, 777, 795, 819, 834 Schwerdtner, Familie 68, 74, 430, 446, 449, 452, 454, 456, 479, 497, 516, 771, 773, 775, 776, 795, 834, 850 Schwerdtner, Johann Christoph 68, 74, 430, 455, 497, 502, 516, 770 – 777, 791, 819, 825 Schwerdtner, Margarete 69, 72, 455, 495, 497, 499 Scotti, Franz Joseph* 628 Sedaine, Michel Jean 946 Sedelmayer, Johann von 131 Seeau, Joseph Anton Johann Adam Dismas Graf von* 436, 879 – 886 Seeau, Maria Walpurgis Therese Elisabeth Gräfin von 885 Seipp, Christoph Ludwig* 676, 865, 867, 868, 870, 872, 873, 875 – 877, 887 Seipp, Karl 873 Seipp, Sophie* 77, 873, 877, 887 Selb, Anton Graf von 896 Selliers, Joseph Carl* 125, 127, 1005
Seydelmann, Franz 931, 933 Seyler, Abel* 374, 383, 384, 553, 588, 682, 778, 800, 801, 859 – 861, 863, 866, 890, 903, 922, 1010 Seyler, Friederike Sophie, siehe Hensel* Shakespeare, William 417, 607, 608, 612, 654, 871, 899, 908, 909, 916, 938, 943 Sheridan, Richard Brinsley 619 Sillem, Garlieb Helwig 772 Simoni, Friedrich* 868, 869, 894, 897 Simoni, Marianne* 868, 870, 894, 897 Smitt, Maria Catharina* 876 Smitt, Wilhelm* 876 Soden, Julius Heinrich von 947 Soltau, Dietrich Wilhelm 316, 319, 320, 327 – 334, 419, 433, 434 Soltau, Martin Wilhelm 328, 329, 331 – 334, 419 – 421 Sparmann, Friederike Sophie, siehe Hensel* Spiegelberg, Georgine, siehe Ekhof* Spieß, Christian Heinrich 916, 947 Sporck, Franz Anton Graf von 42, 44 Spreckelsen, Franz Hermann von 850 Sprickmann, Anton Matthias 881, 899 Stadion, Gräfin von 245 Stamer, Anna Margarethe, siehe Schwerdtner Starke, Christiane Caroline 874 Starke, Frau* 874 Starke, Johanna Christiane* 302, 409, 411, 441, 646, 839, 840 Starke, Karl* 874, 878 Stein, Theodor Friedrich 390 – 393, 395 – 397, 399 Steinbrecher, Karoline Elisabeth, siehe Hübler* Steinbrecher, Wilhelmine* 410, 623, 697 Steiner, N. 308, 651 Steinfeld, Herr 354, 355, 362, 405 Steinsberg, Carl Franz Guolfinger von 909 Stemler, Johann Christian 453 Stephanie, Christian Gottlob d. Ä. 813, 861, 880 Stephanie, Johann Gottlieb d. J. 907, 932 Stern, Jacob Meyer 825, 828, 829 Stirn, Johann Daniel 641 Stisser, Conradine Augusta Dorothee Maria, siehe Fleischer Stüven, Peter von 614 Suse, Herr 782 Suse, Hieronymus Johann Bernhard 781
1110 | Anhang T Theodora von Hessen-Darmstadt, Herzogin von Guastalla 54, 55, 119, 121 Thomerle, Herr* 898 Tillemann, Johann Martin 384 Toerring, Joseph August Graf von 888, 957 Torchiana, Maximilian 463, 723 Toscani, Anna Elisabeth* 862, 863, 866 Toussaint, François Vincent 403 Trapp, Catharina Elisabeth Gräfin von 895 Trapp, Kaspar Ignaz Graf von 895 Trapp, Maria Rosa Gräfin von 895 Tschorn, Sophie, siehe Ackermann* Tympe, Ernestine Katharina, siehe Nölting U Uhde, Hermann 85, 87, 96, 97, 104 Ulerici, Caroline* 142, 148 Ulerici, Herr 142 Ulrike Sophie, Herzogin von MecklenburgSchwerin 336, 767, 768 Unterfutter, Herr* 677 Unzer, Johann Christoph 834, 836, 908 Urban, Frau* 881, 883 – 885 V Veri, Karl Konrad de* 875 – 877, 879, 886 – 892 Vieweg, Friedrich d. Ä. 94 Villeneuve, Monsieur* 242, 633, 995 Voigt, Amalie von 95, 96 Voltaire 272, 335, 376, 417, 618, 619, 648, 658, 690, 809, 861, 866, 881, 888, 906, 913 Vulpius, Christian August 925 W Waack, Anna Elisabeth, siehe Gossler Wagner, Friedrich Gottlob 495, 496, 746, 747 Wagner, Heinrich Leopold 875, 935 Wahr, Karl 868 – 870 Waldstein, Joseph Karl Emanuel Graf von 61 Waldtmann, Johann Friedrich Marcus 43 Wallenstein, Christiane Henriette, siehe Beck* Walter, Frau 124, 125, 1004 Weidmann, Paul 716, 776, 938 Weidner, Elisabeth* 137 – 140 Weidner, Johann Andreas* 136 – 140 Weidner, (Maria) Theresia 139
Weiskern, Friedrich Wilhelm* 34, 53, 130, 258, 259, 264, 265, 272, 636, 637 Weiskern, Paulina 34, 35, 120 Weiß, Frau, siehe Starke* Weiße, Christian Felix 94, 415, 417, 440, 608, 704, 705, 809, 811, 863, 916, 953, 954, 1007, 1008 Wen(t)zig, Frau, siehe Cynnas* Werthes, Friedrich August Clemens 929 Westerfeldt, Johann Marcellius 40 Wetke, Amalia 952 Wetke, Doris 952 We(t)zel, Christian* 888, 893, 894 We(t)zel, Marianne* 888, 893, 894 Wezel, Johann Karl 858 Wibmer, Herr von* 886 – 889 Wieland, Christoph Martin 237, 241, 553, 923 Wilhelm Ludwig, Prinz von Baden-Durlach 258, 259 Willers, Wilhelmine 789, 814 Willers, Wilhelm (Wilken) 789 Winckler, Gottfried 462, 722 Winckler, Johanna Henriette 462, 722 Winkelblech, Frau 241 Wirsching, Baronin von 149 Wirsching, Baron von 149 Withöft, Josepha* 413, 415, 704 Wittenberg, Albrecht 451, 452, 1009 Witzel, Christiane 955 Witzel, Frau 954 Witzel, Johann Friedrich 954 Witzleben, Friedrich Hartmann von 570 Witzmann, Frau* 178 Witzmann, Herr* 189 Wolf, Ernst Wilhelm 565 Wolf, Leutnant 273, 274, 280, 283 Wolff, Franz 249 Wolfram, Frau* 250, 252, 631, 671 Wolfram, Georg Friedrich* 252, 277, 631, 637, 642, 671, 676 Z Zachariä, Justus Friedrich Wilhelm 472, 473, 728, 729, 1009 Zander, Familie 636 Zander, Herr 637 Zedtwitz, Anton Ferdinand von 44 Zelius, Johann Christian* 130
Indices | 1111 Zemisch, Frau 460 Zemisch, Gottlieb Benedikt 460 Zentner, Friedrich 264, 636 Ziegeler, Frau 778 Ziegeler, Herr 135, 778, 779, 782
Ziegler, Herr* 894 Zöge von Manteuffel, Otto Jakob 338 Zöllner, Herr und Frau 218 – 222 Zorer, Anton 48 Zweyer von Evenbach, Frau 245
2. Ortsregister Das Ortsregister bezieht sich nur auf die Editionstexte.
Aachen 217, 218, 991 Aarau 234, 994 Allstedt 569 Altona, siehe Hamburg-Altona Amerika 783 Amsterdam 544 Annaberg-Buchholz 503 Augsburg 119, 867, 871, 874, 875, 878, 880, 882, 886 – 888, 924, 957 Baden bei Wien 165 Baden/Kanton Aargau 232, 234, 235, 629, 922, 994 Basel 232, 234, 239 – 241, 629, 994, 996 Bayreuth 136 – 140 Bergedorf, siehe Hamburg-Bergedorf Berlin 115 – 118, 378, 395, 436, 720, 841, 954 Bern 234 – 237, 241, 467, 630, 994, 996 Blankenburg/Harz 560, 570 Bonn 214, 842, 843, 904, 907, 908, 911, 914, 918, 920, 921, 924, 925, 930, 934, 951, 991 Braunschweig 172, 173, 181, 280, 281, 284, 285, 287 – 289, 296, 305 – 308, 434, 452, 457, 464, 470, 471, 473, 475, 558, 567, 568, 570 – 572, 617, 622, 643, 648, 650, 705, 727, 728, 730, 783, 852, 990, 998, 999, 1009, 1010 Bremen 321 – 328, 339, 341, 353, 356, 655 – 657, 673, 929, 1000 Breslau (Wrocław) 125, 185 Buxtehude 321, 322, 655 Colmar 239 – 241, 876, 922, 996 Damgarten, siehe Ribnitz-Damgarten Dresden 172, 177, 178, 189, 190, 197, 206, 208, 209, 417, 623, 697, 778, 796, 830, 922, 933, 990 Duderstadt 560 Düsseldorf 214, 215, 875, 991 Eichstätt 168, 169, 988, 989
Einsiedeln 236 Eisenach 921, 923, 925, 927, 928, 931, 932, 937 Eisleben 570 England 888 Erfurt 207, 212, 213, 568, 623, 921, 926 – 928, 930, 931, 990 Erlangen 136, 137, 140, 144, 145, 214, 988 Frankfurt/Main 218, 221, 262 – 264, 266, 270, 425, 634 – 636, 639, 830, 850, 902, 904, 907, 908, 921, 951, 991, 997 Frankfurt/Oder 113 – 115, 175, 176, 623, 990, 1003 Frankreich 291, 758, 888, 889 Freiberg/Sachsen 189, 197, 199, 623, 990 Freiburg/Breisgau 245, 248, 253, 631, 996, 997 Freising 131, 133, 988 Fürth 138, 139 Gotha 603, 604, 608, 610, 841 – 844, 852 – 855, 857 – 862, 866, 867, 872, 913, 918, 921, 923, 945 Göttingen 298, 300, 301, 304, 305, 311, 406, 414, 647, 648, 653, 654, 701, 999, 1007 Graz 930 Halle/Saale 114, 468, 469, 723 Hamburg 306 – 310, 316, 317, 321, 322, 325, 327, 328, 330, 331, 335, 339 – 341, 350, 353 – 357, 359, 360, 363, 367, 370, 371, 376, 378 – 381, 384, 387, 388, 390, 393, 394, 397, 398, 402 – 408, 410, 412, 414, 415, 417, 419 – 425, 427 – 429, 431, 432, 434, 435, 437 – 440, 445, 447, 451, 454, 455, 458, 464, 465, 472, 475, 476, 478, 480, 484, 488, 491, 495, 496, 501, 503, 522, 525, 528, 530, 536, 538, 543, 544, 549, 550, 552, 553, 558, 560, 569, 571, 572, 580, 605, 606, 608, 611, 612, 618, 632, 633, 648 – 651, 653 – 657, 659, 662, 667, 673 – 679, 682, 685 – 688, 690 – 695, 702, 707 – 712, 714 – 718, 732 – 734, 739, 740, 746, 750, 754, 758,
1112 | Anhang 761, 762, 766, 769, 770, 774, 778 – 781, 788, 793, 796, 798, 799, 801, 803, 805, 808, 814, 817 – 819, 821, 829 – 833, 835, 836, 838 – 841, 846 – 848, 850 – 853, 857, 861, 866, 872, 874, 883, 896, 902, 918, 921, 929, 938, 945, 948, 951, 954, 958, 994, 999 – 1002, 1006 – 1011 Hamburg-Altona 321, 351, 354, 356, 393, 768 Hamburg-Bergedorf 316, 329, 331, 399, 405, 478, 480, 483, 733, 735 Hamburg-Harburg 306, 307, 649 Hamburg-Harvestehude 310 Hamburg-Kirchwerder 362, 733 Hamburg-Wandsbek 424 Hanau 470 Hannover 269, 288 – 291, 296 – 299, 302, 307, 309, 318, 341, 353, 359, 552, 646, 650, 656, 673, 807, 851, 852, 999 Harburg, siehe Hamburg-Harburg Harkerode 570 Harvestehude, siehe Hamburg-Harvestehude Hasselfelde 570 Hildburghausen 637, 658 Holland 393 – 395, 418, 419 Hoopte, siehe Winsen an der Luhe Ingolstadt 144, 145, 152, 155, 988 Innsbruck 865 – 867, 871, 872, 874 – 877, 879, 885 – 888, 892, 894, 895, 898, 924, 942 Italien 291 Jena 955 Karlsruhe 256, 257, 260, 262, 631, 633, 634, 874, 994, 997 Kassel 266, 270, 271, 273, 284, 293, 298, 639 – 642, 997, 998 Kesselsdorf, siehe Wilsdruff Koblenz 214, 991 Kolin (Kolín) 170, 171, 989 Köln 214 – 217, 223, 225, 265, 277, 624 – 626, 628, 636, 643, 842, 991, 993 Kopenhagen 618 Landshut 131, 134 – 136, 988, 1005 Langsdorf, siehe Lich Lauchstädt (Bad Lauchstädt) 705 Leipzig 114, 212, 340, 362, 387, 393 – 395, 399, 405, 409, 414 – 419, 422, 425, 426, 434 – 437, 439 – 441, 445, 446, 449, 453, 455, 456, 458 – 461, 463, 466, 467, 470, 487, 489, 498, 514, 522, 559, 625, 659, 685, 691 – 693, 696, 700 – 703, 705, 708,
709, 714 – 723, 731, 739, 748, 751, 759, 768, 778, 780, 782, 801, 817, 830, 861, 863, 872, 874, 1001, 1002, 1007 – 1009 Lich 266, 998 Linz 871, 876, 894, 896, 901, 902, 908, 924, 925, 927 Lobositz (Lovosice) 185 Lübeck 560, 583 Lüneburg 476, 478, 558, 731, 733, 779 Luxemburg 165, 167 Luzern 235, 236, 996 Magdeburg 173, 174, 990 Mainz 214, 225, 226, 262 – 266, 271, 277, 351, 418, 437, 531, 612, 625, 634 – 636, 639 – 641, 643, 652, 664, 671, 707, 717, 830, 843, 904, 908, 991, 997 Mannheim 609, 645, 801, 859, 861 – 867, 881 Mergentheim (Bad Mergentheim) 170 Minden 278 Mitau ( Jelgava) 116, 117, 1003 München 121, 126, 127, 129, 131, 133, 135, 136, 144, 161, 621, 879, 880, 882, 883, 886, 887, 987, 1005 Nordhausen 570 Nürnberg 136, 137, 141, 142, 144, 153, 156, 160, 161, 163 – 167, 227, 988 Passau 158 Potsdam 174, 287, 625, 990 Prag (Praha) 116, 119, 161 – 164, 170 – 172, 188, 229, 230, 622, 628, 801, 852, 989, 1003, 1004 Quedlinburg 570 Radeberg 178 Rastatt 248, 249, 254, 631, 994, 996 Regensburg 159, 160, 166, 170, 171, 772, 988, 989 Ribnitz-Damgarten 554 Rom 562 Rothenburg ob der Tauber 170, 989 Russland 116, 118, 265, 420 Salzdahlum 572 Schaffhausen 226, 467 Schwedt/Oder 175, 176 Schweiz 224, 226, 227, 241, 467, 625, 659, 922 Schwerin 373, 657, 678 Solothurn 234, 994 Spiekershausen 273 Stade 552 Stettin 118, 174, 175, 990 St. Petersburg 116, 419, 1003, 1004
Indices | 1113 Straßburg (Strasbourg) 224 – 227, 237, 238, 241, 242, 245, 248, 376, 616, 617, 633, 634, 991, 994 – 996 Straubing 131, 159, 160, 989, 1005 Sulzbach (Soultzbach-les-Bains) 239, 922, 996 Trittau 479, 502 Trondheim 479, 734 Wandsbek, siehe Hamburg-Wandsbek Weimar 553, 557, 561, 563 – 569, 571, 580, 584, 603, 606, 608, 609, 615, 650, 727, 783, 921 – 923, 925, 926, 928 – 937, 939, 942, 944, 951, 952, 954, 955, 960, 1010, 1011 Weißensee 564 Wien 60, 120 – 122, 124, 130, 134, 136, 144, 146,
156, 171, 177, 263 – 265, 277, 374, 387, 393, 408, 409, 418, 425, 437, 438, 532, 608, 620, 634 – 637, 643, 658, 686, 687, 716, 717, 754, 797, 805, 886, 889, 892, 938, 987, 988, 995, 1001, 1004, 1006 Wilsdruff 197 Winsen an der Luhe 405, 452, 470, 472, 476, 477, 732 Winterthur 226, 227, 467 Wolfenbüttel 570 Würzburg 165 – 169, 183, 988, 989 Zollenspieker, siehe Hamburg-Kirchwerder Zürich 224, 225, 467, 991 Zurzach (Bad Zurzach) 227 – 229, 231, 234, 235, 625, 629, 991, 994
III.9 Verzeichnis der Abbildungen Titelbild: Porträt Kummerfeld aus Benezé II , Schriftproben Kummerfeld aus Landesarchiv Thüringen – Weimar, Hauptstaatsarchiv Weimar F 904, Bl. 2 und Großherzogliches Hausarchiv A XXII Nr. 425, Bl. 363v Abb. 1: Porträt Karoline Kummerfelds nach einem Pastell von Adam Friedrich Oeser aus: Benezé I Abb. 2: Stammtafel der Familie Schulze © Beate Reußner Abb. 3: Stammtafel der Familie Kummerfeld © Beate Reußner Abb. 4: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, Cod. hist. 383d (Hamburger Handschrift), S. 1 Abb. 5: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, Cod. hist. 383d (Hamburger Handschrift), S. 20/21 Abb. 6: Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Großherzogliches Hausarchiv A XXII Nr. 425 (Weimarer Handschrift), Bl. 44r Abb. 7: Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Großherzogliches Hausarchiv A XXII Nr. 425 (Weimarer Handschrift), Bl. 136v Abb. 8: Vergleich der Editionen, Auszüge aus Benezé und Buck, Fahrendes Frauenzimmer
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Band 22: Joseph Furttenbach Lebenslauff 1652–1664 Herausgegeben von Kaspar von Greyerz, Kim Siebenhüner, Roberto Zaugg. 2013. 359 Seiten, 13 s/w-Abb., gebunden € 55,00 D | € 57,00 A ISBN 978-3-412-22144-7 Joseph Furttenbach (1591–1667) wirkte als Architekt, Ingenieur, Baumeister, Sammler, Chronist und Tagebuchschreiber in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Seine autobiographischen Aufzeichnungen sind bisher unveröffentlicht geblieben.
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