Kirchenpartnerschaften im geteilten Deutschland: Am Beispiel der Landeskirchen Württemberg und Thüringen 9783666557460, 3525557469, 9783525557464


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German Pages [368] Year 2006

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Kirchenpartnerschaften im geteilten Deutschland: Am Beispiel der Landeskirchen Württemberg und Thüringen
 9783666557460, 3525557469, 9783525557464

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Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Siegfried Hermle und Harry Oelke

Reihe B: Darstellungen Band 44

Vandenhoeck & Ruprecht

Karoline Rittberger-Klas

Kirchenpartnerschaften im geteilten Deutschland Am Beispiel der Landeskirchen Württemberg und Thüringen

Vandenhoeck & Ruprecht

Gedruckt mit Unterstützung der Berthold Leibinger Stiftung

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 10: 3-525-55746-9 ISBN 13: 978-3-525-55746-4

© 2006, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen. Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Zur Themenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Der Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Die Quellensituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Methodische Überlegungen zum Umgang mit den Quellen . . . . . . 1.5. Der Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Kirchliche Ost-West-Kontakte in gesamtdeutscher Perspektive . . . . . . . . 2.1. Die Einheit der EKD und die „besondere Gemeinschaft“ zwischen EKD und BEK als Rahmen der Partnerschaften . . . . . . . . 2.1.1. Die doppelte Staatsgründung und das Festhalten an der Einheit der EKD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Die Gründung des BEK und die „besondere Gemeinschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3. Die Wiedervereinigung und ihre Anknüpfungspunkte . . . . 2.2. Die Partnerschaften als Teil der kirchlichen Hilfsstrukturen zwischen Ost und West . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Die Diakonischen Werke der Landeskirchen und die „Partnerschaften“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Der „Sonderausschuss“ bei der EKD und der „Kirchliche Hilfsplan“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3. Das Diakonische Werk der EKD und die Aktion „Stätten des kirchlich-diakonischen Wiederaufbaus“ . . . . . . 2.2.4. Der „Bruderdienst-Ausschuss“ bei der EKD und der „Kirchliche Bruderdienst“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5. Das Diakonische Werk der EKD, die Transfers und die zentralen Hilfslieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.6. Die „Hilfsstelle westdeutscher Kirchen“ und die „Patenspende“/„Sonderzuwendung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3. Das Beispiel Württemberg und Thüringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Entstehung und äußere Entwicklung der unterschiedlichen Ebenen der Partnerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Organisation und Koordination: Die Hilfswerke/ Diakonischen Werke in Stuttgart und Eisenach . . . . . . . . . . . Exkurs: Die Entwicklung der Reisemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.1. Die Diakonischen Werke als Knotenpunkte des Partnerschaftsnetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.2. Das Hilfsprogramm des Diakonischen Werkes Württemberg als materielle Basis der Partnerschaft . . . . . . Exkurs: Die Entwicklung der Versorgungslage in der DDR . . . . . . 3.1.2. Institutionelle Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.1. Kirchenkreise und Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Frauen in der Basisarbeit der Partnerschaft. . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.2. Diakonische Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.3. Kirchliche Werke, Einrichtungen und Verbände . . . . . . . . 3.1.2.4. Kirchenleitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.5. Synoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3. Persönliche Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.1. Pfarrhäuser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.2. Sonstige kirchliche Mitarbeiter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Die innere Entwicklung der Partnerschaft im Wandel der historischen Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Zum Weg der Landeskirchen in der Zeit des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Die Anfänge der Patenschaft und die Nachwirkungen der NS-Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Die Patenschaft in den politischen Konflikten der fünfziger Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: „Wir müssen schweigend helfen“ – Patenschaft und Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3. „Thüringer Weg“, Mauerbau und Gründung des BEK: Die Gefahr der Entfremdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Der „Thüringer Weg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4. Von der Patenschaft zur Partnerschaft in der Zeit der Konsolidierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5. Die Partnerschaft in den Zeiten von Wende und Wiedervereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6. „Was eint uns, wenn uns nichts mehr trennt?“ – Kirchenpartnerschaft im vereinigten Deutschland . . . . . . . . .

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Inhalt

4. Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Kirchenpartnerschaft als Ausdruck des christlichen Glaubens . . . . 4.1.1. Verbundenheit im Glauben – das ekklesiologische Motiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2. Dienst in der Liebe – das diakonische Motiv. . . . . . . . . . . . . . 4.1.3. Das Proprium christlicher Partnerschaftsarbeit . . . . . . . . . . . . 4.2. Kirchenpartnerschaft als Raum des Ost-West-Austausches . . . . . . . 4.2.1. „Durch unsere Denkart freier“ – Bedingungen des Austausches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1.1. Äußere Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1.2. Innere Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2. „Eine ganz besondere Lerngemeinschaft“ – Themen des Austausches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.1. Fragen der kirchlichen Struktur und des gemeindlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.2. Politische und friedensethische Fragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.3. Fachlicher Austausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.4. Persönlicher Austausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3. „Wie mit vertauschten Augen“ – Folgen des Austausches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Kirchenpartnerschaft als ökonomischer Faktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1. Das Geber-Nehmer-Gefälle als Belastungsprobe der partnerschaftlichen Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2. Die materielle Abhängigkeit der DDR-Kirchen vom Westen und ihre Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2.1. „Über ihre Verhältnisse?“ – Folgen für die kirchlichen Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2.2. „Versorgungspolitisch relevante Mengen“ – Stabilisierung der DDR-Wirtschaft?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Kirchenpartnerschaft im Spannungsfeld der Deutschlandpolitik. . 4.4.1. Die Interessenlage der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1.1. Die Überwachung der Partnerschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Die Thüringer Landeskirche und das MfS . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1.2. „Negative ideologische Einflußnahme“ – Befürchtungen der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Kirchenpartnerschaften und Städtepartnerschaften . . . . . . 4.4.1.3. „Eine realere Einschätzung“ – Positive Erwartungen der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2. Die Interessenlage der BRD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4.4.2.1. „Gefühl fortdauernder Zusammengehörigkeit“ – Positive Erwartungen der BRD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 4.4.2.2. „Für die Zwei-Staaten-Theorie Pankows zu gewinnen“ – Befürchtungen der BRD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 5. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 5.1. Württemberg und Thüringen – Sonderfall oder Exempel? . . . . . . . 311 5.2. Die Bedeutung der Kirchenpartnerschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Abkürzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2004 von der Theologi schen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde sie geringfügig überarbeitet und um ein Personenregister ergänzt. Wer den Einleitungsteil liest, versteht, dass eine Arbeit zum Thema „Kirchenpartnerschaften“ ohne die Mithilfe vieler Menschen nicht hätte entstehen können. Ihnen allen möchte ich danken. Unverzichtbar war zunächst die Hilfe der vielen im Quellenverzeichnis namentlich erwähnten Zeitzeuginnen und -zeugen, die die Partnerschaften in den verschiedenen landeskirchlichen und diakonischen Einrichtung erlebten und gestalteten. In langen Gesprächen, durch Hinweise auf zusätzliche Quellen und private Schriftstücke fügten sie wichtige Mosaiksteinchen in mein Bild der Partnerschaften ein. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der kirchlichen und staatlichen Archive, vor allem des Landeskirchlichen Archivs Stuttgart, danke ich für ihre geduldige Unterstützung bei der Durchsicht großer Mengen von Archivalien. Besonders dankbar bin ich für die unbürokratische Hilfe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der im Quellenverzeichnis genannten diakonischen und kirchlichen Einrichtungen und der Kirchenkreise und -gemeinden, die neben ihren sonstigen Aufgaben Zeit für mich fanden. Prof. Dr. Siegfried Hermle hat die Entstehung dieser Arbeit engagiert unterstützt und mir als Mitarbeiterin ausreichend Zeit für Recherche und Ausarbeitung eingeräumt. Ihm gilt mein herzlicher Dank. Ferner danke ich Prof. Dr. Wolfram Kinzig für die Übernahme des Erstgutachtens und der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte für die Aufnahme des Buches in ihre Reihe. Bedanken möchte ich mich auch bei der EKD für die grundlegende Förderung der AKiZ-Reihe, ebenso bei der Berthold-LeibingerStiftung sowie der Evangelischen Landeskirche Württemberg, die den Druck dieses Bandes ermöglicht haben. Nicht zuletzt danke ich meiner Familie, besonders meinem Mann für seine geduldige Begleitung und sein sorgfältiges Korrekturlesen. Stuttgart, im Mai 2005

Karoline Rittberger-Klas

1. Einführung

In den gut 40 Jahren von der doppelten Staatsgründung 1949 bis zur Wiedervereinigung 1990 lebten Menschen in Deutschland nicht nur in zwei Staaten, sondern auch in gegensätzlichen Gesellschaftssystemen und damit unter ganz unterschiedlichen Lebensbedingungen. Eine der wenigen Brücken zwischen Menschen in der BRD und der DDR, die diesen gesamten Zeitraum überdauerten, waren neben den rein privaten, meist familiären Beziehungen die kirchlichen Partnerschaften. Was auf evangelischer Seite im Sommer 1949 mit der Übernahme von Patenschaften1 der westlichen für die östlichen Hauptbüros des Hilfswerks zur Koordinierung einer Paketaktion begann, wuchs in den nächsten Jahrzehnten zu einem dichten Netz aus materieller Unterstützung und geistigem und geistlichem Austausch zwischen Landeskirchen in beiden deutschen Staaten. Unter sich wandelnden kirchlichen, politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen pflegten engagierte Einzelpersonen, Kirchengemeinden, kirchliche Einrichtungen, Synoden und Kirchenleitungen Beziehungen über die Grenze hinweg. Vor allem die Breite der kirchlichen Verbindungen, ihre feste Verankerung an der Basis und ihre Dauerhaftigkeit stellen eine Besonderheit gegenüber anderen Ost-West-Kontakten dar2. Auch unter ungünstigsten äußeren Bedingungen rissen die Beziehungen nie völlig ab. In der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SEDDiktatur in Deutschland“, deren 59. Sitzung den Beziehungen zwischen den Kirchen im geteilten Deutschland gewidmet war, hielt der langjährige Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesregierung in Bonn, Bischof Heinz-Georg Binder, fest, es hätten „nirgendwo so viele Begegnungen zwischen Deutschen in Ost und West stattgefunden, die nicht durch Familienbande miteinander verknüpft waren[,] wie in 1 Zur Terminologie: In den ersten beiden Jahrzehnten wurden die Kontakte als „Patenschaften“ bezeichnet, erst Anfang der siebziger Jahre begann sich der Begriff „Partnerschaft“ durchzusetzen (vgl. dazu Kapitel 3.2.4.). In dieser Arbeit wird im Allgemeinen die Bezeichnung „Partnerschaft“ gebraucht. Nur bei Aussagen, die sich speziell auf die fünfziger oder sechziger Jahre beziehen, und in direkten oder indirekten Zitaten wird der Begriff „Patenschaft“ übernommen. 2 So auch die Ergebnisse bei G. HEFFT, Gemeindepartnerschaften, S. 99–102.

Einführung

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den Partnerschaften der Evangelischen Kirche.“3 Und in der 62. Sitzung zu „Kirchen und Christen im Alltag der DDR“ betonte die Gesprächsleiterin, dass besonders in der DDR mit den Partnerschaften „in irgendeiner Form jeder in Verbindung gekommen“ sei, „auch die Nichtchristen“4 – und wenn sie nur von den materiellen Hilfen für Kirchenrenovierungen zumindest im Sinne einer Verschönerung des Stadt- oder Dorfbildes profitierten. Ein so breit angelegtes Beziehungsgeflecht, in dessen Rahmen überdies beträchtliche materielle und finanzielle Mittel bewegt wurden, hatte selbstverständlich auch eine wirtschaftliche und politische Dimension. Bischof Binder unterstrich vor der Enquete-Kommission, die Kirchen hätten „mehr als andere, vielleicht auch mehr als alle anderen gesellschaftlichen Gruppen für das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen bewirkt“5, und Rainer Eppelmann vermutete am selben Ort, „das Sich-Begegnen von Deutschen aus dem Osten und dem Westen am 9. November 1989 wäre anders verlaufen, wenn es nicht diese jahrelangen Kontakte gegeben hätte.“6 Ein „kirchengeschichtliches Phänomen“7 stellen die Partnerschaften aber vor allem deshalb dar, weil Christinnen und Christen in einer konkreten historischen Situation ihre Verpflichtung zu Einheit und Nächstenliebe ernst nahmen und einander – im leiblichen wie im geistlichen Bereich – „Glaubens- und Lebenshilfe“8 geleistet haben.

1.1. Zur Themenstellung Bei der Zuteilung der Patengebiete im Sommer 1949 bekam jede östliche Landeskirche eine oder mehrere Patenkirchen im Westen zugewiesen9. In der vorliegenden Untersuchung sollen diese Kirchenpartnerschaften am Beispiel der Kontakte zwischen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen (ELKTh) beleuchtet werden. Dies hat zur Folge, dass die besonderen Partnerbeziehungen zwischen anderen Landeskirchen, aber auch die nicht im landeskirchlichen Rahmen organisierten Verbindungen zwischen kirchlichen Einrichtungen und Verbänden, etwa im 3

MATERIALIEN DER ENQUETE-KOMMISSION Bd. VI/1, S. 254. EBD., S. 486. 5 EBD., S. 254. Vgl. auch W. HÖSER, Finanzierung, S. 127, und H.-M. LINNEMANN, Erfahrungen, S. 133. 6 MATERIALIEN DER ENQUETE-KOMMISSION Bd. VI/1, S. 252. 7 F. WINTER, Wege, S. 130 (Hervorhebung durch die Vf.). 8 W. HÖSER, Finanzierung, S. 127. 9 Zur genauen Verteilung s. u. S. 48. 4

Einführung

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Jugendbereich10 oder zwischen den Evangelischen Akademien11, nur in Einzelfällen in den Blick kommen. Auch die weniger einheitlich geordnete12, aber sehr umfangreiche Partnerschaftsarbeit der Katholischen Kirche, die durch die Zugehörigkeit der meisten Gebiete der DDR zu westdeutschen Diözesen unter besonderen Vorzeichen stand, kann hier nicht behandelt werden13. Eine solche regionale und konfessionelle Eingrenzung der Themenstellung ist ebenso notwendig wie sinnvoll. Notwendig ist sie vor allem deshalb, weil der zeitliche Rahmen sehr weit gesteckt ist. Die Abgrenzung nach vorne ergibt sich durch den oben erwähnten Beschluss der Geschäftsführerkonferenz der landeskirchlichen Hilfswerke im August 1949 zur Zuordnung von Patengebieten. Auch wenn es selbstverständlich schon zuvor kirchliche Kontakte und Hilfsaktionen zwischen den drei westlichen und der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) gab, kann von Partner- bzw. Patenschaften im eigentlichen Sinne erst von diesem Zeitpunkt an geredet werden. Als Schlusspunkt wurde das Ende der DDR 1989/1990 gewählt. Viele Verbindungen blieben zwar auch nach der Wiedervereinigung bestehen, doch unter den völlig neuen Rahmenbedingungen ergaben sich gravierende Veränderungen, die in der vorliegenden Untersuchung nur angedeutet werden können14. Eine engere zeitliche Abgrenzung schien aus zweierlei Gründen nicht vorteilhaft. Erstens ermöglicht es nur eine Gesamtbetrachtung, die Auswirkungen verschiedener kirchlicher, politischer und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen auf die Partnerschaft zu beobachten und Entwicklungslinien aufzuzeigen. Zweitens war es das Ziel der Arbeit, eine grundlegende Darstellung der Verbindungen zu bieten, der möglicherweise weitere Einzeluntersuchungen zu bestimmten Problemfeldern oder 10 Zur Partnerschaftsarbeit in Jungen Gemeinden und Studentengemeinden vgl. C. LEPP, Tabu. Wegen der parallelen Entstehung der beiden Bände konnten die Ergebnisse dieser Studie hier nicht mehr berücksichtigt werden. 11 Dazu einige Hinweise besonders im Hinblick auf die West-Berliner Akademie bei R. J. TREIDEL, Akademien, S. 213–218. Über die Evangelischen Akademien in der DDR arbeitet eine Forschungsgruppe am Lehrstuhl für Erwachsenenbildung der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Jena. Erste Ergebnisse sind in der Zeitschrift Bildung und Erziehung 56 (2003) veröffentlicht, zur deutsch-deutschen Zusammenarbeit vgl. dort die Hinweise bei S. BÖHM, Person, S. 309f. und 313f. 12 Vgl. J. HOMEYER, Kirche, S. 27. 13 Vgl. dazu den aus einer Zeitzeugentagung entstandenen Sammelband von U. v. HEHL/ H. G. HOCKERTS, Katholizismus. Darin u. a. zu grundlegenden Fragen J. HOMEYER, Kirche (auch in MATERIALIEN DER ENQUETE-KOMMISSION Bd. VI/1, S. 265–276), und J. WANKE, Bemühungen, zu den durch das Bonifatiuswerk geleisteten Hilfen A. KÖTTER, Hilfen, und zur Bedeutung des Caritasverbandes H. PUSCHMANN, Brückenfunktion. 14 S. u. Kapitel 3.2.6. Zu dieser Thematik liegt mit G. HEFFT, Gemeindepartnerschaften, der Veröffentlichung der Ergebnisse einer von der ehemaligen Studien- und Begegnungsstätte der EKD 1995 durchgeführten Gemeindeumfrage zu Gemeindepartnerschaften vor und nach 1989, bereits eine empirische Studie vor.

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Einführung

Fallbeispielen, zu denen ausreichendes Quellenmaterial vorhanden ist, folgen können. Um bei einem Zeitraum von 40 Jahren die Arbeit handhabbar zu halten, wurde die Konzentration auf die landeskirchliche Partnerschaft zwischen Württemberg und Thüringen weitgehend eingehalten. Eine solche Fokussierung ist aber auch aus anderen Gründen sachgemäß. Erstens: Während zu den Kontakten auf kirchenleitender Ebene und zu den materiellen und finanziellen Hilfen auf EKD-Ebene bereits einige Untersuchungen vorliegen15, wurden die Kontakte an der Basis, die Verbindungen zwischen Einzelpersonen, in Gemeinden oder diakonischen Einrichtungen noch kaum bearbeitet. Dies konnte durch die landeskirchliche Perspektive geleistet werden. Eine solche Ausrichtung der Arbeit auf Aktivitäten von Menschen, „die als Personen der Geschichte scheinbar wenig bewegen und deshalb wenig bedeuten“16, ist durchaus angreifbar. Wenn Kirchengeschichte diakonie- und alltagsgeschichtlich arbeitet, dann wird sie vielleicht nicht gleich, wie Kurt Nowak schreibt, „unbürgerlich“17, sie muss sich aber der Frage stellen, ob ihre Ergebnisse überhaupt relevant sind18. Spektakuläre theologische oder kirchenpolitische Weichenstellungen wird man in diesem Bereich kaum finden. Da bei den Kirchenpartnerschaften aber gerade die Vielzahl und Breite der Kontakte an der Basis zur Relevanz des Themas beitragen, trifft eine solche Infragestellung hier nicht. Der zweite Grund, der für eine regionale Eingrenzung spricht, ist die Tatsache, dass die verschiedenen Landeskirchen in ihren Partnerschaften zwar durchaus Eigenheiten entwickelten, viele Organisationsstrukturen jedoch ebenso übertragbar sind wie die Probleme angesichts bestimmter politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen. Daher kommt der Untersuchung in mancher Hinsicht19 exemplarischer Charakter zu. Schließlich erwies sich auch die Auswahl der Landeskirchen Württemberg und Thüringen als sinnvoll, handelt es sich bei ihnen doch um die einzigen größeren Landeskirchen20, die einander eins zu eins zugeteilt wurden. Dagegen 15

S. u. Kapitel 1.2. K. NOWAK, Erbe, S. 207. 17 EBD., S. 208. 18 Zur Auseinandersetzung um die Frage, ob es Alltagshistorikern „nur um farbige Ergänzungen, um Anekdotisches, eigentlich nur um Beiläufigkeiten des historischen Prozesses“ geht, vgl. A. LÜDTKE, Einleitung, hier S. 18. Alltagsgeschichtliche Elemente enthält die vorliegende Untersuchung allerdings nur, wenn man nicht einen engen Begriff voraussetzt, nach dem sich Alltagsgeschichte lediglich mit der täglichen Routine beschäftigt, sondern einen weiteren, der Alltagsgeschichte als Betrachtung der Rolle „normaler“ Menschen als Objekte und Subjekte historischer Prozesse definiert (vgl. EBD., S. 10f.). 19 Dazu genauer im Ergebniskapitel 5.1. 20 Von den übrigen Landeskirchen wurden nur Anhalt und die Pfalz sowie das Görlitzer Kirchengebiet und Oldenburg einander eins zu eins zugewiesen. 16

Einführung

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hatten in Folge der ungleichen Gebietsgröße die meisten anderen Kirchen in der DDR mindestens zwei Partner im Westen, was eine Darstellung erschweren würde. Zudem entwickelten sich zwischen Württemberg und Thüringen intensive Kontakte auf unterschiedlichen Ebenen, die eine Untersuchung reizvoll machen.

1.2. Der Forschungsstand „Wenn die deutsche Geschichte der letzten 50 Jahre geschrieben wird, dann muß auch zur Sprache kommen, welche Kräfte zur Einheit durch die intensiven Verbindungen unter Christenmenschen im geteilten Deutschland ausgelöst worden sind“21, forderte der langjährige Leiter des Diakonischen Amtes Eisenach, Wolfgang Höser, 1998 auf einer Tagung in Berlin. Doch nicht nur Zeitzeugen, auch Kirchengeschichtler machen seit Jahren auf das Desiderat einer Darstellung der kirchlichen Kontakte zwischen BRD und DDR an der Basis aufmerksam. So wies Joachim Mehlhausen 1997 darauf hin, es sei nicht nur zu klären, welche Auswirkungen die finanziellen Zuwendungen aus dem Westen auf das „Alltagsgeschehen in den Pfarrhäusern und in den Gemeinden der DDR“ hatten, sondern auch, welche „geistliche Bedeutung und gemeindepraktische Funktion“22 die Partnerschaften für die Gemeinden in der BRD hatten. Den Forderungen nach einer „systematische[n] Erforschung“ der Partnerschaftsarbeit, die „über die manchmal schon spröde gewordenen Fragen kirchenrechtlicher Zuordnung der Kirchen zwischen Ost und West bald hinausgehen möchte“23, steht ein recht bescheidener Forschungsstand gegenüber. Während die Öffnung der DDR-Archive seit 1990 einen „regelrechten Boom“24 der DDR-Forschung auslöste und auch die Rolle der Kirche in der DDR, besonders die Staat-Kirche Beziehungen, gründlich beleuchtet wurden25, ist die Literatur zu den deutsch-deutschen Verbindungen der Kirche überschaubar geblieben. 21

W. HÖSER, Finanzierung, S. 127. Einführung in das Forschungsprojekt „Kirche und Staat in der DDR“ der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Joachim Mehlhausen in P. BEIER, Sonderkonten, S. XIV. 23 F. WINTER, Wege, S. 146. 24 A. SILOMON, Situation, S. 98. 25 Eine Übersicht über die inzwischen sehr umfangreiche Literatur kann hier nicht gegeben werden. Einen aktuellen Forschungsüberblick zum Thema „Evangelische Kirche im geteilten Deutschland“ bietet A. SILOMON, Situation, zum Thema „Evangelische Kirche in der DDR“ R. MAU, Kirche. 22

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Einige Veröffentlichungen sind inzwischen erschienen zur deutschlandpolitischen Bedeutung der EKD als gesamtdeutscher Klammer bis 196926 und zu Umsetzung und Auswirkungen der in den Grundordnungen festgehaltenen „besonderen Gemeinschaft“ zwischen der EKD und dem Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK)27. Hinzuweisen ist besonders auf die beiden aus dem EKD-Forschungsprojekt „Evangelische Kirche im geteilten Deutschland“ hervorgegangenen Sammelbände „Zwei Staaten – zwei Kirchen“ (2000) und „Evangelische Kirche im geteilten Deutschland“ (2001) sowie auf die von Walter Hammer und Uwe-Peter Heidingsfeld herausgegebene Dokumentation der Arbeit der Konsultationsgruppe zwischen BEK und EKD zwischen 1980 und 199028. Im Bereich der materiellen Hilfen kann die Abwicklung der unter dem Begriff „Kirchengeschäft A“ bekannten Geldtransfers zugunsten der Kirchen in der DDR als gut erforscht gelten. Neben den ausführlichen Erinnerungen des federführend beteiligten Direktors der Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes der EKD, Ludwig Geißel, liegen mehrere wissenschaftliche Aufsätze vor29. Dagegen fehlen Darstellungen zur Arbeit des Sonderausschusses der EKD zur Koordinierung der finanziellen Hilfen für die DDR-Kirchen30, zu den Hilfsprogrammen für Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter im Rahmen des „Bruderdienstes“ und der „Patenspende“31 oder zur Aktion „Stätten des kirchlich-diakonischen Wiederaufbaus“32. Die landeskirchlichen Partnerschaften selbst werden zwar immer wieder in breiter angelegten Untersuchungen knapp erwähnt, etwa als Bestandteil der allgemeinen oder kirchlichen Bemühungen des Westens zur Unterstützung von Menschen und Kirchen in der DDR33 oder als Konkretion der Verbundenheit 26 Vgl. C. LEPP, Klammer, aus politikwissenschaftlicher Sicht auch T. HECK, EKD, und für den gesamten Zeitraum bis 1990 C. HANKE, Deutschlandpolitik. 27 Vgl. U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, sowie die Vorträge und Berichte im Rahmen der Enquete-Kommission von Heinz-Georg Binder (H.-G. BINDER, Beziehungen), Heinrich Rathke (MATERIALIEN DER ENQUETE-KOMMISSION Bd. VI/1, S. 259–265) und E. LOHSE, Bund. Zur Gründung des Bundes und dem Begriff der „besonderen Gemeinschaft“ s. u. Kapitel 2.1.2. 28 Vgl. W. HAMMER/U.-P. HEIDINGSFELD, Konsultationen. Zur Konsultationsgruppe s. u. S. 39. 29 Vgl. L. GEISSEL, Unterhändler, S. 236–440, sowie H.-G. BINDER, Transfers; A. BOYENS, Transfergeschäfte; A. VOLZE, Transferleistungen. Zu den Transfers s. u. Kapitel 2.2.5. 30 Dazu Kapitel 2.2.2. Eine Kurzbeschreibung findet sich bei H.-G. BINDER, Transfers, S. 571. 31 Dazu Kapitel 2.2.4 und 2.2.6. Kurzbeschreibungen bei P. BEIER, Sonderkonten, S. 85f., und H.-G. BINDER, Transfers, S. 571. 32 Dazu Kapitel 2.2.3. 33 Im Kontext des allgemeinen Geschenkpaketverkehrs von West nach Ost vgl. C. HÄRTEL/ P. KABUS, Westpaket, S. 119f., und P. KABUS, Liebesgaben, S. 125. Im Kontext der kirchlichen Unterstützung vgl. G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 540; U. SCHRÖTER/H. ZEDDIES, Nach-Denken, S. 38.

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der Kirchen in beiden Teilen Deutschlands34. Zudem finden sich Hinweise in Darstellungen zu einzelnen kirchlichen Arbeitsbereichen in der Zeit der deutschen Teilung, etwa in Arbeiten zur Diakoniegeschichte35, zur Geschichte der Jugendarbeit36 oder auch in Biographien von Zeitzeugen37. Eigenständige Studien zu den Kirchenpartnerschaften gibt es dagegen kaum. Eine interessante Ausnahme bildet die 1996 unter dem Titel „Partnerschaft über Grenze und Mauer hinweg“ erschienene Darstellung der Beziehungen zwischen der pommerschen und der nordelbischen Kirche des ehemaligen Landespfarrers für Diakonie der Evangelischen Landeskirche Greifswald, Siegfried Hildebrand. Mit dem Hintergrundwissen und dem Engagement eines Zeitzeugen und aufgrund eigenen Quellenstudiums beschreibt Hildebrand auf etwa 75 Seiten die verschiedenen materiellen und ideellen Aspekte der Partnerschaft. Der mit einigen Fotos illustrierte Überblick kann jedoch weder auf die Entwicklung und Veränderung der Kontakte im Laufe der Jahrzehnte noch auf theologische, inhaltliche, ökonomische oder politische Einzelaspekte der Partnerschaft ausführlich eingehen, wenn auch alle diese Fragen berührt werden. Deutlich knapper und unsystematischer fällt die bereits 1993 vom Geschäftsführer des Diakonischen Werks der Badischen Landeskirche Gerhard Wunderer herausgegebene knapp 40-seitige Zusammenstellung von Erinnerungen von Zeitzeugen aus Ost und West zur Partnerschaft zwischen Baden und Brandenburg aus38, die im Anhang einige statistische Angaben zu Zuordnungen von Kirchenkreisen, Begegnungen und materieller Unterstützung bietet. Einige Seiten zu den Partnerschaften unter besonderer Beachtung der Beziehungen der Berlin-Brandenburgischen Kirche und zur Einschätzung der Kontakte durch die beiden deutschen Staaten finden sich auch in einem 1999 erschienenen Aufsatz von Friedrich Winter, dem ehemaligem Präsidenten der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirchen der Union (EKU), Bereich DDR, 34 In Arbeiten aus der Zeit vor 1990 sind hier die knappen Ausführungen bei R. HENKYS, DDRKirchen, S. 191f. (zur Entwicklung der Partnerschaften), und J. SEIDEL, Neubeginn, S. 188f. (zur Entstehung), zu nennen. Später finden sich Hinweise im Vortrag von Binder vor der EnqueteKommission (H.-G. BINDER, Beziehungen, S. 254) sowie bei F. W. GRAF, Ordnungsmacht, S. 296, U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, S. 93, und C. LEPP, Klammer, S. 70f. 35 Vgl. im gesamtkirchlichen Kontext W. BRAUNE, Ideentransfer, S. 147, und E. PETZOLD, Freiheit, S. 154f. und 164. Für den Bereich Thüringens vgl. W. HÖSER, Finanzierung, S. 126f. 36 Vgl. F. DORGERLOH, Geschichte, S. 265f. 37 Vgl. W. LEICH, Horizonte, S. 97f., 116–118 und 157f. 38 Vgl. G. WUNDERER, Partnerschaften. Zwei weitere Beiträge von Zeitzeugen zum Thema sind auch die in „Zeichen der Zeit“ erschienenen kurzen Artikel von H.-M. LINNEMANN, Erfahrungen (1995 aus der Westperspektive), und D. MENDT, Christen (1996 als Antwort aus der Ostperspektive). Zu beachten ist weiterhin die Veröffentlichung von einigen Briefen des Zeitzer Pfarrers Otto Pappe an seinen Partnerpfarrer im Westen im Deutschen Pfarrerblatt 1994 (vgl. O. PAPPE, Zeitz).

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der seinen Beitrag jedoch eher als „Hinweis auf eine dringende Forschungsaufgabe“39 verstanden sehen möchte. Eine wichtige Untersuchung zu den aus den landeskirchlichen Verbindungen hervorgegangenen gemeindlichen Partnerschaften hat Gesine Hefft mit der Auswertung der Ergebnisse einer 1995 von der Studien- und Begegnungsstätte der EKD durchgeführten Gemeindeumfrage vorgelegt. Unter der Fragestellung „Was eint uns, wenn uns nichts mehr trennt?“ sollte die EKD-weite Fragebogenaktion die Bedeutung der deutsch-deutschen Partnerschaften für das gemeindliche Leben vor und nach der Wiedervereinigung erheben, um so Perspektiven für eine Partnerschaftsarbeit im vereinten Deutschland aufzuzeigen. Dabei bieten die Ergebnisse, in denen sich die Erinnerungen einzelner Gemeinden widerspiegeln, eine wichtige Ergänzung zu den in der vorliegenden Arbeit ausgewerteten Quellen40. Auch vor der Enquete-Kommission des deutschen Bundestages kamen Partnerbeziehungen zwischen Gemeinden unter der Fragestellung „Kirchen und Christen im Alltag der DDR“ zur Sprache. Die dort gewählten Beispielgemeinden fanden jedoch durch private Kontakte und nicht auf anderem Wege der landeskirchlichen Partnerschaft zueinander41. Unmittelbar zur Kirchenpartnerschaft zwischen Württemberg und Thüringen liegen bisher nur zwei Arbeiten vor, von denen eine unveröffentlicht geblieben ist. Es handelt sich um die 1991 von Harald Losch im Rahmen seiner II. Evangelisch-theologischen Dienstprüfung angefertigte Hausarbeit zum Thema „Die Partnerbeziehungen zwischen der Württembergischen und der Thüringischen Landeskirche in ihrem Wandlungsprozeß“. Anhand von Unterlagen des Diakonischen Werkes Württemberg (DWW) und, zur Konkretion am Einzelfall, des Dekanats Geislingen/Steige beschreibt Losch die Entstehung der Beziehungen zwischen Württemberg und Thüringen, die Versorgungslage in Thüringen sowie „vier Ebenen der Partnerschaft“42, nämlich Begegnungen in Berlin, Einzelpartnerschaften, Hilfen der Landeskirche und gesamtkirchliche Hilfen. In einem weiteren Hauptteil geht er auf die notwendigen Veränderungen und neuen Herausforderungen in der Partnerbeziehung nach Wende 39

F. WINTER, Wege, S. 124. Vgl. G. HEFFT, Gemeindepartnerschaften. Die im Evangelischen Zentralarchiv (EZA BERLIN 172/16-18 und 172/22) befindlichen Antworten der württembergischen und thüringischen Gemeinden, die mit 350 von 881 mehr als ein Drittel aller eingegangenen Fragebögen ausmachten, wurden für die vorliegende Arbeit durchgesehen. 41 Vgl. die Berichte von Margot von Renesse und Helmut Schache über die Kontakte zwischen den Gemeinden Bochum-Querensburg und Bad Kösen (MATERIALIEN DER ENQUETE-KOMMISSION Bd. VI/1, S. 487– 498). 42 Losch, Partnerbeziehungen (PB KRAFT), S. 24. Die Aufteilung ist m. E. nicht ganz glücklich, lehnt sich aber an Arbeitsberichte des DWW an. 40

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und Wiedervereinigung ein. Bedenkt man den Rahmen, in dem die Studie entstanden ist, so ist das Ergebnis bemerkenswert erhellend. Aufgrund der schmalen Quellengrundlage und des knappen Umfangs der Arbeit, die weder alle institutionellen Ausformungen der Partnerschaft bedenken noch die innere Entwicklung der Beziehungen durch vier Jahrzehnte durchgängig nachzeichnen kann, bleibt eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Partnerschaft weiter ein Desiderat. Die zweite Abhandlung zu den württembergisch-thüringischen Beziehungen ist eine 1994 vom Heidelberger Kirchenhistoriker Jörg Thierfelder vorgelegte zeitlich begrenzte Einzelfallstudie. Anhand der Kontakte zwischen den Kirchengemeinden Köngen (Württemberg) und Gräfenroda (Thüringen) zwischen 1964 und 1968 stellt Thierfelder in seinem Aufsatz eindrücklich die Schwierigkeiten dar, mit denen kirchliche Partnerschaften unter den deutschlandpolitischen Rahmenbedingungen der sechziger Jahre konfrontiert waren43. Neben den beiden genannten Arbeiten zu Württemberg und Thüringen finden sich lediglich kurze, anekdotische Zeitzeugenbetrachtungen aus dem Bereich der Gemeindepartnerschaften44 und der Jugendarbeit45 sowie summarische Passagen in Beiträgen zur Diakonischen Arbeit in Thüringen46 und zum Württembergischen Pfarrverein47. Die aufgezeigte Diskrepanz zwischen der Forderung, sich des Themas „Kirchenpartnerschaften“ anzunehmen, und dem derzeitigen Forschungsstand ist allerdings nicht zufällig. Es gibt gute Gründe, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon abhalten können, dieses Feld zu bearbeiten. Sie sind nicht nur in der oben erläuterten alltagsgeschichtlichen Ausrichtung des Themas, die zunächst wenig spektakuläre Ergebnisse verspricht, zu suchen. Sie liegen vielmehr vor allem in der unbefriedigenden Quellenlage und den sich daraus ergebenden methodischen Schwierigkeiten.

1.3. Die Quellensituation In seinen einleitenden Sätzen zur Sitzung der Enquete-Kommission über die Beziehungen zwischen den Kirchen im geteilten Deutschland vermutete Rainer Eppelmann: „Was sich da an vielen Orten regelmäßig über viele Jahre hindurch ereignet hat und wieviele Menschen daran beteiligt waren, ist möglicherweise 43

Vgl. J. THIERFELDER, Kontakte. Vgl. J. PAULUS, Hochzeit. 45 Vgl. K. EIS, Jugendwerk. 46 Vgl. W. HÖSER, Finanzierung, S. 126f. 47 Vgl. H. EHMER, Pfarrverein, S. 97f., und H. MITTENDORF, Pfarrverein, S. 166f. 44

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nirgendwo gesammelt, festgehalten worden.“48 Und Gesine Hefft stellte aufgrund ihrer Untersuchung der Partnerschaften an der Basis lapidar fest: „Gemeindepartnerschaften gehören in den Bereich der oral history […].“49 Tatsächlich ist die Aktenlage für ein Forschungsprojekt zu Kirchenpartnerschaften nicht günstig. Vor allem im Osten hütete man sich, mehr schriftliche Beweise als nötig für die von der Staatsführung stets misstrauisch beobachteten und teilweise mit Schikanen geahndeten Kontakte zu hinterlassen, und auch im Westen versuchte man, die Partnerschaftsarbeit weitgehend im Stillen abzuwickeln50. Die wichtigsten Aktenüberlieferungen zu den Beziehungen zwischen den Landeskirchen Württemberg und Thüringen waren in den Landeskirchlichen Archiven in Stuttgart (LKA Stuttgart) und Eisenach (LKA Eisenach) zu suchen. In Stuttgart sind vor allem der Bestand „Diakonisches Werk Württemberg“ und aus den Akten des Evangelischen Oberkirchenrats der Bestand „Kirchliche Verhältnisse in Ostdeutschland“ von Bedeutung. In Eisenach dagegen sind die Akten des Hilfswerkes bzw. des Diakonischen Amtes fast vollständig verloren. So mussten aus den übrigen Beständen aufgrund der Inhaltsangabe Bände zur Durchsicht ausgewählt werden, was jedoch aus dem oben genannten Grund erwartungsgemäß ein eher bescheidenes Ergebnis brachte. Für die noch nicht archivierten Bestände aus den späten siebziger und achtziger Jahren war es in Stuttgart möglich, die einschlägigen Akten in der Registratur des Evangelischen Oberkirchenrats (OKR) und im Diakonischen Werk Württemberg (DWW) einzusehen, so dass auch diese Zeit bearbeitet werden konnte. Wegen der regionalgeschichtlichen Zuspitzung der Untersuchung wurden Aktenbestände aus dem Archiv des Diakonischen Werkes der EKD (ADW) und dem Evangelischen Zentralarchiv (EZA) in Berlin nur herangezogen, wenn sie zur Beschreibung des gesamtkirchlichen Rahmens der landeskirchlichen Partnerschaften erforderlich waren oder zur Klärung von Einzelfragen beitrugen. Bereits die Aktenbestände der Landeskirchen und Diakonischen Werke in Württemberg und Thüringen werfen Schlaglichter auf eine Fülle von Fragen und Problemen einzelner in der Partnerschaftsarbeit engagierter Personen, Gemeinden und Einrichtungen. Um diese an konkreten Fällen zu belegen und so die Basis noch besser in den Blick zu nehmen, wurden aufgrund von Hinweisen der Zeitzeugen auf besonders aktive Partnerbeziehungen der Kirchenbezirk 48

MATERIALIEN DER ENQUETE-KOMMISSION Bd. VI/1, S. 251. G. HEFFT, Gemeindepartnerschaften, S. 23. Vgl. auch S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 41. 50 Vgl. MATERIALIEN DER ENQUETE-KOMMISSION Bd. VI/1, S. 251, und F. WINTER, Wege, S. 146. Zur Vertraulichkeit der Partnerschaftsarbeit s. u. den Exkurs „Wir müssen schweigend helfen – Patenschaft und Öffentlichkeitsarbeit“, S. 170ff. Zur Sicht der DDR-Führung auf die Partnerschaften s. u. Kapitel 4.4.1. 49

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Saalfeld in Thüringen mit seinen Partnerdekanaten Bad Urach und Geislingen in Württemberg ausgewählt, ebenso wie die miteinander verbundenen Diakonischen Einrichtungen Carolinenfeld (Thüringen) und Mariaberg (Württemberg) sowie das Michaelisstift (Thüringen) und das Heim Schöneck (Württemberg). Auch die dort vorhandenen Unterlagen über die partnerschaftlichen Kontakte wurden eingesehen. Die zunächst als Teil der Untersuchung geplanten Einzelfallstudien zu diesen Beispielbeziehungen konnten allerdings nicht realisiert werden, da die erhaltenen Schriftstücke in ihrer Lückenhaftigkeit keine kontinuierliche Beschreibung der einzelnen Kontakte über vierzig Jahre zuließen. So flossen die Ergebnisse in die übrigen Kapitel ein. Darüber hinaus konnten Aktenbestände des Evangelischen Jugendwerks in Württemberg und des Evangelischen Stifts Tübingen benutzt werden. Schließlich stellten verschiedene Gesprächspartner dankenswerter Weise Unterlagen aus ihrem Privatbesitz zur Verfügung. Für das Kapitel über die Partnerschaften im Kontext der Deutschlandpolitik mussten zusätzlich Akten aus staatlichen Archiven eingesehen werden. Für die DDR-Seite wurden – entsprechend der regionalen Eingrenzung – zunächst einschlägige, die Angelegenheiten der evangelischen Kirche betreffende Akten aus den Beständen des Rates des Bezirks und des Bezirksparteiarchivs der SED Gera im Thüringischen Staatsarchiv Rudolstadt (ThStA Rudolstadt) sowie des Rates des Bezirks und des Bezirksparteiarchivs Suhl im Thüringischen Staatsarchiv Meiningen (ThStA Meiningen) eingesehen. Diese beiden Bezirke umfassten den größten Teil des Gebiets der ELKTh. Auf eine zusätzliche Durchsicht der in Weimar lagernden entsprechenden Akten des Bezirks Erfurt, in den auch Bereiche der ELKTh fielen, wurde verzichtet, da ein großer Teil des Bezirks Erfurt einschließlich der Bezirksstadt zur Kirchenprovinz Sachsen gehörte. Zudem waren nach der weitgehenden Parallelität der in den Unterlagen aus Gera und Suhl gefundenen Informationen keine grundlegend neuen Erkenntnisse zu erwarten. Dies bestätigte sich auch bei der Durchsicht der im Bundesarchiv in Berlin (BArch Berlin) befindlichen Korrespondenz des Staatssekretariats für Kirchenfragen mit den drei Bezirken Gera, Erfurt und Suhl, die große Ähnlichkeiten aufwiesen. Im Bestand „Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED“ fanden sich bei der Sichtung von Aktenbänden mit vielversprechender Inhaltsangabe so gut wie keine einschlägigen Quellen. Schließlich wurden auch Akten aus den Beständen der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) herangezogen. Dabei zeigte sich, dass die eingesehenen personenbezogenen Akten über die Tatsache der Überwachung der Partnerschaften hinaus wenig verwertbare Hinweise boten. Interessante Einblicke boten dagegen einige

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Sachakten zum Thema, darunter an der Juristischen Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Potsdam-Eiche angefertigte Forschungsarbeiten. Für die bundesdeutsche Seite stellte sich heraus, dass im Hauptstaatsarchiv Stuttgart für das Land Baden-Württemberg keinerlei einschlägige Akten vorhanden sind. Dafür findet sich im Bundesarchiv in Koblenz (BArch Koblenz) im bescheidenen Maße über bloße Zahlenangaben hinausgehendes Material in den Beständen „Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen“ bzw. „Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen“ und „Bundeskanzleramt“. Außerordentlich erschwerend wirkte sich hier die Tatsache aus, dass für die Quellen aus der BRD im Gegensatz zu Quellen aus der DDR die dreißigjährige Sperrfrist nicht aufgehoben wurde, so dass Akten aus den siebziger und achtziger Jahren nicht benutzbar sind51. Insgesamt glich die Suche nach Unterlagen zum Thema Kirchenpartnerschaft in den staatlichen Archiven, wie schon in bestimmten Bereichen der kirchlichen Aktenbestände, eher der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. Bei der Sichtung großer Mengen von Material steigt selbstverständlich die Gefahr, etwas zu übersehen. Dennoch bietet zumindest für den Bereich der DDR der Vergleich von Funden aus unterschiedlichen Beständen eine gewisse Absicherung, die wichtigsten Grundzüge erfasst zu haben. Die Fülle des gesichteten Aktenmaterials konnte jedoch die anfängliche Feststellung, dass entscheidende Bereiche der Partnerschaftsarbeit schlecht bis gar nicht dokumentiert sind, nicht widerlegen. So bergen die umfangreichen Unterlagen des DWW zur Partnerschaft zum Beispiel Ordner voll von Prospekten oder Abrechungen der in die DDR versandten Kopiergeräte, Küchenmaschinen und Baugerüste oder Adressen von in der Partnerschaftsarbeit engagierten Personen. Persönliche Korrespondenzen zwischen Partnern enthalten aufgrund der Furcht vor der Postkontrolle, aber auch aus eigenem Mitteilungsbedürfnis heraus eher ausführliche Beschreibungen der Witterungsverhältnisse oder des Gesundheitszustands einzelner Familienmitglieder als Bemerkungen zur Partnerschaft oder zu politischen Themen. Es fehlen Berichte oder gar Mitschriften über die Begegnungen der Partner-Kirchenbezirke, die in Berlin stattfanden. Auch sonstige Dokumente, die etwas über den Inhalt von Gesprächen mit Partnern aussagen oder die explizit und differenziert auf die politischen, ökonomischen oder theologischen Implikationen der Partnerschaften eingehen, sind nur selten zu finden. Dieser Mangel erschwerte die gesamte Untersuchung. Besonders aber die in Kapitel 4.2. versuchte Darstellung der inhaltlichen Aspekte der Kontakte steht 51

Zur Problematik dieses Ungleichgewichts vgl. A. SILOMON, Situation, S. 97f.

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unter diesem Vorbehalt und wäre ohne die zweite herangezogene Quellengattung kaum möglich gewesen: die mündlichen Aussagen von Zeitzeugen. In 23 teilweise sehr ausgedehnten Gesprächen wurden ehemalige Landesbischöfe beider Landeskirchen sowie für die Partnerschaftsarbeit verantwortliche Personen aus den Diakonischen Werken, den Synoden, aus einzelnen Kirchenbezirken, Gemeinden und Einrichtungen befragt. Diese Gespräche wurden nach Tonbandaufnahmen verschriftlicht und den Gesprächspartnern zur Durchsicht vorgelegt. Die genehmigten Protokolle sind im Besitz der Verfasserin. Zeitzeugenaussagen sind, obwohl oder gerade weil im Bereich der Kirchenpartnerschaften „vieles, was geschehen ist, […] nur über sie zu erfahren“52 ist, eine anfechtbare Quelle für die historische Forschung. Daher müssen sich im Folgenden einige Bemerkungen zum methodischen Vorgehen anschließen.

1.4. Methodische Überlegungen zum Umgang mit den Quellen Ob Zeitzeugen lediglich „ältere Personen, die kurz vor dem Verlust der Zurechnungsfähigkeit stehen“53, oder aber eine „bedeutsame Quelle“54 für die historische Forschung sind, wurde in der Geschichtswissenschaft seit Aufkommen der Oral History als eines eigenen Forschungsansatzes ausführlich diskutiert55. Historiker verweisen mit Recht nicht nur auf Lücken im Gedächtnis, wobei vor allem unangenehme Erlebnisse der Verdrängung anheim fallen können und einer Verklärung Vorschub geleistet werden kann, sondern auch auf die Gefahr einer Verschiebung der Einschätzung bestimmter Vorgänge, da die damalige Bewertung einer Situation von den heutige Einstellungen und Problemen überlagert wird. Zudem kann die Befragung selbst das Ergebnis beeinflussen, indem nur bestimmte Erinnerungen abgefragt werden, andere dadurch gar nicht zur Sprache kommen56. Unter Berücksichtigung dieser Bedenken wurden in der vorliegenden Untersuchung Aussagen von Zeitzeugen auf vierfache Weise verwendet: Erstens waren sie unverzichtbar, um Hinweise auf die Bereiche des kirchlichen Lebens zu bekommen, in denen die Partnerschaftsarbeit eine wichtige Rolle spielte, oder um auf Probleme aufmerksam zu werden, mit denen die Partnerschafts52

F. WINTER, Wege, S. 146. So selbstironisch der Zeitzeuge Hans-Georg Binder (H.-G. BINDER, Etappen, S. 1). 54 F. WINTER, Arbeit, S. 65. 55 Zur Diskussion der methodischen Probleme vgl. ausführlich L. NIETHAMMER, Fragen, zur Problematik im Hinblick auf die Kontakte zwischen EKD und BEK vgl. G. BESIER, Psychophysiologie, S. 113–116. 56 Vgl. G. BESIER, Zeitgenossenschaft, S. 187–189, F. WINTER, Arbeit, S. 65. 53

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arbeit konfrontiert war. Nur so konnte an geeignetem Ort mit geschärftem Blick nach weiteren Dokumenten gesucht werden. Zweitens erwiesen sich Zeitzeugenaussagen gelegentlich als eine Art hermeneutischer Schlüssel, indem sie zurückhaltende Formulierungen in (kirchen-)amtlichen Papieren erst im Hinblick auf ihren Problemgehalt zum Sprechen brachten oder diesbezügliche Vermutungen bestätigten. Drittens waren Gespräche eine Möglichkeit, die aus dem Mangel an kirchlichen Quellen aus der DDR entstehende Westlastigkeit der Darstellung etwas auszugleichen und die Perspektive der DDR-Partner stärker einzubeziehen. Viertens schließlich konnten manche Vorgänge nur noch mit Hilfe von Zeitzeugen rekonstruiert werden. Dabei wurden in der Regel nur solche Fakten berücksichtigt, die von mehreren Gesprächspartnern übereinstimmend geschildert wurden. Doch mündliche Aussagen sind nicht die einzigen in dieser Untersuchung verwendeten Quellen, deren Benutzung einer besonderen Erklärung bedarf. Auch der Umgang mit den Akten der staatlichen Organe, Parteien und Massenorganisation der DDR, besonders des MfS, wurde in den letzten Jahren immer wieder problematisiert. Nach ersten spektakulären Veröffentlichungen Anfang der neunziger Jahre, die anhand von Funden aus staatlichen Archiven die Anpassung der Kirchen an den SED-Staat und ihre Verstrickungen mit dem MfS dokumentieren wollten57, wurden vor allem zwei Bedenken laut: Einerseits wurde moniert, ob nicht kirchenhistorische Darstellungen primär auf kirchliche Quellen zurückgreifen sollten, statt die Geschichte der Kirchen in der DDR mit Hilfe der fraglos oft besser überlieferten und zahlreicheren Dokumente staatlicher Stellen zu rekonstruieren58. Andererseits stellte sich die Frage nach dem Aussagewert dieser Akten überhaupt, deren Verfasser in manchen Fällen möglicherweise mehr um die Dokumentation der eigenen Erfolge in der Umsetzung der staatlichen Kirchenpolitik als um das Festhalten historischer Wahrheiten bemüht waren59. 57 Hier ist besonders die im Dezember 1991 in erster Auflage erschienene Dokumentation G. BESIER/ S. WOLF, Pfarrer, zu nennen. Eine Zusammenfassung der Debatte über Stasi-Belastungen in der Kirche bietet H. SCHULTZE, Stasi-Belastungen, zu den Veröffentlichungen besonders S. 311–323 und 369–382. Die Diskussion im Spiegel evangelischer Monatszeitschriften zwischen 1990 und 1995 beleuchtet M. BEYER, Stasi-Debatte. 58 Vgl. die Bemerkungen von Mehlhausen im Vorwort zu P. BEIER, Sonderkonten, S. IXf., K. NOWAK, Kirche, S. 227ff., H. SCHULTZE, Geschichte, S. 279f. und 286, sowie F. WINTER, Arbeit, S. 63f. 59 Vgl. H. SCHULTZE, Geschichte, S. 289. Zum besonders umstrittenen Wert der MfS-Unterlagen für die historische Forschung vgl. R. ENGELMANN, Quellenwert. Engelmann kommt zu dem Ergebnis, dass gerade im Vergleich mit anderen Aktenbeständen der DDR „Wahrheitsgehalt und Quellenwert der Staatssicherheits-Unterlagen […] relativ hoch einzuschätzen sind“ (EBD., S. 39). Zum Problem des Einfließens der „eigenen ideologischen Vorgaben“ der hauptamtlichen MfS-Mitarbeiter vgl. U. SCHRÖTER, Interesse, hier S. 44.

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Beide Anfragen treffen jedoch die vorliegende Untersuchung nicht. Akten aus staatlichen Archiven wurden vor allem zur Darstellung der Einschätzung der Partnerschaft durch die DDR-Führung verwendet. Für die Darstellung der innerkirchlichen Vorgänge dagegen wurden primär kirchliche Quellen benutzt. Zudem ging es bei der Auswertung der Unterlagen staatlicher Organe der DDR, besonders des MfS, nicht primär um eine Klärung der Frage, in welchem Maße und mit welchem Erfolg der Staat die Partnerschaften kontrollierte oder gar unterwanderte. Dies zu beantworten muss angesichts der unüberschaubaren vom MfS hinterlassenen Aktenmenge, die immer noch nicht vollständig erschlossen ist, einer späteren Untersuchung überlassen bleiben. Es ging vielmehr darum, zu erkennen, wie der DDR-Staat die Partnerschaft einschätzte und welche Hoffnungen und Befürchtungen sie auslöste. Solche generellen Beurteilungen sind jedoch weniger wahrscheinlich einer beschönigenden Verfälschung unterworfen als die Meldung über Erfolg oder Misserfolg der daraus resultierenden Maßnahmen oder Aussagen über die Kooperationswilligkeit einzelner Personen.

1.5. Der Aufbau der Arbeit Die Untersuchung gliedert sich in drei große Hauptteile. Zunächst wird in Kapitel 2 der gesamtkirchliche Rahmen beschrieben, in dem sich die landeskirchliche Partnerschaft zwischen Württemberg und Thüringen bewegte. Dabei sind einerseits die organisatorische und ideelle Gemeinschaft der Kirchen in Deutschland (2.1.), andererseits auch das Netz von Hilfsstrukturen, das zur Unterstützung der östlichen Landeskirchen aufgebaut wurde (2.2.), zu beleuchten. Auf dieser Grundlage widmet sich das Kapitel 3 besonders den Beziehungen zwischen Württemberg und Thüringen. Dabei wird im ersten Teil (3.1.) die Entstehung und organisatorische Weiterentwicklung der Kontakte in den unterschiedlichen Bereichen der Kirchen dargestellt. Ein besonderes Gewicht fällt dabei den Diakonischen Werken der Landeskirchen zu, die vor allem die materielle Hilfe organisierten und die verschiedenen Ebenen der Partnerschaft koordinierten. In Exkursen werden wichtige äußere Rahmenbedingungen für diese Arbeit aufgezeigt. Weiterhin werden unterschiedliche Formen institutioneller und persönlicher Kontakte mit ihren Eigenarten dargestellt. Im zweiten Teil des Kapitels (3.2.) wird in einem diachronen Durchgang die innere Entwicklung der aus den zuvor beschriebenen Ebenen bestehenden landeskirchlichen Partnerschaft von ihren Anfängen in der Nachkriegszeit bis zur Wiedervereinigung untersucht. Durch die unterschiedlichen politischen, ge-

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sellschaftlichen und kirchlichen Rahmenbedingungen in den vier Jahrzehnten ihres Bestehens wurden die Kontakte teilweise gefördert, teilweise gehemmt, in jedem Fall aber nachhaltig verändert. Ein Ausblick skizziert Tendenzen der Entwicklung in den neunziger Jahren. Vor dem Hintergrund dieses diachronen Durchgangs werden in Kapitel 4 in einer eher synchron-systematisch orientierten Darstellung vier wichtige Grundaspekte und Problemfelder der Partnerschaftsarbeit untersucht, ohne dabei die sich im Laufe der Zeit ergebenden Entwicklungen und Veränderungen aus den Augen zu verlieren. Grundlage der Untersuchung bilden auch hier die Beziehungen zwischen Württemberg und Thüringen; wo aber Material aus anderen Partnerschaftsbeziehungen vorliegt, wird es eingearbeitet. Zuerst tritt die theologische Begründung und das Proprium der Partnerschaftsarbeit als Lebensäußerung der Kirche in den Blick (4.1.). Im zweiten Teil wird trotz ungünstiger Quellenlage versucht, Inhalte des partnerschaftlichen Austausches sowie dessen Bedingungen und Folgen zu erheben (4.2.). Der dritte Abschnitt ist den Folgen der umfangreichen materiellen Hilfen gewidmet und fragt nach den Belastungen der Partnerschaften und nach den strukturellen Auswirkungen auf Kirche und Volkswirtschaft in der DDR, die diese Form der Unterstützung hervorrief (4.3.). Zuletzt wird die Kirchenpartnerschaft in ihrer politischen Bedeutung bedacht (4.4.). Dabei steht die Frage im Vordergrund, wie die politische Führung in beiden Teilen Deutschlands mit den Partnerschaften umging und welche Bedeutung ihnen zugemessen wurde. In einer Zusammenfassung der Ergebnisse (Kapitel 5) ist schließlich nicht nur zu klären, inwieweit der Verbindung zwischen Württemberg und Thüringen exemplarischer Charakter zukommt, sondern auch, welche kirchenhistorische Bedeutung den Partnerschaften zuzumessen ist.

2. Kirchliche Ost-West-Kontakte in gesamtdeutscher Perspektive

Die Partnerschaften wurden oft als „entscheidende Ebene“1 und zentrale Ausdrucksform der Zusammengehörigkeit von Christen aus beiden deutschen Staaten bezeichnet. Doch sie existierten nicht im luftleeren Raum. Sie waren vielmehr einerseits eingebettet in den übergeordneten organisatorischen und ideellen Rahmen der Gemeinschaft der Kirchen im Osten und Westen Deutschlands, andererseits auch Teil eines ganzen Netzes von Hilfsstrukturen, das die Kirchen im Westen zur materiellen Unterstützung der benachteiligten östlichen Landeskirchen aufgebaut hatten.

2.1. Die Einheit der EKD und die „besondere Gemeinschaft“ zwischen EKD und BEK als Rahmen der Partnerschaften In diesem Kapitel2 soll zunächst einleitend die organisatorische und ideelle Gemeinschaft beschrieben werden, wie sie bis 1969 besonders in der trotz staatlicher Teilung beibehaltenen Einheit der EKD sichtbar wurde und wie sie nach Gründung des BEK in Artikel 4,4 der Bundesordnung zum Ausdruck kam, in 1 F. WINTER, Wege, S. 128, vgl. die Äußerungen von Rainer Eppelmann, Heinz-Georg Binder und Heinrich Rathke vor der Enquete-Kommission (MATERIALIEN DER ENQUETE-KOMMISSION Bd. VI/1, S. 251, S. 254 und S. 263). P. KRASKE, Gemeinschaft, S. 51, redet von den Partnerschaften als „Knochengerüst der besonderen Gemeinschaft“. 2 Die folgenden Ausführungen orientieren sich hauptsächlich an M. GRESCHAT, Vorgeschichte, und C. LEPP, Entwicklungsetappen, sowie C. LEPP, Klammer (für die Jahre 1948–1969), und U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft (für die Zeit nach 1969). Daneben ist aus politikwissenschaftlicher Perspektive grundlegend: C. HANKE, Deutschlandpolitik. Dieses einleitende Kapitel muss sich auf den Aspekt der deutsch-deutschen Beziehungen der evangelischen Kirchen beschränken. Es kann nicht die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland in diesem Zeitraum umfassend beleuchten (vgl. u. a. zur Geschichte der DDR: D. STARITZ, Geschichte, und H. WEBER, DDR; zur Geschichte der BRD bis 1969: R. MORSEY, Bundesrepublik, und nach 1960: T. ELLWEIN, Krisen; zur Geschichte beider deutscher Staaten: C. KLESSMANN, Staatsgründung, und C. KLESSMANN, Staaten [bis 1970], sowie H.-G. LEHMANN, Chronik). Ebenso wenig ist es möglich, einen vollständigen Überblick über die Geschichte der Kirchen in der DDR und deren Verhältnis zum Staat zu geben (vgl. dazu u. a. G. BESIER, SED-Staat, S. V. GERLACH, Staat, R. GOECKEL, Kirche, und D. POLLACK, Kirche).

Kirchliche Ost-West-Kontakte

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dem sich der Bund zur „besonderen Gemeinschaft der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland“3 bekannte.

2.1.1. Die doppelte Staatsgründung und das Festhalten an der Einheit der EKD Als im Juli 1948 die auf der Kirchenkonferenz in Treysa im August 1945 auf den Weg gebrachte Vereinigung der lutherischen, unierten und reformierten Landeskirchen aus allen vier Besatzungszonen zur „Evangelischen Kirche in Deutschland“ Wirklichkeit wurde, zeichnete sich die bevorstehende Teilung Deutschlands schon deutlich ab. Die am 20. Juni von den Westalliierten in ihren Besatzungszonen durchgeführte Währungsreform wurde von der Sowjetunion durch die Blockade Berlins beantwortet4. Bewusst hatte der Rat der EKD das in der sowjetischen Zone liegende Eisenach als Ort für die entscheidende Kirchenversammlung gewählt. Dadurch sollte, so der Ratsvorsitzende Landesbischof Theophil Wurm5, „die bleibende Verbundenheit aller Teile der evangelischen Christenheit in Deutschland, ganz abgesehen von irgendwelchen politischen Grenzlinien, deutlich bezeugt werden.“6 Auch die aktuellen politischen Ereignisse änderten nichts an dem Willen des Rates, durch den Tagungsort dem, so Wurm bei der Eröffnung, Bedürfnis der Christen im Osten „nach einem deutlichen symbolkräftigen Zeichen der Verbundenheit“7 nachzukommen. In der Grundordnung der EKD war festgehalten: „In der Evangelischen Kirche in Deutschland wird die bestehende Gemeinschaft der deutschen evangelischen Christenheit sichtbar.“8 Wenn auch die Vorgänge in Eisenach und die Bereitschaft, in der sowjetischen Zone zu tagen, von Seiten der Politik als wichtiges Zeugnis für den Willen zur deutschen Einheit bewertet wurde und sowohl in der Ostzone als auch in den Westzonen – unter jeweils umgekehrten Vorzeichen – als Erfolg für die jeweilige politische Position gegen die Spalter auf der anderen Seite bewertet und begrüßt wurde, machte die EKD von Anfang an deutlich, dass die kirchliche Einheit keine nationalpolitische Begründung haben könne. Sie sah sich unter Verzicht auf eine politische Deutung ihrer zonenübergreifenden 3

KJ 96 (1969), S. 257. Vgl. C. KLESSMANN, Staatsgründung, S. 188–193. 5 Zur Rolle Wurms auf dem Weg zur EKD vgl. J. THIERFELDER, Wurm. 6 Aus einem im Evangelischen Nachrichtendienst Ost (ENO) am 12.6.1948 veröffentlichten Aufsatz Wurms, zit. nach J. SEIDEL, Neubeginn, S. 186f. 7 T. WURM, Jahre, S. 147, vgl. M. GRESCHAT, Vorgeschichte, S. 36. 8 KJ 72–75 (1945–1948), S. 96. 4

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Organisation dezidiert als geistig-kulturelle Klammer der getrennten Deutschen9. Allerdings hatte sich die Kirche zuvor schon in der gesamtdeutschen Frage zu Wort gemeldet. Bereits am 10. März 1948 war im Namen der EKD und der evangelischen Freikirchen ein „Wort christlicher Kirchen in Deutschland für einen rechten Frieden und gegen die Zerreissung des deutschen Volkes“10 veröffentlicht worden. Darin wird die Wiederherstellung der „natürlichen Lebensverhältnisse“ in der Mitte Europas als Bedingung für einen echten Frieden genannt und die Bitte ausgesprochen, dass „unserem Volk seine natürliche und geschichtliche Gemeinschaft ungeteilt erhalten“11 bleibe. Die mit der Verabschiedung des Grundgesetzes am 8. Mai und der Entstehung der DDR am 7. Oktober 1949 vollzogene doppelte Staatsgründung12 wurde von Seiten der Kirche entsprechend abwartend bis besorgt betrachtet. Am 12. Oktober 1949 beschloss der Rat der EKD eine Erklärung mit dem programmatischen Titel „Wir bleiben ein Volk“13, in der die Distanz zu beiden deutschen Staaten deutlich zum Ausdruck kommt, wenn es heißt: „Trotz aller Entscheidungen der weltlichen Mächte, die über uns herrschen, bleiben wir ein Volk und sind darum zu brüderlicher Gemeinschaft miteinander und brüderlicher Achtung voreinander verpflichtet.“14 Außerdem bekräftigte die EKD ihre Zuständigkeit für die Christen in beiden deutschen Staaten und forderte beide Regierungen auf, alles für die Wiederherstellung der staatlichen Einheit zu tun15. Wie dieses geeinte Deutschland auszusehen habe, darüber gab es in den fünfziger Jahren innerhalb der EKD beträchtliche Kontroversen. Diese wurden allerdings noch nicht in einem Gegenüber von Ost und West, sondern entlang quer dazu verlaufender theologischer und politischer Gegensätze geführt, die besonders an den Themenkreisen Westintegration und Wiederbewaffnung, später Wehrpflicht und Militärseelsorge sichtbar wurden. Während sich eine Mehrheit der kirchlichen Amtsträger, besonders aus den lutherischen Kirchen – orientiert an der Zwei-Reiche-Lehre –, für Westintegration und Wiederbewaffnung als Postulat der politischen Vernunft aussprach, plädierten Vertreter des Bruderrätlichen Flügels der EKD wie etwa Martin Niemöller und Gustav Heinemann – geprägt durch die Barthsche Lehre von der Königsherrschaft 9

Vgl. C. LEPP, Klammer, S. 67 und C. HANKE, Deutschlandpolitik, S. 78f. Text bei C. NICOLAISEN/N. A. SCHULZE, Protokolle, S. 414f., vgl. C. HANKE, Deutschlandpolitik, S. 80f., und T. HECK, EKD, S. 29. 11 C. NICOLAISEN/N. A. SCHULZE, Protokolle, S. 415. 12 Vgl. C. KLESSMANN, Staatsgründung, S. 193–208. 13 KJ 76 (1949), S. 46f., vgl. M. GRESCHAT, Vorgeschichte, S. 44, C. HANKE, Deutschlandpolitik, S. 89, und T. HECK, EKD, S. 32. 14 KJ 76 (1949), S. 46. 15 Zur politischen Vermittlungstätigkeit der Kirchen vgl. G. BESIER, SED-Staat, Bd. 1, S. 84–105. 10

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Christi in allen Lebensbereichen – im Bewusstsein der deutschen Schuld am Zweiten Weltkrieg für einen „Dritten Weg“ Deutschlands zwischen den ideologischen Blöcken16. Ungeachtet dieser Auseinandersetzungen aber manifestierte sich in den fünfziger Jahren die Einheit der Kirche und der Wille zur staatlichen Wiedervereinigung nicht nur in der faktischen Einheit der kirchlichen Organisationen. Eindrucksvolle Zeugnisse dafür waren auch die gesamtdeutschen Kirchentage, besonders in Berlin 1951 und Leipzig 195417. Auf dem Dritten Deutschen Evangelischen Kirchentag in beiden Teilen Berlins im Juni 1951 kamen unter dem Leitwort „Wir sind doch Brüder“ mehr als 300.000 Menschen aus Ost und West zusammen. Den meisten Zustrom erfuhr die Arbeitsgruppe „Wir sind doch Brüder – im Volk“, an der etwa 40.000 Menschen teilnahmen18. Auch in der Arbeit der nach dem Krieg entstandenen Evangelischen Akademien spielte das Thema „Wiedervereinigung“ zunächst eine Rolle19. Besonders die West-Berliner Akademie führte in den fünfziger Jahren neben zahlreichen Ost-West-Freizeiten auch, teilweise in Kooperation mit anderen Akademien, mehrere Tagungen zur Frage der Wiedervereinigung durch. Die Loccumer Akademie organisierte mit ihrer Industrie- und Jugendbildungsarbeit regelmäßig Studienreisen nach Berlin, die von Bonn finanziell ebenso gefördert wurden wie die Teilnahme von DDR-Gästen an Tagungen westdeutscher Akademien. Zum Zusammenhalt der Kirche trug auch die sukzessive Verschärfung der Lage der Christen in der DDR bei20. Sowohl beim 1952/53 kulminierenden Kampf der DDR-Führung gegen die Junge Gemeinde21 als auch bei der Verhaftungswelle gegen Mitarbeiter der Bahnhofsmission 195622 wurde von Seiten der DDR-Regierung mit Hinweis auf die starken deutsch-deutschen Beziehungen der Kirche auch der Vorwurf der Westspionage benutzt, um das Vorgehen gegen Christen zu legitimieren. Insgesamt ging die DDR-Führung nach der doppelten Blockintegration beider deutscher Staaten im Jahre 1955 – obwohl das Ziel der Einheit im Sinne 16 Vgl. dazu C. HANKE, Deutschlandpolitik, S. 123–134, und T. HECK, EKD, S. 35–40. Am Beispiel der Wiederbewaffnung auch J. VOGEL, Kirche. 17 Zum Kirchentag und der deutschen Frage vgl. jetzt ausführlich D. PALM, Brüder. Vgl. auch C. HANKE, Deutschlandpolitik, S. 137–144. 18 Vgl. dazu D. PALM, Brüder, S. 123–128. 19 Vgl. R. J. TREIDEL, Akademien, S. 213. 20 Zur SED-Kirchenpolitik der fünfziger Jahre vgl. M. G. GOERNER, Kirche. 21 Zur Jungen Gemeinde jetzt umfassend E. UEBERSCHÄR, Gemeinde. Zu den Auseinandersetzungen zu Beginn der fünfziger Jahre dort besonders S. 176–203, außerdem G. BESIER, SED-Staat, Bd. 1, S. 106–139, F. DORGERLOH, Geschichte, S. 60ff., und am Beispiel Leipzigs C. KAUFMANN, Agenten, S. 49ff. 22 Zum Spionagevorwurf gegen die Bahnhofsmission vgl. B. NIKLES, Hilfe, S. 347–355.

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einer Konföderation mit einer veränderten BRD bis zur Regierungsübernahme der großen Koalition 1966 offiziell aufrecht erhalten wurde – allmählich zu einer Abgrenzungspolitik über, deren vorrangiges Ziel die Anerkennung der DDR durch die BRD war23. Damit wurde die zunächst für die eigenen Ziele benutzte und geschätzte Klammerfunktion der Kirche zum Ärgernis und war zunehmend Angriffen ausgesetzt. Die EKD betonte demgegenüber weiterhin ihre kirchliche Einheit und verlieh ihrem Verlangen nach staatlicher Einheit Ausdruck. Auf ihrer außerordentlichen Tagung im Juni 195624 verabschiedete die Synode eine Erklärung zur „Einheit des Volkes“25, in der sie das Recht der Deutschen auf Selbstbestimmung über ihre gemeinsame staatliche Form in freien Wahlen bekräftigte und sich damit im Einklang mit der Bonner Deutschlandpolitik befand. Die „Theologische Erklärung“26 der Synode wies aber erstmals darauf hin, dass die politische Wiedervereinigung nicht unmittelbar ein Gebot des Evangeliums sei. Es sei allerdings im Sinne der Nächstenliebe nötig, die mit der Teilung verbundene Not zu mildern und letztlich zu überwinden. Der Beschluss „Die Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland“27 bot eine doppelte Begründung des gesamtdeutschen Charakters der Kirche: Sie sei im Bewusstsein der Gemeinde existent und entspreche dem Grundanliegen der ökumenischen Bewegung28. Zum Eklat mit der DDR-Führung kam es, als im März 1957 die gesamtdeutsche EKD-Synode dem im Februar zwischen Bundesregierung und EKD geschlossenen Militärseelsorge-Vertrag zustimmte29. Die Zustimmung auch der ostdeutschen Synodalen wurde von der Regierung der DDR als Affront verstanden und bestätigte in ihren Augen die Berechtigung ihrer Angriffe gegen die als „NATO-Kirche“ bezeichnete EKD. Als Reaktion verweigerte die DDRFührung im Folgenden das Gespräch mit westlichen EKD-Vertretern und brach im Mai 1958 auch offiziell die Verbindung zur EKD und ihrem Bevollmächtigten bei der Regierung der DDR, Probst Heinrich Grüber30, ab. Als durch den Mauerbau im August 1961 die direkten kirchlichen Kommunikations- und Informationswege abgeschnitten wurden, wurde auch äußer23

Dazu s. u. S. 271f. Texte im KJ 83 (1956), S. 8–28, vgl. C. LEPP, Klammer, S. 69f., und C. HANKE, Deutschlandpolitik, S. 120–123. 25 Text im KJ 83 (1956), S. 21f. 26 Text EBD., S. 17f. 27 Text EBD., S. 19f. 28 Vgl. dazu auch Kapitel 4.1.1. 29 Zum Militärseelsorge-Vertrag vgl. T. HECK, EKD, S. 42–44. 30 Zur Rolle Grübers vgl. S. RINK, Grüber, sowie seine Autobiographie: H. GRÜBER, Erinnerungen, hier bes. S. 289ff. 24

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lich deutlich, dass die bisher selbstverständlich weitergeführte gesamtdeutsche Arbeitsweise der EKD gefährdet war31. Ein weiteres unmissverständliches Signal seitens der SED-Regierung war kurz darauf die Ausbürgerung des in Ostberlin ansässigen EKD-Ratsvorsitzenden Kurt Scharf32 als „Leiter einer friedensfeindlichen und illegalen Organisation“33. Neben den praktischen Behinderungen der Arbeit stellte auch die notwendige, aber auf die Dauer lähmende Rücksichtnahme zwischen Ost und West, die das Eingehen auf die besonderen Probleme im jeweiligen Teil Deutschlands erschwerte, die bisherige Organisationsform der EKD in Frage. Gleichzeitig wuchs bei den östlichen Kirchenleitungen die Überzeugung, dass die besondere politische und gesellschaftliche Situation in der DDR eine besondere Form des Dienstes der Kirche erfordere34. Dazu bedurfte es auch eines stärkeren Zusammenhalts der östlichen Landeskirchen. So konstituierte sich Anfang 1962 aus der schon seit September 1945 bestehenden Ostkirchenkonferenz die „Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR“ (KKL) unter Vorsitz des Greifswalder Bischofs FriedrichWilhelm Krummacher. Als 1963 die Synodalen aus der DDR keine Ausreise zur EKD-Synode in Bethel erhielten, beschloss der verbliebene Teil der Synode, künftig Parallelsynoden und Arbeitstagungen in Ost und West abzuhalten, was allerdings, im Gegensatz zur seit 1961 in der geteilten Berlin-Brandenburgischen Kirche geübten Praxis, keine regionalisierten Entscheidungskompetenzen bedeutete. Erst auf den Parallelsynoden in Spandau und Fürstenwalde im April 1967 wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Regionalisierung der EKD-Synode im Bedarfsfall erlaubte. Allerdings wollte die EKD die fortschreitende Anpassung ihrer Arbeitsweise an die politischen Bedingungen auf keinen Fall als Weg in die Teilung sehen und damit den Spaltungstendenzen der SED-Regierung Vorschub leisten. Wenn es am Ende der „Fürstenwalder Erklärung“ heißt: „Wir werden uns gegenseitig so weit freizugeben haben, daß wir unserem Auftrag in dem Teil Deutschlands, in dem wir leben, gerecht werden“35, so geht dem eine deutliche Absage an das staatliche Ansinnen der Trennung von der EKD voraus. Eine 31 Zu den Auswirkungen des Mauerbaus auf die Kirche vgl. G. BESIER, SED-Staat, Bd. 1, S. 421–434, C. HANKE, Deutschlandpolitik, S. 176–181, und T. HECK, EKD, S. 64–70. Die Problematik anhand der EKD-Synoden beschreibt U. BAYER, Frage, hier bes. S. 349–352. 32 Zu Scharf vgl. W.-D. ZIMMERMANN, Scharf, hier bes. S. 90–94. 33 Diese Begründung der DDR-Behörden ist zitiert im Kommuniqué der EKD vom 1.9.61, KJ 88 (1961), S. 6. Vgl. auch C. LEPP, Entwicklungsetappen, S. 57. 34 Vgl. bes. die „Zehn Artikel über Freiheit und Dienst der Kirche in der DDR“ der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR (KKL) vom März 1963, KJ 90 (1963), S. 181–185. 35 KJ 94 (1967), S. 29, vgl. R. GOECKEL, Kirche, S. 88, G. BESIER, SED-Staat, Bd. 1, S. 636–645, und T. HECK, EKD, S. 211–215.

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Kirchentrennung sei theologisch nur dann zu begründen, wenn sich ein Teil der Kirche der Irrlehre schuldig mache oder ungehorsam gegen Gott sei. Dies sei nicht gegeben. Weiterhin begründet die Erklärung die Einheit der Kirche in Deutschland mit der gemeinsamen Verantwortung für die nationalsozialistische Vergangenheit sowie der Notwendigkeit des Dienstes an der ökumenischen Gemeinschaft und der Aufrechterhaltung der menschlichen Kontakte zwischen beiden Staaten. Der Wandel der öffentlichen Meinung in beiden deutschen Staaten in den sechziger Jahren im Zuge der beginnenden Entspannungspolitik hin zu einer größeren Akzeptanz des Status quo der staatlichen Teilung ging allerdings auch an der Kirche nicht vorbei36. In kirchlichen Äußerungen wurde nun sorgfältig unterschieden zwischen kirchlicher und staatlicher Einheit. So betonte der Ratsvorsitzende Scharf auf der EKD-Synode 1965 in Frankfurt, die gesamtdeutsche Organisation der Kirche sei weder „ein Restbestand alter nationaler Einheit noch ein Vorgriff auf die politische Wiedervereinigung“37. Besonders die bereits teilstaatlich sozialisierte Jugend empfand das krampfhafte Festhalten an der organisatorischen Kircheneinheit bald nicht mehr als zeitgemäß. Bereits 1967 trennten sich die Evangelischen Studentengemeinden aus der BRD und der DDR38. Im Februar 1968 äußerte sich der wegen seines seit Ende der fünfziger Jahre zunehmend staatsnahen kirchenpolitischen Kurses umstrittene Thüringer Bischof Moritz Mitzenheim39 unmissverständlich: „Die Staatsgrenzen der Deutschen Demokratischen Republik bilden auch die Grenze für die kirchlichen Organisationsmöglichkeiten.“40 Trotz des allgemeinen Misstrauens der übrigen Bischöfe gegenüber Mitzenheim erfuhr er in diesem Punkt keinen öffentlichen Widerspruch. Den letzten Anstoß zur organisatorischen Trennung der Kirchen in Ost und West gab schließlich die neue DDR-Verfassung, die im April 1968 in Kraft trat41. 36 Vgl. C. HANKE, Deutschlandpolitik, S. 191–229. Als Beispiel für den neuen Kurs sei die EKDStudie „Friedensaufgaben der Deutschen“ von 1968 genannt, in der die deutsche Frage in den Kontext der weltweiten Friedenssicherung gestellt und damit relativiert wurde. Der Text findet sich im KJ 95 (1968), S. 114–124, vgl. dazu C. HANKE, Deutschlandpolitik, S. 223–229, und T. HECK, EKD, S. 221–232. Zur Wechselwirkung von nationaler Identität und politischem und kirchlichem Bewusstsein vgl. auch C. KLESSMANN, Kirchen, S. 446 und 450–458. 37 KJ 92 (1965), S. 4, vgl. C. LEPP, Klammer, S. 74. 38 Vgl. C. LEPP, Klammer, S. 81f. Zu den Beziehungen zwischen Studentengemeinden vgl. C. LEPP, Tabu. 39 Zu Mitzenheim s. u. Kapitel 3.2.3, bes. den Exkurs „Der Thüringer Weg“, S. 184ff. 40 Mitzenheim am 29.2.1968 auf der Bürgervertreterkonferenz in Weimar in einer Stellungnahme zum Verfassungsentwurf, KJ 95 (1968), S. 177. 41 Vgl. H. WEBER, DDR, S. 72f. Zur Haltung der Kirchen in der Diskussion um die neue Verfassung vgl. G. BESIER, SED-Staat, Bd. 1, S. 645–664.

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Neben der massiven Beschneidung der Rechte der Kirche gegenüber der Verfassung von 1949, wodurch der politischen Realität in der DDR nun auch auf dem Papier Rechnung getragen wurde, war für die EKD besonders der Artikel 39,2 verhängnisvoll, in dem es hieß: „Die Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften ordnen ihre Angelegenheiten und üben ihre Tätigkeit aus in Übereinstimmung mit der Verfassung und den gesetzlichen Bestimmungen der Deutschen Demokratischen Republik. Näheres kann durch Vereinbarungen geregelt werden.“42 Damit wurde die Arbeit der DDR-Kirchen im Rahmen der EKD faktisch illegal. Die ostdeutschen Kirchenleitungen waren unter Zugzwang43.

2.1.2. Die Gründung des BEK und die „besondere Gemeinschaft“ Bereits im Juni 1968 berief die KKL eine Strukturkommission aus Vertretern aller acht ostdeutschen Gliedkirchen ein. Ihr Auftrag war es zu prüfen, wie die Arbeits- und Zeugnisgemeinschaft unter den Kirchen der DDR intensiviert und ein engerer Zusammenschluss erreicht werden könne44. Ziel war also zunächst nicht die Aufgabe der Zugehörigkeit zur EKD. Im Entwurf der Bundesordnung vom September 1968 war daher das Verhältnis zur EKD bewusst vage formuliert: „In der Mitverantwortung für die ganze evangelische Christenheit in Deutschland wirkt der Bund an Entscheidungen, die alle evangelischen Kirchen in Deutschland betreffen, durch seine Organe mit.“45 Bei dem im März 1969 von der KKL festgestellten endgültigen Wortlaut war der Akzent bereits in Richtung einer größeren Eigenständigkeit verschoben, wenn es in Art. 4,4 nun hieß: „Der Bund bekennt sich zu der besonderen Gemeinschaft der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland. In der Mitverantwortung für diese Gemeinschaft nimmt der Bund Aufgaben, die alle evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik und in der 42

KJ 96 (1969), S. 188, vgl. G. BESIER, SED-Staat, Bd. 1, S. 661. Ein weiterer Grund, der die eigenständige Organisation nötig machte, lag nach C. DIETRICH, Gründung, S. 33, im „Autoritätsverlust der wichtigsten Sprecher der EKD in Ostdeutschland“. Dass dies allerdings die „konkrete Nötigung“ (EBD.) zur Bildung des Bundes war, ist m. E. nicht ganz plausibel. 44 Zur Entstehung des BEK und zur Arbeit der Strukturkommission vgl. G. BESIER, SED-Staat Bd. 1, S. 664–683 und 694–722, und Bd. 2, S. 27–39, sowie T. HECK, EKD, S. 232–245. Die Entstehung und die Arbeit des BEK ist auch in mehreren Quellenbänden dokumentiert: R. HENKYS, Bund (1970), SEKRETARIAT DES BUNDES DER EVANGELISCHEN KIRCHEN IN DER DDR, Kirche als Lerngemeinschaft (1981), BUND DER EVANGELISCHEN KIRCHEN IN DER DDR, Gemeinsam unterwegs (1989), C. DEMKE/M. FALKENAU/H. ZEDDIES, Anpassung (1994), U. SCHRÖTER/H. ZEDDIES, Nach-Denken (1995), M. FALKENAU, Kundgebungen (1995f.). 45 Zit. nach U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, S. 82. 43

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Bundesrepublik Deutschland gemeinsam betreffen, in partnerschaftlicher Freiheit durch seine Organe wahr.“46 Einerseits wird die Gemeinschaft betont, andererseits ist statt von „Entscheidungen“ nun unverfänglicher von „Aufgaben“ die Rede, die wohlgemerkt in „partnerschaftlicher Freiheit“ wahrgenommen werden sollen. Trotz oder wegen dieser Rücksichtnahmen war das Verhältnis des Bundes zur EKD heftiger Kritik von zwei Seiten ausgesetzt: Auf der einen Seite attackierte bei der KKL-Sitzung im März 1969 der thüringische Oberkirchenrat Gerhard Lotz47 Art. 4,4. Er sei Ausdruck eines „vorgegebenen geistig-geistlichen Sachverhalt[s]“ und stelle so einen „meta-juristischen Begriff“ dar, der seinem juristischen Gehalt nach „überflüssig“ und daher „ersatzlos zu streichen“ sei. Dahinter stand bei Lotz die Sorge, mit Art. 4,4 „würden die außerkirchlichen Geschäfte derer besorgt, die den Bund zerschlagen wollen, aber auch die innerkirchlichen Geschäfte derer, die in einer Camouflage die EKD in der Bundesordnung unterbringen wollen“48. Doch die KKL ließ sich von Lotz weder zur Streichung noch zur später vorgeschlagenen Umformulierung des Art. 4,4 bewegen. Die schärfsten Worte des Widerspruchs kamen vom provinzialsächsischen Bischof Werner Krusche, der eine mögliche Lossagung von den westdeutschen Kirchen mit der Lossagung der Deutschen Christen von den Christen jüdischer Herkunft verglich49. Auf der anderen Seite regte sich besonders an der Basis der einzelnen Landeskirchen in der DDR, deren Synoden im Frühjahr 1969 der Bundesordnung zustimmen mussten, Widerstand gegen die Trennung von der EKD. Man fürchtete um die Gemeinschaft der Kirchen in Ost und West, die noch zwei Jahre zuvor in Fürstenwalde so vollmundig beschworen worden war. So musste etwa Bischof Krusche in seiner Rede vor der Synode der Kirchenprovinz Sachsen im April 1969 die Bedenken derer zerstreuen, die fürchteten, die besondere Gemeinschaft werde nichts weiter als eine „literarische oder Briefgemeinschaft“50 sein. 46

KJ 96 (1969), S. 257. Zur Rolle von Lotz und seinen Stasi-Verstrickungen s. u. die Exkurse „Der Thüringer Weg“, S. 184ff., und „Die Thüringer Landeskirche und das MfS“, S. 282ff. Zum Auftreten von Lotz auf der Frühjahrssynode der ELKTh 1969 vgl. G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 34f. 48 Zit. nach U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, S. 85. 49 Vgl. EBD., S. 86. Auch bei der Ausgrenzung von Christen jüdischer Herkunft spielte Thüringen eine Vorreiterrolle, vgl. die Stellungnahme von sieben deutschchristlichen Kirchenleitungen, darunter derjenigen Thüringens, vom 17.12.41, die entsprechende Anweisung der Kirchenkanzlei der DEK vom 22.12.41 und das umgehend erlassene Thüringer Kirchengesetz zum Ausschluss von „nichtarischen“ Christen vom 28.12.41 bei G. SCHÄFER, Wurm, S. 152. 50 So die Stellungnahme eines brandenburgischen Pfarrkonvents, auf die Krusche in seiner Rede einging, KJ 96 (1969), S. 240. Vgl. U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, S. 84. Zur Kritik der Trennungsgegner vgl. auch G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 124f. 47

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Dennoch stimmten alle Landessynoden der Bundesordnung zu. Nachdem sich die drei lutherischen Landeskirchen Sachsen, Mecklenburg und Thüringen bereits im November 1968 von der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD) getrennt und die VELKDDR gebildet hatten51, wurde am 10. Juni 1969 die „Ordnung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR“ von Vertretern aller Landeskirchen in der DDR unterzeichnet und trat somit in Kraft. Gleichzeitig legten die in der DDR ansässigen EKD-Ratsmitglieder und -Synodalen ihre Mandate nieder. Im November stellte die KKL endgültig fest, dass die Landeskirchen in der DDR nun nicht mehr Gliedkirchen der EKD seien. Die einzelnen Landeskirchen strichen nach und nach die Hinweise auf ihre EKD-Zugehörigkeit aus ihren Verfassungen52. Das rechtliche Verhältnis der Gliedkirchen des Bundes zur EKD wurde allerdings nie exakt geklärt, was sich für den Vereinigungsprozess der Kirchen nach 1989 als hilfreich erweisen sollte. Die EKD bedauerte die Gründung des Bundes zwar, blieb aber passiv. Dabei spielte sicher die aus Rücksichtnahme auf die schwierigen politischen Verhältnisse selbst auferlegte Zurückhaltung der westdeutschen Kirchen bei der Stellungnahme zu Fragen und Problemen der Kirchen in der DDR53 eine nicht unerhebliche Rolle. In einer ersten Erklärung im September 1969 hieß es: „Die Mitglieder des Rates […] respektieren die von den Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik getroffenen Entscheidungen.“54 Auf der Synodaltagung im Mai 1970 machten sich Synode und Kirchenkonferenz in einer gemeinsamen Erklärung dann das Bekenntnis zur besonderen Gemeinschaft, wie es in der Bundesordnung formuliert war, zu eigen und setzten hinzu: „In der Mitverantwortung für diese Gemeinschaft nehmen sie die Aufgaben, die sich daraus ergeben, für ihren Bereich in freier Partnerschaft mit dem Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik wahr.“55 Der Wortlaut dieser Erklärung wurde schließlich nahezu unverändert in die erneuerte Grundordnung der EKD von 1984 übernommen – aus der „bestehenden Gemeinschaft“ der Kirchen in beiden Teilen Deutschlands von 1948 war nun auch in der Grundordnung eine „besondere Gemeinschaft“ geworden. Der Unterschied zur entsprechenden Klausel in der Bundesordnung bestand allerdings darin, dass sie dort unter den „Aufgaben“ des Kirchenbundes ran51

Vgl. G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 29–34. Dabei spielte Thüringen wieder eine Vorreiterrolle. Die Synode beschloss bereits am 7.12.69 die Streichung (vgl. R. GOECKEL, Kirche, S. 101). 53 Diese Denkweise spiegelte sich auch in den einzelnen institutionellen und persönlichen Partnerschaftsbeziehungen wieder, s. u. S. 222. 54 KJ 96 (1969), S. 276. 55 KJ 97 (1970), S. 16. 52

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gierte, in der EKD-Grundordnung aber schon zu den „Grundbestimmungen“ zählte56. Die DDR-Führung war mit dem Ergebnis der von ihr massiv betriebenen Trennung der DDR-Kirchen von der EKD keineswegs zufrieden. Einerseits konnte den Machthabern eine Stärkung des Zusammenhalts unter den einzelnen Landeskirchen nicht recht sein, weil eine Isolierung der einzelnen Landeskirchen die Durchsetzung der staatlichen Kirchenpolitik erleichterte. Andererseits blieb ihnen Art. 4,4 ein Dorn im Auge und wurde immer wieder attackiert57. Die Enttäuschung über den nur unvollständig gelungenen Spaltungsversuch spiegelte sich auch in der Tatsache, dass die DDR-Führung erst im Februar 1971 den Bund als offiziellen Gesprächspartner anerkannte58. Die „besondere Gemeinschaft“ wurde in den siebziger und achtziger Jahren zum Schlüsselbegriff des Verhältnisses der Kirchen im Osten und Westen Deutschlands. Eine einheitliche Begründung dieses Verhältnisses oder eine einheitliche Erklärung dessen, was mit der Formulierung gemeint ist, hat es allerdings nie gegeben. Wie Peter Kraske, früherer Präsident der Kirchenkanzlei der EKU (Bereich Bundesrepublik und Berlin-West59) schienen viele führende Kirchenvertreter der Meinung zu sein, dass die Kirchen „jedem Versuch einer genaueren Definition möglichst widerstehen sollten“: „Wir sollten die besondere Gemeinschaft nicht definieren und damit festlegen. Wir sollten sie suchen und entdecken, praktizieren und uns zunutze machen.“60 Dennoch gab es ein Bündel von Begründungen, die in unterschiedlicher Form immer wieder herangezogen wurden, um das Bekenntnis zur besonderen Gemeinschaft zu erklären und das Engagement in ihrem Sinne zu rechtfertigen. In Anlehnung an Friedrich Winter sind vier Motivgruppen zu unterscheiden61: 1. Tradition, Geschichte und gemeinsame Verantwortung: Durch die gemeinsame Sprache, die gemeinsame Geschichte (besonders in der Zeit des Nationalsozialismus), die gemeinsame liturgische Tradition und das gemeinsame theolo56

Vgl. KJ 112 (1985), S. 307. Dazu s. u. S. 292f. 58 Zum Kampf um die Anerkennung vgl. G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 41–55. 59 Die EKU behielt im Gegensatz zu EKD und VELKD ihre Einheit bei, entschloss sich aber 1972 zu einer Bereichsgliederung (vgl. G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 122–124, und F. WINTER, Wege, S. 137). 60 P. KRASKE, Gemeinschaft, S. 52. 61 F. WINTER, Wege, S. 126f., unterscheidet sechs Motive: 1. das Sachmotiv der gegenseitigen Auftragsvergewisserung, 2. das diakonische Motiv, 3. das Unterstützungsmotiv, 4. das ökumenische Motiv, 5. das nationale Motiv und 6. das pädagogisch befreiende Motiv. Trotz Änderungen in der Reihenfolge und Umbenennungen schließt sich die Darstellung weitgehend daran an. Viele der Motive klangen bereits in der Fürstenwalder Erklärung von 1967 an. 57

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gische Erbe (besonders aus Reformation und Bekennender Kirche) sind die Kirchen in Deutschland durch eine gemeinsame Verantwortung aneinander gebunden und für eine gegenseitige Vergewisserung ihres Auftrags, der Verkündigung des Evangeliums in der jeweiligen gesellschaftlichen Umgebung, aufeinander angewiesen. 2. Unterstützung für die Kirchen in der DDR: Aus den Schwierigkeiten, mit denen die Kirchen unter den politischen und weltanschaulichen Vorzeichen des DDR-Staates zu kämpfen haben, resultiert die Verpflichtung der westdeutschen Kirchen zu einer umfassenden ideellen, vor allem aber auch materiellen Hilfe. 3. Dienst an den unter der Teilung leidenden Menschen: Es ist die Aufgabe der Kirchen, sich der durch die Teilung entstandenen menschlichen Nöte wie Bedrohung des Friedens, Menschenrechtsverletzungen und fehlende Kontaktmöglichkeiten anzunehmen. In diesem Kontext spielte auch noch in der Ära der besonderen Gemeinschaft das nationale Motiv eine Rolle, haben doch die Kirchen im Hinblick auf die Folgen der Teilung „stets an dem vorletzten Wert, deutsche Menschen in der Mitte Europas zusammenzuführen und zu -halten, festgehalten“62. 4. Ökumene und das Lernen vom Anderen: Es wäre widersinnig, wenn sich die Kirchen in Deutschland durch die politischen Verhältnisse trennen ließen, während das Nachdenken über die weltweite und konfessionsübergreifende Gemeinschaft der Kirchen und die gelebten ökumenischen Verbindungen eine immer größere Bedeutung gewinnen. Das Motiv der ökumenischen Begegnung, durch den Anderen seine eigenen Gewohnheiten und Denkweisen in Frage stellen zu lassen, ist auch im Sonderfall der deutsch-deutschen Begegnung von zentraler Bedeutung. Aus diesen Motiven heraus wurde die besondere Gemeinschaft über die bereits bestehenden und im folgenden Kapitel näher zu beleuchtenden Partnerschaftsbeziehungen und Hilfsstrukturen hinaus auf vielfältige Weise mit Leben gefüllt. Bereits im Dezember 1969 formierte sich die sogenannte „Beratergruppe“, in die der Rat der EKD und die KKL jeweils ca. 15 Mitglieder entsandten. Ihre Aufgabe lag vor allem im Bereich der gegenseitigen Information und des Erfahrungsaustausches sowie der Erörterung von Fragen, welche die Gesamt62

EBD., S. 126.

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heit der evangelischen Christen in Deutschland betrafen. In den ersten Jahren waren die Treffen der Beratergruppe nur schwer zu organisieren, da die westlichen Teilnehmer, insbesondere die Ratsmitglieder, in der DDR unerwünscht waren und somit an den Grenzübergängen oft aufgehalten wurden. Dies änderte sich erst nach Abschluss des Grundlagenvertrags 197263. Ab 1973 waren auch gegenseitige Besuche auf den Synoden möglich, ab 1976 trafen sich regelmäßig die Vorsitzenden von EKD und BEK. Im letzten Drittel der siebziger Jahre begann die DDR-Führung die gesamtdeutschen Beziehungen der ostdeutschen Kirchenleitungen als friedenspolitischen Faktor zu erkennen, was die Kontakte erheblich erleichterte64. Entsprechend der wachsenden Bedeutung der Friedensfrage in beiden deutschen Staaten wurde 1980 auf Anregung der KKL eine „Konsultationsgruppe“ zwischen EKD und BEK gebildet65, die den Auftrag hatte, sich besonders mit Themen der Friedensethik zu befassen. Bereits im August 1979 hatten Vertreter des Rates der EKD und der Vorstand der KKL mit einem „Wort zum Frieden“ anlässlich des 40. Jahrestages des Kriegsbeginns gemeinsam öffentlich Stellung genommen66. In den achtziger Jahren folgten weitere gemeinsame Worte, etwa im März 1985 das „Wort zum Frieden“ zum Kriegsende vor 40 Jahren, ein Jahr später eine Veröffentlichung mit dem Titel „Hoffnung auf Frieden“ als Reaktion auf das Gipfeltreffen zwischen Reagan und Gorbatschow im November 1985 und 1988 ein „Wort zum 9. November“ zum 50. Jahrestag der Pogromnacht67. Im August 1983 entschlossen sich der EKD-Ratsvorsitzende Eduard Lohse und der KKL-Vorsitzende Johannes Hempel auf der VI. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Vancouver zu einem gemeinsamen Brief an Bundeskanzler Helmut Kohl und den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker. Die beiden Bischöfe erinnerten die Staatsmänner an die besondere Verantwortung der Deutschen in der Friedensfrage und forderten sie auf, sich in ihren Bündnissystemen für eine spürbare Abrüstung einzusetzen68. Eine Verbindung zwischen Christen in Ost und West schufen auch die seit 1980 von den evangelischen Kirchen in beiden Teilen Deutschlands im 63 Zur Gründung der Beratergruppe vgl. auch G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 120–122. Zur Bedeutung der Reisebestimmungen für die Partnerschaftsarbeit s. u. den Exkurs „Die Entwicklung der Reisemöglichkeiten“, S. 76ff. 64 Dazu s. u. S. 298. 65 Die Arbeit der Konsultationsgruppe ist dokumentiert in W. HAMMER/U.-P. HEIDINGSFELD, Konsultationen. 66 Vgl. C. HANKE, Deutschlandpolitik, S. 328f. 67 Alle zehn gemeinsamen Texte finden sich bei W. HAMMER/U.-P. HEIDINGSFELD, Konsultationen, S. 287–314, vgl. auch „In besonderer Gemeinschaft“ (EKD-Texte 26). 68 Vgl. W. HAMMER/U.-P. HEIDINGSFELD, Konsultationen, S. 296.

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Rahmen der Friedensdekaden gefeierten „Bittgottesdienste für den Frieden“69, die nach einer von BEK und EKD gemeinsam verantworteten Ordnung gestaltet wurden. Im Rahmen der Bemühungen um Abrüstung und Friedenssicherung wurde auch auf den Kirchentagen der achtziger Jahre wieder der deutsch-deutsche Dialog gesucht, wobei allerdings im Gegensatz zu den dezidiert gesamtdeutschen Kirchentagen der fünfziger Jahre die Zweistaatlichkeit nicht mehr in Frage gestellt und die Deutschlandpolitik konsequent der internationalen Friedenspolitik untergeordnet wurde70. Nach einer weitgehenden Aussparung der deutschen Frage auf den Treffen der sechziger und siebziger Jahre sprach auf dem Hamburger Kirchentag 1981 der damalige Leiter des Sekretariats des Kirchenbundes Manfred Stolpe über die gemeinsame besondere Friedensverantwortung der deutschen evangelischen Kirchen. In Düsseldorf wurden 1985 die „Deutschen Gespräche“ als fester Bestandteil des Programms etabliert, in Frankfurt 1987 referierte dabei erstmals auch ein Vertreter der SED. Auch beim Ost-Berliner Kirchentag im gleichen Jahr konnten zahlreiche Referenten aus Westdeutschland einreisen. Doch nicht nur im gesellschaftspolitischen Bereich arbeiteten BEK und EKD zusammen. Kooperation gab es auch bei der Pflege des gemeinsamen theologischen und liturgischen Erbes. 1984 wurde von beiden Seiten der revidierte Text der Lutherbibel angenommen und zum kirchlichen Gebrauch empfohlen. Auch die Arbeit am neuen Evangelischen Gesangbuch und der neuen Gottesdienst-Agende wurde gemeinsam begonnen und zum Abschluss gebracht. Trotz vielfältiger Zusammenarbeit und dem Willen zur Verständigung waren Konflikte zwischen Kirchenvertretern aus Ost und West nicht zu vermeiden. Ein erster Streitfall war bereits der Umgang mit dem 1969/70 vom Exekutivausschuss des ÖRK eingerichteten Sonderfonds für das Antirassismusprogramm. Während sich die ostdeutschen Kirchenleitungen hinter das Programm stellten, gab es auf westdeutscher Seite Bedenken. Da auf eine Kontrolle vor Ort verzichtet wurde, hatte man Zweifel, ob die Gelder tatsächlich ausschließlich für humanitäre Zwecke verwendet würden71. Die DDRKirchen, die wegen ihrer Bemühungen um einen Weg der „Kirche im Sozialismus“72 weltweit ein hohes Ansehen genossen, erschienen bald als „Musterschüler 69 Zu den Friedensdekaden in der DDR vgl. A. SILOMON, Schwerter. Zur Bedeutung für die Kirchenpartnerschaften s. u. S. 240. 70 Vgl. dazu C. HANKE, Deutschlandpolitik, S. 315–327, hier besonders S. 327. 71 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 153–157. 72 Zur Formel „Kirche im Sozialismus“ als Selbstverständnis der DDR-Kirchen vgl. ausführlich W. THUMSER, Kirche.

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der Ökumene, während die EKD-Kirchen in erster Linie ihre Zahlmeister waren“73, was die Beziehung untereinander nicht vereinfachte. Durch ein ungeschriebenes „Gesetz der Nichteinmischung“74 konnten zwar nach außen hin Dissenzen weitgehend vermieden werden. Probleme gab es aber hin und wieder da, wo dieses Gesetz missachtet wurde. In einer Richtung war dies etwa der Fall bei den Reden von führenden Vertretern der DDR-Kirchen bei Kundgebungen der Friedensbewegung zu Beginn der achtziger Jahre. Diese wurden von der EKD als Angriff auf die Friedensdenkschrift von 1981 gewertet, in der die Friedenswahrung durch Atomrüstung als „eine für Christen noch mögliche Handlungsweise“75 anerkannt wurde. In der anderen Richtung empfand der BEK die 1985 von der EKD herausgegebene Denkschrift „Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie“ mit ihrer eindeutig positiven Stellungnahme zum freiheitlich-demokratischen Staat als Belastung, weil man fürchtete, die DDR-Führung könnte von der Kirche ein ähnliches Bekenntnis zu ihrer Staatsform verlangen76. Die wegen der politischen Umstände im öffentlichen Bereich erforderliche „Behutsamkeit und gegenseitige Rücksichtnahme“77 im Gespräch ließ allerdings auch manche Streitfrage öffentlich ungeklärt. Darunter waren spezielle Punkte wie der Umgang westdeutscher Kirchen mit ohne Erlaubnis ihrer Kirchenleitung in die BRD übergesiedelten DDR-Pfarrern78, aber auch allgemeine Fragen wie das Verhältnis von Volks- und Bekenntniskirche, die Legitimität des staatlichen Kirchensteuereinzugs und die beste Form der Seelsorge an Soldaten oder des Religionsunterrichts79. Wer bestehende kirchliche Verhältnisse in der BRD kritisierte, musste fürchten, mit seinen Positionen vom DDR-Regime dankbar vereinnahmt zu werden80. Niemand erwartete, dass die ungeklärten Konfliktpunkte zwischen Ost und West schon bald wieder in einer vereinten EKD aufeinander treffen würden.

73

G. PLANER-FRIEDRICH, Beteiligung, S. 81. H.-G. BINDER, Beziehungen, S. 257. 75 KIRCHENKANZLEI DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN DEUTSCHLAND, Frieden wahren, S. 58. 76 Vgl. H.-G. BINDER, Beziehungen, S. 257. Zur Ost-West-Debatte um die Demokratiedenkschrift vgl. auch G. BESIER, SED-Staat, Bd. 3, S. 138–141 und ausführlich H. SCHULTZE, Leitbild. 77 P. KRASKE, Gemeinschaft, S. 51. 78 Zur Problematik der Übersiedlung von Pfarrern jetzt umfassend R. SCHULZE/E. SCHMIDT/ G. ZACHHUBER, Flucht. 79 Zur Bedeutung dieser Themen im Austausch zwischen den Partnerkirchen s. u. Kapitel 4.2.2. 80 Vgl. Leich 27.8.01. 74

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2.1.3. Die Wiedervereinigung und ihre Anknüpfungspunkte Im Jahr 1990 standen die evangelischen Kirchen in Deutschland durch den Umsturz in der DDR81 wieder einmal, wie schon 1948 und 1969, vor der Frage nach Staats- und Kirchengrenzen. Schon durch die Ereignisse der Jahres 1989 war die besondere Gemeinschaft in ungeahnter Weise beansprucht worden. Ein sensibles Thema waren zunächst vor allem die Auswirkungen der Ausreisewelle für das Leben der Menschen und auch der Gemeinden in der DDR. Am 4. September bat der KKL-Vorsitzende, Bischof Werner Leich, den Rat der EKD in einem Brief, seinen „Einfluß bei der Bundesregierung und in der Öffentlichkeit geltend zu machen, daß durch politische Erklärungen und Handlungsweisen das Druck-SogGefälle zwischen den beiden deutschen Staaten nicht verstärkt, sondern abgebaut wird.“82 Das Kommuniqué des Rates vom 16. September nahm das Anliegen in einem Abschnitt abwägend auf, indem es zwar einerseits die Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen in der BRD aufforderte, „unsere neuen Mitbürger aus der DDR, auch über die Tage der ersten spontanen Hilfsbereitschaft hinaus, zu begleiten“. Andererseits betonte es aber auch die „Notwendigkeit der weiteren Zuwendung zu den Kirchen und Menschen in der DDR“ und signalisierte „großes Verständnis für die dringende Bitte der evangelischen Kirchen in der DDR an ihre Glieder, ihr persönliches Umfeld nicht aufzugeben, sondern in ihren Arbeits- und Lebensbereichen zu bleiben“83. Der Ratsvorsitzende Bischof Martin Kruse teilte in seinem Antwortschreiben vom 21. Oktober Leichs Sorge um die Auswirkungen der massenhaften Ausreise und stimmte ihm zu, dass ein entscheidender Faktor für den Abbau des „DruckSog-Gefälles“ die Ermöglichung der mündigen Beteiligung der Bürger in der DDR am gesellschaftlichen Leben sei84. Nach dieser eindeutigen Äußerung rief es in den DDR-Kirchen Kritik hervor, dass der Text „Zur Entwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik“, den die in der ersten Novemberwoche tagende EKD-Synode beschloss, im Bezug auf die Ausreisenden den Satz enthielt: „Sie sind uns willkommen.“85 Dass dieser Satz von der EKD-Synode keineswegs eine Aufforderung zum Gehen oder auch nur eine Relativierung der Aussagen über die Betroffenheit über den Verlust vieler Menschen für 81

Zum Ablauf der Ereignisse von 1989/90 vgl. H. WEBER, DDR, S. 107–120. Zur Rolle der Kirche vgl. D. POLLACK, Umbruch. 82 Zit. nach U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, S. 100. Zur Haltung der Kirche zur Ausreisefrage vgl. DIPPEL, Menschenrechte, hier bes. 648–650. 83 KJ 116 (1989), S. 147. 84 Vgl. U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, S. 101. 85 KJ 116 (1989), S. 192.

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einen Neubeginn in der DDR bedeutete, war nur schwer zu vermitteln. Weiter betonte der Text der Synode die Bedeutung der „in zahllosen Verbindungen zwischen Gemeinden und Kirchen in beiden deutschen Staaten“ gelebten besonderen Gemeinschaft. Sie sei „kirchlich begründet“, habe aber „gleichwohl die politische Konsequenz, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen in beiden deutschen Staaten lebendig zu halten.“86 Die Maueröffnung in der Nacht vom 9. auf den 10. November ließ die am 10. November zu Ende gehende Synode sprachlos. Weder zu einer – auch noch so kurzen – Erklärung noch zu einer symbolischen Handlung sahen sich die Synodalen im Stande. Das offizielle kirchliche Schweigen dauerte an, wenn sich auch in verschiedenen Presseäußerungen auf beiden Seiten die Tendenz abzeichnete, dem bei den Demonstrationen immer häufiger laut werdenden Ruf nach einer staatlichen Wiedervereinigung abwartend zu begegnen. In einer Presseerklärung vom 7. Dezember rief der BEK zur Dankbarkeit über die „neuen guten Möglichkeiten der Gemeinsamkeit“ auf, warnte aber zugleich vor „nationaler Euphorie“87. Zuvor hatten namhafte ostdeutsche Kirchenvertreter am 26. November den Appell „Für unser Land“88 unterzeichnet, der für Reformen in der DDR unter Beibehaltung der Zweistaatlichkeit plädierte. Am 29. Dezember sagte Kruse in einem Rundfunkinterview, BEK und EKD wollten „keine Vorreiterrolle für eine schnelle Wiedervereinigung spielen“89. Umso überraschender kam am 17. Januar 1990 die „Loccumer Erklärung“90 der dort zu einer schon länger anberaumten Klausurtagung zum Thema „Besondere Gemeinschaft“ zusammengekommenen Konsultationsgruppe. Darin hieß es nach einem Ausdruck der Dankbarkeit für die neu gewonnene Freiheit in der DDR und der Würdigung der Klammer-Wirkung der besonderen Gemeinschaft: „Wir wollen, daß die beiden deutschen Staaten zusammenwachsen.“ Daneben betonten die Vertreter von BEK und EKD unter dem Vorsitz von Leich und Kruse, sie wollten, auch unabhängig von der politischen Entwicklung, „der besonderen Gemeinschaft der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland auch organisatorisch angemessene Gestalt in einer Kirche geben.“ Auch wenn die Erklärung das doppelte Einheitspostulat mit Hinweis auf die Notwendigkeit der Rücksicht auf einen gesamteuropäischen Verständigungsprozess einerseits und auf die in der Zeit der Trennung in den Kirchen gewach86

EBD., S. 193. Text bei M. FALKENAU, Kundgebungen, Bd. 2, S. 368, vgl. C. LEPP, Entwicklungsetappen, S. 90f. 88 Vgl. KJ 116 (1989), S. 213. 89 EBD., S. 219. 90 Vgl. KJ 117/118 (1990/91), S. 183f., mit weiteren Hinweisen auf Teilnehmer der Tagung, Entstehung und Wirkung der Erklärung. Vgl. auch C. HANKE, Deutschlandpolitik, S. 444–452. 87

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senen „Erfahrungen und Unterschiede“91 andererseits absicherte, erfuhr sie neben lebhafter Zustimmung auch herbe Kritik. Am 9. Februar erschien die unter Federführung der Theologieprofessoren Ulrich Duchrow und Konrad Raiser, dem Erfurter Propst Heino Falcke und dem Referenten des Kirchenbundes Joachim Garstecki entstandene „Berliner Erklärung von Christen aus beiden deutschen Staaten“92. Darin hieß es, die Loccumer Erklärung erwecke den Eindruck einer „weittragenden programmatische Vorentscheidung mit beabsichtigter politischer Wirkung“93, die an der kirchlichen Basis schon deshalb Befremden auslösen musste, da es „keinerlei Meinungsbildung in Gemeinden, Mitarbeiterkonventen und den für die Entscheidung dieser Frage allein kompetenten Synoden gegeben“94 habe. In ihren Thesen argumentierten die Unterzeichner, die besondere Gemeinschaft habe sich nun „im stellvertretenden Aushalten der noch bestehenden Trennungen um des Zusammenwachsens in Frieden und Gerechtigkeit willen“ zu bewähren. Sie kritisierten, die Aussage der Loccumer Erklärung, das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit der Deutschen sei eine wichtige Grundlage des Wirkens der Kirchen, mache „wieder einmal eine nationale Größe zu einer ‚wichtigen Grundlage‘ kirchlichen Wirkens“95. Wenn auch der sich hier abzeichnende Konflikt um Möglichkeit und Grundlagen staatlicher und kirchlicher Einheit eher – wie schon in den fünfziger Jahren – theologisch-politische als deutsch-deutsche Grenzen markierte, so wurden in der Diskussionslage der beiden Kirchenbünde zur Loccumer Erklärung doch Unterschiede zwischen Ost und West deutlich. Während der Rat der EKD Ende Januar die Erklärung der Sache nach begrüßte und nur im Bezug auf das Verfahren den Alleingang der Konsultationsgruppe kritisierte96, fiel die Stellungnahme der Synode des Bundes Ende Februar verhaltener aus. Die Erklärung greife dem Meinungsbildungsprozess in den Gliedkirchen voraus. Weitere Schritte und Entscheidungen seien ohne Zeitdruck sorgsam zu prüfen und zu beraten97. Während die staatliche Einheit unaufhaltsam voranschritt, war der Diskussionsprozess in gemeinsamen kirchlichen Gremien wie der in Loccum vereinbar91

Alle Zitate EBD., S. 184. Vgl. KJ 117/118 (1990/91), S. 188–192, mit weiteren Hinweisen auf Urheber, Entstehung und Wirkung der Erklärung. 93 EBD., S. 188. 94 EBD., S. 188f. 95 Beide Zitate EBD., S. 189. Zu den Diskussionen um Loccumer und Berliner Erklärung vgl. auch G. BESIER, SED-Staat, Bd. 3, S. 463–470. 96 Vgl. U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, S. 105. 97 Beschluss der BEK-Synode zum Bericht des Vorsitzenden der KKL vom 25.2.90, vgl. KJ 117/118 (1990/91), S. 199f. 92

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ten „Gemeinsamen Kommission“, aber auch an der Basis der BEK-Kirchen98 geprägt von der Sorge der ostdeutschen Kirchen vor Vereinnahmung und Identitätsverlust. Ihre unter den besonderen Bedingungen der DDR gewonnenen Erfahrungen und Eigenheiten sollten nicht einer schneller Einheit mit der weiterhin von den Kirchen der alten BRD dominierten EKD zum Opfer fallen. Den entscheidenden Ausschlag für das Werden der kirchlichen Einheit gab im Sommer 1990 das Rechtsgutachten des Tübinger Kirchenrechtlers Martin Heckel99. Es interpretierte das Verhältnis der DDR-Kirchen zur EKD als „Ruhen der EKD-Mitgliedschaft“100. Die EKD habe den auf staatlichen Druck hin geschehenen Rückzug der östlichen Gliedkirchen aus ihren Organen und die Gründung des BEK nie förmlich anerkannt, sondern lediglich respektiert. Daher liege keine rechtliche Trennung vor, jede der Gliedkirchen habe jederzeit das Recht, die Mitgliedschaft durch einen „einseitigen Rechtsgestaltungsakt“101 zu reaktivieren. Zwar machte das Gutachten deutlich, dass „der Fortbestand und die Identität der EKD durch die Mitgliedschafts-Reaktivierung unberührt“ blieben, begegnete aber der zu erwartenden und auch einsetzenden Kritik an diesem Verfahren im Hinblick auf vermeintliche Parallelen zum Beitritt der DDR nach Art. 23 GG mit dem Hinweis, dass „das Grundgesetz zuvor nie im Bereich der DDR Geltung besaß“, während „die EKD-Verfassung für die östlichen Gliedkirchen bis 1969 normativ uneingeschränkte, danach latente Geltungskraft besessen“102 habe. Auch wurde betont, die Reaktivierung der Mitgliedschaft sei „ein auf die Zukunft gerichteter Gestaltungsakt“, der „zwei Jahrzehnte kirchlicher, politischer und gesellschaftlicher Entwicklung nicht rückwärts überspringen“103 könne. Trotz deutlicher Kritik aus den östlichen Landeskirchen konnte sich diese Rechtsauffassung schnell durchsetzen und wurde zur Grundlage der Kircheneinheit. Am 24. Februar 1991 beschlossen die Synode der EKD und die Abschlusssynode des Bundes je ein „Kirchengesetz […] zur Regelung von Fragen im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland“104, das nach der Billigung durch die östlichen Landesynoden am 27. Juni 1991 in Kraft treten konnte. Der BEK löste sich gleichzeitig selbst auf. Ohne große Feierlichkeiten war die Einheit hergestellt. 98 Vgl. das Diskussionspapier der BEK-Arbeitsgruppe „Überlegungen zum Weg unserer Kirche in das vereinte Deutschland“ EBD., S. 245ff. 99 Vgl. M. HECKEL, Vereinigung. 100 EBD., S. 80. 101 EBD., S. 83. 102 Alle drei Zitate EBD., S. 84. 103 Beide Zitate EBD., S. 85. 104 Vgl. KJ 117/118 (1990/91), S. 322–326.

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2.2. Die Partnerschaften als Teil der kirchlichen Hilfsstrukturen zwischen Ost und West Betrachtet man das Netz von Hilfsstrukturen, das die Kirchen im Westen zur materiellen Unterstützung der östlichen Landeskirchen aufbauten, so waren die Partnerschaften zwischen einzelnen Landeskirchen zwar die früheste institutionalisierte Form der Hilfeleistung, sie blieben aber nicht die einzige. Aufgrund der sich ständig verschlechternden finanziellen und materiellen Situation der evangelischen Kirchen in der DDR105 wurde in den fünfziger Jahren von verschiedenen kirchlichen Stellen ein dichtes Netzwerk von Hilfsmöglichkeiten geschaffen, das bis zur Wiedervereinigung, teilweise auch darüber hinaus, Bestand hatte. Die einzelnen Maßnahmen waren oft eng miteinander verknüpft, der Übersichtlichkeit wegen soll im Folgenden aber versucht werden, sie getrennt in der Reihenfolge ihrer Entstehung zu beschreiben. Über einige ist bereits eigene Sekundärliteratur vorhanden, andere finden höchstens in überblicksartigen Darstellungen Erwähnung. Jede von ihnen wäre eine umfassende Forschungsarbeit wert, die aber in diesem Rahmen nicht geleistet werden kann. Ziel der folgenden Darstellung kann daher nur sein, die Partnerschaften in den Rahmen der unterschiedlichen Hilfsstrukturen einzuordnen, die in entsprechender Kürze skizziert werden.

2.2.1. Die Diakonischen Werke der Landeskirchen und die „Partnerschaften“ Geburtsstunde der Partnerschaften war die Konferenz der Hauptgeschäftsführer der Hilfswerke der Landeskirchen im August 1949 auf Schloss Wolfsbrunnen bei Eschwege. Dort fand der Vorschlag einer Paketaktion, „in der jedes Hauptbüro die Beschickung einer Landeskirche in der Sowjetzone übernimmt“106, bei allen Konferenzteilnehmern Zustimmung. Die Lage im Osten, so das Zentral105 Im November 1952 wurden die Staatsleistungen an die Kirchen um ein Drittel gekürzt, Anfang 1953 der Kirchensteuereinzug an die Kirchen übertragen, seit März 1955 den Kirchen die Einsicht in staatliche Steuerlisten verwehrt und mit dem Benjamin-Erlass vom Februar 1956 die Zwangsvollstreckung von Kirchensteuern durch staatliche Gerichte unmöglich gemacht. Zudem wurde das Recht der Kirche zu Haus- und Straßensammlungen sukzessive eingeschränkt (vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 267–271). 106 Hilfswerk der EKD, Niederschrift über die Konferenz der Hauptgeschäftsführer Wolfsbrunnen 29.–31.8.1949 vom 16.9.49, S. 11 (ADW BERLIN ZBB 56), vgl. L. GEISSEL, Unterhändler, S. 241, den Bericht von Christian Berg KJ 84 (1957), S. 226f., und F. WINTER, Wege, S. 128, der als Datum den 30.8.49 nennt. Der Vorschlag von Pfarrer Hans Radtke vom Zentralbüro Ost des Hilfswerks kam allerdings am Nachmittag des 31. zur Sprache.

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büro des Hilfswerks in seinem Rundschreiben Ende September 1949, mit dem es die Hauptbüros von dem Beschluss in Kenntnis setzte, erfordere „nach wie vor eine regelmässige Hilfe“107, während die Situation im Westen, besonders in ländlichen Gemeinden, diese Hilfe ermögliche. Hintergrund war einerseits das absehbare Ende der Pakethilfe des Auslands für Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter108, andererseits das sich abzeichnende Verbot der Einfuhr von Lebensmitteln und Textilien aus dem Ausland durch kirchliche Stellen, mit dem die DDR-Regierung die Verteilung von Liebesgaben in die alleinige Zuständigkeit der staatlichen „Volkssolidarität“ überführen wollte109. Zudem war bei dieser Initiative zur „innerdeutsche[n] Selbsthilfe“110 die Einsicht leitend, dass der Tendenz des Hilfswerks, sich zu einer Verteilungsinstanz für Spenden aus dem Ausland zu entwickeln, entgegengewirkt werden müsse. Die EKD sollte „vor sich selbst, vor der kritischen Öffentlichkeit und der weltweiten Ökumene“ nicht als „‚Bettler‘-Kirche“111 dastehen. Um die Zentralstellen des Hilfswerks zu entlasten, kam man in Schloss Wolfsbrunnen überein, „sozusagen ein Patenverhältnis zwischen den einzelnen Hauptbüros im Westen und Osten herzustellen und einzelne Gemeinden bzw. ihre Hilfswerkstellen zueinanderzuweisen“112. Bei der Zuordnung der Hauptbüros der einzelnen Landeskirchen wurden sowohl Konfessionsbindung als

107 Hilfswerk der EKD, Zentralbüro, an die Hauptbüros des Hilfswerks der EKD vom 26.9.49 (Anlage zu Mehlhorn, Niederschrift, DWW STUTTGART 2.02 265), S. 1, vgl. EKD Kirchenkanzlei an die Leitungen der deutschen evangelischen Landeskirchen in den westlichen Besatzungszonen vom 5.11.49 (LKA STUTTGART A 126/529d I Bl. 23) und S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 29–31 mit Zitaten aus dem Rundschreiben. 108 Vgl. Hilfswerk der EKD, Zentralbüro, an die Hauptbüros des Hilfswerks der EKD vom 26.9.49 (Anlage zu Mehlhorn, Niederschrift, DWW STUTTGART 2.02 265), S. 1. 109 Vgl. die Aussage von Wilhelm Prenzler, Eisenach, bei der Arbeitstagung der Fachreferenten und Sachbearbeiter der Hauptbüros im Bundesgebiet und der DDR für „Notsorge und Osthilfe“ vom 20.–24. Mai 1957 in Königstein/Taunus (Bericht S. 3, LKA STUTTGART DWW 91). Das Verbot wurde 1950 durchgesetzt, vgl. das Schreiben des DDR-Innenministers Karl Steinhoff an das Evangelische Hilfswerk z. Hd. Propst Grüber über „Einfuhr und Verteilung von Liebesgaben durch kirchliche Organisationen“ vom 12.12.1950 (Abschrift LKA EISENACH A 750b Bd. 1 Bl. 157) sowie den Entwurf des Schreibens der Bischöfe der evangelischen Landeskirchen in der DDR an DDR-Ministerpräsident Grotewohl vom Frühjahr 51 (LKA EISENACH A 750b Bd. 1 Bl. 159). Zum „Steinhoff-Erlass“ vgl. auch I. HÜBNER, Diakonie, S. 78. 110 Hilfswerk der EKD, Zentralbüro, an die Hauptbüros des Hilfswerks der EKD vom 26.9.49 (Anlage zu Mehlhorn, Niederschrift, DWW STUTTGART 2.02 265), S. 2. 111 So der langjährige Geschäftsführer der Berliner Stelle des Hilfswerks der EKD und Mitinitiator der Pakethilfe, Christian Berg, rückblickend in einem Brief an Laimons Pavuls von der Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes der EKD in Stuttgart vom 5.2.86 (ADW BERLIN HGSt 8041). 112 Hilfswerk der EKD, Zentralbüro, an die Hauptbüros des Hilfswerks der EKD vom 26.9.49 (Anlage zu Mehlhorn, Niederschrift, DWW STUTTGART 2.02 265), S. 1.

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auch Größe der Landeskirchen berücksichtigt113. So wurde über die folgende Zuteilung der Hauptbüros „Einverständnis erzielt“114: Anhalt

Pfalz

Berlin

Westfalen

Brandenburg

Rheinland

Mecklenburg

Bayern

Pommern

Baden

Kirchenprovinz Sachsen

Hessen-Nassau und Kurhessen-Waldeck

Sachsen

Hannover, Braunschweig, Schaumburg-Lippe

Schlesien

Oldenburg

Thüringen

Württemberg

Reformierte Gemeinden des Ostens

Reformierte Gemeinden des Westens

Die wegen der schlechteren Versorgungslage in den Städten benachteiligten Hauptbüros der Hansestädte und das durch den Flüchtlingsstrom aus Ostpreußen besonders beanspruchte Schleswig-Holstein wurden zunächst von der Zuteilung ausgenommen und sollten „nach eigenem Ermessen an der ganzen Aktion teilnehmen“115. Später wurde selbstverständlich auch die nordelbische Kirche in die partnerschaftlichen Verbindungen einbezogen. Trotz einiger Verschiebungen wurde die ursprüngliche Regelung jedoch bis in die achtziger Jahre weitgehend beibehalten116. Um die Patenhilfe in Gang zu bringen, wies das Stuttgarter Zentralbüro des Hilfswerks im September 1949 die Hauptbüros an, im Westen die zur Hilfe bereiten Gemeinden, im Osten die Empfangsstellen für die Pakethilfe zu erfassen und die Empfängeradressen den zuständigen Hauptbüros im Westen zukommen zu lassen. Nicht versäumt wurde der Hinweis, „dass die Bereitschaft

113 Berg an Pavuls vom 5.2.86 (ADW BERLIN HGSt 8041). Dies widerlegt die später in Württemberg und Thüringen beliebte Legende vom „Auslosen“ der Partnerkirchen (s. u. S. 73). 114 Hilfswerk der EKD, Zentralbüro, an die Hauptbüros des Hilfswerks der EKD vom 26.9.49 (Anlage zu Mehlhorn, Niederschrift, DWW STUTTGART 2.02 265), S. 1. Eine leicht abweichende Zuordnung (Pommern – Pfalz, Anhalt – Lippe) findet sich noch in einer Aktennotiz vom 13.9.49 (ADW BERLIN ZBB 56). Die Zuordnung ist in leicht abweichender Fassung, allerdings ohne Quellenangabe, auch zu finden bei J. SEIDEL, Neubeginn, S. 189. 115 Hilfswerk der EKD, Zentralbüro, an die Hauptbüros des Hilfswerks der EKD vom 26.9.49 (Anlage zu Mehlhorn, Niederschrift, DWW STUTTGART 2.02 265), S. 2. 116 Vgl. auch die Zuordnung im Bericht von Christian Berg, KJ 84 (1957), S. 226.

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zur Hilfe in dem Masse steigt, wie das lebendige Echo des Dankes zurückklingt.“117 Ein wichtiger Einschnitt in den Partnerbeziehungen aller Landeskirchen war die am 5. August 1954 in Kraft getretene und bis zum Ende der DDR gültige „Verordnung über den Geschenkpaket- und -päckchenverkehr auf dem Postwege mit Westdeutschland, Westberlin und dem Ausland“118. Darin wurde, wie die DDR-Behörden formulierten, „im Interesse der Bevölkerung und zur Verhinderung des Missbrauchs des Geschenkpaket- und -päckchenverkehrs zur Beförderung von Handelsware zu Spekulationszwecken“ festgelegt, dass als Geschenksendungen nur solche Päckchen gelten könnten, „die unmittelbar von einem privaten Absender (natürliche Person) an einen privaten Empfänger (natürliche Person) auf Grund persönlicher Beziehungen zum persönlichen Verbrauch oder Gebrauch zum Versand gebracht werden.“119 Dass dadurch auch gerade die kirchliche Hilfstätigkeit zwischen West und Ost eingedämmt werden sollte, beweist ein Artikel aus der „Neuen Zeit“ vom 28. September 1954, in dem eigens betont wird, dass Sendungen kirchlicher Organisationen „nicht Geschenksendungen im Sinne der Verordnung“ seien, da „der Absender dieser Sendungen keine private Person“120 sei. Durch diese Auflage war ein Sammelversand von Hauptbüro zu Hauptbüro, von Einrichtung zu Einrichtung, ja sogar von Pfarrhaus zu Pfarrhaus ausgeschlossen. Die gesamte Pakethilfe war nun abhängig von der Bereitschaft Einzelner, Geschenksendungen an Privatpersonen in der Partnerkirche zu verschicken. Zudem benötigte man eine umfangreiche Adresskartei mit Einzeladressen aus den Empfängerkirchen. Päckchen, die durch ihr gleichförmiges Aussehen, identischen Inhalt oder gar eine fortlaufende Nummerierung den Eindruck erweckten, von zentraler Stelle versandt worden zu sein, wurden beschlagnahmt121. Sowohl im Osten als auch im Westen ging man zunächst von einer zeitlich begrenzten Hilfsaktion aus. Wie wenig man mit der Notwendigkeit einer jahre-, ja jahrzehntelangen Unterstützung rechnete, zeigt der Brief des Leiters des Hilfswerks der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen (HWT), Oberkirchenrat Gerhard Phieler, an den scheidenden württembergischen Landesbi117 Hilfswerk der EKD, Zentralbüro, an die Hauptbüros des Hilfswerks der EKD vom 26.9.49 (Anlage zu Mehlhorn, Niederschrift, DWW STUTTGART 2.02 265), S. 2. 118 Anlage zu Mehlhorn, Niederschrift (DWW STUTTGART 2.02 265). Zur Bedeutung der Verordnung vgl. auch B. LINDNER, Päckchen. 119 Anlage zu Mehlhorn, Niederschrift (DWW STUTTGART 2.02 265). In der ersten Durchführungsbestimmung vom 14.1.55 (ADW BERLIN ZB 618A) wurden der Empfang oder Versand von Geschenksendungen für dritte Personen nochmals ausdrücklich ausgeschlossen. 120 „Geschenksendungen, die keine sind“, NEUE ZEIT vom 28.9.54 (EZA BERLIN 4/360). 121 Zur Kontrollpraxis vgl. U. SCHULTE DÖINGHAUS, Paketverkehr, zu den sogenannten „OrgSendungen“ bes. S. 71.

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schof Martin Haug vom April 1962. Nach herzlichen Dankesworten für die von der württembergischen Kirche geleistete Patenschaftshilfe schrieb Phieler: „Wenn man mir vor 10 Jahren gesagt hätte, daß das auch heute noch so sein würde wie damals, so würde ich mir das wahrscheinlich gar nicht haben denken können.“122 Doch was mit einer Paketaktion begann, wuchs im Laufe der Zeit zu einem dichten Beziehungsgeflecht auf allen Ebenen der Landeskirchen, das den Rahmen der materiellen Hilfe bald sprengte. Allerdings blieb bis zum Ende der DDR und darüber hinaus auch der materielle Aspekt von entscheidender Bedeutung. Das finanzielle Gesamtvolumen der über die Diakonischen Werke der Landeskirchen abgewickelten Partnerschaftshilfen wird für die Zeit von 1957 bis 1990 mit 1.309,7 Mio. DM angegeben123. Darin nicht enthalten sind natürlich die vielen direkten und privaten Hilfen von Gemeinde zu Gemeinde und von Mensch zu Mensch, die ohne die Vermittlung der Diakonischen Werke organisiert wurden.

2.2.2. Der „Sonderausschuss“ bei der EKD und der „Kirchliche Hilfsplan“ Ende Januar 1950 informierte die Berliner Stelle der Kirchenkanzlei der EKD die Kirchenleitungen der westlichen Gliedkirchen über eine Entschließung des Rats der EKD. Darin hieß es, die wirtschaftliche Lage der Landeskirchen im Osten habe sich „im Laufe der letzten Jahre so ungünstig entwickelt, dass eine ernste Gefahr für die Fortführung der kirchlichen Arbeit einzutreten“124 drohe. Die der Berliner Stelle der Kirchenkanzlei vorliegenden, sämtlich begründeten Anträge der östlichen Kirchenleitungen auf finanzielle Hilfe beliefen sich auf mehr als eine Million DM West und drei Millionen Ostmark. Die östlichen Kirchen seien „auch bei äusserster Anspannung ihrer eigenen Kräfte nicht imstande […], der Lage selbst Herr zu werden.“125 Fast alle Anträge bezögen sich auf Notstände, die mit den Mitteln des Hilfswerks oder der Inneren Mission nicht zu beheben seien, und die Haushaltsmittel und Kollekteneinnahmen der EKD reichten nicht aus, den Bedarf zu decken. Daher wende sich der Rat der EKD an die westlichen Kirchenleitungen „mit der Bitte, eine wirksame Hilfe für den Osten ihrerseits ins Auge zu fassen.“126 122

Phieler an Haug vom 25.4.62 (LKA EISENACH A 827 Bd. VIIa Bl. 245). Vgl. A. VOLZE, Transferleistungen, S. 60. 124 Kirchenkanzlei der EKD (Berliner Stelle) an die Kirchenleitungen der westlichen Gliedkirchen vom 25.1.50 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 33/2), S. 1. 125 EBD. 126 EBD. 123

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Der Rat schlug vor, die Gliedkirchen im Westen sollten im Laufe des Jahres 1950 insgesamt mindestens 1,2 Mio. DM aufbringen. Dabei sollten sich die einzelnen Kirchen nach dem auch sonst für gesamtkirchliche Lasten üblichen Schlüssel beteiligen. Zur Koordinierung der Osthilfe wurde ein „Sonderausschuss“ aus Kirchenvertretern aus Ost und West sowie Vertretern des Hilfswerks und der Inneren Mission gebildet127. Der Ausschuss trat am 20. Februar 1950 in Kassel zu seiner ersten Sitzung zusammen128. Zum Vorsitzenden wurde der Dortmunder Superintendent Fritz Heuner gewählt, der die Arbeit bis zu seinem Ausscheiden im Jahre 1961 so prägte, dass das Gremium in den fünfziger Jahren auch unter dem Namen „Heuner-Ausschuss“ bekannt war129. Erste Aufgabe des Ausschusses war es, die Unterstützungsanträge der östlichen Landeskirchen und damit die Berechtigung der vom Rat der EKD vorgeschlagenen Höhe der Osthilfe zu überprüfen. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Summe von 1,2 Mio. DM keineswegs zu hoch gegriffen sei, da besonders zur Aufrechterhaltung der Christenlehre, der kirchlichen Schulen in der DDR und der Kirchlichen Hochschule in Westberlin, für unverzichtbare Bauvorhaben, zur Sicherung des kirchlichen landwirtschaftlichen Grundbesitzes und für besondere Einrichtungen und Aufgaben der Kirche in Westberlin dringend finanzielle Mittel gebraucht würden. Der Bericht von der ersten Sitzung des Sonderausschusses ging den westlichen Gliedkirchen zusammen mit einem Schreiben des Ratsvorsitzenden Bischof Otto Dibelius zu, der die Kirchenleitungen noch einmal dringend bat, „den östlichen Gliedkirchen nun im Rahmen des Osthilfeplans die Unterstützung zukommen zu lassen, auf die sie angewiesen sind.“130 Der Ausschuss tagte nach einer intensiveren Anfangsphase ab 1955 halbjährlich, ab 1960 in der Regel einmal jährlich, ab 1972 wieder halbjährlich131. Er setzte sich zusammen aus fünf vom Rat der EKD berufenen Mitgliedern, überwiegend leitenden Juristen und Finanzreferenten, sowie von Amts wegen teilnehmenden Mitgliedern, darunter der Präsident des Kirchenamtes der 127

Vgl. EBD., S. 3 Vgl. im Folgenden den Bericht des Vorsitzenden Sup. Heuner vom 4.3.50 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 38/2). 129 Vgl. z. B. die Bezeichnung in den Handakten des Ausschussmitglieds OKR Ostmann, Stuttgart (LKA STUTTGART A 126 529d VI und VII). Auch der Name „Osthilfeausschuss“ war gebräuchlich (vgl. den Bericht des Vorsitzenden Heuner vom 4.3.50, LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 38/2). 130 Der Vorsitzende des Rats der EKD an die Kirchenleitungen der westlichen Gliedkirchen vom 22.3.50 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 38/2). 131 Vgl. die Protokolle der Sitzungen in EZA BERLIN 4 und für die Jahre 1950–1967 in den Handakten OKR Ostmann (LKA STUTTGART A 126 529d VI und VII). 128

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EKD und die zuständigen Referenten der EKD, der EKU, der VELKD und des Diakonischen Werkes, die mit der Praxis der Hilfsmaßnahmen befasst waren132. Der Umfang des vom Sonderausschuss verwalteten „Kirchlichen Hilfsplans“ nahm rasch zu. Im Jahr 1956 war er bereits auf 4 Mio. DM angewachsen133. Ein drastischer Anstieg auf das Dreifache des Vorjahres, also auf 12 Mio. DM, wurde 1957 nötig: Mit dem so genannten „Benjamin-Erlass“ vom Februar 1956 hatte DDR-Justizministerin Hilde Benjamin dafür gesorgt, dass den Kirchen die staatliche Unterstützung bei der Einziehung der Kirchensteuer entzogen wurde. Staatliche Gerichte konnten nicht mehr zur Eintreibung angerufen werden. Bereits im März des Vorjahrs hatte das Politbüro offiziell beschlossen, den Kirchen, die seit Januar 1953 für die Einziehung der Steuern selbst verantwortlich waren, die Einsicht in staatliche Steuerlisten zu verweigern. Damit waren die Kirchen auf die freiwillige Selbstbesteuerung ihrer Gemeindeglieder angewiesen, was in der Praxis zu einem schnellen Rückgang der Einnahmen führte, zumal der Benjamin-Erlass von einer Propaganda-Kampagne begleitet wurde, die indirekt zum Kirchensteuer-Boykott aufrief134. Zehn Jahre später, 1967, hatte sich das Volumen des Hilfsplans mit 35 Mio. DM noch einmal fast verdreifacht, 1979 lag es bereits bei 52,5 Mio. DM und im Wendejahr 1989 gelangten durch den „Kirchlichen Hilfsplan“ über 58 Mio. DM an die Kirchen in der DDR. Der Anteil der Württembergischen Landeskirche lag dabei, je nach aktuellem Umlageschlüssel der EKD, zwischen 10 und 14 Prozent. Ein großer Teil der Mittel des Hilfsplans wurde den östlichen Landeskirchen direkt als Betriebsmittel zur Finanzierung laufender Haushaltsverpflichtungen zur Verfügung gestellt (1989 etwa 20 Mio. DM)135. Weitere Hilfsplan-Gelder finanzierten unter anderem die unmittelbaren Hilfslieferungen durch das Diakonische Werk der EKD (1989 etwa 10 Mio. DM), seit 1961 die „Sonderzuwendung“ als Unterstützung für kirchliche Mitarbeiter (1989 etwa 13 Mio. DM), seit 1973 das „Sonderbauprogramm“ für kirchliche Gebäude und seit 1980 132

Vgl. U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, S. 81, und H.-G. BINDER, Transfers, S. 571. Zu den folgenden Zahlenangaben vgl. die Übersicht über den „Kirchlichen Hilfsplan“ in LKA STUTTGART A 126 529d IV (ohne Blattzählung), die Protokolle der Sitzungen des Sonderausschusses in EZA BERLIN 4 sowie Auskünfte von Herrn Heinz Armbruster, Referat Haushalt und Steuern beim OKR Stuttgart vom 19.7.01. 134 Im zweiten Halbjahr 1956 waren die Steuereinnahmen bereits um fast 12,5 Mio. DM gesunken (vgl. A. BOYENS, Transfergeschäfte, S. 381). Zu Kirchensteuereinzug und Kürzung der Staatsleistungen vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 267–271. 135 Die Aufteilung für 1989 findet sich im Grundsatzreferat des Vorsitzenden des Sonderausschusses und Finanzreferenten der Württembergischen Landeskirche, OKR Bauer, vor der Landessynode am 30.6.90 (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 138–145, hier 140f.). 133

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den Einkauf der kirchlichen Mitarbeiter in die staatliche Altersversorgung der DDR (1989 7 Mio. DM)136. Im Zuge der Wiedervereinigung und des damit einhergehenden Angleichungsprozesses stieg der Finanzbedarf der ostdeutschen Landeskirchen noch einmal sprunghaft an. Die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion vom 1. Juli 1990 mit ihrem Umtauschverhältnis halbierte sowohl die Rücklagen der Kirchen als auch die von den meisten Gemeindegliedern noch im ersten Halbjahr in alter Währung geleisteten Kirchensteuerabgaben. Besonders aber die schrittweise Angleichung der Bezüge der kirchlichen Angestellten stellte eine enorme finanzielle Belastung dar137. Während der ursprüngliche Hilfsplan nach einem Spitzenwert von 60 Mio. DM im Jahr 1991 im Folgejahr auf 40 Mio. DM zurückgefahren wurde, wurde ab 1990 allein zur Personalkostenunterstützung von den westlichen Landeskirchen ein sogenannter Hilfsplan II bewilligt. Er hatte ein Volumen von 70 Mio. DM für das zweite Halbjahr 1990, 240 Mio. DM für das Jahr 1991. 1992 und 1993 umfasste er je 520 Mio. DM, 1994 noch 460 Mio. DM. Im Jahre 1996 wurden die Hilfsplanzahlungen durch einen Finanzausgleich zwischen östlichen und westlichen Landeskirchen ersetzt138.

2.2.3. Das Diakonische Werk der EKD und die Aktion „Stätten des kirchlich-diakonischen Wiederaufbaus“ Um die dringend notwendige Wiederherstellung kriegszerstörter Kirchen und Gemeindehäuser zu ermöglichen, beschloss der Hilfswerksausschuss der EKD in seiner Sitzung vom Juni 1952, „von nun an in jedem Jahr eine zerstörte Stadt für den kirchlichen Wiederaufbau zu benennen“139, für die eine gesamtdeutsche Spendenaktion durchgeführt werden sollte. Dabei war nicht primär an den Wiederaufbau kulturgeschichtlich bedeutsamer Gebäude gedacht, es 136 Zu den zentralen Hilfslieferungen und dem Sonderbauprogramm s. u. Kapitel 2.2.5., zur „Sonderzuwendung“ s. u. Kapitel 2.2.6. 137 Vgl. das Grundsatzreferat von OKR Bauer vor der württembergischen Landessynode am 30.6.90 (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 145) und T. HOFFMANN-DIETERICH, Entkonfessionalisierung, S. 88. 138 Für die Zahlen vgl. die Einbringungen des Haushalts der Württembergischen Landeskirche durch OKR Bauer am 27.11.90 (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 221f.), am 26.11.91 (EBD., S. 641–643) und am 24.11.92 (EBD., S. 998f.) sowie T. HOFFMANN-DIETERICH, Entkonfessionalisierung, S. 89, und Auskünfte von Dr. Jens Petersen vom Referat Steuern des Kirchenamts der EKD vom 13.12.01. 139 Niederschrift über die Tagung des Hilfswerkausschusses der EKD in Duisburg vom 9.–11. Juni 1952 (ADW BERLIN ZB 65), S. 21.

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sollte vielmehr „das Mindestmass des für das kirchliche Leben Unerlässlichen an Bauten“140 wiederhergestellt werden. Zu Anfang war daran gedacht, auch westdeutsche Städte einzubeziehen. Der Erlös der ersten Sammlung im Kirchenjahr 1952/53 kam den im Krieg besonders schwer getroffenen Kirchen in Dresden zugute, im nächsten Jahr war jedoch zunächst Mannheim als Aufbaustadt vorgesehen141. Erst nachdem sich die Differenzen zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung in Ost und West immer deutlicher abzeichneten, bekam für 1954/55 Frankfurt an der Oder den Zuschlag. Die Aktion „Stadt des kirchlichen Wiederaufbaus“ wurde fortan mit gelegentlichen leichten Abweichungen bis zur zwanzigsten und letzten Sammlung 1991/92 im zweijährigen Turnus durchgeführt und kam weiterhin den Kirchen in der DDR zugute. Ursprünglich sollte die Aktion auf 10 Jahre befristet sein. Wie auch bei den übrigen Hilfsmaßnahmen gingen die Initiatoren nicht davon aus, dass die Unterstützung über einen so ausgedehnten Zeitraum nötig sein werde142. Das Spendenaufkommen stieg im Laufe der Zeit massiv an. Während die erste Sammlung für Dresden 107.000 DM erbrachte143, flossen bei der siebten Aktion 1962/63 schon fast 950.000 DM nach Nordhausen und Halberstadt, noch einmal zehn Jahre später über 1,5 Mio. DM an verschiedene Orte der Oberlausitz. Die folgende zwölfte Aktion 1974/75 war für die Thüringer Kirche bestimmt und erbrachte gut 1,3 Mio. DM, wobei die württembergische Landeskirche, die regelmäßig einen Teil des für die Osthilfe vorgesehenen Karfreitagsopfers der Aktion zur Verfügung stellte, mit 203.262 DM nach Westfalen (279.304 DM) den zweithöchsten Beitrag leistete144. Im September 1974 schlug die Geschäftsführerkonferenz von Innerer Mission und Hilfswerk vor, den Namen der Sammlung in „Stätten kirchlich-diako-

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EBD. Vgl. EBD. 142 Vgl. Manfred GÄRTNER, Die 20. Aktion wird auch die letzte sein, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 21.4.91, S. 15. Zum Thema auch Hansgeorg KRAFT, Kirchlichdiakonischer Wiederaufbau in der DDR, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 27.3.88, S. 10. 143 Zu den folgenden Angaben zu Spendenaufkommen und Empfängern vgl. die Unterlagen zur Aktion „Stätten des kirchlich-diakonischen Wiederaufbaus“ in ADW BERLIN HGSt 8320. 144 Vgl. den Dankbrief von Landesbischof Ingo Braecklein an den württembergischen Landesbischof Helmut Claß vom 4.7.75, in dem Braecklein fälschlicherweise davon ausgeht, die württembergische Kirche habe „den bei weitem höchsten Betrag von allen Landeskirchen“ aufgebracht (OKR STUTTGART 88.10-5 1967–1984 Bl. 112, S. 1). Tatsächlich lag aber der württembergische Beitrag deutlich vor dem drittstärksten Geber Rheinland (175.387 DM) und war auch gemessen an den landeskirchlichen Größenverhältnissen beträchtlich. 141

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nischen Wiederaufbaus“ zu ändern145. Ab 1976 sollten die Spenden verstärkt für die Renovierung oder den Neubau überalterter und sanierungsbedürftiger Diakonischer Einrichtungen in der DDR genutzt werden. Für jede Aktion wurden mehrere Heime oder Einrichtungen aus verschiedenen ostdeutschen Landeskirchen benannt, die besonders dringend Hilfe brauchten. Im Bereich der ELKTh wurden 1979/80 das Sophienhaus Weimar, 1983/84 das Pflegeheim Johanneshof in Quittelsdorf und bei den folgenden Aktionen das Kinderhospital Altenburg, der evangelische Kindergarten in Gera und eine Sondertagesstätte für geistig behinderte Kinder in Eisenach berücksichtigt. In vierzig Jahren kamen bei zwanzig Sammlungen insgesamt über 25 Mio. DM an Opfern und Spenden zusammen146.

2.2.4. Der „Bruderdienst-Ausschuss“ bei der EKD und der „Kirchliche Bruderdienst“ Die immer angespanntere Finanzsituation der östlichen Landeskirchen stellte in den fünfziger Jahren in Verbindung mit der schlechten allgemeinen Versorgungslage147 und dem staatlichen Druck auf die Kirche besonders für Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter in der DDR eine wachsende Belastung dar. So wurde auf der EKD-Synode im März 1954 angeregt, eine zusätzliche finanzielle Unterstützung für kirchliche Amtsträger in den östlichen Landeskirchen einzurichten. Im Dezember 1954 erhielten die westdeutschen Kirchenleitungen ein Rundschreiben der Kirchenkanzlei der EKD. Darin wurde ihnen mitgeteilt, der Finanzbeirat der EKD habe zusammen mit dem Vorsitzenden des Verbandes der Pfarrvereine in Deutschland und Vertretern des Hilfswerks der EKD in Aufnahme der Anregung der Synode und eines entsprechenden Beschlusses der Westkirchenkonferenz vom November 1954 einen „Vorschlag zur Durchführung einer gemeinsamen amtsbrüderlichen Hilfe“148 erarbeitet: Die Mittel für die Unterstützung der kirchlichen Mitarbeiter in der DDR sollten durch einen Aufruf der westdeutschen Kirchenleitungen an alle hauptamtlichen, in ordentlicher Besoldung stehenden kirchlichen Bediensteten sowie an alle Ruheständ145 Vgl. den Aktenvermerk vom 14.10.74 (ADW BERLIN BSt 233), der auf den Vorschlag vom 12.9.74 verweist. 146 Vgl. Manfred GÄRTNER, wie Anm. 142. 147 Zur wirtschaftlichen Situation der kirchlichen Mitarbeiter s. u. den Exkurs „Die Entwicklung der Versorgungslage in der DDR“, S. 96ff. 148 Kirchenkanzlei der EKD an die Leitungen der deutschen evangelischen Landeskirchen in Westdeutschland vom 15.12.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 243), S. 1. Vgl. dazu auch den Bericht von Christian Berg, KJ 84 (1957), S. 227f.

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ler und versorgungsberechtigten Hinterbliebenen auf freiwilliger Grundlage aufgebracht werden, nicht durch einen angeordneten Gehaltsabzug. Dabei wurde ein Betrag von etwa der Hälfte der Kirchensteuerzahlung als Richtwert für die Abtretung genannt, der als Spende von der Steuer absetzbar sein sollte. Es war vorgesehen, dass jede Landeskirche für ihr Patengebiet sammelt, allerdings sollte für einen Ausgleich gesorgt werden. Die Entscheidung über die Verteilung der Gaben wurde in die Hände der Kirchenleitung der Empfängerkirche gelegt. Wichtig war den Initiatoren jedoch, dass die Verteilung „nicht einer allgemeinen schematischen Gehaltsaufbesserung dienen“ sollte, sondern als „Hilfe für besonders notleidende Pfarrer und Kirchenbeamte sowie für besonders niedrig besoldete kirchliche Amtsträger“149 gedacht war. Zur weiteren Koordination der Arbeit wurde ein sechsköpfiger „Ausschuss für amtsbrüderliche Hilfe“150 gebildet. Unter dem Namen „Bruderdienst-Ausschuss“ bestand dieses Gremium mit zuletzt sieben vom Rat der EKD berufenen Mitgliedern151 bis zum Ende des „Kirchlichen Bruderdienstes“ im Jahre 1992. In Württemberg beschloss das Kollegium des OKR bereits am 21. Dezember 1954, gemäß dem Vorschlag des Finanzbeirats zu verfahren152, nachdem schon im September Vorberatungen zwischen Vertretern des Pfarrvereins und des Hilfswerks stattgefunden hatten153. Abgewickelt wurde der Bruderdienst in Württemberg für die im Pfarrverein zusammengeschlossenen Pfarrer und Ruheständler sowie die Pfarrwitwen über die Evangelische Waisen- und Familienfürsorge, die zunächst ein Prozent des Bruttoeinkommens zusätzlich zum regulären Beitrag als Spende für den Bruderdienst vom Gehalt einbehielt und an die Berliner Stelle des Zentralbüros des Hilfswerks weiterleitete154. Ein erster Beitrag zum Bruderdienst für das erste Quartal in Höhe von 28.500 DM wurde von der Evangelischen Waisen- und Familienfürsorge aus Württemberg bereits im März 1955 nach Berlin überwiesen155. Davon flossen, wie auch in den folgenden Jahren, 80% nach Thüringen und 20% an einen Ausgleichsfonds, um die gerechte Berücksichtigung der Bedürfnisse aller östlichen Landeskirchen 149 Kirchenkanzlei der EKD an die Leitungen der deutschen evangelischen Landeskirchen in Westdeutschland vom 15.12.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 243), S. 1. 150 EBD., S. 2. 151 Vgl. U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, S. 81. 152 Vgl. den masch. Vermerk auf S. 2 des oben zitierten Dokuments (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 243). 153 Vgl. Evang. Pfarrerverein in Württemberg, Vorsitzender KR Schieber, an Pfarrer Horn, Oberurbach, vom 24.9.54 (PB MITTENDORF). 154 Vgl. HWW an den Ausschuss für Kirchlichen Bruderdienst vom 18.3.55 (PB MITTENDORF) sowie den Aufruf des Landesbischofs Haug an alle Mitarbeiter […] vom April 1955 (LKA STUTTGART A 126 529d II Bl. 281/1), S. 1, und OKR an das Dekanatamt Weikersheim vom 6.6.55 (LKA STUTTGART A 126 529d II Bl. 285). 155 Vgl. HWW an den Ausschuss für Kirchlichen Bruderdienst vom 18.3.55 (PB MITTENDORF).

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zu gewährleisten156. In Thüringen wie in den meisten anderen östlichen Landeskirchen wurde schon in den ersten Monaten des Jahres 1955 ein Verteilerausschuss gebildet, der über die Zuweisung der Beihilfen entschied157. Nachdem die Hilfe für die Pfarrhäuser angelaufen war, erging im April 1955 der im Vorschlag des Finanzbeirats der EKD empfohlene Aufruf der Kirchenleitung an „alle Mitarbeiter in den Dienststellen der Landeskirche, der Kirchenbezirke und Kirchengemeinden, der kirchlichen Werke und in den Anstalten und Heimen“158 in Württemberg. Landesbischof Martin Haug schilderte in seinem Rundschreiben eindringlich die durch die niedrigen Gehälter und die geringe Kaufkraft des Geldes hervorgerufene Not der kirchlichen Mitarbeiter in der DDR. Gewiss sei „in den letzten Jahren durch die Patenschafts- und Päckchenhilfe schon viel Hilfe geleistet“ worden, es bestehe aber der Eindruck, „daß noch viel mehr geschehen sollte und könnte.“ Haug rief die Mitarbeiter zu einem „freiwilligen persönlichen Monatsopfer“159 nach dem Vorbild der monatlichen Spende von einem Prozent des Bruttoeinkommens der Pfarrerschaft auf und betonte, dass nach ausdrücklichem Wunsch der Empfänger die Gelder nicht nur den Pfarrern und ihren Familien, sondern genauso den übrigen kirchlichen Mitarbeitern zugute kommen sollten. Zuletzt wies der Bischof, wohl mit Anspielung auf den durch die Maßnahmen der DDR-Regierung immer schwieriger werdenden illegalen kirchlichen Geldtransfer von West nach Ost160, darauf hin, dass die im Augenblick bestehende Möglichkeit zur Unterstützung der Mitarbeiter im Osten genutzt werden sollte, denn niemand wisse, wie lange diese Hilfe möglich sei. Für die kirchlichen Mitarbeiter übernahm in Württemberg das Hilfswerk die Weiterleitung der meist direkt über einen Gehaltsabzug gewährten Spenden161. Was die Unterstützung für einzelne kirchliche Mitarbeiter in Thüringen bereits im ersten Jahr bedeutete, lässt sich aus Dankbriefen vom Dezember 1955 ersehen. Im Schreiben eines kriegsversehrten Pfarrvikars aus Rudisleben heißt es:

156 Vgl. EBD. und die Aufstellung der Leistungen der sendenden Gliedkirchen (LKA STUTTGART A 126 529d III Bl. 281/1). 157 Vgl. das Protokoll der 2. Sitzung des Ausschusses „Kirchlicher Bruderdienst“ am 12.4.55 (LKA STUTTGART A 126 529d II Bl. 282/1). 158 Landesbischof Haug an alle Mitarbeiter […] vom April 1955 (LKA STUTTGART A 126 529d II Bl. 281/1), S. 1. 159 Alle Zitate EBD. 160 Dazu und zu den Anfängen des Transfergeschäfts mit der DDR-Regierung s. u. Kapitel 2.2.5. 161 Vgl. die Informationen des Hauptgeschäftsführers der Arbeitsgemeinschaft der Diakonischen Werke in der Evang. Landeskirche in Württemberg, OKR Keller, in dem Aufruf des Landesbischofs Haug an alle Mitarbeiter […] vom April 1955 (LKA STUTTGART A 126 529d II Bl. 281/1), S. 2.

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„Diese Unterstützung ist uns wahrhaftig eine rechte Hilfe und hat uns von einem sehr schwierigen wirtschaftlichen Druck befreit. Sie kam gerade an, als ich nach fünfmonatiger Krankheit aus der Klinik nach Hause kam, in welcher ich die letzten 8 Wochen zubrachte, um mein schweres Hüftleiden behandeln zu lassen. Krankheitszeiten erfordern ja auch immer besonders hohe Ausgaben […]. So waren unsere Reserven weitgehend erschöpft. Und doch steht das Weihnachtsfest vor der Tür. Wir sind ja nicht gewohnt, kostspielige Weihnachtsgeschenke zu machen, doch waren notwendige Anschaffungen für unsere vier Kinder für diese Zeit vorgesehen. Wir haben drei Mädchen im Alter von 12, 10 und 8 Jahren und einen vierjährigen Jungen. Sie brauchten Schuhe und Kleidung für den Winter.“162

Und eine Katechetin aus Gera schrieb: „Für die Ueberweisung von DM 200.-- danke ich sehr herzlich. Diese Geldsendung bedeutet für mich eine grosse Hilfe, da ich allein für einen Haushalt von vier Personen aufkommen muss. Meine beiden Töchter stehen noch in der Ausbildung, und meine alte Mutter ist ausgebombt und ohne Rente. Ich bin schon seit 15 Jahren Witwe und habe in den schweren Jahren manches aus meinem Haushalt verkaufen müssen, um das Notwendigste zum Leben zu haben, zumal ich nach 1945 fast zwei Jahre ohne Beruf und ohne Verdienst gewessen (sic!) bin und dann vier Jahre als Kirchnerin angestellt war mit einem Bruttogehalt von DM 150.--.“163

Bereits im Mai 1957 informierten der württembergische Pfarrverein und die Evangelische Waisen- und Familienfürsorge die Pfarrer, Ruheständler und Pfarrwitwen, dass die steigende Not im Osten eine Erhöhung ihres Beitrags für den Bruderdienst von ein auf zwei Prozent des Bruttoeinkommens nötig mache164. Wenn kein Widerruf erfolge, werde die Summe mit Wirkung vom 1. Juli vom Gehalt abgezogen. Auch diejenigen, die sich bisher nicht durch eine Mitgliedschaft in der Evangelische Waisen- und Familienfürsorge automatisch am Bruderdienst beteiligt hatten, wurden ausdrücklich gebeten, einen entsprechenden Beitrag zu leisten. Im Januar 1958 erfolgte in Aufnahme des Beschlusses der kirchlichen Westkonferenz vom Oktober 1957 ein entsprechender weiterer Aufruf des Landesbischofs an die kirchlichen Mitarbeiter165. Während die Initiatoren des Bruderdienstes darauf Wert gelegt hatten, dass die Hilfe nicht im Sinne einer schematischen Gehaltsaufbesserung, sondern 162

Abschriften aus Dankbriefen für den Kirchlichen Bruderdienst (ADW BERLIN ZBB 1537), S. 3. EBD., S. 4. 164 Evang. Pfarrverein in Württemberg und Evang. Waisen- und Familienfürsorge im Bereich der Württ. Evang. Landeskirche an die Amtsbrüder im Dienst und im Ruhestand sowie an die Pfarrwitwen vom 10.5.57 (LKA STUTTGART A 126 529d II ohne Blattzählung). 165 Evang. Oberkirchenrat, Der Landesbischof, an sämtliche hauptamtlich angestellten und vollbeschäftigten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im kirchlichen Dienst vom 7.1.58 (LKA STUTTGART A 126 529d II Bl 447/2). Zum Beschluss der Kirchlichen Westkonferenz vgl. EKD Kirchenkanzlei an den Ausschuss für die Verteilung der Mittel des Kirchlichen Bruderdienstes vom 5.11.57 (EZA BERLIN 4/1001). 163

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vielmehr als Nothilfe in Einzelfällen gewährt werden sollte, entwickelte sich die Verteilung im Laufe der Zeit in allen Landeskirchen in Richtung einer an alle Mitarbeiter kontinuierlich ausgezahlten, nach Familienstand gestaffelten Beihilfe, oft in Form der Gewährung von Weihnachts- und Urlaubsgeld. Unterschiede ergaben sich durch die unterschiedliche Auszahlungspraxis in den einzelnen Landeskirchen. 1975 wurden als jährliche Mindestbeträge 160 Mark der DDR für Vollbeschäftigte, 30 Mark für Ehepartner und 30 Mark pro Kind ausgezahlt166. Oft wurde aber in Notfällen weiterhin zusätzliche Individualhilfe gewährt167. 1983 hatten sich die Mindestbeträge auf 230 Mark für Vollbeschäftigte, 45 Mark für Ehepartner und 50 Mark pro Kind erhöht168. Einige wenige kirchliche Mitarbeiter in der DDR lehnten die Zuwendungen aus dem Bereich der EKD ab169. Ob es sich dabei um solche handelte, die sich die Annahme der Unterstützung aus Schamgefühl oder aus dem Willen zur Unabhängigkeit heraus verbaten, solche, die, etwa durch Verwandte im Westen, anderweitig Unterstützung erfuhren, oder solche, die statt dessen von staatlicher Seite zur Förderung ihrer aus Sicht der DDR-Führung „fortschrittlichen“ Haltung Zuwendungen bekamen170, lässt sich im Einzelnen nicht mehr feststellen. Das Gesamtvolumen der über den Bruderdienst von 1955 bis 1992 von der BRD in die DDR geflossenen Gelder wird mit 243 Mio. DM angegeben171. Das Spendenaufkommen wuchs bis in die achtziger Jahre hinein kontinuierlich. Während sich die Spendengelder aller Landeskirchen im Jahr 1955 auf 938.000 DM beliefen172, brachten die kirchlichen Mitarbeiter im Westen zuletzt jährlich etwa 7 Mio. DM für ihre Kollegen im Osten auf173. 166

Vgl. die kurze Erwähnung bei P. BEIER, Sonderkonten, S. 86, sowie zu den Einzelheiten „Vertrauliche Information über den ‚Kirchlichen Bruderdienst‘ für die Verantwortlichen in den Landeskirchen und ihren Diakonischen Werken“ vom Vorsitzenden des Bruderdienstausschusses Hans-Dieter Bluhm (ohne Datum, mit hsl. Vermerk „urspr. April 1975“, ADW BERLIN HGSt 8043). 167 Vgl. EBD., Beiblatt über die Verteilungspraxis in den einzelnen Landeskirchen. 168 Vgl. „Vertrauliche Information über den ‚Kirchlichen Bruderdienst‘“ vom Vorsitzenden des Bruderdienstausschusses Hans-Dieter Bluhm vom Februar 1983 (ADW BERLIN HGSt 8043). 169 Vgl. „Vertrauliche Information über den ‚Kirchlichen Bruderdienst‘ für die Verantwortlichen in den Landeskirchen und ihren Diakonischen Werken“ vom Vorsitzenden des Bruderdienstausschusses Hans-Dieter Bluhm (ohne Datum, mit hsl. Vermerk „urspr. April 1975“, ADW BERLIN HGSt 8043), S. 2. 170 Zu Sachleistungen und Geldzuwendungen an Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter als Mittel der DDR-Kirchenpolitik vgl. P. BEIER, Sonderkonten, und D. REMY, Sekt. 171 Vgl. H.-G. BINDER, Transfers, S. 571. 172 Vgl. Diakonisches Werk der EKD, Berliner Stelle, an die für den Kirchlichen Bruderdienst Verantwortlichen in den Landeskirchen und ihren Diakonischen Werken vom März 1990 (ADW BERLIN HGSt 8033). Im Schreiben der Arbeitsgemeinschaft der Diakonischen Werke der Evang. Landeskirche in Württemberg an Pfarrer Horn, Oberurbach, vom 2.3.1956 (PB MITTENDORF) findet sich dagegen die Angabe 975.000 DM. 173 Vgl. H.-G. BINDER, Transfers, S. 571.

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2.2.5. Das Diakonische Werk der EKD, die Transfers und die zentralen Hilfslieferungen Im Winter 1956/57 befanden sich sowohl die Volkswirtschaft der DDR als auch die östlichen Gliedkirchen der EKD in einer äußerst schwierigen Lage174. Polen hatte im Herbst 1956 unter dem nach dem Arbeiteraufstand in Posen an die Macht gekommenen Nationalkommunisten Wladyslaw Gomulka die Steinkohlelieferungen an die DDR radikal verringert und verlangte zudem höhere Transitgebühren für die Lieferung sowjetischer Kohle. Auch sah sich die Sowjetunion nicht in der Lage, ihre Lieferungen zu erhöhen. Die Stromversorgung in der DDR drohte zusammenzubrechen. Die Kirchen wiederum waren durch den drastischen Rückgang der Kirchensteuermittel und die Kürzung der Staatsleistungen in großen finanziellen Schwierigkeiten. Zudem wurde der bisher praktizierte illegale Geldtransfer von West nach Ost von den DDR-Behörden immer mehr erschwert175 und war für die inzwischen benötigten Geldmengen kaum mehr zu leisten. Nur vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, dass es in Zeiten höchster Spannungen zwischen 174 Zu diesem Aspekt der Hilfsleistungen ist, im Gegensatz zu den vorhergehenden, bereits eigene Sekundärliteratur vorhanden. Die folgende Darstellung orientiert sich hauptsächlich an den detaillierten Ausführungen bei A. BOYENS, Transfergeschäfte, und A. VOLZE, Transferleistungen. Daneben ist grundlegend und außerdem spannend zu lesen das einschlägige Kapitel aus der Autobiographie Ludwig Geißels (L. GEISSEL, Unterhändler, S. 236–440). Weitere Darstellungen finden sich bei G. BESIER, SED-Staat, Bd. 1, S. 240–248, H.-G. BINDER, Transfers, S. V. GERLACH, Staat, S. 53–56, M. G. GOERNER, Kirche, S. 271–275, und (stark von Geißel abhängig) bei T. HOFFMANN-DIETERICH, Entkonfessionalisierung, S. 70–78. 175 Im November 1956 beschlagnahmte das Amt für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs der DDR 293.000 DM, die für das Evangelische Hilfswerk bestimmt waren. Am 20.10.57 kam es zur Verhaftung des Magdeburger Konsistorialpräsidenten Kurt Grünbaum und dessen Finanzdezernenten, nachdem bei einer Durchsuchung auf Grünbaums Dachboden 400.000 Mark der DDR gefunden wurden, die durch die am 13.10. durch die DDR-Behörden durchgeführte Geldumtauschaktion zur Verhinderung des illegalen Geldumtausches wertlos geworden waren. Die Entlarvung der „Wechselschieber“ (so die zweifarbige Propaganda-Doppelkarte „Gottes Rat … und ihre Missetat“, LKA EISENACH A 866 Bd. 5) in den Reihen der evangelischen Kirche wurde von der DDR-Regierung zu einer großangelegten Diffamierungskampagne genutzt (vgl. auch die vom „Ausschuß für weltanschauliche Aufklärung“ herausgegebene Broschüre „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“, LKA EISENACH A 866 Bd. 5 und BArch KOBLENZ B 137 16264 Bl. 260–272, die das Tun Grünbaums in der Woche vor seiner Verhaftung im Stil eines billigen Kriminalromans beschreibt). Die Gefahren des illegalen Geldtransfers verdeutlicht auch das Schicksal des Leiters des Hilfswerks der ELKTh, Wilhelm Prenzler: Der Kahlaer Superintendent Otto Pokojewski stellte 1960 den Kontakt zu einem Bauern her, der vor seiner Flucht in den Westen den Erlös aus dem Verkauf seines Bauernhofes dem Hilfswerk zur Verfügung stellen wollte. Dafür sollte er im Westen von der Kirche entschädigt werden. Alle drei an der Tauschaktion beteiligten Männer wurden verhaftet. Prenzler saß sieben Monate in Stasi-Haft und flüchtete danach in den Westen (vgl. dazu Werner KALINKA, „Bevor der Richter sprach, urteilten die Genossen Mielke und Ulbricht“, DIE WELT vom 10.9.90, und Prenzler, Gefangener, PB PRENZLER).

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der DDR-Regierung und den Kirchen – die Auseinandersetzung um Jugendweihe und Konfirmation ging auf ihren Höhepunkt zu, im Frühjahr 1956 war es zu einer Verhaftungswelle gegen Mitarbeiter der Bahnhofsmission gekommen, und zu Beginn des Jahres 1957 verbot die DDR erstmalig das Stattfinden der EKD-Synode auf dem Gebiet der DDR und begleitete den bevorstehenden Abschluss des Militärseelsorgevertrages zwischen EKD und Bundesregierung mit wütender Gegenpropaganda – zu vertraulichen Gesprächen zwischen Vertretern der DDR-Regierung und der EKD über Wege aus der Finanzkrise kam, die beiden Seiten helfen sollten. Ein unmittelbarer Transfer von DM kam nicht in Frage, da die kirchlichen Institutionen in der DDR laut devisenrechtlicher Bestimmungen keine DM empfangen oder besitzen durften. Der Transfer von DM mit Auszahlung in Ostmark wäre von der Bundesbank nicht genehmigt worden. Zudem konnte die EKD den offiziellen DDR-Umtauschkurs von 1:1 nicht akzeptieren, da er der Kaufkraft des Geldes ebenso wenig entsprach wie der vom Westen aus politischen Gründen aufrecht erhaltenen Kurs von 1:4176. Nach ersten Sondierungsgeprächen Anfang Dezember kam der Durchbruch bei einer Besprechung zwischen Probst Heinrich Grüber als Bevollmächtigtem des Rates der EKD bei der Regierung der DDR, Prälat Hermann Kunst177 als Bevollmächtigtem des Rates der EKD am Sitz der Bundsregierung, dem Berliner Präses Kurt Scharf und dem EKD-Synodalen und Industriellen Walter Bauer von Seiten der Kirche sowie DDR-Handelsminister Heinrich Rau und seinen Mitarbeitern Gerhard Weiß und Karl-Alexander Eckloff von Seiten der DDR-Regierung am 4. Februar 1957. Bauers Vorschlag, die Kirchen in der BRD seien bereit, für Rohstofflieferungen an die DDR zu sorgen, wenn der Gegenwert auf einem Konto der EKD für die östlichen Gliedkirchen in Mark der DDR gutgeschrieben würde, begründete das sogenannte „Kirchengeschäft A“178, das bis 1990 auf diese Weise 176 Der reale Kurs, der von Propst Grüber so genannte „Hosenkurs“, lag bei etwa 1:2. In seinem ersten Sondierungsgespräch mit Außenhandelsminister Rau im Dezember 1956 machte Grüber geltend: „Wenn […] im Westen jemand auf eine Hose verzichtet und das Geld spendet, dann müßte der Empfänger im Osten in der Lage sein, sich dafür eine Hose zu kaufen“ (H. GRÜBER, Erinnerungen, S. 377, vgl. A. BOYENS, Transfergeschäfte, S. 382). 177 Zu Hermann Kunst vgl. die Veröffentlichung eines Gesprächs in der ZDF-Sendereihe „Zeugen des Jahrhunderts“ (H. KUNST, Gespräch). 178 Mit „Kirchengeschäft B“ werden die seit Anfang der sechziger Jahre praktizierten Häftlingsfreikäufe und Familienzusammenführungen durch Rohstofflieferungen bezeichnet, die zunächst mit kirchlichen Aktionen begannen und ab 1963 von der Bundesregierung übernommen wurden, wobei die Abwicklung weiterhin beim Diakonischen Werk verblieb und nach dem Muster des Kirchengeschäfts A verlief (vgl. A. BOYENS, Transfergeschäfte, S. 395–397, und A. VOLZE, Transferleistungen, S. 62f. Einen Zeitzeugenbericht liefert R. v. WEDEL, Kirchenanwalt). Da das „Kirchengeschäft B“ keine Hilfe für die DDR-Kirche im engeren Sinne darstellte, soll hier nicht näher darauf eingegangen werden. Als

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durchgeführt wurde. Im ersten Quartal 1957 sollten zunächst 60.000 t amerikanische Steinkohle zu einem Gegenwert von 10 Mio. Mark der DDR geliefert werden, was etwa einem Kurs von 1:2 entsprach. Die Bundesregierung stimmte der Abmachung nur „unter allergrößten Bedenken und unter der Voraussetzung, daß es sich um einen einmaligen Vorgang handele“179, zu. Gleichzeitig bekam die EKD jedoch die Zusage, dass sich das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen mit 2,4 Mio. DM an den Kosten für die Kohle von etwa 5,5 Mio. DM beteiligen würde. Während die Bedingung der Einmaligkeit bald hinfällig war, blieb die finanzielle Beihilfe der Bundesregierung zum kirchlichen Transfergeschäft bestehen und machte seit 1959 jährlich ca. 50% der Transferleistungen der EKD aus180. Am 26. Februar 1957 wurde, ungeachtet des vier Tage zuvor unterzeichneten Militärseelsorgevertrags, der endgültige Vertrag aufgesetzt, und das Geschäft lief schnell an. Bereits im März erreichten die ersten 10 Mio. Mark der DDR ihre Empfänger, und schon im April musste auf Wunsch des Ostberliner Ministeriums für Außenhandel und Innerdeutschen Handel (MAI) über eine Fortsetzung des Transfergeschäfts verhandelt werden. So konnten im Laufe des Jahres 1957 die gesamten zur Unterstützung der DDR-Kirchen vorgesehenen 40 Mio. Ostmark ausgezahlt werden. Auch im folgenden Jahr wurden die Transfers fortgesetzt. Einige zentrale Probleme mussten allerdings in dieser Zeit gelöst werden: Ende des Jahres 1957 fiel Bauer bei der DDR-Regierung in Ungnade. Ihm wurden Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit Kaffeelieferungen vorgeworfen, Bauer musste daraufhin als Berater der EKD für das Transfergeschäft ausscheiden. Offensichtlich wollte die DDR den kenntnisreichen Fachmann auf diesem Posten loswerden. Als Nachfolger bestimmte die EKD Ludwig Geißel, Direktor der Hauptgeschäftsstelle der Inneren Mission und des Hilfswerks der EKD in Stuttgart. Doch auch dieser bekam bald Schwierigkeiten. Spätestens mit dem Entzug des Status von Grüber als Bevollmächtigtem der EKD durch die DDR-Regierung wurde definitiv klar, dass die DDR die Gesamt-EKD nicht mehr als Verhandlungspartnerin akzeptierte. So durfte sie auch nicht mehr als Auftraggeberin Geißels fungieren. Bischof Kunst fand eine elegante Lösung des diplomatischen Problems: Er schrieb Geißel eine Vollmacht, die ihn befugte, die Verhandlungen für „die westdeutschen Landes„Kirchengeschäft C“ wird von manchen Autoren der Geldtransfer zugunsten der katholischen Kirche in der DDR bezeichnet. Oft wird dieser aber auch unter „Kirchengeschäft A“ geführt. 179 Aufzeichnung Bauers über die „Besprechung mit Ministerialrat Dr. Woratz, BWM Bonn, am 20.2.1957“, zit. nach A. BOYENS, Transfergeschäfte, S. 385. Vgl. das Protokoll über die Chefbesprechung über Fragen des Interzonenhandels am 20.2.57 (H. WEBER, Kabinettsprotokolle, S. 350–353). 180 Vgl. A. VOLZE, Transferleistungen, S. 64.

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kirchen“181 zu führen. Die DDR akzeptierte Kunsts Argumentation, die Landeskirchen seien nicht mit der EKD gleichzusetzen. Schwerer wog das Problem des Umtauschkurses. Während die EKD mit den Geldgebern auf der Basis 1:2 abrechnete, lag das am Kohlepreis berechnete Verhältnis Ende des Jahres 1957 bei weniger als 1:1,7. Um die Spendenfreudigkeit in den westlichen Landeskirchen nicht durch solch unerfreuliche Nachrichten zu dämpfen, musste Kunst auf eine Erhöhung der Hilfe durch die Bundesregierung hinwirken, um das Defizit auszugleichen. Damit war er erfolgreich. Während sich die Bundesregierung 1957 noch mit etwa 12 Mio. DM beteiligte, waren es 1958 bereits über 17 Mio. DM. Für die folgenden Jahre ist ein stetiges Sinken des Umrechnungskurses gekoppelt mit steigenden Staatsleistungen zu beobachten. 1964 war der Kurs bereits auf 1:1,1 gefallen, ab 1968 lag er schlicht bei 1:1182. 1958 ergab sich im Haushalt der Empfängerkirchen in der DDR ein Gesamtdefizit von 88,5 Mio. Mark der DDR, so dass auch nach dem EKD-Zuschuss im Rahmen des in den Verhandlungen mit der DDR-Regierung Anfang 1957 festgelegten sogenannten „Grotewohl-Limit“183 von 40 Mio. Mark der DDR noch ein Fehlbetrag von 48,5 Mio. Mark der DDR verblieb184. Geißel musste also ständig darum bemüht sein, das Transfergeschäft zu stabilisieren und nach Möglichkeit auszuweiten. Dazu dienten die Festigung der Geschäftsbeziehungen mit einzelnen Lieferfirmen sowie strenge Vertraulichkeit. Für die DDR-Führung hätte es einen katastrophalen Gesichtsverlust bedeutet, wenn in der Öffentlichkeit bekannt geworden wäre, in welchem Umfang sie Geschäfte mit dem ideologischen Gegner machte, zumal sie gleichzeitig Empfänger von Westpaketen öffentlich diffamieren ließ185. Doch so groß der Devisenhunger und die ideologische Verletzlichkeit der DDR auch waren, die finanzielle Notlage der östlichen Landeskirchen war größer und ließ das MAI am längeren Hebel sitzen. Seit 1965 wurde eine Erweiterung der Transfers durch die Nutzung der sogenannten „Valuta-Mark“ möglich. Diese „devisenähnliche Werteinheit“186 ermöglichte es, auch in der DDR an Exportgüter und -dienstleistungen zu kommen, die für Mark der DDR nicht erhältlich, aber preisgünstiger als die entsprechenden Westprodukte bzw. -dienstleistungen waren. 1965 genehmigte 181

Abgedruckt bei L. GEISSEL, Unterhändler, S. 276. Vgl. die Tabelle bei A. BOYENS, Transfergeschäfte, S. 390. 183 L. GEISSEL, Unterhändler, S. 286, vgl. A. BOYENS, Transfergeschäfte, S. 394. 184 So die Berechnungen von A. BOYENS, Transfergeschäfte, S. 392. L. GEISSEL, Unterhändler, S. 280, spricht von einem verbleibenden Defizit von 35,5 Mio. Mark der DDR. 185 Dazu s. u. Kapitel 3.2.2. 186 A. VOLZE, Transferleistungen, S. 62, und G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 511. 182

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das MAI die Lieferung von hundert Fertighäusern für kirchliche und diakonische Einrichtungen. Das Baumaterial wurde aus der BRD eingeführt, die Aufstellung erfolgte durch eine Baufirma in der DDR, wofür das MAI gegen eine Kaffeelieferung Valuta-Mark zur Verfügung stellte. Wären die kompletten Häuser aus der Bundesrepublik importiert worden, hätte die Kirche den dreifachen Preis zahlen müssen. Eine erneute Ausweitung der Transfers wurde durch die Gründung der Abteilung „Kommerzielle Kontakte“ (später „Kommerzielle Koordinierung“, kurz Ko-Ko) unter Leitung von Alexander Schalck-Golodkowski im MAI angebahnt. Die eng mit dem MfS kooperierende Abteilung hatte das Ziel, „die maximale Erwirtschaftung kapitalistischer Valuten außerhalb des Staatsplanes zu sichern“187, wobei die Kirchengeschäfte an erster Stelle standen. 1967 wurden Geißel denn auch umgehend Valuta-Mark für ein „Gesundheitsbautenprogramm“ im Umfang von acht Gebäuden für die Diakonie in der DDR genehmigt. 1973 begann das sogenannte „Sonderbauprogramm“188, das bis zum Ende der DDR fortgeführt wurde. Als Folge des Tauwetters zwischen Kirche und Staat zu Beginn der siebziger Jahre ergab sich eine Gemengelage aus wachsenden Wünschen der DDR-Kirchen, die auf die baldige Realisierung lange gehegter Baupläne hofften, und einem ungebremsten Devisenhunger der DDR-Führung, die das Volumen des Sonderbauprogramms in einem für die EKD kaum mehr zu bewältigenden Maße ansteigen ließ. Die Einbeziehung des ebenso kostspieligen wie umstrittenen Wiederaufbaus des Berliner Doms189 in das Programm trug nicht zur Entspannung der Situation bei. Deutliches Zeichen dafür, wie weit die DDR inzwischen bereit war, ihre ideologischen Grundsätze für Devisen zu opfern, war die Genehmigung des 1978 beginnenden „Programms zur Errichtung von Kirchen oder kirchlichen Räumen in Neubaugebieten“, für das sich der BEK schon lange eingesetzt hatte190. Der Gesinnungsumschwung der Regierung war so radikal, dass die Parteifunktionäre an der Basis, die sich durchaus daran erinnerten, dass die sozialistischen Trabantenstädte einst bewusst als kirchenfreie Gebiete konzipiert worden waren, zunächst Widerstand leisteten. Für die Kirche dagegen war das Programm ein entscheidender Schritt, der mehr Präsenz in den Wohngebieten ermöglichte. Insgesamt hatten die verschiedenen Valuta-Mark-Programme seit 1966 einen Umfang von 700 Mio. DM. 187

Gründungsbeschluss der Ministerrats vom 1.4.66, zit. nach A. BOYENS, Transfergeschäfte, S. 398. Der Anstoß zum Sonderbauprogramm geht nach G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 517, und A. BOYENS, Transfergeschäfte, S. 401f., ins Jahr 1971 zurück. Den Beginn des Programms datiert G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 518, auf 1973, A. VOLZE, Transferleistungen, S. 62, dagegen auf 1974. 189 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 520–537. 190 Vgl. A. BOYENS, Transfergeschäfte, S. 410, und L. GEISSEL, Unterhändler, S. 422–426. 188

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Eine weitere Zunahme des Transfervolumens bewirkte die seit 1975 in geheimen Verhandlungen vorbereitete und von Erich Honecker beim Spitzengespräch mit Kirchenvertretern am 6. März 1978 öffentlichkeitswirksam in Aussicht gestellte Möglichkeit, kirchliche Mitarbeiter in die staatliche Altersversorgung zu übernehmen. Gegen Zahlung von 80 Mio. DM in zehn Jahresraten ab 1980 wurden die kirchlichen Mitarbeiter in das staatliche Versorgungssystem aufgenommen, was die Haushalte der östlichen Landeskirchen entscheidend entlastete. Insgesamt wurden von 1957 bis 1990 im Rahmen des „Kirchengeschäfts A“ von der evangelischen Kirche Rohstoffe im Wert von 2,1 Milliarden DM an die DDR geliefert. Doch nicht nur der Transfer von Geldmitteln wurde durch das Diakonische Werk der EKD zur Unterstützung der DDR-Kirchen organisiert. Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Hilfen war die Einfuhr oder Beschaffung von Waren und Gütern, die in der DDR nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten erhältlich waren. Direkt eingeführt wurden für den kirchlichen Bedarf schwerpunktmäßig medizinische Geräte, Papier und Baumaterialen im weitesten Sinne191. Diese zentralen Hilfslieferungen hatten in den Jahren 1957 bis 1990 einen Wert von 346,7 Mio. DM192. Wie bei den Transfers lagen auch hier die Zuschüsse der Bundesregierung bei 50%. Neben der direkten Einfuhr von Waren nutzte das Diakonische Werk seit 1959 auch die Dienste des 1957 gegründeten Geschenkdienstes Genex GmbH193. Über die Auslandagenturen Jauerfood in Kopenhagen und Palatinus in Zürich bestand hier die Möglichkeit, Westprodukte, vor allem aber Waren aus DDR-Produktion gegen Devisen zu bestellen und an DDR-Bürger liefern zu lassen. So erreichten etwa in der DDR hergestellte Kraftfahrzeuge oder Elektrogeräte, für die sonst jahrelange Wartezeiten die Regel waren, in wenigen Wochen ihre Empfänger und waren für die Spender aus dem Westen günstiger als Westprodukte. Außerdem traten auf diesem Wege weniger bürokratische Probleme mit Einfuhrgenehmigung und Zulassung auf. Ab 1965 wurden vom Diakonischen Werk über Genex Benzingutscheine für kirchliche Einrichtungen gekauft. Auch Düngemittel und Saatgut für kirchliche Landwirtschaftsbetriebe, also Produkte, die sich nicht im üblichen Genex-Sortiment fanden, wurden auf diesem Wege beschafft. 1988 konnte neben den Agenturen in Dänemark und in der Schweiz auch in der BRD eine Vertragsfirma, die Inter191

Vgl. die Aufstellung über die Direktlieferungen im Jahr 1988 bei A. VOLZE, Transferleistungen, S. 65. 192 Vgl. A. VOLZE, Transferleistungen, S. 60. L. GEISSEL, Unterhändler, S. 473, kommt auf über 350 Mio. DM. 193 Zu Genex vgl. F. SCHNEIDER, Loch, zur Nutzung durch die Kirchen bes. S. 207f.

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Geschenkdienst GmbH mit Sitz in Stuttgart, gegründet werden. Dadurch konnten die gliedkirchlichen Werke ab dem Jahr 1989 auch ohne Vermittlung des Diakonischen Werkes der EKD Genex-Bestellungen tätigen194. Von 1959 bis 1990 wurden von Genex im Auftrag des Diakonischen Werkes der EKD Waren im Wert von etwa 130 Mio. DM ausgeliefert. Die verzweifelte Finanzsituation der DDR Ende der achtziger Jahre machte sich auch im Kirchengeschäft bemerkbar. So ließ die Bauleistung in den vom Ostberliner Außenhandelsbetrieb Limex abgewickelten Bauprogrammen spürbar nach. Zudem forderte das Ministerium für Außenhandel plötzlich Einfuhrgebühren für die Direkteinfuhr von kirchlichen Hilfsgütern. Das Diakonische Werk musste sich ab 1988 auf die Zahlung eines jährlichen Pauschbetrags von 250.000 DM einlassen195.

2.2.6. Die „Hilfsstelle westdeutscher Kirchen“ und die „Patenspende“/„Sonderzuwendung“ In seiner außerordentlichen Sitzung vom Mai 1961 fasste der Sonderausschuss der EKD den Beschluss, im Rahmen der im Hilfsplan mit 5 Mio. DM angesetzten „Bereitstellungshilfen“ auch einen Betrag von 2,8 Mio. DM zur zusätzlichen Unterstützung von kirchlichen Mitarbeitern in der DDR zur Verfügung zu stellen196. Außer in Berlin-Brandenburg, das einer Sonderregelung unterlag, sollte allen „aktiven kirchlichen Mitarbeiter[n], deren wirtschaftliche Existenz voll auf ihrem kirchlichen Dienst beruht, außer den Lohnempfängern“197 eine Zuwendung in DM-West in Höhe von jährlich 150 DM für Ledige, 200 DM für Verheiratete und 250 DM für Verheiratete mit mehr als zwei Kindern zukommen. Die Unterstützung wurde in Anlehnung an das Auszahlungsverfahren mit „Patenspende“ bezeichnet, war aber auch unter den Titeln „Partnerhilfe“ oder „Bruderhilfe“198 bekannt und wurde in der Württembergischen Landeskirche unter dem Namen „Sonderzuwendung“ geführt. Sie sollte neben dem Kirch194 Vgl. das Rundschreiben Diakonisches Werk der EKD an die Diakonischen Werke der Gliedkirchen der EKD und der Freikirchen, die Landes- und Freikirchen der EKD vom 28.11.88 (ADW BERLIN HGSt 7898). Zu den politischen Vorbehalten, die zuvor eine Niederlassung in der BRD verhinderten, vgl. F. SCHNEIDER, Loch, S. 207. 195 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 539. 196 Vgl. die Niederschrift über die zweite außerordentliche Sitzung des Sonderausschusses der EKD vom 19.5.61 in Berlin (EZA BERLIN 4/995), S. 2. 197 EBD., S. 4. Vgl. im Folgenden auch, besonders für die württembergische Praxis, den Abschnitt „Sonderzuwendung“ bei Mehlhorn, Niederschrift (DWW STUTTGART 2.02 265). 198 Vgl. die Bezeichnungen in dem kurzen Abschnitt bei P. BEIER, Sonderkonten, S. 86.

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lichen Bruderdienst199 einen weiteren Ausgleich für die auch im Verhältnis zum Lohnniveau in der DDR extrem niedrigen Gehälter der kirchlichen Mitarbeiter in den östlichen Landeskirchen schaffen200. Bereits im folgenden Jahr wurden die Auszahlungssummen verdoppelt, und auch kirchliche Versorgungsempfänger wurden bei der Auszahlung berücksichtigt201. Die Abwicklung der Patenspende übernahm die „Hilfsstelle der Rheinischen, Westfälischen, Badischen und Lippischen Kirche in Westberlin“, bald unter „Hilfsstelle westdeutscher Kirchen“ bekannt202, zunächst unter der Leitung von Superintendent i. R. Fritz Leutke, seit 1974 von Oberkonsistorialrat i. R. Martin Rudloff und seit 1978 von Pfarrer Paul-Gerhard Kunze. Da eine direkte Auszahlung von Westgeld an DDR-Bürger nicht möglich war, musste ein anderes Verfahren gewählt werden, um die kirchlichen Mitarbeiter in den Genuss von DM zu bringen: Die Summe wurde an durch die Empfänger zu benennende Vertrauenspersonen im Westen überwiesen. Meist handelte es sich dabei um Verwandte, in Thüringen wurden aber auch häufig die durch die enge Verbindung mit Württemberg vorhandenen persönlichen Partner(familien)203 als Treuhänder für die Sonderzuwendung genannt204. Die Vertrauenspersonen ließen den Empfängern den Betrag entweder nach Absprache in Form von Geschenksendungen oder Genex-Bestellungen205 zukommen oder hielten ihn für Einkäufe bei – seit 1964 wieder für Rentner, seit den achtziger Jahren auch verstärkt für andere DDR-Bürger möglichen – Westbesuchen206 bereit. Zuweisung und Verteilung der Patenspende waren ein äußerst sensibles Feld. Die Verwaltung der Zuwendung durch Dritte war selbstverständlich anfällig für Unstimmigkeiten und Misstrauen zwischen den Partnern: Bemüht sich die Vertrauensperson im Westen wirklich, den Wünschen gerecht zu wer199 Dazu s. o. Kapitel 2.2.4. Wegen der Ähnlichkeit in der Sache war der für die Patenspende gebräuchliche Name „Bruderhilfe“ anfällig für Verwechslungen mit dem „Kirchlichen Bruderdienst“. 200 Zur wirtschaftlichen Situation der kirchlichen Mitarbeiter s. u. den Exkurs „Die Entwicklung der Versorgungslage in der DDR“, S. 96ff. 201 Vgl. die Niederschrift über die 27. ordentliche Sitzung des Sonderausschusses der EKD vom 26.1.62 in Hannover-Herrenhausen (EZA BERLIN 4/995), S. 5. 202 Vgl. die Unterlagen zur Hilfsstelle in EZA BERLIN 4/1019. Die Hilfsstelle findet kurze Erwähnung bei P. KABUS, Liebesgaben, S. 126. 203 Dazu s. u. Kapitel 3.1.3. 204 Schon die Übermittlung der entsprechenden Informationen war in der Zeit direkt nach dem Mauerbau mit größten Schwierigkeiten verbunden. So konnten die Namen der von den Thüringer Mitarbeitern gewünschten Paten nur mit viel Glück vom Geschäftsführer des Stuttgarter Hauptbüros des Hilfswerks, Albrecht Hirth, nach einem Besuch bei der Diakonischen Woche in Eisenach im September 1961 über die Grenze gebracht werden (vgl. Hirth 6.9.01). 205 Zu Genex s. o. Kapitel 2.2.5. 206 Zu den gesetzlichen Bestimmungen s. u. den Exkurs „Die Entwicklung der Reisemöglichkeiten“, S. 76ff.

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den? Ist der Betrag tatsächlich schon aufgebraucht? Oder andersherum: Bemerken die Empfänger im Osten überhaupt, wie viel Mühe die Erfüllung ihrer Wünsche macht? Warum lassen sie nichts von sich hören207? So berichtete beispielsweise die Verwalterin der Sonderzuwendung für eine Familie aus Apolda im November 1977 dem DWW, sie habe in letzter Zeit in Absprache mit der Empfängerfamilie einen Teil der Zuwendung zurückgehalten, um ihnen nun den Wunsch nach einem Kühlschrank erfüllen zu können. Als die im Westen lebende Mutter des Familienvaters, die sonst für die Verwendung des Geldes zuständig gewesen sei, davon erfahren habe, habe sie die Vertrauensfrau der Unterschlagung bezichtigt208. Auch innerhalb der kirchlichen Einrichtungen in der DDR führte die Frage, welcher Mitarbeiter wann und in welcher Höhe Anspruch auf eine Patenspende hat, gelegentlich zu Unstimmigkeiten209. Während im Normalfall die Patenspende direkt von der Hilfsstelle überwiesen wurde, hatte für die kirchlichen Mitarbeiter in Thüringen von Anfang an das Hilfswerk der Württembergischen Landeskirche (HWW) in Zusammenarbeit mit dem HWT die Ermittlung des Bedarfs und die Weiterleitung der Sonderzuwendung an die westdeutschen Treuhänder übernommen. Bereits im Oktober 1961 wurde im Protokoll des für die Bereitstellungshilfen im Rahmen des Hilfsplans zuständigen Verwaltungsrates festgehalten, OKR und HWW hätten sich „bereit erklärt, im Rahmen der üblichen Patenschaftshilfe die noch nicht abgewickelten Patenspenden für Thüringen ihrer Zweckbestimmung zuzuführen.“210 Obwohl Bedenken auftauchten, die Auszahlung des Betrages könne die Spendenfreudigkeit der Württemberger Partner aus eigenen Mitteln dämpfen, entschloss man sich, dem zuzustimmen. Und während der Verwaltungsrat im Dezember 1961 noch darauf Wert legte, dass nach der Bearbeitung „die nach Stuttgart übersandten Karteikarten nach Berlin zurückgeschickt werden“211 müssten, wurde im November 1962 nur noch vermerkt, die „Empfängerkartei Eisenach“ würde in Stuttgart verwaltet212. Die ELKTh war von Anfang an daran interessiert, die Auszahlung der Sonderzuwendung bei der Partnerkirche zu belassen, da sie bei einer zentralen 207 Beispiele dafür finden sich in der Korrespondenz des DWW mit den Vertrauensleuten zur „Sonderzuwendung“, vgl. LKA STUTTGART DWW 149–153. Vgl. Hirth 6.9.01. 208 Vgl. Ilse B. an DWW vom 10.11.77 (LKA STUTTGART DWW 149). 209 Vgl. Schulz 29.8.01. Dazu s. u. S. 266f. 210 Niederschrift über die Sitzung des Verwaltungsrates für die Bereitstellungshilfe am 18.10.61 (EZA BERLIN 4/1019), S. 1. 211 Niederschrift über die Sitzung des Verwaltungsrates für die Bereitstellungshilfe am 1.12.61 (EBD.), S. 1. 212 Vgl. die Niederschrift über die Sitzung des Verwaltungsrates für die Bereitstellungshilfe am 1.11.62 (EBD.), S. 1.

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Regelung über die EKD und eine Westberliner Stelle eine Belastung des Verhältnisses zum Staat befürchtete, der gegen enge Verflechtungen mit der EKD ebenso wie gegen Einrichtungen in Westberlin besonderes Misstrauen hegte213. Doch die Verwaltung der Sonderzuwendung durch das HWW, später das DWW, bot noch weitere Vorteile: Durch die Überschaubarkeit des Empfängerkreises ergaben sich bei der Abwicklung im Vergleich zu anderen Landeskirchen weniger Probleme, Differenzen waren leichter auszuräumen214. Bei den ohnehin in regelmäßigen Abständen erfolgenden Treffen von Vertretern der beiden Diakonischen Werke215 wurden die notwendigen Informationen über Ein- und Austritte im kirchlichen Dienst sowie Änderungen bei Familienstand und Kinderzahl übermittelt. Zudem gab der Rücklauf der jährlich von den Vertrauenspersonen zu unterschreibenden Bereitschaftserklärungen Aufschluss über eventuelle Übersiedlungen oder Todesfälle. Auch die Auszahlung konnte unbürokratischer geregelt werden. Bei Bedarf wurde die Unterstützung ausnahmsweise auch im Voraus überwiesen, bei Besuchen von Empfängern in Stuttgart konnte sie auch bar ausgegeben werde. Durch die Koordinierung der verschiedenen Hilfen in einer Hand konnten Synergieeffekte genutzt und Doppelbetreuungen ausgeschlossen werden. Nicht zuletzt intensivierte die Eingliederung der Verwaltung der Sonderzuwendung in die Partnerschaftsarbeit die Kontakte zwischen Württemberg und Thüringen. Die Mittel für die Sonderzuwendung wurden von der Hilfsstelle in Abschlagszahlungen an das DWW überwiesen. Das DWW zahlte sie, im Gegensatz zur Hilfsstelle, in einer Summe aus, so dass Verwalter und Empfänger gleich über den gesamten Jahresbetrag disponieren konnten. 1978 geriet diese württembergisch-thüringische Sonderpraxis in die Kritik. Es hatte sich in den DDR-Kirchen herumgesprochen, dass im Bereich der Thüringischen Landeskirche auch die nach staatlichem Tarif bezahlten Mitarbeiter in Diakonischen Einrichtungen216 in den Genuss der Sonderzuwendung kamen, während sie in anderen Kirchen wegen ihrer im Vergleich zu anderen kirchlichen Mitarbeitern besseren finanziellen Situation von der Patenspende 213 Vgl. den Vermerk Verwaltung der Sonderzuwendung durch Württemberg vom 13.11.89 (DWW STUTTGART 2.02 208). 214 Vgl. im Folgenden EBD. sowie Mehlhorn, Niederschrift (DWW STUTTGART 2.02 265), Abschnitt „Sonderzuwendung“, S. 3, Kraft/Ullrich, Partnerschaft (EBD.), S. 3, und Hirth 6.9.01: Reisen nach Thüringen von Verantwortlichen aus Württemberg wurden genutzt, um im direkten Gespräch mit den Empfängern Probleme auszuräumen. 215 Dazu s. u. S. 82. 216 Zu Hintergrund und Auswirkung des einschlägigen Abkommens „Zur Regelung der Vergütung für die Angehörigen der Heil- und Heilhilfsberufe in den evangelischen Krankenhäusern, Kliniken und Heilstätten in der Deutschen Demokratischen Republik und im demokratischen Sektor von Groß-Berlin“, das am 1.1.60 in Kraft trat, vgl. E. PETZOLD, Freiheit, S. 172f.

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ausgeschlossen waren. Daraufhin ging bei der Hilfsstelle mit Berufung auf die Verhältnisse in Thüringen eine große Zahl Anmeldungen von Mitarbeitern der Diakonie aus anderen Landeskirchen ein. Das Bekanntwerden dieser Ungleichbehandlung zwang die Hilfsstelle zu einer „grundsätzlichen Neubesinnung“217 hinsichtlich der Zuteilung der Patenspende. Im Februar 1979 beschloss der Sonderausschuss vorbehaltlich der Finanzierbarkeit eine einheitliche Neuregelung. Dabei wurde festgelegt, dass in Zukunft auch die Mitarbeiter der Diakonie an den Patenspenden partizipieren sollten, allerdings, wenn sie nach staatlichem Tarif entlohnt würden, nur in Höhe von 65% des für die übrigen kirchlichen Mitarbeiter geltenden Satzes von nun 400 DM für Alleinstehende, 500 DM für Verheiratete und 50 DM für Kinder bis zum vollendeten 19. Lebensjahr. Auch Rentner nach mindestens zehnjähriger Dienstzeit seien zu berücksichtigen. Weiterhin sollte vor Zahlung der Patenspende eine Wartezeit von zwei Dienstjahren eingehalten werden. Wenn beide Ehepartner im kirchlichen Dienst beschäftigt seien, sollte nur einer in den Genuss der Patenspende kommen, außerdem sollten nur Vollbeschäftigte mit mindestens einer ¾-Stelle berücksichtigt werden (1980 wurde diese Grenze auf Beschäftigungsverhältnisse von mindestens 50% herabgesetzt)218. Schließlich wurde im Protokoll der Sitzung festgehalten, dass „mit Rücksicht auf die angestrebte Gleichbehandlung aller Empfänger“ die bisherige Handhabung zwischen Württemberg und Thüringen „nicht mehr vertretbar“219 sei. In der Folge wurde die Württembergische Landeskirche aufgefordert, die „bisherige Art der Sonderbehandlung der Mitarbeiter der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen“ zu beenden, um „eine gleichmäßige Betreuung wirklich sicherzustellen.“220 Das DWW zeigte sich ob dieses Ersuchens „befremdet“221. Die organisatorische Abwicklung der Patenspende für Thüringen liege seit Beginn der Hilfsaktion „mit ausdrücklicher Billigung des Sonderausschusses der EKD“222 in den Händen des DWW. Über die ordnungsgemäße Verwaltung 217 Evangelisch-Lutherische Landeskirche in Braunschweig, Landeskirchenamt, Oberlandeskirchenrat Dr. Bluhm, an OKR Stuttgart, Direktor Ströbel, vom 28.2.79 (OKR STUTTGART 54.26-4 1967–1982 Bl. 107), S. 2. 218 Vgl. den Aktenvermerk vom 28.3.80 (DWW STUTTGART 2.02 208) sowie das Merkblatt „Verteilung der Patenspenden“ vom 5.2.81 (ADW BERLIN HGSt 8043). 219 Niederschrift der Sitzung des Sonderausschusses der EKD am 2.2.79 (EZA BERLIN 4/91/1456), S. 9. Zu den Ergebnissen vgl. auch Evangelisch-Lutherische Landeskirche in Braunschweig, Landeskirchenamt, Oberlandeskirchenrat Dr. Bluhm, an OKR Stuttgart, Direktor Ströbel, vom 28.2.79 (OKR STUTTGART 54.26-4 1967–1982 Bl. 107), S. 3f. 220 Evangelisch-Lutherische Landeskirche in Braunschweig, Landeskirchenamt, Oberlandeskirchenrat Dr. Bluhm, an OKR Stuttgart, Direktor Ströbel, vom 28.2.79 (EBD.), S. 4. 221 DWW an OKR Stuttgart, Direktor Ströbel, vom 19.3.79 (OKR STUTTGART 54.26-4 1967–1982 Bl. 107), S. 2. 222 EBD., S. 1.

Die Partnerschaften als Teil der kirchlichen Hilfsstrukturen

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der Mittel sei der Hilfsstelle regelmäßig Bericht erstattet worden, die Personalund Sachkosten für die Abwicklung habe das DWW selbst getragen. Die neuen Grundsätze würden auch in Württemberg zur Anwendung kommen, einer Umstellung des Verfahrens stimme man jedoch nicht zu. Nach einer Unterredung mit führenden Vertretern der Hilfsstelle, des Sonderausschusses und des Diakonischen Werkes der EKD im April 1979 konnte Direktor Kurt Ströbel vom OKR dem DWW grünes Licht für eine Fortführung seines Verfahrens geben223. Das DWW leitete 1961 für 1527 Empfänger insgesamt 299.400 DM an Vertrauenspersonen weiter, zuletzt wurden ca. 3500 Empfänger mit insgesamt über 1,78 Mio. DM bedacht224. Die Gesamtsumme der Aufwendungen für Patenspenden lag 1989 bei etwa 13 Mio. DM225. Die letzte Zahlung erfolgte im Jahr 1990.

223

Vgl. OKR Stuttgart, Direktor Ströbel, an DWW vom 18.4.79 (EBD.). Vgl. die Anlage zu Mehlhorn, Niederschrift (DWW STUTTGART 2.02 265), Abschnitt „Sonderzuwendung“. 225 Vgl. das Grundsatzreferat des Finanzreferenten der Württembergischen Landeskirche, OKR Bauer, vor der Landessynode am 30.6.90 (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 138–145, hier S. 140). 224

3. Das Beispiel Württemberg und Thüringen

Mit der Zuordnung von Württemberg und Thüringen brachten die Hauptgeschäftsführer der Hilfswerke auf Schloss Wolfsbrunnen1 1949 zwei Landeskirchen zusammen, die sich zunächst relativ fremd gegenüber standen. Andere Verbindungen besaßen, wenn sie nicht sogar auf eine lange gemeinsame Geschichte zurückgingen wie Berlin-Brandenburg mit Rheinland und Westfalen als ehemalige Kirchen der Altpreußischen Union, doch wenigstens eine gewisse geographische (im Norden Pommern und Nordelbien) oder konfessionelle (die Lutheraner Mecklenburg und Bayern) Plausibilität. Württemberg und Thüringen dagegen hatten wenig Gemeinsamkeiten. Daran konnten auch später gerne angeführte2 historische Begebenheiten nichts ändern, etwa die Tatsache, dass Württemberger Berühmtheiten wie Friedrich Schiller oder der Reformator Erhard Schnepf, der während des Interims aus Tübingen fliehen musste, in Thüringen Karriere machten. Auch die bemerkenswerte Vorbildung eines fachlichen Austausches zwischen diakonischen Einrichtungen in Württemberg und Thüringen im 19. Jahrhundert durch die Anstalten des Württemberger Pfarrers Gustav Werner und die von Johannes Falk gegründete „Gesellschaft der Freunde in der Not“ in Weimar sowie die Erziehungsanstalten und Kindergärten des Thüringer Pfarrerssohns Friedrich Fröbel war nicht etwas, woran man 1949 hätte anknüpfen können. Die jüngste Geschichte wirkte vielmehr eher trennend: Nachdem in der erst 1920 aus sieben Einzelkirchen entstandenen Thüringer Landeskirche3, in der ganz unterschiedliche Traditionen aufeinander trafen, die deutschchristliche Bewegung schon früh erheblich Erfolge erzielen konnte, hatte sich Thüringen während der NS-Zeit zum Musterbeispiel einer „braunen“ Landeskirche entwickelt. Der Ruf, den sie sich dabei erworben hatte, hing ihr auch in der 1

Dazu Kapitel 2.2.1. Vgl. das Grußwort der Thüringer Synodalpräsidentin vor der Württembergischen Landessynode am 24.11.81 (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 1185), Herbert von HINTZENSTERN, Thüringen und Württemberg. Kirchliche und diakonische Kontakte einst und heute, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 12.2.84, S. 5, und Losch, Partnerbeziehungen (PB KRAFT), S. 3f. 3 Der Beschluss der Synoden der sieben Landeskirchen über den Zusammenschluss erfolgte im Dezember 1919, am 1. Januar 1921 nahmen die verfassungsmäßigen Organe der „Thüringer evangelischen Kirche“ ihre Arbeit auf. Eine achte Landeskirche (Reuß ältere Linie) kam 1934 hinzu. Zur Entstehung der Landeskirche vgl. B. SCHREIER, Gründung, hier bes. S. 18. 2

Das Beispiel Württemberg und Thüringen

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Nachkriegszeit noch an. Die Württemberger dagegen lebten 1949 in dem noch kaum getrübten Bewusstsein, ihre traditionsreiche, über Jahrhunderte gewachsene Landeskirche habe die NS-Zeit „intakt“ überstanden und mit Landesbischof Theophil Wurm einen mutigen Gegner der Nationalsozialisten an ihrer Spitze gehabt4. Auch die Ausprägung der Frömmigkeit in beiden Landeskirchen wies deutliche Unterschiede auf. Während sich in den ehemalig ernestinischen Landesteilen Westthüringens ein liberales Kirchentum durchgesetzt hatte und in den ostthüringischen Gebieten traditionell eine lutherische Frömmigkeit vorherrschend war, zeichnete sich Württemberg durch einen starken Einfluss des Pietismus aus5. Konfessionell gab es zwar eine Übereinstimmung, beide Kirchen waren lutherischen Bekenntnisses. Doch während Württemberg mit seiner reformatorischen Prägung durch Johannes Brenz nicht nur in der Gottesdienstordnung immer einen eigenen Weg gegangen war und dies durch den Nichtbeitritt zur 1948 gegründeten VELKD nun auch nach außen deutlich machte, wurde in Thüringen der Neuanfang nach 1945 durch eine ausdrückliche Betonung der lutherischen Tradition gesucht6. Damit war das von den Vätern der Partnerschaft angeführte Argument, beide Kirchen seien „nicht extrem lutherisch geprägt“7, nicht mehr ganz zutreffend. Das Befremden über diese willkürlich scheinende Zuordnung zweier einander so unähnlicher Kirchen fand später Ausdruck in der Legende, in Wolfsbrunnen sei „das Los geworfen“8 worden. Diese Version findet sich seit den achtziger Jahren auch in Berichten des DWW9. Das subjektive Empfinden der Be4 Zum Überblick über die Geschichte beider Landeskirchen in der NS-Zeit mit den entsprechenden Literaturangaben s. u. den Exkurs „Zum Weg der Landeskirchen in der Zeit des Nationalsozialismus“, S. 148ff. Eine kritische Beleuchtung der Rolle Wurms und der Vorstellung von der „intakten“ Kirche setzte erst erheblich später ein, vgl. dazu etwa die Darstellung des langjährigen Schweigens Wurms zur Judenverfolgung bei J. THIERFELDER, Bann, oder des schwankenden Kurses von Wurm im Gegensatz zur Konsequenz der Bekenntniskräfte in der Kirchlich-theologischen Sozietät in Württemberg bei M. WIDMANN, Sozietät, S. 125f., S. 130f., S. 134–139 und S. 147–152. 5 Zu den Gegensätzen in Thüringen vgl. B. SCHREIER, Gründung, S. 19f. 6 Dafür stehen die Namensänderung in Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen, der Eintritt in die VELKD und die Betonung der Bekenntnisgrundlage in der neuen Verfassung (vgl. C. KOCH, Gemeinde, S. 243, und W. WEISPFENNING, Verfassungsmodell, S. 136). 7 Berg an Pavuls vom 5.2.86 (ADW BERLIN HGSt 8041). 8 Kraft, Thüringen (DWW STUTTGART 2.02 265), S. 2. Ein weiteres, m. E. nicht zutreffendes Gerücht besagt, die DDR-Führung habe auf die Zuteilung der Partner so Einfluss genommen, dass möglichst weit entfernte Landeskirchen einander zugeordnet wurden, um so den Kontakt zu erschweren (vgl. Schoeps 18.3.02). 9 Vgl. auch Kraft, Hilfe (DWW STUTTGART 2.02 265), S. 1, und den „Bericht nur für den Dienstgebrauch“ von Klaus-Dieter Ullrich und Gisela Mehlhorn, Abteilung „Gesamtkirchliche Hilfen“ im Geschäftsbereich Ökumenische Dienste, vom September 1988 (DWW STUTTGART 2.02 265). Insge-

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Das Beispiel Württemberg und Thüringen

teiligten über die besondere Intensität und Qualität der aus dieser schwierigen Ausgangsituation erwachsenen Partnerschaft fand für die Loslegende auch gleich das passende Bibelzitat. Redner von beiden Seiten zitierten bei entsprechenden Anlässen gerne Psalm 16,6: „Das Los ist mir gefallen auf liebliches Land“10.

3.1. Entstehung und äußere Entwicklung der unterschiedlichen Ebenen der Partnerschaft Der bekannteste Aspekt der Kirchenpartnerschaften sind sicher die Kontakte von Gemeinde zu Gemeinde. Sie sind aber, wenn auch ein wichtiger, doch nur ein Teil der Beziehungen. In diesem Kapitel (3.1.) sollen die einzelnen Mosaikstücke des großen Bildes „Partnerschaft“ zunächst in ihrer Entstehung und organisatorischen Weiterentwicklung dargestellt werden, um einen Überblick über ihre Vielschichtigkeit zu bekommen. Die von den historischen, politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängige innere Entwicklung der aus allen diesen Ebenen zusammengesetzten Partnerschaft zwischen Württemberg und Thüringen wird erst in Kapitel 3.2. beleuchtet werden.

3.1.1. Organisation und Koordination: Die Hilfswerke/Diakonischen Werke in Stuttgart und Eisenach Die Wurzel der Partnerschaft lag in der vom Hilfswerk durch die Zuweisung von Patenschaften systematisierten Pakethilfe. Meist unter der Regie des Hilfswerks nahmen zwar mit der Zeit alle Teile, Einrichtungen und Organisationen der Landeskirchen Kontakt mit den korrespondierenden Stellen in der Partnerkirche auf und pflegten ihre Beziehungen zu den jeweiligen Partnern weitgehend selbstverantwortlich weiter. Damit aber dieses komplizierte Netzwerk Bestand haben konnte, bedurfte es laufender Organisations- und Koordinationsarbeit. Diese wurde weiterhin von den Hauptbüros des Hilfswerks, nach Zusammenschluss von Innerer Mission und Hilfswerk von den Abteilungen „Gemeindediakonie und Ökumenische Diakonie“ des Diakonischen Amtes Eisenach (seit 1978) bzw. „Ökumenische Dienste/Gesamtkirchliche Hilfen“ samt verlor sich das Wissen um die Entstehung der Partnerschaften wohl schon bald. Bei vielen Beteiligten der jüngeren Generation tauchten in Interviews sehr divergierende Vorstellungen über den offiziellen Beginn auf. 10 Vgl. Kraft, Thüringen (DWW STUTTGART 2.02 265), S. 2 und den Beginn des Grundsatzreferats von OKR Bauer bei der Sitzung der Württembergischen Synode am 30.6.90 (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 138).

Die unterschiedlichen Ebenen der Partnerschaft

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des DWW (seit 1970) geleistet11. Bis 1990 liefen hier alle Fäden zusammen. Die Leiter der Diakonischen Werke12 sowie besonders die Geschäftsführer13, Referatsleiterinnen und Referatsleiter14 dieser Bereiche haben mit ihrer Arbeit die Partnerschaftsbeziehungen stark geprägt. Von ihrem Einsatz und ihren Schwerpunktsetzungen hingen Intensität und Qualität des Verbindungsgeflechtes in hohem Maße ab. Dabei wurde diese Arbeit von Außenstehenden oft kaum wahrgenommen, sollte doch die kirchliche Dachorganisation aus politischen Gründen nach außen möglichst wenig in Erscheinung treten15. Die Koordinationsaufgabe der Diakonischen Werke16 war eine doppelte: Einerseits waren sie verantwortlich für den Informationsaustausch und die Vernetzung aller beteiligten Stellen. Andererseits koordinierten sie Bereitstellung, Transfer und Verteilung der materiellen Hilfe. Zwei äußere Faktoren prägten die Arbeit von Anfang an17: Einerseits waren die aktuellen Möglichkeiten zum Aufbau und zur Pflege der Partnerbeziehungen sowie zur materiellen Unterstützung in erheblichem Maße von den jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen in der DDR abhängig. Entscheidende Einschnitte waren die Paketverordnung vom August 195418 oder auch die dazugehörige Vierte Durchführungsbestimmung vom November 1961, in der festgelegt wurde, dass 11

1957 wurden Innere Mission und Hilfswerk auf EKD-Ebene zusammengeschlossen, die rechtliche Verschmelzung zum Diakonischen Werk der EKD erfolgte erst 1975. In Württemberg schlossen sich Innere Mission und Hilfswerk 1950 zur Arbeitsgemeinschaft der Diakonischen Werke in Württemberg zusammen, 1970 verschmolzen sie rechtlich zum DWW. In Thüringen wurden Hilfswerk und Landeskirchliches Amt für Innere Mission 1978 zum Diakonischen Amt Eisenach zusammengefasst. Der Einfachheit halber werden in Zukunft bei Aussagen, die den gesamten Zeitraum umfassen, DWW und Diakonisches Amt Eisenach genannt werden. 12 In Württemberg bis 1950 OKR Wilhelm Pressel, 1950–1970 OKR Herbert Keller, ab 1970 OKR Albrecht Roos. In Thüringen bis 1963 OKR Gerhard Phieler, 1963–1978 OKR Heinz Krannich, ab 1979 OKR Wolfgang Höser. 13 In Württemberg bis 1952 KR Arnold Schmidt-Brücken, 1952–1975 KR Albrecht Hirth, 1976–1981 KR Hermann Mittendorf, ab 1981 KR Hansgeorg Kraft. In Thüringen bis 1960 KR Wilhelm Prenzler, 1960–1980 KR Rudi Köhler, ab 1981 KR Albrecht Stengel. 14 In Württemberg bis 1974 Wladimir Bulat, 1974–78 Esther Herwig, Gisela Mehlhorn und Hermann Rachner, seit 1978 Klaus-Dieter Ullrich. In Thüringen bis 1960 Rudi Köhler, ab 1969 Gerhard Schwartze. 15 Vgl. den Bericht „Materielle Notsorge“ vom 26.10.61 (LKA STUTTGART DWW 91). S. u. den Exkurs „Wir müssen schweigend helfen – Patenschaft und Öffentlichkeitsarbeit“, S. 170ff. 16 Da über die Partnerschaftsarbeit des Diakonischen Amtes Eisenach kaum Unterlagen vorhanden sind, wird die folgende Darstellung stark von den Darstellungen der württembergischen Seite geprägt sein, die thüringische Seite wird aber, wo immer Informationen zugänglich sind, mit einbezogen (zur Quellenlage s. o. das Einleitungskapitel 1.3.). 17 Vgl. den Bericht „Patenschaftshilfe und ihre Probleme“ (ca. 1970, LKA STUTTGART DWW 91), in dem der doppelte Einfluss durch „Notwendigkeiten“ einerseits und „gesetzliche[n] Bestimmungen“ andererseits genannt wird. 18 S. o. S. 49.

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Das Beispiel Württemberg und Thüringen

gebrauchte Kleidungsstücke nur dann in die DDR versandt werden konnten, wenn eine Desinfektionsbescheinigung vom zuständigen Landesgesundheitsamt beilag. Da Bescheinigungen der Kreisstellen von den DDR-Behörden nicht akzeptiert wurden, machte diese Bestimmung das Verschicken von gebrauchter Kleidung völlig unpraktikabel19. Von entscheidender Bedeutung waren ferner die Reisebestimmungen, die nicht nur die Begegnungsmöglichkeiten, sondern auch den Informationsaustausch beträchtlich behinderten bzw. erleichterten. Der andere äußere Faktor, der die Arbeit der Diakonischen Werke stark beeinflusste, war die Versorgungslage in der DDR, die den Bedarf und die Wünsche der Thüringer bestimmte und so immer wieder neue Arten der Unterstützung nötig machte. Dies wirkte sich vor allem auf die materielle Hilfe aus und soll deshalb unten näher behandelt werden20. Wegen der zentralen Bedeutung dieser Unterstützung für die Partnerschaftsarbeit war die aktuelle Versorgungslage aber für das gesamte Partnerschaftsgeschehen von großer Bedeutung. Exkurs: Die Entwicklung der Reisemöglichkeiten Drei Hauptphasen der Reise- und Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den beiden Teilen Deutschlands lassen sich unterscheiden, die auch drei unterschiedliche Phasen der Partnerschaftsarbeit markieren21: erstens die Zeit gegenseitiger, wenn auch erschwerter Besuchsmöglichkeiten bis zum Mauerbau, zweitens die Zeit der fast vollständigen Abschnürung bis zum Grundlagenvertrag von 1972 und drittens die Zeit der allmählichen Lockerung in den siebziger und vor allem in den achtziger Jahren. Der Beginn der Partnerschaften fiel in die Zeit der Interzonenpässe. Nachdem von Oktober 1945 bis Juni 1946 rund 1,6 Mio. Menschen aus der sowjetischen allein in die britische Zone geströmt waren, war am 30. Juni 1946 durch eine von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) geforderte Verordnung des Alliierten Kontrollrats die Zonengrenze gesperrt worden22: Durch Kontrollratsdirektiven vom Oktober 1946 und April 1947 war festgelegt worden, dass für dringende Privatreisen zwischen den westlichen Besatzungszonen und der SBZ Interzonenpässe mit einer Geltungsdauer von 19

Vgl. das Rundschreiben HWW an Diakonische Bezirksstellen vom 28.3.62 (LKA STUTTGART DWW 91). Die Bestimmung wurde erst mit Inkrafttreten der Vereinbarungen zwischen BRD und DDR über die Verbesserung des Post- und Fernmeldewesens am 1.7.76 hinfällig. 20 S. u. der Exkurs „Die Entwicklung der Versorgungslage in der DDR“, S. 96ff. 21 Vgl. F. WINTER, Wege, S. 128f. Die im zweiten Teil dieses Kapitels (3.2.) vorgenommene zeitliche Gliederung orientiert sich zwar an kirchlichen und kirchenpolitischen Bedingungen, spiegelt aber dennoch auch diese Phasen wieder. 22 Vgl. dazu und zum Folgenden BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERDEUTSCHE BEZIEHUNGEN, Grenze, S. 7–22.

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30 Tagen beantragt werden konnten. Die Genehmigungspraxis in der SBZ war allerdings sehr restriktiv. Während der Berlinblockade im Juli 1948 hatte die SMAD außerdem verfügt, dass für den Besuch in der SBZ zusätzlich eine Aufenthaltsgenehmigung der sowjetzonalen Behörden erforderlich sei. Doch dieser zur Geburtsstunde der Partnerschaften im Sommer 1949 angetroffene Status Quo sollte nicht lange bestehen. Der anhaltende Flüchtlingsstrom von Ost nach West – 1950 und 1951 flohen 363.436 Menschen über die Zonengrenze23 – veranlasste die DDR-Führung zu weiteren Maßnahmen. Vorbereitet durch eine dreiwöchige Propagandakampagne in der Presse wurde am 26./27. Mai 1952 die Grenze vollständig abgeriegelt. Eine Polizeiverordnung24 bestimmte die Einrichtung einer fünf Kilometer breiten „Sperrzone“ entlang der Demarkationslinie. Ein zehn Meter breiter „Kontrollstreifen“ unmittelbar an der Grenze wurde abgeholzt und umgepflügt. Der anschließende 500 Meter breite „Schutzstreifen“ durfte nur noch mit besonderem Berechtigungsausweis der Grenzpolizei betreten werden. Innerhalb der gesamten Sperrzone kam es zu Zwangsaussiedlungen. Etwa 8.000 Menschen mussten innerhalb kürzester Zeit ihre Häuser und Höfe verlassen und konnten lediglich Hausrat, Kleidung und Lebensmittel mitnehmen. Nur „politisch zuverlässige“ Personen durften zurückbleiben. Paragraph 3 der Verordnung verbot die Ausgabe von Interzonenpässen an Bewohner des Sperrgebiets ebenso wie die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen für das Sperrgebiet an Personen aus Westdeutschland. Besuchskontakte mit dem Westen waren damit unmöglich geworden. Die hiermit entstandene innerdeutsche Grenze wurde nach und nach durch Stacheldraht und Straßensperren immer undurchdringlicher gemacht. Auch in Berlin wurden Straßen gesperrt und die direkten Fernsprechverbindungen zwischen Ost und West unterbrochen. Dennoch war es weiterhin vergleichsweise leicht, aus dem Ostteil der Stadt über die Sektorenübergänge nach Westberlin zu gelangen. Im November 1953 hoben die Westmächte auf Ersuchen der Bundesregierung den Interzonenpasszwang auf, die Bundesregierung verzichtete auf die Ausstellung von Aufenthaltgenehmigungen. Somit waren von westlicher Seite keine Einschränkungen für den innerdeutschen Reiseverkehr mehr vorhanden. Notgedrungen schloss sich die DDR dieser Regelung an, allerdings mussten Einreisende nun bei örtlichen Behörden eine Aufenthaltsgenehmigung, ausrei23

Vgl. EBD., S. 12. Vgl. die Polizeiverordnung über die Einführung einer besonderen Ordnung an der Demarkationslinie vom 27.5.52 (LKA EISENACH A 860 Bd. 7/2 Bl. 210). Zur Einrichtung des Sperrgebiets und ihren Folgen vgl. allgemein I. BENNEWITZ/R. POTRATZ, Zwangsaussiedlungen, sowie in Bezug auf das kirchliche Leben M. ONNASCH, Kirche. 24

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Das Beispiel Württemberg und Thüringen

sende DDR-Bürger eine Ausreisegenehmigung, eine sogenannte „Personalbescheinigung“ beantragen. Die Kirchen wehrten sich dabei besonders gegen die Praxis, dass Pfarrern aus Westdeutschland, die bei einem Besuch in der DDR einen Gottesdienst halten wollten, die Aufenthaltsgenehmigung versagt oder ein Predigtverbot ausgesprochen wurde25. Die allgemeine Bereitschaft, Genehmigungen zu erteilen, schwankte mehrfach, ab Juli 1957 wurde der Interzonenreiseverkehr jedoch deutlich gedrosselt. Mit der Änderung des Passgesetzes des DDR vom Dezember 1957 wurde jedes nicht genehmigte Verlassen der DDR zur Republikflucht erklärt und mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. Bestimmte Gruppen wie Schüler, Studenten und Angehörige von Geflüchteten bekamen nun überhaupt keine Genehmigung für Reisen in die BRD mehr. Nachdem wegen der Berlin-Krise des Jahres 1958/59 und besonders wegen der seit Ende des Jahres 1959 von der DDR-Führung rigoros durchgesetzten Maßnahmen zur Kollektivierung der Landwirtschaft der Flüchtlingsstrom über Westberlin wieder angeschwollen war26, schloss die DDR mit der Abriegelung der Sektorengrenzen am 13. August 1961 auch das letzte Schlupfloch zwischen Ost und West. Im Sperrgebiet entlang der Grenze kam es erneut zu Zwangsaussiedlungen. Der Mauerbau markierte den Tiefpunkt des innerdeutschen Reiseverkehrs. Aus der DDR konnten nur noch einzelne Dienstreisende ins Bundesgebiet fahren, die Einreisemöglichkeiten für Westdeutsche wurden durch eine Vielzahl von Auflagen und Einschränkungen erschwert. So ließ etwa die Einführung eines – später sukzessive bis auf 25 DM erhöhten – Mindestumtauschs von drei DM pro Aufenthaltstag in der DDR zum 1. Dezember 1964 die Besucherzahlen deutlich zurückgehen. Zudem sollten schikanöse Kontrollen, unfreundliche Behandlung und schleppende Abfertigung an der Grenze bis in die achtziger Jahre hinein Westbesucher möglichst abschrecken. Das HWW informierte im November 1961 über die Auswirkungen des Mauerbaus auf die Patenschaftshilfe: Unmöglich geworden seien die Vermittlung von Kuraufenthalten in Westdeutschland ebenso wie Begegnungen in Westberlin. Mit „gewissen Einschränkungen“ weiterhin möglich seien „Besuche in den Patengemeinden im Zusammenhang mit der Leipziger Messe oder vor bzw. nach einer Teilnahme an den Tagungen des ‚Friedenskomittees‘ (sic!)“27. Nicht tangiert und daher verstärkt wahrzunehmen seien dagegen 25 Vgl. EKD Kirchenkanzlei, Berliner Stelle, an die leitenden Verwaltungsbehörden der östlichen Gliedkirchen vom 10.3.55 (LKA EISENACH A 791 Bd. 5/1 Bl. 23). 26 Vgl. H. WEBER, DDR, S. 55–59. 27 Stichwortzettel „Patenschaftshilfe für Thüringen“ mit handschriftlicher Notiz „f. Referat OKR Keller f. d. Bez.leitertagung am 2.11.61“ (LKA STUTTGART DWW 91). Zur Bedeutung der Leipziger Messe für Treffen vgl. auch S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 36f. Was genau mit dem Friedenskomitee

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der Brief- und Päckchenversand. Auch Lieferungen über Genex und Einfuhrgenehmigungen sowie der Geldtransfer seien weiterhin uneingeschränkt möglich. Erst am 9. September 1964 kam es, nach dem ersten Passierscheinabkommen für Berlin vom Dezember 1963, auch zu einer ganz Deutschland betreffenden Erleichterung. DDR-Rentner erhielten die Erlaubnis, einmal jährlich zu einem Verwandtenbesuch in die BRD zu fahren. Der Besucherstrom war bereits in den ersten Monaten so groß, dass das Zentralbüro der Diakonischen Werke in Stuttgart die Gemeinden im Westen in einem Rundschreiben auf ihre Aufgaben als Gastgeber vorbereitete28. In der ersten Zeit scheint der Verwandtschaftsgrad bei der Genehmigung der Ausreise kaum eine Rolle gespielt zu haben, so dass auch Partnergemeinden als Gastgeber in Fragen kamen. Das HWT warnte die Stuttgarter Partner allerdings davor, Rentner „global“ in die Patengemeinden einzuladen, „da bei dem oft recht hohen Alter sehr leicht unvorsichtige Äusserungen gemacht werden“ könnten. Dies könne „die ganze Patenschaft gefährden“. Wenn aber aufgrund der Patenschaft über die Jahre „ganz persönliche gute Verbindungen“ entstanden seien, sei gegen eine Einladung nichts einzuwenden, „es bliebe dann abzuwarten, ob die Rentner dann eine Ausreise bekommen.“29 Weitreichende Lockerungen im innerdeutschen Reiseverkehr ergaben sich erst durch den im Vorfeld des Grundlagenvertrags vom Dezember 1972 zwischen DDR und BRD geschlossenen Verkehrsvertrag vom 26. Mai 1972. Bundesbürger durften nun nicht nur einmal, sondern mehrmals jährlich auf Einladung von Bekannten und Verwandten in die DDR reisen. Auch DDRReisen aus kommerziellen, kulturellen, sportlichen und religiösen Gründen waren nun bei Vorliegen einer entsprechenden Einladung erlaubt. Erstmals wurden Touristenreisen ermöglicht. Die PKW-Benutzung wurde erleichtert, die Freigrenze für Geschenke erhöht. In dringenden Familienangelegenheiten wurde auch DDR-Bürgern unabhängig von ihrem Alter ein Besuch in der BRD gestattet30. Die Vereinbarungen erleichterten die Partnerschaftsarbeit gemeint ist, ist unklar, zu staatskonformen Spielarten „christlicher Friedensarbeit“ in der DDR s. u. S. 179. 28 Vgl. Rundschreiben Innere Mission und Hilfswerk der EKD, Pfarrer Dr. Schober, vom 10.11.64 (LKA STUTTGART DWW 101). Im November und Dezember 1964 reisten 664.000 DDR-Rentner in die BRD (vgl. J. NAWROCKI, Beziehungen, S. 133). 29 Aktennotiz über „Ausreise von Rentnern“ ohne Datum (LKA STUTTGART DWW 101). Zur Anspielung auf die „unvorsichtigen Äusserungen“ s. u. den Exkurs „Wir müssen schweigend helfen – Patenschaft und Öffentlichkeitsarbeit“, S. 170ff. 30 Vgl. das Schreiben des Staatssekretärs beim Ministerrat der DDR Kohl an den Staatssekretär im Bundeskanzleramt Bahr vom 26.5.72, PRESSE- UND INFORMATIONSAMT DER BUNDESREGIERUNG, Dokumentation, S. 61, und die Anordnungen der DDR-Regierung vom 17.10.72, EBD., S. 154ff.

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erheblich. Durch die verbesserten Besuchsmöglichkeiten nahmen zunächst besonders die Beziehungen zwischen den Gemeinden einen spürbaren Aufschwung31. Während die deutlichen Einreiseerleichterungen für Bundesbürger mit Wohnsitz in grenznahen Kreisen im sogenannten „kleinen Grenzverkehr“ seit Juni 1973 für die Beziehungen zwischen Württemberg und Thüringen wirkungslos blieben und teilweise zu neuen, leichter zu realisierenden Verbindungen der Thüringer mit Bayern oder Hessen führten32, machten sich in Folge des Postvertrages vom März 1976 weitere Verbesserungen im Verkehrs-, Postund Fernmeldebereich bemerkbar33. In den achtziger Jahren wurden die Ausreisebestimmungen für DDRBürger sowohl hinsichtlich des Verwandtschaftsgrades als auch hinsichtlich des Reisegrundes zunehmend gelockert34. 1987 waren von fünf Millionen Westreisenden bereits eine Million unterhalb des Rentenalters35. Auch die dienstliche Ausreise in kirchlichen Angelegenheiten wurde nun häufiger genehmigt, allerdings weiterhin in engen Grenzen. Nach Absprache mit dem Staatssekretariat für Kirchenfragen konnten nur Einzelpersonen ausschließlich zu solchen Veranstaltungen in die BRD reisen, die ökumenischen oder gesamtlandeskirchlichen Charakter hatten36. Zwar wurde versucht, den Kreis der Dienstreisepassinhaber in der ELKTh sukzessive zu erweitern, doch führten die genannten Einschränkungen im Zusammenspiel mit der deutlichen Staatsnähe einiger Kirchenvertreter nicht selten zu Enttäuschungen und Misstrauen. So schrieb ein Thüringer Pfarrer anlässlich der Ablehnung der Befürwortung einer Einladung in die BRD in einem Brief an Bischof Leich: 31 Auf die Bedeutung der Reiseerleichterungen für die Partnerschaft verweisen z. B. das „Kurzreferat über die Patenschaftshilfe im Rahmen der Informationstagung für neue Mitarbeiter an den Diakonischen Bezirksstellen am 14.3.74“ (DWW STUTTGART 2.02 265) und Kraft/Ullrich, Partnerschaft (EBD.), S. 1, sowie DWW an die Herren Bezirksleiter vom 17.9.73 (OKR STUTTGART 54.26-4 1967–1982 Bl. 41/1). 32 Vgl. Schulz 29.8.01. 33 Vgl. z. B. die Mitteilung der Bundesregierung über Erleichterungen und Verbesserungen im Bereich menschlicher Kontakte vom 11.9.76, PRESSE- UND INFORMATIONSAMT DER BUNDESREGIERUNG, Dokumentation, S. 75–77. 34 Vgl. die Anordnung der DDR-Regierung über Regelungen zum Reiseverkehr von Bürgern der DDR vom 15.2.82, EBD., S. 161f., und die Verordnung über Reisen von Bürgern der DDR nach dem Ausland vom 30.11.88, EBD., S. 182–189. 35 Vgl. DWW, Gesamtkirchliche Hilfen, Jahresbericht 1987 (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 7. Zu weiteren Reiseerleichterungen zu Beginn des Jahres 1989 vgl. DWW, Gesamtkirchliche Hilfen, Jahresbericht 1988 (EBD.), S. 6. 36 Vgl. Persönlicher Referent des Landesbischofs, Rühle, an Pfarrer G. vom 1.7.82 (OKR STUTTGART 88.10-5 1967–1984 Bl. 247) und Leich an Pfarrer H. vom 4.6.84 (LKA EISENACH A 791 Bd. 10/1) und weitere Korrespondenz in LKA EISENACH A 791.

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„Der von Ihnen beschriebene festgelegte Rahmen garantiert eben auch, daß immer die gleichen Leute fahren können, bis auf wenige Ausnahmen. Auch unseren Freunden in Württemberg fällt auf, daß im Laufe der Jahre immer die gleichen Personen in den Dekanaten erscheinen.“37

Die großzügigere Handhabung von Einreisemöglichkeiten für Bundesbürger seitens der DDR-Behörden in den achtziger Jahren verdankte sich weniger humanitären Überlegungen als vielmehr der Einsicht, dass Westbesucher dringend benötigte Devisen in die Staatskasse brachten. So wurden zum Lutherjahr 1983 vom staatlichen Reisebüro „Lutherreisen“ sowie „Goethereisen“ angeboten, die besonders die Besuchsmöglichkeiten in Thüringen verbesserten. Deutliches Zeichen des Devisenhungers der DDR war auch die Verdopplung des Zwangsumtausches auf 25 DM im Oktober 1980, die einen längeren DDRAufenthalt zu einer ausgesprochen kostspieligen Angelegenheit machte und 1981 gegenüber 1979 zu einem Rückgang der Gesamtbesucherzahl um 43% führte38. Für die nun leichter möglichen Aufenthalte kirchlicher Gruppen aus dem Westen in der DDR gab es weiterhin viele Auflagen, die nur durch die Findigkeit der betroffenen Gemeinden immer wieder umgangen werden konnten. Wurden etwa die Instrumente eines württembergischen Posaunenchors an der Grenze beschlagnahmt, da eine Mitwirkung nicht erwünscht war, so trieben die Thüringer Gastgeber andere auf. War eine Ansprache des württembergischen Pfarrers nicht erlaubt, so wurde das zugestandene Grußwort zu einer kleinen Predigt ausgebaut39. Nach einem bis ins Ausland Aufsehen erregenden Vorfall an der innerdeutschen Grenze im Jahr 1983 – ein Reisender hatte aufgrund der schikanösen Behandlung einen tödlichen Herzanfall erlitten – wurde endlich auch die Abfertigung an den Grenzübergängen humanisiert. Ebenso kam es bei der Regelung der Aufenthaltsdauer, der Mitnahme von Geschenken und dem Postverkehr bis zur Wende, besonders in Folge des Honecker-Besuches in der BRD 1987, zu weiteren Erleichterungen40.

37

Pfarrer H. an Leich vom 20.6.84 (LKA EISENACH A 791 Bd. 10/1). Vgl. die Anordnung der DDR-Regierung über die Durchführung eines verbindlichen Mindestumtausches von Zahlungsmitteln vom 9.10.80, PRESSE- UND INFORMATIONSAMT DER BUNDESREGIERUNG, Dokumentation, S. 159–161, und J. NAWROCKI, Beziehungen, S. 133. 39 Vgl. Leich 27.8.01 und Sorg 4.2.02, auch S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 37–40. 40 Vgl. z. B. die Erklärung des Staatministers beim Bundeskanzler, Jenninger, zur Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen vom 25.7.84, PRESSE- UND INFORMATIONSAMT DER BUNDESREGIERUNG, Dokumentation, S. 127f., sowie den Jahresbericht 1987 des DWW, Gesamtkirchliche Hilfen (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 7. 38

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Das Beispiel Württemberg und Thüringen

3.1.1.1. Die Diakonischen Werke als Knotenpunkte des Partnerschaftsnetzes Die Diakonischen Werke in Württemberg und Thüringen waren die Schaltzentralen der Partnerschaft. Sie sorgten für den Informationsaustausch und die Vernetzung aller an der Partnerschaft beteiligten Stellen in vier verschiedene Richtungen: Innerhalb der Strukturen der Diakonischen Werke (1) parallel mit dem Partnerwerk in Eisenach bzw. Stuttgart, (2) nach oben mit der Zentrale des Diakonischen Werkes der EKD in Stuttgart oder seiner Berliner Stelle und (3) nach unten mit den Diakonischen Bezirksstellen bzw. Bezirksbeauftragten in den Kirchenbezirken. Schließlich (4) außerhalb der eigenen Strukturen mit den Kirchenleitungen und allen Gemeinden und Kirchenkreisen, Diakonischen Einrichtungen, Werken und Organisationen, die ihrerseits partnerschaftliche Beziehungen pflegten41. (1) Der zentrale, zugleich aber auch der diffizilste und gefährdetste Informationsfluss verlief zwischen den Partnerwerken in Eisenach und Stuttgart. Die beim Diakonischen Amt Eisenach zusammengetragenen Angaben über den Bedarf an materiellen Hilfen, aber auch die für die Verteilung der Zuwendungen wichtigen persönlichen Daten von kirchlichen Mitarbeitern wurde auf diesem Wege ebenso übermittelt wie Anfragen und Nachrichten von Einzelpersonen, Gemeinden und Einrichtungen an die jeweiligen Partner, Beschwerden und Ermutigungen. Da Briefe abgefangen oder zumindest kontrolliert wurden und Telefongespräche, wenn sie überhaupt zu Stande kamen, nicht vor Mithörern gefeit waren, mussten die Informationen oft unter schwierigsten Bedingungen über die Grenze gebracht werden. Bis zum Mauerbau lief die gesamte Korrespondenz über die Westberliner Stelle des Hilfswerks der EKD. Von Württemberg aus gingen die Briefe per Luftpost nach Berlin, Vertreter des HWT holten sie dort in der Regel einmal wöchentlich ab und brachten gleichzeitig ihre Informationen, Listen und Briefe mit, die von dort aus nach Württemberg geschickt wurden42. Dabei mussten die Thüringer bei der Hin- und Rückreise gleich zweimal um ihre wertvollen Schriftstücke bangen, denn nicht nur an der Zonengrenze zwischen Ost- und Westberlin, auch bei der Einreise nach Ostberlin wurde kontrolliert43. Nach dem Mauerbau war auch dieser Kommunikationsweg versperrt. Einen Ausweg boten die nun etwa vierteljährlich im Stephanusstift im Ostberliner Stadtteil Weißensee stattfindenden „Begegnungen“. Bis 1963 handelte es sich 41

Zum Überblick über die Aufgaben des DWW in der Partnerschaftsarbeit vgl. in etwas anderer Gliederung auch die „Mittelfristigen Planungen, Abteilung Gesamtkirchliche Hilfe“ vom 29.1.90 (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 1–3. 42 Vgl. Hirth 6.9.01. 43 Vgl. Köhler 30.8.01.

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dabei um reine Organisations- und Informationstreffen der Hilfswerk-Mitarbeiter, ab 1964 begannen die Begegnungen zwischen Kirchenbezirken und Diakonischen Einrichtungen, bei denen auch Vertreter der Hilfswerke anwesend waren44. Alle auszutauschenden Informationen wurden dabei nach Möglichkeit auswendig gelernt oder auf Zetteln notiert und abends von den Württembergern über den Grenzübergang Friedrichstraße in den Westen gebracht. Wenn eine schriftliche Fixierung unvermeidlich war, gab es die Alternativen, die Zettel am Körper zu verstecken, was die Wahrscheinlichkeit verringerte, dass sie gefunden wurden, die Schwierigkeiten aber vergrößerte, falls sie entdeckt wurden, oder sie relativ offen bei sich zu tragen, was zwar den Grenzbeamten die Arbeit erleichterte, dann aber die Möglichkeit offen ließ, Unwissenheit darüber vorzutäuschen, dass dies verboten sei45. Die unzähligen Detailinformationen, die auf diesem Weg die Grenze passierten, finden sich, auf grünem Papier notiert, geordnet und eingeklebt, in den Akten des DWW46. 44 Vgl. Mehlhorn, Niederschrift (DWW STUTTGART 2.02 265), Abschnitt „Begegnungen“. Zu Bedeutung und Inhalt der Begegnungen zwischen Kirchenbezirken und Diakonischen Einrichtungen s. u. Kapitel 3.1.2.1. und 3.1.2.2. 45 Vgl. Mehlhorn 26.7.01. Von den abenteuerlichen Wegen durch die Mauer in kirchlichen Angelegenheiten berichtet auch R. V. WEDEL, Kirchenanwalt. 46 Vgl. LKA STUTTGART DWW 100 für die Notizen von 1961–66. Einen Eindruck davon, auf wie viele Details es unterhalb der großen theologischen, menschlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge in der Pflege der Partnerschaft ankam, bietet auf humorvolle Weise ein Ausschnitt aus einem Lied, gedichtet von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des DWW für den Leiter des Diakonischen Amtes Eisenach, OKR Wolfgang Höser, zu dessen Verabschiedung in den Ruhestand im Juli 1991 (PB MEHLHORN): „[…] Daß kein auch noch so kleines Ding auf ’m weiten Weg verlorenging erstellten wir zu Begegnungsfristen ein wicht’ges Ding: Das waren die Listen! Dort wurde sorgsam aufgeführt was unsere Arbeit so berührt. In Stichworten oft ein Roman, es kam aufs Wesentliche an. ‚Der Pfarrverein hat Geld gestellt, es wurden Fliesen viel bestellt. Die Uni Jena stets begehrt viel Bücher – ob man dies gewährt? Da fragt ein braver Katechet nach Waschmaschine – ob das geht? […] Für Ilse Meier, Eisenach, es an der Starbrille gebrach. […] Ein Trabi für Großbreitenbach, der alte sei sehr altersschwach.‘ So legten wir die Liebesspur vorbei an staatlicher Zensur. […]“

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Das Beispiel Württemberg und Thüringen

Eine weitere Kommunikationsmöglichkeit waren die Besuche von Verantwortlichen des DWW bei der einmal jährlich stattfindenden „Diakonischen Woche“ in Eisenach47. (2) Der Kontakt mit den Zentralstellen des Diakonischen Werkes der EKD war in dreierlei Hinsicht von Bedeutung: Erstens stellte das Diakonische Werk der EKD finanzielle Mittel zur Unterstützung der materiellen Hilfe auf landeskirchlicher Ebene, etwa für die Textilspende48, zur Verfügung. Der Geldtransfer, auch von Gemeinde zu Gemeinde, konnte ebenso wie die Genex-Bestellungen nur über die Zentrale abgewickelt werden49. Zweitens fanden auf EKD-Ebene regelmäßige Fachreferententagungen statt, um Absprachen und Erfahrungsaustausch mit den Verantwortlichen für die Partnerschaftsarbeit in anderen Landeskirchen zu ermöglichen50. Schließlich machte das Diakonischen Werk der EKD schnell und zuverlässig Informationen über aktuelle politische und gesamtkirchliche Entwicklungen bekannt, die verschiedene Aspekte der Partnerschaftsarbeit betrafen51. (3) Für den Kontakt zur Basis waren die Diakonischen Bezirksstellen bzw. Kreisstellen die ersten Ansprechpartner des DWW und des Diakonischen Amtes Eisenach. Bis zur systematischen Zuordnung der Einzelgemeinden im Jahr 195352 waren die Bezirksstellen der Hilfswerke für die Partnerschaftsarbeit vor Ort allein verantwortlich, und auch danach waren sie wichtige Vermittlungsinstanzen zwischen persönlichen Partnern, Gemeinden und den Hauptbüros. Zu den Aufgaben der württembergischen Bezirksstellen gehörten seit Mitte der fünfziger Jahre53 das Bereithalten von Unterlagen über die Zuordnung der Partnergemeinden und die Weitergabe von Informationen über die Partnergemeinde beim Wechsel des Pfarrstelleninhabers sowie die Vermittlung von persönlichen Partnern für Mitarbeiter und Gemeindeglieder. Weiter sollten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bezirksstellen sich über den Stand der einzelnen 47

Vgl. Hirth 6.9.01. Zur Textilhilfe s. u. S. 141. 49 Zur Arbeit des Diakonischen Werkes der EKD s. o. Kapitel 2.2.5. 50 Zu den Fachreferententagungen s. u. S. 312. 51 Vgl. z. B. die Faltblätter „Dein Päckchen nach drüben“ (LKA STUTTGART DWW 91 und BArch KOBLENZ B 137 327) oder den Rundbrief über die Implikationen der neu möglich gewordenen Rentnerbesuche vom 10.11.64 (LKA STUTTGART DWW 101). 52 Zur Entstehung der Gemeindepartnerschaften s. u. Kapitel 3.1.2.1. 53 Dieser Aufgabenkatalog hat sich bis in die siebziger Jahre kaum geändert, vgl. den „Vermerk für Bezirksleitertagung am 24.10.56“ vom 22.10.56 (LKA STUTTGART DWW 91), das „ABC der Patenschaftshilfe für Thüringen“ für die Bezirksfürsorgertagung 1968 vom 7.5.68 (EBD.) und den Vordruck über „Mitarbeit der Diakonischen Bezirksstellen in der Patenschaftshilfe für Thüringen“ (ohne Datum, LKA STUTTGART DWW 92). 48

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partnerschaftlichen Beziehungen auf dem Laufenden halten, um gegebenenfalls eine Intensivierung oder einen Neubeginn anzuregen, und waren gehalten, sich durch möglichst regelmäßige Besuche im Partnerbezirk in Thüringen einen genauen Einblick in die dortige Lage zu verschaffen. Schließlich sollten sie im Stande sein, Ratschläge für sinnvolle Hilfsmöglichkeiten zu geben. Seit Mitte der siebziger Jahre schienen die Diakonischen Bezirksstellen in Württemberg für das DWW nicht mehr die richtigen Ansprechpartner für die Pflege der Partnerschaften vor Ort zu sein, da sich der Schwerpunkt der Partnerschaftsarbeit von der materiellen Unterstützung hin zum geistigen und geistlichen Austausch entwickelt hatte54. Bei einer Dienstbesprechung der Dekane wurde daraufhin im November 1979 beschlossen, das Amt eines „Bezirksbeauftragten für Gesamtkirchliche Hilfen“ einzurichten, der weitgehend die Aufgaben der Bezirksstellen übernehmen sollte. Dazu kam die Mitarbeit bei der Vorbereitung der Begegnungen der Kirchenbezirke und die in den achtziger Jahren an Bedeutung zunehmende Öffentlichkeitsarbeit zum Thema „Kirche und Diakonie in der DDR“ bei Gemeindeabenden und in Gottesdiensten55. Das „Bewußtsein für die Partnerschaft“ sowie die „Hilfsbereitschaft für die Menschen in Thüringen“56, für Kirchengemeinden und Diakonie, sollten immer wieder neu geweckt und lebendig gehalten werden. Auf den regelmäßigen Tagungen der Leiter57 sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter58 der Diakonischen Bezirksstellen, später der Bezirksbeauftragten, informierten die zuständigen Geschäftsführer, Referatsleiterinnen und -leiter des DWW über die aktuelle politische, wirtschaftliche und kirchliche Situation in der DDR und die jeweils vordringlichen Aufgaben der Partnerschaftsarbeit.

54 Vgl. Mehlhorn, Niederschrift (DWW STUTTGART 2.02 265), Abschnitt „Gemeindepartnerschaften“, und Losch, Partnerbeziehungen (PB KRAFT), S. 19–21. Zur hier erwähnten Entwicklung s. u. das Kapitel 3.2.4. 55 Vgl. den Auszug aus dem Referat von Klaus-Dieter Ullrich bei der Informationstagung am 20.5.81 (OKR STUTTGART 54.26-4 1967–1982 Bl. 131/3). Eine frühe Form einer solchen kircheninternen Öffentlichkeitsarbeit war die Aufforderung des HWW an alle Bezirksstellen vom Juli 1954, einige Bilder aus ihrem Kirchenbezirk einzusenden, aus denen ein Lichtbildervortrag zusammengestellt werden sollte, der, in Thüringer Gemeinden gezeigt, diesen das Patenland näher bringen sollte. Auf ähnliche Weise sollte in Thüringen ein Lichtbildervortrag für die Öffentlichkeitsarbeit in Württemberg entstehen (HWW an alle Bezirksstellen und Heime vom 19.7.54, LKA STUTTGART DWW 1112). 56 DWW, „Mittelfristige Planungen, Abteilung Gesamtkirchliche Hilfen“ vom 29.1.90 (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 3. 57 Vgl. die Unterlagen zu den Tagungen der Bezirksleiter von 1956 und 1957, 1964, 1967 (LKA STUTTGART DWW 91). 58 Vgl. die Unterlagen zu den Tagungen der Bezirkshelfer bzw. -fürsorger von 1959–62, 1964 und 1965, 1967 und 1968 (EBD.).

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Das Beispiel Württemberg und Thüringen

(4) Um die vielschichtigen Partnerbeziehungen zwischen Württemberg und Thüringen zu koordinieren, bedurfte es auch des ständigen Austauschs mit allen Beteiligten außerhalb der Strukturen des Diakonischen Werks. In den Anfangsjahren mussten die Hilfswerke in Württemberg und Thüringen zunächst dafür Sorge tragen, dass sich der Kontakt zwischen eben diesen beiden Landeskirchen auf allen Ebenen etablierte. So hatten zum Beispiel die Anstalten der Inneren Mission in Württemberg zunächst die Patenschaft für Heime in der Kirchenprovinz Sachsen übernommen59, das Evangelische Jungmännerwerk in Württemberg hatte anfänglich Kontakte zu Berlin gepflegt60. Auch bemühten sich DWW und Diakonisches Amt Eisenach, das Partnerschaftsnetz durch Einbeziehung neuer Einrichtungen und Personenkreise immer enger zu knüpfen. Briefvordrucke für Schreiben des DWW an Heime, an Pfarrer, Kindergärtnerinnen und Katecheten, v. a. aus den sechziger Jahren, die für die Übernahme einer Patenschaft werben, machen dies deutlich61. Zudem mussten die bestehenden Verbindungen ständig gepflegt werden. Anfragen aus Thüringen, aber auch häufig zunächst an die Kirchenleitung gerichtete Briefe von besorgten Angehörigen oder Bekannten aus Westdeutschland, die darüber klagten, die Kontakte einer bestimmten Gemeinde oder Einzelperson nach Württemberg seien abgebrochen und die Betroffenen ständen nun ohne jede Unterstützung aus dem Westen da, landeten beim DWW und waren zu beantworten62. Veränderungen der persönlichen Verhältnisse der Partner durch Umzug oder Ausreise in den Westen, durch Änderung der wirtschaftlichen Lage oder Tod mussten weitergegeben werden63. Schließlich erforderte es besonderes Fingerspitzengefühl der Verantwortlichen von DWW und Diakonischem Amt Eisenach, die partnerschaftlichen Beziehungen zu ordnen, wollte man doch einerseits sicher gehen, dass nicht einige Gemeinden und Personen der zahlenmäßig kleineren ELKTh von einer ganzen Schar von württembergischen Partnern bedacht wurden, während 59 Vgl. den Entwurf des Schreibens Arbeitsgemeinschaft der Diakonischen Werke in Stuttgart an die Anstalten und Einrichtungen der Inneren Mission in Württemberg vom 13.7.60 (LKA STUTTGART DWW 92). Zur Entwicklung der Partnerschaft zwischen Diakonischen Einrichtungen s. u. Kapitel 3.1.2.2. 60 Vgl. Evangelisches Jungmännerwerk in Württemberg an OKR Stuttgart vom 15.2.55 (LKA STUTTGART A126 529d II Bl. 264). Zur Entwicklung der Partnerschaft zwischen kirchlichen Werken s. u. Kapitel 3.1.2.3. 61 Vgl. LKA STUTTGART DWW 92 und 93. 62 Vgl. z. B. das Schreiben bezüglich der Gemeinde in Petersberg vom 13.5.64 (LKA STUTTGART A 126 529d IV Bl. 57), die Korrespondenz wegen der Patenschaft für einen Jenaer Pfarrer vom Herbst 65 (LKA STUTTGART A 126 529d IV Bl. 124, 129 und 132) sowie die Schreiben bezüglich der Gemeinde Magdala vom 13.12.66 (LKA STUTTGART A 126 529d IV Bl. 197) und Niederröblingen vom 19.12.66 (LKA STUTTGART A 126 529d IV Bl. 198). 63 Vgl. die Briefvordrucke LKA STUTTGART DWW 93.

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andere leer ausgingen, andererseits aber auch nicht mutwillig in gewachsene Beziehungen eingreifen. Trotz aller Diplomatie führten solche Ordnungsversuche immer wieder zu Verstimmungen bei Pfarrern und Gemeindegliedern. So heißt es etwa in einem Schreiben des Pfarramts Kirchentellinsfurt an das HWW vom September 1953 empört, die Kontakte mit der bisherigen Partnergemeinde beständen schon seit 1949. „Und nun verlangen Sie, dass diese Verbindungen nach und nach abgebrochen werden und neue geknüpft werden sollen. Und dies allein aus Gründen der Taktik. Gewiss verstehen wir, dass Ordnung herrschen muss. […] Ordnung in hohen Ehren! Aber wir meinen und bitten Sie, das ebenfalls zu verstehen, dass seelsorgerliche Gründe weit vorangehen müssen.“64

Die Gemeinde würde sicher auch nicht verstehen „wenn das, was von uns als von Gott zusammengefügt angesehen wird, geschieden würde. Die Folge wäre Verärgerung gegen das Hilfswerk und Nachlassen der Spenden.“ Auch der Hirschberger Pfarrer wehrte sich 1958 gegen eine Umstellung der Gemeindepartnerschaft auf die offiziell zuständige württembergische Gemeinde in Gerlingen: „Es verbindet mich kein inneres Band zu dieser Gemeinde oder etwa dem Pfarrer […].“65 Immer wieder musste dann erklärt werden, wie es zur Notwendigkeit einer Neuzuordnung kam und warum es so wichtig ist, dass jede thüringische Gemeinde versorgt wird. Den Bezirksleitern wurde im Oktober 1956 in diesem Sinne eingeschärft, die württembergischen Gemeinden müssten sich „darüber klar werden, dass sie allein für ihre thür. Patengemeinde eingeteilt sind und dass keine andere Gemeinde sonst für diese Gemeinde sorgen wird, wenn sie es nicht tun.“66 3.1.1.2. Das Hilfsprogramm des Diakonischen Werkes Württemberg als materielle Basis der Partnerschaft Das bei der Kirchenführerkonferenz im August 1945 in Treysa konstituierte „Hilfswerk der EKD“ hatte zunächst die Aufgabe, Kriegsopfer, besonders 64 Ev. Pfarramt Kirchentellinsfurt an HWW vom 29.9.53 (LKA STUTTGART DWW 163). Zu den Verschiebungen in den Gemeindepartnerschaften im Jahr 1953 s. u. S. 104. 65 Der Brief des Pfarrers ist zitiert im Schreiben Hilfswerk Bezirksstelle Urach an HWW vom 19.3.58 (LKA STUTTGART DWW 163). 66 Vermerk für die Bezirksleitertagung am 24.10.56 vom 22.10.56 (LKA STUTTGART DWW 91).Vgl. z. B. auch HWW an Ev. Pfarramt Lendsiedel vom 27.1.58 (LKA STUTTGART DWW 163). Vgl. auch die ausdrückliche Bitte des HWW anlässlich einer Besuchsreise einer Gruppe von kirchenleitenden Personen und Pfarrern aus Thüringen im Jahr 1954, durch diese Besuche keine neuen Partnerschaften entstehen zu lassen. Es sei „ohnehin schwierig, Ordnung in die Patenverhältnisse zu bringen“ (Evangelische Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg an alle beteiligten Amtsbrüder vom 8.2.54, LKA STUTTGART D 31 Nr. 82 Bl. 22). Zur Reise s. u. S. 131.

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Flüchtlinge, Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung und andere Notleidende zu betreuen67. Seit Ende 1945 konnte diese Aufgabe außer durch die Verteilung der im Inland gesammelten Gaben auch in zunehmendem Maße durch die Weitergabe von Hilfsgütern aus dem Ausland, vor allem aus der Schweiz, aus Schweden und den USA wahrgenommen werden. Schon früh nahm dabei die Unterstützung der im Vergleich zu den Westzonen wirtschaftlich zunehmend schlechter gestellten SBZ einen großen Raum ein. Seit Anfang der fünfziger Jahre stellten die Hauptbüros der westlichen Landeskirchen ihre Arbeit mehr und mehr auf die Hilfe für die Landeskirchen in der DDR um, während gleichzeitig die Auslandsspenden für das eigene Gebiet zurückgingen – aus Empfängern wurden Geber. So resümierte ein „Kurzgefasster Rückblick auf die Arbeit des Hilfswerks der Evang. Landeskirche in Württemberg“ vom Dezember 1953, die Arbeit der Nachkriegsjahre sei vor allem von der Verteilung von Auslandsspenden an die notleidende Bevölkerung bestimmt gewesen, während sich nach der Währungsreform das Bild allmählich verändert und die Betreuung „sich nach und nach der Ostzone“ zugewandt habe. Und vorausblickend mutmaßte der Verfasser: „Angesichts der politischen Verhältnisse glaube ich, dass in den nächsten Jahren unsere Tätigkeit von den Verhältnissen in der Ostzone bestimmt sein wird […].“68 Tatsächlich sollte das Programm „Hilfe für Thüringen“ (seit den siebziger Jahren: „Gesamtkirchliche Hilfen“) fast 40 weitere Jahre einen wichtigen Faktor der Arbeit des HWW und später des DWW ausmachen. In den Anfangsjahren der Partnerschaft nahm die Lebensmittelhilfe für die Thüringer noch einen breiten Raum ein. Dies entsprach der Versorgungslage in der DDR, die am Ende des Kapitels ausführlich dargestellt wird. Aus einer Aufstellung der Hilfen für Thüringen vom November 195569 geht hervor, dass binnen eines Jahres von den württembergischen Bezirksstellen 22.193 Lebensmittelpakete an die Patengemeinden in Thüringen verschickt wurden. Dabei nicht eingerechnet sind selbstverständlich die Pakete, die von Familie zu Familie gingen und daher nicht zentral erfasst wurden. Ihre Zahl wurde von den Verantwortlichen auf das Zehnfache der genannten Anzahl geschätzt. Doch auch an anderen, für das leibliche und geistliche Leben unverzichtbaren Gütern fehlte es in der Anfangszeit. So wurden im Jahr 1952 vom HWW 195 Arzneimittelpakete mit einem Gewicht von jeweils 6 Kilo abgeschickt, 115 Paar 67 Zur Gründung des Hilfswerks und seiner Aufgabenstellung vgl. J. M. WISCHNATH, Kirche. Zur Entstehung des Hilfswerks in Württemberg jetzt D. MERZ, Hilfswerk. 68 „Kurzgefasster Rückblick […]“ vom 11.12.53 (LKA STUTTGART DWW 91). 69 Vgl. im Folgenden die Aufstellungen „Hilfe für unser Patenland Thüringen“ innerhalb der Berichte „Materielle Notsorge innerhalb Württembergs und für die Ostzone und die Gebiete jenseits der Oder-Neisse-Linie“ aus den Jahren 1952 und 1955–1964 (EBD.).

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Schuhe aus Spenden württembergischer Schuhfirmen konnten für kirchliche Mitarbeiter gesammelt werden und 394 Flaschen Abendmahlswein aus württembergischen Weinbaugemeinden wurden vom Hauptbüro nach Thüringen versandt. Seit Mitte der fünfziger Jahre diversifizierte sich das Spektrum der Hilfsgüter zusehends. Textilien wurden schnell zu einem wichtigen Posten, bald auch theologische und schöngeistige Literatur, Küchen- und Haushaltgeräte, schließlich Fahrzeuge, Büromaschinen, Einrichtungsgegenstände und Baumaterialien. In der Partnerschaftsarbeit zwischen Württemberg und Thüringen wurde von Anfang an darauf geachtet, dass Geber und Nehmer über Art und Verteilung der materiellen Hilfe gemeinsam beraten und beschließen. In Thüringen bildeten sich neben dem Bruderdienstausschuss70 im Laufe der Zeit mit dem Diakonischen Ausschuss und dem Verkehrshilfeausschuss71 zwei weitere Verteilerausschüsse, die über die Zuweisung der Unterstützung entschieden. Schon 1953 wurde im oben zitierten „Rückblick“ auf die Arbeit des HWW festgehalten, dass die „richtigen Angaben und Ratschläge vom Thüringer Hilfswerk“ für den weiteren Ausbau der Hilfsaktion „nicht unwesentlich“72 seien. 30 Jahre später betonte ein Bericht des DWW über die Kirchenpartnerschaft ganz ausführlich: „Wenn es um die Verteilung des zur Verfügung stehenden Geldes geht, dann ist es nicht so, daß entweder der Geber (nämlich wir) oder der Empfänger (nämlich die thüringische Landeskirche) bestimmt, wie die Gelder ausgegeben werden. Vielmehr beraten wir zunächst gemeinsam. Wir stellen fest, wieviel Geld für das neue Jahr zur Verfügung steht und wo die Prioritäten in Thüringen liegen. […] Selbstverständlich werden dann in Einzelentscheidungen die Kenntnisse der Thüringer Vorrang haben“73.

Ein weiterer Grundsatz der materiellen Partnerschaftshilfe war, im Sinne des Subsidiaritätsprinzips nur dort Unterstützung zu erbitten und zu gewähren, wo die eigenen Möglichkeiten zuvor ausgeschöpft waren und somit „keine Abhängigkeiten zu schaffen.“74 Die gemeinsame Verantwortung für die Verwendung der Mittel wurde durch engen Kontakt zwischen den Diakonischen Werken und ein gewachsenes 70

Dazu Kapitel 2.2.4. Vgl. Kraft, Hilfe (DWW STUTTGART 2.02 265) und Stengel 27.8.01. 72 Beide Zitate: „Kurzgefasster Rückblick auf die Arbeit des Hilfswerks der Evang. Landeskirche in Württ. - Abteilung Wirtschaftliche Notsorge - “ vom 11.12.53 (LKA STUTTGART DWW 91). 73 Kraft, Hilfe (DWW STUTTGART 2.02 265), S. 2. 74 DWW, Arbeitsbericht 1985 des Referates „Gesamtkirchliche Hilfen“ (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 6. Vgl. W. HÖSER, Finanzierung, S. 127. Beide Grundsätze galten auch in den Beziehungen zwischen Pommern und Nordelbien, vgl. S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 52f. 71

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Verständnis für die Situation des anderen erleichtert. Unstimmigkeiten blieben dennoch nicht aus. So beschreibt etwa der Jahresbericht des Referats „Gesamtkirchliche Hilfen“ des DWW von 1986 die Probleme, die sich daraus ergaben, dass das zuständige Thüringer Kreiskirchenamt die Bestellung eines von Württemberg bezahlten Baugerüstes über den ständigen Vertreter einer Westfirma in der DDR selbst in die Hand nahm, sich dabei aber auf Konditionen einließ, mit denen die Württemberger nicht einverstanden waren. Konsequenz war ein klärendes Gespräch beim Landeskirchenamt in Eisenach, in dem die Kompetenzen der einzelnen Dienststellen in Württemberg, Thüringen und Berlin bezüglich des Beschaffungsvorgangs abgegrenzt wurden. Aus der Sicht des DWW wurde resümiert: „Diese schwierige Beschaffung machte deutlich, daß unter den verantwortlichen Mitarbeitern in den Kirchen der DDR eine Generation heranwächst, die, aufgrund von direktem Kontakt mit westlichen Firmen, selbstständiger und selbstbewußter Entscheidungen gegenüber Lieferungen aus der Bundesrepublik treffen möchte, ohne jedoch die Marktmechanismen im Westen zu überblicken.“75

Dass aber trotz solcher Schwierigkeiten ein Modus der Kooperation gefunden werden konnte, der beiden Seiten gerecht wurde, zeigt die anerkennende Bemerkung von Thüringer Seite in einem Ende der neunziger Jahre entstandenen Aufsatz: „Taktvoll, aber bestimmt haben uns unsere Württemberger in die wirtschaftlichen Grundlinien und finanziellen Sparmaßnahmen eingeführt, beraten und vor Schaden bewahrt.“76

Das Hilfsprogramm des DWW lässt sich in zwei Hauptbereiche einteilen. Einerseits (1) zentrale Hilfen für die ELKTh und das Diakonische Amt Eisenach oder an Einzelpersonen, für deren komplette Abwicklung das DWW direkt zuständig war, andererseits (2) materielle Unterstützung, die das DWW für die von ihm koordinierten institutionellen und persönlichen Beziehungen zur Verfügung stellte und die so auf indirektem Wege nach Thüringen gelangten. (1) Im Bereich der direkten Hilfen ist zu unterscheiden zwischen (a) den zentralen Hilfen, die, vergleichbar mit den zentralen Hilfslieferungen des Diakonischen Werkes auf EKD-Ebene77, meist via Einfuhrgenehmigung der Partner75 DWW, Arbeitsbericht 1986 des Referates „Gesamtkirchliche Hilfen“ (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 7. Zu den Auswirkungen des Generationenwechsels auf die Partnerschaft s. u. Kapitel 3.2.4. 76 W. HÖSER, Finanzierung, S.127. 77 Dazu Kapitel 2.2.5.

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kirche zur Verfügung gestellt wurden, und (b) der Hilfe für Einzelpersonen, die nicht im Rahmen persönlicher und institutioneller Partnerbeziehungen abgewickelt wurde. (a) Zu den zentralen Hilfen zählten schwerpunktmäßig Fahrzeuge, medizinisches Gerät, Büromaschinen und -material sowie Baumaterialien. Besonders zu Anfang war dabei auch Papier ein rares und begehrtes Gut78. Eine der großen Einfuhraktionen war im Januar 1966 die Lieferung einer kompletten Dünndruck-Maschine für die Druckerei Harfe in Bad Blankenburg, die mit dem Druck der revidierten Fassung der Lutherbibel für das Gebiet der DDR beauftragt war. Der hindernisreiche Weg dorthin soll, beispielhaft für viele ähnlich geartete Fälle, etwas ausführlicher geschildert werden. Den Anstoß zur späteren Lieferung gab bereits im März 1963 der Brief eines Karlsruher Pfarrers, der das HWW um Hilfe bei der Modernisierung des Maschinenparks der Druckerei bat, die von seinem Schwager als Privatunternehmen geführt wurde79. Das HWW nahm Gespräche mit der Partnerkirche auf, die Thüringer zeigten Interesse an Erhalt, Modernisierung und Rationalisierung der Harfe-Druckerei. Im Winter des Jahres wurde vereinbart, die Druckmaschine der ELKTh zu schenken, die sie wiederum der HarfeDruckerei auf Grund eines Vertrages zur Benutzung zur Verfügung stellen sollte. Gleichzeitig sollten Aufträge von der Evangelischen Bibelanstalt für den Druck der revidierten Lutherbibel gesichert werden. Im Frühjahr 1964 wurden erste Prospekte von für den Bibeldruck erforderlichen Dünndruck-Maschinen vorgelegt, im Mai kam ein passendes, günstiges Angebot einer Würzburger Firma, woraufhin im Sommer erste Erkundigungen über die Möglichkeit der Erteilung einer Einfuhrgenehmigung und einer Finanzierung über die VELKD eingeholt wurden. Zur endgültigen Auswahl der Maschine wurde der Rat eines Fachmanns der Württembergischen Bibelanstalt eingeholt, der im Januar 1965 eigens nach Berlin reiste, um sich mit Verantwortlichen aus Thüringen zu besprechen. Ebenfalls im Winter wurden Kooperationsverträge zwischen der Harfe-Druckerei und dem Eisenacher Landeskirchenrat über eine Verbesserung der Rentabilität und der Überlassung der Druckmaschine geschlossen. Im April 1965 fiel die endgültige Entscheidung über das Modell der zu liefernden Druckmaschine, gleichzeitig wurde der Einfuhrantrag beim Ministerium für Innen- und Außenhandel der DDR 78

Vgl. z. B. die Korrespondenz LKA STUTTGART A 126 529d III Bl. 174ff. Vgl. Evangelisches Landesjugendpfarramt Karlsruhe an HWW vom 26.3.63 (LKA STUTTGART DWW 173). Zu den folgenden Informationen vgl. auch weitere, nicht einzeln zitierte Dokumente an dieser Fundstelle, besonders die Zusammenfassung der Ereignisse im Schreiben LKR der ELKTh an HWW vom 26.9.64 (EBD.). 79

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gestellt; Landesbischof Mitzenheim bemühte sich beim Staatssekretär für Kirchenfragen um eine Befürwortung80. Bei einem Gespräch zwischen dem Thüringer OKR Gerhard Lotz und dem Geschäftsführer des HWW, Albrecht Hirth, in Ostberlin kamen Ende April 1965 neue Bedenken zur Sprache. Die ins Auge gefasste Maschine war zu diesem Zeitpunkt ein Novum in der DDR. Deshalb machte Lotz im Hinblick auf die Einfuhrgenehmigung darauf aufmerksam, es sei „zu befürchten, dass an die Genehmigung eine Bedingung geknüpft wird, und zwar die, dass die Druckereimaschine für staatliche Aufträge benutzt werden muss, wenn sie in der Harfe-Druckerei nicht ausgelastet ist. Es könnte also passieren, dass die ‚Harfe‘ Lenins Werke in Dünndruck für den Export drucken muss“81. In einem Exposé, das Anfang Juni dem Staatssekretariat für Kirchenfragen vorgelegt wurde, wies die Thüringer Kirche noch einmal mit Nachdruck auf die Bedeutung der Einfuhr der Dünndruck-Maschine für den Druck der revidierten Bibelausgabe hin, mit dem die Harfe-Druckerei beauftragt sei82. Über den Stand der Einfuhrverhandlungen kamen dem HWW aus Thüringen sehr unterschiedliche Nachrichten zu. Im Mai waren laut OKR Heinz Krannich „die Aussichten auf Erteilung einer Einfuhrgenehmigung für die Druckmaschine sehr schlecht.“83 Ende September beurteilte Lotz den Stand der Dinge als „günstig“, Mitzenheim dagegen ließ wissen, es seien noch „Widerstände vorhanden.“84 Nachdem die Finanzierung durch die VELKD gesichert war, stellte sich für das HWW die Frage, ob man die Maschine schnell zu günstigen Bedingungen bestellen könne, obwohl noch keine Einfuhrgenehmigung vorlag, oder ob das finanzielle Risiko zu groß sei. In dieser Situation erklärte sich bereits Anfang Mai der OKR bereit, das Ausfallrisiko zu übernehmen, so dass die Bestellung getätigt werden konnte85. Nach langer Unsicherheit kam am 5. November endlich der Bescheid über die Genehmigung86. Sofort wurde eine Schenkungsurkunde der Württembergischen Landeskirche ausgestellt. Anfang des Jahres 1966 stand die knapp 95.000 DM teure Maschine schließlich zum Versand bereit und konnte am 12. Januar nach Bad Blankenburg transportiert werden. Die Aufnahme des Druckbetriebes verzögerte sich allerdings weiter. Der Rat des Kreises Rudolstadt verweigerte dem Monteur der Würzburger Firma wegen 80

Vgl. den Auszug aus dem Vermerk von Dr. Dörre, Eisenach, vom 20.2.65 (EBD.). Vermerk über das Gespräch mit OKR Lotz am 23.4.65 in Ostberlin vom 29.4.65 (EBD.). 82 Vgl. Exposé vom 31.5.65 (EBD.). 83 Aktennotiz vom 13.5.65 (EBD.). 84 Aktennotiz vom 28.9.65 (EBD.). 85 Vgl. HWW an VELKD vom 3.5.65 (EBD.). 86 Vgl. Landesbischof Mitzenheim an Pfarrer Hirth vom 5.11.65 (EBD.). 81

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Tierseuchengefahr die Einreise. Anfang Februar schrieb das Landeskirchenamt der ELKTh an das HWW: „Heute haben wir uns nochmals schriftlich an den Rat des Kreises Rudolstadt gewandt mit der Bitte zu prüfen, ob nicht durch Auferlegen von besonderen Vorsichtsmaßnahmen die Einreise ausnahmsweise erteilt werden kann, da bei der Harfe-Druckerei die Produktion seit Mitte Januar brachliegt und der Werksmonteur seit etwa derselben Zeit abrufbereit steht[…]. Zur Unterstützung unseres Anliegens ist es vielleicht zweckmäßig, von Ihren gesundheits- und veterinärpolizeilichen Stellen ein Zeugnis ausstellen zu lassen, das wir dem Rat des Kreises vorlegen können.“87

Schließlich hatten die Bemühungen Erfolg. Am 21. April 1966 konnte die Druckmaschine von Landesbischof Mitzenheim feierlich in Betrieb genommen werden. Besonders in den letzten Jahrzehnten der DDR bekamen im Rahmen der zentralen Unterstützung der ELKTh und des Diakonischen Amtes Eisenach Bauhilfen einen immer höheren Stellenwert. Finanzielle Mittel für Bauvorhaben, aber auch in der DDR so gut wie nicht erhältliche Baugerüste und Baumaterialien fanden ihren Weg nach Thüringen. 1981 wurden mit fachlicher und finanzieller Hilfe aus Württemberg in den vier Aufsichtsbezirken der ELKTh Meiningen, Gotha, Weimar und Gera eigene Bauhöfe mit betriebseigenen Handwerkern eingerichtet88. Im Herbst 1986 wurde sogar ein ganzes Gemeindehaus in Fertigteilen aus Württemberg nach Thüringen transportiert und innerhalb von wenigen Tagen im Neubaugebiet Eisenach-Nord aufgestellt89. (b) Bei der direkten Hilfe des DWW für Einzelpersonen stand der medizinische Bereich im Vordergrund. In der DDR schwer oder gar nicht erhältliche Medikamente, Sanitätsbedarf, aber auch dringend benötigte Hilfsmittel wie Rollstühle, Sehhilfen und vor allem Hörgeräte wurden bereitgestellt oder bezuschusst90. In dringenden Fällen, in denen der Postweg oder die Beantragung einer Einfuhrgenehmigung zu zeitaufwändig waren, etwa für die unaufschiebbaren Operation eines jungen Vikars, wurden die benötigten Teile zur Not auch persönlich über den Grenzübergang Friedrichstraße geschmuggelt91. Bis zum Mauerbau ermöglichte das HWW Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern der ELKTh Erholungsaufenthalte in Württemberg. Dafür wurden 87

LKA an HWW vom 5.2.66 (EBD.). Vgl. OKR an Landesbischof Leich vom 23.4.81 (OKR STUTTGART 88.10-5 1967–1984 Bl. 198/1). 89 Vgl. die Infomation von epd-Württemberg vom 16.12.86 (OKR STUTTGART 54.26-4 1985–1989 Bl. 72). 90 Für Einzelbeispiele vgl. LKA STUTTGART DWW 107, 108 und 159. 91 Vgl. Mittendorf 20.9.01. 88

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günstige Plätze in Erholungsheimen der Diakonischen Werke bereitgestellt und je nach Bedürftigkeit auch besondere Zuschüsse gewährt92. Seit der Ermöglichung von Besuchsreisen in die BRD für DDR-Rentner im Herbst 1964 wurde diesen Unterstützung bei Kuraufenthalten in kirchlichen Heimen gewährt93. Schließlich half das DWW in vielen ganz individuellen Notsituationen, in denen die Betroffenen um Unterstützung baten. So konnten beispielsweise Eltern aus Thüringen im Rentenalter, deren an Multipler Sklerose erkrankte Tochter allein in London lebte, mit Hilfe des DWW in der Endphase der Krankheit von 1972 bis zum Tod der Tochter 1976 jährlich eine Besuchsreise finanzieren94. (2) Der zweite Bereich des Hilfsprogramms des DWW war die indirekte Hilfe, also die Unterstützung der Partner auf der Ebene der institutionellen und persönlichen Partnerschaften. In den Anfangsjahren wurden den Gemeinden, Heimen und Einzelpersonen in Württemberg, die eine Patenschaft übernommen hatten, vor allem Lebensmittel zum Weiterversand zur Verfügung gestellt. Seit Mitte der fünfziger Jahre differenzierte sich das Bild. Den Gemeinden war das DWW vor allem beim Transfer von Geldspenden an die Partnergemeinde über das Diakonische Werk der EKD, der Beschaffung von Einfuhrgenehmigungen sowie bei der Organisation und Bezuschussung von Begegnungen behilflich95. Auch die Bestellung von Industriewaren oder für die Arbeit in den Dorfgemeinden dringend erforderlichen Kraftfahrzeugen über Genex lief über das DWW und wurde zum großen Teil von dort finanziert96. Für diakonische Einrichtungen und andere kirchliche Institutionen stellte das DWW den einzelnen Mitarbeitern in Württemberg Sachspenden wie Textilien, Küchenmaschinen, Bastel- oder Büromaterialien zum Weiterversand zur Verfügung und organisierte und bezuschusste Begegnungen. Auch die persönlichen Partnerschaften wurden mit Sachspenden unterstützt. Wichtig war vor allem die regelmäßige Textilhilfe, aber auch theologische und 92

Vgl. HWW an OKR Stuttgart vom 2.8.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 223/3). Zu den Rentnerbesuchen vgl. LKA STUTTGART DWW 101. 94 Vgl. den Briefwechsel Barbara R. mit DWW (LKA STUTTGART DWW 160). Dort auch weitere Beispiele. 95 Vgl. den Bericht „Patenschaftshilfe für Thüringen“ vom 30.1.1964 (LKA STUTTGART DWW 91). In dem Bericht wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass von der EKD aus direkte Bestellungen bei Genex durch Gemeinden und Einzelpersonen verboten seien. Hintergrund dieser Ermahnung ist die Tatsache, dass wegen solcher direkten Bestellungen und unvorsichtiger Äußerungen in Briefen in die DDR von Oktober 1960 bis August 1961 für kirchliche Stellen überhaupt keine Bestellungen möglich waren (vgl. den Bericht „Patenschaftshilfe für Thüringen“ für die Bezirksleitertagung am 2.11.61, EBD.). 96 Zur Bedeutung von PKW oder Krafträdern für Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter vgl. S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 73–75. Zu Transfer und Genex s. o. Kapitel 2.2.5., zu den Begegnungen s. u. S. 109. 93

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schöngeistige Literatur und Gebrauchsgegenstände wie Aktenmappen, Füllfederhalter, Regenschirme, Reisewecker oder Rasierapparate für bedürftige Familien wurden bereitgestellt97. Für Einzelpersonen wurden ebenfalls Genex-Bestellungen vermittelt, und um die Begegnungsmöglichkeiten zu verbessern, gewährte das DWW Reisekostenzuschüsse für Besuchsfahrten zu den Partnern in Thüringen. Der finanzielle Umfang des Hilfsprogramms des DWW ist für die Zeit bis zum Ende der siebziger Jahre kaum zu ermitteln, da die vorliegenden Quellen an dieser Stelle lückenhaft sind und durch die Unterschiedlichkeit der jeweils gemachten Angaben die Entwicklung des Gesamtvolumens nicht erhoben werden kann. So werden in den Aufstellungen der Hilfen für Thüringen bis 1960 lediglich Mengen und Stückzahlen, jedoch keine Geldbeträge genannt. Aus den frühen sechziger Jahren liegen Aufstellungen vor, die zwar teilweise die entsprechenden Geldwerte nennen, jedoch wird darin nicht immer deutlich, mit welchen Mitteln die Hilfsgüter finanziert wurden. Da eine detaillierte Auflistung der disparaten Angaben hier nicht sinnvoll scheint, sollen nur einige Beispiele genannt werden, um einen ungefähren Eindruck vom Umfang der Hilfen zu ermöglichen. So wurden von Oktober 1959 bis Oktober 1960 an kirchlichen Mitarbeiter und Anstalten in Thüringen Textilien, Schuhe und Bücher im Wert von 950.000 DM aus einer „Sonderspende“, wohl von der Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes der EKD, versandt, kirchlich engagierte Jugendlichen bekamen Pakete im Gesamtwert von 20.000 DM aus derselben Quelle. In den folgenden vier Jahren schwankte der erste Betrag etwa zwischen 600.000 und gut 800.000 DM, der zweite stieg auf bis zu 100.000 DM. Im Berichtszeitraum Oktober 1961 bis Oktober 1962 wird erstmals die Finanzierung von Fahrzeugen für kirchliche Mitarbeiter im Wert von knapp 92.000 DM aus Mitteln des Hauptbüros mit Beteiligung von Patengemeinden erwähnt. Im folgenden Jahr wurde für Fahrzeuge bereits fast 127.000 DM ausgegeben, dazu gut 38.000 DM für Waschmaschinen und Schleudern. Aus Mitteln des Pfarrvereins wurden noch einmal für knapp 32.000 DM Waschmaschinen und Schleudern gekauft. Beide Posten wuchsen in den folgenden Jahren an98. Aus dem Tätigkeitsbericht für 1972 geht hervor, dass Textilhilfen für kirchliche Mitarbeiter im Wert von 600.000 DM vermittelt wurden, wobei hier 97 Zur Bedeutung der Textilhilfe s. u. S. 141, zur Hilfe für Bedürftige vgl. LKA STUTTGART DWW 99 und 158. 98 Vgl. die Aufstellungen „Hilfen für unser Patenland Thüringen“ innerhalb der Berichte „Materielle Notsorge innerhalb Württembergs und Hilfe für die Ostzone und die Gebiete jenseits der Oder-Neisse-Linie“ aus den Jahren 1960–1964 (LKA STUTTGART DWW 91). Zur Bedeutung des Pfarrvereins s. u. S. 126.

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erstmals angegeben ist, dass sich dieser Betrag aus Sachwerten von der Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes der EKD im Wert von 260.000 DM, einem Zuschuss der Hauptgeschäftsstelle von 154.000 DM und Eigenmitteln in Höhe von 182.000 DM zusammensetzt. Daneben wurden für 321.700 DM Kraftfahrzeuge über Genex bestellt, wobei hier das DWW mit 211.000 DM die Hauptlast trug, dazu kamen 32.000 DM vom Pfarrverein sowie 78.700 DM von Patengemeinden und privaten Spendern. Für Industriewaren und Büromaterial wurden weitere 185.500 DM ausgegeben99. Erst für das Jahr 1978 ist eine detaillierte Aufstellung der von der Abteilung Gesamtkirchliche Hilfen des DWW vermittelten Unterstützung für Thüringen erhalten. Insgesamt standen über 1,9 Millionen DM zur Verfügung. Sie setzten sich aus dem Globalzuschuss des OKR an das DWW laut Wirtschaftsplan (gut 1,3 Mio. DM), Mitteln des Pfarrvereins (120.000 DM), Mitteln der Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes der EKD (etwa 110.000 DM) und der Berliner Stelle des Diakonischen Werkes (gut 82.000 DM) sowie Beteiligungen Dritter (über 260.000 DM) zusammen. Ausgegeben wurden für Textilhilfe und Beschaffung von Kraftfahrzeugen jeweils etwa 600.000 DM. Allgemeine Beschaffungen schlugen mit knapp 384.000 DM zu Buche, die Begegnungen wurden mit über 100.000 DM gefördert, und schließlich gut 175.000 DM wurden an Diakonische Einrichtungen transferiert100. Im folgenden Jahrzehnt stieg das finanzielle Gesamtvolumen der im Rahmen des Referats koordinierten Unterstützung von 2,1 Mio. DM im Jahr 1980 auf 2,9 Mio. DM im Jahr 1989 an. Dabei sank der Anteil der vom DWW bereitgestellten Mittel von gut 70% auf 50 %, während die beiden Anteile von Pfarrverein einerseits und von Gemeinden, Einzelpersonen und sonstigen Institutionen zusammen andererseits von jeweils etwa 10% auf jeweils etwa 20% anwuchsen. Die Zuschüsse der beiden Zentralstellen des Diakonischen Werkes blieben mit insgesamt rund 8% konstant101. Exkurs: Die Entwicklung der Versorgungslage in der DDR In den unmittelbaren Nachkriegsjahren war die Versorgung in allen Besatzungszonen, besonders in den städtischen Gebieten, gleichermaßen schlecht. Mit einer Tagesration von 1.083 Kalorien lag die sowjetische Zone Mitte 1946 vor der britischen und der französischen Zone, die mit 900 Kalorien das 99 Vgl. den Bericht über die Tätigkeit in der Abteilung Gesamtkirchliche Hilfe im Jahr 1972 vom 18.10.73 (DWW STUTTGART 2.02 264). 100 Vgl. die Aufstellung „Ausgaben und Einnahmen 1978 – Hilfe für Thüringen“ vom 8.3.79 (PB MITTENDORF). 101 Vgl. die „Zahlen aus dem Referat ‚Gesamtkirchliche Hilfen‘“ aus den Jahren 1980–1989 (DWW STUTTGART 2.02 264).

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Schlusslicht bildete. Die Erfassung und Verteilung der Lebensmittel funktionierte aufgrund eines strengen Ablieferungssystems in der sowjetischen Zone sogar relativ am besten102. Mit Anlaufen des Marshallplanes im Sommer 1947, vor allem aber nach der Währungsreform in den westlichen Zonen am 20. Juni 1948 veränderte sich das Bild beträchtlich. Das Warenangebot stieg schlagartig, die meisten Bewirtschaftungs- und Rationierungsvorschriften wurden aufgehoben, und zu Beginn der fünfziger Jahre setzte ein massiver Wirtschaftsaufschwung ein, der bald weiten Teilen der Bevölkerung eine merkliche Verbesserung des Lebensstandards bescherte. In der DDR dagegen blieb die Versorgungslage angespannt. Im Februar 1949 standen dem Inhaber einer Lebensmittel-Grundkarte täglich 400 Gramm Brot, 35 Gramm Nährmittel, 25 Gramm Zucker, 30 Gramm Fleisch, 15 Gramm Fett und 30 Gramm Marmelade zu103. Erst zum Jahresende 1950 wurde die Rationierung von Nährmitteln und Brot aufgehoben. Bis zur Abschaffung der Lebensmittelkarten im Mai 1958 bekam man für eine Grundkarte nun 45 Gramm Fleisch, 30 Gramm Fett und 40 Gramm Zucker täglich104. Arbeiter und Angehörige der Intelligenz hatten, abgestuft nach der Schwere ihrer Arbeit bzw. der von ihnen bekleideten Position, Anspruch auf teilweise ansehnliche Zulagen. Angestellte ohne Leitungsfunktion, Hausfrauen, Rentner und auch kirchliche Mitarbeiter mussten mit der Grundversorgung auskommen. In den Läden der staatlichen Handelsorganisation (HO) konnten zwar auch rationierte Lebensmittel dazugekauft werden, doch waren die Preise, gemessen am Durchschnittseinkommen im Jahr 1950 von 256 Mark, unerschwinglich hoch. So kostete ein Kilo Butter 36 Mark, ein Kilo Schweinekamm 40 Mark105. Während in der Industrie seit Ende 1948 versucht wurde, durch leistungsabhängige Löhne einen Anreiz zu höherer Produktivität zu schaffen, was den dort Beschäftigten die Möglichkeit gab, ihre Einkünfte zu steigern106, waren ganz besonders für Rentner, denen monatlich zwischen 60 und 100 Mark ausgezahlt wurden – Sozialrentner mussten sogar mit 20 bis 40 Mark auskommen – solche Preise schlicht unbezahlbar107. Auch kirchliche Mitarbeiter konnten sich mit ihrem Einkommen nur mühsam über Wasser halten. Ein verheirateter Pfarrer mit

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Vgl. C. KLESSMANN, Staatsgründung, S. 46–53. Kompakt zur Versorgungslage allgemein vgl. auch A. KAMINSKY, Alu-Chips. 103 Vgl. D. STARITZ, Geschichte, S. 56. 104 Vgl. EBD., S. 57. 105 Vgl. EBD., S. 55. 106 Vgl. EBD., S. 60. 107 Vgl. das Informationsblatt des Hilfswerks „Unsere Alten“ vom Oktober 52 (EZA BERLIN 4/360).

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drei Kindern hatte 1952 ein Einkommen von 483 Mark netto108. Die Bezüge von anderen Berufsgruppen lagen teilweise noch deutlich darunter. So verdienten Katecheten nur zwischen 150 und 200 Mark monatlich109. In den Jahren 1952/53 kam es noch einmal zu einem spürbaren Einbruch in der Lebensmittelversorgung. Auch Textilien und Schuhe waren in dieser Zeit kaum zu haben. 1949 verfügten nur wenige Männer über mehr als einen Anzug, die Frauen über ca. zwei Kleider, Männer wie Frauen besaßen etwa drei Paar Strümpfe und selten mehr als ein Paar Schuhe110. Noch 1955 kostete bei einem Durchschnittsverdienst um 350 Mark ein Herrenhemd 40 Mark, ein Kleid 108 Mark111. Knappheit herrschte auch an Medikamenten. Besonders fehlten zum Beispiel Tuberkulose-Heilmittel, Insulin und hochwertiges Penicillin112. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre begann sich die wirtschaftliche Lage in der DDR zu stabilisieren. Bei steigenden Einkommen sanken die HOPreise langsam. Das HWW informierte bei der Bezirksleitertagung im Oktober 1956 über die Veränderung der Situation, um sinnvolle Hilfe zu ermöglichen und peinliche Situationen zwischen Gebern und Empfängern zu vermeiden: „Den Bezirksstellen und Gemeinden sollte vorsichtig geraten werden, doch dafür Verständnis aufzubringen, dass selbst sehr arme Bewohner der DDR bedrückt, wenn nicht sogar gekränkt sein müssen, wenn aus Liebesgabenpaketen aus dem Westen […] nicht mehr verwendbare Textilien (Lumpen) herauskommen. […] Auch an Lebensmitteln sollten Mehl und Teigwaren möglichst nicht verschickt werden, da diese Grundnahrungsmittel in der DDR auf Karten113 verhältnismässig billig und ausreichend ausgegeben werden und gewichtsmässig die Portokosten der Pakete nur erhöhen. Dagegen sollte möglichst viel Fett jeder Art, Reis, Milchpulver, Käse und andere hochwertige Nahrungsmittel, vielleicht auch zu Weihnachten einmals (sic!) etwas Kaffee oder Kakao für die Alten geschickt werden.“114

108 Vgl. das Informationsblatt des Hilfswerks „Zur wirtschaftlichen Lage der Pfarrhäuser und kirchlichen Mitarbeiter in der Deutschen Demokratischen Republik und dem Demokratischen Sektor Berlins“ vom Februar 1952 (EZA BERLIN 4/360). 109 Vgl. Hilfswerk der EKD Zentralbüro Ost an alle westlichen Hauptbüros vom Juni 1952 (ADW BERLIN ZBB 146).. 110 Vgl. D. STARITZ, Geschichte, S. 58. 111 Vgl. H. WEBER, DDR, S. 38. Weber gibt den Durchschnittsverdienst 1955 mit 345 Mark an, D. STARITZ, Geschichte, S. 55, dagegen mit 354 Mark. 112 Vgl. das Informationsblatt des Hilfswerks „Zur Medikamentenlage in der Deutschen Demokratischen Republik“ vom März 1952 (EZA BERLIN 4/360). 113 Hier liegt offenbar eine Fehlinformation vor, die Karten für Nährmittel waren bereits zum Jahresende 1950 abgeschafft worden (s. o.). 114 Vermerk für die Bezirksleitertagung am 24.10.56 vom 22.10.56 (LKA STUTTGART DWW 91).

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Im Mai 1958 wurden auch in der DDR die Lebensmittelkarten ganz abgeschafft. Zwar lagen die HO-Preise deutlich über den Kartenpreisen für rationierte Lebensmittel, doch da auch vorher schon dazugekauft werden musste, war die Mehrbelastung mäßig. So kostete bei einem Durchschnittseinkommen von 494 Mark ein Kilo Butter nun 4,90 Mark (gegenüber zuvor 2,10 auf Marken und 9,60 in der HO), das Kilo Schweinekoteletts 8,80 Mark (gegenüber zuvor 2,86 auf Marken und 11,20 in der HO115. Insgesamt war eine deutliche Verbesserung der Versorgungslage zu erkennen. Doch die Entspannung währte nicht lange. Wie in der BRD führte 1961 auch in der DDR die Witterung zu einer Missernte. Anders als in der BRD brachte sie dort jedoch im Zusammenhang mit den Produktivitätsproblemen der durch massiven Druck auf die Bauern seit Anfang des Jahres 1960 fast vollständig kollektivierten Landwirtschaft spürbare Folgen für die Lebensmittelversorgung116. Selbst der stellvertretende Ministerpräsident Willi Stoph musste im Juni 1961 zugeben, es gebe „zur Zeit bei der Versorgung mit Fleisch, Milch und Butter eine Reihe Schwierigkeiten“117. Das HWW gab bei der Bezirkshelfertagung im Mai 1962 der Basis weiter: „Lebensmittelpakte sind im Augenblick wieder dringend notwendig. Es herrscht in der Sowjetzone starke Lebensmittelknappheit, es fehlt an Kartoffeln, jeglichem Gemüse und an Obst (Citrusfrüchten) […].“118

Und in einem Bericht für die Fachreferententagung vom Februar 1963 hieß es: „Die große Verknappung an Lebensmitteln in der DDR machte diese Hilfe [sc. Textilien, Schuhe, Küchengeräte, Vf.] noch viel willkommener und notwendiger, da dadurch die Menschen drüben etwas mehr Geld für die Beschaffung von Lebensmitteln erübrigen konnten.“119

Als Reaktion auf die anhaltenden Versorgungsengpässe änderte die DDR ihren wirtschaftspolitischen Kurs. Im Januar 1963 brachte der SED-Parteitag das „Neue Ökonomische System“ auf den Weg, das der „materiellen Interessiertheit“120 der einzelnen Werktätigen und Betriebe eine höhere Bedeutung zumaß. Die Strukturreform des Systems der Wirtschaftssteuerung zeigte tatsächlich Folgen. Bei der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln wurde allmählich das 115

Vgl. D. STARITZ, Geschichte, S. 170. Vgl. EBD., S. 202. 117 NEUES DEUTSCHLAND vom 14.6.61 (zit. nach H. WEBER, DDR, S. 57). 118 Beitrag von Herrn Bulat für das Referat von Pfarrer Hirth bei der Bezirkshelfertagung vom 15.5.62 (LKA STUTTGART DWW 91). 119 Kurzbericht über die Abwicklung der Hilfsmaßnahmen für kirchliche Einrichtungen und Mitarbeiter in der DDR vom 4.2.63 (EBD.). 120 D. STARITZ, Geschichte, S. 214. 116

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Niveau der BRD erreicht. Für das HWW ging damit die Ära der Lebensmittelhilfe endgültig zuende. Schon im September 1964 hieß mit Blick auf die Lebensmittelversorgung in Thüringen, es sollten „auf keinen Fall Armenpakete“121 geschickt werden. Und 1965 findet sich in einer Notiz für die Bezirkshelfertagung der letzte Hinweis auf die Lebensmittelversorgung: „Die Lebensmittellage ist zur Zeit wesentlich besser. Hochwertige Lebensmittel sind jedoch sehr teuer und deshalb für Rentner und Familien mit niedrigem Einkommen, zu denen die meisten kirchlichen Mitarbeiter gehören, nicht erschwinglich. Also nur noch solche Lebens- und Genußmittel schicken, die uns selbst Freude machen würden.“122

Auch die Ausstattung mit langlebigen Gebrauchsgütern in der DDR machte Fortschritte. Während im Jahre 1955 nur 0,2 % der Haushalte einen PKW besaßen, waren es 1966 immerhin 9%, 1975 26%. Die Anzahl der Haushalte mit elektrischer Waschmaschine stieg im selben Zeitraum von 0,5% über 32% auf 73%123. Die durchschnittlichen Einkommen wuchsen von 555 Mark im Jahr 1960 auf 755 Mark im Jahr 1970. In den 1962 eingerichteten „Exquisit“und „Delikat“-Läden konnten Besserverdienende – wenn auch zu extrem hohen Preisen – Waren erstehen, die sonst nur für den Export bestimmt waren: hochwertige und modische Kleidung und Schuhe, Kosmetika und Genussmittel. In den gleichzeitig entstehenden „Intershops“ gab es gegen Devisen Westwaren zu kaufen124. Doch während das Sparguthaben der Gesamtbevölkerung der DDR wuchs, stagnierten die Einkommen der kirchlichen Mitarbeiter und fielen bald hinter den Durchschnittsverdienst zurück. Während für den Großteil der Bevölkerung im Laufe der Zeit hauptsächlich die jahrelangen Wartezeiten für Industriegüter ein Anschaffungshindernis waren, lag mit Pfarrerseinkommen um die 500 Mark125 nicht nur die Anschaffung eines in den sechziger Jahren rund 8.000 Mark teuren Trabants, sondern auch der Einkauf in den neu eingerichteten Geschäften für den gehobenen Bedarf völlig außerhalb des Bezahlbaren. Die allgemeine Steigerung des Lebensstandards konnte allerdings auch die übrige DDR-Bevölkerung nicht auf Dauer zufrieden stellen. Während die Pfarrereinkommen 1980 weiter zwischen 600 und 800 Mark, die von kirchlichen Kindergärtnerinnen und Kirchenmusikern zwischen 470 und 600 Mark 121

Vermerk für die Bezirksleitertagung 1964 vom 30.9.64 (LKA STUTTGART DWW 91). Programmpunkte der Abteilung Patenschaftshilfe bei der Bezirkshelfertagung 1965, nicht datiert (EBD.). 123 Vgl. H. WEBER, DDR, S. 64 und 86. 124 Vgl. D. STARITZ, Geschichte, S. 230f. Zum Intershop vgl. K. BÖSKE, Begleiter. 125 Vgl. die Informationen der Zentralen Gehaltsabrechnungsstelle der ELKTh sowie den Bericht „Gesamtkirchliche Hilfe“ vom 16.5.78 (DWW STUTTGART 2.02 265). Vgl. auch S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 56. 122

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stagnierten126, war zwar das Durchschnittseinkommen auf 1.021 Mark gestiegen und die Technisierung und Motorisierung der Haushalte weiter vorangeschritten127. Doch die Weltwirtschaftskrise Mitte der siebziger Jahre hatte auch der DDR-Wirtschaft schwer geschadet, so dass es wieder zu Versorgungsengpässen gekommen war. Im Jahresbericht 1980 des Referats „Gesamtkirchliche Hilfen“ des DWW hieß es: „Die auch im Berichtsjahr eher schlechter gewordene Versorgungslage in der DDR führte dazu, daß die Einzelhilfen mit Textilien und Gebrauchsgegenständen wieder dankbar aufgenommen wurden.“128

Das MfS meldete 1977 Unzufriedenheit in der Bevölkerung über den Ausbau des Netzes an Intershop-Läden. Besonders Werktätige mit „festem Klassenstandpunkt“ beklagten sich darüber, dass dadurch DDR-Bürger bevorzugt würden, „die keine positive Einstellung“ zur DDR hätten. Die Attraktivität des Westgeldes führe zu verstärkten „Kontaktbestrebungen“ und „würdelosem Verhalten“ gegenüber Westlern129. Hinzu kamen eine langsam einsetzende Stagnation des Lebensstandards, die mangelnde Qualität vieler Produkte und die durch das Fernsehen gegebene ständige Vergleichmöglichkeit mit den Verhältnissen in der BRD, die die Unzufriedenheit vieler Bürger bis zum Ende der DDR wachsen ließen.

3.1.2. Institutionelle Beziehungen Die folgende Einteilung in institutionelle und persönliche Beziehungen ist mit Vorsicht vorzunehmen. Die restriktive DDR-Kirchenpolitik in den fünfziger Jahren und der bald einsetzende Abgrenzungskurs der SED-Führung gegenüber der BRD schränkte gerade die institutionellen Kontakte zwischen den Partnerkirchen in Ost und West so stark ein, dass auch sie langfristig nur durch die Verbindungen und das Engagement von Einzelpersonen am Leben gehalten werden konnten. Den markantesten Einschnitt, besonders im Hinblick auf die Gemeindepartnerschaften, bildete dabei wohl die bereits erwähnte Geschenkpaketverordnung vom 5. August 1954, die Geschenksendungen nur noch von Privatperson zu Privatperson erlaubte130. 126

Vgl. das Informationsblatt „Gehälter kirchlicher Mitarbeiter in der DDR“ Stand 1.1.83 (ADW BERLIN HGSt 8043). 127 Vgl. D. STARITZ, Geschichte, S. 287. Vgl. auch S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 56. 128 DWW, Arbeitsbericht 1980 des Referates „Gesamtkirchliche Hilfen“ (DWW STUTTGART 2.02. 264), S. 1. 129 Bericht des MfS vom 17.2.77, zit. nach D. STARITZ, Geschichte, S. 305. 130 S. o. S. 49.

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Doch trotz dieser Überschneidungen ist die Unterscheidung in zweierlei Hinsicht sinnvoll: Erstens gestaltet sich die Beziehung zwischen zwei Personen unterschiedlich, je nachdem, ob sie ganz privat oder im Namen einer Gemeinde oder anderen kirchlichen Einrichtung Kontakt halten. Zweitens ist gerade die Zweigleisigkeit von Gemeindepartnerschaft und persönlicher Partnerschaft von Pfarrhaus zu Pfarrhaus eine württembergisch-thüringische Besonderheit, die nicht unerheblich zur Intensität und Qualität dieser Verbindung beigetragen hat131. 3.1.2.1. Kirchenkreise und Gemeinden Galten die Kirchenpartnerschaften vor allen anderen Formen der Hilfeleistung und Zusammenarbeit als zentrale Ausdrucksform der Zusammengehörigkeit von Christen aus beiden deutschen Staaten, so stellten die Verbindungen zwischen den einzelnen Gemeinden ihrerseits das Herz der Kirchenpartnerschaften dar132. Doch obwohl die Gemeindepartnerschaften die frühste, breiteste und wohl am stärksten in der kirchlichen Basis verankerte133 Form des institutionellen Kontakts waren, entwickelte sich die genaue Zuordnung jeder thüringischen Gemeinde zu einer württembergischen Partnergemeinde doch erst bis Mitte der fünfziger Jahre allmählich in mehreren Schritten134. Am Anfang der auf Schloss Wolfsbrunnen auf den Weg gebrachten Pakethilfe stand in Württemberg die Übermittlung von Listen mit Adressen von Pfarrhäusern besonders bedürftiger Gemeinden, vor allem aus dem Thüringer Wald und den größeren Städten. Die Pfarrer sollten die eingehenden Pakete sammeln und an notleidende Gemeindeglieder weitergeben. Am 22. November 1949, drei Monate nach der Zuteilung der Partnerkirchen, berichtete das HWW dem Stuttgarter Oberkirchenrat, der Entschluss zur Patenschaftshilfe sei in Württemberg „auf fruchtbaren Boden gefallen.“135 Am 1. Oktober waren laut Bericht die ersten Listen vom Hauptbüro Thüringen nach Württemberg gelangt, und auf ein umgehend abgesandtes Rundschreiben an alle Bezirksstellen hin hatten dem Stuttgarter Hauptbüro bereits am 20. Oktober über tausend Anforderungen von Adressen aus württembergischen Gemeinden vorge131

Vgl. Kraft 13.9.01 und Mittendorf 20.9.01. Dagegen zum ausschließlich institutionellen Vorgehen in Pommern und Nordelbien vgl. S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 33. 132 Vgl. die Einschätzung Leich 27.8.01. 133 Zur „Erdung“ der Gemeindepartnerschaften vgl. G. HEFFT, Gemeindepartnerschaften, S. 101f. 134 Zur Entstehung vgl. mit kleinen Datierungsfehlern Mehlhorn, Niederschrift (DWW STUTTGART 2.02 265), Abschnitt „Gemeindepartnerschaften“. Eine solche mehrstufige Entwicklung hat es offensichtlich auch in der Partnerschaftsarbeit im Rheinland gegeben, vgl. den Bericht über die Arbeitstagung der Fachreferenten vom 20.–24.5.57 (LKA STUTTGART DWW 91). 135 HWW an OKR vom 22.11.49 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 26).

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legen, die bereit waren zu helfen. Bis Ende November war die Zahl der Anfragen bereits auf 4.750 gestiegen. Auch im folgenden Jahr hielt die Hilfsbereitschaft der Württemberger an. Allerdings mussten in dieser Anfangsphase gelegentlich die Grenzen der eigenen Möglichkeiten aufgezeigt und überzogene Erwartungen auf Seiten der Thüringer gedämpft werden. In einem Schreiben des HWW an das Zentralbüro des Hilfswerks vom Februar 1950 klagten die Württemberger, sie bekämen seit einiger Zeit Anfragen, in denen sie um Unterstützung von im Westen lebenden Schülern oder Studenten aus Thüringen oder um die Beschaffung spezieller Arzneimittel gebeten würden, was den Rahmen der Päckchenhilfe bei weitem sprengen würde: „Es ist für uns aber ganz unmöglich, diesen Bitten nachzukommen, da unsere Mittel hierzu nicht ausreichen und wir selbst nicht einmal in der Lage sind, der Not im eigenen Land mit finanziellen Mitteln genügend zu steuern. […] Wir dürfen vielleicht anregen, dass das Zentralbüro gelegentlich darauf hinweist, dass sich die Patenschaftsaktion nur auf die Päckchenversendung erstreckt.“136

In Bezug auf die ursprünglich geplante Paketaktion konnte das HWW dagegen in einem Rundschreiben an die Bezirksstellen vom September 1950 mitteilen, diese habe sich „sehr schön entwickelt“137. Offensichtlich wurden zu diesem Zeitpunkt mehrere Wege zur Verteilung der Gaben beschritten, denn das Rundschreiben erörterte die Frage, ob der „Versand an den Pfarrer“, die „Übernahme von Patengemeinden“ oder der „Versand an Einzelanschriften“ der richtige Weg sei, und kam zu dem Schluss, hier sei „kein Allgemeinrezept“ zu geben, da jede Form Vorteile biete: Während die Verbindung von Familie zu Familie „die eigentliche Wärme einer verständnisvollen Beziehung“ in sich trage und die Einsatzbereitschaft erhöhe, sei der Versand an die Pfarrhäuser zweckmäßiger, da „damit eine regelmässigere und auch gerechtere Verteilung ermöglicht“138 werde. Die Übernahme von Patengemeinden könne hier einen Mittelweg bieten. Hinfällig gemacht wurden diese Erwägungen des HWW im Juli des folgenden Jahres durch ein Schreiben aus Eisenach, in dem das HWT mitteilte, es wolle bei der Verteilung der Hilfsgüter nun „von einer Einzelbetreuung grund136 HWW an Hilfswerk der EKD Zentralbüro Stuttgart vom 21.2.50 (zitiert in Hilfswerk der EKD Zentralbüro Stuttgart an das Zentralbüro Ost vom 28.2.1950, ADW BERLIN ZBB 146). 137 Rundschreiben Nr. 36/50 des HWW an alle Bezirksstellen vom 19.9.50 (Anlage zu Mehlhorn, Niederschrift, DWW STUTTGART 2.02 265). 138 EBD. Zur Frage der gerechten Verteilung vgl. auch den Brief des Pfarrers aus Gräfenhain (Kirchenkreis Gotha) an das Hilfswerk der EKD Zentralbüro Stuttgart vom 19.9.50 (ADW BERLIN ZBB 146), in dem er betont, nur die Verteilung der Päckchen über die Pfarrämter könne verhindern, „daß unverschämte Arme sich hinten herum an dieser Aktion bereichern“ (Hervorhebung im Original).

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sätzlich abgehen und stattdessen überall Altenspeisungen durchführen“139, wofür die Lebensmittelpakete aus Württemberg die Grundlage bilden sollten. Die Päckchen sollten deshalb nicht mehr an die Pfarrämter, sondern an die Kreisstellen des Hilfswerks in Thüringen geschickt werden. Dem Schreiben beigegeben war eine Aufstellung von 25 Kreisstellen in Industriegebieten, Großstädten, in Orten mit vielen Flüchtlingen und Rentnern sowie im Thüringer Wald, wo besonders große Not herrschte. Das HWW reagierte etwa einen Monat später mit einem Rundschreiben an die Bezirksstellen140, in dem das Thüringer Anliegen wiedergegeben und zugleich in alphabetischer Reihenfolge eine schematische Zuteilung von je zwei württembergischen Bezirksstellen auf jede der 25 angegebenen Thüringer Kreisstellen vorgenommen wurde, die sich für deren Versorgung verantwortlich fühlen sollten. Diese neue Zuordnung sollte allen Pfarrämtern mitgeteilt werden und die bisherige Einteilung der Patengemeinden ablösen. Doch diese Form der Betreuung erwies sich bald als schwierig, wie ein Erfahrungsbericht des HWW vom Januar 1953 zeigt141: Einerseits, so der Bericht, erschwerten die DDR-Behörden den ständigen Paketversand an kirchliche Stellen von Monat zu Monat. Immer häufiger würden Pakete an Kreisstellen mit dem Hinweis beschlagnahmt, es handele sich um „Kettensendungen“ und entsprechend um Handelsware. Für den Versand wurde daher empfohlen, darauf zu achten, den Inhalt abwechslungsreich zu gestalten, die Pakete nicht zu nummerieren und sie in größeren Zeitabständen abzuschicken. Andererseits hatte die Anonymisierung der Hilfe auch negative Auswirkungen auf die Gebefreudigkeit der württembergischen Partner, da der Eingang der Pakete von den Kreisstellen nur zögerlich bestätigt wurde und bei weitem kein so „dankbares Echo“142 hervorrief wie bei Einzelpersonen. Als schließlich das HWT aufgrund der anhaltend schlechten Lage in Thüringen zu Beginn des Jahres 1953 darum bat, von nun an alle und nicht nur die 25 zunächst genannten bedürftigsten Kreisstellen zu betreuen, nutzte das Stuttgarter Hauptbüro die Gelegenheit zu einer umfassenden Neuorganisation der Pakethilfe: Die württembergischen Bezirksstellen, die zuvor jeweils zu zweit einen thüringischen Kirchenkreis betreut hatten, wurden gebeten, sich untereinander zu einigen, welche Stelle die Betreuung des ursprünglichen fortführen und welche sich um einen der neu hinzugekommenen Kreise kümmern wollte. Ferner wurde, um den oben geschilderten Problemen der anonymen Hilfe zu 139

HWT an HWW vom 23.7.51 (Anlage zu Mehlhorn, Niederschrift, DWW STUTTGART 2.02 265). Vgl. Rundschreiben Nr. 29 des HWW an alle Bezirksstellen vom 17.8.51 (EBD.). 141 Vgl. „Erfahrungen des Hauptbüros Württemberg über die Patenschaftsaktion für das Land Thüringen“ vom 15.1.53 (LKA STUTTGART DWW 91). 142 EBD. 140

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entgehen, den Bezirksstellen vorgeschlagen, „die Gemeinden der Kreisstellen in Thüringen in direkte Verbindung mit Ihren einzelnen Gemeinden zu bringen, sodass jede Gemeinde in Thüringen eine Patengemeinde bei uns bekommt.“143 Beigegeben war den Schreiben eine Aufstellung aller Gemeinden der entsprechenden thüringischen Kirchenbezirke mit Namen der Pfarrer und Zahl der Gemeindeglieder, die den Bezirksstellen ermöglichen sollte, eine sinnvolle Aufteilung vorzunehmen. In der Folge entstand die endgültige Zuweisung der Partnerkreise und -gemeinden144. Sie hatte im Wesentlichen bis zur Wende Bestand und gilt, soweit die Partnerschaft weiter gepflegt wird, bis heute. Gelegentlich ergaben sich Änderungen durch Auflösung, Neuentstehung oder Neuordnung von Kirchenbezirken145 und Gemeinden, in einigen Fällen wurde ein Tausch auch durch innergemeindliche Gegebenheiten notwendig. So konnte es in der Zeit der Lebensmittelknappheit sinnvoll gewesen sein, dass eine kleinere württembergische Dorfgemeinde eine größere Gemeinde in einem Thüringer Industriegebiet versorgte, später aber stellte eine solche Zuordnung oft eine Überforderung dar. In einem Bericht an den OKR vom April 1956 stellte das HWW fest, die Regelung der Patenschaftshilfe durch die Zuordnung von Patengemeinden habe sich bewährt146. Entscheidend für das Gelingen der Patenschaft sei allerdings der regelmäßige Kontakt durch Besuche. Dies, so der Bericht mit Blick auf das schikanöse Verhalten der DDR-Behörden in den fünfziger Jahren gegenüber jeder Form von institutionalisierter kirchlicher Ost-West-Hilfe147 weiter, sei umso wichtiger, als es den Paketempfängern oft nicht möglich sei, sich brieflich zu bedanken. Die wenigen Berichte, die an zentraler Stelle von solchen frühen Besuchen in den Partnergemeinden erhalten sind, zeigen, dass die Besucher detaillierte Beobachtungen über die Lage in der DDR und neue Anregungen für die partnerschaftliche Hilfe mitbrachten148. Teilweise war es trotz Einspruch von staat143 Beispielhaft zitiert aus dem Schreiben HWW an die Bezirksstelle Backnang vom 13.3.53 (Anlage zu Mehlhorn, Niederschrift, DWW STUTTGART 2.02 265). 144 Vgl. z. B. Hilfswerk Bezirksstelle Backnang an HWW vom 11.5.55 (EBD.). 145 In Thüringen wurden die Kirchenkreise Blankenhain und Zella-Mehlis aufgelöst, die Bezirke Weida in Neustadt/Orla und Weida, Schleiz in Lobenstein und Schleiz geteilt, Ziegenrück wurde von der Kirchenprovinz Sachsen gelöst und wieder Thüringen zugeordnet, wobei Württemberg die dortigen Gemeinden von der bisherigen Partnerkirche Hessen-Nassau übernahm (vgl. die Aktennotiz vom 25.3.72, DWW STUTTGART 2.02 176). In Württemberg wurde das Dekanat Welzheim aufgelöst, die Dekanate Ditzingen und Bernhausen entstanden neu (vgl. Losch, Partnerbeziehungen, PB KRAFT, S. 18). 146 HWW an OKR vom 29.6.56 (LKA STUTTGART A 126 529d II Bl. 356). 147 Dazu s. u. Kapitel 3.2.2. 148 Vgl. z. B. den Bericht des Calwer Dekans über eine Reise nach Thüringen und Sachsen vom 12.–18.2.54 vom 20.2.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 195).

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licher Seite auch möglich, dass württembergische Pfarrer in Thüringen Gottesdienste und Gemeindeabende gestalteten149. Bezüglich der Betreuung bedürftiger Gemeindeglieder gab das HWW im gleichen Jahr den Bezirksstellen weiter, auf Wunsch der Thüringer Seite sollten nun vor allem bedürftige Rentner bedacht werden, die sich aber nicht nur materielle Unterstützung, sondern auch Zuwendung in Form von Briefen erbäten150. Die Anschriftenlisten sollten etwa alle drei Monate überprüft werden, um zu gewährleisten, dass die Hilfe auch wirklich notleidende und der Kirche nahe stehende Personen erreiche151. Zunehmend wurde die Partnerschaft als Aufgabe der ganzen Gemeinde verstanden: Bibelkreise, Frauen- und Jugendkreise packten Päckchen für diejenigen Gemeindeglieder der Partnergemeinde, für die keine direkte Patenfamilie gefunden werden konnte. Dabei musste allerdings sorgfältig auf individuelles Aussehen und unterschiedlichen Inhalt der Pakete geachtet werden152. Eine erste Bilanz der Entwicklung der Gemeindepartnerschaften ergab sich aus einer Umfrage unter Thüringer Gemeinden, die im Sommer 1957 in Stuttgart ausgewertet wurde. Sie fiel zurückhaltend aus: Noch hätten viele Gemeinden „keine oder nur schwache Verbindung mit ihrer Patengemeinde im Westen“153. Nur selten sei der Grund dafür die Furcht vor politischen Repressionen, meistens hätten die Thüringer die direkte Verbindung nach Württemberg gesucht, nach Ausbleiben der Antwort aber entmutigt aufgegeben. Die westlichen Gemeinden wurden deshalb gebeten, mitzuteilen, falls sie „durch die Patenschaft in ihrer Leistungsfähigkeit stark überfordert“ seien, damit gemeinsam nach einer Lösung gesucht werden könne. Die beigegebenen Beispielberichte aus Thüringen zeigen sehr unterschiedliche Erfahrungen: Der Pfarrer der Gemeinde Manebach (Kirchenbezirk Ilmenau) lobte seinen Amtsbruder aus Langenbeutingen (Öhringen), dieser habe „das Patenverhältnis in rühriger Weise gestaltet“ und fuhr fort: „Durch ständige Verbindung wurde dafür Sorge getragen, dass nicht nur Anschriften vermittelt wurden, sondern der kirchliche Charakter der Sendungen durch regelmäßige Information des Ortspfarrers der Empfänger über durchgeführte Hilfen gewahrt wurde.“154 149

Vgl. den Bericht des Pfarrers von Neckarsulm über den Besuch in der Patengemeinde GreizCaselwitz vom 17.9.–23.9.54 vom 4.10.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 234). 150 Vgl. den Vermerk für die Bezirksleitertagung am 24.10.56 vom 22.10.56 (LKA STUTTGART DWW 91). 151 Vgl. Patenschaft für Thüringen – Auswertung der Erhebung vom 24.6.57 (EBD.). 152 Vgl. den Vermerk für die Bezirksleitertagung am 24.10.56 vom 22.10.56 (EBD.). 153 Patenschaft für Thüringen – Auswertung der Erhebung vom 24.6.57 (EBD.). Unterstreichungen im Original wurden nicht übernommen. 154 Bericht Manebach Bez. Ilmenau, EBD.

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Gegenseitige Besuche der Pfarrer mit Dienst in der Partnergemeinde förderten den Austausch und ermöglichten die Klärung offener Fragen. Die Württemberger leisteten wichtige Hilfe bei der Renovierung der Manebacher Kirche, aber auch aus Thüringen gelangten im Gegenzug Geschenke wie etwa ein Altarleuchter nach Langenbeutingen. Der Verfasser resümiert: „Wir haben stets hinter den materiellen Hilfe die notwendige geistige Patenschaft beider Gemeinden zu halten gesucht.“ Ähnlich erfreulich fällt der Bericht der Pfarrfrau aus Seebach (Kirchenbezirk Eisenach) aus. Auch hier war durch Besuche von Pfarrer und Pfarrfrau ein enger Kontakt mit der Partnergemeinde in Enzberg (Mühlacker) entstanden. Als besonders hilfreich erwies sich eine Sprechstunde der Thüringer Pfarrfrau im württembergischen Pfarrhaus, bei der alle Spender sich direkt über das Ergehen der von ihnen mit Paketen bedachten Personen und die Situation in der Partnergemeinde erkundigen konnten. Dadurch konnte nicht nur die Unterstützung effektiver gestaltet, sondern auch die Hilfsbereitschaft deutlich erhöht werden. Entscheidend für das Gelingen der Partnerschaft war nach Ansicht der Verfasserin auch hier das Engagement der württembergischen Pfarrfamilie, die immer wieder Gemeindeglieder anspräche und zur Mithilfe motivierte: „Bis heute stehe ich in engster Verbindung mit ihnen und es ist bisher kein Wunsch, Pakete an Alte und Kranke betreffend, unerfüllt geblieben. Wenn hier ein neuer Notfall auftritt und ich es hinschreibe, findet sich ein guter Mensch, der hilft.“155

Ganz anders dagegen die Erfahrungen in Georgenthal (Kirchenbezirk Ohrdruf ). Die notwendige Kommunikation mit der württembergischen Partnergemeinde funktionierte nicht. In harschem Ton beschwerte sich der Thüringer Pfarrer darüber, dass die Pakethilfe für Bedürftige nicht mit ihm abgesprochen sei, das „Nichtansehen ‚privater‘ Paketempfänger bezüglich ihrer kirchlichen Treue“ habe zu „sehr schweren Verärgerungen geführt.“156 Die Beschreibung des Inhalts der Pakete macht den bitteren Tonfall des Berichts verständlich: „Die Paketsendungen enthalten z. T. wertlosen Plunder, das gilt besonders auch von den Textilien. Ausgelaufene Schuhe, amerikanische Tanzsandalen mit Steppblättchen, zerschlissene und ausgewaschene Kleider-‚fähnchen‘, schmutzige, unmögliche Wäschestücke und vieles andere, wie Handtaschen von anno dazumal, Kompotthütchen und was es nicht alles git (sic!), stellen eine Beleidigung dar.“

Die Beispielberichte zeigen deutlich, dass regelmäßiger Kontakt und gegenseitige Information die Voraussetzungen für gelingende Gemeindepartnerschaften waren. Besonders schwierig war dies in den thüringischen Gemeinden zu reali155 156

Bericht Seebach Bez. Eisenach, EBD. Bericht Georgenthal Bez. Ohrdruf, EBD.

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sieren, die in direkter Nachbarschaft zur deutsch-deutschen Grenze innerhalb der 1952 eingerichteten und seit 1961 verschärft kontrollierten 5-km-Sperrzone oder gar des 500-m-Schutzstreifens lagen157. Mit 152 Gemeinden in der Sperrzone und 34 im Schutzstreifen158 war die ELKTh die von den Grenzsicherungsmaßnahmen am stärksten betroffene Landeskirche in der DDR. Die Probleme, mit denen diese Gemeinden zu kämpfen hatten, waren enorm. Neben der erheblichen Einschränkung der Mobilität und der Kontaktmöglichkeiten, unter denen alle Bewohner der Sperrzone gleichermaßen zu leiden hatten, war das kirchliche Leben auch in anderer Weise betroffen159. Die Zwangsevakuierungen der Jahre 1952 und 1961 trafen besonders kirchlich engagierte Familien, galten sie doch als politisch unzuverlässig, und auch die große Abwanderungsbewegung in den fünfziger Jahren reduzierte hier noch mehr als anderswo in der DDR gerade den kirchlich geprägten Teil der Bevölkerung. Neuhinzugezogene waren meistens Grenzpolizisten, die keine Verbindung zur Kirche hatten. In den sechziger Jahren verminderten die Angst vor weiteren Evakuierungen und das gegenseitige Misstrauen in der Bevölkerung – jeder war aufgefordert, die Grenzpolizei zu unterstützen und damit in den Augen der anderen ein potentieller Spitzel – die Bereitschaft der verbleibenden Gemeindeglieder, sich offen zur Kirche zu halten. Hauptamtliche kirchliche Mitarbeiter wurden zwar in ihrer Arbeit nicht direkt behindert, doch die Einschränkung der Bewegungsfreiheit erschwerte oft die Versorgung mehrerer Filialdörfer. Besonders stark empfanden die kirchlichen Mitarbeiter in dieser Situation ihre Isolation, und dies gerade auch im Hinblick auf die württembergische Partnerkirche. Der erschwerte Kontakt gab ihnen das Gefühl, vergessen zu sein. So hieß es in einem Bericht des Pfarrers von Probstzella aus dem Jahr 1963 über die kirchliche Lage in der Sperrzone: „In den letzten Jahren war zweimal ein Mitarbeiter des Hilfswerkes aus Württemberg in unserer Superintendentur zu Besuch. Es kam niemand auf den Gedanken, auch den Pfarrern in der Sperrzone Gelegenheit zu einer Besprechung mit dem Mitarbeiter zu geben, weil man offensichtlich außerhalb der Sperrzone auch in der Kirche nicht

157 Zu den Auswirkungen der Grenzsicherung s. o. den Exkurs „Die Entwicklung der Reisemöglichkeiten“, S. 76ff. 158 Vgl. die Gesamtaufstellung über Aufsichtsbezirk Ost, West, Süd betr. Sperrzonengemeinden (LKA EISENACH A 860 Bd. 7/2). 159 Vgl. im Folgenden den Bericht des Pfarrers von Probstzella (Kirchenbezirk Saalfeld), „Feststellungen und Überlegungen zur Lage der evang. Gemeinden in der Sperrzone der DDR“, der laut Stempel in der LKR-Sitzung vom 25.11.63 besprochen wurde, und die „Niederschrift über den Sperrzonenpfarrerkonvent in Neuhaus am Rennweg am 14. April 1964“ (beide LKA EISENACH A 860 Bd. 7/2). Zur Lage der Kirchengemeinden im Sperrgebiet vgl. auch M. ONNASCH, Kirche, und die Erinnerungen von K. ABEL, Sachsa.

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weiß, wie isoliert die Amtsbrüder und Gemeinden im Sperrgebiet schon von der DDR und noch viel mehr von den Patengemeinden in Westdeutschland sind.“160

Hier war von württembergischer Seite besondere Sorgfalt beim Kontakt durch Briefe und Päckchen gefordert. Bei der 1995 durchgeführten Umfrage zu den Gemeindepartnerschaften tauchte in den Antwortbögen der württembergischen Gemeinden unter der Rubrik „Probleme“ immer wieder der Hinweis auf die Lage der Partnergemeinde im Sperrgebiet auf161. Besonders in der Zeit der allgemeinen Ausweitung der Besuchsmöglichkeiten in den achtziger Jahren stellten die Einschränkungen im Sperrgebiet für die Beziehung zwischen den Gemeinden eine starke Belastung dar. Als nach dem Mauerbau auch in den nicht grenznahen Gemeinden ein Besuchsdienst noch weiter erschwert geworden war, musste eine andere Möglichkeit gefunden werden, die für die Gemeindepartnerschaften lebenswichtige Kommunikation aufrecht zu erhalten. Es begann die Zeit der „Begegnungen“ der Pfarrkonvente der Partnerbezirke aus Württemberg und Thüringen in Ostberlin. Was als Informationstreffen der Mitarbeiter des Hilfswerks zur Organisation der Partnerschaftshilfe begonnen hatte162, entwickelte sich auf Anregung des Kirchenbezirks Bad Cannstatt ab 1964 zu einer der wichtigsten Kontaktmöglichkeiten zwischen den Partnerbezirken und -gemeinden. Bald hatte sich ein fester Ablauf bewährt. Der erste Tag der auf drei Tage angelegten Veranstaltung war für die Anreise der Gruppen und Information in ihrem jeweiligen Quartier durch Mitarbeiter der Diakonischen Werke über Sinn und Ablauf der Begegnungen oder auch das Verhalten am Grenzübergang bestimmt163. Die Thüringer Gruppen, jeweils Superintendent und Pfarrerschaft eines Kirchenbezirks, übernachteten im Hospiz in der Albrechtstraße in unmittelbarer Nähe des Grenzübergangs Friedrichstraße, die Württemberger waren in Westberlin untergebracht. Erst am nächsten Tag war das erste Treffen um 10 Uhr im Stephanusstift im Ostberliner Stadtteil Weißensee geplant, wobei die Einhaltung des Zeitplans von den Erlebnissen der Württemberger beim morgendlichen 160 Bericht „Feststellungen und Überlegungen zur Lage der evang. Gemeinden in der Sperrzone der DDR“ (LKA EISENACH A 860 Bd. 7/2). 161 Eine württembergische Gemeinde gab sogar an, 1983 die Partnergemeinde gewechselt zu haben, da die Beziehung mit der bisherigen, im Sperrgebiet gelegenen Partnergemeinde „nicht mit Leben erfüllt werden“ konnte (Bogen 023.115, EZA BERLIN 172/17). 162 S. o. S. 82. Zu den Begegnungen vgl. den entsprechenden Abschnitt bei Mehlhorn, Niederschrift (DWW STUTTGART 2.02 265). 163 Vgl. z. B. die schematischen Informationsbriefe des HWW an Begegnungsteilnehmer „Betr.: Pfarrkonvent in Berlin“ vom 10.1.69 und 14.4.69 (LKA STUTTGART DWW 93) sowie den Bericht von Herrn Bulat, HWW, über „Zweck und Sinn der ‚Begegnungen‘ zwischen kirchlichen Mitarbeitern in Württemberg und Thüringen aus der Anschauung des Unterzeichneten“ vom 27.1.66 (LKA STUTTGART DWW 91).

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Grenzübertritt abhängig war164. Nach dem gegenseitigen Kennenlernen war der erste Begegnungstag der gemeinsamen Arbeit am Predigttext des kommenden Sonntags gewidmet, am zweiten Tag stand das Gespräch über ein theologisches Thema aus der pfarramtlichen Praxis auf dem Programm. Ein Abend war für ausführliche Berichte aus den einzelnen Gemeinden reserviert, die den Partnern einen Einblick in die aktuelle Situation geben sollten. Um Punkt null Uhr mussten die Württemberger, die nur im Besitz eines Tagesvisums waren, die Grenze nach Westberlin wieder überschritten haben, um sich am nächsten Morgen wieder auf den Weg in den Osten zu machen. Um die gemeinsame Zeit bis zuletzt auszunutzen, saß man oft noch bis kurz vor Mitternacht im Quartier der Thüringer zusammen. In den achtziger Jahren war meist auch ein gemeinsamer Abend in einem der Ostberliner Theater vorgesehen. Genauso wichtig wie das offizielle Programm war aber die informelle Begegnung zwischen den Pfarrern, teilweise auch anderen kirchlichen Mitarbeitern der jeweiligen Partnergemeinden. Wünsche und Kapazitäten für konkrete Hilfe konnten hier unbürokratisch besprochen werden, gleichzeitig bestand die Möglichkeit zur direkten Rücksprache mit Vertretern der Diakonischen Werke hinsichtlich der Realisierbarkeit solcher Pläne. In der Zeit von 1964 und 1989 wurden von DWW und Diakonischem Amt Eisenach über 160 solcher Treffen organisiert165, so dass jedes der etwa 50 württembergischen Dekanate und jede der etwa 40 Thüringer Superintendenturen mehrfach an einer Begegnung teilnehmen konnte. Gelegenheit zu Besuchen und Treffen in Thüringen selbst boten sich in den sechziger Jahren nur äußerst selten. Das galt erst recht für Gruppenreisen, deren Programm nicht ohne Rücksichtnahme auf die Interessen der Machthaber gestaltet werden konnte166. Nach dem Grundlagenvertrag von 1972 besserten sich die Besuchsmöglichkeiten deutlich. In einem Informationsreferat vom März 1974 ermutigte das DWW ausdrücklich dazu, die Partnergemeinde zu besuchen: „Unsere Freunde in Thüringen freuen sich meistens sehr über einen solchen Besuch und besorgen, wenn es irgend möglich ist, gerne eine Einreisegenehmigung.“167 164 Ein Ablaufplan einer solchen Begegnung ist in den eingesehenen Akten nicht erhalten, die folgende Beschreibung stützt sich auf übereinstimmende mündliche Informationen der damaligen Verantwortlichen (vgl. z. B. Mehlhorn 26.7.01, Stengel 27.8.01, Hirth 6.9.01). Für die Beziehungen zwischen Pommern und Nordelbien vgl. S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 42–45, außerdem W. BRAUNE, Ideentransfer, S. 147. 165 Vgl. die Liste in der Anlage zu Mehlhorn, Niederschrift (DWW STUTTGART 2.02 265), Abschnitt „Begegnungen“. 166 Dazu s. u. S. 180. 167 „Kurzreferat über die Patenschaftshilfe im Rahmen der Informationstagung für neue Mitarbeiter an den Diakonischen Bezirksstellen am 14.3.74“ (DWW STUTTGART 2.02 265), S. 1.

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Es sei erfreulich, dass derzeit „zahlreiche Aufenthaltsgenehmigungen“168 erteilt würden. In den achtziger Jahren stieg die Zahl der Reisen nach Thüringen ständig an. Besonders die nun vermehrt genehmigten Gruppenreisen nahmen deutlich zu169. So konnte etwa im Lutherjahr 1983 der Pfarrkonvent des Dekanats Schwäbisch Hall gemeinsam mit der Pfarrerschaft des Partnerbezirks in Weimar tagen, worüber sogar in der Thüringer Tagespresse berichtet wurde170. Auch in anderen Bezirken wie Apolda, Altenburg und Vacha gelangen solche Treffen171. Im September 1986 bekam, um ein anderes Beispiel zu nennen, der Kirchengemeinderat der württembergischen Gemeinde Gündelbach (Kirchenbezirk Mühlacker) eine Einreisegenehmigung, um an der Wiedereinweihung der frisch renovierten Dorfkirche der Partnergemeinde in Linda (Schmölln) teilzunehmen172. Das DWW warnte jedoch nach Rücksprache mit der Thüringer Seite trotz dieser positiven Tendenz davor, die Begegnungen in Berlin nun als überflüssig aufzugeben. Die Möglichkeit zu Treffen in Thüringen sei immer noch die Ausnahme. Nur in Berlin könne man „ohne Schwierigkeiten als große Gruppe zusammenkommen und an dem ‚dritten Ort‘ konzentriert miteinander arbeiten.“173 Auch wurde befürchtet, die staatlichen Stellen könnten bei Überstrapazierung der bisher bei Begegnung in Thüringen genutzten Grauzone zu einer Praxis der generellen Ablehnung von Gruppenreisen zurückkehren. Seit Mitte der achtziger Jahre förderte das DWW daher nur noch Gruppenreisen bis zu acht Personen und zwei PKW174. Weiter wurde aber die große Bedeutung der Besuche bei der Partnergemeinde betont. Die Württemberger sollten kommen, „solange die Tür an der Grenze nur 1 Klinke hat.“175 Allerdings dürfe auch nicht vergessen werden, dass es durchaus möglich sei, Rentner, gelegentlich auch andere Personen, nach Württemberg einzuladen. Die Reisen nach Thüringen könnten vielfältig gestaltet werden, sowohl im Hinblick auf die Besucher (Einzelpersonen oder Gruppen, Jugendliche oder Erwachsene, bestimmte Gemeindedienste oder -kreise 168

EBD., S. 3. Vgl. DWW, Arbeitsbericht 1982 des Referates „Gesamtkirchliche Hilfen“ (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 2, und DWW, Arbeitsbericht 1985 des Referates „Gesamtkirchliche Hilfen“ (EBD.), S. 5. 170 Vgl. EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 30.10.83, S. 15. 171 Vgl. DWW, Arbeitsbericht 1985 des Referates „Gesamtkirchliche Hilfen“ (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 5. 172 Vgl. EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 16.11.86, S. 5. 173 Kraft/Ullrich, Partnerschaft (DWW STUTTGART 2.02 265), S. 4. Zur Problematik vgl. auch S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 44. 174 Vgl. DWW, Arbeitsbericht 1985 des Referates „Gesamtkirchliche Hilfen“ (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 5. 175 Stichworte des Geschäftführers des DWW zum Thema „Chancen der Partnerschaft zwischen Gemeinden in Thüringen und Württemberg“ aus den achtziger Jahren (PB KRAFT). 169

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wie Mesner, Kinderkirchhelfer, Kirchengemeinderäte, Posaunen- oder Kirchenchöre) als auch im Hinblick auf das gemeinsame Tun (Mitarbeit bei Projekten wie z. B. der Renovierung von Kirche oder Gemeindehaus). Ein Beispiel dafür ist etwa der ehrenamtliche Einsatz zweier Dachdecker und eines weiteren Helfers aus Stuttgart-Botnang bei der Reparatur des Turmdaches der Partnergemeinde im thüringischen Wintersdorf (Kirchenkreis Meuselwitz): Am 17. Juni 1987 starteten die Handwerker frühmorgens mit einem Kleintransporter voll Material und Geräten und nutzen den Tag der deutschen Einheit und die drei folgenden Tage für Arbeiten am Kirchturm. Finanziert wurden Fahrt und Material, vor allem der Schiefer, von der Botnanger Gemeinde176. Hilfe bei Renovierungsarbeiten war seit den siebziger Jahren neben dem direkten Transfer von Geldern über das Diakonische Werk der EKD und der Bestellung von Industriewaren über den Genex-Geschenkdienst der wohl wichtigste Aspekt der materiellen Unterstützung für die Thüringer Partnergemeinden. Für die Renovierungsarbeiten konnten die unterschiedlichsten Spenden von Nutzen sein. Meistens waren Geräte, Baumaterialien und Gegenstände für die Inneneinrichtung gefragt, doch gelegentlich brachten die Eigenheiten des inoffiziellen Wirtschaftssystems der DDR auch außergewöhnliche Wünsche hervor. So konnte die zuverlässige Arbeit der bei der Renovierung der Stadtkirche von Lobenstein in den siebziger Jahren beschäftigten Malerbrigade dadurch gewährleistet werden, dass ihrer kleinen Leidenschaft des Schnupfens durch die Beschaffung hochwertigen Schnupftabaks von der Partnergemeinde Leonberg Rechnung getragen werden konnte177. Exkurs: Frauen in der Basisarbeit der Partnerschaft Da in Kirche und Diakonie, mehr noch als in anderen gesellschaftlichen Bereichen, Frauen in leitenden Positionen bis in jüngste Zeit Seltenheitswert haben, kann bei einer institutionellen Beschreibung der partnerschaftlichen Beziehungen, wie sie hier vorgenommen wird, leicht der Eindruck entstehen, die Kirchenpartnerschaft sei ein von Männern initiiertes, konzipiertes und getragenes Unternehmen. Lässt man sich allerdings darauf ein, auch die oft wenig spektakuläre Basisarbeit zu betrachten, ohne die jedes Konzept von Partnerschaft hätte scheitern müssen, zeigt sich nicht nur in mündlichen Berichten vieler Beteiligter, sondern auch in der in den Akten des DWW überlieferten Korrespondenz das Gegenteil: Die eigentlichen Trägerinnen der Partnerschaftsarbeit an der Basis waren Frauen. 176

Vgl. Siegfried KRAUTER, Am Tag der deutschen Einheit in der DDR, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT

FÜR WÜRTTEMBERG vom 16.8.87, S. 5. 177 Vgl. W. LEICH, Horizonte, S. 116f.

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Besonders deutlich ist dies zunächst im Bereich der Päckchenhilfe, die lange Zeit in allen Bereichen der Partnerschaft, bis zuletzt aber vor allem im Rahmen der persönlichen Partnerschaften zentrale Bedeutung hatte. In Gemeinden und Einrichtungen ebenso wie in Familien waren Auswahl und Einkauf von Lebensmitteln und Textilien sowie das eigentliche Packen und Verschicken der Päckchen Frauensache. In Gemeinden übernahmen häufig Pfarrfrauen und Frauenkreise diese Aufgabe, die bei der Menge der Sendungen viel Zeit und Mühe kostete178. Auch die Kommunikation mit den Partnern in Württemberg bzw. Thüringen sowie die diesbezügliche Korrespondenz mit dem DWW lief im Bereich der persönlichen Partnerschaften überwiegend über Frauen. Frauen berichteten von Neuigkeiten in Gemeinde- und Familienleben, schickten Glückwünsche zu Geburtstagen und kondolierten bei Trauerfällen in der Partnerfamilie. Frauen erkundigten sich nach den Wünschen zur Konfirmation, informierten über die Kleidergrößen der Familienmitglieder und über die Seriennummer der gewünschten Küchenmaschine. Die meisten in den Akten des DWW erhaltenen Dankbriefe tragen ebenso die Unterschrift von Frauen wie Schreiben an das DWW anlässlich der Rücksendung von Paketabschnitten oder anderer Anfragen. Ohne diesen ständigen Austausch, die persönliche Verbundenheit und die vielen Detailinformationen hätte das Partnerschaftsnetz zwischen beiden Landeskirchen sicher nicht so dicht geknüpft werden können. Schließlich waren Frauen in der Partnerschaftsarbeit schon deshalb nicht wegzudenken, weil im Gegensatz zur kirchlichen Leitungsebene der Anteil von Frauen in den klassischen Berufen der Anstalts- und Gemeindediakonie sehr hoch war. Mitarbeiterinnen der Bezirksstellen der Diakonischen Werke, Gemeindeschwestern und Mitarbeiterinnen der Diakonischen Einrichtungen hielten die Beziehungen auf institutioneller Ebene lebendig. Auch der unbezahlte Dienst der Pfarrfrauen war, solange die klassische Rollenverteilung nicht aufgebrochen wurde, in vielen Fällen für die Aufrechterhaltung der Gemeindepartnerschaften unverzichtbar. Eine württembergische Gemeinde führte bei einer 1995 von der Berliner Studien- und Begegnungsstätte der EKD durchgeführten Gemeindeumfrage den Abbruch der Beziehungen zu den thüringischen Partnern gar auf die Tatsache zurück, der neue, allein stehende Pfarrer sei mit der Aufgabe überfordert, die früher vom Pfarrehepaar gemeinsam übernommen wurde179.

178

Vgl. Aigner 27.9.02 und die Bemerkung einer Pfarrfrau: „Das waren ja nicht ein oder zwei Päckchen, das waren ja Massen!“ (Mittendorf, 20.9.01). 179 Vgl. Bogen 023.129 (EZA BERLIN 172/17).

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3.1.2.2. Diakonische Einrichtungen Der zweite große Bereich der institutionellen Partnerschaften waren die Beziehungen zwischen Einrichtungen der Diakonie, besonders Alten- und Behindertenheimen, aber auch Krankenhäusern, Kindergärten, diakonischen Ausbildungsstätten, Erholungs- und Kurheimen, Tagungs- und Rüstzeitenheimen sowie Gemeindediakoniestationen. In den achtziger Jahren hatten sich die Kontakte im diakonischen Bereich zu einem bedeutenden Faktor der Partnerschaftsarbeit zwischen Württemberg und Thüringen entwickelt: In einer Liste aus dem Jahre 1989 sind über 50 teilweise sehr intensiv gepflegte Partnerschaften verzeichnet180. Die Anfänge dieser Beziehungen liegen allerdings viel später als die der Gemeindepartnerschaften. Grund dafür ist die damals getrennte Organisation der für die Anstaltsdiakonie zuständigen Inneren Mission und des für die Gemeindepartnerschaften verantwortlichen Hilfswerks in der Nachkriegszeit181. Nachdem die Hauptgeschäftsführer der Hilfswerke ihre Paketaktion durch eine Zuordnung der Hauptbüros im August 1949 auf den Weg gebracht hatten, entschloss sich Ende September in Treysa auch die Geschäftsführerkonferenz des „Central-Ausschusses für die Innere Mission“, auf die „überaus schwierige Lage“ im Osten mit der „Einleitung einer Hilfe durch laufende Sachspenden in Form von Patenschaften für die Einrichtungen der Inneren Mission im Osten“182 zu reagieren. Doch leider waren, wie die Kirchenkanzlei der EKD den westlichen Landeskirchen im November des Jahres mitteilen musste, „beide Paketaktionen von den leitenden Stellen des Hilfswerks und der Inneren Mission nicht aufeinander abgestimmt worden.“183 Ergebnis: Die Verteilung der Patenschaften der Hauptbüros stimmte nicht mit der Zuordnung der Landesverbände der Inneren Mission überein, woraufhin, laut Kirchenkanzlei, für die diakonischen Stellen, die Pfarrer und Gemeinden der westlichen Landeskirchen ein „völliges Durcheinander“ entstanden sei. Daher schlug die Kirchenkanzlei vor, die Einteilung des Hilfswerks zu belassen und die der Inneren

180 Vgl. die Liste „Partnerschaften zwischen Diakonischen Einrichtungen in Thüringen und Württemberg“ (DWW STUTTGART 2.02 216). Die Zuordnungen sind nicht immer klar zu erkennen, deshalb ist die genaue Zahl der Partnerschaften nicht anzugeben. 181 Zum Weg zur Fusion von Innerer Mission und Hilfswerk der EKD im Jahr 1957 vgl. J. M. WISCHNATH, Kirche, S. 320–369. Zum Übergang des HWW in die Arbeitsgemeinschaft der Diakonischen Werke in Württemberg vgl. D. MERZ, Hilfswerk, S. 241f. 182 Niederschrift über die Geschäftsführerkonferenz des Central-Ausschusses für die Innere Mission am 28./29. 9.49 in Treysa (ADW BERLIN CA/O 45), S. 3. 183 EKD-Kirchenkanzlei an die Leitungen der deutschen evangelischen Landeskirchen in den westlichen Besatzungszonen vom 5.11.49 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 23).

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Mission daran anzugleichen. Doch trotz der Bemühungen auf höchster Ebene konnte eine Vereinheitlichung nicht mehr erreicht werden. Das HWW teilte dem Stuttgarter Oberkirchenrat Ende November mit, es sei mit dem Landesverband der Inneren Mission, dem gemeinsam mit Baden die Kirchenprovinz Sachsen als Patengebiet zugeordnet war, abgesprochen, dass sich die Aktionen im Bereich der Württembergischen Landeskirche nicht störten. „Das Hilfswerk sammelt für die Einzelfürsorge bei einzelnen Gemeindegliedern, während die Innere Mission von Anstalt zu Anstalt verschickt. So viel bekannt ist, haben sich auch bei uns bis jetzt keine Schwierigkeiten ergeben.“184

Die Anstalten der Inneren Mission pflegten also weiterhin ihre eigenen Kontakte zur Kirchenprovinz und waren somit nicht Teil des entstehenden Beziehungsgeflechts zwischen Württemberg und Thüringen. Die Anstalten in Thüringen wurden ihrerseits vom Landesverband Kurhessen-Waldeck versorgt. Im August 1954 ließ das HWW den Oberkirchenrat wissen, beide Werke seien sich einig, „dass eine Angleichung heute nicht mehr ratsam“ sei, da „die damalige Verteilung sich nach den Grössenverhältnissen der einzelnen Provinzialund Landesverbände gerichtet“185 habe. Eine Änderung bahnte sich allerdings im Sommer 1960 an. In einem Brief an die Anstalten und Einrichtungen der Inneren Mission in Württemberg machte die Arbeitsgemeinschaft der Diakonischen Werke in Stuttgart auf die schwierige Lage der Anstalten der Inneren Mission in der DDR aufmerksam186. Anlass des Schreibens war die Bitte von Mitarbeitern der Diakonie aus dem inzwischen fest als „Patenland“ etablierten Thüringen, nun aus Württemberg auch Unterstützung für Diakonische Einrichtungen zu erhalten. Durch die niedrigen Pflegesätze, denen, so das Schreiben, hohe Lebenshaltungskosten gegenüberständen, und den anhaltenden politischen Druck auf alle kirchlichen Einrichtungen sei die Situation in der Diakonie bereits vorher angespannt gewesen. Nun habe sich die Lage aber durch „die staatlichen Maßnahmen in der Landwirtschaft im Frühjahr“187 – gemeint ist die bis März 1960 mit massi184 HWW an OKR vom 28.11.49 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 27). Übereinstimmend äußerte sich der Landesverband der Inneren Mission in Württemberg in seinem Schreiben an den OKR vom 6.12.49 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 30). 185 HWW an OKR vom 2.8.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 223/3). 186 Vgl. Arbeitsgemeinschaft der Diakonischen Werke an die Anstalten und Einrichtungen der Inneren Mission in Württemberg vom 13.7.60 (LKA STUTTGART DWW 92). Die handschriftlich dazugesetzte Überschrift „Entwürfe“ scheint sich auf die Zuordnung zu den „Entwürfen von Vervielfältigungen“ (so der Gesamtordner), nicht auf den Status des Textes zu beziehen, so dass hier wohl das tatsächlich versandte Schreiben vorliegt. 187 EBD.

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vem Druck auf die Bauern fast vollständig durchgesetzte Kollektivierung188 – weiter verschärft, da bei den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften die alljährliche Herbstlebensmittelsammlung zugunsten der Diakonischen Einrichtungen nicht mehr möglich sei. Weiterhin fehle es an Textilien jeder Art, die schon seit vielen Jahren nicht mehr erneuert werden konnten. Die von Thüringer Seite erbetene Hilfe könne durch Sachspenden, die von der Hauptgeschäftsstelle der Inneren Mission und des Hilfswerks der EKD zur Verfügung gestellt wurden, geleistet werden. Da aber der Versand in die DDR nur auf privatem Wege möglich sei, sei man auf die Mithilfe von Mitarbeitern, gegebenenfalls auch Heimbewohnern angewiesen, die sich bereit erklärten, die zur Verfügung stehenden Materialien, v. a. Textilien, an Mitarbeiter der thüringischen Anstalten zu verschicken. Da es in Thüringen nur etwa 40 Einrichtungen der Inneren Mission gebe, sei diese Hilfeleistung zusätzlich zur Unterstützung für die provinzialsächsischen Anstalten zu bewältigen: „Die Verpflichtungen gegenüber den Anstalten der Inneren Mission in Sachsen würden dadurch nicht gestört.“189 In der Praxis zeigte sich allerdings bald, dass die Entscheidung der Hauptgeschäftsstelle, das Hilfswerk und nicht den entsprechenden Landesverband der Inneren Mission mit der Weiterleitung der Sachspenden für die Diakonischen Einrichtungen zu betrauen, weichenstellend wirkte. Bereits zwei Jahre später, im August 1962, wies der Leiter des Stuttgarter Hauptbüros, Albrecht Hirth, in einem Schreiben an den Landesverband Kurhessen-Waldeck darauf hin, dass eine offizielle Umstellung der Patenschaftshilfe für Anstalten auf die für die Hilfswerke getroffene Einteilung trotz der Bedenken des Leiters des Amtes für Innere Mission der ELKTh ratsam sei. In den Württemberger Anstalten hätten sich die Verbindungen nach Thüringen gut entwickelt, die Hilfsmaßnahmen würden zudem durch die regelmäßigen Treffen der Verantwortlichen der Hilfswerke der Partnerkirchen erleichtert, bei denen Probleme besprochen und ausgeräumt werden könnten190. Unterstützt wurde Hirth in seinem Anliegen vom Leiter der Hauptgeschäftsstelle Ludwig Geißel, der sich nur einen Monat später an den kurhessischen Landesverband wandte. Geißel betonte, nach dem Mauerbau sei „die Abwicklung vieler Massnahmen schwieriger geworden, weil die Kontakte so unmittelbar nicht mehr hergestellt werden“ könnten. Daher müsse man „auf organisatorischem Gebiet alles tun […], um die Dinge zu

188

Vgl. H. WEBER, DDR, S. 56. Arbeitsgemeinschaft der Diakonischen Werke an die Anstalten und Einrichtungen der Inneren Mission in Württemberg vom 13.7.60 (LKA STUTTGART DWW 92). 190 Vgl. HWW an Landesverband der Inneren Mission und des Hilfswerks in Kurhessen Waldeck vom 17.8.62 (LKA STUTTGART DWW 1113). 189

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vereinfachen.“191 Auch mit den meisten anderen Landesverbänden und Hauptbüros, so Geißel, seien inzwischen Absprachen getroffen worden, um die Patenschaftsverhältnisse zu vereinheitlichen. Einige Tage später stimmte der kurhessische Landesverband unter Vorbehalt des Einverständnisses aus Eisenach der Umstellung zu192. Das seit 1960 vom Hilfswerk organisierte Anstaltenprogramm für Thüringen war rasch angelaufen: Nach einer grundsätzlichen Bereitschaftserklärung, sich an der Aktion zu beteiligen, bekamen nun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der württembergischen Einrichtungen die Adressen von Mitarbeitern einer Thüringer Anstalt, die bereit waren, die Textilpakete in Empfang zu nehmen. Dabei wurde ausführlich auf die Modalitäten des Paketversands in die DDR aufmerksam gemacht: Es solle darauf geachtet werden, nicht mehrere Sendungen für dasselbe Heim gleichzeitig abzuschicken, gebrauchtes Packpapier und Bindfaden für die Außenverpackung zu verwenden und die Anschriften von Hand zu schreiben. Außerdem sei es ratsam, dem Empfänger die Sendung vorher auf einer Postkarte anzukündigen. Auf keinen Fall dürfe dabei aber erwähnt werden, dass die Textilien vom Diakonischen Werk stammten193. In einem Bericht vom Februar 1963 wurde eine erste positive Bilanz der Hilfsmaßnahmen gezogen. Die Pakete mit Textilien, Küchenmaschinen und anderen Gegenständen hätten „den Empfängern in Thüringen sehr geholfen, und da fast allen Paketen viel Persönliches beilag, auch viel Freude bereitet.“ Wegen der schlechten Lebensmittellage in der DDR hätten sich „erfreulicherweise viele neue ‚Paten‘ bereit erklärt“, den „Schwestern und Brüdern in Thüringen zu helfen.“194 Auch nachdem sich die Lebensmittelversorgung in der DDR nach dem Einbruch zu Beginn der sechziger Jahre wieder gebessert hatte, blieben in den folgenden Jahren neben Textilien hochwertige Nahrungs- und Genussmittel Teil der Pakethilfe für Diakonische Einrichtungen in der DDR. Besonders Zutaten für die Weihnachtsbäckerei, Kakao, Schokolade und Apfelsinen waren gefragt. Sehr wichtig war auch Bohnenkaffee, der laut Hinweis des HWW von 1965 „kein Genussmittel, sondern ein oft dringend benötigtes Anregungsmittel für 191 Innere Mission und Hilfswerk der EKD, Hauptgeschäftsstelle, an den Landesverband der Inneren Mission und des Hilfswerks in Kurhessen-Waldeck vom 13.9.62 (EBD.). 192 Vgl. die Aktennotiz vom 20.9.62 (EBD.). 193 Vgl. HWW, Vordruck über „Versand von Textilien an Heime und Anstalten der Diakonie in Thüringen“ (LKA STUTTGART DWW 92). 194 Beide Zitate: Kurzbericht über die Abwicklung der Hilfsmaßnahmen für kirchliche Einrichtungen und Mitarbeiter in der DDR vom 4.2.63 (LKA STUTTGART DWW 91). Zur Versorgungslage s. o. den Exkurs „Die Entwicklung der Versorgungslage in der DDR“, S. 96ff.

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die überlasteten Mitarbeiter“195 darstellte. Zudem ermöglichte Westkaffee als Handelsware den Erwerb von in der DDR sonst kaum zugänglichen Gütern und Dienstleistungen196. Gute Dienste im Tauschhandel leisteten die vom HWW eigens erwähnten „Zigaretten für Handwerker“197. Obgleich schon seit 1964 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der jeweiligen Partnereinrichtungen die Möglichkeit hatten, sich im Rahmen von besonders für Diakonische Einrichtungen reservierten Begegnungen in Ostberlin persönlich kennen zu lernen und auszutauschen198, beschränkten sich bis Mitte der siebziger Jahre die partnerschaftlichen Beziehungen weitgehend auf die Pakethilfe. Das Engagement und der Arbeitsaufwand, mit dem diese von der thüringischen Diakonie oft dringend benötigte Hilfe geleistet wurde, dürfen allerdings nicht unterschätzt werden. Die in den Akten des DWW erhaltene Korrespondenz199 zeigt die mühevolle Kleinarbeit, die nötig war, um die Unterstützung unter den gegebenen Rahmenbedingungen zu realisieren: Küchenmaschinen wurden oft in Einzelteilen verschickt200. Wenn eines der Pakete beschlagnahmt wurde oder ein Teil beim Transport oder bei der Benutzung zu Schaden kam, musste für das passende Ersatzteil gesorgt werden. Briefe mit Nachfragen über genaue Typen- und Seriennummern gingen hin und her. Um Beschädigungen auf dem Postweg zu vermeiden, wurde in dem oben zitierten Bericht vom Februar 1963 angeregt „die Küchenmaschinen mit einer unzerbrechlichen Rührschüssel (vielleicht Edelstahl oder etwas Ähnlichem) auszustatten, da die meisten Plexiglas-Rührschüsseln, trotz sorgfältigster Verpackung den Transport nicht bzw. nicht heil überstanden haben.“201 Zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die im Namen ihrer Einrichtungen Pakete verschickten und empfingen, entstanden durch die gemeinsame Bewältigung der Schwierigkeiten oft herzliche persönliche Beziehungen, die in den Akten nur an Details zu erkennen sind. Schrieb etwa 1964 noch Frau „E. Müller“ vom Ursula-Cotta-Schülerheim in Eisenach an die „sehr verehrte Frau Dr. Koerger“202 von der Missionsschule Unterweissach, so un195 HWW, Vordruck über „Versand von Lebensmitteln in kirchliche Anstalten in Thüringen“ mit handschriftlicher Datierung auf den 23.3.65 (LKA STUTTGART DWW 92). 196 Vgl. Jalowski 11.3.02 und Berger 17.3.02. 197 HWW, Vordruck über „Versand von Lebensmitteln an kirchliche Anstalten in Thüringen“ mit handschriftlicher Notiz „versandt am 13. u. 16.11.64“ (LKA STUTTGART DWW 92). 198 Mehlhorn, Niederschrift (DWW STUTTGART 2.02 265), Abschnitt „Begegnungen“. Auch zwischen Pommern und Nordelbien fanden solche dort „Heimleitertagungen“ genannten Treffen in Berlin statt, vgl. S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 45. 199 Vgl. v.a. LKA STUTTGART DWW 94 und 95. 200 Vgl. Köhler 30.8.01. 201 Kurzbericht über die Abwicklung der Hilfsmaßnahmen für kirchliche Einrichtungen und Mitarbeiter in der DDR vom 4.2.63 (LKA STUTTGART DWW 91). 202 Erna M. an Dr. Luise K. vom 2.4.64 (LKA STUTTGART DWW 95).

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terschrieb 1969 „Tante Erna“ den Brief an die „liebe Luise“203. Doch auch Konflikte waren unvermeidbar. Die häufigste Ursache war die Schwierigkeit, zwischen institutioneller Hilfe auf persönlichem Wege und persönlicher Unterstützung für einzelne Mitarbeiter zu unterscheiden. Immer wieder wird in Briefen darüber geklagt, Mitarbeiter würden den Inhalt der an sie versandten Pakete „schwer oder gar nicht herausrücken“204. Doch der umständliche, persönliche Weg blieb lange der einzig gangbare. Erst 1980 gelang es dem DWW, eine Einfuhrgenehmigung für Heimtextilien und Kindergartenmaterial zum zentralen Versand an das Diakonische Amt Eisenach zu erhalten, das die Verteilung an die einzelnen Einrichtungen übernahm205. Ein grundlegender Umschwung in der Partnerschaftsarbeit der Diakonischen Einrichtungen vollzog sich Mitte der siebziger Jahre. Hintergrund war die Veränderung der Aufgaben der Diakonie in der DDR. Bereits in den fünfziger Jahren hatte die Durchsetzung der sozialistischen Erziehungsmaximen einen „erheblichen Prozeß der Umprofilierung“206 in der diakonischen Arbeit ausgelöst. Denn während die SED-Politik darauf abzielte, die für den Aufbau des Sozialismus als wichtig angesehenen Bevölkerungsschichten, also die Werktätigen, besonders aber die Kinder und Jugendlichen, dem Einfluss der Kirche zu entziehen, hatten die Machthaber die Aufgabe der Betreuung alter und schwer behinderter, also im Arbeitsprozess nicht einzusetzender Menschen gerne der Diakonie überlassen. Nach dem inoffiziellen Grundsatz „Die Idioten für die Kirche, alles, was förderungsfähig ist, zu uns“207 sollte die Diakonie ihre Arbeit mit den als „schulbildungsunfähig“ bezeichneten Kindern ausdehnen, sich dagegen aus der übrigen Betreuung von Kindern und Jugendlichen zurückziehen. In der Folge wurden viele Diakonische Einrichtungen in Thüringen zu Behindertenheimen umgewidmet, ohne räumlich, finanziell, materiell oder personell für diese Aufgabe gerüstet zu sein. Eine pädagogische Arbeit mit den Betreuten war unter diesen Bedingungen zunächst weder vorgesehen noch möglich208. Doch die sich im Laufe der sechziger Jahre durchsetzende Erkenntnis, dass auch Menschen mit schweren geistigen Behinderungen einen Anspruch auf 203

Erna M. an Dr. Luise K. vom 24.3.69 (EBD.). HWW an die Heil- und Pflegeanstalt Stetten im Remstal vom 24.3.65 (LKA STUTTGART DWW 94). Vgl. Tropenheim Paul-Lechler-Krankenhaus an HWW vom 30.3.66 (LKA STUTTGART DWW 95). 205 Vgl. DWW, Arbeitsbericht 1980 des Referates „Gesamtkirchliche Hilfen“ (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 1. 206 I. HÜBNER, Menschenbild, S. 31. 207 So wörtlich 1967 der im Bezirk Dresden für Psychiatrie Verantwortliche, zit. nach E. PETZOLD, Freiheit, S. 181. 208 Vgl. I. HÜBNER, Menschenbild, S. 35. 204

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angemessene Förderung haben, wurde in der Diakonie bald als notwendige Konsequenz des christlichen Menschenbildes aufgenommen und führte zur Erprobung neuer theoretischer und praktischer Ansätze in der Behindertenarbeit209. Auch von Seiten des Staates begann man Ende der sechziger Jahre mit Verweis auf humanitäre Überlegungen über die Verbesserung der Betreuung dieser bisher vernachlässigten Gruppe nachzudenken210. Da kirchliche Einrichtungen auf langjährige Erfahrungen in diesem Bereich zurückgreifen konnten, kam es Mitte der siebziger Jahre bei der Erprobung des staatlicherseits erarbeiteten Entwurfs eines Rahmenplanes zur Förderung hirngeschädigter Kinder und Jugendlicher211 sogar zu einer inhaltlichen Kooperation der staatlichen Stellen mit den Diakonischen Einrichtungen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diakonie in Thüringen waren bereit, sich den neuen Herausforderungen in der Behindertenarbeit zu stellen, doch das neben Geduld und Engagement nötige heilpädagogische Fachwissen war kaum vorhanden. Fachliteratur und geeignete Materialien waren in der DDR nicht erhältlich. Hier war Hilfe aus Württemberg gefragt. Im Oktober 1977 fand ein Gespräch des Leiters des Diakonischen Amtes Eisenach OKR Heinz Krannich mit Pfarrer Joachim Walter von der Reutlinger Gustav-Werner-Stiftung über die partnerschaftlichen Beziehungen zwischen Heimen für geistig behinderte Kinder und Jugendliche statt. Dabei wurde beschlossen, dass im Frühjahr des folgenden Jahres ein qualifizierter Mitarbeiter bzw. ein Mitarbeiterehepaar aus der Behindertenarbeit in Württemberg ausgewählte Thüringer Heime besuchen solle, um die Arbeit kennen zu lernen und Anregungen zu geben. Die Thüringer Mitarbeiterschaft könne dabei „das learning by doeing (sic!) praktizieren“212 und es solle „erkundet werden, wie und womit Württemberg den einzelnen Häusern helfen könnte, die Arbeit zu profilieren“. Bei einem vorbereitenden Besuch von Pfarrer Walter in Thüringen sollten die Zuordnung der Einrichtungen überprüft und gegebenenfalls neue Verbindungen geknüpft werden, um möglichst „Heime mit gleicher Aufgabenstellung und gleichen Arbeitsgebieten einander zuzuordnen“, ein Prozess, der 1979 abgeschlossen wurde und tatsächlich zu einigen Neueinteilungen

209

Zu den Veränderungen in der Behindertenarbeit in Thüringen vgl. W. HÖSER, Behindertenhilfe, S. 15–21. 210 Vgl. I. HÜBNER, Menschenbild, S. 32–35. 211 Zur Arbeit mit dem „Entwurf eines Rahmenplanes zur Förderung schulisch nicht mehr bildbarer, aber doch förderungsfähiger, hirngeschädigter Kinder und Jugendlicher in Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens“, vgl. EBD., S. 34f. Zur Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen vgl. auch W. HÖSER, Behindertenhilfe, S. 20f. 212 Alle Zitate: Niederschrift von OKR Krannich vom 22.11.77 über das Gespräch vom 25.10.77 (DWT EISENACH A 5a).

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führte213. Anhand eines Fragenkatalogs zu Größe der Institution, Art der Behinderung, Alter und Geschlecht der Bewohner, Therapie- und Ausbildungsangeboten, zur Mitarbeiter- und Raumsituation sowie Organisationsstruktur wurde versucht, ein genaues Bild über das Profil der Thüringer Einrichtungen zu bekommen214. Im September 1978 konnte die erste Begegnung von Vertreterinnen und Vertretern diakonischer Einrichtungen beider Landeskirchen in Thüringen stattfinden. Nach einem zweitägigen Aufenthalt in der jeweiligen Partnereinrichtung folgte ein zweitägiges gemeinsames Begegnungstreffen aller Teilnehmer215. In den folgenden Jahren kam es zu einer Fülle von Besuchen, die dem gegenseitigen Austausch, der Fortbildung und Beratung dienten216. Fördermaterialien zum Spielen, Basteln und Lernen sowie Fachliteratur zu Fragen der Arbeit mit alten oder behinderten Menschen gelangten nach Thüringen. Fachkräfte aus den württembergischen Partnereinrichtungen arbeiteten wochenweise in Thüringer Heimen mit, angehende Heilerziehungspflegerinnen und -pfleger aus Württemberg unternahmen Studienreisen nach Thüringen, um die Situation in dortigen Behinderteneinrichtungen der Diakonie kennen zu lernen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Thüringen konnten zu internationalen Studienseminaren nach Württemberg reisen. Fachberaterinnen des Verbands für Kindertagesstätten aus Württemberg besuchten auch die 19 gegen staatlichen Widerstand weitergeführten kirchlichen Kindergärten in Thüringen. Begegnungen der besonderen Art waren die gegenseitigen Besuche von Behindertengruppen aus den Partnereinrichtungen. Gegenseitige Besuche von Vertretern der Partnerkirche bei den jährlichen Diakoniepfarrertagungen unterstützten den Austausch im diakonischen Bereich217. Neben einem solchen „Ideentransfer“218 waren in den Thüringer Einrichtungen aber auch umfangreiche bauliche Maßnahmen nötig, da für die neuen Förder- und Therapieansätze meist keine geeigneten Räume zur Verfügung 213 Vgl. DWW, Arbeitsbericht 1979 des Referates „Gesamtkirchliche Hilfen“ (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 1. 214 Vgl. den Fragenkatalog „Kriterien für Hintergrundinformationen über die Einrichtungen für Geistigbehinderte in Thüringen“ (DWW STUTTGART 2.02 205). 215 Vgl. den Vordruck über „Begegnungstreffen im September 1978 in Thüringen zwischen diakonischen Einrichtungen aus Württemberg und Thüringen“ vom 24.5.78 (EBD.). 216 Vgl. zu den folgenden Beispielen DWW, Arbeitsbericht 1981 des Referates „Gesamtkirchliche Hilfen“ (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 3, Kraft/Ullrich, Partnerschaft (DWW STUTTGART 2.02 265), S. 4f., und Ullrich, Fachkontakte (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 3. Zu den Details und Implikationen der Fachkontakte s. u. S. 246. 217 Vgl. Protokoll-Auszug der LKR-Sitzung vom 18.6.84 (LKA EISENACH A 791) und Stengel 27.8.01. 218 Zu dem von Werner Braune für den deutsch-deutschen und internationalen Fachaustausch der DDR-Diakonie geprägten Begriff vgl. W. BRAUNE, Ideentransfer.

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standen und die Wohnbereiche besonders im Hinblick auf die sanitären Anlagen oft dringend sanierungsbedürftig waren. Unter den Einrichtungen, deren Neubau- oder Renovierungsarbeiten die württembergische Partnerkirche in Zusammenarbeit mit den EKD-weiten Hilfsprogrammen unterstützte, waren viele Behinderteneinrichtungen, etwa das Anna-Luisen-Stift in Bad Blankenburg, der Bodelschwingh-Hof in Mechterstädt, der Johanneshof in Quittelsdorf, das Karl-Marien-Haus in Ebeleben oder das Michaelisstift in Gefell, aber auch Altenpflegeheime wie etwa das Haus Bethesda in Eisenberg oder medizinische Einrichtungen wie das Kinderkrankenhaus Altenburg219. Auch die Diakoniestationen in Thüringen profitierten vom fachlichen Austausch und der materiellen Hilfe aus Württemberg. In der ambulanten Arbeit mit geistig und körperlich Behinderten, psychisch Kranken und besonders mit Suchtkranken, die es nach Ansicht der staatlichen Stellen in der DDR überhaupt nicht geben konnte und daher auch nicht geben durfte, wurde hier Pionierarbeit geleistet. Sehr geschätzt wurde die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Referenten und Referentinnen aus Württemberg. Auch Materialien wie Einwegspritzen oder Anti-Dekubitus-Felle aus Württemberg waren für die Diakoniestationen eine wichtige Hilfe, da die Gemeindeschwestern in der DDR keine ärztlichen Verordnungen bekamen. Nach der Wende vom Herbst 1989 konnte die Begegnungsarbeit weiter intensiviert werden. Besonders wertvoll war die fachliche Beratung aus Württemberg beim Aufbau neuer diakonischer Strukturen nach westlichem Vorbild in Thüringen220. 3.1.2.3. Kirchliche Werke, Einrichtungen und Verbände Eine ähnliche Entwicklung wie in der Partnerschaftsarbeit der Diakonie ist auch bei anderen Werken und Einrichtungen im Bereich der Landeskirchen zu beobachten: Zunächst wurden innerhalb der eigenen überregionalen Strukturen besondere Absprachen über die Zuweisung von Patengebieten in Ost und West getroffen, die nicht notwendigerweise mit den vom Hilfswerk initiierten Patenschaften übereinstimmten. Später wurden die Kontakte in das immer dichter werdende Netz der Beziehungen zwischen Württemberg und Thüringen integriert. So teilte etwa das Evangelische Jungmännerwerk in Württemberg im Februar 1955 dem Stuttgarter Oberkirchenrat mit, auf besondere Bitte hin habe 219 Vgl. DWW, Arbeitsberichte 1981–1988 des Referates „Gesamtkirchliche Hilfen“ (DWW STUTTGART 2.02 264). Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Zur Bautätigkeit in der Thüringer Diakonie vgl. auch W. HÖSER, Finanzierung, S. 123–126. 220 Zu den Entwicklungen nach der Wende s. u. Kapitel 3.2.5.

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sich die Dachorganisation, der Reichsverband der Evangelischen Jungmännerbünde, einverstanden erklärt, den Württembergern statt dem ursprünglich zugewiesenen Werk in Berlin nun das Evangelische Jungmännerwerk in Thüringen als Patenwerk zuzuteilen. Maßgeblich gewesen sei dabei „vor allem der Gesichtspunkt, dass wir unsere Patenschaft koordinieren wollten mit derjenigen unserer Landeskirche.“221 Im Juni 1956 konnte das HWW dem Oberkirchenrat mitteilen, das Patenschaftsverhältnis zu Thüringen sei „auch dadurch gestärkt worden, dass jetzt das Evang. Männerwerk, das Jugendwerk und die Evang. Frauenhilfe die Patenschaft für die entsprechenden Werke in Thüringen übernommen“222 hätten. Bei manchen der institutionellen Kontakte, vor allem zwischen berufsständischen Verbänden im kirchlichen Bereich, standen die persönlichen Partnerschaften zwischen kirchlichen Mitarbeitern, deren Zuordnung nach Möglichkeit auch an der Art der Tätigkeit orientiert war und die durch die Berufsverbände mitorganisiert und gepflegt wurden, am Anfang der Beziehungen. Auf diesem Wege fanden besonders die Pfarrervertretungen, aber beispielsweise auch die Verbände der Kirchenmusiker, der Kindergärtnerinnen und der Gemeindeschwestern zusammen223. Nach Erleichterung der Reisemöglichkeiten entwickelte sich auch hier in den siebziger und achtziger Jahren ein reger fachlicher Austausch zwischen den verschiedenen Institutionen. Es fanden gemeinsame Tagungen und gegenseitige Besuche im Bereich der Männer- und Frauenarbeit, der Jugendwerke, der Klinikseelsorger und der Kirchenmusiker statt, Einladungen zum Lektoren- und Mesnertag wurden ausgesprochen224. Besonders zwischen den Jugendwerken in Württemberg und Thüringen konnten sich im Laufe der Zeit fruchtbare Kontakte entwickeln. Bereits 1956 besuchten Gäste aus Thüringen den Jungmännertag in Stuttgart225. Der „Brückenbauerdienst“226 im Jugendbereich wurde durch zwei Faktoren begünstigt: Erstens intensivierte die doppelte Einbindung der Beziehungen sowohl in das landeskirchliche Partnerschaftsnetz als auch in die überregionalen deutschdeutschen Kontakte der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der BRD und der Kommission Kirchliche Jugendarbeit in der DDR die Kon-

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Evangelisches Jungmännerwerk in Württemberg an OKR vom 15.2.55 (LKA STUTTGART A 126 529d II Bl. 264). 222 HWW an OKR vom 29.6.56 (LKA STUTTGART A 126 529d II Bl. 356). 223 Vgl. Mehlhorn, Niederschrift (DWW STUTTGART 2.02 265), Abschnitt „Einzelpartnerschaften“. 224 Vgl. verschiedene Schreiben in LKA EISENACH A 791 und OKR STUTTGART 88.10-5. 225 Vgl. K. EIS, Jugendwerk, S. 171. 226 EBD., S. 170.

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takte227. In den achtziger Jahren wurden finanzielle Mittel für die materielle Unterstützung der Thüringer Jugendwerke, etwa für den haus- und betriebswirtschaftlichen Bedarf der Heime und Dienststellen, für Materialien, Bücher und Spiele sowie für den persönlichen Bedarf der Mitarbeiter von der Arbeitsgemeinschaft bereit gestellt228. Zweitens bewirkte auch die Zuweisung von persönlichen Partnerschaften zwischen württembergischen und thüringischen Mitarbeitern im Jugendbereich eine Stabilisierung der Verbindung229. Nach der Lockerung der Reisebeschränkungen durch den Grundlagenvertrag konnte der Austausch in den siebziger und achtziger Jahren intensiviert werden230. Bei regelmäßigen Begegnungen der Vorstände in Berlin, später auch in Thüringen, wurden systematisch-theologische (z. B. 1976 Leistung und Gnade231), sozialethische (z. B. 1977 Gewalt und Frieden232) und praktische Themen (z. B. 1978 Mitarbeiterschulung233) behandelt. Durch gemeinsame Tagungen, etwa zur Kinder- und Jungschararbeit234, zur Jugendevangelisation235 oder zur Posaunenarbeit236 konnten die Teilnehmer einen Einblick in die Arbeit des jeweiligen Partnerwerks gewinnen. Auch die persönlichen Kontakte zwischen Mitarbeitern wurden durch die besseren Besuchsmöglichkeiten erleichtert. Besondere Impulse für die Arbeit ergaben sich aus dem Austausch von Arbeitsmaterialien. Nach einem Gespräch mit einem Thüringer Kollegen im Dezember 1975 hielt man beim Evangelischen Jugendwerk in Württemberg (ejw) fest: „Die Brüder drüben sind wie ausgelechzt nach guten Arbeitshilfen. Sie wünschen sich alles, was wir in den letzten zwei Jahren an Arbeitshilfen und Anregungen für unsere Gruppen und Kreise erarbeitet haben.“237 227 Zur überregionalen Ebene der Partnerschaften im Jugendbereich vgl. F. DORGERLOH, Geschichte, S. 262ff. Ausführlich dazu jetzt C. LEPP, Tabu. 228 Vgl. die Unterlagen des Evangelischen Jugendwerks in Württemberg zur materiellen Hilfe Ende der achtziger Jahre (ejw STUTTGART DDR 3). 229 Dazu Kapitel 3.1.3. 230 Von dieser Zeit an finden sich auch Unterlagen zum Thema in den Akten des ejw. 231 Vgl. die Gesprächsnotiz anlässlich des Treffens der Bundeswarte in Berlin vom 9.–12.12.75 vom 16.12.75 (ejw STUTTGART DDR 1). 232 Vgl. die Aktennotiz über das Gespräch mit Kurt Eis am 11.3.77 in Berlin vom 12.3.77 (EBD.). 233 Vgl. die Niederschrift über das Gespräch bei Pfarrer E. Hoffmann am 9.10.78 in Gotha vom 17.10.78 (EBD.). 234 Vgl. die Aktennotiz über das Gespräch mit Dieter Oberländer am 20.4.83 in Berlin vom 22.4.83 (EBD.). 235 Vgl. „Sachlicher Bericht der DDR-Begegnung“ vom 23.10.–25.10.85 vom 26.11.85 (ejw STUTTGART DDR 2). 236 Vgl. Sachlicher Bericht zum Begegnungswochenende vom 4.–6.9.87 in Oberroßla vom 9.9.87 (EBD.). 237 Gesprächsnotiz anlässlich des Treffens der Bundeswarte in Berlin vom 9.–12.12.75 vom 16.12.75 (ejw STUTTGART DDR 1).

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Besonders Lieder, Spielideen, aber auch theologische Literatur seien in Thüringen gefragt. Andererseits fanden in Thüringen nicht ohne Risiko erarbeitete Materialien zur Friedenspädagogik, deren gezwungenermaßen bescheidenere Aufmachung nichts an der inhaltlichen Qualität änderte, auch in Württemberg Interessenten238. Bei einem ersten Aufbaulager des Evangelischen Bezirksjugendwerks Esslingen in der DDR wurden im August 1987 zwei Wochen lang gemeinsam mit Jugendlichen und Mitarbeitern der Jugendarbeit aus Thüringen die Fenster der Jugendbildungsstätte Neulandhaus in Eisenach erneuert239. Eine wichtige Rolle für die Erhaltung des Interesses an der Partnerschaft auch unter der jüngeren Generation der Pfarrer und kirchlichen Mitarbeiter spielten die Begegnungen zwischen den kirchlichen Ausbildungsstätten. Bereits 1957 besuchte eine Gruppe von neun Vikaren sowie Leiter und Hausmutter des Predigerseminars Eisenach das Pfarrseminar in Stuttgart. Dreizehn weitere angemeldete Gäste durften die Reise allerdings nicht antreten, da sie keine Ausreisegenehmigung bekamen. Die Eisenacher konnten sich während ihres einwöchigen Besuchs bei Vorträgen und Führungen in Stuttgart über die Situation der Kirche in der Großstadt, über die Arbeit der Württembergischen Bibelanstalt und über die Zusammenarbeit von Staat und Kirche in Württemberg besonders im Gebiet der Wohlfahrtspflege informieren. Bei gemeinsamen Ausflügen mit den Stuttgarter Seminaristen stand unter anderem die Besichtigung der Klöster und Seminare in Maulbronn und Blaubeuren auf dem Programm. Ein weiterer Tag war für einen Besuch der Behinderteneinrichtungen der Gustav-Werner-Stiftung in Reutlingen und des Evangelischen Stifts in Tübingen reserviert. Den Sonntag verbrachten die Thüringer Vikare in einer Gemeinde, wo sie die Christenlehre übernahmen, die Altpietistische und Hahn’sche Gemeinschaftsstunde besuchten sowie an einen Gemeindeabend aus ihrer Heimatkirche berichteten240. Auch im Bereich der Ausbildungsstätten konnte der Kontakt allerdings erst durch die Reiseerleichterungen der siebziger Jahre intensiviert werden. Seit 1978 fuhren mit organisatorischer Unterstützung der Diakonischen Werke 238

Vgl. die Materialien in den Unterlagen des ejw (EBD.). Vgl. die Schreiben Evangelisches Jugendwerk in Württemberg an OKR vom 16.4.87 (OKR STUTTGART 88.10-5 1985–1990 Bl. 70) und vom 22.12.87 (OKR STUTTGART 54.26-4 1985–1989 Bl. 97) sowie Neulandhaus an Evangelisches Jugendwerk in Württemberg vom 12.8.87 (OKR STUTTGART 54.26-4 1985–1989 ohne Blattzählung). 240 Vgl. Pfarrseminar der Württembergischen Evangelischen Landeskirche an OKR und HWW vom 22.11.57 (LKA STUTTGART DWW 1111). 239

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sowie der Ausbildungsreferate beider Landeskirchen jeden Sommer Gruppen von Theologiestudierenden aus dem Evangelischen Stift in Tübingen zu einwöchigen Begegnungen mit Kommilitoninnen und Kommilitonen nach Thüringen241. Zur Vorbereitung der ersten Reise fand eigens eine stiftsinterne Lehrveranstaltung zum Thema „Christsein und Kirche in der DDR“ statt242, später bereitete man sich in einzelnen Arbeitssitzungen auf die Begegnung vor. Die erste Hälfte des Besuches verbrachten die Tübinger am Studienort oder in der Familie der ihnen zugewiesenen Gastgeber, die letzten drei Tage traf man sich zu gemeinsamer theologischer Arbeit im Predigerseminar in Eisenach. In den Reiseberichten der Württemberger wird deutlich, wie die persönlichen Begegnungen mit den Thüringer Studierenden und ihren Familien das Befremden über den ganz anderen deutschen Staat aufbrachen. Über den ersten Besuch im September 1978 schrieb eine Stiftlerin: „Meine ersten Eindrücke an der Grenze und kurz danach schienen das Vermutete zu bestätigen: die DDR ist ein fremdes Land. Der Anblick der Grenze, Stacheldraht, fünf Kontrollstationen, Wachen usw., dann die kleinen alten Dörfer mit wenig schön instandgehaltenen Häusern, kleinen, nach unseren Vorstellungen völlig veralteten Autos, vermittelten ein Bild der völligen Andersartigkeit. […] Doch die menschliche Begegnung zeigte das Gegenteil […]. Schon nach kurzer Zeit war ‚das Eis gebrochen‘ […].“243

Weitere Ausbildungsstätten, die an Begegnungen teilnahmen, waren die Pädagogische Hochschule in Schwäbisch Gmünd und das Kirchliche Seminar auf dem Hainstein in Eisenach sowie die Kinderkrankenpflegeschulen in Waiblingen und Eisenach. In einzelnen Fällen konnten ab Mitte der achtziger Jahre auch Theologiestudierende aus Württemberg ein sechswöchiges Gemeinde- oder Diakoniepraktikum in Thüringen ableisten244. Eine besondere Bedeutung hatte die Verbindung zwischen der Standesvertretung der Thüringer Pfarrer, die in der DDR aus politischen Gründen die Bezeichnung „Pfarrverein“ nicht führen durfte, und dem Evangelischen Pfarrverein in Württemberg. Durch die enge Zusammenarbeit von Hilfswerk und Pfarrverein beim Aufbau der persönlichen Partnerschaften „von Pfarrhaus zu Pfarrhaus“ entstand ein enger Kontakt auch zwischen den Pfarrervertretungen, 241

Vgl. Evangelisches Stift Tübingen, Semesterberichte WS 77/78–WS 86/87 (AEvSt TÜBINGEN 641,1-645,2). 242 Vgl. Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht SS 78 (AEvSt TÜBINGEN 641,3), S. 2. 243 Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 78/79 (AEvSt TÜBINGEN 641,4), S. 22. Auch die Arbeit von Losch wurde durch eine solche Begegnung angeregt (vgl. Losch, Partnerbeziehungen, PB KRAFT, S. 23). 244 Vgl. Ullrich, Fachkontakte (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 2.

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dem auch personelle Überschneidungen bei den Verantwortlichen von Hilfswerk und Pfarrverein in Württemberg zugute kamen. Im April 1955 besuchte erstmals ein Thüringer Vertreter die Jahrestagung der Württemberger, 1956 sprach Landesbischof Mitzenheim selbst den Dank der Thüringer aus und berichtete über die Lage seiner Landeskirche245. Im Jahr 1955 wurden auf Anregung des Verbandes der Evangelischen Pfarrvereine in Deutschland Erholungsaufenthalte für DDR-Pfarrer in westdeutschen Pfarrhäusern organisiert. Da kirchliche Mitarbeiter in der DDR keinen Zugang zu den hauptsächlich über den Gewerkschaftsbund vergebenen Ferienplätzen hatten und meist auch nicht über die finanziellen Mittel verfügten, anderweitig Urlaub zu machen, war dies eine wichtige Hilfe. Der württembergische Pfarrverein beteiligte sich an dieser Aktion sowohl durch eine zusätzliche Abgabe von etwa 4.800 DM zur Finanzierung der Reisekosten und eines Tagegeldes als auch durch die Aufnahme von über 150 Personen aus Pfarrfamilien in rund 100 württembergischen Pfarrhäusern246. Zusätzlich zu dem über die Evangelische Waisen- und Familienfürsorge eingezogenen Beitrag der württembergischen Pfarrerinnen und Pfarrer zum Bruderdienst247 stellte der Pfarrverein weitere materielle Unterstützung für die Pfarrerschaft in Thüringen aus Mitteln der Evangelischen Waisen- und Familienfürsorge zu Verfügung. In den siebziger Jahren flossen jährlich etwa 100.000 DM, in den achtziger Jahren jährlich etwa 400.000 DM zur zweckgebundenen Verwendung an das DWW. Der größte Teil des Geldes entfiel auf drei Hauptverwendungsbereiche248: Zum ersten wurden die Anschaffung von Haushaltsgeräten für Pfarrfamilien und Sanierungsmaßnahmen an Pfarrhäusern gefördert: Schon Anfang der sechziger Jahre wurde begonnen, Thüringer Pfarrfamilien über den Genex-Geschenkdienst mit Waschmaschinen auszustatten249. Da die Unterstützung durch Organisationen aus Westdeutschland in der DDR unerwünscht war250, wurden 245 Vgl. OKR Säuberlich an Landesbischof Haug vom 20.4.55 (LKA STUTTGART A 126 529d II Bl. 283) und H. EHMER, Pfarrverein, S. 97. 246 Vgl. Evangelischer Pfarrverein in Württemberg an Pfarrer Hirth (HWW) vom 28.2.55 und beiliegende Liste über Gastgeber, Erholungsgäste und ungefähre Aufenthaltsdaten (PB MITTENDORF) sowie H. EHMER, Pfarrverein, S. 97. 247 Dazu Kapitel 2.2.4. 248 Vgl. die Abrechnungen des DWW mit der Evangelischen Waisen- und Familienfürsorge aus den Jahren 1973–1992 (PB MITTENDORF). 249 Die Finanzierung von Waschmaschinen und Wäscheschleudern durch den Pfarrverein wird erstmals erwähnt in der Aufstellung „Materielle Notsorge innerhalb Württemberg und Hilfe für die Ostzone in der Zeit vom 1.10.1962–1.10.1963“ des HWW vom 17.9.63 (LKA STUTTGART DWW 91). Damals wurden vom Hilfswerk 44 Maschinen und 45 Schleudern, vom Pfarrverein je 37 Maschinen und Schleudern bezahlt. 250 Zur Geschenkpaketverordnung s. o. S. 49, zu den politischen Motiven s. u. Kapitel 4.4.1.2.

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bei allen Hilfen des Pfarrvereins die persönlichen Partnerpfarrer als offizielle Spender genannt. Dankbriefe aus Thüringen an die Partnerfamilien zeigen, welche Begeisterung die Geräte besonders bei den durch gemeindliche und familiäre Aufgaben sowie politische und materielle Schwierigkeiten stark belasteten Pfarrfrauen hervorriefen. So schreibt in den sechziger Jahren eine Pfarrfrau aus Oberellen bei Eisenach an ihre Stuttgarter Partnerin: „Mit ihrer gütigen Hilfe bin ich nun zu solche (sic!) einem grossen Stück Technik gekommen! Und es ist sehr schön, der Maschine zuzusehen, wie sie die ganze Bürsterei so einfach erledigt.“251

In den siebziger Jahren waren zudem über Genex zu erhaltende Fußbodenbeläge und sanitäre Einrichtungen in Thüringen sehr gefragt. In den achtziger Jahren konnten durch ein Pfarrhaus-Sanierungsprogramm mit württembergischer Hilfe 224, also etwa ein Drittel der Thüringer Pfarrhäuser mit Zentralheizungen ausgestattet werden, dazu wurden umfangreiche Renovierungsmaßnahmen im Sanitärbereich durchgeführt252. Der zweite Verwendungsbereich war die Beschaffung sogenannter „Diakonischer Fahrzeuge“ über Genex. Unter diesem Begriff liefen Autos für Pfarrerinnen und Pfarrer, die nicht aus gemeindlichen – in diesem Fall wurden die Fahrzeuge nach Beschluss des Verkehrshilfsausschusses über das Diakonische Werk finanziert –, wohl aber aus persönlichen, meist gesundheitlichen Gründen motorisiert sein mussten, um ihren Dienst zu versehen. Der dritte große Posten waren Zuschüsse für die Aufwendungen bei Fahrten zu den persönlichen Partnerpfarrerinnen und -pfarrern, mit denen der persönliche und direkte Austausch innerhalb der Pfarrerschaft gefördert werden sollte253. Ein weiteres Projekt, das vom württembergischen Pfarrverein finanziell unterstützt wurde, war 1964 der Bau und die Einrichtung254, später die Sanierung255 von Ferienhäusern der Thüringer Standesvertretung an der Saaletalsperre, die ebenso wie die später angeschafften Wohnwagen an der Ostsee den Pfarrfamilien die Möglichkeit eines Urlaubsaufenthalts boten. Auch der Ausbau von Ruhestandswohnungen in Eisenach und Jena 1973/74 und Gera 1989/90 wurde gefördert256. 251

Vgl. Frau Pfarrer E. an Frau Pfarrer D. (undatierte Abschrift bei den Unterlagen für die Vorstandssitzung des württembergischen Pfarrvereins 1964, LKA STUTTGART DWW 91). 252 Vgl. H. MITTENDORF, Pfarrverein, S. 167. 253 Dazu Kapitel 3.1.3.1. 254 Vgl. Standesvertretung der Pfarrerschaft der ELKTh an HWT vom 8.3.65 und HWW an die Evangelische Waisen- und Familienfürsorge vom 28.4.65 (beide PB MITTENDORF). 255 Vgl. Pfarrer Kiehne an KR Mittendorf vom 9.11.88 (EBD.). 256 Vgl. die Aktennotiz „Begegnung mit der thüringischen Standesvertretung vom 21.–23.5.1986 in Zoppoten“ ohne Datum (EBD.) und H. MITTENDORF, Pfarrverein, S. 167.

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Zusätzlich zu den durch die Mittel der Waisen- und Familienfürsorge finanzierten Hilfen rief der Pfarrverein ab 1974 jährlich zu weiteren freiwilligen Spenden auf. Ein Teil dieser sogenannten „Pfarrerweihnachtshilfe“ ging jeweils auch an „einen bestimmten, von der Standesvertretung in Thüringen vorzuschlagenden Personenkreis“257. 1974 wurden dabei rund 5.000 DM nach Thüringen transferiert, 1977 bereits knapp 19.000 DM258, in den achtziger Jahren lagen die Spendenbeträge zwischen 20.000 und 25.000 DM259. Neben der umfangreichen materiellen Unterstützung für die Thüringer Amtsbrüder und später auch -schwestern entwickelte sich seit Ende der siebziger Jahre auch eine Begegnungsarbeit zwischen den Pfarrervertretungen. Da auf die offizielle Genehmigung eines institutionellen Treffens kirchlicher Organisationen in der DDR zunächst nicht zu hoffen war, fand die erste Begegnung am 18./19. April 1977 in den Ferienhäusern an der Saaletalsperre unter fast konspirativen Umständen statt. Damit die staatlichen Stellen keinen Verdacht schöpften, reisten die württembergischen Teilnehmer auf Einladung der Partner privat nach Thüringen ein und fanden erst bei ihren Gastgebern Unterlagen über den Programmablauf vor. Die Partner organisierten dann die Anreise zum Treffpunkt. In einem Schreiben an die Teilnehmer der Begegnung warnte das DWW im Vorfeld: „Eine Begegnung dieser Art im Bereich von Thüringen hat bisher nicht stattgefunden. Sie werden wissen, daß in Ihrer Kontaktaufnahme nach Thüringen vermieden werden muß, daß der Eindruck einer organisierten Begegnung entstehen könnte. Die Partner werden durch die Standesvertretung verständigt.“260

Nach diesem organisatorisch mühsamen Auftakt suchte man nach einer Möglichkeit, die Begegnungsarbeit zu erleichtern. Aufgrund der langen Verbindung zwischen Württemberg und dem französischen Montbéliard, das als Grafschaft Mömpelgard bis 1793 zu Württemberg gehörte, kam die Idee auf, die Begegnungsmöglichkeiten durch Einbeziehung von Vertretern der dortigen Pfarrerschaft zu verbessern. Dies gab den Treffen einen „ökumenischen“ Charakter, der für die DDR-Behörden Kriterium für die Erteilung einer Ausreisegeneh257 Abrechungen Evangelische Waisen- und Familienfürsorge an DWW vom 8.3.78 und 30.4.80 (PB MITTENDORF). Vgl. zur Pfarrerweihnachtshilfe auch H. MITTENDORF, Pfarrverein, S. 166. Andere Empfänger waren Pfarrer in Montbéliard, Gabun und Südosteuropa. 258 Vgl. das „Protokoll einer Vorstandssitzung der Brüderlichen Fürsorge der Evang. Pfarrerschaft in Württemberg und der Evang. Waisen- und Familienfürsorge im Bereich der Württ. Evang. Landeskirche am 6. März 1978“ (PB MITTENDORF). 259 Vgl. die Aufstellung im Schreiben DWW an Pfarrer Mittendorf vom 2.10.86 (DWW STUTTGART 2.02 261). 260 DWW an die Teilnehmer der Begegnung Württ. Pfarrverein – Standesvertretung Thüringen vom 24.1.77 (PB MITTENDORF).

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migung war. Auch war allgemein eine Ausreise nach Frankreich für die Thüringer leichter zu bekommen als nach Westdeutschland. Zudem ergaben sich durch die Minderheitensituation der Protestanten in Frankreich auch inhaltlich neue interessante Aspekte, die gerade für die Thüringer bereichernd waren. Das erste dieser etwa vier- bis sechstägigen trilateralen Treffen mit jeweils etwa sechs Teilnehmern von jeder Seite fand im Februar 1979 im Centre de Glay bei Montbéliard statt261. Unter dem Thema: „Christen vor den Herausforderungen der Ökumene und auf der Suche nach besserer Zusammenarbeit“ standen Vorträge, Austausch und Bibelarbeit sowie die Besichtigung von Diakonischen Einrichtungen und ein Besuch von Montbéliard und Straßburg auf dem Programm. Die nächste Begegnung mit dem Thema: „Der Dienst des Pfarrers im Gedenkjahr des Augsburger Bekenntnisses“ konnte im Juni 1980, unter dem Vorzeichen des internationalen Austausches, nun ganz offiziell in Eisenach stattfinden. Im Mai 1982 tagte man erneut in Montbéliard zur Frage „Zeugnisaussage des Pfarrers und Zeugnisaussage der Gemeinde in der Gesellschaft heute“, im Oktober 1984 traf man sich wieder in Thüringen. Im Juni 1985 gelang es schließlich, auch eine Begegnung in Württemberg zu organisieren. In Bad Urach wurde das Thema „Pastoralethische Fragen der Pfarrerehe und Pfarrfamilie“ diskutiert. Ein letzter Höhepunkt der Zusammenarbeit der Pfarrvereine in Württemberg und Thüringen nach der Wende war die organisatorische und materielle Hilfe für württembergische Pfarrerinnen und Pfarrer, die sich bereit erklärt hatten, nach Freistellung durch die Landeskirche drei Jahre in Thüringen Dienst zu tun262. 3.1.2.4. Kirchenleitungen Mehr als alle anderen Bereiche der Partnerschaft waren die Beziehungen zwischen den Kirchenleitungen durch die wechselnden politischen und kirchlichen Rahmenbedingungen bestimmt, deren Auswirkungen auf die innere Entwicklung der gesamten Partnerschaft im zweiten Teil dieses Kapitels (3.2.) behandelt werden. In den achtziger Jahren konnten die Kirchenleitungen durch ihre Kontakte zu übergeordneten Gremien der EKD und des Bundes sowie ihr größeres Gewicht im Gespräch mit politischen Stellen zu einer klärenden Instanz für in der Partnerschaftsarbeit auftauchende Probleme werden, wobei sich auch das freundschaftliche Verhältnis des seit 1978 amtierenden 261 Vgl. im Folgenden die einschlägigen Unterlagen zu Ein- und Ausreisefragen in LKA EISENACH A 827 Bd. 4/3 und 4/4, Evangelischer Pfarrverein in Württemberg an LKA vom 18.1.85 (PB MITTENDORF) sowie Mittendorf 20.9.01. 262 S. u. S. 202.

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thüringischen Landesbischof Leich zu seinen württembergischen Partnern von Keler und später Sorg positiv auswirkte263. Dagegen waren die Kontakte in den kirchen- und deutschlandpolitisch schwierigen Jahren seit Ende der fünfziger Jahre, in denen Landesbischof Mitzenheim mit seinem „Thüringer Weg“ in Erscheinung trat, eher kühl264. Der erste Besuchskontakt zwischen Württemberg und Thüringen mit Beteiligung der Kirchenleitung war eine von den Bekenntnisgemeinschaften der Partnerkirchen organisierte achttägige Reise von 17 Thüringer Oberkirchenräten und Pfarrern unter der Leitung von Landesbischof Mitzenheim im Februar 1954265. Der für September geplante Gegenbesuch266 musste allerdings kurzfristig abgesagt werden, da die DDR-Behörden der württembergischen Delegation keine Aufenthaltsgenehmigungen erteilten. Landesbischof Martin Haug, der schon einen Tag vor der übrigen Gruppe aufgebrochen war, hielt sich nach vierstündiger Wartezeit an der Grenze nur kurz in Eisenach auf und musste dann unverrichteter Dinge wieder abreisen267. Für die folgenden Jahre finden sich in den Akten keine Hinweise auf Besuchskontakte zwischen den Kirchenleitungen in größerem Rahmen, bekannt ist nur die Anwesenheit Mitzenheims bei der Amtseinführung von Landesbischof Erich Eichele im Frühjahr 1962. Hauptgrund der Zurückhaltung war wohl das gespannte Verhältnis aufgrund des kirchenpolitischen Kurses von Mitzenheim. Auch seine persönliche Entscheidung, auch im kirchenleitenden Amt die den Gemeindegliedern auferlegten Reisebeschränkungen mitzutragen und somit auf Westreisen weitgehend zu verzichten, mag eine Rolle gespielt haben268. Der nächste Anlauf zu einem größer angelegten Treffen auf der Ebene der Kirchenleitungen wurde erst 1968 unternommen. Nach einem Kurzbesuch von Vertretern der württembergischen Kirchenleitung in Thüringen zu Himmelfahrt 1967 entstand die Idee einer Begegnung zwischen den württember263

Vgl. Leich 27.8.01, von Keler 1.2.01, Sorg 4.2.02. Vgl. Mittendorf 20.9.01. Zur kirchenpolitischen Gesamtsituation s. o. Kapitel 2.1.1. und 2.1.2., zu Mitzenheim s. u. der Exkurs „Der Thüringer Weg“, S. 184ff. 265 Vgl. HWW an OKR vom 2.8.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 223/3) sowie den Rundbrief der Evangelischen Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg vom 8.7.54 (LKA STUTTGART D 31 Nr. 77 Bl. 114). Zur Bedeutung der Bekenntnisgemeinschaften für die Anfänge der Partnerschaft s. u. Kapitel 3.2.1. 266 Vgl. Evangelische Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg an OKR Metzger vom 7.5.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 212). 267 Vgl. den 31. Rundbrief Bischof Mitzenheims an die Pfarrer der ELKTh vom 1.10.54 (T. BJÖRKMAN, Lebensraum, S. 94). 268 Vgl. Mitzenheim an den Pfarrer von Kahla vom 19.5.67 zur Begründung seiner Ablehnung der Befürwortung einer Reise des Pfarrers in die württembergische Partnergemeinde (LKA EISENACH A 791 Bd. 5/2 Bl. 359). Zu den Spannungen zwischen den Kirchenleitungen s. u. S. 187ff. 264

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gischen Prälaten und den Supervisoren der ELKTh. Das Treffen sollte in Eisenach stattfinden, um den Vertretern der Kirchenleitung der Partnerkirche einen direkten Einblick in das kirchliche Leben in Thüringen zu ermöglichen, der bei den Begegnungen in Ostberlin nicht gewonnen werden konnte269. Bei einem Gespräch mit OKR Gerhard Lotz in Berlin im Dezember 1967 sagte das Staatssekretariat für Kirchenfragen laut eines Aktenvermerks von Lotz „ausnahmsweise unter besonderer Berücksichtigung des guten Kontaktes von Thüringen mit dem Staatssekretariat und den sonstigen politischen Stellen“270 zu, dass Landesbischof Erich Eichele mit zwei Prälaten eine Einreisegenehmigung erhalten werde. Jedoch sei es „dem Staatssekretariat unmöglich, eine gesamte Kirchenleitung aus der Bundesrepublik zum Kontakt mit einer DDRKirchenleitung hereinzulassen.“ Die Württemberger Kirchenleitung, über die engen Kontakte der Thüringer Partner mit den staatlichen Stellen informiert und durch die sich anbahnende und von der Thüringischen Kirchenleitung befürwortete Trennung der DDRKirchen von der EKD verunsichert, betrachtete die Reduzierung des Personenkreises mit Misstrauen. Nach schlechten Erfahrung Eicheles mit dem Staatssekretariat anlässlich des Reformationsjubiläums in Wittenberg271 befürchtete sie eine politische Vereinnahmung des Treffens von Seiten des Staates, gegen die die Eisenacher scheinbar nichts unternahmen272. Im Februar sagte Stuttgart daher das Treffen ab und schlug statt dessen eine Zusammenkunft zwischen Prälaten und Visitatoren in der üblichen Form der Begegnungen in Berlin vor, um sich, laut einer Aktennotiz von OKR Heinz Krannich über sein Gespräch mit Pfarrer Albrecht Hirth vom HWW, „ganz inoffiziell über Fragen ihres gemeinsamen Dienstes einmal auszusprechen273. 269 Vgl. OKR Krannich an Prälat Pfeiffer (ohne Datum, LKA EISENACH A 827 Bd. 7a) und Evangelische Prälatur Reutlingen, Prälat Pfeiffer, „Aktennotiz über die Besprechung mit Oberkirchenrat Krannich/Eisenach am 20. und 21. Juni 1968 in Berlin“ (OKR STUTTGART 88.10-5 1967–1984 Bl. 41), S. 1f. Zwischen Pommern und Nordelbien etablierte sich bereits in den Jahren nach dem Mauerbau ein jährliches Treffen kirchenleitender Personen. Seit Anfang der siebziger Jahre gab es dort regelmäßige, als „Pröpstetreffen“ bezeichnete Begegnungen auf der Ebene der Superintendenturen (vgl. S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 46f.). 270 Beide Zitate im Aktenvermerk von OKR Lotz vom 2.1.68 (LKA EISENACH A 827 Bd. 7a). Im Original ist „ausnahmsweise“ unterstrichen. Zum Hintergrund und zur Rolle von Lotz s. u. den Exkurs „Der Thüringer Weg“, S. 184ff. 271 Die DDR-Führung hatte nicht nur versucht, die Reformationsfeierlichkeiten für ihre eigenen Ziele zu vereinnahmen, sondern auch die Erteilung einer Einreisegenehmigung für westliche Kirchenvertreter an deren loyale Einstellung zur DDR geknüpft (vgl. G. BESIER, SED-Staat, Bd. 1, S. 639f.). 272 Vgl. OKR Krannich an Prälat Pfeiffer (ohne Datum, LKA EISENACH A 827 Bd. 7a) und Evangelische Prälatur Reutlingen, Prälat Pfeiffer, „Aktennotiz über die Besprechung mit Oberkirchenrat Krannich/Eisenach am 20. und 21. Juni 1968 in Berlin“ (OKR STUTTGART 88.10-5 1967–1984 Bl. 41), S. 1f. 273 Aktennotiz OKR Krannich vom 7.2.68 (LKA EISENACH A 827 Bd. 7a).

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Die Absage wiederum stieß in Thüringen auf Unverständnis: Eine Begegnung mit staatlichen Stellen sei zu keiner Zeit vorgesehen gewesen, das Treffen in Eisenach sollte „nur kirchlichen Charakter tragen“ und „nur lautere Absichten und Gedanken“274 hätten die Thüringer bei der Vorbereitung bewegt. Da die Einreisegenehmigung auch für einen kleineren Personenkreis nur durch zähe Verhandlungen mit dem Staatssekretariat zu erwirken gewesen sei, habe die Absage aus Württemberg Peinlichkeit hervorgerufen275. In einem klärenden Gespräch zwischen OKR Krannich und dem Reutlinger Prälaten Helmut Pfeiffer im Juni 1968 in Berlin konnten die Wogen geglättet werden. Es wurde vereinbart, dass die jeweiligen Prälaten und Visitatoren sich im kommenden Jahr an Begegnungen der in ihren Aufsichtsbezirken liegenden Kirchenkreisen beteiligen sollten276. Nach dem Debakel des Jahres 1968 wurde der Gedanke eines eigenen „Prälatentreffens“ erst zehn Jahre später wieder aufgegriffen und konnte schließlich realisiert werden. Am 9./10. März 1978 fand die erste Begegnung von drei Thüringer Visitatoren und vier württembergischen Prälaten jeweils in Begleitung der Hauptgeschäftsführer sowie der für die Partnerschaftsarbeit zuständigen Geschäftsführer des Diakonischen Amtes Eisenach und des DWW in Berlin statt277. Themen waren neben der inneren Lage der ELKTh und ihrer Position im Hinblick auf den BEK und das Staat-Kirche Verhältnis auch die kirchenpolitische Landschaft innerhalb der Württembergischen Landeskirche sowie aktuelle Fragen der Zeit wie Kirche und Terrorismus und die Stellung der Kirche zu anderen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Hinsichtlich des binnenkirchlichen Bereichs ging es um Fragen der Stellenbesetzung, des Lebens der Pfarrfamilien, der Ausbildung des Nachwuchses sowie um die Situation der Laien278. Nach den positiven Erfahrungen der Begegnung wurde vorgeschlagen, nun alle zwei Jahre ein solches Prälatentreffen durchzuführen279. Die nächste der zweitägigen Zusammenkünfte, an der auch die Landesbischöfe teilnahmen, konnte im Juli 1980, zwölf Jahre nach dem ersten Versuch, tatsächlich in Eisenach stattfinden280. Als Gesprächsthemen waren wieder Fragen des Lebens im Pfarrhaus vorgesehen, außerdem im Hinblick auf Thüringen der Friedensdienst 274

Beide Zitate OKR Krannich an Prälat Pfeiffer (ohne Datum, LKA EISENACH A 827 Bd. VIIa). Vgl. Evangelische Prälatur Reutlingen, Prälat Pfeiffer, „Aktennotiz über die Besprechung mit Oberkirchenrat Krannich/Eisenach am 20. und 21. Juni 1968 in Berlin“ (OKR STUTTGART 88.10-5 1967–1984 Bl. 41), S. 1. 276 Vgl. EBD., S. 3. 277 Vgl. die Aktennotiz von OKR Krannich vom 14.3.78 (LKA EISENACH A 827 Bd. 4/4). 278 Vgl. den Programmentwurf vom 8.3.78 (EBD.). 279 Vgl. die Aktennotiz von OKR Krannich vom 14.3.78 (EBD.). 280 Vgl. Leich an v. Keler vom 10.7.80 (DWT EISENACH A 5a). 275

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der Kirche und der geplante Zusammenschluss der DDR-Kirchen zu einer Vereinigten Evangelischen Kirche281. Im Hinblick auf Württemberg sollten besonders die ökumenischen Beziehungen zur römisch-katholischen Kirche erörtert werden. Neben zwei Arbeitsgesprächen waren diesmal auch Besichtigungen in Weimar und Eisenach vorgesehen. Die Ehefrauen der Teilnehmer waren ebenfalls zu einem Gedankenaustausch eingeladen. Neben den nun im zweijährigen Turnus stattfindenden Prälatentreffen282 entwickelte sich in den achtziger Jahren auch ein vermehrter Fachaustausch zwischen den einzelnen Referaten des Stuttgarter Oberkirchenrats und des Landeskirchenamts in Eisenach. Besonders intensiv war die Zusammenarbeit im Baubereich, in dem die Thüringer dringend auf Hilfe aus Württemberg angewiesen waren283, und in der Theologenausbildung284. 3.1.2.5. Synoden Ein großer Schritt hin zu mehr Gemeinschaft war der Beginn der gegenseitigen Synodenbesuche beider Partnerkirchen285. Anfang April 1956 regte der Vizepräsident der württembergischen Synode, Heinz Autenrieth, am Rande der Sitzung des Präsidiums der EKD-Synode, dem auch der damalige Thüringische Synodalpräsident Lotz angehörte, in Hannover die gegenseitige Einladung zu den Synoden an286. Nur wenige Tage später, am 13. April, beschloss der 5. Landeskirchentag der Württembergischen Landeskirche einstimmig, neben den Vertretern der Nachbarsynoden „künftig zu seinen Vollsitzungen auch einen Vertreter unserer Thüringischen Patenkirche einzuladen.“287 Begründet wurde die Initiative mit dem Hinweis, es sei wichtig, den „Brüdern drüben“ 281

Vgl. dazu G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 326–333. Vgl. den Tätigkeitsbericht des Landeskirchenrates vom 27.3.86 (OKR STUTTGART 88.10-5 1985–1990, Bl. 40/1) und Ullrich, Fachkontakte (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 2. 283 Vgl. OKR an Landesbischof Leich vom 23.4.81 (OKR STUTTGART 88.10-5 1967–1984 Bl. 198/1). S. o. S. 93. 284 Vgl. u. a. die dreitägige Besuchsreise von Ausbildungsdezernent OKR Frik im März 1985 (LKA EISENACH A 791 Bd. 10/1), s. o. S. 125. 285 Bearbeitet wurden die Grußworte der Gäste und Berichte der Besucher der jeweiligen Vorsynode der Partnerkirche in den Protokollen des württembergischen Landeskirchentages bzw. der württembergischen Landessynode von 1956–90, sowie in den schriftlich vorliegenden Protokollen der Synode der ELKTh 1956–63 (danach wurden die Verhandlungen ausschließlich auf Tonbändern festgehalten). 286 Vgl. die Schilderung des Zustandekommens der Begegnungen durch Lotz auf der 5. Tagung der 2. Synode der ELKTh vom 16.–19.12.56 (LKA EISENACH R 212), S. 1. Aus der Tatsache, dass in der Niederschrift über die Sitzung des Präsidiums der EKD-Synode vom 9./10.4.56 (EZA BERLIN 2/1326) diesbezüglich nichts vermerkt ist, geht hervor, dass es sich um eine persönliche Nebenabsprache gehandelt haben muss. 287 VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 469. 282

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auch auf diese Weise zu zeigen, dass sie nicht vergessen seien, und ihnen in ihrem „ständigen Ringen um Kirche und Wortverkündigung“ Mut zu machen. Gleichzeitig sei es aber auch für die württembergische Seite unverzichtbar, „in Fühlung“ zu kommen und unmittelbar zu erfahren, „wie es drüben steht, wie sie denken und was sie von uns erwarten.“288 Der Beschluss wurde sofort umgesetzt. Bereits bei der Herbstsynode im November 1956 in Bad Boll war Ingo Braecklein, damals Superintendent in Weimar, als erster Thüringer Gast dabei. Zu Beginn seines Grußwortes brachte er seinen Dank dafür zum Ausdruck, dass den Thüringern aus Württemberg Jahr für Jahr „nicht nur wirtschaftliche, sondern in einem echten Sinn eine geistliche Hilfe“289 zugeflossen sei. Doch noch aus einem anderen Grunde sei die Thüringer Synode dankbar für den begonnenen Besuchsdienst: „Wir glauben nämlich, daß wir hin und her uns etwas zu sagen haben.“ Der Gast hob die unterschiedlichen geschichtlichen und aktuellen kirchlichen Situationen in Württemberg und Thüringen hervor: Hier, so sah es Braecklein, die jahrhundertealte, in der Zeit des Nationalsozialismus intakt gebliebene und nun unter „klaren durchsichtigen politischen Verhältnissen“ lebende Kirche, dort die junge Kirche, die „in den Jahren des Kirchenkampfes unter einer schweren Überfremdung gestanden“ habe und sich nun mit einem Staat auseinander zu setzen habe, der „den Marxismus-Leninismus als Heilslehre vertritt und verbreitet“. Doch diese Unterschiede, so der Thüringer Besucher, bedeuteten keine Beeinträchtigung, sondern eine Bereicherung des gemeinsamen Gesprächs. An der 5. Tagung der 2. Synode der ELKTh vom 16.–19. Dezember 1956 konnte als erster Vertreter aus Württemberg der Nürtinger Dekan und Vorsitzende der Bekenntnisgemeinschaft Theodor Dipper teilnehmen. Die Anwesenheit von Besuchern aus Württemberg bei den Verhandlungen war eine besonderes Privileg, da die Sitzungen der Thüringer Synode unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden. Dipper hob in seinem Grußwort die gegenseitigen Synodenbesuche als Zeichen dafür heraus, dass zwischen den beiden Kirchen „etwas gereift“290 sei. Ein solcher Austausch verstehe sich nämlich keineswegs von selbst: „Keine Hausfrau läßt sich gern in die Waschküche sehen, und hier bei der Synode sieht man nun eben einmal hinein. Man sieht, was alles los ist. Man sieht nicht nur die fertigen Ergebnisse, sondern hört auch, wie die Dinge zustandegekommen sind, und da ist es nun eben wie in einer Familiengemeinschaft. Da gibt es nicht lauter 288

Alle Zitate EBD. S. 470. Die folgenden Zitate EBD., S. 481. 290 5. Tagung der 2. Synode der ELKTh vom 16.–19.12.56 (LKA EISENACH R 212), S. 4. 289

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Höhepunkte, sondern es gibt auch andere Punkte. Ich habe z. B. Bruder Braecklein wirklich bewundert, wie er so geduldig an seinem Plätzchen saß und mit angehört hat, wie wir Württemberger etwa bei unserer Etatberatung langweilig sind.“291

Zum Abschluss seiner ausführlichen Ansprache dankte Dipper der Thüringer Synode noch einmal für ihre Bereitschaft, ihre „Geheimfächer vor einem Gast aufschließen“292 zu wollen. Er hoffe, seine Rede werde nicht verstanden als ein Wort, „das einer aus einem sicheren Ort nun getrost und ruhig sagen kann anderen gegenüber, die nicht so sicher sind.“ So sei es von ihm aus nicht gemeint. Tatsächlich sollte sich der Blick in die „Waschküche“ und die „Geheimfächer“ der Partnerkirchen neben den persönlichen Kontakten als eine der unverstelltesten und unmittelbarsten Möglichkeiten gegenseitiger Information herausstellen. Alle Probleme des kirchlichen Lebens lagen hier offen auf dem Tisch. Bei Fragen, die auf beiden Seiten in gleicher Weise verhandelt wurden, wie etwa die Aufnahme von Frauen in den Pfarrdienst293 oder die Bedeutung und Rolle der Diakonie in der Kirche294 konnten die bei der anderen Synode gehörten Argumente die eigene Diskussion befruchten. Gleichzeitig gewannen die Besucher einen Einblick in die besonderen Probleme der jeweiligen Kirche: In Württemberg fiel darunter beispielsweise die Diskussion um die Theologie Bultmanns Ende der fünfziger Jahre295 oder das Dauerthema des Verhältnisses der verschiedenen Gruppierungen innerhalb württembergischen Synode296. In Thüringen war das etwa die Frage von Konfirmation und Jugendweihe Ende der fünfziger Jahre297 oder in den achtziger Jahren die Friedens- und Umweltarbeit und das Verhältnis zu den Gruppen unter dem Dach der Kirche298. Besonders wichtig aber war die Tatsache, dass in den sechziger Jahren die württembergischen Vertreter bei ihren Berichten von den ELKTh-Synoden immer wieder ein differenziertes Bild der Einstellung der thüringischen Kir291

EBD., S. 6. Beide Zitate EBD., S. 10. 293 Vgl. den Bericht von Dekan Rudolf Brezger vor der Württembergischen Landessynode am 21.10.65, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 1091. 294 Vgl. das Grußwort von Synodalpräsidentin Christina Schultheiß vor der Württembergischen Landessynode am 24.11.81, EBD., S. 1185f. 295 Vgl. das Grußwort von Superintendent Julius Wessinger vor der Württembergischen Landessynode am 10.4.59, EBD., S. 1098. 296 Vgl. das Grußwort des Vizepräsidenten der Thüringer Landessynode vor der Württembergischen Landessynode am 25.11.87, EBD., S. 1334. 297 Vgl. das Grußwort von Dekan Rudolf Brezger bei der 9. Tagung der 2. Synode der ELKTh vom 9.–12.11.58 (LKA EISENACH R 212), S. 38. 298 Vgl. das Grußwort von Superintendent Martin Zunkel vor der Württembergischen Landessynode am 26.6.81, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 1069, und das Grußwort von Synodalpräsidentin Christina Schultheiß vor der Württembergischen Landessynode am 24.11.81, EBD., S. 1186. 292

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chenleitung und Synode zum DDR-Staat und zur Einheit der EKD zeichnen und so Misstrauen und Verhärtungen entgegenwirken konnten. Dabei ist die Bedeutung der Besuche auf zwei Ebenen zu sehen. Neben den offiziellen Verhandlungen waren auch die Gespräche mit den Synodalen in den Pausen oder bei den geselligen Abenden von großer Bedeutung. Immer wieder lobten die württembergischen Berichterstatter die gemeinsame Unterbringung in Eisenach, die den persönlichen Austausch und die Vertrautheit förderte299. In den sechziger Jahren erfuhren die Gäste aus dem Westen auf diesem Wege, dass die in Württemberg oft mit Befremden betrachtete Haltung Mitzenheims und besonders seines OKR Lotz nicht die ungeteilte Zustimmung aller Thüringer Synodalen fand300. Die Aufgabe der Besucher während der Verhandlungen war die des stillen Beobachters, auch wenn es ihnen gelegentlich schwer fiel, wie man aus dem Grußwort des Nagolder Dekans Rudolf Brezger auf der Dezembersynode des Jahres 1960 in Thüringen heraushören kann: „Es ist ja klar, daß ich mit dem Wort an Ihren Verhandlungen nicht teilnehmen soll und nicht teilnehmen kann, wenn Ihre Fragen mich auch innerlich sehr bewegen. Bei all diesen Fragen muß ja immer berücksichtigt werden zugleich die Situation in die hinein eine Ordnung geschehen soll, die ist nicht dieselbe in Württemberg und in Thüringen. Darum hielt ich mich zurück, aber wir leben miteinander.“301

Die Wichtigkeit des synodalen Austausches wurde von der Kirchenleitung anerkannt. Im gleichen Grußwort erwähnte Brezger, er habe eigentlich an diesem Mittag einen wichtigen Dienst in Stuttgart zu erfüllen gehabt. Als er die Terminkollision bei einer Besprechung auf dem Oberkirchenrat zur Sprache brachte, wurde ihm sofort beschieden, es sei wichtiger, nach Thüringen zu fahren. „So klar steht das“302, fasste Brezger die Situation zusammen. Einen gravierenden Einschnitt für die Beziehungen zwischen den Synoden bildete der Mauerbau am 13. August 1961. In einem Brief vom 29. August dankte OKR Lotz dem Präsidenten der württembergischen Landessynode für die Einladung eines Thüringer Delegierten zur Herbsttagung, teilte aber mit, „wegen der besonderen gegenwärtigen Verhältnisse“ sei „ein Besuch nicht mehr

299 Vgl. z. B. die Berichte von Gölz am 21.11.57 (EBD., S. 716), Brezger am 10.4.59 (EBD., S. 1097) und Bochinger vom 4.10.61 (EBD., S. 323). Ein Lob auf die geselligen Abende im Bezug auf die partnerschaftlichen Verbindungen zu Württemberg findet sich auch bei W. LEICH, Horizonte, S. 98. 300 Vgl. den Bericht von Dekan Gotthilf Weber vor der Württembergischen Landessynode am 10.6.66, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 43 sowie Leich 27.8.01. Dazu s. u. S. 187. 301 1. Tagung der 3. Synode der ELKTh vom 4.–7.12.60 (LKA EISENACH R 212), S. 21. Vgl. auch schon sein Grußwort bei der 9. Tagung der 2. Synode vom 9.–12.11.58 (EBD.), S. 38. 302 1. Tagung der 3. Synode der ELKTh vom 4.–7.12.60 (EBD.), S. 21.

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möglich.“303 Wie wenig Lotz zu diesem Zeitpunkt die Tragweite der Ereignisse des 13. August absah, zeigt seine anschließende Bemerkung, dass „mit einer Neuregelung des gesamten Interzonenverkehrs“ vor Oktober „wohl kaum zu rechnen sei“, er aber sehr hoffe, „dass es bald wieder möglich sein wird, dass wir die gegenseitigen Besuche von Vertretern unserer beiden Kirchen wieder aufnehmen können.“ Was Lotz in Bälde erhoffte, sollte bis 1978 unmöglich bleiben. Viele Jahre musste sich der Austausch auf Besuche der Württemberger bei den Verhandlungen in Eisenach und ihre Berichte auf den Tagungen in Württemberg beschränken. Erst durch den Einfluss der Thüringer Synodalpräsidentin Christina Schultheiß, die als Vorstandmitglied des BEK auch am Spitzengespräch mit Honecker am 6. März 1978 teilgenommen hatte, änderte sich die Situation. Mit Hinweis auf die Bedeutung eines solchen Austausches für das Ansehen der DDR konnte sie beim Staatssekretär für Kirchenfragen eine Ausreisegenehmigung für Besuche bei der Württemberger Synode erwirken304. So lange war den Thüringer Synodalen die Ausreise Richtung Württemberg verwehrt gewesen, dass Ende der siebziger Jahre die Erinnerung an eine Zeit der gegenseitigen Besuche fast schon verblasst war. Dementsprechend brachten am 13. November 1978 in Stuttgart der Präsident der Synode und OKR Hartmut Mitzenheim als Gast aus Thüringen übereinstimmend ihre Freude darüber zum Ausdruck, dass nun „erstmals“ ein Vertreter der Partnerkirche bei der Württemberger Synode dabei sein könne305. Mit der allmählichen Verbesserung der Reisemöglichkeiten konnte die Basis der gegenseitigen Synodenbesuche ab 1980 noch verbreitert werden. Nun waren fast immer zwei Thüringer bei den Tagungen der württembergischen Synode zu Gast, davon ein Vertreter oder eine Vertreterin der Synode und ein Vertreter des Landeskirchenamtes. Nach der Wende wurde die Zusammenarbeit weiter intensiviert. Im Mai 1990 fand eine zweitägige Begegnung des Ältestenrates der Württemberger mit dem Ständigen Ausschuss der Thüringer Synode statt, bei der neben dem Austausch über die neue Situation die Planung einer gemeinsamen Tagung beider Synoden auf dem Programm stand306. Die vierte Sitzung der elften württembergischen Landessynode am 30. Juni 1990 war mit Berichten von thüringischen und württembergischen Referenten ganz der Entwicklung der Bezie303 Folgende Zitate: Die Synode der ELKTh, Präsident Lotz, an Synodalpräsident Autenrieth vom 29.8.61 (LKA STUTTGART A 126 529d III Bl. 228). 304 Vgl. Schultheiß 14.3.02. 305 Vgl. VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 84f. 306 Vgl. den Bericht des Synodalpräsidenten Seitter vor der württembergischen Landessynode am 30.6.90, EBD., S. 149–152.

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hung zur Partnerkirche gewidmet. Synodalpräsident Oswald Seitter warnte davor, die nun möglich gewordenen intensiveren Kontakte mit überzogenen Erwartungen zu belasten. Das Gespräch über den einzelnen tief bewegende Glaubensfragen brauche Zeit, man dürfe nicht glauben, „daß es da gleich sprudelt“: „Das sind Dinge, nach denen man sich sehr behutsam erkundigen muß und die man lernen muß, aber es sind Dinge, die unendlich wertvoll sind. Deshalb weiß ich gar nicht, ob alle Begegnungen in Thüringen zu handfesten Beschlüssen führen. Mir ist es aber eine ganz große Hilfe, daß wir eine Plattform schaffen, wo wir das gegenseitig erfahren und weitergeben wollen.“307

Vom 28.–31. Mai 1992 fand die erste gemeinsame Tagung beider Synoden zum Thema „Den einen Glauben bekennen“ in Eisenach und Friedrichroda statt. In seiner Eröffnungsandacht nannte der württembergische Landesbischof Theo Sorg die gemeinsame Tagung ein „bedeutsames Geschehen“. Die über Jahrzehnte in allen Schwierigkeiten durchgehaltene Partnerschaft finde damit „in einer veränderten Situation, die nicht weniger schwierig ist, einen neuen geistlichen Höhepunkt.“308 Der Thüringer Landesbischof Roland Hoffmann betonte in seiner Eröffnungsrede im Palas der Wartburg, nun könne aus dem „gegenseitigen Besuchen“ ein „gemeinsames Arbeiten“309 werden. Ihre Fortsetzung fand die unmittelbare Zusammenarbeit bei einer weiteren gemeinsamen Tagung mit dem Thema „Dein Reich komme“ vom 29. Juni bis 2. Juli 2000 in Friedrichshafen310. Die gewachsene Selbstverständlichkeit der gesamtdeutschen Partnerarbeit zeigte sich daran, dass die dokumentierten Referate und Predigten zehn Jahre nach der Wende fast ausschließlich das gewählte Tagungsthema in den Blick nahmen, die Tatsache der gemeinsamen Arbeit aber kaum mehr erwähnten.

3.1.3. Persönliche Beziehungen Die zweite tragende Säule der Kirchenpartnerschaft zwischen Württemberg und Thüringen waren neben den institutionellen die persönlichen Partnerschaften von Familie zu Familie, von Einzelperson zu Einzelperson. Ende der achtziger Jahre waren dem DWW etwa 4.000 Thüringer Adressen bekannt, zu 307

EBD., S. 151. Vgl. WÜRTTEMBERGISCHE EVANGELISCHE LANDESSYNODE, Den einen Glauben bekennen, Abschnitt II b., S. 1. 309 EBD., Abschnitt II c., S. 1. 310 Vgl. AMT FÜR INFORMATION, „Dein Reich komme“. 308

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denen eine solche Partnerschaft bestand311. Um 1970 wurde die Zahl sogar auf 6.000 geschätzt312. Die Differenzierung zwischen institutionellen und persönlichen Partnerschaften erfolgte erst allmählich. In ihren Anfängen war die vom Hilfswerk initiierte Pakethilfe immer Hilfe für bedürftige Einzelpersonen oder Familien, auch wenn die Pakete beim Gemeindepfarrer gesammelt wurden.313 Erst nachdem Mitte der fünfziger Jahre die Partnerschaft zwischen Gemeinden institutionalisiert und der zentrale Paketversand durch die Geschenkpaketverordnung vom August 1954 unmöglich gemacht worden war, wurden von Pfarrverein und Hilfswerk persönliche Partnerschaften speziell für Pfarrer und andere kirchliche Mitarbeiter angeregt. Diese wurden auch deshalb nötig, weil die zunehmende Entkirchlichung der Gesellschaft und die staatlichen Vorgaben keine allgemeine, breitgestreute Hilfe mehr erlaubten314. Dabei wurde das Kriterium der kirchlichen Mitarbeit allerdings so weit gefasst, dass auch nebenund ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie engagierte und bedürftige Gemeindeglieder berücksichtigt werden konnten. Nach einem Diktum vom Leiter der Hauptgeschäftsstelle Ludwig Geißel sollte als kirchlicher Mitarbeiter gelten, wer „sich am Leben der Kirche beteiligt.“315 Ein bleibendes Problem stellte jedoch die Frage dar, was mit Thüringer Gemeindegliedern geschehen sollte, die sich weitgehend von der Kirche gelöst hatten, doch weiterhin Unterstützung von Württemberger Partnern erhielten. Bei einer Besprechung zwischen Diakonischem Amt Eisenach und DWW im Mai 1976 trafen unterschiedliche Auffassungen aufeinander, eine Einigung wurde nicht erzielt. Während die Stuttgarter für eine weitere Betreuung plädierten, um die Württemberger Christen, die diese Beziehung über lange Jahre gepflegt hatten, nicht zu verärgern, machten die Eisenacher ihre Bedenken geltend: Die Betreuung dieser Personen verärgere die übrigen Gemeindemitglieder und mache die Hilfe aus Württemberg auch den staatlichen Stellen gegenüber suspekt316. 311 Vgl. Kraft, Thüringen (DWW STUTTGART 2.02 265), S. 3. Zur Hilfe für Einzelpersonen in der Partnerschaft zwischen Pommern und Nordelbien vgl. S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 54–60. 312 Vgl. den Bericht „Patenschaftshilfe und ihre Probleme“ (ca. 1970, LKA STUTTGART DWW 91). Der Rückgang erklärt sich hauptsächlich durch die Verringerung der Zahl der bedürftigen Gemeindeglieder in den siebziger und achtziger Jahren (vgl. DWW, „Mittelfristige Planungen, Abteilung Gesamtkirchliche Hilfen“ vom 29.1.90, DWW STUTTGART 2.02 264, S. 3). 313 Dazu Kapitel 3.1.2.1. 314 Zu den politischen Vorgaben vgl. den Bericht „ Patenschaftshilfe und ihre Probleme“ (undatiert, etwa 1970), LKA STUTTGART DWW 91, sowie Kapitel 4.4.1.2. 315 Zit. nach Mehlhorn, Niederschrift (DWW STUTTGART 2.02 265), Abschnitt „Einzelpartnerschaften“. 316 Vgl. die Aktennotiz zur Textilhilfe vom 10.5.76 (DWT EISENACH A 5a 1975–1980).

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Für die kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Thüringen waren die Kontakte zu den Württemberger Partnern eine wichtige Hilfe. Niedrige Gehälter, politischer Druck und hohe Arbeitsbelastung führten nicht selten zu Müdigkeit und Resignation317. Die persönlichen Partnerschaften sollte daher „materielle Erleichterung und Glaubensstärkung zugleich“318 sein. Zur materiellen Unterstützung stellte das HWW, später das DWW den Württembergern jährlich ein Textilpaket mit Bekleidung, Bettwäsche, Handtüchern, Decken und anderen Gebrauchsgegenständen zur Weiterleitung an die Thüringer Partner zur Verfügung319. Die Organisation dieser Textilspende setzte genaue Kenntnis der Familienverhältnisse, Bedürfnisse und Konfektionsgrößen der Empfänger voraus. Nicht zuletzt dies machte den hohen Ruf des langjährigen Geschäftsführers des HWW, Albrecht Hirth, bei der Thüringer Pfarrerschaft aus. Man empfand es als beruhigend zu wissen, dass in Stuttgart „eine guter Hirte“ saß, bei dem jede einzelne Kragenweite bekannt war320. Die Bedeutung der Textilhilfe für die Familien der kirchlichen Mitarbeiter schilderte eine Thüringer Pfarrfrau auf einer der Begegnungen sehr drastisch: „Wenn ich von dem, was ich heute anhabe, das ausziehen würde, was aus dem Westen ist, dann würde ich nackt vor ihnen stehen.“321 1989, im vorletzten Jahr des 1990 eingestellten Textilhilfeprogramms waren 81% der kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und 95% der Pfarrerinnen und Pfarrer im Textilhilfeprogramm erfasst322. Vor allem für Pfarrhäuser standen zudem Bücherspenden, besonders theologische, aber auch schöngeistige Literatur zur Verfügung. Schließlich waren die westdeutschen Partner angehalten, etwa viermal jährlich ein privates Paket nach Thüringen zu schicken323. Mindestens so wichtig wie die materielle Hilfe war jedoch der persönliche Austausch durch Briefe und Besuche, der den Thüringern das Gefühl gab, „nicht vergessen zu sein“324, und den Württembergern einen Einblick in das 317 Vgl. die Berichte „Patenschaftshilfe für Thüringen“ vom 30.1.64 (LKA STUTTGART DWW 91) und „Gesamtkirchliche Hilfe“ vom 16.5.78 (DWW STUTTGART 2.02 265). 318 Evangelischer Pfarrverein in Württemberg an alle württembergischen Pfarrfamilien im November 1958 (PB MITTENDORF). 319 Vgl. Kraft/Ullrich, Partnerschaft (DWW STUTTGART 2.02 265), S. 2. 320 Vgl. von Keler 1.2.02. 321 Hirth 6.9.01. 322 Vgl. die Auswertung des Textilhilfeprogramms durch das DWW vom 19.1.90 (DWT EISENACH, als Anlage zum dortigen Exemplar von Mehlhorn, Niederschrift). 323 Vgl. Evangelischer Pfarrverein in Württemberg an alle württembergischen Pfarrfamilien im November 1958 (PB MITTENDORF) und das Rundschreiben DWW an „alle, die bereit sind, eine Patenschaft für einen Pfarrer in Thüringen zu übernehmen“ (ca. 1970, LKA STUTTGART DWW 93). 324 Bericht „Gesamtkirchliche Hilfe“ vom 16.5.78 (DWW STUTTGART 2.02 265), vgl. auch Stengel 27.8.01.

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kirchliche und private Leben unter den Bedingungen der DDR verschaffte. Immer wieder wurde dazu ermutigt, einen möglichst regen Briefkontakt zu halten. In einem Vermerk des HWW vom Oktober 1966 hieß es, die Württemberger sollten dazu ermuntert werden, nicht erst nach Erhalt einer Antwort erneut zu schreiben, denn oft gingen Briefe verloren. Auch sei zu beachten, dass denen, die „seit Jahren die Nehmenden sind“, das Schreiben „oft schwerer“ fiele. Eine noch bessere Möglichkeit sei allerdings „sich ab und zu nach Thüringen einladen zu lassen.“325 Durch intensive Briefkontakte, die Oberflächlichkeiten weit hinter sich ließen, entstanden oft langjährige Freundschaften. Zu Besuchszwecken wurden aus diesen Freundschaften manchmal sogar geistliche Verwandtschaften, denn häufig wurden die Partner als Vettern oder Kusinen ausgegeben, um eine Einreisegenehmigung zu erhalten326. 3.1.3.1. Pfarrhäuser Besonders früh und intensiv entwickelten sich die persönlichen Partnerschaften zwischen den Pfarrhäusern beider Landeskirchen. Dies verdankt sich besonders dem Engagement des württembergischen Pfarrvereins. Bereits im Frühjahr 1953 machte der Verband der Pfarrvereine bei einer Vorstandsbesprechung in Treysa den einzelnen Pfarrervertretungen zur Pflicht, eine wirksame Hilfe für die Pfarrhäuser ihrer Patenbezirke zu schaffen327. In Württemberg wurde daraufhin in der Vorstandssitzung im Juni 1953 beschlossen, die „Mitglieder zur regelmäßigen Absendung von Paketen an Amtsbrüder in der Ostzone aufzufordern.“328 Zunächst wandte man sich hilfesuchend an die Kirchenkanzlei der EKD, um die entsprechenden Adressen in Thüringen in Erfahrung zu bringen, wählte dann aber bald den gangbareren Wege über die bereits vorhandenen Verbindungen des Hilfswerks. In enger Zusammenarbeit zwischen Pfarrverein und Hilfswerk wurde nun jedem württembergischen ein Thüringer Pfarrhaus zugewiesen. Dabei wurde bewusst darauf geachtet, dass die persönlichen Partnerschaften mit den Gemeindepartnerschaften nicht übereinstimmten329. Die persönlichen Verbindungen sollten gezielt der Unterstützung der Pfarrfamilien dienen und nicht in 325

Vermerk „Herrn Pfarrer Hirth für Pfarrverein“ vom 18.10.66 (LKA STUTTGART DWW 91). Vgl. F. WINTER, Wege, S. 129, und Köhler 30.8.01. 327 Vgl. Evangelischer Pfarrverein in Württemberg an OKR vom 9.8.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 225/1). 328 Evangelischer Pfarrverein in Württemberg, Pfarrer Horn, an Kirchenkanzlei der EKD vom 10.6.53 (PB MITTENDORF). 329 Vgl. Evangelischer Pfarrverein in Württemberg an OKR vom 9.8.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 225/1). 326

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Konkurrenz zu Hilfen für die Gemeinden stehen. Zudem konnten so die Beziehungen auch nach einem Pfarrstellenwechsel des einen oder anderen Partners bestehen bleiben, während die Kontakte mit dem Pfarrer der Partnergemeinde immer wieder neu geknüpft werden mussten. Um Verwechslungen zu vermeiden, sollten die Pakete für die Pfarrfamilien an „Herrn und Frau Pfarrer NN“ adressiert sein, während die Pakete für die Gemeinde nur an „Herrn Pfarrer“, ohne Namen, gerichtet sein sollten330. Bereits im August 1954 konnte der Pfarrverein dem Oberkirchenrat in Stuttgart berichten, bei einem Besuch in Thüringen habe man sich davon überzeugen können, dass „diese Form der Hilfeleistung grossen Anklang gefunden“331 habe. An der Verbesserung der Aktion werde weiter gearbeitet. Im Februar 1955 teilte das HWW dem Pfarrverein mit, alle Bitten aus Thüringen, die persönlich nicht erfüllt werden könnten, sollten an das Stuttgarter Hauptbüro weitergeleitet werden. Von dort würden sie zur Stellungnahme nach Eisenach geschickt, um zu gewährleisten, dass die begrenzten Mittel denjenigen zugute kämen, die es wirklich nötig hätten332. Im Juni des folgenden Jahres wurden in Zusammenarbeit zwischen den Bezirksleitern des Hilfswerks und den Vertrauensleuten des Pfarrvereins in den Kirchenbezirken auch die Ruhestandspfarrer, Pfarrwitwen und Ehefrauen im Krieg vermisster Pfarrer in die Partnerschaft einbezogen333. Dem Oberkirchenrat meldete das HWW, nach eigenen Beobachtungen seien die Pfarrhauspatenschaften „im allgemeinen lebendig und wirksam geworden.“334 Im Oktober 1958 hatten nach Angaben des Hilfswerks 68% der Thüringer Pfarrer einen persönlichen Partnerpfarrer in Württemberg335. Nach einer Initiative des Pfarrvereins zur systematischen zentralen Erfassung der Adressen in einer Absender- und einer Empfängerkartei im November 1958, die eine bessere Zuweisung noch nicht vermittelter Pfarrfamilien erlaubte336, konnte die Quote bis Oktober 1959 auf 80% erhöht werden. Mit Textilien konnten 330 Vgl. Auszug aus der Niederschrift über den Superintendenten-Konvent vom 1./2.11.54 (LKA EISENACH A 750 Bd. III) und Evangelischer Pfarrverein in Württemberg an OKR vom 9.8.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 225/1). 331 Evangelischer Pfarrverein in Württemberg an OKR vom 9.8.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 225/1). 332 HWW an Pfarrer Horn vom 25.2.55 (PB MITTENDORF). 333 Vgl. Evangelischer Pfarrverein in Württemberg an die Vertrauensmänner der Pfarrvereins vom 1.6.56 (PB MITTENDORF) und HWW an OKR vom 29.6.56 (LKA STUTTGART A 126 529d II Bl. 356). 334 HWW an OKR vom 29.6.56 (LKA STUTTGART A 126 529d II Bl. 356). 335 Vgl. den Bericht „Hilfe von Pfarrhaus zu Pfarrhaus“ vom 10.10.58 (LKA STUTTGART DWW 91). 336 Vgl. Evangelischer Pfarrverein in Württemberg an alle württembergischen Pfarrfamilien vom November 1958 (PB MITTENDORF).

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43,5% der Pfarrfamilien bedacht werden337. Dennoch bedurften die Pfarrhauspartnerschaften ständig weiterer Pflege338. Besonders für Vikare und neuordinierte Pfarrer, die durch geringen Verdienst und Anschaffungen wegen Umzug oder Familiengründung oft finanziell besonders unter Druck waren, mussten ständig neue Partner gefunden werden. Nach Einführung der Frauenordination in beiden Landeskirchen wurden Ende des Jahres 1970 auch die Pfarrerinnen in das System der persönlichen Partnerschaften innerhalb des württembergisch-thüringischen Beziehungsgeflechts einbezogen. Während zuvor der württembergische Theologinnenkonvent in einer gesonderten Aktion jährlich etwa 40 Pakete an Theologinnen in der DDR gesandt hatte, sollte diese Hilfe nun laut des auf Vorschlag der Württembergerinnen zustande gekommenen Beschlusses des Konvents der evangelischen Theologinnen in Westdeutschland in die landeskirchliche Partnerschaft integriert werden. So war es möglich, alle Theologinnen zu erfassen und neben privaten Spenden auch die Mittel des Hilfswerks zu nutzen339. Bei einer Überprüfung im Dezember 1970 stellte sich heraus, dass für elf der 17 Thüringer Pastorinnen und Vikarinnen noch eine Partnerschaft vermittelt werden musste340. Um den persönlichen Austausch zu pflegen, gab der Pfarrverein finanzielle Zuschüsse für Besuche nicht nur der Pfarrer, sondern auch der Pfarrfamilien in Thüringen. Neben den über das DWW bereitgestellten Sondermitteln der EKD zur Finanzierung der Fahrtkosten ersetzte der Pfarrverein den Zwangsumtausch, die Visagebühren und die Straßenbenutzungsgebühr. Sogar für das Gastgeschenk wurde ein Zuschuss gewährt341. Als das Diakonische Werk der EKD 1985 die Bezuschussung der Reisen zu den persönlichen Partnerpfarrern einstellte, weil darin aufgrund der Parallelstruktur von persönlichen und Gemeindepartnerschaften eine Doppelbetreuung der Thüringer Pfarrer gesehen wurde, übernahm der Pfarrverein auch diesen Betrag342.

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Vgl. die Notiz „Bezirkshelfertagung in Wildbad“ vom 22.10.59 (LKA STUTTGART DWW 91). Vgl. z. B. Evangelischer Pfarrverein in Württemberg an die Vertrauensleute des Pfarrvereins vom 11.11.62 (PB MITTENDORF). 339 Vgl. die Abschrift aus dem Schreiben Konvent der evangelischen Theologinnen in Württemberg, Pfarrerin Leonore Volz, an OKR vom 19.10.70 und DWW an Pfarrerin Leonore Volz vom 1.12.70 (beide DWW STUTTGART 2.02 261). 340 Vgl. DWW an Pfarrerin Leonore Volz vom 21.12.70 (EBD.). 341 Vgl. HWW an die Bezirksleiter, nachrichtlich an die Vertrauensmänner des Pfarrvereins vom 10.1.66 sowie Protokoll der Vorstandssitzung der Brüderlichen Fürsorge und der Evangelischen Waisen- und Familienfürsorge Württemberg vom 10.1.77 (PB MITTENDORF). 342 Vgl. DWW an Evangelische Waisen- und Familienfürsorge vom 28.6.85 (DWW STUTTGART 2.02 261). 338

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Nicht immer verliefen diese sehr persönlichen Kontakte reibungsfrei. Neben privaten Antipathien und auf verschiedenen Ebenen lauernden gegenseitigen Missverständnissen343 war auch die Unterscheidung zwischen persönlicher und gemeindlicher Unterstützung im materiellen Bereich gelegentlich schwierig. Überliefert ist die Auseinandersetzung des HWT mit einem Thüringer Pfarrer aus dem Jahr 1967, der seine über den persönlichen Partnerpfarrer erhaltene Waschmaschine bei seinem Wechsel in die Berlin-Brandenburgische Landeskirche mitnehmen wollte. Das Hauptbüro Eisenach bestand darauf, dass die Waschmaschine in Thüringen zu bleiben habe, da sie ein Geschenk der Württemberger an die Thüringer Kirche sei. Obwohl der Betroffene dies schließlich akzeptierte, kam Widerspruch aus Stuttgart. Das HWW war der Meinung, der Pfarrfamilie persönlich Geschenktes sollte mitgenommen werden dürfen344. Die Thüringer blieben bei ihrer Auffassung. Mit der Kirchenprovinz Sachsen und Brandenburg wurde vereinbart, dass nach diesem Präzedenzfall gelten sollte, dass die Haushaltsgeräte in der Landeskirche zu bleiben hätten. Dem HWW wurde erklärt, diese Regelung sei notwendig, da die Abwanderung aus Thüringen so groß sei, dass man Gefahr laufe, indirekt andere Landeskirchen mitzuversorgen. Außerdem erfolge ein Wechsel nach Berlin-Brandenburg häufig aus materiellen Gründen345. Ungeachtet einzelner solcher Zwischenfälle konnten jedoch durch die Praxis, die persönlichen Partnerschaften auch bei Pfarrstellenwechseln durchzuhalten, in vielen Fällen langjährige Freundschaften mit intensivem persönlichen und theologischen Austausch entstehen. 3.1.3.2. Sonstige kirchliche Mitarbeiter Bereits in den fünfziger Jahren wurde dem HWW deutlich, dass die Betreuung anderer kirchlichen Mitarbeiter, besonders der zahlreichen Thüringer Katechetinnen und Katecheten, „ähnlich gründlich“346 organisiert werden müsse wie die der Pfarrhäuser. Da diese Personengruppe über noch niedrigere Einkommen verfügte als die Pfarrer, war auch hier Hilfe dringend notwendig. Mit einem Rundschreiben vom September 1958 sandte das HWW Listen mit den Anschriften der kirchlichen Mitarbeiter in den Thüringer Patenbezirken an alle württembergischen Bezirksstellen mit der Bitte, für diese Personen Mitarbeiter 343 Zu den problematischen Kommunikationsbedingungen s. u. Kapitel 4.2.1., zu den Belastungen durch das Geber-Nehmer-Gefälle s. u. Kapitel 4.3.1. 344 Vgl. die Gesprächsnotiz vom 25.5.67 (LKA STUTTGART DWW 96). 345 Vgl. die Gesprächsnotiz vom 2.10.67 (EBD.). Mit „materiellen Gründen“ wird vermutlich auf die im Verhältnis zur übrigen DDR bessere Versorgungslage in Ostberlin angespielt. 346 Aktenvermerk vom 3.12.58 (LKA STUTTGART DWW 103).

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aus dem eigenen Bezirk als Paten zu suchen347. Im Frühjahr 1960 waren für 669 der 1.496 aus Thüringen gemeldeten Mitarbeiter Paten gefunden348, an einer Verbesserung wurde weiter gearbeitet. 1961 gelang es im Zuge der beginnenden Verwaltung der Sonderzuwendung mit viel Glück, noch kurz nach dem Mauerbau eine vollständige Liste aller Mitarbeiter der ELKTh aus Eisenach nach Stuttgart zu bringen. Damit verbesserten sich die Vermittlungsmöglichkeiten noch einmal erheblich349. Die Praxis der Weiterleitung der vom Hilfswerk ausgegebenen Textilpakete durch die Partner, bei der aufgrund der Paketverordnung von 1954 das Hilfswerk, also eine kirchliche Organisation, als Spender auf keinen Fall erwähnt werden durfte, bereitete manchen besonders auf Wahrhaftigkeit bedachten Württembergerinnen und Württembergern allerdings Gewissensnöte. So schrieb eine Frau aus Wendlingen, die Mitarbeiterinnen des Evangelischen Kinderhospitals Altenburg betreute, im März 1969 an das HWW in Stuttgart: „Ich bekomme so viele Dankesbriefe, die mir garnicht zustehen. […] Es ist mir ganz unangenehm, daß die guten Leutchen meinen, die Sachen kämen von mir. Aber ich darf doch nicht schreiben, daß sie von Ihnen sind.“350

Drastischer formulierte ein älterer Mann aus Tuttlingen, der dem DWW im Februar 1973 mitteilte: „Wir können diese Packete (sic!) nicht mit gutem Gewissen zum Versand bringen, täuschen den Leuten drüben etwas vor, lügen sie also an – ob das von Gott gesegnet wird?“351

Immer wieder versuchten die Mitarbeiter des DWW in solchen Fällen, die besonderen politischen Umstände zu erklären, die eine restlose Offenheit unmöglich machten. Von Beginn an bemühte sich das Hilfswerk darum, möglichst Mitarbeiter derselben Berufsgruppen einander zuzuordnen. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Diakonie und der kirchlichen Verwaltungsstellen sollten nach Möglichkeit Kontakt zu ihren Kolleginnen und Kollegen in Thüringen aufnehmen, ebenso wurden Kindergärtnerinnen oder Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker einander zugewiesen. Im Laufe der Zeit wurde auch zunehmend

347

Vgl. das Rundschreiben HWW an die Bezirksstellen (mit handschriftlichem Vermerk 1958, DWW STUTTGART 2.02 205). 348 Vgl. die Aufstellung „Betreuung v. kirchl. Mitarbeitern“ vom 26.4.60 (EBD.). 349 Vgl. das Rundschreiben HWW an die Diakonischen Bezirksstellen vom 16.2.62 (DWW STUTTGART 2.02 205). Zur Sonderzuwendung s. o. Kapitel 2.2.6. 350 Irmgard O. an HWW vom 28.3.69 (LKA STUTTGART DWW 95). 351 Karl L. an DWW vom 23.2.73 (LKA STUTTGART DWW 106).

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versucht, nach dem Vorbild des Pfarrvereins die Berufsverbände in die Organisation der persönlichen Partnerschaften einzubinden352. Ein Problem stellte dabei die durch die Ersetzung des schulischen Religionsunterrichts durch Christenlehre in den Gemeinden353 entstandene Überzahl der Thüringer Katechetinnen und Katecheten gegenüber ihren Württemberger Kolleginnen und Kollegen dar. Schon in den fünfziger Jahren wurden daher die Schuldekane um Mithilfe bei der Organisation der Katechetenpartnerschaften gebeten354. Im September 1961 teilte das HWW den Bezirksstellen mit, man habe sich bereits darum bemüht, im Katechetenseminar in Denkendorf und in der Diakonenausbildungsstätte Karlshöhe geeignete „Paten“ zu finden, doch habe dies aufgrund der ungleichen Zahlenverhältnisse „nicht den gewünschten Erfolg gebracht“355. Nun denke man daran, „daß auch Gemeindehelferinnen, Lehrerinnen, Fürsorgerinnen oder andere Menschen, die aktiv in der Gemeindearbeit stehen,“ eine solche Aufgabe übernehmen könnten, denn auch hier sei ein „geistiger Austausch mit Gleichgesinnten in Westdeutschland“, der von den Katecheten immer wieder gewünscht würde, möglich.

3.2. Die innere Entwicklung der Partnerschaft im Wandel der historischen Rahmenbedingungen Die württembergisch-thüringischen Beziehungen waren selbstverständlich nicht unabhängig von den kirchlichen, politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen sie sich vorfanden. So lassen sich in der vierzigjährigen Geschichte der Partnerschaft unter den Vorzeichen der deutschen Teilung fünf Phasen der Entwicklung aufzeigen. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte zu Beginn im Verhältnis zwischen den sich seit August 1949 ganz unerwartet in einem Patenschaftsverhältnis wiederfindenden Kirchen die unterschiedliche Vorgeschichte beider Landeskirchen im Nationalsozialismus. Um die Anfänge der Patenschaft zu verstehen, ist es daher nötig, zuvor Weg der beiden Kirchen in der NS-Zeit in aller Kürze zu skizzieren.

352 Vgl. Aktenvermerk über den Besuch eines der Vorsitzenden des Verbandes für Kirchenmusik in Württemberg vom 23.1.81 (DWW STUTTGART 2.02 205). 353 Zur Verdrängung des Religionsunterrichts aus den Schulen in der DDR vgl. M. G. GOERNER, Kirche, S. 289–291. 354 Vgl. das Rundschreiben HWW an die Schuldekane vom 2.10.58 (LKA STUTTGART DWW 103). 355 Rundschreiben HWW an die Diakonischen Bezirksstellen vom 11.9.61 (EBD.).

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Exkurs: Zum Weg der Landeskirchen in der Zeit des Nationalsozialismus Bei den kirchlichen Wahlen im Juli 1933 erlangten die Deutschen Christen (DC) auch in Württemberg eine Mehrheit356. Anders als in den meisten Landeskirchen konnte hier jedoch, wie sonst nur in Bayern und Hannover, die Kirchenleitung unter Landesbischof Theophil Wurm im Amt bleiben. Bereits im Herbst 1933 kam es zu einer Spaltung der württembergischen DC. Etwa 60% der württembergischen Pfarrer unterschrieben die Erklärung des Pfarrernotbunds gegen die Einführung des so genannten „Arierparagraphen“ in der Kirche. Doch die Existenz des Pfarrernotbunds in Württemberg währte nicht lange. Wurm, der von seiner nationalkonservativen Grundeinstellung die Machtergreifung Hitlers zunächst begrüßte und auch die deutschchristliche Bewegung nicht grundsätzlich ablehnte357, war um einen Ausgleich zwischen Kirchenleitung, DC und Partei bemüht. Im so genannten „Dorotheenpakt“ im Januar 1934 wurde die Auflösung des württembergischen Pfarrernotbunds vereinbart. Die Übergriffe von Reichsbischof Ludwig Müller auf die Selbständigkeit der Landeskirche ließen allerdings in Württemberg den Widerstand gegen die dem NS-Staat loyale Reichskirche wachsen. Auf dem Ulmer Bekenntnistag im April 1934 schloss sich die Landeskirche der „Bekenntnisgemeinschaft der Deutschen Evangelischen Kirche“ an. Wurm und sieben weitere württembergische Synodale stimmten Ende Mai bei der Bekenntnissynode in Barmen der „Barmer Theologischen Erklärung“ zu. Im September wuchs der Druck aus Berlin. Die Landeskirche wurde per Gesetz in die Reichskirche eingegliedert, Wurm seines Amtes enthoben und als kommissarischer Leiter der Kirche der deutschchristliche Pfarrer Eberhard Krauß eingesetzt. Unter dem Eindruck der erneuten Übergriffe näherte sich Württemberg den „Bekennenden Kirchen“ (BK), die sich im Oktober nach dem auf der zweiten Bekenntnissynode von Dahlem beschlossenen Notrecht organisierten. Doch nach massiven Protesten im Land selbst – vor der Wohnung des unter Hausarrest stehenden Wurm kam es zu Massenaufläufen – und aus dem Ausland gegen das Vorgehen Müllers lenkte der Staat ein. Nach einem Empfang bei Hitler Ende Oktober in Berlin konnte er sein Amt wieder ausüben. Die Stellung Wurms war durch die Ereignisse außerordentlich gestärkt worden. Gleichzeitig vollzog sich ein Bruch zwischen den in staatskirchenrechtlicher Illegalität befindlichen BK und den – sich 356 Im Gegensatz zur Nachkriegszeit ist die Geschichte der Württembergischen Landeskirche im NS bereits gut dokumentiert. Eine ausführliche Quellensammlung bietet G. SCHÄFER, Dokumentation. Vgl. im folgenden auch G. SCHÄFER, Heil, S. 301–323 und H. EHMER, Gott, S. 183–206. 357 Zur Rolle Wurms in der NS-Zeit vgl. D. DIEPHOUSE, Wurm, und für die Jahre 1940–1945 die Dokumentation G. SCHÄFER, Wurm. Zur Persönlichkeit und Mentalität Wurms vgl. besonders D. DIEPHOUSE, Wanderer.

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selbst freilich ebenfalls als bekennende Kirchen verstehenden – so genannten „intakten“ Kirchen in Bayern, Hannover und Württemberg. Die Besorgnis um die Wahrung ihres Status ließ sie einen ausgleichenden Kurs suchen und die offene Konfrontation mit dem Regime scheuen. Entlang dieser Linie teilte sich auch die Bekenntnisbewegung in Württemberg in zwei Gruppierungen. Die im Sommer 1934 aus der Kirchlichtheologischen Arbeitsgemeinschaft entstandene „Bekenntnisgemeinschaft“358 mit Theodor Dipper und Wolfgang Metzger als führenden Köpfen vertrat ihr Anliegen, ohne den kirchenpolitischen Kurs Wurms grundsätzlich in Frage zu stellen. Die sich im Winter 1935/36 offiziell formierende „Kirchlichtheologische Sozietät“359 unter Federführung von Hermann Diem, Paul Schempp und Richard Widmann übte dagegen teilweise scharfe Kritik am „bischöflich-opportunistischen Weg der Halbheit“360 wie Schempp das Taktieren der Kirchenleitung charakterisierte. Besonders die Duldung von DC-Pfarrern, die undeutliche Haltung zum „Arierparagraphen“, die rasche Preisgabe der Bekenntnisschule und die Unterstützung der Forderung an die Pfarrerschaft, einen Treueeid auf Hitler zu leisten, wurden kritisiert. Erst in den Kriegsjahren fand Wurm mit seinen Protestbriefen an Hitler gegen die Morde an Menschen mit Behinderungen im so genannten „Euthanasie“-Programm und gegen die Deportation und Ermordung der Juden zu einer deutlichen Oppositionshaltung, die ihm weltweit Achtung verschaffte. Seine anfängliche Begeisterung für das und seine zeitweiligen Kompromisse mit dem NS-Regime gerieten weitgehend in Vergessenheit und wurden erst viel später wieder beleuchtet. Diese ungenügende Offenheit im Umgang mit der Schuld der Kirche in der unmittelbaren Nachkriegszeit rief noch einmal den Protest der Sozietät hervor361. Mit der Person Wurms und seinem bereits 1941 begonnenen kirchlichen Einigungswerk stand die württembergische Landeskirche nach Kriegsende im Zentrum der Bemühungen um einen engeren Zusammenschluss der evangelischen Landeskirchen, die mit der Gründung der EKD 1948 ihren Abschluss fand362. Der ebenfalls 1948 gegründeten VELKD trat die Württembergische Landeskirche trotz ihres lutherischen Bekenntnisses jedoch nicht bei, sondern 358 Zur Geschichte der Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg vgl. T. DIPPER, Bekenntnisgemeinschaft. 359 Zur Geschichte der Sozietät vgl. M. WIDMANN, Sozietät. 360 Schempp an Wurm vom 8.9.36 (G. SCHÄFER, Dokumentation, Bd. 6, S. 510). 361 Vgl. die „Erklärung der Kirchlich-theologischen Sozietät in Württemberg“ vom 9.4.46 bei M. WIDMANN, Sozietät, S. 188–190. 362 Zur Bedeutung des Einigungswerkes vgl. J. THIERFELDER, Einigungswerk, zur Rolle Wurms bei der Entstehung der EKD vgl. J. THIERFELDER, Wurm.

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erhielt nur einen Gaststatus. Grund dafür war vor allem, dass die Vereinigung von den konfessionellen Lutheranern zunächst als Gegenunternehmen zur von Wurm geförderten EKD auf den Weg gebracht worden war. Die eigene Prägung der Landeskirche durch den Reformator Johannes Brenz und den schwäbischen Pietismus, die sie in Liturgie und Frömmigkeitspraxis von anderen lutherischen Kirchen unterschied, mögen auch eine Rolle gespielt haben. In der erst 1920 aus den zuvor selbständigen Thüringer Landeskirchen gebildeten „Thüringer evangelischen Kirche“363 konnte das deutsch-christliche Gedankengut früher und nachhaltiger Fuß fassen als in anderen Landeskirchen. Die Gründe dafür sind vielfältig, eine wichtige Rolle spielte allerdings die ganz vom demokratischen Parlamentarismus der Weimarer Republik geprägte Kirchenverfassung von 1924, die nicht nur eine starke Position des durch Urwahl gebildeten Landeskirchentages festschrieb, sondern auch auf eine geistliche Leitungsfunktion des Landesoberpfarrers (seit 1933 Landesbischof ) verzichtete. Zwar war in § 3 Absatz 1 der Verfassung festgehalten, die Thüringer Kirche sei „ihrem Ursprung und Wesen nach eine Kirche lutherischen Bekenntnisses“, unmittelbar im Anschluss wurde aber betont, sie wolle „eine Heimat evangelischer Freiheit und Duldsamkeit sein“364. Die Verfassung begünstigte den Aufstieg der DC. Der betont liberale Grundton zog Pfarrer stärker bekenntnisorientierter Landeskirchen, die sich dort eingeengt fühlten, nach Thüringen, das überdies an Pfarrermangel litt. So baten auch die beiden Väter der „Kirchenbewegung Deutsche Christen“, die aus Bayern stammenden Pfarrer Julius Leutheuser und Siegfried Leffler, 1927 um Aufnahme in die Thüringer Kirche, wo sie bald Anhänger fanden. Die schwache Bekenntnisbindung und die liberal-volkskirchliche Prägung der Thüringer Kerngebiete Gotha, Meiningen und Weimar, die schon früh große Schübe der Entkirchlichung erlebt hatten, boten kaum Voraussetzungen für eine geschlossene Ablehnung der DC365. Doch auch in den stärker konservativ-konfessionell geprägten Gebieten war die Bewegung bald erfolgreich. So wurden bereits bei den Kirchenwahlen vom 22. Januar 1933 die DC mit fast einem Drittel aller abgegebenen Stimmen stärkste Fraktion im Landeskirchentag366. Bei den Juliwahlen entfielen auf die DC 46 von 51 Sitzen, womit sie eine erdrückende Mehrheit bildeten. Im Mai 363

Dazu s. o. S. 72. Zit. nach W. WEISPFENNING, Verfassungsmodell, S. 134. Vgl. auch B. SCHREIER, Gründung, S. 20f., und G. LAUTENSCHLÄGER, Kirchenkampf, S. 464. 365 Vgl. G. LAUTENSCHLÄGER, Kirchenkampf, S. 473, und zum Hintergrund B. SCHREIER, Gründung, S. 18f. 366 Vgl. E. STEGMANN, Kirchenkampf, S. 13, und G. LAUTENSCHLÄGER, Kirchenkampf, S. 465f. 364

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1934 löste der deutschchristliche Martin Sasse den bisherigen Landesbischof Wilhelm Reichardt ab367. Von den etwa 800 Thüringer Pfarrern hielten sich bis zu 300 zu den DC368. Widerstand formierte sich unter diesen Bedingungen nur schleppend. Der Pfarrernotbund fand in Thüringen Unterstützung bei den lutherisch geprägten Pfarrern der „Sydower Bruderschaft“. In einer gewissen personellen Kontinuität zum Pfarrernotbund wurde im Juni 1934 die Lutherische Bekenntnisgemeinschaft unter Leitung eines fünfköpfigen Landesbruderrats gegründet. Von den damals knapp 1,5 Mio. Thüringer evangelischen Christen gehörten der Bekenntnisgemeinschaft allerdings kaum mehr als 100 Pfarrer und 11.000 Laien an369. Nachdem von der DC-Kirchenleitung bereits seit 1934 massiver Druck auf Gemeinden und Pfarrer ausgeübt worden war, Vertreter zu Schulungskursen für deutsch-christliche Propaganda zu entsenden und dagegen gerichtete Eingaben kein Gehör gefunden hatten, beschloss die Bekenntnisgemeinschaft im Juli 1935 eine Erklärung, in der 100 Pfarrer und Vikare mit ihrer Unterschrift dem Landeskirchenrat – ungeachtet der verwaltungsmäßigen Beziehungen – die Kompetenz der geistlichen Leitung aberkannten und sich in dieser Hinsicht den Organen der BK unterstellten370. Den Pfarramtsanwärtern wurde daraufhin die Einstellung verweigert, Pfarrer mussten mit Disziplinarmaßnahmen rechnen. Viele konnten im Laufe der Zeit in anderen Landeskirchen unterkommen. Die Bestreitung auch der verwaltungsrechtlichen Kompetenz der deutschchristlich beherrschten Kirchenleitung im Sinne des Dahlemer Notrechts war der Thüringer Bekenntnisgemeinschaft allerdings nicht nur durch ihre geringe Größe unmöglich. Die meisten der lutherisch geprägten Mitglieder lehnten den radikalen Kurs der BK der Altpreußischen Union ab. Sie schlossen sich vielmehr dem 1936 von den Bischöfen der „intakten“ Landeskirchen ins Leben gerufenen Lutherrat an371. Hierbei kam es auch zu ersten Kontakten nach Württemberg, die nach dem Krieg einen Anknüpfungspunkt für die Partnerschaftsarbeit boten. Die Kirchenleitung setzte unterdessen ihren deutschchristlichen Kurs fort. Im Mai 1939 wurde in Eisenach das von mehreren DC-Kirchen ins Leben gerufene „Institut zur Erforschung jüdischen Einflusses auf das deutsche christliche Leben“ unter der Leitung von Siegfried Leffler und dem Jenaer Neutes367

Vgl. E. STEGMANN, Kirchenkampf, S. 21–24, und G. LAUTENSCHLÄGER, Kirchenkampf, S. 467. Vgl. E. STEGMANN, Kirchenkampf, S. 38. 369 Vgl. EBD., S. 28f. G. LAUTENSCHLÄGER, Kirchenkampf, S. 478, gibt etwas höhere Zahlen an. 370 Vgl. E. STEGMANN, Kirchenkampf, S. 45. 371 Vgl. EBD., S. 55, und G. LAUTENSCHLÄGER, Kirchenkampf, S. 478. 368

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tamentler Walter Grundmann eröffnet, das sich die „Entjudung“ des Christentums zur Aufgabe gesetzt hatte372. Trauriger Höhepunkt dieser Entwicklung war der Ausschluss der Christen jüdischer Herkunft aus Thüringer Kirche im Dezember 1941373. Nach dem Tod von Landesbischof Sasse im August 1942 übernahm im März 1943 der bisherige deutschchristliche Landesjugendpfarrer Hugo Rönck das Amt374. Er führte zunächst die Dienstbezeichnung „Präsident“, bevor er im März 1945 den Titel „Landesbischof“ annahm. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt vereinigte Rönck durch das sogenannte „Präsidialgesetz“ alle kirchlichen Leitungsbefugnisse im Präsidentenamt. Auch in der Kirche war nun das Führerprinzip vollständig durchgesetzt375. Nach der Besetzung Thüringens durch die amerikanischen Truppen forderte im April 1945 der Leiter der Thüringer Bekenntnisgemeinschaft, Moritz Mitzenheim, Rönck zum Rücktritt auf, um eine Neubildung der Kirchenleitung zu ermöglichen. Sowohl der Landesbischof als auch der Landeskirchenrat weigerten sich jedoch, der Aufforderung nachzukommen. Erst mit der überraschenden Verhaftung Röncks durch die Amerikaner Ende des Monats wurde der Weg für eine Ablösung frei. Im Mai erließ der Vizepräsident der Thüringer evangelischen Kirche auf Grundlage des Präsidialgesetzes ein Gesetz zur Neubildung der landeskirchlichen Organe. Sogleich konstituierte sich der weitgehend von Mitgliedern der Bekenntnisgemeinschaft besetzte neue Landeskirchenrat, Mitzenheim wurde einstimmig zum Vorsitzenden, also zum Landesoberpfarrer (ab 1946 Landesbischof ) gewählt376. Vornehmliche Aufgaben der neuen Kirchenleitung waren neben der Wiederherstellung der kirchlichen Ordnung und des durch Flüchtlingsstrom und Pfarrermangel besonderen Belastungen ausgesetzten kirchlichen Lebens die Entnazifizierung der Thüringer Kirche und die Sicherung des Bekenntnisstandes. Auch wenn sich die Selbstreinigung der Thüringer Kirche von nationalsozialistischem Einfluss durch die im Dezember 1945 eingesetzte Spruchstelle 372

Vgl. E. STEGMANN, Kirchenkampf, S. 70. Zur Arbeit des Instituts vgl. auch E. RÖHM/J. THIERJuden, Bd. 3/II, S. 43–54, und JERKE, Testament. Zur Stellung der Thüringer evangelischen Kirche zur „Judenfrage“ vgl. R. MEISTER-KARANIKAS, Kirche. Schon Anfang 1939 hatte das Thüringer Landeskirchenamt die Pfarrer angewiesen, keine Juden mehr in die Kirche aufzunehmen und keine Amtshandlungen an Christen jüdischer Herkunft mehr zu vollziehen (vgl. R. MEISTER-KARANIKAS, Kirche, S. 118f., und E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden, Bd. 3/II, S. 18). Das Kirchengesetz über den Ausschluss von Christen jüdischer Herkunft vom 28.12.41 findet sich bei G. SCHÄFER, Wurm, S. 152. 374 Vgl. E. STEGMANN, Kirchenkampf, S. 74. 375 Vgl. EBD. und C. KOCH, Gemeinde, S. 239. 376 Vgl. C. KOCH, Gemeinde, S. 241f. Zur Problematik des erst durch einen Eingriff von außen ermöglichten und auf Grund eines in der NS-Zeit entstandenen Gesetzes durchgeführten Führungswechsels vgl. T. SEIDEL, Sturm, S. 181f.

FELDER, 373

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wegen der hohen Zahl der DC-Anhänger und Parteigenossen besonders schwierig gestaltete, unterschied sie sich in ihrer Ernsthaftigkeit, aber auch in ihrer milden, personalschonenden Praxis nicht von der Vorgehensweise in anderen Landeskirchen. Dennoch haftete den Thüringern das Negativ-Bild der „braunen“ Landeskirche weiter an377. Daran konnte auch die starke Betonung des lutherischen Bekenntnisses nichts ändern, die durch die Beschlüsse der ersten Nachkriegssynode der Thüringer evangelischen Kirche im Oktober 1948 verdeutlicht wurde. Neben dem Beitritt zur EKD, zur VELKD und zum Lutherischen Weltbund stimmten die Synodalen auch der Namensänderung in „Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen“ zu. Die 1951 in Kraft tretende Verfassung korrigierte die Fassung von 1924 in entscheidenden Punkten. Die Bekenntnisgrundlage wurde betont vorangestellt, die Urwahl zum nun Synode genannten Landeskirchentag abgeschafft und die Stellung des Landesbischofs, besonders im Bezug auf die geistliche Leitung, gestärkt378. Die Änderungen sollten Vorgänge wie in den dreißiger Jahren verhindern, bargen aber gleichzeitig eine Gefahr der „Klerikalisierung und Hierarchisierung“379 der Thüringer Kirche, was Folgen für ihren weiteren Weg in der DDR hatte.

3.2.1. Die Anfänge der Patenschaft und die Nachwirkungen der NS-Zeit Trotz dieses Neubeginns waren in Württemberg zu Beginn der Patenschaft durchaus Ressentiments gegen die Thüringer Kirche vorhanden. Gerade für eine Kirche, deren überwiegende Zahl von Amtsträgern und Gemeindegliedern den DC zumindest keinen Widerstand geleistet, häufig aber auch implizite oder explizite Zustimmung entgegen gebracht hatte, sollten die Württemberger nun aufgrund einer eher zufällig erscheinenden Entscheidung der Geschäftsführerkonferenz des Hilfswerks als Paten sorgen. Zeitzeugen erinnern sich, dass diese Skepsis, die sich mit einem gewissen Überlegenheitsgefühl der Württemberger hinsichtlich der jüngsten Vergangenheit verband, aus Taktgefühl nie im größeren Kreis ausgesprochen wurde380. Dennoch finden sich Hinweise 377 Vgl. T. SEIDEL, Sturm, S. 179. Laut eines 1948 in der Thüringer Kirchenzeitung erschienenen Artikels wurden alle Mitglieder der ehemaligen Kirchenleitung, 53 Beamte, Angestellte und Arbeiter in der kirchlichen Verwaltung sowie 84 Pfarrer entlassen. Alle Superintendenten, die Parteimitglieder waren, mussten ihr Amt niederlegen, 14 Pfarrer wurden versetzt. Die Zahlen konnten allerdings nicht geprüft werden (vgl. T. SEIDEL, Sturm, S. 176). 378 Vgl. W. WEISPFENNING, Verfassungsmodell, S. 136–138. 379 T. SEIDEL, Sturm, S. 184, zur Kritik vgl. auch EBD., S. 187f. 380 Vgl. Hirth 6.9.01.

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auch in schriftlich festgehaltenen Aussagen, etwa im Bericht über die Thüringer Frühjahrssynode 1957, den Dekan Hermann Gölz aus Kirchheim-Teck den Württemberger Synodalen im November erstattete. In Anwesenheit des Thüringer Besuchers OKR Braecklein bemerkte Gölz, die Thüringer Kirche habe ja für das Gefühl der Württemberger „noch einen blassen Makel liberaler und nationalkirchlicher Vergangenheit an sich“381, um dann die Neubesinnung der Thüringer auf das lutherische Erbe und die ernsthafte Wahrnahme des Wächter- und Zeugenamtes zu loben. Die Ereignisse in der Zeit des Kirchenkampfes waren allerdings nicht nur ein problematischer Faktor im Verhältnis der Patenkirchen. Auch der einzig tragende Anknüpfungspunkt zwischen den beiden sich eher fremden Landeskirchen rührte daher: die Kontakte zwischen den Bekenntnisgemeinschaften in Württemberg und Thüringen. Schon vor dem Krieg war der Kontakt zwischen den Bekenntniskräften in beiden Kirchen über die Mitgliedschaft im Lutherrat entstanden. Die großen Mitgliedskirchen Bayern, Hannover und Württemberg unterstützten die bedrängten Bekenntnispfarrer der lutherischen Kirchen auf vielfältige Weise: Neben finanzieller Hilfe wurden Erholungsaufenthalte in Pfarrhäusern organisiert, des Amtes enthobene Pfarrer in den Kirchendienst übernommen und Fürsorge und Pakethilfe für Inhaftierte organisiert382. Damit war einiges, was von Pfarrverein und Hilfswerk in den fünfziger Jahren zur Unterstützung der Kirche in der DDR ins Leben gerufen wurde, bereits vorgebildet. Zudem taten Pfarrer der „intakten“ Kirchen besuchsweise Predigtdienst in verwaisten Bekenntnisgemeinden, deren Pfarrer an der Ausübung ihres Amtes gehindert wurden. Im Frühjahr 1939 brach eine Gruppe von Tübinger Theologiestudenten zu einer Studien- und Missionsfahrt zu Gemeinden der Thüringer Landeskirche auf 383. Manche der Württemberger, die sich in der Nachkriegszeit für die Patenschaft einsetzten, hatten bereits bei solchen Reisen Thüringer Christen kennen gelernt, die ihr einseitiges Bild von der dortigen Kirche relativierten. Die Bedeutung dieser Begegnungen für die spätere Patenschaft wird anschaulich in der Ansprache, die Dekan Theodor Dipper, Vorsitzender der Württembergischen Bekenntnisgemeinschaft und Vertreter bei der Thüringer Synode, 381

Sitzung vom 21.11.57, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 716. Vgl. T. DIPPER, Bekenntnisgemeinschaft, S. 288, E. STEGMANN, Kirchenkampf, S. 93, sowie Lutherische Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen Außenstelle West an Evangelisch-lutherische Bekenntnisgemeinschaft Württemberg vom 28.11.46 (LKA STUTTGART D 31 Nr. 72 Bl. 15). Diese Hilfe wurde selbstverständlich auch von dem aus Mitgliedern von Bekenntnisgemeinschaft und Sozietät zusammen gesetzten Württembergischen Bruderrat unterstützt, der sonst eine eher kritische Haltung zum Lutherrat einnahm (vgl. M. WIDMANN, Sozietät, S. 155f.). 383 Vgl. T. DIPPER, Bekenntnisgemeinschaft, S. 288. 382

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anlässlich des ersten Synodenbesuchs im Dezember 1956 hielt. Darin führte er nach einigen Bemerkungen über die bedeutenden Rolle Thüringens für die Geschichte des Protestantismus aus: „Ich meine, aber erst in der Zeit des Kirchenkampfes und in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg ist die Begegnung zwischen unseren beiden Kirchen so geworden, daß sie in die Tiefe führte und daß sie etwas Verbindliches bekommen hat, so daß wir einander nicht mehr ausweichen können und daß nun in dieser Begegnung irgend etwas wachsen mußte. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie ich seinerzeit mitten im Winter die Reise auf dem Rennsteig gemacht habe und unter (sic!) im Saaletal die verlassenen BK-Gemeinden besucht habe. Es war für mich damals ein ganz großes Erlebnis, wie von diesen Brüdern und Schwestern das Wort abgenommen wurde. […] Ich erinnere mich an die Fahrt unserer Tübinger Studenten. […] Sie kamen ganz erfüllt nach Hause von dem, was sie erlebt haben an Not auf der einen Seite, aber auch an wirklichem Glauben auf der anderen Seite. Das war sozusagen die erste existenzielle Begegnung, die es gegeben hat und seither ist diese existenzielle Begegnung nicht mehr abgerissen.“384

Die Beziehungen der Württemberger Bekenntnisgemeinschaft mit der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen brachen mit Ende des Krieges nicht ab. In den Nachkriegsjahren unterstützten die Württemberger die Thüringer mit monatlich 250 Reichsmark385. So ist es kein Zufall, dass die Bekenntnisgemeinschaften in den ersten Jahren einen großen Beitrag zum Aufbau der Beziehungen zwischen den Patenkirchen leisteten. Ein wichtiges Ereignis war in diesem Zusammenhang der Besuch einer siebzehnköpfigen Gruppe von Oberkirchenräten und Pfarrern der Thüringer Bekenntnisgemeinschaft mit ihrem ehemaligen Leiter Landesbischof Mitzenheim an der Spitze in Württemberg im Februar 1954, der auf Einladung der Württembergischen Bekenntnisgemeinschaft zustande kam386. Schon zwei Jahre zuvor war eine solche Reise in Planung gewesen, konnte aber wegen Passschwierigkeiten nicht realisiert werden387. Während ihres einwöchigen Aufenthalts hielten die Thüringer Besucher 384

5. Tagung der 2. Synode der ELKTh vom 16.–19.12.56 (LKA EISENACH R 212), S. 4f. Vgl. Dipper an Rat der EKD vom 4.7.47 (LKA STUTTGART D 31 Nr. 72 Bl. 14) als Antwort auf die Bitte des Lutherrates um Unterstützung der Thüringer Bekenntnisgemeinschaft (Rat der EKD, Lic. Ernst Kinder, an die Bekenntnisgemeinschaft von Bayern, Württemberg und Hannover vom 2.5.47, LKA STUTTGART D 31 Nr. 72 Bl. 14). Die regelmäßige finanzielle Hilfe geht vermutlich auf ein direktes Ersuchen der Thüringer Bekenntnisgemeinschaft zurück (Lutherische Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen Aussenstelle West an Evangelisch-lutherische Bekenntnisgemeinschaft Württemberg vom 28.11.46, LKA STUTTGART D 31 Nr. 72 Bl. 15). 386 Vgl. den Rundbrief der Evangelischen Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg vom 8.7.54 (LKA STUTTGART D 31 Nr. 77 Bl. 114). 387 Vgl. Lutherische Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen an Dekan Dipper vom 12.12.53 (LKA STUTTGART D 31 Nr. 82 Bl. 1). 385

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einen Sonntagsgottesdienst und standen jeden Tag in einer anderen Gemeinde für einen Gemeindeabend zur Verfügung388. Die Spendenbereitschaft der württembergischen Gemeinden für die Patenkirche im Zusammenhang mit den Besuchen war groß. Über 16.000 DM wurden gesammelt, die größtenteils dem Medikamentenfonds und dem Bau eines kirchlichen Kurzentrums in Bad Liebenstein zugute kamen389. Obwohl die Begegnung von den Bekenntnisgemeinschaften initiiert wurde, sollte der geplante – und letztlich gescheiterte – Gegenbesuch in Thüringen nicht auf formelle Mitglieder beschränkt bleiben. In der Vorbereitung der für September geplanten Reise schrieb Dekan Dipper allerdings an OKR Wolfgang Metzger, es sei „wünschenswert“, dass die Reiseteilnehmer „nicht ausgesprochene Gegner der Bekenntnisgemeinschaft sind und es nicht unerträglich finden, wenn sie als Glieder einer Abordnung der Bekenntnisgemeinschaft dort begrüsst werden.“390 Auffallend ist auch die Häufung von Mitgliedern der Bekenntnisgemeinschaften unter den Synodenbesuchern der ersten Jahre: Von den Thüringer Besuchern sind hier Superintendent Erich Stegmann, Pößneck, und OKR Ernst Köhler, Meiningen, zu nennen. Von den Württemberger Besuchern hielten sich neben Dekan Dipper auch Dekan Rudolf Brezger und Dekan Hermann Gölz zur Bekenntnisgemeinschaft. Oberstudiendirektor Willi Lauk, Pfarrer Richard Glück und Dekan Gotthilf Weber waren Mitglieder der Sozietät. Viele dieser Männer sahen in der Situation der Kirche in der DDR der fünfziger Jahre eine Parallele zu der von ihnen sehr intensiv durchlebten Zeit des Nationalsozialismus. So bezeichnete etwa Willi Lauk in seinem Bericht von der Thüringer Herbstsynode vor den Württemberger Synodalen im März 1958 den Aufenthalt in Thüringen als „Erholungskur in seelischer, geistiger und geistlicher Hinsicht“, denn man spüre auf dem Eisenacher Pflugensberg „etwas von der Kameradschaft – Kameradschaft heißt Herzbruderschaft – die auch bei uns einmal bestanden hat in den Tagen des Bekenntniskampfes zwischen allen, die im Dienst der Kirche stehen.“391 Den sich abzeichnenden Weg Mitzenheims hin zu mehr Gesprächsbereitschaft mit staatlichen Stellen bezog Dekan Brezger im November 1958 vor der Thüringer Synode in einer interessanten Parallele auf den „schweren Gang“ – gemeint war Wurms Kompromisskurs –, den Landesbischof Wurm in der Zeit des Nationalsozialismus gegangen 388

Vgl. z. B. Dipper an Papst vom 6.2.54 (LKA STUTTGART D 31 Nr. 82 Bl. 19). Vgl. HWW an HWT vom 9.6.54 (LKA STUTTGART D 31 Nr. 82 Bl. 39) und Evangelisches Dekanatamt Nürtingen an HWW vom 12.6.54 (LKA STUTTGART D 31 Nr. 82 Bl. 40). 390 Evangelische Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg an OKR Metzger vom 7.5.54 (LKA STUTTGART A 126 529d Bl. 212). 391 Sitzung vom 27.3.58, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 884, vgl. auch die Einschätzung von Sorg 4.2.02. 389

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sei und der für ihn „auch ein ungeheuer mühseliger Weg gewesen“392 sei. Die allgemeine Lage verglich Brezger in seinem Bericht vor der Württemberger Synode im April 1959 mit der Situation „zur Zeit des Reichskirchenausschusses und der Synode in Dahlem“393. Auch wenn in der folgenden Zeit allmählich die neue Generation in den Vordergrund der württembergisch-thüringischen Beziehungen trat, blieben die zu Beginn so bedeutenden Kontakte zwischen der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen und dem aus der Evangelischen Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg hervorgegangen synodalen Gesprächskreis „Evangelium und Kirche“ über die gesamte Zeit der Partnerschaft erhalten und dauern an.

3.2.2. Die Patenschaft in den politischen Konflikten der fünfziger Jahre Neben den Nachwirkungen der NS-Zeit waren es vor allem die in der Auseinandersetzung um die Junge Gemeinde 1952/53 und um Jugendweihe und Konfirmation seit 1955394 kulminierenden Konflikte zwischen Staat und Kirche in der DDR, die Möglichkeiten und Grenzen der Beziehungen zwischen Württemberg und Thüringen in der Anfangszeit bestimmten. Unweigerlich musste die Patenschaft in die Spannungen hineingezogen werden, betraf sie doch gleich zwei äußerst sensible Felder der DDR-Politik dieser Jahre: Einerseits das Verhältnis zur Kirche, andererseits das Verhältnis zum anderen deutschen Staat395. In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre fürchteten die DDR-Behörden vor allem die im Westen geübte Kritik am eigenen Konfrontationskurs gegen die Kirche, die durch Christen aus der BRD in die DDR getragen werden könnte. In einer Zeit, in der gegenseitige Besuche ein noch vergleichbar gangbarer und daher gerne genutzter Weg der Begegnung waren, wurde daher begonnen, besonders Pfarrern die Aufenthaltserlaubnis zu verweigern oder ihnen Redeverbot zu erteilen396. 392 9. Tagung der 2. Synode der ELKTh vom 9.–12.11.58 (LKA EISENACH R 212), S. 39. Ein ganz ähnlicher Vergleich findet sich bereits bei Gölz in seinem Bericht vor der Württemberger Synode am 21.11.57, wo er als Tertium Comparationis die Tatsache anführt, beide Bischöfe gingen „in der Programmatik manchem Heißsporn zu wenig weit“ (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 716). 393 Sitzung vom 10.4.59, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 1097. 394 Literaturangaben zum Konflikt um die Junge Gemeinde s. o. Kapitel 2.1.1., Fußnote 21. Zur Auseinandersetzung um die Jugendweihe vgl. C. FISCHER, Gelöbnis, S. 44ff., F. DORGERLOH, Geschichte, S. 95ff., und M. G. GOERNER, Kirche, S. 280–289. 395 Zu den Motiven der DDR-Führung im Umgang mit den Partnerschaften s. u. ausführlich Kapitel 4.4.1.2. und 4.4.1.3. 396 Vgl. zum Protest der EKD das Rundschreiben EKD Kirchenkanzlei, Berliner Stelle, an die leitenden Verwaltungsbehörden der östlichen Gliedkirchen vom 10.3.55 (LKA EISENACH A 791 Bd. V/1 Bl. 23).

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Das Beispiel Württemberg und Thüringen

Ein Beispiel für die Hürden einer DDR-Reise in dieser Zeit bietet der Bericht des Pfarrers von Neckarsulm über den Besuch bei der Patengemeinde in Greiz-Caselwitz im September 1954. Zunächst wurde dem kirchlichen Mitteilungsblatt, das den Gottesdienst mit dem Gast ankündigen sollte, die Druckerlaubnis versagt. Die zuständige Behörde fragte daraufhin sofort bei der für die Aufenthaltsgenehmigung verantwortlichen Stelle nach, was dazu führte, dass dem einladenden Greizer Pfarrer in einem Gespräch beschieden wurde, der Aufenthalt des Patenpfarrers werde nicht genehmigt, „man brauche im Osten keine Wanderprediger aus dem Westen, der Osten habe genug Pfarrer“397. Diese Formulierung ist wohl kein origineller Einfall des zuständigen Beamten in Greiz. Ganz ähnlich klingt die Polemik gegen die „reisenden Geistlichen“398 aus dem Westen, die sich schon in einem Artikel des Neuen Deutschland vom 17. Mai 1953 findet. In der heißen Phase der Auseinandersetzung um die Junge Gemeinde wird hier unter der Überschrift „Antwort an Verleumder“ die westliche Kritik an der DDR-Kirchenpolitik als „zügellose Verleumdungskampagne“ bezeichnet, mit der „käufliche und reaktionäre Kreise in Westberlin und Westdeutschland“ versuchten, „die Sache so darzustellen, als führten die staatlichen Organe der Deutschen Demokratischen Republik irgendwelche Kämpfe gegen die Kirche“. In einem späteren Abschnitt werden dann die Befürchtungen der DDR-Ideologen vor kirchlichen Besuchern aus dem Westen ganz deutlich, wenn es heißt: „Es ist niemandem ein Geheimnis, daß gerade in den letzten Monaten in der Deutschen Demokratischen Republik eine große Anzahl sogenannter reisender Geistlicher auftauchte, die in ihren ‚Predigten‘ zum Kampf gegen die Anhänger des Friedens und der Einheit Deutschlands, gegen die von den staatlichen Organen der Deutschen Demokratischen Republik zum friedlichen Aufbau der Republik und zur Festigung der freundschaftlichen Beziehungen mit den Nachbarvölkern getroffenen Maßnahmen aufrufen. Diese ‚reisenden Geistlichen‘, die aus Westdeutschland und Westberlin kommen, versorgen ihre mit dem Deckmantel geistlicher Würdenträger getarnten Agenten in der DDR mit allen Arten feindlicher, militaristischer Literatur.“399

Der Pfarrer von Greiz-Caselwitz gab sich allerdings mit der offenbar von oben empfohlenen Sprachregelung nicht zufrieden und intervenierte bei Landesbischof Mitzenheim. Daraufhin wurde der Aufenthalt des Patenpfarrers genehmigt, eine Predigttätigkeit jedoch nicht. Erst der Hinweis darauf, dass eine Predigt keine öffentliche Rede, sondern Verkündigung des Evangeliums sei und 397

Evangelisches Pfarramt Neckarsulm an OKR vom 4.10.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 234), nach dem mündlichem Bericht über die Vorfälle durch den Pfarrer von Greiz-Caselwitz. 398 „Antwort an Verleumder“, NEUES DEUTSCHLAND vom 17.5.53, S. 2 (LKA STUTTGART A 126 529d VIII). 399 Alle Zitate EBD.

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über diese generelle Absprachen zwischen Kirche und Staat beständen, für die sie nicht die Verantwortung trügen, ließ die örtlichen Beamten einlenken. Während seines einwöchigen Besuches konnte der Gast aus Württemberg daraufhin nicht nur im Sonntagsgottesdienst predigen, sondern auch bei der Kinderkirche und beim Gemeindeabend, bei den Konfirmanden sowie in verschiedenen anderen Kreisen sprechen. Nur an der Versammlung der Frauenhilfe, die in einer Gaststätte, also an einem öffentlichen Ort, stattfand, nahm er als stiller Beobachter teil400. Ab Mitte der fünfziger Jahre zeigen die Quellen ein verstärktes Eingreifen der DDR-Behörden gegen die materielle Hilfe aus der Patenkirche, die besonders in Form von Lebensmittel- und Textilpäckchen zentrale Bedeutung für die Patenschaftsarbeit jener Jahre hatte. Die Schikanen hatten einen doppelten Hintergrund: Einerseits ließen die verbesserte Wirtschaftslage und die verstärkten politischen Abgrenzungsbestrebungen gegenüber der BRD den Hinweis auf Versorgungsmängel in der DDR und deren großzügige Behebung aus dem Westen zunehmend als Provokation verstehen. Gleichzeitig wuchs die Befürchtung, die materielle Hilfe könnte Anstoß zu illegalen Geschäften geben oder für unlautere Formen weltanschaulicher Beeinflussung genutzt werden. Mit letzterem hatten die DDR-Stellen aus ihrer Sicht nicht ganz unrecht. Tatsächlich deckte sich ihre Einschätzung, es handele sich bei der Pakethilfe im Rahmen der Patenschaften eben nicht nur um eine rein humanitäre, weltanschaulich neutrale Aktion, durchaus mit dem Selbstverständnis der kirchlichen Organisatoren. Die materielle Hilfe sollte nach deren Überzeugung als Teilaspekt der Patenschaft der Unterstützung und Glaubensstärkung der Christen in der DDR dienen und so das kirchliche Leben und den christlichen Dienst ermöglichen und aufrecht erhalten401. Ein Beleg für dieses Selbstverständnis ist auch die Reaktion auf die Auseinandersetzung um Jugendweihe und Konfirmation im Rahmen der Patenschaft zwischen Württemberg und Thüringen. Nachdem seit 1955 in der DDR durch massiven propagandistischen Druck versucht wurde, die Konfirmation als Symbol der Volkskirche und Einflussmöglichkeit auf die Jugend aus dem 400 Vgl. Evangelisches Pfarramt Neckarsulm an OKR vom 4.10.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 234). 401 Vgl. z. B. die Aufrufe zum kirchlichen Bruderdienst: Landesbischof Haug an alle Mitarbeiter […] vom April 1955 (LKA STUTTGART A 126 529d II Bl. 281/1) und zu den Pfarrhaushauspatenschaften: Evangelischer Pfarrverein in Württemberg an alle württembergischen Pfarrfamilien vom November 1958 (PB MITTENDORF) sowie den Rückblick „Zehn Jahre Verbundenheit der Patenkirchen“ von KR Christian Berg (ADW BERLIN ZBB 146), S. 4. Zur theologischen Begründung der Partnerschaftsarbeit s. u. Kapitel 4.1. Zu den politischen Motiven der Bundesregierung, die Partnerschaften zu unterstützen, s. u. Kapitel 4.4.2.1. und 4.4.2.2. Zu rein politisch motivierten Paketsendungen aus der BRD vgl. U. SCHULTE DÖINGHAUS, Paketverkehr, S. 68f.

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öffentlichen Bewusstsein zu verdrängen und statt dessen das in den frühen Jahren betont atheistisch geprägte Gegenritual der Jugendweihe zu etablieren, entschloss man sich in Württemberg, eine Unterstützung für Jugendliche ins Leben zu rufen, die sich dennoch für die Konfirmation entschieden. Ihnen sollte ein festlicher Rahmen ihrer Einsegnung ermöglicht werden. Schon 1956 hatten auf Bitten aus Thüringen Konfirmandengruppen aus einigen Gemeinden im Raum Stuttgart Pakete für ihre Mitkonfirmanden in der DDR verschickt402. Als es daraufhin zu vermehrten Anfragen kam, begann das HWW, die Betreuung der Konfirmanden zu koordinieren. In einem Rundschreiben an alle Pfarrämter im Januar 1957 schilderte das Stuttgarter Hauptbüro die Situation, dass „in der Sowjetzone von Jahr zu Jahr in stärkerem Umfang für die Jugendweihe geworben“ und dabei „Kinder, die sich für die Jugendweihe melden, vom Staat aus wirtschaftlich und finanziell reichlich unterstützt“ würden. Daher sollten die württembergischen Gemeinden versuchen, die „Betreuung bedürftiger Konfirmanden“403 in ihren thüringischen Patengemeinden zu übernehmen und dafür möglichst die eigenen Konfirmanden gewinnen. Damit sollte nicht nur die Solidarität unter den Jugendlichen gestärkt werden, sondern auch gewährleistet sein, dass die DDR-Behörden die Hilfe nicht als von oben organisierte Aktion erkennen würden. Die Bemühungen, besonders unauffällig und vorsichtig vorzugehen404, hatten allerdings, wie sogleich noch zu zeigen sein wird, nicht überall Erfolg. Der Aufruf zur Konfirmandenhilfe stieß in Württemberg auf breite Unterstützung. Nach Abschluss der Aktion im Folgejahr 1958 konnte das HWW Ende Mai den beteiligten Pfarrämtern in einem Rundschreiben mitteilen, es seien Pakete für insgesamt etwa 2.000 bedürftige Konfirmanden verschickt worden, von denen 1950 ihr Ziel erreicht hätten. In den Dankbriefen werde deutlich, dass „diese Geschenke Eltern und Kinder in ganz besonderer Weise gestärkt“405 hätten.

402 Vgl. das Rundschreiben HWW an alle Pfarrämter vom 17.1.57 (LKA STUTTGART 1. Ev. Pfarramt Geislingen/Steige Nr. 235.5). 403 Alle Zitate EBD. 404 Vgl. den Brief HWW an Evangelisches Dekanatamt Geislingen/Steige vom 18.2.58 (EBD.), in dem das Hauptbüro dem Dekan rät: „Wenn Ihre Zeit es erlauben würde, wäre es sehr gut, wenn diejenigen Konfirmanden, die als Paketabsender aufgetreten sind, unter Ihrer Aufsicht […] das Paket in vorsichtiger Weise ankündigen könnten.“ 405 Rundschreiben HWW an alle Pfarrämter, die an der diesjährigen Konfirmandenhilfe für Thüringen beteiligt waren, vom 23.5.58 (EBD.). Die Aufstellung „Hilfe für unser Patenland Thüringen“ innerhalb des Berichts „Materielle Notsorge innerhalb Württembergs und Hilfe für die Ostzone und die Gebiete jenseits der Oder-Neisse-Linie in der Zeit vom 1.10.1957 bis 1.10.1958“ spricht von 2.200 Konfirmanden (LKA STUTTGART DWW 91).

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Auf eine derartige Konterkarierung ihrer Jugendweihepropaganda musste die DDR empfindlich reagieren. Nachdem schon die Geschenkpaket-Verordnung vom August 1954406 ein deutliches Zeichen des Misstrauens gegen die organisierte Pakethilfe gewesen war, zeigen die Quellen in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre verstärkt ein aggressives Vorgehen von Presse und Staatsorganen gegen Paketempfänger in Thüringen. Eindrücklichstes Beispiel ist wohl die Kampagne der Jenaer Volkswacht gegen die Patenschaftshilfe aus Württemberg. Unter der Überschrift „Muß ein Pfarrer betteln gehen?“407 (Untertitel „Geheimnisvolle Briefe flattern ins Haus – Wozu braucht ein Geistlicher Deckadressen? – Mit ‚West‘-Schokolade gegen die Jugendweihe“) diagnostizierte die Zeitung in ihrer Ausgabe vom 17. Mai 1958 als Wurzel des Problems die Einstellung von „gewissen Kreisen“, für die „im Westen alles besser“ sei, die das wachsende Ansehen der DDR nicht ertragen könnten und sich daher bemühten, die DDR im Westen schlecht zu machen. In einer für den außenstehenden Leser kaum zu durchschauenden Mischung aus erstaunlich präzisen Fakten, Interpretation und Polemik werden dann „die Tatsachen“ beschrieben: „Da flattern Briefe in Wohnungen und Häuser von Jena und Umgebung. Ihr Inhalt ist im Grunde immer der gleiche, auch die Absender sind ziemlich oft dieselben. Bestimmte Orte (zum Beispiel Pfullingen408 in Württemberg) kommen merkwürdig oft vor. In den Briefen steht dann ungefähr zu lesen: ‚Liebe Familie Sowieso! Zufällig haben wir erfahren, daß Ihr Sohn konfirmiert wird (oder auch: daß Sie Silberhochzeit haben; oder: 60. Geburtstag haben usw. usw.). Wir möchten Ihnen gerne eine Freude machen. Bitte schreiben Sie uns, welche Kragenweite, Körpermaße, Schuhgröße…‘ Dann großer Familienrat. Der Absender ist zwar völlig unbekannt409, aber, nicht wahr: Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul. Kommen dann die Sachen an, ist man zwar etwas enttäuscht, denn man hatte den Westen qualitativ höher eingeschätzt. […] Nun, wenn schon, wird mancher sagen, was ist denn schon dabei? Aber wie ist es, wenn diese Briefe und Pakete mit den geheimnisvollen Absendern seit Weihnachten in die Hunderte und Tausende gehen? Wie ist es, wenn – wie inzwischen festgestellt werden konnte – diese ganze Aktion eine wohlorganisierte Sache einiger Pfarrer ist, die systematisch an ihre Amtsbrüder, ‚Patengemeinden‘ und sogenannte caritative Organisationen Briefe schreiben, worin sie bewegt die ‚Not‘ ihrer Gemeinde schildern, Angaben über Konfirmationen, Geburtstage und Hochzeiten beifügen und an die Mildtätigkeit appellieren?“ 406

S. o. S. 49. Folgende Zitate in der „Volkswacht“ vom 17.5.58 (Anlage zu Mehlhorn, Niederschrift, DWW STUTTGART 2.02 265). Zu einer ähnlich aufgemachten Kampagne gegen eine Paketempfängerin aus Dessau im Jahr 1964 vgl. P. KABUS, Liebesgaben, S. 129. 408 Vier Jenaer Sprengel hatten Patengemeinden in Pfullingen. 409 Zur Bedeutung der persönlichen Bekanntheit von Sender und Empfänger s. u. S. 166. 407

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Weiter wird, in einer eigenartigen Interpretation der Umstellung der gemeindlichen Pakethilfe vom Versand von Pfarrhaus zu Pfarrhaus auf den Versand von Einzelperson zu Einzelperson, den Pfarrern vorgeworfen, einzelne Gemeindeglieder „als Deckadresse beim Paketempfang aus Westdeutschland“ zu missbrauchen, wobei richtig erkannt wird, dies geschehe, um weniger aufzufallen. Nach einer für die DDR-Propaganda typischen Differenzierung zwischen der DDR loyalen Pfarrern, die ausdrücklich von der Kritik ausgenommen werden, und solchen nach Westen orientierten Geistlichen, die Gesetze der DDR „mißachten und umgehen wollen“, werden drei der letzteren namentlich angeklagt: Pfarrer „Härtel“ (eigentlich Hertel) aus Lobeda wird bezichtigt, sich „einer Herabwürdigung unseres Staates und der Arbeiter schuldig gemacht“ zu haben, um im Westen glaubhaft zu machen, welche „Not“ in der DDR herrsche. Die Staatsorgane hätten festgestellt, dass die Kleidungsstücke, die Konfirmanden aus seiner Gemeinde aus Westdeutschland bekommen hatten, „durch Vermittlung Pfarrer Härtels […] von westdeutschen Organisationen abgeschickt“ worden seien. Als zweites Beispiel werden der Pfarrer und die Katechetin aus Rothenstein angeführt. Ihnen wird zur Last gelegt, Kinder mit Schokolade aus „ständig“ empfangenen Westpaketen zur Christenlehre gelockt, für die Konfirmation geworben und so von der Jugendweihe abgehalten zu haben. Drittes Ziel der Angriffe ist der Pfarrer von Jena-Zwätzen. Ihm wird nicht nur vorgeworfen, er habe für eine irrtümlich an ihn geschickte Arznei aus Westdeutschland vom eigentlichen Empfänger zehn Mark verlangt. Es wird auch geschildert, wie er in der Weihnachtszeit mit seiner Familie und einem Handwagen den bei der Post für ihn zurückgehaltenen Berg Pakete abholte, nachdem er den eigentlichen Adressaten zuvor verboten hatte, die Sendungen selbst zu empfangen. Herausgegeben habe er allerdings nur „hierhin […] eine Tüte Nudeln, dahin vielleicht etwas Reis“. Nach bewährter Manier werden am Ende des Artikels Vertreter der Werktätigen nach ihrer Meinung zu diesen Vorgängen befragt. Diese stellen erwartungsgemäß fest, eine solche Art der Unterstützung habe man in der DDR nicht nötig, sie sei „eine Beschimpfung unseres Arbeiter- und Bauern-Staates“ und die Pfarrer sollten sich lieber „um die Arbeitslosen und um die von der Krise Betroffenen“ in Westdeutschland kümmern. Der Artikel gelangte schnell nach Württemberg. Bereits am 28. Mai übersandte das Pfarramt Setzingen bei Ulm den Zeitungsausschnitt dem OKR410. Er sei einem vor drei Tagen eingetroffenen Brief aus der Patengemeinde beigelegen, in dem der Briefschreiber gebeten habe, keine weiteren Pakete mehr zu erhalten. 410 Vgl. Evangelisches Pfarramt Setzingen an OKR vom 28.5.58 (LKA STUTTGART A 126 529d III Bl. 37).

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In Jena war die Kampagne noch nicht zu Ende. Am 4. Juni wurde in Lobeda, wohl vor allem auf Betreiben der Angehörigen der dort ansässigen Schulungsstätte des Gewerkschaftsbundes411, eine Einwohnerversammlung einberufen, bei der die Absetzung von Pfarrer Johannes Hertel, der den staatlichen Stellen mit seinem undiplomatischen Äußerungen und seinem teilweise harschen Auftreten schon längere Zeit ein Dorn im Auge war, gefordert wurde412. Zu dem während der Versammlung erhobenen „Sündenregister des Pfarrers Hertel“ (so die Überschrift des Berichts der Volkswacht vom 11. Juni 1958) gehörten neben unliebsamen politischen Äußerungen, Bettelei und Missbrauch der Pakethilfe nun auch die Tatsache, dass „die Frau des Pfarrers Hertel 2 längere Badeaufenthalte auf der Insel Borkum (Westdeutschland) hinter sich hat, die von jenen Organisationen finanziert wurden, die an der Bettelaktion beteiligt waren.“ Außerdem habe sich Hertel bei der letzten Straßensammlung in Anspielung auf den Volkswacht-Artikel ein Schild mit der Aufschrift „Darf ein Pfarrer in seiner Gemeinde für seine Gemeinde betteln gehen?“ um den Hals gehängt und Arbeiter, die nichts geben wollten, „angepöbelt“ 413. Diese Aktion, an deren Authentiztität trotz propagandistisch geprägter Quelle wohl nicht zu zweifeln ist, zeigt, wie tief getroffen Hertel bereits von dem ersten Artikel gewesen sein muss. Als schließlich die Kirchenleitung, um Ärger zu vermeiden, der Forderung der Einwohnerversammlung nachkam und der Jenaer Superintendent am folgenden Sonntag auf der Lobedaer Kanzel zusammen mit den Grüßen des Landesbischofs die vorläufige Entbindung Hertels von seinem Amt verkündete, ließ er einen gebrochenen Hertel zurück, der sich, da ihm jegliche öffentliche Handlung untersagt war, weder öffentlich rechtfertigen noch in einem Gottesdienst von der Gemeinde verabschieden konnte. Für den 58-jährigen, der bereits 1937 durch die DC seines Amtes enthoben worden war und als einer der wenigen Thüringer Pfarrer unter Zuchthaus- und KZ-Haft gelitten hatte414, und den seine eigenen Aufzeichnungen wie auch die anderen Quellen als überzeugten Christen, aber auch als kämpfe411 So Hertel in seinen Aufzeichnungen in der Gemeindechronik von Jena-Altlobeda. Die Volkswacht nennt den „Wohnbezirksausschuß der Nationalen Front“ als Veranstalter („Das Sündenregister des Pfarrers Hertel“, Volkswacht vom 11.6.58, Abschrift LKA STUTTGART A 126 529d III Bl. 42/1). 412 Vgl. EBD. Als Beispiel einer Stigmatisierung von Kirchenvertretern beschreibt auch T. HOFFMANNDIETERICH, Entkonfessionalisierung, S. 121, die Vorgänge in der Einwohnerversammlung, freilich ohne Kenntnis des vorausgegangen Zeitungsartikels „Muß ein Pfarrer betteln gehen?“ und ohne Erwähnung des Hintergrunds der Patenschaft. Die Aussagen des von ihm benutzen offiziellen Protokolls der Versammlung unterscheiden sich offenbar kaum von den Aussagen des Zeitungsartikels. 413 Alle Zitate: „Das Sündenregister des Pfarrers Hertel“, Volkswacht vom 11.6.58 (Abschrift LKA STUTTGART A 126 529d III Bl. 42/1). 414 Hertel hatte auch der Spruchstelle zur Selbstreinigung der Thüringer Kirche angehört und war dort durch seine „weniger barmherzigen“ Reinigungsvorstellungen aufgefallen (T. SEIDEL, Sturm, S. 176).

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rischen und unnachgiebigen Charakter darstellen, blieb das bittere Fazit, dass er „den antikirchlichen Kräften genauso im Wege stand wie als Bekenntnispfarrer in der Zeit des Nationalsozialismus“, und dass die Kirchenleitung wie damals in einer Weise reagierte, „die den kirchlich denkenden Gemeindegliedern und Amtsbrüdern Enttäuschung bereiten und den Gegnern Wasser auf die Mühlen liefern musste.“415 Tatsächlich drückten die Journalisten der Volkswacht gegen Ende ihres Berichts ihre „Genugtuung“ darüber aus, „daß die Kirche hier so schnell reagierte“, nicht ohne zuvor noch einmal auf die Illegalität und politische Gefährlichkeit der „Bettelaktionen“ hinzuweisen, mit denen „in Westdeutschland und in anderen kapitalistischen Ländern eine Stimmung zur ‚Befreiung der Ostzone‘ entfacht werden“ solle. Den bisher nicht entlarvten Pfarrern wurde in Aussicht gestellt, es müsse „ihnen nicht so gehen wie Pfarrer Hertel“, wenn sie in Zukunft die Gesetze achteten und „unserem Staat gegenüber ehrlich loyal“416 seien. Auch diese Ereignisse wurden in Württemberg bald bekannt. Bereits einen Tag nach Erscheinen des zweiten Artikels in der Volkswacht schickte ein Gemeindeglied aus Lobeda die Zeitung an die Gemeindehelferin der Patengemeinde in Reutlingen-Betzingen. Im beiliegenden Brief dankte sie herzlich für die bisher empfangene Hilfe, bat aber, vorläufig keine Pakete mehr zu schicken417. Besorgt leitete der Betzinger Pfarrer eine Abschrift des Briefes und des Artikels an den OKR weiter. In der Bibelstunde habe er die Gemeinde gebeten, „zunächst keine weiteren Pakete mehr zu senden“, um Pfarrer Hertel, mit dem er seit der Paketaktion für die Konfirmanden keinen Briefkontakt gehabt habe, und seine Freunde „nicht in weitere Nöte“418 zu bringen. Jena war nicht die einzige Region Thüringens, in der Empfängerinnen und Empfänger württembergischer Pakete in den späten fünfziger Jahre in Schwierigkeiten gerieten. Ein weiterer Brennpunkt war der Bezirk Hildburghausen. Im August 1957 bat die Ortsstelle Leutkirch des Hilfswerks das Stuttgarter Hauptbüro um Rat. Man habe, nachdem bekannt geworden sei, dass Mitarbeiter des Hilfswerks in der DDR verhaftet worden seien, die Beziehung mit den Patengemeinden in Bezirk Hildburghausen unterbrochen und die Paket415 Gemeindechronik von Jena-Altlobeda. Am 1.8.58 trat Hertel eine neue Stelle in Nordhausen im Harz an. Eine eigene Untersuchung zur Lebensgeschichte dieses außergewöhnlichen Mannes im Konflikt mit zwei deutschen Diktaturen wäre sicher lohnend. 416 Alle Zitate: „Das Sündenregister des Pfarrers Hertel“, Volkswacht vom 11.6.58 (Abschrift LKA STUTTGART A 126 529d III Bl. 42/1). 417 Vgl. E. T. an Fräulein L. vom 12.6.58 (Abschrift LKA STUTTGART A 126 529d III Bl. 42/2). 418 Evangelisches Pfarramt Reutlingen-Betzingen an OKR vom 19.6.58 (LKA STUTTGART A 126 529d III Bl. 42/3).

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sendungen eingestellt, „mit der Absicht, den Brüdern und Schwestern drüben durch ‚Westbeziehungen‘ nicht zu schaden.“419 Nun sei man sich nicht sicher, ob dies die richtige Entscheidung war. Das Hauptbüro zeigte sich in seiner Antwort erfreut über die gründlichen Überlegungen der Leutkircher Mitarbeiter. Tatsächlich sei es klug gewesen, die Korrespondenz mit Hildburghausen zunächst einzustellen, besonders, da es sich um die Einladung einer größeren Kindergruppe nach Württemberg gehandelt habe. Der Briefkontakt sollte zunächst auf ein Minimum eingeschränkt und nur unter äußerster Zurückhaltung fortgeführt werden. Dagegen sei es völlig unbegründet, die Paketsendungen einzustellen. In Rücksprache mit dem Thüringer Hauptbüro sei man der Meinung, „dass es mehr auffallen würde, wenn plötzlich alle Beziehungen herüber und hinüber aufhören würden.“ Zudem tue man „den massgebenden Leuten in der SED-Führung nur einen Gefallen“, ließe man sich „jetzt so einschüchtern“420. Auch alle Möglichkeiten des persönlichen Kontakts sollten nun noch stärker als bisher genutzt werden. In der Vorweihnachtszeit hatte sich die Lage in Hildburghausen jedoch erneut zugespitzt. Mitte Dezember wandte sich nun die Bezirksstelle Ravensburg hilfesuchend an das Stuttgarter Hauptbüro. Nachdem die Mitarbeiter versucht hätten, in diesem Jahr zu Weihnachten möglichst viele Pakete an den Patenbezirk in Hildburghausen zu schicken, müssten sie nun fürchten, zuviel und dies „wahrscheinlich doch zu auffällig“421 getan zu haben. Das Schreiben der Bezirksstelle gibt den Inhalt dreier Postkarten wieder, von denen zwei in kindlichem Stil geschrieben und in ihrem Inhalt auffallend ähnlich sind. In allen drei wird mitten zwischen allerhand Belanglosigkeiten in möglichst beiläufigen Formulierungen gebeten, keine weiteren Pakete zu schicken. So schrieb eine „Lore“: „Du darfst uns aber nichts mehr schicken, weisst Du, das kostet doch alles so viel Geld, das weiss ich von der Mutter.“422

Auf der anderen, anonymen Kinderkarte heißt es: „Mutti hat immer sehr viel zu tun, bittet sie (sic!) sehr herzlich, sich zu Weihnachten doch keine Ausgaben zu machen, es bedrückt sie so sehr und macht ihr dann viele Kopfzerbrechen.“

419

Evangelisches Hilfswerk Leutkirch an HWW vom 5.8.57 (LKA STUTTGART DWW 1112). HWW an Ortsstelle Leutkirch vom 8.8.57 (EBD.). 421 HWW Bezirksstelle Ravensburg an Hauptbüro Stuttgart vom 12.12.57 (LKA STUTTGART DWW 167). 422 Alle Postkartenabschriften EBD. 420

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Auf der dritten Karte schrieb eine „Hildegard“ an den Pfarrer der Patengemeinde: „Wie wir hörten, wollen Sie uns mit Herrn Th. A. Freude bereiten. Ein späterer Zeitpunkt ist sicher dafür besser, wie Sie bestimmt auch wissen. […] Wir wollen also von allem absehen und uns wirklich nichts schenken. Bitte, sagen Sie es auch den andern, es macht uns sonst viel Kummer.“

Die Bezirksstelle, so das Schreiben weiter, habe sich entschieden, keine Pakete mehr unmittelbar nach Hildburghausen zu senden, die umliegenden Orte aber weiter zu versorgen. Für eine baldige Stellungnahme des Hauptbüros wäre man sehr dankbar. Drei Monate später konnte Stuttgart nach Rücksprache mit dem Eisenacher Hauptbüro teilweise Entwarnung geben. Es könnten nach wie vor Pakete nach Hildburghausen geschickt werden, allerdings weiterhin sehr vorsichtig und vereinzelt. Die „um die Weihnachtszeit etwas kritische Lage in Hildburghausen“ scheine sich „etwas beruhigt zu haben“423. Besonders schwierig wurde die Lage, wenn sich die Württemberger Paten nicht an die vom HWW eingeschärften Regeln für den Paketversand hielten. In einem Rundschreiben an alle Bezirksleiter vom Juli 1958 mahnte das HWW in Anbetracht „der schwierigen Lagen, in der sich die Kirche in der DDR gegenwärtig befindet“ daher noch einmal, die Pakethilfe auf privater Ebene durchzuführen. Die Empfänger müssten „die persönlichen Verhältnisse der Absender so kennen, wie man es bei Bekannten oder Freunden voraussetzen kann.“424 Welchen Gefahren sie ihre Thüringer Patenfamilien sonst aussetzten, schilderte das HWW einen Monat später auf Anfrage des Pfarramts Enzberg bei Maulbronn: Bei Erhalt eines Paketes würden die Empfänger gefragt, ob ihnen der Absender bekannt sei. Wenn dem nicht so sei, gäben die Betroffenen, „in die Enge getrieben“, oft zu, dass wohl der Pfarrer ihre Anschrift nach Westdeutschland vermittelt habe. Dies würde derzeit „in der DDR als Untergrabung der Regierungsautorität angesehen“425, worauf Freiheitsstrafen stünden. Auch das Ignorieren der Bitte des HWW, nur brauchbare und gut erhaltene Textilien zu verschicken426, konnte für die billig Beschenkten unangenehme Konsequenzen haben. Von Anfang des Jahres 1961 ist ein derartiger Vorfall 423

HWW Hauptbüro Stuttgart an Bezirksstelle Ravensburg vom 18.3.58 (EBD.). Beide Zitate Rundschreiben HWW an die Bezirksleiter (hier Aalen) vom 9.7.58 (LKA STUTTGART DWW 166). 425 HWW an Pfarramt Enzberg bei Maulbronn vom 18.8.58 (LKA STUTTGART DWW 163). Zur Position der DDR-Führung s. u. Kapitel 4.4.1.2. 426 Vgl. Vermerk für die Bezirksleitertagung am 24.10.56 vom 22.10.56 (LKA STUTTGART DWW 91). Zur Problematik vgl. auch den Bericht der Gemeinde Georgenthal (Patenschaft für Thüringen – Auswertung der Erhebung vom 24.6.57 (EBD.). 424

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aktenkundig. Als ein Paket mit unbrauchbarer Kleidung aus der Patengemeinde Neckarrems (Kirchenbezirk Ludwigsburg) für die Pfarrfrau in Großhettstedt (Kirchenbezirk Arnstadt) einging, fragte die Kontrollstelle bei dieser an, ob sie auf solche Sendungen angewiesen sei und drohte an, sie mit dem Inhalt des Pakets zu fotografieren427. In Unkenntnis der Verhältnisse in der DDR fiel es den Württembergern häufig schwer, die Briefe aus Thüringen zu deuten, in denen, teilweise in vorsichtiger und daher undeutlicher Form, darum gebeten wurde, den Versand von Paketen einzustellen. So machte die Ähnlichkeit der beiden seltsamen Kinderkarten die Bezirksstelle Ravensburg stutzig, während die dritte Karte sie „fast ehrlich“428 dünkte. Stammten die Postkarten wirklich von den Betroffenen? War dies tatsächlich ihre Meinung? Sollte man der Bitte nachkommen? Verwirrt schrieb auch ein Pate aus Heimerdingen bei Leonberg im Sommer 1958 an das HWW. Er habe kürzlich dem neuen jungen Pfarrer der Patengemeinde, der ihm noch nicht persönlich bekannt sei, angekündigt, ihm eine Decke und ein Paar Schuhe zu schicken. Daraufhin habe der zu Beschenkende geantwortet, er danke für das Angebot, solche Bemühungen seien aber nicht nötig: „Wir leiden […] keine Not, wie man drüben manchmal denkt.“429 Diese Antwort kam dem Württemberger Paten verdächtig vor, vor allem, da der Amtsvorgänger immer sehr dankbar für alle Paketsendungen gewesen sei und „viel von seiner armen Gemeinde und allgemein von vielen Mängeln, auch in Pfarrhäusern“ berichtet hatte. Daher fragte er sich: „Will der Pfarrer nicht, oder soll er nicht, oder darf er nicht schreiben, daß dies und das zu brauchen wäre? […] Oder können sich die Verhältnisse so geändert haben, daß derartiges dort genügend vorhanden ist?“430

Auf der Bezirkshelfertagung 1961 empfahl das Hauptbüro folgende Grundregel für das Verhalten431: Falls aus dem Schriftverkehr mit den Paten hervor427 Vermerk vom 25.1.61 (LKA STUTTGART DWW 164). Vgl. die erneute Warnung vor dem Versand abgetragener Kleidung mit Hinweis auf den Vorfall in Großhettstedt bei der Bezirkshelfertagung im Mai 61 (Beitrag von Herrn Bulat und Frau Herwig für das Referat von Pfarrer Hirth bei der Bezirkshelfertagung vom 9.5.61, LKA STUTTGART DWW 91). Zur propagandistischen Ausschlachtung solcher Vorkommnisse durch die DDR-Führung vgl. die Karikaturen bei C. HÄRTEL/P. KABUS, Westpaket, S. 114f., mehr dazu s. u. S. 286. 428 HWW Bezirksstelle Ravensburg an Hauptbüro Stuttgart vom 12.12.57 (LKA STUTTGART DWW 167). 429 Zitiert im Schreiben Gottfried B. an HWW vom 10.7.58 (LKA STUTTGART DWW 1112). 430 Gottfried B. an HWW vom 10.7.58 (LKA STUTTGART DWW 1112). 431 Vgl. den Beitrag von Herrn Bulat und Frau Herwig für das Referat von Pfarrer Hirth bei der Bezirkshelfertagung vom 9.5.61 (LKA STUTTGART DWW 91) und den Stichwortzettel „Patenschaftshilfe für Thüringen“ mit handschriftlicher Notiz „f. Referat OKR Keller f. d. Bez.leitertagung am 2.11.61“ (LKA STUTTGART DWW 91).

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Das Beispiel Württemberg und Thüringen

gehen sollte, dass sie aus irgendwelchen Gründen keine Pakete mehr wünschten, seien sie meist gefährdet. Solche Briefe sollten daher nach Stuttgart weiter geleitet werden, wo die Möglichkeit bestehe, sich über das Eisenacher Hauptbüro nach der Situation in der betroffenen Gemeinde zu erkundigen. Manche Äußerungen in Briefen aus Thüringen aus dieser Zeit sind bis heute schwer einzuschätzen, etwa die Beschwerde des Pfarrers von Pferdsdorf in der Rhön, dass die Patengemeinde Unterlenningen (Kirchenbezirk Kirchheim/ Teck) Schulklassen in die Paketaktion einbeziehe. Er halte es, wie er im Januar 1958 an das HWW schrieb, „nicht für richtig, wenn hier ein weltlich-politischpropagandistisches Element in diese Liebesaktion eingeschoben wird.“432 War dies die ehrliche Meinung eines Pfarrers, der, die DDR-Verhältnisse vor Augen, eine Zusammenarbeit von Schule und Kirche ohne politische Überfremdung nicht für möglich hielt, oder war es eher die Botschaft an die Leser bei der Kontrollstelle, dass sich der Verfasser von einer solchen, den Behörden möglicherweise bekannten und besonders provokant scheinenden Aktion distanziert? Nicht nur die Pakethilfe für die Patenkirche geriet in den fünfziger Jahren in die Schusslinie der DDR-Propaganda. Unter den Vorzeichen des härteren Vorgehens gegen den illegalen Geldtransfer von West nach Ost433 wurde auch die finanzielle Unterstützung verdächtig. In einer Meldung der DDR-Agentur Union Pressedienst vermutlich vom Frühjahr 1957 wird neben der von holländischen Katholiken organisierten und hauptsächlich in Ungarn tätigen „Ostpriesterhilfe“ auch der Aufruf des württembergischen Landesbischofs Martin Haug für das für Thüringen bestimmte Karfreitagsopfer scharf kritisiert. Die darin angeblich gemachte Aussage „die Nachrichten aus der Evangelischen Kirche jenseits des Eisernen Vorhangs werden täglich ernster, sie wird mehr und mehr zur Kirche in Not“434 wird als Beleg gesehen, dass hier „caritative Hilfe […] zu politischen Zwecken missbraucht“ werde. Weiter behauptet die Meldung, Haug habe betont, es sei möglich, die Gaben ihrem Zweck zuzuführen. Dies sei „unmißverständlich die kirchliche Proklamation, durch irgendwelche ‚Kanäle‘ die Gesetze der Deutschen Demokratischen Republik zu umgehen“435. 432

Evangelisches Pfarramt Pferdsdorf/Rhön an HWW vom 9.1.58 (DWW 167). Dazu Kapitel 2.2.5. 434 Zit. nach Union Pressedienst (ohne Datum), S. 25 (LKA STUTTGART A 126 529d IX), Hervorhebung im Original. Dieses Zitat ist im offiziellen Wortlaut des Aufrufs von 1957 nicht zu finden, wenn auch die inhaltliche Tendenz in diese Richtung geht und die Formulierung „Kirche in Not“ auftaucht (AMTSBLATT DER EVANGELISCHEN LANDESKIRCHE IN WÜRTTEMBERG vom 8.4.57, S. 263). Auch der Aufruf von 1958 entspricht nicht wörtlich dem Zitat (EBD. vom 17.2.58, S. 37). Möglicherweise hatten die Journalisten eine von der Kanzelabkündigung leicht abweichende Fassung auf einem Handzettel für die Gemeinden vorliegen. 435 Zit. nach Union Pressedienst (ohne Datum), S. 25 (LKA STUTTGART A 126 529d IX). Auch dieser Satz ist in der offiziellen Version des Aufrufs von 1957 nicht zu finden. Eine solche Andeutung 433

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Aber auch innerhalb der württembergischen Landeskirche gab es kritische Stimmen zum illegalen Geldtransfer und einer übertriebenen Darstellung der Not im anderen deutschen Staat. In einem Leserbrief an das Deutsche allgemeine Sonntagsblatt schrieb Pfarrer Dankwart Zeller aus Belsenberg bei Künzelsau in Bezug auf eine Darstellung des Blattes zu den Problemen des Finanztransfers zwischen den Kirchen: Ist es nicht eine etwas herausfordernde Logik, wenn Sie angesichts der Anklage wegen ‚unerlaubter Geldgeschäfte‘ der Kirche seitens der DDR-Behörden den Schluß ziehen, daß eine eventuelle Übertretung staatlicher Gesetze durch die Kirche auf den Staat selber zurückfalle? Bis jetzt war es so nach evangelischer Weise: daß ein Verstoß gegen die Gesetze (und seien sie noch so ungerecht) zuerst auf den Übertreter zurückfällt und nicht auf den unbequemen Gesetzgeber, und sei er noch so tyrannisch. Die Männer des 20. Juli wußten darum (und ließen ihre Tat bewußt auf sich zurückfallen!); und Paulus wußte darum, als er angesichts der noch etwas brutaleren Tyrannis eines Nero die römischen Christen zum Gehorsam gegen ihn ermunterte mit der bekannten Einschränkung: Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. Die finanziellen Transaktionen von West nach Ost wird man wohl kaum unter diese Einschränkung stellen können! Außerdem ist es eine maßlose Übertreibung und ein schrecklich glaubensloser Satz, wenn man behauptet, daß unter den jetzigen Umständen womöglich ein Vergehen gegen die dortigen Gesetze in Kauf genommen werden mußte, damit die Brüder in der DDR ‚überhaupt nur das Leben fristen können‘. Ich bitte Sie! Als ob das Leben der Kirche drüben abhängig wäre von unserem Geld und die Pfarrer drüben verhungerten hne unsere Zuschüsse. Trauen Sie das der Gemeinde Jesu in Halle und Leipzig und Gotha zu? Oder heißt das nur, daß Sie es auch unserer Kirche im Westen zutrauen, wenn sie in die gleiche Lage käme?“436

Sicher formulierte Zeller, der als Mitglied der Kirchlichen Bruderschaft dem linken Spektrum der Kirche zuzuordnen ist437, teilweise überspitzt. Wie an anderer Stelle gezeigt bedeutete die Tatsache, dass kirchliche Mitarbeiter in der DDR nicht hungerten, nicht notwendig, dass sie der Unterstützung aus dem Westen nicht bedurften438. Dennoch schnitt er nicht nur die berechtigte, von Otto Dibelius mit seiner provokanten Aussage über die Bedeutung von Verfindet sich allerdings im Opferaufruf von 1958 (AMTSBLATT DER EVANGELISCHEN LANDESKIRCHE IN WÜRTTEMBERG vom 8.4.57, S. 263). 436 DEUTSCHES ALLGEMEINES SONNTAGSBLATT vom 1.12.1957. Die kursiv gesetzten Teile fehlen im sogleich zu besprechenden Zitat der Neuen Zeit vom 3.12.57. 437 Zu Zeller vgl. auch J. THIERFELDER, Kontakte, s. u. S. 181. Zur Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg vgl. D. BUCHSTÄDT, Kirche. 438 S. o. den Exkurs „Die Entwicklung der Versorgungslage in der DDR“, S. 96ff. Auch Zeller selbst war sich der Einschränkungen, die Pfarrer in der DDR auf sich nehmen mussten, wohl bewusst (vgl. Zeller 27.8.02).

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kehrsregeln in der DDR439 angestoßene Frage nach der Gültigkeit der von einer unrechtmäßigen Obrigkeit erlassenen Gesetze an, sondern warnte auch in einer Zeit, die zur politischen Schwarz-weiß-Malerei neigte, mit Recht davor, die eigene Position zu verabsolutieren. Die Gefahr der Vereinnahmung der kirchlichen Beziehungen für bestimmte politische Ziele und des gönnerhaften Gehabes der westlichen Seite bestand zu allen Zeiten der Partnerschaft. Sicher war es Zeller jedoch nicht recht, dass Auszüge aus seinem Leserbrief bereits zwei Tage nach Erscheinen im Sonntagsblatt voll Genugtuung über solche Bestätigung der eigenen Position im Organ der Ost-CDU „Neue Zeit“ abgedruckt wurden. Um wirklich für die eigene Propaganda zu taugen, mussten allerdings einige kleine Schönheitsfehler korrigiert werden: Ohne dies als Auslassung kenntlich zu machen, waren die DDR-kritischen Verweise auf die „noch so ungerechten“ Gesetze und den „noch so tyrannischen“ Gesetzgeber ebenso ausgespart wie die durch Zeller vorgenommene nur graduelle Unterscheidung der DDR von der „noch etwas brutaleren Tyrannis“ des Nero. Auslassungspunkte verbargen die von Zeller gezogene Parallele zu den Verhältnissen des Nationalsozialismus. Wiederum ohne Hinweis auf eine Kürzung waren auch die beiden Schlusssätze abgeschnitten, die auf eine bessere Lage der Kirche im Westen schließen ließen440. Exkurs: „Wir müssen schweigend helfen“ – Patenschaft und Öffentlichkeitsarbeit Das Misstrauen, das die DDR der Kirchenpatenschaft als Ort potentieller Verunglimpfung der Errungenschaften des Arbeiter- und Bauernstaates entgegen brachte und dessen unmittelbare Auswirkungen besonders in den späten fünfziger Jahren manifest wurden, hatte einen weiteren, indirekten, bis in die achtziger Jahre hinein wirksamen Effekt: den fast völligen Verzicht auf jede Form von Öffentlichkeitsarbeit für die Patenschaft441. Denn jede Berichterstattung in kirchlicher oder allgemeiner Presse war in kürzester Zeit beim MfS und den zuständigen Behörden bekannt442, und jeder darin auch noch so 439 In seiner Festschrift für Hanns Lilje hatte Dibelius Röm 13 so interpretiert, dass nur rechtmäßige Gewalt überall Gehorsam finden sollte. Daraus zog er den vielzitierten Schluss, in der DDR könne man auch Verkehrsregeln guten Gewissens übertreten, wenn dabei niemand zu schaden käme (vgl. O. DIBELIUS, Obrigkeit, S. 25f.). Die Frage nach dem Obrigkeitscharakter der DDR-Regierung war auch wichtiges Thema in den Debatten der Bruderschaft, vgl. D. BUCHSTÄDT, Kirche, S. 368–388. Zur Obrigkeitsdebatte vgl. auch H. FRITZ, Dibelius, S. 496–506 und G. BESIER, SED-Staat, Bd. 1, S. 311–327. 440 Vgl. „‚Eine herausfordernde Logik‘ – Leserbrief eines Pfarrers im Hamburger ‚Sonntagsblatt‘“, NEUE ZEIT vom 3.12.57. 441 Vgl. hierzu auch S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 28f., und Losch, Partnerbeziehungen (PB KRAFT), S. 36f. 442 Vgl. Mittendorf 20.9.01. Zur Beobachtung der Partnerschaftsarbeit durch das MfS s. u. Kapitel 4.4.1.1.

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versteckt enthaltene Hinweis auf eine etwaige Mangelsituation oder eine politische Benachteiligung der Kirche in der DDR wurde als Provokation aufgefasst. „Wir müssen schweigend helfen“ – das auf den Geschäftsführer des Dresdener Hilfswerks, OKR Ulrich von Brück zurückgehende Diktum443 wurde zum geflügelten Wort. In Berichten und Referaten der Mitarbeiter der Hilfswerke finden sich immer wieder eindringliche Mahnungen, die Patenschaft in der Öffentlichkeit nicht zu erwähnen. Dabei ist, genährt durch zunehmend schlechte Erfahrungen444, eine allmähliche Steigerung der Selbstzensur erkennbar. Bereits 1952 betonten Geschäftsführer verschiedener landeskirchlicher Hilfswerke bei einer Arbeitsbesprechung, in Veröffentlichungen sollte „die Lage in Ostdeutschland möglichst nicht dramatisiert“445, die „allgemeine Notlage der Bevölkerung nicht erwähnt werden“446. Schilderungen der materiellen Notlage der Kirche seien dagegen unbedenklich. So wurde auch in den fünfziger Jahren vom Zentralbüro des Hilfswerks wie von anderen Wohlfahrtsverbänden unter dem Motto „Dein Päckchen nach drüben“ noch aufwändig mit Handzetteln und Plakaten für die Pakethilfe geworben447. Im Referat für die Bezirksleitertagung des HWW im November 1961 hieß es dagegen, man solle „mit Veröffentlichungen in der Tagespresse und der kirchlichen Presse äusserst vorsichtig und zurückhaltend sein, da sonst einzelne kirchliche Mitarbeiter drüben oder überhaupt die Hilfswerk-Arbeit in Thüringen gefährdet“448 würden. Im Januar 1964 forderte Geschäftsführer Albrecht Hirth: „Keine Veröffentlichungen, auch keine Aufrufe, weder in der säkularen noch in der kirchlichlichen (sic!) Presse, da sonst der gesamte Paketversand gefährdet [ist]. Vorsichtige Formulierungen in den Gemeindenachrichten und bei Kanzelabkündigungen.“449

443 Zit. nach dem Bericht „Patenschaftshilfe für Thüringen“ vom 30.1.64 (LKA STUTTGART DWW 91). 444 Vgl. den Vermerk des DWW vom 6.9.72 (DWW STUTTGART 2.02 176). 445 Niederschrift über die Arbeitsbesprechung der Hauptgeschäftsführer in Duisburg am 11.6.52 (LKA EISENACH A 750b Bd. 3), S. 2. 446 EBD., S. 5. 447 Vgl. die Exemplare in BArch KOBLENZ B 137 327 und die Abbildungen IV bis VIII in C. HÄRTEL/P. KABUS, Westpaket. 448 Stichwortzettel „Patenschaftshilfe für Thüringen“ mit handschriftlicher Notiz „f. Referat OKR Keller f. d. Bez.leitertagung am 2.11.61“ (LKA STUTTGART DWW 91). 449 Bericht „Patenschaftshilfe für Thüringen“ vom 30.1.64 (LKA STUTTGART DWW 91). Vgl. auch die Rügen des HWW an Manfred S. in Plieningen (ohne Datum, wohl Oktober 1963, LKA STUTTGART DWW 1114) und den Pfarrer von Neenstetten bei Ulm vom 30.9.65 (LKA STUTTGART DWW 1115), die beide in den Beilagen des Württembergischen Gemeindeblatts für ihren Kirchenbezirk über Erlebnisse bei Besuchen in der DDR im Rahmen der Patenschaft berichtet hatten.

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Das Beispiel Württemberg und Thüringen

Auf der Bezirkshelfertagung 1965 wurde schließlich sogar von Kanzelabkündigungen vollständig abgeraten. Zur Mitarbeit sollte „höchstens im engeren Mitarbeiterkreis“450, in der Bibelstunde, im Kirchengemeinderat und selbstverständlich im Pfarrkonvent aufgerufen werden. Auch Berichte des HWW wurden nun sicherheitshalber meist mit dem Vermerk „vertraulich“451 oder „nur zur persönlichen Kenntnisnahme“452 versehen. Ein Bericht für den Leiter des DWW, OKR Roos, vom Oktober 1973 schließt sogar mit einem ausführlichen Hinweis, der Bericht sei nur für seine persönliche Information bestimmt. Bei der Mitgliederversammlung des DWW, die „sicherlich auch von Pressevertretern besucht“ werde, dürfe davon „so gut wie nichts erwähnt werden“453, da jede Publikation in der Presse die Arbeit der Abteilung Gesamtkirchliche Hilfe erschweren würde. Schon die öffentliche Erwähnung des seit Ende der sechziger Jahre auch in kirchlichen Kreisen umstrittenen und schließlich verworfenen Begriffs „Paten-“ konnte genügen, um Unannehmlichkeiten zu schaffen. So bat Hirth im September 1972 die Verantwortlichen des Gemeindeblatts für Württemberg, bei der Berichterstattung über Gemeinden in der DDR nicht ausschließlich thüringische Gemeinden vorzustellen und besonders auf die Ausdrücke „Patenkirche“, „Patengemeinde“ und ähnliches zu verzichten454. Erst in den achtziger Jahren lockerte sich die Situation etwas, einschlägige Artikel im Gemeindeblatt wurden häufiger455. Doch noch bei einer Informationstagung für die Bezirksbeauftragten für Gesamtkirchliche Hilfen im Mai 1981 wurde betont: „Bei allen Gesprächen und Veröffentlichungen […] ist darauf zu achten, daß Aussagen, die als Affront gegenüber dem Staat der Deutschen Demokratischen Republik ausgelegt werden könnten, vermieden werden, um die bestehenden Beziehungen nicht zu gefährden.“456

450 Programmpunkte der Abteilung Patenschaftshilfe bei der Bezirkshelfertagung 1965, nicht datiert (LKA STUTTGART DWW 91). 451 Vgl. z. B. den Bericht „Patenschaftshilfe für Thüringen“ vom 30.1.64 (LKA STUTTGART DWW 91), das „Kurzreferat über die Patenschaftshilfe im Rahmen der Informationstagung für neue Mitarbeiter an den Diakonischen Bezirksstellen am 14.3.74“ (DWW STUTTGART 2.02 265) und den Bericht „Gesamtkirchliche Hilfe“ vom 16.5.78 (EBD.). 452 Vgl. z. B. Kraft/Ullrich, Partnerschaft (EBD.). 453 Beide Zitate „Erbetener Bericht über die Tätigkeit in der Abteilung Gesamtkirchliche Hilfe im Jahr 1972“ vom 16.10.73 (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 3. 454 Vgl. Vermerk vom 6.9.72 (DWW STUTTGART 2.02 176). Zur Diskussion um den Patenschaftsbegriff s. u. Kapitel 3.2.4. 455 Ausgewertet wurden die Ausgaben ab dem Jahrgang 1976, da für ältere Jahrgänge kein Register vorhanden ist. 456 Ergebnisprotokoll der Informationstagung „Gesamtkirchliche Hilfe“ am 20.5.81 (OKR STUTTGART 54.26-4 1967–1982 Bl. 131/1).

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So war die im ganzen Land auf allen Ebenen der Kirche gepflegte Patenschaft über lange Jahre hin nach außen geheime Verschlusssache457. Für eine Aktion, die von freiwilligem Engagement, Hilfs- und Spendenbereitschaft möglichst vieler Einzelpersonen in Gemeinden und Einrichtungen lebte, war der Verzicht auf Öffentlichkeitsarbeit natürlich ein gravierender Nachteil458, der jedoch als das kleinere Übel in Kauf genommen werden musste. Von Außenstehenden wurde das Fehlen von Öffentlichkeitsarbeit gelegentlich als Mangel wahrgenommen. So fragte im Sommer 1975 eine Frau aus Waldenbuch beim DWW an, warum von der Kirche, die sich so intensiv in Veröffentlichungen, Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen mit den Problemen in Südafrika auseinander setze, nicht auch deutlicher auf die Not der Christen in der DDR hingewiesen würde459. Geschäftsführer Hirth erklärte daraufhin die Problematik, wies aber auch darauf hin, dass man seiner Meinung nach „den Menschen in der DDR mit Vorträgen gegen den Kommunismus nicht helfen“460 könne. Nachlässigkeiten bei der Geheimhaltung konnten der Patenschaft schnell schaden. Ein verhängnisvoller Fehler unterlief etwa einem Paketabsender aus Bayern, der im Oktober 1960 versehentlich einem Bücherpaket an seinen Paten in Mecklenburg den Informationsbrief des bayrischen Hilfswerkes zum Bücherversand, in dem ausdrücklich auf die Vertraulichkeit der Aktion hingewiesen wurde, beilegte. Die Zollbehörde, die das Schreiben fand, veranlasste daraufhin sofort verstärkte Bemühungen „zur Erkennung und Beschlagnahme solcher Sendungen bei allen Paketkontrollämtern461. Welche Folgen unvorsichtige Veröffentlichungen in der Presse haben konnten, lässt sich am Fall einer Studienreise nach Thüringen von Oberstufenschülern des Kirchlichen Aufbaugymnasiums in Michelbach an der Bilz unter der Leitung von Oberstudiendirektor Willi Lauk im Sommer 1963 nachvollziehen. Nach langer Planung und kräftigem Einsatz von Landesbischof Mitzenheim und der Thüringer Kirchenleitung, besonders OKR Ingo Braecklein, bekamen die Michelbacher eine Woche vor Abfahrt endlich telegraphisch Bescheid, dass die Fahrt durch die DDR-Behörden genehmigt wor457 Hirth, 6.9.01, formulierte die seltsame Dialektik so: „Das war absolut geheim, soweit etwas geheim sein kann, wenn das ganze Land, jede Gemeinde involviert ist.“ 458 Vgl. den Bericht des HWW „Materielle Notsorge“ vom 26.10.61 (LKA STUTTGART DWW 91), S. 2. 459 Vgl. Marta B. an DWW vom 16.8.75 und 28.9.75 (DWW STUTTGART 2.02 177). 460 Vgl. DWW an Marta B. vom 9.12.75 (EBD.). 461 Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, Ministerium für Außenhandel und innerdeutschen Handel, Amt für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs an Zentralkomitee der SED vom 1.11.60 mit anliegender Abschrift des Informationsbriefes (SAPMO-BArch BERLIN DY IV 30 2/14 Nr. 54 Bl. 69–71).

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den sei462. Dabei haben die guten Kontakte der Thüringer Kirchenleitung zu den staatlichen Stellen ihren Teil dazu beigetragen, dass eine solche Gruppenreise junger Leute zwei Jahre nach dem Mauerbau möglich war463. Vom 29. Juli bis zum 3. August besichtigten die dreißig Schüler die Stätten der Reformation und der deutschen Klassik ebenso wie das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald, besuchten Gemeinden und diakonische Einrichtungen der Patenkirche und knüpften Kontakte zu kirchlichen Jugendgruppen. Am letzten Abend waren sie zu einem Treffen mit hohen Parteifunktionären in einem Eisenacher Hotel geladen – der übliche Preis, den die Gastgeber für die Genehmigung des Vorhabens zahlen mussten. Alle Beteiligten zeigten sich beeindruckt von der Reise in den anderen Teil Deutschlands. Doch während die Schüler in ihrem in die DDR gehenden Dankbrief an Bischof Mitzenheim besonders ihre Freude über die möglich gewordenen Begegnungen ausdrückten und den staatlichen Empfang in einer zensurtauglichen und den Gastgebern gegenüber diplomatischen Formulierung als „sehr aufschlußreich“464 bezeichneten, schilderte Schulleiter Lauk in einem, wie er dachte, für die westdeutsche kirchliche Öffentlichkeit bestimmten Artikel im Württembergischen Gemeindeblatt unverblümt seine Eindrücke von der Fahrt in die Patenkirche. Lauk berichtete von der herzlichen Aufnahme in den Gemeinden und bei der Bevölkerung und dem von ihnen ausgedrückten Bedürfnis, wieder einmal mit Menschen aus dem Westen zu sprechen. „Die Menschen drüben wollen gar nicht viel mehr, als sich wieder einmal ohne Angst frei äußern und mitteilen können. Schon das wirkt für sie befreiend, daß sie, die sie größtenteils politisch resigniert haben, wenigstens ihre politischen Witze denen aus dem Westen furchtlos erzählen können.“465

Im Zusammenhang mit der für ihn eindrücklichen Lebendigkeit der Jungen Gemeinden in der Patenkirche erwähnte Lauk, dass die Durchführung von kirchlichen Jugendfreizeiten durch die DDR-Behörden außerordentlich erschwert worden war. Junge Menschen entschieden sich jedoch für das Theologiestudium, obwohl sie „um die ganze Gefährdung in ihrem künftigen Beruf“ wüssten. 462

Vgl. die Korrespondenz zwischen Braecklein und Lauk aus den Jahren 1962 und 1963 (LKA EISENACH A 999 Bd. 20) sowie den Artikel von Willi LAUK, „Schülergruppe besucht Thüringen“, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 19.1.64, S. 8f. 463 Dazu s. u. die Exkurse „Der Thüringer Weg“, S. 184ff., und „Die Thüringer Landeskirche und das MfS“, S. 282ff. Braecklein wurde seit 1956 als IM beim MfS geführt. 464 Evangelisches Kirchliches Aufbaugymnasium Michelbach/Bilz an Landesbischof Mitzenheim vom 25.10.1963 (LKA EISENACH A 791 Bd. 5/2 Bl. 140). 465 Willi LAUK, „Schülergruppe besucht Thüringen“, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 19.1.64, S. 8. Folgende Zitate EBD.

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In seiner Schilderung der Situation der Gemeinden und Einrichtungen der Patenkirche hob Lauk die Bedeutung der materiellen Hilfe aus Württemberg hervor, die Beschreibung des Schulwesens mündete in die Bemerkung, den Besuchern sei aufgefallen „daß der größte Teil der Jugendlichen dem DDRSystem mit Ablehnung und Verbitterung gegenübersteht.“ Zuletzt berichtete Lauk über den „Staatsempfang“, das gewachsene Selbstbewusstsein der DDR-Funktionäre und ihr Ausweichen gegenüber kritischen Anfragen: „Zu unserer Überraschung erfuhren wir, daß noch kein einziger Mensch bei Fluchtversuchen über die Zonengrenze oder die Mauer erschossen worden ist. Erschütternd zu erleben, daß bei diesen Funktionären nicht wahr sein kann, was nicht wahr sein darf.“466

Nach Erscheinen des Artikels am 19. Januar 1964 dauerte es keine zwei Wochen, bis er mit Umweg über die staatlichen Stellen auf dem Tisch von OKR Braecklein landete. Bereits am 4. Februar schrieb Braecklein einen entsetzten Brief an den Michelbacher Schulleiter. Mit großer Freude habe er aus dem „Gefühl einer tiefen inneren Verbundenheit“ zur Patenkirche heraus den Besuch der Schülergruppe vorbereitet. Umso betrübter sei er nun, den ihm vorgelegten Bericht lesen zu müssen. „Ich gestehe Ihnen ganz offen, daß ich völlig ratlos bin gegenüber einer derartigen Harmlosigkeit und Unbesonnenheit mit der solch ein Bericht geschrieben wird und dann noch veröffentlicht. Sicher werden Sie jetzt ratlos den Kopf schütteln über meine Worte. Ich muß versuchen, Ihnen zu erklären, was mich bewegt. Es geht mir bei der Frage, die ich Ihnen nahebringen möchte, nicht darum, ob das, was Sie geschrieben haben, subjektiv oder objektiv richtig und wahr ist. Ich unterstelle Ihnen selbstverständlich, daß all das, was Sie geschrieben, Ihren tatsächlichen Eindrücken entspricht […]. Was ich harmlos und unbesonnen nenne ist die Tatsache, daß Sie und auch der Schriftleiter Ihres Gemeindeblattes sich in keiner Weise der Frage stellen, ob die Veröffentlichungen dem Weitergehen der Kontakte zwischen uns und Ihnen förderlich oder abträglich sind. Unsere kirchlichen Berührungsmöglichkeiten sind weitgehend die letzten Kontaktmöglichkeiten zwischen den beiden Teilen Deutschlands. Sie sind so diffiziler Natur, daß jeder von uns und zwar nicht nur wir hier, sondern in gleicher Verantwortung auch Sie sich fragen müssen, ob etwas, was Sie tun und sagen, diese Kontaktmöglichkeiten behindert oder erschwert. Sie wissen wie ich, daß wir von den Einreiseerlaubnissen unseres Staates abhängig sind. Dies würde bedingen, daß man auch in einer Berichterstattung in der Öffentlichkeit Ihres Staates sich hütet Urteile zu fällen, die dann von dieser und jener Seite als Propaganda gewertet werden […].

466

EBD., S. 9.

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Die Veröffentlichung Ihrer Urteile wird mit ziemlicher Sicherheit es unmöglich machen, den Namen Lauk oder Michelbach wieder für eine Aufenthaltserlaubnis zu nominieren. Dies ist es, was mich im tiefsten Herzen betrübt. Es scheint mir wichtiger, daß wir zusammenkommen, als daß dieses oder jenes Urteil öffentlich verkündigt wird. […]“467

Ganz deutlich zeigt der Brief den inneren Zwiespalt, in dem Braecklein sich befand. Er wusste um die Richtigkeit der Darstellung, stimmte wohl auch manchen Urteilen zu, wollte aber dennoch das gute Verhältnis zum Staat als Grundvoraussetzung der Kontakte auf keinen Fall aufs Spiel setzen. Dazu musste es ihm gelingen, sowohl für die Württemberger als aufrechter Christ als auch für die staatlichen Stellen als gesprächsbereiter, fortschrittlicher Kirchenmann glaubhaft zu bleiben. Lauk antwortete, nun vorsichtig geworden, erst im Herbst, als die Möglichkeit einer direkten Übergabe des Briefes durch Dritte bestand und so unliebsame Mitleser auf dem Postweg ausgeschlossen waren. Die Wirkung, die er mit seinem Artikel erzielt hatte, hatte ihn völlig überrascht. Der Gedanke, dass sein Bericht auf anderem Wege als durch bieder einreisende Westbesucher in den Osten gelangt sein könnte, war ihm offensichtlich immer noch nicht gekommen. „Ich muß gestehen, daß ich tatsächlich nicht mit der Möglichkeit gerechnet habe, unser Württembergisches Gemeindeblatt könne noch nach drüben gelangen, nachdem ich bei unzählig häufigen Grenzübertritten immer wieder feststellen mußte, wie ausnahmslos alle westlichen Druckerzeugnisse beschlagnahmt werden.“468

Über Auswirkungen auf weitere Kontakte habe er sich daher keine Gedanken gemacht. Nun aber, so Lauk weiter, habe er aus diesem „schweren Lapsus“ gelernt und könne nur hoffen, „daß der angerichtete Schaden nicht irreparabel“ bleibe. Auch er teile die Überzeugung Braeckleins, dass es wichtiger sei, zusammen zu kommen, als dass dieses oder jenes Urteil öffentlich verkündet würde. Es wäre ihm die größte Freude, die Fahrt vom August wiederholen zu können. Mit der Versicherung, einen solchen Fehler nicht wieder zu begehen und der Bitte um Verzeihung schließt Lauks Brief. Das Bedauern des Schulleiters 467

Braecklein an Lauk vom 4.2.64 (LKA EISENACH A 999 Bd. 20). Lauk an Braecklein vom 16.10.64 (EBD.). Ähnlich konsterniert zeigte sich der Pfarrer von Neenstetten bei Ulm, der vom HWW für seine Veröffentlichung über den Besuch in der Patengemeinde in der Ortsbeilage des Gemeindeblattes gerügt worden war: „Meine persönliche Meinung ist aber die, daß es […] wirklich sehr dumm zugehen müsste, wenn die Ortsbeilage von unseren kleinen Landgemeinden hier oben auf der Alb, in denen weder offene noch verkappte Kommunisten sitzen dürften, in die Hände von offiziellen Stellen drüben gelangen würde.“ (Pfarrer S. an HWW vom 2.10.65, LKA STUTTGART DWW 1115). 468

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konnte allerdings an den von Braecklein vorausgesehenen Folgen nichts ändern. Eine weitere Studienfahrt Michelbacher Schüler hat es in den nächsten Jahren nicht gegeben.

3.2.3. „Thüringer Weg“, Mauerbau und Gründung des BEK: Die Gefahr der Entfremdung Ende der fünfziger Jahre begann die wohl schwierigste Zeit in der Geschichte der Beziehung zwischen Württemberg und Thüringen. War das Zusammengehörigkeitsgefühl durch die zahlreichen Schikanen seitens der DDR in den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen der fünfziger Jahre eher gestärkt worden, so führten nun mehrere ineinandergreifende Faktoren zu einer politischen und kirchlichen Situation, die die Patenschaft von innen gefährdete. Nach dem Mauerbau 1961 war nicht nur die gesamtdeutsche Organisation der EKD langfristig bedroht469, es verschlechterten sich auch die äußeren Bedingungen für persönliche Begegnungen zwischen den Patenkirchen in beide Richtungen drastisch470. Daneben führte der als „Thüringer Weg“ bekannt gewordene kirchenpolitische Kurs, den Landesbischof Moritz Mitzenheim Ende der fünfziger Jahre einschlug, auch in Württemberg zu Irritationen, die das Verhältnis belasteten. Der Schock des Mauerbaus löste in den Gemeinden in Württemberg allerdings zunächst eine Welle der Hilfsbereitschaft aus, die auch die Unterstützung für Thüringen belebte. Die Bedeutung der kirchlichen Beziehungen wurde vielen jetzt besonders deutlich471. Was für ein wichtiges Signal ein Paket aus der Patenkirche im August 1961 sein konnte, zeigt der Brief einer kirchlichen Mitarbeiterin aus Thüringen, aus dem das HWW in seinem Rundschreiben an die Bezirksstellen zitierte: „Ganz schnell sollen Sie erfahren, dass Ihr liebes Päckchen heute unversehrt ankam und mich sehr sehr freut und zwar in doppelter Hinsicht: Dass es über unsichtbare Wände und durch Grenzen zu mir kam, ist mir in aller Not eine grosse Freude, denn mir war in diesen Tagen oft, als stocke alles Leben und als werden alle Bande zer469

S. o. S. 31f. S. o. Exkurs „Die Entwicklung der Reisemöglichkeiten“, S. 76ff. 471 Vgl. die Berichte des HWW „Materielle Notsorge“ vom 26.10.61 und vom 15.10.62 (LKA STUTTGART DWW 91) sowie den Appell des Vorstandes des Hauptverbandes von Mitarbeitervereinigungen im Bereich der EKD an alle Mitarbeiter im kirchlichen Dienst vom 16.9.61 (LKA STUTTGART A 126 529d III Bl. 233/1), in dem in Anbetracht der „ernsten Ereignisse der letzten Wochen“ dazu aufgerufen wurde, „nicht müde zu werden in der Fürbitte und in der helfenden Tat“ für die „bedrängten Brüder und Schwestern“. 470

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schnitten. Aber nun wurde mir doch wieder ein neues Gefühl der Weite spürbar und das Hoffnungsfünkchen glimmte neu auf.“472

Trotz der Abriegelung waren die Möglichkeiten zur materiellen Hilfe kaum eingeschränkt. Päckchenversand, Genex-Lieferungen, Einfuhren und Geldtransfer blieben unangetastet473. Allerdings fürchtete man beim Hilfswerk, dass bei Zustandekommen des seit 1959 von der Sowjetunion und der DDR gewünschten Friedensvertrages474 alle Sendungen in die DDR nach Vorbild der übrigen Ostblockstaaten mit hohen Einfuhrzöllen belegt werden könnten. Auch deshalb mahnte man die württembergischen Paten zu verstärktem Engagement475. Trotz dieser kurzen Phase der Intensivierung wirkte sich jedoch die rigorose Einschränkung der Begegnungsmöglichkeiten langfristig lähmend auf die Patenschaft aus. Die Zementierung der Teilung drängte das in den fünfziger Jahren noch selbstverständliche gesamtdeutsche Denken in der Bevölkerung langsam in den Hintergrund. Die gegenseitige Fremdheit verstärkte sich476. So weist ein Rundschreiben von Innerer Mission und Hilfswerk der EKD an die westdeutschen Pfarrer vom November 1964 anlässlich des Besucherstroms nach der Genehmigung von Rentnerreisen bereits auf die Probleme unvorbereiteter deutsch-deutscher Begegnungen hin. Die Westdeutschen werden gemahnt, sich „vor schnellen Urteilen über Verhältnisse“, die sie „nicht kennen“ und in denen sie „nicht leben“477 zu hüten. Auch solle man auf „SchwarzWeiss-Malerei“ verzichten: „Wer die DDR nur aus dem Bild von vor 5 Jahren oder aus gelegentlichen Besuchen in Ost-Berlin kennt, muss zur Kenntnis nehmen: Im Äusseren jedenfalls ist vieles anders geworden.“478 472

HWW an die Diakonischen Bezirksstellen vom 25.8.61 (LKA STUTTGART DWW 1113). Vgl. den Stichwortzettel „Patenschaftshilfe für Thüringen“ mit handschriftlicher Notiz „f. Referat OKR Keller f. d. Bez.leitertagung am 2.11.61“ (LKA STUTTGART DWW 91). 474 Vgl. D. STARITZ, Geschichte, S. 187f., und H. WEBER, DDR, S. 55f. 475 Vgl. HWW an die Diakonischen Bezirksstellen vom 25.8.61 (LKA STUTTGART DWW 1113). 476 Nach einer repräsentativen Umfrage von 1964 interessierten sich bereits etwa 30% der Bundesbürger nicht mehr für Kontakte in den Osten (vgl. P. KABUS, Liebesgaben, S. 129). Die Studie zur deutschen Frage im Bewusstsein der westdeutschen Bevölkerung von Weidenfeld und Glaab kommt zu dem Schluss, nach dem Mauerbau sei „die Lebenswirklichkeit der DDR“ aus dem „unmittelbaren Erfahrungshorizont“ der Bundesbürger „weitgehend ausgeblendet“ gewesen. Man begann, „sich an die Teilung zu gewöhnen“ (W. WEIDENFELD/M. GLAAB, Frage, S. 2956). Vgl. auch die Aktennotiz des HWW vom 13.12.62 (LKA STUTTGART DWW 1114) und die Einschätzung im Bericht von Herrn Bulat, HWW, über „Zweck und Sinn der ‚Begegnungen‘ zwischen kirchlichen Mitarbeitern in Württemberg und Thüringen aus der Anschauung des Unterzeichneten“ vom 27.1.66 (LKA STUTTGART DWW 91). 477 Rundschreiben Innere Mission und Hilfswerk der EKD, Pfarrer Dr. Schober, vom 10.11.64 (LKA STUTTGART DWW 101), S. 1. 478 EBD., S. 2. 473

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Mit dem Auseinanderleben traten auch Ermüdungserscheinungen in den Patenbeziehungen auf. Für die Bezirksleitertagung im Herbst 1964 notierte das HWW zum Stichwort „Gemeindepatenschaften“: „In letzter Zeit kommt es leider immer häufiger vor, daß verschiedene Gemeinden in Württemberg gar nicht mehr wissen, ob bzw. welche Patengemeinde sie in Thüringen haben.“479

Während für DDR-Bürger unterhalb des Rentenalters die BRD in unerreichbare Ferne gerückt war, konnten Fahrten von Württemberg nach Thüringen mit etwas Geduld und dank der engen Kontakte der Leitung der ELKTh mit den staatlichen Stellen durchaus realisiert werden. Sie standen allerdings unter besonderen Vorzeichen. Vor allem vor 1966, solange die DDR trotz zunehmender äußerer Abgrenzung offiziell am Ziel der Einheit Deutschlands im Sinne einer Konföderation festhielt480, waren Besucher aus der BRD immer auch Adressaten der DDR-Propaganda. Als Teil der sogenannten „Westarbeit“481 sollte ihnen der politische Standpunkt der DDR nahe gebracht werden. Ein Indiz für solche Absichten waren die seit Ende der fünfziger Jahre in Württemberg kursierenden Einladungen eines „Christlichen Arbeitskreises für den Frieden“, einer hauptsächlich von CDU-Mitgliedern getragenen Gruppe, die, wie sie formulierte, aus „tiefe[r] Sorge um die Erhaltung des Friedens und um das Schicksal des deutschen Volkes“482 den Dialog mit evangelischen Christen aus der BRD suchte. So erhielt im März 1958 ein Pfarrer aus Kornwestheim (Kirchenbezirk Ludwigsburg) eine Einladung zu einer zweitägigen Begegnung im renommierten Hotel Elephant in Weimar483. Als Vortragsthemen 479 Vermerk für die Bezirksleitertagung vom 30.9.64 (LKA STUTTGART DWW 91). Vgl. auch den Vermerk für die Bezirkshelfertagung vom 22.5.64 (EBD.) sowie die Bemerkung von OKR Keller bei der Synodaltagung vom 8.11.66 (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 72), der bedauert, dass die Patenschaft bei jungen Menschen teilweise gar nicht bekannt sei. Allerdings sieht er die Versorgung der thüringischen Gemeinden durch die Württemberger Paten weitgehend als gewährleistet an. In dieser Hinsicht ist jedoch der Einschätzung der direkt für die Organisation Verantwortlichen der Vorzug zu geben. 480 Dazu s. u. S. 271f. 481 Vgl. C. KLESSMANN, Staaten, S. 458–462. Zu den Rahmenbedingungen vgl. auch J. THIERFELDER, Kontakte, S. 46f. Versuche der Überzeugungsarbeit gegenüber kirchlichen Westbesuchern beschreibt auch S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 94. Zur Westarbeit in den Bezirken vgl. ausführlich M. MÖNNIGHOFF, Hettstedt. 482 Abschrift der Einladung zur Tagung am 9./10.4.58 (LKA STUTTGART DWW 1111). 483 Unterzeichner waren der Weimarer Oberbürgermeister, OKR Gerhard Lotz, der Jenaer Professor für Praktische Theologie Erich Hertzsch (zu Hertzsch vgl. K. RASCHZOK, Theologie) sowie Professor Weidhaas von der Weimarer Hochschule für Architektur. Auf der masch. Abschrift des HWW finden sich bei den Namen handschriftliche Vermerke, die wohl zur Einschätzung der Personen dienen sollten. Bei Lotz und Weidhaas ist „C.D.U.“, beim Oberbürgermeister „C.D.U. i.O.“ bei Hertzsch lediglich „i.O.“ vermerkt. Auf der Einladung für die Begegnung am 27./28.4.61 finden sich zusätzlich die

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waren das Stuttgarter Schuldbekenntnis sowie das Spannungsfeld kirchliche Praxis und ethische Grundfragen der Zeit vorgesehen. Im Begleitschreiben hieß es, die Einladung erfolge „auf Vorschlag“484 des Pfarrers der Thüringer Patengemeinde von Kornwestheim. Der Kornwestheimer Pfarrer wandte sich, obwohl er eine Teilnahme von vornherein ausschloss, ratsuchend an das HWW. Besonders die Tatsache, dass der ihm persönlich bekannte Pfarrer der Patengemeinde ihn für das Treffen vorgeschlagen haben sollte, irritierte ihn. Er war der Meinung, der Thüringer Amtsbruder sei „nicht mit Willen an dieser Sache beteiligt.“485 Das HWW antwortete, es sei bekannt, dass „verschiedene württembergische Amtsbrüder“486 die Einladung erhalten hätten, man wisse allerdings nicht, ob sie ihr Folge leisten würden. Der Eingeladene solle am besten lediglich den Patenpfarrer auf vorsichtige Weise informieren, dass er an der Begegnung nicht teilnehme, zu der er anscheinend von ihm vorgeschlagen worden sei. Die Einschätzung der zu unterschiedlichen Zeiten zu Rate gezogenen Vertreter der Thüringer Diakonie war dabei keineswegs einheitlich: Während Rudi Köhler vom HWT 1958 dafür plädierte, der Einladung Folge zu leisten, „sofern der Gast aus Westdeutschland bereit und fähig ist, drüben richtig Rede und Antwort zu stehen“487, riet OKR Gerhard Phieler 1961 in einem ähnlichen Fall mit dem Hinweis, dass der „Christliche Arbeitskreis für den Frieden“ ein von der SED gesteuertes Unternehmen sei und er es bedauere, dass sich neben OKR Lotz auch Pfarrer dafür hergäben, von der Teilnahme ab488. Auch wer in den sechziger Jahren die Organisation einer Gruppenreise nach Thüringen übernahm, musste damit rechnen, dass Staat und Partei ihre Ansprüche auf die Westbesucher geltend machten. Dabei konnte das staatlich angeordnete Programm im Blick auf Quantität und Qualität recht unterschiedlich ausfallen. Bei der bereits erwähnten Fahrt der Schülergruppe des Aufbaugymnasiums Michelbach im Sommer 1963489 beschränkte man sich auf einen Empfang in Namen dreier Pfarrer, eines Kirchenrats und des Erfurter katholischen Präses Willy Rutsch (LKA STUTTGART DWW 1113). 484 Helmut A. an Pfarrer H. vom 12.3.58 (LKA STUTTGART DWW 1111). 485 Vermerk über das Telefongespräch mit Pfarrer H. vom 19.3.58 (EBD.). Vgl. auch zwei Jahre später die misstrauische Anfrage des Evangelischen Pfarramts Königsbronn (Kirchenbezirk Heidenheim) beim HWW, ob es sich bei der Begegnung des Christlichen Arbeitskreises für den Frieden 1961 „um eine legitim kirchliche Sache“ oder ein „kirchliches Aushängeschild östlicher Propaganda“ handele (vgl. die Einladung für die Begegnung am 27./28.4.61 und das Schreiben Ev. Pfarramt Königsbronn an HWW vom 13.4.61, LKA STUTTGART DWW 1113). 486 HWW an Pfarrer H. vom 1.4.58 (LKA STUTTGART DWW 1111). 487 Handschriftliche Notiz von KR Hirth, EBD. 488 Vgl. HWW an Ev. Pfarramt Königsbronn vom 4.5.61 (LKA STUTTGART DWW 1113). 489 S. o. den Exkurs „Wir müssen schweigend helfen – Patenschaft und Öffentlichkeitsarbeit“, S. 170ff.

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einem besseren Eisenacher Hotel am Abschlussabend. Nach dem Bericht des Schulleiters Lauk490 kam dabei aber kein wirkliches Gespräch mit den Funktionären zustande. Der Abend war geprägt von plakativen Vorwürfen gegen die BRD und dem Lob der Errungenschaften der DDR. Kritischen Fragen der Westbesucher, etwa nach geheimen Wahlen oder der Möglichkeit zur Wehrdienstverweigerung, wichen die Vertreter von Staat und Partei laut Lauk mit dem Hinweis auf die knappe Zeit konsequent aus. Ganz anders waren die Erfahrungen einer Gruppe von Pfarrern aus dem Kirchenbezirk Maulbronn, die im November 1965 für eine knappe Woche den Patenkirchenkreis Schmölln besuchten. Wie aus dem Bericht des Dekans an den OKR hervorgeht, mussten die Thüringer zunächst beim Rat des Kreises durchsetzen, dass die Einladung vom Kirchenkreis, nicht von staatlicher Seite ausgesprochen wurde. Dadurch konnten die württembergischen Pfarrer in den Pfarrhäusern der Patengemeinden wohnen, was eine ungestörte Aussprache mit den Amtsbrüdern ermöglichte. Jedoch wurde zur Auflage gemacht, dass auch Vertreter des Rates des Kreises die Gäste aus Württemberg empfangen „und mit dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben des Staates bekanntmachen sollten.“491 Schon bei der Begrüßung in Schmölln war ein CDUSekretär anwesend. Weiter im Programm waren eine LPG-Besichtigung mit Bewirtung und Aussprache im Kulturhaus und ein Besuch der Messestadt Leipzig, bei dem neben einem Vertreter der Theologischen Fakultät auch der Referent für Kirchenfragen bei der Bezirksregierung zu der Gruppe stieß. Bei der sich an die Stadtbesichtigung anschließenden politischen Aussprache ergab sich nach Darstellung des Dekans „die Möglichkeit freier Meinungsäußerung.“ Die Situation war offensichtlich anders als bei der Michelbacher Gruppe: „Es gelang, das Gespräch in einer aufgelockerten Atmosphäre zu halten, wie wohl die sachlichen Dinge scharf diskutiert wurden. So hatten auch z. B. die Ostpfarrer Gelegenheit, über die Wahlen in der Ostzone offen mit zu diskutieren.“492

Die meisten Gruppen nahmen diese Form der „Westarbeit“ höchstens in Kauf, um ihre Besuchsmöglichkeit zu erhalten. Eine Ausnahme bildete die Patenbeziehung zwischen den Gemeinden Köngen (Kirchenbezirk Esslingen) und Gräfenroda (Ohrdruf ), die Jörg Thierfelder in einer Einzelstudie dargestellt hat493. Dort wurde die Möglichkeit der politischen Diskussion ganz bewusst 490

Vgl. Willi LAUK, „Schülergruppe besucht Thüringen“, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTvom 19.1.64, S. 9. Evangelisches Dekanatamt Maulbronn an OKR vom 26.11.65 (LKA STUTTGART A 126 529d IV Bl. 136). 492 EBD. 493 Vgl. J. THIERFELDER, Kontakte.

TEMBERG 491

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wahrgenommen. Der inzwischen in Köngen tätige Pfarrer Dankwart Zeller494 hielt es für die Verständigung zwischen Ost und West für unverzichtbar, auch den Dialog zwischen Christentum und Marxismus zu pflegen. Anfang der sechziger Jahre nahm er daher bereits an Treffen des Weißenseer Arbeitskreises und der Christlichen Friedenskonferenz teil – beides Gremien, die dieses Ziel verfolgten, dabei aber in ständiger Gefahr standen, von den Ostblockregierungen für deren eigene Zwecke missbraucht zu werden495. Nach einem Besuch bei seinem Amtskollegen Hans-Joachim Blankenburg in Gräfenroda im Oktober 1964 intensivierte der Köngener Pfarrer nicht nur die materielle Unterstützung für die Patengemeinde, sondern organisierte im Herbst 1965 auch eine Reise mit Köngener Gemeindegliedern nach Thüringen. Dabei plante er ein Ost-West-Gespräch mit Vertretern des Staates gleich selbst mit ein496. Um eine Genehmigung zu erhalten, nutzte er auch seine Kontakte zu Mitgliedern der Ost-CDU wie etwa dem katholischen Präses Willy Rutsch aus Erfurt. Eine Übernachtung in der Patengemeinde wollten die staatlichen Stellen dennoch nicht genehmigen. Die Württemberger mussten sich mit einem Tagesbesuch zufrieden geben. Der Gegenbesuch im Februar 1966 stand ganz unter dem Vorzeichen des politischen Dialogs. Besucher waren neben Rutsch zwei Vertreter der SED aus Dresden. Der Vortragsabend zum Thema „Meine politische Verantwortung als Christ in der DDR – meine politische Verantwortung als Marxist in der DDR“497 fand in Köngen große Resonanz bei der Bevölkerung. Ostern 1966 folgte ein weiterer Besuch von Köngener Gemeindegliedern in der DDR. Diesmal durfte nur eine Delegation von vier Vertretern der Gemeinde direkt nach Gräfenroda fahren, die übrige Gruppe besuchte Dresden, Erfurt, Weimar und Buchenwald. Bei einem Diskussionsabend in der Dresdner Kreuzschule über Kontroversthemen wie die politisch-ideologische Erziehung in der DDR, die Chancen von Christen im sozialistischen Staat und die Möglichkeit einer Wiedervereinigung kam es zu heftigen Wortgefechten498. Die immer stärkere Einschränkung der Kontaktmöglichkeiten mit der Patengemeinde wollte Zeller jedoch nicht klaglos hinnehmen und wandte sich an das Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen in Bonn. In seinem Brief an 494

Zu Zeller s. o. S. 169. Vgl. J. THIERFELDER, Kontakte, S. 48f. Der Weißenseer Arbeitskreis entstand 1958, ihm gehörten u. a. der spätere Berlin-Brandenburger Bischof Albrecht Schönherr und der SED-nahe Theologieprofessor Hanfried Müller an (vgl. G. BESIER, SED-Staat Bd. 1, S. 804, und R. GOECKEL, Kirche, S. 83). Zur Geschichte der Christlichen Friedenskonferenz vgl. G. LINDEMANN, Sauerteig, und T. MECHTENBERG, Friedensverantwortung, S. 376f. 496 Vgl. J. THIERFELDER, Kontakte, S. 50. 497 EBD., S. 51. 498 Vgl. EBD., S. 52. 495

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Minister Erich Mende monierte er auch die von den DDR-Funktionären ihm gegenüber als Begründung für die Ablehnung erwähnten kritischen Äußerungen Mendes und des Bundeskanzlers über die Reisebeschränkungen der DDR. Solche Äußerungen trugen nach Meinung Zellers nicht zur Verbesserung der Verhältnisse bei499. Allerdings musste Zeller feststellen, dass auch sein konzilianter Kurs nicht von Erfolg gekrönt war. Nach einer weiteren Vortragsveranstaltung mit einem SED-Vertreter und einem westdeutschen Marxisten im Februar 1967 in Köngen, die dem Ort kurzzeitig den Ruf einer „SED-Hochburg im Neckartal“500 eintrug, wollte sich Ende März wieder eine Abordnung der Kirchengemeinde auf den Weg nach Thüringen machen. Die Reise endete mit einem Affront. Von Dresden aus in Erfurt angekommen wurde der Gruppe mitgeteilt, sie sei gar nicht angemeldet, eine Genehmigung für Gräfenroda läge nicht vor. Noch in der Nacht verließen die Köngener daraufhin die DDR501. Ein weiterer Besuch konnte nicht stattfinden. Offensichtlich hatten die DDR-Behörden es aufgegeben, die kirchlichen Patenbeziehungen für die eigene „Westarbeit“ nutzen zu wollen. Im Hinblick auf die seit 1967 eingeleitete strikte Abgrenzungspolitik gegenüber der BRD wirkten derartige Ost-West-Kontakte nur störend502. Nur wenige Pfarrer und andere Verantwortliche waren bereit, im Rahmen ihrer Patenbeziehungen mit den Vereinnahmungsversuchen des DDR-Staates so offen umzugehen und sich dabei selbst in den Verdacht des Sympathisantentums zu bringen wie Dankwart Zeller. Im Gegenteil sahen die meisten von Besuchsbemühungen ganz ab. Viele Patenschaften schliefen dadurch fast ein503. Doch noch von einer anderen Seite kam das württembergisch-thüringische Verhältnis in den sechziger Jahren unter Druck. Der von Landesbischof Mitzenheim seit Ende der fünfziger Jahre beschrittene Weg der Annäherung an den SED-Staat isolierte ihn nicht nur von den übrigen ostdeutschen Landesbischöfen, sondern machte ihn auch im westlichen Teil der EKD verdächtig und irritierte die Patenkirche.

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Vgl. EBD., S. 53. So die Kritik des Esslinger CDU-Bundestagsabgeordneten und ein daran anknüpfender Artikel in einer Faschings-Zeitung, vgl. J. THIERFELDER, Kontakte, S. 54. 501 Vgl. EBD., S. 55. 502 Vgl. EBD., S. 56. 503 Vgl. R. HENKYS, DDR-Kirchen, S. 199. Dem entspricht auch die Aktenlage in Gemeinden und Einrichtungen, wo selten Material aus den sechziger Jahren vorhanden ist. 500

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Exkurs: Der „Thüringer Weg“ Die neue Verfassung der ELKTh von 1951 hatte den Einfluss der Kirchenleitung und besonders des Landesbischofs gestärkt und das synodale Element zurückgedrängt504. Somit konnte Landesbischof Moritz Mitzenheim mit seiner Persönlichkeit und Theologie den Weg der Thüringer Kirche in den fünfziger und sechziger Jahren entscheidend bestimmen. Von einem lutherisch-konservativen Obrigkeitsdenken geprägt betonte Mitzenheim im Sinne der ZweiReiche-Lehre die unterschiedlichen Aufträge und die für ihn daraus resultierende Notwendigkeit der Trennung von Staat und Kirche. Entsprechend vehement reagierte er auf die staatlichen Übergriffe auf die Junge Gemeinde und die Konfirmation in den fünfziger Jahren505. Gleichzeitig war er jedoch der Meinung, dass ein gutes Verhältnis zwischen Staat und Kirche für das Wohl der Bevölkerung in einem Land unverzichtbar und die Erhaltung volkskirchlicher Strukturen oberstes Gebot sei506. Diese Überzeugung, verstärkt durch ein eher autoritäres Verständnis des Bischofsamtes, führte ihn seit Ende der fünfziger Jahre zunehmend zu Alleingängen und Annäherungen an das DDR-Regime, die ihn mehr und mehr von seinen ostdeutschen Amtsbrüdern isolierten. Bereits aufgrund des nach dem Gespräch von Kirchenvertretern unter der Führung Mitzenheims und des Greifswalder Bischofs Friedrich-Wilhelm Krummacher mit Ministerpräsident Otto Grotewohl am 21. Juli 1958 veröffentlichten Kommuniqués, in dem es hieß, die Christen in der DDR „respektieren die Entwicklung zum Sozialismus“507, kam es zu ersten Vorwürfen gegen Mitzenheim508. Weitere Vorgänge vertieften die Kluft zwischen Mitzenheim und den übrigen Landesbischöfen: Gegen die Vereinbarung der Kirchlichen Ostkonferenz hob Thüringen als erste der DDR-Kirchen mit Anhalt in der neuen Konfirmationsordnung für 1959 praktisch die Unvereinbarkeit von Jugendweihe

504 Zu den Gründen s. o. den Exkurs „Zum Weg der Landeskirchen in der Zeit des Nationalsozialismus“, S. 148ff. 505 Vgl. D. POLLACK, Rolle, S. 91, die Interview-Aussagen Leichs bei H. FINDEIS/D. POLLACK, Selbstbewahrung, S. 340, und die Rundbriefe Mitzenheims bei T. BJÖRKMAN, Lebensraum, etwa S. 81–83 und 86–89 zur Jungen Gemeinde und S. 96–131 zu Jugendweihe und Konfirmation. 506 Vgl. T. SEIDEL, Weg, S. 91. Ob es vor allem eine missverstandene Zwei-Reiche-Lehre (so GötzPlaner Friedrich), eine allgemeine Obrigkeitsfixierung (so Clemens Vollnhals) oder antikapitalistische, antiindividualistische und gemeinwohlorientierte Traditionen (so Friedrich Wilhelm Graf ) waren, die protestantische Kirchenführer in der DDR zur Annäherung an den SED-Staat bewegten, ist umstritten (vgl. die Diskussion bei D. POLLACK, Rolle, S. 90–95). Jede der drei Traditionen mag in individuell unterschiedlichen Mischungsverhältnissen dazu beigetragen haben. Bei Mitzenheim ist wohl am ehesten unter den ersten beiden zu suchen. 507 KJ 85 (1958), S. 144. OKR Gerhard Lotz hat zur Entstehung der Erklärung maßgeblich beigetragen (vgl. G. BESIER, SED-Staat, Bd. 1, S. 268 und T. SEIDEL, Weg, S. 91). 508 Vgl. G. BESIER, Resistenz, S. 187–190 und R. GOECKEL, Kirche, S. 73.

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und Konfirmation auf509. Am 13. April 1959 nahm Mitzenheim ohne Rücksprache mit seinen Amtsbrüdern in zustimmender Weise Stellung zu einem Brief des DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl an Bundeskanzler Konrad Adenauer, in dem Grotewohl vorgeschlagen hatte, man solle vor der Genfer Viermächte-Außenministerkonferenz einen gemeinsamen deutschen Standpunkt ausarbeiten. In seinem Schreiben würdigte der Thüringer Bischof die deutschlandpolitischen Avancen des DDR-Ministerpräsidenten als Ausdruck eines „neuen Ethos“ im „zwischenmenschlichen und zwischenstaatlichen Verkehr“510, was auch im Westen auf Kritik stieß und in Württemberg zu ersten Irritationen hinsichtlich der Partnerkirche führte511. Im August 1961, drei Tage nach dem Mauerbau, nahm Mitzenheim vom Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht die höchste Auszeichnung der DDR, den Vaterländischen Verdienstorden in Gold, für seine Verdienste um die Mitarbeit der Christen am Aufbau der DDR entgegen512. Auch das sogenannte „Wartburggespräch“ zwischen Ulbricht und Mitzenheim am 18. August 1964 war ein Alleingang des Thüringer Bischofs, den er ohne vorherige Absprache mit seinen Amtsbrüdern unternahm513. Die Bewertung dieses sogenannten „Thüringer Weges“514 ist äußerst umstritten. Von der einen Seite wird er als Gratwanderung Mitzenheims gesehen, die zwar teilweise die kirchliche Einheit gefährdende Alleingänge aufgewiesen und die ELKTh in eine kompromittierende Umarmung des Staates geführt habe, bei der er aber das Ziel eines Handlungsspielraums für die Kirche im Staat nie völlig aus den Augen verloren habe. So beurteilt der Thüringer Kirchenhistoriker Thomas A. Seidel den Kurs Mitzenheims als „leicht heimattümelndes […] landesbischöfliches Kirchenregiment, das auf der Basis eines 509 Vgl. G. BESIER, Resistenz, S. 190–194 und G. BESIER, SED-Staat, Bd. 1, S. 356–360. Jugendliche, die zur Jugendweihe gegangen waren, wurden nun nicht mehr von der Konfirmation ausgeschlossen, auch wenn theoretisch der Gedanke der Unvereinbarkeit nie grundsätzlich aufgegeben wurde. Zum Einfluss des staatsnahen „Weimarer Arbeitskreises“ auf die diesbezügliche Entscheidung der Thüringer Synode vgl. C. VOLLNHALS, Lotz, S. 602. Zur Strittigkeit des Kompromisses innerhalb der ELKTh vgl. W. LEICH, Horizonte, S. 75f. 510 KJ 86 (1959), S. 229. Zum deutschlandpolitischen Kontext vgl. H. WEBER, DDR, S. 55f., und D. STARITZ, Geschichte, S. 187f. 511 Vgl. G. BESIER, Resistenz, S. 195, und KJ 86 (1959), S. 229. 512 Vgl. G. BESIER, Resistenz, S. 197. 513 Ob Mitzenheim bei diesem Treffen Ulbricht die am 9.9.64 in Kraft getretene Genehmigung für Rentnerreisen in den Westen abrang, bleibt strittig (vgl. T. SEIDEL, Weg, S. 92, und Große 18.9.02). 514 Nach C. KOCH, Gemeinde, S. 245, ist der Terminus „Thüringer Weg“ bereits in den Nachkriegsjahren in der APU als Spottbezeichnung aufgekommen und hatte seinen Hintergrund wohl schon in den Konflikten zwischen dem gemäßigten und dem radikalen Flügel innerhalb der BK. Vom Staat wurde der Ausdruck bald aufgegriffen, um die Spaltung zwischen den Landeskirchen zu befördern. Mitzenheim selbst gebrauchte den Ausdruck nicht in diesem Sinne.

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lutherisch konservativen Obrigkeitsdenkens das Ziel verfolgte, die ‚volkskirchlichen Strukturen um jeden Preis zu erhalten‘“ und dabei, trotz aller Schwächen, ein „in mancherlei Hinsicht ein durchaus verdienstvolle[s] Bemühen“515 darstellt. Dagegen bezeichnet Gerhard Besier den „Thüringer Weg“ als eine durch den seit 1955 in den Diensten des MfS stehenden OKR Gerhard Lotz gezielt herbeigeführte „Kooperation“ mit der „sozialistischen Diktatur516. Diese Einschätzung Besiers blendet die in der Beurteilung Seidels richtig erfassten Motive Mitzenheims weitgehend aus, was zu einer Verzerrung des Bildes des Landesbischofs führt. Sie betont allerdings mit Recht den – auch von Seidel eingeräumten – Einfluss von Lotz und damit indirekt des MfS auf die Entwicklungen in Thüringen517. Besonders in den späten Jahren seiner Amtszeit lieferte sich der alternde Mitzenheim zunehmend der Führung seines OKR aus. Der Kirchenjurist Gerhard Lotz, bereits seit 1938 in den Diensten der Thüringer Kirche, seit 1948 Stellvertreter des Landesbischofs in weltlichen Angelegenheiten und seit 1956 im Hauptvorstand der CDU, lieferte dem MfS nicht nur alle gewünschten Informationen, darunter auch personal- und kirchenpolitische Interna, er beteiligte sich unter anderem auch an der Vorbereitung einer – letztlich gescheiterten – heimlichen Durchsuchung von Mitzenheims Arbeitszimmer sowie an den Repressalien gegen den Direktor der Evangelischen Akademie in Eisenach518. Im 1958 gegründeten „Weimarer Arbeitskreis“ sammelte Lotz stark volkskirchlich geprägte, konservative Theologen als Mitstreiter für eine Annäherung der Kirche an den Staat. Mit OKR Ingo Braecklein, der seit 1956 vom MfS als inoffizieller Mitarbeiter (IM) geführt wurde, und dem trotz seiner DC-Vergangenheit wieder zum Leiter des Eisenacher Katechetischen Seminars aufgestiegenen Walter Grundmann waren im Vorstand des Arbeitskreises zwei weitere IM vertreten, was dem MfS zusätzlichen Einfluss sicherte519. Wer vom „Thüringer Weg“ redet, darf allerdings nicht übersehen, dass auch innerhalb der ELKTh seit Ende der fünfziger Jahre die Kritik am autoritären und eigensinnigen Kurs Mitzenheims wuchs. Viele Gemeinden und Pfarrer, 515 T. SEIDEL, Weg, S. 91. Vgl. auch die bei C. KOCH, Gemeinde, S. 252–254 gesammelten Aussagen Thüringer Amtsträger. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommen auch Württembergische Gesprächspartner (Hirth 6.9.01) und Vetreter der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen, die Mitzenheim in den sechziger Jahren ausgesprochen kritisch gegenüber standen (vgl. Große 18.9.02). 516 G. BESIER, Resistenz, S. 182. 517 Zum Verhältnis von ELKTh und MfS s. u. den Exkurs „Die Thüringer Landeskirche und das MfS“, S. 282ff. 518 Vgl. C. VOLLNHALS, Lotz, S. 598f. Akademiedirektor Waldemar Wucher, der die Akademie seit 1958 leitete, wurde 1962 verhaftet und saß eineinhalb Jahre im Gefängnis. Ihm wurden u. a. „gesamtdeutsche Kontakte“ und Spitzeltätigkeit vorgeworfen (vgl. S. BÖHM, Jahre, S. 208). 519 Vgl. C. VOLLNHALS, Lotz, S. 602, und W. SCHILLING, Bearbeitung, S. 218f.

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die unter der zunehmenden Isolation ihrer Kirche litten, sahen Mitzenheims Sonderweg mit Sorge. Besonders die Mitglieder der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft kritisierten den Weg des Landesbischofs und meldeten sich auch bei den Synoden unmissverständlich zu Wort520. Es ist nicht zu leugnen, dass die SED-Führung durch die Alleingänge der Thüringer Kirchenleitung Erfolge erzielen konnte. Die zunehmende Isolation der ELKTh – 1961 wurde Mitzenheim aus dem Rat der EKD abgewählt521, 1962 verlor er den stellvertretenden Vorsitz der KKL522 – konnte der SED nur recht sein. Die Bemühungen, die ELKTh vollständig aus dem Verband der übrigen DDR-Kirchen zu lösen, scheiterten jedoch. Entgegen aller anders lautenden Mutmaßungen nahm die Synode der ELKTh im Frühjahr 1969 trotz der ablehnenden Haltung von Lotz die Ordnung des BEK einschließlich des Artikel 4,4 zur besonderen Gemeinschaft mit den EKD-Kirchen an523. Der 1970 zum Nachfolger Mitzenheims gewählte Ingo Braecklein, vor allem aber der seit 1978 als Landesbischof amtierende Werner Leich konnten die Landeskirche langsam aus ihrer Isolation herausführen. Einerseits hatte das gute Verhältnis der Thüringer Kirchenleitung zum Staat seit Ende der fünfziger Jahre aus der pragmatischen Sicht der Diakonie für die württembergisch-thüringischen Beziehungen durchaus positive Seiten. Kommunikationswege und Kanäle für den Transfer materieller Hilfe standen so unter einem gewissen Schutz, was den Kontakten zwischen den beiden Landeskirche auch in der schwierigen Situation der sechziger Jahre eine relativ größere Intensität ermöglichte als anderen Patenverbindungen524. Auf der anderen Seite stellten sich den Württembergern allerdings viele Fragen: Wie waren die Vorstöße Mitzenheims zu bewerten? Sprach er damit wirklich für die Gesamtheit der Patenkirche? Hatte man das Recht oder die Pflicht, Kritik zu üben? Besondere Bedeutung für die Klärung solcher Unsicherheiten hatten neben den Begegnungen in Berlin525 vor allem die gegenseitigen Synodenbesuche. Auf der Thüringer Synodaltagung im November 1958, bei der es um die neue 520 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, Bd. 1, S. 362 und 366f., und Bd. 2, S. 35f., sowie W. LEICH, Horizonte, S. 93f., und Große 18.9.02. 521 Vgl. T. HECK, EKD, S. 48, und G. BESIER, SED-Staat Bd. 1, S. 355. 522 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, Bd. 1, S. 503–508. Mit der Abwahl des Wunschkandidaten des Staatssekretariat für Kirchenfragen für den Vorsitz setzten die Bischöfe ein deutliches Zeichen. 523 Vgl. G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 34f. 524 Vgl. Hirth 6.9.02 und Mittendorf 20.9.02. 525 Vgl. z. B. den Bericht des Tübinger Dekans über eine Begegnung in Berlin im Januar 1965. Zu den Gesprächsthemen zählten unter anderem „Die Rolle von Bischof Mitzenheim“ und „Die Thüringer Kirche innerhalb der übrigen Kirchen der DDR“ (Evangelisches Dekanatamt Tübingen an OKR vom 29.1.65, LKA STUTTGART A 126 529d IV Bl. 93).

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Das Beispiel Württemberg und Thüringen

Konfirmationsordnung ging, dankte der Württemberger Gast Dekan Rudolf Brezger für den Bericht des Thüringer Vertreters auf der letzten Tagung des Württemberger Landeskirchentags und für die Möglichkeit, nun in Eisenach dabei sein zu dürfen. Diese direkte Einsicht in die Patenkirche sei derzeit besonders wichtig, „weil ja nicht nur die Stimmen aus Thüringen, weil ja nicht bloß Ihr Urteil, Herr Bischof, zu uns herüberdringt, weil ja auch andere Stimmen zu uns herüberdringen.“526 Tatsächlich ermöglichten die Synodenbesuche in verschiedener Hinsicht ein besseres Verständnis der Patenkirche. Erstens konnten die württembergischen Berichterstatter, auch gefördert durch persönliche Gespräche am Rande der Thüringer Tagungen527, ein differenziertes Bild der unterschiedlichen theologischen und politischen Gruppierungen innerhalb der ELKTh zeichnen und so deutlich machen, dass der Kurs Mitzenheims auch innerhalb der Patenkirche nicht unumstritten war528. Zweitens betonten die Besucher die Komplexität der kirchenpolitischen Situation und die Schwierigkeit, sie von außen zu bewerten, und verhinderten damit vorschnelle Verurteilungen des „Thüringer Weges“ durch die Patenkirche529. Drittens erläuterten die Berichterstatter Mitzenheims Motive für sein Handeln. So erklärte Brezger dem Landeskirchentag im Februar 1962, Mitzenheim sei schon von seiner äußeren Erscheinung wie ein „alteingesessener Bauer“, zu dem der Stempel des „roten Bischof“ nicht passe: „Er ist der patriarchalische Vater seiner Kirche[,] in dieser Thüringer Kirche so tief verwurzelt, daß er das Sterben dieser Thüringer Kirche, wie er sie in seiner Zeit vor sich hat erstehen sehen, nicht überleben würde. […] Für diese Kirche möchte der Bischof Raum schaffen, für sie möchte er leben; sie soll weitergehen530.

Und Dekan Gotthilf Weber betonte im Juni 1966: „Es ist sicher schief, wenn man diesen Mann einfach mit der Vokabel Kollaborateur in irgendeinem Schublädchen unterbringt. […] Sein Denken ist ganz und gar von der Volkskirche und dem Problem ihrer Erhaltung bestimmt, und nicht so sehr vom Politischen. Er fürchtet das kirchliche Ghetto; er erhofft von der Beibehaltung der Volkskirche missionarische Möglichkeiten […].“531 526

9. Tagung der 2. Synode der ELKTh vom 9.–12.11.58 (LKA EISENACH R 212), S. 39f. Vgl. besonders den Bericht von Gotthilf Weber am 10.6.66, der von den Eindrücken sprach, die sich ihm auch als „aufmerksamen Zuhörer“ bei den „angeregten aber nie aufgeregten […] Gesprächen am Rand der Synode aufgedrängt“ hatten (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 42). Siehe auch oben Kapitel 3.1.2.5. 528 Vgl. Brezger am 26.2.62 (EBD., S. 330f.) und Weber am 10.6.66 (EBD., S. 43). 529 Vgl. Bochinger am 4.10.61 (EBD., S. 232). 530 Brezger am 26.2.62 (EBD., S. 331). 531 Weber am 10.6.66 (EBD., S. 42f.). Ähnlich wie das Urteil des ebenfalls der Kirchlichen Bruderschaft angehörenden Weber fiel die Bewertung Dankwart Zellers aus. Er sei mit dem Kurs Mitzenheims 527

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Allerdings war für Weber auch klar, dass man an Mitzenheims „volkskirchliche Konzeption vom Theologischen her wirklich ernsthafte Fragen zu stellen“ habe. Viertens differenzierten die Berichterstatter zwischen Mitzenheims eigener Überzeugung und der „Theologie einiger Berater des Bischofs“532, womit vermutlich vornehmlich OKR Lotz gemeint war. Fünftens schließlich wiesen sie immer wieder darauf hin, dass die Thüringer gerade in dieser schwierigen Situation die Gemeinschaft mit der Württemberger Patenkirche brauchten. So berichtete etwa Studienrat Erich Bochinger im Oktober 1961 dem Landeskirchentag von seinem Besuch bei der Eisenacher Synodaltagung, es habe ihn sehr betroffen gemacht, dass in dem, was ihm dort gesagt wurde, immer wieder der Eindruck der Thüringer durchklang, die Liebe der Württemberger – „nicht die in sichtbaren Zeichen sich bekundende“, aber die „wirkliche Liebe“ – mische sich „allmählich mit einer Art von Ressentiment“533. Trotz der Bereitschaft zum Zuhören und differenzierten Urteilen waren Friktionen zwischen den Patenkirchen nicht zu vermeiden. In seiner Ausgabe vom 17. Mai 1959 veröffentlichte das Württembergische Gemeindeblatt einen zuvor im Deutschen Pfarrerblatt erschienenen Artikel von Kurt Hutten, Schriftleiter des Pfarrerblattes und Pressepfarrer der Württembergischen Landeskirche, der sich äußerst kritisch zum wohlwollenden Brief Mitzenheims an Grotewohl vom April äußerte534. Hutten wies auf die kirchenfeindlichen Aussagen Grotewohls hin, die dieser in anderen Kontexten gemacht hatte, und machte auf die propagandistische Ausschlachtung der Zustimmung Mitzenheims in der DDR-Presse aufmerksam. Das Schreiben des Landesbischofs kritisierte er als „in seinem Grundansatz einseitig und darum falsch“535. Durch die von der Gemeindeblatt-Redaktion gewählte Überschrift „Ein unnötiger Brief aus Thüringen“ wurde der Artikel in den Kontext der Kirchenpatenschaft gestellt. Statt des sonst an dieser Stelle von Zeit zu Zeit veröffentlichten „Brief aus Thüringen“536, so die redaktionelle Einleitung, müsse diesmal von einem theologisch keineswegs einverstanden, halte ihn aber charakterlich für integer: „Was er kirchlich zu tun versucht, ist m. E. nichts anderes, als was Wurm tat: er zieht die Konsequenzen aus der volkskirchlichen Situation […] und versucht, für seine Kirche das Beste herauszuholen, was in Verhandlungen mit Eggerath [dem Staatssekretär für Kirchenfragen, Vf.] möglich ist. Er traut sich so wenig, wie Wurm, freiwillig die Vorteile der konstantinischen Volkskirche preiszugeben, weil er genau weiß, dass seine Gemeinden hiezu (sic!) so wenig reif u. vorbereitet sind, wie unsere. Daher wehre ich mich dagegen, hier dauernd mit 2erlei Maß zu messen“ (Pfarrer Dankwart Zeller an Prälat Albrecht Hege vom 8.5.62, PB ZELLER). 532 Brezger am 26.2.62 (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 331). 533 Bochinger am 4.10.61 (EBD., S. 324). Vgl. auch Brezger am 26.2.62 (EBD., S. 331). 534 S. o. den Exkurs „Der Thüringer Weg“, S. 184ff. 535 „Ein unnötiger Brief aus Thüringen“, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 17.5.59, S. 7. 536 In den Jahren 1958 und 1959 erschien im Gemeindeblatt gelegentlich ein vom Thüringer KR Herbert von Hintzenstern verfasster „Brief aus Thüringen“, der aus dem Leben der Patenkirche berichtete.

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anderen Brief aus Thüringen gesprochen werden, „der zwar nicht an unsere Adresse gerichtet war, aber dennoch uns Evangelische stark angeht.“537 In der Patenkirche regte sich Protest gegen die Darstellung im Gemeindeblatt. In der Ausgabe vom 19. Juli ging Hutten unter der Überschrift „Nicht dramatisieren!“ noch einmal auf seinen Artikel vom Mai ein. Ohne seine Kritik im Grundsatz zurück zu nehmen betonte er nun, es habe sich „aus einem Gespräch mit einem thüringischen Pfarrer ergeben“, dass es „keinesfalls erlaubt“ sei, „aus dem Brief an Grotewohl eine Zustimmung des Bischofs zum atheistischen Staat abzuleiten“, wie es in der SED-Propaganda dargestellt worden sei. Mitzenheim habe mit der Möglichkeit einer solchen Auswertung gar nicht gerechnet. „Das Motiv, das ihn bewegte, war auch durchaus nicht hochpolitischer Art. Er wollte lediglich in einem begrenzten Einzelfall, der ihm erfreulich schien, seine Zustimmung aussprechen […]. Außerdem erwartete er wohl auch von einem solchen anerkennenden Wort eine Besserung in dem Klima der Gespräche zwischen Kirche und Staat; als dienstältester Bischof und vom Staat anerkannter Gesprächsführer weiß er ja, wie viel von diesem Klima abhängt.“538

Dies, so Hutten weiter, seien ehrenwerte Gründe, die man dem Bischof zugute halten müsse, auch wenn man seinen Brief kritisiere. Trotz dieser Klarstellung war die Kränkung des Landesbischofs durch die württembergische Kirchenpresse auch Ende des Jahres noch nicht vergessen. In seinem Bericht im Rahmen eines Generalkonvents, bei dem auch ein württembergischer Pfarrer anwesend war, kam der Landesbischof explizit auf die Artikel zu sprechen. Seine Aussagen gibt der Bericht des Hundersinger Pfarrers folgendermaßen wieder: „An den diffamierenden Angriffen gegen seine Person anl. seines Briefes an Grotewohl hätten sich leider auch kirchl. Blätter beteiligt: Christ und Welt, Stuttgarter Gemeindeblatt. Zwar habe letzteres kurz darauf einen Rückzieher gemacht, aber immer noch mit dem Tenor: Bischöfe können irren, Chefredakteure nie.“539

Weitere Spannungen gab es vor allem auf der Ebene der Kirchenleitung540, wo der kirchenpolitische Weg der Patenkirche zentrales Thema sein musste und nicht von persönlichen Fragen oder karitativen Bemühungen in den Hintergrund gedrängt wurde. 537 „Ein unnötiger Brief aus Thüringen“, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 17.5.59, S. 7. 538 „Nicht dramatisieren!“, EBD. vom 19.7.59, S. 5. 539 Pfarrer H. Felder, Hundersingen, „Bericht über den Pfarr-Generalkonvent mit Landesbischof Mitzenheim (25.11.59)“ vom 29.11.59 (LKA STUTTGART A 126 529d III Bl. 133/1). 540 Vgl. Mittendorf 20.9.01 und von Keler 1.2.02.

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Bereits der Auftritt Mitzenheims bei der Amtseinführung von Landesbischof Erich Eichele im Frühjahr 1962 hatte zu Irritationen geführt. Da die übrigen Landesbischöfe aus der DDR entweder keine Ausreisegenehmigung bekommen oder diese wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg erst gar nicht beantragt hatten, hielt der Bischof der Patenkirche seine Ansprache auch in ihrem Namen. In Anbetracht der allgemeinen Stimmung gegenüber Mitzenheim ging die württembergische Kirchenleitung jedoch davon aus, dass der Thüringer Bischof keine offizielle Beauftragung zu diesem Grußwort seitens der Bischofskonferenz Ost erhalten haben konnte, und war durch dessen vermeintlich erneut eigenmächtiges Verhalten unangenehm berührt541. Die Zerrissenheit zwischen amtsbrüderlicher Vertrautheit und zunehmendem Ressentiment zwischen den Kirchenleitungen ist besonders deutlich abzulesen am Briefwechsel zwischen Mitzenheim und dem nun im Ruhestand befindlichen württembergischen Landesbischof Martin Haug im Sommer 1962 anlässlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Haug. Mitzenheim, der im August des Vorjahres von Walter Ulbricht den Vaterländischen Verdienstorden in Gold entgegen genommen hatte, gratulierte Haug zu seiner Auszeichnung542. Haug bedankte sich für das Glückwunschschreiben. Er teile, so schrieb er in seinem Dankbrief, die von Mitzenheim geäußerte Meinung, „daß der rechte Dienst der Kirche immer zugleich auch dem Volk zugute“ komme, da er „ein Dienst an den von Gott, dem Herrn der Kirche und der Welt, gelegten Fundamenten alles menschlichen Zusammenlebens“ sei. Gleichzeitig verwahrte sich Haug deutlich gegen eine Parallelisierung der Situationen: „Ich lege aber Wert auf die Feststellung, daß ich die Annahme jedes staatlichen Ordens beharrlich abgelehnt habe, solange ich im Amt war; ich wollte damit auch jeden Schein einer Abhängigkeit der Kirche von der weltlichen Gewalt, auch von Seiten eines kirchenfreundlichen Staates vermeiden und bin dankbar, daß für diesen meinen Standpunkt sowohl der frühere sowie der jetzige Präsident der Bundesrepublik Deutschland Verständnis gezeigt haben. Deshalb habe ich den Orden der Bundesrepublik erst im Ruhestand angenommen und wünschte, daß meine Brüder im Bischofsamt in West und Ost ebenso verfahren und damit unsern Pfarrern und allen anderen Mitarbeitern in der Kirche mit einem guten Beispiel vorangegangen wären. Leider haben wir aber auch in diesem Punkte ein gemeinsames Vorgehen nicht gefunden.“543 541

Vgl. den Briefwechsel Pfarrer Dankwart Zeller an Mitzenheim vom 12.4.62, Mitzenheim an Zeller vom 26.4.62, Zeller an Prälat Albrecht Hege vom 8.5.62 und Hege an Zeller vom 18.5.62 (alle PB ZELLER). Mitzenheim erklärte in seinem Schreiben an Zeller, er habe am 19.3.62 von der Konferenz der Evangelischen Bischöfe in der DDR in Berlin-Weißensee den Auftrag erhalten, das Grußwort im Namen der evangelischen Kirchen in der DDR zu sprechen. 542 Mitzenheim an Haug vom 29.6.62 (LKA EISENACH A 827 Bd. 7/a Bl. 246). 543 Haug an Mitzenheim vom 11.7.62 (LKA EISENACH A 827 Bd. 7/a Bl. 247).

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Wie belastend Haug die Spannung zwischen den beiden einander sehr vertrauten Männern empfunden haben muss, zeigt sein Gruß an die Patenkirche „über alles, was uns so schmerzlich trennt, hinüber in der Verbundenheit des Glaubens an den einen Herrn“. Schon wenige Tage später antwortete Mitzenheim. Offensichtlich wollte er noch einmal deutlich machen, warum seines Erachtens sein Vorgehen nicht verfänglicher war als das des Württemberger Amtsbruders. Er stimme, schrieb Mitzenheim, mit Haug überein, dass es „keine Staatskirche, keine staatshörige Kirche, auch keine vom Staat irgendwie abhängige Kirche“544 geben dürfe. Die Kirche müsse finanziell unabhängig bleiben, der Staat dürfe bei der Bestellung leitender Geistlicher nicht mitwirken. In diesem Punkt sehe er die Probleme allerdings eher auf Seiten der BRD. Der Grund für ihn, den Orden der DDR anzunehmen, sei die Tatsache, dass „eine ständige Gesprächsverbindung der Männer der Kirche mit den Männern des Staates nötig“ sei, „um den Raum für den Dienst der Kirche zum Besten unseres Volkes frei zu halten.“ Der Ruhestand sei kein Kriterium, da ein Bischof „auch im Ruhestand ein Mann des öffentlichen Lebens“ bleibe, „dessen Wort und Handeln Gewicht“ habe. Auch Mitzenheim grüßte, ähnlich wie Haug, „in der Hoffnung, daß die Verbundenheit mit der württembergischen Kirche über alle Schwierigkeiten hinweg weiter lebendig erhalten bleibt“. Dass sich hier allerdings Risse im Verhältnis der beiden Männer zeigten, die später nicht mehr zu heilen waren, beweist auch die von Zeitzeugen berichtete Weigerung Haugs, den Karfreitagsgottesdienst in der Stuttgarter Stiftskirche zu halten, wenn das Opfer, wie traditionell üblich, für die Patenkirche bestimmt war545. Ende der sechziger Jahre war es besonders die Offenheit der Thüringer Kirchenleitung für eine organisatorische Trennung der DDR-Kirchen von der EKD, die die Württemberger bedenklich stimmte. Im Februar 1968 hatte Mitzenheim durch seine Äußerung, die Staatsgrenzen der DDR bildeten „auch die Grenze für die kirchlichen Organisationsmöglichkeiten“546, das noch 1967 in Fürstenwalde abgelegte Bekenntnis zur Einheit der EKD in Frage gestellt und einmal mehr den unerwünschten Applaus der DDR-Führung provoziert: Walter Ulbricht hielt die Äußerung Mitzenheims für eine Ablehnung der „Einflüsse der westdeutschen Militärkirche“547. In seinem Bericht vor der 7. Würt-

544

Dieses und folgende Zitate: Mitzenheim an Haug vom 16.7.61 (LKA EISENACH A 827 Bd. 7/a ohne Blattzählung). 545 Vgl. Sorg 4.2.02. 546 KJ 95 (1968), S. 177, zum Kontext s. o. S. 33. 547 KJ 95 (1968), S. 178.

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tembergischen Landessynode am 25. März 1968 äußerte sich Landesbischof Erich Eichele enttäuscht über diese Entwicklung: „Unsere Württembergische Landeskirche und ihre Gemeinden haben ihr Patenschaftsverhältnis zur Thüringer Landeskirche und ihren Gemeinden bestimmt nicht als Einmischungsversuch in das kirchliche Leben unserer Brüder und Schwestern, sondern immer nur als Zeichen brüderlicher Verbundenheit und kirchlicher Zusammengehörigkeit unter unserem Herrn Jesus Christus auch unter verschieden gewordenen äußeren Lebensverhältnissen verstanden.“548

Wie sehr die Position Mitzenheims zum Thema Einheit der EKD Eichele beunruhigte, macht auch sein Brief an den Pfarrer von Betzweiler vom April 1968 deutlich. Dieser hatte Eichele nach einem Besuch in Thüringen brieflich die Grüße Mitzenheims sowie eine Aussage OKR Braeckleins übermittelt, worin der Thüringer OKR versichert hatte, in der ELKTh denke niemand daran, sich von EKD und VELKD zu separieren. Eichele, der nicht ahnte, wie kurzlebig diese Beteuerung sein sollte549, zeigte sich erleichtert: „Denn ich war doch etwas unruhig geworden, als bei der Beratung der Bischöfe in der DDR wegen einer gemeinsamen Stellungnahme zum neuen Verfassungsentwurf Herr Landesbischof D. Mitzenheim sich wegen einer Sitzung seines Oberkirchenrats hatte entschuldigen lassen; so wie mir auch seine Äußerung vom 29. Februar in Weimar ziemlich zu schaffen gemacht hatte […]. Es erschien mir schwer faßbar, daß Mitzenheim wirklich der Überzeugung sein sollte, daß in der heutigen Weltsituation nur noch die römisch-katholische Kirche, nicht aber die evangelische Christenheit sichtbar zum Ausdruck bringen könne, daß eine vorhandene kirchliche Zusammengehörigkeit nicht durch politische Risse mitzerrissen zu werden braucht, sondern auch unter verschieden gewordenen äußeren Lebensverhältnissen mutatis mutandis […] aufrecht erhalten werden kann.“550

Dass die Patenschaftskontakte trotz der beschriebenen politischen und kirchenpolitischen Belastungen in den sechziger Jahre nicht abbrachen, verdankt sich 548

VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 379. Zu den unterschiedlichen Positionen innerhalb der ELKTh vgl. G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 34f. Der Reutlinger Prälat Helmut Pfeiffer hob dagegen schon in seinem Bericht über sein Gespräch mit dem Thüringer OKR Heinz Krannich anlässlich des geplatzten Prälatentreffens im Frühjahr 1968 hervor, es sei „offensichtlich“, dass die ELKTh „einen selbständigen Zusammenschluss der Gliedkirchen in der DDR für notwendig hält“ (Evangelische Prälatur Reutlingen, Prälat Pfeiffer, „Aktennotiz über die Besprechung mit Oberkirchenrat Krannich/Eisenach am 20. und 21. Juni 1968 in Berlin“ (OKR STUTTGART 88.10-5 1967–1984 Bl. 41), S. 2. Zum Prälatentreffen vgl. Kapitel 3.1.2.4. 550 Eichele an Pfarrer Weitbrecht, Betzweiler, vom 26.4.68 (LKA STUTTGART HA Eichele). Braecklein erinnerte sich in einem Interview, dass Haug, der ihn bei seinen Besuchen in Württemberg „sehr liebevoll und brüderlich“ angenommen habe, ihn 1968 gebeten habe, zu erklären, wie sie „dazu kämen“, sich „selbständig zu machen“ (H. FINDEIS/D. POLLACK, Selbstbewahrung, S. 60), und dass es ausgesprochen schwierig gewesen sei, dies zu erklären. 549

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mehreren Faktoren: Einerseits der Pragmatik der Verantwortlichen der Hilfswerke, die politische oder kirchenpolitische Bedenken zugunsten konkreter Hilfsmöglichkeiten konsequent zurück stellten. Andererseits dem Mut und der Frustrationstoleranz vieler Einzelner, die sich trotz Widrigkeiten nicht abschrecken ließen, die Begegnung zu suchen. Und nicht zuletzt auch der Ausdauer derjenigen Württemberger, die bereit waren, kritische Solidarität zu üben statt bequeme Pauschalurteile zu fällen, die sich die Mühe machten, zuzuhören und zwischen der Haltung Mitzenheims und der seines OKR Lotz, zwischen den Ansichten der Bekenntnisgemeinschaft und des Weimarer Arbeitskreises und zwischen der Meinung der Kirchenleitung und der Basis zu unterscheiden.

3.2.4. Von der Patenschaft zur Partnerschaft in der Zeit der Konsolidierung Erste Anfragen an die Angemessenheit der Bezeichnung „Patenschaft“ für die landeskirchlichen Ost-West-Beziehungen wurden bei der Fachreferententagung für Patenschaftshilfe der Hilfswerke im April 1968 in Rendsburg laut. Die Vertreter aus dem Rheinland plädierten für den Begriff „Partnerschaft“, da dieser das „gegenseitige Zusammengehören“551 deutlich mache. Albrecht Hirth vom HWW dagegen berichtete, die Thüringer bevorzugten die Beibehaltung des Begriffs der „Patenschaft“, der im christlichen Verständnis ein partnerschaftliches Verhältnis impliziere552. Auf der folgenden Tagung im März 1969 in Frankfurt am Main wurde die Diskussion fortgesetzt. Auch wenn die meisten Vertreter der östlichen Landeskirchen zu diesem Zeitpunkt noch der Meinung waren, ein neuer Terminus sei nicht nötig, ausschlaggebend seien „die Tatsachen allein“553, konnte sich der neue Begriff im Laufe der siebziger Jahre weithin durchsetzen. Bei der Verdrängung des Patenschaftsbegriffs spielten nicht nur inhaltliche, sondern auch politisch-taktische Überlegungen eine Rolle. So bat das DWW den OKR im Frühjahr 1974 im Zusammenhang mit dem Erlass für das Karfreitagopfer, in Zukunft „keinen öffentlichen Gebrauch“ mehr von der Bezeichnung „Patenkirche“ zu machen, da diese „von den Behörden in der DDR immer wieder beanstandet“ würde und „an der Grenze zu Komplika551

Vermerk zur Fachreferententagung für Patenschaftshilfe am 4./5.4.68 (LKA STUTTGART DWW 91). 552 Vgl. EBD. Die von Hirth angeführte Berufung der Thüringer auf das NT entbehrt dabei allerdings der Grundlage. Erst in der Traditio Apostolica (15; 20) und bei Tertullian (bapt. 18) finden sich Vorläufer des Patenamtes (vgl. L. MÜLLER, Paten, S. 1001). 553 So Bischof Friedrich Wilhelm Krummacher, zit. nach dem Vermerk „Einige Besprechungspunkte bei der Fachreferententagung ‚Nothilfe‘ in Frankfurt“ 12./13.3.69 (LKA STUTTGART DWW 91).

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tionen“554 führe. Die offizielle Sprachregelung beim DWW lautete seit Beginn der siebziger Jahre allerdings nicht „Partnerschafts-“, sondern „Gesamtkirchliche“ Hilfe. In Thüringen wurde dagegen zur Vermeidung von Restriktionen von Seiten des auf jede westliche Bevormundung äußerst empfindlich reagierenden Staates der Begriff „Bruderkirche“ verwendet555. Innerkirchlich jedoch wurde „Partnerschaft“ das neue Leitwort für die Beziehungen. Konnten Mitarbeiter des DWW der älteren Generation noch 1974 davon sprechen, dass im Rahmen der persönlichen Patenschaften der württembergische Pate „für das Wohl seines ‚Patenkindes‘ und seiner Familie in Thüringen“556 sorge, so zeigt diese Beschreibung eines Verhältnisses zwischen erwachsenen Menschen trotz der gesetzten Anführungszeichen deutlich die Problematik des Patenschaftsbegriffs. Den sich im Laufe der siebziger Jahre herausbildenden terminologischen Konsens beschreibt eine Notiz des DWW aus den achtziger Jahren: „Patenschaft“, so das Papier, sei ein „zutreffender Begriff“, weil die Verbindung „aus christlicher Verantwortung füreinander“ gepflegt würde. Der Ausdruck „Partnerschaft“ mache aber deutlich, dass „nicht der große für den kleinen Bruder“ sorge, sondern zwei „gleichberechtigte Glieder am Leibe Christi“557 die Beziehung pflegten. Wer annimmt, die begriffliche Neubestimmung sei lediglich „aus sozialhygienischen Gründen“558 vorgenommen worden, unterschätzt den tiefgreifenden inneren Wandel in den partnerschaftlichen Verbindungen, die sich in dieser Zeit vollzogen. Die Gründe für diesen Wandel sind vielfältig: Im Blick auf die äußeren Bedingungen der Partnerschaft ist zunächst die Konsolidierung der Versorgungslage in der DDR zu nennen. Die Zeit der allgemeinen Lebensmittelhilfe war endgültig vorbei, die materielle Unterstützung konzentrierte sich nun auf die speziellen Bedürfnisse der einzelnen Partnergemeinden, -einrichtungen und -familien559. Ein zweiter Faktor sind die Ver554 Vermerk „Erlaß Karfreitagsopfer 1974“ vom 11.4.74 (DWW STUTTGART 2.02 176). Zum grundsätzlichen Problem der Erwähnung der Partnerschaft in der Öffentlichkeit s. o. den Exkurs „Wir müssen schweigend helfen – Patenschaft und Öffentlichkeitsarbeit“, S. 170ff. 555 Vgl. den Vermerk vom 19.1.71 (DWW STUTTGART 2.02 205). 556 „Kurzreferat über die Patenschaftshilfe im Rahmen der Informationstagung für neue Mitarbeiter an den Diakonischen Bezirksstellen am 14.3.74“ (EBD.). 557 „Chancen der Partnerschaft zwischen Gemeinden in Thüringen und Württemberg“ ohne Datum (PB KRAFT). Vgl. auch das Grußwort von OKR Hartmut Mitzenheim bei der Sitzung der Württembergischen Landessynode am 13.11.78, in dem er betonte: „Partnerschaft heißt nicht gängeln wollen oder nach dem Mund reden“ (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 85). 558 G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 540. Besiers Kapitel, dem diese angesichts der geistigen und geistlichen Dimensionen der Partnerschaft völlig unzureichende Formulierung entstammt, beschäftigt sich bezeichnenderweise nur mit den materiellen Aspekten der Beziehungen. 559 Zur Versorgungslage s. o. den Exkurs „Die Entwicklung der Versorgungslage in der DDR“, S. 96ff. Zur Entwicklung der materiellen Hilfe s. o. Kapitel 3.1.1.2.

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änderungen im Verhältnis von Kirche und Staat in der DDR. Von der Anerkennung des BEK im Jahr 1971 über das Spitzengespräch zwischen Erich Honecker und dem Vorstand der KKL 1978 bis hin zum Lutherjahr 1983 kam es zu einer schrittweisen Annäherung, der allerdings immer noch die massive Benachteiligung von Christen im öffentlichen Leben, in Schule und Beruf gegenüber stand560. Der dritte und wahrscheinlich für die Veränderung der Partnerschaft wichtigste äußere Grund ist die Konsolidierung des deutsch-deutschen Verhältnisses durch den Grundlagenvertrag von 1972. Die damit einhergehenden Reiseerleichterungen561 ermöglichten einen Aufschwung des geistigen, geistlichen und fachlichen Austausches auf allen Ebenen der Partnerschaft. Ein innerer Grund für den Wandel der Beziehungen lässt sich im Generationenwechsel erkennen, der sich seit Anfang der siebziger Jahren an den für die Partnerschaft verantwortlichen Stellen vollzog. In die Pfarrämter, kirchlichen Werke, diakonischen Einrichtungen und Synoden zog nach und nach die erste zweistaatlich sozialisierte Nachkriegsgeneration ein. Das mit einem gesamtdeutschen Denkhorizont einhergehende selbstverständliche Zusammengehörigkeitsgefühl der älteren Generation musste durch neue Motivationsmuster ersetzt werden. Erfahrungen der gegenseitigen Entfremdung waren zu verarbeiten. Für viele geborene Bundesdeutsche war die Gesellschaft der DDR „sehr viel ferner als die Toskana oder die Camargue, eine eigentümlich irreale deutsche Provinz irgendwo im Schatten der Geschichte“562, ebenso fiel es geborenen DDR-Bürgern oft schwer, die schnellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen der BRD nachzuvollziehen. Die genannten Veränderungen beeinflussten die Partnerschaft zwischen Württemberg und Thüringen in mehrfacher Weise. Im Blick auf den materiellen Bereich wuchs im Laufe der Zeit die Sensibilität für die Problematik des Geber-Nehmer-Gefälles. In seinem Grußwort vor der Württembergischen Landessynode im Juni 1980 brachte Oberpfarrer Martin Zunkel aus Thüringen seinen aufrichtigen Dank für die vielfältigen Hilfen aus Württemberg zum Ausdruck, fügte aber hinzu:

560 Vgl. C. LEPP, Entwicklungsetappen, S. 66–70. Wie dramatisch diese Diskrepanz von Einzelnen empfunden werden konnte, zeigt die Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz am 18.8.76, der mit seiner Tat ein Zeichen gegen die Repressionen gegen Christen und die kompromissbereite Haltung der Kirchen setzten wollte (vgl. dazu die kurze Darstellung von A. SILOMON, Brüsewitz, mit weiteren Literaturangaben sowie die umfangreiche Dokumentation von H. SCHULTZE, Signal). 561 Dazu s. o. den Exkurs „Die Entwicklung der Reisemöglichkeiten“, S. 76ff. 562 F. W. GRAF, Blick, S. 51, dort auch weiterführende Überlegungen zur Generationenfrage. Zur Distanz der westdeutschen Bevölkerung zum Alltag in der DDR vgl. auch W. WEIDENFELD/M. GLAAB, Frage, S. 2957f. Diese Entwicklung zeichnete sich schon in den sechziger Jahren ab (s. o. S. 178). Zu den daraus resultierenden Verständigungsschwierigkeiten s. u. Kapitel 4.2.1.2.

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„Verstehen Sie es bitte recht, wenn ich sage, daß uns dies alles nicht nur zutiefst erfreut, sondern manchmal auch etwas bedrückt und beschämt.“563

Junge Pastorinnen und Pfarrer aus Thüringen reagierten empfindlicher auf materielle Abhängigkeiten als die ältere Generation, die dies noch im Sinne eines selbstverständlichen Lastenausgleichs akzeptieren konnte. Die Situation, bei einem Besuch in Stuttgart im Textillager des DWW ausgestattet zu werden, wurde als unangenehm empfunden, auch wenn die Kleidungsstücke gebraucht wurden564. Auch in Württemberg versuchte man noch stärker als zuvor, bevormundende Wohltätigkeit durch partnerschaftlich abgesprochene Hilfe zu ersetzen. So betonte OKR Albrecht Roos, Leiter des DWW, vor der Württembergischen Landessynode im Oktober 1977 im Hinblick auf die Partnerschaftsarbeit: „Das Problem von Geben und Nehmen ist manchmal delikat. Wir sollten uns auch ein Gespür dafür bewahren, daß wir nicht ‚die generösen Onkel‘ spielen, sondern das brüderliche Teilen pflegen im Geist wirklicher Solidarität.“565

Dies galt auf der Ebene des DWW ebenso wie auf der Ebene der einzelnen Gemeinden. Im Juni 1976 fragte die Kirchengemeinde Stuttgart-Plieningen beim OKR an, ob es möglich sei, die Mittel für die Partnergemeinde in Thüringen in ihren Haushaltplan einzustellen: „Es ist dem Kirchengemeinderat ein Anliegen, die Patengemeinde aus der Rolle eines – mehr oder weniger – bloßen Almosenempfängers zu befreien und auf eine Partnerschaft hinzuarbeiten, die ihren Ausdruck auch im Haushaltplan finden müßte.“566

Gleichzeitig wurden in Anbetracht der verbesserten Versorgungslage in der DDR auch Anfragen an die Dringlichkeit der materiellen Hilfe für Thüringen laut. Die mündlich überlieferte Frage eines Studenten, der in den Semesterferien im Lager des DWW arbeitete, warum man „Regenschirme in die DDR“ schicke, wenn „in der Dritten Welt die Menschen hungern“567, traf die Stimmung mancher Vertreter der jüngeren Generation. In der DDR fanden ähnliche Überlegungen differenzierteren und weitreichenderen Ausdruck in dem noch näher 563

Sitzung am 26.6.80, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 575. Vgl. Stengel 27.8.01. 565 Sitzung am 26.10.77, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 2133. Ähnlich auch der Reisebericht Ev. Dekanatamt Biberach an OKR und DWW vom 24.8.74 (OKR STUTTGART 54.26-4 1967–1982 Bl. 48) und die Notizen „Chancen der Partnerschaft zwischen Gemeinden in Thüringen und Württemberg“ ohne Datum (PB KRAFT). Zur gemeinsamen Planung der materiellen Hilfe s. o. S. 89. 566 Evangelisches Pfarramt Stuttgart-Plieningen an OKR vom 22.6.76 (OKR STUTTGART 54.26-4 1967–1982 Bl. 62). 567 Mehlhorn 26.7.01. 564

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Das Beispiel Württemberg und Thüringen

vorzustellenden Brief der Teilnehmer der Weltmissionskonferenz in Melbourne 1980 an die evangelischen Gemeinden in der DDR vom Januar 1981568. Doch auch im ideellen Bereich sind seit den siebziger Jahren weitreichende Veränderungen in den partnerschaftlichen Beziehungen zu verzeichnen. Im Bewusstsein der jüngeren Generation rückten die Kontakte zur Partnerkirche ungeachtet der in Bundesordnung des BEK und Grundordnung der EKD festgehaltenen „besonderen Gemeinschaft“ oft eher in den Kontext der ökumenischen Beziehungen ein. Junge Württemberger gaben ihren Thüringer Gastgebern gegenüber offenherzig zu, die DDR sei für sie „Ausland“569. Studierende des Evangelischen Stifts in Tübingen formulierten, sie wollten mit ihren Besuchen in Thüringen „ein Stück Ökumene […] verwirklichen“570. Umgekehrt wurden Besucher aus Württemberg bei Veranstaltungen in Thüringen mit Rücksicht auf die Empfindlichkeiten des Staates nun als „Vertreter der Ökumene“ begrüßt571. Movens für den geistlichen, geistigen und fachlichen Austausch war nun nicht mehr vorrangig die auf Gemeinsamkeiten beruhende Zusammengehörigkeit, sondern gerade die Bereicherung durch die unterschiedlichen Erfahrungshorizonte der Partner. Berichte und Arbeitspapiere des DWW aus den achtziger Jahren weisen auf die in der Partnerschaft entstehende Chance hin, „aus seinem Wissens- und Erfahrungsbereich“ etwas einbringen zu können, ohne es dem anderen „überstülpen zu wollen“572, und durch die Begegnung zum „Nachdenken“ über die „eigene Situation“573 zu kommen. Mit der zunehmenden Bedeutung des inhaltlichen Austausches verlor auch die vor allem an den materiellen Hilfsmöglichkeiten orientierte Zuteilung der Partnergemeinden ihre Selbstverständlichkeit. So wandte sich im Winter 1971/72 der Pfarrer von Bietigheim-Buch an das DWW und bat darum, die angestammte Thüringer Partnergemeinde gegen eine Neubaugemeinde in Karl-Marx-Stadt tauschen zu können, zu der persönliche Kontakte entstanden waren. Während die Partnerschaft mit Thüringen schon seit einiger Zeit ruhe, biete die neue Beziehung nach Sachsen wegen der strukturellen Ähnlichkeit der Gemeinden große Chancen für einen Erfahrungsaustausch: 568 Vgl. das Schreiben der Teilnehmer aus der DDR an der Weltmissionskonferenz in Melbourne 1980 an die evangelischen Gemeinden in der DDR vom Januar 1981 (LKA EISENACH A 827 Bd. 4/3). Dazu s. u. S. 263. 569 Vgl. Stengel 27.8.01. 570 Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 78/79 (AEvSt TÜBINGEN 641,4), S. 22. 571 Vgl. Mittendorf 20.9.01. Zur Unterscheidung von ökumenischen Beziehungen und „besonderer Gemeinschaft“ durch den DDR-Staat s. u. S. 292f. 572 Ullrich, Fachkontakte (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 1. 573 „Chancen der Partnerschaft zwischen Gemeinden in Thüringen und Württemberg“ ohne Datum (PB KRAFT).

Die innere Entwicklung der Partnerschaft

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„Außerdem ist die Frage, ob Patenschaften, die unter dem Eindruck u. unter Berücksichtigung der fünfziger Jahre vereinbart wurden u. als solche sinnvoll waren, es heute auch noch sind. Päckchenschicken kann man schließlich jedem, der es braucht. Ein fruchtbarer Gedankenaustausch ist dagegen zwischen manchen Partnern gedeihlicher als zwischen anderen.“574

Das DWW zeigte Verständnis für das Interesse an den neu entstandenen Kontakten, wies aber wie immer darauf hin, dass bei Aufgabe der Verbindung nach Thüringen diese Gemeinde keine Partnergemeinde mehr habe und so keine Unterstützung mehr erfahre. Deshalb könne man einem Wechsel nicht zustimmen. Gegen eine private Verbindung nach Karl-Marx-Stadt sei allerdings nichts einzuwenden575.

3.2.5. Die Partnerschaft in den Zeiten von Wende und Wiedervereinigung Als sich Ende der achtziger Jahre die Anzeichen für eine Zuspitzung der politischen Lage in der DDR häuften, die Ausreisewelle auf ihren Höhepunkt zulief und die Oppositionsgruppen unter dem Dach der Kirche ihre Kritik am bestehenden Regime immer deutlicher äußerten576, standen auch die partnerschaftlichen Beziehungen ganz unter dem Eindruck der aktuellen Ereignisse577. Die Verbindungen nach Thüringen ermöglichten den in der Partnerschaft engagierten Württemberger Christen ein intensiveres und direkteres Wahrnehmen des gesellschaftlichen Umbruchs in der DDR als vielen anderen Bundesbürgern. Von den vielen kleinen Beispielen der Teilnahme sollen hier nur einige genannt werden: Als am 2. Advent 1988 eine Gruppe die Weimarer Stadtkirche besetzte, um eine Ausreisegenehmigung in den Westen zu erzwingen, verständigte der zuständige Superintendent, nachdem es zu Handgreiflichkeiten gekommen war, gegen die innerkirchlichen Abmachungen die Polizei und ließ die Besetzer verhaften578. Die schnell verbreiteten diesbezüglichen Pressemeldungen lösten auch im Partnerbezirk Schwäbisch Hall Irritationen aus. Der Haller Dekan 574 Evangelisches Pfarramt Bietigheim-Buch an DWW vom 17.3.72 (LKA STUTTGART DWW 163), vgl. inhaltlich ähnlich auch bereits Evangelisches Pfarramt Bietigheim-Buch an DWW vom 23.12.71 (EBD.). 575 Vgl. DWW an Pfarrer N., Bietigheim-Buch, vom 18.2.72 (EBD.). 576 Vgl. E. NEUBERT, Geschichte, S. 645ff., sowie G. REIN, Revolution. Zur kritischen Diskussion der Bedeutung der Kirche für die Wende vgl. D. POLLACK, Umbruch. 577 Vgl. die Grußworte der Thüringer Gäste auf den Württemberger Synodaltagungen am 3.3.88 (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 1465), am 21.11.88 (EBD., S. 1703) und am 22.6.89 (EBD., S. 2027). 578 Vgl. W. LEICH, Horizonte, S. 215f., und G. REIN, Revolution, S. 124.

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Das Beispiel Württemberg und Thüringen

erkundigte sich daraufhin direkt in Weimar. Eine Niederschrift des Telefongesprächs sandte er der Kirchenleitung und dem DWW zu und betonte in dem Begleitschreiben, es sei „sicher schwer, wenn nicht unmöglich, unsererseits die Vorgänge gerecht zu werten“. Für den Kirchenbezirk sei es jedoch wichtig gewesen, vom Partnersuperintendenten selber „eine Darstellung der Vorgänge aus seiner Sicht zu bekommen.“579 Ein besonderes Erlebnis für die Pfarrer des Kirchenbezirks Marbach war die Begegnung mit dem Partnerkirchenkreis vom 9. bis 12. Oktober 1989. Während der Tagung, die nur einen Monat vor dem Mauerfall wie gewohnt im Ostberliner Stephanusstift stattfand, konnten einige der Württemberger auch die von Reformern besetzte Gethsemanekirche besuchen. Mit den Weimarer Kollegen wurde die neue Rolle der Kirche in der Umbruchzeit kritisch diskutiert580. Für die Thüringer war es in den kritischen Wochen wichtig, die Unterstützung und den Rückhalt der Württemberger Partner zu spüren, auch deshalb, weil gute Westkontakte einen gewissen Schutz gegen willkürliche Übergriffe der Staatsorgane boten, solange die DDR um ihren internationalen Ruf besorgt war. Bei einem Dankgottesdienst für die Öffnung der Grenzen, der am 14. November 1989 in Ulm gehalten wurde, war, zumindest indirekt, auch die Stimme der Partnergemeinde zu hören. Der Ulmer Dekan verlas einen Brief aus Rudolstadt, in dem die Thüringer die Begeisterung über die neue Situation, aber auch die bevorstehenden Probleme schilderten581. Die politischen Ereignisse der Jahre 1989/90 stellten die Partnerschaft einmal mehr vor völlig neue Herausforderungen. Sie bedeuteten nicht das Ende, wohl aber eine vollständige Umstrukturierung der Beziehungen. Einige der in den vergangenen vierzig Jahren zentralen Elemente verloren an Bedeutung582. So wurden mit dem Jahr 1990 vom DWW die über Mittel des Diakonischen Werkes der EKD finanzierte Sonderzuwendung für kirchliche und diakonische Mitarbeiter, die Bücherhilfe und die Fahrtkostenzuschüsse für Reisen zu den Partnergemeinden eingestellt. Ebenso liefen die Beschaffung von materiellen Hilfen durch das DWW, die Genex-Bestellungen und die individuellen Textil579 Evangelisches Dekanatamt Schwäbisch Hall an OKR vom 21.12.88 (OKR STUTTGART 88.10-5 1985–1990 Bl. 112/6). In den Akten des OKR befindet sich auch der sich mit den Vorgängen in Weimar befassende Rundbrief von Landesbischof Leich an alle Pfarrer und Pastorinnen im Verkündigungsdienst vom 15.12.88 (OKR STUTTGART 88.10-5 1985–1990 Bl. 112/3), in dem er den Verstoß des Superintendenten gegen die getroffenen Abmachungen zum Umgang mit Kirchenbesetzungen kritisierte. 580 Vgl. „‚Wachet und betet‘. Marbacher Pfarrer in Ost-Berlin“, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 3.12.89. S. 14. 581 Vgl. „DDR nicht an die Wand drücken“, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 3.12.89, S. 2. 582 Zum folgenden vgl. DWW, Gesamtkirchliche Hilfen, Jahresbericht 1990 (DWW STUTTGART 2.02 264) S. 12–19.

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hilfen aus. Mit einem Rundbrief an alle 3.800 Württemberger Partner bedankten sich Landesbischof Theo Sorg und der Leiter des Diakonischen Amtes Eisenach, OKR Wolfgang Höser, für alles, was diese an „Engagement, Geduld, persönlicher Zeit, Phantasie und materiellen Werten“583 für ihre persönlichen Thüringer Partner aufgewandt hatten, und baten, trotz des Endes von Sonderzuwendung und Textilhilfe „die gewonnenen persönlichen Verbindungen in den nächsten Jahren nicht abreißen zu lassen.“584 Die Vermittlung neuer persönlicher Partnerschaften durch Pfarrverein und DWW wurde beendet. Auf anderen Gebieten erlebte die Partnerschaft mit der Wende einen ungeahnten Aufschwung. Bei Treffen der Kirchenleitungen im Februar und im April 1990 wurde betont, Gemeindebegegnungen sollten intensiviert, die Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten ausgebaut werden585. Dabei sei es aber wichtig, so OKR Höser, dass sich die kirchlichen Ost-West-Beziehungen von der „Umarmungstaktik“ im politischen Bereich unterscheiden würden und den kirchlichen Partnern „Luft zum Atmen“586 bleibe. Für die Intensivierung der Begegnungsarbeit zwischen den Gemeinden stellte die Stuttgarter Kirchenleitung den württembergischen Kirchenbezirken 1990 insgesamt 400.000 DM zur Verfügung587. Die Zusammenarbeit zwischen den Synoden wurde vertieft588. Die Redaktionen der Kirchenzeitungen vereinbarten eine verstärkte Kooperation589. Entscheidende Bedeutung bekamen in der Umbruchsituation in Thüringen die schon seit den siebziger Jahren immer wichtiger gewordenen fachlichen Hilfen590. Die Einführung des Bundessozialhilfegesetzes im Bereich der ehemaligen DDR verlangte eine völlige Umstrukturierung der Diakonie in Thüringen. Einrichtungen brauchten Beratung, etwa in Fragen der Geldanlage, des Versicherungswesens, der Bilanzierung und der Pflegesatzverhandlungen. Mit583 Diakonisches Amt Eisenach, Der Leiter, an die Schwestern und Brüder der Partnerschaft zwischen Württemberg und Thüringen vom Dezember 1990 (DWW STUTTGART 2.02 205). 584 Evangelische Landeskirche in Württemberg, Landesbischof, an alle Mitglieder der Evangelischen Landeskirche, die in Verbindung mit dem Diakonischen Werk persönliche Hilfen nach Thüringen vermittelt haben, vom Dezember 1990 (EBD.). 585 Vgl. „Eine denkwürdige Begegnung“, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 6.5.90, S. 5, und DWW, Gesamtkirchliche Hilfen, Jahresbericht 1990 (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 9f. 586 „Partnerschaft mit Thüringen muß sich jetzt bewähren“, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 25.2.90, S. 2. 587 Vgl. DWW, Gesamtkirchliche Hilfen, Jahresbericht 1990 (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 10. 588 S. o. S. 138. 589 Vgl. „Eine alte Freundschaft wird vertieft“, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 6.5.90, S. 5. 590 Vgl. im Folgenden DWW, Gesamtkirchliche Hilfen, Jahresbericht 1990 (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 11 und 16f., und Losch, Partnerbeziehungen (PB KRAFT), S. 37f.

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Das Beispiel Württemberg und Thüringen

arbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kreisstellen für Diakonie, in den neu gegründeten Sozialstationen, in den Kindergärten und anderen diakonischen Einrichtungen waren für ihre neuen Aufgaben auf Fort- und Weiterbildungen angewiesen, die durch einen Sonderfonds des DWW gefördert wurden591. Fürsorgerinnen und Fürsorger der Kreisstellen konnten nur mittels einer durch die Fachhochschule für Sozialwesen in Reutlingen organisierten Nachqualifizierung eine staatliche Anerkennung ihrer Ausbildung erhalten, die ihre Weiterbeschäftigung sicherte. Die Veränderungen im Bildungswesen und die damit verbundene Einführung des Religionsunterrichts an Thüringer Schulen erforderten nicht nur eine fachliche Beratung der betroffenen Katechetinnen und Katecheten, Pastorinnen und Pfarrer, Lehrerinnen und Lehrer. Die Bedenken gegen schulischen Religionsunterricht, die bei Thüringer Christen nach vierzigjähriger Erfahrung mit dem kirchenfeindlich geprägten Bildungssystem der DDR entstanden waren, konnten oft nur in intensiven Grundsatzdiskussionen mit den Partnern und direkter Anschauung der Verhältnisse in Württemberg zerstreut werden592. Durch die Abwanderung vieler leitender kirchlicher Mitarbeiter in der DDR in den Bereich der Politik hatte sich das schon durch die Ausreisen in den achtziger Jahren akut gewordene Personalproblem der ELKTh weiter verschärft. Einige der Lücken konnten durch Fachleute aus Württemberg ausgefüllt werden, die bereit waren, für einige Zeit in Thüringen zu arbeiten. So stellte das DWW eine Dozentin für die Erzieherinnenausbildung, eine Fachfrau für den Aufbau der Diakonie-Sozialstationen, einen Juristen und einen Referenten für die Behindertenarbeit zur Verfügung. Vom Stuttgarter Oberkirchenrat wurde ein Verwaltungsfachmann entsandt593. Eine Besonderheit bildete die Vereinbarung zwischen Stuttgart und Eisenach über die Freistellung württembergischer Pfarrerinnen und Pfarrer für einen Dienst in der ELKTh vom Juni 1990. Für eine Zeit von drei bis fünf Jahren konnten die Württemberger eine Pfarrstelle in Thüringen versehen. Dabei unterstanden sie dem 591 Vgl. DWW, Merkblatt Fonds für Fort- und Weiterbildung von Mitarbeitern aus Kirche und Diakonie in Thüringen vom 11.9.1990 (OKR STUTTGART 88.10-5 1985–1990 Bl. 247/1). Ähnliches geschah nach der Wende auch zwischen Nordelbien und Pommern, vgl. die Berichte von Gerhard Splett in S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 105f., und Roland Springborn, EBD., S. 109–112. 592 Vgl. die Ausführungen des Thüringer Kirchenrat Hans Krech vor der Württembergischen Landessynode am 30.6.90 (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 148), ebenso Kraft, Thüringen (DWW STUTTGART 2.02 265), S. 5, und den Bericht über die Begegnung zwischen den Pfarrkonventen Neuenbürg und Dermbach im April 1991, Evangelisches Dekanatamt Neuenbürg an OKR vom 5.6.1991 (OKR STUTTGART 88.10-5 1991–1997 Bl. 50). 593 Vgl. DWW, Gesamtkirchliche Hilfen, Jahresbericht 1990 (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 15f., Kraft, Partnerschaft (DWW STUTTGART 2.02 265), S. 3, und die Ausführungen von OKR Dietrich Bauer vor der Württembergischen Landessynode am 30.6.90 (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 144f.).

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Thüringer Dienstrecht, erhielten die dort üblichen Dienstbezüge und wohnten in der vorhandenen Dienstwohnung. Der Umzug wurde von Württemberg bezahlt, eine besondere finanzielle Beihilfe für familiäre Verpflichtungen konnte auf Antrag gewährt werden594. Der württembergische Pfarrverein unterstützte die Übersiedler bei eventuell notwendig werdenden Renovierungsarbeiten an den Thüringer Pfarrhäusern. Im Gegensatz zu manchen Personalhilfen im staatlichen Bereich wurde darauf geachtet, nur bewährte Pfarrerinnen und Pfarrer nach Thüringen zu entsenden, die auch über ein Minimum an Kenntnis über die Verhältnisse in der ehemaligen DDR verfügten595. Tatsächlich fanden sich bis Juli 1991 neun württembergische Theologinnen und Theologen596, die, wie es Landesbischof Sorg in seinem Aufruf formuliert hatte, bereit waren, „eine solche besondere Aufgabe unter anderen Verhältnissen zu übernehmen“597, und ihren Dienst in Thüringen antraten. Auch im Bereich der finanziellen und materiellen Unterstützung wurden bald nach der Wende einige Sonderaktionen ins Leben gerufen. Der Aufruf des Landesbischofs an alle Handwerker im Bereich der württembergischen Landeskirche vom März 1990, gebrauchte Geräte, Werkzeuge und Maschinen für die vier landeskirchlichen Bauhöfe in Thüringen zu spenden598, brachte nicht den erhofften Erfolg. Angebot und Nachfrage passten teilweise nicht zusammen, der logistische Aufwand für den Transport nach Thüringen war erheblich. Gleichzeitig wurde vom Stuttgarter Oberkirchenrat eine einmalige Soforthilfe von 300.000 DM für die Bauhöfe zur Verfügung gestellt599. Das DWW rief im Herbst zur Bildung eines Diakoniefonds für Investitionsaufgaben der Diakonie in Thüringen auf. Die Mitglieder konnten sich daran durch einen Solidaritätsbeitrag oder die vorzeitige Rückzahlung eines Darlehens aus dem Diakoniefonds Württemberg beteiligen600. Bis zum Sommer 1991 kamen dabei 2 Mio. DM zusammen601. Schließlich gewährte die Württembergische 594 Vgl. OKR/LKA, Freistellung württembergischer Pfarrer/Pfarrerinnen für einen Dienst in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen, Vereinbarung vom 18.6.90 (OKR STUTTGART 88.10-5 1985–1990 ohne Blattzählung). 595 Vgl. EBD. und Sorg 4.2.02. 596 Vgl. OKR an Amt für Information vom 24.7.91 (OKR STUTTGART 88.10-5 1991–1997 Bl. 68/4). 597 Vgl. Evangelische Landeskirche in Württemberg, Landesbischof, an die Pfarrerinnen und Pfarrer unserer Landeskirche, Aufruf vom 29.6.90 (OKR STUTTGART 88.10-5 1991–1997 Bl. 68/3). 598 Vgl. Evangelische Landeskirche in Württemberg, Landesbischof, Aufruf an die Handwerker im Bereich der Evangelischen Landeskirche in Württemberg vom 27.3.90 (OKR STUTTGART 88.10-5 1985–1990 Bl. 180/1). 599 Vgl. DWW, Gesamtkirchliche Hilfen, Jahresbericht 1990 (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 17f. 600 Vgl. DWW, Hauptgeschäftsführer, an die Mitglieder des DWW vom 22.10.90 (DWT EISENACH A 5a 1981–1990). 601 Vgl. DWW, Hauptgeschäftsführung, an OKR vom 1.8.91 (OKR STUTTGART 54.26-4 1990 Bl. 172).

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Landeskirche der ELKTh im Herbst 1990 ein Überbrückungsdarlehen von 1 Mio. DM602, das zum Mai 1991 in einen Zuschuss für ein Investitionsförderungsprogramm für Thüringer Kirchengemeinden umgewandelt wurde603. Auch die Hilfsbereitschaft in den einzelnen Kirchengemeinden in Württemberg wurde durch die Ereignisse der Jahre 1989/90 noch einmal stark beflügelt. Den Oberkirchenrat erreichten zahlreiche Anfragen, wie zusätzliche finanzielle Mittel den Partnergemeinden zugute kommen könnten604. Nachteilig für die Kirchenpartnerschaft wirkte sich das Auseinandergehen von staatlicher und kirchlicher Partnerschaft nach der Wende aus. Trotz der Hinweise von kirchenleitenden Persönlichkeiten auf die Möglichkeit, über Jahrzehnte gewachsene institutionelle und persönliche Beziehungen zwischen Württemberg und Thüringen auch für eine Länderpartnerschaft zu nutzen, entschied der amtierende baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth rasch, Kontakte zum wirtschaftlich potenteren Sachsen aufzubauen, nachdem Hessen bereits im Dezember 1989 ein Hilfsprogramm für Thüringen ins Leben gerufen hatte und zum Partnerbundesland geworden war605. Das DWW knüpfte daraufhin zusätzlich Kontakte zum Diakonischen Werk in Sachsen und beteiligte sich am Aufbau einer Diakoniestation in Chemnitz606. Auch einige Kirchengemeinden ließen sich in die neuen Kontakte nach Sachsen einbinden, obwohl das DWW bei Anfragen stets „den Vorrang gewachsener Beziehungen nach Thüringen“607 betonte. Andere gaben im Nachhinein an, eine Konkurrenz der neuen Kontakte der bürgerlichen Gemeinde gespürt zu haben608. Auf der anderen Seite verstärkten die Thüringer schnell ihre angestammten Beziehungen nach Hessen und auch in die bayrischen Grenzregionen, die schon durch die im „kleinen Grenzverkehr“ gegebenen besseren Reisemöglichkeiten seit 1973 größere Bedeutung erlangt hatten609. Nur in einzelnen Fällen konnten sich trotz der unterschiedlichen Orientierung im Bereich der Bundesländer aus den Verbindungen zwischen thüringi602

Vgl. Schuldurkunde vom 7.11.90 (OKR STUTTGART 88.10-5 1985–1990 Bl. 261/1). Vgl. OKR an LKA vom 11.4.91 (OKR STUTTGART 88.10-5 1991–1997 Bl. 32). 604 Vgl. z. B. den Verzicht auf Gehaltserhöhung von Pfarrerinnen und Pfarrern des Kirchenbezirks Göppingen (Pfarrerinnen und Pfarrer, Vikarinnen und Vikare des Kirchenbezirks Göppingen an OKR vom 12.3.91, OKR STUTTGART 88.10-5 Bl. 25) und weitere Schreiben EBD. 605 Vgl. W. LEICH, Horizonte, S. 269 und Sorg 4.2.02. 606 Vgl. DWW, Gesamtkirchliche Hilfen, Jahresbericht 1990 (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 19. 607 EBD., S. 10. 608 Vgl. die Umfrage von Hefft 1995 Bogen 023.101 (EZA BERLIN 172/17) und 023.235 (EZA BERLIN 172/18). 609 Vgl. DWW, Gesamtkirchliche Hilfen, Jahresbericht 1990 (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 10, Kraft, Thüringen (DWW STUTTGART 2.02 265), S. 5, Kraft, Partnerschaft (DWW STUTTGART 2.02 265), S. 1. 603

Die innere Entwicklung der Partnerschaft

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schen und württembergischen Kirchenbezirken und Gemeinden auch kommunale Partnerschaften entwickeln610.

3.2.6. „Was eint uns, wenn uns nichts mehr trennt?“ – Kirchenpartnerschaft im vereinigten Deutschland Dieses Kapitel überschreitet den für die Untersuchung anvisierten Zeitrahmen611. Dennoch sollen hier einige Aspekte der Entwicklung der Partnerschaft im vereinigten Deutschland angedeutet werden, um die Brücke zur Gegenwart zu schlagen. Wichtige Erkenntnisse liefert dafür besonders die 1995 von der Studien- und Begegnungsstätte der EKD in Berlin erstellte Studie „Was eint uns, wenn uns nichts mehr trennt?“, in der deutsch-deutsche Gemeindepartnerschaften vor und nach 1989 untersucht wurden. Da die Fragebögen aus Württemberg und Thüringen über ein Drittel des ausgewerteten Rücklaufs ausmachten612, haben die Ergebnisse auch für die spezifischen Beziehungen der beiden Landeskirchen einen hohen Aussagewert. Zudem decken sie sich weitgehend mit der Einschätzung der befragten Zeitzeugen aus anderen Bereichen der Partnerschaften und gelten somit nicht nur für den spezifischen Bereich der Gemeindepartnerschaften. Insgesamt zeigt sich nach einem von der neuen Situation ausgelösten Aufschwung während des Wiedervereinungsprozesses und direkt danach eine Abnahme der partnerschaftlichen Beziehungen zur Mitte der neunziger Jahre hin613. Dieses Abflauen hat unterschiedliche Gründe: Die Bedeutung zunächst der materiellen, dann auch der finanziellen Hilfe ging zurück. Das verringerte zwar die durch das Geber-Nehmer-Gefälle verursachten Probleme, stellte nicht selten aber auch den Sinn und die Notwendigkeit der Partnerschaft insgesamt in Frage614. Im ideellen Bereich ging die Attraktivität der Kontakte für beide Seiten zurück, da die Außergewöhnlichkeit abnahm. Für die Westdeutschen fiel der Reiz von Abenteuer und Exotik der DDR-Reisen weg, für die Ostdeutschen waren Kontakten in den anderen Teil Deutschlands nun problemlos 610 Zum Beispiel zwischen Schorndorf und Kahla, Mühlacker und Schmölln oder Leonberg und Lobenstein. Aus den bereits seit 1986 geschlossenen Städtepartnerschaften zwischen BRD und DDR, die sich allerdings nicht an bestimmte Bundesländer- oder Bezirkszuweisungen hielten, hatte sich die Kirche vor der Wende konsequent herausgehalten. Dazu s. u. den Exkurs „Kirchenpartnerschaften und Städtepartnerschaften“, S. 295ff. 611 Quellen und Literatur wurden nur für die Zeit bis zur Wiedervereinigung oder kurz danach gesichtet. 612 Vgl. G. HEFFT, Gemeindepartnerschaften, S. 11. 613 Vgl. EBD., S. 39 und 56. 614 Vgl. EBD., S. 35, S. 52–54 und S. 72f.

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Das Beispiel Württemberg und Thüringen

auch auf anderen Wegen möglich615. Gleichzeitig nahm man aber, wohl bedingt durch das Ende spezifischer Rücksichtnahme auf die Partner, auch die gegenseitige Fremdheit stärker wahr, was das Verhältnis ebenfalls belastete616. Auch strukturelle Unterschiede der Partnergemeinden, etwa zwischen Stadt und Land oder unterschiedlichen Frömmigkeitsstilen, wirkten sich nun, da der Schwerpunkt der Beziehungen auf der inhaltlichen Zusammenarbeit lag, stärker aus617. Unter diesen neuen Gegebenheiten war es schwer, für die Mitarbeit in der Partnerschaft jüngere Menschen neu zu gewinnen, denen die Vorgeschichte kaum präsent war und denen eine große Zahl anderer Möglichkeiten des Engagements und der Horizonterweiterung offen standen618. Teilweise ist eine Privatisierung institutioneller Kontakte zu beobachten. Trägerinnen und Träger der Partnerschaft, die sich oft durch jahrzehntelange Zusammenarbeit kennen und persönlich nahe gekommen sind, pflegen ihre Freundschaften unabhängig von der Institution weiter619. Ebenso werden die persönlichen Partnerschaften auch nach dem Ende der materiellen Unterstützung oft im Sinne einer freundschaftlichen Beziehung aufrecht erhalten. Da allerdings seit 1990 keine Kontakte zwischen Pfarrhäusern bzw. kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr vermittelt werden, wird sich die Zahl solcher Verbindungen im Laufe der Zeit verringern. Dennoch werden an vielen Stellen, oft durch Einzelinitiativen, die Kontakte zur Partnerkirche auch im neuen Jahrtausend weiter gepflegt620. In anderer Hinsicht ist die Partnerschaft zwischen Württemberg und Thüringen in neuer Weise präsent und wirksam: 1992 wurde die Slowakei im Sinne einer „Drei-Kirchen-Partnerschaft“ in die Kontakte hinein genommen. Diese Öffnung nach Osten gibt auch der Beziehung zwischen den beiden deutschen Landeskirchen eine neue Qualität und gemeinsame Aufgabe und ermöglicht den Thüringern, das zu DDR-Zeiten Erfahrene weiterzugeben und sich in einer anderen Rolle zu sehen621. 615

Vgl. EBD., S. 50f. Vgl. EBD., S. 56f. Zu den spezifischen Kommunikationsbedingungen vor der Wende s. u. Kapitel 4.2.1. 617 Vgl. EBD., S. 58f. Diese Tendenz war bereits im Kontext des Wandels in den siebziger Jahren zu erkennen, s. o. S. 198 das Beispiel der Bietigheimer Gemeinde. 618 Vgl. EBD., S. 56. 619 Vgl. EBD., S. 86f. 620 Eine Thüringer Pastorin und ein württembergischer Pfarrer tauschten für vier Wochen ihre Stellen (vgl. „Heiße Diskussionen über Gott und die Welt“, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 14.7.02, S. 10), Thüringer und Württemberger Pfarrfrauen trafen sich zu einem Begegnungswochenende (Wege der Gelassenheit, Pfarrverein aktuell 2/2002, S. 11). 621 Eine entsprechende Entwicklung gab es auch in der Partnerschaft zwischen Nordelbien und Pommern, die auf den Ostseeraum ausgedehnt wurde, vgl. den Bericht von Jens-Hinrich Pörksen in S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 119–125. 616

4. Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

In den vorangegangenen Kapiteln wurden in diachroner Perspektive jeweils einzeln die unterschiedlichen institutionellen Ausprägungen und Entwicklungsstufen der Kirchenpartnerschaft geschildert. In allen Teilbereichen und zu allen Zeiten finden sich aber die gleichen Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit, mit denen sich die Beteiligten je nach ihrer Funktion mehr oder weniger intensiv auseinander zu setzen hatten. Darum liegt es nahe, diese vier Aspekte, nämlich die theologische Begründung (4.1.) sowie die geistige (4.2.), materielle (4.3.) und politische (4.4.) Bedeutung1 der Kontakte, die in den bisherigen Kapiteln bereits anklangen, noch einmal systematisch zu beleuchten. Trotz der eher synchronen Vorgehensweise sollen allerdings bereits herausgearbeitete historische Entwicklungslinien nicht unberücksichtigt bleiben. Dabei wird weiterhin das Beispiel Württemberg und Thüringen den Ausgangspunkt bilden. Der übergeordnete Kontext soll jedoch nach Möglichkeit mit einbezogen werden.

4.1. Kirchenpartnerschaft als Ausdruck des christlichen Glaubens Eine Partnerschaft zwischen zwei Kirchen und die daraus resultierenden partnerschaftlichen Verbindungen unter Christen stehen unter einem besonderen Vorzeichen, das sie von anderen Partnerschaften, etwa auf staatlicher oder kommunaler Ebene2, unterscheidet. Deshalb ist es wichtig zu untersuchen, welchen Ort die Partnerschaft in den Augen der Verantwortlichen im Rahmen des christlichen Glaubens hatte und welche Konsequenzen sich daraus ergaben. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Fragestellung zu einem gewissen Grade von außen an das Thema herangetragen ist. Die unmittelbar Beteiligten 1 Die Einteilung ergibt sich aus der Sache heraus. Dass sie eine Parallele zu den von Eilert Herms aufgezeigten Grundbereichen der Gesellschaft überhaupt, nämlich Religion, Wissenschaft (wenn man den geistigen Austausch als Möglichkeit des Wissenserwerbs miteinander und übereinander interpretiert), Ökonomie und Politik, aufweist (vgl. E. HERMS, Grundzüge, S. 74–77), spricht für die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Partnerschaften. 2 Zum Proprium kirchlicher Partnerschaften vgl. auch einige Überlegungen bei Losch, Partnerbeziehungen (PB KRAFT), S. 6f. Zum Spannungsfeld kirchliche Gemeindepartnerschaft – Städtepartnerschaft s. u. den Exkurs „Kirchenpartnerschaften und Städtepartnerschaften“, S. 295ff.

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Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

sahen nur selten die Notwendigkeit, eigens zu begründen, warum ihr Tun Ausdruck ihres christlichen Glauben sei. Dies zeigen nicht nur die überraschten Reaktionen mancher Zeitzeugen auf diese Frage3, sondern auch die nur vereinzelten Hinweise in den Quellen, die darauf Antwort geben können. Gründe für den Verzicht auf eigene ausführliche Darlegung des christlichen Charakters der Partnerschaftsarbeit liegen vor allem für die ersten Jahre der Partnerschaft auf der Hand: Die politische und materielle Bedrängnis der DDR-Kirchen war unmittelbar greifbar. In Artikel 15 der Grundordnung der EKD von 1948 war deutlich hervorgehoben, dass Wort und Tat in der Verkündigung der Liebe Christi zusammen gehören und somit die Diakonie „Wesens- und Lebensäußerung der Kirche“4 ist. Auf diese Einsicht gründete sich auch das Selbstverständnis des 1945 entstandenen Hilfswerks, das die Partnerschaftsarbeit koordinierte5. Damit war eine hinreichende Begründung für den zunächst ja auf begrenzte Zeit geplanten und schwerpunktmäßig auf materielle Unterstützung ausgerichteten Dienst an den Christen im anderen Teil Deutschlands gegeben. Zudem gab es durch die in der Bevölkerung noch stark empfundene nationale Zusammengehörigkeit neben dem christlichen ein weiteres Motiv, das nicht näher expliziert werden musste. Seit Mitte der sechziger Jahre ging zwar die unmittelbare materielle Not der Christen in der DDR zurück, gleichzeitig trat das Bewusstsein der nationalen Einheit in den Hintergrund. Zeitgemäße Aktualisierungen der Begründung der Partnerschaftsarbeit wurden gesucht6. Dass jedoch auch aus dieser Zeit explizite Äußerungen zur christlichen Motivation der Partnerschaften selten zu finden sind, erklärt sich wohl aus der Tatsache, dass sich die Beziehungen bereits fest etabliert hatten. Somit hätte eher die Beendigung als die Weiterführung der Partnerschaft einer ausführlichen Erklärung bedurft. Dennoch klingen in den Quellen zu allen Zeiten Grundmuster theologischer Begründung der Partnerschaftsarbeit an, die den Versuch einer Systematisierung erlauben. Bereits in dem als Gründungsdokument der Kirchenpartnerschaften zu bezeichnenden Rundbrief des Zentralbüros des Hilfswerks an alle Hauptbüros vom September 19497 finden sich die beiden Hauptaspekte, wenn Kirchenrat Christian Berg am Schluss des Briefes betont: 3

Niemand blieb eine Antwort schuldig, doch schienen die wenigsten mit dieser Frage gerechnet zu haben. Ganz deutlich wird dies an der erstaunten Rückfrage eines Gesprächspartners: „Muss man das begründen?“. 4 KJ 72–75 (1945–1948), S. 99. 5 Zum Selbstverständnis des Hilfswerks als neuem Werk der Kirche vgl. J. M. WISCHNATH, Kirche, S. 120–137. Zum speziellen und umstrittenen volksmissionarischen Diakonieverständnis des HWW in den Anfangsjahren vgl. D. MERZ, Hilfswerk, S. 91–98. 6 Dazu Kapitel 3.2.4. 7 Zum Kontext s. o. Kapitel 2.2.1.

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„Es ist zu hoffen, dass diese innerdeutsche Selbsthilfe auf breiter Grundlage von Gemeinde zu Gemeinde die unverbrüchliche Zusammengehörigkeit zwischen Ost und West im Dienst der Kirche bestärkt, und dass die unter vielfältiger Angefochtenheit arbeitenden Kräfte der Kirche im Osten ein Zeugnis dafür erhalten, wie sehr sie auch in ihren unmittelbaren Nöten nicht vergessen, sondern von der Gemeinschaft der Kirche getragen werden.“8

Die Zugehörigkeit zur „Gemeinschaft der Kirche“ und die Hilfe für die von „unmittelbaren Nöten“ bedrängten Mitchristen, also die Verbundenheit „in Glaube und Liebe“9, diese beiden Motive ziehen sich durch die gesamte Partnerschaftsarbeit. Sie sind auch in der theologischen Erklärung der EKD-Synode von 1956 präsent, die unter dem Leitsatz „Gottes Wort ist nicht gebunden“ versuchte, die kirchliche Position zur Teilung Deutschlands vom Evangelium her zu begründen10. Obwohl das Ziel hier nicht eine theologische Fundierung der Partnerschaftsarbeit war, sind die Thesen „Das Evangelium kennt keinen eisernen Vorhang […]“ und „Das Evangelium […] öffnet uns […] das Ohr für den Notschrei der Opfer der Trennung […]“ auch in dieser Hinsicht aussagekräftig. Welcher der beiden Grundaspekte besonders betont wurde, hing vor allem mit dem Sitz im Leben der jeweiligen Äußerungen zusammen. Während in den Grußworten der Synodenbesucher, die für diese Fragestellung eine wichtige Quelle darstellen, naturgemäß die Zusammengehörigkeit im Glauben im Vordergrund stand, unterstrichen Aufrufe der Diakonie die Verpflichtung der Christen zum Dienst aneinander. Aufgrund dieses Befundes und der aus den oben genannten Gründen ohnehin spärlichen Quellengrundlage ist beim Versuch, Entwicklungslinien zu beschreiben, Zurückhaltung geboten. Wo es dennoch geschieht, steht es unter diesem Vorbehalt.

4.1.1. Verbundenheit im Glauben – das ekklesiologische Motiv Grundlage der am Konferenztisch eher willkürlich entstandenen partnerschaftlichen Verbindung mit zunächst fremden Menschen in einem meist unbekannten Teil Deutschlands war, so wurde von den Verantwortlichen von Anfang an betont, vor allem der gemeinsame christliche Glaube. Besonders deutlich brachte die Rangfolge der beiden Begründungsansätze der Nagolder Dekan Rudolf Brezger in seinem Grußwort vor der Thüringer 8

Hilfswerk der EKD, Zentralbüro, an die Hauptbüros des Hilfswerks der EKD vom 26.9.49 (Anlage zu Mehlhorn, Niederschrift, DWW STUTTGART 2.02 265). 9 Ergebnisprotokoll der Informationstagung „Gesamtkirchliche Hilfen“ des DWW am 20.5.81 (OKR STUTTGART 54.26-4 1967–1982 Bl. 131/1). Zu den beiden Motiven vgl. auch Leich 27.8.01. 10 Vgl. KJ 83 (1956), S. 17f. Zum Kontext s. o. Kapitel 2.1.1.

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Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

Synode im Dezember 1960 zum Ausdruck, als er in Anspielung auf die vorweihnachtliche Geschäftigkeit in den Gemeinden ausführte: „Wir sind […] miteinander verbunden worden und gar nicht zuletzt im Dienst der helfenden Liebe, gewiß, auch die ist da und an die wollen wir auf beiden Seiten denken, an die denke ich gern, wenn ich jetzt von den Päckchen weiß, die herüber gehen und die Glieder der thüringischen Gemeinden grüßen. Aber es steht nicht dies im Vordergrund […], dann wären wir ja vielleicht immer noch irgendwie im humanistischen, im idealen Bereich, ja, es könnten uns sogar unsere Beziehungen zueinander politisch ausgelegt werden, darum geht es nicht, sondern es ist hier etwas in dieser Notzeit […] geschenkt worden aus dem dritten Artikel heraus, aus der Bruderschaft unter dem Evangelium, aus der Gemeinschaft einer Kirche unter uns.“11

In bildhafterer Form findet sich diese ekklesiologische Begründung auch in dem drei Jahre zuvor gesprochenen Grußwort aus Württemberg. Vor der Synode der ELKTh im Dezember 1957 verwendete Oberstudiendirektor Willi Lauk das Bild vom Schiff der Kirche, um den Synodalen deutlich zu machen, dass die Christen in Ost und West „in einem Boot“ säßen, das sich „auf stürmischer Fahrt“ zwischen der westlichen Skylla „der Sattheit und der völligen Verdiesseitigung“12 und der östlichen Charybdis der Angst und Verzagtheit befände. Ein anderes traditionelles Bild gebrauchte der Saalfelder Superintendent Ludwig Große 1974 in einem Brief an seinen württembergischen Partnerdekan. Er verstand die Partnerschaft unter Christen als gemeinsames Auf-demWeg-Sein, „communio viatorum“13. Ebenso mit Blick auf die Einheit der Kirche, jedoch eher christologisch akzentuiert, beschrieb Landesbischof Werner Leich in seinem Grußwort an die württembergischen Synodalen im Frühjahr 1979 die Beziehung beider Kirchen als „in der gemeinsamen Bindung an den Herrn der Kirche, Jesus Christus“14, gegründet.

11 1. Tagung der 3. Synode der ELKTh vom 4.–7.12.60 (LKA EISENACH R 212), S. 20. Dass allerdings gerade die Gemeinschaft im christlichen Glauben für die DDR-Führung vor allem in den fünfziger Jahren ein Politikum war (s. o. Kapitel 3.2.2.), wurde von Brezger hier nicht berücksichtigt. Dass die Begründung aus dem dritten Artikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses bis in die Gemeinden hinein präsent war, zeigt der Kommentar einer württembergischen Gemeinde im Rahmen der 1995 von der Studien- und Begegnungsstätte der EKD in Berlin durchgeführten Umfrage zu Gemeindepartnerschaften, in dem es heißt: „Positiv kann festgestellt werden, daß unsere Partnerschaft in aller Bruchstückhaftigkeit ein Stück die Realität des Dritten Glaubensartikels aus dem Apostolikum bezeugt, daß die Gemeinschaft der Glaubenden durch nichts zerstört werden kann, weder durch Stacheldraht noch durch Wohlstandswurst“ (EZA BERLIN 172/17, Bogen 023.165). 12 Alle Zitate: 7. Tagung der 2. Synode der ELKTh vom 1.–4.12.57 (LKA EISENACH R 212), S. 5. 13 Große an Lempp vom 2.5.74 (Evangelisches Dekanatamt GEISLINGEN, Bestand Saalfeld). 14 Sitzung vom 5.4.79, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 259.

Kirchenpartnerschaft als Ausdruck des christlichen Glaubens

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Stärker von den Kennzeichen der Kirche her argumentierten der Thüringer OKR Hartmut Mitzenheim, der im November 1978 vor der Württemberger Synode als „letzten Grund“ der Verbundenheit den gemeinsamen „Auftrag zur Verkündigung des Evangeliums“15 nannte, und die Präsidentin der Thüringer Synode Christina Schultheiß, die 1986 in ihrem Grußwort auf der Herbstsynode in Stuttgart die „besondere Gemeinschaft im gemeinsamen Hören auf Gottes Wort“16 als Grund der Partnerschaft hervorhob. Als biblische Grundlage wurde meist das paulinische Bild der Christen als Glieder des einen Leibes Christi (I Kor 12,12–27) gebraucht, wobei besonders V. 26, in dem das Teilen von Leiden und Freude als Ausdruck der Sorge füreinander beschrieben wird17, eine wichtige Rolle spielte. Früh schon ist auch die Vorstellung zu finden, die Kirchenpartnerschaft zwischen beiden Teilen Deutschlands sei sozusagen ein Sonderfall der weltweiten Ökumene. Als Dekan Brezger bereits im November 1958 vor der Thüringer Synode zu bedenken gab, dass, wenn man heute von Ökumene rede, „dies für uns zu allererst Oekumene wäre, daß wir die Brüder und Schwestern in unserem Vaterland nicht allein lassen“18, so brachte er dabei einen Gedanken zum Ausdruck, der die Partnerschaftsarbeit bis zur Wende begleiten sollte. Allerdings ist trotz derselben Begrifflichkeit im zwanzig Jahre später gehaltenen Grußwort von OKR Mitzenheim eine Akzentverschiebung zu bemerken: Beim ersten Synodenbesuch in Württemberg nach dem Mauerbau legte der Sohn des ehemaligen Landesbischofs dar, die Kirche sei in ihrem Auftrag der Verkündigung des Evangeliums „in vielfältiger Weise verbunden mit vielen Kirchen, sei es in ökumenischer Weite, sei es in nachbarschaftlicher und partnerschaftlicher Nähe.“19 15 Sitzung vom 13.11.78, EBD., S. 85. Hartmut Mitzenheim war als juristischer Oberkirchenrat Nachfolger von Gerhard Lotz und seit 1971 vom MfS als IM geführt (vgl. W. SCHILLING, Bearbeitung, S. 226). Seine Äußerungen sollen hier jedoch unabhängig davon in ihrem theologischen Gehalt gewürdigt werden. Ähnlich argumentierte auch bereits 1959 Kirchenrat Christian Berg, der in seinem Rückblick „Zehn Jahre Verbundenheit der Patenkirchen“ die Partnerschaften als „beglückendes und bereichenderes (sic!), durchaus nicht einseitiges Geben und Nehmen, das zutiefst im gemeinsamen geistlichen Auftrag wurzelt“ bezeichnete (ADW BERLIN ZBB 146, S. 3). Teilnehmer der württembergisch-thüringischen Begegnungen in Berlin sahen das Proprium der Treffen in der Tatsache, dass diese mit ihrem gemeinsamen Auftrag zu tun hätten (vgl. Mittendorf 20.9.01). 16 Sitzung vom 24.11.86, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 912. 17 „Und wenn e i n Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn e i n Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.“ Als Belege für den Gebrauch des Bildes vgl. z. B. den Artikel von Herbert von Hintzenstern, Thüringen und Württemberg. Kirchliche und diakonische Kontakte einst und heute, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 12.2.84, sowie Sorg 4.2.02 und Kraft 13.9.01. 18 9. Tagung der 2. Synode der ELKTh vom 9.–12.11.58 (LKA EISENACH R 212), S. 38. 19 Sitzung vom 13.11.78, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 85.

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Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

Mindestens bis Anfang der sechziger Jahre war die auch bei Brezger präsente Rede von den „Brüdern und Schwestern“ im anderen Teil des „Vaterlandes“ im Bewusstsein der meisten Christen in Deutschland zumindest doppeldeutig. Neben der spezifisch christlichen schwang immer auch die nationale, in vielen Familien dazu die ganz konkret verwandtschaftliche Bedeutung mit. Diese Offenheit des Begriffs zeigt sich etwa daran, dass beim Kirchentag 1951 unter dem Leitwort „Wir sind doch Brüder“ auch eine Arbeitsgruppe „Wir sind doch Brüder – im Volk“ angeboten wurde, die überwältigendes Interesse erfuhr20. Ende der siebziger Jahre dagegen war das Bewusstsein der nationalen Einheit als verstärkendes oder auch konkurrierendes Motiv neben der Einheit der Kirche vielfach geschwunden. Die Verbindung zu Christen im anderen Teil Deutschlands ordnete sich nun, wie im Votum von OKR Mitzenheim deutlich wird, für einige der Verantwortlichen – zur Erleichterung der DDR-Führung und zum Kummer mancher Vertreter der älteren Generation – gerade auch durch die Begründung aus dem gemeinsamen Glauben heraus weitgehend in den Kontext der vielfältigen ökumenischen Beziehungen der Kirchen ein21.

4.1.2. Dienst in der Liebe – das diakonische Motiv Eine zweite Gruppe von Begründungsansätzen berief sich stärker auf die Verpflichtung der Christen zum Liebesdienst aneinander. Auffällig ist allerdings, dass, zumindest in den schriftlich vorliegenden Dokumenten, auch im Rahmen der diakonischen Begründung der materielle Aspekt erst in zweiter Linie im Blick ist. Durch die Jahre hindurch betonten die Verantwortlichen primär die Bedeutung des geistlichen Beistands als besondere Form des Diakonats. Als grundlegender Ausdruck der geistlichen Begleitung wurde die Fürbitte gesehen. Unter dem Eindruck der Situation der fünfziger Jahre und in der Sprache seiner Generation formulierte etwa im Frühjahr 1958 der Präsident der württembergischen Synode in seinem Dank für das Grußwort des Besuchers aus Thüringen:

20 Vgl. D. PALM, Brüder, S. 112 und 123–128, dazu s. o. S. 30. Auch im Wort des Ratvorsitzenden der EKD Kurt Scharf und des Bischofs von Berlin-Brandenburg Otto Dibelius an die Gemeinden in Ost und West nach dem Mauerbau, in dem es heißt: „Im Namen Jesu Christi soll verbunden bleiben, was Er zusammengefügt hat. Wir bleiben Brüder, auch wenn man es uns schwer macht, beieinander zu sein“, klingen die unterschiedlichen Konnotationen des Wortes „Bruder“ mit (zitiert im Appell des Vorstandes des Hauptverbandes von Mitarbeitervereinigungen im Bereich der EKD an alle Mitarbeiter im kirchlichen Dienst vom 16.9.61, LKA STUTTGART A 126 529d III Bl. 233/1). 21 S. o. S. 198, zu den politischen Hintergründen s. u. S. 292f.

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„Wir hier im Westen werden nur dann die Kraft finden, Sie in Ihrem Ringen zu stärken und zu stützen, wenn jeder von uns, der sich mit Ernst zur Kirche Christi bekennt, nicht nur als Hörer, sondern auch als Täter des Worts in treuer anhaltender Fürbitte für Sie und alle drüben eintritt, die im Kampf stehen und für diejenigen, die um ihres Glaubens willen im Gefängnis schmachten.“22

Daneben wurde, beispielsweise von Kirchenrat Christian Berg vom Hilfswerk der EKD, in Anlehnung an die reformatorische Formulierung aus den Schmalkaldischen Artikeln der briefliche und persönliche Austausch als „gegenseitige brüderliche Tröstung“23 verstanden. Mit anderen Worten brachte dies auch OKR Hartmut Mitzenheim in seiner Ansprache vor der Württembergischen Synode im November 1978 zum Ausdruck: „Die Verbindung untereinander, das Aufeinanderzugehen hat in der Christenheit schon immer eine große Rolle gespielt, doch in unserer Zeit haben wir neu erkannt und erfahren, welch große Bedeutung der Kontakt, das Miteinander und der Erfahrungsaustausch gerade in der geistlichen Dimension christlichen Handelns hat. Glaubenserfahrungen und Lebenserfahrungen einander mitzuteilen, ist eine konkrete gegenseitige Hilfe ebenso wie die vielfältigen anderen Möglichkeiten, einander zu helfen und zu stützen.“24

Gelegentlich findet sich auch der Versuch zu verdeutlichen, was in der konkreten Situation Inhalt dieses hilfreichen und tröstlichen Austausches sein konnte. So beschrieb etwa Dekan Brezger vor der Thüringer Synode im November 1958 seinen Auftrag mit Bezug auf den zuvor von Landesbischof Mitzenheim gelesenen Bibeltext aus Matthäus 24 als „Mithören und ein Bote dessen zu sein, Ihnen zu sagen, es erkaltet die Liebe nicht.“25 Damit spielte er auf das sich gelegentlich einstellende Gefühl der Thüringer an, vom Westen abgeschrieben zu sein. Bei seinem Synodenbesuch in Thüringen im Mai 1960 berief sich Brezger auf einen Ausspruch von Otto Dibelius. Gefragt, wie Menschen aus 22 Sitzung vom 25.3.58, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 815. Vgl. auch bereits die Ausführungen des Präsidenten zur Frage der Einladung eines Vertreters aus Thüringen am 13.4.56, EBD., S. 469f., hier besonders S. 470. 23 Christian Berg, „Zehn Jahre Verbundenheit der Patenkirchen“ (ADW BERLIN ZBB 146), S. 1. Von „Mutum (sic!) colloquium et consolatio fratrum“ (vgl. BSLK 449,12f.) spricht rückblickend auch Hans-Dietrich Schneider vom Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg in seiner Beschreibung der Verbindung Baden – Brandenburg (G. WUNDERER, Partnerschaften, S. 7). 24 Sitzung vom 13.11.78, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 85. 25 9. Tagung der 2. Synode der ELKTh vom 9.–12.11.58 (LKA EISENACH R 212), S. 39. Vgl. Mt 24,12. Eine ähnliche Tendenz findet sich im oben erwähnten Aufruf von Dibelius und Scharf, wo es in Hinblick auf die Situation nach dem Mauerbau heißt: „Laßt uns reicher werden an Liebe und erfinderisch an Mitteln und Wegen, einander diese Liebe zu zeigen“ (zit. nach dem Appell des Vorstandes des Hauptverbandes von Mitarbeitervereinigungen im Bereich der EKD an alle Mitarbeiter im kirchlichen Dienst vom 16.9.61, LKA STUTTGART A 126 529d III Bl. 233/1).

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Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

dem Westen denen im Osten in dieser schwierigen Zeit gegenüber treten sollten, hatte der Bischof geantwortet, sie sollten fröhlich sein. Denn was Christen in jeder, also auch in schwieriger Zeit einander zu bringen hätten sei „die Freude in Christus“26. Trotz der deutlichen Hervorhebung der geistlichen Dimension des gegenseitigen Dienstes war den Beteiligten jedoch klar, dass diese nicht von der „helfenden Tat“27 zu trennen war. Eng verbunden wurden beide Aspekte etwa in dem Appell, den der Vorstand des Hauptverbandes von Mitarbeitervertretungen im Bereich der EKD als Reaktion auf den Mauerbau an alle Mitarbeiter im kirchlichen Dienst richtete. Gerade jetzt bräuchten die „bedrängten Brüder und Schwestern jenseits der nun wirklich mit Eisernem Vorhang abgeschlossenen Grenzen“, so der Aufruf, neben dem „nicht ablassenden fürbittenden Gedenken auch materielle Hilfe“28 als sichtbares Zeichen der Zusammengehörigkeit. Verschiedene Bibelstellen spielten für die Begründung der finanziellen und materiellen Unterstützung eine Rolle. Neben den Mahnungen aus dem 6. Kapitel des Galaterbriefes: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“29 (Gal 6,2) und „Lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen“30 (Gal 6,10b) wurden auch die Aufforderungen aus II Thess 3,1331 und I Petr 4,1032 herangezogen. Zudem verwiesen die Verantwortlichen der Diakonischen Werke gerne auf die von Paulus geschilderte Kollekte für Jerusalem (II Kor 8 und 9) als Beispiel dafür, dass die reicheren Gemeinden Verantwortung für die ärmeren zu übernehmen hätten33. 26

12. Tagung der 2. Synode der ELKTh vom 15.–18. Mai 1960 (LKA EISENACH R 212), S. 6. Ähnlich hatte schon Dekan Dipper beim ersten württembergischen Synodenbesuch in Thüringen betont, wenn „christliche Brüder einander begegnen, dann freuen sie sich nicht nur daran, daß sie sich sehen, sondern daran, daß sie sich einander in Christus begegnen“ (5. Tagung der 2. Synode der ELKTh vom 16.–19.12.56, LKA EISENACH R 212, S. 7). 27 Appell des Vorstandes des Hauptverbandes von Mitarbeitervereinigungen im Bereich der EKD an alle Mitarbeiter im kirchlichen Dienst vom 16.9.61 (LKA STUTTGART A 126 529d III Bl. 233/1). 28 Beide Zitate EBD. 29 Vgl. Stengel 27.8.01. 30 Vgl. den Beitrag eines Synodalen vor der Württemberger Synode am 26.10.77, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 2132, und von Keler 1.2.02. 31 Vgl. das in den fünfziger Jahren verbreitete Informationsblatt „Euer Päckchen nach drüben“ des Zentralbüros des Hilfswerks (BArch KOBLENZ B 137 327), auf dessen Vorderseite die Mahnung „Werdet nicht verdrossen Gutes zu tun“ zu lesen war. 32 Vgl. das Zitat „Dienet einander, ein jeder mit d e r Gnade, die e r empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes“ im Dankbrief des Diakonischen Amtes Eisenach an die Textilpaten (Diakonisches Amt Eisenach, Der Leiter, an die Schwestern und Brüder der Partnerschaft zwischen Württemberg und Thüringen vom Dezember 1990, DWW STUTTGART 2.02 205). 33 Vgl. Evangelische Landeskirche in Württemberg, Landesbischof, an alle Mitglieder der Evangelischen Landeskirche, die in Verbindung mit dem Diakonischen Werk persönliche Hilfen nach Thüringen

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Den inneren Zusammenhang zwischen materieller Hilfe und geistlicher Stärkung fand OKR Heinz Krannich vom Diakonischen Amt Eisenach in den Schlussversen der Kollektenkapitel dargelegt. Paulus beschreibt hier als Wirkungen der Sammlung nicht nur die Linderung der Not. Die Dankbarkeit der Jerusalemer Gemeinde gegen Gott für die Gaben, den Glauben und die Gemeinschaft der Geber ist für ihn ebenso geistliche Folge der Spende wie die Fürbitte der Empfänger für die Spender34. In diesem Sinne habe er, so Krannich in einem Artikel Anfang 1990, „bei der Fülle und Vielfalt der materiellen Hilfen, die der Thüringer Kirche von der Württembergischen Kirche zuteil geworden sind, das Wachsen und Gestalten der partnerschaftlichen Beziehungen […] zuerst als ein geistliches Geschehen gesehen.“35 Im Hinblick auf die Geber betonte bereits Ende der fünfziger Jahre Kirchenrat Berg, dass die Gemeinschaft mit den zu versorgenden Gemeinden in der DDR ein geistliches Geschenk sei. Gott habe ihnen die Brüder und Schwestern anvertraut, aber er wollte „damit nicht eine Last auferlegen [,] sondern Reichtum schenken.“36

4.1.3. Das Proprium christlicher Partnerschaftsarbeit Auch über die Frage, welche Konsequenzen sich für eine Beziehung zwischen Gemeinden, Institutionen oder Einzelpersonen ergeben, wenn sich Menschen entsprechend der oben dargelegten Motive in recht verstandener christlicher Freiheit als freie Herren im Glauben und dienstbare Knechte in der Liebe37 begegnen, haben die für die Partnerschaftsarbeit Verantwortlichen nur selten Rechenschaft abgelegt. Die wenigen zur Verfügung stehenden Quellen zeigen, dass als wichtige Voraussetzung für die Eigenart der Beziehungen die grundlegende Tatsache angesehen wurde, dass für Christen die unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen, in denen sie leben, nicht den vermittelt haben vom Dezember 1990 (DWW STUTTGART 2.02 205), Hirth 6.9.01 und Mittendorf 20.9.01. 34 Vgl. II Kor 9,12–15. 35 Pfarrverein aktuell 1/1990 zit. nach H. MITTENDORF, Pfarrverein, S. 167. Vgl. auch den Aufruf des Evangelischen Pfarrvereins in Württemberg an alle württembergischen Pfarrfamilien vom November 1958 (PB MITTENDORF), in dem die Hilfe für die Familien der Thüringer Amtsbrüder als „materielle Erleichterung und Glaubensstärkung zugleich“ bezeichnet wird. 36 Christian Berg, „Zehn Jahre Verbundenheit der Patenkirchen“ (ADW BERLIN ZBB 146), S. 4. Beispiele, wie sich die Aufgabe der partnerschaftlichen Hilfe tatsächlich als segensreich für die Geber erweisen konnte, s. u. Kapitel 4.2.3. 37 Vgl. Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, BoA 2, hier S. 11 und 27.

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Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

letzten Bezugsrahmen darstellen. Ihnen ist ein gemeinsamer weiterer Horizont erschlossen, der nicht im einen oder anderen Gesellschaftsmodell aufgeht, sondern jedes in Frage stellt. So betonte Ingo Braecklein, damals noch Superintendent in Weimar, bei seinem ersten Synodenbesuch in Württemberg im November 1956, Christen würden durch das Weltgeschehen darauf hingewiesen „daß es im Tiefsten in dieser Welt um eine ganz andere Front geht als Adenauer und Ulbricht“. Die „große Front“ sei „Gott, der Herr der Welt, oder eine Welt in ihrer Not und Gottverlassenheit“38. Im gleichen Sinn hatte auch im Juni desselben Jahres die EKD-Synode in ihrer theologischen Erklärung formuliert: „Das Evangelium läßt sich nicht mit einer westlichen oder östlichen Weltanschauung verkoppeln und ruft den Idealisten wie den Materialisten, den religiösen wie den atheistischen Menschen zum Glauben an den lebendigen Gott.“39

Aus dieser Voraussetzung entsprang nicht nur eine Gemeinschaft jenseits der gesellschaftlichen Grenzen40, sondern auch die Freiheit, offen und ohne Rücksicht auf vorgefertigte Denkmuster nicht übereinander, sondern miteinander zu reden und wenn nötig auch zu streiten41. Gerade angesichts der vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren in beiden Teilen Deutschlands verbreiteten Rhetorik des Kalten Krieges und der problematischen Beziehungen zwischen Württemberg und Thüringen in den sechziger Jahren spielte dies eine entscheidende Rolle. Auf diese Chance christlicher Partnerschaftsarbeit nahm Dekan Gotthilf Weber in seinem Bericht von der Thüringer Synode im Juni 1966 Bezug, als er die württembergischen Synodalen mahnte: „Gerade wir Christen, als die durch das Evangelium vom Terror der Ideologien und der primitiven Vereinfachungen Freigemachten, haben hier, wie ich glaube, einen ganz wichtigen Beitrag zur Verständigung herüber und hinüber zu leisten, zu einer Verständigung, die heute nach 20 Jahren der Trennung bereits auch vom rein sprachlichen her außerordentlich schwer gemacht ist.“42

Auch weitere zwanzig Jahre später, in einem veränderten deutschland- und kirchenpolitischen Kontext, sah Landesbischof Werner Leich es noch als wich38

Sitzung vom 5.11.56, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 482. KJ 83 (1956), S. 18. 40 Vgl. Dekan Rudolf Brezger auf der 1. Tagung der 3. Synode der ELKTh vom 4.–7.12.60, der auf die von Gott geschenkte Gemeinschaft jenseits von allem, was „soziologisch verschieden ist hüben und drüben“, hinwies (LKA EISENACH R 212, S. 22). 41 Vgl. F. WINTER, Wege, S. 127, und Moka 15.3.02. 42 Sitzung vom 10.6.66, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 42. Vgl. auch die Erklärung der EKD-Synode von 1956, in der die Befreiung von „Selbstsucht, Haß und Angst“ durch das Evangelium als Voraussetzung für menschliche Wiedervereinigung betont wird (KJ 83 [1956], S. 18) und Zeller 27.8.02. 39

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tige Eigenart und besondere Gabe der Beziehungen zwischen den Partnerkirchen, dass sie „auf der Grundlage des gleichen Glaubens miteinander umgehen und es nicht nötig haben, daß einer den anderen von der Wirklichkeit seiner eigenen Gesellschaft überzeugen wollte.“ Vielmehr führe der so gegründete Umgang miteinander dazu, dass „einer den anderen versteht und dieses Verstehen an andere vermittelt.“43 Der ehemalige Landespfarrer für Diakonie der Greifswalder Kirche, Siegfried Hildebrand, hob im Rückblick auf die Partnerschaft mit Nordelbien hervor, dass die trotz aller Ernsthaftigkeit der Diskussionen heitere Grundstimmung bei den Begegnungen „von einem Humor bestimmt“ gewesen sei, „der seine Wurzel in der Geborgenheit und Freiheit des Glaubens hat.“44 Doch nicht nur für den Austausch von Gedanken und Meinungen, auch für die Form der materiellen Hilfe ergaben sich Konsequenzen aus der christlichen Freiheit. Die in den vorangegangenen Kapiteln beschriebene untrennbare Verbindung zwischen Gemeinschaft im Glauben, geistlichem Beistand und materieller Unterstützung führte dazu, dass letztere nicht als Lob und Dank erwartende Großzügigkeit, sondern als brüderliches Teilen45 verstanden werden konnte. Eine deutliche Sprache spricht in dieser Hinsicht das Rundschreiben von Innerer Mission und Hilfswerk der EKD an die westdeutschen Pfarrer anlässlich der Genehmigung von Renterreisen von Ost nach West 1964. Die Besucher aus der DDR, so heißt es in dem Schreiben, sollten unter den Kanzeln spüren, „dass sie nicht Objekte unseres Mitleides sind, sondern als Glieder des einen Volkes Gottes auf- und ernstgenommen werden“46. Die eigene Gemeinde müsse aus der Verkündigung gelernt haben, dass es sich bei der materiellen Hilfe nicht um eine „humanitäre Haltung“, sondern um ein selbstverständliches „Weitergeben der uns anvertrauten Gottesgaben“47 handle. Daher solle „der Aufruf zum Opfer als consecutivum des Evangeliums begriffen“ und gleichzeitig betont werden, „wie reich uns Gott durch das Helfendürfen macht.“48 Dass die Konsequenzen, die sich für die Partnerschaft aus dem christlichen Glauben ergeben, in den tatsächlichen Beziehungen unter den Bedingungen 43 Beide Zitate aus der Ansprache Leichs vor der Württembergischen Landessynode am 12.6.86, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 780. 44 S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 93. 45 Vgl. Kraft, Hilfe (DWW STUTTGART 2.02 265), S. 2. 46 Rundschreiben Innere Mission und Hilfswerk der EKD, Pfarrer Dr. Schober, vom 10.11.64 (LKA STUTTGART DWW 101), S. 2. 47 EBD., S. 4. 48 EBD., S. 3. Der konsekutive Charakter des Handelns kommt auch in der Erklärung der EKDSynode von 1956 zum Ausdruck, wo es heißt: „Das Evangelium befreit uns selbstsüchtige Menschen zu einem neuen Leben des Menschen mit dem Menschen und läßt uns nach gerechten und menschlichen Formen unseres Zusammenlebens […] suchen.“ (KJ 83 [1956], S. 18).

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der Welt, in der Christen immer nur als Gerechte und Sünder zugleich existieren, oft nicht zum Tragen kamen und immer wieder Missverständnisse, Eigensinn, Neid oder mangelndes Einfühlungsvermögen die Kontakte erschwerten, wird in der Gesamtdarstellung hinreichend deutlich49. Dass dies jedoch nur in seltenen Einzelfällen zum totalen Abbruch der Verbindung führte, hängt auch damit zusammen, dass das biblische Menschenbild den christlichen Glauben vor Idealisierungen schützt. Im Bewusstsein der eigenen Erlösungsbedürftigkeit konnte auch dem Partner zugestanden werden, Fehler zu machen und aus der Vergebung zu leben50.

4.2. Kirchenpartnerschaft als Raum des Ost-West-Austausches Kirchenpartnerschaft als Raum des Ost-West-Austausches

Schon bei der strukturellen Beschreibung der Verbindungen zwischen Württemberg und Thüringen in Kapitel 3.1. wurde immer wieder auf die Bedeutung des geistigen Austausches für die Partnerschaftsarbeit hingewiesen, der nun genauer betrachtet werden soll. Unter den weit gefassten Oberbegriff fallen sehr unterschiedliche Formen und Situationen der Kommunikation, etwa Briefe, Besuche oder Begegnungen an einem dritten Ort, und ganz verschiedene Inhalte des Austausches: das Kennenlernen der Lebenswirklichkeit der Partner durch eigene Anschauung oder Erzählung, Gespräche über kirchliche Themen, politische Diskussionen oder gegenseitige fachliche Beratung. Allen gemeinsam war, dass sie sich unter den besonderen Bedingungen der deutschen Teilung ereigneten. Bevor also versucht wird, die Themen des Austausches soweit wie möglich zu rekonstruieren, müssen die Kommunikationsbedingungen umrissen sein. Schließlich sollen die Folgen in den Blick kommen, die der nicht immer störungsfreie, aber über die Jahre der Teilung durchgehaltene Ost-West-Dialog im Rahmen der Partnerschaft hatte.

4.2.1. „Durch unsere Denkart freier“ – Bedingungen des Austausches Auf zweierlei Weise beeinflusste die Situation der staatlichen Teilung den Austausch zwischen Christen in Ost- und Westdeutschland. Einerseits durch Auswirkungen der äußeren Einschränkungen, die dem Kontakt durch die Gesetze 49

Vgl. besonders die Kapitel 3.1.2.1., 3.1.3., 3.2.3., 4.2.1. und 4.3.1. Vgl. von Keler 1.2.02, der im Bezug auf die allzu menschlichen Seiten der Partnerschaft betonte, es sei wichtig gewesen, sich zu sagen: „Wir machen das nicht nur für perfekte Menschen – die gibt es sowieso nicht.“ 50

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der DDR auferlegt waren. Andererseits durch die bewussten oder unbewussten Prägungen, die die Partner durch das Leben in der einen oder anderen Gesellschaftsform erfuhren und in die Begegnungen mitbrachten. 4.2.1.1. Äußere Bedingungen Die vom DDR-Staat diktierten äußeren Bedingungen der Partnerschaftsarbeit hatten gerade auf das gegenseitige Kennenlernen und das gemeinsame Gespräch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. Markantestes Hindernis für den Austausch waren zunächst die Reisebeschränkungen51. Persönliche Begegnungen waren eher selten und nur durch sorgfältige Planung zu verwirklichen, Besuche seit dem Mauerbau (außer für Rentner) nur einseitig möglich, Gruppen konnten sich bis in die achtziger Jahre nur in Berlin, weit weg vom Alltag beider Seiten und bei täglicher Ausund Einreise der Bundesbürger, treffen. Für Bewohner des Sperrgebiets kamen grundsätzlich nur Treffen an einem dritten Ort in Frage52. Für viele Besucher aus dem Westen waren der Anblick der martialischen Grenzbefestigungen und die besonders in den sechziger und siebziger Jahren herabwürdigende Behandlung an den Übergängen ein beklemmendes Erlebnis, das ihr Grundgefühl während des Aufenthalts in der DDR nachhaltig prägte53. Dass dies besonders für diejenigen, die erstmals eine Reise in die DDR antraten, auch in den achtziger Jahren noch galt, zeigt der Bericht über die Studienreise des Tübinger Stifts nach Thüringen im August 1986, in dem ein Student im Abschnitt „Die Grenze“ schreibt: „Es sind mehrere, ganz verschiedene Barrieren, Zäune, Grenzen, Kontrollen und prüfende Blicke; nach einer Schranke fahren wir langsam an eine andere heran. Leise durchziehen Gefühle von Übelkeit und Verkrampfung meine Magengegend. Neue Zäune, neue Grenzen und ein wenig kommt unsere Situation der eines Gefangenen gleich, gefangen im Labyrinth des Minotaurus. […]“54

Am Ende des Berichts bemerkt der Verfasser, „die Grenzen“, in die er bei der „Einreise in die DDR geraten“ sei, hätten ihn seitdem „nie mehr ganz verlassen“55. Der Begriff „Grenze“ wird hier zum Symbol für die Grunderfahrung der gesamten Reise. 51

S. o. den Exkurs „Die Entwicklung der Reisemöglichkeiten“, S. 76ff. S. o. S. 108. 53 Kaum ein Zeitzeugeninterview, in dem dieses Thema – aus westlicher oder östlicher Perspektive – nicht zur Sprache kam. 54 Vgl. Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 86/87 (AEvSt TÜBINGEN 645,2), S. 25. 55 EBD., S. 27. 52

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Für einige Württemberger stellte die Grenze tatsächlich einen Hinderungsgrund dar, eine DDR-Reise anzutreten. Vor allem für die ältere Generation, die bereits Erfahrungen mit einem totalitären Staat gemacht hatte, traf dies zu. Von denen, die dennoch fuhren, sahen manche die Tatsache, sich dieser Behandlung auszusetzen, schon als Geschenk an die Partner an und waren entsprechend enttäuscht, wenn die meist grenzunerfahrenen und gleichzeitig repressionsgewöhnten Thüringer dies nicht ernst genug nahmen56. Ein zweites Element, mit dem der DDR-Staat den Dialog von außen beeinflusste, war die zwar in ihrem Ausmaß von den Beteiligten noch ungeahnte, doch als Gegenstand der Sorge durchaus präsente Überwachung der Ost-WestKontakte57. Briefe, die angesichts der Reisebeschränkungen das hauptsächliche Medium für den Austausch darstellten, verschwanden gelegentlich ganz, was langwierig aufzuklärende Missverständnisse hervorrufen konnte, oder mussten von den Verfasserinnen und Verfassern so formuliert werden, dass etwaige Mitleser nichts zu beanstanden hatten. Versuche, die Zensur durch die Vermeidung von Reizworten zu umgehen, wirken aus heutiger Sicht fast spielerisch. Doch es hatte einen ernsten Hintergrund, wenn der Saalfelder Superintendent Ludwig Große 1974 in einem Brief an den Geislinger Partnerdekan seine Konflikte mit den staatlichen Stellen mit den Worten beschrieb, er habe „mancherlei Probleme im Zusammenhang mit Rö 13“ und „zwiespältige Erfahrungen im Umgang mit den Senatoren, Präfekten und dem jeweiligen Quirinius“. Seine Schwierigkeiten in der Kinder- und Jugendarbeit deutete er mit Anspielung auf Psalm 8 als „θλῖψις“ allenthalben insbesondere im Bereich derer, aus deren Munde ein Lob zugerichtet wurde“58 an. Auch in größeren Gesprächsrunden hielt man sich mit kritischen Äußerungen stark zurück. Eine besondere Wirkung auf die Gespräche in Berlin hatte die unmittelbare Nähe eines Polizeigebäudes zum Ort der Begegnung in Weißensee59. Schließlich spielten, drittens, die vom Wirtschafts- und Gesellschaftssystem der DDR aufgenötigten materiellen Einschränkungen, von denen die Kirche besonders hart betroffen war, eine Rolle für die äußeren Bedingungen des Austausches. Von den vielfältigen Implikationen des Geber-Nehmer-Gefälles in den Partnerschaften und den hiermit verbundenen Hemmungen und Miss56

Vgl. Kraft 13.9.01 und Stahl 30.9.02. Dazu s. u. Kapitel 4.4.1.1. 58 Große an Lempp vom 22.1.74 (Evangelisches Dekanatamt GEISLINGEN, Bestand Saalfeld). Um bei Besuchen in Thüringen notierte Informationen sicher über den Grenzübergang zu bringen, schrieb der Geislinger Dekan Hermann Stahl Namen von Personen und Orten in griechischen Buchstaben (vgl. die Notizen in Evangelisches Dekanatamt GEISLINGEN, Bestand Saalfeld). Zur Vorsicht im Briefverkehr auch S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 41. 59 Vgl. Stengel 27.9.01, Mittendorf 20.9.01. 57

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verständnissen wird an späterer Stelle noch ausführlicher die Rede sein. Als wichtiger Faktor, der sich dagegen auf die Gesprächsatmosphäre meist positiv auswirkte, wurde von vielen Beteiligten die in der DDR unumgängliche persönliche Unterbringung bei den Gastgebern gesehen. Auch wenn Besucher ohne DDR-Erfahrungen, aus den satten bundesrepublikanischen Verhältnissen der siebziger und achtziger Jahre kommend, manchmal irritiert waren, wenn ein institutioneller Besuch eine private Übernachtung mit sich brachte, so bot diese Notwendigkeit nicht nur die Chance, ein Stück vom Alltag der Gastgeber kennen zu lernen, sondern auch bei langen abendlichen Gesprächen weit mehr voneinander zu erfahren als dies bei einer rein dienstlichen Begegnung möglich gewesen wäre60. Andererseits kam es vor, dass Besucher aus der DDR enttäuscht waren, wenn sie, westlichen Standards entsprechend, aber viel unpersönlicher, in einem Gasthaus untergebracht waren61. Alle die genannten äußeren Einschränkungen führten dazu, dass Kommunikation im Rahmen der Partnerschaft immer in einer gewissen Ausnahmesituation stattfand. Dieser Ausnahmezustand wirkte sich in doppelter, sehr unterschiedlicher Weise auf den Dialog aus. (1) Auf der einen Seite konnte der äußere Druck durchaus befruchtende Wirkung haben. So waren Treffen, die den DDR-Machthabern nur durch geschicktes Umgehen oder gezieltes Missachten der Vorschriften abgetrotzt werden konnten, für die Beteiligten ein ungleich einprägsameres und emotional stärkeres Erlebnis als es jederzeit mögliche und völlig legale Begegnungen gewesen wären. Zeitzeugen erinnern sich an „Husarenstücke[…], die Gott vermutlich mit einem Lächeln ermöglicht hat“62, und die damals nirgends schriftlich festgehalten wurden. Beispiele sind die heimliche nächtliche Begegnung der Pfarrkonvente des Dekanats Geislingen und der Superintendentur Saalfeld im Frühjahr 1977 auf dem Eisenacher Pflugensberg63 oder das gemeinsame nächtliche Te Deum bei 60 Die private Unterbringung ist auch insofern eine Besonderheit, als die DDR bei offiziellen Begegnungen, etwa im Rahmen von Städtepartnerschaften, immer auf gemeinschaftliche Unterbringung der Delegationen bestand und private Unterbringungskontakte grundsätzlich ablehnte (vgl. K. PLÜCK, Beziehungen, S. 2056). 61 Vgl. S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 90, und Jalowski 11.3.02. 62 Ludwig GROSSE, Gottgeschenkte Grenzgänger, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 13.5.02, S. 15. 63 Vgl. EBD. Da Gruppeneinreisen nach Thüringen zum Zwecke kirchlichen Partnerschaftsaustausches keine Aussicht auf Genehmigung hatten, buchten die Geislinger eine Reise zu den Goethe- und Lutherstätten Thüringens beim staatlichen Reisebüro der DDR. In Eisenach wurde die staatliche Reisebegleiterin von den mitgereisten Ehepartnern bei einem Glas Wein festgehalten, während die Mitglieder des Konvents auf dem Pflugensberg von den Thüringer Kollegen erwartet wurden. Als die Württemberger als Ausdruck ihrer Freude im Dunkeln den Choral „Nun danket alle Gott“ anstimmten,

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einem nicht genehmigten Besuch des Saalfelder Superintendenten in der Geislinger Stadtkirche64. Es gibt vermutlich unzählige ähnliche Geschichten, die nur in der Erinnerung der beteiligten Personen erhalten sind. Doch auch außerhalb solch spektakulärer Situationen erzeugten der äußere Druck und die Seltenheit der Begegnungsmöglichkeiten oft besondere Herzlichkeit und ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. So schrieb ein Student des Tübinger Stifts über seinen Besuch in Thüringen im August 1984, unvergesslich geblieben sei ihm die „Freude, die wir allein durch unser Kommen unseren Gastgebern bereiteten.“65 Württemberger Gäste bei der Thüringer Synode hatten schon in den fünfziger Jahren das Gefühl, dass gerade der auf allen liegende Druck die Synode „zu einem freudigen Ereignis“66 mache. Schließlich konnten erfahrene Besucher und unerschrockene Gastgeber sogar einen gewissen sportlichen Ehrgeiz in Hinblick auf geschickten Umgang mit Volkspolizisten, Postkontrolleuren und Grenzern entwickeln67. (2) Auf der anderen Seite behinderte die Ausnahmesituation den offenen Dialog zwischen den Partnern aus Ost und West erheblich. Die Beklemmung, die sich bei vielen Bundesbürger mit dem Grenzübertritt einstellte, und das Erleben der schwierigen materiellen und politischen Situation, in der sich das persönliche und kirchliche Leben der Partner abspielte, führten oft dazu, dass sich die Besucher mit kritischen Anfragen und Vorschlägen, aber auch mit der waren die Thüringer zunächst beunruhigt, dem gelungenen Treffen könnte schnell wieder ein Ende bereitet werden, fielen aber, als nichts geschah, selbst mit ein. Versuche, Kulturreisen durch Ablenkung der staatlichen Reiseleiter zu Treffen mit der Partnergemeinde zu nutzen, waren in den achtziger Jahren offenbar so häufig, dass sich das MfS mit der Problematik befasste (vgl. etwa die Einschätzung im Material zur Entwicklung des „Tourismus aus der BRD in die DDR und kirchliche Aktivitäten“ vom 27.5.86, BstU MfS HA VI Nr. 11650 Bl. 22). Mehr dazu s. u. S. 280. 64 Der Geislinger Dekan Paul Lempp holte seinen Partner Ludwig Große nach dessen – von den DDR-Behörden genehmigten – Vortrag in Münsingen ab und fuhr mit ihm spätabends über die Alb nach Geislingen, um ihm einen – nicht genehmigten – ersten Besuch in der Partnergemeinde zu ermöglichen. Dort holte Lempp noch seinen Geislinger Amtsbruder aus dem Bett, um gegen halb ein Uhr nachts in der Stadtkirche ein gemeinsames Te Deum anzustimmen (vgl. Große 18.9.02). Ebenfalls tiefe Eindrücke und eine durchwachte Nacht brachte der Kurzbesuch des Pfarrers des im Sperrgebiet gelegenen Lichtentanne, der eigentlich nur die Erlaubnis zu einem viertägigen Aufenthalt im grenznahen fränkischen Ludwigsstadt hatte, bei der Partnergemeinde in Riederich bei Metzingen (vgl. Schoeps 18.3.02). 65 Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 84/85 (AEvSt TÜBINGEN 644,2), S. 30. 66 Bericht von Dekan Rudolf Brezger über seinen Besuch bei der Synode der ELKTh vor der Württemberger Synode am 10.4.59 (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 1097). Ähnlich auch der Bericht von Willi Lauk am 27.3.58 (EBD., S. 884), der sich dadurch an die Situation in der Zeit des Kirchenkampfes erinnert fühlte (s. o. S. 156). 67 Vgl. die Aussage von Margot von Renesse vor der Enquete-Kommission (MATERIALIEN DER ENQUETE-KOMMISSION Bd. VI/1, S. 487) und Zimmermann 25.7.02.

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Thematisierung der eigenen Freuden und Sorgen zurückhielten. Das Wissen um die eigenen Privilegien und die selbstkritische Frage „Wie würde ich mich in dieser Situation verhalten?“ brachten sie unwillkürlich dazu, die Partner zu schonen68. Für die bundesdeutsche Nachkriegsgeneration formulierte Friedrich Wilhelm Graf rückblickend, man sei „im Kontakt mit gleichaltrigen DDRKollegen eigentümlich befangen“ gewesen, „gefangen in einer widersprüchlichen Mischung von Dankbarkeit für die nicht selbst verdiente Freiheit, Schuldgefühlen und auch diffusem Mitleid mit denen, die die sehr viel schwereren Erblasten der deutschen Geschichte zu tragen hatten.“69 Teilweise wurde solche Rücksichtnahme sogar von den Organisatoren der Partnerschaft eingefordert. So bat das HWT im September 1964 die Württemberger, ihren Paten in Thüringen „keine Grüsse aus Auslandsurlauben zu senden, da dann das ‚Eingesperrtsein‘ besonders schmerzlich empfunden“70 werde. Im Nachhinein wurde das Phänomen der schonenden Behandlung durch die Partner aus dem Westen mit der Situation eines Krankenbesuchs71 oder eines Besuchs im Gefängnis72 verglichen, in der die besuchte Person im Mittelpunkt des Interesses steht und eine gewisse Schonung erfährt. Der spätere Bischof der Kirchenprovinz Sachsen, Axel Noack, sah im Hinblick auf die relative Abgeschiedenheit der DDR-Bürger im Schatten der Mauer Parallelen zu einem Besuch im Tierpark, bei dem sich Tiere wie Betrachter bald nicht mehr der Künstlichkeit der Situation bewusst seien73. Parallel zur Rücksichtnahme der Besucher bemühten sich auch die Gastgeber, den Gästen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten, sie vor besonderen Härten des DDR-Alltags zu schützen und sich von der besten Seite zu zeigen. In Hinblick auf den Ost-West-Dialog im Rahmen der Kirchentage formulierte die Vorsitzende der ostdeutschen Kirchentagsarbeit Annemarie Schönherr 1991: „Irgendwie war immer Sonntag, wenn wir uns begegneten – Ausnahmesituation.“74 Zudem waren exponierte Kirchenvertreter aus der 68 Vgl. Margot von Renesse vor der Enquete-Kommission (MATERIALIEN DER ENQUETE-KOMMISSION Bd. VI/1, S. 502), aus dem westfälischen Kontext H.-M. LINNEMANN, Erfahrungen, S. 134, sowie zu Württemberg – Thüringen Leich 27.8.01, Mittendorf 20.9.01, Moka 15.3.02 und Schwarz 27.9.02. 69 F. W. GRAF, Blick, S. 51. 70 Aktennotiz vom 30.9.64, vgl. auch bereits die Aktennotiz vom 22.9.64 (LKA STUTTGART DWW 1114). 71 So rückblickend der ehemalige sächsische Landesbischof Johannes Hempel (vgl. U. HAHN, Hempel, S. 65). 72 Vgl. Ludwig GROSSE, Gottgeschenkte Grenzgänger, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 13.5.02, S. 15. 73 Vgl. A. NOACK, Weg, S. 101f. 74 Zit. nach C. HANKE, Deutschlandpolitik, S. 315.

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DDR zurückhaltend bei der öffentlichen Infragestellung für sie fragwürdiger westdeutscher kirchlicher Praxis wie etwa der Regelungen zur Militärseelsorge, konnte man sich doch mit solcher Kritik leicht unerwünschten Applaus von Seiten der DDR-Führung einhandeln75. Der in manchen Verbindungen aus alledem resultierende Mangel an Offenheit und kritischer Begleitung, die zu einer „reifen Partnerschaft“76 gehört hätten, hatte den durch die äußere Beschränkung der Kontaktmöglichkeiten noch verstärkten Effekt, dass falsche Bilder von der anderen Seite unkorrigiert blieben. Diese mussten spätestens nach der Wende, als die spezifische Rücksichtnahme abrupt endete, im wahrsten Sinne des Wortes zu Enttäuschungen und damit zu Kommunikationsbarrieren führen, die, wie Trutz Rendtorff feststellt, „in die komplexe Mentalitätsgeschichte des wiedervereinigten Deutschland“77 gehören. Zwar kamen in intensiveren Partnerbeziehungen von Ahnungslosigkeit geprägte78 oder von zweifelhaftem Humor geleitete79 Fragen DDR-unerfahrener Bundesbürger, die von den Partnern durchaus als verletzend empfunden wurden, nicht mehr vor. Auch waren Gemeinden in der DDR mit der Entspannung des deutsch-deutschen Verhältnisses und der Verbesserung des Informationsflusses seit den siebziger Jahren dem in der staatlichen Propaganda gezeichneten verzerrten Bild von den Verhältnissen in der BRD weniger ausgesetzt und ausgeliefert als noch in den fünfziger Jahren. Damals kam es vor, dass Westbesucher mit der Frage konfrontiert wurden, ob es wahr sei, dass man im Westen „hungern“ müsse und „geringe Bautätigkeit“80 herrsche. Ebenso problematisch wie reine Unkenntnis oder negative Vorurteile waren jedoch die sich hartnäckig haltenden Idealisierungen, in denen sich westdeutsche Christen die Kirche in der DDR als wahre, in Anfechtung ausharrende, politisch mutige, von Karteileichen befreit in frühchristlicher Lebendigkeit agierende Christengemeinde vorstellten81, während sie es in Wirklichkeit spätestens 75

Vgl. Leich 27.8.01. Vgl. H.-M. LINNEMANN, Erfahrungen, S. 134 77 T. RENDTORFF, Staaten, S. 27, vgl. G. HEFFT, Gemeindepartnerschaften, S. 56f. und 92. 78 So z. B. „Warum lesen Sie nicht den ‚Stern‘?“ (Jalowski 11.3.02). 79 Etwa die Nachfrage zur geographischen Lage eines Ortes in der DDR: „Liegt das vor oder hinter dem Ural?“ (Schoeps 18.3.02). 80 So der Bericht eines Pfarrers aus Württemberg über seine Besuchsreise nach Greiz-Caselwitz, Evangelisches Pfarramt Neckarsulm an OKR vom 4.10.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 234). 81 Margot von Renesse schilderte vor der Enquete-Kommission den Eindruck der Partner aus dem Westen, die Mitchristen in der DDR seien die „authentischen Nachfahren“ Luthers (MATERIALIEN DER ENQUETE-KOMMISSION Bd. VI/1, S. 503). Vgl. aus dem sächsischen Kontext D. MENDT, Christen, S. 63, aus dem pommerschen S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 92, weiter A. NOACK, Weg, S. 101, und Sorg 4.2.02. Zur Idealisierung der DDR-Kirche am Beispiel des Umgangs mit Kirchensteuer und Religionsunterricht vgl. auch T. RENDTORFF, Staaten, S. 24. Dass diesem Idealbild von manchen ost76

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seit der schrittweisen Entspannung des Verhältnisses von Kirche und Staat in den siebziger Jahren eher mit „minoritären Volkskirchen“82 zu tun hatten. Die Partner aus der DDR dagegen erlagen leicht dem Bild des Westfernsehens vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten und wollten die Korrekturversuche von westdeutscher Seite nicht immer wahrhaben83. 4.2.1.2. Innere Voraussetzungen Neben den durch die Situation der staatlichen Teilung gegebenen äußeren Bedingungen spielten auch die unterschiedlichen bewussten oder unbewussten Prägungen der Christen in beiden deutschen Staaten als innere Voraussetzungen eine entscheidende Rolle für den Ost-West-Austausch. Die früh einsetzende und sich mit der Übernahme der Partnerschaftsarbeit durch die zweistaatlich sozialisierte Nachkriegsgeneration verschärfende gegenseitige Fremdheit stand dem Verständnis nicht selten im Weg. So begann bereits im Januar 1966 der zuständige Mitarbeiter des HWW seine Ausführungen über „Zweck und Sinn der ‚Begegnungen‘ zwischen kirchlichen Mitarbeitern in Württemberg und Thüringen“ mit den Worten: „Der Wohlstand und die persönliche Freiheit und Sicherheit im Westen entfremden uns immer mehr den Menschen in der DDR. Das spüren wir bei jedem Gespräch mit Menschen von drüben deutlich.“84

Nach einem Besuch in Thüringen im Juni 1974 bemerkte der Dekan von Biberach, seiner Erfahrung nach müsse die „wichtigste Aufgabe der Patenschaft“ sein, „den Amtsbrüdern deutlich zu machen, daß ihre Probleme auch unsere Probleme sind“, und dies „trotz der so verschiedenen äußeren Situation, die sich selbst unter Christen und Pfarrern als Sprach- und Begriffsschwierigkeit“85 deutschen Kirchenvertretern auch Vorschub geleistet wurde (vgl. F. W. GRAF, Ordnungsmacht, S. 301, und C. LEPP, Entwicklungsetappen, S. 71) muss dabei berücksichtigt werden. 82 C. LEPP, Entwicklungsetappen, S. 71, vgl. F. W. GRAF, Ordnungsmacht, S. 301. Bei intensiverem Austausch wurde dies den Westpartnern meist deutlich, s. u. Kapitel 4.2.2.1. 83 Vgl. D. MENDT, Christen, S. 63, und die in den achtziger Jahren entstandenen Aufzeichnungen „Chance der Partnerschaft zwischen Gemeinden in Thüringen und Württemberg“ (ohne Datum, PB KRAFT) sowie Sorg 4.2.02, Schultheiß 14.3.02 und Moka 15.3.02. 84 Vgl. den Bericht vom 27.1.66 (LKA STUTTGART DWW 91). Zum Kontext s. o. Kapitel 3.2.4. 85 Dekan Gerhard O. an OKR und DWW vom 24.8.74 (OKR STUTTGART 54.26-4 1967–1982 Bl. 48). Die Grenzen der Leistungsfähigkeit der gemeinsamen Sprache zeigten sich etwa, als die Pfarrerschaft der Superintendentur Kahla bei der Begegnung in Berlin ihre Frage nach dem kirchlichen Umgang mit der sich anbahnenden multikulturellen Wirklichkeit der bundesrepublikanischen Gesellschaft Ende der siebziger Jahre in die für die Schorndorfer Partner irritierend an den Sprachgebrauch der vierziger Jahre erinnernde Formulierung „Was tun die Gemeinden zu dem Fremdarbeiterproblem?“ kleidete (Fragen von Kahla an Schorndorf vom 7.6.78, PB MITTENDORF).

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bemerkbar mache. Im Briefwechsel mit der Partnereinrichtung Carolinenfeld in Greiz konstatierte eine Mitarbeiterin der Mariaberger Heime im Sommer 1987, man habe sich „in vielem voneinander entfernt“, und verglich die Beziehung zu den Deutschen im anderen Staat mit dem Verhältnis unter entfernten Verwandten: „Man fühlt sich zusammengehörig, kann aber nicht viel miteinander anfangen, weil man zuwenig voneinander weiß.“86 Und im selben Jahr stellte der Vizepräsident der Thüringer Synode in seinem Grußwort vor den Württemberger Synodalen in Anspielung auf das Sprichwort, um den anderen zu verstehen, müsse man eine Zeit lang in dessen Mokassins gegangen sein, mit bemerkenswerter Deutlichkeit fest: „Nun, Ihre Schuhe passen uns nicht, und unsere passen Ihnen nicht.“87 Selbstverständlich konnten die deutsch-deutschen Partnerschaften auf ein anderes Fundament aufbauen als etwa die Beziehungen zu Partnergemeinden oder kirchlichen Einrichtungen im europäischen Ausland oder gar in Übersee. Nicht nur die gemeinsame Sprache erleichterte die Kommunikation, auch die gemeinsame Geschichte mit der dafür zu tragenden Verantwortung und nicht zuletzt die gemeinsamen theologischen Wurzeln und liturgischen Traditionen boten zahlreiche Anknüpfungsmöglichkeiten88. Allerdings hatten gerade diese Gemeinsamkeiten die verhängnisvolle Konsequenz, dass die an der Partnerschaft Beteiligten nicht darauf vorbereitet waren, mit den durchaus vorhandenen, aber teilweise erst auf den zweiten Blick sichtbar werdenden Mentalitätsunterschieden umzugehen. Wer mit einer Partnergemeinde in Übersee Kontakt aufnahm, machte sich im Vorfeld eingehend darüber Gedanken, wie man trotz der gravierenden kulturellen Differenzen zu einem fruchtbaren Dialog kommen konnte. Wenn sich Partner aus Württemberg und Thüringen trafen, musste es teilweise erst zu Missverständnissen kommen, bis die Gründe dafür in den Prägungen durch die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse gesucht wurden. Differenzen in Sprachgebrauch, Auftreten und Denkmustern machten die unterschiedlichen Prägungen sichtbar und konnten zu Irritationen führen. Die freiheitliche Gesellschaftsstruktur und Erziehung in der BRD führten besonders bei der jüngeren Generation zu einem „selbstverständlich-selbstbewussten Auftreten“89, das von den Partnern im Osten deutlich wahrgenommen wurde und das, zumindest von inoffiziellen Mitarbeitern des MfS, die über manche 86

Heide E. an Matthias S. vom 30.8.87 (Mariaberger Heime MARIABERG DDR 1). Sitzung vom 25.11.87, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 1333. 88 Davon ging auch die Begründung der „besonderen Gemeinschaft“ zwischen EKD und BEK aus, dazu s. o. S. 37. 89 So eine Studentin des Tübinger Stifts in ihrem Bericht über die Studienreise nach Thüringen im August 1985 (Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 85/86, AEvSt TÜBINGEN 645,2, S. 32) zur Frage, woran die Thüringer Kommilitonen die „Westler“ erkennen. 87

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Ost-West-Begegnung berichteten, leicht als Arroganz ausgelegt werden konnte. So berichtete ein IM über den Besuch einer Gruppe von Heilerziehungspflegeschülern aus Mariaberg, die im Oktober 1988 bei der Partnereinrichtung in Greiz zu Gast waren und die der Heimleiter rückblickend als neugierig, unbekümmert und selbstbewusst charakterisierte, sie seien „sehr von sich eingenommen“ gewesen, seien „arrogant und überheblich“ aufgetreten und hätten sich „als BRD-Bürger zu etwas höherem geboren“90 gefühlt. Selbst wenn man die mangelnde Objektivität des Berichts in der Beurteilung von Westbesuchern einkalkuliert, ist nicht auszuschließen, dass einige Mitarbeiter des Heimes ähnlich empfanden, wie die Quelle nahe legt91. Manchmal war es für die freiheitsgewohnten Bundesbürger nicht leicht, die Einschränkungen zu akzeptieren, die der DDR-Staat den partnerschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten setzte, besonders, wenn sie sich in der Planungsphase eines Treffens noch in sicherer Distanz befanden und die einschüchternde Erfahrung des Grenzübertritts noch nicht mit sich herumtrugen. Im Januar 1984 klagte der Superintendent von Gera beim Landeskirchenrat der ELKTh über die Württemberger Partner, „trotz vieler mündlicher und schriftlicher Überzeugungsarbeit“ hätten „die Esslinger die Grenzen unserer Gesetzlichkeit und die zeitaufwendigen Genehmigungsverfahren immer noch nicht ganz begriffen.“92 Ebenso fiel es bereits in den fünfziger und sechziger Jahren den Synodenbesuchern aus Württemberg schwer, sich in Thüringen mit der Rolle des stummen Zuhörers zu begnügen und bei den Grußworten die von den Partnern als problematisch eingestuften Bemerkungen von Vornherein zu unterlassen93. Die Partner aus dem Osten waren dagegen ungeübt im Umgang mit den offeneren, vielfältigeren und sich rasch verändernden Gesellschafts- und Denkstrukturen des Westens. Vor allem in der Zeit nach dem Transformationsprozess der bundesrepublikanischen Gesellschaft im Gefolge der 68er-Bewegung, der in der DDR kein Pendant hatte94, traten hier Differenzen zu Tage. Im Hinblick auf den Austausch in der Schülerarbeit formulierte ein Vertreter aus dem Westen den Eindruck, bei den Partnern aus der DDR stelle sich zeitweise „ein Gefühl intellektueller Unterlegenheit“ und „eine gewisse Hilflosigkeit 90

Information von GMS „Berg“ vom 27.10.88 (BStU MfS ASt Gera KD Greiz 004391 Bl. 307). Vgl. EBD., Bl. 308. Der IM-Bericht weist auch darauf hin, dass die Mitarbeiter es, auch im Hinblick auf andere Partnerschaftsaktivitäten, nicht gerne sähen, dass eine „Vielzahl von Fremden“ sich im Heim aufhalte und „die behinderten Kinder wie im Zirkus“ ansehe (EBD.). 92 Superintendentur Gera an LKR vom 31.1.84 (LKA EISENACH A 791 Bd. 10). 93 Vgl. das Grußwort von Dekan Brezger bei der 1. Tagung der 3. Synode der ELKTh vom 4.–7.12.60 (LKA EISENACH R 212), S. 21 (Zitat s. o. S. 137), sowie Schultheiß 14.3.02. 94 Vgl. F. W. GRAF, Ordnungsmacht, S. 300f. 91

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gegenüber der pluralistischen Geisteswelt im Westen“95 ein. Und wenn ein Pfarrer aus Württemberg im Januar 1975 nach dem Besuch bei seinem Thüringer Partnerpfarrer zu der Einschätzung kam: „Wir vom Westen sind durch unsere Denkart freier, kritischer, ungezwungener, nicht so befangen in (frommen oder abwertenden) Klischees, wie es drüben notwendigerweise sein muß“96,

so war ihm offensichtlich deutlich, dass die empfundene Differenz auf die jeweiligen gesellschaftlichen Umstände zurück zu führen war. Dennoch ließ er keinen Zweifel daran, wer seiner Meinung nach bei diesem Vergleich besser abschnitt. Die gesellschaftlichen Unterschiede spiegelten sich in den kirchlichen Strukturen, die wiederum die Erfahrungen und Haltungen der Gemeindeglieder prägten. Die vom DDR-Staat erzwungene Enge des kirchlichen Raumes führte einerseits zu einer engeren Gemeinschaft unter den am kirchlichen Leben aktiv Beteiligten, und gerade junge Westbesucher waren von der lockeren und freundschaftlichen Atmosphäre positiv überrascht, während Christen aus der DDR in westlichen Kirchenkreisen ein „steifer und distanzierter Umgangston“97 auffiel. Andererseits konnten sich, wie das eben zitierte Urteil des Württembergers mit dem Stichwort „fromme Klischees“ andeutet, in manchen Gemeinden oder kirchlichen Einrichtungen in der DDR, die sich in bewusster Abgrenzung zur übrigen Gesellschaft verstanden oder sich auch nur durch ihre personale Zusammensetzung in faktischer Abgrenzung befanden, theologisch und moralisch konservative Tendenzen halten, die Partner aus dem Westen – je nach deren eigener kirchlicher Prägung – gelegentlich befremdeten. Zu dem äußeren Druck und der daraus resultierenden Notwendigkeit der Abgrenzung, die, wie in der Kirchengeschichte häufiger zu beobachten, zu einer Besinnung auf die Kernpunkte des Glaubens, einem Bewahren von Traditionen und einer ausgeprägten persönlichen Frömmigkeit führen konnten, kam in der DDR eine spezifische Zusammensetzung der Gemeinden. Diese waren, besonders infolge der Fluchtbewegung „bildungs- und wirtschaftsbürgerlicher Sozialgruppen“ in den fünfziger Jahren stark kleinbürgerlich geprägt. Eine solche „soziale wie kulturelle Verengung des protestantischen 95

Zit. nach F. DORGERLOH, Geschichte, S. 268f. Der Brief findet sich abgedruckt im Rundschreiben DWW an die Vorsitzenden der Diakonischen Bezirksausschüsse und die Bezirksleiter vom 20.1.75 (OKR STUTTGART 54.26-4 1967–1982 Bl. 51/1). 97 So die Beobachtung aus dem Bericht einer Teilnehmerin der Studienreise des Tübinger Stifts nach Thüringen im August 1985 (Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 85/86, AEvSt TÜBINGEN 645,2, S. 32). 96

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Kirchenmilieus“98 in der DDR verschärfte traditionsorientierte und provinzielle Tendenzen, die erst durch die Friedens-, Ökologie- und MenschenrechtsGruppen99, die in den achtziger Jahren den Schutzraum der Kirche suchten, durchbrochen wurden. In Kombination mit der Tatsache, dass die Kommunikation äußerlich erschwert und damit selten war, konnte der Eindruck der westlichen Partner von dem, was die sozialgeschichtlichen Forschung mit dem Stichwort „verspätete Kirche“100 zu umschreiben sucht, zu eigenartigen Bildern gerinnen. Ein Pfarrerssohn aus Württemberg erinnert sich mit verhaltener Ironie an seine kindliche Vorstellung von der Thüringer Partnergemeinde, die ihm nur durch die in sehr erbaulichem Stil gehaltenen Briefe der älteren Dame bekannt war, die die Korrespondenz mit dem elterlichen Pfarrhaus führte. Er sah die Thüringer damals als eine „Art spätgotische[…] Heiligen- und Märtyrergemeinschaft […], die im Niemandsland zwischen weltlicher Entbehrung und jenseitiger Trostgewißheit gleichsam schwebte.“101 Wurde jedoch der direkte Austausch gesucht und durchgehalten, führten gerade die genannten, durch unterschiedliche gesellschaftlichen Prägungen verursachten Differenzen zu wichtigen und kontroversen Diskussionen, die auch den eigenen Standpunkt in Frage stellen konnten. Schließlich war der gedankliche Austausch im Rahmen der kirchlichen Partnerschaften auch von inneren Voraussetzungen abhängig, die zwar nicht von der spezifischen Ost-West-Situation bestimmt waren, in ihrer Tragweite aber dennoch nicht zu unterschätzen sind. In den achtziger Jahren wurde in einem Thesenpapier des DWW zur Partnerschaft unter der Überschrift „Enttäuschungen lassen sich nicht vermeiden“ betont, bei einer Begegnung mit den Partnern aus Thüringen würden „die Fragen des menschlichen Kontakts und der Sympathie eine nicht zu verleugnende Rolle spielen.“102 Neben persönlicher Abneigung konnten auch Differenzen im Frömmigkeitsstil, strukturelle Unterschiede etwa zwischen Stadt- und Landgemeinden oder auch regionale Besonderheiten wie der Dialekt oder typische Charakterzüge, die für die Partner 98 Beide Zitate F. W. GRAF, Ordnungsmacht, S. 300. Ähnliche Beobachtungen formulierten Zeller 27.8.02 und Sattler 23.9.02. Die pietistische Tradition in Württemberg konnte in dieser Hinsicht in den Beziehungen zu Thüringen durchaus vermittelnd wirken. 99 Vgl. dazu E. NEUBERT, Geschichte, S. 539–544, sowie den Sammelband von D. POLLACK, Legitimität. 100 F. W. GRAF, Ordnungsmacht, S. 299f. 101 J. PAULUS, Hochzeit, S. 98f. 102 So in den Aufzeichnungen „Chancen der Partnerschaft zwischen Gemeinden in Thüringen und Württemberg“ (ohne Datum, PB KRAFT). Vgl. auch die Einschätzung des Berichterstatters der Studienreise des Evangelischen Stifts nach Thüringen im September 1980 (Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 80/81, AEvSt TÜBINGEN 642,3, S. 25.).

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ungewohnt waren, die Beziehungen erschweren. Nicht ohne Augenzwinkern bemerkte eine württembergische Gemeinde im Rückblick auf ihre Kontakte nach Thüringen: „Unsere Hohenloher Sprache ist schon sehr höflich, dazu noch die christliche Milde – da ist’s schon ein Wunder, wenn man sich dann zu verstehen beginnt.“103 In manchen Fällen wurden diese allgemeinen Schwierigkeiten von den spezifischen Bedingungen des Ost-West-Dialogs noch verstärkt. So konnten die Kommunikationsschwierigkeiten, die aus persönlicher Abneigung resultierten, zusammen mit den äußeren Kommunikationsbeschränkungen und den östlichen bzw. westlichen Prägungen den Austausch regelrecht blockieren. Auf der anderen Seite gab es auch Konstellationen, in denen persönliche Antipathien oder strukturelle Unterschiede unter dem Eindruck des Brauchens und Gebraucht-Werdens völlig zurücktreten konnten und erst nach der Wende deutlich wurden104.

4.2.2. „Eine ganz besondere Lerngemeinschaft“ – Themen des Austausches In Anlehnung an das Mitte der siebziger Jahre vom BEK formulierte Selbstverständnis der „Kirche als Lerngemeinschaft“105 dankte der Präsident der Württembergischen Landessynode auf der Herbsttagung 1984 dem Besucher aus Thüringen für sein Grußwort mit den Worten, er erfahre die Partnerschaft zwischen den beiden Landeskirchen „immer als eine ganz besondere Lerngemeinschaft“106. Tatsächlich entwickelte sich durch die vielfältigen Kontakte auf unterschiedlichen Ebenen ein inhaltlicher Austausch, der ein Lernen übereinander und voneinander ermöglichte. Dabei lassen sich einige thematische Schwerpunkte beobachten, die bei den Kontakten im Vordergrund standen und nun näher beleuchtet werden sollen. Dieses Vorhaben gestaltet sich allerdings äußerst schwierig, da an zentraler Stelle nur ganz wenige schriftliche Quellen erhalten sind, die Informationen darüber enthalten, über welche Inhalte korrespondiert oder diskutiert wurde. Daher muss an vielen Stellen auf Dokumente aus Privatbesitz oder mündliche Aussagen von Zeitzeugen zurückgegriffen werden. Die folgenden Kapitel können somit lediglich einen Versuch 103 Auf dem Antwortbogen der 1995 durchgeführten Umfrage der Studien- und Begegnungsstätte der EKD (EZA BERLIN 172/17, Bogen 023.183). 104 Zu den Problemen nach der Wende s. o. Kapitel 3.2.6. 105 Vgl. das Referat „Kirche als Lerngemeinschaft“ von Albrecht Schönherr auf der Bundessynode im September 1974 in Potsdam-Hermannswerder (A. SEIVERTH, Erwachsenenbildung, S. 172–188) sowie den gleichnamigen Quellenband. 106 Sitzung vom 26.11.84 (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 144). Auch W. HÖSER, Finanzierung, S. 126, spricht von einem „beiderseitigen Lernprozeß“.

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darstellen, Tendenzen aufzuzeigen, die sich an einzelnen Beispielen belegen lassen. Wegen der Bedeutung des Austausches für die Partnerschaftsarbeit soll aber auf dieses Wagnis nicht verzichtet werden. 4.2.2.1. Fragen der kirchlichen Struktur und des gemeindlichen Lebens In Anbetracht der Tatsache, dass die Träger der kirchlichen Partnerschaften meist Pfarrerinnen und Pfarrer, andere kirchliche Mitarbeiter und besonders engagierte Gemeindeglieder waren, ist es nicht verwunderlich, dass Fragen des kirchlichen Lebens im Zentrum der Korrespondenzen und Gespräche standen. Grundlage waren zunächst die jeweiligen Erfahrungen aus der konkreten Situation der einzelnen Gemeinden oder Einrichtungen, die den Beteiligten vor Augen standen und die bei den Begegnungen der Kirchenkreise in Berlin von den Verantwortlichen der Diakonischen Werke zur Förderung der einzelnen Partnerschaftsbeziehungen bewusst ins Zentrum gestellt wurden107. Die wenigen Berichte oder Tagesordnungen von Partnerschaftstreffen, die in den Akten überliefert sind, vermitteln den von Zeitzeugen bestätigten Eindruck, dass von den Anfängen der Partnerschaft an die spezifische Situation der Kirche in der DDR die Agenda bestimmte. Die Gründe für diese thematische Ostorientierung wurden oben genannt. Als dominierendes übergeordnetes Thema kristallisierte sich die Frage nach der „Kirche im atheistischen Staat“108 bzw. „Kirche im Sozialismus“109 heraus. Sie mündete hauptsächlich in zwei immer wieder diskutierte Fragestellungen: (1) Die allgemeine Frage nach dem Verhältnis von „Kirche und Staat“110. Die107 Vgl. Kraft 13.9.01 und Mittendorf 20.9.01. Die Konzentration auf gemeindeinterne Probleme bot auch die Möglichkeit, Grundsatzkonflikten, wie sie unten geschildert werden, aus dem Weg zu gehen (vgl. Sorg 4.2.02). 108 So im Begegnungsbericht Evangelisches Dekanatamt Tübingen an OKR vom 29.1.65 (LKA STUTTGART A 126 529d IV Bl. 93). 109 So in den aus den achtziger Jahren stammenden Aufzeichnungen „Chancen der Partnerschaft zwischen Gemeinden in Thüringen und Württemberg“ (ohne Datum, PB KRAFT). Zur komplizierten Entstehungsgeschichte der Formel „Kirche im Sozialismus“ seit dem Ende der sechziger Jahre vgl. W. THUMSER, Kirche, S. 67–73. 110 Evangelische Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg an OKR Metzger vom 7.5.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 212), auch unter der Fragestellung des Verhältnisses von „Christengemeinde und Bürgergemeinde“ (Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 81/82, AEvSt TÜBINGEN 642,5, S. 27, vgl. die gleichnamige Schrift von Karl Barth) oder der Interpretation der lutherischen „Zwei-Reiche-Lehre“ (Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 79/80, AEvSt TÜBINGEN 642,1, S. 29, vgl. Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 82/83, AEvSt TÜBINGEN 643,2, S. 18). Auch das MfS kam 1984 zu der Einschätzung, dieses Thema sei zentral für den partnerschaftlichen Austausch (vgl. die Lektion zur Bekämpfung des Mißbrauchs der Kirchen an der Juristischen Hochschule des MfS in Potsdam, G. BESIER/S. WOLF, Pfarrer, S. 411). Genannt wird der Themenkomplex „Kirche und Staat“ auch im MfS-Bericht über die Partnerbegegnung der

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ses Grundthema erfuhr, je nach kirchenpolitischer Lage, spezifische Aktualisierungen. So konnte es sich Mitte der sechziger Jahre auf die Frage nach der Rolle von Landesbischof Mitzenheim111, Ende der siebziger Jahre auf die Frage nach der Bedeutung des Treffens zwischen Erich Honecker und führenden DDR-Kirchenvertretern vom im März 1978112 zuspitzen. Eng mit dem Komplex „Kirche und Staat“ verbunden war (2) die Frage nach der Struktur der Kirche als „Volkskirche“113 oder „Kirche in der Diaspora“114. Bindeglieder zwischen beiden Fragestellungen waren seit den fünfziger Jahren immer wieder diskutierte thematische Dauerbrenner „Kirche und Schule“115 oder die Finanzierung kirchlicher Aufgaben116. (1) Besonders über das anzustrebende Verhältnis von Kirche und Staat konnte es zu kontroversen Diskussionen kommen, ließ sich doch bei der Klärung dieser Frage ein Urteil über die Legitimität und Bejahbarkeit der jeweiligen vorfindlichen Staatsform schwer vermeiden. Somit trafen neben den oben geschilderten, spätestens seit den siebziger Jahren unübersehbar unterschiedlichen kollektiven Prägungen von Bundes- und DDR-Bürgern auch verschiedene persönliche politische und theologische Einstellungen aufeinander117. Dass sich dabei ein weites, kaum zu kategorisierendes Spektrum an Konstellationen ergeben konnte, ist unschwer zu erkennen. Dennoch sollen wenigstens zwei durch Zeitzeugen belegte und in ihrer konfliktträchtigen Besetzung für die gesellschaftlichen Verhältnisse der siebziger und achtziger Jahre nicht ganz

Kirchenkreise Kirchheim und Vacha im April 1982 in Thüringen (Bericht vom 18.5.82, BStU MfS ASt Suhl XX/607 Bd. 1 Bl. 14). 111 Evangelisches Dekanatamt Tübingen an OKR vom 29.1.65 (LKA STUTTGART A 126 529d IV Bl. 93). Zur Problematik der Rolle Mitzenheims s. o. den Exkurs „Der Thüringer Weg“, S. 184ff. 112 Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 78/79 (AEvSt TÜBINGEN 641,4), S. 21. Das Treffen am 6.3.78 war das erste Gespräch zwischen Staat und Kirche auf höchster Ebene seit 1958, vgl. R. GOECKEL, Kirche, S. 272. 113 Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 83/84 (AEvSt TÜBINGEN 643,4), S. 23. 114 „Chancen der Partnerschaft zwischen Gemeinden in Thüringen und Württemberg“ (ohne Datum, PB KRAFT). 115 Evangelische Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg an OKR Metzger vom 7.5.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 212), vgl. „Chancen der Partnerschaft zwischen Gemeinden in Thüringen und Württemberg“ (ohne Datum, PB KRAFT). 116 Vgl. EBD. 117 So auch die Einschätzung einer an der Hochschule des MfS entstandenen Forschungsarbeit zu den Kirchenpartnerschaften. Der Verfasser sah in der Tatsache, dass sich durch die Partnerschaften Verbindungen „zwischen Personen mit unterschiedlichsten ideologischen Positionen, verschiedenen Anschauungen und Handlungsaktivitäten“ entwickelten, die „operative Bedeutsamkeit“ der Partnerschaftsarbeit begründet, da sich die Partner gegenseitig ungünstig beeinflussen konnten (Höhn, Analyse, BStU MfS VVS JHS o0001-284/88, S. 7f.).

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untypische118 Gesprächskonstellationen skizziert werden: Kontroversen konnten sich einerseits aus dem Zusammentreffen von politisch aktiven, eher linksgerichteten Christen aus der BRD mit DDR-Partnern ergeben, die sich in grundsätzlicher Abgrenzung gegen den Staat in binnenkirchliche Strukturen zurückzogen. Während erstere den Sozialismus als interessantes Experiment sahen, das in seinen Anliegen dem Christentum näher stand als die bundesrepublikanische Gesellschaftsform119, und dem frommen Traditionalismus der Partner mit – wenn auch nicht verbalisiertem – Unverständnis begegneten, fühlten sich letztere von einer darin implizierten Degradierung zu Versuchsobjekten eines missglückten Politexperiments verletzt. Wer den belastenden Alltag nicht kenne, den das bewusste Leben als Christ in der sozialistischen Gesellschaft mit sich bringe, so ihre Position, solle mit solch idealistischen Äußerungen vorsichtig sein120. Ähnlich konfliktträchtig war andererseits die Begegnung zwischen politisch denkenden und gerade deswegen grundsätzlich staatskritischen Christen aus der DDR, die für eine deutliche Trennung von Kirche und Staat unabhängig von der jeweiligen Staatsform plädierten, und Partnern aus der BRD, die die in der Bundesrepublik vorfindliche Form der freiheitlichen Demokratie für eine auch kirchlicherseits zu unterstützende Staatsform hielten121. Von einer Begegnung zweier Pfarrkonvente aus Württemberg und Thüringen in Ostberlin wird mündlich überliefert122, einige der Thüringer hätten den Württembergern vorgehalten, sie im Osten seien eigentlich politisch unabhängiger als die westdeutschen Kollegen, da sie, ohnehin am Rande der Gesellschaft stehend, eine gewisse Narrenfreiheit besäßen und keine Rücksicht auf Erwartungen von außen nehmen müssten. Die Württemberger dagegen säßen in goldenen Käfigen, da sie sich durch ihre gesellschaftliche Rolle und aus Rücksicht auf die politischen Überzeugungen ihrer Gemeindeglieder einer Art Selbstzensur unterwerfen würden. Die Pfarrer aus der BRD räumten zwar ein, dass die klare118

Zu den sozialgeschichtlichen Hintergründen s. o. Kapitel 4.2.1.2. Zur Problematik dieser damals verbreiteten Sicht, die sich heute als verharmlosende Fehleinschätzung der politischen und gesellschaftlichen Realitäten des DDR-Regimes erwiesen hat, vgl. F. W. GRAF, Blick, S. 50f., und das Statement von Heinz-Georg Binder bei G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 546f. 120 Vgl. Jalowski 11.3.02 und Zeller 27.8.02. Ganz ähnliche Erfahrungen sprechen auch aus dem Brief zweier junger DDR-Pfarrer an Karl Barth vom Sommer 1958. Darin heißt es: „In Gesprächen mit westdeutschen Bruderschaftskreisen ist eine gewisse Abstinenz unseren Fragen gegenüber unverkennbar, etwa so: ‚Lieber Kommunistenkind als Atomleiche‘ oder ‚Die Ursache von Schwierigkeiten soll man zuerst bei sich selber suchen‘.“ (K. BARTH, Gesamtausgabe, Bd. 5, S. 402f.). 121 Vgl. dazu auch die Demokratiedenkschrift der EKD von 1985 und die kritische Reaktionen des BEK, s. o. S. 41. 122 Vgl. Stahl 30.9.02, eine vergleichbare Diskussion an anderer Stelle schilderte auch Moka 15.3.02, ähnlich auch Große 18.9.02 und Schwarz 27.9.02. 119

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ren Fronten in der DDR eine deutliche Positionierung erleichterten123, wiesen dann aber auch deutlich auf die Vorteile hin, die sie in ihrer Gesellschaftsordnung sahen. Der Streit spitzte sich zu und mündete schließlich in pauschale gegenseitige Verwerfungen124, die nach Ende der Begegnung einen besorgten Anruf der Abteilung „Gesamtkirchliche Hilfen“ des DWW beim zuständigen Dekan zur Folge hatten. Die beschriebene Auseinandersetzung änderte jedoch entgegen der Befürchtungen des DWW nichts an der engen Beziehung der beiden Kirchenkreise. Im Gegenteil war der wirkliche Wille zur Partnerschaft vermutlich die Voraussetzung dafür, dass eine so offene Konfrontation von Meinungen möglich wurde. (2) Die andere große Frage nach der Struktur der Kirche als Volkskirche, Minderheiten- oder Freiwilligkeitskirche war ein Thema, für das sich spätestens seit den siebziger Jahren besonders die Partner aus der BRD interessierten. Sie sahen in den Verhältnissen der DDR die Entwicklung in der eigenen Gesellschaft vorweg genommen und suchten in diesem Punkt von den Erfahrungen der DDR-Gemeinden zu lernen. Da andererseits jedoch Gemeinden im Osten den westlichen Modellen teilweise wenig Interesse entgegen brachten, da sie diese unter ihren Bedingungen für nicht realisierbar hielten, war an dieser Stelle das Ideal der Lerngemeinschaft nur unvollständig verwirklicht. Doch auch die Hoffnungen der Westgemeinden wurden nicht in jedem Fall erfüllt. Beim näheren Hinsehen wurde oft deutlich, dass die kirchliche Realität in der DDR die erhofften Anstöße auf das Ganze gesehen nicht geben konnte. Statt Antwort auf die drängende Frage „Was wird einmal bei uns Bestand haben, was nicht?“125 zu bekommen, mussten sie enttäuscht feststellen, dass im Großen die kirchlichen Strukturen trotz drastisch gesunkener Mitgliederzahlen und veränderter gesellschaftlicher Rolle weitgehend unverändert blieben126. 123 Entgegen der Ergebnisse einer stark durch die Erschließung der Dokumente der staatlichen Archive und des MfS bestimmen Forschung zum allgemeinen Verhältnis der DDR-Kirchen zum Staat, die auf gegenseitige Abhängigkeiten verweisen, berichten die an der Partnerschaft Beteiligten häufig von ihrem Eindruck, in der DDR seien, im Gegensatz zur BRD, „die Fronten klar“ (S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 92) gewesen. Ob sie damit, in Unkenntnis der Vorgänge hinter den Kulissen, schlicht einer falschen (Selbst-)Einschätzung erlagen oder ob dieser Befund darauf hindeutet, dass in einzelnen Gemeinden tatsächlich klarere Verhältnisse herrschten als die staatliche Seite in ihren Akten überlieferte, ist hier nicht zu klären, weist aber auf die Notwendigkeit weiterer Studien hin, die von der Situation in den Gemeinden ausgehen. 124 „Wir wollen euren Kapitalismus nicht!“ – „Und wir wollen so einen Sozialismus nicht!“ 125 Bericht eines württembergischen Pfarrers über seinen Besuch in Thüringen im Januar 1975, abgedruckt im Rundschreiben DWW an die Vorsitzenden der Diakonischen Bezirksausschüsse und die Bezirksleiter vom 20.1.75 (OKR STUTTGART 54.26-4 1967–1982 Bl. 51/1). 126 Vgl. Mittendorf 20.9.01, von Keler 1.2.02, Sorg 4.2.02. Zur DDR-Kirche als minoritärer Volkskirche und den kritischen Anfragen, die sich aus dieser Erkenntnis heraus an die materielle Unterstüt-

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Insgesamt ist jedoch wichtig festzuhalten, dass auch die beiden zentralen Themen äußerst selten in ganz allgemeiner Form diskutiert wurden. Anlass und Anknüpfungspunkt der Gespräche war immer die konkrete Situation in den Gemeinden. Auf dieser Ebene konnte es an einigen Stellen tatsächlich zu Ansätzen einer Lerngemeinschaft kommen. So wurde die herausfordernde Frage der württembergischen Partner nach der Verantwortung auch der DDRKirchen für die Schule zwar im ersten Moment vom betroffenen Superintendenten als im Hinblick auf eine Gesellschaft, die als aktive Christen bekannten Eltern sogar die Mitarbeit in der Elternvertretung versagte, völlig unrealistisch verworfen. Dennoch wirkte die Herausforderung nach und ließ den Gedanken einer im Raum der Gemeinde stattfindenden Elternarbeit reifen, die schließlich in Saalfeld realisiert wurde127. Ein Student aus Tübingen stellte bei seinem Besuch im elterlichen Pfarrhaus des Thüringer Partners die unbequeme Frage, „ob die Bevorzugung von Theologen[,] was freie Meinungsäußerung und Auslandsreisen anbelangt, nicht verschiedene Klassen innerhalb der Kirche schaffen müsse“, und rief damit nach seinem eigenen Bericht „kurze Zeit Stille“128 hervor. Auf der anderen Seite brachte beispielsweise die kritische Anfrage aus Thüringen, wie man es in Württemberg schaffe, bei Veranstaltungen der bürgerlichen Gemeinde „mehr oder anderes zu sein als der Palmenkübel“129, die württembergische Seite neu zum Nachdenken. Besonders für die Thüringer waren auch die unterschiedlichen Gemeindestrukturen Anlass, die eigene Praxis zu hinterfragen. Das entsprechend dem lutherischen Erbe traditionell stark ausgeprägte Amtsverständnis in Thüringen, das durch die Gesellschaftsstruktur in der DDR, die vor allem den beruflich und gesellschaftlich aktiven Teil der Bevölkerung an der intensiven Teilnahme am Gemeindeleben hinderte, noch verstärkt wurde, führte häufig zu einer Fixierung auf die Amtsträger. Das Kennenlernen des großen, nicht zuletzt durch pietistische Traditionen geförderten Engagements von Ehrenamtlichen

zung aus dem Westen stellten, die dies erst ermöglichten, s. u. Kapitel 4.3.2.1. Zu den Schwierigkeiten der westlichen Partner, diese Realität zu akzeptieren, s. o. S. 224. Ein weiteres Problem des westlichen Interesses an der Strukturfrage macht die Aussage eines Pfarrers aus Baden deutlich, der sich erinnert, der „geplante Gedankenaustausch“ sei „ein ziemliches Fiasko“ gewesen, da „die Christen in der DDR, mit ganz anderen Sorgen belastet, unseren Wunsch als rein akademisch empfanden und nicht verstanden“ (C. HÄRTEL/P. KABUS, Westpaket, S. 120). 127 Vgl. Große 18.9.02. Auch der in der obigen Fußnote zitierte badische Pfarrer fand die gewünschten Denkanstöße im privaten Gespräch mit dem Partnerpfarrer (C. HÄRTEL/P. KABUS, Westpaket, S. 120). 128 Bericht von der Studienreise nach Thüringen im August 1986, Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 86/87 (AEvSt TÜBINGEN 645,2), S. 27. 129 Große 18.9.02.

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in den württembergischen Gemeinden weckte in Thüringen nicht nur Sehnsüchte130, sondern gelegentlich auch den Willen, Abhilfe zu schaffen131. In mancher Hinsicht wurde aber auch deutlich, dass gerade in der Gemeindearbeit ungeachtet der gesellschaftlichen und landeskirchlichen Unterschiede viele Erfahrungen, Fragen und Probleme in Ost und West die gleichen waren, und dass man nicht so sehr voneinander, sondern vielmehr nur miteinander lernen konnte – eine Erkenntnis, die das Zusammengehörigkeitsgefühl deutlich stärkte. So berichtete ein Thüringer Lektor, der im September 1984 am Lektorentag in Württemberg teilnahm, in den Gesprächen sei deutlich geworden, dass mit ihren Schwierigkeiten, „den heutigen Menschen zu erreichen“, beide Seiten „in einem Schiff sitzen“132. 4.2.2.2. Politische und friedensethische Fragen Politische Fragen waren auch jenseits ihrer direkten Auswirkungen auf das kirchliche Leben Thema des Ost-West-Dialogs im Rahmen der Kirchenpartnerschaften. Ein wichtiges Thema waren dabei selbstverständlich die Fragen des deutsch-deutschen Verhältnisses, die auch den allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs der Zeit bestimmten. In den fünfziger und bis in die sechziger Jahre hinein war für viele „die bewegendste Frage“ die „nach dem Wie einer Wiedervereinigung“133. Da sie in dieser Zeit auch von der DDR-Führung offiziell noch offen gehalten wurde, konnte sie selbst mit linientreuen Diskussionspartnern aus der DDR besprochen werden134. Ende der sechziger Jahre bot die neue Ostpolitik unter Willy Brandt Diskussionsstoff135. 130 Vgl. die bewundernde Aussage des Lichtentanner Pfarrers Joachim Schoeps über seine Partnergemeinde: „Von solchen Mitarbeitern wagen wir nicht zu träumen“ (Schoeps an Aigner vom 27.9.73, PB AIGNER). Beobachtungen zum Verhältnis von Haupt- und Ehrenamt in Württemberg und Thüringen finden sich auch bei Kraft 13.9.01 und Schwarz 27.9.02. 131 Vgl. z. B. zum Austausch über Möglichkeiten der Gewinnung und Schulung von ehrenamtlichen Mitarbeitern in der Jugendarbeit die Gesprächsniederschrift vom 17.10.78 (ejw STUTTGART DDR 1) und die Aktennotiz vom 22.4.83 (EBD.). Zur Partnerschaftsarbeit im Bereich der Jugendwerke s. o. Kapitel 3.1.2.3. Zur Bedeutung des fachlichen Austausches s. u. Kapitel 4.2.2.3. 132 Horst M. an Kirchenrat Hans Krech vom 9.10.84 (LKA EISENACH A 791 Bd. 9). Vgl. Kraft 13.09.01. 133 Evangelisches Pfarramt Neckarsulm an OKR vom 4.10.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 234). 134 Vgl. dazu die Wiederkehr des Themas bei den von Pfarrer Dankwart Zeller Mitte der sechziger Jahre im Rahmen der Partnerschaft zwischen Köngen und Gräfenroda organisierten Diskussionen mit Christen und Marxisten (J. THIERFELDER, Kontakte, S. 50, mehr dazu s. o. S. 181f.). 135 Dass ein Württemberger Dekan im Vorfeld der entscheidenden Bundestagswahl im November 1972 von seinem Thüringer Partner an seine Verantwortung für die Menschen im anderen Teil Deutschlands erinnert wurde, denen an dieser Stelle eine direkte politische Meinungsäußerung nicht möglich war, und in ihrem Interesse zu einer bestimmten Wahlentscheidung aufgefordert wurde, ist

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Ende der siebziger Jahre standen gelegentlich, entgegen dem sonstigen Trend, auch Entwicklungen der bundesrepublikanischen Gesellschaft im Mittelpunkt des Interesses. Nach den Ereignissen des „deutschen Herbst“ des Jahres 1977 zum Beispiel fragten die Partner aus der DDR, wie die Kirche den Hintergrund des Terrorismus beurteile136. Die intensive und in zunehmender Offenheit geführte gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus seit den siebziger Jahren bewirkte, dass sich der Umgang mit der eigenen Geschichte zu einem zentralen Thema des partnerschaftlichen Austausches entwickelte. Mitte der siebziger Jahre hielt der Dekan von Biberach in seinem Bericht über einen Besuch im Thüringer Partnerbezirk Eisenberg fest, ihm sei aufgefallen, dass von den Thüringer Amtsbrüdern gerade auch der jüngeren Generation der Frage, wie der Gemeindepfarrer der jeweiligen Gemeinde sich in der Zeit des Kirchenkampfes verhalten hatte, eine große Bedeutung zugemessen wurde. Nachdem diese Problematik zu Beginn der Partnerschaft zwischen Württemberg und Thüringen aus Rücksichtnahme und Unsicherheit eher ausgeklammert worden war137, bemerkte der Dekan nun, dass „immer wieder […] in den Gesprächen das Thema ‚DC‘“138 auftauchte. Anfang der achtziger Jahre beschäftigten sich Theologiestudierende aus Thüringen und Württemberg bei ihrem Treffen angesichts des neu erwachten Geschichtsinteresses mit der Frage, wie die „Verantwortung für die Geschichte recht wahrzunehmen“139 sei. Besonders aber mit der vierzigsten bzw. fünfzigsten Wiederkehr markanter Daten aus der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs in den achtziger Jahren rückte die Erinnerung an die NS-Verbrechen und die Frage nach sicher das außergewöhnliche Ergebnis einer besonders engen Partnerschaft. Es zeigt aber, welche Bedeutung der Austausch über politische Fragen über die deutsch-deutsche Grenze hinweg bekommen konnte (vgl. Superintendent Ludwig Große an Dekan Paul Lempp vom 15.9.72, Evangelisches Dekanatamt GEISLINGEN, Bestand Saalfeld). 136 Vgl. Fragen von Kahla an Schorndorf vom 7.6.78 (PB MITTENDORF) sowie die Aufstellung „Prälatentreffen – Verlauf und Thematik“ vom 8.3.78 (LKA EISENACH A 827 Bd. 4/4). Zu den Ereignissen des Herbst 1977 vgl. H.-G. LEHMANN, Deutschland-Chronik, S. 232f. Weitere BRDThemen waren auch die Bemühung um die Integration von Gastarbeitern (vgl. Fragen von Kahla an Schorndorf vom 7.6.78, PB MITTENDORF), ebenso Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik (vgl. die Aufstellung „Prälatentreffen – Verlauf und Thematik“ vom 8.3.78 (LKA EISENACH A 827 Bd. 4/4). 137 Dazu s. o. Kapitel 3.2.1. 138 Dekan Gerhard O. an OKR und DWW vom 24.8.74 (OKR STUTTGART 54.26-4 1967–1982 Bl. 48). 139 Bericht über die Thüringen-Reise von Studierenden des Evangelischen Stifts im Sommer 1981 im Semesterbericht WS 81/82 (AEvSt TÜBINGEN 642,5), S. 27. Anlass der Diskussion waren die Staufer- und Preußenausstellung in der BRD und die Rehabilitation historischer Gestalten wie Friedrich des Großen oder Scharnhorst in der DDR. Vgl. auch die Themen der Ost-West-Seminare der überregionalen Jugendarbeit in den achtziger Jahren (F. DORGERLOH, Geschichte, S. 269).

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Schuld und Verantwortung auch in den unterschiedlichen Bereichen des kirchlichen Ost-West-Dialogs in den Vordergrund. Auf gesamtkirchlicher Ebene geschah dies öffentlichkeitswirksam durch die von der Konsultationsgruppe von EKD und BEK ausgearbeiteten gemeinsamen Worte zu den Jahrestagen des Kriegsendes und der Pogromnacht140. Aber auch auf landeskirchlicher, gemeindlicher und persönlicher Ebene war das Thema präsent, drängte es sich doch neben seiner allgemeinen gesellschaftlichen Bedeutung in doppelter Hinsicht als gesamtdeutsche Frage auf: Erstens war man sich bewusst, dass die NS-Gewaltherrschaft und der von Deutschland ausgegangene Krieg Voraussetzungen und Ursachen der Teilung waren, deren Folgen nun das Partnerschaftsverhältnis bestimmten. So beginnt etwa ein privater Brief aus Württemberg an die Heimleiterfamilie der Partnereinrichtung in Thüringen vom 30. Januar 1983 mit der Reflexion darüber, ob der Brief auch geschrieben worden wäre, „wenn es keinen 30. Jan. 1933 mit einer Machtübernahme Hitler’s gegeben hätte“141. Zweitens weckte der unterschiedliche offizielle Umgang der beiden deutschen Staaten mit dem Gedenken Diskussionsbedarf. Während in der BRD neben Mechanismen der Verdrängung auch der Gedanke einer kollektiven Verantwortung für das geschehene Unrecht wirksam wurden, hielt die DDR im Bezug auf den eigenen Staat weitgehend am idealisierten Bild vom völligen Neuanfang mit antifaschistischem Vorzeichen fest und sah allein die BRD als Erbin der NS-Vergangenheit. Während im Westen vornehmlich die Männer des 20. Juli als Vorbilder des Widerstands geehrt und andere Gruppen nur zögerlich in den Blick genommen wurden, standen in der DDR die kommunistischen Widerstandskämpfer im Mittelpunkt142. Im Austausch mit Partnern aus dem anderen Teil Deutschlands konnten diese Modelle diskutiert und hinterfragt werden. So kamen die württembergischen und thüringischen Studierenden der Theologie bei ihren Gesprächen im Sommer 1981 zu dem Ergebnis, „daß kein Staat bei ‚Null‘ wieder anfangen und auf historische Rückbesinnung und Verantwortung verzichten kann.“143 Und im Februar 1985 betonte der Gast aus Thüringen vor der Württembergischen Landessynode im Hinblick auf die unterschiedliche Form des Gedenkens an den vierzigsten

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Schon 1979 hatten Vertreter des Rates der EKD und der Vorstand der KKL ein „Wort zum Frieden“ vierzig Jahre nach Kriegsbeginn herausgegeben. S. o. S. 39. 141 Maria Zimmermann an Familie Berger vom 30.1.83 (Behindertenhilfe Schöneck SCHWÄBISCH HALL, DDR Gefell). 142 Zum Umgang mit der NS-Geschichte in der DDR vgl. J. DANYEL, Gründungskonsens, zur BRD vgl. entsprechend W. BENZ, Umgang. 143 Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 81/82 (AEvSt TÜBINGEN 642,5), S. 27.

Kirchenpartnerschaft als Raum des Ost-West-Austausches

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Jahrestag des Kriegsendes, in der DDR werde dieser Tag „quasi gefeiert“, Christen sollten sich jedoch „daran erinnern lassen“, dass sie „fehlbar sind“144. Das drängendste politische Thema der Ost-West-Gespräche war jedoch – besonders im letzten Jahrzehnt der deutschen Teilung – die Erhaltung des Friedens. Nicht nur aufgrund der besonderen Verantwortung, die Christen in diesem Bereich empfanden, auch durch die erlebte Situation in einem geteilten Land, in dem die feindlichen Machtblöcke direkt aufeinander trafen, drängten sich Fragen der Friedensethik förmlich auf145. Bereits in den frühen Jahren der Partnerschaftsbeziehungen waren sie, je nach aktueller politischer Lage, in unterschiedlichen Zuspitzungen präsent146. Ganz in den Vordergrund trat das Problem der Friedenssicherung in den achtziger Jahren. Mit dem NATODoppelbeschluss vom Dezember 1979, der die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in Europa vorsah und im November 1983 vom Bundestag gebilligt wurde, spitzte sich die atomare Bedrohung durch das Wettrüsten gefährlich zu. In beiden deutschen Staaten formierten sich unabhängige Friedensbewegungen, die ihre Anhänger gerade auch in kirchlichen Kreisen hatten147. Die wachsende Bedeutung der Friedensfrage zeigte sich auf allen Ebenen des kirchlichen Ost-West-Dialogs. Gesamtkirchlich trugen 1980 die Bildung der Konsultationsgruppe zwischen EKD und BEK und die deutsch-deutschen Gespräche auf den Kirchentagen dem Rechnung148. Auch die landeskirchlichen Partnerschaften griffen das Thema auf. Es stand nicht nur auf der Tagesordnung des Treffens zwischen den Kirchenleitungen von Württemberg und Thüringen im Juli 1980, sondern wurde vom DWW auch für Gespräche bei 144

Sitzung vom 22.2.85, VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 381. Zum Engagement der DDR-Kirchen in der Friedensfrage vgl. z. B. T. MECHTENBERG, Friedensverantwortung, und A. SILOMON, Verantwortung. Auch das MfS kam 1984 zu der Einschätzung, dieses Thema sei zentral für den partnerschaftlichen Austausch (vgl. die Lektion zur Bekämpfung des Mißbrauchs der Kirchen an der Juristischen Hochschule des MfS in Potsdam, G. BESIER/S. WOLF, Pfarrer, S. 411, ähnlich auch die Vortragskonzeption der Kreisdienststelle Greiz vom 4.8.88, BStU MfS ASt Gera KD Greiz 004391 Bl. 33). 146 So waren in den fünfziger Jahren etwa die Fragen der Wiederbewaffnung bzw. der Beitritt zu NATO und Warschauer Pakt zu diskutieren (vgl. Evangelisches Pfarramt Neckarsulm an OKR vom 4.10.54 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 234, zum bleibenden Thema „NATO“ vgl. Große 18.9.02), in den sechziger Jahren musste der Umgang mit den Friedensinitiativen der staatsnahen kirchlichen Kreise in der DDR geklärt werden (vgl. etwa die Verunsicherung württembergischer Pfarrer aufgrund der Einladungen zu den Treffen eines „Christlichen Arbeitskreises für den Frieden“ in Erfurt, s. o. S. 179). 147 Zur oppositionellen Friedensbewegung in der DDR vgl. ausführlich E. NEUBERT, Geschichte, S. 335–498, zum Vergleich des Engagements von Christen in den Friedensbewegungen beider Staaten vgl. H. ZANDER, Christen. 148 S. o. S. 39f. 145

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Gemeindebegegnungen oder persönlichen Treffen empfohlen149. Besonders bei Begegnungen der jüngeren Generation, etwa im Bereich der Jugendarbeit oder unter Theologiestudierenden, fand die Friedensfrage große Resonanz150. Studierende aus Tübingen zeigten sich nach ihrem Besuch beim Thüringer Regionalkirchentag beeindruckt, „wie eindeutig und klar sich auch kirchliche Amtsträger zu äußern wagten“ und stellten bewundernd fest, in der dortigen Kirche sei „ein hohes Bewußtsein“ und „viel Mut vorhanden“, während in der BRD die „offizielle Kirche sich mit parteilichen Äußerungen ja sehr schwer“151 tue. Doch die Beschäftigung mit Ursachen der Gewalt und Möglichkeiten der Friedenssicherung blieb nicht bei Gesprächen stehen. Sie bot wie kaum ein anderes Thema Möglichkeiten zum gemeinsamen Handeln in Ost und West. Die von der Konsultationsgruppe erarbeiteten Worte zu Friedensfragen trugen die kirchliche Position in die Öffentlichkeit. 1983 wandten sich der EKDRatsvorsitzende und der KKL-Vorsitzende mit einem gemeinsamen Brief an die Regierungschefs beider deutscher Staaten. Ursprünglich in den Gemeinden entstanden und wieder in die Gemeinden getragen entfalteten die gemeinsam begangenen Friedensdekaden im November sowie die Bittgottesdienste für den Frieden, die auf beiden Seiten der Grenze mit gleicher Liturgie gefeiert wurden, große Wirkung152. Wie stark dabei die gesamtkirchliche Ebene und die gemeindliche Ebene der Partnerschaft verknüpft sein konnten, zeigt der Weg der 1980 in Vorbereitung der Saalfelder Friedensdekade entstandenen Ordnung eines Friedensgebetes zum Tagesläuten153. Sie fand Eingang in die vom BEK herausgegebenen und in der ganzen DDR verwendeten Materialien zur Friedensdekade154, wurde aber vom Saalfelder Superintendenten Ludwig Große 149 Vgl. Leich an von Keler vom 10.7.80 (DWT EISENACH A 5a) und „Chancen der Partnerschaft zwischen Gemeinden in Thüringen und Württemberg“ (ohne Datum, PB KRAFT). MfS-Berichte belegen, dass das Thema zumindest bei den Partnerbegegnungen der Kirchenkreise Kirchheim und Vacha im April 1982 in Thüringen (Bericht vom 18.5.82, BStU MfS ASt Suhl XX/607 Bd. 1 Bl. 14) und Schwäbisch-Gmünd und Sonneberg im April 1986 in Berlin (Information vom 20.4.86, BStU MfS ASt Suhl XX/607 Bd. 2 Bl. 14) tatsächlich behandelt wurde. 150 Vgl. z. B. für die Jugendarbeit den Bericht über eine DDR-Begegnung vom 21.–24.4.87 (ejw STUTTGART DDR 2), für die Studierenden Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 80/81 (AEvSt TÜBINGEN 642,3), S. 26, und Semesterbericht WS 82/83 (AEvSt TÜBINGEN 643,2), S. 19–21. 151 Kirchentag in der DDR. Eindrücke aus Erfurt vom 12.–15.5.83, Evangelisches Stift Tübingen, Autonomer Semesterbericht SS 83 (AEvSt TÜBINGEN 643,3), S. 12, vgl. Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 82/83 (AEvSt TÜBINGEN 643,2), S. 19–21, und Sachlicher Bericht über DDRBegegnung vom 21.–24.4.87 (ejw STUTTGART DDR 2). 152 Zu den Friedensdekaden in der DDR vgl. A. SILOMON, Schwerter. 153 „Vorschlag für ein Friedensgebet zum Tagesläuten um 18.00 Uhr“ (PB GROSSE). Zur Verbreitung auch Ludwig GROSSE, „Gottgeschenkte Grenzgänger“, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 13.5.01, S. 15. 154 Vgl. „Frieden schaffen ohne Waffen“, Materialien zur Friedensdekade 1980, S. 34, M 18: „Vorschlag für ein Friedensgebet zum Tagesläuten“ (BArch BERLIN DO 4 1431).

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auch in die Konsultationsgruppe zwischen BEK und EKD getragen155 und in den Partnerkirchenbezirk Bad Urach in Württemberg weitergegeben. Dort war sie in etwas verlängerter Form als „Friedensgebet am Mittag“ im Stift Urach, dem Einkehrhaus der Württembergischen Landeskirche, in Gebrauch156. Die DDR-Führung beobachtete diese partnerschaftlichen Ost-WestKontakte der ihren Vorstellungen von Friedenssicherung widersprechenden kirchlichen Friedensbewegung genau. Bereits während der ersten Friedensdekade 1980 urteilte die ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen, die Vereinbarung von BEK und EKD zur Durchführung der Friedensdekade fördere „objektiv die ‚Deutschtümelei‘ sowie die Partnerbeziehungen zwischen den Gemeinden“157. Die Berichte des für Religionsfragen zuständigen Stellvertreters des Vorsitzenden für Inneres des Bezirkes Gera an das Staatssekretariat für Kirchenfragen in Berlin aus den achtziger Jahren gingen immer eigens auf die Ereignisse während der Friedensdekade ein und wiesen besonders auf Vorfälle hin, die auf eine Zusammenarbeit von Christen aus Ost und West hindeuteten. So wurde im November 1980 berichtet, in Kahla sei „kurzfristig“ im Schaukasten einer Kirchengemeinde der Text „Mit den Christen in der BRD beten wir gemeinsam für den Frieden“158 zu lesen gewesen. Und im Dezember 1984 meldete der Bericht nach Berlin, die Friedensdekade sei im Bezirk Gera breit genutzt worden, um Kontakte zu Patengemeinden in der BRD herzustellen und zu festigen. In Jena-Stadt hätten „an vielen kirchlichen Veranstaltungen Besucher aus der BRD“ teilgenommen und in Rudolstadt habe ein Pfarrer „ein Friedensgebet verlesen, das zur gleichen Zeit im Wortlaut auch in der Patengemeinde der BRD vorgetragen wurde.“159 155 Vgl. W. HAMMER/U.-P. HEIDINGSFELD, Konsultationen, S. 37, 40 und 44. Der Konsultationsgruppe gehörte auch der württembergische Landesbischof Hans von Keler an, so dass die Ordnung auch auf diesem Wege nach Württemberg gelangte. 156 Vgl. Faltblatt aus dem Stift Urach „Friedensgebet am Mittag“ (PB GROSSE). 157 Bericht des Abteilungsleiters Kirchenfragen der SED-Bezirksleitung Dresden an den 1. Vorsitzenden, zit. nach A. SILOMON, Schwerter, S. 77. 158 Rat des Bezirkes Gera, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres an Staatssekretär für Kirchenfragen vom 25.11.80 (BArch BERLIN DO 4 Nr. 656), S. 3. 159 Rat des Bezirkes Gera, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres an Staatssekretär für Kirchenfragen vom 10.12.84 (BArch BERLIN DO 4 Nr. 1142), S. 3. Das MfS beschreibt die Übergabe eines „Friedensbriefes“ von Christen aus Sindelfingen an die Partner in Greiz im Jahr 1987 (Vortragskonzeption der Kreisdienststelle Greiz vom 4.8.88, BStU MfS ASt Gera KD Greiz 004391 Bl. 36). In manchen Fällen erachtete die DDR-Führung die Friedensarbeit von Gemeinden in Ost und West allerdings als der eigenen Sache nützlich, etwa im Sinne einer Kritik an den Aufrüstungsbestrebungen des Westens und Bestätigung der eigenen Friedensbemühungen. So wurden Briefe der evangelischen Kirchengemeinden Hausen (BRD) und Dresden-Loschwitz an Erich Honecker, die sich gegen weitere Aufrüstung auf beiden Seiten aussprechen, im Oktober 1983, einen Monat vor dem Beschluss des Bundestages über die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen, im Neuen Deutschland veröffentlicht, an einer Stelle, die sonst nur offiziellen Äußerungen vorbehalten war (vgl. NEUES

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Ein ganz besonderer Dorn im Auge war den staatlichen Stellen die Aktion „Persönliche Friedenserklärungen“, die als gefährliche Unterminierung der offiziellen „Friedenspolitik“ der DDR gewertet wurde, zielte sie doch direkt auf den Abbau der für die DDR-Propaganda unverzichtbaren Feindbilder. Zudem befürchtete man, ein solches „Netz persönlicher Beziehungen“ ermögliche es der BRD, „sich Kenntnisse über DDR-Bürger“ zu verschaffen, „die oppositionell gegen den Sozialismus eingestellt sind“160. Vornehmlich junge Christen aus der BRD und der DDR unterzeichneten mit einer Partnerin oder einem Partner aus dem anderen Teil Deutschlands eine Erklärung, in der es etwa hieß: „Wir erklären uns den Frieden. Wir wissen, daß damit der ‚große Frieden‘ nicht sofort ausbricht, weil die heute bestehenden Machtstrukturen davon nicht berührt werden. Aber wir wollen zwischen uns Vertrauen schaffen, um damit die Bemühungen der Regierungen um ‚vertrauensbildende Maßnahmen‘ zu unterstützen.“161

Die Vertragspartner verpflichteten sich gegenseitig, sich nicht an der Vorbereitung und Ausübung von Gewalt oder der Herstellung militärischer Produkte zu beteiligen, gegen weitere Aufrüstung einzutreten, im Alltag Feindbilder abzubauen und sich gegenseitig über Kriegs- und Rüstungsprobleme zu informieren. Partnerschaften zwischen Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen waren hierbei eine wichtige Voraussetzung, um Kontakte mit Gleichgesinnten zu knüpfen. So wandte sich bei der Begegnung zwischen den Pfarrkonventen der Kirchenbezirke Geislingen und Saalfeld im April 1985 der Saalfelder Jugendpfarrer an seine württembergischen Kollegen und bat um Kontaktadressen von jungen Christen, die Interesse daran hätten, Freundschaften aufzubauen und Friedenserklärungen auszutauschen162. Ein Geislinger Pfarrer gab die Anfrage an junge Leute aus der Gemeinde weiter, die die Aktion in die Hand DEUTSCHLAND vom 22./23.10.83, S. 2, und H. ZANDER, Christen, S. 336f.). Allerdings standen die beiden Gemeinden in keinerlei partnerschaftlicher Beziehung und die beiden Briefe in keinem Zusammenhang miteinander. 160 Rat des Bezirkes Gera, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres an Staatssekretär für Kirchenfragen vom 28.6.84 (ThStA RUDOLSTADT, BPAG A 8025 Bl. 141). Darüber hinaus sei besonders für den Grenzkreis Saalfeld nicht zu übersehen, dass damit „die Erarbeitung detaillierter Lageeinschätzungen“ möglich werde (EBD.). Vgl. auch die Hinweise auf die Aktion in der „Information über aktuelle Angriffsrichtungen im Bereich der evangelischen Kirche“ der Bezirksverwaltung Suhl vom 4.4.85 (BStU MfS ASt Suhl XX/608/1 Bl. 61) und im Schreiben Bezirksverwaltung Suhl Abteilung XX an MfS-Hauptabteilung XX vom 4.4.85 (BStU MfS ASt Suhl XX/995 Bl. 108) sowie in der an der Hochschule des MfS entstandenen Arbeit von Nopirakowski, Mittel (BStU MfS VVS JHS o001-305/86), S. 29. Zu den Motiven der DDR-Führung im Umgang mit den Partnerschaften insgesamt s. u. Kapitel 4.4.1.2. 161 Entwurf für eine persönliche Friedenserklärung zwischen jungen Christen aus der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, Anlage zum Schreiben Karl Frey an Dekan Stahl vom 20.5.85 (Evangelisches Dekanatamt GEISLINGEN, Bestand Saalfeld). 162 Vgl. Karl Frey an Dekan Stahl vom 20.5.85 (EBD.).

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nahmen. Aus Saalfeld bekamen sie einen Entwurf für eine „Persönliche Friedenserklärung“, sie selbst verfassten einen Aufruf, in dem sie dafür warben, sich „eine(n) ‚Vertragspartner(in)‘ in der DDR vermitteln“ zu lassen. Dies sollte „der Anfang sein, um Freunde zu werden, Vertrauen aufzubauen und sich durch Briefe und Besuche kennen- und verstehenzulernen“163. Etwa 20 Friedenserklärungen wurden in diesem Rahmen in kurzer Zeit unterzeichnet. Doch schon nach wenigen Wochen verhinderten die DDR-Behörden die Kommunikation. Die Post in die DDR wurde abgefangen, die Einreise des württembergischen Initiators verhindert164. 4.2.2.3. Fachlicher Austausch Mit der Verbesserung der Kontaktmöglichkeiten zwischen BRD und DDR in den siebziger Jahren nahm die Bedeutung des fachlichen Austausches der unterschiedlichen Arbeitsgebiete und Berufsgruppen in Kirche und Diakonie zu. Auf gesamtkirchlicher Ebene sorgten BEK und EKD für Begegnungsmöglichkeiten von Spezialisten aus kirchlichen Dienststellen und theologischer Forschung und Lehre. Professoren und Dozenten der Theologischen Fakultäten, Sektionen und Kirchlichen Hochschulen trafen sich ebenso wie beispielsweise Mitarbeiter kirchlicher Archive und Bibliotheken165. Auch im Rahmen der landeskirchlichen Partnerschaften wurden Fachkontakte ermöglicht und gefördert. Umfang und Bedeutung des fachlichen Austausches zwischen Württemberg und Thüringen zeigt eindrucksvoll die Zusammenstellung der Abteilung „Gesamtkirchliche Hilfen“ des DWW zum Schwerpunktthema Fachkontakte im Rahmen des Jahresberichts 1985166. Trotz der Fülle der Kontakte kann hier nur ein knapper Überblick über die Themenbereiche gegeben werden, da Verlauf und Ergebnisse dieser Gespräche nur in seltenen Fällen überliefert sind. Der Dialog zwischen den Theologen beider Landeskirchen wurde – neben dem bereits oben erwähnten Austausch über Probleme der praktischen Arbeit in den Gemeinden bei den Partnerschaftstreffen der Kirchenkreise in Berlin und der Beschaffung von theologischer Fachliteratur aus dem Westen – durch die Einladung der Partner zu theologischen Fachtagungen gefördert. Sofern sie internationalen Charakter hatten, konnten hierzu auch Theologen aus der 163 Aufruf Karl Frey und Martin K. „Persönliche Friedenserklärungen zwischen Bürgern aus der DDR und der BRD“ ohne Datum (EBD.). 164 Information des Initiators Karl Frey am 5.1.03. Erwähnt werden Ansätze zur Aktion „Persönliche Friedenserklärungen“ in anderen Teilen der DDR bei H. ZANDER, Christen, S. 337, und F. DORGERLOH, Geschichte, S. 32. Eine Darstellung des Gesamtausmaßes und -erfolgs der Vertragsaktion fehlt m. W. bisher. 165 Vgl. F. WINTER, Wege, S. 136. 166 Vgl. Ullrich, Fachkontakte (DWW STUTTGART 2.02 264).

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Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

DDR eine Ausreisegenehmigung bekommen167. Für die Aus- und Weiterbildung von Pfarrerinnen und Pfarrern entsandte die Württembergische Landeskirche Fachleute nach Thüringen. So unterstützten seit Anfang der achtziger Jahre Referenten aus Württemberg die Klinische Seelsorge-Ausbildung in Thüringen168. Auch andere kirchliche Mitarbeiter wie Kirchenmusiker und Küster tauschten ihre beruflichen Erfahrungen auf Tagungen aus169. Angehende Pfarrerinnen und Pfarrer, aber auch Religionslehrerinnen oder Katecheten aus beiden Landeskirchen diskutierten bei Treffen der Ausbildungsstätten grundsätzliche theologische Fragen wie „Luther heute“170 oder „Atheismus und Christentum“171 und praktische Probleme wie „Störende Kinder und Jugendliche bei der Katechese“172 oder „Jugendreligionen“173. Für die Kirchenleitung brachte der gegenseitige Synodenbesuch Anregungen zu Fragen der Kirchenordnung, die in Württemberg und Thüringen gleichermaßen diskutiert wurden174, in den achtziger Jahren entwickelte sich darüber hinaus ein regelmäßiger fachlicher Austausch zwischen den Kirchenleitungen im Rahmen der Prälatentreffen und zwischen den einzelnen Arbeitsgebieten des Stuttgarter Oberkirchenrats und des Eisenacher Landeskirchenamts175. Im Bereich der Jugendarbeit waren die Thüringer dankbar für Ideen zur Mitarbeitermotivation und -schulung176. Während in Württemberg die Ju167 Vgl. z. B. die Einladungen zu Tagungen über das Herrenmahl im ökumenischen Dialog und die Arbeit der Kirche in Europa und Lateinamerika in Württemberg (OKR an Superintendent Blankenburg vom 28.1.80, OKR STUTTGART 54.26-4 1967–1982 Bl. 111) und zur Tagung des Ökumenischen Arbeitskreises der ELKTh (OKR an Kirchenrat Hans Krech vom 20.1.87, OKR STUTTGART 88.10-50 1985–1990 Bl. 60). Zu den gemeinsamen Tagungen der Pfarrervertretungen s. o. S. 129. 168 Vgl. Ullrich, Fachkontakte (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 3. Vgl. auch die Bitte um einen Fachreferenten für den religionspädagogischen Kurs des Predigerseminars der ELKTh (LKR an OKR vom 19.3.86, OKR STUTTGART 88.10-5 1985–1990 Bl. 30). 169 Kirchenmusik bildete auch jenseits des Fachaustausches eine Brücke zwischen Ost und West. Davon zeugen etwa die Berichte und Korrespondenzen zu den Chorfahrten nach Thüringen der Evangelischen Jugend Schwäbisch Hall unter der Leitung von Wolfgang Gönnenwein im Sommer 1955 und 1956 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 240, 242, 247 sowie 529d II Bl. 251, 257, 293, 299, 352, 359, 360, 366) und der Hymnus-Chorknaben Ostern 1982 (vgl. Landesbischof Werner Leich an den Staatssekretär für Kirchenfragen vom 20.4.82, LKA EISENACH A 827 Bd. 4/3 und den Artikel „Euer Singen war ein Zeichen des Friedens“, Württembergisches Gemeindeblatt vom 23.5.82, S. 8). 170 Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 80/81 (AEvSt TÜBINGEN 642,3), S. 26. Zum Austausch zwischen den Ausbildungsstätten s. o. Kapitel 3.1.2.3. 171 Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 85/86 (AEvSt TÜBINGEN 645,2), S. 32. 172 Ullrich, Fachkontakte (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 2. 173 Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 79/80 (AEvSt TÜBINGEN 642,1), S. 29. 174 Dazu s. o. Kapitel 3.1.2.5. 175 Dazu s. o. Kapitel 3.1.2.4. 176 Vgl. die Niederschrift über das Gespräch bei Pfarrer E. H. am 9.10.78 in Gotha vom 17.10.78 (ejw STUTTGART DDR 1) und die Aktennotiz über das Gespräch mit Dieter O. am 20.4.83 in Berlin vom 22.4.83 (EBD.).

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gendarbeit von ehrenamtlicher Tätigkeit lebte, hatten die Hauptamtlichen in der DDR nicht nur Probleme, ehrenamtliche Mitarbeiter zu finden, sondern teilweise auch inhaltliche Bedenken, die Arbeit aus den Händen zu geben177. Hier konnten Erfahrungen der Partner Mut machen. Auch in der Jungschararbeit, der die jüngere Generation der Thüringer Jugendwarte – wohl wegen der durch die politischen Verhältnisse bedingten mangelnden Erfahrungen in diesem Bereich aus ihrer eigenen Kindheit – eher skeptisch gegenüber standen und die sich wegen der Spannungen zwischen Christenlehre und freier Kinderarbeit schwierig gestaltete, waren Impulse aus Württemberg erwünscht178. Schließlich hoffte man auch, die Erfahrungen des ejw bei der Fusion von Jungmänner- und Mädchenwerk 1971 für einen geplanten Zusammenschluss in Thüringen nutzen zu können179. Dieser Schritt kam allerdings nicht zustande. Doch auch in umgekehrter Richtung ergaben sich Denkanstöße. Ein Mitarbeiterehepaar des ejw hielt 1987 nach seinem Besuch in Thüringen fest, es sei „beschämend […], in welchem bescheidenen Rahmen und mit welchen wenigen Mitteln diese Arbeit geschieht und wie sie doch als christliche Jugendarbeit begründet ist.“180 Beeindruckt waren die Württemberger auch von der Intensität der Arbeit der Jugendlichen an bestimmten Themen wie Frieden und Freiheit: „Man spürt den Jugendlichen in der DDR an, daß sie sich in der geistigen Auseinandersetzung mit Ideologien nichts ersparen. Sie sind gewohnt, sauber zu denken und ihre Ansichten stichhaltig zu begründen.“181

Ebenso stieß die ungebrochene Bereitschaft der Jugendlichen in der DDR „sich einem vorgegebenen Programm unterzuordnen und anzunehmen, was angeboten wird“ bei den Partnern aus der BRD auf Erstaunen: „Mit so wenigen methodischen Anreizen säßen Jugendleiter in Württemberg längst alleine in wohlgeheizten Gemeindehäusern“182, vermutete ein Jugendreferent, der Ende 1988 vier Wochen in Thüringen arbeitete. 177 Zu den Bedenken, die Jugendarbeit könne durch ehrenamtliche Arbeit dem „Selbstlauf“ überlassen werden, vgl. die Aktennotiz über das Gespräch mit Dieter O. am 20.4.83 in Berlin vom 22.4.83 (EBD.) sowie den Artikel „Vier Wochen Mitarbeiter in der DDR“, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 9.4.89, S. 8. 178 Vgl. die Aktennotiz über das Gespräch mit Dieter O. am 20.4.83 in Berlin vom 22.4.83 (ejw STUTTGART DDR 1). 179 Vgl. Sachlicher Bericht zur DDR-Reise vom 28.–30.8.85 vom 26.11.85 (ejw STUTTGART DDR 2). 180 Sachlicher Bericht zu einer DDR-Begegnung vom 21.–24.4.87 (EBD.). 181 Fritz Gaiser, Bericht über meine Mitarbeit und meine Eindrücke beim IMAC des Evang. Jungmännerwerkes in Thüringen vom 8.5.80 (ejw STUTTGART DDR 1). 182 „Vier Wochen Mitarbeiter in der DDR“, EVANGELISCHES GEMEINDEBLATT FÜR WÜRTTEMBERG vom 9.4.89, S. 8.

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Der umfangreichste fachliche Austausch entwickelte sich im Bereich der Diakonie. Beengte finanzielle und räumliche Verhältnisse, chronischer Mangel an Fachpersonal und fehlende Weiterbildungsmöglichkeiten in der DDR machten den Kontakt zu den westdeutschen Partnern (ebenso wie zu Fachleuten im europäischen Ausland) unverzichtbar für die Weiterentwicklung der eigenen Arbeit183. Bei Fachtagungen der Diakoniepfarrer der Kirchenkreise und der Fürsorgerinnen und Fürsorger der Kreisstellen für Diakonie in Thüringen wurden Themen wie „Krankmachende Faktoren in unserer Umwelt“, „Psychisch Kranke in unserer Gemeinde“ oder Suizidgefährdung184 mit Fachleuten aus Württemberg besprochen. Spezialistinnen und Spezialisten aus der Partnerkirche boten Fortbildungen zur Handhabung moderner Pflegemittel oder bestimmter Krankheitsbilder wie Multipler Sklerose an185. Unter den diakonischen Einrichtungen profitierten neben Kindergärten und Alteneinrichtungen besonders die Behindertenheime186 vom Austausch mit den Partnereinrichtungen. Neue Konzepte wie das 1974 auf der 4. Psychiatrischen Fachkonferenz in Bad Saarow erstmals in der DDR bekannt gemachte Prinzip der Normalisierung in Einrichtungen für geistig Behinderte konnten mit Hilfe der Partner diskutiert, vertieft und auf die eigene Situation angewandt werden187. Durch die Organisation internationaler Seminare zu Fragen der Arbeit mit geistig behinderten Menschen durch die Mariaberger Heime in Württemberg wurde in den achtziger Jahren Partnern aus Thüringen die Gelegenheit zu einem Studienaufenthalt in der BRD gegeben188. Auf großes Interesse stieß in den Einrichtungen in Thüringen die seit den siebziger Jahren zunehmend diskutierte Frage nach Möglichkeiten des geistlichen Lebens mit geistig behinderten Menschen und entsprechend geeigneten Materialien und Methoden für Religions- und Konfirmandenunterricht189. Gemeinsam mit den Partnern wurden auch Verbesserungsvorschläge zur Raumverteilung oder Einrichtung der Wohnräume in neuen Gebäuden, zu organisatorischen Abläufen, 183 Zu Entstehung, Entwicklung und Formen des Austausches und der Zusammenarbeit s. o. Kapitel 3.1.2.2. 184 Vgl. Ullrich, Fachkontakte (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 2. 185 Vgl. EBD., S. 3 und Stengel 27.8.01. 186 Die folgende Darstellung orientiert sich vor allem an den Beziehungen zwischen den Behinderteneinrichtungen Michaelisstift/Gefell – Schöneck/Schwäbisch Hall und Carolinenfeld/Greiz – Mariaberg, die jeweils intensive Kontakte hatten. In allen Einrichtungen wurden auch die vor Ort vorhandenen Dokumente zur Partnerschaft eingesehen. 187 Vgl. Jalowski 11.3.02. Zur Rezeption des Normalisierungsprinzips in der DDR vgl. I. HÜBNER, Menschenbild, S. 36, und W. BRAUNE, Ideentransfer, S. 147. 188 Vgl. die Programme in den Unterlagen der Mariaberger Heime (Mariaberger Heime MARIABERG DDR 2). 189 Vgl. Jalowski 11.3.02 und I. HÜBNER, Menschenbild, S. 37–39.

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zur Dienstplangestaltung und zur Zusammenarbeit unter den Mitarbeitern besprochen190. Wie wichtig das sein konnte, zeigte sich in der Partnerschaft zwischen dem Michaelisstift in Gefell und dem zum Diakoniewerk Schwäbisch Hall gehörenden Heim Schöneck. Hier war es den württembergischen Partnern in den achtziger Jahren möglich, im äußerst gespannten Verhältnis zwischen der neuen Heimleitung und den Diakonissen aus dem Mutterhaus Aue, die seit 1952 im Michaelisstift Dienst taten, zu vermitteln. Gestandene Schwestern aus Schwäbisch Hall konnten durch die gemeinsame geistliche Lebensform einen Zugang zu den Diakonissen in Thüringen finden und ihnen deutlich machen, dass die zeitgemäßeren Ansätze in der Behindertenarbeit Chancen böten und nicht notwendig das geistliche Profil des Hauses oder die Autorität der Schwestern untergraben würden191. Nicht nur im pädagogischen, auch im hauswirtschaftlichen und baulichtechnischen Bereich, etwa bei der Anlage eines Therapiebeckens, standen kundige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Partnereinrichtungen beratend zur Seite192. Wie sehr diese Beratung gebraucht und begrüßt wurde, lassen die Briefe des Heimleiters des Behindertenheims „Carolinenfeld“ in Greiz an die württembergische Partnereinrichtung Mariaberg erkennen. Nach dem ersten Besuch der Partner in Greiz im Juli 1978 schrieb er: „Durch Ihren Besuch, Ihre Informationen […] wird uns unsere Hilflosigkeit in der Arbeit so richtig bewußt. Wie sollen wir es anpacken, machen wir es richtig, machen wir schon im Ansatz Fehler, dies sind Fragen, die wir in unserem kleinen Kreis von Arbeitswilligen nicht beantworten können. Da ist uns der Erfahrungsaustausch mit Ihnen und Ihren Mitarbeitern ungeheuer wichtig.“193

Und vor der Dienstbesprechung über die mit Hilfe der Partner entwickelten Förderprogramme für die Bewohner ein Jahr später berichtete der Heimleiter von dem nun häufig gehörten „Stoßseufzer“ der Mitarbeiter: „Wenn doch jemand aus Mariaberg hier wäre“194. Doch nicht nur die DDR-Seite profitierte vom fachlichen Austausch. Die Württemberger waren immer wieder überrascht von der Kreativität der Part190

Vgl. z. B. die Aufzeichnungen „Unser Patenheim Carolinenfeld“, ohne Datum, wohl 1980 (Mariaberger Heime MARIABERG DDR 1). Auch das Karl-Marien-Haus in Ebeleben hatte einen solch intensiven Austausch mit der württembergischen Partnereinrichtung (vgl. Ullrich, Fachkontakte, DWW STUTTGART 2.02 264, S. 3). 191 Vgl. Heimleiter Berger an Schwester Maria Zimmermann vom 1.1.86 (Behindertenhilfe Schöneck SCHWÄBISCH HALL, DDR Gefell) sowie Berger 17.3.02 und Zimmermann 25.7.02. 192 Vgl. Jalowski 11.3.02 und Berger 17.3.02. 193 Jalowski an Eder vom 17.9.78 (Mariaberger Heime MARIABERG DDR 1). 194 Jalowski an Eder vom 24.9.79 (EBD.).

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ner, die den Mangel an Fördermaterialien durch phantasievolle Eigenproduktionen ausglichen. Lehrreich und inspirierend war besonders für die Mitarbeiter aus dem hauswirtschaftlichen und technischen Bereich auch der sorgfältige Umgang mit den knappen Ressourcen, der durch die wirtschaftliche Prosperität in der BRD teilweise in Vergessenheit geraten war195. Nicht immer lief die fachliche Kommunikation allerdings problemlos. Die völlig unterschiedlichen äußeren Verhältnisse und der unterschiedliche Ausbildungsstand der Mitarbeiter konnten leicht zu Missverständnissen führen. So kam es vor, dass die Thüringer zunächst die Vorschläge der Partner für ihre Bewohner für völlig ungeeignet hielten und meinten, die Württemberger müssten es, ihren Berichten nach zu urteilen, mit weniger schwer behinderten Menschen zu tun haben. Erst allmählich konnten sie feststellen, welch erstaunliche Fortschritte auch die Bewohner ihrer Einrichtung in verbesserten räumlichen Verhältnissen und durch fachkundige pädagogische Förderung machten196. 4.2.2.4. Persönlicher Austausch Besonders im Rahmen der persönlichen Partnerschaften und dort, wo aus institutionellen Kontakten enge private Verbindungen entstanden, waren selbstverständlich auch berufliche Erlebnisse, familiäre Ereignisse und ganz persönliche Sorgen und Hoffnungen der Partner wichtige Inhalte von Briefen und Gesprächen. Angesichts der vielfältigen Probleme, denen kirchliche Mitarbeiter in der DDR in ihrem beruflichen und privaten Alltag ausgesetzt waren, waren verständnisvolle Brief- und Gesprächspartner von großem Wert. Von seiner Reise nach Jena im Juli 1953, wenige Wochen nach dem Arbeiteraufstand und den erbitterten Auseinandersetzungen um die Junge Gemeinde im Frühjahr, berichtete der Tübinger Studentenpfarrer, sein einwöchiger Aufenthalt sei „von früh bis abends“ mit „Gesprächen angefüllt“ gewesen, „die nicht nur politischen, sondern vor allem seelsorgerlichen Inhalts waren.“197 Auch in den folgenden Jahrzehnten boten Kontakte mit den westdeutschen Partnern in vielen Fällen die Möglichkeit, sich mit Menschen auszutauschen, die an den Sorgen Anteil nahmen und dennoch genügend Abstand hatten, um nicht 195 Vgl. Jalowski 11.3.02. Beispiele für kreative Selbsthilfe finden sich bei S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 76. 196 Vgl. Jalowski 11.3.02 und Berger 17.3.02. 197 Studentenpfarrer Konrat W. an OKR vom 25.7.53 (LKA STUTTGART A 126 529d I Bl. 154). Vgl. auch das Rundschreiben Innere Mission und Hilfswerk der EKD, Pfarrer Dr. Schober, vom 10.11.64 (LKA STUTTGART DWW 101), S. 3.

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selbst in die Probleme hineingezogen zu werden. Die mir vorliegenden privaten Briefwechsel zeugen davon. Ein Beispiel für eine solch intensive Korrespondenz sind die Briefe von Pfarrer Hans-Joachim Schoeps, der in der südlich von Saalfeld, nahe der Grenze gelegenen Dorfgemeinde Lichtentanne tätig war. Er berichtete seinen Partnern im württembergischen Riederich bei Metzingen jahrzehntelang über seine schwierige Arbeit im Sperrgebiet, den völligen Strukturwandel im Dorf, den permanenten Pfarrermangel, der ihn zeitweise für fünf Hauptgottesdienste pro Sonntag verantwortlich sein ließ198, die geringe Bewegungsfreiheit. Auch die Einschränkungen, die der Familie auferlegt waren, und die Sorge um die Zukunft der Kinder waren Thema der Briefe. Im April 1977 berichtete Schoeps von der Benachteiligung von Pfarrerskindern im Bildungswesen und bei der Berufswahl: „Vorige Woche erst hat der Sohn eines Studienkameraden mit 15 Jahren Selbstmord verübt, weil die Eltern von der Begabung überzeugt, die Schule aber keine Chance gab. Und das ist kein Einzelfall.“199

Wie groß der Leidensdruck und das Mitteilungsbedürfnis manchmal waren, wie sensibel aber auch vermieden wurde, ins Jammern zu verfallen, zeigt ein Brief vom Januar 1975, in dem Schoeps über die Schwierigkeiten mit den jungen Eltern berichtet, die es auf aggressive Weise ablehnten, auch zu Hause für die christliche Erziehung der Kinder einzutreten. Der längere Absatz schließt mit der Bemerkung: „Aber im Blick auf die jungen Familien kann man nur bitten, der Herr möchte irgend etwas tun … aber jetzt habe ich in der Sorgenkiste gekramt, und weil das zur Zeit gefährlich ist, will ich den Deckel schnell zuwerfen!! Ich wollte ja etwas ganz anderes tun – Ihnen endlich ganz herzlich zu danken […].“200

Auch die Briefe des provinz-sächsischen Pfarrers Otto Pappe an seinen Partner im kurhessischen Hofgeismar, die 1994 im Deutschen Pfarrerblatt veröffentlicht wurden, machen die seelsorgerliche Bedeutung der Kontakte deutlich. Pappe musste in seiner vierzehnjährigen Amtszeit in Zeitz nicht nur die Selbstverbrennung seines Amtsbruders Oskar Brüsewitz miterleben. Er musste auch zusehen, „wie einem praktisch die Gemeinde weggestorben ist, und die ande-

198 Vgl. Schoeps an Aigner vom 14.4.77 (PB AIGNER) und andere Briefe im PB AIGNER. Zur Situation der Gemeinden im Sperrgebiet s. o. S. 108. 199 Schoeps an Aigner vom 14.4.77 (PB AIGNER). Vgl. auch die Briefe von Pfarrer Otto Pappe vom 17.1.72 zur Frage der beruflichen Zukunft der Kinder (O. PAPPE, Zeitz, S. 410) und vom 9.6.75 zur Problematik von Jugendweihe und Konfirmation (EBD., S. 411). 200 Schoeps an Aigner vom 28.1.75 (PB AIGNER).

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ren sind bis auf ein paar Reste weggelaufen, aus welchen Gründen auch immer“201. 1978, zwischenzeitlich als Industriearbeiter tätig, schrieb er: „Für uns sind die Beziehungen zu euch vielleicht noch wichtiger, als ihr es wissen könnt. Ganz gewiß nicht deshalb, weil ihr eine andere Währung habt oder sonst etwas Materielles zu bieten habt. […] Unsere Beziehungen nach Westen abschneiden, würde uns aus fast allen kulturellen und historischen Bezügen herausreißen und wäre wohl einer Katastrophe gleich.“202

In solchen Briefwechseln und Gesprächen ereignete sich tatsächlich etwas von dem in der theologischen Begründung der Partnerschaftsarbeit hervorgehobenen gegenseitigen geschwisterlichen Trösten203. Diese Verantwortung empfanden auch die Partner aus dem Westen. So hieß es 1975 in einem Brief aus Mariaberg an die Partnereinrichtung nach einer Begegnung in Ostberlin: „Ich hoffe nur, daß wir Ihnen auch ein bißchen helfen konnten, ihndem (sic!) Sie jemand hatten, dem Sie Ihre Sorgen mitteilen konnten. Wir können zwar auch weiterhin nicht die täglichen Sorgen mit Ihnen teilen, aber es sollte nun leichter für uns sein, wenn wir an Sie denken, etwas konkretere Vorstellungen von Ihrer Welt, Ihren Problemen und Sorgen zu haben.“204

Und die Heimleiterin des Heims Schöneck in Schwäbisch Hall antwortete 1986 auf einen Brief der Partner, alle seien „recht betroffen von den akuten Nöten“ in Gefell. Sie wolle „einfach sagen, daß wir oft an Gefell und seine Bewohner denken“, auch im Fürbittengebet: „Sicher ändert das Wissen darum die Situation nicht schlagartig; aber wir tragen Schwierigkeiten leichte (sic!), wenn wir sie gemeinsam tragen.“205

4.2.3. „Wie mit vertauschten Augen“ – Folgen des Austausches Die Tatsache, dass Menschen aus beiden deutschen Staaten, wie es in Papieren des DWW hieß, „nicht von Dritten, sondern dierekt (sic!)“206 voneinander erfuhren, dass sie „mit eigenen Augen den anderen und seine Situation“ und 201

Brief vom 8.9.75 (O. PAPPE, Zeitz, S. 411). Zu Brüsewitz s. o. Kapitel 3.2.4., Fußnote 560. Brief vom 20.11.78 (EBD., S. 412). 203 Dazu auch Kapitel 4.1.2. 204 Eder an Jalowski vom 19.11.75 (Mariaberger Heime MARIABERG DDR 1). 205 Schwester Maria Zimmermann an Familie Berger vom 21.6.86 (Behindertenhilfe Schöneck SCHWÄBISCH HALL, DDR Gefell) 206 Bericht von Herrn Bulat, HWW, über „Zweck und Sinn der ‚Begegnungen‘ zwischen kirchlichen Mitarbeitern in Württemberg und Thüringen aus der Anschauung des Unterzeichneten“ vom 27.1.66 (LKA STUTTGART DWW 91). 202

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„seine Freuden und Fragen“207 sahen, blieb nicht ohne Folgen. Die intensiven Briefkontakte und Gespräche ließen die eigene Wirklichkeit und die der Partner in einem anderen Licht erscheinen. Eine Tübinger Studentin beschrieb dieses Phänomen nach ihrer Rückkehr von einer Begegnung mit Thüringer Theologiestudierenden im August 1985 beinahe poetisch: „Es war seltsam, wir sahen bald wie mit vertauschten Augen, sie unser Land, wir ihr Land, sie ihr Land, wir unser Land, wir unser irgendwie gemeinsames Land. Wir sahen und redeten und kamen zusammen, über alle Vorsichten, alle Mauern und Zäune hinweg.“208

Dieses Sehen „mit vertauschten Augen“ ermöglichte denen, die sich auf das Experiment Partnerschaft einließen, eine Reihe grundsätzlicher Einsichten: Zunächst wurden, je länger der Austausch dauerte und je intensiver er sich gestaltete, die von beiden Seiten gepflegten negativen und positiven Vorurteile hinfällig. DDR-Bürger lernten aus den Beschreibungen der Partner und, sofern sie reisen konnten, auch aus eigener Anschauung ohne den Filter propagandistischer Ostmedien und westlicher Fernsehidylle Vor- und Nachteile der westlichen Gesellschaft kennen. Christen aus dem Westen merkten, dass in der DDR nicht alles trostlos und bedrückend war, dass auf der anderen Seite aber auch ihr idealisiertes Bild von der Kirche in der DDR nicht der Realität des kirchlichen Alltags entsprach, dass es auch dort „Auseinandersetzungen über Nebensächlichkeiten, […] Leerlauf oder Mangel an Beweglichkeit“ ebenso wie „Müdigkeit und Resignation“209 gab. Zweitens bedeutete die Begegnung mit den Partnern immer die Möglichkeit, bisher Selbstverständliches zu hinterfragen, „die eigenen Existenzvoraussetzungen zu relativieren“210. Schon 1954 erhoffte sich die württembergische Bekenntnisgemeinschaft von der Besuchsreise einer Gruppe von Pfarrern und Oberkirchenräten aus Thüringen, dass die Gemeinden durch die Begegnung mit den Gästen „aus der Sicherheit des Bürgers und aus der Aengstlichkeit, mit der er sich vor allerlei Zumutungen zu bewahren sucht, herausgerissen würden“211. 207 Beide Zitate im Referat zum Thema Partnerschaft Thüringen und Württemberg vom 22.5.84 (PB KRAFT). 208 Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 85/86 (AEvSt TÜBINGEN 645,2), S. 32f. Die im Folgenden genannten Folgen des Austausches wurden zum größten Teil auch als Antwort auf die Frage nach dem „Gewinn“ der Partnerschaften in der 1995 durchgeführten Gemeindeumfrage genannt (vgl. v. a. die Stichworte unter den Oberbegriffen „Horizonterweiterung“ und „Impulse“ bei G. HEFFT, Gemeindepartnerschaften, S. 69). 209 S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 92. 210 F. WINTER, Wege, S. 127. 211 Evangelische Bekenntnisgemeinschaft Württemberg an alle beteiligten Amtsbrüder vom 8.2.54 (LKA STUTTGART D 31 Nr. 82 Bl. 22).

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Insbesondere galt diese Infragestellung des Selbstverständlichen aber später für die Bundesdeutschen der jüngeren Generation, für die der Begriff „Deutschland“ weithin synonym mit „Bundesrepublik Deutschland“ war. Durch eine Reise in die DDR wurden sie jedoch, wie es der oben zitierte studentische Bericht ausdrückte, „ganz plötzlich zum Bürger der Bundesrepublik“212, wurde ihnen bewusst, dass ihr Deutschlandbild nur einen Teil erfasste. Auch hinsichtlich der materiellen Situation war der Kontakt in die DDR für Gemeindeglieder und kirchliche Mitarbeiter aus dem Westen ein „kritisches Korrektiv“213. Er relativierte die eigenen, durch die sorglose finanzielle Lage der westlichen Landeskirchen in den siebziger und achtziger Jahren teilweise übermäßig gewachsenen materiellen Ansprüche und weckte neue Dankbarkeit für die eigenen Möglichkeiten. Zur Selbsterkenntnis, die bereits durch die Anschauung der Lebenswirklichkeit der Partner zustande kam, kamen die konkreten Anfragen der Partner, die zum Nachdenken über das Gewohnte anregten. So freuten sich die Partner aus Mariaberg Ende der achtziger Jahre über das im Laufe der Partnerschaft gewonnene Selbstbewusstsein und die Kritik der Mitarbeiter der Greizer Partnereinrichtung, denn diese konnten, so ein Brief aus Württemberg, „aus dem Abstand heraus manches objektiver beurteilen, als wir es selbst können.“214 Umgekehrt nahmen Westbesucher manche Absurditäten im DDR-Alltag aufmerksam wahr, die „der östliche Partner schon gar nicht mehr beobachtete oder gar verdrängte.“215 Eine befreiende Infragestellung der Macht des Staatsapparates gelang einer Gruppe von geistig behinderten Jugendlichen aus der Sonderschule der Mariaberger Heime, die im Juni 1985 zu einem Schullandheimaufenthalt in die Partnereinrichtung „Carolinenfeld“ fuhren. Während sich Menschen aus dem Westen ohne Behinderung bei der obligatorischen Anmeldung von der Atmosphäre einer Dienststelle der DDR-Volkspolizei leicht einschüchtern ließen, zeigten sich die fünf jungen Männer aus Mariaberg davon wenig beeindruckt und brachten die Beamten damit sichtlich aus der Fassung216. 212

Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 85/86 (AEvSt TÜBINGEN 645,2), S. 32. So eine württembergische Gemeinde in der 1995 durchgeführten Umfrage (EZA BERLIN 172/17, Bogen 023.129), vgl. Jalowski 11.3.02. Zur Dankbarkeit vgl. Stahl 30.9.02. 214 Heide E. an Matthias S. vom 30.8.87 (Mariaberger Heime MARIABERG DDR 1). 215 S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 95. Die Partner aus dem Westen wunderten sich bei ihren Besuchen zum Beispiel über Propagandaplakate oder nahmen erstaunt zur Kenntnis, dass ein Bild von Erich Honecker den einzigen Inhalt des Schaufensters eines Geschäfts für Schädlingsbekämpfungsmittel darstellte. 216 Auf Anfrage des Greizer Heimleiters, der allerdings mit einem gewissen innerlichen Schmunzeln die Eigenart der Besuchergruppe nicht erwähnte, beschied die Pass- und Meldestelle der Volkspolizei, die Gäste hätten sich zur Anmeldung persönlich einzufinden, was auch geschah. Der erste, der in das 213

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Zum Dritten beeinflusste der Ost-West-Dialog das Selbstverständnis der Partner auf eine Weise, die im Hinblick auf die DDR durchaus politische Implikationen hatte: Der Austausch mit den Partnern im Westen wurde von Christen aus der DDR als „Fenster zur Freiheit“217 verstanden, er gab ihnen das Gefühl, „nicht vergessen“218, „nicht abgeschrieben“219, „nicht völlig abgeschnitten“220 zu sein. Die Kontakte stärkten das Selbstbewusstsein und den „Überlebenswillen“221 der Gemeinden, hielten die Welt offen und widersetzten sich den engen Grenzen, die das DDR-Regime vorgab. Diese Erfahrung war besonders für junge Menschen in der Kirche wichtig und konnte helfen, Resignation zu überwinden. Zudem stellten die Begegnungen mit Menschen aus Westdeutschland Feindbilder in Frage, die gerade den Kindern und Jugendlichen im Schulunterricht vermittelt wurden. Tatsächlich ereignete sich die idealtypische Szene, die wohl auch den Begründern des Jugendaustausches zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern nach Ende des 2. Weltkriegs bei ihren Bemühungen vor Augen stand: In der Schule meldete sich ein Junge und erwiderte auf die Rede des Lehrers vom Klassenfeind im Westen, die Mitglieder der Partnerfamilie seien keine Feinde, denn die kenne er und die seien nette Leute222. Nicht umsonst reagierte die DDR-Führung gerade in diesem Punkt sehr empfindlich auf die Partnerschaften223. Neben den bisher geschilderten Konsequenzen des Bewusstseinswandels konnte der partnerschaftliche Austausch, sozusagen als unbeabsichtigte NebenDienstzimmer gerufen wurde, begrüßte den diensthabenden Beamten gleich mit Handschlag über den Tisch hinweg, inspizierte genau dessen Schreibtisch und probierte den bereitliegenden Stempel auf der Unterlage aus. Der Polizist, mit der Situation offensichtlich überfordert, bat die begleitende Lehrerin, den gewohnten Sicherheitsabstand wieder herzustellen und bedeutete dem Heimleiter, in diesem Falle sei das Vorlegen der Pässe völlig ausreichend. Der aber wies nur darauf hin, dass noch vier weitere ausdrücklich einbestellte Westbesucher auf eine Abfertigung warteten (vgl. den Reisebericht vom 9.7.85 über den Schullandheimaufenthalt vom 24.6.–29.6.85, Mariaberger Heime MARIABERG DDR 1, bes. S. 5, sowie Jalowski 11.3.02). 217 So die Beschreibung der Aussagen der Thüringer Partnerfamilie in einem Bericht aus Württemberg (Sachlicher Bericht zur DDR-Reise vom 28.–30.8.85 vom 26.11.85, ejw STUTTGART DDR 2). 218 Bericht „Gesamtkirchliche Hilfe“ vom 16.5.78 (DWW STUTTGART 2.02 265). 219 Stengel 27.8.01. 220 Große 18.9.02. Dies galt selbstverständlich mindestens so sehr für Partnerschaften mit Gemeinden im Ausland, die von vielen DDR-Gemeinden gepflegt wurden. 221 So Margot von Renesse vor der Enquete-Kommission (MATERIALIEN DER ENQUETE-KOMMISSION Bd. VI/1, S. 490). 222 So die mündliche Wiedergabe von Pfarrer Henrich Herbst, Saalfeld, am 15.3.02. Vgl. die ähnliche Aussage auf dem Antwortbogen einer Thüringer Gemeinde bei der Umfrage von 1995 (EZA BERLIN 172/22, Bogen 021.20). Die durch die Kirchenpartnerschaften bewirkte „Immunisierung gegen Feindbilder“ thematisiert auch R. HENKYS, DDR-Kirchen, S. 192f. 223 So warnt etwa eine an der Hochschule des MfS entstandene Forschungsarbeit explizit, die engen persönlichen Beziehungen in den Partnerschaften könnten zu einer „Verwischung des Feindbildes“ führen (Höhn, Analyse, BStU MfS VVS JHS o001- 284/88, S. 17), dazu mehr im Kapitel 4.4.1.2.

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wirkung, noch an einer ganz anderen Stelle Folgen haben: Immer wieder erfuhren die Partner die Kontakte auch als Bereicherung und Intensivierung des eigenen Gemeindelebens. Besonders den Christen aus dem Westen wurde die „gesellschaftliche und die existentielle Bedeutsamkeit christlicher Existenz“224 wieder deutlich, die neu gewonnene Aufgabe wirkte belebend. So berichtete 1962 ein Stuttgarter Pfarrer dem HWW begeistert von den segensreichen Wirkungen der Beziehung zur Thüringer Partnergemeinde: „Ich kann Ihnen kaum sagen, wie hilfreich der durch die Paketaktion gewonnene Inhalt des Frauenkreises sich für die ganze Arbeit an der Gemeinde auswirkt. Der Basar wurde vor allen Gefahren der Stillosigkeit […] bewahrt, weil die Frauen einen Ruf ‚zur Sache‘ ihres Christentums dahinter spürten. Lebenslustige Raucherinnen sind plötzlich mit ängstlichen oder puritanischen Gemütern eng verbunden im Austausch ihrer Freude über die Briefe, die sie erhalten. Die Bildung eines ausbaufähigen Gemeindekerns, die mir bisher sehr viel Kopfzerbrechen gemacht hat, scheint tatsächlich hier ihre Lösung gefunden zu haben.“225

Dass diese Erfahrung keinen Einzelfall darstellt, zeigen die Ergebnisse der 1995 durchgeführten Gemeindeumfrage226.

4.3. Kirchenpartnerschaft als ökonomischer Faktor Obwohl im offiziellen Diskurs und vielfach auch im Erleben der Beteiligten der geistig-geistliche Austausch an erster Stelle stand, spielte der materielle Aspekt der Partnerschaftsarbeit eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wie bereits oben ausführlicher dargestellt, wurden von Ende der fünfziger Jahre bis 1990 allein durch die gliedkirchlichen Diakonischen Werke Partnerschaftshilfen von insgesamt 1.308,7 Mio. DM vermittelt. Dazu kamen zentrale Hilfslieferungen und GENEX-Bestellungen des Diakonischen Werkes der EKD im Wert von schätzungsweise fast 480 Mio. DM und Rohstofflieferungen im Rahmen des Kirchengeschäfts A von evangelischer Seite im Wert von 2,1 Mrd. DM227. Materielle und finanzielle Hilfen in diesem Umfang hatten Auswirkungen, auf die unmittelbaren Partnerschaftsverhältnisse ebenso wie auf die

224 So Margot von Renesse vor der Enquete-Kommission (MATERIALIEN DER ENQUETE-KOMMISSION Bd. VI/1, S. 488). 225 Pfarrer E., Stuttgart-Mühlhausen, an HWW vom 1.12.62 (LKA STUTTGART DWW 1114). 226 Vgl. G. HEFFT, Gemeindepartnerschaften, S. 74f. 227 Angaben nach A. VOLZE, Transferleistungen, S. 60–62, dazu ausführlich Kapitel 2.2.5 und im Blick auf Württemberg und Thüringen 3.1.1.2.

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übergeordneten kirchlichen und volkswirtschaftlichen Strukturen. Beide Aspekte sollen im Folgenden näher beleuchtet werden228.

4.3.1. Das Geber-Nehmer-Gefälle als Belastungsprobe der partnerschaftlichen Beziehungen Während sich im geistig-geistlichen Bereich die partnerschaftlichen Beziehungen als gegenseitiges Geben und Nehmen gestalteten, ergab sich im materiellen Bereich eine eindeutige Gefällesituation, in der die Partner aus dem Osten die Rolle der Nehmenden, die aus dem Westen die Rolle der Gebenden inne hatten. Obwohl die Unterstützung aus der BRD für das Leben in den Gemeinden, Einrichtungen und Familien der kirchlichen Mitarbeiter oft als große Erleichterung empfunden wurde, musste diese Geber-Nehmer-Konstellation für eine Beziehung, die sich je länger desto mehr als Partnerschaft unter Gleichen verstand, eine dauerhafte Belastung darstellen. „Wie schwer es ist zu nehmen, wenn man von Herzen gerne gibt oder geben möchte, können Sie sich vielleicht gar nicht vorstellen.“229

Dieser Satz aus einem Brief einer Greizer Familie an die Partner in Württemberg aus dem Jahr 1980 drückt ein sich über die Jahre durchhaltendes Grundgefühl vieler Empfänger aus230. Hilfe anzunehmen oder sogar darum zu bitten mit dem Wissen, sich nie adäquat revanchieren zu können, konnte neben Freude und Dankbarkeit auch Beschämung auslösen231. Auch der Versuch, der Dankbarkeit mit in der DDR erhältlichen Gegengaben wie Büchern, Schallplatten, kunsthandwerklichen Artikeln oder Selbstgemachtem Ausdruck zu verleihen232, konnte die missliche Grundsituation nicht entscheidend verändern. Doch das Ungleichgewicht stellte auch die westliche Seite vor Probleme. In seinem Bericht über eine Studienreise nach Thüringen im August 1986 be228 Die politischen Implikationen der wirtschaftlichen Hilfen werden dagegen erst im Kapitel 4.4. verhandelt werden. 229 Familie F., Greiz, an Familie B., Gechingen vom 6.1.80 (LKA STUTTGART DWW 159). 230 Vgl. bereits die Ausführungen von Wilhelm Prenzler, HWT, auf der Arbeitstagung der Fachreferenten und Sachbearbeiter der Hauptbüros für „Notsorge und Osthilfe“ vom 20.–24.5.57 in Königstein/Taunus, der die Zurückhaltung der Gemeinden im Osten bei der Mitteilung bedürftiger Gemeindeglieder mit dem Satz „Nehmen ist oft schwieriger als Geben“ begründete (Protokoll LKA STUTTGART DWW 91, S. 3). Vgl. ebenso die Ergebnisse der Gemeindeumfrage bei G. HEFFT, Gemeindepartnerschaften, S. 52f. 231 Vgl. die Aussage des Besuchers aus Thüringen vor der Württembergischen Landessynode am 26.6.80 (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 575), s. o. S. 197. 232 Zum Inhalt eines typischen Geschenkpäckchens aus der DDR vgl. B. LINDNER, Päckchen, S. 36, und die Abbildungen I–IV bei C. HÄRTEL/P. KABUS, Westpaket.

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schrieb ein Tübinger Theologiestudent seine Schwierigkeiten mit der Geberrolle und der Kunst zu schenken, ohne seine Gastgeber zu verletzen: „Als ich dann meinen Rucksack öffne, liegen zuoberst allerlei Geschenke: Eine Ananas, Bananen, einige Orangen, Schokolade, eine Flasche Wein. Es ist mir nun peinlich, all das in der Manier eines reichen amerikanischen Onkels auszuteilen. Denn offensichtlich messen meine Gastgeber, das zeigte mir das Gespräch mit der Mutter, solchen Artikeln recht große Bedeutung zu. […] All das macht mich etwas ratlos. Weder möchte ich ein Repräsentant unseres westlich-materialistischen Konsumwahns sein, noch will ich meine Geschenke wieder mitnehmen. Schenken kann sehr schwierig sein, das wird mir hier so deutlich wie noch nie.“233

Dass nicht alle Partner aus dem Westen von Natur aus solche Skrupel hatten, zeigen die wiederholt in den Quellen zu findenden Appelle der Verantwortlichen an das Taktgefühl der Geber234. In den fünfziger Jahren konnte dabei noch an die Erfahrungen der eigenen Hilfsbedürftigkeit in der unmittelbaren Nachkriegszeit angeknüpft werden. So hieß es in einem Rundschreiben der württembergischen Bekenntnisgemeinschaft zur Vorbereitung des Besuchs von Pfarrern und Oberkirchenräten aus Thüringen im Februar 1954, die Einladung in die Partnerkirche sei für die Thüringer „etwa dasselbe, wie wenn wir in der Bedrängnis der schweren Nachkriegsjahre zu einer Predigtreise in die am Hilfswerk beteiligten Schweizer Gemeinden eingeladen worden wären.“235 Interessanterweise findet sich eine implizite Anknüpfung an die Erfahrungen der Nachkriegszeit auch in der gerade in den siebziger und achtziger Jahren formelhaft verwendeten Warnung vor einer „Onkel-aus-Amerika-Mentalität“236. Trotz der Appelle an das Taktgefühl und dem wiederholten Hinweis auf die Gegenseitigkeit des Gebens und Nehmens im nicht-materiellen Bereich, die alle Einseitigkeit ausgleiche237, waren Fehlverhalten, Missverständnisse, Enttäu233 Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 86/87 (AEvSt TÜBINGEN 645,2), S. 26, vgl. auch von Keler 1.2.02 und Jalowski 11.3.02. 234 Vgl. das Rundschreiben Innere Mission und Hilfswerk der EKD, Pfarrer Dr. Schober, vom 10.11.64 (LKA STUTTGART DWW 101), S. 3, und Pfarrer T., Bericht über eine Fahrt zum Michaelisstift in Gefell am 1.11.79 (Behindertenhilfe Schöneck SCHWÄBISCH HALL, DDR Gefell). 235 Evangelische Bekenntnisgemeinschaft Württemberg an alle Dekanatämter, die […] einen Thüringer Bruder erwarten vom 27.1.54 (LKA STUTTGART D 31 Nr. 82 Bl. 14). 236 „Chancen der Partnerschaft zwischen Gemeinden in Thüringen und Württemberg“ (ohne Datum, 80er Jahre, PB KRAFT), vgl. ähnlich den oben zitierten Bericht des Studenten und F. DORGERLOH, Geschichte, S. 214. Die Warnung vor dem Image des „reichen“ bzw. „generösen“ Onkels ohne den Zusatz „amerikanisch“ findet sich auch im Bericht Dekan O. an OKR vom 24.8.74 (OKR STUTTGART 54.26-4 1967–1982 Bl. 48) und in der Aussage von OKR Albrecht Roos vor der Württembergischen Landessynode am 26.10.77 (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 2133). 237 Vgl. etwa Evangelische Bekenntnisgemeinschaft Württemberg an alle beteiligten Amtsbrüder vom 8.2.54 (LKA STUTTGART D 31 Nr. 82 Bl. 22), Rundschreiben Innere Mission und Hilfswerk

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schungen und Überreaktionen auf beiden Seiten nicht zu vermeiden. Da sich viele Bundesbürger angesichts der schwierigen Kommunikationsbedingungen zwischen Ost und West nur schwer ein Bild von der aktuellen Versorgungslage in der DDR machen konnten und oft wenig Bereitschaft zeigten, ihre in den Nachkriegsjahren gewonnenen Eindrücke durch neue Informationen korrigieren zu lassen, kam es vor, dass der Inhalt eines wohlgemeinten Westpaketes für die Empfänger im besten Falle nutzlos, im schlimmsten Falle aber sogar beleidigend war. Wie im allgemeinen Geschenkpaketverkehr zwischen den beiden deutschen Staaten238 waren auch im Bereich der kirchlichen Partnerschaften der hartnäckige Versand von Teigwaren und Puddingpulver in die DDR noch zu Zeiten, als dort die Versorgung mit Grundnahrungsmittel mehr als gewährleistet war, oder die Entsorgung von unbrauchbaren Altkleidern per DDRPaket keine Einzelfälle und riefen immer wieder den Unmut der Empfänger hervor. Dies zeigen die entsprechenden Mahnungen der Organisatoren239. Wenn dazu noch ein gönnerhaftes Auftreten der vermeintlichen Wohltäter kam, waren Konflikte vorprogrammiert. Doch auch da, wo sich die Geber auf die wirklichen Bedürfnisse der Partner einstellten, konnte die für die Nehmer-Seite schwer zu verkraftende GefälleSituation zu Reaktionen führen, die wiederum, wenngleich psychologisch durchaus verständlich, von den Westpartnern als Undankbarkeit aufgefasst wurden. In der mit den Beziehungen zwischen den Kirchen im geteilten Deutschland befassten Sitzung der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ beschrieb der langjährig federführend am Transfergeschäft beteiligte Walter Hammer das psychologische Phänomen mit dem chinesischen Sprichwort „Ich brauche ihn nicht zu hassen, denn ich brauche ihm nicht zu danken“240: Die Tatsache, sich etwas schenken lassen zu müssen, verpflichtet den Empfänger zum Dank. Ist es dem Beschenkten dauerhaft nicht möglich, sich angemessen zu revanchieren, kann diese Verpflichtung so belastend werden, dass er versucht, sich dieser auf andere Weise zu entledigen. Er nimmt eine negative Haltung gegenüber dem der EKD, Pfarrer Dr. Schober, vom 10.11.64 (LKA STUTTGART DWW 101), S. 3, Dekan O. an OKR vom 24.8.74 (OKR STUTTGART 54.26-4 1967–1982 Bl. 48) sowie die Aussage von OKR Albrecht Roos vor der Württembergischen Landessynode am 26.10.77 (VERHANDLUNGEN LANDESSYNODE, S. 2133). 238 Vgl. A. KAMINSKY, Alu-Chips, S.167, und P. KABUS, Liebesgaben, S. 131. 239 Für die fünfziger und sechziger Jahre s. o. den Exkurs „Die Entwicklung der Versorgungslage in der DDR“, S. 96ff. Für die achtziger Jahre vgl. die Bemerkung aus den Aufzeichnungen „Chancen der Partnerschaft zwischen Gemeinden in Thüringen und Württemberg“ (ohne Datum, PB KRAFT): „Niemand hungert, aber vieles fehlt.“ 240 59. Sitzung vom 21.1.94 (MATERIALIEN DER ENQUETE-KOMMISSION Bd. VI/1, S. 322), vgl. von Keler 1.2.02.

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Geber ein, die sich in Widerstand gegen diese Art der ungleichen Beziehung äußern kann, oder er versucht, wie manchmal die ältere Generation im Bezug auf die einseitig zu tragenden Folgen des verlorenen Krieges oder die jüngere Generation im Bezug auf die ungleichen materiellen Verhältnisse in Ost und West, einen festen Anspruch auf Hilfe zu formulieren241. Damit liegt die Verpflichtung auf der anderen Seite, die Dankesschuld ist getilgt. Auch wenn sich viele Christen aus der BRD diese Argumentation des selbstverständlichen Ausgleichs zu eigen machten und mit ihrer Großzügigkeit das Bild vom reichen Westen weiter beförderten, war in dem Fall, dass solche Ansprüche von den Partnern selbst geltend gemacht wurden, meist ein kritischer Punkt erreicht242. Einen in seiner Dramatik sicher äußerst ungewöhnlichen, in den zugrunde liegenden Verhaltensmustern jedoch typischen Beleg dafür bietet das „Memorandum“243 eines württembergischen Pfarrers, der darin, wie er zu Beginn bezeichnenderweise meinte betonen zu müssen, „nicht zum Eigenlob oder Selbstrechtfertigung, sondern zur sachlichen Erinnerung“ die Vorfälle während des dreiwöchigen Urlaubsaufenthaltes der Pfarrfamilie der Partnergemeinde in seinem Pfarrhaus im August 1955 festhielt. Nach einer kurzen Zusammenfassung der Vorgeschichte, der regelmäßigen Paketsendungen an die Thüringer Gemeinde seit Beginn der Patenschaft im Jahr 1950 und des ersten fünftägigen Besuchs des Patenpfarrers im Januar 1955, der „brüderlich“ verlief, folgt eine Beschreibung des äußeren Verlaufs des Ferienaufenthalts, die sich vor allem durch genaue Angaben der Preise für Cafébesuche und Kleiderkäufe sowie eine detaillierte Aufzählung der zu den einzelnen Mahlzeiten im Pfarrhaus gereichten Speisen auszeichnet. Im dritten Teil kommen die Spannungen zur Sprache, die sich während des Besuchs aufbauten. Schon nach zwei Tagen sei der Amtsbruder „wortkarg und finster“ geworden, unter dem Pfarrehepaar sei eine „gespannte Atmosphäre“ zu beobachten gewesen. In den „langen Gesprächen über die Lage in der Zone“ seien die ursprünglich aus Ostpreußen stammenden Besucher „oft sehr leidenschaftlich“, gar „nationalistisch“ geworden. Ihre Klagen über das Regime und über die Kirchenleitung, 241

Vgl. auch Leich 27.8.01, Mittendorf 20.9.01, Kraft 13.9.01, Schwarz 27.9.02. Vgl. G. HEFFT, Gemeindepartnerschaften, S. 53, F. DORGERLOH, Geschichte, S. 214, P. KABUS, Liebesgaben, S. 131, und Mittendorf 20.9.01. 243 Memorandum zum Besuch der Pfarrfamilie Müller aus Ahausen/Thüringen vom 29.8.55, Abschrift mit veränderten Namen und Ortsbezeichnungen (PB MITTENDORF), vgl. die Unterlagen zur Partnerschaft der Gemeinde Orlach in LKA STUTTGART DWW 164. Dort findet sich auch die Abschrift eines Rechtfertigungsschreibens des Thüringer Pfarrers, das er an das Dekanatamt Schwäbisch Hall sowie die Superintendentur Saalfeld sandte. In ihm wiederholt er die Vorwürfe an den Partner, die auch im Bericht des Württembergers geschildert werden, und bezichtigt ihn zusätzlich des Jähzorns. Eine genauere Klärung des Sachverhalts ergibt sich hierdurch nicht. Das Patenverhältnis zwischen den Gemeinden wurde in der Folge aufgelöst. 242

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die ihnen zu wenig Geld zahle, mündeten laut Bericht des Gastgebers in Sätze wie „Warum müssen wir, die wir doch alle den Krieg gleich verloren haben, allein den Krieg büßen und soo [sic] leiden?“ und „Ihr lebt viel billiger und könnt euch alles kaufen!“. Korrekturen dieses Bildes oder Erzählungen des württembergischen Partners über den Kirchenkampf und seine Kriegserfahrungen hätten die Gäste nicht interessiert. Die zwei Kinder seien mit ihren Wünschen immer anspruchsvoller geworden. In der dritten Woche schließlich kam es zum Eklat: Die Besucher, so schildert es der Pfarrer, warfen der Gastgeberfamilie vor, sie hätten die Kinder schäbig behandelt und hungern lassen. Die Thüringer Pfarrfrau wollte alle Geschenke zurückgeben, ihr Mann rannte auf die Straße und schrie, er wolle sich das Fahrgeld für die Rückfahrt bei den Bauern holen. In den verbleibenden drei Tagen kam es zu keiner wirklichen Versöhnung. Der Thüringer Pfarrer begründete den Vorfall mit Nervosität auf beiden Seiten und der Empfindlichkeit der Gastgeber wegen deren „Geldmangel“, seine Frau versuchte das Verhalten ihres Mannes, so der Bericht, „mit allerlei Erlebnissen aus der Zone zu erklären“. Am Ende seines „Memorandums“ gibt der Verfasser zu, dass Schwaben „einen anderen Lebensstil haben mögen als die Menschen aus Ostpreußen und Thüringen“, sieht aber darin noch keine hinreichende Erklärung für die Vorfälle und sucht weitere Gründe, etwa überhöhte Erwartungen der Gäste und falsche Vorstellungen vom Leben im Westen und den Möglichkeiten der Gastgeber. Mit einem Fragezeichen versieht er weitere Erklärungsversuche, etwa die Entfremdung der beiden Bevölkerungshälften, die generelle Verwöhntheit der Besucher, die er aus den Schilderungen ihres früheren Wohlstands schließt, ihr Hadern mit ihrem Schicksal oder die schlechte Erziehung der Kinder. Schließlich gibt der Gastgeber seiner Sorge Ausdruck, „daß Müllers nicht die Einzigen in der Zone sind, die von der Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands sich nur materiellen Vorteil erhoffen“, denn die Gäste hätten davon gesprochen, dass auch sie Lastenausgleich erhalten müssten, um sich ein Auto kaufen zu können und hätten „von einer aus Krieg und Zusammenbruch gewonnenen Glaubenshaltung, die Gottes Gericht bejaht und demütig und dankbar sich bescheiden kann“ nicht viel spüren lassen. Auch wenn man bei der Interpretation beachten muss, dass hier eine einseitige Darstellung vorliegt, lässt sich an diesem Fallbeispiel gut beobachten, wie materielle Abhängigkeit und Dankesschuld der Besucher einerseits in Unmut und Neid gegenüber den Gastgebern umschlagen, wie andererseits die Gäste versuchen, sich der Verpflichtung zum Dank durch Anmelden eines Anspruches (Kriegsfolgen, Versorgungslage) oder Herabmindern der Leistungen der Gastgeber (hungern lassen) zu entledigen. Besonders aufschlussreich ist

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in dieser Hinsicht das Bemühen des Thüringer Pfarrers, mit dem Verweis auf den Geldmangel des Paten sich selbst wieder in eine überlegene Position zu bringen. Bedenkt man diese Grundproblematik, in der sich die Gäste befanden, so werden die Erklärungsversuche, die der Verfasser am Ende bietet, nicht hinfällig. Ohne Zweifel trafen hier Menschen mit sehr unterschiedlichen sozialen, politischen und theologischen Prägungen und Lebensgeschichten zusammen. Die biedere Familie des schwäbischen Bekenntnispfarrers und die ehemals wohlsituierten Ostpreußen, die ihre Verluste offensichtlich nur sehr schlecht verarbeiten konnten, hätten möglicherweise auch ohne die spezifische OstWest-Situation miteinander Probleme bekommen. Doch werden im Licht der Geber-Nehmer-Problematik zumindest die Verallgemeinerung des Verfassers hinsichtlich der materiellen Interessiertheit der DDR-Bürger und die aus der Außenperspektive schnell postulierte Demut und Dankbarkeit zweifelhaft. Hier stellen sich auf einer anderen Ebene Muster der Verallgemeinerung und des Anspruchs ein, die denen zur Umgehung der Gefälle-Situation durch die Nehmer-Seite nicht unähnlich sind. Die geschilderte Auseinandersetzung stellt in ihrer Heftigkeit sicher eine Ausnahme dar. Dass aber gerade unter den wirtschaftlichen und politischen Bedingungen der fünfziger Jahre Paten immer wieder verärgert waren, zeigt die Korrespondenz aus dieser Zeit. In einem Brief des HWW an den Pfarrverein vom Februar 1955 hieß es, man hoffe, dass auch im kommenden Sommer wieder viele Besucher aus dem Osten nach Württemberg kämen, auch wenn man sie manchmal „doch mit recht gemischten Gefühlen“244 verabschiede, wenn man den Eindruck habe, „dass die Gastfreundschaft ausgenützt“ worden sei und „die Besucher die rechten Maßstäbe für das, was uns möglich bzw. nicht möglich ist, verloren“ hätten. Und das Antwortschreiben bekräftigte im Bezug auf die Finanzierung der Reisen: „Ich glaube, man muß bei den Amtsbrüdern von drüben auch in diesem Stück einen andern Maßstab anlegen, als wir es normalerweise gewohnt sind. Sonst werden wir zu oft enttäuscht!“245

Ein weiteres Problemfeld des Geber-Nehmer-Gefälles war die Verwendung der zur Verfügung stehenden Mittel durch die Partner. Manchmal waren den Gebern die Wünsche der Empfänger unverständlich oder schienen nicht existentiell genug. So berichtete etwa 1956 die Bezirksstelle Crailsheim irritiert dem HWW, auf Anfrage, was im Partnerbezirk dringend benötigt würde, sei 244 245

Folgende Zitate: HWW an Pfarrer Horn, Oberurbach, vom 25.2.55 (PB MITTENDORF). Evangelischer Pfarrverein in Württemberg an Pfarrer Hirth (HWW) vom 28.2.55 (EBD.).

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man um goldenes Stickgarn für eine Altardecke und schwarzen Stoff für Kurrendemäntel gebeten worden246. Auch in späteren Jahren fiel es den Partnern aus dem Westen oft schwer zu akzeptieren, dass das von ihnen geschenkte Geld für Dinge ausgegeben wurde, die sie selbst weder für notwendig noch für begehrenswert hielten. Den Stellenwert, den solche Artikel gerade für Kinder und Jugendliche in der DDR oft hatten, war für sie nur schwer nachzuvollziehen247. Das Unbehagen, das das Geber-Nehmer-Gefälle besonders im Kontext der stark auf Gegenseitigkeit im Austausch angelegten Beziehungen in den siebziger und achtziger Jahren bereitete, wird auch am Verhalten bei den Begegnungen in Berlin deutlich, das die Verantwortlichen des DWW beobachteten: Während bei den Gesprächen im Plenum die materielle Hilfe weitgehend ausgeblendet und als zweitrangig bezeichnet wurde, kamen in Einzelgesprächen in den Pausen immer wieder auch materielle Anliegen zur Sprache248. In Anbetracht der hier zusammengetragenen Beobachtungen ist die These Walter Hammers, „daß die massiven wirtschaftlichen Hilfen des Westens […] auch negativ für das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen gewirkt haben können“249, nicht von der Hand zu weisen. In anderen Zusammenhängen wurde allerdings bereits deutlich, dass intensive Kontakte und gegenseitige Offenheit die Gefahr von Missverständnissen und Enttäuschungen deutlich senken konnten. Dies gilt auch für den materiellen Bereich. Je reicher die Verbindungen der Partner auf allen Ebenen waren, desto klarer konnten auch materielle Bedürfnisse benannt und Grenzen der Hilfsmöglichkeiten aufgezeigt werden250. Der traurige „Verdacht, nur als Geldlieferant mißbraucht zu werden“251, den eine württembergische Gemeinde bei der Umfrage zu Gemeindepartnerschaften 1995 äußerte, konnte in lebendigen Partnerschaftsbeziehungen kaum aufkommen.

246

Vgl. Bezirksstelle Crailsheim an HWW vom 16.5.56 (LKA STUTTGART DWW 1111). Vgl. Jalowski 11.3.02. 248 Vgl. Mittendorf 20.9.02. 249 Aussage in der 59. Sitzung der Enquete-Kommission vom 21.1.94 (MATERIALIEN DER ENQUETEKOMMISSION Bd. VI/1, S. 323). 250 Vgl. z. B. Moka 15.3.02, Schwarz 27.9.02. 251 EZA BERLIN 172/17, Bogen 023.186, vgl. weitere ähnliche Aussagen bei G. HEFFT, Gemeindepartnerschaften, S. 53. Hefft bezeichnet das Problemfeld der materiellen und finanziellen Unterstützung und das darin entstehende Ungleichgewicht als „Testfall“ und „Prüfstein“ für das „Konzept ‚Partnerschaft‘“ (EBD., S. 54). 247

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Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

4.3.2. Die materielle Abhängigkeit der DDR-Kirchen vom Westen und ihre Folgen 4.3.2.1. „Über ihre Verhältnisse?“ – Folgen für die kirchlichen Strukturen Die Vorteile und Chancen, die die ausgedehnten materiellen und finanziellen Hilfen aus dem Westen den Landeskirchen in der DDR boten, wurden bereits an verschiedenen Stellen deutlich: Erstens brachten sie spürbare Entlastungen für die individuelle Situation der kirchlichen Mitarbeiter, die es ihnen auch erleichterten, ihren Dienst zu versehen. Zweitens ermöglichten sie es, genuin kirchliche Aufgaben wie Verkündigung, Seelsorge und Diakonie in einer Breite wahrzunehmen und gegen das Interesse des Staates eine gesellschaftliche Präsenz zu zeigen, die in anderen Ostblockländern nicht denkbar gewesen wäre. Trotz niedriger Mitgliederzahlen war es den Kirchen in der DDR mit Hilfe der Unterstützung aus dem Westen möglich, ihren volkskirchlichen Charakter weitgehend beizubehalten. Die großkirchliche Struktur und die „flächendeckende Parochialgliederung, die Präsenz des kirchlichen Personals sowie die Regelmäßigkeit und Stetigkeit der geistlichen Versorgung“ verliehen ihnen eher den Charakter von „minoritären Volkskirchen“252 als von Minderheitenkirchen. Gelegentlich konnte sogar, wie etwa durch den Bau von Gemeindezentren in Neubaugebieten, der Aktionsradius erweitert werden253. So konnten die Kirchen in der DDR-Gesellschaft, die sich, wie sozialgeschichtliche Studien gezeigt haben, durch eine weitgehende „Entdifferenzierung von Institutionen“254 auszeichnete, eine relativ selbständige, „institutionell differenzierte“255 Sphäre bilden. In diesem Raum war es ihnen möglich, eine zwar umkämpfte, doch symbolträchtige Versammlungsfreiheit durchzusetzen und trotz massiver Zensur Reste einer Publikationsfreiheit zu bewahren. Auch konnten sie in ihrer „synodalen Verfassungsstruktur“ ansatzweise „alternativen politischen Partizipationsformen Geltung verschaffen“ und „quasi-parlamentarische Formen von Verständigung und diskursivem Konfliktaustrag“256 einüben. Schließlich gaben die Hilfen aus dem Westen den Kirchen auch die Möglichkeit, Aufgaben wahrzunehmen, die auch im Interesse des Staates lagen, kamen 252

C. LEPP, Entwicklungsetappen, S. 70f., vgl. F. W. GRAF, Ordnungsmacht, S. 301, und H.-G. BINS. 578. Vgl. die Aussagen von Bischof Heinz-Georg Binder in der 59. Sitzung der Enquete-Kommission vom 21.1.94 (MATERIALIEN DER ENQUETE-KOMMISSION Bd. VI/1, S. 314) und Kraft, Hilfe (DWW STUTTGART 2.02 265), S. 7. 254 R. LEPSIUS, Institutionenordnung, S. 18. 255 EBD., S. 19. 256 Alle drei Zitate F. W. GRAF, Ordnungsmacht, S. 303. Ähnlich auch H.-G. BINDER, Transfers, S. 578.

DER, Transfers, 253

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doch etwa die verbesserten Pflege- und Förderungsmöglichkeiten in den Diakonischen Einrichtungen oder der Erhalt kunsthistorisch bedeutender Kirchen allen Bürgern der DDR zugute257. Zudem wurde vor allem in den siebziger und achtziger Jahren von westlicher Seite darauf geachtet, bei der Unterstützung der DDR-Kirchen die in der entwicklungspolitischen Debatte bedeutsam gewordenen Grundsätze zu berücksichtigen, also primär „Hilfe zur Selbsthilfe“258 zu bieten und im Sinne des Subsidiaritätsprinzips keine Abhängigkeiten zu schaffen259. Dennoch ergaben sich aus der Tatsache, dass die Kirchen in der DDR für die Aufrechterhaltung ihrer Strukturen und zur Erfüllung ihrer Aufgaben in hohem Maße auf finanzielle und materielle Unterstützung aus dem Westen angewiesen waren, in verschiedener Hinsicht Probleme. In den achtziger Jahren wurde durchschnittlich nur etwa die Hälfte des Volumens der ordentlichen Haushalte von Landeskirchen, Kirchenkreisen und Gemeinden durch eigene Mittel aus Kirchensteuern und Opfern finanziert. Zehn Prozent der Finanzmittel kamen vom Staat, gut 30% von den EKD-Kirchen260. Während aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen und des selbstverständlichen Zusammengehörigkeitsgefühls zwischen Ost und West in den fünfziger und frühen sechziger Jahre kaum innerkirchliche Zweifel an der Praxis der Finanzhilfen aufkommen konnten, wurde die Situation seit den siebziger Jahren vermehrt als problematisch empfunden261. Eine breitere Diskussion des Für und Wider in der kirchlichen Öffentlichkeit wurde durch den Brief angeregt, den Teilnehmer aus der DDR an der Weltmissionskonferenz in Melbourne 1980 im Januar 1981 an die evangelischen Gemeinden in der DDR richteten. Sie berichteten vom Vorwurf von Christen aus Entwicklungsländern, die abendländischen Christen hätten ihnen nur „das halbe Reich Gottes gepredigt“262 und Jesu konkretes Tun für die Armen über257 Vgl. H.-G. BINDER, Rolle, S. 314 und H.-G. BINDER, Transfers, S. 579. Gelegentlich wurde gerade den Diakonischen Behinderteneinrichtungen, die mit westlichem Know-How arbeiteten, von staatlicher Seite indirekt der Status einer „Vorzeigeeinrichtung“ zugebilligt (vgl. Jalowski 11.3.02). 258 Vermerk „Patenschaft Carolinenfeld“ an die Anstaltsleitung vom 3.10.78 (Mariaberger Heime MARIABERG DDR 1). Ein Beispiel dafür ist die Beschaffung einer Säge durch die Partner, mit der Holz aus dem kircheneigenen Wald zu Baumaterial verarbeitet werden konnte (vgl. Jalowski 11.3.02). 259 Vgl. Kraft, Hilfe (DWW STUTTGART 2.02 265), S. 7, und W. HÖSER, Finanzierung, S. 127. Mehr zu den Grundsätzen der materiellen Hilfe im Bereich Württemberg – Thüringen s. o. S. 89. 260 Vgl. R. HENKYS, Kräfte, S. 97. 261 Dazu s. o. Kapitel 3.2.4. 262 Die Teilnehmer aus der DDR an der Weltmissionskonferenz in Melbourne 1980 an die evangelischen Gemeinden in der DDR vom Januar 1981 (LKA EISENACH A 827 Bd. 4/3). Weitere Zitate EBD. Vgl. dazu R. HENKYS, DDR-Kirchen, S. 195f. Auch im Westen wurde der Brief bald diskutiert, vgl. z. B. das Ergebnisprotokoll der Informationstagung „Gesamtkirchliche Hilfen“ des DWW am 20.5.81 (OKR STUTTGART 54.26-4 1967–1982 Bl. 131/1).

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gangen. Sie seien am Elend der Schwestern und Brüder aus der Dritten Welt vorbeigegangen und hätten sie in Hunger und Unterdrückung allein gelassen. Vor diesem Hintergrund sahen die Konferenzteilnehmer unter Berufung auf das paulinische Bild vom Mitleiden der Glieder des einen Leibes (I Kor 12,26)263 das verstärkte Engagement für die Kirchen in der Dritten Welt als eine dringliche Aufgabe und zeigten Möglichkeiten solidarischen Handelns trotz beschränkter finanzieller und materieller Möglichkeiten der DDR-Kirchen auf. Neben der Ermutigung zum „direkten Erfahrungsaustausch mit Christen aus den Entwicklungsländern“ und der Forderung nach einem einfacheren Lebensstil im Privaten und in den Gemeinden fragten sie an, ob die Kirchen in der DDR dank der massiven finanziellen Hilfen aus dem Westen „nicht über ihre Verhältnisse“ lebten. Oft würde im kirchlichen Alltag gar nicht wahrgenommen, in welchem Maße die Gemeinden in der BRD die kirchliche Arbeit mittrügen. „Angesichts der Weltarmut“ aber sei zu fragen, ob dies wirklich alles nötig sei: „Wir schlagen vor, daß wir auf allen kirchlichen Ebenen über die Notwendigkeit dieser Mittel und ihren allmählichen, sinnvollen Abbau nachdenken. Dann könnten wir die Schwestern und Brüder, die uns helfen, ehrlicher als bisher ermutigen, mehr für die Armen in der Welt zu tun.“

Allerdings müsse man, so der Brief weiter, bereit sein, die Konsequenzen eines solchen Verzichts zu tragen. Das hieße, mehr finanzielle Mittel selbst aufzubringen, bei einer geringeren Zahl hauptamtlicher Mitarbeiter ehrenamtliches Engagement zu verstärken und in Ermangelung von Kirchenräumen „Kirche mehr als bisher in unseren Häusern“ stattfinden zu lassen. Dies seien gleichzeitig Möglichkeiten, die Chancen, die der „Weg in eine Minderheitskirche“ biete, verstärkt zu nutzen. Der Brief der Melbourne-Fahrer sprach, obwohl stark auf den Kontext des Verhältnisses zu den Kirchen in der Dritten Welt zugespitzt, gleich mehrere kritische Punkte der Finanzhilfen aus dem Westen an: Einerseits wurden durch diese Unterstützung kirchliche Strukturen erhalten, die der gesellschaftlichen Realität der DDR nicht mehr entsprachen. Ohne die oben erwähnten Chancen zu leugnen, die eine solche Konstruktion einer Volkskirche „auf minoritärer Basis“264 bieten konnte, bleibt festzuhalten, dass Lernprozesse und möglicherweise zukunftsweisende Neuansätze, die ein rückhaltloses Einlassen auf die Minderheitensituation mit sich gebracht hätte, auf diese Weise versäumt wurden265. Im 263 Es erstaunt nicht, dass hier dieselbe Stelle angeführt wurde, die auch zur Begründung der deutsch-deutschen Partnerschaftshilfe bemüht wurde (s. o. Kapitel 4.1.1.). 264 F. W. GRAF, Ordnungsmacht, S. 301. 265 Vgl. R. HENKYS, DDR-Kirchen, S. 195, und von Keler 1.2.02.

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Gegensatz zu Kirchen in anderen Ostblockstaaten war in der DDR „die ‚Kirche im Sozialismus‘ […] eine Kirche mit einem ‚kapitalistischen‘ Stützkorsett“266. Die Aufrechterhaltung solcher nicht aus eigener Kraft zu finanzierender Strukturen bewirkte zudem eine Abhängigkeit der DDR-Kirchen. Wäre der Geldfluss plötzlich gestoppt worden, hätte dies dramatische Folgen gehabt. Da der Geldtransfer jedoch nur in Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen bewerkstelligt werden konnte, war man auf deren Kooperationswilligkeit angewiesen. Zwar stellte sich im Nachhinein heraus, dass die Gefahr, die DDR-Regierung könnte das Transferprogramm einstellen, um die Kirchen zu bestrafen, angesichts der Lage der DDR-Volkswirtschaft und der Handlungsmaximen der Führungsriege sehr gering war. Während Reinhard Henkys Anfang der achtziger Jahre noch mit dem Hinweis, dass „im ‚real existierenden Sozialimus‘ politisches und ideologisches Interesse im Zweifel Vorrang vor dem ökonomischen hat“267, vor einer solchen Möglichkeit warnte, formulierte Bischof Heinz-Georg Binder 1994 vor der Enquete-Kommission sehr viel vorsichtiger, es sei nicht von der Hand zu weisen, dass es in der DDR „immer wieder auch mal den Vorrang der Ideologie vor wirtschaftlicher Vernunft geben konnte“268. Doch trotz der nachträglichen Einsicht in die Unwahrscheinlichkeit einer solchen Entwicklung blieb eine potentielle „Situation der Erpeßbarkeit“269 der DDRKirchen gegenüber dem Staat bestehen. Der Staat hingegen wachte misstrauisch darüber, ob sich die Kirchen durch eine solche Fremdfinanzierung nicht etwa in ein inhaltliches Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Geldgebern brachten und sich ihre Einstellung zu politischen und sozialen Fragen vom Westen diktieren ließen270. Auch wenn von kirchlicher Seite versucht wurde, eine solche Vermengung materieller und ideeller Aspekte sorgfältig zu vermeiden, wurden ähnliche Bedenken auch in den eigenen Reihen laut. So hieß es etwa in der Schlusserklärung eines gemeinsamen Seminars der kirchlichen Jugendarbeit in Ost und West im Oktober 1987: „Wir empfinden, daß die finanzielle Abhängigkeit der evangelischen Kirchen in der DDR von denen in der BRD das Gespräch über die Zusammenarbeit belastet.“271

Andererseits konnte, wie im Brief der Melbourne-Delegation kritisiert, der ebenso sichere wie selbstverständliche Geldstrom aus dem Westen, der in die 266

A. BOYENS, Transfergeschäfte, S. 425. R. HENKYS, DDR-Kirchen, S. 194. 268 H.-G. BINDER, Rolle, S. 315 (Hervorhebung von der Vf.). 269 EBD., vgl. auch die Aussage von Walter Hammer (EBD., S. 322). 270 Vgl. R. HENKYS, DDR-Kirchen, S. 195, mehr dazu im Kapitel 4.4.1.2. 271 Zit. nach F. DORGERLOH, Geschichte, S. 269. 267

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finanzielle Planung der Gemeinden, Kirchenkreise und kirchlichen Einrichtungen in der DDR einbezogen wurde, Eigeninitiative und Einfallsreichtum lähmen. Der stetige Blick nach Westen barg die Gefahr, die eigene Situation ausschließlich mit der in der BRD zu vergleichen und damit das Gefühl für die Privilegiertheit gegenüber Kirchen in Osteuropa, Afrika, Südamerika oder Asien zu verlieren272. Die Kirchenleitungen versuchten in den achtziger Jahren einer solchen Empfängermentalität zu begegnen, indem sie zwar die Hilfen aus dem Westen weiter entgegennahmen, gleichzeitig aber das eigene Spendenaufkommen, etwa für „Brot für die Welt“, ständig zu erhöhen suchten273. An der Basis war das Bewusstsein für diese Gefahr je nach individueller gemeindlicher und persönlicher Situation sehr unterschiedlich. Eine kritische Reflexion darüber konnte allerdings nur sinnvoll von den Betroffenen selbst angeregt werden. Wie unfruchtbar und verletzend dagegen unvermittelte Vorstöße in diese Richtung von Partnern aus dem Westen sein konnten, zeigt ein Brief einer Thüringerin aus Saalfeld an Bekannte im nahen, aber jenseits der Grenze auf der fränkischen Seite gelegenen Ludwigsstadt vom November 1988, in dem sie eine „mühsame Diskussion“274 mit einem württembergischen Pfarrer beschreibt, der kürzlich zu Besuch in Saalfeld gewesen war. Dieser habe gefordert, so die Saalfelderin, die Pfarrer und kirchlichen Mitarbeiter in der DDR „sollten doch mal lernen, auf eigenen Beinen zu stehen“, mit etwas Mühe sei doch auch in der DDR alles zu bekommen. Es sei „so bequem, in die Bundesrepublik zu schreiben und zu fordern“. Die Kritik des Besuchers habe ihr, so die Verfasserin des Briefes, sehr „wehgetan“. Die Saalfelder Kirche hätte ohne die von Württemberg besorgten Blitzschutzanlagen längst geschlossen werden müssen. Und weiter: „Soll ich wegen 1.000 Briefumschlägen und einem Päckchen Briefklammern nach Stralsund fahren und bekomme dort auch nicht, was ich brauche. Das[s] solche ‚Forderungen‘ aus einer Not heraus gemacht werden, wird mancherorts nicht verstanden. Es will sich doch keiner persönlich bereichern […].“

Schließlich ergab sich durch die finanzielle Unterstützung aus dem Westen neben den Gefahren Abhängigkeit durch den Erhalt überdimensionierter Strukturen sowie der Lähmung der Eigeninitiative noch ein dritter, im Brief der Konferenzteilnehmer von Melbourne nicht erwähnter Problemkreis: Durch die verschiedenen Hilfsprogramme verfügten kirchliche Mitarbeiter, Gemeinden und kirchliche Einrichtungen in der DDR in überdurchschnittlichem Maße über Devisen und Konsumgüter aus dem Westen. Auch wenn dies, gera272

Vgl. R. HENKYS, DDR-Kirche, S.195f. Vgl. R. HENKYS, Kräfte, S. 98. 274 Folgende Zitate Julia B. an Familie W. und Frau H. vom 4.11.88 (Suptur SAALFELD 131/3). 273

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de für Privatpersonen, oft nur ein bescheidener Ausgleich für die äußerst niedrigen Gehälter sein konnte, musste es in Anbetracht der Anziehungskraft, die Westgeld und Westwaren für die Bevölkerung der DDR hatten275, Begehrlichkeiten wecken, deren Folgen nicht im Sinne der Verantwortlichen waren. Innerhalb der Kirche konnte die Magie der Westprodukte nicht nur zu unangenehmen Formen von „Neid in der Gemeinde“276 und Streit unter Mitarbeitern kirchlicher Einrichtungen um die Verteilung des Inhalts von Westpaketen führen. Gelegentlich mussten die Leiter von Diakonischen Einrichtungen auch feststellen, dass bei manchen neuen Mitarbeitern die Aussicht darauf, durch die „Sonderzuwendung“ regelmäßig über eine gewisse Summe Westgeld zu verfügen und an die westliche Versorgung angeschlossen zu sein, ihre Bereitschaft, eine Tätigkeit in der Diakonie aufzunehmen, deutlich erhöhte – eine Motivation, die angesichts der Verhältnisse in der DDR zwar verständlich war, den Leitbildern kirchlicher Einrichtungen jedoch deutlich widersprach. Meist waren in solchen Fällen allerdings auch übertriebene Erwartungen vorhanden, da sich durch den notwendigerweise diskreten Umgang mit Fragen der Finanzhilfe Gerüchte wie „Die Diakonie zahlt in West“ ungehindert ausbreiten konnten277. Entsprechend entwickelten sich außerhalb der Kirche immer wieder Ressentiments gegen eine solche vermeintliche Privilegierung von kirchlichen Mitarbeitern. Bereits im August 1963, zwei Jahre nach Einführung der „Sonderzuwendung“, teilte das HWT in einer Besprechung dem HWW besorgt mit, die Kreisstellen hätten berichtet, „dass schon verschiedentlich unter der Bevölkerung der DDR Gerüchte aufgekommen seien, dass die Pfarrer der DDR ‚in Westdeutschland Konten hätten‘.“278 Auch der bis in die sechziger Jahre hinein von der DDR-Presse geschürte Verdacht, die Pfarrer nähmen sich das Beste aus den Westpaketen, bevor sie die restlichen Gaben an Gemeindeglieder verteilten, war in der Bevölkerung präsent und trug in kirchenfernen Kreisen nicht eben zum Ansehen der Kirche bei279. 275

Vgl. dazu A. KAMINSKY, Alu-Chips, S. 166 und 171f. So die in der Gemeindeumfrage 1995 geäußerte Beobachtung einer württembergischen Gemeinde im Hinblick auf die Partnergemeinde in Thüringen (EZA BERLIN 172/17, Bogen 023.157), weitere ähnliche Aussagen finden sich bei G. HEFFT, Gemeindepartnerschaften, S. 61. Vgl. auch Schulz 29.8.01 und Schwarz 27.9.02. 277 Vgl. Schulz 29.8.01, Köhler 30.8.01, Berger 17.3.02. 278 Vermerk vom 22.8.63 (LKA STUTTGART DWW 1114). 279 Vgl. Moka 15.3.02. S. o. die Pressekampagne gegen Pfarrer Hertel in Jena-Lobeda Kapitel 3.2.2. Dass es solche Vorkommnisse in einzelnen Fällen tatsächlich gegeben haben mag, ist nicht auszuschließen, besonders, da oft nicht allen Beteiligten klar war, welche Sendungen für die Gemeinde und welche für das Pfarrhaus bestimmt waren. Ältere Bewohnerinnen einer Diakonischen Einrichtung in Thüringen berichteten, bis in die siebziger Jahre hinein hätten die dort tätigen Diakonissen so gut wie nie Inhalte von Westpaketen an die Bewohner weitergegeben. Auch dies ist m. E. nicht von vornherein zu bezweifeln. 276

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4.3.2.2. „Versorgungspolitisch relevante Mengen“ – Stabilisierung der DDR-Wirtschaft? Neben der Frage nach den Folgen der westlichen Finanzhilfen für die kirchlichen Strukturen in der DDR stellt sich eine zweite Frage, die nach der Wiedervereinigung immer wieder diskutiert wurde280: Hatte die finanzielle und materielle Unterstützung der DDR-Kirchen im Rahmen der verschiedenen Hilfsprogramme eine stabilisierende Wirkung auf die DDR-Wirtschaft und damit auf das SED-Regime insgesamt? Der Verdacht liegt nahe. Schließlich kamen die Rohstoffe im Wert von 2,1 Mrd. DM, die von der EKD in gut 30 Jahren im Rahmen des Kirchengeschäftes A geliefert wurden, der DDR-Wirtschaft in mehrfacher Hinsicht zugute. Sie sparten Devisen, die dadurch für andere Zwecke eingesetzt werden konnten, und brachten darüber hinaus einen volkswirtschaftlichen Nettonutzen281. Zudem wurden über das Kirchengeschäft auch besonders begehrte und auf anderen Wegen für die DDR nur schwer erhältliche Rohstoffe geliefert282. Schließlich hatte die Abteilung Kommerzielle Koordinierung 1976 eine Rohstoffpalette durchgesetzt, die Erdöl und börsenfähige Rohstoffe enthielt, die weltweit gehandelt und so in frei verfügbare Devisen umgesetzt werden konnten283. Doch auch die im Rahmen der Partnerschaftshilfe über Einfuhrgenehmigung oder per Paket eingeführten Waren wie Lebens- und Genussmittel, Textilien und technischen Verbrauchsgüter nützten indirekt der DDR-Wirtschaft, indem sie von Versorgungsaufgaben entlasteten. Wie sehr die Wirtschaftsplaner mit dem Inhalt der jährlich über 25 Millionen284 auf verwandtschaftlichen oder kirchlichen Wegen in die DDR gelangenden Pakete rechneten, wurde für die deutsche Öffentlichkeit spätestens im Zuge der sogenannten „Kaffeekrise“ 1977 erkennbar. Nachdem 1976 die Kaffeepreise auf dem Weltmarkt drastisch gestiegen waren, versuchte die SED-Führung zunächst, den Kaffeeverbrauch im Land einzuschränken, um die Kosten für Importe im Rahmen zu halten. 280 So bereits 1991 bei L. GEISSEL, Unterhändler, S. 436–440 und A. VOLZE, Transferleistungen, S. 64–66, 1992 auf der Tagung „Protestantische Revolution“ (U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, S. 99f. und 115–117), 1993 bei A. BOYENS, Transfergeschäfte, S. 420–426, und am 21.1.94 bei der 59. Sitzung der Enquete-Kommission (MATERIALIEN DER ENQUETE-KOMMISSION Bd. VI/1, S. 313–341. 281 Vgl. A. VOLZE, Transferleistungen, S. 64, und A. BOYENS, Transfergeschäfte, S. 423. 282 Vgl. L. GEISSEL, Unterhändler, S. 438. 283 Vgl. A. BOYENS, Transfergeschäfte, S. 423. 284 Nach dem Mauerbau erreichte die jährliche Zahl der Pakete den Spitzenwert von 50 Mio., Mitte der siebziger Jahre war er auf 30 Mio. abgesunken, bis 1989 unterschritt er den genannten Wert von 25 Mio. nicht. Der Rückgang hing mit der Zunahme des Reiseverkehrs und der Möglichkeit des DMTransfers ab 1974 zusammen (vgl. A. VOLZE, Transfers, S. 2765). Im Folgenden vgl. auch A. KAMINSKY, Alu-Chips, S. 175–177.

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Preiserhöhungen, ein reduziertes Angebot, das Verbot des Kaffeeverbrauchs in Behörden und Betrieben sowie die Kreation eines offiziell KaffeeMix, im Volksmund „Erichs Krönung“ genannten Mischkaffees sollten dazu beitragen, erregten allerdings nur den Unmut der Bevölkerung. Im September 1977 wurde daher als weitere Maßnahme die Mengenbeschränkung für die Einfuhr von Kaffee und anderen Genussmitteln aufgehoben. Die DDR-Führung erhoffte sich davon „eine Zunahme der Versorgung der DDR-Bevölkerung […] durch den grenzüberschreitenden Päckchen- und Paketverkehr“285, ein Anliegen, das von aufmerksamen Zeitgenossen und natürlich auch von den Verantwortlichen der Diakonischen Werke leicht durchschaut werden konnte286. Tatsächlich war der „Subsidiäreffekt“287 der privaten Einfuhren für die DDRWirtschaft nicht zu unterschätzen. In den achtziger Jahren lag ihre Menge bei Kakao, Oberbekleidung und Schuhen teilweise deutlich über der Menge der im Handel der DDR bereitgestellten Waren. DDR-Wirtschaftsfachleute wiesen in Untersuchungen darauf hin, dass mit Westpaketen ein Teil der angespannten Versorgungslage ausgeglichen werden könne. Es handele sich „in jedem Einzelfall um versorgungspolitisch relevante Mengen“288. Besonders die Einfuhr von Textilien biete „den Empfängern die Möglichkeit, qualitative und strukturelle Mängel im Warenangebot auch über einen längeren Zeitraum zu überdecken“289. Nach diesen Befunden ist nicht von der Hand zu weisen, dass jeder Transfer und jede Wareneinfuhr, also auch die über die kirchlichen Hilfsprogramme und Partnerschaftsverhältnisse getätigten, für die Volkswirtschaft der DDR „zweifellos wirtschaftlich positive Wirkungen“290 hatte. Diese dürfen allerdings nicht überschätzt werden: Erstens war beim Kirchengeschäft A der volkswirtschaftliche Nettonutzen geringer als etwa bei dem zwar als Kirchengeschäft B bezeichneten, aber seit 1964 allein von der Bundesregierung finanzierten Häftlingsfreikauf. Denn im Rahmen der Transfers zur Unterstützung der DDRKirchen musste die Volkswirtschaft der DDR, im Gegensatz zum Häftlingsfreikauf, der auf humanitäre Gegenleistungen zielte, bei Gegenwerten in Mark der DDR entsprechende Versorgungsleistungen erbringen, beim Valutamark-

285

Büro Mittag, Konzeption zur Durchsetzung der Einsparung von Valutamitteln beim Import von Rohkaffee vom 18.4.77, zit. nach A. KAMINSKY, Alu-Chips, S. 174. 286 Vgl. z. B. den Artikel „Der Fehlschlag mit dem ‚Kaffee-Mix‘“ in der STUTTGARTER ZEITUNG vom 30.9.77, der sich in den Unterlagen des DWW findet (DWW STUTTGART 2.02 193). 287 A. VOLZE, Transferleistungen, S. 64. 288 Analyse des Postpaket- und päckchenverkehrs für das IV. Quartal 1986, zit. nach A. KAMINSKY, Alu-Chips, S. 176. 289 EBD., S. 177. 290 A. VOLZE, Transferleistungen, S. 64.

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Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

Programm sogar devisenwerte Leistungen291. Zweitens fielen die Transfers im Rahmen des Kirchengeschäfts A (2,1 Mrd. DM auf evangelischer, 0,7 Mrd. DM auf katholischer Seite) deutlich geringer aus als die meist erst später begonnenen staatlichen Transfers. Im Rahmen von Verkehrspauschalen (8,3 Mrd. DM), Investitionsbeteiligungen (2,4 Mrd. DM) und dem Kirchengeschäft B (3,4 Mrd. DM) wurden von der BRD insgesamt 14,1 Mrd. DM transferiert, im Rahmen von Mindestumtausch und Visagebühren kamen noch einmal 5 Mrd. DM dazu292. Weiter ist zu fragen, wie sehr DDR-Volkswirtschaft und damit das Überleben des SED-Regimes tatsächlich von Transferleistungen aus dem Westen abhängig war. Neuere Untersuchungen zeigen, dass die nach der Wende nicht selten vertretene These, ohne die Finanzspritzen aus dem Westen wäre die DDR schon Anfang der achtziger Jahre zusammengebrochen, nicht zu belegen ist293. Schließlich ist zu überlegen, wie sinnvoll es ist, diese Problemstellung aus der Retrospektive an die Verhältnisse vor der Wende heranzutragen. Tatsächlich stellten sich die Verantwortlichen in Kirche und Diakonie „von ihrem Selbstverständnis her die Frage nach den politischen Folgen“ – ganz im Gegensatz zur durchaus präsenten Frage nach dem Für und Wider für die kirchlichen Strukturen – „kaum“294. Entsprechend liegen mir auch keine Quellen vor, die diese Problematik erörtern. Zudem stellt sich die Frage, ob unter den damaligen weltpolitischen Bedingungen ernsthaft eine Destabilisierung der DDR als wünschenswerte Folge des Handelns angesehen werden konnte295. Es ist deshalb Armin Boyens zuzustimmen, dass sich eine „sachgemäße Kritik“ nicht an einem Nebeneffekt, sondern vielmehr am Hauptziel der kirchlichen Hilfsprogramme, nämlich der Stabilisierung der Kirche in der DDR, zu orientieren hat und fragen muss „ob dieses Ziel erreicht worden ist“296. Dies wurde bereits im vorangegangenen Kapitel erörtert. Betrachtet man aber die politischen Folgen der Stabilisierung der Kirchen innerhalb der DDR, so wird deutlich, dass die Unterstützung, die „dem SED-Regime und seiner Stabilisierung zugute zu 291 Vgl. L. GEISSEL, Unterhändler, S. 438, A. VOLZE, Transferleistungen, S. 65, A. BOYENS, Transfergeschäfte, S. 422. 292 Vgl. A. VOLZE, Transferleistungen, S. 64f. Eine ausführliche Aufstellung auch bei A. VOLZE, Transfers, S. 2787. 293 Vgl. A. VOLZE, Transfers, S. 2794f., und J. ROESLER, Westpaket, S. 249. Die These vom Überleben der DDR durch westliche Unterstützung gepaart mit anderen provokanten Aussagen findet sich auch 1999 noch bei T. ROETHE, Arbeiten, S. 34. 294 H.-G. BINDER, Transfers, S. 578, vgl. U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, S. 106. 295 Vgl. das Votum von Eberhard Jüngel in der Diskussion um den Beitrag von Uwe-Peter Heidingsfeld auf der Tagung zum Thema „Protestantische Revolution“ im März 1992 (U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, S. 116). 296 A. BOYENS, Transfergeschäfte, S. 425.

Kirchenpartnerschaft im Spannungsfeld der Deutschlandpolitik

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kommen schien, […] sich letztlich wie manche andere Hilfen als destabilisierend“ erwies und „auf das Ende des Regimes“297 hinwirkte. Auch wenn die Wende in der DDR wohl nicht als „protestantische Revolution“298 bezeichnet werden kann, so war doch die Möglichkeit für oppositionelle Gruppen, „unter dem Dach der Kirche“299 zusammen zu kommen, eine wichtige Voraussetzung für den Umbruch. Ohne die finanzielle und materielle Unterstützung für die DDR-Kirchen im Rahmen der Hilfsprogramme und Partnerschaften hätte dieses Dach jedoch nicht mehr so viel Schutz bieten können und wäre möglicherweise, bedenkt man den baulichen Zustand vieler Kirchen in der DDR, vielerorts schon im ganz wörtlichen Sinne nicht mehr vorhanden gewesen300.

4.4. Kirchenpartnerschaft im Spannungsfeld der Deutschlandpolitik Die engen Verbindungen zwischen den Kirchen in der BRD und der DDR in Form von materieller Unterstützung und inhaltlichem Austausch waren in beiden deutschen Staaten ein Politikum. Das galt auch, teilweise sogar besonders, für die partnerschaftlichen Kontakte an der Basis. Die möglichen Auswirkungen auf den sensiblen Bereich der deutsch-deutschen Beziehungen wurden beobachtet, Chancen und Risiken der Kontakte für die Durchsetzung der jeweiligen Regierungspolitik ausgelotet.

4.4.1. Die Interessenlage der DDR Besonders die DDR-Führung sah sich im Umgang mit der kirchlichen Partnerschaftsarbeit vor Probleme gestellt. Ihre ambivalenten Reaktionen auf die Kontakte sind nur im Licht der wechselnden deutschlandpolitischen Maximen verständlich, wie auch insgesamt in der DDR-Kirchenpolitik ein „Primat der innerdeutschen Dimension“301 festzustellen ist. 297

So das Fazit von A. VOLZE, Transferleistungen, S. 66, dem sich wörtlich L. GEISSEL, Unterhändler, S. 439f., U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, S. 100, und H.-G. BINDER, Transfers, S. 578, anschließen. Auf diese Dialektik weist auch R. GOECKEL, Thesen, S. 54f., hin. 298 So der Titel der Dokumentation von Gerhard Rein. Zur Diskussion der These vgl. D. POLLACK, Umbruch. 299 Zum formelhaften Gebrauch dieser Wendung vgl. z. B. die Titel der Sammelbände von D. POLLACK, Legitimität, und R. HOBURG, Dach. 300 Vgl. Mittendorf 20.9.01. 301 R. GOECKEL, Thesen, S. 31.

272

Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

Bis Mitte der fünfziger Jahre räumte die DDR-Regierung in Übereinstimmung mit der Sowjetunion einer baldigen Wiedervereinigung beider deutscher Staaten einen hohen Stellenwert ein. In der sogenannten „Stalin-Note“ vom 10. März 1952 hatte die Sowjetunion den Westmächten den Entwurf eines mit einer gesamtdeutschen Regierung zu verhandelnden Friedensvertrages vorgelegt, der freie Wahlen in ganz Deutschland sowie die deutsche Neutralität vorsah302. Nachdem die Westmächte auf dieses Angebot nicht eingingen und die Westintegration der BRD unter Adenauer weiter vorangetrieben wurde, vollzog sich im Osten ein Umdenken. Ausgehend von der von Vertretern der Sowjet-Führung im Sommer 1955 erstmalig formulierten „Zwei-StaatenTheorie“ trat die DDR-Regierung im Winter 1956/57 mit einem Konföderationskonzept an die Öffentlichkeit. Dieses hielt zwar am langfristigen Ziel einer Vereinigung beider deutscher Staaten fest, betonte aber, dass in BRD und DDR grundsätzlich verschiedene gesellschaftliche Systeme beständen. Nur über den Weg einer – von der DDR ausschließlich im Sinne einer Veränderung der BRD verstandenen – Annäherung beider Staaten und einer späteren Konföderation als Übergangslösung könne das Ziel der Einheit erreicht werden303. Die Voraussetzungen für eine Annäherung sollten durch „Westarbeit“ in Form von Propaganda in der BRD und Förderung des gesamtdeutschen Gesprächs durch Begegnungen, vor allem zwischen Vertretern der Arbeiterklasse beider Staaten, geschaffen werden304. Trotz der faktisch vollzogenen Abgrenzung durch den Mauerbau im August 1961 hatte das „Konföderations“Konzept bis weit in die sechziger Jahre hinein Bestand und spiegelte sich auch in dem 1962 von der SED verabschiedeten „Nationalen Dokument“, das den Sieg des Sozialismus in der DDR als Voraussetzung für die Lösung der nationalen Frage sah305. Erst als mit Bildung der Großen Koalition in Bonn 1966 Bewegung in die deutschlandpolitische Position der BRD kam, geriet die DDR-Führung, die sich zuvor als Vertreterin einer Entspannungspolitik präsentieren konnten, in die Defensive. Sie ging zu einer strikten Abgrenzungspolitik über und rückte offiziell von gesamtdeutschen Ambitionen und dem Ziel einer Wiedervereinigung ab306. Als Antwort auf die Hallstein-Doktrin307 der BRD wurde eine 302

Vgl. H. WEBER, DDR, S. 46f., D. STARITZ, Geschichte, S. 84–94. Vgl. C. KLESSMANN, Staaten, S. 448f. 304 Vgl. EBD., S. 458–462. Zur „Arbeit nach Westdeutschland“ der SED bis 1961 insgesamt vgl. auch ausführlich H. AMOS, Westpolitik. Zur „Westarbeit“ in den Bezirken vgl. M. MÖNNIGHOFF, Hettstedt. 305 Vgl. H. WEBER, DDR, S. 62. 306 Vgl. EBD., S. 70, und D. STARITZ, Geschichte, S. 260. 307 Dazu s. u. S. 302f. 303

Kirchenpartnerschaft im Spannungsfeld der Deutschlandpolitik

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„Ulbricht-Doktrin“ entwickelt, die nun ihrerseits Staaten verbot, ihre Beziehungen zur BRD zu normalisieren, bevor sie die DDR anerkannt und auf Atomwaffen verzichtet hatten. Eine eigene Staatsbürgerschaft und die neue Verfassung von 1968 trieben die staatliche Abgrenzung weiter voran308. Statt dessen traten die Bemühungen um die schon seit Mitte der fünfziger Jahre angestrebte staatliche Anerkennung durch die BRD und um eine internationale Aufwertung in den Vordergrund. Mit der Unterzeichnung des Grundlagenvertrages mit der BRD im Jahr 1972 und der Aufnahme in die UNO 1973 hatte die DDR wichtige Ziele erreicht. Jedoch provozierte diese Politik einen auf Dauer schwierigen Spagat zwischen einer Normalisierung der Beziehungen zur BRD auf der einen und einer deutlichen Abgrenzungspolitik auf der anderen Seite, zumal Fragen des innerdeutschen Reiseverkehrs immer wieder Prüfstein für die Einhaltung der Menschenrechte in der DDR waren und sich damit unmittelbar auf ihr internationales Ansehen auswirkten309. 4.4.1.1. Die Überwachung der Partnerschaften Von Anfang an sorgte die DDR-Führung für eine Überwachung der deutschdeutschen Kontakte der Kirchen. Die Aktivitäten an der Schnittstelle zwischen den sensiblen Feldern der Kirchen- und der Deutschlandpolitik sollten sich auf keinen Fall staatlicher Kontrolle entziehen. Die für Kirchenpolitik zuständigen Regierungsstellen, Kreis- und Bezirksbehörden, Partei, MfS, Volkspolizei und Zoll wirkten bei dieser Aufgabe zusammen. Seit Mitte der fünfziger Jahre wurde die Kontrolle durch die zunehmende Dezentralisierung der Partnerschaften auf gemeindlicher und persönlicher Ebene erschwert, gleichzeitig jedoch wegen der Breitenwirkung der Kontakte aus Sicht der staatlichen Stellen erst recht bedeutsam. Nun mussten verstärkt die regionalen Stellen zur Aufklärung der Kontakte herangezogen werden. Ihre Arbeit soll hier vor allem am Beispiel der Bezirke Gera und Suhl dargestellt werden310. Im November 1959 wurden in einem Rundschreiben des Arbeitsgebiets „Westdeutschland“ der Abteilung „Internationale Beziehungen“ des Staatssekretariats für Kirchenfragen die Verantwortlichen angewiesen, „die Bezirke über die uns bekannten Probleme der Patenschaftsarbeit zu informieren und dann die im Bezirk bekannten Probleme und deren Einschätzung zu erfassen.“311 Die 308

Vgl. R. MORSEY, Bundesrepublik, S. 98f. Vgl. C. KLESSMANN, Staaten, S. 453f., H. WEBER, DDR, S. 87–89, und D. STARITZ, Geschichte, S. 287–291. 310 Zur Quellengrundlage s. o. Kapitel 1.3. 311 Rundschreiben Arbeitsgebiet Westdeutschland/Ausland an die verantwortlichen Kollegen für die Anleitung der Bezirke im Hause vom 13.11.59 (BArch BERLIN DO 4 2837), S. 1. 309

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Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

Bezirke sollten Informationen über die „Organisierung der Patenschaftsarbeit“ (Zuordnung der Landeskirchen) und „Formen und Methoden der Patenschaftsarbeit“ (etwa finanzielle und materielle Unterstützung oder Besuche) erhalten und beauftragt werden, folgende Aspekte näher zu untersuchen: „Welche Rolle spielen die Kirchenleitungen, bzw. der Bischof und die einzelnen Mitglieder der Kirchenleitungen, die Superintendenten und die Pfarrer bei der Praktizierung der Patenschaftsarbeit? Welche Auswirkungen und besondere Probleme ergeben sich in den Bezirken durch die Patenschaftsarbeit und wie werden sie eingeschätzt? Ist der Ausschuß der Kirchenleitungen zur Verteilung der Gelder der ‚Bruderhilfe‘ bekannt? – Personen?“312

Schließlich sollte besonders auf Besuchsverkehr aus und nach Westdeutschland, Reisen von Pfarrern nach Westdeutschland sowie Paket- und Büchersendungen geachtet werden. Gerade die Postkontrolle war in Zeiten, in denen das Versenden von Geschenkpaketen im Zentrum der Kontakte stand, eine wichtige Überwachungsmöglichkeit. Die Abteilung M der Hauptabteilung II (Spionageabwehr) des MfS überprüfte in Zusammenarbeit mit Zollverwaltung und Post alle Sendungen aus Westdeutschland313. So konnten einerseits unerwünschte Gegenstände und Informationen abgefangen werden, andererseits aber auch Wertgegenstände zur eigenen Bereicherung entnommen oder lieblose Sendungen propagandistisch ausgewertet werden314. Besonders sogenannte „Org-Sendungen“, also Päckchen und Pakete, die entgegen den Bestimmungen der Geschenkpaketverordnung von 1954315 von Organisationen verschickt wurden, wurden beschlagnahmt. Die Schikanen im Postverkehr sollten die Intensität unliebsamer Verbindungen zwischen Ost und West verringern. Ein besonders eindrückliches Beispiel zeigt der Brief einer Frau aus Ellwangen, die sich im Sommer 1968 ratlos an das HWW wandte. Ein Teil des Inhalts eines Pakets einer Württemberger Absenderin an die Thüringer Patenfamilie sei mit der Begründung „unerwünschte Sendung“ zurückgekommen, ein Vermerk habe darauf aufmerksam gemacht, dass der übrige Inhalt „nach Nordvietnam weitergeleitet“316 worden sei. Dass es sich hierbei um einen öfter gebrauchten Schachzug der DDR317 zur ideologischen Abschreckung handeln könnte,

312

EBD., S. 3. Vgl. U. SCHULTE DÖINGHAUS, Paketverkehr, S. 66–74. 314 Zur propagandistischen Auswertung s. o. Kapitel 3.2.2. und unten 4.4.1.2. 315 S. o. S. 49. 316 Hanni S. an HWW vom 5.6.68 (LKA STUTTGART DWW 1117). 317 Vgl. U. SCHULTE DÖINGHAUS, Paketverkehr, S. 71f. 313

Kirchenpartnerschaft im Spannungsfeld der Deutschlandpolitik

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scheint der ahnungslosen Briefschreiberin nicht klar gewesen zu sein. Sie wurde erst stutzig, als sie „keinen Dank von Nordvietnam“318 erhielt. Die Ergebnisse der Überwachung der Partnerschaftsarbeit durch die regionalen Behörden waren in den sechziger und siebziger Jahren für die staatlichen Stellen nicht immer hilfreich. Ein Bericht der Bezirksbehörde der Volkspolizei in Suhl aus dem Jahr 1966 etwa stellte nach der Auflistung der Geschenksendungen, die Pfarrer und Gemeinden im Bezirk in den Vorjahren erhielten, nicht mehr fest, als bereits bekannt gewesen sein dürfte: „Die Landeskirche Württemberg ist die Patenkirche für die Thüringer Landeskirche. Aus den angegebenen Zahlen ist zu ersehen, daß die Mehrzahl der sogenannten Geschenksendungen aus dem Land Baden/Württemberg kommen. Hieraus kann geschlußfolgert werden, daß es sich um eine organisierte Patenarbeit unter dem Deckmantel des privaten Schenkens handelt.“319

Zudem beklagte der Bericht, in den Kreisen des Bezirks bestünden „ungenügende Übersichten über die Tätigkeit der Pfarrer, die über entsprechende Westverbindungen verfügten.“320 Dass gerade auf Kreisebene oft nur eine lückenhafte Kontrolle gegeben war, zeigen die entsprechenden Berichte. So meldete der Stellvertretende Vorsitzende für Inneres des Kreises Zeulenroda im November 1974, es hätten bisher keine Aktivitäten von Seiten der Patenkirche festgestellt werden können321. Angesichts der intensiven Kontakte zwischen Württemberg und Thüringen weist dies auf ein deutliches Informationsdefizit hin. Auch ein entsprechender Bericht des Kreises Rudolstadt aus demselben Jahr vermerkte, es sei nicht bekannt, dass kirchliche Amtsträger Verbindungen zu westdeutschen Kirchen hätten. Nur ein Pfarrer habe laufend Besuch von einem Dekan aus „Wittenberg-Baden“322 (sic!). Und der Rat der Stadt Jena musste im Jahr 1978 dem Rat des Bezirkes berichten, eine Partnerschaftsarbeit sei zwar vorhanden, könne allerdings „nicht genügend eingeschätzt“323 werden.

318

Hanni S. an HWW vom 5.6.68 (LKA STUTTGART DWW 1117). Bezirksbehörde DVP Suhl, Information über bisher festgestellte Verbindungen der evangelischen Kirche nach Westberlin und Westdeutschland vom 11.6.66 (ThStA MEININGEN BPAS IV/A/2.14/691), S. 3 (Unterstreichungen im Original nicht übernommen). 320 EBD., S. 6 (Unterstreichungen im Original nicht übernommen). 321 Vgl. Rat des Kreises Zeulenroda, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres, an den Rat des Bezirkes Gera, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres, vom 28.11.74 (ThStA RUDOLSTADT RdBG 7.4 I 279), S. 2. 322 Rat des Kreises Rudolstadt, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres, an den Rat des Bezirkes Gera, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres, vom 21.8.74 (EBD.), S. 2. 323 Rat der Stadt Jena, Stellvertreter des Oberbürgermeisters für Inneres, an den Rat des Bezirkes Gera, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres, vom 13.1.78 (EBD.), S. 4. 319

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Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

Auch die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen staatlichen Stellen funktionierte nicht immer reibungslos. Der oben zitierte Bericht von 1966 kritisierte die ungenügende Zusammenarbeit der für Aufenthaltsgenehmigungen zuständigen Behörden324. In einem deutlich längeren und differenzierteren Bericht der Bezirksbehörde der Volkspolizei Suhl aus dem Folgejahr wird vermerkt, ein Pfarrer im Kreis Sonneberg habe innerhalb von zwei Jahren 128 Pakete aus Westdeutschland erhalten, davon allein 47 aus Esslingen. Dies veranlasste einen Bearbeiter des Berichts bei der Parteileitung zu der empörten Randbemerkung: „Warum lässt man die denn alle durch!“325 Ebenso forderte 1969 der Verantwortliche bei der Bezirksparteileitung Gera bei der Lektüre eines Berichts des Rates des Kreises Gera über die Organisation von Treffen zwischen DDR- und Bundesbürgern durch einen Pfarrer in einer Randbemerkung „Beweise – MfS-Maßnahmen!“326. Mit der stetigen Ausweitung der Besuchskontakte seit Abschluss des Grundlagenvertrages 1972 nahm die Schwierigkeit der Überwachung weiter zu327. Ein Bericht des Rates des Bezirks Gera etwa beklagte 1982, dass von der Kirche ein immer größerer Personenkreis für Westreisen vorgeschlagen werde. Es sei aber „z. B. schwierig, die politische Haltung eines Friedhofsgärtners oder einer Hausfrau einzuschätzen, wenn diese in keiner Weise gesellschaftlich in Erscheinung treten.“328 Anfang der achtziger Jahre reagierten die staatlichen Stellen mit gezielten Maßnahmen auf die wachsende Unübersichtlichkeit der Einstellungen und Aktivitäten unter dem Dach der Kirche, zu denen auch die Partnerschaftsarbeit gehörte. Seit 1981 mussten die für Kirchenfragen zuständigen Stellvertreter der Vorsitzenden für Inneres in den Bezirken alle zwei Monate einen standardisierten Bericht über die kirchliche Situation im Bezirk an das Staatssekretariat für Kirchenfragen erstatten329. In gleicher Form waren die Kreise den Bezirken gegenüber rechenschaftspflichtig. Der Rahmenplan für die Berichte sah neben Informationen zur „politischen Situation in den Kirchen“, zur „Einhaltung der 324 Bezirksbehörde DVP Suhl, Information über bisher festgestellte Verbindungen der evangelischen Kirche nach Westberlin und Westdeutschland vom 11.6.66 (ThStA MEININGEN BPAS IV/A/2.14/691), S. 6 (Unterstreichungen im Original nicht übernommen). 325 Bezirksbehörde DVP Suhl, Information über festgestellte Verbindungen der evangelischen und katholischen Kirche nach Westdeutschland vom 1.2.67 (ThStA MEININGEN BPAS IV/A/2.14/693), S. 3. 326 Rat des Kreises Gera, Bericht über die Lage auf kirchenpolitischem Gebiet im Kreis Gera vom 24.9.69, S. 3 (ThStA RUDOLSTADT BPAG IV/B-2/14/689 Bl. 75) 327 Vgl. dazu auch C. VOLLNHALS, Abteilung, S. 93. 328 Rat des Bezirkes Gera, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres an Staatssekretär für Kirchenfragen vom 24.8.82 (BArch BERLIN DO 4 1142), S. 7. 329 Vgl. Rahmenplan zur Information aus den Räten der Bezirke an den Staatssekretär für Kirchenfragen (ThStA MEININGEN RdBS 2798 Bd. 1 Bl. 158f.).

Kirchenpartnerschaft im Spannungsfeld der Deutschlandpolitik

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sozialistischen Gesetzlichkeit“ und zu „Formen kirchlicher Tätigkeit“, besonders im Bereich der Jugend- und Missionsarbeit, auch eine Einschätzung der ökumenischen Tätigkeit der Kirchen vor, zu der unter anderem die Partnerschaftsarbeit gehörte, die regelmäßig mehr oder weniger ausführliche Erwähnung fand. Bei der Durchsicht der Berichte aus den Bezirken Gera und Suhl wurde allerdings auch deutlich, dass die Berichterstatter den Fragen der Bildungspolitik, der Menschen- und Bürgerrechte und der Jugend- und Friedensarbeit und ihrem Gefahren- und Konfliktpotential im Verhältnis von Kirche und Staat deutlich größere Aufmerksamkeit widmeten als der Partnerschaftsarbeit. Parallel zur Informationspolitik in den Bezirken leitete das MfS in den achtziger Jahren eine umfassende Aufklärungskampagne zur Bekämpfung des „Missbrauchs“ der Kirchen ein. Die kirchenpolitische Abteilung wurde 1983 von 24 auf 32 Mitarbeiter verstärkt330. An der „Juristischen Hochschule“ des MfS in Potsdam331 wurde eine eigene Forschungsgruppe gebildet, in deren Arbeit auch die Partnerschaftsbeziehungen der Kirchen eine Rolle spielten. In einer an der Hochschule entstandenen „Lektion“ zur „vorbeugenden Verhinderung und Bekämpfung des Mißbrauchs der Kirchen in der DDR“ vom Mai 1984 heißt es: „Auf Grund ihrer operativen Relevanz sind [ist] den Partnerschaftsbeziehungen zwischen den Kirchen in der DDR und der BRD verstärkte Aufmerksamkeit zu schenken. Dies gilt insbesondere für die Kontakte an der Basis, in den Gemeinden.“332

Auch müsse eine „noch wirksamere Entlarvung der aus dem Operationsgebiet [d. h. der BRD, Vf.] gegen die DDR wirkenden feindlich-negativen Kreise“ gewährleistet werden, wobei die kirchlichen Partnerschaftsbeziehungen „besondere Beachtung“333 finden sollten. In einer 1983 entstandenen, 180 Seiten umfassenden Forschungsarbeit des kirchenpolitischen Referatsleiters der Bezirksverwaltung Gera des MfS, Major Artur Hermann, zum Thema „Die Kenntnis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen, Voraussetzung für eine wirksame politisch-operative Arbeit“ 330

Vgl. C. VOLLNHALS, Abteilung, S. 94. Die „Juristische Hochschule“ war die zentrale Bildungs- und Forschungsstätte des MfS. Sie wurde bereits 1951 als „Schule des MfS“ gegründet. Seit 1955 nannte sie sich „Hochschule des MfS“, seit 1965 wurde sie nach außen als „Juristische Hochschule Potsdam“ bezeichnet. Sie bildete allerdings keineswegs Juristen aus, sondern diente der Fortbildung der MfS-Mitarbeiter sowie der Erforschung der theoretischen Grundlagen für die Tätigkeit des MfS. Einen Überblick über Aufgaben und Geschichte der Einrichtung gibt G. FÖRSTER, Hochschule, hier S. 3 und 39. 332 G. BESIER/S. WOLF, Pfarrer, S. 418. Vgl. auch die Zitate bei U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, S. 90–92. 333 EBD., S. 416. 331

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Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

ist den ökumenischen Verbindungen der ELKTh ein eigenes Kapitel gewidmet. Es enthält eine sieben Seiten lange Analyse der Württembergischen Landeskirche, die unter Verwendung von Zitaten aus dem Handbuch für Kirchengemeinderäte, Dokumenten der Landessynode sowie „inoffiziellen Einschätzungen“334 nicht nur die landeskirchlichen Strukturen beschreibt, sondern auch kirchenpolitische und theologische Grundpositionen, etwa die Bedeutung des württembergischen Pietismus, darstellt. Auf weiteren sechs Seiten werden die Beziehungen zwischen den beiden Landeskirchen dargelegt, die finanzielle und materielle Unterstützung aus Württemberg wird in den Kapiteln über das Diakonische Werk und die Finanzen der ELKTh behandelt. Auch direkt zur Partnerschaftsarbeit entstanden an der „Juristischen Hochschule“ des MfS mehrere Arbeiten. Hauptmann Rüdiger Nopirakowski stellte in seiner Diplomarbeit335 1986 „Mittel und Methoden zum Erkennen von operativ-bedeutsamen Kontakten aus kirchlichen Partnerschaftsbeziehungen und Vorschläge für ihre differenzierte und vorbeugend wirksame operative Bearbeitung im Rahmen der Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeit“336 aus Sicht der Bezirksverwaltung Neubrandenburg dar. Der in Fürstenwalde tätige Feldwebel Detlef Jänisch untersuchte 1988 „Das operative Zusammenwirken ausgewählter Kräfte und Mittel des MfS zu Kontrolle und Verhinderung des politischen Mißbrauchs kirchlicher Partnerschaftsarbeit“337. Für den Bereich der ELKTh liegt eine Diplomarbeit aus dem Jahr 1988 von Offiziersschüler Bernd Höhn zum Thema „Analyse der bestehenden Partnerschaftsbeziehungen der evangelischen Kirche im Verantwortungsbereich der Kreisdienststelle Hildburghausen und politisch-operative Schlußfolgerungen zu deren operativen Kontrolle und Bearbeitung“338 vor. In ihrem Anhang findet sich nicht nur eine detaillierte Aufstellungder württembergischen Partnergemeinden der Superintendenturen Hildburghausen und Eisfeld mit Namen der jeweiligen Pfarrstelleninhaber, sondern auch Karten, in denen die Lage der Gemeinden verzeichnet ist. 334

Hermann, Kenntnis (BStU MfS VVS JHS o001-236/83), S. 153. Diplomarbeiten wurden am Ende des vierjährigen Hochschulstudiums zur Erlangung des akademischen Grades „Diplomjurist“ angefertigt. Sie hatten einen Umfang von durchschnittlich 50 Seiten (die hier verwendeten Arbeiten liegen etwas darunter) und beschäftigten sich häufig mit praktischen Problemen der Diensteinheiten unterer Ebene (vgl. G. FÖRSTER, Hochschule, S. 9f.). 336 Nopirakowski, Mittel (BStU MfS VVS JHS o001-305/86). Das Interesse an den Partnerschaftskontakten zeigte sich auch am Rande anderer im Rahmen der Forschungsgruppe entstandener Diplomarbeiten, vgl. die Zitate bei F. WINTER, Wege, S. 144f. 337 Jänisch, Zusammenwirken (BStU MfS VVS JHS o001-303/88). 338 Höhn, Analyse (BStU MfS VVS JHS o001-284/88). Die Tatsache, dass die Diplomarbeit von Höhn bisher die einzige größere „wissenschaftliche“ Arbeit zur Kirchenpartnerschaft zwischen Württemberg und Thüringen ist, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. 335

Kirchenpartnerschaft im Spannungsfeld der Deutschlandpolitik

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Gemeinsames Ziel der Diplomarbeiten war es, angesichts der Vielzahl und Unüberschaubarkeit der Kontakte339, die zudem nach Erkenntnissen der Verfasser häufig durch die „Verschleierung von Gruppeneinreisen“, die „Tarnung bestehender Einzelkontakte“ und die „konspirative Absicherung von Partnerschaftstreffen“340 der Kontrolle des MfS entzogen wurden, Kriterien herauszuarbeiten, die eine Unterscheidung zwischen den aus Sicht des MfS harmlosen und den politisch brisanten Beziehungen ermöglichen sollten. Dies sollte eine Konzentration auf die Überwachung und Verhinderung der problematischen Kontakte erleichtern. So unterschied Höhn beispielsweise zwischen „1. Partnerschaftsbeziehungen aus religiösem Anliegen, wobei ehrliche Christen im Rahmen des religiösen Bekenntnisses ohne primäre politische Zielstellung die Partnerschaftsbeziehungen unterhalten […]. 2. Partnerschaftsbeziehungen aus nicht ausschließlich religiösen Motiven, wobei beeinflußte und irregeleitete Personen sich in das Konzept staatlicher Organe der BRD gegenüber der DDR ‚Wandel durch Kontakte‘ eingliedern bzw. im Interesse reaktionärer klerikaler Kräfte mit Handlungen in Erscheinung treten, die als vage Anzeichen politischer Untergrundtätigkeit zu werten sind […]. 3. Mißbrauch der kirchlichen Partnerschaftsarbeit zur Durchsetzung antisozialistischer Zielstellungen, indem reaktionäre klerikale Kräfte bzw. feindlich-negative Kräfte unter dem Deckmantel der Kirche mit Handlungen, die Ausdruck politischer Untergrundtätigkeit sind, in Erscheinung treten […].“341

Dabei hielt er fest, dass die Mehrzahl der Partnerschaften in der von ihm untersuchten Region der ersten Kategorie zuzuordnen seien. Weiter machten die Verfasser der Diplomarbeiten auf den Mangel an IM in der Partnerschaftsarbeit aufmerksam. „Geeignete Kräfte“ seien „zu befähigen und zu instruieren“342. Es müsse gewährleistet sein, dass sie „im frühstmöglichen Stadium der Partnerschaftsbeziehungen integriert werden und ‚nahtlos hineinwachsen‘.“343 Zudem solle der eingesetzte IM nicht nur als passiver 339

Vgl. Nopirakowski, Mittel (BStU MfS VVS JHS o001-305/86), S. 6. Jänisch, Zusammenwirken (BStU MfS VVS JHS o001-303/88), S. 8, vgl. Nopirakowski, Mittel (BStU MfS VVS JHS o001-305/86), S. 16f. 341 Höhn, Analyse (BStU MfS VVS JHS o001-284/88), S. 13, vgl. auch Themenstellung bei Nopirakowski, Mittel (BStU MfS VVS JHS o001-305/86), S. 5 und seine Kriterien S. 23–25 sowie die Kriterien in der „Einschätzung der politisch-operativen Lage auf dem Gebiet der kirchlichen Partnerschaftsbeziehungen“ der Bezirksverwaltung Erfurt vom 24.10.85 (BStU MfS ASt Erfurt BDL S 189 Bl. 4 und 7). Zur inhaltlichen Bestimmung der Befürchtungen der DDR-Führung im Hinblick auf einen möglichen Missbrauch der Partnerschaften s. u. Kapitel 4.4.1.2. 342 Höhn, Analyse (BStU MfS VVS JHS o001-284/88), S. 28. Vgl. auch die „Einschätzung der politisch-operativen Lage auf dem Gebiet der kirchlichen Partnerschaftsbeziehungen“ der Bezirksverwaltung Erfurt vom 24.10.85 (BStU MfS ASt Erfurt BDL S 189 Bl. 8) sowie die oben zitierte „Lektion“ (G. BESIER/S. WOLF, Pfarrer, S. 421). 343 Jänisch, Zusammenwirken (BStU MfS VVS JHS o001-303/88), S. 20. 340

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Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

Beobachter eingesetzt werden, sondern bewusst auf die Entwicklung der Kontakte Einfluss nehmen344. Da diese Ziele kurz vor der Wende aufgestellt wurden, blieb für eine breite Umsetzung nicht mehr viel Zeit. Es ist jedoch davon auszugehen, dass verschiedene Partnerschaftsbeziehungen auch an der Basis mittels IM unter direkter Kontrolle des MfS standen. So lieferte Ende der achtziger Jahre ein Gemeindekirchenrat aus Greiz unter dem Decknamen „Otto Kreuz“ dem MfS genaue Informationen über die Partnerschaftsarbeit mit Böblingen und Sindelfingen, auch über seine Besuchsreise zur Partnergemeinde in Sindelfingen345. Ein anderer IM mit Decknamen „Werner Auerbach“ berichtete im gleichen Zeitraum über die Kontakte einer Greizer Gemeinde mit Waldenbuch346. Über die Kontakte zwischen der Behinderteneinrichtung Carolinenfeld und den Mariaberger Heimen informierten in den später achtziger Jahren zwei Personen, davon eine unter dem sinnigen Decknamen „Maria Berg“347. Jenseits der regionalen Ost-West-Kontakte der Kirche versuchte das MfS an übergeordneter Stelle Knotenpunkte der Partnerschaftsarbeit zu kontrollieren. Die besondere Rolle des Ostberliner Stephanusstifts für Begegnungen blieb den Spitzeln nicht verborgen. Die Einrichtung, so ein Bericht des MfS, sei ein „Ort regelmäßiger Treffs zwischen westlichen Personen und ihren Kontaktpersonen aus der DDR“ und für viele Kirchengemeinden die einzige Möglichkeit, um ihre „Patenschaftsbeziehungen aufrechtzuerhalten und zu erweitern“. Wöchentlich fänden nicht selten bis zu zwölf solcher Treffen statt, die „der gegnerischen Kontaktpolitik“348 dienten. Sorgen bereitete dem MfS in den achtziger Jahren auch der sogenannte „Kirchentourismus“. Kirchliche Gruppen nutzten, wie ein Bericht der für Tourismus zuständigen Hauptabteilung VI des MfS aus dem Jahr 1982 feststellte (und die in der Partnerschaftsarbeit Aktiven bestätigten), die Möglichkeit von Gruppenreisen in die DDR nicht nur, um „sich über die Tätigkeit der Kirchen in der DDR zu informieren“, sondern auch, um „‚Paten- oder Partnergemeinde-Beziehungen‘ anzubahnen oder auszubauen“349. Dabei komme 344

Vgl. EBD., S. 23. Vgl. BStU MfS ASt Gera KD Greiz 004391 Bl. 48f., 51–53, 61f., 65f., 87f., 97f., 104–107. Ziel dieser Arbeit war nicht, möglichst viele solcher Fälle aufzudecken. Auch können in diesem Rahmen die Folgen der IM-Tätigkeit nicht aufgearbeitet werden, was für eine sinnvolle Beurteilung des Vorgangs unverzichtbar wäre. 346 Vgl. BStU MfS ASt Gera KD Greiz 004391 Bl. 45–47, 50, 73–76. 347 Vgl. BStU MfS ASt Gera KD Greiz 004391 Bl. 306–308, 315–320, 323–325. 348 Zit. nach W. BRAUNE, Ideentransfer, S. 150. Die Akte war nach der dort angegebenen Signatur bei der BStU nicht zu finden. 349 Abteilung Objektsicherung und Tourismus, „Einschätzung zum spezifischen Wirksamwerden bereits bekannter bzw. neu einreisender kirchlicher Einrichtungen des nichtsozialistischen Auslandes, 345

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es, so das MfS, häufig zu einer „Umgehung des vom Reisebüro der DDR erstellten touristischen Programmes“350. Private Kontakte nach Absolvierung des offiziellen Programms würden, so ein Bericht von 1983, „vor dem DDRReiseleiter konspiriert“351. 1986 musste das MfS gar feststellen, dass der Reiseleiter „unter Druck gesetzt oder abgelenkt“ werde oder die Gruppe ihm von vornherein zu verstehen gebe, dass er „in den freien Zeiten nicht erwünscht“ sei und „die Gruppe unter sich bleiben wolle.“352 Der „Kirchentourismus“ wurde vom MfS „als eine spezifische Form des ‚Polittourismus‘“ eingeschätzt, und somit als „fester Bestandteil der Gesamtstrategie des Gegners, den Tourismus für seine subversiven Ziele gegen die DDR und die gesamte sozialistische Staatengemeinschaft zu mißbrauchen“353. Unter „Polittourismus“ verstand man Gruppenreisen von westdeutschen Parteien, politischen Gremien oder anderen der politischen Bildung verpflichteten Einrichtungen in die DDR mit dem Ziel, das Wissen über den anderen deutschen Staat zu erweitern und deutsch-deutsche Kontakte zu pflegen. Die vielfältigen Reisen anlässlich des Lutherjubiläums 1983 stellten das MfS vor besondere Herausforderungen. Wie groß die Furcht vor Unterwanderung war, zeigt eine Bemerkung aus der Ende des Jahres 1983 verfassten Einschätzung zu den Reiseaktivitäten: Die Tatsache, dass viele der Lutherreisenden das von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebene Themenheft „Martin Luther heute“ dabei hatten, wurde als Hinweis darauf gesehen, dass solche Reisen kirchlicher Gruppen „auch seitens führender PiD [d. h. politischideologische Diversion, Vf.]-Zentren der BRD“354 initiiert würden. Zur Verhinderung des Missbrauchs von Gruppenreisen schlug die für Kirchenfragen zuständige Hauptabteilung XX/4 des MfS vor, durch „attraktive Programmgestaltung“, „günstige Zeitauslastung“ und „fachlich-qualifizierte insbesondere der BRD, bei Aufenthalten in der DDR“ vom 25.8.82 (BStU MfS HA VI Nr. 11650 Bl. 105). 350 EBD., Bl. 106. 351 Abteilung Objektsicherung und Tourismus, „Einschätzung zum spezifischen Wirksamwerden kirchlicher Einrichtungen des nichtsozialistischen Auslandes, insbesondere der BRD, bei Aufenthalten in der DDR“ vom 24.12.83 (EBD., Bl. 85). 352 Material zur Entwicklung des „Tourismus aus der BRD in die DDR und kirchliche Aktivitäten“ vom 27.5.86 (EBD., Bl. 23). 353 Abteilung Objektsicherung und Tourismus, „Einschätzung zum spezifischen Wirksamwerden bereits bekannter bzw. neu einreisender kirchlicher Einrichtungen des nichtsozialistischen Auslandes, insbesondere der BRD, bei Aufenthalten in der DDR“ vom 25.8.82 (EBD., Bl. 105), vgl. auch Material zur Entwicklung des „Tourismus aus der BRD in die DDR und kirchliche Aktivitäten“ vom 27.5.86 (EBD., Bl. 25). 354 Abteilung Objektsicherung und Tourismus, „Einschätzung zum spezifischen Wirksamwerden kirchlicher Einrichtungen des nichtsozialistischen Auslandes, insbesondere der BRD, bei Aufenthalten in der DDR“ vom 24.12.83 (EBD., Bl. 86).

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Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

Reiseleiter“355 den selbständigen Unternehmungen entgegen zu wirken, im Zweifelsfall diese aber auch durch Sanktionen zu unterbinden. Exkurs: Die Thüringer Landeskirche und das MfS Die Darstellung der Überwachung der Partnerschaftskontakte durch die staatlichen Stellen, insbesondere durch das MfS, stellt unweigerlich vor die Frage, woher die Staatssicherheit ihre teilweise detaillierten Informationen bekam. Ziel dieser Arbeit kann und soll es nicht sein, einzelne Informanten zu entlarven und die Auswirkungen ihrer Spitzeltätigkeit auf die Partnerschaften zu bemessen und zu beurteilen356. Dennoch gewinnt die Frage dadurch an Brisanz, dass die ELKTh allgemein als vom MfS besonders stark unterwanderte Kirche gilt. Dieser Eindruck drängt sich durch den bereits oben geschilderten starken Einfluss des seit 1955 für das MfS tätigen OKR Lotz auf den „Thüringer Weg“ von Landesbischof Mitzenheim auf und scheint durch frühe und daher spektakuläre IM-Enttarnungen nach der Wende bestätigt357. Allerdings ist nicht nachgewiesen, ob die Thüringer Kirche tatsächlich stärker belastet war als andere Landeskirchen. Einerseits sind die Ergebnisse der von der Thüringer Synode 1991 beschlossenen Regel überprüfung von Kirchenleitung, Synode und Pfarrerschaft kaum mit denen freiwilliger Überprüfungen in anderen Landeskirchen zu vergleichen. Andererseits ist wegen der stark amtskirchlich geprägten Struktur der ELKTh damit zu rechnen, dass das MfS hier eher Theologen als IM warb, während in Landeskirchen, in denen mehr Entscheidungsbefugnisse in den Händen von Nichttheologen liegen, stärker auch (nicht überprüfte) Laien als Zuträger interessant waren358. Ungeachtet solcher vergleichender Betrachtungen bleibt jedoch festzuhalten, dass das MfS bei der „Bearbeitung“ der Thüringer Kirche zweifellos große Erfolge erzielen konnte. Nach dem Ende der Ära Mitzenheim konnte die 355 Einschätzung zum Material „zur Entwicklung des Tourismus aus der BRD in die DDR und kirchliche Aktivitäten“ vom 23.7.86 (EBD., Bl. 39). 356 Ebenso wenig kann hier die Thematik „Kirche und Staatssicherheit“ umfassend entfaltet werden. Die inzwischen umfangreiche Literatur hierzu hat H. SCHULTZE, Stasi-Belastungen, S. 311–332 und 369–382 zusammengestellt. 357 Vgl. zum Folgenden die grundlegende Darstellung von W. SCHILLING, Bearbeitung, hier S. 211. Zum „Thüringer Weg“ und der Rolle von OKR Lotz s. o. den Exkurs „Der Thüringer Weg“, S. 184ff. 358 Vgl. EBD., S. 212f. Die Ergebnisse der Überprüfungen der Landeskirchen wurden 1997 veröffentlicht. Danach wurden in Thüringen 56 Überprüfungen durchgeführt. Bis 1997 führten diese zu drei Entlassungen, zwei Versetzungen in den Wartestand und zwei Versetzungen in den Ruhestand. Drei Personen schieden vor einer Entlassung aus dem Dienst aus, zwei ließen sich freiwillig in den Ruhestand versetzen. In vier Fällen wurde durch die Kirchenleitung lediglich eine Missbilligung ausgesprochen. Zwölf Personen wurden entlastet, in fünf Fällen wurde das Verfahren durch Erkrankung oder Todesfall nicht eingeleitet oder entschieden, zwölf Entscheidungen standen noch aus (vgl. L. GROSSE/H. SCHULTZE/F. WINTER, Überprüfungen, S. 19).

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Staatssicherheit ihren Einfluss mit der Wahl des seit 1956 beim MfS geführten Ingo Braecklein zum Nachfolger Mitzenheims im Jahr 1970 stabilisieren. Braecklein bemühte sich zwar um eine stärkere Zusammenarbeit mit den übrigen BEK-Kirchen, wich aber sonst nicht grundsätzlich vom Kurs seines Vorgängers ab. Zudem wurden in den siebziger Jahren mit deutlich verfeinerten Methoden und großer Intensität IM in Kirchenleitung und Pfarrerschaft angeworben: Bereits 1976 konnte das MfS zufrieden feststellen, die Mehrheit im Eisenacher Landeskirchenrat zu haben. Ende 1977 waren von neun Mitgliedern des Landeskirchenrats drei Theologen, drei Juristen sowie der Bischof als IM registriert, dazu der Referent des Bischofs, zwei Juristen als Kreiskirchenamtsleiter, acht Superintendenten, 14 Pfarrer und einige weitere kirchliche Mitarbeiter359. Eine solche rein quantitative Analyse erfasst jedoch den wirklichen Grad der Beeinflussung nur unvollständig, da der Nutzen einzelner IM je nach individueller Kooperationsbereitschaft für das MfS sehr unterschiedlich sein konnte. Für eine sinnvolle Einschätzung wäre eine genauere Betrachtung der Einzelfälle nötig, die hier jedoch nicht geleistet werden kann. Die nächste Bischofswahl im Jahr 1978 brachte dem Staat trotz des immer dichter werdenden IM-Netzes eine Niederlage ein. Trotz vielschichtiger Bemühungen des Staatssicherheits-Apparats konnte sich weder der vom MfS favorisierte OKR Walter Saft360 noch der zweite Wunschkandidat, OKR Hans Schäfer361, durchsetzen362. Statt dessen wählte die Synode den vom MfS als „reaktionär“ eingestuften Leiter der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft, Werner Leich. Trotz weiterer intensiver Bemühung um Anwerbung von IM, massiver Präsenz in der Kirchenleitung und aggressiver „Bearbeitung“ unliebsamer Pfarrer und kirchlicher Mitarbeiter, besonders im Bereich der Jugendarbeit363, konnte das MfS keine tiefgreifenden Erfolge mehr erzielen. Viele Werbungsversuche für IM scheiterten an der von Leich konsequent eingeschärften Praxis der Dekonspiration364. Auch fiel es dem MfS schwer, IM in die offenen, oft wenig strukturierten Gruppen einzuschleusen, während die hierarchischen Strukturen in der Kirchenleitung und im Superintendentenkonvent ein Eindringen erleichterten365. 359

Vgl. W. SCHILLING, Bearbeitung, S. 214f. Saft wurde seit 1968 als IM beim MfS geführt (vgl. EBD., S. 218). 361 Schäfer wurde seit 1976 beim MfS als IM geführt, nachdem er zuvor zwei Jahre „bearbeitet“ worden war (vgl. EBD., S. 227). 362 Vgl. EBD., S. 231. 363 Vgl. EBD., S. 232. 364 Vgl. EBD., S. 236, und W. LEICH, Horizonte, S. 153. Pastorinnen, Pfarrer und andere kirchliche Mitarbeiter waren aufgefordert, ihre Vorgesetzten umgehend über Werbungsversuche zu informieren. Dadurch wurden sie für das MfS als IM uninteressant. 365 Vgl. W. SCHILLING, Bearbeitung, S. 260f. 360

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Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

Als Zusammenfassung seiner Studie über die „Bearbeitung“ der ELKTh durch das MfS schätzt Walter Schilling ein: Das MfS war „durch seine Inoffiziellen Mitarbeiter innerhalb der Kirche gut informiert, in kirchenleitenden Gremien besser als an der Basis – insofern war es erfolgreich. Es hat Einfluß genommen, gebremst, zurückgedrängt, manches auch völlig verhindert. Ganz in den Griff bekommen hat das MfS die Thüringer Kirche nie, die Basis noch weniger als die Kirchenleitung – insofern war es nicht erfolgreich.“366 Dieses Fazit entspricht weitgehend der eigenen Beurteilung des MfS, das in einer Einschätzung über die Thüringer Kirche aus dem Jahr 1986 formulierte, dass zwar „im Bereich Kirchenleitung und Superintendenturen eine ständige operative Lageeinschätzung und -beherrschung möglich“367 sei, in den Bereichen Ausbildungsstätten, kirchliche Jugendarbeit, Amtsträger und Laienarbeit jedoch „Nachholebedarf bei der Gewinnung inoffizieller Mitarbeiter“368 bestehe. Inwiefern die Unterwanderung der ELKTh durch das MfS der Partnerschaft oder einzelnen an ihr beteiligten Personen (sofern sie nicht bereits aus anderen Gründen im Visier der Staatssicherheit waren) konkret geschadet hat, ist aus den mir vorliegenden Akten nicht zu entnehmen. Auf der anderen Seite kann nicht geleugnet werden, dass die engen Beziehungen einflussreicher kirchlicher Amtsträger in Thüringen zu den staatlichen Organen der württembergischthüringischen Partnerschaftsarbeit Freiräume verschaffen konnten, die sich durchaus positiv auf die Beziehungen auszuwirken vermochten. So beklagte ein Papier des Staatssekretariats für Kirchenfragen aus dem Jahr 1966, dass in Thüringen „unter Ausnutzung der positiven Situation in der Kirchenleitung“ eine Vielzahl westlicher Besucher „tätig werden“ könnten369. 4.4.1.2. „Negative ideologische Einflußnahme“ – Befürchtungen der DDR Die misstrauische Beobachtung durch die DDR-Behörden macht deutlich, dass die DDR-Führung mit negativen Auswirkungen der Kirchenpartnerschaften auf ihr Staatswesen rechnete. Die Akten zeigen, dass sich die Besorgnis vor allem auf zwei Bereiche richtete: Man hatte Bedenken, die Partnerschaften könnten (1) der äußeren Integrität der DDR schaden, und man fürchtete, die Kontakte würden (2) die politische und gesellschaftliche Haltung der christlich geprägten DDR-Bürger im westliche Sinne beeinflussen. 366

EBD., S. 266. „Lageeinschätzung im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen“ vom 20.8.86 (BStU MfS ASt Erfurt BDL 2057 Bl. 12). 368 EBD., Bl. 13. 369 Konzeption zur weiteren Arbeit mit der Landeskirche Thüringen vom 26.8.66 (BArch BERLIN DO 4 2978). Vgl. auch die Einschätzung von Hirth 6.9.01, Mittendorf 20.9.01, Sorg 4.2.02. 367

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(1) Besonders in den fünfziger Jahren wurden die Partnerschaften als Bedrohung des äußeren Ansehens und der Sicherheit der DDR gesehen. Die Auswirkungen der Ansicht der DDR-Führung, die Hilfsaktion aus dem Westen rücke die DDR bewusst in ein schlechtes Licht und stelle eine Verunglimpfung des Arbeiter- und Bauern-Staates dar, wurden anhand von staatlicher Propaganda und kirchlichen Dokumenten bereits im Kapitel über die Patenschaft in den fünfziger Jahren beschrieben. Interne Dokumente der DDR-Behörden schon aus den frühen fünfziger Jahren lassen keinen Zweifel daran, wie die Hilfstätigkeit der Kirchen von staatlicher Seite eingeschätzt wurde. So hieß es in einer Niederschrift des Referenten für Religionsgemeinschaften des Rates des Bezirkes Suhl über eine Besprechung in Berlin im November 1953, die „Liebesgabenaktionen“ der Kirchen seien zwar offiziell genehmigt worden, sie hätten nun aber „Formen angenommen, die weit über den kirchlichen Raum und die kirchliche Zielsetzung hinausgehen“ und seien als „westdeutsche Paketprovokationen“ zu verstehen. In der BRD werde die Meinung geschaffen, in der „Ostzone“ herrsche „Elend und Hunger“, dagegen werde die Not der Arbeitslosen und Rentner in Westdeutschland ignoriert: „Das ist offene Stimmungsmache der Kirche gegen die DDR und gegen die Einheit Deutschlands.“370 Mit allen Mitteln wurde versucht zu vermeiden, dass die Bevölkerung, auch und gerade die christliche, mit ihren Verhaltensweisen dem Bild der notleidenden Sowjetzone Vorschub leistete. Bei einer Aussprache im Januar 1959 schärfte ein CDU-Funktionär im Bezirk Suhl Pfarrern im Hinblick auf den Kontakt mit ihren Patengemeinden ein, was sie in ihren Briefen über die DDR schrieben, würde das DDR-Bild in Westdeutschland prägen. „Falsche Meinungen“ könnten nicht zustande kommen, wenn die Pfarrer in ihrer Korrespondenz als „Bürger der DDR“371, also positiv von ihrem Staat sprächen. Eine Kampagne in der Vorweihnachtszeit 1961, die unter anderem zur Akzeptanz der im November erlassenen Desinfektionsbestimmung für den Versand von Altkleidern in die DDR beitragen sollte372, versuchte die Bürger von der Gefährlichkeit der vom gesamtdeutschen Ministerium der BRD geförderten und angeblich von „Organisationen des kalten Krieges in mancherlei, sogar in kirchlichem Gewand“373 verschickten Paketsendungen zu überzeugen. Die 370

Alle Zitate „Niederschrift über die Besprechung der Referenten für Religionsgemeinschaften in Berlin am 10.11.1953“ vom 13.11.53 (ThStA MEININGEN RdBS 751), S. 4. 371 Beide Zitate Rat des Bezirkes Suhl, „Protokoll über die Aussprache mit evangelischen Pfarrern des Bezirks Suhl in Anwesenheit des Staatssekretärs für Kirchenfragen Genossen Eggerath am 28.1.1959“ (BArch BERLIN DO 4 2980). Vgl. auch die Beispiele für Propaganda zur Stärkung des wirtschaftlichen Selbstbewusstseins der DDR-Bürger bei A. KAMINSKY, Alu-Chips, S. 167f. 372 S. o. S. 75f. 373 Frühkommentar im Rundfunk der DDR von Heinz Winter vom 11.12.61, zit. nach P. KABUS, Liebesgaben, S. 129.

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Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

DDR-Regierung schütze mit ihren Bestimmungen, so der Spitzensatz eines Rundfunkkommentars, ihre Bürger „vor dem Geschenktod aus der Westzone“374. Gleichzeitig sollte die Empörung der Bevölkerung über Westpakete mit schäbigem Inhalt geschürt werden. In der Satirezeitschrift „Eulenspiegel“ erschienen ebenfalls im Dezember 1961 unter der Überschrift „Vorsicht: Liebesgaben!“ Karikaturen, die an die schlechten Erfahrungen mancher Beschenkten anknüpften und die Arroganz der Westverwandtschaft humoristisch zuspitzend anprangerten: In Potsdam hat ein Pärchen ein Paket mit stinkender, unbrauchbarer Kleidung geöffnet und liest den Begleitbrief, in dem etwas vom „Duft der großen weiten Welt“ steht. In Bochum weist ein Mann seine Frau an, die kaputten Schuhe „Tante Klara in die Zone“ zu schicken, da sich eine Reparatur nicht mehr lohne375. Neben dem Schaden für das Ansehen der DDR rechnete die DDRFührung noch mit einem zusätzlichen Sicherheitsrisiko: Die partnerschaftliche Hilfsaktion schien westlicher Spionage Vorschub zu leisten. Ein von Walter Ulbricht persönlich angeforderter Bericht des Staatssekretariats für Innere Angelegenheiten aus dem Jahr 1955 sah es als erwiesen an, dass die Sammlung von Adressen bedürftiger Personen in den Gemeinden der DDR für den Versand von Geschenkpaketen der „Agententätigkeit“ vermeintlicher westdeutscher Hilfsorganisationen diene376. Zusammenfassend hielt der Bericht fest, dass „die sogenannte Liebestätigkeit der kirchlichen Organisationen unmißverständlich eine Übereinstimmung mit der Tätigkeit der Agentenorganisationen zeigt“377. Auch wenn sich der Ton in späteren Jahren entschärfte und die Einschätzungen differenzierter wurden, ging auch eine der in den achtziger Jahren an der „Juristischen Hochschule“ des MfS entstandenen Arbeiten über die Kirchenpartnerschaften aus dem Jahr 1986 noch davon aus, dass es „den imperialistischen Geheimdiensten […] wesenseigen“ sei und ihnen daher „unterstellt werden“ könne, „daß sie die bestehenden kirchlichen Kontakte […] zumindestens als eine Möglichkeit der Abschöpfung bzw. als Kanalisierungsmöglichkeit für subversive Angriffe betrachten und diese voll nutzen.“378

374

EBD. Die Karikaturen sind abgedruckt bei C. HÄRTEL/P. KABUS, Westpaket, S. 114f. Zur Problematik der schäbigen Geschenke s. bereits Kapitel 3.1.2.1. und 3.2.2. 376 SED-Hausmitteilung Walter Ulbricht an Willi Barth mit Bericht „Paketaktion – ‚Bruderhilfe Ost‘“ vom 4.10.55 (SAPMO - BArch BERLIN DY 30 IV 2/14 195), hier S. 4. Vgl. auch den Vorwurf der Agententätigkeit im Zusammenhang der Kampagnen gegen die Junge Gemeinde und die Bahnhofsmission (s. o. S. 30). 377 EBD., S. 6. 378 Nopirakowski, Mittel (BStU MfS VVS JHS o001-305/86), S. 17. Als Beispiel s. o. Kapitel 4.2.2.2., Fußnote 160. 375

Kirchenpartnerschaft im Spannungsfeld der Deutschlandpolitik

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(2) Nachhaltiger jedoch als diese vermeintliche äußere Bedrohung beschäftigten die DDR-Behörden die Auswirkungen im Innern der DDR, die der dauernde Kontakt mit Westdeutschen auf die Christen und darüber hinaus auf die Gesellschaft der DDR insgesamt hatte. Man fürchtete, Vertreter der westdeutschen Kirchen könnten „unter Ausnutzung der religiösen Gefühle der Christen in der DDR“ mittels der Partnerschaften „einen der sozialistischen Entwicklung entgegenstehenden Einfluß ausüben.“379 Dies schien sich zu bewahrheiten, denn, wie Berichte aus den Bezirken Gera und Suhl um das Jahr 1980 feststellen mussten, waren auch wegen der vielen persönlichen Kontakte in den Westen Gespräche mit kirchlichen Amtsträgern „immer Auseinandersetzungen mit den Theorien und Auffassungen des Klassengegners“380. Dabei boten sich aus Sicht der DDR zwei Wege, auf denen westliche Ideologie transportiert werden konnte. Einerseits direkt üben den inhaltlichen Austausch zwischen den Partnern, andererseits aber auch indirekt über materielle Zuwendungen, die sich aus Sicht des MfS als „materielle Korrumpierung“381 darstellten. Bereits 1953 wurde im Zusammenhang mit der Kampagne gegen die Junge Gemeinde im Bezirk Suhl der Vorwurf erhoben, sie beeinflusse die Bevölkerung „durch Ausgabe von Lebensmitteln, Kleidern und Schuhen, welche alle von ‚Patenkreisen‘ aus kapitalistischen Ländern stammen.“382 1959 stellte eine Einschätzung des Staatssekretariats für Kirchenfragen über den Deutschen Pfarrertag heraus, die finanzielle Hilfe für die Pfarrer in der DDR diene dazu, diese „ökonomisch abhängig zu machen, um sie dann für die Ziele des politischen Klerikalismus einsetzen zu können.“383 Fast unverändert überdauert dieser Vorwurf die Jahrzehnte der Partnerschaft. Noch Ende der achtziger Jahre hieß es in einer MfS-Forschungsarbeit zu den Kirchenpartnerschaften im Kreis Hildburghausen, das Sprichwort „Wessen Brot ich esse, dessen Lied

379 Beide Zitate Bezirksbehörde DVP Suhl, Information über bisher festgestellte Verbindungen der evangelischen Kirche nach Westberlin und Westdeutschland vom 11.6.66 (ThStA MEININGEN BPAS IV/A/2.14/691), S. 1. Ähnliche Formulierungen finden sich häufig. 380 Rat des Kreises Neuhaus am Rennweg, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres, Analyse der kirchenpolitischen Situation und der Ergebnisse und Probleme der Durchsetzung der Staatspolitik in Kirchenfragen vom 28.11.79 (ThStA Mgn RdBS 26046), S. 35, vgl. Rat des Bezirkes Gera, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres an Staatssekretär für Kirchenfragen vom 25.11.80 (BArch BERLIN DO 4 656), S. 4. 381 Jänisch, Zusammenwirken (BStU MfS VVS JHS o001-303/88), S. 9. 382 SED-Bezirksleitung Suhl, Abteilung Leitende Organe für Partei und Massenorganisationen an Sekretariat vom 11.2.53 (ThStA MEININGEN BPAS IV/2/14/1243 Bl. 94). 383 Arbeitsgebiet Westdeutschland/Ausland, Einschätzung des vom Verband der Evangelischen Pfarrvereine veranstalteten 8. Deutschen Pfarrertages vom 15.–18.9.1959 in Mühlheim/Ruhr, 2. Entwurf vom 6.11.59 (BArch BERLIN DO 4 2832 Bl. 145). Vgl. auch die Äußerungen auf Bezirksebene aus den sechziger Jahren bei P. BEIER, Sonderkonten, S. 87.

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Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

ich singe“ treffe „auf die Kirchen voll zu.“384 Eine aus kirchlicher Sicht besonders unangenehme, in einigen Fällen jedoch partiell nicht unzutreffende Interpretation der partnerschaftlichen Beziehungen lieferte die zitierte Arbeit an anderer Stelle: Die Initiative zur Intensivierung der Kontakte gehe von beiden Partnern aus, hieß es dort, allerdings mit unterschiedlichen Motiven: von den DDR-Pfarrern aus materiellem Interesse, von den BRD-Partnern mit dem Ziel der ideologischen Beeinflussung385. Dagegen hatte der Verdacht, die westdeutschen Kirchen würden mit ihrer Unterstützung „Wohlverhalten“ von Amtsträgern in der DDR „honorieren“386, m. E. keinen Anhalt an der Realität. Es handelte sich dabei vielmehr um eine Projektion der eigenen Grundsätze einer differenzierenden Kirchenpolitik, die loyale Amtsträger fördern, unliebsame dagegen neutralisieren sollte. Dazu dienten seit Mitte der fünfziger Jahre die Gelder der von Peter Beier ausführlich untersuchten „Sonderkonten Kirchenfragen“, die als bewusster Gegenpol zu den materiellen Hilfen aus dem Westen eingesetzt wurden, jedoch die Konkurrenz langfristig nicht bestehen konnten387. Zudem wurde versucht, die Erteilung von Einfuhrgenehmigungen für Spenden der Partnerkirche von der politischen Einstellung der Beschenkten abhängig zu machen388. In dreierlei Hinsicht war der DDR-Führung der ideologischen Einfluss der Partnerschaften auf die christliche Bevölkerung unangenehm. Man fürchtete das Eindringen von (a) bürgerlichem und daher antisozialistischen Gedankengut und (b) deutschlandpolitischen Vorstellungen aus dem Westen und hatte zudem Bedenken, der Einfluss der Partner könnte (c) die kirchenpolitischen Ziele des sozialistischen Staates durchkreuzen.

384 Höhn, Analyse (BStU MfS VVS JHS o001-284/88), S. 8. Vgl. ähnlich auch EBD., S. 4 und 24, sowie die „Lektion zur Bekämpfung des Mißbrauchs der Kirchen“ des MfS von 1984 (G. BESIER/ S. WOLF, Pfarrer, S. 404) und das Informationsmaterial der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe des MfS von 1987 (G. BESIER/S. WOLF, Pfarrer, S. 490). 385 Vgl. Höhn, Analyse (BStU MfS VVS JHS o001-284/88), S. 11. Zu den diesbezüglichen partnerschaftsinternen Problemen s. o. Kapitel 3.2.6. und 4.3.1. 386 Hermann, Kenntnis (BStU MfS VVS JHS o001- 236/83), S. 139, vgl. das Informationsmaterial der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe des MfS von 1987 (G. BESIER/S. WOLF, Pfarrer, S. 490). 387 Vgl. P. BEIER, Sonderkonten, hier bes. 85–94. Zum System der Belohnung loyaler Kirchenleute durch den Staat am Beispiel Thüringens vgl. auch D. REMY, Sekt. 388 Vgl. Rat des Bezirkes Suhl, Innere Angelegenheiten, Kultfragen, an Ministerium des Innern, Abteilung Kultfragen vom 19.12.56 (ThStA Mgn RdBS 7022), auch Rat des Kreises Meiningen, Abteilung Innere Angelegenheiten, an Rat des Bezirkes Suhl, Abteilung Innere Angelegenheiten vom 12.8.57 und Rat des Kreises Ilmenau, Innere Angelegenheiten, an Rat des Bezirkes Suhl, Innere Angelegenheiten vom 21.2.58 (beide ThStA MEININGEN RdBS 781).

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(a) Während der Adenauer-Ära fürchtete die DDR-Führung vor allem das Eindringen der antikommunistischen und restaurativen Tendenzen der bundesrepublikanischen Gesellschaft und Politik, die wegen der engen Beziehungen zwischen Regierungspartei und Kirchen im DDR-Jargon als „politischer Klerikalismus“ verurteilt wurden. In einem Papier des Staatssekretariats für Kirchenfragen aus dem Jahr 1959 wurde die Patenschaftsarbeit selbst als „eine Form des politischen Klerikalismus“389 bezeichnet, die dazu beitragen solle, „auf die christlichen Bürger der DDR Einfluß zu nehmen und sie von einer aktiven Mitarbeit am gesellschaftlichen Leben in der DDR abzuhalten.“390 In Anspielung auf den 1957 abgeschlossenen Militärseelsorgevertrag wurde in einem Vortrag über den Stand der kirchenpolitischen Arbeit im Bezirk Suhl im Dezember 1966 vor den engen Kontakten der Kirchen in beiden deutschen Staaten gewarnt: Die westdeutsche Kirchenleitung unterstütze die CDUPolitik und habe darüber hinaus ein „System der Einflußnahme auf die Geistlichen in der DDR entwickelt“391, dessen Auswirkungen deutlich zu spüren seien. Betrachtet man die Begründungen der Bundesregierung für die Förderung der Kirchenpartnerschaften in den fünfziger Jahren, so wird deutlich, dass die Befürchtungen der DDR-Führung hier durchaus einen Anhaltspunkt hatten392. In der konkreten Partnerschaftsarbeit traten solche Motive jedoch in den Hintergrund. In den siebziger und achtziger Jahren drohte nach Ansicht der staatlichen Stellen der DDR Gefahr auch aus anderen politischen Richtungen. Immer noch fürchtete man, dass „bürgerliches Gedankengut“393 in die DDR eindringen könnte, jedoch waren damit nun keineswegs ausschließlich CDU-nahe Positionen gemeint. Auch Kontakte, die über eine Partnerschaft im Kreis Hildburghausen zu den GRÜNEN bestanden, bildeten – ungeachtet des Selbstverständnisses der Ökopartei in den achtziger Jahren – nach Meinung des MfS ein Einfallstor für „bürgerliches Gedankengut zu Fragen der Ökologie“394. Verständlicherweise reagierte die DDR-Führung empfindlich auf den deutschdeutschen Austausch und die Unterstützung der Friedens-, Ökologie- und 389 Rundschreiben Arbeitsgebiet Westdeutschland/Ausland an die verantwortlichen Kollegen für die Anleitung der Bezirke im Hause vom 13.11.59 (BArch BERLIN DO 4 2837), S. 1. 390 EBD., S. 2. 391 Rat des Bezirkes Suhl, Vortrag „Stand der Arbeit auf dem Gebiet der Kirchenpolitik im Bezirk Suhl und die sich daraus ergebenden Aufgaben für die Arbeit im Jahre 1967“, Entwurf vom 5.12.66 (ThStA MEININGEN BPAS IV/A/2.14/692), S. 15. 392 Dazu Kapitel 4.4.2.1. 393 Höhn, Analyse (BStU MfS VVS JHS o001-284/88), S. 7, vgl. das Informationsmaterial der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe des MfS von 1987 (G. BESIER/S. WOLF, Pfarrer, S. 477). 394 Höhn, Analyse (BStU MfS VVS JHS o001-284/88), S. 19.

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Menschenrechtsbewegung, also der oppositionellen Gruppen unter dem Dach der Kirche395. Eine 1988 entstandene Arbeit des MfS warnte im Hinblick auf die Partnerschaften: „So versuchen gegnerische Kräfte innerhalb und außerhalb der EKD der BRD und [des] BEK in der DDR, das gemeinsame christliche Engagement für die Erhaltung des Friedens, des Eintretens für Abrüstung und Fortschritt ‚umzufunktionieren‘ sowie zu mißbrauchen und ein ‚legales Oppositionspotential‘ gegen den Sozialismus […] zu formieren.“396

Besonders der Austausch von Materialien aus diesen Betätigungsfeldern war den Behörden ein Dorn im Auge. So analysierte dieselbe Arbeit ausführlich ein Papier der Kreissynode Oberhausen zur Friedensfrage aus dem Jahr 1985, das von einem Westpartner in den Kirchenkreis Fürstenwalde eingeführt wurde. Das darin enthaltene Bekenntnis zur Kriegsdienstverweigerung wertete der Verfasser als Hinweis auf die „Bestrebungen dieser Kreise gegen die Wehrbereitschaft der DDR“397. Ein ausgesprochen sensibles Feld war auch die kirchliche Jugendarbeit. Gerade Jugendliche sollten in friedens- und schulpolitischen Fragen keinesfalls mit westlichen Argumenten vertraut gemacht werden, was jedoch in Gemeinden, die intensive Partnerschaftsbeziehungen pflegten, kaum vermeidbar war398. Auch die Kontakte zwischen den Jugendwerken wurden vor diesem Hintergrund äußerst ungern gesehen399. Erst recht wurden die Westkontakte der Kirchen für die DDR untragbar, wenn aus ihnen konkrete politische Forderungen erwuchsen, wie etwa großzügigere Reisemöglich-

395 Vgl. die vielfältigen Belege bei Höhn, Analyse (EBD.), S. 8, Jänisch, Zusammenwirken (BStU MfS VVS JHS o001-303/88), S. 6, Nopirakowski, Mittel (BStU MfS VVS JHS o001-305/86), S. 14 und 19, die „Einschätzung der politisch-operativen Lage auf dem Gebiet der kirchlichen Partnerschaftsbeziehungen“ der Bezirksverwaltung Erfurt vom 24.10.85 (BStU MfS ASt Erfurt BDL S 189 Bl. 3f.) sowie die „Lektion zur Bekämpfung des Mißbrauchs der Kirchen“ des MfS von 1984 (G. BESIER/S. WOLF, Pfarrer, S. 411). 396 Jänisch, Zusammenwirken (BStU MfS VVS JHS o001-303/88), S. 6, vgl. ganz ähnlich Höhn, Analyse (BStU MfS VVS JHS o001-284/88), S.8, und Nopirakowski, Mittel (BStU MfS VVS JHS o001-305/86), S. 3. 397 Jänisch, Zusammenwirken (BStU MfS VVS JHS o001-303/88), S. 15. Zur Problematik der „Einschleusung von Literatur“ vgl. auch Nopirakowski, Mittel (BStU MfS VVS JHS o001-305/86), S. 20, und die „Einschätzung der politisch-operativen Lage auf dem Gebiet der kirchlichen Partnerschaftsbeziehungen“ der Bezirksverwaltung Erfurt vom 24.10.85 (BStU MfS ASt Erfurt BDL S 189 Bl. 5). 398 Vgl. die Ausführungen über den Kirchenbezirk Saalfeld im Schreiben Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres des Rates des Bezirkes Gera an den Staatssekretär für Kirchenfragen zum Thema „Offene Jugendarbeit der Kirchen“ vom 28.6.84 (ThStA RUDOLSTADT BPAG A 8025 Bl. 140f.). 399 Vgl. etwa die Treffberichte vom 28.1.81 und vom 14.6.81 aus der IM-Vorlaufakte von Landesbischof Leich (U.-P. HEIDINGSFELD/U. SCHRÖTER, Meister, S. 133f. und 144f.).

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keiten, mehr Freiräume für die junge Generation400, Schüleraustausch401 oder die Koppelung von Städtepartnerschaften an Kirchenpartnerschaften402. (b) Hinsichtlich der deutschlandpolitischen Ansichten der christlichen DDRBürger bestand von Anfang an – in Entsprechung zur Besorgnis um das Ansehen der DDR im Westen – die Befürchtung, die Partnerschaftsarbeit könnte ein nach offiziellen DDR-Maßstäben falsches, d. h. nicht den ideologischen Prämissen des Klassenkampfes entsprechendes Bild der BRD vermitteln. Durch die materiellen Zuwendungen aus dem Westen, so begründete ein Schreiben des Rates des Kreises Ilmenau aus dem Jahr 1958 die Ablehnung einer Einfuhrgenehmigung, werde „in der Endkonsequenz doch nur eine Verherrlichung des Westens betrieben“403 – eine Problematik, die das MfS auch noch 1987 mit nahezu identischer Wortwahl beschrieb404. Die häufigen Westkontakte trügen insgesamt dazu bei, so ein Papier des Staatssekretariats für Kirchenfragen zur kirchenpolitischen Situation in der ELKTh aus dem Jahr 1966, „daß die Gefährlichkeit des westdeutschen Revanchismus und Militarismus unterschätzt“405 werde. Ganz ähnlich wurde in den achtziger Jahren vom MfS auf die Gefahr einer „Verwischung des Feindbildes“406 durch die Partnerschaften hingewiesen. Dies gelte besonders, wenn aus den kirchlichen Kontakten enge persönliche Beziehungen entstünden. Zudem schienen der DDR-Führung die Partnerschaften dazu geeignet, konkrete deutschlandpolitische Konzepte aus der BRD zu importieren, die im Widerspruch zur eigenen Deutschlandpolitik standen. Laut einer Einschätzung der Patenschaftsverhältnisse durch das Staatssekretariat für Kirchenfragen aus dem Jahr 1959 wurden die Beziehungen als Teil der Politik der „menschlichen Kontakte“ des Gesamtdeutschen Ministeriums der BRD gesehen. Dies zeige sich daran, „dass von den Patengemeinden […] noch nie der Vorschlag einer 400 Vgl. Rat des Bezirkes Suhl, Information nach Rahmenplan vom 7.9.89 (BArch BERLIN DO 4 1124), S. 1. 401 Vgl. Rat des Kreises Meiningen an Rat des Bezirkes, Bereich Inneres, vom 29.5.85 (ThStA MEININGEN RdBS 2798/3 Bd. 4 Bl. 141). 402 Vgl. Höhn, Analyse (BStU MfS VVS JHS o001-284/88), S. 22. S. u. den Exkurs „Kirchenpartnerschaften und Städtepartnerschaften“, S. 295ff. 403 Rat des Kreises Ilmenau, Innere Angelegenheiten, an Rat des Bezirkes Suhl, Innere Angelegenheiten vom 21.2.58 (ThStA MEININGEN RdBS 781). 404 Vgl. das Informationsmaterial der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe des MfS von 1987 (G. BESIER/S. WOLF, Pfarrer, S. 477). Dort heißt es, die Partnerschaftskontakte seien bestimmt von „der Verherrlichung des Lebens in der westlichen Welt“. 405 Konzeption zur weiteren Arbeit mit der Landeskirche Thüringen vom 26.8.66 (BArch BERLIN DO 4 2978), S. 5. 406 Höhn, Analyse (BStU MfS VVS JHS o001-284/88), S. 17. Vgl. auch der Bericht Rat des Bezirkes Gera, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres an Staatssekretariat für Kirchenfragen vom 28.1.81 (BArch BERLIN DO 4 1142), S. 9.

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Konföderation beider deutscher Staaten“ als der „einzig mögliche[…] Weg der Wiedervereinigung unterstützt worden“ sei407. Seit der endgültigen Abkehr der DDR vom gesamtdeutschen Gedanken war bereits die Betonung der Gemeinsamkeit der Kirchen in Ost und West ein deutschlandpolitischer Affront. Der „gesamtdeutsche Charakter408 der Partnerschaften wurde zum Pauschalvorwurf. Deutliche Worte fand beispielsweise das Staatssekretariat für Kirchenfragen Ende des Jahres 1974: Es müsse klar sein, dass in der DDR kein Platz sei „für irgendwie geartete Deutschtümelei“. Dies gelte auch „für ihre religiös und klerikal verbrämte Variante, die besonders in der illusionären Vorstellung von einer angeblichen ‚gesamtdeutschen Klammerfunktion der Kirchen‘“409 zum Ausdruck komme. In den späten sechziger Jahren sahen die DDR-Politiker die Kontakte vor allem als Ausdruck des Unwillens der Kirchen, eine von der DDR gewünschte organisatorische Trennung zu akzeptieren410. Wie sehr die Partnerschaften dem politischen Ziel hier im Wege standen, wird in einer Nachricht an den Leiter der Abteilung Evangelische Kirchen und Religionsgemeinschaften des Staatssekretariats für Kirchenfragen deutlich. Bei einem operativen Einsatz erfuhr der Verfasser im April 1968 von einem bevorstehenden Treffen des Konvents der Superintendentur Saalfeld mit den württembergischen Partnern im Berliner Stephanusstift und empörte sich in Anspielung auf die Äußerung von Landesbischof Mitzenheim im Februar desselben Jahres: „Während der Landesbischof feststellt, daß Staatsgrenzen auch Kirchengrenzen sind, werden im Schatten dieser Erklärung gesamtdeutsche Partnerschaften gepflegt.“411

407 Staatssekretariat für Kirchenfragen, „Einschätzung der Patenschaftsverhältnisse zwischen den westdeutschen ev. Landeskirchen und den ev. Landeskirchen in der DDR“, undatierter Entwurf, vermutlich vom Oktober 1959 (BArch BERLIN DO 4 2837). Zum Konföderationskonzept der DDRFührung s. o. S. 271f. 408 Zentrale Planvorgabe Mielkes für die Jahre 1986–1990 vom 21.5.86 (G. BESIER/S. WOLF, Pfarrer, S. 456), vgl. z. B. auch Rat des Bezirkes Gera, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres an Staatssekretariat für Kirchenfragen vom 4.12.74 (BArch BERLIN DO 4 656), S. 5, Nopirakowski, Mittel (BStU MfS VVS JHS o001-305/86), S. 19, und die „Einschätzung der politisch-operativen Lage auf dem Gebiet der kirchlichen Partnerschaftsbeziehungen“ der Bezirksverwaltung Erfurt vom 24.10.85 (BStU MfS ASt Erfurt BDL S 189 Bl. 3) sowie den Vermerk vom 10.10.80 bei G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 200. 409 Alle drei Zitate Staatsekretär für Kirchenfragen, „Präambel zum Arbeitsplan der Dienststelle des Staatssekretariats für Kirchenfragen für das I. Halbjahr 1975“ vom 14.12.74 (ThStA RUDOLSTADT RdBG 7.4. I 278), S. 2. 410 Vgl. z. B. Rat des Bezirkes Suhl, Vortrag „Stand der Arbeit auf dem Gebiet der Kirchenpolitik im Bezirk Suhl und die sich daraus ergebenden Aufgaben für die Arbeit im Jahre 1967“, Entwurf vom 5.12.66 (ThStA MEININGEN BPAS IV/A/2.14/692), S. 14–16. 411 Information eines wissenschaftlichen Mitarbeiters vom 5.4.68 (BArch BERLIN DO 4 2979). Zur Trennung von EKD und BEK s. o. Kapitel 2.1.1. und 2.1.2.

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Doch auch die vollzogene Trennung von EKD und BEK brachte nicht den gewünschten Erfolg. Ernüchtert heißt es in der „Lektion“ des MfS zur „vorbeugenden Verhinderung und Bekämpfung des Mißbrauchs der Kirchen in der DDR“ im Mai 1984: „Trotz formaler Trennung im Jahre 1969 lassen sich die Evangelischen Kirchen in der BRD und in der DDR nicht von der zwischen Kirchen verschiedener Staaten bzw. Konfessionen üblichen ökumenischen Arbeit leiten. Sie betonen stets eine ‚besondere Gemeinschaft der ganzen Evangelischen Christenheit in Deutschland‘ und von dieser Position aus gestalten sie ihre Beziehungen.“412

Dabei sei, so die Lektion weiter, die Partnerschaftsarbeit, in deren Rahmen „getreu der ‚besonderen Gemeinschaft‘ sowie der Fiktion der Regierung der BRD von der Kirche als ‚Gesamtdeutsche Klammer‘“ zahlreiche Treffen stattfänden, „von größter politisch-operativer Bedeutung“413. Eine solche Gemeinsamkeit aber unterlief eindeutig, wie der Verfasser einer der im Auftrag des MfS gefertigten Diplomarbeiten zum Thema Partnerschaften feststellte, „die Politik der DDR zur Abgrenzung von der BRD“414. Den zur Anbahnung und Pflege der Beziehungen genutzten „Kirchentourismus“ schätzte das MfS im Mai 1986 als „Bestandteil der strategischen Linie der CDU/CSU in Bezug auf das Offenhalten ‚der deutschen Frage‘ und die Intensivierung ‚gesamtdeutscher‘ Kontakte“415 ein. (c) Schließlich waren der DDR-Führung die Partnerschaften auch deshalb ein Dorn im Auge, weil sie den kirchenpolitischen Zielsetzungen des SEDRegimes entgegen standen. Dies galt nicht nur für die bereits erwähnte auch deutschlandpolitisch relevante Trennung von EKD und BEK. Die Partnerschaften gefährdeten mancherorts auch die gewünschte Zurückdrängung des gesellschaftlichen Einflusses der Kirche. Westkaffee aus der Partnergemeinde konnte die Attraktivität von Bibelstunden auf unliebsame Weise erhöhen416, 412 „Lektion zur Bekämpfung des Mißbrauchs der Kirchen“ des MfS von 1984 (G. BESIER/S. WOLF, Pfarrer, S. 410). Vgl. auch die Zitate bei G. BESIER, SED-Staat, Bd. 2, S. 209. 413 EBD. Die Zitate finden sich auch bei U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, S. 90f. Zu den Partnerschaften als Versuch, die organisatorische Trennung zwischen EKD und BEK zu unterlaufen, vgl. auch Rat des Bezirkes Suhl, Information nach Rahmenplan vom 7.9.89 (BArch BERLIN DO 4 1124), S. 6. 414 Nopirakowski, Mittel (BStU MfS VVS JHS o001-305/86), S. 20. 415 Material zur Entwicklung des „Tourismus aus der BRD in die DDR und kirchliche Aktivitäten“ vom 27.5.86 (BStU MfS HA VI Nr. 11650 Bl. 25). 416 Vgl. Bezirksleitung Gera der SED, Abteilung Staatliche Organe, an ZK der SED, Abteilung Kirchenfragen, vom 13.2.57 (ThStA RUDOLSTADT BPAG IV/2/14/1191 Bl. 25) und Bezirksbehörde DVP Suhl, Information über bisher festgestellte Verbindungen der evangelischen Kirche nach Westberlin und Westdeutschland vom 11.6.66 (ThStA MEININGEN BPAS IV/A/2.14/691), S. 5.

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ebenso waren das Verteilen von Westschokolade in der Christenlehre und die Geschenkpakete für Konfirmanden kontraproduktiv für die Pläne des Staates, die Jugend dem Einfluss der Kirche zu entziehen417. Noch in den achtziger Jahren ging man davon aus, dass die materiellen Zuwendungen der Partnerkirchen die Attraktivität der gesamten kirchlichen Arbeit steigerten418 und die im Rahmen der Partnerschaften stattfindenden Ost-West-Begegnungen „auch bei Nichtchristen […] hoch im Kurs“419 stünden. Neben der Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses auf die Gesellschaft behinderten die Partnerschaften auch die seit Mitte der fünfziger Jahre betriebene Differenzierungspolitik des Staates im Raum der Kirche. Solange Christen und besonders kirchliche Amtsträger, die dem Staat kritisch gegenüber standen, ideelle und materielle Unterstützung aus der Partnerkirche bekamen, konnte ihre Benachteilung durch den Staat nicht die gewünschte Wirkung entfalten. So beklagte ein Bericht aus dem Kreis Stadtroda vom Oktober 1974, von den vielen persönlichen Kontakten der Pfarrer in den Westen gingen Einflüsse aus, die allen „Bemühungen, den Differenzierungsprozeß unter den Amtsträgern weiter zu entwickeln“420 entgegen wirken würden. Als breite Basisbewegung drohte die Partnerschaftsarbeit zudem, das seit den sechziger Jahren langsam und mühevoll aufgebaute gute Verhältnis des Staates zu den Kirchenleitungen zu beeinträchtigen. Gerade in Thüringen erschienen die intensiven Westkontakte schon in den sechziger Jahren wie ein Unterlaufen des offiziellen Kurses: „Selbst progressive Kräfte“, so eine Konzeption des Staatssekretariats für Kirchenfragen aus dem Jahr 1966, würden dort „den negativen Einfluß dieser Westbesuche“421 unterschätzen. In den achtziger Jahren wurde allgemein befürchtet, die Basis könne, von westlichem Gedankengut geleitet, einen ungünstigen Einfluss auf die Kirchenleitungen und deren Kirchenpolitik ausüben422. In einer Einschätzung des MfS über die Lage auf dem Gebiet der Partnerschaften im Bereich der ELKTh aus dem Jahr 1985 hieß es: 417

Dazu s. o. Kapitel 3.2.2. Vgl. Höhn, Analyse (BStU MfS VVS JHS o001-284/88), S. 24. 419 Rat des Bezirkes Suhl, Information nach Rahmenplan vom 7.9.89 (BArch BERLIN DO 4 1124), S. 6. 420 Rat des Kreises Stadtroda, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres, Bericht vom 29.10.74 (ThStA RUDOLSTADT RdBG 7.4. I 282), S. 13, vgl. Niederschrift vom Lehrgang des ZK der SED vom 12.5.–16.5.80 in Kleinmachnow vom 23.5.80 (ThStA RUDOLSTADT RdBG 7.4. I 273), S. 10. Zur Differenzierungspolitik vgl. auch M. G. GOERNER, Kirche, S. 233–241. 421 Konzeption zur weiteren Arbeit mit der Landeskirche Thüringen vom 26.8.66 (BArch BERLIN DO 4 2978), S. 5. Vgl. auch die Empörung über die Partnerschaftskontakte angesichts der Äußerung Mitzenheims zu Staatsgrenzen und Kirchengrenzen in der oben zitierten Information eines wissenschaftlichen Mitarbeiters vom 5.4.68 (BArch BERLIN DO 4 2979). 422 Vgl. Nopirakowski, Mittel (BStU MfS VVS JHS o001-305/86), S. 18. 418

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„Gemäß vorliegenden Erkenntnissen kann die Aussage getroffen werden, daß die Einwirkungen über die kirchlichen Partnerschaftsbeziehungen bisher keinen bedeutsamen Einfluß auf realistisch eingestellte kirchliche Amtsträger der Thüringer Landeskirche hatten, jedoch perspektivisch mit einem wesentlich stärkeren Druck auf die Kirchenpolitik der Thüringer Landeskirche seitens der Laiensynodalen und den in der ‚offenen‘ Arbeit der Evangelischen Kirche organisierten feindlichen Kräfte zu rechnen ist.“423

Das MfS empfahl daher an anderer Stelle, dafür zu sorgen, dass die Ausweitungstendenzen der Partnerschaftsarbeit in der ELKTh zumindest unter „landeskirchliche Kontrolle“ gestellt werden sollten, um so einen „Wildwuchs“424 zu vermeiden. Exkurs: Kirchenpartnerschaften und Städtepartnerschaften Nicht nur von kirchlicher, auch von staatlicher Seite gab es Bemühungen, die deutsch-deutschen Verbindungen in der Zeit der Teilung durch Partnerschaften zwischen west- und ostdeutschen Städten zu festigen. Mitte der fünfziger Jahre war es die DDR, die im Sinne ihrer gesamtdeutschen Bestrebungen im Rahmen der „Westarbeit“ versuchte, Patenschaften zwischen Bezirken und Kreisen der DDR und der BRD „zur Verstärkung des gesamtdeutschen Gesprächs“425 zu initiieren. Diese Bemühungen hatten jedoch wenig Erfolg und flauten schon Ende der fünfziger Jahre wieder ab. In den siebziger Jahren erwachte unter dem Vorzeichen der Annäherung beider deutscher Staaten in vielen westdeutschen Kommunen der Wunsch nach partnerschaftlichen Verbindungen mit Städten in der DDR426. Nun jedoch lehnte die DDR-Führung solche Kontakte konsequent ab, da sie die politischen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sah. Erst Mitte der achtziger Jahre zeichnete sich eine Lockerung der Position ab. Im November 1985 stimmte Honecker in einem Gespräch mit dem Saarländischen Ministerpräsidenten einer Städtepartnerschaft zwischen Eisenhüttenstadt und Saarlouis zu. Daraufhin entstand

423 „Einschätzung der politisch-operativen Lage auf dem Gebiet der kirchlichen Partnerschaftsbeziehungen“ der Bezirksverwaltung Erfurt vom 24.10.85 (BStU MfS ASt Erfurt BDL S 189 Bl. 6). 424 Hermann, Kenntnis (BStU MfS VVS JHS o001- 236/83), S. 167. 425 Regierung der DDR, Der Ministerpräsident, Hauptabteilung Örtliche Organe des Staates, an den Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Gera vom 6.7.54 (ThStA RUDOLSTADT RdBG 7.1. 67 Bl. 8), vgl. die Aufteilung der „Betreuungsgebiete“ in Bayern auf die Kreise des Bezirks Gera vom 6.3.57 (ThStA RUDOLSTADT RdBG 7.2. 59). Zur „Westarbeit“ der SED in den Bezirken vgl. die Studie von M. MÖNNIGHOFF, Hettstedt. Zur Zuteilung von Patenkreisen durch die SED zur Intensivierung der Kontakte im Winter 1956 vgl. dort bes. S. 24ff. 426 Zu den innerdeutschen Städtepartnerschaften vgl. K. PLÜCK, Beziehungen, S. 2048–2057, darin im Anhang weitere Literatur zum Thema.

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in kürzester Zeit eine große Zahl von Verbindungen. Bis 1989 wurden insgesamt 62 Partnerschaften geschlossen427. So sehr auch Vertreter der Kirche die politische Annäherung begrüßten und teilweise an der Basis eine Koordination von kirchlicher und kommunaler Partnerschaftsarbeit gewünscht wurde – die für die Kirchenpartnerschaften Verantwortlichen waren sich darüber bewusst, wie ungern die DDR-Führung die Vermischung von politischen und kirchlichen Angelegenheiten sah. Daher warnten sie an verschiedenen Stellen vor einer solchen naheliegenden Zusammenarbeit. Auf Anfrage des baden-württembergischen Staatsministeriums anlässlich einer DDR-Reise von Ministerpräsident Lothar Späth informierte das DWW im Mai 1986 in einem dreiseitigen Schreiben über die Kirchenpartnerschaft zwischen Württemberg und Thüringen. Am Ende des Briefes bat das DWW jedoch, die Angaben vertraulich zu behandeln. Weiter hieß es: „Ferner haben wir die Bitte, die Partnerschaft zwischen den beiden Kirchen nicht mit politischen Anliegen einer Partnerschaft oder ähnlichem zu vermischen, denn diese Partnerschaft zwischen Thüringen und Württemberg hat ihre Besonderheit und Berechtigung – von seiten der DDR-Regierung her gesehen – in dem ausgesprochen kirchlichen Charakter; und diese persönlichen Kontakte und Hilfsmöglichkeiten sollten ja nicht gefährdet werden.“428

Im Jahresbericht 1987 der Abteilung „Gesamtkirchliche Hilfen“ des DWW wurde an die Adresse kirchlicher Entscheidungsträger in der Information über den Stand der deutsch-deutschen Partnerschaften, die Städte in Württemberg oder Thüringen betrafen429, deutlich hervorgehoben, „von einer Beteiligung der Kirchengemeinden an den Städtepartnerschaften“ sei „dringend abzuraten“. Mit dieser Haltung befinde man sich „im Einvernehmen mit den Partnerkirchen in der DDR“. Städtepartnerschaften, so der Bericht, hätten „ihre eigene Ausrichtung, die sich nicht mit den kirchlichen Partnerbeziehungen verbinden“430 ließe. Neben der Rücksicht auf die Empfindlichkeiten der DDR-Führung war diese außerordentlich schroffe und aus westlicher Sicht zunächst in sich nicht besonders plausible Abgrenzung auch auf die Besorgnis mancher kirchlicher Amtsträger, vor allem in der DDR, zurück zu führen, die fürchteten, eine enge Verbindung staatlicher und kirchlicher Angelegenheiten könne die Unabhän427

Vgl. die Aufstellung EBD., S. 2052–2054. DWW an Staatsministerium Baden-Württemberg vom 6.5.86 (DWW STUTTGART 2.02 265). 429 Bis Ende 1988 gab es keine Städtepartnerschaft, die eine württembergische mit einer thüringischen Stadt verband. Zufall oder nicht, in jedem Fall kam es der Haltung der Kirchen entgegen. 430 Alle Zitate DWW, Gesamtkirchliche Hilfen, Jahresbericht 1987 (DWW STUTTGART 2.02 264), S. 8. 428

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gigkeit kirchlicher Arbeit gefährden und zu einer Vereinnahmung durch die Interessen des Staates führen431. Diese Befürchtung musste angesichts der Erfahrung der schwierigen Gratwanderung der Kirchen in der DDR in ihrem Verhältnis zum Staat ernst genommen werden. Erst nach der Wende kam es an einigen Orten zu einer Koordinierung kirchlicher und kommunaler Partnerschaften432. 4.4.1.3. „Eine realere Einschätzung“ – Positive Erwartungen der DDR In Anbetracht der vielfältigen Befürchtungen, die das DDR-Regime im Hinblick auf die Partnerschaften hatte, mag es erstaunen, dass die staatlichen Stellen nicht aggressiver gegen die Kontakte vorgingen. Die Zurückhaltung erklärt sich aber, wenn man bedenkt, dass genau jene Vorgänge, die Besorgnis erregten, unter einem anderen Blickwinkel auch Aspekte bargen, die bei den verantwortlichen Stellen die Hoffnung weckten, sie für eigene Ziele nutzen zu können. Besonders in der Frühzeit der Partnerschaften, in der die DDR-Führung noch an der deutschen Einheit als zentralem politischen Ziel festhielt, war der Umgang mit den Ost-West-Kontakten der Landeskirchen eine außerordentlich schwierige Gratwanderung, durfte doch die Glaubwürdigkeit der gesamtdeutschen Bemühungen der DDR nicht in Frage gestellt werden. Immerhin war eine der Hauptaufgaben der Ende 1954 gegründeten ZK-Abteilung Kirchenfragen die „Vertiefung der gesamtdeutschen Arbeit“433. Die Verlegenheit der zuständigen Behörden zeigt sich in einem Schreiben des Referenten für Kirchenfragen des Bezirks Suhl vom Juli 1954 an einen Pfarrer, der um Predigterlaubnis für seinen Schwiegervater aus Westdeutschland gebeten hatte. Zunächst betonte der Verfasser, man habe „Verständnis für jede Handlung“434, die „zur Förderung des gesamtdeutschen Gespräches“ beitrage. Die staatlichen Stellen unternähmen selbst „alles, um durch Delegationen von Ost- nach Westdeutschland und umgekehrt dem Ziel der Einheit Deutschlands auf demokratischer Grundlage und dem Weltfrieden zu dienen.“ Allerdings gebe es „Bestrebungen“, die es „bis heute noch nicht“ möglich machten zu gestatten, dass Pfarrer aus Westdeutschland in DDR-Kirchengemeinden predigten. In der Erläuterung der „Bestrebungen“ geht der Brief allerdings über dunkle Andeutungen von Spionagevorfällen nicht hinaus. Zu 431

Vgl. Große 18.9.02. S. o. Kapitel 3.2.5., Fußnote 610. 433 Protokoll der Politbürositzung vom 4.1.55, zit. nach M. G. GOERNER, Arbeitsgruppe, S. 72. 434 Dieses Zitat und die folgenden: Rat des Bezirkes Suhl, Referat für Religionsgemeinschaften, an Pfarrer S. vom 29.7.54 (ThStA MEININGEN RdBS 752). 432

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welch schizophrener Haltung diese doppelte Politik führen musste, wird vollends deutlich an einem Rundschreiben, das derselbe Referent im Dezember 1956 an alle Kreise des Bezirkes sandte, um sie zum Verfassen eines Jahresberichts über ihre Arbeit im Bereich „Kultfragen“ aufzufordern. Als Gliederung für den Bericht schlug er vor, zunächst auf positive und negative Aspekte der politischen Haltung der Kirchen einzugehen, wobei die „Friedens- und Gesamtdeutsche Arbeit“435 der Kirchen unter den positiven Aspekten berücksichtigt werden sollte, die „Ost-West Kontakte“ dagegen auf der negative Seite. Mit Ende des gesamtdeutschen Engagements der DDR schwand, wie oben gezeigt, auch das Verständnis für die gesamtdeutschen Bemühungen der Kirchen. Doch wurde auch noch in den achtziger Jahren die Bedeutung der kirchlichen Verbindungen zum anderen deutschen Staat im Hinblick auf die „Haltung der Kirchen im Kampf für Frieden, Verständigung und Entspannung“ vom MfS durchaus positiv bewertet, solange sie eine kritische Haltung der BRD-Kirchen vor allem zur westlichen Rüstungspolitik zur Folge hatte436. Ein ähnliches Dilemma zwischen grundsätzlicher Ablehnung und partieller Befürwortung findet sich in der staatlichen Bewertung der materiellen Hilfe. Während sie einerseits als Beleidigung und Mittel zur Korrumpierung staatsbürgerlicher Positionen verurteilt wurde, konnte andererseits, wie schon in Kapitel 4.3. gezeigt, nicht darüber hinweg gesehen werden, welche Bedeutung nicht nur die zentralen, sondern auch die dezentralen, landeskirchlichen Hilfen für die Wirtschafts- und Versorgungslage der DDR hatten. So wies das MfS 1987 darauf hin, „der überwiegende Teil“ der aus dem Westen stammenden Gelder werde von den Kirchen „sinnvoll ausgegeben“ und schlage „letztendlich im Staatshaushalt positiv zu Buche“437. Für die Thüringer Kirche hielt die umfangreiche Studie von Artur Hermann 1983 fest, die umfangreiche Unterstützung durch das DWW müsse „hinsichtlich medizin-technischer, sanitärer, medikamentöser u. a. Hilfsleistungen unmittelbar für diakonische Einrichtungen akzeptiert werden.“438 Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Nutzen der materiellen Hilfe war sicher der Hauptgrund, weshalb die DDR-Behörden die Kirchenpartnerschaften nicht grundsätzlich unterbanden, doch gab es weitere Motive: 435

Beide Zitate Rat des Bezirkes Suhl, Abteilung Innere Angelegenheiten, Kultfragen, an alle Kreise, Abt. Innere Angelegenheiten, Kultfragen, vom 4.12.56 (ThStA MEININGEN RdBS 854). 436 Vgl. das Informationsmaterial der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe des MfS von 1987 (G. BESIER/S. WOLF, Pfarrer, S. 488f.). Dazu auch die Zitate bei U.-P. HEIDINGSFELD, Gemeinschaft, S. 97f. 437 EBD., S. 490. S. o. Kapitel 4.3.2.2. 438 Hermann, Kenntnis (BStU MfS VVS JHS o001- 236/83), S. 80. Vgl. auch die Erfahrung von Berger 17.3.02, dem der Rat des Bezirkes vor einer Westreise offen darlegte, welche Bedeutung die Westhilfen aus Sicht des Staates hatten.

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Den Befürchtungen, die Kontakte könnten von westlicher Seite für Spionagezwecke missbraucht werden, stand die Erwägung gegenüber, die Beziehungen für die eigene geheimdienstliche Tätigkeit nutzbar machen zu können. So sind in Unterlagen des MfS über als IM geworbene kirchliche Amtsträger aus Thüringen unter der Rubrik „Operativ nutzbare Verbindungen“ unter anderem der „Stuttgarter Bischof“439 oder „Würdenträger in Württemberg“440 aufgeführt. Auch in den Forschungsarbeiten des MfS zu den Kirchenpartnerschaften aus den achtziger Jahren wurde betont, dass eine „gezielte operative Nutzung dieser bestehenden Kontakte/Verbindungen im Sinne der Gesamtaufgabenstellung des MfS möglich und zweckmäßig ist.“441 In welchem Maße diese Möglichkeit tatsächlich ausgeschöpft wurde, ist aus den mir vorliegenden Unterlagen nicht zu erkennen. Auf jeden Fall wurde die Gelegenheit genutzt, bei Begegnungen oder Besuchen der West-Partner in der DDR ein politisches Stimmungsbild der Christen aus der BRD zu erheben. Die Zuträger berichteten dem MfS in den achtziger Jahren beispielsweise über die Meinung der Besucher zur Friedensbewegung in der BRD, zur aktuellen Politik der Bundesregierung oder der US-Administration442. Ebenso wurden Informationen über die aktuelle Situation in der Partnerkirche gesammelt443. Gängig war auch die Praxis der Kreis- und Bezirksbehörden, DDR-Bürger, die im Rahmen der Partnerschaften in die BRD reisten, wie andere Westreisende auch, nach ihrer Rückkehr zu Gesprächen einzuladen, in der Hoffnung, auf diesem Wege an Informationen über Kirche und Gesellschaft der BRD zu gelangen444. Solche Gespräche deckten zwar einerseits, wie oben gezeigt, unliebsame Beeinflussungen der Reisenden durch westliche Standpunkte auf, lieferten den Behörden gelegentlich aber auch ein weiteres Argument dafür, dass Begegnungen zwischen Ost und West durchaus in ihrem Interesse sein 439 Auszug aus dem Auskunftsbericht/Mikrofilm 168/87 der BV Gera XX/4 vom 14.5.85 (W. SCHILLING/R. VOLZ, Akteneinsicht, S. 44). 440 Auszug aus dem Auskunftsbericht/Mikrofilm 194/87 der BV Gera XX/4 ohne Datum (EBD., S. 102). 441 Jänisch, Zusammenwirken (BStU MfS VVS JHS o001-303/88), S. 3, vgl. Nopirakowski, Mittel (BStU MfS VVS JHS o001-305/86), S. 23 und 30. Zur Arbeit des MfS im Westen vgl. H. KNABE, West-Arbeit, zur schwierigen Quellenlage in diesem Bereich vgl. S. 38ff. 442 Vgl. die „Information zur politischen Haltung evangelischer Pfarrer der BRD“ vom 27.1.84 (BStU MfS ASt Suhl XX/995 Bd. 1 Bl. 54f.) und die Berichte über die Partnerbegegnungen der Kirchenkreise Kirchheim und Vacha im April 1982 in Thüringen (Bericht vom 18.5.82, BStU MfS ASt Suhl XX/607 Bd. 1 Bl. 15f.) und Schwäbisch-Gmünd und Sonneberg im April 1986 in Berlin (Information vom 20.4.86, BStU MfS ASt Suhl XX/607 Bd. 2 Bl. 14f.). 443 Vgl. die „Operative Auswertung“ der Aussagen von ausländischen Gästen bei der Tagung des Ökumenischen Arbeitskreises der ELKTh im Januar 1984 vom 26.2.84 (BStU MfS ASt Suhl XX/995 Bd. 1 Bl. 57f.). 444 Vgl. z. B. auch Jalowski 11.3.02.

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könnten. Vor allem in den achtziger Jahren äußerten kirchliche Amtsträger immer wieder, ihr Westaufenthalt habe ihnen die Augen für unschöne Realitäten im Westen geöffnet. Wie viel von diesen Aussagen eine ehrliche Schilderung der Eindrücke aus der BRD, die ja gemessen am Bild vom goldenen Westen durchaus ernüchternd sein konnten445, darstellt, und wie viel dem Versuch geschuldet ist, die Behörden den Partnerschaften gegenüber wohlwollend zu stimmen, ist im Nachhinein schwer zu rekonstruieren. Unabhängig davon musste es den Verantwortlichen für Kirchenfragen Balsam auf der Seele sein, wenn kirchliche „Reisekader“ nach ihrer Rückkehr berichteten, die „Beziehungen der Menschen in den kapitalistischen Staaten“ seien von „Erfolgszwang, Egoismus und Gefühlskälte geprägt“446, und „soziale Unsicherheit, persönliche Ängste und Zukunftssorgen“447 seien „überall spürbar“, daher habe die Kirche dort „in ihrer speziellen seelsorgerischen Tätigkeit größere Probleme“448. Ein Thüringer Synodaler betonte, dass er „als Apotheker nicht in der BRD arbeiten könnte“, da dort „die Arzneimittel in erster Linie dem Profit“ dienen würden, während sein Tun in der DDR „in erster Linie der Gesundheit der Menschen“449 zugute käme. Gern gehört wurde sicher auch die Aussage eines Superintendenten, der noch im Frühjahr 1989 äußerte, nach seinen Erfahrungen in der BRD sei er „mit guten Gefühlen zu den besseren Verhältnissen in der DDR“450 zurückgekehrt. Doch nicht nur eine Ernüchterung hinsichtlich der Situation in der BRD erhoffte sich das DDR-Regime von den partnerschaftlichen Verbindungen. Auch das Zurechtrücken der Vorstellungen, die im Westen über die DDR herrschten, war ein Anliegen, das man mit Hilfe der Kontakte zu realisieren hoffte. Besonders im Rahmen der verstärkten Bemühungen der DDR um internationale Anerkennung seit den siebziger Jahren gab es ein starkes Interesse der Machthaber daran, dass die düsteren Vorstellungen, die manche Bundesbürger – teilweise noch geprägt durch Erfahrungen aus den fünfziger Jahren – von der DDR hatten, durch eine „realere Einschätzung der Situation“451, be445

S. o. Kapitel 4.2.3. Rat des Kreises Sonneberg, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres an Rat des Bezirkes Suhl, Innere Angelegenheiten, Kirchenfragen, vom 3.10.86 (ThStA MEININGEN RdBS 2798/2 Bd. 3 Bl. 33) vgl. die Aufnahme in den Bericht Rat des Bezirkes Suhl, Information nach Rahmenplan vom 15.10.86 (BArch BERLIN DO 4 1124), S. 2. 447 Rat des Bezirkes Suhl, Information nach Rahmenplan vom 2.11.84 (BArch BERLIN DO 4 1124), S. 4. 448 Rat des Bezirkes Suhl, Information nach Rahmenplan vom 15.10.86 (EBD.), S. 2. 449 Rat des Bezirkes Suhl, Information nach Rahmenplan vom 2.11.84 (EBD.), S. 4. 450 Rat des Bezirkes Erfurt, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres, Information über Tendenzen in der kirchenpolitischen Entwicklung im Territorium vom 8.3.89 (BArch BERLIN DO 4 1135), S. 5. 451 Rat des Bezirkes Suhl, Information nach Rahmenplan vom 15.10.86 (BArch BERLIN DO 4 1124) S. 2, vgl. z. B. auch Rat des Bezirkes Erfurt, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres, Information 446

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sonders natürlich des Staat-Kirche-Verhältnisses, abgelöst wurden. Dazu trug, wie 1986 ein Bericht aus dem Kreis Sonneberg feststellte, gerade die gegenseitige Besuchstätigkeit bei452. Bei Besuchern aus Württemberg, so eine Lageeinschätzung des MfS für Thüringen aus demselben Jahr, sei „weitgehend Verwunderung und Erstaunen über die vielfältigen Wirkungsmöglichkeiten der DDR-Kirche festzustellen.“453 Auch Kirchenvertreter, die eine Reiseerlaubnis in den Westen bekamen, würden, so hoffte man, aktiv zur Aufhellung des DDR-Bildes beitragen. Diese Erwartung wurde jedoch häufig enttäuscht, wie die Abschnitte über die „Qualität“ der „Ökumenekader“ in den Berichten der Kreise und Bezirke belegen. Die Auswahl der kirchlichen Reisekader durch die Kirche erfolge, so beklagte ein Berichterstatter aus dem Bezirk Gera 1983, nicht genügend im Hinblick darauf, ob sie bereit seien, die DDR nach außen „richtig darzustellen und zu vertreten“, sondern eher als Anerkennung ihrer treuen kirchlichen Arbeit. Die Reisenden wiesen bei ihren Gesprächen im Westen die dort herrschenden falschen Vorstellungen oft „zu wenig prinzipiell“ zurück und stellten auch die „Friedenspolitik“ nur „ungenügend“ dar. Besonders die immer weitere Ausdehnung des Kreises derer, die in den Westen reisten, habe, so der Bericht, einen „Qualitätsabfall beim Auftreten im Ausland zur Folge.“454 Doch auch wenn die Partnerschaften nicht immer im gewünschten Maße dazu beitrugen, das Ansehen der DDR im Westen zu steigern, so war den zuständigen Stellen klar, dass ein zu offensichtliches Vorgehen gegen dieselben ihrem Ruf umso mehr geschadet hätte. So machte eine Einschätzung der Partnerschaftsbeziehungen der Bezirksverwaltung Erfurt des MfS aus dem Jahr 1985 deutlich, dass zwar, wenn notwendig, auch zu „restriktiven Maßnahmen“ zur „Gewährleistung der operativen Kontrolle“ oder „in Einzelfällen zur Liquidierung von operativ relevanten Partnerschaftsbeziehungen“ zu greifen sei. über Tendenzen in der kirchenpolitischen Entwicklung im Territorium vom 8.3.89 (BArch BERLIN DO 4 1135), S. 5. 452 Rat des Kreises Sonneberg, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres an Rat des Bezirkes Suhl, Innere Angelegenheiten, Kirchenfragen, vom 3.10.86 (ThStA MEININGEN RdBS 2798/2 Bd. 3 Bl. 33f.). 453 „Lageeinschätzung im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen“ vom 20.8.86 (BStU MfS ASt Erfurt BDL 2057 Bl. 8) vgl. Rat des Bezirkes Gera, Information zur politischen Situation in den Kirchen vom 9.6.81 (RdBG 7.4. I 269), S. 6. Auch im Rahmen des Kirchentourismus sollte nach dem Willen der Hauptabteilung XX/4 des MfS den Besuchern „ein positives Bild vom Verhältnis zwischen Staat und Kirche“ in der DDR vermittelt werden, um so „die Ausstrahlungskraft der sozialistischen Gesellschaft auch in diesem Bereich weiter zu erhöhen“ (Einschätzung der HA XX/4 zum Material „zur Entwicklung des Tourismus aus der BRD in die DDR und kirchliche Aktivitäten“ vom 23.7.86, BStU MfS HA VI Nr. 11650 Bl. 39). 454 Alle Zitate Rat des Bezirkes Gera, Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres, an den Staatssekretär für Kirchenfragen vom 25.7.83 (BArch BERLIN DO 4 1142), S. 9, vgl. auch schon Rat des Bezirkes Gera, Information zur politischen Situation in den Kirchen vom 9.6.81 (RdBG 7.4. I 269), S. 5f.

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Solche Maßnahmen dürften jedoch auf keinen Fall „kampagnehaften Charakter“455 annehmen.

4.4.2. Die Interessenlage der BRD Die Untersuchung der Erwartungen der BRD an die Kirchenpartnerschaften wird durch die schlechte Quellenlage erschwert. Während die Hinterlassenschaften der DDR vollständig zugänglich gemacht sind, wird für die Akten aus dem Gebiet der BRD die Sperrfrist von 30 Jahren streng eingehalten, so dass für die Zeit seit Anfang der siebziger Jahre nur veröffentlichte Dokumente zur Verfügungen stehen. Die Unterlagen des Verfassungsschutzes als Pendant zu den MfS-Akten sind überhaupt nicht einzusehen456. Ebenso wie in der DDR waren auch in der BRD in den vierzig Jahren der deutschen Teilung verschiedene deutschlandpolitische Konzeptionen maßgebend. Dennoch waren alle Regierungen auf ihre Weise der in der Präambel des Grundgesetzes vorgegebenen und bis 1990 geltenden Aufforderung an das deutsche Volk, „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden“457, verpflichtet. Unter Adenauer hatte in den fünfziger Jahren die Westbindung der jungen BRD Vorrang vor einer schnellen Wiedervereinigung. Obgleich auch er die Überwindung der Teilung als langfristiges Ziel sah, wies Adenauer getreu seiner Überzeugung, es dürfe keine Einheit auf Kosten der Freiheit geben, alle östlichen Vorschläge, die auf eine Wiedervereinigung zum Preis der Neutralität Deutschlands zielten, zurück458. Das Verhältnis der BRD zum anderen deutschen Staat war geprägt von dem aus der Nichtanerkennung der DDR resultierenden Alleinvertretungsanspruch der BRD, der sich in der 1955 formulierten „Hallstein-Doktrin“ konkretisierte: Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen von Drittstaaten mit der DDR wurde von der BRD als unfreundlicher Akt gewertet. Bestätigt sah die Bundesregierung ihre Haltung durch die mangelnde demokratische Legitimation der DDR-Regierung, der die politische Attraktivität und wirtschaftliche Stärke der BRD gegenüber standen, ein Gefälle, das der Flüchtlingsstrom von Ost nach West eindrucksvoll unterstrich459. 455

Alle Zitate „Einschätzung der politisch-operativen Lage auf dem Gebiet der kirchlichen Partnerschaftsbeziehungen“ der Bezirksverwaltung Erfurt vom 24.10.85 (BStU MfS ASt Erfurt BDL S 189 Bl. 7). 456 Zur Quellensituation s. o. Kapitel 1.3. 457 Präambel des Grundgesetzes in der Fassung von 1949 (GRUNDGESETZ, S. 19). 458 Vgl. R. MORSEY, Bundesrepublik, S. 34–36, und C. HACKE, Deutschlandpolitik, S. 537f. 459 Vgl. R. MORSEY, Bundesrepublik, S. 42 und 57.

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Die sechziger Jahre nach dem Ende der Ära Adenauer markierten eine deutschlandpolitische Übergangszeit. Im Zeichen der Ernüchterung durch den Mauerbau und des nachlassenden Interesses der Weltöffentlichkeit an der deutschen Frage begann die Regierung Erhard seit 1963 unter grundsätzlicher Beibehaltung der deutschlandpolitischen Maximen vorsichtige Schritte der Öffnung gegenüber den Staaten des Warschauer Paktes. Daneben entwickelte die Berliner SPD unter Willy Brandt und Egon Bahr bereits bei den Passierscheinverhandlungen ein eigenes deutschlandpolitisches Profil, das den „Wandel durch Annäherung“ suchte460. Mit der Regierungsübernahme durch die Große Koalition 1966 kam Bewegung in die Deutschlandpolitik. Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger betonte, der Wiedervereinigungsprozess sei nicht ohne die Überwindung des Ost-West-Konflikts in Europa zu denken. 1967 schlug er der Regierung in Ost-Berlin 16 Punkte zur Erleichterung des Alltags der Menschen in beiden deutschen Staaten vor und reagierte mit seiner Antwort an den Vorsitzenden des Ministerrates Willi Stoph als erster deutscher Bundeskanzler offiziell auf ein Schreiben der DDR-Führung461. Die entscheidende deutschlandpolitische Wende vollzog sich jedoch erst mit der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt seit 1969. Schon zuvor hatte die SPD auf Anerkennung der DDR und ein geregeltes Miteinander der beiden deutschen Staaten gedrängt. Nun entfaltete Brandt das Konzept einer umfassenden Entspannungspolitik. Flankiert durch die vertraglichen Einigungen mit Moskau und Warschau wirkten 1970 die Spitzengespräche zwischen Brandt und Stoph in Erfurt und Kassel auf eine Neugestaltung des Verhältnisses zur DDR hin. Nachdem im September 1971 das Viermächte-BerlinAbkommen Verbesserungen der Lage in der geteilten Stadt gebracht hatte, wurden im Grundlagen-Vertrag vom Dezember 1972 die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten auf ein neues Fundament gestellt. Die Kontakte sollten in Zukunft auf gutnachbarlicher und gleichberechtigter Basis entwickelt werden. Dazu gehörte der Verzicht auf Androhung und Anwendung von Gewalt, die Unverletzlichkeit der Grenze und die Respektierung der Selbständigkeit beider Staaten. Dies bedeutete das Ende des Alleinvertretungsanspruchs der BRD. Eine Vielzahl begleitender Abmachungen erleichterten die deutsch-deutschen Kontakte462. Symbolisch für das neue Verhältnis stand die bereits 1969 erfolgte Umbenennung des seit 1949 existierenden „Bundesminis-

460

Vgl. EBD., S. 80–82, und C. HACKE, Deutschlandpolitik, S. 539f. Zur Entstehung der Formel „Wandel durch Annäherung“ vgl. A. VOGTMEIER, Bahr, S. 59ff. 461 Vgl. R. MORSEY, Bundesrepublik, S. 98–100, und C. HACKE, Deutschlandpolitik, S. 540f. 462 Vgl. C. HACKE, Deutschlandpolitik, S. 542–544, und P. BENDER, Ostpolitik, S. 155ff. Dazu s. o. den Exkurs „Die Entwicklung der Reisemöglichkeiten“, S. 76ff.

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teriums für gesamtdeutsche Fragen“ (BMG) in „Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen“ (BMB). Damit war eine deutschlandpolitische Grundlage geschaffen, hinter welche die folgenden Regierungen nicht zurück gehen konnten. Die zweite sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt setzte den Kurs durch weitere Abkommen mit der DDR-Regierung fort, allerdings trat die Deutschlandpolitik im Laufe der siebziger und frühen achtziger Jahren angesichts der zunehmenden innenund wirtschaftspolitischen Probleme der BRD und der sich verschärfenden Spannungen zwischen den beiden Supermächten in den Hintergrund463. Obwohl die CDU/CSU in der Opposition die sozialliberale Deutschlandpolitik heftig kritisiert hatte, blieb auch nach dem Regierungswechsel 1982 unter Helmut Kohl ein Kurswechsel aus. Zwar betonte Kohl wieder stärker die Offenheit der deutschen Frage und das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes, die praktische Politik war jedoch von Kontinuität bestimmt. Dies zeigten die Milliardenkredite, die 1983 und 1984 der DDR-Führung gewährt wurden, ebenso wie das 1986 abgeschlossene Kulturabkommen und der Empfang Honeckers in Bonn mit protokollarischen Ehren 1987464. Betrachtet man in diesem Horizont die Einstellung der bundesdeutschen Politik zu den Kirchenpartnerschaften, so fällt zweierlei auf: erstens die Einigkeit in der Unterstützung der kirchlichen Kontakte, die ungeachtet der Meinungsverschiedenheiten in der Deutschlandpolitik alle Parteien verband; andererseits die Diskrepanz zwischen den erheblichen finanziellen Mitteln, die alle Regierungen für die Partnerschaftsarbeit zur Verfügung stellten, und den wenigen erhaltenen Dokumenten, die sich mit der Notwendigkeit und dem Sinn dieser Unterstützung auseinander setzen. Immerhin wurden allein die Transfergeschäfte der Evangelischen Kirche mit insgesamt über einer Milliarde DM aus Mitteln des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen bezuschusst. Dazu kamen Zuschüsse zu den Transfers der Katholischen Kirche in Höhe von insgesamt etwa 350 Mio. DM und zu den zentralen Hilfslieferungen des DWW von etwa 170 Mio. DM465. Indirekt wurde die Partnerschaftsarbeit auch durch die allgemein geltenden steuerlichen Vergünstigungen für Geschenksendungen in die DDR und andere Versorgungsleistungen gefördert466. Doch offensicht463

Vgl. C. HACKE, Deutschlandpolitik, S. 545f., und P. BENDER, Ostpolitik, S. 217f. Vgl. C. HACKE, Deutschlandpolitik, S. 546–49, und P. BENDER, Ostpolitik, S. 218ff. 465 Vgl. A. VOLZE, Transferleistungen, S. 60–62. Die Zahlen ergeben sich aus den Angaben der Gesamtvolumina der Geschäfte bei A. VOLZE und der dort gegebenen Information, dass die staatlichen Zuschüsse etwa 50% betrugen. 466 Die Steuerpauschale betrug seit 1963 30 DM pro Paket und 20 DM pro Päckchen, seit 1981 40 DM pro Paket und 30 DM pro Päckchen (vgl. A. VOLZE, Transfers, S. 2765). Der Gesamtsteuerausfall für Unterhaltsleistungen mit DDR-Bezug seit 1954 lag bei etwa 8,5 Mrd. DM (vgl. EBD., S. 2771). 464

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lich war die Einhelligkeit aller Parteien in diesem Punkt so groß, dass es aufwändiger Begründungen nicht bedurfte. 4.4.2.1. „Gefühl fortdauernder Zusammengehörigkeit“ – Positive Erwartungen der BRD Das wichtigste und unstrittigste Motiv für die Unterstützung der kirchlichen Partnerschaftsarbeit durch die Bundesregierungen, das alle Entwicklungen im deutsch-deutschen Verhältnis überdauerte und alle parteipolitischen Differenzen überwand, war die Hoffnung, auf diesem Wege Erleichterungen für Menschen im anderen Teil Deutschlands schaffen zu können. Die letzte Ministerin für innerdeutsche Beziehungen, Dorothee Wilms, erinnert sich im Zusammenhang mit der Unterstützung kirchlicher Partnerschaftsarbeit an das außerordentliche Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums, „wenn es galt, den Menschen im geteilten Deutschland zu helfen, die Folgen der Spaltung des Landes erträglicher zu machen, Menschen, Gruppen, Kirchen in der DDR auf jede nur mögliche Weise zu unterstützen.“467 Gleichzeitig sollte diese humanitäre Hilfe, auch das war zu allen Zeiten Konsens, die Bindungen zwischen beiden Teilen Deutschlands aufrecht erhalten. In einer internen Notiz des BMG aus dem Jahr 1964 hieß es dazu: „Leitgedanke dieser Förderung ist neben der materiellen Hilfe ein politisches Ziel: Das Paket als Ausdruck der Verbundenheit soll die menschlichen Kontakte und die Mitverantwortung der Bewohner der Bundesrepublik zur Erhaltung des Zusammengehörigkeitsgefühls stärken“.468

Damit war ein Anliegen benannt, das auch und gerade in Zeiten, in denen das gesamtdeutsche Bewusstsein in der Bevölkerung im Schwinden war und eine Wiedervereinigung nur noch als schemenhaftes Fernziel am Horizont stand, aktuell war. So betonte Bundeskanzler Willy Brandt in seinem „Bericht zur Lage der Nation“ vor dem Bundestag im Februar 1972, es komme viel darauf an, „das Gefühl für und das Wissen um das, was […] trotz aller Teilung gemeinsam bleibt, zu erhalten oder wiederzugeben“469. Und sechs Jahre später hob sein Nachfolger Helmut Schmidt an gleicher Stelle hervor, der „Bestand der Nation“ lebe von dem „Gefühl fortdauernder Zusammengehörigkeit“. Ohne dieses könne „die Chance für spätere Einheit nicht erhalten werden.“470

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Vgl. D. WILMS, Unterstützungen, S. 62, vgl. auch S. 69. Zit. nach P. KABUS, Liebesgaben, S. 127. 469 VERHANDLUNGEN DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES, 6. Wahlperiode, 23.2.72, S. 9742. 470 Beide Zitate EBD., 8. Wahlperiode, 9.3.78, S. 6111, vgl. S. 6112. 468

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Humanitäre Hilfe und Stärkung der Verbundenheit ermöglichten nicht nur die kirchlichen Kontakte. Auch zahlreiche andere kleine und große Hilfsorganisationen471 wurden in ihren Bemühungen für die Menschen in der DDR vom BMG/BMB gefördert, ebenso wie die vielfältigen privaten Beziehungen. Dennoch maß die bundesdeutsche Politik gerade der Kirche als bis Ende der sechziger Jahre gesamtdeutscher Organisation eine besondere Bedeutung für den deutsch-deutschen Zusammenhalt zu. Deutlich wird dies im „Bericht zur Lage der Nation“ von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger vom 17. Juni 1969, in dem er beklagt, das „ostdeutsche Regime“ bekämpfe „alles noch Gemeinsame in Deutschland“. Besonders schmerzlich sei, dass nun auch die evangelische Kirche die organisatorische Trennung vollziehen musste. Er teile aber, so Kiesinger, „die Gewißheit der evangelischen Christen in unserem Lande, daß eine auferlegte organisatorische Trennung das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit und den Geist der Einheit nicht zu zerstören vermag.“472 Eine explizite Würdigung fand die kirchlichen Partnerschaftsarbeit im Rahmen eines „Berichts zur Lage der Nation“ allerdings erst im Jahr 1983. Bundeskanzler Helmut Kohl wies auf die vielfältigen Verbindungen nicht-staatlicher Organisationen in die DDR als Zeichen für das immer noch lebendige Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen hin und fügte hinzu: „Ich möchte hier ganz besonders die grenzüberschreitende Partnerschaft der Kirchen innerhalb Deutschlands dankbar würdigen. Bis hin zu den Gemeindemitgliedern werden hier nicht nur Kontakte gepflegt, sondern wird zusammengearbeitet und tatkräftige Hilfe geleistet.“473

In den scharfen ideologischen Auseinandersetzungen der beiden politischen Systeme in den fünfziger Jahren war den Kirchen in der DDR von westdeutschen Politikern noch eine weitere Funktion zugeschrieben worden, die deren Unterstützung aus ihrer Sicht wünschenswert machte. Diese Funktion kommt in einem Schreiben zum Ausdruck, mit dem sich Bundespräsident Theodor 471 Vgl. die Aufzählung bei P. KABUS, Liebesgaben, S. 124, vgl. auch die Teilnehmerliste des Empfangs beim Minister für gesamtdeutsche Fragen vom 5.3.63, auf der allein 24 in der Hilfe für Menschen in der DDR und den Ostgebieten engagierte Organisationen und Verbände zu finden sind (BArch KOBLENZ B 137 4809). 472 Alle Zitate VERHANDLUNGEN DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES, 5. Wahlperiode, 17.6.69, S. 13247. Zum Unbehagen der Bundesregierung über die vom Osten betriebene Gründung des BEK vgl. auch C. LEPP, Klammer, S. 83. 473 VERHANDLUNGEN DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES, 10. Wahlperiode, 23.6.83, S. 990. Dass zuvor trotz häufiger Betonung der Bedeutung des Zusammengehörigkeitsgefühls in den seit 1968 gegebenen „Berichten zur Lage der Nation“ nie ausdrücklich auf die Kirchenpartnerschaften hingewiesen wurde, ist vor allem auf die Tatsache zurück zu führen, dass die Partnerschaften durch öffentliches Lob nicht gefährdet werden sollten (s. o. den Exkurs „Wir müssen schweigend helfen – Patenschaft und Öffentlichkeitsarbeit“, S. 170ff., sowie Kapitel 4.4.1.2.).

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Heuss im November 1953 an die Bundesminister für Finanzen, Inneres und gesamtdeutsche Fragen wandte. Heuss schilderte darin die bedrängende finanzielle Situation der Kirchen in der DDR und fragte an, ob es möglich wäre, hier von Seiten der Regierung Abhilfe zu schaffen. Eine Stärkung der Kirche im Osten sei auch im Interesse der BRD: „[Es] ist vor allem deutlich genug, dass die beiden Kirchen einfach durch ihr Vorhandensein heute die entscheidenden Kräfte nicht nur eines so oder so getönten religiösen Bewusstseins […] sind, sondern sie sind in eine höchst eigentümliche volkspolitische (nicht staatliche!) Funktion und Verantwortung eingerückt. Die Erhaltung der seelischen und geistigen Substanz steht weithin schier ausschliesslich in ihrer Verantwortung. Sie haben gewiss keine Politik zu betreiben, aber sie sind ein Faktor des politischen Schicksals geworden.“474

Staatssekretär Franz Thedieck vom BMG zeigte sich in seiner Antwort mit dieser Einschätzung ganz einverstanden und formulierte noch deutlicher, welche Hoffnungen die Regierung auf die Kirchen als Multiplikatoren regimekritischen Gedankenguts in der DDR setzte: „Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die christlichen Kirchen zu den wesentlichsten Kräften gehören, die den Menschen in der sowjetischen Besatzungszone seelischen Zuspruch in ihrer Auseinandersetzung mit den kommunistischen Einflüssen aller Erscheinungsformen geben und ihnen wenigstens einen engen Raum geistiger Freiheit zu sichern vermögen.“475

Ähnlich eindeutige Begründungen der Unterstützung finden sich in den fünfziger Jahren häufiger. In einem Vermerk des BMG vom November 1957 hieß es, die „Erhaltung der kirchlichen Substanz in der sowjetischen Besatzungszone“ sei „in der weltanschaulichen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus gleichzusetzen mit der Erhaltung der politischen Instanz.“476 Besonders die Möglichkeit der Kirche, in ihrem Unterricht ein Gegengewicht zur sozialistischen Bildung der Jugend zu schaffen, wurde herausgestellt, um umfassende finanzielle Hilfen zu legitimieren. Die evangelische Kirche in der DDR erreiche, so der Vermerk, in Unterricht und Ausbildung noch etwa 2 Mio. Jugendliche und könne dazu beitragen, dass „die Jugend nicht geschichtslos aufwächst“ und „bei ihren Besuchen in kulturell bedeutenden Städten und Denkmälern“ sich „der abendländischen Wurzel christlicher und humanistischer Art“477 bewusst 474 Der Präsident der Bundesrepublik Deutschland an den Bundesminister der Finanzen vom 27.11.53 (BArch KOBLENZ B 136 6633), S. 3. 475 Der Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen an den Chef des Bundespräsidialamtes vom 22.12.53 (EBD.), vgl. die Erwähnung bei C. LEPP, Klammer, S. 72. 476 Vermerk vom 6.11.57 (BArch KOBLENZ B 137 16262 Bl. 249), S. 2. 477 Alle Zitate Vermerk vom 6.11.57 (BArch KOBLENZ B 137 16262 Bl. 249), S. 1.

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sei. Auch der gesamtdeutsche Sinn der Zuschüsse des BMG für Literaturbeschaffung durch das Hilfswerk wurde damit begründet, solche Maßnahmen seien „zur Festigung des freiheitlich-demokratischen Denkens der Bevölkerung“478 erforderlich. Hinsichtlich der Textilhilfe für kirchliche Mitarbeiter in der DDR betonte ein internes Schreiben des BMG in Bezug auf einen Antrag des Hilfswerks, das Haus nehme „verständlicherweise ein besonderes Interesse an der Unterstützung dieses Personenkreises, da er durch seine Tätigkeit beiträgt, den Widerstandswillen in der Bevölkerung der sowjetischen Besatzungszone zu erhalten“479. Im Zuge der Entspannung traten die Hoffnungen auf ein antikommunistisches Wirken der Kirchen in der öffentlichen Debatte zurück. Um so wichtiger wurde dagegen die Verständigungsfunktion der kirchlichen Kontakte. In seinem Redebeitrag zum „Bericht zur Lage der Nation“ würdigte 1968 der spätere Bundeskanzler Schmidt die gerade von der noch gesamtdeutschen EKD erarbeitete Studie „Friedensaufgaben der Deutschen“ als beispielhaft für den Willen zur Verständigung zwischen beiden deutschen Staaten, „um so mehr, als die Verfasser dieser Schrift sich jeweils als loyale Bürger der DDR oder der Bundesrepublik Deutschland verstehen.“480 In seinem eigenen „Bericht zur Lage der Nation“ 1981 lobte Schmidt erneut die Zusammenarbeit der Kirchen, diesmal in der Vorbereitung des Luther-Jahres 1983481. In Anlehnung an seinen eigenen Redebeitrag von 1968 betonte er noch einmal, alle Kontakte zwischen Menschen in Ost und West seien wichtig, um „einander zu begreifen“482. Ganz ähnlich hob auch sein Nachfolger Helmut Kohl in seinem Bericht im März 1984 die Bedeutung der Kenntnis der Lebenswirklichkeit und des Alltags in der DDR und die Wichtigkeit des Austauschs von Informationen und Meinungen als Schutz gegen ein Auseinanderleben der Deutschen hervor. Gerade das Luther-Jahr habe, so Kohl, „hoffnungsvolle Zeichen der Begegnung“ zwischen Ost und West gesetzt. In diesem Sinne wisse die Regierung „die Arbeit der Kirchen in beiden Teilen Deutschlands hoch zu schätzen“483.

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Bewilligungsvermerk vom 14.11.56 (BArch KOBLENZ B 137 237). Schreiben Referat I 6 an Referat I 3 vom 12.7.55 (BArch KOBLENZ B 137 326). 480 VERHANDLUNGEN DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES, 5. Wahlperiode, 14.3.68, S. 8304. Zur Übereinstimmung der Studie mit dem deutschlandpolitischen Ansatz der SPD vgl. C. LEPP, Klammer, S. 80. 481 VERHANDLUNGEN DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES, 9. Wahlperiode, 9.4.81, S. 1541f. 482 EBD., S. 1548, vgl. EBD., 5. Wahlperiode, 14.3.68, S. 8303. 483 EBD., 10. Wahlperiode, 15.3.84, S. 4160. 479

Kirchenpartnerschaft im Spannungsfeld der Deutschlandpolitik

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4.4.2.2. „Für die Zwei-Staaten-Theorie Pankows zu gewinnen“ – Befürchtungen der BRD Auch wenn die Hoffnungen, die bundesdeutsche Politiker in die Kirchenpartnerschaften setzten, und die massive Unterstützung, die sie ihnen gewährten, dies zunächst nicht vermuten lassen: Nicht nur die DDR, auch die BRD hatte Sorge, die kirchlichen Kontakte könnten in einigen Fällen Auswirkungen haben, die den eigenen politischen Zielen schaden würden. Selbstverständlich waren sich die Regierungsvertreter darüber im Klaren, dass die Transfers und Warenlieferungen zugunsten der Kirche mittelbar auch der DDR-Wirtschaft zugute kamen. In einem Schreiben des BMG an das Bundeskanzleramt vom März 1966, das sich mit dem – schließlich abgelehnten – Antrag einer Münchner Firma befasste, den Genex-Geschenkdienst in der BRD zu vertreten, wurde das Für und Wider des Genex-Verfahrens erörtert. Dabei wurde zugestanden, dass die Kirchen „zur Erfüllung rein kirchlicher und caritativer Aufgaben auf das GENEX-Verfahren weitgehend angewiesen“ seien. Private Personen sollten aber nicht zur Nutzung des Geschenkdienstes animiert werden, denn die DDR erhalte über Genex Zugang zu Devisen, die sie „zur Stärkung ihrer eigenen Wirtschaft […] und ihres internationalen Ansehens dringend benötigt“484. Eine solche Einnahmequelle zu fördern, könne nicht im Sinne der eigenen Politik sein. Doch auch politischen Einfluss aus dem Osten, der über die Kanäle der kirchlichen Kontakte einsickern könnte, fürchtete man in der BRD. Da die geheimdienstlichen Unterlagen, die darüber breitere Auskunft geben könnten, nicht zugänglich sind, müssen hier wenige Hinweise genügen. Besonders in der politisch gespannten Situation der späten fünfziger und sechziger Jahre wurden DDR-Kontakte linksgerichteter Kirchenvertreter von bundesdeutscher Seite misstrauisch beobachtet. In den Akten des BMG findet sich etwa ein Bericht des Verfassungsschutzes über eine Veranstaltung des „Deutschen Friedensrates“ im Mai 1960 in Dresden, zu der Pfarrer und Mitglieder der Ost-CDU eingeladen und an der 20 Pfarrer aus der BRD teilgenommen hatten, darunter Pfarrer Dankwart Zeller aus Württemberg485. Zeller selbst berichtete, der Verfassungsschutz habe ihn bereits nach seiner ersten Teilnahme an einem Kongress der Nationalen Front 1958 überwacht486. Zu einer im Rahmen der kirchlichen Partnerschaft zustande gekommenen Diskussions484 Beide Zitate Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen an den Chef des Bundeskanzleramtes vom 4.3.66 (BArch KOBLENZ B 136 6518). Zu den Bedenken der Bundesregierung hinsichtlich Genex vgl. auch F. SCHNEIDER, Loch, S. 207. 485 Vgl. Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz über die „Kirchenkonferenz“ vom 9.–11. Mai 1960, dem BMG vorgelegt am 15.6.60 (BArch KOBLENZ B 137 16264 Bl. 60–66). 486 Vgl. Zeller 27.8.02.

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Grundaspekte der Partnerschaftsarbeit

runde in seiner späteren Gemeinde Köngen mit SED-Vertretern lud er daher vorsorglich ganz offiziell einen Vertreter des Verfassungsschutzes ein und begrüßte ihn vom Podium aus487. Konkret fassbar werden die Befürchtungen der Bundesregierung in einem Vermerk des BMG über das Treffen zwischen den Präsides der rheinischen und westfälischen Kirche, Joachim Beckmann und Ernst Wilm, mit dem Gründer der Christlichen Friedenskonferenz, dem Prager Professor Joseph Hromádka, und anderen kirchlichen Vertretern aus dem Ostblock im Dezember 1963488. Auch wenn es hier nicht um landeskirchliche Partnerschaften im engeren Sinne geht, so wird doch die Denkweise klar. Es handle sich, so der Vermerk, bei der Begegnung um einen Vorgang, der weitreichende politische Folgen haben könne. Wenn es den östlichen Gesprächspartnern gelänge, einflussreiche Männer in der evangelischen Kirche „für die Zwei-Staaten-Theorie Pankows zu gewinnen“, dann sei „dem Kommunismus ein entscheidender Schritt gelungen“. Die Haltung der Kirchenoberen werde sich auf das Kirchenvolk übertragen und schließlich dazu führen, dass „breite Teile der evangelischen Christen den politischen Anliegen der Wiedervereinigung gegenüber auf den Standpunkt zurückfallen, daß sie nur über die Verhandlung zweier gleichberechtigter deutscher Staaten erzielt werden kann.“489 Eine solche Wirkung kirchlicher Ostkontakte musste der Bundesregierung in den sechziger Jahren ein Dorn im Auge sein. Schließlich achtete der bundesdeutsche Verfassungsschutz auch darauf, ob die Besucher, die im Rahmen der Kirchenpartnerschaften in die BRD kamen, möglicherweise auch im Auftrag des MfS unterwegs waren. Im Einzelfall wurden die Verantwortlichen im Westen sogar vor bestimmten Besuchern gewarnt490.

487

Vgl. J. THIERFELDER, Kontakte, S. 51. Zu Zeller s. o. S. 169 und S. 181f. Zu den Ostkontakten von Kirchenvertretern aus dem Umfeld der Kirchlichen Bruderschaften in den fünfziger Jahren vgl. M. ROHKRÄMER, Ost-West-Begegnungen, und D. BUCHSTÄDT, Kirche, S. 207–209, S. 342–345 und S. 362–368. 489 Beide Zitate Vermerk vom 7.12.63 (BArch KOBLENZ B 137 1938). 490 Vgl. Mittendorf 20.9.01. 488

5. Zusammenfassung der Ergebnisse

Zu Beginn der Untersuchung stand die von Zeitzeugen und Kirchenhistorikern vertretene These, dass die Kirchenpartnerschaften für das kirchliche Leben, aber auch für manche gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen im geteilten Deutschland große Bedeutung hatten. Dies soll nun im Rückblick auf die vorliegenden Ergebnisse überprüft werden. Zuvor ist allerdings die Frage zu klären, inwiefern die Ergebnisse dieser regional begrenzten Studie einen Aussagewert für die gesamtkirchliche Ebene haben.

5.1. Württemberg und Thüringen – Sonderfall oder Exempel? In jeder der seit 1949 partnerschaftlich verbundenen Landeskirchen entwickelten sich die Beziehungen auf eigene Weise. Außerkirchliche Faktoren wie geographische Entfernung und Mentalitätsunterschiede spielten dabei ebenso eine Rolle wie innerkirchliche Gegebenheiten, etwa die Verbundenheit durch konfessionelle Zusammenschlüsse oder das Engagement einzelner Personen an der Basis und in der Leitungsebene. Die befragten Zeitzeugen schätzten die Partnerschaft zwischen Württemberg und Thüringen durchweg als besonders intensive Beziehung ein. Kann also aufgrund der Untersuchung dieser Verbindung überhaupt etwas Allgemeingültiges über Kirchenpartnerschaften ausgesagt werden? Sicher wiesen die württembergisch-thüringischen Beziehungen Eigenheiten auf. Zunächst fallen einige organisatorische Besonderheiten auf, die zur Intensivierung der Kontakte beitrugen. Nur in Württemberg und Thüringen gab es die Doppelung zwischen Gemeindepartnerschaften und persönlichen Partnerschaften der Pfarrerinnen und Pfarrer, die auch bei einem Stellenwechsel unverändert bestehen blieben. Und nur Württemberg verwaltete die seit 1961 für kirchliche Mitarbeiter in der DDR zur Verfügung stehende Sonderzuwendung für die Thüringer Partner selbst, statt diese Aufgabe der Hilfsstelle westdeutscher Kirchen in Berlin zu überlassen. Auch die besondere Geschichte der beiden Landeskirchen hatte Auswirkungen auf die Beziehungen. Zwischen Württemberg und Thüringen bestanden, etwa im Gegensatz zu den EKU-Kirchen, keine historisch gewachsenen Verbindungen, und ihr unterschiedlicher Weg in der NS-Zeit warf Schatten auf

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die Nachkriegszeit. Der Ende der fünfziger Jahre von Landesbischof Moritz Mitzenheim eingeschlagene „Thüringer Weg“ isolierte die Thüringer Kirche in der EKD und stellte die Württemberger Partner vor Probleme. Schließlich ist die geschichtlich gewachsene Prägung der württembergischen Landeskirche von Bedeutung. Die Mischung von aus pietistischen Wurzeln gespeister Frömmigkeit und schwäbischer Mentalität, die viele Gemeinden prägt, hat auch in der Partnerschaftsarbeit Spuren hinterlassen. Die Betonung der Zusammengehörigkeit von Glaube und Leben und das Engagement vieler Ehrenamtlicher belebten häufig die Beziehungen1. Pragmatisch und solide, aber sparsam, wurde die materielle Hilfe organisiert2. Trotz dieser Eigenheiten sind Grundzüge der vorliegenden Untersuchung auf andere landeskirchliche Partnerschaften übertragbar. Ein Grund dafür liegt darin, dass alle Verbindungen denselben Ursprung hatten und dadurch grundsätzliche organisatorische Merkmale teilten. So lag überall die Koordination der Partnerschaftsarbeit und die Abwicklung der materiellen Hilfe bei den Hilfswerken bzw. den Diakonischen Werken, die diese Aufgaben in vergleichbarer Weise ausführten und deren zuständige Referentinnen und Referenten sich auf regelmäßigen Tagungen austauschten3. Auch entwickelten sich die institutionellen Ausformungen der Partnerschaften, so z. B. die Zuordnung von Kirchenkreisen und Gemeinden4, die Begegnungen in Berlin5 und die Kontakte im Bereich der Diakonie6 und der Kirchenleitungen7 in ähnlicher Weise, wenn wohl auch mit unterschiedlicher Intensität. Der zweite Grund für eine Übertragbarkeit vieler Ergebnisse ist die Tatsache, dass alle Partnerschaften denselben politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ausgesetzt waren. Alle Beteiligten mussten sich mit den gesetzlichen Bestimmungen zum Reise- und Postverkehr auseinander setzen. Die kirchenpolitischen Spannungen in der DDR in den fünfziger Jahren, die Abschnürung durch den Mauerbau in den sechziger Jahren und die Lockerungen 1

Vgl. Leich 27.8.01, Stengel 27.8.01, Kraft 13.9.01, Mittendorf 20.9.01. Als Illustration kann die von Thüringer Seite überlieferte Bemerkung der schwäbischen Partnergemeinde dienen, für sich selbst hätten sie so etwas Teures nicht gekauft, aber in der DDR müsse es ja viel länger halten (Leich 27.8.01). 3 Vgl. die Unterlagen zu den Fachreferententagungen der Hilfswerke/Diakonischen Werke in LKA STUTTGART DWW 91 und ADW BERLIN HGSt 8031 und 8033, die leider für die fünfziger und sechziger Jahre nicht vollständig sind. Spätestens seit Mitte der sechziger Jahre fanden die Tagungen jährlich statt. Die parallele Organisation ist auch zu erkennen für Nordelbien und Pommern bei S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 51–75 und für Baden und Brandenburg bei G. WUNDERER, Partnerschaften, S. 7–13. 4 Vgl. S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 29–34, G. WUNDERER, Partnerschaften S. 34f. 5 Vgl. S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 42–45, W. BRAUNE, Ideentransfer, S. 147. 6 Vgl. S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 45, G. WUNDERER, Partnerschaften S. 10–12 und 16–19. 7 Vgl. S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 46–48, F. WINTER, Wege, S. 131. 2

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durch den Grundlagenvertrag Anfang der siebziger Jahre hatten auf alle Kontakte ähnliche Auswirkungen8, ebenso wie die Veränderung des Verhältnisses zur Zweistaatlichkeit bei der jüngeren Generation und die langsame Entfremdung beider Bevölkerungsteile. Auch die Versorgungslage in der DDR, von der die materiellen Bedürfnisse der Partner bestimmt waren, war – vielleicht mit Ausnahme von Ostberlin und Leipzig – weitgehend vergleichbar. Damit war nicht nur eine Parallelität der Schwerpunkte der materiellen Hilfe gegeben, es stellten sich in den unterschiedlichen Landeskirchen auch die Probleme des Geber-Nehmer-Gefälles und die Gefahr der materiellen Abhängigkeit in ähnlicher Weise9. Schließlich sind auch die theologische Begründung sowie die politische Beurteilung der Partnerschaftsarbeit durch die beiden deutschen Staaten weitgehend auf andere Beziehungen übertragbar10. Um über diese allgemeinen Aussagen hinaus die genauen Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Verhältnis der einzelnen Partner zueinander aufzuzeigen, bedürfte es vergleichbarer Untersuchungen über andere Partnerschaften. Diese liegen jedoch noch nicht vor.

5.2. Die Bedeutung der Kirchenpartnerschaften Am Ende ist zu fragen, welche Bedeutung die Partnerschaften für die Geschichte der Kirchen im geteilten Deutschland und die deutsche Nachkriegsgeschichte insgesamt hatten. Dies soll anhand von fünf Thesen geschehen, die gleichzeitig die Ergebnisse der vorliegenden Studie zusammenfassen. (1) Kirchenpartnerschaften ermöglichten und förderten eine notwendige und situationsgerechte Form diakonischen Handelns. Die Ausgangspunkte der Partnerschaften 1949 waren der Wille, die Not der Bevölkerung im Osten Deutschlands zu mildern und die Erkenntnis, dass die Situation im Westen diese Hilfe ermöglichte. Dieser Grundgedanke des Teilens und Helfens wurde in den folgenden vierzig Jahren auf immer neue Weise umgesetzt. Die jeweilige Versorgungslage und politische Situation erforderten Veränderungen in der Art, im Umfang und im Empfängerkreis der materiellen Hilfe. Waren in den Nachkriegsjahren durch Lebensmittel- und Textilhilfe 8

Vgl. in Ansätzen F. WINTER, Wege, S. 128f. Vgl. S. HILDEBRAND, Partnerschaft, S. 52f. 10 In beiden Kapiteln wurde auch Material verwendet, das nicht aus dem württembergischthüringischen Kontext stammt. 9

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akute Versorgungsnotstände bei älteren Menschen, in Familien und in diakonischen Einrichtungen zu beheben, ging es seit Mitte der sechziger Jahre vor allem darum, den schlecht bezahlten, häufig überlasteten und teilweise politisch bedrängten kirchlichen Mitarbeitern und ihren Familien den Alltag und damit auch ihren Dienst zu erleichtern. Da die Unterstützung nur zum Teil zentral abgewickelt werden konnte, stellten die Partnerschaften eine besondere Form des Dienstes am Nächsten dar. Ein Großteil der Hilfe musste auf direktem Wege von Mensch zu Mensch geleistet werden. Die Empfänger waren daher nicht namenlose Objekte der Mildtätigkeit, sondern Einzelne, deren persönliche Bedürfnisse berücksichtigt werden konnten und mussten. Diese Form der individuellen Unterstützung stellte für beide Seiten eine schwierige, aber lehrreiche Schule des Gebens und Nehmens dar und sorgte dafür, dass im Westen diakonisches Engagement auch außerhalb der klassischen Einrichtungen der Diakonie in allen Bereichen des kirchlichen Lebens präsent war. Gerade in Gemeinden wurde dies oft als Bereicherung empfunden. (2) In den Kirchenpartnerschaften gewann die Gemeinschaft der Glaubenden in einer bestimmten historischen Situation Gestalt. Entgegen der Annahme, dass die Partnerschaften lediglich einen Transferkanal für materielle Hilfen mit ideellem Überbau darstellten, muss festgehalten werden, dass sie maßgeblich zur Begegnung von Menschen aus beiden deutschen Staaten beitrugen. Durch ihre – vor allem seit den siebziger Jahren immer weiter zunehmende – Verankerung an der Basis und ihre Alltagsnähe ermöglichten sie einen weitgehend unverstellten Blick auf die gesellschaftlichen und kirchlichen Verhältnisse und die Lebensumstände im anderen Teil Deutschlands. So konnten trotz vieler aus unterschiedlicher Prägung und übertriebener oder mangelnder Rücksichtnahme resultierender Verständigungsschwierigkeiten manche Vorurteile beseitigt und gleichzeitig die mit den Jahren der Teilung wachsende Fremdheit überwunden werden. Während der erste Eindruck oft die Andersartigkeit bestätigte, ermöglichte ein intensiver persönlicher Kontakt eine Annäherung. So schrieb ein Tübinger Theologiestudent über das Treffen mit Kommilitonen aus Thüringen im Sommer 1981, für viele Teilnehmer der Begegnung habe der „bisher unbekannte andere deutsche Staat das Gesicht liebenswerter Menschen angenommen.“11 Doch gingen die Partnerschaften nicht in der politischen Dimension der im Westen und anfangs auch im Osten gewünschte Stärkung des gesamtdeutschen Bewusstseins und Zusammengehörigkeitsgefühls auf. Im Lernen voneinander, 11

Evangelisches Stift Tübingen, Semesterbericht WS 81/82 (AEvSt TÜBINGEN 642,5), S. 28.

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im gegenseitigen seelsorgerlichen Zuspruch und in der diakonischen Fürsorge füreinander hatten die Kontakte unter Christen eine geistliche Dimension, die gleichzeitig geglaubte Grundlage und – in aller Bruchstückhaftigkeit – auch erlebbare Folge der Beziehungen war. Diese geistliche Dimension der Gemeinschaft, die Menschen unterschiedlichster Frömmigkeit, politischer Einstellung, gesellschaftlicher Position und Bildung aus verschiedenen Generationen zueinander führte, schützte die Partnerschaften davor, sich in den Dienst einer bestimmten politischen Richtung zu stellen. Im besten Falle bot sie die Chance, in christlicher Freiheit unabhängig von den auf beiden Seiten vorgegebenen politischen Denkmustern miteinander ins Gespräch zu kommen. Schon die bestehende Gemeinschaft der EKD bis 1969, aber erst recht die danach in den Grundordnungen von EKD und BEK festgeschriebene „besondere Gemeinschaft“ wäre ohne die landeskirchlichen Partnerschaften mit deutlich weniger Leben erfüllt gewesen. Nur sie gewährleisteten, dass der Kontakt zwischen Christen aus Ost und West auf breiter Basis fortbestand, und schufen somit erst die Voraussetzungen für sinnvolles gesamtkirchliches Handeln. (3) Kirchenpartnerschaften sicherten die gesellschaftliche Präsenz der Kirche in einem sozialistischen Staat. Die Unterstützung für Gemeinden in der DDR schaffte die baulichen, materiellen und finanziellen Voraussetzungen für Aufrechterhaltung und Aktivierung des Gemeindelebens. Diakonische Einrichtungen bekamen durch bauliche Erweiterungen, neue Einrichtungsgegenstände, einschlägige Fördermaterialien und fachliche Beratung völlig neue Arbeitsmöglichkeiten. Die Unterstützung der hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiter stärkte diese für ihren Dienst. Dabei waren es nicht nur die materiellen Hilfen, die der kirchlichen Arbeit zugute kamen. Auch die Tatsache, dass die Überzeugung und das Engagement der Christen im anderen Teil Deutschlands gewürdigt wurden und der partnerschaftliche Austausch die engen Grenzen des eigenen Staates überwand, konnte in schwierigen Situationen eine Stärkung bedeuten. Es ist natürlich nicht zu übersehen, dass die finanziellen und materiellen Hilfen der Partnerkirchen die DDR-Kirchen in eine teilweise problematische Abhängigkeit von fremden Geldern führten, dass sie möglicherweise zukunftsweisende, die Minderheitensituation konstruktiv verarbeitende Strukturveränderungen künstlich verhinderten und gelegentlich auch in der Bevölkerung Neid hervorrufen konnten. Dennoch bleibt positiv festzuhalten, dass der finanzielle, materielle und ideelle Rückhalt aus dem Westen, der eine wichtige Grundlage auf der Ebene der landeskirchlichen Partnerschaften hatte, den Kirchen in der DDR eine im Ostblock einmalige gesellschaftliche Bedeutung sicherte. Es konnten nicht nur

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volkskirchliche Strukturen auf minoritärer Basis aufrecht erhalten werden, es konnten auch ein gewisser politischer Freiraum bewahrt und, besonders im diakonischen Bereich, allgemeingesellschaftliche Aufgaben übernommen werden. (4) Kirchenpartnerschaften unterliefen den Totalitätsanspruch des SED-Regimes. Für die DDR-Führung stellten die Partnerschaften in mehrfacher Hinsicht ein subversives Element dar. Die oben beschriebene Stärkung der Selbstbewusstseins und der Handlungsmöglichkeiten der Kirche in der Gesellschaft trugen zur Erhaltung eines gesellschaftlichen Bereichs bei, der dem unmittelbaren Zugriff des Staates entzogen war. Die Kirche bot dadurch die räumlichen und organisatorischen Voraussetzungen für oppositionelles Handeln, die in den achtziger Jahren zunehmend von gesellschaftlichen Gruppen genutzt wurden. Zudem waren die partnerschaftlichen Beziehungen als breite Basisbewegung schwerer zu kontrollieren und zu beeinflussen als das offizielle kirchenleitende Handeln. Der vielfältige Kontakt zu Menschen im anderen Teil Deutschlands gefährdete den ideologischen Einfluss staatlicher Propaganda. Mühevoll gepflegte Feindbilder wurden in Frage gestellt, in einigen Fällen kam es sogar, etwa im Rahmen der Friedensbewegung, zu gemeinsamen politischen Äußerungen oder sogar Aktionen mit den Partnern. Selbstverständlich versuchte die DDR-Führung an einigen Stellen, sich die Kontakte für die eigenen politischen Ziele nutzbar zu machen. Bis Mitte der sechziger Jahre hoffte man, auf diese Weise in kirchlichen Kreisen für eine deutsch-deutsche Kooperation im Sinne der DDR zu werben, in den achtziger Jahren vertraute man auf kirchliche Westreisende als Botschafter einer friedlichen und kirchenfreundlichen DDR – beides mit mäßigem Erfolg. Deutlich profitierte die Volkswirtschaft der DDR jedoch von den materiellen und finanziellen Hilfen, die auf dem Wege der Partnerschaften von West nach Ost flossen. Dennoch überwog der destabilisierende Einfluss der Kontakte auf das SEDRegime, das besonders in den achtziger Jahren deutliche Anstrengungen unternahm, dieses unübersichtliche Massenphänomen in den Griff zu bekommen und zu kanalisieren. (5) Kirchenpartnerschaften sind durch ihre Beständigkeit ein Vorbild für nachhaltiges kirchliches und gesellschaftliches Handeln. Die Kirchenpartnerschaften verliefen in ihrer vierzigjährigen Geschichte unter den Bedingungen der deutschen Teilung weder problemlos, noch waren sie unumstritten. Politische Hindernisse und Schikanen waren mit Mut und Einfallsreichtum zu überwinden. Theologische oder kirchenpolitische Differenzen waren auszuhalten und zu diskutieren. Persönliche Missverständnisse, Enttäuschungen und Konflikte waren nicht zu vermeiden und stellten oft hohe An-

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forderungen an Frustrationstoleranz, Kompromissfähigkeit und den Willen, einander zu vergeben. Schließlich stellten neue gesellschaftliche Entwicklungen das Projekt in Frage. So existierten viele Beziehungen aufgrund der mangelnden Kontaktmöglichkeiten in den sechziger Jahren nur auf dem Papier, die wachsende Akzeptanz der Zweistaatlichkeit und die verbesserte Versorgungslage in der DDR in den siebziger Jahren ließen berechtigte Fragen nach Begründung und Notwendigkeit der Partnerschaften aufkommen. Dennoch kamen die Verantwortlichen nie in die Versuchung, das Projekt voreilig aufzugeben, und behielten damit Recht: Die politischen Schikanen der fünfziger Jahre banden die Partner eher enger zusammen. Auf die Flaute der sechziger Jahre folgte nach Abschluss des Grundlagenvertrages in den siebziger Jahren ein ungeahnter Aufschwung der Partnerschaftsarbeit an der Basis. Die Problematisierung der materiellen Hilfe bewirkte eine stärkere Hinwendung zum inhaltlichen Austausch. Mit den völlig unerwarteten Ereignissen von 1989 erwiesen sich die manchmal als überholt angesehenen deutsch-deutschen Bemühungen noch einmal als hochaktuelles Anliegen. Und gerade dort, wo persönliche Konflikte im Rahmen der Partnerschaften durchgestanden wurden, entstanden feste Freundschaften, die über Jahrzehnte Bestand hatten. In den letzten Jahren wird Projekten in Kirche und Gesellschaft selten über eine so lange Zeit die Chance gewährt, sich zu bewähren. Meist entscheidet kurzfristiger Erfolg oder Misserfolg darüber, ob sie überleben. Die Ausdauer, Frustrationstoleranz und Flexibilität, die alle Verantwortlichen im Rahmen der Kirchenpartnerschaften bewiesen, setzen hier andere Maßstäbe und empfehlen sich durch ihre langfristige Wirkung als Vorbild. Die vorangegangenen fünf Thesen fassen Tendenzen zusammen, die in der Arbeit aufgezeigt wurden. Sie können aber weder den Anspruch erheben, in gleichem Maße für jede der unzähligen Einzelbeziehungen zu sprechen, aus denen sich die Partnerschaften zusammensetzten, noch können sie sich auf empirisch erhobene Daten zu den durch die Partnerschaften ausgelösten Prozessen und von ihnen beeinflussten Haltungen, etwa im Wiedervereinigungsprozess, stützen. Auch der von Gesine Hefft unternommene Versuch entbehrt dafür einer repräsentativen Quellengrundlage12. Es ist jedoch hinreichend deutlich geworden, dass die Kirchenpartnerschaften tatsächlich ein bedeutendes Stück kirchlicher Zeitgeschichte und, wie Friedrich Winter schreibt, ein „kirchengeschichtliches Phänomen ersten Ranges“13 darstellen. Die Arbeit, sie dem Vergessen zu entreißen, ist mit der vorlie12 13

Vgl. G. HEFFT, Gemeindepartnerschaften, S. 12. F. WINTER, Wege, S. 130.

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genden Untersuchung bei weitem nicht abgeschlossen. Es wäre zunächst notwendig, weitere landeskirchliche Beziehungen eigens zu untersuchen. Zudem wäre es lohnend, in begrenzten Einzelstudien bestimmte Epochen der Beziehungen, z. B. die späten achtziger Jahre, einzelne Arbeitsfelder der Partnerschaften, etwa die gemeinsame Friedensarbeit oder einzelne Persönlichkeiten wie etwa den in den fünfziger Jahren wegen seiner Partnerschaftskontakte von der DDR-Presse bloßgestellten Pfarrer Johannes Hertel genauer zu betrachten. Schließlich könnten auch bestimmte gemeindliche oder institutionelle Einzelkontakte genauer beleuchtet werden. Dafür müssten allerdings in großem Maße Quellen herangezogen werden, die nicht an zentralen Stellen zu finden sind. Bedenkt man die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der partnerschaftlichen Beziehungen, so wird man allerdings dem ehemaligen Direktor des Diakonischen Werkes der DDR, Ernst Petzold, zustimmen müssen, der feststellte, dass die Geschichte der Kirchenpartnerschaften „zu vielgestaltig und zu reich ist, als daß sie je wirklich vollständig beschrieben werden könnte.“14

14

E. PETZOLD, Freiheit, S. 164.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Unveröffentlichten Quellen Staatliche Archive Berlin Bundesarchiv (BArch) Bestand DO 4: Staatssekretär für Kirchenfragen: 390, 656, 1124, 1135, 1142, 1431, 2676, 2832, 2837, 2978, 2979, 2980 Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO-BArch) Bestand DY 30 IV 2/14: Arbeitsgruppe Kirchenfragen: 1946–1962: 54, 195 Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) Bestand MfS HA VI (Passkontrolle, Tourismus, Interhotel): 11650 Bestand MfS ASt Erfurt BDL (Außenstelle Erfurt, Büro des Leiters): S 189, 2057 Bestand MfS ASt Gera KD Greiz (Außenstelle Gera, Kreisdienststelle Greiz): 004391 Bestand MfS ASt Suhl Abteilung XX (Außenstelle Suhl, Abteilung Staatsapparat, Kultur, Kirche, Untergrund): 607, 608, 995 Bestand MfS JHS (Juristische Hochschule). Darin: Artur Hermann, Die Kenntnis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen, Voraussetzung für eine wirksame politisch-operative Arbeit, 1983 (VVS JHS o001-236/83). Bernd Höhn, Analyse der bestehenden Partnerschaftsbeziehungen der evangelischen Kirche im Verantwortungsbereich der Kreisdienststelle Hildburghausen und politischoperative Schlußfolgerungen zu deren operativen Kontrolle und Bearbeitung, 1988 (VVS JHS o001-284/88). Detlef Jänisch, Das operative Zusammenwirken ausgewählter Kräfte und Mittel des MfS zu Kontrolle und Verhinderung des politischen Mißbrauchs kirchlicher Partnerschaftsarbeit, 1988 (VVS JHS o001-303/88). Rüdiger Nopirakowski, Mittel und Methoden zum Erkennen von operativ-bedeutsamen Kontakten aus kirchlichen Partnerschaftsbeziehungen und Vorschläge für ihre differenzierte und vorbeugend wirksame operative Bearbeitung im Rahmen der Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeit, 1986 (VVS JHS o001-305/86). Koblenz Bundesarchiv (BArch) Bestand B 136: Bundeskanzleramt: 6633, 6518, 7836

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Bestand B 137: Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen/Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen: 237, 324, 326, 327, 331, 1938, 4809, 7848, 16262, 16264 Meiningen Thüringisches Staatsarchiv Meiningen (ThStA) Bestand Bezirkstag/Rat des Bezirkes Suhl (RdBS): 751, 752, 781, 854, 7022 Bestand Bezirksparteiarchiv Suhl der SED (BPAS): IV/2/14/1240, IV/2/14/1242, IV/2/14/1243, IV/2/14/1246, IV/A/2.14/688, IV/A/2.14/691, IV/A/2/14/692, IV/A/2.14/693 Thüringisches Staatsarchiv Meiningen/Außenstelle Suhl (ThStA) Bestand Bezirkstag/Rat des Bezirkes Suhl (RdBS): Altsignatur 26046, 2794/1 Bd. 1, 2798 Bd. 1, 2798/2 Bd. 3, 2798/3 Bd. 4 Rudolstadt Thüringisches Staatsarchiv Rudolstadt (ThStA) Bestand Bezirkstag/Rat des Bezirkes Gera (RdBG): 7.1. 67, 7.2. 6, 7.2. 59, 7.4. I 257, 7.4. I 269, 7.4. I 273, 7.4. I 277, 7.4. I 278, 7.4. I 279, 7.4. I 280, 7.4. I 281, 7.4. I 282, 7.4. I 289, 7.4. I 292, 7.4. I 293, 7.4. I 317 Bestand Bezirksparteiarchiv Gera der SED (BPAG): IV/2/14/1191, IV/B-2/14/689, A 8024, A 8025

Kirchliche Archive Berlin Archiv des Diakonischen Werkes der EKD (ADW) Bestand BSt: Berliner Stelle des Hilfswerks/Diakonischen Werks [Akten ab 1961]: 137, 233 Bestand CA/O: Central-Ausschuß für die Innere Mission, Arbeitsgebiet Ost: Geschäftsführerkonferenzen: 45, 95 Bestand HGSt: Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes, Stuttgart: 7898, 8031, 8033, 8041, 8043, 8119, 8320 Bestand ZB: Hilfswerk, Zentralbüro Stuttgart: 65, 618A Bestand ZBB: Hilfswerk, Zentralbüro Berliner Stelle [Akten bis 1961]: 56,146, 372, 1507, 1537 Evangelisches Zentralarchiv (EZA) Bestand 2: Kirchenkanzlei der EKD: 1326 Bestand 4: Kirchenkanzlei der EKD – Berliner Stelle –: 360, 995, 1001, 1019, 1020, 91/1456 Bestand 172: Studien- und Begegnungsstätte, Projekt „Patengemeinden…“: 16, 17, 18, 22

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Eisenach Landeskirchenarchiv der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Thüringen (LKA) Bestand A 711: Die evangelische Diakonie: 5 Bestand A 750b: Hilfswerk: 1, 3 Bestand A 791: Kirchliche Veranstaltungen: 4/3, 5/1, 5/2, 8, 9, 10, 10/1, 11 Bestand A 827: Nachrichtenaustausch mit anderen Landeskirchen: 4/3, 4/4, 7a, 7/2 Bestand A 860: Politik und Kirche und besondere politische Ereignisse: 7/2 Bestand A 866: Angriffe gegen Kirche und Christentum: 5 Bestand A 999: Verschiedenes: 20 Bestand R 212: Synodalakten Diakonisches Werk Thüringen (DWT) Bestand A 5a: Diakonisches Werk Stuttgart Stuttgart Diakonisches Werk Württemberg (DWW) Bestand 2.02: Ökumenische Hilfsprogramme und Partnerschaften: 176, 177, 193, 200, 205, 208, 216, 261, 264, 265. Darin (in chronologischer Reihenfolge): Hansgeorg Kraft/Klaus-Dieter Ullrich, Partnerschaft zwischen der württembergischen und der thüringischen Landeskirche. Bericht des Diakonischen Werkes Württemberg für Landesbischof D. von Keler und das Kollegium des Oberkirchenrats, 27.10.1982 (8 Seiten masch.), 2.02 265. Hansgeorg Kraft, Gesamtkirchliche Hilfe. Ein Bericht über gegenseitige Beziehungen und Hilfen zwischen der thüringischen und württembergischen Landeskirche anläßlich der Sitzung des LA des DWW am 28.11.1983 in der Evangelischen Gesellschaft, 22.11.1983 (8 Seiten masch.), 2.02 265. Klaus-Dieter Ullrich, Fachkontakte zwischen Thüringen und Württemberg. Schwerpunktsthema für den Arbeitsbericht des DWW 1985, 26.6.86 (3 Seiten masch.), 2.02 264. Hansgeorg Kraft, Thüringen und Württemberg. 40 Jahre Partnerschaft zwischen zwei evangelischen Landeskirchen, 6.7.1990 (6 Seiten masch.), 2.02 265. Hansgeorg Kraft, Partnerschaft mit Thüringen. Was bleibt – was ändert sich?, 7.11.1990 (5 Seiten masch.), 2.02 265. Gisela Mehlhorn, Diakonisches Werk Württemberg, Abteilung Gesamtkirchliche Hilfen, Niederschrift anläßlich der Aufgabenänderung der Abteilung in den Jahren 1990 und 1991 aufgrund der politischen Wende im November/Herbst 1989 und Ausscheiden von Frau Mehlhorn zum 30.11.1991 als Mitarbeiterin seit 1951, November 1991 (masch., mit Anlagen), 2.02 265. Landeskirchliches Archiv Stuttgart (LKA) Bestand A 126 529d: Kirchliche Verhältnisse in Ostdeutschland: I: 1945–1954, II: 1955– 1957, III: 1958–1962, IV: 1963–1966, VI: Handakten des Referenten (OKR Dr. Ostmann) 1950–1957, VII: Handakten des Referenten (OKR Dr. Ostmann) 1958–1966,

Quellen- und Literaturverzeichnis

322

VIII: Handakten Landesbischof Haug 1952–1953, IX: Handakten Landesbischof Haug/ Eichele 1958–1962 Handakten Landesbischof Eichele (HA Eichele) Bestand D 31: Evangelische Bekenntnisgemeinschaft: 72, 77, 82, 100 Bestand DWW: Diakonisches Werk: 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 129, 130, 149, 50, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 172, 173, 1111, 1112, 1113, 1114, 1115, 1116, 1117 Dekanatsakten: Dekanat und 1. Ev. Pfarramt Geislingen/Steige: 235.5, 260 Registratur des Evangelischen Oberkirchenrats (OKR) Aktenzeichen 54.26-4: Diakonisches Werk der evang. Kirche in Württemberg – Patenschaftshilfe (Thüringen): 1967–1982, 1983–1984, 1985–1989, 1990 Aktenzeichen 88.10-5: Ev. Kirchen in der DDR. Gliedkirchen. Ev.-Luth. Kirche in Thüringen, Eisenach: 1967–1984, 1985–1990, 1991–1997

Kirchliche Einrichtungen, Kirchenkreise und -gemeinden Gefell Michaelisstift Bestand 4.20: Partnereinrichtung Schwäbisch-Hall Bestand 743: Genexgeschenke – Schriftverkehr 1973–1987 Geislingen Evangelisches Dekanatamt Geislingen Bestand Saalfeld Greiz-Obergrochlitz Haus Carolinenfeld Bestand Mariaberg Jena Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Jena, Seelsorgebezirk I Jena-Lobeda Gemeindechronik Jena-Altlobeda Mariaberg (Württemberg) Mariaberger Heime DDR Carolinenfeld Greiz (DDR 1) DDR Kontakte, Internationale Seminare (DDR 2) Saalfeld Evangelisch-Lutherische Superintendentur Saalfeld (Suptur) Bestand 131/3: Patendekanate 1986–1989

Quellen- und Literaturverzeichnis

323

Schwäbisch Hall Behindertenhilfe Schöneck DDR Gefell 1980–1989 Stuttgart Evangelisches Jugendwerk in Württemberg (ejw) DDR-Begegnungen 1975–1989 (DDR 1) Ost-West (DDR-Begegnungen) (DDR 2) DDR Materielle Hilfe Titelgelder ab 1.1.88 (DDR 3) Tübingen Archiv des Evangelischen Stifts (AEvSt) 641,1; 641,3; 641,4; 642,1; 642,3; 642,5; 643,2; 643,3; 643,4 644,2; 645,2

Privatbesitz Maria Aigner, Riederich (PB Aigner) OKR i. R. Ludwig Große, Bad Blankenburg (PB Große) Dekan Hansgeorg Kraft, Filderstadt-Bernhausen (PB Kraft). Darin: Losch, Harald W.: Hausarbeit zur II. Evang.-theol. Dienstprüfung über das Thema „Die Partnerbeziehungen zwischen der Württembergischen und der Thüringischen Landeskirche in ihrem Wandlungsprozeß“. Abgeschlossen am 13. Dezember 1991. Gisela Mehlhorn, Leinfelden-Echterdingen (PB Mehlhorn) KR i. R. Hermann Mittendorf, Gruibingen (PB Mittendorf ) Pfarrer i. R. Wilhelm Prenzler, Hannover (PB Prenzler). Darin: Prenzler, Wilhelm: Als Gefangener beim Stasi (undatiert, 7 Seiten masch). Pfarrer i. R. Dankwart Zeller, Tübingen (PB Zeller)

Mündliche und schriftliche Auskünfte Interviews1 Maria Aigner

27.9.2002 in Riederich

(1971–1988 Gemeindehelferin und Kirchengemeinderätin in Riederich)

OKR i. R. Dietrich Berger

17.3.2002 in Schönfels

(1976–1989 Heimleiter des Michaelisstifts in Gefell)

OKR i. R. Ludwig Große

18.9.2002 in Berlin

(1970–1988 Superintendent in Saalfeld)

Kirchenrat i. R. Albrecht Hirth

6.9.2001 in Stuttgart

(1952–1975 Geschäftsführer des HWW/DWW) 1

Autorisierte Mitschriften im Besitz der Verf.

Quellen- und Literaturverzeichnis

324 Diakon Gerhard Jalowski

11.3.2002 in Greiz

(seit 1968 Leiter der Behinderteneinrichtung „Carolinenfeld“ in Greiz-Obergrochlitz)

Landesbischof i. R. D. Hans von Keler

1.2.2002 in Herrenberg

(1978–1988 Landesbischof der Württembergischen Landeskirche)

Elfriede Köhler

30.8.2001 in Eisenach

(Mitarbeiterin des HWT/Diakonischen Amtes Eisenach, Ehefrau von Rudi Köhler, 1960–1980 Geschäftsführer des HWT/Diakonischen Amtes Eisenach)

Dekan Hansgeorg Kraft

13.9.2001 in Filderstadt-Bernhausen

(1981–1991 Geschäftsführer der Abteilung „Gesamtkirchliche Hilfen“ des DWW)

Landesbischof i. R. Dr. Werner Leich D.D.

27.8.2001 in Eisenach

(1978–1991 Landesbischof der ELKTh)

Gisela Mehlhorn

26.7.2001 in Leinfelden-Echterdingen

(1951–1991 Mitarbeiterin des Referats „Gesamtkirchliche Hilfen“ des HWW/HWT)

Kirchenrat i. R. Hermann Mittendorf

20.9.2001 in Gruibingen

(1976–1981 Geschäftsführer der Abteilung „Gesamtkirchliche Hilfen“ des DWW)

Hans-Jörg Moka

15.3.2002 in Saalfeld

(seit 1967 Kirchenältester in Saalfeld)

Gisela Roettig

28.8.2001 in Eisenach

(1957–1984 Fürsorgerin in der Diakonischen Kreisstelle Eisenach)

Pfarrer Gerhard Sattler

23.9.2002 in Weinstadt-Beutelsbach

(1991–1996 Pfarrer in Zeulenroda)

KR i. R. Hans-Joachim Schoeps

18.3.2002 in Staffelstein

(1956–1996 Pfarrer in Lichtentanne)

Christina Schultheiß

14.3.2002 in Pillingsdorf

(1979–1991 Präsidentin der Synode der ELKTh)

Diakon Dietrich Schulz

29.8.2001 in Eisenach

(1971–1994 Heimleiter des Falk-Heims für geistig behinderte Kinder und Jugendliche in Eisenach)

Dekan i. R. Samuel Schwarz

27.9.02 in Dettingen/Erms

(1976–1992 Dekan in Bad Urach)

Landesbischof i. R. D. Theo Sorg

4.2.2002 in Ostfildern

(1988–1994 Landesbischof der Württembergischen Landeskirche)

Dekan i. R. Hermann Stahl

30.9.2002 in Geislingen-Weiler

(1981–1995 Dekan in Geislingen/Steige)

Kirchenrat i. R. Albrecht Stengel

27.8.2001 in Eisenach

(1981–1998 Geschäftsführer für Gemeindediakonie und Ökumenische Diakonie des Diakonischen Amtes Eisenach/DWT)

Pfarrer i. R. Dankwart Zeller

27.8.2002 in Tübingen

(Mitglied der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg)

Schwester Maria Zimmermann

25.7.02 in Schwäbisch Hall

(1980–1994 Heimleiterin der Behindertenhilfe „Schöneck“ in Schwäbisch Hall)

Weitere Auskünfte Referat Haushalt und Steuern des OKR Stuttgart, Heinz Armbruster, 19.7.2001 (Brief ) Referat Steuern des Kirchenamtes der EKD, Dr. Jens Petersen, 13.12.2001 (E-Mail) Pfarrer Henrich Herbst, Saalfeld, 15.3.2002 (Kurzgespräch) Karl Frey, Geislingen, 5.1.2003 (Telefongespräch)

Quellen- und Literaturverzeichnis

325

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Abkürzungen

ADW aej AEvSt APU ASt BArch BEK BK BMB BMG BStU CFK DC DVP DWT DWW ejw EKU ELKTh EZA HO HWT HWW IM KKJ KKL Ko-Ko KR LKA LKR MAI MfS Mio. Mrd. OKR ÖJD

Archiv des Diakonischen Werkes der EKD Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin West e. V. Archiv des Evangelischen Stifts Altpreußische Union Außenstelle Bundesarchiv Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR Bekennende Kirche Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (seit 1969) Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (bis 1969) Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes Christliche Friedenskonferenz Deutsche Christen Deutsche Volkspolizei Diakonisches Werk der ELKTh (seit 1991) Diakonisches Werk der evangelischen Kirche in Württemberg (seit 1970) Evangelisches Jugendwerk in Württemberg Evangelische Kirchen der Union Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen Evangelisches Zentralarchiv Handelsorganisation Hilfswerk der ELKTh Hilfswerk der evangelischen Landeskirche in Württemberg (bis 1970) Inoffizieller Mitarbeiter Kommission Kirchliche Jugendarbeit Konferenz der Kirchenleitungen Kommerzielle Koordinierung Kirchenrat Landeskirchenamt/Landeskirchliches Archiv Landeskirchenrat Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel der DDR Ministerium für Staatssicherheit Million(en) Milliarden Oberkirchenrat Ökumenischer Jugenddienst

Abkürzungen ÖRK PB SAPMO SBZ SMAD ThStA ZK

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Ökumenischer Rat der Kirchen Privatbesitz Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR Sowjetisch besetzte Zone Sowjetische Militäradministration in Deutschland Thüringisches Staatsarchiv Zentralkommittee

Alle weiteren Abkürzungen richten sich nach dem Abkürzungsverzeichnis der TRE, zusammengestellt von Siegfried M. Schwertner, Berlin, New York 21994.

Personenregister

ADENAUER, Konrad 185, 216, 272, 289, 302f. geb. 5.1.1876 Köln, gest. 19.4.1967 Bad Honnef-Rhöndorf, Jurist, 1917–1933 Oberbürgermeister von Köln, 1920–1933 Präsident des preußischen Staatsrates, 1945 Oberbürgermeister von Köln, 1946–1949 CDU-Vorsitzender in der britischen Besatzungszone, 1950–1966 Bundesvorsitzender der CDU, 1949–1963 Bundeskanzler, 1951–1955 zugleich Bundesaußenminister. AUTENRIETH, Heinz 134, 138 geb. 25.11.1906 Wanzenau bei Straßburg/Elsaß, gest. 29.2.1984 Stuttgart, 1929 Dr. jur., 1945 im Staatssekretariat von Württemberg-Hohenzollern (französische Besatzungszone), 1950 Ministerialrat im Verkehrs- und dann im Innenministerium in Stuttgart, Ministerialdirigent, bis 1968 Leiter der Hochschul-Abteilung im Kultusministerium, 1954 Mitglied des Württembergischen Landeskirchentags, 1955 Mitglied der EKD-Synode, 1960–1965 Präsident der Württembergischen Landessynode. BAHR, Egon 79, 303 geb. 18.3.1922 Treffurt/Thüringen, 1941−1945 Lehre als Industriekaufmann, 1942–1944 Wehrdienst, 1944/45 Industriekaufmann bei Rheinmetall-Borsig, 1945–1959 Journalist bei verschiedenen Zeitungen und beim RIAS Berlin, 1957 SPD-Mitglied, 1960–1966 Leiter des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin, 1967–1969 Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt Bonn, 1969–1972 Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Bundesbevollmächtigter für Berlin, ab 1972 Bundesminister für besondere Aufgaben, 1972–1990 MdB, 1974–1976 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1976–1981 Bundesgeschäftsführer der SPD, 1980–1990 Vorsitzender des Unterausschusses für Abrüstungs- und Rüstungskontrolle des Bundestages, 1984–1994 Direktor des Instituts für Friedensforschung an der Universität Hamburg, seit 1987 Vorsitzender der Sicherheitspolitischen Kommission der SPD. BARTH, Karl 29, 231 geb. 10.5.1886 Basel, gest. 10.12.1968 Basel, 1921 Professor für Reformierte Theologie in Göttingen, 1925 für Systematische Theologie in Münster, 1930 in Bonn, 1935–1962 in Basel (nach Suspendierung und Ausweisung aus Deutschland aus politischen Gründen). BARTH, Willi 286 geb. 15.9.1899 Ingersleben, gest. 5.5.1988 Berlin, Tischler, 1919 Mitglied der USPD, 1920 KPD, 1934 Emigration, 1946 Rückkehr nach Berlin und Mitglied der SED, 1954–1977 Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED. BAUER, Dietrich 52f., 71, 74, 202 12.11.1940 Freudenstadt, 1963 Diplom-Volkswirt, Assistent an der Universität Heidelberg, 1967 Dr. rer. pol., wissenschaftlicher Referent der Industrie- und Sozialarbeit

Personenregister

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der EKD in Bad Boll, 1972 wissenschaftlicher Mitarbeiter beim OKR Stuttgart, 1974 Kirchenrat, 1979 OKR und juristisches Mitglied des OKR. BAUER, Walter 61f. geb. 6.11.1901 Heilbronn, gest. 1.11.1968 Fulda, 1938–1968 selbständiger Unternehmer, 1949–1968 Mitglied der Synode der EKD, der Kammer für öffentliche Verantwortung und der Kammer für soziale Ordnung, 1957 Mitglied der Diakonischen Konferenz und des Diakonischen Rates der EKD. BECKMANN, Joachim 310 geb. 18.7.1901 Wanne-Eickel, gest. 18.1.1987 Düsseldorf, 1923 Dr. theol., 1926–1928 Pfarrer in Wiesbaden, 1928–1933 Seelsorger in der westfälischen Frauenhilfsorganisation in Soest, 1933–1948 Pfarrer in Düsseldorf, seit 1933 führendes Mitglied der BK, Mai 1945 Mitglied der rheinischen Kirchenleitung, 1948–1958 deren stellvertretender Leiter, 1948 als OKR theol. Dirigent des LKA, 1946 Dozent an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, 1951 dort Professor für systematische und praktische Theologie, 1949–1955 Mitglied der Synode der EKD, 1958–1971 Präses der Ev. Kirche im Rheinland, 1961 Honorarprofessor in Bonn. BENJAMIN, Hilde (geb. Lange) 46, 52 geb. 5.2.1902 Bernburg, gest. 18.4.1989 Berlin, 1927 Mitglied der KPD, 1928–1933 Rechtsanwältin in Berlin, 1933 Berufsverbot, 1934–1939 juristische Beraterin der sowjetischen Handelsgesellschaft in Berlin, Mai 1945 Staatsanwältin in Berlin, Oktober 1945 Vortragender Rat in der Deutschen Zentralverwaltung für Justiz, 1946 Mitglied der SED, 1947–1949 Leiterin der Abteilung Kader, 1949–1953 Vizepräsidentin des Obersten Gerichts, 1953–1967 Ministerin der Justiz, 1954–1989 Mitglied des ZK der SED. BERG, Christian 208 geb. 30.3.1908 Wesenberg/Mecklenburg, gest. 5.5.1990 Berlin, 1933 Pfarrer in Boizenburg/Elbe, 1934 in Basse/Mecklenburg, 1937 in Haifa, 1939–1945 in Kirchheim/ Teck, 1945 theologischer Mitarbeiter im Zentralbüro des Hilfswerks in Stuttgart, 1946 Generalsekretär des Hilfswerks der EKD, 1949–1961 Leiter des Zentralbüros Ost des Hilfswerks der EKD in Berlin, 1962–1971 Missionsdirektor der Goßener Mission. BERGER, Dietrich 118, 238, 247f., 250, 267, 298 geb. 4.5.1937 Plauen/Vogtland, 1955–1960 Studium der Ingenieurökonomie in Dresden, 1961 Investbauleiter Asbestzementwerke in Magdeburg, 1964 wissenschaftlicher Mitarbeiter, Abteilungsleiter im Institut für Baustoffe Weimar der Deutschen Bauakademie Berlin, 1976 Heimleiter Michaelisstift Gefell, 1990 Dezernent für Finanzen und Bauen, Landeskirchenrat der ELKTh, 1991 Abteilungsleiter Bauen und Investitionen beim DWT, 1992 Geschäftsführer Soziale Dienste beim DWT. BINDER, Heinz-Georg 11f., 16f., 23, 27, 233, 262, 265 geb. 22.11.1929 Hamburg, 1954–1957 Vikar/Hilfsprediger im Jugendpfarramt, 1957–1960 Gemeindepfarrer in Hamburg, 1956/57 und 1960/61 Vorsitzender des Landesjugendrings Hamburg, 1961–64 Jugendpolitischer Referent der Evangelischen Jugend Deutschlands (EJD) und Geschäftsführer des Jugendpolitischen Ausschusses der EJD, 1961–1964 Redakteur der „Jungen Stimme“, 1964–66 Chefredakteur, 1963–1967 Vorsitzender des Council of European National Youth Committees, 1966–1971 Pfarrer

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Personenregister

für Öffentlichkeitsarbeit in Bremen, 1971–1977 Schriftführer des Kirchenausschusses der Bremischen Evangelischen Kirche und Gemeindepfarrer in Bremen, 1977–1992 Bevollmächtigter der EKD am Sitz der Bundesregierung, seit 1978 Vorsitzender der Ev. Zentralstelle für Entwicklungshilfe, 1981–1983 Vorsitzender der Ökumenischen Kommission für Kirche und Gesellschaft in Brüssel, 1985–1994 Militärbischof im Nebenamt. BLANKENBURG, Hans-Joachim 182, 244 geb. 13.2.1932 Erfurt, 1954 Vikariat in Erfurt, 1955 Vikar, dann Pfarrer in Dienstedt/ Thüringen, 1958 Pfarrer in Gräfenroda, 1960–1972 Mitglied der Synode, 1972 Superintendent in Ohrdruf, 1980 Kirchenrat, Mitglied der Ökumenischen Kommission des BEK und des Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes in der DDR, 1994 Ruhestand. BLUHM, Hans-Dieter 59, 70 geb. 17.9.1928 Dörna/Thüringen, 1954 Ordination, Pfarrer der Riograndeser Synode in Santa Catarina (Brasilien) und Superintendent des Kirchenkreises Uruguai der Riograndeser Synode, 1961–1972 Pfarrer in Berlin-Reinickendorf, 1972 Pfarrstelle für die hauptamtliche Tätigkeit als Pfarrer und Direktor des Kinderpflegeverbandes Berlin, 1973 Pfarrer und Direktor des Verbandes für Evangelische Kindertagsstätten in Berlin, 1976–1991 Leiter der Berliner Stelle der Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes der EKD. BOCHINGER, Erich 137, 188f. geb. 19.10.1928 Dornstetten, 1958 Dozent am Pädagogischen Institut Schwäbisch Gmünd, 1958 Dr. theol. in Tübingen, 1958 Titel Pfarrer, 1960–1965 Studentenpfarrer in Schwäbisch Gmünd, 1965 Dozent für Ev. Unterweisung an der Pädagogischen Hochschule Reutlingen, ab 1966 dort Professor. BRAECKLEIN, Ingo 54, 135f., 154, 173–177, 186f., 193, 216, 283 geb. 29.8.1906 Eisenach, gest. 5.8.2001 Triptis/Thüringen, 1933 Vikar und Pfarrer in Allendorf (Schwarzburg/Thüringen), 1939–1945 Kriegsfreiwilliger und britische Gefangenschaft, 1950–1959 Superintendent in Weimar, 1959–70 OKR in Eisenach und Mitglied des LKR, 1970–1978 Landesbischof der ELKTh. BRANDT, Willy 236, 303, 305 geb. 18.12.1913 Lübeck, gest. 8.10.1992 Unkel, SPD-Politiker, 1957–1966 Regierender Bügermeister von Berlin, 1964–1987 Vorsitzender der SPD, 1966–1969 Bundesaußenminister, 1969–1974 Bundeskanzler. BRAUNE, Werner 121 geb. 2.6.1936 Lobetal, 1962 Gemeindepfarrer in Nieder-Neuendorf/Brandenburg, 1963 in Lauta, 1970–1979 Landespastor für Diakonie in Mecklenburg, 1979 Direktor der Stephanus-Stiftung in Berlin-Weißensee, 1985 Vorsitzender des Hauptausschusses der Diakonischen Einrichtungen in der DDR, 1991 Vorsitzender der Diakonischen Konferenz der EKD und Mitglied des Diakonischen Rates des Diakonischen Werkes der EKD, 2001 Ruhestand. BRENZ, Johannes 73 geb. 24.6.1499 Weil der Stadt, gest. 11.9.1570 Stuttgart, 1514 Studium der Theologie in Heidelberg, 1522 Prädikant in Hall, 1534 Ratgeber bei der Reformation in

Personenregister

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Württemberg, 1548 Flucht aus Hall während des Interim, 1550 Berater von Herzog Christoph, 1551 Beteiligung an der Ausarbeitung der Confessio Virtembergica, 1553 Propst der Stuttgarter Stiftskirche. BREZGER, Rudolf 136f., 156f., 188f., 209–213, 216, 222, 227 geb. 3.12.1904 Reinerzau, gest. 22.6.1999 Stuttgart, 1930 theologischer Lehrer am Predigerseminar Mangalore/Indien, 1933 Pfarrer in Spielberg bei Altensteig, 1935 Bezirksvertrauensmann für die Württembergische Bekenntnisgemeinschaft, 1940 Dekan in Nagold, 1959 in Schorndorf, 1970 Ruhestand in Stuttgart. BRÜCK, Ulrich von 171 geb. 10.3.1914 Dresden, gest. 2.4.1999 Darmstadt, Mitglied der BK, 1939–1941 Hilfsgeistlicher in Erlangen, 1941–1943 Hilfsgeistlicher und Pfarrer in Dresden, 1943–1945 Kriegsdienst, 1945–1950 Pfarrer in Dresden, 1950–1964 Erster Vereinsgeistlicher der Inneren Mission, Leiter des Landeskirchlichen Amtes für Innere Mission, Bevollmächtigter für das Hilfswerk und Mitglied des LKA Dresden, 1952–1957 Mitglied des Diakonischen Beirates der EKD, 1959–1969 Mitglied der Synode der EKD, Mitglied des Central-Ausschusses für die Innere Mission, Mitglied des Diakonischen Rates und der Diakonischen Konferenz der EKD, 1965 Dezernent für Ökumene im LKA Dresden, 1968–1980 Oberlandeskirchenrat im LKA Dresden, 1969 Stellvertreter des Landesbischofs, 1969–1980 Mitglied der Synode des BEK, 1980 Ruhestand, Übersiedlung nach Mühltal bei Darmstadt. BRÜSEWITZ, Oskar 196, 249f. geb. 30.5.1929 Willkischken (Litauen), 22.8.1976 öffentliche Selbstverbrennung vor der Michaeliskirche in Zeitz, Schuhmacher, 1964–1969 Predigerschule in Erfurt, ab 1970 Pfarrer in Rippicha (Kreis Zeitz), zunehmende Konfrontation mit staatlichen Stellen. BULAT, Wladimir 75, 99, 109, 167, 178, 250 1949–1974 Referatsleiter beim Hilfswerk/Diakonischen Werk Württemberg. DIBELIUS, Otto 51, 169f., 212f. geb. 15.5.1880 Berlin, gest. 31.1.1967 Berlin, 1910 Pfarrer in Danzig, 1911 Oberpfarrer in Lauenburg/Pommern, 1915 Pfarrer in Berlin, 1925–1933 Generalsuperintendent der Kurmark (Zwangspensionierung), 1934 ständiger Mitarbeiter der BK in BerlinBrandenburg, 1945–1966 Bischof der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg, 1949–1961 Vorsitzender des Rates der EKD. DIEM, Hermann 149 geb. 2.2.1900 Stuttgart, gest. 27.2.1975 Tübingen, 1928/29 Pfarrer der Evangelischreformierten Gemeinde in Stuttgart, 1930 Studienassessor an der Oberrealschule in Göppingen, 1934 Pfarrer in Ebersbach/Fils, Vorsitzender der Kirchlich-theologischen Sozietät in Württemberg, 1937 stellvertretender Vorsitzender des württembergischen Landesbruderrats, 1940–1945 Kriegsdienst und Gefangenschaft, 1955 Professor für Systematische Theologie, 1957–1968 für Kirchenrecht und Kirchenordnung in Tübingen. DIPPER, Theodor 135f., 149, 154–156, 214 geb. 20.1.1903 Unterheinriet bei Heilbronn, gest. 20.8.1969 Imperia (Italien), 1930 Pfarrer in Würtingen, 1935 Geschäftsführer des Evangelischen Gemeindedienstes in Stuttgart, Vorsitzender der Württembergischen Bekenntnisgemeinschaft, 1938 Pfarrer

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in Reichenbach/Fils, 1945 Dekan in Nürtingen, 1956 Vorsitzender des Bruderrats in der EKD, 1959 Dekan in Ludwigsburg. DUCHROW, Ulrich 44 geb. 13.6.1935, 1963 Dr. theol., 1964–1970 wissenschaftlicher Referent bei der interdisziplinären Forschungsstelle der Evangelischen Studiengemeinschaft, 1968 Habilitation, 1970–1977 Direktor der Studienabteilung des Lutherischen Weltbundes, 1977–1978 Gastprofessor am Ökumenischen Institut Bossey, 1979–2000 Regionalbeauftragter für Mission und Ökumene der Evangelischen Landeskirche in Baden, 1984 a. o. Professor in Heidelberg. ECKLOFF, Karl-Alexander 61 geb. 24.8.1906, gest. 7.6.1979, 1949 Hauptdirektor eines Betriebs für Lacke, Farben und Plasten, 1952 Generaldirektor beim Außenhandelsbetrieb Chemie, 1956 stellvertretender Minister für Außenhandel und Innerdeutschen Handel, 1963 Handelsrat und Leiter der Handelsvertretung der DDR in der UdSSR, 1965 Leiter der Handelsvertretung in China. EDER, Heide (geb. Schmalzried) 247, 250 geb. 6.1.1931 Kocherstetten, 1950 Ausbildung und Tätigkeit als Lehrerin, später auch Sonderschullehrerin für Handarbeit, Hauswirtschaft und Turnen, 1966 Pädagogische Leiterin eines Wohnbereichs in den Mariaberger Heimen, 1973 Ausbildung und Tätigkeit im Referat Öffentlichkeitsarbeit der Mariaberger Heime, 1991 Ruhestand. EDER, Karl Rudolf 247, 250 geb. 15.6.1932 Rienharz, 1951 Ausbildung und Tätigkeit als Lehrer an Grund-, Hauptund Sonderschulen, 1961 Studium und Tätigkeit als Diplom-Psychologe, 1966 Direktor, später Fachlicher Vorstand der Mariaberger Heime, 1997 Ruhestand. EGGERATH, Werner 189, 285 geb. 16.3.1900 Elberfeld, gest. 16.6.1977 Berlin, Arbeiter, 1924 Mitglied der KPD, 1935–1945 Haft, 1946/47 Landesvorsitzender der SED in Thüringen, 1947–1952 Ministerpräsident von Thüringen, 1952–1954 Staatssekretär beim Ministerpräsidenten der DDR, 1957–1960 Staatssekretär für Kirchenfragen. EICHELE, Erich 131f., 191, 193 geb. 26.2.1904 Stuttgart, gest. 11.6.1985 Stuttgart, 1926 Vikar in Göttelfingen, 1927 Dr. theol. in Tübingen und Vikar in Stuttgart, 1928 Auslands-Fellowship in Hartford und New York, 1930 Stadtpfarrverweser in Schwenningen und Kirchheim/Teck, 1931 Stiftsrepetent in Tübingen, 1934 Pfarrer in Stuttgart, 1935 geistlicher Hilfsarbeiter des OKR als Personalreferent, Sachverständiger des OKR für Religionsunterricht, 1936 Kirchenrat, 1944–1951 OKR, 1951–1962 Prälat im Sprengel Ulm, 1959 Vorsitzender des Gustav-Adolf-Werkes, 1962–1969 Landesbischof, 1966–69 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland, 1967–1969 Vorsitzender des Ausschusses der EKD zur Hilfe für ausländische Arbeitnehmer in Deutschland, 1969 Vorsitzender der EKD-Kommission zum Dialog mit dem Ökumenenischen Patriarchat in Konstantinopel. EPPELMANN, Rainer 12, 19, 27 geb. 12.2.1943 Berlin, Maurer, 1966 Haft wegen Verweigerung des Fahneneids, dann Bausoldat, 1969–1975 Studium der Theologie an der Predigerschule Paulinum in Berlin,

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1974–1989 Hilfsprediger bzw. Pfarrer an der Berliner Samaritergemeinde, 1989 Mitbegründer der Partei Demokratischer Aufbruch, 1990 Minister für Abrüstung und Verteidigung in der Regierung Lothar de Maizière, seit 1990 CDU und MdB, 1992–1994 Vorsitzender der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“. ERHARD, Ludwig 303 geb. 4.2.1897 Fürth, gest. 5.5.1977 Bonn, 1945/46 bayrischer Wirtschaftsminister, seit 1949 MdB (CSU) und bis 1963 Bundeswirtschaftsminister, 1963–1966 Bundeskanzler. FALCKE, Heino 44 geb. 12.5.1929 Riesenburg/Westpreußen, 1950 Assistent bei Karl Barth in Basel, 1956 Assistent in Rostock, 1958 Dr. theol., 1958–1963 Pfarrer in Wegeleben (Kreis Halberstadt), 1961 Habilitation, 1963–1973 Rektor des Predigerseminars der EKU in Gnadau, 1973 Probst in Erfurt und bis 1987 Vorsitzender des Ausschusses „Kirche und Gesellschaft“ des BEK, 1988/89 stellvertretender Vorsitzender der ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, 1989/90 Engagement in der Bürgerbewegung, 1994 Ruhestand. FALK, Johannes Daniel 72 geb. 26.10.1768 Danzig, gest. 14.2.1826 Weimar, 1791 Beginn eines Theologiestudiums in Halle, bald schriftstellerische Tätigkeit, 1797 Übersiedlung nach Weimar, 1806 nach Besetzung Weimars als Dolmetscher und Diplomat tätig, 1813 Gründung der „Gesellschaft der Freunde in der Not“ zur Resozialisierung von verwaisten Kindern, Aufbau des ersten Rettungshauses („Lutherhof“) in Deutschland. FELDER, Hans 190 geb. 16.3.1921 Stuttgart, 1952 Pfarrer in Hundersingen (Dekanat Münsingen), 1969 in Lichtenstein-Unterhaus (Dekanat Reutlingen), 1988 Ruhestand. FRIEDRICH DER GROSSE 237 geb. 24.1.1712 Berlin, gest. 17.8.1786 Schloss Sanssouci, 1740–1786 preußischer König. FRIK, Helmut 134 geb. 10.2.1933 Stuttgart, 1965 Dr. theol. Tübingen, 1965 Pfarrer und Ausbildungsleiter an der Kirchlichen Ausbildungsstätte für Diakonie und Religionspädagogik Karlshöhe in Ludwigsburg, 1971 dort Direktor und Schulleiter, 1979 OKR (für unständige Geistliche, 1989 für ständige Geistliche) und Vorsitzender der Kammer für Erziehung und Bildung der EKD, 1997 Ruhestand. FRÖBEL, Friedrich Wilhelm August 72 geb. 21.4.1782 Oberweißbach/Thüringen, gest. 21.6.1852 Marienthal/Thüringen, 1799 naturwissenschaftliches Studium in Jena, 1806 Hauslehrer, Aufenthalt bei Pestalozzi, 1811/12 Studium der Mineralogie in Göttingen und Berlin, 1815 Assistent am Mineralogischen Institut in Berlin, 1816 Gründung der „Allgemeinen deutschen Erziehungsanstalt“ in Griesheim, 1831–1836 diverse Schulgründungen in der Schweiz, 1837 Rückkehr nach Thüringen, Gründung einer „Anstalt zur Pflege des Beschäftigungstriebes für Kindheit und Jugend“ in Blankenburg, 1840 dort Gründung des „Allgemeinen deutschen Kindergartens“. GAISER, Fritz 245 geb. 13.8.1932 Baiersbronn, 1969 Bildungsreferent im ejw, 1975 Leitender Referent

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im ejw, 1977 Pfarrer beim ejw, 1984 Direktor an der Evangelisten-Schule Johanneum in Wuppertal-Barmen, 1995 Ruhestand. GARSTECKI, Joachim 44 geb. 28.2.1942 Magdeburg, Studium der katholischen Theologie in Erfurt, 1965 Referent für Jugendseelsorge im Erzbischöflichen Kommissariat bzw. Bischöflichen Amt Magdeburg, 1971 Studienreferent für Friedensfragen im Sekretariat des BEK, 1974–1990 in der Theologischen Studienabteilung beim BEK, seit 1990 Mitherausgeber der Zeitschrift „Publik-Forum“. GEISSEL, Ludwig 16, 62–64, 116f., 140 geb. 25.8.1916 Alzey, gest. 20.11.2000, 1934–1939 Militärzeit, 1939–1945 Kriegsteilnahme und Gefangenschaft, 1946/47 bei der Sozialbehörde des Hamburger Senats, seit 1947 in der Außenstelle Hamburg des Zentralbüros des Hilfswerks der EKD, 1950 dort Leiter, 1955 Hauptgeschäftsführer im Zentralbüro Stuttgart des Hilfswerks, Abteilung Nothilfe, 1957–1982 Direktor im Diakonischen Werk der EKD, zuständig für die Bereiche Finanzen, Nothilfe, Verwaltung, seit 1958 Bevollmächtigter der westdeutschen Landeskirchen bei der Regierung der DDR, Geschäftsführer des Verteilungsausschusses von „Brot für die Welt“, seit 1962 Vorstandsmitglied der Evangelischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe in Bonn, seit 1972 Vizepräsident des Diakonischen Werks der EKD. GLÜCK, Richard 156 geb. 1.10.1913 Wälde/Württemberg, gest. 8.7.2000 Kirchberg an der Jagst, 1945 Pfarrer in Lendsiedel, 1959 in Urbach, 1967 Dekan in Brackenheim, 1978 Ruhestand in Lendsiedel. GÖLZ, Hermann 137, 154, 156f. geb. 29.6.1902 Tuttlingen, gest. 23.12.1964 Neuenbürg, 1927 Repetent im Evangelischen Stift Tübingen, 1930 Pfarrer in Kaisersbach, 1936 Stadtpfarrer in Schwäbisch Hall, 1938 Mitglied des Landesbruderrats der Württembergischen Bekenntnisgemeinschaft, 1947 Dekan in Brackenheim, 1953 in Kirchheim/Teck. GÖNNENWEIN, Wolfgang 244 geb. 29.1.1933 Schwäbisch Hall, Studium der Musik und Germanistik, Musiklehrer, 1959 Dirigent des Süddeutschen Madrigalchores, 1967 Professor für Chorleitung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart, 1973–1982 dort Rektor, 1985–1992 Generalintendanz am Württembergischen Staatstheater Stuttgart. GOMULKA, Wladyslaw 60 geb. 6.2.1905 Bialobrzegi bei Krosno, gest. 1.9.1982 Warschau, Schlosser, führendes Mitglied der polnischen Kommunistischen Partei, 1932–1934 und 1936–1939 in Haft, seit 1942 Untergrundarbeit gegen die deutsche Besatzungsmacht, 1943–1948 Mitglied des Politbüros, Mitbegründer der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei (PZPR), 1945–1949 zugleich stellvertretender Ministerpräsident und Minister für die wiedergewonnenen Gebiete, 1948/49 auf Grund seines selbstständigeren Kurses gegenüber der sowjetischen Partei- und Staatsführung zum Rücktritt gezwungen, Bezichtigung des „Titoismus“ und „Nationalismus“, 1951–1955 in Haft, rehabilitiert, 1956 Erster Sekretär der PZPR, 1957–1970 Mitglied des polnischen Staatsrates. GROSSE, Ludwig 210, 220, 222, 237, 240 geb. 27.2.1933 Zeutsch/Saale, 1957–1979 Pfarrer in Tannroda (Kreis Weimar), 1959

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Mitglied der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen, 1960 Mitglied im Landesbruderrat, 1966 Wahl in die Thüringische Landessynode, 1970–1988 Superintendent in Saalfeld, seit 1973 Mitglied der Synode des BEK, 1977–1989 Mitglied der KKL, seit 1980 Vorsitzender der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft und Mitglied der Konsultationsgruppe zwischen BEK und EKD, 1992 Mitglied der EKDSynode. GROTEWOHL, Otto 47, 63, 184f., 189f. geb. 11.3.1894 Braunschweig, gest. 21.9.1964 Berlin (Ost), Politiker (1918 USPD, 1922 SPD, 1946 SED), 1921–1925 Abgeordneter des Braunschweigischen Landtags, 1921/22 Innen- und Bildungsminister in Braunschweig, 1925–1933 Abgeordneter des Deutschen Reichstages, danach illegale politische Arbeit, 1938–1940 teilweise U-Haft, 1949–1964 Vorsitzender des Ministerrates der DDR. GRÜBER, Heinrich 31, 47, 61f. geb. 24.6.1891 Stolberg/Rheinland, gest. 29.11.1975 Berlin, 1920–1933 Pfarrer in Dortmund, Düsseldorf und Templin, 1933–1945 Pfarrer in Berlin, Mitglied der BK, seit 1936 Hilfsaktionen für Christen jüdischer Herkunft, 1941–1943 KZ Sachsenhausen und Dachau, 1945 Probst an der Berliner Marienkirche, 1949–1958 Bevollmächtigter der EKD bei der Regierung der DDR. GRÜNBAUM, Kurt 60 geb. 5.4.1892 Storkow/Mark, gest. 9.4.1982 Prerow, Jurist, 1935 Oberregierungsrat im Reichskirchenministerium, 1948–1978 Domkurator in Brandenburg, 1954–1958 Konsistorialpräsident in Magdeburg, 1961–1971 ständiger Vertreter des Leiters der Kirchenkanzlei der EKU (Bereich DDR). GRUNDMANN, Walter 152, 186 geb. 21.10.1906 Chemnitz, gest. 30.8.1976 Eisenach, Dr. theol., 1930–1932 Assistent bei Gerhard Kittel in Tübingen, 1930–1943 NSDAP, Fachberater für Kirchenfragen bei der NS-Kreisleitung, 1932 Pfarrer in Oberlichtenau/Sachsen, führender DC, 1933–1936 als Oberkirchenrat wissenschaftlicher Hilfsarbeiter am LKA Sachsen in Dresden, 1936 Lehrstuhlvertretung (NT) und Lehrauftrag für Völkische Theologie in Jena, 1938–1945 dort Professor, 1939 auch wissenschaftlicher Leiter des „Instituts zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ in Eisenach, 1943 Kriegsdienst und Gefangenschaft, 1945 Entlassung aus dem Universitätsdienst, 1946 Hilfsarbeiter beim Hilfswerk, 1949 Hilfspfarrer, 1950 Pfarrer in Waltershausen, Dozent am Predigerseminar in Eisenach, 1954 Rektor des Katechetenseminars in Eisenach, 1970 auch Dozent des theologischen Seminars Leipzig, 1974 Kirchenrat, 1975 Ruhestand. HALLSTEIN, Walter 272, 302 geb. 17.11.1901 Mainz, gest. 29.3.1982 Stuttgart, Jurist, 1930–1941 Professor in Rostock, 1941–1948 in Frankfurt am Main, 1950/51 Staatssekretär im Bundeskanzleramt, 1951–1958 im Auswärtigen Amt, 1958–1967 Präsident der Kommission der EWG, 1968–1974 Präsident der Europäischen Bewegung, 1969–1972 MdB (CDU). HAMMER, Walter 16, 257, 265 geb. 5.8.1924 Bremen, gest. 13.10.2000 Bremen, Kriegsdienst und britische Gefangenschaft, Rechtsreferendar in Bremen, 1954–1958 Kirchenbeamter der Bremischen Evangelischen Kirche, seit 1958 Finanzreferent der EKU in Berlin, gleichzeitig neben-

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amtlich Finanzreferent der Berliner Stelle der Kirchenkanzlei der EKD, seit 1964 zugleich nebenamtlicher Leiter derselben, ab 1966 Leiter der Kirchenkanzlei der EKD in Hannover, 1983–1989 Präsident des Kirchenamtes der EKD. HAUG, Martin 50, 56f., 127, 131, 159, 168, 191–193 geb. 14.12.1895 Calw, gest. 28.3.1983 Freudenstadt, 1923 Repetent, 1925 Dr. theol., 1926 Stadtpfarrer in Tübingen, 1930 Studienrat am Evangelisch-theologischen Seminar Urach, 1935 Leiter des Pfarrseminars Stuttgart, Kirchenrat, 1937 Mitglied des Landesbruderrats der Württembergischen Bekenntnisgemeinschaft, 1943 OKR, 1946 Prälat, 1949 württembergischer Landesbischof, 1952–1967 Mitglied des Rates der EKD, 1962 Ruhestand. HEINEMANN, Gustav 29 geb. 23.7.1899 Schwelm, gest. 7.7.1976 Essen, 1926 Rechtsanwalt in Essen, 1928–1936 Prokurist der Rheinischen Stahlwerke, 1936–1949 Vorstandsmitglied, Mitglied der BK, 1946 Oberbürgermeister von Essen 1947–1950 Justizminister von Nordrhein-Westfalen, 1949 MdB (CDU) und bis 1952 Bundesinnenminister, 1948–1955 Präses der Synode der EKD, 1952 Gründung der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP), 1957 SPD, 1966–1969 Bundesjustizminister, 1969–1974 Bundespräsident. HEMPEL, Johannes 39, 223 geb. 23.3.1929 Zittau, 1958–63 Pfarrer an der Thomaskirche in Leipzig, 1960 Dr. theol., 1963–1971 Studentenpfarrer in Leipzig, 1967–1971 Studiendirektor am Leipziger Predigerkolleg St. Pauli, 1972–1994 Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, 1973–1977 stellvertretender Vorsitzender, 1982–1986 Vorsitzender der KKL, 1983–1991 einer der Präsidenten des ÖRK, 1991 stellvertretender Vorsitzender des Rates der EKD, 1994 Ruhestand. HERMANN, Artur 277, 298 geb. 5.2.1940 Trebnitz, 1958–1962 Studium am Pädagogischen Institut Erfurt, Tätigkeit als Lehrer, 1969 SED und Eintritt in den Dienst des MfS, Tätigkeit als Sachbearbeiter bei der Abteilung XX der Bezirksverwaltung Gera, 1973 Referatsleiter, 1983 Wechsel nach Berlin zur Hauptabteilung XX/4 als stellvertretender Abteilungsleiter. HERTEL, Johannes 162–164, 267, 318 geb. 5.7.1899 Neunhofen, gest. 19.8.1975 Säckingen, 1921 Vikar in Arnstadt, 1923 Hilfspfarrer, 1924 Pfarrer in Tannroda, 1932 Pfarrer in Themar, 1937 in den Wartestand versetzt, 1945 Mitglied der Spruchstelle der ELKTh, 1946 Pfarrer in Lobeda, 1958 Pfarrer in Nordhausen. HERTZSCH, Erich 179 geb. 31.3.1902 Unterboditz/Thüringen, gest. 28.10.1995 Hamburg, 1925 Vikar in Leutenberg, 1926 Hilfsprediger in Hartroda, 1927 Pfarrer, 1930 Pfarrer in Bucha, SPD und Bund religiöser Sozialisten, 1932 Dr. theol. in Jena, Pfarrer in der Arbeitergemeinde Eisenach-West, Einsatz zur Rettung von Juden, ab 1940 Pfarrervertretung an unterschiedlichen Orten, 1945 SED, Mitglied des Thüringischen Landtags, 1945–1947 OKR der ELKTh, 1946 Mitbegründung der Christlichen Friedenskonferenz (CFK) in Prag, 1947–1969 Professor für Praktische Theologie in Jena, 1953 Austritt aus der SED. HERWIG, Esther 75, 167 1974–1978 Referatsleiterin beim Hilfswerk/Diakonischen Werk Württemberg.

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HEUNER, Fritz 51 geb. 14.3.1891 Lünen, gest. 13.12.1962 Dortmund, 1914 Hilfsprediger in Werries, 1914–1918 Kriegsdienst, 1919 Hilfspfarrer in Dattlen, 1919 Pfarrer in Eichlinghofen, 1935 Pfarrer in Dortmund, dort Superintendent, 1938 aus politischen Gründen ausgewiesen, 1940–1945 Kriegsdienst, 1945–1961 nebenamtliches Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen, stellvertretendes Mitglied im Finanzausschuss der Synode der EKD, Mitglied der Synode der EKU, dort im ständigen Finanzausschuss, Mitglied im Vorstand des Verbands der Evangelischen Pfarrervereine in Deutschland, seit 1949 Mitglied der Synode der EKD, seit 1950 Vorsitzender des Sonderausschusses der EKD. HEUSS, Theodor 307 geb. 31.1.1884 Brackenheim, gest. 12.12.1963 Stuttgart, Politiker (1918 Deutsche Demokratische Partei, 1930 Deutsche Staatspartei, 1946 Demokratische Volkspartei, 1950 FDP), 1920–1933 Dozent an der Hochschule für Politik in Berlin, MdR, 1848/49 Mitglied des Parlamentarischen Rates, 1949–1959 Bundespräsident, 1959 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. HILDEBRAND, Siegfried 17, 217 geb. 19.8.1925 Arriach/Kärnten, Vikar in Berlin, 1954 Pfarrer in Diedersdorf, 1959 in Greifswald, 1970 Landespfarrer für Diakonie in der Evangelischen Landeskirche Greifswald, 1980 daneben Vorsitzender des Verteilerkreises der Aktion „Brot für die Welt“, 1990 Ruhestand. HINTZENSTERN, Herbert von 189 geb. 24.10.1916 Magdeburg, gest. 22.1.1996 Weimar, 1940 Dr. theol. in Jena, danach Vikar in Jena und Eisenach, 1943–1945 Kriegsteilnehmer im Sanitätsdienst, 1945–1951 Hilfsprediger/Pfarrer in Lauscha, CDU, 1952–1956 Landesjugendpfarrer der ELKTh, 1956 Leiter der Evangelischen Akademie Thüringen und der Pressestelle der ELKTh, 1956–1981 Chefredakteur des Thüringer Sonntagsblatts „Glaube und Heimat“ und Lektor des Wartburg-Verlags, 1968–1986 Leiter des Pfarrhausarchivs im Eisenacher Lutherhaus. HIRTH, Albrecht 67, 75, 92, 99, 116, 127, 132, 141f., 167, 171–173, 180, 194, 260 geb. 19.6.1910, 1946 Studentenpfarrer in Stuttgart, 1952–1970 Hauptgeschäftsführer des HWW, 1970–1975 Geschäftsführer im DWW. HITLER, Adolf 148f., 238 geb. 20.4.1889 Braunau (Österreich), Selbstmord 30.4.1945 Berlin, 1921–1945 Führer der NSDAP, 1933–1945 Reichskanzler. HÖHN, Bernd 278f. 1988 Offiziersschüler bei der Kreisdienststelle für Staatssicherheit Hildburghausen. HÖSER, Wolfgang 15, 75, 83, 201 geb. 12.6.1926 Altenburg, gest. 9.2.1999 Eisenach, 1951 Hilfsprediger in Udestedt, 1955 dort Pfarrer, 1957 Rektor des Diakonissenmutterhauses Eisenach, 1979–1991 Leiter des Diakonischen Amtes und OKR in Eisenach. HOFFMANN, Roland 139 geb. 14.5.1938 Brieg/Schlesien, 1963 Pfarrer in Großbreitenbach/Thüringen, 1976 Superintendent in Dermbach, 1988 OKR, Visitator für den Aufsichtsbezirk Süd mit

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Sitz in Meiningen, 1992 Landesbischof der ELKTh, 1994 stellvertretender Leitender Bischof der VELKD, 2001 Ruhestand. HONECKER, Erich 39, 65, 81, 138, 196, 232, 241, 252, 295, 304 geb. 25.8.1912 Neunkirchen/Saar, gest. 29.5.1994 Santiago de Chile, 1926 Kommunistischer Jugendverband Deutschlands (KJVD), 1930 KPD, hauptamtlicher Funktionär im KJVD, seit 1933 illegale Arbeit, 1937–1945 Haft im Zuchthaus Brandenburg, später Berlin, 1946 Mitbegründer und Erster Vorsitzender der FDJ, seit 1949 Mitglied des ZK der SED, Abgeordneter der Volkskammer, ab 1958 Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK der SED, 1960–1971 Sekretär des Nationalen Verteidigungsrats, seit 1971 Vorsitzender sowie Erster Sekretär des ZK der SED, seit 1976 Generalsekretär und Vorsitzender des Staatsrats, 1989 Rücktritt aus allen Ämtern, 1993 Ausreise nach Chile. HORN, Eduard 56, 59, 142f., 260 geb. 20.3.1889 Rinderfeld/Württemberg, gest. 14.5.1959 Plüderhausen/Württemberg, 1916 Pfarrer in Lehrensteinsfeld, 1927 in Oberurbach, 1959 Ruhestand in Plüderhausen, 1952–59 stellvertretender Vorsitzender des Evangelischen Pfarrvereins in Württemberg und der Evangelischen Waisen- und Familienfürsorge. HROMÁDKA, Josef 310 geb. 8.6.1889 Hodslavice/Mähren, gest. 26.12.1969 Prag, 1912 Vikar in Vsetín, 1916 Vikar in Prag, 1918 Militärpfarrer, 1919–1922 erster Pfarrer der neu organisierten Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder, Tätigkeit in der Gemeinde in Sonov, 1919 Habilitation, seit 1920 a. o. Professor, seit 1928 ordentlicher Professor für Systematische Theologie, Mitarbeiter des Student Christian Movement, Vorsitzender der tschechoslowakischen christlichen Studentenbewegung, 1939 drohende Verhaftung durch die Gestapo, Flucht nach Genf, Gastprofessur für Apologetik und Christliche Ethik in Princeton/New Jersey, 1947 Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit in Prag, 1950–1966 Dekan, 1948–1968 Mitglied des Zentralausschusses des ÖRK, 1951 Mitglied des Weltfriedensrates, 1957 Gründer der CFK und 1958–1969 ihr Präsident. HUTTEN, Kurt 189 geb. 6.5.1901 Langenburg, gest. 17.8.1979 Ludwigsburg, 1928 Dr. phil. in Tübingen, 1928 Geschäftsführer beim Evangelischen Volksbund in Stuttgart mit Titel Pfarrer, 1933 Geschäftsführer beim Evangelischen Presseverband für Württemberg und Schriftleiter, 1934 zeitweilig suspendiert, Mitglied des Beirats des Reichsverbands der Evangelischen Presse, 1941 Berufsverbot, 1941–1943 Mitarbeiter der Geschäftsstelle des Lutherrats in Berlin, 1947 Pressepfarrer, 1955 Kirchenrat, 1960 Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, 1968 Ruhestand. JALOWSKI, Gerhard 247, 250 geb. 28.10.1944 Köslin/Pommern, 1959–1961 Vordiakonische Ausbildung, 1961–1964 Ausbildung zum Diakon im Johannes-Falk-Haus Eisenach, 1965–1967 Jugenddiakon in Greiz und Neustadt/Orla, 1968 Hausvater im Pflege- und Förderungsheim Carolinenfeld in Greiz-Obergrochlitz. 278 JÄNISCH, Detlef 1988 Feldwebel bei der Kreisdienststelle für Staatssicherheit Fürstenwalde. JENNINGER, Philipp 81 geb. 10.6.1932 Rindelbach/Jagst, Jurist, 1957 Dr. jur., 1960 Dezernent bei der Wehrbe-

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reichsverwaltung V in Stuttgart, 1963 Referent in der Personalabteilung des Bundesverteidigungsministeriums, 1964 Persönlicher Referent und Pressereferent des Bundesministers für besondere Aufgaben bzw. für die Angelegenheiten des Bundesverteidigungsrates, 1966 politischer Referent des Bundesministers der Finanzen, 1969–1990 MdB, 1975 Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, 1982 Staatsminister im Bundeskanzleramt, 1984–1988 Bundestagspräsident, 1991–1995 Botschafter der BRD in Wien, 1995–1997 beim Heiligen Stuhl. KELER, Hans von 131, 133, 240f. geb. 12.11.1925 Bielitz/Beskiden, 1953 Pfarrer in Wildenstein, 1957 Leiter der Landesstelle des Evangelischen Mädchenwerks in Stuttgart, 1963 Pfarrer in Neuenstein, 1969 Leiter der Evangelischen Diakonieschwesternschaft Herrenberg, 1976 Prälat von Ulm, 1979–1988 Landesbischof der Ev. Landeskirche in Württemberg, 1979–1991 Mitglied des Rates der EKD. KELLER, Herbert 57, 75, 78, 167, 171, 178f. geb. 22.10.1904 Isny/Württemberg, gest. 1982, 1929 Repetent am Seminar in Urach, 1931 Assistent in Tübingen, 1932 Pfarrer in Biberach, 1935–1946 Pfarrer in Tübingen, 1946–1950 Leiter der Tübinger Außenstelle des OKR, 1950–1970 Leiter der Arbeitsgemeinschaft der diakonischen Werke in Württemberg (Hauptgeschäftsführer des HWW und Erster Geschäftsführer des württembergischen Landesverbandes der Inneren Mission), 1946–1970 Mitglied des OKR, 1957–1970 Mitglied des Diakonischen Rates der EKD, 1971–1978 Zweiter Vorsitzender des Diakonischen Werkes in Württemberg. KIEHNE, Paul-Gerhard 128 geb. 28.10.1932 Eisenach, 1956 Pfarrer in Kaltenwestheim/Rhön, 1969 in Jena-Jenaprießnitz, 1991 Kirchenrat, 1996 Ruhestand, 1983–2003 Vorsitzender des Thüringer Pfarrvereins (bis 1991 „Vertretung der Pfarrerschaft“). KIESINGER, Kurt Georg 303, 306 geb. 6.4.1904 Albstadt-Ebingen, gest. 9.3.1988 Tübingen, 1935 Rechtsanwalt in Berlin, 1933 NSDAP, 1940–1945 wissenschaftlicher Hilfsarbeiter und stellvertretender Leiter der Rundfunkabteilung im Auswärtigen Amt, 1945 Internierung in Ludwigsburg, 1946 Leiter eines juristischen Repetitoriums in Würzburg, 1948 vollständige Entlastung durch das Spruchkammergericht, Tätigkeit als Rechtsanwalt in Tübingen und Würzburg, 1949–1958 und 1969–1980 MdB, 1958–1966 Ministerpräsident von BadenWürttemberg, 1966–1969 Bundeskanzler, 1967–1971 Bundesvorsitzender der CDU. KINDER, Ernst 155 geb. 11.5.1910 Barmen, gest. 2.12.1970 Münster, 1938 theologischer Hilfsreferent beim Lutherrat in Berlin, 1939–1946 Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft, 1947 Professor für Systematische Theologie in Neuendettelsau, 1953 in Münster. KÖHLER, Ernst 156 geb. 12.5.1899 Saalfeld, gest. 17.11.1970 Untermaßfeld, 1924 Hilfsprediger/Pfarrer in Lauscha, Vorsitzender des Thüringer evangelischen Jungmädchenbundes, 1930–1945 Pfarrer in Hildburghausen, 1945 Mitglied des LKR, 1946 Oberkirchenrat und Visitator des Aufsichtsbezirkes Süd, Mitglied der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen.

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KÖHLER, Rudi 75, 180 geb. 31.7.1915 Arnstadt, 1933 Ausbildung zum Diakon im Stephanstift HannoverKleefeld, 1939 Volksmissionar in Salzgitter, 1945 Betreuung der Umsiedler in Eisenach, 1957 Pfarrvikar beim HWT, 1975 Kirchenrat, 1981 Ruhestand. KOHL, Helmut 39, 304, 306, 308 geb. 3.4.1930 Ludwighafen, 1946 CDU, 1958 Dr. jur., 1959 MdL (CDU) in Rheinland-Pfalz, 1963–1969 Fraktions-, 1966–1973 Landesvorsitzender, 1969–1976 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, 1973–1998 Parteivorsitzender der CDU, 1976–1982 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, 1982–1998 Bundeskanzler. KOHL, Michael 79 geb. 28.9.1929 Sondershausen, gest. 4.7.1981 Berlin, 1948 SED, 1948–1952 Studium der Rechtswissenschaft in Jena, 1952–1961 wissenschaftlicher Aspirant in Jena, 1956 Dr. jur., 1961–1963 Leiter der Abteilung Rechts- und Vertragswesen im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, 1963–1965 dort Leiter der Grundsatzabteilung, 1965– 1968 Staatssekretär für West-Berlin-Fragen, 1968–1973 Staatssekretär für westdeutsche Fragen, seit 1970 Verhandlungsführer in den Verhandlungen zum Grundlagenvertrag DDR-BRD, 1974–1978 Leiter der Ständigen Vertretung der DDR in der BRD, ab 1978 stellvertretender Minister für Auswärtige Angelegenheiten. KRAFT, Hansgeorg 75 geb. 14.10.1936 Stuttgart, 1967 Pfarrer in Reutlingen, 1975 wissenschaftlicher Mitarbeiter im OKR Stuttgart für die Bereiche Weltmission und Entwicklungshilfe, 1981 Geschäftsführer im DWW für den Bereich Ökumenische Dienste, 1992 Dekan und Erster Pfarrer in Filderstadt-Bernhausen, 2001 Ruhestand. KRANNICH, Heinz 75, 92, 120, 132f., 193, 215 geb. 12.12.1913 Deesbach (Kreis Rudolstadt), gest. 15.8.2000 Buchholz, 1947 Vikar und Hilfsprediger in Hildburghausen, 1949 Hilfspfarrer in Wasungen, 1950 dort Pfarrer, 1955 Studentenpfarrer in Jena, 1959 Superintendent in Jena, 1963 Landesleiter der Inneren Mission und OKR in Eisenach, 1979 Ruhestand. KRASKE, Peter 37 geb. 25.2.1923 Berlin-Schöneberg, 1953 Ordination, 1959–1962 nebenamtlicher Konsistorialrat in Berlin, 1962 persönlicher Referent des Bischofs, 1962–1969 Pfarrer in Berlin-Frohnau, 1969–1977 Superintendent des Kirchenkreises Berlin-Charlottenburg, 1978–1988 Präsident der Kirchenkanzlei der EKU (Bereich BRD und Berlin-West), 1963–1985 Mitglied, 1973–1979 Präses der Regionalsynode Berlin-West. KRAUSS, Eberhard 148 geb. 23.10.1891 Lichtel (bei Mergentheim), gest. 30.12.1944 Rottweil, 1922 Stadtpfarrer in Forchtenberg, 1928 in Ebingen, 14.9.–19.11.1934 von der DC-Kirchenleitung eingesetzter geistlicher Kommissar der Landeskirche, 1935 Landesleiter der Reichsbewegung DC, 1936 Studienrat an der Oberrealschule Bad Cannstatt (seit September 1943 mit seiner Schule in Rottweil evakuiert). KRECH, Hans 202, 236, 244 geb. 13.4.1944 Barchfeld (Dekanat Schmalkalden), 1969 Vikar in Azmannsdorf bei Erfurt, 1973–1981 dort Pfarrer, 1978–1991 nebenamtlich Dozent der kirchlichen Pfarrvikarsausbildung am Predigerseminar Eisenach (Systematische Theologie),

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1981–1992 persönlicher Referent des Thüringer Landesbischofs, seit 1992 OKR im Lutherischen Kirchenamt der VELKD in Hannover, Referent u. a. für Gottesdienst, Catholica, Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen, Mitglied der internationalen ökumenischen Societas Liturgica. KRUMMACHER, Friedrich-Wilhelm 32, 184, 194 geb. 3.8.1901 Berlin, gest. 19.6.1974 Altefähr/Rügen, 1928 Pfarrer in Essen, 1933 Mitarbeiter im Kirchenbundesamt bzw. in der Kirchenkanzlei der DEK, 1934–1939 OKR im Kirchlichen Außenamt, 1939 Wehrmachtspfarrer, 1943–1945 sowjetische Kriegsgefangenschaft, Mitbegründer des „Kirchlichen Arbeitskreises beim Nationalkommitee Freies Deutschland“, 1945 in Pfarrer Berlin-Weißensee und Superintendent von BerlinLand, 1946 Generalsuperintendent von Berlin (Sprengel II), 1955–1962 Bischof der pommerschen Kirche, 1960–1968 Vorsitzender der KKL. KRUSCHE, Werner 35 geb. 18.11.1917 Lauter/Erzgebirge, 1940–1944 Kriegsdienst, 1945–1949 Studium der Theologie, danach wissenschaftlicher Assistent in Heidelberg, 1953 Dr. theol., 1954–1958 Pfarrer in Dresden, 1958–1966 Studiendirektor des sächsischen Predigerseminars bei Zittau, 1966–1968 Dozent für Systematische Theologie in Leipzig, 1968–1983 Bischof der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, 1976–1979 Vorsitzender des Rates der EKU (Bereich DDR), 1981–1982 Vorsitzender der KKL, 1983 Ruhestand. KRUSE, Martin 42f. geb. 21.4.1929 Lauenburg (Kreis Einbeck), Gemeindepfarrer in Loccum, 1964 dort Studiendirektor, 1970 Landessuperintendent im Sprengel Stade, 1977–1994 Bischof der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg (bis 1991 West), 1973 Mitglied der Synode der EKD, 1978–1981 Vorsitzender des Rates der EKU (Bereich BRD und Berlin-West), seit 1979 Mitglied des Rates der EKD, 1985–1991 Vorsitzender des Rates der EKD. KUNST, Hermann 61f. geb. 21.1.1907 Ottersberg/Westfalen, gest. 9.11.1999 Bonn, 1932 Pfarrer in Herford, 1940 dort Superintendent, 1942 Mitglied der Leitung der westfälischen BK, 1945–1949 Mitglied der westfälischen Kirchenleitung, 1949–1977 Bevollmächtigter der EKD in Bonn, 1956–1972 Militärbischof. KUNZE, Paul-Gerhard 67 geb. 11.6.1929 Bethel, 1960 Pfarrer in Gütersloh, 1962 beurlaubt für Religionsunterricht und Kurierdienste in Berlin, 1964 Kreiserziehungspfarrer in Berlin-Steglitz, 1969 Provinzialpfarrer im Amt für Industrie und Sozialarbeit, 1974 Gemeindepfarrer in Berlin-Charlottenburg, 1978 Leiter der Hilfsstelle westdeutscher Kirchen in Berlin, 1989 Ruhestand. LAUK, Willi 156, 173–176, 181, 210, 222 geb. 25.12.1913 Pyangtong (China), gest. 21.12.1965 Stuttgart, 1944 Stadtpfarrer in Bad Cannstatt, 1948 Leiter der Landesstelle des Evangelischen Jungmännerwerks in Stuttgart, 1953 Direktor des Evangelischen Kirchlichen Aufbaugymnasiums mit Heim in Michelbach an der Bilz, 1954 Kirchenrat, 1959 Oberstudiendirektor. LEFFLER, Siegfried 150f. geb. 21.11.1900 Azendorf/Oberfranken, 10.11.1983 Hengersberg/Bayern, 1918 Kriegs-

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dienst, 1919 Theologiestudium und Freikorpskämpfer, 1925 Ordination, Stadtvikar in Augsburg, freiwilliges Ausscheiden aus dem Dienst der bayrischen Landeskirche, 1928 Pfarrer in Niederwiera/Thüringen, 1929 NSDAP, Gründer/Leiter der Kirchenbewegung DC, 1933 Beurlaubung aus dem Kirchendienst, Regierungsrat, später Oberregierungsrat am Volksbildungsministerium in Weimar, 1939 Leiter des „Instituts zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ in Eisenach, 1945 Verhaftung durch die amerikanische Besatzungsmacht, Entlassung aus dem kirchlichen und öffentlichen Dienst, 1947 Verurteilung und Internierung im Lager Ludwigsburg, 1949 Amtsaushilfe in der bayrischen Landeskirche, 1952 Vikar in Deggendorf, 1953 Pfarrvikar, 1959 Pfarrer in Hengersberg, 1970 Ruhestand. LEICH, Werner 42f., 80, 93, 131, 133f., 187, 200, 210, 216, 240, 244, 283, 290 geb. 31.1.1927 Mühlhausen/Thüringen, 1942 Luftwaffenhelfer, 1944 Arbeits-/Wehrdienst, 1947 Studium der Theologie in Lausanne, Leipzig, Berlin und Göttingen, 1951 Vikariat in Angelroda/Arnstadt, 1954 Pfarrer in Wurzbach/Lobenstein, seit 1960 Synodaler, 1970–1978 Vizepräsident der Synode der ELKTh, 1966–1977 Erster Vorsitzender der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen, 1969 Superintendent in Lobenstein, 1978–1992 Landesbischof der ELKTh, 1986–1990 Vorsitzender der KKL. LEMPP, Paul 210, 220, 222, 237 geb. 18.11.1915 Ludwigsburg, gest. 2.7.1999 Esslingen, 1944 Pfarrer in Dörzbach, 1949 Jugendpfarrer in Bad Cannstatt, 1954 Pfarrer in Schwäbisch Hall, 1962 in Stuttgart, 1969 Dekan in Geislingen, 1980 Ruhestand in Schwäbisch Hall. LEUTKE, Fritz 67 geb. 31.12.1883 Berlin, gest. 27.4.1979 Berlin, 1920 Pfarrer in Kyritz, 1927 in Landsberg-Warthe, 1929 Superintendent in Kyritz, 1959 Ruhestand, bis 1974 Leiter der Hilfsstelle westdeutscher Kirchen in Berlin. LEUTHEUSER, Julius 150 geb. 9.12.1900 Bayreuth, gest. 24.11.1942 bei Stalingrad (gefallen), Studium der Theologie und Freikorpskämpfer, 1925 Pfarrverweser in Marktredwitz, 1926 Hilfsgeistlicher in Augsburg, freiwilliges Ausscheiden aus dem Dienst der bayrischen Landeskirche und 1928 Pfarrer in Flemmingen/Thüringen, NSDAP, Gründer der Kirchenbewegung DC, 1933 Kirchenrat und Mitglied des LKR in Eisenach, Leiter des Volksdienstes und Landesjugendpfarrer, 1939 Kriegsdienst, 1942 Nominierung als Landesbischof. LILJE, Hanns 170 geb. 20.8.1899 Hannover, gest. 6.1.1977 Hannover, 1927 Generalsekretär der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung, 1932 Vizepräsident des Christlichen Studentenweltbundes, 1934–1945 Generalsekretär des Lutherischen Weltkonvents, 1945 Oberlandeskirchenrat in Hannover, 1945–1973 Mitglied des Rates der EKD, 1949 stellvertretender Ratsvorsitzender, 1947–1971 Landesbischof in Hannover, 1952–1957 Präsident des Lutherischen Weltbundes. LOHSE, Eduard 39 geb. 19.2.1924 Hamburg, Kriegsdienst, Studium der Theologie in Bethel und Göttingen, 1949 Dr. theol. in Göttingen, Pfarrer in Hamburg, 1953 a. o. Professor in Kiel, 1964 Professor (NT) und 1970 Rektor in Göttingen, 1970–1988 Landesbischof in

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Hannover, 1975–1978 Leitender Bischof der VELKD, 1979–1985 Ratsvorsitzender der EKD, 1988 Ruhestand. LOTZ, Gerhard 35, 92, 132, 134, 137f., 179f., 184, 186f., 189, 194, 211, 282 geb. 22.4.1911 Altenburg, gest. 10.12.1981 Eisenach, 1934 Dr. jur., wissenschaftlicher Assistent in Königsberg, 1938 zweites juristisches Staatsexamen in Berlin, Kirchenjurist der ELKTh, 1940 Kirchenrat, seit 1942 Kriegsteilnahme, 1946–1976 OKR und Leiter der Rechtsabteilung im LKR Eisenach, CDU, 1958 Engagement in der CFK, ab 1965 Vizepräsident des Friedensrats der DDR, 1967–1976 Abgeordneter der Volkskammer, 1976 Ruhestand. MEHLHORN, Gisela (geb. Heldt) 73, 75 geb. 12.11.1931 Reval/Tallinn (Estland), 1951–1991 Sekretärin und Sachbearbeiterin beim HWW/DWW. MENDE, Erich 183 geb. 28.10.1916 Groß Strehlitz/Schlesien, gest. 6.5.1998 Bonn, 1939–1945 Kriegsdienst und britische Gefangenschaft, 1945–1948 Jurastudium in Köln und Bonn, 1948 Politikstudium in Köln, 1949 Dr. jur., anschließend Dozent für politische Wissenschaften, Mitbegründer der FDP, 1949 Bundesvorstandsmitglied der FDP, 1949–1980 MdB, bis 1970 für die FDP, 1970–1980 für die CDU, 1957 Vorsitzender der Bundestagsfraktion der FDP, 1960–1967 Bundesvorsitzender der FDP, 1963–1966 Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen und Vizekanzler, 1967 Tätigkeit als Deutschland-Manager einer amerikanischen Firma, 1968 Niederlegung des Amtes als Parteivorsitzender der FDP, 1970 Wirtschaftsjurist für Bonn-Finanz/Deutscher Herold Bonn. METZGER, Wolfgang 131, 149, 156, 231f. geb. 6.10.1899 Grab bei Backnang, gest. 9.6.1992 Stuttgart, 1923 Repetent am Tübinger Stift, 1925–1936 Pfarrer in Bronnweiler, 1934 Geschäftsführer beim Calwer Verlagsverein in Stuttgart, 1935 Schriftführer des Landesbruderrats der Württembergischen Bekenntnisgemeinschaft, 1946 OKR in Stuttgart, 1955 Titel Prälat, 1964 Ruhestand. MIELKE, Erich 60 geb. 28.12.1907 Berlin, gest. 22.5.2000 Berlin, 1924–1927 Ausbildung und Tätigkeit als Speditionskaufmann, 1927 KPD, 1928–1931 Lokalreporter der „Roten Fahne“, 1931 Flucht in die UdSSR nach Mord an zwei Polizisten, 1936–1939 Spanien, 1939–1944 verschiedene Tätigkeiten und politische Arbeit in Belgien und Frankreich, 1945 Rückkehr nach Berlin, 1946–1949 Vizepräsident der Deutschen Verwaltung des Innern, 1950–1955 Staatssekretär im MfS, 1955–1957 stellvertretender Minister, 1957–1989 Minister für Staatssicherheit der DDR, 1989 Parteiausschluss und U-Haft, 1993 Verurteilung zu Freiheitsstrafe wegen der Polizistenmorden, 1995 vorzeitige Entlassung auf Bewährung. MITTAG, Günter 269 geb. 8.10.1926 Stettin, gest. 18.3.1994 Berlin, 1943–1945 Ausbildung als Eisenbahner, 1945/46 KPD/SED, 1947–1950 Mitglied der SED-Kreisleitung Greifswald, 1953–1961 Leiter der ZK-Abteilung Eisenbahn, Verkehr und Verbindungswesen, 1956–1958 Fernstudium an der Hochschule für Verkehrswesen mit Promotion, 1962–1989 Mitglied des ZK der SED und Sekretär für Wirtschaft, 1963–1989 Abgeordneter der Volkskammer,

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1966–1989 Mitglied des Politbüro, 1989 Parteiausschluss, U-Haft, 1990 aus gesundheitlichen Gründen entlassen, Rentner. MITTENDORF, Hermann 75 geb. 12.5.1930 Duisburg, gest. 10.5.2005, 1960 Pfarrer in Bad Buchau, 1969 in Heidenheim, 1975 Geschäftsführer im Geschäftsbereich Ökumenische Dienste des DWW, 1981 Leiter der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart, 1988 Kirchenrat, 1989/90 Vorsitzender des Evangelischen Pfarrvereins in Württemberg, 1993 Ruhestand, 1996–2004 Vorsitzender des Hilfsvereins für evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer. MITZENHEIM, Hartmut 138, 211–213 geb. 9.6.1921, gest. 7.10.2000, 1973–1987 Oberkirchenrat im Landeskirchenamt der ELKTh. MITZENHEIM, Moritz 33, 92f., 127, 131, 137, 152, 155f., 158, 173f., 177, 183–194, 213, 232, 282, 292, 294, 312 geb. 17.8.1891 Hildburghausen, gest. 4.8.1977 Eisenach, 1914–1916 Pfarrvikar in Grabe bei Saalfeld, 1917–1929 Pfarrer in Saalfeld, 1929 Pfarrer in Eisenach, 1936 Mitglied der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft, 1943 Leiter des Bruderrates der BK, 1945 Vorsitzender des neugebildeten thüringischen Landeskirchenrats, 1947–1970 Landesbischof der ELKTh, 1955–1961 Mitglied des Rates der EKD. MÜLLER, Hanfried 182 geb. 4.11.1925 Celle, 1943–1945 Kriegsteilnehmer, Gefangenschaft, 1950 Gründungsmitglied der FDJ-Hochschulgruppe in Göttingen, 1952 Disziplinarverfahren und Ablehnung des Prüfungsantrags, Übersiedlung in die DDR, 1956 Dr. theol. an der HU Berlin, seit 1958 Mitarbeit im „Weißenseer Arbeitskreis“, 1959 Dozent, 1961–1968, Mitarbeit in leitender Position beim CFK, 1964–1990 a.o. bzw. ordentlicher Professor für Systematische Theologie an der HU Berlin, Mitglied der Synoden der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg und der EKU. MÜLLER, Ludwig 148 geb. 23.6.1883 Gütersloh, gest. 31.7.1945 Berlin (Suizid), 1908 Ordination in Kirchlengern, Hilfsprediger in Röhlinghausen/Ruhrgebiet und Pfarrer in Rödinghausen/Westfalen, 1914 Marinepfarrer, 1920 Marineoberpfarrer in Wilhelmshaven, 1926 Wehrkreispfarrer in Königsberg/Ostpreußen, 1931 NSDAP, 1932 Mitbegründer der DC und Landesleiter von Ostpreußen, 25.4.1933 Bevollmächtigter Hitlers für Fragen der evangelischen Kirche, 27.9.1933 Wahl zum Reichsbischof, 24.9.1935 Entzug der Befugnisse, nominelle Weiterführung des Amtes. NIEMÖLLER, Martin 29 geb. 14.1.1892 Lippstadt, gest. 6.3.1984 Wiesbaden, Pfarrer in Berlin-Dahlem, führendes Mitglied der BK, 1938–1945 KZ Sachsenhausen und Dachau, 1945–1955 Mitglied des Rates der EKD und Leiter des Kirchlichen Außenamtes, 1947–1964 Kirchenpräsident in Hessen-Nassau. NOACK, Axel 223 geb. 8.11.1949 Biesnitz/Görlitz, 1968 Abitur und Abschluss einer Ausbildung zum Betriebsschlosser, Jungsynodaler, später Mitglied der Synode der Kirchenprovinz Sachsen, 1968/69 diakonischer Helfer in Lobetal, 1969–1975 Studium der Theologie in Naumburg, anschließend dort Repetent, 1978–1984 Studenten- und Kreisjugendpfarrer in

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Merseburg, seit 1985 Pfarrer in Wolfen, 1986 Mitglied der Bundessynode und der KKL, 1989/90 Beteiligung an der Bürgerbewegung, 1990 Mitglied der Gemeinsamen Kommission von EKD und BEK, 1991 ordentliches Mitglied des Rates der EKD, 1997 Bischof der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen in Magdeburg. NOPIRAKOWSKI, Rüdiger 242, 278 geb. 7.5.1950 Malchow/Mecklenburg, 1966–1968 Ausbildung zum Schienentriebfahrzeugschlosser, 1969–1970 Wehrdienst, 1972 SED, Arbeiterjugendsekretär bei der FDJ-Bezirksleitung Neubrandenburg, 1975 Eintritt in den Dienst des MfS, operativer Mitarbeiter bei der Abteilung XX der Bezirksverwaltung Neubrandenburg, 1982–1986 Student an der Juristischen Hochschule des MfS, 1986 Auswerter in der Auswertungsund Kontrollgruppe bei der Bezirksverwaltung Neubrandenburg. OBERLÄNDER, Dieter 124 geb. 8.10.1939 Erfurt, Ausbildung zum Großhandelskaufmann, 1957–1964 beschäftigt in der Elektroindustrie, 1964–1968 Ausbildung zum Diakon in der Stephanusstiftung Berlin-Weißensee, 1968–1978 Stadtjugendwart in Erfurt, 1978–1981 Referent für Bildungsaufgaben und Arbeitsmaterialien, 1981–1991 Leitender Referent/Landesjugendwart beim Mitteldeutschen Evangelischen Jungmännerwerk Thüringen, 1991–2003 Referent für Familienarbeit, Wehrdienst- und Kriegsdienstverweigerer-Beratung und Freundeskreisarbeit des CVJM Thüringen e. V. OSTMANN, Hans 51 geb. 16.8.1906 Schöppenstedt/Braunschweig, gest. 4.10.1991 Stuttgart, 1926–1928 Banklehre, 1928–1932 Jurastudium in München, Bonn und Leipzig, 1932–1935 juristischer Vorbereitungsdienst, 1935–1937 Hilfsreferent bei der vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche, Assessor beim Provinzialkirchenausschuss für die Mark Brandenburg und Berlin, 1936 Assessor im Evangelischen Konsistorium Berlin, 1945–1971 OKR in Stuttgart. PAPPE, Otto 17, 249 geb. 11.6.1931 Erfurt, gest. 22.8.1993 Erfurt, 1962 Pfarrer in Zeitz, 1976 Tätigkeit in der Industrie in Erfurt, 1980 Krankenhausseelsorger in Erfurt. PAPST, Walter 156 geb. 19.9.1912 Oppurg (Kreis Pößneck), gest. 12.1.1999 Berlin, 1947 Studentenpfarrer in Jena, 1953 dort Superintendent, 1964 theologischer Referent im Lutherischen Kirchenamt und Referent der Kirchenkanzlei der EKD für die Gliedkirchen der DDR in Berlin (Ost), 1966 dort Oberkirchenrat. PAVULS, Laimons 47f., 73 geb. 30.7.1921 Valmiera (Lettland), 1970–1986 Tätigkeit beim Diakonischen Werk der EKD. PFEIFFER, Helmut 132f., 193 geb. 28.11.1909 Mürzzuschlag, gest. 29.5.2002 Berglen-Birkenweißbuch, 1936 Pfarrer in (Berglen)-Oppelsbohm (Dekanat Waiblingen), 1940 bei der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart, 1947 Leiter der Landesstelle des Evangelischen Mädchenwerks, 1948 Landesjugendpfarrer, 1950 Leiter des Reichsverbands Evangelischer weiblicher Jugend in Gelnhausen, 1956 Dekan in Esslingen, 1965 Prälat von Reutlingen, 1974 Ruhestand.

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PHIELER, Gerhard 49, 75, 180 geb. 21.10.1891 Oberweimar bei Weimar, gest. 20.12.1963 Eisenach, 1914–1917 Kriegsdienst, 1917 Ordination in Weimar, Pfarrer in Kaltennordheim und Neidhartshausen/Rhön, 1927 Zweiter Vereinsgeistlicher des Thüringer Landesverbandes für Innere Mission, 1931 Geschäftsführer, 1934 Leiter, 1945 Kirchenrat, 1946 Oberkirchenrat in Eisenach, Dezernent für die Innere Mission, Leiter des HWT, 1948 Landesleiter des landeskirchlichen Amtes für Innere Mission, 1963 Ruhestand. POKOJEWSKI, Otto 60 geb. 25.4.1900 Leipzig, gest. 22.12.1977 Schleswig-Holstein, 1928 Pfarrer in Döbeln, 1939 Wehrmachtspfarrer mit Wohnsitz in Altenburg, 1940 Feldgeistlicher, 1942 Wehrmachts-Oberpfarrer, 1946 Pfarrer in Altenburg, 1948 entlassen mit der Möglichkeit der kommenden Weiterbeschäftigung, 1949 wieder angestellt in Altenburg, 1954 Superintendent in Kahla, 1960 im Wartestand in Stuttgart, 1962 Ruhestand. PRENZLER, Wilhelm 47, 60, 75, 255 geb. 20.5.1906 Boschwitz/Provinz Posen, kaufmännische Ausbildung, 1927 Ausbildung zum Diakon, 1932 Jugendsekretär des Jugendwerks der Posener Kirche, 1933 Verwalter des Pfarramts Buk bei Posen, 1937 Leiter der Jugendarbeit in der Stadt Posen und Verwalter des Pfarramts Posen-Nordheim, 1940 Leiter der Suchstelle des DRK für vermisste Personen und Wehrmachtsangehörige, 1943 Kriegsdienst, 1945 Hauptgeschäftsführer des HWT, 1946 Verwalter des Pfarramts Viernau bei Suhl, 1957 Ordination in Eisenach, Pfarrer mit gesamtkirchlichem Auftrag, 1960 Verlassen der DDR, auf eigenen Antrag aus dem Dienst der ELKTh entlassen, Aushilfstätigkeit beim HWW, 1961 Geschäftsführer des Diakonischen Werkes, des Stadtverbandes für Innere Mission und der Stadtmission Hannover, 1973–1976 Geschäftsführer des Ostkirchenausschusses. PRESSEL, Wilhelm 75 geb. 22.1.1895 Creglingen/Tauber, gest. 24.5.1986 Tübingen, Repetent am Evangelischen Stift Tübingen, Kriegsteilnahme im 1. Weltkrieg als Offizier, 1921 Ordination, 1925–1929 Pfarrer in Nagold, 1929–1933 Klinikseelsorger und Studentenpfarrer in Tübingen, 1931 NSDAP, 1935 Parteiausschluss, 1932–1933 Mitglied der DC, 1933–1946 Mitglied im OKR, Mitarbeit in der 1. Vorläufigen Kirchenleitung, Mitglied des Lutherrates, 1945–1950 Leiter des HWW, 1950–1961 Krankenhauspfarrer in Stuttgart. RACHNER, Hermann 75 1974–1978 Referatsleiter der Abteilung Gesamtkirchliche Hilfen des DWW. RADTKE, Hans 46 geb. 16.8.1904, 1931 Hilfsprediger in Berlin, 1932–1945 Militärpfarrer, 1947–1951 Referent im Zentralbüro-Ost des Hilfswerks der EKD, Abteilung Kirchlicher Wiederaufbau, 1951–1974 Pfarrer, bis 1971 zugleich Superintendent in Berlin. RAISER, Konrad 44 geb. 25.1.1938 Magdeburg, Vikar beim Industrie- und Sozialpfarramt in Berlin, Studium der Sozialwissenschaften an der Harvard University, Dr. theol. in Tübingen, Sekretär der ÖRK-Kommission für Glauben und Kirchenverfassung in Genf, theologischer Referent in der Ökumenischen Zentrale, 1973 stellvertretender Generalsekretär des ÖRK in Genf, 1983 Professor für Systematische Theologie und Ökumenik in Bochum, 1992–2003 Generalsekretär des ÖRK.

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RATHKE, Heinrich 16, 27 geb. 12.12.1928 Mölln (Kreis Malchin), 1955 Vikar in Bad Doberan, Pastor in Wankenhagen, 1960 Dr. theol. in Rostock, 1962 Pastor in Rostock, 1970 Landespastor für Gemeindedienst in Güstrow, 1971–1983 Landesbischof in Mecklenburg, 1977–1981 Leitender Bischof der VELKDDR, 1984 Ablehnung einer weiteren Amtszeit, Pastor in Crivitz bei Schwerin, 1989 Mitbegründer des Neuen Forum in Schwerin, 1991 Ruhestand. RAU, Heinrich 61 geb. 2.4.1899 Stuttgart, gest. 23.3.1961 Berlin, 1917 USPD, 1919 KPD, 1920–1933 zunächst Mitarbeiter, dann Leiter der Abteilung Land des ZK der KPD, 1928–1933 Abgeordneter des Preußischen Landtags, 1933–1935 Haft, 1935 Emigration in die Tschechoslowakei, dann in die UdSSR, 1937–1939 Spanien, 1939 Verhaftung durch französische Behörden, 1942–1945 Auslieferung an Gestapo und Haft in Deutschland, 1946 SED, 1946–1948 Abgeordneter des Landtags Brandenburg und Minister für Wirtschaftsplanung des Landes, 1949 Minister für Wirtschaftsplanung in der DDR, 1953–1955 für Maschinenbau, danach für Außen- und Innerdeutschen Handel, seit 1949 Mitglied des Politbüros, seit 1950 stellvertretender Ministerpräsident der DDR. REICHARDT, Wilhelm 151 geb. 21.5.1871 Ronneburg, gest. 18.11.1941 Eisenach, 1895 Ordination, Hilfsprediger des Hofpfarramts in Altenburg, 1897 Schlossdiakonus, 1908 Konsistorialrat, 1918 Oberhofprediger, Vertreter des Freistaats Altenburg bei den Zusammenschlussverhandlungen zur Thüringer Evangelischen Kirche, 1919 Generalsuperintendent, Mitglied des Landeskirchenrats, 1920 Landesoberpfarrer, 1925 Teilnehmer an der Weltkirchenkonferenz in Stockholm („Life and Work“), 1933 Titel Landesbischof, 1934 Beurlaubung, Ruhestand. RÖNCK, Hugo 152 geb. 12.4.1908 Altenburg, gest. 8.2.1990 Eutin, 1925 NSDAP, 1932 Ordination in Denstedt, Mitglied der DC, 1936 thüringischer Landesjugendpfarrer, 1939–1943 Kriegsdienst, 1943 Präsident des LKR Eisenach, 1944 Ausschluss aus der NSDAP, 1945 Verhaftung durch US-Besatzungsmacht, Entlassung aus dem Kirchendienst, 1947–1978 Pfarrer in Eutin. ROOS, Albrecht 75, 172, 197, 256f. geb. 22.3.29 Braunsbach, 1958 Pfarrer beim Lutherischen Weltdienst in Stuttgart, 1962 Pfarrer in Stuttgart-Fasanenhof, 1970 Hauptgeschäftsführer des DWW, 1993 Ruhestand. RUDLOFF, Martin 67 geb. 12.1.1904 Teterow/Mecklenburg, gest. 25.5.1988 Berlin, 1922 kaufmännische Ausbildung und Tätigkeit in Hamburg, 1928 Studium der Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre in München und Göttingen, 1932 Dr. jur. in Göttingen, 1932 Referendariat in Stettin, 1936 Eintritt in den Dienst der allgemeinen kirchlichen Verwaltung in Stettin, 1938 Konsistorial-Assessor in Berlin, 1939 Kriegsdienst, 1946 wieder im Konsistorium tätig, 1954 Ernennung zum Oberkonsistorialrat, 1971 Ruhestand, 1974–1978 Leiter der Hilfsstelle westdeutscher Kirchen in Berlin.

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RUTSCH, Willy 180, 182 geb. 29.3.1904 Rathenow, 1963–1983 Präses der Vereinigten Kirchen- und Klosterkammer Erfurt. SÄUBERLICH, Gerhard 127 geb. 5.6.1901 Mulango (Englisch-Ostafrika), gest. 15.1.1959 Eisenach, 1923 Vikar in Gera, 1925 Pfarrer in Sonneberg, 1930 Pfarrer in Mengersgereuth, Mitglied der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft, 1935 Beurlaubung, Pfarrer in Etzdorf, 1939 Vositzender der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft, 1943–1945 Soldat, 1946 Mitglied des LKR, OKR, Visitator für den Aufsichtsbezirk Ost, 1949 Leiter des Gemeindedienstes der ELKTh. SAFT, Walter 283 geb. 26.11.1923 Wasungen, 1942–1948 Soldat/Kriegsgefangenschaft, Studium der Theologie in Berlin und Jena, 1953 Pfarrer in Friedelshausen, 1957 Pfarrer und Krankenhausseelsorger in Hildburghausen, 1959 Pfarrer in Pfersdorf/Hildburghausen, 1962 Leiter der Evangelischen Akademie Thüringen, 1964 Dr. theol in Berlin, 1964 Rektor des Predigerseminars in Eisenach, 1969 Rektor des Pastoralkollegs in Eisenach und Kirchenrat, 1975 Mitglied des LKR, OKR, Visitator für den Aufsichtsbezirk West, 1988 Ruhestand. SASSE, Martin 151f. geb. 15.8.1890 Großdrenzig/Guben, gest. 28.8.1942 Eisenach, 1914–1918 Soldat, 1921 Pfarrer in Heber/Böhmen, 1923 Oberpfarrer in Rothenburg/Oberlausitz, 1930–1933 Pfarrer in Lauscha, 1930 NSDAP, Mitglied der SA und der DC, 1933 Kirchenrat, Mitglied des LKR, 1934 Landesbischof der Thüringer Evangelischen Kirche. SCHÄFER, Hans 283 geb. 18.6.1928 Gera, 1952 Vikar in Großbrembach, 1953 dort Hilfsprediger, 1955 dort Hilfspfarrer, 1956 dort Pfarrer, 1969 Superintendent in Weida, 1976 OKR und Visitator im Aufsichtsbezirk Mitte in Weimar, 1993 Ruhestand. SCHALCK-GOLODKOWSKI, Alexander 64 geb. 3.7.1932 Berlin, Ausbildung zum Feinmechaniker, 1953 SED, 1956–1962 Hauptverwaltungs-Leiter beim MAI, 1962–1966 Erster Sekretär der SED-Kreisleitung, 1966 Leiter des Bereichs Ko-Ko, 1967 Offizier im besonderen Einsatz, später Oberst des MfS, 1967–1975 stellvertretender Minister für Außenwirtschaft, 1975 Staatssekretär für Außenhandel, 1976 Mitglied des ZK der SED, 1989/90 kurzzeitig U-Haft, 1996 Verurteilung zu einjähriger Freiheitsstrafe auf Bewährung. SCHARF, Kurt 32f., 61, 212f. geb. 21.10.1902 Landsberg/Warthe, gest. 28.3.1990 Berlin, Pfarrer, führendes Mitglied der BK, 1941–1945 Kriegsdienst, 1945 Leiter der Abteilung Brandenburg im Konsistorium Berlin-Brandenburg (mit dem Titel „Probst“), 1945 Präses der brandenburgischen Bekenntnissynode, 1951 Pfarrer in Berlin (Marienkirche) mit Wohnsitz Berlin (Ost), 1961 Verweser des Bischofsamtes im östlichen Kirchengebiet, 1961–1976 Mitglied des Rates der EKD, 1961–1967 dessen Vorsitzender, 1966–1976 Bischof von Berlin-Brandenburg (seit November 1972 nur noch für West-Berlin). SCHARNHORST, Gerhard Johann David von (seit 1802) 237 geb. 12.11.1755 Bodenau (Neustadt am Rübenberge), gest. 28.6.1813 Prag, 1783 Ar-

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tillerieoffizier, seit 1801 in preußischem Dienst, 1807 Generalmajor und Vorsitzender der Militärreorganisationskommission, 1807–1810 Chef des neugeschaffenen Kriegsministeriums, in den Befreiungskriegen Stabschef Blüchers, erlag seinen bei Großgörschen erlittenen Verletzungen. SCHEMPP, Paul 149 geb. 4.1.1900 Stuttgart, gest. 4.6.1959 Bonn, 1934 Pfarrer in Iptingen, Mitglied der Kirchlich-theologischen Sozietät in Württemberg, 1939 Amtsenthebung, blieb mit Unterstützung der Gemeinde im Amt, 1943 Austritt aus der württembergischen Landeskirche, 1945 Mitglied der reformierten Gemeinde Stuttgart, Publizist, 1949 Religionslehrer, 1958 Professor für Systematische Theologie in Bonn. SCHIEBER, Ernst 56 geb. 12.5.1889 Machtolsheim, gest. 26.7.1972 Stuttgart, 1914–1918 Kriegsdienst, 1918 Pfarrer in Asch, 1926 in Ulm, 1933 Wehrkreispfarrer in Ludwigburg, 1934 Heeresoberpfarrer, 1938 Wehrkreisdekan in Stuttgart, 1945 Amtsverweser in Ludwigsburg, 1948 dort Dekan, 1948–1965 Vorsitzender des Evangelischen Pfarrvereins in Württemberg, 1959 Ruhestand. SCHILLER, Friedrich 72 geb. 10.11.1759 Marbach/Neckar, gest. 9.5.1805 Weimar, 1773–1780 Jura-, später Medizinstudium an der Karlsschule in Stuttgart, danach Regimentsmedikus in Stuttgart, 1782 Flucht nach Mannheim, 1783 Theaterdichter in Mannheim, 1785–1787 in Leipzig und Dresden, danach Geschichtsprofessur in Jena, 1799 Übersiedlung nach Weimar. SCHMIDT, Helmut 304f., 308 geb. 23.12.1918 Hamburg-Barmbek, 1937–1939 Reichsarbeitsdienst und Wehrdienst, 1939–1942 Kriegsdienst, 1942–1944 Referent im Reichsluftfahrtministerium in Berlin und Bernau, 1944/45 Fronteinsatz und britische Kriegsgefangenschaft, 1946–1949 Studium der Volkswirtschaft und Staatswissenschaft in Hamburg, 1946 SPD, 1947/48 Bundesvorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), 1949–1953 zunächst Referent, dann Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung in der Behörde für Wirtschaft und Verkehr in Hamburg, 1952 dort auch Verkehrsdezernent, 1953–1962 MdB, 1957/58 Mitglied des Fraktionsvorstands der SPD, seit 1958 Mitglied des SPDBundesvorstandes, 1961–1965 Hamburger Innensenator, 1965–1987 erneut MdB, 1967–1969 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, 1968–1983 stellvertretender Vorsitzender der SPD, 1969–1972 Bundesverteidigungsminister, 1972–1974 Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen, 1974–1982 Bundeskanzler, seit 1983 Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“, 1985–1989 Verleger und Geschäftsführer der „Zeit“. SCHMIDT-BRÜCKEN, Arnold 75 geb. 1905, bis Kriegsende Oberregierungsrat und Leiter der Stuttgarter Außenstelle des Reichsarbeitsministeriums, 1946 Jurist im Hauptbüro des HWW, 1950–1952 Hauptgeschäftsführer des HWW. SCHNEPF, Erhard 72 geb. 15.12.1495 Heilbronn, gest. 1.11.1558 Jena, 1520 Prediger in Weinsberg, 1522 Vertreibung wegen lutherischer Neigungen, 1524 Prediger in der Reichsstadt Wimpfen/

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Neckar, 1525 in Weilburg, 1527 Berufung an die neugegründete Universität Marburg, 1534 Berufung nach Stuttgart zur Durchführung der Reformation in Württemberg, 1544 Professor der Theologie in Tübingen, 1548 Entlassung wegen Widerstand gegen das Augsburger Interim, Mitarbeit bei der Gründung der Hochschule in Jena. SCHOBER, Theodor 79, 178, 217, 248, 256f. geb. 10.8.1918 Zirndorf/Franken, 1948 Vikar und Pfarrer in Erlangen, 1955 Rektor des Diakoniewerks Neuendettelsau, 1963–1984 Präsident des Diakonischen Werkes der EKD. SCHÖNHERR, Albrecht 182, 230 geb. 11.9.1911 Katscher/Oberschlesien, 1934 Vikar in Potsdam, Mitarbeit in der BK, 1936 Pfarrer in Greifswald und Brussow/Uckermark, 1940–1945 Kriegsteilnehmer, 1946 Superintendent in Brandenburg/Havel, 1951–1962 Direktor des Predigerseminars Brandenburg, 1958 Mitbegründer des „Weißenseer Arbeitskreises“, 1962 General-Superintendent des Kirchenkreises Eberswalde, 1967–1972 Verwalter des Bischofsamtes der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg Bereich Ost, 1972–1981 Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg Bereich Ost, 1969–1981 Vorsitzender der KKL. SCHÖNHERR, Annemarie 223 geb. 14.8.1932 Zörbig bei Halle/Saale, 1960 Pastorin in Halle-Gesundbrunnen, 1962 Reisesekretärin für die Evangelischen Studentengemeinden in der DDR, 1963 Heirat mit Albrecht Schönherr, seitdem ehrenamtliche Tätigkeiten, seit 1972 Mitarbeit im Präsidium der Kirchentagsarbeit der DDR, seit 1991 Mitglied im Vorstand des Präsidiums, 1981–1991 Vorsitzende der Evangelischen Frauenarbeit der DDR, 1985–1992 Vorsitzende des Kuratoriums der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg. SCHOEPS, Hans-Joachim 236, 249 geb. 1.5.1933 Arnstadt, 1956–1996 Pfarrer und Oberpfarrer in Saalfeld und Lichtentanne, 1991 Kirchenrat, 1996 Ruhestand in Bad Staffelstein. SCHULTHEISS, Christina 136, 138, 211 geb. 27.7.1918 Chemnitz, 1944–1984 Straßenbaumeisterin in Stadtroda, Jena, Eisenberg, 1939 Mitglied der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft, 1966 Mitglied der Synode der ELKTh, 1969 Mitglied der Synode des BEK und der VELKDDR, 1972 Mitglied der KKL, 1977–1985 Mitglied des Vorstandes der KKL, 1979–1991 Präsidentin der Synode der ELKTh. SCHWARTZE, Gerhard 75 geb. 12.8.1937 Apolda, 1952–1955 Ausbildung zum Möbeltischler, 1955–1959 Ausbildung zum Diakon/Erzieher im Johannes-Falk-Haus Eisenach, 1959–1960 Jugendwart in Eisenach, 1960–1961 in Greiz, 1961–1964 Heimleiter des Altersheims „Wichernheim“ und Leiter der Kreisstelle des HWT in Weimar, 1964–2000 Abteilungsleiter der Abteilung „Technische Dienste“ des HWT/DWT. SEITTER, Oswald 139 geb. 10.7.1936 Kleinaspach, Justitiar, seit 1960 Rechtsanwalt in Stuttgart, seit 1966 Mitglied der Württembergischen Landessynode, 1969–1983 Mitglied der Synode der EKD, 1984–95 Präsident der Württembergischen Landessynode. SORG, Theo 131, 139, 201, 203 geb. 11.3.1929 Nierstein, 1957 Jugendpfarrer in Stuttgart, 1960 Leiter der Landesstel-

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le des Evangelischen Jungmännerwerks in Stuttgart, 1965 Pfarrer in Stuttgart, 1973 Oberkirchenrat, 1980 Prälat von Stuttgart, 1988 Landesbischof, 1994 Ruhestand in Ostfildern-Kemnat. SPÄTH, Lothar 204, 296 geb. 16.11.1937 Sigmaringen, 1965 Beigeordneter und Finanzreferent in Bietigheim, 1967 dort Bürgermeister, 1968 MdL (CDU) in Baden-Württemberg, 1972–1978 Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion, 1978 Innenminister, 1978–1991 Ministerpräsident, 1991–2003 Geschäftsführer der Jenoptik GmbH Jena. STAHL, Hermann 220, 242 geb. 2.1.1931 Stuttgart, 1960 Pfarrer in Gerlingen, 1967 in (Ostfildern-) Ruit, 1981 Dekan und Erster Pfarrer an der Stadtkirche in Geislingen/Steige, 1995 Ruhestand. STEGMANN, Erich 156 geb. 1.10.1906 Straßburg, gest. 30.3.1994, 1930 Vikar in Bethel, 1930 Hilfsprediger und Hilfspfarrer in Renthendorf bei Stadtroda, Mitglied des Pfarrernotbundes und der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft, 1939 amtsenthoben, kaufmännische Lehre, 1940 Kriegsdienst, 1945 kommissarisch Pfarrer in Sarstedt/Hannover, Pfarrer in Renthendorf, 1947 Superintendent in Pößneck, 1947–1975 Mitglied der Thüringer Synode, 1960 Superintendent in Kahla, 1967 Oberkirchenrat und Visitator für Thüringen Mitte in Weimar, 1976 Ruhestand. STEINHOFF, Karl 47 geb. 24.11.1892 Herford, gest. 19.7.1981, Jurist, 1923 SPD, 1933 aus dem Staatsdienst entlassen, 1946 SED, 1946–1949 Ministerpräsident von Brandenburg, 1949–1952 Innenminister der DDR, 1949–1954 Mitglied des SED-Parteivorstands bzw. des ZK der SED. STENGEL, Albrecht 75 geb. 1.6.1935 Eisenach, 1965 Vikar in Lauchröden, Werra, 1968–1974 dort Pfarrer, zugleich Jugendpfarrer der Superintendenturen Eisenach und Gerstungen, 1974–1980 Brüderpfarrer im Diakoniebrüderhaus „Johannes Falk“ in Eisenach, Dozent für Kirchengeschichte, Altes Testament und Praktische Theologie, 1981–1990 Abteilungsleiter der Abteilung „Gemeindediakonie und Ökumenische Diakonie“ des Diakonischen Amtes Eisenach, 1990–1998 Geschäftsführer „Soziale Dienste“ und stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Diakonischen Werkes der ELKTh, 1999 Ruhestand. STOLPE, Manfred 40 geb. 16.5.1936 Stettin, Jurist, seit 1959 tätig bei der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, 1962–1969 Leiter der Geschäftsstelle der KKL, 1969 Oberkonsistorialrat und Leiter des Sekretariats des BEK, 1982 Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg Bereich Ost, 1990 SPD und 1990–2002 Ministerpräsident des Landes Brandenburg, 2002–2005 Bundesminister für Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen. STOPH, Willi 99, 303 geb. 9.7.1914 Berlin, gest. 13.4.1999 Berlin, Ausbildung zum Maurer, 1928 Kommunistischer Jugendverband Deutschlands, 1931 KPD, Mitarbeit im KPD-Nachrichtendienst, 1935–1937 und 1940–1945 Wehrmacht, 1945/46 KPD/SED, 1945–1947 Leiter der Abteilung Baustoffindustrie und Bauwirtschaft, 1948–1950 Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik beim Parteivorstand der SED, 1950–1989 Mitglied des ZK und Abge-

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ordneter der Volkskammer, 1952–1955 Minister des Innern, 1953–1989 Mitglied des Politbüro, 1954–1962 stellvertretender Vorsitzender, 1962–1964 Erster stellvertretender Vorsitzender, 1964–1973 und 1976–1989 Vorsitzender des Ministerrates, 1956–1960 Minister für nationale Verteidigung, 1964–1973 und 1976–1989 stellvertretender Vorsitzender, 1973–1976 Vorsitzender des Staatsrats, 1989 Rücktritt, Ermittlungsverfahren (1993 eingestellt). STRÖBEL, Kurt 70f. geb. 6.7.1914 Ulm, gest. 22.7.1995 Heumaden, 1932–1935 Jurastudium in Tübingen und Berlin, 1936–1940 Vorbereitungsdienst als Gerichtsreferendar, 1945 Justitiar beim OKR Stuttgart, 1949 Berufung in die Kirchenleitung (Referent für Finanz- und Bauwesen), 1973–1979 Direktor des OKR Stuttgart, juristischer Stellvertreter des Landesbischofs. THEDIECK, Franz 307 geb. 26.9.1900 Hagen/Westfalen, gest. 20.11.1995 Bonn, Jurist und Politiker (Zentrum, CDU), 1950–1963 Staatssekretär im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, 1966–1972 Intendant des Deutschlandfunks. ULBRICHT, Walter 60, 185, 191f., 216, 273, 286 geb. 30.6.1893 Leipzig, gest. 1.8.1973 Berlin (Ost), 1929 Mitglied des Politbüros der KPD, 1928–1933 MdR, 1933–1945 im Exil (ab 1938 UdSSR), 1950 Generalsekretär der SED, 1949–1955 stellvertretender Ministerpräsident der DDR, 1955–1961 Erster stellvertretender Ministerpräsident, 1960–1973 Staatsratsvorsitzender. ULLRICH, Klaus-Dieter 73, 75, 85 geb. 30.8.1938 Berlin, 1958 kaufmännische Ausbildung in Stuttgart, 1965 betriebswirtschaftliches Studium am Institut für Absatzwirtschaft der Deutschen Angestellten Akademie, 1968 berufliche Tätigkeit in Paris, 1978–1992 Leiter des Referats Gesamtkirchliche Hilfen im DWW, 2003 Ruhestand. WALTER, Joachim 120 geb. 4.5.1947 Stuttgart, 1975 Pfarrer an der Gustav-Werner-Stiftung zum Bruderhaus in Reutlingen, 1981 Professor an der Fachhochschule für Sozialwesen, Religionspädagogik und Gemeindediakonie in Freiburg, 1985 Dr. rer. soc. (Tübingen), 1992 Rektor der Fachhochschule. WEBER, Gotthilf 137, 156, 188, 216 geb. 14.9.1900 Großgartach, gest. 29.5.1987 Stuttgart-Bad Cannstatt, 1928 Stadtpfarrer in Haiterbach, 1931 Geschäftsführer des Evangelischen Volksbundes in Stuttgart, 1933 Geschäftsführer beim Evangelischen Gemeindedienst in Württemberg, Oktober 1934 von der DC-Kirchenleitung in den einstweiligen Ruhestand versetzt, 1935 Mitglied des Reichsbruderrates, 1936 Pfarrer in Schwenningen, 1947 Dekan in Göppingen, 1950 in Bad Cannstatt, 1957 Mitgründer der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg, 1967 Ruhestand. WEIDHAAS, Hermann 179 geb. 1.9.1903 Zeulenroda, gest. 3.7.1978 Weimar, 1946 Habilitation in Greifswald, Lehrer an der Hochschule für Architektur, 1946 Kommissarischer Direktor. WEISS, Gerhard 61 geb. 30.7.1919 Erfurt, gest. 7.1.1986, Ausbildung zum kaufmännischen Angestellten,

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1943 sowjetische Kriegsgefangenschaft, Antifa-Schule, 1948 SED, 1949–1951 Hauptabteilungsleiter im Ministerium für Wirtschaft des Landes Thüringen, 1954–1965 stellvertretender Minister im MAI, seit 1967 Kandidat des ZK der SED und ständiger Vertreter der SED im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe. WEITBRECHT, Heiner 193 geb. 3.10.1924 Leonberg, gest. 26.11.1992 Rottenburg-Kiebingen, 1952 Pfarrer in Amstetten-Stubersheim, 1961 in Betzweiler-Wälde, 1975 in Weikersheim-Elpersheim, 1986 Ruhestand. WERNER, Gustav 72, 120, 125 geb. 12.3.1809 Zwiefalten, gest. 2.8.1887, 1832 Vikar in Walddorf bei Tübingen, 1840 Aufgabe des Kirchenamtes, Übersiedlung nach Reutlingen, Aufbau einer Kinderrettungsanstalt, 1851 Kauf einer Fabrik in Reutlingen, um eine gerechte Ordnung im Arbeitsleben zu verwirklichen, 1954 Gründung einer Zweiganstalt in Fluorn im Schwarzwald, danach auch in anderen Schwarzwaldgemeinden, und weiterer Rettungshäuser, 1882 Schaffung von ersten Arbeitsplätzen für behinderte Menschen. WESSINGER, Julius 136 geb. 14.4.1895 Stettin, gest. 2.2.1965 Jena (infolge eines Autounfalls), 1914–1918 Soldat, 1921 Vikar in Ostheim, Gotha, 1921 Ordination in Eisenach, 1922–1924 Pfarrer in Bad Salzungen, 1924–1931 in Herpf, 1931–1946 in Saalfeld, führendes Mitglied des Wittenberger Bundes, 1939–1945 Militärpfarrer, 1946 kommissarisch Pfarrer in Saalfeld, 1947–1965 Superintendent in Eisenberg. WIDMANN, Richard 149 geb. 28.1.1900 Stuttgart, gest. 21.12.1979 Stuttgart, 1926 Pfarrer in Wurmberg, 1932 in Stuttgart-Plieningen, 1938 in Oberboihingen, 1951 in Eglosheim, 1960 in Remmingsheim, 1967 Ruhestand. WILM, Ernst 310 geb. 27.8.1901 Reinswalde, gest. 1.3.1989 Espelkamp, 1929 Pfarrer in Lüdenscheid, 1931 in Mennighüffen, 1942–1945 KZ Dachau, 1948–1968 Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, 1957–1973 Mitglied des Rates der EKD. WILMS, Dorothee 305 geb. 11.10.1929 Grevenbroich, Diplomvolkswirtin, 1956 Dr. rer. pol., 1955–1973 Tätigkeit im Deutschen Industrieinstitut Köln, wissenschaftliche Referentin für Bildungspolitik, Leiterin der Abteilung Bildungsarbeit und gesellschaftspolitische Fragen, Mitglied der Geschäftsführung des Instituts, 1960–1967 nebenamtlich Dozentin für Wirtschafts- und Gesellschaftslehre an einer Höheren Fachschule für Sozialpädagogik, 1961 CDU, 1974–1976 stellvertretende Bundesgeschäftsführerin der CDU, seit 1976 MdB, 1977–1982 Leiterin der Forschungsstelle bildungs- und gesellschaftspolitische Entwicklung beim Institut der Deutschen Wirtschaft, Köln, 1980–1982 parlamentarische Geschäftsführerin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, 1982–1987 Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft, 1987–1991 Bundesministerin für innerdeutsche Beziehungen. WINTER, Friedrich 17, 37, 317 geb. 4.3.1927 Soest, 1952 Dr. theol. in Rostock, 1951–1954 Vikar und Hilfsprediger in Ferdinandshof/Vorpommern, 1954–1960 Studentenpfarrer in Greifswald, 1960–1964

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Superintendent in Grimmen, 1964–1973 Dozent für Praktische Theologie am Sprachenkonvikt in Berlin (Ost), 1973–1986 Probst der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg und Mitglied des Rates der EKU (Bereich Ost) mit beratender Stimme, 1986–1991 Präsident der Kirchenkanzlei der EKU (Bereich Ost) in Görlitz, ständiger Gast in der KKL. WORATZ, Gerhard 62 geb. 3.8.1908 Königsberg, gest. 20.5.1997 Remagen, 1938–1945 Mitarbeiter im Reichswirtschaftsministerium, danach im Bundeswirtschaftsministerium, zuletzt als Ministerialdirektor Leiter der Energieabteilung und Bundesbeauftragter für den Steinkohlebergbau, 1973 Ruhestand. WUCHER, Waldemar 186 geb. 5.11.1903, gest. 7.7.1991, 1926 Promotion, wissenschaftlicher Assistent und Verlagslektor in Leipzig und Berlin, Soldat, Kriegsgefangenschaft, 1957–1962 Leiter der Evangelischen Akademie Thüringen, 1962–1964 Inhaftierung, 1964 Leiter des Kunstdienstes der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen in Erfurt, 1970 Übersiedlung nach Kronberg/Taunus, Studienleiter an der Evangelischen Akademie Arnoldshain. WURM, Theophil 28, 73, 148–150, 156, 189 geb. 7.12.1868 Basel, gest. 28.1.1953 Stuttgart, 1899 Pfarrer der Evangelischen Gesellschaft in Stuttgart, 1913 Pfarrer in Ravensburg, 1920 Dekan in Reutlingen, 1927 Prälat von Heilbronn, 1929 Kirchenpräsident, 1933 Titel Landesbischof, 1941 Initiator des kirchlichen Einigungswerkes, 1945 Vorsitzender des vorläufigen Rates der EKD, 1949 Ruhestand. ZELLER, Dankwart 169f., 182f., 188f., 191, 236, 309 geb. 23.6.1924 Tübingen, 1949 Heimkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft, 1954–56 Vikariate in Gaildorf und Crailsheim, 1956 Pfarrer in Künzelsau-Belsenberg, 1964 in Köngen/Neckar, 1970 in Berlin-Neukölln, 1977 in Trossingen, 1984 Ruhestand. ZIMMERMANN, Maria 238, 247, 250 geb. 23.11.1929 Gerlingen, 1954 Eintritt in das Evangelische Diakoniewerk Schwäbisch Hall, Ausbildungen zur Krankenschwester, später Heimerzieherin und Heilerziehungspflegerin, 1957 Tätigkeit im „Wächterheim“ für ledige Mütter mit Entbindungsstation und Kinderheim in Kirchheim/Teck, 1968 Leitung der Einrichtung, 1973 Leitung der Arbeit mit geistig behinderten Erwachsenen in Schwäbisch Hall, Aufbau des Heims „Schöneck“, 1994 Ruhestand. ZUNKEL, Martin 136, 196 geb. 12.7.1925 Vieselbach bei Erfurt, gest. 5.10.1994 Gera, 1952 Vikar in Meuselwitz, 1953 Hilfsprediger in Lumpzig, 1955 dort Hilfspfarrer, 1956 dort Pfarrer, 1980 Oberpfarrer und stellvertretender Superintendent in Meuselwitz, 1991 Ruhestand.