Kirche und Staat in West-, Süd- und Nordeuropa [1 ed.] 9783428556915, 9783428156917

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich in den Staaten Nord-, West- und Südeuropas die Rahmenbedingungen des Verhältni

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Kirche und Staat in West-, Süd- und Nordeuropa [1 ed.]
 9783428556915, 9783428156917

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Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Band 56/II

Kirche und Staat in West-, Süd- und Nordeuropa Herausgegeben von Stefan Mückl und Arnd Uhle

Duncker & Humblot · Berlin

STEFAN MÜCKL / ARND UHLE (Hrsg.)

Kirche und Staat in West-, Süd- und Nordeuropa

Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Herausgegeben von Otto Depenheuer · Ansgar Hense · Alexander Hollerbach Josef Isensee · Matthias Jestaedt · Paul Kirchhof · Joseph Listl (†) Wolfgang Loschelder (†) · Hans Maier · Paul Mikat (†) · Stefan Muckel Wolfgang Rüfner · Christian Starck · Arnd Uhle

Band 56/II

Kirche und Staat in West-, Süd- und Nordeuropa

Herausgegeben von Stefan Mückl und Arnd Uhle

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Fotosatz Voigt, Berlin Druck: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Printed in Germany ISSN 0720-7247 ISBN 978-3-428-15691-7 (Print) ISBN 978-3-428-55691-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

In Memoriam

Ludger Müller * 25. August 1952 y 20. April 2020

Vorwort Während der epochale Umbruch der Jahre 1989/90 in den Staaten Mittel- und Osteuropas zu einer grundlegenden Veränderung des Verhältnisses von Kirche und Staat geführt hat, ist eine vergleichbare Zäsur in den Staaten West-, Süd- und Nordeuropas ausgeblieben. Gleichwohl haben sich in den vergangenen Jahrzehnten auch in diesen Staaten die Rahmenbedingungen des Verhältnisses von Staat und Kirche erheblich verändert. Zuvörderst sind sie Konsequenzen gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse: Als solche folgen sie aus Pluralisierungs-, Individualisierungs- und Säkularisierungsprozessen sowie aus der Abnahme der Bindungs- und Prägekraft des Christentums; ebenso resultieren sie freilich auch aus der Wiederentdeckung der gesellschaftlichen Relevanz von Religion, die nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer zunehmenden Migration aus islamisch geprägten Ländern in die Staaten West-, Süd- und Nordeuropas die Auswirkungen von Religion und Religiosität auf Identität und Kohäsion der europäischen Gesellschaften in den Blick gerückt hat. Zudem sind sie Resultat einer zunehmenden Europäisierung des Staatskirchenrechts, die insbesondere durch die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs befördert worden ist. Vor diesem Hintergrund haben die Einwirkungen des Europarechts auf das mitgliedstaatliche Staatskirchenrecht an Intensität gewonnen, auch wenn das Verhältnis von Staat und Kirche aus unionsrechtlicher Perspektive zu den „unionsfesten“ Materien des Rechts zählt. In dem Maße, in dem die hier angedeuteten Veränderungsprozesse voranschreiten, sehen sich die gegenwärtig in den einzelnen Staaten anzutreffenden staatskirchenrechtlichen Ordnungen, die allesamt maßgeblich von Geschichte, Tradition und Kultur des jeweiligen Landes geprägt sind, vielfachen Anfragen hinsichtlich ihrer Legitimation wie auch ihrer Zukunftsfähigkeit ausgesetzt. So führen die skizzierten Entwicklungen auf der einen Seite zu einer Zurückdrängung ausschließlich historisch ansetzender Modelle zur Legitimation der jeweiligen staatskirchenrechtlichen Systeme. Auf der anderen Seite führen sie indes auch dazu, das Augenmerk stärker auf die rechtliche Ordnung des Verhältnisses von Staat und Religion in den europäischen Nachbarländern, auf dortige Regelungsansätze sowie auf einen Vergleich der Leistungsfähigkeit dieser Lösungsansätze mit den bislang jeweils im eigenen Land zur Anwendung gelangenden Instrumenten zu richten. Demgemäß werden für die staatskirchenrechtlichen Ordnungen der Zukunft funktionale und rechtsvergleichende Perspektiven an Bedeutung gewinnen. Diese werden zwar keinesfalls die gewachsenen historischen Begründungszusammenhänge ersetzen. Doch sie werden den historischen Wurzeln

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Vorwort

der mitgliedstaatlichen staatskirchenrechtlichen Ordnungen zunehmend in legitimationsergänzender Weise an die Seite treten und zugleich die Rechtsfortbildung inspirieren: Denn dort, wo sich auch in ihrem Lichte divergierende Regelungen des Verhältnisses von Staat und Religion behaupten können, werden verbleibende Unterschiede nicht nur geschichtlich, sondern auch funktionsgerecht legitimiert; und dort, wo sich staatskirchenrechtliche Bestimmungen als änderungsbedürftig erweisen, wird die rechtsvergleichend angeregte Perspektive des Änderungsgesetzgebers punktuelle Annäherungen zwischen den rechtlichen Ordnungen der west-, süd- und nordeuropäischen Staaten wachsen lassen, ohne hierbei freilich die in den einzelnen Staaten anzutreffenden Besonderheiten der jeweiligen geschichtlichen Ausgangslage und der jeweiligen staatskirchenrechtlichen Tradition zu negieren oder gar zu nivellieren. Vor diesem Hintergrund können funktionale und rechtsvergleichende Perspektiven wesentliche Impulse ebenso für die Legitimation staatskirchenrechtlicher Regelungen wie auch für die inhaltliche Fortentwicklung des Staatskirchenrechts in den einzelnen Staaten West-, Süd- und Nordeuropas geben. In der Konsequenz wird die staatskirchenrechtliche Vergleichung, heute noch weithin Desiderat, zunehmend an Beachtung gewinnen. Dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, ist Anliegen des vorliegenden Sammelbandes. Dessen Beiträge sind hervorgegangen aus Vorträgen, die Anfang Februar 2018 im Rahmen einer internationalen, dem Verhältnis von Kirche und Staat in West-, Süd- und Nordeuropa gewidmeten Konferenz auf dem Michaelsberg in Siegburg gehalten und diskutiert wurden. Die Herausgeber haben für die Übersetzung und – wo möglich – Aktualisierung der Beiträge Sorge getragen. Inhaltlich spannte diese Konferenz den Bogen von den historischen Grundlagen über die jeweiligen Rechtsquellen bis zu den Strukturprinzipien der staatskirchenrechtlichen Ordnungen und vom Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften über deren Wirkungsmöglichkeiten bis hin zu einer Vielzahl von Einzelfragen in den einzelnen Staaten. Durchgeführt wurde sie von dem an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom angesiedelten Lehrstuhl für Verkündigungs- und Staatskirchenrecht und von dem an der Universität Leipzig bestehenden Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere für Staatsrecht, Allgemeine Staatslehre und Staatstheorie. Großzügig gefördert wurde die Konferenz von der C.D.-Stiftung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, von der Evangelischen Kirche in Deutschland, von der Deutschen Bischofskonferenz und von der Johanna und Fritz BuchGedächtnisstiftung. Für diese finanzielle Unterstützung und die vertrauensvolle Zusammenarbeit möchten wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken: namentlich bei Frau Dr. Marilen Macher, Teamleiterin im Deutschen Stiftungszentrum, bei Herrn Dr. Hans Ulrich Anke, Präsident des Kirchenamtes der EKD, bei P. Dr. Hans Langendörfer, Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, und bei Herrn Dr. Jochim Thietz-Bartram, Rechtsanwalt und Vorsitzender des Vorstandes

Vorwort

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der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung. Vielfältigen Dank für die Unterstützung bei der Durchführung des Symposiums schulden wir ferner den Mitarbeitern des Leipziger Lehrstuhls, insbesondere Frau Maren Monroy, in deren Händen auch die redaktionelle Betreuung des vorliegenden Tagungsbandes lag. Dem Geschäftsführer des Verlages Duncker & Humblot, Herrn Dr. Florian Simon LL.M., danken wir für die wie stets überaus angenehme und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Gewidmet sei der vorliegende Tagungsband unserem überaus geschätzten Kollegen und Freund Prof. Dr. theol. Dr. iur. can. habil. Ludger Müller M.A., der uns mit seiner Teilnahme an der Konferenz auf dem Michaelsberg einen seiner letzten Tagungsbesuche geschenkt hat und der nach langer und schwerer Krankheit in der Nacht des Sonntags der göttlichen Barmherzigkeit am 20. April 2020 verstorben ist. Rom und Leipzig, im Mai 2020 Stefan Mückl Arnd Uhle

Inhaltsverzeichnis I. Grundlagen Das Verhältnis von Staat und Kirche aus kirchlicher Sicht Von Erzbischof Roland Minnerath . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Das Verhältnis von Staat und Kirche aus staatlicher Sicht – Stand und Entwicklungsperspektiven des deutschen Staatskirchenrechts Von Peter Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Das Verhältnis von Recht und Religion in der Europäischen Union Von Christian Hillgruber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Länder mit einer traditionell katholischen Prägung Das Verhältnis von Staat und Kirche in Spanien Von Santiago Cañamares Arribas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

Das Verhältnis von Staat und Kirche in Italien Von Gabriele Fattori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Das Verhältnis von Staat und Kirche in Österreich Von Katharina Pabel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Religionsfreiheit und das Verhältnis von Staat und Kirche in Portugal Von Jónatas Em. M. Machado . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

III. Länder mit einer traditionell orthodoxen Prägung Das Verhältnis von Staat und Kirche in Griechenland Von Anargyros Anapliotis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Kirche und Staat in Zypern Von Achilles C. Emilianides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

IV. Länder mit einer traditionell evangelisch-lutherischen Prägung Das Verhältnis von Staat und Kirche in Norwegen Von Ingvill Thorson Plesner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Das Verhältnis von Staat und Kirche in Schweden Von Mikael Berglund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

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Inhaltsverzeichnis

Das Verhältnis von Staat und Kirche in Finnland Von Matti Kotiranta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 V. Länder mit besonderen staatskirchenrechtlichen Traditionen Das Verhältnis von Staat und Kirche in Frankreich Von Thierry Sol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Das Verhältnis von Staat und Kirche im Vereinigten Königreich Von Julian Rivers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 VI. Länder mit religiöser Vielfalt oder weitgehend religionsloser Gesellschaft Das Verhältnis von Staat und Kirche in der Schweiz Von Martin Grichting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Das Verhältnis von Staat und Kirche in Belgien und in den Niederlanden Von Stephan Dusil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 Autoren und Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426

I. Grundlagen

Das Verhältnis von Staat und Kirche aus kirchlicher Sicht Von Erzbischof Roland Minnerath, Dijon I. Der Kampf um die „Libertas Ecclesiae“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Entstehung eines neuen Religionsbegriffs durch die junge Kirche . . . . . 2. Die Kirche im Römischen Reich der Spätantike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufstieg der Kirche im Mittelalter und ihr Einfluß auf das politische System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Kirche als „societas perfecta“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Neuordnung des Staat-Kirche-Verhältnisses am Beginn der Aufklärung . . . . 2. Koexistenz von Staat und Kirche bis zum 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . 3. Forderung nach Unabhängigkeit der Kirche vom Staate nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Souveränität des Heiligen Stuhls als übernationales völkerrechtliches Subjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Souveränität der Kirche und Recht auf Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Religionsfreiheit aus dem Blickwinkel der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Anerkennung der internationalen Souveränität der Kirche . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsstellung und Anerkennung der Kirche auf dem Gebiet der Staaten, mit denen ein Konkordat geschlossen wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Souveränität der Kirche ist kein Widerspruch zur Religionsfreiheit des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das Alleinstellungsmerkmal der katholischen Kirche gegenüber anderen Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Der Rechtsstaat gewährleistet die Religionsfreiheit für alle Bürger. Der Staat begegnet den Religionen in konkreten Religionsgemeinschaften, je nach ihren inneren Strukturen. Der befugte Träger der Rechtlichkeit ist eine Institution, eine Religionsgemeinschaft, nicht ein Bekenntnis. Sind die Religionsgemeinschaften passive Empfänger der staatlichen Ordnungen oder sind sie Partner des Staates? Wenn Partner – auf welcher Ebene kommen sie dann in Beziehung mit dem Staat? Nur der Staat oder gleichgestellte souveräne Gesellschaften besitzen die Macht, verbindliche Gesetze zu schaffen. So gibt es nur zwei Möglichkeiten: bei der ersten bezeichnen sich die Religionsgemeinschaften als Gemeinschaften im Staat; bei der zweiten – und das betrifft nur die katholische Kirche – betrachtet sich die Religionsgemeinschaft selbst als eine souveräne Gesellschaft gegenüber dem Staat.

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Roland Minnerath

In den letzten Jahren ist man in manchen Fakultäten vom „ius publicum ecclesiasticum“, vom kirchlichen öffentlichen Recht zum „staatlichen Recht in Sachen Religion“ übergegangen, mit einem Wort: von der Auffassung der Kirche als Trägerin eines eigenen unabhängigen Rechtes zur Auffassung der Kirche als Trägerin eines vom Staat erteilten Gemeinderechts. Es sei eingangs klargestellt, daß die erste Auffassung keineswegs den Staat seiner Verantwortung, den Religionsgemeinschaften eine rechtliche Anerkennung einzuräumen, beraubt. Die zweite Auffassung reduziert aber die Kirche auf eine Gemeinschaft im Staat und leugnet ihre Eigenschaft als selbständige rechtliche Gesellschaft gegenüber dem Staat. Da diese Eigenschaft allein die völkerrechtlich handelnde katholische Kirche betrifft, verschärft sich die Problematik. Kann der Staat die katholischen Gläubigen anders behandeln als die Mitglieder anderer Religionsgemeinschaften? Die Antwort ist eindeutig nein. Im Falle der katholischen Kirche heißt dies, der Staat erkennt die Kirche an als übernationale selbständige souveräne Gesellschaft. Damit ist keine Diskriminierung zwischen katholischen und anderen Bürgern verbunden. Mit diesen Klarstellungen zu Beginn soll nun gerade die rechtliche Struktur der katholischen Kirche erörtert werden. Dazu dient ein historischer Überblick.

I. Der Kampf um die „Libertas Ecclesiae“ 1. Die Entstehung eines neuen Religionsbegriffs durch die junge Kirche Vor allem ist zu betonen, daß das Christentum einen neuen Begriff der Religion einführt. Nicht mehr Religion des Stammes oder des Volkes, nicht mehr Religion als Dimension der Civitas, nicht mehr Religion unter der Verwaltung der politischen Behörden, sondern Religion im Sinne eines frei bekannten Glaubens an Jesus Christus als Erlöser. So ist die christliche Gemeinschaft mit keiner anderen vorausgehenden Gruppierung deckungsgleich, nicht einmal mit der Familie, noch weniger mit dem Stamm, der Nation oder der Zivilgesellschaft. Die christliche Gemeinschaft bildet sich aus Personen, die freiwillig durch die Taufe zu Mitgliedern der Kirche werden. Die Kirche bildet sich autonom in ihren eigenen Glaubens- und Ordnungsangelegenheiten. Ihre Mitglieder leben in der Zivilgesellschaft mit ihren Mitbürgern und pflegen deren Gesetze und Gebräuche zu respektieren, so lange sie Gottes Anordnung nicht widersprechen. Die Entstehung der Kirche bringt es mit sich, daß sie organisatorisch klar von der politischen Gesellschaft unterschieden ist. Ist die Kirche nun eine Gemeinschaft im Staat oder eine Gesellschaft wie der Staat? In Sachen Verhältnis von Religion und Recht scheint mir diese Frage von größter Bedeutung. Es geht nämlich um das Spezifikum des Christentums. Es hat

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sich von Anfang an vom Staat und der allgemeinen Gesellschaft unterschieden. Dies war ein Novum, das in allen folgenden historischen Verhältnissen wieder auftaucht. Die Frage Religion und Staat ist heute im Westen von der Erfahrung des Christentums (bzw. mit ihm) geprägt. Es liegt aber auf der Hand, daß nicht alle Religionen die gleichen Strukturen in ihrem Verhältnis zu Gesellschaft und Staat entwickelt haben. Im Islam zum Beispiel ist eine solche Trennung nicht denkbar, da er die Religionsgemeinschaft zugleich als politische Gesellschaft auffaßt. Für das Christentum und auch für den modernen Staat ist Religion Sache der freien Entscheidung des Einzelnen, und die Religionsgemeinschaften bestimmen selbst ihre innere Gestaltung. Das hat zur Folge, daß der Staat in Sachen Religion keine Kompetenz hat, nur die Aufgabe, den Religionsgemeinschaften das Recht auf Existenz und Entfaltung einzuräumen. 2. Die Kirche im Römischen Reich der Spätantike Nach drei Jahrhunderten Verfolgung und Verweigerung jenes Existenzrechts gewinnt mit Konstantin die Kirche – als Körperschaft und ihre Mitglieder als Einzelne – die Freiheit in der römischen Rechtsordnung, zwar keine Privilegien, sondern das allgemeine Recht in Sachen Religion, sich freiwillig zu entscheiden und den Kultus in der Öffentlichkeit auszuüben. Die Apologetik Tertullians und Laktanz1 hat zu diesem Ergebnis geführt. Der römische Staat erkennt die christliche Religionsgemeinschaft in ihrem eigenen Sinne (Selbstverständnis) an, und so gibt der Staat den Anspruch auf, eine offizielle Religion allen Bürgen vorzuschreiben. Darin liegt das Novum. Den nächsten Schritt wird Theodosios gehen. Der Ausweg aus dem Arianismus geht auf den Willen von Kaiser Theodosios zurück. Dieser erklärt (380) das Nicänische Christentum zur Staatsreligion.2 Das berührt die Kirche in zweifacher Hinsicht. Ihre Beschlüsse erhalten staatliche Wirkung, aber sie wird zum Instrumentum regni. Die Differenzierung von Staat und Kirche bleibt erhalten, aber die Unabhängigkeit der Kirche in ihren eigenen Angelegenheiten ist gefährdet. Vom ausgehenden 4. Jahrhundert bis hinein in das 20. Jahrhundert ist Religion wieder mit Nation und Staat verbunden, mit verschiedenen Akzenten im Osten und im Westen. Nach der konstantinischen Wende ist eines zu beobachten. Die Kirche breitet sich hauptsächlich im Römischen Reich aus. Sie verfügt über innerkirchlich bindende Normen, die meistens aus den Canones der ökumenischen Konzilien, im Westen auch aus den Dekretalien der Päpste hervorgehen. Doch bildet die Kirche

1 Roland Minnerath, Tertullien, pionnier du droit à la liberté religieuse, in: Gérard Guyon (Hrsg.), Moyen Age chrétien et Antiquité, 1999, S. 33 ff. 2 Edikt Cunctos populos, in: Codex Theodosianus XVI,1,2.

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Roland Minnerath

noch keine rechtliche Einheit. Es geht vielmehr um kirchenrechtlich autonome Patriarchate im Osten. Auch im Westen ist von der Gleichstellung der Kirche als einer Einheit gegenüber dem römischen Staat keine Rede. Als Papst Gelasius in seinem Brief an Kaiser Anastasius3 (494) weltliche und geistliche Macht gegenüberstellt, spricht er ausdrücklich von der potestas regia und der auctoritas pontificum: der einheitlichen weltlichen Macht steht die Autorität der vielen Bischöfe (Plural) gegenüber. Das Imperium bildet eine Einheit, die Kirche ist politisch gesehen plural. Die Kirche ist eine communio oder Gemeinschaft von Ortskirchen, die durch die Autorität des römischen Kaisers nicht selten zur Einheit gedrängt werden muß. So werden die sieben dem Osten und Westen gemeinsamen Konzilien durch den Kaiser einberufen, manchmal mit, manchmal auch ohne die Zustimmung des römischen Papstes. Die Kirchen leben im rechtlichen Bereich des Staates, dem sie aber nicht gleichgestellt sind. Oft nimmt der Kaiser selbst in theologischen Kontroversen Stellung. Die Verbannungen von Bischöfen, die dem Kaiser widerstehen, sind bekannt. Die Kirche im Osten wird in einer 1000-jährigen Osmose mit dem oströmischen Kaiserreich leben. Im Westen sieht die Entwicklung ganz anders aus. Im Osten gibt es ein Reich mit vier Patriarchaten, im Westen eine Kirche mit vielen Königreichen. 3. Aufstieg der Kirche im Mittelalter und ihr Einfluß auf das politische System Im mittelalterlichen Westen gilt die Auffassung, daß die gesamten europäischen Völker eine christianitas bilden. Im Gegensatz zum Osten war es der Kirche im Abendland gelungen, das Prinzip der Trennung der weltlichen von der geistlichen Gewalt zu bewahren. Es gab also zwei Häupter in einer Gesellschaft. Die Gregorianische Reform, deren Leitmotiv die „Libertas Ecclesiae“ war, hat einen Vereinheitlichungsprozess der westlichen Kirche eingeleitet. Es ging um das Überleben der Kirche als autonomer Gesellschaft. Im westlichen Reich hieß das, von der Intervention der weltlichen Mächte befreit zu sein. Nur das Papsttum war im Stande, ein konsequentes Programm der Abkoppelung durchzuführen. Erstes Ergebnis der gregorianischen Reform war 1122 das Wormser Konkordat, das auch als Zeugnis von zwei nun gleichberechtigten Mächten gelten darf. Gleichzeitig erschien das Decretum Gratiani, mit dem die abendländische Kirche begann, sich eine einheitliche Gesetzgebung zu geben. Der Bereich der kirchlichen Zuständigkeit entzieht sich immer mehr der Kontrolle der weltlichen Macht. Das 13. Jahrhundert war sogar Zeugnis des Übergewichts der geistlichen Macht gegenüber der weltlichen in der christlichen Gesellschaft. Die Regelung 3 Epist. 12, 2–8, in: Jacques Paul Migne (Hrsg.), Patrologia Latina, 1966, Band 54, S. 42.

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des Ehewesens wurde ganz der Kirche überlassen. Das Kirchenrecht wurde vom Staat vollkommen unabhängig. Kleriker, Ordensleute und kirchliche Einrichtungen waren ausschließlich vor dem Kirchenrecht verantwortlich. Staatliche und kirchliche Zuständigkeiten waren nicht klar abgegrenzt. Die Legitimität des weltlichen Herrschers konnte vom Papst oder Konzil in Frage gestellt werden. Die abendländische Christianitas war eine so starke eigene Formation, daß sie sich im ausgehenden Mittelalter im Konzil von Konstanz (1414–1418) inszeniert hat. Es sollte ein Konzil sein, aber vielmehr waren alle Teile der Christenheit vertreten, Bischöfe, Äbte, Kapitel, Stände, Fürsten, Städte, Universitäten.

II. Die Kirche als „societas perfecta“ 1. Neuordnung des Staat-Kirche-Verhältnisses am Beginn der Aufklärung Kirche und weltliche Macht gingen im Zeitalter der Renaissance und des Humanismus auseinander. In Europa entstand der absolute Staat. Dessen Anspruch war es, nicht nur die vollen weltlichen Befugnisse des Staates zurückzugewinnen, sondern seine Macht auf den Bereich der Religion oder – genauer – der Organisation des religiösen Lebens auszudehnen. In der protestantischen Reformation galt es, sich von Rom zu befreien. Das Ergebnis im Anglikanismus, im Luthertum und in den reformierten Gebieten war nun, daß der Landesherr oder die Kommune Herrscher der Kirche waren; jetzt waren die Karten ganz anders verteilt. Die reformierten Kirchengemeinschaften mußten auf ein autonomes Kirchenrecht verzichten. Die Kirchen wurden von Pufendorf als „communitates“ im Staate, nicht als „societates“ gegenüber dem Staat bezeichnet. Pufendorf 4 gilt als Gründer der Moderne, indem er als Vorreiter der Aufklärung den Staat als eine in der Ordnung der Natur gegebene Größe ablehnt und mit Hobbes als Resultat eines Vertrages auffaßt. Die Befugnisse des Staates sind nicht mehr von einem Naturrecht begrenzt, sie dehnen sich auf alle Aspekte des Lebens aus, auch auf das religiöse. Der Mensch besitzt nur die Freiheit, die der Staat ihm gewährt. Der Staat ist die einzige Quelle des Rechts. In diesem Zusammenhang sind die Kirchen reine private Vereine. Es gibt kein autonomes Kirchenrecht. „Die Kirche ist kein Staat“ (De habitu § 11 und 32). Rechtlich sieht Pufendorf die Kirche als ein collegium, einen privaten Verein, der seine Rechtsstruktur vom Staat bekommt. Dies erinnert uns an Konstantin und an das Jahr 313. Die Kirche als sichtbare Institution existiert nur im Staat. Diese Auffassung ist mit der lutherischen Ekklesiologie übereinstimmend. Die Kirche – sei es an Ort und Stelle, sei es auf universaler Ebene – besitzt keine Macht. Sie erfreut sich keines Freiraumes in der staatlichen Gesetzgebung. 4

Samuel von Pufendorf, De habitu religionis christianae ad vitam civilem, 1687.

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Roland Minnerath

Die Theorien von Pufendorf wurden auch noch von Justus Henning Böhmer5 übernommen. Er behauptete unter anderem, die Kirche sei eine „societas aequalium“, die nur „im Staate“ existieren könne, ohne jegliche innere autonome Rechtsstruktur. In ihrer Reaktion behauptete die katholischen Kirche genau das Gegenteil, auch was die Staatslehre der Moderne angeht. Der Staat als societas politica gehört zur Naturordnung und wird durch sein Ziel definiert. Der Zweck des Staates ist es, den Menschen die zeitlichen Güter zu gewährleisten: Gerechtigkeit und Frieden. Die Befassung mit der geistlichen oder religiösen Dimension des Menschen ist Aufgabe der Kirche. Der Gallikanismus, der Febronianismus und der Josephinismus vertraten ähnliche Theorien im Hinblick auf den absolutistischen Staat. Ihr Anliegen war es aber, die Ortskirchen dem Einfluß Roms zu entziehen und dem weltlichen Herrscher kirchliche Befugnisse einzuräumen. 2. Koexistenz von Staat und Kirche bis zum 19. Jahrhundert Die katholische anti-protestantische Apologetik des 16. Jahrhunderts hat die Wege des ius publicum ecclesiasticum gebahnt.6 Mit ihr gehen wir von der mittelalterlichen Auffassung zweier Mächte in einer christlichen Gesellschaft hin zur Theorie der beiden vollkommenen Gesellschaften, die getrennt sind bzw. entweder für die zeitlichen oder die geistlichen Bedürfnisse der Menschen Verantwortung tragen. Die Menschen gehören zwangsweise der einen und der anderen Gesellschaft an. Bellarmin7 sprach von der Kirche als Respublica, Status, Civitas, die rechtlich dem Staat in ihren Anliegen gleichgestellt ist. Als Kriterium dieser Gleichstellung betonte Johann Adam von Ickstat8 nicht ein besonderes Territorium, sondern die universale Jurisdiktionsgewalt des römischen Pontifex, da die Kirche ebenso auf einer einheitlichen hierarchischen Struktur beruht. Die Kirche als souveräne Rechtsgesellschaft gegenüber dem Staat ist das Ergebnis der Streitigkeiten zwischen katholischer Kirche und absoluter Staatsgewalt. Die Lehre der societas perfecta9 kommt im Heiligen Römischen Reich auf und widerspricht dem staatlichen Anspruch, über alle Aspekte – einschließlich der Religion – des gesellschaftlichen Lebens zu verfügen. Die Würzburger Schule hat im 18. Jahrhundert die absolutistische Staattheorie widerlegt und die rechtliche Unabhängigkeit der Kirche herausgearbeitet. 5

Justus Henning Böhmer, Jus ecclesiasticum protestantium, 1714. Roland Minnerath, Le droit public ecclésiastique. Une doctrine des relations de l’Eglise et de l’Etat, in: Lumière et Vie 190 (1989), S. 63. 7 Roberto Bellarmin, De controversiis christianae religionis, t. 2, liv. 3, ch. 7. 8 Johann Kaspar Barthel, Opuscula iuridica varii argumenti I, 1747, S. 66 u. 85. 9 Roland Minnerath, Le droit de l’Eglise à la liberté, 1982, S. 19 ff. 6

Das Verhältnis von Staat und Kirche aus kirchlicher Sicht

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Nach dem Würzburger Kanonist Endres,10 gefolgt von Zallwein,11 hat sich der Ausdruck societas perfecta als Inbegriff der Kirche in ihrer Beziehung zum Staat durchgesetzt. Der Ausdruck kommt jedenfalls von der protestantischen Staatslehre, wonach der Staat eine perfectissima societas sei. Anfang des 19. Jahrhundert entsteht das Fach Ius publicum ecclesiasticum. Bald stützt sich dieses Fach auf die neo-thomistische Sozialphilosophie von Luigi Taparelli d’Azeglio.12 Taparelli erarbeitet aufgrund der aristotelischen Anthropologie und Staatsphilosophie eine Vision der Gesellschaft, die nicht nur den irdischen Bedürfnissen gewidmet ist, sondern auch den geistlichen. Sein Werk Il diritto naturale appoggiato sul fatto möchte beweisen, daß der Mensch von seiner Natur her religiöse Bedürfnisse entwickelt und daß er zum Ziel des ewigen Lebens tendiert. Der Staat ist nicht die letzte Gesellschaft der Menschen. Sie gehören kraft ihrer religiösen Dimension zur Gesellschaft ,Kirche‘, die die Menschen zu ihrem endgültigen Ziel führt. So sind sowohl die politische als auch die kirchliche Gesellschaft notwendige Gesellschaften. Beide Gesellschaften sind insofern perfekt, weil sie alle Mittel besitzen, um ihre Ziele zu erreichen. Keine ist von der anderen abhängig. Keine leitet ihre Existenz von der anderen ab. Das Traktat von Camillo Tarquini Ius publicum ecclesiasticum13 ist das erste einer Reihe, die bis zur letzte Ausgabe von Ottaviani14 1964 führt. 3. Forderung nach Unabhängigkeit der Kirche vom Staate nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil Während der Jahrhunderte der Osmose zwischen Kirche und Staat haben sich in allen christlichen Konfessionen Staatskirchen gebildet, verbunden mit Intoleranz für die andersgläubigen Minderheiten. In den Traktaten des ius publicum ecclesiasticum wird noch die These des konfessionellen Staates vorgetragen. Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil wird die spezielle Unterstützung eines besonderen Bekenntnisses durch den Staat theoretisch nicht abgelehnt. In der Tat hat die katholische Kirche auf solche Privilegien nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil verzichtet. In der Neuzeit waren es die katholische Kirche und die nicht konformistischen protestantischen Kirchengemeinschaften, die die Unabhängigkeit der Kirche von der weltlichen Macht unablässig forderten. Der Ausstieg aus dem Staatskirchen10 Johann Nepomuk Endres, De necessario iurisprudentiae naturalis cum ecclesiastica nexu, 1761. 11 Gregor Zallwein, Principia iuris ecclesiastici universalis et particularis Germaniae, 1763. 12 Luigi Taparelli d’Azeglio, Saggio teoretico di diritto naturale appoggiato sul fatto, 1840–1843. 13 Camillo Tarquini, Iuris ecclesiastici publici Institutiones, 1862. 14 Alfredo Ottaviani, Institutiones Iuris Publici Ecclesiastici, 1925; ders., Compendium iuris publici ecclesiastici, 1964.

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tum war nichts anderes als die Rückkehr zu einem inneren Anliegen des Christentums: unabhängig vom Staat zu sein, nicht nur in der Lehre, sondern auch in der Leitung der Kirchengemeinden. Die Auffassung der Kirche als dem Staat gleichgestellte Gesellschaft ist in einem wesentlichen Aspekt fehlerhaft. Diese Definition ist rein juridisch und extern. Sie ist dem sakramentalen Wesen der Kirche fremd. Trotzdem behält diese Definition ihre Gültigkeit in der Beziehung der Kirche zum Staat. Der Staat hat keine Möglichkeit, das interne sakramentale Wesen der Kirche zu fassen. Der Staat muß nur wissen, mit wem er es zu tun hat. In dieser Hinsicht erscheint die katholische Kirche in ihrer Rechtsstruktur, die dem Staat nichts anderes schuldet als die Loyalität ihrer Mitglieder, die gleichzeitig Gläubige und Bürger sind. 4. Die Souveränität des Heiligen Stuhls als übernationales völkerrechtliches Subjekt Von Bedeutung ist die lehramtliche Wende im Verständnis der katholischen Kirche im Hinblick auf ihre Selbstdarstellung im Verhältnis zum Staat. In den bis Mitte des 19. Jahrhunderts unterzeichneten Konkordaten bezeichnet sich der kirchliche Vertragspartner als „Religion“. Das Konkordat mit Bayern von 1817 enthält im Art. 1 folgende Formulierung: „Die katholische apostolische römische Religion wird im Königreich Bayern mit allen Rechten und Privilegien, die Ihr durch göttliches Gesetz und kanonische Anordnungen zustehen, geschützt.“ 15 In den Konkordaten von Pius IX. bis Pius XI. steht die Kirche als rechtliche Größe dem Staat gegenüber. Diese Änderung im Selbstverständnis der Kirche ist wohl auf die Ausbreitung der societas-perfecta-Lehre zurückzuführen. Pius IX. hat den Begriff societas perfecta zum ersten Mal im Kontext seines Konflikts mit dem Königreich Piemont (1860) auf die Kirche angewandt.16 Die Lehre der societas perfecta besagt: ebenso wie der Staat ist die Kirche Trägerin eines primären Rechtes. Das Kirchenrecht ist von keinem staatlichen Recht abgeleitet. Die ausdrückliche Erwähnung des Vertragspartners als societas perfecta ist in den beiden Konkordaten von Pius XII. mit Spanien und der Dominikanischen Republik von 1953 bzw. 1954 zu finden.17 Die Veröffentlichung des Codex iuris canonici 1917 ist ein maßgeblicher Akt der Souveränität der Kirche in ihrem Bereich. In einer Zeit, in der der Heilige Stuhl über keine weltliche Souveränität mehr verfügte, gab es eine souveräne Gesetzgebung der katholischen Kirche auf Grund ihrer Eigenschaft als „societas 15 Angelo Mercati, Raccolta di concordati su materie ecclesiastiche tra la santa Sede e le Autorità civili, vol. I, 1954, S. 591. 16 Pius IX, Päpstliches Schreiben Cum catholica Ecclesia vom 26.3.1860, in: Pii IX Acta, I, 3, S. 137. 17 Angelo Mercati, Raccolta di concordati su materie ecclesiastiche tra la santa Sede e le Autorità civili, vol. II, 1954, S. 272 und 296.

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perfecta“. So heißt es in den ersten Zeilen der Konstitution Providentissima Mater Ecclesia: „Die Vorsehende Mutter Kirche wurde so von ihrem Gründer Christus gestaltet, daß sie alle Eigenschaften aufweist, die einer vollkommenen Gesellschaft gebühren.“ 18 Die Lateran-Verträge von 1929 markierten einen Höhepunkt in der Theorie der „societates perfectae“. Der Heilige Stuhl wurde Vertragspartner des Königreichs Italien auf der Ebene des Völkerrechtes. Zwei Souveräne, die auf eigenem, primären Recht gründeten, entscheiden sich zur Gründung eines neuen territorialen Staates, und zwar des Stato della Città del Vaticano. Nicht das Territorium des Vatikans war ausschlaggebend für die Souveränität des Heiligen Stuhls, im Gegenteil. Seit 1870 hatte der Heilige Stuhl sein letztes Territorium in Italien verloren. Doch wurde er nach wie vor als völkerrechtliches Subjekt betrachtet. Zwischen 1870 und 1929 wurden Konkordate unterzeichnet und der Heilige Stuhl wurde in zwischenstaatlichen Streitigkeiten zum Schiedsrichter bestellt. Der Lateran-Vertrag ist ein zwischenstaatlicher Vertrag. Es ist ein Trattato,19 der sich von dem anschließenden Concordato20 unterscheidet. Der Trattato behandelt die endgültige Regelung der römischen Frage, das Konkordat „die Verhältnisse der Religion und der Kirche in Italien“. Beide setzen voraus, daß der Heilige Stuhl als prae-existierendes übernationales völkerrechtliches Subjekt handelt. Art. 2 des Trattato betont „die Souveränität des Heiligen Stuhl im internationalen Bereich als Eigenschaft, die ihm seinem Wesen nach zukommt in Anbetracht seiner Tradition und der Forderungen seiner Sendung in der Welt“. Der Heilige Stuhl wird damit keineswegs von der katholischen Kirche abgekoppelt. Er ist souverän, weil er die Spitze der katholischen Kirche bildet. Im internationalen Bereich verkörpert der Heilige Stuhl die Souveränität, die der Kirche als völkerrechtliches Subjekt zukommt.

III. Souveränität der Kirche und Recht auf Religionsfreiheit 1. Religionsfreiheit aus dem Blickwinkel der Kirche Ein drittes Zeitalter der Beziehungen von Staat und Kirche und damit von Religion und Recht wurde durch die Philosophie der Menschenrechte eingeleitet. Die Kirche hat sich bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil mit individuellen Rechten schwergetan. Mit der Erklärung über die Religionsfreiheit wurden die Paradigmen geändert. Die Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils zur Religionsfreiheit stellte das Verhältnis von Kirche und Staat in ein ganz anderes Licht. Es wird nicht mehr von zwei gegenseitig abgegrenzten Gesellschaften ge18 19 20

Benedikt XV., Päpstliche Bulle Providentissima Mater Ecclesia, in: AAS 9 (1917). Mercati (Fn. 17), S. 84 ff. Ebd., S. 92 ff.

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sprochen, sondern vom Raum der Religionsfreiheit, die der Staat jedem Bürger und seiner Religionsgemeinschaft gewährleisten muß. Das Konzil konstatiert sogar, daß, wo Religionsfreiheit herrscht, das Freiheitsverlangen der Kirche als Körperschaft erfüllt ist.21 Ist das eine Rückkehr zu Pufendorf? Ist somit die Vergangenheit überwunden? Betrachtet sich die Kirche noch als eine souveräne Gesellschaft? Nicht mehr die Kirche als körperschaftliche Größe, als unabhängige Institution, steht im Vordergrund, sondern die menschliche Person. Ihr wird ein Bereich zugeschrieben, in dem der Staat keine Macht mehr ausüben will, ein Bereich der eigenen Gewissens- und Religionsfreiheit. In der Tat hat die katholische Kirche auf alle Privilegien, die mit ihrem Status als Staatsreligion verbunden waren, nach Vatikan II verzichtet. Muß die Kirche sich unter dieser neuen Gegebenheit noch als vollkommene Gesellschaft gegenüber dem Staat darstellen? Besitzt sie nicht den freien Lebensraum, in dem sie ihre Sendung ausüben kann? Umso mehr, als der Zusammenschluß von Gläubigen in Religionsgemeinschaften unter demselben Gesichtspunkt der individuellen Religionsfreiheit auch anerkannt wird? Muß die Kirche sich noch als Trägerin eines unabhängigen Rechtssystems darstellen? Kann sie sich nicht mit der Vereinsfreiheit, die den Bürgern zusteht begnügen? Dazu die Antwort der Konkordatspolitik des Heiligen Stuhls nach dem Konzil und besonders seit 1984.22 In den Jahren nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1965) wird der Begriff „societas perfecta“ sorgfältig vermieden, aber durch einen anderen ersetzt. Die Kirche denkt nicht mehr rein rechtlich. Rechtliche Begriffe, die im Dienste einer übergreifenden Ekklesiologie stehen, werden zwar noch benutzt, aber mit weniger Präzision – so sagt das Zweite Vatikanische Konzil an zwei Stellen, (1) daß die Kirche auch eine gesellschaftliche Ordnung darstellt. Lumen Gentium 8 betont: „Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft (societas) und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst“, und weiter: „Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfaßt und geordnet (in hoc mundo ut societas constituta et ordinata), ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird.“,23 21 Siehe Roland Minnerath, La liberté religieuse avant et après Vatican II, in: Rino Fisichella (Hrsg.), Il Concilio Vaticano II, Recezione e attualità alla luce del Giubileo, 2000, S. 631. 22 Siehe Roland Minnerath, L’Eglise catholique face aux Etats. Deux siècles de pratique concordataire (1801–2010), 2012. 23 Heinrich Suso Brechter (Hrsg.), Das Zweite Vatikanische Konzil: Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen, Teil I, 1966, S. 170.

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(2) und daß sie als rechtliche Gesellschaft mit den Rechtsordnungen der Staaten in Beziehung kommt. So sagt Gaudium et Spes 76 § 3: „Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom. Beide aber dienen, wenn auch in verschiedener Begründung, der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung der gleichen Menschen.“24

2. Die Anerkennung der internationalen Souveränität der Kirche Ab dem Jahre 1984 gab es eine bedeutsame Entwicklung im Konkordatswesen. Nun bezeichnet sich der kirchliche Vertragspartner als „souverän“ auf seinem eigenen Gebiet. Noch mehr: Die Kirche als solche und der Heilige Stuhl werden als souveräne Gestalten völkerrechtlich anerkannt. Hier kommen wir zum Reifepunkt einer langen Entwicklung: vom Verhältnis von Staat und Religion, über das Verhältnis von zwei rechtlich gebildeten Gesellschaften zum Verhältnis von zwei souveränen Mächten. Aus der Rechtsphilosophie wissen wir, daß der Begriff „souveraineté“ 25 mit dem Aufstieg des absolutistischen Staates verbunden ist. Jedoch ist die rechtsphilosophische Entwicklung zu dem Ergebnis gekommen, daß Souveränität sich nicht nur auf den territorialen Staat bezieht, sondern auf jegliche primäre Rechtsordnung. Nach Santi Romano26 (1920) trifft dies die katholische Kirche. Der Begriff Souveränität taucht eigentlich in der Verfassung der Italienischen Republik von 1947 auf. Dort heißt es ausdrücklich in Art. 7: „Der Staat und die Katholische Kirche sind, jede im eigenen Bereich (ordo), unabhängig und souverän.“ Diese Ausdrucksweise wurde zum ersten Mal im Revisionsabkommen von 1984 (Art. 1)27 festgeschrieben. Wie schon angedeutet, hatte das Zweite Vatikanische Konzil den Ausdruck vermieden und dafür „unabhängig und autonom“ vorgezogen. Es ist bemerkenswert, daß – wie im Falle der societas perfecta – wiederum ein Ausdruck aus dem Verfassungsrecht gewählt worden ist. Bedeutsam ist, daß nun fast alle Konkordate und Verträge seit 1984 den Begriff „Souveränität“ verwenden, sei es in ihrer Präambel oder in ihrem Art. 1; nicht nur Staaten mit katholischer Tradition wie San Marino, Kroatien, Slowenien, sondern auch Staaten wie Israel und Palästina, Guinea, Gabun, Burundi, Capo Verde, Kamerun, Tschad. Manche Konkordate ziehen die Begriffe „unabhängig und autonom“ vor (so Portugal 2004 und Montenegro 2011).28 24 Heinrich Suso Brechter (Hrsg.), Das Zweite Vatikanische Konzil: Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen, Teil III, 1968, S. 530. 25 Jean Bodin, De la République, 1949. 26 Santi Romano, Principi di diritto costituzionale generale, 1946; ders., L’ordinamento giuridico, 1962. 27 AAS 76 (1984), S. 953 ff. 28 Siehe Minnerath (Fn. 22), S. 201 f.

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Wie der Staat in seinem Bereich, so bezeichnet sich auch die Kirche in ihrem als souverän. Der Bereich der kirchlichen Zuständigkeit wird meistens ausführlich umschrieben. Die drei Richtungen der kirchlichen Zuständigkeiten werden in den deutschen Bundesländerverträgen meistens genannt: Ausübung der Religionsfreiheit, Lehre und Caritas. Sie sind unter dem Begriff „Sendung“ der Kirche zusammengefaßt. Wenn aus dieser Entwicklung ein Schluß gezogen werden kann, dann ist es eindeutig, daß die Kirche sich als souverän in ihrem Bereich bezeichnet, aber auch, daß sie als solche anerkannt wird. Konkordate sind völkerrechtliche Verträge. Es gibt keinen Zweifel, daß die katholische Kirche als völkerrechtliches Subjekt auftritt und mit den Staaten in aller Unabhängigkeit und Souveränität handelt. Nun bleibt zu klären, ob diese öffentliche Anerkennung auch direkte Konsequenzen in der Gesetzgebung der jeweiligen Staaten mit sich zieht. Dieser Punkt wird in mehreren Konkordaten erläutert. Im Vertrag mit Mosambik (2011) heißt es: Die Vertragspartner „sind unabhängige und souveräne Subjekte des öffentlichen Rechts und verhalten sich in ihren gegenseitigen Beziehungen nach den daraus entspringenden Prinzipien.“29 Hier ist klar, daß das Wirken der Kirche von ihrer internationalen Souveränität abzuleiten ist. Die Slowakei (2000) bietet folgende Formulierung an: Die Unterzeichnenden „erkennen sich gegenseitig als völkerrechtliche unabhängige und autonome Subjekte und schöpfen aus diesen Prinzipien in ihren Beziehungen.“ 30 3. Rechtsstellung und Anerkennung der Kirche auf dem Gebiet der Staaten, mit denen ein Konkordat geschlossen wurde Ein weiterer Schritt im Bewusstsein der Unabhängigkeit der Kirche ist die Anerkennung ihrer Rechtssubjektivität. Es ist von Bedeutung, daß die „Katholische Kirche“ als Person des öffentlichen Rechts gemeint ist. In einer noch präziseren Art formuliert Burundi (2014, Art. 3) es so: „Die Republik Burundi erkennt die rechtliche Persönlichkeit an, die die Katholische Kirche von Haus aus / ihrem Wesen nach (possède par nature) besitzt.“ 31 So auch Kamerun (2014).32 Nach dem Kirchenrecht besitzen die katholische Kirche und der Heilige Stuhl die Eigenschaft einer moralischen Person aus göttlicher Anordnung (c. 113 CIC). 29

AAS 104 (2012), S. 567. AAS 93 (2001), S. 136. 31 Accord-Cadre Entre le Saint-Siège et la République du Burundi sur des matières d’intérêt commun, AAS 106 (2014), S. 195. 32 Accordo tra la Santa Sede e l’Ungheria sulla modifica dell’Accordo, firmato il 20 giugno 1997 sul finanziamento delle attività di servizio pubblico e di altre prettamente religiose („della vita di fede“) svolte in Ungheria dalla Chiesa Cattolica, e su alcune questioni di natura patrimoniale, AAS 106 (2014), S. 207. 30

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Die Erwähnung der katholischen Kirche als solcher, als Trägerin der Rechtspersönlichkeit kommt zum ersten Mal in dem Vertrag mit Israel auf (1997), der so fortfährt: „Da der Hl. Stuhl die höchste Autorität der Katholischen Kirche darstellt, gewährleistet der Staat Israel der Rechtspersönlichkeit der Katholischen Kirche im israelischen Recht die volle Wirkung“.33 Guinea erklärt, daß der katholischen Kirche die Rechtspersönlichkeit des öffentlichen Rechts zukommt (2012, Art. 3). Die rechtliche Stellung der katholischen Kirche als völkerrechtlich souveränes Subjekt ist nur dann sinnvoll, wenn dies auch bedeutet, daß der Staat sie in ihrem Bereich aktiv handeln läßt. Dies ist nicht zwangsläufig immer der Fall. Frankreich zum Beispiel pflegt diplomatische Beziehungen mit dem Hl. Stuhl – womit mindestens eine implizite Anerkennung von dessen völkerrechtlicher Stellung verbunden ist –, aber Frankreich ignoriert völlig die Kirche und ihre Institutionen als juristische Personen. Es ist nicht einmal klar, ob Frankreich die Kirche und nicht nur den Hl. Stuhl als internationale Persönlichkeit betrachtet. Außerdem gilt immer noch in zwei französischen Diözesen das napoleonische Konkordat von 1801 neben gut achtzehn anderen internationalen Abkommen mit dem Hl. Stuhl.34 Die meisten Konkordate nach 1984 ziehen konsequent die Folgerung der Anerkennung der katholischen Kirche als einer souveränen Vertragspartnerin. Sie sehen in dieser Eigenschaft die Rechtfertigung für die dann stark betonte Anerkennung der kirchenrechtlichen Einrichtungen als Rechtspersonen in der staatlichen Gesetzgebung. Mit anderen Worten, der Staat gewährt in seiner eigenen Rechtsordnung den kirchenrechtlichen Personen die juristische Persönlichkeit. So gelten Diözesen, Pfarreien, Ordensgemeinschaften, Seminare und Kapitel in der staatlichen Rechtsordnung als handlungsfähig. Italien fügt hinzu, daß die kirchenrechtlichen Gemeinschaften im Hinblick auf ihre Verfassung, Struktur und Verwaltung nicht den Anordnungen des staatlichen Gesetzes unterliegen. In manchen Konkordaten ist die Anerkennung der kirchlichen Rechtspersonen mit Einschränkungen verbunden. Zum Beispiel in Tschechien (2002), wo es heißt – was ja selbstverständlich ist – daß die kirchenrechtlichen Personen die Erfordernisse der staatlichen Gesetze erfüllen müssen. Im Übrigen muß es um kirchliche Einrichtungen gehen, die sich neben der Verkündigung im Bereich der Erziehung, des Gesundheitswesens, der Sozialhilfe und der Caritas betätigen.35 An 33 Agreement between the State of Israel and the Holy See Pursuant to Article 3 (3) of the Fundamental Agreement between the State of Israel and the Holy See (also referred to as the „Legal Personality Agreement“) + The Annexes + The Schedule (Article 12) – Implementation provisions + Scambio di lettere, AAS 91 (1999), S. 490. 34 Siehe Emmanuel Tawil, Recueil des accords en vigueur entre la France et le SaintSiège, 2017. 35 Art. 6 des (noch nicht ratifizierten) Vertrags mit der Tschechischen Republik vom 25.7.2002, in: Erminio Lora (Hrsg.), Enchiridion dei concordati. Due secoli di rapporti Chiesa-Stato, 2003, n. 5287, S. 2253.

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anderer Stelle wird eine Registrierung der kirchlichen juristischen Personen angeboten.36 Die Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland berufen sich auf die Weimarer Verfassung, insoweit als deren Artikel ins Grundgesetz aufgenommen worden sind, um die Diözesen, Bischofsstühle, Kapitel, Pfarreien und kirchlichen Gemeinschaften zu Körperschaften des öffentlichen Rechts zu erklären. Hier beruht diese Anerkennung auf staatlichem Gesetz, das von sich aus den kirchenrechtlichen Personen in der eigenen Rechtsordnung eine rechtliche Existenz bereitet. In der katholischen Kirche wird nicht von Recht und Religion gesprochen, sondern von Kirche und Staat, beide autonom, unabhängig und souverän im eigenen Bereich. Dieses Ergebnis widerspricht keineswegs den drei Entwicklungsphasen, die wir geschildert haben. Es bringt sie zur vollen Reife. 4. Die Souveränität der Kirche ist kein Widerspruch zur Religionsfreiheit des Einzelnen Die Souveränität der Kirche auf ihrem eigenen Gebiet widerspricht auch keineswegs dem allgemeinen Menschenrecht auf Religionsfreiheit. Die Lehre der societas perfecta ist zwar in einem Zeitalter entstanden, das keine solche Freiheit anerkannte. Der Rechtsstaat verbietet sich in Sachen Religion zu intervenieren. Es ist aber seine Aufgabe, die Bedingungen zu schaffen, die die Religionsfreiheit der Bürger ermöglichen. Der Staat macht den Religionsgemeinschaften keine lehrinhaltlichen und keine organisatorischen Vorschriften. Er nimmt die Religionsgemeinschaften so, wie sie sich selbst gestalten, solange sie nicht gegen die staatliche Rechtsordnung verstoßen. Der Rechtsstaat entspricht weitgehend der Lehre von den zwei vollkommenen Gesellschaften. Die Kirche muß sich nicht mehr – um ihre Freiheit zu gewinnen – auf ihre Eigenschaft als souveräne Gesellschaft berufen, sie genießt diese Freiheit in dem vom Rechtsstaat garantierten Freiraum. Die Gewährleistung der Religionsfreiheit wäre aber allein dem Staat überlassen, wenn der Staat es im Bereich der Religionsausübung nicht mit einem gleichgestellten Partner zu tun hätte. In nicht wenigen Situationen würde der Staat auch dazu neigen, den Freiraum Religion selbst abzustecken und die Religionsgemeinschaften durch Rahmengesetze zu organisieren und zu kontrollieren. So wenig die Souveränität der katholischen Kirche die Religionsfreiheit des Einzelnen und der anderen Religionsgemeinschaften beschränkt, so wenig berührt sie die Rechte und Aufgaben des Staates in Sachen Religion. 36 Z. B. Art. 5 Abs. 2 des Vertrags über Grundlagen und rechtliche Fragen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Mosambique vom 7.12.2011, AAS 104 (2012), S. 567.

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Die katholische Kirche hat ihren Anspruch, eine dem Staat gleichgestellte autonome Weltgesellschaft zu bilden, mit der Lehre der Religionsfreiheit keineswegs aufgegeben. Vielmehr spiegelt sich im Anspruch auf Souveränität die Identität, die die Kirche im Laufe der Zeit immer versucht hat, genauer zu umschreiben. Unabhängigkeit, Autonomie und in jüngster Zeit Souveränität entsprechen dem Wesen der christlichen Gemeinschaft gegenüber allen anderen Gruppen und besonders gegenüber der politischen Gesellschaft. Die Kirche betrachtet sich selbst als communio und Gemeinschaft. In Beziehung zum Staat ist sie eine voll ausgestattete Gesellschaft. Mit dieser Position ist auch die Religionsfreiheit gestärkt, denn sie begrenzt die etwaigen Ansprüche des Staates, sich wie in früheren Zeiten in Religionsangelegenheiten einzumischen. 5. Das Alleinstellungsmerkmal der katholischen Kirche gegenüber anderen Religionsgemeinschaften Es bleibt noch zu erwähnen daß es allein der katholischen Kirche gegeben ist, sich als staatsähnliche Gestalt zu beschreiben. Gegenüber dem Staat genießen alle Religionsgemeinschaften Unabhängigkeit und Autonomie, auch die katholische Kirche. Darüber hinaus beansprucht sie Souveränität. In der Tat macht sich der Staat auch keiner Diskriminierung schuldig, wenn er die katholische Kirche als souverän auf ihrem Gebiet anerkennt und die anderen Religionsgemeinschaften als Gemeinschaften nach staatlichem Recht. Die verschiedenen Religionsgemeinschaften werden vom Staat strikt gleich behandelt, was den Inhalt ihrer Lehre betrifft sowie ihre innere Organisation. Was die katholische Kirche vor anderen Religionsgemeinschaften auszeichnet ist ihre übernationale Einheit und zentrale Regierung. Wer von einer nationalen Kirche schwärmt, unterwirft sich zwangsläufig dem nationalen Staat. Die unabhängige eine Weltkirche steht dem Staat gegenüber als Garant der Religionsfreiheit und so hält sie den Staat von der Versuchung fern, den ganzen Menschen zu regieren. Auch die katholischen Bürger und die katholischen Rechtspersonen genießen nicht mehr und nicht weniger Rechte in der Gesellschaft und im Staat als die Angehörigen anderer Bekenntnisse. Es ist ja bekannt, daß ein Konkordat mit der katholischen Kirche auch positive Effekte für die anderen Glaubensgemeinschaften mit sich bringt, da der Staat allen Bürgern die gleichen Rechte gewährleisten muß, die er durch einen völkerrechtlichen Vertrag den Katholiken zukommen läßt. Mit den anerkannten Religionsgemeinschaften pflegt dann der Staat binnenrechtliche Abkommen zu schließen, die inhaltlich dem Konkordat entsprechen, auch wenn sie rechtlich nicht die gleiche Stärke haben. Im Übrigen gehen die Vorschriften eines solchen Vertrages nie über die Grenzen der jeweiligen Rechtsordnungen hinaus.

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In Europa haben das Ethos der Menschenrechte und der Rechtsstaat Gewicht. Es wäre ein historischer Irrtum, diese Situation als auf ewig gesichert zu betrachten. Der Gesetzgeber, sei er national oder international, hat keine Kriterien, um zwischen den Religionen zu unterscheiden, nicht einmal in ihrem Verhältnis zum Staat und zum staatlichen Recht. Der moderne Staat sollte sich daran erinnern, daß er dem Christentum die Trennung von Staatszuständigkeit und Religion verdankt. Andere Religionen brauchen den Staat und umgekehrt. Sollten wieder alle Religionen mit der Kategorie der Staatsreligion verstanden werden, so müßten wir, wie Tertullian, sagen: Wir sind keine solche Religion. Wir gehören einer Kirche an, die allein für die Ausstattung ihres Gemeindewesens zuständig ist.

Das Verhältnis von Staat und Kirche aus staatlicher Sicht – Stand und Entwicklungsperspektiven des deutschen Staatskirchenrechts Von Peter Müller, Karlsruhe I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Art. 4 GG und Art. 140 GG als Pfeiler des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . 1. Der erste Pfeiler: Die Garantie der Religionsfreiheit gem. Art. 4 GG . . . . . . a) Die Glaubensfreiheit des Art. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bekenntnis- und Religionsausübungsfreiheit des Art. 4 GG . . . . . . . c) Grundgesetzliche Gewährleistung der Religionsfreiheit ohne Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der zweite Pfeiler: Art. 140 GG i.V. m. Art. 136 bis 139 und 141 WRV als vollgültiges Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kompromißcharakter von Art. 140 GG i.V. m. Art. 136 bis 139 und 141 WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materieller Gehalt von Art. 140 GG i.V. m. Art. 136 bis 139 und 141 WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht aus Art. 137 Abs. 3 WRV . . . . . d) Der Körperschaftsstatus der Kirche nach Art. 137 Abs. 5 WRV . . . . . . . . e) Der besondere Schutz von Sonn- und Feiertagen nach Art. 139 WRV . . . III. Das Prinzip der wohlwollenden Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herausforderungen in einer zunehmend säkularen Gesellschaft . . . . . . . . . . . 2. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirche im Bereich des Arbeitsrechts . . . . . 3. Religiöse Symbole im öffentlichen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einführung Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen, das nach den zeitlichen Dimensionen, in denen heute normalerweise gedacht wird, uralt ist: „Nach einer jahrhundertelangen Periode enger Verbindung von Staat und Kirche beginnt in Deutschland im 19. Jahrhundert ein Prozess zunehmender Lockerung dieses Verhältnisses trotz mancher heftiger Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche, nicht in der Tendenz feindschaftlicher Trennung, sondern wechselseitiger Zugewandtheit

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und Kooperation. Das Trennungsprinzip wird in Deutschland nicht als Kampfbegriff entwickelt, sondern als Baustein des Ausgleichs. Der Staat wird säkularisierter Staat, später weltanschaulich neutraler Staat. Die Kirche besinnt sich verstärkt, insbesondere nach 1945, auf ihre Eigenständigkeit. Der Staat beschränkt sich auf die Ordnung des Weltlichen, nimmt keine Kompetenzen mehr in Anspruch zur Entscheidung in Angelegenheiten der Religion und der Seelen, entlässt am Ende die Kirchen prinzipiell aus seiner Aufsicht und anerkennt zugleich die besondere Bedeutung der Kirchen für das Leben in Staat und Gesellschaft. Die Kirchen andererseits verstehen die Lösung vom Staat als Befreiung von Abhängigkeit, erkennen die Unentbehrlichkeit der staatlichen Ordnung für die Gesellschaft an und beanspruchen ihre Unabhängigkeit bei der Erfüllung ihres geistlich-religiösen Auftrags, der nach ihrem Verständnis nicht nur das Jenseits betrifft, sondern auch ein Auftrag in dieser Welt ist. Für Staat und Kirche, die sich für dieselben Menschen, für dieselbe Gesellschaft verantwortlich fühlen, entsteht damit die Notwendigkeit verständiger Kooperation. Im Grunde ist das auch gemeint, wenn das Grundverhältnis zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland als Verhältnis einer hinkenden Trennung, als wechselseitige Selbstständigkeit innerhalb eines Koordinationssystems oder als Partnerschaft zwischen Kirche und Staat charakterisiert wird.“ 1 Diese Sätze stammen aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1976, aber sie haben ihre Gültigkeit bis heute nicht verloren. Sie beschreiben bis heute das Grundverhältnis von Staat und Kirche aus der Sicht des Verfassungsrechts. Dieses wählt einen Mittelweg: einen Mittelweg zwischen einem staatskirchenrechtlichen System auf der einen Seite, welches ein bestimmtes religiöses Bekenntnis als Teil der Identität des Staates versteht, und einem streng laizistischen System mit einer konsequenten Trennung von Staat und Kirche auf der anderen Seite. Stattdessen liegt dem Grundgesetz ein Konzept der „hinkenden Trennung“ zugrunde. Ein seltsamer Begriff, heute weniger oft verwandt, sondern ersetzt durch den Begriff der „wohlwollenden“, der „freundlichen“, der „unterstützenden“ oder „fördernden Neutralität“. Ausgangspunkt dieses anspruchsvollen Konzepts ist die Überlegung, daß es Sachbereiche gibt, die in die alleinige Zuständigkeit des Staates gehören und Sachbereiche, die in die alleinige Zuständigkeit der Kirche gehören, sowie es auch die Res mixtae gibt, die der gemeinsamen Verantwortung von Kirche und Staat unterliegen. Zentrale Aufgabe des Staatskirchenrechts – ein problematischer Begriff, weil er eine Staatskirche vorauszusetzen scheint – ist sodann die Klärung, wie diese Bereiche voneinander abgegrenzt werden können und welche Handlungsgebote und -verbote für Staat und Kirche in den jeweiligen Bereichen gelten. Verfassungsrechtlich gibt es dabei zwei zentrale Ausgangspunkte. Das ist zum einen die Garantie der Religionsfreiheit in Art. 4 GG, zum anderen der Art. 140 1

BVerfGE 42, 312 (330 f.).

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GG, der die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz inkorporiert. Die Garantie der Religionsfreiheit ist dabei stärker individualbezogen und primär eher abwehrrechtlich konzipiert. Sie ist darauf angelegt, die Frage zu beantworten, wie der Einzelne, aber auch die einzelne Religionsgemeinschaft, ihre Freiheit vor dem Zugriff des Staates verteidigen kann. Demgegenüber ist Art. 140 GG eher institutionenbezogen und deshalb der primäre Ort der Entfaltung des Wohlwollens des Staates bei der Bestimmung des Verhältnisses zur Kirche. Zwischen beiden Bestimmungen besteht im Ausgangspunkt ein verfassungsrechtliches Spannungsverhältnis: ein Grundrecht, das der Kirche einen abwehrrechtlich konzipierten Toleranzraum gewährleistet, einerseits, und eine staatsorganisationsrechtliche Vorgabe, die primär die Beschreibung des Kooperationsraums von Staat und Kirche zum Gegenstand hat, andererseits. Deshalb möchte ich im Folgenden versuchen, mich zunächst diesen beiden zentralen Bestimmungen des Religionsverfassungsrechts anzunähern und auf dieser Grundlage das Prinzip der wohlwollenden Neutralität beschreiben, um dann die Frage zu stellen: „Ist dieses Prinzip in einer Zeit einer sich pluralisierenden, säkularisierten Gesellschaft noch anwendbar oder hat es sich überlebt? Ist wohlwollende Neutralität nach wie vor eine sinnvolle Grundlage für die Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche?“ Letzteres kann natürlich nicht in aller Breite erfolgen, weil dies den vorgegebenen Rahmen sprengen würde. Daher werde ich mich auf zwei Beispiele aus dem kirchlichen Arbeitsrecht und aus dem Bereich religiöser Symbole beschränken.

II. Art. 4 GG und Art. 140 GG als Pfeiler des Staatskirchenrechts 1. Der erste Pfeiler: Die Garantie der Religionsfreiheit gem. Art. 4 GG Was die Religionsfreiheit des Art. 4 GG betrifft, so ist diese Regelung Ausfluss einer zentralen Errungenschaft der Moderne: der Trennung von Politik und Religion beziehungsweise der Trennung von Staat und Kirche. Die Kirche verzichtet auf die Ausübung staatlicher Herrschaftsmacht, der Staat verzichtet auf den Zugriff auf religiöse und weltanschauliche Überzeugungen. Folge dieses Verzichts des Staates ist nicht zuletzt, daß – wie es in dem immer wieder zitierten Satz von Böckenförde heißt – „der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann“.2 Auch in einer säkularisierten Gesellschaft bestehen religiöse Gemeinschaften fort. Wie der Einzelne sich dazu positioniert ist aber ausschließlich ihm selbst 2

Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 60.

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überlassen und nicht Gegenstand staatlicher Regelungen. Die postsäkulare Gesellschaft im Habermas’schen Sinne ist keine Gesellschaft ohne Religion und Kirche. Sie ist aber eine Gesellschaft ohne staatliche Parteinahme für Religion und Kirche. Dem trägt Art. 4 GG durch die Gewährleistung der Religionsfreiheit Rechnung: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ a) Die Glaubensfreiheit des Art. 4 GG Demgemäß garantiert Art. 4 GG zunächst die Glaubensfreiheit. Das Grundgesetz versteht sie als ein umfassendes Recht, sich für oder gegen eine bestimmte Weltanschauung, einen bestimmten Glauben zu entscheiden, einschließlich des Rechts, an nichts zu glauben. Träger dieses Rechts ist jeder Einzelne, aber auch jede Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft. Der Staat unterliegt insoweit einem umfassenden Neutralitätsgebot. Er darf religiöse oder weltanschauliche Bekenntnisse weder verbieten noch vorschreiben. Er hat noch nicht einmal eine Definitionsmacht über die Frage, was als Religion anzusehen ist, sondern hat insoweit das Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft zur Grundlage seines Handelns zu machen. Ob es in diesem Zusammenhang Grenzen gibt, die den Staat im Einzelfall ausnahmsweise doch berechtigen, unter bestimmten Voraussetzungen die Anerkennung als Religionsgemeinschaft zu versagen, ist zumindest in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht abschließend entschieden. Zuletzt wurde jedoch die Verfassungsbeschwerde der „Kirche des fliegenden Spaghettimonsters“ nicht zur Entscheidung angenommen, weil eine „weltanschauliche Betätigung des Beschwerdeführers nicht plausibel gemacht wurde“.3 Weil der Gemeinschaft die Anerkennung als Religionsgemeinschaft versagt wurde, kann sie sich auch nicht auf die Gewährleistungen des Art. 4 GG berufen. Im Rahmen des Art. 4 GG unterliegt der Staat jedenfalls einem Verbot der Bewertung oder Privilegierung einzelner Bekenntnisse: Stattdessen hat er grundsätzlich alle Bekenntnisse gleich zu behandeln, wobei Gleichbehandlung die Berücksichtigung unterschiedlicher Stärke und sozialer Relevanz einzelner Religionsgemeinschaften nicht ausschließt. b) Die Bekenntnis- und Religionsausübungsfreiheit des Art. 4 GG Neben der Glaubensfreiheit, die, weil sie eher das Forum Internum betrifft, weniger konfliktgeladen ist, wird durch Art. 4 GG auch die Bekenntnis- und Religionsausübungsfreiheit geschützt. Das Bundesverfassungsgericht sagt: „Zur Glaubensfreiheit gehört nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern 3

BVerfG, Beschl. v. 11.10.2018 – 1 BvR 1984/17 –, BeckRS 2018, 33460.

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auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln.“ 4 Religionsfreiheit heißt demgemäß auch Freiheit zur Kundgabe der religiösen Überzeugung, verbal oder nonverbal, etwa auch, indem man bestimmte Symbole verwendet oder bestimmte Kleidungsstücke trägt. Der Schutzbereich der Norm umfasst das Recht zur Teilnahme an kultischen Handlungen, aber auch das Recht, kultischen Handlungen fernzubleiben, ebenso wie das Recht, für seinen Glauben zu werben, und das Recht, vom Glauben abzufallen. Geschützt wird das Recht, seine gesamte Lebensführung nach den Geboten des Glaubens zu gestalten, wobei das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich betont hat, daß dabei nicht nur diejenigen Gebote zu berücksichtigen sind, die nach der jeweiligen Glaubensüberzeugung imperativen Charakter haben, sondern daß es bereits genügt, wenn der Glaube ein bestimmtes Verhalten als vorzugswürdig definiert.5 Daß der Staat sich in all diese Dinge nicht einmischen darf, entspricht der klassischen abwehrrechtlichen Konstruktion der Grundrechte. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht aber durchgängig darauf verwiesen, daß neben dieses Abwehrrecht bereits im Rahmen des Art. 4 GG auch ein Leistungs- und Ermöglichungsanspruch tritt. Aufgabe des Staates ist demgemäß die Gewährleistung religiöser Betätigung im Sinne einer Schaffung von Räumen, die die Möglichkeit aktiver Betätigung der jeweiligen Glaubensüberzeugung eröffnet.6 Bereits dies ist mit einem streng laizistischen Modell nicht in Übereinstimmung zu bringen. Zugleich eröffnet sich damit ein gefahrgeneigter Bereich. Denn schwierig wird es immer dann, wenn die Betätigung der eigenen Glaubensüberzeugung in Konflikt gerät mit staatlichen Vorgaben oder mit den Rechten, insbesondere den Glaubensüberzeugungen, Dritter. Wie ist in diesen Fällen zu verfahren? c) Grundgesetzliche Gewährleistung der Religionsfreiheit ohne Gesetzesvorbehalt Mir erscheint der verfassungsrechtliche Befund insoweit einigermaßen eindeutig. Art. 4 GG steht nicht unter Gesetzesvorbehalt. Er gewährleistet die Religionsfreiheit ohne Vorbehalt. Das heißt, der Gesetzgeber hat nicht das Recht, ohne Weiteres auf einfachrechtlicher Grundlage die Religionsfreiheit einzuschränken. Grenzen für die Freiheit der religiösen Betätigung können sich daher nur aus der Verfassung selbst ergeben. In Betracht kommen dabei insbesondere die Grundwerte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, Grundrechte Dritter sowie sonstige Verfassungswerte vergleichbaren Gewichts. Praktisch besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrags. 4 5 6

BVerfGE 93, 1 (15). BVerfGE 32, 98. BVerfGE 41, 29.

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Jedenfalls bedarf jede Einschränkung der Religions(betätigungs)freiheit einer verfassungsrechtlichen Verankerung. Daher kann ein allgemeiner Gesetzesvorbehalt für den Gewährleistungsbereich des Art. 4 GG auch nicht dadurch gewonnen werden, daß man die Gesetzesvorbehalte, die sich aus den Kirchenartikeln der Weimarer Reichsverfassung ergeben, auf die grundrechtliche Gewährleistung des Art. 4 GG überträgt. Ich komme darauf später noch einmal zurück. Aus dem bisher Gesagten folgt, daß im Falle des Aufeinandertreffens der positiven Religionsbetätigungsfreiheit des Einen und der negativen Religionsfreiheit des Anderen kein Raum für schematische Lösungen ist. Es gibt in diesen Fällen keine generelle Überordnung oder Unterordnung, sondern es ist nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz zu verfahren und diejenige Lösung zu suchen, die für jedes der beteiligten Verfassungsrechtsgüter, die im Konflikt zueinander stehen, zu größtmöglicher Entfaltung führt. d) Einzelfälle Diese Konstruktion lag der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde, die neben der „Soldaten sind Mörder-Entscheidung“ 7 die wohl strittigste Entscheidung ist, die das Bundesverfassungsgericht bisher getroffen hat: Das Urteil zu „Kruzifixen in staatlichen Schulen“.8 Das Bundesverfassungsgericht hat dort festgestellt, daß das staatliche Neutralitätsgebot sowie die negative Religionsfreiheit derjenigen, die nicht christlichen Glaubens sind, es nicht erlaubt, daß der Staat sich durch das Aufhängen von Kruzifixen in Schulräumen mit dem christlichen Glauben zumindest teilweise identifiziert. Jedenfalls dann, wenn sich jemand hierdurch in seiner Religionsfreiheit beeinträchtigt fühlt und widerspricht, muß das Kruzifix entfernt werden, um den Zustand der Unentrinnbarkeit der Konfrontation mit diesem Symbol des christlichen Glaubens, dem das Gericht einen besonders appellativen Charakter zuspricht, zu beenden. Daraus kann allerdings nicht gefolgert werden, daß es außerhalb der staatlichen Sphäre ein generelles Recht auf eine religionsfreie Öffentlichkeit gibt. Im Gegenteil: Es gibt kein Recht, in der Öffentlichkeit nicht mit Religion konfrontiert zu werden. Die durch Art. 4 GG gewährleistete negative Religionsfreiheit gibt dem Einzelnen keinen Anspruch, in der Öffentlichkeit von kultischen Handlungen – Glockengeläut, Prozessionen, Muezzinrufe – verschont zu werden. Vielmehr ist auch in diesen Fällen eine Abwägung der beteiligten, verfassungsrechtlich geschützten Interessen geboten. Abzuwägen sind etwa im konkreten Fall des Glockengeläuts oder der Muezzinrufe die Fragen des Ruhebedürfnisses Einzelner einerseits und der Religionsbetätigungsfreiheit andererseits.

7 8

BVerfG, NJW 1994, S. 2943; BVerfGE 93, 266. BVerfGE 93, 1.

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Wichtiges Verfassungsrechtsgut in diesem Zusammenhang ist die Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrags. Sie steht im Vordergrund bei allen Debatten um die Befreiung einzelner Schülerinnen und Schüler wegen ihres religiösen Bekenntnisses von schulischen Veranstaltungen – Schwimmunterricht, Klassenausflug oder ähnliche Dinge mehr. In der fachgerichtlichen Rechtsprechung ist dabei eine zunehmende Tendenz festzustellen, den staatlichen Erziehungsauftrag stärker zu betonen. Insgesamt ist Art. 4 GG als der erste große Pfeiler des Religionsverfassungsrechts im System des Grundgesetzes also der Ort der Gewährleistung der Neutralität des Staates; der Ort, an dem der Staat verpflichtet wird, sich jeder Bewertung oder Privilegierung religiöser Bekenntnisse zu enthalten. 2. Der zweite Pfeiler: Art. 140 GG i.V. m. Art. 136 bis 139 und 141 WRV als vollgültiges Verfassungsrecht a) Kompromißcharakter von Art. 140 GG i.V. m. Art. 136 bis 139 und 141 WRV Daneben steht als zweite zentrale Norm des Religionsverfassungsrechts Art. 140 GG, der die Art. 136 bis 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung von August 1919 zum Bestandteil des Grundgesetzes macht. Diese Regelung ist eigentümlich, denn sie bezieht einen Teil einer Verfassung, über die die Zeit hinweggegangen ist, in das Grundgesetz ein. Die betroffenen Artikel der Weimarer Reichsverfassung werden damit zu fortgeltendem Verfassungsrecht. Es handelt sich insoweit nicht um Verfassungsrecht zweiter Güte. Vielmehr sind aufgrund Art. 140 GG die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung als vollgültiges Verfassungsrecht anzusehen. Die in Art. 140 GG gefundene Lösung ist dabei das Ergebnis eines doppelten Kompromisses. Die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung ihrerseits waren schon durch ihren kompromisshaften Charakter geprägt. Hinzu kommt, daß bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates keine Einigung über die Ausgestaltung des Staatskirchenrechts erzielt werden konnte. Deshalb wurden im Wege des Kompromisses die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz übernommen. Diese Regelungen beinhalten keine grundrechtlichen Gewährleistungen, wenngleich Art. 140 GG in Verbindung mit den Artikeln der Weimarer Reichsverfassung auf die Verwirklichung der Religionsfreiheit angelegt ist. Es wohnt ihnen ein institutionenbezogener Überhang inne. Deshalb können die in den Art. 137 ff. WRV enthaltenen Möglichkeiten gesetzlicher Beschränkungen der dortigen Gewährleistungen nicht ohne Weiteres auf Art. 4 GG übertragen werden. Soweit in den Artikeln der Weimarer Reichsverfassung sich ein institutioneller Überhang aktualisiert, kann allerdings davon ausgegangen werden, daß es sich um lex specialis-Regelungen handelt. Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt mit

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Blick auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in Art. 137 Abs. 3 WRV ausdrücklich entschieden: Soweit die Kirchen von ihrem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch machen, ist Art. 137 Abs. 3 WRV lex specialis zu Art. 4 GG.9 Deshalb gilt die Bindung an die allgemeinen Gesetze im Rahmen des Art. 137 Abs. 3 WRV uneingeschränkt. Allerdings ist die Frage, was ein allgemeines Gesetz im Sinne dieser Vorschrift ist, im Lichte der Entscheidung des Grundgesetzes für die Religionsfreiheit auszulegen. b) Materieller Gehalt von Art. 140 GG i.V. m. Art. 136 bis 139 und 141 WRV Hinsichtlich des materiellen Gehalts der Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung sehe ich mich im vorliegenden Rahmen gezwungen, mich auf wenige Stichworte zu beschränken: Art. 136 WRV reicht in seinem Regelungsgehalt nicht über dasjenige hinaus, was sich aus Art. 4 GG bereits unmittelbar ableiten lässt. Er stellt klar, daß die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten und die Zulassung zu öffentlichen Ämtern unabhängig vom religiösen Bekenntnis erfolgen und daß niemand die Pflicht hat, sein religiöses Bekenntnis zu offenbaren. Außerdem regelt er, daß es keinen Zwang geben darf, kirchliche Handlungen oder religiöse Übungen vorzunehmen, an ihnen teilzunehmen oder die Eidesformel mit einer religiösen Beteuerung zu verbinden. Durchaus Relevanz haben diese Bestimmungen etwa bei der Frage, ob ein Schulgebet nicht eine Verletzung der negativen Religionsfreiheit darstellen kann. Tendenziell geht die Rechtsprechung, soweit ich das übersehe, dahin, zu sagen, daß natürlich niemand gezwungen werden darf, sich gegen seine eigene religiöse Überzeugung an einem Schulgebet zu beteiligen. Das schließe aber nicht aus, daß ein Schulgebet stattfindet. Aktuell wird daran anknüpfend gefragt, ob die Angehörigen anderer Religionen, die an einem christlichen Schulgebet nicht teilnehmen, einen Anspruch darauf haben, ihre Gebete in speziell dafür vorgesehenen Räumen verrichten zu können. Gibt es nicht einen Anspruch beispielsweise auf einen eigenen muslimischen Gebetsraum in der einzelnen Schule? Ein solcher wird unter Rückgriff auf die Erhaltung des Schulfriedens als Voraussetzung der Erfüllung des staatlichen Schulauftrags bisher in der Rechtsprechung allerdings nicht anerkannt. c) Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht aus Art. 137 Abs. 3 WRV Mit Blick auf den institutionellen Überhang wichtiger ist sicherlich Art. 137 WRV, der zunächst das Verbot der Staatskirche regelt, die religiöse Vereinigungsfreiheit betont und dem Grunde nach die Trennung von Staat und Religion bestätigt. Aus der Vorschrift wird aber schon deutlich, daß diese Trennung nicht 9

BVerfGE 137, 273.

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ausnahmslos gilt, wenn in Art. 137 Abs. 3 WRV das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften anerkannt und geschützt wird. Dieses Selbstbestimmungsrecht ist das Königsrecht des korporativen Religionsverfassungsrechts. Es gewährleistet den Religionsgemeinschaften weitgehende Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich ihrer organisatorischen Strukturen sowie ihrer Rechtsbeziehungen zu ihren Mitgliedern und ihren Mitarbeitern. Dem Selbstbestimmungsrecht unterfallen alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne des kirchlichen Selbstverständnisses und der Wahrung des kirchlichen Grundauftrags dienen. Das heißt, Ausgangspunkt für die Frage, was dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterfällt, ist das jeweilige Selbstverständnis der einzelnen Religionsgemeinschaft. Auch insoweit hat der Staat keine Definitionsmacht. Die Formulierung des kirchlichen Propriums obliegt den Kirchen selbst und ausschließlich. Der Staat hat dieses zu respektieren. Träger des Selbstbestimmungsrechts sind nicht nur die Kirchen selbst, sondern auch verselbstständigte Vereinigungen, wenn deren Tätigkeit auf die Pflege des religiösen Lebens gerichtet ist und eine hinreichende institutionelle Verbindung zu der jeweiligen Kirche vorliegt. Handelt es sich um eine verselbstständigte Vereinigung, die eine auf Gewinnerzielung gerichtete allgemeine wirtschaftliche Tätigkeit vollführt, ist demgegenüber für die Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 137 Abs. 3 WRV kein Raum. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seiner sogenannten „Chefarzt“-Entscheidung10 sehr deutlich ausgesprochen. Nach meiner Einschätzung wird dieser Feststellung bei künftigen Diskussionen noch erhebliche Bedeutung zukommen. Grenze des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gemäß Art. 137 Abs. 3 WRV sind die für alle geltenden Gesetze. Bei der Frage, was als ein „für alle geltendes Gesetz“ anzusehen ist, das das kirchliche Selbstbestimmungsrecht einzuschränken vermag, muß immer die wertsetzende Bedeutung der Religionsfreiheit des Art. 4 GG im Blick behalten werden. Hieraus können sich Beschränkungen für das Maß staatlicher Kontrolle und Korrektur kirchlicher Maßnahmen ergeben. Vor diesem Hintergrund kann im Rahmen des kirchlichen Propriums staatliche und vor allem richterliche Kontrolle nur Willkürkontrolle sein. Zwar ist auch im Rahmen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts die Beachtung des ordre public und damit die Beachtung der grundlegenden Prinzipien des Rechts geboten. Wenn diese nicht verletzt sind, ist aber alles das, was als Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts geregelt wird, staatlich hinzunehmen. d) Der Körperschaftsstatus der Kirche nach Art. 137 Abs. 5 WRV Nächstes großes und wichtiges Instrument der wohlwollenden und fördernden Neutralität des Staates ist die Eröffnung der Möglichkeit für die Religionsge10

BVerfGE 137, 273.

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meinschaften, den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erlangen (Art. 137 Abs. 5 WRV). Die Eröffnung dieser Möglichkeit ist ein Angebot, keine Pflicht. Es ist Sache der jeweiligen Religionsgemeinschaft, selbst zu entscheiden, ob sie diese Möglichkeit aufgreift und in dieser Rechtsform eigenständig und unabhängig die Aufgaben und Interessen einer Religionsgemeinschaft wahrnimmt. Voraussetzung dafür, daß der Körperschaftsstatus gemäß Art. 137 Abs. 5 WRV zuerkannt wird, ist entweder, daß schon in der Vergangenheit der Körperschaftsstatus vorlag, so daß dieser einfach übernommen werden kann oder aber, daß es sich um eine Religionsgemeinschaft handelt, die eine gewisse Dauer und ein Mindestmaß an Rechtstreue aufweist. Die Gewähr der Dauer kann aufgrund der organisatorischen Verfasstheit und der Zahl der Mitglieder nachgewiesen werden. Die daneben stehenden Anforderungen an die Rechtstreue sind gering. Vor dem Hintergrund des Neutralitätsgebots verlangt der Staat lediglich, daß eine Körperschaft des öffentlichen Rechts im religiösen Bereich die grundlegenden Regelungen des staatlichen Zusammenlebens akzeptiert. Wahrscheinlich genügt die Respektierung dessen, was in Art. 79 Abs. 3 GG geschützt wird. Eine weitergehende Staatsloyalität ist nicht erforderlich. Deshalb war die Entscheidung, den Zeugen Jehovas den Körperschaftsstatus deshalb zu verweigern, weil deren Mitglieder nicht an Wahlen teilnehmen, nicht aufrechtzuerhalten und wurde vom Bundesverfassungsgericht korrigiert.11 Der Körperschaftsstatus ist mit erheblichen Vorteilen verbunden. Vor diesem Hintergrund gibt es in einer sich pluralisierenden religiösen Landschaft ein Problem hinsichtlich derjenigen Religionsgemeinschaften, die eher organisationsavers sind. Dies ist insbesondere mit Blick auf den Islam der Fall, der eine vergleichbare organisatorische Verfasstheit wie die katholische oder die evangelische Kirche nicht kennt. Vor diesem Hintergrund gab und gibt es eine Diskussion, ob für diese Religionen nicht ein eigenständiger Rechtsstatus geschaffen werden muß. Dies war Gegenstand eines ziemlich umfänglichen Gutachtens zu einem der letzten deutschen Juristentage. Im Ergebnis hat der Vorschlag dort keine Mehrheit gefunden. Folge der Anerkennung des Körperschaftsstatus ist die Erlangung einer Reihe öffentlich-rechtlicher Befugnisse: Besteuerungsrecht, eigenständiges Organisationsrecht, Dienstherrenfähigkeit, Parochialrecht, Widmungsrecht sowie ein Bündel von Privilegien im steuerlichen Bereich, im Vollstreckungsschutz und im Bauplanungsrecht. Durch die Verleihung des Körperschaftsstatus findet fördernde Neutralität des Staates in großer Intensität statt. Dabei müssen alle Privilegien, die gewährt werden, gleichwohl den Grundsatz der Neutralität beachten. Das heißt, sie müssen grundsätzlich jeder Religionsgemeinschaft offenstehen; auch insoweit muß die Privilegierung einer bestimmten Religionsgemeinschaft unterbleiben. 11

BVerfGE 139, 321.

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Zentrales Recht der Religionsgemeinschaften im Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft ist der Anspruch auf Erhebung von Kirchensteuern, der gesondert in Art. 137 Abs. 6 WRV geregelt ist. Dabei kann auf staatliche Steuerlisten zurückgegriffen werden – auch das keine Selbstverständlichkeit, die in einem laizistischen System völlig unvorstellbar ist. Die Frage, wer der Steuerpflicht unterfällt, weil er Mitglied der Kirche ist, regelt die jeweilige Religionsgemeinschaft grundsätzlich selbst. Auch insoweit hat der Staat das Selbstbestimmungsrecht zu respektieren. Notwendig ist allerdings ein nach außen erkennbarer Akt des Steuerpflichtigen, daß er sich dieser Religionsgemeinschaft zugehörig fühlt. Dazu kann nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung die bloße Angabe gegenüber einer Meldebehörde genügen. Man muß also diese Erklärung noch nicht einmal gegenüber der Religionsgemeinschaft selbst abgeben. Das Gericht hat es vielmehr als ausreichend angesehen, daß zwei Personen bei ihrer Anmeldung in Frankfurt gegenüber der Meldebehörde als Religionszugehörigkeit „mosaisch“ angegeben hatten, um davon ausgehen zu können, daß diese beiden Personen der dortigen jüdischen Gemeinde angehören und deren Besteuerungsrecht unterfallen. Vertretbar ist dies wohl nur deshalb, weil nach Auffassung des Gerichts das jederzeitige Austrittsrecht aus einer Religionsgemeinschaft gewährleistet sein muß.12 e) Der besondere Schutz von Sonn- und Feiertagen nach Art. 139 WRV Weiterer Ausdruck fördernder Neutralität ist der verfassungsrechtliche Schutz der Sonn- und Feiertage gemäß Art. 139 WRV. Dieser verfassungsrechtliche Schutz wurzelt allerdings nicht nur in der Religionsfreiheit, sondern sicherlich auch im Sozialstaatsprinzip. Deshalb ist Schutzzweck dieser Vorschrift nicht nur die seelische Erhebung an Sonn- und Feiertagen – eine klar religionsbezogene Zielsetzung –, sondern auch die Erholung und Arbeitsruhe. Dabei hat in diesem Bereich der Gesetzgeber einen eigenständigen Regelungsauftrag, der die Berücksichtigung kultureller und weltanschaulich-religiöser Prägungen erlaubt. Deshalb ist es unproblematisch, daß die Feiertagsgesetze, die zu erheblichen Teilen Landesgesetze sind, christliche Feiertage stark in den Vordergrund rücken. Gleichzeitig ist aber auch die Etablierung eines islamischen Feiertags nicht ausgeschlossen. Dem steht das Grundgesetz nicht entgegen; es fordert einen solchen Feiertag zumindest nach der herrschenden Meinung aber nicht. Gegenstand heftiger Auseinandersetzung ist regelmäßig die Frage möglicher Durchbrechungen der Sonntagsruhe. Da gibt es dann manchmal Koalitionen, auch in Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, die auf den ersten Blick erstaunen. So sind gemeinsame Aktionen der einen oder anderen Kirchengemeinde mit der Gewerkschaft ver.di zur Sonntagsruhe nicht ohne Weiteres 12

BVerfG, NVwZ 2015, S. 517.

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erwartbar. Daß es sie trotzdem gibt, macht deutlich, daß die gesamte Debatte sowohl einen religionsverfassungsrechtlichen als auch einen sozialstaatlichen Hintergrund hat. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist erkennbar darauf angelegt, Art. 139 WRV konkrete Geltung zu verschaffen. So hat das Gericht beispielsweise eine Regelung in Berlin, die eine Möglichkeit der Ladenöffnung an allen vier Adventssonntagen und an insgesamt zehn Sonntagen im Jahr vorsah, für unvereinbar mit der Verfassung erklärt.13 Außerdem hat das Gericht betont, daß für eine Durchbrechung der Sonntagsruhe immer ein vernünftiger, überwiegender Grund des Gemeinwohls nachweisbar sein muß. Kommt es in diesem Bereich zu Grundrechtskollisionen – was auch bei der Ladenöffnung unweigerlich der Fall ist –, ist die Notwendigkeit der Abwägung nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz gegeben. Das wurde in jüngerer Vergangenheit hinsichtlich des Schutzes des Karfreitags mehrfach virulent. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang eine Regelung des bayerischen Feiertagsgesetzes, das den Karfreitag zu einem stillen Feiertag erklärt hat, ohne daß irgendeine Ausnahme möglich war, für nicht verfassungsmäßig erklärt.14 Hintergrund war der Antrag des Bundes für Geistesfreiheit, am Karfreitag eine Veranstaltung unter dem Motto „Heidenspaß statt Höllenqual“ durchzuführen. Das Gericht hat insoweit zunächst festgestellt, diese Veranstaltung diene nicht primär kommerziellen Interessen, sondern stelle sich als Betätigung weltanschaulicher Überzeugung dar. Daher müsse auch in diesem Fall zwischen den beteiligten Rechtsgütern abgewogen werden. Eine solche Abwägung lasse aber eine ausnahmslose Regelung nicht zu. Darüber hinaus regeln dann die Artikel der Weimarer Reichsverfassung noch die Fragen der Ablösung von Staatsleistungen mit dem Ziel endgültiger Regelung der Säkularisierungsfolgen. Dieser Verfassungsauftrag ist bis heute nicht erledigt. Es gibt immer mal wieder Gesetzentwürfe im Bundestag unterschiedlicher politischer Parteien, die regelmäßig ergebnislos enden. Ich sehe auch nicht, daß sich das in naher Zukunft ändern wird. Darüber hinaus gibt es die Garantie der Seelsorge in den Bereichen des Heeres, der Krankenhäuser, der Strafanstalten und der sonstigen öffentlichen Anstalten.

III. Das Prinzip der wohlwollenden Neutralität Wenn man das alles zusammenfassend in den Blick nimmt, kann nicht bezweifelt werden, daß das Prinzip der wohlwollenden, fördernden Neutralität in der Verfassung in vielfältiger Weise verankert ist. Dabei ist dieses Prinzip keine eigenständig subsumtionsfähige Regel. Es ist ein hintergründiges Prinzip und verlangt jeweils die Rückbindung an einzelne grundgesetzliche Bestimmungen. Die 13 14

BVerfGE 125, 39. BVerfGE 143, 161.

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dahinterstehende Idee ist, einerseits das sozialproduktive Handeln der Religionsgesellschaften anzuerkennen, andererseits aber auch diesen gegenüber Äquidistanz zu wahren. Wohlwollende Neutralität bedeutet auf der einen Seite ein institutionelles Trennungsgebot – Staat und Kirche sind getrennt – und ein inhaltliches Identifikationsverbot – der Staat hat über religiöse Überzeugungen nicht zu befinden –, zugleich aber auch die Pflicht zur Schaffung von Räumen, die religiöse Betätigung ermöglichen. Aufgrund dieser Janusköpfigkeit handelt es sich um ein inhaltlich anspruchsvolles Konzept, bei dem man darüber nachdenken kann, ob es international anschlußfähig ist. 1. Herausforderungen in einer zunehmend säkularen Gesellschaft Hinzu kommt, daß dieses Konzept auf eine gesellschaftliche Wirklichkeit trifft, die durch zunehmende Säkularisierung und Individualisierung geprägt ist. Die Volkskirchen gehen zurück, das religiöse Geschehen wird viel pluraler, die Zahl kleiner christlicher Gruppierungen nimmt zu, nichtchristliche Religionen sind verstärkt präsent. Der Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ ist als Zustandsbeschreibung schlechterdings nicht bestreitbar. Die Vorstellungen über die Ausgestaltung des religiösen Lebens sind sehr unterschiedlich. Um es plakativ zu sagen: Für den Christen genügt eigentlich das Gebet im stillen Kämmerlein. Das ist im Islam völlig anders. Dort hat das öffentliche Gebet eine ganz andere Bedeutung. Vor diesem Hintergrund stellt sich natürlich die Frage: Sind wir in der Lage, mit dem Konzept wohlwollender Neutralität auf diese neuen gesellschaftlichen Wirklichkeiten zu reagieren? Dazu will ich ganz kurz zwei Beispiele ansprechen, um sowohl zu zeigen, wie das Bundesverfassungsgericht versucht, mit dieser veränderten gesellschaftlichen Situation umzugehen, als auch, um daraus eine mögliche Schlußfolgerung für das Prinzip der wohlwollenden Neutralität abzuleiten. 2. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirche im Bereich des Arbeitsrechts Erstes Beispiel vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die zunehmend durch Individualisierungsprozesse geprägt ist: Kann es sein, daß das Prinzip der wohlwollenden Neutralität relevant ist im Zusammenhang mit der Einschränkung von Arbeitnehmerschutzrechten? Diese Frage spielte eine Rolle bei der Rechtskontrolle der Kündigung eines Chefarztes in einem Caritasklinikum, der sich bei Arbeitsantritt verpflichtet hatte, die Loyalitätsobliegenheiten, so wie sie die katholische Kirche in ihrer Grundordnung definiert, zu beachten.15 Zu diesen Obliegenheiten zählte auch die Pflicht, das Sakrament der Ehe zu achten und nicht 15

BVerfGE 137, 273.

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wieder zu heiraten. Und es war klar geregelt, daß der Verstoß gegen das Verbot der Wiederheirat dazu führt, daß der Arbeitsvertrag beendet werden kann. Der besagte Chefarzt hatte wieder geheiratet und wurde gekündigt, wogegen er um gerichtlichen Rechtsschutz nachsuchte. Sein Argument lautete: Eine solche Kündigung ist von vornherein unwirksam, weil sie gegen die Grundrechte auf Berufsfreiheit aus Art. 12 GG und auf Schutz von Ehe und Familie aus Art. 6 GG verstößt. Das Bundesverfassungsgericht ist dem in dieser Einfachheit nicht gefolgt, sondern hat auf die Beschwerde des betroffenen Krankenhauses festgestellt: Erstens, das Krankenhaus ist Grundrechtsträger; es kann sich, wenn Gerichte ihm eine Kündigung untersagen, auf die Religionsfreiheit des Art. 4 GG berufen. Die Tätigkeit in der Krankenversorgung kann Religionsausübung sein. Es gilt auch da der Vorrang des Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaften. Die Frage ist alleine: Handelt es sich bei der Krankenpflege aus der selbstverständigen Sicht der Kirche um einen Teil des Verkündigungsauftrags? Dies schien dem Gericht gegeben. Tätige Nächstenliebe ist nach kirchlichem Selbstverständnis Teil des Verkündigungsauftrags. Daher ist das Gericht davon ausgegangen, daß es sich im konkreten Fall um eine religionsbezogene Tätigkeit und nicht um einen reinen Wirtschaftsbetrieb handelt. Insofern ist auch nicht entscheidend, daß an der Wahrnehmung der karitativen Tätigkeit auch Personen beteiligt sind, die selbst keine Christen sind. Das ändert nichts an der Tatsache, daß die Tätigkeit im Krankenhaus eines christlichen Trägers Religionscharakter hat und Teil des Verkündigungsauftrags ist. Wenn das so ist, unterfällt dieser Bereich aber auch dem Selbstbestimmungsrecht der Kirche. Dies bedeutet, daß die Kirche das Recht hat, die bei der Wahrnehmung des Verkündigungsauftrags zu beachtenden Loyalitätspflichten selbst zu bestimmen und auch zu regeln, wie gravierend eine Verletzung dieser Loyalitätspflichten zu bewerten ist. Dabei kann hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung dieser Pflichten nach der Position, die der einzelne Beschäftigte wahrnimmt, differenziert werden. Es ist ein Unterschied, ob jemand in einer leitenden Position ist oder ob es um jemanden geht, der in einer untergeordneten Funktion eher technische Aufgaben wahrnimmt. Ebenso kann die differenzierende Bestimmung der Loyalitätspflichten in Abhängigkeit von der jeweiligen Religionszugehörigkeit gerechtfertigt sein. Die Religionsgemeinschaft hat im Rahmen ihrer Selbstbestimmungsautonomie das Recht, den Angehörigen ihrer Religion Dinge abzuverlangen, die sie anderen mit Blick auf deren negative Religionsfreiheit, selbst wenn sie in der gleichen Einrichtung tätig sind, nicht abverlangt. All dieses hat der Staat zu akzeptieren. Insoweit gilt die Neutralitätsverpflichtung uneingeschränkt. Hinsichtlich der rechtlichen Kontrolle arbeitsrechtlicher Maßnahmen ergibt sich daraus ein sogenannter Zweistufentest. Auf der ersten Stufe, der Stufe, die unter den Anwendungsbereich des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen fällt,

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findet lediglich eine Plausibilitätskontrolle statt. Letztlich wird nur geprüft, ob die getroffenen Regelungen willkürlich sind oder gegen den ordre public verstoßen. Wenn das nicht der Fall ist, sind diese Regelungen zu respektieren. Erst in einem zweiten Schritt kann dann die Frage gestellt werden: Wird durch diese Betätigung der Religionsfreiheit der Kirche in Grundrechte eines anderen in einer unangemessenen Weise eingegriffen? Dann kann es im Einzelfall immer noch sein, daß die Grundrechte des Einzelnen vorgehen. Da im konkreten Fall die Fachgerichte die Rechtswidrigkeit der Kündigung auf der Basis einer vollumfänglichen Prüfung der ersten Stufe festgestellt und das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen insoweit unberücksichtigt gelassen hatten, wurden die Entscheidungen aufgehoben und zurückverwiesen. Der Chefarzt-Fall ist nicht zu Ende. Das Gericht, an das zurückverwiesen wurde, hat jetzt erst einmal den Europäischen Gerichtshof angerufen um zu klären, ob die ausgesprochene Kündigung antidiskriminierungsrechtlichen Vorgaben des europäischen Rechts widerspricht. Je nachdem, wie der Europäische Gerichtshof entscheiden wird, erscheint eine erneute Befassung des Bundesverfassungsgerichts nicht ausgeschlossen. 3. Religiöse Symbole im öffentlichen Raum Zweites Beispiel zum Konfliktlösungspotential des Staatskirchenrechts nach Maßgabe des Prinzips der wohlwollenden Neutralität: Der Streit um das Kopftuch. Auszugehen ist dabei davon, daß es kein Recht darauf gibt, mit religiösen Symbolen nicht konfrontiert zu werden. Dies ist so lange relativ unproblematisch, wie der Staat sich darauf beschränkt, hinzunehmen, daß jemand ein religiöses oder als religionsbezogen erachtetes Symbol in nichtstaatlichen Zusammenhängen trägt. Schwieriger wird es, wenn das Zeigen des religiösen Symbols in staatlichen Zusammenhängen stattfindet. Darüber war, bezogen auf das Recht von Lehrerinnen, im Unterricht ein Kopftuch zu tragen, in der Vergangenheit mehrfach gerichtlich zu entscheiden. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte dazu in einem ersten Kopftuchurteil16 ausgeführt: Ob das Kopftuch ein religiöses Symbol ist oder nicht, ist nicht abstrakt durch den Staat zu bestimmen. Letztlich kommt es auf das Selbstverständnis des individuellen Grundrechtsträgers an. Wenn dieser religiös motiviert seine Kleidung auswählt, unterfällt das Tragen des Kopftuchs dem Schutz des Art. 4 GG. Das heißt wiederum, eine Untersagung dieser Grundrechtsbetätigung kommt nur in Betracht, wenn der Schutz gleichwertiger Verfassungsgüter dies rechtfertigt und die Untersagung des Tragens des Kopftuchs geeignet, erforderlich und angemessen ist, um diesen gleichrangigen Verfassungsgütern zum Durchbruch zu verhelfen. In Betracht als 16

BVerfGE 108, 282.

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zu schützende Verfassungsgüter kommen dabei das Erziehungsrecht der Eltern, die negative Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler, der staatliche Erziehungsauftrag und die Pflicht zur Neutralität im Rahmen dieses Auftrags. Vor diesem Hintergrund hat der Zweite Senat gefolgert: Ob in einer Konfliktlage sich das Pendel eher auf die Seite der grundrechtlichen Freiheit der Kopftuchträgerin oder eher auf die Seite der anderen grundrechtlichen Interessen neigt, ist eine Frage, die primär der Gesetzgeber zu entscheiden hat. Wenn der Gesetzgeber diese Entscheidung angesichts einer nachvollziehbaren abstrakten Gefährdung des Schulfriedens trifft, rechtfertigt dies das Verbot des Tragens des Kopftuchs im Unterricht. Diese, bezogen auf zwei beamtete Lehrerinnen getroffene Entscheidung ist jedoch jetzt in einer neueren Entscheidung des Ersten Senats mit Blick auf zwei angestellte Lehrerinnen relativiert worden.17 Dort wird ausgeführt: Praktische Konkordanz heißt, einen Weg zu suchen, der sicherstellt, daß sich die Religionsbetätigungsfreiheit derjenigen, die das Kopftuch tragen wollen, möglichst weitgehend entfalten kann, ohne die übrigen Rechtsgüter über Gebühr einzuschränken. Solange die anderen Rechte nicht erkennbar gefährdet sind, ist deshalb das Tragen des Kopftuchs hinzunehmen. Es reicht nicht eine abstrakte Gefahr der Beeinträchtigung dieser Rechtsgüter; notwendig ist eine konkrete Gefahr. Die negative Religionsfreiheit ist durch das Tragen des Kopftuchs einer Lehrerin regelmäßig nicht tangiert; das Erziehungsrecht der Eltern wohl auch nicht. Aber der Schulfrieden kann gefährdet sein. In solchen Fällen einer konkreten Gefährdung des Schulfriedens kann es ausnahmsweise zulässig sein, das Tragen des Kopftuchs zu verbieten. Daher ist kein Raum für ein generelles, an einer abstrakten Gefahr ansetzendes Kopftuchverbot. Soweit dem entgegengehalten wird, diese Position stehe im Widerspruch zum Verbot des Anbringens von Kruzifixen in Klassenräumen, wird darauf verwiesen, daß es sich um grundlegend unterschiedliche Situationen handele. Beim Kopftuch gehe es um die Betätigung des Grundrechts einer Privatperson, beim Kruzifix gehe es um ein staatliches Handeln durch das eine Situation der Unentrinnbarkeit geschaffen werde. Eine vergleichbare missionarische Qualität wie im Falle des Kruzifixes sei bei einem Kopftuch, das ja auch ein ganz normales Kleidungsstück sein könne, nicht gegeben. Diese Entscheidung war auch im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts nicht unumstritten. Sie ist nicht einstimmig ergangen, sondern es gibt ein Sondervotum zweier Richter, die der Auffassung waren, daß die Entscheidung die negative Bekenntnisfreiheit, den Erziehungsauftrag und das Elternrecht nicht angemessen bewerte. Diese Verfassungsgüter hätten es gerechtfertigt, generelle Regelungen durch den Gesetzgeber ausreichen zu lassen. Es folgte dann noch ein Kammerbeschluß18, der die gleichen Erwägungen mit Blick auf Kindergärten angestellt hat. Dies ist 17 18

BVerfGE 138, 296. BVerfG, NJW 2017, S. 381.

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ja ein Bereich, der für die kirchliche Tätigkeit nicht von untergeordneter Bedeutung ist. Insgesamt kann die Debatte um das Zeigen religiöser Symbole nicht als abgeschlossen angesehen werden. Sie wird uns weiter beschäftigen. Natürlich stellt sich dabei auch die Frage: Wie verhält es sich mit dem Tragen religiöser Symbole in anderen Bereichen der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben? Gelten die Überlegungen, die für das Kopftuch in Schulen und Kindergärten angestellt worden sind, auch für Richter, Justizvollzugsbedienstete usw.? Der Zweite Senat ist im Moment mit dem Fall einer Referendarin befasst, die ihre Justizausbildung abschließen, gleichzeitig aber auf das Tragen des Kopftuchs nicht verzichten möchte. Der Antrag, ihr im Wege einer einstweiligen Anordnung zu gestatten, sitzungsrichterliche Tätigkeiten mit Kopftuch wahrzunehmen, um ihre Ausbildung abschließen zu können, ist abgelehnt worden19 – das Hauptsacheverfahren ist nicht entschieden. 4. Fazit Beide Beispiele zeigen, daß das Konfliktlösungspotential, das mit der Idee der wohlwollenden Neutralität verbunden ist, nicht unterschätzt werden sollte. Gleichzeitig ergeben sich aus diesem Konzept im Einzelfall schwierige Abwägungsfragen, deren Beantwortung durchaus mit jeweils guten Gründen unterschiedlich erfolgen kann. Daß aber auch in einer postsäkularen Gesellschaft wohlwollende Neutralität taugliches Kriterium für die Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften sein kann, scheint mir zumindest nicht widerlegt. Zugegebenermaßen ist das Konzept der wohlwollenden Neutralität ein ziemlich deutsches Modell. Es ist ein Modell, das in vergleichbarer Weise nicht oft auf dieser Welt anzutreffen ist. Es ist deshalb möglichweise auch ein nur begrenzt geeigneter Exportartikel. Am Ende glaube ich aber, daß es sogar international anschlußfähig ist. Das ist aber das Thema des nachfolgenden Referates und deshalb ende ich an dieser Stelle und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

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BVerfG, NJW 2017, S. 2333.

Das Verhältnis von Recht und Religion in der Europäischen Union Von Christian Hillgruber, Bonn I.

II.

(Ideen-)Geschichtliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das christliche Motiv für die Idee einer europäischen Föderation . . . . . . . . 2. Die Idee der Menschenwürde und der Menschenrechte, ihre christlichen Wurzeln und der Zusammenhang mit der Idee einer europäischen Föderation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ein halbes Jahrhundert später: Das vergessene christliche Erbe Europas . .

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Die Entwicklung des europäischen Integrationsprozesses bis zum Vertrag von Maastricht 1992 in ihren Bezügen zur Religion(-sfreiheit) . . . . . . . . . . . . . 1. „Religions- und kirchenblinde“ Wirtschaftsintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entdeckung der Religionsfreiheit durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . .

54 54 56

III. Die Einwirkung des Europarechts auf das Staatskirchen- und Religionsrecht der Mitgliedstaaten seit der Gründung der Europäischen Union . . . . . . . . . . . .

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IV.

V.

Die europarechtliche Sicherung des mitgliedstaatlichen Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften durch Art. 17 Abs. 1 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Der Schutz der Religionsfreiheit im Recht der Europäischen Union . . . . . . . .

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VI. Die Europäische Union und die Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften als Dialogpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. (Ideen-)Geschichtliches 1. Das christliche Motiv für die Idee einer europäischen Föderation Was heute selbst in der zeitgeschichtlichen Betrachtung des europäischen Integrationsprozesses, die inzwischen eingesetzt hat, fast vergessen ist, das sind die christlichen, näherhin vor allem katholischen, Impulse, die diesen Prozess an seinem Anfang entscheidend vorangetrieben, ja geprägt haben, so sehr geprägt haben, daß man, ohne zu übertreiben, von der Idee der europäischen Gemeinschaft als einem katholischen Projekt sprechen könnte. Die von geistigen Eliten, Intellektuellen und Politikern getragene, als Verbindungsnetzwerk fungierende Europabe-

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wegung der unmittelbaren Nachkriegszeit, die der institutionellen Formung vorausgegangen ist und ihren ideellen, politisch-kulturellen Hintergrund mit einer weit überschießenden Tendenz bildet, ist genuin christlich motiviert gewesen.1 Ihr Ziel war die Überwindung der Enge des Nationalstaates des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einer übernationalen Gemeinschaft, wie sie seinerzeit die universitas christiana dargestellt hatte, an die es aus dieser Sicht beim Wiederaufbau und der Reorganisation Europas im Geiste eines christlichen Abendlandes wieder anzuknüpfen galt. Es war eine religiös-abendländische Sicht auf Europa, die hier dominierte. Sie findet sich etwa prominent bei Papst Pius XII., mit dem die katholische Kirche ein Oberhaupt hatte, das sich europapolitisch engagierte und für ein vereinigtes Europa aussprach.2 Aber es ist eben auch kein Zufall, daß die Gründungsväter der westeuropäischen Integration der 1950er Jahre christdemokratische Politiker wie Schuman, Adenauer und de Gaspari waren, deren erfolgreiche Zusammenarbeit ohne ihren gemeinsamen christlichen Nenner katholischer Provenienz nicht vorstellbar ist,3 ohne daß sie deshalb die prinzipielle Scheidung der politischen von der religiösen Sphäre in Frage gestellt hätten.4 Die Haltung des Protestantismus war weit weniger eindeutig, er blieb auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch verbreitet dem Nationalstaat verhaftet.5

1 Zur Formierung der Europäischen Bewegung siehe Wilfried Loth, Der Weg nach Europa, 1990, S. 52 ff.; Walter Lipgens, Die Anfänge der europäischen Einigungspolitik 1945–1950, Erster Teil, 1977, S. 514 ff. Zu den Europadiskussionen in den einzelnen europäischen Staaten und den Europa-Verbänden siehe Wilfried Loth (Hrsg.), Die Anfänge der europäischen Integration 1945–1950, 1990. 2 Andreas M. Rauch, Der Heilige Stuhl und die Europäische Union, 1995, S. 23 ff.; Philippe Chenaux, Der Vatikan und und die Entstehung der Europäischen Gemeinschaft, in: Martin Greschat/Wilfried Loth (Hrsg.), Die Christen und die Entstehung der Europäischen Gemeinschaft, 1994, S. 97; Bernhard Salzmann, Europa als Thema katholischer Eliten: das katholische Europa-Netzwerk der Schweiz von 1945 bis Mitte der 1950er Jahre, 2006, S. 18. 3 Daß die föderalistischen Ideen v. a. in Skandinavien weniger Anklang fanden und in französischen Zirkeln nur „deutlich abseits des Mainstreams diskutiert“ wurden (Jan Eckel, Die Ambivalenz des Guten. Menschenrechte in der internationalen Politik seit den 1940er Jahren, 2015, S. 70), dürfte jedenfalls auch auf das protestantische Staatskirchentum in Skandinavien und den republikanischen Laizismus Frankreichs zurückzuführen sein. 4 Siehe dazu mit Nachweisen Burkhard Josef Berkmann, Das Verhältnis Kirche – Europäische Union. Zugänge aus rechtlich-philosophischer Sicht, 2004, S. 76 f. 5 Hans Dombois, Christenheit, Europa, Welt, in: Friedrich Karl Schumann (Hrsg.), Europa in evangelischer Sicht, 1953, S. 124; Martin Greschat, Der Protestantismus und die Entstehung der Europäischen Gemeinschaft, in: Martin Greschat/Wilfried Loth (Hrsg.), Die Christen und die Entstehung der Europäischen Gemeinschaft, 1994, S. 44; Irene Dingel, Protestantische Stellungnahmen zu Europa und zur Europäischen Integration. Eine Problemanzeige, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 9 (2008), S. 31. Zudem erschien manchem Protestanten der Europagedanke schon deshalb fragwürdig, weil er als katholisch besetzt galt oder in den berühmten Worten Martin Niemöllers „vom Vatikan erzeugt“; Roger Mehl, Das protestantische Europa, 1959, S. 16.

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Neben das christliche Motiv einer Wiederbegründung Europas aus dem die europäischen Völker verbindenden Geist des Christentums nach den Verwüstungen durch die „drei modernen Häresien“ – Nationalismus, Rassismus und Totalitarismus – traten weitere Motive, die politisch noch wirkmächtiger gewesen sein dürften.6 So zielte das europäische Einigungsprojekt ursprünglich – noch ganz unter dem Eindruck des verheerenden Zweiten Weltkriegs – zentral auf die Friedenssicherung in Europa; durch Integration kriegswichtiger Güter wie Kohle und Stahl, sodann durch die Verflechtung der ganzen nationalen Volkswirtschaften sollte Kriegführung in Westeuropa praktisch unmöglich gemacht und für die Zukunft ausgeschlossen werden. Außerdem ging es um die Selbstbehauptung eines geeinten Europas zwischen den beiden aufsteigenden Supermächten USA und Sowjetunion, die Europa in der Weltbeherrschung ablösen sollten. „Neben dem Ruf ,Nie wieder Krieg!‘ war keine Triebkraft der europäischen Integration wichtiger als das Bestreben der Europäer, sich gemeinsam in der Welt zu behaupten. Zusammen wollten die europäischen Staaten weiter jene Rolle als globale Macht spielen, die sie einzeln, jeder für sich, nicht ausfüllen konnten.“ 7 2. Die Idee der Menschenwürde und der Menschenrechte, ihre christlichen Wurzeln und der Zusammenhang mit der Idee einer europäischen Föderation Mit der Idee einer europäischen Föderation verband sich früh die Rückbesinnung auf die Idee der Menschenwürde, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs europäisches Gemeingut wurde.8 Auch diese Idee hat bekanntlich christliche Wurzeln, und die europäische und internationale Menschenrechtsentwicklung nach 1945 wurde von der seit der Mitte der 1930er Jahre von Pius XI. und dann Pius XII. entwickelten und propagierten katholischen Lehre von den unveräußerlichen göttlichen und natürlichen Rechten der menschlichen Person zumindest partiell inspiriert und flankiert.9 Die europäische Einheitsbewegung hatte schon auf ihrem Kongress in Den Haag 1948 in einer politischen Resolution gefordert, daß die zu gründende Euro6 Zum Motivbündel siehe nur Eckel (Fn. 3), S. 180 f.; Wilfried Loth, Der Prozess der europäischen Integration. Antriebskräfte, Entscheidungen und Perspektiven, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 1 (2000), S. 17, identifiziert vier Probleme, die mit dem Integrationsprozess gelöst werden sollten: das Problem der zwischenstaatlichen Anarchie, die deutsche Frage, die Entwicklung der Produktivkräfte des industriellen Zeitalters, das Streben der Europäer nach Selbstbehauptung gegenüber den neuen Weltmächten (ebd., S. 18 ff.). 7 Dominik Geppert, Ein Europa, das es nicht gibt, 2013, S. 108. 8 Zur individualrechtlichen Seite des Föderalismusdiskurses in Europa siehe nur Eckel (Fn. 3), S. 71 ff., und speziell bezogen auf die Gründungsphase des Europarates und der europäischen Menschenrechtskonvention, ebd., S. 156 ff. 9 Siehe dazu Eckel (Fn. 3), S. 75 ff.

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päische Union oder Föderation eine auszuarbeitende „Charter of Human Rights“ haben müsse, „laying down standards to which a State must conform if it is to deserve the name of a democracy“, deren Verletzung jeder europäische Bürger vor einem „Supreme Court“ sollte geltend machen können, „with adequate sanctions for the implementation of this Charter“.10 In einer zeitgleich verabschiedeten kulturellen Resolution11 bekräftigte der Haager Kongress seine Überzeugung, daß die Menschenrechte die wesentlichen Grundlagen unserer Bemühungen für ein Vereintes Europa sind, und daß eine Charta der Menschenrechte unzureichend sei, sofern sie nicht durch Vereinbarung zwischen den Mitgliedsstaaten der künftigen Europäischen Union rechtsverbindlich gemacht werde. Man bekannte sich zu dem festen Glauben, daß die wahre Einheit Europas ungeachtet der nationalen, ideologischen und religiösen Unterschiede „in dem gemeinsamen Erbe der christlichen und anderen geistigen und kulturellen Werte und unserer gemeinsamen Treue zu den Grundrechten des Menschen“ liege. Als sich der Europarat 1949 daran machte, seiner satzungsgemäßen Aufgabe entsprechend, die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu bewahren und fortzuentwickeln (Art. 1 lit. b) der Satzung des Europarats) und eine kollektive, rechtsverbindliche Garantie der Menschenrechte auf europäischer Ebene auszuarbeiten, führte die Parlamentarische Versammlung im September 1949 eine Grundsatzaussprache. Dabei gelangte man rasch zur communis opinio, daß die grundlegenden Menschenrechte Europas „common cultural heritage“ 12 seien, „its very foundations“.13 Europa sei weniger ein geographischer, geopolitischer oder strategischer Begriff als vielmehr „a Europe with a common spiritual basis in its views on man, his dignity and his rights“.14 Man beschwor „the genius of Europe: ,Is not the belief in the existence of human rights the real greatness of the western civilisation, of European culture?‘“ 15 Die zu schützenden Menschenrechte wurden als Ausdruck der europäischen Zivilisation angesehen: „What, in fact, does European civilisation stand for in our eyes? [. . .] Quite simply, it is the dignity of the human being, the conviction shared by us all that every man is worthy of respect, that every man has the right to live in safety and dignity, that no man

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Congress of Europe (Hrsg.), Political Resolution of the Hague Congress, 1948,

S. 3. 11

Ebd. Der griechische Delegierte Antonopoulos, Beratende Versammlung des Europarats, Erste Session, 8. Sitzung vom 19.8.1949, in: Council of Europe, Collected Edition of the ,Travaux Préparatoires‘, Vol. I, 1975, S. 60. 13 Der dänische Delegierte Lannung, Beratende Versammlung des Europarats, Erste Session, 8. Sitzung vom 19.8.1949, ebd., S. 54. 14 Der dänische Delegierte Kraft, Beratende Versammlung des Europarats, Erste Session, 8. Sitzung vom 19.8.1949, ebd., S. 64. 15 Der schwedische Delegierte Wistrand, Beratende Versammlung des Europarats, Erste Session, 8. Sitzung vom 19.8.1949, ebd., S. 82. 12

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can be subject of indifference to us however weak or however near to death he may be.“ 16 Ursprünglich, in den ersten idealistischen Initiativen, das macht die Aussprache sehr deutlich, war es weniger der Gedanke eines gemeinsamen Marktes, sondern vor allem der gemeinsame Glaube an auf der unantastbaren Würde des Menschen basierenden Menschenrechte, auf denen ein gemeinsames Europa aufgebaut werden sollte. Das geplante Instrument einer Europäischen Menschenrechtskonvention mit einem gerichtlichen Durchsetzungsmechanismus wurde dementsprechend als Bestandteil des europäischen (Integrations-)Projekts begriffen und der zu schaffende Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als dessen erstes supranationales Organ17 verstanden. „If we look further into the future we may hope to see the day when we achieve a European legislation on matters of common concern, side by side with the national legislation in the individual states. The European Court will then have the special task of being the supreme organ for enforcing this legislation.“ 18 „[. . .] the creation and working of the machinery for the agreement and enforcement of human rights will, an effective method of promoting integration in Europe by means of functional co-operation.“ 19 „Let us, with the European Court of Human Rights, make the first attempt at the European Court of Justice.“ 20 Die Europäische Menschenrechtskonvention war also als „the first basis of our federation“ konzipiert.21 Wenn wir heute gewohnt sind, das menschenrechtliche Konventionssystem vom Europarecht im engeren Sinne abzuschichten und abzugrenzen, so entsprach dies nicht der ursprünglichen Absicht. Von daher gesehen kann die etwa fünfzig Jahre später erfolgende Reintegration des konventionsrechtlichen Standards in das Recht der Europäischen Union und institutionelle Verzahnung der gerichtlichen Rechtsschutzsysteme mit einer gewissen Berechtigung als eine späte Verwirklichung anfänglicher Integrationsziele gedeutet werden, die sich zunächst, noch vor der wirtschaftlichen Integration, auf den Menschenrechtsschutz als ein genuin gemeinsames europäisches Anliegen richtete.

16 Der belgische Delegierte De la Vallée-Poussin, Beratende Versammlung des Europarats, Erste Session, 8. Sitzung vom 19.8.1949, ebd., S. 102. 17 Siehe dazu den italienischen Delegierten Dominedo und den englischen Delegierten Maxwell-Fyfe, Beratende Versammlung des Europarats, Erste Session, 8. Sitzung vom 19.8.1949, ebd., S. 70, 122. 18 Der dänische Delegierte Lannung, Beratende Versammlung des Europarats, Erste Session, 8. Sitzung vom 19.8.1949, ebd., S. 54. 19 Der englische Delegierte Maxwell-Fyfe, Beratende Versammlung des Europarats, Erste Session, 8. Sitzung vom 19.8.1949, ebd., S. 114. 20 Pierre-Henri Teitgen, Beratende Versammlung des Europarats, Erste Session, 18. Sitzung vom 8.9.1949, ebd., S. 180. 21 Der belgische Delegierte Rolin, Beratende Versammlung des Europarats, Erste Session, 18. Sitzung vom 8.9.1949, ebd., S. 156.

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3. Ein halbes Jahrhundert später: Das vergessene christliche Erbe Europas Ein Bekenntnis zu den christlichen Wurzeln Europas im Allgemeinen wie auch des europäischen Einigungswerkes nach dem Zweiten Weltkrieg im Besonderen waren dagegen ein halbes Jahrhundert später nicht einmal in Form einer Erwähnung in einer Präambel mehr konsensfähig. Es war vor allem aber nicht nur die laizistisch ausgerichtete französische Republik, die am liebsten jede religiöse Referenz vermieden hätte. Tatsächlich enthielt der Entwurf des gescheiterten Verfassungsvertrages nicht mehr als eine vage Bezugnahme auf das kulturelle, religiöse und humanistische Erbe Europas als Inspirationsquelle.22 Im Vorspruch der Grundrechtecharta erklären sich die Völker zwar ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes bewußt, aber ohne Hervorhebung des dominanten christlichenabendländischen Erbes.23 Es hätte nicht deutlicher dokumentiert werden können, wie weit sich Europa inzwischen von den Ideen seiner Gründerväter entfernt hat. Allenfalls in der kritisch-despektierlichen Außenperspektive eines verschmähten islamischen Beitrittskandidaten erscheint die Europäische Union heute noch als „Club christlicher Staaten“.

II. Die Entwicklung des europäischen Integrationsprozesses bis zum Vertrag von Maastricht 1992 in ihren Bezügen zur Religion(-sfreiheit) 1. „Religions- und kirchenblinde“ Wirtschaftsintegration Die Europäischen Gemeinschaften, die dann in den 1950er Jahren tatsächlich entstanden, hatten mit den Vorstellungen der frühen europapolitischen Visionäre nur noch wenig gemein.24 Die Dynamik der europäischen Integration lag nach dem frühen Scheitern einer Vergemeinschaftung der Verteidigungspolitik 1954 einzig und allein im wirtschaftlichen Bereich. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die alsbald zum eigentlichen Kern der geschaffenen institutionellen Zusammenhänge avancierte, hatte nach der 22 In der französischen Textfassung hieß es: „S’inspirant des heritages culturels, religieux et humanistes de l’Europe“. Zur Vorgeschichte siehe Kolja Naumann, Eine religiöse Referenz in einem Europäischen Verfassungsvertrag, 2008, S. 19 ff. Zu den Diskussionen im Verfassungskonvent und auf der Regierungskonferenz siehe auch Matthias Belafi, Die Kirchen und die Europäische Verfassung, 2014, S. 200 ff. Aus der wissenschaftlichen Diskussion siehe nur Christian Hillgruber, Über den Sinn eines Gottesbezuges in einer künftigen europäischen Verfassung, in: KuR 13 (2007), S. 1. 23 In der französischen Fassung der Präambel ist gar nur vom „patrimoine spirituel et moral“ die Rede. Zur Diskussion im Grundrechtekonvent siehe Naumann (Fn. 22), S. 6 ff. 24 Christoph Link, Staat und Kirche im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses, ZevKR 42 (1997), S. 130: „Der politische Einigungsprozess verlief dann auch in anderen Bahnen“.

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legendären Formulierung von Hans Peter Ipsen den Charakter eines bloßen „Zweckverbandes funktioneller Integration“,25 war eine vornehmlich wirtschaftliche Organisation, die mit ihren begrenzten Befugnissen transnational gewordene Aufgaben verwirklichen sollte. Anders als die Staaten, die eine prinzipiell allumfassende Gebiets- und Personalhoheit beanspruchen und aufgrund dieser Allzuständigkeit gar nicht umhinkommen, die Frage zu beantworten, wie ihr Herrschaftsanspruch sich mit den aus religiösem Glauben erwachsenden Verpflichtungen verträgt, und in der Konsequenz der Antwort auch der oder den organisierten Gemeinschaft(en) der Gläubigen als religiösen Institutionen ihren Platz in oder gegenüber der staatlichen Organisation zuweisen müssen, kann ein supranationaler, funktional begrenzter Zweckverband religionsabstinent, -indifferent, ja religionsblind bleiben, und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft war es anfänglich tatsächlich. Es ist kein Zufall, daß das Sachregister von Ipsens Europäischem Gemeinschaftsrecht die Stichworte „Religion“ und „Kirche“ gar nicht aufweist. Auch Menschenrechte, die Religionsfreiheit eingeschlossen, waren für die Europäischen Gemeinschaften zunächst gar kein Thema; das europäische Menschenrechtssystem der EMRK war im Rahmen des Europarates, d. h. außerhalb der Gemeinschaftsinstitutionen etabliert und platziert worden, und damit anfänglich nicht mehr als ein Nebengleis, wenn nicht gar ein Abstellgleis der Europapolitik.26 Die Europäischen Gemeinschaften der Gründungsphase können allenfalls als „rudimentäre Wertegemeinschaft“ im Sinne einer normativen Selbstvergewisserung ihrer Mitgliedstaaten charakterisiert werden.27 Als „Grundrechte“ der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaften fungierten vielmehr die später als Grundfreiheiten bezeichneten Marktfreiheiten des Waren- und Kapitalverkehrs, der Dienstleistungen und Niederlassungen sowie der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Das Konzept funktionaler wirtschaftlicher Teilintegration, das den Grundsätzen des politischen Funktionalismus folgte und auf den Spill-Over-Effekt setzte, demzufolge „sektorale Integration zu einer Verflechtung immer weiterer Sektoren und schließlich zum Endstadium einer allgemeinpolitischen Föderation“ führen müsse, war ungeachtet der Tatsache, daß es keinen Automatismus hin zur Vollintegration gab, überaus erfolgreich, wenn auch die Schaffung eines wirklich einheitlichen Binnenmarktes erst auf der Grundlage der mit Wirkung zum 1.7.1987 in Kraft getretenen Einheitlichen Europäischen Akte von 1986 gelang und zudem einer entschlossenen Politik der Delors-Kommission zu verdanken war. Aber dem europäischen Unternehmen fehlte die Inspiration, die „Seele“. Das ist selbst den 25

Hans Peter Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 196. Siehe zu der realistischen Einordnung, „daß der Europarat im entstehenden Geflecht europaweiter Institutionen einen ausgesprochen randständigen Platz einnahm“, Eckel (Fn. 3), S. 179 f. 27 Begriff nach Eckel (Fn. 3), S. 182. 26

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Konstrukteuren der Gemeinschaft und der Gemeinschaftsmethode wie Jean Monnet nicht verborgen geblieben. Darauf dürfte die ihm zugeschriebene Äußerung zurückzuführen sein: „Wenn ich es noch einmal zu tun hätte, würde ich mit der Kultur beginnen“.28 Die richterrechtliche Entwicklung von Gemeinschaftsgrundrechten als ungeschriebene, den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten entnommene Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts durch den EuGH in den 1970er Jahren diente weniger der Schließung einer insoweit von den europäischen Organen selbst empfundenen Rechtsschutzlücke und eines menschenrechtlichen Defizits der europäischen Integration, als vielmehr der – letztlich erfolgreichen29 – Verteidigung der Autonomie des Gemeinschaftsrechts gegenüber mitgliedstaatlicher gerichtlicher Kontrolle über die Anwendbarkeit von sekundärem Gemeinschaftsrecht.30 Wenn dabei naturgemäß die auf das Wirtschaftsleben bezogenen Grundrechte und Grundfreiheiten, wie Eigentum und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit, im Vordergrund standen, so wurden darüber hinaus jedoch vereinzelt auch andere Grundrechte wie beispielsweise die Religionsfreiheit angesprochen. 2. Die Entdeckung der Religionsfreiheit durch den EuGH Im Fall Vivian Prais31 bewarb sich eine britische Staatsangehörige jüdischen Glaubens in einem allgemeinen Auswahlverfahren um eine Stelle als Übersetzerin beim Rat der EG. Im Rahmen des Auswahlverfahrens war eine schriftliche Prüfung abzulegen, die für einen Tag anberaumt wurde, der auf einen hohen jüdischen Feiertag fiel, an dem Juden das Reisen und Schreiben untersagt ist. Der Rat der EG lehnte ihren Antrag auf Verschiebung der Prüfung auf einen anderen Tag ab. Daraufhin wendete sie sich an den EuGH und berief sich dabei auf Art. 27 Abs. 2 des Beamtenstatuts,32 aber auch auf ihre Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK auf Aufhebung der Entscheidung des Rates. Der EuGH stellte in 28 Siehe dazu Thomas Oppermann/Claus Dieter Classen/Martin Nettesheim, Europarecht, 2009, § 36 III., S. 648 Rn. 54. Angesichts der von Jean Monnet technokratischen Vereinheitlichung hatte diese Sympathie erheischende Bemerkung eher den Charakter einer nachträglichen Drohung mit einem glücklicherweise ausgebliebenen Übel: Die national, teilweise auch regional vielfältige europäische Kultur wäre ein denkbar ungeeignetes Objekt der Vergemeinschaftung gewesen. 29 Siehe BVerfGE 73, 339 (378 ff.). 30 Durch die Solange I-Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 37, 271) zwar nicht ausgelöst, so doch stark befördert. 31 EuGH, Slg. 1976, 1589 (1599), Rz. 12–19. Dazu näher Ingolf Pernice, Religionsrechtliche Aspekte im Europäischen Gemeinschaftsrecht, JZ 1977, S. 777. 32 Nach dieser Vorschrift müssen die Beamten der Gemeinschaft ohne Rücksicht auf Rasse, Glauben oder Geschlecht ausgewählt werden. Art. 26 Abs. 4 Beamtenstatut ordnet – dazu akzessorisch – an, daß „die Personalakte [. . .] keinerlei Angaben über die [. . .] religiösen Überzeugungen des Beamten“ enthalten darf.

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seiner Entscheidung aus dem Jahr 1976 primär auf den Gleichheitsgrundsatz einschließlich des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Religion ab und machte keine näheren Ausführungen zur Religionsfreiheit, die er allerdings (als Bestandteil der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts) implizit anerkannte und die er in der Sache mit den Anforderungen des Gleichheitssatzes durch eine ausgewogene Lösung in Einklang zu bringen versuchte.33

III. Die Einwirkung des Europarechts auf das Staatskirchen- und Religionsrecht der Mitgliedstaaten seit der Gründung der Europäischen Union Spezifisch religionsrechtliche bzw. staatskirchenrechtliche Zuständigkeiten besaßen die Europäischen Gemeinschaften und besitzt die Europäische Union bis heute nicht. Doch das sagt nicht viel über die Reichweite europarechtlicher Ingerenz in Fragen der Religion, der Religionsgemeinschaften und des Staatskirchenrechts aus. Wie oft hervorgehoben worden ist, zeichnen sich die Kompetenzvorschriften des Unionsrechts weniger durch eine konditionale Umschreibung eines Gegenstandes, als vielmehr durch eine finale Ausrichtung auf ein bestimmtes, allerdings zumeist recht weit gefaßtes Ziel aus.34 Auch wenn folglich das Staatskirchenrecht als solches nicht zu den Materien gehört, die vormals das Gemeinschaftsrecht und nun das Unionsrecht der Zuständigkeit der Gemeinschafts- bzw. Unionsorgane überführt hat, so folgt daraus nach der Rechtsprechung des EuGH doch nicht, daß die Ausübung der der Gemeinschaft übertragenen Befugnisse irgendwie eingeschränkt würde, wenn sie Rückwirkungen auf die verbliebenen Regelungszuständigkeiten der Mitgliedstaaten haben sollte.35 Funktional wirkt 33

Der EuGH nahm an, daß der Bewerberin als Obliegenheit eine Mitteilungspflicht hinsichtlich einer religiös begründeten Indisponiertheit vor Festlegung des Prüfungstermins auferlag: „Teilt ein Bewerber der Anstellungsbehörde mit, daß ihn religiöse Gebote daran hindern, sich an bestimmten Tagen zu den Prüfungen einzufinden, so muß die Behörde dem Rechnung tragen und sich bei der Terminbestimmung für die Prüfungen bemühen, diese Daten zu vermeiden“; EuGH, Slg. 1976, S. 1589 (1599), Rz. 12/19. Das läuft auf ein Diskriminierungsverbot aus religiösen Gründen hinaus; vgl. Hans-Peter Folz, in: Christoph Vedder/Wolff Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Handkommentar, 2012, Art. 19 GR-Charta Rn. 4. Demgegenüber sieht Stefan Mückl, Europäisierung des Staatskirchenrechts, 2005, S. 460, darin die Anerkennung eines positiven Gehalts der Religionsfreiheit. 34 Rüdiger Breuer, Konditionale und finale Rechtsetzung, AöR 127 (2002), 523; Thomas von Danwitz, Rechtsetzung und Rechtsangleichung, in: Manfred Dauses/Markus Ludwigs (Hrsg.), EU-Wirtschaftsrecht, B. II. Rechtsetzung und Rechtsangleichung, Stand der 49. Erg.-Lfg. (November 2019), Rn. 109; Christoph Krönke, Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, 2013, S. 42. 35 Vgl. zur Bildungspolitik nur EuGH, Slg. 1974, S. 773 ff. (779), Rz. 5 f. (Casagrande/Landeshauptstadt München). Gleichsinnig hat der EuGH in anderem Kontext formuliert, die Tatsache, daß eine bestimmte Materie als solche nicht in die Zuständigkeit falle, bedeute nicht, daß sie der Anwendung des Unionsrechts gänzlich entzogen sei; vgl. EuGH, Slg. 1999, I-7403, Rz. 154 (Sirdan); Slg. 2000, I-69, Rz. 15 (Kreil).

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das Unionsrecht vielmehr in alle Tätigkeits- und Lebensbereiche, auch in die von Kirchen und sonstigen Religionsgemeinschaften, hinein, selbst wenn es diese nur unter spezifischen, vorzugsweise wirtschaftlichen Aspekten zu regeln vermag,36 und eine explizite Bereichsausnahme, durch welche das Religionsrecht von den bestehenden Regelungsbefugnissen der Union en bloc ausgenommen würde, besteht im Primärrecht nicht. Trotz der scheinbaren Enge des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung erscheint die mögliche Reichweite der Unionsgesetzgebung mittlerweile letztlich gegenständlich nahezu unbegrenzt. Namentlich die Kompetenz zur Rechtsangleichung für den Binnenmarkt nach Art. 114 Abs. 1 AEUV kann „potentiell jeden Sachgegenstand erfassen, dessen einseitige Regelung durch die Mitgliedstaaten die Ausübung der Grundfreiheiten beeinträchtigt oder den Wettbewerb im Binnenmarkt verzerrt.“37 Da wiederum der Schutzbereich der Grundfreiheiten denkbar weit zu verstehen ist und nahezu jeder verhaltenslenkende Rechtsakt mittelbar auch Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Grundfreiheiten haben kann, kommt diese Binnenmarktkompetenz in der Handhabung der Vorschrift durch die Europäischen Institutionen einer Generalermächtigung zur Rechtsangleichung doch vergleichsweise nahe.38 Seinem funktionalen Ansatz entsprechend knüpft das Gemeinschaftsrecht „nicht an den handelnden Rechtssubjekten und ihren Motivationen, sondern an den von ihnen wahrnehmbar ausgeübten Tätigkeiten“ an.39 In den Fokus des gemeinschaftlichen und unionalen Sekundärrechts gerieten die Kirchen und sonstigen Religionsgemeinschaften dabei vornehmlich in ihrer Rolle als Arbeitgeber. In der Rs. Steymann40 ordnete der EuGH 1988 erstmals explizit die entgeltliche

36 Vgl. EuGH, Slg. 1986, S. 6159 (6172), Rn. 9 (Steymann): Es sei „vorab festzustellen, daß angesichts der Ziele der Gemeinschaft die Teilnahme an einer auf Religion oder einer anderen Form der Weltanschauung beruhenden Vereinigung nur insoweit in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt, als sie als Teil des Wirtschaftslebens im Sinne von Art. 2 EWG-Vertrag angesehen werden kann“. 37 Markus Möstl, Grenzen der Rechtsangleichung im europäischen Binnenmarkt, EuR 2002, S. 318. 38 Vgl. Christian Hillgruber, Die Verwirklichung des Binnenmarktes durch Rechtsangleichung – Gemeinschaftsziel und Kompetenz ohne Grenzen?, in: Rüdiger Krause/ Winfried Veelken/Klaus Vieweg (Hrsg.), Recht der Wirtschaft und der Arbeit in Europa, Gedächtnisschrift für Wolfgang Blomeyer, 2004, S. 597; Möstl (Fn. 37), S. 349; allgemeiner Thomas Oppermann/Claus Dieter Classen/Martin Nettesheim, Europarecht, 8. Aufl. 2018, § 32 II Rn. 8 ff. Ausgenommen von dieser Harmonisierungskompetenz sind lediglich die Bereiche des Steuerrechts und des Rechts der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 114 Abs. 2 AEUV). 39 Mückl (Fn. 33), S. 440. 40 EuGH, Slg. 1986, S. 1659 (1673), Rz. 14 (Steymann): Art. 2 EWG-Vertrag sei dahin auszulegen, „daß die Tätigkeiten der Mitglieder einer auf Religion oder einer anderen Form der Weltanschauung beruhenden Vereinigung im Rahmen der gewerblichen Tätigkeit dieser Vereinigung insoweit einen Teil des Wirtschaftslebens ausmachen, als

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Tätigkeit von Mitgliedern einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft für diese als Teil des Wirtschaftslebens i. S. d. Art. 2 EWGV ein. Jedenfalls insoweit unterfielen also Dienstnehmer und Mitarbeiter der Kirchen und sonstiger Religionsgemeinschaften schon dem Anwendungsbereich des Rechts der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.41 In gleicher Weise erstreckten sich die Gemeinschaftskompetenzen, insbesondere auf den Gebieten der Lohngleichheit von Mann und Frau und der Arbeitnehmerfreizügigkeit auch auf Bereiche kirchlichen Wirkens. Hinzu kam die Bildungspolitik, auf deren Gebiet die Gemeinschaft – von der Rechtsprechung des EuGH sekundiert – im Sachzusammenhang mit der Personenfreizügigkeit mehr und mehr Regelungszuständigkeiten für sich zu reklamieren begann, noch ehe ihr das Primärrecht begrenzte originäre Kompetenzen auf diesem Felde einräumte. In allen diesen Bereichen stellte sich alsbald die Frage nach einer gemeinschaftsrechtlichen Anerkennung und einem gemeinschaftsrechtlichen Schutz des Selbstbestimmungsrechts für Kirchen und Religionsgemeinschaften. Der Vertrag von Maastricht von 1992 dehnte die Tätigkeitsfelder der Gemeinschaft weiter aus, insbesondere in kultureller und sozialer Hinsicht; die ursprüngliche Beschränkung der Integration auf den Bereich bzw. Teilbereiche der Wirtschaft entfiel. Die Ausweitung der Gemeinschaftskompetenzen hatte zur Folge, daß religionsrechtliche Materien nicht mehr wie bis dahin allenfalls peripher tangiert, sondern teilweise durch verbindliche Vorgaben in Form von Richtlinien und Verordnungen mitgeregelt wurden. Als Beispiele können der Datenschutz, das Dienst- und Arbeitsrecht sowie der Feiertagsschutz, aber auch das Wohlfahrtsrecht, das Bildungsrecht, die Stellung der theologischen Fakultäten, das Medienrecht und das Steuerrecht angeführt werden. Hatte sich in den ersten drei Jahrzehnten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft das mitgliedstaatlich verfaßte Religions- und Staatskirchenrecht noch weitgehend als „gemeinschaftsfest“ erwiesen, so wurden danach zunehmend der kulturelle und auch der religiöse Bereich durch das Herstellen eines Bezugs zum Wirtschaftsleben in das Regelungsregime der Gemeinschaft einbezogen und die Religionsgemeinschaften „allein im säkularen Gehäuse ihres Handelns“ 42 erfaßt, ohne daß dabei die Eigenart des Religiösen und des auf sie bezogenen Rechts

die Leistungen, die die Vereinigung ihren Mitgliedern gewährt, als mittelbare Gegenleistung für tatsächliche und echte Tätigkeiten betrachtet werden können“. 41 Da als entgeltliche Tätigkeit schon die Verpflichtung zur Mitarbeit für „Kost und Logis“ zählt, fällt z. B. auch der „in einem Trappistenkloster mit der Wartung der Bierfässer betraute Bruder-Techniker“ in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts; so die Rechtsauffassung der Kommission, welcher der EuGH insoweit folgte; vgl. Sitzungsbericht, Rs. 196/87, S. 6164. Dagegen stellt das geistliche Amt mangels erforderlichen Wirtschaftsbezugs schon gar kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Unionsrechts dar; richtig Mückl (Fn. 33), S. 507 f. 42 Link (Fn. 24), S. 130 (136).

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auf Gemeinschaftsebene immer hinreichende Berücksichtigung gefunden hätte. Infolgedessen drohten „Friktionen der Einwirkung eines primär wirtschaftlich orientierten Rechts auf historisch-kulturell (und damit teilweise aber bei aller Verweltlichung des modernen Staates auch religiös) imprägnierte mitgliedstaatliche Rechtssysteme“,43 wie dies in besonderer Weise für das jeweilige Staatskirchenrecht gilt. Christoph Link brachte die sich aus dem Zusammentreffen von unterschiedlichen Sachlogiken folgenden Teilrechtsordnungen ergebende Problematik44 treffend auf den Punkt: „Wenn die Kirchen nur noch als Erbringer von Dienstleistungen, als Arbeitgeber, Datenempfänger oder beliebige Organisationen in den Blick kommen, gerät das Spezifische ihres Auftrags aus dem Blick, den sie gerade auch in diesen Funktionen wahrnehmen.“ 45

IV. Die europarechtliche Sicherung des mitgliedstaatlichen Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften durch Art. 17 Abs. 1 AEUV 1. Vorgeschichte Diese sich durch die Inanspruchnahme einer „mittelbaren Sachkompetenz“ 46 in religionsrelevanten Sachverhalten seitens der Gemeinschaft vollziehende Entwicklung löste bei den betroffenen Religionsgemeinschaften, aber auch bei den Mitgliedstaaten, bei denen weiterhin die Zuständigkeit für das Staatskirchenrecht lag, das Bedürfnis nach einem besonderen Schutz des in den Mitgliedstaaten jeweils anerkannten Sonderstatus von Kirchen und Religionsgemeinschaften auch im primären Gemeinschaftsrecht aus. So legten das Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 1995 zunächst eine „Gemeinsame Stellungnahme zum Verhältnis von Staat und Kirche im Blick auf die Europäische Union“ 47 und sodann ein gemeinsam verfaßtes „Memorandum zur Rechtsstellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften im Vertragswerk der Europäischen Union“ 48 vor, das die Mitwirkung

43 Christian Waldhoff, Die Zukunft des Staatskirchenrechts, in: Essener Gespräche 42 (2007), S. 55 (86). 44 Siehe dazu Christian Waldhoff, Kirchliche Selbstbestimmung und Europarecht, JZ 2003, S. 978 (981), der bezogen auf das Verhältnis von europäischem (Wirtschafts-) Recht und mitgliedstaatlichem Staatskirchenrecht von zwei sich überlagernden, aber sich nicht deckenden Querschnittsmaterien spricht. Im Anschluß an Waldhoff auch Mückl (Fn. 33), S. 412, 541. 45 Link (Fn. 42), S. 130 f. 46 Begriff nach Mückl (Fn. 33), S. 417, 427 ff., 541 f. und passim. 47 Vom 1.1995, abrufbar unter: www.dbk.de/fileadmin/redaktion/veroeffentlichun gen/gem-texte/GT_04.pdf (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 48 Von Juni 1995, abgedruckt in: Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Europa zusammenführen und versöhnen, 1996, S. 212 ff.

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der Kirchen und Religionsgemeinschaften bei der Entwicklung Europas einforderte und nach einer Sicherung der bestehenden staatskirchenrechtlichen Systeme auf Verfassungsebene in den Mitgliedstaaten verlangte.49 Diese Interventionen, von der deutschen Bundesregierung nachdrücklich unterstützt,50 zeitigten letztlich den gewünschten Erfolg: Mit der in der Schlußakte zum Vertrag von Amsterdam vom 2.10.1997, der am 1.5.1999 in Kraft trat, enthaltenen „Erklärung zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften“ fand die besondere Rechtsposition der Kirchen erstmals Anerkennung, wenn auch zunächst noch nicht im Vertragstext selbst. Dies sollte der Vertrag von Lissabon von 2007 nachholen; seit dessen Inkrafttreten am 1.12.2009 schreibt Art. 17 Abs. 1 AEUV wortlautgleich vor: „Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht.“ 2. Bedeutungsgehalt War schon die besagte, auf den Vertrag von Amsterdam bezogene Erklärung gemäß Art. 31 Abs. 2 WVRK bei der Auslegung des europäischen Primär- und Sekundärrechts als Interpretationshilfe heranzuziehen, so stellt Art. 17 AEUV für die Europäische Union unmittelbar bindendes Primärrecht dar. Die Vorschrift ist eine Konkretisierung der Verpflichtung der Union zur Achtung der nationalen Identität ihrer Mitgliedstaaten (Art. 4 Abs. 2 EUV; vormals: Art. 6 Abs. 3 EUV a. F.). Konnte die Kirchenerklärung von 1997 als Beleg dafür angeführt werden, daß das nationale Staatskirchenrecht integraler Bestandteil der nach der durch den Maastricht-Vertrag eingefügten Verbürgung des Art. 6 Abs. 3 EUV a. F. zu wahrenden nationalen Identität der Mitgliedstaaten war,51 so ist das Staat-Kirche-Verhältnis, das wie kein anderes mitgliedstaatliches Rechtsverhält49 Zur Absicherung der Rechtsposition der Kirchen und Religionsgemeinschaften im Gemeinschaftsrecht wurde im Memorandum die Aufnahme folgender Bestimmung in das Primärrecht vorgeschlagen: „Die Gemeinschaft achtet die verfassungsrechtliche Stellung der Religionsgemeinschaften in den Mitgliedstaaten als Ausdruck der Identität der Mitgliedstaaten und ihrer Kulturen sowie als Teil des gemeinsamen kulturellen Erbes.“ Zitiert nach Marcel Vacheck, Das Religionsrecht der Europäischen Union im Spannungsfeld zwischen mitgliedstaatlichen Kompetenzreservaten und Art. 9 EMRK, 2000, S. 128 f. 50 Zur maßgeblichen „deutschen Geburtshilfe“ siehe nur Vacheck (Fn. 49), S. 125 ff.; Bernd Grzeszick, Die Kirchenerklärung zur Schlußakte des Vertrags von Amsterdam. Europäischer Text, völkerrechtliche Verbindlichkeit, staatskirchenrechtlicher Inhalt, ZevKR 48 (2003), S. 284 (285 f.). 51 Überzeugende Begründung dieser Auslegung bei Waldhoff (Fn. 43), S. 55 (88 ff.); Stefan Mückl, Religions- und Weltanschauungsfreiheit im Europarecht, 2002, S. 25 f.; ders. (Fn. 33), S. 413 ff. Im Ergebnis auch Thomas Oppermann, Europarecht, 1999, § 4 II Rn. 208; Gerhard Robbers, Europarecht und Kirchen, HStKR I, 1994, § 9, S. 315 m.w. N.).

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nis durch nationale Besonderheiten in ihrer historisch-kontingenten Entwicklung geprägt ist, als wesentlicher Teilaspekt der nationalen Identität zehn Jahre später durch den Vertrag von Lissabon von 2007 im Kirchenartikel zum Gegenstand einer expliziten, separaten und besonderen Verbürgung geworden. Gleichzeitig ist das an die Union gerichtete Gebot der Achtung der nationalen Identität ihrer Mitgliedstaaten durch Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV n. F. auf deren „grundlegende politische und verfassungsmäßige Strukturen“ verengt worden. Ob davon noch das jeweilige Staatskirchenrecht mit erfaßt ist, ist zweifelhaft, aber angesichts der eigenständigen Statusgarantie in Art. 17 AEUV im Ergebnis auch nicht rechtserheblich. In und mit Art. 17 Abs. 1 AEUV erkennt die Europäische Union von Rechts wegen Kirchen und Religionsgemeinschaften „als Institutionen an und nimmt sie als eigenständige Größe an.“ 52 Die Vorschrift beinhaltet eine definitive Absage an eine europarechtliche Harmonisierung des Staatskirchenrechts. Aufgrund der Pflicht zur Achtung des Status, den Kirchen und Religionsgemeinschaften „in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften“ genießen, kann das Unionsrecht insoweit nur „ein Folgerecht nationaler Systementscheidungen“ sein.53 Wie kaum ein anderes Rechtsgebiet ist das Staatskirchenrecht durch die nationale Geschichte geprägt und damit selbst identitätsstiftend. Die Anerkennung der von Seiten der Union zu achtenden mitgliedstaatlichen Vielfalt der Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Kirchen sowie anderen religiösen Gemeinschaften schließt ebenso wie die von ihr zu achtende „Vielfalt der Religionen“ (Art. 22 GRCh) ein eigenständiges, durch Harmonisierung oder gar Vereinheitlichung erzeugtes europäisches Staatskirchenrecht, das die Unterschiede in den staatskirchenrechtlichen Systemen der Mitgliedstaaten zu nivellieren und Gleichartigkeit und Gleichförmigkeit herzustellen beabsichtigt, kategorisch aus.54 Doch darin erschöpft sich die Bedeutung der Vorschrift nicht. Sie fungiert darüber hinaus in erster Linie als struktursichernde Kompetenzausübungs-

52 Gerhard Robbers, Der Dialog zwischen der Europäischen Union und den Kirchen, in: Wilhelm Rees (Hrsg.), Recht in Kirche und Staat – Joseph Listl zum 75. Geburtstag, 2004, S. 753, bezogen auf Art. I-51 des Verfassungsvertragsentwurfs. Mückl (Fn. 33), S. 543: „als institutionelle Träger und legitime Repräsentanten ,ihrer‘ Religionen akzeptiert“. Zur Entstehungsgeschichte des Kirchenartikels in den Beratungen des Verfassungskonvents siehe Belafi (Fn. 22), S. 240 ff. 53 Mückl (Fn. 33), S. 566. 54 Vgl. nur Mückl (Fn. 33), S. 422, 504, 549. Es kann daher immer nur um Einwirkungen des Europarechts auf das jeweilige nationale Staatskirchenrecht, in diesem Sinne um dessen „Europäisierung“ gehen, aber nicht um ein genuines „europäisches Staatskirchenrecht“; daher ist die Begriffswahl bei Heinrich de Wall, Europäisches Staatskirchenrecht, ZevKR 24 (2000), S. 157 irreführend und unglücklich. Richtig Mückl (Fn. 33), S. 58, der „Perspektiven für das Staatskirchenrecht in der Europäischen Union (nicht: der Europäischen Union) aufzuzeigen“ versucht.

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schranke:55 Die Union darf in Wahrnehmung ihrer Zuständigkeiten und bei Ausschöpfung ihrer Handlungsbefugnisse nicht den Status der Kirchen nach nationalem Recht beeinträchtigen. Dieses Beeinträchtigungsverbot ist strikt und nicht abwägungsresistent.56 Umstritten ist, ob daraus nur ein der Unterlassungspflicht der Union korrespondierendes Abwehrrecht der Mitgliedstaaten gegen Art. 17 Abs. 1 AEUV verletzende Maßnahmen erwächst oder ob auch die Kirchen und sonstigen religiösen Vereinigungen oder Gemeinschaften, gestützt auf diese Vertragsbestimmung, ihren Status gegen Beeinträchtigungen seitens der Union verteidigen können.57 Positiv folgt aus der Vorschrift die Verpflichtung der Union, den besonderen Status der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften bei der Regelung und Anwendung allgemeinen, d. h. religions- bzw. kirchenunspezifischen Unionsrechts auf religions- bzw. kirchenrelevante Sachverhalte angemessen zu berücksichtigen. Das kann, ebenso wie die europarechtliche Garantie der Religionsfreiheit (Art. 10 Abs. 1 GRCh; Art. 6 Abs. 3 EUV i.V. m. Art. 9 EMRK), Sonder- oder Ausnahmeregelungen für Religionsgemeinschaften gebieten, sei es unmittelbar durch das Unionsrecht, sei es durch unionsrechtliche Ermächtigung der Mitgliedstaaten, solche selbst zu treffen. Art. 17 Abs. 1 AEUV beinhaltet insoweit ein Differenzierungsgebot zu Gunsten der Religionsgemeinschaften. Mit Art. 17 Abs. 1 AEUV wird nun allerdings nicht etwa das gesamte nationale Staatskirchenrecht in seinem Bestand gegen europarechtliche Veränderung oder Überlagerung garantiert; es wird keine, europäische Rechtsetzung auf diesem Feld ausschließende, neue Bereichsausnahme für das Staatskirchenrecht geschaffen.58 Gegen Beeinträchtigungen geschützt ist nur der besondere Status der Religionsgemeinschaften nach nationalem Recht. Dieser Status wird in Deutschland insbesondere durch das Selbstbestimmungsrecht aller Religionsgemeinschaften bestimmt, der ihre Unabhängigkeit vom Staat und gegenüber dem Staat gewährleistet, sowie durch den innegehabten oder erlangbaren Körperschaftsstatus geprägt (Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 3 u. 5 WRV). Schutzgegenstand ist aber 55 Claus Dieter Classen, in: Eberhard Grabitz/Meinhard Hilf/Martin Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 62. EL Juli 2017, Art. 17 AEUV Rn. 3 und 33, spricht von einer „negativen Kompetenznorm“. 56 So auch Classen (Fn. 55), Art. 17 AEUV Rn. 34. A. A. Dieter Kraus, in: Hans v. d. Groeben/Jürgen Schwarze/Armin Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 17 AEUV Rn. 19: nur „Schutz vor ungerechtfertigten Eingriffen“, was insbesondere bei unverhältnismäßigen Eingriffen der Fall sei. Die Zusage der Achtung solle nur ein rechtlich geschütztes Interesse begründen, das in die Abwägung mit gegenläufigen unionsrechtlich geschützten Interessen eingestellt werden muß. 57 Verneinend etwa Folz (Fn. 33), Art. 17 AEUV Rn. 2 u. 4; Stefan Muckel, Die Rechtsstellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften nach dem Vertrag über eine Verfassung für Europa, DÖV 2005, S. 191 (199). 58 Christian Walter, Religionsverfassungsrecht, 2006, S. 415 ff. zu Art. I-52 Verfassungsvertrag; Kraus (Fn. 56), Art. 17 AEUV Rn. 17.

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nicht nur das institutionelle Arrangement nach Maßgabe des nationalen staatlichen Rechts, sondern auch die statuskonforme Aktivität der Kirchen und Religionsgemeinschaften.59 Soweit der Rechtsstatus der Religionsgemeinschaften nach dem jeweiligen mitgliedstaatlichen Recht nicht betroffen ist und daher das Beeinträchtigungsverbot des Art. 17 Abs. 1 AEUV nicht greift, gewährt ihnen gegebenenfalls das Unionsgrundrecht der Religionsfreiheit in seiner korporativen Komponente als eine Art von Auffangtatbestand Schutz vor übermäßig die Erfüllung ihres Auftrags beeinträchtigenden unionalen Eingriffen und weist die Unionsgewalt insoweit in ihre Schranken. Der lange, eher „vordergründige Streit“ um die Erwähnung des christlichen Erbes oder eines Gottesbezuges in der Präambel des Verfassungsvertrages hatte überdeckt, daß die Kirchen von der Öffentlichkeit „nahezu unbemerkt“, zuerst im Verfassungsvertrag, sodann in dem dessen Substanz erhaltenden Vertrag von Lissabon, eine Absicherung ihres Status erreicht hatten, „was rechtlich wesentlich mehr zählt[e] als die bloße Erwähnung Gottes in der Präambel“.60 3. Bewährung Die Schutzbestimmung des Art. 17 Abs. 1 AEUV bzw. die ihr vorausgegangene Kirchenerklärung haben in der europarechtlichen Praxis im Zusammenhang mit der Antidiskriminierungspolitik der Union (vgl. Art. 10 und 19 AEUV; ex Art. 13 EG61), die die Religion als grundsätzlich verpöntes Diskriminierungsmerkmal qualifiziert, ihre „erste Bewährungsprobe bestanden“.62 So gestattet die durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)63 umgesetzte Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf 64 in Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 den Mitgliedstaaten Ausnahmen vom Verbot 59 So grundsätzlich auch Classen (Fn. 55), Art. 17 AEUV Rn. 30, der aber insoweit ein „restriktives Verständnis“ zugrunde legt, das deutlich enger als Art. 137 Abs. 3 WRV sein soll. Gegen eine solche Einengung mit Recht Christian Waldhoff, in: Christian Calliess/Matthias Ruffert, EUV/AEUV, 2016, Art. 17 AEUV Rn. 12; wohl auch Kraus (Fn. 56), Art. 17 AEUV Rn. 17. 60 So aus humanistischer Sicht das kritische Fazit zu den Religionsbestimmungen des Verfassungsvertrags von Johann Neumann, „Europas christliche Wurzeln“. Von der kontinuierlichen Wirksamkeit eines Mythos, in: Humanismus Aktuell 8 (2004), H. 15, S. 81 (82). 61 Dies sind – abgesehen von der Grundrechtecharta, die die Religionsfreiheit (Art. 10 GRCh), ein Verbot der Diskriminierung wegen der Religion (Art. 21 GRCh) und ein Achtungsgebot hinsichtlich der Vielfalt der Religionen (Art. 22 GRCh) beinhaltet – die einzigen primärrechtlichen Bestimmungen mit ausdrücklichem Religionsbezug. 62 Grzeszick (Fn. 50), S. 296 im Anschluß an Heinrich de Wall, Neue Entwicklungen im Europäischen Staatskirchenrecht, ZevKR 47 (2002), 205 (211). 63 Art. 1 des Gesetzes vom 14.8.2006, BGBl. I S. 1897. Siehe insbesondere § 9 AGG. 64 ABl. Nr. L 303 S. 16.

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der Diskriminierung wegen der Religion, wenn die Religion einer Person nach der Art der von ihr zu verrichtenden Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Kirche oder einer sonstigen öffentlichen oder privaten Organisation darstellt. Ferner können die Kirchen und andere öffentliche oder private Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, im Einklang mit den einzelstaatlichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Rechtsvorschriften von den für sie arbeitenden Personen verlangen, daß sie sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos der Organisation verhalten (Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2). Damit sind die besonderen Loyalitätsanforderungen, die Kirchen nach dem nationalen deutschen Arbeitsrecht an ihre Mitarbeiter von Verfassungs wegen stellen dürfen65, auch europarechtlich – jedenfalls dem Grunde nach – akzeptiert. Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG gewährt – im Licht des Erwägungsgrundes 24 und des jetzigen Art. 17 Abs. 1 AEUV – den Mitgliedstaaten den nötigen Freiraum, um das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und der anderen Religionsgemeinschaften nach Maßgabe des einschlägigen nationalen Rechts zu wahren. Die Vorschrift „ermöglicht damit insbesondere, das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften zum zentralen Element des Rechtfertigungstatbestands zu machen. Das deutsche kirchliche Arbeitsrecht als Ausprägung des nach Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV geschützten Selbstverwaltungsrechts der Kirchen wird durch die Richtlinie 2000/ 78/EG geachtet und nicht beeinträchtigt.“ 66 Der Ausnahmetatbestand des Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG schließt die bestehenden Loyalitätspflichten aller kirchlichen Mitarbeiter zu einem bloßen Tendenzschutz für bestimmte, tendenzrelevante Tätigkeiten von Geistlichen und leitenden Mitarbeitern kirchlicher Einrichtungen aus.67 Es bleibt bei selbstbestimmter Personalauswahl nach Maßgabe selbstbestimmter Kriterien. 65

Siehe BVerfGE 70, 138; 137, 273 – Chefarztfall. Gregor Thüsing, Grund und Grenzen der besonderen Loyalitätspflichten des kirchlichen Dienstes – Gedanken zu den verfassungsrechtlichen Garantien und europarechtlichen Herausforderungen, in: Essener Gespräche 46 (2011), S. 129 (132–149, 163); Christoph Link, Antidiskriminierung und kirchliches Arbeitsrecht, in: Rüdiger Krause/ Winfried Veelken/Klaus Vieweg (Hrsg.), Recht der Wirtschaft und der Arbeit in Europa. Gedächtnisschrift für Wolfgang Blomeyer, 2004, 675 (684–686). Einschränkend Matthias Triebel, Das europäische Religionsrecht am Beispiel der arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG, 2005, S. 81 ff., 135 ff.; Classen (Fn. 55), Art. 17 AEUV Rn. 60–62. Zu Recht sehen Michael Germann/Heinrich de Wall, Kirchliche Dienstgemeinschaft und Europarecht, in: Rüdiger Krause/Winfried Veelken/Klaus Vieweg (Hrsg.), Recht der Wirtschaft und der Arbeit in Europa. Gedächtnisschrift für Wolfgang Blomeyer, 2004, S. 549 (575), mit dem Verweis auf das „Ethos“ den „Bezug zum Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft hergestellt“. 67 Eine „katholische Priesterin kraft europäischen Rechts“ (vgl. Waldhoff [Fn. 44], S. 978, 979) ist dagegen schon wegen der geistliche Ämter a limine nicht erfassenden, begrenzten Reichweite des Primärrechts ausgeschlossen; siehe Mückl (Fn. 33), S. 508 Fn. 160. 66

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V. Der Schutz der Religionsfreiheit im Recht der Europäischen Union Zu dem status negativus der Kirchen innerhalb der Europäischen Union gehört die Respektierung der Religionsfreiheit in ihrer kollektiven Dimension gemäß Art. 10 der Grundrechtecharta, der gemäß Art. 52 Abs. 3 Grundrechtecharta die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie der korrespondierenden Konventionsgarantie des Art. 9 EMRK zukommt.68 Die Bestimmung des Art. 9 Abs. 1 EMRK gewährleistet die Religionsfreiheit in einem umfassenden Sinne. Ihr Schutz geht über die Gewissensfreiheit im Sinne des forum internum hinaus und erfaßt auch die Religionsausübung in Wort und Tat. Art. 9 EMRK zählt bestimmte Ausübungsmodalitäten (Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten) auf.69 Die Aufzählung der Garantiegehalte in Art. 9 Abs. 1 EMRK ist, wie die authentische englische und französische Fassung verdeutlichen („this right includes“; „ce droit implique“) nicht abschließend. Art. 9 EMRK dürfte alle religiös determinierten Praktiken erfassen, auch soweit sie nicht dem Kult zugerechnet werden können, sondern Teil der allgemeinen Lebensführung sind.70 Die Anerkennung auch korporativer Religionsfreiheit als Ausfluß individueller, in Gemeinschaft ausübbarer Religionsfreiheit71 hat sich erst in den letzten beiden Jahrzehnten in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für

68 Siehe dazu EuGH (GK), Urt. v. 5.9.2012, C-71/11 (Y/Deutschland und Z/Deutschland), Rz. 56. Der Gerichtshof leitet in dieser Entscheidung aus der Reichweite der Religionsfreiheit nach Art. 10 GRCh, die sich auch auf die religiöse Betätigung in der Öffentlichkeit erstreckt, ab, daß zu den Handlungen, die eine „schwerwiegende Verletzung“ im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304, S. 12) darstellen können, nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Kreis zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben, gehören. 69 Der EGMR sieht als „fundamental aspects of religious practice“ u. a. „the right to establish places of worship, the right to hold religious services in places accessible to the public, the right to produce, obtain and distribute religious literature, the right to create educational institutions, and the right to maintain contacts for international exchanges and conferences“ an; siehe EGMR, NJOZ 2011, S. 1501, Tz. 102 (Zeugen Jehovas von Moskau/Rußland). 70 So auch Christoph Grabenwarter, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Art. 9 Rn. 49, 52. 71 Siehe dazu näher Grabenwarter (Fn. 70), Art. 9 Rn. 43, 62; Christian Walter, Religions- und Gewissensfreiheit, in: Oliver Dörr/Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG. Konkordanzkommentar, 2. Aufl. 2013, Kap. 17 Rn. 92.

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Menschenrechte durchgesetzt.72 Mittlerweile besteht kein Zweifel mehr daran, daß auch die korporative Religionsfreiheit durch Art. 9 EMRK, im Licht der Vereinigungsfreiheit nach Art. 11 EMRK betrachtet, geschützt wird, weil in Anbetracht der Tatsache, „that religious communities traditionally and universally exist in the form of organised structures“, nur so individuelle Religionsfreiheit effektiv gewährleistet werden kann: „the believers’ right to freedom of religion encompasses the expectation that the community will be allowed to function peacefully, free from arbitrary State intervention. Indeed, the autonomous existence of religious communities is indispensable for pluralism in a democratic society and is thus an issue at the very heart of the protection which Article 9 affords. It directly concerns not only the organisation of the community as such but also the effective enjoyment of the right to freedom of religion by all its active members. Were the organisational life of the community not protected by Article 9 of the Convention, all other aspects of the individual’s freedom of religion would become vulnerable.“73 Bezugspunkt bleibt dabei aber die individuelle Religionsfreiheit, deren Verletzung durch Missachtung ihres Selbstorganisationsrechts die Beschwerdeführer als natürliche Personen und aktive Mitglieder der betroffenen Religionsgemeinschaft geltend machen können. Die Erweiterung des Schutzbereichs auf korporative Aspekte steht insofern ganz im Dienst der individuellen Religionsfreiheit.74 Art. 9 Abs. 1 EMRK wird dadurch zwar mittelbar bereits zu einer institutionell wirksamen Gewährleistung der Religionsfreiheit in Gestalt eines organisatorischen Zusammenschlusses zu einer Religionsgemeinschaft, deren geschütztes Wirken als Ausfluß gemeinschaftlicher Ausübung individueller Religionsfreiheit aber über die Durchführung von Gottesdiensten, Abhaltung von Unterricht und Ausübung religiöser Gebräuche noch nicht hinausgeht. Von dieser Anerkennung organisierter Religionsgemeinschaften als annexhaftem Bestandteil der individuellen Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK zu trennen ist die Frage, ob die Religionsgemeinschaften sich selbst auf diese Garantie zur Verteidigung eines ihr zustehenden Selbstverwaltungsrechts berufen können und selbst in der Lage sind, als nichtstaatliche Organisationen nach Art. 34 EMRK Individualbeschwerde zu erheben. Die vormalige Europäische Kommission für 72 Zur Entwicklung der Rechtsprechung siehe Heinrich de Wall, Von der individuellen zur korporativen Religionsfreiheit die Rechtsprechung des EGMR, in: Joachim Renzikowski (Hrsg.), Die EMRK im Privat-, Straf- und Öffentlichen Recht, 2004, S. 237; Christoph Grabenwarter, Die korporative Religionsfreiheit nach der Menschenrechtskonvention, in: Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat. Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag, 2003, S. 147. 73 EGMR (GK) RJD 2000-XI, 117, Tz. 62 (Hasan u. Shaush/Bulgarien); EGMR, KirchE-EU 42 (2007), S. 565, Tz. 118 (Metropolitankirche von Bessarabien u. a./Moldawien); EGMR, NJOZ 2011, S. 1501, Tz. 99 (Zeugen Jehovas von Moskau u. a./Russland). 74 So auch Grabenwarter (Fn. 70), Art. 9 Rn. 64; Walter (Fn. 70), Rn. 92.

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Menschenrechte war noch davon ausgegangen, daß die von einer verfaßten Religionsgemeinschaft erhobene Individualbeschwerde als eine für ihre Mitglieder („on behalf of its members“) erhobene Beschwerde anzusehen sei. Der Religionsgemeinschaft stünden die Rechte aus Art. 9 EMRK „in its own capacity as a representative of its members“ zu.75 Dies konnte eigentlich nur so verstanden werden, als daß Religionsgemeinschaften berechtigt sein sollten, fremde, nämlich den Gemeinschaftsmitgliedern selbst zustehende Rechte im Individualbeschwerdeverfahren im eigenen Namen geltend zu machen, obwohl die EMRK keine Prozessstandschaft vorsieht. Der Gerichtshof verwendet die Formel „on behalf of . . .“ weiterhin, sieht aber nun die Religionsgemeinschaft selbst jedenfalls als „an applicant for the purposes of Article 34 of the Convention“ an.76 Auch öffentlich-rechtlich verfaßte, aber keine Staatsgewalt ausübende Religionsgemeinschaften sind als Nichtregierungsorganisationen im Sinne dieser Bestimmung anzusehen und damit individualbeschwerdeberechtigt.77 Integraler Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK („Autonomie“) ist zunächst die religiöse Vereinigungsfreiheit, also das Recht, eine Religionsgemeinschaft zu gründen, um der gemeinsamen Religionsausübung einen festen organisatorischen Rahmen zu geben.78 Zur korporativen Religionsfreiheit zählt sodann das Recht zur Selbstorganisation, insbesondere die freie Entscheidung über die eigene Leitungsstruktur, in die sich der Staat grundsätzlich nicht einzumischen hat. Kraft ihrer strukturellen Autonomie ist eine Religionsgemeinschaft frei, ihren Religionsführer, die Geistlichen und die Mitglieder ihrer entscheidungsbefugten Organe nach ihren eigenen gemeinschaftsinternen Regeln zu bestimmen (Ämterautonomie).79 Im Übrigen wird man jedenfalls einen Kern kirchlicher Selbstbestimmung als von der korporativen Religionsfreiheit mit umfaßt und mit geschützt ansehen können,80 ohne daß diese soweit reichen dürfte wie nach deutschem Verfassungsrecht.81, 82 75 EGMR DR 16, 68 (70) 1979 (X und Church of Scientology/Schweden); EGMR DR 25, 105 (117) (Omkarananda und Divine Light Centrum/Schweiz); ablehnend noch EGMR, YB 12 (1969), S. 306 (314) (Church of X/Vereinigtes Königreich). 76 EGMR (GK), ÖJZ 2001, S. 774 (Cha’are Shalom ve Tsedek/Frankreich); EGMR, KirchE-EU 42 (2007), S. 565, Tz. 101 (Metropolitankirche von Bessarabien u. a./Moldawien); EGMR, NVwZ 2010, S. 177, Tz. 79 (Leela Förderkreis e.V. u. a./Bundesrepublik Deutschland). 77 Siehe EGMR, ÖJZ 1995, S. 428 (Heilige Klöster/Griechenland). 78 Siehe dazu nur Grabenwarter, (Fn. 70), Art. 9 Rn. 62. 79 EGMR, KirchE 48 (2010), S. 237, Tz. 58 (Agga/Griechenland); EGMR, NVwZ 2010, S. 1541 (Mirolubovs u. a./Lettland). 80 So auch Germann/de Wall (Fn. 66), S. 575; Link (Fn. 66), S. 680 m.w. N. in Fn. 13. Aus der europarechtlichen Literatur siehe nur Norbert Bernsdorff, in: Jürgen Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2011, Art. 10 Rn. 13. 81 Danach umfaßt das kirchliche Selbstbestimmungsrecht „alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirch-

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„Insofern ist die kirchliche Selbstbestimmung auch vor Rechtsakten der Gemeinschaftsorgane [Unionsorgane; C. H.] geschützt.“ 83 Da dieser unionsgrundrechtliche Schutz durch die Religionsfreiheit nicht umfassend ist, kommt der Statusgarantie nach Art. 17 Abs. 1 AEUV eigenständige, ergänzende und den Schutz vervollständigende Bedeutung zu.84 Jenseits der verbindlichen Vorgabe gleicher Religionsfreiheit für alle Individuen und Gemeinschaften und des flankierenden besonderen Verbots der Diskriminierung wegen der Religion (Art. 21 Abs. 1 GRCh), die jeweils die Union und die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts binden (Art. 51 Abs. 12 GRCh), ist die Regelung des Verhältnisses von Staat und Religion/Kirche konventions- und damit auch unionsrechtlich nicht weiter determinierte Sache des jeweiligen Mitgliedstaates.85 „In einem so konstituierten gesamteuropäischen Haus gibt es viele Wohnungen, auch für verschieden akzentuierte staatskirchenrechtliche Systeme.“ 86 Art. 22 GRCh bestätigt indirekt diesen Befund, wenn lichen Grundauftrag dienen. Die Formulierung des kirchlichen Proprium obliegt allein den Kirchen und ist als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich geschützt“; BVerfGE 137, 273 (274 LS 2). Auch das BVerfG geht aber wohl nicht von einer vollständigen Deckungsgleichheit von korporativer Religionsfreiheit und Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften aus, sondern nur von einer partiellen „Überlagerung der Schutzbereiche“. BVerfGE 137, 273 (LS 1). Die Garantie freier Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten ist zwar an sich eine „rechtlich selbständige Gewährleistung, die der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgesellschaften (Art. 4 Abs. 2 GG) die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerläßliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt“ (BVerfGE 72, 78 [289] – Hervorhebung C. H.), soweit in Art. 4 GG „die gemeinsame Bekenntnis- und Kultfreiheit, einschließlich ihrer Ausübung im Bekenntnis und im Kult innerhalb der organisierten Kirche, als Grundrecht garantiert ist“, d. h. in diesem „Teilaspekt“ bildet das Statusverhältnis einen integrierenden Bestandteil des Grundrechts der Religionsfreiheit (BVerfGE 42, 312 [322]). 82 Wie hier auch Thüsing (Fn. 66), S. 150 f. 83 Germann/de Wall (Fn. 66), S. 576 m.w. N. in Fn. 74. 84 Wie hier Stefan Muckel, in: Peter J. Tettinger/Klaus Stern (Hrsg.), Kölner Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechte-Charta, 2006, Art. 10 Rn. 41–48; Mückl (Fn. 33), S. 456 f., nimmt dagegen für die Kirchenerklärung von 1997 – für den Kirchenartikel des Art. 17 Abs. 1 AEUV dürfte nichts anderes gelten – gewissermaßen umgekehrt „eine interpretationsverstärkende Wirkung“ im Hinblick auf das Grundrecht der Religionsfreiheit an, die ihr auch eine korporative Komponente verleihen soll; diese dürfte aber über den für ihre geistliche Sendung schlechthin unverzichtbaren Kern eines Selbstbestimmungsrechts nicht hinausgehen. Folz (Fn. 33), Art. 17 AEUV Rn. 4 nimmt an, daß im Rahmen der Rüge einer Verletzung der Religionsfreiheit nach Art. 10 der Grundrechte-Charta Kirchen geltend machen können, „daß die Union ihre objektiven Verpflichtungen aus Art. 17 AEUV mißachtet habe“. 85 Vgl. EGMR, DVBl. 2006, S. 167 (Leila Sahin/Türkei): „Where questions concerning the relationship between State and religions are at stake, on which opinion in a democratic society may reasonably differ widely, the role of the national decisionmaking body must be given special importance.“ 86 Mückl (Fn. 33), S. 569.

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er noch einmal ausdrücklich eine objektivrechtliche Pflicht der Union zur Achtung der Vielfalt der Religionen und damit auch notwendig der Gemeinschaften, in denen sie ja organisiert sind, begründet.87

VI. Die Europäische Union und die Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften als Dialogpartner 1994 etablierte Jacques Delors als damaliger Kommissionpräsident erst formelle Kontakte der europäischen Institutionen mit den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.88 Seine Initiative „Eine Seele für Europa“ („Une âme pour l’Europe“) reagierte auf ein erkanntes Defizit des europäischen Integrationsprozesses, der über seine bisherige, rein wirtschaftliche und rechtliche Ausrichtung hinaus ethische und spirituelle Dimensionen einbeziehen und dadurch geistig vertiefen sollte. Das deckte sich mit Forderungen der Kirchen nach einer engen Zusammenarbeit der europäischen Organe mit ihnen. Namentlich die Kirchen in Deutschland wollten angesichts der Übertragung zahlreicher, die Kirchen und ihre Interessen berührende Regelungszuständigkeiten auf die Europäische Union den in Deutschland gepflegten verlässlichen Austausch mit den Regierungen auf die Ebene der Union übertragen. Ging es der Gemeinschaft/Union dabei in erster Linie darum, den Integrationsprozess ethisch zu unterfangen und so zu stabilisieren, so versprachen sich die Kirchen und sonstigen Religionsgemeinschaften davon vor allem ein Forum, auf dem sie ihre spezifischen Anliegen artikulieren und zur Geltung bringen und die europäische Rechtspolitik und Rechtsetzung in ihrem Sinne beeinflussen können. So begann ein Dialog, der allmählich Form annahm. 2003 wurde eine Reflexionsgruppe eingesetzt, die über die für den Fortgang der europäischen Integration bedeutsame spirituelle und kulturelle Dimension Europas nachdenken sollte.89 Die Kirchen aber forderten mehr: „Eine verfassungsmäßige Basis für Konsultationen und strukturierten Dialog.“ 90 Nachdem der Verfassungsvertrag, der eine

87 Die Erläuterungen des Präsidiums des Grundrechtekonvents zur Charta der Grundrechte (2007/C 303/02), ABl. EU vom 14.12.2007, C 303/17, heben, bezogen auf Art. 22 GrCH, insoweit den Zusammenhang mit Art. 17 AEUV hervor (C 303/25). 88 Michael Weninger, Der Dialog zwischen der Europäischen Kommission und den Religionen und Kirchen, in: Severin Lederhilger (Hrsg.), Gottesstaat oder Staat ohne Gott: Politische Theologie in Judentum, Christentum und Islam, 2002, S. 131 (133). 89 Der Abschlußbericht ist online abrufbar unter: www.ec.europa.eu/research/socialsciences/pdf/other_pubs/michalski_091104_report_annexes_en.pdf (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 90 Vgl. zu entsprechenden Forderungen der evangelischen KEK, Pressemitteilung der EKD vom 25.10.2002, Kirchen in Europa wollen strukturierten Dialog mit EU-Institutionen, abrufbar unter: www.ekd.de/presse/pm133_2002_dialog_kek_eu.html (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020).

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solche Rechtsgrundlage schaffen sollte (Art. I-52 Abs. 3), an negativ ausgegangenen Referenden in Frankreich und den Niederlanden scheiterte, machte erst der Vertrag von Lissabon auf der Ebene des Primärrechts mit Art. 17 Abs. 3 AEUV den bereits aufgenommenen Dialog zwischen der Union und den Kirchen zu einer Rechtspflicht.91 Die mit diesem Dialog geschaffene, kontinuierlich begleitende Verfahrensbeteiligung dient nicht zuletzt dazu, die besonderen Belange der Kirchen und Religionsgemeinschaften zu identifizieren, deren Berücksichtigung bei der europäischen Rechtssetzung Art. 17 Abs. 1 AEUV gebietet.92 Er betrifft aber auch die Fortentwicklung der Union in ihren religionsspezifischen und werthaften Bezügen. Tatsächlich organisieren die europäischen Institutionen auf der genannten normativen Basis Dialogsitzungen mit Vertretern der christlichen Kirchen, muslimischen Gemeinschaften und dem Europäischen Jüdischen Kongress. Im Jahr 2013 veröffentlichte die Kommission Leitlinien für die Umsetzung des Dialogs, die diesen Rahmen und den Gesprächspartnern eine Orientierung hinsichtlich der geplanten Umsetzung des Art. 17 Abs. 3 AEUV geben sollen. In diesen Leitlinien wird u. a. bestimmt, daß die Themen des Dialogs mit der EUAgenda in Verbindung stehen und von beiden Seiten vereinbart werden müssen, daß die teilnehmenden Organisationen auf nationaler Ebene anerkannt oder registriert sein müssen und sich den europäischen Werten verpflichtet fühlen müssen. Teilnehmenden Kirchen oder Gemeinschaften wird zudem nahe gelegt, sich beim Europäischen Transparenzregister anzumelden. Die Umsetzung von Art. 17 AEUV durch das Europäische Parlament liegt in der Verantwortung eines seiner Vize-Präsidenten. Unterstützt wird der zuständige Vizepräsident dabei vom Sekretariat des Präsidiums und anderen zuständigen Dienststellen des Parlaments. Das Parlament veranstaltet jedes Jahr mehrere hochrangige Konferenzen für alle Dialogpartner zu relevanten Themen und Fragestellungen im Zusammenhang mit der laufenden Parlamentsarbeit und -debatte. Mit Art. 17 Abs. 3 AEUV verpflichtet sich die Europäische Union zu einem „offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog“ mit den Kirchen und religiösen Gemeinschaften; die Verpflichtung zu „einer formellen Kooperation“ 93 trifft die einzelnen Unionsorgane im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten. Die flexible Bestimmung läßt – wohl bewußt – offen, welchen Inhalt der Dialog haben soll, zwischen welchen konkreten Partnern – auf Unions- wie auf Kirchenebene –, in welcher Art und Weise er durchgeführt werden soll und in welcher

91 92 93

Siehe Mückl (Fn. 33), S. 458: „Pflicht zum institutionalisierten Dialog“. Folz (Fn. 33), Art. 17 AEUV Rn. 2; ähnlich Mückl (Fn. 33), S. 458. Mückl (Fn. 33), S. 528.

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Frequenz er zu führen ist. Das alles sollte sich offenbar in Aushandlungsprozessen in der Praxis konsensual einspielen,94 und es hat sich auch tatsächlich eine Übung herausgebildet und so der Dialog mittlerweile Struktur gewonnen. Jährlich treffen sich hochrangige Vertreter von Kirchen und anderen religiösen Gemeinschaften mit Vertretern der EU-Institutionen. Die Zusammenkünfte werden von den jeweiligen Kommissionpräsidenten und EU-Ratspräsidentschaften organisiert. Daneben gibt es Zusammenkünfte mit dem Europäischen Parlament. Als Interessenvertreter der Belange christlicher Kirchen und Religionsgemeinschaften auf der Europäischen Ebene treten insbesondere die Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (Commissio Episcopatuum Communitatis Europaeensis – COMECE) und die Kommission für Kirche und Gesellschaft der Konferenz der Europäischen Kirchen (CEC) auf, die auch protestantische, anglikanische, orthodoxe und altkatholische Kirchen einschließt. Dialog setzt Dialogbereitschaft, d. h. Gesprächs- und Ergebnisoffenheit auf beiden Seiten, und den Willen voraus, einander zuzuhören, sich aufeinander zuzubewegen und sich um Verständigung zu bemühen.95 Dialog ist zwar mehr als eine völlig unverbindliche Kommunikation; aber selbst eine im Dialog erzielte Verständigung vermag die rechtliche Entscheidungsfreiheit der Unionsorgane nicht zu beschränken. Andererseits muß der Dialog, um diesen Namen zu verdienen, den Kirchen „die Möglichkeit geben, sich mit ihren konkreten Anliegen zu selbstgewählten Themen einbringen zu können“ und nicht nur zu von der Union vorgegebenen Themen im Sinne einer Anhörung Stellung beziehen zu können.96 Außerdem müssen die Kirchen und Religionsgemeinschaften ihre in den Dialog zu entsendenden offiziellen Repräsentanten selbst bestimmen dürfen. Dialog setzt auch Wissen voraus, was eine offene Informationspolitik, d.h. die wechselseitige Zugänglichkeit aller relevanten Informationen impliziert.97 Tatsächlich stellt die Kommission alle wichtigen Informationen über ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Dialog ins Internet. Die Anforderung der Transparenz verlangt Klarheit, Deutlichkeit, Erkennbarkeit, Nachvollziehbarkeit des Dialogs und Regelhaftigkeit der Gesprächsbedingungen, auch für außenstehende Dritte, Regelmäßigkeit verlangt eine „Konstanz der Gesprächsführung“.98 94 Muckel (Fn. 57), DÖV 2005, S. 198, nimmt zutreffend an, daß sich Ausgestaltung und Ablauf des Dialoges im Einvernehmen zwischen den Organen der Union und den Rechtsgemeinschaften ergeben soll. 95 Robbers (Fn. 52), S. 755. Nach Axel v. Campenhausen/Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, § 40 VII, S. 367 kann der Dialog helfen, daß „Spannungen gelöst werden, die unvermeidlich bestehen“. 96 Belafi (Fn. 22), S. 266. 97 Robbers (Fn. 52), S. 756. 98 Ebd.

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Wenn auch auf Seiten der Union – schon der Einfachheit halber, aber möglicherweise auch mit Rücksicht auf eine falsch verstandene religiöse Neutralität – der Wunsch vorherrschen dürfte, mit allen relevanten Kirchen und Religionsgemeinschaften einen einheitlichen Dialog zu führen, so ist doch gerade wegen der „Anerkennung ihrer Identität“ (Plural!), jedenfalls bei Bedarf und Nachfrage, grundsätzlich auch einzelnen Kirchen und Religionsgemeinschaften der Kontakt zu den europäischen Institutionen zwecks Pflege eines Dialogs zu eröffnen. Daß Belange der Kirchen und Religionsgemeinschaften auf der europäischen Ebene wohl nur dann geeignet sind, ein die Rechtsetzung beeinflussendes Potential zu entfalten, wenn sie gemeinschaftlich und einheitlich artikuliert werden, steht auf einem anderen Blatt. Art. 17 Abs. 3 AEUV ist lex specialis gegenüber Art. 11 Abs. 2 EUV. Zwar gelten für den Dialog der Organe der Union mit den repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft dieselben Grundsätze wie für den Dialog mit den Kirchen und Religionsgesellschaften. Doch mit der eigenständigen Garantie des letztgenannten Dialogs verbindet sich dessen Selbständigkeit in Anerkennung des Umstands, daß die Kirchen und Religionsgemeinschaften „nicht Verbände unter Verbänden sind, daß Religion eine besondere Stellung besitzt und nicht lediglich partikulares Interesse neben anderen partikularen Interessen ist“.99 Dies kommt darin zum Ausdruck, daß die Union diesen Dialog „in Anerkennung der Identität und des besonderen Beitrags dieser Kirchen und Religionsgemeinschaften“ führt (Art. 17 Abs. 3 AEUV). Hiermit macht das Unionsrecht selbst den Grund für seine Unterscheidung von Kirchen und Zivilgesellschaft explizit.100 Die Bezugnahme verweist auf das Selbstverständnis der Kirchen, die sich nicht bloß als einer unter vielen Akteuren der Zivilgesellschaft versteht und einordnet, sondern als Repräsentanten einer göttlichen Transzendenz mit universalem und ubiquitärem Geltungsanspruch begreift. Aus diesem religiösen Proprium ergibt sich zugleich ihr besonderer Beitrag für das Zusammenleben in der – auch politischen – Gemeinschaft, auch wenn dieser Beitrag in der Vorschrift nicht näher spezifiziert wird. Es dient diesem Beitrag, wenn der Dialog „auch Fragen nach dem Sinn, der geistigen Orientierung und der ethischen Dimension der europäischen Einigung sowie der in ihrem Zusammenhang entwickelten Politiken zur Sprache bringt“.101

99 Ebd. Auch das Weißbuch der Kommission „Europäisches Regieren“ vom 25.7. 2001, KOM (2001), 426 endg., erkennt den Kirchen und Religionsgemeinschaften eine besondere Rolle innerhalb der Zivilgesellschaft zu. A. A. Matthias Triebel, Der Verfassungsartikel im Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents, ZevKR 49 (2004), S. 644 (647, 651 f.). 100 Ebenso Belafi (Fn. 22), S. 262. 101 Thomas Jansen, Der europäische Integrationsprozess als Herausforderung für Religionsgemeinschaften, ÖARR 46 (1999), S. 71 (81).

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Daß aus dem institutionalisierten Dialog der Union mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften auch einmal vertraglich ausgestaltete Beziehungen hervorgehen könnten, ist europarechtlich nicht ausgeschlossen, europapolitisch aber schon wegen der Paritätsproblematik unwahrscheinlich.102

VII. Fazit Die Einwirkungen des Gemeinschafts- bzw. Unionsrechts auf das mitgliedstaatliche Staatskirchenrecht sind insgesamt doch eher geringfügig geblieben und haben schon gar nicht dessen Grundgefüge tangiert.103 Zudem ist durch die Entwicklung, die das Europarecht spätestens mit dem Vertrag von Lissabon mit seinem Kirchenartikel (Art. 17 AEUV) und in der Inkorporation der Grundrechtecharta in das Primärrecht (Art. 6 Abs. 1 EUV) genommen hat, die für die Identität der Kirchen und Religionsgemeinschaften wie die Religionsfreiheit ihrer Mitglieder gleichermaßen relevante „Problematik eines Europarechts, das die Kirchen weniger in ihrer Kirchlichkeit, sondern eher als Wirtschaftssubjekte zur Kenntnis nimmt“,104 wesentlich entschärft worden. Die ursprüngliche Religions- und Kirchenblindheit ist einer begrenzten Sensibilität in diesen Fragen gewichen. Die Berücksichtigung von Besonderheiten des Religiösen, individuell wie institutionell, geschieht dabei zumeist durch Sonder- oder Ausnahmebestimmungen im einschlägigen Sekundärrecht. Sie zeigen, daß das Unionsrecht „zur partiellen Zurücknahme seines allgemeinen Geltungsanspruchs im Hinblick auf die Kirchen und Religionsgemeinschaften bereit und in der Lage“ ist.105 Auch wenn sich mit Recht kritisieren läßt, daß „dieser Mechanismus doch weit mehr pragmatisch denn systematisch“ ist,106 wird man andererseits mit von Campenhausen und de Wall mittlerweile doch feststellen können: „Die Grundsätze des europäischen Religionsrechts bieten eine tragfähige Grundlage, um den erreichten Standard der Freiheit der Religionsausübung in indivi102

Siehe dazu Mückl (Fn. 33), S. 499 ff., 562. Mückl (Fn. 33), S. 551 f., 561 f. Gerade deshalb erscheint selbst die Annahme, es gebe so etwas wie „eine Art europäisches ,Rahmenrecht‘ für das jeweilige mitgliedstaatliche Staatskirchenrecht“ (ebd., S. 567) m. E. zu weitgehend. Es gibt tatsächlich nur bereichsspezifische Einwirkungen des europäischen Rechts, und selbst diese sind nur punktueller Natur. 104 Paul Kirchhof, Der unverzichtbare Kern des deutschen Staatskirchenrechts und seine Perspektive im EU-Gemeinschaftsrecht, in: Axel v. Campenhausen (Hrsg.), Deutsches Staatskirchenrecht zwischen Grundgesetz und EU-Gemeinschaft, 2003, S. 147 (155). Dort auch eine scharfe Kritik eines „logische[n] Fehler[s]“: „Das Europarecht versteht die Regelung von Kirchen- und Religionsangelegenheiten nicht als wirtschaftserhebliches Kirchenrecht, sondern als kirchenerhebliches Wirtschaftsrecht.“ 105 Mückl (Fn. 33), S. 476. 106 Mückl (Fn. 33), S. 475, der pro futuro fordert, „aus dem vorhandenen normativen Bestand – der Ausnahmen von der Regel formuliert – eine praktikable, übergreifende Regel selbst zu entwickeln“. 103

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dueller, kollektiver und korporativer Hinsicht auch auf europäischer Ebene zu schützen und fortzuentwickeln.“ 107 Ob dadurch die christlich geprägte europäische Kulturordnung erhalten werden kann, ist eine ganz andere, offene und von vielen Faktoren abhängige Frage, die zu bejahen viel Optimismus und Gottvertrauen erfordert.

107

v. Campenhausen/de Wall (Fn. 95), S. 368.

II. Länder mit einer traditionell katholischen Prägung

Das Verhältnis von Staat und Kirche in Spanien Von Santiago Cañamares Arribas, Madrid I. II.

Historische Grundlagen der Beziehungen zwischen Staat und Kirche . . . . . . . Rechtsquellen des Staates und der Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Quellen des einseitig vom Staat gesetzten Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Spanische Verfassung (1978) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Organgesetz zur Religionsfreiheit (1980) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Quellen des Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abkommen zwischen Staat und Heiligem Stuhl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abkommen zwischen Staat und anderen Religionsgemeinschaften . . . . III. Überblick über die strukturellen Grundsätze des Staatskirchenrechts . . . . . . . . 1. Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Religionsgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kirchliche und staatliche Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenarbeit zwischen Kirchen und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundrechtseingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz der Grundrechte anderer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Öffentliche Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Öffentliche Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Öffentliche Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Wirkungsmöglichkeiten der Kirchen und Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . VII. Kirchengüter und Kirchenfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Denkmalschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Finanzierung der Kirchen in Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Direkte Finanzierung der Katholischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Direkte Finanzierung anderer Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . c) Indirekte Finanzierung der Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Formen der institutionellen Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirchen . . . IX. Anwendung des innerkirchlichen Rechts innerhalb des staatlichen Rechtssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Familienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfähigkeit von der Katholischen Kirche zugeordneten Einrichtungen X. Schlußbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80 83 83 83 84 87 87 87 89 89 89 90 91 92 92 94 95 96 96 97 97 99 100 100 101 101 102 103 105 105 105 106 107

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Santiago Cañamares Arribas

I. Historische Grundlagen der Beziehungen zwischen Staat und Kirche1 Nach dem Untergang des römischen Reiches begann auf der iberischen Halbinsel eine Zeit der westgotischen Herrschaft, die durch eine Vermischung von politischer und religiöser Gewalt gekennzeichnet war. Seit der Konversion König Rekkareds vom Arianismus zum Katholizismus berief der König die Konzilien von Toledo (589) als Reichssynoden für religiöse und politische Angelegenheiten ein, denen der dortige Erzbischof vorstand.2 Diese historische Epoche endete mit Beginn des 8. Jahrhunderts, als die Muslime 711 auf der iberischen Halbinsel einfielen. Die Zeit des Emirats von Córdoba (ab 750) und des nachfolgenden Kalifats von Córdoba (ab 929) waren von einer gewissen religiösen Toleranz geprägt. Obwohl Christen und Juden diskriminiert wurden, durften sie ihre Religion privat ausüben, wenn sie dafür zusätzliche Steuerzahlungen leisteten.3 Im Gegensatz dazu genossen die zum Islam Konvertierten eine bevorzugte Stellung, die ihnen den Zugang zu öffentlichen Ämtern eröffnete.4 Zu Beginn des 11. Jahrhunderts zerbrach das Kalifat von Córdoba in zahlreiche kleine Staaten („Taifa-Königreiche“), welche die arabische Macht schwächten. Die gleichzeitige Stärkung der christlichen Königreiche ermöglichte die Rückeroberung, die 1492 mit der Eroberung des muslimischen Königreichs von

1 Nach Angaben des Instituts für Nationale Statistik hat Spanien über 46,4 Millionen Einwohner, davon sind etwa 10 % Einwanderer (der Großteil davon kommt aus Osteuropa, vor allem Rumänien und dem Maghreb, insbesondere Marokko). Das Zentrum für Soziologische Forschung veröffentlicht regelmäßig die Ergebnisse von Erhebungen, die Fragen zu Religion oder Weltanschauung enthalten. Im Februar 2018 bekannte sich fast 70 % der Bevölkerung zur Katholischen Kirche. Auch deshalb wird Spanien aus soziologischer Sicht in vielfältiger Hinsicht als „katholisches Land“ betrachtet; zahlreiche katholische Traditionen und Feste sind im öffentlichen und politischen Leben präsent. Demgegenüber gehört nur ein geringer Teil der Bevölkerung (2,3 %) einer anderen Religionsgemeinschaft an (überwiegend Muslime, sodann Protestanten und orthodoxe Christen). Fraglos ist durch Einwanderung die Anzahl der Nicht-Katholiken gestiegen. Schließlich erklären sich 15 % der spanischen Bevölkerung als nichtgläubig und 9 % explizit als Atheisten. 2 Für eine umfassende Darstellung des historischen Hintergrunds des aktuellen Modells der Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Spanien siehe Javier Martínez-Torrón, Religion and Law in Spain, 2. Aufl. 2018, S. 23 ff.; Iván C. Ibán, Spanien, in: Gerhard Robbers/W. Cole Durham/Donlu Thayer (Hrsg.), Encyclopedia of Law and Religion, vol. 4, 2016, S. 389; José Javier Amorós, Historia del tratamiento jurídico del factor religioso en España. De la España medieval a la Ilustración, in: Santiago Muñoz Machado (Hrsg.), Base de Conocimiento Jurídico, Derecho Eclesiástico del Estado. 3 Christen, die der islamischen Lebensweise folgten, aber ihrem christlichen Glauben treu blieben, wurden „mozárabes“ genannt. 4 Christen, die aufgrund der damit verbundenen Privilegien zum Islam konvertierten, wurden „muladíes“ genannt.

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Granada durch die katholischen Könige ihren Höhepunkt erreichte. Die katholischen Könige (1479–1516) nutzten die Religion zur Förderung der politischen Einheit. Dementsprechend galten Nicht-Katholiken als Risiko für den politischen Frieden, so daß Muslime und Juden ab dem Jahr 1502 aus Spanien vertrieben wurden. Die österreichischen Habsburger verstärkten die religiöse Fundierung ihrer Herrschaft.5 Die Beziehungen zwischen Geistlichem und Weltlichem beruhten auf dem Regalismus, nach dem die Krone die Katholische Kirche nach ihren politischen Interessen zu formen vermochte. Dieses Modell bestand in einer Reihe von päpstlichen Privilegien, wie etwa den „königlichen Patronaten“, aufgrund derer der König die zu ernennenden (Erz-)Bischöfe auswählen konnte. Ein anderes wichtiges Privileg war die „königliche Exequatur“, nach dem die von kirchlichen Gerichten ergangenen Entscheidungen von den staatlichen Gerichten überprüft wurden. Die spanische Inquisition war gleichermaßen eine bezeichnende Ausprägung des Regalismus, da sie eine unabhängige Kontrolle von Verhaltensweisen und Schriften ermöglichte. Schließlich genoß der König Kontrollbefugnis über die der universalen Kirche in Rom zugedachten Spendengelder. Auch im Absolutismus des 17. und 18. Jahrhunderts blieb der Regalismus das bestimmende Modell der Beziehungen zwischen Kirche und Staat. Die Hoheitsrechte (regalías) wurden jedoch nicht mehr als vom Papst gewährte Privilegien verstanden, sondern als von Gott direkt an die Könige verliehene Rechte, sogenannte iura maiestatica circa sacra. In der Epoche der Aufklärung steigerte sich der Regalismus weiter. König Karl III. verbot Veröffentlichung und Inkrafttreten päpstlicher Anordnungen ohne vorherige Genehmigung durch die Krone. Auf Drängen der Krone errichtete Papst Clemens XIV. 1771 das Tribunal der Rota der Apostolischen Nuntiatur in Spanien und sanktionierte die Vertreibung der zuvor aus Spanien und anderen Ländern ausgewiesenen Jesuiten mit der Aufhebung der Gesellschaft (1773). Unter König Karl IV. beschlagnahmte der Staat 1798 zur Finanzierung des Krieges gegen Frankreich und England einen Großteil des kirchlichen Eigentums. Dadurch geriet die Kirche in wirtschaftliche Abhängigkeit zum Staat. Fortan beruhte die „Zusammenarbeit“ zwischen Katholischer Kirche und Staat auf der Notwendigkeit, die Kirche für die im 18. und 19. Jahrhundert erlittenen Enteignungen zu entschädigen.

5 Karl V. sah als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches seine Hauptaufgabe darin, das Christentum zu verbreiten und die Kirche insbesondere vor der Reformation zu schützen. Ab 1609 wurden dann unter König Phillip III. die „moriscos“ (jene Muslime, die sich zwar nach der Reconquista taufen ließen, um der Vertreibung zu entgehen, aber weiterhin nach dem Koran lebten) vertrieben. Sie galten als Problem der Integration, da ihr Widerstreben, sich tatsächlich zum Christentum zu bekehren, ihre Treue zum König zweifelhaft erscheinen ließ.

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Im Gegensatz zu anderen Ländern brachte der Liberalismus nicht die Trennung zwischen Kirche und Staat, Spanien blieb auch im 19. Jahrhundert ein konfessioneller Staat. Art. 12 der Verfassung von Cádiz (1812) bestimmte: „Die Religion der spanischen Nation ist und wird ewiglich die einzig wahre, die römisch-katholische, apostolische sein. Die Nation schützt sie durch weise und gerechte Gesetze und verbietet die Ausübung jeder anderer Religion.“ Die Verfassung von 1869 war die einzige Ausnahme von dieser Tendenz, da sie keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Konfessionalität des Staates enthielt. Art. 21 enthielt jedoch „die Verpflichtung des Staates, Kultus und Klerus der katholischen Religion zu unterhalten.“ (Abs. 1). Der gleiche Artikel sicherte den sich in Spanien aufhaltenden Ausländern (Abs. 2) sowie auch den nichtkatholischen Spaniern (Abs. 3) in den allgemeinen Grenzen von Recht und Moral das Recht auf öffentliche und private Religionsausübung zu. Bereits wenige Jahre später kehrte die Verfassung von 1876 wieder zum Prinzip der Konfessionalität des Staates zurück. Nach Art. 11 ist „die katholische, apostolische, römische Religion die Religion des Staates. Der Staat ist verpflichtet, Kultus und Klerus zu unterhalten.“ Zwar sollte niemand wegen seiner religiösen Meinung oder seiner Religionsausübung behelligt werden, doch öffentliche Feiern und Kundgebungen blieben der Staatsreligion vorbehalten. Dieses konfessionelle Modell blieb bis zur Zweiten Republik bestehen, als Art. 3 der Verfassung von 1931 bestimmte, der Staat habe keine offizielle Religion. Die dezidierte Trennung von Staat und Religion (näher: Art. 26) blieb gesellschaftlich hochkontrovers: Alle religiösen Bekenntnisse wurden auf den Status als Vereinigungen zurückgestuft. Vor allem die Ordensgemeinschaften wurden scharf bekämpft: Diejenigen, die – wie die Jesuiten – von ihren Mitgliedern ein besonderes Gehorsamsgelübde gegenüber einer anderen als der staatlichen Obrigkeit abverlangen, wurden sogleich aufgelöst. Alle übrigen durften nicht mehr Vermögen erwerben oder behalten als das, welches nachweislich zum Lebensunterhalt oder zur unmittelbaren Erfüllung ihrer eigenen Zwecke erforderlich war, und hatten sich überdies jeder Tätigkeit in Gewerbe, Handel und Unterricht zu enthalten. Unter der Diktatur Francos (1939–1975) wandte sich Spanien wieder dem Konfessionalismus zu. Das „Gesetz über die Prinzipien der Nationalen Bewegung“ von 1958 legte fest, daß sich die gesamte Gesetzgebung an der Lehre der Katholischen Kirche auszurichten habe. So wurde 1967, zwei Jahre nach der Erklärung Dignitatis humanae des Zweite Vatikanische Konzil über die Religionsfreiheit als bürgerliches Recht, das Gesetz über die Religionsfreiheit verabschiedet.6 6 Dazu näher María Blanco, La primera ley española de libertad religiosa. Génesis de la Ley de 1967, 1999.

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II. Rechtsquellen des Staates und der Religion 1. Quellen des einseitig vom Staat gesetzten Rechts a) Spanische Verfassung (1978) Art. 16 gewährleistet die individuelle und kollektive Religionsfreiheit. Dabei wird nicht nur die Bildung der inneren Überzeugung geschützt, sondern auch ihre Verwirklichung und Betätigung nach außen, solange sie die öffentliche Ordnung nicht stören. Art. 16 Abs. 3 Satz 1 der Verfassung statuiert zunächst die staatlich religiöse Neutralität. Im Hinblick auf die religiösen Anschauungen der spanischen Gesellschaft wird in Satz 2 sodann auch von der Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Staat und Katholischer Kirche sowie den sonstigen Konfessionen gesprochen. Insgesamt zeigt Art. 16 der Verfassung damit den tragenden Grundsatz staatlichen Handelns in Bezug auf das religiöse Phänomen auf. Ergänzend garantiert Art. 14 die Gleichheit vor dem Gesetz und verbietet jede Diskriminierung, unter anderem aus Gründen der Religion. Art. 27 der Verfassung enthält das Recht auf Bildung und das Recht auf Lehrfreiheit (Abs. 1) sowie das Recht der Eltern, ihre Kinder gemäß ihren eigenen moralischen und religiösen Überzeugungen zu erziehen (Abs. 3). Auf der Grundlage dieser Bestimmung wurde der Religionsunterricht an Schulen als Wahlfach in die Schulpflicht mit aufgenommen. In der Praxis beschränkt sich das Angebot konfessionellen Unterrichts auf jene Religionsgemeinschaften, die ein Abkommen mit dem Staat unterzeichnet haben und denen eine Mindestanzahl von Schülern angehört, die danach verlangen. Die Lehrfreiheit gerantiert das Recht aller natürlichen und juristischen Personen, Schulen zu gründen. Dies ist nicht nur wichtig für das Recht der Eltern, den Religionsunterricht ihrer Kinder auszuwählen, sondern es ist ebenso für die Kirchen und Religionsgemeinschaften zur Verbreitung ihrer Lehren von entscheidender Bedeutung. Schließlich ermöglicht Art. 30 Abs. 2 die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen, wobei der Wehrdienstverweigerer zu einem sozialen Wehrersatzdienst verpflichtet werden kann.7 Derzeit besteht in Spanien keine allgemeine Wehrpflicht (mehr). Auf Grundlage einer Rechtsverordnung können im Bedarfsfall jedoch Reservisten zwangsweise eingezogen werden (reservistas obligatorios), diese aber den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen verweigern.8 7 Das Gesetz über Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen wurde 1984 verabschiedet. Es ist jedoch seit 2001, als die Wehrpflicht abgeschafft wurde, nicht mehr in Kraft. 8 Für die Einzelheiten: Art. 138 des Gesetzes 39/2007 über die militärische Laufbahn v. 19.11.2007 (Abdruck in: Boletín Oficial del Estado, Nr. 278 v. 20.11.2007) sowie Art. 18 und 54 des Königlichen Dekrets 383/2011 über das Reglement der Reservisten der Streitkräfte v. 18.3.2011 (Abdruck: Boletín Oficial del Estado, Nr. 70 v. 23.3.2011).

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Strittig ist, ob man sich auch auf sein Gewissen berufen darf, wenn man vor der Einziehung als Pflichtreservist bereits einmal Soldat gewesen ist. Während die Rechtsprechung dies kritisch sieht,9 wird die Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung aus Gewissengründen von der herrschenden Meinung in der Literatur auch bei Pflichtreservisten angenommen.10 Art. 32 Abs. 2 garantiert das Recht von Mann und Frau auf die zivile Eheschließung. Das einfache Gesetz regelt die Einzelheiten, wie die Ehefähigkeit, die Rechte und Pflichten der Ehegatten sowie die zivile Ehescheidung und deren Rechtsfolgen. Das spanische Eherecht wurde insbesondere auch durch verschiedene Verträge, zum einen mit der Katholischen Kirche und zum anderen mit weiteren Religionsgemeinschaften geprägt. So wurde 1979 die Vereinbarung zwischen Spanien und dem Heiligen Stuhl über juristische Angelegenheiten11 geschlossen, nach deren Art. 6 Abs. 1 die kirchlich geschlossene Ehe zivilrechtlich vollständig anerkannt wird. Für die Gültigkeit der Ehe gelten somit ausschließlich die Vorschriften des kanonischen Rechts. Im Gegensatz dazu legten die drei Abkommen mit den jüdischen und muslimischen Gemeinden sowie mit der evangelischen Kirche vom Dezember 1992 in Übereinstimmung mit dem Zivilgesetzbuch fest, daß die bürgerlichen Auswirkungen religiös geschlossener Ehen der betreffenden Religionsgemeinschaft anerkannt werden. Zur vollen zivilrechtlichen Anerkennung ist jedoch die Eintragung beim Standesamt erforderlich. Zudem wird das Nähere zur Eheschließung, wie etwa das Verfahren der Anerkennung oder die Ehefähigkeit durch staatliche Gesetze ausgestaltet.12 b) Organgesetz zur Religionsfreiheit (1980) Art. 16 der Verfassung wird durch das Organgesetz 5/1980 vom 5. Juli 1980 über die Religionsfreiheit13 (Ley Orgánica de Libertad Religiosa, kurz LOLR) ausgestaltet. Das LOLR ist ein kurzes Gesetz mit nur acht Artikeln, das nicht nur 9

Tribunal Supremo, Urt. v. 27.10.1987, Nr. 161/1987. Rafael Navarro-Valls/Javier Martínez-Torrón, Conflictos entre conciencia y ley. Las objeciones de conciencia, 2011, S. 105 f. 11 Acuerdo entre el Estado español y la Santa Sede sobre asuntos jurídicos, AAS 72 (1980), 29. 12 Jeweils Art. 11 des zwischen Staat und den Minderheitsbekenntnissen (evangelische Kirchen, jüdische und muslimische Gemeinden) geschlossenem Kooperationsabkommen. – Art. 60 Abs. 2 des Código Civil lautet: „Ebenso sind zivilrechtliche Wirkungen für Ehen anerkannt, die in der religiösen Form jener Kirchen, Konfessionen, religiösen Gemeinschaften oder Vereinigungen geschlossen werden, die im Verzeichnis der religiösen Einrichtungen eingetragen und als in Spanien offenkundig verwurzelt anerkannt sind.“ 13 Nach Art. 81 der Verfassung beziehen sich die „Organgesetze“ u. a. auf die Umsetzung der Grundrechte und öffentlichen Freiheiten. Zu ihrer Verabschiedung, Änderung oder Aufhebung ist die absolute Mehrheit der Mitglieder des Kongresses in einer Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf als Ganzes erforderlich. 10

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die Inhalte der Religionsfreiheit benennt, sondern auch die Rechtsstellung der Religionsgemeinschaften regelt. In Bezug auf die Religionsfreiheit definiert Art. 2 LOLR nicht abschließend die Inhalte der (inneren) Glaubensfreiheit und der (äußeren) Religionsausübungsfreiheit. Es wird zudem unterschieden zwischen der individuellen und der kollektiven Religionsfreiheit und verpflichtet den Staat, geeignete Maßnahmen zum Schutz der Religionsfreiheit zu ergreifen.14 Gemäß Art. 3 LOLR findet die Religionsfreiheit ihre Schranken nur in den Grundrechten Dritter und der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, so wie es auch von internationalen Menschenrechtskonventionen vorgegeben wird.15 Art. 5 ff. LOLR befaßt sich ferner mit der Rechtstellung der Religionsgemeinschaften im spanischen Rechtssystem. Der persönliche Anwendungsbereich des Gesetzes wird durch Art. 3 Abs. 2 definiert, indem alle Aktivitäten, Zwecke und Einrichtungen zur Erforschung psychischer und parapsychischer Phänomene sowie die Verbreitung humanistischer, spiritueller oder in ähnlicher Weise der Religion fremde Werte vom Anwendungsbereich des LOLR ausgeschlossen werden. Art. 5 Abs. 1 verleiht den „Kirchen, Konfessionen und Religionsgemeinschaften“ den Status einer juristischen Person, wenn sie sich in ein spezielles öffentliches Register (Registro de Entidades Religiosas, kurz RER) beim Justizministerium eintragen lassen.16 Der Status der Religionsgemeinschaften unterscheidet sich von dem Status der Vereine oder Stiftungen und ermöglicht ihnen, ein Kooperationsabkommen mit dem Staat zu vereinbaren. Allerdings können gemäß Art. 7 nur diejenigen Religionsgemeinschaften ein Kooperationsabkommen mit dem Staat abschließen, die aufgrund ihres Wirkungsbereichs und der Zahl ihrer Gläubigen in Spanien „offenkundig verwurzelt“ sind. Die Einzelheiten sind in einer Rechtsverordnung von 2015 geregelt,17 dessen Art. 3 eine Reihe von Merkmalen aufführt, nach denen sich bemißt, ob die Religionsgemeinschaft „offenkundig verwurzelt“ ist: 14 Art. 9 Abs. 2 der Verfassung verpflichtet die öffentliche Gewalt, „die Bedingungen dafür zu schaffen, daß Freiheit und Gleichheit des einzelnen und der Gruppen, denen er angehört, real und wirksam sind, die Hindernisse zu beseitigen, die ihre volle Entfaltung verhindern oder erschweren, und die Beteiligung aller Bürger am politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben zu fördern“. 15 Diese Regelung ist aus Art. 10 Abs. 2 der Verfassung abgeleitet: „Die Normen, die sich auf die in der Verfassung anerkannten Grundrechte und Grundfreiheiten beziehen, sind in Übereinstimmung mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den von Spanien ratifizierten internationalen Verträgen und Abkommmen über diese Materien auszulegen.“ 16 Art. 5 LOLR wird durch das Königliche Dekret 594/2015 v. 3.7.2015 (Abdruck in: Boletín Oficial del Estado, Nr. 183 v. 1.8.2015, S. 66721–66737) näher konkretisiert, das festlegt, welche Gemeinschaften Zugang zum Verzeichnis haben, und welche Unterlagen mit dem Antrag auf Eintragung eingereicht werden müssen. 17 Königliches Dekret 593/2015 v. 3.7.2015 (Abdruck in: Boletín Oficial del Estado, Nr. 183 v. 1.8.2015, S. 66716–66720). Ausführlich dazu Martínez-Torrón (Fn. 2), S. 148 ff.

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a) Eintrag im RER seit mindestens 30 Jahren (alternativ 15 Jahre sowie die Anerkennung im Ausland seit über 60 Jahren), b) Präsenz in mindestens zehn autonomen Regionen, c) mindestens 100 im RER eingetragene Einrichtungen und Gebetsstätten, d) eine angemessene und ausreichende Struktur sowie Vertretung, e) Nachweis über die aktive Präsenz und Partizipation in der spanischen Gesellschaft. Aus der Anerkennung gemäß Art. 7 resultiert jedoch kein Anspruch einer Religionsgemeinschaft auf Abschluß eines Kooperationsabkommens. Eine darauf basierende Zusammenarbeit ist vielmehr politischer Natur und basiert ausschließlich auf der Initiative der Regierung. Bislang bestehen – neben den bereits vor Inkrafttreten des LORG abgeschlossenen vier Abkommen mit der Katholischen Kirche (1979) – drei Vereinbarungen mit den Minderheitsreligionen (evangelische Kirche, jüdische und muslimische Gemeinden) von 1992. Weiter ist auf die gemäß Art. 8 eingerichtete Beratungskommission für Religionsfreiheit (Comisión Asesora de Libertad religiosa) hinzuweisen. Dieses Gremium ist von der Regierung und der öffentlichen Verwaltung bei allen Fragen der Anwendung des Organgesetzes zu konsultieren. Seine Zusammensetzung und Aufgaben sind in einer Rechtsverordnung aus dem Jahr 2013 geregelt: Ein Drittel ist Vertretern der Regierung vorbehalten, das zweite Vertretern jener Religionen, die in Spanien gemäß Art. 7 anerkannt wurden, und das letzte Drittel besteht aus Experten im Bereich der Religionsfreiheit, die vom Justizministerium benannt werden.18 Die Aufgaben der Kommission bestehen gemäß Art. 2 und 3 des Dekrets unter anderem in der Beratung der Regierung in Fragen der Religionsfreiheit und der Berichterstattung über mögliche Kooperationsabkommen im Sinne des Art. 7 LOLR. Ferner hat sie Bericht zu erstatten über die Anträge von Religionsgemeinschaften auf Eintragung oder Löschung in das bzw. aus dem RER. Schließlich legt sie der Regierung einen Jahresbericht über die Lage der Religionsfreiheit in Spanien vor.19 Zudem kann sie der Regierung jeden Vorschlag oder jede Initiative unterbreiten, die sie im Bereich der Religionsfreiheit für angemessen hält.

18 Königliches Dekret 932/2013 v. 29.11.2013 (Abdruck in: Boletín Oficial del Estado, Nr. 300 v. 16.12.2013, S. 98994). Näher Ricardo García García, Una nueva Comisión Asesora de Libertad Religiosa para los retos del siglo XXI en materia de Libertad Religiosa. El nuevo Real Decreto 932/2013, de 29 de noviembre, por el que se regula la CALR, Anuario de derecho eclesiástico del Estado 30 (2014), S. 175. 19 Seit 2015 werden diese Berichte auch auf Englisch veröffentlicht; sie sind verfügbar unter www.mjusticia.gob.es/cs/Satellite/Portal/es/areas-tematicas/libertad-religiosa/ informe-anual-sobre-situacion (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020).

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2. Quellen des Vertragsrechts a) Abkommen zwischen Staat und Heiligem Stuhl Im Januar 1979, wenige Tage nach der Verabschiedung der Verfassung von 1978, wurden vier Abkommen mit dem Heiligen Stuhl unterzeichnet. Sie traten an die Stelle des Konkordats von 1953, das durch das Bekenntnis der FrancoDiktatur geprägt war. Dieses war mit den neuen verfassungsrechtlichen Prinzipien, die die Position des Staates gegenüber der Religion definierten, nicht mehr vereinbar. Bei diesen neuen Abkommen handelt es sich um internationale Verträge, die in Einklang mit dem Wiener Übereinkommen über das Vertragsrecht (1969) ausgehandelt und ratifiziert wurden. Jedes befaßt sich mit verschiedenen Sachmaterien: juristische Angelegenheiten, wirtschaftliche Angelegenheiten, Bildungswesen und kulturelle Angelegenheiten sowie Militärseelsorge und Wehrdienst von Klerikern und Ordensmännern. Einige Bestimmungen wurden, sofern dies für ihre vollständige Durchsetzung erforderlich war, im Wege von Gesetzen oder anderen innerstaatlichen Vereinbarungen fortentwickelt. So wurde das Zivilgesetzbuch 1981 geändert, um Vorschriften über die bürgerlichen Wirkungen der kanonisch geschlossenen Ehe sowie Entscheidungen über deren Nichtigkeit und Auflösung durch die kirchlichen Instanzen entsprechend der Vereinbarung anzupassen. Gleichermaßen wurden weitere Durchführungsvereinbarungen hinsichtlich der Bestimmungen über die Seelsorge in Krankenhäusern und Gefängnissen mit der spanischen Bischofskonferenz getroffen.20 b) Abkommen zwischen Staat und anderen Religionsgemeinschaften Bisher wurden drei Kooperationsabkommen zwischen dem Staat und den Minderheitsreligionen geschlossen, nämlich 1992 mit dem Verband der Evangelischen Religionsgemeinschaften, mit dem Verband der Israelischen Gemeinschaften sowie mit dem Verband der Islamischen Kommission. Da diese (Dach-)Verbände keine internationale Rechtspersönlichkeit besitzen, handelt es sich bei diesen Abkommen nicht um internationale Verträge, sondern um gewöhnliche, vom Parlament verabschiedete Gesetze gemäß Art. 7 LOLR.21 Selbstredend wird der Inhalt 20 Siehe den Vertrag zwischen der spanischen Regierung und der spanischen Bischofskonferenz v. 24.7.1985 über die katholische Seelsorge in öffentlichen Krankenhäusern. 21 Vgl. Gesetz 24/1992 v. 10.11.1992 zur Genehmigung des Kooperationsabkommens zwischen dem Staat und dem Verband der Evangelischen Religionsgemeinschaften; Gesetz 25/1992 v. 10.11.1992 zur Genehmigung des Kooperationsabkommens zwischen dem Staat und dem Verband der Israelischen Gemeinden; Gesetz 26/1992 v. 10.11.1992 zur Genehmigung des Kooperationsabkommens zwischen dem Staat und dem Verband der Islamischen Kommission (alle abgedruckt in: Boletín Oficial del Estado, Nr. 272 v. 12.11.1992).

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zuvor von der Regierung mit den Vertretern des jeweiligen Verbandes ausgehandelt und kann folglich nicht einseitig vom Staat geändert werden. Aufgrund der dritten Zusatzbestimmung zu diesem Abkommen ist ein gemeinsamer Ausschuß für die Umsetzung und Durchführung der Abkommen zu bilden. Alle diese Texte weisen eine sehr ähnliche Struktur und ähnliche Inhalte auf, sie befassen sich mit den gleichen Themen, wie Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, bürgerliche Wirkungen der nach einem religiösen Ritus geschlossenen Ehen, Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen, Bedeutung religiöser Feiertage in Arbeitsverhältnissen und die Zusammenarbeit mit dem Staat in wirtschaftlicher Hinsicht, etwa durch die Gewährung von Steuervorteilen. Einige Bestimmungen der Abkommen von 1992 bedurften noch der Ausfüllung durch staatliche Verordnungen bzw. nachgeordnete Abkommen der Regierung mit dem jeweiligen Dachverband. Sie beziehen sich auf allgemeine Seelsorge und Religionsunterricht innerhalb des öffentlichen Bildungswesens.22 Bemerkenswert ist, daß die Regierung seit 1992 zwar weitere Religionsgemeinschaften gemäß Art. 7 LOLR anerkannt hat – Mormonen (2003), Zeugen Jehovas (2006), buddhistische Gemeinschaft (2007), Orthodoxe Kirche (2010) –, aber es wurden keine Verhandlungen zur Unterzeichnung eines Kooperationsabkommens mit einer dieser Religionsgemeinschaften aufgenommen. Da insoweit Bedenken hinsichtlich der religiösen Gleichbehandlung auftreten könnten, ist es sinnvoll, sich die Ausführungen des Straßburger Gerichtshofs in der Rechtssache Savez crkava/Kroatien (2010) in Erinnerung zu rufen. Diese bekräftigt, daß „Staaten, deren Verfassungsmodell dies zuläßt, eine Kooperationsvereinbarung mit einer Religionsgemeinschaft abschließen können, die einen Sonderstatus vorsieht, sofern die unterschiedliche Behandlung objektiv und angemessen gerechtfertigt ist und ähnliche Vereinbarungen von anderen Religionsgemeinschaften, die dies wünschen, getroffen werden können“.23

22 Königliches Dekret 710/2006 v. 9.6.2006 zur Ausgestaltung der Bestimmungen in den vom Staat unterzeichneten Kooperationsabkommen mit der FEREDE (Evangelische Kirchen), der CJE (Jüdische Gemeinden) und der CIE (Islamische Kommission) bezüglich der Seelsorge in Strafvollzugsanstalten (Abdruck in: Boletín Oficial del Estado, Nr. 138 v 10.6.2006, S. 22301); ferner Vereinbarung v. 24.10.2007 zwischen dem Staat und der Islamischen Kommission über die Finanzierung von Ausgaben, die durch Seelsorge in staatlichen Gefängnissen verursacht wurden sowie Beschluß der Präsidialkanzlei, in der die Vereinbarung über die Ernennung und die wirtschaftlichen Bedingungen für evangelische Religionslehrer in öffentlichen Grundschulen und weiterführenden Schulen veröffentlicht wird (Abdruck in: Boletín Oficial del Estado, Nr. 108 v. 4.5.1996, S. 15693). 23 EGMR, Entscheidungen in Kirchensachen 56 (2010), S. 449, Nr. 86–89 (Savez crkava „Rijec zivota“ u. a./Kroatien).

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III. Überblick über die strukturellen Grundsätze des Staatskirchenrechts Es gibt vier grundlegende Verfassungsgrundsätze, welche die Position des Staates gegenüber dem religiösen Phänomen definieren: Religionsfreiheit, Religionsgleichheit, staatliche Neutralität und staatliche Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften. 1. Religionsfreiheit Die Religionsfreiheit weist als Grundrecht wie als Rechtsgrundsatz eine doppelte Dimension auf. Das wissenschaftliche Schrifttum erblickt in der Religionsfreiheit als Grundrecht eine Vorstellung bzw. Definition der einzelnen Bürger, als Rechtsprinzip hingegen eine Vorstellung bzw. Definition des Staates.24 Bereits 1982 hatte das Verfassungsgericht entschieden, daß „der Grundsatz der Religionsfreiheit den Bürgern das Recht gewährt, in diesem Bereich frei und ohne staatlichen Zwang oder von anderen sozialen Gruppen zu handeln. Demgemäß ist es dem Staat verwehrt, selbst Subjekt einer religiösen Handlung oder Überzeugung zu sein, wie es die Bürger sind.“25 In anderen Entscheidungen betont das Gericht auch, daß die Religionsfreiheit nicht nur ein Abwehrrecht ist, was der öffentlichen Gewalt jeden nicht gerechtfertigten Eingriff in die Religionsfreiheit des Einzelnen verbietet, sondern auch ein Leistungsrecht des Bürgers beinhaltet. Denn nach Art. 9 Abs. 2 der Verfassung ist die öffentliche Gewalt verpflichtet, jedes Hindernis zur vollen Ausübung der Religionsfreiheit zu beseitigen.26 Aus der Religionsfreiheit ergibt sich für den Staat daher auch eine Pflicht zum aktiven Tun. Schließlich umfaßt der Schutzbereich der Religionsfreiheit nach Art. 16 Abs. 2 der Verfassung auch die Freiheit, seinen persönlichen Glauben nicht offenbaren zu müssen. 2. Religionsgleichheit Religionsgleichheit bedeutet, daß alle Bürger und Gruppen vor dem Gesetz in Bezug auf die Ausübung von Religion oder Weltanschauung gleich sind. Folglich muß jeder ungeachtet seiner religiösen Überzeugungen vom Staat gleichbehandelt werden. Hinsichtlich des Zusammenspiels des Gleichheitsgrundsatzes und der Religionsfreiheit hat das Verfassungsgericht jede Art der Diskriminierung oder Ungleichbehandlung von Bürgern aufgrund ihrer Weltanschauung oder ihres Glaubens für rechtswidrig erklärt.27 24 Pedro J. Viladrich, Los principios informadores, in: Javier Ferrer (Hrsg.), Derecho Eclesiástico del Estado Español, 2007, S. 90. 25 Tribunal Constitucional, Urt. v. 13.5.1982, Nr. 24/1982. 26 Tribunal Constitucional, Urt. v. 15.2.2001, Nr. 46/2001. 27 Tribunal Constitucional, Urt. v. 13.5.1982, Nr. 24/1982.

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Gleichheit bedeutet jedoch nicht Uniformität. Gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)28 und des Verfassungsgerichts29 sind Unterschiede in der rechtlichen Behandlung legitim, wenn sie objektiv gerechtfertigt sind, sie also mit geeigneten und angemessenen Mitteln ein legitimes Ziel verfolgen und im übrigen verhältnismäßig sind. Die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs ist gerichtlich voll überprüfbar. So kann eine Ungleichbehandlung manchmal nicht nur gerechtfertigt, sondern hinsichtlich der Religionsfreiheit sogar geboten sein. Nach Auffassung des Straßburger Gerichtshofs verlangte im Fall Thlimmenos/Griechenland die Anwendung von Art. 14 EMRK eine unterschiedliche rechtliche Behandlung von Personen aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen.30 3. Kirchliche und staatliche Neutralität Staatliche Neutralität in religiösen Angelegenheiten bedeutet nicht Gleichgültigkeit oder Feindseligkeit öffentlicher Einrichtungen gegenüber der Religion. Tatsächlich berücksichtigt die öffentliche Gewalt gemäß Art. 16 Abs. 3 Satz 2 der Verfassung die religiösen Anschauungen der Gesellschaft und unterhält kooperative Beziehungen mit den einzelnen Religionsgemeinschaften. Der Begriff der Neutralität ist folglich nicht im engeren Sinne zu verstehen, als daß er jegliche Beziehung zwischen Staat und religiösen Gruppen ablehnen würde, sondern er bedeutet, daß die öffentlichen Behörden weder durch Religionsgemeinschaften unterstützt werden noch sich mit ihren Glaubensinhalten identifizieren und sich weder in diese noch in die interne Organisation der Religionsgemeinschaften einmischen. Dem EGMR zufolge können Staaten die Legitimität religiöser Überzeugungen oder ihre Ausdrucksformen nicht kontrollieren, sofern sie unter Beachtung der gesetzlich festgelegten Beschränkungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung durchgeführt werden.31 Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zum Neutralitätsprinzip läßt sich in zwei Grundaussagen zusammenfassen: Der Staat erklärt sich erstens deshalb

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EGMR, EuGRZ 1975, S. 298 (Belgischer Sprachenfall). Grundsätzlich: Tribunal Constitucional, Urt. v. 10.11.1991, Nr. 34/1991. 30 EGMR, ÖJZ 2001, S. 518 (Thlimmenos/Griechenland). – In diesem Fall wurde ein Mitglied der Zeugen Jehovas vom Beruf des Wirtschaftsprüfers ausgeschlossen, weil er wegen Verweigerung des Wehrdienstes verurteilt wurde. Nach Auffassung des Gerichtshofs kann von einer solchen Überzeugung, die auf den religiösen Überzeugungen des Einzelnen beruht, nicht auf die charakterliche Ungeeignetheit zur Ausübung bestimmter Berufe geschlossen werden. Der Ausschluß des Antragstellers war daher nicht gerechtfertigt; weder bestand ein legitimes Ziel noch eine objektive und vernünftige Rechtfertigung, ihn anders zu behandeln als andere wegen eines Verbrechens Verurteilte. 31 EGMR, ÖJZ 1992, S. 595 (Campbell/Vereinigtes Königreich); aus jüngerer Zeit, EGMR, NJW 2014, S. 2925 (S.A.S./Frankreich). 29

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als religiös neutral, um den einzelnen wie Personenmehrheiten in gleicher Weise den vollen Genuß der Religionsfreiheit zu garantieren.32 Zweitens ist das Prinzip positiv zu interpretieren,33 was sich wiederum aus Art. 9 Abs. 2 der Verfassung ergibt. Damit ist jede passive oder gar negative Haltung des Staates gegenüber dem Phänomen „Religion“ ausgeschlossen. Zugleich ist das Prinzip der religiösen Neutralität im Lichte des in Art. 16 der Verfassung verankerten Prinzips der Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat zu verstehen. So hat das Verfassungsgericht in einem Urteil aus dem Jahr 2002 von einer doppelten Stoßrichtung des Neutralitätsprinzips gesprochen:34 die Neutralität der öffentlichen Gewalt gegenüber der Religion, die eine Konsequenz aus der Nicht-Konfessionalität des Staates ist, und die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat. Das Kooperationsprinzip ist somit fraglos ein wesentliches Element für das sachgerechte Verständnis des Neutralitätsprinzips im spanischen Verfassungsrecht, welches Einstellungen der Feindseligkeit oder auch nur Gleichgültigkeit der öffentlichen Gewalt gegenüber der Religion ausschließt. Dieser Ansatz schließt ein, daß die Öffentlichkeit der Raum ist, in dem verschiedene religiöse Überzeugungen nebeneinander existieren. Dementsprechend ist ein Verständnis der religiösen Neutralität des Staates als Abwesenheit oder gar Verbot der Kundgabe von Religion im öffentlichen Raum abzulehnen. Kurz gesagt, verbietet das Prinzip allein die Identifikation des Staates mit einer Religion wie die staatliche Unterstützung einer Religion zum Nachteil anderer. 4. Zusammenarbeit zwischen Kirchen und Staat Art. 16 Abs. 3 der Verfassung verpflichtet den Staat generell zur Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften, ohne aber Einzelheiten über die in Frage kommenden Sachgebiete und Mittel festzulegen. Fest steht allein, daß das Handeln der öffentlichen Gewalt an den Grundsätzen der religiösen Neutralität und Gleichheit seine Grenze findet: Einerseits darf der Staat mit einer Religionsgemeinschaft nicht so eng kooperieren, daß es zu übermäßigen Verflechtungen kommt, andererseits bedürfen Unterschiede in der Zusammenarbeit mit Religionsgemeinschaften einer objektiven und vernünftigen Rechtfertigung. Dieses Prinzip heißt konkret, daß alle Konfessionen die Zusammenarbeit mit den Behörden fordern können, da dies das verfassungsgemäße Prinzip ist.35 Der Staat muß jedoch nicht aufgrund des Prinzips durch Kooperationsabkommen mit 32 Tribunal Constitucional, Urt. v. 16.11.1993, Nr. 340/1993; ähnlich Tribunal Constitucional, Urt. v. 21.2.1996, Nr. 180/1996. 33 Erstmals verwendet Tribunal Constitucional, Urt. v. 2.6.2004, Nr. 101/2004, den Begriff laicidad positiva (positive Neutralität). 34 Tribunal Constitucional, Urt. v. 18.7.2002, Nr. 153/2002. 35 Siehe Viladrich (Fn. 24), S. 109.

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den Religionsgemeinschaften zusammenarbeiten, er kann dies auch auf andere Weise tun. Die Beratende Kommission für Religionsfreiheit und die von der Regierung errichtete Stiftung „Pluralismo y Convivencia“ (Pluralismus und Zusammenleben) zur Finanzierung bestimmter, von den Minderheitsreligionen durchgeführter Projekte sind gute Beispiele dafür. Darüber hinaus kann sich die Zusammenarbeit auch in den üblichen Rechtsvorschriften und Verordnungen ausdrücken. So wurde das Zivilgesetzbuch 2015 geändert, um bürgerliche Wirkungen auf religiöse Ehen anzuerkennen, die von Religionsgemeinschaften mit „offenkundiger Verwurzelung in Spanien“ geschlossen wurden, solange sie bestimmte formale Anforderungen erfüllen. Darüber hinaus hat die Regierung auch durch die Verabschiedung von Verordnungen mit den Religionsgemeinschaften kooperiert, um die Geistlichen bestimmter Religionen durch die Einbeziehung in das allgemeine Sozialversicherungssystem genau wie angestellten Arbeitnehmern eine soziale Absicherung zu gewähren.36

IV. Religionsfreiheit 1. Inhalt Das Verfassungsgericht sieht in der Religionsfreiheit eine innere und äußere Dimension geschützt. Die erstgenannte „gewährleistet das Bestehen eines vertrauten Raums von Glaubensüberzeugungen und somit eines Bereiches gedanklicher Selbstbestimmung in Anbetracht des Phänomens Religion, welcher mit der eigenen Persönlichkeit und der individuellen Würde eng verbunden ist“. Im Unterschied dazu gestattet es die äußere Dimension „einzelnen und Gruppen, sich in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen zu verhalten, ohne jedweden Zwang seitens des Staates oder anderen sozialen Gruppen“.37 Zur Klarstellung des Umfangs und der Schranken der Grundrechte bestimmt Art. 10 Abs. 2 der Verfassung, daß diese in Übereinstimmung mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der anderen von Spanien ratifizierten

36 Siehe Königliches Dekret 369/1999 v. 5.3.1999 über die Einbeziehung der Geistlichen der Evangelischen Kirchen (FEREDE) in das Sozialversicherungssystem (Abdruck in: Boletín Oficial del Estado, Nr. 64 v. 16.3.1999, S. 10420); Königliches Dekret 822/2005 v. 8.7.2005 über die Einbeziehung des Klerus des Moskauer Patriarchats der Russisch-Orthodoxen Kirche in das Sozialversicherungssystem (Abdruck in: Boletín Oficial del Estado, Nr. 176 v. 25.7.2005, S. 26401); Königliches Dekret 176/2006 v. 10.2.2006 über die Einbeziehung religiöser Führer und Imame der Islamischen Kommission in das Sozialversicherungssystem (Abdruck in: Boletín Oficial del Estado, Nr. 42 v. 18.2.2006, S. 6636); Königliches Dekret 1614/2007 v. 7.12.2007 über die Einbeziehung der Zeugen Jehovas in das Sozialversicherungssystem (Abdruck in: Boletín Oficial del Estado, Nr. 306 v. 22.12.2007, S. 53061). 37 Tribunal Constitucional, Urt. v. 13.5.1982, Nr. 24/1982; ferner Urt. v. 15.2.2001, Nr. 46/2001.

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internationalen Menschenrechtsverträge auszulegen sind. Unter ihnen ist die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) aufgrund ihres verbindlichen Rechtscharakters für die Mitgliedstaaten, der vom EGMR sichergestellt wird, von besonderer Bedeutung. Vor diesem Hintergrund ist die Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs maßstäblich für die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten von Art. 16 der Verfassung geschützt wird oder nicht. Jenseits dieser allgemeinen Aussage benennt Art. 2 LOLR konkrete Ausprägungen sowohl der inneren wie der äußeren Dimension der Religionsfreiheit und läßt so den Inhalt dieses Grundrechts im spanischen Rechtssystem erkennen. In Bezug auf die innere Dimension heißt es in Abs. 1 lit. a), sie umfasse „das Recht jedes Menschen, sich ohne Zwang nach freier Wahl zu religiösen Überzeugungen zu bekennen oder dies zu unterlassen“. Von besonderer Bedeutung ist die Bezugnahme auf das Recht, die Religion zu wechseln oder aufzugeben. Als Grundaussage der äußeren Dimension benennt Abs. 1 lit. b) „das Recht jedes Menschen, ohne Zwang . . . frei seine religiösen Überzeugungen zu bekennen, zu bekunden, keine zu besitzen oder aber sich der Bekundung seiner Überzeugungen zu enthalten“.38 Ebenso finden ausdrücklich Erwähnung sowohl die Freiheit, sich alleine oder mit anderen zum Gottesdienst zu versammeln, als auch das Recht, solchen Akten fernzubleiben.39 Als fester Bestandteil der individuellen Religionsfreiheit findet ferner die Anstaltsseelsorge für diejenigen Menschen Erwähnung, die sich in geschlossenen öffentlichen Einrichtungen wie Krankenhäusern, Gefängnissen oder Alten(pflege)heimen befinden und ohne Ermöglichung des Kontakts mit einem Geistlichen an der vollen Ausübung ihrer Religion gehindert wären. Zugleich haben die Religionsgemeinschaften das Recht, den sich in diesen Einrichtungen Aufhaltenden seelsorgerlichen Beistand zu leisten, sofern diese es wünschen. Die einschlägige Norm des Art. 2 Abs. 3 LOLR lautet: „Um die tatsächliche und wirksame Inanspruchnahme dieser Rechte zu gewährleisten, haben die Behörden die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Anstaltsseelsorge in öffentlichen Einrichtungen wie den Streitkräften, Kranken- und Pflegeanstalten sowie Strafanstalten unter Aufsicht der öffentlichen Hand zu erleichtern.“

38 Bereits Art. 16 Abs. 2 der Verfassung verbietet den Zwang zur Preisgabe der religiösen Überzeugungen. 39 Dazu Tribunal Constitucional, Urt. v. 11.11.1996, Nr. 177/1996: Ein Soldat machte eine Verletzung seiner Religionsfreiheit geltend, da er zur Teilnahme an einer Parade zu Ehren der Gottesmutter gezwungen worden sei. Das Verfassungsgericht sah in der Parade zwar eine – in den Streitkräften nicht verbotene – institutionelle Aktivität, doch hätte die negative Religionsfreiheit des Soldaten, sich ohne staatlichen Zwang in Übereinstimmung mit seinen religiösen Überzeugungen verhalten zu dürfen, beachtet werden müssen. Dementsprechend kam das Gericht zum Schluß: „Diese persönliche Entscheidung haben die Streitkräfte entsprechend der in Art. 16 Abs. 3 der Verfassung verankerten religiösen Neutralität des Staates zu respektieren.“

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Als weiteren wichtigen Aspekt der Religionsfreiheit erkennt Art. 2 Abs. 1 lit. c) LOLR ausdrücklich das Recht an, „Religionsunterricht und Informationen über Religion jeglicher Art mündlich, schriftlich oder auf andere Weise zu empfangen und zu vermitteln“. Ebenso hat jeder das Recht, „für sich selbst sowie für Minderjährige oder sonstige Schutzbefohlene unter seiner Obhut innerhalb wie außerhalb der Schule diejenige religiöse und weltanschauliche Erziehung zu wählen, die den eigenen Überzeugungen entspricht“. Hinsichtlich der kollektiven Dimension der Religionsfreiheit benennt Art. 2 Abs. 2 LOLR als feste Bestandteile das Recht der Kirchen und Religionsgemeinschaften, Stätten für den Kultus zu errichten, sich zu religiösen Zwecken zu treffen, ihre Geistlichen zu ernennen und auszubilden, ihr eigenes Bekenntnis zu verbreiten sowie Beziehungen zu ihren Untergliederungen und zu anderen Religionsgemeinschaften im In- oder Ausland zu unterhalten. Als wesentlichen Aspekt der kollektiven Religionsfreiheit garantiert Art. 6 Abs. 1 LOLR die Binnenautonomie der Religionsgemeinschaften, also das Recht, sich entsprechend ihrer religiösen Lehre zu organisieren. Der Gesetzestext erkennt dabei nur denjenigen Gemeinschaften „volle“ Autonomie zu, welche über den Status als „registrierte Einrichtung“ verfügen. Da aber die Registrierung keine Voraussetzung für die Ausübung der Religionsfreiheit ist, bedarf es der Klarstellung, daß auch Religionsgemeinschaften ohne jede Rechtspersönlichkeit (weder als Vereine noch als Stiftungen), jedenfalls in Fragen der Lehre und der Organisation, in beträchtlichem Umfang Autonomie genießen. Nach Abs. 2 können die Religionsgemeinschaften zur Erfüllung ihrer Zwecke nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen Vereine, Stiftungen und sonstige Einrichtungen errichten und fördern. 2. Grundrechtseingriffe Generell betont das Verfassungsgericht, daß die Grundrechte nur aufgrund derjenigen Begrenzungen eingeschränkt werden können, die sich direkt oder indirekt aus der Verfassung ergeben und sofern dies zum Schutz anderer öffentlicher Interessen gerechtfertigt ist.40 Zudem hat das Gericht in Erinnerung gerufen, daß bei jeder Grundrechtseinschränkung die widerstreitenden Interessen jeweils zu möglichst großer Entfaltung gelangen sollen.41 Als einzige zulässige Schranke der Religionsfreiheit nennt die Verfassung den Schutz der öffentlichen Ordnung. Diesen Begriff füllt Art. 3 Abs. 1 LOLR unter Berücksichtigung der völkerrechtlichen Menschenrechtspakte näher aus und ver-

40 Tribunal Constitucional, Urt. v. 11.4.1981, Nr. 11/1981; Urt. v. 28.1.1982, Nr. 1/1982. 41 Tribunal Constitucional, Urt. v. 12.12.1986, Nr. 159/1986.

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steht unter „öffentlicher Ordnung“ den Schutz der Grundrechte anderer sowie die öffentliche Sicherheit, Gesundheit und Moral. a) Schutz der Grundrechte anderer Im Falle einer Grundrechtskollision ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts eine Lösung anzustreben, welche unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes den Schutz des einen Grundrechts gewährleistet, ohne die Ausübung des anderen vollständig zu verhindern. In Spanien waren vor allem Kollisionsfälle zwischen Religionsfreiheit und dem Recht auf Leben umstritten. Praktisch wurde dies bei den Zeugen Jehovas, welche auch in lebensbedrohlichen Situationen Bluttransfusionen ablehnen. In den 1980er Jahren wurde der Konflikt zugunsten des Rechts auf Leben aufgelöst, da darin die ontologische Grundlage jeden weiteren Rechts liege.42 Später erkannten die Gerichte zu einem gewissen Grad die Patientenautonomie an, bestimmte medizinische Behandlungen abzulehnen, solange die Rechte anderer nicht betroffen sind.43 Über einen solchen Konfliktfall hatte das Verfassungsgericht im Jahre 2002 erneut zu entscheiden:44 Ein 13-jähriger Junge, Mitglied der Zeugen Jehovas, hatte einen schweren Fahrrad-Unfall erlitten. Die Ärzte erklärten seinen Eltern, dem Jungen müsse die Milz entnommen werden, wofür eine Bluttransfusion erforderlich sei. Als der Junge und seine Eltern dies aus religiösen Gründen ablehnten, erwirkten die Ärzte eine gerichtliche Erlaubnis des Eingriffs, da das Leben des Jungen ernsthaft in Gefahr war. Als jedoch die Ärzte damit beginnen wollten, wurde der Junge so ängstlich, daß sie zur Überzeugung gelangten, unter diesen Bedingungen sei die Transfusion nicht durchzuführen. Die Ärzte baten die Eltern, ihren Sohn von der Unbedenklichkeit der Transfusion zu überzeugen. Auf ihre Weigerung hin brachen die behandelnden Ärzte den Eingriff endgültig ab, da die Risiken zu hoch waren. Schließlich starb der Junge, seine Eltern wurden strafgerichtlich verurteilt. Dagegen wandten sie sich vor dem Verfassungsgericht mit dem Vortrag, die Verurteilung verletze sie in ihrer Religionsfreiheit. Ihre Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg, da der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlange, die Religionsfreiheit der Eltern auf das unbedingt Notwendige zum Schutz des Lebens ihres Sohnes zu beschränken. Nach Auffasung des Gerichts 42 Tribunal Supremo, Beschl. v. 22.12.1983: Freispruch eines Richters, der eine Bluttransfusion einer Frau angeordnet hatte, die diese aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen ablehnte. Nach Ansicht des Gerichts hätte sich der Richter bei einer gegenteiligen Entscheidung selbst strafbar gemacht. 43 Tribunal Constitucional, Urt. v. 19.7.1990, Nr. 137/1990: Rechtswidrigkeit einer medinzinischen Zwangsbehandlung, sofern sich der Betreffende durch seine willentliche Entscheidung (die allein ihn selbst betrifft) in Lebensgefahr begibt. 44 Tribunal Constitucional, Urt. v. 18.7.2002, Nr. 152/2002.

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wäre es eine unverhältnismäßige Einschränkung ihrer Religionsfreiheit gewesen, die Beschwerdeführer mit Zwang dazu anzuhalten, ihren Sohn von einer Bluttransfusion zu überzeugen, nachdem ihre Religionsfreiheit bereits zum Schutz des Lebens ihres Sohnes durch die gerichtliche Erlaubnis der Transfusion (welche sie hingenommen hatten) eingeschränkt worden war. b) Öffentliche Sicherheit Der Begriff der öffentlichen Sicherheit bezieht sich im engeren Sinne auf den Schutz von Personen und Gütern. Daher ist er eng mit der Tätigkeit der Sicherheitskräfte verbunden. Wesentlich ist dabei die – vom Verfassungsgericht betonte – Erkenntnis, daß bei der Religionsfreiheit die öffentliche Sicherheit nicht als präventive Formel zur Vermeidung jeglicher Gefahr, die aus ihrer Ausübung resultieren könnte, verstanden werden darf. Andernfalls wäre ein solcher Ansatz selbst die größte Gefahr für die Religionsfreiheit. Somit ist diese Schranke im Licht des allgemeinen, die gesamte verfassungsmäßige Ordnung bestimmenden Freiheitsgrundsatzes auszulegen: Die freie Religionsausübung kann erst dann eingeschränkt werden, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zur Überzeugung des Gerichts feststeht. Allerdings hat das Gericht hat auch eine präventive Einschränkung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit bei Praktiken von Sekten gebilligt, welche die Würde, Grundrechte und freie Persönlichkeitsentfaltung einzelner ernsthaft gefährdeten. Unter solchen besonderen Umständen kann die Einschränkung der Religionsfreiheit auch unmittelbar durch die Verwaltung erfolgen, sofern die Maßnahme dem Schutz eines von der öffentlichen Sicherheit umfaßten Rechtsgutes dient, eine sorgfältige Gefahrenprognose erstellt wird und die Einschränkung im Hinblick auf das damit verfolgte Ziel verhältnismäßig ist.45 c) Öffentliche Gesundheit Beim Verständnis der öffentlichen Gesundheit als Schranke der Religionsfreiheit ist auf die Rechtsprechung des EGMR in der Rechtssache Chaare Shalom gegen Frankreich zu verweisen, welche sich auf die Einhaltung elementarer hygienischer Bedingungen bezieht, die durch die Ausübung der Religionsfreiheit ernsthaft beeinträchtigt werden können.46 Nachfolgend entschied das Verfassungsgericht im Jahr 2002, daß eine derartige Einschränkung nicht dem in Art. 15 der Verfassung verankerten Schutz des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit dient, sondern der öffentlichen Gesundheit als einem öffentlichen Interesse.47 45 46 47

Tribunal Constitucional, Urt. v. 15.2.2001, Nr. 46/2001. EGMR, ÖJZ 2001, S. 774 (Chaare Shalom/Frankreich). Tribunal Constitucional, Urt. v. 18.7.2002, Nr. 152/2002.

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d) Öffentliche Moral Das Verfassungsgericht versteht die öffentliche Moral als den gemeinsamen ethischen Mindeststandard des gesellschaftlichen Zusammenlebens.48 Somit ist dieser Begriff je nach Ort und Zeit variabel. Dabei kann die „öffentliche Moral“ als Rechtsbegriff nicht einfach mit den moralischen Überzeugungen der in einer Gesellschaft vorherrschenden Religionsgemeinschaft gleichgesetzt werden. Nach Auffassung des UN-Menschenrechtsausschusses „entspringt der Begriff der Moral vielfältigen gesellschaftlichen, philosophischen und religiösen Traditionen. Dementsprechend dürfen bei Einschränkungen der Religions- oder Weltanschauungsfreiheit zum Schutz der Moral die Grundsätze nicht ausschließlich einer einzigen Tradition entnommen werden.“ 49 Kurzum, der Rekurs auf die öffentliche Moral vermag die freie Religionsausübung religiöser Minderheiten nicht einzuschränken.

V. Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften Gemäß Art. 16 der Verfassung sind alle Religionsgemeinschaften Träger der Religionsfreiheit. Sie alle dürfen sich gleichermaßen frei zu Gottesdiensten und sonstigen religiösen Treffen versammeln, ihre Geistlichen ausbilden, ihre Lehre verbreiten und ihren internen Angelegenheiten ordnen. Indes bestehen entscheidende Unterschiede zwischen ihnen im Hinblick auf ihren Rechtsstatus, je nachdem, welche Form der Rechtspersönlichkeit sie besitzen. Am stärksten zeigen sich die Unterschiede zwischen den als „religiöse Einrichtungen“50 anerkannten Gemeinschaften und solchen, welche die Rechtspersönlichkeit als Vereine oder Stiftungen erlangt haben. Der wichtigste liegt darin, daß nur die „religiösen Einrichtungen“ über eine umfassende Autonomie im Hinblick auf ihre eigenen Regeln, interne Struktur und Personalordnung verfügen. Zudem schützt sie das Strafrecht stärker vor Störungen ihrer Gottesdienste.51 Ein weiterer markanter Unterschied verläuft zwischen den Religionsgemeinschaften, welche die Regierung als in Spanien „offenkundig verwurzelt“ aner48

Tribunal Constitucional, Urt. v. 15.10.1982, Nr. 62/1982. UN-Menschenrechtsausschuß, Allgemeine Bemerkung Nr. 22 v. 27.9.1993 zu Art. 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte. 50 Wie erwähnt (II. 1. b), Text zu Fn. 16), wird die Rechtspersönlichkeit von „religiösen Einrichtungen“ durch die Eintragung in das Register der religiösen Einrichtungen gem. Art. 5 LOLR erworben. 51 Art. 523 des Strafgesetzbuchs lautet: „Wer mit Gewalt, Drohung, Tumult oder auf ähnliche Weise die Handlungen, Zeremonien oder Kundgebungen von im öffentlichen Register des Justiz- und Innenministeriums eingetragenen Religionsgemeinschaften behindert, unterbricht oder stört, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu sechs Jahren bestraft, wenn die Tat an einem dem Gottesdienst gewidmeten Ort begangen wurde. Wenn die Tat an einem anderen Ort begangen wurde, wird die Tat mit einer Geldstrafe von 120 bis 180 Tagessätzen geahndet.“ 49

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kannt hat, und den übrigen. Nur die erste Gruppe kann Kooperationsabkommen mit dem Staat abschließen, der Beratungskommission für Religionsfreiheit angehören sowie (als Minderheitsreligion) öffentliche Förderung aus den Mitteln der Stiftung „Pluralismo y Convivencia“ erhalten. Außerdem können nach Art. 60 des Zivilgesetzbuches – bei Vorliegen der formalen Voraussetzungen – nur die „offenkundig verwurzelten“ Religionen Ehen mit ziviler Wirkung schließen. Ein weiterer Unterschied liegt im Rechtsstatus der Katholischen Kirche und denjenigen der Minderheitsbekenntnisse, die mit dem Staat ein Kooperationsabkommen abgeschlossen haben. Offenkundig wird dies am Umstand, daß der Heilige Stuhl Völkerrechtssubjekt ist, was es der Katholischen Kirche ermöglicht, Verträge mit dem Staat auf der Basis der Gleichrangigkeit nach den Kautelen des Völkerrechts auszuhandeln. Davon abgesehen, wird die Stellung der Katholischen Kirche als Religionsgemeinschaft im spanischen Rechtssystem nicht durch das Völkerrecht bestimmt, sondern durch die Verfassung selbst, welche sie in Art. 16 Abs. 3 im Kontext des Grundsatzes der Zusammenarbeit von Staat und Religionsgemeinschaften anerkennt. Dementsprechend mußte die Katholische Kirche als solche keine weiteren Schritte zur Erlangung ihres Rechtsstatus im spanischen Recht unternehmen. Im Unterschied dazu erwerben andere der kirchlichen Struktur zugehörige Institutionen die Rechtspersönlichkeit gemäß den Bestimmungen des Abkommen über juristische Angelegenheiten. Dessen Art. 1 Abs. 3 erkennt unmittelbar die Rechtspersönlichkeit der Spanischen Bischofskonferenz an. Nach Abs. 2 erhalten die territorialen Zirkumskriptionen wie Diözesen und Pfarreien die Rechtspersönlichkeit nach staatlichem Recht, insofern sie Rechtspersönlichkeit nach kanonischem Recht besitzen und dies den zuständigen staatlichen Behörden mitgeteilt wird. Denjenigen Ordensgemeinschaften, die unter der Geltung des Konkordats von 1953 Rechtspersönlichkeit erworben hatten, bleibt diese erhalten (Art. 1 Abs. 4 UAbs. 1), sie müssen sich zum Nachweis ihres Rechtsstatus nachträglich im Register der religiösen Einrichtungen eintragen lassen. Alle anderen Gemeinschaften, die bei Inkrafftreten des Abkommens noch nicht über die Rechtspersönlichkeit verfügten, erwerben diese durch die Eintragung im genannten Register (Art. 1 Abs. 4 UAbs. 2) gemäß Art. 5 LOLR. Das gleiche Regelungssystem gilt für die übrigen Kirchen oder Religionsgemeinschaften sowie für ihre Verbände und Untergliederungen. Zu beachten ist, daß die Kooperationsabkommen des Jahres 1992 keine speziellen Bestimmungen zum Erwerb der Rechtspersönlichkeit enthalten. Maßgeblich sind somit das LOLR sowie die entsprechende Rechtsverordnung.52

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Nachw. oben Fn. 17.

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Wird ein Antrag auf Eintragung in das Register abgelehnt, kann die antragstellende Vereinigung entweder auf jegliche Registrierung (und damit auf die Rechtspersönlichkeit) oder aber die Eintragung als Verein nach den Bestimmungen des Organgesetzes über die Vereine von 200253 beantragen. Allerdings bringt die letztgenannte Option Einbußen an Autonomie mit sich, da das Gesetz den Vereinen Vorgaben im Hinblick auf ihre Organisation und eine demokratische Struktur auferlegt.

VI. Wirkungsmöglichkeiten der Kirchen und Religionsgemeinschaften Als eine Form der Zusammenarbeit des Staates mit den Religionsgemeinschaften gewährt das spanische Recht den Religionsgemeinschaften Zugang zu den staatlichen Medienanstalten wie Rundfunk und Fernsehen. Grundlage hierfür ist neben Art. 16 Abs. 3 auch Art. 20 Abs. 3 der Verfassung, welcher allen „bedeutenden sozialen und politischen Gruppen“ Zugang zu den öffentlichen Medien einräumt. In der Rechtspraxis verfügen nur die mit dem Staat vertraglich verbundenen Religionsgemeinschaften über eigene Sendezeiten im staatlichen Fernsehen und Rundfunk, deren Inhalte ausschließlich sie selbst bestimmen. Zudem haben Religionsgemeinschaften das Recht, eigene Medienunternehmen zu besitzen. So ist die Bischofskonferenz Träger eines sehr einflußreichen landesweiten Radiosenders (COPE) und hält die Mehrheit (51 %) des landesweiten Fernsehkanals 13TV. Auch die evangelischen und jüdischen Verbände besitzen, wenngleich auf lokaler Ebene, Radio- und Fernsehsender. Das wichtigste Mittel für die Religionsgemeinschaften zur Einflußnahme auf die Gesellschaft ist jedoch fraglos das Bildungswesen. Der bereits erwähnte Art. 27 Abs. 3 der Verfassung (Recht der Eltern auf eine religiöse und moralische Erziehung ihrer Kinder, die mit ihren eigenen Überzeugungen übereinstimmt) wird im Sinne der Zulässigkeit des Religionsunterrichts im öffentlichen Schulwesen verstanden. Dementsprechend gewähren die Kooperationsabkommen Schülern das Recht auf Teilnahme an Religionsunterricht als Wahlfach, womit die Verfassungsbestimmung des Art. 27 Abs. 3 eingelöst werden soll. Zu betonen ist, daß die öffentlichen Schulen dazu verpflichtet sind, dieses Fach als Bestandteil ihres offiziellen Lehrplans anzubieten, auch wenn es in der Praxis nur unterrichtet wird, wenn eine Mindestzahl von teilnahmewilligen Schülern vorhanden ist. Jede Religionsgemeinschaft bestimmt selbst über Inhalte und (von der staatlichen Schulverwaltung anzustellende) Lehrkräfte des Unterrichts.54 53 Organgesetz 1/2002 v. 22.3.2002 (Abdruck in: Boletín Oficial del Estado, Nr. 73 v. 26.3.2002, S. 11981). 54 Ebenso entscheidet allein die jeweilige Religionsgemeinschaft über die Abberufung eines Religionslehrers, wenn dieser den von der Religionsgemeinschaft aufgestell-

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Schließlich verbürgt Art. 27 Abs. 6 der Verfassung natürlichen und juristischen Personen die Freiheit, Schulen zu gründen. In der Praxis steht der Großteil solcher Privatschulen in Trägerschaft von Institutionen der Katholischen Kirche, gleichwohl steht auch den anderen Religionsgemeinschaften gleichermaßen die Möglichkeit offenn, eigene Schulen zu gründen.

VII. Kirchengüter und Kirchenfinanzierung 1. Denkmalschutz Bestimmte Vermögensgüter der Religionsgemeinschaften, die als Güter von öffentlichem Nutzen oder von sozialem Interesse eingestuft sind, unterliegen einem besonderen Rechtsregime im Straf-, Verwaltungs-, Steuer- und Denkmalschutzrecht.55 Aufgrund historischer Prägungen gehört der Katholischen Kirche ein großer Teil des spanischen Kulturerbes. Im Abkommen über das Bildungswesen und kulturelle Angelegenheiten von 1979 finden sich hierzu keine besonderen Bestimmungen;56 in Art. XV Abs. 1 bekräftigt die Kirche indes ihre Entschlossenheit, ihr kulturelles Erbe in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Nähere Einzelheiten über die Effektuierung der gemeinsamen Interessen und der Zusammenarbeit mit dem Staat bleiben einer gesonderten Vereinbarung vorbehalten, zudem wurde eine bilaterale Kommission zur Koordinierung der damit verbundenen Fragen errichtet. Ebenso verfügen die anderen Religionsgemeinschaften über Kulturgüter, welche den gleichen rechtlichen Schutz genießen. Die Abkommen von 1992 nehmen (mit Ausnahme desjenigen mit dem Verband der Evangelischen Religionsgeten religiösen Anforderungen nicht mehr genügt; s. für die Katholische Kirche cc. 804 § 2, 805 CIC/1983. 55 Dazu bestimmt Art. 46 der Verfassung: „Die öffentliche Gewalt gewährleistet die Erhaltung und fördert die Bereicherung des historischen, kulturellen und künstlerischen Erbes der Völker Spaniens und der darin enthaltenen Güter, ungeachtet ihres Rechtsstatus und ihrer Trägerschaft. Das Strafgesetz ahndet jeden Verstoß gegen dieses Kulturerbe.“, nach Art. 44 „fördert und schützt (die öffentliche Gewalt) den Zugang zur Kultur, auf die jedermann ein Recht hat.“ Ihre nähere Ausgestaltung finden diese Verfassungsbestimmungen in Art. 28 des Gesetzes 16/1985 über das spanische Kulturerbe v. 25.6.1985 (Abdruck in: Boletín Oficial del Estado, Nr. 155 v. 29.6.1985, S. 20342), demzufolge alle beweglichen Güter im Besitz von kirchlichen Einrichtungen, die zum Kulturgut erklärt sind, weder an Einzelpersonen noch kommerzielle Einrichtungen, sondern allein an den Staat, Körperschaften des öffentlichen Rechts oder an andere kirchliche Einrichtungen übertragen werden können. 56 In der Präambel des Abkommens findet sich folgende allgemeine Aussage: „Das historische, künstlerische und dokumentarische Erbe der Kirche ist weiterhin ein überaus wichtiger Bestandteil des nationalen Kulturguts. Die Zusammenarbeit von Kirche und Staat rechtfertigt sich aus der Erwägung, dieses Erbe für die gesamten Gesellschaft dienlich und zugänglich zu machen, es zu erhalten und zu vermehren.“

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meinschaften, da aus historischen Gründen diese Konfession keine historischen Kulturgüter in Spanien besitzt) den Denkmalschutz zwar in den Blick, beschränken sich aber auf die Aussage, der Staat solle mit den jüdischen und muslimischen Gemeinden bei der Erhaltung und Katalogisierung ihres historischen, künstlerischen und kulturellen Erbes zusammenarbeiten und dieses der Öffentlichkeit zugänglich machen. Anders im Fall der Katholischen Kirche sehen diese Abkommen keine Einrichtung einer bilateralen Kommission vor, die sich mit Fragen der Erhaltung des kulturellen Erbes im Eigentum dieser Religionsgemeinschaften befaßt. 2. Finanzierung der Kirchen in Spanien a) Direkte Finanzierung der Katholischen Kirche Das Abkommen über wirtschaftliche Fragen von 1979 führte in Art. II ein dreistufiges Modell zur direkten Finanzierung der Kirche ein. Die erste Stufe setzte das Regime des Konkordats von 1953 (Unterstützung der Katholischen Kirche durch Mittel aus dem Staatshaushalt) fort.57 Die zweite Phase begann 1988 und beinhaltete eine Optionsregelung, die es dem Steuerpflichtigen ermöglicht, einen bestimmten Prozentsatz seiner Einkommensteuer (0,5239 %) der Katholischen Kirche zuzuwenden. Da sich aber dieser Prozentsatz als unzureichend erwies, führte der Staat das System der Haushaltszuweisungen teilweise fort, um der Kirche die gleichen wirtschaftlichen Mittel zu garantieren, die ihr unter dem früheren System zukamen. Betont werden muß, daß im Rahmen dieses neuen Kirchenfinanzierungssystem der Steuerpflichtige den genannten Prozentsatz seiner Einkommenssteuer auch bestimmten nichtkirchlichen Organisationen zwecks Unterstützung derer gemeinnütziger Tätigkeiten zuweisen konnte. Ursprünglich mußte sich der Steuerpflichte auf nur einen Zuweisungsempfänger festlegen, seit dem Jahr 2000 kann er hingegen den Prozentsatz von 0,5239 % auf mehrere Organisationen aufteilen.58 Obwohl dieses gemischte Finanzierungssystem nur für eine Übergangszeit von drei Jahren gelten sollte, blieb es bis zum Jahr 2006 in Kraft, als spanische Regierung und Katholische Kirche sich auf einige Änderungen im direkten Finanzierungssystem verständigten: Der zuwendungsfähige Prozentsatz der Einkommensteuer wurde auf 0,7 % erhöht, dafür wurden die Haushaltszuweisungen an die Kirche eingestellt.59 Zugleich verzichtete die Kirche auf die ihr im Abkom57 Einzelheiten im Haushaltsgesetz für 1988 (Gesetz 33/1987 v. 23.12.1987 [Abdruck in: Boletín Oficial del Estado, Nr. 307 v. 24.12.1987, S. 37785]). 58 Einzelheiten im Haushaltsgesetz für 2000 (Gesetz 54/1999 v. 29.12.1999 [Abdruck in: Boletín Oficial del Estado, Nr. 312 v. 30.12.1999, S. 46027]). 59 Ebenso wurde der Prozentsatz für Zuwendungen an nichtkirchliche Organisationen angehoben, für die Einzelheiten: Haushaltsgesetz für 2007 (Gesetz 42/2006 v. 28.12.2006 [Abdruck in: Boletín Oficial del Estado, Nr. 311 v. 29.12.2006, S. 46226]).

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men von 1979 zugestandene Mehrwertsteuerbefreiung beim Erwerb von dem Kultus dienenden Gütern, um den EU-Steuerrichtlinien zu entsprechen. In Art. II Abs. 5 des Abkommens von 1979 erklärte die Katholischen Kirche ihre Absicht, die für ihre Bedürfnisse erforderlichen Mittel künftig selbst aufzubringen. Ist dieses Ziel erreicht, werden sich Kirche und Staat auf „andere Bereiche und Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit“ verständigen, um das gegenwärtige Kirchenfinanzierungssystem zu ersetzen. b) Direkte Finanzierung anderer Religionsgemeinschaften Das Finanzierungssystem der Zuwendung durch den Steuerpflichtigen kommt allein der Katholischen Kirche zugute. Bei den Verhandlungen der Kooperationsvereinbarungen haben die Minderheitsreligionen diese Option wohl aus zwei Gründen abgelehnt: Zum einen, da die direkte Finanzierung der Katholischen Kirche nach dem Abkommen von 1979 nur ein Übergangsmodell darstellt, zum anderen, da die zu erwartenden Einnahmen recht bescheiden ausgefallen wären, da nur wenige Steuerpflichtige ihre Gemeinschaften unterstützen würden. Gleichwohl hatten die Minderheitsreligionen seit dem Jahr 2000 wiederholt die Erstreckung des für die Katholische Kirche geltenden Zuweisungssystems auf sich selbst gefordert. Nachdem Regierung wie Gerichte dem nicht entsprachen, wandten sie sich an den EGMR mit der Behauptung, aus religiösen Gründen diskriminiert worden zu sein. Der Gerichtshof folgte dem im Jahr 2001 jedoch nicht.60 In jüngerer Zeit hat der Oberste Gerichtshof ähnlich entschieden, als der Verband der Evangelischen Religionsgemeinschaften eine direkte Finanzierung durch Steuerzuweisungen begehrte.61 Im Jahr 2005 errichtete die spanische Regierung die öffentliche Stiftung „Pluralismo y Convivencia“ mit der Zielsetzung, denjenigen Religionsgemeinschaften eine direkte finanzielle Förderung zukommen zu lassen, die entweder mit dem Staat ein Kooperationsabkommen abgeschlossen haben oder aber als in Spanien „offenkundig verwurzelt“ anerkannt wurden.62 Diese Stiftung fördert die nicht im strengen Sinn religiösen Aktivitäen der Minderheitsreligionen in den Bereichen des Erziehungswesens, der Kultur und der sozialen Integration.

60 EGMR, in: Entscheidungen in Kirchensachen 42 (2007), S. 509 (Alujer Fernández und Caballero García/Spanien). 61 Tribunal Supremo, Urt. v. 14.12.2016, Nr. 2612/2016. 62 Näher María José Ciáurriz, La Fundación Pluralismo y Convivencia, in: AndrésCorsino Alvarez Cortina/Miguel Rodríguez Blanco (Hrsg.), Aspectos del régimen económico y patrimonial de las confesiones religiosas, 2008, S. 105.

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c) Indirekte Finanzierung der Religionsgemeinschaften Nach Art. 7 LOLR können nur diejenigen Religiongemeinschaften, die ein Kooperationsabkommen abgeschlossen haben, in den Genuß der den gemeinnützigen Organisationen gewährten Steuervorteile gelangen.63 Wenig kohärent ist freilich, daß religiös inspirierte Einrichtungen, welche die Rechtspersönlichkeit in Form der Stiftung statt der Religionsgemeinschaft erlangt haben, ohne weiteres Steuerbegünstigungen erhalten, da sie von Gesetzes wegen gemeinnützig sind. Neben diesen allgemeinen Bestimmungen enthalten sowohl das Abkommen über wirtschaftliche Fragen mit der Katholischen Kirche als auch die drei Kooperationsabkommen von 1992 mit den Minderheitsreligionen eine Aufzählung von nicht steuerpflichtigen Tätigkeiten sowie von Steuerbefreiungen. Demnach unterliegen nicht der Besteuerung: Einnahmen aus öffentlichen Sammlungen, wohltätigen Zuwendungen oder Almosen, Lehrtätigkeiten zur Aus- und Fortbildung von Geistlichen und Führungskräften in Seminaren sowie kirchlichen Fakultäten oder Universitäten, Publikation und Vertrieb von religiösen Mitteilungs- oder Dokumentationsblättern für Gläubige, sofern sie kostenlos abgegeben werden.64 Einige in den genannten Abkommen enthaltene Steuerbefreiungen wurden durch nachfolgendes Gemeinnützigkeitsrecht noch ausgeweitet:65 Die Vorschriften über die Körperschaftsteuer und einige lokale Steuern können sowohl auf Religionsgemeinschaften angewandt werden, die mit dem Staat ein Kooperationsabkommen abgeschlossen haben, als auch auf die von ihnen zur Erfüllung ihrer religiösen Ziele errichteten Wohltätigkeitsorganisationen. Gleichermaßen sind alle Religionsgemeinschaften und ihre Wohltätigkeitsorganisationen von der Grundsteuer befreit, solange der in Rede stehende Grund nicht einer wirtschaftlichen Nutzung dient, welche der Körperschaftsteuer unterliegt. In dieser Gesetzgebung liegt eine spürbare Erweiterung der in den genannten Abkommen enthaltenen Befreiungstatbestände, die sich im wesentlichen auf zum Gottesdienst bestimmte Gebäude sowie für pastorale Tätigkeiten bestimmte Annexgebäude und auf die Gebäude kirchlicher Verwaltung und die Wohnungen der Geistlichen

63 Sowohl das Verfassungsgericht als auch die frühere Europäische Kommission für Menschenrechte haben in der unterschiedlichen Behandlung von Gemeinschaften mit und ohne Kooperationsabkommen keine Diskriminierung aus religiösen Gründen erblickt, siehe EGMR DR 72, 256 (Iglesia Bautista „El Salvador“ und José Aquilino Ortega Moratilla/Spanien). 64 Auf die im Abkommen von 1979 gewährte Mehrwertsteuerbefreiung beim Erwerb von dem Kultus dienenden Gütern hat die Kirche hingegen 2006 verzichtet (oben, Text nach Fn. 59). 65 Zusatzbestimmungen 8 und 9 des Gesetzes 49/2002 über die steuerliche Behandlung von gemeinnützigen Organisationen v. 23.12.2002 (Abdruck in: Boletín Oficial del Estado, Nr. 307 v. 24.12.2002, S. 45229).

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beschränkten. Ähnliche Befreiungen betreffen die Gemeindesteuer bei Wertsteigerungen von städtischen Flächen, sofern diese nicht der Grundsteuer unterliegen (Art. 15 Abs. 3) sowie die kommunale Gewerbesteuer (Art. 15 Abs. 2) in Bezug auf die vom Gesetz privilegierten wirtschaftlich relevanten Tätigkeiten gemeinnütziger Organisationen zur Erfüllung ihrer spezifischen Zwecke (Art. 7). Zudem wiederholt das Gesetz in Art. 6 die Befreiung bestimmter Einnahmen – wie Spenden und Almosen – von der Körperschaftsteuer. Die in den Kooperationsabkommen gewährleisteten Steuerbefreiungen sind, sofern sie nicht durch das Gemeinnützigkeitsrecht ausgeweitet worden sind, unverändert in Kraft. Somit sind die betreffenden Religionsgemeinschaften von der Grunderwerbsteuer und Verwaltungsgebühren befreit, sofern das erworbene Eigentum (bzw. die erworbenen Güter oder Rechte) für den Gottesdienst, das Apostolat, karitative Zwecke oder den Unterhalt des Klerus bestimmt sind. Bemerkenswerterweise ist nur die Katholische Kirche von der Gemeindesteuer auf Bauwerke, Einrichtungen und Baumaßnahmen befreit.66 Schließlich sehen alle Kooperationsabkommen die Möglichkeit für den einzelnen Steuerpflichtigen vor, die an die betreffende Religionsgemeinschaft oder eine ihrer Wohltätigkeitsorganisationen getätigten Spenden von der Einkommenssteuer abzusetzen. Die nähere Ausgestaltung erfolgt im Gemeinnützigkeitsrecht,67 welches die Möglichkeit des Steuerabzugs auch auf juristische Personen erstreckt und ihnen gestattet, Spenden bis zu einer bestimmten Höhe von der Körperschaftsteuer abzusetzen.68

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In einem Vorabentscheidungsverfahren hat der Europäische Gerichtshof im Jahr 2017 entschieden, daß die fragliche Steuerbefreiung nur dann mit den EU-Steuerrichtlinien vereinbar ist, wenn die an sich steuerpflichtigen Tätigkeiten an Gebäuden im Eigentum einer Religionsgemeinschaft vorgenommen werden, welche religiösen Zwecken dient. Wird das Gebäude hingegen für andere, insbesondere wirtschaftlich relevante Tätigkeiten genutzt, kann in dieser Steuerbefreiung eine nach Art. 107 Abs. 1 AEUV verbotene staatliche Beihilfe liegen; näher EuGH, EuZW 2017, S. 704 (Escuelas Pías de Betania/Ayuntamiento de Getafe). Mittlerweile hat das zuständige spanische Verwaltungsgericht auf Grundlage der Ausführungen des EuGH die beantragte Steuerbefreiung abgelehnt (Juzgado de lo Contencioso-Administrativo no 4 de Madrid, Urt. v. 8.1.2018, Nr. 1/2018). 67 Nachw. Fn. 65. 68 2014 wurde Art. 19 des in Fn. 65 genannten Gesetzes dahingehend abgeändert, daß natürliche Personen eine Spende von bis zu 150 EUR zu 75 % und den übrigen Spendenbetrag zu 30 % von der Einkommensteuer abziehen können. Hat der Steuerpflichtige in zwei aufeinanderfolgenden Veranlagungszeiträumen an dieselbe gemeinnützige Organisation gespendet, erhöht sich ab dem dritten Jahr der Abzug für den 150 EUR übersteigenden Betrag auf 35 %. Entsprechend können juristische Personen ihre Spende zu 35 %, ab dem dritten Jahr zu 40 % von der Körperschaftsteuer absetzen. In beiden Fällen ist die Höhe des Steuerabzugs auf 10 % des zu versteuernden Einkommens begrenzt.

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VIII. Formen der institutionellen Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirchen Die bedeutendste Form einer institutionellen Zusammenarbeit zwischen Staat und Religionsgemeinschaften ist natürlich der Abschluß eines (Kooperations-) Vertrags. Daneben bestehen aber noch andere Mechanismen der institutionalisierten Zusammenarbeit, die vom Staat ausgehen und somit unilateraler Natur sind: Von besonderer Bedeutung ist insoweit die Beratungskommission für Religionsfreiheit. Wie dargelegt, handelt es sich dabei um ein Gremium, das dem gegenseitigen Verständnis bei der Untersuchung, Berichterstattung und Initiativen von Thematiken dient, welche die Effektuierung des LOLR betreffen. Zu jedem Entwurf eines Kooperationsabkommenes zwischen dem Staat und einer Religionsgemeinschaft hat die Kommission Stellung zu nehmen. Zu ihren weiteren Aufgaben zählt die Ausarbeitung von Berichten zu Gesetz- und Verordnungsentwürfen, welche die Registrierung von Religionsgemeinschaften sowie Anwendung des Kriteriums einer registrierten Religionsgemeinschaft als „offenkundig verwurzelt“ betreffen.69. Eine weitere Form der institutionalisierten Zusammenarbeit erfolgt durch die Stiftung „Pluralismo y Convivencia“, welche den Minderheitenreligionen, die mit dem Staat ein Kooperationsabkommen unterzeichnet haben oder jedenfalls als in Spanien „offenkundig verwurzelt“ anerkannt wurden, öffentliche Mittel zur Verfügung stellt.70 Schließlich besteht eine institutionelle Zusammenarbeit auch auf dem Gebiet des historisch-künstlerischen Erbes der Religionsgemeinschaften. Im Fall der Katholischen Kirche hat der Staat verschiedene Förderpläne zur Erhaltung von Kathedralen verabschiedet, die neben ihrer religiösen Bedeutung von kulturellem und historischem Wert sind.

IX. Anwendung des innerkirchlichen Rechts innerhalb des staatlichen Rechtssystems 1. Familienrecht Nach Art. VI des Abkommens über juristische Angelegenheiten von 1979 erkennt der Staat die bürgerlichen Wirkungen der nach den Vorschriften des kanonischen Rechts geschlossenen Ehen (im Hinblick auf Ehefähigkeit, Ehekonsens und Form der Feier) an. Die bürgerlichen Wirkungen der kirchlich geschlossenen 69 Art. 3 des in Fn. 18 genannten Königlichen Dekrets; zu weiteren Aufgaben der Kommission im Text nach Fn. 18. 70 Nähere Informationen zur Arbeit der Stiftung unter www.pluralismoyconviven cia.es (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020).

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Ehe treten jedoch nur dann ein, wenn weitere (Ordnungs-)Vorschriften des Zivilgesetzbuchs erfüllt sind, namentlich die Eintragung in das Personenstandsregister, für welche die Vorlage der kirchlichen Eheurkunde erforderlich ist. Da solche Ehen rein religiös sind, sehen sowohl das Abkommen als auch das Zivilgesetzbuch vor, daß die Entscheidungen kirchlicher Gerichte über die Ehenichtigkeit und wie päpstliche Gnadenakte über die Auflösung nicht vollzogener Ehen zwischen Getauften durch eine entsprechende Entscheidung der zuständigen staatlichen Gerichte bürgerliche Wirkungen entfalten. Wer (nur) eine kanonische Ehe eingegangen ist, kann sich zwecks Feststellung der Ehenichtigkeit an die kirchlichen oder zur Scheidung an die staatlichen Gerichte wenden. Im letzten Fall hat die Entscheidung keinerlei Auswirkung auf das (Fort-)Bestehen der kanonischen Ehe für die kirchlichen Binnensphäre. Anders gewendet, beschränkt sich das Scheidungsurteil darauf, die bürgerlichen Wirkungen der kanonisch geschlossenen Ehe zu beenden. Abgesehen davon kommt den Entscheidungen religiöser Gerichte in Familiensachen keine bürgerliche Wirkung zu (etwa nach alternativen Streitbeilegungeverfahren wie den sog. Alternative Dispute Resolutions): Nach spanischem Recht ist das Familienrecht ius cogens, über welches (mit Ausnahme von Güterrechtsfragen) exklusiv die staatlichen Gerichte entscheiden. 2. Rechtsfähigkeit von der Katholischen Kirche zugeordneten Einrichtungen Die Religionsgemeinschaften verfügen, gemäß ihrer internen Rechtsvorschriften, in Vermögensangelegenheiten über die volle Rechtsfähigkeit.71 Art. 6 Abs. 2 LOLR eröffnet ihnen die Möglichkeit, zur Erfüllung ihrer Ziele eine eigene Funktionsstruktur entsprechend ihrer Lehre zu schaffen (Vereinigungen, Stiftungen etc.). Da das Vermögen religiöser Einrichtungen der Erfüllung bestimmter religiöser Ziele dient, unterliegt seine Verwaltung oft einer gewissen Kontrolle durch kirchliche Behörden. Im Fall der Katholische Kirche ist nach c. 1291 CIC die Kontrolle so ausgestaltet, daß in bestimmten Fällen zur gültigen Veräußerung von Vermögensstücken die vorherige Erlaubnis der zuständigen Autorität erforderlich ist. Welche dies ist, hängt vom Eigentümer, der Art und dem Wert des Vermögensstücks ab. Unterhalb einer Mindestgrenze bedarf es keiner Erlaubnis, jenseits einer Obergrenze erteilt diese der Heilige Stuhl. Die Spanische Bischofskonferenz hat gem. c. 1292 § 1 CIC die Untergrenze auf 150.000 EUR und die

71 Näher Art. 37 des Zivilgesetzbuchs. Im Hinblick auf die Katholische Kirche verweist Art. 38 Abs. 2 auf das Vertragsrecht sowie auf Spezialgesetze.

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Obergrenze auf 1,5 Millionen EUR festgesetzt. Diese Wertgrenzen entfalten Wirksamkeit auch im staatlichen Rechtsverkehr.72

X. Schlußbemerkung Das gegenwärtige Modell der Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Spanien vermag nach wie vor den Herausforderungen zu begegnen, die der religiöse Pluralismus für die Gesellschaft mit sich bringt. Zugleich scheinen einige Gesetzesänderungen angezeigt, um bessere Rahmenbedingungen für die freie Religionsausübung sowohl für Einzelne als auch für Religionsgemeinschaften zu schaffen. Dafür bedarf es freilich keiner Änderung des bestehenden Modells der Beziehungen zwischen Kirche und Staat, die Kooperationsabkommen sind weiterhin taugliche Mittel zur Ermöglichung der freien Religionsausübung je nach den Bedürfnissen der betroffenen Religionsgemeinschaft. Gewiß läßt sich über den Inhalt der Abkommen neu nachdenken: Streng genommen, haben manche Bestimmungen nichts mit Kooperation zu tun, sondern stellen sich als Ausdrucksformen der kollektiven Religionsfreiheit dar; andere wiederum betreffen zwar die Kooperation, müßten aber stärker effektuiert werden. Erinnert sei nur an die politische Diskussion im Jahr 2010 zur Regierungszeit der Sozialistischen Partei, ob eine Änderung des rechtlichen Rahmens der Beziehungen zwischen Kirche und Staat angezeigt sei. Damals verfochten einige Stimmen die Aufhebung der Kooperationsabkommen, da sie Elemente religiöser Diskriminierung seien. Demgegenüber hat der EGMR wiederholt entschieden, daß solange keine Verletzung der religiösen Gleichheit vorliege, als alle Religionsgemeinschaften die gleichen Möglichkeiten offenstünden, mit dem Staat einen Vertrag abzuschließen. In ein Bild gefaßt: Das gegenwärtige Modell der Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Spanien gleicht einem Baum, der neben prächtigen Früchten auch trockenes Holz hervorgebracht hat. Daraus ziehen die einen den Schluß, dieser Baum müsse gefällt, und an seiner Stelle ein neuer gepflanzt werden. Andere wollen, daß alles so bleibt, wie es ist. Doch zwischen diesen Positionen gibt es einen Mittelweg: Man kann den Baum beschneiden, damit ihm neue Äste entspringen, die noch bessere Früchte hervorbringen.

72 Siehe nur Tribunal Supremo, Urt. v. 27.2.1997, Nr. 138/1997: Ungültigkeit des Grundstückverkaufs durch eine Ordensgemeinschaft aufgrund fehlender Erlaubnis durch die zuständige kirchliche Autorität.

Das Verhältnis von Staat und Kirche in Italien Von Gabriele Fattori, Foggia I.

Historische Grundlagen des staatlichen Kirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom Statuto Albertino (1848) zur Einheit Italiens (1861) . . . . . . . . . . . . . . . 2. Von der Einheit (1861) zu den Lateranverträgen (1929) . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Von den Lateranverträgen (1929) zur Verfassung (1948) . . . . . . . . . . . . . . . 4. Von der Verfassung (1948) zum neuen Konkordat (1984) . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vom neuen Konkordat (1984) bis heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Rechtsquellen des staatlichen Kirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 III. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 IV. V.

Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Rechtsstellung der römisch-katholischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

VI. Anwendung des innerkirchlichen Rechts in der staatlichen Rechtssphäre: die kanonische Ehe mit ziviler Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 VII. Kirchengüter und Kirchenfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 VIII. Rechtlicher Status anderer Kirchen und Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . 130

I. Historische Grundlagen des staatlichen Kirchenrechts1 Bei der Frage nach der Beziehung zwischen Kirche und Staat beziehungsweise zwischen religiöser und weltlicher Macht handelt es sich im Wesentlichen um eine Frage nach der Beziehung zwischen Religion und Politik. In der Geschichte sind Religion und Politik die einzigen ursprünglichen und die beiden bedeutensten Quellen des Rechts. Vor diesem Hintergrund sind Religion und Politik, also Kirche und Staat, dazu bestimmt, sowohl alternativ als auch komplementär gleichzeitig Gegenspieler und Verbündete zu sein. Aus diesem Grund war es nicht immer einfach, eine Lösung für das Problem in der Beziehung zwischen 1 Siehe Francesco Ruffini, La libertà religiosa. Storia dell’idea, 1901; Francesco Ruffini, Relazioni tra Stato e Chiesa, 1974; Arturo Carlo Jemolo, Chiesa e stato in Italia negli ultimi cento anni, 1975; Roberto Pertici, Chiesa e Stato in Italia. Dalla Grande Guerra al nuovo Concordato (1914–1984), 2009; Marco Ventura, Religion and law in Italy, 2013; ders., Diritto ecclesiastico, in: Alberto Melloni (Hrsg.), Dizionario del sapere storico-religioso del novecento I, 2010; Giovanni Battista (Hrsg.), Il nuovo volto del diritto ecclesiastico italiano, 2004; ders. (Hrsg.), La costruzione di una scienza per la nuova Italia: dal diritto canonico al diritto ecclesiastico, 2007; Carlo Ghisalberti, Storia costituzionale d’Italia 1848–1994, 1974.

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Kirche und Staat zu finden. Genau genommen hat dieses Problem teilweise Auseinandersetzungen und blutige Kämpfe hervorgebracht – wie etwa im 16. und 17. Jahrhundert bei den Religionskriegen – und zu tiefen Spaltungen geführt, wie sie in Italien nach 1870 auftraten. In Italien hatte keine andere Religion jemals den gleichen politischen und rechtlichen Status wie die katholische Kirche. Die zentrale Rolle der katholischen Kirche in der institutionellen Entwicklung Italiens wird durch bekannte historische, soziale, kulturelle und auch geografische Faktoren begünstigt. Aus historischer Sicht war das Problem zwischen ziviler und religiöser Macht in Italien deshalb bis zu den neuen Abkommen zwischen Staat und Kirche von 1984 nur oder fast ausschließlich eine Frage zwischen dem Staat und der katholischen Kirche. Aus institutioneller und rechtlicher Sicht hat sich die geschichtliche Entwicklung der Beziehung zwischen der katholischen Kirche und Italien in fünf Phasen vollzogen: 1. Die Phase des Statuto Albertino (Albertinisches Statut), die der Vereinigung Italiens vorausging (1861). 2. Die Phase des Statuto Albertino, die auf die Vereinigung Italiens folgte und bis zu den Abkommen zwischen Italien und dem Heiligen Stuhl von 1929 (den Lateranverträgen) andauerte. 3. Die Phase, die der Verfassung vorausging und die sich auf die Bestimmungen der Lateranverträge zwischen der katholischen Kirche und dem italienischen Staat konzentrierte. 4. Die auf die Verfassung folgende Phase, nachdem das neue Verfassungsgesetz in Kraft trat. 5. Schließlich die Phase, die durch die Revision der Lateranverträge im Jahr 1984 eingeleitet wurde und die der Vereinbarungen mit nicht-katholischen Konfessionen folgte, die unseren heutigen kulturellen und religiösen Pluralismus widerspiegelt. 1. Vom Statuto Albertino (1848) zur Einheit Italiens (1861) In der ersten Phase vor der italienischen Vereinigung (1861) hatten die verschiedenen italienischen Staaten unterschiedliche kirchliche und staatliche Regelungen, aber sie teilten ein gemeinsames Modell, das die zwei Grundsätze von confessionismo und giurisdizionalismo vereinte. Confessionismo bestand in dem Grundsatz, daß jeder Staat sich nur mit einer einzigen Konfession identifizierte, nämlich dem römischen Katholizismus. Giurisdizionalismo heißt, daß die staatliche Gewalt befugt ist, kirchliche Organisationen zu kontrollieren, zu reformieren und Einfluß auf sie zu nehmen. In den meisten Gebieten, die heute zu Italien

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gehören, war das Statuto Albertino in Kraft.2 Das Statuto Albertino, die Verfassung des Königreichs Sardinien-Piemont von 1848, erklärte, daß der römischapostolische Katholizismus die einzige Religion des Staates sei und die anderen „Kulte“ vorbehaltlich des Gesetzes „toleriert“ würden (Art. 1). Für einige Angelegenheiten war die katholische Kirche zuständig. Diese wurden durch das kanonische Recht geregelt. Art. 108 des Statuto beispielsweise behielt die Aufgabe der Eheschließung der Kirche vor. Form und Voraussetzungen für die Eheschließung wurden durch das kanonische Recht geschaffen. Mit anderen Worten war die kanonische Ehe die einzige Form der Ehe, die es gab. Tatsächlich wurde das Konzept des ius connubii (das Recht, eine Ehe zu schließen) nur bei Katholiken anerkannt. Nichtkatholiken konnten nur heiraten, nachdem sie zum Katholizismus konvertierten. Alle anderen Formen von Liebesbeziehungen waren daher der Missbilligung der Gesellschaft unterworfen und galten als unrechtmäßig. 2. Von der Einheit (1861) zu den Lateranverträgen (1929) Im Jahre 1861 wurde Italien durch den Anschluß diverser anderer Gebiete an das Königreich Sardinien vereint. Die Gebiete der Päpstlichen Staaten wurden mit Ausnahme der Stadt Rom, die unter weltlicher Herrschaft des Papstes blieb, ebenfalls annektiert. So begann die zweite Phase der Beziehungen zwischen Italien und der katholischen Kirche. Das Statuto Albertino wurde am 17.3.1861 zur Verfassung des italienischen Staates. Und da nach Art. 1 des Statuts die katholische Religion als die „einzige“ Religion Italiens galt, war der italienische Staat von Anfang an ein konfessioneller Staat. Der italienische confessionismo wurde jedoch durch die Politik der neu gegründeten italienischen Regierungsform, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Mischung aus confessionismo und giurisdizionalismo war, konterkariert. Insofern beschränkte sich der staatliche confessionismo auf die Verwendung der Formalien der katholischen Religion in öffentlichen Zeremonien (Eröffnung eines Krankenhauses, Stapellauf eines Schiffes usw.). Die Gesetzgebung des italienischen Staates hingegen wurde durch das liberale Ideal der Trennung von Staat und Kirche inspiriert sowie der Vorstellung, Religion sei nur eine Privatangelegenheit und Kirche einfach eine zwar angesehene Institution, der man aber keine weltliche Macht zubilligen wollte. Zum Beispiel wurde mit dem ersten italienischen Zivilgesetzbuch von 1865 die Ehe nach kanonischem Recht durch die Zivilehe ersetzt.3 Mit der Zivilehe wurde das ius connubii auf alle, Katholiken wie Nichtkatholiken, ausgedehnt. Die kanonische Ehe blieb ein rechtlicher, aber privater Akt mit religiöser, jedoch nicht öffentlicher Bedeutung. Aber auch im 19. Jahrhundert gab es in der Politik des liberalen Staates zum Teil Hinweise auf Antiklerikalismus: Zwischen 1855,4 2 3 4

Statuto Albertino, Gesetz vom 4.5.1848. Gesetz des Königreichs Nr. 2215 vom 2.4.1865, in Kraft seit 1.1.1866. Gesetz Nr. 878 vom 29.5.1855.

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18665 und 18676 wurden viele kirchliche Vereinigungen und Körperschaften unterdrückt und ihr Vermögen beschlagnahmt. Im Jahre 1870 wurde die Beziehung zwischen Kirche und Staat durch die Besetzung Roms und die debellatio der Päpstlichen Staaten abgebrochen. Die Kirche lehnte das Garantiegesetz (1871)7 ab, mit dem der Staat einseitig die Vorrechte des Papstes bestimmte. Papst Pius IX. verbot den Katholiken die Teilnahme am politischen Leben, an Wahlen und öffentlichen Veranstaltungen in Italien. 3. Von den Lateranverträgen (1929) zur Verfassung (1948) Ab den 1920er-Jahren begannen Italien und der Heilige Stuhl wieder miteinander zu kommunizieren. 1929 schlossen Benito Mussolini für die faschistische italienische Regierung und Kardinal Pietro Gasparri für den Heiligen Stuhl eine Vereinbarung, die die Beziehung zwischen Italien und der katholischen Kirche auf eine völlig neue Grundlage stellte.8 Die Abkommen wurden als Lateranverträge und das neue Bündnis zwischen Kirche und Staat als Versöhnung bezeichnet. Die Versöhnung wird oft als Versuch der faschistischen Regierung dargestellt, einen politischen Konsens mit dem Katholizismus im Tausch gegen die Privilegien der katholischen Kirche zu erzielen. Das stimmt nur zum Teil. Tatsächlich wird allzuoft vergessen, daß es die katholische Kirche und die mit den Lateranverträgen gewonnen Räume der Religionsfreiheit waren, die das Regime an einem radikaleren Totalitarismus nach dem Beispiel anderer totalitärer europäischer Staaten hinderten. Die Lateranverträge bestanden aus drei Dokumenten: einem Vertrag, einem Konkordat und einem Finanzierungsabkommen. Der Vertrag bekräftigte Art. 1 des Statuto Albertino, der den Katholizismus zur Religion des italienischen Staates erklärte. Er gab der katholischen Kirche mit der Verfassung des Vatikanstaats Gebiete zurück und hob das Garantiegesetz auf. Das Konkordat regelte die Beziehungen zwischen der Kirche und dem italienischen Staat. Mit dem Finanzierungsabkommen entschädigte der italienische Staat die katholische Kirche für den Verlust der Päpstlichen Staaten. Diesmal war die dem italienischen Staat durch den Vertrag von 1929 zugewiesene Definition echter confessionismo. In Bezug auf Ehe, kirchliche Organisationen und Vermögen übernahm das Konkordat den Grundsatz, daß alles, was für die katholische Kirche bestand und galt, auch für den italienischen Staat bestand und galt. Zum Beispiel hatte sich der italienische Staat mit dem Konkordat dazu verpflichtet, die katholische Eheschließung, die nach dem kanonischen Ritus und dem kanonischen Recht vollzogen wurde, auch in Italien als gültig anzuerkennen.9 Die kanonische Ehe 5

Königliches Dekret Nr. 3036 vom 23.7.1866. Gesetz Nr. 3848 vom 7.7.1867. 7 Gesetz Nr. 214 vom 13.5.1871. 8 Gesetz Nr. 810 vom 27.5.1929; Gesetz Nr. 847 vom 27.5.1929; Gesetz Nr. 848 vom 27.5.1929. 9 Art. 34 des Gesetzes Nr. 810 vom 27.5.1929; Gesetz Nr. 847 vom 27.5.1929. 6

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mit säkularer Wirkung wurde als „Konkordatsehe“ bekannt. Das Konkordat schrieb auch den katholischen Religionsunterricht in allen Schulstufen und -formen vor. Das Gesetz Nr. 1159/192910 regelt „die Ausübung der erlaubten Kulte“ und „die vor den Geistlichen dieser Kulte gefeierte Ehe“. Mit diesem Gesetz ging die Regelung der Beziehungen zwischen dem Staat und den nichtkatholischen Kulten von dem in Art. 1 des Statuto Albertino festgelegten Regime der „Toleranz“ in ein Regime der „Genehmigung“ über. Die nichtkatholischen Religionen wurden jedoch nur dann anerkannt, wenn sie sich nicht zu Grundsätzen bekannten oder Riten durchführten, die gegen die guten Sitten verstoßen.11 4. Von der Verfassung (1948) zum neuen Konkordat (1984) Mit dem Fall des Faschismus 1943, dem Übergang von der Monarchie zur Republik im Jahre 1946 und der Bekanntmachung der neuen italienischen Verfassung im Jahr 1948 beginnt die vierte Phase der Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Staat. Hier wird der Grundstein für eine Entwicklung der Beziehungen zwischen Italien und den nichtkatholischen Religionen gelegt. Die italienische Verfassung von 1948 ist ein Kompromiss zwischen den wichtigsten politischen Kräften der verfassungsgebenden Versammlung: den Katholiken, den Liberalen, den kommunistischen und sozialistischen Linken. Art. 7 der Verfassung schützt die Lateranpakte und verweist ausdrücklich auf die Regelungen des Konkordats. Art. 8 der Verfassung erkennt die gleiche Freiheit aller Konfessionen und nichtkatholischen Religionen an, ihren jeweils eigenen Rechtsstatus mit dem italienischen Staat auszuhandeln. Es gibt jedoch eine bedeutende Anzahl von Regelungen innerhalb der Lateranpakte, die mehr oder weniger offen den Bestimmungen der Verfassung entgegenstehen, etwa den Grundsatz, daß die Staatsreligion der Katholizismus sei, oder die Zugeständnisse, die der katholischen Kirche gewährt und nicht auf die anderen Kulte ausgedehnt wurden. Auch die ausschließliche Zuständigkeit des geistlichen Richters für die Konkordatsehe und das Verbot für abgefallene Priester, öffentliche Ämter zu übernehmen, widersprachen der Verfassung. In den 1970er- und frühen 1980er-Jahren waren die Bestimmungen des Konkordats aufgrund von Gesetzesreformen und der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung nicht mehr zeitgemäß. Es wurde die zivile Scheidung eingeführt, wodurch die italienischen Richter die säkularen Auswirkungen der Konkordatsehe beenden konnten. Die verfassungsrechtliche Rechtsprechung gab ihnen auch die Befugnis, die von den Richtern der katholischen Kirche in Italien erlassenen Urteile über die Aufhebung der Ehe anzuerkennen oder nicht anzuerkennen. 10 11

Gesetz Nr. 1159 vom 24.6.1929. Art. 1 des Gesetzes Nr. 1159 vom 24.6.1929.

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5. Vom neuen Konkordat (1984) bis heute Anfang der 1980er-Jahre erkennen die katholische Kirche und der Staat, daß eine Reform der Lateranpakte notwendig ist. Die neuen Abkommen werden 1984 in der Villa Madama von Bettino Craxi, dem sozialistischen Ministerpräsidenten Italiens, und Agostino Casaroli, dem Kardinalsekretär des Vatikans, unterzeichnet.12 Die Vereinbarungen zwischen Kirche und Staat von 1984 verändern das Konkordat vollständig und markieren den Beginn der gegenwärtigen Phase der Beziehungen zwischen den beiden Parteien. Das neue Konkordat erklärt den Grundsatz, Italien sei ein rein katholischer Staat, formell für ungültig. Es reformiert die Vorschriften über kirchliche Organisationen und Vermögenswerte sowie das System zur Unterstützung des katholischen Klerus sowie die Kontrolle über die Konkordatsehe und den katholischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, der nicht mehr vorgeschrieben ist. Es hebt außerdem die politische Kontrolle kirchlicher Organisationen durch den Staat auf und erkennt die kirchliche Autorität an, über Diözesen und Gemeinden zu entscheiden und Bischöfe und Pfarrer zu ernennen. Im Jahr 1984 schuf Italien mit den Waldensern eine intesa (Übereinkommen), die erste von vielen intese mit den Religionsgemeinschaften.13 Fünf Jahre später definierte das italienische Verfassungsgericht als „obersten Grundsatz der verfassungsmäßigen Rechtsordnung“ die laicità die nicht „Gleichgültigkeit“ gegenüber der Religion bedeutet, sondern als „Sicherung der Religionsfreiheit im Rahmen des konfessionellen und kulturellen Pluralismus“ zu verstehen ist.14

II. Rechtsquellen des staatlichen Kirchenrechts15 Die Quellen des italienischen Kirchenrechts können nach ihrer Herkunft oder nach ihrer Hierarchie unterschieden werden. 12 Gesetz Nr. 121 vom 25.3.1985. Siehe Presidenza del Consiglio dei Ministri, Un accordo di libertà, 1986; Presidenza del Consiglio dei Ministri, Dall’Accordo del 1984 al disegno di legge sulla libertà religiosa. Un quindicennio di politica e legislazione ecclesiastica, 2001. Siehe auch: Carlo Cardia, Manuale di diritto ecclesiastico, 1996, S. 228 f.; Marco Ventura, Creduli e credenti. Il declino di Stato e Chiesa come questione di fede, 2014. 13 Gesetz Nr. 449 vom 11.8.1984. 14 Corte Costituzionale, Urteil vom 12.4.1989, Nr. 203, Gazzetta Ufficiale Nr. 16, 1989. 15 Siehe Antonio Maria Chizzoniti/Enrico Vitali, Manuale breve. Diritto ecclesiastico, 2017; Francesco Finocchiaro, Diritto ecclesiastico, 2015; Giuseppe Casuscelli, Nozioni di diritto ecclesiastico, 2015; Guiseppe Dalla Torre, Lezioni di diritto ecclesiastico, 2014; Carlo Cardia, Principi di diritto ecclesiastico. Tradizione europea legislazione italiana, 2005; ders., Manuale di diritto ecclesiastico, 1999; ders. (Fn. 12); siehe auch: Salvatore Berlingó/Guiseppe Casuscelli, Codice di diritto ecclesiastico, 2009; Raffaele Botta, Codice di diritto ecclesiastico, 1997; Paolo Moneta, Codice di diritto ecclesiastico, 2015.

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Geht man nach der Herkunft, können die Quellen des italienischen Staatskirchenrechts in vom Staat gesetzte Quellen und bilaterale Quellen, die aus Vereinbarungen zwischen Kirche und Staat resultieren, unterteilt werden. An der Spitze der einseitig vom Staat gesetzten Quellen stehen die obersten Grundsätze der Rechtsordnung und die Regelungen der Verfassung. Die obersten Grundsätze bestehen in den Grundwerten der politischen Gemeinschaft und stehen damit über die Verfassung. Die vertraglichen Quellen des Staatskirchenrechts sind auf verfassungsrechtlicher oder quasi verfassungsrechtlicher Ebene angesiedelt. An der Spitze stehen die Abkommen, mit denen Italien und der Heilige Stuhl 1984 die Lateranpakte von 1929 modifiziert haben. Von den drei Dokumenten, aus denen die Lateranpakte bestanden (Vertrag, Konkordat und Finanzierungsabkommen), wurde 1984 insbesondere das Konkordat vollständig reformiert. Die Verfassung verweist ausdrücklich auf die Lateranpakte. Diese Referenz verleiht dem Grundsatz des Vertragsrechts einen verfassungsmäßigen Status, auf dessen Grundlage der Staat und die katholische Kirche verpflichtet sind, die Bestimmungen auszuhandeln, die die Beziehungen zwischen ihnen regeln (Art. 7 Abs. 2). Art. 7 der Verfassung erlaubt es dem Staat jedoch, den Inhalt der Lateranverträge durch das besondere verfassungsändernde Verfahren eigenmächtig und ohne weitere Absprache zu ändern. Art. 8 Abs. 3 der Verfassung weitet den Grundsatz auch auf die Regelung der Beziehungen zwischen dem Staat und den nichtkatholischen Religionen aus. Zwar können die italienische Regierung und andere Religionsgemeinschaften ihre Beziehungen auf der Grundlage eines Staatsgesetzes regeln, dieses Gesetz muß jedoch „auf der Grundlage“ der zwischen der italienischen Regierung und den Vertretern der Religionsgemeinschaft festgelegten Übereinkommens formuliert werden (Art. 8 Abs. 3). Diese Übereinkommen bilden somit die bilateralen „Grundlagen“ der Beziehungen zwischen Italien und den nichtkatholischen Religionsgemeinschaften. Sie sind keine Rechtsquellen, sondern Vereinbarungen politischer Art, die nicht von Bedeutung sind, solange sie nicht durch ein Parlamentsgesetz ratifiziert werden. Welcher Zusammenhang besteht nun zwischen unilateralen Verfassungsgesetzen und bilateralen Verträgen? Die Abkommen zwischen Staat und Kirche werden in Italien zunächst durch ein Parlamentsgesetz ratifiziert.16 Im Anschluss daran folgt dann die Umsetzung in nationales Recht mittels Transformationsgesetz.17 Für die Beziehungen zu nichtkatholischen Religionsgemeinschaften hingegen bestätigt ein Gesetz lediglich den Abschluss der Übereinkommen. Unmit16 Gesetz Nr. 810 vom 27.5.1929, und heute, nach der Reform des Konkordats, Gesetz Nr. 121 vom 25.3.1985. 17 Im Bereich des Eherechts: Gesetz Nr. 847 vom 27.5.1929; im Bereich der kirchlichen Einrichtungen und des kirchlichen Vermögens: Gesetz Nr. 206 vom 20.5.1985; Gesetz Nr. 222 vom 20.5.1985.

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telbar geltende Verträge sind untypisch, weil das Verfahren, in dem sie zustande gekommen sind, nicht dem verfassungsrechtlich geregelten Gesetzgebungsverfahren entspricht und sie nicht einseitig außer Kraft gesetzt werden können. Die zur Ausführung des Konkordats erlassenen Gesetze, jedoch nicht die zu seiner Umsetzung, bleiben im Fall von Widersprüchen zu anderen Gesetzen mit Verfassungsrang in Kraft und werden nur außer Kraft gesetzt, wenn es sich um Verstöße gegen die höchsten Verfassungsgüter handelt. Im Gegensatz dazu verlieren die Bestätigungsgesetze der Übereinkommen (intese) bereits dann ihre Gültigkeit, wenn sie gegen Gesetze von Verfassungsrang verstoßen. Unbeachtlich wäre aber ein Widerspruch zu einfachen Gesetzen. Folglich verfügt das italienische Staatskirchenrecht über unilaterale Quellen, die dem Verfassungsrecht untergeordnet sind, und bilaterale Quellen, die dem Konkordatsrecht untergeordnet sind. Zu den Quellen des einseitig vom Staat gesetzten Rechts im einfachen Gesetzesrang gehören die Gesetze des Staates und der Regionen. Zum Beispiel ist das „Gesetz über zugelassene Kulte“ Nr. 1159 von 1929 ein Staatsgesetz, das die Beziehungen zwischen den Konfessionen ohne Übereinkommen und dem italienischen Staat regelt. Staat und Regionen intervenieren in vielen Bereichen von religiösem Interesse: der Eheschließung, der steuerlichen Behandlung gemeinnütziger nicht-kommerzieller Organisationen, der Wehrdienstverweigerung, dem strafrechtlichen Schutz der Religion, religiösen Bauten, etc. Als bilaterale Quellen einer niederen Ebene sind die intese der zweiten Stufe über den katholischen Religionsunterricht an den Schulen zu nennen, die zwischen den staatlichen Behörden und der italienischen Bischofskonferenz geschlossenen wurden. Weitere Vereinbarungen betreffen die Seelsorge, die Erhaltung und Nutzung von Archiven und Bibliotheken der katholischen Kirche sowie den Schutz des religiösen Kulturerbes (diese Vereinbarungen wurden zwischen den Regionen des Staates und den jeweiligen regionalen Bischofskonferenzen abgeschlossen). Schließlich ist zu fragen, ob und wenn ja, in welcher Form, supranationale Rechtsquellen das italienische Staatskirchenrecht beeinflussen. Die Europäische Union ist nicht unmittelbar für die Beziehungen zwischen Staat und Kirchen zuständig. Indes sind auch die internationalen und europäischen Rechtsquellen zu den unilateralen Rechtsquellen des italienischen Staatskirchenrechts zu zählen. Dies gilt insbesondere für die Quellen bezüglich der Menschenrechte und für die internationalen Menschenrechtschartas (Europäische Menschenrechtskonvention, Charta der Grundrechte der Europäischen Union). Diese Rechtsregime wirken sich nicht unmittelbar auf die Beziehungen zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften aus, spielen aber mittelbar eine wichtige Rolle in der StaatKirche-Beziehung.18 Das supranationale Recht zeigt seinen Einfluß besonders in 18

Siehe Carlo Cardia, Le sfide della laicità. Etica, multiculturalismo, Islam, 2017.

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„moralisch sensiblen“ Bereichen wie der Ehe, Familie und Bioethik.19 In diesen Bereichen hat zum Beispiel die Wirksamkeit des supranationalen Rechts zur Anerkennung der so genannten „neuen Rechte“ in Italien geführt: Anerkennung von gleichgeschlechtlicher Partnerschaft,20 und von De-facto-Verbindungen, „Recht“ auf Fortpflanzung (medizinisch unterstützte Fortpflanzung; Leihmutterschaft).21 Bislang hat die Einwirkung des supranationalen Rechts auf die nationale Rechtsordnung allmählich zugenommen. Dies geschah unabhängig von formalen Kompetenzübertragungen an supranationale Institutionen aufgrund einer Kombination von Faktoren:22 a) Viele Artikel der Verfassung verweisen direkt oder indirekt auf Normen der internationalen und europäischen Rechtsordnungen. b) Bei der verfassungsgemäßen Auslegung des einfachen Gesetzes sind stets auch die Grundsätze der Europäischen Menschenrechtskonvention zu berücksichtigen.23 19 Siehe Venerando Marano, Le unioni di fatto secondo Bruxelles. Linee di tendenza e alcuni nodi irrisolti in alcuni recenti sviluppi dell’ordinamento comunitario, in: Guiseppe Dalla Torre/Carlo Gullo/Geraldina Boni (Hrsg.), Veritas non auctoritas facit legem, 2012, S. 331; ders., Matrimonio e famiglia. Limiti di competenza e profili di rilevanza dell’ordinamento comunitario, in: Laura De Gregorio (Hrsg.), Le confessioni religiose nel diritto dell’Unione europea, 2012, S. 189; Alfonso Celotto, L’età dei (non) diritti, 2017. 20 Siehe Gabriele Fattori, La coniugalité en Italie: entre idéal religieux et évolution juridique, Revue de droit canonique, 66 (2016), S. 293. 21 Siehe Art. 12 EMRK; Art. 9 Carta di Nizza; siehe auch Art. 8 EMRK und Art. 7 GRCh. Siehe Gabriele Fattori, Il rovesciamento giurisprudenziale delle norme in materia di procreazione medicalmente assistita. Interpretazione evolutiva e dilemma contromaggioritario, Quaderni di diritto e politica ecclesiastica, 2015, S. 143. 22 Siehe Marcello Toscano, Il fattore religioso nella Convenzione Europea dei Diritti dell’Uomo. Itinerari giurisprudenziali, 2018; Pasquale Annicchino, Giudicare la fede. Corte Suprema degli Stati Uniti e Corte Europea dei diritto dell’uomo davanti al conflitto dei valori in Occidente, 2018; Roberto Mazzola (Hrsg.), Diritto e religione in Europa. Rapporto sulla giurisprudenza della Corte europea dei diritti dell’uomo in materia di libertà religiosa, 2012; vor allem Marco Ventura, La virtù della giurisdizione europea sui conflitti religiosi, S. 293; Laura De Gregorio (Hrsg.), Le confessioni religiose nel diritto dell’Unione europea, 2012; Marco Ventura, La laicità dell’unione europea. Diritti, mercato, religione, 2001; Francesco Broglio/Cesare Mirabelli/Francesco Onida, Religioni e sistemi giuridici, Introduzione al diritto ecclesiastico comparato, 1997. Siehe auch Guiseppe Casuscelli, Convenzione europea, giurisprudenza della Corte europea dei diritti dell’uomo e sua incidenza sul diritto ecclesiastico italiano. Un’opportunità per la ripresa del pluralismo confessionale?, Stato, Chiese e pluralismo confessionale, September 2011, S. 1; Jlia Pasquali Cerioli, La tutela della libertà religiosa nella Convenzione europea dei diritti dell’uomo, Stato, Chiese e pluralismo confessionale, Januar 2011, S. 1. Siehe auch Gabriele Fattori, Diritto nazionale e supernazionale. Le prospettive ecclesiasticistiche sul processo giuridico di costruzione europea, Studi urbinati, 2013, S. 189. 23 Corte Costituzionale, Urt. v. 24.10.2007, Nr. 348, 349, Gazzetta Ufficiale Nr. 42, 2007.

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c) Die Rechtsprechung der europäischen (insbesondere des EuGH) und der internationalen Gerichte (insbesondere des EGMR) findet Beachtung im italienischen Recht. d) Die Verschmelzung des internationalen Privatrechts.

III. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien im Überblick24 Aus den obersten Grundsätzen der Rechtsordnung25 und den Verfassungsgesetzen lassen sich zehn strukturelle Grundsätze des Staatskirchenrechts ableiten. 1. Der erste davon ist der Grundsatz der laicità, der 1989 vom Verfassungsgericht aus einer Zusammenschau von Normen entwickelt wurde, die den verfassungsrechtlichen Rahmen für das religiöse Geschehen im Staat bilden, Art. 2, 3, 7, 8, 19 und 20 der italienischen Verfassung.26 Der Grundsatz der laicità stellt daher das Paradigma der Auslegung und Anwendung der Religionsgesetze dar. In der vom Verfassungsgericht entwickelten positiven und integrativen Bedeutung wird laicità vom Säkularismus abgegrenzt. Sie ist „nicht gleichbedeutend mit Gleichgültigkeit gegenüber der Erfahrung der Religion, sondern stellt die Garantie des Staates dar, daß die Religionsfreiheit in einem Rahmen des konfessionellen und kulturellen Pluralismus gewahrt wird“.27 Das bedeutet „Äquidistanz und Unparteilichkeit“ des Staates gegenüber allen Religionen „ohne daß der Menge und der Bandbreite der Mitglieder einer bestimmten Konfession Bedeu-

24 Siehe Gabriele Fattori, Diritto costituzionale della religione. Repertorio della manualistica e analisi dei percorsi, 2018; Nicola Colaianni, Diritto pubblico delle religioni. Eguaglianze e differenze nello Stato costituzionale, 2012; Nicola Colaianni, Eguaglianza e diversità culturali e religiose. Un percorso costituzionale, 2006; Guiseppe Dalla Torre, Il fattore religioso nella Costituzione. Analisi e interpretazioni, 2003. 25 Siehe Corte Costituzionale, Urt. v. 29.12.1988, Nr. 1146, Gazzetta Ufficiale Nr. 2, 1989; Corte Costituzionale, Urt. v. 23.7.1991, Nr. 366, Gazzetta Ufficiale Nr. 30, 1991; Corte Costituzionale, Urt. v. 12.4.2002, Nr. 106, Gazzetta Ufficiale Nr. 16, 2002. 26 Siehe Augusto Barbera/Carlo Fusaro, Corso di diritto costituzionale III, 2016, S. 51–55 und S. 223–226; Roberto Bin/Giovanni Pitruzzella, Diritto costituzionale XVIII, 2017, S. 93–95; Mario Dogliani/Ilenia Massa Pinto, Elementi di dirittto costituzionale, 2015, S. 165–168; Luca Mezzetti, Manuale breve. Diritto costituzionale XII, 2017, S. 65–70; Andrea Pisaneschi, Diritto costituzionale II, 2016, S. 471–474; Canto Dal, I principi fondamentali, in: Roberto Romboli (Hrsg.), Manuale di diritto coistoituzionale ed europeo II, 2015, S. 145–146; Claudio Rossano, Manuale di diritto pubblico IV, 2016, S. 76; Gustavo Zagrebelsky/Valeria Marcenò/Francesco Pallante, Lineamenti di diritto costituzionale II, 2015, S. 166–168; Temistocle Martines, Diritto costituzionale XIV, 2017, S. 213–214; Paolo Barile/Enzo Cheli/Stefano Grassi, Istituzioni di diirtto costituzionale XV, 2016, S. 25–26; Malio Mazziotti Di Celso/Giulio Maria Salerno, Manuale di diritto costituzionale VI, 2014, S. 186–194. 27 Corte Costituzionale, Urt. v. 12.4.1989, Nr. 203, Gazzetta Ufficiale Nr. 16, 1989.

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tung beigemessen wird“.28 Der oberste Grundsatz von laicità ist eine Weiterentwicklung des Grundsatzes des Art. 1 des Zusatzprotokolls zum Konkordat von 1984, mit dem Italien ausdrücklich jede Staatsreligion ablehnte. 2. Der demokratische Grundsatz des Art. 1 der Verfassung erkennt die Souveränität des Volkes an, und nur die politische Macht ist zur Ausübung der Volkssouveränität legitimiert. Aus diesem Grunde schließt der demokratische Grundsatz den theokratischen Grundsatz aus, nach dem alle Staatsgewalt von Gott abgeleitet wird, und schränkt den konfessionalistischen Grundsatz ein, der religiöses Recht als Teil der zivilen Rechtsordnung anerkennt. 3. Der personalistische Grundsatz des Art. 2 der Verfassung erkennt die grundlegenden Menschenrechte gemäß allen internationalen Menschenrechtspakten an einschließlich des Rechts auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. 4. Der Gleichheitsgrundsatz zählt die „Religion“ zu den Parametern des Antidiskriminierungsrechts. Die Religion wird an vierter Stelle nach „Geschlecht“, „Rasse“, „Sprache“ und vor „politischen Meinungen“ und „sozialen und persönlichen Bedingungen“ als ein Kriterium genannt, aufgrund dessen die Verfassung keine Ungleichbehandlung zulässt. 5. Der Grundsatz des Rechts auf Verteidigung und der Grundsatz des obligatorischen Schutzes der öffentlichen Ordnung, die als Kern der Rechtsgrundsätze der italienischen Rechtsordnung definiert sind. Im Laufe der Zeit haben die Entscheidungen des Verfassungsgerichts und des Obersten Kassationsgerichts diese beiden Grundsätze genutzt, um die gesetzlichen Regelungen über die Konkordatsehe durch Anpassung an den neuen Verfassungsrahmen zu bewahren. 6. Der Grundsatz des Art. 7 Abs. 1 der Verfassung über die Souveränität und Unabhängigkeit der katholischen Kirche und des Staates: „jeder in seiner eigenen Rechtsordnung“ bringt zum Ausdruck, daß die Ordnung der katholischen Kirche geistlich ist und die des italienischen Staates weltlich. Auf dieser Grundlage arbeiten die katholische Kirche und der italienische Staat als gleichrangige Parteien auf institutioneller und internationaler Ebene zusammen. 7. Der Grundsatz des Art. 8 Abs. 1 der Verfassung, wonach alle religiösen Bekenntnisse gleichermaßen vor dem Gesetz frei (sind). Der Grundsatz der „gleichen Freiheit“ aller Konfessionen umfaßt mindestens drei weitere Verfassungsgrundsätze: den personalistischen Grundsatz des Art. 2, den Grundsatz der Nichtdiskriminierung des Art. 3 und den Grundsatz der Religionsfreiheit des Art. 19. Dieser wurde eingeführt, um für alle Religionen die größtmögliche Freiheit sicherzustellen, ohne eine von ihnen zu begünstigen. Dieser Grundsatz impliziert nicht die Gleichbehandlung aller Konfessionen. Im Gegenteil zielt er darauf 28

Corte Costituzionale, Urt. v. 20.11.2000, Nr. 508, Gazzetta Ufficiale Nr. 49, 2000.

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ab, die religiösen Besonderheiten der Kulte durch ein differenziertes und zugleich nichtdiskriminierendes Regime zu fördern. 8. Der Grundsatz des Bilateralismus, auf dessen Grundlage die Regelung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche mit den Konfessionen abgestimmt werden muß. Im Einklang mit der „gleichen Freiheit“ der Religionen gilt der Grundsatz des Bilateralismus in den Beziehungen des Staates zu allen Religionsgemeinschaften. In der Beziehung zu der katholischen Kirche ist dieser Grundsatz jedoch stärker ausgeprägt als bezüglich der nichtkatholischen Religionsgemeinschaften.29 9. Gemäß dem Grundsatz aus Art. 117 Abs. 2 lit. c) der Verfassung verbleibt die Regelungskompetenz bezüglich der Beziehungen zwischen der Republik und den religiösen Bekenntnissen beim Staat. Dies schließt die Initiative der einzelnen Regionen nicht aus, in Religionsfragen im Rahmen der staatlichen Gesetze selbst Regelungen zu treffen. 10. Der letzte strukturelle Grundsatz in den Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Kirche ergibt sich aus einer Kombination der Art. 2 und 118 der Verfassung. Es ist der Grundsatz der Zusammenarbeit von Religionsgemeinschaften mit öffentlichen Institutionen im Interesse des Einzelnen und der sozialen Gemeinschaft. Dieser schließt die Übertragung von Befugnissen auf die Religionsgemeinschaften zu diesem Zweck ein.30

IV. Religionsfreiheit31 In Italien wird die Religionsfreiheit durch eine Reihe von Gesetzen geschützt, die unilateral, bilateral, verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich ausgestaltet sein können. Die Religionsfreiheit wird zunächst durch die obersten Grundsätze der Rechtsordnung und durch die Verfassung geschützt. Die Religionsfreiheit wird zudem durch den Grundsatz der laicità abgesichert, den das Verfassungsgericht zum Schutz „der Religionsfreiheit in einem Regime des kulturellen und religiösen 29 Presidenza del Consiglio dei Ministri, Dall’Accordo del 1984 al disegno di legge sulla libertà religiosa. Un quindicennio di politica e legislazione ecclesiastica, 2001; Antonio Fuccillo (Hrsg.), Multireligiosità e reazione giuridica, 2008. 30 Barbera/Fusaro (Fn. 26), S. 52; Ida Nicotra, Diritto pubblico e costituzionale, 2013, S. 69. 31 Siehe bereits Fn. 16, ferner: Giuliano Amato/Carlo Cardia (Hrsg.), Libertà religiosa, diritti umani, globalizzazione, 2017; Pierluigi Consorti, Diritto e religione, 2013; Sara Domianello (Hrsg.), Diritto e religione in Italia. Rapporto nazionale sulla salvaguardia della libertà religiosa in regime di pluralismo confessionale e culturale, 2012; Erminia Camassa (Hrsg.), Democrazie e religioni. Libertà religiosa diversità e convivenza nell’Europa del XXI secolo, Editoriale scientifica, 2016; Michele Madonna, Profili storici del Diritto di Libertà Religiosa nell’Italia Post-Unitaria, 2012.

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Pluralismus“ entwickelt hat. Die Religionsfreiheit wird als grundlegendes Menschenrecht durch Art. 2 der Verfassung geschützt, der im Sinne der Allgemeinen Erklärung der Menschenrecht ausgelegt wird. Die Religionsfreiheit wird darüber hinaus durch Art. 3 der Verfassung abgerundet, der jede Art von religiöser Diskriminierung verbietet. Außerdem wird die Religionsfreiheit durch die Gesetze, aus denen sich die verfassungsrechtliche Steuerung des Faktors „Religion“ zusammensetzt, besonders geschützt. Entsprechend der Einzelaussagen der italienischen Verfassung unterscheidet die Lehre zwischen institutioneller und persönlicher Religionsfreiheit. Art. 7 und 8 der Verfassung gewährleisten die institutionelle Religionsfreiheit, d. h. die Religionsfreiheit der Religionsgemeinschaften, verstanden als institutionelle Ausdrucksformen der Religion. Art. 19 und 20 schützen die persönliche Religionsfreiheit. Betrachten wir die institutionelle Freiheit der Religionsgemeinschaften: Wie dargelegt, verbürgt Art. 8 Abs. 1 der Verfassung allen Religionsgemeinschaften gleiche Freiheit. Dieser Grundsatz ermöglicht eine Unterscheidung zwischen der rechtlichen Behandlung der einzelnen Gemeinschaften, verbietet jedoch deren Diskriminierung. Art. 7 der Verfassung schützt die Religionsfreiheit der katholischen Kirche. Art. 7 Abs. 1 betrachtet die katholische Kirche als auf gleicher Ebene mit dem Staat stehend. Das bedeutet, der Staat erkennt die katholische Kirche als Völkerrechtssubjekt an, welches eine eigene Rechtsordnung besitzt, die von derjenigen des Staates unabhängig ist. Daher verbietet die italienische Verfassung dem Staat, sich in das Rechtssystem der katholischen Kirche einzumischen und umgekehrt. Die Religionsfreiheit der katholischen Kirche wird zudem durch Art. 7 Abs. 2 geschützt, der die Regelung der beiderseitigen Beziehungen der vertraglichen Vereinbarung vorbehält. Art. 8 Abs. 2 und 3 der Verfassung schützt die Religionsfreiheit der nichtkatholischen Religionen. Die Verfassung erkennt ihr Recht, sich durch eigene Gesetze selbst zu organisieren (d. h. sich interne Organisationsregeln zu geben: Ernennung von Religionsdienern, Regelung der Riten usw.). Voraussetzung ist jedoch, daß diese Organisationsregeln nicht in Konflikt mit der italienischen Rechtsordnung geraten. Darüber hinaus erhalten die nichtkatholischen Religionsgemeinschaften die Möglichkeit, ihre Beziehungen zum Staat durch ein Übereinkommen (intesa) zu regeln, das im Einklang mit ihren eigenen spezifischen Anforderungen und den Zwecken ihres Glaubens steht. Es besteht jedoch kein Anspruch auf eine intesa.32 Die italienische Regierung kann nach freiem Ermessen auf der Grundlage ihrer politischen Bewertung beschließen, die Verhand32 Corte Costituzionale, Urt. v. 16.7.2002, Nr. 346, Gazzetta Ufficiale Nr. 29, 2002; Corte Costituzionale, Urt. v. 10.3.2016, Nr. 52, Gazzetta Ufficiale Nr. 11, 2016.

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lungen mit einer Religionsgemeinschaft (nicht) aufzunehmen oder (nicht) abzuschließen. Zuletzt kann auch das Parlament seine Zustimmung zur der intesa, die der Form eines Parlamentsgesetzes bedarf, verweigern: In diesem Fall bleibt die intesa eine Vereinbarung ohne rechtlichen Wert. So wurde die 2007 unterzeichnete intesa mit den Zeugen Jehovas nie genehmigt. Betrachten wir nun die persönliche Religionsfreiheit: Art. 19 der italienischen Verfassung erkennt die Religionsfreiheit „aller“ an, d.h. für jeden, der sich in Italien befindet, und nicht nur für die Bürger des Landes. Diese Freiheit kann individuell oder kollektiv ausgeübt werden. Die Religionsfreiheit umfaßt die Freiheit zu glauben, nicht zu glauben und seinen Glauben zu ändern, die Freiheit der Glaubenswerbung und die Freiheit des Ritus, sofern der Ritus den „öffentlichen Anstand“ respektiert, was in der Regel als allgemeine Sittlichkeit interpretiert wird. Nach Ansicht einiger ist die Grenze des „öffentlichen Anstands“ die einzige Grenze für die Ausübung der Religionsfreiheit. Andere vertreten, daß auch die öffentliche Ordnung eingehalten werden muß. Die Freiheit, nicht zu glauben, also die Freiheit, Atheist zu sein, schwebte immer zwischen Religionsfreiheit und Gedankenfreiheit (Art. 21 der Verfassung). In den frühen 1960er-Jahren sah die Rechtsprechung dies als einen Ausdruck der Gedankenfreiheit an, weil „Atheismus dort endet, wo das religiöse Leben beginnt.“ 33 Ende der 1970er-Jahre hat das Verfassungsgericht seine Rechtsprechung geändert und die Gleichrangigkeit von Religionsfreiheit und Freiheit des Atheismus bestätigt: „Die vorherrschende Meinung stufte nun den Schutz der sogenannten Gewissensfreiheit von Nichtgläubigen als die in Art. 19 gewährleistete umfassende Religionsfreiheit ein.“ 34 Art. 20 der Verfassung verbietet es dem Staat, den kirchlichen, religiösen oder kultischen Zweck einer Vereinigung oder Einrichtung zum Anknüpfungspunkt für eine besondere gesetzliche Beschränkung oder eine besondere steuerliche Belastung zu wählen. Allerdings verhindert die Verfassung eine Vorzugsbehandlung nicht (in melius). Art. 33 beinhaltet eine weitere Facette der Religionsfreiheit, weil er die Freiheit der Kunst, der Wissenschaft, des Unterrichts und die Möglichkeit, Privatschulen aller Arten und Niveaus zu errichten, schützt. In Italien sind die Privatschulen traditionell überwiegend katholische Schulen. Die Religionsfreiheit wird durch die Europäische Menschenrechtskonvention und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die gemäß der verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert wurden und daher Geltung auch in der italienischen Rechtsordnung haben, ausdrücklich geschützt:

33 34

Corte Costituzionale, Urt. v. 13.7.1960, Nr. 58. Corte Costituzionale, Urt. v. 10.10.1979, Nr. 117.

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a) durch den allgemeinen Grundsatz der Nichtdiskriminierung;35 b) durch die Artikel, die speziell der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit gewidmet sind.36 Natürlich wird die Religionsfreiheit im Vertragsrecht noch konkreter geschützt, sei es im Konkordat mit der katholischen Kirche, sei es in den Übereinkommen mit den nichtkatholischen Religionsgemeinschaften. Diese Bestimmungen werden im nächsten Abschnitt analysiert. Reichweite und Grenzen des Wirkens der Religionsgemeinschaften ohne intesa bemessen sich nach dem Gesetz über die erlaubten Kulte Nr. 1159/1929. Die Religionsfreiheit wird auch durch einfache Gesetze geschützt. Genannt seien nur die Gesetze, die eine Verweigerung aus Gewissensgründen seitens der Angehörigen der Gesundheitsberufe in Bezug auf Abtreibung37 und medizinisch unterstützte Fortpflanzung38 sowie seitens technischen Personals in Bezug auf die Praxis von Tierversuchen39 zulassen.

V. Rechtsstellung der römisch-katholischen Kirche In den Lateranpakten von 1929 wurde die katholische Kirche zur Staatskirche erklärt. Der Sache nach wurde der Staatskatholizismus bereits durch die Verfassung von 1948 abgelöst, aber formal wurde der konfessionistische Grundsatz erst 1984 durch die neuen Abkommen zwischen Italien und dem Heiligen Stuhl und insbesondere durch Art. 1 des Zusatzprotokolls aufgehoben. Die Regelungen der Lateranverträge von 1929 wurden durch die neuen Konkordate 1984, die mit dem Gesetz 121/1985 umgesetzt wurden, vollständig modifiziert. Die Abkommen von 1984 definieren den neuen Rechtsstatus der katholischen Kirche in Italien und damit auch ihre neuen Räume der Religionsfreiheit. Art. 1 des Konkordats von 1984 bekräftigt den in Art. 7 der Verfassung verankerten Grundsatz von der gegenseitigen Unabhängigkeit und Souveränität von Staat und Kirche. Beide werden verpflichtet, zum Wohle der Menschheit und des Landes zusammenzuarbeiten. Art. 2 garantiert der katholischen Kirche die Freiheit, ihren pastoralen, pädagogischen und karitativen Auftrag der Evangelisierung und Heiligung zu erfüllen, ferner die Organisationsfreiheit, die öffentliche Ausübung des Kultes, die Freiheit der Lehre und der Ausübung geistlicher Tätigkeiten sowie die Rechtsprechung in kirchlichen Angelegenheiten. Art. 2 gewährleistet außerdem die Frei35

Art. 14 EMRK; Art. 21 GRCh. Art. 9 EMRK; Art. 10 GRCh; s. ferner Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. 37 Gesetz Nr. 194 vom 22.5.1978. 38 Gesetz Nr. 40 vom 19.2.2004. 39 Gesetz Nr. 413 vom 12.10.1993. 36

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heit der Kommunikation und des Schriftverkehrs zwischen dem Heiligen Stuhl und der italienischen Bischofskonferenz, den regionalen Bischofskonferenzen, den Bischöfen, den Geistlichen und den Gläubigen, die Freiheit, Urkunden und Dokumente über die Sendung der Kirche zu veröffentlichen und zu verbreiten. Art. 3 garantiert der kirchlichen Autorität die Freiheit, die Gebiete der Diözesen und Gemeinden zu bestimmen und die Titel zu benennen. Art. 4 definiert die Immunitäten und Befreiungen von der Wehrpflicht für Priester und Ordensmänner und legt außerdem fest, daß „die kirchlichen Institutionen nicht verpflichtet sind, Richtern [. . .] Informationen über Personen oder Angelegenheiten zur Verfügung zu stellen, die ihnen aufgrund ihres Dienstes bekannt geworden sind“. Art. 5 spezifiziert Garantien und Privilegien in Bezug auf kirchliche Gebäude. Art. 6 betrifft die von der Republik anerkannten religiösen Feiertage. Art. 8 ordnet die bürgerlichen Rechtswirkungen der nach den Bestimmungen des kanonischen Rechts geschlossenen Ehe neu. Art. 9 erkennt das Recht der Kirche an, Schulen aller Arten und Grade zu gründen. Art. 10 legt fest, daß alle Bildungseinrichtungen (Universitäten, Seminare, Internate usw.), die für die Ausbildung in den kirchlichen Disziplinen gegründet und nach kanonischem Recht errichtet wurden, ausschließlich von der katholischen Kirche abhängig sind. Art. 11 sieht vor, daß Katholiken, die beim Militär, in Krankenhäusern und Gefängnissen arbeiten, Seelsorge erhalten und ihr Recht auf Religionsfreiheit ausüben können. Art. 12 drückt die allgemeinen Grundsätze hinsichtlich der Partnerschaft zwischen Staat und Kirche „zum Schutz des historischen und künstlerischen Erbes“ aus und ebenso die Verpflichtung, „angemessene Bestimmungen“ für das „kulturelle Erbe von religiösem Interesse“ zu vereinbaren, das kirchlichen Organisationen und Instituten gehört. Art. 13 enthält Vorschriften, die das alte und das neue Konkordat miteinander verbinden: Insbesondere ist darin festgelegt, daß die Regelungen des alten Konkordats, die im neuen nicht wiedergegeben werden, als aufgehoben zu betrachten sind. Schließlich sieht Art. 14 vor, daß sich Italien und der Heilige Stuhl im Falle von Schwierigkeiten bei der Auslegung der im Konkordat enthaltenen Vorschriften verpflichten, über einen Ausschuß, der sich aus Vertretern beider Parteien zusammensetzt, eine Lösung zu finden.

VI. Anwendung des innerkirchlichen Rechts in der staatlichen Rechtssphäre: die kanonische Ehe mit ziviler Wirkung40 1929 führte das Konkordat die Konkordatsehe in die italienische Rechtsordnung ein, d. h. die religiöse Ehe, die nach dem katholischen Ritus geschlossen wurde, entfaltet auch zivile Wirkung. Der italienische Staat gewährte den Katho40 Siehe Pasquale Annicchino/Gabriele Fattori, Matrimonio canonico ed evoluzione civile. Evoluzione, involuzione e tribunalizzazione del sistema matrimoniale concordatario in Italia, Diritto & Religioni, 2014, 1, S. 115; Gabriele Fattori, Giurisprudenza

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liken mit der Konkordatsehe die Möglichkeit, nach dem Ritus ihrer Religion zu heiraten und auch als Ehepartner in der italienischen Rechtsordnung anerkannt zu werden. Zwei Automatismen garantierten das Funktionieren dieser Form der Ehe: a) Die Übermittlung der Hochzeitsdaten an das Standesamt stellte automatisch sicher, daß eine kanonische Ehe zivile Wirkung hatte.41 b) Im Falle der Eheaufhebung reichte ein entsprechendes Urteil des Kirchenrichters um auch auf der zivilen Ebene die Ehe für ungültig zu erklären, weil das Konkordat der Kirche die ausschließliche Entscheidungskompetenz über die Gültigkeit einer kanonischen Ehe gab.42 Mit anderen Worten war nach dem Konkordat von 1929 eine Ehe, die für die Kirche gültig war, auch für den Staat gültig,43 und eine von der Kirche annullierte Ehe war dies ebenso für den Staat.44 Auf diese Weise entsprach der bürgerliche Familienstand der Ehegatten immer ihrem kanonischen Status. Die italienische Verfassung von 1948 legt die Voraussetzungen für eine Reform der standesamtlichen Ehe fest und bedeutete daher eine Krise der Konkordatsehe. Im Jahr 1970 gab das neue Scheidungsrecht45 creativa, sopravvivenza e crisi del sistema matrimoniale concordatario, Ius Ecclesiae 2017, S. 299; Luigi Lacroce/Michele Madonna, Il matrimonio concordatario nella giurisprudenza della Corte di Cassazione, Il Diritto ecclesiastico 123 (2012), S. 753; Ombretta Fumagalli Carulli, Matrimonio ed enti tra libertà religiosa e intervento dello Stato, 2012; dies., Libertà religiosa e riserva di giurisdizione della Chiesa sui matrimoni concordatari: sentenze canoniche e ordinamento civile, Stato, Chiese e pluralismo confessionale, September 2011, S. 1; Natascia Marchei, La giurisdizione dello Stato sul matrimonio concordatario tra legge e giudice, 2013; dies., Matrimoni „religiosi“ ed effetti civili, Stato, Chiese e pluralismo confessionale, Juni 2010, S. 1 und in Valerio Tozzi/Gianfranco Macrì/Marco Parisi (Hrsg.), Proposta di riflessione per l’emanazione di una legge generale sulle libertà religiose, 2010, S. 336; Raffaele Botta, Il diritto ecclesiastico „vivente“ nella giurisprudenza della Corte di Cassazione, Stato, Chiese e pluralismo confessionale, Mai 2010, S. 1; ders., I limiti degli sforzi interpretativi compiuti dalla Cassazione, in: Sara Domianelle (Hrsg.), Gli effetti economici dell’invalidità dei matrimoni concordatari: de iure condito e de iure condendo, 2006, S. 97; ders. (Hrsg.), Matrimonio religioso e giurisdizione dello Stato, 1993. Ganz allgemein siehe Andrea Bettetini, La seclarizzazione del matrimonio nell’esperienza giuridica contemporanea, 1996; Andrea Zanotti, Il matrimonio canonico nell’età della tecnica, 2007. Speziell zur Exequaturkrise: Geraldina Boni, L’efficacia civile in Italia delle sentenze canoniche di nullità matrimonial dopo il Motu Proprio Mitis Iudex (parte prima), Stato, Chiese e pluralismo confessionale, 6. Februar 2017, S. 1; dies., L’efficacia civile in Italia delle sentenze canoniche di nullità matrimonial dopo il Motu Proprio Mitis Iudex (parte seconda), Stato, Chiese e pluralismo confessionale, 13. Februar 2017, S. 1; Nicola Colaianni, Il giusto processo di delibazione e le „nuove“ sentenze ecclesiastiche di nullità matrimoniale, Stato, Chiese e pluralismo confessionale, 21. Dezember 2015, S. 1. 41 Art. 34 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 810 vom 27.5.1929. 42 Art. 34 Abs. 4 des Gesetzes Nr. 810 vom 27.5.1929. 43 Art. 34 Abs. 2, 3 des Gesetzes Nr. 810 vom 27.5.1929. 44 Art. 17 des Gesetzes Nr. 847 vom 27.5.1929. 45 Gesetz Nr. 898 vom 1.12.1970.

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dem italienischen Richter die Befugnis, die zivilrechtlichen Folgen einer Konkordatsehe aufzuheben. In diesem Fall behielt die religiöse Ehe, auch wenn sie an das Standesamt übermittelt worden war, nur innerhalb der Kirche ihre Gültigkeit und war vor dem Staat ungültig geworden. Die alleinige Zuständigkeit der katholischen Kirche für Konkordatsehen stand im Widerspruch zu einer Reihe von Verfassungsgrundsätzen: der Unteilbarkeit der italienischen Zuständigkeit,46 dem Verbot des Einsatzes von Sonderrichtern47 und dem Prinzip des gesetzlichen Richters.48 Zwischen den 1970er49- und frühen 1980er-Jahren passte die italienische Rechtsprechung die Herrschaft über die Konkordatsehe schrittweise an die Verfassung an und berücksichtigte dabei die Reform des italienischen Familienrechts.50 Zwischen 1971 und 1973 verteidigte das italienische Verfassungsgericht zweimal die Legitimität der zivilen Scheidung gegenüber dem Gesetz der Konkordatsehe:51 Für das Verfassungsgericht betrifft die Wirkung der Scheidung lediglich den Fortbstand des zivilrechtlich geregelten Eheverhältnis und nicht den Akt der Eheschließung, der durch das kanonische Recht geregelt wird: Die Scheidung gilt daher nicht als Verstoß gegen die Lateranpakte und die Unteilbarkeit des Sakraments der Ehe. 1982 gab das Verfassungsgericht dem italienischen Richter die Entscheidungskompetenz über die Gültigkeit eines kirchenrechtlichen Urteils innerhalb der italienischen Rechtsordnung.52 1984 reformierten die neuen Staatskirchenverträge die Konkordatsehe und setzten die Ergebnisse der Rechtsprechung um.53 Das wichtigste dieser Ergebnisse war die Ersetzung der ausschließlichen Zuständigkeit des kirchlichen Richters für Konkordatsehen.54 Seitdem sind die von kirchlichen Richtern erlassenen Eheaufhebungsurteile in Italien nur dann wirksam, wenn der italienische Richter sie in einem sogenannten Exequaturverfahren für mit der öffentlichen Ordnung der Ehe vereinbar hält.55 46

Art. 102 Abs. 1 der italienischen Verfassung. Art. 102 Abs. 2 der italienischen Verfassung. 48 Art. 25 der italienischen Verfassung. 49 Corte Costituzionale, Urt. v. 12.4.1989, Nr. 30, Gazzetta Ufficiale Nr. 62, 1971; Corte Costituzionale, Urt. v. 1.3.1971, Nr. 31, Gazzetta Ufficiale Nr. 62, 1971; Corte Costituzionale, Urt. v. 1.3.1971, Nr. 32, Gazzetta Ufficiale Nr. 62, 1971, Corte Suprema Di Cassazione, Urt. v. 3.4.1973, Nr. 913, Il Foro Italiano 96 (1973), S. 2079, Corte Di Cassazione, Urt. v. 29.11.1977, Nr. 5188, Il Foro Italiano 101 (1978), S. 2004. 50 Gesetz Nr. 151 vom 19.5.1975. 51 Corte Costituzionale, Urt. v. 8.7.1971, Nr. 169; Corte Costituzionale 11.12.1973, Nr. 169. 52 Corte Costituzionale, Urt. v. 2.2.1982, Nr. 18, Gazzetta Ufficiale Nr. 40, 1982. 53 Art. 8 des Gesetzes Nr. 121 vom 25.3.1985. 54 Art. 13 des Gesetzes Nr. 121 vom 25.3.1985; Corte Di Cassazione, Urt. v. 13.2.1993, Nr. 1824, Il Foro Italiano, Vol. 116 (1993), S. 722; Corte Costituzionale, Urt. v. 1.12.1993, Nr. 421, Gazzetta Ufficiale Serie speciale Nr. 50, 9.12.1993. 55 Ziff. 4 des Zusatzprotokolls zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien vom 18.2.1984 („Vertrag von Villa Madama“); Art. 8 des Gesetzes Nr. 847 vom 27.5.1929. 47

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Doch von 1984 bis heute hat die soziale und rechtliche Entwicklung das Bestehen der Konkordatsehe und die Gültigkeit der Automatismen, die ihr Funktionieren gewährleisten, stark belastet. Einerseits belastet die steigende Zahl der Scheidungen die Übermittlung an das Standesamt und erhöht die Zahl der übermittelten katholischen Ehen, die ohne zivile Wirkung bleiben. Andererseits führt der Unterschied im Verständnis der zivilen Ehescheidung und dem kirchenrechtlichen Annulierungsverfahren das Exequatur in die Krise, indem auch hier die Fälle zunehmen, in denen das kanonische Aufhebungsurteil mit dem italienischen Recht nicht vereinbar ist und daher zivilrechtlich wirkungslos bleibt. So verkündete das Kassationsgericht 2014 den Grundsatz, daß die von der Kirche erlassenen Eheaufhebungsurteile in Italien nicht mehr anerkannt werden können, wenn das Eheverhältnis drei Jahre gedauert hat.56

VII. Kirchengüter und Kirchenfinanzierung57 Analysieren wir die Gesetze über die Kirchengüter unter zwei Gesichtspunkten: dem Steuerregime, das die religiösen Organisationen regelt, und der Steuerung der finanziellen Beziehungen zwischen dem Staat und den Kirchen. Unter bestimmten Voraussetzungen profitiert das Kirchenvermögen von einer günstigen Steuerregelung. Art. 20 der italienischen Verfassung besagt, daß der „kirchliche und der religiöse oder kultische Zweck einer Vereinigung oder Einrichtung“ im Vergleich zu anderen Arten von Organisationen die Anwendung einer Steuerregelung in peius nicht rechtfertigen können. Dies wäre eine Diskriminierung aus religiösen Gründen, die durch Art. 3 der Verfassung ausdrücklich verboten ist. Die Regelung des Art. 20 schließt jedoch die Anwendung günstiger

56

Corte Di Cassazione, Urt. v. 17.7.2014, Nr. 16379, 16380. Salvatore Berlingó, Enti e beni religiosi in Italia, 1992; Paolo Cavana, Enti ecclesiastici e controlli confessionali, 2002; Juan Igatio Arrieta (Hrsg.), Enti ecclesiastici e controllo dello Stato. Studi sull’Istruzione CEI in materia amministrativa, 2007; Gabriele Fattori, La giurisprudenza di legittimità in materia di enti e enti ecclesiastici, Linee di tendenza e spunti ricostruttivi, Il Diritto ecclesiastico 123 (2012), S. 827; ders., Sistema impositivo, soggetti confessionali e giurisprudenza di legittimità. Linee di tendenza e spunti ricostruttivi, Il diritto ecclesiastico 125 (2014), S. 239 ff.; Alessandro Perego, Gli enti ecclesiastici tra dato normativo e diritto vivente, in: Ombrette Fumagalli Carulli (Hrsg.), Matrimonio ed enti tra libertà religiosa e intervento dello Stato, 2012; ders., Gli enti religiosi civilmente riconosciuti nel codice del terzo settore. Prime considerazioni su una categoria soggettiva dai confini incerti, Jus 64 (2017), S. 483; Maria Cristina Folliero, Enti religiosi e non profit tra welfare state e welfare community. La transizione, II, 2010; Giuseppe D’Angelo, Principio di sussidiarietà ed enti confessionali, 2003; Giuseppe Rivetti, v. Enti ecclesiastici, IV, Diritto tributario, Aggiornamento, in: Enc. giur. Treccani, XIV, 2004, S. 1; ders., La disciplina tributaria degli enti ecclesiastici. Profili di specialità tra attività no profit e for profit, 2. Aufl., 2008; Pierangela Floris, L’ecclesiasticità degli enti. Standards normativi e modelli giurisprudenziali, 1997. 57

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Steuerregelungen in Form von Steuervergünstigungen und/oder Steuerbefreiungen sowohl bei direkten als auch bei indirekten Steuern nicht aus. Darauf aufbauend, hat das neue Konkordat mit der katholischen Kirche den zweiten Grundsatz festgelegt, nach dem die katholischen Einrichtungen für religiöse Zwecke ebenso wie die Aktivitäten zur Erfüllung dieser Zwecke von den Steuerbefreiungen profitieren, die für Wohltätigkeits- oder Bildungseinrichtungen vorgesehen sind.58 Dieser Grundsatz wurde später in den Übereinkommen mit den nichtkatholischen Religionsgemeinschaften übernommen. Daher profitieren die religiösen Organisationen wie folgt: a) Von erheblichen Steuersenkungen in Höhe der Hälfte dessen, was auf Unternehmenseinnahmen erhoben wird.59 b) Von der Befreiung der Mehrwertsteuer für Sachspenden an Wohltätigkeitsund Hilfsorganisationen, die zu Zwecken der Bildung, des Unterrichts, des Studiums und der wissenschaftlichen Forschung gegründet wurden (gemeinnützige Organisationen).60 c) Von erheblichen Ermäßigungen durch die Steuerbefreiung auf Immobilien, die nur für die Nutzung durch Religionsgruppen bestimmt sind.61 Die religiösen Organisationen, die einen zivilrechtlichen Status erworben haben, sind per definitionem nichtkommerzielle Organisationen, da ihr überwiegender Zweck in gemeinnütziger Tätigkeit besteht. Allerdings können auch die zivilrechtlich anerkannten kirchlichen Organisationen kommerziellen Tätigkeiten nachgehen, auf die Steuern erhoben werden. Und schließlich sind nichtkommerzielle Organisationen und zivilrechtlich anerkannte religiöse Organisationen (subjektive Voraussetzung) von der Vermögenssteuer befreit, wenn sie einer nichtkommerziellen oder religiösen oder kultischen Aktivitäten (objektive Voraussetzung) nachgehen.62 Wenn das Eigentum für kommerzielle Aktivitäten und nichtkommerzielle Aktivitäten verwendet wird, gilt die Befreiung nur für den Teil, der für nichtkommerzielle Aktivitäten bestimmt ist.63 Die Kirchengüter unterliegen auch der Steuerung der finanziellen Beziehungen zwischen dem italienischen Staat und den Religionsgemeinschaften. Das

58

Art. 7 Nr. 3 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 121 vom 25.3.1985. Art. 6 Abs. 1 c) des Beschlusses des Präsidenten der Republik Nr. 601 vom 29.9.1973. 60 Art. 10 Abs. 1 Nr. 12 des Beschlusses des Präsidenten der Republik Nr. 633 vom 26.10.1972. 61 Art. 7 Abs. 1 i) der Verordnung Nr. 504 vom 30.12.1992. 62 Art. 16 a) des Gesetzes Nr. 222 vom 20.5.1985. 63 Gesetz Nr. 27 vom 24.3.2012. 59

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nach der Reform des Konkordats durch das Gesetz Nr. 222/1985 eingeführte Finanzierungsmodell für die katholische Kirche wurde dann auf die Konfessionen mit einer intesa erweitert. Derzeit sieht das italienische System zwei Hauptfinanzierungskanäle für Religionsgemeinschaften vor: a) Acht Promille der gesamten Einnahmen aus der Einkommensteuer werden an die Religionsgemeinschaften gezahlt. b) Für die Steuerzahler besteht die Möglichkeit, Spenden und freiwillige Gaben an bestimmte Einrichtungen der Religionsgemeinschaften innerhalb eines bestimmten Freibetrages von ihrem steuerpflichtigen Einkommen abzusetzen. Hinsichtlich der finanziellen Beziehungen zur katholischen Kirche sieht das Gesetz 222/1985 vor, daß ein Anteil in Höhe von acht Promille der persönlichen Einkommensteuer (IRPEF) zum Teil für „soziale oder humanitäre Zwecke, die direkt vom Staat bewerkstelligt werden und zum Teil für religiöse Zwecke unter der direkten Leitung der katholischen Kirche“ verwendet wird.64 Die Beträge werden auf der Grundlage der Entscheidungen aufgeteilt, die die Steuerzahler jedes Jahr bei der Abgabe ihrer Steuererklärung treffen. Drückt ein Steuerzahler keine Präferenz aus, so wird der Betrag anteilig mit den gewählten Organisationen geteilt. Jedes Jahr ist die katholische Kirche verpflichtet, ihren Anteil von acht Promille für die gesetzlich festgelegten Zwecke zu verwenden, nämlich „für die Erfordernisse des Kultus, den Unterhalt des Klerus sowie karitative Hilfsaktionen in Italien oder in Ländern der Dritten Welt.“65 Das Gesetz sieht auch eine weitere Finanzierungsquelle vor, nämlich die Möglichkeit für die Steuerzahler, freiwillige Spenden an das Instituto centrale per il sostentamento del Clero (Zentralinstitut für den Unterhalt des Klerus) bis zu einem Freibetrag von etwa 1.000 Euro von ihrem zu versteuernden Einkommen abzusetzen.66 Neben der im Gesetz 222/1985 vorgesehenen direkten Finanzierung sieht die italienische Rechtsordnung auch Formen der indirekten Finanzierung der katholischen Kirche vor. Beispielsweise kommt der italienische Staat für die Kosten der Seelsorge beim Militär, in Krankenhäusern sowie in Gefängnissen auf. Auch die katholischen Religionslehrer, deren Rechtsstatus demjenigen anderer staatlicher Lehrer hinsichtlich ihrer Anstellung entspricht, erhalten ihr Gehalt vom Staat. Andere Formen der indirekten Finanzierung durch den italienischen Staat an die katholische Kirche sind die Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung des kulturellen Erbes mit religiösem Bezug und die Finanzierung religiöser Gebäude durch die Regionen und Gemeinden. Ein weiterer indirekter Finanzierungskanal ist schließlich die Verwendung von fünf Promille der Steuereinnahmen für Orga64 65 66

Art. 47 des Gesetzes Nr. 222 vom 20.5.1985. Art. 48 des Gesetzes Nr. 222 vom 20.5.1985. Art. 46 des Gesetzes Nr. 222 vom 20.5.1985.

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nisationen, die Sozial- und Forschungsaktivitäten nachgehen. Die Religionsgemeinschaften sind hiervon nicht direkt begünstigt, können aber über ihre eigenen sozialen und wissenschaftlich tätigen Einrichtungen von diesen Zahlungen indirekt profitieren.67

VIII. Rechtlicher Status anderer Kirchen und Religionsgemeinschaften68 Art. 8 der Verfassung regelt die Religionsfreiheit der nichtkatholischen Religionsgemeinschaften im italienischen Staat. Im ersten Absatz wird für alle religiösen Bekenntnisse die gleiche Religionsfreiheit gewährleistet. Er bildet die Voraussetzungen für die folgenden Bestimmungen. Im zweiten Absatz wird die Freiheit der nichtkatholischen Religionsgemeinschaften „zur Schaffung einer eigenen Verfassung“ anerkannt, d. h. die Freiheit, ihre eigenen internen Organisationsregeln aufzustellen, sofern diese nicht mit den Bestimmungen der italienischen Rechtsordnung kollidieren. Im dritten Absatz wird festgelegt, daß die nichtkatholischen Religionsgemeinschaften ihre Beziehungen zum italienischen Staat „per Gesetz auf der Grundlage von Übereinkommen“ regeln können, d. h. durch eine politische Vereinbarung (intesa), die durch ein Gesetz transformiert werden muß, damit sie Rechtsgültigkeit erlangt. Nach dem Grundsatz des Bilateralismus werden die Verhandlungen zum Abschluß der intesa von den Vertretern der religiösen Gruppe mit der italienischen Regierung geführt. Wenn die Parteien eine Einigung erzielen, muß die intesa mit einem vom Parlament erlassenen Gesetz genehmigt werden. Wird sie nicht genehmigt, bleibt die intesa ohne rechtliche Bedeutung. Allerdings besteht kein wirkliches Recht der Religionsgemeinschaften auf die intesa. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung hat bereits entschieden, daß: a) für die italienische Regierung keine rechtliche Verpflichtung besteht, Verhandlungen mit den Vertretern der Religionsgemeinschaft aufzunehmen;69 b) für den Fall, daß die Regierung beschließt, die Verhandlungen mit den 67

Art. 10 der Verordnung Nr. 460 vom 4.12.1970. Francesco Alicino, La legislazione sulla base di intese. I test delle religioni „altre“ e degli ateismi, 2013; Alessandro Albisetti, Il matrimonio delle confessioni religiose di minoranza, 2011; Vittorio Parlato/Giovanni Battista Varnier (Hrsg.), Principio pattizio e realtà religiose minoritarie, 1995; Marco Parisi (Hrsg.), Bilateralità pattizia e diritto commune dei culti. A proposito della sentenza n. 52/2016, 2017; Giuseppe Casuscelli, Concordati, intese e pluralismo confessionale, 1974; ders., Uguaglianza e fattore religioso, Digesto delle discipline pubblicistiche (Dig. Disc. Pubbl.), Band XV, 2000, S. 428 und ders., Diritto ecclesiastico regionale, Dig. Disc. Pubbl., V, 1991, S. 245 und auch ders./Sara Domianello, Intese con le confessioni religiose diverse dalla cattolica, Dig. Disc. Pubbl. VIII, 1993, S. 518; Vittorio Parlato, Le intese con le confessioni acattoliche. I contenuti, II, 1996; Francesco Finocchiaro, Il fenomeno religioso. I rapporti fra Stato e Chiesa cattolica. I culti non cattolici, in: Giuliano Amato/Augusto Barbera (Hrsg.), Manuale diritto pubblico III, 1984, S. 943. 69 Corte Costituzionale, 346/2002; Corte Costituzionale, 52/2016. 68

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Vertretern der Religionsgemeinschaft aufzunehmen, keine rechtliche Verpflichtung besteht, zu einem positiven Abschluß zu kommen; c) das Parlament nicht dazu verpflichtet ist, die intesa zu genehmigen. Es kann jedoch keine andere als die vereinbarte intesa genehmigen. Wenn das Parlament beabsichtigt, die intesa zu ändern, ist die italienische Regierung verpflichtet, die Verhandlungen mit der Religionsgemeinschaft wieder aufzunehmen und die vom Parlament geforderten Änderungen auszuhandeln. Von 1984 bis heute wurden zwölf intese abgeschlossen und genehmigt, und zwar mit den Waldensern,70 mit den Adventisten71 und den Pfingstgemeinden,72 mit den jüdischen Gemeinden,73 1995 mit den Baptisten74 und mit der lutherischen Kirche,75 mit der orthodoxen Kirche,76 mit der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage,77 mit der Apostolischen Kirche,78 mit der Buddhistischen Union79 und mit der Hinduistischen Union,80 mit dem buddhistischen Institut Soka Gakkai.81 Die intesa mit den Zeugen Jehovas wurde am 20.5.2000 unterzeichnet, steht aber noch zur Genehmigung aus. Der Inhalt der verschiedenen intese weicht nicht stark voneinander ab. Der erste Artikel unterstreicht die Überleitung in das verhandelte Gesetz, das die Aufhebung der Bestimmungen des Gesetzes 1159/1929 über die erlaubten Kulte erklärt. Die anderen Inhalte beziehen sich auf das Fehlen staatlicher Intervention bei der Ernennung von Ordensleuten und in der religionsgemeinschaftlichen Organisation und Gerichtsbarkeit dieser sowie bei der Seelsorge in Gefängnissen, Krankenhäusern und beim Militär. Sie regeln den Schulalltag und den Religionsunterricht in den Schulen, die Anerkennung der zivilen Auswirkungen der religiösen Ehe, die kirchlichen Organisationen und deren Finanzsystem sowie die freie Verbreitung religiösen Materials. Neben diesen Regelungen, die eine Art „Gewohnheitsrecht“ der intese darstellen, werden auch konkrete Bestimmungen für jede einzelne Religionsgemeinschaft festgelegt. Darüber hinaus stehen der Religionsgemeinschaft durch die intesa ebenso die acht Promille der persönlichen Einkommensteuereinnahmen zu. 70

Gesetz Nr. 449 vom 11.8.1984; Gesetz Nr. 409 vom 5.10.1993. Gesetz Nr. 516 vom 22.11.1988. 72 Gesetz Nr. 517 vom 22.11.1988. 73 Gesetz Nr. 101 vom 8.3.1989, Nr. 101; Gesetz Nr. 638 vom 20.12.1996; Gesetz Nr. 233 vom 18.7.1997; Gesetz Nr. 211 vom 20.7.2000. 74 Gesetz Nr. 116 vom 12.4.1995. 75 Gesetz Nr. 520 vom 29.11.1995. 76 Gesetz Nr. 126 vom 30.7.2012. 77 Gesetz Nr. 127 vom 30.7.2012. 78 Gesetz Nr. 128 vom 30.7.2012. 79 Gesetz Nr. 245 vom 31.12.2012. 80 Gesetz Nr. 246 vom 31.12.2012. 81 Gesetz Nr. 130 vom 28.6.2016. 71

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Bei der islamischen Religion bestehen eine Reihe von Schwierigkeiten, weil der Islam nicht über eine Organisationsstruktur verfügt, die eine sichere Identifizierung der islamischen Vertreter ermöglicht, mit denen Vereinbarungen getroffen werden könnten. Für Religionen, mit denen es keine intese gibt, gelten weiterhin einige Bestimmungen des Gesetzes über erlaubte Kulte Nr. 1159/1929.82 Das Gesetz, wonach nichtkatholische Religionsgemeinschaften erlaubt sind, solange sie sich nicht zu Grundsätzen bekennen oder Riten durchführen, die gegen die öffentliche Ordnung und Anstand verstoßen“, steht in offenem Widerspruch zu Art. 19, der die Beschränkung durch den öffentlichen Anstand allein auf die Riten anwendet. Das Gesetz über die erlaubten Kulte gewährt den Gläubigen der nichtkatholischen Religionsgemeinschaften, mit denen es keine intese gibt, die Freiheit ihrer Religion zu folgen. Es legt weiterhin fest, daß die Zugehörigkeit zu einem dieser Kulte in keiner Weise die bürgerlichen und politischen Rechte der Person und ihren Zugang zu zivilen oder militärischen Ämtern beeinträchtigt und es regelt die Anerkennung der zivilen Auswirkungen der Ehe, die vor dem Geistlichen und nach dem Ritus der religiösen Gruppe gefeiert wird.83

82 83

Gesetz Nr. 1159 vom 24.6.1929. Art. 7–12 des Gesetzes Nr. 1159 vom 24.6.1929.

Das Verhältnis von Staat und Kirche in Österreich Von Katharina Pabel, Wien I.

Grundlagen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

II.

Rechtsquellen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsquellen in historischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Konkordat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135 135 135 137 137

III. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 IV.

Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zusammenwirken der Grundrechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutzbereich individuelle Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schrankenvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schutzbereich korporative Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

141 141 141 143 145

V.

Rechtsstatus für Kirchen und Religionsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Voraussetzungen für die Anerkennung von Kirchen und Religionsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Form der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147 147 150 153 155

VI. Wirkungsmöglichkeiten der Kirchen und Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . 157 1. Mitwirkung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2. Schutz von Feiertagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 VII. Kirchenfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Leistungen des Staates an die Kirchen und Religionsgesellschaften . . . . . . 158 2. Die Einhebung von Kirchenbeiträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 VIII. Formen institutioneller Kooperation von Staat und Kirchen sowie Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Religionsunterricht an öffentlichen Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konfessionelle Privatschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anstaltsseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Theologische Fakultäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

160 160 162 163 164

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Katharina Pabel

IX. Geltung kirchlich bzw. religionsgemeinschaftlich gesetzten Rechts in der staatlichen Rechtssphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 X. Schlußbemerkung: Gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

I. Grundlagen des Staatskirchenrechts Österreich wird nach der Gliederung dieses Bandes den Staaten mit einer traditionell katholischen Prägung zugeordnet. Diese Zuordnung trifft noch immer zu, auch wenn sich die Anteile der religiösen Zugehörigkeiten in Österreich in den letzten Jahren deutlich verändert haben. Nach einer aktuellen Studie bekennen sich weniger als zwei Drittel (64 %) der österreichischen Bevölkerung zum katholischen Glauben (Stand 2016). Der Anteil der katholischen Bevölkerung ist somit seit dem Jahr 2001 erheblich gesunken, in dem sich noch deutlich mehr als zwei Drittel der Bevölkerung (75 %) zum katholischen Glauben bekannten. Die am stärksten anwachsende Gruppe innerhalb der Bevölkerung ist jene der Personen ohne Religionszugehörigkeit: Waren es 2001 noch 12 %, sind es im Jahr 2016 bereits 17 %. Starken Zuwachs verzeichnet auch der muslimische Bevölkerungsanteil. Der Anteil an Muslimen in Österreich beträgt 8 % (ca. 700.000 Personen), im Vergleich dazu betrug der Anteil im Jahr 2001 nur 4 %. Orthodoxe Christen bilden im Jahr 2016 etwa 5 % der Bevölkerung, ihr Anteil hat sich seit 2001 (2 %) mehr als verdoppelt. Der Anteil an evangelischen Christen blieb in den Jahren 2001 und 2016 konstant bei 5 %.1 Vor diesem Hintergrund hat das Staatskirchenrecht mit einer zunehmenden Heterogenität der Religionsbekenntnisse im individuellen Bereich und einer zunehmenden Anzahl an Religionsgemeinschaften mit durchaus erheblichen Zahlen an Mitgliedern umzugehen und diese Pluralität zu bewältigen. Eine weitere Herausforderung an das Staatskirchenrecht stellt der stetig steigende Anteil an Personen ohne Religionszugehörigkeit dar, zumal sich religionspolitisch vermehrt und intensiviert Stimmen artikulieren, die die Religion möglichst weitgehend aus staatlichen Einrichtungen wie der Schule und aus der Öffentlichkeit überhaupt ins Private verweisen wollen. Die Zuwanderung einer großen Zahl von Menschen muslimischen Glaubens und die damit tatsächlich und vermeintlich verbundenen Integrationsprobleme sind eine Entwicklung, die diese Forderungen stärkt.2

1 Zahlen nach Österreichischer Integrationsfonds, Forschungsbericht Demographie und Religion in Österreich. Szenarien 2016–2046, erstellt von Anne Goujon, Sandra Jurasszovich, Michaela Potancˇoková, August 2017, www.integrationsfonds.at/fileadmin/ content/AT/Fotos/Publikationen/Forschungsbericht/Forschungsbericht_Demographie_ und_Religion.pdf (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 2 Für eine Prognose, welchen Anteil die Gruppen der verschiedenen Bekenntnisse im Jahr 2046 in Österreich haben werden, siehe noch einmal den Forschungsbericht Demographie und Religion in Österreich (Fn. 1), S. 18 mit verschiedenen Szenarien.

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II. Rechtsquellen des Staatskirchenrechts 1. Rechtsquellen in historischer Perspektive Ein Überblick über die Rechtsquellen des österreichischen Staatskirchenrechts hat immer auch einen historischen Aspekt. Denn das österreichische Verfassungsrecht überhaupt, aber gerade auch die verfassungsrechtlichen Bestimmungen über das Verhältnis von Staat und Kirche stammen aus unterschiedlichen zeitlichen Zusammenhängen.3 Das Staatskirchenrecht weist daher verschiedene zeitliche Schichten von geltendem Verfassungsrecht auf, die sich gegenseitig überlagern, zum Teil verdrängen und zum Teil ergänzen. Es ergibt sich so das Bild einer Gemengelage, und zwar schon auf der Ebene des Verfassungsrechts.4 2. Verfassungsrecht Mit dem Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 18675 trat zum ersten Mal in Österreich ein Grundrechtskatalog in Kraft.6 Das Staatsgrundgesetz enthält die Gewährleistung der individuellen Religionsfreiheit als Jedermann-Recht (Art. 14, 16 StGG) und die Gewährleistung der korporativen Religionsfreiheit (Art. 15 StGG).7 Diese Grundrechte bilden noch heute eine wesentliche Grundlage des Staatskirchenrechts in Österreich.8 Ergänzt wird das Individualgrundrecht durch Art. 63 des Staatsvertrags von St. Germain 1919, der im Jahr 1920 in Kraft getreten ist.9 Abs. 2 dieser Bestimmung gewährleistet ausDie Größe der Gruppe der katholischen und evangelischen Christen, jene der Muslime und jene der Konfessionslosen werden sich jedenfalls annähern. 3 Zur Zersplitterung des österreichischen Verfassungsrechts siehe etwa Walter Berka, Verfassungsrecht, 7. Aufl. 2019, Rn. 50; Theo Öhlinger/Harald Eberhard, Verfassungsrecht, 12. Aufl. 2019, Rn. 8, 42 f., 61 f. 4 Heinz Schäffer, Die Entwicklung der Grundrechte, in: Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. VII/1. Grundrechte in Österreich, 2009, § 186 Rn. 65, spricht von einem „Konglomerat verschiedener Rechtsquellen“. 5 RGBl. 142/1867. 6 Schäffer (Fn. 4), § 189 Rn. 31 ff.; Georg Lienbacher, Religiöse Rechte, in: Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. VII/1 (Grundrechte in Österreich), 2009, § 12 Rn. 8. 7 Zu Einzelheiten siehe Christoph Grabenwarter, in: Karl Korinek/Michael Holoubek et al. (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Bd. III, 7. Lfg. 2005, Art. 14 StGG, Art. 16 StGG. 8 Bei der Entstehung des Bundes-Verfassungsgesetzes von 1920 (BGBl. I 1/1930 i. d. F. BGBl. I 194/1999) war die Gewährleistung der Grundrechte besonders umstritten. Da man insofern zu keiner Einigung kommen konnte, wurden die Grundrechte im B-VG ausgespart. Stattdessen wurden durch Art. 149 B-VG sowohl das Staatsgrundgesetz von 1867 (mit der Ausnahme des Art. 20 StGG, der eine Suspendierung von Grundrechten im Ausnahmezustand ermöglichte) als auch zwei damit in Zusammenhang stehende ältere Normen aus dem Jahr 1862 als Verfassungsgesetze im Sinne des B-VG bezeichnet, siehe Schäffer (Fn. 4), § 186 Rn. 49 ff. 9 BGBl. III 179/2002.

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drücklich die Freiheit der Ausübung des Glaubens, der Religion oder des Bekenntnisses und hebt damit die noch im Staatsgrundgesetz enthaltene Beschränkung des grundrechtlichen Schutzes von gesetzlich nicht anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften auf die häusliche Religionsausübung auf.10 Die individuelle Ausübung von Bekenntnissen anerkannter und nichtanerkannter Religionsgesellschaften kann also auch in der Öffentlichkeit erfolgen. Darüber hinaus bestimmt Art. 63 Abs. 2 StV St. Germain mit der öffentlichen Ordnung und den guten Sitten die Grenzen der Religionsausübung näher. Als lex posterior zu Art. 14 StGG stellt Art. 63 Abs. 2 StV St. Germain das Grundrecht der Religionsfreiheit unter ausdrücklichen Schrankenvorbehalt, und zwar einem „klassischen“ ordre public-Vorbehalt.11 Das Bundes-Verfassungsgesetz von 1920, das nach wie vor die wesentliche verfassungsrechtliche Grundlage für das Staatsorganisationsrecht in Österreich bildet, enthält nur vereinzelt Grundrechtsgarantien;12 für Fragen der Religion kann insofern der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 7 B-VG von Bedeutung sein. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 B-VG schließt zudem Vorrechte insbesondere auch wegen des Bekenntnisses aus.13 Allgemeine Bestimmungen über das Verhältnis von Staat und Kirche finden sich im B-VG nicht. Zu diesen grundrechtlichen Gewährleistungen des genuin österreichischen Verfassungsrechts tritt Art. 9 EMRK hinzu, der – wie die EMRK insgesamt – in Österreich Verfassungsrang genießt.14 Sowohl in Bezug auf den Schutzbereich als auch auf die Schranken geht Art. 9 EMRK über die Gewährleistungen der zuvor bestehenden Grundrechte hinaus. Im Hinblick auf den Schutzbereich führt das zu einer Erweiterung des Grundrechtsschutzes auf Weltanschauungen sowie die Erstreckung des persönlichen Schutzbereichs auf juristische Personen.15 Mit Art. 9 Abs. 2 EMRK wurde zudem ein materieller Gesetzesvorbehalt verankert (siehe dazu näher unten IV. 3.). Der Verfassungsrang der EMRK hat allgemein auch im Bereich der Religionsfreiheit dazu geführt, daß die Rechtsprechung des

10 Hugo Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, 1992, S. 68; Grabenwarter (Fn. 7), Art. 14 StGG Rn. 6; Lienbacher (Fn. 6), § 12 Rn. 15. 11 Grabenwarter (Fn. 7), Art. 14 StGG Rn. 22; Lienbacher (Fn. 6), § 12 Rn. 16 f.; Herbert Kalb/Richard Potz/Brigitte Schinkele, Religionsrecht, 2003, S. 83 f. 12 Schäffer (Fn. 4), § 186 Rn. 55; Berka (Fn. 3), Rn. 1149. 13 Siehe dazu Berka (Fn. 3), Rn. 1638 f. 14 Die EMRK ist durch BGBl. I 1958/210 Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung geworden. Der Verfassungsrang war zunächst nicht unumstritten. Durch ein entsprechendes Bundesverfassungsgesetz (BGBl. I 1964/59) wurde die EMRK jedoch zu Verfassungsrecht erklärt. Im Anschluß daran hat auch der Verfassungsgerichtshof den Verfassungsrang der EMRK bestätigt, VfSlg 4924/1965. 15 Grabenwarter (Fn. 7), Art. 14 Rn. 6; Lienbacher (Fn. 6), § 12 Rn. 16; Öhlinger/ Eberhard (Fn. 3), Rn. 940.

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EGMR zur individuellen und zur korporativen Religionsfreiheit das Staatskirchenrecht in Österreich erheblich mitprägt.16 3. Gesetzesrecht Insbesondere die Bestimmungen der individuellen und korporativen Religionsfreiheit nach dem Staatsgrundgesetz werden durch eine Reihe von Bundesgesetzen näher ausgestaltet. Diese Ausgestaltungsgesetze stehen zwar nicht in Verfassungsrang, allerdings können Verletzungen dieser Gesetze als Verfassungsverstöße vor dem VfGH geltend gemacht werden.17 Zu diesen Ausführungsgesetzen zählen das Gesetz über die interkonfessionellen Verhältnisse der Staatsbürger,18 das im zeitlichen Kontext mit dem StGG erlassen wurde und die für den staatlichen Bereich relevanten Bestimmungen über den Erwerb und den Verlust einer Religionszugehörigkeit regelt.19 Ein Ausführungsgesetz ist auch das Gesetz über die religiöse Kindererziehung,20 das zusammen mit Bestimmungen des ABGB das elterliche Erziehungsrecht in religiösen Fragen regelt. Die korporative Religionsfreiheit wird durch das Anerkennungsgesetz21 und das Bekenntnisgemeinschaftengesetz22 ausgestaltet, welche die Voraussetzungen für die gesetzliche Anerkennung von Kirchen und Religionsgesellschaften regeln (näher dazu unten V.). Einzelne Gesetze betreffen bestimmte Religionsgesellschaften (z. B. Gesetz über die äußeren Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche, Islamgesetz u. a.). 4. Konkordat Zu den Bestimmungen des Verfassungs- und des Gesetzesrechts tritt das Konkordatsrecht hinzu. In Österreich gilt das am 5. Juni 1933 abgeschlossene Konkordat mit dem Heiligen Stuhl, das am 1.1.1934 in Kraft getreten ist.23 Es regelt 16 Siehe dazu etwa Katharina Pabel, Beobachtungen zum Religionsgemeinschaftenrecht im österreichischen Staatskirchenrecht, in: Michael Holoubek/Andrea Martin/Stephan Schwarzer (Hrsg.), Die Zukunft der Verfassung – Die Verfassung der Zukunft: Festschrift für Karl Korinek, 2010, S. 223 (225). 17 Zu sogenannten Ausgestaltungsvorbehalten siehe Öhlinger/Eberhard (Fn. 3), Rn. 711; Berka (Fn. 3), Rn. 1287. 18 Gesetz vom 25.5.1868, wodurch die interkonfessionellen Verhältnisse der Staatsbürger in den darin angegebenen Beziehungen geregelt werden, RGBl. 49/1868. 19 Siehe dazu Schwendenwein (Fn. 10), S. 35 f. 20 Bundesgesetz über die religiöse Kindererziehung 1985, BGBl. I 155/1985. Das Gesetz über die religiöse Kindererziehung trat 1921 in Deutschland in Kraft und wurde im Jahr 1939 mittels Verordnung in Österreich eingeführt. 21 Gesetz vom 20.5.1874, betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften, RGBl. 68/1874. 22 Bundesgesetz über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften, BGBl. I 19/1998. 23 Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und der Republik Österreich samt Zusatzprotokoll, BGBl. II 2/1934. Zur Klärung der Weitergeltung des Konkordats nach 1945 siehe Schwendenwein (Fn. 10), S. 49 f.

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grundlegende Garantien zugunsten der katholischen Kirche für die „freie Ausübung ihrer geistlichen Macht und die freie und öffentliche Ausübung des Kults“ (Art. I Konkordat 1933) und sichert ihr öffentlich-rechtliche Stellung zu. Darüber hinaus trifft das Konkordat Festlegungen über die Diözesanorganisation, die durch Zusatzverträge über die Errichtung neuer Diözesen in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts ergänzt wurden.24 Im Konkordat wird außerdem das Zusammenwirken von Staat und katholischer Kirche in Verfahren zur Besetzung von bischöflichen Ämtern (Art. IV) sowie bei den katholisch-theologischen Fakultäten (Art. V) geregelt, das Zusammenwirken in der Militärseelsorge (Art. VIII) und im Schulrecht (Art. VI).25 Gegenstand ist ferner das Vermögensrecht (Art. XIII), das allerdings in einem besonderen Vertrag nach dem Zweiten Weltkrieg neu geregelt wurde.26

III. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien im Überblick Bis zum Jahr 1867 hatte die katholische Kirche in Österreich die Stellung einer Staatskirche.27 Durch das Staatsgrundgesetz 1867 wurde – insbesondere mit der Einführung der individuellen Religionsfreiheit, der Gewährleistung der Korporationsbildung und der gleichen autonomen Rechtsstellung für alle gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften – das System der Einheit von Staat und Kirche zugunsten einer grundsätzlichen Trennung aufgegeben.28 Eine Staatskirche ist nach der Rechtsprechung des VfGH ausgeschlossen.29 Damit ist schon auf der Grundlage des Staatsgrundgesetzes jede Identifikation des Staats mit einer bestimmten Religion ausgeschlossen. Das wird auch durch die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 9 EMRK bestätigt, wonach Eingriffe in die korporative Religionsfreiheit nur dann mit dem Grundrecht vereinbar sind, wenn der Staat seine Pflicht zur Neutralität in religiösen Fragen einhält.30 Der EGMR hat sich zwar nicht grundsätzlich gegen ein 24 Nach 1945 wurden drei Diözesanerrichtungsverträge zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich abgeschlossen. 25 Ergänzt durch den Schulvertrag 1962, Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von mit dem Schulwesen zusammenhängenden Fragen samt Schlußprotokoll, BGBl. I 237/1962. 26 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von vermögensrechtlichen Beziehungen, BGBl. I 195/1960. 27 Vgl. Schwendenwein (Fn. 10), S. 33; Georg Lienbacher, Die rechtliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften in Österreich, in: Christoph Grabenwarter/Norbert Lüdecke (Hrsg.), Standpunkte im Kirchen- und Staatskirchenrecht, 2002, S. 154 (156); Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 449. 28 VfSlg 1430/1932. 29 VfSlg 1430/1932; siehe auch VfSlg 19.349/2011. 30 EGMR (GK), Urt. v. 26.10.2000 – Nr. 30985/96 –, Tz. 78 (Hasan u. Shaush/Bulgarien); EGMR (GK), EuGRZ 2011, S. 677, Tz. 60 (Lautsi/Italien).

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System der Staatskirche ausgesprochen, insbesondere dann nicht, wenn dies historisch überkommen ist.31 Allerdings laufen solche Systeme Gefahr, gegen die korporativen Gewährleistungen des Art. 9 EMRK, das daraus abgeleitete Gebot der Neutralität des Staates und gegen das Verbot der Diskriminierung zu verstoßen. Im konkreten Fall kommt es darauf an, wie ein System der Staatskirche ausgestaltet ist. Die Trennung zwischen Staat und Kirche ist in Österreich allerdings nicht völlig strikt im Sinne eines reinen Trennungssystems oder des Laizismus vollzogen.32 Vielmehr ist das Verhältnis vor dem Hintergrund einer institutionellen Trennung durch eine Reihe koordinationsrechtlicher Elemente gekennzeichnet, wie etwa dem Religionsunterricht an öffentlichen Schulen (einschließlich dem islamischen Religionsunterricht), der Einrichtung von theologischen Fakultäten an staatlichen Hochschulen, Militärseelsorge und anderem. Dieses Modell wird als „Konkordanzsystem“,33 System der Koordination34 oder „System der pluralistischen Hereinnahme“ 35 bezeichnet. In der aktuellen Diskussion werden das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche und das Gebot der religiösen Neutralität des Staates häufig als Grundlage zur Diskussion und Entscheidung einzelner religionsrechtlicher Fragen herangezogen. Ein Beispiel ist etwa die Auseinandersetzung über die Frage des Tragens religiöser Kleidung in Schulen, Gerichten oder anderen öffentlichen Einrichtungen. Das österreichische Verfassungsrecht enthält jedoch kein explizites Gebot staatlicher Neutralität, weder generell noch im Hinblick auf Religionen und Weltanschauungen.36 Es lässt sich vielmehr aus dem in verschiedenen Grundrechtsquellen gewährleisteten Grundrecht der Religionsfreiheit (Art. 14 StGG, Art. 63 Abs. 2 StV St. Germain, Art. 9 EMRK) sowie aus Art. 15 StGG, der die

31 EGMR, NJW 1991, S. 1404, Tz. 45 (Darby/Schweden), EGMR, KirchE 63 (2018), S. 206, Tz. 100 (Magyar Keresztény Mennonita Egyház u. a./Ungarn). 32 Stefan Schima, Der rechtliche Rahmen für das Verhältnis von Staat und Kirche in Österreich im Wandel, öarr 2014, S. 89 (92 f.). 33 Inge Gampl, Die Rechtsstellung der Kirche und Religionsgemeinschaften in Österreich, JöR n. F. 21 (1972), S. 231 ff. 34 Schima (Fn. 32), öarr 2014, S. 95. 35 Herbert Kalb/Richard Potz/Brigitte Schinkele, Das Kreuz im Klassenzimmer, ÖAKR 1994, S. 50; dies. (Fn. 11), S. 16 f.; Burkhard Berkmann, Vom Pluralismus zum Laizismus?, öarr 2012, S. 98 (116). 36 Peter Pernthaler, Gott in der Verfassung, öarr 2000, S. 177 (189 f.); Daniel Ennöckl, „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Die Gretchenfrage im österreichischen Verfassungsrecht, ZfV 2016, S. 395 (396). Zu Diskussion, ob der Grundsatz der Säkularität zu den Bausteinen des österreichischen Verfassungsrechts gehört, mit der Folge, daß er nur mit erhöhten Präsenz- und Konsensquoren im Nationalrat und einer obligatorischen Volksabstimmung abgeändert werden könnte (vgl. Art. 44 Abs. 3 B-VG), siehe Inge Gampl, Staatskirchenrecht, 1972, S. 13; Gegenstimmen bei Schwendenwein (Fn. 10), S. 59 ff.; Helmut Ortner, Religion und Staat, 2000, S. 96 ff. Siehe auch Pernthaler (Fn. 36), S. 177 (188).

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grundrechtliche Stellung der anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften regelt, das Prinzip der religiösen Neutralität ableiten.37 Hinzu kommt – unter weiterer Heranziehung des Gleichheitssatzes – das Prinzip der Parität.38 Aus diesen Grundsätzen der Neutralität und Parität des Staates in religiösen und weltanschaulichen Fragen folgt, daß der Staat alle anerkannten Religionsgesellschaften gleich behandeln und sich konfessionell neutral verhalten muß.39 Er darf keine Religionsgesellschaft privilegieren. Das Grundrecht der Religionsfreiheit gebietet, daß der Staat jede Identifizierung mit einer Religion unterlassen muß.40 Der Staat darf nicht zugunsten oder zu Lasten einer bestimmten Religionsgesellschaft gezielt beeinflussen oder sich durch ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren.41 Er darf seine Entscheidungen nicht religiös begründen. Art. 1 B-VG schließt eine religiöse Legitimierung von Staatsgewalt aus.42 Die Bindung an das Gesetz (Art. 18 B-VG) verbietet religiöse Begründungen von staatlichen Entscheidungen. Die Wahl der „richtigen“ Religion ist Sache des Bürgers, die Bestimmung der „richtigen“ religiösen Lehre ist (als sog. „innere Angelegenheit“) Sache der Kirchen und Religionsgesellschaften.43 Das so verstandene Neutralitätsgebot wird durch eine Zusammenschau von verschiedenen Grundrechtsgehalten gewonnen und begründet.44 Daraus folgt aber, daß dieses Gebot nicht absolut gesetzt werden und von seinen grundrechtlichen Quellen gelöst betrachtet werden kann.45 Inhalte, die über die das Neutralitätsgebot speisenden Grundrechte hinausgehen, können nicht in das Gebot hineininterpretiert und zur Grundlage von Subsumtionsvorgängen gemacht werden. 37 Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 42 f.; Pabel (Fn. 16), S. 225 f.; Ennöckl (Fn. 36), S. 396. 38 Vgl. Schwendenwein (Fn. 10), S. 56; Lienbacher (Fn. 6), § 12 Rn. 49. 39 Theodor Maunz, Die religiöse Neutralität des Staates, in: AfkKR 139 (1970), 427 (429 f.); Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Die Rechtsprechung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs auf dem Gebiet der Glaubensfreiheit, EuGRZ 1999, S. 505 (514 f.); Hans Michael Heinig, Religiöse Pluralität und religionsrechtliche Diversität als Topoi in der Rechtsprechung des EGMR, öarr 2012, S. 135 (143); Ennöckl (Fn. 36), S. 395 (396); Sophie Müller, Das Tragen religiöser Bekleidungsstücke und Symbole durch Richter/innen – ein Widerspruch?, RZ 2016, S. 236 (237). 40 Schwendenwein (Fn. 10), S. 59 ff.; Kucsko-Stadlmayer (Fn. 39), S. 505 (524); Lienbacher (Fn. 6), § 12 Rn. 40. 41 So auch das deutsche Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 93, 1 (16 f.); 108, 282 (300); BVerfG, NVwZ 2017, S. 2333; NVwZ 2020, S. 1049. 42 Pernthaler (Fn. 36), S. 177 (190); Müller (Fn. 39), RZ 2016, S. 237. 43 Ennöckl (Fn. 36), S. 395 (396). 44 Vgl. für Deutschland BVerfGE 108, 282 (299); 138, 296 (338). 45 So für die insofern entsprechende deutsche Rechtslage Christian Waldhoff, Neue Religionskonflikte und staatliche Neutralität, Gutachten D zum 68. Deutschen Juristentag, 2010, S. 43 ff.

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IV. Religionsfreiheit 1. Zusammenwirken der Grundrechtsquellen Schon der Blick auf die Rechtsquellen des Staatskirchenrechts (siehe oben II. 2.) hat gezeigt, daß es nicht nur eine grundrechtliche Gewährleistung der Religionsfreiheit gibt. Der Verfassungsgerichtshof betrachtet die verschiedenen Grundrechtsquellen, die die Religionsausübung gewährleisten, als Einheit und zieht regelmäßig alle genannten Grundrechtsquellen heran, um eine gesetzliche Regelung oder ein Handeln der Verwaltung bzw. der Verwaltungsgerichte am Maßstab der Religionsfreiheit zu prüfen.46 2. Schutzbereich individuelle Religionsfreiheit Der Schutzbereich der individuellen Religionsfreiheit wird in enger Anlehnung an Art. 9 EMRK und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EGMR bestimmt. Demnach sind das sogenannte forum internum, das heißt die Freiheit, eine religiöse Überzeugung zu bilden und zu haben, und das forum externum, das heißt die Freiheit, entsprechend der eigenen religiösen Überzeugung Handlungen zu setzen, geschützt. Art. 9 EMRK zählt eine Reihe von Formen der Religionsausübung explizit auf, und zwar insbesondere die Ausübungsvarianten allein oder in Gemeinschaft, öffentlich oder privat, durch Gottesdienste, Andachten (typische Formen religiöser Anbetung, auch Prozessionen, religiöse Begräbnisse etc.), durch Unterricht (gemeint ist die religiöse Erziehung und allgemein die Vermittlung der Inhalte einer religiösen Überzeugung, Glaubenswerbung, Missionierung). Geschützt ist auch das Ausüben religiöser Bräuche, wozu die Einhaltung von Feiertagen, Bekleidungs- oder Essensvorschriften, Glockenläuten oder auch der Ruf des Muezzin zu verstehen sind.47 Auch in Österreich wird diskutiert, in welchem Umfang die Religionsfreiheit religiöse Bräuche schützt, ob etwa ein einheitlicher Brauch innerhalb der Religionsgemeinschaft bestehen muß, ob das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken verpflichtend vorgeschrieben sein muß und ob Bräuche, die im (vermeintlichen) Widerspruch zu den Werten und der Kultur in Österreich stehen, überhaupt von der Religionsfreiheit erfasst werden. Der Verfassungsgerichtshof und die absolut herrschende Auffassung im Schrifttum nehmen insofern allerdings keine enge Fassung des Schutzbereichs vor, sondern lösen die entsprechenden Wertungsfra-

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VfSlg 15.394/1998; 15.492/1999. Zum Umfang des Schutzbereichs der Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK siehe etwa Lienbacher (Fn. 6), § 12 Rn. 26 ff.; Antje v. Ungern-Sternberg, in: Ulrich Karpenstein/Franz C. Mayer (Hrsg.), Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2015, Art. 9 Rn. 15 ff.; Berka (Fn. 3), Rn. 1431 ff.; Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 22 Rn. 110 ff. 47

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gen auf der Rechtfertigungsebene.48 So nahm der VfGH etwa im Hinblick auf das Schächten (Schlachten nach islamischem oder jüdischem Ritus) an, daß es nicht Aufgabe eines Höchstgerichts sei, den Lehrenstreit innerhalb einer Religionsgemeinschaft, ob das Schächten religiös geboten sei, zu entscheiden.49 Geschützt ist auch die negative Religionsfreiheit: Niemand darf zum Bilden oder zum Äußern einer religiösen Überzeugung gezwungen werden. Die Ableistung eines religiösen Eides darf nicht verpflichtend vorgeschrieben sein.50 Art. 14 Abs. 3 StGG schützt als Ausdruck der negativen Kultusfreiheit vor dem Zwang zur Teilnahme an religiösen Veranstaltungen und Handlungen.51 Zum Anbringen von Kreuzen in Kindergärten in Niederösterreich hat der Verfassungsgerichtshof im Jahr 2011 entschieden, daß darin kein unzulässiger Zwang in religiösen Fragen liege, da die Kinder keinem unzulässigen Identifikations- und Glaubenszwang ausgesetzt würden.52 Der Kirchenaustritt ist in Art. 9 EMRK explizit als Recht zum Wechsel der Religionsgemeinschaft verankert. Sieht eine Kirche oder Religionsgesellschaft nach ihren inneren Regelungen einen Austritt nicht vor, hat der Staat dafür zu sorgen, daß ein Austritt mit Wirkung für den staatlichen Bereich möglich ist. Dementsprechend sieht das Gesetz über die Interkonfessionellen Verhältnisse der

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Siehe etwa Grabenwarter (Fn. 7), Art. 9 EMRK Rn. 18 f. VfSlg 15.394/1998. Dazu Richard Potz, Schächten und Tierschutz, JBl 1999, S. 457 ff.; Wolfgang Wieshaider, Entscheidungsanmerkung, öarr 1999, S. 262 ff.; Brigitte Schinkele, Schächten. Religionsfreiheit und Tierschutz, in: Richard Potz/Brigitte Schinkele/Wolfgang Wieshaider (Hrsg.), Schächten. Religionsfreiheit und Tierschutz, 2001, S. 49 ff.; Rudolf Müller, Über Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Schächten, in: Bernd-Christian Funk (Hrsg.), Der Rechtsstaat vor neuen Herausforderungen, Festschrift für Ludwig Adamovich, 2002, S. 502; Katharina Pabel, Der Grundrechtsschutz für das Schächten, EuGRZ 2002, S. 220; Robert Krammer, Tierschutz und Religionsfreiheit. Sind Schächtverbote verfassungswidrig?, JRP 2002, S. 269; siehe auch Georg Gaisbauer, Das „Schächten“ nach islamischem Ritus als strafbare Tierquälerei, ZfV 1996, S. 40. 50 Grabenwarter (Fn. 7), Art. 9 EMRK Rn. 21 f. Speziell zur Eidesleistung Kalb/ Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 56 ff.; siehe auch EGMR (GK), NJW 1999, S. 2957, Tz. 34 (Buscarini/San Marino). 51 Dazu Grabenwarter (Fn. 7), Art. 9 EMRK Rn. 18 ff.; Lienbacher (Fn. 6), § 12 Rn. 31 f. 52 VfSlg 19.349/2011. Dazu Ulrich Körtner, Religion im öffentlichen Raum. Die Kruzifixurteile des VfGH und des EGMR aus der Sicht reformierter Theologie. Schulkreuze in österreichischer und europäischer Perspektive, öarr 2010, S. 353 ff.; Stephan Korinek, Anmerkung, JBl 2011, S. 377; Thomas Kröll, Kruzifixe, Minarette, Sonntagsruhe, in: Georg Lienbacher/Gerhart Wielinger (Hrsg.), Jahrbuch öffentliches Recht 2010, S. 215 (225); Bernd-Christian Funk, Kreuz in niederösterreichischen Kindergärten, öarr 2010, S. 413; Benjamin Kneihs/Heinz Peter Rill, Kreuze in Kindergärten, JRP 2013, S. 163; Stephan Hinghofer-Szalkay, Das Kreuz und islamische Symbole im Klassenzimmer im Licht von Art. 9 EMRK und Art. 2 ZPEMRK, in: Stephan HinghoferSzalkay/Herbert Kalb (Hrsg.), Islam, Recht und Diversität, 2018, S. 587. 49

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Staatsbürger (1868)53 Regelungen über den Wechsel der Religionsgesellschaft und den Austritt vor.54 3. Schrankenvorbehalt Das Grundrecht der Religionsfreiheit (Art. 14 StGG, Art. 63 StV St. Germain, Art. 9 EMRK) steht unter materiellem Gesetzesvorbehalt, der sich aus einer Zusammenschau der Schrankenregelungen der genannten Grundrechte ergibt.55 Der VfGH beurteilt die Zulässigkeit eines Eingriffs in die Religionsausübung im Hinblick auf die legitimen Eingriffsziele anhand des Schrankenvorbehalts der Art. 63 Abs. 2 StV St. Germain, da der dort enthaltende Vorbehalt enger gefaßt ist als jener des Art. 9 Abs. 2 EMRK und daher im Sinne des Günstigkeitsprinzips (Art. 53 EMRK) zur Geltung kommt. Umgekehrt wird der Schrankenvorbehalt des Art. 63 Abs. 2 StV St. Germain durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip des Art. 9 Abs. 2 EMRK konkretisiert.56 Danach steht ein Gesetz, das die individuelle Religionsfreiheit einschränkt, mit diesem Grundrecht in Einklang (und ist somit verfassungskonform), wenn es in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutze der öffentlichen Ordnung oder der guten Sitten notwendig ist.57 In seiner jüngeren Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof klargestellt, daß in harmonisierender Interpretation der genannten Schrankenregelungen auch die Verfolgung der übrigen Eingriffsziele des Art. 9 Abs. 2 EMRK – neben dem Schutz der öffentlichen Ordnung und der guten Sitten – unter die Eingriffsziele des Art. 63 Abs. 2 StV St. Germain subsumiert werden und einen Eingriff in das Grundrecht der Religionsfreiheit rechtfertigen können.58 Vor diesem Hintergrund hat der Verfassungsgerichtshof angenommen, daß das Schächten weder gegen die öffentliche Ordnung noch gegen die guten Sitten verstoße. Die Bestimmungen des Tierschutzgesetzes, die grundsätzlich betäubungsloses Schlachten verbieten, müßten verfassungskonform dahingehend ausgelegt

53 Gesetz vom 25.5.1868, wodurch die interkonfessionellen Verhältnisse der Staatsbürger in den darin angegebenen Beziehungen geregelt werden, RGBl. Nr. 49/1868. 54 Siehe aktuell Burkhard Berkmann, Neue Fragen zum Kirchenaustritt in Österreich, in: Wilhelm Rees/María Roca/Balázs Schanda (Hrsg.), Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten, 2013, S. 27. 55 Vgl. VfSlg 15.394/1998, wonach zur Bestimmung der Grundrechtsschranken der Religionsfreiheit die genannten Verfassungsbestimmungen insofern als eine Einheit anzusehen, als Art. 14 StGG durch Art. 63 Abs. 2 Staatsvertrag von St. Germain ergänzt wird und die dort genannten Schranken in Art. 9 Abs. 2 EMRK näher umschrieben werden. 56 VfSlg 15.394/1998; siehe auch Johannes Hengstschläger/David Leeb, Grundrechte, 3. Aufl. 2019, Rn. 16/6. 57 VfSlg 15.394/1998. 58 VfSlg 19.349/2011 (Kreuz im Kindergarten); unter Hinweis auf Müller (Fn. 49), 2002, S. 503 (519 f.); Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 85; Grabenwarter (Fn. 7), Art. 63 StV St. Germain Rn. 12.

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werden, daß den Anhängern des Judentum und des Islam das Schächten ermöglicht werde.59 Die Frage der religiösen Kopfbedeckungen (Stichwort: Kopftuch) oder anderer religiös geprägter Kleidung ist in der österreichischen Rechtsprechung noch wenig behandelt worden.60 Explizite Verbote, religiöse Kleidungsstücke in Schulen, Gerichtssälen oder in Behörden zu tragen, bestehen derzeit (noch) nicht. Die entsprechende Judikatur des deutschen Bundesverfassungsgerichts und anderer Höchstgerichte in Deutschland sowie des EGMR und des EuGH werden allerdings aufmerksam wahrgenommen und diskutiert und dienen teilweise als Grundlage für politische Forderungen nach solchen Verboten – oder eben gerade nicht. Für Kinder ist im Kindergarten das Tragen religiös geprägter Kleidung, die mit der Verhüllung des Hauptes verbunden ist, verboten, wobei als Ziel explizit die bestmögliche Entwicklung und Entfaltung aller Kinder genannt wird.61 Auch das Tragen religiöser Kleidung durch Richter und Richterinnen im Gerichtssaal ist Gegenstand politischer Erörterungen.62 Im Jahr 2017 wurde das sogenannte „Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz“ verabschiedet.63 Dieses verbietet das Verhüllen der Gesichtszüge durch Kleidung oder andere Gegenstände an öffentlichen Orten und in öffentlichen Gebäuden. Dieses abstrakt, religionsneutral und recht weit gefasste Verbot enthält eine Reihe von Ausnahmen (vgl. § 2 Abs. 2 AntiGesichtsverhüllungsgesetz): Ein Verstoß gegen das Verhüllungsverbot liegt nicht vor, wenn die Verhüllung oder Verbergung der Gesichtszüge durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist (man denke an die Helmpflicht von Motorradfahrern), im Rahmen künstlerischer, kultureller oder traditioneller Veranstaltungen (Fasching, Perchten) oder im Rahmen der Sportausübung (Fechten) erfolgt oder gesundheitliche oder berufliche Gründe hat. Das Verbot der Gesichtsverhüllung wird in der Praxis in erster Linie die Verschleierung von Frauen mit Niqab oder Burka betreffen (von denen in Österreich nach Schätzungen allerdings – abgesehen von Touristinnen aus dem arabischen Raum – maximal 150 leben). Selbstverständlich ist über die Vereinbarkeit dieses Gesetzes mit der

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VfSlg 15.394/1998. Vgl. insbesondere OGH, JBl 2009, S. 527 zur Gesichtsverschleierung einer Zeugin bei der Aussage vor Gericht. 61 Vgl. Art. 3 Abs. 1 der Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und den Ländern über die Elementarpädagogik für die Kindergartenjahre 2018/19 bis 2021/22 BGBl. I Nr. 103/2018. 62 Ein Gesetzesentwurf für ein Verbot des Tragens religiöser Kleidung für Richterinnen und Richter bzw. für weitere Angehörige des öffentlichen Dienstes liegt derzeit (August 2019) nicht vor. Aus der Literatur siehe etwa Müller (Fn. 39), S. 237; Matthias Scharfe, Des Amtsträgers Kleider: Dürfen Staatsbedienstete in Ausübung von Hoheitsgewalt religiöse Zeichen tragen?, in: Stephan Hinghofer-Szalkay/Herbert Kalb (Hrsg.), Islam, Recht und Diversität, 2018, S. 573 ff. 63 Bundesgesetz über das Verbot der Verhüllung des Gesichts in der Öffentlichkeit (Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz), BGBl. I 69/2017, in Kraft getreten am 1.10.2017. 60

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Religionsfreiheit diskutiert worden.64 Gemäß dem Willen des Gesetzgebers dient es dem Ziel, zwischenmenschliche Kommunikation als wesentliche Funktionsbedingung für ein friedliches Zusammenleben in einem demokratischen Rechtsstaat zu ermöglichen. Für Kommunikation bilde das Erkennen des Anderen bzw. dessen Gesichts eine notwendige Voraussetzung. Der Grundrechtseingriff diene somit einem öffentlichen Interesse, nämlich das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion zu sichern.65 Damit greift der Gesetzgeber ersichtlich die Argumentation auf, die der EGMR im Fall S.A.S. gegen Frankreich entwickelt hat.66 Insofern zeigt sich einmal mehr, wie stark die Grundrechtsdiskussion in Österreich eben nicht nur durch den Verfassungsgerichtshof, sondern auch durch den EGMR geprägt ist. Angesichts des weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums, den der EGMR mangels eines einheitlichen europäischen Standards den Mitgliedstaaten bei der Verhängung eines solchen Verbots zuerkennt, ist nicht zu erwarten, daß er die österreichische Regelung für konventionswidrig erachten wird. Ob der VfGH dieser Linie des EGMR im Falle einer Normenkontrolle folgt oder einen strengeren Prüfungsmaßstab anlegt, ist schwer zu prognostizieren. Nach einigen medial intensiv verwerteten Vorkommnissen kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes, in denen mit einem Schal im Gesicht verhüllte Radfahrer oder Maskottchen von Geschäften und sogar des Parlaments ins Auge der Polizei gerieten, hat sich die Diskussion, möglicherweise auch wegen einer geringen Zahl von Anwendungsfällen, weitgehend beruhigt.67 4. Schutzbereich korporative Religionsfreiheit Unabhängig von ihrem Status haben religiöse Gemeinschaften nach Art. 63 Abs. 2 StV St. Gemain und Art. 9 EMRK das Recht auf (öffentliche) Religionsausübung in Gemeinschaft. Art. 15 StGG enthält besondere Rechte für die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften, die teilweise auch durch Art. 9 EMRK gewährleistet werden.

64 Vgl. etwa Alina Schmidt/Marianne Höhl/Marianne Hrdlicka, Vollverschleierungsverbot und Verteilaktionen aus Sicht der Verwaltung, in: Stephan Hinghofer-Szalkay/ Herbert Kalb (Hrsg.), Islam, Recht und Diversität, 2018, S. 435 ff. 65 ErläutRV 1586 BlgNR 25, GP 11. 66 EGMR (GK), NJW 2014, S. 2925 (S.A.S./Frankreich). Der EGMR hat seine Rechtsprechung in einem belgischen Fall bestätigt, der allerdings erst nach dem Beschluß des Anti-Gesichtsverhüllungsgesetzes erging, EGMR, NVwZ 2018, S. 1037, Tz. 58 f. (Belcacemi u. Oussar/Belgien). Vgl. Christoph Grabenwarter/Katharina Struth, Das französische Verbot der Vollverschleierung, EuGRZ 2015, S. 1; Beate Sündhofer, Konventionskonformität des Gesichtsbedeckungsverbots in der Öffentlichkeit, ALJ 2015, S. 88. 67 Soweit ersichtlich ist ein Normenkontrollverfahren gegen Bestimmungen des AntiGesichtsverhüllungsgesetz beim Verfassungsgerichtshof bislang nicht angestrengt worden.

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Besondere Rechte genießen die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften (zum Anerkennungsrecht siehe unten V.). Sie erlangen mit der Anerkennung den Status einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und können damit Träger von öffentlichen Rechten und Kompetenzen sein, die ihnen allerdings im einzelnen vom Gesetzgeber zugewiesen werden müssen.68 In der Praxis kommen den anerkannten Religionsgemeinschaften allerdings kaum mehr hoheitliche Befugnisse zu.69 Insbesondere haben sie – anders als die anerkannten Kirchen in Deutschland – kein hoheitliches Dienstrecht.70 Aus Art. 15 StGG wird zunächst das Paritätsprinzip abgeleitet, das eine rechtliche Bevorzugung einer anerkannten Religionsgesellschaft gegenüber einer anderen ausschließt und damit jedenfalls die Einführung einer Staatskirche verfassungsrechtlich untersagt.71 Daneben gilt auch der allgemeine Gleichheitssatz, der ebenfalls Paritätsgesichtspunkte enthält.72 Art. 15 StGG garantiert den anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften ferner das Recht zur autonomen Besorgung ihrer inneren Angelegenheiten.73 Zu den inneren Angelegenheiten der Kirchen und Religionsgesellschaften zählen etwa die Glaubens- und Sittenlehre, Weihe und Priestertum, die Verfassung und Organisation sowie die Mitgliedschaft, Einhebung von Beiträgen von den Mitgliedern zur Deckung des Aufwands, die Verwaltung konfessioneller Friedhöfe, Ämter- und Dienstrecht, die kirchliche Gerichtsbarkeit, die kirchliche Vermögensverwaltung sowie das kirchliche Vereins- und Genossenschaftswesen.74 Die inneren Angelegenheiten sind nach der Rechtsprechung des VfGH nur aus dem Wesen der Religionsgemeinschaft und deren Selbstverständnis erfaßbar; sie können nicht durch staatliche Gesetzgebung geregelt werden.75 Ihre Regelung und Ordnung obliegt vielmehr den Kirchen und Religionsgesellschaften.76

68 Kucsko-Stadlmayer (Fn. 39), S. 515; Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 71 f.; Lienbacher (Fn. 6), § 12 Rn. 58; Pabel (Fn. 16), S. 225. 69 Lienbacher (Fn. 27), S. 165. 70 Näher Gampl (Fn. 36), 1972, S. 235 f.; Kucsko-Stadlmayer (Fn. 39), 526 f. 71 Gampl (Fn. 36), S. 161 f.; Helmuth Pree, Gibt es ein dogmatisches Prinzip des österreichischen Staatskirchenrechts?, in: Franz Pototschnig/Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), Im Dienst von Kirche und Staat: in memoriam Carl Holböck, 1985, S. 589 f.; Schwendenwein (Fn. 10), S. 185; Kucsko-Stadlmayer (Fn. 39), S. 514; Lienbacher (Fn. 27), S. 164 f.; Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 62 f. 72 Gampl (Fn. 36), S. 162; Pree (Fn. 71), S. 589 f.; Schwendenwein (Fn. 10), S. 185; Lienbacher (Fn. 27), S. 166; Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 63. 73 Pree (Fn. 71), S. 591; Kucsko-Stadlmayer (Fn. 39), S. 516; Lienbacher (Fn. 27), S. 166 f.; Öhlinger/Eberhard (Fn. 3), Rn. 69; Ennöckl (Fn. 36), S. 399. 74 Kucsko-Stadlmayer (Fn. 39), S. 515 f.; Lienbacher (Fn. 27), S. 165 f.; Kalb/Potz/ Schinkele (Fn. 11), S. 65 f. 75 VfSlg 2944/1955; 3657/1959; 11574/1987. 76 VfSlg 2944/1955; 3657/1959; 11574/1987.

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Das Selbstverwaltungsrecht wird im Übrigen zumindest in seinen Grundzügen auch durch Art. 9 EMRK geschützt.77 Nach der Rechtsprechung des EGMR ist den Staaten eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften verboten.78 Zu diesen inneren Angelegenheiten gehören nach der Straßburger Judikatur die Festlegung der Glaubensinhalte und deren Ausdrucksformen sowie die innere Organisation der Religionsgemeinschaft und die Bestimmung des Religionsführers.79 Allerdings gehen die Gewährleistungen des Art. 15 StGG über diese Absicherung des Selbstverwaltungsrechts durch Art. 9 EMRK für gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgemeinschaften hinaus.80 Die Gewährleistungen der EMRK sind daher insbesondere auch für nicht gesetzlich anerkannte Gemeinschaften, wie insbesondere Bekenntnisgemeinschaften, von Bedeutung.81 Die grundlegende innere Autonomie der Religionsgemeinschaften, die der EGMR aus dem Gebot der Neutralität des Staates in religiösen Fragen ableitet, wird man nicht nur solchen religiösen Gemeinschaften zusprechen müssen, die nach österreichischem Recht gesetzlich anerkannt wurden, sondern auch jenen, die lediglich als Bekenntnisgemeinschaften eingetragen wurden.82

V. Rechtsstatus für Kirchen und Religionsgesellschaften 1. Die Voraussetzungen für die Anerkennung von Kirchen und Religionsgesellschaften Die Anerkennung von Kirchen und Religionsgesellschaften erfolgt in Österreich nach den Bestimmungen des Anerkennungs- und des Bekenntnisgemeinschaftengesetzes in einem zweistufigen Modell.83 Auf der ersten Stufe ist der Er77 Grabenwarter (Fn. 7), Art. 9 EMRK Rn. 16; Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 70; Christoph Grabenwarter, Religion und EMRK, in: Andreas Zimmermann (Hrsg.), Religion und Internationales Recht, 2006, S. 97 (113 ff.); Katharina Pabel, Aktuelle Entwicklungen im Recht der Religionsgemeinschaften, in: Wolfram Karl (Hrsg.), Religionsfreiheiten im Zeichen der Globalisierung und Multikulturalität, 2013, S. 111 (115); Stefan Mückl, Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in: Wilhelm Rees/María Roca/Balázs Schanda (Hrsg.), Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten, 2013, S. 449; Schima (Fn. 34), S. 97. 78 EGMR (GK) RJD 2000-XI, 117, Tz. 78 (Hasan u. Shaush/Bulgarien); EGMR, ÖJZ 1997, S. 352, Tz. 47 (Manoussakis/Griechenland); EGMR, KirchE 48 (2000), S. 237, Tz. 56 ff. (Agga/Griechenland). 79 EGMR, ÖJZ 1997, S. 352, Tz. 47 (Manoussakis/Griechenland); EGMR (GK) RJD 2000-XI, 117, Tz. 78 (Hasan u. Shaush/Bulgarien); EGMR, KirchE 46 (2008), S. 373, Tz. 56 ff. (Agga/Griechenland); EGMR, KirchE 46 (2008), S. 373, Tz. 81 ff. (Supreme Holy Council of the Muslim Community/Bulgarien); EGMR, Urt. v. 22.1. 2009, Nr. 412/03 u. a., Tz. 103 (Holy Synod of the Bulgarian Orthodox Church u. a./ Bulgarien). 80 Grabenwarter (Fn. 7), Art. 9 EMRK Rn. 26. 81 Kucsko-Stadlmayer (Fn. 39), S. 505 f.; Pernthaler (Fn. 36), S. 186. 82 In diesem Sinne auch Pernthaler (Fn. 36), S. 177 ff.

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werb der Rechtspersönlichkeit als Bekenntnisgemeinschaft vorgesehen. Er setzt voraus, daß die betreffende Religionsgesellschaft einen entsprechenden Antrag unter Beigabe der Statuten mit organisatorischen Mindestanforderungen84 und unter Nachweis, daß ihr in Österreich mindestens 300 Personen angehören,85 einbringt. Die zuständige Behörde kann den Erwerb der Rechtpersönlichkeit insbesondere dann versagen, wenn dies zum Schutz öffentlicher Interessen notwendig ist, wobei typische Versagungsfälle gesetzlich geregelt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 BekGG). Verhindert werden soll vor allem, daß Sekten oder andere religiöse Gemeinschaften, von denen Gefährdungen für die psychische Gesundheit ihrer Mitglieder ausgehen können, die Rechtsform einer staatlich eingetragenen Bekenntnisgemeinschaft erlangen. Ein besonderer Status ist mit der Erlangung der Rechtspersönlichkeit nach dem BekGG nicht verbunden.86 Allerdings darf nicht unterschätzt werden, daß schon mit der Verleihung der Rechtspersönlichkeit als Bekenntnisgemeinschaft durch eine staatliche Behörde gewissermaßen „amtlich“ dokumentiert wird, daß es sich bei der betreffenden Gruppierung um eine Religionsgemeinschaft handelt. Damit ist eine Art von „Gütesiegel“ verliehen, das gegenüber dem Publikum ein gewisses Vertrauen wecken kann.87 Derzeit gibt es in Österreich acht eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaften.88 Auf der zweiten Stufe ist die gesetzliche Anerkennung als Kirche bzw. Religionsgesellschaft vorgesehen, womit mit der Verleihung eben jener Status als öffentlich-rechtliche Körperschaft verbunden ist, an die Art. 15 StGG verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte knüpft. Die Voraussetzungen für die gesetzliche Anerkennung ergeben sich seit der Verabschiedung des BekGG sowohl aus dem Anerkennungsgesetz als auch aus dem Bekenntnisgemeinschaftengesetz, das als lex fugitiva in § 11 eine Reihe von zusätzlichen Kriterien aufstellt.89 Diese Krite-

83 Ortner (Fn. 36), S. 157 ff.; Lienbacher (Fn. 27), S. 154; Schima (Fn. 34), S. 102 ff.; Pabel (Fn. 16), S. 227. 84 Angegeben werden müssen: der Name der BekG, ihre Religionslehre, ihre Zwecke und Ziele, Bestimmungen über Beginn und Ende der Mitgliedschaft zu ihr, Bestellung, Wirkungskreis, Sitz und Verantwortlichkeit der Organe, Vertretungsbefugnis, Finanzierung. 85 Die Mitglieder dürfen nicht Mitglied einer anderen BekG oder eingetragenen KuR sein. 86 Lienbacher (Fn. 27), S. 169; Pabel (Fn. 16), S. 232. 87 Pabel (Fn. 16), S. 227; siehe auch Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 118. 88 Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (AAGÖ); Bahá’í Religionsgemeinschaft Österreich (Bahai); Die Christengemeinschaft – Bewegung für religiöse Erneuerung in Österreich (Christengemeinschaft); Hinduistische Religionsgesellschaft in Österreich (HRÖ); Islamische-Schiitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (Schia); Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Österreich (Kirche der STA); Pfingstkirche Gemeinde Gottes in Österreich (Pfk Gem. Gottes iÖ); Vereinigungskirche in Österreich. 89 Lienbacher (Fn. 6), § 12 Rn. 53; Katharina Pabel, Entwicklungen im Recht der Religionsgemeinschaften, in: Georg Lienbacher/Gerhart Wielinger (Hrsg.), Jahrbuch Öffentliches Recht, 2011, S. 111 (118).

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rien sollen absichern, daß die anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften in ihrem Bestand auf Dauer gesichert sind,90 wobei zum einen auf die Zahl der Mitglieder, zum anderen auf den Zeitraum des bisherigen Bestands abgestellt wird. Zudem wird eine „positive Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat“ verlangt (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 3 Bek-GG). In verfassungskonformer Auslegung wird man allerdings hinsichtlich dieses Kriteriums nicht mehr als die Einhaltung der Rechtsordnung und keine aktive Bekämpfung der Grundordnung des Staates verlangen können.91 Als Mindestzahl der Mitglieder werden 2 vom Tausend der Bevölkerung Österreichs verlangt, das heißt nach derzeitigem Stand etwa 16.500 Personen. Für das Kriterium der Bestandsdauer hatte der Gesetzgeber zunächst einen Beobachtungszeitraum von 20 Jahren des Bestands vorgesehen, wovon mindestens 10 Jahre Bestand als Bekenntnisgemeinschaft gefordert waren. Diesen Zeitraum erklärte der Verfassungsgerichtshof mit einem Erkenntnis im Jahr 2010 für verfassungswidrig und hob die Bestimmung auf.92 Der VfGH sah zum einen den ausnahmslos vorgesehenen Beobachtungszeitraum von 20 Jahren für sachlich nicht gerechtfertigt, insbesondere deswegen, weil schon im Verfahren zur Anerkennung als Bekenntnisgemeinschaft wesentliche Anerkennungsvoraussetzungen überprüft würden. Zum anderen stellte der VfGH auch die Verfassungswidrigkeit des Erfordernisses eines Bestands als Bekenntnisgemeinschaft mangels sachlicher Rechtfertigung fest (Verletzung von Art. 14 i.V. m. Art. 9 EMRK). Zur Behebung des Verfassungswidrigkeit schuf der Gesetzgeber eine differenzierte und komplizierte Regelung, deren Verfassungskonformität angesichts der nach wie vor fixen, zum Teil sehr langen Zeiträume ohne Ausnahmemöglichkeiten durchaus zweifelhaft ist.93 Anlaßfall für das erwähnte Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und vor dem EGMR war unter anderem das Anerkennungsverfahren der Zeugen Jehovas.94 90

Pabel (Fn. 89), S. 118. Christoph Grabenwarter, Die korporative Religionsfreiheit nach der Menschenrechtskonvention, in: Stefan Muckel (Hrsg.), Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat, Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag, 2003, S. 147 (153); Schima (Fn. 34), S. 106. 92 VfSlg 19.166/2010; siehe dazu Lienbacher (Fn. 6), § 12 Rn. 55; Pabel (Fn. 16), S. 231 f. Kritisch schon Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Fn. 11), S. 113. 93 Vgl. § 11 BekGG; lit. a): Gedacht ist an den Fall der Entwicklung einer neuen religiösen Bewegung in Österreich. Anerkennungsvoraussetzung ist, daß eine Gemeinschaft durch mindestens 10 Jahre in Österreich besteht, davon mindestens 10 Jahre in organisierter Form (?) und mindestens 5 Jahre als Bekenntnisgemeinschaft; lit. b): Die BekG ist organisatorisch und in der religiösen Lehre in eine internationale Bekenntnisgemeinschaft eingebunden. Diese besteht seit zumindest 100 Jahren und in Österreich seit mindestens 10 Jahren in organisierter Form; lit. c) Die BekG besteht zwar nicht in Österreich, ist aber seit mindestens 200 Jahren im Ausland aktiv. Kritisch auch Lienbacher (Fn. 6), § 12 Rn. 55. 94 EGMR, NVwZ 2009, S. 509 (Zeugen Jehovas u. a./Österreich); VfSlg 19.166/ 2010. Siehe dazu Schima (Fn. 34), S. 108 ff. 91

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Darüber hinaus war auch die Frage der Anerkennung von verschiedenen Strömungen des Islam lange Zeit umstritten. In Österreich galt seit dem Jahr 1912 das Islamgesetz,95 das grundlegend das Verhältnis von Staat und dem Islam, insbesondere dem Islam nach hanefitischem Ritus, regelte.96 Auf dieser Grundlage genoss der Islam auch den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts. Mit einem Erkenntnis aus dem Jahr 2010 hat der Verfassungsgerichtshof auf einen Antrag eines Kulturvereins der Aleviten, die die Anerkennung als Bekenntnisgemeinschaft anstrebten, festgestellt, daß es die Vorschriften des Islamgesetzes nicht gebieten würden, daß es nur eine rechtlich verfasste islamische Religionsgesellschaft geben könne.97 Sie stünden folglich einer Anerkennung weiterer islamischer Religionsgemeinschaften nicht entgegen. Vor diesem Hintergrund wurden im Bereich des Islams bislang die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) und die Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft (ALEVI) gesetzlich anerkannt.98 Beide Anerkennungen erfolgten vor Inkrafttreten des Islamgesetzes 2015.99 Entsprechend den veröffentlichten Informationen des Kultusamtes wurde die Verfassung der IGGÖ vom 25.2.2016 gemäß § 23 Abs. 1 IslamG am 26.2.2016 genehmigt.100 Eine entsprechende Genehmigung der Verfassung der Alevitischen Glaubensgemeinschaft steht wohl noch aus. 2. Die Form der Anerkennung Zuständig für die Anerkennung ist das sog Kultusamt, eine Bundesbehörde, die im Bundeskanzleramt angesiedelt ist.101 Weder das Anerkennungsgesetz 95 Bundesgesetz über die äußeren Rechtsverhältnisse islamischer Religionsgesellschaften, BGBl. I 39/2015. 96 Siehe grundlegend das Verhältnis zwischen dem Islam und dem österreichischen Staat Barbara Gartner, Der religionsrechtliche Status islamischer und islamistischer Gemeinschaften, 2011. 97 VfSlg 19.240/2010. 98 Gesetz betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islams nach hanefitischem Ritus als Religionsgesellschaft, RGBl. Nr. 159/1912; Verordnung der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur betreffend die Anerkennung der Anhänger der Islamischen Alevitischen Glaubensgemeinschaft als Religionsgesellschaft, BGBl. II Nr. 133/ 2013. Siehe auch Lienbacher (Fn. 6), § 12 Rn. 53; Katharina Pabel, Das Islamgesetz in rechtsvergleichender Perspektive, in: Stephan Hinghofer-Szalkay/Herbert Kalb (Hrsg.), Islam, Recht und Diversität, 2018, S. 341 (343). 99 Pabel (Fn. 98), S. 343; Susanne Raab, The New Austrian Islam Law: Aims, Potentials and Limits to the legal governance of Islam. Practical Insights into the Development of the Legal Framework in Austria, in: Stephan Hinghofer-Szalkay/Herbert Kalb (Hrsg.), Islam, Recht und Diversität, S. 355. Zur Geschichte des Islamgesetzes siehe Johann Bair, Rechtshistorische Grundlagen des Islamgesetzes 2015, in: ebd., S. 49. 100 GZ.: BKA-KA9.020/0002-Kultusamt/2016 vom 26.2.2016; siehe www.bundes kanzleramt.gv.at/agenda/kultusamt/Kirchen-und-religionsgemeinschaften.html (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 101 Teil 2 Z. 19 der Anlage zu § 2 des Bundesministeriengesetzes 1986, BGBl. Nr. 76/1986 i. d. F. BGBl. I Nr. 164/2017; vgl. Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 105.

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noch das BekGG enthalten eine Aussage darüber, in welcher Rechtsform die Anerkennung zu erfolgen hat. In der Praxis wurden positiv beschiedene Anerkennungen in der Regel mittels Verordnung verfügt, was den Nachteil hatte, daß es im österreichischen Rechtsschutzsystem keinen Rechtsbehelf für die Versagung einer Anerkennung bzw. die Untätigkeit der Behörde gab.102 Der Verfassungsgerichtshof hat klargestellt, daß ein durchsetzbarer Anspruch auf Anerkennung besteht.103 Daher könne die Anerkennung zwar durch Verordnung ausgesprochen werden, im Falle der negativen Entscheidung sei aber ein Bescheid zu erlassen. Darüber hinaus hat die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes auch geklärt, daß die Behörde, wenn sie das Vorliegen aller gesetzlichen Voraussetzungen festgestellt hat, verpflichtet ist, die Anerkennung zu gewähren.104 In Österreich gibt es derzeit 16 gesetzlich anerkannte Religionsgesellschaften, die den Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts genießen.105 Zu diesen anerkannten Religionsgesellschaften zählen die Katholische Kirche, die Evangelische Kirche in ihren verschiedenen Bekenntnissen, die israelitische Religionsgesellschaft und weitere Religionsgemeinschaften.106 Für einige von ihnen bestehen – wie auch für die islamischen Religionsgesellschaften – jeweils eigene Gesetze, die das Verhältnis zwischen dem Staat und der jeweiligen Religionsgesellschaft spezifisch regeln.107 Im Übrigen sind die Anerkennungen der Religionsgesellschaften durch Verordnung des zuständigen Bundesministers erfolgt.108 Einen förmlichen Anerkennungsakt gibt es für die katholische Kirche nicht, sie gilt als „historisch anerkannt“.109

102 Kucsko-Stadlmayer (Fn. 39), S. 515; Lienbacher, in: Grabenwarter/Lüdecke (Fn. 27), S. 162; Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 105 f. 103 VfSlg 14.295/1995. 104 VfSlg 11.931/1988, 14.295/1995; so auch schon Hans R. Klecatsky, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Rechtsstellung der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften in Österreich, EuGRZ 1982, S. 441 (444 f.); Helmuth Pree, Österreichisches Staatskirchenrecht, 1984, S. 77. 105 Siehe die Übersicht unter www.help.gv.at/Portal.Node/hlpd/public/content/82/ Seite.820015.html (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 106 Übersicht bei Pabel (Fn. 98), S. 342. 107 Bundesgesetz vom 6.7.1961 über äußere Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche, BGBl. I Nr. 182/1961; Bundesgesetz vom 23.6.1967 über äußere Rechtsverhältnisse der griechisch-orientalischen Kirche in Österreich, BGBl. I Nr. 229/1967; Gesetz, betreffend die Regelung der äußeren Rechtsverhältnisse der israelitischen Religionsgesellschaft, RGBl. Nr. 57/1890 i. d. F. BGBl. I Nr. 48/2012; Bundesgesetz über äußere Rechtsverhältnisse der orientalisch-orthodoxen Kirchen in Österreich, BGBl. I Nr. 20/ 2003. 108 Siehe unter www.bundeskanzleramt.gv.at/agenda/kultusamt/Kirchen-und-religions gemeinschaften.html (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 109 Schwendenwein (Fn. 10), S. 188 f.; Lienbacher (Fn. 27), S. 156 f.; Pabel (Fn. 98), S. 342.

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Das Islamgesetz 2015,110 das in jüngerer Zeit aufmerksam – teils kritisch, teils affirmativ – verfolgt wurde, setzt die rechtliche Tradition in Österreich fort, das Verhältnis zwischen dem Staat und einzelnen religiösen Gemeinschaften durch Gesetze zu regeln.111 Diese Regelungstechnik unterscheidet sich von jener anderer Staaten, insbesondere von jener in Deutschland, wo das Verhältnis zwischen dem Staat und einzelnen religiösen Gemeinschaften in der Regel durch Verträge zwischen dem Staat, sei es dem Bund oder den Ländern, und der jeweiligen Gemeinschaft gestaltet wird.112 Das Islamgesetz regelt die Beziehung zwischen der Republik Österreich und den muslimischen Gemeinschaften in Österreich.113 Es betrifft insbesondere auch die Frage, welcher Status bestimmten muslimischen Gruppen in der österreichischen Rechtsordnung gewährt wird. Das Gesetz zielt nicht darauf ab, die inneren Angelegenheiten der muslimischen Gemeinschaften in Österreich zu regeln, und es dient selbstverständlich auch nicht dazu, den muslimischen Glauben selbst zu organisieren. Vielmehr bezweckt es, die grundlegenden Bedingungen für eine Anerkennung muslimischer Gemeinschaften in der österreichischen Rechtsordnung zu regeln und sie damit anderen anerkannten Religionsgemeinschaften gleich zu stellen. Zugleich bietet die Anerkennung die Basis für eine Kooperation des Staates mit den Religionsgemeinschaften in bestimmten Bereichen.114 Explizit nennt das Gesetz etwa die Militärseelsorge, die Seelsorge in Krankenhäusern, Haftanstalten und anderen Einrichtungen (§ 11 Abs. 1, § 18 Abs. 1 IslamG) und die Einrichtung einer theologischen Fakultät an der Universität Wien (§ 24 IslamG). Derzeit hat die Gruppe der Pastafari, die Kirche des fliegenden Spaghettimonsters, in Österreich die Anerkennung als Bekenntnisgemeinschaft beantragt und beschäftigt Behörden und Gerichte. Mit dieser „Aktion“ ist eine Kritik an der (vermeintlichen) Privilegierung der Kirchen verbunden, das Anerkennungssystem soll ad absurdum geführt werden. Das Kultusamt hat den Antrag wegen Fehlens einer Religion zurückgewiesen,115 was vor den Verwaltungsgerichten angefochten wurde.116 Zuletzt hat das Bundesverwaltungsgericht über den Antrag auf An-

110 Bundesgesetz über die äußeren Rechtsverhältnisse islamischer Religionsgesellschaften, BGBl. I Nr. 39/2015. 111 Richard Potz/Brigitte Schinkele, Die Genese des österreichischen Islamgesetzes 2015, öarr 2015, S. 303 (306); Pabel (Fn. 98), S. 353. 112 Pabel (Fn. 98), S. 353. 113 Pabel (Fn. 98), S. 352. 114 Pabel (Fn. 98), S. 353. 115 Siehe www.bundeskanzleramt.gv.at/bekanntmachungen-kultusamt (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 116 Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hatte der VwGH zunächst einen negativen Kompetenzkonflikt zwischen dem Bundesverwaltungsgericht und dem Landesverwaltungsgericht Wien zu entscheiden und erkannte auf eine Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts. Zudem hatte der VfGH über die Verfassungskonformität der einschlä-

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erkennung abschlägig entschieden und ebenfalls das Vorliegen einer Bekenntnisgemeinschaft mit ausführlicher Begründung verneint.117 Einer der Proponenten der Bewegung hat immerhin durchgesetzt, daß sein Führerschein ein Foto enthält, das ihn mit einem Nudelsieb als quasi-religiöser Kopfbedeckung zeigt. 3. Rechtsfolgen der Anerkennung Mit der Anerkennung als Kirche oder Religionsgesellschaft ist die Verleihung des Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts verbunden. Zu Recht wird darauf hingewiesen, daß bei Kirchen und Religionsgesellschaften im Unterschied zu anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts eine besondere Staatsnähe gerade fehlt. Weder führt die Anerkennung zur Einbindung der betreffenden religiösen Gemeinschaft in den staatlichen Bereich, noch ist mit der Zuerkennung des Körperschaftsstatus die Ausübung von Hoheitsbefugnissen verbunden. Auch die für sonstige Körperschaften öffentlichen Rechts typische Zwangsmitgliedschaft fehlt bei Kirchen und Religionsgesellschaften.118 Vielmehr stärkt die Anerkennung die Autonomie der religiösen Gemeinschaften und verleiht ihnen eine Position gegenüber dem Staat. Die Anerkennung bringt zum Ausdruck, daß der Staat mit diesen religiösen Gemeinschaften in besonderer Weise und in besonderem Maße zur Kooperation bereit ist. Nicht zuletzt werden durch den Anerkennungsakt staatlicherseits die betreffenden Kirchen und Religionsgesellschaften gegenüber anderen hervorgehoben. Die in Art. 15 StGG gewährleisteten korporativen Rechte (siehe oben IV. 4.) stehen nur gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften zu. Nach dem System des genuin österreichischen Staatskirchenrechts öffnet damit die Anerkennung einer religiösen Gemeinschaft ein ganzes Bündel an besonderen Rechten. Allerdings ist die korporative Religionsfreiheit im Licht des Art. 9 EMRK zu sehen. Wie oben ausgeführt, leitet der EGMR gewisse Gewährleistungen der Autonomie und Selbstbestimmung in inneren Angelegenheiten als korporative Rechte aus dem Grundrecht ab, ohne daß es insofern auf eine förmliche Anerkennung der Gemeinschaft nach nationalem Recht ankäme. Damit steht zumindest ein gewisser Grundstock an korporativen Rechten auch nicht anerkannten religiösen Gemeinschaften zu.119 Zudem ist aus der Perspektive der EMRK gigen Bestimmungen der Verwaltungszuständigkeit zu entscheiden, VfGH, 10.10.2017, G 181/2017. 117 BVwG, 22.3.2018, W170 2115136-1. Die Revision an den VwGH wurde mit Beschluß vom 30.4.2019 zurückgewiesen. 118 Vgl. Stefan Schima, Neuerungen im österreichischen Anerkennungsrecht, in: Wilhelm Rees/María Roca/Balázs Schanda (Hrsg.), Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten, 2013, S. 617 (619 f.). 119 Brigitte Schinkele, Privilegierte und diskriminierte Religionsgemeinschaften, in: Reinhard Kohlhofer (Hrsg.), Religionsrecht und EMRK, 2009, S. 67 (88 ff.); Pabel (Fn. 16), S. 232 ff.; Schima (Fn. 119), S. 619.

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(Art. 14 i.V. m. Art. 9 EMRK) jede Ungleichbehandlung zwischen religiösen Gemeinschaften rechtfertigungsbedürftig. Das schließt ein Anerkennungssystem, nach dem bestimmte Rechte nur anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften vorbehalten sind, nicht von vornherein aus. Solche besonderen Rechte bedürfen aber eines sachlichen Grundes; zwischen der Gewährleistung eines besonderen Rechts und den im Anerkennungsverfahren festgestellten Anforderungen an die religiöse Gemeinschaft muß ein plausibler Konnex bestehen. Zudem muß der Zugang zum Rechtsstatus der Anerkennung diskriminierungsfrei möglich sein.120 Gemäß Art. 17 Abs. 4 StGG ist die Veranstaltung von Religionsunterricht an öffentlichen Schulen nur für anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften vorgesehen (siehe dazu genauer unten VIII. 1.). Unter dem Blickwinkel der EMRK erscheint die Begrenzung dieses Rechts auf anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften gerechtfertigt, da die Anerkennungsvoraussetzungen wie der dauerhafte Bestand, die Mitgliederzahl und die Akzeptanz der staatlichen Rechtsordnung (siehe dazu unten V. 1.) angemessene Bedingungen für die Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche bei der Durchführung von Religionsunterricht sind.121 Eine gewisse Besonderheit des österreichischen Staatskirchenrechts stellt das sog. Ausschließlichkeitsrecht der anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften dar, das aus Art. 15 StGG abgeleitet wird.122 Darunter wird verstanden, daß die anerkannten religiösen Gemeinschaften einen Schutz ihrer Identität im Sinne einer gewissen Exklusivität genießen.123 Sie sind davor geschützt, daß eine andere Gemeinschaft in ihren Rechtsbestand eingreift, der insbesondere den Namen, die Religionslehre, Gottesdienst, die Verfassung der Religionsgesellschaft und die Mitgliedschaft umfasst. Der Staat ist im Sinne einer Schutzpflicht verpflichtet, die anerkannte Kirche oder Religionsgesellschaft vor Eingriffen in ihre Identität zu schützen. Der Umfang des geschützten Rechtsbestands und der Schutzpflicht ist allerdings umstritten und weder in der Rechtsprechung noch in der Lehre geklärt. In diesem Zusammenhang kommt dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zu Anerkennungsanträgen der Aleviten aus dem Jahr 2010 besondere Bedeutung zu. Er stellt fest, daß einer Anerkennung der Aleviten als 120 EGMR, NVwZ 2009, S. 509 (Zeugen Jehovas/Österreich); siehe auch Pabel (Fn. 16), S. 229 f. 121 So auch Schima (Fn. 119), S. 621. 122 Dementsprechend wird für die Anerkennung auch verlangt, daß das Religionsbekenntnis, um dessen Anerkennung es geht, bisher von keiner der bereits anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften gehütet wird, Schwendenwein (Fn. 10), S. 237. 123 Schwendenwein (Fn. 10), S. 489 ff.; Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 75 ff., 160; Johann Bair, Das Ausschließlichkeitsrecht im Lichte der Beschwerdesache des Kulturvereins der Aleviten in Wien, in: Wilhelm Rees/María Roca/Balázs Schanda (Hrsg.), Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten, 2013, S. 11 (17 ff.); Schima (Fn. 34), S. 113 ff., jeweils m.w. N., insbesondere auch der älteren Literatur.

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Bekenntnisgemeinschaft bzw. als Religionsgesellschaft die Bestimmungen des Islamgesetzes, mit dem die Islamische Religionsgemeinschaft in Österreich bereits anerkannt war, nicht entgegenstünden. Es könne nicht angenommen werden, daß sämtliche Anhänger des Islam nur durch eine einzige Religionsgemeinschaft vertreten werden dürften.124 Damit ist geklärt, daß das Ausschließlichkeitsrecht jedenfalls nicht als umfassender „Konkurrenzschutz“ interpretiert werden kann. Man wird allerdings einen gewissen Schutz des Namens einer anerkannten Kirche und Religionsgesellschaft in Verbindung mit der Religionslehre annehmen können.125 4. Bewertung Zusammenfassend ist zum österreichischen Regelungsmodell des Anerkennungsrechts festzustellen, daß die Regelungen in mehrfacher Hinsicht unübersichtlich und unsystematisch sind. Die Verteilung der Anerkennungsvoraussetzungen auf zwei Gesetze, das Anerkennungsgesetz und das Bekenntnisgemeinschaftengesetz, mit ganz unterschiedlichem Entstehungszeitpunkt ist ein Aspekt. Während das Anerkennungsgesetz bereits 1874 entstanden ist, wurde das Bekenntnisgemeinschaftengesetz 1988 erlassen.126 Die verschiedenen Anerkennungsformen, die in der Rechtspraxis vorliegen – Gesetze, Verordnungen, Bescheide – bilden einen weiteren Aspekt. Drittens greift etwa das Islamgesetz, aber auch andere spezielle Anerkennungsgesetze, einzelne Anerkennungsvoraussetzungen noch einmal auf und konkretisiert diese teilweise. Daß auf diese Weise Bedenken hinsichtlich der Einhaltung des Gleichheitssatzes entstehen, ist geradezu denklogisch. Ein Beispiel für eine solche konkretisierende Regelung, die gleichheitsrechtliche Bedenken aufwirft, ist die Verankerung des Verbots der Auslandsfinanzierung, die der Gesetzgeber im Islamgesetz – und nur dort – vorgenommen hat (vgl. § 6 Abs. 2 IslamG).127 Der Verfassungsgerichtshof hat das Verbot, die Finanzierung der gewöhnlichen Tätigkeiten einer (islamischen) Religionsgesellschaft aus dem Ausland zu decken, für mit den Grundrechten vereinbar erachtet.128 Er erachtet das in den Materialien129 ausgewiesene gesetzgeberi124

VfSlg 19.166/2010. In diese Richtung auch Barbara Gartner-Müller, Die Islamische Glaubensgemeinschaft und das Ausschließlichkeitsrecht der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften, öarr 2012, S. 251 (275 f.); Schima (Fn. 34), S. 116. 126 Zur Motivation siehe etwa Schima (Fn. 34), S. 102 f. Bemerkenswert ist, daß in den achtziger und neunziger Jahren der Umgang mit sog. Jugendreligionen und Sekten im Zentrum des Interesses im Religionsrecht stand. Diese Diskussion ist in den neunziger Jahren von Fragen im Umgang mit dem Islam abgelöst worden. 127 Zu verfassungsrechtlichen Bedenken siehe Stefan Schima, Das im Islamgesetz verankerte Verbot der Auslandsfinanzierung. Anmerkungen vor dem Hintergrund der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Religionsfreiheit, in: Stephan Hinghofer-Szalkay/ Herbert Kalb (Hrsg.), Islam, Recht und Diversität, 2018, S. 369 (384 ff.). 128 VfGH, JBl 2019, S. 501 u. a. 129 ErlRV 446 BlgNR XXV. GP, S. 4. 125

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sche Ziel, die Selbständigkeit und Unabhängigkeit einer Religionsgesellschaft zu sichern, als im öffentlichen Interesse gelegen. Das aus dem Verbot der Mittelaufbringung durch eine laufende Finanzierung aus dem Ausland resultierende Erfordernis der Sicherstellung hinreichender Mittel im Inland sichere die Autonomie der islamischen Religionsgesellschaften gegenüber Einwirkungen anderer Staaten und deren Einrichtungen, im Anlaßfall gegenüber dem Präsidium für religiöse Angelegenheiten der Republik Türkei. Auch im Hinblick auf den Gleichheitssatz bzw. das Diskriminierungsverbot hat der Verfassungsgerichtshof die Verfassungskonformität der Regelung angenommen. Er bewertete die ausschließlich an die islamischen Religionsgesellschaften zusätzlich gestellten Anforderungen in Anbetracht des Regelungsziels als sachlich gerechtfertigte Konkretisierung des Grundsatzes der Selbsterhaltungsfähigkeit in spezifischer Form und attestierte ihnen insofern „Antwortcharakter“. Eine Besonderheit des österreichischen Anerkennungsrechts ist die zweistufige Leiter über die Bekenntnisgemeinschaft hin zur gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft, die den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft genießt. Die Unterscheidung zwischen Bekenntnisgemeinschaften und gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften ist sicherlich eine Möglichkeit, vor der Stufe der „vollen“ Anerkennung religiösen Gemeinschaften Rechtspersönlichkeit zu verleihen und sie als solche offiziell wahrzunehmen. Ein Blick auf die Straßburger Rechtsprechung zeigt freilich, daß gestufte Systeme im Hinblick auf die religiöse Vereinigungsfreiheit und das Verbot der Diskriminierung aus religiösen Gründen tendenziell unter Rechtfertigungsdruck geraten.130 Das Problem wird noch dadurch verschärft, daß mit der Änderung des Bekenntnisgemeinschaftengesetzes in Folge des Erkenntnisses des VfGH zu den Zeugen Jehovas für die Beurteilung des Kriteriums des dauerhaften Bestands die Kategorie „Bestand in organisierter Form“ eingeführt ist, ohne daß klar wäre, was darunter zu verstehen ist. Waldhoff hat in seinem Gutachten zum Deutschen Juristentag 2010 unter dem Thema „Neue Religionskonflikte und staatliche Neutralität“ vorgeschlagen, in Anlehnung an die österreichische Rechtslage auch in Deutschland eine eigenständige Organisationsform für Religionsgemeinschaften unterhalb des Körperschaftsstatus einzuführen.131 Damit soll vor allem Gemeinschaften, die aus welchen Gründen auch immer den Körperschaftsstatus nicht erlangen, eine Form der 130 Manfred Stelzer, Korporative Aspekte der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung des EGMR, in: Reinhard Kohlhofer (Hrsg.), Religionsgemeinschaftenrecht und EMRK, 2009, S. 21 (32); Richard Potz, Gedanken zu den Auswirkungen des EGMR-Urteils auf das österreichische Religionsrecht, in: Reinhard Kohlhofer (Hrsg.), Religionsgemeinschaftenrecht und EMRK, S. 59 (60, 63); Pabel (Fn. 16), S. 234 ff., 238. 131 Christian Waldhoff, Neue Religionskonflikte und staatliche Neutralität – Erfordern weltanschauliche und religiöse Entwicklungen Antworten des Staates?, NJW-Beil. 2010, S. 90 (93).

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offiziellen Anerkennung als Religionsgemeinschaft eröffnet werden. Angesichts der dargestellten Schwierigkeiten des österreichischen Systems der stufenweisen Anerkennung, das tendenziell zu neuen gleichheitsrechtlichen Fragen führt, erscheint es fraglich, ob die Einführung weiterer Organisationsformen eine sinnvolle Weiterentwicklung des Anerkennungsrechts darstellen würde.

VI. Wirkungsmöglichkeiten der Kirchen und Religionsgemeinschaften 1. Mitwirkung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Gemäß § 4 ORF-G132 hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Österreich einen sogenannten „öffentlich-rechtlichen Kernauftrag“, zu dem unter vielen anderen Aspekten auch die angemessene Berücksichtigung der Bedeutung der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften (Nr. 12) zählt. Zur Wahrung der Interessen der Hörer und Seher ist ein Publikumsrat einzurichten, dem auch je ein Vertreter der katholischen Kirche und der evangelischen Kirche angehören (§ 28 Abs. 3 Nr. 3, 4 ORF-G). Die anderen gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften sind im derzeit 30-köpfigen Publikumsrat nicht vertreten. 2. Schutz von Feiertagen Einen verfassungsgesetzlichen Schutz von Sonn- und Feiertagen gibt es in Österreich nicht.133 Die in Österreich gesetzlich vorgesehenen Feiertage sind weit überwiegend christlichen Ursprungs. Maßgeblich ist insofern insbesondere das Arbeitsruhegesetz,134 wonach als Feiertage außer den Sonntagen Neujahr, Hl. Drei Könige, Ostermontag, 1. Mai als Staatsfeiertag, Christi Himmelfahrt, Pfingstmontag, Fronleichnam, Mariä Himmelfahrt, 26. Oktober als Nationalfeiertag, Allerheiligen, Mariä Empfängnis und Weihnachten sowie der Stephanitag vorgesehen sind.135 Für Angehörige der evangelischen Kirchen AB und HB, der Altkatholischen Kirche und der Methodistenkirche ist auch der Karfreitag ein Feiertag. Die Festlegung der Feiertage hat insbesondere arbeitsrechtliche Konsequenzen.136 Darüber hinaus gilt nach dem Gesetz über die Interkonfessionellen Verhältnisse, daß an Festtagen jeglicher Kirchen und Religionsgesellschaften 132 Bundesgesetz über den Österreichischen Rundfunk (ORF-Gesetz, ORF-G), BGBl. Nr. 379/1984 i. d. F. BGBl. Nr. 612/1986 und BGBl. I Nr. 194/1999. 133 Kröll (Fn. 52), S. 245. 134 Bundesgesetz vom 3.2.1983 über die wöchentliche Ruhezeit und die Arbeitsruhe an Feiertagen (Arbeitsruhegesetz – ARG). 135 Vgl. auch Art. 9 Konkordat 1933/34, wonach die Republik bestimmte Feiertage anerkennt. Dazu zählen bemerkenswerterweise weder Ostermontag noch Pfingstmontag oder der Stephanitag. 136 Vgl. Kucsko-Stadlmayer (Fn. 39), S. 511 f.; Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 290 f.

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während des Hauptgottesdienstes in der Nähe des Gotteshauses alles unterlassen werden muß, was eine Störung oder Beeinträchtigung der Feier zur Folge haben könnte.137 Dieser Schutz religiöser Feierlichkeiten an Festtagen wurde in jüngerer Zeit sowohl im Israelitengesetz als auch im Islamgesetz zugunsten der jeweiligen Religionsgesellschaften auf bestimmte Tage konkretisiert.138

VII. Kirchenfinanzierung 1. Leistungen des Staates an die Kirchen und Religionsgesellschaften Im Staatsvertrag von 1955139 wurde die Republik Österreich verpflichtet, Ersatz für entzogene Vermögenswerte aus dem Religionsfonds (1939) und die Aufhebung der staatlichen Patronatsverpflichtungen zu leisten.140 Die entsprechenden Verpflichtungen sind seit den sechziger Jahren in Verträgen mit den Kirchen und Religionsgesellschaften festgeschrieben und konkretisiert worden. Die zu leistenden Beträge setzen sich aus einem festen Betrag sowie aus einem variablen Betrag zusammen, der einen Ersatz von Personalkosten umfaßt und sich an dem (fiktiven) Gehalt von Bundesbeamten orientiert.141 Die für die Kirchen und Religionsgesellschaften vorgesehenen Leistungen haben ihrem Ursprung nach den Charakter von Entschädigungsleistungen. Daraus ergibt sich, daß sie auch für jene Gesellschaften vorgesehen sind, die historisch insbesondere durch die Auflösung des Religionsfonds in der NS-Zeit Schäden erlitten haben. Allerdings geht dieses Verständnis der Zahlungen als Entschädigung kontinuierlich verloren. Die Leistungen werden zunehmend als Subventionen verstanden, mit der Folge, daß zum einen die Rechtfertigung der staatlichen Leistungen an die Kirchen und Religionsgesellschaften überhaupt in Frage gestellt wird. Zum anderen wird die Frage der Gleichbehandlung (Parität) aller gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften gestellt.142 137

Siehe auch Kröll (Fn. 52), S. 246. Vgl. § 10 IsraelitenG; §§ 13, 20 IslamG. 139 Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich von 1955, BGBl. Nr. 152/1955. 140 Siehe dazu Karl Schwarz, Zwischen Subvention, Mitgliedsbeitrag und Kultursteuer: Wege der Kirchenfinanzierung in Österreich, öarr 2004, S. 244 (248 ff.). Zum Religionsfonds siehe Schwendenwein (Fn. 10), S. 40, 259 f. 141 Vgl. insbesondere den Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und Österreich zur Regelung von vermögensrechtlichen Beziehungen (Vermögensvertrag), BGBl. Nr. 195/ 1960 i. d. F. BGBl. III Nr. 120/2009; dazu Schwendenwein (Fn. 10), S. 668 ff. Entsprechende Regelungen finden sich auch im Protestantengesetz 1961 (§ 20) sowie in den Gesetzen für die Altkatholische Kirche (§ 1 über finanzielle Leistungen an die altkatholische Kirche, BGBl. Nr. 221/1960 i. d. F. BGBl. I Nr. 92/2009) und die Israelitische Religionsgesellschaft (§ 14 Israelitengesetz). 142 Vgl. dazu Schwarz (Fn. 140), S. 248 ff. 138

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Neben den direkten Staatsleistungen an Kirchen und Religionsleistungen sind auch die indirekten Leistungen zu nennen. Zum einen sind die von den Mitgliedern zu leistenden Kirchenbeiträge (siehe dazu unten 2.) bis zu einer Höhe von A 400,– steuerlich absetzbar (§ 18 Abs. 1 Nr. 5 EStG143). Zum anderen folgt aus dem Rechtsstatus als Körperschaft öffentlichen Rechts, der mit der Anerkennung verliehen wird, daß die Kirchen und Religionsgesellschaften nur beschränkt körperschaftssteuerpflichtig sind.144 2. Die Einhebung von Kirchenbeiträgen Neben den Staatsleistungen finanzieren sich die Kirchen und Religionsgesellschaften aus Kirchenbeiträgen. Das Kirchenbeitragssystem wurde während des NS-Regimes 1939 in Österreich eingeführt und nach 1945 beibehalten.145 Kirchenbeiträge sind privatrechtliche Mitgliedsbeiträge (vergleichbar mit Vereinsbeiträgen), die gegebenenfalls zivilrechtlich einzuklagen sind. Eine Inanspruchnahme des Verwaltungsvollstreckungsrechts ist ausgeschlossen. Die Einziehung des Kirchenbeitrags durch staatliche Behörden ist nicht vorgesehen. Die Kirchen mußten daher eine eigene Kirchenbeitragsverwaltung aufbauen, die den Kirchenmitgliedern die entsprechenden Beiträge vorschreibt und die Zahlungen kontrolliert sowie gegebenenfalls einklagt. Die kirchlichen Stellen sind auf die Daten aus den Melderegistern der staatlichen Verwaltung angewiesen.146 Die Erhebung von Kirchenbeiträgen wird als innere Angelegenheit der jeweiligen Kirche und Religionsgesellschaft angesehen.147 Das betrifft sowohl das Ob der Erhebung, die Höhe des Kirchenbeitrags sowie die Details der Erhebung. Dementsprechend hat etwa die katholische Kirche Kirchenbeitragsordnungen erlassen.148 Auch die Verwendung der so erzielten Einnahmen ist als innere Angelegenheit der Kirchen und Religionsgesellschaften anzusehen. Das Recht, Kirchenbeiträge einzuheben, ist im Vermögensvertrag mit der katholischen Kirche und in den gesetzlichen Bestimmungen für andere Kirchen und Religionsgesellschaften abgesichert.149 Von Seiten des Staates ist überdies im Jahre 1939 das Kirchenbeitragsgesetz erlassen worden, das die Eckpunkte der Beitragserhebung

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Einkommensteuergesetz 1988 (EStG), BGBl. Nr. 400/1988 i. d. F. BGBl. I Nr. 62/

2018. 144 Siehe zu Einzelheiten Dietmar Johannes Aigner/Georg Kofler/Michael Tumpel, Die Besteuerung anerkannter Kirchen und Religionsgesellschaften, öarr 2015, S. 225 (227 ff.). 145 Zur Geschichte und zu den Hintergründen siehe Schwarz (Fn. 140), S. 250 ff. 146 Vgl. dazu Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 166 ff.; Schwarz (Fn. 140), S. 252 f. 147 VfSlg 3657/1959; siehe auch Schwarz (Fn. 140), S. 253. 148 Siehe etwa die Kirchenbeitragsordnung der Diözese Wien, www.kirchenbeitrag. at/dl/KtktJKJKoNNlLJqx4KJK/KBO_2005.pdf (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 149 Vgl. zum Vermögensvertrag Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 529 f.

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regelt.150 Bestimmt ist u. a., daß die Kirchenbeitragspflicht von volljährigen Mitgliedern der Kirche besteht und mit dem Tod oder mit dem Austritt aus der Kirche endet (vgl. § 2 Kirchenbeitragsgesetz; vgl. auch Art. 6 Gesetz über die Interkonfessionellen Verhältnisse der Staatsbürger). Im Hinblick auf die Gewährleistung der Selbstverwaltung der inneren Angelegenheiten erscheint es problematisch, daß im Kirchenbeitragsgesetz eine Genehmigung der Kirchenbeitragsordnung durch die staatlichen Aufsichtsbehörden sowie die Vorlage eines Haushaltsplans und die Pflicht, staatlichen Behörden Einsicht in die kirchliche Vermögensverwaltung zu gewähren, vorgesehen sind (vgl. § 3 Abs. 2, § 4 Kirchenbeitragsgesetz). Der VfGH hat zur Frage der Genehmigung der Beitragsordnung bereits im Jahr 1959 erkannt, daß diese lediglich als Unbedenklichkeitserklärung aus staatlicher Sicht zu verstehen ist.151

VIII. Formen institutioneller Kooperation von Staat und Kirchen sowie Religionsgemeinschaften 1. Religionsunterricht an öffentlichen Schulen Der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ist verfassungsgesetzlich abgesichert. Gemäß Art. 17 Abs. 4 StGG ist für den Religionsunterricht in öffentlichen Schulen von der betreffenden Kirche oder Religionsgesellschaft Sorge zu tragen, wobei damit die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften im Sinne des Art. 15 StGG erfaßt sind.152 Die Regelung des Art. 17 Abs. 4 StGG ist zusammen mit dem folgenden Absatz zu lesen. Danach steht dem Staat rücksichtlich des gesamten Unterrichts- und Bildungswesens das Recht der obersten Leitung und Aufsicht zu. Diese Bestimmungen spiegeln die Entwicklung hin zu einem Schulwesen wider, in dem zur Mitte des 19. Jahrhunderts die kirchliche Schulhoheit abgelöst und auf den Staat übertragen wurde. Primärer Regelungszweck von Art. 17 Abs. 4 und 5 StGG war ursprünglich eine Bereichsscheidung zwischen Staat und Kirche im Schulwesen.153 Aus den Bestimmungen folgt zum einen die Interkonfessionalität der Schule, zum anderen die Konfessio-

150 Gesetz über die Erhebung von Kirchenbeiträgen im Lande Österreich, GBlÖ Nr. 543/1939. 151 VfSlg 3657/1959; siehe auch Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 411. 152 Siehe zum Religionsunterricht an öffentlichen Schulen Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 351 ff.; Katharina Pabel, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts in Österreich, öarr 2012, S. 64 ff.; Wilhelm Rees, Neuere Fragen um Schule und Religionsunterricht in Österreich, in: Wilhelm Rees/María Roca/Balázs Schanda (Hrsg.), Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten, 2013, S. 499 (507 ff.); Richard Potz, Der islamische Religionsunterricht in Österreich, in: Stephan Hinghofer-Szalkay/Herbert Kalb (Hrsg.), Islam, Recht und Diversität, 2018, S. 399 ff. 153 Schwendenwein (Fn. 10), S. 392 f.; Pabel (Fn. 152), S. 65 f.

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nalität des Religionsunterrichts.154 Im Verhältnis zur katholischen Kirche ist der Religionsunterricht auch durch den Schule-Kirche-Vertrag, der das Konkordat von 1933/34 ersetzt hat, konkordatär abgesichert.155 Konkretisiert werden die verfassungsrechtlichen Bestimmungen durch das Schule-Kirche-Gesetz 1868156 und das Religionsunterrichtsgesetz157 als sogenannte Ausgestaltungsgesetze. Die Besorgung, Leitung und unmittelbare Beaufsichtigung des Religionsunterrichts obliegt den betreffenden Kirchen und Religionsgesellschaften (§ 2 Schule-Kirche-Gesetz). Die oberste Leitung und Aufsicht über das gesamte Schulwesen, einschließlich des Religionsunterrichts, steht dem Staat zu (§ 1 Schule-Kirche-Gesetz). Diese staatliche Aufsicht betrifft die Organisation und das Disziplinarrecht. Die fachliche Aufsicht erfolgt hingegen durch die Kirchen und Religionsgesellschaften selbst, in der Regel durch sogenannte Fachinspektoren.158 Anders als nach deutschem Recht wird aus den genannten Bestimmungen abgeleitet, daß der Religionsunterricht von den Kirchen und Religionsgesellschaften, nicht vom Staat veranstaltet wird.159 Somit bleibt der Religionsunterricht in gewisser Weise eine Bereichsausnahme von der staatlichen Schulhoheit. Der Religionsunterricht ist konfessioneller Unterricht. Die Kirchen und Religionsgesellschaften haben hinsichtlich des Unterrichtsinhalts (Erstellung der Lehrpläne und Festlegung der Methode) weitgehende Gestaltungsfreiheit. Eine Grenze findet diese Freiheit allerdings in Bezug auf die eingesetzten Lehrbücher und Lehrmittel, die nach § 2 Abs. 3 RelUG nicht im Widerspruch zur staatsbürgerlichen Erziehung stehen dürfen. Der Staat legt hingegen die Anzahl der Wochenstunden für den Religionsunterricht fest und bestimmt damit den organisatorischen Rahmen für die Erteilung des Religionsunterrichts. Die Auswahl der Religionslehrer wird ebenfalls durch die Kirchen und Religionsgesellschaften getroffen. Sie stehen entweder in einem staatlichen Dienstverhältnis, müssen aber von der zuständigen kirchlichen Behörde als für den Religionsunterricht befähigt und ermächtigt erklärt werden, oder sie stehen in einem Dienstverhältnis zur betreffenden Religionsgesellschaft. Aufgrund einer konkordatären Vereinbarung im Schulvertrag hat der Staat gegenüber der katholischen Kirche den Personalaufwand für den Religionsunterricht übernommen. Im Hinblick auf die Gewähr154

Pabel (Fn. 152), S. 66. Schwendenwein (Fn. 10), S. 394; Pabel (Fn. 152), S. 78. 156 Gesetz vom 25.5.1868, wodurch grundsätzliche Bestimmungen über das Verhältniß der Schule zur Kirche erlassen werden (Schule-Kirche-Gesetz), RGBl. Nr. 48/1868 i. d. F. BGBl. Nr. 240/1962. 157 Bundesgesetz vom 13.7.1949, betreffend den Religionsunterricht in der Schule (Religionsunterrichtsgesetz), BGBl. Nr. 190/1949 i. d. F. BGBl. I Nr. 138/2017. 158 Zu Einzelheiten siehe Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 358 ff.; Potz (Fn. 152), S. 407 ff. 159 Pabel (Fn. 152), S. 67; Potz (Fn. 152), S. 413. 155

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leistung von Parität gilt dies nach dem Religionsunterrichtsgesetz auch für die anderen gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften.160 Als Ausfluss des Grundrechts der Religionsfreiheit, aber auch des Rechts der Eltern auf Achtung ihrer religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen bei der Ausübung der auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts durch den Staat übernommenen Aufgaben (Art. 2 1. ZP EMRK), besteht ein Recht auf Abmeldung vom Religionsunterricht.161 Gemäß § 1 Abs. 2 RelUG steht dieses Recht den Schülern ab der Vollendung des 14. Lebensjahres (sogenannte Religionsmündigkeit) zu, zuvor den Eltern.162 In Österreich wurde islamischer Religionsunterricht im Schuljahr 1982/83 eingeführt und wird flächendeckend an öffentlichen Schulen erteilt.163 Das Schulamt der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ist die zentrale Organisationsstelle für den slamischen Religionsunterricht. Entscheidende Bedeutung kommt beim Angebot des islamischen Religionsunterrichts der Ausbildung entsprechender Lehrkräfte in Österreich zu.164 Zu diesem Zweck genehmigte im Jahr 1998 das zuständige Bundesministerium die Islamische Religionspädagogische Akademie der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich nach dem Privatschulgesetz. Die Ausbildung der Religionslehrerinnen und -lehrer an dieser Akademie war den Wandlungen der Lehrerausbildung insgesamt in Richtung einer Akademisierung der Ausbildung auch für die Lehrkräfte an Grund- und Hauptschulen und einer Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge im Rahmen des Bologna-Prozesses unterworfen. Derzeit gibt es ein Bachelor-Studium für das Lehramt „Islamische Religion“ an Pflichtschulen sowie einen Masterstudiengang „Islamische Religionspädagogik“ an der Universität Wien, in dem Lehrer und Lehrerinnen für die höheren Schulen ausgebildet werden.165 2. Konfessionelle Privatschulen In Österreich hat jede inländische private oder juristische Person (und damit auch gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften als Körperschaf160 Thomas Kröll, Kulturelle Rechte, in: Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. VII/1. Grundrechte in Österreich, 2009, § 194 Rn. 30. 161 Grabenwarter/Pabel (Fn. 47), § 22 Rn. 103; Potz (Fn. 152), S. 407. 162 Zur Religionsmündigkeit siehe Grabenwarter (Fn. 7), Art. 14 StGG Rn. 11; Lienbacher (Fn. 6), § 12 Rn. 23. 163 Vgl. Pabel (Fn. 152), S. 80; umfassend Potz (Fn. 152), S. 399 ff. 164 Siehe dazu auch Elif Medeni, Neuere Entwicklungen um den islamischen Religionsunterricht und die islamische LehrerInnenausbildung in Österreich, in: Wilhelm Rees/María Roca/Balázs Schanda (Hrsg.), Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten, 2013, S. 373 ff. 165 Zu Einzelheiten siehe Potz (Fn. 152), S. 413 ff.

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ten des öffentlichen Rechts) das Recht, eine Privatschule zu gründen (sogenannte Privatschulfreiheit, vgl. Art. 17 Abs. 2 StGG, § 4 Abs. 1 PrivatschulG166).167 Eine solche Privatschulgründung bedarf der behördlichen Genehmigung, die an eine Reihe von Voraussetzungen, wie die Qualifikation von Lehrern und des Schulleiters, die Ausstattung der Räumlichkeiten etc.) geknüpft ist (vgl. §§ 4, 5, 6 PrivatschulG). Privatschulen können das Öffentlichkeitsrecht erhalten, wenn sie in Organisation, Lehrplan und Ausstattung mit gleichartigen öffentlichen Schulen übereinstimmen und einen den öffentlichen Schulen gleichwertigen Unterrichtserfolg erzielen (§ 11 Abs. 2, § 14 PrivatschulG). An Schulen mit Öffentlichkeitsrecht entfalten die dort ausgestellten Zeugnisse und abgelegten Prüfungen die gleiche Wirkung wie jene an öffentlichen Schulen (§ 13 PrivatschulG). Konfessionelle Privatschulen sind solche, bei denen der Schulerhalter eine Kirche oder Religionsgesellschaft oder eine von ihr gebildete bzw. anerkannte Einrichtung ist (§ 17 Abs. 2 PrivatschulG). Sie können das Öffentlichkeitsrecht unter erleichterten Bedingungen erhalten. Wenn konfessionellen Privatschulen das Öffentlichkeitsrecht verliehen wurde, genießen sie einen Rechtsanspruch auf Gewährung von Subventionen in voller Höhe des Personalaufwands (vgl. § 18 PrivatschulG).168 Dies erfolgt durch die Zuweisung von Lehrern an die betreffenden Schulen (sog. „lebende Subventionen“, §§ 19 f. PrivatschulG), wobei die kirchliche Oberbehörde die weitere Verwendung eines Lehrers aus religiösen Gründen ablehnen und die Aufhebung der Zuweisung beantragen kann (§ 20 Abs. 2 PrivatschulG).169 3. Anstaltsseelsorge Die seelsorgerische Betreuung von Personen, die Militärbedienstete sind, in Haftanstalten einsitzen oder im Krankenhaus liegen, obliegt den Kirchen und Religionsgesellschaften. Der religiös-weltanschauliche Staat kann dies nicht leisten. Er kann allerdings die genannten Einrichtungen („Anstalten“) für die Kirchen und Religionsgesellschaften öffnen, um die seelsorgerische Tätigkeit zu ermöglichen. In Österreich ist die Militärseelsorge der katholischen Kirche,170 der evangelischen Kirche,171 der griechisch-orthodoxen Kirche, der israelitischen 166 Bundesgesetz vom 25.7.1962 über das Privatschulwesen (Privatschulgesetz), BGBl. Nr. 244/1962 i. d. F. BGBl. I Nr. 138/2017. 167 Zur Privatschulfreiheit siehe Kröll (Fn. 160), § 194 Rn. 28 ff. 168 Dieser Rechtsanspruch folgt aus dem Schulvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich und wurde im Hinblick auf die Gewährleistung von Parität auch den anderen gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften zuerkannt. Vgl. Kucsko-Stadlmayer (Fn. 39), S. 524; Kröll (Fn. 160), § 194 Rn. 390. 169 Vgl. auch die konkretisierenden Regelungen im Schulvertrag. 170 Vgl. Art. VIII des Konkordats 1933/34. Siehe dazu Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 498 f. 171 § 17 Bundesgesetz über äußere Rechtsverhältnisse der evangelischen Kirche (Protestantengesetz), BGBl. Nr. 182/1961 i. d. F. BGBl. I 92/2009.

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Glaubensgemeinschaft172 sowie der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich und der islamischen alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich173 gewährleistet. Auch die Seelsorge in Haftanstalten und Krankenanstalten ist für die genannten Kirchen und Religionsgesellschaften ausdrücklich gewährleistet. Im Hinblick auf den Paritätsgrundsatz wird man allen gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaft die Möglichkeit der seelsorgerischen Betreuung in den genannten Einrichtungen einräumen müssen. 4. Theologische Fakultäten An den Universitäten Wien, Graz, Salzburg und Innsbruck sind katholischtheologische Fakultäten eingerichtet, die durch Bestimmungen des Konkordats 1933/34 vertraglich zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich gewährleistet sind. Gemäß Art. V des Konkordats werden die innere Einrichtung sowie der Lehrbetrieb der katholisch-theologischen Fakultäten nach Maßgabe der Apostolischen Konstitution „Deus Scientiarum Dominus“ vom 14. Mai 1931 sowie nach den sonstigen jeweiligen kirchlichen Vorschriften geregelt. Staatlicherseits werden die notwendigen Durchführungsregelungen im Einvernehmen mit der zuständigen kirchlichen Behörde getroffen. Das betrifft insbesondere das universitäre Organisationsrecht sowie das Dienstrecht.174 Konkordatär abgesichert ist auch die Notwendigkeit der Zustimmung der kirchlichen Behörde für die Ernennung oder Zulassung von Professoren und Dozenten, die nach den Bestimmungen des Kirchenrechts entweder durch das nihil obstat des Diözesanbischofs oder im Fall einer Festanstellung oder Beförderung zur höchsten Stufe der Lehrbefähigung durch das römische nihil obstat erfolgt.175 Für die wissenschaftliche Ausbildung des geistlichen Nachwuchses sowie zum Zweck der theologischen Forschung und Lehre ist durch das Protestantengesetz der Bestand der Evangelisch-Theologischen Fakultät an der Universität Wien gesetzlich abgesichert. Vorgesehen sind mindestens sechs Lehrkanzeln, darunter je eine für systematische Theologie des AB und des HB (vgl. § 15 ProtestantenG). Gesetzlich vorgesehen ist auch, daß die Mitglieder des Lehrkörpers der Evangelisch-Theologischen Fakultät der evangelischen Kirche angehören müssen, anderes gilt für Gastprofessoren.176 Die evangelische Kirchenleitung hat bei der Besetzung einer der gesetzlich vorgesehenen Lehrkanzeln ein gewisses Mitwir-

172 § 8 Gesetz vom 21.3.1890 betreffend die Regelung der äußeren Rechtsverhältnisse der israelitischen Religionsgesellschaft, RGBl. Nr. 57/1890 i. d. F. BGBl. I Nr. 48/ 2012. 173 §§ 11, 18 IslamG. 174 Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 468 ff. 175 Näheres bei Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 472 ff. 176 Siehe im Einzelnen § 15 Abs. 2, 3 ProtestantenG.

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kungsrecht („Fühlungnahme“ vor dem Antrag auf Neubesetzung, § 15 Abs. 4 ProtestantenG).177 Das Islamgesetz sieht vor, daß an der Universität Wien der Bestand einer theologischen Ausbildung mit bis zu sechs Stellen für Lehrpersonal erhalten wird (§ 24 IslamG). Im Jahr 2017 wurde das Institut für Islamisch-Theologische Studien an der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien eingerichtet und damit ein institutioneller Rahmen für die Etablierung der islamischen Theologie und Religionspädagogik in Forschung und Lehre sowie der Ausbildung des geistlichen Nachwuchses in Österreich geschaffen.

IX. Geltung kirchlich bzw. religionsgemeinschaftlich gesetzten Rechts in der staatlichen Rechtssphäre Eine direkte Wirkung des durch die Kirchen bzw. Religionsgesellschaften gesetzten Rechts in der staatlichen Sphäre ist in Österreich nicht vorgesehen. Zuständigkeiten der Kirchen im Bereich des Eherechts und im Bereich des Personenstandsrechts bestehen nicht mehr.178 Kirchliche Eheschließungen und Eheauflösungen haben keine Wirkungen im staatlichen Recht. Entsprechendes gilt für Beurkundungen im Bereich des Personenstandswesens.179

X. Schlußbemerkung: Gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen des Staatskirchenrechts Österreich reiht sich hinsichtlich der staatskirchenrechtlichen Ordnung in die Gruppe jener Staaten ein, die bei einer grundsätzlichen Trennung von Staat und Kirche in bestimmter Art und Weise die Zusammenarbeit des Staates mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften zulässt. In der politischen Diskussion werden diese Kooperationsformen aber auch die Kirchenfinanzierung zunehmend hinterfragt. Während in den achtziger und neunziger Jahren der Umgang mit den sog. Jugendreligionen und Sekten ein zentrales Thema im staatskirchenrechtlichen Diskurs war, stehen heute Fragen im Umgang mit dem Islam im Vordergrund. Gerade die Erfahrungen mit politisch motiviertem und zum Teil radikalisierten Islam führen dazu, die Zusammenarbeit mit Religionsgemeinschaften überhaupt in Frage zu stellen. Das wird dadurch bestärkt, daß ein immer größerer Anteil der Bevölkerung in Österreich keiner Religionsgesellschaft angehört bzw. die Mitgliedschaft nicht aktiv ausübt. In spezifisch rechtlicher Hinsicht fällt auf, 177

Siehe dazu Kalb/Potz/Schinkele (Fn. 11), S. 559 f. Kucsko-Stadlmayer (Fn. 39), S. 519. 179 Zur Mitwirkung der Kirche bei der sogenannten „Altmatrikenführung“ siehe Kucsko-Stadlmayer (Fn. 39), S. 519. 178

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daß sowohl die Entwicklung des Rechts der individuellen Religionsfreiheit (bei wenigen Fällen, die an den Verfassungsgerichtshof herangetragen werden) als auch des Anerkennungsrechts und der korporativen Rechte stark von der Europäischen Menschenrechtskonvention geprägt sind, die in Österreich Verfassungsrang genießt. Wesentliche Impulse zur Weiterentwicklung gerade im Bereich des Anerkennungsrechts und der korporativen Religionsfreiheit kamen in den letzten Jahren aus Straßburg. Für die individuelle Religionsfreiheit wird zunehmend auch die Rechtsprechung des EuGH wichtig, wenn man etwa an die Entscheidungen zur Ausübung von Religion im Kontext des Arbeitsrechts denkt. Die Rechtsprechung zum kirchlichen Arbeitsrecht, die angesichts der großen Anzahl von Arbeitnehmern in Deutschland von besonderem Interesse ist, spielt in Österreich allerdings nur eine geringe Rolle.

Religionsfreiheit und das Verhältnis von Staat und Kirche in Portugal Von Jónatas Em. M. Machado, Coimbra I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 II. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 1. Das Christentum als Ursprung und Identität Portugals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2. Übergang zum Konstitutionalismus und kirchlich-politische Spannungen . . 169 III. Die Revolution und die rechtsstaatliche Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Verfassung von 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Gesetz über die Religionsfreiheit 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Konkordat mit dem Heiligen Stuhl 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Vereinbarung mit dem Imamat Ismaeli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Die Beziehungen zwischen Kirche und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sendezeiten im öffentlichen Rundfunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anstaltsseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Religionsunterricht in staatlichen Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gesellschaftlicher Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Schlußbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

I. Einleitung Der vorliegende Beitrag untersucht die Lage der Religionsfreiheit und die Beziehungen zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften in Portugal. Zunächst wird der historische Hintergrund der heutigen Lage in Portugal erhellt und der gesellschaftliche Einfluß der Religion und der Religionsgemeinschaften dargestellt. Dies ist erforderlich, weil sowohl die historischen Zusammenhänge als auch die gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen unerläßlich sind, um die heutigen Beziehungen zwischen den Religionsgemeinschaften und dem Staat Portugal zu verstehen. Im Anschluß wird der rechtliche Rahmen dieser Beziehungen analysiert. Hierzu werden die geltenden verfassungsrechtlichen, einfachgesetzlichen und staatskirchenvertraglichen Bestimmungen nachgezeichnet. Sodann werden einige praktische und konkrete Aspekte der Beziehungen zwischen den Religionsgemeinschaften und dem Staat erörtert. Ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Frage nach dem Zugang zu Sendezeiten im öffentlichen Rundfunk,

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der Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen, dem Religionsunterricht in Schulen und kirchensteuerrechtlichen Fragestellungen. Schlußbemerkungen runden die nachfolgenden Ausführungen ab.

II. Historischer Hintergrund Um die gegenwärtige Bedeutung und das Gewicht, das der Religion in Portugal nach wie vor eigen ist, zu verstehen, empfiehlt es sich, den historischen Hintergrund zu beleuchten und wichtige historische Ereignisse aus der Perspektive jener Zeit zu betrachten. 1. Das Christentum als Ursprung und Identität Portugals Portugal ist ein alter Staat, der 1143 von Leon und Kastilien unabhängig und 1179 vom Papst anerkannt wurde. Der Ursprung und die Entwicklung Portugals sind auf den Geist der Kreuzzüge zurückzuführen. So wurde Lissabon zum Zeitpunkt des zweiten Kreuzzuges 1147 vom portugiesischen König mit Unterstützung einer Flotte von deutschen, flämischen, normannischen, englischen und schottischen Kreuzfahrern von der islamischen Herrschaft befreit.1 Ziel war die Rückeroberung der iberischen Halbinsel, die seit der arabischen Invasion im 8. Jahrhundert muslimisch war, sowie die Wiederherstellung der christlichen Herrschaft. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die portugiesischen Monarchen – zumindest theoretisch – stets als Fürsten der Res Publica Christiana verstanden, die dem Papst geistig unterstellt waren und einen religiösen Missionsauftrag hatten.2 Der Beginn der portugiesischen Kolonialzeit und die seit dem 15. Jahrhundert erfolgten Entdeckungen prägen bis heute die portugiesische Identität. Sie haben seit jeher, wenngleich in unterschiedlichem Umfang, politische, wirtschaftliche und religiöse Ziele mit dem christlichen Glauben und einer christlichen Weltsicht verbunden. Während andere europäische Länder bemüht waren die islamische Invasion in Mitteleuropa aufzuhalten, suchten die Portugiesen und Spanier – und später die Holländer, Briten und Franzosen – das Christentum zusammen mit materiellem Wohlstand und säkularem Fortschritt auch in der restlichen Welt zu verbreiten. Die Entdeckungen Afrikas, Indiens, Brasiliens, der Philippinen, Indonesiens und Japans durch Persönlichkeiten wie Gama, Cabral oder Magellan waren politisch, wirtschaftlich und religiös bedeutsam, weil sie die politische und wirtschaftliche Kontrolle der Muslime über die asiatischen, nahöstlichen und osteuropäischen Handelswege zu Lande schwächten. Unzweifelhaft beeinflußten

1 Charles Wendell David, De expugnatione Lyxbonensi = The conquest of Lisbon, New York, 1976. 2 Jorge Miranda, Direitos Fundamentais, 2017, S. 22 ff.

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diese Umstände die politische, kulturelle und verfassungsrechtliche Identität Portugals maßgeblich, weshalb sie nicht ignoriert werden dürfen. Die Entwicklung Portugals als Kolonialmacht führte zu vielen Konflikten mit anderen sogenannten christlichen Nationen und auch mit dem Papst. Zum einen verschärften sich in ihrer Folge die politischen und wirtschaftlichen Spannungen, da die europäischen Nationen jeweils koloniale, nationalistische und protektionistische Bestrebungen verfolgten und insofern in Konkurrenz zueinander standen. Zum anderen verbaten sich auch katholische Staaten wie Portugal eine päpstliche Einmischung in die Kolonialpolitik und namentlich jeden Versuch einer moralischen Kontrolle ihres Handelns. Im 17. und 18. Jahrhundert entwikkelte sich in Portugal eine Art Staatskatholizismus mit dem Ziel, die Macht des portugiesischen Königs zu legitimieren und die Einmischung Roms zu minimieren. Die politischen und religiösen Spannungen zwischen der katholischen Kirche und dem Staat wurden deutlicher. Der Einfluß der Aufklärung und das Aufblühen liberaler Ideen in Mitteleuropa trugen zur Entwicklung politischer und rechtlicher Konflikte mit der römischen Kurie und Ordensgemeinschaften bei, die als obskurantistisch, ungebildet und konservativ angesehen und beschrieben wurden. Höhepunkt dieser theologisch-politischen Entwicklung war die Schließung der Universität Évora 1759, die Reform der Universität Coimbra 1772 und die in ihrem Zuge erfolgende brutale Verfolgung der Jesuiten durch den damaligen Premierminister Marquis de Pombal. Dabei wurde ein angeblich mittelalterlicher, aristotelischer, thomistischer und scholastischer Katholizismus durch einen vorgeblich moderneren, aufgeklärten und rationalen Katholizismus ersetzt, der insbesondere die absolutistische Stellung des Monarchen stützte. Dieser, gegen katholische Institutionen gerichtete Widerstand führte zu einer Stärkung des absolutistischen Monarchen. Dies traf indes bei der aufstrebenden Bourgeoisie und einer zunehmend urbanisierten Bevölkerung, die sich ihrer Rechte und Interessen bewußt war, auf erheblichen Widerstand. In diesem politischen, religiösen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontext gediehen im Portugal des 19. Jahrhunderts zunehmend liberale Ideen. Sie unterstrichen die Macht der Zivilgesellschaft auch in bezug auf das Verhältnis von Kirche und Staat. Indes erfolgte dieser Paradigmenwechsel nicht ohne gravierende Konflikte. 2. Übergang zum Konstitutionalismus und kirchlich-politische Spannungen Nach der ersten Verfassung von 1822 begannen für Portugal äußerst turbulente Zeiten. Die Unabhängigkeit Brasiliens im gleichen Jahr offenbarte schwere Spannungen sowohl zwischen der portugiesischen Königsfamilie (die 1808 aufgrund der napoleonischen Invasionen nach Brasilien geflohen war) und dem neu geschaffenen Parlament als auch innerhalb der Königsfamilie selbst: Teile der Kö-

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nigsfamilie sympathisierten mit einer absolutistischen Monarchie, andere Teile freundeten sich mit den Gedanken des Konstitutionalismus an.3 Diese Spannungen mündeten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der absolutistischen und Anhängern der konstitutionellen Monarchie. Diese Kämpfe ähnelten den Auseinandersetzungen in anderen Ländern (und wurde durch diese auch beeinflußt). Sie fanden ihren Ausdruck in der Königlichen Charta von 1826 und in der Kompromißverfassung von 1838 und führten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer langen Phase der konstitutionellen Monarchie. In dieser Zeit war das römisch-katholische Christentum Staatsreligion der portugiesischen Nation und des Königreichs. Die Religionsfreiheit beschränkte sich auf ein Verbot religiöser Verfolgung. National- und Regionalwahlen waren stark religiös beeinflußt: Der König war verpflichtet, der katholischen Kirche die Treue zu schwören, alle Gesetze wurden „von Gottes Gnaden“ erlassen, Bischöfe wurden durch die Regierung ernannt und gesetzlich war eine Zensur aus politischen und religiösen Gründen vorgeschrieben. Die individuelle Religionsfreiheit von Ausländern war von großer Bedeutung, weil die Briten als wichtigste Verbündete Portugals im Land sehr präsent waren. Orte, an denen nicht-katholische Gottesdienste gehalten wurden, durften aber nicht einer Kirche ähneln. Die katholische Kirche wurde als theologisch-politische Institution mit einer bestimmten politischen Orientierung betrachtet, die der Regierung nahestand. Gleichzeitig erstarkten republikanische, antiklerikale, säkulare und positivistische Strömungen, die erheblich von modernen ideologischen Bewegungen beeinflußt waren. Sie kämpften gegen König und Kirche, für eine Trennung von Kirche und Staat und verteidigten die Gewissens-, Gedanken- und Religionsfreiheit. Dies führte 1910 zur Ausrufung der Republik und zur Verfassung von 1911. In ihr wurden die Religionsfreiheit sowie die Trennung von Kirche und Staat verfassungsrechtlich normiert; zudem wurden sie einfachgesetzlich bestätigt. Katholische Institutionen wurden nunmehr vom republikanischen, antiklerikal geprägten Justiz- und Religionsminister Afonso Costa stark unterdrückt. Mit dem Ersten Weltkrieg begann eine Zeit großer politischer Instabilität. Die progressiven Kräfte wurden beschuldigt, die russischen Revolutionäre von 1917 nachzuahmen und politische, wirtschaftliche und soziale Unruhen zu stiften. Konservative Kräfte hingegen organisierten sich neu und appellierten an traditionelle Werte wie Religion, Nation und staatliche Autorität, um den internationalen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Spannungen etwas entgegenzusetzen. Im Jahr 1926 entstand infolge eines Militärputsches ein diktatorisches Regime. Einige Jahre später erforderte der Zusammenbruch der Weltwirtschaft 1929 eine 3

José Joaquim Gomes Canotilho, Direito Constitucional, 7. Aufl. 2003, S. 127 ff.

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noch stärkere, zentralisierte, politische und wirtschaftliche Führung. Dies brachte Oliveira Salazar an die Macht, der ein autokratisches Regierungssystem in Portugal etablierte, das über vier Jahrzehnte bestehen sollte. Die katholische Kirche war dabei nicht nur ein nützlicher Verbündeter gegen sozialistische und kommunistische Bedrohungen, sondern half auch bei der Bewältigung der Risiken und Ungewißheiten der kapitalistischen Wirtschaft. Vor diesem Hintergrund wurde der „Estado Novo“ (Neuer Staat) konzipiert; dessen Verfassung von 1933 blieb bis zur „Nelkenrevolution“ von 1974 in Kraft. In dieser Zeit wurden die besonderen Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem portugiesischen Staat durch das Konkordat von 1940 formal anerkannt. Das Konkordat schützte die libertas Ecclesiae, indem es Kirche und Staat rechtlich trennte: Es garantierte der Kirche religiöse, institutionelle, rechtliche und wirtschaftliche Autonomie und sicherte ihr besondere Rechte wie die Seelsorge in bestimmten öffentlichen Einrichtungen, das Recht zum privaten Religionsunterricht bzw. zum Religionsunterricht in staatlichen Schulen und das Recht zur Eheschließung und -annullierung sowie zur Missionsarbeit. Eine Nebenfolge des Konkordats war allerdings die rechtliche Vernachlässigung und praktische Ausgrenzung christlicher und nichtchristlicher religiöser Minderheiten. In den folgenden Jahrzehnten befand sich die katholische Kirche in der unangenehmen theologisch-politischen Position, mit der herrschenden diktatorischen Regierung gleichgesetzt zu werden, während sie zugleich versuchte, zu dieser im Interesse ihrer missionarischen Funktion eine kritische Distanz zu wahren. Der berühmte Brief des Bischofs von Porto, António Ferreira Gomes, an Oliveira Salazar aus dem Jahre 1958 ist der bekannteste Ausdruck dieses Dilemmas: In ihm forderte der Bischof die Etablierung von Freiheits- und Gleichheitsrechten und betonte die wichtige Rolle von Bürgern und Zivilgesellschaft. „Um einen teuren Preis seid Ihr erkauft worden. Macht Euch nicht zu Sklaven von Menschen“, war einer seiner beliebtesten Bibelverse. Diese Haltung zwang ihn zu einem zehnjährigen Exil in Spanien und im Vatikan. Aufgrund des wachsenden Drucks von nationalen und internationalen Bürgerrechtsbewegungen war der portugiesische Staat in den letzten Jahren des „Estado Novo“-Regimes gezwungen, auch die individuelle und kollektive Religionsfreiheit religiöser Minderheiten gesetzlich zu schützen. Auch wenn die öffentliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft mindestens 500 Mitglieder erforderte,4 waren diese Gesetze Ausdruck einer politischen und religiösen Öffnung. Bald schon sollte aber eine politische, rechtsstaatliche, soziale und kulturelle Revolution folgen.

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Gesetz Nr. 4/71 vom 21.8.1971.

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III. Die Revolution und die rechtsstaatliche Demokratie 1974 beendete die Nelkenrevolution die über Jahrzehnte gewachsenen Spannungen. Liberale und sozialdemokratische Kräfte hatten das diktatorische Regime lange unter Druck gesetzt. Zusätzlich war die Regierung durch die Kolonialkriege in Guinea-Bissau, Angola und Mosambik national und international geschwächt. Eine größere soziale und kulturelle Offenheit erschwerte der Bevölkerung zunehmend, traditionelle Sichtweisen zu akzeptieren. Die katholische Kirche galt als zu sehr mit den autoritären und konservativen politischen Tendenzen verbunden. Dies führte am 24. April 1974 zu der friedlichen Revolution, die vom Militär angeführt wurde. Die Läufe der Maschinengewehre wurden nicht mit Munition, sondern mit roten Nelken bestückt. Aus den anwachsenden sozialistischen und kommunistischen Tendenzen, die sich traditionell gegen die katholische Kirche wandten, erwuchs nunmehr eine neue Dynamik in den Beziehungen zwischen Religion und Politik. Auf dem Feld der Religionsfreiheit und der Beziehungen zwischen Kirche und Staat sollte sich vieles ändern. 1. Die Verfassung von 1976 Die Verfassung von 1976 brachte die Garantie der Gewissens-, Religions- und Kultusfreiheit als Individual- und als Kollektivgrundrecht und normierte konsequenterweise zugleich die strukturelle Trennung von Religionsgemeinschaften und Kirche.5 Diese Grundrechte und -prinzipien dürfen auch im Wege einer Verfassungsänderung nicht angetastet werden. Die Diskriminierung aus religiösen Gründen ist ausdrücklich verboten; auch das Recht, seine Religion nicht offenlegen zu müssen, wird grundsätzlich geschützt. Erfragt werden darf die Religionszugehörigkeit nur aus statistischen Gründen. Die Verfassung schützt das Recht der religionsgemeinschaftlichen Selbstverwaltung und des Religionsunterrichts. Sie schützt die Freiheit zu lehren und zu lernen, erlaubt die Errichtung konfessionsgebundener Schulen und verbietet die ideologische Ausrichtung staatlicher Schulen. Dieser rechtliche Rahmen erwies sich als sehr bedeutsam: Einerseits konnte die katholische Kirche eine breite Palette an religiösen, sozialen, kulturellen und pädagogischen Angeboten entwickeln und dabei ihre tief verwurzelte und enge Verbindung zum portugiesischen „Volksgeist“ mit den dialektischen Herausforderungen des Zeitgeistes verbinden. Andererseits wurden die Rechte religiöser Minderheiten deutlich gestärkt, so daß sich deren Wahrnehmung, diskriminiert und ausgegrenzt zu werden, erheblich veränderte. Die neue Rechtslage schuf die Voraussetzungen für die Ausformung eines von säkularen Werten geprägten kulturellen Rahmens, der sich aus einer diffusen Mi5 Jose Joaquin Gomes Canotilho/Vital Moreira, Constituição da República Portuguesa Anotada, I, 4. Aufl. 2007, S. 607 ff.

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schung von religiösen, spirituellen und naturalistischen Elementen zusammensetzt. 2. Das Gesetz über die Religionsfreiheit 2001 Eine äußert bedeutsame Entwicklung war das Gesetz über die Religionsfreiheit, das unter António Guterres6 als Premierminister einer sozialistischen Regierung verabschiedet wurde. Die konkrete Ausarbeitung des Gesetzes geht vor allem auf Justizministerin Vera Jardim7 und Verfassungsrichter José Sousa Brito zurück. Das Gesetz hat die Religionsfreiheit und -gleichheit, die Trennung von Staat und Kirche und die religiöse Neutralität des Staates zur Grundlage und bekräftigt die Kooperation von religiösen und öffentlichen Institutionen in der Förderung von Menschenrechten, der ganzheitlichen Entwicklung jedes Einzelnen und der Werte Frieden, Freiheit, Solidarität und Toleranz.8 Interessanterweise ist Toleranz ein rechtliches Gebot. Es verlangt, Konflikte zwischen der Gewissens-, Religions- und Kultusfreiheit des einen mit der Gewissens-, Religions- und Kultusfreiheit des anderen durch Toleranz zu lösen, um die Freiheiten jedes Einzelnen bestmöglich zu wahren. Das Gesetz über die Religionsfreiheit enthält eine bedeutende Reihe von individuellen positiven und negativen religiösen Rechten und gestaltet insofern die Religionsfreiheit näher aus. Innerhalb dieser individuellen Rechte wird den Rechten der Amtsträger und Religionsdiener besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Zusätzlich beinhaltet das Gesetz einen weit gefaßten Katalog von Rechten auf dem Feld der kollektiven Religionsfreiheit. Hierzu gehören etwa das Recht zum gemeinsamen Gottesdienst, zur Katechese, zum Religionsunterricht in staatlichen Schulen und das Recht auf die Gestaltung von Sendezeiten im öffentlichen Rundfunk. Ferner regelt es die Rechtspersönlichkeit und den rechtlichen Status von Religionsgemeinschaften: Die genaue Rechtsnatur einer Religionsgemeinschaft (Vereinigung, eingetragene Religionsgemeinschaft oder anerkannte Religionsgemeinschaft) bestimmt sich nach Umfang und Dauer ihrer Verbreitung in Portugal und der Welt. Weil das Konkordat mit der katholischen Kirche weiterhin in Kraft ist, ist diese von der Anwendung dieser Bestimmungen ausdrücklich ausgeschlossen. Weiterhin ermöglicht das Gesetz über die Religionsfreiheit auch den Abschluß von Verträgen zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften, um Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse zu regeln. Nach ihrer Unterzeichnung sind diese Verträge dem Parlament vorzulegen; sie werden durch Gesetz in Kraft gesetzt. Die Möglichkeit internationaler Vereinbarungen wird nicht ausdrücklich erwähnt, ist aber auch nicht ausgeschlossen. Eine interessante Neuerung war die Einrichtung einer Kommission für Religionsfreiheit als unabhängige Beratungsstelle der Nationalversammlung und der 6 7 8

Zur Zeit Generalsekretär der Vereinten Nationen. Zur Zeit Präsidentin der portugiesischen Kommission für Religionsfreiheit. Paulo Pulido Adragão, A Liberdade Religiosa e o Estado, 2002, S. 467 ff.

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Regierung. Ihre Aufgaben sind die Beobachtung und Information, die Meinungsbildung sowie die Erarbeitung eigener Vorschläge in allen Angelegenheiten, die mit religiösen Rechten und der Anwendung des Gesetzes über die Religionsfreiheit im Allgemeinen zusammenhängen. Außerdem soll sie Vorschläge zur Weiterentwicklung, zur Verbesserung und ggf. zur Überarbeitung des Gesetzes über die Religionsfreiheit unterbreiten. Zusätzlich erfüllt sie wissenschaftliche Forschungsaufgaben im Hinblick auf Kirchen, Religionsgemeinschaften und religiöse Bewegungen in Portugal. Die Kommission besteht aus einem Präsidenten, zwei von der Portugiesischen Bischofskonferenz ernannten katholischen Mitgliedern und drei vom Justizminister auf Vorschlag in Portugal ansässiger nicht-katholischer Kirchen oder Religionsgemeinschaften ernannten Mitgliedern, um der Repräsentativität und dem Toleranzprinzip gerecht zu werden. Um den Anforderungen des Pluralismus und der religiösen Neutralität des Staates zu entsprechen, gehören dieser Kommission außerdem fünf vom Justizminister ernannte Mitglieder an, die auf dem Aufgabengebiet der Kommission über anerkannte wissenschaftliche Kompetenz verfügen. Stimmberechtigte Regierungsvertreter aus den Bereichen der Justiz, der Finanzen, der internen Verwaltung sowie aus dem Bereich Arbeit und Soziales wohnen der Kommission bei Bedarf bei. Der Präsident der Kommission wird durch den Ministerrat für drei Jahre mit der Möglichkeit der Wiederwahl ernannt. Dank dieser pluralistischen Zusammensetzung hat sich die Kommission zu einem wichtigen Gesprächsforum entwickelt, das den Austausch der Religionsgemeinschaften untereinander bzw. mit der Regierung über alle rechtlichen und praktischen Herausforderungen der individuellen und kollektiven Religionsfreiheit ermöglicht. 3. Das Konkordat mit dem Heiligen Stuhl 2004 Das Gesetz über die Religionsfreiheit stärkte die Religionsfreiheit und brachte die relevanten Konzepte und Rechte auf einen aktuellen Stand. Gleichzeitig offenbarte es die Notwendigkeit einer Neuregelung der Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Staat. In diesem Zusammenhang wurde 2004 ein neues Konkordat abgeschlossen.9 Unterzeichnet wurde es seitens des portugiesischen Staats durch den seinerzeitigen portugiesischen Premierminister Durão Barroso10 von der sozialdemokratischen Mitte-Rechts-Partei. Auf der Grundlage gegenseitiger Autonomie und Unabhängigkeit von Kirche und Staat wurde angesichts der gewachsenen vielfältigen historischen Beziehungen von Kirche und

9 Jorge Bacelar Gouuveia, Direito, Religião e Sociedade no Estado Constitucional, 2012, S. 261 ff. 10 Später Präsident der EU-Kommission.

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Staat die beiderseitige Verantwortung anerkannt, innerhalb der Grenzen der Religionsfreiheit dem Allgemeinwohl zu dienen und sich für eine Gesellschaft einzusetzen, die den Grundsätzen der Menschenwürde, der Gerechtigkeit sowie dem Frieden verpflichtet ist. Das Konkordat schützt den Sonntag und einige katholische Feiertage. Es schützt zudem individuelle Rechte von kirchlichen Amtsträgern (wie das Beichtgeheimnis) und verleiht der Portugiesischen Bischofskonferenz und allen anderen von der Kirche geschaffenen Institutionen, einschließlich ihren sozialen Einrichtungen, Rechtspersönlichkeit. Es beinhaltet Regelungen zur Ehe, insbesondere zur kirchlichen Eheschließung, ihre zivilrechtlichen Wirkungen und ihrer Nichtigkeit; Katholiken, die eine kirchliche Ehe eingegangen sind, werden an ihre moralische Pflicht erinnert, von der Möglichkeit einer zivilen Ehescheidung keinen Gebrauch zu machen. Es regelt die Seelsorge in den Streit- und Sicherheitskräften, in Krankenhäusern und Gefängnissen. Es schützt das Recht der katholischen Kirche, eigenen Religionsunterricht in staatlichen Schulen zu erteilen, Priesterseminare zu unterhalten und Bildungseinrichtungen aller Art zu gründen. Das Konkordat gewährleistet zudem das Kirchenvermögen und steuerliche Privilegien. Dieser bedeutende Vertrag hat es der katholischen Kirche ermöglicht, ihre religiöse und kulturelle Kraft zu erhalten und ihre Aktivitäten wie auch ihren Einfluß in vielen Bereichen auszuweiten. 4. Die Vereinbarung mit dem Imamat Ismaeli Nach einer umfangreichen Prüfung seiner verfassungsrechtlichen Zulässigkeit unterzeichnete Portugal 2010 ein Abkommen mit dem Imamat Ismaili.11 Die als Ismailismus bekannte Religionsgemeinschaft ist eine schiitische Glaubenskonfession und stellt eine portugiesische Minderheitenreligion dar. Die Vereinbarung von 2010 wurde als eine internationale Vereinbarung zwischen Portugal und einer nichtstaatlichen religiösen Organisation oder einer Rechtspersönlichkeit sui generis12 verstanden. Unter anderem erkennt sie die Rechtspersönlichkeit des Imamats an und regelt die Zusammenarbeit mit dem portugiesischen Staat sowie weitere Aspekte wie den Schutz der religiösen Identität, der Organisationsstrukturen, den Schutz von Bildungseinrichtungen und der religiösen Kultur.13 Sowohl das internationale als auch das nationale Recht ermöglichen Vereinbarungen zwischen Staaten und Religionsgemeinschaften, sofern sie auf der Anerkennung der Würde und Freiheit jeder Person basieren, die für internationale Menschenrechts-

11 Resolução da Assembleia da República Nr. 109/2010, Diário da República Nr. 187/2010, Série I vom 24.9.2010. 12 Davide Argiolas, A Responsabilidade Civil das Entidades Religiosas, 2018, S. 224 ff. 13 Bacelar Gouveia (Fn. 9), S. 70 ff.

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erklärungen und verfassungsrechtliche Verbürgungen charakteristisch sind.14 Dieser Vereinbarung folgte 2015 ein Traité de Siege zur Errichtung eines Imamats in Portugal.15

IV. Die Beziehungen zwischen Kirche und Staat Religionsgemeinschaften nehmen die Welt und das Leben umfassend in den Blick und entwickeln deshalb ein ebenso umfassendes Verständnis ihrer Aufgaben und Tätigkeitsfelder. Daher ist es verständlich, daß sie vielfältige Aktivitäten zu entwickeln suchen, um die verschiedenen Aspekte der individuellen und gemeinschaftlichen Existenz des Menschen abzudecken. Eine staatliche Garantie der kollektiven Religionsfreiheit in ihrer positiven Dimension ist hierfür unerlässlich. Dies setzt voraus, daß die Religionsausübung nach den Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und sozialen Verantwortung ausgestaltet ist. Der Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat bedeutet nicht die verfassungsrechtliche Verankerung einer säkularen Weltsicht. Vielmehr sichert er die Existenz eines Staates, in dem freie und gleichberechtigte Bürger über die individuelle und kollektive Freiheit verfügen, ihren weltlichen und religiösen Anschauungen Ausdruck verleihen und ihr Verhalten im Rahmen des verfassungsrechtlich Statthaften – namentlich im Rahmen der gebotenen Achtung der Rechte Dritter und des Gemeinwohls – an ihren Überzeugungen auszurichten. Die folgenden Ausführungen stellen einige Beispiele vor, die den Religionsgemeinschaften in begrenztem Umfang die Möglichkeit einräumen, ihre Sendung nach ihrem Selbstverständnis zu erfüllen. 1. Sendezeiten im öffentlichen Rundfunk Gemäß Art. 23 des Gesetzes über die Religionsfreiheit verfügen die Kirchen sowie die anderen Religionsgemeinschaften über das Recht, bestimmte Sendezeiten im öffentlichen Rundfunk jeweils alleine, durch eine sie repräsentierende Organisation oder gemeinsam zu gestalten. Auch das Gesetz über den öffentlichen Rundfunk sieht dieses Recht vor.16 Hinter dieser gesetzlichen Regelung steht die Annahme, daß die überwiegende Anzahl der Rundfunksendungen – offen oder verdeckt – letztlich von einer bestimmten Weltanschauung geprägt sind und insofern eine neutrale Sicht auf die Welt in Radio- und Fernsehsendungen nicht mög14 José Joaquim Gomes Canotilho/Jónatas Machado, Metódica Multinível: Acordos Internacionais do Estado Português com Comunidades Religiosas, Revista de Legislação e Jurisprudência Ano 139, Nr. 3962 (2010). 15 Resolução da Assembleia da República Nr. 135/2015, Diário da República Nr. 210/2015, Série I vom 27.10.2015. 16 Art. 52 Abs. 3 lit. e) des Gesetzes Nr. 27/2007 vom 30.7.2007, das mit sukzessiven Änderungen, bis Gesetz Nr. 78/2015 am 29.7.2015 verabschiedet wurde.

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lich ist. Daher sind die Präsenz und die Verbreitung religiöser Inhalte aus verschiedenen Quellen so wichtig, um alternativ zu der scheinbar neutralen weltlichen Berichterstattung auch anderen Sichtweisen Raum zu geben. Der Umfang der Sendezeiten bestimmt sich nach der gesellschaftlichen Verwurzelung der jeweiligen Religionsgemeinschaft und berücksichtigt das Toleranzprinzip; eine speziell hierfür eingerichtete Kommission (Commission of the Time of Issuance of Religious Confessions – CTIRC) trifft diesbezügliche Absprachen mit den Rundfunkunternehmen. Diese Kommission besteht aus Vertretern der katholischen Kirche sowie den Vertretern anderer im Land ansässiger Religionsgemeinschaften bzw. den Vertretern ihrer Dachverbände, in denen sie Mitglied sind. Die Mitglieder werden nach Anhörung der Kommission zur Religionsfreiheit im Einvernehmen von Justiz- und Rundfunkminister für drei Jahre ernannt. Dementsprechend verpflichtet das Gesetz über Fernsehen und audiovisuelle Dienste17 den jeweiligen Konzessionär des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, einen Programmplatz für Religionsgemeinschaften freizuhalten. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen (Radio Televisão Portuguesa – RTP) überträgt jeden Sonntag eine katholische Messe und strahlt religiöse Sendungen wie „70X7“ (katholisch) oder „Pathways“ (nicht katholisch) aus. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sendet täglich religiöse Programme wie „Der Glaube des Menschen“ (überkonfessionell) und „Gott schuf die Welt“. In dieser Sendung debattieren drei Personen aus christlicher, jüdischer und muslimischer Perspektive über aktuelle gesellschaftliche Fragen. Zudem werden der Öffentlichkeit mit Hilfe dieser Programme auch andere religiöse Sichtweisen vorgestellt (etwa der Adventisten, Baha’i, Evangelikalen, Juden und Mormonen) ausgestrahlt. 2. Anstaltsseelsorge Die Seelsorge in bestimmten Einrichtungen war schon immer eine sehr wichtige religiöse Aufgabe. Portugal hat eine solche Seelsorge in den Streit- und Sicherheitskräften, in Gefängnissen und im Gesundheitssystem gesetzlich im September 2009 durch die Regierung des sozialistischen Parteivorsitzenden und Premierminister José Socrates eingerichtet. Sowohl der Heilige Stuhl als auch die Portugiesische Kommission für Religionsfreiheit wurden während des Gesetzgebungsverfahrens konsultiert. Die Seelsorge der Streit- und Sicherheitskräfte (z. B. in der Nationalen Republikanischen Garde und der Öffentlichen Sicherheitspolizei) ist durch das Gesetzesdekret Nr. 251/200918 geregelt. Dieses findet seine Grundlage in Art. 13 des Gesetzes über die Religionsfreiheit und in Art. 17 des Konkordates von 2004. Es 17 Art. 52 Abs. 2 lit. e) des Gesetzes Nr. 27/2007 vom 30.7.2007 (mehrfach überarbeitet bis zur letzten Fassung) Gesetz Nr. 78/2015 vom 29.7.2015. 18 Gesetzesdekret Nr. 251/2009 vom 23.9.2009.

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sichert die Seelsorge für Soldaten, Angehörige der Sicherheitskräfte und zivile Angestellte der Streit- und Sicherheitskräfte jeden Bekenntnisses. Allen rechtlich anerkannten portugiesischen Religionsgemeinschaften steht es frei, Seelsorge und Gottesdienste in den Streit- und Sicherheitskräften anzubieten. Gegebenenfalls ist jedoch ein Verwaltungsabkommen zwischen der Religionsgemeinschaft und der Regierung erforderlich. Auf dieser Grundlage wurde eine institutionalisierte Anstaltsseelsorge (Religious Assistance Service – RAS) ins Leben gerufen, der den mit Vorgaben des Konkordates und des Gesetzes über die Religionsfreiheit übereinstimmt. Dieser Dienst bietet allen Streitkräften und Sicherheits- und Polizeikräften Seelsorge an. Die Seelsorge im portugiesischen Strafvollzugssystem ist auf Grundlage des Artikel 13 des Gesetzes über die Religionsfreiheit und Artikel 18 des Konkordates von 2004 durch Gesetzesdekret Nr. 252/200919 geregelt. Die diesbezüglich der katholischen Kirche traditionell gewährleisteten Rechte sollen mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der religiösen Gleichbehandlung anderer Religionsgemeinschaften in Einklang gebracht werden. Das trägt der nach dem Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften herausragenden Bedeutung dieser Seelsorge Rechnung, obgleich die individuellen Bedürfnisse im Mittelpunkt der Seelsorge stehen. Grundsätzlich kann die Seelsorge auf ausdrücklichen Wunsch des Strafgefangenen oder seiner Angehörigen in Anspruch genommen werden. Die Religionsgemeinschaft, der der Strafgefangene angehört, kann aber auch, wenn der Strafgefangene zustimmt (Art. 4), aus eigener Initiative aktiv werden. Vorzugsweise ist der Wunsch nach Seelsorge bereits bei der Inhaftierung zu äußern; dies kann jedoch jederzeit nachgeholt werden. Ein dafür bestimmter Seelsorger nimmt seine Aufgabe außerhalb der Besuchszeiten wahr (Art. 5 bis 8). Die Seelsorge im Nationalen Gesundheitssystem (SNS – Servício Nacional de Saúde) wird durch das Gesetzesdekret Nr. 253/200920 geregelt. Dieser exekutive Gesetzgebungsakt dient der Umsetzung der in den Art. 13 und 18 des Gesetzes über die Religionsfreiheit bzw. im Konkordat von 2004 verankerten Ansprüche; zudem beruht er auf dem Nationalen Gesundheitsplan 2004–2010, in dem die Bedeutung des geistlichen und religiösen Beistands innerhalb des Gesundheitssystems betont worden ist. Das Gesetzesdekret Nr. 253/2009 hat auch die Verordnung über religiöse und spirituelle Begleitung im nationalen Gesundheitssystem in Kraft gesetzt. Sie dient dazu, die Voraussetzungen für einen geistlichen und religiösen Beistand der Patienten in Krankenhäusern der Gesundheitseinrichtungen des SNS zu gewährleisten. Hiernach wird der geistliche und religiöse Beistand in den verschiedenen SNS-Einheiten so angeboten, daß die gesetzlich garantierte Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit gewahrt wird (Art. 1).

19 20

Gesetzesdekret Nr. 252/2009 vom 23.9.2009. Gesetzesdekret Nr. 253/2009 vom 23.9.2009.

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3. Religionsunterricht in staatlichen Schulen Unterrichtsinhalte sind stets mit der Verbreitung einer bestimmten Weltanschauung verbunden und jede Weltanschauung hat glaubensbezogene Wurzeln. Ohne Religion als Schulfach würde den Schülern unweigerlich, und sei es auch nur unbewußt, eine Weltanschauung vermittelt, die vom philosophischen Naturalismus und Materialismus sowie deren ethischen Konsequenzen geprägt wäre. Damit würde ihnen suggeriert, daß Mensch und Natur ein Zufallsprodukt und nicht die bewußte Schöpfung eines vernünftigen und moralischen Gottes sind. Die Verbreitung dieser Sichtweise widerspräche echter Neutralität. Auch wenn die portugiesische Verfassung eine ideologische Ausrichtung der staatlichen Schulen verbietet, ist das öffentliche Schulsystem in Bezug auf die verschiedenen Weltanschauungen faktisch niemals absolut neutral. Daher gewährt Art. 24 des Gesetzes über die Religionsfreiheit den Kirchen sowie anderen Religionsgemeinschaften und religiösen Vereinigungen, die Gläubige in Portugal vertreten, das Recht, in staatlichen Grund- und Sekundarschulen Religionsunterricht anzubieten.21 Dem entsprechen die Art. 19 und 21 des Konkordates,22 die die katholische Kirche zur Erteilung eines eigenen Religionsunterrichts berechtigen. Die hierdurch bewirkte Präsenz vielfältiger Weltanschauungen im Schulsystem verhindert die einseitige Darstellung einer bestimmten religiösen oder säkularen Weltanschauung. Der Religionsunterricht ist indes ausschließlich optional. Er ersetzt kein schulisches Pflichtfach. Sein Angebot setzt eine Mindestzahl an Schülern einer bestimmten Konfession und den Teilnahmewunsch der Erziehungsberechtigten oder, wenn der Schüler über 16 Jahre alt ist, des Schülers selbst voraus. Die Zahl der teilnehmenden Schüler ist nicht nur im Falle der katholischen Kirche, sondern bei allen Religionsgemeinschaften beträchtlich; dies gilt auch für Minderheitenreligionen wie Evangelikale, Baha’i und Buddhisten.23 Der Versuch, beim Religionsunterricht das religiöse Selbstbestimmungsrecht der Schüler zu wahren, berücksichtigt indes nicht ausreichend, daß Schülern auch kein Recht zusteht, sich gegen die Teilnahme an Fächern wie Geschichte, Biologie, Geologie und Physik zu entscheiden, obwohl diese implizit und systematisch bestimmte Weltanschauungen verbreiten und hierbei – bewußt oder unbewußt – die glaubensbezogene Prämisse eines philosophischen Naturalismus oder Materialismus voraussetzen.

21 Der Religionsunterricht in öffentlichen Schulen wurde vom portugiesischen Verfassungsgericht in seinen Urteilen Nr. 423/87 und Nr. 174/93 bestätigt. 22 Der katholische Religionsunterricht ist durch das Dekret Nr. 70/2013 vom 23.5.2013 geregelt. 23 Direção Geral de Educação, República Portuguesa, abrufbar unter www.dge.mec. pt/search/site/Educa%25C3%25A7%25C3%25A3o%2520Moral%2520e%2520Religiosa (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020).

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Jónatas Em. M. Machado

Gem. Art. 24 des Gesetzes über die Religionsfreiheit unterrichten die Religionslehrer ihre Schüler grundsätzlich nicht in anderen Fächern. Sie werden durch den Staat nach Maßgabe einer Entscheidung der Kirchen, Religionsgemeinschaften und anderen religiösen Vereinigungen eingestellt, ernannt, abgeordnet oder auch von der Erteilung des Religionsunterrichtes ausgeschlossen. Sie dürfen keinesfalls ohne Erlaubnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft unterrichten. Es obliegt den Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften, sie im Einklang mit den allgemeinen Richtlinien des Bildungssystems auszubilden sowie die Unterrichtsinhalte festzulegen und die Unterrichtsmaterialen zu genehmigen. Die den Religionsgemeinschaften zuerkannten Freiheiten beruhen auf der Annahme, daß sie selbst am besten dazu geeignet sind, ihre Lehren zu vermitteln. Auch wenn im staatlichen Schulsystem möglicherweise Raum für ein Fach „Geschichte der Religionen“ bestünde, bedeutete eine „neutrale“, „ausgewogene“, „weltliche“ und „wissenschaftliche“ Unterrichtung in Religion letztlich doch die Förderung einer naturalistischen und materialistischen Sicht der Religion. 4. Gesellschaftlicher Wandel Die oben beschriebenen normativen Entwicklungen hatten in den vergangenen Jahrzehnten einen bedeutenden praktischen Einfluß auf das religiöse Gefüge der Gesellschaft. Das Zentrum für Studien und Meinungsumfragen und das Zentrum für Religions- und Kulturstudien der Katholischen Universität von Portugal führten in jüngerer Zeit im Auftrag der portugiesischen Bischofskonferenz eine statistische Erhebung mit dem Titel „Religiöse Identitäten in Portugal. Religionszugehörigkeit, Werte und Praktiken“ durch. Es wurden ca. 4.000 Menschen mit einem Mindestalter von 15 Jahren befragt. Die Umfrage zeigte, daß der Anteil der Katholiken von 1999 bis 2011 um 7,4 %, nämlich von 86,9 % auf 79,5 %, zurückging. Während die Zahl an Katholiken sank, verdoppelte sich die Anzahl der Menschen, die einer anderen Religion angehören (von 2,7 % in 1999 auf 5,7 % in 2011). Zudem stieg die Zahl der Menschen ohne Religionszugehörigkeit (von 8,2 % auf 13,2 %), die Zahl der religiös Indifferenten (von 1,7 % auf 3,2 %), der Agnostiker (von 1,7 % auf 2,2 %) und der Atheisten (von 2,7 % auf 4,1 %) erheblich an. Zuwächse verzeichneten auch die Protestanten bzw. die Evangelikalen (von 0,3 % auf 2,8 %) sowie die Zeugen Jehovas (von 1 % im Jahr 1999 auf nunmehr 1,5 %).24 Es ist davon auszugehen, daß diese Daten vorwiegend Veränderungen widerspiegeln, die namentlich durch Migrationsprozesse verursacht sind. Es ist aber durchaus auch möglich, daß diese Änderungen durch die dargestellten Verfassungs- und Gesetzesänderungen beeinflußt wurden. Jedenfalls bieten diese statistischen Daten Anhaltspunkte für eine tiefgehendere Analyse der wesentlichen normativen Umgestaltungen der letzten Jahrzehnte und können so zum 24

Alfredo Teixeira, Identidades Religiosas Em Portugal, 2012.

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Verständnis beitragen, inwieweit diese zu Veränderungen im religiösen Gefüge der portugiesischen Gesellschaft geführt haben.

V. Schlußbemerkungen Das derzeitige System der Religionsfreiheit und der Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Portugal beruht auf den Grundsätzen einer jedermann gleichberechtigenden individuellen und kollektiven Religionsfreiheit, wie sie auch die Verfassung und internationale Menschenrechtserklärungen anerkennen. Die geltenden Regelungen zielen darauf ab, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen der Anerkennung des historisch maßgeblichen Einflusses der katholischen Kirche auf die Herausbildung der kulturellen Identität Portugals auf der einen Seite und der Berücksichtigung der sich in Minderheitspositionen befindenden religiösen Gemeinschaften auf der anderen Seite zu finden. Die Beobachtung der politischen Entwicklungen zeigt, daß Mitte-Rechts Regierungen in der Tendenz eher die Bedeutung der katholischen Kirche betonen, während Mitte-Links-Regierungen dazu tendieren, mehr die Religionsfreiheit aller Religionen fördern. Das unter einer Mitte-Links-Regierung entstandene Gesetz über die Religionsfreiheit legt nahe, daß die Förderung der Religionsfreiheit eine grundsätzliche Frage ist und nicht nur einen Versuch darstellt, die katholische Kirche durch die Beschränkung ihres Einflusses zu schwächen. Das gegenwärtig in Portugal geltende Recht hat die verschiedenen Aspekte der Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit erfolgreich geregelt und interreligiöse Dialoge über gesellschaftliche Rechtsfragen gefördert. Es bildet einen verläßlichen Rahmen für verfassungsrechtliche Toleranz und gegenseitigen Respekt: Die Mehrheitsreligion respektiert die religiösen Minderheiten und die religiösen Minderheiten respektieren die Mehrheitsreligion.

III. Länder mit einer traditionell orthodoxen Prägung

Das Verhältnis von Staat und Kirche in Griechenland Von Anargyros Anapliotis, München I.

Einleitung, Historische Grundlagen, Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien: Art. 3 der griechischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 1. Die „vorherrschende Religion“ (epikratoýsa qrhskeßa) und die „bekannten Religionen“ (gnwstÝò qrhskeßeò) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. Die „Bewahrung der kirchlichen Kanones und der heiligen Überlieferungen“ (Art. 3 Gr.V.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 III. Die Religionsfreiheit in Griechenland und der Rechtsstatus der anderen Konfessionen und Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1. Öffentliche Ordnung und gute Sitten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 II.

2. Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3. Die Bürgerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 4. Proselytismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 5. Der Eid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 6. Das Staatsoberhaupt und das Prinzip der Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . 199 7. Die anderen christlichen Konfessionen und Religionen (außer der Orthodoxie) und ihr Rechtsstatus in Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 IV. Rechtsstatus der orthodoxen Kirche in Griechenland nach dem internationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 V. Wirkungsmöglichkeiten der Religionsgemeinschaften und die Geltung kirchlich gesetzten Rechtes in der staatlichen Rechtssphäre am Beispiel der sog. Kirchlichen Stiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 VI. Kirchenfinanzierung und Kirchengüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 VII. Formen institutioneller Kooperation zwischen Staat und Kirche . . . . . . . . . . . . 206 1. Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Theologische Fakultäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 3. Anstaltsseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 4. Militärseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 5. Kommunale Friedhöfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 VIII. Schlußfolgerungen, gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

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Anargyros Anapliotis

I. Einleitung, Historische Grundlagen, Rechtsquellen Die 96 Eparchien (Diözesen) in Griechenland gehören zu fünf unterschiedlichen Jurisdiktionsbereichen, die historisch gewachsen sind, und umfassen etwa zehn Millionen orthodoxe Christen, d. h. der Staat hat entsprechend fünf Ansprechpartner:1 (1) Die Autokephalie der Orthodoxen Kirche in Griechenland wurde durch einen königlichen Erlaß vom 23.7./1.8.1833 mit dem Titel „Proklamation der Unabhängigkeit der griechischen Kirche“ verkündet – eine sehr einseitige Maßnahme, nämlich ohne die vorherige Genehmigung durch das Patriarchat von Konstantinopel (Selbstproklamation).2 Erst im Nachhinein – ex nunc – erfolgte im Jahre 1850 die offizielle Anerkennung vom Ökumenischen Patriarchat durch einen Patriarchal- und Synodaltomos.3 In zwei weiteren Synodalbeschlüssen 1866 und 1882 verzichtete das Patriarchat zugunsten der griechischen Kirche auf seine Rechte auf die Bistümer jener Gebiete, die mittlerweile an Griechenland angeschlossen worden waren: die Ionischen Inseln und ein Teil von Epiros und Thessalien.4 Seitdem ist der Erzbischof von Athen das kirchliche Oberhaupt der Kirche von Griechenland. Sie umfaßt heute das Erzbistum und 45 Metropolien.5 (2) Die 36 Metropolien der Gebiete in Nordgriechenland und der Agäis, welche erst seit den Balkankriegen in den Jahren 1912–1913 bzw. seit dem Vertrag von Neully 1919 (Westthrakien) zum griechischen Staat gehören,6 unterstehen weiterhin dem Ökumenischen Patriarchen. Sie wurden 1927 durch ein Gesetz und kirchenrechtlich durch den Patriarchalakt vom 4.9.1928 „kom-

1 Die folgenden Punkte sind eine überarbeitete Version aus meinem Aufsatz: Anargyros Anapliotis, Grundzüge der Zentral- und Diözesanorganisation der Orthodoxen Kirche in Griechenland, Orthodoxes Forum 30 (2016), S. 37. Vgl. auch die Verweise dort. 2 Vgl. den Text in: Barnabas Tzortzatos, ¢H katastatikÌ nomoqesßa t‰ò \Ekklhsßaò t‰ò ¢EllÜdoò ˜pÎ t‰ò sustÜsewò to¯ ¢Ellhniko¯ Basileßou, 1967, S. 75 ff. 3 Siehe die Akten der Synode in: Emmanouil Konstantinidis, ¢H ˜nakÞruciò to¯ ažtoke—Ülou t‰ò ™n \EllÜdi \Ekklhsßaò (1850) kaß † qÝsiò tµn Mhtropülewn tµn nÝwn xwrµn (1928), 1991, S. 47 ff. Vgl. ausführlich Theodoros Nikolaou, Die Orthodoxe Kirche im Spannungsfeld von Kultur, Nation und Religion (VIOTh 8), 2005, S. 124; auf S. 124 findet sich dort eine ausführliche Liste an Literatur. Eine gute Zusammenfassung bei: Spyros Troianos/Vassiliki Leontaritou, OrgÜnwsh twn ekklhsiþn kai dieqneßò sxÝseiò, 1997, S. 94 ff. 4 Vgl. Spyros Troianos, Die Verfassung der Orthodoxen Kirche in Griechenland, in: Richard Potz (Hrsg.) Kirchenverfassungen, 2006, S. 111. 5 Die Namen der einzelnen Metropolien und viele weitere Informationen im Kirchenkalender des Ökumenischen Patriarchates für das Jahr 2016: \EpethrÍò to¯ Oœkoumeniko¯ Patriarxeßou 2016, 2016, S. 1296 ff. 6 Weitere Informationen über die Metropolien der „Neuen Länder“ im Kirchenkalender des Ökumenischen Patriarchates für das Jahr 2016: \EpethrÍò, S. 1057 ff.

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missarisch“ (™pitropikµò) der Kirche Griechenlands unterstellt,7 bleiben aber in geistlicher Hinsicht mit dem Patriarchat verbunden. Die Bischöfe der „Neuen Gebiete“ besitzen nach wie vor das Appellationsrecht an den Ökumenischen Patriarchen.8 Bei der Wahl dieser Metropoliten, auch wenn sie von der Heiligen Synode in Athen gewählt werden, hat der Patriarch ein Mitspracherecht und kann Kandidaten von der Liste streichen.9 Die Vertreter der Neuen Gebiete nehmen am Obersten Verwaltungsorgan des Ökumenischen Patriarchates, der „Heiligen und Endemyschen Synode“, teil.10 (3) Daneben steht unter der unmittelbaren Jurisdiktion des Ökumenischen Patriarchates, d. h. das oberste geistliche Haupt ist der Ökumenische Patriarch, auch der Heilige Berg Athos, obwohl dieser seit 1913 offiziell griechisches Territorium ist11 und staatsrechtlich durch den Vertrag von Lausanne (1923) Griechenland angegliedert wurde. Der griechische Staat ist für die Ordnung und Sicherheit zuständig, jedoch hat der Heilige Berg Athos das Vorrecht auf Selbstverwaltung.12 (4) Die Kirche von Kreta ist seit 1898 halbautonom gegenüber dem Ökumenischen Patriarchen und hat eine eigene Synode. Obwohl Kreta seit 1913 griechisches Territorium ist, wurde die Kirche Kretas nicht in die Kirche Griechenlands eingegliedert. Sie hat einen Erzbischof mit Sitz in Heraklion (griechisch HrÜkleio) und acht Metropolien.13 (5) Ebenfalls gehören die fünf Metropolien der Inselgruppe Dodekanes im südöstlichen Teil der Ägäis seit 1947 im staatlichen Sinne zu Griechenland, im

7 „PrÜciò ˜naqÝsewò tµn ™n ¢EllÜdi ™parxiµn to¯ Oœkoumeniko¯ qrünou eœò tÌn ažtokݗalon \Ekklhsßan t‰ò ¢EllÜdoò“, s. den genauen Text und die Originalschrift von damals im Kirchenkalender des Ökumenischen Patriarchates für das Jahr 2016: \EpethrÍò, S. 1047 ff. Vgl. Konstantinos Vavouskos, \Egxeirßdion ™kklhsiastiko¯ dikaßou, 1986, S. 115 ff. 8 Nikolaou (Fn. 3), S. 147. 9 Andreas Michael Wittig spricht von einer Genehmigungspflicht (um eine Person als Kandidaten auf die Liste zu setzten) in: Die orthodoxe Kirche in Griechenland. Ihre Beziehung zum Staat gemäß der Theorie und der Entwicklung von 1821–1977, 1987, S. 99. 10 Anargyros Anapliotis, Primus und Synode in den gegenwärtigen Statuten der orthodoxen Kirche am Beispiel des Ökumenischen und des Moskauer Patriarchates, in: Christoph Böttigheimer/Johannes Hofmann (Hrsg.), Autorität und Synodalität. Eine interdisziplinäre und interkonfessionelle Umschau nach ökumenischen Chancen und ekklesiologischen Desideraten, 2008, S. 275. 11 Nikolaou (Fn. 3), S. 147. 12 Vgl. Wittig (Fn. 9), S. 96. 13 Eine Liste der Metropolien von Kreta und viele weitere Informationen sind angegeben im Kirchenkalender des Ökumenischen Patriarchates für das Jahr 2016: \EpetirÍò, S. 687 ff. Vgl. auch Wittig (Fn. 9), S. 110.

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kirchenrechtlichen Sinne jedoch unterstehen sie direkt dem Ökumenischen Patriarchen.14 Entgegen dem Territorialprinzip als Grundlage einer autokephalen Kirche, das besagt, daß sich das „Territorium der Kirche und des Staates, auf dessen Boden sie existiert, decken sollen“,15 greifen in der Kirche von Griechenland somit fünf unterschiedliche Jurisdiktionen. Da die „nationale Einheitlichkeit der Mitglieder der christlichen Gemeinde [. . .] und andererseits die Tatsache, daß diese ethnische Gruppe unter ein und derselben staatlichen Organisation lebt“,16 gegeben sind, bildet die Kirche von Griechenland somit eine Ausnahme in der orthodoxen Welt. Kirchenrechtlich gesehen umfaßt die „Autokephale Kirche von Griechenland“ nur die ersten zwei Jurisdiktionen, nämlich die „Alten“ und die „Neuen“ Gebiete. Die Quellen des Staatskirchenrechts in Griechenland sind eine ziemlich unübersichtliche Materie. Die Gesetze, welche die Kirchen und Religionsgemeinschaften betreffen, gehen in die Hunderte und können hier nicht einzeln angeführt werden. Wichtig sind die Regelungen der griechischen Verfassung von 1975 (Art. 3, 13 und 105) und die Grundordnung der Kirche Griechenlands (katastatiküò xÜrthò thò Ekklhsßaò thò EllÜdoò), die vom griechischen Parlament als Staatsgesetz verabschiedet wurde. Die Kirche von Kreta und die Klöster auf dem Berg Athos unterstehen, wie oben dargestellt, nicht der Grundordnung der Kirche Griechenlands, sondern sie haben jeweils ihre eigenen Grundordnungen (für Kreta der katastatiküò nümoò thò Ekklhsßaò KrÞthò, nämlich das Gesetz 4149 von 1961,17 und für Athos die gesetzliche Verordnung Nr. 10 vom 16.9.1926 über die Bestätigung der Grundordnung der Mönchsrepublik Athos, Regierungsblatt A 309 vom 192618).

14 Eine Liste der Metropolien des Dodekanes und viele weiteren Informationen sind angegeben im Kirchenkalender des Ökumenischen Patriarchates für das Jahr 2016: \EpethrÍò, S. 769 ff. Vgl. auch Wittig (Fn. 9), S. 111; Zur Geschichte vgl. ebd., S. 101; Vgl. ausführlich zur Organisation der Kirche von Kreta und des Dodekanes: Spyridon Troianos/Georgios Poulis, Ekklhsiastikü Dßkaio, 2003, S. 707; Konstantinos Papageorgiou, Orqüdoch Ekklhsßa thò KrÞthò. Qesmoß kai dioikhtikÞ orgÜnwsh katÜ ton Katastatikü thò Nümo (N. 4149/1961), TALWS, PeriodikÞ Ýkdosh Krhtikoý Dikaßou 9 (2001), S. 1. 15 Hermenegild M. Biedermann, Die Modernen Autokephalien, in: Gesellschaft für der Recht der Ostkirchen (Hrsg.), Die Kirche und die Kirchen Teil 1, 1980, S. 68 (70). 16 Spyridon Troianos, Einige Bemerkungen zu den materiellen und formellen Voraussetzungen der Autokephalie in der Orthodoxen Kirche, in: Gesellschaft für der Recht der Ostkirchen (Hrsg.), Die Kirche und die Kirchen, Teil 2, 1981, S. 159. 17 Zur Kirche von Kreta siehe Konstantinos Papageorgiou, Ekklhsiastikü dßkaio. Qewrßa kai nomologßa, 2013, S. 581–644, hier auch ausführliche Bibliographie; vgl. Georgios Apostolakis, DiatÜceiò, katastatikÜ, kanonismoß, nomologßa thò Ekklhsßaò KrÞthò, 2011. 18 K. Papageorgiou (Fn. 17), S. 651, hier auch ausführliche Bibliographie auf S. 651.

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Der griechische Staat erhebt keine statistischen Daten über die Religionszugehörigkeit der Bürger. Eine internationale Umfrage des Pew Research Centers in Mittel- und Osteuropa, die von Mai 2015 bis Juni 2016 mit Interviews durchgeführt wurde, ergab, daß der Anteil der orthodoxen Christen bei 90 % lag, katholische Christen waren mit unter 1 % der Bevölkerung vertreten, Christen anderer Konfessionen mit 3 %, während dem Islam 2 % und anderen Religionen 1 % gehörten.19

II. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien: Art. 3 der griechischen Verfassung Eine staatskirchenrechtliche Regelung in nahezu gleicher Formulierung findet sich in allen Verfassungen des neugriechischen Staates seit seiner Gründung. Diese Bestimmungen – teilweise theologischen Inhalts – beinhalten den Versuch, die Beziehungen zwischen Staat und orthodoxer Kirche zu regeln. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der griechischen Verfassung (Gr.V.) bestimmt die „östlich orthodoxe Kirche Christi als vorherrschende Religion“. Alle anderen Religionsgemeinschaften, deren Lehre und Kultus offenkundig und nicht geheim sind, und die nicht in Widerspruch zu der Rechtsordnung und den guten Sitten stehen, werden als „bekannte Religionen“ deklariert.20 Hierzu Art. 3 Gr.V.: „Vorherrschende Religion in Griechenland ist die der östlich orthodoxen Kirche Christi. Indem sie das Haupt unseren Herrn Jesus Christus anerkennt, bleibt die orthodoxe Kirche Griechenlands in ihrem Dogma mit der großen Kirche in Konstantinopel und jeder anderen Kirche Christi des gleichen Bekenntnisses unzertrennlich verbunden und bewahrt wie jene unerschütterlich die heiligen apostolischen und die von den Konzilien aufgestellten Kanones sowie die heiligen Überlieferungen. Sie ist autokephal und wird geleitet von der heiligen Synode der sich im Amte befindlichen Prälaten und der aus deren Mitte hervorgehenden Dauernden Heiligen Synode, die sich nach den Bestimmungen der Grundordnung der Kirche zusammensetzt unter Beachtung der Vorschriften des Patriarchischen Tomos vom 29.6.1850 und des Synodalaktes vom 4.9.1928.“ 21

19 www.pewforum.org/2017/05/10/religious-affiliation (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 20 Vgl. ausführlich: Anargyros Anapliotis, Die Orthodoxe Kirche im griechischen Staatskirchensystem, in: Orthodoxie Aktuell 10 (2013), S. 8; und zum ganzen Kapitel: Anargyros Anapliotis, Kirchliche und gesellschaftliche Initiativen im Sozialbereich und griechische Gesundheitspolitik im Lichte eines europäischen Rechtsvergleichs, 2006, S. 90. Zur Beziehung zwischen Staat und Kirche siehe u. a.: Philippos Spyropoulos, Die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Griechenland. Unter besonderer Berücksichtigung der orthodoxen Kirche, 1981. 21 Vgl. Anapliotis (Fn. 20), S. 90 f.

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1. Die „vorherrschende Religion“ (epikratoýsa qrhskeßa) und die „bekannten Religionen“ (gnwstÝò qrhskeßeò) Zur Interpretation dieser Begriffe gibt es kritische Meinungen in der griechischen verfassungsrechtlichen Literatur, die besagen: Sowohl die orthodoxe Kirche als auch ihre diakonischen Einrichtungen seien mit besonderen Privilegien ausgestattet, die den Merkmalen einer Staatskirche entsprächen. Indem Art. 3 Gr.V. eine vorherrschende Religion gewährleiste, sei eine Negation der Religionsfreiheit impliziert und ein Verstoß „gegen die in der ordnungspolitischen Bedeutung der Religionsfreiheit enthaltenen Pflicht zur Nichtidentifikation und der daraus folgenden Parität“ 22 gegeben. Ich schließe mich nicht dieser Meinung an.23 Bei einer an den Wortlaut des Art. 3 Gr.V. anknüpfenden Auslegung läßt sich keine privilegierte Stellung der orthodoxen Kirche feststellen: (1) Haupt der orthodoxen Kirche Griechenlands ist Jesus Christus. (2) Die orthodoxe Kirche bleibt in ihrer dogmatischen Lehre (und nicht in der Verwaltung) mit der großen Kirche in Konstantinopel und jeder anderen Kirche Christi des gleichen Bekenntnisses unzertrennlich verbunden. (3) Die orthodoxe Kirche ist autokephal und wird von der heiligen Synode der sich im Amt befindlichen Prälaten und der aus deren Mitte hervorgehenden Dauernden Heiligen Synode geleitet, die sich nach den Bestimmungen der Grundordnung der Kirche zusammensetzt unter Beachtung der Vorschriften des Patriarchal-Tomos vom 29. Juni 1850 und des Synodalaktes vom 4. September 1928. In der grammatikalischen Auslegung sind somit zwei Begriffe zu untersuchen, welche nur scheinbar den Eindruck erwecken, daß der Verfassungsgeber in Art. 3 Gr.V die orthodoxe Kirche als Staatskirche klassifizieren möchte: „Epikratoýsa qrhskeßa“ („vorherrschende Religion“) und „ton Kýrion hmþn Ihsoýn Xristün“ („unseren Herrn Jesus Christus“). Meiner Auffassung nach kann keine dieser beiden Wendungen in Art. 3 Gr.V ein Staatskirchentum in Griechenland begründen. „Epikratoýsa qrhskeßa“ bedeutet eben keine Art „Vorherrschaft“ über die übrigen Religionsgemeinschaften, sondern stellt nur deklaratorisch fest, daß die überwiegende Mehrheit der griechischen Bevölkerung sich zur orthodoxen Kirche bekennt.24 Ich teile mit

22 23

Spyropoulos (Fn. 20), S. 157. Vgl. Anapliotis, Initiativen im Sozialbereich (Fn. 20), S. 92 f. und die Verweise

dort. 24 Vgl. Evangelos Venizelos, Oi sxÝseiò KrÜtouò kai Ekklhsßaò, 2000, S. 146; K. Papageorgiou (Fn. 17), S. 56.

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Ioannis Marinos die Ansicht, daß die „vorherrschende Religion in der Verfassungsurkunde auf den Willen des Verfassungsgebers zurückzuführen ist, dieser Kirche einen besonderen Respekt und Ehrerbietung für ihren Beitrag zur Gestaltung der griechischen Nation zuzuerkennen. Dabei hatte der griechische Verfassungsgeber durch die Anerkennung einer vorherrschenden Religion jedoch nicht im Sinn, die Religionsfreiheit zu beschränken.“ 25 Und auch der Satz „ton Kýrion hmþn Ihsoýn Xristün“ („unseren Herrn Jesus Christus“) stellt keine Bekenntnisaussage des Verfassungsgebers dar. Da es sich hierbei um einen theologisch-liturgischen Ausdruck handelt, der in den Verfassungstext aufgenommen wurde, ohne damit rechtliche Bedeutung zu erlangen, bedeutet dies in keinem Fall, daß der Verfassungsgeber ein orthodoxer Gläubiger ist oder sein muß.26 Auch historisch gesehen wiederholen alle vor 1975 in Kraft gesetzten griechischen Verfassungen die Vorschriften über die Kirche fast mit demselben Wortlaut. Die Sachgründe und die Zwecke der entsprechenden staatskirchenrechtlichen Vorschriften von 1911 und 1952 der Verfassungsgeber waren geschichtlich bedingt und verfolgten ein Hauptziel27: Die national notwendige Autokephalie (Selbstverwaltung) der griechischen orthodoxen Kirche gegenüber dem im türkischen Gebiet und unter türkischer Oberhoheit und Vormundschaft befindlichen Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel zu bewahren. Obwohl die geschichtlichen Voraussetzungen nicht mehr gegeben waren, übernahm die heutige Verfassung, die aus dem Jahre 1975 stammt, wortwörtlich die alte Vorschrift in Art. 3 Gr.V. Gleichzeitig wurden in anderen Verfassungsvorschriften Maßnahmen zur Liberalisierung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche eingeleitet. Im Vergleich zur Verfassung von 1952 geht die gesamte griechische Verfassung von 1975 einen Schritt weiter zur umfassenden Grundlegung des Prinzips der Religionsfreiheit, was zum Umsturz des bisher bestehenden Systems von Staatsherrschaft über die orthodoxe Kirche (nümÃw kratoýsa politeßa) und zur Liberalisierung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche führte.28 Etwaige Privilegien der „vorherrschenden Religion“ wurden somit im zunehmenden Maße beiseite geräumt.29 Steuerrechtlich gesehen, werden fast alle Steuervorteile der orthodoxen Kirche abgeschafft: Die Kirche zahlt für ihr Vermögen Grundsteuer

25 Anastasios Marinos, QrhskeutikÞ eleuqerßa, 1972, S. 96 f.; vgl. Metropolit von Dimitrias Ignatios, in: Pliroforisi (September–Oktober 2016), S. 2. 26 Vgl. Anapliotis, Initiativen im Sozialbereich (Fn. 20), S. 93. 27 Vgl. Anapliotis, Initiativen im Sozialbereich (Fn. 20), S. 93. 28 Vgl. K. Papageorgiou (Fn. 17), S. 71 f. 29 Zu den Privilegien der orthodoxen Kirche, die aufgrund ihrer Eigenschaft als Körperschaft des Öffentlichen Rechts noch heute existieren, siehe Theodoros Papageorgiou, To nomoqetikü kaqestþò kai oi sxÝseiò thò Ekklhsßaò me to krÜtoò, NomokanonikÜ 3/2017, S. 29 (33 f.).

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wie private Personen,30 lediglich die Gottesdiensträume genießen generell Steuerfreiheit, genauso wie die Gottesdiensträume aller anerkannten Religionen.31 In einer systematischen Auslegung der Verfassung soll der Bedeutungszusammenhang der staatskirchenrechtlichen Vorschrift des Art. 3 Griechische Verfassung (Gr.V.) mit anderen Normen der griechischen Verfassung geprüft werden, vor allem mit der Gewährleistung der Religionsfreiheit in Art. 13 Gr.V. bzw. in Art. 28 Gr.V im Vergleich mit Art. 9 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)32: (1) Art. 13 Gr.V. Art. 13 Gr.V. gewährleistet die Freiheit des religiösen Gewissens, der religiösen Anschauungen und des Kultus und die Geistlichen aller bekannten Religionen unterliegen derselben Staatsaufsicht und haben dieselben Pflichten gegenüber dem Staat, wie die der vorherrschenden Religion.33 (2) Art. 28 Gr.V i.V. m. Art. 9 EMRK. Gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 1 Gr.V. sind die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts sowie internationale Verträge nach ihrer gesetzlichen Ratifizierung und ihrer in ihnen geregelten Inkraftsetzung Bestandteil des inneren griechischen Rechtes und gehen jeder entgegenstehenden Gesetzesbestimmung vor. Griechenland ist der Europäischen Menschenrechtskonvention am 20. November 1950 beigetreten und hat das Pariser Zusatzprotokoll zur Konvention vom 20. März 1952 unterzeichnet. Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistet die Religionsfreiheit wie folgt: „Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, durch die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben (Abs. 1). Die Religions- und Bekenntnisfreiheit darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendigen Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind (Abs. 2).“

Demzufolge gewährleistet Art. 3 Gr.V. der orthodoxen Kirche gerade keine privilegierte Stellung. Die Religionsfreiheit des Art. 13 Gr.V. (bzw. des Art. 9 EMRK) und die Bestimmungen über die vorherrschende Religion des Art. 3 Gr.V ergänzen sich vielmehr und zwar aus folgendem Grund: Art. 3 Gr.V bildet nämlich kein vollständiges verfassungsrechtliches Gesetzgebungsvorhaben, weil ihm die hinreichende inhaltliche Bestimmtheit fehlt. Er enthält keinen bestimm30

Ebd., S. 45 f. Ebd. Vgl. Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes 4223 von 2013 (Gesetzesblatt A 287) und Art. 24 Abs. 7 des Gesetzes 2130 von 1993 (Gesetzesblatt A 62). 32 Vgl. Anapliotis, Initiativen im Sozialbereich (Fn. 20), S. 95 f. und die Verweise dort. 33 Siehe in diesem Beitrag Abschnitt III. 31

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ten Gesetzgebungsauftrag, zumal sich die Bestimmung über die vorherrschende Religion nicht durch Erlaß einer bestimmten Regelung vollziehen und erledigen läßt. Art. 3 Gr.V. erteilt lediglich einen Auftrag an den Gesetzgeber, die Grundordnung der Kirche Griechenlands zu bestimmen und zu verabschieden. Die Frage der Beziehungen zwischen Staat und orthodoxer Kirche (ob z. B. die orthodoxe Kirche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, ob der Staat zuständig für die Besetzung kirchlicher Ämter ist, ob der Staat die diakonischen Einrichtungen der Kirche finanziert bzw. unterstützt usw.) bleibt der Zuständigkeit des zeitgenössischen Gesetzgebers vorbehalten und ist auf Verfassungsebene nicht endgültig gelöst. Auf Verfassungsebene besteht somit keine Staatskirche und bei Privilegien zugunsten der orthodoxen oder anderer Kirchen muß stets noch ein Gesetz zwischengeschaltet werden, das Grund und Höhe der ausnahmsweise zugeteilten Privilegien bestimmt, aber immer im Rahmen der Religionsfreiheit, der Parität und der Nicht-Identifikation (im Sinne des Art. 13 Gr.V.) bleiben muß. 2. Die „Bewahrung der kirchlichen Kanones und der heiligen Überlieferungen“ (Art. 3 Gr.V.)34 Bezüglich der Regelung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Griechenland sowie der Organisation der orthodoxen Diakonie stellen sich weitere Fragen: Nämlich die Frage der Unterscheidung zwischen kirchlichen und staatlichen Angelegenheiten als auch des Schutzes von kirchlichen „Kanones und [. . . den] heiligen Überlieferungen“ durch die Verfassung in Art. 3 Gr.V. Dort heißt es: „die griechisch-orthodoxe Kirche [bewahrt] unerschütterlich die heiligen apostolischen und die von den Konzilien aufgestellten Kanones sowie die heiligen Überlieferungen.“ Hierzu kommentiert Ioannis Konidaris: „Jede Abweichung entweder der Kirche oder des Staates von diesen verfassungsmäßig gesicherten Anordnungen und Überlieferungen [hätte] nicht nur kanonische, sondern auch staatsrechtliche Folgen, da ein solches Verhalten gleichzeitig einen Verstoß gegen Art. 3 der Verfassung darstellen würde“.35 Die rechtliche Konsequenz dessen wäre, daß die Verfassung einen für die Kirche übergeordneten Charakter in theologisch-kirchlichen Angelegenheiten hat. Ich vertrete die Meinung, daß die Kirche im Besitz der Freiheit ist, das kanonische Recht als ihr internes Recht neu zu interpretieren bzw. zu modifizieren. Auch auf diesem Gebiet hat sich die Rechtsprechung des Obersten Verwaltungsgerichts in den letzten vierzig Jahren weiterentwickelt und es ist eine Tendenz-

34

Vgl. ausführlich Anapliotis, Initiativen im Sozialbereich (Fn. 20), S. 97 ff. Ioannis Konidaris, Die orthodoxen Kirchen in Griechenland, ZevKR 23 (1978), S. 194. 35

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wende festzustellen.36 Nachdem anfänglich zwischen dogmatischen und Verwaltungskanones unterschieden wurde,37 haben nach Art. 13 Gr.V. die einzelnen Kirchen und Religionsgemeinschaften das Recht auf uneingeschränkte Selbstverwaltung. Gerade die Würdigung dessen, welche Kanones und welche Überlieferungen von der Verfassung geschützt werden bzw. nicht abänderbar sind, stellt die Qualität der neuen Interpretation von Art. 13 Gr.V. heraus. Sämtliche kirchlichen Kanones sind nach der neuen Interpretation der Religionsfreiheit im Rahmen und mit den Schranken des Art. 13 Gr.V. geschützt, als internes Recht der orthodoxen Kirche gewährleistet und dürfen auch vom Staat nicht geändert werden. Bei der Verkündigung ihrer Botschaft in der Welt wird die orthodoxe Kirche nicht in den Formen des staatlichen Rechts tätig, sondern in denen des autonomen kanonischen Rechts. Im rechtsdogmatischen Verständnis des kanonischen Rechts ist keine „staatliche“ oder „gerichtliche“ Entscheidung darüber notwendig, welche Kanones dogmatischen und welche Verwaltungscharakter besitzen. Es ist dabei grundsätzlich vom Verständnis der orthodoxen Kirche über das kanonische Recht auszugehen, wobei auch die geschichtliche Entwicklung und neue Umstände berücksichtigt werden sollen. Wesentlich ist m. E. hierbei nur die Frage, wie die orthodoxe Kirche selbst die Kanones versteht und wie sie diese Kanones in ihrer Organisation und in ihren Einrichtungen anwendet. Es besteht keine verfassungsrechtliche Pflicht für die orthodoxe Kirche, die Normen des byzantinisch-kanonischen Rechts unverändert anzuwenden. Es steht der orthodoxen Kirche frei, jede Auslegung bzw. Modifizierung als ihre innere Angelegenheit vorzunehmen. Hierin unterliegt sie nicht der Kompetenz einer staatlichen oder gerichtlichen Stelle.38

III. Die Religionsfreiheit in Griechenland und der Rechtsstatus der anderen Konfessionen und Religionen Begriff, Inhalt und immanente Schranken der Religionsfreiheit im Sinne des verbürgten Menschenrechts sind Gegenstand des zweiten Teils der geltenden Verfassung von 1975 (Art. 13) unter dem allgemeinen Titel „Individuelle und soziale Rechte“. Die Einordnung der Religionsfreiheit unter diesen allgemeinen Titel ist derjenigen in allen früheren griechischen Verfassungen, die dieses Grundrecht unter dem Titel „Religion“ oder „Religion und Kirche“ angeführt hatten – und zwar meistens vorangestellt als Art. 1 und 2 –, aus systematischen Gründen vorzuziehen. 36 Vgl. die Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichtes StE 5057 von 1987 in: Nomikü BÞma 36 (1988), S. 801. 37 Vgl. die Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichtes StE 139 von 1930, in: QÝmiò 41 (1930), S. 755 und eine neuere 1136 von 1983, in: Armenopoulos 38 (1983) 63, zitiert in: K. Papageorgiou (Fn. 17), S. 85 f. 38 Siehe die Gegenposition in der Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts StE 5057 von 1987, zitiert nach K. Papageorgiou (Fn. 17), S. 86 f.

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Art. 13 der geltenden Verfassung, der im Großen und Ganzen die Bestimmungen der entsprechenden Artikel aller früheren Verfassungen wiedergibt, lautet: (1) Die Freiheit des religiösen Gewissens ist unverletzlich. Die Ausübung der individuellen und politischen Rechte hängt nicht von der religiösen Anschauung eines jeden ab. (2) Jede bekannte Religion ist frei; ihr Kultus kann ungehindert unter dem Schutz der Gesetze ausgeübt werden. Die Ausübung des Kultus darf die öffentliche Ordnung und die guten Sitten nicht verletzen. Proselytismus ist verboten. (3) Die Geistlichen aller bekannten Religionen unterliegen derselben Staatsaufsicht und haben dieselben Pflichten gegenüber dem Staat, wie die der vorherrschenden Religion. (4) Niemand darf wegen seiner religiösen Anschauung von der Erfüllung seiner Pflichten gegenüber dem Staat befreit werden oder die Beachtung der Gesetze verweigern. (5) Ein Eid kann nur aufgrund eines Gesetzes auferlegt werden, das auch dessen Formel bestimmt. Gemäß dem Wortlaut beinhaltet Art. 13 Einzelgewährleistungen, im Detail die Freiheit des religiösen Gewissens, der religiösen Anschauungen und des Kultes, mit dem Ziel, eine innere Kohärenz zwischen den genannten Freiheiten aufzuzeigen. Das Innere des Menschen im Sinne des reinen Denkens und Entscheidens sind hierbei der eigentliche Schauplatz, an welchem sich das religiöse Gewissen und religiöse Anschauungen aufhalten (forum internum).39 Zunächst könnte man die Schlußfolgerung ziehen, daß religiöse Anschauungen keiner verfassungsmäßigen Gewährleistung bedürfen, da sie ex definitione frei und unantastbar sind und somit keinem äußeren, auch keinem rechtlichen, Gesetz unterstehen können. Doch betrachtet man die Zunahme äußerer Einflüsse und damit verbunden die gestiegene Beeinflußbarkeit, erscheint die verfassungsmäßige Gewährleistung religiöser Anschauungen durchaus sinnvoll. Zur Freiheit der Religionsausübung zählt u. a. die Bekenntnisfreiheit, welche die Freiheit der Äußerung eigener Glaubensüberzeugungen, die Freiheit bezüglich des eigenen Glaubens zu schweigen, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit für religiöse Zwecke,40 die religiöse Gleichheit,41 Freiheit in religiösen Er39 Siehe ausführlich K. Papageorgiou (Fn. 17), S. 139 f.; Prodromos Dagtoglou, Suntagmatikü dßkaio. AtomikÜ dikaiþmata Band 1, 1991, S. 369 ff. 40 Vgl. EGMR, ÖJZ 1998, S. 750 (Kath. Kirche von Chania/Griechenland), nachdem diese kirchliche Gemeinschaft eine Rechtspersönlichkeit sui generis besitzt. 41 Über die steuerliche religiöse Gleichheit vgl. die Entscheidung des Amtsgerichtes von Thessaloniki Nr. 1064 von 1998 in DtA 7 (2000) 705 nachdem Steuererleichterungen zugunsten der vorherrschenden Religion auch für alle bekannten Religionen gelten müssen.

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ziehungsangelegenheiten sowie die konsekutiv folgende Freiheit der Einrichtung religiöser Schulen miteinschließt. 42 Das forum externum umfaßt die Kultusfreiheit und die Ausübung der Religionsfreiheit im Allgemeinen und ist ein untrennbarer Bestandteil der Gewährleistung der Religionsfreiheit, unter der Voraussetzung, daß die Religionsgemeinschaft keine Veranstaltungen im Geheimen abhält, sondern sie der Allgemeinheit zugänglich sind.43 Mystische oder geheime Kulte wie die der Freimaurer oder der Scientology werden durch die Verfassung nicht geschützt.44 In Griechenland lassen sich folgende verfassungsimmanenten Grenzen der Religionsfreiheit finden: 1. Öffentliche Ordnung und gute Sitten Mit der öffentlichen Ordnung ist vor allem die Summe aller Werte, Prinzipien sowie Überzeugungen und Anschauungen gemeint, welche die griechische Gesellschaft prägen. Miteingeschlossen sind hierbei ebenfalls die guten Sitten,45 wenngleich sie als gesonderter Begriff in Art. 13 Abs. 2 Satz 2 Erwähnung finden und dort als „das in der Übung zutragende sittliche Empfinden [. . .], das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ 46 definiert werden. Als problematisch wird angesehen, daß die öffentliche Ordnung sowie die guten Sitten in Griechenland sich durch das Christentum ausgeprägt haben. Eine verfassungsmäßige Schranke der Religionsfreiheit könnte andere Religionen benachteiligen. Dagegen wird angeführt, daß christliche Werte über die christliche Religion hinaus Grenzen überschreiten, was jedoch das Verfassungsproblem kaum zu lösen scheint.47 2. Gesetze Obgleich in Art. 13 Abs. 4 Gr.V. ebenfalls die Rede von „religiösen Anschauungen“ ist, kann man diese im Gegensatz zur selben Begrifflichkeit in Art 13 42 Vgl. ausführlich Spyros Troianos, H qrhskeutikÞ ekpaßdeush sto plaßsio tou atomikoý dikaiþmatoò thò qrhskeutikÞò eleuqerßaò, XaristÞrion. Sýmmeikta proò timÞn G. M. PapaxatzÞ, 1986, S. 285. 43 Die Zeugen Jehovas z. B. sind eine solche Religion ohne geheime Religionsausübung, vgl. die Entscheidungen des Obersten Verwaltungs- und Verfassungsgerichtes 3601 von 1990 in: Nomikü BÞma 39 (1991) 450. Vgl. Ioannis Konidaris, NomikÞ qewrßa kai prÜch gia touò MÜrtureò tou IexwbÜ, 4. Aufl. 2005. 44 K. Papageorgiou (Fn. 17), S. 148. 45 Panagiotes Zepos, Enoxikün Dßkaion, Bd. 2, MÝroò eidikün, 1965, S. 737 ff. Zum deutschen Recht vgl. RGZ 80, 221; RGZ 120, 142 (148), BGHZ 10, 228 (232); kritisch: Karl Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, 1977, S. 381. 46 Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts (Fn. 45), S. 381. 47 Vgl. Spyridon Troianos/Georgios Poulis, Ekklhsiastikü Dßkaio, 2003, S. 106; Spyropoulos (Fn. 20), S. 38.

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Abs. 1 Gr.V. nicht in den Kontext der religiösen Verwirklichung stellen, vielmehr handelt es sich hierbei um ein Synonym zum Begriff „religiöses Gewissen“. Unglücklich formuliert ist Art 13 Ab. 4 Gr.V. auch deshalb, da der Gesetzgeber bestimmt nicht bezweckt hat, alle Gesetze unter einem gemeinsamen Nenner zu subsumieren. Das würde nämlich bedeuten, daß der einfache Gesetzgeber durch diese Verfassungsbestimmung gar dazu ermächtigt wäre, beliebige Limitationen der Religionsfreiheit einzuführen und de facto damit die Religionsfreiheit aufzuheben. Man kann jedoch davon ausgehen, daß der Verfassungsgeber bezweckt hat, die besonders wichtigen oder überragenden Rechtsgüter,48 wie z. B. öffentliche Gesundheit, Schutz des Lebens und der Jugend sowie die öffentliche Ordnung, für die Allgemeinheit zu schützen49 und damit eine Grenze der „religiösen Anschauung“ zu ziehen. Den Schutzbereich der Religionsfreiheit des Art. 13 Gr.V. kann nur der Schutz jener Rechtsgüter eingrenzen, die den Schranken der Religionsfreiheit des Art. 9 Abs. 2 EMRK entsprechen. Folglich können die Religionsfreiheit nur die „Gesetze“ einschränken, die nach der Formulierung des Art. 9 Abs. 2 EMRK „die notwendigen Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der Gesundheit, der Moral und für den Schutz der Rechte und der Freiheit anderer“ beinhalten.50 3. Die Bürgerpflicht Art. 13 Abs. 4 Gr.V. zufolge kann niemand aufgrund seiner „religiösen Anschauung“ von der Erfüllung seiner Pflichten gegenüber dem Staat befreit werden.51 Diese Formulierung bringt Probleme mit sich, da das religiöse Gewissen mit den Pflichten als Staatsbürger kollidieren könnte. Im Falle einer Kollision hätte jedoch das Gewissen den staatsbürgerlichen Pflichten zu weichen. Jedoch muß festgehalten werden, daß die Religionsfreiheit die Regel und die ausschließliche Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflichten die Ausnahme darstellen muß. 48

Vgl. Troianos/Poulis (Fn. 47), S. 107. Vgl. Dagtoglou (Fn. 39), S. 391 ff.; ferner Spyropoulos (Fn. 20), S. 39 f. 50 Zu den Schranken der Religionsfreiheit in der Menschenrechtskonvention, vgl. auch Gerhard Robbers, Europarecht und Kirchen, in: Joseph Listl/Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 2. Aufl. 1994, S. 315 (316 f.); eine Auseinandersetzung mit dieser Meinung geht über die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit hinaus. Die Übernahme der Schranken der Religionsfreiheit des Art. 9 Abs. 2 der Menschenrechtskonvention als Schranke der Religionsfreiheit in der griechischen Verfassung kann zu Schwierigkeiten führen, vgl. hierzu etwa die Problematik der Abwägung zwischen „Schutz der Gesundheit“ und „Selbstbestimmungsrecht der Kirchen“ des Art. 13 Gr.V. im Falle der Rechtsprechung über die Zeugen Jehovas, in: Johannes Konidaris, Qewrßa kai nomologßa gia touò MÜrtureò tou IexwbÜ, NoB 1986, S. 502. Über die allgemeinen Gesetze als Grenze des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen in der deutschen Rechtslehre vgl. Konrad Hesse, Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, in: Joseph Listl/Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 2. Aufl. 1994, S. 521 (544 ff.). 51 Vgl. Spyropoulos (Fn. 20), S. 39. 49

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Ein Beispiel hierfür ist die Pflicht zur Ableistung des Wehrdienstes,52 wenngleich auch bestimmt ist, daß ein Zivildienst abgeleistet werden kann, welcher jedoch viel länger dauert als der Dienst an der Waffe.53 4. Proselytismus Gemäß Art. 13 Abs. 2 Satz 3 Gr.V. ist Proselytismus im Sinne des unethischen Verhaltens beim Versuch, andere zum Übertritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu überzeugen, verboten. Proselytismus existiert, wenn dabei die menschliche Würde durch Zwang, Täuschung, Manipulation und Ausnutzung verletzt wird.54 Jedoch sind Tatbestand, Strafbarkeit und Strafe dem Parlament bzw. den Gerichten überlassen.55 5. Der Eid Art. 13 Abs. 5 der Verfassung besagt, daß nur aufgrund eines Gesetzes ein Eid verlangt werden darf. Auch die Gestalt des Eides wird nur durch ein entsprechendes Gesetz bestimmt. Nach herrschender Meinung steht die einschlägige griechische Gesetzgebung im Einklang mit der Verfassungsbestimmung. Beispielsweise wird in der Zivilprozessordnung festgehalten, daß derjenige, der sich zu einer bekannten Religion bekennt, die über eine besondere Formel des Eides verfügt, auf Basis dieser Formel seinen Eid leistet (Art 408 Abs. 2 der Zivilprozessordnung), andernfalls wird für den Eid eine allgemeine Formel verwendet, welche auf der Berufung auf die Ehre und das Gewissen des Betroffenen basiert (Art. 408 Abs. 3 der Zivilprozessordnung).56 Andere Gesetze wie die Strafprozessordnung verfügen über ähnliche Formulierungen, die Steuerprozessordnung gar verweist direkt auf die Formulierung der 52 Dieser Dienst ist in gemeinnützigen Einrichtungen des staatlichen Sektors abzuleisten, siehe die Gesetzgebung zum Thema und das Verfahren bei K. Papageorgiou (Fn. 17), S. 154 f. 53 Vgl. Gesetz 2510 von 1997. Vgl. Troianos/Poulis, Ekklhsiastikü Dßkaio (Fn. 47), S. 107 f. Hier ausführliche Literatur und Rechtsprechung; vgl. auch Spyropoulos (Fn. 20), S. 40. 54 Vgl. K. Papageorgiou (Fn. 17), S. 156 mit ausführlicher Literatur; Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, daß das Proselytismusverbot nicht generell gegen die Europäische Menschenrechtskonversion verstößt. „Proselytismus“ muß von der zulässigen Bekehrung strikt getrennt werden, es stellt sozusagen eine Entgleisung derselben dar. Unter diesem Begriff können unter anderem Aktivitäten verstanden werden, bei denen Druck oder Gewalt („Gehirnwäsche“) ausgeübt oder materielle Vorteile versprochen werden, um einen Andersgläubigen zu einem Wechsel der Religionszugehörigkeit zu verleiten, EGMR, ÖJZ 1994, S. 59 (Kokkinakis/Griechenland); vgl. Nikolaos Androulakis, To aciüpoino tou proshlutismoý kai h suntagmatiküthtÜ tou, Gutachten, Nomikü BÞma 34 (1986) 1031. 55 Vgl. Spyropoulos (Fn. 20), S. 40 ff. 56 Vgl. ebd., S. 42 f.

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Zivilprozessordnung.57 Im religiösen Kontext könnte bei manchen Christen ein solcher Eid verfassungswidrig sein (auf Basis des Art. 2 Abs. 1 sowie Art. 7 Abs. 2 der Verfassung: Würde des Menschen und Gewaltverbot), nämlich in den Fällen, in denen nach Auffassung mancher Orthodoxer das Christentum die Ableistung eines Eides ausnahmslos verbietet.58 6. Das Staatsoberhaupt und das Prinzip der Religionsfreiheit Die geltende Verfassung verpflichtet den Präsidenten, im Gegensatz zu den Bestimmungen zur Zeit der Monarchie in Griechenland, nicht mehr orthodoxen Glaubens zu sein59. Gemäß Art. 33 Abs. 2 der Verfassung leistet der Präsident seinen Treueeid jedoch im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit.60 Auch die Parlamentarier leisten einen religiösen Eid (Art. 59 Abs. 1 und 2 der Gr.V); hiervon kann jedoch aufgrund der Religionsfreiheit des Parlamentariers abgewichen werden.61 7. Die anderen christlichen Konfessionen und Religionen (außer der Orthodoxie) und ihr Rechtsstatus in Griechenland Eine bekannte Religionsgemeinschaft erhält in Griechenland Rechtsstatus, wenn sie in das dafür vorgesehene öffentliche „Buch Religiöser Rechtspersonen“ beim jeweiligen zuständigen Gericht eingetragen ist. Um diesen Eintrag zu erhalten, muß die Gemeinschaft mindestens 300 Mitglieder vorweisen, von denen mindestens ein Mitglied auch der religiöse Leiter ist.62 Für den Eintrag in das öffentliche Buch sind neben der Satzung und dem Glaubensbekenntnis auch die Namen der Vorstandsmitglieder sowie eine Liste der religiösen Versammlungsstätten und eine Übersicht der Mitglieder mit ihren Unterschriften beizufügen. Der religiöse Leiter gehört per Definition zu den Vorstandsmitgliedern. Ein Mitglied einer religiösen Gemeinschaft kann juristisch nicht gleichzeitig Mitglied einer anderen Religionsgemeinschaft sein.63

Vgl. ebd., S. 43, Anastasios Marinos, QrhskeutikÞ eleuqerßa, 1972, S. 255 ff. In der Interpretation der Bibelstellen Matthäus 5,33–37; Jakobus 5,12. 59 Art. 47, 51–52 der Verfassung von 1952. 60 Zur Problematik des Eides des Präsidenten siehe ausführlich Troianos/Poulis (Fn. 47), S. 86 f. Die Verfassung soll so geändert werden, daß wenn es sich um nicht einen nicht-christlichen Präsidenten handelt, er auf eine Formel vereidigt wird, welche von seiner Religion vorgesehen wird. 61 Vgl. Spyropoulos (Fn. 20), S. 43 f., Anastasios Marinos, La liberté religieuse dans la nouvelle constitution greque, Conscience et Liberté 11 (1976), S. 20 ff.; Anastasios Marinos, Greece’s new Constitution, in: Liberty, A Magazin of Religious Liberty, 71 (1976), Nr. 6, S. 18; Anastasios Marinos, La liberté religieuse en Grèce, in: Service orthodoxe de Presse et d’information, 28.5. 1987, S. 15. 62 Vgl. Art. 2 des Gesetzes 4301 von 2014. 63 Vgl. Art. 3 des Gesetzes 4301 von 2014. 57 58

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Jede als juristische Person anerkannte Religionsgemeinschaft hat das Recht auf Vermögen, welches aus verschiedenen Quellen stammen kann; ausgeschlossen sind hierbei Anteile an privaten Firmen sowie bei Aktiengesellschaften die Mehrheit an Anteilen.64 Gemeinnützige Körperschaften, Institutionen oder Einrichtungen, welche sich aus den religiösen Gemeinschaften herausgebildet haben, können als Schenkung ihr Vermögen ohne finanzielle Belastung den religiösen juristischen Personen übertragen.65 Verwaltet wird die Religionsgemeinschaft von dem religiösen Leiter bzw. dem Vorstand. Bei Fehlen des religiösen Leiters ist der Vorstand rechtmäßiger Vertreter bis zur Neuberufung eines religiösen Leiters.66 Jede Religionsgemeinschaft hat das Recht, auf griechischem Hoheitsgebiet religiöse Versammlungsstätten zu errichten, welche keiner Gewinnerzielungsabsicht, sondern der Förderung der Religionsgemeinschaft dienen.67 Die Auflösung der Religionsgemeinschaft erfolgt auf ihren Wunsch hin oder aber sobald die Mitgliederzahl unter 100 sinkt. Darüber hinaus kann die Auflösung auch von Seiten des Staates verlangt werden, falls die Gemeinschaft über sechs Monate lang keinen religiösen Leiter hat, einen anderen Zweck verfolgt als bei der Eintragung festgelegt oder die öffentliche Ordnung stört.68 Der Staat behält sich das Recht vor, die Religionsgemeinschaft dahingehend zu prüfen.69 Bei extremen Verstößen ist es dem Staat gestattet, vorübergehend mit einstweiligen Maßnahmen gegen eine Religionsgemeinschaft vorzugehen. Innerhalb von sechs Monaten muß in solchen Fällen über den Rechtsstatus der Religionsgemeinschaft neu verhandelt werden.70 Die Eintragung einer Kirche als juristische Person setzt die Vereinigung mindestens dreier religiöser juristischer Personen der gleichen Religion voraus. Die Eintragung in das öffentliche Buch erfolgt dabei analog zu der Eintragung religiöser Gemeinschaften.71 Glaubensgemeinschaften, welche die eben genannten Forderungen nicht erfüllen, dürfen auch ohne diesen juristischen Status den Beinamen „Kirche“ führen.72 Als Ausnahmen zu Art. 3 und 12 des Gesetzes 4301 von 2014 werden außerdem folgende religiöse Gemeinschaften gleich als juristische Person anerkannt: a) Anglikanische Kirche in Griechenland, b) Äthiopische Orthodoxe Kirche, 64 65 66 67 68 69 70 71 72

Vgl. Art. 7 Abs. 1 des Gesetzes 4301 von 2014. Vgl. Art. 18 Abs. 1 des Gesetzes 4301 von 2014. Vgl. Art. 8 Abs. 1 des Gesetzes 4301 von 2014. Vgl. Art. 9 des Gesetzes 4301 von 2014. Vgl. Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes 4301 von 2014. Vgl. Art. 10 Abs. 2 des Gesetzes 4301 von 2014. Vgl. Art. 11 des Gesetzes 4301 von 2014. Vgl. Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes 4301 von 2014. Vgl. Art. 12 Abs. 2 des Gesetzes 4301 von 2014.

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c) Griechische Evangelische Kirche, d) Koptische Orthodoxe Kirche von Ägypten, e) Metropolis Orthodoxer Armenier Griechenlands.73 Besonderen juristischen Status haben: a) religiöse Leiter und religiöse Gemeinschaften, welche der orthodoxen Kirche zugehörig sind, b) religiöse Leiter und religiöse Gemeinschaften, welche dem Judentum zugehörig sind, c) religiöse Leiter und religiöse Gemeinschaften der regionalen Bereiche der Muftis.74 Als bekannte Religion wird jede Religion bzw. jedes Dogma mit der Erlaubnis zur Errichtung eines religiösen Gebäudes bezeichnet.75

IV. Rechtsstatus der orthodoxen Kirche in Griechenland nach dem internationalen Recht Nach Art. 1 Abs. 4 der Grundordnung der Kirche Griechenlands sind die Kirche als Ganzes, die Diözesen (Metropolien), die Pfarrgemeinden, die Klöster und die kirchlichen Organisationen juristische Personen des öffentlichen Rechts. Alle anderen kirchlichen Stiftungen (kaqidrýmata), die rechtsfähig sind, sind juristische Personen des privaten Rechts mit einem besonderen kirchlichen Status.76 Im Rahmen des (m. E. wichtigsten) Prozesses über das Klostervermögen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Fall 10/1993/405/483–484, Entscheidung 492 vom 9.12.1994 des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte) hat die griechische Regierung die „offizielle“ staatskirchenrechtliche Meinung in Griechenland bezüglich der Rechtslage der Einrichtungen der orthodoxen Kirche Griechenlands vertreten. Nach dieser Auffassung seien die kirchlichen Einrichtungen „Regierungsorganisationen“ und demzufolge nicht parteiund prozessfähig im Rahmen des Verfahrens des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, da sie die Voraussetzungen der Parteifähigkeit nach der Konvention zum Schutz der Menschenrechte nicht erfüllen würden. Nach dem damaligen Art. 25 und heutigen Art. 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte ist parteifähig im Rahmen des Verfahrens des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte „jede natürliche Person, nichtstaatliche Organisation oder Personenvereinigung, die sich durch eine Verletzung der in der Konvention anerkannten Rechte durch einen der Hohen vertragsschließenden Teile beschwert fühlt“.77 Die griechische Regierung hat diese Zuständigkeit ratione personae des Gerichtshofes für Menschenrechte verneint und 73

Vgl. Art. 13 Abs. 1 des Gesetzes 4301 von 2014. Vgl. Art. 16 des Gesetzes 4301 von 2014. 75 Vgl. Art. 17 des Gesetzes 4301 von 2014. 76 Siehe die Kommentierung zum Art. 1 der Grundordnung der Kirche Griechenlands, in: Marinos Anastasios, O nÝoò katastatiküò xÜrthò thò Ekklhsßaò thò EllÜdoò, 1977. 77 Der heutige Text des Art. 34 lautet: „. . . jede[r] natürliche[n] Person, nichtstaatliche[n] Organisation oder Personengruppe, die behauptet, durch eine der Hohen Ver74

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„behauptet, daß die beantragenden heiligen Klöster keine Nicht-Regierungsorganisationen im Sinne des Art. 25 des Vertrages sind. Sie betonte die historischen, juristischen und finanziellen Bindungen der orthodoxen Kirche und ihrer Institutionen mit dem griechischen Volk und dem griechischen Staat, welche Ausdruck finden in der Verfassung von 1975 und in der Gesetzgebung, sowie den bedeutenden Einfluß der griechischen Kirche in den Aktivitäten des Staates. Die Verleihung des Status der juristischen Person des öffentlichen Rechts an die Kirche und an ihre Teile zeigt die besondere Bedeutung, die den kirchlichen Fragen beigemessen wird. Des Weiteren haben die griechische Kirche und ihre Institutionen eine direkte, aktive Rolle innerhalb der öffentlichen Verwaltung gespielt. Sie geben zu vollziehende Verwaltungsentscheidungen heraus, deren Rechtskräftigkeit vor dem Obersten Staatsgerichtshof anfechtbar ist, wie es die Entscheidungen jeder anderen öffentlich-rechtlichen Behörde sind.“ 78

In Bezug auf das kirchliche Personalwesen und die Finanzen der Kirche hat die Regierung auf folgende Weise argumentiert und nochmals versucht zu beweisen, daß die orthodoxe Kirche keine „Nicht-Regierungsorganisation“ im Sinne der Europäischen Konvention für Menschenrechte ist: „Die gesetzlichen Regelungen bezüglich der Finanzen und des Personalwesens der Kirche zeugen noch deutlicher von dieser gegenseitigen Abhängigkeit (Gemeint ist hier die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Staat und Kirche). Was die Finanzen betrifft, sieht das Gesetz79 vor, daß der Staat zu den Ausgaben der Kirche beitragen muß (Art. 46 Abs. 1), daß die Verwaltung der finanziellen Einnahmen der Kirche nach der Art geregelt werden muß, welche die Ständige Heilige Synode der Hierarchie durch Beschluß festlegt, welchen die Heilige Synode der Hierarchie bestätigt (Art. 46 Abs. 2) und daß die Verwaltungsakte der finanziellen Überprüfung durch den Staat unterliegen (Art. 46 Abs. 4). Was das Personalwesen betrifft, finden die gesetzlichen Regelungen über die Angestellten des öffentlichen Dienstes/Beamten analog auf die juristischen Personen des öffentlichen Rechts der Kirche Anwendung.“ 80

Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung 492 (Fall 10-/1993/ 405/483–484) vom 09.12.1994 alle Argumente der Regierung zurückgewiesen und die orthodoxe Kirche in Griechenland als Ganzes, die Klöster und ihre Einrichtungen als „parteifähig“ im Sinne des Art. 25 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte, d. h. als autonome „Nicht-Regierungsorganisationen“ anerkannt. Sowohl die orthodoxe Kirche als auch ihre Einrichtungen sind mit den anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die dem Staat eingegliedert sind,

tragsparteien in einem der in dieser Konvention oder den Protokollen dazu anerkannten Rechte verletzt zu sein.“ 78 EGMR, ÖJZ 1995, S. 29 (Heilige Klöster/Griechenland), griechische Übersetzung in: Nomikü BÞma 44 (1996), S. 293 f.; Konstantinos Ramiotis, H Ekklhsßa mÝsa sthn ellhnikÞ politeßa, 1997, S. 321 ff. 79 Gesetz über die Grundordnung der Kirche Griechenlands (Gesetz 590/1977). 80 Nomikü BÞma 44 (1996), S. 289; Ramiotis (Fn. 78), S. 321 ff.

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nicht zu vergleichen.81 Konkret hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Folgendes festgestellt:82 „Wie die Kommission in ihrer Entscheidung über die Zulässigkeit hat das Gericht festgestellt, daß die beantragenden Klöster83 keine Regierungsgewalt ausüben. (. . .). Ihre Zwecke – vor allem kirchlicher und geistlicher Natur aber auch in einigen Fällen sozialer und kultureller Natur – sind nicht solcher Art, daß sie als staatliche Organisationen eingestuft werden könnten, die zu öffentlichen Verwaltungszwecken gegründet wurden. Aus ihrer Einstufung als juristische Personen des öffentlichen Rechts kann nur die Schlußfolgerung gezogen werden, daß der Gesetzgeber ihnen – wegen der besonderen Bindungen zwischen der orthodoxen Kirche und dem Staat – den gleichen juristischen Schutz gegenüber Dritten verleihen wollte, den auch andere juristische Personen des öffentlichen Rechts genießen. (. . .) Die heiligen Klöster (sowie die kirchlichen Stiftungen) unterstehen der geistlichen Aufsicht des örtlichen Bischofs und nicht der Aufsicht des Staates, so daß sie andere juristische Personen als die des Staates sind, von dem sie völlig unabhängig sind.

Die beantragenden Heiligen Klöster sollten deswegen als Nicht-Regierungsorganisationen im Sinne des Art. 25 des Vertrages angesehen werden.“

V. Wirkungsmöglichkeiten der Religionsgemeinschaften und die Geltung kirchlich gesetzten Rechtes in der staatlichen Rechtssphäre am Beispiel der sog. Kirchlichen Stiftungen Das kirchliche Stiftungsrecht hat in Griechenland bisher keine detaillierte Regelung erfahren. Einschlägig sind lediglich zwei Artikel der Grundordnung der Kirche Griechenlands (Art. 1 Abs. 4 und Art. 29 Abs. 2 des Gesetzes 590 von 1977) und das orthodoxe byzantinische kanonische Recht. Fast alle kirchlichen Stiftungen (kaqidrýmata), die rechtsfähig sind, sind juristische Personen des privaten Rechts mit einem besonderen kirchlichen Status. Art. 1 Abs. 4 der Grundordnung der Kirche Griechenlands (Gesetz 590 vom Mai 1977) lautet:84 „In Bezug auf ihren juristischen Status sind die Kirche Griechenlands, die Metropolien, die Gemeinden einschließlich der zugehörigen Kirchen, die Klöster, die apostolische Diakonie, die Sozialversicherungsanstalt der Priester und das zwischenorthodoxe Zentrum der Kirche Griechenlands juristische Personen des öffentlichen

81

Ramiotis (Fn. 78), S. 278 ff. Nomikü BÞma 44 (1996), S. 294 f.; Ramiotis (Fn. 78), S. 321 ff. 83 Die gleichen Feststellungen gelten noch viel mehr für die kirchlichen Einrichtungen, die Körperschaften oder Stiftungen des privaten Rechts sind. 84 Siehe die Kommentierung zum Art. 1 der Grundordnung der Kirche Griechenlands, in: Anastasios Marinos, O nÝoò katastatiküò xÜrthò thò Ekklhsßaò thò EllÜdoò, 1977. 82

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Rechts. Alle übrigen Kirchenstiftungen (kaqidrýmata) des Erzbistums Griechenlands und der Metropolien, die bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes existieren und rechtsfähig sind, sind juristische Personen des privaten Rechts.85 Sie werden jedoch auf der Grundlage ihrer bis heute bestehenden Satzungen verwaltet, welche von nun an durch vom zuständigen Prälaten herausgegebene Verwaltungsakte, durch die Verwaltung, Kontrolle und allgemeine Fragen des Betriebes sowie allgemein dienstliche Angelegenheiten des Personals dieser Einrichtungen betreffende Entscheidungen ergänzt und modifiziert werden können.“

Nach Art. 29 Abs. 2 der Grundordnung der Kirche Griechenlands (Gesetz 590 von Mai 1977) werden die Angelegenheiten, welche die Organisation, die Verwaltung und den Betrieb der Metropolien im Allgemeinen betreffen, durch Entscheidungen der Ständigen Heiligen Synode der Hierarchie geregelt, die im Regierungsblatt veröffentlicht werden. Entscheidungen, die spezielle Themen der einzelnen Metropolien regeln, die Errichtung von kirchlichen karitativen Stiftungen und Museen, ihre Satzungsänderungen und ihre Aufhebung werden auf dieselbe Weise herausgegeben (d. h. durch Entscheidungen der Ständigen Heiligen Synode der Hierarchie und Veröffentlichung im Regierungsblatt) jedoch nach Vorschlag des betreffenden Prälaten (Metropoliten). In der orthodoxen kirchenrechtlichen Praxis wurden als Stiftungen des kirchlichen Rechts nur diejenigen Stiftungen (kaqidrýmata) qualifiziert, welche die Kirche als solche im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts errichtete.86 Als kirchliche Glieder stehen die kirchlichen Stiftungen der Kirche nicht als Träger grundsätzlich voneinander zu trennender Funktionsbereiche gegenüber. Sie haben einen einheitlichen kirchlichen Auftrag und sind in gegenseitiger Mitverantwortung zur Verwirklichung der Nächstenliebe aufgerufen. Unter Umständen sind solche Stiftungen an allgemeine Weisungen des Lokalbischofs gebunden, in denen Vorstellungen kirchlicher Ordnung konkretisiert und auf einheitliche Betrachtung hin angelegt wurden. Alle kirchlichen Stiftungen werden im offiziellen Blatt der Kirche „Dßptuxa thò Ekklhsßaò thò EllÜdoò“ (= „Diptychen der Kirche Griechenlands“)87 (jedoch ohne hinreichende Vollständigkeit) aufgeführt, als Zeichen ihrer Kirchenzugehörigkeit und der Gesamtverantwortung der Kirche 85

Über die einzige und unbedeutende Ausnahme siehe Fn. 39. Vgl. die Kriterien in Deutschland: BVerfGE 46, 73 (87); 53, 366 sowie Hagen Hof, Verfassungsrechtliche Grundlagen, in: Werner Seifart/Axel von Campenhausen (Hrsg.), Handbuch des Stiftungsrechts, § 4 Rn. 136 für die Zuordnung einer Stiftung zu kirchlichen Einrichtungen. Maßgeblich ist, „daß die Einrichtung der Kirche so nahesteht, daß sie teilhat an der Verwirklichung des Auftrags der Kirche im Geist christlicher Religiosität, im Einklang mit dem Bekenntnis der christlichen Kirche und in Verbindung mit den Amtsträgern der Kirche.“ 87 Die „Dyptichen der Kirche Griechenlands“ sind die wichtigste Publikation der Kirche Griechenlands überhaupt. Sie enthalten alle wichtigen aktuellen Angelegenheiten der Kirche Griechenlands, vor allem liturgische und organisationstechnische Informationen. In diesem Blatt werden jährlich die meisten Stiftungen der einzelnen Metropolien Griechenlands aufgelistet. 86

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für die richtige Erfüllung ihrer Aufgaben. Nach diesem Blatt bestehen in der griechisch-orthodoxen Kirche bereits über 500 Stiftungen,88 die im Rahmen der „Ermächtigung“ des Art. 29 Abs. 2 i.V. m. Art. 1 Abs. 4 der Grundordnung der Kirche Griechenlands gestiftet wurden. Diese kirchlichen diakonischen Einrichtungen werden in der Regel entweder als rechtsfähige juristische Personen des privaten Rechts besonderer Art („kaqidrýmata“, kirchliche stiftungsähnliche Einrichtungen), die durch ihre Organe (meist durch den vorsitzenden Bischof oder seinen Stellvertreter) selbst im Rechtsverkehr auftreten und in der eigenen Person Rechte und Pflichten begründen können, oder als „Dienste der orthodoxen Kirche“, d. h. unselbstständige Einrichtungen ohne Rechtsfähigkeit angesehen.89 Die Satzungen, die von der Kirche errichtet und in der Zeitschrift „Ekklesia“ und dem Regierungsblatt veröffentlicht werden, entfalten unmittelbare Wirkung in der weltlichen Rechtsordnung. Sie sind rechtsfähig und die in der Satzung der Kirche festgelegten Organe sind für alle Teilnehmer des Rechtsverkehrs bindend. Damit schafft die Kirche in eigener Verantwortung ein Stiftungsrecht, das die zivilrechtlichen Regelungen zur Entstehung von juristischen Personen des Privatrechts umgeht.90 Es entsteht ein eigenes kirchliches Stiftungsrecht, das als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts der Kirche verstanden wird und fast keine staatliche Mitwirkung und Beaufsichtigung zuläßt.

VI. Kirchenfinanzierung und Kirchengüter Die Orthodoxe Kirche hat im Prinzip drei Einnahmequellen: (1) Die Verwaltung des Kirchenvermögens, (2) Spenden und andere freiwillige Zahlungen der Kirchenmitglieder und Besucher der Gottesdienste, 88 Über die Anzahl der in Griechenland bestehenden kirchlichen Stiftungen und die darin gebundenen Vermögensmassen sind gegenwärtig keine genauen Angaben greifbar. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß die Bedeutung des kirchlichen Stiftungswesens sehr unterschiedlich eingeschätzt wird. Alle neuen kirchlichen Stiftungen werden jedes Jahr im Blatt „Ekklesia“ bekannt gemacht. Pro Jahr werden von den einzelnen Metropolien durchschnittlich 15–20 neue kirchliche Stiftungen errichtet, vgl. z. B. Inhaltsübersicht des Blattes „Ekklesia“ von 2014, S. 848 oder eine Reihe von Satzungen von kirchlichen Stiftungen auf den Seiten 13–69 des gleichen Bandes der Zeitschrift „Ekklesia“. 89 Während man die Zahl der rechtsfähigen kirchlichen Stiftungen noch annähernd durch ihre Aufzählung in den Dyptichen der Kirche Griechenlands überblicken kann, ist dies bei den nicht-rechtsfähigen von den kirchlichen Gemeinden und anderen kirchlichen Körperschaften getragenen Kleinstiftungen nicht möglich. Sicher ist jedoch, daß sie die Mehrzahl der kirchlichen Stiftungen ausmachen. 90 Siehe Kritik ausführlich in: Anapliotis, Initiativen im Sozialbereich (Fn. 20), S. 122 ff.

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(3) Die Übernahme der Besoldung der Pfarrer und der Bischöfe durch den Staat als Ausgleich für die Verstaatlichung des Klostervermögens aus der Zeit König Ottos (1832–1862) bis 1988.91 Der Hauptteil des Kirchenvermögens ist das Vermögen der Klöster. Nach dem letzten großen Verstaatlichungsversuch92 in den Jahren 1987/88 und der oben erwähnten Entscheidung 492 vom 9.12.1994 des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte wurde das Klostervermögen in zwei Kategorien unterteilt:93 a) Klöster, welche einen Teil ihres Vermögens an den Staat freiwillig abgeben sollten gemäß eines Vertrages des Staates mit den betreffenden Klöstern (dieser Vertrag wurde durch das Gesetz 1811/88 ratifiziert), b) Klöster, die den Vertrag nicht unterschrieben haben und ihren Eigentumsanspruch beweisen konnten, bewahren ihr gesamtes Vermögen, weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte94 den Versuch der Verstaatlichung durch das Gesetz 1700/87 abgewehrt hat und den Klöstern Recht gab.95 Hier ist anzumerken, daß die Ausführungsbestimmungen des Gesetzes 1811/88 noch nicht erlassen wurden,96 so daß die Vermögensfrage der Klöster, die den Vertrag unterschrieben haben, in der Schwebe ist und weitgehend Unklarheit herrscht.

VII. Formen institutioneller Kooperation zwischen Staat und Kirche Die institutionelle Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche in Griechenland ist sehr eng aber auch sehr konfliktreich. Der staatskirchenrechtliche Begriff res mixta (lat. vermischte Sache, Pl. res mixtae) existiert in Griechenland nicht, die Bereiche der Zusammenarbeit sind jedoch sehr ähnlich wie im deutschen Staatsrecht. Hier einige wichtige Beispiele: 1. Religionsunterricht Die Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche wird sehr deutlich beim Religionsunterricht. Der Religionsunterricht ist ein ordentliches Schulfach und umfaßt in Griechenland ein bis zwei Stunden pro Woche in allen Stufen der Primärund Sekundär-Schule. Er war bis zum Jahre 2016 ein konfessioneller Unterricht, d. h. im Prinzip ein orthodoxer Religionsunterricht, in dem andere Konfessionen 91

Siehe ausführlich Papageorgiou (Fn. 29), S. 48. Durch das Gesetz 1700 von 1987, der einen der größten Eingriffe in das Klostervermögen in der Neuzeit darstellte und große Reaktionen seitens der Kirche hervorrief, Siehe ausführlich Ioannis Konidaris, O nümoò 1700/1987 kai h prüs—ath krßsh stiò sxÝseiò ekklhsßaò kai politeßaò, 1991 und K. Papageorgiou (Fn. 17), S. 388. 93 Vgl. Art. 55 des Gesetzes 2413 von 1996. Ausführlich Apostolakis, Georgios: IerÝò MonÝò katÜ ellhnikoý dhmosßou, 2002. K. Papageorgiou (Fn. 17), S. 395. 94 Siehe dazu in diesem Beitrag Abschnitt IV. 95 Vgl. auch Papageorgiou (Fn. 29), S. 52. 96 K. Papageorgiou (Fn. 17), S. 395. 92

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und Religionen nur vereinzelt Erwähnung fanden.97 Allerdings gab es die Möglichkeit einer Abmeldung vom Religionsunterricht für nicht orthodoxe Schüler. Im Jahr 2016 entstand jedoch unter dem damaligen Minister für Erziehung, Forschung und religiöse Angelegenheiten Nikos Filis einer der größten Konflikte für die Beziehungen zwischen Staat und Kirche, welcher diese Beziehungen bis heute noch stark belastet. Der Minister war der Meinung, daß es nicht die Aufgabe eines weltanschaulich neutralen Staates ist, eine bestimmte Religion zu vermitteln, daß die Möglichkeiten der Abmeldung vom Religionsunterricht nicht weit genug gingen und daß jeder Schüler Grundkenntnisse aller Religionen erwerben müsse. Demzufolge sollte der Staat einen Unterricht „in eigener Regie“ errichten. Die Idee war, das Fach „Ethik und Weltanschauung“ einzuführen. Die Tageszeitung „Avgi“, die als Sprachrohr der Linksparteien Syriza gilt, warf dem Erzbischof Hieronymos II. von Athen und ganz Griechenland vor, er verkenne nicht nur den Zeitgeist, weil er die Öffentlichkeit in kirchlicher Vormundschaft halten wolle und sich damit zugleich gegen einschlägige Bestimmungen der Europäischen Union wende, sondern er missachte auch das Gebot der Nächstenliebe, da er die Flüchtlingswelle als Gefahr für die nationale und religiöse Identität Griechenlands halte. Nach langen Gesprächen mit Ministepräsident Alexis Tsipras erzielte die griechische orthodoxe Kirche einen Verhandlungserfolg in der Angelegenheit des konfessionellen Religionsunterrichts. Bis heute wird der konfessionelle Unterricht beibehalten, die weitere Entwicklung bleibt jedoch offen und wird demnächst gerichtlich entschieden.98 2. Theologische Fakultäten Wenn der Staat den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen organisiert, muß er auch für die Ausbildung der erforderlichen (staatlich ausgebildeten) Lehrkräfte sorgen. Theologische Fakultäten als universitäre Einrichtungen, die für die Forschung und Lehre auf dem Gebiet der Theologie sowie die akademische Ausbildung von Theologen, Priestern und Religionslehrern zuständig sind, liegen deshalb auch im Interesse des Staates. Derzeit gibt es auf griechischem Staatsgebiet zwei theologische Fakultäten an staatlichen Hochschulen (in Athen und in 97 Über die Lehrpläne siehe Ioanna Komninou, H eurwpaikÞ diÜstash thò sxolikÞò qrhskeutikÞò agwgÞò, 2014, S. 319. 98 Orthodoxie Aktuell 10–11 (2016), S. 8; KNA-ÖKI 42 (18.10.2016), S. 15; Orqüdoch alÞqeia 133 (21.02.2018) 4–5. Vgl. Art. 9 Abs. 5 der Grundordnung der Kirche Griechenlands (Gesetz 590 von 1977). Inzwischen wurde nach der Entscheidung Nr. 660/2018 des griechischen Verfassungsgerichts der konfessionsgebundene Religionsunterricht bekräftigt und sogar verstärkt. Das Gericht hob die Rolle der orthodoxen Kirche in der Geschichte Griechenlands hervor und entschied, daß der orthodoxe Religionsunterricht der „Entfaltung des orthodoxen Bewußtseins der orthodoxen Schüler“ dienlich sein soll. Gemäß der Entscheidung hindere der Religionsunterricht des Staat nicht dabei, einen parallelen religionswissenschaftlichen Unterricht einzuführen; NomokanonikÜ 1/2018, S. 71.

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Thessaloniki) und vier theologische Akademien, die rechtlich den theologischen Fakultäten gleichgestellt sind. Theologie gehört zu den traditionellen universitären Fächern. Die Theologischen Fakultäten in Griechenland sind staatlich, die Lehrpläne werden vom Staat sogar ohne Mitwirkung der Kirchen genehmigt, die Professoren und Mitarbeiter sind Beamte und werden nach den hochschulrechtlichen Beamtenbestimmungen besoldet. Allerdings gibt es in Griechenland nur orthodoxe theologische Fakultäten, welche aber volle Freiheit gegenüber der orthodoxen Kirche besitzen; ein „nihil obstat“ einer zuständigen kirchlichen Stelle bei der Berufung der Professoren und Mitarbeiter der theologischen Fakultäten gibt es nicht und würde nach einstimmiger Lehrmeinung der akademischen Freiheit widersprechen. Ein neutraler Staat darf aber nicht religiöse Anschauungen vertreten oder prüfen. Das macht jede theologische Fakultät allein und ohne jegliche äußere Genehmigung und Überprüfung. 3. Anstaltsseelsorge Wegen des Bedürfnisses nach Gottesdienst und Seelsorge wird der Zugang der Geistlichen aller Religionen und Konfessionen zu Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten gewährleistet. Den Religionsgesellschaften ist die Vornahme religiöser Handlungen zu erlauben. Die Idee, die dahintersteckt, ist die gleiche wie in Deutschland: Die Religionsfreiheit, die als „Abwehrrecht“ die freie Religionsausübung garantiert, muß bezüglich der genannten Einrichtungen auch ein „Leistungsrecht“ gewähren. Die Insassen bzw. Angehörigen dieser Einrichtungen werden in ihrer Freiheit beschränkt: Ein Gefangener kann nicht einfach sonntags zur Kirche gehen, wie er will. Er hat aber ein Recht darauf, daß der Staat ihm als Grundrechtsträger für die genommenen Möglichkeiten der Religionsausübung andere Möglichkeiten bietet. Der weltanschaulich neutrale Staat kann diese „Dienstleistungen“ aber wiederum nicht selbst anbieten, womit auch hier nur die Lösung durch Kooperation bleibt. 4. Militärseelsorge Auch bei der Militärseelsorge ist eine Zusammenarbeit zwischen staatlichen Organen und den Religionsgemeinschaften notwendig, um den Soldaten während ihres Wehrdienstes bzw. ihrer Dienstzeit als Soldat auf Zeit oder Berufssoldat seelsorgerische Leistungen zur Verfügung zu stellen, die speziell an die Arbeit des griechischen Militärs sowie dessen Dienstzeiten angepaßt sind. Da diese Seelsorge mehrheitlich innerhalb der Einrichtungen des Militärs stattfindet, sind die Militärseelsorger Angehörige des Militärs, sie werden vom Staat besoldet und sie durchlaufen die Laufbahn eines Offiziers, inklusive der entsprechenden Offiziersränge.99 99 Über die militärischen Ränge der Militärseelsorger siehe Troianos/Poulis (Fn. 47), S. 349.

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5. Kommunale Friedhöfe Die staatlichen Gemeinden sind Eigentümer und verwalten die Kommunalfriedhöfe.100 Auch in Griechenland sind bei Bestattungen Trauerfeiern und ähnliche religiöse Handlungen üblich und werden von den Angehörigen gewünscht. Die staatliche Kommune kann und darf auch diese Dienste nicht selbst anbieten, sondern muß den Zugang und den Dienst von Geistlichen zu und in diesen Einrichtungen ermöglichen. Innerkirchlich ist es in der Orthodoxie jedoch strittig, welcher Geistliche für welche Feier zugelassen wird. Die vorherrschende Meinung sieht die Pfarrer der Gemeinden, auf dessen Territorium der Friedhof liegt, als zuständig an und nicht die Pfarrer der Gemeinde, in der der Verstorbene gelebt hat.

VIII. Schlußfolgerungen, gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen des Staatskirchenrechts In der sehr spannenden Frage der zukünftigen Beziehungen zwischen Staat und Kirchen in Griechenland ist Folgendes anzumerken: Trotz zunehmender Säkularisierung und sinkender Kirchenbesucherzahlen bleibt die griechische Gesellschaft im Vergleich zu anderen europäischen Staaten mit der Orthodoxie sehr verbunden. Religiosität und kirchlicher Einfluß auf die Bevölkerung sind nicht zu übersehen und der Jahresrhythmus der Bevölkerung wird stark von religiösen Feiertagen bestimmt. Allerdings steigen tendenziell die Bindungen der orthodoxen Kirche mit der griechischen Nation, die oft die griechische orthodoxe Kirche als Nationalkirche erscheinen lassen; eine Entwicklung, die dogmatisch und kirchenrechtlich gesehen höchst problematisch ist. Die Frage der Trennung von Staat und Kirche ist alt und wurde seit 1981 seitens des Staates und vieler Intellektueller und Rechtwissenschaftler laut. Es war die Standardposition von PASOK, im Rahmen des „Vertrages mit dem Volk“, eine politische Parole von 1981, und auch im Programm der jetzigen linken SYRIZA-Regierung. Es handelt sich um eine Position, die jedoch nach heftigen Reaktionen seitens der Kirche und der Opposition nie umgesetzt wurde. Die Frage ist, was genau rechtlich gesehen die Forderung nach einer Trennung zwischen Staat und Kirche bedeutet: (1) Die Abschaffung von Art. 3 Gr.V. ist ein zentrales Argument der Befürworter einer Trennung. Art. 3 Gr.V. gewährleistet jedoch keine privilegierte Stel100 Als im 19. Jahrhundert die Staaten das Monopol des Bestattungs- und Friedhofswesen an sich zogen, verabschiedete am 28. März 1834 auch Griechenland ein Gesetz zur Regelung dieses Bereichs und das Begraben von Toten sowohl in Kirchen und sonstigen dem Gottesdienst dienenden Anstalten als auch in den Städten, freistehenden Geländen und in Dörfern wurden verboten, vgl. Demetrios A. Petrakakos, Die Toten im Recht nach der Lehre und den Normen des orthodoxen morgenländischen Kirchenrechts und der Gesetzgebung Griechenlands, 1905, S. 176 f.

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lung der orthodoxen Kirche gegenüber anderen Religionsgemeinschaften, wie oben dargestellt, und begründet kein Staatskirchentum in Griechenland.101 (2) Auch der Körperschaftsstatus der orthodoxen Kirche bedeutet kein Staatskirchentum wie die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 9.12.1994 erklärt hat.102 In anderen europäischen Ländern wie beispielsweise in Deutschland sind auch viele Religionsgemeinschaften Körperschaften des Öffentlichen Rechts, eine Tatsache, welche nicht gegen den Grundsatz der Religionsfreiheit und der staatlichen Neutralität verstößt. Die orthodoxe Kirche erläßt Verwaltungsakte, wie die anderen Körperschaften des Öffentlichen Rechts, die nach außen wirken bzw. den Beamtenstatus der Pfarrer betreffen und vom Obersten Verwaltungsgericht des Landes kontrolliert werden können.103 Dies ist jedoch kein Privileg, sondern eher eine Kontrollmöglichkeit der Judikative gegenüber der orthodoxen Kirche. Allein im Stiftungsrecht kann man noch eine privilegierte Stellung der orthodoxen Kirche als Körperschaft des Öffentlichen Rechts erkennen. (3) Fast104 alle steuerlichen Privilegien der orthodoxen Kirche sind abgeschafft worden und zwischen den Religionsgemeinschaften herrscht nun Steuergleichheit.105 (4) Die Übernahme der Besoldung von Pfarrern und Bischöfen durch den Staat ist ein Ausgleich für die Verstaatlichung des Klostervermögens aus der Zeit König Ottos (1832–1862) bis ins Jahr 1988.106 (5) Bis heute wird der konfessionelle Religionsunterricht beibehalten.107 Hier ist jedoch anzumerken, daß es den konfessionellen Unterricht mit der Möglichkeit einer Abmeldung auch in einigen europäischen Ländern, u. a. in Deutschland gibt. Ich betrachte deswegen die jetzige Lage als verfassungskonform und demzufolge als nicht problematisch. (6) Das Gesetz 4301 von 2014 trägt ausreichend Rechnung für die Belange der anderen Religionen in Griechenland als Verwirklichung der Religionsfreiheit und der zunehmenden Zuwanderung von muslimischen Mitbürgern nach Griechenland. 101

Siehe dazu in diesem Beitrag Abschnitt II. Siehe dazu in diesem Beitrag Abschnitt IV. 103 K. Papageorgiou (Fn. 17), S. 89 f. mit ausführlicherer Literatur und Rechtsprechung, in bezug auf Athos, ebd., S. 740. 104 Die Klöster auf dem Athos genießen z. B. aufgrund der Regelung des Art. 105 der griechischen Verfassung gewisse Privilegien, siehe Papageorgiou (Fn. 29), S. 45 und ausführlich K. Papageorgiou (Fn. 17), S. 487 ff. 105 Siehe oben in diesem Beitrag die Fußnoten 30, 31 und 41. 106 Siehe ausführlich Papageorgiou (Fn. 29), S. 48. 107 Siehe oben in diesem Beitrag unter Abschnitt VII. a). 102

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Die lauten Forderungen nach einer Trennung zwischen Staat und Kirche sind demzufolge oft nur rein politische Proklamationen, die keinen oder fast keinen konkreten rechtlichen Inhalt haben. Demzufolge sehe ich rechtlich keinen großen Spielraum und Bedarf für eine zukünftige Neudefinierung der faktischen Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Griechenland.108 Die größte Herausforderung für die Zukunft ist, wie die orthodoxe Kirche in Griechenland ihre nationale Eigenart überwindet und ihren Beitrag durch ihre Spiritualität und Geschichte zum Aufbau des „gemeinsamen Hauses Europa“ leisten wird.

108

In der gleichen Richtung Papageorgiou (Fn. 29), S. 62 ff.

Kirche und Staat in Zypern Von Achilles C. Emilianides,1 Nikosia I.

Historische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

II.

Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

III. Überblick über die staatskirchenrechtlichen Strukturprinzipien . . . . . . . . . . . . 220 IV.

Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

V.

Rechtlicher Status der Religionsgemeinschaften, insbesondere der orthodoxen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

VI. Kirchenfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 VII. Der politische Einfluß der orthodoxen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

I. Historische Grundlagen Zypern wurde in der Frühphase der römischen Herrschaft christlich. Auf seiner ersten Missionsreise kam Paulus im Jahre 45 n. Chr. hierher und predigte, begleitet von Barnabas und Markus, die neue Religion.2 Zu Beginn des 5. Jahrhunderts war die Bekehrung der Zyprer zum Christentum abgeschlossen. Abgesehen von sporadischen arabischen Invasionen blieb die Insel für mehr als achteinhalb Jahrhunderte (zwischen 325 und 1191) eine Provinz des byzantinischen Reiches, in der das Christentum dominierte. Die Gerichte der orthodoxen Kirche wandten byzantinisches Recht an. Sie waren für religiöse sowie personenstandsrechtliche Angelegenheiten einschließlich familienrechtlicher Belange zuständig.3 Hernach blieb die Insel von 1191 bis 1489 knapp 300 Jahre unter der Herrschaft des Hauses Lusignan – eine Epoche, die als fränkische Herrschaft über Zypern bezeichnet wird. In dieser Zeit wurde das römisch-katholische Christen-

1 Für vertieftende Informationen siehe Achilles Emilianides, Law and Religion in Cyprus, 2. Aufl. 2014. 2 Zur Geschichte der orthodoxen Kirche Zyperns: John Hackett, A History of the Orthodox Church of Cyprus, 1901; Venediktos Egglezakis, Twenty Studies on the Church of Cyprus, 1996. 3 Criton Tornaritis, The Ecclesiastical Courts Especially in Cyprus, 1976, S. 15; Demetrios Seremetis, The Administration of Justice in Cyprus during the Byzantine and Post-Byzantine Era, in: Society for Cypriot Studies (Hrsg.), Proceedings of the First International Cyprological Conference, Bd. 3, 1973, S. 309 ff.

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tum Staatsreligion, obgleich die Mehrheit der Bevölkerung griechisch war und orthodox blieb. Die Assisen von Zypern, die sich an den Assisen von Jerusalem orientierten, kodifizierten das geltende Recht.4 Gleichwohl wandten die Gerichte der griechisch-orthodoxen Kirche in familienrechtlichen Angelegenheiten ihrer Mitglieder die sogenannten „griechischen Gesetze Zyperns“ an, die im Wesentlichen aus einer Kodifikation des byzantinischen Rechts bestanden.5 Auch während der sich anschließenden venezianischen Herrschaft (1489–1571) behielt die römisch-katholische Kirche ihre Vormachtstellung; auch die Assisen waren weiterhin die maßgeblichen Kodifikationen. Eine radikale Zäsur in ihrer Rechtsstellung erfuhren die verschiedenen Kirchen erst mit der Eroberung der Insel durch die Osmanen im Jahre 1571. Die osmanische Herrschaft währte bis 1878, also mehr als 300 Jahre. Sie brachte erstmals den Islam nach Zypern. Die Scharia richtete sich nicht nur an die zyprischen Muslime, sondern galt als allgemeinverbindliches Landesrecht und hob die Geltung der Assisen, die unter fränkischer und venezianischer Herrschaft zur Anwendung gekommen waren, auf. Die an die Scharia gebundenen Scharia-Gerichte waren unabhängig von der Religionszugehörigkeit für die Rechtsangelegenheiten aller Inselbewohner zuständig.6 Eine Ausnahme hiervon bestand lediglich für Personenstands- und Familienangelegenheiten von Mitgliedern der orthodoxen Kirchen. Für sie blieben die Gerichte der orthodoxen Kirche zuständig, die hierbei auch weiterhin byzantinisches Recht anwandten. Erst mit den TanzimatReformen des osmanischen Reskripts Hatt-ı Hümâyûn vom 18. Februar 18567 wurde allen christlichen Religionsgemeinschaften das Recht zur Verwaltung ihrer religiösen und familienrechtlichen Angelegenheiten zugestanden. Das Hatt-ı Hü4 Nicholas Coureas, The Assizes of the Lusignan Kingdom of Cyprus, 2002; Panagiotes Zepos, The Law of Cyprus during Frankish Rule, Yearbook of the Centre of Research of the History of Greek Law 23 (1976), S. 123; Achilles C. Emilianides, Polyarchy in the Frankish Rule of Cyprus, in: Mélanges à la Memoire de Michel Dendias, 1978, S. 7; Tassos Papadopoulos (Hrsg.), Cypriot Legal, in: Studies, Bd. I, 1984, S. 1. 5 Achilles C. Emilianides, The Hellenic Laws of Cyprus during Frankish Rule, Yearbook of the Cyprus Research Centre 25 (2004), S. 51; ders., The Hellenic Laws of Cyprus and the Hexabiblos of Armenopoulos, in: Yearbook of the Faculty of Law of the Aristotle University of Thessaloniki (1951), S. 33; Dieter Simon, Zyprische Prozeßprogramme, 1973; Jürgen Maruhn, Eine zyprische Fassung eherechtlicher Titel der Epitome, Forschungen zur byzantinischen Rechtsgeschichte IV, 1981, S. 218. 6 Mehmet Zekia, A Short Historical Survey of the Laws Administered by the Ottoman Civil and Criminal Courts and of the Constitution of such Courts during the Ottoman Era in Cyprus during 1571–1878, in: Society for Cypriot Studies (Hrsg.), Proceedings of the First International Cyprological Conference, Bd. III, 1973, S. 457; Vergi Bedevi, A Survey of the Cyprus Sheri Courts Registers, in: Society for Cypriot Studies (Hrsg.), Proceedings of the First International Cyprological Conference, Bd. III, 1973, S. 29. 7 George Dionyssiou, The Ottoman Administration of Cyprus and the Tanzimat Reforms, Yearbook of the Cyprus Research Centre 20 (1994), S. 361; George Young, Corps de Droit Ottoman, Bd. II, 1905, S. 22 ff.; Démétrius Nicolaides, Ottoman Codes, Bd. III, 3. Aufl. 1890, S. 2858.

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mâyûn-Reformedikt gewährte den jeweiligen christlichen und nicht-muslimischen Religionsgemeinschaften im osmanischen Reich religiöse Privilegien und Befreiungen und garantierte ihnen zudem eine Form der Autonomie. Das Osmanische Reich unterzeichnete am 4. Juni 1878 in Konstantinopel einen Vertrag über eine Verteidigungsallianz und übertrag den Besitz und die Verwaltung Zyperns an Großbritannien.8 Mit dem Abkommen von 1878 begann offiziell die Zeit der britischen Herrschaft. Zwar gehörte Zypern rechtlich weiterhin dem Osmanischen Reich an und hätte unter bestimmten Bedingungen zurückgegeben werden müssen; faktisch und hinsichtlich der Verwaltung stand Zypern aber unter alleiniger britischer Herrschaft. Der Status Zyperns war daher nunmehr einem Protektorat vergleichbar: Es war ein Land unter dem Schutz Großbritanniens, das faktisch die Insel regierte.9 Diese eigentümliche Situation endete 1914 unmittelbar nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, als Zypern durch einen Beschluß vom 5. November 1914 durch Großbritannien annektiert wurde.10 Obwohl es nicht fernliegend gewesen wäre, eine solche einseitige Annexion als ungültig zu betrachten, wurde sie seitens der Türkei in Art. 20 des Vertrags von Lausanne (1923) anerkannt. Gemäß Art. 16 dieses Vertrags verzichtete die Türkei auch auf die Geltendmachung aller Rechte und Ansprüche, die im Zusammenhang mit Zypern bestanden. Am 10. März 1925 wurde die Insel zur britischen Kronkolonie erklärt.11 Großbritannien behielt den staatskirchenrechtlichen Status quo bei und beendete lediglich die muslimische Vormachtstellung. Im Prinzip könnte dieses System als „Post-Millet“ bezeichnet werden, weil allen Religionsgemeinschaften, muslimischen wie nicht-muslimischen, das Recht zuerkannt wurde, ihre religiösen und familiären Angelegenheiten ohne staatliche Intervention zu regeln. Das System der staatskirchlichen Beziehungen in Zypern entsprach damit einer „losen Trennung“.12 Diese Ansicht wird indirekt durch den obersten Gerichtshof Zyperns in seiner Entscheidung zur Rechtssache Stratoura unterstützt; denn der 8 George Georgallides, A Political and Administrative History of Cyprus 1918–1926 with a Survey of the Foundations of the British Rule, 1979, S. 3 ff.; Lee Dwight, Great Britain and the Cyprus Convention Policy of 1878, 1934. 9 Parounak & Bedros Parounakian v. Türkische Regierung, Annual Digest 1929– 1930, Fall Nr. 11; Georges Tenekides, La Condition Internationale de la République de Chypre, Annuaire Francais de Droit International 6 (1960), S. 133; Michel Dendias, L’ile de Chypre dans le Droit International, Revue de Droit International 1933, S. 130. 10 Cyprus Annexation Order in Council of 5 m i 1914, in: John Howarth/Charles Gerahty (Hrsg.), Statute Laws of Cyprus, Bd. II, 1923, S. 184; Charles Orr, Cyprus under British Rule, 1918, S. 175. 11 Cyprus Gazette 1.5.1925, Nachricht Nr. 266. 12 Charalampus Papastathis, On the Administrative Organisation of the Church of Cyprus, 1981, S. 31; Kypros Chrysostomides, Cyprus Ecclesiastical Law, in: Tribute to the Parish of Agion Panton of London, 1968, S. 130, Achilles C. Emilianides, Private International Law, in: Symposium on Cypriot Juridical Issues, 1974, S. 90.

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Gerichtshof stellte fest, „daß die griechisch-orthodoxe Kirche weder zyprische Staatskirche ist noch in Angelegenheiten wie der Eheschließung an staatliche Gesetze gebunden ist.“ 13 Die orthodoxe Kirche behielt ihre Kompetenzen in Bezug auf ihre inneren Angelegenheiten, einschließlich der Wahl der Bischöfe sowie der Verwaltung des kirchlichen Eigentums14 und trotzte britischen Versuchen, die Rechtsstellung der Kirchen gesetzlich zu beschränken. Sie war zur damaligen Zeit nicht nur geistliche Heimat der orthodoxen Christen der Insel, sondern auch führende politische Repräsentanz der Griechen gegenüber den ausländischen Herrschern. Versuche, ihre Autonomie einzuschränken, wurden durch das Gesetz 20/1946, das auf Druck der Kirche zustande kam, unterbunden. Die Entscheidung 343/1948 des Bezirksgerichts Nikosia bestätigte das Recht der Kirche zur Bischofswahl und zur Selbstverwaltung ihrer inneren Angelegenheiten. So stellte das Gericht fest, daß die Kirche in ihren inneren Angelegenheiten ausschließlich an das kanonische Recht der orthodoxen Kirche und nicht an staatliche Gesetze gebunden sei.15 Außerdem erkannte es die ausschließliche Zuständigkeit der Kirchengerichte für familienrechtliche Angelegenheiten seiner Mitglieder an und bestätigte, daß das kanonische Recht der Kirche auch insofern anwendbar bleibe. Demgemäß waren die Gerichte der orthodoxen Kirche weiterhin ausschließlich für Familienrechtsangelegenheiten ihrer Mitglieder zuständig und in diesen Streitigkeiten nur dem kanonischen Recht unterworfen. Auch kleinere christliche Religionsgemeinschaften verfügten über das Recht zur Selbstverwaltung. Darüber hinaus behielten die Gerichte dieser kleineren Gemeinschaften bis 1935 ihre ausschließliche Zuständigkeit für familienrechtliche Streitigkeiten ihrer Mitglieder.16

II. Rechtsquellen Mit Inkrafttreten der Verfassung im Jahr 1960 wurde die Republik Zypern gegründet.17 Die Verfassung ist die wichtigste Rechtsquelle für die Rechtsstellung der Religionsgemeinschaften. Gemäß Art. 110 Abs. 1 der Verfassung genießt die autokephale griechisch-orthodoxe Kirche Zyperns das von Eingriffen Dritter 13

Stratoura v. Yakoumi (1905) 6 CLR 91. Kriton Tornaritis, The Relations between Church and State According to Cypriot Law, Review of Public and Private Law 1 (1967), S. 11. 15 Bezirksgericht Nikosia, Urteil 343/1948, Manoli v. Makarios, Erzbischof Zyperns. Vgl. auch Andreas Gavrielides, The Ethnarchic Rights and the Referendum for Union with Greece, 2. Aufl. 1972, S. 72. 16 Siehe weiter: George Serghides, Internal and External Conflict of Laws in Regard to Family Relations in Cyprus, 1988, S. 54 ff. 17 Cyprus Act, 1960, sec. 1, Republic of Cyprus Order in Council 1960 S. I. 1960 Nr. 1368, dem Parlament vorgelegt durch den Staatsminister für Kolonialismus, den Außenminister und den Verteidigungsminister, Cmnd. 1093, Juli 1960. Zum historischen Überblick: Achilles C. Emilianides, Constitutional Law in Cyprus, 2013. 14

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freie, ausschließliche Recht zur Selbst- und Vermögensverwaltung. Sie ist nur dem kanonischen Recht unterworfen. Parlament und Verwaltung dürfen das Recht zur Selbst- und Vermögensverwaltung nicht einschränken. Art. 110 der Verfassung bestätigt daher, daß der Staat nicht in die inneren Angelegenheiten der orthodoxen Kirche eingreifen darf. Insofern weist die bestehende Rechtslage Ähnlichkeiten mit der Situation vor der Unabhängigkeit auf. Darüber hinaus enthält Art. 111 der Verfassung bestimmte Privilegien der orthodoxen Kirche bei Heirat und Scheidung ihrer Mitglieder. Bis zur ersten Verfassungsänderung im Jahre 1989 sah Art. 111 die ausschließliche Zuständigkeit der orthodoxen Kirchengerichte für Familienrechtsstreitigkeiten ihrer Mitglieder und die ausschließliche Bindung an das kanonische Recht vor. Seit der Verfassungsänderung 1989 müssen auch Familienrechtsstreitigkeiten von Mitgliedern der griechisch-orthodoxen Kirche vor staatlichen Gerichten ausgetragen werden; nur Fragen der Verlobung, der kirchlichen Ehe und der Annullierung einer kirchlichen Ehe werden weiterhin durch das kanonische Recht der orthodoxen Kirche geregelt.18 Art. 110 Abs. 1 garantiert der orthodoxen Kirche, wie bereits ausgeführt, das Recht zur Selbst- und Vermögensverwaltung und sieht vor, daß dieses Recht in Übereinstimmung mit dem kanonischen Recht auszuüben ist. Art. 110 erfaßt hierbei indes nicht die Einhaltung der kirchlichen Dogmen, deren Schutz der – ihrerseits durch das Grundrecht des Art. 18 geschützten – Religionsausübungsfreiheit unterfällt. Vielmehr besteht das Ziel des Art. 110 darin, die Anwendung der kanonischen Bestimmungen, die sich auf die Verwaltung der inneren Angelegenheiten und des Eigentums der Kirche beziehen, zu schützen. Verfassungsrechtlich sind also sowohl die Einhaltung der kirchlichen Glaubensüberzeugungen (dogmatische Einheit) als auch die Auswirkungen jener grundlegenden Verwaltungsinstitutionen des kanonischen Rechts geschützt, die einer Kirche ihren orthodoxen Charakter verleihen (kanonische Einheit).19 Die orthodoxe Kirche ist auf diese Weise verpflichtet, das kanonische Recht einzuhalten, während dem Staat eine diesbezügliche Einmischung verfassungsrechtlich verboten ist. Neben dem kanonischen Recht verweist die Verfassung auch auf die Statuten der Kirche von Zypern. Deren einschlägige Regelungen sind jedoch nur geschützt, sofern sie dem kanonischen Recht nicht widersprechen. Das kanonische Recht steht also über der geltenden Satzung der orthodoxen Kirche. Jede andere Schlußfolgerung würde zu der dogmatisch unannehmbaren Schlußfolgerung füh-

18

Vgl. Achilles C. Emilianides, The Cypriot Law of Marriage and Divorce, 2006. Vgl. Charalambos Papastathis, The Legal Status of Religions in the Republic of Cyprus, in: Francis Messner (Hrsg.), The Status of Religious Confessions of the States Applying for Membership in the European Union, 2000, S. 208; Achilles C. Emilianides, State and Church in Cyprus, in: Gerhard Robbers (Hrsg.), State and Church in the European Union, 2. Aufl. 2005, S. 236. 19

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ren, daß sonst eine lokale orthodoxe Kirche berechtigt wäre, vom kanonischen Recht abzuweichen oder es einzuschränken, obwohl es von einer Großen Synode oder einer Ökumenischen Synode verabschiedet wurde. Autokephalie berechtigt nicht zur Abweichung. Es ist dementsprechend unumstritten, daß innerkirchliche Regelungen, die im Widerspruch zu höherrangigem kanonischen Recht stehen, ungültig sind.20 Dessen ungeachtet wird die kirchliche Satzungshoheit verfassungsrechtlich uneingeschränkt garantiert. Die Verfassung anerkennt eine erhöhte formelle Kraft der geltenden Statuten, sofern deren Entwurf und Verabschiedung in Übereinstimmung mit dem kanonischen Recht erfolgt. Eine Religionsgemeinschaft im verfassungsrechtliche Sinne ist nach Art. 2 Abs. 3 der Verfassung eine Gruppe von Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Zypern haben, sich zur gleichen Religion bekennen und entweder demselben Ritus angehören oder derselben Gerichtsbarkeit unterliegen. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verfassung muß sie mehr als eintausend Mitglieder gehabt haben, von denen mindestens fünfhundert zugleich Bürger der Republik gewesen sein müssen. Die Unterscheidung zwischen Mitgliedern und Bürgern ist darauf zurückzuführen, daß nicht alle Bewohner der Insel zugleich Bürger der Insel waren und viele Katholiken und Armenier ihre britische Staatsbürgerschaft auch nach dem Inkrafttreten der Verfassung am 16. August 1960 behalten haben. Die verfassungsrechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften sind Armenier, Maroniten und Angehörige des römisch-katholischen Bekenntnisses (nach lateinischem Ritus).21 Eine Möglichkeit, zukünftig neue Religionsgemeinschaften anzuerkennen, besteht nicht, auch dann nicht, wenn diese die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 3 der Verfassung erfüllen. Ebenso kann keine der drei anerkannten Religionsgemeinschaften ihren verfassungsrechtlichen Status wieder verlieren; das gilt selbst für den Fall, daß die Mitgliederzahl einer dieser Religionsgemeinschaften auf weniger als eintausend Mitglieder bzw. fünfhundert Bürger mit zyprischer Staatsangehörigkeit absinken und sie daher die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 3 der Verfassung nicht länger erfüllen sollte. Gem. Art. 2 Abs. 3 der Verfassung mußten die Religionsgemeinschaften innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten der Verfassung im Jahre 1960 wäh20 Vgl. Emilianides (Fn. 18), S. 59 ff.; Andreas Gavrielides, Nomocanonical and Political Study on the Unfrocking of Bishops in Cyprus in Conjunction to the Exercise of Their Ethnarchical Rights, 2. Aufl. 1973; Gerasimos Konidaris, On the Problem of Canonical Courts for Bishops in the Church of Cyprus, 1972–1974. 21 Achilles C. Emilianides, The Status of the Armenian Church of Cyprus, 2006; ders., Legal Opinion on the Legal Personality of the Karpasha Church Committee of the Maronite Church of Cyprus, Cyprus and European Law Review 11 (2010), S. 164; ders., The Legal Status of the Latin Community of Cyprus, in: Andrekos Varnava/Nicholas Coureas/Marina Elia (Hrsg.), Minorities of Cyprus, 2009, S. 229; Kriton Tornaritis, The Legal Position of the Armenian Religious Group, in: Constitutional and Legal Problems of the Republic of Cyprus, 2. Aufl. 1972, S. 85.

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len, ob sie der griechischen oder türkischen Gemeinschaft angehören wollten. Es sei darauf hingewiesen, daß die armenischen und maronitischen Religionsgemeinschaften der Ansicht waren, ihre Anerkennung als Religionsgemeinschaft würde ihre Stellung als ethnische oder auch als nationale Minderheit nicht wiederspiegeln. Dem wurde und wird noch immer entgegengehalten, daß mit ihrer Anerkennung als Religionsgemeinschaft keinesfalls zwangsläufig eine Aberkennung ihres Status als ethnische Minderheit verbunden sei. Die Republik Zypern ist diesbezüglich der Auffassung, daß Maroniten und Armenier nationale Minderheiten im Sinne der Rahmenkonvention für den Schutz nationaler Minderheiten des Europarates sind. Gemäß Art. 110 Abs. 3 der Verfassung ist den drei verfassungsrechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften die Wahrung aller vorkonstitutionellen Rechte garantiert. Zudem sah Artikel 111 der Verfassung, wie bereits geschildert, in seiner bis zur Verfassungsänderung von 1989 geltenden Fassung die ausschließliche Zuständigkeit der jeweiligen Kirchengerichte und die Geltung des Rechts der jeweiligen Religionsgemeinschaft für familienrechtliche Streitigkeiten ihrer Mitglieder vor. Erst seit 1989 sind die staatlichen Gerichte mit Ausnahme jener Fragen, die die Verlobung, eine kirchliche Ehe oder deren Nichtigkeit betreffen, für alle familienrechtlichen Angelegenheiten zuständig. Die Bestimmungen über die Rechte der Religionsgemeinschaften (Art. 110 Abs. 3 und Art. 111 der Verfassung) entsprechen Art. 110 Abs. 1 und Art. 111 der Verfassung, die die Rechte der orthodoxen Kirche regeln. Der erste Absatz des Art. 110 der Verfassung ist zwar ausführlicher als sein dritter Absatz; dies liegt aber nur daran, daß der überwiegende Teil der Bevölkerung griechisch-orthodox ist. Daher erschien es notwendig, den Umfang der Kompetenzen und Rechte der orthodoxen Kirche klarer zu definieren. Das bedeutet jedoch keine Schlechterstellung der drei verfassungsrechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften. Zudem garantiert die bereits erwähnte, in Art. 110 Abs. 3 enthaltene Garantie diesen Religionsgemeinschaften die Wahrung der Rechte, die sie vor der Unabhängigkeit Zyperns hatten. Diese Rechte entsprechen denen der orthodoxen Kirche und sichern das Recht zur Selbst- und Vermögensverwaltung. Eine besondere Verbürgung des Rechts der Vermögens- und Selbstverwaltung muslimischer Institutionen enthält Art. 110 Abs. 2 der Verfassung. Ihm zufolge unterfallen sämtliche Rechtsfragen zur Gründung oder zur Unterhaltung eines sog. Waqf (Vakf)22 oder des Waqf-Vermögens einschließlich des Vermögens von Moscheen oder anderen muslimischen Einrichtungen den Gesetzen und Grundsätzen des Waqf (ashkamul evkaf) sowie den Gesetzen und Verordnungen der Türkischen Gemeindekammer. Kein staatlicher Hoheitsakt darf gegen Gesetze oder Grundsätze des Waqf bzw. Gesetze oder Verordnungen des Türkischen Re22 Ein der Stiftung vergleichbaren Institut des islamischen Rechts. Der Plural von Waqf ist Wkaf, obwohl auch die Bezeichnung Waqfs verwendet werden kann.

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gionalparlaments verstoßen oder diese außer Kraft setzen. Der Waqf hatte zur Zeit des Inkrafttretens der Verfassung eine besondere Funktion: Er kennzeichnete die Bindung von Eigentum, verbot die Vermögensübertragung und sicherte auf diese Weise, soweit das Vermögen als Vermögen Gottes angesehen wurde, dessen fremdnützige Funktion. Ein Waqf ist insofern einer Widmung ähnlich; der Begriff meint aber nicht nur den Widmungsakt, sondern bezeichnet auch den Gegenstand der Widmung als solchen.23 Mit der Gewährleistung des Art. 110 Abs. 2 der Verfassung wird die Autonomie der Vermögens- und Selbstverwaltung muslimischer Institutionen letztlich ähnlich verbürgt wie die der orthodoxen Kirche oder der drei anerkannten Religionsgemeinschaften. Dem Staat ist es verboten, sich in die Verwaltung des Waqf, seines Vermögens oder anderen Angelegenheiten muslimischer Institutionen einzumischen.24

III. Überblick über die staatskirchenrechtlichen Strukturprinzipien Teilweise ist die Ansicht vertreten worden, daß der verfassungsrechtliche Schutz der orthodoxen Kirche weiter ausgreift und umfassender angelegt sei als der der drei anerkannten Religionsgemeinschaften. Daher ist vorgeschlagen worden, die Beziehungen zwischen dem Staat Zypern und der orthodoxen Kirche ähnlich wie in Griechenland gesetzlich zu regeln.25 Diese Ansichten sind indes wenig überzeugend und daher abzulehnen. Denn trotz der unterschiedlichen Formulierung intendiert die Verfassung die Gleichbehandlung aller fünf größeren Religionen. Die orthodoxe Kirche, die drei Religionsgemeinschaften und der Islam sind zur Selbst- und Vermögensverwaltung berechtigt. Diese Autonomierechte sind älter als die Verfassung: Die Verfassung hat im Wesentlichen die Regelungen aus dem osmanischen Reich, insbesondere die des Reformreskripts Hatt-ı Hümâyûn, übernommen und lediglich die muslimische Vormachtstellung aufgehoben. Ausdruck dieser Gleichbehandlung sind die Bestimmungen des Art. 23 der Verfassung, die das Eigentumsrecht schützen. Art. 23 Abs. 9 sieht vor, daß das Recht auf Erwerb, Eigentum, Besitz, Nutzung oder Verfügung über bewegliche oder unbewegliche Sachen eines Bistums, eines Klosters, einer Kirche oder einer 23 Omer Effendi, The Laws of Evqaf, 2. Aufl. 1922; Kemal Dizdar, The Origin and Administration of the Cyprus Evkaf, in: Proceedings of the First International Cyprological Conference, Bd. II 1973, S. 63. 24 Achilles C. Emilianides, Annotated Legal Documents on Islam in Europe, 2014; ders., Islamic Faith as One of the Main Religions: The Case of Cyprus, in: Michaela Moravcikova (Hrsg.), Islam in Europe, 2005, S. 220. 25 Kriton Tornaritis, The Constitutional Position of the Autocephalous Greek Orthodox Church in the Republic of Cyprus, Cyprus Law Tribune 4 (1990), S. 485; Kriton Tornaritis, The Relations between Church and State According to Cypriot Law, Review of Public and Private Law 1 (1967), S. 14.

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sonstigen kirchlichen Körperschaft weder entzogen, beschränkt oder begrenzt werden darf, sofern keine schriftliche Zustimmung der entsprechenden kirchlichen Instanz vorliegt. Das gleiche Recht wird allen muslimischen Einrichtungen zuerkannt: Art. 23 Abs. 10 schränkt den Entzug, die Aufhebung oder Beschränkung von beweglichem oder unbeweglichem Vermögen eines Waqf ein, es sei denn, das Türkische Regionalparlament stimmt in Einklang mit den Gesetzen und Grundsätzen des Waqfs zu. Zum Vermögen des Waqf zählen hierbei alle zugehörigen Objekte, Gegenstände, Rechte und Interessen, jegliches Vermögen von Moscheen oder anderen muslimischen Einrichtungen. Wie bereits erwähnt, sind orthodoxe Christen und Muslime einer der wesentlichen Aspekte des durch zwei Gemeinschaften geprägten Charakters der Republik Zypern: So gehören gemäß Art. 2 der Verfassung alle Mitglieder der griechisch-orthodoxen Kirche der griechischen Gemeinschaft an, während alle Muslime Mitglieder der türkischen Gemeinschaft sind. Dies bedeutet aber nicht, daß die Muslime oder die Mitglieder der griechisch-orthodoxen Kirche gegenüber den Angehörigen der anderen Religionen einen Sonderstatus besäßen. Vielmehr dient die verfassungsrechtliche Zuordnung nur als eine pragmatische Methode, um die türkische und griechische Gemeinschaft zu unterscheiden; weitere Auswirkungen auf den rechtlichen Status der beiden Religionsgemeinschaften sind damit nicht verbunden Anhand der genannten verfassungsrechtlichen Bestimmungen wird deutlich, daß auf der Insel keine Religion oder Konfession als offizielle Religion etabliert ist. Zypern kennt somit weder eine Staatsreligion noch eine vorherrschende Religion. Alle Religionsgemeinschaften und Konfessionen Zyperns verwalten sich selbst, ohne sich hierbei in staatliche Angelegenheiten einzumischen. Dennoch haben die fünf Hauptreligionen Zyperns (orthodoxes Christentum, Islam, Maroniten, Armenier und römisch-katholisches Bekenntnis) einen besonderen verfassungsrechtlichen Status. So hat der Staat ihnen weitreichende Befugnisse verliehen. Zudem enthält er sich einer staatlichen Einmischung in die Selbst- und Vermögensverwaltung. Bei Angelegenheiten, die – wie etwa im Falle des schulischen Religionsunterrichts – die gemeinsamen Interessen von Staat und Religionsgemeinschaften berühren, wird eine einvernehmliche Lösung gesucht. Führt dies nicht zum Erfolg, kann der Staat eine Entscheidung treffen, solange er nicht in die Selbst- oder Vermögensverwaltung der fünf Religionen eingreift.26 Weiterhin ist von Bedeutung, daß der Staat selbst nicht konfessionsgebunden ist. So werden Beamte bei ihrer Ernennung nicht vereidigt, sondern bekennen sich gemäß Art. 42 Abs. 1, Art. 59 Abs. 4, Art. 69 und 100 zur Verfassung und den Gesetzen, zur Unabhängigkeit und zur territorialen Integrität der Republik Zypern. Dementsprechend müssen Staatsbeamte oder Regierungsmitglieder nicht 26 Emilianides, State and Church (Fn. 19), S. 237; ders., Law and Religion in Cyprus, Kanon 20 (2008), S. 7.

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Mitglieder einer bestimmten Religionsgemeinschaft sein; sie können bei ihrer Ernennung oder Wahl durchaus auch konfessionslos sein. Sie sind nur der Verfassung und den verfassungskonformen Gesetzen und nicht religiösen Überzeugungen verpflichtet. Das macht deutlich, daß die Verfassung ein System der Koordination zwischen der Republik Zypern und den großen Religionen eingeführt hat.27 Es unterscheidet sich erheblich von dem in Griechenland bestehenden staatlichen Regelungssystem, da es auf der Autonomie der Religionsgemeinschaften gründet, die vom Staat getrennt sind und sich ausschließlich mit ihren eigenen Angelegenheiten befassen. Von einem System der Trennung von Staat und Kirche wiederum unterscheidet es sich, weil der Staat weitreichende Befugnisse in der Selbst- und Vermögensverwaltung, in familienrechtlichen Angelegenheiten und in allgemeinen Belangen von gemeinschaftlichem Interesse anerkennt. Das zyprische Modell ist vielmehr im Kern ein pluralistisches Modell, das die gesellschaftliche Dimension der Religionen anerkennt und zugleich die Kooperation mit sämtlichen Religionsgemeinschaften anstrebt. Der Staat anerkennt die Bedeutung des Glaubens und schützt diesen. Wo sich staatliche Angelegenheiten mit religiösen Belangen überschneiden, versucht der Staat, die religiösen Perspektiven zu berücksichtigen, sofern sie mit dem staatlichen Interesse vereinbar sind. Pluralismus basiert damit auf der Erkenntnis, daß der Staat und die verschiedenen von ihm anerkannten Religionen und Religionsgemeinschaften unterschiedlichen Sphären angehören. Er ist zugleich die Quelle der religiösen Neutralität des Staates. Diese indes beruht nicht nur auf dem Recht zur religionsgemeinschaftlichen Selbstverwaltung, sondern auch auf positiven staatlichen Maßnahmen, die auf den Schutz der Religionen abzielen.28 Auch andere Religionsgemeinschaften (z. B. Juden, Zeugen Jehovas, Buddhisten, Protestanten oder die altkalendarischen orthodoxen Christen) genießen gemäß Art. 18 der Verfassung Religionsfreiheit und sind vor dem Gesetz gleich, so daß kein staatlicher Hoheitsakt sie diskriminieren darf. Gleichwohl sind diese Religionen keine Religionsgemeinschaften im verfassungsrechtlichen Sinne und haben daher keinen besonderen verfassungsrechtlichen Status; vor allem in Fragen des schulischen Religionsunterrichts, der Finanzierung und in familienrechtlichen Angelegenheiten werden sie anders als die fünf verfassungsrechtlich besonders geschützten Religionsgemeinschaften behandelt.

27 Achilles C. Emilianides, The Constitutional Framework of the Relations between Church and State in the Republic of Cyprus, Nomokanonika 1 (2006), S. 37; Papastathis (Fn. 12), S. 34; Gavrielides (Fn. 20). 28 Achilles C. Emilianides, Secularism, Law and Religion within the Cypriot Legal Order, in: Peter Cumper/Tom Lewis (Hrsg.), Religion, Rights and Secular Society. European Perspectives, 2012, S. 169 ff.

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Den vorstehenden Ausführungen entspricht, daß es in Zypern keine Konkordate gibt. Der Dialog und die Zusammenarbeit des Staates mit den verschiedenen Religionsgemeinschaften erfolgen allein im Rahmen der Verfassung, die – wie dargestellt – ein Koordinationssystem zwischen dem Staat und den verschiedenen Religionen und Glaubensrichtungen vorsieht. Dieses System unterscheidet sich trotz scheinbarer Ähnlichkeiten wesentlich von einem auf Konkordaten basierenden System. Denn Vereinbarungen zwischen Kirche und Staat werden letztlich im Namen des Staates getroffen und stellen einfaches Recht oder förmliches Verfassungsrecht dar. Damit könnten sie nachfolgend einseitig durch den Staat verändert werden und von den Gerichten wie jedes andere Gesetz der Republik überprüft werden.

IV. Religionsfreiheit Art. 18 der zyprischen Verfassung garantiert die Religionsfreiheit einschließlich der Gewissens- und Bekenntnisfreiheit.29 Er ähnelt damit deutlich Art. 9 EMRK, ist aber detaillierter und erfaßt mehr Sachverhalte als dieser. Art. 18 Abs. 1 garantiert die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit jeder Person. Deren Schutz ist weitreichend und umfassend. Die Freiheitsgarantie gilt für jede Person, ob gläubig oder Atheist, ob Bürger Zyperns oder nicht. Der oberste Gerichtshof hat klargestellt, daß Art. 18 der Verfassung die Religionsfreiheit schützt, was jedoch nicht mit religiöser Toleranz gleichzusetzen ist.30 Art. 18 Abs. 4 schützt die individuellen Ausdrucksformen der Religionsfreiheit. Jeder hat das Recht und die Freiheit, seinen Glauben, seine Religion oder seine Weltanschauung durch Gottesdienst, Unterricht, Praxis und religiöse Observanz allein oder in Gemeinschaft, öffentlich oder im privaten Rahmen zu bekennen und seinen Glauben oder seine Weltanschauung zu wechseln. Auch die negative Freiheit, wie z. B. das Recht, die eigene Religionszugehörigkeit nicht offenzulegen, ist verfassungsrechtlich geschützt. Außerdem verfügt jede Person über das Recht der Konversion oder einer Abwendung vom Glauben. Eingriffe in das Recht auf Religionsfreiheit sind grundsätzlich untersagt, unabhängig davon, ob es sich um direkte oder indirekte Eingriffe handelt. Keinerlei Einschränkungen dürfen die Gedanken- und Gewissensfreiheit sowie die Freiheit, eine Religion oder Weltanschauung zu haben oder sie zu wechseln, erfahren; diese Freiheiten werden absolut und bedingungslos geschützt. Nur das Recht, die eigene Religion zu praktizieren, kann gemäß Art. 18 Abs. 6 einfachgesetzlich eingeschränkt werden, wenn dies

29 Vgl. Achilles C. Emilianides, Religious Freedom in the European Union, 2011, S. 89 ff.; Kriton Tornaritis, The State Law of the Republic of Cyprus, 1982, S. 145 ff. 30 Oberster Gerichtshof Zyperns, Urteil Pitsillides/Republik Zypern (1983) 2 CLR 374.

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(a) im Interesse der Sicherheit der Republik, (b) zur Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung, (c) im Namen der öffentlichen Sicherheit, (d) im Namen der öffentlichen Ordnung, (e) im Namen der öffentlichen Gesundheit, (f) zur Wahrung der öffentlichen Moral oder (g) zum Schutz der Grundrechte und Freiheiten Dritter erforderlich ist. Hieraus können zwei Grundsätze abgeleitet werden: Zum einen darf die Religionsfreiheit nur durch staatliches Gesetz eingeschränkt werden. Dieses Gesetz muß seinerseits ausreichend verständlich und präzise sowie durch die zuständigen Gesetzgebungsorgane verabschiedet worden sein. Zum anderen muß ein Eingriff für die Verfolgung eines der oben genannten verfassungsmäßigen Zwecke erforderlich sein. Eine Einschränkung zugunsten anderer als den in Art. 18 Abs. 6 genannten Zwecken ist verfassungswidrig. Gemäß Art. 9 Abs. 2 der EMRK müssen Einschränkungen außerdem für eine „demokratische Gesellschaft notwendig“ sein. Dieser Vorbehalt wird auch von zyprischen Gerichten übernommen. „Für eine demokratische Gesellschaft notwendig“ bedeutet, daß die Einschränkungen verhältnismäßig sind und zugunsten eines dringenden sozialen Bedürfnisses erfolgen. Jeder Eingriff muß also verhältnismäßig sein und darf die Religion nicht diskriminieren. Daher kann die Religionsfreiheit zugunsten sozialer Rechte oder zugunsten der Rechte Dritter eingeschränkt werden. Auch die gemeinschaftliche und organisatorische Religionsfreiheit ist gesichert. Art. 18 Abs. 2 der Verfassung schützt die Freiheit aller Religionen, deren Lehren oder Riten nicht geheim sind. Der verfassungsrechtliche Schutz ist unabhängig von einer behördlichen Registrierung; einzige Voraussetzung ist, daß die religiösen Lehren oder Riten nicht geheim sind. Bislang liegt weder seitens der Rechtsprechung noch anderer Institutionen eine Definition der „Religion“ vor. Generell werden jedoch nicht nur die geläufigen Religionen – namentlich die vielfältigen christlichen Konfessionen, die Zeugen Jehovas, das Judentum, der Islam, der Hinduismus, der Buddhismus und die Sikh-Religion –, sondern auch weniger bekannte Religionen oder neue religiöse Bewegungen als Religion im Sinne des Art. 18 Abs. 2 der Verfassung anerkannt, sofern ihre Lehren und Riten frei sind. Auch Sekten oder bestimmte religiöse Konfessionen können als Religion im verfassungsrechtlichen Sinne angesehen werden. Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Glaubensbekenntnis eine Religion begründet, bleiben die staatlichen Einschätzungen der Legitimität der religiösen Überzeugungen sowie der Art und Weise ihres Ausdrucks unberücksichtigt.

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V. Rechtlicher Status der Religionsgemeinschaften, insbesondere der orthodoxen Kirche Die orthodoxe Kirche ist eine juristische Person, deren institutioneller Status durch Art. 110 Abs. 1 der Verfassung bestimmt wird. Schwierig zu beantworten ist jedoch die Frage, ob sie eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts ist. Nach zyprischem Recht gilt eine juristische Person als juristische Person des öffentlichen Rechts, wenn sie durch Gesetz gegründet wurde, mit maßgeblichen öffentlich-rechtlichen Kompetenzen ausgestattet ist und unter staatlicher Kontrolle steht. Die orthodoxe Kirche Zyperns jedoch steht nicht unter staatlicher Kontrolle, erfüllt also nicht alle Voraussetzungen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts. Es wird daher vorgeschlagen, sie als juristische Person mit besonderer Rechtsnatur zu werten, die von Verfassungs wegen mit bestimmten hoheitlichen Befugnissen ausgestattet ist. Die Mehrheit des Obersten Gerichtshofs Zyperns hat im Falle „Orthodoxe Kirche Zyperns“ entschieden, daß die orthodoxe Kirche keine Behörde der Republik Zypern im Sinne von Artikel 139 der Verfassung sei.31 Diese Entscheidung ist auf folgende fünf Argumente gestützt worden: (a) Die orthodoxe Kirche ist nicht aufgrund verfassungsrechtlicher Bestimmungen tätig und wurde auch nicht von der Verfassung konstituiert; (b) ihre Zuständigkeit zur Klärung familienrechtlicher Angelegenheiten nach Art. 111 der Verfassung kann nicht als Ausübung hoheitlicher Befugnisse angesehen werden; (c) Urteile oder Entscheidungen von Kirchengerichten werden von staatlichen Behörden und nicht von kirchlichen Organen vollstreckt; (d) Die Kirche ist keine Behörde im Sinne von Art. 29 der Verfassung (Art. 29 berechtigt dazu, Petitionen bei Behörden einzureichen); (e) Entscheidungen der Kirche gelten nicht als verwaltungsrechtliche Entscheidungen des öffentlichen Rechts und unterliegen weder der gerichtlichen Kontrolle durch den obersten Gerichtshof noch ergehen sie unter Bindung an Weisungen. Vor diesem Hintergrund ist der oberste Gerichtshof der Auffassung, die orthodoxe Kirche Zyperns sei eine juristische Person des Privatrechts sui generis und weder Organ noch Behörde der Republik. Dieses Urteil erscheint jedoch im Hinblick auf die Zeit vor der ersten Verfassungsänderung im Jahr 1989 problematisch. Denn Art. 110 Abs. 1 der Verfassung berechtigt die Kirche ausdrücklich zur Selbst- und Vermögensverwaltung und bindet sie nur an kanonisches Recht 31 Oberster Gerichtshof, Urteil Autokephale orthodoxe Kirche Zyperns/Repräsentantenhaus (1990), 3 CLR 388.

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und ihre jeweils gültige Satzung. Damit bestimmt das oberste Gesetz des Staates die Kompetenzen und Befugnisse der orthodoxen Kirche Zyperns. Die orthodoxe Kirche ist somit aufgrund verfassungsrechtlicher Bestimmungen tätig. Darüber hinaus wies Art. 111 in seiner ursprünglichen Fassung der orthodoxen Kirche die alleinige Zuständigkeit zur Regelung familienrechtlicher Angelegenheiten ihrer Mitglieder zu. Vor der Verfassungsänderung 1989 war die orthodoxe Kirche also ausschließlich zur Regelung und Entscheidung familienrechtlicher Angelegenheiten und Streitigkeiten ihrer Mitglieder zuständig. Urteile der Kirchengerichte wurden durch staatliche Behörden vollstreckt, was die Auffassung stützt, daß die orthodoxe Kirche hoheitliche Funktionen ausübt; denn nur, wenn die Kompetenzen der Kirchengerichte a priori öffentlich-rechtlicher Natur sind, ist es erforderlich bzw. möglich, die Entscheidungen auch durch staatliche Behörden vollstrekken zu lassen. Außerdem könnte argumentiert werden, daß die orthodoxe Kirche – insoweit als Gesetzgebungs- oder Justizbehörde im Rahmen des Art. 111 der Verfassung – entgegen der Mehrheit des Obersten Gerichtshofs eine öffentliche Behörde im Sinne von Art. 29 der Verfassung ist und Entscheidungen der Kirche nach Art. 111 der Verfassung der Kontrolle durch den Obersten Gerichtshof unterliegen. In der Tat wäre es paradox, wenn die Verfassung der orthodoxen Kirche Befugnisse übertragen hätte, ohne ihr zugleich die Möglichkeiten zu geben, diese Kompetenzen angemessen auszuüben. Weil zurzeit familienrechtliche Angelegenheiten der Mitglieder der griechisch-orthodoxen Kirche – mit Ausnahme der Gesetze über die Gültigkeit von griechisch-orthodoxen Eheschließungen – durch das Repräsentantenhaus und die Familiengerichte geregelt und entschieden werden, ist gleichwohl davon auszugehen, daß aus Sicht des Obersten Gerichtshofes kein Erfordernis für eine Änderung der Rechtsprechung zur Rechtsnatur der orthodoxen Kirche besteht. Die orthodoxe Kirche sollte daher als besondere und gemeinnützige juristische Person des Privatrechts angesehen werden. Obwohl die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs konkret nur die Rechtsnatur der orthodoxen Kirche Zyperns betraf, ist unzweifelhaft, daß die sie leitenden Grundsätze auch auf die drei verfassungsmäßig anerkannten Religionsgemeinschaften der Maroniten, Armenier und des römisch-katholischen Bekenntnisses anzuwenden sind.32 Schließlich gelten für sie die Rechte der orthodoxen Kirche gemäß Art. 110 Abs. 3 und Art. 111 Abs. 1 gleichermaßen. Die hier vertretene Ansicht entspricht den Grundsätzen des zyprischen Koordinationssystems. Auch diese drei Religionsgemeinschaften sind daher als besondere juristische Personen des Privatrechts anzusehen. Ferner wird vorgeschlagen, dem Islam denselben Rechtsstatus zuzuerkennen.

32 Vgl. Achilles C. Emilianides, Religious Entities as Legal Persons: Cyprus, in: Lars Friedner (Hrsg.), Churches and Other Religious Organisations as Legal Persons, 2007, S. 51.

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Andere als die fünf verfassungsrechtlich anerkannten Religionen sind nicht verpflichtet, sich bei den Behörden zu registrieren. Ihre Mitglieder genießen gemäß den verfassungsrechtlichen Bestimmungen Religionsfreiheit, auch wenn sich die Religionsgemeinschaften nicht einschreiben lassen haben. Wenn die Religionsgemeinschaften allerdings Finanzgeschäfte betreiben möchten, müssen sie sich als gemeinnützige Organisation registrieren; das gilt etwa für die Unterhaltung eines Bankkontos. Für die Registrierung bedarf es der Einreichung eines Antrags unter Angabe des Zwecks der gemeinnützigen Organisation und der Namen der Geschäftsführer. Bisher gaben die zyprischen Behörden diesen Anträgen umgehend und ohne besondere Probleme statt. Vor dem hier entfalteten Hintergrund genießen Religionsgemeinschaften im zyprischen Recht ein hohes Maß an religiöser Autonomie. Sie werden nicht durch staatliche Gesetze reguliert, sondern organisieren sich nach ihrem eigenen Recht. Einzige Ausnahme bildet die türkisch-islamische Religion: Aufgrund der kemalistischen Reformen wurde die Verwaltung der Waqfs und die Wahl der Mufti durch Gesetze geregelt, an die lediglich die Türkische Gemeinschaft gebunden war. Die meisten Religionsgemeinschaften und Konfessionen kennen in ihrem Eigenrecht keine spezifisch „zyprischen“ Bestimmungen. Die römischen Katholiken und die Maroniten halten sich vielmehr an das kanonische Recht der römisch-katholischen Kirche bzw. der maronitischen Kirche. Nur die orthodoxe Kirche, die altkalendarische orthodoxe Kirche und die armenische Kirche haben kirchenrechtliche Bestimmungen erlassen, die in spezifisch zyprischer Weise ihre inneren Angelegenheiten regeln.

VI. Kirchenfinanzierung Das derzeitige System der Kirchenfinanzierung ist unmittelbares Ergebnis der verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Republik Zypern.33 Die fünf großen Religionen – die griechischorthodoxe, die islamische, die armenische, die maronitische und die römischkatholische – verfügen über das Recht, ihr Eigentum ausschließlich selbst zu verwalten. Das einfachgesetzlich anerkannte Recht aller anderen Religionen zur Vermögensverwaltung ist im Wesentlichen gleich. Jede Konfession verwaltet also ihr Vermögen frei von staatlichen Eingriffen. Wie bereits erwähnt, sieht Art. 23 Abs. 9 der Verfassung vor, daß das Recht auf Erwerb, Eigentum, Besitz, Nutzung oder Verfügung über bewegliche oder unbewegliche Sachen eines Bistums, eines Klosters, einer Kirche oder einer son33 Vgl. Achilles C. Emilianides, Il Finanziamento delle cinque Religioni: Il Caso Cipriota, Quaderni di Diritto e Politica Ecclesiastica 1 (2006), S. 107; ders., The Funding of Churches in Cyprus, in: Salvatore Berlingò (Hrsg.), The Funding of Churches in the European Union, 2009.

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stigen kirchlichen Körperschaft weder entzogen, beschränkt oder begrenzt werden darf, es sei denn, dies erfolgt mit schriftlicher Zustimmung der entsprechenden kirchlichen Instanz, die das Eigentum kontrolliert. Gemäß Art. 23 Abs. 10 der Verfassung haben muslimische Institutionen das gleiche Recht. Es ist aber anerkannt, daß Art. 23 Abs. 9 und 10 zum Zwecke der Raum- und Stadtplanung eingeschränkt werden dürfen. Die Republik Zypern hält keine allgemeine Kirchenfinanzierung vor. Allerdings werden den Religionsgemeinschaften für Bau und Instandhaltung ihrer Kirchen, Klöster und Friedhöfe staatliche Beihilfen durch die Regierung gewährt. Beihilfen werden in der Praxis nur den fünf großen Religionsgemeinschaften gewährt. Die Bezirksregierungen stellen keinerlei Mittel zur Verfügung. Gemäß Art. 18 Abs. 8 der Verfassung ist niemand verpflichtet, Steuern oder Abgaben zu zahlen, deren Ertrag ganz oder teilweise speziell für die Zwecke einer anderen Religion als der eigenen verwendet wird. Zypern erhebt keine besonderen Kirchensteuern. Religiöse und gemeinnützige Organisationen sind von der Zahlung der Einkommensteuer befreit. Andere Steuergesetze sehen aber keine Privilegien religiöser Organisationen vor. Bei der Religionsausübung leistet der Staat eine wichtige Unterstützung. So hat die griechisch-orthodoxe Kirche dem Staat vertraglich einen Teil ihrer Immobilien übertragen, wofür sich der Staat im Gegenzug dazu verpflichtet hat, die Pfarrer in den ländlichen Gebieten zu besolden. Die Regierung hat entschieden, diese Regelung auch auf die drei anderen verfassungsrechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften zu erstrecken. Daher übernimmt Zypern seit dem 1. Januar 1999 auch die Gehälter zahlreicher Priester dieser Religionsgemeinschaften, obwohl nur die orthodoxe Kirche einen Teil ihrer Immobilien übereignet hat. Grund für diese Praxis ist, daß die drei anerkannten Religionsgemeinschaften und die griechisch-orthodoxe Kirche angesichts des in Zypern geltenden Koordinationssystems gleichbehandelt werden sollen. Diese Regelung gelangt auch im Falle der altkalendarischen griechisch-orthodoxen Kirche zur Anwendung. Demgegenüber leistet die Republik Zypern keinen Beitrag zur Besoldung von Geistlichen anderer Religionsgemeinschaften. Gleiches gilt für die Vergütung von Laien, die entweder für die orthodoxe Kirche oder für die drei anerkannten Konfessionen tätig sind. Die Geistlichen dieser drei Religionsgemeinschaften erhalten indes unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit eine kostenlose medizinische Versorgung in den staatlichen Krankenhäusern, obwohl früher nur zyprische Staatsangehörige kostenlos medizinisch versorgt wurden. Zudem erhalten die drei Religionsgemeinschaften einen staatlichen Zuschuß, um sie bei der Erfüllung ihrer religiösen Aufgaben zu unterstützen. Zusätzlich werden die priesterliche Ausbildung, die Erhaltung der Gotteshäuser und Kirchen sowie ihr kulturelles Erbe finanziell unterstützt. Des Weiteren werden ihnen Bauland und öffentliche Zuschüsse für den Bau und die Instandhaltung von Kirchen, Klöstern und Friedhöfen zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus finanziert das Bildungsmini-

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sterium kulturelle Aktivitäten, Veröffentlichungen, Aufführungen, den Bau von Bibliotheken, Seminaren, Museen und die Verwaltung von Archivbeständen oder historischen Gebäuden der griechisch-orthodoxen Kirche und der drei anerkannten Religionsgemeinschaften. Finanzielle Unterstützung erhalten überdies soziale Einrichtungen und Sportvereine der orthodoxen Kirche und der drei Religionsgemeinschaften. Auch Moscheen in den nicht besiedelten Gebieten werden finanziell unterstützt. Einige Aspekte des Systems sollten überdacht werden. Soweit die direkte Finanzierung der Kirchen betroffen ist, ermöglicht und unterstützt sie zwar die religiösen Aktivitäten der großen Religionsgemeinschaften. Auch soweit deren Angehörige von Zeit zu Zeit auf Bereiche hinweisen, in denen mehr getan werden sollte, besteht kein Zweifel, daß das System im Allgemeinen gerecht ist, da es den tatsächlichen Bedürfnissen der verschiedenen Religionsgemeinschaften entspricht. Gleichwohl ist bisher die Frage ungeklärt geblieben, ob die Republik Zypern zukünftig auch anderen Religionsgemeinschaften staatliche Zuschüsse gewähren soll. Obwohl diese Frage aufgrund der geringen Anzahl von Anhängern entsprechender Religionsgemeinschaften bislang noch nicht aktuell geworden ist, ist es durchaus möglich, daß in näherer Zukunft eine dieser kleineren Religionsgemeinschaften bei der Regierung eine Finanzhilfe beantragt. Hierfür wird vorgeschlagen, trotz der verfassungsrechtlichen Hervorhebung der fünf wichtigsten Religionsgemeinschaften auch anderen Religionsgemeinschaften bedürfnisgerechte Unterstützung zu gewähren, damit sie ihre religiösen Überzeugungen in Zypern bestmöglich entfalten können.

VII. Der politische Einfluß der orthodoxen Kirche Der erste Präsident Zyperns war von 1960 bis 1977 Erzbischof Makarios; unumstritten hatte die orthodoxe Kirche in dieser Zeit einen großen Einfluß. Seit seinem Tod 1977 wurde das politische System vollständig säkularisiert, weil sich religiöse Würdenträger nicht mehr zur Wahl stellen und auch nicht mehr in öffentliche Ämter berufen werden. Der Erzbischof und die Geistlichen beschränken sich auf ihre geistliche Funktion und mischen sich nicht in das staatliche Handeln ein. Infolgedessen hat der religiöse Einfluß stark abgenommen; keine politische Partei beansprucht für sich, von religiösen Wahrheiten geleitet zu sein oder die Unterstützung der orthodoxen Kirche zu genießen. Darüber hinaus ist die Unterstützung des Erzbischofs oder der Metropoliten der Kirche für diese oder jene politische Partei für die Wähler von nur geringer Bedeutung. Die orthodoxe Kirche hat jedoch einen erheblichen finanziellen Einfluß, da ihr viele große Unternehmen unmittelbar gehören und sie der größte Grundbesitzer der Insel ist. Die zyprische Verfassung sieht unter anderem vor, daß Bildungs- und Religionsfragen der griechischen Gemeinschaft in die Zuständigkeit der griechischen Gemeindekammer bzw. Bildungs- und Religionsfragen der türkischen Gemein-

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schaft in die Kompetenz der türkischen Gemeindekammer unterfallen. Der Schulunterricht ist für die griechisch-orthodoxe Kirche seit jeher von besonderer Bedeutung, weil während der Zeit der Fremdherrschaft über die Insel die Bildung einen Eckpfeiler zur Bewahrung der griechischen und orthodoxen Identität darstellte. Infolgedessen hat die Kirche die Errichtung vieler öffentlicher Schulen finanziell unterstützt und klassische Fächer wie Altgriechisch, Latein, Literatur und Geschichte gefördert. Gleichwohl folgt die Bildungspolitik nicht den Wünschen der Kirche, die nur einen Akteur darstellt, der seine Meinung äußern kann. Zudem gibt es keine Garantie, daß der Staat der kirchlichen Auffassung folgt.

IV. Länder mit einer traditionell evangelisch-lutherischen Prägung

Das Verhältnis von Staat und Kirche in Norwegen Von Ingvill Thorson Plesner, Oslo I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das aktuelle System der Beziehungen zwischen Staat und Kirche . . . . . . . . . . III. Der Rechtsstatus der Mehrheitskirche und der anderen Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Religion und Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Anstaltsseelsorge und Zugang zu öffentlichen Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . VII. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Formen institutioneller Kooperation zwischen Staat und Kirche . . . . . . . . . . . . IX. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung Das norwegische System der Beziehungen zwischen Staat und Religion war traditionell durch enge Bande zwischen dem Staat und der Mehrheitskirche gekennzeichnet, einer evangelisch-lutherischen Kirche, die auch heute noch als „Kirche von Norwegen“ bezeichnet wird.1 Obwohl ihr etwa noch 70 % der Bevölkerung angehören und sie unverändert über einen besonderen rechtlichen Status verfügt, ist die Gesellschaft in Norwegen heute pluralistisch, und der Staat letzten Endes säkular.2 Die Verfassungs- und Gesetzesänderungen der letzten Jahre verfolgten das Ziel, die Grundsätze eines säkularen Staates – wie die wechselseitige Unabhängigkeit von Mehrheitskirche und Staat sowie die Gleichbehandlung von Religionsgemeinschaften – abzusichern.3 2012 wurden die Verfassungsbestimmungen, welche der Regierung und dem König Mitbestimmungsrechte in innerkirchlichen 1 Dag Thorkildsen, The Role of the Church in Contemporary Norway: Changed Relations between State and Church, KZG 25 (2012), S. 272. 2 Ingvill T. Plesner, The European Court on Human Rights between liberal and illiberal Secularism, in: Cole Durham/Rik Torfs/David M. Kirkham/Christine Scott (Hrsg.), Islam in Europe: Emerging Legal Issues, 2012, S. 63. 3 Eivind Smith, Norge som sekulær stat: Et konstitusjonelt perspektiv, in: Sindre Bangstad/Oddbjørn Birger Leirvik/Ingvill Thorson Plesner (Hrsg.), Sekularisme-med norske briller, 2012, S. 99.

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Angelegenheiten einräumten, abgeschafft. 2017 erhielt die Kirche von Norwegen den Status einer juristischen Person, welche selbst ihre Bischöfe und sonstigen Geistlichen ernennt. Die Reform von 2012 verankerte zudem den Grundsatz der Gleichbehandlung anderer Glaubensgemeinschaften in Bezug auf öffentliche Finanzierung in der Verfassung.4 Dieser Grundsatz wurde bereits mit dem „Gesetz über die Religionsgemeinschaften“ von 19695 eingeführt und bildete die Grundlage eines oft so bezeichneten „Entschädigungssystems“, bei dem die Minderheitsgemeinschaften jedes Jahr pro Mitglied die gleichen Mittel von Staat und politischer Gemeinde erhalten wie die Kirche von Norwegen als Mehrheitskirche. Doch auch nach diesen Reformen kommt ihr unverändert in Verfassung, Gesetzgebung und Staatspraxis eine Sonderrolle und ein spezifischer Rechtsstatus. So schreibt § 4 der Verfassung die Zugehörigkeit des Königs zur Kirche von Norwegen vor (er „soll sich stets zur evangelisch-lutherischen Religion bekennen“). Die frühere verfassungsrechtliche Bestimmung zur Rolle des Staates in innerkirchlichen Angelegenheiten wurde 2012 modifiziert, nun definiert § 16 der Verfassung die Kirche von Norwegen als „Volkskirche“, welche „als solche vom Staat gefördert“ wird.6 Eine ganz ähnliche Formulierung findet sich in der dänischen Verfassung von 1849, welche auch in der aktuellen Verfassung unverändert in Kraft ist.7 Die wichtigsten Gesetze zur Regelung der Beziehungen zwischen Staat und Religion befinden sich indes noch in der Phase der Revision. Ein Regierungsentwurf sieht ein neues Gemeinstatut vor, welches das derzeitige System von drei Gesetzen – das „Gesetz über die Kirche von Norwegen“ (1996),8 das „Gesetz über die Religionsgemeinschaften“ (1969)9 und das „Gesetz über die Weltanschauungsgemeinschaften“ (1981) – ablösen soll.10 Die Änderungen sollen vor allem das System der staatlichen Finanzierung sowohl der Kirche von Norwegen wie der anderen Religionsgemeinschaften betreffen, ebenso die Kriterien für die Registrierung von Religionsgemeinschaften. Der vorliegende Beitrag behandelt 4

Thorkildsen (Fn. 1). Gesetz Nr. 25/1969 vom 13.6.1969. 6 Eivind Smith, „. . . forblir Norges folkekirke“: Om Grunnlovens ordvalg og dens juridiske konsekvenser in: Stephanie Dietrich/Hallgeir Elstad/Beate Fagerli/Vidar Leif Haanes (Hrsg.) Folkekirke nå, 2016, S. 60; Øystein Lund, New Developments in the Relationship between State and Religious Communities in Norway, in: Wilhelm Rees/ María Roca/Balázs Schanda (Hrsg.), Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten, 2013, S. 355. 7 § 3 der Verfassung des Königreichs Dänemark vom 5.6.1849, nunmehr § 4 der Verfassung vom 5.6.1953. 8 Gesetz Nr. 9/1996 vom 1.7.1996. 9 Nachw. oben Fn. 6. 10 Gesetz Nr. 64/1981 vom 12.6.1981. 5

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indes im Schwerpunkt das aktuell geltende System, einschließlich seiner historischen Hintergründe.

II. Das aktuelle System der Beziehungen zwischen Staat und Kirche11 Norwegen ist eine konstitutionelle Monarchie mit einem parlamentarischen Regierungssystem. Obgleich zentralstaatlich verfaßt, besteht ein hoch entwickeltes System lokaler und regionaler Selbstverwaltung. Die hauptsächlichen Staatsorgane sind das Parlament, der König, die Regierung (einschließlich des Ministerpräsidenten) und die Rechtsprechung. Die Verfassung von 1814 gilt noch heute, wiewohl sie mehrfach geändert wurde. Bereits in ihrer Ursprungsfassung enthielt sich einige Aussagen zu Menschenrechten und zum Rechtsstaatsprinzip.12 Die Religionsfreiheit hingegen wurde erstmals 1964, zum 150. Jahrestag der Verfassung, aufgenommen. Nunmehr lautet der erste Satz von § 16 der Verfassung: „Alle Einwohner des Königreichs haben das Recht auf freie Religionsausübung.“ Weitgehend besteht darüber Einigkeit, daß insoweit „Religion“ auch das Recht umfaßt, nicht-religiöse Weltanschauungen zu haben und auszuüben. Das Recht auf Religionsfreiheit wird überdies durch die von Norwegen ratifizierten internationalen Menschenrechtsabkommen geschützt, von denen einige – darunter die Europäische Menschenrechtskonvention und der UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte – durch das „Gesetz zur Stärkung der Menschenrechte im norwegischen Recht“ von 199913 in nationales Recht transformiert wurden. Somit ist nunmehr die Verfassung im Einklang mit den Bestimmungen über die Religions- und Weltanschauungsfreiheit in EMRK und UN-Menschenrechtspakt auszulegen. Geschützt ist gleichermaßen die individuelle und kollektive wie die innere und äußere Dimensionen der Religionsfreiheit, gleichermaßen die Rechte der Eltern im Hinblick auf die religiöse und weltanschauliche Erziehung ihrer Kinder. Nach § 4 der Verfassung „soll sich (der König) stets zur evangelisch-lutherischen Religion bekennen“. Diese Bestimmung ist seit 1814 unverändert und verlangt, daß der König der evangelisch-lutherischen Kirche von Norwegen angehören muß. Auf Ersuchen einer Kommission zur Bewertung der Verfassungsbestimmungen über Religion hat sich König Harald 2008 für die Beibehaltung von § 4 ausgesprochen. Dabei verwies er nicht nur auf seinen persönlichen Glauben, sondern auch auf die engen historischen Bande zwischen König und Kirche. Dem wurde kritisch entgegengehalten, eine derartige Norm dürfe keinen Platz in einer 11 Siehe auch Ingvill T. Plesner, Law and Religion in Norway, in: Gerhard Robbers/ W. Cole Durham (Hrsg.), Encyclopedia of Law and Religion, Bd. 4, 2016. 12 Lund (Fn. 6), S. 361, Thorkildsen (Fn. 1). 13 Gesetz Nr. 30/1999 vom 21.5.1999.

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modernen Verfassung haben und sei im Hinblick auf den nicht-konfessionellen Charakter des Staates inkohärent (immerhin ist der König auch Staatsoberhaupt). Die zentrale Bestimmung über Religion ist seit 2012 der neugefaßte § 16 der Verfassung über die „Volkskirche“ (der zudem die oft so bezeichnete „aktive Unterstützungspolitik der Religion“ in den Verfassungsrang erhebt): „Die Kirche von Norwegen, eine Kirche des evangelisch-lutherischen Bekenntisses, bleibt die Volkskirche Norwegens und wird als solche vom Staat gefördert. Nährere Bestimmungen über deren Ordnung werden durch Gesetz festgelegt. Alle Glaubensund Weltanschauungsgemeinschaften werden entsprechend gefördert.“14 Die verfassungsgesetzliche Festschreibung der besonderen Verantwortung des Staates für die Förderung der Volkskirche hat Auswirkungen auf das Parlament, welches die finanzielle Förderung der Kirche aus dem Staatshaushalt sicherstellt. Zusätzlich dazu haben gemäß § 15 des „Gesetzes über die Kirche von Norwegen“ die kommunalen Behörden Finanzmittel bereitzustellen, etwa für die Restaurierung und Nutzung von Kirchengebäuden, für die Kirchenverwaltung und sowie für bestimmte kirchliche Mitarbeiter auf lokaler Ebene. Die zweite zentrale Verfassungsnorm in Bezug auf Religion ist der neue § 2, demzufolge „unser christliches und humanistisches Erbe . . . die Wertegrundlage“ ist und bleibt.15 Den Werten und dem Erbe bestimmter Traditionen einen vorrangigen Status einzuräumen, war umstritten. Manche Kritik brachte etwa vor, dergestalt könnte es religiöse Minderheiten erschwert werden, sich mit der Verfassung oder mit dem Staat zu identifizieren. Immerhin machte der Gesetzgeber deutlich, daß die Vorschrift keine rechtlichen Wirkung dahingehend entfalten solle, Minderheitenrechte unter Verweis auf Mehrheitstradition(en) einzuschränken. Vor einigen Jahrzehnten vertrat ein Pastor der Kirche von Norwegen, Børre Knudsen, im Kontext des Gesetzgebungsverfahrens hinsichtlich der Legalisierung der Abtreibung die Auffassung, § 2 der Verfassung16 setze dem Parlament dergestalt rechtliche Grenzen, daß es keine mit der christlichen Ethik unvereinbare Gesetze verabschieden dürfe17. Der Oberste Gerichtshof wies diese Auslegung in einem Urteil von 198318 mit der Begründung zurück, § 2 der Verfassung binde den Staat rechtlich nur in Bezug auf diejenigen Angelegenheiten, welche speziell die Kirche von Norwegen betreffen. Die Handlungsfreiheit des Parla14

Thorkildsen (Fn. 1). Ebd. 16 Seinerzeit lautetet, soweit hier von Interesse, § 2 der Verfassung: „Die evangelisch-lutherische Konfession verbleibt öffentliche Religion des Staates.“ 17 Später wurde Knudsen wegen seines anhaltenden Widerstands gegen die gleichwohl erfolgte Abtreibungsgesetzgebung aus dem kirchlichen Dienst entlassen. Hiergegen wandte er sich erfolglos an die (damalige) Europäische Kommission für Menschenrechte: EKMR, in: Decisions and Reports 42, S. 237. 18 Oberste Gerichtshof von Norwegen, Urt. v. 23.9.1983 – Az. 91/1983. 15

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ments oder anderer Staatsorgane (Regierung oder Judikative) im Allgemeinen dagegen werde dadurch rechtlich nicht begrenzt. Nur bei Entscheidungen des Parlaments hinsichtlich der Betätigung der Staatskirche selbst müßten deren Vorgaben (also: die evangelisch-lutherische Lehre) berücksichtigt werden. Demzufolge kann § 2 der Verfassung nicht die Annahme stützen, daß „christliche Werte“ (die ihrerseits genauer zu definieren wären) zur rechtlich verbindlichen Wertgrundlage des Staates gehören (obwohl solche Werte infolge der religionssoziologischen Rahmenbedingungen lange Jahre die staatliche Gesetzgebung beeinflußt haben mögen). Umgekehrt machte der öffentliche Diskurs über Staat und Religion deutlich, daß der Verweis auf die evangelisch-lutherische Konfession als „öffentliche Religion des Staates“ als symbolische Klausel der Werte diente, die für die nationale Identität vieler Vertreter der religiösen Mehrheitstradition relevant ist. Spiegelbildlich sahen andere darin ein symbolisches Hindernis für Minderheiten, sich vollständig mit der Verfassung und ihren Werten zu identifizieren. Der gleiche Dissens betrifft die bei der Verfassungsreform von 2012 vorgenommene Neuformulierung des § 2 („Unser christliches und humanistisches Erbe ist und bleibt die Wertegrundlage.“). Wie aufgezeigt, bringt das verfassungskräftig garantierte Staatskirchensystem einerseits mit sich, daß die Kirche von Norwegen als Mehrheitskirche einen besonderen Rechtsstatus genießt, aber andererseits ihr Grad an Selbstbestimmung geringer ist als der anderer Religionsgemeinschaften. Dennoch bezweckt die Verfassung jedenfalls heute, die Religions- und Weltanschauungsfreiheit für alle in gleicher Weise zu garantieren, ebenso wie vor Diskriminierung aufgrund von Religion oder Weltanschauung zu schützen. Dies gilt auch für die gesamte Gesetzgebung in Bezug auf Religion oder Weltanschauung, sowohl was die individuelle Freiheit betrifft als auch diejenige der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. 1969 trat das „Gesetz über die Religionsgemeinschaften“ in Kraft, welche auf alle Religionsnsgemeinschaften des Landes – auch die Kirche von Norwegen – Anwendung findet. Das Gesetz beinhaltet Regelungen zu verschiedenen Aspekten der Religions- und Weltanschauungsfreiheit, sowohl hinsichtlich des einzelnen wie der jeweiligen Gemeinschaften. Zudem normiert es, daß alle Religionsgemeinschaften das Recht haben, pro Jahr und Mitglied die gleiche finanzielle Unterstützung zu erhalten wie sie auch die Staatskirche aus den staatlichen und kommunalen Haushalten erhält. Das 1981 in Kraft getretene „Gesetz über die Weltanschauungsgemeinschaften“ erstreckt das Recht auf derartige finanzielle Untersüttzung auch auf nicht-religiöse Weltanschauungsgemeinschaften, in der Praxis betrifft dies an erster Stelle den Human-ethischen Verband (Human-Etisk Forbund). Das Antidiskriminierungsgesetz von 200619 verbürgt Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Religion oder Weltanschauung. 19

Gesetz Nr. 69/2006 vom 19.5.2006.

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Das „Gesetz über die Religionsgemeinschaften“ enthält mehrere Bestimmungen mit Relevanz für die individuelle Ausübung der Religion oder Weltanschauung sowie für das kirchliche Selbstbestimmungsrecht: § 1 verbürgt jedem einzelnen das Recht auf Religionsfreiheit, sei es alleine oder in Gemeinschaft mit anderen. Diese Bestimmung konkretisierte den damaligen § 2 Abs. 1 der Verfassung („Alle Einwohner des Reichs haben des Recht auf freie Religionsausübung.“). Zudem enthält sie ähnliche Formulierungen wie die Parallelnormen der beiden zentralen internationalen Menschenrechtspakte (Art. 9 EMRK und Art. 18 des UN-Menschenrechtspakts) und nimmt damit auf die von Norwegen ratifizierten Verträge Bezug (welche mittlerweile in norwegisches Recht inkorporiert sind). Neben der Gewährleistung der Religionsfreiheit für einzelne und Gemeinschaften regelt § 1 auch die allgemeinen Schranken dieses Rechts, welche auf Gründen der „Moral“ beruhen. Diese Schranken, anwendbar wiederum auf die individuelle und die kollektive Religionsausübung, werden ähnlich wie die Schrankenklausel in Art. 18 Abs. 3 des UN-Menschenrechtspakts interpretiert. Bestimmte Aspekte der individuellen und kollektiven Dimension der Religions- und Weltanschauungsfreiheit werden dabei eigens spezifiziert: So schreibt das Gesetz von 1969 die Registrierung der Mitglieder in einer Kirche und einer anderen Religionsgemeinschaften vor (§§ 3–9) und hebt den Grundsatz eigens hervor, daß niemand gegen seinen Willen gezwungen werden kann, Mitglied einer Religionsgemeinschaft zu werden oder zu bleiben (§§ 2, 10).

III. Der Rechtsstatus der Mehrheitskirche und der anderen Religionsgemeinschaften Es läßt sich sagen, daß die Kirche von Norwegen einen doppelten Status (oder eine doppelte Identität) aufweist, einmal als Staatskirche, zum anderen als Religionsgemeinschaft. § 16 der Verfassung nimmt die evangelisch-lutherische Kirche als „Volkskirche“ in Bezug. Darin liegt, zusammen mit dem „Gesetz über die Kirche von Norwegen“ von 1996, unverändert die rechtliche Grundlage für die Beziehungen zwischen Kirche und Staat, welcher der Mehrheitskirche eindeutig einen öffentlich-rechtlichen Status zuschreibt.20 Die Kirchensynode ist ein Gremium, das die Kirche landesweit auf verschiedene Weise repräsentiert und, wie noch zu zeigen ist, über weitreichende Kompetenzen hinsichtlich der inneren Angelegenheiten der Kirche verfügt. Nach der Änderung des Kirchengesetzes im Jahr 2017 hat nun die Kirche von Norwegen eine eigenständige, vom Staat getrennte Rechtspersönlichkeit. § 2 des Kirchengesetzes in der ursprünglichen Fassung von 1996 verlieh hingegen ausdrücklich auch den einzelnen Kirchengemeinden Rechtspersönlichkeit. Infolgedessen konnten sie etwa mit anderen Rechtspersonen Verträge schließen, Eigentum erwerben 20

Lund (Fn. 6), S. 363.

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und veräußern sowie den Rechtsweg beschreiten. Der Umstand, daß das Parlament bestimmte Aspekte der Kirche von Norwegen im Hinblick auf ihre Organisation, ihre Angelegenheiten und ihre Beziehungen zu staatlichen Behörden in einem Spezialgesetz regelt, unterstreicht den besonderen öffentlich-rechtlichen Status dieser Kirche. Sowohl aus der Verfassung wie aus der einfachen Gesetzgebung wird damit der rechtliche Sonderstatus der Kirche von Norwegen als öffentlich-rechtlich verfaßte Staatskirche deutlich. Gleichwohl gilt das „Gesetz über Religionsgemeinschaften“ auch für sie, wie für alle anderen Religionsgemeinschaften in Norwegen. Bereits die Einbeziehung der Kirche von Norwegen in den Anwendungsbereich dieses Gesetz stellt ihre doppelte Identität heraus: Sie ist Staatskirche, doch soll sie ebenso als Religionsgemeinschaft respektiert werden. Während die Kirche von Norwegen öffentlich-rechtlich verfaßt ist, haben alle anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften privatrechtlichen Status. Sie können sich registrieren lassen oder auch nicht. Im Fall der Registrierung als Religionsgemeinschaft müssen den staatlichen Behörden bestimmte Informationen über Glauben und Lehre der Gemeinschaft sowie über ihre Organisation und Verwaltung übermittelt werden. Nicht registrierte Religionsgemeinschaften genießen die gleichen Rechte wie sonstige Vereinigungen (Versammlungsfreiheit, Vertragsfreiheit, Erwerb und Veräußerung von Eigentum), und die meisten der Rechte der registrierten Religionsgemeinschaften. So können sie aufgrund des „Gesetzes über die Religionsgemeinschaften“ sogar finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten. Einige Rechte indes bleiben aber den eingetragenen Religionsgemeinschaften vorbehalten: Nur sie haben das Recht auf eigene Friedhöfe (§ 18 des „Gesetzes über Religionsgemeinschaften“), in ihnen können, sofern bestimmte Kriterien erfüllt sind (§§ 12–17 des gleichen Gesetzes), rechtlich wirksame Ehen geschlossen werden (§ 12 des Ehegesetzes von 1991).

IV. Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften Der Grundsatz des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts kommt in verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen zum Tragen, welche auch auf die Kirche von Norwegen Anwendung finden. Die praktisch wichtigste Ausprägung des Selbstbestimmungsrechts sind dies Ausnahmeregelungen zugunsten der Religionsgemeinschaften vom allgemeinen Regime der Anti-Diskriminierung im Arbeitsrecht. Nach den Materialien des neuen Anti-Diskriminierungsgesetzes von 2018 (und ebenso wie das zuvor geltende Arbeits- und Gleichstellungsrecht) gelten die Ausnahmen vom allgemeinen Anti-Diskriminierungs-Regime nur für diejenigen Tätigkeiten und Arbeitsplätze in einer Religionsgemeinschaft, welche in enger Beziehung zur jeweiligen religiösen Lehre und für welche diese offensichtlich

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relevant ist. Damit unterfallen jedenfalls Leitungspositionen und von den Religionsgemeinschaften angestellte Lehrer nicht dem Anti-Diskriminierungsgesetz. Bei den meisten öffentlichen Anhörungen zu Fragestellungen mit Bezug auf die Religionsgemeinschaften werden sowohl die Kirche von Norwegen (vertreten durch ihre jeweils zuständigen Organe) als verschiedene andere Religionsgemeinschaften (jedenfalls diejenigen, die dem Interreligiösen Kooperationsrat angehören) von den Behörden besonders aufgefordert, ihre Positionen in schriftlichen Stellungnahmen abzugeben. Einmal mehr kommt auch hierin der Wille der öffentlichen Hand zum Ausdruck, die Kirche von Norwegen als eine Religionsgemeinschaft unter anderen zu betrachten und nicht (nur) als Teil der Staatsverwaltung. Das „Gesetz über die Norwegische Kirche“ von 1996 gibt den Gemeinden mehr Kompetenz und stärkt so auf lokaler Ebene die Selbstverwaltung der Kirche. In § 2 des Gesetzes wird den Gemeinden ausdrücklich die Rechtspersönlichkeit mit Rechten und Pflichten zuerkannt, so können sie als solche private wie öffentliche Verträge abschließen und sich an Gerichte wie an andere staatliche Behörden wenden. Unbeschadet ihres Status als juristische Personen dürfen sie aber nicht die kirchliche Struktur verlassen. Anders gewendet, ist ihre Unabhängigkeit durch ihre Integration in die landesweite Korporation der Kirche von Norwegen begrenzt. Doch bei alledem gewährt das Kirchengesetz der Kirche auf lokaler Ebene deutlich mehr Autonomie als den kirchlichen Gremien auf nationaler Ebene. Unzweifelhaft kann jeder Gemeinderat als juristische Person vor Gericht klagen, und das auch gegen den Staat. Reizvoll ist dabei die (bisher weitgehend) theoretische Frage, ob die Kirche von Norwegen – als eine Korporation, die aus Gemeinden mit Rechtspersönlichkeit zusammengesetzt ist – in einem bestimmten Fall gegen den Staat das Recht auf Religionsfreiheit gerichtlich einklagen könnte. Würde man die Meinung vertreten, die Gemeinden als juristische Personen auf kommunaler Ebene könnten die Gerichte gegen staatliche Einmischungen in ihre Angelegenheiten anrufen, wäre zu bedenken, daß § 2 des Kirchengesetzes auch besagt, die Gemeinden könnten nicht von der Kirche von Norwegen getrennt werden. Sollte aber eine Klage vor den nationalen Gerichten und später, falls nötig, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nicht möglich sein, würde dies die Identität der Kirche von Norwegen als Religionsgemeinschaft, zumindest auf formaler Ebene, ernsthaft in Zweifel stellen.

V. Religion und Arbeitsrecht Angehörige von Minderheiten nehmen im Arbeitsleben manche Gepflogenheiten, Vorschriften und Einzelweisung als nicht mit ihren religiösen Traditionen und Ausdrucksformen vereinbar wahr. Im Jahr 2000 wandten sich 15 muslimi-

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sche Frauen an den Ombudsman für Gleichberechtigung, nachdem sie wegen des Tragens eines Kopftuchs am Arbeitsplatz Diskriminierung erfahren hatten. Der Ombudsman wie das Zentrum gegen ethnische Diskriminierung stellten sich auf die Seite der Frauen und betonten deren Recht, dergestalt ihre religiöse Identität am Arbeitsplatz auszudrücken und nicht wegen ihrer Religion oder ihres Geschlechts benachteiligt zu werden. Das Arbeitsrecht verbietet jegliche Diskriminierung wegen der Religion und der sexuellen Orientierung am Arbeitsplatz. Seit 2008 gibt es keine explizite Ausnahmeklausel für Religionsgemeinschaften und ihre Einrichtungen mehr. Diese (einschließlich der Kirche von Norwegen) dürfen aber bei der Einstellung von Mitarbeitern nach den Anschauungen in religiösen Angelegenheiten fragen. Diese Institutionen dürfen jedenfalls in Bezug auf Positionen, die für die religiöse Lehre von besonderer Bedeutung sind – beispielsweise in der Leitung oder Verkündigung – auch aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung unterscheiden. Entsprechend den allgemeinen Ausnahmebestimmungen muß eine unterschiedliche Behandlung ein legitimes Ziel verfolgen und verhältnismäßig sein.

VI. Anstaltsseelsorge und Zugang zu öffentlichen Einrichtungen Bestimmte Umstände in Gefängnissen, den Streitkräften und öffentlichen Krankenhäusern können Angehörigen von Minderheitsreligionen die Religionsausübung und das Leben ihren religiösen Überzeugungen erschweren. Zwar können nach den gesetzliche Bestimmungen Angehörige aller Glaubensrichtungen sowohl in Gefängnissen als auch in den Streitkräften ihre Religion ausüben. In diesen Einrichtungen, ebenso in Krankenhäusern und Pflegeheimen sowie in allen vier Universitäten, sind Stellen für Seelsorger vorgesehen, welche Gottesdienste anbieten und regelmäßig für seelsorgerliche Dienste zur Verfügung stehen. Doch sind dies in erster Linie Pastoren der Kirche von Norwegen. Für religiöse Minderheiten wie Muslime, Buddhisten oder Sikhs ist es nicht so einfach, Kontakt zu ihren religiösen Leitern oder Ratgebern aufzunehmen. Indes haben die Geistlichen der Kirche von Norwegen in Gefängnissen und in den Streitkräften die Pflicht, sofern dies gewünscht und möglich ist, einen solchen Kontakt herzustellen. Ob dies in der Praxis funktioniert, hängt in den Gefängnissen in erster Linie von den Bemühungen des einzelnen Geistlichen ab, ebenso davon, ob vor Ort ein Geistlicher der betreffenden Gemeinschaft verfügbar ist, der die Sprache des Strafgefangenen beherrscht. Auch das Bedürfnis, aus religiösen Gründen bestimmte Speisen zu erhalten (oder sie zu vermeiden), stellt die Gefängnisse vor Herausforderungen. So stellen einige Gefängnisse halal zubereitetes Essen für Muslime zur Verfügung, andere weigern sich. Viele Gefängnisse gewähren zu

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Weihnachten Hafterleichterungen, aber nicht für muslimischen Feiertage wie Id al-Fitr und Id al-Adha. Von einem Imam geleitete Freitagsgebete werden nur selten ermöglicht. In den Streitkräften wird den besonderen religiösen Bedürfnissen der Angehörigen von Minderheitsreligionen auf vielfältige Weise Rechnung getragen. Anfang der 1990er Jahre erließ das Verteidigungsministerium neue Richtlinien, die zum Ziel hatten, den Militärdienst besser auf ethnische und religiöse Minderheiten abzustimmen. Insoweit sollten besondere Regelungen im Hinblick auf Uniformen, Speisen und Feiertage vorgesehen werden. So wurde etwa den Sikhs das Tragen des Turbans gestattet, ebenso den Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften die Beachtung ihrer jeweiligen Bekleidungsvorschriften (jeweils auf Kosten der Streitkräfte). Angehörige von Minderheitsreligionen erhielten die gleiche Anzahl von Tagen Urlaub aus Anlaß religiöser Feiertage wie die Angehörigen der Staatskirche, auf Antrag ihrer Religionsgemeinschaft sogar mehr Tage. Auch sollte in allen Einheiten, falls möglich sogar bei militärischen Einsätzen, ein alternatives Speiseangebot vorgehalten werden, sofern die Standardverpflegung religiösen Speisevorschriften nicht entsprach. Von diesen Richtlinien waren die Angehörigen der größten Minderheitsreligionen umfaßt: Katholiken, griechische und russische Orthodoxe, Muslime, Buddhisten, Hindus und Sikhs.

VII. Historischer Hintergrund Die engen Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Norwegen haben sich in den letzten Jahrhunderten herausgebildet, vor allem seit der Reformation. Historisch beruhen die Beziehungen zwischen Staat und Kirche auf der engen Beziehung zwischen König (als Oberhaupt der Kirche) und (restlicher) Kirche. Die Christianisierung Norwegens setzte um das Jahr 1000 ein,21 also zur Zeit der Entstehung des Königreichs Norwegen (welche aus einem steigenden Kontakt mit dem christlichen Europa durch Handel wie Raubzüge der Wikinger resultiert). Die Missionstätigkeit der Angelsachsen sowie der Kirche in Deutschland und Dänemark ließ das Christentum gegenüber den Göttern der traditionellen nordischen Mythologie und der samischen Naturreligion die Oberhand gewinnen gewann. König Olaf, der schon bald nach seinem Tod im Jahr 1030 als Heiliger verehrt wurde, erklärte Norwegen zu einem christlichen Land. Seine weitgespannte Gesetzgebungstätigkeit22 führt u. a. den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz ein. Aus Sicht des Königs waren diese und andere neue Rechtsgrundsätze durch die „christlichen und humanistischen Ideale“ inspiriert, sie gal21 Johannes Ulltveit-Moe, Church and State in Norway, Lutherian Quarterly 7 (1993), S. 191. 22 Zu diesen „Gesetzen des heiligen Olaf“ Robert Folz, Les saints rois du moyen âge en occident, 1984, S. 158 ff.

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ten als das neue „christliche Gesetz“. Andererseits wurden lokale Herrscher, die sich nicht taufen ließen und den neuen Glauben nicht akzeptierten, getötet. Mit großem Einsatz errichte König Olaf Kirchen und teilte das Land in Pfarreien und Diözesen ein. Er ernannte Bischöfe und besetzte andere kirchliche Ämter. Dem Klerus oblag außer der Seelsorge auch die Umsetzung des neuen „christlichen Gesetzes“. Bald nach seinem Tod kam es zu Spannungen zwischen dem Papst und den norwegischen Königen, da diese – entgegen dem kanonischen Recht – auch weiterhin die Bischofssitze und andere kirchlichen Ämter besetzen wollten. Der Konflikt eskalierte, als Ende des 12. Jahrhunderts der erste Erzbischof von Nidaros (Tronheim) ernannt werden sollte, und hielt das Mittelalter hindurch an. Die Könige pflegten enge Beziehungen zur Kirche in Norwegen, obwohl auch ihr offizielles Haupt der Papst war. Die Beziehung zwischen König und Kirche reicht also auf die Zeit weit vor der Reformation zurück. Während die Reformation in Dänemark im Kontext der Erhebung des Landes gegen Rom zu sehen ist, wurde die Reformation in Norwegen von durch die dänischen Herrscher über Dänemark-Norwegens eingeführt.23 Im Jahr 1537 floh der Erzbischof von Nidaros in die Niederlande, die übrigen Bischöfe mußten ihre Ämter aufgeben. Indes behielten die meisten Geistlichen trotz der neuen Konfession und Kirchenorganisation ihre Ämter. Der König (nunmehr offizielles Oberhaupt der Kirche) bemächtigte sich des gesamten kirchlichen Eigentums und übertrug es auf die evangelisch-lutherische Kirche.24 Es gab also bereits eine Staatskirche (oder „offizielle“ Religion), auf welche die Verfassungsgebende Versammlung bei der erstmaligen Verabschiedung einer Verfassung 1814 Bezug nahm. Das kommt bereits im Wortlaut des § 2 zum Ausdruck, demzufolge die evangelisch-lutherische Religion die öffentliche Religion des Staates „verbleibt“. Wie dargelegt, wurde diese Bestimmung erst 2012 durch eine neue Formulierung ersetzt: „Unser christliches und humanistisches Erbe ist und bleibt die Wertgrundlage. Mit dieser Verfassung sollen Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte sichergestellt werden.“ Im Laufe des 19. Jahrhunderts hat die gesetzliche Errichtung von kirchlichen Organen, die von den Mitgliedern auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene gewählt wurden, zu einer wachsenden Autonomie der Kirche von Norwegen beigetragen, und dies unbeschadet der weiter engen Bande zum Staat. Vor allem in den letzten Jahrzehnten hat die Unabhängigkeit der gewählten kirchlichen Gremien auf allen Ebenen fortwährend zugenommen, so daß in der Praxis der Staatskirche ein bestimmtes Maß an Autonomie zukommt. Das Kirchengesetz von 1996 verlieh den örtlichen Gemeinden der Kirche von Norwegen den Status einer vom Staat getrennten Rechtspersönlichkeit. Die Verfassungsreform von 2012 23 24

Ulltveit-Moe (Fn. 21). Thorkildsen (Fn. 1).

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Ingvill Thorson Plesner

bezweckte eine Stärkung der Unabhängigkeit der Kirche von Norwegen wie der Gleichbehandlung von Minderheitsreligionen auf verschiedenen Gebieten. So kann nunmehr die Kirche von Norwegen selbst ihre Bischöfe ernennen, die verfassungsgesetzlichen Kompetenzen der Regierung im Hinblick auf kirchliche Liturgie und Lehre sind entfallen. Doch auch nach der Reform ist die Kirche von Norwegen auf nationaler Ebene weiterhin keine eigenständige juristische Person, im Unterschied zu den anderen Religionsgemeinschaften in Norwegen verfügt sie über keine Rechtspersönlichkeit. Eine weitere Entwicklungslinie betrifft die wachsende Akzeptanz von Minderheiten und, damit einhergehend, den gesteigerten Schutz ihrer Grundrechte. Im Zeitpunkt der Verabschiedung der Verfassung von 1814 durften sich ohne Aufsicht oder Erlaubnis durch Geistliche der Mehrheitskirche die Angehörigen anderer christlicher Bekenntnisse nicht versammeln. Das dem zugrundeliegende Gesetz von 1741 wurde erst 1842 aufgehoben. 1845 gestattete das „Dissenter-Gesetz“ von 1845 den christlichen Konfessionen, eigene Gemeinschaften zu errichten. Das Zugangsverbot für Juden nach Norwegen wurde 1851 aus der Verfassung gestrichen, das für Jesuiten erst 1956. 1964 wurde schließlich für alle Einwohner des Reiches das Recht auf freie Religionsausübung in der Verfassung verankert. Parallel zu diesem Prozeß wachsender Pluralisierung und dem Schutz der Minderheitenrechte nahm auch die Säkularisierung des Staates wie anderer öffentlicher Institutionen stetig zu), was vor allem in einer fortschreitenden Abnabelung von der Kirche von Norwegen zum Ausdruck kam. Bei Verabschiedung der Verfassung von 1814 war die politische Überzeugung vorherrschend, Norwegen als „christlicher Staat“ solle auch christlich regiert und verwaltet werden. Noch weit bis ins 19. Jahrhundert hinein mußten alle Beamten und Richter der Kirche von Norwegen angehören. Entsprechendes verlangte die Verfassung bis 1919 für alle Mitglieder der Regierung, ehe das Erfordernis auf „mehr als die Hälfte“ abgeschwächt wurde. In dieser Form galt § 12 der Verfassung bis zur Verfassungsreform von 2012.

VIII. Formen institutioneller Kooperation zwischen Staat und Kirche Die wachsende religiöse (und nicht-religiöse) Pluralisierung wie die Lockerung der Bande zwischen Kirche und Staat wirkten sich allmählich auch im öffentlichen Schulwesen aus. Dieses entstand im 18. Jahrhundert als ein System von „Kirchenschulen“, deren hauptsächlicher Zweck die Unterrichtung des lutherischen Katechismus war.25 In mehreren Phasen entwickelte sich das Schulwesen

25

Ebd.

Das Verhältnis von Staat und Kirche in Norwegen

245

in Richtung auf säkulare Bildung fort.26 Die Mitglieder der Schulleitung mußten nicht mehr der Mehrheitskirche angehören, deren Bischöfe und Geistliche büßten ihre Positionen in der Schulaufsicht und ihre Befugnis, die schulische Tätigkeit zu überwachen, ein. Bis 1915 hatten sich die Lehrer zur offiziellen Religion zu „bekennen“ (was in der Praxis als – loyale – Zugehörigkeit zur evangelisch-lutherischen Kirche verstanden wurde). Für die Lehrer des Unterrichtsfachs „Christentumkunde“ (das es bis 1997 gab) wurde die vergleichbare Verpflichtung 1969 aufgehoben. Auf lokaler Ebene halten sich in den meisten Teilen des Landes weiterhin Überreste der engen Bande zwischen Kirche und Schule. Deutlich wird dies etwa bei den besonderen Gottesdiensten zu Weihnachten für die öffentlichen Grundund weiterführenden Schulen zu Weihnachten, deren Teilnahme an freilich nicht mehr verpflichtend ist. Rolle und Bedeutung des Christentums im Allgemeinen und der evangelisch-lutherischen Tradition im Besonderen kommen in den Lehrplänen der Schulen wie im Erziehungsgesetz zum Tragen. Insbesondere hat das neue Fach „Christentums-, Religions- und Lebensanschauungskunde“ (welches 1997 als Pflichtfach an die Stelle des bisherigen Wahlfachs „Christentumskunde“ trat) ein Jahrzehnt lang Kontroversen ausgelöst. Heftige Kritik von religiösen Minderheiten und Weltanschauungsverbänden, wie auch des UN-Menschenrechtsausschusses, führten 2005 zu einigen Änderungen bei der Ausrichtung und der Bezeichnung des Faches. Im Jahr 2007 entschied der EGMR, das Fach mit seinen restriktiven Befreiuungsregelungen verletze das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit im Allgemeinen sowie das Recht der Eltern, über die religiöse und moralische Erziehung ihrer Kinder zu entscheiden, im Besonderen.27 Nach dem Urteil des EGMR kam es 2008 zu weiteren Änderungen im Hinblick auf Ausrichtung und Bezeichnung des Fachs, das seither „Religion, Lebensanschauung und Ethik“ hieß28.

IX. Zusammenfassung Das System der Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Norwegen hat sich von einem streng konfessionellen Staat (eingeschränktes oder gar kein Aufenthaltsrecht für religiöse Minderheiten, eingeschränkte oder ganz fehlende Religionsfreiheit für von der Mehrheitskirche abweichende christliche Konfessionen) zu einer Ordnung fortentwickelt, welche allen gleiche Religionsfreiheit gewährleistet und selbst religiösen Minderheiten finanzielle Unterstützung durch den 26 Ingvill T. Plesner, Religion and Education in Norway, in: Derek H. Davis/Elena Miroshnikova (Hrsg.), The Routledge International Handbook on Religious Education, 2013, S. 243. 27 EGMR (GK), NVwZ 2008, S. 1217 (Folgerø/Norwegen). 28 2015 wurde das Fach neuerlich umbenannt, dieses Mal in „Christentum, Religion, Lebensanschauung und Ethik“.

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Ingvill Thorson Plesner

Staat leistet. Das Verhältnis des Staates zur Mehrheitskirche hat sich ebenso grundlegend verändert wie das Erscheinungsbild der Kirche selbst. War der Staat früher der Lehre und Moral einer bestimmten Kirche verpflichtet, ist er heute von Rechts wegen nicht mehr an diese Normen und Werte gebunden, sieht man einmal von seiner Beteiligung an der Leitung der inneren Angelegenheiten der Kirche von Norwegen ab. Diese wiederum, einst vom König und den Bischöfen geleitet, besteht heute aus gewählten Gremien auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene und genießt in der Praxis ein hohes Maß an Selbstbestimmung.

Das Verhältnis von Staat und Kirche in Schweden Von Mikael Berglund, Stockholm I.

II.

Historische Grundlagen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kanonisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtswissenschaftliche Behandlung des kanonischen Rechts an den Universitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Reformation der Kirche im 16. Jahrhundert und weitere Entwicklungen . . a) Reform der Religionsfreiheit 1952 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teilreform der Kirchenversammlung von 1982 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reform der nationalen Registrierung von Personen im Jahr 1991 . . . . . d) Reform des staatskirchenrechtlichen Systems zum 1. Januar 2000 . . . . Rechtsquellen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 IV.

Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schwedische Verfassungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Regierung, Beamte, Richter und Mitglieder der königlichen Familie . . . . .

V.

Rechtsstellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 1. Schwedische Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Andere Kirchen und Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

257 257 257 258

VI. Einflußmöglichkeiten von Kirchen und Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . 1. Schriftliche Stellungnahmen zu den Gesetzesentwürfen der Regierung an das Parlament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schwedischer Christenrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rat für Kontakte zwischen den Religionsgemeinschaften der schwedischen Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VII. Kirchenvermögen und Kirchenfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kirchenvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kirchenfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzug der Beiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Spenden und Testamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Staatliche Unterstützung von Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . e) Staatliche Zuschüsse aus Gründen des Denkmalschutzes . . . . . . . . . . . .

261 261 261 261 262 262 262 264

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Mikael Berglund f) Ermäßigte Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 g) Frühere steuerliche Absetzbarkeit für Spenden an anerkannte Empfänger aufgehoben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

VIII. Formen der institutionellen Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche . . . . . 1. Behörde zur Förderung von Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Regierungsrat für Kontakte zwischen den Religionsgemeinschaften . . IX. Staatliches Recht und innerkirchliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetz über die Schwedische Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kirchenordnung der Schwedischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

265 265 266 266 266 267

I. Historische Grundlagen des Staatskirchenrechts 1. Einleitende Bemerkungen Nach der Reformation der Kirche im 16. Jahrhundert wurde Schweden traditionell protestantisch. Personen, die offiziell als Protestanten gemeldet sind und der protestantischen Kirche Schwedens (Schwedische Kirche) angehören, bilden im Vergleich zu jenen, die offiziell als Mitglieder anderer Religionsgemeinschaften gemeldet sind, nach wie vor die Mehrheit.1 Dies erklärt, warum die Anwendung einiger spezieller Bestimmungen in der Gesetzgebung bezüglich der Schwedischen Kirche hier mitunter umfassender behandelt werden als Bestimmungen in der Gesetzgebung bezüglich anderer Kirchen und Religionsgemeinschaften in Schweden. 2. Kanonisches Recht Schweden wurde historisch vom kanonischen Recht beeinflußt. Dieser Einfluß war für die Entwicklung des öffentlichen Kirchenrechts von Bedeutung. Papst Gregor VII. (1073–1085) entwickelte ein politisches Reformprogramm für die Kirche, das sich hauptsächlich gegen die von der weltlichen Gewalt über die Kirche ausgeübte Macht richtete. Gregor VII. forderte die Freiheit der Kirche (libertas Ecclesiae). Dies bedeutete, daß die Macht über die Kirche der Kirchenleitung, letztlich dem Papst, zustehen sollte. Diese kirchliche Freiheit wurde umfassend verstanden: – Freie Wahl der Bischöfe in den Kathedralkirchen, – priesterlicher Zölibat als notwendige Voraussetzung, um den Klerus von familiärer Abhängigkeit frei zu halten, 1 2016 waren in Schweden 6.008.356 Protestanten, 147.347 Orthodoxe, 116.031 Katholiken, 8.316 Juden und 154.189 Anhänger des Islams offiziell eingetragen, siehe Lista över trossamfund i Sverige efter antal anhängare, https://sv.wikipedia.org/wiki/ Lista_%C3%B6ver_trossamfund_i_ Sverige_efter_antal_anh%C3%A4ngare (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020).

Das Verhältnis von Staat und Kirche in Schweden

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– Unantastbarkeit des Priestertums, um Angriffen gegen Vertreter der Kirche entgegenzuwirken, – Exemtion von weltlichen Gerichten und Errichtung einer eigenen kirchlichen Gerichtsbarkeit durch kirchliche Gesetze, – wirtschaftliche Eigenständigkeit zur Sicherstellung der materiellen Grundlagen kirchlichen Wirkens, – Steuerbefreiung für die Vermögensgüter der Kirche, – weitere Absicherung der wirtschaftlichen Exemtionen durch die Abgabe des Zehnten (und später auch durch den Peterspfennig).2 Während des 12. Jahrhunderts wurde die religiöse Wahrnehmung der universalen römisch-katholischen Kirche in die rechtliche Realität überführt.3 Diese Arbeit, die von einer langen Reihe von Juristenpäpsten geleistet und fortgesetzt wurde, führte zu päpstlichen Urteilen, päpstlichen Dekreten oder formellen päpstlichen Briefen, die rechtliche Entscheidungen darstellten und einer Flut von Gesetzen, die mit einer rechtlichen Kodifizierung im kanonischen Recht einhergingen. Dies wird in dem folgenden Zitat deutlich: „Da das Konsistorium immer mehr zum obersten Gericht der Christenheit wurde, wurden immer vielfältigere Fälle vor Gericht angehört, die jedoch oft von unerträglicher Belanglosigkeit waren. Rom war ursprünglich als letzte Appellationsinstanz gedacht. Im Laufe des 12. Jahrhunderts übernahm es die Rolle eines Gerichts erster Instanz. Mit den Reisen Urbans II. in Frankreich sowie der plötzlichen Erreichbarkeit des päpstlichen Hofes außerhalb von Italien vervielfachten sich die Fälle, und dieser Trend verstärkte sich im Laufe des nächsten Jahrhunderts. Der Papst wurde zum ,universalen Ordinarius‘ und sprach in jedem Winkel der Christenheit unmittelbar Recht aus, indem er Urteile fällte, die in die Präzedenzfallsammlung eingingen und zur Grundlage des Rechts wurden. Die Wurzeln dieser Entwicklung waren religiös und basierten auf der traditionellen römischen Interpretation des Auftrags Petri. Es war die Aufgabe des Papsttums des 12. Jahrhunderts, diese religiöse Wahrnehmung in juristische Realität zu übertragen. Der große Urheber auf diesem Gebiet war Papst Alexander III. (1159–1181), der erste einer langen Reihe von Juristenpäpsten. Ungefähr tausend päpstliche Dekrete formaler päpstlicher Briefe, die rechtliche Entscheidungen verkörperten, blieben aus dem 12. Jahrhundert erhalten. Eine beeindruckende Zahl hiervon, nämlich 700, stammen von Alexander III. und mehr als die Hälfte davon betreffen englische Angelegenheiten. Die Zusammenstellung des Concordia discordantium canonum, die Übereinstimmung sich entgegenstehender Gesetze durch den bolognesischen Mönch Gratian um das Jahr 1140, war für das Studium und die Ausübung des kanonischen Rechts ein großer Schritt nach vorne. Diese gewaltige Sammlung und Systematisierung des gesamten kanonischen Rechts bis in die Mitte

2

Sören Ekström, Svenska Kyrkan – i går, i dag, i framtiden, 2016, S. 37. Claude Augé, Nouveau Petit Larousse illustré, Dictionnaire encyclopédique, 5. Aufl. 1948, S. 166, verweist auf die Herkunft des Begriffs „catholique“: „adj. (du gr. katholikos, universel)“. 3

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des 12. Jahrhunderts brachte Ordnung und eine dialektische Methode zur Lösung rechtlicher Widersprüche einer zuvor chaotischen Situation. Sie verhalf dazu, das kanonische Recht als eines der wichtigsten Gebiete intellektueller Leistung und des Fortschritts für das nächste Jahrhundert zu etablieren. Gratians Werk war wie die meisten mittelalterlichen Rechtssammlungen das Unternehmen eines Privatgelehrten. Das Papsttum war nicht daran beteiligt. Das kanonische Recht war päpstliches Recht und die wachsende Dominanz des Rechts innerhalb der Kirche war genauso wie der Monarch und seine Gerichte ein Schlüsselfaktor bei der Errichtung des Papsttums im Herzen der Kirche im Mittelpunkt säkularer Rechtssysteme.“ 4

Nach und nach gewann das kanonische Recht Einfluß auf das schwedische Rechtssystem. Erzbischof Stefan von Uppsala erhielt bei seinem Amtsantritt 1164 vom Papst Anweisungen, wie das kanonische Recht anzuwenden sei.5 Dies umzusetzen erwies sich als keine leichte Aufgabe. Die ersten Bischöfe und Priester waren nicht in der Lage, die Rechtslage zu ändern. Oft waren Priester Verwandte von Bauern, verheiratet und unterstanden den gleichen Gesetzen wie alle. Der zuständige Gemeinderat (Tinget) war sowohl für die Behandlung weltlicher als auch kirchlicher Fragen zuständig und besaß eine starke, entscheidende Position. Das in weltlichen Angelegenheiten bereits bestehende lokal maßgebliche Recht wurde auch auf kirchliche Angelegenheiten angewandt. Folglich war die Position der Priester im Rat die gleiche wie die der Grundbesitzer, d. h. sie hatten keine bevorzugte oder bestimmende Position inne. Darüber hinaus oblag den im Rahmen der Kirchen bestehenden oder entstehenden Gemeinden die Verantwortung für den Aufbau und die Pflege der Kirchen und für die Unterstützung der Priester. Ein erster Durchbruch für eine konsequentere Anwendung des kanonischen Rechts erfolgte 1248 auf einer Provinzsynode in Skänninge und unter Einfluß des Kardinallegaten Wilhelm von Sabina. Bei seinem Aufenthalt in Schweden fiel die Entscheidung, daß jedes Domkapitel in Schweden über eine Kopie der Kirchenrechtssammlungen, damals Decretum Gratiani (1140) und Liber Extra (1234), verfügen sollte.6 Indes blieb der Erfolg des kanonischen Rechts begrenzt. Es sollte noch lange dauern, bis manche der Prinzipien des kanonischen Rechts vollständig akzeptiert würden. Zur Zeit der Provinzsynode in Skänninge war eine große Anzahl der Priester verheiratet und hatte große Familien. Auch die Akzeptanz des Zölibats erwies sich als schwierig. Starke nationale und lokale Einflüsse blieben nach der Synode u. a. aufgrund der kirchlichen Bestimmungen in den Landesgesetzen bestehen. Es wurden ins-

4 Eamon Duffy, Saints and Sinners – A History of the Popes, 1997, S. 101. Zum kanonischen Recht und seinem Einfluß siehe auch Ditlev Tamm, Romersk rätt och europeisk rättsutveckling, andra upplagan, 1996, S. 270. 5 Ekström (Fn. 2), S. 37. 6 Erik Anners, Den europeiska rättens historia, del 1, 1974, S. 177.

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besondere Einflüsse aus den kirchlichen Bestimmungen des Provinzialgesetzes von Uppsala aus dem Jahre 1296 beibehalten. Dies änderte sich während des 15. Jahrhunderts mit einer strengeren Anwendung des kanonischen Rechts und durch die große Bedeutung der von Erzbischof Nicolaus Ragvaldi 1441 vorgelegten kirchlichen Bestimmungen.7 Das römische Recht hat das kanonische Recht geprägt, und dieses nahm seinerseits, zumal im Mittelalter, Einfluß auf die allgemeine europäische Rechtsentwicklung.8 Die Rechtskulturen Europas sind im Laufe der Jahrhunderte durch den gemeinsamen Ausgangspunkt des ius commune, d. h. des kanonischen und des römischen Rechts geprägt worden. Somit haben alle Rechtskulturen der europäischen Staaten eine Beziehung zum ius commune, dem Gelehrtenrecht.9 Indes hatte selbst das römische Recht im Mittelalter nicht so tiefgreifende Auswirkungen auf die westeuropäischen Gesetzgebungen wie das kanonische Recht.10 Dies zeigt sich u. a. im Verfahrens- und Strafrecht.11 Aufgrund der Kohärenz ihres Systems des kanonischen Rechts genoß die Kirche in Europa beträchtliche Autorität, und das kanonische Recht wurden neben dem römischen Recht angewendet. 3. Rechtswissenschaftliche Behandlung des kanonischen Rechts an den Universitäten Wichtige Beiträge zur rechtswissenschaftlichen Behandlung des kanonischen Rechts leisten die in vielen europäischen Staaten gegründeten Universitäten. Den Beginn dieser wichtigen Entwicklung stellte die Gründung der Universität in Bologna im Jahre 1088 dar.12 Es folgte die Gründung von weiteren, heute noch bestehenden Universitäten in vielen anderen europäischen Staaten. Als weitere Beispiele seien die Universitäten in Paris (um 1150), Oxford (1249), Cambridge (1280), Prag (1348) und Krakau (1364) genannt.13 Mit Bulle vom 27. Februar 1477 genehmigte Papst Sixtus IV. die Einrichtung eines Studium Generale nach dem Vorbild von Bologna in Uppsala und erteilte 7

Ekström (Fn. 2), S. 38. Ivar Strahl, Makt och rätt, Rättsidéns gång genom historien, Från Babylonien till FN, En överblick, 8. Aufl. 1979, S. 29. 9 Kjell Å. Modéer, Optimala rättsliga kulturer ?, Om modernitet och kontinuitet i nationella och globala rättsliga kulturer, Juridisk Tidskrift 1999–2000, S. 71 (83). 10 Anners (Fn. 6), S. 142. 11 Ebd., S. 144, 146 und 183. 12 Gunnar Gunnarsson/Nils Ahnlund (Hrsg.), Norstedts uppslagsbok, 1942, S. 180. Zu der wichtigen Rolle, die Bologna für die Entwicklung einer Rechtswissenschaft spielte, siehe auch Tamm (Fn. 4), S. 257. 13 Hans Uddling/Jonas Sjögren (Hrsg.), Stora Focus Band 10, 1989, S. 212; Gunnar Gunnarsson/Nils Ahnlund (Hrsg.), Norstedts uppslagsbok, 1942, S. 236 (Cambridge), 896 (Krakau), 1210 (Oxford) und 1295 (Prag). 8

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das Recht, Theologie, Kirchenrecht und ziviles Recht, Medizin und Philosophie zu lehren.14 Damit war die erste Universität in den nordischen Staaten gegründet. Der Dominikaner Thomas von Aquin (1225–1274), Autor der Summa Theologica, wies auf, daß es nie einen Widerspruch zwischen den Grundwahrheiten des Glaubens und der natürlichen Vernunft geben kann.15 Thomas entwarf das Konzept des natürlichen Gesetzes (Naturgesetz, jus naturale), das sich aus der menschlichen Vernunft ableitet und auf dem das menschliche Gesetz (lex humana) beruhen soll. Er kommt zu dem Schluß, daß ein Gesetz, das von der natürlichen Vernunft abweicht, seine Bedeutung als Gesetz verliert und statt dessen einen Rechtsverstoß darstellt.16 Darüber hinaus vertrat er die Ansicht, daß ein Gesetz, das nicht aus dem ewigen Recht abgeleitet ist, einen Rechtsverstoß darstelle und folglich nicht beachtet werden müsse.17 In seinem großen Werk behandelt er verschiedene Aspekte von Gesetzen.18 Das System des Naturgesetzes wurde später von Hugo Grotius (1583–1645) und anderen Rechtsgelehrten weiterentwickelt.19 4. Reformation der Kirche im 16. Jahrhundert und weitere Entwicklungen Die Macht des kanonischen Rechts wurde im 16. Jahrhundert durch die Reformation der Kirche gebrochen. König Erik XIV. und König Karl IX. versuchten, ein eigenes Kirchenrecht auszuarbeiten, blieben jedoch ohne Erfolg. Dies bedeutete, daß die kirchlichen Bestimmungen des Provinzialgesetzes von Uppsala aus dem Jahre 1296 wieder in Kraft traten. Auch wurden – letztlich erfolglose – Versuche unternommen, die Kirchenordnung von 1571 zu revidieren. Stattdessen wurden in die Bestimmungen über die Privilegien des Klerus Bestimmungen zu wichtigen Fragen der kirchlichen Organisation aufgenommen. Königin Christina, König Gustav X. und König Karl XI. trafen mehrere Entscheidungen hinsichtlich solcher Angelegenheiten. Schließlich wurde unter König Karl XI. 1686 ein Kirchengesetz verabschiedet.20 14 Bernhard Meijer (Hrsg.), Nordisk familjebok, konversationslexikon och realencyklopedi, trettionde bandet, 1920, S. 1259. 15 Gunnar Gunnarsson/Nils Ahnlund (Hrsg.), Norstedts uppslagsbok, 1942, S. 1694. 16 Anners (Fn. 6), S. 121. 17 Ebenso äußert sich Thomas zur Frage, warum neben dem Naturgesetz und dem menschlichen Gesetz zum Lenken des menschlichen Verhaltens ein göttliches Gesetz vonnöten ist. 18 So: Die Bedeutung des Gesetzes, die verschiedenen Arten von Gesetzen (ob es ein ewiges Gesetz, in uns ein Naturgesetz, ein menschliches Gesetz, irgendeine Notwendigkeit für ein göttliches Gesetz, nur ein göttliches Gesetz gibt), die Auswirkungen des Gesetzes, das Ewige Gesetz, das Naturgesetz, das menschliche Gesetz, die Macht des menschliches Gesetzes, der Wandel der Gesetze. 19 Anners (Fn. 6), S. 21 ff. und 90 ff. 20 Ekström (Fn. 2), S. 38.

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Während der beiden folgenden Jahrhunderte wurden erfolglose Versuche unternommen, neue Gesetze einzuführen. Stattdessen wurden Sammlungen relevanter Gesetze für die Kirche veröffentlicht und ab 1723 durch die Privilegien des Klerus die lokale Verwaltung entwickelt. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde calvinistischen und katholischen Einwanderern das Recht auf Abhaltung des Gottesdienstes gewährt. Während des 19. Jahrhunderts änderte sich die Organisation der lokalen Gemeinden drastisch, so entstanden eine neue Kirchenversammlung sowie die Erweckungsbewegung. Das Kirchengesetz von 1686 blieb hingegen bestehen.21 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Kirchenaustritt zulässig, allerdings nur unter der Voraussetzung des Eintritts in eine andere staatlich genehmigte Religionsgemeinschaft, wie etwa die Methodistenkirche und die römischkatholische Kirche.22 Die Strafbarkeit des Abfalls vom evangelisch-lutherischen Glauben wurde hingegen durch ein neues Strafgesetzbuch 1864 aufgehoben. a) Reform der Religionsfreiheit 1952 1952 trat eine Reform für Religionsfreiheit in Kraft. Diese beinhaltet auch das Recht aller schwedischen Bürger, frei zu wählen, ob sie der Kirche von Schweden angehören wollten. Das hatte u. a. diese Auswirkungen: – Niemand ist mehr dazu gezwungen, überhaupt einer Religionsgemeinschaft anzugehören. – Jedem steht es frei, die Schwedische Kirche zu verlassen. – Ein Kind gehörte nur dann der Kirche von Schweden an, wenn auch wenigstens ein Elternteil ihr angehört. – Die Freiheit, in ein Kloster einzutreten, war nicht Teil dieser Reform, wurde aber 1977 ermöglicht.23 b) Teilreform der Kirchenversammlung von 1982 Die Teilreform der Kirchenversammlung von 1982 führte zu wichtigen Veränderungen in den Beziehungen zwischen dem Staat und der Kirche von Schweden: – Die Beteilung der Kirchenversammlung an der staatlichen Gesetzgebung wurde fast vollständig abgeschafft. – Das Parlament delegierte die Entscheidungskompetenz über wichtige interne Fragen an die Kirchenversammlung. 21 22 23

Ebd. Ebd., S. 18. Ebd., S. 24.

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– Die obligatorische Vertretung durch Pastoren und Bischöfe wurde abgeschafft. – Es wurde ein Ausschuß zur Behandlung von Glaubensfragen eingeführt, der – bei Anwesenheit aller Bischöfe – vor den Beschlüssen der Kirchenversammlung beraten sollte. – Auf nationaler Ebene wurde ein gewählte zentrale Kirchenleitung eingerichtet. – Schließlich wurde formal zwischen gesetzlich und nicht gesetzlich geregelten Aktivitäten unterschieden.24 c) Reform der nationalen Registrierung von Personen im Jahr 1991 Die nationale Registrierung von Personen wurde am 1. Juli 1991 von der Schwedischen Kirche auf das Finanzamt übertragen. Das heißt, das Finanzamt übernahm die Aufgabe, den Wohnsitz einer Person zu bestimmen und Informationen zu ihrer Identität, Familie und anderen Merkmalen wie Trauung, Geburt und Tod zu erfassen.25 Das Finanzamt ist für die Richtigkeit der Angaben zu Wohnort, Identität und Personenstand der Bürger verantwortlich.26 d) Reform des staatskirchenrechtlichen Systems zum 1. Januar 2000 Die zum 1. Januar 2000 in Kraft getretene Reform des staatskirchenrechtlichen Systems bedeutete im Endeffekt das Ende der Kirche von Schweden als Staatskirche. Seitdem ist sie eine nach den gesetzlichen Vorgaben eingetragene Religionsgemeinschaft – eine im schwedischen Recht völlig neue Rechtsform des Vereinigungsrechts.27 Weitere Elemente der Reform waren: – Schaffung einer speziellen Gesetzgebung für die Schwedische Kirche, die sich in Teilen von dem für andere Religionsgemeinschaften unterscheidet; – ausschließliches Recht der Schwedischen Kirche, über alle inneren Angelegenheiten ohne vorherige Delegation durch das Parlament zu entscheiden; – Recht der Schwedischen Kirche auf staatliche Entschädigung für historische kirchliche Baudenkmäler; – Recht der Schwedischen Kirche, das gesamte Kirchenvermögen einschließlich des Fonds für die Besoldung der Pastoren zu verwalten; 24

Ebd, S. 25. Jeweils § 1 des Gesetzes Nr. 482/1991 über das Inkrafttreten des Gesetzes zur Registrierung von Personen (Lag om införande av folkbokföringslagen) sowie des Gesetzes Nr. 481/1991 über die Registrierung von Personen (Folkbokföringslagen). 26 § 2 der Verordnung Nr. 154/2017 über Richtlinien für das Finanzamt (Förordning med instruktion för Skatteverket). 27 § 5 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 1998/1593 über Religionsgemeinschaften (Lag om trossamfund). 25

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– Fortschreibung der Verantwortlichkeit der Schwedischen Kirche auf dem Gebiet des Bestattungswesens; – Einführung einer Rechtspflicht der Angehörigen der Schwedischen Kirche zur Zahlung eines Kirchenbeitrags, – welchen der Staat kostenlos einzuziehen hat.28

II. Rechtsquellen des Staatskirchenrechts Als wichtige Beispiele für Rechtsquellen des Staatskirchenrechts sind – in chronologischer Reihenfolge – die folgenden Gesetze und Verordnungen zu nennen: – Gesetz Nr. 105/1949 über die Pressefreiheit (Tryckfrihetsförordningen) vom 5. April 1949, – Verfassung des Königreichs Schweden (Regeringsformen), Gesetz Nr. 152/1974 vom 28. Februar 1974, – Gesetz Nr. 950/1988 zum Schutz der kulturellen Landschaft (Kulturmiljölag) vom 30. Juni 1988, – Grundlagen der Meinungsäußerung (Yttrandefrihetsgrundlagen), Gesetz Nr. 1469/1991 vom 14. November 1991, – Gesetz Nr. 1219/1994 über die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Lag om den Europeiska konventionen angående skydd för de mänskliga rättigheterna och de grundläggande friheterna) vom 5. Mai 1994, – Umsatzsteuergesetz Nr. 200/1994 (Mervärdesskattelag) vom 30. März 1994, – Gesetz Nr. 1591/1998 über die Schwedische Kirche (Lag om Svenska kyrkan) vom 26. November 1998, – Gesetz Nr. 1592/1998 über das Inkrafttreten des Gesetzes über die Schwedische Kirche (Lag om införande av lagen om Svenska kyrkan) vom 26. November 1998, – Gesetz Nr. 1593/1998 über die Religionsgemeinschaften (Lag om trossamfund) vom 26. November 1998, – Gesetz Nr. 291/1999 über die Beiträge an eingetragene Religionsgemeinschaften (Lag om avgift till registrerat trossamfund) vom 4. Mai 1999, – Beitragsverordnung Nr. 728/1999 für eingetragene Religionsgemeinschaften (Förordning om avgift till registrerat trossamfund) vom 26. August 1999, – Verordnung Nr. 731/1999 über die Eintragung von Religionsgemeinschaften (Förordning om registrering av trossamfund) vom 26. August 1999, 28

Ekström (Fn. 2), S. 25.

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– Gesetz Nr. 932/1999 über Zuschüsse an Religionsgemeinschaften (Lag om stöd till trossamfund) vom 25. November 1999, – Verordnung Nr. 974/1999 über staatliche Zuschüsse an Religionsgemeinschaften (Förordning om statsbidrag till trossamfund) vom 25. November 1999, – Einkommensteuergesetz Nr. 1229/1999 (Inkomstskattelag) vom 16. Dezember 1999, – Kirchenordnung der Schwedischen Kirche (Kyrkoordning för Svenska kyrkan), in der aktuellen Fassung vom 1. Januar 2017, – Verordnung Nr. 104/2017 mit Vorgaben an die Behörden hinsichtlich der Förderung von Religionsgemeinschaften (Förordning med instruktion för Myndigheten för stöd till trossamfund) vom 16. Februar 2017.

III. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien im Überblick Im Grundsatz stellt das Staatskirchenrecht allen Kirchen und Religionsgemeinschaften in Schweden gleiche rechtliche Strukturen zur Verfügung, vor allem in Gestalt der Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK),29 ebenso institutionell durch den Regierungsrat für Kontakte zwischen den Religionsgemeinschaften.30 Dieses Strukturprinzip der Gleichheit gilt nicht uneingeschränkt. An Ausnahmen sind zu nennen: – Mitglieder der königlichen Familie, die sich nicht nach Maßgabe des Thronfolgegesetzes zum evangelisch-lutherischen Glauben bekennen, sind von der Thronfolge ausgeschlossen.31 – Abgesehen von der Kirche von Schweden erlangen Kirchen und Religionsgemeinschaften den Status einer eingetragenen Religionsgemeinschaft im Wege eines förmlichen Verwaltungsverfahrens und haben einen jährlichen Beitrag zu entrichten, um diesen Rechtsstatus beizubehalten.32 – Während die Finanzbehörden der Schwedischen Kirche kostenlose Verwaltungshilfe bei der Einziehung ihrer Beiträge erbringen, können andere Kirchen und Religionsgemeinschaften die gleiche Leistung nur gegen Entrichtung einer Aufwandsentschädigung erhalten.33

29 30 31 32 33

Dazu unten IV. Dazu unten VIII. 2. Dazu unten IV. 3. Dazu unten V. Dazu unten VII. 2. b).

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– Umgekehrt erhält die Kirche von Schweden, anders als eine Vielzahl anderer Kirchen und Religionsgemeinschaften, keinerlei staatliche Beihilfen.34 – Nur die Schwedische Kirche erhält vom Staat in gewissem Umfang die Kosten erstattet, die sie aus Gründen des Denkmalschutzes für Pflege und Erhalt des kirchlichen Kulturerbes an Kirchengebäuden und Einrichtungsgegenständen aufwendet.35 – Allein der Schwedischen Kirche werden durch die staatliche Gesetzgebung (Gesetz über die Schwedische Kirche sowie Kirchenordnung) intern zu beachtende rechtliche Strukturprinzipien vorgegeben.36

IV. Religionsfreiheit 1. Schwedische Verfassungsgesetze Die schwedische Verfassung (Regeringsformen) gewährleistet in Kapitel 2 § 1, daß jeder im Gemeinwesen Gebrauch von der Religionsfreiheit machen kann, indem er seine Religion allein oder gemeinsam mit anderen ausübt. Kapitel 1 § 1 des Gesetzes über Pressefreiheit (Tryckfrihetsförordningen) gibt jedem Staatsbürger das Recht, Dokumente ohne vorherige Einflußnahme seitens der Behörden oder anderer öffentlicher Organe zu veröffentlichen. Das Gesetz über das Recht auf freie Meinungsäußerung (Yttrandefrihetsgrundlagen) berechtigt zudem jeden Bürger, seine Gedanken, Meinungen und Gefühle in der Öffentlichkeit frei zu äußern und jedwede sonstigen Informationen an die Medien zu geben (Kapitel 1 § 1). 2. Europäische Menschenrechtskonvention Gem. Art. 9 Abs. 1 EMRK hat jeder Mensch das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht beinhaltet die Freiheit, seine Religion oder seinen Glauben zu ändern und diesen allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Lehre, Praxis und Befolgung Ausdruck zu verleihen. Nach Abs. 2 sind nur solche Einschränkungen zulässig, die gesetzlich vorgeschrieben sind und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der öffentlichen Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Ergänzend dazu bestimmt Art. 14 EMRK, daß die in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten ohne Diskriminierung aus Gründen der Religion wahrgenommen werden können. Erst 1994 wurde die EMRK in 34 35 36

Dazu unten VII. 2. d). Dazu unten VII. 1. Dazu unten IX.

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schwedisches Recht transformiert.37 Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) finden in Rechtsprechung und Lehre umfassend Beachtung.38 3. Regierung, Beamte, Richter und Mitglieder der königlichen Familie Die frühere Rechtspflicht von Regierungsmitgliedern, Beamten und Richtern, dem evangelisch-lutherischen Glauben anzugehören, wurde mit der Reform der Religionsfreiheit 1952 aufgehoben.39 Obschon die Mitglieder der Königsfamilie nach schwedischer Verfassung und EMRK gleiche Freiheit genießen, sind sie dennoch vom Recht der Thronfolge ausgeschlossen, wenn sie sich nicht nach Maßgabe des Thronfolgegesetzes zum evangelisch-lutherischen Glauben bekennen.40 Zwar war die Frage des Thronfolgegesetzes in der Vergangenheit bereits Gegenstand von Reformdiskussionen, zu einer Änderung der Regelung kam es jedoch nicht.41

V. Rechtsstellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften Das „Gesetz über Religionsgemeinschaften“ 42 definiert eine Religionsgemeinschaft als eine Gemeinschaft, die sich der Feier des Gottesdienstes sowie religiös motivierten Aktivitäten widmet (§ 2). Niemand ist dazu verpflichtet, einer bestimmten Religionsgemeinschaft anzugehören. Alle Vereinbarungen oder Zusicherungen, die gegen diese Bestimmung verstoßen, sind unwirksam (§ 3). Haben Kinder das zwölfte Lebensjahr vollendet, kann ein Wechsel ihrer Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft nicht ohne ihre Zustimmung erfolgen (§ 4). 1. Schwedische Kirche Anders als die übrigen Kirchen und Religionsgemeinschaften ist die Schwedische Kirche bereits unmittelbar von Gesetzes wegen eine eingetragene Religionsgemeinschaft und juristische Person. Sie kann Rechte erwerben und Verpflich-

37 Gesetz Nr. 1219/1994 über die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten. 38 Statt aller Hans Danelius, Mänskliga rättigheter i europeisk praxis, En kommentar till Europakonventionen om de mänskliga rättigheterna, 5. Aufl. 2015, S. 445 ff. (zu Art. 9) und S. 557 ff. (zu Art. 14). 39 Ekström (Fn. 2), S. 18 und 24. 40 § 4 des Thronfolgegesetzes Nr. 926/1810 vom 26.9.1810. 41 Näher zu diesem Thema Ekström (Fn. 2), S. 138. 42 Nachw. oben unter II.

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tungen eingehen sowie vor Gericht und bei Behörden auftreten.43 Als Untergliederungen sind auch ihre Kirchengemeinden, Vereinigungen und Diözesen im Register eingetragen (§ 13 Abs. 4). 2. Andere Kirchen und Religionsgemeinschaften Demgegenüber müssen die übrigen Kirchen und Religionsgemeinschaften bei der Registrierungsbehörde (Kammarkollegiet) eine gebührenpflichtige Registrierung beantragen, um den Status als eingetragene Religionsgemeinschaft zu erlangen.44 Eine solche Registrierung wird vorgenommen, wenn die betreffende Religionsgemeinschaft über eine Satzung verfügt, in der ihre Ziele sowie die Art und Weise, in der sie in ihren eigenen Angelegenheiten ihre Entscheidungen trifft, geregelt sind. Zudem muß sie über einen Vorstand oder ein entsprechendes Organ verfügen (§ 7 Abs. 1). Die Eintragung ist nur möglich, wenn die Bezeichnung der Religionsgemeinschaft eindeutig ist und sie sich in ihrem religiösen Profil hinreichend von anderen Religionsgemeinschaften unterscheidet (§ 7 Abs. 2). Nicht eintragungsfähig sind Gesellschaften mit beschränkter Haftung, gewinnorientierte Vereine und Stiftungen (§ 7 Abs. 3). Einzutragen sind neben der Bezeichnung der Religionsgemeinschaft auch ihre Anschrift, ihre Satzung und (mindestens) ein für ihre Vertretung zuständiger Ansprechpartner (§ 8). Eingetragene Kirchen und Religionsgemeinschaften besitzen Rechtspersönlichkeit. Daher können sie Rechte erwerben, Verpflichtungen eingehen und vor Gericht und bei Behörden auftreten (§ 9 Abs. 1). Nach § 13 Abs. 1 des Religionsgemeinschaftsgesetzes können auch selbständige Untergliederungen einer Religionsgemeinschaft eingetragen werden. Auch in diesem Fall ist für die Registrierung eine jährliche Verwaltungsgebühr zu entrichten. Bestehen aus der Zeit vor der Eintragung Verbindlichkeiten und Rechte, so werden diese durch die Entscheidung über die Registrierung auf die eingetragene Religionsgemeinschaft übertragen, sofern diese zuvor als gemeinnütziger Verein organisiert war (§ 10). Nach § 9 Abs. 2 sowie nach § 12 Abs. 1 und 2 des Religionsgemeinschaftsgesetzes erlischt der Rechtsstatus als eingetragene Religionsgemeinschaft, wenn eine Religionsgemeinschaft liquidiert wird, in Konkurs geht, sie selbst ihre Löschung durch die Registrierungsbehörde beantragt oder aber die für den Fortbestand des Rechtsstatus vorgeschriebene Jahresgebühr nicht zahlt. Nach dem

43 §§ 5 Abs. 1, 6 des Gesetzes über Religionsgemeinschaften und §§ 1, 3 des Gesetzes über die Schwedische Kirche. 44 Die Gebühr beträgt gegenwärtig 500 Schwedischen Kronen (ca. 50 Euro). Siehe zu alledem §§ 5 Abs. 2, 7 des Gesetzes über Religionsgemeinschaften und § 2 der Verordnung über die Eintragung von Religionsgemeinschaften; s. ferner die Website der erwähnten Registrierungsbehörde: www.kammarkollegiet.se/registrera-trossamfund/an sokan-och-avgift (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020).

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Erlöschen ihres bisherigen Status wird sie statusrechtlich als ein gemeinnütziger Verein betrachtet, der in die Rechte und Pflichten der Religionsgemeinschaft eintritt (§ 12 Abs. 3). Entscheidungen der Registrierungsbehörde können vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden (§ 17). Soweit sich eine Religionsgemeinschaft – wie in einigen Fällen geschehen – dafür entscheidet, ihre in der Vergangenheit bestehende Rechtsform als Stiftung beizubehalten, kann sie den Status einer eingetragenen Religionsgemeinschaft nicht erlangen.

VI. Einflußmöglichkeiten von Kirchen und Religionsgemeinschaften 1. Schriftliche Stellungnahmen zu den Gesetzesentwürfen der Regierung an das Parlament Wenn Religionsgemeinschaften von der Regierung förmlich aufgefordert werden, zu Gesetzesentwürfen der Regierung Stellung zu nehmen, können sie ihre Stellungnahme innerhalb einer angemessenen Frist schriftlich einreichen. Zudem können sich Religionsgemeinschaften auch auf eigene Initiative an die Regierung wenden und ihre Bewertung entsprechender Gesetzesvorhaben schriftlich darlegen. 2. Schwedischer Christenrat Soweit sich der Schwedische Christenrat (Sveriges kristna råd) in gesellschaftspolitischen Belangen einvernehmlich auf Positionen bzw. Empfehlungen verständigt und diese öffentlich kommuniziert, können seine Äußerungen aufgrund der medialen Berichterstattung im Einzelfall einen bedeutenden Einfluß auf die öffentliche Meinung gewinnen. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit stellt der Aufruf des Rates zur Hilfe für Flüchtlinge dar. 3. Rat für Kontakte zwischen den Religionsgemeinschaften der schwedischen Regierung Der Rat für Kontakte zwischen den Religionsgemeinschaften und der schwedischen Regierung, in dem der Kultusminister den Vorsitz führt, hat die Aufgabe, als Diskussionsforum in solchen Belangen zu fungieren, die sowohl für den Staat als auch für die Religionsgemeinschaften von Bedeutung sind.45

45 Näher: Protokoll einer Kabinettssitzung mit Beschluß zur Einrichtung eines Rates für Kontakte zwischen Staat und Religionsgemeinschaften (Utdrag från protokoll vid regeringssammanträde 24.2.2000 om beslut att inrätta ett organ för kontakt mellan staten och trossamfunden, Ku2000/564/Ka).

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VII. Kirchenvermögen und Kirchenfinanzierung 1. Kirchenvermögen Fragen, die das Vermögen der Kirche betreffen,46 werden in §§ 7–9 des Gesetzes über die Einführung des schwedischen Kirchengesetzes geregelt.47 Dieses Gesetz sieht u. a. vor, daß die Erlöse aus dem Vermögen des Kirchenfonds und der Kirchenimmobilien in das Eigentum der schwedischen Kirche übergehen und für kirchliche Zwecke zu verwenden sind. Ferner gewährleistet es, daß Kirchen und Kathedralen mitsamt des zugehörigen Inventars sowie Kirchhöfe und Friedhöfe, die vor 1817 auf dem Land oder vor 1843 in der Stadt errichtet wurden, der Gemeinde gehören, in der sich das Gebäude befindet; hierbei ist eine dem bisherigen Zweck entsprechende Verwendung der genannten Immobilien sicherzustellen. Dies gilt, bis die schwedische Kirche eine anderweitige Regelung trifft. Schließlich verbürgt dieses Gesetz, daß dann, wenn der Erlös aus dem Immobilieneigentum der Kirche für die Zwecke der Gemeindekirche oder der Kathedrale zu verwenden ist, das betreffende Immobilieneigentum der Gemeinde gehört, in der sich die Kirche befindet. 2. Kirchenfinanzierung Jenseits freiwilliger Gottesdienstkollekten und der Erzielung von Erlösen aus dem Vermögen für Pastorengehälter sind als Quellen der Kirchenfinanzierung zunächst Beiträge und Spenden sowie staatliche Zuschüsse für Religionsgemeinschaften und Kirchengebäude zu erwähnen. In diesem Kontext zu berücksichtigen sind zudem Steuerermäßigungen. a) Beiträge Über die Höhe der Mitgliedsbeiträge entscheiden die Religionsgemeinschaften. Die Mitglieder der Schwedischen Kirche zahlen lokale und regionale Kirchenbeiträge (§ 7 des Gesetzes über die Schwedische Kirche48). Die Gemeinde entscheidet über den lokalen Kirchenbeitrag; soweit sie allerdings Teil eines Kirchenverbandes ist, kann auch der Verband über einen Teil oder den gesamten Kirchenbeitrag befinden (§ 8 Abs. 1). Die Diözese entscheidet über den regionalen Kirchenbeitrag (§ 8 Abs. 2). Die eingetragenen christlichen und islamischen Gemeinschaften, die die Hilfe des Finanzamtes für die Erhebung der Mitgliedsbeiträge in Anspruch nehmen, erhoben im Jahr 2017 in der Regel einen Beitrag von 1 % des zu versteuernden 46 Das gilt beispielsweise für Belange, die kirchliche Immobilien oder die Anlagen für Pastorengehälter berühren. 47 Nachw. oben unter II. 48 Nachw. oben unter II.

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Gemeindeeinkommens.49 Mitglieder aller anderen Religionsgemeinschaften können den Mitgliedsbeitrag zahlen, indem sie ihren Arbeitgeber auffordern, einen erhöhten Abzug von ihrem Gehalt vorzunehmen.50 b) Einzug der Beiträge Die Mitgliedsbeiträge für die Kirchen und einige andere anerkannte Religionsgemeinschaften sowie die Gebühren für Bestattungen werden vielfach von der staatlichen Verwaltung erhoben und dann an die Kirchen oder die betreffenden Religionsgemeinschaften überwiesen.51 Im Zuge der Reform des schwedischen Staatskirchenwesens zum 1. Januar 2000 wurde der Schwedischen Kirche das Recht auf unentgeltliche Unterstützung bei der Erhebung von Kirchenbeiträgen durch das staatliche Finanzamt eingeräumt.52 Alle anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften können die gleiche Unterstützung durch das Finanzamt erhalten, müssen hierfür indes finanzielle Ausgleichsleistungen erbringen.53 Die unterschiedliche Handhabung der (Un-)Entgeltlichkeit der Unterstützung durch das Finanzamt liegt darin begründet, daß die letztgenannten Kirchen und Religionsgemeinschaften im Gegensatz zur Schwedischen Kirche staatliche Unterstützung erhalten.54 c) Spenden und Testamente Einzelpersonen können der Kirche auf freiwilliger Basis, z. B. in Form einer monatlichen Überweisung einer Geldsumme, Geld spenden oder mittels Testament Eigentum hinterlassen. d) Staatliche Unterstützung von Religionsgemeinschaften 1971 wurde die staatliche Unterstützung von Religionsgemeinschaften eingeführt. Für die Verwaltung der staatlichen Unterstützungsleistungen wurde 1980 ein Kooperationsrat eingerichtet, der sowohl als staatliche Behörde als auch als organisatorische Grundlage für die Zusammenarbeit einer großen Zahl von Religionsgemeinschaften fungiert. Nach einer Gesetzesänderung werden die Fragen der staatlichen Zuschüsse seit dem 1. Juli 2017 jedoch vom Rat für Entscheidun49 Siehe die unter www.skatteverket.se (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020) verfügbaren Informationen, Stichwort Avgift till andra trossamfund på Skatteverkets hemsida (Informationen über Beiträge für andere Religionsgemeinschaften). 50 Ebd. 51 Siehe z. B. § 1 des Gesetzes über die Beiträge an eingetragene Religionsgemeinschaften sowie § 16 des Gesetzes über die Religionsgemeinschaften (Nachw. oben unter II.) 52 § 16 des Gesetzes über die Religionsgemeinschaften. 53 Ekström (Fn. 2), S. 39 und 160. 54 Ebd., S. 159.

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gen über staatliche Zuwendungen an Religionsgemeinschaften entschieden, der bei der Behörde zur Förderung der Religionsgemeinschaften angesiedelt ist.55 Zuwendungen können an eingetragene Religionsgemeinschaften als staatliche Förderung gewährt werden.56 Sie dürfen nur an eine Religionsgemeinschaft vergeben werden, die zur Wahrung und Stärkung der Grundwerte der Gesellschaft beiträgt sowie stabil und vital ist.57 Gewährt werden sie 22, im Einzelnen benannten Religionsgemeinschaften einschließlich ihrer Kooperationsorgane und Gemeinden.58 Zudem wird die Theologenausbildung an vier Bildungseinrichtungen staatlich gefördert.59 Im Einzelnen werden den Religionsgemeinschaften staatliche Zuwendungen als Unterstützung ihrer Verwaltung, ihrer Aktivitäten und ihrer Projekte gewährt.60 Die Kirche von Schweden hingegen erhält entsprechende Unterstützungsleistungen des Staates nicht. Zuwendungen für die Organisation werden für lokale und zentrale Aktivitäten gewährt, um eine aktive und langfristige Planung der religiösen Tätigkeit, regelmäßige Gottesdienste sowie dauerhafte seelsorgerische Bildungs- und Fürsorgeangebote zu fördern.61 Beihilfen für Aktivitäten dienen der Unterstützung der Theologenausbildung sowie der Seelsorge in Krankenhäusern.62 Eine Projektunterstützung können Gemeinden erhalten, die Räumlichkeiten für ihre religiösen Aktivitäten benötigen; hierbei können Beihilfen für den Neubau oder Kauf einer Immobilie gewährt werden, weiterhin für den Umbau oder die Instandsetzung von Räumlichkeiten, für barrierereduzierende Investitionen zugunsten körperlich behinderter Menschen und für die Verbesserung der Sicherheit in den betreffenden Immobilien.63 Die Zuschüsse für theologische Einrichtungen im allgemeinen sowie für die Theologenausbildung und für die Seelsorge im Gesundheitswesen beliefen sich im Jahr 2016 auf 10 Millionen Schwedische Kronen (ca. 1 Million Euro). Die übrigen Zuschüsse werden den anspruchsberechtigten Religionsgemeinschaften in Abhängigkeit von deren jeweiliger Mitgliederzahl gewährt. Die Zuwendungen für die Verwaltung der Religionsgemeinschaften wiesen im Jahr 2015 ein Volumen von 45 Millionen Schwedische Kronen auf (ca. 4,5 Millionen Euro). Die 55 § 1 Abs. 3, 4 sowie §§ 4, 17 der Verordnung über staatliche Zuschüsse für Religionsgemeinschaften (Nachw. oben unter II). 56 § 1 des Gesetzes über Zuschüsse an Religionsgemeinschaften (Nachw. oben unter II). 57 § 3 des vorgenannten Gesetzes. 58 § 3 der Verordnung über staatliche Zuschüsse an Religionsgemeinschaften. 59 § 4 der vorgenannten Verordnung. 60 § 5 der vorgenannten Verordnung. 61 § 2 des vorgenannten Gesetzes sowie §§ 6, 7 der vorgenannten Verordnung. 62 §§ 10, 11 der vorgenannten Verordnung. 63 § 12 der vorgenannten Verordnung.

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Zuschüsse für Räumlichkeiten und Einrichtungen betrugen im Jahr 2015 etwa 3 Millionen Schwedische Kronen (ca. 300.000 Euro). Die Gesamtsumme der staatlichen Unterstützung von Religionsgemeinschaften umfaßte im Jahr 2016 insgesamt 92 Millionen Schwedische Kronen (ca. 9,2 Millionen Euro). Die Höhe dieser Zuschüsse sollte wenigstens bis 2019 unverändert beibehalten werden.64 e) Staatliche Zuschüsse aus Gründen des Denkmalschutzes Kulturgeschichtlich bedeutsame Güter wie Kirchengebäude und Kircheninventar bilden das Schutzgut des „Gesetzes zum Schutz der kulturellen Landschaft“ (§ 1).65 Den einschlägigen Bestimmungen zufolge sind die Kirchengebäude so zu pflegen und zu erhalten, daß ihr kulturhistorischer Wert nicht beeinträchtigt und ihr Erscheinungsbild oder ihr Charakter nicht verfälscht werden (§ 2 Abs. 1). Gesetzlich geschützte Kirchengebäude sind solche, die vor dem 1. Januar 2000 durch die Schwedische Kirche für Zwecke des Gottesdienstes gewidmet wurden und sich am selben Tag in ihrem Besitz oder im Besitz einer ihrer Untergliederungen befanden (§ 2 Abs. 2). Der kulturgeschichtliche Wert des Inventars eines Kirchengebäudes ist zu erhalten und zu pflegen (§ 6). Die Schwedische Kirche hat das Recht, vom Staat in gewissem Umfang einen Ausgleich für solche Kosten einzufordern, die im Zusammenhang mit der Pflege und Erhaltung des kirchlichen Kulturerbes entstehen (§ 16). f) Ermäßigte Steuerpflicht Eingetragene Religionsgemeinschaften werden vom Staat durch eine ermäßigte Steuerpflicht mittelbar wirtschaftlich unterstützt. Sofern bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sind, betrifft diese Ermäßigung die Einkommensteuer, die Grundsteuer und die Mehrwertsteuer aller eingetragenen Religionsgemeinschaften.66 g) Frühere steuerliche Absetzbarkeit für Spenden an anerkannte Empfänger aufgehoben Zwischen 2012 und 2015 konnte der Steuerpflichtige von seinem zu versteuernden Einkommen Spenden für soziale Hilfswerke oder wissenschaftliche Forschungsprojekte absetzen. Voraussetzung dafür war, daß der betreffende Spendenempfänger zu einem Kreis von 68 staatlich anerkannten Institutionen gehörte, der sich namentlich aus Stiftungen, gemeinnützigen Vereinen und eingetragenen

64

Ekström (Fn. 2), S. 159 ff. Nachw. oben unter II., sämtliche Normen finden sich im 4. Kapitel des Gesetzes. 66 Einzelheiten in Kap. 7, §§ 1, 3–8 des Einkommensteuergesetzes sowie in Kap. 4, § 8 des Umsatzsteuergesetzes (Nachw. oben unter II). 65

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Religionsgemeinschaften zusammensetzte.67 Die Steuerermäßigung betrug 25 % des gespendeten Betrages, war aber auf maximal 1.500 Schwedische Kronen (ca. 150 Euro) beschränkt; dieser Betrag wurde bei einer jährlichen Spende von 6.000 Schwedischen Kronen (ca. 600 Euro) erreicht. Allerdings galt diese Ermäßigung nicht für jährliche Spenden unter 2.000 Schwedischen Kronen (ca. 200 Euro). Mit Wirkung zum 1. Januar 2016 wurde diese steuerliche Absetzbarkeit jedoch auf Initiative der Regierung durch das Parlament abgeschafft, u. a. mit der Erwägung, daß Spenden aus Überzeugung geleistet werden und nicht lediglich von einer Steuererleichterung motiviert werden sollten.68

VIII. Formen der institutionellen Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche 1. Behörde zur Förderung von Religionsgemeinschaften Die Behörde zur Förderung von Religionsgemeinschaften (Myndigheten för stöd till trossamfund) ist nicht nur für die Verwaltung der staatlichen Zuschüsse zuständig. Vielmehr obliegen ihr auch andere wichtige Aufgaben. Sie fördert etwa den Dialog zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, steht bei Belangen der Religionsgemeinschaften beratend zur Verfügung, hält den Kontakt zu anderen Behörden und Organisationen in Fragen, die die Religionsgemeinschaften betreffen, und befaßt sich schließlich mit den Belangen und der Koordination von Religionsgemeinschaften im Kontext der staatlichen Krisenprävention.69 Der Behörde angegliedert ist ein beratendes Organ, das für Konsultationen zwischen der Behörde und den Religionsgemeinschaften in allen Belangen behördlicher Tätigkeiten zuständig ist. Zu seinen Aufgaben gehören die Ernennung der ordentlichen und stellvertretenden Mitglieder des Rates für Entscheidungen über staatliche Zuwendungen an Religionsgemeinschaften sowie die Abgabe von Stellungnahmen zu grundsätzlichen Fragen der Unterstützung von Religionsgemeinschaften sowie zu anderen Belangen, die für die Religionsgemeinschaften von gemeinsamem Interesse sind.70

67 Siehe www.skatteverket.se (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020), Stichwort Rättlig information från Skatteverket om tidigare skattereduktion för gåvor och om av Skatteverket tidigare godkända gåvomottagare (1.1.2016) på Skatteverkets hemsida (Rechtliche Hinweise des Finanzamtes zur Steuerermäßigung für Schenkungen und für bereits durch das Finanzamt genehmigte Schenkungsempfänger). 68 Dazu aus den Gesetzgebungsmaterialien: Prop. 2015/16:1 Regeringens budgetproposition för 2016 (Haushaltsentwurf der Regierung für 2016) und Finansutskottets betänkande 2015/16:FiU1 (Bericht des Finanzausschusses), S. 112. 69 § 1 Abs. 1, 2, 5, 6 der Verordnung mit Vorgaben an die Behörden hinsichtlich der Förderung von Religionsgemeinschaften (Nachw. oben unter II). 70 § 8 der vorgenannten Verordnung.

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2. Der Regierungsrat für Kontakte zwischen den Religionsgemeinschaften Der Rat der schwedischen Regierung für Kontakte zwischen den Religionsgemeinschaften (Regeringens råd för kontakter mellan trossamfunden) wurde durch die Regierung im Jahr 2000 gegründet; verwaltungsorganisatorisch ist er dem Kulturministerium angegliedert.71 Den Vorsitz führt der Kultusminister. Die Aufgabe des Regierungsrates besteht darin, ein Forum für Diskussionen über solche Belange zu schaffen, die ebenso für den Staat wie auch für die Religionsgemeinschaften bedeutsam sind. Das Ziel dieses Dialogforums besteht hierbei weniger darin, Beschlüsse über einzelne Fragen zu fassen; vielmehr soll der Rat vorrangig die Kontakte zwischen Staat und Religionsgemeinschaften durch eine breite Diskussion allgemeiner Fragestellungen fördern, die für beide Seiten von Interesse sind. Daher ist es grundsätzlich sowohl dem Staat als auch den Religionsgemeinschaften möglich, Themen für die gemeinsame Erörterung zu benennen. Der Kultusminister, der die Sitzungen des Rates leitet, entscheidet letztendlich über die Tagesordnung und darüber, welche Themen behandelt werden. In der Regel finden jährlich zwei Sitzungen statt. Teilnehmer auf Seiten der Religionsgemeinschaften sind Vertreter des Schwedischen Christenrats (Sveriges kristna råd), des islamischen Kooperationsrat (Islamiska samarbetsrådet) und des Zentralrats der jüdischen Gemeinden (Judiska församlingarnas centralråd).

IX. Staatliches Recht und innerkirchliches Recht Für die rechtliche Stellung der Schwedischen Kirche sind zwei Rechtsquellen maßgeblich: das Gesetz über die Schwedische Kirche und die Kirchenordnung der Schwedischen Kirche. 1. Gesetz über die Schwedische Kirche Das Gesetz definiert die Kirche von Schweden als eine evangelisch-lutherische Religionsgemeinschaft, die in Gemeinden und Diözesen aufgeteilt ist, aber auch über nationale Organe verfügt (§ 1). Hierbei wird die Schwedische Kirche als eine „offene“ nationale Kirche verstanden, die ihre Tätigkeit durch eine Zusammenarbeit zwischen der kirchlichen Verwaltung und den demokratischen Institutionen leistet (§ 2). Gesetzlich ist festgelegt, daß sie Rechte erwerben und Pflichten übernehmen sowie gegenüber Gerichten und anderen Behörden auftreten kann. Das gilt auch für ihre Gemeinden und Diözesen (§ 3). Kirchengemeinden werden als lokale Einheiten der Schwedischen Kirche verstanden, deren Mitglieder jene Bürger sind, die auf dem Gebiet der Gemeinde

71

Nachw. oben Fn. 45.

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ihren Wohnsitz haben und ihr angehören. Die wichtigsten Aufgaben dieser Gemeinden bestehen in der Feier des Gottesdienstes und der Erteilung von Religionsunterricht, weiterhin in der Erbringung sozialer Fürsorgeleistungen und in der Weitergabe des Glaubens. Es gibt auch exterritoriale Gemeinden (§ 4). Die Kirchengemeinden ihrerseits sind in 13 Diözesen zusammengefaßt, welche regionale Einheiten der Schwedischen Kirche darstellen. Die bedeutsamste Aufgabe der Diözese ist es, die Aktivitäten der Gemeinde zu fördern und zu überwachen. Jede Diözese soll über einen Bischof verfügen (§ 5). Schließlich sieht das Gesetz das Organ der Kirchenversammlung vor. Sie bildet das höchstrangige Entscheidungsorgan der Kirche von Schweden. Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip kann sie allerdings nicht über Angelegenheiten entscheiden, die in die Zuständigkeit einer Gemeinde oder einer Diözese fallen (§ 6). Gesetzlich geregelt ist weiterhin, daß die Mitglieder der Schwedischen Kirche lokale und regionale Kirchenbeiträge zahlen. Die Kirchengemeinde entscheidet über die Höhe des örtlichen Kirchenbeitrags. Ist die Gemeinde Teil eines Kirchenverbandes, so entscheidet dieser über einen Teil oder den gesamten Kirchenbeitrag. Die Diözese entscheidet daneben über einen regionalen Kirchenbeitrag (§§ 7, 8).72 Immobilien und Anlagen zur Zahlung der Pastorengehälter gewährleisten den Pastorendienst im Gottesdienst. Hierfür dürfen nur Vermögenserträge verwendet werden. Die Vermögenswerte für Pastorengehälter werden von der Schwedischen Kirche als eigenständiges Eigentum verwaltet. Die Regierung kann die Aufsicht über die kirchliche Verwaltung führen. Das Gesetz schreibt vor, daß das Eigentum sorgfältig zu investieren ist (§ 9). Darüber hinaus regelt das Gesetz ebenso den Anspruch auf Zugang zu Informationen über die Dokumente der Kirche wie auch entsprechende Beschränkungen. Gleiches gilt für den Umgang mit entsprechenden Dokumenten im Archiv der Kirche (§§ 10–12). Nach § 13 Abs. 1 des Gesetzes kann gegen eine antragsablehnende Entscheidung Widerspruch eingelegt werden, gegen andere Entscheidungen der Schwedischen Kirche Berufung. Um die Berufung gegen alle weiteren anfechtbaren Entscheidungen zu ermöglichen, sieht § 13 Abs. 2 des Gesetzes die Einrichtung eines Entscheidungsgremiums vor, dessen Vorsitzender ein Richter im aktiven Dienst oder ein pensionierter Richter ist. 2. Kirchenordnung der Schwedischen Kirche Die Kirchenordnung der Schwedischen Kirche wird von der Kirchenversammlung auf der Grundlage von § 6 des Gesetzes über die Schwedischen Kirche

72

Siehe bereits oben unter VII. 2. a).

268

Mikael Berglund

beschlossen.73 Die Kirchenordnung beinhaltet Regelungen über die Kirche als evangelisch-lutherische Religionsgemeinschaft, über ihre Kirchengemeinden und Diözesen sowie über deren Vorstände und Ausschüsse. Des weiteren finden sich Regelungen über die Abhaltung von Gottesdiensten, über Fragen der Kirchenund Gemeindezugehörigkeit, über die kirchliche Glaubensweitergabe, über Wahlen in der Kirche sowie über die wirtschaftliche Haushaltsführung und das Vermögen der Kirche. Zudem regelt die Kirchenordnung Fragen der Aufsicht sowie das Verhältnis der Schwedischen Kirche zu anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften.

73 Nachw. oben unter II. – Aus der Kommentarliteratur Gunnar Edqvist/Lars Friedner/Maria Lundqvist/Patrik Tibbling, Kyrkoordning för Svenska kyrkan. Med kommentarer och angränsande lagstiftning, 2014.

Das Verhältnis von Staat und Kirche in Finnland Von Matti Kotiranta, Joensuu I. II.

Die geschichtliche Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche . . . . . 269 Rechtsquellen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274

III. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die individuelle Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeiner Schutzumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Status von Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Geschützte Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einschränkungen der Religions- oder Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . .

276 277 277 279 279 279 280 280

V. Rechtlicher Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . 282 VI. Wirkungsmöglichkeiten der Kirchen und Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . 283 VII. Kirchenvermögen und Kirchenfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Formen institutioneller Kooperation von Staat und Kirchen sowie Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Religiöse Unterstützung und Zugang zu öffentlichen Einrichtungen . . . . . 3. Religion und Familienangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Religion im Strafrecht und andere öffentliche Vorschriften . . . . . . . . . . . . . IX. Schlußbemerkungen: Gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

284 285 285 287 287 288 288

I. Die geschichtliche Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche1 Eine Analyse des rechtlichen Status religiöser Einrichtungen in Finnland kann ohne Berücksichtigung religionspolitischer Realitäten nicht gelingen.2 Insbeson1 Teile von Kapitel I und II entstammen dem Beitrag des Verfassers „Kirche, Staat und Religionsfreiheit in Finnland“, ZevKR 45 (2000), S. 1. Für die vorliegende Abhandlung wurden sie umfassend aktualisiert. 2 In Finnland existieren zwei große Kirchen, die gleich bedeutsam, aber nicht gleich groß sind. Die Mehrheit der finnischen Bevölkerung (5.487.308) gehört der evangelisch-lutherischen Kirche Finnlands an (2015: 73 %). Die zweitgrößte Religionsgemein-

270

Matti Kotiranta

dere sind hierbei das historische Erbe – einerseits die Bedeutung des Christentums in der Geschichte Finnlands, andererseits die der finnischen und der skandischaft Finnlands ist die finnisch-orthodoxe Kirche (knapp über 1 % mit 58.265 Mitgliedern). Die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft in einer Konfession variieren je nach Traditionen der einzelnen Konfessionen. Mitglied der christlichen Kirchen und Religionsgemeinschaften wird man durch die Taufe. Zwischen 1980 und 2000 hat die Mitgliederzahl der lutherischen Kirche erheblich zugenommen. Weil gleichzeitig auch die Gesamtbevölkerung wuchs, ist indes deren relativer Anteil an der Gesamtbevölkerung gesunken (1980: 90,2 %; 2000: 85,1 %). Die Mitgliederzahlen der orthodoxen Kirche, der Zeugen Jehovas und der Freie Kirche Finnlands sind gewachsen. Obwohl sich die Mitgliederzahl der katholischen Kirche mehr als verdreifachte (1990: 4.247 Mitglieder; 2015: 13.069 Mitglieder), bleibt sie eine relativ kleine Gemeinschaft. Die Mitgliederzahl der Pfingstgemeinden entspricht ungefähr der Mitgliederzahl der orthodoxen Kirche. Nicht alle Pfingstgemeinden sind als Religionsgemeinschaft registriert. Im Jahr 2015 betrug die Anzahl der registrierten Pfingstler 8.762 Mitglieder. Die Zahl der Muslime in Finnland hat sich von 1990 bis 2015 auf etwa 60.000 verzehnfacht. Anfänglich organisierten sich nur wenige in registrierten Religionsgemeinschaften, der Anteil der registrierten Mitglieder ist jedoch zu Beginn des 21. Jahrhundert deutlich gestiegen (1990: 810 Mitglieder; 2000: 1.201 Mitglieder; 2015: 13.289 Mitglieder). 2015 gehörten 1.336.106 Einwohner keiner Religionsgemeinschaft an. Ihre Gesamtzahl hat sich verdreifacht (1980: 372.640 Personen; 2015: 1.336.106 Personen). 1990 Gesamtbevölkerung

%

2000

%

2015

%

4.998.478 100

5.181.115 100

5.487.308 100

Evangelisch-lutherische Kirche 4.389.230 87,8

4.409.576 85,1

4.004.369 73,0

Griechisch-orthodoxe Kirche von Finnland

52.627

1,1

Andere orthodoxe Kirchen

55.692

1,1

58.265

1,1

800

0,0

1.088

0,0

2.599

0,0

Zeugen Jehovas

12.157

0,2

18.492

0,4

18.286

0,3

Freie Kirche von Finnland

12.189

0,3

13.429

0,3

15.409

0,3

4.247

0,1

7.227

0,1

13.069

0,2

Römisch-katholische Kirche Islamische Gemeinden

810

0,0

1.201

0,0

13.289

0,2

Adventistenkirchen

4.805

0,1

4.316

0,1

3.458

0,1

Pfingstgemeinde in Finnland





8.762

0,2





Kirche Jesu Christi der HLT

2.883

0,1

3.307

0,1

3.259

0,1

Baptistengemeinden

2.565

0,1

2.436

0,0

2.320

0,0

Methodistische Kirchen

1.251

0,0

1.260

0,0

1.415

0,0

Jüdische Gemeinden

1.006

0,0

1.157

0,0

1.133

0,0

712

0,0

920

0,0

1.293

0,0

Andere Keine religiöse Zugehörigkeit

510.608 10,2

659.979 12,7

1.336.106 24,3

Vgl. Statistisches Jahrbuch von Finnland 2016. Statistiken Finnland 23.9.2016. Siehe näher www.stat.fi/til/vaerak/2015/01/vaerak_2015_01_2016-09-23_tau_006_fi.html. (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020).

Das Verhältnis von Staat und Kirche in Finnland

271

navischen Tradition entsprechende starke staatskirchliche Prägung – sowie das konfessionelle und religiöse Spektrum der Bevölkerung zu berücksichtigen.3 Da einst fast die gesamte Bevölkerung der lutherischen Kirche angehörte und die orthodoxe Kirche in Ladoga-, Olonetz- und Weißmeerkarelien in Syväri und Petsamo ihre Hochburgen hatte, haben beide im Laufe der Geschichte eine Sonderstellung in ihren Beziehungen zum Staat erlangt. Die geschichtlichen Wurzeln der Entwicklung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat liegen in einem großen gesellschaftlichen religions- und kirchenpolitischen Umbruch, den die Reformation in den 20er-Jahren des 16. Jahrhunderts in „Schweden-Finnland“ mit sich brachte. Mit der Krönung Gustav Wasas 1523 und dem Reichstag von Västerås 1527 machte sich Schweden von den Bindungen an Rom frei. Die Verbindung zum übernationalen, vom Staat und seinem Rechtssystem unabhängigen Päpstlichen Stuhl brach ab; stattdessen entstand eine Nationalkirche, deren rechtliche Stellung sowohl durch kirchliche Verordnungen als auch durch staatliche Gesetze geregelt wurde. Während die katholische Kirche im mittelalterlichen Schweden sowohl dem kanonischen Recht der Kirche als auch den staatlichen Kirchengesetzen, die zu jener Zeit Provinzgesetze waren, unterstand, verlor das kanonische Recht im Zuge der Reformation zwar nicht gänzlich an Relevanz; sein Geltungsbereich wurde jedoch wesentlich eingeschränkt.4 In der Praxis wurde die Reformation durch staatliche Entscheidungen in die Tat umgesetzt: Auf der Synode von Uppsala 1536 wurde die Kirche Schwedens zu einer evangelischen Nationalkirche. Auf dem Reichstag 1544 in Västerås erklärte sich Schweden wenige Jahre später zu einem evangelischen Königreich. Die einflußreiche Kirchenordnung des Laurentius Petri5 (von 1561) wurde 1571 mit königlicher Billigung veröffentlicht. Mit der Reformation wurde die Kirche in „Schweden-Finnland“, wie in anderen Ländern mit dominierendem 3 Der emeritierte Erzbischof John Vikström stellte fest, daß bei Diskussionen über das Verhältnis von Kirche und Staat zuweilen die Meinung geäußert wurde, die konfessionelle Streuung der Bevölkerung brauche bei einer Lösungsfindung überhaupt nicht berücksichtigt zu werden. „Zur Begründung wurde angeführt, daß ein großer Teil der Kirchenmitglieder dies nur dem Namen nach ohne echte religiöse Überzeugung sei. Dem Mitgliederanteil der lutherischen Kirche sollte somit nach Auffassung der Kritiker keine wirkliche Bedeutung beigemessen werden.“ Vikström betont, daß hinter dieser Aussage weniger die Sorge um eine fehlende Tiefe des Glaubens steht; vielmehr bezwecke diese Aussage eine Schwächung des gesellschaftlichen Status der Kirche. John Vikström, Mihin suuntaan Suomen evankelis-luterilaisen kirkon ja valtion suhteita olisi kehitettävä?, TA/Teologisk Tidskrift 1992, S. 42. 4 Siehe Heikki Ylikangas, Suomalaisen Sven Leijonmarckin osuus vuoden 1734 lain naimiskaaren laadinnassa. Kaaren tärkeimpien säädösten muokkauttaminen 1689–1694, 1967; Hans-Olof Kvist, Recht und Ethik im Wechsel der Interpretationsperspectiven die finnische Situation, in: Ethik und Gesetzgebung/Ethics and Legislation“), in: Jahresbericht der Societas Ethica 1998. 5 Laurentius Petri (1499–1573) war der erste lutherische Erzbischof Schwedens (von 1531). Die Bibelübersetzung von 1541 ist vor allem sein Werk. Er verfaßte auch die 1572 bestätigte Kirchenordnung und schrieb eine zweiteilige Postille.

272

Matti Kotiranta

lutherischem Bekenntnis auch, zu einem festen Bestandteil des Staates. Dies war in rechtlicher Hinsicht eine außerordentlich bedeutsame Veränderung. Das zur Zeit Karls XI. erlassene Kirchengesetz von 1686 verpflichtete alle Reichsbewohner zum lutherischen Glauben zu konvertieren (sog. Zeit des Religionszwangs). Dies trug dazu bei, daß die staatskirchlichen Beziehungen, die Gustav Wasa angestoßen hatte, zunehmend feste Formen erhielten. Aus dieser Zeit kirchlicher Zucht und Ordnung stammen auch die Einwohnerverzeichnisse. Das evangelisch-lutherische Christentum war bereits in der Synode von Uppsala 1593 zur Staatsreligion erklärt worden,6 die in der Verfassung von 1634 festgeschrieben wurde. Darin erhielten die lutherische Kirche und ihre Lehre (Confessio fidei) eine verfassungsrechtlich geschützte Stellung. Auch wenn keine Religionsfreiheit im eigentlichen Sinne des Wortes gewährt wurde, sah man sich nach dem Frieden von Stolbowo durch die Umstände veranlaßt, den religiösen Minderheiten – Orthodoxen, Reformierten und Anglikanern – gewisse Zugeständnisse zu machen und ihnen die nichtöffentliche Religionsausübung zu erlauben.7 Gleichwohl kommt die Bedeutung der konfessionellen Einheit für den staatlichen Zusammenhalt in der Formulierung der Verfassung von 1634 deutlich zum Ausdruck: „Einmütigkeit im Glauben und im rechten Gottesdienst sind das stärkste Fundament einer würdigen, friedlichen und beständigen Regierung“. Bis zur Unabhängigkeit Finnlands (1917) war diese Formulierung Bestandteil aller nachfolgenden Verfassungen. Auch nachdem Finnland 1809 als autonomes Großfürstentum von Rußland annektiert wurde und damit die jahrhundertealte Einheit mit Schweden zerbrach, blieb das Kirchengesetz von 1686 in Kraft und wurde in die Gesetzgebung des Großfürstentums übernommen. An die Spitze der lutherischen Kirchenverwaltung des Landes trat der orthodoxe Zar. Doch die rechtliche Stellung der evangelisch-lutherischen Kirche blieb unverändert: Ihre Lehre und Ordnung konnte aufgrund einer Erklärung des Zaren Alexander I. auf dem Reichstag zu Porvoo beibehalten werden. Dennoch befürchteten kirchliche Kreise eine Veränderung der Religionspolitik. Nachdem 1811 das sog. Alte Finnland an das übrige Finnland angeschlossen worden war, verzehnfachte sich die Anzahl der orthodoxen Bevölkerung auf etwa 6 Knut B. Westman, Uppsala möte och dess betydelse 1943, 3, S. 27 ff.; Hans Cnattingius, Uppsala möte 1593 1943, S. 135 f.; Hans-Olof Kvist, Probleme der Bekenntnisbildung in „Schweden-Finnland“ seit der Reformation, Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 89 (1991), S. 219. 7 Dies betraf besonders orthodoxe Christen in den Lehen Käkisalmi und Ingermanland. Die anfänglichen Bekehrungsversuche führten nicht zum Erfolg. 1658 wurde Orthodoxen das Recht auf eigene Pfarrer und eigene Gottesdienste eingeräumt. Allgemeine Politik des 17. und 18. Jahrhunderts war es jedoch, lediglich Ausländern diese Zugeständnisse zu machen. In den 1780er Jahren wurde die Religionsfreiheit dann auf alle Mitglieder christlicher Glaubensgemeinschaften und Juden ausgedehnt.

Das Verhältnis von Staat und Kirche in Finnland

273

30.000. Eine kaiserliche Verordnung von 1827 eröffnete den Orthodoxen den Zugang zu militärischen und zivilen Ämtern. Da sich die Orthodoxen zum „Glauben des Zaren“ bekannten, genossen sie dessen besonderen Schutz. Ihre Missionierung war untersagt. Dies führte nach der Einschätzung vieler Zeitgenossen dazu, daß das lutherische Tauwetter in kurzer Zeit einem orthodoxen Kälteeinbruch wich. In dieser veränderten religionspolitischen Situation hielt man es für geboten, auf einen unabhängigeren Status der lutherischen Kirche Finnlands hinzuwirken. Mit Zustimmung des Zaren setzte der Senat in den 1860er Jahren auf Wunsch kirchlicher Kreise ein Komitee zur Überarbeitung des Kirchengesetzes ein. Nach der Berufung des Theologieprofessors Frans Ludvig Schauman (1810– 1877) zum Mitglied dieses Komitees entstand auf Grundlage seiner Vorschläge ein neues Kirchengesetz. Mit dem 1870 in Kraft tretenden Kirchengesetz wurde die Kirche praktisch als eine vom Staat unterschiedene Institution des öffentlichen Rechts neu gegründet. Das neue Kirchengesetz war zudem ein bedeutender Schritt zur Religionsfreiheit: Der Bekenntniszwang wurde aufgehoben und die Bindung des Staates an das lutherische Bekenntnis gelockert. Obwohl das Gesetz lediglich die Mitglieder der lutherischen Kirche betraf, wurde anerkannt, daß in Finnland auch andersgläubige Menschen lebten. Das Gesetz verbot eine Zwangsmitgliedschaft in der lutherischen Kirche und berechtigte zum Kirchenaustritt sowie zum Konfessionswechsel. Völlige Gewissens- und Religionsfreiheit garantierte das Gesetz allerdings keineswegs. Religionsfreiheit im Sinne des Kirchengesetzes von 1869 bedeutete in erster Linie die Freiheit der Religionsausübung. Der religionsneutrale Staat war für das Kirchengesetz von 1869 noch ein völlig unbekannter Begriff. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die Annexion Finnlands durch Rußland paradoxerweise die Voraussetzungen für die Unabhängigkeit der Kirche schuf. Dadurch, daß die lutherische Kirche neben der Religionsgemeinschaft des orthodoxen Zaren fortbestand, hielt sie die westliche Kirchentradition aufrecht. Sie betonte, der Vertreter des westlichen Christentums in Finnland zu sein. Auf diese Weise gelang es ihr, sich vor staatlichen Eingriffen zu schützen. Bis zur Integration in die EU und der damit einhergehenden transnationalen Zusammenarbeit war die finnische Kirche daher an keiner wesentlichen Stelle mehr mit den Einflüssen anderer Akteure konfrontiert. Mit dem Beitritt Finnlands zur Europäischen Union 1995 ist die Frage nach der Beziehung zwischen Staat und Kirche auch in Finnland wieder in neuer Weise aktuell geworden.8 Die zunehmende europäische Integration, die damit 8 Bereits zuvor wurde eine Diskussion über das Verhältnis zwischen Kirche und Staat geführt. Die evangelisch-lutherische Kirche Finnlands befaßte sich bereits in den 1960er-Jahren mit der Problematik der individuellen Religionsfreiheit wie auch mit den staatskirchlichen Beziehungen. Das parlamentarisch zusammengesetzte Komitee für Kirche und Staat arbeitete fünf Jahre, von 1972 bis 1977, an einer Klärung dieser Fra-

274

Matti Kotiranta

einhergehende Zusammenarbeit der Staaten und die Weiterentwicklung der Gesetzgebung haben besonders die Frage nach der Bedeutung der Religionsfreiheit und nach der zukünftigen Stellung der kirchlichen Gemeinschaften aufkommen lassen. In den konfessionell homogenen skandinavischen Ländern und in Finnland bestand kein zwingendes Erfordernis für eine radikale Neubewertung der staatskirchlichen Beziehungen. Statt dessen vollzog sich die politische und gesellschaftliche Entwicklung hier ohne größere, die Stellung der Kirchen erschütternde Umwälzungen.9 Nach und nach löste sich in den meisten skandinavischen Ländern das überkommene Staatskirchensystem auf. Im Vergleich mit Norwegen und Schweden steht Finnland hierbei als Beispiel für ein Land, in dem das traditionelle Verhältnis zwischen Staat und Kirche allmählich aufgebrochen wurde, ohne zu einer vollständigen Trennung von Kirche und Staat zu führen.10

II. Rechtsquellen des Staatskirchenrechts Wie bereits erwähnt, bedeutete das Kirchengesetz von 1869 von Frans Ludvig Schauman die Umwandlung der Kirche zu einer vom Staat getrennten Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die heutige evangelisch-lutherische Kirche Finnlands ist eine klar vom Staat unterschiedene Institution und hat eine eigene Rechtspersönlichkeit. Bedeutsamster Ausdruck der öffentlich-rechtlichen Stellung11 der finnischen evangelisch-lutherischen Kirche sind die besondere Erwähnung des Kirchengesetzes in der Verfassung (§ 76) und in der Reichstagsordnung (§ 31 Abs. 2). Für die Rechtsstellung der evangelisch-lutherischen Kirche Finnlands ist die Kirgen. In einem Memorandum wurden nahezu alle Berührungspunkte zwischen Kirche und Staat angesprochen und zur Entwicklung verschiedener Bereiche Stellung genommen, Ausschußbericht (Komiteanmietintö) Nr. 1977, S. 21. 9 Anders war die Entwicklung beispielsweise in den Vereinigten Staaten und in Frankreich, die die Betätigungsfelder von Staat und Kirche klar trennten. Dazu mehr bei Juha Seppo, Kirkon ja valtion ero kirkkohistorian näkökulmasta. Virkaanastujaisluento Helsingin yliopistossa 10.5.1995, TA/Teologisk Tidskrift 1995, S. 407. Seppo weist auf die unterschiedlichen Ausgestaltungen der Trennung von Kirche und Staat hin. 10 Die Grundproblematik, mit der die Trennung der Kirche vom Staat begründet wurde, entstand im Zuge der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten und der französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts, die von der Aufklärung, dem Rationalismus und der auf dieser Grundlage entstandenen Erklärung der Menschenrechte mit ihrer Forderung nach Religionsfreiheit beeinflußt war. Hierzu Seppo (Fn. 9), S. 407 ff. 11 Im finnischen Rechtssystem sind Staat, Kommunen und u. a. die evangelischlutherische Kirche mit ihren Gemeinden Körperschaften des öffentlichen Rechts. Eine Kirche kann Körperschaft des öffentlichen Rechts sein, wenn Staat und Kirche getrennte Einheiten sind. Dies ist beispielsweise in Deutschland der Fall.

Das Verhältnis von Staat und Kirche in Finnland

275

chengesetzgebung (Kap. 2, § 2 Abs. 1 Kirchengesetz) maßgeblich, die das alleinige Initiativrecht der Kirchensynode für Kirchengesetzanträge vorsieht und entsprechende Eingriffe staatlicher Legislativorgane verbietet. In der Praxis bedeutet dies, daß die Synode als Kirchenorgan ermächtigt ist, den Erlaß eines Kirchengesetzes sowie Änderungen des Gesetzestextes zu initiieren. Das Parlament, das das Gesetz letztlich verabschiedet, ist nur zur Annahme oder Ablehnung dieser Vorschläge berechtigt. Dennoch wird in Finnland die Frage diskutiert, ob und in welchem Sinne die evangelisch-lutherische Kirche eine „Staatskirche“ ist. In der Tat haben sich bis heute einige Elemente des Staatskirchentums erhalten. Auch weisen einige traditionelle Bestimmungen der Kirchengesetzgebung auf eine staatskirchliche Sonderstellung hin. Dies gilt etwa für die öffentlich-rechtliche Stellung der Kirche, die bis 1995 bestehende staatliche Verpflichtung zur Unterhaltung des Domkapitels, das bis 2000 verbürgte Recht des Präsidenten zur Ernennung der Bischöfe, die staatliche Pflicht zur Finanzierung der Sonderpfarrämter (Militär- und Gefängnisseelsorge), das Recht der Kirche zur Erhebung der Kirchensteuer und manches mehr. Doch im eigentlichen Sinne des Wortes ist die evangelisch-lutherische Kirche Finnlands seit dem Kirchengesetz von 1869 und der Verfassung von 1919 keine Staatskirche mehr. Der finnische Staat verpflichtet sich zur religiösen Neutralität; die Kirche verfügt demgegenüber über Verwaltungs- und Legislativautonomie. Erst seit Anfang der 1990er-Jahre haben die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), der Europarat, die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE, jetzt OSZE) und die europäische Integration die nordeuropäischen Kirchen gezwungen, die Regelungen über die Beziehungen zwischen Staat und Kirche auf Grundlage der Religionsfreiheit zu überdenken – jetzt allerdings aus einer ganz neuen Perspektive. Einerseits wurden in den internationalen Menschenrechtserklärungen Anfang der neunziger Jahre die Beziehungen zwischen Staat und Kirche vor allem unter dem Aspekt der Religionsfreiheit beurteilt: Gefragt wird hierbei danach, ob enge Beziehungen zwischen Kirche und Staat die Religionsfreiheit des einzelnen verletzen und in welchem Umfang die privilegierte Stellung einer oder zweier Kirchen die Rechte und Freiheiten anderer Religionsgemeinschaften unterdrückt. Diesbezüglich scheint erwähnenswert, daß sich Finnland noch heute durch eine rechtliche und wirtschaftliche Sonderstellung der lutherischen und orthodoxen Kirche gegenüber den übrigen Kirchen und Religionsgemeinschaften auszeichnet: Während das Gesetz über die Religionsfreiheit die übrigen Religionsgemeinschaften zur Registrierung verpflichtet, definieren spezielle Verordnungen die Rechtsstellung der lutherischen und orthodoxen Kirche. Freilich deutet die Formulierung der Kirchenpolitik, wie sie im Grundgesetz Finnlands 2000 (Aufrechterhaltung des Status quo und damit Beibehaltung des § 76 über die lutherische Kirche) enthalten ist, keine staatliche Privilegierung gerade der lutherischen Kir-

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che an. Indes macht die rechtliche Stellung der Kirche weder die tiefgreifende Natur der gewachsenen Beziehung zwischen Staat und Kirche sichtbar noch legt sie offen, welche allgemeine Bedeutung religiösen Werten in der finnischen Gesellschaft beigemessen wird. Andererseits hat sich das gesamte Wesen der Diskussion über Kirche und Staat gewandelt. Das althergebrachte Denken „Freiheit von der Religion“ und die ideologische Kontroverse über das Verhältnis von Kirche und Staat traten immer mehr in den Hintergrund; zugleich schwand auch der Gegensatz zwischen christlichen Werten und den in der Gesellschaft vorherrschenden Werten. An ihre Stelle trat die nach dem Zweiten Weltkrieg in internationalen Erklärungen deutlich akzentuierte positive Dimension der Religionsfreiheit: Die Bürger haben ein Recht auf religiöse Überzeugungen und auf die gemeinschaftliche Ausübung ihrer Religion – und nicht nur das Recht, sich von der Religion abzuwenden.

III. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien im Überblick In den vergangenen fünfundzwanzig Jahren haben sich die Beziehungen zwischen dem Staat und der evangelisch-lutherischen Kirche Finnlands verändert. Die Unabhängigkeit beider Institutionen ist in dieser Zeitspanne deutlich gewachsen. So regelt seit 1993 ein vom Staat erlassenes Kirchengesetz die Beziehungen zwischen Kirche und Staat, während eine von der Kirche erlassene Kirchenordnung Lehre und Leben der Kirche selbst regelt. Das finnische Kirchengesetz wurde durch zwei neue Kommissionen fertiggestellt: das Kirchengesetz2010-Komitee von 200512 und das Komitee zur Kodifizierung des Kirchenrechts von 2007.13 Das neue Grundgesetz Finnlands wurde 1999 verabschiedet (731/1999) und trat am 1. März 2000 in Kraft trat. Es betont in besonderer Weise die Freiheit des 12 Am 25.10.2005 ernannte der Kirchenvorstand der evangelisch-lutherischen Kirche Finnlands ein Komitee, dessen Aufgabe es war, bis zum 31.12.2006 die Grundprinzipien des Kirchenrechts unter besonderer Berücksichtigung des Teils des materiellen Bereichs der Kirche zusammenzufassen und ein neues Kirchengesetz zu erlassen. Das Komitee formierte unter der Bezeichnung „Kirchengesetz-2010-Komitee“. Es legte seinen Bericht am 20.12.2006 vor: Kirkkolaki 2010, Kirkkolainsäädännön perusteita ja kirkkolain alaa tutkineen toimikunnan mietintö [Kirchengesetz 2010, der Bericht des Komitees zur Untersuchung der Grundprinzipien des Kirchenrechts und des Rechtsgebiets des Kirchengesetzes]. 13 Am 27.2.2007 ernannte der Kirchenvorstand ein Komitee mit der Aufgabe, einen Vorschlag zur Kodifizierung des Kirchenrechts nach den Richtlinien des Kirchengesetzes-2010-Komitees zu unterbreiten. Dieses Komitee sollte seinen Vorschlag bis zum 31.12.2008 vorlegen. Das Komitee beendete seine Arbeit am 20.4.2009 mit der Vorlage seines Berichts. In ihm wurde vorgeschlagen, ein neues Kirchengesetz für die evangelisch-lutherische Kirche Finnlands zu erlassen, welches das geltende Kirchengesetz von 1993 ersetzen sollte.

Das Verhältnis von Staat und Kirche in Finnland

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Einzelnen. Aus diesem Grund wurde im Anschluß an seinen Erlaß 2003 auch ein neues Gesetz über die Religionsfreiheit (im Folgenden: LRF) verabschiedet, das an die Stelle des bisherigen Gesetzes von 1922 getreten ist. Das neue Gesetz behandelt und klärt verschiedene Fragen, die auch das Verhältnis von Staat und Kirche betreffen. Es bezweckt die Gleichberechtigung aller christlichen Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften. Angesichts dessen ist es auch Ausdruck davon, daß die dominierende Position der evangelisch-lutherischen Kirche Finnlands abgenommen hat. Ein exemplarisches Zeichen dafür ist, daß Schüler von Amts wegen vom evangelisch-lutherischen Religionsunterricht befreit sind, wenn die Familie kein Mitglied dieser Kirche ist. Dem Schüler steht aber weiterhin das Recht der freiwilligen Teilnahme zu. Außerdem dürfen nun auch Lehrer eine andere Religion evangelisch-lutherischen Religionsunterricht erteilen. Ein weiteres Zeichen der Gleichberechtigung aller christlichen Kirchen und anderer Religionsgemeinschaften ist, daß der Austritt aus einer Kirche oder Religionsgemeinschaft erleichtert wurde.

IV. Religionsfreiheit 1. Rechtsquellen Das neue Grundgesetz wurde 2000 nicht zuletzt geschaffen, um den internationalen Verpflichtungen zu genügen und in einigen Aspekten sogar über diese hinauszugehen. Im Hintergrund stand hierbei der Umstand, daß Finnland zahlreiche internationale Verträge zum Schutz der Religions- und Glaubensfreiheit unterzeichnet hat. Die Republik trat dem Europarat 1989 bei und ratifizierte die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) am 10. Mai 1990. Bereits zuvor hatte Finnland relativ enge Beziehungen zum Europarat aufgebaut: So hatte es 1970 mit dem Europäischen Kulturabkommen zum ersten Mal ein allgemeines Rahmenabkommen des Europarates unterzeichnet und ratifiziert, ebenso wie weitere Verträge. Einige dieser Abkommen hatten erheblichen Einfluß auf die Entwicklung des nationalen Rechts. Die einschlägige Norm des finnischen Grundgesetzes von 2000 über die Religions- und Gewissensfreiheit, § 11, ähnelt Art. 9 EMRK und lautet wie folgt: „(1) Jede Person hat das Recht auf Religions- und Gewissensfreiheit. Die Religionsund Gewissensfreiheit beinhaltet das Recht, sich zu einer Religion zu bekennen und sie auszuüben, das Recht, eine Überzeugung zu äußern und das Recht, einer religiösen Gemeinschaft anzugehören oder nicht anzugehören. (2) Niemand ist verpflichtet, sich gegen sein Gewissen an der Ausübung einer Religion zu beteiligen.“

Nach § 22 des neuen Grundgesetzes obliegt die Gewährleistung der Grundund Menschenrechte der öffentlichen Gewalt, zu der auch die in § 76 des Grundgesetzes erwähnte evangelisch-lutherische Kirche Finnlands zählt. Hieraus folgt die Verpflichtung, die Grundrechte bei jeder hoheitlichen Tätigkeit, einschließ-

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lich legislativen und exekutiven Handelns, zu wahren. Das verbietet Behörden nicht nur, Grundrechte aktiv zu verletzen, sondern gebietet ihnen auch, aktiv für den Schutz vor Verletzungen der persönlichen Freiheiten zu sorgen und Bedingungen für die tatsächliche Grundrechtsgewähr zu schaffen. Neben Verfahrensfragen sind auch Grundrechte in materiellem Sinne zu gewährleisten. Dies bedeutet für die evangelisch-lutherische Kirche und die orthodoxe Kirche Finnlands als Körperschaften des öffentlichen Rechts eine Verantwortung für die Gewährleistung der Grundrechte. Von Verfassungs wegen hat die evangelischlutherische Kirche jedoch kaum eine aktive Verpflichtung, weil das finnische Grundgesetz die legislative Autonomie der Kirche schützt. Diese Autonomie wurde in der Kirchenordnung (Kap. 2, § 2 S. 1 Kirchengesetz) aufgenommen. Sie berechtigt allein die Kirchenversammlung, Änderungen an diesem Gesetz vorzuschlagen und verbietet staatlichen Legislativorganen, sich in den Inhalt der Vorschläge einzumischen. Andere registrierte Religionsgemeinschaften, die dem öffentlichen Recht nicht unterliegen, sind zwar nicht von Verfassungs wegen verpflichtet, für die Gewährleistung der Grundrechte einzutreten, unterliegen aber den für private Unternehmen geltenden Rechtsvorschriften. Für sie gelten daher die in anderen Regelungen verankerten Pflichten. So sind sie z. B. an das Gleichstellungsgesetz und die Arbeitsgesetzgebung gebunden und insofern verpflichtet, im Einklang mit den tatsächlichen Grundsätzen der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu handeln. Das neue Religionsrechtsgesetz14 trat am 1. August 2003 in Kraft. Der für die Ausarbeitung des Gesetzes zuständige Ausschuß erörterte in seinem Bericht die Bedeutung der Religions- und Gewissensfreiheit i. S. d. § 11 des finnischen Grundgesetzes als Grundrecht der Bürger. Der Ausschuß kam zu dem Schluß, daß § 11 die Grundlage für alle die Religions- und Gewissensfreiheit betreffenden Rechtsvorschriften in Finnland bilde. In Verbindung mit dem in § 6 Grundgesetz verankerten Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz sind Fragen zur Religions- und Gewissensfreiheit nach dem Verständnis des Ausschusses so auszulegen, daß Behörden zur Gleichbehandlung aller religiösen und weltanschaulichen Organisationen verpflichtet sind. Das gilt nach Ansicht des Ausschusses nicht nur für die individuelle, sondern auch für die korporative Dimension der Religionsfreiheit. Das neue Gesetz über die Religionsfreiheit sichert nach wie vor die im Grundgesetz garantierte Religions- und Gewissensfreiheit. Gesetzeszweck bleibt die Sicherstellung der Religionsfreiheit für Einzelpersonen und Gemeinschaften. Die Religionsfreiheit indes wird aufgrund der Verabschiedung internationaler Abkommen zunehmend modern interpretiert und als positives Recht verstanden. Als allgemeiner Grund hierfür wird das im Gesetz über die Religionsfreiheit und in bestimmten anderen ähnlichen Gesetzen konkretisierte Grundrecht der Religions14

Religionsrechtsgesetz Nr. 453/2003 vom 1.8.2003.

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und Gewissensfreiheit in Verbindung mit dem Verbot der Diskriminierung aufgrund der religiösen Überzeugung (§ 6 Abs. 2 des Grundgesetzes) angesehen, das die Behörden unter anderem zur unparteiischen Behandlung aller Religionsgemeinschaften bzw. Weltanschauungen verpflichtet. Daher verlangt das System der „Staatskirche“, daß der Staat auch andere religiöse Überzeugungen toleriert und jedem Einzelnen das Recht einräumt, selbst über die Mitgliedschaft in einer Staatskirche zu entscheiden. 2. Die individuelle Religionsfreiheit a) Allgemeiner Schutzumfang Das Grundgesetz schützt die klassischen Individualgrundrechte. § 11 gewährleistet die Religions- und Gewissensfreiheit jedes Menschen. Diese Freiheitsgewähr schließt das Recht ein, sich zu einer Religion zu bekennen, sie auszuüben und seine Überzeugungen zu äußern; zudem garantiert es die freie Entscheidung über die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft. Außerdem ist niemand verpflichtet, eine Religion gegen sein Gewissen auszuüben. Bei der Reform von 1995 blieb die alte Verfassung von 1919 inhaltlich unverändert. Die Freiheit der Religionsausübung wurde als Bestandteil der Religionsfreiheit angesehen. Die Arbeiten am Entwurf des neuen Gesetzes über die Religionsfreiheit setzten dann den Schwerpunkt auf das System der Menschenrechte als Ganzes. Das neue Gesetz legte daher bei der praktischen Verwirklichung der Religionsfreiheit großes Gewicht auch auf die Verbürgung anderer Grundrechte, die im Grundgesetz genannt werden, wie z. B. die Meinungsfreiheit (§ 12), die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (§ 13) und die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen (§ 127). Aus der genauen Charakterisierung der negativen Dimensionen der Religionsfreiheit im letzten Satz des § 11 Abs. 2 des Grundgesetzes kann geschlossen werden, daß dieser Satz eine Grundfreiheit im Hinblick auf die Stellung der Mehrheitskirche beinhaltet. Danach ist niemand dazu verpflichtet, sich entgegen der Anforderungen seines Gewissens an der Ausübung einer Religion zu beteiligen. b) Status von Minderjährigen Auch Kinder genießen den Schutz der Religions- und Glaubensfreiheit. Bis zum Erreichen der Religionsmündigkeit mit 18 Jahren obliegt es den Eltern, in Fragen der Religion für ihre Kinder zu handeln. § 3 LRF schützt das Recht der Eltern, ihre Kinder gemäß ihrer religiösen Überzeugung zu erziehen. Ab dem 15. Lebensjahr kann das Kind mit schriftlicher Zustimmung der Eltern über sein religiöses Bekenntnis entscheiden. Ab dem 12. Lebensjahr kann das religiöse Bekenntnis des Kindes nicht gegen seinen Willen geändert werden.

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c) Geschützte Aktivitäten § 11 des Grundgesetzes schützt zunächst die Religions- und Gewissensfreiheit. Sodann garantiert die Bestimmung die Freiheit, sich zu einer Religion zu bekennen und sie auszuüben. Weiterhin verbürgt sie das Recht, über die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft frei zu entscheiden. Schließlich schützt § 11 auch das Recht, nicht zu glauben und sich zu keinem Glauben zu bekennen. Mission ist eine legale und legitime Religionspraxis. Es gibt jedoch ein interessantes Gerichtsverfahren, das sich auf eine Verletzung der Meinungsfreiheit der Kirche in einer diesbezüglichen Entscheidung eines parlamentarischen Bürgerbeauftragten15 bezieht: Der stellvertretende parlamentarische Ombudsmann erklärte, die evangelisch-lutherische Gemeinde Rekola in Vantaa habe illegal gehandelt, indem sie für ihre Mitglieder bestimmte Zeitschriften an private Haushalte, die keine Mitglieder waren, verteilt habe. Der stellvertretende Bürgerbeauftragte begründete seine Entscheidung mit § 11 des Grundgesetzes und Art. 9 EMRK, die das Recht beinhalten, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören. Diese Entscheidung erregte auch im parlamentarischen Verfassungsausschuß Kritik. Der Verfassungsausschuß diskutierte die Erklärung des Bürgerbeauftragten und stellte in seinem Bericht16 fest, daß sowohl die EMRK als auch das Grundgesetz die Freiheit der religiösen und weltanschaulichen Kommunikation schützen. Ihrer Meinung nach war es daher nicht gerechtfertigt, die Meinungsfreiheit der Kirchengemeinden oder die Verbreitung ihrer Veröffentlichungen stärker einzuschränken als die Verbreitung von Werbeschriften, Zeitungen oder Veröffentlichungen von politischen oder anderen ideologischen Einrichtungen. Angesichts dieser Stellungnahme kam der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Finnlands zu dem Schluß, daß die Erklärung des stellvertretenden parlamentarischen Bürgerbeauftragten rechtswidrig war. Die Ablehnung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen ist grundrechtlich geschützt. Auch rituelles Schlachten ist als Ausprägung der Religionsfreiheit erlaubt. Die Wünsche gläubiger Arbeitnehmer, während der Arbeitszeit zu beten oder religiöse Feiertage während der allgemeinen Arbeitszeit zu begehen, müssen mit den legitimen Interessen des Arbeitgebers in Einklang gebracht werden. d) Einschränkungen der Religions- oder Glaubensfreiheit Allgemeine verfassungsrechtliche Grundsätze und Grundrechte anderer Personen sind die wichtigsten Schranken der Religionsfreiheit.

15 16

Entscheidung des stellvertretenden parlamentarischen Ombudsmanns Nr. 3851/4/05. Bericht des Verfassungsausschusses Nr. 17/2006.

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In Finnland geraten die Arbeitsbedingungen für Lehrer oder anderes Personal an öffentlichen Schulen nicht in Konflikt mit religiösen Fragen. Es wurde nie die Segnung öffentlicher Schulgebäude diskutiert. Gegenwärtig gibt es in Finnland keine Diskussionen über religiöse Symbole (z. B. Kruzifixe), Gebete oder Gottesdienste in öffentlichen Schulen. Die einzige öffentliche Debatte über Kruzifixe entflammte kurz in finnischen Medien im November 2009, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über die Anbringung von Kruzifixen in italienischen Klassenzimmern entschied. Das Urteil markierte das Ende eines achtjährigen Rechtsstreites der in Finnland geborenen Mutter Soile Lautsi. Sie verklagte die städtische Schule ihrer beiden Kinder im Nordosten Italiens, weil sie die Kruzifixe aus dem Klassenzimmer nicht entfernt hatte. Lautsi rief den Straßburger EGMR im Jahr 2006 an, nachdem das italienische Verfassungsgericht eine Entscheidung in ihrem Fall abgelehnt hatte.17 Es existiert kein Rechtssatz, der das Tragen religiöser Kleidung (z. B. eines Kopftuchs) verbietet. Es gibt aber auch kein Gesetz, das das Tragen von Kopftüchern erlaubt. Bis jetzt gibt es keine Entscheidung erstinstanzlicher oder höherinstanzlicher Gerichte über das Tragen von Kopftüchern oder Burkas (d. h. eines schwarzen, vollständig abdeckenden Kleidungsstücks mit Kopftuch) in finnischen Einheitsschulen oder in Schulen der Sekundarstufe II. Auch das finnische Zentralamt für Unterrichtswesen äußerte sich hierzu bislang nicht: Der Vorstand hat keine offiziellen Anweisungen für Schulen erteilt. In Finnland dürfen Bürger religiöse Symbole (z. B. Kruzifixe oder Kopftücher) an öffentlichen Orten tragen. Es gibt aber zwei gesetzliche Ausnahmen: Zum einen sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer arbeitsgesetzlich zur Einhaltung der Sicherheitsvorschriften verpflichtet. Beispielsweise darf das Tragen eines Kopftuchs bei der Arbeit mit Maschinen verboten werden, wenn das Kopftuch ein Unfallrisiko darstellt. Zum anderen dürfen religiöse Gefühle nicht verletzt werden. Die derzeitigen Strafbestimmungen schützen nicht mehr Gottes Ehre, sondern statt dessen religiöse Überzeugungen, religiöse Gefühle und religiösen Frieden. Religiöser Frieden bedeutet religiöse Ordnung, bezogen auf die allgemeine Kategorie „Recht und Ordnung“. Es verbietet beispielsweise eine beleidigende Kleidungsweise, die religiöse Überzeugungen offen verletzt. Das Oberste Gericht Finnlands hat drei Entscheidungen von allgemeiner Bedeutung zur Freiheitsbeschränkung von Angehörigen einer religiösen Minderheit getroffen. Der erste Fall betraf eine Muslima, die während ihrer Arbeit im Büro eine Kopfbedeckung tragen wollte. Beim zweiten Fall lehnte eine Zeugin Jehovas eine von der evangelisch-lutherischen Kirche angebotene Aushilfstätigkeit aus religiösen Gründen ab. Die dritte Entscheidung beschäftigte sich mit einem finnischen Mitglied der Adventistenkirche, das bei der Staatseisenbahn beschäftigt 17

EGMR (GK), NVwZ 2011, S. 737 (Lautsi/Italien).

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war und zur Feier des Sabbats freitags nach Sonnenuntergang eine regelmäßige Arbeitsfreistellung aus religiösen Gründen begehrte.18

V. Rechtlicher Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften Das neue Gesetz über Religionsfreiheit (453/2003) regelt die Mitgliedschaft in Religionsgemeinschaften, das Verfahren beim Ein- bzw. Austritt aus einer Religionsgemeinschaft, Fragen zum Eid. Auch erklärt es das Versammlungsgesetz bei der Religionsausübung im öffentlichen Raum für anwendbar. In seiner Gesamtheit regelt das Gesetz den rechtlichen Status sowie die Grundlagen, Rechte und Pflichten von Kirchen und eingetragenen Religionsgemeinschaften detailliert und ausführlich. § 2 des Religionsgesetzes zählt alle Religionsgemeinschaften im Sinne des Gesetzes auf, zu der die evangelisch-lutherische Kirche, die orthodoxe Kirche und die nach Unterabschnitt 2 eingetragenen Religionsgemeinschaften gehören. Eine Religionsgemeinschaft kann aber auch in Form einer Weltanschauungsgemeinschaft oder gar nicht in Form einer juristischen Person organisiert sein. Unter dem neuen Religionsgesetz sind die evangelisch-lutherische und die orthodoxe Kirche auch Religionsgemeinschaften im Sinne anderer spezieller Kirchengesetze. Eingetragene Religionsgemeinschaften jedoch müssen selbst eine Assoziierungsordnung erstellen und werden nach einer Prüfung der Rechtmäßigkeit durch den nationalen Patent- und Registerausschuß genehmigt. Finnland kennt drei verschiedene Rechtspersönlichkeiten für Religionsgemeinschaften: (1) Das Grundgesetz erklärt die evangelisch-lutherische Kirche zur juristischen Person des öffentlichen Rechts. (2) Das Grundgesetz definiert nicht den Rechtscharakter der orthodoxen Kirche Finnlands – der rechtliche Status der orthodoxen Kirche und der evangelischen Kirche unterscheiden sich also. Regelungen über die orthodoxe Kirche finden sich im neuen Gesetz über die orthodoxe Kirche von 2007 (Gesetz Nr. 985/2006 vom 1.1.2007). (3) In Finnland ist eine eingetragene Religionsgemeinschaft eine besondere Art von Gemeinschaft. Ihre Gründung und ihr rechtlicher Status als juristische Person sind in § 2 des Religionsgesetzes geregelt. Soweit sie im Register der Religionsgemeinschaften eingetragen ist, verfügt sie über das Recht zum Eigentumserwerb, das Recht, vertragliche Verpflichtungen einzugehen und das Recht, vor Gericht gegen Behörden zu klagen bzw. von ihnen verklagt zu werden. Dies entspricht dem im finnischen Recht geltenden Grundsatz, daß Vereine mit ihrer Eintragung in das staatliche Vereinsregister Rechtsfähigkeit erlangen. 18 Siehe näher Juha Seppo, Church and State in Finland, European Journal for Church and State Research 5 (1998), S. 121 (128 f.).

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Die Registrierung als Religionsgemeinschaft berechtigt u. a. zur Erteilung schulischen Religionsunterrichtes. Außerdem wirkt sich die Registrierung auf die Besteuerung, den Strafvollzug und das Recht zur Eheschließung aus. Aufgrund dessen müssen staatliche Behörden Kenntnis vom Zweck und der Tätigkeitsart der Religionsgemeinschaft haben. Einige Institutionen, die sich religiösen Handlungen widmen, haben sich nicht als Religionsgemeinschaft, sondern stattdessen als Weltanschauungsgemeinschaft eintragen lassen. Wenn ein religiöser Verein oder eine andere Einrichtung nicht registriert ist, wird dieser weder als vollwertige juristische Person anerkannt noch ist er in der Lage, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Handelt jemand im Namen einer solchen, nicht eingetragenen Gemeinschaft, haftet dieser für alle Verpflichtungen persönlich. Regionale Unterschiede hinsichtlich der Rechtsstellung der Religionsgemeinschaften existieren nicht, da Finnland keine föderale Struktur hat. Schließlich besteht im Grundsatz weitgehende Einigkeit darüber, daß die genannten Prinzipien in gleicher Weise auch für das Leben nach der Mizwot und der Scharia gelten. Gleichwohl besteht an Fragen der Anwendung der Scharia ein gewisses öffentliches Interesse.

VI. Wirkungsmöglichkeiten der Kirchen und Religionsgemeinschaften Die großen Kirchen beschäftigen zusammen mehr als 21.000 Personen. Die evangelisch-lutherische Kirche Finnlands hat 2.438 Pastoren, die orthodoxe Kirche Finnlands hat etwa 250 Priester und sonstige Mitarbeiter. Die evangelisch-lutherische sowie die orthodoxe Kirche verbeamten ihre Mitarbeiter ganz überwiegend; einige Arbeitnehmer stehen aber auch in befristeten oder unbefristeten privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen. Letzteres gilt grundsätzlich für die Mitarbeiter registrierter Religionsgemeinschaften, deren Tätigkeit daher privatrechtlich geregelt ist. Alle Kirchen und religiösen Einrichtungen haben hierbei das allgemeine Vertragsrecht gleichermaßen zu beachten. Für die lutherische Kirche besteht jedoch mit Rücksicht auf die besonderen Anforderungen der kirchlichen Arbeitszeit ein besonderes Arbeitszeitgesetz. Wer für die Kirche, die Kirchengemeinde oder den Kirchengemeindeverband tätig ist, ist entweder verbeamtet oder steht in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis. Das kirchliche Recht erlaubt nur Mitgliedern der evangelisch-lutherischen Kirche öffentliche Andachten, diakonische Tätigkeiten oder schulischen Religionsunterricht für die Kirche, die Kirchengemeinde oder den Kirchengemeindeverband zu übernehmen. Das Diözesankapitel kann für Priester oder Pfarrer einer anderen christlichen Kirche oder Religionsgemeinschaft hiervon durch Dispens Ausnahmen

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zulassen, wenn die Generalsynode eine Vereinbarung mit dieser Kirche oder Religionsgemeinschaft über die gegenseitige Anerkennung des Amtes getroffen hat. Der Dispens kann vorübergehend oder für einen bestimmten Zeitraum gewährt werden. Das Arbeitszeitrecht für die evangelisch-lutherische Kirche gilt auch für andere Religionsgemeinschaften. Jede Diskriminierung aus religiösen Gründen ist verboten. Insofern gilt für Finnland, was für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union gilt. Die Einstellung eines Bewerbers aufgrund seiner Qualifikation stellt jedoch keine Diskriminierung dar. Zudem gelten die Bestimmungen des Gleichheitsgesetzes nicht für die evangelisch-lutherischen und orthodoxen Kirchen und die religiösen Handlungen anderer Religionsgemeinschaften.

VII. Kirchenvermögen und Kirchenfinanzierung Die wichtigste Einkommensquelle der evangelisch-lutherischen und orthodoxen Pfarreien ist die Kirchensteuer, die von Gemeindemitgliedern auf der Grundlage des zu versteuernden Einkommens im Rahmen der Gemeindesteuer erhoben wird. Die Steuern werden von den staatlichen Steuerbehörden erhoben; im Gegenzug übernehmen die Gemeinden einen Teil der Kosten. Darüber hinaus erhalten Gemeinden einen Anteil am Körperschaftsteuerertrag. Im Zusammenhang mit der Reform der Körperschaftsteuer Anfang 1993 wurde der Anteil der Gemeinden an der Körperschaftsteuer durch die vorherige Verpflichtung der Verbände zur Zahlung der Kirchensteuer ersetzt. Die Verpflichtung der Vereine zur Zahlung der Kirchensteuer und die Überlassung eines Anteils der Körperschaftsteuer an die Gemeinden wurde damit gerechtfertigt, daß die Pfarreien eine breite Palette von sozialen Dienstleistungen anbieten. Nicht zuletzt hängt der Anteil der Gemeinden an der Körperschaftsteuer mit der Verantwortung der evangelisch-lutherischen Pfarreien für die Erhaltung der öffentlichen Friedhöfe zusammen. Der Anteil der Gemeinden an den Körperschaftsteuererträgen schwankte unter der Geltung des Einkommensteuergesetzes. Im Jahre 2017 betrug der Anteil der Gemeinden 2,3 % (104 Millionen EUR). Die evangelisch-lutherischen und die orthodoxen Gemeinden teilen sich die Erträge; die evangelisch-lutherischen Gemeinden erhalten 99,92 %, die orthodoxen Gemeinden 0,08 %. Seit Anfang 2008 erhalten die registrierten Religionsgemeinschaften zur Förderung ihrer Tätigkeiten eine finanzielle Unterstützung durch die Regierung. Zuvor hatten sie sich vor allem durch Spenden, Mitgliedsbeiträge und Fundraising finanziert. Nach dem Gesetz über staatliche Beihilfen hängt die finanzielle Unterstützung der registrierten Religionsgemeinschaften von der Anzahl ihrer Mitglieder ab. Religionsgemeinschaften mit unter 100 Mitgliedern oder Religionsgemeinschaften, die kaum oder keinerlei Tätigkeit entfalten, erhalten keine

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Beihilfen. Das Gesetz intendiert die Vermeidung von Ermessensentscheidungen, weswegen es die Voraussetzungen der Beihilfen klar definiert. Die staatlichen Beihilfen für eingetragene Religionsgemeinschaften bedürfen keiner besonderen Regelung. Ihre Höhe wird gemeinsam mit dem jährlichen Staatshaushalt festgelegt. Grundlage sind die Körperschaftsteuereinnahmen der evangelisch-lutherischen Kirche einschließlich der erhaltenen Bestattungskosten. Zur Zeit erhalten die Religionsgemeinschaft pro Mitglied ca. 3,39 EUR.

VIII. Formen institutioneller Kooperation von Staat und Kirchen sowie Religionsgemeinschaften Bildung, religiöse Unterstützung und Zugang zu öffentlichen Einrichtungen machen die wichtigsten Formen der institutionellen Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche aus. Im öffentlichen Schulsystem, das hauptsächlich von den Gemeinden betrieben und teilweise vom Staat finanziert wird, ist Religionsunterricht der Mehrheitsreligion ein ordentliches Schulfach. Das Verhältnis von Staat und Kirche berühren zudem Handlungen, die nach religiösem Recht durchgeführt werden, denen indes das staatliche Recht Rechtswirkungen zuerkennt. Gleiches gilt für strafrechtliche Bestimmungen, die religiöse Überzeugungen und Gefühle und den religiösen Frieden schützen. 1. Bildung Der Religionsunterricht hat im finnischen Bildungssystem eine lange Tradition. Derzeit ist der Religionsunterricht sowohl in den finnischen Einheitsschulen (7–16 Jahre) als auch in der Sekundarstufe zwei (16–18/19 Jahre) Pflichtfach, nicht aber in Berufsschulen. In der Literatur wird der Religionsunterricht als „schwach konfessionell“ beschrieben. Der schulische Religionsunterricht vermittelt die Tradition der Religion und nicht Elemente der religiösen Praxis. In Finnland existieren, gemessen an der Gesamtzahl der Schulen, nur wenige lizenzierte Privatschulen: Regelmäßig sind diese Schulen bekenntnisfrei und werden auch nicht von Kirchen unterstützt. Es existieren aber durchaus einige wenige lizenzierte konfessionelle Einheitsschulen. Die Englischschule in Helsinki ist eine katholische Stiftung. Insgesamt hat Finnland weniger als fünfzehn christliche Schulen und zwei andere religiöse Schulen. Deren Schüler zahlen keine Aufwendungen für Lehr- und Lernmittel. Die Anzahl der religiösen Vorschulen ist unbekannt. Das Bekenntnis des Religionsunterrichts richtet sich nach der Religionsmehrheit. Da die Mehrheit der Finnen Mitglieder der evangelisch-lutherischen Kirche Finnlands sind, ist der Religionsunterricht in der Praxis meist lutherischen Bekenntnisses. Anderskonfessioneller Religionsunterricht bedingt die Erfüllung von

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drei Voraussetzungen: Erstens muß es sich um eine eingetragene Religionsgemeinschaft in Finnland handeln. Zweitens muß die Religionsgemeinschaft einen vom nationalen Bildungsministerium genehmigten Lehrplan (sogenannte nationale Rahmenlehrpläne) aufweisen. Und drittens müssen in der Gemeinde drei Schüler der betreffenden Religionsgemeinschaft angehören und am Unterricht teilnehmen wollen. Wird ein Religionsunterricht des eigenen Bekenntnisses angeboten, muß der Schüler teilnehmen. Der Status des orthodoxen Religionsunterrichts unterscheidet sich von dem der anderen religiösen Minderheiten: Wenn es mindestens drei orthodoxe Kinder in den Gemeindeschulen gibt, wird der Unterricht automatisch, auch ohne elterlichen Antrag, angeboten. Die Lehrerausbildung in Finnland findet an Universitäten statt. Der Religionsunterricht kann von Klassenlehrern und Fachlehrern erteilt werden. Die Klassenlehrer haben einen fünfjährigen Master abgeschlossen, wobei mindestens 2 Creditpoints durch die Ausbildung für den Religionsunterricht erworben wurden. Die Klassenlehrer sind in allen sechs Klassen der Einheitsschulen zur Unterrichtung sämtlicher Fächer – einschließlich des Religionsunterrichtes – qualifiziert. Die Schüler sind hier zwischen 7 und 13 Jahren alt. Die Fachlehrer sind zur Unterrichtung der Klassen 7–9 der Einheitsschulen und der Sekundarstufe II (Jahrgangsstufe I–III) qualifiziert. Das Alter der Schüler liegt zwischen 13 und 18 Jahren. Religionsfachlehrer müssen ihr Theologiestudium mit einem Master abgeschlossen haben. Die Fachlehrer sind in systematischer Theologie, Kirchengeschichte, Bibelstudien, praktischer Theologie und vergleichender Religionswissenschaft ausgebildet. Im übrigen unterscheiden sich die Religionslehrer nicht von den Lehrern anderer Schulfächer. Sie sind nicht von der Kirche oder einer ähnlichen Institution angestellt. Vielmehr sind sie staatlich beschäftigt und qualifiziert. Die Mehrheit der Religionslehrer wird auch nicht ordiniert. Die Ausbildung zum Fachlehrer dauert ein Jahr. Im Unterschied zu vielen anderen europäischen Staaten wird die Ausbildung von einem Fachbereich für angewandte Wissenschaften und nicht von der theologischen Fakultät durchgeführt. Ausbildungsinhalte sind Bildungsphilosophie, Psychologie des Lernens, Sonderpädagogik, Didaktik im Religionsunterricht und drei Praktika. Die Lehrerausbildung ist bei Theologiestudenten sehr beliebt. An der Universität Helsinki bestehen etwa nur 1/3 der Teilnehmer die Aufnahmeprüfung zur Religionslehrerausbildung. Finnland regelt nicht die Schulbeurlaubung an religiösen Feiertagen. Ein Schuljahr ist in der Regel in ein Herbst- und ein Frühlingshalbjahr eingeteilt, so daß Ferien für Weihnachten und Neujahr möglich sind. Über Ferien in den Halbjahren, normalerweise auch über Osterferien, entscheidet das finnische Zentralamt für Schulwesen. Die Eltern eines Schülers in der Einheitsschule verfügen indes über die Möglichkeit, ihr Kind für einige Tage pro Schuljahr vom Schulun-

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terricht beurlauben zu lassen. Die Genehmigung der Befreiung erteilt der Schulleiter. 2. Religiöse Unterstützung und Zugang zu öffentlichen Einrichtungen Die Krankenhausseelsorge der evangelisch-lutherischen Kirche Finnlands arbeitet eng mit dem Gesundheitssystem zusammen. Ziele des Gesundheitssystems sind die Förderung der Gesundheit, die Prävention und Behandlung von Krankheiten sowie die Linderung von Leiden. Die Seelsorge spricht demgegenüber die religiösen und spirituellen Lebensfragen der Kranken an. Ein Seelsorger respektiert die Menschenwürde, den Glauben und die Integrität des Patienten ungeachtet seines Hintergrunds oder seiner Lebenseinstellung. Voraussetzung für die Tätigkeit als Krankenhausseelsorger ist das Bestehen eines Eignungstests und der Besuch eines von der Kirche genehmigten Spezialisierungsprogramms. Die Selbstbestimmung der Patienten ist im finnischen Grundgesetz und im Gesetz über den Status und die Rechte der Patienten klar geregelt. Die Militärseelsorge wird hauptsächlich von den lutherischen und orthodoxen Kirchen für alle Wehrpflichtigen ungeachtet deren Konfession und Weltanschauung angeboten. Die Militärseelsorger sind Beamte. Die Streitkräfte beschäftigen lutherische und orthodoxe Kapläne. Die Militärseelsorge untersteht dem allgemeinen Feldgeistlichen (Feldbischof), der hierarchisch auf einer Stufe mit den Generälen steht. Militärseelsorger haben den Rang eines Offiziers und sind uniformiert; bei der Messe und in Gottesdiensten tragen sie aber liturgische Kleidung. 3. Religion und Familienangelegenheiten Das finnische Recht erkennt eine zivile Rechtswirkung insbesondere religiöser ehe- und familienrechtlicher Handlungen an. Nach der Unabhängigkeit Finnlands im Jahr 1917 wurde die standesamtliche Hochzeit durch das Gesetz zur zivilen Eheschließung von 1917, das Gesetz zur Religionsfreiheit von 1922 und das Gesetz zur Eheschließung von 1929 zu einer Alternative zur kirchlichen Trauung. Das Institut einer homosexuellen Partnerschaft mit dem gleichen rechtlichen Status wie einer Ehe wurde durch das finnische Parlament 2001 eingeführt. Homosexuellen Menschen steht durch dieses Gesetz eine standesamtliche Eheschließung offen. Die Scharia spielt in Finnland keine Rolle. § 6 des finnischen Grundgesetzes („Jeder ist vor dem Gesetz gleich“) gewährleistet die Achtung des Privatlebens: Es ist verboten, eine Person aufgrund ihres Geschlechtes, ihres Gesundheitszustandes, ihrer Behinderung oder einer anderen mit ihr in Verbindung stehenden Eigenschaft ohne rechtfertigenden Grund zu dis-

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kriminieren. Einzelfragen der Menschenrechte oder der sexuellen Orientierung fallen in den Anwendungsbereich der Antidiskriminierungsgesetzgebung. 4. Religion im Strafrecht und andere öffentliche Vorschriften Das geltende finnische Strafrecht schützt nicht mehr Gottes Ehre, sondern religiöse Überzeugungen, Gefühle und den religiösen Frieden. Die Straftat der Verletzung der Heiligkeit der Religion wurde 1998 reformiert. Die Bestimmungen wurden in das Kapitel über Straftaten gegen die öffentliche Ordnung (563/1998) aufgenommen. Damit haben diese Vorschriften ihre Position zu Anfang des Strafgesetzbuches verloren; sie stehen nicht mehr im Zusammenhang mit Straftaten gegen die Religion oder Weltanschauung. Der Straftatbestand der Gotteslästerung setzt keine spezifische Form der Absicht voraus. Es muß daher keine Beleidigungsabsicht vorhanden sein, anders als in anderen Fällen, in denen eine entsprechende Absicht erforderlich ist. Dieser Unterschied deutet darauf hin, daß durch die Blasphemie eine größere Bandbreite von Handlungen erfaßt wird als im Falle von Straftaten, die eine Absicht erfordern. Grund ist, daß auch jene Menschen, die eine religiöse Überzeugung nicht teilen, die Handlung als beleidigend betrachten, wenn die religiösen Gefühle der Gemeinschaft verletzt werden. Anstrengungen, die Sonderbestimmung über die Gotteslästerung aufzuheben, blieben bislang erfolglos.19 Geistliche können sich regelmäßig auf das Seelsorgegeheimnis berufen.

IX. Schlußbemerkungen: Gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen des Staatskirchenrechts Zusammenfassend ist der finnische Staat weder konfessionsgebunden noch konfessionslos. Es bestehen jedoch enge institutionelle und legislative Verbindungen zwischen Staat und lutherischer Kirche. Im öffentlichen Schulsystem, das hauptsächlich von den Gemeinden betrieben und teilweise vom Staat finanziert wird, ist der Religionsunterricht ein ordentliches Schulfach. Darüber hinaus hat die orthodoxe Kirche einen besonderen institutionellen Status. Zusätzlich gewährleisten Grundgesetz und die einfachen Gesetze Religionsfreiheit und die Rechte religiöser und nichtreligiöser Minderheiten. Der finnische Staat bekennt sich zur Religionsneutralität; die lutherische Kirche ist rechtlich und verwaltungsmäßig vom Staat unabhängig. Das Kirchengesetz der evangelisch-lutherischen Kirche ist jedoch ein Parlamentsgesetz; gleich19 Kimmo Nuotio, Religion in the Criminal Law of Finland, in: Matti Kotiranta/Norman Doe (Hrsg.), Religion and Criminal Law – Religion et Droit Pénal, 2013, S. 63.

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wohl dürfen weder der Präsident noch das Parlament den von der kirchlichen Generalversammlung der Kirche vorgeschlagenen Wortlaut ändern. Das Kirchengesetz enthält Bestimmungen mit einem klaren konfessionellen Charakter. Über die zukünftigen Herausforderungen des Staatskirchenrechts im 21. Jahrhundert kann nur spekuliert werden. In den vergangenen Jahren hat sich jedoch das Klima bei der Frage für eine Reform der staatskirchlichen Beziehungen gewandelt. Dieser Wandel dürfte eine der wichtigsten Konsequenzen der gesellschaftlichen Debatte der letzten Jahre darstellen. So besteht heute eine wesentlich größere Offenheit als früher, die Beziehungen zwischen Kirche und Staat neu zu regeln. Auch die gegenwärtigen Bindungen der Kirche an den Staat (§ 76 des Grundgesetzes) stehen zur Disposition. Wer von der Kooperation des Staats mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften überzeugt ist, weil es sich letztlich um die gleichen Bürger handelt, muß traditionelle Erwägungen, die Verwirklichung der Religionsfreiheit (in Form ihrer positiven Dimension) und die religiöse Neutralität des Staates in einer Weise auslegen, die der Zivilgesellschaft eines modernen demokratischen Staates angemessen ist. Ohne zu versuchen, eine erschöpfende Antwort auf die Frage zu geben, wie die Probleme, die mit der staatlichen Bindung der Kirche verbunden sind, zu lösen sind, ist zu konstatieren, daß die Beziehungen zwischen Kirche und Staat und insbesondere seinen Sozialbehörden weit ausgreifen. Indes ist letztlich das Ausmaß der staatskirchlichen Beziehungen weitaus weniger bedeutsam als der Umstand, daß die staatskirchlichen Beziehungen der Gesellschaft gerecht werden. Es ist dann entscheidend, daß die Kirchen und Religionsgemeinschaften ihre eigenen Bekenntnisse interpretieren und eigene Verfassungen entwickeln.

V. Länder mit besonderen staatskirchenrechtlichen Traditionen

Das Verhältnis von Staat und Kirche in Frankreich Von Thierry Sol, Rom I.

Historische Grundlagen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

II.

Rechtsquellen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsrechtliche Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetz vom 9. Dezember 1905 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Elsaß-Lothringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Überseegebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 IV.

Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304

V.

Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmung der Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eine Vielfalt von Rechtsstatuten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Wirkungsmöglichkeiten der Kirchen und Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . 310 VII. Kirchengüter und Kirchenfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 VIII. Formen institutioneller Kooperation von Staat und Kirchen sowie Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das institutionelle Verhältnis zum Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bildungswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Privatschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Theologische Fakultäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kirchliche Einrichtungen der Wohlfahrtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

313 313 314 314 315 315 317 317

IX. Geltung kirchlich bzw. religionsgemeinschaftlich gesetzten Rechts in der staatlichen Rechtssphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 X.

Schlußbemerkungen: Gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

Zu Recht findet sich dieser Beitrag im Abschnitt „Länder mit besonderen staatskirchenrechtlichen Traditionen“. Obwohl Frankreich immer ein Land mit

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einer traditionell katholischen Prägung bleibt,1 kann das französische System der Trennung aus mehreren Gründen als ein Sonderweg dargestellt werden.2 Das heutige Verhältnis von Staat und Kirche in Frankreich spiegelt einfach die Komplexität der bewegten Geschichte der Laizität wider. Der Gallikanismus und die Aufklärungsideale haben sie gleichzeitig geprägt.3 Sie wurde danach in der Schmiede des revolutionären Prozesses verarbeitet, vom napoleonischen Konkordat umgebaut, vom laizistischen Republikanismus strukturiert und 1905 als rechtliches Gründungsprinzip verankert, wobei der Antagonismus zwischen den zwei Frankreichs noch am Ende des 20. Jahrhunderts (man denke an die Großdemonstrationen von 1984 und seit 2013) auffallend war. Die Singularität des französischen Wegs darf aber nicht verbergen, daß dieses System trotz seiner Besonderheiten einen besonderen Ausdruck eines allgemeinen Säkularisierungsprozesses bildet, der die europäischen Nationalstaaten kennzeichnet. Jean Baubérot hat die Laizisierung als inkrementellen Differenzierungsprozess zwischen Staat und Religion definiert.4 Eine solche Auffassung kann 1 Aufgrund des Gesetzes „Informatique et Libertés“ (Ursprungsfassung vom 6. Januar 1978), das es verbietet, Personen zu ihrer religiösen Zugehörigkeit zu befragen, existieren keine verlässlichen Daten zu Entwicklungen der verschiedenen Kirchen und Glaubensgemeinschaften. Es gibt nur soziologische Schätzungen des Nationalen Institut für Statistik (INSEE) und einige Daten der Kirchen selbst, wobei es schwierig ist, die Zugehörigkeiten exakt herauszufinden. Den letzten Schätzungen zufolge verhalten sich die Anteile der Kirchen und Religionsgemeinschaften wie folgt: Katholiken 50–60 %, Muslime 8–10 %, Protestanten 2 %, Juden 1 %. Diese Zahlen spiegeln indes nur die formale Religionszugehörigkeit wider. So erklärt gut die Hälfte der Katholiken, an Gott zu glauben. Den sonntäglichen Meßbesuch pflegen aber nur etwa 5 %, hingegen bezeichnen sich 30 % der Muslime als praktizierend. 2 Der französische Laizitätsbegriff scheint manchmal fast unübersetzbar zu sein, wie es viele Autoren bemerkt haben: Jean Dominique Durand, Il diritto ecclesiastico, 2005, S. 133; Jean Baubérot, Religions et laïcité dans l’Europe des douze, 1994, S. 57: „Tra laicità e laicismo, esiste un modello francese?“; Guy Haarscher, La laïcité – Que saisje?, 5. Aufl. 2011, S. 126; Jean Dominique Durand, in: ders. (Hrsg.), Quelle laïcite en Europe?, 2003, S. 31: „La laïcité n’est pas une notion irrémédiablement confuse“; Émile Poulat, in: Jean Dominique Durand (Hrsg.), Quelle laïcite en Europe?, 2003, S. 27: „Comment traduire ,laïcité‘ en italien?“. 3 Vgl. dazu die Synthese von Dimitri Almeida, Laizität im Konflikt – Religion und Politik in Frankreich, 2017, S. 56: „In seiner Rekonstruktion der Genese des Laizitätsprinzips in Frankreich charakterisiert Georges Weill die Laizität als das gemeinsame Produkt von vier teilweise in Opposition zueinanderstehenden Denktraditionen. Nach Weill (Histoire de l’idée laïque en France au XIXe siècle, 2004). [1925]) hat die Laizität ihre Wurzeln im gallikanischen Katholizismus, im liberalen Protestantismus, in deistischen Strömungen sowie im Freidenkertum und im Atheismus. Der Beitrag unterschiedlichster Weltanschauungen zum Entstehungsprozess des Laizitätsprinzips legt den Schluß nahe, daß die Laizität nicht auf eine Denktradition reduziert werden kann.“ 4 Jean Baubérot, Laïcité 1905–2005, entre passion et raison, 2004; Dimitri Almeida kommentiert zu Recht: „Baubérots Bezugsrahmen hat den wesentlichen analytischen Vorteil, daß er die Laizität nicht als französisches Spezifikum definiert, sondern eine allgemeine Grundlage für vergleichende Untersuchungen schafft.“, Almeida (Fn. 3), S. 14.

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dabei helfen, Frankreich in eine vergleichende Perspektive zu integrieren: „Anstatt die französische Laizität als Ausnahme zu betrachten, ist es analytisch erhellender, sie zunächst als eine bestimmte Konzeption und Praxis der Trennung von Staat und Religion zu definieren.“ 5 Es wäre hier also notwendig, die Begriffe „Trennung“, „Laizität“, „Laizismus“, „Laizisierung“ und „Säkularisierung“ zu bestimmen. Ein solcher Unterscheidungsversuch ist aber im Rahmen dieses Vortrags so schwierig wie unmöglich. Es ist ja schon darüber viel geschrieben worden und nur ein paar Elemente können in diesen Seiten wieder ans Licht gebracht werden.6 Die vorliegende Analyse kann immerhin zeigen, wie das französische Laizitätssystem, mit Vernunft und Pragmatismus angewandt, bisher zufriedenstellende Antworten gefunden hat. Diese Lösungen sind insbesondere das Ergebnis eines Dialogs mit den christlichen und jüdischen Konfessionen. Können mit dem Islam gleichwertige Lösungen gefunden werden? Der Schwerpunkt der Problematik des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche besteht seit langer Zeit nicht mehr in den Beziehungen zwischen der Republik und der katholischen Kirche, sondern in der Möglichkeit der Anpassung des Laizitätsprinzip an religiöse Gemeinschaften, die es von Natur aus ignorieren.7 Der Islam hat in den letzten Jahrzehnten an gesellschaftlicher Präsenz deutlich gewonnen (Moscheebau, konfessionelle Privatschulen, Feiertage, Bestattungsfragen, Speisevorschriften), und dies im Rahmen einer Verschlechterung des nationalen und internationalen Kontextes (Attentate in Paris, Flüchtlingskrise). Diese Problematik hat die traditionelle – von der Dritten Republik geerbte – Konzeption der Laizität und den Rechtsrahmen in eine Krise geführt, wahrscheinlich wegen einer mangelnden Anpassungsfähigkeit des gesetzlichen Systems, aber vielmehr vielleicht aufgrund einer zu engen ideologischen Auffassung des Trennungsbegriffs.8

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Almeida (Fn. 3), S. 14. Allgemein dazu: „In diesem Zusammenhang sorgt der Begriff der Trennung regelmäßig für Mißdeutungen des französischen Laizitätsregimes. So wird Laizität oftmals als eine strikte Grenzziehung zwischen einer säkularen Öffentlichkeit und einer Sphäre des Privaten aufgefaßt, wobei das Private als einzig legitimer Raum für religiöse Praktiken und für die Bekundung konfessioneller Weltanschauungen betrachtet wird. Diese Deutung resultiert aus der Verschmelzung von zwei Prozessen, die zwar in vielen Fällen parallel auftreten, dennoch analytisch zu differenzieren sind: Laizisierung und Säkularisierung. Laizisierungsprozesse, verstanden als die Entkonfessionalisierung staatlicher Institutionen, implizieren keine Privatisierung des Religiösen.“, Almeida, Laizität im Konflikt (Fn. 3), S. 15. 7 Siehe die Überlegungen von Pierre Manent, Situation de la France, 2015. 8 Die Komplexität des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat wird ausführlich behandelt in: Francis Messner/Pierre-Henri Prélot/Jean-Marie Woehrling (Hrsg.), Droit français des religions, 2. Aufl. 2013. 6

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I. Historische Grundlagen des Staatskirchenrechts Die historischen Grundlagen des Staatskirchenrechts wurden andernorts ausführlich beschrieben9, so daß es hier nur darum gehen kann, die wichtigsten Elemente seit der Französischen Revolution in Erinnerung zu rufen. Dabei lassen sich schematisch drei Perioden benennen: Drei Merkmale kennzeichnen die revolutionäre Periode: Gewissensfreiheit, Trennung von Staat und Kirche sowie Verfolgung der Kirche. Die Gewissensfreiheit und die freie Religionsausübung wurden mit der Erklärung der Menschenund Bürgerrechte vom 26. August 1789 (Art. 10) und der Verfassung von 1791 (Titel I) proklamiert. Nahezu gleichzeitig aber beginnen auch die Trennung von Staat und Kirche sowie die Verfolgung der katholischen Kirche, erstmals mit dem Dekret vom 2. November 1789 über die Nationalisierung der kirchlichen Güter. Im Gegenzug verpflichtete sich der Staat dazu, für die Lasten des Kultus und für den Unterhalt seiner Geistlichen aufzukommen. Später regelte die „Constitution civile du clergé“ vom 12. Juli 1790 die Organisation der Ausübung der katholischen Religion und den Status der Kleriker als Staatsdiener. Pius VI. verurteilte diesen einseitigen Akt des Staates mit dem Breve Quod Aliquantum vom 10. März 1791. Die Verfolgung der Kirche wird noch deutlicher unter der Herrschaft des Terreur, von Mai 1793 bis Juli 1794, die eine Politik der systematischen Entchristianisierung des Landes unternahm. Die Lage verbessert sich erst mit dem Dekret vom 21. Februar 1795, das zwar die Trennung zwischen Kirche und Staat und das Prinzip der freien Religionsausübung wiederholte, ohne allerdings die konfiszierten Gebäude wenigstens zur Verfügung zu stellen oder gar eine finanzielle Kompensation vorzusehen. Eine zweite Periode beginnt mit Bonaparte, der am 15. Juli 1801 mit Pius VII. ein Konkordat aushandelte. Der Text ist kurz (17 Artikel) und bewußt – von Napoleons Seite – zweideutig.10 Napoleon fügte die 77 „organischen Artikel“ hinzu, 9 Siehe zum Beispiel die Analyse von Jean Baubérot/Claude Langlois, Problèmes et propositions, in: Jean-Marie Mayeur (Hrsg.), L’histoire religeuse de la France: 19e–20e siècle: problèmes et méthodes, 1975, S. 185; Jean Baubérot, Histoire de la laïcité en France, 2. Aufl. 2003; Laïcité 1905–2005 (Fn. 4); Jean-Marie Mayeur, La question laïque: XIXe–XXe siècle, 1997; ders., La séparation des églises et de l’état, 2005; Bernard Stasi, Rapport de la Commission de Réflexion sur l’Application du Principe de Laïcité dans la République: remis au Président de la République le 11 décembre 2003, 2004; Conseil d’État, Un siècle de laïcité – Rapport public, 2004; Jacqueline Lalouette, La séparation des Eglises et de l’Etat, Genèse et dévelopement d’une idée 1789–1905, 2005; Marcel Gauchet, La religion dans la démocratie: parcours de la laïcité, 2015; Philippe Portier, L’état et les religions en France: une sociologie historique de la laïcité, 2016. 10 Siehe Brigitte Basdevant-Gaudemet, Staat und Kirche in Frankreich, in: Gerhard Robbers (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäische Union, 2. Aufl. 2005, S. 171 (173). Für eine Zusammenfassung: „Der Art. 1 garantierte die öffentliche Kultausübung, ,die mit den polizeilichen Bestimmungen übereinstimmt, die die Regierung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung für erforderlich hält‘. Die kirchlichen Zir-

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die den staatlichen Behörden eine strenge polizeiliche Kontrolle über die Kirche ermöglichten.11 Obwohl Rom diese Bestimmungen niemals anerkannte, wurden sie trotzdem von den folgenden Regierungen des 19. Jahrhunderts angewendet. Die vier „anerkannten Religionsgemeinschaften“ besaßen bestimmte Vorteile (besonders finanzieller Art), waren aber auch der ständigen Kontrolle der öffentlichen Gewalt unterworfen. Während des gesamten 19. Jahrhunderts blieb dazu die Frage nach dem Rechtsstatus der Kirche im Zentrum der gesellschaftlichen, politischen und ideologischen Auseinandersetzung zwischen den Anhängern der traditionellen Ordnung und den Republikanern. Eine dritte Periode ist ab Ende der 1870er Jahren anzusetzen, als die Anhänger der Republik nach und nach die Macht übernahmen. Der Antiklerikalismus erschien immer deutlicher an erster Stelle ihres politischen Programms, zunächst 1881 mit den Jules Ferry-Gesetzen, welche die Laizität zu einem wichtigen Grundsatz des öffentlichen und verpflichtenden Schulsystems erklärten, dann 1901 mit dem Gesetz Waldeck-Rousseau über das Vereinsrecht, das auch die Ausweisung der religiösen Kongregationen vorsah. Schließlich etablierte nach dem Bruch der diplomatischen Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl im Jahre 1904 das Gesetz vom 9. Dezember 1905 das Regime der Trennung. Durch die Enzyklika Vehementer Nos vom 11. Februar 190612 verurteilte Pius X. die Trennung als einseitigen Bruch des Konkordats und bat den Episkopat, sich der Anwendung des Gesetzes von 1905 zu widersetzen. Das Ende des Konkordats hatte nämlich auch zur Folge, daß alle öffentlich-rechtlichen Anstalten der anerkannten Religionsgemeinschaften aufgelöst wurden. In Art. 18 sah das Gesetz vor, sie durch Kultvereine (associations cultuelles) zu ersetzen, die ausschließlich dem Zweck der Finanzierung und Organisation der Kulte dienen. „Kultgebäude in Besitz des Staates sollten den Kultvereinen mietfrei überlassen werden. In den meisten Fällen handelte es sich hierbei um Kirchen, Klöster, Seminare und Pfarrhäuser, die 1789 von der Konstituante nationalisiert worden waren.“ 13 Obwohl die Mehrheit der französischen Bischöfe der Meinung war, eine solche rechtliche Lösung annehmen zu können, verurteilte der Papst in der Enzyklika Gravissimo officii munere vom 10. August 190614 die Gründung der kumskriptionen wurden im Einvernehmen von religiösen und staatlichen Stellen neu bestimmt. Die Besoldung der Bischöfe und Pfarrer war Sache des Staates. Die nicht veräußerten und für Kultzwecke erforderlichen Kirchen wurden wieder der Verfügungsgewalt der Bischöfe überstellt (Der Staatsrat entschied schließlich, welche von ihnen in das Eigentum des Staates oder der Kommunen fielen).“ 11 Danach wurden 44 organische Artikel über die protestantischen Kirchen von Napoleon angefügt. Die jüdische Religion wurde durch drei Dekrete aus dem Jahre 1808 organisiert. 12 Pius X., Enzyklika Vehmenter nos vom 11.2.1906, ASS 39 (1906) S. 3. 13 Almeida (Fn. 3), S. 20 f. 14 Pius X., Enzyklika Gravissimo officio munere vom 10. August 1906, ASS 39 (1906) S. 385.

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Kultvereine.15 Er fürchtete die Entstehung einer Vielzahl verschiedener Vereine, in denen die Laien Entscheidungsgewalt ohne Kontrollmöglichkeit der Hierarchie besäßen.16 Um das juristische Vakuum auszufüllen, das durch die Verweigerung der katholischen Kirche entstanden war, sollte der Kultusminister Aristide Briand am 2. Januar 1907 ein neues Gesetz vorschlagen. Es bestimmte, daß die öffentliche Religionsausübung durch Vereine sichergestellt werden könnte, die entweder dem Gesetz von 1901 oder dem Gesetz von 1881 über die Freiheit öffentlicher Vereinigungen durch individuell initiierte Vereinigungen entsprachen. Damit wurde die Nutzung der Kultgebäude in staatlichem Besitz auch ohne Gründung eines Kultvereins ermöglicht.17 Erst mit der Errichtung von Diözesanvereinen im Jahr 1924 verfügte die katholische Kirche über eigene Kultvereine mit einem Sonderstatus. Nach dem Trauma des Gesetzes von 1905 und der sogenannten „Crise des inventaires“ von 190618 haben allmählich die Regierungen und der Conseil d’État eine flexible Anwendung der Trennung und einen praktischen Kompromiß zwischen Staat und Kirche gefunden,19 welche auch die heutige Lage kennzeichnen. 15 „Itaque de consociationibus civium, quales, divini cultus exercendi causa, lex constitui iubet, sic decernimus, nullo eas pacto conflari posse, quin sanctissima iura, quae ad vitam ipsam Ecclesiae pertinent, violentur. – Dimissis vero consociationibus istis, quas probare Nos quidem conscientia officii prohibemur, opportunum videri potest experiri, an liceat, earum loco, aliquod aliud institui consociationum genus, quod simul legitimum sit et canonicum, atque ita laboriosissima, quae imminent tempora, catholicis Gallis defendere. (. . .) At quoniam, hac manente lege, spes istiusmodi nulla ostenditur, istud alterum consociationum tentare genus, negamus fas esse, usque dum legitime certoque non constiterit, divinam Ecclesiae constitutionem, atque immutabilia Romani Pontificis et Episcoporum iura, eorumque in bona necessaria Ecclesiae, praecipue templa, potestatem, incolumia per consociationes easdem et tuta semper fore: contrarium velle Nos, nisi religionem officii deserendo, atque interitum Ecclesiae Gallicae conficiendo, non possumus.“ 16 Art. 4 des Gesetzes war allerdings mit der Autorität der Hierarchie nicht schlechthin unvereinbar. Er bestimmte nämlich, daß die Vereine „mit den Regeln der allgemeinen Organisation des Kultes“ übereinstimmen müßten. 17 Art. 5 des Gesetzes vom 2.1.1907 lautete: „Bestehen keine Kultvereine, bleiben die für die Ausübung des Gottesdienstes bestimmten Gebäude sowie die Einrichtungsgegenstände, außer im Falle der Nichtnutzung in den vom Gesetz vom 9.12.1905 vorgesehenen Fällen, weiterhin zur Verfügung der Gläubigen und Geistlichen für die Ausübung ihrer Religion.“ 18 Die Verordnung vom 2.1.1906 der Generaldirektion für Registrierung über das Inventar der Kirchen sah vor, daß auch die Tabernakel in den Kirchen für die Inventarisierung geöffnet werden mußten. Über diese Krise siehe: Gérard Cholvy/Yves-Marie Hilaire, Histoire religieuse de la France contemporaine, Band 2, 1985, S. 111 ff. 19 Vgl. Conseil d’État (Fn. 9), S. 264: „Die Verwaltungsgerichte ihrerseits spielten bei der liberalen Auslegung des Gesetzes die ihnen vom Gesetzgeber zugedachte Rolle. Sie taten dies zunächst, indem sie die Klagen über einen Mißbrauch kirchlicher Gewalt (recursus ab abusu) sogleich für unzulässig erklärten. So geriet das Verschwinden dieses Verfahrens zum logischen Pendant der Trennung, indem es der Kirche ihre Freiheit zurückgab. Rasch entwickelte sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit zum Regulator der

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Versucht man die historischen Grundlagen des Staatskirchenrechts zu resümieren, ist stets zu bedenken, daß es viele Lesarten dieser Geschichte gibt, aus der sich unterschiedliche und gegensätzliche Interpretationen des Laizitätsbegriffs ergeben: Vertreter einer offenen, geschlossenen,20 kämpferischen, liberal-pluralistischen, liberalen oder republikanischen Laizität können in der Geschichte eine Rechtfertigung ihres Standpunkts finden und so ihre jeweilige Auffassung begründen.

II. Rechtsquellen des Staatskirchenrechts 1. Verfassungsrechtliche Quellen In den verfassungsrechtlichen Grundlagen Frankreichs finden sich nur wenige Aussagen hinsichtlich des Staatskirchenrechts. Sie umfassen die Verfassung und die Texte, die sich auf die Verfassung beziehen, sowie die von den Gesetzen der Republik anerkannten wesentlichen Grundsätze. In der Verfassung von 1958 wird Frankreich als „laizistische Republik“ definiert.21 Die Präambel der Verfassung enthält auch Bestimmungen, die den Status der Kirchen betreffen. Sie bezieht sich nämlich ausdrücklich auf die Präambel der Verfassung von 1946, die sich wiederum auf die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 beruft.22

Beziehungen zwischen Kirche und Staat. In diese Regulierungsfunktion, die der Staatsrat nach der Verkündung des Gesetzes von 1905 ausübte, erblickte man ,eine echte Konstruktion der Grundlagen der Laizität‘. Konnte man dem im Gesetz von 1905 erfolgten Bruch zwischen Staat und Kirche nur zur Kenntnis nehmen und daraus die rechtlichen Konsequenzen ziehen, tat dies der Conseil d’État im denkbar liberalsten Geist, indem er eine ,offene Konzeption der Laizität‘ durchsetzte. Dabei war er darum bemüht, den Text des Trennungsgesetzes liberal anzuwenden und das Prinzip der freien Religionsausübung (vorbehaltlich der durch die öffentliche Ordnung geforderten Einschränkungen) sowie die Achtung der internen Organisationsbestimmungen der Religionsgemeinschaften praktisch werden zu lassen.“ (Übersetzung des Verf.) – Siehe auch Emmanuel Tawil, Du gallicanisme administratif à la liberté religieuse, le Conseil d’Etat et le régime des cultes depuis la loi de 1905, 2009. Abdruck der Entscheidungen des Staatsrats n. 145.641 vom 25. und 31.10.1906: Conseil d’État, Un siècle de laïcité (Fn. 9), S. 477 f. 20 Etienne Balibar, Faut-il qu’une laïcité soit ouverte ou fermée?, Mots. Les langages du politique 27 (1991), S. 73. 21 Art. 1: „Frankreich ist eine unteilbare, laizistische, demokratische und soziale Republik. Sie gewährleistet die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz ohne Unterschied der Herkunft, Rasse oder Religion“. Als Kommentar der Verfassungen von 1946 und 1958 über die Definition Frankreichs als „laizistische Republik“: Émile Poulat, Notre laïcité publique: „la France est une République laïque“, constitutions de 1946 et 1958, L’autre rive, 2003. 22 Vor allem: Art. 10 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Die verfassungsrechtliche Geltung der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 und der Präambel der Verfassung von 1946 wurde erst 1971 von einer Entscheidung des Verfassungsrats anerkannt (Entscheidung n. 71–44 DC vom 16.7.1971). Man spricht jetzt von einer Auffassung lato sensu der Verfassung. Mit dieser Entscheidung hat der Verfassungsrat fünf verfassungsmäßige Grundsätze herausgestellt: die Lehrfreiheit, die

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Dadurch wird die Gewissensfreiheit gewährleistet. Art. 2 der Verfassung bestimmt, daß die Republik „die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz sicherstellt ohne Unterscheidung nach Herkunft, Rasse oder Religion. Sie achtet alle Glaubensrichtungen.“ 2. Gesetz vom 9. Dezember 190523 Der erste Artikel garantiert jedem Bürger die ungehinderte Ausübung seiner Religion im Rahmen der öffentlichen Ordnung: „Die Republik gewährleistet die Gewissensfreiheit. Sie garantiert die freie Religionsausübung, die keinen anderen als den im Folgenden genannten Beschränkungen im Interesse der öffentlichen Ordnung unterliegt.“ 24 Art. 2 schreibt vor, „die Republik anerkennt, unterhält oder bezuschußt keine Religion (. . .). Allerdings können in diesen Haushalten (des Staates oder öffentlichen Einrichtungen) Mittel für die Seelsorge zur Gewährleistung der freien Religionsausübung in öffentlichen Einrichtungen wie etwa Sekundarschulen, Kollegien, Schulen, Pflegeheimen und Gefängnissen vorgesehen werden.“ 25 Obwohl der Titel des Gesetzes vom 9. Dezember 1905 „Loi sur la séparation des Églises et de l’État“ (Gesetz zur Trennung von Kirchen und Staat) lautet, findet man in seinen 44 Artikeln die Wörter „séparation“ (Trennung) oder „Laizität“ nicht. a) Elsaß-Lothringen Das Gesetz von 1905 gilt nicht für einige französischen Gebiete.26 Es handelt sich zunächst um die drei Departements Haut-Rhin, Bas-Rhin und Moselle, die mit dem Vertrag von Frankfurt 1871 unter deutsche Herrschaft kamen. Nach ihrem Anschluss an Frankreich nach dem Versailler Vertrag von 1919 blieb das Gewissensfreiheit, die Achtung vor dem Privatleben, die Versammlungsfreiheit und die Freiheit des Gedankenaustausches. Siehe Messner/Prélot/Woehrling (Fn. 8), S. 590 ff. 23 Über das Gesetz von 1905, vgl. Mayeur, La séparation (Fn. 9); Jean Foyer, La genèse de la loi de séparation, Archives de philosophie du droit 48 (2005), S. 75; Lalouette (Fn. 9); Émile Poulat/Maurice Gelbard, Scruter la loi de 1905: la République française et la religion, 2010. 24 Art. 1: „La République assure la liberté de conscience. Elle garantit le libre exercice des cultes sous les seules restrictions édictées ci-après dans l’intérêt de l’ordre public.“ Das Gesetz wird nach der zuletzt 2011 abgeänderten Fassung auf der offiziellen Seite der Regierung zur Veröffentlichung von Rechtstexten zitiert (www.legifrance. gouv.fr/). 25 Art. 2: „La République ne reconnaît, ne salarie ni ne subventionne aucun culte. En conséquence, à partir du 1er janvier qui suivra la promulgation de la présente loi, seront supprimées des budgets de l’État, des départements et des communes, toutes dépenses relatives à l’exercice des cultes. Pourront toutefois être inscrites auxdits budgets les dépenses relatives à des services d’aumônerie et destinées à assurer le libre exercice des cultes dans les établissements publics tels que lycées, collèges, écoles, hospices, asiles et prisons. Les établissements publics du culte sont supprimés, sous réserve des dispositions énoncées à l’article 3.“ 26 Vgl. Conseil d’État (Fn. 6), S. 266.

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Napoleonische Konkordat in den Diözesen von Straßburg und Metz in Kraft, und vier Religionsgemeinschaften wurden anerkannt.27 Die Geistlichen der Religionsgemeinschaften werden vom Staat bezahlt, in den staatlichen Schulen wird Religionsunterricht erteilt. Der Erzbischof von Straßburg und der Bischof von Metz werden vom Staatsoberhaupt ernannt.28 Das Verbot von religiösen Symbolen innerhalb von Schulgebäuden gilt in den genannten Departements ebenfalls nicht.29 b) Überseegebiete Einige überseeische Departements und Territorien haben ein besonderes System.30 Das Gesetz von 1905 gilt nicht in den drei Departements von Réunion, Martinique und Guadeloupe. In Französisch-Guyana gilt noch die königliche Verordnung vom 27. August 1828, nach der die katholische Kirche aus öffentlichen Mitteln finanziert wird.31 Die katholischen Priester erhalten eine Besoldung vom Departement, die sich nach den Gehaltsstufen von Angestellten im öffentlichen Dienst richtet.32 Durch Dekret von 1939 (Décrets Mendel) erhielten katho27 Die katholische Kirche, die evangelische Kirche augsburgischen Bekenntnisses in Elsaß-Lothringen, die reformierte Kirche von Elsaß-Mosel und die jüdische Religionsgemeinschaft. 28 „Die Nominierung des Erzbischofs von Straßburg und des Bischofs von Metz obliegt formell dem Staatspräsidenten nach einer komplexen Prozedur, an der neben dem Vatikan auch Außen- und Innenministerium sowie der Staatsrat beteiligt sind. Der Präsident der evangelisch-lutherischen Kirche im Elsaß-Mosel wird per Dekret vom Innenminister nominiert. Letzterer muß ebenfalls die Nominierung von Großrabbinern und Rabbinern genehmigen. Priester, Pastoren und Rabbiner sind in der Regel staatliche Bedienstete, ihre Besoldung richtet sich nach den Vorschriften im öffentlichen Dienst. Außerdem sind die Gemeinden verpflichtet, Priestern, Pastoren und Rabbinern eine Unterkunft oder eine Aufwandsentschädigung zu gewähren.“ (Almeida [Fn. 3], S. 24). 29 Das Gesetz von 2004, das das Tragen von besonders sichtbaren Zeichen religiöser Zugehörigkeit bei Schülern an öffentlichen Schulen verbietet, ist hingegen auch in Elsaß-Mosel gültig. Weitere Aspekte nennt Almeida (Fn. 3), S. 24 f.: „Auf Hochschulebene äußert sich der Sonderstatus im Elsaß-Mosel in der Existenz von theologischen Fakultäten an der Universität Straßburg (eine für katholische und eine für evangelischlutherische Theologie) sowie eines Zentrums für katholische Theologie an der Universität Metz.“ 30 Vgl. Conseil d’État (Fn. 6), S. 269 ff.; Almeida (Fn. 3), S. 25: „Die Ausnahmen zum französischen Laizitätsregime sind im Lichte der historischen kolonialpolitischen Strategien und Konflikte im Zusammenhang mit gebietsspezifischen Verhältnissen zu verstehen. Abgesehen von den algerischen Départements, die als integraler Bestandteil Frankreichs galten, fand das Konkordatsregime in den französischen Kolonien und Protektoraten grundsätzlich keine Anwendung. Allerdings entwickelten sich in den meisten Kolonien konkordatsähnliche Beziehungen zwischen Staat und katholischer Kirche.“ Siehe auch Jean-Marc Régnault, Application et non application outre-mer de la loi de séparation de 1905, Outre-mers 92 (2005), S. 5. 31 Messner/Prélot/Woehrling (Fn. 8), S. 1350 ff. 32 Der Rat des Departements beschloß 2014, nur noch die Besoldung des Bischofs von Cayenne aus dem öffentlichen Haushalt zu gewähren. Nach einer einstweiligen Verfügung mußte die Gebietskörperschaft die Gehälter aller Priester nachzahlen.

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lische Missionen in Französisch-Guyana (aber auch in Französisch-Polynesien, Wallis und Futuna, Saint-Martin, Saint-Barthélémy, Saint Pierre und Miquelon sowie in Neukaledonien) die Möglichkeit, Verwaltungsräte zu gründen. Diese genießen bestimmte steuerliche Vorteile und sind vergleichbar mit den Kultvereinen im französischen Mutterland. In Mayotte galt für Muslime ein Personalstatut mit zivilrechtlichen Besonderheiten, das bis 2011 die Polygamie und Elemente aus dem islamischen Erbrecht vorsah.33 Wie Almeida richtig bemerkt, betreffen „die Ausnahmen zum französischen Laizitätsregime (. . .) insgesamt nur etwa 6 % der in Frankreich lebenden Bevölkerung, davon die meisten im Elsaß und im Departement Moselle. Es wäre daher verfehlt, in diesen Ausnahmen die Grundzüge einer föderalen Staatsordnung in den Beziehungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften zu sehen.“ 34 Noch interessanter vielleicht: „Die Heterogenität der bestehenden Regime bringt jedoch wichtige Aspekte ans Licht. Die in Art. 1 der französischen Verfassung festgeschriebene Charakterisierung Frankreichs als „République laïque“ gilt auch für diejenigen Gebiete, die nicht unter den Geltungsbereich des Gesetzes von 1905 fallen.“ Besonders wichtig scheint die Konsequenz dieser Bemerkung: „Das Gesetz ,zur Trennung von Kirchen und Staat‘ [stellt] lediglich eine Spezifizierung des Laizitätsprinzips dar.“ 35 3. Die Rechtsprechung Die Interpretation der Gesetzestexte durch den Staatsrat nach 190536 hat die Grundlage für eine positive Anwendung des Neutralitätsprinzips gelegt, die heutzutage ein „System der positiven Laizität“ kennzeichnet. Daraus folgt eine positive Pflicht des Staates. „Der Staat muß jedem die Möglichkeit geben, an Zere33 „Vor dem Hintergrund des im Jahre 2011 nach einem lokalen Referendum stattgefundenen Statuswechsels der Inselgruppe von einer überseeischen Gebietskörperschaft zu einem Überseedepartement hat jedoch eine graduelle Angleichung an das in Frankreich geltende Rechtssystem stattgefunden. Diejenigen Elemente des Personalstatus, die als unvereinbar mit französischen Grundrechten galten (wie zum Beispiel die Polygamie), sind aufgehoben worden, und das ehemalige islamische Justizsystem fungiert nun vorwiegend als Mediationsinstanz.“ (Almeida [Fn. 3], S. 26). 34 Almeida (Fn. 3), S. 27. „So hat der Staatsrat 2005 bei einem Streitverfahren zwischen dem zuständigen Ministerium für Überseegebiete und der Regierung von Französisch-Polynesien über die öffentliche Finanzierung des Baus eines Pfarrhauses für die evangelisch-reformierte Maóhi-Kirche argumentiert, daß das in der Verfassung verankerte Laizitätsprinzip als konfessionelle Neutralität des Staates im Sinne einer Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften zu deuten sei (Staatsrat 2005). Das im Gesetz von 1905 festgelegte Finanzierungsverbot von Religionsgemeinschaften aus öffentlichen Mitteln ergebe sich nicht zwangsläufig aus dem Laizitätsprinzip und gelte darüber hinaus in Französisch-Polynesien nicht. Daher könne die umstrittene Subvention nicht als Verstoß gegen die Verfassung gewertet werden.“ 35 Almeida (Fn. 3), S. 27. 36 Tawil (Fn. 19).

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monien seiner Religionsgemeinschaft teilzunehmen und sich über die der Religion seiner Wahl eigentümlichen Glaubenssätze zu unterrichten. Zunehmend herrscht in Frankreich eine neue Auffassung über die Rolle des Staates vor, nach der häufige Interventionen des Staates möglich sind, um die konkreten Bedingungen zu verwirklichen, die für die Ausübung jeder Religion erforderlich sind.“ 37 Wie Brigitte Basdevant-Gaudemet richtig bemerkt: „Im Ergebnis bewirken das Schweigen der Verfassungen, das Regime der Trennung, die Neutralität des Staates und die Klugheit des Gesetzgebers, daß das Staatskirchenrecht in Frankreich seinen Ursprung zum großen Teil in der Rechtsprechung besitzt.“ 38

III. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien im Überblick Die Grundprinzipien des französischen Systems sind im Gesetz vom 9. Dezember 1905 niedergelegt: das Grundrecht auf Gewissensfreiheit sowie das daraus abgeleitete Recht auf die freie Ausübung des Kultus vorbehaltlich von Einschränkungen im Interesse der öffentlichen Ordnung (Art. 1), die Nichtanerkennung von Religionsgemeinschaften (cultes)39 und das allgemeine öffentliche Finanzierungsverbot derselben (Art. 2). „Nichtanerkennung“ bedeutete 1905 vor allem das Ende des Konkordats und bezog sich auf einzelne Religionsgemeinschaften (cultes) und nicht auf das Kultische (cultuel). Wie Almeida feststellt, ergibt sich „diese Differenzierung (. . .) nicht nur aus Art. 1 des Gesetzes, sondern auch aus der institutionellen Reorganisation von Kultgemeinschaften nach der Verabschiedung des Gesetzes von 1905.“ Tatsächlich „setzte die Übertragung des Vermögens der aufgelösten öffentlich-rechtlichen Kultanstalten und der Nutzungsrechte von Kultgebäuden in Staatsbesitz eine Form der Anerkennung des Kultischen voraus.“ 40 In der Verfassung von 1958 findet man dieselben Prinzipien: Achtung der Gewissens- und Religionsfreiheit, Vermeidung jeglicher Einflußnahme der Religionen auf den Staat, Gleichheit der Religionen und Überzeugungen, wobei „Überzeugungen“ auch das Recht beinhaltet, nicht zu glauben. Die französische Gesetzeslage beinhaltet also kein Prinzip völliger Gleichgültigkeit gegenüber der Religion. Dagegen hat der Gesetzgeber einen Rechtsrahmen geschaffen, der ihre Organisation und Unterstützung erleichtert und die Freiheit zur Öffentlichkeit sichert. Diese Gesetze garantieren die freie Ausübung der Religion und die Organisation der Tätigkeiten und Einrichtungen der Re-

37

Basdevant-Gaudemet (Fn. 10), S. 176. Ebd. 39 Das Wort „cultes“ bezeichnet auf Französisch die sichtbaren und gemeinschaftlichen Dimensionen eines Glaubens. Es gibt aber keine anerkannte juristische Definition des Begriffes „culte“. 40 Almeida (Fn. 3), S. 20. 38

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ligionsgemeinschaften. Sie regeln weiterhin die öffentliche Finanzierung der Anstaltsseelsorge in den Krankenhäusern, Gefängnissen und Schulen sowie die Instandhaltung und Instandsetzung der Kirchen. Das Laizitätsprinzip wurde in einem Urteil im Jahr 2001 durch den Staatsrat (Conseil d’État) als Grundsatz festgelegt. Weder die Verfassungstexte noch der Verfassungsrat (Conseil constitutionnel) definieren die Laizität. Die Analyse des positiven Rechts und insbesondere der gesetzlichen Regelung der Religionsausübung erlaubt jedoch, einige Hinweise auf die Definition abzuleiten. In Religionsangelegenheiten ist der Staat neutral und die öffentlichen Dienste sind konfessionsunabhängig. Diese Neutralität hat jedoch keine Ignorierung jeglicher Religion zur Folge. Nach den Texten erscheint also die Laizität als ein Prinzip positiver Neutralität des Staates, welcher alle Religionen achtet und den religiösen Pluralismus anerkennt. Wichtiger aber als die bloße Aufzählung der Prinzipien selbst ist ihre Interpretation. Zwei Lesarten des Laizitätsprinzips bilden vielleicht die beste Analyse der heutigen Situation. Die verschiedenen Rechtstexte und vor allem ihre praktische Anwendung zeigen, „daß das französische Laizitätsregime einen komplexen Ordnungsrahmen darstellt, der sich nicht auf die simple Formel reduzieren läßt, Staat und Kirche seien in Frankreich getrennt. Die rechtliche Vieldeutigkeit des Laizitätsprinzips findet ihre Entsprechung in den konkurrierenden gesellschaftspolitischen Diskursen darüber, wie Laizität zu deuten ist“.41 Da ein Definitionsversuch unmöglich scheint, hat der Autor ein Unterscheidungskriterium vorgeschlagen, und zwar „ob die Laizität in einer umfassenden moralphilosophischen Konzeption des guten Lebens eingebettet ist oder ob sie als prozedurales Ordnungsprinzip fungiert. Im ersten Falle wird von einer substantiellen Lesart des Laizitätsprinzips die Rede sein. (. . .) Die prozedurale Lesart bezeichnet hingegen, in Anlehnung an John Rawls’ Gerechtigkeitstheorie, ein rein politisches Prinzip für die Legitimierung von Entscheidungen zu elementaren Verfassungs- und Gerechtigkeitsfragen in demokratischen Systemen.“ 42

IV. Religionsfreiheit Die Religionsfreiheit ist eines der Elemente der Gewissensfreiheit, ein Grundprinzip, das nach den Gesetzen der Republik vom Verfassungsrat anerkannt wird.43 In diesem Sinn wird die Religionsfreiheit sowohl von Art. 10 der Men41

Almeida (Fn. 3), S. 28. Ebd.: Der Autor präzisiert: „substantiell insofern, als der Laizität eine eigene moralische Bedeutung zugesprochen wird – beispielsweise als emanzipatorisches Projekt oder als Rechtfertigungsgrundlage für die Überlegenheit säkularer Gesellschaftsentwürfe gegenüber religiösen Doktrinen.“ 43 Conseil constitutionnel, Entscheidung N. 77–87 DC v. 23.11.1977, JORF v. 25.11.1977, S. 5530. 42

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schen- und Bürgerrechtsdeklaration vom 26. August 1789 (Meinungsfreiheit), als auch von den ersten beiden Artikeln des Gesetzes von 1905 („Die Republik gewährleistet die Gewissensfreiheit. Sie garantiert die freie Religionsausübung.“) und von der Verfassung garantiert. Nach der Meinung des Gesetzgebers ist die Religionsfreiheit mit dem Säkularismus eng verbunden und durch das Gebot der privatrechtlichen Organisation von Religionsgemeinschaften auf den Bereich des Privaten beschränkt. Gleichzeitig aber läßt sich, wie es der Staatsrat 2004 feststellte,44 der Säkularismus nicht auf Neutralität des Staates bzw. auf Toleranz reduzieren. Die religiöse Dimension des gesellschaftlichen Lebens kann nicht ignoriert werden. Das Gesetz schließt die Gleichheit aller Religionsgemeinschaften ein und muß die religiöse Vielfalt der Gesellschaft zulassen. Das Gesetz von 1905 schaffte die öffentlich-rechtliche Stellung der Religionsgemeinschaften ab, aber deswegen ist Religion keine rein private Angelegenheit geworden: Die Ausübung des Gottesdienstes kann öffentlich sein, und religiöse Manifestationen außerhalb von Kultstätten können stattfinden, vorbehaltlich der öffentliche Ordnung. Religionsfreiheit setzt die Freiheit für jeden voraus, seine Religion auszudrücken, sie zu praktizieren und aufzugeben. Das schließt die Möglichkeit ein, daß verschiedene religiöse Empfindungen im öffentlichen Raum koexistieren, solange dies keine Probleme der öffentlichen Ordnung aufwirft. Deswegen bestimmt der Art. 1 des Gesetzes von 1905, daß die freie Religionsausübung „keinen anderen als den im Folgenden genannten Beschränkungen im Interesse der öffentlichen Ordnung unterliegt.“ Art. 1045 ist der einzige Artikel in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, der die öffentliche Ordnung erwähnt. Der Staatsrat, wenn er über die freie Ausübung von Kulten und die Bestimmung von Sekten entscheidet, entspricht dem allgemeinen System der bürgerlichen Freiheiten. Im Allgemeinen ist der Verwaltungsrichter bestrebt, die Notwendigkeiten der öffentlichen Ordnung mit der Ausübung der Grundfreiheiten in Ausgleich zu bringen. Nur ausnahmsweise schwerwiegende Umstände können im Einzelfall die Ausübung dieser Freiheiten einschränken. Solche Prinzipien haben sich allmählich bis Ende des letzten Jahrhunderts durch eine pragmatische und dauerhafte friedliche Anwendung der Neutralität des Staates in Bezug auf die Religionsfreiheit und Ausübung der Religion durchgesetzt und wurden von den traditionellen religiösen Gemeinschaften (Katholiken, Protestanten und Juden) allgemein angenommen. Verstöße gegen die Religionsfreiheit resultieren heutzutage meistens aus einer Fehlinterpretation der Gesetze oder aus einem Amtsmißbrauch von Bürgermeistern, Lehrern, Verwal-

44 45

Vgl. Conseil d’État (Fn. 6), S. 276. Art. 1 des Gesetzes von 1905 wiederholt nur diese Beschränkung.

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tungen, aber sie werden zumeist von der Rechtsprechung korrigiert. Radikale laizistische Ansprüche gegen die Religions- oder Gewissensfreiheit kommen eher aus politischen und ideologischen Gründen von linksorientierten Parteien, aber haben bis jetzt keine rechtliche oder gesetzliche Übersetzung gefunden. Im Jahr 2007 wurde die nationale Beobachtungsstelle für Laizität eingerichtet. Sie unterstützt die öffentlichen Stellen bei ihrem Handeln für die Einhaltung des Grundsatzes der Laizität in Frankreich. Hierfür sammelt sie Daten, erstellt Analysen und trägt so zur Aufklärung der öffentlichen Stellen über die Laizität bei. Sie kann dem Premierminister Maßnahmen vorschlagen, um eine bessere Umsetzung dieses Grundsatzes zu erreichen. Schließlich kann die Beobachtungsstelle vom Premierminister oder von den Ministern zu Gesetzentwürfen angehört werden. Die Frage der Religionsfreiheit stellt sich aber mit der Integration der muslimischen Gemeinschaften im öffentlichen Raum (Moscheebau, konfessionelle Privatschulen, Feiertage, Bestattungsfragen, Speisevorschriften) neu, da der Islam und seine Vertreter keine innerlichen Auslegungsschlüssel der Laizität oder einfach der Trennung zwischen Staat und Gesellschaft besitzen oder vorschlagen. Deshalb hat die Rechtsprechung in Bezug auf ihre religiösen Kundgebungen im öffentlichen Raum, in den letzten Jahren schwierige Entscheidungen getroffen, um die Religionsfreiheit mit den Anforderungen der öffentlichen Ordnung in Einklang zu bringen. Im Jahr 2004 wurde ein Gesetz erlassen, das das Tragen von offensichtlichen religiösen Symbolen in öffentlichen Schulen verbietet;46 „offensichtlich“ sollen solche Zeichen oder Kleidungsstücken sein, mit denen die Schülerinnen und Schüler ostentativ auf eine religiöse Zugehörigkeit verweisen. Im Jahr 2009 erstellte ein Parlamentsausschuß einen Bericht über das Tragen des Niqabs, woraufhin am 11. Oktober 2010 ein Gesetz verabschiedet wurde, das die Gesichtsverschleierung im öffentlichen Raum verbietet, ohne explizit auf die Religion zu verweisen. Seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes im April 2011 ist also in Frankreich die Gesichtsverschleierung im öffentlichen Raum (öffentliche Straßen, öffentlich zugängliche Orte sowie Orte, an denen öffentliche Dienstleistungen angeboten werden) verboten.47 Auch der Zwang zur Verschleierung wurde als neuer Straftatbestand eingeführt. Damit kann gegen Personen vorgegangen werden, die durch „Drohung, Gewalt oder Zwang, Macht- oder Autoritätsmißbrauch“ eine Person „aufgrund ihres Geschlechts dazu zwingen, ihr Gesicht zu verschleiern“. Nach einem Urteil des Verfassungsrates wird das Verbot in öffent-

46

Gesetz Nr. 2004–228 v. 15.3.2004, JORF v. 17.3.2004, S. 5190. Gesetz Nr. 2010–1192 vom 11.10.2010, JORF N. 0237 v. 12.10.2010, S. 18344. Für eine aktualisierte Version, siehe www.legifrance.gouv.fr. Ausnahmen gelten u. a. für gesetzlich vorgeschriebene Bekleidung (z. B. Motorradhelme), gegebenenfalls bewilligten Schutz der Anonymität (bei Einsätzen von Sicherheitskräften), bestimmte Festveranstaltungen (Karnevalsmasken). 47

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lich zugänglichen Kultstätten nicht angewandt, um die Religionsfreiheit nicht „übermäßig zu beeinträchtigen“. 48

V. Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften 1. Bestimmung der Religionsgemeinschaften Obwohl die Nichtanerkennung von Glaubensgemeinschaften im Gesetz von 1905 prinzipiell festgeschrieben ist, besitzen Religionsgemeinschaften im französischen Recht einen besonderen Status. „Es handelt sich dabei nicht um einen Status, der einer Kirche allgemein übertragen wird, sondern um rechtliche Regelungen, die auf eine Reihe von Institutionen, Organisationen oder eine für das Leben einer Kirche wesentliche Gruppe anwendbar sind.“ 49 Die Analyse des Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften hängt davon ab, wie man „Religion“ im eigentlichen Sinne definiert. Der Gesetzgeber hat keine Religionsgemeinschaft anerkannt und deswegen keine Definition vorgeschlagen. In der Praxis soll der Richter (Staatsrat oder Cour de Cassation) von Fall zu Fall für jede Gruppe entscheiden, ob ihnen religiöser Charakter zugebilligt werden muß und ob die für religiöse Gruppen geltenden rechtlichen Regelungen auf sie Anwendung finden oder nicht. Nach einer Anerkennung durch die Verwaltung erhalten sie Vorteile wie volle Rechtsfähigkeit und das Recht auf Steuerbefreiung und -ermäßigung.50 Um diesen Status zu bekommen, bleiben die Kriterien einer Überprüfung des kultischen Charakters einer Gemeinschaft noch heute vage. Der Staatsrat hat drei Bedingungen festgeschrieben: Der Verein soll eine Glaubensgemeinschaft mit Bezug auf einen übernatürlichen Zweck darstellen, die Religionsausübung muß sein ausschließlicher Zweck sein und seine Tätigkeit darf nicht die öffentliche Ordnung beeinträchtigen. Der Staatsrat definiert das Kultische allgemein als das 48 Nach der Klage einer französischen Staatsbürgerin muslimischen Glaubens hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Juli 2014 folgendes Urteil gefällt: Das durch das Gesetz vom 11.10.2010 auferlegte Verbot der Gesichtsverschleierung widerspricht nicht der Europäischen Menschenrechtskonvention. Es verstößt weder gegen Art. 8 (Recht auf Respekt des Privat- und Familienlebens), noch gegen Art. 9 (Recht auf Gedankens-, Gewissens- und Religionsfreiheit) der Konvention. Der Gerichtshof hat ferner befunden, daß auch Art. 14 (Diskriminierungsverbot) nicht verletzt wird und geurteilt, daß diese Maßnahme, auch wenn sie negative Auswirkungen auf die Lage muslimischer Frauen hat, die aus religiösen Beweggründen die Komplettverschleierung in öffentlichen Bereichen wünschen, dennoch objektiv und vernunftmäßig begründbar ist. (EGMR, NJW 2014, S. 2925 [S.A.S./Frankreich]). 49 Basdevant-Gaudemet (Fn. 10), S. 177. 50 Conseil d’État, Le juge administratif et l’expression des convictions religieuses, Dossier thématique mis en ligne le 14.11.2014, https://www.conseil-etat.fr/ressources/ etudes-publications/dossiers-thematiques/le-juge-administratif-et-l-expression-des-con victions-religieuses (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020).

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Abhalten von feierlichen Handlungen durch eine Gruppe von Individuen, die einen religiösen Glauben teilen, mit dem Ziel, bestimmte Riten und Praktiken zur Verehrung einer Gottheit durchzuführen.51 „Diese Definition schließt nichttheistische Gruppierungen aus. Sie impliziert daher, daß der Staat das Religiöse nicht nur anerkennt, sondern auch eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Glaubensformen vornimmt.“ 52 2. Eine Vielfalt von Rechtsstatuten Die geschichtlichen Umstände erklären das Nebeneinanderbestehen von Kultvereinen nach dem Gesetz von 1905 (protestantische und jüdische Religionsgemeinschaften), Vereinen zum Zweck der Religionsausübung in Anwendung des Gesetzes von 1907 entsprechend den Bestimmungen des Gesetzes von 1901 und außerdem von Diözesanvereinen nach den Gesetzen von 1901 und 1905 (katholische Kirche), die aber zusätzlichen Kriterien unterliegen. Art. 4 des Gesetzes von 1905 sieht die Errichtung von Kultvereinen vor, um ihnen das Vermögen der früheren öffentlichen Einrichtungen der Religionsgemeinschaften, die 1905 abgeschafft wurden, übertragen zu können. Die betreffenden Vereine unterfallen dem Gesetz vom 1. Juli 1901, das das allgemeine Vereinsrecht mit einigen ergänzenden Regelungen regelt.53 Art. 19 bestimmt, daß sie „zum ausschließlichen Zweck die Ausübung eines Kultes“ haben müssen, und „in keiner wie auch immer gearteten Weise Subventionen vom Staat, von Departe51 Conseil d’État, Entscheidung v. 24.10.1997, Nr. 187122, recueil Lebon: „Les associations revendiquant le statut d’association cultuelle doivent avoir exclusivement pour objet l’exercice d’un culte, c’est-à-dire, au sens de ces dispositions, la célébration de cérémonies organisées en vue de l’accomplissement, par des personnes réunies par une même croyance religieuse, de certains rites ou de certaines pratiques. En outre, ces associations ne peuvent mener que des activités en relation avec cet objet telles que l’acquisition, la location, la construction, l’aménagement et l’entretien des édifices servant au culte ainsi que l’entretien et la formation des ministres et autres personnes concourant à l’exercice du culte. La reconnaissance du caractère cultuel d’une association est donc subordonnée à la constatation de l’existence d’un culte et à la condition que l’exercice de celui-ci soit l’objet exclusif de l’association. Le respect de la condition relative au caractère exclusivement cultuel de l’association doit être apprécié au regard des stipulations statutaires de l’association en cause et de ses activités réelles.“ 52 Almeida (Fn. 3), S. 21. 53 Das Gesetz vom 1.7.1901 bestätigt das Prinzip der Vereinigungsfreiheit für alle Personen, die ihre Kenntnisse oder Aktivitäten zu anderen Zielen als zur Erzielung von Gewinnen zusammenschließen. Die Vereinigung kann zugelassen werden, ohne zum Gegenstand irgendeiner Maßnahme der Anerkennung gemacht worden zu sein, sie kann durch Niederlegung der Statuten bei der Präfektur angemeldet werden und erlangt so Rechtsfähigkeit, sie kann durch Dekret als gemeinnützig anerkannt werden. Eine als gemeinnützig anerkannte Vereinigung kann Spenden entgegennehmen unter der Voraussetzung, von Fall zu Fall dazu durch Dekret ermächtigt zu sein. Dasselbe Gesetz verordnete jedoch eine nachteilige Regelung: Art. 13: „Kein religiöser Orden kann ohne gesetzliche Ermächtigung gebildet werden, die die Bedingungen seiner Tätigkeit bestimmt.“

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ments und Kommunen erhalten“ dürfen. Die zulässigen Finanzmittel zur Instandsetzung klassifizierter Gebäude stammen von den Gläubigen.54 Da der Heilige Stuhl die Errichtung von Kultvereinen ablehnte, wurde eine erste Lösung mit dem Gesetz von 2. Januar 1907 gefunden und, nach der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl und langen Verhandlungen, wurde für die katholische Kirche das Modellstatut der Diözesanvereine eingerichtet.55 Diese Diözesanvereine wurden seit 1924 von den französischen Bischöfen gemäß den Gesetzen von 1901 und 1905 errichtet, auch wenn der Tatbestand des Beitrags zum Aufwand der Religionsgemeinschaft nicht mehr als „ausschließlicher“ Zweck genannt ist. Sie entsprechen den Bestimmungen des kanonischen Rechts und handeln „unter der Autorität des Bischofs, in Gemeinschaft mit dem Heiligen Stuhl und in Übereinstimmung mit der Verfassung der katholischen Kirche“ (Art. 2 des Modellstatuts). Darüber hinaus wurden Vereinigungen in Verbindung mit den Religionsgemeinschaften nach dem Gesetz von 1901 (Vereinigungsfreiheit) errichtet, besonders zum Zweck von Caritas und Bildung, weil sie die Ausübung einer Religion nicht als einziges Ziel haben. Zu dieser Kategorie zählen zahlreiche kulturelle Vereinigungen mit Bildungszielen, die an religiösen Vorstellungen orientiert sind. Muslime bedienen sich gewöhnlich dieses rechtlichen Rahmens.56 Der Rechtsstatus der religiösen Kongregationen ist das Ergebnis einer noch komplexeren Geschichte. Ein besonderes Ziel des Gesetzes von 1901 war, die nicht anerkannten Orden aus dem Land zu vertreiben (Art. 13), was eine strikte Anwendung des Gesetzes von 1901 tatsächlich erreicht hat. Als die nicht anerkannten Orden ab 1914 nach Frankreich zurückkehrten, blieben sie de facto ohne gesicherten rechtlichen Status, wurden aber auch nicht mehr verfolgt. Das Gesetz vom 8. April 1942 hat ihre Lage durch die Abschaffung des Straftatbestandes der „unerlaubten Kongregationen“ verbessert. Das Verfahren der Anerkennung (und nicht mehr „Genehmigung“) eines Orden wurde ebenfalls erleichtert. Es obliegt 54 Diese Regelung wurde durch das Gesetz von April 1908 in einem den Religionen günstigeren Sinne geändert, indem die öffentlichen Körperschaften ermächtigt wurden, die erforderlichen Mittel für die Reparatur der ihnen gehörenden Kultgebäude bereitzustellen. 55 Der Staatsrat erkannte die Übereinstimmung dieses Modellstatuts mit den Bestimmungen des französischen Rechts an, besonders mit den Gesetzen von 1901 und 1905 (Bekanntmachung des Staatsrats vom 13.12.1923), und Pius XI. genehmigte ihre Errichtung (Enzyklika Magnam Gravissimamque, 18.1.1924). 56 Siehe Basdevant-Gaudemet (Fn. 10), S. 179. „Das Bestehen einer Koranschule rechtfertigt die Qualifikation als ,kulturell‘, was nicht daran hindert, daß neben der Schule eine Moschee besteht, die von derselben kulturellen Vereinigung geleitet wird. Die Unterscheidung zwischen Kultverein und kulturellem Verein besitzt fundamentale rechtliche Relevanz; der erstere findet seine Regelung im Gesetz von 1905, der letztere in dem von 1901. Sie unterliegen unterschiedlichen finanziellen und fiskalischen Bestimmungen.“

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dem Richter festzustellen, welche Gemeinschaften als Orden anerkannt werden können. Im Jahr 1987 wurde das Verfahren der Anerkennung auch für nicht katholische Orden geöffnet. Der anerkannte Orden besitzt die volle Rechtsfähigkeit, sein Rechtsstatus ist dem einer anerkannten gemeinnützigen Vereinigung ähnlich. 3. Sekten Das Problem der Entwicklung der Sekten in den 1980er-Jahren hat aber neue rechtliche Bestimmungen erfordert, da einige Sekten den Rechtsstatus eines Kultvereins nach dem Gesetz von 1905 verlangten. In allen Fällen hat der Staatsrat entschieden, daß die Zwecke der Vereinigung unvereinbar mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung seien oder daß die Vereinigung andere Aktivitäten (kulturelle, wirtschaftliche, medizinische . . .) ausübte. Der Richter hat ihnen die den Kultvereinen zustehenden finanziellen Vorteile verweigert. Mit dem Gesetz About-Picard vom 12. Juni 2001 kann der Richter juristische Personen auflösen, deren Aktivitäten eine Gefahr darstellen. Das Gesetz hat die Straftat „betrügerischer Mißbrauch der Unwissenheit oder der Hilfslosigkeit“ geschaffen. Die anerkannten gemeinnützigen Vereine zur Sektenbekämpfung können Parteien in solchen gerichtlichen Verfahren sein.57

VI. Wirkungsmöglichkeiten der Kirchen und Religionsgemeinschaften Nach dem Laizitäts- und Neutralitätsprinzip des Staates kann man nicht von einer im strengen Sinn „institutionellen“ Wirkungsmöglichkeit der Kirchen sprechen. Im politischen Bereich haben weder die Kirchen noch die Parteien ein besonderes Interesse, eine konfessionelle politische Partei zu bilden. Solche direkte Beteiligung der Religionsgemeinschaften in der politischen Debatte wäre sogar in der öffentlichen Wahrnehmung schlecht angesehen. Trotzdem können die Kirchen und Religionsgemeinschaften indirekt eine entscheidende Rolle anläßlich gesellschaftspolitischer Kontroversen spielen. Einige Beispiele haben es klar bewiesen: die Protestbewegungen von 1984 gegen das sozialistische Reformprojekt des Privatschulwesens, von 1999 gegen die Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft von gleichgeschlechtlichen Paaren und noch deutlicher von 2014 bis 2016 gegen die Erweiterung des sogenannten „Rechts auf Ehe“ für gleichgeschlechtliche Paare. 57 Gesetz Nr. 2001-504 v. 12.6.2001, JORF N.135 vom 13.6.2001 S. 9337, „tendant à renforcer la prévention et la répression des mouvements sectaires portant atteinte aux droits de l’homme et aux libertés fondamentales“ www.legifrance.gouv.fr/affich Texte.do?cidTexte=JORFTEXT000000589924 (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). Siehe auch Patrice Rolland, La loi du 12 juin 2001 contre les mouvements sectaires portant atteinte aux droits de l’homme. Anatomie d’un débat législatif, Archives de Sciences Sociales des Religions 121 (2003), S. 149.

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Auch wenn die letzten Themen dieser Protestbewegung trotz der Beteiligung von Millionen von Bürgern keinen konkreten politischen Erfolg gehabt haben, erzeugten sie trotzdem ein wichtiges gesellschaftliches Bewußtsein, das eine wirksame Gegenkraft gegen die Massenmedien und die politisch-korrekten Ideologien für die Zukunft von großer Bedeutung ist. Eine bedeutende Mobilisierung und Wachsamkeit bezüglich des Themas der Gender-Ideologie und seiner Entwicklung in den Schulen ist daraus entstanden. Es ist interessant, festzustellen, daß die Beteiligung der Religionsgemeinschaften in diesen gesellschaftlichen Bewegungen nicht direkt ist. Viele Bischöfe haben diese Gesetze verurteilt, aber wenige an den Demonstrationen teilgenommen. Die Organe der Organisatoren dieser Proteste präsentierten sich als nicht konfessionell, obwohl diese bedeutende gesellschaftliche Bewegung auf die Teilnahme von vielen Katholiken, Protestanten und Muslimen zählen konnte. Solche Ereignisse zeigen, daß die Wirkungsmöglichkeiten der Kirchen im politischen und gesellschaftlichen Bereich eine neue Form angenommen haben, und daß die religiösen Ideen in einer säkularisierten Gesellschaft andere Wege als diejenigen der institutionalisierten Kommunikation finden können und sollen. Diese letzten Ideen erklären, warum die Rolle der Medien heute anders gedacht werden muß. Es gibt in Frankreich von der Kirche abhängige Radiofrequenzen (wie Radio Notre-Dame), Sendungen, Tageszeitungen (La Croix), Wochenzeitschriften (La Vie, Témoignage Chrétien . . .) oder spezifische Verlage (Bayard Presse . . .). In den letzten Jahren haben sie neue Strategien entwickelt, um ihr Publikum zu diversifizieren, da die soziologische Basis der praktizierenden Katholiken sich im Vergleich zur Nachkriegszeit und den 1980er Jahren deutlich verändert hat. Die Blogs und andere Internetmedien mit christlicher Inspiration haben heute ein noch größeres Publikum als die „institutionalisierten“ Kommunikationsmittel des französischen Episkopats. Letztlich geben die nicht-konfessionellen Medien auch Raum für religiöse Fragen und ermöglichen Kirchenvertretern, ihre Auffassung von der Gesellschaft vorzutragen.

VII. Kirchengüter und Kirchenfinanzierung Die Geschichte bereits macht die Komplexität des Systems der Kirchengüter und der Kirchenfinanzierung deutlich. Durch das Dekret vom 2. November 1789 beschloß die Nationalversammlung die Verstaatlichung der Kirchengüter und ihren Verkauf zum Ausgleich des Staatsdefizits. Als Gegenleistung sicherte der Staat die angemessene Besoldung der Priester zu. Während der Konkordatsepoche finanzierte der Staat die vier anerkannten Religionsgemeinschaften. Er besorgte also die Besoldung der Geistlichen, die Errichtung der Gebäude, die Hilfe für ihre Instandhaltung und für die laufenden Kosten.58 Dagegen schaffte Art. 2 58 Im Wesentlichen findet diese Regelung in den drei östlichen Departements Frankreichs noch immer Anwendung.

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des Gesetzes von 1905 die haushaltsmäßige Berücksichtigung der Religionsgemeinschaften und die Bezahlung der Geistlichen ab und verbot jede Subvention aus öffentlichen Mitteln. Daraus folgt, daß die Religionsgemeinschaften zwei Finanzierungsquellen besitzen: einerseits Privatmittel, andererseits staatliche Hilfen, die keine Subventionen darstellen. Im Übrigen können nicht-kultische, den Kirchen aber nahestehende, Vereine öffentliche Zuschüsse erhalten.59 In der Tat wurde das Eigentum an Kultgebäuden der protestantischen und jüdischen Religionsgemeinschaften nach dem Gesetz von 1905 den betreffenden Kultvereinen übertragen. Das Eigentum der katholischen Kirchengebäude und deren Erhaltungslasten wurden hingegen von den Gesetzen vom 2. Januar 1907 und vom 3. April 1908 dem Staat oder den Kommunen zugeschrieben (Kathedralen und erzbischöfliche Paläste dem Staat; Pfarrkirchen und Pfarrhäuser den Kommunen). Dagegen erhielten ab 1924 die Diözesanvereine die Entscheidungskompetenz über den Bau neuer Kirchengebäude, ihre Finanzierung und, ebenso wie ein Eigentümer, über die Unterhaltungskosten.60 Die Frage nach der Finanzierung der Religionsgemeinschaften weist unterschiedliche Varianten auf. Die Finanzierung aus privaten Mitteln ist seit 1905 die hauptsächliche Quelle. Jede Kirche kann frei entscheiden, wie sie diese Ressourcen einnimmt und wie sie sie verwendet. Die Mittel stammen aus Spenden der Gläubigen durch den „Denier du culte“, die Kollekten und Spenden bei den Messen, obwohl die praktizierenden Katholiken wenig sind. In der Tat verzeichnen die meistens Diözesen heute ein strukturelles Defizit. Die Verwendung und Verteilung ihrer Mittel wird im Rahmen jeder Diözese vorgenommen. Die Spenden können auch in Form von Stiftungen erfolgen: durch die Widmung eines Vermögens, das von einer kirchlichen Organisation gegründet oder verwaltet werden kann, für einen im öffentlichen Interesse liegenden Zweck. Seit 1905 gibt es auch indirekte Hilfen des Staates.61 Nach dem Trennungsgesetz übernimmt der Staat die Besoldung der Lehrer sowie die laufenden Kosten der unter Vertrag stehenden Privatschulen. Die Priester oder Pastoren, die ihren Dienst in Gefängnissen oder Krankenhäusern leisten, werden ebenfalls vom Staat bezahlt. Auch bei Renovierungen oder Wiederaufbau religiöser Gebäude kann von Gesetzes wegen ein finanzieller öffentlicher Beitrag erfolgen. Der Erbpachtvertrag bildet einen interessanten Unterstützungsmechanismus, der den Gebietskörperschaften erlaubt, den Kultvereinen ein für die Errichtung einer Kultstätte bestimmtes Baugrundstück für ein symbolisches Entgelt zu vermieten.

59

Basdevant-Gaudemet (Fn. 10), S. 193. Siehe ebd. S. 179. 61 Siehe Xavier Delsol/Pascale Desjonqueres/Jean Gueydan, Cultes et religions: Impôts et charges sociales, 1991. 60

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Neben diesen Subventionen genießen die Diözesan- und Kultvereine sowie die Kongregationen Steuerbefreiungen und -ermäßigungen (etwa von der Grundsteuer, Gewerbesteuer und Mehrwertsteuer), zudem werden sie indirekt vom Steuerrecht begünstigt. Art. 238 des allgemeinen Steuergesetzbuches erlaubt Unternehmen und Einzelpersonen, bis zu einer bestimmten Höhe Spenden an gemeinnützige Organisationen von ihren zu versteuernden Gewinnen und Einkünften abzusetzen. Möglichkeiten der Steuerabzüge sind durch das „Mäzenatengesetz“ stark erweitert worden.62

VIII. Formen institutioneller Kooperation von Staat und Kirchen sowie Religionsgemeinschaften 1. Das institutionelle Verhältnis zum Staat Obwohl die Religionen vom Staat nicht anerkannt werden und die Vertreter einer materiellen Auffassung der Laizität es bestreiten, bilden die Religionen in Frankreich immer noch einen so wesentlichen Teil der öffentlichen Sphäre, daß es für den Staat schädlich wäre, auf eine institutionelle Kooperation und auf ein offizielles Verhältnis mit diesen Gesprächspartnern zu verzichten. Eine institutionalisierte Verbindung zwischen Staat und Kirche scheint auch in Frankreich immer notwendiger zu sein, nicht nur wegen Kontrollmöglichkeiten, sondern auch, um einen wirklichen und nützlichen Integrationsprozeß, besonders im Fall des Islams, zu fördern. Das Scheitern einer rein laizistischen Integrationspolitik in den letzten Jahren zeigt, wie notwendig es ist, den Begriff einer „positiven Laizität“ wieder zu entwickeln63 und sie durch institutionalisierte Mechanismen zu verwirklichen. Die Mediatisierung durch religiöse Autoritäten ist von größter Bedeutung. Aus Sicht der Behörden ist es eine Garantie gegen die Atomisierung des religiösen Phänomens in so viele differenzierte individuelle Verhaltensweisen, daß es letztlich unmöglich werden könnte, die Religionsfreiheit konkret umzusetzen. Durch die Gewährleistung einer gewissen Einheitlichkeit in der Ausübung religiöser Praktiken und die Ermöglichung ihrer Identifizierung durch die Behörden erleichtert die Vermittlung religiöser Autoritäten zweifellos die Entwicklung der Religionsfreiheit.64 Selbstverständlich haben die Religionsgemeinschaften grundsätzlich keine direkten und offiziell anerkannten Beziehungen mit dem politischen System, aber institutionalisierte Dialogstrukturen mit regelmäßigen Treffen ermöglichen den 62

Siehe Basdevant-Gaudemet (Fn. 10), S. 194. Der Begriff wird von Präsident Sarkozy in seiner Ansprache vom 20.12.2007 in Rom entwickelt. 64 Vgl. Messner/Prélot/Woehrling (Fn. 8), S. 694. 63

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Vertretern der großen Religionsgemeinschaften, an den großen gesellschaftlichen Debatten über Bioethik oder an der Finanzierung von gemeinnützigen Kulturund Solidaritätsprojekten teilzunehmen und ihren Standpunkt zum Ausdruck zu bringen. Man könnte auch viele gemeinsamen Interessen im Bereich der internationalen Beziehungen zwischen Frankreich und dem Heiligen Stuhl erwähnen. Das Kultusbüro des Innenministeriums ist für die Beziehungen zu den religiösen Gemeinschaften zuständig. Immer wichtiger für den Staat ist es, repräsentative Ansprechpartner zu finden. Mit der katholischen Kirche sowie auch mit den protestantischen und jüdischen Gemeinschaften sind die Dialogstrukturen ziemlich eindeutig: die französische Bischofskonferenz, die Fédération Protestante de France,65 der Zentralrat des Konsistorium der jüdischen Gemeinschaft in Frankreich.66 Für den Islam ist die Frage komplizierter. Der Islam besteht aus Individuen unterschiedlicher Herkunft und Nationalität, und die in Frankreich lebenden Muslime gehören unterschiedlichen religiösen Strömungen an, woraus Schwierigkeiten der Koordination zwischen ihnen entstehen. Im April 2003 sind ein Muslimischer Kultusrat Frankreichs67 und regionale Räte von den Moscheen gewählt worden. 2. Bildungswesen a) Privatschulen Einer Kooperation zwischen Staat und Kirche bedarf es vor allem im Bereich der Erziehung. Rechtliche Grundlage dafür ist die Lehrfreiheit, nach den Worten des Verfassungsrates „eines der von den Gesetzen der Republik anerkannten Grundprinzipien“, obwohl sie in der Verfassung von 1958 nicht erwähnt wird. Die Gesetze, die die Lehrfreiheit begründen, sind noch immer in Kraft,68 und erlauben die Bildung eines „freien“ Bildungssektors („école libre“) neben dem 65 In der Folge des Gesetzes von 1905 wurde die Fédération Protestante de France gegründet, eine Vereinigung nach dem Gesetz von 1901, deren neue Statuten 1962 ausgearbeitet worden sind. Die Föderation zählt zu ihren Aufgaben, „den französischen Protestantismus gegenüber öffentlichen Stellen, ausländischen und internationalen Institutionen zu vertreten“, obwohl sie nicht alle protestantischen Gemeinden umfaßt. 66 Die jüdische Gemeinschaft besitzt ein Konsistorialstatut. Der durch die Gemeinschaft der jüdischen Kultvereine gebildete Zentralrat ist das Repräsentativorgan des französischen Judentums gegenüber den öffentlichen Einrichtungen und wählt den Großrabbiner von Frankreich. 67 Diese repräsentative Instanz sammelt Vertreter der verschiedenen Organisationen: Grande Mosquée de Paris, Comité de coordination des musulmans turcs de France, Rassemblement des musulmans de France sowie die Union des organisations islamiques de France, ou indépendants. 68 Siehe Basdevant-Gaudemet (Fn. 10), S. 185. Die wesentlichen Gesetze zur Gewährleistung der Erziehungsfreiheit sind für die Grundschulbildung: Gesetz Guizot, 28.6.1833; höhere Schulbildung: Gesetz Falloux, 15.3.1850; Hochschulbildung: Gesetz Dupanloup, 12.7.1875; technische Bildung: Gesetz Estier, 23.7.1919.

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öffentlichen Bildungssystem („école publique“). Durch das Gesetz Debré vom 31. Dezember 1959 ist das Privatschulwesen vollständig anerkannt, und die privaten Schulen können Verträge mit dem Staat schließen. Dieses System bietet finanzielle Vorteile, da die Lehrer vom Staat bezahlt werden können.69 In den letzten Jahren hat sich die Privatschule wieder entwickelt. Die gegenwärtigen Sicherheitsprobleme, die Bildungsmängel und die Verbreitung der „Gender“-Ideologie in den öffentlichen Schulen erklären diese Wahl seitens nicht nur katholischer, sondern auch muslimischer Eltern, die für die Bildung ihrer Kinder die katholische Schule vorziehen. Dazu sind viele private Initiativen katholischer Eltern entstanden, um private Grundschulen zu errichten, die aber unabhängig von den offiziellen katholischen Strukturen sind. b) Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen Was den Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen betrifft, wird das Grundrecht der Eltern auf einen konfessionellen Unterricht als Bestandteil der Religionsfreiheit von Art. 9 EMRK sowie von Art. 2 des am 20. März 195270 angenommenen ersten Zusatzprotokolls geschützt. Um dieses Recht zu gewährleisten, sollen die öffentlichen Schulen in Frankreich den Schülern pro Woche einen Tag frei geben, um ihnen die Teilnahme am Religionsunterricht außerhalb der Schulräume zu ermöglichen. c) Theologische Fakultäten Der Laizismus der republikanischen Regierungen am Ende des 19. Jahrhunderts hat die Vorlesungen mit religiösen Bezügen fast vollständig aus der Universität verbannt: das Kirchenrecht wird nur in den juristischen Fakultäten im Zusammenhang mit der Rechtsgeschichte, das Staatskirchenrecht im Rahmen des

69 Gesetz Nr. 59-1557 vom 31.12.1959 „sur les rapports entre l’État et les établissements d’enseignement privés“. Das Gesetz wurde danach modifiziert. Für den heutigen Text: www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=JORFTEXT000000693420, (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020); siehe auch Basdevant-Gaudemet (Fn. 10), S. 186: „Diese Verträge bilden zwei Typen: einfache Verträge, die eine Vergütung der Lehrer durch den Staat erlauben. Die häufigeren Gesellschaftsverträge, nach denen die Lehrer vom Staat bezahlt werden und wobei die öffentlichen Körperschaften gewisse Subventionen geben, die denen vergleichbar sind, die öffentliche Schulen erhalten, um den Betrieb der Schulen zu unterstützen. Das System ist komplex; die staatlichen Subventionen decken mehr oder weniger die Kosten der betreffenden Schulart. Diese Komplexität erklärt sich aus der Geschichte.“ 70 Art. 2 – Recht auf Bildung – „Niemandem darf das Recht auf Bildung verwehrt werden. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.“

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Verfassungsrechts, des Verwaltungsrechts oder der Grundrechte gelehrt. Die Kirchengeschichte wird als besonderer Teil der Geschichte studiert. Gleichwohl konnte sich das private Hochschulwesen halten, das durch das Gesetz vom 12. Juli 1875 geregelt ist. Allerdings verbot ein weiteres Gesetz von 1880 diesen Einrichtungen, die Bezeichnung „Universität“ zu verwenden. Diese Hochschulen erteilen eigene Diplome, die keine staatlichen Diplome sind.71 Seit 1970 ist aber die Anzahl der Vereinbarungen zwischen staatlichen Universitäten und Einrichtungen des privaten Hochschulwesens stetig gestiegen, die es den Studenten ermöglichen, ihre Examina vor gemischten Prüfungskommissionen abzulegen (die aus Lehrpersonal beider Institutionen bestehen) und zugleich das staatliche und das Diplom der privaten Einrichtung zu erlangen.72 Dazu wurde am 18. Dezember 2008 im Rahmen des Übereinkommens über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region (sog. Lissabon-Konvention)73 ein Vertrag zwischen Frankreich und dem Heiligen Stuhl unterzeichnet, der eine gegenseitige Anerkennung der Diplome der französischen und päpstlichen Universitäten sowie die Anerkennung von Studienleistungen74 ermöglicht.75 71 Gegenwärtig bestehen in Frankreich sog. „Instituts Catholiques“ (Paris, Lille, Angers, Toulouse, Lyon). Sie werden überwiegend privat finanziert, unter anderem von den Studiengebühren der Studenten; sie erhalten aber auch Zuschüsse vom Staat und von lokalen Körperschaften. Die Universität Straßburg genießt eine besondere rechtliche Absicherung. Im Jahre 1902 errichtete ein Abkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und der deutschen Regierung eine theologische Fakultät. Sie blieb auch nach 1919 bestehen und erteilt staatliche Diplome, die zugleich päpstliche Diplome sind. 72 Vgl. dazu Basdevant-Gaudemet (Fn. 10), S. 188. 73 Lissabon, 11.4.1997, zugänglich unter www.coe.int/t/dg4/highereducation/recog nition/lrc_FR.asp (zuletzt abgerufen am 6.6.2020). 74 Studienleistung bezeichnet dabei einen beurteilten Teil eines Studiums, der einen erheblichen Erwerb von Fähigkeiten und Kenntnissen mit sich bringt und für den ein Nachweis ausgestellt wurde. Diese Formulierung umfaßt auch Teilleistungen, die keinen eigenen Studiengang darstellen. 75 Vgl. Décret N. 2009-427 v. 16.4.2009 „portant publication de l’accord entre la République française et le Saint-Siège sur la reconnaissance des grades et diplômes dans l’enseignement supérieur (ensemble un protocole additionnel d’application), signé à Paris le 18 décembre 2008“, JORF N. 0092 vom 19.4.2009, S. 6746, www.legifrance. gouv.fr/eli/decret/2009/4/16/MAEJ0903904D/jo/texte (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). Art. 1 Abs. 1 des Vertrags spricht von der „reconnaissance mutuelle des périodes d’études, des grades et des diplômes de l’enseignement supérieur délivrés sous l’autorité compétente de l’une des Parties, pour la poursuite d’études dans le grade de même niveau ou dans un grade de niveau supérieur dans les établissements dispensant un enseignement supérieur de l’autre Partie, tels que définis à l’article 2 du présent accord.“ Siehe ferner Art. 1 des Zusatzprotokolls: „Le présent protocole s’applique: Pour l’enseignement supérieur français: aux grades et diplômes délivrés sous l’autorité de l’État par les établissements d’enseignement supérieur autorisés. Pour les universités catholiques, les facultés ecclésiastiques et les établissements d’enseignement supérieur dûment habilités par le Saint-Siège: aux grades et diplômes qu’ils délivrent dans les disciplines énumérées à l’article 2 du protocole additionnel. Une liste des institutions ainsi que des

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3. Kirchliche Einrichtungen der Wohlfahrtspflege Das französische Recht erkennt den Kirchen das Recht zu, eigene Einrichtungen auf dem Gebiet der Wohlfahrtspflege zu betreiben. Solche Einrichtungen mit religiöser Ausrichtung verfügen aber über keine besondere und einheitliche juristische Struktur nach staatlichem Recht: Denkbar sind die Rechtsformen Stiftung, Gesellschaft, Wohlfahrtseinrichtung, Verein.76 Was die Finanzierung betrifft, kann sie aus privaten Mitteln, aus Eigenvermögen des Ordens oder einer Stiftung, aus Schenkungen und Kollekten stammen. Daneben werden Zuschüsse aus staatlichen oder kommunalen öffentlichen Mitteln geleistet, die nicht als die durch das Gesetz von 1905 untersagten Subventionen für die Kirchen angesehen werden, sondern als Unterstützung von Einrichtungen im öffentlichen Interesse.77 4. Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen Eine solche Seelsorge ist für die vom Staat betriebenen Einrichtungen vorgesehen, die der Einzelne nicht einfach verlassen kann. Das Gesetz von 1905 erlaubt sogar die Finanzierung für die Seelsorge in den Krankenhäusern78 und Gefängnissen79 durch öffentliche Mittel. Was die Militärseelsorge betrifft, wird sie durch das Gesetz vom 8. Juli 1880 und auf der Grundlage eines Dekrets des Verteidigungsministers geregelt, das die Rechte und Pflichten der Militärgeistlichen diplômes concernés sera élaborée par la Congrégation pour l’Éducation catholique, régulièrement tenue à jour et communiquée aux autorités françaises.“ 76 Siehe Basdevant-Gaudemet (Fn. 10), S. 182. „Die privaten Krankenhäuser religiöser Ausrichtung können durch Dekret des Staatsrats gemeinnützig anerkannte Stiftungen sein oder Gesellschaften oder auch dem Vereinsrecht unterfallen, wobei zwei Strukturgruppen vorherrschen: einerseits angemeldete rechtsfähige Vereine nach dem Gesetz von 1901, andererseits durch Dekret des Staatsrats als gemeinnützig anerkannte Vereine, mit weitgehender Rechtsfähigkeit, die Schenkungen und Vermächtnisse erhalten können, aber intensiver administrativer Kontrolle unterworfen sind. Die Anerkennung der Gemeinnützigkeit ist von dem religiösen Charakter unabhängig, wird angesichts der sozialen Zwecke gegeben und im Blick auf die betreffende Tätigkeit erlangt.“ 77 Für eine ausführliche Beschreibung auch des Rechtsstatus des Personals, das in den konfessionellen Krankenhäusern arbeitet, siehe Basdevant-Gaudemet (Fn. 10), S. 183. 78 Siehe ebd., S. 196. „In Krankenhäusern obliegt es dem Leiter, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die Patienten in der Einrichtung ihre Religion ausüben können. Er muß hierfür Räumlichkeiten bereitstellen. Die Organisation der Funktion ist durch ministeriellen Runderlaß vom 26.7.1976 präzisiert. Die Krankenhausverwaltungen können die Geistlichen der verschiedenen Religionsgemeinschaften beauftragen, die Kranken seelsorgerlich zu betreuen, die dies wünschen.“ 79 Siehe ebd., S. 197. „In den Gefängnissen ist die Seelsorge an den Gefangenen durch Dekret vom 12.9.1972 geregelt. Der Justizminister ernennt die Anstaltsseelsorger der verschiedenen Religionsgemeinschaften nach Konsultation mit den zuständigen kirchlichen Stellen. Sie haben keine vertraglichen Beziehungen, sondern sind dem Regelungsstatut nicht planmäßiger Beamter unterworfen; sie erhalten eine Pauschalvergütung und sind in das allgemeine System der sozialen Sicherung einbezogen.“

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bestimmt.80 Nach einer Verwaltungsanweisung über die Anwendung des Dekrets gab es Militärseelsorge zunächst für drei Konfessionen (katholische, protestantische und jüdische Religionsgemeinschaft). Die „Aumôniers militaires“ gehören zum Offizierkorps.

IX. Geltung kirchlich bzw. religionsgemeinschaftlich gesetzten Rechts in der staatlichen Rechtssphäre Heute sind das französische und das kanonische Recht voneinander unabhängig: das interne Recht der Kirchen, kirchliches Eherecht, kirchliche Trauung und eventuelle Nichtigkeitsurteile werden vom Staat nicht anerkannt, das bedeutet aber nicht, daß die religiöse Dimension des gesellschaftlichen Lebens völlig ignoriert würde! Die religiösen Praktiken erzeugen manchmal Rechtswirkungen und diese religiöse Imprägnierung des Privatrechts ist an sich ganz gewöhnlich. Es ist daher Sache des Richters, bei Streitigkeiten über solche religiöse Praktiken die Folgen auf ziviler Ebene zu würdigen. Die Neutralität des Richters erfordert, daß er die ihm vorgelegten Tatsachen, einschließlich ihrer religiösen Dimension, beurteilt. In der Tat geht es darum, die religiöse Tatsache nicht als solche zu bewerten, sondern ihr eine rechtliche Qualifikation zu geben.81 Der freie Ausdruck religiöser Überzeugungen kennt jedoch Grenzen und einige Praktiken können unter das Strafrecht fallen.82 Darüber hinaus können Verhaltensweisen, die von bestimmten religiösen Traditionen zugelassen werden und sich aus ausländischem Recht ergeben den Anforderungen der französischen öffentlichen Ordnung entgegenstehen: z. B. die Polygamie, einseitige Ablehnung oder andere religiöse Praktiken, die der Gleichheit oder den Grundprinzipien des Familienrechts widersprechen. Außer diesen rechtlichen Konsequenzen von religiösem Verhalten im Privatrecht gibt es Aspekte der kirchlichen Organisation, die rechtliche Relevanz haben. Einige Organe der Kirche genießen Rechtspersönlichkeit in der staatlichen Rechts80 Nr. 64-498 vom 1.6.1964, JORF vom 5.6.1964, S. 4802, geändert durch das Dekret Nr. 2005-246 vom 16.3.2005, JORF vom 18.3.2005, S. 4601. 81 Messner/Prélot/Woehrling (Fn. 8), S. 703, nennt folgende Beispiele: „Kann die Weigerung, nach einer Scheidung das gueth auszustellen, einen entschädigungsfähigen Schaden verursachen? Kann der Widerstand gegen die Scheidung aus religiösen Gründen die Anwendung der ,außergewöhnlichen Härteklausel‘ rechtfertigen? Stellen die religiösen Überzeugungen eines geschiedenen Ehepartners und sein Verhalten ein Hindernis für die Zuerkennung des Sorgerechts für die Kinder dar? Erlaubt der Unternehmenszweck eines Tendenzbetriebs die Entlassung eines Mitarbeiters, der diesen nicht respektiert? Hat die Verweigerung einer Bluttransfusion aus religiösen Gründen zur Verschlimmerung der Situation eines Opfers beigetragen, das somit die Folgen der Verschlechterung seiner Situation zu tragen hat? Liegt in der Beschneidung aus religiösen Motiven eine Körperverletzung?“ 82 Zum Beispiel ist die Praxis der Beschneidung bei Mädchen verboten, unabhängig von den religiösen Gründen, die zur Begründung herangezogen werden.

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sphäre. Die kanonischen Vorschriften über die Rechtspersönlichkeit einer Pfarrei werden zum Beispiel vom Staat rezipiert. Die Kooperation zwischen Staat und Kirche in verschiedenen Bereichen bedarf gleichermaßen der rechtlichen Regelung: Steuerrecht, Arbeitsrecht sind einfache Beispiele, die klar zeigen, daß der Staat Arbeitsverträge im Fall eines Angestellten einer katholischen Privatschule regelt. Was die Eheschließung betrifft, verpflichtet die napoleonische Gesetzgebung die Verlobten, vor dem staatlichen Beamten zuvor eine zivile Ehe zu schließen. Keinesfalls würde eine rein religiös geschlossene Ehe Rechtswirkung im französischen Recht entfalten. Eine Strafe ist auch für den Priester vorgesehen, der dagegen verstößt.83 Allerdings wird eine rein religiöse Ehe, die in einem anderen Land geschlossen wurde und dort auch zivile Wirkung hat, in Frankreich anerkannt. Die Auflösung des Ehebandes im französischen Recht ist auch zu konfessionellen Rechtsordnungen weitgehend indifferent: einige Faktoren können eine Rolle für die weltlichen Gerichte spielen, aber immer als Argument oder Indiz, nie als ausreichender Grund.84

X. Schlußbemerkungen: Gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen des Staatskirchenrechts Mehr als 100 Jahren nach dem Trennungsgesetz von 1905 und noch deutlicher in den letzten Jahren haben sich die politischen, ideologischen und gesellschaftlichen Bedingungen so offensichtlich verändert, daß es immer schwieriger wird, das Verhältnis zwischen Staat und Kirche im Rahmen des Laizitätsmodells der beginnenden Dritten Republik zu denken. Die Säkularisierung der Gesellschaft als Auflösung der traditionellen Kultur und der Verlust der religiösen Identität kennzeichnen die heutige französische Gesellschaft. Zum Teil wurde dieses Phänomen von einer kirchenfeindlichen Auslegung der Trennung in Frankreich gefördert, aber es handelt sich auch um einen allgemeinen Prozeß in Europa. 2015 hat der Ständige Rat der französischen Bischofskonferenz vor der Gefahr gewarnt, „daß es in unserem Land eine Schule des Denkens gibt, die von einer Laizität des Staates übergehen will zu einer nichtreligiösen Gesellschaft, die möchte, daß das ganze Leben weltlich sei und daß die gläubigen Bürger den eigenen Glauben allein im engen privaten Raum und am besten im Verborgenen zum Ausdruck bringen und leben.“ 85 In seiner Anrede vor den Repräsentanten 83

Art. 199 und 200 des Code pénal. Basdevant-Gaudemet (Fn. 10), S. 200. 85 L’Osservatore Romano v. 10.12.2015, S. 5; vgl. auch Nikola Eterovic, Recht und Religion in europäischer Perspektive, in: Stefan Mückl (Hrsg.), Kirche und Staat in Mittel- und Osteuropa, 2017, S. 29. 84

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der geistlichen Gemeinschaften am 21. Dezember 2017 schien dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron diese Gefahr bewußt zu sein. Er erklärte, daß die Republik laizistisch sei, nicht aber die französische Gesellschaft, und er fürchtete sogar eine „Radikalisierung der Laizität“. In einer weiteren Ansprache vom 4. Januar 2018, hat er eine ähnliche Auffassung vertreten: Die Zeit des Jakobinismus sei zu Ende; die Laizität bildet keine neue Religion und bietet keinen republikanischen Glauben an.86 Wird das französische Staatskirchenrecht fähig sein, Laizität und Laizismus zu unterscheiden und die notwendige Flexibilität zu finden, damit die Laizität des Staats den legitimen Ausdruck der Religionen im öffentlichen Raum anerkennt und nicht den Glauben auf einen ausschließlich privaten Ausdruck reduziert? Darin besteht die größte Herausforderung des Staatskirchenrechts, dessen Antwort das andere große Thema der heutigen Debatte bedingt. Papst Franziskus bemerkte 2016: „Der Extremismus und der Fundamentalismus finden einen fruchtbaren Boden nicht nur in der Instrumentalisierung der Religion für Ziele der Macht, sondern auch in der Leere der fehlenden Ideale und im Verlust der – auch religiösen – Identität, die den sogenannten Westen dramatisch kennzeichnet.“ 87 Das Staatskirchenrecht ist Voraussetzung dafür, die Neutralität im öffentlichen Raum zu gewährleisten, gleichzeitig aber auch den Respekt vor den verschiedenen Gemeinschaften und deren Glaubensüberzeugungen zu achten. Die

86 Emmanuel Macron, Ansprache vor den Repräsentanten der geistlichen Gemeinschaften vom 4.1.2018: „Ce sécularisme à la française, qui parfois surprend nos voisins, est un ciment puissant dans notre pays qu’ont déchiré tant de guerres de religions où la religion est inscrite dans l’héritage intellectuel, culturel, social. Cela donne à l’État une position de surplomb et d’arbitre qui lui permet de ne pas sans cesse rejouer sa légitimité politique à l’aune des débats spirituels. Mais cette neutralité ne va pas sans quelque pédagogie (. . .) car on a trop vite d’inférer de cette neutralité de l’État une absence. La laïcité organiserait ainsi une sorte de vide métaphysique à l’intersection de toutes les croyances. Consciente que l’individu nourrit toujours une interrogation existentielle que le vide inquiète, insécurise, la laïcité se ferait alors forte de venir elle-même peupler cette zone neutre et d’incarner une sorte de foi républicaine forgée par des valeurs, des traditions érigées à leur tour en croyance universelle sur le modèle lointain du culte de l’être suprême des Jacobins. D’aucuns y rêvent encore mais ce culte-là a fait long feu. Mais la persistance des religions voire la résurgence sous des formes variées de la préoccupation spirituelle, conformément à la prophétie d’André Malraux a rendu son actualité à une forme de prothèse philosophique et morale. Or, ce n’était nullement la vocation de la laïcité originelle. Ce que Hannah Arendt appelait la sanction transcendante dans le domaine politique tenté par le culte de l’Être suprême n’est en rien le sens de notre laïcité française. Et je ne souhaite pas qu’une religion D’État soit substituée de cette manière aux religions. Mais pas davantage la religion ne saurait colorer la vie politique de la nation. Je serais aussi, toujours vigilant à cet égard face aux tentatives de faire revenir par la fenêtre politique ce qui est sorti par la porte du religieux.“, www.elysee.fr/emmanuel-macron/2018/01/04/transcription-du-discours-des-v-ux-dupresident-de-la-republique-aux-autorites-religieuses (zuletzt abgerufen am 6.6.2020). 87 Ansprache beim Neujahrsempfang für das beim Heiligen Stuhl akkreditierte diplomatische Korps, 11.1.2016.

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Herausforderungen, vor denen die französische Laizität heute steht, sind in den letzten Jahren größer geworden. Die Lösungen finden sich jedoch nicht in marginalen Gesetzesarrangements, sondern in einer neuen Denkweise über das Verhältnis von Kirche und Staat, ohne auf die Prinzipien der Neutralität und Religionsfreiheit zu verzichten.

Das Verhältnis von Staat und Kirche im Vereinigten Königreich Von Julian Rivers, Bristol I. Historische Grundlagen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Rechtsquellen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsstellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Möglichkeiten der Einflußnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Kirchengüter und Kirchenfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Formen der institutionellen Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Geltung des innerkirchlichen Rechts in der staatlichen Rechtsordnung . . . . . . X. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Historische Grundlagen des Staatskirchenrechts Durch den radikalen Bruch König Heinrichs VIII. mit Rom, in dessen Folge er sich 1535 als oberste politische Autorität gegenüber der Kirche in England durchsetzen konnte, war unter seinem Sohn Edward VI. (1547–53) eine radikale theologische Reformation möglich.1 Dieser These „Reformation“ folgte der kurze und gewaltsame Versuch der Restauration der römischen Kirche unter Maria I. (1553–1558). Die „Antithese“ indes war unpopulär und wurde unter Elisabeth I. (1559–1603) rasch durch eine neue „Synthese“ überwunden. Überraschenderweise und trotz des Vorhabens einer radikalen Gesetzesreform überstand das Kirchenrecht die englische Reformation weitgehend unbeschadet.2 Die Elisabethanische Religionsregelung von 1559 etablierte die Kirche von England: eine einzige, allumfassende Staatskirche, errichtet durch staatliches Gesetz, nach ihrem Selbstverständnis sowohl katholisch als auch reformiert. Die Exkommunikation Elisabeths durch Papst Pius V. im Jahr 1570 verfestigte den gedanklichen Schluß von der Zugehörigkeit zum römischen Katholizismus auf die politische Illoyalität, an den sich bis ins 20. Jahrhundert rechtliche Schlußfolgerungen 1 Allgemeine Darstellungen bei Herbert A. L. Fisher (Hrsg.), The Constitutional History of England. A course of lectures delivered by F. W. Maitland, 1908; David L. Keir, The Constitutional History of Modern Britain 1485–1951, 5. Aufl. 1953. 2 Richard H. Helmholz, The Canon Law and Ecclesiastical Jurisdiction from 597 to the 1640s (= The Oxford History of the Laws of England, vol. I), 2004.

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knüpften. Obschon durch neue „imperiale“ Theorien der königlichen Autorität geleitet, bedurften Heinrich VIII. und seine drei Kinder der Zustimmung des Parlaments zu ihren Reformen. Eine solche präzedenzlose Inanspruchnahme der gesetzgebenden Gewalt war ein entscheidendes Element für die Herausbildung des Verfassungsprinzips der Parlamentssouveränität. Die Synode als das herkömmliche Leitungsgremien in den Kirchenprovinzen Canterbury und York trat nur noch selten zusammen, nachdem sich der Klerus im Jahr 1532 dem König unterworfen hatte. Seitdem lag die tatsächliche Leitung der Kirche gemeinsam bei Parlament und Krone. Das 17. Jahrhundert war von anhaltenden Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Strömungen des Protestantismus über die Kontrolle der Kirche geprägt, die immer noch als alleinige Staatskirche verstanden wurde.3 Gleichzeitig kam es zu einem beträchtlichen Anstieg von „unabhängigen“ christlicher Gemeinschaften. Nach dem blutigen Bürgerkrieg (1642–1649), der politische wie religiöse Implikationen hatte, scheiterte der letzte Versuch, eine übergreifende, Episkopalianer wie Presbyterianer umfassende, Staatskirche zu konstruieren, bald nachdem es 1660 zur Restauration der Monarchie kam. Die wiedererstarkte anglikanische High Church drängte in die öffentlichen Ämter, weite Teile der puritanischen Geistlichen wurden durch eine rigorose Anwendung der Elisabethanischen Religionsregelung erfolgreich aus der Kirche gedrängt. Sie vermehrten die ohnedies schon beträchtliche Zahl an Dissentern: Presbyterianer, Baptisten, Quäker und andere Unabhängige. Nach einer letzten Verfolgungswelle im Zuge der Strafgesetze des sog. Clarendon Code brachte die Glorious Revolution von 1688 sämtlichen protestantischen Gemeinschaften, die sich zum Trinitätsglauben bekannten, erstmals rechtliche Duldung. Im „langen 18. Jahrhundert“ wurde der Toleranzgedanke, wenngleich unter anglikanischer Hegemonie, nach und nach ausgeweitet. Obschon neue Gesetze sowohl Katholiken (1791) wie Unitariern (1813) Duldung einräumten, diskriminierte die Rechtsordnung weiterhin all jene, die sich nicht zur (wenigstens gelegentlichen) Übereinstimmung mit der Staatskirche bereit fanden. Am stärksten traf dies die Juden.4 Zwar hatte ihnen Oliver Cromwell 1655 die Rückkehr nach England ermöglicht, doch beruhte ihr Rechtsstatus nur auf königlichem Schutz, nicht aber auf einer gesetzlichen Garantie. In der Praxis konnten sie Synagogen, Friedhöfe und andere religiöse Einrichtungen betreiben, blieben jedoch von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen. Kam es zu einem Rechtsstreit, war dieses Eigentum vor einer Enteignung zugunsten der Krone nicht sicher. Andererseits konnten sie bereits zu einem frühen Zeitpunkt vor Gericht den Eid auf die hebräische Bibel ablegen sowie ohne Einschränkungen am Handelsverkehr teilnehmen. 3 Robert E. Rodes Jr., Law and Modernization in the Church of England. Charles II to the Welfare State, 1991. 4 Henry S.Q. Henriques, The Jews and the English Law, 1908.

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Ihre Eheschließungen waren seit der Ehegesetzgebung von 1753 offiziell anerkannt. Andere religiöse Minderheiten in nennenswerter Zahl waren im Vereinigten Königreich hingegen erst seit dem späten 19. Jahrhundert zu verzeichnen. Mitte des 19. Jahrhunderts setzten sich protestantische Dissenter, die in der wachsenden Mittelschicht stark vertreten waren, beharrlich und mit zunehmenden Erfolg für religiöse Gleichheit ein.5 Nachdem der Demokratisierungsprozeß mit dem Great Reform Act von 1832 eingesetzt hatte, zeigte sich das Parlament solchen Anliegen gegenüber mehr und mehr aufgeschlossen. Im Zeitraum zwischen 1830 und 1870 wurden die Beschränkungen des Zugangs zu öffentlichen Ämtern aufgehoben, ein ziviles Personenstandswesen (Registrierung von Geburten, Todesfällen und Eheschließungen) eingeführt, die Registrierung von religiösen Gruppen jedweden Bekenntnisses gesetzlich ermöglicht. Nun standen auch Nicht-Anglikanern die alteingesessenen öffentlichen Schulen und Universitäten offen, auf lokaler Ebene entstanden von der kirchliche Pfarrgemeinde getrennte bürgerliche Gemeinden. Die noch verbliebenen Zuständigkeiten kirchlicher Gerichte in Fragen von Ehrenschutz-, Erb-, Ehe- und Strafsachen wurden weltlichen Gerichten übertragen.6 Die erste offizielle Volkszählung von 1851 brachte zum Vorschein, wie gering der Rückhalt der anglikanischen Kirche in den Industriegebieten war. Die politische Elite war davon so geschockt, daß die Frage nach der Religionszugehörigkeit erst 2001 wieder gestellt wurde. 1851 wurde die römischkatholische Hierarchie wiederhergestellt, was in der öffentlichen Meinung auf gewisse Widerstände und beim Gesetzgeber auf manche Behinderung stieß. In Schottland verlief die Reformation der Kirche heftiger als in England und brachte eine presbyterianisch verfaßte, stark calvinistisch gepägte Kirche hervor.7 Nachdem König Jakob VI. von Schottland 1603 als Jakob I. auch den englischen Thron bestiegen hatte, wurde die Schottische Kirche vom Kronrat in London regiert. Damit vermengten sich die englischen Bestrebungen, schottische Angelegenheiten zu kontrollieren, mit theologischen Implikationen. Bei der Vereinigung der beiden Königreiche 1706 war eine wesentliche Bedingung für die Union das Fortbestehen des Protestantismus und der presbyterianischen Form der Kirchenregierung. Das 19. Jahrhundert brachte zahlreiche interne Abspaltungen, zumeist infolge von Fragen hinsichtlich der Unabhängigkeit von äußerem politischen Einfluß. Zu einer substantiellen Wiedervereinigung kam es erst 1921 mit dem Church of Scotland Act, worin der Kirche in allen Fragen von Lehre, Kultus, Leitung und Disziplin Autonomie zugesichert wurde. Die Kirche von Schottland

5 Timothy Larsen, Friends of Religious Equality. Non-conformist Politics in Mid-Victorian England, 1999. 6 Richard B.Outhwaite, The Rise and Fall of the English Ecclesiastical Courts 1500– 1860, 2006. 7 Neil Forbes Davidson, Churches and Other Religious Bodies, in: The Laws of Scotland (Stair Memorial Encyclopaedia), vol. 3, 1994.

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bleibt damit zwar gesetzlich errichetete Nationalkirche, ist aber unabhängig.8 Bis in die Gegenwart nimmt sie unverändert eine wichtige politische Rolle ein, bringt die kulturellen Unterschiede Schottlands zum Ausdruck und liefert der Unabhängigkeitsbewegung einen institutionellen Rahmen. Seit der Herrschaft Heinrichs VIII. war Irland Ziel englischer und schottischer Kolonisierung. Zwar hatte diese die Ansiedlung einer beträchtlichen Anzahl von schottischen Presbyterianern im Norden des Landes zur Folge, doch blieb die große Mehrheit der Bevölkerung römisch-katholisch. Diese wurde bis zur rechtlichen Duldung in den 1780er Jahren und der politischen Emanzipation im Jahr 1829 mehr oder weniger repressiv von den Engländern kontrolliert. Die Anglikanische Kirche von Irland war weiterhin Staatskirche, was allerdings durch jährliche Finanzzuweisungen der Krone an das römisch-katholische Priesterseminar in Maynooth sowie Beiträge zu den Gehaltszahlungen für presbyterianische Geistliche ein wenig abgemildert wurde. Die offizielle staatliche Diskriminierung zugunsten der anglikanischen Elite fand mit der Entstaatlichung der Church of Ireland Jahr 1869 ein Ende. Die Bestrebungen nach Unabhängigkeit hingegen dauerten fort, bis schließlich 1937 die erste Verfassung der Republik Irland „die besondere Stellung der Heiligen Katholischen, Apostolischen und Römischen Kirche als Hüterin des Glaubens (anerkannte), zu dem sich die überwältigende Mehrheit der Bürger bekennt.“9 In Wales entstanden im Zuge des Wiederauflebens des religiösen Lebens im 18. und 19. Jahrhundert mitgliederstarke und lebendige nicht-anglikanische Gemeinschaften, die weniger „Kirchen“ denn lokale Gemeinden waren.10 Anders als die Methodisten und andere, ältere nonkonformistische Gemeinschaften in England stellten sie eine ernsthafte Konkurrenz für die Staatskirche dar. Schließlich mehrten sich im Zuge der Demokratisierung die Forderungen, Wales solle dem irischen Beispiel folgen und die Kirche entstaatlichen. Das entsprechende Gesetz wurde 1914 verabschiedet, trat aber erst nach Ende des Ersten Weltkriegs 1920 in Kraft. Genaue Angaben über die Religionszugehörigkeit sind schwierig zu ermitteln, da viel von der jeweiligen Fragestellung abhängt und zudem feine Unterscheidungen in der religiösen Einstellung überspielt werden.11 Zum ersten Mal seit 1851 wurde bei der landesweiten Volkszählung 2001 eine freiwillige Frage nach der Religionszugehörigkeit in den Fragenkatalog aufgenommen (die etwa 7 % der Bevölkerung im gesamten Vereinigten Königreich nicht beantwortet hat). Die 8 Colin R. Munro, Does Scotland have an Established Church?, Eccles. Law J. 4 (1997), S. 639. 9 Art. 44 Abs. 1 S. 2. Diese Verfassungsbestimmung wurde 1973 aufgehoben. 10 Roger L. Brown, The Disestablishment of the Church in Wales, Eccles. Law J. 5 (1999), S. 252. 11 Grace Davie, Religion in Britain. A Persistent Paradox, 2. Aufl. 2015, Kap. 3.

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nächste (und bisher letzte) Volkszählung von 2011 erbrachten einen erheblichen Rückgang bei den Christen und einen Anstieg bei Muslimen und Religionslosen. In England und Wales bekannten sich 2011 59,3 % der Bevölkerung zum Christentum, 25,1 % gaben an, keiner Religion anzugehören. Der Anteil der Muslime betrug 4,8 % (2,7 Millionen), der Hindus 1,5 % (817.000), der Sikhs 0,8 % (423.000), der Juden 0,5 % (263.000) und der Buddhisten 0,4 % (248.000).12 Diverse andere Religionen haben deutlich niedrigere Zahlen aufzuweisen. Bei der Erhebung in England und Wales wird bei den Christen nicht nach der jeweiligen Konfession unterschieden, zudem werden auch die nur formal Religionszugehörigen berücksichtigt, die ihren Glauben aber nicht praktizieren. Deutlich abweichende Zahlen hat die British Social Attitudes Survey ermittelt: 50 % erklärten sich für religionslos, 19 % für anglikanisch, 9 % für römisch-katholisch, 15 % bekannten sich zu anderen christlichen Denominationen und 7 % zu anderen Religionen. Die religiöse Praxis ist bei den Christen mit etwa 5 % noch deutlich geringer. Für Schottland ergab die Volkszählung 2011 einen christlichen Bevölkerungsanteil von 53,8 % (davon gehörten 32,4 % der Kirche von Schottland und 15,9 % der römisch-katholischen Kirche an). Die Zahlen bei den religiösen Minderheiten sind sehr gering, die mit Abstand größte unter ihnen sind die Muslime mit 1,4 %. 36,7 % gaben an, keiner Religion anzugehören. In Nordirland betrug der Anteil der Christen 82,3 % Christen, davon ist knapp die Hälfte römisch-katholisch. Nur 10,1 % erklärten sich für religionslos, nicht-christliche religiöse Minderheiten gibt es kaum. Bei allen Schwierigkeiten der Datenerhebung lassen sich einige allgemeine Kernaussagen treffen. Selbst in seiner ausgedünntesten Form ist das Christentum nicht mehr Mehrheitsreligion. Vielmehr ist die Religionslosigkeit schon beinahe die Standardeinstellung. Aktive Christen waren seit langem – vielleicht immer schon – eine Minderheit, nun aber ist sie klein und zudem rückläufig. Der Anteil der Muslime nimmt stetig weiter zu, ebenso (wenn auch in geringerem Maß) derjenige der übrigen religiösen Minderheiten.

II. Die Rechtsquellen des Staatskirchenrechts Die Rechtsquellen des Staatskirchenrechts entsprechenen denen der Rechtsordnung im Allgemeinen. Sie finden sich im common law, den Parlamentsgesetzen und Rechtsverordnungen sowie im Völkerrecht, sofern es ins Rechtssystem rezipiert wurde. Kein formaler Rechtsstatus als Rechtsquelle kommt dem wissenschaftlichen Schrifttum zu, obwohl es die Interpretation und weitere Entwicklung des Rechts zweifellos beeinflußt. Verträge zwischen dem Vereinigten Königreich und dem Heiligen Stuhl bestehen nicht. 12

Office for National Statistics, Religion in England and Wales 2011, 2012.

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Der eingeführte deutsche Begriff Staatskirchenrecht läßt sich nicht einfachhin ins Englische übersetzen. Die wörtliche Übersetzung mit public ecclesiastical law wäre irreführend und unzureichend. Unter ecclesiastical law wird das Recht der Church of England verstanden, welches eine halbautonome Teildisziplin des englischen Rechts ist.13 Hingegen bezeichnet canon law das innere Recht einer jeder christlichen Kirche und bringt seine Verbindung mit dem historischen ius commune zum Ausdruck.14 Die katholische Kirche in England (oder die anglikanische Kirche in Wales) haben ein canon law, nicht aber ein ecclesiastical law. Das interne Recht einer Kirche (canon law) kann in der englischen Rechtsordnung nur Wirksamkeit erlangen, wenn ihre Mitglieder einen Gesellschaftsvertrag abschließen. Die anglikanische Kirche in Irland und Wales wurde nach ihrer Entstaatlichung durch die Gesetzgebung in Privatrechtsform neu konstituiert; ihr Eigentum befindet sich in der Hand von ihr zugehörigen Treuhändern, welche im Namen der leitenden Synode handeln.15 Kurzum, das ecclesiastical law ist ein Alleinstellungsmerkmal der Church of England aufgrund ihrer Stellung als Staatskirche. Manche Autoren verwenden den Ausdruck „Recht der religiösen Organisationen“,16 was ebenfalls problematisch ist. Auch wer sein religiöses Leben gemeinschaftlich zum Ausdruck bringt, tut dies nicht immer in der Rechtsform einer einzelnen Person oder Körperschaft. Religionen können auch in ein Netzwerk von Organisationen integriert sein, die durch ihre eigenen internen Regeln oder das „Recht“ miteinander verbunden sind. Je nach dem jeweiligen ekklesiologischen Grundverständnis kann Leitung nicht nur „von oben nach unten“, sondern auch basisorientiert „von unten nach oben“ konstituiert sein, was dann eher föderale denn hierarchische Regelungen zur Folge hat. In einem solchen Fall würde die Zuordnung nur einer Rechtsperson das Wesen der Religion nicht korrekt zum Ausdruck bringen. Von der Kirche von England sagt man klassischerweise, sie sei „von der Synode geleitet und von den Bischöfen regiert“. Diese Formel verschweigt indes den hohen Grad an Freiheit, der nach der kirchlichen Rechtsordnung den einzelnen Gemeinden und ihren Geistlichen zukommt. So gesehen, stellt die Behauptung keine Übertreibung dar, die Kirche von England existiere rechtlich gar nicht, sondern lediglich ein rechtliches System, das etwa 13.000 Pfarreien in 42 Diözesen und zwei Kirchenprovinzen zusammenschließt. Selbst auf Ebene der Diözesen sind deren Einrichtungen von den Pfarreien getrennt. Wichtiger noch scheint, daß historisch das Auftreten einer Vielzahl verschiedenster Gruppen von protestantischen Dissentern das englische Recht in Richtung einer

13 Rupert D.H. Bursell/Roger Kaye (Hrsg.), Ecclesiastical Law, in: Halsbury’s Laws of England, 5. Aufl., Band 34 (2011); Mark Hill, Ecclesiastical Law, 4. Aufl. 2018. 14 Norman Doe, Christian Law, 2015. 15 Norman Doe, The Law of the Church in Wales, 2002. 16 Jane Calderwood Norton, Freedom of Religious Organizations, 2016.

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ausgeprägten Vermutung fortentwickelt hat, daß die oberste Entscheidungskompetenz in religiösen Gemeinschaften auf der Zustimmung der Mitglieder der örtlichen Gemeinschaften beruht. Das common law ist also „von unten nach oben“ aufgebaut. Angesichts dieser Vielfalt verdient, abgesehen vom ecclesiastical law der Church of England und der Church of Scotland, der Begriff „Recht organisierter Religionen“ den Vorzug,17 wie ihn auch die neuere Gleichstellungsgesetzgebung verwendet.18 Doch selbst dann gibt es keinen etablierten Bestand an wissenschaftlicher Lehre und überkommener juristischer Ausbildung und Praxis. Von besonderer Bedeutung ist das Recht der gemeinnützigen Stiftungen und der nicht eingetragenen Vereine, ebenso das Verfassungs-, Arbeits-, Bildungs-, Familienund Sozialrecht zu. Das „Recht organisierter Religionen“ überschneidet sich mit anderen Rechtsgebieten, welche die Kirchen und vergleichbare Religionsgemeinschaften in den Blick nehmen. Doch auch diese (auf gewisse Weise etwas künstliche) Kategorie bezieht Fragestellungen eines individuellen religiösen Glaubens und Verhaltens nicht mit ein. Deshalb verwenden andere Autoren noch weiter gefaßte Begriffe wie „Religionsrecht“ (das Recht im Hinblick auf die Religion von Personen und Gruppen) und „religiöses Recht“ (das interne Recht der Religionen).19 In neuerer Zeit haben maßgebliche Rechtspraktiker den Gegenstand aus der Perspektive der „religiösen Rechte“ abgehandelt20, wobei dieser Ansatz letztlich das gleiche Terrain abdeckt wie „Religionsrecht“.

III. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien im Überblick Oft heißt es, die britische Verfassung sei „ungeschrieben“ – genauer ließe sich sagen, daß sie weder in spezifischen Gesetzesurkunde kodifiziert ist noch im Rang über dem gewöhnlichen Recht steht. Sie ist eine Verfassung des common law. Dieser historische Hintergrund hat u. a. zur Folge, daß die Verfassung mehr als gewöhnlich für vielfältige Interpretationsansätze offen ist. Politische Usancen, Veröffentlichungen der Regierung, Gesetzesmaterialien sowie die Entscheidungen der Obergerichte bilden in ihrer Zusammenschau eine Verfassung, die zwar nur implizit, aber dennoch real geltend ist. Verfassungsprinzipien müssen aus der Rechts- und Staatspraxis abgeleitet werden, sie finden sich nirgends als förmlicher Gesetzesbeschluß.

17 Dazu Julian Rivers, The Law of Organized Religions. Between Establishment and Secularism, 2010. 18 Equality Act 2010, schedule 3, para. 29; schedule 9, para. 2. 19 Russell Sandberg, Law and Religion, 2011. 20 James Dingemans/Can Yeginsu/Tom Cross/Hafsah Masood, The Protections for Religious Rights, 2013.

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Der historische Hintergrund rechtfertigt es, mit dem Prinzip der Staatskirche zu beginnen (zumal dieser auf der deskriptiven Ebene noch fortdauert).21 Der Monarch steht als Supreme Governor of the Church of England an der Spitze der Kirche von England und muß ihr folglich angehören. Die Kirche von England verfügt unverändert über eine gewisse Rolle in der Öffentlichkeit und verfügt über eine Art Vorrangstellung. Dem ist sogleich hinzuzufügen, daß es in Wales und Nordirland keine Staatskirchen (mehr) gibt, die Kirche von Schottland ist mit dem Attribut „Nationalkirche“ wohl besser charakterisiert als mit „Staatskirche“. Der Monarch schwört, sie zu erhalten und zu schützen und entsendet seinen Vertreter in die Generalversammlung, nicht aber als ihr Regent (geschweige denn: ihr „Oberhaupt“). Zudem ist der Monarch Staatsoberhaupt von 15 weiteren souveränen Staaten, die alle keine Staatskirche haben. Das Vereinigte Königreich selbst ist heute durch eine Vielfalt von Kirchen und Religionsgemeinschaften gekennzeichnet. Soll also der Monarch in seiner Person die Einheit des Volkes verkörpern, muß der Grundsatz abgemildert im Sinne eines kulturellen Erbes im weiteren Sinn verstanden werden. Die Rolle der Church of England als Staatskirche kann allein als historisches Relikt aufgefaßt werden. Grundlegendere Strukturprinzipien müssen also andernorts zu finden sein. An erster Stelle zu nennen ist das Selbstbestimmungsrecht der Kirche,22 das am deutlichsten im Church of Scotland Act von 1921 zum Ausdruck kommt. In ihm kommt der Geist eines Konkordats zum Vorschein, wenn sich der Staat direkter gesetzgeberischer Eingriffe in die Kirche von Schottland enthält. Vielmehr rezipiert das Gesetz in Art. IV einige der Declaratory Articles, welche die vollständige Freiheit der Kirche in geistlichen Angelegenheiten in Anspruch nehmen, verstanden als die Befugnis, in allen Fragen der Lehre, des Kultus, der Leitung und der Disziplin ohne Einwirkung der weltlichen Autorität Entscheidungen zu treffen). Diese Freiheit ist vorgegeben, nicht erst gewährt. Die gleiche Erwägung war ab Ende des 19. Jahrhunderts bei den Reformen der Leitung der Church of England anzutreffen, den kirchlichen Instanzen eine weitgehende Autonomie in ihren eigenen Angelegenheiten zu gewährleisten. Die Regel wird durch eine überaus umstrittene Ausnahme bestätigt, als das Parlament 1928 Änderungen im Book of Common Prayer blockierte. Jenseits dieser spezifischen Beispiele besagt ein allgemeiner Grundsatz des englischen Rechts, daß Religionsgemeinschaften hinsichtlich ihrer eigenen, „geistlichen“ Angelegenheiten in besonderer Weise einer gerichtlichen Kontrolle 21 David McClean, The changing legal framework of establishment, Eccles. Law J. 7 (2004), S. 292; Javier Garcia Oliva, Church, State and Establishment in the United Kingdom in the 21st century: anachronism or idiosyncrasy?, Public Law, 2010, S. 482; Robert M. Morris (Hrsg.), Church and State in 21st Century Britain. The Future of Church Establishment, 2009. 22 Ian Leigh, Balancing religious autonomy and other human rights under the European Convention, OJLR 1 (2012), S. 109.

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entzogen sind.23 Bisweilen hat dies zur Extremhaltung geführt, daß Gerichte sich aufgrund der religiösen Dimension eines Falles gänzlich weigerten, in grundlegenden Fragen des Sachen- und Vertragsrechts zu entscheiden. Besonders schwierige Folgen kann dies haben, wenn interne Streitigkeiten von Religionsgemeinschaften in Rede stehen. In einem neueren Rechtsstreit wollten weder der High Court noch der Court of Appeal über die rechtlichen Bestimmungen der Stiftung eines Sikh-Tempels befinden – was im Ergebnis die Weigerung bedeutete, über die Eigentumsverhältnisse eine Entscheidung zu treffen. Das ist nichts anderes als die Abdankung der Rechtsprechung. Daher ist es zu begrüßen, daß der Supreme Court das althergebrachte Gleichgewicht zwischen Selbstbestimmungsrecht und Rechtsstaatsprinzip wiederhergestellt hat.24 Vergleichbare Schwankungen zeigte die Rechtsprechungspraxis im Abeitsrecht: Teilweise wurde die Beziehung zwischen Geistlichen und Religionsgemeinschaft als normaler Arbeitsvertrag behandelt, teilweise wurde ihr Rechtscharakter überhaupt in Abrede gestellt.25 Das Selbstbestimmungsrecht erfährt zudem durch Ausnahmeklauseln in der Gleichbehandlungsgesetzgebung eine Stärkung, indem sie den Religionsgemeinschaften nicht nur gestatten, an ihren Glaubenslehren wie an den Überzeugungen ihrer Mitglieder festzuhalten, sondern auch, diejenigen Bewerber zu bevorzugen, welche das Ethos der Religionsgemeinschaften vertreten.26 Ebenso wie vom Selbstbestimmungsrecht läßt sich vom Prinzip der Neutralität sprechen.27 Dergestalt ergänzt die kollektive Gleichheit die kollektive Freiheit. Gleichwohl ist Neutralität ein Grundsatz, dessen nähere Konturen deutlich schwieriger zu umgrenzen und umzusetzen sind. Gewiß wächst die Bereitschaft für größere Unvoreingenommenheit, was bereits der Begriff „Religion“ gewährleistet. Niemand setzt mehr „Religion“ mit „Christentum in anglikanischer Ausprägung“ gleich. In der Praxis kann ein immer größerer Kreis von Minderheitsreligionen vor Gericht die Vorzüge des Status als Religionsgemeinschaft erstreiten. In den letzten Jahren haben etwa Scientologen und Humanisten mit Erfolg die Erlaubnis durchgesetzt, Eheschließungen mit zivilrechtlicher Wirkung durchzuführen.28 Gleichwohl ist die Reichweite des Prinzips der Neutralität begrenzt. Es ist schwer vorstellbar, daß das Recht religiös vollständig neutral sein kann. Der Rechtsbegriff „Religion“ mag neutral auf ein breites Spektrum von Gemeinschaften angewandt werden können, doch die Umstände der konkreten Anwen23 R v Chief Rabbi of the United Hebrew Congregations, ex parte Wachmann [1992] 1 WLR 1036. 24 Khaira v Shergill [2014] UKSC 33. 25 Moore v President of the Methodist Conference [2013] UKSC 29. 26 Equality Act 2010, schedule 3, para. 29; schedule 9, para. 2; schedule 23, para. 2. 27 Julie Ringelheim, State Religious Neutrality as a Common European Standard? Reappraising the European Court of Human Rights Approach, OJLR 6 (2017), S. 24. 28 R (Hodkin) v Registrar General of Births, Deaths and Marriages [2013] UKSC 77; Re Smyth’s Application for Judicial Review [2017] NIQB 55.

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dung bewegen sich unverändert in den Formen der vorherrschenden Kultur. So wird zwar den Muslimen die Eheschließung nach ihren eigenen Riten gestattet, ihnen aber weiter abverlangt, dies in registrierten Gottesdienststätten, also in ihren Moscheen, zu tun. Der Umstand, daß Muslime herkömmlicherweise dort nicht heiraten, hat den zugrunde liegenden rechtlichen Rahmen, der weiterhin christlich inspiriert ist, bisher nicht beeinflußt. Die schlußendliche Konsequenz der ungeregelten Eheschließungen unter Muslimen haben zu einem noch größeren gesellschaftlichen Problem geführt, welches für Recht und Politik besonders schwer anzugehen ist.29 Es ließen sich noch weit mehr Beispiele dafür anführen, wie dem englische Recht auf subtile Weise noch immer ein Verständnis von Religion zugrunde liegt, welches an den Erwartungen des protestantischen Christentums ausgerichet ist. Zusammengefaßt: Es gibt Neutralitätsmaßstäbe, doch das Prinzip selbst ist zwangsläufig beschränkt. In zahlreichen Ländern ist das grundlegende Strukturierprinzip dasjenige der Trennung. Von einer systematischen Trennung von Kirche und Staat läßt sich im Vereinten Königreich kaum sprechen. Gewiß hat es, am spürbarsten auf lokaler Ebene,30 eine großflächige Entflechtung von Kirche und Staat gegeben, doch es bestehen unverändert viele untergeordnete Verbindungen und Beziehungen zwischen Religion und öffentlichem Leben. Gewiß trifft zu, daß die öffentlichen Einrichtungen religiös ungebunden sind; es gibt keine Überprüfung der religiösen Konformität mehr, um die alteingesessenen Bildungseinrichtungen besuchen oder ein öffentliches Amt übernehmen zu können. Doch auch wo solche formalen Zugangshürden beseitigt wurden, bestehen weiterhin kulturelle Verflechtungen. Die traditionsreichen öffentlichen Schulen sowie Colleges der Universitäten Oxford und Cambridge unterhalten auch heute Kapellen, die zudem gut besucht sind. Jeden Tag beginnen die Parlamentssitzungen mit einem Gebet. Der Prozeß der Säkularisierung ist wahrnehmbar, dabei werden religiöse Stimmen weniger ausgeschlossen denn zunehmend ignoriert. Es handelt sich um eine Trennung per defectum, nicht so sehr um eine Trennung aus prinzipiellen Erwägungen. Auf bestimmten Gebieten läßt sich sogar eine bewußte Ablehnung von Trennung ausmachen, an deren Stelle der Grundsatz der pluralistischen Kooperation getrent ist. In besonderer Weise gilt dies für die Bereiche Bildung und Wohlfahrtspflege.31 Die wesentlichen Strukturprinzipien des Staatskirchenrechts im Vereinigten Königreich lassen sich so zusammenfassen:

29 Kathryn O‘Sullivan/Leyla Jackson, Muslim marriage (non) recognition: implications and possible solutions, Journal of Social Welfare and Family Law 39 (2017), S. 22. 30 R (National Secular Society) v Bideford Town Council [2012] EWHC 175 (Admin) erklärt das Sprechen eines gemeinsamen Gebets vor einer Ratssitzung für rechtswidrig. 31 Siehe dazu unten VIII.

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(1) ein Prinzip der Staatskirche in England, das indes schwächelt und weitgehend symbolisch ist, (2) ein Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften, welches sich als vergleichsweise stark und belastbar erweist, (3) ein Prinzip der Neutralität, das – jedenfalls im Hinblick auf eine unvoreingenommene Behandlung – schwächer und oberflächlicher ist, (4) ein Prinzip der Trennung, das sich aber auf auf bestimmte Kontexte und Themen beschränkt, (5) und schließlich ein Prinzip der pluralistischen Kooperation auf Gebieten des gemeinsamen Interesses von Staat und Religionen.

IV. Religionsfreiheit Allgemein gesprochen, muß die Religionsfreiheit individuell, kollektiv und korporativ gewährleistet sein. Die im vorhergehenden Abschnitt spezifizierten Prinzipien des Selbstbestimmungsrechts, der Neutralität, der Trennung und der pluralistischen Kooperation sind gleichemaßen für die kollektive und korporative Dimension der Religionsfreiheit von Bedeutung, müssen hier aber nicht eigens wiederholt werden. Das Vereinigte Königreich ist Unterzeichnerstaat der zentralen internationalen Verträge zum Schutz der Religionsfreiheit.32 Der Human Rights Act von 1998 hat der Europäische Menschenrechtskonvention in der gesamten britischen Rechtsordnung einen höheren Stellenwert eingeräumt. Zwar haben die Gerichte keine Befugnis, Parlamentsgesetze für ungültig zu erklären, doch sind sie verpflichtet sie, das gesamte Recht nach Möglichkeit in Konformität zur EMRK auszulegen. Sollte dies einmal nicht möglich sein, sind die Gerichte berechtigt, ein Gesetz als mit der EMRK unvereinbar zu erklären (was allerdings nicht bindend ist). Sonstige Akte der öffentlichen Gewalt, welche gegen Rechte aus der Konvention verstoßen, sind rechtswidrig.33 Gleichermaßen sind die Gesetzgebungskompetenzen der dezentralen Regierungssysteme in Schottland, Wales und Nordirland durch die Verpflichtungen aus der EMRK eingeschränkt.34 Die EU-Grundrechtecharta, in der ebenfalls das Recht auf Religionsfreiheit35 verankert ist, ist – bis auf weiteres – unmittelbar geltendes Recht.36 32 Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948; Art. 18 des Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966; Erklärung zur Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund von Religion oder der Überzeugung von 1981. 33 Human Rights Act 1998, sect. 3, 4 und 6. 34 Scotland Act 1998, sect. 29(2)(d); Government of Wales Act 2006, sect. 108(6)(c); Northern Ireland Act 1998, sect. 6(2)(c). In Nordirland verbietet zudem eine Spezialbestimmung jede Diskriminierung aufgrund der Religion. 35 Art. 10.

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Derartige allgemeine Grundsätze des Völkerrechts werden immer in der nationalen Gesetzgebung adaptiert. Diesen Verpflichtungen können fünf Annahmen über die Religionsfreiheit an die Seite gestellt werden, die sich in überkommener Praxis im englischen Recht ausgeprägt haben: 1. Religion ist freiwillig. Der Unterschied zeigt sich deutlich bei Zuständigkeit der Gerichte: die des staatlichen ist zwingend, die eines religiösen beruht auf dem Einvernehmen der Parteien.37 Selbst die Gesetze der Church of England sind, trotz ihres formalen Rechtsstatus, gegenüber Laien nicht durchsetzbar.38 Einerseits kann man sich vertraglich zur Einhaltung bestimmter religiöse Vorschriften verpflichten, doch andererseits bleibt die Freiheit gewahrt, sich jederzeit von der Autorität einer Religionsgemeinschaft lösen zu können. Ein derartiger Vertrag ist weitgehend in der Praxis nicht durchsetzbar, der einzig gangbare Weg ist dann der Ausschluß aus der Kirche oder Religionsgemeinschaft.39 Niemand darf zu einer religiösen Handlung gezwungen werden, sei es durch Teilnahme an einer religiösen Feierlichkeit, die Benutzung einer religiösen Eidesform oder die Mitwirkung am Religionsunterricht.40 Wie noch zu zeigen ist,41 bezieht sich das Prinzip von Freiwilligkeit der Religion auch auf die Kirchenfinanzierung. Eine Kirchensteuer gibt es nicht. 2. Keine Religion oder Weltanschauung als solche ist gesetzeswidrig. Sämtliche gegen bestimmte Religionen gerichteten Gesetze sind längst aufgehoben. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Rechtsordnung tolerant gegenüber höchst individuellen Glaubensüberzeugungen.42 Anfang des 20. Jahrhunderts erkannte das Oberhaus nicht nur den Atheismus als gesetzeskonform an, sondern hielt fest, daß es vor dem Gesetz keine „abergläubische“ (d.h. gesetzeswidrige Religion gebe.43 Den Schlußpunkt dieser langen Evolution bildet die Neufassung der Gesetze über die Hexerei im Jahre 1951. Nun versuchte man eine Unterscheidung zwischen denen zu treffen, die sich des Besitzes echter okkulte Kräfte berühmen, und jenen, die sich in betrügerischer Absicht als spirituelles Medium ausgeben, um daraus finanzielle Vorteile zu ziehen.44 Natürlich be-

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European Communities Act 1972, sect. 2. Long v Bishop of Capetown (1863) 1 Moo PC (NS) 411, 15 ER 756. 38 Middleton v Crofts (1737) Andr, 57, 95 ER 296. 39 Näher dazu Rivers (Fn. 17), S. 88 ff. – Eine eindeutige Ausnahme gilt für Schiedsverträge; nach dem Arbitration Act von 1996 kann ein Streitigkeit nach religiösen Regeln entschieden werden, siehe Jivraj v Hashwani [2011] UKSC 40. 40 Siehe Fn. 45; zum Religionsunterricht siehe Elementary Education Act 1870, sect. 7, 74(2) und 76. 41 Siehe dazu unten VII. 42 Thornton v Howe (1862) 31 Beav 14, 54 ER 1042. 43 Bowman v Secular Society [1917] AC 406; Bourne v Keane [1919] AC 815. 44 Fraudulent Mediums Act 1951; siehe jetzt die Consumer Protection from Unfair Trading Regulations 2008, SI 2008/1277. 37

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wirken allgemein geltende Gesetze auch die Einschränkung von bestimmten religiösen Handlungen, doch sie bezwecken nicht die Unterdrückung einer Religion als solcher. 3. Individuelle Glaubensüberzeugungen haben einen legitimen Ort in der Öffentlichkeit. Selbst bei Amtsträgern45 bleibt die öffentliche Wahrnehmung im Allgemeinen gelassen, wenn der persönliche Glaube durch religiöse Symbole sichtbar gemacht wird. Es herrscht Konsens, daß spezifische religiöse Verpflichtungen wie Gebet, Fasten und Reinigung nicht nur zu respektieren, sondern daß, wo nötig, auch entsprechende Vorkehrungen zu treffen sind. Besonderen Speisevorschriften ist ebenfalls Rechnung zu tragen. Zwar gab es Fälle, bei denen das Recht zur Verwendung religiöser Kleidung eingeschränkt wurde (speziell bei muslimischen Frauen), doch scheinen britische Gerichte im europäischen Rechtsvergleich dabei strengere Maßstäbe anzulegen.46 Begründungsmustern, die auf die Vorzüge der Verbannung religiöser Unterschiede aus der Öffentlichkeit abstellen, mag andernorts erhebliches Gewicht zukommen – im Vereinten Königreich wird ihnen tendenziell keine große Bedeutung beigemessen. 4. Das Gesetz stellt Gläubige wie Kultorte unter besonderen Schutz vor Übergriffen. Lange Zeit bestanden spezielle Straftatbestände, wie etwa Angriffe auf Geistliche, Störung des öffentlichen Gottesdienstes oder Schändung von Gottesdienstorten.47 Die christlich akzentuierte Blasphemiegesetzgebung wurde mittlerweile aufgehoben und durch neue Straftatbestände bezüglich der religiösen „Haßrede“ ersetzt.48 5. In der historischen Entwicklung wurde die Religionsfreiheit auf bestimmte Gewissensfragen erstreckt, wie das Ablegen von Eiden oder die Verweigerung von Militärdienst, Impfungen und Abtreibung.49 Die neuere Gleichstellungsgesetzgebung hat insoweit neue Probleme entstehen lassen, insbesondere im Hinblick auf die Mitwirkung bei gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Bislang haben sich nur die gesetzlich ausdrücklich geregelten Ausnahmevorschriften als wirksamer Schutz erwiesen.50 45 Beispiel: Seit 2003 war Sir Rabinder Singh als Richter am High Court tätig; im Jahr 2017 wurde er an den Court of Appeal befördert. Statt der tradionellen Richterperücke trägt er einen Turban. 46 R (Begum) v Denbigh High School Governors [2007] 1 AC 100; Azmi v Kirklees MBC [2007] I.C.R. 1154; R v D [2013] Eq LR 1034. 47 R v Parry (1686) Trm PC 239; R v Wroughton (1765) 3 Burr. 1683; Wilson v Greaves (1757) 1 Burr. 240; Ecclesiastical Courts Jurisdiction Act 1860, sect. 2; Offences against the Person Act 1861, sect. 36. 48 Racial and Religious Hatred Act 2006; Russell Sandberg/Norman Doe, The strange death of blasphemy, MLR 71 (2008), S. 971. 49 Constance Braithwaite, Conscientious Objection to Compulsions under the Law, 1995; zu den Grenzen der Verweigerung aus Gewissensgründen bei Abtreibung siehe Doogan v Greater Glasgow/Clyde Health Board [2014] UKSC 68. 50 Hall v Bull [2013] UKSC 73.

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V. Rechtsstellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern weist das englische Recht eine sehr „flache“ Hierarchie von Rechtsstatus auf. Viele englische Juristen wären überrascht, daß eine Rechtsordnung überhaupt nach dem Rechtsstatus differenziert. In diesem Zusammenhang ist der Umstand wesentlich, daß der Rechtsbegriff einer staatlichen „Anerkennung“ unbekannt ist, was auch mit dem unterbelichteten Begriff des Staates im common law zusammenhängt. Die Church of England ist eine öffentliche Körperschaft.51 Die für sie maßgeblichen Kirchengesetze werden von der Synode verabschiedet, bedürfen aber nach wie vor der Zustimmung des Parlaments und haben rechtlich den gleichen Rang wie ein Parlamentsgesetz. Streitigkeiten über das interne Recht der Kirche von England können innerhalb des Instanzenzugs der kirchlichen Gerichte geklärt werden, daneben findet die gerichtliche Überprüfung nach den allgemeinen Maßstäben des Öffentlichen Rechts statt. Die höheren Amtsträger werden immer noch von der Krone ernannt, d.h. von der Königin auf Vorschlag des Premierministers und unter Mitwirkung einer kircheninternen Findungskommission. So gesehen, gleicht die Church of England in gewisser Weise anderen gesetzlich errichten Körperschaften der Exekutive und unterliegt wie diese dem öffentlichem Recht. Allerdings hat die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch festgehalten, daß es sich bei der Kirche von England um eine öffentliche Körperschaft sui generis handelt, da sie als Grundrechtsträger eine Grundrechtsverletzung durch den Staat geltend machen kann.52 Mit dem Disestablishment erlangten die Church of Ireland und die Church of Wales den gleichen Rechtsstatus wie die anderen Religionsgemeinschaften.53 Ihr Eigentum wurde an Treuhänder übertragen, welche es durch Satzung, Registrierung oder einen private Act of Parliament in eine Treuhandgesellschaft einbringen konnten. Das innerkirchliche Recht galt einstweilen als privater Gesellschaftervertrag zwischen den Mitgliedern fort. Das Eigentum hat der Religionsgemeinschaft nach Maßgabe der von ihren Leitungsorganen fallweise festzulegenden Bestimmungen zur Verfügung zu stehen. Anders gewendet, unterfallen die nichtanglikanischen Religionsgemeinschaften (ob christlich oder nicht) dem Privatrecht. Sie bedienen sich des Sachen- und Vertragsrechts zur Errichtung von eigenständigen Rechtsträgern, die sich selbst tragen können. Nichts hindert sie daran, diese im Rahmen der Companies Acts oder neuerdings als Charitable

51

Eingehend Norman Doe, The Legal Framework of the Church of England, 1996. Vgl. EGMR, ÖJZ 1995, S. 29 (Heilige Klöster/Griechenland); Aston Cantlow and Wilmcote with Billesley PCC v Wallbank [2004] 1 AC 546. 53 Irish Church Act 1869; Welsh Church Act 1914. 52

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Incorporated Organisation zu verfassen (auch wenn herkömmlicherweise das rechtliche Regime zumeist durch einen private Act of Parliament geregelt war). Bei den privaten Religionsgemeinschaften läßt sich der Rechtsstatus in zweifacher Hinsicht unterscheiden. Der Places of Worship Registration Act von 1855 gestattet jeder Religionsgemeinschaft die Abhaltung öffentlicher Gottesdienste, sofern die entsprechenden Stätten in ein Register eingetragen sind. Diese sind zudem von den örtlichen Steuern befreit und in ihnen können nach der jeweiligen internen Ordnung Eheschließungen vorgenommen werden. Demnach ist zu unterscheiden zwischen Religionsgemeinschaften, deren Gottesdienststätten öffentlich zugänglich sind, und anderen, welche sie allein ihren Mitgliedern vorbehalten. Eine vergleichbare Differenzierung enthält das Gemeinnützigkeitsrecht, dessen Hauptvorteil heute ebenfalls auf steuerrechtlichem Gebiet liegt. Eine Religion ist nur dann förderungswürdig, wenn sie einen Beitrag zum Gemeinwohl leistet.54 Ein solcher kann in dem allgemeinen Zugang der Öffentlichkeit zu den von der Religionsgemeinschaft angebotenen Gottesdiensten liegen, ober aber in den positiven Auswirkungen der Mitglieder einer Religion auf die Allgemeinheit.55 Den Unterschied illustriert gut ein Fall, in dem Mormonen für ihren Tempel eine Befreiung von der örtlichen Vermögenssteuer beantragten.56 Der Antrag wurde abgelehnt, da nur vollberechtigte Mormonen mit einem Empfehlungsschreiben ihres Bischofs Zugang zum Tempel hatten. Doch das besagt noch nichts über die Gemeinnützigkeit des Tempels steht. Ein Mormone wird nach dem Besuch des Tempels wieder in die allgemeine Öffentlichkeit zurückkehren, und das Gesetz begnügt sich mit der Annahme, daß er danach ein besserer Mensch ist. Der rechtlich relevante Unterschied des Status bei Religionsgemeinschaften verläuft vielmehr zwischen öffentlicher und rein privater Religion. Bereits der Toleration Act von 1689 verbot, bei religiösen Treffen (von Nicht-Anglikanern!) die Türen „geschlossen, verriegelt oder verbarrikadiert zu halten, um jemanden während des Treffens am Eintritt zu hindern“.57 Heute ist das Kriterium der Öffentlichkeit vergleichsweise einfach zu erfüllen, so daß die überwiegende Mehrheit der Religionsgemeinschaften die daraus erwachsenden Vorzüge in Anspruch nehmen kann. Die verbleibenden Schwierigkeiten betreffen weniger herkömmliche Religionen wie Scientology oder heidnische Gruppen denn eher sich sehr abschottende Gruppierungen, wie mache „exklusive“ christliche Brüdergemeinden. Erst jüngst hat die Charity Commission den Gemeinnützigkeitsstatus einer 54

Charities Act 2011, sect. 2(1). Re Hetherington [1990] Ch 1; Neville Estates v Madden [1962] Ch 832. 56 Gallagher v Church of Jesus Christ of Latter-Day Saints [2008] 1 WLR 1852. Die Entscheidung des House of Lords wurde von EGMR, NVwZ 2015, S. 277 (Church of Jesus Christ of Latter-Day Saints/United Kingdom), bestätigt. 57 Toleration Act 1689, sect. 5. 55

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derartigen Gruppe näher untersucht, welche dann aber ihren Rechsstatus verteidigen konnte.58 Das klassische Beispiel einer rein privaten Religion ist ein kontemplativer Klausurorden.59 Mangels regelmäßiger Kontakte zwischen den Angehörigen des Ordens und der Öffentlichkeit wird die Gemeinnützigkeit verneint, ein Gericht könne die „Wirksamkeit“ des fürbittenden Gebets nicht bewerten. Einige Autoren erblicken in diesem Beispiel aber ein Relikt historischer Aversionen gegenüber dem Katholizismus. Jenseits dieser – groben und multivalenten – Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Religion ist für das englische Recht ein hoher Grad an Fragmentierung typisch. Je nach Zusammenhang werden unterschiedliche Kriterien herangezogen. Das Recht zur Gründung einer konfessionellen Schule ist etwas anderes als die Ernennung eines Gefängnisseelsorgers, wieder anders ist die Repräsentanz in einem kommunalen Beratungsgremium zu bewerten, und wiederum anders die Erteilung der Baugenehmigung für eine neue Gottesdienststätte. Dieser pragmatische und situationsbezogene Umgang mit Rechtspositionen und Vorrechten erweist das Konzept des Rechtsstatus als im britischen Kontext nicht sonderlich hilfreich. Theoretisch ließe sich eine vierfache Abstufung ausmachen: rechtlich wie faktisch öffentlich, rechlich privat und faktisch öffentlich, gänzlich privat sowie ohne geregelten Status. Doch die Wirklichkeit sieht oft noch diffuser aus.

VI. Möglichkeiten der Einflußnahme Es ist allgemein bekannt, daß die 26 ranghöchsten Bischöfe der Church of England einen Sitz in der zweiten Parlamentskammer, dem Oberhaus, innehaben.60 Hier findet sich noch ein Relikt mittelalterlicher Strukturen, nach denen sich das Oberhaus aus allen geistlichen und weltlichen Lords zusammensetzte. Mittlerweile wurden auch einige andere prominente geistliche Würdenträger in das Oberhaus berufen, wieder andere wirken als inoffizielle Vertreter ihrer Gemeinschaft. Doch selbstverständlich macht es einen Unterschied, ob formale rechtliche Anforderungen eine erhebliche Präsenz bestimmter Geistlicher sicherstellen, oder ob gelegentlich andere nach Ermessenskriterien ernannt werden. Pläne zur Reform des Oberhauses bestehen seit mehr als 100 Jahren. Dabei wurden mancher Erfolg erreicht, doch eine dauerhafte Lösung hat sich zwischen zwei Positionen verfangen: Die einen wollen eine demokratische und nach Möglichkeit quasi-föderale Lösung (was aber die Gefahr in sich birgt, den Vorrang des Unterhauses zu unterminieren), die anderen sehen im Oberhaus das Forum, um der Regierung vielfältigen Sachverstand sowie die in der Zivilgesellschaft 58 The Charity Commission, Entscheidung im Fall der Plymouth Brethren Gospel Hall Trusts, 29.8.2017. 59 Gilmour v Coates [1949] AC 426. 60 Anna Harlow/Frank Cranmer/Norman Doe, Bishops in the House of Lords. A Critical Analysis, Public Law 2008, S. 490.

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virulenten Perspektiven zukommen zu lassen.61 Einstweilen versuchen die Bischöfe, außer daß sie zu Beginn eines jeden Tages ein Gebet sprechen, eine allgemeine religiöse Dimension in die Debatten einzubringen. Damit sitzen sie aber auch zwischen allen Stühlen: Die einen werfen ihnen vor, sie seien wirkungslos, andere, sie hätten zu viel Einfluß; für die einen sind sie Repräsentanten einer einzigen speziellen Interessengruppe, anderen zufolge vertreten sie niemanden. Daß Einfluß tatsächlich besteht, zeigt sich deutlich am Beispiel diverser Ausnahmeregelungen und Schutzmechanismen zugunsten religiöser Positionen, welche sich in der Gesetzgebung zur Gleichstellung infolge sexueller Orientierung sowie im Marriage (Same-Sex Couples) Act von 2013 finden.62 Entschiedene Lobbyarbeit wie öffentliche Debattenbeiträge bewirkten eine valide gesetzliche Verankerung des Rechts der Kirche, denjenige Personen die Eheschließung zu verweigern, die nach ihrer Überzeugung kanonisch nicht ehefähig sind. Obschon infolge der Schutzpflicht zugunsten der Religionsfreiheit geboten, hat vermutlich der politische Einsatz der Kirche von England die valide Ausgestaltung solche Ausnahmeregelungen befördert. Religiöse Sendungen sind durch die öffentlich-rechtliche Rundfunkgesetzgebung geschützt. In ihr finden sich Spezialregelungen hinsichtlich der Beteiligung von Religionsgemeinschaften.63 2017 hat eine über Ein-Jahres-Jahr Studie der die derzeitige Programmpraxis deutlich kritisiert: Gläubige (egal welcher Religion) kämen entweder nicht vor, oder sie würden schlecht dargestellt oder ins Lächerliche gezogen.64 Als Reaktion darauf hat sich die BBC dazu verpflichtet, ihre Berichterstattung zu erweitern und zu vielfältiger zu gestalten. Sowohl für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wie auch für die privaten Sender gelten strenge Bestimmungen hinsichtlich religiöser Werbung. Die Möglichkeiten, über die Medien Einfluß auszuüben, sind eher begrenzt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bietet eine überaus selektive und begrenzte Sichtweise des religiösen Lebens, für eine umfassendere Perspektive muß man auf das weite Spektrum von nationalen und internationalen privaten Medienunternehmen zurückgreifen.65 Gleichzeitig kann die Allgemeinheit über das Internet auf ein noch weit vielfältigeres Spektrum an religiösen Stimmen zugreifen.

61 Zu einem (gescheiterten) Versuch, die religiöse Repräsentation zu erweitern, siehe Royal Commission on the Reform of the House of Lords (The Wakeham Commission), A House for the Future, 2000, Cm 4534. 62 Javier Garcia Oliva, Same-sex marriage: an inevitable challenge to religious liberty and establishment?, OJLR 3 (2014), S. 25. 63 Rivers (Fn. 17), S. 305 ff. 64 British Broadcasting Corporation, Religion & Ethics Review, December 2017, S. 12. 65 Das größte private Medienunternehmen in Großbritannien ist die Premier Christian Media (www.premier.org.uk). Aber es gibt zahlreiche weitere, christliche wie nichtchristlichen, Medienunternehmen.

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Unter den Labour-Regierungen von Tony Blair (1997–2007) und Gordon Brown (2007–2010) nahm die Anzahl formal eingesetzter Beratungsgremien deutlich zu, in ihnen war ein breites Spektrum von Repräsentanten der Religionsgemeinschaften vertreten. Zudem wurden Gelder für die Errichtung derartiger Gremien auf lokaler Ebene bereitgestellt.66 Diese wurden indes von der nachfolgenden Regierung wieder weitgehend gestrichen, eine Beratung findet inzwischen nur mehr sporadischer denn systematisch statt. Die gegenwärtige Anti-Extremismus-Politik neigt mehr dazu, in religiösen Minderheiten eine Quelle problematischer Überzeugungen und Werte zu sehen denn wirkliche Dialogpartner.67

VII. Kirchengüter und Kirchenfinanzierung Die Reformen des Kirchenrechts im 19. Jahrhundert setzten hinsichtlich der Beziehungen zwischen Kirche und Staat einen Schwerpunkt auf die Bedeutung des Prinzips der Freiwilligkeit. Die Kirchenfinanzierung durch lokale Steuern wie Zehnt und Grundabgaben sorgte bei vielen Religionsgemeinschaften außerhalb der Kirche von England für heftigen Unmut. Man verstand Religion als etwas von ihren Angehörigen frei Gewähltes, was man dann auch konkret auf die Frage der finanziellen Unterstützung bezog.68 Die feste Überzeugung von der politischen Unangemessenheit einer Finanzierung kirchlicher Zwecke durch die öffentliche Hand kommt heute noch in der unverrückbaren Grundannahme zum Ausdruck, daß es die kommunalen Verwaltungen gesetzlich daran gehindert sind, den Kirchen Zuschüsse für die Erhaltung von freien Flächen und Gemeinschaftseinrichtungen zu gewähren.69 Da es kein pluralistisches Steuersystem gibt, sind nicht einmal Fragen der Kirchenmitgliedschaft eindeutig: Jede auf dem Gebiet einer Pfarrei wohnhafte Person hat ein Recht auf Inanspruchnahme geistlicher Amtshandlungen, jeder Getaufte kann als Kirchenvorstand kandidieren. Abgesehen von den standardisierten Stolgebühren für Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen entscheidet jeder selbst, welchen Beitrag er für diese Amtshandlungen entrichten möchte. Die nicht-anglikanischen Religionsgemeinschaften waren und sind weiterhin fast ausschließlich auf ihr Vermögen und auf freiwillige Spenden einzelner angewiesen. Das gilt grundsätzlich auch für die Kirche von England. Der letzte direkte staatliche Zuschuß – für den Bau neuer Kirchen in im Zuge der industriellen Revolution neu errichteten Stadtteilen – datiert aus dem Jahr 1824. Seit dem 16. Jahrhundert traf die Kirche von England keinerlei Enteignung, so daß sie bis 66

Rivers (Fn. 17), S. 296 ff. HM Government, Counter-Extremism Strategy, 2015, Cm 9148. 68 Tithe Act 1936. 69 Local Government Act 1894, sect. 8. Möglicherweise ist die Bestimmung implizit durch den Localism Act 2011 aufgehoben worden. 67

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heute über beträchtliche Vermögenswerte verfügt.70 Diese machen indes nur einen kleinen Teil der gesamten Einkünfte, der Großteil stammt aus gezielten Spenden (die entsprechende steuerliche Vorteile auslösen), Vermächtnissen, Zuschüssen, Fundraising sowie gelegentlichen Sammlungen. Finanziell betrachtet, ist die Kirche von England keine Staatskirche. Sie muß ihr beeindruckendes architektonisches Erbe fast ausschließlich aus eigenen Mitteln erhalten, so daß sich die Frage stellt, wie lange sie diese finanzielle Last noch zu tragen vermag. Von diesem Grundsatz gibt es einige kleine Ausnahmen. Nach altem englischen Landrecht müssen die Eigentümer von Grundstücken, die früher einem Lairenrektor einer Pfarrei gehörten, für Reparaturen im Altarraum der örtlichen Pfarrkirche sorgen. Den Hintergrund davon bildet die Praxis, Laien Kirchenämter zu übertragen, um Nutzen aus den mit dem Rektorenamt verbundenen Land und Einkommen zu ziehen. Der Laienrektor ernannte dann einen geweihten Vikar für die Wahrnehmung der religiösen Pflichten, behielt aber die Verpflichtungen (wie die Vorteile) aus dem Rektorenamt. Ein Versuch, dieses Gesetz unter Berufung auf den Human Rights Act in Frage zu stellen, scheiterte 2003.71 Weiter verdient Erwähnung, daß der Staat Zuschüsse für die Restauration von Bauwerken von historischem Interesse gewährt, worunter auch Kirchen fallen. Ebenfalls stellt der Heritage Lottery Fund Zuschüsse zur Verfügung, welche an die Stelle früherer Förderprogramme der englischen Denkmalpflege wie das Grants for Places of Worship Scheme und einen (eher kurzlebigen) Dachreparaturfonds getreten sind.72 Das Listed Places of Worship Grant Scheme erstattet die Mehrwertsteuer zurück, die bei Reparaturen an gottesdienstlich genutzten Bauwerken angefallen ist.73 All diese Zuschüsse sind nicht auf die Kirche von England beschränkt, doch aus offensichtlichen Gründen profitiert sie häufiger davon als andere Religionsgemeinschaften. Die Förderung der Religion dient einem gemeinnützigen Zweck. Daher sind religiöse Institutionen mit Gemeinnützigkeitsstatus von bestimmten, eigentlich anfallenden Steuern wie der Körperschaft- und Kapitalertragsteuer befreit. Wie erwähnt, haben nicht alle religiösen Institutionen diesen Status inne, die davon betroffenen sind aber zahlenmäßig so klein, daß die unterschiedliche steuerliche Behandlung praktisch kaum ins Gewicht fällt. Weit bedeutender ist der Umstand, daß Spenden an – jedwede – gemeinnützige Organisationen von der Einkommen70 Den neuesten verfügbaren Zahlen zufolge verwalten die Kirchenkommissare Vermögenswerte von etwa £ 7,9 Milliarden, so konnten sie in 2016 £ 230 Millionen für die kirchliche Arbeit zur Verfügung stellen, siehe www.churchofengland.org/more/me dia-centre/news/church-commissioners-england-announce-total-return-171-investments2016 (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 71 Aston Cantlow and Wilmcote with Billesley PCC v Wallbank [2004] 1 AC 546. 72 www.hlf.org.uk/looking-funding/what-we-fund/buildings-and-monuments/placesworship (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 73 www.lpwscheme.org.uk (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020).

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steuer abgesetzt werden können (Gift Aid), was deren Spendenaufkommen erheblich steigert. Registrierte Gottesdienststätten sind ebenfalls von den örtlichen Steuern befreit.74

VIII. Formen der institutionellen Kooperation Die Aufhebung der Klöster in den 1530er Jahren brachte für kurze Zeit das Wirken der Kirche in Erziehung und Caritas fast vollständig zum Erliegen.75 Die Wiederaufnahme dieser Tätigkeiten gegen Ende des 16. Jahrhunderts vollzog sich in Gestalt breitgefächerter unabhängiger Wohltätigkeitseinrichtungen, gegründet von caritativ gesinnten Einzelpersonen. Vielfach wiesen sie eine religiöse Dimension auf, verfügten über Geistliche und sorgten für die Erteilung religiöser Bildung wie Praxis – allerdings unabhängig von der Kirche. Dieses Modell, das gerade kein Ausfluß kirchlicher Sendung war, erreichte seinen Höhepunkt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als erhebliche und systematische Anstrengungen unternommen wurden, um die Bedürfnisse in Bildung, Gesundheitswesen und Wohlfahrt durch private caritative Initiativen zu abzudecken. Noch standen diese unter starkem religiösen Einfluß, gewiß nicht von Anglikanern; auch ein breites Spektrum protestantischer Gruppen engagierte sich, desgleichen in erheblichem Umfang die Katholiken, daneben einige jüdische Institutionen. An keinem anderen Ort und zu keiner Zeit gab es ein schwungvolleres Bemühen, menschliche Grundbedürfnisse durch solche privaten Anstrengungen zu befriedigen. Als das Bemühen scheiterte, trat der Staat in diese Aufgaben ein. An diesem Punkt liegt der Beginn vielfältiger Formen von Kooperation zwischen Staat und religiösen Wohltätigkeitsorganisationen (nicht hingegen den Kirchen als solchen). Die detailliertesten Abmachungen finden sich weiterhin im Erziehungswesen.76 Erst seit 1870 wurde, aufgrund des erheblichen Widerstands nur behutsam, die staatlich finanzierte Schule eingeführt.77 Erste Versuche, kirchliche und staatliche Schulen zu trennen, wurden Anfang des 20. Jahrhunderts aufgegeben.78 Seitdem hat der Staat die Verantwortung für einen immer größeren Anteil der laufenden Kosten aller Schulen unter staatlicher Verwaltung übernommen. Ende des Zweiten Weltkriegs wurde den kirchlichen Schulen im Rahmen einer umfassenden Neuorganisation die Wahl zwischen zwei Finanzierungsmodellen angeboten.79 Ein Modell war die dauerhafte Übernahme des Eigentums durch den Träger, der im Gegenzug maßgeblichen Einfluß in der Schulleitung erhielt sowie über das religiöse Ethos der Schule und einen Teil des Lehrkörpers bestimmen 74 75 76 77 78 79

Local Government Finance Act 1988, sect. 51 sowie schedule 5 para. 11. Wilbur K. Jordan, Philanthropy in England 1480–1660, 1959. Rivers (Fn. 17), Kap. 8. Elementary Education Act 1870. Education Act 1902. Education Act 1944.

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konnte. Die katholische Kirche unternahm (vorausschauenderweise) beträchtliche Anstrengungen, um das nötige Kapital zu beschaffen. Die Schulen der Kirche von England folgen teils dieser Regelung, teils einem loseren Modell, in dem ihr ein gewisser Einfluß verbleibt, das Schulgeländes aber an die örtliche Verwaltungsbehörde zurückübertragen wurde. Der genaue Umfang religiösen Einflusses auf Schulen wurde bis Ende der 1990er Jahre niemals gesetzlich klar umrissen. Der Druck religiöser Minderheiten, vor allem von Moslems, führte zu einem neuen rechtlichen Rahmen, welcher Schulen mit jedwedem religiösen Ethos innerhalb des staatlichen Systems zuließ.80 Nur wenige Jahre später hatte die Gleichstellungsgesetzgebung weitere rechtliche Anreize für Schulen geschaffen, aus Gründen der Religion in bestimmten Bereichen von den allgemeinen Kautelen der Nichtdiskriminierung abzuweichen, nämlich bei der Aufnahme von Schülern und der Anstellung von Lehrkräften, bei Lehrplänen und Schulgottesdiensten. Die Grenzen dieser Ausnahmebestimmungen führte der Fall der renommiertesten orthodox jüdischen Schule in London vor Augen. Der Supreme Court entschied, daß diese (staatliche) Schule bei der Aufnahme von Schülern jenseits der Gesetze gehandelt hatte: Das Auswahlkriterium der „Orthodoxie“ der jüdischen Identität81 knüpfte an der Abstammung nach der mütterlichen Linie an. Dieses Kriterium war nach Überzeugung des Gerichtshofs „ethnisch“ und damit „rassegeprägt“, aber nicht mehr rein religiös. Die Existenz der nunmehr so bezeichneten „Glaubensschulen“ innerhalb des staatlichen Systems ist anhaltend umstritten, vor allem aus Sorge eines radikalen islamistischen Einflusses. Diese Befürchtungen haben wiederum auch die staatliche Regulierung im genuin privaten Sektor von Schulen zunehmen lassen, bei denen generell ein stärkerer religiöser Einfluß zulässig ist. Im Hinblick auf den Sektor der sozialen Wohlfahrt ist es aus rechtsvergleichender Sicht bemerkenswert, daß die Verstaatlichung der Krankenhäuser durch den National Health Service Act von 1948 auch zu ihrer Säkularisierung geführt hat. Krankenhäuser werden im Vereinigten Königreich tendenziell nicht als Facette des karitativen Wirkens der Kirchen angesehen. Auf anderen Gebieten der Wohlfahrtspflege zeigte sich im 20. Jahrhundert mehr und mehr eine breite Kluft zwischen persönlicher Dienstleistung und finanzieller Versorgung.82 Der Staat sorgte für die Finanzierung, kooperierte aber auf jenen Gebieten, die – wie die Betreuung von Kindern und älteren Menschen – ein hohes Maß an persönlicher Interaktion erfordern, mit einer Vielzahl privater Organisationen, und zwar ohne Anschauung ihres religiösen Ethos. Mit dem schrittweisen Rückgang des religiösen Charakters dieser Organisationen machte sich auch auf dem Sektor der sozia80 81 82

School Standards and Framework Act 1998, sect. 59–60, 69–71. R(E) v JFS Governing Body [2009] UKSC 15. Rivers (Fn. 17), Kap. 9.

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len Wohlfahrt die Säkularisierung als zusätzlicher Faktor bemerkbar. Die neuere Gleichstellungsgesetzgebung hat diese Entwicklung noch beschleunigt. Das bekannteste Beispiel betrifft die katholische Adoptionsvermittlung. Aufgrund ihrer Weigerung, gleichgeschlechtliche Paare als potentielle Adoptiveltern zu betrachten, haben die staatlichen Stellen die Zusammenarbeit eingestellt.83 Indes sind die Auswirkungen der Säkularisierung nicht in jedem Fall eindeutig auszumachen. Immer gab es in umgrenzten institutionellen Zusammenhängen, wie den Streitkräften, Gefängnissen und Krankenhäusern, Seelsorger.84 Ihre Ernennung erfolgt aufgrund unterschiedlicher rechtlicher Grundlage, das Spektrum reicht von der Exekutivgewalt (Streitkräfte), über das Gesetz (Gefängnisse) bis hin zur Verwaltungspraxis (Krankenhäuser).85 Multikulturalismus und Verrechtlichung haben auf diesem Sektor Ähnliches bewirkt wie an den Schulen. Das Angebot wurde formalisiert, diversifiziert und intensiviert. Gegenüber der Leitung der jeweiligen Institutionen besteht die Erwartungshaltung, Seelsorgeteams aus Vertretern aller wesentlichen Religionen vorzuhalten. Dabei werden Mindeststandards an Qualifikationen und Zusammenarbeit eingefordert. Die bis vor wenigen Jahren noch weitgehend unregulierte Praxis (zumal unter der umfassenden Aufsicht eines angelikanischen Kaplans) stellt sich nun als bürokratisiert und (eher verstohlen) pluralisiert dar. Der steigende Bedarf an Seelsorgestellen ist für Religionsgemeinschaften von erheblicher finanzieller Bedeutung, da die Seelsorger oftmals von der öffentlichen Einrichtung, in der sie tätig sind, angestellt und bezahlt werden.86 Der Umstand, daß ein solcher Seelsorger sowohl an seine Religionsgemeinschaft als auch an eine öffentliche Einrichtung angebunden ist, wirft zunehmend schwierige Fragen im Hinblick auf die Anwendung von Anti-Diskriminierungsbestimmungen auf.87

IX. Geltung des innerkirchlichen Rechts in der staatlichen Rechtsordnung Das Grundprinzip beim Verhältnis zwischen innerkirchenlichem Recht und staatlichen Rechtssystem ist das der Trennung: Von den Religionsgemeinschaften 83 Versuche, die Satzung zu ändern, um aus der gesetzlichen Förderung herauszufallen, führten nicht zum Erfolg, siehe Catholic Care (Diocese of Leeds) v Charity Commission for England and Wales [2012] UKUT 395 (TCC). 84 Rivers (Fn. 17), Kap. 7. 85 Ein absolutes Novum ist, daß die Gesetzesmaterialien des Counter-Terrorism and Security Act 2015 erstmals auch die Kapläne an Universitäten erwähnen. 86 Im Fall Naeem v Secretary of State Justice [2017] UKSC 27, hatten die Gerichte zu prüfen, ob die ungleiche Bezahlung der muslimischen und christlichen Seelsorger rechtmäßig war. Diese hatte indes ihre Ursache in dem längeren Beschäftigungsverhältnis der christlichen Seelsorger. 87 Pemberton v Inwood [2018] EWCA Civ 564: Recht eines Bischofs, einem Kaplan wegen des Eingehens einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft die Lizenzen zu entziehen.

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gesetztes Recht ist wie eine Insel in sich geschlossener normativer Ausschließlichkeit im weiten Ozean des staatlichen Rechts. Allerdings nimmt insoweit das ecclesiastical law der Church of England eine Sonderstellung im englischen Rechtssystem ein, als es Teil des englischen Rechts ist.88 Dem ist sogleich hinzuzufügen, daß auch dieses Rechtsgebiet in sich recht abgeschlossen ist und jenseits seiner eigenen Sphäre kaum Auswirkungen zeitigt. Aus praktischen Gründen befaßt es sich mit der Rechtsstellung des Klerus und internen Fragen der Verwaltung von Kirchengebäuden. Unter bestimmten administrativen Voraussetzungen können Religionsgemeinschaften unter Ehen mit ziviler Wirkung schließen.89 Worin indes eine Religionsgemeinschaft den Status der von beiden Teilen eingegangenen Ehe erblickt, ist mit der Wertung durch die säkulare Rechtsordnung nicht deckungsgleich. Was das Gesetz „Scheidung“ nennt, mag ein katholisches Kirchengericht „Nichtigkeit“ nennen.90 Als kleine Ausnahme gestattet der Divorce (Religious Marriages) Act von 2002 dem Gericht, das endgültige Scheidungsurteil aufzuschieben, bis der sich widersetzende Teil – für gewöhnlich der Mann – die Scheidung auch nach religiösem Recht erlangt hat, aufgrund derer er seine frühere Frau aus der Ehe entlassen kann. Bisher hat das Gesetz diesen Mechanismus, das Problem der „hinkenden Ehen“ zu lösen, nur auf jüdische Scheidungen gezogen, obwohl das Problem auch bei Muslimen virulent ist. Internes Recht einer Religionsgemeinschaft kann durch einen Schiedsvertrag verbindlich und durchsetzbar werden, allerdings nur in Handelssachen.91 Theoretisch kann es von den Mitgliedern auch als Vertrag effektuiert werden, doch wiederum nur im Hinblick auf finanzielle Interessen und Eigentumsrechte. Ein ungerechtfertigt seines Amtes enthobener Geistlicher kann sein Gehalt und sein Wohnrecht einklagen.92 Ebenso kann das innerkirchliche Recht im Wege eines Arbeits- oder Dienstvertrags relevant werden, desgleichen als Motiv der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung, die ansonsten eine rechtswidrige Diskriminierung wäre. All diese Mechanismen der Effektuierung des internen Rechts von Religionsgemeinschaften ergeben sich, wenngleich auf verschiedene Weise, aus dem Vertragsrecht. Somit besteht kein Unterschied zu religiös nicht gebundenen Einzelpersonen oder Gruppen. Religiöse Organisationen sind vielfach Eigentümer bedeutender historischer Bauwerke. Die öffentliche Kontrolle über ihren baulichen Zustand erstreckt sich 88

Siehe oben Abschnitt II. Marriage Act 1949, Teile III und IV. 90 Gillian Douglas/Norman Doe/Sophie Gilliat-Ray/Russell Sandberg/Asma Khan, The role of religious tribunals in regulating marriage and divorce, CFLQ 24 (2012), S. 139. 91 Arbitration Act 1996, sect. 46 (1)(b); Halpern v Halpern [2007] EWCA Civ 291. 92 Davies v Presbyterian Church of Wales [1986] 1 WLR 323. 89

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auch auf die internen Entscheidungsprozesse der betreffenden Religionen.93 Dies betrifft nicht nur die Kirche von England, sondern auch jede andere alteingesessene Religionsgemeinschaft.94 Eine derartige Kooperation setzt eine pragmatische Einschätzung voraus, inwieweit die betreffende Gemeinschaft dazu imstande ist, auf professionelle und verantwortliche Weise eine ausgewogene Bewertung von Belangen der Denkmalpflege und der aktuellen Bedürfnisse vorzunehmen.

X. Fazit Im Vereinigten Königreich vollzieht sich ein rapider demografischen Wandel. Die Zahl der praktizierenden Anglikaner ist dramatisch gesunken, die Religionslosen bilden neuerdings die Mehrheit. Die muslimische Bevölkerungsanteil ist, wie der anderer religiösen Minderheiten, gestiegen. Die Diversifität in der britischen Gesellschaft läßt sich vierfach abstufen: (1) In der Church of England bewahrt eine kleine Schar aktiver Mitglieder die Überreste einer Staatskirche. Der Einbruch bei den formalen Mitgliederzahlen wird teilweise durch die weiterhin starke Stellung an den Kathedralkirchen sowie in den Städten durch große evangelisch-charismatische Gemeinschaften kompensiert. (2) Eine erhebliche Mehrheit der Bevölkerung hat nicht einmal mehr eine flüchtige oder gelegentliche Beziehung zur örtlichen Pfarrkirche, geschweige denn zu einer anderen religiösen Einrichtung. (3) Das Spektrum anderer christlicher Konfessionen nimmt stetig zu. Die älteren unter ihnen nehmen tendenziell ab, allein die römisch-katholische Kirche verzeichnet infolge der Zuwanderung nach Europa ein gewisses Wachstum. Ein teilweise erheblicher Anstieg zeigt sich bei neueren christlichen Konfessionen, namentlich den „Black Majority Churches“. (4) Religiöse Minderheiten, deren Glaube und Praktiken sich deutlich von den traditionell im Vereinigten Königreich ansässigen Gemeinschaften unterscheiden, weisen ein stetiges oder gar rapides Wachstum auf. Eine Ausnahme bildet das Judentum, das seinen Stand allenfalls hält. Das Aufkommen eines radikalen Islam, der rapide gesellschaftliche Wandel in der Sexualmoral und eine Reihe von Skandalen (darunter der Mißbrauch von Kindern in der Vergangenheit) haben, in ihrem Zusammenwirken, auf politischer Ebene die Religion schlechthin unter Verdacht geraten lassen. Mit ihm wurden 93 Ecclesiastical Exemption (Listed Buildings and Conservation Areas) Order 1994, SI 1994/1771; Ecclesiastical Exemption (Listed Buildings and Conservation Areas) (England) Order 2010/1176. 94 Neben der Kirche von England führen die Gesetzestexte die katholische Kirche, die methodistische Kirche, die Baptistenunion von England und Wales und die Vereinigte Reformierte Kirche auf.

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die Reduzierung von Mechanismen der Kooperation wie auch die Zunahme beeinträchtigender staatlicher Maßnahmen im Wirkungsbereich der Religionsgemeinschaften gerechtfertigt. Obwohl schwer vorstellbar ist, unter welchen politischen Umständen der Status der Church of England verfassungsrechtlich tiefgreifend geändert werden könnte, erscheint ein Schisma zwischen traditionellen und progressive Elementen unter der Regentschaft eines nach eigenem Bekenntnis „multikulturellen“ Monarchen nicht unplausibel: Der Thronfolger hat im Hinblick auf den historischen Titel, den – ironischerweise – Heinrich VIII. von Papst Leo X. für sein Traktat gegen Luther erhalten hatte, in der Vergangenheit bekundet, er wolle „Verteidiger von Glauben“ schlechthin (defender of faith) und nicht „Verteidiger des Glaubens“ (defender of the faith) sein. Je nachdem, wie groß dadurch die Kluft zur Kirche von England wird, könnte diese einen solchen Verfassungswandel auslösen. Zusammengefaßt: Die Prinzipien der Staatskirche, des Selbstbestimmungsrechts und der pluralistischen Kooperation stehen unter Druck. Es sieht ganz danach aus, als ob an die Stelle von „Religion“ ein noch weiter individuelleres Verständnis vom persönlicher Spiritualität treten wird, das aber von einem dominanten Staat und einer säkularistischen öffentlichen Kultur in den Grenzen eines engen Religions-Begriffs einhegt wird. Eine solche Entwicklung wird mit Schwierigkeiten und Streitigkeiten einhergehen, da die kulturellen Spaltungen zwischen post-christlichen Säkularismen und Religionen (die nunmehr alle in der Minderheit sind) weiter zunehmen.

VI. Länder mit religiöser Vielfalt oder weitgehend religionsloser Gesellschaft

Das Verhältnis von Staat und Kirche in der Schweiz Von Martin Grichting, Chur I.

Historische Grundlagen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351

II. Rechtsquellen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 III. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 IV. V.

Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361

VI. Wirkungsmöglichkeiten der Kirchen und Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . 364 VII. Kirchengüter und Kirchenfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 VIII. Formen institutioneller Kooperation von Staat und Kirchen sowie Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 IX. Geltung kirchlich bzw. religionsgemeinschaftlich gesetzten Rechts in der staatlichen Rechtssphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 X.

Schlußbemerkungen: Gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372

I. Historische Grundlagen des Staatskirchenrechts Die staatskirchenrechtlichen Verhältnisse in der Schweiz sind kompliziert. Dies rührt daher, daß die einzelnen Kantone meist seit Jahrhunderten ein eigenes Staatskirchenrecht kennen, das sie beibehalten und weiterentwickelt haben, als 1848 aus dem bisherigen Staatenbund ein Bundesstaat, die Schweizerische Eidgenossenschaft, wurde.1 Diese garantiert deshalb in ihrer Verfassung im Wesentlichen nur die Religionsfreiheit und überläßt den einzelnen sechsundzwanzig Ganz- und Halbkantonen die Regelung des Verhältnisses zu den Religionsgemeinschaften. So muß man sagen, daß es eigentlich nicht ein Schweizer Staatskirchenrecht gibt, sondern sechsundzwanzig Staatskirchenrechte. 2 1 Einen Überblick über das politische System der Schweiz und dessen Institutionen bietet Christoph Ebnöther, Leitfaden durch das politische System der Schweiz, 2017. 2 Einen Überblick zum Staatskirchenrecht der einzelnen Kantone bietet: Dieter Kraus, Schweizerisches Staatskirchenrecht. Hauptlinien des Verhältnisses von Staat und Kirche auf eidgenössischer und kantonaler Ebene, 1993; vgl. auch Lorenz Engi, Rechtsgrundlagen zum Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften. Stand, Entwicklungen und Zukunftsperspektiven, Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und

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Gleichwohl kann man systematisieren, und zwar aufgrund der Tatsache, daß die Schweiz seit der Reformation ein konfessionell geteiltes Land ist. Dies hat zur Folge, daß es zwei wesentliche historische Grundlagen für das geltende Staatskirchenrecht gibt. In den Kantonen traditionell katholischer Prägung – etwa Uri, Schwyz, Luzern, Obwalden und Nidwalden – setzte sich bereits vorreformatorisch eine starke Kommunalisierung der Kirche durch, so daß die örtliche Kirche unter den Einfluß lokaler politischer Größen geriet: Die Gemeinde war zugleich – was die Gläubigen betrifft – mit der Pfarrei identisch. Entsprechend groß war der Einfluß des staatlichen Rechts auf die Kirche und die Verwaltung ihres Vermögens.3 Das kirchliche Recht kam in den Kantonen katholischer Tradition oft nicht zum Tragen. Zwar wurde das Kirchengut meist in Stiftungen gehalten. Sie wurden jedoch nicht kirchenrechtskonform von den Pfarrern bzw. Bischöfen verwaltet, sondern von staatlichen Autoritäten. Im 19. Jahrhundert, teilweise erst im 20. Jahrhundert, wurden die bisher von der politischen Gemeinde wahrgenommenen kirchlichen Verwaltungsaufgaben ausgeschieden in sogenannte „Kirchgemeinden“. Sie übernahmen die Lasten, welche bisher die Gemeinden getragen hatten, erhielten dafür aber auch das Besteuerungsrecht und den Charakter als Territorialkörperschaften. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurden dann praktisch überall auf kantonaler Ebene so genannte „Landeskirchen“ gegründet. In den Kantonen traditionell evangelisch-reformierter Prägung – etwa Zürich und Bern – herrschte bereits vor der Reformation ebenfalls ein staatskirchlich geprägtes Regime. Im Unterschied zu den traditionell katholischen Kantonen erfuhr dieses Regime jedoch eine Verschärfung durch die Theologie Huldrych Zwinglis, welcher – alttestamentlichen Vorstellungen folgend – von der Identität zwischen Volk und Glaubensgemeinschaft ausging.4 In Zürich resultierte daraus eine Theokratie unter Führung des charismatischen „Propheten“ Zwingli. Unter seinen weniger dynamischen Nachfolgern kippte der Zürcher Gottestaat jedoch bald und für Jahrhunderte in ein rigides Staatskirchentum. Man sprach nun nicht mehr von der Kirche, sondern vom „Kirchenwesen“, analog zum Gesundheits-

Verwaltungsrecht 118 (2017), S. 639. Zur Bibliographie vgl. Dieter Kraus/René Pahud de Mortanges, Bibliographie des Schweizerischen Staatskirchenrechts, 1991, und Andrea G. Röllin, Bibliographie des staatlichen Religionsrechts und Staatskirchenrechts der Schweiz, 2015. 3 Vgl. Martin Grichting, Das Verfügungsrecht über das Kirchenvermögen auf den Ebenen von Diözese und Pfarrei, 2. Aufl. 2012, S. 88, mit weiterer Literatur. 4 Vgl. Johannes Georg Fuchs, Das schweizerische Staatskirchenrecht des 19. Jahrhunderts als Folge zwinglianischen Staatsdenkens und als typische Schöpfung des Liberalismus, ZRG Kan. Abt. 70 (1984), S. 284; vgl. auch Joseph Lecler, Geschichte der Religionsfreiheit im Zeitalter der Reformation, Bd. 1, 1965, S. 436; vgl. auch Gottfried W. Locher, Grundzüge der Theologie Huldrych Zwinglis im Vergleich mit derjenigen Martin Luthers und Johannes Calvins. Ein Überblick, Zwingliana 12 (1967), S. 573 f.

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wesen, Schulwesen und Armenwesen – alles Sektoren der staatlichen Wohlfahrt.5 Die Kirche als Abteilung des Gemeinwesens: Diesem Prinzip folgend, wurde sie nach staatlichen Vorgaben strukturiert, lokal in Kirchgemeinden und später auf kantonaler Ebene als „Landeskirche“. Als der Staat sich im 19. Jahrhundert demokratisierte, wurde das Kirchenwesen in diesen Prozess einbezogen. Anders als in Deutschland führte die Tatsache, daß sich der Staat als säkular zu verstehen begann, nicht dazu, daß er die bisherige Staatskirche in die Freiheit entließ. Man wolle die Kirche nicht „freigeben“, sondern „freimachen“, wurde damals betont.6 Dies hatte zur Folge, daß die Kirche in den staatlichen Demokratisierungsprozess einbezogen wurde, also selbst demokratisch ausgestaltet wurde. Ja, der Einbezug der Kirche in den staatlichen Wandel bewirkte, daß das Grundrecht der Religionsfreiheit nicht nur im Staat eingeführt wurde, sondern auch in der Kirche.7 Aus diesem Grund ist in vielen evangelisch-reformierten Landeskirchen die Taufe bis heute fakultativ, kein Zugehörigkeitskriterium. Denn der von der Landeskirche erwartete Empfang der Taufe würde nach staatlicher Lesart eine Art von Zwang bedeuten. Die evangelisch-reformierten Landeskirchen sind zudem „bekenntnisfrei“. Es existiert kein verbindliches Glaubensbekenntnis, weil ein solches ebenfalls Zwang bedeuten würde.8 Die Säkularisierung des Staates führte also nicht zu einer freien Kirche, sondern vielmehr zu „Staatskirchen der freisinnigen Demokratie, die die für sie selber geltenden Prinzipien – Volkssouveränität

5 Vgl. zur Genese im Kanton Zürich: Martin Grichting, Kirche oder Kirchenwesen? Zur Problematik des Verhältnisses von Kirche und Staat in der Schweiz, dargestellt am Beispiel des Kantons Zürich, 1997, S. 111. 6 Vgl. dazu Aloys Emanuel Biedermann, Freie Kirche und freie Kirche, Die Kirche der Gegenwart. Eine Monatsschrift für die reformierte Schweiz 3 (1848), S. 328: „Entweder gibt es der Staat als eine ihn nichts angehende Privatsache einem jeden völlig frei, ob er überhaupt zu einer, und zu welcher religiösen Genossenschaft (Kirche) er gehören will: hier ist die Kirche nach aussen frei. (. . .) Oder der Staat als die sittliche Allgemeinheit eines Volksganzen legt jedem seiner Angehörigen die Nöthigung auf, auch an der Kirche als einem Moment des öffentlichen Lebens sich zu betheiligen, wenn er vollberechtigt diesem angehören will. Hier ist der äussere Umkreis kein auf Freiwilligkeit basierender. Aber gerade daraus erwächst für den Staat die Pflicht darauf bedacht zu sein, daß die Kirche innerlich frei sei, und aus der Unfreiwilligkeit, mit der man zu ihr gehört, für die Gewissen kein Zwang erwachse“. Und ein Anonymus brachte es in der gleichen Zeitschrift prägnant auf den Punkt: „Der Staat gebe die Kirche entweder ganz frei oder mache sie frei“, „P.“, Der Staat und die Staatskirche, ebd., 1 (1846), S. 357. 7 Vgl. Fuchs (Fn. 4), S. 290 ff.; vgl. auch Theodor Amsler, Die Zugehörigkeit zur evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, 1954, S. 70 f. 8 Vgl. Christian R. Tappenbeck, Das evangelische Kirchenrecht reformierter Prägung, 2017, S. 37 f., 65 f., 147 ff.; vgl. auch Gotthard Schmid, Die Aufhebung der Verpflichtung auf das Apostolikum in der zürcherischen Kirche, Schweizerische Theologische Umschau 20 (1950), S. 83; vgl. auch Hans Heinrich Schmid, Kirche und Staat im Kanton Zürich – Geschichtliche Voraussetzungen der heutigen Situation, in: Alfred Schindler (Hrsg.), Kirche und Staat. Bindung – Trennung – Partnerschaft, 1994, S. 207 f.

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und individuelle Freiheit – der Kirche als auch für ihren Bereich verbindlich und konstitutiv vorschreibt“.9 Daneben bestehen Kantone wie etwa Thurgau, Aargau oder Graubünden, die traditionell konfessionell gemischt sind. Sie sind teilweise erst entstanden durch Gebietsveränderungen im Zuge der Erschütterungen durch die Französische Revolution. In solchen Kantonen herrscht heute ebenfalls das sich protestantisch-staatskirchlichem Denken verdankende Kirchgemeinde- und Landeskirchensystem vor. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat eine starke Konvergenz der staatskirchenrechtlichen Ausgestaltung der einzelnen Kantone stattgefunden. Diese ging dahin, gemäß dem protestantischen Modell die kantonale Ebene zu stärken. So verfügen auch Kantone traditionell katholischer Prägung heute über eine katholische und evangelisch-reformierte „Landeskirche“, auch wenn diese in der Regel institutionell und finanziell schwächer ausgebaut ist als in traditionell protestantischen Kantonen. Ausnahme ist der Halbkanton Obwalden, wo lediglich ein privatrechtlicher Verband der Kirchgemeinden existiert. Die Verfassungen der „Landeskirchen“ haben sich im Verlauf der Zeit immer mehr angeglichen, wobei jede dennoch ihren eigenen, geschichtlich geprägten Charakter behalten hat. Schließlich existieren einige Kantone, die ebenfalls aus geschichtlichen Gründen ein eigenes Regime kennen. In Neuenburg und Genf herrscht eine von Frankreich beeinflußte Trennung von Kirche und Staat.10 Im Kanton Wallis bestehen keine Kirchgemeinden, sondern vom Staat anerkannte kirchliche Rechtspersonen, die subsidiär von den politischen Gemeinden unterstützt werden.11 Im Kanton Tessin schließlich wird nur in einzelnen Gemeinden eine Kirchensteuer eingezogen.12 In der Schweiz hat die Zugehörigkeit zu den christlichen Konfessionen und zu den anderen Religionen in den letzten hundert Jahren einen markanten Wandel durchgemacht. So machten im Jahr 1910 die evangelisch-reformierten Christen 56,2 % und die Katholiken 45,2 % der Gesamtbevölkerung aus. Im Jahr 2016 gehörten noch 24,5 % der Bevölkerung den reformierten Landeskirchen an, während die Katholiken auf einen Anteil von 36,5 % kamen. Die übrigen 39 % verteilten sich 2016 im Wesentlichen auf andere christliche Gemeinschaften (5,9 %), Muslime (5,2 %; im Jahr 1990 nur 1,6 %) und Konfessionslose (24,9 %; im Jahr 1990 nur 7,5 %, im Jahr 1960: 0,5 %).13 9 Richard Bäumlin, Die evangelische Kirche und der Staat in der Schweiz seit dem Kulturkampf, ZRG Kan. Abt. 45 (1959), S. 261. 10 Vgl. Kraus (Fn. 2), S. 296 ff. 11 Vgl. ebd., S. 291 ff. 12 Vgl. ebd., S. 281 ff.; vgl. auch Vincenzo Pacillo, Stato e Chiesa Cattolica nella Repubblica e Cantone Ticino, 2009, S. 155 ff. 13 Vgl. die Zahlen beim Bundesamt für Statistik: www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/ statistiken/bevoelkerung/sprachen-religionen/religionen.assetdetail.4242802.html (zu-

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II. Rechtsquellen des Staatskirchenrechts Das Vertrags- bzw. Konkordatsrecht spielt in der Schweiz eine untergeordnete Rolle. So sind im 19. Jahrhundert vom Apostolischen Stuhl und den betroffenen Kantonen für die Bistümer Basel und St. Gallen konkordatäre oder konkordatsähnliche Regelungen getroffen worden betreffend die Zugehörigkeit verschiedener Kantone zum jeweiligen Bistum. Ebenfalls ist in diesen beiden Bistümern die Bischofswahl konkordatär geregelt. Die Bischöfe der beiden Diözesen werden vom Domkapitel aus einer selbst erstellten Liste gewählt und sodann dem Papst zur Ernennung präsentiert.14 Im Bistum Chur war eine ähnliche Vorgehensweise in Übung. Sie wurde jedoch 1948 auf Drängen des Apostolischen Stuhls dahingehend geändert, daß das Domkapitel einen Dreiervorschlag aus Rom erhält. Diese Regelung beruht auf einem päpstlichen Privileg, ist also nicht völkerrechtlich abgesichert.15 In den Diözesen Sitten, Lugano und Lausanne-Genf-Freiburg herrscht das System der freien Ernennung durch den Papst. Vertragsrechtlich gelöst wurden ferner mit der Eidgenossenschaft einige territoriale Bereinigungen von Bistumsgebieten. Darüber hinaus spielt das internationale Vertragsrecht keine Rolle. Die hauptsächlichen Rechtsquellen für die Ordnung des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften sind unilateraler staatlicher Natur. Die schon erwähnte Bundesverfassung garantiert die individuelle Religionsfreiheit. Ferner erklärt sie in Art. 72 Abs. 1 lapidar: „Für die Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat sind die Kantone zuständig.“ 16 Eine für das alltägliche kirchliche Leben bedeutsame Norm des nationalen Rechts stellt ferner Art. 87 Abs. 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs dar. Darin wird bestimmt, daß kirchliche Stiftungen nicht der staatlichen Aufsicht unterstehen. Die Diözesanbischöfe und Ordensoberen treten somit an die Stelle der staatlichen Stiftungsaufsicht, was ihnen einen gewissen Einfluß über die Kirchengüter gibt, die in vielen Kantonen im Grundbuch nicht auf die Kirchgemeinden eingetragen sind, sondern auf kirchliche Stiftungen.17 letzt abgerufen am: 6.6.2020); vgl. für weitere Zahlen auch unten: X. Schlußbemerkungen: Gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen des Staatskirchenrechts. 14 Vgl. zu den Dokumenten das Quellenwerk von Ulrich Lampert, Kirche und Staat in der Schweiz, Bd. 3, 1939; zu den Bischofswahlen vgl. Heinz Maritz, Das Bischofswahlrecht in der Schweiz, 1977. 15 Vgl. Stephan Stocker, Das Bischofswahlrecht und das Privileg des Churer Domkapitels, SKZ 176 (2008), S. 508 (521). 16 Vgl. www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19995395/ (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 17 Immer noch maßgebend ist Hans Michael Riemer, Berner Kommentar: Die Stiftungen. Systematischer Teil und Art. 80–89 ZGB, 1975; vgl. auch das jüngere Standardwerk zu den kirchlichen Stiftungen von Andrea G. Röllin, Kirchliche Stiftungen. Im Besonderen die privatrechtlichen im Sinne von Art. 87 i.V. m. Art. 80 ff. ZGB, 2010.

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Entsprechend Art. 72 Abs. 1 der Bundesverfassung, welche die geschichtlichkonfessionell bedingte Zuständigkeit der einzelnen Kantone – der früheren Mitglieder eines Staatenbunds – anerkennt, sind die Rechtsquellen für das Staatskirchenrecht in den Verfassungen der einzelnen Kantone zu finden.18 Mittels dieser Verfassungen werden die „Landeskirchen“ und die Kirchgemeinden geschaffen. In den meisten Kantonen erläßt der Kanton sodann ein Kirchengesetz, das die nähere Ausgestaltung der „Landeskirchen“ und Kirchgemeinden, ihrer Aufgaben und Kompetenzen, ordnet, ebenfalls die Fragen der Kirchensteuer und der politischen Rechte in diesen staatskirchenrechtlichen Körperschaften. In manchen Kantonen erläßt die betreffende „Landeskirche“ darüber hinaus eine sogenannte „Kirchenordnung“ oder „Kirchenverfassung“, die weiter ins Detail führt. Einige Kantone erlassen kein Kirchengesetz, so daß die „Landeskirchen“ auf der Basis der Kantonsverfassung direkt ein Reglement erlassen, daß ebenfalls „Kirchenordnung“ oder „Kirchenverfassung“ genannt wird.

III. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien im Überblick Das Staatskirchenrecht der Schweiz ist betreffend die römisch-katholische Kirche von einem faktischen Dualismus bzw. einer „Verdoppelung“ von Institutionen19 geprägt: Auf der einen Seite stehen die eigentlichen kirchlichen juristischen Personen (Pfarrei, Bistum, Bischofskonferenz), denen als solche aber im Allgemeinen keine staatliche Rechtspersönlichkeit zukommt. Sie halten oft über Stiftungen, teilweise auch über Vereine, das örtliche, diözesane bzw. überdiözesane Kirchenvermögen. Im Falle der Pfarreien sind dies die Kirchen, Pfarrhäuser und weitere Immobilien, wobei in manchen Kantonen die Kirchgemeinden Eigentümerinnen der kirchlichen Immobilien sind. Daneben bestehen die Kirchgemeinden und „Landeskirchen“, welche jedoch keine kirchliche Rechtspersönlichkeit besitzen.20 Erstere verfügen als staatliche 18 Es ist hierzu auf die online-Sammlung des Instituts für Religionsrecht der Universität Fribourg hinzuweisen: www.unifr.ch/ius/religionsrecht_de/dienstleistungen/rechts sammlung/kantone (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020); vgl. auch Engi, Rechtsgrundlagen (Fn. 2), S. 640. 19 Vgl. Eugenio Corecco, Katholische ,Landeskirche‘ im Kanton Luzern. Das Problem der Autonomie und der synodalen Struktur der Kirche, AfkKR 139 (1970), S. 19; vgl. auch Kraus (Fn. 2), S. 165 f., 390 ff.; vgl. Markus Ries, Die Kirchenfinanzierung in der Schweiz, in: Erwin Gatz (Hrsg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, Bd. 6 – Die Kirchenfinanzen, 2000, S. 358; vgl. Markus Walser, Pfarrei, Kirchgemeinde und Landeskirche in der Diözese Chur, AfkKR 163 (1994), S. 433; vgl. Adrian Loretan, Kirche und Staat in der Schweiz, in: Stephan Haering/Wilhelm Rees/Heribert Schmitz (Hrsg.), HdbKathKR, 3. Aufl. 2015, § 122. 20 Vgl. Martin Grichting, Der kanonische Status der Kirchensteuer in der Schweiz (Kirchengut oder nicht?), in: Libero Gerosa (Hrsg.), Staatskirchenrechtliche Körperschaften im Dienst an der Sendung der Katholischen Kirche in der Schweiz, 2014, S. 126.

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öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften über das Steuerrecht und üben dieses nach demokratischen Grundsätzen aus. Die Kirchgemeinden sind auch Anstellungsbehörden für das kirchliche Personal, so daß dieses zwar gemäß kanonischem Recht vom Bischof ernannt wird, jedoch faktisch nicht arbeiten könnte ohne einen zivilrechtlichen Arbeitsvertrag der Kirchgemeinde und deren Bereitschaft, die finanziellen Mittel für die Seelsorge zur Verfügung zu stellen. Dazu gehört in aller Regel auch die Finanzierung des Betriebs sowie des Unterhalts der kirchlichen Immobilien, auch wenn diese formell in Stiftungen verortet sind. Den Bistümern stehen die „Landeskirchen“ gegenüber, deren Zahl mit der Anzahl Kantone übereinstimmt. Die „Landeskirchen“ finanzieren sich in der Regel über eine Besteuerung der Kirchgemeinden. Sie sind ebenfalls als öffentlichrechtliche Körperschaften ausgestaltet. Den Kantonen nachgebildet, verfügen sie über eine Exekutive, eine Legislative, welche in vielen Fällen im Saal des Kantonsparlaments tagt, und über eine Judikative, deren Entscheide an staatliche Gerichte weitergezogen werden können. Auf der nationalen Ebene steht der Bischofskonferenz die „Römisch-katholische Zentralkonferenz der Schweiz“ (RKZ) gegenüber. Diese ist als ziviler Verein organisiert und alimentiert sich durch Beiträge der einzelnen „Landeskirchen“. Die RKZ finanziert damit die Schweizer Bischofskonferenz sowie nationale und sprachregionale Institutionen etwa im Medienbereich oder für die Migrantenpastoral. Teilweise existieren zwischen der eigentlichen Kirche und der vom Staat geschaffenen Zweitorganisation Verträge. Dies ist auf allen drei Ebenen der Fall. Die praktische Arbeit wird teilweise in paritätischen Kommissionen gelöst, denn es muß versucht werden, die pastoralen Prioritäten und die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel sinnvoll miteinander zu verbinden. Letztlich sind die kanonischen Organisationen stets vom guten Willen der staatskirchenrechtlichen Struktur abhängig. Denn letztere ist zwar von ihrer Zwecksetzung her auf die Unterstützung der eigentlichen Kirche und ihrer Sendung ausgerichtet, definiert aber demokratisch und damit unabhängig von der eigentlichen Kirche, in welchem Maß und mit welcher Gewichtung sie tätig ist.21 Das Verhältnis zur eigentlichen römisch-katholischen Kirche wird von den Kantonen teilweise überhaupt nicht geregelt, etwa im Kanton Zürich. Für ihn gibt es keine römisch-katholische Kirche, sondern nur Katholiken, die er in Kirchgemeinden und der „Landeskirche“, die in diesem Fall „Römisch-katholische Körperschaft des Kantons Zürich“ heißt, nach eigenen Strukturprinzipien organisiert. Der Kanton Zürich anerkennt aber weder die in seinem Gebiet liegenden Pfarreien, die deshalb auch keine Rechtspersönlichkeit besitzen, noch das Bistum Chur, zu dem der Kanton gehört. Dennoch wird immer wieder von der „Anerkennung“ der katholischen Kirche durch den Kanton gesprochen.22 In der 21

Vgl. dazu in diesem Beitrag Abschnitt IX. Vgl. dazu Grichting (Fn. 5), S. 171. In einem „Faktenblatt Anerkennung von Religionsgemeinschaften in Kanton Zürich“ der für die Religionsgemeinschaften zuständi22

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jüngeren Literatur wird immerhin zugegeben, daß der Kanton die staatskirchenrechtlichen Körperschaften nicht anerkennt, sondern „schafft“.23 In anderen Kantonen genießt die katholische Kirche als solche öffentlich-rechtliche Anerkennung.24 Es ist aber oft nicht klar, was dies rechtlich konkret bedeutet. So ist etwa die katholische Kirche im Kanton Graubünden „öffentlich-rechtlich“ anerkannt.25 Die bischöflichen Ordinariate – nicht nur dasjenige in Chur – sind gleichwohl gezwungen, über Stiftungen und Vereine im Bereich des weltlichen Rechts rechtswirksam zu handeln. Die Verhältnisse in den reformierten Landeskirchen sind insofern klarer, als es dort keine nach theologischem Selbstverständnis verfaßte Struktur gibt. Die evangelisch-reformierten Landeskirchen und ihre Kirchgemeinden sind „Kirche“, freilich vom Staat geschaffen, seiner Organisation nachgebildet und ebenfalls demokratisch strukturiert. Sie entscheiden in allen Fragen der Lehre selbständig, soweit nicht übergeordnete staatliche Vorgaben entgegenstehen. In verschiedenen Kantonen werden evangelisch-reformierte und katholische staatskirchenrechtliche Körperschaften im gleichen Kirchengesetz rechtlich umschrieben.26

IV. Religionsfreiheit Die Religionsfreiheit wird in der Schweiz traditionellerweise nur auf der individuellen Ebene ausdrücklich gewährleistet. Die schon erwähnte Bundesverfassung garantiert sie in Art. 15 unter dem Titel „Glaubens- und Gewissensfreiheit“.

gen Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich vom Juli 2017 (www.ji.zh. ch/internet/justiz_inneres/de/home.html (zuletzt abgerufen am: 1.5.2019) heißt es unter dem Titel „Grundsätzliches zum System“: „Nicht eine Religion als solche, sondern nur ihre Trägerschaft im Kanton wird durch die Verfassung anerkannt. Die Anerkennung bezieht sich also immer auf eine konkrete, nach schweizerischem Recht organisierte Körperschaft. Es wird also z. B. nicht die römisch-katholische Kirche oder das Bistum Chur, sondern die Römisch-katholische Körperschaft im Kanton Zürich anerkannt.“ 23 Vgl. Lorenz Engi, Die religiöse und ethische Neutralität des Staates. Theoretischer Hintergrund, dogmatischer Gehalt und praktische Bedeutung eines Grundsatzes des schweizerischen Staatrechts, 2017, S. 221 und S. 258. 24 Vgl. Philippe Gardaz, La personnalité juridique des diocèses catholiques romains de Suisse, Schweizerisches Jahrbuch für Kirchenrecht 16 (2011), S. 31. 25 Da die römisch-katholische Kirche auch gem. Art. 98 Abs. 2 der Verfassung des Kantons Graubünden als „Landeskirche“ anerkannt sei, habe die öffentlich-rechtliche Anerkennung der römisch-katholischen Kirche (vgl. Art. 98 Abs. 1) als solcher „keine wesentliche rechtliche Bedeutung“. Der Bischof sei aber dadurch neben der „Landeskirche“ ebenfalls „Ansprechpartner des Kantons“, Giusep Nay, in: Otmar Bänziger/ Reto Mengiardi/Marco Toller & Partner (Hrsg.), Kommentar zur Verfassung des Kantons Graubünden, 2009, Art. 98, Rz 5. 26 Vgl. Tappenbeck (Fn. 8), S. 27, der darauf hinweist, daß in einigen Kantonen unterhalb der vom Staat erlassenen Gesetzgebung von der Landeskirche verfasste „Kirchenordnungen“ bestehen, in denen theologische Aussagen und Festlegung von gottesdienstlichen Feiern gemacht werden. Zur Staatsähnlichkeit vgl. ebd., S. 101.

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Die Garantie umfaßt einen Standard, wie er auch in Europa gilt, und ist nicht zu beanstanden.27 Von besonderer Bedeutung ist hierbei, daß das Schweizerische Bundesgericht in zwei Urteilen von 2007 und 2012 festgehalten hat, daß der Staat von einer Person, die aus den staatskirchenrechtlichen Körperschaften austritt, nicht verlangen dürfe, daß sie auch ein Antibekenntnis gegen die eigentliche Kirche ablege. Man kann also, von staatlicher Warte aus betrachtet, aus den staatskirchenrechtlichen Körperschaften austreten und dennoch voll und ganz Glied der römisch-katholischen Kirche bleiben. Die Schweizer Diözesen teilen diese Auffassung und haben für Gläubige, die aus den staatskirchenrechtlichen Körperschaften austreten, Fonds geschaffen, so daß sie durch Spenden ihrer Unterstützungspflicht gegenüber der Kirche gemäß c. 222 CIC nachkommen können.28 Eine explizite Garantie der korporativen Religionsfreiheit existiert demgegenüber nicht.29 Auf der korporativen Ebene werden der eigentlichen katholischen Kirche zwar legislatorisch nicht direkt Steine in den Weg gelegt, sich frei zu organisieren. Die kanonische Organisation (Pfarreien, Bistümer) hat jedoch – wie oben dargelegt – im Wesentlichen keine zivilrechtliche Relevanz. Milde und aus protestantischer schweizer Sicht ausgedrückt, kann gesagt werden, daß „die Forderung nach entschiedener Rücksichtnahme des Verfassung- und Gesetzgebers auf das Selbstverständnis kirchlicher Gemeinschaften auch heute noch zu einem guten Teil unerfüllt“ bleibt.30 In einem Aufsatz zum Kanton Luzern bezeichnete 27 Vgl. dazu das Standardwerk von Peter Karlen, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Schweiz, 1988; die geschichtlichen Hintergründe bietet Paul Steiner, Die religiöse Freiheit und die Gründung des Schweizerischen Bundesstaats, 1976. 28 BGE 134 I 75; das Urteil von 2012 wurde publiziert, aber nicht in der amtlichen Sammlung. Vgl. zur Problematik Martin Grichting, Die Bewertung des ,Kirchenaustritts‘ im Bistum Chur und der Umgang mit ,Austretenden‘. Der Primat der Ekklesiologie und der Pastoral, in: Georg Bier (Hrsg.), Der Kirchenaustritt. Rechtliches Problem und pastorale Herausforderung, 2013, S. 189. 29 Vgl. Peter Karlen, Die korporative religiöse Freiheit in der Schweiz, in: René Pahud de Mortanges (Hrsg.), Das Religionsrecht der neuen Bundesverfassung, 2001, S. 33. In einem Urteil vom 17.12.2018 (BGE 145 I 121) hat das Bundesgericht zwar erklärt, die katholische Kirche sei „Grundrechtsträgerin“ und könne sich auf alle Grundrechte berufen, die nicht ihrer Natur nach nur natürlichen Personen zustehen könnten (1.4). Es bleibt jedoch unklar, was dies bedeutet, wenn im gleichen Urteil zugleich gesagt wird, es verstosse nicht gegen die Religionsfreiheit, wenn katholische staatskirchenrechtliche Körperschaften Initiativen unterstützten, die mit den Glaubensüberzeugungen der katholischen Kirche unvereinbar seien (5.3), vgl. unten Abschnitt IX in diesem Beitrag. 30 Ueli Friederich, Kirchen und Glaubensgemeinschaften im pluralistischen Staat. Zur Bedeutung der Religionsfreiheit im schweizerischen Staatskirchenrecht, 1993, S. 382. Ergänzend führt der Autor aus: „Obwohl der landeskirchliche Verband in katholischer Optik nur die Bedeutung einer staatlichen Hilfskonstruktion mit zudienender Funktion hat, ist sein Einfluß auf das kirchliche Leben unter Umständen beträchtlich. Auch wenn das staatliche Recht die kanonische Organisation der Kirche als solche nicht antastet, verletzt eine umfassende ausschließlich staatliche Regelung der landes-

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der katholische deutsche Staatskirchenrechtler Joseph Listl das staatskirchenrechtliche System als „Luzerner Variante der ,Constitution Civile du Clergé‘“ und die „Landeskirche“ als „Gegenkirche“.31 Und der Offizial des Bistums Chur, Joseph M. Bonnemain, bemerkte, man könne im Falle des staatskirchenrechtlichen Systems der Schweiz von einem „demokratischen Volks-Josephinismus sprechen – eigentlich von einem solchen der Oligarchie des staatskirchlichen Apparates“. Folglich forderte er die Abschaffung der „Landeskirchen“.32 In einem Beitrag zur „Kantonalkirche Schwyz“ konstatierte er 1997, es liege bei den „Kantonal- bzw. Landeskirchen nach schweizerischem Modell“ eine „grundsätzliche Fehlkonstruktion“ vor. Der Staat wolle nicht in eine „wirkliche Partnerschaft“ mit der Kirche als solcher eintreten, sondern er wolle eine Kirche „im Korsett der eigenen Kriterien“ haben.33 Die Schweiz neigt zudem nach wie vor dazu, in ihre Bundesverfassung einzelne Religionsgemeinschaften diskriminierende Normen aufzunehmen. So wurden seit 1874 und bis 1973 das Wirken der Jesuiten und die Gründung neuer Klöster verboten.34 Ebenfalls wurde die Veränderung der Bistumseinteilung bis zum Jahr 2001 staatlicher Zustimmung unterworfen.35 Seit einer Volksabstimmung im Jahr 2009 verbietet Art. 72 Abs. 3 der Bundesverfassung die Errichtung von Minaretten.

kirchlichen Organisation deshalb unter Umständen die Kirchenfreiheit“, ebd., S. 416; vgl. dazu auch Felix Hafner, Kirchen im Kontext der Grund- und Menschenrechte, 1992, S. 300. 31 Joseph Listl, Keine Gewährleistung der Kirchenfreiheit nach der Schweizerischen Bundesverfassung. Das Verhältnis von Staat und Kirche im Kanton Luzern, AfkKR 160 (1991), S. 89 (96, 100). 32 Vgl. Joseph M. Bonnemain, Die Schweizer Kantonalkirchen und die Mitverantwortung der Gläubigen bei der Verwaltung des kirchlichen Vermögens, in: Pontificium Consilium de legum textibus interpretandis (Hrsg.), Ius in vita et in missione ecclesiae. Acta Symposii Internationalis Iuris Canonici occurrente X Anniversario promulgationis Codicis Iuris Canonici diebus 19–24 aprilis 1993 in Civitate Vaticana celebrati, 1994, S. 527 (533, 541). 33 Ders., Verfassung der römisch-katholischen Kantonalkirche Schwyz. Neuaufleben des Staatskirchentums am Ende des 20. Jahrhunderts?, in: Richard Puza/Andreas Weiss (Hrsg.), Iustitia in Caritate. Festgabe für Ernst Rössler zum 25jährigen Dienstjubiläum als Offizial der Diözese Rottenburg-Stuttgart, 1997, S. 693 (714). 34 Vgl. Adrian Loretan, Der Jesuitenartikel in der Schweizer Bundesverfassung von 1848 und 1874 – Ein rechtshistorischer Beitrag, in: Elmar Güthoff/Stephan Haering (Hrsg.) Ius quia iustum. Festschrift für Helmuth Pree zum 65. Geburtstag, 2015, S. 1137. 35 Vgl. Urs Josef Cavelti, Neueinteilung der Bistümer in der Schweiz. Historische, kirchliche und staatskirchenrechtliche Aspekte, in: Louis Carlen (Hrsg.) Neue Bistumsgrenzen – Neue Bistümer, 1992, S. 118.

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V. Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften Im Wesentlichen sind – im dargelegten Sinn – in den Schweizer Kantonen die evangelisch-reformierte und die römisch-katholische Kirche „anerkannt“ als Körperschaften des öffentlichen Rechts. In einigen Kantonen ist darüber hinaus seit der Zeit des Kulturkampfs die christ-katholische Kirche öffentlich-rechtlich „anerkannt“, analog zu den etablierten Kirchen. Zwei jüdische Gemeinschaften verfügen im Kanton Zürich über eine staatliche Anerkennung, die jedoch nicht dazu führt, daß sie öffentlich-rechtlichen Charakter besitzen. Diese Form der „Anerkennung“ bringt es jedoch mit sich, daß diese Gemeinschaften an gewissen Rechten der staatskirchenrechtlichen Körperschaften partizipieren. Es handelt sich dabei etwa um das Recht, aus staatlichen Registern Auskünfte über ihre Mitglieder zu erhalten sowie um den Zugang zu Mitgliedern, die sich in staatlichen Anstalten wie Krankenhäusern oder Gefängnissen aufhalten. Diese Form der „Anerkennung“ wird als „kleine Anerkennung“ bezeichnet. Sie wird in analoger Form jüdischen Gemeinschaften in fünf weiteren Kantonen zuteil.36 In Basel-Stadt genießen die Aleviten eine ähnliche Form dieser „Anerkennung“.37 Es wird zudem in mehreren Kantonen ventiliert, muslimische Gemeinden ebenfalls in diesem Sinn „anzuerkennen“, so etwa in St. Gallen und Zürich. Die Projekte sind jedoch aufgrund des ramponierten gesellschaftlichen Ansehens des Islam ins Stocken geraten.38 Die nicht öffentlich-rechtlich „anerkannten“ Religionsgemeinschaften sind ins Privatrecht verwiesen und organisieren sich vorwiegend als Vereine, teilweise auch als Stiftungen, die dann jedoch der staatlichen Aufsicht unterstellt sind. Auch die eigentliche römisch-katholische Kirche befindet sich faktisch im

36 Vgl. Adrian Loretan/Quirin Weber/Alexander H.E. Morawa, Freiheit und Religion. Die Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften in der Schweiz, 2014, S. 25 f. Dieses Werk ist vor allem darauf ausgerichtet, der „Anerkennung“ von islamischen Gemeinschaften den Boden zu bereiten; vgl. auch Engi (Fn. 2), S. 644. 37 Vgl. www.grosserrat.bs.ch/de/geschaefte-dokumente/datenbank?such_kategorie= 1&content_detail=200104731 (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 38 Vgl. zum Kanton St. Gallen: www.sg.ch/news/1/2017/03/bewaehrtes-religions rechtliches-system-fortfuehren.html (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). Laut dem Voranschlag 2018 vom 25.9.2017 der Römisch-katholischen Körperschaft des Kantons Zürich hat die für die Religionsgemeinschaften zustände Direktion des Innern des Kantons Zürich einen Prozess zur Anerkennung islamischer Gemeinschaften in Gang gesetzt, der von der Körperschaft und der Evangelisch-reformierten Landeskirche finanziell unterstützt wird: www.zhkath.ch/organisation/synode/sitzungen/2019/13-juni-2019/rech nung-2018-der-zentralkasse, S. 12 (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). Anläßlich der Vorstellung von „7 Leitsätzen zur Religion“ am 29.11.2017 ging der Regierungsrat des Kantons Zürich (Exekutive) allerdings vorsichtiger ans Werk und formulierte lediglich kryptisch: „Zum Umgang mit verfassungsrechtlich nicht-anerkannten Religionsgemeinschaften braucht es klare Handlungsgrundlagen“, vgl. www.zh.ch/internet/de/aktuell/ news/medienmitteilungen/2017/leitsaetze-zum-verhaeltnis-zwischen-staat-und-religions gemeinsch.html (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020).

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Privatrecht, weil sie in der Regel über Stiftungen und Vereine am weltlichen Rechtsverkehr teilnimmt. Betreffend das Verhältnis der katholischen Kirche zu den vom Staat geschaffenen römisch-katholischen Körperschaften wurde seitens des Apostolischen Stuhls versucht, die Rolle dieser Organisationen genauer zu definieren. Auslöser dafür war, daß die „Landeskirchen“ im Bistum Chur in den Jahren 1990 bis 1997 den damaligen Bischof von Chur boykottierten, indem sie den Pro-Kopf-Beitrag, den sie dem Bistum bisher auf freiwilliger Basis bezahlt hatten, nicht mehr zur Verfügung stellten.39 In den Jahren 2002–2008 wurde sodann der Bischof von Basel, Kurt Koch, in einen Konflikt verwickelt, der dem Apostolischen Stuhl deutlich machte, daß das staatskirchenrechtliche System der Schweiz potentiell schismatischen Charakter hat. Ein nicht einmal in der Diözese Basel inkardinierter Priester, der lediglich als Pfarradministrator amtete, wurde vom Bischof wegen unsäglicher Attacken auf den Bischof und die Kirche des Amtes enthoben und suspendiert. Die betroffene Kirchgemeinde von Röschenz (Kanton BaselLand) stellte sich jedoch hinter den von ihr angestellten Priester, zahlte ihm weiterhin den Lohn und stellte ihm die pfarreiliche Infrastruktur zur Verfügung, so daß er auch als suspendierter Priester während Monaten als Pfarradministrator „amten“ konnte.40 Der Apostolische Stuhl verlangte daraufhin von der Schweizer Bischofskonferenz die Durchführung einer Tagung41 und die Einrichtung einer Kommission, welche die Situation studieren und Verbesserungsvorschläge machen sollte. Daraus resultierte schließlich im Jahr 2012 ein „Vademecum für die Zusammenarbeit von katholischer Kirche und staatskirchenrechtlichen Körperschaften in der Schweiz“, welches von der Schweizer Bischofskonferenz herausgegeben wurde.42 Sie hat es sich, wie sie vermerkt hat, „zu eigen gemacht“ und zuhanden der Diözesanbischöfe und den staatskirchenrechtlichen Körperschaften „zur Um39

Vgl. Grichting (Fn. 5), S. 226. Vgl. Urs Brosi, Fallstudie ,Röschenz‘, in: Libero Gerosa/Ludger Müller (Hrsg.), Katholische Kirche und Staat in der Schweiz, 2010, S. 200, und Arturo Cattaneo, Lehren aus dem ,Fall Röschenz‘, ebd., S. 209; vgl. auch Christoph Winzeler, Ein Kirchenkonflikt in der katholischen Schweiz. Bemerkungen zum ,Fall Röschenz‘, ZevKR 53 (2008), S. 341. 41 Die Tagung fand am 3. und 4.11.2008 in Lugano statt. Deren Referate sind publiziert in: Libero Gerosa/Ludger Müller (Hrsg.), Katholische Kirche (Fn. 40); Französisch: Libero Gerosa/René Pahud de Mortanges (Hrsg.), Eglise catholique et Etat en Suisse, 2010; Italienisch: Libero Gerosa (Hrsg.), Chiesa Cattolica e Stato in Svizzera. Atti del Convegno della Conferenza dei Vescovi Svizzeri. Lugano, 3–4 novembre 2008, 2009. 42 www.bischoefe.ch/dokumente/anordnungen/vademecum (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). Unterlegt ist das „Vademecum“ mit einem wissenschaftlichen Band, vgl. Gerosa, Staatskirchenrechtliche Körperschaften (Fn. 20); Italienisch: Libero Gerosa (Hrsg.), Le corporazioni ecclesiastiche di diritto pubblico al servizio della missione della Chiesa cattolica in Svizzera, 2014. 40

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setzung in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen verabschiedet“. Die kantonalen „Landeskirchen“, zusammengefaßt in der RKZ, haben sich jedoch auf freundliche Art von dem Papier distanziert.43 Es ist ins Leere gelaufen und wird seither ignoriert. Anliegen des „Vademecum“ war es, Grundsätze der kirchlichen Leitung in Erinnerung zu rufen. Dies sollte erklärtermaßen geschehen angesichts der Tatsachen, daß die Schweizer Eidgenossenschaft und die Kantone nicht bereit sind, die römisch-katholische Kirche als solche anzuerkennen, und daß sie wohl auch in Zukunft nicht bereit sein werden, darauf zu verzichten, die Katholiken außerhalb der Kirche in Strukturen, die ihr wesensfremd sind, nochmals neu zu organisieren. Es ging im „Vademecum“ erklärtermaßen nicht darum, das geltende System zu stürzen, sondern „das staatskirchenrechtliche System in Theorie und Praxis so gut wie möglich dem Selbstverständnis der Kirche anzupassen und zu optimieren“ (1.3). Insbesondere wurde daran erinnert, daß es in der Kirche nur eine Leitung geben könne, die theologisch durch ihr Selbstverständnis legitimiert sei: die Bischöfe zusammen mit ihren Priestern. Die staatskirchenrechtlichen Körperschaften könnten deshalb nur „helfender sowie unterstützender Natur“ sein und „auxiliaren Charakter“ besitzen (1.4.).44 Um Mißverständnisse zu vermeiden, sollten für die staatskirchenrechtlichen Strukturen deshalb Begriffe nicht verwendet werden, die theologisch oder kirchenrechtlich schon besetzt seien. Die kantonalen Körperschaften sollten also nicht länger als „Landeskirche“ bezeichnet werden, deren Parlamente nicht als „Synode“ (2.2.). Ferner sollte vermieden werden, die Körperschaften als Vertreter der katholischen Kirche gegenüber dem Staat und der Gesellschaft zu bezeichnen, denn diese Aufgabe stehe den Bischöfen zu. Ebenfalls sollten Körperschaften auf pfarreilicher und kantonaler Ebene nicht als Repräsentanten der Gläubigen gegenüber ihren Bischöfen betrachtet und bezeichnet werden (2.3.) Die Körperschaften wurden ferner daran erinnert, daß ihre Auf43 https://www.rkz.ch/index.php?eID=tx_securedownloads&p=28&u=0&g=0&t=159 1526761&hash=93f73a6b2e713d05396c75fb5de6ca733cec3331&file=fileadmin/user_ upload/Dokumente/3._Kirche_und_Recht/3.1_Postitions-_Strategiepapiere/3.1.2014062 8_Empfehlungen_Vademecum_d.pdf (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 44 Besonders kraß formuliert die „Verfassung“ der Römisch-katholischen „Landeskirche“ Luzern im Gegensatz dazu in Art. 6 Abs. 1: „Landeskirche und Kirchgemeinden sorgen für die religiöse Betreuung der Katholikinnen und Katholiken im Kanton Luzern durch die römisch-katholische Kirche (. . .)“. Die eigentliche Kirche wird dadurch die Rolle als Auftragsnehmerin der staatskirchenrechtlichen Körperschaft zugewiesen, was die pastorale Tätigkeit betrifft, vgl. www.lukath.ch/wp-content/uploads/ 2015/09/01_verfassung.pdf (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). Zur Genese des heutigen staatskirchenrechtlichen bzw. vermögensrechtlichen Systems im Kanton Luzern vgl. Peter Emmenegger, Die Finanzausgleichsbestrebungen unter den Röm.-kath. Kirchgemeinden im Kanton Luzern, 1984. Bereits im Jahr 1970 hatte sich Eugenio Corecco kritisch zum Schweizer „Landeskirchensystem“ geäussert, zum Kanton Luzern im Besonderen, vgl. Corecco, ,Landeskirche‘ (Fn. 19), S. 17.

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gabe darin bestehe, materielle, also finanzielle Voraussetzungen für die kirchliche Pastoral zur Verfügung zu stellen. Ihre Mittel dürften sie deshalb nicht für Aktionen und Einrichtungen einsetzen, die mit der Sendung der Kirche unvereinbar seien. Die Finanzierung pastoraler Aufgaben ändere im Übrigen nichts daran, daß für die inhaltliche Ausrichtung pastoraler Werke oder kirchlicher Medien die Bischöfe zuständig seien (2.4.). Diese Grundsätze gelte es allenfalls in Abmachungen zu präzisieren und festzuschreiben, auch um eine größere Verläßlichkeit zu erreichen. Abschließend wurde noch das Problem der Pfarrerwahl angesprochen. Diese beruht als Präsentation in Kantonen katholischer Tradition auf althergebrachten Patronatsrechten.45 In protestantischen Kantonen ist sie im Sinne des Staatskirchentums oktroyiert.46 In solchen Kantonen besteht zudem meist die obligatorische periodische „Wiederwahl“, welche vom „Vademecum“ als „schweren unzulässigen Eingriff in die Religionsfreiheit“ taxiert wird (4.5.). Empfohlen wird hier die Ablösung der „Wiederwahl“ durch die befristete Ernennung des Pfarrers seitens des Diözesanbischofs gemäß c. 522 CIC.47 Ferner wendet sich das „Vademecum“ gegen die in Analogie zu den Pfarrern von verschiedenen „Landeskirchen“ eingeführte „Wahl“ und „Wiederwahl“ von Laien, die gemäß c. 517 § 2 CIC in einer Pfarrei tätig sind („Gemeindeleiter“, „Pfarreibeauftragte“). Diese Praxis solle wieder abgeschafft werden (4.7.), was aber von den „Landeskirchen“ bisher ebenfalls ignoriert worden ist.

VI. Wirkungsmöglichkeiten der Kirchen und Religionsgemeinschaften Abgesehen vom Minarettverbot der Bundesverfassung (Art. 72 Abs. 3) wird man kaum davon sprechen können, daß die Religionsgemeinschaften in ihren Wirkungsmöglichkeiten durch gesetzliche Hemmnisse direkt behindert werden. Die kanonischen (kirchenrechtlichen) Rechtspersonen der katholischen Kirche sind ja nicht verboten. Problematisch ist die Praxis. Die katholische Kirche wird – wie oben dargelegt – faktisch dazu gezwungen, mit Zweitstrukturen zu leben, von welchen der damalige Bischof von Basel und heutige Kurienkardinal Kurt Koch festgestellt hat, daß sie sich „mit dem katholischen Kirchenverständnis reiben und strukturell mit der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht in Übereinstimmung zu bringen sind“.48 45

Vgl. dazu und für weiterführende Literatur: Grichting (Fn. 3), S. 88. Vgl. zur Genese der „Pfarrerwahl“ im Kanton Zürich: Grichting (Fn. 5), S. 55 ff. und 93 ff. 47 Vgl. Martin Grichting, Von der ,Wiederwahl‘ der Pfarrer durch die Kirchgemeinde zur befristeten Ernennung durch den Diözesanbischof, in: Gerosa (Hrsg.), Staatskirchenrechtliche Körperschaften (Fn. 20), S. 101. 48 Kurt Koch, Der Bischof als erster Verkündiger, Liturge und Leiter der Ortskirche, SKZ 168 (2000), S. 179. Im gleichen Kontext bedauert Koch auch „das Missverständnis, daß Synodalität und Demokratie deckungsgleich sind“. 46

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Die religiöse Pluralisierung der Gesellschaft hat ferner zur Folge, daß sich die staatliche Tätigkeit tendenziell ausweitet. So ist in einigen Kantonen der konfessionelle Religionsunterricht gänzlich aus den Schulen verschwunden. Ersetzt wurde er – etwa im Kanton Zürich – durch staatliche Religionskunde. Auch der Zugang der Religionsgemeinschaften zu ihren Gläubigen in staatlichen Einrichtungen wird – mit dem Argument des Datenschutzes – zusehends eingeschränkt. Die Spitalseelsorge steht zudem in der Gefahr, durch staatliche „spiritual care“ ersetzt zu werden. Zu beachten ist allerdings, daß es in diesen Fragen zwischen den Kantonen große Unterschiede gibt, nicht zuletzt in der Verwaltungspraxis. Die Geldwäschereiproblematik und der radikalislamische Terror haben in der Schweiz für die Religionsgemeinschaften ferner zur Folge gehabt, daß der Staat sein Augenmerk auf die kirchlichen Stiftungen gerichtet hat. Diese müssen sich bis 2020, nach einer Änderung des Zivilgesetzbuchs, ins Handelsregister eintragen lassen, wovon sie bisher befreit waren.49 Ferner bestehen Bestrebungen, den Religionsgemeinschaften die Aufsicht über ihre Stiftungen gänzlich zu entziehen, dies mit der Begründung, diese Stiftungen könnten islamistischen Terror finanzieren oder der Geldwäscherei dienen.

VII. Kirchengüter und Kirchenfinanzierung Wie dargelegt, kennen die meisten Schweizer Kantone ein Kirchensteuersystem. Nur die Kantone Genf und Neuenburg folgen dem französischen Trennungssystem, allerdings davon abweichend durch eine „freiwilligen Kirchensteuer“. In den Kantonen Waadt und Wallis liegt noch eine direkte Finanzierung der Kirche aus allgemeinen Staatsmitteln vor. Einzelne Kantone kennen zudem noch „Kultusbudgets“. So wird etwa im Kanton Zürich für die reformierte Landeskirche und die römisch-katholische Körperschaft jährlich rund 50 Mio. Franken zur Verfügung gestellt für Leistungen mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung.50 Die Kirchensteuer des Gläubigen geht nicht an die Diözese, so daß der Diözesanbischof darüber verfügen könnte, sondern an die örtliche Kirchgemeinde.51 Deshalb müßte man korrekterweise davon sprechen, daß es sich um eine „Kirch49 Vgl. Hans Michael Riemer, GAFI-Umsetzung: Pflicht zur Eintragung ins Handelsregister auch für kirchliche Stiftungen und Familienstiftungen, Schweizerische Zeitschrift für Wirtschafts- und Finanzmarktrecht/SZW 88 (2016), Nr. 1, S. 70; vgl. auch Patricia Cartier, Fondations ecclésiastiques – Nouvelle obligation d’inscription au registre du commerce, Zeitschrift zur Rechtsetzung und Praxis im Gesellschafts- und Handelsregisterrecht (= REPRAX), 18 (2016), Heft 2, S. 1. 50 Vgl. dazu Thomas Widmer et. al., Kirchliche Tätigkeiten mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung im Kanton Zürich, Zürcher Poltik- & Evaluationsstudien, Nr. 18, 2017. 51 Vgl. Urs Josef Cavelti, Das schweizerische Staatskirchenrecht und das neue kirchliche Vermögensrecht, in: Moritz Amherd/Louis Carlen (Hrsg.), Das neue Kirchenrecht. Seine Einführung in der Schweiz, 1984, S. 155.

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gemeindesteuer“ handelt.52 Die Kirchgemeinde stellt die Priester und die übrigen in der Seelsorge Tätigen zivilrechtlich an und besoldet sie, was immer auch die soziale Vorsorge umfaßt. In vielen Kantonen besteuern die Kirchgemeinden, da sie Territorialkörperschaften sind, auch die juristischen Personen.53 Die Steuern physischer und juristischer Personen machen zusammen mit den Mitteln, welche in gewissen Kantonen noch zusätzlich aus allgemeinen Staatsmitteln stammen, gesamtschweizerisch für die katholische Kirche jährlich etwa eine Milliarde Franken aus, dies bei gut drei Millionen Katholiken. Die evangelisch-reformierten Kirchgemeinden und Landeskirchen kommen gesamthaft auf etwa die gleiche Summe.54 Eine „Landeskirche“ verfügt je nach Kanton über ein großes Budget, das im Fall der römisch-katholischen Körperschaft des Kantons Zürich etwa 60 Millionen Franken ausmacht.55 Sie finanziert damit die überpfarreiliche Seelsorge, die Kategorialseelsorge, die Dienststellen etwa für Katechese oder Caritas und die Medienarbeit. Der Bischof von Chur – der hier für seine übrigen Mitbrüder in der Schweiz steht – verfügt demgegenüber nur über sehr bescheidene finanzielle Mittel. Das Budget des Churer Bistumskasse beträgt rund 2,7 Millionen Franken. In der Regel erhält das Bistum einen Pro-Kopf-Beitrag von den in der Diözese gelegenen „Landeskirchen“. Dieser Beitrag liegt bei etwa 3 Franken pro Gläubigem. Der Beitrag ist zudem freiwillig. Da die „Landeskirchen“ gegenüber dem Diözesanbischof rechtlich unabhängig sind, hat er keinen einklagbaren Anspruch auf dieses Geld. Er kann damit ein personell schwach dotiertes Ordinariat unterhalten. Eigene pastorale Aktivitäten können jedoch nicht finanziert werden.56

52 Darauf hat schon hingewiesen: Hans Beat Noser, Pfarrei und Kirchgemeinde. Studie zu ihrem rechtlichen Begriff und grundsätzlichen Verhältnis, 1957, S. 148 f. 53 Immer noch grundlegend dafür ist das Urteil des höchsten schweizerischen Gerichts, des Schweizerischen Bundesgerichts, vom 6. Oktober 1976 (BGE 102 Ia, S. 468). Alle späteren Entscheidungen stützen sich auf die dort vorgetragene Argumentation, die sich im Wesentlichen darauf beschränkt, in formeller Hinsicht auf die über hundertjährige Tradition der Besteuerung juristischer Personen durch Religionsgemeinschaften zu verweisen. Materiell ist die Tatsache, daß die staatskirchenrechtlichen Körperschaften Gebietskörperschaften darstellen, ausschlaggebend. Vgl. zu dieser Steuer, versehen mit Zahlenmaterial und Literatur: Raimund Süess/Christian R. Tappenbeck/René Pahud de Mortanges, Die Kirchensteuern juristischer Personen in der Schweiz. Eine Dokumentation, 2012. Im Kanton Graubünden gehen die Steuern juristischer Personen direkt an die beiden „Landeskirchen“ und sind im Falle der katholischen „Landeskirche“ praktisch deren einzige Einnahmequelle. 54 Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2007. Neuere gesamtschweizerische Zahlen sind nicht verfügbar. Vgl. dazu Michael Marti/Eliane Kraft/Felix Walter, Dienstleistungen, Nutzen und Finanzierung von Religionsgemeinschaften in der Schweiz, 2010, S. 29. 55 Vgl. dazu den Finanzbericht 2016 Römisch-katholischen Körperschaft des Kantons Zürich: www.zhkath.ch/ueber-uns/service/publikationen/jahresberichte/archiv-jah resberichte-1 (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 56 Vgl. Ries (Fn. 19), S. 370.

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Die „Landeskirchen“ haben sich schließlich auf der nationalen Ebene verbunden in der so genannten „Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz“ (RKZ). Sie finanziert gesamtschweizerische kirchliche Organisationen. Unter anderem ist sie der wesentliche Geldgeber der Schweizer Bischofskonferenz und ihrer Unterorganisationen, die jährlich mit rund 2,125 Million Franken, ebenfalls auf freiwilliger Basis, unterstützt werden.57 Als Faustregel geht man davon aus, daß das Verhältnis der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel auf den Ebenen von Kirchgemeinde, „Landeskirche“ und nationaler Ebene 100:10:1 ist.58 Die Kirchgemeinden verfügen also über sehr viele Mittel. Sie zahlen jährliche Pfarrerlöhne bis zu 150.000 Franken. Schwieriger ist es in einigen Kantonen, auf überregionaler Ebene Projekte zu finanzieren. Prekär ist die Lage für die Diözesen und auf nationaler Ebene. Welche sind die Folgen dieses vermögensrechtlichen Systems für den Alltag der Kirche? In den traditionell katholischen Gebieten der Schweiz existiert dieses System, zumindest auf Pfarreiebene, schon länger. So lange die Katholiken in der Schweiz bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts unter dem Druck der liberalprotestantischen Mehrheit standen, hat das System in der Praxis im Wesentlichen durchaus funktioniert. Denn eine Minderheit muß immer zusammenhalten. Wenn alle in einer gesunden Bandbreite katholisch sind, werden sie auch in demokratischen Strukturen nichts anderes beschließen als das, was katholisch ist. Die gleichen Strukturen stehen heute jedoch in einem anderen gesellschaftlichen Kontext. Die Schweiz ist ein religiös und weltanschaulich pluralistisches Land geworden. Die Bandbreite der Meinungen unter den Katholiken ist vergleichbar mit den allgemeingesellschaftlichen Verhältnissen. So schlägt der Pluralismus stark auf die Kirche durch, und zwar mittels Institutionen, die über das Geld der Kirche verfügen. Zweifellos arbeiten auch heute viele Laien in diesem System mit in der Absicht, der Kirche zu dienen. Sie tun es sicher in bester Absicht. Aber es ist klar, daß sie sich nicht immer der Dynamik von Institutionen entziehen können, die demokratisch und damit auf Mehrheitsfähigkeit ausgelegt sind. Und das bleibt nicht ohne Folgen. So hat der frühere Bischof von Basel und heutige Präsident des Päpstlichen Rats für die Einheit der Christen, Kardinal Kurt Koch, einmal bemerkt, seine Aufgabe als Diözesanbischof bestehe weniger in

57 Vgl. dazu den Jahresbericht 2016 unter www.rkz.ch/fileadmin/user_upload/Doku mente/1._Wer_wir_sind/1.5_Jahresberichte/1.5.2016_Jahresbericht_2016_d.pdf (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 58 Vgl. Alois Odermatt, Kirchensteuern in der Schweiz. Öffentlich-rechtliche Körperschaften mit pastoraler Bedeutung, Una Sancta 53 (1998), S. 259. Neuere Schätzungen sprechen von 85 % für die Kirchgemeindeebene, 13 % für die kantonale und 1–2 % für die nationale Ebene, vgl. Daniel Kosch, Akzeptanz und Nähe zu den Gläubigen durch den Einzug der Steuern in den Kirchgemeinden der Schweiz, in: Karlies Abmeier (Hrsg.), Geld, Gott und Glaubwürdigkeit, 2016, S. 185.

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der „effektiven Leitung“ als vielmehr in der „affektiven Repräsentation“. Und er hat sich ohne zu zögern mit Queen Elisabeth, einer konstitutionellen Monarchin, verglichen.59 In der Tat weist das Schweizer Kirchenfinanzierungssystem dem Bischof eine eher zeremonielle Rolle zu. Darin teilt er das Schicksal mit dem Pfarrer. Dieser und die weiteren Priester sowie die Laienmitarbeiter sind Lohnempfänger der Kirchgemeinde. Sie werden also von ihren eigenen Gläubigen, die als Staatsbürger handeln, angestellt und besoldet. Und in mehreren Kantonen kann der Pfarrer – wie erwähnt – von seinen Gläubigen durch Nicht-Wiederwahl entlassen werden. Vor allem die Priester sind deshalb gut beraten, sich bei der Verkündigungstätigkeit vorsichtig zu verhalten. Und der Generalsekretär der RKZ schrieb in diesem Sinn den Körperschaften zwecks Erhaltung ihrer materiellen und finanziellen Stellung ins Stammbuch: „Sie müssen ein Interesse daran haben, extreme, intern und/oder nach außen hin polarisierende, den Eindruck von Intoleranz erweckende Formen von religiösem Ausdruck und religiöser Präsenz in der Öffentlichkeit zurückzubinden und sich aktiv und möglichst gemeinsam für friedliche und friedensfördernde, den Zusammenhalt der Gesellschaft fördernde, für Nöte aller Art sensible und der Welt nicht ab-, sondern zugewandte Formen von Religion einzusetzen“.60 Manche Priester begrüßen freilich das Schweizer Kirchensteuersystem, weil es sie relativ unabhängig macht vom Diözesanbischof, vor allem in materieller Hinsicht. Diesem bleibt nicht viel mehr als das Wort, um zu versuchen, der kirchlichen Lehre und Disziplin Nachachtung zu verschaffen. Wenn Laientheologen predigen in der Eucharistiefeier, wenn Priester die Generalabsolution erteilen oder wenn im Bereich der Ökumene Unerlaubtes geschieht, kann der Bischof letztlich wenig tun, denn die Anstellung und der Lohn der von ihm kirchlich Beauftragten hängen von der Kirchgemeinde ab, der er nichts zu befehlen hat. Nach dem medial brisanten und erst noch gescheiterten Versuch, den Pfarradministrator von Röschenz des Amtes zu entheben, hat sich kein Schweizer Bischof mehr daran versucht, der kirchlichen Ordnung Nachachtung zu verschaffen durch die Abberufung eines fehlbaren Geistlichen. Hinzu kommt, daß sich das kirchliche Strafrecht in den vorliegenden Zusammenhängen nicht als tauglich erweist. Folglich sind Bischof und Pfarrer immer darauf verwiesen, mit den in den Kirchgemeinden und „Landeskirchen“ tätigen Laien, zu denen sich meist auch einige Priester gesellen, zu verhandeln und Kompromisse auszuhandeln.61 Der Bischof 59

Vgl. Koch (Fn. 48), S. 178. Daniel Kosch, Die öffentliche Finanzierung der katholischen Kirche in der Schweiz. Zahlen, Zusammenhänge und Zukunftsperspektiven, 2013, S. 42. 61 Vgl. Alois Odermatt, Synodale Ordnung durch Verhandeln und Vereinbaren. Eine Skizze über Bedeutung und Zukunft der staatskirchenrechtlichen Körperschaften am Beispiel der Kirchgemeinde, in: Pius Bischofberger/Giancarlo Collet/Kurt Helbling (Hrsg.), Verheißung und Anstoß. Festschrift für Josef Amstutz zum 60. Geburtstag, 1987, S. 181. 60

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ist in vielen Kantonen zudem gewissermaßen der Vertragspartner der „Landeskirchen“, die sich als Repräsentanten der Gläubigen verstehen.62

VIII. Formen institutioneller Kooperation von Staat und Kirchen sowie Religionsgemeinschaften Aufgrund des dargelegten staatskirchenrechtlichen Systems ist deutlich, daß der Begriff „Kooperation“ im Falle der Schweiz problematisch ist – jedenfalls in Bezug auf die römisch-katholische Kirche. Da sie als solche und ihre vom eigenen Selbstverständnis legitimierten Institutionen sowie Vertreter in rechtlicher Hinsicht vom Staat in der Regel ignoriert werden und dieser sich nach eigenen Vorstellungen sowie Prinzipien aus den Katholiken Repräsentanten schafft, mit denen er dann in Beziehung tritt, ist der Diözesanbischof oft gar nicht involviert in den Beziehungen zum Staat.63 Dieses Verhalten ist nicht in allen Kantonen gleich ausgeprägt. Lokal gibt es zum Teil formelle und informelle Kontakte zwischen Kantonsregierungen und Bischöfen. Teilweise wird der Diözesanbischof auch seitens der staatskirchenrechtlichen Behörden informiert oder zur Vernehmlassung eingeladen, wenn der Staat sich an die Körperschaft gewendet hat. In der Regel ist jedoch die Körperschaft der Ansprech- oder Vertragspartner des Staates, wenn es etwa um Fragen der pastoralen Mitwirkung der Kirche in staatlichen Einrichtungen geht oder wenn es sich um Vernehmlassungsverfahren im Zuge von Gesetzgebungsvorhaben handelt, welche die Religionsgemeinschaften betreffen. Auf der Ebene der Eidgenossenschaft wird die Schweizer Bischofskonferenz zu Vernehmlassungsverfahren im Zuge von Gesetzgebungsprojekten eingeladen.

IX. Geltung kirchlich bzw. religionsgemeinschaftlich gesetzten Rechts in der staatlichen Rechtssphäre Religionsgemeinschaftlich gesetztes Recht kommt in der Schweiz kaum zur Geltung.64 Das kanonische Recht betreffend die Rechtspersönlichkeit von Diö62 Vgl. etwa die Verfassung der römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern vom 1.1.1994 (www.lu.kath.ch). In § 7, lit. c., werden zu den Aufgaben der „Landeskirche“ gezählt die „Vertretung des Kirchenvolkes gegenüber den staatlichen und kirchlichen Behörden“. Auch das „Übereinkommen betreffend das Pfarrwahlrecht der Kirchgemeinden“ zwischen der „Katholischen Landeskirche von Graubünden“ und dem Bischof von Chur vom 20.11.1979 (www.gr.kath.ch) ist Ausdruck der Tatsache, daß die Gläubigen von der „Landeskirche“ vertreten werden. Die in der „Landeskirche“ versammelten Gläubigen werden dadurch zu Vertragspartnern ihres Bischofs. 63 Vgl. zu dieser Problematik Friederich (Fn. 30), S. 229. 64 So begnügt sich etwa der Kanton Zürich in seinem Kirchengesetz, in welchem er auf der Basis der Kantonsverfassung die „Landeskirchen“ und Kirchgemeinden organisiert, einzig damit, in § 13 Abs. 4 bei den Wählbarkeitsvoraussetzungen für die Pfarrer darauf hinzuweisen, diese richteten sich „nach dem Recht der kantonalen kirchlichen Körperschaften beziehungsweise der Kirchen“.

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zese und Pfarrei wird in den meisten Kantonen vom Staat ignoriert. Er schafft – wie erwähnt – statt dieser kirchlichen Institutionen die Kirchgemeinden und die „Landeskirchen“. Das Recht der evangelisch-reformierten Landeskirchen ist vom Staat erlassen, so daß man nicht davon sprechen kann, es gebe dort kirchliches Recht, das im staatlichen Bereich Geltung erlangen würde. Im Bereich des Privatrechts stellt der Staat verschiedene Rechtsfiguren zur Verfügung, etwa den Verein und die Stiftung, die auch als kirchliche Stiftung ausgestaltet sein kann, wenn die betreffende Religionsgemeinschaft dafür Gewähr bietet, daß sie die Aufsicht in genügender, staatsähnlicher Weise wahrzunehmen vermag. Man wird wohl am ehesten noch im Bereich des Stiftungsrechts davon sprechen können, daß kirchliches Recht Geltung im staatlichen Bereich erlangt, nämlich in subsidiärer Weise und sofern es nicht mit staatlichem Recht kollidiert.65 Die meisten von den katholischen „Landeskirchen“ erlassenen „Kirchenordnungen“ bzw. „Kirchenverfassungen“ nehmen jedoch im Sinne einer Anerkennung bzw. eines Vorbehalts Bezug auf das kanonische Recht. Es stellt sich allerdings immer die Frage, was dies konkret bedeutet. Generell kann festgehalten werden: Solche Verweise auf kanonisches Recht haben „lediglich deklaratorischen Charakter und dürften im Konfliktfall mit der staatskirchenrechtlichen Gesetzgebung nicht durchsetzbar sein, können hingegen als Auslegungshilfe dienen“.66 Seitens von Vertretern der staatskirchenrechtlichen Körperschaften wurde denn auch zugegeben, daß ein Verweis auf das kanonische Recht und die damit verbundene Lehre und Struktur der katholischen Kirche zwar „viel verspricht, letztlich aber zu nichts verpflichtet“.67 65

Vgl. Riemer (Fn. 17), Rz. 238–240. Paul Weibel, Vorbehalt des Kirchenrechts in den staatskirchenrechtlichen Ordnungen der Kantone, in: Gerosa (Hrsg.), Staatskirchenrechtliche Körperschaften (Fn. 20), S. 171. Vgl. für Tabellen betreffend alle Kantone, in denen Vorbehalte zugunsten des kanonischen Rechts bestehen, jeweils unter Angabe der Quelle und des Inhalts, ebd., S. 209. 67 Moritz Amherd, Kirchliche Räte und staatskirchenrechtliche Organe zwischen Konkurrenz und Kooperation, in: Louis Carlen (Hrsg.), Räte in der Kirche zwischen Recht und Alltag, 1987, S. 47. Besonders deutlich wurde dies angesichts des Finanzboykotts der Zürcher Körperschaft gegenüber dem Bischof von Chur in den Jahren 1990 bis 1997 (vgl. dazu auch oben V.). Obwohl in der „Kirchenordnung“ der Römischkatholischen Körperschaft des Kantons Zürich aus dem Jahr 1982 (Art. 3 Abs. 1 und 4) davon die Rede war, die Körperschaft „schaffe (. . .) die äusseren Voraussetzungen für die Entfaltung des kirchlichen Lebens“ und „finanziere die kirchliche Verwaltung und andere kirchliche Institutionen“, rechtfertigte ein von der Körperschaft bei Urs Josef Cavelti in Auftrag gegebenes Gutachten den Finanzboykott des Bischofs folgendermaßen: „Neben der grundlegenden und offen formulierten Aufgabe der Schaffung der äusseren Voraussetzungen für die Entfaltung des religiös-kirchlichen Lebens enthält Art. 3 der KO [Kirchenordnung] vier Einzelkompetenzen fest. Zwei davon sind bereits durch das kantonale Kirchengesetz vorgegeben, nämlich die Wahrnehmung regionaler und überregionaler Aufgaben (§ 2a KG; Art. 3.2 KO), und die Schaffung eines Finanzausgleichs unter den Kirchgemeinden (§ 13 KG; Art. 3.3 KO). Selbst gewählte und autonom gesetzte Aufgaben sind die Finanzierung der kirchlichen Verwaltung und anderer 66

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Es steht der eigentlichen Kirche einzig der Weg offen zu versuchen, über den zivilen Rechtsweg eine Körperschaft anzuhalten, sich in ihrer Tätigkeit gemäß ihrer Selbstverpflichtung auf kirchliches Recht zu verhalten. Dies ist allerdings mit der nicht alltäglichen Situation verbunden, daß ein Diözesanbischof vor einem staatlichen Gericht gegen seine vom Staat in Körperschaften verfaßten Gläubigen klagen muß. Ein in diesem Sinn unternommener Versuch im Bistum Chur hat dazu geführt, daß das Schweizer Bundesgericht mit einer Entscheidung vom 17.12.2018 höchstrichterlich hat Stellung nehmen müssen zur Frage, wie das Verhältnis zwischen der eigentlichen katholischen Kirche und den vom Staat geschaffenen Körperschaften geordnet ist.68 Im vorliegenden Fall ging es darum, daß die vom Staat geschaffene „Katholische Landeskirche von Graubünden“ finanziell die Organisation „adebar“ unterstützt hat, die sich mit den Leitlinien von „Planned Parenthood“ identifiziert, Abtreibungen als legitim betrachtet und deren Durchführung begleitet, Beratungsbestätigungen für straflose Abtreibungen bei Minderjährigen ausstellt, In-vitro-Fertilisation samt Samenspende befürwortet, pränatale Diagnostik mit allfälliger Abtreibung gutheißt, künstliche Verhütungsmethoden sowie die Pille danach propagiert und eine Sexualpädagogik betreibt, die im offenen Widerspruch zum katholischen Glauben steht. Das Bundesgericht entschied nun: „Diese [katholische Kirche] und ihre Gläubigen werden weder durch die Tätigkeit des Beigeladenen [,adebar‘] noch durch die Beitragsgewährung seitens der Beschwerdegegnerin [,Landeskirche‘] daran gehindert, ihre Glaubensüberzeugungen zu verbreiten oder zu leben, selbst wenn diese Tätigkeiten mit ihren Glaubensüberzeugungen nicht vereinbar sind“ (Nr. 5.3). Es ist somit den staatskirchenrechtlichen Körperschaften – obwohl sie vom Staat als „katholisch“ bezeichnet werden – höchstrichterlich erlaubt, gegen Grundsätze der katholischen Kirche zu handeln. Dies sei so, weil gemäß der Schweizer

Institutionen (Art. 3.4 KO), sowie die Möglichkeit zur Leistung von Beiträgen an kirchliche, diakonische und ökumenische Gremien (Art. 3.5 KO); der Katalog scheint nicht abschließend zu sein. In diesen beiden letzten Bereichen liegt ein wesentlicher Teil des autonomen Handelns der Körperschaft. Einerseits ist der Umfang zu solchem Tätigwerden selbst gewählt und anderseits auch die Durchführung dem Gestaltungswillen der Körperschaft anheimgestellt. (. . .) Aus den Kompetenzen gemäss Art. 3 KO kann keine unmittelbare Anwendung erfolgen. Die KO formuliert lediglich allgemeine Richtlinien des Tätigwerdens. Sie ermangelt der notwendigen Bestimmtheit. Sie enthält Zielvorstellungen, und keine unmittelbaren Einzelverpflichtungen. Die Konkretisierung der Grundsätze ist ein Spielraum offengelassen. Die Offenheit geht zudem in eine doppelte Richtung. Einerseits sind die Begriffe der ,kirchlichen Verwaltung‘ und ,andere kirchliche Institutionen‘ nicht spezifiziert; zum andern ist auch das ,Finanzieren‘ selbst ungemessen“, Urs Josef Cavelti, Studie vom 9.9.1991 zu den Rechtsgrundlagen von Finanzbeschlüssen der Römisch-katholischen Körperschaft des Kantons Zürich, Mschr., 1991, S. 4 f. Es liegt somit im Ermessen einer staatskirchenrechtlichen Körperschaft zu beurteilen, ob und allenfalls in welchem Maße die Diözesanleitung finanziell unterstützt werden soll und ob die Diözesanleitung überhaupt unter den Oberbegriff „kirchliche Verwaltung“ fällt. 68 Vgl. BGE 145 I 121.

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„Staatskirchenstruktur“ (5.4.1) die Finanzmittel der Körperschaften nicht Gelder der katholischen Kirchen seien, sondern aus den „Erträgnissen der staatlichen Kultussteuer“ stammten (5.3). Wenn eine „Landeskirche“ eine Organisation wie „adebar“ unterstütze, komme der eigentlichen katholischen Kirche, zu Gunsten derer die „Landeskirche“ an sich bestehen sollte, lediglich die Rolle als „Dritte“ zu (1.5.3.1). Das Bundesgericht hat damit deutlich gemacht, daß das staatskirchenrechtliche System der Schweiz potentiell schismatischen Charakter hat. Zugleich hat das Gericht die Frage aufgeworfen, wie es möglich ist, daß ein Staat, der sich als Rechtsstaat verstehen möchte, „katholische“ Organisationen gründen kann, die er dann gegen die eigentliche Religionsgemeinschaft arbeiten lässt. Es ist deutlich, daß nach diesem Urteil nicht mehr davon gesprochen werden kann, die staatskirchenrechtlichen Körperschaften hätten einen „auxiliaren“ Charakter. Dies zeigt auch ein Dokument der Kommission für Staatskirchenrecht und Religionsrecht der RKZ, welches sich diese zu eigen gemacht hat.69 Darin wird faktisch der Standpunkt vertreten, die eigentliche Kirche stehe in einem Verhältnis der Unterordnung zu den staatskirchenrechtlichen Körperschaften: „Die Mitglieder staatskirchenrechtlicher Behörden treffen ihre Entscheide zwar auf der Basis der pastoralen Vorgaben, aber eigenverantwortlich. Sie sind nicht nur befugt, sondern verpflichtet, die finanzrelevanten Vorhaben der pastoral Verantwortlichen darauf hin zu prüfen, ob sie aus ihrer Sicht überzeugend und stichhaltig sind.“ 70 Die RKZ reklamiert damit für sich, für die „Landeskirchen“ und die Kirchgemeinden ein Letztentscheidungsrecht darüber, ob pastorale Initiativen, die von Bischöfen und Pfarrern vorgeschlagen werden und die finanzielle Folgen haben, umgesetzt werden sollen. Dabei geht es nicht bloß um die Finanzierbarkeit solcher Initiativen, sondern um eine materielle Prüfung, also darum, ob pastorale Initiativen in den Augen der Finanzverantwortlichen sinnvoll sind.

X. Schlußbemerkungen: Gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen des Staatskirchenrechts Staatskirchenrechtliche Systeme sind nicht in Stein gemeißelt. Sie hängen von geschichtlichen, politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Faktoren ab. Das gilt auch für die staatskirchenrechtlichen Systeme der Schweiz. Schon im Jahr 1976 stellte das Schweizer Bundesgericht fest: „Die anerkannten Landeskirchen bzw. ihre Kirchgemeinden werden wohl heute in weiten Kreisen der Bevöl69 Vgl. Kommission für Staatskirchenrecht und Religionsrecht der RKZ, Auf das Zusammenspiel kommt es an. Empfehlungen für eine sachgemäße und wirkungsvolle Koordination pastoraler und finanzieller Entscheidungen im dualen System, 2018, S. 2: https://www.kath-tg.ch/sites/default/files/pdf_downloads/RKZ%20-%20Auf%20das% 20Zusammenspiel%20kommt%20es%20an.pdf (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 70 Ebd., S. 14, Nr. 7.

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kerung nicht mehr als Träger öffentlicher Aufgaben und hoheitlicher Befugnisse betrachtet, die in ihrem Bereich den politischen Gemeinden gleichzustellen wären, sondern eher als den privatrechtlichen Personenverbänden ähnliche Körperschaften auf rein personeller Grundlage.“ 71 Diese Diagnose ist über vierzig Jahre alt. Im gesamtschweizerisch tonangebenden Kanton Zürich gehörten damals noch über 90 % der Einwohner den evangelisch-reformierten oder katholischen Körperschaften an.72 Ende 2018 waren es noch 53,6 %.73 Der Rückgang beträgt gesamtschweizerisch durchschnittlich pro Jahr gut 1 %,74 so daß in etwa drei Jahren im Kanton Zürich die 50 %-Marke unterschritten werden dürfte. Im Halbkanton Basel-Stadt machten die Katholiken und Protestanten 2015 noch einen Anteil von 34,3 % an der Gesamtbevölkerung aus.75 Diese Entwicklungen werden zur Folge haben, daß sich der institutionelle Rahmen für die Religionsgemeinschaften der veränderten gesellschaftlichen Realität wird anpassen müssen. Befeuert wird diese Entwicklung nicht zuletzt durch das verstärkte Auftreten des Islam und anderer Religionsgemeinschaften, welche derzeit im Privatrecht situiert sind, was zusehends als Ungerechtigkeit empfunden wird. Dieser Ungerechtigkeit kann abgeholfen werden, indem neue Religionsgemeinschaften entweder ins bisherige System integriert werden, oder indem alle Religionsgemeinschaften ins Privatrecht verwiesen werden. Eine vertragsrechtliche Lösung, die flexibler wäre als das den politischen Gemeinden und den Kantonen nachempfundene bisherige staatskirchenrechtliche System, scheint bisher außerhalb der Denkmöglichkeiten schweizerischer Politiker zu liegen.76 Bereits im Jahr 2000 hat ein Autor, welcher für die Zürcher Körperschaften eine Sozialbilanzierung durchgeführt hatte, festgehalten: „Kirchenaustritte könnten aber auch als ein Signal interpretiert werden, der Staat müsse als Leistungserbringer an die Stelle der Kirche treten. So gesehen wird der Staat nicht darum herumkommen, die gesellschaftliche Bedeutung der Kirchen periodisch anhand der Mitgliederzahlen zu betrachten“.77 Neuerdings wird ein Unterschreiten der

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BGE 102 Ia S. 468 (474 f.). Im Jahre 1970 waren es noch 94,2 %, vgl. Statistisches Amt des Kantons Zürich, Markanter Wandel in der Zürcher Religionslandschaft. Ergebnisse der Volkszählungen 1970–2000 für den Kanton Zürich, 2003, statistik.info 02/2003, S. 2. 73 Vgl. https://statistik.zh.ch/internet/justiz_inneres/statistik/de/daten/daten_bevoel kerung_soziales/konfession.html (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 74 Vgl. Kosch (Fn. 58), S. 180. 75 www.spi-sg.ch/wp-content /uploads/2017/03/albisser-j-2017-1-factsheet-kirchen statistik-d.pdf (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 76 Vgl. dazu Martin Grichting, Zur Reformbedürftigkeit des Schweizer Staatskirchenrechts, Jusletter 7.7.2014, Rz. 22–26 (https://jusletter.weblaw.ch/juslissues/2014/ 763.html; zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 77 Charles Landert, Kirche und Staat, in: Thomas Dähler/Alfred Kölz/Markus Notter (Hrsg.), Individuum, Staat und Gesellschaft, 2000, S. 78. 72

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50 %-Grenze – Katholiken und Protestanten im Vergleich mit der gesamten Wohnbevölkerung – als Wert angesehen, bei dem über das bisherige Kirchensteuereinzugssystem diskutiert werden müßte.78 Auch die Besteuerung juristischer Personen durch staatskirchenrechtliche Körperschaften wird angesichts rückläufiger Mitgliederzahlen immer schwieriger zu rechtfertigen. Dies liegt nicht nur daran, daß einzelne evangelisch-reformierte Landeskirchen ihren Mitgliedern erlauben, einer anderen als der Wohnsitzkirchgemeinde anzugehören. Sie untergraben damit selbst die letzte rechtliche Begründung für diese Steuer, indem sie das Territorialprinzip aufweichen.79 Dieses stellt ja die materielle Begründung für die Zulässigkeit der Steuer dar, weil Kirchgemeinden als Territorialkörperschaften gelten und deshalb alle Institutionen besteuern können, die sich auf ihrem Gebiet befinden. Auch die von der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, von der Römisch-katholischen Körperschaft des Kantons Zürich und der Direktion der Justiz und des Innern dieses Kantons in Auftrag gegebene und 2017 publizierte Studie zu den gesamtgesellschaftlichen Leistungen der staatskirchenrechtlichen Körperschaften dürfte, da sie von den Interessierten selbst veranlaßt und durchgeführt wurde, besonderes Gewicht erhalten. Denn sie hat das Resultat gezeitigt, daß die beiden Körperschaften – nach großzügiger Auslegung – jährlich gesamtgesellschaftliche, also nicht konfessionsspezifische Leistungen im Umfang von gut 61 Millionen Franken erbringen und dafür vom Staat mit 50 Millionen Franken aus allgemeinen Steuermitteln entschädigt werden.80 Dies bedeutet, daß die staatskirchenrechtlichen Körperschaften nur rund 11 Millionen Franken von den gut 125 Millionen Franken, welche sie im Kanton Zürich jährlich an Steuern von juristischen Personen eintreiben,81 für Tätigkeiten im gesamtgesellschaftliche Interesse einsetzen. Sie verwenden also den überwiegenden Teil für konfessionelle Zwecke, auch wenn sie betonen, daß sie – im Sinne einer negativen Zweckbin-

78 Vgl. Engi (Fn. 23), S. 248. Der Verfasser arbeitet bei der für die Religionsgemeinschaften zuständigen Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich. 79 Laut Tappenbeck (Fn. 8), S. 99, handelt es sich um Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden, Basel-Stadt, Schaffhausen und Luzern. Vgl. dazu auch die neue Kirchenverfassung der evangelisch-reformierten Landeskirche von Graubünden von 2017. Darin wird in Art. 5 Abs. 3 eine Aufweichung des Territorialitätsprinzips ermöglicht mit der Formulierung: „Jedes Mitglied gehört in der Regel zu der Kirchgemeinde, die für seinen Wohnsitz zuständig ist. Das Gesetz regelt die Ausnahmen“. Die Landeskirche scheint sich der Problematik bewußt zu sein. In einem Vorentwurf von 2011 hatte es in Art. 3 Abs. 2 noch geheißen: „Jedes Mitglied gehört in der Regel zu der Kirchgemeinde, zu welcher seine politische Wohnsitzgemeinde zugehörig ist. Auf begründetes Begehren an den Vorstand seiner Wohnsitzkirchgemeinde ist jedes Mitglied berechtigt, einer anderen Kirchgemeinde als Mitglied beizutreten.“ 80 Vgl. Widmer (Fn. 50), S. 15. 81 Die Zahl bezieht sich auf 2008 und berücksichtigt nicht das seitherige beträchtliche Wirtschaftswachstum, vgl. Süess/Tappenbeck/Pahud de Mortanges (Fn. 53), S. 19 f.

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dung – diese Steuermittel nicht für „kultische“ Zwecke ausgeben.82 Da auch die juristische Lehre der Besteuerung juristischer Personen durch staatskirchenrechtliche Körperschaften praktisch einhellig ablehnend gegenübersteht,83 wurde bereits davor gewarnt, diese Form der Besteuerung könnte durch einen „ErdrutschEntscheid“ 84 bald verloren gehen. Angesichts solcher Szenarien und der allgemein gültigen Feststellung, daß „die Tradition alleine auf Dauer als Legitimation für die Beibehaltung der jeweiligen Praxis kaum ausreichen wird“,85 scheinen die etablierten Religionsgemeinschaften am Scheideweg zu stehen. Man könnte mit Hilfe des anglikanischen Autors C. S. Lewis illustrieren, worum es geht. Er berichtet einmal, daß er das althergebrachte Gebet an Gott richtete: „Hilf uns, die vergänglichen Güter so zu gebrauchen, daß wir die ewigen nicht verlieren“. Offenkundig war Lewis etwas zerstreut und betete stattdessen: „Hilf uns, die ewigen Güter so zu gebrauchen, daß wir die vergänglichen nicht verlieren“.86 Betrachtet man das (Kirchen-)politische Agieren sowie die gesellschaftliche Selbstdarstellung maßgeblicher Kirchenvertreter – nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen Ländern, welche eine Kirchensteuer kennen –, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, sie würden das erwähnte Gebet wohl nicht nur aus Versehen falsch herum beten. Es scheint, daß manche von ihnen bewußt die ewigen Güter so gebrauchen, daß sie die vergänglichen nicht verlieren. Was damit gemeint ist, illustrierte die Römisch-katholische Körperschaft des Kantons Zürich, als sie seit dem Jahr 2011 ihren Jahresbericht, der auch das gesamte kirchlich-pastorale Wirken abbilden soll, neu gliederte in die Rubriken „Soziales/Diakonie“, „Bildung/Verkündigung“ und „Kultur/Liturgie“. Sie ordnete damit die genuin kirchlichen Vollzüge – Liturgie, Verkündigung und Diakonie – dem gesellschaftlich Nützlichen unter.87 Grund für diese Umwertung war das seit dem Jahr 2010 in Kraft stehende Zürcher Kirchengesetz, wel82 Das Zürcher Kirchengesetz (vgl. Zürcher Gesetzessammlung 180.1) schreibt in § 25 Abs. 2 vor: „Die Erträge aus den Kirchensteuern der juristischen Personen dürfen nicht für kultische Zwecke verwendet werden“; vgl. zu dieser so genannten „negativen Zweckbindung“: Süess/Tappenbeck/Pahud de Mortanges (Fn. 53), S. 24. 83 Vgl. ebd., S. 37 ff. 84 Stefan Streiff, Kirchenfinanzen in der pluralistischen Gesellschaft. Die Einnahmen reformierter Kirchen in der Schweiz aus theologischer Perspektive, 2008, S. 115. 85 Arnd Uhle, Kirchenfinanzierung in der Diskussion. Anmerkungen zu den Finanzierungsformen der Gegenwart, in: Ludger Müller/Wilhelm Rees/Martin Krutzler (Hrsg.), Vermögen der Kirche – Vermögende Kirche? Beiträge zur Kirchenfinanzierung und kirchlichen Vermögensverwaltung, 2015, S. 111. Der Verfasser zieht dieses Fazit nach einer eingehenden Darstellung der europäischen Kirchenfinanzierungssysteme und fordert dann eine vergleichende Bewertung der zur Verfügung stehenden Finanzierungsalternativen sowie eine Analyse der mit diesen verbundenen Vor- und Nachteile. 86 Clive Staples Lewis, Ein Versprecher, in: ders., Streng dämokratisch zur Hölle und andere Essays, 1982, S. 119. 87 Römisch-katholische Kirche Körperschaft des Kantons Zürich, Jahresbericht 2011, S. 2; angehängt wurde dem noch die „Gemeindebildung“ (S. 34 ff.).

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ches bestimmt, daß die „Landeskirchen“ Beiträge aus allgemeinen Steuermitteln – die erwähnten jährlichen 50 Millionen Franken – erhalten für Leistungen „mit Bedeutung für die ganze Gesellschaft, insbesondere in den Bereichen Bildung, Soziales und Kultur“.88 Die Tatsache, daß die Körperschaft im Jahresbericht 2015 wieder von dieser Darstellungsform abgekommen ist, ist zweifellos ein Zeichen der Hoffnung. Denn die um der vergänglichen Güter willen betriebene Selbstfunktionalisierung einer Religionsgemeinschaft dünnt immer mehr ihre geistliche Substanz aus, so daß sie zu einer verwechselbaren Organisation auf dem Markt sozialer Dienstleistungen zu werden droht, was dann letztlich die Frage nach ihrer Existenzberechtigung aufwirft.89 Es könnte abschließend von Nutzen sein, einige Überlegungen des Philosophen Alexis de Tocqueville neu zu bedenken. In seinem Werk „Der alte Staat und die Revolution“ (1856) hielt er dafür, daß das Christentum nicht als religiöse Lehre, sondern als politisches Institut den glühenden Haß auf sich gezogen habe, der sich in der Französischen Revolution entladen habe. Nicht weil die Priester es unternommen hätten, die Dinge der anderen Welt zu regeln, seien sie attackiert worden, sondern weil sie Grundeigentümer, Lehensherren, Zehntherren und Administratoren in dieser Welt gewesen seien.90 Dabei sei damals die Kirche nicht einmal die tyrannischste aller Gewalten gewesen, aber die verhaßteste, weil sie sich mit der politischen Macht verbündet habe, ohne daß ihr Wesen dies von ihr

88 Vgl. Kirchengesetz vom 9.7.2007, Zürcher Gesetzessammlung 180.1, § 19 Abs. 2. Der Präsident des Synodalrats (= Exekutive) der Körperschaft hat dies kommentiert mit der Bemerkung: „In der vorliegenden Form eignet sich der Jahresbericht hervorragend als PR-Instrument, jedoch nur in zweiter Linie für die Kontrolle der Arbeit“, Römischkatholische Synode des Kantons Zürich, Protokoll der 8. Synoden-Sitzung vom 27.6. 2013, S. 16. 89 Vor einer solchen Entwicklung hat schon gewarnt Hans Geser, Sozialbilanzierung: eine neue gesellschaftliche Legitimationsstrategie der Kirchen?, in: Adrian Loretan (Hrsg.), Kirche – Staat im Umbruch. Neuere Entwicklungen im Verhältnis von Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften zum Staat, 1995, S. 145 (154): „Sosehr die aktuellen Bedrohungen ,von oben‘ (Initiativen zur Trennung vom Staat) und ,von unten‘ (Kirchenaustritte) dem Streben nach opportunistischer Anpassung Auftrieb verleihen mögen, so ist ebenso klar, daß die Kirchen auf diesem Weg nicht nur mit ihrem angestammten Verkündigungsauftrag in ein zunehmendes Spannungsverhältnis geraten (und damit sowohl interne Konflikte heraufbeschwören wie auch zugunsten weniger kompromissbereiter Sekten an Boden verlieren), sondern auch ihre spezifischen Wirkungschancen zu wenig wahrnehmen“. Vgl. auch Martin Rhonheimer, Christentum, säkularer Staat und Sozialstaat. Eine Verhältnisbestimmung in kritischer Absicht, in: Philipp W. Hildmann/Johann Christian Koecke (Hrsg.), Christentum und politische Liberalität. Zu den religiösen Wurzeln säkularer Demokratie, S. 64–68, der davon spricht, daß die etablierten Religionsgemeinschaften – wohl nicht nur in Deutschland – durch ihre Einbindung in den ausufernden Sozialstaat in eine ähnliche Falle geraten sind wie die mittelalterliche Kirche durch ihre Einbindung in das Reichskirchensystem. Er spricht deshalb heute von einem „Sozialstaatskirchensystem“. 90 Vgl. Alexis de Tocqueville, Der alte Staat und die Revolution, übersetzt von Theodor Oelckers, 1. Buch, 2. Kap., 4. Aufl. 2014, S. 23.

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verlangt hätte. Zwischen den Fürsten und ihr sei eine Art Austausch üblich geworden: Jene hätten ihr ihre materielle Macht geliehen, sie ihnen ihr moralisches Ansehen; jene hätten ihren Vorschriften Gehorsam verschafft, sie den Befehlen jener Respekt. Und Tocqueville fügte hinzu: „Gefährlicher Handel, sobald Zeiten der Revolution kommen, und stets unvorteilhaft für eine Macht, die sich nicht auf Zwang, sondern auf Glauben gründet!“.91 Tocqueville knüpfte damit an seine Überlegungen an, die er bereits in seinem monumentalen Werk „Über die Demokratie in Amerika“ (1835/1840) entwickelt hatte. Verbinde sich die Religion mit der weltlichen Macht, opfere sie die Zukunft um der Gegenwart willen. Und indem sie durch dieses Bündnis eine ihr nicht zukommende Macht erlange, gefährde sie ihre rechtmäßige Gewalt. Solange nämlich eine Religion allein auf das Unsterblichkeitsverlangen der Menschen gründe, vermöge sie das Herz des Menschengeschlechts an sich zu ziehen. Sie sei dann auf ihre eigenen Kräfte angewiesen, die ihr niemand nehmen könne. Und sie beherrsche ihren – den religiösen – Bereich ganz und mühelos. Verbinde sie sich jedoch mit der Regierung, könne sie dies nicht tun, ohne etwas vom Haß auf sich zu ziehen, den diese errege. Stütze sie sich auf die weltliche Macht, werde sie fast so zerbrechlich wie diese selbst und erdulde deren Schicksal. Je mehr zudem eine Nation sich demokratisiere, umso gefährlicher werde die Verbindung von Religion und Staatsgewalt. Denn die Macht gehe von Hand in Hand und die politischen Lehren lösten sich schnell ab, weil Unrast und Unbeständigkeit zum Wesen des demokratischen Staatswesens gehörten.92 Es ist zweifellos als unwahrscheinlich zu betrachten, daß wir in den Ländern, in denen eine Kirchensteuer eingezogen wird, vor einem Ereignis stehen, das mit der Französischen Revolution vergleichbar wäre. Aber es zeichnen sich gesellschaftliche und politische Umwälzungen ab, die beträchtlich sind. Das Zerbröckeln der ehemaligen „Volkskirchen“ blieb bisher institutionell, und damit auch finanziell, praktisch folgenlos. Es dürfte jedoch trügerisch sein zu glauben, das werde noch lange so bleiben. Es würde deshalb für die Religionsgemeinschaften in der heutigen Situation darum gehen, sich von neuem auf ihr Wesen zu besinnen und entsprechend zu handeln. „Religion“ meint nicht „Rück–Bindung“ an den vergänglichen Staat, sondern an ewigen Gott. Die christlichen Religionsgemeinschaften müssen deshalb die vergänglichen Güter – die institutionelle Bindung an den Staat und die finanziellen Mittel – so gebrauchen, daß sie die ewigen Güter nicht verlieren. Haben sie nicht die Kraft dazu, dem nachzuleben, werden sie früher oder später einmal mehr eine passive Entweltlichung erleiden, wie sie nicht nur in Frankreich, sondern auch in vielen anderen Ländern in den letzten zwei Jahrhunderten stattgefunden hat. Zweifellos waren viele dies-

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Ebd., 3. Buch, 2. Teil, S. 154. Vgl. ders., Über die Demokratie in Amerika. Erster Teil von 1835, übersetzt von Hans Zbinden, 1987, S. 448 ff. 92

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bezügliche Katastrophen langfristig auch heilsam. Dennoch waren sie schmerzhaft und haben bisweilen Narben hinterlassen, die bis heute nicht ganz verheilt sind.93 Den Wandel aktiv mitzugestalten und dabei zu versuchen, dem Wesen der eigenen Religionsgemeinschaft Vorrang zu geben, wäre deshalb das Gebot der Stunde.

93 Vgl. Martin Grichting, „Die Säkularisierung kommt der Kirche zu Hilfe“. Drei Beispiele und eine Hoffnung, in: Christoph Ohly/Wilhelm Rees/Libero Gerosa (Hrsg.), Theologia Iuris Canonici, Festschrift für Ludger Müller zur Vollendung des 65. Lebensjahres, 2017, S. 65.

Das Verhältnis von Staat und Kirche in Belgien und in den Niederlanden Von Stephan Dusil, Tübingen I. Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Grundlagen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsquellen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kirchengüter und Kirchenfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Formen institutioneller Kooperation von Staat und Kirchen sowie Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Geltung kirchlich bzw. religionsgemeinschaftlich gesetzten Rechts in der staatlichen Rechtssphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Schlußbemerkungen: Gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Die Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Grundlagen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsquellen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kirchengüter und Kirchenfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Formen institutioneller Kooperation von Staat und Kirchen sowie Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Schlußbemerkungen: Gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen des Staatskirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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407 III. Vergleich und abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408

Das Schlagwort „la liberté comme en Belgique“ machte im 19. Jahrhundert die Runde. Gemeint war mit dieser Freiheit, die in Belgien vorherrschen sollte, die freiheitliche Stellung der katholischen Kirche jenseits staatlicher Reglementierung. Belgien besaß damit, jedenfalls in den Augen der Zeitgenossen, ein außergewöhnliches staatskirchenrechtliches System. Diesem staatskirchenrechtlichen System in Belgien wie auch dem der Niederlande geht dieser Beitrag nach. Er fragt zunächst nach den Bedingungen in Belgien, indem er die historischen

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Grundlagen und Entwicklungen des Staatskirchenrechts darstellt; sodann beleuchtet er ausgewählte Schnittstellen, an denen das Wirken von Religionen im Staat besonders markant hervortritt. Dabei versucht er, auch die religiöse Wirklichkeit einzubeziehen (Teil I). Dem belgischen System soll in einem zweiten Teil die niederländische Regelung gegenübergestellt werden. Auch hier gilt, nach einem Blick auf die geschichtliche Entwicklung, die Grundprinzipien des staatskirchenrechtlichen Systems herauszuarbeiten und Einzelheiten zu vertiefen (Teil II). Da sich beide staatskirchenrechtlichen Systeme unterscheiden, ermöglicht der Vergleich, einige belgische wie niederländische Besonderheiten stärker konturiert hervortreten zu lassen (Teil III.).

I. Belgien 1. Historische Grundlagen des Staatskirchenrechts Die Verfassung Belgiens von 1831 legte den Grundstein für das noch heute geltende Recht, selbst wenn diese seit der Staatsgründung mehrfach überarbeitet wurde. Belgien ist ein recht junger Staat: Vor 1831 gehörte das Gebiet des heutigen Belgiens immer zu anderen Staaten.1 Zunächst, im späten Mittelalter, war ein Großteil des Territoriums unter burgundischer Herrschaft; später fiel dieses nach dem Tode Karls des Kühnen 1477 an das Haus Habsburg, da Karls Tochter Maria den habsburgischen Erzherzog Maximilian geheiratet hatte. Im Zuge einer habsburgischen Erbteilung 1556 gelangte das heutige Belgien an die spanische Linie, weshalb man auch von den „Spanischen Niederlanden“ spricht. Dieser Teil war katholisch. Die Einwohner des nördlich gelegenen Gebiets, das etwa das Gebiet der heutigen Niederlanden umfaßt, tendierten hingegen zum Calvinismus und entfremdeten sich immer stärker von dem südlichen Teil, bis sie im Westfälischen Frieden 1648 als eigenständiger Staat – eben die „Vereinigten Niederlanden“ – anerkannt wurden. Die „Spanischen Niederlanden“ hingegen wurden zu Beginn des 18. Jahrhunderts, im Jahr 1713, im Frieden von Utrecht wieder den österreichischen Habsburgern zugeteilt, die es seitdem in Personalunion regierten („Österreichische Niederlande“). Der Aufstand gegen die Österreicher, der 1790 in die Gründung der „Vereinigten Belgischen Staaten“ mündete, blieb nur ein kurzes Zwischenspiel. Nach der Niederschlagung des Aufstandes durch österreichische Truppen besetzten nur einige Jahre später, 1795, französische Revolutionstruppen das Land. Bis 1815 blieb das spätere Belgien unter französi1 Die Geschichte Belgiens im Allgemeinen beleuchten zum Beispiel Theo Luykx, Politieke geschiedenis van België van 1789 tot heden, 4. Aufl. 1977; Marc Reynebeau, Een kleine geschiedenis van België, Tielt 2005 sowie Els Witte/Jean-Pierre Nandrin u. a., Nieuwe geschiedenis van België, vol. 1: 1830–1905, Tielt 2005; Michel Dumoulin/Emmanuel Gerard u. a., Nieuwe geschiedenis van Belgie, vol. 2: 1905–1950, Tielt 2006 und Vincent Dujardin/Michel Dumoulin u. a., Nieuwe geschiedenis van Belgie, vol. 3: 1950–heden, Tielt 2009.

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schem Einfluß. Erst der Wiener Kongress 1815 schlug das heutige Belgien dem Königreich der Niederlande zu („Vereinigtes Königreich der Niederlande“). König Wilhelm I. herrschte nun über die Nördlichen und die Südlichen Niederlande, zwei Teile, die sich eher fremd waren: Der Norden war größtenteils calvinistisch geprägt, der Süden fast ausschließlich katholisch. Es war unter anderem dieser religiöse Gegensatz, der zur Aufhebung der ungeliebten Union führte: 1830 erkämpften sich die Bürger der „Südlichen Niederlande“ die Unabhängigkeit von den Nördlichen. Dieser junge Staat gab sich eine neue Verfassung, die die liberale Aufbruchsstimmung der 1830er Jahre aufnahm. Zugleich fing die Verfassung viele der neu gewonnenen Freiheiten verfassungsrechtlich ein: Religions-, Presse- und Vereinigungsfreiheit wurden gewährleistet. Der deutsche Prinz Leopold von Sachsen-Coburg (1790–1865) legte als Leopold I. am 21.7.1831 den Eid auf die Verfassung ab und wurde erster König von Belgien.2 Die Verfassung von 1831 ist mit Blick auf ihre staatskirchenrechtliche Regelungen als „historic compromise“ bewertet worden:3 Während katholische Politiker bei der Verfassungsgebung auf eine Vorrangstellung der römisch-katholischen Kirche verzichteten, gaben Liberale die Forderung nach vollständiger Regierungsaufsicht über die Kirche auf.4 Die damit eingeführte Organisationsfreiheit der katholischen Kirche war im Europa des früheren 19. Jahrhunderts einmalig.5 Deshalb sprach man damals von „la liberté comme en Belgique“. Auch wenn die Grundlinien der Verfassung bis heute erhalten geblieben sind, so fanden doch grundlegende politisch-soziale Verschiebungen statt. So hat sich in den vergangenen dreißig Jahren die starke Verankerung der katholischen Kirche in der Gesellschaft aufgelöst. Die bis auf wenige Ausnahmen6 seit dem zweiten Weltkrieg regierende „Christelijke Volkspartei“ (CVP) (seit 2001: „ChristenDemocratisch en Vlaams“ (CD&V)) stellte zwischen 1999 und 2007 nicht mehr

2 Zur Geschichte des Verhältnisses von Staat und Kirche bis 1831 insbesondere Leo Van den hole, Das Verhältnis von Staat und Kirche in Belgien, ZRG Kan. 85 (1999), S. 401 (402 ff.); Rik Torfs, Staat und Kirche in Belgien, in: Gerhard Robbers (Hrsg.): Staat und Kirche in der Europäischen Union, 1995, S. 15; ders., State and Church in Belgium, in: Gerhard Robbers (Hrsg): State and Church in the European Union, 2. Aufl. 2005, S. 9 (10); ders./Jogchum Vrielink, Art. Belgium, in: Gerhard Robbers (Hrsg.): Encyclopedia of Law and Religion, 2016; Yves Stox, Een paradoxale scheiding. De laïcité van de Staat in de Belgische Grondwet, Jura Falconis 41, 2004–2005, S. 37 (40 ff.). Einen knappen Überblick über Geschichte und geltendes Recht gibt Ad van der Helm, Art. Belgien, in: Heribert Hallermann/Thomas Meckel/Michael Droege/Heinrich de Wall (Hrsg.), Lexikon für Kirchen- und Religionsrecht Band 1, 2019, S. 358 f. 3 So Torfs, State and Church in Belgium (Fn. 2), S. 10. 4 Vertiefend Herman Van Goethem, Het beginsel van verdraagzaamheid in de Belgische Grondwet: een historische duiding, in: Recht en verdraagzaamheid in de multiculturele samenleving, 1993, S. 33. 5 Van den hole (Fn. 2), S. 409: „einmaliges Phänomen“. 6 Eine Ausnahme sind die Jahre 1954–1958.

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die Regierung.7 Die prinzipielle Legalisierung der Abtreibung 1993, die Einführung der Euthanasie 2002 wie auch der gleichgeschlechtlichen Ehe 2003 zeugen von einer immer weiteren Entfremdung von zentralen Standpunkten der katholischen Kirche und damit von einer tiefgreifenden Säkularisierung der belgischen Gesellschaft. Das Staatskirchenrecht in Belgien ist des weiteren durch die verschiedenen Staatsreformen beeinflußt worden, die den ehemals unitarischen Staat in einen föderalen verwandelt haben. Diese Föderalisierung und die damit einhergehende Stärkung der Regionen und Sprachen hat die staatskirchenrechtliche Lage in Belgien verändert, um nicht zu sagen: verkompliziert.8 Wie sieht die religiöse Wirklichkeit in Belgien heute aus? Beim letzten offiziellen Zensus im Jahr 1846 bekannten sich 99 % der Bevölkerung zur katholischen Religion. Da die Religionszugehörigkeit heute indes als Privatsache angesehen wird, existieren keine verlässlichen Zahlen über die Mitgliederzahl der verschiedenen Religionsgemeinschaften. Vor rund 30 Jahren ergab eine Erhebung, daß 75 % der Belgier der katholischen Kirche nahestanden, 1,5 % muslimisch und 12 % nichtgläubig waren.9 In der Zwischenzeit haben sich die Mitgliederzahlen deutlich verschoben. Zahlen in aktuelleren Publikationen deuten darauf hin, daß sich derzeit gut 50 % der Belgier zur römisch-katholischen Religion (gut 5,5 Millionen der 11 Millionen Einwohnern) bekennen. Von diesen wiederum sind 8 bis 15 % aktive Kirchgänger, also rund eine Million. Vermutlich haben sich die Zahlen zwischenzeitlich erneut nach unten verschoben, wie jüngere Statistiken vermuten lassen: Von den Flamen, die unter 34 Jahren alt sind, gehen weniger als 2 % mehrmals monatlich zum Gottesdienst.10 Die zweitstärkste religiöse Gruppe ist der Islam mit 3,5 bis 8 % der Einwohner – dies sind bis zu 900.000 Menschen. 1 % sind protestantisch, deutlich unter 1 % jüdisch oder orthodox. 25 bis 35 % der Bevölkerung geben an, keiner Religion anzugehören, so daß rund 3 Millionen Menschen als kirchen- oder religionsfern einzuschätzen sind. Knapp 5 % stehen dem „organisierten Humanismus“ nahe, einer explizit säkularen Vereinigung, die als weltanschauliche Gemeinschaft staatlicherseits unterstützt wird.11 Im historischen Längsschnitt zeigen sich also konträre Entwicklungen, nämlich eine zunehmende Entfernung von der katholischen Kirche einerseits, die als Säkularisierung der belgischen Gesellschaft zu werten ist, andererseits eine Zunahme des Religiösen in Form des Islam. Dieser Entwicklung steht 7 In den 1960er erfolgte die Aufspaltung der Christdemokraten in die niederländischsprachige „Christelijke Volkspartij“ (CVP) und die französischsprachige „Parti socialchrétien“ (PSC); zu den neueren politischen Entwicklungen siehe Rik Torfs, Religion and State in Belgium, Insight Turkey 17, 2015, S. 97 (106 f.). 8 Siehe dazu in diesem Beitrag Abschnitt I. 6. 9 Torfs, Staat und Kirche in Belgien (Fn. 2), S. 15. 10 Siehe den Pressebericht: www.standaard.be/cnt/dmf20170127_02698819 (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 11 Zur Laïcité siehe in diesem Beitrag Abschnitt I. 5. Die angegebenen Zahlen beruhen auf Torfs/Vrielink (Fn. 2), Teil I.; Torfs, State and Church in Belgium (Fn. 2), S. 9.

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jedoch eine (jedenfalls vor einigen Jahren noch) tiefe Verankerung im Katholizismus gegenüber – viele Ehen werden auch in Form einer religiösen Zeremonie geschlossen, knapp 50 % der Kinder werden getauft12 und 60 bis 70 % der belgischen Schüler gehen auf eine katholische Schule. Vor dem Hintergrund dieser scheinbar gegenläufigen Phänomene ist auch davon gesprochen worden, daß der Katholizismus eher sozial-gesellschaftlich als inhaltlich eine Rolle spielt.13 2. Rechtsquellen des Staatskirchenrechts Rechtsquelle für das belgische Staatskirchenrecht ist insbesondere die Verfassung von 1831 zu nennen. Die Verfassung spricht staatskirchenrechtliche Fragen an zwei verschiedenen Stellen an, nämlich im Bereich der Grundrechte (Titel 2) sowie der Finanzen (Titel 5). Im grundrechtlichen Teil legt die Verfassung vor allem die Religionsfreiheit (inklusive der Organisationsfreiheit der Religionsgemeinschaften) fest, wohingegen im fünften Titel die Finanzierung der staatlicherseits anerkannten Glaubensgemeinschaften angesprochen wird.14 Neben der Verfassung regeln auch föderale Gesetze das Verhältnis von Staat und Kirche. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang das Strafgesetzbuch, das folgende Normen enthält: Art. 143 und Art. 144 bestrafen öffentliche Unruhestiftung, Aufruhr und Schmähungen, die gegenüber Glaubensgemeinschaften begangen werden; Art. 145 und Art. 146 schützen Geistliche vor Verleumdung und tätlichem Angriff; Art. 228 schützt die Amtstracht. Art. 267 sieht vor, daß die Zivilehe vor der kirchlichen Trauung zu erfolgen habe und stellt die Zuwiderhandlung durch Geistliche unter Strafe. Schließlich droht Art. 268 des Strafgesetzbuches den „Dienern eines Kultes“ Geldstrafe oder Gefängnis an, die „in Ausübung ihres Amtes durch Reden in öffentlicher Versammlung die Regierung, ein Gesetz, einen Königlichen Erlaß oder irgendeine andere Handlung der öffentlichen Gewalt direkt angreifen.“ Ein föderales Gesetz zum Verhältnis von Staat und Glaubensgemeinschaften ist weiterhin das Gesetz vom 2.8.1974, daß die Gehälter von Beamten und Geistlichen regelt.15 Neben den föderalen Normen sind zudem solche der „gewesten“/„régions“ (vergleichbar mit Bundesländern in Deutschland) zu nennen. Das „Vlaamse eredienstendecreet“ vom 7.5.2004 regelt zum Beispiel die materielle Ausstattung 12 Allerdings mit teils stark sinkender Tendenz: 2009 empfingen 58 % der Kinder die Taufe, 2016 nur noch 45 %; siehe www.nieuwsblad.be/cnt/dmf20180304_03389920 (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 13 Torfs, State and Church in Belgium (Fn. 2), S. 9: einerseits „wide degree of secularisation“, andererseits „religion remains an extremely important social phenomenon“. 14 Siehe dazu in diesem Beitrag Abschnitt I. 4. und 6. 15 Gesetz vom 2.8.1974 über die Gehälter von Geistlichen („Wet betreffende de wedden van sommige titularissen van sommige openbare ambten en van de bendienaars van de erediensten“, Belgisch Staatsblad/Moniteur Belge vom 19.9.1974 (S. 11415); Errata: Belgisch Staatsblad/Moniteur Belge vom 22.11.1974 (S. 13967).

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und die Arbeit der anerkannten Religionsgemeinschaften.16 Ein Konkordat mit dem Vatikan besteht – jenseits des vorkonstitutionellen Konkordats von 1801 – nicht. 3. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien im Überblick Die staatskirchenrechtlichen Strukturprinzipien Belgiens lassen sich mit Stichworten wie „Trennung von Staat und Kirche“, „positive Neutralität“ oder „aktiver Pluralismus“ beschreiben. Diese Begriffe versuchen das Paradoxon zu beschreiben, daß die staatliche und religiöse Sphäre einerseits geschieden sind, andererseits der Staat einige ausgewählte Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften finanziert.17 Das erste Stichwort, die „Trennung von Staat und Kirche“, deutet auf eine gewisse Ferne zwischen religiöser und weltlicher Sphäre hin. Mit der bewusst undeutlichen Charakterisierung als ,gewisser Ferne‘ ist schon angedeutet, daß das belgische Staatskirchenrecht den nicht immer klar zu umreißenden Mittelweg zwischen Staatskirche einerseits und absoluter Trennung beider Sphären andererseits geht. Staat und Religionsgemeinschaften sind zwar prinzipiell getrennt, aber zugleich aufeinander bezogen. Aus diesem Grunde wurde der Begriff der „positiven Neutralität“ geprägt. Zwar ist der Staat religiös neutral und darf – so Art. 11 der Verfassung18 – nicht diskriminieren, doch darf er einigen Stimmen in der religiösen Pluralität größeres Gewicht verleihen als anderen, ohne daß er die Neutralität verletzt. In diesem Sinne wird auch der Begriff des „aktiven Pluralismus“ gebraucht: Der Staat darf den verschiedenen Weltanschauungen Raum geben, damit diese sichtbar werden und in der Gesellschaft und für die Gesellschaft wirken.19 Dieses Aufeinanderbezogensein ist auch als „System 16 „Decreet betreffende de materiële organisatie en werking van de erkende erediensten“ vom 7.5.2004, abgedruckt: Belgisch Staatsblad/Moniteur Belge vom 6.9.2004 (niederländische Version: S. 65171; französische Version: S. 65198). Siehe Frank Judo, Vlaams Eredienstendecreet van 7 mei 2004. De kerk in het midden van het dorp?, Nieuw Juridisch Weekblad 2005, S. 38 und Adriaan Overbeeke, Nieuw Vlaams eredienstenrecht. Een bespreking van het Vlaamse Eredienstendecreet van 7 mei 2004, in het licht van de organisatieautonomie van godsdienstige gemeenschappen, Tijdschrift voor Bestuurswetenschappen en Publiekrecht 2007/2, S. 67. 17 Siehe zu diesem Abschnitt Torfs, State and Church in Belgium (Fn. 2), S. 12 f.; Patrick De Pooter, De Kerk-Staat-Verhouding in Belgie, in: Kurt Martens/Frank Judo (Hrsg.), Handboek Erediensten. Bestuur en organisatie, Brüssel 2011, S. 1 (9 ff.); Torfs/ Vrielink (Fn. 2), Teil III. C.; Stox, Paradoxale scheiding (Fn. 2). 18 Art. 11 der Verfassung: „Der Genuß der den Belgiern zuerkannten Rechte und Freiheiten muß ohne Diskriminierung gesichert werden. Zu diesem Zweck gewährleisten das Gesetz und das Dekret insbesondere die Rechte und Freiheiten der ideologischen und philosophischen Minderheiten.“; die niederländische Version lautet: „Het genot van de rechten en vrijheden aan de Belgen toegekend moet zonder discriminatie verzekerd worden. Te dien einde waarborgen de wet en het decreet inzonderheid de rechten en vrijheden van de ideologische en filosofische minderheden.“ und die französische: „La jouissance des droits et libertés reconnus aux Belges doit être assurée sans discrimination. A cette fin, la loi et le décret garantissent notamment les droits et libertés des minorités idéologiques et philosophiques.“

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der gegenseitigen Unabhängigkeit“ („mutual independence“ 20) bezeichnet worden.21 Zwischen der Staatssphäre und der Privatsphäre gäbe es eben noch den öffentlichen Raum, den Konfessionen füllen könnten und auch sollten. Das Neutralitätsgebot solle gerade nicht den öffentlichen Raum neutralisieren.22 Dieser Beitrag versucht zu klären, wie dieses Spannungsverhältnis zwischen Neutralität einerseits und aktivem Pluralismus andererseits konkret aufgelöst wird und wie verfassungsrechtlich gewährte individuelle und kollektive Religionsfreiheit mit der Förderung und Staatsfinanzierung einiger anerkannter Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zusammengehen kann. In dem Kreis dieser derart privilegierten Religionsgemeinschaften besitzt die katholische Kirche als traditionell stärkste Kirche eine herausgehobene Position als primus inter pares. Da sich die starke katholische Prägung Belgiens jedoch in den letzten Jahren abgeschwächt, vielleicht sogar weitgehend verflüchtigt hat, ist in Belgien derzeit das Paradoxon zu beobachten, daß das Staatskirchenrecht einerseits einer katholischen Tradition entwachsen und auf eben diese zugeschnitten ist, andererseits es diese katholische Tradition in der gesellschaftlichen Realität heute so nicht mehr gibt. Erklärbar ist die Akzeptanz dieses Paradoxons vielleicht mit dem – der Begriff sei hier vorgeschlagen – ,undogmatischen Pragmatismus‘ in Belgien, aufgrund dessen gewisse Spannungen, Widersprüche und Reibungen akzeptiert werden. 4. Religionsfreiheit In Belgien wird die Religionsfreiheit durch Art. 9 EMRK sowie die Verfassung geschützt.23 Die Verfassung spricht staatskirchenrechtliche Punkte an zwei Stellen an, nämlich im Rahmen der Grundrechte (Art. 19–21, 23) sowie der Finanzen (Art. 181). Um den grundrechtlichen Schutz soll es zunächst gehen.24 Die individuelle wie kollektive Religionsfreiheit ist in den Art. 19, 20, 21 und 24 der belgischen Verfassung verankert. Diese formt damit einen „basistekst voor het regime van de godsdiensten en de levensbeschouwingen“.25 19 De Pooter (Fn. 17), S. 11: „Het actieve pluralisme daarentegen bestaat erin dat de overheid de onderscheiden religies en levensbeschouwingen gelijkelijk wil stimuleren om maatschappelijk zichtbaar te worden.“ 20 Siehe Torfs, State and Church in Belgium (Fn. 2), S. 12 f. 21 Siehe Van den hole (Fn. 2), S. 431 sowie Paul de Hert/Karen Meerschaut, Scheiding van kerk en staat of actief pluralisme? Een oriëntering van het debat, in: Paul de Hert/Karen Meerschaut (Hrsg.): Scheiding van kerk en staat of actief pluralisme?, 2007, S. 1 (5 ff.). 22 De Pooter (Fn. 17), S. 15: „Het neutraliteitsbeginsel heeft niet de neutralisering van de publieke ruimte tot gevolg.“ 23 Zum Schutz durch die EMRK siehe Johan Vande Lanotte/Geert Goedertier u. a., Handboek Belgisch Publiekrecht, deel 1: Inleiding tot het Belgisch Publiekrecht, Brugge 2014, S. 567 ff. 24 Zu den Finanzen siehe in diesem Beitrag Abschnitt I. 6.

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Art. 19 der belgischen Verfassung lautet in der offiziellen deutschen Übersetzung: „Die Freiheit der Kulte,26 diejenige ihrer öffentlichen Ausübung sowie die Freiheit, zu allem seine Ansichten kundzutun, werden gewährleistet, unbeschadet der Ahndung der bei der Ausübung dieser Freiheiten begangenen Delikte.“ 27 Dieses Grundrecht schützt die Freiheit der Religionsausübung, worunter das individuelle wie kollektive Ausdrücken der persönlichen Religionsüberzeugung verstanden wird. Den Inhalt ihres Glaubens können Religionsgemeinschaften in Belgien selbstverständlich selbst bestimmen. Somit schützt Art. 19 das positive Element der Religionsfreiheit, nämlich das Haben eines Glaubens (forum internum) und auch das Äußern eines Glaubens (forum externum). Diese Freiheit wird jedoch nicht grenzenlos gewährt, sondern durch einen Vorbehalt in der Verfassung beschränkt: Delikte, die bei der Religionsausübung begangen werden, können verfolgt werden – gemeint ist damit die direkte Kritik am belgischen Staat von der Kanzel herab.28 Präventiv sieht das belgische Recht hingegen keine Maßnahmen zur Religionsbeschränkung vor; Ausnahmen gelten jedoch nach Art. 26 Abs. 2 für Versammlungen unter freiem Himmel wie beispielsweise Prozessionen.29 Während die positive Seite der Religionsfreiheit in Art. 19 der Verfassung angesprochen ist, wird die negative Seite in Art. 20 geregelt: „Niemand darf gezwungen werden, in irgendeiner Weise an Handlungen und Feierlichkeiten eines Kultes teilzunehmen oder dessen Ruhetage einzuhalten.“ 30 Damit ist festgelegt, daß keiner zur Religionsausübung gezwungen werden kann.31

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De Pooter (Fn. 17), S. 20 f. Das belgische Recht kennt nicht den Begriff ,Kirche‘ oder ,Religionsgemeinschaft‘, sondern hat sich an dem französischen ,le culte‘ (niederländisch: ,eredienst‘) orientiert, um den verfassungsrechtlichen Begriff zu übersetzen. Im Gegensatz zu ,Kulte‘ stehen die ,niet-confessionele levensbeschouwingen‘ (zur Semantik von ,culte‘ siehe Vincent Viaene, La liberté comme en Belgique. The semantic stakes of „separation“ between church and state in Belgium, Recht, religie en samenleving 2009, S. 129 ff. und Stox [Fn. 2], S. 39). 27 Art. 19 in der niederländischen Fassung lautet: „De vrijheid van eredienst, de vrije openbare uitoefening ervan, alsmede de vrijheid om op elk gebied zijn mening te uiten, zijn gewaarborgd, behoudens bestraffing van de misdrijven die ter gelegenheid van het gebruikmaken van die vrijheden worden gepleegd.“; und in der französischen: „La liberté des cultes, celle de leur exercice public, ainsi que la liberté de manifester ses opinions en toute matière, sont garanties, sauf la répression des délits commis à l’occasion de l’usage de ces libertés.“ 28 Siehe zum Beispiel Art. 268 des Belgischen Strafgesetzbuchs. Zu Art. 19 auch die Kommentierung in: Grondwet en EVRM/Wetgeving Staatshervorming, Frédéric Vanneste/Jeroen Van Nieuwenhove (Hrsg.), 2016, S. 61. 29 Siehe Vande Lanotte/Goedertier (Fn. 23), S. 558 sowie Stefan Sottiaux, Grondwettelijk Recht, 2016, S. 382 ff. 30 Art. 20 lautet in der niederländischen Fassung: „Niemand kan worden gedwongen op enigerlei wijze deel te nemen aan handelingen en aan plechtigheden van een eredienst of de rustdagen ervan te onderhouden.“; und in der französischen: „Nul ne peut être contraint de concourir d’une manière quelconque aux actes et aux cérémonies d’un 26

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Als dritter Aspekt der Religionsfreiheit ist schließlich die Organisationsfreiheit anzusprechen. Diese ist in Art. 21 Abs. 1 der Verfassung normiert: „Der Staat hat nicht das Recht, in die Ernennung oder Einsetzung der Diener irgendeines Kultes einzugreifen oder ihnen zu verbieten, mit ihrer Obrigkeit zu korrespondieren und deren Akte zu veröffentlichen, unbeschadet, in letztgenanntem Fall, der gewöhnlichen Verantwortlichkeit im Bereich der Presse und der Veröffentlichungen.“ 32 Die Lehre unterscheidet in diesem Artikel drei verschiedene Elemente der Organisationsfreiheit. Zunächst hat der Staat kein Mitspracherecht bei der Auswahl, Ernennung oder Entlassung von Amtsträgern innerhalb einer Religion. Es steht den Religionsgemeinschaften also frei, ihre Amtsträger selbst zu bestimmen und Regeln für deren Entlassung aufzustellen. Sodann dürfen die kirchlichen Amtsträger frei mit ihren Oberen kommunizieren, ohne daß der Staat dies verbieten dürfte; und schließlich ist es dem Staat verboten, die Veröffentlichung von kirchlichen Texten durch Amtsträger zu untersagen. Die allgemeinen Regeln zur Presse gelten jedoch weiterhin.33 Letztere zwei Rechte erklären sich nur historisch, nämlich als Gegensatz zur Napoleonischen Gesetzgebung, die vorsah, daß Dokumente des Heiligen Stuhls nicht ohne vorherige staatliche Zustimmung be-

culte, ni d’en observer les jours de repos.“ Hierzu die Kommentierung in: Frédéric Vanneste/Jeroen Van Nieuwenhove (Hrsg.), Grondwet en EVRM/Wetgeving Staatshervorming, 2016, S. 69. 31 Nach der älteren Rechtsprechung des Belgischen Kassationshofs vom 18.6.1923 war die negative Religionsfreiheit nicht betroffen, wenn Militärangehörige bei dem am Nationalfeiertag (21.7.) in der Kathedrale in Brüssel gesungenen Te Deum anwesend sein mußten und auch kirchlichen Amtsträgern salutierten; die Frage hat inzwischen an Brisanz verloren, da das Te Deum nun allein von der katholischen Kirche für das Könighaus organisiert wird; siehe Torfs, State and Church in Belgium (Fn. 2), S. 15, Fn. 24 sowie André Alen/Koen Muylle, Handboek van het Belgisch Staatsrecht, 2011, S. 984 f. mit Fn. 1005. Ein zweiter Streitpunkt war die Eidesablegung unter Anrufung Gottes, aber seit 1974 wird der Eid regelmäßig ohne Anrufung Gottes abgeleistet, siehe Lanotte/Goedertier (Fn. 23), S. 560. 32 Art. 21 lautet in der niederländischen Fassung: „De Staat heeft niet het recht zich te bemoeien met de benoeming of de installatie der bedienaren van enige eredienst of hun te verbieden briefwisseling te houden met hun overheid en de akten van deze overheid openbaar te maken, onverminderd, in laatstgenoemd geval, de gewone aansprakelijkheid inzake drukpers en openbaarmaking.“; in der französischen: „L’État n’a le droit d’intervenir ni dans la nomination ni dans l’installation des ministres d’un culte quelconque, ni de défendre à ceux-ci de correspondre avec leurs supérieurs, et de publier leurs actes, sauf, en ce dernier cas, la responsabilité ordinaire en matière de presse et de publication.“ Art. 20 der belgischen Verfassung war wohl Vorbild für Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung 1919, siehe Van den hole (Fn. 2), S. 420. 33 De Pooter (Fn. 17), S. 22; Kommentierung in: Frédéric Vanneste/Jeroen Van Nieuwenhove (Hrsg.), Grondwet en EVRM/Wetgeving Staatshervorming, 2016, S. 69. Zur Geschichte von Art. 21 siehe auch Hendrik Vuye, Scheiding Kerk en Staat in een multilevensbouwelijke maatschappij. Historische en prospectieve studie van artikel 21 van de Grondwet, Chroniques de droit public/Publiekrechtelijke 2009, S. 435 ff.

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kannt gemacht werden durften.34 Vor diesem Hintergrund wird das Diktum „la liberté comme en Belgique“ vielleicht noch begreiflicher. Im Zusammenhang mit der organisatorischen Autonomie von Religionsgemeinschaften in Belgien ist eine anwährende Diskussion anzusprechen. Es geht um die Frage, inwiefern kirchliche Entscheidungen von weltlichen Gerichten überprüft werden können, oder – abstrakt formuliert – um die Reichweite der kirchlichen Autonomie. Diese Frage kann sich beispielsweise bei der Entlassung oder Versetzung von kirchlichen Amtsträgern aktualisieren. Während die Lehre im 19. Jahrhundert der Kirche einen weitgehenden Handlungsspielraum zugestand und weltliche Gerichte allein in formaler Hinsicht überprüfen ließ, ob eine Entscheidung von der kirchlicherseits zuständigen Behörde gefällt worden war, stellt der Kassationshof (Hof van Cassatie/Cour de Cassation) nun zusätzlich darauf ab, ob auch die prozessualen Regeln des eigenen, selbstgesetzten Rechts eingehalten worden sind. Eine darüber hinausgehende Prüfung der Entscheidung am Maßstab des Art. 6 Abs. 1 EMRK – und damit an nicht-kirchlichem Recht – darf hingegen nicht stattfinden.35 Diese Diskussion ist jedoch noch nicht zu einem Ende gekommen.36 5. Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften Das belgische Recht unterscheidet trotz prinzipieller Gleichheit der Religionen zwischen den anerkannten und den nicht-anerkannten Glaubensgemeinschaften. Zu den anerkannten Religionen zählen die folgenden Gemeinschaften: die römisch-katholische und die protestantische Kirche, die israelitische Kultusgemeinschaft, die anglikanische Kirche, der Islam sowie die griechisch- und russischorthodoxe Kirche. Während die römisch-katholische Kirche, die Protestanten und das Judentum von Staatsbeginn an anerkannt waren, wurde die anglikanische Kirche 1835 in diesen Kreis einbezogen.37 Der Islam wurde 1974, die Orthodoxe Kirche 1985 anerkannt.38 Schließlich ist als siebte anerkannte Gemeinschaft die humanistische Bewegung anerkannt, vertreten durch den „Centrale Vrijzinninge Raad“/„Conseil Central Laïque“, die damit als nicht-religiös gebundene Weltanschauung seit 2002 vom belgischen Staat rechtlich mit den anderen anerkannten Glaubensgemeinschaften gleichgestellt wird.39 Derzeit wird diskutiert, ob 34 Siehe Vande Lanotte/Goedertier (Fn. 23), S. 554; Alen/Muylle (Fn. 31), S. 985 Anm. 1009. 35 Torfs/Vrielink (Fn. 2), Teil VI.A.; De Pooter (Fn. 17), S. 25. 36 Siehe Alen/Muylle (Fn. 31), S. 987 Fn. 1019; Stox (Fn. 2), S. 47. 37 Die Jahreszahlen scheinen zu variieren, siehe einerseits Torfs, State and Church in Belgium (Fn. 2), S. 13 Fn. 13, andererseits Torfs/Vrielink (Fn. 2), Teil V. A. 38 Siehe auch: https://justitie.belgium.be/nl/themas_en_dossiers/erediensten_en_vrij zinnigheid/erkende_erediensten (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). 39 Torfs, State and Church in Belgium (Fn. 2), S. 13 f.; Alen/Muylle (Fn. 31), S. 992 f.

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Buddhisten ebenfalls die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfüllen. Aber auch ohne Anerkennung erhält die „Boeddhistische Unie van België“ finanzielle staatliche Unterstützung.40 Aus der Anerkennung ergeben sich vielfältige Vorteile. So werden, wie Art. 181 Abs. 1 der Verfassung vorsieht, die Gehälter und Pensionen der kirchlichen Amtsträger durch den Staat getragen: „Die Gehälter und Pensionen der Diener der Kulte gehen zu Lasten des Staates; die dazu erforderlichen Beträge werden jährlich in den Haushaltsplan eingesetzt.“ 41 Dies gilt seit 1993 auch für die anerkannten nicht-religiösen Gemeinschaften.42 Darüber hinaus kommt der Staat für den Unterhalt der Kirchen auf, er hat Geistlichen eine angemessene Wohnung zu stellen und zudem zahlen anerkannte Religionsgemeinschaften keine Steuern auf die Liegenschaften, die sie für den Gottesdienst benötigen.43 Auch für Defizite, die bei der kirchlichen Verwaltung von Gütern entstehen, steht der Staat ein, was, wie von selbst kirchenfreundlichen Kreisen bemerkt wird, nicht immer zu einer nachhaltigen Haushaltsführung 40

Siehe Alen/Muylle (Fn. 31), S. 993. Art. 181 Abs. 1 lautet in der niederländischen Fassung „De wedden en pensioenen van de bedienaren der erediensten komen ten laste van de Staat; de daartoe vereiste bedragen worden jaarlijks op de begroting uitgetrokken.“ und in der französischen: „Les traitements et pensions des ministres des cultes sont à la charge de l’État; les sommes nécessaires pour y faire face sont annuellement portées au budget.“ 42 Art. 181 Abs. 2 (ergänzt durch Gesetz vom 5.4.1993): „Die Gehälter und Pensionen der Vertreter der durch Gesetz anerkannten Organisationen, die moralischen Beistand aufgrund einer nichtkonfessionellen Weltanschauung bieten, gehen zu Lasten des Staates; die dazu erforderlichen Beträge werden jährlich in den Haushaltsplan eingesetzt“; in der niederländischen Fassung: „De wedden en pensioenen van de afgevaardigden van de door de wet erkende organisaties die morele diensten verlenen op basis van een niet-confessionele levensbeschouwing, komen ten laste van de Staat; de daartoe vereiste bedragen worden jaarlijks op de begroting uitgetrokken.“ und in der französischen: „Les traitements et pensions des délégués des organisations reconnues par la loi qui offrent une assistance morale selon une conception philosophique non confessionnelle sont à la charge de l’État; les sommes nécessaires pour y faire face sont annuellement portées au budget.“ 43 Dies ergab sich früher aus Art. 255 12 ë Nieuwe Gemeentewet für Wohnungen, siehe Vande Lanotte/Goedertier (Fn. 23), S. 566 und auch Torfs, State and Church in Belgium (Fn. 2), S. 27 f. Mit der Aufhebung des Nieuwe Gemeentewet durch das Gemeentedecreet vom 15.7.2005 ist Rechtsgrundlage nun Art. 52/1 Abs. 1 3de und 4de lid Eredienstendecreet: „In de parochies waar er een bedienaar van de eredienst, belast met de eredienst van de parochie, verblijft, stelt de gemeente de bedienaar een pastorie ter beschikking, of, als er geen pastorie is, een woning of een woonstvergoeding. In de parochies waar er geen bedienaar van de eredienst, belast met de eredienst van de parochie, verblijft, stellen de gemeenten aan de kerkfabriek een ruimte ter beschikking waar de gelovigen ontvangen kunnen worden, waar de kerkraad kan vergaderen en waar het archief van de kerkfabriek kan worden bewaard, of betalen de kerkfabriek een secretariaatsvergoeding.“ (Belgisch Staatsblad/Moniteur Belge vom 16.8.2012, S. 48272– 48281, hier: S. 48275). Siehe zur Rechtslage vertiefend: Frédéric Amez, De bevoegdhedsverdeling inzake erediensten, in: Johan Vannerom (Hrsg.): Vastgoedrecht in de Kerk, 2014, S. 25 (28 f.). 41

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einlädt, selbst wenn ein Haushalt vorab erstellt werden muß.44 Ferner wird den Einrichtungen, die Güter der anerkannten Religionsgemeinschaften verwalten, Rechtspersönlichkeit verliehen. Dies ist aufgrund der Tatsache von Bedeutung, daß weder die katholische Kirche insgesamt noch Bistümer oder Pfarreien im übrigen Rechtspersönlichkeit besitzen.45 Aus diesem Grunde kommt es häufig zur Gründung von „Gesellschaften ohne Gewinnabsicht“ („vereniging zonder winstoogmerk“/„association sans but lucratif “), die eine Art des Idealvereins darstellen und am Rechtsleben teilnehmen können. Die anerkannten Religionsgemeinschaften dürfen darüber hinaus Militär- und Gefängnisseelsorger stellen und erhalten seit 1964 Sendezeit im Rundfunk und Fernsehen. Dieses „droit à l’antenne“ ist jedoch in Flandern zu Anfang des Jahres 2016 abgeschafft worden.46 Davon unberührt bleibt aber die sonntägliche Übertragung eines Gottesdienstes (katholischer Gottesdienst sowie protestantische, orthodoxe, jüdische und muslimische Feier im Wechsel). Diese Vorteile werden teils als Kompensation für die Säkularisierung gerechtfertigt, teils – bei erst in jüngerer Zeit anerkannten Gemeinschaften – mit ihrem Einsatz für das Gemeinwohl begründet.47 Der Grund für diese privilegierte Stellung einiger Glaubensgemeinschaften liegt somit in ihrem sozialen Einsatz für die Gemeinschaft („van algemeen maatschappelijk nut“; „social utitily of religion“ 48). Diese Anerkennung erfolgt als Beschluß der föderalen Regierung.49 Die Voraussetzungen für eine solche Anerkennung sind jedoch weder in der Verfassung 44 Dies ergab sich früher aus Art. 255 9 ë Nieuwe Gemeentewet in Verbindung mit Art. 69 9 ë Provinciewet; siehe Torfs/Vrielink (Fn. 2), Teil IX. Das Nieuwe Gemeentewet ist jedoch genauso wie das Provinciewet aufgehoben worden (siehe auch Fn. 40); letzteres ist durch das Provinciedecreet vom 9.12.2005 ersetzt worden. Heute ergibt sich die Haftung für Schulden aus Art. 52/1 § 1 1ste lid: „De gemeentebesturen passen de tekorten bij van de exploitatie van de kerkfabrieken en dragen bij in de investeringen in de gebouwen van de eredienst.“ (siehe Belgisch Staatsblad/Moniteur Belge vom 16.8.2012, S. 48272 (48275). 45 Vande Lanotte/Goedertier (Fn. 23), S. 565; Torfs, State and Church in Belgium (Fn. 2), S. 14 f. 46 Zu der Beitragszeit im Rundfunk, dem „droit à l’antenne“: Luc de Fleurquin, Nationalism and the right of religious communications, in: Gloria María Morán García (Hrsg.): Nacionalismo en Europa. Nacionalismo en Galicia. La religión como elemento impulsador de la ideología nacionalista, 1998, S. 273 (287); Rik Torfs, Religions et médias en Belgique, in: Norman Doe (Hrsg.), The portrayal of religion in Europe: the media and the arts/Le portrait de religion en Europe: les médias et les arts, 2004, S. 19 (31 ff.); Torfs, Religion and State in Belgium (Fn. 7), S. 100 und Torfs/Vrielink (Fn. 2), Teil VI.A. Die Angaben zu der gewährten Sendezeit schwanken; in Flandern belief sich dieses Recht wohl auf 50 bis 100 Fernsehstunden pro Jahr für alle religiösen wie nichtreligiösen Gruppen, die Übertragung der sonntäglichen Messe nicht eingeschlossen. 47 Siehe Alen/Muylle (Fn. 31), S. 989. 48 Viaene (Fn. 26), S. 144. 49 De Pooter (Fn. 17), S. 30. Siehe vertiefend den Zusammenarbeitsbeschluß zwischen der föderalen Regierung und den Gewesten „betreffende de erkenning van de

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noch in einem formellen Gesetz verankert. In der Literatur und wohl auch in der administrativen Praxis wird mit den folgenden fünf Kriterien operiert: Die Religionsgemeinschaft muß a) eine gewisse Größe (mehrere zehntausend Mitglieder) und b) eine Organisationsstruktur (mit Repräsentativorgan als Ansprechpartner) aufweisen, c) ausreichend lange in Belgien vertreten sein (mehrere dutzend Jahre), d) ein sozial-gesellschaftliches Interesse repräsentieren und d) darf keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen.50 Diese Kriterien – so wird immer wieder betont – sind letztlich der katholischen Kirche und ihrer Organisationsstruktur nachgebildet, so daß sie auf andere Religionen wie beispielsweise den Islam ohne festen organisatorischen Unterbau schwerer anwendbar sind.51 Überhaupt kommt der katholischen Kirche traditionellerweise, aber auch rein zahlenmäßig, die Stellung als primus inter pares zu.52 Dies ist jedoch (wenn überhaupt) ein de facto-Privileg der katholischen Kirche, kein de jure. Das Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften und staatlicher Aufsicht zeigt sich auch deutlich bei der Bestimmung der Repräsentativorgane. Zu diesen zählen zum Beispiel die katholischen Bischöfe, der Administrativrat der protestantisch-evangelischen Kirche („Administratieve raad van de protestants-evangelische eredienst“ (ARPEE)/„Conseil administratif du culte protestant et évangélique“ (CACPE)), das „Central Commitee of the Anglican Church in Belgium“, das „Consistoire central israélite de Belgique“/„Centraal Israëlitisch Consistorie van België“ oder auch „Exécutif des Musulmans de Belgique“/„Executief van de Moslims van Belgie“.53 Die Vertreter in diesen Repräsentativorganen sind teils von der Religionsgemeinschaft selbst ernannt (wie die katholischen Bischöfe, die aufgrund ihrer Einsetzung durch den Papst diese Funktion innehaben), teils gewählt (wie die Vertreter im „Consistoire central israélite“ oder im Rat der protestantisch-evangelischen Kirche), teils durch den Staat ernannt (wie die Vertreter der anglikanischen Kirche), teils in gemischter Form ausgewählt (wie bei dem „Exécutif des Musulmans de Belerediensten, de wedden en pensioenen van de bedienaaars der erediensten, de kerkfabrieken en de instelling belast met het beheer van de temporaliën van de erkende erediensten (Belgisch Staatsblad/Moniteur Belge vom 14.6.2004 [S. 44243 ff.]); hierzu Adriaan Overbeeke, Eén huis met vele kamers. De financiering van de erkende erediensten in het samenwerkingsakkoord van 27 mei 2004, Chroniques de Droit Public/Publiekrechtelijke Kronieken, 2007, S. 94 (100 f.). 50 Zu Anerkennung De Pooter (Fn. 17), S. 30; Torfs/Vrielink (Fn. 2), Teil VI.A.; Torfs, Religion and State in Belgium (Fn. 7), S. 109; Alen/Muylle (Fn. 31), S. 989 Fn. 1031; Frédéric Amez, La représentation des cultes reconnus, in: Recht, Religie en Samenleving 2009, S. 1 (11 ff.). 51 Viaene (Fn. 26), S. 145. 52 Vertiefend Torfs, State and Church in Belgium (Fn. 2), S. 15, dort auch die Beurteilung als primus inter pares. 53 Siehe vertiefend Amez (Fn. 50), S. 35.

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gique“, dessen Mitglieder unter Staatsaufsicht gewählt werden).54 Aufgrund der verschiedenen Besetzungsmodi – teils unter Staatsaufsicht oder sogar unter bestimmendem Einfluß des Staates – ist in der Literatur gefragt worden, ob dies mit der durch Art. 21 der Verfassung gewährten Organisationsfreiheit vereinbar sei.55 Nicht-anerkannte Religionsgemeinschaften genießen die oben dargestellten materiellen Privilegien nicht. Sie können sich aber selbstverständlich auf die in Art. 19 und 21 der Verfassung festgelegten Grundsätze berufen. Zu den nicht-anerkannten Religionsgemeinschaften zählen zum Beispiel die Zeugen Jehovas mit vermutlich mehr als 30.000 Mitgliedern.56 Andere nicht anerkannte Religionsgemeinschaften sind die Baptisten, Mennoniten und die Siebenten-Tags-Adventisten.57 Daneben gibt es noch religiöse Bewegungen wie die Mormonen, die rund 3.000 Anhänger zählen. In der Praxis, so wird in der Literatur bemerkt, ergibt sich jedoch häufig eine deutliche Schlechterstellung, da die Abgrenzung mit als „Sekten“ angesehenen Gruppierungen schwierig sei. Die Abgrenzungsschwierigkeiten beruhen nicht zuletzt darauf, daß es in Belgien keine Legaldefinition des Begriffs ,Religion‘ gibt. Es ist vielmehr Aufgabe der Gerichte festzustellen, ob eine Vereinigung als ,Religion‘ anzusehen ist. Dabei solle sich das Gericht gerade nicht auf den Glaubensinhalt stützen, sondern zunächst externe Aspekte wie das Vorhandensein von Gotteshäusern, Gebetstexten und gefestigten Ritualen eruieren. Deutliche Spannungen hatten sich in diesen Kontext um die Arbeit des „Informatie- en Adviescentrum inzake de schadelijke sektarische organisaties“ ergeben, das Warnungen vor Sekten ausgesprochen hat.58 Diese Diskussionen sind jedoch seit dem Beginn des neuen Jahrtausends abgeebbt. 6. Kirchengüter und Kirchenfinanzierung Die Finanzierung der anerkannten Religionsgemeinschaften erfolgt durch den Staat. Dieser kommt für Gehalt und Pensionen der kirchlichen Amtsträger auf. In der Praxis wird für die Bestimmung der Höhe der Zuwendung die Anzahl der Gläubigen pro Religionsgemeinschaft zugrunde gelegt. Da jedoch keine Erhebungen über die Religionszugehörigkeit stattfinden (eine solche Frage ist nach belgischer Auffassung unzulässig), besteht über die Anzahl der Gläubigen und

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Amez (Fn. 50), S. 39. Ebd., S. 39; De Pooter (Fn. 17), S. 32. 56 Zahlen bei Torfs, State and Church in Belgium (Fn. 2), S. 15. 57 Siehe De Pooter (Fn. 17), S. 39. 58 Ebd., S. 41; Torfs, State and Church in Belgium (Fn. 2), S. 17; Rik Torfs, New Aspects in the Relationship between State and Religious Communities in Belgium, in: Wilhelm Rees/María Roca/Balázs Schanda (Hrsg.), Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten, 2013, S. 727 (731 ff.); Vande Lanotte/Goedertier (Fn. 23), S. 559. 55

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damit auch über die aufzubringenden Mittel ein „gentlemen’s agreement“.59 Ausnahmsweise werden die Zuweisungen an die katholische Kirche nicht nach Anzahl der Mitglieder, sondern nach der Bevölkerungsanzahl in einem bestimmten Gebiet berechnet, was sicherlich als Relikt aus der Zeit, als die katholische Kirche Volkskirche war, zu bezeichnen ist.60 Auf die übrigen finanziellen Zuwendungen – wie Steuererleichterungen, Unterhalt für Kirchengebäude – ist oben schon eingegangen worden.61 Eine Kirchensteuer – wie beispielsweise in Deutschland – existiert in Belgien nicht. Auch ist die Unterstützung mit Spenden oder durch fund-raising eher selten.62 Schließlich ist noch auf die Auswirkungen der Föderalisierung auf das Staatskirchenrecht hinzuweisen, die im Zuge der Staatsreformen erfolgten. Aufgrund verschiedener Staatsreformen wurde der ehemalige Einheitsstaat in einen föderalen Staat umgewandelt, in dem die drei Regionen („gewesten“/„régions“) Flandern, Brüssel und Wallonien für grund- und bodenbezogene Aufgaben zuständig sind, wohingegen die drei Sprachgemeinschaften (niederländische, französische und deutsche) personenbezogene Angelegenheiten wie Kultur und Schule wahrnehmen. Während die Gehälter und Pensionen von Amtsträgern der Religionsgemeinschaften weiterhin von der föderalen Ebene bezahlt werden,63 sind nun die „gewesten“/„régions“ für den materiellen Unterhalt zum Beispiel der Gotteshäuser der anerkannten Religionsgemeinschaften zuständig.64 7. Formen institutioneller Kooperation von Staat und Kirchen sowie Religionsgemeinschaften Als wohl wichtigster Punkt der institutionellen Zusammenarbeit zwischen Staat und Religionsgemeinschaften ist die Bildung, und hier vor allem die Schulbildung, zu nennen. Für die Schulbildung liegt die Kompetenz bei der jeweiligen Sprachgemeinschaft, also der französisch-, niederländisch- und deutschsprachigen Gemeinschaft. Es gibt in Belgien neben katholischen Schulen jüdische Schulen (vor allem in Antwerpen) sowie einige islamische (Grund-)Schulen in Brüssel.65 In faktischer Hinsicht ist zu betonen, daß rund 60 % der Schüler in Belgien eine katholische Schule besuchen; in Flandern liegt der Prozentsatz sogar noch etwas höher. Finanziert werden aber sowohl die konfessionell-gebundenen Schulen wie die staatlichen Schulen („gemeenschapsonderwijs“) durch den Staat. 59

So De Pooter (Fn. 17), S. 36. Ebd., S. 36. 61 Siehe dazu in diesem Beitrag Abschnitt I. 5. 62 Torfs, State and Church in Belgium (Fn. 2), S. 28. 63 Siehe das Gesetz vom 2.8.1974 über die Gehälter von Geistlichen (Fn. 15). 64 Vertiefend Torfs (Fn. 58), S. 729. 65 Die islamischen Schulen bieten bislang nur „basisonderwijs“/„section primaire“ an, was einer deutschen Grundschule mit sechs Jahrgängen entspricht. 60

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Schüler auf staatlichen Schulen (nicht aber auf katholischen Schulen) können wählen, ob sie Religions- oder Ethikunterricht besuchen oder sich sogar von beiden Fächern freistellen lassen wollen.66 Der Erfolg katholischer Schulen in Belgien erklärt sich zum einen aus dem – jedenfalls von katholischer Seite aus gefühlt – besseren Unterricht („K staat voor kwaliteit“). Zum anderen beruhte die belgische Gesellschaft auf einer vertikalen Aufspaltung der Gesellschaft in Sozialisten, Liberale und Katholiken, die auch als Versäulung („verzuiling“) bezeichnet wurde. Diese Versäulung ist seit den 1970er Jahren sicherlich schwächer geworden, doch bestehen – gleichsam als Relikt – weiterhin Parteien, Gewerkschaften, Krankenversicherungen, Jugendorganisationen, Zeitungen und eben auch Schulen, die die jeweilige „Säule“ abdecken, selbst wenn diese Zuordnungen heute deutlich schwächer geworden sind. In diesem Sinne sind katholische Schulen tief in der belgischen Gesellschaft verankert. Auch die höhere Bildung in Form der Universitäten spiegelt diese ehemalige Versäulung wider. Als katholische Universitäten sind die KU Leuven (Leuven), die Université Catholique de Louvain (Louvain-la-Neuve), die Université SaintLouis (Brüssel) und die Université de Namur (Namur) zu nennen. Die ehemalige Katholieke Universiteit Brussel wurde 2013 von der KU Leuven übernommen; die ehemalige Facultés universitaires catholiques de Mons fusionierten 2011 mit der Université Catholique de Louvain (Louvain-la-Neuve).67 Diese Universitäten sind zwar katholisch, aber staatsfinanziert. Die katholische Kirche hatte die in Art. 24 Abs. 1 der Verfassung verankerte Unterrichtsfreiheit („Das Unterrichtswesen ist frei“) genutzt, um schon 1834 die Katholieke Universiteit Leuven zu errichten.68 Im selben Jahr wie die katholischen Bischöfen gründeten die Freimaurer die Université Libre de Bruxelles.69

66 Diese Regelung beruht auf dem Schulpakt von 1958, einem außerparlamentarisch geschlossenen Kompromiß über das belgische Schulsystem zwischen Katholiken, Sozialisten und Liberalen; vertiefend zum Schulpakt und zu dessen Vorgeschichte siehe Van den hole, Verhältnis (Fn. 2), S. 427 sowie Els Witte/Jan De Groof/Jeffrey Tyssens (Hrsg.), Het Schoolpact van 1958. Ontstaan, grondlijnen en toepassing van een Belgisch compromis/Le pacte scolaire de 1958. Origines, principes et application d’un compromis belge, 1999; kritisch zur geltenden Regelung Leni Franken, State Support for Religion in Belgium: a critical evaluation, Journal of Church and State 59 (2015), S. 59 (73 ff.). 67 Darüber hinaus bestehen weitere „Hogescholen“, die in etwa den deutschen Fachhochschulen entsprechen. 68 Die Universität des Ancien Régime wurde schon 1425 gegründet, aber 1797 unter französischem Einfluß aufgehoben. 69 Siehe Stephan Dusil, KU Leuven und Tilburg University. Zwei katholische Universitäten in Belgien und den Niederlanden im Vergleich, in: Matthias Pulte/Ansgar Hense (Hrsg.), Kirchliche Hochschulen und konfessionelle akademische Institutionen im Lichte staatlicher und kirchlicher Wissenschaftsfreiheit, 2018, S. 113.

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In welchem Umfang weltanschauliche Schulen noch heute Überzeugungen der jeweiligen Weltanschauung vermitteln, wäre an anderer Stelle zu vertiefen; jedenfalls werden an katholischen Schulen heute wohl eher Glaubensinhalte vorgestellt als daß Formen des Religiösen praktiziert würden.70 Und auch an der KU Leuven – die übrigens seit 2011 nicht mehr als „Katholieke Universiteit Leuven“ firmiert, sondern die Konfessionsorientiertheit nun im Akronoym „KU“ versteckt – haben die katholischen Bischöfe zwar noch ein Beratungs-, aber kein Stimmrecht mehr (mit Ausnahme von Angelegenheiten der Fakultät Theologie und Kirchliches Recht).71 Als weitere Formen der institutionellen Kooperation von Staat und Kirche sind noch Gefängnis- und Militärseelsorger anzusprechen. Auch diese werden durch den Staat bezahlt. Die Gefängnisseelsorge wurde durch Königlichen Erlaß vom 21.5.1965 eingeführt; die Militärseelsorge ist schon davor eingeführt worden und beruht auf dem Königlichen Erlaß vom 17.8.1927.72 Derzeit – April 2018 – sind acht katholische, ein protestantischer, ein jüdischer, ein muslimischer sowie sechs konfessionell nicht-gebundene Seelsorger bzw. Ansprechpartner beim belgischen Militär angestellt.73 8. Geltung kirchlich bzw. religionsgemeinschaftlich gesetzten Rechts in der staatlichen Rechtssphäre Kirchliches Recht und staatliches Recht stehen in Belgien prinzipiell nebeneinander und berühren sich an eher wenigen Punkten. Im Bereich des Eherechts, zum Beispiel, sind zivilrechtliche und religiöse Ehe strikt voneinander getrennt, wobei die zivilrechtliche Ehe Voraussetzung für die religiöse Trauung ist. Ein Priester, der eine kirchliche Trauung ohne vorhergehenden zivilrechtlichen Eheschluß vornimmt, macht sich strafbar (Art. 267 Strafgesetzbuch). Beide Rechtssphären berühren sich jedoch insofern, als daß kirchliche Entscheidungen jedenfalls partiell von weltlichen Gerichten überprüft werden können, und zwar mit Blick auf die Kompetenz der entscheidenden Stelle und die Einhaltung der selbstgesetzten Verfahrensaspekte.74 Die Berührung ist jedoch als eher oberflächlich zu charakterisieren, da kirchliche Verfahrensregeln anerkannt werden, deren 70 In diesem Sinne sprechen auch die katholischen Bischöfe in Flandern nun von der Vermittlung einer „religieuze geletterdheid“ im Unterricht, also einer „religiösen Bildung“. 71 Siehe Dusil (Fn. 69). 72 Belgisch Staatsblad/Moniteur Belge vom 25.5.1965 (S. 6282); Belgisch Staatsblad/Moniteur Belge vom 1.9.1927 (S. 4002). 73 Die Angaben beruhen auf der freundlichen Auskunft des „Service d’assistance religieuse et morale/catholique – Dienst voor religieuze en morele bijstand/katholiek“ vom 23.4.2018. Neben den acht aktiven katholischen Geistlichen gibt es noch vier „meewerkende reserveaalmoezeniers“ und drei „meewerkende ere-aalmoezeniers“. Ältere Zahlen nennt Torfs, State and Church in Belgium (Fn. 2), S. 29. 74 Siehe dazu in diesem Beitrag Abschnitt I. 4.

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Anwendung zwar der staatlichen Nachprüfung unterliegt, aber eine weitergehende Kontrolle kirchlicher Entscheidungen an Maßstäben des staatlichen Rechts indes nicht stattfindet.75 9. Schlußbemerkungen: Gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen des Staatskirchenrechts Als der Belgische Staat 1831 gegründet wurde, schufen die Verfassungsväter eine spannungsreiche Beziehung zwischen staatlicher und religiöser Sphäre, die zwischen Freiheit und Abhängigkeit oszilliert. Kontextualisiert man diese Regelungen im konstitutionellen Gefüge des früheren 19. Jahrhunderts, so ist zunächst festzuhalten, daß die Religionsgemeinschaften – und das heißt konkret: die katholische Kirche – eine bis dato unbekannte freiheitliche Stellung erhielten. Sie konnten sich frei organisieren und standen nicht unter der Kontrolle des Staates. Zugleich unterhielt der Staat die anerkannten Religionsgemeinschaften finanziell. Dies wurde schon zu Beginn des 20. Jahrhundert als „widerspruchsvoll“ charakterisiert.76 In der heutigen Literatur wird diese Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Staat und Kirchen deutlich kritisch gesehen. Während systemfreundliche Autoren dieses System mit Begriffen wie „juristischer Pragmatismus“ 77 zu rechtfertigen versuchen, weisen kritischere Autoren – und es sei hier explizit offen gelassen, ob diese der kirchlichen oder der laizistischen Sphäre angehören – auf kaum lösbare Spannungen hin. So gesteht der Staat einerseits die Organisationsfreiheit zu und interveniert nicht in interne Angelegenheiten, zugleich aber benennt der Staat (jedenfalls teilweise) die Ansprechpartner der Glaubensgemeinschaften, die diese ihm gegenüber vertreten: „La schizophrénie n’est jamais bien loin.“ 78 Zudem schaffe die Finanzierung der Religionsgemeinschaften „a strong temptation for religions to discipline themselves“.79 Religionsgemeinschaften würden ihre innere Struktur an die Wünsche des Staates anpassen: „the religious field thus becomes less anarchic, les dangerous, more pliable in the government’s hand“. Desweiteren wurde das Finanzierungsmodell als schädlich charakterisiert: „article 181 inhibits the prophetic drive of religions. State support makes religions tame, biased towards consensus rather than conflict, less likely to play a critical role in society.“ 80 75 76 77 78 79 80

Siehe dazu in diesem Beitrag Abschnitt I. 4. So W. Kahl, zit. nach: Van den hole (Fn. 2), S. 424. Siehe van der Helm (Fn. 2). Amez (Fn. 50), S. 44. Viaene (Fn. 26), S. 145. Ebd., S. 145.

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Die so geschaffene Nähe, die das Verhältnis von Religionen und Staat nicht zuletzt durch die Versäulung über viele Jahrzehnte auszeichnete, ist in den letzten Jahrzehnten deutlich schwächer geworden. Religion spielt – wie die Anzahl der aktiven Katholiken schon zeigt – eine immer geringere Rolle in der belgischen Gesellschaft. Die katholische Tradition wird zwar hochgehalten, doch ist gerade der Katholizismus inhaltlich entleert. Das belgische System von Staat und Kirchen wird daher – wohl nicht zu unrecht – als „oddity in Europe today“, als „archaeological artefact from the 19th century“ bezeichnet.81 Ob dieses Modell Zukunft hat, wird sich zeigen.82 Die Kritik kommt jedenfalls von beiden Seiten: Kirchen- und religionsferne Autoren kritisieren die staatliche Finanzierung der Religionsgemeinschaften; zugleich empörten sich kirchennahe Autoren vor einigen Jahren, als der Staat prozessuale Vorschläge zum Umgang mit Mißbrauchsfällen innerhalb der Kirche machte und charakterisierten diese als Eingriff in die Organisationsfreiheit.83 Die Kritik von beiden Seiten zeigt jedenfalls, wie fragil die im 19. Jahrhundert gezogene Trennlinie geworden ist.

II. Die Niederlande 1. Historische Grundlagen des Staatskirchenrechts Die Niederlande sind mit Belgien historisch eng verbunden, gehörten doch Teile der beiden Länder im 15. Jahrhundert zu Burgund. Später waren die Herrschaften auf dem Gebiet der heutigen Benelux-Staaten inklusive Nordfrankreich in den „Siebzehn Provinzen“ miteinander verbunden.84 1581, in Folge des Achtjährigen Kriegs, sagten sich die nördlichen Provinzen von dieser Union los („Plakkaat van Verlatinghe“, auch als „Akte van Afzwering“ bekannt) und gründeten die „Republik der Sieben Vereinigten Provinzen“, die im Westfälischen Frieden 1648 international anerkannt wurde.85 Die südlichen Provinzen blieben indes Teil des katholischen Spaniens und wurden erst – nach vielen weiteren 81

Viaene (Fn. 26), S. 146. Zur Zukunft des Modells: Michel Magits, België: Een systeem naar Frans model?, in: Paul de Hert/Karen Meerschaut (Hrsg.), Scheiding van kerk en staat of actief pluralisme?, 2007, S. 31; Franken, State Support for Religion in Belgium (Fn. 64). 83 Torfs (Fn. 58), S. 739. 84 Für die vormoderne Geschichte der Niederlande siehe Daniel Jeen Roorda/Jan Wim Buisman u. a., Overzicht van de Nieuwe Geschiedenis. De algemene geschiedenis van het einde der middeleeuwen tot 1870, Groningen 1983 und Willem Frijhoff/Leo Wessels, Veelvormige dynamiek. Europa in het ancien régime, 1450–1800, 2006; die neuere Geschichte behandeln Piet de Rooy, Republiek van Rivaliteiten. Nederland sinds 1813, 2. Aufl. 2005. Das 20. Jahrhundert behandelt Friso Wielinga, Nederland in de twintigste eeuw, 2009. 85 Vertiefend: Maurice van Stiphout, De ontwikkeling van de verhouding tussen Kerk en Staat tijdens het ontstaan van de Republiek der Verenigde Nederlanden, in: Avelien Haan-Kamminga/Evert Frederik Stamhuis (Hrsg.), Religie, cultuur en het recht van de overheid, 2002, S. 11. 82

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Herrschaftswechseln – 1831 als Königreich Belgien unabhängig.86 Die „Republik der Sieben Vereinigten Provinzen“ wurde 1795 unter französischem Einfluß durch die „Batavische Republik“ ersetzt, einem Einheitsstaat, der sich 1798 eine Verfassung gab. Diese wurde mehrfach geändert (1801, 1805), bevor 1806 das „Königreich Holland“ („Koninkrijk Holland“/„Royaume d’Hollande“) gegründet wurde, dessen König Louis Bonaparte, der Bruder Napoleons, war. 1810 wurde das Königreich in französische Departmente verwandelt, bevor es 1813 endgültig selbständig wurde. Damit kamen die wechselhaften Zeiten seit der Französischen Revolution zu einem Ende. Das Territorium des Königreichs der Vereinigten Niederlanden umfaßte von 1815 bis 1831 auch das heutige Belgien; in Personalunion war der niederländische König bis 1890 auch Großherzog des heutigen Luxemburgs. Für das Staatskirchenrecht in den Niederlanden ist entscheidend, daß das Land traditionell protestantisch-calvinistisch geprägt war und die calvinistische Kirche bis 1795 eine privilegierte Stellung einnahm.87 Zugleich entwickelten sich aufgrund des Fernhandels schon im 16. und 17. Jahrhundert Formen der religiösen Toleranz. Zwar sahen die Verfassung der Batavischen Republik 1798 wie auch die Verfassung von 1814 Religionsfreiheit vor, doch blieben zu Beginn des 19. Jahrhunderts die protestantisch-reformierten Kirchen unter staatlicher Organisationshoheit.88 Auch die katholische Kirche war unter Staatsaufsicht, so unterlag zum Beispiel der Briefwechsel der Katholiken mit dem Papst der staatlichen Kontrolle. Katholische Prozessionen waren zwar grundsätzlich zugestanden, doch sollten sie nur an den Orten erlaubt sein, an denen sie üblich waren. Damit war jedenfalls in den nördlichen Provinzen die Ausübung katholischer Frömmigkeit (z. B. Prozessionen) verboten. Die 1848 in einem liberalen Sinne geänderte Verfassung garantierte den Kirchen größere Freiheiten.89 86

Siehe dazu in diesem Beitrag Abschnitt I.1. Spezifisch zur Geschichte des Verhältnisses der Religionen und des Staates siehe Sophie C. van Bijsterveld, Staat und Kirche in den Niederlanden, in: Gerhard Robbers (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, 1995, S. 229 (231 f.); Alfons H. M. Dölle, De verhouding tussen Kerk en Staat in het Koninkrijk der Nederlanden, Tijdschrift voor Bestuurswetenschappen en publikrecht 2002, S. 684 (686 ff.); Jan de Bruijn, Kerk en staat – historisch. De verhouding tussen kerk en staat in Nederland (1579–2003), in: Leendert Cornelis van Drimmelen/Tymen Jan van der Ploeg (Hrsg.), Kerk en recht, 2004, S. 49; Sophie C. van Bijsterveld, State and Church in the Netherlands, in: Gerhard Robbers (Hrsg.), State and Church in the European Union, 2. Aufl. 2005, S. 367 (369 f.); Dirk van der Blom, De verhouding van staat en religie in een veranderende Nederlandse samenleving, Diss. 2016, insbes. S. 1 ff.; Sophie C. van Bijsterveld, Art. Netherlands, in: Gerhard Robbers (Hrsg.): Encyclopedia of Law and Religion, Teil II. 88 Siehe Jan de Bruijn (Hrsg.), Geen heersende kerk, geen heersende staat. De verhouding tussen kerken en staat 1796–1996, 1998. 89 Siehe den Band: Gerrit Jan Schutte/Jasper Vree, Om de toekomst van het protestantse Nederland. De gevolgen van de grondwetsherzienig van 1848 voor kerk, staat en maatschappij, 1998. 87

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Darüber hinaus trat im Jahr 1853 ein Gesetz über die Religionsgemeinschaften („Wet op de kerkgenootschappen“) in Kraft, das u. a. die Freiheit der internen Organisation vorsah. Aufgrund dieses Gesetzes erfolgte im selben Jahr die Wiedererrichtung der katholischen Kirchenhierarchie in den Niederlanden. Das Gesetz über die Religionsgemeinschaften blieb bis 1988 in Kraft.90 Wichtige Diskussionspunkte des ausgehenden 19. Jahrhunderts waren das Armenwesen und die Bildung. Für letztere konnte 1917 eine Übereinkunft erreicht werden, die die Finanzierung von religiös-geprägten Grundschulen vorsah. Das heutige Staatskirchenrecht der Niederlande beruht auf der neuen Verfassung von 1983. Diese sieht zwar Religionsfreiheit vor, doch sind Religionsgemeinschaften als Institution nicht mehr genannt. Zugleich wurde das ältere Gesetz, das in der Tradition der Ausgleichung von Säkularisierungen die Finanzierung von Gehältern und Pensionen einiger Geistlichen vorsah, aufgehoben. Damit wurden die finanziellen Bande durchschnitten („doorknippen van de zilveren koorde“). Für die Geschichte des religiösen Lebens in den Niederlanden ist zudem von Bedeutung, daß das Land bis heute von einer religiösen Vielfalt geprägt ist. Es bestehen einerseits mehrere Ausprägungen des protestantischen Glaubens (reformiert, lutherisch, mennonitisch, etc.), andererseits ist das Land traditionell bikonfessionell: Während der Norden der Niederlande in verschiedenen Spielarten protestantisch-calvinistisch ist, ist der an Belgien grenzende Süden – also die heutige Provinz Limburg mit der Hauptstadt Maastricht, aber auch die Provinz Noord-Brabant mit der Hauptstadt ’s-Hertogenbosch – mehrheitlich katholisch. Der Blick auf die Realität des religiösen Lebens in den Niederlanden des 20. Jahrhunderts zeigt eine weitausgreifende Säkularisierung im Laufe der letzten fünfzig Jahre. Während 1958 noch 75 % der Bevölkerung in den Niederlanden einer Kirche angehörten, sanken die Kirchenmitgliedschaften stetig über 60 % im Jahre 1970 auf 30 % 2012.91 Obwohl weder eine offizielle Registrierung der Religionszugehörigkeit erfolgt noch die Kirchenmitgliedschaft einheitlich definiert wird, deuten diese Schätzungen doch auf eine tiefgreifende Säkularisierung der Niederlanden hin. In absoluten Zahlen sind von den knapp 17 Millionen Einwohnern 2014 gut 4 Millionen katholisch (das entspricht knapp 25 %), 1,7 Millionen (also rund 11 %) gehören zur „Protestantse Kerk in Nederland“, die seit 1.5.2004 besteht und aus dem Zusammenschluß der „Nederlandse Hervormde Kerk“, der „Gereformeerde Kerken in Nederland“ und der „EvangelischLutherse Kerk“ hervorging. Des Weiteren leben 700.000 bis 1 Millionen Muslime in den Niederlanden (5 % bis 7 %) sowie 40.000 bis 50.000 Menschen jüdi90 Maarten Johan Aalders, De Wet op de Kerkgenootschappen van 10.9.1853, in: Gerrit Jan Schutte/Jasper Vree (Hrsg.), Om de toekomst van het protestantse Nederland. De gevolgen van de grondwetsherzienig van 1848 voor kerk, staat en maatschappij, 1998, S. 91. 91 van Bijsterveld (Fn. 87), Teil I.

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schen Glaubens. Von den kleineren Kirchen sei nur die „Algemene Doopsgezinde Sociëteit“, die Mennoniten, genannt, zu denen sich gut 8.000 Menschen bekennen. Bemerkenswert ist der hohe Prozentsatz an Menschen, die keiner traditionellen Glaubensrichtung angehören und/oder religiös indifferent sind.92 2. Rechtsquellen des Staatskirchenrechts Wichtige Rechtsquelle des niederländischen Staatskirchenrechts ist die heutige Verfassung, die 1983 in Kraft trat. Als Rechtsquelle neben der Verfassung ist vor allem das Zivilgesetzbuch („Nieuw Burgerlijk Wetboek“) zu nennen, da es das zivilrechtliche Gefäß bereithält, in dem die „kerkgenootschappen“ als juristische Personen sui generis agieren. Darüber hinaus ist auch das Arbeitsrecht zu nennen, das zum Beispiel die Sonntagsarbeit regelt. Von Bedeutung ist ferner das als Konkretisierung von Art. 6 (Religionsfreiheit) und Art. 9 (Versammlungsfreiheit) der Verfassung zu verstehende Gesetz über öffentliche Veranstaltungen („Wet openbare manifestaties“) zu sehen, das Beschränkungen der genannten Grundrechte ermöglicht.93 Konkordate zwischen dem Heiligen Stuhl und dem niederländischen Staat wurden nicht geschlossen.94 Judikatur niederländischer Gerichte zum Staatskirchenrecht besteht nicht, da Parlamentsgesetze keiner gerichtlichen Kontrolle unterliegen (Art. 120 der niederländischen Verfassung) und damit zentrale Fragen des Verhältnisses von Staat und Religion nicht richterlich diskutiert wurden.95 Insofern wurde bemerkt, daß das „constitutional dogma [. . .] relatively underdeveloped“ sei.96 Allerdings überprüft der Hoge Raad, das höchste Gericht der Niederlanden, die Vereinbarkeit von Gesetzen und auch der Verfassung mit internationalen Verträgen. So wurde zum Beispiel 1962 das aus dem 19. Jahrhundert stammende Verbot von religiösen Prozessionen mit Art. 9 der EMRK für vereinbar erachtet.97 3. Staatskirchenrechtliche Strukturprinzipien im Überblick Das niederländische Staatskirchenrecht läßt sich mit drei Prinzipien umreißen. Kirche und Staat sind erstens voneinander getrennt, also institutionell voneinander unabhängig. Diese Unabhängigkeit ist aber anders als beispielsweise in Bel92 Die Zahlen basieren auf van Bijsterveld, Netherlands (Fn. 87), Teil I.; dies., Religion and Law in the Netherlands, Insight Turkey 17, 2005, S. 121, hier S. 122 f.; detailliert: Hans Knippenberg, De religieuze kaart van Nederland: omvang en geografische spreiding van de godsdienstige gezindten vanaf de Reformatie tot heden, 1992. 93 „Wet van 20.4.1988, houdende bepalingen betreffende de uitoefening van de vrijheid van godsdienst en levensovertuiging en van het recht tot vergadering en betoging.“ 94 van Bijsterveld, Netherlands (Fn. 87), Teil III. 95 Art. 120 der Niederländischen Verfassung: „De rechter treedt niet in de beoordeling van de grondwettigheid van wetten en verdragen.“ 96 van Bijsterveld, Netherlands (Fn. 87), Teil III. 97 Hoge Raad vom 19.1.1962, gedruckt: Nederlandse Jurisprudentie 1962, S. 107. Das Verbot von Prozessionen ist in der Verfassung von 1983 nicht mehr enthalten.

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gien ausbuchstabiert, denn es gibt gerade keine staatliche Finanzierung von Glaubensgemeinschaften aufgrund ihrer Stellung als Glaubensgemeinschaft. Insofern sind diese eher staatsfern. Der Staat ist zweitens gehalten, mit Blick auf die Religion Neutralität walten zu lassen und nicht ohne sachlichen Grund zu differenzieren. Das Neutralitätsprinzip schließt aber nicht aus, die Verankerung bestimmter Religionen in der Gesellschaft und deren Wertvorstellungen zu berücksichtigen (z. B. Sonntagsruhe). Insofern wurde auch von positiver Neutralität gesprochen. Drittens gewährt die Verfassung positive wie negative Religionsfreiheit in Art. 6. Doch während die Religionsfreiheit ausdrücklich in der Verfassung niedergelegt ist, ergeben sich die beiden erstgenannten Prinzipien nur implizit aus der Verfassung (Art. 1, 6, 23).98 Die positive Neutralität des Staates ist nicht als Kirchenferne oder Kirchenfeindlichkeit aufzufassen, vielmehr bestehen markante Berührungspunkte zwischen Staat und Glaubensgemeinschaften. Zu denken ist dabei an das Schulwesen, die Militär-, Gefängnis- und Krankenhausseelsorge wie auch an Denkmalschutz und Fragen der Immigration.99 Positive Neutralität bedeutet aber auch, daß der öffentliche Raum von religiösen Kundgebungen eingenommen werden darf. 4. Religionsfreiheit Die Religionsfreiheit ist in den Niederlanden durch Art. 9 EMRK wie durch Art. 6 der niederländischen Verfassung von 1983 gewährt. Dem ersten Absatz des Art. 6 zufolge hat jeder das Recht, seine Religion oder Weltanschauung, allein oder in Gemeinschaft mit anderen frei zu bekennen, unbeschadet der Verantwortung jedes einzelnen vor dem Gesetz.100 Art. 6 schützt dabei nicht nur das Haben (forum internum), sondern auch das Äußern des Glaubens (forum externum); geschützt ist selbstverständlich auch der negative Aspekt der Religionsfreiheit, gerade keinen Glauben zu besitzen. Die Religionsfreiheit in den Niederlanden ist primär als klassisches Abwehrrecht ausgestaltet, kann aber auch Drittwirkung auf das Verhältnis zwischen Privaten entfalten. Zu denken ist hierbei an Auseinandersetzungen im Bereich des Arbeitsrechts oder des privaten Schulwesens.101 98 van Bijsterveld, Staat und Kirche (Fn. 87), S. 235 f.; dies., State and Church (Fn. 87), S. 373 f.; dies., Netherlands (Fn. 87), Teil III. Überblick auch von dies., Religion and the Secular State – the Netherlands, in: Wilhelm Rees/María Roca/Balázs Schanda (Hrsg.), Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten, 2013, S. 61. 99 Zu diesen Punkten siehe in diesem Beitrag Abschnitt II.7. 100 Art. 6 Abs. 1 der Verfassung: „Ieder heeft het recht zijn godsdienst of levensovertuiging, individueel of in gemeenschap met anderen, vrij te belijden, behoudens ieders verantwoordelijkheid volgens de wet.“ 101 van Bijsterveld, Staat und Kirche (Fn. 87), S. 233; dies., State and Church (Fn. 87), S. 371; dies., Netherlands (Fn. 87), Teil IV. C. und D. sowie die Kommentare zu Art. 6: Aalt W. Heringa/Jakob van der Velde u. a., Staatsrecht, 12. Aufl. 2015,

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Während das forum internum schrankenlos gewährt ist, kann das auf Äußern gerichtete Verhalten durch Parlamentsgesetz eingeschränkt werden. Art. 6 Abs. 2 der Verfassung schreibt dafür vor, daß die Ausübung der Religion außerhalb von Gebäuden und geschlossenen Plätzen eingeschränkt werden kann, und zwar aus Gründen der Gesundheit oder des Verkehrs oder um die Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten.102 Das Gesetz über die öffentlichen Kundgebungen („Wet openbare manifestaties“) regelt Genaueres und legt insbesondere die behördlichen Zuständigkeiten fest.103 Neben Art. 6 ist auch Art. 1 der niederländischen Verfassung zu nennen, der ein Diskriminierungsverbot ausspricht: Alle, die sich in den Niederlanden aufhalten, sollen in gleichen Fällen gleich behandelt werden. Eine Diskriminierung aufgrund der Religion, des Glaubens, der politischen Einstellung, der Rasse, des Geschlechts oder aus anderen Gründen ist nicht statthaft.104 Art. 1 spiegelt die politische Neutralität des Staates wider. Im Kontext der religiösen Freiheiten ist auch Art. 23 der niederländischen Verfassung anzusprechen, der die Freiheit der Bildung und damit auch der konfessionellen Schulen gewährleistet. Art. 23 Abs. 1 sieht vor, daß der Unterricht prinzipiell Angelegenheit der Regierung ist. Nach Abs. 2 kann Unterricht frei erteilt werden, doch untersteht er der Oberaufsicht des Staates, der die Qualität und moralische Integrität des Lehrpersonals überprüfen darf.105 5. Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften Im Gegensatz zu Belgien finden die Religionsgemeinschaften als Institution keine Erwähnung in der niederländischen Verfassung von 1983. Die RechtsordS. 448; Ben P. Vermeulen, Art. 6, in: Petrus W. C. Akkermans/Alis K. Koekkoek (Hrsg.), De Grondwet. Een artikelsgewijs commentaar, 1992, S. 106; Aalt W. Heringa/ Tom Zwart, Grondwet, 1983, 2. Aufl. 1987, S. 35. 102 Art. 6 Abs. 2 Verfassung der Niederlanden: „De wet kan ter zake van de uitoefening van dit recht buiten gebouwen en besloten plaatsen regels stellen ter bescherming van de gezondheid, in het belang van het verkeer en ter bestrijding of voorkoming van wanordelijkheden.“ 103 Siehe dazu in diesem Beitrag Abschnitt II. 2. 104 Art. 1 Verfassung der Niederlanden: „Allen die zich in Nederland bevinden, worden in gelijke gevallen gelijk behandeld. Discriminatie wegens godsdienst, levensovertuiging, politieke gezindheid, ras, geslacht of op welke grond dan ook, is niet toegestaan.“ Hierzu Heringa/van der Velde u. a. (Fn. 101), S. 440; Petrus W. C. Akkermans, Art. 1, in: Petrus W. C. Akkermans/Alis K. Koekkoek (Hrsg.), De Grondwet. Een artikelsgewijs commentaar, 1992, S. 38; Heringa/Zwart (Fn. 101), S. 27. 105 Art. 23 der Verfassung der Niederlande: „(1) Het onderwijs is een voorwerp van de aanhoudende zorg der regering. (2) Het geven van onderwijs is vrij, behoudens het toezicht van de overheid en [. . .] het onderzoek naar de bekwaamheid en de zedelijkheid van hen die onderwijs geven [. . .].“ Siehe Petrus W. C. Akkermanns, Art. 23, in: ders./ Alis K. Koekkoek (Hrsg.), De Grondwet. Een artikelsgewijs commentaar, 1992, S. 354; Heringa/Zwart (Fn. 101), S. 63.

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nung gewährt den Religionsgemeinschaften zwar Organisationsfreiheit, aber eben nicht auf Verfassungsebene, sondern durch einfaches Gesetz, nämlich dem Zivilgesetzbuch („Nieuw Burgerlijk Wetboek“, NBW). Religionsgemeinschaften, im Niederländischen „kerkgenootschappen“ genannt, sind juristische Personen des Privatrechts. Da ihnen die Ausgestaltung der inneren Ordnung selbst überlassen ist, sind sie juristische Personen sui generis, Art. 2 2. NBW.106 Das Zivilrecht gibt den Glaubensgemeinschaften also nicht wie anderen juristischen Personen konkret vor, wie ihre innere Verfassung auszusehen habe. Im übrigen steht es Religionsgemeinschaften frei, sich als Verein oder Stiftung nach bürgerlichem Recht zu organisieren. Welche Glaubensgemeinschaft als „kerkgenootschap“ anzusehen ist, ist schwer festzustellen, da es in den Niederlanden kein formales System der Anerkennung gibt. Vielmehr entscheidet die Verwaltung oder ein Gericht im Einzelfall, ob eine Glaubensgemeinschaft als Kirche anzusehen ist. In dieser Hinsicht besteht also ein Unterschied zu Belgien wie auch zu vielen anderen europäischen Ländern. Als Minimalvoraussetzungen werden von der Rechtsprechung die „strukturierte Organisation“ („gestructureerde organisatie“) genannt sowie daß „Religion eine Rolle spielen muß“ („waar het gaat om godsdienst“).107 Letzlich verbietet aber der „offene Charakter des Rechtssystems“ strikte Voraussetzungen.108 Diese relative Offenheit des niederländischen Rechts beruht nicht zuletzt darauf, daß mit der Anerkennung als Glaubensgemeinschaft geringere (finanzielle) Vorteile verbunden sind.109 Insofern kann sich das niederländische Rechtssystem bei der Frage, wer als Glaubensgemeinschaft zu behandeln ist, mit einer weniger präzisen Antwort als beispielsweise das belgische begnügen. In Einzelfällen ist jedoch ein Anerkennungsprozess zu durchlaufen, so beispielsweise im Falle der Anerkennung als wohltätige Organisation, damit Spenden, die an diese gegeben werden, steuerlich abzugsfähig sind. Eine Anerkennung als wohltätige Organisation („Algemeen nut beogende instelling“, ANBI) erfolgt durch die Steuerbehörde und unterliegt verschiedenen Voraussetzun-

106 Art. 2 2. NBW: „(1) Kerkgenootschappen alsmede hun zelfstandige onderdelen en lichamen waarin zij zijn verenigd, bezitten rechtspersoonlijkheid. (2) Zij worden geregeerd door hun eigen statuut, voor zover dit niet in strijd is met de wet. Met uitzondering van artikel 5 gelden de volgende artikelen van deze titel niet voor hen; overeenkomstige toepassing daarvan is geoorloofd, voor zover deze is te verenigen met hun statuut en met de aard der onderlinge verhoudingen.“ Siehe hierzu Johan D. A. den Tonkelaar, in: J. Hans Nieuwenhuis/Carel J. J. M. Stolker/W. L. Valk (Hrsg.), Burgerlijk Wetboek. Tekst & Commentaar, 1994, S. 432. 107 Hoge Raad vom 31. Oktober 1986, gedruckt: Nederlandse Jurisprudentie 1987, S. 173. 108 van Bijsterveld (Fn. 87), S. 238. 109 Ein finanzieller Vorteil ist zum Beispiel die Befreiung von der Mehrwertsteuerpflicht.

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gen.110 Eine andere Form der Anerkennung müssen Glaubensgemeinschaften durchlaufen, die Militär- oder Gefängnisseelsorge anbieten wollen. 6. Kirchengüter und Kirchenfinanzierung Da die Verfassung von 1983 Glaubensgemeinschaften als Institution nicht mehr erwähnt, fehlen auch Vorschriften zu deren Finanzierung. Prinzipiell gewährt der Staat keine finanzielle Unterstützung für Glaubensgemeinschaften. Im Jahr 1983 wurde zudem beschlossen, die ältere Übereinkunft, derzufolge der Staat verpflichtet war, Gehälter und Pensionen von Geistlichen zu zahlen, aufzuheben (das sogenannte „doorknippen van de zilveren koorde“).111 Diese Änderung hatte jedoch eher symbolischen Charakter, da sich diese Unterstützung auch schon zuvor auf nur wenige Niederländische Gulden, wenn überhaupt, belaufen hatte. Im Grundsatz hatten auch vor 1983 die Glaubensgemeinschaften („kerkgenootschappen“) für die Finanzierung ihrer Geistlichen aufzukommen. Im Zuge der Neuorganisation des Staatskirchenrechts wurde 1983 auch beschlossen, die unentgeltliche Versendung von Kirchenpost („portvrijdom“) zum Jahresbeginn 1994 abzuschaffen. Diese prinzipielle Trennung ist jedoch im Einzelfall unterbrochen, nämlich dann, wenn Glaubensgemeinschaften wie andere Gruppen um staatliche Hilfe anfragen. Erfüllen diese Anfragen von Glaubensgemeinschaften die Voraussetzungen, so ist diesen Unterstützung in derselben Form zu gewähren wie nichtreligiös gebundenen Antragsstellern. Insofern soll eine Differenzierung anhand des Kriteriums der Religion gerade nicht erfolgen. Eine finanzielle Unterstützung von Glaubensgemeinschaften erfolgt zum Beispiel bei der Jugendarbeit, aber auch bei konfessionell-gebundenen Schulen. Ferner werden die Glaubensgemeinschaften in ihrem Bemühen, Kirchengebäude zu erhalten, finanziell unterstützt, wenn es sich bei den Gebäuden um Denkmäler handelt.112 Zudem sind Kirchengebäude von kommunalen Steuern befreit. Als weiterer Aspekt ist die steuerliche Abzugsfähigkeit der an Glaubensgemeinschaften gezahlten Spenden zu nennen, soweit diese als wohltätige Organisation anerkannt sind.113 Neben diesen Zuwendungen, die die Religion im Grundsatz außer Acht lassen, hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß Religionsfreiheit unter Umständen die positive Förderung von Glaubensgemeinschaften in Form direkter finanzieller Unterstützung erfordert. In diesem Sinne wurden für eine gewisse Zeit Bauvorhaben nichtchristlicher Minderheiten finanziell unterstützt, konkret: der Bau von

110 111 112 113

van Bijsterveld, Netherlands (Fn. 87), Teil V. Siehe ebd., Teil I. van Bijsterveld, Staat und Kirche (Fn. 87), S. 245. Siehe dazu in diesem Beitrag Abschnitt II. 5.

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Moscheen in Gebieten, die dem Meer abgerungen worden waren. Dieser Anspruch ist inzwischen jedoch ausgelaufen.114 7. Formen institutioneller Kooperation von Staat und Kirchen sowie Religionsgemeinschaften Wendet man sich der institutionellen Kooperation von Staat und Glaubensgemeinschaften in den Niederlanden zu, so fällt der Blick vor allem auf den Bildungssektor. In den Niederlanden bestehen staatliche und private Schulen. Die privaten Schulen können – als Folge der Religionsfreiheit – auch konfessionelle sein. Daß die privaten, konfessionell-gebundenen Schulen vom Staat finanziert werden, ergibt sich für Grundschulen aus der Verfassung (Art. 23), für weiterführende Schulen und Universitäten aus einfachem Gesetz. Die privaten Schulen müssen jedoch bestimmte Bildungsstandards erfüllen und mit den Finanzierungsbestimmungen im Einklang stehen, um Unterstützung zu erhalten. Insofern wird hier ein Spannungsverhältnis beobachtet, denn obwohl die konkrete Ausgestaltung des Schulunterrichts Sache der jeweiligen Glaubensgemeinschaft ist, deren Eigenarten der Staat tolerieren muß, darf er zugleich Standards und Bedingungen aufstellen und deren Befolgung kontrollieren.115 Neben den Grund- und weiterführenden Schulen bestehen auch konfessionelle Universitäten in den Niederlanden. Die Vrije Universiteit Amsterdam wurde als protestantisch-christliche Universität 1880 gegründet; als katholische Universitäten sind die Radboud Universiteit sowie die Tilburg University zu nennen.116 Die Radboud Universiteit wurde 1923 als „Katholieke Universiteit Nijmegen“ gegründet und hatte explizit den Auftrag, höhere Bildungsstätte für den katholischen Teil der niederländischen Bevölkerung zu sein. Die Entscheidung, eine katholische Universität in Nijmegen einzurichten, spiegelt die „Versäulung“ der niederländischen Gesellschaft in verschiedene vertikal gliedernde Zweige wider. Diese war zwar ähnlich der belgischen ausgestaltet, kannte jedoch über die sozialistische, liberale und katholische Säule hinaus noch eine protestantische Säule. Die heutige Tilburg University geht auf die „Roomsch-Katholieke Handelshoogeschool“ zurück, die ihren Betrieb mit fünf Professoren und 28 Studenten im Jahre 1927 aufnahm, und die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Volluniversität ausgebaut wurde.117 Auch wenn beide Universitäten das „Katho114

van Bijsterveld, State and Church (Fn. 87), S. 132. Ebd., S. 129. 116 Überblicksartig: Dusil (Fn. 69). 117 Zur Geschichte der Tilburg University siehe Hans Bornewasser, Katholieke Hogeschool Tilburg, deel 1: 1927–1954: Economie – Ethiek – Maatschappij, 1978 (neu herausgegeben: Dutch University Press, 2003); Johan de Vries, Katholieke Hogeschool Tilburg, deel 2: 1955–1977: Onderweg van Hogeschool naar Universiteit, Baarn 1981 (neu herausgegeben: Dutch University Press, 2003); Karel Veraghtert/Ad van den Oord/ 115

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lische“ im Namen abgelegt haben, um sich national wie international besser vermarkten zu können, so sind sie doch weiterhin als katholische Universitäten anzusehen.118 Es zeigt sich also auch bei der höheren Bildung eine institutionelle Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche. Ein weiterer Punkt der institutionellen Zusammenarbeit ist die Seelsorge in Armee und Gefängnissen. Da Soldaten und Gefangene am normalen religiösen Leben nicht teilnehmen können und der Staat dafür – jedenfalls teilweise – verantwortlich zeichnet, ist der Staat verpflichtet, die Ausübung der Religion zu ermöglichen. Dafür ernennt das Verteidigungs- bzw. Justizministerium Geistliche, die in Armee und Gefängnissen ihren Dienst ausüben. Im Fall einer religiösen Minderheit kann eine religiöse Begleitung auch auf vertraglicher Basis erfolgen. Geistliche Betreuung erfolgt derzeit durch sieben Glaubensgemeinschaften oder Weltanschauungen, nämlich römisch-katholisch, protestantisch, jüdisch, humanistisch, muslimisch sowie für hinduistisch und buddhistisch.119 In ähnlicher Weise wird auch in Krankenhäusern und Altenheimen die religiöse Betreuung sichergestellt. Diese Krankenhaus- und Altenheimseelsorger sind durch die jeweiligen Einrichtungen finanziert, da geistliche Betreuung „als wesentliches Element der allgemeinen Betreuung“ angesehen wird.120 Zusammenfassend formuliert: Die Finanzierung von Geistlichen ist prinzipiell Aufgabe der „kerkgenootschappen“ mit Ausnahme der Militär-, Gefängnis- und Krankenhausseelsorger. Ein wesentlicher Teil der Kooperation und des Austausches von Kirche und Staat erfolgt durch die Institution „Interkerkelijk contact in overheidszaken“ (CIO). Sie bietet ein Gesprächforum für die Glaubensgemeinschaften und bündelt so deren Interessen gegenüber dem Staat. Selbstverständlich steht es den Glaubensgemeinschaften auch weiterhin frei, sich unabhängig von der CIO an den Staat zu wenden. Derzeit besteht die CIO aus dreißig Glaubensgemeinschaften, darunter die „Rooms-Katholiek Kerkgenootschap“, die „Protestantse Kerk in Nederland“, die „Algemene Doopsgezinde Sociëteit“, die „Christelijke Gereformeerde Kerken“, die „Oud-Katholieke Kerk van Nederland“, die „NederlandsIsraëlitisch Kerkgenootschap“, der „Nederlands Verbond voor Progressief Jodendom“, die „Vrijzinnige Geloofsgemeenschap NPB“, und viele andere mehr.121 Für Muslime bestehen zwei Dachorganisationen, nämlich das „Contactorgaan Arnoud-Jan Bijsterveld, Universiteit van Tilburg. Investeren in kwaliteit, Bd. 3: 1977– 2002, 2003. 118 Vertiefend Dusil (Fn. 69). 119 van Bijsterveld, Staat und Kirche (Fn. 87), S. 246 f.; dies., State and Church (Fn. 87), S. 386 f.; dies., Netherlands (Fn. 87), Teil X. 120 van Bijsterveld, Staat und Kirche (Fn. 87), S. 245; siehe ferner dies., State and Church (Fn. 87), S. 386 f. 121 Siehe www.cioweb.nl/ (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020).

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Moslims en Overheid“ (CMO),122 das die Interessen von rund 380 Moscheen vereinigt, sowie die „Contact Groep Islam“ (CGI). Beide vertreten die muslimischen Belange gegenüber dem Staat. 8. Schlußbemerkungen: Gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen des Staatskirchenrechts Das niederländische Staatskirchenrecht beruht auf der prinzipiellen Trennung von staatlicher und religiöser Sphäre. Diese Trennung wird in der Verfassung von 1983 so ausgedeutet, daß eine finanzielle Unterstützung von Glaubensgemeinschaften prinzipiell nicht stattfindet. Nur in Einzelfällen können Glaubensgemeinschaften wie andere Organisationen auch Unterstützung – für Jugendarbeit, Denkmalpflege und anderes – anfragen. Darüber hinaus bestehen im Bereich der Bildung wie auch der Gefängnis- und Krankenhausseelsorge Kontaktzonen zwischen beiden Sphären. Möchte man zuspitzen, so ließe sich formulieren, daß die Trennung von Staat und Kirche in den Niederlanden nicht so radikal gedacht ist wie vielleicht in Frankreich,123 aber auch nicht so kooperativ wie in Belgien. Vielmehr bestehen neben der grundsätzlichen Trennung beider Sphären verschiedene Berührungspunkte wie die Finanzierung im Einzelfall zeigt. Diese Finanzierung erfolgt aber nicht, weil es sich um Glaubensgemeinschaften als solche handelt, sondern weil sie sich konkret für die Gesellschaft einsetzen, sei es die Seelsorge von Kranken, der Schulunterricht oder die Jugendarbeit. Das durch die Verfassung von 1983 geschaffene Verhältnis von Glaubensgemeinschaften und Staat verlief – so der Eindruck, den man aus der Literatur gewinnt – lange Zeit in ruhigen Fahrwassern. Religiöse Themen wurden nicht intensiver diskutiert, was nicht zuletzt darauf beruhte, daß religiöse mit vorherrschenden gesellschaftlichen Werten übereinstimmten. Mit der Stärkung des Islams und dessen deutlicherer gesellschaftlicher Sichtbarkeit hat sich die Lage gewandelt und religiöse Themen werden in den Niederlanden wieder stärker diskutiert. Es steht außer Frage, daß die Freiheit, konfessionelle Schulen zu gründen, auch muslimische Schulen ermöglicht. Ob diese jedoch die Integration erleichtern oder als Integrationshemmnis anzusehen sind, bleibt umstritten. Schließlich wird in den Niederlanden auch die Beschränkung von Grundrechten zum Schutz des Staates diskutiert. Damit kehrt sich die ältere Entwicklung, die auf die Ausbreitung von Grundrechten abzielte, ein Stück weit um.124

122 123 124

Siehe www.cmoweb.nl/ (zuletzt abgerufen am: 6.6.2020). Zu Frankreich siehe den Beitrag von Thierry Sol in diesem Band. Zu den neueren Diskussionen van Bijsterveld, Religion and Law (Fn. 92), S. 138.

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III. Vergleich und abschließende Bemerkungen Belgien und die Niederlande teilen eine gemeinsame Geschichte. Manches Mal freiwillig, manches Mal unfreiwillig waren sie institutionell in einem Staat vereint. Trotz einiger Gemeinsamkeiten zeigt sich eine religiöse Diskrepanz, die nicht zuletzt zur institutionellen Trennung und zur Gründung eines unabhängigen Königreichs Belgien 1831 führte. Während der nördliche Teil dieses Gebiets, die heutigen Niederlanden, ein protestantisch-reformierter Staat mit katholischer Minderheit war, war der südliche Teil zutiefst katholisch. Trennung von Staat und Kirche ist das Schlagwort, mit dem das staatskirchenrechtliche Verhältnis in Belgien und den Niederlanden beschrieben wird. Auch wenn derselbe Begriff gewählt wird, so ist diese Trennung doch anders ausbuchstabiert. Belgien garantiert grundsätzlich die finanzielle Unterstützung von Religionsgemeinschaften, die in einem formalen Prozess anerkannt worden sind, und sorgt für die Finanzierung der Gehälter von Geistlichen und deren Wohnungen und Gotteshäusern. In den Niederlanden werden die Religionsgemeinschaften hingegen nicht finanziert, sondern nur punktuell unterstützt, nämlich dann, wenn sie gleich nicht-religiösen Gruppierungen staatliche Finanzhilfen im Einzelfall beantragen. Trennung von Staat und Kirche bedeutet also in beiden Ländern zwar die prinzipielle Trennung beider Sphären, doch sind die Berührungsflächen anders ausgestaltet.125 Der Vergleich zeigt ferner, daß Glaubensgemeinschaften normativ anders erfaßt werden: Während in Belgien die Verfassung Grundprinzipien des Staatskirchenrechts regelt, bleibt die niederländische Verfassung über die Garantierung der Religionsfreiheit hinaus bemerkenswert schweigsam. Es sind einfachgesetzliche Normen, die das Verhältnis zwischen Staat und Kirche bestimmen. Darüber hinaus werden die Glaubensgemeinschaften auch inhaltlich unterschiedlich rechtlich erfasst. In Belgien haben Glaubensgemeinschaften prinzipiell keinen Rechtsstatus, es sei denn, daß sie am Rechtsleben teilnehmende Idealvereine („vereniging zonder winstoogmerk“/„association sans but lucratif“) gründen. In den Niederlanden können Glaubensgemeinschaften privatrechtlich ausgestaltete „kerkgenootschappen“ gründen. Schließlich kennt Belgien ein von mehreren Voraussetzungen geprägtes Anerkennungsverfahren. Es werden daher anerkannte und nicht-anerkannte Glaubensgemeinschaften unterschieden, deren Rechtsstatus sich – man denke an die Finanzierung – deutlich unterscheidet. Ein solches grundlegendes Anerkennungsverfahren fehlt hingegen in den Niederlanden und eine Anerkennung erfolgt nur punktuell (beispielsweise für steuerliche Zwecke).

125 Einen Vergleich von Frankreich, Belgien und den Niederlanden bietet Rik Torfs, Church and State in France, Belgium, and the Netherlands: Unexpected Similarities and Hidden Differences, Brigham Young University Law Review 1996, S. 945 (962 ff.).

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Im Übrigen finden sich in beiden Staaten dieselben Berühungspunkte oder Kontaktzonen, nämlich Bildung (Schulen und Hochschulen), Militär-, Gefängnisund Krankenhausseelsorge sowie Unterhalt für Kirchen als denkmalgeschützte Gebäude. Ein wesentlicher Grund für die Unterschiede zwischen Belgien und den Niederlanden mag darin zu sehen sein, daß die niederländische Verfassung und damit das Staatskirchenrecht 1983 novelliert wurde und daher auch Impulse aus den Diskussionen und (Säkularisierungs-)Entwicklungen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufnahm. Belgien hingegen tradiert das althergebrachte System des früheren 19. Jahrhunderts. Der Sprachenstreit in den 1960er Jahren und die nicht zuletzt auch darauf beruhenden Staatsreformen mit der Einführung eines föderalen Staats hatten wohl die politischen Kräfte so sehr gebunden, daß eine Reform des Staatskirchenrechts nicht in Betracht gezogen wurde. So bleibt also die als Relikt des 19. Jahrhunderts tradierte „liberté comme en Belgique“ auch im 21. Jahrhundert bestehen.

Personenverzeichnis Aalders, Maarten Johan 399 Abmeier, Karlies 367 Adenauer, Konrad 50 Ahnlund, Nils 251, 252 Aigner, Dietmar Johannes 159 Albisetti, Alessandro 130 Alen, André 387, 388, 389, 390, 391 Alexander I. 272 Alexander III. 249 Alicino, Francesco 130 Almeida, Dimitri 294, 295, 297, 301, 302, 303, 304, 308 Amato, Giuliano 120, 130 Amez, Frédéric 389, 391, 392, 396 Amherd, Moritz 365, 370 Amorós, José Javier 80 Amsler, Theodor 353 Anapliotis, Anargyros 11, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 196, 198, 200, 202, 204, 205, 206, 208, 210, 415 Anastasios, Marinos 201 Androulakis, Nikolaos 198 Anners, Erik 250, 251, 252 Annicchino, Pasquale 117, 124 Apostolakis, Georgios 188, 206 Argiolas, Davide 175 Augé, Claude 249 Bair, Johann 150, 154 Bangstad, Sindre 233 Barbera, Augusto 118, 130 Barile, Paolo 118 Barthel, Johann Kaspar 20 Basdevant-Gaudemet, Brigitte 296, 303, 307, 309, 312, 313, 314, 315, 316, 317, 319

Battista Vanier, Giovanni 130 Baubérot, Jean 294, 296 Bäumlin, Richard 354 Bedevi, Vergi 214 Belafi, Matthias 54 Bellarmin, Roberto 20 Benedikt XV. 23 Berglund, Mikael 11, 247, 248, 250, 252, 254, 256, 258, 260, 262, 264, 266, 268, 415 Berka, Walter 135, 136, 137, 141 Berkmann, Burkhard 50, 139, 143 Berkmann, Burkhard Josef 50 Bernsdorff, Norbert 68 Bettetini, Andrea 125 Biedermann, Aloys Emanuel 353 Biedermann, Hermenegild M. 188 Bier, Georg 359 Bijsterveld, Arnoud-Jan 406 Bin, Roberto 118 Blanco, María 82 Blanco, Miguel Rodriguez 102 Blomeyer, Wolfgang 58, 65 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 33 Bodin, Jean 25 Böhmer, Justus Henning 20 Bonaparte, Louis 296, 398 Boni, Geraldina 117, 125 Bonnemain, Joseph M. 360 Bornewasser, Hans 405 Botta, Raffaele 114, 125 Böttigheimer, Christoph 187 Braithwaite, Constance 335 Brechter, Heinrich Suso 24, 25 Breuer, Rüdiger 57 Briand, Aristide 298 Broglio, Francesco 117

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Personenverzeichnis

Brosi, Urs 362 Brown, Roger L. 326 Buisman, Jan Wim 397 Bursell, Rupert D. H. 328 Calderwood Norton, Jane 328 Calvins, Johannes 352 Camassa, Erminia 120 Campenhausen, von 204 Cañamares Arribas, Santiago 11, 79, 80, 82, 84, 86, 88, 90, 92, 94, 96, 98, 100, 102, 104, 106, 415 Cardia, Carlo 114, 116, 120 Carlen, Louis 360, 365, 370 Cartier, Patricia 365 Casuscelli, Guiseppe 114, 117, 130 Cattaneo, Arturo 362 Cavana, Paolo 127 Cavelti, Urs Josef 360, 365, 370, 371 Celotto, Alfonso 117 Charles II. 324 Cheli, Enzo 118 Chenaux, Philippe 50 Chizzoniti, Antonio Maria 114 Cholvy, Gérard 298 Christina 252 Chrysostomides, Kypros 215 Ciáurriz, María José 102 Classen, Claus Dieter 56, 58, 63 Colaianni, Nicola 118 Consorti, Pierluigi 120 Corecco, Eugenio 356, 363 Coureas, Nicholas 214 Cranmer, Frank 338 Craxi, Bettino 114 Cromwell, Oliver 324 Cross, Tom 329 D’Angelo, Giuseppe 127 d’État, Conseil 296, 298, 299, 300, 301, 304, 305, 307, 308 Dagtoglou 195, 197 Dal, Canto 118

dalla Torre, Guiseppe 114, 118 Danelius, Hans 258 Darby 139 Dauses, Manfred 57 Davie, Grace 326 de Bruijn, Jan 398 de Fleurquin, Luc 390 de Gregorio, Laura 117 de Groof, Jan 394 de Hert, Paul 385, 397 de la Vallée-Poussin 53 de Mortanges, Pahud 352, 359, 362, 366, 374, 375 de Pombal, Marquis 169 de Pooter, Patrick 384 de Rooy, Piet 397 de Tocqueville, Alexis 376 de Vries, Johan 405 de Wall, Heinrich 62, 64, 65, 67, 69, 72, 75, 381 Delors, Jacques 70 Delsol, Xavier 312 Dendias, Michel 214, 215 Desjonqueres, Pascale 312 Dietrich, Stephanie 234 Dingel, Irene 50 Dingemans, James 329 Dionyssiou, George 214 Dizdar, Kemal 220 Doe, Norman 328, 335, 336, 338, 345, 390 Dogliani, Mario 118 Dombois, Hans 50 Domianelle, Sara 125 Domianello, Sara 120, 130 Dominedo 53 Douglas, Gillian 345 Droege, Michael 381 Duffy, Eamon 250 Dujardin, Vincent 380 Dumoulin, Michel 380 Durand, Jean Dominique 294 Durham, W. Cole 80, 233, 235

Personenverzeichnis

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Dusil, Stephan 12, 379, 380, 382, 384, 386, 388, 390, 392, 394, 395, 396, 398, 400, 402, 404, 405, 406, 408, 415 Dwight, Lee 215

Fuccillo, Antonio 120 Fuchs, Johannes Georg 352, 353 Funk, Bernd-Christian 142 Fusaro, Carlo 118

Eberhard, Harald 63, 135, 136, 137, 146 Ebnöther, Christoph 351 Edqvist, Gunnar 268 Edward VI. 323 Effendi, Omer 220 Egglezakis, Venediktos 213 Ekström, Sören 249, 250, 251, 252, 255, 258, 262, 264 Elia, Marina 218 Elisabeth I. 323 Elisabeth II. 368 Elstad, Hallgeir 234 Emilianides, Achilles C. 213, 214, 215, 216, 217, 218, 220, 222, 223, 224, 226, 227, 228, 230 Endres, Johann Nepomuk 21 Engi, Lorenz 351, 356, 358, 361, 374 Ennöckl 140, 146 Erik XIV. 252 Eterovic, Nikola 319

Gaisbauer, Georg 142 Gampl, Inge 139, 146 Garcá Oliva, Javier 330, 339 García, Caballero 102 García García, Ricardo 86 Gardaz, Philippe 358 Gartner, Barbara 150, 155 Gartner-Müller, Barbara 155 Gasparri, Pietro 112 Gatz, Erwin 356 Gauchet, Marcel 296 Gavrielides, Andreas 216, 218 Gelasius 18 Gelbard, Maurice 300 Georgallides, George 215 Geppert, Dominik 51 Gerard, Emmanuel 380 Germann, Michael 65 Gerosa, Libero 356, 362, 364, 370, 378 Geser, Hans 376 Gilliat-Ray, Sophie 345 Goedertier, Geert 385, 386, 387, 388, 389, 390, 392 Gomes Canotilho, José Joaquin 170, 172, 176 Goujon, Anne 134 Grabenwarter, Christoph 66, 67, 68, 135, 136, 138, 141, 142, 143, 145, 147, 149, 151, 162 Grabitz, Eberhard 63 Grassi, Stefano 118 Gratian 249 Gregor VII. 248 Greschat, Martin 50 Grichting, Martin 12, 351, 352, 353, 354, 356, 357, 358, 359, 360, 362, 364, 366, 368, 370, 372, 373, 374, 376, 378, 415

Fagerli, Beate 234 Fattori, Gabriele 11, 109, 110, 112, 114, 116, 117, 118, 120, 122, 124, 126, 128, 130, 132, 415 Fernández, Alujer 102 Ferreira Gomes, António 171 Ferrer, Javier 89 Ferry-Gesetzen, Jules 297 Filis, Nikos 207 Finocchiaro, Francesco 114, 130 Folliero, Maria Cristina 127 Forbes Davidson, Neil 325 Foyer, Jean 300 Franken, Leni 394 Franziskus 320 Friederich, Ueli 359, 369 Frijhoff, Willem 397

414

Personenverzeichnis

Grote, Rainer 66 Grotius, Hugo 252 Grzeszick, Bernd 61 Gueydan, Jean 312 Gullo, Carlo 117 Gunnarsson, Gunnar 251, 252 Guterres, António 173 Güthoff, Elmar 360 Guyon, Gérard 17 Haan-Kamminga, Avelien 397 Haanes, Vidar Leif 234 Haarscher, Guy 294 Hackett, John 213 Haering, Stephan 356, 360 Hafner, Felix 360 Hallermann, Heribert 381 Harald 135, 235 Harlow, Anna 338 Hasan 67, 138, 147 Hatje, Armin 63 Heinig, Hans Miachael 140 Heinrich VIII. 323, 324, 326, 347 Heintschel von Heinegg, Wolff 57 Helmholz, Richard H. 323 Hengstschläger, Johannes 143 Henriques, Henry S. Q. 324 Hense, Ansgar 394 Heringa, Aalt W. 401, 402 Hesse, Konrad 197 Hetherington, Re 337 Hieronymos II. 207 Hilaire, Yves-Marie 298 Hildmann, Philipp W. 376 Hilf, Meinhard 63 Hillgruber, Christian 11, 49, 50, 52, 54, 56, 58, 60, 62, 64, 66, 68, 70, 72, 74, 415 Hinghofer-Szalkay, Stephan 142, 144, 145, 150, 155, 160 Hofmann, Johannes 187 Höhl, Marianne 145 Holoubek, Michael 137

Howarth, John 215 Hrdlicka, Marianne 145 Igatio Arrieta, Juan 127 Ipsen, Hans Peter 55 Jackson, Leyla 332 Jakob I. 325 Jansen, Thomas 73 Jardim, Vera 173 Jean 25, 56, 294, 295, 296, 300, 301, 312, 380 Jehovas, Zeugen 40, 66, 88, 90, 92, 95, 122, 131, 149, 180, 196, 197, 222, 224, 270, 392 Jordan, Wilbur K. 342 Joseph 62, 197, 352, 360 Judo, Frank 384 Jurasszovich, Sandra 134 Kalb, Herbert 136, 138, 139, 140, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 154, 155, 157, 159, 160, 161, 163, 164, 165 Karl, Wolfram 50, 81, 135, 137, 147, 158, 196, 252 Karl der Kühne 380 Karl III. 81 Karl IV. 81 Karl V. 81 Karl IX. 252 Karl XI. 272 Karlen, Peter 359 Kaye, Roger 328 Keir, David L. 323 Khan, Asma 345 Kirchhof, Paul 74 Kirkham, David M. 233 Klecatsky, Hans R. 151 Kneihs, Benjamin 142 Knippenberg, Hans 400 Koch, Kurt 362, 364, 367 Koecke, Johann Christian 376

Personenverzeichnis Koekkoek, Alis K. 402 Kofler, Georg 159 Kohlhofer, Reinhard 153, 156 Komninou, Ioanna 207 Konidaris, Gerasimos 218 Konidaris, Ioannis 193, 196, 197, 206 Konstantin 17, 19 Konstantinidis, Emmanouil 186 Korinek, Karl 135, 137 Korinek, Stephan 142 Körtner, Ulrich 142 Kosch, Daniel 367, 368, 373 Kotiranta, Matti 12, 269, 270, 272, 274, 276, 278, 280, 282, 284, 286, 288, 415 Kraft, Eliane 366 Krammer, Robert 142 Kraus, Dieter 63, 64, 351, 352, 354, 356 Krause, Rüdiger 58, 65 Kröll, Thomas 142, 157, 158, 162, 163 Krönke, Christoph 57 Krutzler, Martin 375 Kucsko-Stadlmayer, Gabriele 140, 146, 147, 151, 157, 163, 165 Kvist, Hans-Olof 271, 272 Lacroce, Luigi 125 Lalouette, Jacqueline 296 Lampert, Ulrich 355 Landert, Charles 373 Langlois, Claude 296 Lannung 52, 53 Lanotte, Vande 385, 386, 388, 389, 390, 392 Larenz, Karl 196 Larsen, Timothy 325 Lautsi, Soile 138, 281 Lecler, Joseph 352 Lederhilger, Severin 70 Leeb, David 143 Leigh, Ian 330 Leijonmarckin, Sven 271 Leirvik, Oddbjørn Birger 233 Leo X. 347

415

Leontaritou, Vassiliki 186 Lewis, Clive S. 222, 375 Lienbacher, Georg 135, 136, 138, 140, 141, 142, 146, 148, 149, 150, 151 Link, Christoph 54, 60, 65 Lipgens, Walter 50 Listl, Joseph 62, 197, 360 Lora, Erminio 27 Loretan, Adrian 356, 360, 361, 376 Loth, Wilfried 50, 51 Lüdecke, Norbert 138, 151 Lund, Øystein 234, 235, 238 Luther, Martin 347, 352 Luykx, Theo 380 Machado, Jónatas 11, 176, 415 Macrì, Gianfranco 125 Macron, Emmanuel 320 Madonna, Michele 120, 125 Magits, Michel 397 Makarios 216, 229 Malraux, André 320 Manent, Pierre 295 Manoussakis 147 Marano, Venerando 117 Marauhn, Thilo 66 Marcenò, Valeria 118 Marchei, Natascia 125 Maria 114, 118, 127, 268, 380 Marinos, Anastasios 191, 199, 203 Marinos, Ioannis 191 Maritz, Heinz 355 Martens, Kurt 384 Marti, Michael 366 Martin 12, 50, 56, 58, 63, 137, 302, 351, 352, 353, 354, 356, 358, 359, 360, 362, 364, 366, 368, 370, 372, 373, 374, 375, 376, 378, 415 Martines, Temistocle 118 Martínez-Torrón, Javier 84, 85 Maruhn, Jürgen 214 Masood, Hafsah 329 Massa Pinto, Ilenia 118

416

Personenverzeichnis

Maunz, Theodor 140 Maximilian 380 Maxwell-Fyfe 53 Mayer, Franz C. 141 Mayeur, Jean-Marie 296 Mazziotti di Celso, Malio 118 Mazzola, Roberto 117 McClean, David 330 Meckel, Thomas 381 Medeni, Elif 162 Meerschaut, Karen 385, 397 Mehl, Roger 50 Meijer, Bernhard 252 Mengiardi 358 Mercati, Angelo 22 Merten, Detlef 135, 162 Messner, Francis 217, 295, 300, 301, 313, 318 Meyer, Jürgen 68 Michel 214, 215, 380, 397 Migne, Jacques Paul 18 Minnerath, Roland 11, 15, 16, 17, 18, 20, 22, 24, 25, 26, 28, 30, 416 Mirabelli, Cesare 117 Miroshnikova, Elena 245 Moneta, Paolo 114 Monnet, Jean 56 Morán García, Gloria María 390 Moratilla, Ortega 103 Morawa, Alexander H. E. 361 Moreira, Vital 172 moriscos 81 Morris, Robert M. 330 Möstl, Markus 58 Muckel, Stefan 63, 69, 149 Mückl, Stefan 9, 57, 61, 147, 319, 416 Müller, Peter 11, 31, 32, 34, 36, 38, 40, 42, 44, 46, 416 Müller, Rudolf 142, 143, 144, 155 Müller, Sophie 140 Muñoz Machado, Santiago 80 Munro, Colin R. 326

Mussolini, Benito 112 Muylle, Koen 387, 388, 389, 390, 391 Nandrin, Jean-Pierre 380 Napoleon 296, 398 Naumann, Kolja 54 Navarro-Valls, Rafael 84 Nay, Giusep 358 Nettesheim, Martin 56, 58, 63 Neumann, Johann 64 Nicolaides, Démétrius 214 Nicotra, Ida 120 Niemöllers, Martin 50 Nieuwenhuis, Hans 403 Nikolaou, Theodoros 186, 187 Noser, Hans Beat 366 Nuotio, Kimmo 288 Odermatt, Alois 367, 368 Öhlinger, Theo 135, 136, 137, 146 Ohly, Christoph 378 Omkarananda 68 Onida, Francesco 117 Oppermann, Thomas 56, 58, 61 Orr, Charles 215 Ortner, Helmut 139, 148 Ottaviani, Alfredo 21 Outhwaite, Richard B. 325 Overbeeke, Adriaan 384, 391 Pabel, Katharina 11, 133, 134, 136, 137, 138, 140, 141, 142, 144, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154, 156, 158, 160, 161, 162, 164, 166, 416 Pacillo, Vincenzo 354 Pahud de Mortanges, René 352, 362, 366 Pallante, Francesco 118 Papadopoulos, Tassos 214 Papageorgiou, Konstantinos 188, 190, 191, 194, 195, 196, 198, 206, 210 Papageorgiou, Theodoros 191 Papastathis, Charalambos 215, 217 Papier, Hans-Jürgen 135, 162, 363

Personenverzeichnis Parisi, Marco 125, 130 Parlato, Vittorio 130 Pasquali Cerioli, Jlia 117 Pernice, Ingolf 56 Pernthaler, Peter 139, 140, 147 Petri, Laurentius 271 Pirson, Dietrich 197 Pisaneschi, Andrea 118 Pitruzzella, Giovanni 118 Pius V 296, 323 Pius VI. 296 Pius VII. 296 Pius IX. 22 Pius XI. 22, 51, 309 Pius XII. 22, 51 Plesner, Ingvill Thorson 11, 233, 234, 235, 236, 238, 240, 242, 244, 245, 246, 416 Pooter, De 384, 385, 386, 387, 388, 390, 391, 392, 393 Portier, Philippe 296 Pototschnig, Franz 146 Potz, Richard 136, 138, 139, 140, 142, 143, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 154, 156, 157, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 186 Poulat, Émile 299, 300 Poulis, Georgios 188, 196, 197, 198, 199, 208 Prais, Vivian 56 Pree, Helmuth 146, 151, 360 Prélot, Pierre-Henri 295 Pufendorf 19, 20, 24 Pulido Adragão, Paulo 173 Pulte, Matthias 394 Puza, Richard 360 Raab, Susanne 150 Ragvaldi, Nicolaus 251 Ramiotis, Konstantinos 202, 203 Rauch, Andreas M. 50 Rawls, John 304

417

Rees, Wilhelm 62, 143, 147, 153, 154, 160, 162, 234, 356, 375, 378, 392, 401 Régnault, Jean-Marc 301 Renzikowski, Joachim 67 Reto 358 Reynebeau, Marc 380 Rhonheimer, Martin 376 Riemer, Hans Miachael 355, 365, 370 Ries, Markus 356, 366 Rill, Heinz Peter 142 Ringelheim, Julie 331 Rinnerthaler, Alfred 146 Rivers, Julian 12, 323, 324, 326, 328, 329, 330, 332, 334, 336, 338, 339, 340, 342, 343, 344, 346, 416 Rivetti, Giuseppe 127 Robbers, Gerhard 61, 62, 80, 197, 217, 235, 296, 381, 398 Roca, María 143, 147, 153, 154, 160, 162, 234, 392, 401 Rodes, Robert E. 324 Rolin 53 Rolland, Patrice 310 Röllin, Andrea G. 355 Romano, Santi 25, 319 Rossano, Claudio 118 Ruffert, Matthias 64 Sahin, Leila 69 Salazar, Oliveira 171 Salerno, Giulio Maria 118 Salzmann, Bernhard 50 Sandberg, Russell 329, 335, 345 Santi 25 Sarkozy 313 Schäffer, Heinz 135, 136 Schanda, Balázs 143, 147, 153, 154, 160, 162, 234, 392, 401 Scharfe, Matthias 144 Schauman, Frans Ludvig 273, 274 Schima, Stefan 139, 147, 148, 149, 153, 154, 155 Schindler, Alfred 353

418

Personenverzeichnis

Schinkele, Brigitte 136, 138, 139, 140, 142, 143, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154, 157, 159, 160, 161, 163, 164, 165 Schmid, Gotthard 353 Schmid, Hans Heinrich 353 Schmidt, Alina 145 Schmitz, Heribert 356 Schuman 50 Schumann, Friedrich Karl 50 Schutte, Gerrit Jan 398, 399 Schwarz, Karl 158, 159 Schwarze, Jürgen 63 Schwendenwein, Hugo 136, 137, 138, 140, 146, 151, 154, 158, 160, 161 Scott, Christine 233 Seifart, Werner 204 Seppo, Juha 274, 282 Serghides, George 216 Simon, Dieter 214 Singh, Rabinder 335 Sixtus IV. 251 Sjögren, Jonas 251 Smith, Eivind 233, 234 Socrates, José 177 Sol, Thierry 12, 293, 294, 296, 298, 300, 302, 304, 306, 308, 310, 312, 314, 316, 318, 320, 407, 416 Sousa Brito, José 173 Spyropoulos, Philippos 189, 190, 196, 197, 198, 199 Stamhuis, Evert Frederik 397 Stasi, Bernard 296 Stefan 9, 57, 61, 63, 69, 139, 147, 149, 153, 155, 250, 319, 375, 386, 416 Steiner, Paul 359 Stelzer, Manfred 156 Stern, Klaus 69 Steymann 58 Stocker, Stephan 355 Stox, Yves 381, 384, 386, 388 Strahl, Ivar 251

Streiff, Stefan 375 Struth, Katharina 145 Süess, Raimund 366, 374, 375 Tamm, Ditlev 250, 251 Taparelli d’Azeglio, Luigi 21 Tappenbeck, Christian R. 353, 358, 366, 374, 375 Tarquini, Camillo 21 Tawil, Emmanuel 27, 299, 302 Teitgen, Pierre-Henri 53 Tenekides, Georges 215 Tertullian 30 Tettinger, Peter J. 69 Theodosios 17 Thorkildsen, Dag 233, 234, 235, 236, 243 Thüsing, Gregor 65 Tocqueville 376, 377 Toller, Marco 358 Torfs, Rik 233, 381, 382, 383, 384, 385, 387, 388, 389, 390, 391, 392, 393, 395, 397, 408 Tornaritis, Criton 213, 216, 220, 223 Toscano, Marcello 117 Tozzi, Valerio 125 Triebel, Matthias 65, 73 Troianos, Spyros 186, 188, 196 Tsipras, Alexis 207 Tumpel, Michael 159 Tyssens, Jeffrey 394 Tzortzatos, Barnabas 186 Uddling, Hans 251 Uhle, Arnd 9, 375, 416 Ulltveit-Moe, Johannes 242 Vacheck, Marcel 61 van Bijsterveld, Sophie C. 398, 399, 400, 401, 403, 404, 405, 406, 407 van den Hole, Leo 381, 385, 387, 394, 396

Personenverzeichnis van den Oord, Ad 405 van der Blom, Dirk 398 van der Helm, Ad 381, 396 van der Ploeg, Tymen Jan 398 van der Velde, Jakob 401, 402 van Drimmelen, Cornelis 398 van Goethem, Herman 381 van Nieuwenhove, Jeroen 386 van Stiphout, Maurice 397 Vande Lanotte, Johan 385 Varnava, Andrekos 218 Vavouskos, Konstantinos 187 Vedder, Christoph 57 Veelken, Winfried 58, 65 Venizelos, Evangelos 190 Ventura, Marco 109, 114, 117 Veraghtert, Karel 405 Vermeulen, Ben P. 401 Viaene, Vincent 386, 390, 391, 396, 397 Vieweg, Klaus 58, 65 Vikström, John 271 Viladrich, Pedro J. 89 Vitali, Enrico 114 von Aquin, Thomas 252 von Campenhausen, Axel 72, 74, 204 von Ickstat, Johann Adam 20 von Pufendorf, Samuel 19 von Sabina, Wilhelm 250 von Ungern-Sternberg, Antje 141 Vree, Jasper 398, 399 Vrielink, Jogchum 381, 382, 384, 388, 390, 391 Vuye, Hendrik 387

419

Waldhoff, Christian 60, 61, 64, 65, 140, 156 Walser, Markus 356 Walter, Christian 50, 63, 66, 67, 135 Walter, Felix 366 Wasa, Gustav 271, 272 Weber, Quirin 361 Weibel, Paul 370 Weiss, Andreas 360 Weninger, Michael 70 Wessels, Leo 397 Westman, Knut B. 272 Widmer, Thomas 365, 374 Wielinger, Gerhart 142, 148 Wieshaider, Wolfgang 142 Winzeler, Christoph 362 Witte, Els 394 Wittig, Andreas Miachael 187, 188 Woehrling, Jean-Marie 295 Yeginsu, Can 329 Ylikangas, Heikki 271 Young, George 214 Zagrebelsky, Gustavo 118 Zallwein, Gregor 21 Zanotti, Andrea 125 Zbinden, Hans 377 Zekia, Mehmet 214 Zimmermann, Andreas 147 Zwart, Tom 402 Zwinglis, Huldrych 352

Sachwortverzeichnis Akzeptanz 154, 244, 367, 385 Anstaltsseelsorge 93, 133, 163, 167, 177, 178, 185, 208, 233, 241, 304 – Krankenhausseelsorge 287, 401, 407, 409 – Militärseelsorge 87, 138, 139, 152, 163, 185, 208, 287, 317, 318, 395 Arbeitnehmer 58, 280, 281, 283 Arbeitsrecht 33, 59, 65, 166, 233, 240, 241, 319, 400 Ausbildung 47, 124, 162, 164, 165, 207, 228, 286, 329 Autokephalie 186, 188, 189, 191, 216, 218, 225 Baptisten 324, 392 Bekenntnisfreiheit 192, 195, 223 Beziehungen zwischen Kirche und Staat 80, 81, 107, 109, 112, 167, 176, 181, 238, 242, 245, 275, 289, 299, 340 Bildung 83, 128, 165, 174, 207, 230, 245, 269, 272, 285, 286, 309, 314, 315, 332, 342, 375, 376, 393, 394, 399, 402, 406, 407, 409 Bildungswesen 99, 100, 293, 314 Bischof 18, 19, 81, 114, 170, 171, 187, 205, 206, 216, 234, 243, 244, 245, 248, 250, 254, 267, 275, 297, 301, 311, 338, 355, 357, 358, 362, 364, 366, 367, 368, 369, 370, 391, 395 Bischofskonferenz 8, 98, 99, 116, 124, 174, 175, 180, 314, 319, 356, 362, 367, 369 Bistum 355, 356, 357, 358, 359, 362, 366, 371 Christentum 7, 16, 17, 30, 51, 70, 81, 167, 168, 170, 196, 199, 213, 221, 242, 245, 272, 273, 327, 331, 376

Denkmalschutz 79, 100, 101, 401 Deutschland 28, 32, 43, 60, 63, 66, 68, 70, 137, 140, 144, 146, 152, 156, 166, 197, 204, 208, 210, 242, 274, 353, 376, 383, 393 Diözese 27, 28, 98, 114, 138, 159, 186, 201, 243, 259, 261, 266, 267, 268, 301, 312, 328, 352, 355, 356, 359, 360, 362, 365, 366, 367 Diskriminierung 16, 29, 57, 64, 65, 83, 89, 103, 107, 121, 139, 156, 172, 237, 239, 241, 257, 279, 284, 333, 384, 402 Diskriminierungsverbot 57, 156, 307, 402 Dominikanischen Republik 22 Eherecht 84, 115, 165, 318, 395 Eheschließung 84, 111, 112, 116, 126, 165, 171, 175, 216, 226, 283, 287, 319, 325, 331, 332, 337, 339 Ekklesiologie 24, 364 EMRK 51, 55, 56, 61, 63, 66, 67, 68, 90, 93, 117, 123, 136, 138, 139, 141, 142, 143, 145, 147, 149, 153, 154, 156, 162, 192, 197, 223, 224, 235, 238, 256, 257, 258, 275, 277, 280, 307, 315, 333, 385, 388, 400, 401 Erklärung der Menschenrechte 85, 92, 123, 299, 333 Erzbischof 11, 15, 80, 186, 187, 207, 216, 229, 243, 250, 251, 271, 301, 416 Erzbistum 204 Erziehung 94, 99, 141, 161, 162, 207, 245, 314, 315, 342 EuGH 49, 56, 57, 58, 59, 66, 104, 118, 144, 166 Europa 19, 30, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 58, 60, 61, 63, 64, 65, 70, 80, 120,

Sachwortverzeichnis 211, 242, 251, 319, 346, 359, 381, 390, 397 Europäische Union 11, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 57, 59, 60, 61, 62, 63, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 73, 75, 116, 122, 284, 296, 381, 398, 415 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 7, 53, 66, 67, 68, 69, 88, 90, 93, 96, 102, 103, 107, 118, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 144, 145, 147, 149, 153, 154, 156, 195, 198, 201, 202, 206, 240, 245, 258, 281, 307, 336, 337 EUV 61, 62, 63, 64, 71, 73, 74 Evangelische Kirche 11, 164, 231, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 243, 245, 253, 256, 258, 266, 268, 270, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 280, 281, 282, 283, 284, 285, 287, 288, 301, 302, 346, 352, 353, 354, 358, 361, 366, 370, 373, 374, 399 – evangelisch 8, 70, 87, 92, 99, 100, 102, 134, 135, 137, 151, 157, 163, 164, 271, 282, 391 – evangelisch-lutherisch 11, 231, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 243, 245, 253, 256, 258, 266, 268, 270, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 280, 281, 282, 283, 284, 285, 287, 288, 301 – evangelisch-reformiert 352 – lutherisch 11, 19, 231, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 243, 245, 253, 256, 258, 266, 268, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 280, 281, 282, 283, 284, 285, 287, 288, 301, 399 – protestantisch 248, 354, 382, 391, 398, 399, 405, 406, 408 – reformiert 19, 115, 126, 142, 272, 288, 301, 302, 323, 346, 352, 353, 354, 358, 361, 365, 370, 373, 374, 375, 398, 408 Fakultät 16, 59, 103, 133, 164, 185, 207, 208, 293, 301, 315 Familie 44, 117, 247, 254, 256, 258, 277 Finanzierung 79, 81, 88, 92, 101, 102, 103, 129, 155, 156, 222, 234, 275, 297, 302, 304, 312, 314, 317, 334, 340, 343,

421

357, 364, 365, 366, 368, 370, 383, 392, 396, 397, 399, 401, 404, 406, 407, 408 Forum 34, 66, 70, 141, 186, 195, 196, 266, 338, 386, 401, 402 Frankreich 12, 27, 71, 81, 90, 96, 145, 249, 274, 293, 294, 295, 296, 297, 299, 300, 301, 302, 303, 304, 305, 306, 307, 309, 311, 313, 314, 315, 316, 317, 319, 321, 354, 377, 407, 408 Gefängnisseelsorge 395, 404 Gemeinnützigkeit 317, 337, 338 Gemeinwohl 337, 390 Gerechtigkeit 20, 175 Gerichtshof 45, 53, 66, 68, 102, 104, 142, 151, 198, 201, 202, 203, 206, 215, 216, 223, 225, 226, 236, 240, 281, 307 Gesellschaft 7, 12, 15, 16, 17, 18, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 28, 29, 31, 32, 33, 34, 43, 47, 72, 81, 83, 90, 97, 99, 100, 107, 111, 143, 149, 150, 151, 175, 180, 181, 188, 224, 233, 257, 263, 272, 276, 289, 305, 306, 311, 317, 319, 320, 346, 349, 363, 365, 373, 375, 376, 381, 382, 384, 394, 397, 401, 405, 407, 415 Gewissensfreiheit 24, 66, 119, 122, 123, 151, 170, 172, 173, 178, 192, 223, 273, 277, 278, 279, 280, 296, 299, 300, 303, 304, 305, 306, 307, 358 Glaube 35, 47, 53, 177, 335, 346 Glaubensbekenntnis 199, 224, 353 Glaubensfreiheit 31, 34, 85, 140, 269, 277, 279, 280 Glaubensgemeinschaft 200, 234, 272, 294, 307, 359, 383, 388, 390, 401, 403, 404, 406, 407, 408 Gleichbehandlung 34, 64, 88, 119, 158, 178, 220, 233, 234, 244, 278 Gottesdienst 66, 93, 97, 103, 104, 154, 173, 192, 208, 209, 223, 257, 267, 272, 382, 389, 390 Grundfreiheit 52, 55, 56, 58, 85, 255, 258, 275, 277, 305 Grundrechte 35, 44, 45, 55, 56, 68, 69, 79, 84, 85, 92, 94, 95, 96, 116, 122,

422

Sachwortverzeichnis

135, 136, 140, 143, 162, 172, 224, 244, 277, 278, 279, 280, 316, 383, 385 Heiliger Stuhl 15, 23, 24, 25, 26, 27, 50, 84, 106, 112, 123, 124, 137, 138, 158, 163, 164, 167, 174, 177, 309, 314, 316, 320, 327, 400 Hochschule 139, 207, 316, 394, 409 Identität 7, 29, 32, 61, 62, 73, 74, 154, 167, 168, 169, 175, 181, 230, 237, 238, 239, 240, 241, 254, 319, 320, 352 Islam 132, 139, 150, 151, 155, 156, 160, 162, 164, 227 Judentum 70, 84, 86, 88, 144, 201, 224, 270, 297, 301, 308, 314, 318, 342, 345, 346, 361, 382, 388, 390, 393, 406 Juristische Person des öffentlichen Rechts 146, 201, 202, 203, 225 Katholische Kirche 15, 16, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 40, 50, 65, 72, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 86, 87, 98, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 128, 129, 138, 151, 157, 158, 159, 161, 163, 164, 169, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 177, 178, 179, 181, 213, 214, 218, 221, 226, 227, 249, 253, 270, 271, 285, 295, 296, 298, 301, 309, 312, 314, 315, 318, 323, 325, 326, 327, 328, 343, 344, 346, 352, 354, 356, 357, 358, 359, 360, 361, 362, 363, 364, 365, 366, 367, 368, 369, 370, 371, 372, 375, 376, 379, 380, 381, 382, 383, 385, 387, 388, 390, 391, 393, 394, 395, 397, 398, 399, 405, 406, 408, 416 Kirchenaustritt 142, 143, 253, 273, 359 Kirchenfinanzierung 79, 100, 109, 133, 158, 165, 185, 205, 213, 227, 228, 247, 261, 269, 284, 293, 311, 323, 340, 351, 356, 365, 375, 379, 392, 404 Kirchengericht 217, 219, 225, 226 Kirchengesetz 240, 243, 253, 272, 273, 274, 275, 276, 278, 356, 358, 369, 370, 375, 376

Kirchenrecht 8, 19, 22, 26, 57, 60, 74, 109, 114, 115, 116, 127, 164, 248, 137, 252, 267, 315, 323, 340, 351, 353, 358, 365, 370, 393, 415, 416 Kirchensteuer 275, 284, 334, 354, 356, 365, 377, 393 Kirchliche Einrichtung 293, 317 Klerus 82, 92, 104, 114, 129, 243, 248, 252, 253, 324, 345 Konkordat 15, 18, 22, 23, 25, 26, 27, 29, 87, 98, 101, 109, 112, 113, 114, 115, 116, 119, 123, 124, 125, 128, 129, 133, 137, 138, 157, 161, 163, 164, 167, 171, 173, 174, 175, 178, 296, 297, 301, 303, 330, 355, 384, 400 Konzil 15, 19, 21, 23, 24, 25, 82 Kooperation 32, 71, 107, 133, 152, 153, 160, 173, 185, 206, 208, 222, 233, 244, 269, 285, 289, 293, 313, 314, 319, 323, 332, 333, 342, 346, 347, 351, 369, 370, 379, 393, 395, 405, 406 Koordination 222, 265, 314 Körperschaften des öffentlichen Rechts 28, 100, 153, 210, 274, 278 Körperschaftsstatus 31, 39, 40, 63, 153, 156, 210 Krankenhaus 44, 163, 406 Kroatien 25, 88 Laizismus 50, 54, 139, 294, 295, 297, 299, 300, 302, 304, 306, 310, 313, 315, 319, 320, 321 Landeskirche 352, 353, 354, 356, 357, 358, 360, 361, 362, 363, 364, 366, 367, 368, 369, 370, 371, 372, 374, 376 Lateranverträge 23, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 123, 126 Lehrerausbildung 162, 286 Lissabon 61, 62, 71, 74, 168, 316, 415 Medien 59, 99, 257, 281, 311, 339, 364 Mehrwertsteuer 128, 264, 313, 403 Meinungsfreiheit 279, 280, 305 Menschenrecht 7, 23, 30, 49, 50, 51, 52, 53, 55, 67, 68, 85, 90, 92, 103, 116,

Sachwortverzeichnis 119, 123, 147, 198, 201, 202, 206, 240, 243, 255, 258, 275, 277, 278, 279, 281, 288, 307, 333, 336, 360 Menschenrechtskonvention 51, 66, 93, 116, 117, 122, 141, 166, 192, 197, 235, 247, 256, 257, 307, 333 Metropolit 187, 204, 229 Mission 92, 280, 344 Monarchie 113, 170, 199, 235, 324 Montenegro 25 Nation 169, 173 Neutralität 31, 32, 33, 39, 40, 41, 42, 43, 45, 46, 47, 73, 79, 83, 89, 90, 91, 93, 138, 139, 140, 147, 156, 173, 174, 179, 210, 222, 275, 289, 302, 303, 304, 305, 318, 320, 321, 331, 333, 358, 384, 385, 401, 402 Öffentliche Ordnung 90, 94, 119, 126, 136, 143, 185, 192, 196, 200, 224, 257, 288, 296, 299, 300, 303, 305, 306, 307, 310, 318 Organgesetz 79, 84, 99 Orthodoxe Kirche 11, 88, 92, 131, 147, 151, 163, 183, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 199, 201, 202, 203, 204, 205, 207, 208, 209, 210, 211, 213, 214, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 225, 226, 227, 228, 229, 230, 270, 271, 272, 273, 275, 278, 282, 283, 284, 286, 287, 288, 343, 388 Orthodoxie 189, 199, 207, 209, 343 Österreich 11, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 141, 143, 144, 145, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154, 155, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 166 Papst 18, 19, 50, 81, 111, 112, 168, 169, 243, 248, 249, 250, 251, 297, 320, 323, 347, 355, 391, 398 Parität 140, 158, 162, 163, 190, 193 Patriarchat 186, 187, 191

423

Pfarrei 319, 340, 341, 352, 356, 364, 366, 370 Pluralismus 92, 107, 118, 121, 139, 174, 222, 304, 367, 384, 385 Portugal 11, 167, 168, 169, 170, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 181 Premierminister 173, 174, 177, 306 Priestertum 146 Rechtsordnung 17, 27, 28, 114, 115, 117, 119, 121, 122, 125, 126, 129, 130, 149, 152, 189, 205, 323, 324, 334, 336, 344, 345 Rechtsquelle 216, 327, 383, 400 Rechtsstaat 15, 28, 30, 67, 142, 145, 372 Rechtsstatus 8, 40, 64, 79, 97, 98, 113, 123, 129, 133, 147, 154, 159, 185, 194, 199, 200, 201, 226, 233, 234, 237, 238, 256, 259, 293, 297, 307, 309, 310, 317, 324, 327, 334, 336, 337, 338, 351, 361, 379, 388, 402, 408 Rechtssystem 85, 93, 98, 121, 250, 271, 274, 302, 327, 344, 345, 403 Religionsfreiheit 15, 23, 24, 28, 29, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 41, 44, 45, 46, 49, 54, 55, 56, 57, 59, 61, 63, 64, 66, 67, 68, 69, 70, 74, 79, 82, 83, 84, 85, 86, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 107, 109, 112, 114, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 130, 133, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 145, 149, 153, 155, 156, 162, 166, 167, 170, 172, 173, 174, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 185, 190, 191, 192, 193, 194, 196, 197, 199, 208, 210, 213, 222, 223, 224, 227, 235, 237, 238, 239, 240, 245, 247, 253, 257, 258, 269, 271, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 279, 280, 282, 287, 288, 289, 293, 303, 304, 305, 306, 307, 313, 315, 323, 333, 334, 335, 339, 351, 352, 355, 358, 359, 364, 379, 383, 385, 386, 387, 398, 399, 400, 401, 404, 405, 408 Religionsgemeinschaft 8, 15, 16, 17, 24, 28, 29, 39, 40, 41, 47, 49, 57, 58, 59,

424

Sachwortverzeichnis

60, 61, 62, 63, 64, 65, 67, 68, 70, 72, 73, 74, 79, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 90, 91, 92, 94, 97, 98, 99, 100, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 109, 115, 120, 121, 123, 128, 129, 130, 132, 133, 134, 137, 138, 139, 146, 147, 148, 150, 151, 152, 153, 156, 157, 160, 165, 167, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 185, 189, 194, 203, 208, 210, 213, 214, 215, 216, 218, 219, 220, 221, 222, 223, 225, 226, 227, 228, 229, 233, 234, 237, 238, 239, 240, 241, 244, 247, 248, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 260, 262, 263, 264, 265, 266, 269, 270, 275, 277, 278, 282, 283, 284, 285, 289, 293, 294, 297, 301, 302, 303, 305, 307, 310, 311, 312, 313, 314, 317, 323, 330, 331, 333, 336, 337, 339, 340, 341, 344, 345, 351, 355, 357, 360, 361, 364, 365, 366, 369, 373, 376, 379, 382, 384, 385, 386, 387, 388, 389, 390, 392, 393, 396, 397, 399, 402, 403, 405, 408 Religionskunde 365 Religionslehre 148, 154, 155 Religionslehrer 88, 129, 161, 286 Religionsunterricht 83, 88, 94, 99, 113, 114, 116, 133, 139, 154, 160, 161, 162, 167, 168, 171, 172, 173, 175, 179, 185, 206, 207, 210, 221, 222, 277, 283, 285, 286, 288, 293, 301, 315, 334, 365 Religionszugehörigkeit 41, 134, 137, 180, 214, 223, 294, 325, 326, 382, 392, 399 Religiöse Einrichtung 84, 97, 98, 283, 324 Religiöse Minderheit 181, 236, 245, 281, 286, 325, 327, 340, 346, 406 Russland 67 Säkularisierung 43, 244, 295, 319, 332, 343, 344, 353, 378, 382, 390, 399 Schule 20, 36, 38, 47, 83, 88, 94, 99, 100, 114, 116, 122, 124, 131, 133, 134, 139, 144, 154, 160, 161, 162, 163, 167, 168, 171, 172, 173, 175, 179, 196, 206, 207, 230, 245, 281, 285, 293, 300, 301,

304, 306, 309, 311, 315, 319, 325, 332, 338, 342, 343, 344, 365, 383, 393, 394, 395, 402, 404, 405, 407, 409 – kirchliche Schule 342 – öffentliche Schule 88, 99, 114, 133, 154, 160, 162, 163, 179, 250, 281, 285, 293, 301, 306, 315, 325, 332 – Privatschule 100, 122, 133, 162, 163, 285, 293, 306, 312, 314, 315, 319 – religiöse Schulen 196, 285 Scientology 68, 196, 337 Seelsorger 178, 241, 287, 344, 395 Selbstverständnis 17, 22, 34, 45, 65, 73, 146, 323, 358, 359, 363, 369 Slowakei 26 Sowjetunion 51 Sozialhilfe 27 Spanien 11, 22, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 89, 91, 92, 93, 95, 97, 99, 100, 101, 102, 103, 105, 107, 171, 397 Staatliche Beihilfe 104, 228, 257, 284 Staatsgrundgesetz 135, 136, 137, 138 Staatskirche 32, 38, 123, 138, 139, 146, 190, 193, 216, 237, 238, 239, 242, 243, 275, 279, 323, 324, 326, 328, 330, 333, 341, 346, 347, 353, 384 Staatskirchenrecht 7, 8, 11, 31, 32, 33, 37, 45, 57, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 74, 79, 89, 115, 116, 118, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 141, 146, 151, 153, 154, 165, 185, 188, 191, 197, 209, 247, 248, 255, 256, 269, 274, 288, 289, 293, 296, 299, 303, 315, 319, 320, 323, 327, 328, 332, 351, 352, 355, 356, 358, 359, 360, 365, 372, 375, 379, 380, 382, 383, 384, 385, 396, 397, 398, 399, 400, 404, 407, 409, 415 Staatsleistung 42, 159 Staatsreligion 17, 24, 30, 82, 119, 214, 221, 272 Strafanstalten 42, 93, 208 Synode 186, 187, 189, 190, 202, 204, 218, 250, 271, 272, 275, 324, 328, 336, 361, 363, 376

Sachwortverzeichnis Theologie 70, 142, 164, 165, 207, 208, 252, 286, 301, 352, 395, 415, 416 Theologische Fakultät 59, 152, 164, 208, 286, 301 Trennung von Kirche und Staat 33, 38, 43, 82, 111, 139, 165, 170, 173, 176, 209, 211, 222, 274, 296, 300, 302, 332, 354, 384, 407, 408 Tschechien 27 Universität 8, 19, 103, 124, 152, 162, 164, 165, 169, 180, 241, 251, 252, 286, 301, 316, 325, 332, 344, 394, 405, 406, 415, 416 Vereinte Nationen 173 Verfassung 25, 27, 28, 35, 37, 38, 42, 54, 63, 79, 82, 83, 84, 85, 87, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 96, 97, 98, 99, 100, 109, 110, 111, 112, 113, 115, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 125, 126, 127, 130, 137, 139, 146, 150, 154, 167, 169, 170, 171, 172, 179, 181, 186, 188, 189, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 197, 198, 199, 202, 210, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 226, 227, 228, 229, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 243, 244, 255, 256, 257, 258, 272, 274, 275, 279, 289, 296, 299, 300, 302, 303, 305, 309, 314, 326, 329, 351, 354, 356, 358, 359, 360, 363, 369, 374, 380, 381, 383, 384, 385, 386, 387, 389, 390, 392, 394, 398, 400, 401, 402, 403, 404, 405, 407, 408, 409 Verfassungsgericht 89, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 103, 114, 118, 120, 122, 126, 130, 281

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Verfassungsvertrag 54, 64, 70 Verhältnis von Kirche und Staat 8, 15, 19, 23, 61, 169, 271, 353 Vernunft 252, 295 Vertrag 23, 26, 27, 29, 49, 54, 58, 59, 61, 62, 63, 64, 71, 74, 87, 107, 112, 115, 126, 138, 158, 161, 175, 186, 187, 206, 215, 300, 312, 316, 331, 334, 336, 345 Vertrag von Amsterdam 61 Vertrag von Maastricht 54, 59, 61 Volkskirche 43, 234, 236, 238, 377, 393 Weltanschauung 34, 58, 80, 89, 136, 139, 140, 176, 179, 207, 223, 235, 237, 279, 288, 294, 289, 334, 389, 395, 401, 406 Wormser Konkordat 18 Würde 28, 33, 53, 56, 57, 58, 90, 92, 96, 157, 175, 179, 193, 197, 198, 199, 208, 217, 219, 240, 319, 328, 353, 370, 377 Zeugen Jehovas 40, 66, 67, 88, 90, 92, 95, 122, 131, 149, 154, 180, 196, 197, 222, 224, 270, 281, 392 Zivilgesellschaft 16, 73, 169, 171, 289, 338 Zusammenarbeit 8, 9, 50, 70, 79, 81, 83, 86, 88, 89, 91, 92, 98, 99, 100, 102, 105, 120, 165, 175, 206, 208, 223, 248, 262, 265, 274, 275, 285, 344, 362, 393, 406 Zuschuss 228, 229, 247, 256, 261, 262, 263, 264, 265, 312, 316, 317, 340, 341 Zweites Vatikanisches Konzil 15, 21, 23, 24, 25, 82

Autoren und Herausgeber Anargyros Anapliotis, Dipl.theol., Dr. Dr. jur. LL.M., Studium der Theologie und der Rechtswissenschaft an der Universität Athen und der Universität München, Promotionen an der Universität Athen und an der Universität München. Akademischer Oberrat und Dozent für Kirchenrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Mikael Berglund, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Stockholm, Promotion an der Universität Stockholm, außerordentlicher Professor des Zivil- und Strafprozeßrechts an der Universität Uppsala und Professor für Rechtswissenschaft an der Stockholm School of Economics. Santiago Cañamares Arribas, Prof. Dr. iur., Promotion an der Universität Madrid, Professor für Internationales Recht, Kirchenrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Complutense Madrid, stellvertretender Direktor der Forschungsgruppe „Religion, Recht und Gesellschaft“ der Universität Complutense in Madrid. Stephan Dusil, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten Bayreuth, Bielefeld, Frankfurt a. M., Promotion an der Universität Frankfurt, Habilitation an der Universität Zürich, Professor für Bürgerliches Recht, Deutsche Rechtsgeschichte und Juristische Zeitgeschichte an der Universität Tübingen. Achilles C. Emilianides, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten Thessaloniki und Leicester, Promotion an der Universität Thessaloniki, Professor für Rechtswissenschaft und Dekan der juristischen Fakultät an der Universität Nicosia. Gabriele Fattori, Prof. Dr. iur. can., Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten Siena und Urbino, Promotion an der Universität Urbino, Professor für Kirchenund Staatskirchenrecht an der Universität Foggia. Martin Grichting, PD Dr. iur. can., Studium der Theologie und des Kirchenrechts in Fulda, München und Rom, Promotion an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom, Habilitation an der Universität München, Generalvikar des Bischofs von Chur. Christian Hillgruber, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Köln, Promotion und Habilitation an der Universität Köln, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Universität Bonn sowie stellvertretendes Mitglied des Verfassungsgerichtshofes für das Land Nordrhein-Westfalen. Matti Kotiranta, Prof. Dr. theol., Studium der Theologie an der Universität Helsinki, Promotion an der Universität Helsinki, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Ostfinnland, Joensuu. Jónatas Em. M. Machado, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Coimbra, Promotion an der Universität Coimbra, Professor für Völkerrecht und das Recht der Europäischen Union an der Universität Coimbra, Professor für Rechtswissenschaft an der Autonomen Universität Lissabon.

Autoren und Herausgeber

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Roland Minnerath, Prof. Dr. mult., Studium der Geschichte an der Universität Sorbonne, der Verwaltungswissenschaften an der Universität Paris IX sowie der Katholischen Theologie und des Kirchenrechts an der Universität Straßburg sowie der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom, Promotionen in Katholischer Theologie, im Kirchenrecht und in Verwaltungswissenschaften, seit 2014 Erzbischof von Dijon. Stefan Mückl, Prof. Dr. iur., Dr. iur. can., Studium der Rechtswissenschaft in Passau und Freiburg, Promotion und Habilitation an der Universität Freiburg, Studium der Katholischen Theologie und des Kirchenrechts an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom, Professor für Kirchenrecht an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom. Peter Müller, Studium der Rechtswissenschaften an der Universität des Saarlandes und der Universität Bonn, Richter des Bundesverfassungsgerichts. Katharina Pabel, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Bonn, Promotion an der Universität Bonn, Habilitation an der Universität Wien, Professorin für Europarecht und Internationales Recht an der Wirtschaftsuniversität Wien. Ingvill Thorson Plesner, Prof. Dr. iur., Studium des Öffentlichen Rechts und der Sozialwissenschaften, Promotion an der Universität Oslo, Professorin am Norwegischen Zentrum für Holocaust- und Minderheitenstudien Oslo. Julian Rivers, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten Cambridge und Göttingen, Promotion an der Universität Bristol, Professor für Rechtswissenschaft an der Universität Bristol. Thierry Sol, Prof. Dr. sc. pol., Dr. iur. can., Studium der Geschichte und Politikwissenschaften an den Universitäten Paris IV und Berlin (FU) sowie der Katholischen Theologie und des Kirchenrechts an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom, Promotionen in Politikwissenschaften am Institut d’études politiques in Paris und im Kirchenrecht an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom, Professor für Geschichte des Kirchenrechts an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom. Arnd Uhle, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Bonn, Promotion und Habilitation an der Universität München. Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere für Staatsrecht, Allgemeine Staatslehre und Verfassungstheorie an der Universität Leipzig sowie Richter des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen.