Kino in der DDR. Perspektiven auf ein alltagsgeschichtliches Phänomen [1. ed.] 9783848772681, 9783748912774


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German Pages 320 [319] Year 2022

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Table of contents :
Cover
Einleitung
Kino als Schauplatz und Erlebnisraum
Visionsbars, Klubkinos und Kino-Cafés
Filmtheater mit Gastronomie in der DDR
Gastronomiekino als Gattungsbegriff und Merkmale der einzelnen Kinotypen
Exkurs: Studiokinos als staatlich initiierter Kinotyp
Die geografische Verteilung der Gastronomie- und Studiokinos
Gastronomiekinos als Reaktion auf die Kinokrise der 1960er- und 1970er-Jahre
Gastronomiekinos als Spiegel des Filmkonsums im privaten Raum
Wer hat’s erfunden? – Entwicklung und Verbreitung der Gastronomiekinos in der Peripherie
Bezirksübergreifender Ideentransfer: Die Verbreitung der Visionsbars
Neuentwicklung aus Karl‑Marx‑Stadt: Klubkinos
Karl-Marx-Städter PR – die ‚Klubkinowelle‘ schwappt nach Halle
Entwicklungen in den anderen Bezirken
Die staatliche Anerkennung der Gastronomiekinos
Berlin als Sonderfall
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Kinoarchitektur im Spiegel der DDR-Philokartie
Zum Zeugnischarakter von Ansichtskarten für die Auseinandersetzung mit Kinokultur
Die Stunde Null – Kino nach 1945
Die Kinooffensive der 1950er-Jahre
Bestandskinos als Postkartenmotive
Ansichtskartenproduktion in der DDR: Druckgenehmigung und Fotografieleitlinien
Kinos auf Ansichtskarten der DDR
Erster Exkurs: Das Kino in Stalinstadt
Kinos auf Mehrbildkarten
Zweiter Exkurs: Kosmos, International, Rundkino
Das Kino Kosmos in Berlin
Das Kino International
Das Rundkino in Dresden
Vorhang 1989
Abbildungsverzeichnis
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Ein Votum für Filme aus dem Westen
Das Kino der DDR und sein Publikum, 1978–1987
Das Filmangebot der Kinos
Die Wahl der Zuschauerinnen und Zuschauer
Ein deutsch-deutscher Vergleich
Rück- und Ausblick
Anhang: Top 15-Listen der Jahre 1978 bis 1987
1978
1979
1980
1981
1982
1983
1984
1985
1986
1987
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Kino als Arbeits- und Wirkungsraum
Die „heimlichen Könige des Filmtheaters“
Zur Selbstinszenierung von Filmvorführern
Professionalisierung – Fotografien als Zeugnisse eines modernen Arbeitsplatzes
Transformation – Lebensläufe als Selbstzeugnisse der Redlichkeit und Fähigkeit
Retrospektion – Buchpublikationen als Zeugnisse einer vergangenen Welt
Zusammenfassung
Abbildungsverzeichnis
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Im Kino arbeiten
Eine alltagsgeschichtliche Annäherung am Beispiel der Kreislichtspielbetriebe Auerbach, Eberswalde und Bernau
Strukturen des DDR-Lichtspielwesens
Das Kino als Arbeitsplatz
Betriebsstrukturen und Machtdynamiken
Arbeitsfelder und -probleme der Kreislichtspielbetriebe Eberswalde
Sozialistische Arbeitswelt im Kino
Arbeiten im Landfilm
Filmvorführerinnen und Filmvorführer
Fazit
Abbildungsverzeichnis
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Dramaturgie in der DEFA
Herz der Filmproduktion oder politische Keule?
Kleine Geschichte der Dramaturgie
Von der zentralen Dramaturgie zu Dramaturgengruppen
Rückkehr zum Zentralismus
Machtwechsel – Hoffnung auf mehr Freizügigkeit
Das letzte DEFA-Jahrzehnt
Was bleibt?
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Kino als Erfahrungs- und Erinnerungsraum
Zwischen Unterhaltung und Systemkonflikt
Die Rezeption populärer Filme im Kino der DDR
Forschungsüberblick zur Rezeptionsgeschichte des Kinos in der DDR
Kino als Ort der Freizeit und Unterhaltung
Der (un)sichtbare Westfilm
Fazit
Abbildungsverzeichnis
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Das Kino in der DDR
Eine nicht nur subjektive Betrachtung
Kino und Filme zur politisch-ideologischen Erziehung in der Schule
Mauerbau und das DDR-Kino der1960er-Jahre
Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR
Im Wandel der Generationen: Kino und Film der 1970er-Jahre
Zwischen Erziehung und Unterhaltung: Kino in den frühen 1980er-Jahren
Beginn der kulturellen Öffnung: Kinofilme in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre
Zusammenfassung und Schlussbemerkungen
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Kinogeschichte miteinander erforschen und (be-)schreiben
Das Citizen Science-Projekt „Kino in der DDR“ in seiner Umsetzung und Evaluation
Citizen Science in der Geschichtswissenschaft
Forschung zum Mitmachen: „Kino in der DDR“ als partizipatives Projekt
Der technische Aufbau der Plattform „Kino in der DDR“
Zur Materialität des Kinoerlebnisses und den Medien der Erinnerungskultur
Herausforderungen bei der Kontaktaufnahme mit der Öffentlichkeit
Ausgangslage, Ziele und Umsetzung der Projektkommunikation
Evaluation zur Online-Kommunikation des Forschungsprojektes
Ergebnisse und Schlussfolgerungen zur Projektkommunikation
Fazit und Ausblick
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Autorinnen und Autoren des Bandes
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Kino in der DDR. Perspektiven auf ein alltagsgeschichtliches Phänomen [1. ed.]
 9783848772681, 9783748912774

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Schriftenreihe „Filmstudien“ herausgegeben von Prof. Dr. Oksana Bulgakowa und Prof. Dr. Norbert Grob Die Reihe wurde von Prof. Dr. phil. Thomas Koebner begründet.

Band 81

Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Marcus Plaul | Anna-Rosa Haumann Kathleen Kröger [Hrsg.]

Kino in der DDR Perspektiven auf ein alltagsgeschichtliches Phänomen

Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

© Titelbild: SLUB Dresden / Deutsche Fotothek / Asmus Steuerlein (Rundkino in Dresden, 1973, CC BY-SA).

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8487-7268-1 (Print) ISBN 978-3-7489-1277-4 (ePDF)

Bis Band 61 bei Gardez! Verlag Michael Itschert erschienen mit Ausnahme der Bände 57 und 60.

Onlineversion Nomos eLibrary

1. Auflage 2022 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2022. Gesamtverantwortung für Druck und Herstellung bei der Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt

Einleitung

7

Marcus Plaul, Anna-Rosa Haumann, Kathleen Kröger Kino als Schauplatz und Erlebnisraum Visionsbars, Klubkinos und Kino-Cafés Filmtheater mit Gastronomie in der DDR

13

Tanja Tröger Kinoarchitektur im Spiegel der DDR-Philokartie

Zum Zeugnischarakter von Ansichtskarten für die Auseinandersetzung mit Kinokultur

51

Ben Kaden Ein Votum für Filme aus dem Westen

Das Kino der DDR und sein Publikum, 1978–1987

89

Joseph Garncarz Kino als Arbeits- und Wirkungsraum Die „heimlichen Könige des Filmtheaters“ Zur Selbstinszenierung von Filmvorführern

123

Merve Lühr Im Kino arbeiten

Eine alltagsgeschichtliche Annäherung am Beispiel der Kreislichtspielbetrie­ be Auerbach, Eberswalde und Bernau

147

Ronny Grundig

5 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Inhalt

Dramaturgie in der DEFA

Herz der Filmproduktion oder politische Keule?

171

Dieter Wolf Kino als Erfahrungs- und Erinnerungsraum Zwischen Unterhaltung und Systemkonflikt

Die Rezeption populärer Filme im Kino der DDR

205

Luise Poschmann Das Kino in der DDR

Eine nicht nur subjektive Betrachtung

235

Dieter Wiedemann Kinogeschichte miteinander erforschen und (be-)schreiben

Das Citizen Science-Projekt „Kino in der DDR“ in seiner Umsetzung und Evaluation

275

Anna-Rosa Haumann, Kathleen Kröger, Christiane Kuller, Marcus Plaul, Patrick Rössler, Martin Schlobach, René Smolarski Autorinnen und Autoren des Bandes

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317

Einleitung

Über 100 Jahre währt mittlerweile die Geschichte der Kinematografie, die in der historischen Rückschau vor allem die Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts bestimmte und damit auch einen hohen Stellenwert in der Freizeitgestaltung der Menschen einnahm. Von zentraler Bedeutung ist dabei das Kino als Ort des kinematografischen Geschehens. Ihm wohnt die besondere Eigenschaft inne, einmalige Erlebnisse und Erinnerungen zu schaffen, die weit über das eigentliche Filmspiel auf der Leinwand hin­ ausgehen. Als Ort der Begegnung und öffentlichen Kommunikation bietet es den Menschen Momente der Erholung, Zerstreuung und Unterhaltung und schafft durch das kollektive Sehen, Hören und Wahrnehmen eines Films zugleich ein Gefühl der gesellschaftlichen Verbundenheit. Das Phänomen Kino erklärt sich aber nicht nur über die Wahrneh­ mung fantastischer Bewegtbilder und Traumwelten, um dem Alltag zu entfliehen, sondern muss im Zusammenhang vielschichtiger Kontexte ge­ sehen werden. Es sind schließlich auch die Architektur des Kinogebäudes, das Ambiente im Saal und allen voran die soziale Komponente, die neben der filmischen Inszenierung die Rezeptionssituation im Kino beeinflussen und darüber entscheiden, ob sich das Kinoereignis als Kinoerlebnis im Gedächtnis der Besuchenden verankert. Das Kino wird somit zu einem sozialen und kulturellen Erlebnisraum, der sich über die persönlichen Erinnerungen des Einzelnen in das gesellschaftliche Gedächtnis ganzer Generationen festschreibt. Eng verknüpft sind damit auch die Geschichten und Erfahrungen der Menschen, die ‚hinter der Leinwand‘ arbeiten und mittel- oder unmittelbar die Beschaffenheit des Rezeptionserlebnisses mit ihrer Tätigkeit beeinflussen. Dazu gehört beispielsweise das erhellende Ge­ spräch mit der oder dem Angestellten im Kassenbereich über das aktuelle Kinoprogramm, die höflichen Damen und Herren, die im verdunkelten Saal die Plätze zuweisen und schließlich die Filmvorführerinnen und Filmvorführer, die mit ihrem technischen Sachverstand fernab der Blicke der Kinobesucherinnen und ‑besucher für einen reibungslosen Ablauf des filmischen Spiels sorgen. Hiermit verbunden sind zudem Überlegungen hinsichtlich der kultu­ rellen Einbettung des Kinos in ein Gesellschaftssystem genauso wie die Betrachtung des Filmangebots, seiner Genres und schauspielerischen Leit­ bilder. Vor diesem Hintergrund eröffnet sich auch die Frage, inwieweit die Filmschaffenden mit ihren filmischen Erzeugnissen die Lebenswirk­ 7 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Marcus Plaul, Anna-Rosa Haumann, Kathleen Kröger

lichkeiten des Publikums aufgreifen oder dieses Instrument nutzen, um gewünschte gesellschaftspolitische Ideale zu propagieren. Die Wirkung des Kinos beschränkt sich also nicht nur auf den eigentlichen Ort des Rezepti­ onsgeschehens, sondern beeinflusst mitunter auch den Blick auf die Welt, lange nachdem man den Kinosaal verlassen hat. Das wechselseitige und sich gegenseitig bedingende Verhältnis von Film, Kino, Publikum und Gesellschaft lässt sich sowohl in der Gegenwart beobachten als auch rückblickend auf vergangene Gesellschaftsformen be­ ziehen. In besonderer Weise drängt sich dabei das Kinowesen in der DDR als Untersuchungsgegenstand auf, das den von der SED diktierten Staatsund Gesellschaftszielen – ebenso wie andere Lebensbereiche – unterwor­ fen war und damit einen Sonderfall in der Kinogeschichtsschreibung dar­ stellt. Ist die Geschichte des DDR-Kinos bereits umfassend als Filmpolitikund Produktionsgeschichte geschrieben worden, blieb insbesondere die Perspektive der Kinobesucherinnen und ‑besucher mit ihren persönlichen Erlebnissen in der Forschung weitgehend unberücksichtigt. Die alltagsge­ schichtliche Bedeutungszuschreibung des Kinos erfolgt aber nicht nur auf Individualebene, sondern spiegelt sich gleichsam in einem gesamtgesell­ schaftlichen Kontext auch in den Kinobauten, den verschiedenen Aufführungsformaten und Filmprogrammen wider. An dieser Stelle setzt der vorliegende Sammelband an, der der Leserin oder dem Leser neue Perspektiven auf das Kinowesen in der DDR eröffnen soll. Ziel ist es, den Stellenwert und die Bedeutung des Kinobesuchs für die DDR-Bürgerinnen und -Bürger aus der Sicht unterschiedlicher Forschungszweige zu beleuchten, die in drei übergeordnete thematische Kapitel aufgeteilt sind. So widmet sich der erste Abschnitt des Bandes dem Kino als Schauplatz und Erlebnisraum. Den Beginn dieses Kapitels bildet der Beitrag von Tanja Tröger. Darin befasst sich die Autorin abseits der großen Filmpaläste der DDR – wie dem Kino International in Berlin oder dem Rundkino in Dresden – mit den kleinen und fast schon intim wir­ kenden Klub- und Studiokinos, die erstmals vor rund 50 Jahren auf dem Gebiet der DDR entstanden sind. Statt Holzklappsitzen und Platzmangel boten die sogenannten Kinobars, Klubkinos und Visionsbars komforta­ ble Sitzmöglichkeiten in Form von gepolsterten Sesseln und gedeckten Tischen. Die kleinen Filmtheater standen in direkter Konkurrenz zu den Großkinos, konnten aber nicht zuletzt aufgrund ihrer gastronomischen Ausrichtung und ihres besonderen Ambientes neue Publikumsschichten erschließen und sich so zu einem festen Bestandteil der DDR-Kinokultur entwickeln. Ben Kaden untersucht in seinem Beitrag die in der DDR allgegenwärtigen Ansichtskarten, die mit ihren unterschiedlichen Motiven aus philokartistischer Sicht das architektonische Erbe der DDR festhalten. 8 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Einleitung

Wie zu erwarten war, finden sich auch auf den Ansichtskarten zahlreiche Kinobauten aus allen vier Jahrzehnten der DDR. In seiner Analyse wid­ met sich der Autor insgesamt drei Motivschwerpunkten, die er jeweils an ausgewählten Beispielen näher erläutert: Kino-Neubauten wie das Kino In­ ternational, gelegentlich als Kinos genutzte Kulturhäuser und schließlich kleinere Bestandsbauten, die bereits in der Vorkriegszeit als Filmtheater dienten und später umgebaut wurden, um die Filmversorgung der Bevöl­ kerung zu gewährleisten. Joseph Garncarz schlägt mit seinem Beitrag die Brücke vom Kino als Schauplatz hin zu einem Ort des (Film-)Erlebnisses. Auf Basis bislang unveröffentlichter Filmlisten des ehemaligen DDR-Film­ verleihs Progress für die Jahre 1978 bis 1987, die die Zahl der verkauften Eintrittskarten zeigen, analysiert er die erfolgreichsten und nachgefragtes­ ten Spielfilme an den DDR-Kinokassen. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass sich, entgegen der ideologisch motivierten Programmplanung des SED-Staates, das Publikum zumindest mit Blick auf die Wahlfreiheit im Kino vor allem für westliche Produktionen entschied. Das zweite Kapitel des Buches setzt sich mit dem Kino als Arbeitsund Wirkungsraum auseinander. Hierbei richtet sich die Perspektive auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kinowesens in der DDR. Mer­ ve Lühr befasst sich einleitend mit der wohl wichtigsten Persönlichkeit des Kinos: dem Filmvorführer oder der Filmvorführerin. Anhand von his­ torischen Fotografien, zeitgenössischen Lebensläufen und Schriften geht sie der Frage nach, wie sich das Berufsfeld des Filmvorführers etablierte und sich durch die Schaffung eines Ausbildungsangebots in der DDR wei­ ter professionalisierte. Damit einhergehend zieht die Autorin aus den ver­ schiedenen Quellengattungen Rückschlüsse hinsichtlich des Selbstbildes von Filmvorführern und deren Berufsstand. Ronny Grundig weitet seinen Blick in seinem Beitrag auch auf andere wichtige Berufe und Persönlich­ keiten des Kinos aus. Angefangen bei einer Reflexion über die Struktur des Lichtspielwesens in der DDR nähert er sich dem Kino aus arbeitsge­ schichtlicher Perspektive. Dabei zeigt er nicht nur die klassischen Spezifika und Machthierarchien der sozialistischen Arbeitswelt im Kinogewerbe der DDR auf, sondern geht auch auf die technischen und infrastrukturellen Probleme bei der Filmversorgung der Bevölkerung ein. Den Abschluss des zweiten Kapitels bildet der Beitrag von Dieter Wolf. Sein Essay blickt hinter die Kulissen der DDR-Filmproduktion und legt den Fokus zum einen auf die Geschichte und Funktion des Studiobetriebs der DEFA, zum anderen beschreibt er auch das Spannungsfeld zwischen Kunstfreiheit und politischer Einflussnahme auf den Filmbetrieb der DDR mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Dramaturgie-Abteilung.

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Marcus Plaul, Anna-Rosa Haumann, Kathleen Kröger

Im dritten und letzten Kapitel des Sammelbandes richtet sich der Blick auf das Kino als Erfahrungs- und Erinnerungsraum. Dazu befasst sich Luise Poschmann einführend mit dem aktuellen Stand der Rezeptionsforschung des Kinos in der DDR und geht dabei der Frage auf den Grund, wie die Menschen in der DDR das Kino und die Kinofilme wahr- und ange­ nommen haben. Auf Basis einer umfassenden Analyse zum gegenwärtigen Forschungsstand und unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der DDR unternimmt Poschmann den Versuch, rückblickend die Beziehung zwischen dem historischen Kino­ besucher und dem Film zu rekonstruieren und Beweggründe für oder gegen ein bestimmtes Filmangebot herauszuarbeiten, wobei das Hauptau­ genmerk auf den populären Film gerichtet ist. Ganz persönliche Einblicke in das Kino der DDR gibt Dieter Wiedemann in seinem Aufsatz. Als Medienwissenschaftler, Hochschulprofessor und ehemaliger Direktor der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf blickt er in seinem autobiografisch verfassten Beitrag auf drei Jahrzehnte Kinoerfahrungen in und mit der DDR zurück und beleuchtet dabei insbesondere seine Rolle als Wissenschaftler innerhalb des DDR-Systems sowie den schwierigen Spagat zwischen Forschungsfreiheit und Systemkritik. Der letzte Beitrag dieses Kapitels befasst sich als Ausblick mit neuen und innovativen Metho­ den der historischen Kinoforschung, die allgemeinhin als Citizen Science bzw. Bürgerwissenschaften bezeichnet werden. Dieser Ansatz ist auch die Grundlage für das Forschungsprojekt „Kino in der DDR – Rezeptionsge­ schichte von ‚unten‘“, das an der Universität Erfurt angesiedelt ist. Das Vorhaben hat sich zum Ziel gesetzt, gemeinsam mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen eine Alltagsgeschichte des Kinos in der DDR zu erarbeiten. Im Rahmen dieses Beitrags skizziert das Projektteam zunächst das grund­ legende Konzept des partizipativen Forschungsvorhabens und zeigt Mög­ lichkeiten und Grenzen des gewählten digitalen Zugangs auf, die sich insbesondere im Hinblick auf die zu erreichende Zielgruppe ergaben. Der als Werkstattbericht verfasste Beitrag dokumentiert zudem erste Arbeitser­ gebnisse des Projekts und soll wichtige Impulse für weitere Forschungsar­ beiten im Bereich der Kinogeschichte und Digital Humanities liefern. Ihr Herausgeberteam Marcus Plaul, Anna-Rosa Haumann, Kathleen Kröger

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Kino als Schauplatz und Erlebnisraum

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Visionsbars, Klubkinos und Kino-Cafés Filmtheater mit Gastronomie in der DDR Tanja Tröger

„Ein mittleres Popcorn und ne große Cola bitte!“ – Ohne Knabbereien und Getränke ins Kino zu gehen, scheint vielen Menschen heute unvor­ stellbar. Vor rund 50 Jahren sah das zumindest im Ostteil Deutschlands völlig anders aus. Sich einen Film anzusehen und dabei den Bauch zu fül­ len, daran dachte wahrscheinlich keine Zuschauerin und kein Zuschauer, wenn sie oder er irgendwo zwischen Aue und Zinnowitz ins Kino ging. Dafür wohl gelegentlich an seinen oder ihren ‚Allerwertesten‘, denn der musste einiges ertragen: Die Holzklappsitze, die in engen Reihen standen, waren bestenfalls mit ein wenig Schaumgummi und Stoff bezogen und hatten – wie die übrige Einrichtung, die Technik und die komplette Bau­ substanz der einstigen Gast- oder Ballhaussäle – ihre besten Jahre längst hinter sich. Demgegenüber stand der Komfort der sogenannten Kinobars, Klubki­ nos oder Visionsbars: Breite, weich gepolsterte Sessel gruppierten sich um einzelne Tische. Deckchen und kleine Lampen am Platz schufen ein gemütliches, aus heutiger Sicht vielleicht fast schon bieder erscheinendes Ambiente. An einer Bar im Zuschauerraum konnten die Gäste Getränke und kleine Speisen erwerben oder sie von einer Bedienung zum Platz bringen lassen. Mehr als 50 Jahre sind seitdem vergangen, davon 30 Jahre im wieder­ vereinigten Deutschland und 20 Jahre unter den gesellschaftspolitischen Bedingungen der DDR. Von den rund 150 „Gastronomiekinos“1, die 1989 in dem kleinen Land zwischen Ostsee und Erzgebirge existierten und von der Autorin im Rahmen einer 2004 verfassten Magisterarbeit2 ausfindig gemacht wurden, bestehen derzeit nur noch etwa fünf Prozent. Ähnlich wie zur damaligen Blütezeit von Klubkinos und Co. findet man sie vor 1 Der Begriff „Gastronomiekinos“ wurde von der Autorin als Gattungsbegriff kon­ zipiert und in ihren Publikationen verwendet. Im DDR-Lichtspielwesen wurde dieser Begriff nicht benutzt. 2 Tröger, Tanja: Kleine Kinoformen in der DDR, unveröffentlichte Magisterarbeit, Leipzig 2004.

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Tanja Tröger

allem im südwestlichen Teil Ostdeutschlands. Unter Berücksichtigung die­ ser geografischen Verteilung nimmt der vorliegende Beitrag insbesondere die Gastronomiekinos der ehemaligen DDR-Bezirke Halle und Karl-MarxStadt (KMST, heute Chemnitz) in den Blick. Gastronomiekino als Gattungsbegriff und Merkmale der einzelnen Kinotypen Exakt und trennscharf zu beschreiben, was unter einem Kino-Café, einem Klubkino oder einer Kinobar zu verstehen ist, gestaltet sich schwierig. „Die gefundenen Lösungswege sind vielfältig und lassen sich nicht in einen Schemabegriff einer Gestaltungskategorie pressen“3, urteilte 1978 der Kinobau-Experte Kurt Enz4. Grundsätzlich verband nahezu alle diese Gastronomiekino-Typen der in zeitgenössischen Texten oft betonte „Klub­ charakter“: wenige Plätze, variabel anzuordnende Sessel an Tischen, gastro­ nomische Betreuung im Saal und oft eine kleine Bühne mit entsprechen­ der Mikrofon- und Beleuchtungstechnik. Diese Ausstattung ermöglichte den Kinos, vielfältige Veranstaltungen – auch für Besuchergruppen wie Schulklassen, Arbeitskollektive etc. – und (Film-)Gespräche anzubieten. Die ungewöhnlichste Bauform war sicherlich die sogenannte Visionsbar (von lat. videre = sehen). Auf dem Rang oder im hinteren Teil eines großen Kinosaales mit Reihenbestuhlung wurde ein Bereich durch eine Glasscheibe mit Vorhang abgetrennt. Dieser Raum wurde mit Sesseln, Tischen und einer Bar ausgestattet.5 Bei geöffnetem Vorhang konnten die etwa 20 bis 50 Barbesucher durch eine Glasscheibe den im Saal gezeigten Film sehen. Der Ton kam dabei über separat installierte Lautsprecher. Bei zugezogenem Vorhang konnte der Bereich für geschlossene Veranstaltun­ gen, beispielsweise Filmdiskussionen, genutzt werden. In einigen Kinos wurde auf dem Rang eine Bar mit Sesseln und Tischen eingerichtet, aber keine Glasscheibe eingebaut. Diese nur selten nachgewiesenen Varianten trugen die Bezeichnung Rangbar.

3 Enz, Kurt: Filmtheater im Bild. „Hubertus“ Basdorf, in: Progress Film-Verleih (Hrsg.): PIB – Progress-Informations-Bulletin, 6/1978, Berlin (Ost), S. 12. 4 Leiter der Abteilung Filmtheatertechnik in der DEFA-Zentralstelle für Filmtech­ nik, (Co-)Autor zahlreicher Bücher, Zeitschriftenartikel und Lehrbriefe. Kurzbio­ graphie, in: Enz, Kurt: Entwicklung der Filmtheatertechnik und des Filmtheaternetzes in der DDR von 1945 bis zur Gegenwart, Berlin (Ost) 1982, S. 184. 5 Eßmann, Herbert: Filmtheater, in: Grundlagen für den Neubau und die Rekonstrukti­ on von Kulturbauten, Heft 6, Berlin (Ost) 1977, S. 11.

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Visionsbars, Klubkinos und Kino-Cafés

Den Begriff Kinobar verwendeten die Kinomacher verschieden. In eini­ gen Bezirken wurde er als Synonym für die Visionsbar genutzt, in anderen bezeichnete er einen Bereich mit ‚Klubcharakter‘ und gastronomischer Betreuung außerhalb des Saals, etwa im Foyer. In diesen Räumen stand keine Filmwiedergabemöglichkeit zur Verfügung.

Abbildung 1: Die Visionsbar im Merseburger Filmtheater Völkerfreundschaft hob sich deutlich von ihren Artgenossen ab. Die von runden Formen geprägte Inneneinrichtung hatte der Querfurter Maler und Grafiker Hans-Otto Hahn (1925–2001) entworfen. Ein Kino-Café definierten Fachleute seinerzeit als „Filmtheater, das den Bedingungen der Gastronomie entsprechend mit Tischen und Sesseln bzw. Stühlen ausgestattet ist“6 und über ein meist umfangreicheres Spei­ sen- und Getränkeangebot als die übrigen Gastronomiekinos verfügte. Im Vorreiterbezirk Cottbus war warmes Essen im Angebot, das ausgebildete Gastronomie-Kräfte zubereiteten und servierten. In den übrigen Bezirken waren diese Service-Merkmale nicht so stark ausgeprägt, wodurch die Grenzen zum Klubkino verwischten.

6 Ebd.

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Tanja Tröger

Ebenso wie die Kino-Cafés boten Klubkinos den Besucherinnen und Besuchern eine gastronomische Versorgung im gesamten Saal. Etwa 30 bis 120 Sitzplätze an Tischen umfassten diese neuartigen Filmtheater. Die Bar befand sich üblicherweise an der Rück- oder Seitenwand des Saales. Vor allem im heutigen Freistaat Thüringen wurden die oft in kleinen Orten angesiedelten Klubkinos meist als Kinoklub bezeichnet.7 Exkurs: Studiokinos als staatlich initiierter Kinotyp Nicht zur Gruppe der Gastronomiekinos gehörten die Studiokinos. Den­ noch sollen sie im Kontext dieser Ausführungen erwähnt werden, da sie die ihnen angedachte Aufgabe, „die Verbreitung des künstlerisch an­ spruchsvollen Films“8, in „komfortabel ausgestatteten“9 kleinen Sälen er­ füllten. Zwar waren die 30 bis 130 Sessel üblicherweise in Reihen angeord­ net und die Gastronomie spielte nur eine untergeordnete Rolle10, dennoch gehörten Bar und kleine Tische seit den späten 1970er- und frühen 1980erJahren zur Standard-Ausstattung. Studiokinos wurden eingerichtet auf Anordnung des Ministerrates der DDR vom 28. Dezember 1972 über „Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit mit Filmen aus sozialistischen Ländern“.11 Darin forderte Berlin von den Kinomitarbeitern verstärkten ideologisch-erzieherischen Einsatz: „Im Interesse einer höheren kulturpolitischen Wirksamkeit des sozia­ listischen Films sind nach dem Vorbild des Filmtheaters Studio Came­ ra12 der Hauptstadt der DDR Berlin in den Bezirksstädten sowie in den Zentren des gesellschaftlichen Lebens Studio-Filmtheater (ca. 20)

7 Möglicherweise angelehnt an russische Bezeichnungen. Volker Petzold: Schriftliche Information an die Autorin, 4.6.2000. 8 Richtlinie über die Aufgaben und Tätigkeit von Studiofilmtheatern, in: Verfügun­ gen und Mitteilungen des Ministeriums für Kultur 4/1973. Zitiert nach Müller, Hans: Treffpunkt Studiokino, in: PIB, 2/1984, Berlin (Ost), S. 11. 9 Eßmann: Filmtheater, S. 11. 10 Werner Klier, Direktor des Bezirkslichtspielbetriebes bzw. der Bezirksfilmdirektion Karl-Marx-Stadt 1963–1990: Mündliche Information an die Autorin, 28.10.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang. 11 Der Entwurf zum Beschluss befindet sich im Sächsischen Staatsarchiv Chemnitz, die dazugehörige Argumentation lagert im Bundesarchiv. 12 Für ausführliche Informationen zur Geschichte des Filmtheaters Studio Camera siehe Becker, Wieland/Petzold, Volker: Tarkowski trifft King Kong. Geschichte der Filmklubbewegung der DDR, Berlin 2001, S. 271–286.

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Visionsbars, Klubkinos und Kino-Cafés

einzurichten. Diese Theater haben eine enge Zusammenarbeit mit den Filmklubs herzustellen.“13 Initiator des Beschlusses war wohl ‚Filmminister‘ Günter Klein, Stellver­ treter des Kulturministers, der sich Ende 1970 mit Vertretern des Jenaer Universitätsfilmclubs zur Film- und Kinosituation besprochen hatte. Die Klubmitglieder thematisierten u. a., dass der künstlerisch wertvolle Film häufig auf der Strecke blieb, weil unterhaltsame Titel aus dem kapitalisti­ schen Ausland deutlich besser liefen als jene aus den ‚sozialistischen Bru­ derstaaten‘ und die Bezirkslichtspielbetriebe – damals noch wirtschaftlich eigenständig – ihre Einnahmen maximieren wollten.14 In der vermutlich später zum vorliegenden Beschluss erstellten Argu­ mentation präzisierte man die Funktion der jetzt nur noch 15 anvisierten Studios und machte Aussagen zum gewünschten Programm: „Die Studio-Filmtheater haben die Aufgabe [sic] sozialistische und andere Filmkunstwerke der Vergangenheit und Gegenwart zu vermit­ teln, zu propagieren und zu fördern. Ihr Programm müßte gestaltet sein wie das eines Schauspielhauses mit täglich wechselnden oder sogar in den Vorstellungen wechselnden Programmen. Diese Thea­ ter sollen den ständigen Dialog zwischen Publikum, Filmschaffenden, Filmkritikern und Vertretern gesellschaftlicher Organe organisie­ ren.“15 Auf dem Spielplan mit Repertoirecharakter16 standen nicht nur Dokumen­ tar- und Archivfilme17, sondern vor allem speziell durch Progress einge­ kaufte politisch und ästhetisch „wertvolle“ Studiofilme.18 Sowohl für den

13 Beschluß über Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit mit dem sozialistischen Film, Entwurf, o. D., vermutlich August 1972, Sächsisches Staatsarchiv, Außen­ stelle Chemnitz (SStArch Chemnitz), Rat des Bezirkes (RdB) Karl-Marx-Stadt (KMST), Abt. Kultur (30413), 039580/9, S. 2. 14 Becker/Petzold: Tarkowski trifft King Kong, S. 203. 15 Argumentation zum Beschluß des Ministerrates vom 28. Dezember 1972, Bun­ desarchiv (BArch), DR 1, 13273, S. 4. 16 Richtlinie über die Aufgaben und Tätigkeit von Studiofilmtheatern, S. 11. 17 Diese Werkauswahl, zu der auch Filme des Staatlichen Filmarchivs der DDR gehörten, wurde in Anlehnung an das Berliner Filmtheater Studio Camera als „Camera-Programm“ bezeichnet. Mit ihrem Filmangebot standen die Studioki­ nos in der Tradition der Filmkunsttheater. 18 Ab 1975 jährlich etwa zehn bis zwölf Filme, vgl. hierzu Becker/Petzold: Tarkowski trifft King Kong, S. 208.

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Tanja Tröger

Erwerb der Lizenzen als auch für die Einrichtung der Studiokinos wurden beträchtliche finanzielle Mittel freigesetzt.19 Die Berliner Camera war Ende 1972 keineswegs das einzige Studiokino, das schon existierte und diesen Namen trug. In der sächsischen Hochschul­ stadt Freiberg war bereits 1963 ein Studio mit 60 Plätzen in den Turmhof­ lichtspielen eingeweiht worden.20 Das Studiokino im Leipziger Filmthea­ ter Capitol spielte seit Oktober 197021, und seit dem 7. Oktober 1972 ver­ fügte auch Dresden über ein Studiokino – im neu erbauten repräsentati­ ven Filmtheater Prager Straße (Rundkino), dem ersten Zwei-Saal-Licht­ spielhaus der DDR22. Ende der 1980er-Jahre existierte in jedem DDR-Bezirk, meist in den Hauptstädten, ein Studiokino oder ein Haus, das diese Funktion über­ nahm – etwa das Filmkunsttheater Lichtspieltheater der Jugend in Frank­ furt/Oder und das Klub-Kino Suhl. Die geografische Verteilung der Gastronomie- und Studiokinos Um herauszufinden, wie die speziellen kleinen Kinos in der DDR verteilt waren und welche Besonderheiten möglicherweise auffallen, wurde eine Zusammenstellung aller Klub- und Studiokinos, Visions- und Kinobars

19 Ab 1973 sollten für Erwerb, Synchronisation bzw. Untertitelung spezieller Filme für die Studiokinos 0,4 Millionen Mark p. a. in den Haushaltsplan des MfK (Mi­ nisterium für Kultur) aufgenommen werden. Auf Bezirksebene plante man für den Zeitraum 1973–75 jährlich 1,5 Millionen Mark zusätzlich ein, um Kinos zu Studiofilmtheatern umzubauen. Beschluß über Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit mit dem sozialistischen Film, Entwurf, o. D., vermutlich August 1972, SStArch Chemnitz, RdB KMST, Abt. Kultur (30413), 039580/9, S. 2 f. 20 VE Lichtspielbetrieb (B) Karl-Marx-Stadt, Analyse der kulturpolitischen Arbeit des VE Lichtspielbetrieb (B) Karl-Marx-Stadt im Verlaufe des Planjahres 1964, 23.2.1965, SStArch Chemnitz, RdB KMST, Abt. Kultur, 062783, S. 5; BFD KarlMarx-Stadt, Zustandsbewertung Studio-Kino Freiberg, 5.9.1980, BArch, DR 1, 14730a. 21 Nünthel, Ralph: Johannes Nitzsche – Kinematographen & Films, Beucha 1999, S. 91. 22 Eßmann: Filmtheater, S. 59–61.

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Visionsbars, Klubkinos und Kino-Cafés

sowie Kino-Cafés im gesamten Land erarbeitet – ein Projekt, das offenbar nicht einmal im zentral angeleiteten Kinowesen realisiert wurde.23

Abbildung 2: In Filmtheatern mit Visionsbar, hier das Capitol in Rochlitz, trennte eine Glasscheibe den Gastronomiebereich vom Saal.

23 Eine Zusammenstellung dieser Art hätte sicherlich der Ablieferungspflicht unter­ legen und müsste heute im Bundesarchiv lagern. In den dortigen Beständen gab es aber keinen Hinweis darauf. Der Kommentar des ehemaligen Technik-Abtei­ lungsleiters der BFD Karl-Marx-Stadt bestätigte diesen Eindruck: „Sie bringen ja Dinge zustande, die es zu DDR-Zeiten nicht richtig gegeben hat!“ Siegfried Tipp­ mann, ehem. Abteilungsleiter Technik der Bezirksfilmdirektion Karl-Marx-Stadt: Mündliche Information an die Autorin, 28.8.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang.

19 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Tanja Tröger Bezirk

Anzahl Filmthea­ ter gesamt

davon Stu­ dioki­ nos

davon davon Klubki­ Kino-Ca­ nos/Kino­ fés klubs

Davon Gastrono­ Kinobars/ miekinos ge­ Visionsbars samt

Anteil Gastroki­ nos (ohne Studios) in Prozent

Berlin

21

1







0

0

Cottbus

51

1



10



10

20

Dresden

89

2

5

2

3

10

11

Erfurt

52

1

10



2

12

23

Frankfurt/O. 30



2



1

3

10

Gera

3

10



5

15

48

31

Halle

89

3

9

4

22

35

39

KMST

97

5

11

3

6

20

21

Leipzig

65

3

2

2

1

5

8

Magdeburg

70

2

2

1

8

11

16

Neubrand.

37

1

3



1

4

11

Potsdam

54

1

3



1

4

7

Rostock

43

1

4

3



7

16

Schwerin

27

1

3



1

4

15

Suhl

49



2

6

1

9

18

Tabelle 1: Die Verteilung der Gastronomiekinos in den DDR-Bezirken, Stand 1989.24 Ins Auge fällt nicht nur, dass Kino-Cafés fast ausschließlich in den Bezir­ ken Cottbus und Suhl in großer Zahl vorkamen, sondern auch, dass im Bezirk Halle flächendeckend Visionsbars eingerichtet wurden. Klubkinos in hohen Stückzahlen bauten die Bezirksfilmdirektionen (BFD) Erfurt, Gera, Karl-Marx-Stadt und Halle. Alle genannten Direktionen richteten ‚ihre‘ ersten Gastronomiefilmtheater bereits vor 1977/78 ein und können daher zu den Vorreitern gezählt werden. Im Gegensatz dazu existierten in der Hauptstadt und in den landwirtschaftlich geprägten Nordbezirken wie Neubrandenburg oder Schwerin keine oder nur wenige Klubkinos, Kino-Cafés und -bars. Eine Ausnahme bildete die Urlaubsregion rund um Rostock – vermutlich durch den Tourismus bedingt.25 Für den Bezirk Halle sind nach derzeitigem Forschungsstand folgende Filmtheater belegt:

24 Statistisches Amt der DDR (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch der DDR, Berlin (Ost) 1990, S. 357. Eigene Zählungen und Berechnungen. 25 Die Überprüfung dieser These steht allerdings noch aus.

20 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Visionsbars, Klubkinos und Kino-Cafés Ort

Kinotyp

Kino

Eröffnungsjahr

Aken

Visionsbar

in: Scala Filmbühne

1981

Artern

Visionsbar

in: Anker-Lichtspiele, später Filmtreff Ar­ tern

1975

Aschersleben

Visionsbar, Klub­ kino

in: Filmpalast

ca. 1975

Bernburg

Visionsbar, Briga­ dekino

in: Capitol

1987

Bitterfeld

Klubkino, Visi­ onsbar

in: Filmtheater der Freundschaft

1976

Brehna

Klubkino

Klubkino

1985

Dessau

Klubkino, Visi­ onsbar

Centraltheater

1983

Eisleben

Visionsbar

in: Capitol

1979

Gräfenhainichen

Visionsbar

in: Theater der Freundschaft

1976

Halle

Kino-Café

Café-Kino Halle

vor 1963

Halle

Kino-Café

in: Goethe-Lichtspiele



Halle

Kino-Café, Klub­ kino

in: Urania 70

1982

Halle

Klubkino

Kino 188

1986

Halle-Neustadt

Kinobar

in: Prisma

1982

Helbra (Kr. Eisle­ Klubkino ben)

Klubkino Helbra

1987

Hettstedt

Visionsbar

in: Apollo

1987

Hohenmölsen

Klubkino

Klubkino Hohenmölsen

1985

Kayna

Visionsbar

in: Lichtspiele Kayna

1975

Köthen

Visionsbar

in: Erich-Franz-Lichtspiele

1976

Merseburg

Visionsbar

in: Filmtheater Völkerfreundschaft

1976

Querfurt

Visionsbar

in: Theater der Freundschaft

1974

Roßleben (Kr. Artern)

Visionsbar

in: Lichtspiele Roßleben

1987

Sangerhausen

Visionsbar

in: Centraltheater

1976

Schraplau

Kinobar

Mehrzweckeinrichtung mit Kinobar

1977

Thale

Visionsbar

in: Centraltheater

1973

Theißen

Visionsbar

in: Lichtspiele

1970

Weißenfels

Visionsbar

in: Union-Theater

1976

Wittenberg

Kinobar

in: Centraltheater

vor 1988

Wolfen

Café/Bar

in: Filmfabrik (heutiger Name)

1983

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Tanja Tröger Ort

Kinotyp

Kino

Eröffnungsjahr

Wolfen-Nord (Neubaugebiet)

Klubkino

Klubkino

1978

Zeitz

Visionsbar

in: Theater der Freundschaft (auf Rang)

1971–1973

Zeitz

Visionsbar

in: Capitol

1976–1979

Tabelle 2: Gastronomiekinos im Bezirk Halle, Stand 1989.26 Für den Bezirk Karl-Marx-Stadt (KMST) sind nach derzeitigem For­ schungsstand folgende Filmtheater belegt: Ort

Kinotyp

Kino

Eröffnungsjahr

Augustusburg

Café

Union-Theater

1985

Bärenstein

Klubkino

Klubkino, ehemals Apollo

1980

Burkhardtsdorf

Visionsbar

in: Scala

1980

Crottendorf

Klubkino

Central-Lichtspiele

nach 1989

Falkenstein

Klubkino

Passage-Clubkino

1989

Frankenberg

Visionsbar

in: Welttheater

1976

Freiberg

Klubkino

in: Turmhof

1986

Gelenau

Klubkino

Klubkino Gelenau

1989

Hainichen

Klubkino

Klubkino Hainichen

1989

HohensteinErnstthal

Visionsbar

in: Capitol

1979

KMST

Rangbar

in: Metropol

1979

KMST (Siegmar) Klubkino

Clubkino Siegmar, ehemals Capitol

1982

Lauter

Café

Kino-Café, ehemals Theater des Friedens

1977

Lichtenstein

Klubkino

Clubkino, ehemals Capitol

1986

Markneukirchen Café

Klubkino Markneukirchen, ehem. Harmo­ nie

1983

Neukirchen bei KMST

Klubkino

Clubkino Neukirchen, ehem. Filmschau

1978

Rochlitz

Visionsbar

in: Capitol

1978

Schlettau

Klubkino

Klubkino Schlettau

1987

Treuen

Klubkino

Klubkino Treuen, ehemals Filmschau

1988/89 (nur geplant)

26 Recherchiert wurde in Akten der Hauptverwaltung (HV) Film im Bundesar­ chiv Berlin, Unterlagen der Bezirksfilmdirektion Karl-Marx-Stadt im Sächsischen Staatsarchiv (Außenstelle Chemnitz), den Fachzeitschriften Filmkurier und PIB – Progress-Informations-Bulletin, später Probleme Informationen Betrachtungen, und unveröffentlichten Abschlussarbeiten der Fachschule für Klubleiter „Martin An­ dersen Nexö“ Meißen-Siebeneichen. Außerdem wurden ausführliche Zeitzeugen­ gespräche mit fünf ehemals leitenden Angestellten der Bezirksfilmdirektionen Halle und Karl-Marx-Stadt geführt.

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Visionsbars, Klubkinos und Kino-Cafés Ort

Kinotyp

Kino

Eröffnungsjahr

Werdau

Kaffeebar

in: Central-Theater

1963/64

Wittgensdorf

Klubkino

Clubkino Wittgensdorf, ehem. Fortschritt

1988

Zwickau

Visionsbar

in: Astoria

1976

Tabelle 3: Gastronomiekinos im Bezirk Karl-Marx-Stadt, Stand 1989.27

Abbildung 3: Das anlässlich des 2. Nationalen Spielfilmfestivals der DDR 1982 eröffnete Clubkino Capitol in Karl-Marx-Stadt spielt noch heute. Das Clubkino Siegmar ist mehrfach preisgekrönt und erfreut sich großer Beliebtheit bei den Filmfreunden aus dem Großraum Chemnitz. Gastronomiekinos als Reaktion auf die Kinokrise der 1960er- und 1970er-Jahre Dringende, „ganz pragmatische Beweggründe“ veranlassten die Bezirks­ filmdirektionen, Visionsbars und Klubkinos zu bauen, schildert rückbli­ ckend der ehemalige Filmdirektor aus Karl‑Marx‑Stadt Werner Klier stell­

27 Ebd.

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Tanja Tröger

vertretend für seine Kolleginnen und Kollegen in den übrigen Landestei­ len. In erster Linie mussten sie dem massiven Zuschauerschwund der 1960er- und 1970er-Jahre entgegenwirken. Vom Höchstwert mit 316 Mil­ lionen Gästen im Jahr 1957 waren die Kinobesucherzahlen auf nur noch 77 Millionen im Jahr 1975 gefallen.28 Gesellschaftliche, mediale und kino­ branchenspezifische Faktoren, die wechselseitig aufeinander einwirkten, hatten die Zahlen so rapide sinken lassen. Die DDR-Bürgerinnen und -Bürger blieben dem Kino vor allem auf­ grund ökonomisch-infrastruktureller, sozialer und kultureller Veränderun­ gen fern: Sowohl ihre materielle Situation als auch das Angebot an Freizeitmöglichkeiten verbesserten sich ständig, ein „bescheidener Wohl­ stand“29 breitete sich allmählich aus. Der Mauerbau 1961 hatte die Bür­ gerinnen und Bürger gezwungen, sich in dem relativ abgeschotteten Land einzurichten. Regierung und Parteispitze mussten sich seitdem stärker an den ‚Sachzwängen‘ und den Wünschen der Bevölkerung orientieren. Nachdem Erich Honecker 1971 Walter Ulbricht abgelöst und die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ als neue Parole verkündet hatte, wurde trotz aller finanziellen Engpässe versucht, die „Hauptaufgabe“ der „weite­ ren Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes“ zu erfüllen.30 Die Staatsregierung hob Löhne und Renten an, eröffnete Sozial- und Kultureinrichtungen, baute Jugend-, Freizeit- und Dienstleis­ tungsangebote aus. Das gelang allerdings nicht so schnell wie gewünscht. Durch das 1973 beschlossene gigantische Wohnungsbauprogramm konn­ ten Hunderttausende Menschen komfortable Neubauwohnungen bezie­ hen. Die Wohnfläche pro Unterkunft und Einwohner vergrößerte sich deutlich.31 Trotz kürzerer Arbeitszeiten und arbeitsfreier Sonnabende (ab 1967) blieb „die Freizeit der potentiellen Kinobesucher verhältnismäßig knapp bemessen“, vor allem an Arbeitstagen.32 Also blieben die Menschen

28 Prommer, Elizabeth: Kinobesuch im Lebenslauf. Eine historische und medienbiogra­ phische Studie, Konstanz 1999, S. 352. 29 Wolle, Stefan: Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971– 1989, München 1999, S. 39. 30 Ebd., S. 61. 31 Rytlewski, Ralf/Opp de Hipt, Manfred: Die Deutsche Demokratische Republik in Zahlen 1945/49–1980. Ein sozialgeschichtliches Arbeitsbuch, München 1987, S. 106, 121 und 163; Ministerium für Kultur (Hrsg.): Kultur in der DDR – Daten – 1975– 1988, Berlin (Ost) 1989, S. 7; Engler, Wolfgang: Die Ostdeutschen. Kunde von einem verlorenen Land, Berlin 2000, S. 150; Wolle: Die heile Welt der Diktatur, S. 39, 308 und 321. 32 O. A. (Wiedemann, Dieter): Kino in den neunziger Jahren (1), in: PIB, 5/1989, S. 8.

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Visionsbars, Klubkinos und Kino-Cafés

nach ihrem anstrengenden Tagwerk doch lieber zu Hause und machten es sich dort gemütlich. Innerhalb dieser vier Wände hatten die Möglichkeiten zum medialen Zeitvertreib enorm zugenommen. Gab es in den 1950er-Jahren nur „etwa die Hälfte“ der im letzten Jahr des Bestehens der DDR „gedruckten Bücher und Zeitschriften“, kein Jugendradio33 und kaum Fernsehen, stand bereits 1975 in drei Vierteln aller Haushalte und Mitte der 1980er-Jahre in nahezu allen eine ‚Flimmerkiste‘.34 Mit ihr konnte der Besitzer in den meisten Regionen des Landes die zwei einheimischen und durchschnittlich drei bundesdeutsche Programme empfangen. Unter dieser starken, preisgünsti­ gen und zu Hause konsumierbaren Medienkonkurrenz litt das Lichtspiel­ wesen. Damalige Kinomitarbeiter und die einschlägige Literatur führten insbesondere das Fernsehen als Hauptgrund für die leeren Filmtheater an. Diese Beschuldigung liegt zwar nahe, nahm doch der Fernsehkonsum etwa in gleichem Maße zu wie die Kinobesuchszahlen sanken. Dennoch greift die Behauptung umgekehrter Proportionalität zu kurz, weil zunächst der oben beschriebene Lebensstandard erreicht sein musste, ehe das Fern­ sehen zur erschwinglichen und attraktiven Freizeitbeschäftigung wurde. Aber nicht nur quantitativ, auch qualitativ beeinflusste das Fernsehen die Kinokultur. Das TV-Programm der Vorwendezeit bot der Filmliebha­ berin oder dem Filmliebhaber jährlich rund 2.000 Kinospielfilme35 und zahllose andere fiktionale Stoffe und Formen. Dagegen konnte man im Lichtspielhaus nur etwa 130 neue Produktionen sehen, von denen drei Viertel aus ‚sozialistischen Bruderstaaten‘ stammten.36 Weder die DEFAProduktionen noch die Filme aus anderen sozialistischen Ländern bedien­ ten jedoch die Themen, Gestaltungsmittel und Erzählweisen, an die sich die Zuschauer allmählich durch den heimischen Fernseher gewöhnt hat­ ten.37

33 Ebd., S. 7. 34 Rytlewski/Opp de Hipt: Die Deutsche Demokratische Republik in Zahlen, S. 162. 35 500 bis 700 in den ost-, 1200 in den westdeutschen Programmen. Becker/Petzold: Tarkowski trifft King Kong S. 298. 36 Glaß, Peter: Kino ist mehr als Film. Die Jahre 1976–1990, Berlin 1999, S. 11, 66, 112 und 162. 37 O. A. (Wiedemann): Kino in den neunziger Jahren, S. 8. Außerdem zeigte das unter­ haltungsorientierte TV-Programm der 1980er-Jahre nicht mehr oder nur noch zu nachtschlafender Zeit Werke der Weltfilmkunst und versäumte es daher, den in­ teressierten Zuschauerinnen und Zuschauern andere Ästhetiken zu vermitteln und für künstlerische Streifen im Kino zu werben. Becker/Petzold: Tarkowski trifft King Kong, S. 298 f.

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Tanja Tröger

Die angeführten sozialpolitischen und medialen Veränderungen traten parallel auf und bewirkten gemeinsam, dass die DDR-Bürgerinnen und -Bürger keiner Anderthalb-Stunden-Flucht im Lichtspielhaus mehr bedurf­ ten, um abzuschalten und sich von einem entbehrungsreichen Alltag zu erholen. Besonders stark reagierten die Erwachsenen jenseits des 25. Le­ bensjahres auf den bescheidenen Wohlstand, die kaum noch das Kino aufsuchten. Gerade sie gewannen aber als potenzielle Zuschauerinnen und Zuschauer an Bedeutung, als sich in der Honecker-Ära die DDR-Bevölke­ rungsstruktur gravierend wandelte. Infolge des ‚Pillenknicks‘38 sank der Anteil der unter 21-Jährigen an der Gesamtbevölkerung immer weiter – zwischen 1970 und 1988 von 31 auf 25,8 Prozent –, wohingegen der Anteil älterer Menschen stetig wuchs.39

38 Der sogenannte ‚Pillenknick‘ meint den Geburtenrückgang durch Einnahme der Antibabypille. Er lässt sich ab der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre erkennen. 39 Wolle: Die heile Welt der Diktatur, S. 282.

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Visionsbars, Klubkinos und Kino-Cafés

Abbildung 4: Das einstige Theater des Friedens im erzgebirgischen Lauter/Sach­ sen wurde 1977 zum Kino-Café umgebaut und am Tag der Republik wiederer­ öffnet. Bot das Filmtheater zuvor rund 350 Plätze, waren es nach der Neugestal­ tung noch 60 im Parkett und etwa 130 auf dem Rang, wo die Reihenbestuhlung erhalten blieb. Honeckers Kultur- und Sozialmaßnahmen wirkten sich in doppelter Hin­ sicht auf den Kinobetrieb aus: Sie schlugen sich ebenso mittelbar in ra­ sant sinkenden Besucherzahlen nieder, wie sie den neuen Kinoformen den Weg zur völligen Anerkennung ebneten. Der Partei- und Staatschef praktizierte eine vorsichtige kulturpolitische Öffnung und ließ die Aus­ weitung geistig-theoretischer Spielräume zu.40 Gleichzeitig verschlechter­ te sich jedoch aufgrund des umfangreichen Sozialprogramms und der leistungsschwachen Planwirtschaft die ökonomische Situation des Landes zusehends. Erst diese beiden Prozesse in Kombination zwangen und ver­ setzten die Berliner Kulturfunktionäre in die Lage, die Gastronomiekinos zu akzeptieren. Mehr denn je waren Ideen und Initiativen gefragt, um

40 Engler: Die Ostdeutschen, S. 164; Wolle: Die heile Welt der Diktatur, S. 67 und 69.

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Tanja Tröger

effektiver zu wirtschaften. „Wenn wir wenig Geld haben, brauchen wir Einfälle“ 41, lautete die Devise auch in den Bezirksfilmdirektionen. Die Mitarbeiter in den Bezirksfilmdirektionen überlegten permanent, was sie ‚Flimmerkiste‘, Fernheizung und Datsche entgegensetzen könn­ ten.42 In den ersten 15 Nachkriegsjahren hatten die Kinoverwalterinnen und -verwalter hauptsächlich technische Maßnahmen ergriffen, um die optische und akustische Filmwiedergabequalität zu verbessern und so das Kinoerlebnis zu verstärken. Später versuchten sie, verschiedene Zielgrup­ pen mit einem speziell abgestimmten Spielplan anzulocken. Für Cineas­ ten sowie Kinder und Jugendliche richteten sie eigene Abspielstätten ein, Schichtarbeiterinnen und -arbeiter wollten sie mit Sondervorstellungen an Vor- und Nachmittagen ködern. Zudem erwies es sich als lohnenswert, den Gästen mehr Service und gastronomische Angebote zu unterbreiten. An den positiven Publikumsreaktionen auf die sogenannten Kino- und Kaffeebars erkannten sowohl Kinomitarbeiterinnen und -mitarbeiter wie auch Filmdirektionen, dass die separaten Kommunikationsbereiche und das Getränke- und Imbissangebot große Entwicklungspotentiale bargen. Gastronomiekinos als Spiegel des Filmkonsums im privaten Raum Nicht zuletzt stießen die Gastronomiefilmtheater deshalb auf positive Re­ sonanz, da große Teile der DDR-Bevölkerung einem kleinbürgerlichen Mi­ lieu zuzuordnen waren43 und weitgehend uniform lebten und wohnten. Die Inneneinrichtung der Komfortkinos etwa unterschied sich kaum von der Ausstattung privater Wohnzimmer: Erdtöne oder wenige Rot- und Blautöne dominierten; schwere Sessel und gemaserte Tische, dekoriert mit Deckchen unter einer Glasplatte, standen damals auch in vielen guten Stuben. Die gemütlichen ‚Kino-Sälchen‘ erfreuten sich auch deshalb sol­ cher Beliebtheit, weil sie den Besuchern erlaubten, einen öffentlichen Ort aufzusuchen, ohne ihre Privatheit aufzugeben. Familie, Arbeitskollegen und Freunde, mit denen Zuschauerinnen und Zuschauer üblicherweise in Gastronomiekinos gingen, bildeten in der Vorwendezeit auch jenes 41 Bentzien, Hans: „Schluß mit den Spinnereien“, in: Heide Riedel (Hrsg.): Mit uns zieht die neue Zeit … 40 Jahre DDR-Medien, Berlin 1993, S. 160. 42 Margrit Matthaes, Gattin des ehemaligen Bezirksfilmdirektors Halle Artur Matthaes, Kreisfilmstellenleiterin Merseburg und Theaterleiterin Völkerfreund­ schaft Merseburg 1962–1990: Mündliche Information an die Autorin, 4.11.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang. 43 Wolle: Die heile Welt der Diktatur, S. 364.

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Visionsbars, Klubkinos und Kino-Cafés

Umfeld, in das sich immer mehr Menschen zurückzogen, als ihr Glaube an Staat und Partei langsam zu bröckeln begann.44 Der steigende Lebensstandard veränderte auch die Erwartung der Bevöl­ kerung an die Film-Abspielstätten stark. Ab den 1960er-Jahren konnten die Kinomitarbeiterinnen und -mitarbeiter immer weniger erwachsene Gäste anlocken, weil die meisten der 805 DDR-Filmtheater (Stand 1989)45 – vor allem die kleineren46 – sich in einem desolaten Zustand befanden.47 Eine Expertenkommission stufte 1989 den Zustand von jeweils rund einem Drittel der Filmtheater als gut, befriedigend und schlecht ein.48 Kultur­ minister Hans-Joachim Hoffmann brachte das Problem auf den Punkt: „Früher ging man ins Kino, weil es im Kino schöner war als zu Hause [...]. Aber jetzt ist es meistens zu Hause schöner, und man sitzt bequemer.“ Er schlussfolgerte: „Wir müssen deshalb am weiteren Komfort des Kinos arbeiten.“49

44 Engler: Die Ostdeutschen, S. 70, 168, 211 und 213. 45 Statistisches Amt der DDR (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch der DDR, Berlin (Ost) 1990, S. 357. 46 Wiedemann, Dieter/Stiehler, Hans-Jörg: Zur sozialen Funktion des Kinos in den achtziger Jahren. Empirische Tatsachen und theoretische Überlegungen zur gesellschaftlichen Bedeutung des Films im Kino (= Aus Theorie und Praxis des Films), PotsdamBabelsberg, 1/1983, S. 51. 47 Die alte Bausubstanz der Filmtheater, gekoppelt mit der Tatsache, dass die we­ nigsten Häuser als Kinozweckbauten errichtet worden waren, stellten das Grund­ problem dar. Hinzu gesellten sich das klaffende Loch im Staatshaushalt und die Mängel der Planwirtschaft: es fehlte an Finanzen und Material, nur Bruchteile der jährlich benötigten Investitions- und Werterhaltungsmittel standen den Bezirks­ filmdirektionen zur Verfügung. Mit dem vorhandenen Geld konnten sie die Filmtheater oft nur notdürftig bespielbar halten. Siehe: Arbeitsgruppe Zu den Anforderungen an die Entwicklung des Filmtheater- und Spielstellennetzes, The­ sen für die Zuarbeit zum Referat der Aktivtagung des Lichtspielwesens, o. D., wohl 1978/79, BArch, DR 1, 13267, S. 1, 2; BFD Gera, Jahresanalyse der kulturpo­ litischen, ökonomischen und technischen Leistungen der Bezirksfilmdirektion Gera im Jahre 1986, 24.2.1987, BArch, DR 1, 14714, S. 7. 48 Beschlußentwurf Zur Situation im Lichtspielwesen der DDR und zu den Haupt­ richtungen seiner Entwicklung bis zum Jahr 2000, vermutlich Berlin 1989, BArch, DR 1, 14729, S. 2, 3, Anlage 3, zitiert nach Trotz, Lydia: Filmförderung in den neuen Bundesländern, Berlin 1996, S. 22. 49 Begrüßungsansprache des Ministers für Kultur, Hans-Joachim Hoffmann, in: Pro­ gress Film-Verleih (Hrsg.): Zentrale Theaterleiter-Konferenz des Lichtspielwesens der Deutschen Demokratischen Republik 7. und 8. November 1984 in Gera, Rede des Stellvertreters des Ministers für Kultur und Leiter der Hauptverwaltung Film, Ge­ nossen Horst Pehnert, nur für den Dienstgebrauch, o. O. 1984, BArch, DR 1, 13273, S. 5.

29 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Tanja Tröger

Abbildung 5: Das Klubkino im Kurort Bärenstein (Erzgebirge) war das zweite Klubkino im Bezirk Karl-Marx-Stadt. Es verfügte über 100, maximal 120 Plät­ ze. Unter dem Namen Starlight Film-Kasino lief der Kinobetrieb noch bis Ende der 1990er-Jahre. Da die Bezirksfilmdirektionen gern mehr Gastronomie offerieren wollten und die meisten kleinen Filmtheater ohnehin von Grund auf sanierungs­ bedürftig waren, bot es sich an, geeignete Objekte zu renovieren und gleichzeitig komplett umzubauen. Handwerkerinnen und Handwerker sowie Kinomitarbeiterinnen und -mitarbeiter bauten Tresen, Bühne und eventuell die Visionsbarscheibe ein, reduzierten die Sitzplatzanzahl und ersetzten die Reihenbestuhlung ganz oder teilweise durch Sessel oder ge­ polsterte Stühle. Auf diese Weise gelang es den Kinobetreibern, das in leeren großen Sälen als fehlend wahrgenommene Gemeinschaftserlebnis wiederherzustellen – eines der wesentlichsten sozialen Distinktionsmerk­ male des Kinos.50 Parallel schufen sie damit Voraussetzungen für eine bes­

50 Günther Richter, Mitarbeiter der Bezirksfilmdirektion Karl-Marx-Stadt 1966–1990 (zuständig für Ausbildungsfragen und Lohnfonds): Mündliche Information an die Autorin, 26.8.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang.

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Visionsbars, Klubkinos und Kino-Cafés

sere Kommunikation zwischen den Besucherinnen und Besuchern. Diese multifunktionalen Sälen versetzten die Planerinnen und Planer zudem den Stadt- und Gemeinderäten gegenüber in eine bessere Argumentations­ position, um sie zur finanziellen Unterstützung der kostenintensiven Bau­ vorhaben zu bewegen. Im Gegenzug konnten die Geldgeber und andere örtliche Vereinigungen diese Räumlichkeiten später dann auch für ihre Sitzungen und Feiern nutzen. Massiv beeinflusste auch das Filmangebot die Besucherzahlen. Immer wieder stellten Medienforscher, Kino- und Progress-Mitarbeiter fest, dass zwischen den Filmwünschen der DDR-Bürgerinnen und -Bürger und dem Programm in den Lichtspielhäusern eine riesige Lücke klaffte.51 Oft ver­ ging zudem ein halbes Jahr, bis ein Film die Provinz-Leinwände erreichte, da von jedem Titel nur wenige Kopien gezogen werden konnten.52 Daher waren neue Produktionen häufig eher im Fernsehen zu sehen als in den Filmtheatern, vor allem in kleineren Orten. Trotz dieser Entwicklungen blieb jedoch die jährliche Planvorgabe von 80 Millionen Besuchern bis Mitte der 1980er-Jahre bestehen. Zusätzlich forderte die Hauptverwaltung Film (HV Film) dann noch, die ‚Zahlen­ mauscheleien‘ bei der Besucherabrechnung53 zu beenden. In dieser prekä­ ren Situation halfen die neuen Gastronomiekinos den Kinoleiterinnen und -leitern vor Ort sehr, Besucher- und Einnahmen-Soll zu erfüllen. Sel­ ten blieb in Visionsbars und Kinoklubs ein Platz unbesetzt; die höheren Eintrittspreise und die gastronomischen Einnahmen ließen die Kasse klin­ geln.54 So lässt sich feststellen, dass sich kulturpolitische und ökonomische 51 Die Rangliste der beliebtesten Filmgenres führten Anfang der 1970er-Jahre histo­ rische Abenteuer, „Lustspielfilme“ (Komödien), Literaturverfilmungen und heite­ re Musikfilme an. Jugendliche sähen am liebsten Abenteuer-, Kriminal- und uto­ pische Streifen. Diesen Bedarf deckten aber weder die einheimische Produktion noch Streifen aus den übrigen sozialistischen Ländern. Analyse der Lage im Licht­ spielwesen der DDR und Einschätzung dieses Bereiches bis 1975, o. A. u. D., ver­ mutlich Anfang 1972, BArch, DR 1, 13273, S. 3; Wiedemann, Dieter: Zu einigen Faktoren, die den Kinobesuch Jugendlicher beeinflussen, o. J., vermutlich 1977, BArch, DR 1, 14728, S. 19; Wischnewski, Klaus: Träumer und gewöhnliche Leute, in: Filmmuseum Potsdam (Hrsg.): Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFA 1946–92, Berlin 1994, S. 212–263, hier S. 217 f. 52 Für jeden DEFA-Film standen im Schnitt 15 Kopien zur Verfügung, also für je­ den Bezirk nur eine. Bei vielen Titeln mussten sich mehrere Bezirke eine Kopie teilen („Teilkopie“). Glaß: Kino ist mehr als Film, S. 22; BFD Gera, Entwicklungs­ konzeption für die kulturpolitische Arbeit mit dem Film in den Jahren 1986– 1990 im Bezirk Gera, BArch, DR 1, 14730, S. 4. 53 Glaß: Kino ist mehr als Film, S. 65. 54 Klier, 28.10.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang.

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kinobrancheninterne Faktoren vermischten und die Etablierung kleiner Kinoformen förderten. Wer hat’s erfunden? – Entwicklung und Verbreitung der Gastronomiekinos in der Peripherie Die verschiedenen Typen der Gastronomiekinos entstanden – anders als die Studiokinos – nicht als Reaktion auf eine politische Anweisung. Viel­ mehr waren es einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder kleine Teams der Bezirksfilmdirektionen, die die jeweiligen Gastronomiekinofor­ men erfanden. Da alle Kinoverwalterinnen und -verwalter mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, verliefen die Entwicklungen in ver­ schiedenen Teilen des Landes durchaus parallel. Um 1960 herum richteten mehrere Kreislichtspielbetriebe erste KinoCafés ein.55 Café-Kino wäre allerdings die treffendere Bezeichnung, war doch die Filmvorführung oft nur Beiwerk in den Jugend- oder Dorfklubs, Gaststätten und Kulturhäusern: Die Leinwände waren klein, meist liefen die Filme bei halbem Licht und es durfte auch während der Vorstellung geraucht werden.56 In finanzieller Hinsicht kooperierten die Kinomache­ rinnen und Kinomacher meist mit den Gaststättenbetreibern, etwa der staatlichen Handelsorganisation (HO), dem Konsum oder Privatleuten. Sie erhoben keinen oder nur einen sehr geringen Eintritt für die Filme, im Ge­ genzug beteiligten die Wirte die ‚Kinoleute‘ am Umsatz. Es ist davon aus­ zugehen, dass Vertreterinnen und Vertreter der beteiligten Institutionen die Kino-Cafés auch gemeinsam geplant hatten – mit großer Wahrschein­ lichkeit auf Initiative der regionalen Kinoverwaltung hin.57

55 Stellvertretend seien genannt: Kino-Café im Haus der Werktätigen Sangerhausen (Bezirk Magdeburg), eröffnet 1960; Kino-Tanz-Café Rudolstadt (Bezirk Gera), er­ öffnet am 30. Januar 1960; Kino-Café im Volkshaus Zwenkau (Bezirk Leipzig), eröffnet am 7. Oktober 1960; Café-Kino im ehemaligen Zeitkino Halle (Saale), eröffnet 1960/61; Kino-Café in Bellin (Bezirk Neubrandenburg), eröffnet 1961/62. Papist, Helga (Text)/ Moll, Jürgen (Fotos): Café-Klatsch im Kino-Café, in: NBI Neue Berliner Illustrierte, 12/1960, S. 16 f.; Filmkurier, 1/1960, S. 12; Filmkurier, 3/1960, S. 18; Filmkurier, 5/1960, S. 13–15, 20/21; Filmkurier, 12/1960, S. 8 f.: Film­ kurier, 2/1961, S. 16; Filmkurier, 4/1961, S. 6; Filmkurier, 6/1962, S. 15. 56 Wegen des Qualms konnten die Filme nicht wie üblich aus einem Vorführraum am hinteren Ende des Raumes projiziert werden, sondern wurden mittels Rück­ projektion ‚von hinter der Leinwand‘ gespielt. 57 Filmkurier, 1/1960, S. 12.

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Abbildung 6: Dieses Beispiel illustriert, dass die Kinotypen nicht einheitlich bezeichnet wurden: Das hier gezeigte Klubkino Markneukirchen war mit Klub­ sesseln an Tischen im Parkett und Reihenbestuhlung auf dem Rang genauso eingerichtet wie das Kino-Café Lauter/Sachsen (vgl. Abbildung 4), wurde aber offiziell „Klubkino“ genannt. Die Harmonie-Lichtspiele Markneukirchen gehö­ ren zu den „Wende-Überlebenden“ und spielen bis heute. Vor allem die frühen Kino-Cafés in kleineren Orten spielten nur an be­ stimmten Wochentagen und sind eher der in den 1950er-Jahren erstarkten Dorfkino-Bewegung zuzuordnen. In der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre richteten auch die Kolleginnen und Kollegen der Bezirksfilmdirektion Cottbus Kino-Cafés ein.58 Im Gegensatz zu den frühen Kino-Cafés wurden dort Filmtheater zu Kino-Cafés umgebaut. Das Primat der Gastronomie blieb aber bestehen: Kellnerinnen und Kellner nahmen die Bestellungen auf und servierten die Gerichte.

58 Beispielhaft soll hier das Kino-Café in Forst/Lausitz stehen, das am 1. Juli 1968 seine Pforten öffnete. PIB, 6/77, S. 4–6; Analyse 1988 BFD Cottbus, Bundesarchiv (BArch), DR 1, 14713, S. 5.

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In den Bezirken Halle und Karl-Marx-Stadt hingegen setzten die Kino­ macherinnen und ‑macher in den 1960er-Jahren zunächst auf gastronomi­ sche Angebote außerhalb des Zuschauerraumes. In Foyers, Kassenhallen und anderen Bereichen größerer Filmtheater ordneten sie kleine Sitzgrup­ pen an und bauten eine Ausgabemöglichkeit für Getränke. Die Sachsen nannten diese Räume Kaffeebars59, die Anhaltiner hingegen sprachen vom Kino‑Café.60 „Aus diesen dezentralen, nicht mit dem Saal verbundenen Einrichtun­ gen wurden dann später die sogenannten Visionsbars zur Welt gebracht. Da waren wir in Karl-Marx-Stadt nicht die Geburtsväter, sondern die ka­ men aus Halle“, berichtet der frühere Technikchef Siegfried Tippmann.61 Die ‚Erfinder‘ der Visionsbars sind der ehemalige hallische Bezirksfilmdirektor Artur Matthaes und sein Leitungsteam.62 Matthaes’ Ehefrau Mar­ grit, die als Kreisfilmstellenleiterin in Merseburg arbeitete, schildert die ‚Geburtsstunde‘ wie folgt: „Und dann sagte mein Mann […]: Wir müssten doch Film getrennt vom Saal zeigen können, dass die Menschen eben auch noch was dazu trinken können, wie man das eigentlich auch im Theaterfoyer [macht]. Und da hatte er die Idee gehabt, […] sich zusammengesetzt mit seinen Leuten, und daraus haben die das [die Überlegung der Visionsbars; T. T.] gebastelt.“63 Matthaes scheint in den 1960er-Jahren nach einer Möglichkeit gesucht haben, dem enormen Besucherrückgang entgegenzuwirken, die (potenzi­ ellen) Zuschauer mit attraktiven Häusern zu locken, die Kinos effizienter zu nutzen und in Ruhe Filmgespräche zu führen. Bei Reisen durch

59 Kaffee konnte man erst seit den 1960er-Jahren wieder ausreichend und zu mo­ deraten Preisen kaufen, dem Jahrzehnt, in dem die ersten Kino-Cafés eröffnet wurden. Muckefuck und Mocca-Fix. Kaffeekultur in der DDR, Fernsehdokumenta­ tion, Regie: Sperlich, Frank-Otto/Rentner, Lutz/Richter, A. Kuno, Produktion: Noahfilm Berlin, MDR, 29.5.2003. 60 Konferenz des Lichtspielwesens der Deutschen Demokratischen Republik vom 29. bis 31. März 1977 in Berlin. Auszüge aus Diskussionsbeiträgen (nicht autori­ siert), nur für den Dienstgebrauch, o. O. u. D., vermutlich Berlin 1977, S. 15. 61 Tippmann, 28.8.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang. 62 Margrit Matthaes: Mündliche Information an die Autorin, 4.11.2003; Klier, 28.10.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang. 63 Matthaes, 4.11.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang.

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Visionsbars, Klubkinos und Kino-Cafés

die Tschechoslowakei64 entdeckte er Einrichtungen, die ihn inspirierten. Die slowakischen Klubkinos oder Filmklubtheater65 konnte Matthaes aber nicht als direkte Vorbilder nutzen, weil das Lichtspielwesen in der ČSSR unter anderen kulturellen Voraussetzungen stattfand, vor allem mit we­ sentlich mehr Zuschauerinnen und Zuschauern und unsynchronisierten Filmen. Wissen über die mögliche Existenz ähnlicher Kinoformen im westlichen Ausland habe es in der BFD Halle „gar nicht“ gegeben, so Margrit Matthaes.66 Problematisch gestaltete sich die Bauausführung der Visionsbars: „Wie machen wir das mit dem Glas? Wir können das ja nicht als eine Glasscheibe machen, das ging ja nicht, so viel Technik war ja nicht bei uns in der DDR, also mussten da Streifen dazwischen, die das also gehalten haben […]. Musste natürlich probiert auch erst mal werden. Da haben sie dann Scheiben hingestellt und projiziert, denn es war ja nur ein BWR [Bildwerferraum=Vorführraum; T. T.] da. […] Es durfte nicht spiegeln, das musste berechnet werden. Also, es waren da auch schon Fachleute gefragt.“67 Die erste Visionsbar der DDR wurde in die Lichtspiele Theißen südlich von Halle (Saale) eingebaut68 und am 22. April 1970 eröffnet69. Im darauf­ folgenden Jahr wurde der Theißener Filmklub gegründet.70 In den folgen­ den sieben Jahren statteten die hallischen Kinomacherinnen und -macher um Direktor Artur Matthaes elf weitere Filmtheater mit Visionsbars aus,71

64 Mit den Kolleginnen und Kollegen in Bratislava und Katowice bestanden Freund­ schaftsverträge, man tauschte sich fachlich aus und besichtigte gegenseitig Spiel­ stätten. Hauser, Regina: Film und Freundschaft – internationale Verbindungen unserer Bezirksfilmdirektionen, in: PIB, 5/1979, S. 12. 65 Matthaes, 4.11.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang. 66 Ebd. 67 Ebd. 68 Lehnhof, Lutz: Fortschritte und Probleme der schöpferischen Weiterentwicklung der Filmveranstaltungsformen zur Förderung der Bewegung „Sozialistisch arbeiten, lernen, leben“. Abschlussarbeit an der Fachschule für Klubleiter „Martin Andersen Nexö“ Meißen-Siebeneichen. Halle-Neustadt 1981, in: Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (SHStArch), 11471, Nr. 8287, Anlage Visionsbars. 69 Hagen Sippel, ehemaliges Mitglied des Jugendfilmklubs Theißen: Mündliche In­ formation an die Autorin, 9.4.2005. 70 Petzold, Volker: Unveröffentlichte Datenbank zu Filmklubs in der DDR, Samm­ lung Petzold. 71 Konferenz des Lichtspielwesens 1977, S. 14.

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1987 ist von insgesamt 22 Stück die Rede.72 Damit hatten fast alle 23 Krei­ se im Bezirk ein „Glasscheiben-Kino“.73 Bezirksübergreifender Ideentransfer: Die Verbreitung der Visionsbars Da zwischen den Bezirksfilmdirektionen Halle und Karl-Marx-Stadt ein reger Erfahrungsaustausch stattfand, sich die leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig auf zentralen Veranstaltungen von HV Film und Progress trafen und die beiden Direktoren Matthaes und Klier eine enge Freundschaft pflegten, war der sächsische Kinodirektor Klier frühzei­ tig über die neugebauten sachsen-anhaltischen Kinovarianten informiert. Er besichtigte auf Matthaes’ Einladung hin auch mehrere Objekte, dar­ unter gleich die erste Visionsbar in Theißen.74 Die Idee schien ihm ein interessanter und gangbarer Schritt hin zu dem von ihm und seinen Kolle­ gen angestrebten Ziel, Gastronomie und Komfort weiter in den Kinosaal hineinzutragen.75 Das Leitungsgremium in Karl‑Marx‑Stadt hatte am Be­ ginn der 1970er‑Jahre auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, einzelne Filmtheater zu Kino-Cafés bzw. Mehrzweckeinrichtungen umzubauen, al­ so den Klubcharakter auf das gesamte Filmtheater auszudehnen.76 Die Kino-Cafés im Bezirk Cottbus kannte Klier von einem Besuch 1968/69, doch sie überzeugten ihn aufgrund ihrer „primitiven“ Einrichtung und des üppigen Angebots an warmen Speisen nicht.77 Zudem mussten sich die Karl-Marx-Städter zu dieser Zeit vor allem darum kümmern, marode größere Filmtheater spielbereit zu halten.78 Die Filmdirektion in Karl‑Marx‑Stadt entschied sich also für die Matthaessche Variante und richtete in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre in fünf Kreisstadt-Filmtheatern Visionsbars ein. Das Zwickauer Astoria beherbergte die erste – eingebaut im Zuge einer viereinhalbmonatigen

72 BFD Halle, Analyse zum Plan der Aufgaben 1987 der Bezirksfilmdirektion Halle, 15.1.1988, BArch, DR 1, 14715, S. 5. 73 Matthaes, 4.11.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang. 74 Klier, 28.10.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang. 75 Tippmann, 28.8.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang. 76 Lichtspielbetrieb (B) Karl-Marx-Stadt, Grundfonds-Analyse per 31.12.1971, Film­ theater „Apollo“ Bärenstein, Filmtheater „Harmonie“ Markneukirchen, SStArch Chemnitz, RdB KMST, Abt. Kultur, 053574–75, S. 2 f. 77 Klier, 28.10.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang. 78 Ebd.

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Rekonstruktion und eröffnet im Mai 1976.79 Im Gegensatz zu ihren sach­ sen-anhaltischen Kollegen bauten die sächsischen Kinomacherinnen und Kinomacher aus Sicherheits- und bautechnischen Gründen Visionsbars hauptsächlich ebenerdig ans hintere Ende des Saales und nicht auf Rän­ ge.80 Neuentwicklung aus Karl‑Marx‑Stadt: Klubkinos Die Kino- und BFD-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter im Bezirk KarlMarx-Stadt störten sich jedoch daran, dass die Glasscheibe das unmittelba­ re Filmerlebnis behinderte. Und sie bemerkten weitere Kritikpunkte: „Das machte so eine Zwei-Klassen-Geschichte auf, man saß irgendwie in einem Aquarium, und die draußen [im Saal; T. T.] hatten eben Normalkarten, war noch ne Spur billiger, aber die hatten eben nicht den höheren Anspruch wie die da drinnen. Und diese Klassifizierung wollten wir eigentlich nicht.“81 „Man war ja von den anderen abgeschnitten, man saß wie in einem Käfig drinne, sah durch die Scheibe durch – Spezialglas – das Bild, es brannte auch Licht drinne, das hätte mich schon gestört. Es war insofern blöd, dass jeder Besucher, der draußen im Dunkeln saß, sich immer umdrehen konnte und mitzählen konnte, das wievielte Bier trink ich denn – das hätte mich gestört, aber es ist von den Leuten auch angenommen worden.“82 Auch die baulichen und finanziellen Herausforderungen bewogen die Karl-Marx-Städter, nur fünf Lichtspielhäuser mit Visionsbars auszustat­ ten.83 Die Nachteile des zweigeteilten Zuschauerraumes vor Augen entstand bei den leitenden Mitarbeitern in Karl-Marx-Stadt „der Gedanke: nicht mehr diese Dezentralisierung, sondern Niveau ins ganze Haus. Dann wur­ den die Klubkinos geboren.“84 Große, gemütliche Sessel an Tischen mit

79 Freie Presse, Lokalausgabe Zwickau-Stadt, Karl-Marx-Stadt/Zwickau, 115/1976, 14.5.1976, S. 8; Zustandsbewertung Astoria Zwickau, 7.8.1980, BArch, DR 1, 14730a. 80 Tippmann, 28.8.2003, zitiert nach Tröger, Tanja: Kleine Kinoformen, Anhang. 81 Ebd. 82 Richter, 26.8.2003, zitiert nach ebd. 83 Klier, 28.10.2003, zitiert nach ebd. 84 Tippmann, 28.8.2003, zitiert nach ebd.

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Beleuchtung waren nun im gesamten Raum (im Parkett) verteilt; an der Rückwand des Saales wurde der Tresen eingebaut. Nachdem 1978 das Clubkino Neukirchen am Südrand der Bezirksstadt als Erstes übergeben wurde85, renovierte man in der Folgezeit noch rund ein Dutzend kleine­ re Filmtheater und baute sie zu dieser neuen Variante um. Zunächst ging es wegen fehlender Erfahrungen im Zwei-Jahres-Takt vorwärts, ge­ gen Ende der 1980er‑Jahre liefen die Arbeiten an mehreren Klubkinos leicht zeitversetzt parallel und mit Unterstützung der Räte des Kreises oder der Stadt.86 Die Karl-Marx-Städter hatten sich bei ‚ihren‘ Klubkinos nicht an den Cottbuser Kino-Cafés orientiert, und auch ausländische Vor­ bilder existierten offenbar nicht. Westdeutsche Programmkinos, die aus ökonomischen Überlegungen „nicht in diesem Klubcharakter eingerichtet waren“87, kannten sie zwar ebenso wie die sogenannten Verzehrkinos88, aber Detailinformationen fehlten. Karl-Marx-Städter PR – die ‚Klubkinowelle‘ schwappt nach Halle Das Bekanntmachen ‚seiner‘ Klubkinos lag dem Karl-Marx-Städter Filmdi­ rektor Klier sehr am Herzen. Größere regionale oder nationale Veranstal­ tungen wie Festivals und Versammlungen fanden meist im zuletzt rekon­ struierten Klubkino statt. Oft waren dabei Kinokolleginnen und ‑kollegen aus der ganzen DDR zu Gast, die sich in aller Regel sehr angetan zeigten.89 In der Folge verbreitete sich diese neue Kinoform auf dem umgekehrten 85 Fotos Klubkino Neukirchen, SStArch Chemnitz, RdB KMST, Abt. Kultur, 128737. 86 Hertrampf, Ines: Das Klubkino – eine neuartige, spezifische Einrichtung zur Populari­ sierung von Filmkunst. Abschlussarbeit an der Fachschule für Klubleiter „Martin Andersen Nexö“ Meißen-Siebeneichen. Karl-Marx-Stadt 1989, in: SHStArch, 11471, Nr. 9227. S. 20. 87 Tippmann, 28.8.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang. 88 In der Bundesrepublik wurden ebenfalls spätestens seit Beginn der 1970er Jahre Foyer- und Kinobars eingebaut, die Säle mit Tischchen an der Rückfront des Vor­ dersitzes und teilweise mit Platzrufanlagen ausgestattet. Für einige Zuschauerräu­ me wurde sogar eine Raucherlaubnis erteilt. Visionsbars habe es wegen der erheb­ lichen Wiedergabenachteile (Projektion durch Scheibe, eigene Tonanlage) nicht gegeben. Offenbar behielt man auch aus ökonomischen Gründen stets die Rei­ henbestuhlung bei. Anke Burkhardt, Immobiliensachbearbeiterin Ufa Theater AG, Düsseldorf: Mündliche Information an die Autorin, 2.10.2003; Schaper, Pe­ tra: Kinos in Lübeck. Die Geschichte der Lübecker Lichtspieltheater und ihrer unmittel­ baren Vorläufer 1896 bis heute, Lübeck 1987, S. 155–161. 89 Richter, 26.8.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang..

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Visionsbars, Klubkinos und Kino-Cafés

Weg wie sechs Jahre zuvor die Visionsbars: Die Hallenser bauten ab An­ fang der 1980er-Jahre Klubkinos, die den sächsischen ähnelten. Öffentlichkeitsmitarbeiter Lutz Lehnhof erinnert sich: „Ich weiß also, dass danach [nach den Besichtigungen; T. T.] bei uns zum Beispiel in […] Hohenmölsen und in Helbra solche Klubkinos gebaut worden sind. Und die hatten auch, was ich für bemerkenswert halte aus […] heutiger Sicht, […] was das Innenarchitektonische be­ trifft, ein bedeutend besseres Niveau als diese Visionsbars, die oft so spießige Wohnzimmeratmosphäre“.90 Entsprechend stieg im Bezirk Halle die offiziell genannte Klubkino-Anzahl von drei im Jahr 197991 auf sieben im Jahr 198892. Entwicklungen in den anderen Bezirken Mitte der 1970er‑Jahre begannen viele Bezirksfilmdirektionen, marode Filmtheater zu sanieren und in den Sälen Klubkinos oder andere kleine Kinoformen einzurichten. Es kann mit großer Sicherheit davon ausgegan­ gen werden, dass die zwischen 1975 und 1977 eingerichteten Kinos relativ eigenständige Entwicklungen der jeweiligen BFD waren. Dafür spricht, dass sogar Einrichtungen, die nahe beieinander, aber in unterschiedlichen Bezirken lagen, verschiedene Charakteristika und Namen aufwiesen und zum Teil fast gleichzeitig eröffnet wurden. Laut Margrit Matthaes sei zu­ dem jeder Bezirk „immer bemüht“ gewesen, „etwas Neues zu bringen. […] Wir haben ja immer mal umgebaut, und da haben wir ja keinen gefragt. Das wurde ja in den Bezirken selbst entschieden.“93

90 Lutz Lehnhof, Abteilungsleiter Öffentlichkeitsarbeit der Bezirksfilmdirektion Halle 1976–1990: Mündliche Information an die Autorin, 14.10.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang. 91 BFD Halle, Arbeitsmaterial zur Entwicklung und Erhaltung des Theater- und Spielstellennetzes des Bezirkes Halle, 28.6.1979, BArch, DR 1, 14730, S. 2. 92 BFD Halle, Analyse zum Plan der Aufgaben 1988 der Bezirksfilmdirektion Halle, 20.1.1989, BArch, DR 1, 14713a, S. 6. 93 Matthaes, 4.11.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang.

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Abbildung 7: Der Einbau der Glasscheibe für eine Visionsbar wie hier im Capitol Hohenstein-Ernstthal stellte die Techniker vor Herausforderungen: Da keine Scheibe über die gesamte Breite des Saales verfügbar war, wurde sie aus mehreren Teilen zusammengesetzt. Außerdem sollten bei der Projektion keine Spiegelungen auftreten. Am 6. Mai 1975 nahm in Erfurt der noch heute bestehende Kinoklub am Hirschlachufer als offiziell erstes Klubkino der DDR den Betrieb auf – ent­ sprach aber von der Innenraumgestaltung und dem Spielplan her eher einem Studiokino.94 Bereits zwei Monate zuvor hatte jedoch die BFD Suhl in Meiningen, etwa 60 Kilometer südwestlich von Erfurt, das erste KinoCafé in Thüringen eingerichtet.95 Während der Kinoklub mit seinen 45 94 Initiative Kommunales Kino Erfurt e. V. (Hrsg.): Dokumentation 22/25 Jahre Kino­ klub Erfurt, Erfurt 1997/2000, S. 3. 95 Zwingmann, Helga: Die Wandlung der Formen und Methoden von Filmveranstaltun­ gen als Folge der sich immer stärker differenzierenden kulturellen Bedürfnisse der Werk­ tätigen, unter besonderer Berücksichtigung der Wirksamkeit kleiner, spezifischer Film­ vorführstätten (Klubkino und ähnliche Einrichtungen), Abschlussarbeit an der Fach­ schule für Klubleiter „Martin Andersen Nexö“ Meißen-Siebeneichen, Suhl 1976, in: Bibliothek Filmuniversität Babelsberg „Konrad Wolf“, S. 19 und 23.

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Visionsbars, Klubkinos und Kino-Cafés

Sitzen in ein ehemaliges Werbematerialienlager/Büro eingepasst wurde96, rekonstruierten die Suhler vorhandene Kinos und bauten sie zu Kino-Ca­ fés mit Sesseln und Tischen um. Im Erfurter Mini‑Kino sollten nahezu aus­ schließlich „speziellen Besuchergruppen“ wie Brigaden, Schulklassen oder ausländischen Besuchern ihre „individuellen Filmwünsche“ erfüllt wer­ den.97 Die Lichtspielhäuser im Bezirk Suhl, der zweitgrößten Urlauberregi­ on des Landes98, boten auch nach der Sanierung noch knapp 100 bis 300 Besuchern Platz, ein mehr an den Wünschen der Feriengäste orientiertes Programm99 und zu dieser Zeit noch ungewöhnlichen gastronomischen Service (zum Teil mit Platzrufanlagen). Im Norden der Republik entstanden die ersten Klubkinos und Kino-Ca­ fés in den Bezirken Rostock und Schwerin – zeitgleich oder kurz vor den Karl-Marx-Städtern. Die Bezirksfilmdirektion Potsdam baute ihr erstes Klubkino 1977 ins Nauener Theater der Freundschaft ein. Jede der Bezirksfilmdirektionen, die Kino-Cafés und Klubkinos/Kino­ klubs nachbaute, dürfte verschiedene Modelle vor Augen gehabt haben, die nicht im Einzelnen rekonstruiert werden konnten. Orientierung und Inspiration lieferten auf jeden Fall die renovierten Filmtheater der genann­ ten Vorreiter-Bezirke Erfurt und Suhl, nach 1978 auch Karl-Marx-Stadt. Auch die Partnerschaftsbeziehungen zwischen einzelnen Bezirksfilmdirektionen sowie die von der HV Film, dem Progress Film-Verleih und dem Zentralvorstand der Gewerkschaft Kunst regelmäßig ausgerichteten Tref­ fen boten den Kinomachern Gelegenheiten, sich auszutauschen.100 Alle Visionsbars dürften Nachbauten bzw. leicht veränderte Kopien der halleschen Erfindung gewesen sein. Die Magdeburger BFD zog noch schneller nach als die Karl-Marx-Städter – 1974 wurde in das Magdeburger Theater des Friedens die erste Visionsbar eingebaut.101 Die Bezirksfilmdirektionen Dresden, Frankfurt/Oder, Gera, Erfurt und Potsdam ließen sich etwas mehr Zeit und setzten das sogenannte Glasscheiben-Kino bei Rekon­ 96 Henneberg, Jürgen: Erarbeitung von Varianten für die technische Ausgestaltung des Club-Kinos der Bezirksfilmdirektion Erfurt, Ingenieurarbeit an der Hochschule für Film und Fernsehen. Babelsberg 1974, in: Bibliothek Filmuniversität Babelsberg „Konrad Wolf“, S. 8 f. 97 Ebd., S. 6. 98 BFD Suhl, Analyse zum Plan der Aufgaben 1988 der Bezirksfilmdirektion Suhl, 17.1.1989, BArch, DR 1, 14713, S. 5. 99 Zwingmann: Die Wandlung der Formen und Methoden von Filmveranstaltungen, S. 22. 100 Gespräch mit Winfried Schade, in: PIB, 3/1979, S. 2; Harkenthal, Wolfgang: Ge­ rüstet für das Jahr 1982, in: PIB, 6/1981, S. 2. 101 Eßmann: Filmtheater, S. 65.

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struktionen in der zweiten Hälfte bzw. am Ende der 1970er-Jahre ein, also in etwa zur gleichen Zeit wie die Karl-Marx-Städter. Auffällig ist dabei, dass in diesen Bezirken im letzten Lebensjahrzehnt der DDR fast keine Visionsbars mehr eingerichtet wurden. Offenbar standen die Karl-MarxStädter nicht allein mit ihrer Einschätzung, dass Visionsbars schwer zu bauen und ‚atmosphärisch‘ ungünstig waren. Der Besucherrückgang war inzwischen so drastisch, dass die Rekonstruktion eines größeren Lichtspiel­ hauses ohne einschneidende Reduzierung des Platzangebotes nur noch für Kinos mit entsprechend guter Frequentierung in Kreis- und Bezirksstädten in Frage kam. Die staatliche Anerkennung der Gastronomiekinos Seit wann Vertreter der Hauptverwaltung Film, des Ministeriums für Kul­ tur oder anderen zentralen staatlichen Einrichtungen von den Baumaß­ nahmen für Visionsbars, Klubkinos und Kino-Cafés wussten, lässt sich anhand der gesichteten Akten und geführten Gespräche nicht exakt nach­ vollziehen. Durch persönliche Kontakte und spätestens bei Rechenschaftslegung am Ende eines Planjahres hätte die oberste Filmbehörde von den neuartigen Glasscheiben-Kinos im Bezirk Halle gehört haben müssen. Et­ wa 1976/77 setzte das Kulturministerium eine Arbeitsgruppe aus HV-Mit­ arbeitern und Kinotechnikern ein, die die neue Kinoform in Bezug auf Ideen-Herkunft, Ideologie und Technik überprüfen sollte. Das Prüfungser­ gebnis fiel positiv aus, die Experten seien voll des Lobes gewesen.102 Im Frühjahr 1976 organisierte die Hauptverwaltung Film einen VorOrt-Erfahrungsaustausch im Bezirk Halle, im Herbst folgte ein Informati­ onsvortrag für die Technischen Revisorinnen und Revisoren aller Bezirks­ filmdirektionen.103 Waren Informationen über Visionsbars (und nachfol­ gende Entwicklungen) bisher nur auf inoffiziellem und informellem Wege weitergegeben worden, agierte nun die HV Film als Sprachrohr. Darin lässt sich eine gewisse Wertschätzung erkennen. Der offenbar letzte Schritt hin zur vollständigen Anerkennung der klei­ nen Kinoformen wurde im März 1977 auf der Zentralen Konferenz des Lichtspielwesens der DDR in Berlin gegangen. Dort stellte der hallesche Bezirksfilmdirektor Artur Matthaes ‚seine‘ Kinos vor.104 Er warb, die von

102 Matthaes, 4.11.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang. 103 Das Hallenser Beispiel: Initiative Visionsbars, in: PIB, 2/1977, S. 11. 104 Konferenz des Lichtspielwesens 1977, S. 15–18.

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Visionsbars, Klubkinos und Kino-Cafés

BFD Halle entwickelten Kinotypen böten „zugleich Filmkunsterlebnisse, Unterhaltung, Bildung, Information [sic] aber auch Geselligkeit, Freude, Erholung, Entspannung, Tanz“, passten also zum Publikum, das „souverä­ ner, qualifizierter und anspruchsvoller [sic] aber auch differenzierter und in seinen Ansprüchen vielseitiger“ geworden sei.105 Dieser Vortrag löste eine hitzige Diskussion aus. Vor allem Filmema­ cher und Publizisten äußerten sich skeptisch bis ablehnend zu den neuen Kinoformen, die laut Regisseur Karl Gass „wie Pilze aus der Erde“106 schös­ sen. Der Leipziger Filmwissenschaftler Fred Gehler warnte davor, „den künstlerisch anspruchsvollen Film in diese sicherlich sehr verdienstvollen Einrichtungen zu verbannen“.107 Regisseur Konrad Wolf meinte, „daß in diesem – zugespitzt gesagt – Rausch der Filmcafés und anderer Einrichtungen vielleicht doch eine Illusion steckt der neuen schönen Verpackung. […] Ich glaube ehrlich gesagt nicht, daß z. B. Filme, wie ich sie mache und wie ich sie nicht anders machen kann, in Kinocafés eine Chance haben. […] Ich würde dafür plädieren, daß die alten Kinos vielleicht gar nicht so aufwendig umgebaut werden, aber daß zuerst einmal neue Sessel reinkommen, damit man nach einer Stunde nicht anfängt, den Film mehr mit dem Hintern zu empfinden als mit dem Herzen. […] Wir brauchen also Kinos, […] in denen Möglichkei­ ten sind, sich zu treffen, sich nach dem Film zu unterhalten, […] Kinos, […] die geistig-kulturelle […] Zentren in Wohngebieten oder in Stadtzentren werden. Das scheint mir die Zukunft und nicht so sehr die Tatsache, daß während des Films nun ein angenehmer Wein oder ein Kaffee getrunken werden kann.“108 ‚Filmminister‘ Horst Pehnert sprach sich explizit für die Gastronomiekinos aus: „[E]s ist kein Rausch und es wuchert auch nicht, und es schießt nicht wie Pilze [aus der Erde; T. T.]. […] Und es wäre wahrscheinlich zu begrüßen, wenn wir mehr davon hätten. […] Aber ich glaube, […] was die Kinocafés beispielsweise betrifft, hat Konrad Wolf nicht ganz recht, wenn er meint, es geht vielleicht um die bessere Verpackung. Ich glau­ be, es geht nicht um Verpackung, sondern um bessere Bedingungen,

105 106 107 108

Ebd., S. 14. Redebeitrag Karl Gass, in: ebd., S. 26. Ebd., S. 25. Ebd., S. 42 f.

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um etwas, was er in Gestalt des besseren Kinosessels selbst gefordert [hat]“.109 Pehnert betonte, dass das Gemeinschaftserlebnis Kino nicht stattfände, wenn in einem Saal mit 600 Plätzen nur 50 oder 100 Zuschauer säßen. „[D]ann ist schon eine gewisse Peinlichkeit da und das ist doch ein Prob­ lem.“110 Wolf habe sicher nicht gemeint, dass alle kleinen Kinos wieder verschwinden sollten. Aber die Kritik der Künstler seien „Hinweise, die berechtigt sind“. Man müsse die Formen auswählen, „die uns effektive Ergebnisse sichern“.111 In ihrem internen Abschlussbericht rügte die HV Film die kritischen Künstler: „Diese Beiträge zeigten, daß die kulturpoliti­ sche Notwendigkeit und Nützlichkeit solcher Einrichtungen nicht erkannt wurde, sondern sie nur als Verpackung betrachtet werden, um Filme bes­ ser verkaufen und Zuschauer anlocken zu können.“112 Um „illusionäre Vorstellungen“ abzubauen, organisierte die HV Film 1978 eine dreitägige Reise in die Vorreiter-Bezirke Suhl, Erfurt und Hal­ le, wo die Teilnehmer 14 der umstrittenen Objekte mit eigenen Augen begutachten konnten und erfuhren: „Unbestritten ist: diese und ähnliche Einrichtungen brachten wieder Leute ins Kino, die es jahrelang gemieden hatten.“113 Der Aufwand, den die Hauptverwaltung betrieb, um andere BFD über die kleinen Kinoformen zu unterrichten und Skeptikerinnen und Skeptiker von deren Vorteilen zu überzeugen, ist ein deutliches Zei­ chen, dass sie diesen Einrichtungen eine hohe Bedeutung beimaß. Begrün­ det wird dies offiziell mit der gesellschaftlichen und „kulturpolitische[n] Notwendigkeit und Nützlichkeit“114. Das Werben von Zuschauern auch für weniger attraktive Filme als Beweggrund wird dagegen vehement bestritten,115 ökonomische Gründe werden kaum erwähnt.116 Dies entspricht nur bedingt den ursprünglichen Intentionen der ‚erfinderischen‘ Bezirksfilmdirektionen: Die kleinen Kino­ formen wurden in erster Linie erdacht, um auf Probleme im Lichtspielwe­

109 Schlusswort des Genossen Pehnert, offenbar Mitschrift, BArch, DR 1, 13266, S. 8 f. 110 Ebd., S. 9 f. 111 Ebd., S. 10. 112 O. A.: Zur Auswertung der Konferenz des Lichtspielwesens, Berlin, 19.4.1977, BArch, DR 1, 13265, S. 3. 113 Hindemith, Gudrun: Eine Reise in Sachen Kino, in: PIB, 4/1978, S. 2. 114 Zur Auswertung der Konferenz des Lichtspielwesens, S. 3. 115 Ebd. 116 Schlusswort des Genossen Pehnert, offenbar Mitschrift, BArch, DR 1, 13266, S. 9 f.

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sen zu reagieren und so neue Wege bei der Erfüllung des Besucherzahlenund Einnahmen-Plansolls zu beschreiten. Auch die Möglichkeiten zur vielfältigen Nutzung spielten eine wesentliche Rolle. Die offensive und umfassende kulturpolitische Arbeit mit Arbeitskollektiven oder anderen Gruppen jedoch stand für die Erfinderinnen und Erfinder als Beweggrund hinten an (mit Ausnahme der BFD Halle). Es ist also eine Umfunktionali­ sierung und Instrumentalisierung der Gastronomiekinos durch die Staats­ führung zu konstatieren. Dies ging so weit, dass seitens der HV Film nie öffentlich von der ‚Erfindung‘ von Visionsbars, Klubkinos oder Kino-Cafés durch einzelne Personen oder BFD gesprochen wurde. Deswegen ist im HV-Auswertungsbericht der Lichtspielkonferenz folgender, nur in Teilen korrekte selbstreferentielle Bezug zu lesen: „Wir werden auch weiterhin in dieser Richtung Initiativen wecken müssen und vor allem kleine, intime Filmtheater schaffen müssen mit zeitweiser oder vollständiger gastronomischer Betreuung, die einen besonderen Komfort bieten und bei Filmdiskussionen mit Brigaden und Kollektiven eine angenehme Atmosphäre gewährleisten.“117 Dieses Verhalten der HV Film ist konsistent und typisch für die unter Honecker verknöcherte DDR-(Kultur-)Politik118 und das in Berlin gelten­ de „uneingeschränkte Primat der Politik“.119 Die Staatsführung konnte nicht offiziell eingestehen, dass das Lichtspielwesen ebenso wie die gesam­ te DDR mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und die Gastronomiekinos einen Beitrag zur Einnahmensteigerung leisteten. Also wurde der kulturpolitische und soziale Nutzen betont, um die Gastrono­ miekinos gegen Einwände von Künstlern zu verteidigen und die ‚Klubki­ no-Bewegung‘ weiter zu forcieren. Positive Beispiele wie die Brigadearbeit der halleschen BFD legitimierten die kleinen Kinos zusätzlich. Gleichwohl bestand die zwiespältige Einschätzung speziell der Visions­ bars insgeheim auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Licht­ spielwesen selbst: „Diese Visionsbars, […] die sind also auch […] bei vielen von uns Kinoleuten, mit der Betonung auf Kinosehen und -erleben etwas um­ stritten gewesen. […] Also, wenn ich einen Film richtig erleben will, dann muss ich diese Faszination und diesen direkten Kontakt vom Kinostuhl aus haben. […] Und wenn ich jetzt hinter der Glasscheibe 117 Zur Auswertung der Konferenz des Lichtspielwesens, S. 5. 118 Wolle: Die heile Welt der Diktatur, S. 68. 119 Ebd., S. 312.

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sitze, dann ist das distributiv, als ob ich vorm Fernseher sitze, also, diese Wohnzimmeratmosphäre ist da. Das ist eigentlich nicht so sehr gut für denjenigen, der seinen Kinofilm richtig rezipiert sehen möchte und auch diese Emotionen spüren möchte und das Mitgehen, aber es ist eben sozusagen ein Kompromiss gewesen, auch dafür, um auch – ich sag jetzt mal wirklich das Wort Kollektive – Kollektive und Menschen miteinander ins Kino zu bekommen. Die wären nicht ins Kino gekommen, hätten sie nicht diese Atmosphäre gehabt.“120 Berlin als Sonderfall Die Hauptstadt der DDR war landesweit die einzige Ausnahme, weil sie keinerlei Gastronomiekinoformen vorzuweisen hatte – obwohl die Film­ theater wie überall Sanierungen dringend nötig gehabt hätten. „Berlin hat 21 staatlich geleitete Kinos. Einige davon sind so alt und vergammelt, daß man sie getrost vergessen kann“121, hatte 1977 die Filmrezensentin des Satiremagazins Eulenspiegel, Renate Holland-Moritz, moniert. „In den Bezirken Halle, Magdeburg, Suhl, Erfurt und Cottbus gibt es schon seit langem hübsche, intime Kinochen, in denen man seinen Ärger über den kalten Kaffee auf der Leinwand mit einem heißen im Parkett runterspülen kann. Ebenso läßt sich natürlich das Vergnügen an einem gelungenen Film durch einen hochprozentigen Spaßmacher potenzieren. […] Daß der Magistrat und die Berliner Bezirksfilmdirektion bisher nichts Vergleichbares auf die Beine gestellt haben, ist ebenso peinlich wie unbegreiflich.“122 Dabei habe doch Berlin mit dem nahegelegenen DEFA-Produktionsgelän­ de und den vielen ansässigen Filmmitarbeitern ein Pfund, mit dem es wu­ chern und einen engen Kontakt zwischen Filmemachern und Publikum herstellen könne.123 Grundlage und Anlass für diese Berliner ‚Kino-Eule’ dürften entspre­ chende Pläne des Direktors der Bezirksfilmstelle Berlin, Horst Reinsch, gewesen sein. Der hatte im Frühjahr 1977 im Interview mit der vom Progress Film-Verleih herausgegebenen Zeitschrift PIB – Progress-Informa­ 120 Lehnhof, 14.10.2003, zitiert nach Tröger: Kleine Kinoformen, Anhang. 121 Holland-Moritz, Renate: Was macht das Kino in Berlin?, in: Eulenspiegel, Berlin (Ost), 24. (32). Jg. 1977, Nr. 41, S. 8. 122 Ebd. 123 Ebd.

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tions-Bulletin vollmundig verkündet, für den Pankower Blauen Stern und das UT im Industriezentrum Oberschöneweide lägen die Umbaupläne zu Kino-Cafés „im Schubfach“ und man habe sich „die Realisierung dieses Vorhabens bis 1980 vorgenommen“.124 Getan hat sich nichts. Weder der Blaue Stern, dem Holland-Moritz 1977 die Chance zugestanden hatte, „Berlins erstes Kino-Restaurant zu werden“125, war bis 1990 saniert126, noch offenbar ein anderes Filmtheater zu Klubkino oder Kino-Café umge­ baut worden.127 Somit ist in Sachen Gastronomiekinos ein für die zentralisierte und ber­ lin-zentristische DDR recht untypisches Phänomen festzustellen: Während neue Projekte üblicherweise in der Hauptstadt geboren und von dort in den Rest der Republik exportiert wurden128, kamen Ideen und Initiativen zu den Gastronomiekinos ausschließlich aus der ‚Provinz‘ und verbreiteten sich auf inoffiziellen Wegen, d. h. nicht selten ohne Zutun der HV Film, in der gesamten DDR – mit Ausnahme der Hauptstadt.

124 Frage und Antwort: Hauptstadt-Kino, in: PIB, 2/1977, S. 15. 125 Ebd. 126 HV Film, Eingabenanalyse II. Halbjahr 1989, Hausmitteilung, 10.1.1990, BArch, DR 1, 14739, S. 3. 127 1984 gab es noch kein Filmtheater mit gastronomischer Betreuung. DEFA-Zen­ tralstelle für Filmtechnik, Wissenschaftlich-technisches Zentrum: Auswertung der Grundfondserfassung der Filmtheater in der DDR, Berlin, September 1984, SStArch Chemnitz, RdB KMST, Abt. Kultur (30413), 127868, Tabelle 1. 128 Becker/Petzold: Tarkowski trifft King Kong, S. 270.

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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Fotografie aus dem Werbeblatt „Visionsbar ist mehr als Filme zei­ gen“, in: Lutz Lehnhof: Fortschritte und Probleme der schöpferischen Weiterentwick­ lung der Filmveranstaltungsformen zur Förderung der Bewegung „Sozialistisch arbei­ ten, lernen, leben“, Abschlussarbeit an der Fachschule für Klubleiter „Martin An­ dersen Nexö“ Meißen-Siebeneichen, Halle-Neustadt 1981, Sächsisches Staatsar­ chiv Dresden, Bestandssignatur 11471, Nr. 8287. Abbildungen 2 bis 7: Sächs. Staatsarchiv Chemnitz, Rat des Bezirkes Karl-MarxStadt, Abt. Kultur (Bestandssignatur 30413), 128737.

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Die Verteilung der Gastronomiekinos in den DDR-Bezirken, Stand 1989. Tabelle 2: Gastronomiekinos im Bezirk Halle, Stand 1989. Tabelle 3: Gastronomiekinos im Bezirk Karl-Marx-Stadt (KMST), Stand 1989.

Quellenverzeichnis BArch, DR 1, 13267 – Thesen für die Zuarbeit zum Referat der Aktivtagung des Lichtspielwesens, o. D., wohl 1978/79 BArch, DR 1, 14713 – BFD Suhl, Analyse zum Plan der Aufgaben 1988 der Bezirks­ filmdirektion Suhl, 17.1.1989 BArch, DR 1, 14714 – BFD Gera, Jahresanalyse der kulturpolitischen, ökonomi­ schen und technischen Leistungen der Bezirksfilmdirektion Gera im Jahre 1986, 24.2.1987 BArch, DR 1, 14715 – BFD Halle, Analyse zum Plan der Aufgaben 1987 der Bezirksfilmdirektion Halle, 15.1.1988 BArch, DR 1, 14718 – Konferenz des Lichtspielwesens BArch, DR 1, 14730 – Entwicklungskonzeption für die kulturpolitische Arbeit mit dem Film in den Jahren 1986–1990 im Bezirk Gera; Arbeitsmaterial zur Entwicklung und Erhaltung des Theater- und Spielstellennetzes des Bezirkes Halle, 28.6.1979. BArch, DR 1, 14739 – HV Film, Eingabenanalyse II. Halbjahr 1989, Hausmittei­ lung, 10.1.1990. Filmkurier 1/1960, 3/1960, 5/1960, 12/1960, 2/1961, 4/1961, 6/1962. Freie Presse, Lokalausgabe Zwickau-Stadt, Karl-Marx-Stadt/Zwickau, 115/1976, 14.5.1976 NBI Neue Berliner Illustrierte, 12/1960. Petzold, Volker: Unveröffentlichte Datenbank zu Filmklubs in der DDR. Samm­ lung Petzold.

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Visionsbars, Klubkinos und Kino-Cafés PIB 4/1978 – Hindemith, Gudrun: Eine Reise in Sachen Kino. PIB 5/1979 – Hauser, Regina: Film und Freundschaft – internationale Verbindun­ gen unserer Bezirksfilmdirektionen. PIB 6/1981 – Harkenthal, Wolfgang: Gerüstet für das Jahr 1982. PIB 2/1984 – Müller, Hans: Treffpunkt Studiokino. PIB 5/1989 – Wiedemann, Dieter: Kino in den neunziger Jahren. SHStArch, 11471, Nr. 9227.

Literaturverzeichnis Becker, Wieland/Petzold, Volker: Tarkowski trifft King Kong. Geschichte der Filmklub­ bewegung der DDR, Berlin 2001. Bentzien, Hans: „Schluß mit den Spinnereien“, in: Heide Riedel (Hrsg.): Mit uns zieht die neue Zeit … 40 Jahre DDR-Medien, Berlin 1993. Engler, Wolfgang: Die Ostdeutschen. Kunde von einem verlorenen Land, Berlin 2000. Enz, Kurt: Entwicklung der Filmtheatertechnik und des Filmtheaternetzes in der DDR von 1945 bis zur Gegenwart, Berlin (Ost) 1982. Enz, Kurt: Filmtheater im Bild, in: Progress Film-Verleih (Hrsg.): PIB – Progress-In­ formations-Bulletin, Berlin (Ost), 6/1978. Eßmann, Herbert: Filmtheater, in: Grundlagen für den Neubau und die Rekonstrukti­ on von Kulturbauten, Heft 6, Berlin (Ost) 1977. Glaß, Peter: Kino ist mehr als Film. Die Jahre 1976–1990, Berlin 1999. Henneberg, Jürgen: Erarbeitung von Varianten für die technische Ausgestaltung des Club-Kinos der Bezirksfilmdirektion Erfurt, Ingenieurarbeit an der Hochschule für Film und Fernsehen, Babelsberg 1974. Hertrampf, Ines: Das Klubkino – eine neuartige, spezifische Einrichtung zur Popularisie­ rung von Filmkunst. Abschlussarbeit an der Fachschule für Klubleiter „Martin Andersen Nexö“ Meißen-Siebeneichen, Karl-Marx-Stadt 1989. Holland-Moritz, Renate: Was macht das Kino in Berlin?, in: Eulenspiegel, 24. (32) Jg., Berlin (Ost) 1977. Initiative Kommunales Kino Erfurt e. V. (Hrsg.): Dokumentation 22/25 Jahre Kino­ klub Erfurt, Erfurt 1997/2000. Lehnhof, Lutz: Fortschritte und Probleme der schöpferischen Weiterentwicklung der Filmveranstaltungsformen zur Förderung der Bewegung „Sozialistisch arbeiten, lernen, leben“, Abschlussarbeit an der Fachschule für Klubleiter „Martin Andersen Nexö“ Meißen-Siebeneichen, Halle-Neustadt 1981. Ministerium für Kultur (Hrsg.): Kultur in der DDR – Daten – 1975–1988, Berlin (Ost) 1989. Nünthel, Ralph: Johannes Nitzsche – Kinematographen & Films, Beucha 1999. Prommer, Elizabeth: Kinobesuch im Lebenslauf. Eine historische und medienbiographi­ sche Studie, Konstanz 1999.

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Tanja Tröger Rytlewski, Ralf/Opp de Hipt, Manfred: Die Deutsche Demokratische Republik in Zahlen 1945/49–1980. Ein sozialgeschichtliches Arbeitsbuch, München 1987. Schaper, Petra: Kinos in Lübeck. Die Geschichte der Lübecker Lichtspieltheater und ihrer unmittelbaren Vorläufer 1896 bis heute, Lübeck 1987. Sperlich, Frank-Otto/Rentner, Lutz/Richter, A. Kuno (Regie): Muckefuck und Moc­ ca-Fix. Kaffeekultur in der DDR, Fernsehdokumentation, Produktion: Noahfilm Berlin, MDR, 29.5.2003. Statistisches Amt der DDR (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch der DDR, Berlin (Ost) 1990. Tröger, Tanja: Kleine Kinoformen in der DDR, unveröffentlichte Magisterarbeit, Leipzig 2004. Trotz, Lydia: Filmförderung in den neuen Bundesländern, Berlin 1996. Wiedemann, Dieter/Stiehler, Hans-Jörg: Zur sozialen Funktion des Kinos in den achtziger Jahren. Empirische Tatsachen und theoretische Überlegungen zur gesellschaftlichen Bedeutung des Films im Kino, Potsdam-Babelsberg, 1/1983. Wischnewski, Klaus: Träumer und gewöhnliche Leute, in: Filmmuseum Potsdam (Hrsg.): Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFA 1946–92, Berlin 1994, S. 212–263. Wolle, Stefan: Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971– 1989, München 1999. Zwingmann, Helga: Die Wandlung der Formen und Methoden von Filmveranstaltun­ gen als Folge der sich immer stärker differenzierenden kulturellen Bedürfnisse der Werktätigen, unter besonderer Berücksichtigung der Wirksamkeit kleiner, spezifischer Filmvorführstätten (Klubkino und ähnliche Einrichtungen), Abschlussarbeit an der Fachschule für Klubleiter „Martin Andersen Nexö“ Meißen-Siebeneichen, Suhl 1976.

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Kinoarchitektur im Spiegel der DDR-Philokartie Zum Zeugnischarakter von Ansichtskarten für die Auseinandersetzung mit Kinokultur Ben Kaden

„Diese drei Module – Bibliotheken, Kino und Radio – bilden die Grundlage des Kulturplanwagens.“1 Der Sozialismus setzte von Beginn an zur Vermittlung seiner Ideen auf moderne Medientechnologien. Das zeigt bereits der Blick in die frühe Sowjetunion, beispielsweise in Texten des Schriftstellers Sergei Tretjakow aus den 1920er- und 1930er-Jahren. Er reist in die sowjetische Provinz, um über die Fortschritte und Mühen kultureller Arbeit am noch zu formen­ den neuen sozialistischen Menschen zu berichten. Die Herausforderung, so der Titel eines erstmals 1930 erschienenen Reiseberichts, lag Tretjakows Ansicht nach nicht nur in der beschwerlichen Reise zur nordkaukasischen Kommune „Kommunistischer Leuchtturm“ nahe der Stadt Mineralnyje Wody2, sondern auch darin, die sozialistische Botschaft in dieser Region zu verbreiten. Der Kommunismus, so seine Erkenntnis, könne nur dann ge­ lingen, wenn das ihm vorausgehende Ideenpaket allgemeinverständlich und mitreißend transportiert würde. Der Schlüssel, so die Annahme, sei dabei die Kulturarbeit. Dafür brauchte es gerade in den Gebieten fehlen­ der Kulturinfrastruktur neue Formen der Kulturvermittlung. Eine Sache wären Landzeitungen und der Aufbau sogenannter Kolchosbibliotheken3. Weil beides aber nur für Menschen funktioniere, die zu lesen in der Lage seien, schlägt er ergänzend zum Buch ganz neue Technologien vor: das Ra­ dio und Kino. „In jedem Kolchos ein Filmvorführgerät – die blanke Uto­ 1 Tretjakow, Sergei: Die Herausforderung (1932), in: Tatjana Hofmann/Susanne Strätling, Sergei Tretjakow, Malin Gewinner, Maria Rajer, Rudolf Selke, Andreas Tretner (Hrsg.): Fakten/Räume. Reiseskizzen 1924–1937, Leipzig, 2021, S. 219. 2 Russisch für Mineralwasser. 3 Kolchose bezeichnet die sozialistische Kollektivwirtschaft in Formeines landwirt­ schaftlichen Großbetriebs, der durch Kollektivierung ehemals bäuerlicher Privat­ betriebe in der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten entstanden. In der DDR hießt das Konzept Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG).

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pie.“4 Ein fahrendes Kino hingegen, das von Politlektoren begleitet regel­ mäßig Streifen zeigt und so die Aufmerksamkeit und idealerweise auch die Herzen der Menschen fängt, sollte Tretjakow zufolge aber möglich sein. Wie erfolgreich die „Kulturarbeit auf Rädern“ letztlich sein würde, wusste der Schriftsteller nicht zu berichten, da er den Kulturplanwagen nur ausge­ dacht, aber nicht ausgefahren hatte. Überliefert ist jedoch, wann die erste wirklich große stationäre Leinwand den Nordkaukasus erreichte: In Pjati­ gorsk, in dem auch Tretjakow notgedrungen hatte Station machen müs­ sen, eröffnete das Kosmos am 17. Februar 1963; knapp fünf Monate später als das Filmtheater Kosmos in Ost-Berlin, das bereits am 5. Oktober 1962 eingeweiht wurde. Die Stunde Null – Kino nach 1945 Die Situation im Nachkriegsdeutschland war aus diversen Gründen kom­ pliziert und zunächst ebenfalls sowjetisch geprägt. Dies betraf auch das frühe Kino im Nachkriegsberlin. Bereits im Mai 1945 durften die Ostberli­ ner Kinos, sofern diese noch betriebsfähig waren, nach einem Befehl des Stadtkommandanten Nikolai Bersarins wieder in Betrieb gehen. Der sow­ jetische Auslandsfilmverleih Sojusintorgkino übernahm den Filmvertrieb und darüber hinaus die Kontrolle über das Gezeigte. Im Juli 1945 war die erste Premiere ein sowjetischer Dokumentarfilm namens Berlin. Der Regis­ seur Juli Raisman komponierte das Material von 40 Kameraleuten aus den letzten Wochen des Krieges zu einem eindrücklichen Zeitdokument, das mit der Unterzeichnung des Kapitulationsvertrags und einem Lob auf die Rote Armee endet. Der Mythos der Befreiung der Deutschen vom Hitlerfaschismus durch die heldenhaften Sowjetsoldaten kam vielen nicht einmal ungelegen, half es doch, die eigene Rolle vor der Kapitulation auszublenden und sich zum passiven Spielball des Weltgeschehens zu erklären. Die Vermittlung sol­ cher Geschichten war ein zentraler Zweck des Kinos. Die ideologischen Leitfilme wurden in der Programmgestaltung mit Unterhaltung balan­ ciert, um attraktiv und integrierend zu wirken. Anschlussfähigkeit an die Erwartungen und Sehgewohnheiten bei gleichzeitiger Vermittlung der Orientierungspunkte eines sozialistischen Ideals waren in der Kulturpro­ duktion und im Kino, später ab 1952 auch im Fernsehen, maßgeblich. Hier konnte man, wie sich bald zeigte, nicht mit bloßer transkultureller 4 Tretjakow: Die Herausforderung, S. 249.

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Kinoarchitektur im Spiegel der DDR-Philokartie

Sowjetisierung punkten. Es wurde ein Referenzrahmen einer deutschen Nationalkultur benötigt. Wie notwendig dieser war, war von Anfang an bewusst. Der allseits beliebte Schauspieler und Filmstar Heinz Rühmann wurde am 21. Mai 1945 in der ersten Ausgabe der Berliner Zeitung mit sei­ ner Ansprache zur „Gründungssitzung der Stadtverwaltung von Groß-Ber­ lin“ folgendermaßen zitiert: „Er [Heinz Rühmann] versprach – unter dem stürmischen Beifall der Anwesenden –, daß er und alle volksverbundenen Künstler freudiger und schwerer dafür arbeiten würden als je zuvor, um den am Wieder­ aufbau Schaffenden die Freude und Entspannung derer sie bedürfen, mit den Mitteln der Kunst zu bieten.“5 Das Kinoprogramm dieser frühen Jahre hatte zweifellos vor allem massen­ kommunikative Zwecke, nämlich die eindeutige und allen begreifbare In­ formationsvermittlung und damit auch die Lenkung des Publikums, sei­ ner Erwartungshaltungen und seines Handelns. Der Hauptfilm war für die meisten Kinobesucherinnen und -besucher das Attraktionselement, die Wochenschau jedoch der zentrale Programmpunkt. Im zertrümmerten Nachkriegsberlin zeigt sich das u. a. am Radioprogramm: Auf das Unter­ haltsame Tee-Konzert um 16 Uhr folgte der Vortrag Konzentrationslager Auschwitz, auf den wiederum eine Musiksendung folgte.6 Grobe Hinweise auf ein Kinoprogramm sind ab dem 23. Mai 1945 in der Zeitung neben dem Hinweis zu finden, dass es durchschnittlich „je zwei bis vier Filmthea­ ter in jedem Bezirk gibt“ und „in Köpenick ein russischer Märchenfilm ge­ boten“ wird.7 Daneben findet sich eine konkrete Überlegung, wieder von Heinz Rühmann, zur Programm-Planung: „Es gibt eine Anzahl fertiger Filme, die von den Nazis verboten wor­ den sind. Ich selbst habe die Kopie eines solchen Films sichergestellt. Aber nicht nur das: Wir müssen damit beginnen, russische Filme zu synchronisieren, das heißt, ihre Dialoge ins Deutsche zu übertragen oder zumindest die Sprech- und Gesangstexte einzukopieren. Einige Vorbereitungen dazu sind bereits getroffen.“8

5 [Erck/F.]: Die antifaschistische Einheit. Das Unterpfand der Neugeburt des deut­ schen Volkes!, in: Berliner Zeitung, 21.5.1945, S. 1 f. 6 O. A.: Programmschema [Rundfunksender Berlin] für Dienstag 22.5.1945, in: Ber­ liner Zeitung, 21.5.1945, S. 4. 7 Ebd. 8 [Fr]: Film-Pläne. Gespräch mit Heinz Rühmann, in: Berliner Zeitung, 23.5.1945, S. 4.

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Bereits im Juli 1945 lag mit Sergei Eisenteins Iwan, der Schreckliche der erste synchronisierte Film vor, der ab August in den 180 Berliner Filmtheatern und zur Premiere im Marmorhaus und im Filmtheater am Friedrichshain lief.9 Die Kinooffensive der 1950er-Jahre Diese Geburtsstunde des Kinobetriebs nach 1945 ist deshalb so relevant, weil sie verdeutlicht, wie zentral das Kino als Kulturangebot in der Nach­ kriegszeit war, wie sowjetische Vorstellungen wirkten und wie man erwar­ ten konnte, dass angesichts der bald einsetzenden Filmproduktion der DEFA das Kino insgesamt nicht zuletzt in Neubauten eine erhebliche gesellschaftliche Präsenz in der DDR hätte erlangen müssen. Bereits 1950 wurde ein „Wettbewerb der Filmtheater“ vom Ministerium für Volksbil­ dung angeregt, der eine Reihe von Häusern den Titel „Mustertheater“ ein­ brachte.10 Gleichzeitig beklagten sich Besucherinnen und Besucher über den schlechten Zustand der Lichtspielhäuser: „Schmutzige Wände, abge­ bröckelte Decken, kurz, sie ähneln mehr Ställen als Erholungsstätten.“11 Während als Ergebnis des ersten Fünfjahrplans von der „Neueinrichtung von 10.409 Lichtspielhäusern und von 2.793 Spielstellen in den Kulturstät­ ten der Betriebe“ berichtet wurde, blieb unklar, was das aus baulicher Sicht konkret bedeutete.12 Im Vergleich zur Zahl von 1.550 Kinos, die für die Sowjetische Besatzungszone im Jahr 1948 angegeben wurde,13 war dies ein gewaltiger Sprung, der nochmals den hohen Stellenwert des Mediums unterstreicht. Für das Jahr 1954 wird von „1200 stationären Filmtheatern in den Städten der DDR [und] 9500 Landspielorte[n]“ berichtet.14 Laut Neuem Deutschland waren 1956 regelmäßige Filmvorstellungen in den 650 Maschinen-Traktoren-Stationen der DDR üblich.15 Dieselbe Zeitung hatte schon 1955 berichtet, dass „87 Prozent der Einwohner Großgörschens

9 O. A.: Sojusintorgkino-Vertretung in Deutschland, in: Berliner Zeitung, 13.7.1945, S. 4; o. A.: o. T., in: Berliner Zeitung, 9.9.1945, S. 4. 10 [S. B.]: Wettbewerb der Filmtheater, in: Freiheit, 11.5.1950, S. 2. 11 O. A.: Bitte Kinos renovieren, in: Berliner Zeitung, 3.9.1952, S. 4. 12 [E. R.]: Neue Lichtspielhäuser im Bau, in: Neues Deutschland, 1.12.1956, S. 4. 13 O. A.: 4850 Filmtheater werden gegenwärtig in Deutschland gezählt, in: Freiheit, 3.12.1948, S. 2. 14 Thiel, Heinz: Wissenswertes rund um die Filmkunst der DDR, in: Freiheit 1954, S. 5. 15 Hartwig, Max: Das neue Deutschland, in: Neue Zeit, 7.10.1956, S. 5.

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den Thälmannfilm sahen, darunter Einwohner, die zuvor nie in einem Filmtheater waren“.16 Den Veranstaltungsraum hatte sich die Landwirt­ schaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG), so die Zeitung, gemeinsam mit dem Filmaktiv Weißenfels in Eigeninitiative gebaut.17 Das Kino als Leitmedium schien erfolgreich zu sein. Vermutlich beziehen sich die Zählungen der mehr als 13.000 Kinos und Spielstellen überwiegend auf die Installation von Vorführtechnik. Die technische Umstellung auf das Cinemascope-Verfahren war 1956 erst in 13 Häusern erfolgt, indes aber ein Schwerpunkt des zweiten Fünfjahrplans.18 In Neubauten in Crivitz, Prenzlau oder Pasewalk wurde dies auch eingelöst. Doch in der Gesamtheit betrachtet entstanden in der DDR an­ gesichts der dem Kino zugeschriebenen Bedeutung überraschend wenige neue Häuser. Eine Art Musterbau der 1950er‑Jahre ist das nach Plänen der Architekten Fritz Wollmann, Klaus Frauendorf und Werner Fuhrmann im Stil der Nationalen Tradition und den Ansprüchen der Zeit typisch als Kulturzentrum errichtete Filmtheater der Freundschaft in Prenzlau. Herbert Ballmanns Verfilmung von Erwin Strittmatters Tinko dürfte als Eröffnungsfilm den Zeitgeist des Jahrzehnts gut aufgefangen haben. Dass Gebäude dieses Stils nur in geringer Zahl errichtet wurden – ein weiteres Beispiel ist das Theater der Freundschaft in Brand-Erbisdorf aus dem Jahr 1955 – lag einerseits in der kargen Ressourcenlage, die durch Prestigeprojekte wie die Stalinallee in Berlin weiter zugespitzt wurde. Der Aufbau der DDR war auch eine Geschichte des Hinausschiebens von Geplantem. Dies führte nun andererseits in die Herausforderung der Anpassung der Pläne an die sich ändernden architekturpolitischen Schwerpunkte. Der repräsentationsorientierte Architekturstil der Nationa­ len Tradition war 1957 schon fast eine Sache der Vergangenheit. Wo sich Projekte nicht bereits im Bau befanden, suchte man nach einem neuen, teils schlichteren bzw. rationelleren und typisierten, teils internationaleren Stil. Zugleich zählten Kinogebäude weiterhin ausdrücklich zu den „kultu­ relle[n] Gebäuden zentraler Bedeutung“ und damit zum grundlegenden Gebäudeprogramm sozialistischer Stadtzentren.19 Auch für größere neue Wohnkomplexe wurden Kinos zunächst nahezu selbstverständlich einge­

16 Schirrmeister, Hermann: Wöchentlich ein neuer Film im Dorf, in: Neues Deutsch­ land, 14.6.1955, S. 4. 17 Ebd. 18 [E. R.]: Neue Lichtspielhäuser, S. 4. 19 Deutsche Bauakademie/Collein, Hans/Doehler, Peter: Grundsätze der Planung und Gestaltung sozialistischer Stadtzentren, in: Deutsche Architektur (8), Sonder­ beilage, Berlin 1960, S. 2.

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plant. Architektonisch und funktional sollten sie „wesentliche Züge des Neuen im Leben der sozialistischen Gesellschaft“ spiegeln.20 Funktional dürfte damit die Integration des Kinos mit weiteren Kulturoptionen und Klubräumen im Sinne sogenannter „kooperierter Filmtheater“ gemeint sein.21 Was jedoch architektonisch mit dem „Neuen“ gemeint ist, blieb oft unspezifisch. Herauszuheben wäre aber das Bemühen um die seit den 1960er-Jahren viel diskutierte „Synthese von Architektur und bildender Kunst“.22 Bestandskinos als Postkartenmotive Kinos, Filmbühnen und -theater sowie Lichtspielhäuser findet man über alle vier Jahrzehnte der DDR regelmäßig in der enormen Ansichtskarten­ produktion des Landes. Entsprechend bieten sie sich für eine philokar­ tistische bzw. „deltiologische Analyse“ an.23 Die These, dass Bildpostkar­ ten oder Ansichtskarten auf die Konstruktion von Vorstellungen einwir­ ken, scheint durchaus plausibel. Durch den individualisierten Gebrauch kommt es zu bildsoziologischen Wirkungen, wobei diese zugegebenerma­ ßen für den zu betrachtenden Themenkomplex nicht außergewöhnlich intensiv scheinen. Dies liegt zum Teil auch am konkret vorliegenden Sammlungsbestand des Autors, der die Verknüpfung zwischen Bild und Gebrauch, d. h. der Nachricht, nur in einem Fall überhaupt sichtbar macht. Bei der Betrachtung der für die Ansichtskarten verwendeten Bilder lässt sich dennoch grundsätzlich fragen, ob und mit welchem Ziel die jeweils dargestellten Objekte fotografisch inszeniert wurden. Sucht man nach Kinos auf Ansichtskarten aus der DDR, bieten sich drei Motivcluster an: Bestandskinos, die teils schon in der Vorkriegszeit als Filmtheater dienten oder zu solchen umgebaut wurden, Kultur- oder Theaterhäuser, die auch Kinofunktionen übernahmen, sowie Kino-Neubauten wie das Kino International. In der Kinorealität und im Ansichtskartenaufkommen

20 Ebd.: S. 2 f. 21 Stscherbakow, [W.]: Über den Bau von Lichtspieltheatern in großen Städten, in: Deutsche Architektur (7), Berlin 1955, S. 315–317. 22 Überarbeitetes Protokoll der Arbeitstagung des Zentralvorstandes des Verbandes Bildender Künstler Deutschlands zu Problemen der Synthese von Architektur und Bildender Kunst am 18. und 19. November 1965. Berlin: VBK, 1966. 23 Vgl. Boyarski, Nicholas: The Ephermal Imagination. The Postcard and Construc­ tion of Urban Memory, in: Candide. Zeitschrift für Architekturwissen, Nr. 12, Januar 2021, S. 7386.

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überwog die dritte Variante. Um die ambitionierten Pläne der Filmversor­ gung der Bevölkerung in der DDR umsetzen zu können, blieb oft nur die Ertüchtigung, Instandsetzung oder der Umbau im Bestand.

Abbildung 1: Das Schützenhaus in Eisenberg wurde 1953 zum Kino umgebaut und mit dem Namen Karl-Marx-Lichtspiele eröffnet. So wurde beispielsweise im thüringischen Eisenberg das Schützenhaus aus dem Jahr 1820 ab Herbst 1952 „nach den neuesten Erkenntnissen der Lichtspielhäuser der Sowjetunion“24 zum Kino umgebaut und im Januar 1953 als Karl-Marx-Lichtspiele (vgl. Abbildung 1) mit Milos Mako­ vec’ Film über den Afrikaforscher Emil Holub eröffnet. Zu den sowjeti­ schen Erkenntnissen zählte vor allem die Einbettung in ein umfassenderes Kultur- und Klubprogramm, für das entsprechende Räumlichkeiten einge­ plant wurden.25 In einer für die DDR höchsten Vollendung würde sich das Prinzip ein gutes Jahrzehnt später im Kino International an der Berliner Karl-Marx-Allee ausdrücken.26 24 O. A.: Eisenberg baut ein Lichtspielhaus. In 50 Tagen muß es fertig sein, in: Volkswacht, 14.11.1952. 25 Stscherbakow, [W.]: Über den Bau von Lichtspieltheatern, S. 315–317. 26 Zum Ausstattungsprogramm siehe auch Worbs, Dietrich: Das Kino International in Berlin. Ein Bau der Nachkriegsmoderne und der Filmgeschichte der DDR, Berlin 2015, S. 45.

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Abbildung 2: Die ein konkretes Ereignis würdigende Karte zeigt das Filmtheater der Jugend im Linolschnitt und nicht als Foto, was sie philokartistisch zu einer Besonderheit macht.

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In den frühen Prestigeobjekten, der sich städtebaulich neu findenden DDR, nämlich der Stalinallee in Berlin und Stalinstadt – das heutige Eisenhüttenstadt –, wurden Neuplanungen unterschiedlich realisiert. In Stalinstadt war ein Kino-Theater, in diesem Fall buchstäblich ein Hybrid­ bau für Theater und Kino, eines der ersten Gebäude der Stadt überhaupt. An der Stalinallee verzögerte sich der Bau des vorgesehenen Kinos bis in die frühen 1960er‑Jahre und damit über die Fertigstellung der eigentlichen Blöcke hinaus. Ungewöhnlich sowohl als Ansichtskarte, die ausnahmsweise keine Foto­ grafie, sondern einen Linolschnitt zeigt, als auch als Kino ist diese Ansicht des im Stil der Nationalen Tradition rekonstruierten ehemaligen Ufa-Thea­ ters in Frankfurt an der Oder (vgl. Abbildung 2). Nach Entwürfen von Wilhelm Flemming, Karl Irmler und Gerhard Oßwald wurde es zum Er­ öffnungszeitpunkt als „modernstes Filmtheater der DDR“27 beschrieben. Auf der zur „Festwoche der Stadt Frankfurt an der Oder-Neiße-Friedens­ grenze“ im Sommer 1955 herausgegebenen Anlasskarte berichtete die Sen­ derin den Adressaten in Bremen: „Dieses Kino steht an der Stelle vom al­ ten Ufa Kino“, was die Karte zu einer philokartistischen Ausnahme macht. Denn solche direkten Motivbezüge findet man im Gebrauch eher selten. Ein anderes Beispiel einer frühen Ansichtskarte ist die Ansicht der Film­ bühne Capitol in der Petersstraße in Leipzig. Bildästhetisch und auch in der stadträumlichen Anmutung kann die Karte aus dem Jahr 1956 als traditionell gelten (vgl. Abbildung 3). Die Aufnahme des Leipziger Fotografen Rolf Lotze hätte ganz ähnlich auch in einer westdeutschen In­ nenstadt entstanden sein können. Ästhetisch folgte man auch im Bereich der Ansichtskarten tradierten Mustern. Das Capitol wurde 1929 als Teil des von Alfred Liebig entworfenen Petershof eröffnet. Die Vorstellungs­ welten der meisten Menschen und die handwerklichen Ansprüche vieler Fotografinnen und Fotografen entsprachen noch denen der Vorkriegszeit. Ausnahmen bilden die dezidierten Inszenierungen der erwähnten neuen Stadträume. Wenn sich eine Art ‚Sowjetisierung des Blicks‘ findet, dann dort.

27 Hartwig: Das neue Deutschland, S. 5.

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Abbildung 3: Das Capitol in Leipzig wurde 1929 als Teil des Petershofs eröffnet und überstand die Kriegsjahre weitgehend unversehrt.28 60 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

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In den unmittelbaren Nachkriegsjahren diente das halbwegs unbeschädigt durch die Bombardements gekommene Haus als Veranstaltungssaal – eine Verquickung, die für die DDR typisch bleiben sollte. „Das Capitol ist ein Riesenkino. Die Leipziger sind stolz darauf, daß es viel größer ist als das Babylon in Berlin,“29 wusste die später bekannteste Filmjournalistin der DDR, Rosemarie Rehahn, geborene Knop, aus dem Nähkästchen der Städtekonkurrenz zu plaudern. Allerdings hätte man in Berlin den sowje­ tischen Chor, dessen Programm sich die Journalistin im damals größten Leipziger Kino anlässlich der Frühjahrsmesse 1950 zu Gemüte geführt hatte, vermutlich nicht in das nur wenig repräsentative Gebäude des Kinos Babylon geschickt (vgl. Abbildung 4). Auch die Volksbühne stand 1950 für Chor und Publikum wegen Bauarbeiten noch nicht zur Verfügung. Später bildete sie aber mit dem Babylon einen räumlichen Kulturschwerpunkt der Hauptstadt der DDR. Für Chorprogramme und Filmvorführungen griff man in Ostberlin zunächst auf das Palais am Festungsgraben an der Museumsinsel zurück, das im März 1947 zum Haus der Kultur der Sowjetunion umgewidmet worden war. Es diente 1951 als Veranstaltungsort der „III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten für den Frieden“ und wurde damit auch Motiv eines de facto ersten großen Schritts zu einer dezidierten DDR-Ansichts­ kartenästhetik. Für die DDR-Philokartie sind die Karten zu den Weltfest­ spielen 1951 eine Art Zäsur, denn sie rückten mit Nachdruck gezielt die sozialistische Perspektive in den Fokus. Zuvor hatte es ein kleines Politi­ kum gegeben, da die Teilnehmenden des Friedenstreffens der deutschen Jugend 1949 Ansichtskarten in alle Welt schicken wollten und Berliner Buchhandlungen diesen Bedarf nutzten, um alles anzubieten, was sie in den Lagern fanden, wozu auch Vorkriegsware gehörte.30 Entsprechend forciert wurde bei Photochemie Berlin zu den Weltfestspielen eine Auflage von 4,5 Millionen Karten mit neuen Motiven produziert.31 Der Bedarf wurde also mit 170 Karten pro Teilnehmerin und Teilnehmer entspre­ chend großzügig übererfüllt. Dies umso mehr, da der Volkseigene Betrieb (VEB) Volkskunstverlag Reichenbach offenbar auch noch 1,5 Millionen

28 Sämtliche in diesem Artikel gezeigten und zitierten Ansichtskarten zeigen das Objekt im Erhaltungszustand. 29 Knop, Rosemarie: Erlebnisse einer Messebummlerin. Zehn Stunden „Drum und dran“ in Leipzig, in: Neues Deutschland, 11.3.1950, S. 3. 30 Achtelstetter, [F.]: Rechtzeitig Bildpostkarten liefern, in: Berliner Zeitung, 4.4.1951, S. 2. 31 [M. J.]: Sechsmal sieben auf einen Streich. Ansichtskarten kommen wieder. Drei Millionen bis Ende September, in: Berliner Zeitung, 30.8.1952, S. 6.

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Abbildung 4: Das Kino Babylon (rechts im Bild), lange wichtigstes Kino Ostber­ lins, liegt in Sichtweite der Volksbühne. anlassbezogene Postkarten auslieferte.32 Im erwähnten Haus der sowjeti­ schen Kultur in Berlin wurden wie in den meisten Kulturhäusern auch Filme gezeigt. So nahm man beispielsweise 1950 zur Würdigung von Sta­ lins 71. Geburtstag beide Teile von Michail Tschiaurelis Der Fall von Berlin ins Programm.33 Der heute nur noch schwer erträgliche Personenkultfilm hatte seine Premiere wiederum im Babylon, das bis zur Eröffnung der beiden Häuser in der Karl-Marx-Allee das vermutlich wichtigste Kino im Ostteil Berlins war. Für die Weltfestspiele 1951 war das Babylon das wichtigste von 23 Berliner Lichtspielhäusern, darunter das DEFA-Filmtheater in der Kasta­ nienallee, die Sternlichtspiele in der Georgenstraße, die Skala-Lichtspiele in der Schönhauser Allee, das Vorwärts in Karlshorst oder auch Silvana

32 O. A.: Bravo Alexanderstraße 53, in: Berliner Zeitung, 22.7.1951, S. 8. 33 O. A.: Haus der Kultur der Sowjetunion. Veranstaltungen vom 17.-23. Dezember, in: Neue Zeit, 16.12.1950, S. 4.

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Baumschulenweg.34 Insgesamt zählte der Ostteil Berlins im Jahr 1951 97 Kinos. Neubauten gab zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch keine. Die Ansichtskartenproduktion der Zeit spiegelt die Vielfalt der Kinos dieser Jahre leider nicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Entfesselung der Ansichtskartenproduktion zu den Weltfestspielen zunächst eine Ausnah­ me blieb und die vorhandenen Kapazitäten enorm strapazierte. Der große Schub erfolgte erst einige Jahre später, dafür aber so umfassend, dass die DDR-Produktion nicht nur im Binnenmarkt zu Höchstleistungen auflief, sondern auch in großer Schlagzahl für den Export produzierte. Ansichtskartenproduktion in der DDR: Druckgenehmigung und Fotografieleitlinien Die Konsequenz, mit der eine zunehmend zentralisierte Ansichtskarten­ produktion ab etwa Mitte der 1950er-Jahre das Land dokumentierte, führ­ te ebenso wie die Allgegenwart des Mediums Ansichtskarte, als billigste Option zur Fernkommunikation und nicht zuletzt den Mangeln an Tele­ fonanschlüssen kompensierend, dazu, dass sich die gebaute DDR in gewis­ ser Weise auf Ansichtskarten inventarisierte. Der Ausstoß nicht nur in Stückzahl, sondern auch in Motivvielfalt war riesig. Ein zeitgenössischer Bericht über den dominierenden Ansichtskartenverlag der DDR, Bild und Heimat im vogtländischen Reichenbach, liefert einige Zahlen zur Produk­ tionsmenge: „Waren es im Jahr 1951 nur etwa 18,3 Millionen Karten, so werden es im Jahr 1983 140 Millionen Karten sein, darunter 90 Millionen in Farbe. […] Die Gesamtkollektion des Verlages umfaßt gegenwärtig etwa 6900 farbige und 23.000 Schwarz-Weiß-Ansichtskartenmotive.“35 Neubauviertel und Magistralen, Parkanlagen, Gaststätten, Schulen und Kaufhallen, Erholungsheime und Interhotels sowieso – zumindest typolo­ gisch war alles in großer Vielfalt vorhanden. Dies schließt ausdrücklich „die Betreuung auch kleinster Orte und Einrichtungen“ ein.36 Bereits 1952 34 O. A.: Wahre Kultur kann nur im Frieden gedeihen! Auszüge aus dem Programm der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten für den Frieden, in: Neues Deutschland, 5.8.1951, S. 5. 35 Klein, Benno/Gläser, Wolfgang/Mocker, Heinz: Die sozialistische Entwicklung unserer Heimat im Spiegel der Ansichtskarte. Anliegen des Verlags Bild und Hei­ mat Reichenbach, in: Unser Vogtland, Jahrbuch 1983, S. 14–19, hier S. 15. 36 Ebd.: S. 14 f.

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berichtete die Berliner Zeitung über die Kartenproduktion bei Photochemie Berlin: „Die Photochemie bereitet zum Beispiel den Druck neuer Ansichts­ karten von Innenaufnahmen unserer schönsten Kulturstätten wie Theater und Kinos [...] vor.“37 Die Betonung offizieller Bildprogramme lag auf dem sozialistischen Aufbau und dem sozialistischen Leben, aber auch auf touristischen und landschaftlichen Höhenpunkten. Offizielles Verlagsziel von Bild und Hei­ mat war spätestens seit der Übernahme durch die zur SED gehörenden Zentrag38 im Jahr 1975 das Aufzeigen „der ökonomischen und kulturellen Entwicklung unseres Landes, unserer sozialistischen Heimat in der Zeit nach 1945“.39 Dieses Anliegen begleitete die DDR von Beginn an, wie z. B. ein Leserbrief in der Berliner Zeitung belegt. Eine Leserin forderte darin ausdrücklich eine größere Motivauswahl zu Berlin, „um Freunden in Ost und West unseres Vaterlandes und in aller Welt [zu] zeigen, was bisher aus eigener Kraft geleistet und aufgebaut wurde.“40 Ähnliche Wünsche finden sich häufiger in der Presse der 1950er‑Jahre.41 Wie ehrlich oder wie lan­ ciert sie waren, ist schwer zu beurteilen. Vermutlich gab es entsprechende Identifikationen mit der jungen DDR und das Bedürfnis, dies auch auf Ansichtskarten zu zeigen. Hinsichtlich der Kinos liefen Motivhäufigkeit, die fotografische Insze­ nierung und auch der Gebrauch weitgehend im Einklang zur generellen Ansichtskartenentwicklung.42 Diese setzte in der jungen DDR, wie bereits angedeutet, weitgehend an Strukturen und Traditionen an, die aus der Nachkriegszeit und den Jahren davor fortwirkten. Das betraf sowohl die Bildsprache der Ansichtskartenfotografie als auch die Herstellerinnen und Hersteller selbst. Eine Vielzahl von mittelgroßen und kleinen Verlagen sowie zahlreiche selbstständige Fotografen versorgten das Land in den 1950er-Jahren mehr oder weniger nach eigenständigen Gestaltungskriteri­ en mit oft überschaubaren Auflagen. Bis zu den 1970er-Jahren dominierte 37 [M. J.]: Sechsmal sieben, S. 6. 38 Zentrag=Zentrale Druckerei-, Einkaufs- und Revisionsgesellschaft mbH. Die dem Zentralkomitee der SED unterstellte „Vereinigung Organisationseigener Betrie­ be“ kontrollierte den größten Teil der Druckkapazitäten in der DDR. 39 Ebd.: S. 15. 40 Generich, Elsbeth: Ansichtskarten dringend gesucht, in: Berliner Zeitung, 24.6.1954, S. 6. 41 Siehe auch [M. J.]: Sechsmal sieben, S. 6. 42 Die sehr beliebten Ansichtskarten mit den Porträts von Schauspielerinnen und Schauspielern, die zum Beispiel seit 1954 im Motivprogramm des VEB Volks­ kunstverlags Reichenbach auftauchen, bilden eine besondere Facette der Kinophi­ lokartie, die hier jedoch nicht vertieft werden kann.

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der Echt-Foto-Abzug. In Druckverfahren hergestellte Karten gab es zwar ebenfalls, aber sie blieben, möglicherweise auch aufgrund des erheblichen Unterschieds in der Abbildungsqualität, zunächst die Ausnahme und eta­ blierten sich längerfristig nur im Farbdruck. Eine Neuigkeit, die viele kleine Verlage vermutlich nur ungern annah­ men, da sie zusätzliche Bürokratie und Abhängigkeiten mit sich brachte, die sich für die Ansichtskartensammler jedoch als sehr nützlich erweisen sollte, war die Pflicht, für jedes Motiv eine Druckfreigabe einholen zu müssen.43 Bis auf wenige Privatausgaben und einige Ausreißer sind sämtli­ che Ansichtskarten der DDR mit einer eindeutigen Nummer und Auflagedatierung versehen. Diese Eigenschaft teilen sie mit jedem Formular und jedem Adventskalender, denn jedes Druck- und Vervielfältigungserzeugnis musste genehmigt werden. Wie häufig eine solche Genehmigung bei Ansichtskartenmotiven ver­ weigert wurde, ist schwer abzuschätzen. Bei einer Gesamtschau des pu­ blizierten Motivmaterials mag man von einem eher entspannten Pro‑For­ ma‑Verfahren ausgehen. Allerdings gab es durchaus Fälle, in denen die Druckfreigabe nicht erteilt wurde. Für ein unmittelbares Kinomotiv zeigt sich leider kein Beispiel in der vorliegenden Sammlung. Zu Illustrations­ zwecken muss daher auf eine Aufnahme des Kulturpalastes in Dresden zurückgegriffen werden, die der im Bereich der Ansichtskartenfotografie sehr produktive Fotograf Werner Hoffmann 1972 für den Auslese-Bild-Ver­ lag in Bad Salzungen angefertigt hatte:

43 Vgl. ausführlich zum Thema Freiberg, Heinz: Das Kleingedruckte. Die Druckge­ nehmigungsverfahren in der DDR, in: Konrad Vanja (Hrsg.): Tagungsband Basel 2013/Arbeitskreis Bild Druck Papier, Münster 2014, S. 142–150.

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Abbildungen 5 und 6: Die Druckgenehmigungsstelle des Bezirks Dresden hatte Einwände gegen die Motivinszenierung. 66 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

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In diesem Fall zeigte sich die zuständige Person der Druckgenehmigungs­ stelle des Bezirkes Dresden mit der kompositorischen Entscheidung unzu­ frieden und verwies zudem darauf, dass der Kulturpalast fotografiewürdigere Seiten aufweist, nahm also direkt gestalterischen Einfluss (vgl. Abbil­ dungen 5 und 6). In der Tat findet man zwar zahllose Ansichtskartenvaria­ tionen über den Kulturpalast, sucht seine Rückseite aber meist vergeblich. Dass es Werner Hoffmann jedoch nur mittelbar um den Prachtbau der DDR-Architektur an sich ging und mehr um den von Egmar Ponndorf 1969 rekonstruierten Friedensbrunnen, entging der Druckgenehmigungs­ stelle offenbar. Tatsächlich gab es für die Ansichtskartenfotografie in der DDR allge­ meine fotografieästhetische Leitlinien des VEB Bild und Heimat. Sie dien­ ten offenbar mehr als Orientierung denn als verbindliches Regelwerk, bieten aber dennoch einen guten Anhaltspunkt für eine Bildanalyse von Ansichtskartenfotografien.44 So spielte erstens der Hintergrund eine Rolle, denn er sollte das Hauptmotiv unterstreichen, sich diesem aber gleichsam unterordnen. Ist das Hauptmotiv tatsächlich der Brunnen und bildet der Kulturpalast nur den Hintergrund, wäre zu diskutieren, ob sich der Brun­ nen ausreichend abhebt. Die zweite Forderung – „Das Hauptobjekt des Motivs ist vollständig“ wäre für den Brunnen erfüllt, für den Kulturpalast jedoch nicht. Das Wetter – „Außenaufnahmen sind nur bei klarem Son­ nenlicht und blauem Himmel, möglichst mit Wolkenbildung aufzuneh­ men“ – wäre bis auf die Wolken stimmig. Der Wolkenmangel wäre unpro­ blematisch, denn Schäfchenwolken per Retusche gingen, wie viele Karten belegen, den Ansichtskartenfotografinnen und -fotografen leicht von der Hand. Der formulierte Anspruch an eine möglichst belebte Szenerie wird akzeptabel eingelöst. Die Volkspolizisten ließen sich vielleicht als Bonus ansehen, zugleich wirken die Passanten eher wenig komponiert ins Bild gestreut. Eine weitere Leitlinie betraf störende Bildelemente – „geöffnete Türen und Fenster; auf Balkonen hängende Wäschestücke; Leergutembal­ lagen vor Geschäften; Müllcontainer und ‑tonnen; abgelagerte Baumateria­ lien“ – für die man recht leicht genügend genehmigte Vorkommen zeigen könnte. Die letzte Leitlinie bezieht sich auf die Proportionierung von Straßenräumen und die Auswahl der gezeigten Fahrzeuge – „neuere Auto­ typen in ansprechender Farbigkeit“ –, wobei der Faktor Farbe durch die Schwarz-Weiß-Aufnahme hier vernachlässigbar ist, die parkenden Fahrzeu­

44 Nachfolgend zitiert nach Kaden, Ben: So, das soll es gewesen sein. Ein kurzer Blick auf die Ansichtskartenkultur der DDR, in: Christoph Liepach/Ben Kaden (Hrsg.): Gera ostmodern, Leipzig 2019, S. 18–31, hier S. 25.

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ge aber durchaus im Soll liegen. Man könnte vielleicht bemängeln, dass sie zu verdeckt und nur am Rand auftauchen. Kinos auf Ansichtskarten der DDR Wie erwähnt, inventarisierte sich die DDR so gut es ging auf Ansichts­ karten. Dies führte zu einem interessanten Wechselspiel zwischen dem Typischen und dem Allgemeinen: Die gezeigten Objekte sollten das Leben und den Aufbau der DDR repräsentativ zeigen. Zudem wurden die Auf­ nahmen durch die Konkretisierung in Ort und Zeit aber unvermeidlich spezifisch. Das gilt auch für die Kinos, die in diesem Zusammenhang zum normalen Inventar des gebauten Landes zählten. Da es de facto nur eine überschaubare Zahl an Neubauten gab, tauchen sie weniger oft als Repräsentationsobjekte der DDR auf, als man eventuell erwarten wür­ de. Bestandsbauten entsprachen nicht unbedingt dem präferierten Bildpro­ gramm der sich entwickelnden DDR, auch weil sie häufig nicht im besten Zustand waren. Außerdem wurden auch viele der neuen Filmvorführräu­ me in andere Objekte wie Kulturhäuser, Sanatorien, Bildungseinrichtun­ gen oder Pionierhäuser integriert und bleiben daher philokartistisch ver­ steckt. Das Filmland DDR, so zeigen es auch seine Ansichtskarten, war nur bedingt eines der Kinoarchitektur. So werden zwischen 1971 und 1988 nur noch vier Kinoneubauten erwähnt.45 Insgesamt waren es tatsächlich kaum mehr als 50 Neubauten mit einem Schwerpunkt auf den 1950er-Jah­ ren. Das überrascht, waren, wie bereits erwähnt, Kinobauten doch lange Zeit selbstverständlicher Bestandteil jeder Zentrums- und Wohngebietspla­ nung. Anforderungen an die Rationalisierung führten aber oft zum Druck, dezidierte Kinobauten zu streichen und stattdessen Filmvorführräume in Kultur- und Gemeinschaftsbauten einzurichten. So wurde beispielsweise der Entwurf für das Haus der Kultur und Bildung in Neubrandenburg (vgl. Abbildung 7) nachträglich verändert, weil man sich zwischen Kino oder Theater entscheiden musste. Der Kompromiss war eine funktionale Erweiterung des geplanten Kinosaals zum variablen Mehrzwecksaal.46 Wo solche Kombinationsbauten nicht möglich oder sinnvoll waren, entstan­ 45 Otto, Hans Rainer: Kinoalltag und Kinokultur in der DDR, in: Der geteilte Him­ mel. Höhepunkte des DEFA-Kinos 1946-1992. Ein Gemeinschaftsprojekt von Filmar­ chiv Austria Wien, Bundesarchiv-Filmarchiv Berlin und DEFA-Stiftung Berlin, Wien 2001, S. 173–184, hier S. 182. 46 Raschke, Brigitte: Der Wiederaufbau und die städtische Erweiterung von Neubranden­ burg in der Zeit zwischen 1945 und 1989, München 2005, S. 276.

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den Leichtbaukinos, in touristischen Bereichen auch Zeltkinos, die archi­ tektonisch nur wenig imposant waren und daher kaum auf Ansichtskarten zu finden sind. Dazu kamen noch eine Reihe von Freilichtbühnen, die ebenfalls Mehrzweckfunktionen übernahmen.

Abbildung 7: Der geplante Kinosaal des Hauses der Kultur und Bildung in Neubrandenburg wurde in einen variablen Mehrzwecksaal integriert. Letztlich führten auch die rückläufigen Besucherzahlen zu Veränderungen in der Priorisierung von Kulturbauten. Wurden für 1957 316 Millionen Kinobesuche für die DDR registriert, lag die Zahl in den 1980er-Jahren bei etwa 80 Millionen.47 Dieser Kontrast ist sicher in erster Linie durch die Verbreitung und den Programmausbau des Fernsehens zu erklären, wobei westdeutsche Medien auch gern ein zu linientreues Filmangebot für den Besuchsrückgang verantwortlich machten.48

47 Langenbucher, Wolfgang R./Rytlewski, Ralf: Kulturpolitisches Wörterbuch, Stutt­ gart 1983, S. 310. 48 O. A.: Kulturfunktionäre machen die Filmprogramme. Anmerkungen zur Kinosi­ tuation in der DDR. Besucherzahlen um fast 10 Prozent rückläufig, in: NordwestZeitung, 6.10.1973, S. 17.

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Gegen Ende der 1980er-Jahre gab es in der DDR noch etwa 800 Ki­ nos mit abnehmender Tendenz. Dazu kamen die Spielstätten in anderen Objekten, temporäre Sommer- und Zeltkinos sowie etwa 100 Freilichtbüh­ nen. Gemessen am Neubaugeschehen und Ansichtskartenaufkommen zu Kinos, z. B. in der Sowjetunion, blieb die DDR gefühlt durchweg in einer hinteren Reihe. Jedoch sind Vergleiche mangels eindeutiger Daten kaum möglich, da es trotz Druckgenehmigungsverfahren weder ein Gesamtver­ zeichnis der Ansichtskartenproduktion der DDR noch öffentlich zugängli­ che Sammlungen gibt. Schwierig wird es auch bei Abbildungen von Kinos, die nicht in der Ansichtskartenlegende expliziert werden. So zeigt das nachfolgende Bei­ spiel ein herausragendes Exempel der frühen Kinoarchitektur der DDR, nämlich die 1958 eröffneten Stubnitz-Lichtspiele in Sassnitz auf Rügen (vgl. Abbildung 8). Die Legende des Heldge-Verlags vermerkt zu dieser Karte aus dem Jahr 1962 jedoch nur den Ort an sich. Dass ein Kino gezeigt wird, erkennt man erst beim direkten Blick auf die Karte und nicht etwa bei einem in die Bestandsliste.

Abbildung 8: Das Kino in Saßnitz ist ein zentraler Neubau des seit April 1957 mit dem Stadtrecht versehenen Ortes und repräsentierte nicht nur sich selbst, sondern auch den sozialistischen Aufbau. Auch wo Kinos in Kulturhäusern untergebracht oder mit diesen ver­ schmolzen wurden, werden sie auf Ansichtskarten motivisch mitgemeint, 70 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

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aber selten gesondert herausgehoben. Fasst man Kinophilokartie also wei­ ter, kann man nahezu jede Ansicht eines DDR-Kulturhauses in die Samm­ lung nehmen, da es so gut wie in allen Filmvorführmöglichkeiten gab. Bei der enger interpretierten Kinophilokartie dominieren die drei her­ ausstechenden Neubauten – Kino International Berlin, Kino Kosmos Ber­ lin, das Rundkino in Dresden – das Motivaufkommen. Von den späten Kinoneubauten wie dem Sojus in Berlin-Marzahn oder dem Prisma in Halle-Neustadt liegt bisher keine Karte vor. Die Wellblecharchitektur eines Strandkinos am Zeltplatz dagegen würdigte man wiederum doch einige Male, wie das Beispiel einer Mehrbildkarte aus dem Jahr 1985 zum Frei­ zeitangebot von Kleinsaubernitz zeigt (vgl. Abbildung 9).

Abbildung 9: Auf der Mehrbildkarte aus Kleinsaubernitz sind ein Strandkiosk, eine Konsum-Gaststätte, der Oblasee und ein Strandkino verewigt. Wo also Kinos als spezifische Motive auftauchen, dann nahezu durchweg aus zwei Gründen: Entweder, weil sie dem Empfinden der Ansichtskarten­ fotografinnen und -fotografen nach zu den sehens- und zeigenswerten Gebäuden eines Ortes gehörten. Oder zweitens, weil sie Teil des Bildpro­ gramms waren, mit dem sie, den Vorgaben für die Ansichtskartenproduk­ tion in der DDR entsprechend, den erfolgreichen Aufbau des Sozialismus verkörperten. Meist ergänzen sich beide Gründe, wobei die Gebäude der 71 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

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ein wenig in Ungnade gefallenen Phase der Nationalen Tradition, wie bei­ spielsweise das Filmtheater in Prenzlau, auch im Ansichtskartenaufkommen über die Zeit nach und nach in den Hintergrund zu rücken scheinen. Ab den 1960er-Jahren schienen für den zweiten Grund tatsächlich fast ausschließlich die drei sogenannten ostmodernen Prestigekinos in Frage zu kommen. Wie häufig kleinere Lichtspielhäuser und Bestandskinos auf­ tauchten, scheint auch davon abhängig zu sein, ob es im jeweiligen Ort Motivkonkurrenzen gab. In kleineren Städten wie Eisenberg war dies of­ fenbar nicht der Fall. Dort oder auch bei dem in Königs-Wusterhausen befindlichen Kino Capitol fanden sich regelmäßige Neuabbildungen bis in die 1980er-Jahre. Erster Exkurs: Das Kino in Stalinstadt Ein Beispiel für einen der erwähnten Theater-Kino-Hybriden ist das Fried­ rich-Wolf-Theater in Stalinstadt (vgl. Abbildungen 10 und 11), das heuti­ ge Eisenhüttenstadt. Die neu geplante Wohnstadt für die Arbeiterinnen und Arbeiter des Stahlwerks bei Fürstenberg an der Oder sollte mehrere Kinos erhalten, wobei es in Fürstenberg (Oder) bereits einige kleinere Lichtspielstätten gab. Diese konnten aber für die „erste sozialistische Stadt Deutschlands“, so das Planstadtmotto, nur eine temporäre Lösung darstel­ len. Daher wurde mit Nachdruck als erstes Gebäude an der sogenannten Magistrale, also der das Zentrum markierenden Leninallee, ein Neubau im Stil der Nationalen Tradition errichtet, der Kino und Theater vereint. Die Rolle als Theater war ursprünglich nur provisorisch gedacht, bis das eigentliche Kulturhaus der Stadt errichtet sein würde.49 Wie vieles in der DDR, wurde dieses trotz mehrerer Wettbewerbe nie realisiert. Auch die geplante Kunst am Bau – sowohl an der Fassade wie auch in Form von Skulpturen ähnlich der Anordnung der Plastiken vor der Deutschen Sport­ halle in der Stalinallee – blieb ein Desiderat. Realisiert wurde allerdings später die geplante und durchaus gelunge­ ne Einfassung des Gebäudes in die, nun einem anderen Stil folgend, Ein­ zel-, Fachhandels- und Dienstleistungsarchitektur der Magistrale. Das auch hinsichtlich der Materialien sehr edel ausgestattete Interieur des Theaters blieb weitgehend unangetastet und lässt sich in großen Teilen auch heute noch erleben.

49 Klein, Hans: Das Kino in Stalinstadt, in: Deutsche Architektur (7), Berlin 1955, S. 307–309.

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Kinoarchitektur im Spiegel der DDR-Philokartie

Abbildung 10 und 11: Das Friedrich-Wolf-Theater in Stalinstadt vereinte die Funktionen von Theater und Kino. Es ist ein typisches Beispiel für zahlreiche Mehrzweckbauten der 1950er-Jahre.

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Kinos auf Mehrbildkarten Mehrbildkarten führen unterschiedliche Perspektiven eines Ortes oder auch eines Objektes auf einer Ansichtskarte zusammen. Zu Kinos findet man erstaunlich wenige Ausgaben, wie beispielsweise das Exemplar aus Kleinsaubernitz. In einigen Fällen wurden Aufnahmen sowohl für Einzel­ motivkarten als auch Mehrbildkarten verarbeitet. Eine Besonderheit stellt die Quartett-Ansicht auf einer Karte des Kino-Cafés der Filmbühne Mei­ ßen (vgl. Abbildung 12) dar. So sind Innenraumaufnahmen von Kinos durchaus selten. Hier blicken wir buchstäblich in den räumlichen Aus­ druck einer Kino-Alltagskultur, was sich besonders durch die freihändige Plakatierung übersetzt. Außerdem stammt die Karte von einem dieser klei­ nen, selbstständigen Ansichtskartenverlage, nämlich von Brück & Sohn in Meißen, die es in den 1950er-Jahren noch häufig gab. Mit der Zeit ver­ schwanden diese privaten Kleinverlage aber immer mehr oder wurden von Bild und Heimat oder dem Planet-Verlag übernommen. Um 1976, dem Jahr, in dem diese Karte erschien, hatte Bild und Heimat eine Dominanz auf dem Ansichtskartenmarkt der DDR, insbesondere bei ortsbezogenen Karten. Der 1793 gegründete Kunstverlag Brück & Sohn hielt aber trotz­ dem durch und stellte seinen Betrieb erst 2019 ein. Ein Grund für das Überleben regional spezialisierter Verlage und Foto­ grafen war möglicherweise, dass Bild und Heimat zwar versuchte, überall Motive einzusammeln, aber selbst in der überschaubaren DDR an seine Leistungsgrenzen kam. Häufig kooperierte man dort, wo die festangestell­ ten Fotografinnen und Fotografen nicht hinterherkamen, mit externen Fachkräften. Um jedoch für die mehr als 7.500 Gemeinden des Landes halbwegs aktuelle Ansichtskarten vorzuhalten, benötigte man offenbar hier und da zusätzlich noch andere Kartenproduzentinnen und -produzen­ ten und ließ sie dankbar gewähren.

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Kinoarchitektur im Spiegel der DDR-Philokartie

Abbildung 12: Innenaufnahmen, wie auf dieser Mehrbildkarte des Kino-Cafés in Meißen, sind selten zu finden. Ein weiteres erstaunliches Exemplar ist eine Berliner Fünf-Kino-Karte aus dem Jahr 1964 (vgl. Abbildung 13), das als Zenit der architektonischen Kinokultur gelten kann, da in diesem Jahr der bekannteste Kinobau der DDR, das Kino International, fertiggestellt wurde. So zeitnah, wie es nur ging, stieg es sofort in die Liste der „schönsten Berliner Filmtheater“ auf, wobei man genauer von Ostberliner Filmtheatern sprechen sollte. Denn bereits einige Jahr zuvor hatte zum Beispiel Paul Schwebes Zoo-Palast neue kinoarchitektonische Maßstäbe gesetzt, die den Ostberliner Stadtent­ wicklerinnen und -entwicklern und dem Architekten Josef Kaiser einen zusätzlichen Motivationsschub im Wettstreit der Systeme gaben.

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Abbildung 13: „Die schönsten Berliner Filmtheater“ titelt eine bekannte Ansichtskarte Ostberlins. Zu sehen sind die Kinos Kosmos, International, Colosseum, Lunik und Gerard Philipe. Josef Kaiser hatte zunächst in Berlin-Pankow mit dem ebenfalls auf der Karte zu sehenden Lunik die architektonische Kinomoderne eingeleitet und darüber hinaus gezeigt, dass er sich auch auf den Entwurf von Film­ theatern versteht. Das Haus hatten sich die Menschen von Wilhelmsruh in gewisser Weise 1957 ertrotzt und dank der Einbindung des Kinos als Na­ tionales Aufbauwerk-Projekt (NAW-Projekt) bis zur Eröffnung im August 1961 auch ‚erschaufelt‘. Diese arbeiterschaftliche Verbindung prägte auch die Auswahl des Eröffnungsfilms, Der Fall Gleiwitz, da, so die ideologische Deutung des Kommentars der Berliner Zeitung wenige Tage nach dem Mauerbau, die „Arbeiterkampfgruppen des VEB Bergmann-Borsig durch ihren kraftvollen Einsatz einen ‚Fall Berlin‘ [verhinderten], den unverbes­ serliche Militaristen, die in Westberlin ihr Domizil haben, vorbereitet hat­ ten.“50 Architekturgeschichtlich interessant ist dabei, dass man zu diesem Zeitpunkt darauf hinarbeitete, auch Kino-Bauten zu typisieren und mit dem Lunik einen Prototypen zu entwickeln. Es blieb jedoch das einzige

50 O. A.: „Lunik“ gestartet, in: Berliner Zeitung, 26.8.1961, S. 8.

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seiner Art und noch vor der Fertigstellung des Luniks war Josef Kaiser zum singulären Kosmos weitergezogen. Unter einem aus anderen Gründen traurigen Stern stand der Neubau des Gerard Philipe, das am anderen Ende Ostberlins, nämlich in Treptow, eine Bedarfslücke schloss. Es würdigte im Namen etwas ungewöhnlich einen französischen Schauspieler, dessen einzige Regiearbeit eine für die DEFA war, was die Würdigung ebenso erklären dürfte wie dessen früher Tod im November 1959. Das Haus war in dem kurzen Zeitfenster bis zur Eröffnung von Kosmos und International ein Glanzstück der Ostberliner Kinobaukultur – mit dem Anspruch auf die Rolle als kulturelles Zentrum im Bezirk mit 500 Plätzen und einer hochwertigen Mahagoni-Täfelung des VEB Hellerau. Hier wirkt noch der Chic der frühen Kulturhäuser nach. Der Eröffnungsfilm zeigte am 17. Dezember 1960 Gérard Philipe als Ame­ deo Modigliani in Jaques Beckers Montparnasse 19.51 Zweiter Exkurs: Kosmos, International, Rundkino Unter den Kinoneubauten in der DDR stechen zwei Gebäude philokar­ tistisch hervor: Das Rundkino in der Prager Straße in Dresden und das Kino International an der Karl-Marx-Allee in Berlin. Beide gelten als Iko­ nen der sogenannten Ostmoderne, die von den frühen 1960er- bis etwa Mitte der 1970er‑Jahre einige herausragende städtebauliche und architek­ tonische Lösungen und Sonderbauten hervorbrachte, mit denen die DDR internationalen Architekturtrends der Zeit eine sozialistische Form zu ge­ ben versuchte und teils auch vermochte. Beide Gebäude sind architektur­ sprachlich sehr differenziert und ausdrucksstark, was ihnen eine natürliche Fotogenität verleiht, die Fotografinnen und Fotografen bis heute schätzen. Zu beiden Karten gibt es vielfache Motivvariationen, die erstaunlich oft ähnlichen Inszenierungsmustern folgen. Mit Abstrichen lässt sich noch das Kino Kosmos in die Reihe der philokartistisch prägnanten Kinobauten der DDR aufnehmen. Es wird jedoch von dem zwei Kilometer entfernten Kino International in den Schatten gestellt. Möglicherweise handelt es sich beim International sogar um das am meisten auf Ansichtskarten abgebilde­ te Kino Deutschlands.

51 [Fr]: Weihnachtsgeschenk für die Treptower Bürger. Modernes Filmtheater „Gér­ ard Philipe“ wurde am Sonnabend eröffnet, in: Neue Zeit, 20.12.1960, S. 8

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Das Kino Kosmos in Berlin Mit dem Filmtheater Kosmos entstand Anfang der 1960er-Jahre das größte Kino der DDR. Geplant wurde es mit dem Arbeitstitel Kino 1000, wobei die Zahl die Anzahl der Sitzplätze benennt. Als Uraufführungskino sollte es nicht zuletzt dem 1957 eröffneten Zoo-Palast im Westteil der Stadt Paroli bieten – eine Rolle, die später ähnlich vom International übernom­ men wurde. Verkehrstechnisch vorteilhafter sollte sich für das Internatio­ nal der nahezu direkte U-Bahn-Anschluss erweisen. Das Kosmos liegt zwar an derselben Linie, allerdings zwischen zwei Stationen. Dafür illustriert es allein mit seiner Präsenz zwischen den im Stil der Nationalen Tradition errichteten Blöcken E und F der Stalinallee deutlich die Verschiebung der ästhetischen Anforderungen in der Baupolitik der DDR. Das Kosmos war auch in der Innenarchitektur und der technischen Ausstattung sehr luxuriös.52 Am 5.10.1962 wurde es, den Nationalfeiertag der DDR knapp vorgreifend, mit der DDR-Premiere des tschechoslowakischen Exotikdra­ mas Totentanz im Pazifik von Jirí Sequens eingeweiht.53 Erwartungsgemäß diente der außergewöhnliche Saal nicht nur für Kino-, sondern auch für Kongress- und Kulturveranstaltungen. Das Kino International Das Kino International ist bis in die Gegenwart der bedeutendste Kinoneu­ bau der DDR. Dass er noch bekannter als das Dresdner Rundkino ist, hängt vermutlich auch mit seiner Rolle als Zentralbau an der zentralen Magistrale der Hauptstadt zusammen. Entworfen wurde es ebenfalls von Josef Kaiser, der die ab 1959 umgesetzte Verlängerung der ehemaligen Stalinallee zum Alexanderplatz und die umliegenden Wohngebiete weit­ gehend planerisch verantwortete. Die Ausführung des Gebäudes lag bei Heinz Aust. Auf die Details zur Entstehungsgeschichte muss an dieser Stel­ le nicht eingegangen werden. Dietrich Worbs hat sie in seiner Monografie zum Gebäude ausführlich gewürdigt.54 Die Frequenz, mit der das Interna­ tional fotografiert wurde, liegt natürlich nicht zuletzt an der prominenten

52 [S. O.]: Zu Gast im „Kosmos“. Modernstes Filmtheater der DDR in Berlin. Eröffnung am Geburtstag unserer Republik, in: Neues Deutschland, 23.9.1962, S. 8. 53 [ADN]: Berlin erhielt schönstes Uraufführungskino, in: Neues Deutschland, 6.10.1962, S. 1. 54 Vgl. hierzu Worbs: Das Kino International.

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städtebaulichen Positionierung. Nahezu keine Perspektivaufnahme dieses Teils der Karl-Marx-Allee und auch kaum eine Außenaufnahme des Inter­ hotel Berolina kam am Kino vorbei. Dazu kommt die eigene Fotogenität des Baukörpers mit dem buchstäblich herausragenden bzw. fachsprachlich auskragenden Foyer sowie den eindrucksvollen Betonreliefs nach Entwür­ fen von Waldemar Grzimek (Umsetzung: Karl-Heinz Schamal und Hubert Schiefelbein), die motivisch nahtlos an der Aufgabe der angestrebten Syn­ these von Architektur und bildender Kunst anschließen und stilisiert The­ men der sozialistischen Lebenswelt zwischen Arbeit, Bildung, Freizeit und Romantik abbilden. Am Beispiel des Internationals lässt sich auch die Frage diskutieren, ob es eine eigene fotografische Ästhetik der Ansichtskartenfotografie der DDR gab. Die Antwort ist eine differenzierte. Auf der einen Seite gab es eine Handvoll Stammfotografen (fast ausschließlich Männer), die die Bildproduktion dominierten und so auch die Ästhetik prägten. Sie wirkten entweder DDR-weit, wie etwa Heribert Darr, Werner Hoffmann, Erich Kühn, Paul Mehlig und Rainer Schlegel oder regional spezialisiert, wie Otto Biscan, Gernot Lehmann und Rudi Stöhr. Immer bemüht, halbwegs im Rahmen der Leitlinien und weitgehend objektiv zu fotografieren, ent­ wickelten sich bildsprachliche Formen überschaubarer Breite, die aber im Detail bisweilen schöne individuelle Varianzen aufweisen. So sind ins­ besondere die Aufnahmen Otto Biscans erstaunlich prononciert. Anderer­ seits bewegte man sich in den 1950er- und 1960er-Jahren in einer Linie mit internationalen Ansichtskartenkonventionen, die sich kaum zwischen Ost und West unterschieden. Beispielsweise ist bei den Echtfoto-Postkarten polnischer Herkunft aus dieser Zeit mitunter, auch aufgrund städtebauli­ cher Ähnlichkeiten, nur bedingt auf den ersten Blick eine Differenz zu denen der DDR festzustellen, wie hier exemplarisch am nahezu zeitgleich zum Kino International entstandenen Kino Kosmos in Katowice illustriert werden kann. Sowohl das Objekt selbst als auch seine Inszenierung und sogar die Bezeichnung verdeutlichen die internationale Anschlussfähigkeit der Architektur und der Ansichtskartenfotografie der Ostmoderne (vgl. Abbildungen 14 und 15).

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Abbildungen 14 und 15: Formale Ähnlichkeiten der Kinos International in Ber­ lin und des Kosmos im polnischen Katowice illustrieren die Anschlussfähigkeit der sogenannten Ostmoderne an internationale Architekturstile dieser Zeit. Und auch die Ansichtskartenfotografie wirkt im Stil durchaus ähnlich. 80 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

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Ähnlichkeiten, insbesondere zur westlichen Ansichtskartenfotografie, lösten sich ab den 1970er‑Jahren auf, weil sich die entsprechende DDR-Fotografie weitgehend treu blieb, westliche Ansichtskarten aber zunehmend die doku­ mentarische Rolle verloren und sich auf touristische Zwecke konzentrierten, was zur Dominanz von Farbe und teils sehr grellen Inszenierungen führte. Das Rundkino in Dresden Das zum 7. Oktober 1972 eröffnete Dresdner Bezirkspremierenkino in der Prager Straße markiert gewissermaßen den Höhe- und Endpunkt der kur­ zen kinoarchitektonischen Avantgarde der DDR. Fast wirkt es, als hätten die entwerfenden Architekten Manfred Fasold und Winfried Sziegoleit Jo­ sef Kaisers zylindrischen Hauptsaal aus dem Kosmos freistellen und mit einer avantgardistischen Fassade versehen wollen. Entgegen allen Typisie­ rungstrends wurde es für den exponierten Standort als Gesamtkunstwerk und vorläufige Abschlussmarkierung des städtebaulichen Ensembles der Prager Straße entworfen und auch realisiert. Formal bricht es weitgehend und gewollt mit der vorhergehenden Bebauung der berühmtesten Fußgän­ gerzone der DDR. In seiner Radikalität korrespondierte es in gewisser Wei­ se noch mit der Strukturfassade des Centrum-Warenhauses, blieb aber ei­ gentlich eine solitäre Marke, vielleicht ähnlich dem Zylinder des Panora­ ma-Museums in Bad Frankenhausen. Für einen eindrucksvollen Eigenna­ men wurde es vermutlich zu spät fertiggestellt. Daher gibt es zwei Bezeich­ nungen: Filmtheater Prager Straße oder schlicht Rundkino. Das auch bautechnisch sehr anspruchsvolle Haus bekam zwei Säle: einen für den Massenbesuch konzipierten Saal mit 1.032 Plätzen sowie ein kleine­ res Filmkunsttheater mit 132 Plätzen. Der Einbau von zwei Kabinen für Simultanübersetzungen machte dieses auch zum Kongresszentrum, war aber eigentlich für die Simultanübersetzung von internationalen Filmen ange­ dacht und sollte die DDR entsprechend auf die globale Kinolandkarte setzen. Für die Vertäfelung der Säle wurde auf naheliegende Werkstätten in Heller­ au zurückgegriffen. Für die Menschen in Dresden bedeutete die vergleichs­ weise sehr späte Aktualisierung ihrer cinephilen Möglichkeiten einen erheb­ lichen Fortschritt. Das Rundkino in der Prager Straße war der einzige Neubau unter den zum Eröffnungszeitpunkt vorhandenen 15 Kinos der Stadt. Aus Sicht der Kinophilokartie ist das Filmtheater in der Prager Straße leider gerade angesichts der spektakulären Architektur überraschend flach. Man findet es entweder als Beiwerk von Durch- und Überblicksperspektiven zum Gesamtensemble, oder es zeigt sich bevorzugt über die Wasserfläche hinweg inszeniert mit mehr oder weniger belebtem Stadtraum. 81 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

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Abbildungen 16 und 17: Das am Dresdner Rundkino zum Aufnahmezeitpunkt noch sichtbare Baugeschehen sollte nicht auf dem Kartenmotiv zu sehen sein. Auf der Rückseite der Ansichtskarte findet sich daher eine Anweisung zur Retusche. 82 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

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Eine Vorlagefotografie für eine Ansichtskarte des Hauses ermöglicht uns noch einmal den Blick in den Maschinenraum der Ansichtskartenproduk­ tion der DDR. Werner Hoffmann fotografierte das Objekt 1972 offenbar noch vor der Fertigstellung aus der üblichen Über-Wasser-Perspektive (vgl. Abbildung 16), hier mit sprudelnden Fontänen. Passantinnen und Passanten beleben das Bild. Auch die Spiegelung des Hauses im Wasser ist angedeutet. Damit die für den Auslese-Bild-Verlag geplante Karte aber keine Baustellendokumentation würde, sollten, wie per Schreibmaschine vermerkt ist, sämtliche Spuren des Baugeschehens per Retusche getilgt werden (vgl. Abbildung 17). Abgesehen davon ist das Foto bereits weitge­ hend zur Karte entwickelt, denn es liegen schon ein Vorschlag für die mehrsprachige Bildlegende sowie eine Auflagenplanung vor. Das Gerüst und die Fensterbeklebungen waren in der ausgegebenen Variante tatsäch­ lich verschwunden. Der Bauzaun blieb dagegen aus unbekannten Grün­ den erhalten. Vorhang 1989 Am 5. Juni 1988 kam Claude Zidis Erfolgsfilm Les ripoux unter dem deut­ schen Verleihtitel Die Bestechlichen in die Kinos der DDR. Die Menschen sahen Philippe Noiret und Thierry Lhermitte als sich durchwurstelnde Po­ lizisten und zugleich ein wenig von der Stadt Paris. Er war also sehr an­ schlussfähig an die schon mit Gerard Philipe vorhandene cineastische Frankophilie des Landes. Als reales Land blieb Frankreich für die meisten Menschen der DDR dennoch unerreichbar, wie auch andere Schauplätze der westlichen Erfolgsfilme, die zunehmend in den Kinos der DDR lie­ fen.55 Sozialistische Fabeln aus den Bruderländern fanden sich dagegen kaum noch. Spätestens ab 1973, also den Honecker-Jahren, wies die Ein­ kaufspolitik des Filmimports in Richtung eines, wie es hieß, ‚qualitätsvol­ len‘ Unterhaltungsprogramms, wozu irgendwann auch Asterix erobert Rom, Die BMX-Bande oder Beverly Hills Cop zählten. Antifaschistische Geschich­ ten wurde weiterhin erzählt, aber auch in entsprechend elaborierteren und differenzierten Formen. Der sozialistische Gegenwartsfilm konnte sich zu­ nehmend freischwimmen, konkurrierte aber zunehmend mit dem Hunger nach Welt. Gerade die doppelte Mediennutzung in der DDR, die über Ra­ dio, Fernsehen und zuweilen auch per Zeitschrift den westdeutschen Un­ terhaltungszeitgeist in die ostdeutschen Haushalte transportierte, setzte 55 Siehe hierzu auch den Beitrag von Joseph Garncarz in diesem Band.

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auch den Progress-Filmvertrieb unter Druck. Die sich unter Gorbatschow vollziehenden Entwicklungen in der Sowjetunion der 1980er‑Jahre führ­ ten parallel dazu, dass das Interesse an sowjetischen Filmen wieder zu­ nahm, die Importtätigkeit jedoch eingeschränkt wurde, was 1988 im Ver­ bot einiger Spielfilme aus dem immerhin Noch-Bruderland gipfelte. Apoli­ tische Polizeikomödien westlicher Studios kamen der unschlüssigen Film­ politik der DDR deutlicher gelegener als filmische Auseinandersetzungen mit den Verfehlungen des Stalinismus.

Abbildung 18: Das Kino „Toni“ in Berlin-Weißensee wird auf dieser Ansichts­ karte aus dem Jahr 1990 mit Rosenbeeten inszeniert. In einem späten Sommer der DDR begab sich ein Fotograf namens Dombrowski im Auftrag von Bild und Heimat nach Berlin-Weißensee, um das Milchhäuschen, das Kulturhaus Peter Edel und den Antonplatz mit der schönen Giebelbemalung auf der einen Seite der Klement-Gott­ wald-Allee und dem Kino Toni auf der anderen für eine Aktualisierung des Kartenprogramms für Berlin-Weißensee zu fotografieren. Die Aufnah­ men waren solide Ansichtskartenfotografien und wurden 1989 und 1990 jeweils als Mehrbildkarte und teils auch einzeln aufgelegt. Die gezeigte Karte präsentiert das Kino Toni am Verkehrsknoten des Stadtteils mit Ta­ tra-Tram, Trabant und roten Rosen unter blauem Himmel. DDR-typisch 84 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

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war es ein Stadtraum mit Lücken und Durchblicken, darin das Kino als Solitärbau und Platzabschluss, fast schon ein wenig kleinstädtisch (vgl. Abbildung 18). Im Februar 1989 war es Uraufführungsort von Helke Misselwitz’ Winter adé. Die Karte und der Film sind beides Grüße aus einem verschwindenden Land. Noch während die Ansichtskarte in zweiter Auflage ausgeliefert wurde, wurde das Fotogeschäft an der Ecke in Wegert umbenannt und die Zweigstelle des Delikat geschlossen. Am Vorabend der Währungsunion verhandelt der Ostberliner Oberbürgermeister Tino Schwierzina im Kino Toni vor den Kameras des ZDF das Gehaltsgefälle zwischen den Müllfahrern West und den Müllfahrern Ost, die deshalb gerade streiken. Die Berliner Zeitung meldet die anstehende Kündigung von 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und 400 Musikerinnen und Musikern beim DDR-Rundfunk. Bald werden Kopienbestände der Bezirks­ filmdirektionen der DDR auf Müllkippen entsorgt.56 Das Lunik wird Woody Allens Hannah und ihre Schwestern zeigen, für das Kino Toni ist für die kommenden Tage Robert Redfords Milagro – Der Krieg im Bohnenfeld im Programm, im jungen Marzahner Sojus wird Corodile Dundee II laufen und im Kino International läuft der bekannteste Abschiedsfilm der DEFA: Die Architekten.

56 Agde, Günter: DEFA ade? Von wegen … Von den Verboten des Kahlschlag-Ple­ nums zur Ignoranz der Nachwende-Zeit, in: Neues Deutschland, 16.7.2019, online abrufbar: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1122874.ddr-kino-defa-ade-von-wegen .html (Zugriff 1.1.2022).

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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Eisenberg i. Thür. HO-Gaststätte „Karl-Marx-Haus“, Fotografischer Verlag R. Kallmer, Zwickau i. Sa., 1960. Abbildung 2: Frankfurt Oder. „Filmtheater der Jugend“, Linolschnitt von Herbert Mlynarczyk, Frankfurt Oder, 1955. Abbildung 3: Messestadt Leipzig. Messehaus, Petershof Blitz-Verlag, Leipzig C1, Foto: Rolf Lotze, Leipzig, 1956. Abbildung 4: Berlin. Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik. Volks­ bühne, VEB Bild und Heimat Reichenbach i.V., Foto: Heribert Darr, 1964. Abbildung 5 und 6: Dresden. Brunnen am Kulturpalast, Auslese-Bild-Verlag Bad Salzung, Foto: Werner Hoffmann, 1972. (Vorder- und Rückseite) Abbildung 7: Neubrandenburg, Karl-Marx-Platz Kulturhaus „Haus der Kultur und Bildung“, Gebr. Garloff KG Magdeburg (N 1/67 IV-14–45 Z 4155), 1967. Abbildung 8: Saßnitz (Rügen), Heldge-Verlag KG Köthen/Anhalt (IV-14–45 P 1/62 J 206), 1962. Abbildung 9: Kleinsaubernitz, Kreis Bautzen. Zubornička, Budyšin wokrjes. VEB Bild und Heimat Reichenbach i.V., Foto: Mohr, Berlin, 1985. Abbildung 10: Stalinstadt, die erste sozialistische Stadt Deutschlands. Wolftheater, Graphokopie: H. Sander KG, Berlin N 113(B 8/60 Best.-Nr. B 599), 1960. Abbildung 11: Stalinstadt, die erste sozialistische Stadt Deutschlands. Wolftheater, VEB Volkskunstverlag Reichenbach i.V., Foto: Fricke, 1957. Abbildung 12: Meißen, Kino-Café in der Filmbühne, Brück & Sohn Meißen (III/18/197 J 04/76 30065), 1976. Abbildung 13: Die schönsten Berliner Filmtheater. „Kosmos“. „International“. „Colosseum“. „Lunik“. „Gerard Philipe“. Berlin, Hauptstadt der DDR, Grapho­ kopie: H. Sander K.G Berlin, N 113, 1964. Abbildung 14: Berlin. Kino „International“, PGH FILM UND BILD, Berlin-Fried­ richshagen, 1964. Abbildung 15: KATOWICE. Kino „Kosmos“ [Stanisław Kwaśniewicz, 19591965]. BIURO WYDAWNICZE „RUCH“, fot. K[rzysztof] Jabłoński, 1966. Abbildung 16 und 17: Dresden. Brunnen am Kulturpalast, Auslese-Bild-Verlag Bad Salzung, Foto: Werner Hoffmann, 1972. (Vorder- und Rückseite). Abbildung 18: Berlin-Weißensee. Antonplatz, unter Mitarbeit von Dombrowsky (Berlin), VEB Bild und Heimat Reichenbach i.V., (III/26/13 01 15 0989/18 321290/90), 1990.

Quellenverzeichnis Achtelstetter, [F.]: Rechtzeitig Bildpostkarten liefern, in: Berliner Zeitung, 4.4.1951, S. 2.

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Kinoarchitektur im Spiegel der DDR-Philokartie [ADN]: Berlin erhielt schönstes Uraufführungskino, in: Neues Deutschland, 6.10.1962, S. 1. [E. R.]: Neue Lichtspielhäuser im Bau, in: Neues Deutschland, 1.12.1956, S. 4. [Erck/F.]: Die antifaschistische Einheit. Das Unterpfand der Neugeburt des deut­ schen Volkes!, in: Berliner Zeitung, 21.5.1945, S. 1 f. [Fr]: Film-Pläne. Gespräch mit Heinz Rühmann, in: Berliner Zeitung, 23.5.1945, S. 4. [Fr]: Weihnachtsgeschenk für die Treptower Bürger. Modernes Filmtheater „Gér­ ard Philipe“ wurde am Sonnabend eröffnet, in: Neue Zeit, 20.12.1960, S. 8. Generich, Elsbeth: Ansichtskarten dringend gesucht, in: Berliner Zeitung, 24.6.1954, S. 6. Hartwig, Max: Das neue Deutschland, in: Neue Zeit, 7.10.1956, S. 5. Knop, Rosemarie: Erlebnisse einer Messebummlerin. Zehn Stunden „Drum und dran“ in Leipzig, in: Neues Deutschland, 10.3.1950, S. 3. [M. J.]: Sechsmal sieben auf einen Streich. Ansichtskarten kommen wieder. Drei Millionen bis Ende September, in: Berliner Zeitung, 30.8.1952, S. 6. O. A.: 4850 Filmtheater werden gegenwärtig in Deutschland gezählt, in: Freiheit, 3.12.1948, S. 2. O. A.: Bitte Kinos renovieren, in: Berliner Zeitung, 3.9.1952, S. 4. O. A.: Bravo Alexanderstraße 53, in: Berliner Zeitung, 22.7.1951, S. 8. O. A.: Eisenberg baut ein Lichtspielhaus. In 50 Tagen muß es fertig sein, in: Volkswacht, 14.11.1952. O. A.: Haus der Kultur der Sowjetunion. Veranstaltungen vom 17.-23. Dezember, in: Neue Zeit, 16.12.1950, S. 4. O. A.: Kulturfunktionäre machen die Filmprogramme. Anmerkungen zur Kinosi­ tuation in der DDR. Besucherzahlen um fast 10 Prozent rückläufig, in: Nord­ west-Zeitung, 6.10.1973, S. 17. O. A.: „Lunik“ gestartet, in: Berliner Zeitung, 26.8.1961, S. 8. O. A.: o. T., in: Berliner Zeitung, 9.9.1945, S. 4. O. A.: Programmschema [Rundfunksender Berlin] für Dienstag 22.5.1945, in: Berli­ ner Zeitung, 21.5.1945, S. 4. O. A.: Sojusintorgkino-Vertretung in Deutschland, in: Berliner Zeitung, 13.7.1945, S. 4. O. A.: Wahre Kultur kann nur im Frieden gedeihen! Auszüge aus dem Programm der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten für den Frieden, in: Neues Deutschland, 5.8.1951, S. 5. [S. B.]: Wettbewerb der Filmtheater, in: Freiheit, 11.5.1950, S. 2. [S. O.]: Zu Gast im „Kosmos“. Modernstes Filmtheater der DDR in Berlin. Eröffnung am Geburtstag unserer Republik, in: Neues Deutschland, 23.9.1962, S. 8. Schirrmeister, Hermann: Wöchentlich ein neuer Film im Dorf, in: Neues Deutsch­ land, 14.6.1955, S. 4.

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Ben Kaden Thiel, Heinz: Wissenswertes rund um die Filmkunst der DDR, in: Freiheit 1954, S. 5.

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Ein Votum für Filme aus dem Westen Das Kino der DDR und sein Publikum, 1978–1987 Joseph Garncarz

Unser Verständnis vom Kino der DDR ist ganz überwiegend von den Filmen der DEFA geprägt.1 Tatsächlich war das Kino der DDR weit mehr. Der Anteil der in den Kinos der DDR gelaufenen Filme, die vom einzi­ gen Spielfilm-Studio des Landes, der DEFA, produziert wurden, ist mit rund elf Prozent der im Untersuchungszeitraum neu eingesetzten Filme überschaubar. Das Programm der Kinos wurde ganz klar – wie in der Bundesrepublik auch – von importierten Filmen bestimmt. Das Kino der DDR wurde staatsdirigistisch gelenkt und war planwirt­ schaftlich organisiert. In autokratischen Staaten wie der DDR, deren Re­ gierungen de facto nicht von den Bürgerinnen und Bürgern durch freie Wahlen ausgetauscht werden können, ist es aber durchaus nicht selbstver­ ständlich, dass Politiker das Kino allein nach ihren eigenen Wünschen gestalten können. Die Vorstellung von der besonderen Machtfülle des von einer einzigen Partei gelenkten Staates ist zwar grundsätzlich tragfähig, übersieht jedoch die Macht des Publikums, das sich nicht vorschreiben lässt, was es sehen will. Zuschauerinnen und Zuschauer haben ihren eige­ nen Kopf bei ihrer Wahl an der Kinokasse und damit mittelbar einen nachhaltigen Einfluss darauf, welche Filme angeboten, gezeigt und produ­ ziert werden. In diesem Beitrag frage ich nach der Wahl der ostdeutschen Zuschaue­ rinnen und Zuschauer, die sie mit dem Kauf ihrer Eintrittskarten an der Kinokasse getroffen haben. Für welche Filme haben sie sich entschieden und warum gerade für diese Filme? Da sich Zuschauerinnen und Zuschau­

1 Ich verdanke wertvolle Informationen und Dokumente zu diesem Kapitel Mitar­ beiterinnen und Mitarbeitern der DDR-Kinos, der einschlägigen Archive und Stif­ tungen sowie Kolleginnen und Kollegen. Mein besonderer Dank gilt an dieser Stel­ le vor allem Dieter Wiedemann (vormals Leiter der Filmforschung am Zentralin­ stitut für Jugendforschung in Leipzig), Heinrich („Heinz“) Kumfert (langjähriger Filmtheaterleiter im Bezirk Karl-Marx-Stadt) und Barbara Barlet (DEFA-Stiftung, Berlin). Peter Krämer hat meine Arbeit mit kritischen Kommentaren begleitet, die mir geholfen haben, den vorliegenden Text zu verbessern.

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Joseph Garncarz

er in aller Regel für Filme entscheiden, von denen sie sich das größte Vergnügen oder, anders formuliert, die beste Unterhaltung versprechen, können wir auf der Basis der Zahl der verkauften Eintrittskarten Aussagen über die Präferenzen der Zuschauerinnen und Zuschauer machen. Kino­ besucherinnen und Kinobesucher können zwar kaum den Film wählen, den sie am meisten mögen, da sie das komplette Angebot nicht kennen — sie wählen aber sehr wohl in aller Regel den Film, von dem sie am meisten erwarten. Um die Rolle des Kinopublikums angemessen untersuchen zu können, brauchen wir eine belastbare empirische Basis. Eine sehr hilfreiche Quelle, um Aussagen über das Wahlverhalten der Zuschauerinnen und Zuschauer an der Kinokasse und ihre Präferenzen zu machen, sind Listen, die die gezeigten Filme entsprechend der Zahl der verkauften Eintrittskarten hier­ archisieren, also den Erfolg der Filme relativ zueinander abbilden. Solche Listen wurden in der DDR grundsätzlich nicht veröffentlicht. Die Jahre 1978 bis 1987 sind diesbezüglich jedoch ein Glücksfall für die Forschung. Für diesen Zeitraum sind nämlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit verwahrte Jahreslisten mit den 15 Filmen überliefert, für die ost­ deutsche Zuschauerinnen und Zuschauer die meisten Eintrittskarten ge­ kauft haben. Sie werden hier im Anhang erstmals korrekt veröffentlicht.2 Diese Listen hat Dieter Wiedemann archiviert, der sie zeitgenössisch als Mitarbeiter bzw. Leiter der Filmforschung am Zentralinstitut für Jugend­ forschung vom Progress-Verleih bekommen hat.3 Für alle anderen Jahre des Zeitraums, in dem die DDR existiert hat, kennen wir zurzeit so gut wie ausschließlich Zuschauerzahlen für DEFA-Produktionen, aber kaum für importierte Filme, die den Löwenanteil des Filmangebots ausgemacht haben.4 Um das Wahlverhalten der ostdeutschen Zuschauerinnen und Zuschau­ er an der Kinokasse und ihre Präferenzen beurteilen zu können, brauchen wir für den Untersuchungszeitraum zudem Informationen über die in

2 Der Abdruck folgt Walk, Ines: DEFA in Zahlen. Zusammengestellt im Auftrag des Filmmuseums Potsdam mit Unterstützung der DEFA-Stiftung. Archiv der DEFA-Stif­ tung, o. J. [2004]. Die Veröffentlichung der Listen bei Elizabeth Prommer (Kinobe­ such im Lebenslauf: Eine historische und medienbiographische Studie, Konstanz 1999) ist lücken- und fehlerhaft (reproduziert sind nur die Top 10, die platzierten DEFAFilme weisen zudem nicht die korrekten Daten für das jeweilige Kalenderjahr auf, sondern die für die Zeit von einem Jahr nach der Premiere der jeweiligen Filme). 3 Mail von Dieter Wiedemann an den Autor vom 9.9.2021; Bisky, Lothar/Wiede­ mann, Dieter: Der Spielfilm. Rezeption und Wirkung, Berlin 1983, S. 90. 4 Walk: DEFA in Zahlen.

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Ein Votum für Filme aus dem Westen

den Kinos der DDR angebotenen Filme. Diese sind in den Filmobibliografischen Jahresberichten zu finden, die für die Jahre 1965 bis 1990 vorliegen.5 Darüber hinaus sind Informationen hilfreich, die zeigen, wie die angebo­ tenen Filme laut den Vorstellungen der politischen Elite eingesetzt wer­ den sollten. Als Quelle steht hierfür die sogenannte Verleihkonzeption zur Verfügung, die jährlich vom einzigen Filmverleiher der DDR, Progress, herausgegeben wurde und als „Arbeitsmaterial für die Mitarbeiter des Lichtspielwesens der DDR“ gedacht war.6 Das Filmangebot der Kinos Alle Filme, die in den Kinos der DDR liefen, mussten von der Hauptver­ waltung Film zugelassen werden. Deren Chef war zugleich stellvertreten­ der Kulturminister, was nicht nur den Einfluss der Sozialistischen Einheits­ partei Deutschlands (SED) auf das Kino deutlich macht, sondern vor allem auch zeigt, welche herausragende Stellung die SED dem Medium Film zumaß. Alle Spielfilme wurden von der DEFA produziert und zusammen mit den aus anderen Ländern eingekauften Filmen vom Verleiher Progress vertrieben. Kopien eines Films waren ein knappes Gut, sodass die Aus­ wertungszeit vergleichsweise lang war. Von DEFA-Filmen wurden in den Jahren 1984 bis 1987 im Schnitt 23 Kopien gezogen.7 Progress legte die Zahl der Kopien fest, die dann an die 15 Bezirksfilmdirektionen gingen, von denen aus sie über die Kreisfilmstellen zu den Kinos kamen. Über den Einsatz der neu angelaufenen Filme in den Spielstellen entschieden die Be­ zirksfilmdirektionen; beim erneuten Einsatz der Filme, der aufgrund der Knappheit an Kopien für den Filmeinsatz von nicht zu unterschätzender Bedeutung war, hatten die Filmtheaterleiterinnen und -leiter ein Mitspra­ cherecht. Die Auswahl der Filme für die Kinos der DDR durch die Hauptverwal­ tung Film folgte einer dogmatischen Linie.8 So setzte die Filmpolitik der DDR grundsätzlich darauf, dass der Großteil der angebotenen Filme aus

5 Staatliches Filmarchiv der DDR/Hochschule für Film und Fernsehen der DDR (Hrsg.): Filmobibliografischer Jahresbericht, Berlin 1.1965 – 26.1990. 6 Progress Film-Verleih: Verleihkonzeption 1981–1987. Die Broschüren für die Jahre 1978 bis 1980 standen für diesen Beitrag nicht zur Verfügung. 7 O. A.: „Besucherzahlen der DEFA-Spielfilme 1.7.1984 bis 1989 (Stand per 18. Juli 1989)“, in: Film und Fernsehen, Heft 5, 1990, S. 6. 8 Stott, Rosemary: Crossing the Wall. The Western Feature Film Import in East Germany, Oxford u. a. 2012.

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Joseph Garncarz

sozialistischen Ländern kam. Der Angebotsanteil der in den Jahren 1978 bis 1987 in den Kinos neu eingesetzten Filme aus dem sozialistischen Machtbereich war mit gut 77 Prozent erdrückend; nur knapp 23 Prozent des Angebots kam damit aus der Produktion nicht-sozialistischer Länder. Wie aus Tabelle 1 zu ersehen ist, kam der größte Teil des Länderkon­ tingents mit knapp 26 Prozent aus der Sowjetunion, gefolgt von der Tschechoslowakei mit knapp zwölf und Polen mit knapp sechs Prozent. Dagegen kamen die Vereinigten Staaten von Amerika auf einen Angebots­ anteil von nur gut fünf Prozent und die beim ostdeutschen Publikum gefragtesten Filmländer Westeuropas, Frankreich und Italien, auf je nur rund vier Prozent. Herstellerland

Zahl der Filme

Prozentwert

UdSSR

370

25,5

Tschechoslowakei

167

11,5

DDR

164

11,3

Polen

86

5,9

USA

77

5,3

Ungarn

73

5,0

Jugoslawien

67

4,6

Rumänien

66

4,5

Frankreich

62

4,3

Italien

55

3,8

Bulgarien

54

3,7

Bundesrepublik

50

3,4

Kuba

23

1,6

Großbritannien

19

1,3

Japan

19

1,3

Korea

16

1,1

China

12

0,8

Kanada

9

0,6

Vietnam

9

0,6

Dänemark

8

0,6

Spanien

6

0,4

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Ein Votum für Filme aus dem Westen

Herstellerland

Zahl der Filme

Prozentwert

Australien

5

0,3

Mongolei

5

0,3

Österreich

5

0,3

Schweden

5

0,3

Mexiko

4

0,3

Schweiz

3

0,2

Griechenland

2

0,1

Indonesien

2

0,1

Tunesien

2

0,1

Albanien

1

0,1

Argentinien

1

0,1

Finnland

1

0,1

Indien

1

0,1

Neuseeland

1

0,1

Peru Summe

1

0,1

1451

100,0

Tabelle 1: Zahl der in den Jahren 1978 bis 1987 in den Kinos der DDR neu eingesetzten Filme nach Herstellerländern (nach der Zahl absteigend sortiert).9 In den von Progress herausgegebenen Verleihkonzeptionen wird mit Nachdruck betont, dass der Einsatz der Filme aus sozialistischer Produk­ tion, die rund Dreiviertel des Angebots ausmachten, absolute Priorität hat. So heißt es: „Die Direktive der Hauptverwaltung Film für die kultur­ politische Arbeit mit dem Film im Jahre 1981, dem ersten des neuen Planjahrfünfts, stellt den Mitarbeitern des Lichtspielwesens wiederum die Aufgabe, achtzig Millionen Besucher an unsere Filme heranzuführen.“10

9 Quelle der Daten: Filmobibliografische Jahresberichte, Jg. 1976–1987. 10 Progress Film-Verleih: Verleihkonzeption 1981, S. 2. Anders als in der Broschüre behauptet, gab es um 1980 nicht rund 80 Millionen Besucher, sondern Besuche pro Jahr. Da die DDR nur 16 Millionen Einwohner hatte und Jugendliche die do­ minante Gruppe des Kinopublikums waren, war die Zahl der Besucher deutlich geringer als die Bevölkerungszahl.

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Joseph Garncarz

Die erste Forderung gilt der besonderen Förderung der Spiel- und Doku­ mentarfilme der DEFA. „Eine weitere Forderung der Hauptverwaltung Film ist die Gewin­ nung des Hauptanteils der Gesamtbesucher 1981 für Filme aus sozia­ listischen Ländern. Durch eine herausragende, intensive und ideenrei­ che Arbeit sollen die kulturpolitisch besonders zu fördernden Filme erhöhte Beachtung finden.“11

Abbildung 1: Titelblatt der Verleihkonzeption 1986 des Progress Film-Verleihs (Sammlung Kumfert). 11 Ebd.

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Ein Votum für Filme aus dem Westen

Filme aus sozialistischen Ländern wurden derart bevorzugt, weil die poli­ tische Elite davon ausging, dass der Sozialismus die weit überlegene Ge­ sellschaftsform sei, die daher auch die attraktiveren Filme hervorbringen müsse. Dabei ist keineswegs nur an explizit sozialistische Filme zu denken, die Persönlichkeiten wie Ernst Thälmann porträtieren oder sozialistische Staaten als Bollwerke gegen Faschismus darstellen. Das überlegene Gesell­ schaftssystem sollte auch die besseren Unterhaltungsfilme hervorbringen, von denen allerdings erwartet wurde, dass sie einen politischen Subtext hatten, also etwa zwischenmenschliche Beziehungen weniger autoritär dar­ stellten, sodass man sich von der Vorführung solcher Filme eine Erziehung der Zuschauerinnen und Zuschauer zu ‚sozialistischen Persönlichkeiten‘ versprach. Eine zentrale Frage, die sich der Verleiher Progress stellte, war, wie die vielen Filme aus dem sozialistischen Ausland so eingesetzt werden konnten, dass sie auch ein breites Publikum fanden. In dieser Hinsicht war die politische Elite ziemlich ratlos, da es in den Verleihkonzeptionen an zündenden Ideen zu dieser Frage fehlt. Grundsätzlich konnte der DEFAAußenhandel Filme aus anderen sozialistischen Ländern importieren, die dort große Publikumserfolge waren. Die Auswahl von Filmen aus dem sozialistischen Ausland folgte jedoch offenbar im Wesentlichen anderen Regeln. War für die Auswahl der Filme aus dem Westen entscheidend, ob sie der kapitalistischen Gesellschaft kritisch gegenüberstehen und hu­ manistische Werte verkörpern, so dürfte die Auswahl von Filmen sozialis­ tischer Länder kaum nicht-ideologischen Kriterien gefolgt sein.12 Allein mit Werbung lässt sich aber kaum ein Film erfolgreich machen. Zwar kann man versuchen, Zuschauerinnen und Zuschauer etwa durch einen ermäßigten Eintrittspreis oder gar durch Freikarten zum Filmbesuch zu motivieren. Entscheidend für die Wahl an der Kinokasse ist jedoch in aller Regel, ob die Zuschauerin oder der Zuschauer meint, der Film könne ihr bzw. ihm gefallen. Viele Kinobesucherinnen und ‑besucher haben daher auch oftmals die von den Betrieben verschenkten Eintrittskarten für explizit politische Filme nicht genutzt oder versucht, mit diesen Karten attraktive Filme aus dem Westen zu sehen. Während in offiziellen Dokumenten wie den Verleihkonzeptionen eine dogmatische Haltung vertreten wird, folgte der tatsächliche Einsatz der Filme vielfach einer pragmatischen Linie, für die die erwartete Nachfrage des Kinopublikums in aller Regel die ausschlaggebende Rolle spielte. Das wird nicht nur von Mitarbeitern der Branche berichtet, sondern ebenso

12 Stott: Crossing the Wall, S. 47.

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Joseph Garncarz

durch überlieferte Daten bestätigt. Am wenigsten galt dies für die Zulas­ sung der Filme durch die Hauptverwaltung Film, am meisten sicherlich in Bezug auf die Kinoleiterinnen und -leiter, die den direkten Draht zu ihrem Publikum hatten. Aber auch der Progress-Verleih richtete sich bei der Festlegung der Zahl der herzustellenden Kinokopien nach dem vermu­ teten Zuspruch der Zuschauerinnen und Zuschauer. So wurden „für die Ur- und Erstaufführungstheater“ vom bundesdeutschen Otto – Der Film 48 Kopien eingesetzt, aber vom nordkoreanischen Film Die Insel Wolmi nur drei Kopien.13 In beiden Fällen handelt es sich (soweit bekannt) um die höchste bzw. niedrigste Kopienzahl von in den Kinos der DDR für die Ur- und Erstaufführung im Untersuchungszeitraum eingesetzten Filme. Die Wahl der Zuschauerinnen und Zuschauer Aufschlussreich ist ein Vergleich von Angebot und Nachfrage, da sich so nicht nur zeigen lässt, ob bzw. in welchem Maß die politischen Leitideen der SED umgesetzt wurden, sondern vor allem auch, welche Präferenzen das ostdeutsche Kinopublikum hatte. Die Nachfrage lässt sich an den Top 15 eines jeden Jahres messen, die wie gesagt für den Zeitraum von 1978 bis 1987 überliefert sind. Die Zahl der für die 129 Filme verkauften Eintrittskarten, die sich unter den Top 15 platzieren konnten, beträgt knapp ein Fünftel (18,3 %) der ge­ samten Zahl aller in diesen zehn Jahren verkauften Eintrittskarten.14 Die Filme, die in diesem Zeitraum in den ostdeutschen Charts waren, machten 8,9 Prozent des Gesamtangebots der 1.451 neu angelaufenen Filme aus. Im Unterschied zur Bundesrepublik ist der Anteil der verkauften Tickets, der auf die Top 15 entfällt, jedoch vergleichsweise klein. Entfielen in der DDR nur 18,3 Prozent aller verkauften Eintrittskarten auf die erfolgreichsten 15 Filme, so betrug der Anteil der Top 15 am Gesamtaufkommen aller Ti­ ckets in der Bundesrepublik in derselben Zeit 37,6 Prozent.15 Zudem ist die Varianz in Bezug auf den Anteil der für die Top 15 verkauften Tickets

13 Einsatzpläne des Progress-Verleihs, Nr. 7 und 8 (Juli und August) aus dem Jahr 1986. 14 Es handelt sich nicht um 150 Filme, weil sich 21 in den Jahreslisten mehrfach platzieren konnten (mehr dazu im weiteren Verlauf des Beitrags). 15 Auswertung der Top 15-Filme für die Jahre 1978 bis 1987 basierend auf den online abrufbaren Daten: https://www.insidekino.de/ (Zugriff 15.10.2021). Die Zuschauerzahlen für die Wiederaufführungen wurden nur dann berücksichtigt, wenn sie im jeweiligen Kalenderjahr angefallen sind.

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Ein Votum für Filme aus dem Westen

in den Jahren 1978 bis 1987 in der DDR deutlich kleiner als in der Bundes­ republik. Der Anteil der Top 15 am gesamten Ticketaufkommen schwankt in der DDR zwischen minimal 16,2 Prozent im Jahr 1982 und maximal 21,9 Prozent im Jahr 1984. In der Bundesrepublik war der Ausschlag deut­ lich größer. Der Anteil der Top 15 an allen verkauften Eintrittskarten be­ trug minimal 26,7 Prozent im Jahr 1982 und maximal 48,5 Prozent im Jahr 1985. Sowohl der geringere Anteil der Top 15 am Gesamtaufkommen der verkauften Eintrittskarten als auch die geringere Schwankung dieses Anteils über die Jahre hin erklärt sich dadurch, dass das Filmangebot an kassenstarken Filmen in der DDR deutlich kleiner war.

Abbildung 2: Eintrittskarten der Bezirksfilmdirektion Leipzig aus den Jahren 1984 und 1985 (Sammlung Garncarz). 97 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Joseph Garncarz

Schaut man sich die Nachfrage der Zuschauerinnen und Zuschauer im Spiegel der Top 15‑Filme an, so zeigt sich ein bemerkenswertes Negativ zu den politischen Vorgaben. Forderte die Hauptverwaltung Film, den „Hauptanteil der Gesamtbesucher 1981 für Filme aus sozialistischen Län­ dern“16 zu gewinnen, so konnten tatsächlich gerade einmal 15 Prozent der Zuschauerinnen und Zuschauer dazu bewegt werden, sich diese Filme anzusehen. Dies gilt auch für den gesamten Untersuchungszeitraum. Ent­ fielen auf Filme aus sozialistischen Ländern gut 15 Prozent bei einem An­ gebotsanteil von 77 Prozent, so kamen Filme aus dem Westen auf knapp 85 Prozent der Nachfrage bei einem Anteil am Angebot von 23 Prozent. Zuschauerinnen und Zuschauer haben das Angebot also in einer besonde­ ren Weise selektiert, indem sie sich für die ihrer Meinung nach besten bzw. unterhaltsamsten Filme entschieden haben. Dass sich die Trends, die hier beschrieben werden, nicht auf die Top 15‑Filme beschränken, sondern sich auch an der Nutzung des Ge­ samtangebots zeigen, geht aus der von Dieter Wiedemann und Hans-Jörg Stiehler durchgeführten, zeitgenössisch nicht veröffentlichten Kino-DDR 80-Studie hervor. „Mit den DEFA-Filmen wurden [im Jahr 1980] 23 %, mit den aus dem sozialistischen Ausland 7 % und den aus dem NSW [= nicht­ sozialistisches Wirtschaftsgebiet] 70 % aller Besucher erreicht.“17 Die Top 15‑Listen bilden den Gesamttrend also klar ab, zeigen ihn nur in et­ was stärkerer Ausprägung. Eine starke Selektion aus dem Filmangebot lässt sich nicht nur in Län­ dern, die unter dem Einfluss der Sowjetunion standen, beobachten. Dass von allen angebotenen Filmen lediglich ein kleiner Teil das besondere Interesse des Publikums finden, ist global betrachtet keine Ausnahme, sondern die Regel. Was das Kino der DDR aber von marktwirtschaftlichen Systemen klar unterscheidet, ist, dass die politische Führung über den ge­ samten Zeitraum der DDR hinweg daran festgehalten hat, Filme aus Her­ stellerländern in großer Zahl zu programmieren, die mit der Nachfrage des Publikums wenig zu tun hatten. In einer Marktwirtschaft (einschließ­ lich einer Diktatur wie die der Nationalsozialisten) wurden grundsätzlich Filmherstellerländer im Angebot nicht oder nur marginal berücksichtigt,

16 Progress Film-Verleih: Verleihkonzeption 1981, S. 2. 17 Stiehler, Hans-Jörg/Wiedemann, Dieter: Ausgewählte Ergebnisse der Studie „KinoDDR 80“, Leipzig 1981, online abrufbar: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:016 8-ssoar-382509 (Zugriff 15.10.2021), S 1.

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Ein Votum für Filme aus dem Westen

deren Filme keinen nachhaltigen Zuspruch durch das Kinopublikum er­ fahren haben, weil sie kulturell nicht hinreichend anschlussfähig waren.18 Schaut man sich die absoluten Zahlen an, also die Summe der für die erfolgreichsten 15 Filme im Untersuchungszeitraum verkauften Eintritts­ karten, lässt sich das oben skizzierte Bild differenzieren. Tabelle 2 zeigt die Nutzung der angebotenen Filme durch das ostdeutsche Kinopublikum nach Herstellerländern. Die mit Abstand meisten Tickets wurden mit 34,2 Millionen für US-amerikanische Filme gelöst, gefolgt von Filmen aus Frankreich mit 26 Millionen und Italien mit 19,9 Millionen Eintritts­ karten. Mit weniger als zwei Millionen verkaufter Karten erreichten die sozialistischen Länder UdSSR, Polen, Jugoslawien und China dagegen nur einen vergleichsweise kleinen Anteil an allen für die Top 15 verkauften Ti­ ckets. Dies trifft zwar auch auf die westlichen Filmländer Spanien, Schwe­ den, Kanada und Australien zu – anders als die genannten sozialistischen Länder bestritten diese westlichen Länder aber nur einen kleinen Teil des Filmangebots (zusammen nur 1,6 statt 36 Prozent wie die sozialistischen Länder). Um eine nachhaltige Vorstellung der Nachfragestärke für verschiedene Filmherstellerländer zu erlangen, ist der Nutzungsindex hilfreich, der die Nachfrage in eine Relation zum Angebot stellt.19 Mit diesem lässt sich unter anderem die Stärke der Nachfrage etwa nach Filmen unterschiedli­ cher Länder berechnen und präzise vergleichen. Ist der Nutzungsindex 1, so sind Nachfrage und Angebot ausgeglichen. Je geringer der Wert unter 1 ist, desto schwächer die Nutzung, je größer der Wert dagegen, desto stärker ist die Nachfrage. Herstellerland

Zahl der Zu­ schauer

Nachfrage in Prozent

Angebot in Pro­ zent

Nutzungs­ index [Nachfra­ ge ÷ Ange­ bot]

Großbritannien

9.779.783

7,1

1,3

5,42

Dänemark

3.573.013

2,6

0,6

4,70

USA

34.154.988

24,8

5,3

4,67

Frankreich

26.039.877

18,9

4,3

4,42

18 Garncarz, Joseph: Begeisterte Zuschauer. Die Macht des Kinopublikums in der NSDiktatur, Köln 2021. 19 Ebd., S. 81–82.

99 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Joseph Garncarz

Herstellerland

Italien

Zahl der Zu­ schauer

Nachfrage in Prozent

Angebot in Pro­ zent

Nutzungs­ index [Nachfra­ ge ÷ Ange­ bot]

19.874.311

14,4

3,8

3,80

1.514.406

1,1

0,3

3,19

14.760.344

10,7

3,4

3,11

1.592.768

1,2

0,4

2,79

865.939

0,6

0,3

1,82

Japan

3.051.949

2,2

1,3

1,69

Kanada

1.326.620

1,0

0,6

1,55

15.978.453

11,6

11,3

1,03

638.990

0,5

0,8

0,56

Jugoslawien

1.383.179

1,0

4,6

0,22

Polen

1.501.310

1,1

5,9

0,18

UdSSR

1.823.269

1,3

25,5

0,05

Summe

137.859.199

100,0

69,9

Schweden Bundesrepublik Spanien Australien

DDR China

Tabelle 2: Filmherstellerländer nach der Höhe des Nutzungsindex, 1978–1987.20 Wertet man die Top 15-Filme nach dem Nutzungsindex nach Hersteller­ ländern aus, zeigt sich die relative Nutzung, also die Nachfrage im Ver­ hältnis zum Angebot, mit großer Klarheit. Kommen die britischen bzw. US-amerikanischen Filme auf einen Index von 5,42 bzw. 4,67, liegt der Index bei chinesischen bzw. sowjetischen Produktionen bei 0,56 bzw. 0,05. Nur die Filme aus der DDR selbst, die DEFA-Produktionen, erreichen einen Index von 1,03. Ihr Erfolg beim Publikum war zufriedenstellend, aber weit entfernt von dem Wert, der mit den Filmen aus westlichen Demokratien erreicht wurde.

20 Quelle der Daten: Top 15-Filme der Jahre 1978 bis 1987; Filmobibliografische Jahresberichte, Jg. 1976–1987; eigene Auswertung.

100 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Ein Votum für Filme aus dem Westen

Abbildung 3: Filmplakat im Format A3 der bundesdeutschen Komödie „Ach du lieber Harry“ des Progress Film-Verleihs aus dem Jahr 1984 (Sammlung Garncarz). 101 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Joseph Garncarz

Der besondere Zuspruch der Kinozuschauerinnen und -zuschauer zu den Filmen aus westlicher Produktion zeigt sich zudem sehr anschaulich auch an einem für das Kino der DDR spezifischen Phänomen, das es in der Bun­ desrepublik so nicht gab. Von den 129 meistgesehenen Filmen tauchen einige wenige auf mehr als einer Jahresliste auf, weil sie besonders gefragt waren, aber nur wenige Filmkopien zur Verfügung standen. 20 von 150 Titeln werden in zwei (einer davon sogar in drei) aufeinanderfolgenden Jahren gelistet. Wie aus Tabelle 3 zu ersehen ist, handelt es sich bei allen diesen besonderen Erfolgen ausschließlich um Filme aus westlicher Produktion – darunter französische Asterix- und Louis de Funès-Filme, US-Spektakel wie Flammendes Inferno und Unheimliche Begegnung der drit­ ten Art ebenso wie bundesdeutsche Komödien wie Ach du lieber Harry und Otto – Der Film. Filmtitel

Originaltitel

Hersteller­ DDR land unter den Top 15

Bundesrepu­ blik unter den Top 15

Bundesre­ publik

1984, 1985

1981

Asterix der Gallier

Astérix le Gau­ Frankreich 1985, lois 1986

1971

Asterix erobert Rom

Les douze Frankreich 1985, travaux d'Asté­ 1986, rix 1987

1976

Asterix und Kleopa­ tra

Astérix et Cléopâtre

Frankreich 1986, 1987

1970

Brust oder Keule

L'aile ou la cuisse

Frankreich 1978, 1979

1976

Das fliegende Auge

Blue Thunder

USA

1984, 1985

1983

Italien

1983, 1984

1982

Ach du lieber Harry

Der gezähmte Wider­ Il bisbetico do­ spenstige mato Die Sache mit dem Regenschirm

Le coup du pa­ Frankreich 1983, rapluie 1984

Flammendes Inferno The Towering Inferno

USA

1981, 1982

102 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

1975

Ein Votum für Filme aus dem Westen

Filmtitel

Originaltitel

Hersteller­ DDR land unter den Top 15

Grünes Eis

Green Ice

Großbri­ tannien

1982, 1983

Krull

Krull

Großbri­ tannien

1985, 1986

Louis‘ unheimliche Begegnung mit den Außerirdischen

Le gendarme et Frankreich 1980, les extra-terres­ 1981 tres

Bundesrepu­ blik unter den Top 15

1979

Männer

Bundesre­ publik

1986, 1987

Männer ohne Nerven Stunts

USA

1979, 1980

Mein Name ist No­ body

Italien

1979, 1980

1973

Bundesre­ publik

1986, 1987

1985

1982, 1983

1980

Il mio nome è Nessuno

Otto – Der Film Plattfuß am Nil

Piedone d’Egit­ Italien to

Sindbad und das Au­ Sinbad and the Großbri­ ge des Tigers Eye of the Tiger tannien Sindbads siebente Reise

The 7th Voyage USA of Sinbad

Spiel mir das Lied vom Tod

C'era una vol­ ta il West

Italien

1985

1978, 1979 1979, 1980 1981, 1982

1969

Tabelle 3: Filme, die mehr als ein Jahr in den ostdeutschen Charts waren (in alphabetischer Reihenfolge).21 Bedingt die Nachfrage der Zuschauerinnen und Zuschauer die häufigere Programmierung eines Films oder folgt sie nur den von der SED gemach­

21 Quelle der Daten: Top 15-Filme der Jahre 1978 bis 1987; Nachweis der Platzie­ rung der Filme in der Bundesrepublik laut https://www.insidekino.de/ (Zugriff 15.10.2021).

103 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Joseph Garncarz

ten Vorgaben? Für die Jahrescharts sind nicht nur die in einem Jahr ver­ kauften Eintrittskarten, sondern auch die Zahl der Vorstellungen pro Film überliefert (auch diese Zahlen sind im Anhang abgedruckt). Zwischen beiden Zahlenreihen gibt es eine starke Korrelation (r =.755, p < 0,01, n = 150). Wie ist diese starke Korrelation zu erklären? Weiß man, dass die staatlichen Organe eindeutig eine Programmierung von Filmen aus sozialistischen Ländern vorgezogen haben, ist der Fall glasklar. Entgegen den Wünschen der politischen Elite hat sich das Kinopublikum mit seinen Präferenzen durchgesetzt. Die Filmauswahl und Programmierung folgten demnach bei den Filmen, für die die meisten Eintrittskarten verkauft wur­ den, den Präferenzen der ostdeutschen Zuschauerinnen und Zuschauer. Warum schlagen die Filme aus westlicher Produktion die des Ostens in der Gunst der Kinobesucherinnen und -besucher derart haushoch? Der Grund für den Erfolg bzw. Misserfolg besteht mit Sicherheit nicht darin, dass die Filme aus sozialistischer oder kapitalistischer Produktion stammen. Zuschauerinnen und Zuschauer favorisieren – wie viele andere empirische Studien zu Filmpräferenzen zeigen – grundsätzlich Filme aus dem eigenen Land bzw. nahe verwandten Kulturkreisen.22 Was zu fremd ist, macht den meisten Zuschauerinnen und Zuschauern keinen Spaß. Folgt man dieser Theorie, die sich auf der Basis von empirischen Stu­ dien formulieren lässt, muss man davon ausgehen, dass die Filme aus westlicher Produktion beim ostdeutschen Publikum kulturell besser an­ schlussfähig waren. Zum einen hatte das ostdeutsche Kinopublikum vor der Gründung der DDR keinen anderen Geschmack als das westdeutsche. Wie meine Studie zu den Präferenzen des deutschen Kinopublikums in der NS-Zeit zeigt, spielten nur deutsche, österreichische, US-amerikani­ sche, französische und italienische Filme eine Rolle. Filme anderer Länder tauchen in den Charts der NS-Zeit so gut wie nicht auf und wurden daher konsequent auch kaum angeboten.23 Zum anderen wirft der in der DDR grundsätzlich veränderte Import osteuropäischer Filme neue Fragen auf. Wie oben gezeigt, waren die Tschechoslowakei und Polen neben der Sowjetunion die Filmländer, die die größten Einzelkontingente an Filmen lieferten. Ob sich deren relativer Misserfolg beim ostdeutschen Kinopubli­ kum tatsächlich mit kulturellen Differenzen erklären lässt, ist eine offene Frage. 22 Garncarz, Joseph: Hollywood in Deutschland. Zur Internationalisierung der Kinokul­ tur 1925–1990, Frankfurt am Main/Basel 2013; Garncarz, Joseph: Wechselnde Vor­ lieben. Über die Filmpräferenzen der Europäer 1896–1939, Frankfurt am Main/Basel 2015; Garncarz: Begeisterte Zuschauer. 23 Garncarz: Begeisterte Zuschauer, S. 284–316.

104 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Ein Votum für Filme aus dem Westen

Die Leitung des Filmverleihs Progress als auch die Verantwortlichen der Hauptverwaltung Film wussten, dass die Filme aus dem Westen zu den Publikumsfavoriten zählten. Die hier verwendeten Top 15‑Listen stammen vom Verleiher Progress. Zudem hat die Hauptverwaltung Film beim Leip­ ziger Zentralinstitut für Jugendforschung Studien in Auftrag gegeben, die auch zum Schluss kamen, das ostdeutsche Kinopublikum favorisiere die Filme aus dem Westen. Wie oben zitiert, entfielen 1980 70 Prozent aller verkauften Eintrittskarten auf Filme aus dem „nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet“, obwohl in diesem Jahr nur 19,6 Prozent des Angebots (30 von 153 Filmen) aus dieser Region stammte.24 Dieses Wissen blieb in der DDR jedoch vermeintlich ein Herrschaftswissen, das die politische Elite nicht mit der Öffentlichkeit teilen wollte. Der oben zitierte Befund taucht in einem Buch, das einer der Autoren der zitierten Kino-Studie, Dieter Wiedemann, zusammen mit Lothar Bisky geschrieben hat, nicht auf. Stattdessen heißt es: „In der Liste der jährlich vom VEB PROGRESS ermittelten 15 erfolg­ reichsten Filme – gemessen an der Zahl der verkauften Karten – domi­ nieren seit Jahren Filme, die sich bei aller inhaltlichen und formalen Unterschiedlichkeit durch eine Gemeinsamkeit auszeichnen: Sie sind linear und leicht überschaubar erzählt.“25 Es werden jedoch weder Filmtitel noch die Herkunft der gelisteten Filme erwähnt. Nicht nur die politische Elite kannte jedoch die Herkunft der erfolgreichsten Filme, sondern auch die im Kinogewerbe Beschäftigten sowie die meisten Kinobesucherinnen und ‑besucher. Über die Gründe, warum das Wissen um die Herkunft der größten Filmhits verschwiegen wurde, lässt sich trefflich spekulieren. Mir scheint es so, als habe man beide Augen geschlossen und ganz fest daran geglaubt, wenn man sie nicht öffnet, ist die Welt so, wie man sie sich wünscht. Ein deutsch-deutscher Vergleich Die Filmpräferenzen von Filmpublika unterliegen oft einem Wandel, der sich präzise an der Veränderung der in Erfolgsranglisten hoch platzierten Filme ablesen lässt. Für die Bundesrepublik konnte ich einen Präferenz­

24 Stiehler/Wiedemann: Ausgewählte Ergebnisse der Studie „Kino-DDR 80“, S. 1; Filmo­ bibliografischer Jahresbericht 1980. 25 Bisky/Wiedemann: Der Spielfilm, S. 90.

105 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Joseph Garncarz

wandel nachweisen, der sich grob so skizzieren und periodisieren lässt:26 Favorisierte das westdeutsche Publikum bis 1963 grundsätzlich deutsch­ sprachige Filme (Phase 1), so wurden ab 1980 US-Titel zu den am stärksten besuchten Filmen (Phase 3). Die Jahre 1964 bis 1979 waren eine Periode des Übergangs (Phase 2), in denen überwiegend Filme aus europäischen Nachbarländern, allen voran Filme aus Frankreich und Italien, den größ­ ten Zuspruch erfuhren. Dieses Wandlungsmuster habe ich ebenso für Itali­ en und Frankreich nachgewiesen.27 Auch wenn die Wandlungsprozesse in allen diesen Ländern gleich sind, so weisen sie doch Besonderheiten auf, was den zeitlichen Ablauf sowie den Übergang von Phase 1 zu 3 betrifft (in Frankreich gab es keine ‚Europaphase‘). Derzeit sind die Filmpräferenzen des ostdeutschen Kinopublikums nur für die Jahre 1978 bis 1987 bekannt. Bezieht man die für Westdeutschland analysierten Phasen des Präferenzwandels auf die DDR, so ist klar, dass der hier analysierte Abschnitt in Phase 3 fällt. Ein Blick auf Tabelle 2, in der die Filmherstellerländer nach Nutzungsindizes absteigend geordnet sind, ist aufschlussreich. Wie in der Bundesrepublik zählen in der DDR in diesen Jahren US‑Filme zu den Tophits; für kein anderes Herstellerland, das in den Top 15 der Jahre 1978 bis 1987 vertreten war, wurden mehr Eintrittskarten verkauft. Anders als beim westdeutschen Publikum domi­ nieren in der DDR jedoch relativ zum Angebot Filme aus Westeuropa, ins­ besondere aus Großbritannien, Dänemark, Frankreich und Italien, die in der Bundesrepublik die Übergangsphase 2 vom nationalen zum US‑Film bestimmt haben. Dass die Präferenzen des ost- und westdeutschen Publikums einander ähnlich waren, zeigt sich sicherlich daran, dass es eine vergleichsweise breite Übereinstimmung der Herstellerländer gibt, deren Filme von den jeweiligen Kinopublika favorisiert wurden. In erster Linie wird dies jedoch daran deutlich, dass 70 Prozent (14 von 20) der oben gelisteten Tophits des ostdeutschen Kinopublikums auch das westdeutsche Kinopublikum begeistert haben. Sie waren dort ebenso unter den Top 15. Auffällig ist, dass die Platzierung in den Ost‑Charts oft um viele Jahre später als in den West‑Charts erfolgt ist, weil die Filme, die in Devisen bezahlt werden mussten, Jahre nach ihrem Ersteinsatz kostengünstiger zu beschaffen wa­ ren. So findet sich Spiel mir das Lied vom Tod 1969 in den westdeutschen, aber erst 1981 in den ostdeutschen Charts.

26 Garncarz: Hollywood in Deutschland, S. 73–76. 27 Ebd., S. 115–117.

106 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Ein Votum für Filme aus dem Westen

Wie ähnlich die ost- den westdeutschen Filmpräferenzen im Untersu­ chungszeitraum waren, ist jedoch nicht leicht zu beurteilen, da das Film­ angebot in der DDR nicht nur viel kleiner war, sondern weil vor allem viele Tophits aus US‑amerikanischer Produktion, die das bundesdeutsche Kinopublikum begeisterten, in der DDR gar nicht gezeigt wurden. Da aber Filme vergleichbarer Herkunft, Machart und Schauwerten favorisiert wurden, kamen US‑Filme wie Stunts – Männer ohne Nerven (westdeutscher Verleihtitel Stunts – Das Geschäft mit dem eigenen Leben) und britische Produktionen wie Krull in die ostdeutschen Charts, die sich in den bun­ desdeutschen Erfolgsranglisten nicht hoch platzieren konnten (Stunts hat es 1978 nicht unter die Top 100, Krull immerhin 1983 auf Rang 38 ge­ schafft). Die ostdeutschen Zuschauerinnen und Zuschauer machten damit gewissermaßen den Mangel zu einer Tugend. Filme aus der zweiten oder dritten Reihe aus westlicher Produktion wurden so zu Hits, weil sie vom Unterhaltungswert her attraktiver als viele Filme waren, die das SED-Re­ gime aus ideologischen Gründen favorisierte. Schaut man auf dieses Phä­ nomen der Favorisierung ähnlicher, jedoch weniger attraktiver Filme, in Zusammenhang mit der in Tabelle 2 gezeigten absoluten Zahl der für US‑amerikanische, französische, italienische und britische Filme verkauf­ ten Eintrittskarten, besteht wenig Zweifel daran, dass die ostdeutschen Zuschauerinnen und Zuschauer viele der in der Bundesrepublik angebote­ nen Filme ebenso zu großen Kassenschlagern gemacht hätten, hätte die Hauptverwaltung Film sie nur für den Kinomarkt der DDR zugelassen. Die Filmvorlieben des ostdeutschen waren demnach relativ nah bei denen des westdeutschen Kinopublikums. Rück- und Ausblick Auch wenn die ideologisch motivierte Planung der Wirtschaft offiziell den Ton angab, so setzte sich in der DDR der Jahre 1978 bis 1987 eine in vielerlei Hinsicht nachfrageorientierte Kinokultur durch. Die ostdeutschen Zuschauerinnen und Zuschauer erstritten sich im Kino eine Freiheit der Wahl, die ihnen außerhalb des Kinos in vielfacher Beziehung über Jahre hin verwehrt wurde. Obwohl das Kino der DDR planwirtschaftlich organi­ siert war, folgte es im Grunde marktwirtschaftlichen Prinzipien. Die Nach­ frage der Zuschauerinnen und Zuschauer wurde weniger bei der Auswahl der Filme durch die Hauptverwaltung Film berücksichtigt, dagegen aber sehr wohl beim Einsatz der Filme im Kino (ablesbar an der Zahl der verkauften Tickets und der Zahl der Vorstellungen pro Film). Mit der Duldung der SED setzte sich auf diese Weise eine Filmkultur durch, die 107 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Joseph Garncarz

überwiegend von westlichen Filmen geprägt war. Verachtete das Regime den Kapitalismus des Westens, so nutzte es Filme aus dieser Produktion, um die eigenen Bürger optimal zu unterhalten. Dass sich die Nachfrage der Kinozuschauerinnen und -zuschauer in einem zentralisierten Staat, der seine Bürger zu ‚sozialistischen Persönlich­ keiten‘ erziehen wollte, so glasklar durchsetzte, ist erstaunlich. Viel spricht dafür, dass eine systematische Programmierung von Filmen an der Zu­ schauernachfrage vorbei zu einer großen Unzufriedenheit der Bevölkerung geführt hätte. Die Programmierung westlicher Filme gemäß den Präferen­ zen des ostdeutschen Kinopublikums ist insofern ein Entgegenkommen der politisch Verantwortlichen, die für das Funktionieren des SED-Staats auf die breite Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger, die sie überwie­ gend hatte, angewiesen waren.28 Folgt man den vorgetragenen Fakten und Argumenten, lohnt es sich, das Kino der DDR auf breiter Basis zu erforschen, indem man nach der Rolle der Zuschauerinnen und Zuschauer fragt. Im Rahmen des von mir an der Universität zu Köln geleiteten Forschungsprojekts The Viewers’ Choice: On the Film Preferences of Cinemagoers in the GDR, 1949–1990 erheben wir retrospektiv die Zahl der verkauften Eintrittskarten aller in den Kinos der DDR gelaufenen Filme. Dies ist grundsätzlich mit dem von John Sedgwick entwickelten POPSTAT-Verfahren auf der Basis einer repräsentativen Stichprobe möglich.29 Mit dieser Methode sollen nicht nur die Top 15 der Jahre 1978 bis 1987 um alle in diesen Jahren gezeigten Filme ergänzt, sondern auch die Filmerfolgsranglisten für alle übrigen Jahre erstellt werden, in denen die DDR existiert hat. Auf der Grundlage dieser umfangreichen Datenbasis, die demnächst zur Verfügung stehen wird, lässt sich – wie in diesem Beitrag anhand einer Fallstudie angedeutet wurde – das Kino der DDR in vielerlei Hinsicht neu deuten.

28 Niemann, Heinz: Meinungsforschung in der DDR. Die geheimen Berichte des Instituts für Meinungsforschung an das Politbüro der SED, Köln 1993; Niemann, Heinz: Hinterm Zaun. Politische Kultur und Meinungsforschung in der DDR – die geheimen Berichte an das Politbüro der SED, Berlin 1995. 29 Sedgwick, John: Popular Filmgoing in 1930s Britain. A Choice of Pleasures, Exeter 2000; Garncarz: Begeisterte Zuschauer, Kap. 2–4.

108 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Ein Votum für Filme aus dem Westen

Anhang: Top 15-Listen der Jahre 1978 bis 198730 1978 Rang

Filmtitel

Originalti­ tel

1

Brust oder Keule

L'aile ou la cuisse

9.049

2.156.025 Frankreich

1976

21.07.1978

2

ABBA

ABBA – The Movie

7.646

1.514.406 Schweden

1976

04.08.1978

3

Sindbad und das Au­ ge des Tigers

Sinbad and the Eye of the Tiger

6.611

1.431.370 Großbri­ tannien

1975

23.06.1978

4

Der gestie­ felte Kater reist um die Welt

Nagagutsu o haita ne­ ko: Hachijû nichikan se­ kai isshû

9.165

1.334.945 Japan

1974

25.11.1977

5

Freibeuter der Meere

Il corsaro nero

7.687

1.266.491 Italien

1971

16.06.1978

6

Severino

6.676

811.898 DDR

1978

14.07.1978

7

Sie nannten ihn Plattfuß

7.361

806.108 Italien

1973

16.09.1977

8

Die alte neue Welt

4.387

706.728 DDR

1977

01.10.1977

9

ZwiebelJack räumt auf

Cipolla Colt

6.797

702.526 Italien

1975

01.07.1977

10

Straße der Gewalt

White Line Fever

3.866

670.976 USA

1975

25.08.1978

11

Der Unver­ besserliche

L'incorrigi­ ble

6.920

667.843 Frankreich

1975

20.01.1978

12

Cousin und Cousine

Cousin, Cousine

5.852

658.463 Frankreich

1975

23.12.1977

13

Zorro

Zorro

5.902

635.899 Italien

1975

07.01.1977

14

Die heiße Spur

Night Mo­ ves

6.174

622.519 USA

1975

06.01.1978

15

Ich will euch sehen

2.951

520.968 DDR

1978

05.05.1978

Piedone lo sbirro

Vorstellungen

Besucher

Hersteller­ land

Herstel­ lungsjahr

Anlaufda­ tum

30 Die Jahreslisten stammen vom Verleiher Progress und wurden von Dieter Wiede­ mann archiviert und zur Verfügung gestellt. Der Originaltitel, das Herstellerland, das Herstellungsjahr und das Anlaufdatum (= Tag des Ersteinsatzes nach der Pre­ miere) wurden im Wesentlichen aufgrund der Filmobibliografischen Jahresberichte (Jg. 1977–1987) ergänzt.

109 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Joseph Garncarz

1979 Rang

Filmtitel

Originalti­ tel

1

Sindbads siebente Reise

The 7th Voyage of Sinbad

9.833

2.123.736 USA

1958

11.05.1979

2

Mein Name ist Nobody

Il mio nome è Nessuno

9.858

1.518.011 Italien

1973

24.11.1978

3

Der Quer­ kopf

La zizanie

7.478

1.416.269 Frankreich

1978

13.07.1979

4

Ein irrer Typ

L'animal

9.097

1.397.815 Frankreich

1977

12.01.1979

5

Robinson jr. l signor Ro­ binson, mostruosa storia d'amore e d'avventure

6.876

1.134.655 Italien

1976

27.04.1979

6

Unterneh­ men Capri­ corn

5.985

949.427 USA

1978

20.07.1979

7

Im Banne des Unheim­ lichen

7.442

941.264 Bundesre­ publik

1968

26.01.1979

8

Männer oh­ ne Nerven

Stunts

4.233

816.645 USA

1977

17.08.1979

9

Die große Reise von Lolek und Bolek

Wielka po­ dróz Bolka i Lolka

5.716

807.359 Polen

1977

13.07.1979

10

Sindbad und das Au­ ge des Tigers

Sinbad and the Eye of the Tiger

6.194

775.450 Großbri­ tannien

1975

23.06.1978

11

Bis daß der Tod Euch scheidet

5.687

755.450 DDR

1979

18.05.1979

12

Lachtauben weinen nicht

4.594

716.387 DDR

1979

20.09.1979

13

Sieben Som­ mersprossen

6.989

702.775 DDR

1978

06.10.1978

14

Brust oder Keule

6.495

659.397 Frankreich

1976

21.07.1978

15

Das indi­ sche Tuch

5.090

616.442 Bundesre­ publik

1963

15.06.1979

Capricorn One

L'aile ou la cuisse

Vorstellungen

Besucher

Hersteller­ land

110 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Herstel­ lungsjahr

Anlaufda­ tum

Ein Votum für Filme aus dem Westen

1980 Rang

Filmtitel

Originalti­ tel

1

Sindbads gefährliche Abenteuer

The Golden Voyage of Sinbad

9.896

1.746.066 Großbri­ tannien

1973

30.05.1980

2

Louis‘ un­ heimliche Begegnung mit den Au­ ßerirdischen

Le gendar­ me et les ex­ tra-terrestres

4.910

1.390.115 Frankreich

1979

21.11.1980

3

Ich bin schüchtern, aber in Be­ handlung

Je suis timi­ de … mais je me soigne

9.683

1.339.193 Frankreich

1977

25.01.1980

4

Friß oder stirb

Vivi o prefe­ ribilmente morti

8.238

1.262.137 Italien

1969

11.07.1980

5

Solo Sunny

9.404

1.087.438 DDR

1980

18.01.1980

6

Und nächs­ tes Jahr am Balaton

6.825

879.688 DDR

1980

04.07.1980

7

Das ver­ rückte Cali­ fornia-Hotel

6.523

823.613 USA

1978

18.07.1980

8

Die Verlob­ te

4.901

740.497 DDR

1980

05.09.1980

9

Sindbads siebente Reise

The 7th Voyage of Sinbad

6.410

704.585 USA

1958

11.05.1979

10

Grauadler

Grayeagle

7.459

669.147 USA

1977

22.02.1980

11

Der Baulö­ we

5.848

620.250 DDR

1980

06.06.1980

12

Männer oh­ ne Nerven

Stunts

6.511

613.294 USA

1977

17.08.1979

13

Sag' guten Tag zu der Dame

Dis bonjour à la dame

5.612

571.533 Frankreich

1977

27.06.1980

14

Goodbye und Amen

Goodbye & Amen

6.293

566.057 Italien

1977

21.12.1979

15

Mein Name ist Nobody

Il mio nome è Nessuno

5.282

528.134 Italien

1973

24.11.1978

California Suite

Vorstellungen

Besucher

Hersteller­ land

Herstel­ lungsjahr

Anlaufda­ tum

111 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Joseph Garncarz

1981 Rang

Filmtitel

Originalti­ tel

1

Spiel mir das Lied vom Tod

C'era una volta il West

7.072

1.684.438 Italien

1968

24.07.1981

2

Die Olsen­ bande schlägt wie­ der zu

Olsen-ban­ den deruda'

9.237

1.310.947 Dänemark

1977

19.06.1981

3

Louis‘ un­ heimliche Begegnung mit den Au­ ßerirdischen

Le gendar­ me et les ex­ tra-terrestres

10.663

1.277.463 Frankreich

1979

21.11.1980

4

Der Pup­ penspieler

Le Guigno­ lo

7.881

1.199.601 Frankreich

1979

26.06.1981

5

Concorde Affaire

Concorde Affaire '79

9.079

953.989 Italien

1979

19.12.1980

6

Was, du willst nicht?

The Main Event

8.021

929.177 USA

1979

02.01.1981

7

Wilde Bet­ ten

Letti selvag­ gi

5.768

829.887 Italien

1978

17.04.1981

8

Flammen­ des Inferno

The Tower­ ing Inferno

2.360

770.301 USA

1974

13.11.1981

9

Der elektri­ sche Reiter

The Electric Horseman

7.018

768.388 USA

1978

13.02.1981

10

Eine ganz krumme Tour

Foul Play

6.076

761.299 USA

1977

24.04.1981

11

Sing, Cow­ boy, sing

6.584

742.422 DDR

1981

12.06.1981

12

Piraten des 20. Jahr­ hunderts

6.655

698.693 UdSSR

1980

12.06.1981

13

Im Land der Adler und Kreuze

3.442

614.698 DDR

1980

30.01.1980

14

Königspoker

Royal Flesh

6.177

565.698 Großbri­ tannien

1975

06.02.1981

15

Kramer ge­ gen Kramer

Kramer vs. Kramer

5.691

552.886 USA

1979

05.12.1980

Piraty XX weka

Vorstellungen

Besucher

Hersteller­ land

112 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Herstel­ lungsjahr

Anlaufda­ tum

Ein Votum für Filme aus dem Westen

1982 Rang

Filmtitel

Originalti­ tel

Vorstellungen

Besucher

Hersteller­ land

Herstel­ lungsjahr

Anlaufdatum

1

Lady Chat­ Lady Chat­ terleys Lieb­ terley‘s Lo­ haber ver

7.692

1.559.489 Großbri­ tannien

1981

16.07.1982

2

Flammen­ des Inferno

The Tower­ ing Inferno

8.394

1.239.276 USA

1974

13.11.1981

3

Grünes Eis

Green Ice

7.938

1.130.104 Großbri­ tannien

1981

11.06.1982

4

Plattfuß am Nil

Piedone d’Egitto

3.247

1.028.425 Italien

1980

26.11.1982

5

Fleisch

7.309

1.004.493 Bundesre­ publik

1979

27.11.1981

6

The Band (Der letzte Walzer)

The Band – The Last Waltz

7.872

996.385 USA

1978

08.01.1982

7

Heißer Asphalt

High-Ballin

6.053

815.758 USA

1977

12.03.1982

8

Highpoint

Highpoint

5.157

629.345 Kanada

1981

20.08.1982

9

Sonjas Rap­ port

3.899

581.190 DDR

1982

01.10.1982

10

Teheran 43

Teheran 43

4.846

581.145 UdSSR

1981

05.03.1982

11

Coming Home – Sie kehren heim

Coming Home

3.929

474.017 USA

1978

26.02.1982

12

The Rose

The Rose

4.840

433.393 USA

1979

14.05.1982

13

Spiel mir das Lied vom Tod

C'era una volta il West

4.387

420.806 Italien

1968

24.07.1981

14

Malevil

Malevil

3.140

413.156 Frankreich

1981

17.09.1982

15

Der Pup­ penspieler

Le Guigno­ lo

5.273

399.676 Frankreich

1979

26.06.1981

1983 Rang

Filmtitel

Originalti­ tel

Vorstellungen

1

Plattfuß am Nil

Piedone d’Egitto

12.777

1.504.870 Italien

1980

26.11.1982

2

Die Olsen­ bande ergibt sich nie

Olsen-ban­ den overgi­ ver sig aldrig

10.466

1.353.974 Dänemark

1979

07.01.1983

3

Hügel der Stiefel

La collina degli stivali

7.698

1.108.748 Italien

1969

22.07.1983

4

Old Sure­ hand

1965

25.03.1983

9.549

Besucher

Hersteller­ land

Herstel­ lungsjahr

997.748 Bundesre­ publik

Anlaufda­ tum

113 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Joseph Garncarz Rang

Filmtitel

Originalti­ tel

5

Der gezähm­ te Wider­ spenstige

Il bisbetico domato

5.299

947.011 Italien

1980

16.09.1983

6

Ein Teufels­ kerl

Race for the Yankee Ze­ phyr

7.490

865.939 Australien

1981

24.06.1983

7

Fort Apache (The Bronx)

Fort Apache – The Bronx

5.949

817.920 USA

1981

04.03.1983

8

Fast wie in alten Zeiten

Seems Like Old Times

7.029

652.289 USA

1980

22.04.1983

9

Cobra – Tod eines Man­ nequins

Mokugeki­ sha o sagase

5.266

575.874 Japan

1974

15.04.1983

10

Der Ölprinz

5.719

575.645 Bundesre­ publik

1965

12.08.1983

11

Cobra – Er­ pressung in Tokio

4.992

564.082 Japan

1976

27.05.1983

12

Der Aufent­ halt

4.000

519.992 DDR

1983

21.01.1983

13

Gäste aus der Galaxis

Gosti iz Ga­ laksije

5.928

516.705 Jugoslawien

1981

11.03.1983

14

Die Sache mit dem Re­ genschirm

Le coup du parapluie

2.699

513.056 Frankreich

1980

11.11.1983

15

Grünes Eis

Green Ice

6.377

494.091 Großbritan­ nien

1981

11.06.1982

Rang

Filmtitel

Originalti­ tel

1

Das fliegende Auge

Blue Thun­ der

10.216

2.297.412 USA

1982

20.07.1984

2

Louis und seine ver­ rückten Poli­ tessen

Le gendarme et les gendar­ mettes

13.316

1.933.643 Frankreich

1982

17.02.1984

3

Das Geheim­ Misterio en nis der la isla de los Monsterinsel monstruos

11.215

1.592.768 Spanien

1980

06.04.1984

Utareru mae ni ute

Vorstellungen

Besucher

Hersteller­ land

Herstel­ lungsjahr

Anlaufda­ tum

1984 Vorstellungen

Besucher

Hersteller­ land

Herstel­ lungsjahr

Anlaufda­ tum

4

Tootsie

9.037

1.580.836 USA

1982

15.06.1984

5

Ärztinnen

11.421

1.489.175 DDR

1984

20.01.1984

6

Ach du lie­ ber Harry

4.585

1.239.503 Bundesre­ publik

1980

09.11.1984

Tootsie

114 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Ein Votum für Filme aus dem Westen Rang

Filmtitel

Originalti­ tel

7

Die Olsen­ bande fliegt über die Planke

Olsen-ban­ dens flugt – over plan­ keværket

8.870

908.092 Dänemark

1981

25.05.1984

8

Drei Män­ ner müssen sterben

Trois hom­ mes à abatt­ re

8.483

843.656 Frankreich

1980

06.01.1984

9

Der gezähm­ te Wider­ spenstige

Il bisbetico domato

7.897

687.745 Italien

1980

16.09.1983

10

He, Geister!

Bollenti spi­ riti

7.987

684.662 Italien

1981

02.03.1984

11

Wo andere schweigen

4.162

643.474 DDR

1984

05.10.1984

12

Fame – Der Weg zum Ruhm

4.760

610.366 USA

1980

20.04.1984

13

Unter Gei­ ern

6.635

534.608 Bundesre­ publik

1964

23.03.1984

14

Die Sache mit dem Re­ genschirm

Le coup du parapluie

7.822

527.330 Frankreich

1980

11.11.1983

15

Butterfly, der blonde Schmetter­ ling

Butterfly

4.314

496.379 USA

1981

13.07.1984

Rang

Filmtitel

Originalti­ tel

1

Asterix er­ obert Rom

Les douze travaux d’Astérix

2

Das Jahr 1945

Fame

Vorstellungen

Besucher

Hersteller­ land

Herstel­ lungsjahr

Anlaufda­ tum

1985 Vorstellungen 14.215

8.585

Besucher

Hersteller­ land

Herstel­ lungsjahr

Anlaufda­ tum

1.959.552 Frankreich

1975

21.12.1984

1.617.375 DDR

1985

29.03.1985

3

Beat Street

Beat Street

9.861

1.504.123 USA

1983

14.06.1985

4

Kampf der Titanen

Clash of the Titans

8.833

1.422.902 USA

1980

16.08.1985

5

Ach du lie­ ber Harry

1.143.461 Bundesre­ publik

1980

09.11.1984

6

Der Garten Eden

Il giardino dell' Eden

8.592

1.016.305 Italien

1981

25.01.1985

7

Unheimliche Begegnung der dritten Art

Close En­ counters of the Third Kind

9.111

929.311 USA

1977

04.01.1985

8

Das fliegende Auge

Blue Thun­ der

7.852

833.770 USA

1982

20.07.1984

11.739

115 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Joseph Garncarz Rang

Filmtitel

Originalti­ tel

9

Krull

Krull

Vorstellungen 4.183

Besucher

Hersteller­ land

Herstel­ lungsjahr

804.974 Großbritan­ nien

1983

Anlaufda­ tum 08.11.1985

10

Sexmission

Seksmisja

4.906

693.951 Polen

1983

12.07.1985

11

Die furchtlo­ sen Männer von Wu Dang

Wu Dang

6.871

638.990 China

1983

29.03.1985

13

Die verruch­ te Lady

The Wicked Lady

6.224

557.858 Großbritan­ nien

1982

22.03.1985

14

Marschall Shukow

Marschal Shukow

2.948

543.431 UdSSR

1984

11.01.1985

12

Die Glücks­ ritter

Trading Pla­ ces

6.698

513.239 USA

1983

01.03.1985

15

Asterix der Gallier

Astérix le Gaulois

2.485

501.750 Frankreich

1967

29.11.1985

Rang

Filmtitel

Originalti­ tel

1

Otto – Der Film

2

Asterix der Gallier

3

1986 Vorstellungen

Besucher

Hersteller­ land

Herstel­ lungsjahr

Anlaufda­ tum

20.064

4.472.132 Bundesre­ publik

1985

25.07.1986

Astérix le Gaulois

9.981

1.010.440 Frankreich

1967

29.11.1985

Zwei irre Spaßvögel

Les compères

8.609

851.013 Frankreich

1983

28.03.1986

4

Star Trek

Star Trek – The Motion Picture

8.431

835.324 USA

1979

25.04.1986

5

Asterix und Kleopatra

Astérix et Cléopâtre

4.818

724.260 Frankreich

1968

03.10.1986

6

Krull

Krull

9.261

714.683 Großbritan­ nien

1983

08.11.1985

7

Himmlische Körper – Ae­ robic Non­ stop

Heavenly Bodies

6.643

697.275 Kanada

1984

27.06.1986

8

Das Haus am Fluß

6.171

683.172 DDR

1986

17.01.1986

9

Männer

3.701

651.328 Bundesre­ publik

1985

10.10.1986

10

Es war ein­ mal in Ame­ rika

Once Upon a Time in America

3.813

631.100 USA

1983

13.06.1986

11

Asterix er­ obert Rom

Les douze travaux d'Astérix

6.506

593.452 Frankreich

1975

21.12.1984

116 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Ein Votum für Filme aus dem Westen Rang

Filmtitel

12

Der Hut des Brigadiers

13

Excalibur – Das Schwert des Königs

14 15

Originalti­ tel

Vorstellungen

Besucher

Hersteller­ land

Herstel­ lungsjahr

Anlaufda­ tum

4.822

585.917 DDR

1986

21.03.1986

Excalibur

5.678

540.529 USA

1981

16.05.1986

Die Spezia­ listen

Les spécialis­ tes

5.397

512.151 Frankreich

1984

08.08.1986

Die Frau in Rot

The Woman in Red

5.254

510.696 USA

1984

11.07.1986

Rang

Filmtitel

Originalti­ tel

Vorstellungen

Besucher

Hersteller­ land

Herstel­ lungsjahr

Anlaufda­ tum

1

Beverly Hills Cop – Ich lös' den Fall auf jeden Fall

Beverly Hills Cop

11.215

2.120.298

USA

1984

24.07.1987

2

Seitenste­ chen

10.090

1.322.157

Bundesre­ publik

1984

13.03.1987

3

Jenseits von Afrika

5.780

1.246.786

USA

1985

04.09.1987

1987

Out of Afri­ ca

4

Amadeus

Amadeus

4.720

876.886

USA

1984

29.05.1987

5

Die Schön­ heit der Sün­ de

Lepota poro­ ka

5.795

866.474

Jugoslawien 1986

12.06.1987

6

Otto – Der Film

9.445

852.937

Bundesre­ publik

1985

25.07.1986

7

Asterix – Sieg über Caesar

Astérix et la surprise de César

4.365

712.844

Frankreich

1985

09.10.1987

8

Asterix und Kleopatra

Astérix et Cléopâtre

6.832

693.414

Frankreich

1968

03.10.1986

9

Drei Män­ ner und ein Baby

Trois hom­ mes et un couffin

7.670

612.356

Frankreich

1985

27.02.1987

10

Bonnie and Clyde auf Italienisch

Bonnie e Clyde all'italiana

7.994

587.407

Italien

1983

06.02.1987

11

Die Legende von den acht Samurai

Satomi hak­ ken-den

7.483

577.048

Japan

1983

02.01.1987

12

Johann Strauß – Der ungekrönte König

5.959

534.052

DDR

1987

17.04.1987

117 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Joseph Garncarz Rang

Filmtitel

Originalti­ tel

Vorstellungen

Besucher

Hersteller­ land

Herstel­ lungsjahr

Anlaufda­ tum

13

Asterix er­ obert Rom

Les douze travaux d'Astérix

4.670

504.411

Frankreich

1975

21.12.1984

14

Vernehmung der Zeugen

4.643

424.907

DDR

1987

27.03.1987

15

Männer

9.842

408.626

Bundesre­ publik

1985

10.10.1986

118 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Ein Votum für Filme aus dem Westen

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Titelblatt der Verleihkonzeption 1986 des Progress Film-Verleihs (Sammlung Heinrich Kumfert). Abbildung 2: Eintrittskarten der Bezirksfilmdirektion Leipzig aus den Jahren 1984 und 1985 (Sammlung Garncarz). Abbildung 3: Filmplakat im Format A3 der bundesdeutschen Komödie Ach du lieber Harry des Progress Filmverleihs aus dem Jahr 1984 (Sammlung Garncarz).

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Zahl der in den Jahren 1978 bis 1987 in den Kinos der DDR neu eingesetzten Filme nach Herstellerländern (nach der Zahl absteigend sortiert). Tabelle 2: Filmherstellerländer nach der Höhe des Nutzungsindex, 1978-1987. Tabelle 3: Filme, die mehr als ein Jahr in den ostdeutschen Charts waren (in alphabetischer Reihenfolge).

Literaturverzeichnis Bisky, Lothar/Wiedemann, Dieter: Der Spielfilm. Rezeption und Wirkung, Berlin 1983. Garncarz, Joseph: Begeisterte Zuschauer. Die Macht des Kinopublikums in der NS-Dik­ tatur, Köln 2021. Garncarz, Joseph: Hollywood in Deutschland. Zur Internationalisierung der Kinokultur 1925–1990, Frankfurt am Main/Basel 2013. Garncarz, Joseph: Wechselnde Vorlieben. Über die Filmpräferenzen der Europäer 1896– 1939, Frankfurt am Main/Basel 2015. Niemann, Heinz: Hinterm Zaun. Politische Kultur und Meinungsforschung in der DDR – die geheimen Berichte an das Politbüro der SED, Berlin 1995. Niemann, Heinz: Meinungsforschung in der DDR. Die geheimen Berichte des Instituts für Meinungsforschung an das Politbüro der SED, Köln 1993. O. A.: „Besucherzahlen der DEFA-Spielfilme 1.7.1984 bis 1989 (Stand per 18.7.1989)“, in: Film und Fernsehen, Heft 5, 1990, S. 6. Progress Film-Verleih: Verleihkonzeption, Berlin 1981–1987. Prommer, Elizabeth: Kinobesuch im Lebenslauf. Eine historische und medienbiographi­ sche Studie, Konstanz 1999. Sedgwick, John: Popular Filmgoing in 1930s Britain. A Choice of Pleasures, Exeter 2000. Staatliches Filmarchiv der DDR/Hochschule für Film und Fernsehen der DDR (Hrsg.): Filmobibliografischer Jahresbericht, Berlin 1.1965 – 26.1990.

119 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Joseph Garncarz Stiehler, Hans-Jörg/Wiedemann, Dieter: Ausgewählte Ergebnisse der Studie „KinoDDR 80“, online abrufbar: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-382 509 (Zugriff 15.10.2021), Leipzig, 1981. Stott, Rosemary: Crossing the Wall. The Western Feature Film Import in East Germany, Oxford u. a. 2012. Walk, Ines: DEFA in Zahlen. Zusammengestellt im Auftrag des Filmmuseums Potsdam mit Unterstützung der DEFA-Stiftung. Archiv der DEFA-Stiftung, o. J. [2004].

120 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Kino als Arbeits- und Wirkungsraum

Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Die „heimlichen Könige des Filmtheaters“ Zur Selbstinszenierung von Filmvorführern Merve Lühr

Das Kino ist ein spezifischer urbaner Raum. Einander Unbekannte sitzen gemeinsam in einem verdunkelten Saal und verfolgen das Geschehen auf der Leinwand. Für die Dauer der Vorstellung bilden sie das Publikum und beeinflussen wechselseitig ihre Filmrezeption. Das Kinoerlebnis wird beispielweise davon geprägt, ob der Saal voll oder leer ist, ob sich eine laute Gruppe darin befindet, ob andere an den gleichen Stellen lachen wie man selbst. Dieser Umstand wurde von Zeitgenossinnen und Zeitge­ nossen schon in den ersten Jahren der Kinematografie thematisiert. So z. B. in einer Glosse der Zeitschrift Bild & Film aus dem Jahr 1913, in welcher sechs Gruppen porträtiert werden, die man üblicherweise im Kino antreffe. Drei stehen dabei für das Publikum: „Jungens“, die im Kinosaal heimlich rauchten, „Halbstarke“, die erste Küsse austauschten, und „Mama“, die sich ein paar Stunden Ruhe in ihrem harten Alltag gönne. Sie alle suchten die Anonymität versprechende Dunkelheit gepaart mit abenteuerlicher Unterhaltung. Die drei weiteren „Kinotypen“ stehen für eine ganz andere Gruppe, nämlich für diejenigen, die nicht zum Ver­ gnügen, sondern der Arbeit wegen dort sind: die Angestellten. Der Autor beschreibt den „Feldmarschall“, der die Vorbeilaufenden, ehe sie es sich versehen, in das Lichtspieltheater gelotst habe, den „Rezitator“, der die damals noch stummen Filme erklärend interpretiere, und das „Orchester“, das eine mehr oder weniger passende Auswahl an bekannten Melodien beisteuere.1 Alle drei hatten unmittelbaren Kontakt zum Publikum. Die beiden letztgenannten hielten sich dabei zusammen mit dem Publikum im Saal auf und nahmen direkten Einfluss auf die Filmrezeption. Ein weiterer Angestellter, der wesentlich zum Gelingen der Kinovorstellung beitrug und der die Wahrnehmung des Filmes mit beeinflusste, war zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem Blickfeld des Publikums verschwunden:

1 Lorenzen, Ernst: Kinotypen, in: Bild & Film. Zeitschrift für Lichtbilderei und Kinema­ tographie 2, Heft 8, 1912/13, S. 187–188.

123 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Merve Lühr

Der Filmvorführer, der unsichtbar hinter verschlossenen Türen operierte und nicht mehr als ‚Kinotyp‘ in Erscheinung trat. Der folgende Beitrag widmet sich den Vorführern in den ersten Jahr­ zehnten der Kinematografie und zur Zeit der DDR.2 Die Geschichte des Kinos ließe sich anhand dieses Berufes und seiner Professionalisierung erzählen, da es ihn seit den Anfängen bis heute gibt. Die Entwicklungs­ phasen der Kinotechnik und -kultur hielten immer neue Herausforderun­ gen bereit, zuletzt die Digitalisierung des Films. Der Aufsatz fragt nach den Filmvorführern als Akteuren. Ein besonderer Fokus liegt auf ihrer Selbstinszenierung, wobei für unterschiedliche Phasen der Kinogeschichte disparate Quellen herangezogen werden. Der Status des neuen Berufes und das Selbstverständnis von Vorführern in den frühen Jahren der Kine­ matografie wird anhand ausgewählter Fotografien diskutiert. Die zweite Quellengattung bildet eines der wenigen Beispiele für überlieferte Ego-Do­ kumente von Kinoangestellten: selbstverfasste Lebensläufe in Akten des Ministeriums für Volksbildung aus den Jahren 1945 bis 1949. Vorführer bewarben sich mit diesen darum, Kinos leiten zu dürfen. Die Selbstzeug­ nisse dokumentieren die Entwicklung des Berufes ebenso wie die Phasen der Verstaatlichung der Lichtspieltheater in der Sowjetischen Besatzungs­ zone (SBZ) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Für die Zeit der DDR schließlich wird das Selbstverständnis von Filmvorführern anhand dreier Buchpublikationen analysiert. Professionalisierung – Fotografien als Zeugnisse eines modernen Arbeitsplatzes In der Frühphase der Kinematografie, zur Zeit des mobilen Lichtspiels in Zeltbauten oder Gasthaussälen, stand der Filmvorführer für alle sichtbar

2 Im vorliegenden Aufsatz wird in Bezug auf die Vorführer vornehmlich das gene­ rische Maskulinum verwandt, da ausschließlich Dokumente, die von Männern verfasst wurden bzw. Männer abbilden, thematisiert werden, es mithin explizit um die (Selbst-)Inszenierung von männlichen Vorführern geht. Die Anzahl weib­ licher Filmvorführer hat seit Beginn der Kinematografie, als der Beruf Männern vorbehalten war, bis in die 1980er‑Jahre, als Frauen dieser Ausbildungsberuf selbst­ verständlich offenstand, nur in geringem Maße zugenommen. Es handelt sich folglich für den im Aufsatz behandelten Zeitraum um ein männlich dominiertes Berufsfeld.

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Die „heimlichen Könige des Filmtheaters“

im hinteren Teil des Saals und ging seiner Profession nach.3 Noch war der Projektor selbst eine Attraktion, die das Publikum interessiert begutachte­ te.4 Mit der Einrichtung ortsfester Spielstätten seit Anfang des 20. Jahrhun­ derts und damit einhergehenden verschärften Sicherheitsvorschriften rich­ teten sich Vorführer zunächst in Kabinenbauten im Saal, später in eigenen Vorführräumen hinter dem Kinosaal ein und verschwanden so nach und nach aus dem Blickfeld des Publikums. In einem Dresdner Varieté etwa, welches 1903 seine Vorstellungen mit einem kurzen Filmprogramm been­ dete, wurde die „hierzu erforderliche Vorführungskabine […] auf dem zweiten Rang mitten unter dem Publikum aufgebaut und war so klein, dass ein Vorführer mit normaler Figur kaum Platz darin hatte.“5 Auch in Saalkinos, also zu Lichtspielstätten umfunktionierten Gasthaus- oder Ballsälen, setzten die Betreiberinnen und Betreiber häufig eine Vorführka­ bine in den Zuschauerraum, sodass den Besucherinnen und Besuchern der Ursprung der Projektion noch präsent blieb.6 In den schmalen Ladenkinos wurde im hinteren Teil der Vorführbereich durch eine Feuerschutzwand abgetrennt und rückte damit in den Hintergrund. Diese Maßnahmen folg­ ten dem Brandschutz und der Sicherheit des Publikums, weniger dem Arbeitsschutz für die Vorführer, die oftmals in kleinen Kabinen ohne Fenster und Lüftung operieren mussten.7 Die ersten Filmvorführer waren Autodidakten. Darauf lässt nicht zuletzt das erstmals 1907 erschienene Handbuch der praktischen Kinematographie schließen. Der Autor Paul Liesegang schreibt im Vorwort, dass seiner Erfahrung nach die Operateure auf sich selbst gestellt seien und kaum Möglichkeiten des direkten Erfahrungsaustausches und damit der Verbes­ 3 Dieses Zwischenkapitel beruht in weiten Teilen auf den Ausführungen in Lühr, Merve: Erstklassig und routiniert. Das Lichtspieltheater als Arbeitsplatz, in: Wolf­ gang Flügel/Merve Lühr/Winfried Müller (Hrsg.): Urbane Kinokultur. Das Licht­ spieltheater in der Großstadt 1895–1949, Dresden 2020, online abrufbar: https://doi.o rg/10.25366/2021.18 (Zugriff 27.7.2021), S. 199–227. 4 Brauns, Jörg: Schauplätze. Zur Architektur visueller Medien, Berlin 2007, S. 252. 5 Sammlung Heinrich Ott zur Geschichte der Dresdner Kinematographie, Teil C: Die Kinematographie als Schaustellung, ca. 1936, Stadtarchiv Dresden, Signatur: 17.2.10, Blatt 5. 6 Aus der Sammlung Ott geht hervor, dass in den ersten Jahren sogar „noch die Auf­ stellung einer beweglichen Kabine als Vorführraum zulässig“ war (Ebd., Signatur: 17.2.10, Blatt 95–96). Über die Dresdner Blumensäle heißt es: „Zu bemerken ist noch, dass der auf der Galerie aufgestellte Apparatraum aus Eisenblech bestand, jedoch keine Entlüftungsanlage besass“ (Ebd., Signatur: 17.2.10, Blatt 78). 7 Pearson, Roberta E./Uricchio, William: Filmvorführer in New York 1909–1913, in: KINtop. Jahrbuch zur Erforschung des frühen Films 9. Lokale Kinogeschichten, 2000, S. 91–108, hier S. 104.

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serung ihrer Fähigkeiten hätten. Er wolle ein Angebot für all jene bereit­ stellen, die auf schriftliche Mitteilungen angewiesen seien.8 Der Autor hatte offenbar einen Leser im Sinn, der zwar über Erfahrungen mit dem Projektor verfügte, zur Verbesserung seiner Fähigkeiten jedoch auf Unterstützung angewiesen war. Schon bald bildeten sich Strukturen zur Professionalisierung der Tätigkeit. Um eine Vorführlizenz zu erhalten, musste eine Prüfung absolviert werden, die Ausbildung war jedoch noch nicht staatlich geregelt. In den Städten gab es verschiedene private Aus­ bildungsmöglichkeiten. So bot in Dresden beispielsweise der Verein der Lichtspieltheaterbetreiber seinen Mitgliedern Vorführungskurse an und die Deutschen Kinematographen-Werke führten Kurse für „junge Leute“ durch.9 Seit 1915 stand der Beruf auch Frauen offen, ihr Anteil war jedoch immer sehr viel geringer als der der Männer.10 Der Einfluss des Filmvorführers auf die Filmrezeption des Publikums beschränkte sich nicht allein darauf, für einen geregelten Ablauf zu sorgen. Dies war freilich die Grundlage seiner Tätigkeit: Abspielen der Filme in der richtigen Abfolge und mit möglichst kurzen Umbaupausen sowie Bedienung der Licht- und gegebenenfalls der Tonanlage. In den ersten Jahren der Kinematografie entschied er auch über die jeweilige Abspielge­ schwindigkeit, z. B. um ein Programm zu strecken oder zu stauchen und es so in das Programmschema einzupassen. Das war eine Herausforderung

8 Liesegang, F. Paul: Handbuch der praktischen Kinematographie, Leipzig 1911, 2. Aufl., S. III. 9 Jubiläums-Festschrift des Mitteldeutschen Bezirksverbandes: Verein der Licht­ spieltheaterbesitzer von Dresden u. Umg. e. V.: (Im Reichsverband Deutscher Lichtspieltheaterbesitzer e. V.) anlässlich seines 20jährigen Bestehens, Großen­ hain 1929, S. 13–15; Dresdner Neueste Nachrichten (DNN) vom 3.8.1907, online abrufbar: https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/203637/ (Zugriff 27.7.2021), S. 8. 10 Toussaint, Jeanette: Komm mit ins Kino! Die Geschichte der Potsdamer Lichtspielthea­ ter (Filmblatt-Schriften. Beiträge zur Filmgeschichte, Bd. 10), Berlin 2020, S. 52. In den Dresdner Neuesten Nachrichten suchte z. B. 1915 eine Vorführerin eine Be­ schäftigung, bezeichnenderweise unter der Rubrik „Stellen suchen. Männliche“: DNN vom 13.1.1915, online abrufbar: https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/ dlf/205801/ (Zugriff 27.7.2021), S. 8. Für seinen Ausbildungsjahrgang von 1973 nennt Christoph Dieckmann 37 Jungen und acht Mädchen: Dieckmann, Chris­ toph: Die Liebe in Zeiten des Landfilms. Eigens erlebte Geschichten, Berlin 2002, S. 42.

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für die Sehnerven des Publikums und die Kinomusiker, die sich an die wechselnden Geschwindigkeiten anpassen mussten.11 Für die ersten Jahre des ortsfesten Kinos lässt sich eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen der zentralen Rolle, die den Projektoren zukam, und ihrer Berücksichtigung in der Einrichtung eines Lichtspieltheaters feststel­ len. Im Handbuch der praktischen Kinematographie von 1928 heißt es: „Die Vorführkabine ist das Herz des Kinotheaters. In richtiger Er­ kenntnis der hohen Bedeutung, welche diesem wichtigsten Raum des Kinotheaters zukommt, haben sowohl Theaterbesitzer als auch Archi­ tekten diesem Raum mehr und mehr ihre Aufmerksamkeit gewidmet und es kann heute wohl nicht mehr der Fall eintreten, der in frühe­ ren Jahren öfter vorgekommen sein soll, daß bei einem Neubau des Kinotheaters die Vorführungskabine gänzlich vergessen war, und dann nach Fertigstellung des Theaterbaues nachträglich an einer unpassen­ den Stelle untergebracht werden musste.“12 Dass die Vorführkabine lange Zeit dort hingesetzt wurde, wo es gerade passte, hängt damit zusammen, dass noch bis weit in die 1930er-Jahre die Umfunktionierung bestehender Räumlichkeiten vor dem Neubau von Ki­ nos überwog. Der Umbau von Läden, Ballsälen oder Kaufhäusern konzen­ trierte sich dabei auf die Einrichtung eines komfortablen und prächtigen Zuschauersaals. Das ‚Herz des Kinotheaters‘ war jedoch das Reich des Ope­ rateurs, mag es auch eng und stickig gewesen sein, das Kinogeschäft hing von seinem Können und seiner Souveränität im Katastrophenfall ab. Fo­ tografien aus den ersten Jahrzehnten der Kinematografie zeigen, dass Vor­ führer durch ihre Arbeitskleidung „als kulturelles Ausdrucksmittel“13 den Eindruck von Autorität und Souveränität optisch unterstrichen. Die ersten Fotografien von ortsfesten Kinos sind Außenaufnahmen, meist stehen drei Personen davor: der Direktor, die Kassiererin und der Filmvorführer in

11 Steinmetz, Rüdiger: Das digitale Dispositif Cinéma – systematisch und historisch betrachtet, in: Rüdiger Steinmetz (Hrsg.): Das digitale Dispositif Cinéma. Untersu­ chungen zur Veränderung des Kinos, Leipzig 2011, S. 15–69, hier S. 39; Dettke, Karl Heinz: Kinoorgeln und Kinomusik in Deutschland, Stuttgart/Weimar 1995, S. 59 f. 12 Joachim, Hermann: Die kinematographische Projektion. Siebente und achte vollstän­ dig umgearbeitete Auflage von F. Paul Liesegang, Handbuch der praktischen Kinemato­ graphie, Halle an der Saale 1928, S. 274. 13 König, Gudrun M./Mentges, Gabriele: Modegeschichte als Mediengeschichte, in: Gudrun M. König/Gabriele Mentges (Hrsg.): Medien der Mode. Textil, Körper, Mode, Berlin 2010, S. VII–XX, hier S. X.

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einem weißen Kittel.14 Wann der weiße Kittel zu seiner Arbeitskleidung wurde und wann er ihn wieder ablegte, kann an dieser Stelle nicht mit Sicherheit festgestellt werden.15 Ein weißer Kittel soll den Eindruck eines professionellen Arbeitsumfeldes vermitteln und dem Träger Autorität ver­ leihen. Der Beruf des Filmvorführers wird über diese Arbeitskleidung mit einer Tätigkeit im wissenschaftlich-technischen Bereich verknüpft, sie un­ terstreicht die Bedeutung als moderner Beruf. Die Auswahl von Kleidung ist „in ihrer jeweiligen sinnlich-materialen Qualität für die Realisierbarkeit eines intendierten Darstellungssinns entscheidend“16. Sie „wird in Schnitt, Farbe und Textur gezielt dem Körper angepasst, der Körper wird umgekehrt in Haltung und Gestalt durch seine Kleidung buchstäblich in Form gebracht, und wie die Fotografie genutzt wird, um die Ausdrucksmöglichkeiten von Körper und Kleid zu erweitern, so vermag umgekehrt der Körper nach Maßgabe bildmedialer Prinzi­ pien und Ideale umgeformt werden.“17 Zwei Fotografien aus Dresden zeigen spezifische Formen dieser (Selbst‑)In­ szenierung. 1909 wurde der Vorführer des Germania-Theaters an seinem Arbeitsplatz porträtiert (vgl. Abbildung 1). Das Bild erweckt den Anschein, als hätte der Vorführer seine Arbeit nur kurz unterbrochen, um für die Aufnahme zu posieren. Sein Kittel ist bis oben hin zugeknöpft und nicht ganz sauber. Seine linke Hand greift den Projektor, hinter ihm ist eine Schaltfläche zu sehen. Der Raum wirkt klein und eng, der Abgebildete schaut selbstbewusst, sein Blick richtet sich auf etwas über der Kamera. Zu sehen ist ein Mann, der die neue Technik zu beherrschen scheint, der zur Avantgarde der Arbeiter zählt und dabei

14 Siehe exemplarisch die Abbildungen in Baacke, Rolf-Peter: Lichtspielhausarchitek­ tur in Deutschland. Von der Schaubude bis zum Kinopalast, Berlin 1982, S. 56 f. 15 An dieser Stelle muss leider ungeklärt bleiben, ob es sich um ein allein deutsches bzw. europäisches Phänomen handelte. Zwei Abbildungen unterstützen diese Vermutung: Die Zeitschrift KINtop stellt einem Text über Filmvorführer in den USA die Zeichnung eines Filmvorführers um 1910 voran, der eine Art Uniform trägt, die ein wenig an einen Schaffner erinnert: Pearson/Uricchio: Filmvorführer in New York, S. 90. Und eine Fotografie von 1927, die in Russland bei einer mo­ bilen Filmvorführung entstanden ist, zeigt den Operateur in einer schlichten Ja­ cke: Deutsche Fotothek, online abrufbar: http://www.deutschefotothek.de/docum ents/obj/80614880 (Zugriff 27.7.2021), abgebildet auch in: Heilig, Monica/Heilig, Walter (Hrsg.): Eugen Heilig. Arbeiterfotograf 1911–1936, Berlin 1996, S. 46. 16 Müller, Michael R.: Körper – Kleidung – Bild. Die mediale Prägnanz der Selbst­ darstellung, in: König/Mentges (Hrsg.): Medien der Mode, S. 151–169, hier S. 152. 17 Ebd., S. 151 f.

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Pionierarbeit leistet, die notwendigerweise mit Widrigkeiten wie beengten Verhältnissen und Schmutz einhergeht.

Abbildung 1: Vorführraum des Dresdner Germania-Theaters, 1909. 20 Jahre später, 1929, wurde der Vorführraum der zwei Jahre zuvor eröffneten Stephenson-Lichtspiele fotografiert (vgl. Abbildung 2). Der Raum wirkt viel großzügiger, im Hintergrund befindet sich wie­ derum eine Schaltfläche, die allerdings deutlich komplexer ist. Der we­ sentliche Unterschied zur vorherigen Darstellung ist jedoch, dass es zwei Projektoren und zwei Vorführer gibt. Für die Tätigkeit des Vorführers bedeutete der Einzug einer zweiten Maschine auch der Einzug eines Kollegen, denn aus Sicherheitsgründen und um die Projektoren ohne Übergang korrekt bedienen zu können, mussten nunmehr zwei Personen gleichzeitig im Vorführraum arbeiten. In kleineren Kinos waren dies nicht unbedingt zwei ausgebildete Vorführer, sondern es wurde beispielsweise eine Platzanweiserin oder ein Platzanweiser für die Unterstützung bei

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der Überblendung angelernt. Die „heimlichen Könige des Filmtheaters“18 mussten nun ihr Reich etwa zwei Jahrzehnte lang teilen. Erst um 1950 her­ um wurden Maschinen entwickelt, die durch die aufeinander abgestimmte Links/Rechts-Ausrichtung von nur einer Person bedient werden konnten.

Abbildung 2: Vorführraum der Dresdner Stephenson-Lichtspiele, 1929. Auf der vorliegenden Abbildung wird der Eindruck vermittelt, dass es sich um zwei ausgebildete Vorführer handelt. Sie sind jeweils auf der rechten Seite des Apparates positioniert. Der vordere, etwas älter als der andere, halbsitzend auf einem Hocker mit konzentriertem Blick an dem Gerät arbeitend; der hintere neben seinem Gerät stehend, sich mit einer Hand an dieses und der anderen auf seine Taille stützend. Sein Blick ist aufmerk­ sam auf seinen Kollegen gerichtet. Hier entsteht der Anschein, dass die

18 Michalski, Jens: ... und nächstes Jahr – wie jedes Jahr. Kinogeschichte Kreis Döbeln 1945–1990. DAS Beispiel für das Lichtspielwesen der SBZ und DDR, Berlin 2003, S. 38.

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Vorführer während ihrer Arbeit fotografiert wurden und diese nicht zum Posieren für das Bild unterbrochen hätten. Beide Männer tragen Anzug und darüber einen offenen, sauberen weißen Kittel. Sie strahlen gelassene Souveränität aus: Hier wurden offenbar nicht mehr Pioniere, sondern Meister ihres Faches inszeniert. Sie herrschen über den Kinoabend, sind sich ihrer Macht bewusst und bereit, die Verantwortung zu tragen. Anhand der Fotografie lässt sich nach Inszenierung und Selbstinszenie­ rung fragen. Es liegt die Vermutung nahe, dass nicht die Vorführer, son­ dern die Projektoren in Szene gesetzt werden sollten. Schließlich konnten sich nur finanzstarke Unternehmen zwei Apparate leisten, eine Praxis, die zu diesem Zeitpunkt noch relativ neu war. Dem potenziellen Publikum wurde durch das Bild vermittelt, dass es in diesem Kino keine Umbaupau­ sen zwischen den Akten mehr gab, sondern direkte Überblendungen. Für das Unternehmen lag ein weiterer Vorteil darin, das Programm notfalls mit dem zweiten aufrechterhalten zu können, wenn ein Apparat ausfiel.19 Das betont seriöse Auftreten der Vorführer diente wohl auch dazu, den Wert der Projektoren zu unterstreichen. Der Entstehungszusammenhang der beiden Fotografien ist unbekannt, es handelt sich jedoch wahrschein­ lich um Auftragsarbeiten, etwa des jeweiligen Kinobetreibers oder des Ver­ eins der Lichtspieltheaterbetreiber, in dessen Festschrift die Bilder erschie­ nen. In beiden Fällen war der Raum für Selbstinszenierungen der Vorfüh­ rer begrenzt. In der folgenden Quellengattung – den selbstgeschriebenen Lebensläufen – kommen zwar die Vorführer selbst zu Wort, schreiben jedoch für ein spezifisches Publikum und zu einem bestimmten Zweck, und so blieben auch hier wenige Freiheiten in der Selbstinszenierung. Transformation – Lebensläufe als Selbstzeugnisse der Redlichkeit und Fähigkeit In der SBZ/DDR veränderte sich die Struktur des Kinogewerbes, indem die bislang privat geführten Unternehmen verstaatlicht und in der Vereini­ gung volkseigener Lichtspieltheater (VVL) zusammengefasst wurden. Die im Folgenden vorgestellten Ego-Dokumente erzählen von diesem Prozess. Unmittelbar nach Kriegsende wurden zunächst durch den Befehl Nr. 124 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) Unter­ nehmer, also auch Kinobesitzerinnen und -besitzer, die das NS-Regime un­ terstützt hatten, entschädigungslos enteignet. Deren Kinos wurden zu­ nächst verpachtet. Drei Jahre später begann die Verstaatlichung aller Ki­ 19 Joachim: Die kinematographische Projektion, S. 277.

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nos, in Sachsen mit dem Gesetz zur Übernahme der Lichtspieltheater durch das Land Sachsen vom 10.12.1948. Ziel war die Zentralisierung in der 1949 gebildeten VVL. Nach der Enteignung konnten sich Interessierte darum bewerben, die Geschäftsführung des verstaatlichten Kinos zu übernehmen. In letzterem Fall bemühten sich oftmals die vormaligen Besitzerinnen und Besitzer erfolgreich darum, weiter in ihrem Kino tätig sein zu können. Und vielfach bewarben sich Filmvorführer als Pächter bzw. Geschäftsführer. Teilweise wurden auch die Aussagen von Angestellten aufgenommen, um zu klären, ob und inwiefern die Betreiberinnen und Betreiber den Na­ tionalsozialismus unterstützt hatten. Die Protagonistinnen und Protagonisten der Enteignungs- und Neuver­ gabeprozesse waren verpflichtet, einen Lebenslauf einzureichen, weshalb sich in den Beständen des Ministeriums für Volksbildung zur Neuorgani­ sation des Lichtspielwesens in der SBZ/DDR zahlreiche von den Vorfüh­ rern selbst verfasste Lebensläufe finden. Viele von ihnen landeten mehr oder weniger zufällig in der Kinobranche, beispielsweise weil sie aufgrund einer Erkrankung ihren Beruf nicht mehr ausüben konnten oder sich aufgrund von Arbeitslosigkeit umorientieren mussten. So berichtete ein 1925 geborener Schlosser, der im Zweiten Weltkrieg an der Westfront schwer verletzt wurde, das Folgende: „[I]m Herbst 1944 [wurde ich] zur Umschulung als Filmvorführer geschickt. Am 2. Februar 1945 legte ich die staatliche Prüfung als Filmvorführer in Berlin ab. Da­ nach übernahm ich in München ein Truppenkino.“20 Nach kurzer Kriegs­ gefangenschaft in Freital verblieb er dort und wurde im Dezember 1945 Vorführer in den Metropol-Lichtspielen.21 Seine Verletzung bewahrte ihn offenbar davor, zurück an die Front geschickt zu werden. In der Wehr­ macht wurden viele Soldaten zu Filmvorführern ausgebildet, um die Trup­ pe mithilfe von Filmen bei Laune zu halten. Und viele versuchten, wie die­ ser, nach 1945 mit der neuen Ausbildung beruflich Fuß zu fassen. Ein mittlerweile zum Geschäftsführer eines Kinos aufgestiegener ehe­ maliger Eisendreher, geboren 1909, hatte sich nach einer Krankheitsdia­ gnose bewusst dem Lichtspieltheater zugewandt: „1935 erhielt ich eine feste Anstellung in der Reparaturwerkstatt der Sächs. Leinenindustrie in Freiberg. Aus dieser Firma mußte ich 1941

20 Lebenslauf!, 19.8.1947, Sächsisches Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden (HS­ tA Dresden), 11401 Landesregierung Sachsen, Ministerium für Volksbildung, 2684 Lichtspieltheater in den Kreisen Borna, Dresden, Freiberg, Dippoldiswalde und Flöha, hier Bestand: Freital-Döhlen, Filmschau Döhlen, Blatt 1. 21 Ebd., Blatt 1 f.

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auf Grund des mir anhaftenden chron. Magenleidens ausscheiden. Da mir dies bereits 1934 von den mich behandelnden Ärzten vorausgesagt wurde, hatte ich mich seit 1935 eifrig in die Belange des Lichtspiel­ theatergewerbes vertieft. Diese Richtung und die weitere Entwicklung ist hauptsächlich auf den Umstand zurückzuführen, daß meine Frau bereits seit 1929 im Lichtspieltheater als Kassiererin tätig ist. Am 16. Juni 1941 trat ich in die Turmhoflichtspiele als Volontär ein, be­ stand im März 1942 die Filmvorführerprüfung und wurde auf Grund meiner Leistungen Geschäftsführer.“22 Die Hinwendung zu einer Tätigkeit, die wenig körperliche Anstrengung verlangte, ist nachvollziehbar. Da sich der ehemalige Eisendreher nach Kriegsende mit seinem Lebenslauf auf die Kinoleitung bewarb, mag er sein ursprüngliches Interesse am Lichtspieltheater überbetont haben. Das könnte jedoch auch daran liegen, dass er sich endgültig gegen seinen ehemaligen Chef durchsetzen wollte, der einerseits ein Pionier des Kinoge­ werbes war, andererseits durch die Mitgliedschaft in der Nationalsozialisti­ schen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und im Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK) keinen Anspruch mehr auf Leitungstätigkeiten hatte. Dieser wiederum wurde 1874 geboren und machte nach seiner Lehrzeit in Elektrotechnik und Feinmechanik die Bekanntschaft eines Schaustellers, „welcher in mittleren und größeren Städten Lichtbildervorträge veran­ staltete. Mit diesem Herren begann ich nach beendigter Lehrzeit zu reisen und hatte die Aufgabe die Projektions-Apparate zu bedienen. Ich lernte das Reisen kennen und beschloß, nachdem ich mir die nötigen Mittel dazu erspart hatte, das gleiche auf eigene Hand zu ver­ anstalten. Nach einigen Jahren tauchte die lebende Fotografie auf […] und es gelang mir solche zu erwerben, sodaß ich nur noch ausschließ­ lich lebende Fotografien zeigte. Im Winter spielte ich in den großen Säälen [sic] der verschiedensten Städte und im Sommer besuchte ich mit einem Zelt die Schützenfeste. Im Jahre 1910 gründete ich dann

22 O. T., 24.3.1948, HStA Dresden, 11401 Landesregierung Sachsen, Ministerium für Volksbildung, 2684 Lichtspieltheater in den Kreisen Borna, Dresden, Freiberg, Dippoldiswalde und Flöha, hier Bestand: Freiberg/Sa., Turmhof-Lichtspiele, Blatt 21.

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in Neustadt i. Sachs. mein erstes ständiges Kino, und zwar hatte ich dieses in einem neugebauten Fabriksaal daselbst eröffnet.“23 In den folgenden Jahren bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges eröffnete er weitere Kinos in Neustadt und Freiberg. Den genannten NS-Organisationen gehörte er nach eigener Versicherung lediglich passiv an,24 dennoch durfte er seine Kinos in der SBZ nicht behalten. Seine ur­ sprüngliche Intention, sich dem schaustellenden Gewerbe anzuschließen, scheint vornehmlich von seinem Interesse am Reisen und der Möglichkeit, die Heimat zu verlassen, geleitet gewesen sein, und weniger von einer Leidenschaft für die Lichtbildvorträge. Er erkannte jedoch frühzeitig das Potenzial der Kinematografie und baute sein Unternehmen immer weiter aus. Weniger Belege lassen sich in den Quellen für junge Männer finden, die den Beruf des Filmvorführers gezielt anstrebten. Ein 1901 Geborener, der bereits mit der Kinematografie aufwuchs, könnte dafür ein Beispiel sein: „Schulbesuch: Volksschule u. Gymnasium bis Obersekundareife 1918. Danach Ausbildung und Berufsausbildung als Elektro-Installateur bis 1926. Als geprüfter Vorführer tätig gewesen vom gleichen Jahre an in verschiedenen Orten des Reiches. Seit 1928 als I. Vorführer u. Elektriker im Capitol, Plauen.“25 Doch der nüchterne Lebenslauf verrät nichts über die Wünsche und Pläne des Verfassers. Ebenso gut könnte es sein, dass er im Verlauf seiner Ausbil­ dung zufällig den Beruf des Filmvorführers kennenlernte und sich zu der Zusatzausbildung entschloss. Die Lebensläufe in den Akten des Ministeriums für Volksbildung sind dem Anlass entsprechend sachlich verfasst und verraten meist wenig über die Persönlichkeiten der Autoren. Diese gaben insbesondere einen

23 Abschrift. Mein Lebenslauf, o. D., HStA Dresden, 11401 Landesregierung Sach­ sen, Ministerium für Volksbildung, 2684 Lichtspieltheater in den Kreisen Borna, Dresden, Freiberg, Dippoldiswalde und Flöha, hier Bestand: Freiberg/Sa., Turm­ hof-Lichtspiele, Blatt 5 (Rechtschreibung wie im Original). 24 Eidesstattliche Erklärung, 29.8.1945, HStA Dresden, 11401 Landesregierung Sach­ sen, Ministerium für Volksbildung, 2684 Lichtspieltheater in den Kreisen Borna, Dresden, Freiberg, Dippoldiswalde und Flöha, hier Bestand: Freiberg/Sa., Turm­ hof-Lichtspiele, Blatt 4. 25 Lebenslauf, 28.1.1948, HStA Dresden, 11401 Landesregierung Sachsen, Ministeri­ um für Volksbildung, 2685 Lichtspieltheater in den Kreisen Dresden, Dippoldis­ walde, Grimma, Marienberg, Plauen, Pirna, Rochlitz, Borna und Chemnitz, hier Bestand: Plauen/Vgtl., Jugendfilmtheater Werk der Jugend, Blatt 24.

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Einblick in ihren soziokulturellen Hintergrund und ihren beruflichen Werdegang. Sie erläuterten aber kaum, was sie am Kinogewerbe interes­ sierte und warum sie sich dafür entschieden, sich zum Filmvorführer ausbilden zu lassen. Bei einigen scheint es die Möglichkeit, zu reisen gewesen zu sein, andere hatten über ihr familiäres Umfeld bereits gute Einblicke in ein Lichtspieltheater. Auch über Arbeitsbedingungen und Selbstverständnis verraten diese Ego-Dokumente wenig. Aufschluss geben sie jedoch darüber, dass der Weg zum Filmvorführer über eine Ausbildung im elektromechanischen Bereich führte. Die Lebensläufe dokumentieren hauptsächlich fachliche Hintergründe in den Bereichen Elektrotechnik und Feinmechanik und als erste Ausbildungsberufe Elektroinstallateur, Eisendreher oder Schlosser. Aus den Lebensläufen geht zudem die herausragende Stellung des Vor­ führers innerhalb des Kinounternehmens hervor, die es ermöglichte, zum Geschäftsführer und Besitzer aufzusteigen. Schließlich war es von Vorteil, wenn der Kinobetreiber das Kerngeschäft, die Filmprojektion, beherrschte. Retrospektion – Buchpublikationen als Zeugnisse einer vergangenen Welt In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurden kaum neue Filmvorführer zur Ausbildung zugelassen, da es infolge von Kriegszerstö­ rungen und Reparationsleistungen weniger funktionsfähige Spielstätten gab, viele ausgebildete Filmvorführer noch keine neue Anstellung gefun­ den hatten und davon ausgegangen wurde, dass nach und nach weitere Soldaten aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und mit Arbeit versorgt werden müssten. Im August 1946 veröffentlichte die Abteilung Volksbil­ dung der Landesverwaltung Sachsen ein Schreiben an „alle Lichtspielthea­ ter im Bundesland Sachsen“26, in dem bezüglich der Anstellung von Filmvorführern festgehalten ist, dass sich strafbar macht, wer „Personen als Filmvorführer beschäftigt […], die nicht im Besitz gesetzlich vorge­ schriebener Ausweise sind“, und weiterhin, dass die „bei der ehemaligen Wehrmacht erworbenen Vorführscheine […] für Filmvorführungen in öffentlichen Lichtspielhäusern keine Gültigkeit“ haben, da sie nur für eine andere Gefahrenklasse gelten würden. Festgehalten wird darüber hinaus, dass in den sächsischen Arbeitsämtern insgesamt etwa 100 „stellungslose Filmvorführer gemeldet“ seien und dass „damit gerechnet [werde], daß

26 Die folgenden Zitate sind übernommen aus dem Transkript des Schreibens in Michalski: ... und nächstes Jahr, S. 10.

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laufend Filmvorführer aus der Gefangenschaft zurückkommen. Solange nicht ein großer Teil dieser Stellungssuchenden Beschäftigung gefunden hat, kann an eine Neuausbildung nicht herangegangen werden.“ Weiter hieß es, dass man an den Bedingungen für zukünftige Ausbil­ dungen arbeite: „Die Vorarbeiten zur Errichtung einer Prüfstelle für Film­ vorführer sind in Angriff genommen. Es müssen dazu neue Verordnungen erlassen werden, die alle Zulassungsbestimmungen und viele weitere Ein­ zelheiten enthalte[n].“ 1949 wurde die Ausbildung neu geregelt. Zuständig für Vergabe des Vorführscheins war das Ministerium für Arbeit und Sozialwesen. Wer sich ausbilden lassen wollte, musste zunächst die Bestätigung des Arbeitsamtes einholen, dass ein Bedarf an neuen Filmvorführern bestand. Zudem muss­ ten Antragsteller eine Ausbildung im Beruf des Elektrikers, Mechanikers, Maschinenbauers, Schlossers oder ähnlichem nachweisen. Die Ausbildung selbst erfolgte in staatlich dazu berechtigten Kinos. Sie dauerte sechs Mo­ nate, in denen der Auszubildende täglich an zwei Vorführungen teilzuneh­ men hatte. Alternativ konnten Auszubildende nach einer zweimonatigen Tätigkeit in einem Kino einen vierwöchigen Lehrgang für Filmvorführer der Staatlichen Ingenieursschule für Optik in Jena besuchen. 1953 wurde die Zentralschule des Lichtspielwesens zur Ausbildung von Filmvorfüh­ rern gegründet.27 Nach wie vor bildete eine Lehre im technischen Bereich die Grundlage für eine Weiterbildung zum Filmvorführer. Karl Röwer hält in seinem erstmals 1953 erschienenen Handbuch Die Technik für Film­ vorführer fest: „Das vorliegende Buch soll allen, die sich auf die Prüfung des Licht­ spielvorführers vorbereiten, ein Leitfaden sein. Darüber hinaus soll es dem in der Praxis stehenden Vorführer helfen, die erworbenen Kennt­ nisse von Fall zu Fall wieder aufzufrischen, um bei neu herantretenden Aufgaben Auskunft zu geben und soll auch in Störungsfällen eine Nachschlagequelle sein. […] Es wurde dabei angenommen, daß die in der Ausbildung begriffenen Vorführer aus einem technischen Beruf (Elektriker, Mechaniker) kom­ men und später einmal die Verantwortung für die technische Einrich­ tung eines größeren Filmtheaters übernehmen können.“28

27 DEFA-Stiftung: Lichtspielwesen, online abrufbar: https://www.defa-stiftung.de /defa/geschichte/filmwesen-der-ddr/6-bildung/630-lichtspielwesen/ (Zugriff 27.7.2021). 28 Röwer, Karl: Die Technik für Filmvorführer, Halle an der Saale 1953, S. V.

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1956 schließlich wurde der Beruf des Filmvorführers als eigener Ausbil­ dungsberuf anerkannt, in dem Facharbeiter- und Meistertitel erworben werden konnten.29 Die Ausbildung wurde in den ersten Jahren mittels Lehrgängen absolviert, bis zu einem zweijährigen Direktunterricht für die Facharbeiterausbildung und zum Fernstudium für die Meisterausbildung übergegangen wurde.30 Seit 1969 wurden die angehenden Filmvorführer im Internat ausgebildet. Die Zentrale Betriebsschule des Lichtspielwesens des Ministeriums für Kultur war bis 1970 in Potsdam, danach bis zum Ende der DDR in Langenau/Sachsen angesiedelt. Anhand dreier Buchveröffentlichungen ehemaliger Vorführer wird im Folgenden eine spezifische Perspektive auf die Tätigkeit in der DDR ein­ genommen. Die drei Autoren verfolgen unterschiedliche Ansätze. Jens Michalski hat 2003 am Beispiel des Kreises Döbeln eine Kinogeschichte der DDR verfasst: ... und nächstes Jahr – wie jedes Jahr. Kinogeschichte Kreis Döbeln 1945–1990. DAS Beispiel für das Lichtspielwesen der SBZ und DDR. Iwailo Schmidt hat seine Erinnerungen an das Arbeiten im Kino im Selbst­ verlag unter dem Titel Der unsichtbare Filmstar. Eine Liebesgeschichte aus der Epoche des Kinos 2009 herausgebracht und Christoph Diekmann versam­ melt in seinem Buch von 2002 Die Liebe in den Zeiten des Landfilms. Eigens erlebte Geschichten autofiktionale Erzählungen.31 Allen drei Veröffentlichungen ist gemein, dass sie erst nach dem Ende der DDR und somit mit retrospektivem Blick auf die Ereignisse verfasst wurden. Jens Michalski erwarb seinen Vorführschein 1985. In seiner Kinoge­ schichte erzählt er wenig von eigenen Erfahrungen, es wird jedoch deut­ lich, dass, neben Archivalien und offiziellen Verordnungen, die Erinne­ rungen seiner Freundinnen und Freunde und Bekannten aus dem Licht­ spielwesen in den Band einflossen. Die Kapitel orientieren sich an den jeweiligen Jahrzehnten und für die 1960er-Jahre entwirft Michalski sein eigenes Kaleidoskop an ‚Kinotypen‘: „[Es] wurde weiter größter Wert darauf gelegt, qualifiziert motivierte Mitarbeiter zu beschäftigen. Dies erwies sich teilweise als ein schwie­ 29 Michalski: ... und nächstes Jahr, S. 38; DEFA-Stiftung: Lichtspielwesen, online ab­ rufbar: https://www.defa-stiftung.de/defa/geschichte/filmwesen-der-ddr/6-bildung/ 630-lichtspielwesen/ (Zugriff 27.7.2021). 30 DEFA-Stiftung: Lichtspielwesen, online abrufbar: https://www.defa-stiftung.de /defa/geschichte/filmwesen-der-ddr/6-bildung/630-lichtspielwesen/ (Zugriff 27.7.2021). 31 Michalski: … und nächstes Jahr; Schmidt, Iwailo: Der unsichtbare Filmstar. Eine Lie­ besgeschichte aus der Epoche des Kinos, 2. Aufl., Dresden 2009; Dieckmann: Die Lie­ be.

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riges Unterfangen, da man den Beschäftigten des Lichtspielwesens et­ was zigeunerhaftes, unstetes nachsagte – in Bezug auf Arbeitszeiten und Beruf. So umfangreich die Arbeitsbereiche im Kino waren, so unterschiedliche Berufs- und Beschäftigungsbilder kannte man. Sie be­ gannen beim Heizer, der Raumpflegerin; ihre Aufgaben sind bekannt. Ebenso verhält es sich mit der Kassiererin. Es folgte: Die Kontrolleu­ rin – Die Aufgabe bestand darin, die Eintrittskarten der Besucher zu kontrollieren, zu entwerten. […] Der Saal, Parkett wie Balkon, war der Bereich der Platzanweiserinnen. Ihnen oblag, die Kinogäste auf ihre nummerierten Plätze zu führen. Eine Notwendigkeit bei oft aus­ verkauften Vorstellungen. Ein ausgesprochen gutes Gehör und Einfüh­ lungsvermögen wurde von dem ‚verlängerten Arm des Filmvorführers‘ – der Tonsteuerin – abverlangt. Sie mußte die richtige Lautstärke, die je nach Pausenmusik, Vorprogramm und Hauptfilm recht unter­ schiedlich war, im Saal einpegeln. Auf der ersten Stufe hinter der Ku­ lisse finden wir die Umrollerin. Nach Eintreffen der Filme zur neuen Spielwoche, die in der DDR freitags begann, wurden die einzelnen Akte der Filme, je nach Einsatz, genauestens kontrolliert und auf An­ fang gespult. […] Es folgten die ‚heimlichen Könige des Filmtheaters‘ – die Filmvorführer/innen […]. Dabei unterschied man noch den/die 1. und 2. Filmvorführer/in, resultierend aus Berufserfahrung und Wei­ sungskompetenz. Sämtliche vorgenannten Mitarbeiter unterstanden dem Theaterleiter. Diese/r Theaterleiter/in war ein Kinofachmann, der sämtliche Bereiche seines Kinos kannte und beherrschte.“32 Der Autor erwähnt einleitend das – angeblich – gängige Bild über Kinoan­ gestellte („etwas zigeunerhaftes, unstetes“), um anschließend den hohen Grad an Professionalität und Umsicht der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hervorzuheben. Die Aufzählung verdeutlicht, welche Berufe und Tätigkeiten es im Kino der 1960er-Jahre gab. Michalskis Darstellung hebt darauf ab, dass die verschiedenen Posten ineinandergriffen und alle gemeinsam für eine gelungene Filmveranstaltung sorgten. Sein Bild von den Vorführern als „heimliche Könige“ – eine Formulierung, die er durch die Anführungszeichen ironisiert – verweist auf das Filmtheater als eigenes Reich, mit eigenen Gesetzen und Gepflogenheiten, deren Untertanen die Leidenschaft für das Kino einte. Selbst der Theaterleiter, der Chef, wird nicht als Kulturfunktionär, sondern als Kinofachmann charakterisiert, der die Stellung als ‚offizieller König‘ also zu Recht innehat und nicht in Kon­

32 Michalski: ... und nächstes Jahr, S. 37 f.

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kurrenz zum Vorführer steht. Der „heimliche König“ ist der wichtigste Mitarbeiter, derjenige, dem alle anderen zuarbeiten und der die Hauptver­ antwortung trägt. Die anderen beiden Autoren orientieren ihre Erzählungen enger an eigenen Erfahrungen und gehen weniger bzw. gar nicht auf die allgemeine Kinogeschichte ein. Iwailo Schmidts Interesse gilt vornehmlich der Kino­ technik, nicht den Kinofilmen. Um dies zu unterstreichen, stellt er seinem Buch folgende Widmung voran: „Viele Kunst- und Kulturinteressierte kennen die vielfältigen Veröf­ fentlichungen über Dramaturgen, Drehbuchautoren, Regisseure, Ka­ meramänner und natürlich die Schauspieler. Was ist aber mit den Menschen, die nicht als Künstler, sondern als Techniker entscheidend dazu beitragen, dass viele Kunstgattungen überhaupt und in höchster Qualität realisiert werden können. Ihre Namen und Lebensläufe blei­ ben häufig im Dunkeln. Von diesen engagierten Menschen berichtet dieses Buch.“33 Dieses Selbstverständnis ist auch bei Michalski zu finden, der auf der ersten Seite schreibt, dass Kinotechniker „sich als Mittler zwischen den Filmschaffenden und der Bevölkerung sahen“34. In seiner Erzählung hebt Schmidt insbesondere den Filmvorführer eines Dresdner Kinos, bei dem er als Jugendlicher seinen ersten Vorführschein erworben hat, und einige Lehrer in Langenau hervor. Er inszeniert sich in seinem autobiografischen Werk als Nonkonformist, jedoch nicht als Systemgegner. In der Welt des Kinos habe er endlich Gleichgesinnte gefunden, nachdem er sich weder in seinem Elternhaus noch in der Schule willkommen gefühlt habe. Und so absolvierte er bereits parallel zur Oberschule heimlich einen mehrmonati­ gen Lehrgang. Nach dem Schulabschluss begann er dann nicht, wie von ihm erwartet worden sei, ein Studium, sondern arbeitete als Vorführer in einem Dresdner Kino. Da sich seine Zuverlässigkeit schnell in der Stadt herumgesprochen habe, wurde er für zahlreiche weitere Filmvorführun­ gen engagiert – bei Tanzveranstaltungen ebenso wie bei einer Parteiver­ anstaltung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) für den vietnamesischen Botschafter.35 Zur Facharbeiter-Ausbildung in Langenau entschloss er sich Anfang der 1980er-Jahre der Liebe wegen.36 Die dortigen 33 34 35 36

Schmidt: Der unsichtbare Filmstar, S. 8. Michalski: … und nächstes Jahr, S. 4. Schmidt: Der unsichtbare Filmstar, S. 164–175. Schmidt und Dieckmann berichten übereinstimmend, dass etwa ein Fünftel oder ein Sechstel der Auszubildenden im Internat Frauen waren.

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Lehrer beschreibt er als eigen, durch ehrliches Interesse an der Kinotech­ nik und hohe Arbeitsbereitschaft habe man sie jedoch für sich gewinnen und von ihrem Wissen profitieren können. Laut Schmidts Darstellung bot die Welt des Kinos eine Nische. So be­ schreibt er die Kinomitarbeiter des Bezirks Dresdens als „große Familie von Individualisten und Psychopathen, zu denen [er] nun dazu gehörte“37. Anders als andere Werktätige in der DDR hätten sie sich auf die Demons­ tration und anschließenden Feierlichkeiten zum 1. Mai gefreut, da dies die einzige Gelegenheit im Jahr war, dass sich alle Kinoangestellten des Be­ zirks treffen konnten.38 Damit ist ein weiterer Punkt angedeutet, der das Arbeiten im Kino in der DDR prägte: die Arbeit im kleinen Kollektiv. Denn selbstverständlich bildeten auch die Angestellten eines Kinos jeweils ein Kollektiv und waren ebenso wie alle anderen Werktätigen in den sozia­ listischen Wettbewerb eingebunden.39 Doch sie arbeiteten in einem relativ geschlossenen Bereich mit relativ wenigen direkten Kollegen und klar von­ einander abgegrenzten Aufgabengebieten, einen Großteil ihrer Arbeitszeit verbrachten sie räumlich oder zeitlich getrennt voneinander. Das Kino war damit ein Arbeitsplatz, der an vielen Positionen mit ‚Eigenbrötlern‘ besetzt werden konnte. Für einen Filmvorführer war dies besonders signifikant, da er sich in seinen Vorführraum zurückziehen konnte und keinen Publi­ kumskontakt hatte. Christoph Dieckmann inszeniert sich in seinen Erzählungen ebenfalls als unkonventionell. Als Christ hatte er zudem in der DDR mit spezifischen Schwierigkeiten zu kämpfen und daraus resultierend eine distanzier­ te Haltung zum Staat. Da er nicht zum Abitur zugelassen worden war, musste er eine Ausbildung zum Facharbeiter abschließen, um dennoch wie gewünscht Theologie studieren zu können. Laut seiner Erzählung Paster. Eine Herkunft schlugen seine Eltern ihm den Beruf des Filmvorfüh­ rers vor und so kam er Anfang der 1970er-Jahre an das Filmvorführin­ 37 Schmidt: Der unsichtbare Filmstar, S. 160. 38 Ebd. 39 Siehe zum Wettbewerb in den Kinos: Michalski: … und nächstes Jahr; zum sozia­ listischen Wettbewerb allgemein z. B.: Reichel, Thomas: „Sozialistisch arbeiten, ler­ nen und leben“. Die Brigadebewegung in der DDR (1959–1989), Köln 2011; Schüle, Annegret: Von der Verpflichtung zum Vergnügen. Brigadeleben im VEB Leipzi­ ger Baumwollspinnerei in den siebziger und achtziger Jahren, in: Renate Hürt­ gen/Thomas Reichel (Hrsg.): Der Schein der Stabilität. DDR-Betriebsalltag in der Ära Honecker, Berlin 2001, S. 127–141; und zum Arbeiten im Kollektiv die Aufsät­ ze in Lühr, Merve (Hrsg.): Arbeiten im Kollektiv. Politische Praktiken der Nor­ mierung und Gestaltung von Gemeinschaft (Tagungsbeiträge), in: Volkskunde in Sachsen 28, 2016, S. 9–174.

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ternat Langenau.40 Anders als Schmidt fühlte er sich unter den Kinotech­ nikern nicht wohl, er nennt die Umgebung „anti-musische Welt prakti­ scher Zwecke“41 und beschreibt Filmvorführer als „ein sehr, sehr sonder­ bares Volk, schlechtbezahlte Kinoträumer, Egomanen, neurotisch hochbe­ gabt“42, womit er die Selbstbeschreibung der beiden vorher besprochenen Autoren in gewisser Weise aufgreift, allerdings in pejorativer Absicht. Als kreativer Kopf mit Freiheitsdrang übertrat er wiederholt die Schulregeln und wurde schließlich zwei Wochen vor den Abschlussprüfungen aus dem Internat ausgeschlossen. Ein Jahr in der „Erwachsenen-Qualifikation“, in der er für den Landfilm43 tätig war, ermöglichte ihm schließlich doch noch den Zugang zur Facharbeiterprüfung.44 Die Beispiele von Iwailo Schmidt und Christoph Dieckmann zeigen, dass in der DDR verschiedene Wege zum Beruf des Filmvorführenden führten, dass es ein Beruf war, der über Umwege erreicht, und angestrebt werden konnte, wenn andere Optionen verschlossen waren. Schmidt und Michalski schrieben ihre Bücher, um Zeugnis von einer vergangenen Epoche abzulegen. Sie präsentieren sich als begeisterte und leidenschaftliche Kinotechniker, ihre Ausführungen sind vom Bedauern über die technischen Veränderungen und darüber, dass die Kinolandschaft der DDR nach der Wiedervereinigung radikalen Wandlungsprozessen un­ terlag, geprägt, in deren Ergebnis es deutlich weniger Kinos gab als zuvor und Multiplexkinos in die Innenstädte einzogen. Beide eint ein nostalgi­ scher Blick zurück auf das Lichtspielwesen in der DDR. Michalski vertei­ digt die Arbeit im Kollektiv und den fließenden Übergang zwischen Ar­ beits- und Privatleben.45 Auch der Blick zurück auf Bürokratie und Über­ frachtung mit Vorschriften, den er in Form von diversen Quellenzitaten vollzieht, wird durch die Überschrift „Stilblüten“ ironisiert.46 Strukturelle Probleme, wie die mangelnde Investition in Ausstattung und Technik, die zu massivem Materialverschleiß und damit bereits zur Zeit der DDR zu zahlreichen Kinoschließungen führte,47 werden nicht kritisiert. Vielmehr

40 41 42 43 44 45 46 47

Dieckmann: Die Liebe, S. 42. Ebd., S. 43. Ebd., S. 42. DEFA-Stiftung: Landfilm, online abrufbar: https://www.defa-stiftung.de/defa/gesc hichte/filmwesen-der-ddr/4-kommunikation/440-landfilm/ (Zugriff 27.7.2021); sowie das entsprechende Kapitel in Michalski: … und nächstes Jahr, S. 83–104. Dieckmann: Die Liebe, S. 46. Michalski: … und nächstes Jahr, S. 67. Die grauen Kästen mit den Zitaten durchziehen den gesamten Band. Toussaint: Komm mit ins Kino, S. 51.

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wird mit Stolz davon erzählt, wie man gemeinsam solchen Widrigkeiten getrotzt habe. Folgerichtig kritisiert Schmidt einen Vorgesetzten dafür, dieses Arbeitsethos nicht geteilt zu haben, dieser sei „ein fauler Hund [gewesen], der sich kaum engagierte, geschweige denn sich die Hände bei der Arbeit beschmutzte“48. Dieckmann hingegen verweigerte sich der Rolle des engagierten Filmvorführers: „Meine Landfilmzeit mag ich nicht missen, so randvoll war sie mit brüllender Komik. Bauern wollten mich verprügeln, weil ich ihnen den Krimi kürzte, um den letzten Bus nicht zu verpassen. Zur Stunde des sowjetischen Films für die SED-Kreisleitung startete ich statt der grusinischen Romanze ‚Als die Mandelbäume blühten‘ das tschecho­ slowakische Lustspiel ‚Ein Affe am Familientisch‘ – leider rückwärts; der Film war nicht umgespult. ‚Bengel!‘ schrie Kreisfilmstellenleiter Helbig und tobte, das Schlimmste befürchtend, über die Feuertreppe in den Vorführraum. Es ging glimpflich ab. Die Genossen saßen in der Kinobar, tranken und amüsierten sich prächtig.“49 Er wendet hier einen amüsierten Blick zurück, mit dem er seine eigene Unbesonnenheit bzw. Unbesorgtheit zeigt und die Genossen vorführt. Anders als die zuvor analysierten Quellengattungen zeigen die retrospek­ tiv entstandenen Buchpublikationen eine breitere Varianz an Selbstdarstel­ lung und Ausdrucksmöglichkeiten. Sie bilden unterschiedliche Perspekti­ ven auf den Beruf des Filmvorführers in der DDR ab. Zusammenfassung Das obige Zitat Dieckmanns über seine Arbeit für den Landfilm zeigt eindrücklich, dass der Vorführer nach wie vor erheblichen Einfluss auf das Kino- und Filmerlebnis des Publikums hatte. Die selbstbewusste Hal­ tung von Filmvorführern, die in den besprochenen Quellen transportiert wird, liegt darin begründet. Die drei Quellengattungen lassen sich kaum miteinander vergleichen, die Zusammenstellung erscheint zunächst sogar willkürlich. Die Analyse zeigt jedoch, dass sie jeweils eng mit der Zeit, in der sie entstanden, verknüpft sind und daher selbst zum Erkenntnisgewinn beitragen. Im ersten Abschnitt wurden Fotografien thematisiert, die die visuelle Inszenierung von Filmvorführern in den ersten Jahrzehnten der

48 Schmidt: Der unsichtbare Filmstar, S. 166. 49 Dieckmann: Die Liebe, S. 46 [Hervorhebung im Original].

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‚Lebenden Bilder‘ zeigen. Fotografie war zu dieser Zeit selbst noch ein junges Medium. „Die Entstehung neuer Medien, die technische Perfektionierung und der Ausbau existierender Medien bedeutet folglich nicht nur eine einfache Multiplizierung, sondern sie gestalten das Gefüge der Medi­ en um und verändern damit die Wirkungen und Reichweite ihrer Botschaften. Zwischen den Medien entfaltet sich ein intermediales Bezugssystem, das durch gegenseitige Verweise und verschiedene me­ diale Techniken bei einem neuen Medium die Bedeutungen der zu vermittelnden Inhalte neu aushandelt, ihre Platzierung im Gefüge der Medien anders bestimmt und daraus neue Topoi entstehen lässt.“50 Fotografien von Vorführern verankern das Medium Kino demnach in der modernen Medienlandschaft. Zunächst, indem durch den Akt des Fotografierens die beiden jungen Medien Film und Fotografie miteinander verknüpft werden. Darüber hinaus, indem der neue Beruf des Vorführers aufgrund von technischem Arbeitsumfeld und Kleidung als modern an sich und einem neuen Medium dienend inszeniert wird. Die im zweiten Teil vorgestellten Lebensläufe sind zweckmäßige EgoDokumente. Sie zeugen von der Notwendigkeit, seine Vergangenheit zu legitimieren, um in der Zukunft, im Postnationalsozialismus, Fuß fassen und sich gegebenenfalls gegen politisch belastete Konkurrenz durchsetzen zu können. Sie erzählen vom soziokulturellen Hintergrund der Verfasser und ihrem Weg zum Beruf des Filmvorführers, wobei eine Zeitspanne vom Kaiserreich bis in die 1940er-Jahre abgedeckt wird. Die Buchpublikationen aus dem dritten Abschnitt schließlich sind als Zeugnisse einer vergangenen Zeit verfasst. Jens Michalski und Iwailo Schmidt verfolgen dezidiert ein erinnerungskulturelles Anliegen. Ihr Blick zurück ist von Bedauern über die Entwicklung nach 1989 geprägt, zu­ gleich sind ihre Publikationen erst durch das Ende der DDR und die damit einhergehende Freiheit möglich geworden. Letzteres prägt auch den Band von Christoph Dieckmann, der einen literarischen Zugang zu seiner Geschichte wählt. Die jeweilige Quellengattung lässt Rückschlüsse auf die Zeit ihrer Ent­ stehung zu und hebt jeweils spezifische Aspekte der Selbstinszenierung der Vorführer hervor. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Operateure Pioniere eines neuen Mediums, mit der Etablierung des Berufes konnte dieser den Weg zur Leitung eines Kinos ebenen und gesellschaftlichen

50 König/Mentges: Modegeschichte, S. VII f.

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Aufstieg mit sich bringen. Im Laufe der DDR wandelte sich das Selbstbild der Vorführer hin zum eigenwilligen Techniker, der mit viel Engagement seiner herausragenden Position innerhalb des Kinotheaters gerecht wird.

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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Jubiläums-Festschrift des Mitteldeutschen Bezirksverbandes: Verein der Lichtspieltheaterbesitzer von Dresden u. Umg. e. V.: (Im Reichsverband Deutscher Lichtspieltheaterbesitzer e. V.) anlässlich seines 20jährigen Bestehens, Großenhain 1929, S. 26. Abbildung 2: Jubiläums-Festschrift des Mitteldeutschen Bezirksverbandes: Verein der Lichtspieltheaterbesitzer von Dresden u. Umg. e. V.: (Im Reichsverband Deutscher Lichtspieltheaterbesitzer e. V.) anlässlich seines 20jährigen Bestehens, Großenhain 1929, S. 27.

Quellenverzeichnis Stadtarchiv Dresden, Signatur: 17.2.10 – Sammlung Heinrich Ott zur Geschichte der Dresdner Kinematographie, Teil C: Die Kinematographie als Schaustellung, ca. 1936. Sächsisches Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden, Signatur: 11401 – Landesregierung Sachsen, Ministerium für Volksbildung; 2684 – Lichtspieltheater in den Kreisen Borna, Dresden, Freiberg, Dippoldiswalde und Flöha; 2685 – Lichtspieltheater in den Kreisen Dresden, Dippoldiswalde, Grimma, Mari­ enberg Plauen, Pirna, Rochlitz, Borna und Chemnitz.

Literaturverzeichnis Baacke, Rolf-Peter: Lichtspielhausarchitektur in Deutschland. Von der Schaubude bis zum Kinopalast, Berlin 1982. Brauns, Jörg: Schauplätze. Zur Architektur visueller Medien, Berlin 2007. DEFA-Stiftung: Landfilm, online abrufbar: https://www.defa-stiftung.de/defa/gesch ichte/filmwesen-der-ddr/4-kommunikation/440-landfilm/ (Zugriff 27.7.2021). DEFA-Stiftung: Lichtspielwesen, online abrufbar: https://www.defa-stiftung.de/ defa/geschichte/filmwesen-der-ddr/6-bildung/630-lichtspielwesen/ (Zugriff 27.7.2021). Dettke, Karl Heinz: Kinoorgeln und Kinomusik in Deutschland, Stuttgart/Weimar 1995. Dieckmann, Christoph: Die Liebe in Zeiten des Landfilms. Eigens erlebte Ge­ schichten, Berlin 2002. Dresdner Neueste Nachrichten vom 3.8.1907, online abrufbar: https://digital.slub-d resden.de/werkansicht/dlf/203637/ (Zugriff 27.7.2021). Dresdner Neueste Nachrichten vom 13.1.1915, online abrufbar: https://digital.slub -dresden.de/werkansicht/dlf/205801/ (Zugriff 27.7.2021).

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Merve Lühr Heilig, Monica/Heilig, Walter (Hrsg.): Eugen Heilig. Arbeiterfotograf 1911–1936, Berlin 1996. Joachim, Hermann: Die kinematographische Projektion. Siebente und achte voll­ ständig umgearbeitete Auflage von F. Paul Liesegang, Handbuch der prakti­ schen Kinematographie, Halle an der Saale 1928. Jubiläums-Festschrift des Mitteldeutschen Bezirksverbandes: Verein der Lichtspiel­ theaterbesitzer von Dresden u. Umg. e. V.: (Im Reichsverband Deutscher Licht­ spieltheaterbesitzer e. V.) anlässlich seines 20jährigen Bestehens, Großenhain 1929. König, Gudrun M./Mentges, Gabriele: Modegeschichte als Mediengeschichte, in: Gudrun M. König/Gabriele Mentges (Hrsg.): Medien der Mode. Textil, Körper, Mode, Berlin 2010, S. VII–XX. Liesegang, F. Paul: Handbuch der praktischen Kinematographie, 2. Aufl., Leipzig 1911. Lorenzen, Ernst: Kinotypen, in: Bild & Film. Zeitschrift für Lichtbilderei und Ki­ nematographie 2, Heft 8, 1912/13, S. 187–188. Lühr, Merve (Hrsg.): Arbeiten im Kollektiv. Politische Praktiken der Normierung und Gestaltung von Gemeinschaft (Tagungsbeiträge), in: Volkskunde in Sach­ sen 28, 2016, S. 9–174. Lühr, Merve: Erstklassig und routiniert. Das Lichtspieltheater als Arbeitsplatz, in: Wolfgang Flügel/Merve Lühr/Winfried Müller (Hrsg.): Urbane Kinokultur. Das Lichtspieltheater in der Großstadt 1895–1949, Dresden 2020, S. 199–227, online abrufbar: https://doi.org/10.25366/2021.18 (Zugriff 27.7.2021). Michalski, Jens: ... und nächstes Jahr – wie jedes Jahr. Kinogeschichte Kreis Döbeln 1945–1990. DAS Beispiel für das Lichtspielwesen der SBZ und DDR, Berlin 2003. Müller, Michael R.: Körper – Kleidung – Bild. Die mediale Prägnanz der Selbstdar­ stellung, in: Gudrun M. König/Gabriele Mentges (Hrsg.): Medien der Mode. Textil, Körper, Mode, Berlin 2010, S. 151–169. Pearson, Roberta E./Uricchio, William: Filmvorführer in New York 1909–1913, in: KINtop. Jahrbuch zur Erforschung des frühen Films 9. Lokale Kinogeschichten, 2000, S. 91–108. Reichel, Thomas: „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben“. Die Brigadebewegung in der DDR (1959–1989), Köln 2011. Röwer, Karl: Die Technik für Filmvorführer, Halle an der Saale 1953. Schmidt, Iwailo: Der unsichtbare Filmstar. Eine Liebesgeschichte aus der Epoche des Kinos, 2. Aufl., Dresden 2009. Schüle, Annegret: Von der Verpflichtung zum Vergnügen. Brigadeleben im VEB Leipziger Baumwollspinnerei in den siebziger und achtziger Jahren, in: Renate Hürtgen/Thomas Reichel (Hrsg.): Der Schein der Stabilität. DDR-Betriebsalltag in der Ära Honecker, Berlin 2001, S. 127–141. Steinmetz, Rüdiger: Das digitale Dispositif Cinéma – systematisch und historisch betrachtet, in: Rüdiger Steinmetz (Hrsg.): Das digitale Dispositif Cinéma. Un­ tersuchungen zur Veränderung des Kinos, Leipzig 2011, S. 15–69. Toussaint, Jeanette: Komm mit ins Kino! Die Geschichte der Potsdamer Lichtspiel­ theater (Filmblatt-Schriften. Beiträge zur Filmgeschichte, Bd. 10), Berlin 2020.

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Im Kino arbeiten Eine alltagsgeschichtliche Annäherung am Beispiel der Kreislichtspielbetriebe Auerbach, Eberswalde und Bernau1 Ronny Grundig

Mitte des 20. Jahrhunderts war das Kino ein Massenmedium, das in seiner Reichweite wohl nur vom Radio übertroffen wurde.2 So verwundert es kaum, dass bereits kurz nach Kriegsende 1945 wieder Lichtspieltheater öffneten, um die deutsche Bevölkerung mit filmischen Angeboten zu ver­ sorgen und ihr so eine temporäre Flucht aus der Nachkriegsrealität zu ermöglichen. Bis Ende Oktober 1945 hatten allein in der Sowjetischen Be­ satzungszone etwa 600 Kinos wieder geöffnet, 150 davon im östlichen Teil Berlins. Bis ins Jahr 1948 stieg die Zahl insgesamt auf rund 1.550 Kinos an.3 In den bisherigen Untersuchungen zu Kinos in der DDR liegt der Fo­ kus auf den gezeigten Filmen oder der staatlichen Filmpolitik. Das Kino ist in diesen Erzählungen zwar der buchstäbliche Schauplatz der Filmvor­ führung, seine Funktion als sozialer Ort bleibt aber meist unbeleuchtet.4 Eine wichtige Ausnahme bildet die Kinogeschichte Ostberlins vor dem Mauerbau 1961. Die ehemalige Reichshauptstadt Berlin hatte sich durch die Teilung schnell zu einem wichtigen Experimentierfeld im Kalten Krieg entwickelt und das Kino wurde bald als eine wichtige massenmediale Waf­ fe der ideologischen Auseinandersetzung gesehen. 1948 entwickelte der

1 Für die hilfreichen Anmerkungen und Kritik danke ich Laura Haßler vom LeibnizZentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und den Herausgeberinnen und Herausgebern dieses Bandes. 2 Dietrich, Gerd: Kulturgeschichte der DDR. Band I: Kultur in der Übergangsgesellschaft 1945–1957, Bonn 2019, S. 49. 3 Ebd. 4 Vgl. etwa Lange, Marcus: Das politisierte Kino. Ideologische Selbstinszenierung im „Dritten Reich“ und der DDR, Marburg 2013; Lindenberger, Thomas: Home Sweet Home. Desperately Seeking Heimat in Early DEFA Films, in: Film History 18/1 (2006), S. 46–58 oder auch die Dokumentation von Meier, André: Großes Kino ma­ de in DDR, produziert durch den MDR 2016.

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Ronny Grundig

US-amerikanische Offizier Oscar Martay5 den Plan, in Spielstätten nahe der sowjetischen Sektorengrenze populäre Unterhaltungsfilme zu zeigen, die Bürgerinnen und Bürger aus Ostberlin zu verbilligten Preisen sehen konnten.6 Diese sogenannten Grenzkinos, die ab Juli 1950 in Westberlin westliche Filme in Sondervorstellungen zeigten, warben teils offenkundig, teils auf subtilere Weise für die Vorzüge einer westlichen Lebensweise, um so die Legitimität des sozialistischen Gesellschaftsmodells zu unter­ graben.7 Die Ostberliner Behörden nutzten kriminelle Handlungen wie Taschendiebstahl auf Westberliner Gebiet in der Nähe von Grenzkinos oder Sachbeschädigung bei Vorführungen von Filmen wie Rock Around The Clock oder Saat der Gewalt, um gegen das westliche Lebensmodell zu wettern.8 Der Historiker Michael Lemke argumentiert daher, das Kino als einen zentralen Baustein eines Gesamtberliner Kulturraums zu betrachten, in dem Bürgerinnen und Bürger aus Ost und West kulturelle Erfahrungsund Ereignisräume teilten.9 Während wissenschaftliche Arbeiten zu Grenzkinos in Berlin zwar über den Inhalt des Gezeigten hinausgehen, bleibt auch hier die Akteursgruppe des sozialen Orts Kino im Schatten: die im Kino beschäftigten Personen. Dieser Beitrag soll dafür werben, das Kino nicht nur als einen Vergnü­ gungs-, sondern auch als einen Arbeitsort zu sehen, denn der Kinobesuch war letztlich das Endprodukt vielfältiger Arbeitsprozesse. Der alltagsge­ schichtliche Zugriff auf das Medium Kino in der DDR sollte deshalb um die Perspektive der Beschäftigten erweitert werden. Daher widmet sich dieser Beitrag zunächst den staatlichen Strukturen des Lichtspielwesens der DDR, um dann vor diesem Hintergrund die Arbeitsverhältnisse im Kino der DDR anhand der überlieferten Akten der Kreislichtspielbetriebe Auerbach, Eberswalde und Bernau zu beleuchten.

5 Martay war Filmoffizier und beim High Commissioner for Germany für Filmange­ legenheiten in West-Berlin zuständig. Auf seine Initiative geht auch die Gründung der Internationalen Filmfestspiele „Berlinale“ zurück. Vgl. hierzu https://www.ber linale.de/de/archiv/jahresarchive/1951/01_jahresblatt_1951/01_jahresblatt_1951.h tml (Zugriff 24.9.2021). 6 Hierzu und zum Folgenden: Wir e.V. (Hrsg.): Flimmern auf dem Eisernen Vorhang. Berliner Grenzkinos 1950–1961, Berlin 2011, S. 2 f. 7 Vgl. hierzu etwa Lemke, Michael: Kino-Konkurrenz im geteilten Berlin 1949– 1961, in: Heiner Timmermann (Hrsg.): Das war die DDR. DDR-Forschung im Faden­ kreuz von Herrschaft, Außenbeziehungen, Kultur und Souveränität, Münster 2004, S. 635–676. 8 Wir e.V. (Hrsg.): Flimmern auf dem Eisernen Vorhang, S. 6. 9 Lemke: Kino-Konkurrenz, S. 664.

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Im Kino arbeiten

Strukturen des DDR-Lichtspielwesens In den ersten Nachkriegsjahren hatten sich die meisten Kinos auf dem Gebiet der späteren DDR noch in privater Eigentümerschaft befunden. Zu einer Verstaatlichung der überwiegenden Anzahl privater Lichtspieltheater kam es schrittweise und mit regionalen Unterschieden. Der Enteignungs­ prozess begann mit einem Gesetz der Landesregierung Mecklenburg-Vor­ pommerns im Oktober 1947, das den Übergang privater Lichtspielthea­ ter in staatlichen Besitz vorsah. Obwohl die Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) in Berlin diesem Gesetz kritisch ge­ genüberstand, blieb es aufgrund der Billigung der sowjetischen Militärad­ ministration letztlich bestehen. Sachsen-Anhalt (Mai) sowie Thüringen und Sachsen (Dezember) folgten diesem Beispiel 1948 und verabschiede­ ten ebenfalls Gesetze zur Verstaatlichung privater Kinos.10 1949 waren diese Einzelkinos in den jeweiligen Ländern zur Vereinigung volkseige­ ner Lichtspielbetriebe zusammengefasst worden und wurden nach der Auflösung der Länder 1952 auf der Ebene der Bezirke durch die Bezirks­ lichtspielbetriebe bzw. durch die Bezirksfilmdirektionen verwaltet.11 In Ost-Berlin kam es erst 1955 zu einer Zentralisierung der einzelnen volksei­ genen Kinos unter dem Dach des neugegründeten VEB Berliner Filmthea­ ter.12 Diese dreiteilige Struktur des Lichtspielwesens blieb bis ins Jahr 1990 erhalten, ehe es zur Auflösung der zentralisierten DDR-Kulturverwaltung kam, infolge derer auch die Bezirksfilmdirektionen abgeschafft wurden. Die einzelnen Spielstätten gingen dann entweder in kommunale oder freie Trägerschaft über.13 In den Bezirken und der Hauptstadt Ost-Berlin hatten die politischen Mittelinstanzen, die Bezirksfilmdirektionen, die politische Anleitungs­ funktion für die Kreisfilmstellen, die sowohl das operative Geschäft der stationären Spielstätten als auch des Landfilms auf Kreisebene durchführ­ ten. Die Bezirksfilmdirektionen unterstanden wiederum der Hauptverwal­

10 Dietrich: Kulturgeschichte der DDR. Band I, S. 221. 11 Hierzu und zum Folgenden: Soldovieri, Stefan: Sozialistische Sichtweisen. DDRKinoarchitektur vom repräsentativen Nationalismus zur internationalen Moder­ ne, in: Skyler Arndt-Briggs/Barton Byg/Andy Räder/Evan Torner/Michael Wedel (Hrsg.): DEFA-international. Grenzüberschreitende Filmbeziehungen vor und nach dem Mauerbau, Wiesbaden 2013, S. 113–129, hier S. 117. 12 Dietrich: Kulturgeschichte der DDR. Band I, S. 221. 13 Löffler, Dietrich: Kulturelle Infrastruktur im Wandel, in: Hans-Jörg Stiehler/Ute Karig (Hrsg.): Angekommen?! Freizeit- und Medienwelten von Jugendlichen in den neuen Bundesländern, Berlin 1993, S. 25–34, hier S. 27.

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tung Film im Ministerium für Kultur, die durch die Budgetkontrolle auch Einfluss auf den Spielplan nahm.14 Tanja Tröger hat in ihrer nur zu Teilen veröffentlichten Magisterarbeit darauf verwiesen, dass gerade der Filmankauf sowie die Abnahme von Filmproduktionen und deren Bewer­ tung aufgrund der politischen Aussagekraft und des Unterhaltungswerts wichtige Bereiche der zentralstaatlichen Einflussnahme waren. Da darüber hinaus die Planziele zentral festgelegt wurden, war den Kreisfilmstellen bei ihrer Arbeit bereits im Vorfeld ein Rahmen gesetzt.15 Wie stark der Einfluss der Hauptverwaltung Film auf die einzelnen Kinos und LandfilmSpielstätten in den jeweiligen Kreisen war oder wie groß die Handlungs­ spielräume vor Ort waren und in welchem Maße übergeordnete Stellen in die Arbeit der Kreisfilmstellen oder einzelner Kinos intervenierten, muss weitere Forschung zeigen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die im Kulturministerium der DDR bearbeiteten kinopolitische Themen – sei es der starke Zuschauer­ rückgang oder die Notwendigkeit einer baulichen und technischen Mo­ dernisierung der Kinos der DDR – fortwährend konkrete Lösungsstrategi­ en auf Kreis- oder Bezirksebene erforderten. Das DDR-Kino erlebte 1957 mit 317 Millionen Besuchen seinen Höhepunkt und war seither – wie auch die Lichtspielwesen anderer sozialistischer und kapitalistischer Län­ der – von einem anhaltenden Rückgang der jährlichen Besuchszahlen be­ troffen.16 Trotz rückläufiger Einspielergebnisse waren sich etwa die Kreis­ lichtspielbetriebe Eberswalde Mitte der 1960er-Jahre sicher, dass der Film auch weiterhin „eine sehr massenwirksame Kunst“ sei und trotz des Auf­ kommens des Fernsehens „seine Bedeutung nicht verlieren“ werde.17 Bei dieser Einschätzung, die retrospektiv als zu optimistisch betrachtet werden muss, kann es sich natürlich auch um eine Selbstlegitimation gehandelt haben. Zwar verschwand das Kino nicht, aber die Besucherzahlen blieben weiter rückläufig. 1983 zählte das DDR-Kino nur noch etwa 72,5 Millio­ nen Besuche18 und weitere fünf Jahre später, also 1988, verzeichneten die 14 Tröger, Tanja: Die führende Rolle der ... Gastronomie? Klubkinos, Kinocafés und Visionsbars in der DDR, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 7 (2005), S. 147–175, hier S. 149; vgl. auch den Beitrag von Tanja Tröger in diesem Band. 15 Tröger, Tanja: Kleine Kinoformen in der DDR, unveröffentlichte Magisterarbeit, S. 40. Die Arbeit ist einsehbar in der Bibliothek des Bundesarchivs Lichterfelde. 16 In der BRD war der Höchststand mit 818 Millionen Kinobesuchen im Jahr 1956 erreicht worden. Vgl. hierzu Tröger: Kleine Kinoformen, S. 47. 17 Perspektivplan bis 1970, o. D., in: Kreisarchiv des Landkreis Barnim (in der Folge: KB), Rat des Kreises Eberswalde – Kultureinrichtungen, Sign. 10451. 18 Prommer, Elizabeth: Kinobesuch im Lebenslauf. Eine historische und medienbiogra­ phische Studie, Konstanz 1999, S. 133.

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808 verbliebenen Kinos der DDR nur noch knapp über 50 Millionen Besuche.19 Das Kino als Arbeitsplatz Um sich dem DDR-Kino aus arbeitsgeschichtlicher Perspektive zu nähern, bietet die Verstaatlichung der vormals privaten Kinos hinsichtlich der Quellenlage eine Chance. Da sie durch die Kreisfilmstellen bzw. Kreislicht­ spielbetriebe übernommen wurden, die in die Zuständigkeit der Kulturab­ teilungen der jeweiligen Räte der Kreise fielen, dürften sich in den meisten Kreisarchiven Ostdeutschlands Bestände zum Lichtspielwesen und zu ein­ zelnen Kinos befinden. Aus den archivierten Lohnabrechnungen lässt sich zunächst erschlie­ ßen, welche Berufe und Tätigkeiten im Kino überhaupt ausgeübt wur­ den. So waren auf den Gehaltszetteln der Kreislichtspielbetriebe Auerbach aus dem Jahr 1953 insgesamt 25 Mitarbeitende aufgelistet. Bei diesen Be­ schäftigten des Kreises im Lichtspielwesen handelte es sich neben einem Betriebsleiter und zwei Buchhaltern um drei qualifizierte und drei un­ qualifizierte Filmvorführer im Landfilm sowie drei Filmvorführer, einen Volontär, zwei Umroller, eine Reinigungskraft, einen Platzanweiser und fünf Kassierer in den stationären Kinos.20 Zu diesen direkt über die Kreis­ lichtspielbetriebe beschäftigten Personen kamen aber sicher noch weitere hinzu. So waren etwa für die Reparatur von Kinotechnik und die Instand­ haltung der Kinoräume die Kreishandwerker von großer Bedeutung, die aber nicht ausschließlich für die Lichtspielbetriebe arbeiteten. Wie viele Personen für einzelne Kreislichtspielbetriebe arbeiteten, hing von der Grö­ ße der Kreise ab, die stark variieren konnte. Denn größere Kreise hatten tendenziell mehr Filmtheater zu betreuen und auch mehr Landgemeinden mithilfe von mobilen Spieltrupps, dem sogenannten Landfilm, zu versor­ gen. Die Kreislichtspielbetriebe Eberswalde beschäftigten 1960 insgesamt 62 Personen und waren damit deutlich größer als die Kreislichtspielbetrie­ be im vogtländischen Auerbach.21 19 Stott, Rosemary: The State-Owned Cinema Industry and Its Audience, in: Seán Alan/Sebastian Heiduschke (Hrsg.): Re-Imaginging DEFA. East German Cinema in Its National and International Contexts, New York 2016, S. 19–40, hier S. 19. 20 Finanzen der Kreislichtspielbetriebe 1953, in: Historisches Archiv des Vogtland­ kreises (in der Folge: HAV), RdK Auerbach, Sign. 945. 21 Protokoll Leitungssitzung, 1. August 1960, in: KB, Kreislichtspielbetriebe Ebers­ walde – Haushaltsanalysen, Sign. 10446.

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Abbildung 1: Vorderansicht des Kinos „Rekord Lichtspiele“, Göltzschtalstraße 35 (ehem. Breitscheidstraße 39) in Auerbach, ca. Ende 1950 (Bestand Stadtarchiv Auerbach/Vogtl.). 152 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

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Ende der 1980er‑Jahre waren im gesamten Bezirk Erfurt nach Selbstaus­ kunft der Bezirksfilmdirektion 383 Personen im Lichtspielwesen beschäf­ tigt.22 Von den 319 beschäftigten Facharbeiterinnen und Facharbeitern waren 27 Prozent als Filmvorführerinnen und -vorführer und 47 Prozent auf dem Gebiet der Besucherbetreuung tätig, also vor allem an Kasse und Einlass. Es lässt sich folgern, dass bei ähnlichen Zahlen in den anderen Bezirken der DDR einige tausend Personen hauptberuflich im Lichtspiel­ wesen tätig waren. Horst Pehnert, der seit 1976 bis zum Ende der DDR als stellvertretender Minister für Kultur für die Hauptverwaltung Film zustän­ dig war, nannte in seinen 2009 erschienenen Memoiren eine Gesamtzahl von 7.000 Personen, die seiner Erinnerung nach direkt in den Bezirksfilmdirektionen beschäftigt gewesen sein sollen.23 Betriebsstrukturen und Machtdynamiken Arbeitsalltag und betriebliche Verhältnisse im Lichtspielwesen der DDR lassen sich anhand der archivierten Materialien einzelner Kreislichtspielbe­ triebe bzw. Kreisfilmstellen analysieren. Im Fall des Kreises Eberswalde sind etwa ein Großteil der Protokolle der Sitzungen des Leitungskollektivs der kreiseigenen Lichtspielbetriebe für das Jahr 1960 überliefert, die hier­ für genutzt werden können. Der Kreis Eberswalde, in dem 1962 insgesamt 77.710 Einwohnerinnen und Einwohner gemeldet waren, hatte fünf Ki­ nos mit einer Gesamtkapazität von 1.943 Plätzen. Zusätzlich mussten die Kreislichtspielbetriebe 35 Orte mittels mobiler Landfilmspieltrupps mit Kinovorstellungen versorgen.24 Die innere Organisationsstruktur dieses Kulturbetriebs lässt sich nur in­ direkt über die Analyse der überlieferten Dokumente erschließen. Neben den formalen Führungsfunktionen des Betriebsleiters sowie der Leiter der einzelnen Filmtheater und des Spieltruppleiters, der den Beschäftigten des Landfilms vorstand, existierte ein Leitungskollektiv als erweiterte Füh­ rungsebene. Diesem gehörten neben den bereits genannten Leitern auch der Hauptbuchhalter, der Sekretär der Betriebsparteiorganisation (PBO)

22 Hierzu und zum Folgenden: Bezirksfilmdirektion Erfurt (Hrsg.): Kino. Gestern – Heute – Morgen, Erfurt 1989, S. 54. 23 Pehnert, Horst: Kino, Künstler und Konflikte. Filmproduktion und Filmpolitik in der DDR, Berlin 2009, S. 138. 24 Kreislichtspielbetriebe Eberswalde, Zahlenanalyse 1962, 12. Juli 1962, in: KB, RdK Eberswalde – Kreislichtspielbetriebe, Sign. 10500.

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und der Vorsitzende der Betriebsgewerkschaftsleitung an.25 Dabei war vor allem die Anwesenheit des Sekretärs der BPO ein Ausdruck des SED-Herr­ schaftssystems, da dieser durch die Teilnahme an solchen Sitzungen über die aktuellen Vorkommnisse im Bilde war und übergeordnete Parteiorga­ ne mittels Berichte informierte.26 Gerade die Rolle der BPO ist interessant, da ihr durchaus eine Kontrollund Überwachungsfunktion gegenüber der Leitung der Kreislichtspielbe­ triebe zukam. Aufgrund der von der SED zugedachten großen Bedeutung des Kinos bei der massenmedialen Beeinflussung der DDR-Bürgerinnen und -Bürger sollte an der Spitze der jeweiligen Lichtspielbetriebe eine (po­ litisch) verlässliche Person wirken, um einen Beitrag zur Systemstabilität zu leisten. Im Arbeitsalltag der Kreislichtspielbetriebe entstand hierdurch ein Machtverhältnis, das sich nur schwer in das sonstige Hierarchiegefüge eines Betriebs einpassen ließ. Denn während Kontroll- und Disziplinie­ rungsmaßnahmen sonst von der Betriebsleitung verhängt wurden, konn­ ten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit SED‑Parteimitgliedschaft ihren Chef durch die BPO sanktionieren, wodurch ganz neue Machtdynamiken entstehen konnten. Welche Auswirkungen dies haben konnte, lässt sich am Beispiel der Kreislichtspielbetriebe Eberswalde gut verdeutlichen. Im August 1960 hat­ te die BPO ein Treffen anberaumt, um über das Verhalten des Betriebslei­ ters Bobermien in dessen Beisein zu beraten. Hierfür waren neben Bober­ mien und den Parteimitgliedern auch Vertreter der SED-Kreisleitung und ein Vertreter der Abteilung Kultur des Rates des Kreises anwesend. Bober­ mien war durch übermäßigen Alkoholkonsum während und nach der Arbeitszeit aufgefallen und hatte mehrfach unentschuldigt am Arbeitsplatz gefehlt. Der Betriebsleiter gestand das Fehlverhalten ein und gelobte, sich in Zukunft angemessener zu verhalten. Zusätzlich erhielt er eine Verwar­ nung mit Bewährungszeit durch die SED-Betriebsgruppe.27 Einer der Teil­ nehmer der Sitzung, die nach dem Prinzip von Kritik und Selbstkritik durchgeführt wurde, Spieltruppleiter Lorenz, übte auffallend scharfe Kri­ tik und forderte die Absetzung seines Chefs. Er zeigte sich „sehr verärgert

25 Inwieweit immer alle genannten Gruppen anwesend waren, ist unklar. In man­ chen Fällen waren auch Brigadiere oder der Kreishandwerker anwesend, sodass davon ausgegangen werden kann, dass die jeweilige Zusammensetzung sachbezo­ gene Gründe hatte. 26 Vgl. zum Berichtswesen der Parteisekretäre der SED: Bahr, Andrea: Parteiherr­ schaft vor Ort. Die SED-Kreisleitung Brandenburg 1961–1989, Berlin 2016, S. 89 f. 27 Hierzu und zum Folgenden: Protokoll, Versammlung der BPO am 10.8.1960, in: KB, Kreislichtspielbetrieb Eberswalde – Haushaltsanalysen, Sign. 10446.

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über das Verhalten“ seines Vorgesetzten, unter dem auch der Betrieb leide. Es sei „eine starke Hand nötig […], um den Betrieb nicht weiter sinken zu lassen.“ Diese drastischen Worte dürften nicht ohne Hintergedanken gefallen sein, denn der Spieltruppleiter erwarb in dieser Zeit bereits Zu­ satzausbildungen, die ihn nach erfolgreichem Abschluss als Leitung der Kreislichtspielbetriebe qualifizieren würden.28 Da der Fall des Betriebsleiters Bobermien in der Folgezeit nicht nach­ haltig gelöst werden konnte, kam es Anfang 1963 tatsächlich zu einer Ablösung Bobermiens durch Lorenz.29 Diese ritualisierten Formen inner­ parteilicher (Verhaltens-)Kontrolle, mit der gerade Personen in Führungs­ positionen beim Abweichen von sozialistischen Moralvorstellungen sank­ tioniert wurden, führten zu einer Verschiebung der innerbetrieblichen Machtstrukturen und konnten zudem ein Vehikel sein, um berufliche Ambitionen voranzutreiben. Arbeitsfelder und -probleme der Kreislichtspielbetriebe Eberswalde Arbeitsspezifische Fragen wie Aus- und Weiterbildung, Stellenplanung, Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie die Arbeitsbedingungen im Land­ film bildeten neben der Planung und Auswertung der Betriebsabläufe und einzelner Einspielergebnisse wichtige Themenbereiche der täglichen Arbeit der Kreislichtspielbetriebe Eberswalde. Hinzu kamen Spezifika der sozialistischen Arbeitsgesellschaft der DDR, die einen weiteren Schwer­ punkt bildeten. Hierbei handelte es sich im Grunde um drei relevante Bereiche: kollektive Arbeitsformen in Brigaden, der Vergleich mit anderen Betrieben im Rahmen des sozialistischen Wettbewerbs und die Vergabe von Prämien an Beschäftigte.30

28 Die Weiterbildung beinhaltete u. a. eine sechsmonatige Delegation nach Leipzig. Vgl. hierzu Protokoll, Sitzung des Leitungskollektivs am 24. Oktober 1960, 8. November 1960, in: ebd. 29 Kreisfilmstelle Eberswalde an VE Lichtspielbetrieb Fürstenwalde, 22. März 1963, in: KB, Kreislichtspielbetrieb Eberswalde – u.a. Landspielvorführungen, Sign. 10456. 30 Ein Überblick zu Strukturen und Ungleichheiten in der Arbeitswelt der DDR findet sich bei: Lindner-Elsner, Jessica/Grundig, Ronny: Arbeitsbeziehungen und soziale Ungleichheit – Die Arbeitsgesellschaft der DDR, online abrufbar: https://www .bpb.de/themen/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/504568/arbe itsbeziehungen-und-soziale-ungleichheit-die-arbeitsgesellschaft-der-ddr/ (Zugriff 24.9.2021).

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In der sozialistischen Planwirtschaft sollten Prämien eine wichtige Rol­ le spielen, um die Produktivitätsleistung zu verbessern.31 Obwohl dieses Prinzip mit Blick auf die Produktionsverhältnisse der Industrie ersonnen worden war, fand es auch in anderen Bereichen der Arbeitswelt seine Anwendung. Bei den Kreislichtspielbetrieben Eberswalde erhielt etwa ein Mitarbeiter eine Prämie von 125 Mark, da er einen günstigeren Vertrag für die Saalmieten bei Landfilmvorführungen ausgehandelt und so das Betriebsergebnis positiv beeinflusst hatte.32 Während in solchen Fällen, bei denen Gratifikationen auf individuelle Leistung zurückzuführen waren, keine Unstimmigkeiten in den Akten ersichtlich waren, provozierten andere Fälle der Prämienvergabe durch­ aus Kritik. Eine Mitarbeiterin wies etwa in der Belegschaftsversammlung im Dezember 1959 auf die strukturelle Benachteiligung alleinstehender Frauen beim Weihnachtsgeld hin, da diese einen geringeren Betrag aus­ gezahlt bekamen als ihre verheirateten Kolleginnen, und forderte eine Angleichung. Der Fall zeigt, dass Ungleichbehandlungen aufgrund der ehefreundlichen und pronatalistischen Sozial- und Wirtschaftspolitik der DDR durchaus wahrgenommen wurden. Im Falle der Mitarbeiterin des Eberswalder Kreislichtspielbetriebs blieb der Vorstoß erfolglos, da die Be­ triebsleitung sich auf die geltende Gesetzeslage berief.33 Einen weiteren Konfliktbereich stellten die Prämien dar, die an einzelne Kollektive gingen, während andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oh­ ne Gratifikation blieben. Im Februar 1960 erhielten etwa nur die Mitglie­ der der Brigade eine Prämie, die als einziges Kollektiv die Planaufgaben erfüllt hatten, während alle anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leer ausgehen sollten. Das führte zu Unmut bei einigen Kolleginnen und Kollegen, die sogar bei der Betriebsleitung gegen die Entscheidung intervenierten, wenn auch erfolglos.34 Die kritische Haltung gegen diese Entscheidung lässt durchaus den Schluss zu, dass Prämienzahlungen in den Augen der Beschäftigten als ein Ritual gesehen wurden, das sich von den angelegten Leistungsparametern der Planerfüllung gelöst hatte.

31 Kohli, Martin: Die DDR als Arbeitsgesellschaft? Arbeit, Lebenslauf und soziale Differenzierung, in: Hartmut Kaelble/Jürgen Kocka/Hartmut Zwahr (Hrsg.): Sozi­ algeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 31–61, hier S. 41. 32 Protokoll, Sitzung des Leitungskollektivs am 22. Juni 1960, 4. Juli 1960, in: KB, Kreislichtspielbetrieb Eberswalde – Haushaltsanalysen, Sign. 10446. 33 Protokoll, Belegschaftsversammlung am Mittwoch, den 30. Dezember 1959, 20. Januar 1960, in: ebd. 34 Protokoll, Belegschaftsversammlung am 24. Februar 1960, 5. März 1960, in: ebd.

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Sozialistische Arbeitswelt im Kino Die Kreislichtspielbetriebe Eberswalde hatten sich bereits frühzeitig an der Einführung kollektiver Arbeitsformen beteiligt. Protokolle von Ende 1959 nennen mehrere Brigaden, die sich verpflichteten, je Mitglied min­ destens acht Stunden Zusatzarbeit für das „Nationale Aufbauwerk“35 zu leisten.36 Brigaden als neue Form sozialistischer Arbeitsorganisation waren Ende 1958 aus der Brigade‑Bewegung entstanden, die nach außen hin als eine spontane Entwicklung aus der Arbeiterschaft propagiert worden war. Im Hintergrund hatten der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) und die Freie Deutsche Jugend (FDJ) diese Entwicklung jedoch geplant und die SED-Führung die Neuerung abgesegnet. Diese neue Form der Arbeitsorganisation sollte einerseits die Produktivität steigern und ande­ rerseits dazu beitragen, sozialistische Moralvorstellungen am Arbeitsplatz durchzusetzen. Im Verlauf des Jahres 1959 entstanden insgesamt über 59.000 Brigaden mit über 706.000 Mitgliedern.37 Inwieweit die Gründung von Brigaden in den Kreislichtspielbetrieben Eberswalde ein spontaner Akt der Belegschaft oder durch die Betriebslei­ tung angeregt worden war, bleibt unklar. Allerdings hatte es im Januar 1960 eine Betriebsleiterkonferenz gegeben, bei der die „Durchsetzung der sozialistischen Rekonstruktion“ einen thematischen Schwerpunkt bildete. Betriebsleiter Bobermien sah den Beitrag der Kreislichtspielbetriebe bei dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe darin, die „sozialistische Gemein­ schaftsarbeit“ in Brigaden zu stärken.38 Es scheint aufgrund des Interesses der Betriebsleitung also nicht abwegig, anzunehmen, dass es eine Anwei­ sung von der Bezirksebene gegeben hatte, Brigaden zu etablieren. Die Umstellung auf die kollektive Arbeitsorganisation verlief dabei kei­ neswegs reibungslos. Betriebsleiter Bobermien kritisierte die Brigadearbeit deutlich: „Besonders die Arbeit der Brigaden in den stationären Theatern [ist] noch vollkommen unzureichend […], da die einzelnen Brigaden in 35 Diese Verpflichtungen zur freiwilligen Mehrarbeit gingen 1967 im Wettbewerb Schöner unsere Städte und Gemeinden – Mach mit der Nationalen Front auf, bei dem jährlich Zusatzleistungen erbracht und bis zum Tag der Republik fertigge­ stellt wurden. Vgl. hierzu Palmowski, Jan: Inventing a Socialist Nation. Heimat and the Politics of Everyday Life in the GDR 1945–1990, Cambridge 2009, S. 149 f. 36 Protokoll, Belegschaftsversammlung am Mittwoch, den 30. Dezember 1959, 20. Januar 1960, in: KB, Kreislichtspielbetrieb Eberswalde – Haushaltsanalysen, Sign. 10446. 37 Dietrich: Kulturgeschichte der DDR. Band I, S. 831–833. 38 Protokoll, Sitzung des Leitungskollektivs am 25. Januar 1960, 30. Januar 1960, in: KB, Kreislichtspielbetrieb Eberswalde – Haushaltsanalysen, Sign. 10446.

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ihrer gesamten Tätigkeit keine Zielstrebigkeit in der Arbeit an den Tag legen.“ Es seien nur unregelmäßig Besprechungen abgehalten und Anre­ gungen zur Verbesserung der Arbeitsabläufe seien häufig nicht umgesetzt worden, so Bobermien.39 Die anwesenden Theaterleiter verpflichteten sich daher, die Brigadearbeit im Vorfeld zu planen und einzelne Aufgaben an bestimmte Mitglieder zu verteilen. Es kam also nicht zur Neubildung kollektiver Arbeitszusammenhänge, sondern bestehende Strukturen in ein­ zelnen Kinos wurden zu Brigaden umbenannt. Dies erhärtet den Verdacht, dass es sich bei den Brigaden in den Kreislichtspielbetrieben Eberswalde um eine ‚von oben‘, durch die Betriebsleitung forcierte Entwicklung han­ delte, nicht um eine aus der Mitarbeiterschaft kommende Neuerung.

Abbildung 2: Das Kino „Westend-Theater“, Heegermühler Straße in Eberswalde, Postkarte, Aufnahme ca. 1954 (Bestand Kreisarchiv Barnim). Ein weiteres Element der sozialistischen Arbeitswelt, der als „sozialistischer Wettbewerb“ titulierte Vergleich der Arbeitsergebnisse mit denen ande­ rer Betriebe, war von der Bezirksfilmdirektion Anfang 1960 als klarer Arbeitsauftrag an die Betriebsleitung der Kreislichtspielbetriebe formuliert worden. Hierdurch sollten Defizite ausgelotet und so langfristig ein ver­

39 Hierzu und zum Folgenden: Protokoll, Theaterleiter-Besprechung am 13. Juli 1960, 14. Juli 1960, in: ebd.

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bessertes Betriebsergebnis im Rahmen der Planerfüllung erzielt werden.40 Dabei stand letztlich nicht primär der ökonomische Erfolg im Zentrum, sondern wachsende Besucherzahlen und damit eine höhere Reichweite der gezeigten Filme. Um im bezirksweiten Vergleich nicht durch schlechte Ergebnisse aufzu­ fallen, galt es für die Leitung der Kreislichtspielbetriebe Eberswalde also Maßnahmen zu ergreifen, um die Besucherzahlen zu steigern. Hierfür verstärkte sie die Filmwerbung und ließ neben den üblichen Plakatan­ schlägen auch einen Lautsprecherwagen reparieren, mit dem Werbung ge­ macht werden sollte.41 Trotzdem blieben die Besuchszahlen etwa für den sowjetischen Spielfilm Ein Menschenschicksal schlecht. In demokratischen Gesellschaften hätte dies als negatives Votum des Publikums gegolten, in der DDR hingegen versuchten staatliche Stellen alles, die Publikumszah­ len künstlich nach oben zu treiben. Betriebsleiter Bobermien ließ daher zwei Listen anfertigen: Eine für alle volkseigenen Betriebe, die den Film gezeigt oder besucht hatten, und eine für Betriebe, die ihre Mitarbeiterin­ nen und Mitarbeiter bisher nicht zum Film delegiert bzw. keine eigenen Vorführungen durchgeführt hatten. Letztgenannten wollte Bobermien „über die Kreisleitung [der SED]“ Druck machen.42 Dabei handelte es sich keineswegs um ein einmaliges Vorgehen. Auch für weitere Filme wie Das Russische Wunder (1963) ließen sich solche Listen finden.43 Sie verweisen auf eine Besonderheit des DDR-Kinos, denn die angegebenen Besucherzahlen setzten sich aus zwei Komponenten zusammen. Den Film Schritt für Schritt beispielsweise sahen im Oktober 1960 im Kreis Eberswal­ de 6.809 Personen, aber nur 2.080 davon waren „allgemeine Besucher“, während 4.729 „org[anisierte] Besucher“ gewesen waren.44 Letztgenannte Gruppe setzte sich aus Angehörigen volkseigener Betriebe und Schülerin­ nen und Schülern zusammen, die über die jeweiligen Institutionen zum Filmbesuch animiert oder delegiert wurden. Die Zusammenarbeit mit den 40 Im Protokoll selbst wird nur erwähnt, dass der Leistungsvergleich „von Seiten des Bezirkes“ gefordert wurde. Vgl. hierzu Protokoll, Sitzung des Leitungskollektivs am 25. Januar 1960, 30. Januar 1960, in: ebd. 41 Hierzu und zum Folgenden: Protokoll, Sitzung des Leitungskollektivs am 25. Ja­ nuar 1960, 30. Januar 1960, in: ebd. 42 Protokoll, Schwerpunktberatung am 19. Februar 1960, 23. Februar 1960, in: ebd. 43 Kreisfilmstelle Eberswalde an VE Lichtspielbetrieb Frankfurt (Oder), Situations­ bericht I. Durchgang Filmeinsatz – Das Russische Wunder –, 14. Juni 1963, in: KB, Kreislichtspielbetrieb Eberswalde – u. a. Landspielvorführungen, Sign. 10456. 44 Hierzu und zum Folgenden: Protokoll, Sitzung des Leitungskollektivs am 24. Ok­ tober 1960, 8. November 1960, in: KB, Kreislichtspielbetrieb Eberswalde – Haus­ haltsanalysen, Sign. 10446.

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Schulen habe sehr gut funktioniert, so die Betriebsleitung der Kreislicht­ spielbetriebe, da diese die Schülerinnen und Schüler ab dem 8. Lebensjahr zu Vorführungen des Films gebracht hatten. Die volkseigenen Betriebe hingegen gingen häufig „den Weg des geringsten Widerstands […], indem sie […] die Lehrwerkstatt in den Film delegierten“, während der Rest der Belegschaft sich bei den Kinobesuchen stark zurückhielt. Es sei daher die vorrangige Aufgabe, allen Beschäftigten den Filmbesuch nahezulegen. Die Mobilisierung der Bevölkerung zum Filmbesuch war aber nicht alleinige Aufgabe der Kreislichtspielbetriebe. Vielmehr sollten sie durch sogenannte Kreisfilmaktive dabei unterstützt werden, deren Leitungsgre­ mium sich zwar aus dem Leiter der Kreislichtspielbetriebe Eberswalde und Funktionsträgern staatlicher Stellen zusammensetze, eine einfache Mit­ gliedschaft im Grunde aber allen Bürgerinnen und Bürgern offenstand.45 Das Kreisfilmaktiv sollte die politische Massenarbeit mit dem Medium Film im Sinne der SED anleiten.46 Es war als ein Gremium gedacht, in dem linientreue Personen dafür sorgten, dass parteipolitische Maßgaben umgesetzt wurden.47 Hierfür sollten enge Verbindungen mit Betriebs-Aka­ demien und Dorfclubs geknüpft werden, um eine engere Beziehung zur werktätigen Bevölkerung aufzubauen und sie so letztlich vom Filmbesuch zu überzeugen. Dem Kreisfilmaktiv kam aber auch eine Kontrollfunktion gegenüber den Kreislichtspielbetrieben zu. So erhielten aktive Mitglieder einen Ausweis für den Zugang zu Filmvorführungen, um in Zusammenar­ beit mit staatlichen Organen „Kontrolle über die Arbeit der Landfilmvorführer auszuüben.“48

45 Dieser Eindruck entsteht aus den für diesen Aufsatz gesichteten Dokumenten. Aufgrund der unzureichenden Forschungslage ließ er sich nicht systematisch belegen, sodass hier zukünftige Forschung einen stärkeren Fokus auf die Rolle dieser betriebsfremden Kontrollinstanz legen sollte. 46 Protokoll, Sitzung des Leitungskollektivs am 25. Januar 1960, 30. Januar 1960, in: ebd. 47 Derartige Funktionen in der Form eines „Aktivs“ zu organisieren, entstammte der inneren Organisationsstruktur der SED, die für die innerparteiliche Umsetzung von Beschlüssen „Parteiaktive“ gegründet hatte. Vgl. hierzu Bahr: Parteiherrschaft vor Ort, S. 77 f. 48 Protokoll, Sitzung der Leitung des Kreisfilmaktivs am 2. März 1960, 11. März 1960, in: KB, Kreislichtspielbetrieb Eberswalde – Haushaltsanalysen, Sign. 10446.

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Arbeiten im Landfilm Die Arbeitsverhältnisse im Landfilm unterschieden sich von der Arbeit im stationären Kino. Die Sonderstellung dieses Bereichs zeigt sich bereits in seiner Entstehung. So hatte der Landfilm seine Ursprünge nicht etwa in der Kulturverwaltung, sondern war als Teil der Zentralverwaltung der Maschinen-Ausleih-Station gegründet worden, die der Bevölkerung in der Nachkriegszeit Zugang zu benötigten Gerätschaften ermöglichen sollte.49 Aufgrund der besonderen Gegebenheiten, des ständigen Transports ki­ notechnischer Geräte und der eher provisorisch anmutenden Spielstätten, die zur Improvisation zwangen, beschäftigte sich die Betriebsleitung der Kreislichtspielbetriebe Eberswalde immer wieder mit etwaigen Optimie­ rungsmöglichkeiten und übte Kritik an den Arbeitsbedingungen, der Leis­ tung einzelner Filmvorführer50 oder den erzielten Einspielergebnissen. Für die Beschäftigten hatte solche Kritik durchaus auch finanzielle Konsequen­ zen. Nachdem es bei einer Kontrolle des Landfilms im März 1960 zu Bean­ standungen gekommen und ein Spieltrupp besonders schlecht bewertet worden war, erhielt der zuständige Filmvorführer nicht nur einen Verweis, sondern auch für ein Vierteljahr nur 435 Mark Lohn statt der vorherigen 459 Mark. In einem anderen Fall hob die Betriebsleitung die Löhne von zwei anderen Vorführern aufgrund ihrer hervorragenden Leistungen dau­ erhaft auf 470 Mark an.51 Für schlechte Einspielergebnisse war aber nicht nur die Arbeit der Film­ vorführer verantwortlich, wie diese immer wieder gegenüber der Betriebs­ leitung betonten. Die vorhandenen Filme, die im Landfilm gezeigt werden konnten, würden nicht den Vorstellungen der Bevölkerung entsprechen, so ihre Verteidigung. Neuerscheinungen kamen erst mit Verspätung in den Landfilm, sodass die Filme teils bereits im Fernsehen zu sehen waren, außerdem seien sich die Filme thematisch zu ähnlich.52 Was die damaligen Akteure unter einer unzureichenden Zuschauerzahl verstanden, wird am Landfilm der Gemeinde Liepe deutlich. Bei etwa 1.300 Einwohnerinnen

49 1948 kam es zur Gründung einer Landfilmstelle bei der der Zentralverwaltung der MAS, die später in die Hauptverwaltung Film des Ministeriums für Kultur überführt wurde. Vgl. hierzu Dietrich: Kulturgeschichte der DDR. Band I, S. 222. 50 In den Kreislichtspielbetrieben Eberswalde waren bis zum Herbst 1960 nur männliche Filmvorführer tätig. 51 Protokoll, Sitzung des Leitungskollektivs am 8. März 1960, 11. März 1960, in: KB, Kreislichtspielbetrieb Eberswalde – Haushaltsanalysen, Sign. 10446. 52 Hierzu und zum Folgenden: Protokoll, Belegschaftsversammlung am 18. Mai 1960, 23. Mai 1960, in: ebd.

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und Einwohnern kamen zu den 1960 zweimal wöchentlich stattfindenden Filmvorführungen nur 30 bis 35 Personen. Es herrschten innerhalb der Kreislichtspielbetriebe unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie diese Situation verbessert werden sollte. Wäh­ rend die Filmvorführer die Zahl der Vorführungen auf eine pro Wo­ che reduzieren wollten, lehnte die Betriebsleitung dies ab und forderte stattdessen, kulturpolitisch stärker auf die Bevölkerung einzuwirken. Die Gründung eines Dorfclubs in Liepe sollte in Zusammenarbeit mit den örtlichen Stellen forciert werden, um „die Bevölkerung mehr als bisher an die kulturellen Darbietungen heranzuführen.“ Die geringe Nachfrage nach Filmvorführungen auf eine unterstellte kulturelle Unbedarftheit der Landbevölkerung zurückzuführen, dürfte wohl nur ein Vorwand gewesen sein, um von strukturellen Problemen abzulenken. Denn die infrastruktu­ rellen Gegebenheiten der Filmvorführungen ließen offenbar zu wünschen übrig. Darauf verweist der Enthusiasmus, mit dem die Betriebsleitung der Kreislichtspielbetriebe in einem Brief an die SED-Kreisleitung aus dem März 1962 die getätigten Investitionen in Liepe anpries. So war zum Beispiel eine feste, gepolsterte Bestuhlung installiert worden, um das Kinoerlebnis zu verbessern.53 Auch ein existierender Dorfclub wurde in diesem Schreiben erwähnt, allerdings ist unklar, ob dessen Gründung auf die Initiative der Kreislichtspielbetriebe zurückging. Einen expliziten Schwerpunkt im Bereich Film hatte der Dorfclub jedenfalls nicht, wie das Schreiben ebenfalls belegt. Die räumlichen Voraussetzungen für Filmvorführungen waren auch in anderen Gemeinden des Kreises Eberswalde schwierig und führten zu Unmut unter den Besucherinnen und Besuchern. Ein Zuschauer einer Landfilmvorstellung in Wandlitzsee 1955 schilderte seine Kinoerfahrung folgendermaßen: „Schlechter Ton, verschwommene Bilder, der erste Teil des Films ganz leise, erst der Rest war klar. Es wurde auch wieder nur mit einem Ap­ parat gespielt und das Umspulen nahm eine unendlich lange Zeit in Anspruch, so daß der Kontakt mit dem Geschehen auf der Leinwand verloren ging. Die Leinwand selbst dürfte auch mal durch eine rei­

53 Hierzu und zum Folgenden: VE Kreislichtspielbetrieb Eberswalde an SED-Kreis­ leitung Abt. Agitation/Propaganda, Bericht über die Rolle des Films bei der Ge­ staltung des kulturellen Lebens in der Gemeinde Liepe, 13. März 1962, in: KB, Kreislichtspielbetrieb Eberswalde – u. a. Landspielvorführungen, Sign. 10456.

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ne weiße ersetzt werden, anstelle der schmutzig-grauen umgekehrten Landkarte.“54 Leserbriefe dieser Art waren keine Seltenheit. Diese lebhafte Schilderung der eingeschränkten Qualität des Filmerlebnisses gerade im ländlichen Raum der DDR stellt bisher vorherrschende Annahmen zum positiv be­ setzten Kinoerlebnis in Frage. Dort war das Kino aufgrund der techni­ schen Probleme und räumlichen Einschränkungen nur bedingt ein Ort, an dem Menschen für eine Zeit aus ihrem Alltag aussteigen und sich ganz einer fiktiven Welt hingeben konnten.55 Die von den Zuschauerinnen und Zuschauern kritisierten Zustände zu beheben, lag jedoch nicht allein in der Macht der Kreislichtspielbetriebe. Die Vorführungen fanden häufig in öffentlichen Gebäuden oder privat geführten Gaststätten statt, sodass zunächst Absprachen nötig waren, um etwa den Bau von Vorführerkabinen voranzubringen, die die Geräusche der Filmprojektoren teilweise absorbiert hätten. Auch für die Anschaffung stationärer Leinwände oder von Verdunklungsmaterial musste vorab ge­ worben werden.56 Darüber hinaus konnten besonders im Winter Film­ vorführungen witterungsbedingt oftmals nicht stattfinden, wenn hierfür vorgesehene Säle nicht beheizt werden konnten.57 Diesen sehr grundsätzli­ chen Problemen, mit denen sich Filmvorführerinnen und ‑vorführer des Landfilms in ihrem Arbeitsalltag auseinandersetzen mussten, standen die Ambitionen übergeordneter Stellen gegenüber, die im Landfilm möglichst einen mit (modernisierten) stationären Filmtheatern vergleichbaren Stan­ dard anbieten wollten. Die DEFA-Zentralstelle für Filmtechnik in Berlin schlug den Kreislicht­ spielbetrieben Eberswalde im August 1960 etwa vor, die Totalvision58 auch im Landfilm einzuführen, was allerdings nur unter einer technischen Nachrüstung der vorhandenen Kinotechnik möglich gewesen wäre und etwa 12.000 Mark Investitionen erfordert hätte. Die Umsetzung dieses Vor­

54 Filmvorführungen müssen besser werden, in: Neuer Tag, 8. Februar 1955. 55 Morat, Daniel: Das Kino, in: Alexandra Geisthövel/Habbo Knoch (Hrsg.): Orte der Moderne. Erfahrungswelten des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 2005, S. 228–237, hier S. 236. 56 Protokoll, Belegschaftsversammlung am 22. Juni 1960, 4. Juli 1960, in: KB, Kreis­ lichtspielbetrieb Eberswalde – Haushaltsanalysen, Sign. 10446. 57 Rat des Kreises Eberswalde, Abteilung Kultur, Betr.: Eingaben der Bevölkerung, 18. April 1962, in: KB, RdK, Kultureinrichtungen, Sign. 10. 58 Hierbei handelte es sich um ein Breitwandverfahren, das die DEFA entwickelt hatte. Vgl. hierzu Totalvision, in: Lexikon der Filmbegriffe, online abrufbar: https:// filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/t:totalvision2351-2334 (Zugriff 24.9.2021).

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schlags hätte, so die Einschätzung der Betriebsleitung, das Filmerlebnis in mindestens zwölf Landgemeinden des Kreises Eberswalde nachhaltig ver­ bessert.59 Allerdings konnten die Kreislichtspielbetriebe eine solche Inves­ tition wohl kaum aus dem eigenen Etat leisten, denn trotz des Bemühens, das betriebswirtschaftliche Ergebnis durch Sondervorstellungen und Mati­ neen zu verbessern, stieg der bilanzierte Verlust von 156.000 Mark (1959) auf über 237.000 Mark im Jahr 1960 an, wobei ein weiterer Anstieg für 1961 bereits prognostiziert war.60 Ob der Rat des Kreises Eberswalde diese Mittel letztlich bereitstellte oder andere Investitionen wie den Umbau des Kinos in Finowfurt, das etwa zwei Kilometer von Eberswalde entfernt liegt, für die Totalvision präferierte, ließ sich anhand der ausgewerteten Akten nicht rekonstruieren. Filmvorführerinnen und Filmvorführer Zum Abschluss gilt es, den Blick nochmals genauer auf die Filmvorfüh­ rerinnen und ‑vorführer zu richten. Aufgrund der Bedeutung des Films für die ideologische Beeinflussung der Bevölkerung kam der Tätigkeit als Filmvorführerin und ‑vorführer aus Sicht der SED-Führung eine zentrale Rolle zu. Galt es zunächst, möglichst viele Personen für diese Tätigkeit zu befähigen, setzte ab Mitte der 1950er-Jahre eine Professionalisierung dieses Arbeitsfeldes ein. 1955 wurde die Fachschule für filmtechnische Berufe in Potsdam-Babelsberg gegründet und ein Jahr später kam es zur Anerken­ nung des Filmvorführers als Lehrberuf mit 18-monatiger Ausbildungszeit. In den ersten fünf Jahren des Bestehens der Fachschule absolvierten dort fast 2.000 Personen eine Ausbildung zum Filmvorführer.61 Dabei dürfte es sich vor allem in den ersten Nachkriegsdekaden vor allem um Männer gehandelt haben. Zumindest dauerte es bei den Kreislichtspielbetrieben Eberswalde bis ins Jahr 1960, ehe die erste Frau zur Filmvorführerin ausgebildet worden war. Nach erfolgreichem Abschluss wurde sie von ihrer ursprünglichen Tätigkeit ins Passage-Kino Eberswalde versetzt und arbeitete dort ab September 1960 als hauptberufliche Filmvorführerin mit 59 Protokoll, Sitzung des Leitungskollektivs am 9. August 1960, 11. August 1960, in: KB, Kreislichtspielbetrieb Eberswalde – Haushaltsanalysen, Sign. 10446. 60 Hierzu und zum Folgenden: Analyse, Erfüllung des 7-Jahresplans bis 31.5.1961 und Konzeption für 1961, in: KB, RdK Eberswalde – Kreislichtspielbetriebe, Sign. 10500. 61 Enz, Kurt: Entwicklung der Filmwiedergabetechnik und des Filmnetzes in der DDR von 1945 bis in die Gegenwart, Berlin 1982, S. 19–21.

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einem Stundenlohn von 1,87 Mark.62 Wenn sie also gleichen Lohn für gleiche Arbeit bekam, wie ihr laut DDR‑Verfassung zustand,63 dürfte die Wochenarbeitszeit der Filmvorführerinnen und ‑vorführer der Kreislicht­ spielbetriebe Eberswalde bei etwa 50 Stunden gelegen haben.64

Abbildung 3: Die „Passage-Lichtspiele“ in der Eisenbahnstraße in Eberswalde, Aufnahme ca. 1960/70er-Jahre (Bestand Kreisarchiv Barnim). Wie sich der Arbeitsalltag der Filmvorführerinnen und ‑vorführer gestal­ tete, ist nur bruchstückhaft zu rekonstruieren. Zunächst einmal ist festzu­

62 Protokoll, Sitzung des Leitungskollektivs am 5. und 12. September 1960, 11. Au­ gust 1960, in: KB, Kreislichtspielbetrieb Eberswalde – Haushaltsanalysen, Sign. 10446. 63 Gerechnet auf den in den Dokumenten genannten Monatslohn von 459 Mark für Filmvorführer. Zur Gleichstellungspolitik der DDR vgl. Kaminsky, Anna: Frauen in der DDR, Berlin 2016, S. 67. 64 Eine 6-Tage-Arbeitwoche war in der DDR 1960 noch üblich, allerdings war die Arbeitszeit durch Beschluss der Volkskammer bereits 1957 auf eine Regelarbeits­ zeit von 45 Stunden pro Woche reduziert worden. Vgl. hierzu Hübner, Peter: Konsens, Konflikt und Kompromiß. Soziale Arbeiterinteressen und Sozialpolitik in der SBZ/DDR 1945–1970, Berlin 1995, S. 90 f.

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halten, dass er sich stark unterschied, je nachdem ob die Filmvorführerin­ nen und -vorführer in einem Kino oder im Landfilm beschäftigt waren. Für die zweite Gruppe war die Arbeitsausübung mit einer ganzen Reihe von praktischen Schwierigkeiten verbunden, da besonders in den ersten Nachkriegsdekaden motorisierte Fahrzeuge Mangelware blieben. So muss­ ten Filmvorführerinnen und ‑vorführer die schwere Filmausrüstung teils auf Kutschen oder in den Wintermonaten auf Schlitten von Ort zu Ort transportieren. Ein überlieferter Erfahrungsbericht eines Filmvorführers aus dem Dezember 1948 schildert eindrücklich, wie körperlich fordernd diese Arbeit war. Er hatte „einen Filmprojektor nach Reparatur unter Zeitdruck zunächst wieder zusammenbauen müssen, ehe er das Wiederga­ begerät auf dem Rücken geschnallt per Fahrrad zum etwa zehn Kilometer entfernten Vorführort transportierte.“ Dass Vorführerinnen und Vorführer Reparaturleistungen durchführten und damit auch Fertigkeiten besitzen mussten, die über ihr eigentliches Tätigkeitsfeld hinausgingen, lag an der Störanfälligkeit der Projektoren und an einer unzureichenden Versorgung mit Ersatzteilen. In Extremfällen konnte dies dazu führen, dass über länge­ re Zeiträume keine Filmvorführungen möglich waren, wenn die Projekto­ ren nicht repariert werden konnten.65 Damit stand ein erheblicher Teil der Filmbesuche unter unsicheren Vorzeichen, denn in den 1950er-Jahren entfiel immerhin jeder fünfte Filmbesuch auf eine Landfilmvorführung.66 Da die Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land auch im kulturel­ len Bereich angeglichen werden sollten, kam es zu einer Ausweitung der Kinotechnik des Landfilms. Hatte es 1953 in der gesamten DDR nur 800 mobile Vorführgeräte gegeben, so waren es Ende der 1950er‑Jahre bereits 2.400 und im Jahr 1963 erreichte der Landfilm mit 3.200 mobilen Filmprojektoren den Höchststand seiner technischen Ausstattung. Diese Ausrüstungsoffensive sollte es ermöglichen, größere Landgemeinden wö­ chentlich und kleinere alle zwei Wochen zu bespielen.67 An einigen Orten war dies der Fall, wie etwa Dokumente der Kreislichtspielbetriebe Bernau zeigen. Im Kreisgebiet hatte in sechs Gemeinden wöchentlich mindestens eine, in weiteren sieben Gemeinden mindestens alle 14 Tage eine Vorstel­ lung stattgefunden. Hinzu kam noch ein saisonaler Spielplan an drei Seen und einem Jugenderholungsheim und etwa monatlich 25 Vorstellungen

65 Filmvorführungen finden nicht statt, in: Neuer Tag, 10. Februar 1953. 66 Dietrich: Kulturgeschichte der DDR. Band I, S. 222. 67 Enz: Entwicklung der Filmwiedergabetechnik, S. 18.

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in Heimen, Internaten, Krankenhäusern, Schulen, Alters- oder Pflegeheimen.68 Fazit Das Lichtspielwesen weist klassische Charakteristika der sozialistischen Arbeitswelt in der volkseigenen Industrie der DDR auf: Beschäftigte wur­ den in Brigaden organisiert, bekamen Prämien ausgezahlt, nahmen als Kollektiv am sozialistischen Wettbewerb teil oder mussten Planvorgaben umsetzen. Der Blick auf das DDR-Kino aus arbeits- und alltagsgeschichtli­ cher Perspektive weitet damit den Fokus der DDR-Forschung, der bisher auf der Industriearbeit lag.69 Durch die betriebsinternen Strukturen der SED in den Kreislichtspielbetrieben gab es Machtstrukturen, die quer zur klassischen Top-down-Hierarchie von Unternehmen lagen. So konn­ ten in der SED-Parteigruppe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne Lei­ tungsfunktion über die berufliche Zukunft des Betriebsleiters entscheiden, wenn mögliches Fehlverhalten vorlag. Die Mitglieder des Kreisfilmaktivs, also externe Personen, urteilten zudem über die Arbeit angestellter Film­ vorführerinnen und -vorführer und konnten so Einfluss auf deren beruflichen Werdegang bzw. ihre Entlohnung nehmen. Sie waren damit Teil eines Disziplinierungsprozesses. Denn während sie auf die Kreislichtspiel­ betriebe einwirken sollten, übten die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der kreiseigenen Lichtspielbetriebe eine Kontroll- und Disziplinierungs­ funktion gegenüber der DDR-Bevölkerung aus – eine Rolle, die Kinos in demokratischen Gemeinwesen fremd war. Sie kontrollierten den Besuch bestimmter Filme durch die Belegschaften volkseigener Betriebe und staat­ licher Institutionen wie Schulen und übten bei mangelndem Interesse durch die Beschäftigten Druck aus. Die Einblicke in den Arbeitsalltag der Beschäftigten über die Akten der Kreislichtspiele Eberswalde zeigten darüber hinaus die fortwähren­ den technischen und infrastrukturellen Probleme bei der Versorgung der Landbevölkerung mit Filmen. Die arbeitsgeschichtliche Perspektive er­ möglicht so über den Arbeitsort Kino hinaus Aussagen über die Wirkung des Mediums Kinofilm in der DDR. Das als unzureichend empfundene 68 Anlage 1: Stand der derzeitigen Bespielung, in: KB, RdK Bernau, Sekretär des Kreises, Sign. 14768. 69 Zur Arbeitsgeschichte der DDR vgl. etwa Hübner, Peter: Arbeit, Arbeiter und Technik in der DDR 1971–1989. Zwischen Fordismus und digitaler Revolution, Bonn 2014.

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Kinoerlebnis im Landfilm und die fehlende Aktualität und thematische Breite der gezeigten Filme führten zu schlechten Besuchszahlen. Werden dann noch die staatlich forcierten Kinobesuche von Werktätigen der volks­ eigenen Industrie und Schülerinnen und Schülern abgezogen, die die Zu­ schauerzahlen künstlich nach oben getrieben haben, so gilt es zukünftig die häufig normativ angenommene Massenwirkung des Mediums Kino stärker zu hinterfragen. Gerade im ländlichen Raum der DDR, so deutet sich an, verlor das Kino bereits frühzeitig seine Stellung als Massenmedi­ um, da es sowohl von den Standards der Vorführungstechnik als auch vom gebotenen Komfort nicht den Erwartungen des Publikums entsprach.

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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Fotoaufnahme, „Rekord Lichtspiele“ (ca. Ende 1950), Göltzschtal­ straße 35 (ehem. Breitscheidstraße 39), Auerbach, Quelle: Stadtarchiv Auer­ bach/Vgtl., Signatur: 000.733. Abbildung 2: Postkarte, „Westend-Theater“, Heegermühler Straße, Eberswalde (ca. 1954), Fotograf nicht angegeben, Verlag Georg Neumann, Eberswalde, Quelle: Kreisarchiv Barnim, Signatur: P.01.05.085 – 1456. Abbildung 3: Fotoaufnahme, „Passage-Lichtspiele“ und Geschäfte (ca. 1960/70erJahre), Eisenbahnstraße, Eberswalde, Fotograf unbekannt, Quelle: Kreisarchiv Barnim, Signatur: P.01.01.01.357.

Quellenverzeichnis Historisches Archiv des Vogtlandkreises, Signatur: 945 – Rat des Kreises Auerbach. Kreisarchiv des Landkreis Barnim, Signatur: 10446 – Kreislichtspielbetriebe Eberswalde – Haushaltsanalysen; 10451 – Rat des Kreises Eberswalde – Kultureinrichtungen; 10456 – Kreislichtspielbetrieb Eberswalde – u. a. Landspielvorführungen; 10500 – Rat des Kreises Eberswalde – Kreislichtspielbetriebe; 14768 – Rat des Kreises Bernau – Sekretär des Kreises.

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Dramaturgie in der DEFA Herz der Filmproduktion oder politische Keule? Dieter Wolf

Mit dem Ende der staatlich finanzierten Spielfilmproduktion 1990 geriet die Dramaturgie in Verdacht, nicht nur die ideologische Keule, sondern das Zensurinstrument des Regimes schlechthin gewesen zu sein, das es mit der DEFA zu zerschlagen galt. 1992 empfahl eine namhafte Kritikerin dem Autor, einem der etwa zwanzig Dramaturgen und von 1964 bis 1990 Hauptdramaturg der Dramaturgengruppe Babelsberg, öffentlich, „sich […] als einen der wichtigsten Zensoren [zu] betrachten“.1 Noch 2008 rühmte sich Regisseur Volker Schlöndorff, Oscar-Preisträger und kurze Zeit Künst­ lerischer Chef des 1991 privatisierten Babelsberger Studios, „den Namen ‚Defa‘ […] abgeschafft“ zu haben.2 75 Jahre nach der offiziellen DEFAGründung am 17. Mai 1946, der feierlichen Lizenzerteilung durch die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD), soll hier so­ wohl auf die Geschichte als auch auf die künstlerische und politische Funktion dieser typischen Studio‑Abteilung zurückgeschaut werden. Eine Dramaturgie wie in der DEFA gab es bis dahin nur an den Thea­ tern für die Repertoire-Beratung des Intendanten, für die Auswahl der Stücke und ihre etwaige Bearbeitung, für Pressearbeit und Publikumsin­ formation. Doch der sich konstituierende Alleinproduzent von Kinospiel­ filmen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) sah frühzeitig in einer theaterähnlichen Einrichtung die Basis einer gesicherten Produktion im industrienahen Studiobetrieb und Grundlage gezielter Kino-Spielplan-Ar­ beit. Dass sich ein Regisseur wie Wolfgang Staudte mit dem produkti­ onsreifen Drehbuch Die Mörder sind unter uns (1946)3 noch vor dem Gründungstag um Lizenz und Budget bemühte und mit den Aufnahmen

1 Bulgakowa, Oksana: UFA-Stories, in: tip Berlin Magazin, Heft 4, Berlin 1992, S. 24– 26, hier S. 26. 2 Peitz, Christiane: Schlöndorff – „Defa-Filme waren furchtbar“, in: Der Tagesspiegel, 11.12.2008, online abrufbar: https://www.tagesspiegel.de/kultur/kino/kontroverse-s chloendorff-defa-filme-waren-furchtbar/1393060.html (Zugriff 1.5.2022). 3 Regie: Wolfgang Staudte, 87 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, Deutschland (Sowjeti­ sche Zone), DEFA-Studio für Spielfilme, 1946.

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beginnen konnte, war und blieb die absolute zeit- und situationsbedingte Ausnahme. Wohnhaft im britischen Sektor von Berlin, hatte er sich zuerst an die englische und französische Besatzungsmacht gewandt, aber von ihnen und auch vom amerikanischen Filmoffizier Peter van Eyck eine Absage kassiert. Anders die Kulturoffiziere der SMAD.4 Staudte äußerte sich später zur Begegnung mit seinem ersten Zensor, Major Alexander Dymschitz: „Der kannte das Buch auswendig, war von dem Stoff begeistert, nur einen Einwand hatte er: Ich sollte den Schluss ändern. Im Drehbuch erschießt der Truppenarzt Mertens seinen ehemaligen Hauptmann, der an der Ostfront Geiseln, darunter Frauen und Kinder, erschie­ ßen lässt, dem er nach dem Krieg als selbstzufriedenem, erfolgrei­ chem Kochtopfproduzenten begegnet. Dymschitz lehnte diese Art von Selbstjustiz ab und malte mir die Folgen aus, die aus der Wirkung des Films entstehen könnten […]“5 Die Mörder sind unter uns (1946)6 und kurz darauf Ehe im Schatten (1947)7 von Kurt Maetzig über die Schrecken des Nationalsozialismus und das tragische Ende eines Schauspieler-Paares, angelehnt an den authentischen Fall und Freitod von Joachim Gottschalk, begründeten die große politi­ sche und künstlerische Traditionslinie des antifaschistischen und antiras­ sistischen DEFA-Films. Babelsberg blieb diesem Gründungsauftrag bis zum Ende treu. Nahezu in jedem Produktionsjahr entstand in diesem Themenumfeld mindestens ein weiterer Film. Viele davon widmeten sich den sozialen, ökonomischen und ideologischen Wurzeln des Rassismus in der jüngsten deutschen Vergangenheit. Gerade diese Filme waren publi­ kumswirksam im In- und Ausland und nicht wenige von ihnen wurden mit nationalen und internationalen Preisen bedacht. Kurt Maetzig war der erste und einzige DEFA-Regisseur, der einen Bambi erhielt. Der Film Ehe im Schatten erreichte mehr als zehn Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer und war damit, noch aufgeführt in Ost und West, eine der erfolgreichsten DEFA-Produktionen.

4 Orbanz, Eva/Prinzler, Hans Helmut (Hrsg.): Staudte, Berlin 1991, S. 265. 5 Zitiert nach Schenk, Ralf: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erin­ nerungen, Berlin 2006, S. 22. 6 Regie: Wolfgang Staudte, 1946. 7 Regie: Kurt Maetzig, 104 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, Deutschland (Sowjetische Zone), DEFA, 1947.

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Dramaturgie in der DEFA

Vor dem Hintergrund des schon in der Weimarer Republik weitverbrei­ teten Antisemitismus handelt der erste Polit-Krimi Affaire Blum (1948)8, inszeniert von Erich Engel, von der Weimarer Polizei und Justiz, die – auf dem rechten Auge blind – einen unschuldigen jüdischen Bürger unter Anklage stellt. Der Justizmord wird erst in letzter Minute durch einen privaten Ermittler verhindert. Das letzte preisgekrönte DEFA-Zeugnis zum Thema des faschistischen Rassenwahns war Die Schauspielerin (1988)9 mit Corinna Harfouch, in der Regie von Siegfried Kühn, einem Vertreter der Nachkriegsgeneration. Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der DDR ist selbst „die Antifa­ schismus-Thematik der DEFA“ ins Visier der DDR-Aufarbeitung geraten. „Indem der Antifaschismus eine glaubwürdige Rechtfertigung der DDR im Bewusstsein der Bevölkerung verankerte, trug er entscheidend dazu bei, die SED-Herrschaft zu legitimieren und zu stabilisieren.“10 So soll das gesamte DEFA-Filmschaffen kurzerhand aus dem nationalen Kulturerbe verbannt werden und nicht nur der Name verschwinden. Schon aus aktu­ ellen Gründen bleiben die antifaschistischen und antirassistischen Produk­ tionen aus Babelsberg ein filmhistorischer Schatz und eine politisch-gesell­ schaftliche Mahnung zugleich. Kleine Geschichte der Dramaturgie Erfahrene Filmautoren waren 1946 im Osten schwer zu finden, denn viele von ihnen waren durch ihre Arbeit an Kriegs‑ und NS‑Filmen diskredi­ tiert. In der SBZ wurde Kameramännern wie Bruno Mondi ihr Beitrag zur NS‑Propaganda wie im antisemitischen Jud Süß (1940)11 oder dem Durchhaltefilm Kolberg (1945)12 eher nachgesehen als den Drehbuchauto­ ren und Regisseuren. Zwar bekundete Dr. Georg C. Klaren, der Leiter der dramaturgischen Abteilung, im März 1946 öffentlich bereits mit „mehr als 400 Einsendungen von Manuskripten, Drehbüchern und Vorschlägen

8 Regie: Erich Engel, 109 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, Deutschland (Sowjetische Zone), DEFA, 1948. 9 Regie: Siegfried Kühn, 86 Min., Farbe, Spielfilm, Deutsche Demokratische Repu­ blik (DDR), DEFA-Studio für Spielfilme, 1988. 10 Barnert, Anne: Die Antifaschismus-Thematik der DEFA, Marburg 2008, S. 25; SED: Abkürzung für Sozialistische Einheitspartei Deutschlands. 11 Jud Süß: Regie: Veit Harlan, 98 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, Deutschland, UFA-Filmstudio, 1940. 12 Regie: Veit Harlan, 111 Min., Farbfilm, Spielfilm, Deutschland, UFA, 1945.

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für Spielfilme […] aus dem ganzen Reich überschüttet worden zu sein.“13 Vergleicht man aber die angekündigten mit den wenigen realisierten Pro­ jekten, ahnt man die Mühe und die Risiken, selbst aussichtsreiche Ideen in drehreife Bücher zu verwandeln. Klaren jedenfalls zieht es bald in die eigene Buch- und Regie‑Arbeit. Sein Wozzek (1947)14 nach Georg Büchner wurde die erste klassische Lite­ raturverfilmung der DEFA, ein fester und erfolgreicher Bestandteil ihres künftigen Repertoires. Schließlich war in diesem Bereich weniger mit Be­ denken und Veränderungswünschen zu rechnen, wenn ein Roman oder Drama als verfilmungswürdig galt. Damit folgte man auch dem Bildungs­ auftrag des neuen Films. Noch vor seinem zauberhaften Märchenfilm Die Geschichte vom kleinen Muck (1953)15 schuf Wolfgang Staudte 1951 mit der Roman-Verfilmung Der Untertan16 nach Heinrich Mann die erste und auch später unübertroffene Gesellschaftssatire der DEFA, das Porträt eines klei­ nen karrieristischen Aufsteigers in der wilhelminischen Ära der imperialen Gründerzeit. Akuter Drehbuchmangel führte bereits im Juni 1947 zum Ersten Deut­ schen Filmautorenkongress, namhaft besetzt aus Ost und West und damit auch der letzte seiner Art, bevor der Kalte Krieg solche Gemeinsamkei­ ten beendete. Kurt Maetzig, einer der DEFA-Gründungsväter, warnte die schreibenden Kollegen, auf „Richtlinien von oben“ zu warten, welche Filme wohl „erwünscht“ und welche „unerwünscht“ wären. Albert Wilke­ ning, einer der ersten und letzten Direktoren, bestätigt dies: „In den ersten Jahren [...] ging die gesamte Leitungsarbeit unbürokra­ tisch vonstatten. Das Angebot an verfilmbarer Literatur war relativ groß. Es gab auch noch nicht so viel kritische Vorbehalte, und wir dachten weniger an ein ausgewogenes Programm als an die Möglich­ keit, einen interessanten Film zu machen.“17

13 Wilkening, Albert: Geschichte der DEFA von 1945–1950, in: DEFA Studio für Spielfilme (Hrsg.): Betriebsgeschichte des VEB DEFA Studios für Spielfilme, Teil 1, o. O. 1981, S. 48. 14 Regie: Georg C. Klaren, 101 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm Deutschland (Sowjeti­ sche Zone), DEFA, 1947. 15 Regie: Wolfgang Staudte, 99 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1953. 16 Regie: Wolfgang Staudte, 107 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1951. 17 Wilkening, Albert: Die DEFA in der Etappe 1950 bis 1953, in: DEFA Studio für Spielfilme (Hrsg.): Betriebsgeschichte des VEB DEFA Studios für Spielfilme, Teil 2, o. O. 1984, S. 21.

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Dramaturgie in der DEFA

1949 wurde ein neues DEFA-Genre geboren. Wolfgang Schleif, trotz er­ heblicher Belastung durch Mitarbeit an NS-Filmen im DEFA-Festvertrag, drehte als Regie-Debüt den ersten historisch-biografischen Film Die blau­ en Schwerter (1949)18 über das abenteuerliche Schicksal des Alchimisten Johann Friedrich Böttger, der für den sächsischen König Erde in Gold verwandeln sollte und stattdessen in Meißen das erste Porzellan in Europa schuf. Von nun an gehörten solche Biografien in ihrer Bindung an die gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Zeit zum festen Repertoire. Erinnert sei an frühe Titel wie Semmelweis – Retter der Mütter (1950)19 über die Bän­ digung des verheerenden Kindbettfiebers, an die Ernst-Thälmann-Filme von Kurt Maetzig20, von Günter Reisch über Karl Liebknecht21, später von Ralf Kirsten über Ernst Barlach22, Clara Zetkin23 und Käthe Kollwitz24. Aber auch die nächste Regie-Generation hat sich 1976 mit Horst Seemann auf diesem Feld zu Wort gemeldet: Beethoven – Tage aus einem Leben25 wur­ de seine bis dahin anspruchsvollste Arbeit. Lothar Warneke folgte 1979 mit Addio, piccola mia26 über Georg Büchner. Die Zeit der spontanen Stoffwahl war um 1950 vorbei, denn die ‚Richt­ linien von oben‘ ließen nicht mehr auf sich warten. Die wachsende Pro­ duktion forderte eine Programmdebatte und den Ausbau der Dramatur­ gie. Dr. Wolff von Gordon trat Klarens Nachfolge an. Doch auch er verließ das Amt bald, um selbst zu schreiben. Als die Sowjetunion 1950 ihre kurzzeitige Aktienbeteiligung an den Filmbetrieben aufgab, wurde das Babelsberger Studio wieder eine rein deutsche Unternehmung. Dem DEFA‑Vorstand wurde zusätzlich zum politisch dominierten Aufsichtsrat ein weiteres Kontrollorgan vorgesetzt, die DEFA‑Kommission in Berlin

18 Regie: Wolfgang Schleif, 99 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1949. 19 Semmelweis – Retter der Mütter: Regie: Klaren, 99 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1950. 20 Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse: Regie: Maetzig, 126 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1954; Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse: Regie: Maetzig, 139 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1955. 21 Solange Leben in mir ist: Regie: Günter Reisch, 113 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1965. 22 Der verlorene Engel: Regie: Ralf Kirsten, 60 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm DDR, DEFA, 1966 verboten, überarbeitete Fg. 1971. 23 Wo andere schweigen: Regie: Ralf Kirsten, 104 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA 1984. 24 Käthe Kollwitz – Bilder eines Lebens: Regie: Ralf Kirsten, 95 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1986. 25 Regie: Horst Seemann, 108 Min., Farbe, Spielfilm DDR, DEFA, 1976. 26 Regie: Lothar Warneke, 123 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1979.

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mit Spitzenfunktionären der Partei- und Staatsführung. Geschaffen, um die Leitung in Grundsatzfragen zu beraten, wurde sie schnell zur Geneh­ migungsinstanz. Hier entschied sich das Schicksal jedes einzelnen Projekts mit der Ablehnung oder der Produktionsfreigabe des Drehbuchs, meist ohne Autor oder Regisseur zu hören, oft mit Auflagen für ‚Verbesserun­ gen‘. In den ersten Jahren ließen allgemeine Programm-Orientierungen noch einen breiten Spielraum für Ideen, Pläne und Projekte. Bei der Lizenzüber­ gabe formulierte Oberst Sergej Tulpanow den Auftrag der SMAD an die DEFA so: „Der Film als Massenkunst muß eine scharfe Waffe gegen die Reaktion und für die in die Tiefe wachsende Demokratie, gegen Krieg und Militarismus, für Frieden und Freundschaft aller Völker der ganzen Welt werden.“27 Und Paul Wandel, Präsident der zunächst vorgesetzten Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung, forderte vom Film „Ant­ wort auf alle Lebensfragen unseres Volkes. […] [Der Film] darf nicht mehr Opium des Vergessens sein, sondern soll den breiten Schichten […] Kraft, Mut, Lebenswillen und Lebensfreude spenden.“28 Wenig später aber verwandelten sich solche ideellen Vorgaben in spezifizierte thematische Pläne, nach Lebens- und gar Volkswirtschaftsbereichen gegliedert, für die gezielt Stoffe gesucht und Bücher in Auftrag gegeben wurden. So erklärt sich, dass gerade im Gegenwartsfilm die größten Programm- und vor al­ lem Kunstdefizite verbucht wurden. Doch es bleibt das Verdienst vieler dieser Produktionen, dass zu allen Zeiten die sozial-historischen Lebensbe­ dingungen ‚einfacher Leute‘ ins Blickfeld kamen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit ging es um die Gefährdung vaterloser Kinder, die ihre Mut­ proben in irrwitzigen Trümmerbergen suchen, wie in Irgendwo in Berlin (1946)29, den Kampf gegen den Hunger, wie in Unser täglich Brot (1949)30 oder das Zeitphänomen des Schwarzmarkts, dargestellt in Razzia (1947).31 Die Brücke (1949)32 behandelte das Schicksal von Vertriebenen aus den Ostgebieten, die als Umsiedler zunächst nicht willkommen sind. Erst die

27 Tulpanow, Sergij: Rede zur DEFA-Gründung, zitiert nach Deutsche Film AG: Auf neuen Wegen. 5 Jahre fortschrittlicher deutscher Film, Berlin 1951, S. 10. 28 Wandel, Paul: Rede zur DEFA-Gründung, zitiert nach ebd. 29 Regie: Gerhard Lamprecht, 85 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm Deutschland (Sow­ jetische Zone), DEFA, 1946. 30 Regie: Slatan Dudow, 97 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1949. 31 Regie: Werner Klingler, 97 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm Deutschland (Sowjeti­ sche Zone), DEFA, 1947. 32 Regie: Arthur Georg Otto (auch: Artur) Pohl, 85 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm Deutschland (Sowjetische Zone), DEFA, 1949.

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Dramaturgie in der DEFA

Solidarität der Fremden bei einem Großbrand wirkt als geistige Brücke in eine gemeinsame Zukunft. Das Thema wurde später trotz langanhaltender Brisanz im Massenmedium gemieden. Immer wieder geriet die Dramaturgie in die Kritik und es wurden Strukturveränderungen angesagt. Um das Leben an der Basis aufzuspüren, wurden stoffsuchende Dramaturgen ins Land hinausgeschickt, in Großbe­ triebe und Dörfer, nach Mecklenburg und Sachsen. Sie kamen zwar mit einem Problemkatalog zurück, nicht jedoch mit konkreten Stoff-Impulsen oder Ideen. Dafür mit vielen kritischen Äußerungen aus dem Publikum zum Film-Angebot, dem es an heiterer Unterhaltung, „Herz, Gemüt und Sonne“ mangele. Die Leitung tröstete ihre verunsicherten Freigänger da­ mit, dass erst mit fortschreitendem Aufbauwerk die Arbeit zum ersten Be­ dürfnis aller Menschen und damit auch zu ihrem ersehnten Leinwand-Bild werde. Von der frühen Aufforderung, die Kunst möge den Zweijahresplan (1949 bis 1951) verwirklichen helfen oder „die Menschen zur Vollbrin­ gung großer Leistungen reif […] machen, […] für die Erfüllung des Fünf­ jahrplans […] begeistern“33, griff die kurzatmige Tagesprogrammatik zur knappen Losung der 1960er-Jahre „Kunst hilft Kohle“.34 In der Folgezeit wurde der Stuhl des Chefdramaturgen zum Schleudersitz: Zwischen 1950 und 1965 amtierten noch fünf weitere Chefs. Eine heftige, aus der Sowjetunion importierte, politische Kampagne ver­ stärkte die Unsicherheiten: „Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur“35 traf 1951 mit verheerender Wucht zunächst andere Gat­ tungen, vor allem die Musik und die Bildende Kunst, doch sie hatte auch auf alle anderen eine einschüchternde Signalwirkung. Vergeblich warnte Kurt Maetzig das Parteiforum vor den Gefahren des Schematismus und vor einer Unterschätzung der Form. Doch die Uniformität des DEFA-Stils der folgenden zehn Jahre war gewiss auch dieser kunstfeindlichen Debatte geschuldet. Von Alfred Kurella, dem langjährigen Politbüro-Beauftragten für Ideologie und Kunst, wurde erzählt, er habe noch 1961 die Augenhö­ he zur „einzig menschliche[n] Perspektive der sozialistisch-realistischen Kamera“ erklärt.36

33 Lauter, Hans: Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fort­ schrittliche deutsche Kultur. Referat, Diskussion und Entschließung von der 5. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 15. bis 17. März 1951, Berlin 1951, S. 30. 34 Dietrich, Gerd: Kulturgeschichte der DDR, Göttingen 2018, S. 1024. 35 Lauter: Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur. 36 Zitiert nach Haas, Klaus-Detlef/Wolf, Dieter (Hrsg.): Sozialistische Filmkunst. Eine Dokumentation, Berlin 2011, S. 64.

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Schon im September 1952 folgte eine eigene Filmkonferenz des Zen­ tralkomitees, der vorsorglich eine Resolution des Politbüros mit zahlrei­ chen Grundsatzbeschlüssen vorauseilte.37 Historisch bedeutsam war die Entscheidung, die wissenschaftliche Ausbildung der Filmkader an einer Kunsthochschule nach sowjetischem Vorbild vorzubereiten. Erstmalig in Deutschland nahm bereits 1954 die Deutsche Hochschule für Filmkunst ihren Studienbetrieb in Potsdam-Babelsberg auf. Die Vorbereitungszeit war so kurz bemessen, dass Lehrbetrieb und Internat im Sommerschloss der Kronprinzessin Augusta im Park Babelsberg Aufnahme finden muss­ ten. Auf jeder der vier Etagen des hohen Schlossturms bot ein kleines Rundzimmer Platz für je zehn Studierende der Regie, Kamera, Dramatur­ gie und Produktion. Die ideelle Orientierung des Politbüros forderte nun den sozialistischen Realismus im Film, den ‚positiven Helden‘ und die ‚positiven Erscheinun­ gen des Lebens‘. So wurde die erzieherische Funktion zum Maß aller Dinge. Fortan galt der kritische Realismus als das Trojanische Pferd der fremden, wenn nicht feindlichen Ideologie in den eigenen Reihen. Noch einmal traf das Politbüro-Urteil den bereits zurückgezogenen Film Das Beil von Wandsbek (1951)38 nach dem Roman von Arnold Zweig, da er „nicht die Kämpfer der deutschen Arbeiterklasse zu den Haupthelden macht, sondern ihren Henker.“39 So verlor die DEFA einen hochbegabten Regisseur und künstlerischen Leiter. Falk Harnack – Bruder des von den Nationalsozialisten hingerichteten Widerstandskämpfers Arvid Harnack –, im Krieg auf Kreta vor drohender Verhaftung zu den griechischen Partisa­ nen geflüchtet, blieb auch nach seinem Abschied von der DEFA seinen antifaschistischen Überzeugungen treu und widmete sich weiter dem The­ ma des Widerstands. Die öffentliche Berliner Rüge der DEFA-Kommission und des Vorstands war zugleich auf Langzeitwirkung berechnet. Mit der Bildung volkseigener DEFA-Studios 1952 unter dem Dach eines Staatlichen Komitees für Filmwesen beim Ministerrat der DDR, der späte­ ren Hauptverwaltung Film (HV Film) im Ministerium für Kultur unter

37 Resolution des Politbüros des ZK der SED „Für den Aufschwung der fortschrittli­ chen deutschen Filmkunst“ 17./18.07.1952, in: Resolution des Politbüros des ZK der SED, Berlin 1953, S. 5–14. 38 Regie: Falk Harnack, 113 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1951. 39 Schenk, Ralf: Mitten im Kalten Krieg. 1950 bis 1960, in: Filmmuseum Potsdam (Hrsg.): Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg 1946–1992, Berlin 1994, S. 50– 157, hier S. 70.

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Dramaturgie in der DEFA

Anton Ackermann,40 endete das politische Außen‑Regiment der DEFAKommission. Er sollte das Wunder vollbringen, das er selbst so formulier­ te: „Mehr, bessere und billigere Filme!“41 Die Produktion war gerade auf sechs Premieren geschrumpft. Nach dem 17. Juni 1953 war auch im Stu­ dio ein ‚neuer Kurs‘ angesagt, und so nannte der neue Hauptdirektor Hans Rodenberg42, im Amt nur von 1952 bis 1956, die Dramaturgie das „Herz der Filmproduktion“. Doch der Weg vom Buch zum Film und zur Leinwand wurde deshalb noch nicht kürzer. 1957/58 drehte Konrad Wolf im Stil eines harten Realis­ mus Sonnensucher (1958)43, ein differenziertes Figuren-Ensemble, das der deutsch-sowjetische Uranbergbau zusammengewürfelt hat, mit Konflikten nicht nur in der Brigade, sondern auch in der Parteiorganisation und mit den sowjetischen Führungskräften. Nach langen Diskussionen bis hinauf ins Politbüro scheiterte die endlich 1959 terminierte Premiere am Veto der sowjetischen Botschaft unter dem Vorwand, die Verhandlungen mit den USA über ein Atomabkommen dürften nicht gestört werden. Stattdessen kommt 1959 Konrad Wolfs Film Sterne (1959)44 ins Kino, eine ergreifende Anklage gegen den Holocaust. Mit Blick auf seinen ver­ botenen Film Sonnensucher kommentierte der Regisseur sarkastisch dop­ pelsinnig: „Wer die Sonne sucht, wird Sterne sehen.“ Doch auch das hat­ te wieder ein Nachspiel. Aufgrund bundesdeutscher Intervention in Aus­ übung des angemaßten ‚Alleinvertretungsanspruchs für alle Deutschen‘ (Hallstein-Doktrin 1949–1969) konnte der Film in Cannes nur vom bulga­ rischen Koproduzenten eingereicht werden und erhielt als bulgarischer Film den Sonderpreis der Jury.

40 Parteifunktionär (bürgerl. Name: Eugen Hanisch), seit 1935 ZK und PolitbüroKandidat. Spanien, Paris, Moskau. Mitbegründer NKFD, muss nach Titos Allein­ gang seine These vom besonderen deutschen Weg zum Sozialismus zurücknehmen. 1953 nach Ulbricht-Kritik ZK- und PB-Ausschluss, 1956 halbherzige Rehabilitie­ rung, Arbeit in nachgeordneten Staatsfunktionen, 1954–58 HV Film. 41 Ministerium für Kultur der DDR: Mehr, bessere und billigere Filme. Program­ merklärung des Ministeriums für Kultur, in: Filmspiegel, Heft 22, 1954, S. 2–10, hier S. 10. 42 *1895 – † 1978, Schauspieler, Regisseur, Sprecher am Moskauer Rundfunk, ab 1950 erster Intendant des Theaters der Freundschaft in Berlin. 43 Regie: Konrad Wolf, 115 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1958. 44 Regie: Konrad Wolf, 92 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, Bulgarien/DDR, DEFA, Sofia, 1959.

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Abbildung 1: Fotocollage mit Szenen aus dem Film „Sterne“ mit Sascha Kru­ scharska als Ruth, Jürgen Frohriep als Walter und Erik S. Klein als Kurt (Quel­ le: © DEFA-Stiftung/Lotte Michailowa). Von der zentralen Dramaturgie zu Dramaturgengruppen Nach dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) 1956 und der folgenden halbherzigen Entstalinisierung unter­ nahm Kurt Maetzig 1956 den Vorstoß, die vielstufige Kompetenz-Hierar­ chie zu überwinden. Er schlug die Bildung von künstlerischen Arbeits­ gruppen (KAG) mit kleinen Teams von Dramaturgen und großer Entschei­ dungsvollmacht vor.45 Ende der 1950er-Jahre formierte sich um ihn die KAG Roter Kreis. 1960 kam sein utopischer Film Der schweigende Stern46 erstmals mit dem Gruppensignet ins Kino. Etwa zeitgleich gründete Kon­

45 Maetzig, Kurt: Die Zeit ist reif, in: Deutsche Filmkunst, Heft 9, Berlin 1956, S. 257– 260, hier S. 257 f. 46 Regie: Kurt Maetzig, 94 Min., Farbe, Spielfilm, DDR/Polen, DEFA/Filmstudio Wroclaw, Gruppe Iluzjon, 1959.

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Dramaturgie in der DEFA

rad Wolf die Gruppe Heinrich Greif47, und Slatan Dudow nannte seine Gruppe schlicht nach seinem Wohnort: Berlin. Um Produktionsleiter Adolf Fischer, Mitglied des Filmaktivs 1945 und Mitbegründer der DEFA, bildete sich die Gruppe Solidarität mit den Theaterregisseuren Johannes Arpe, Carl Balhaus, Martin Hellberg, Kurt Jung-Ahlsen und Hans Lucke, die sich lieber unter seinem Dach als unter dem der drei namhaften Kolle­ gen versammelten. Den einzigen erfolgreichen Gegenwartsfilm in dieser Gruppe drehte János Veiczi mit der spannungsgeladenen Spionage-Story For Eyes Only – Streng geheim (1963).48 Angelehnt an einen authentischen Vorgang erbeutet ein eingeschleuster DDR-Kundschafter den Tresor der Würzburger Filiale des US-amerikanischen Militärgeheimdienstes MID.49 Und darin, so die Legende, das Geheimpapier MC 70 zur militärischen Vorbereitung auf einen in der DDR erwarteten Tag X. So sollte der Ab­ wehrcharakter der Berliner Mauer öffentlichkeitswirksam dokumentiert werden. Der bis dahin medial unbekannte Alfred Müller stattete die Rolle mit Verve und sympathischem Understatement aus und wurde so zum Publikumsliebling. Die DEFA-Film Library der University of Massachusetts Amherst sah gute Gründe, auch diesen DEFA-Film englisch zu untertiteln und mit meinem Interview zur Entstehungsgeschichte zu begleiten: „Our own James Bond“. Die Gruppe Solidarität wurde auf Weisung des Minis­ teriums 1963 aufgelöst, weil hier als Dienstleistung zwei Fernsehfilme ge­ dreht wurden, die in Berlin höchstes Missfallen erregt hatten – Monolog für einen Taxifahrer (1962)50 und Fetzers Flucht (1962)51 des DEFA-Regisseurs Günter Stahnke.52 1961 blieb von der einst zentralen Dramaturgie nur der Chefdramaturg. Die Buchentwicklung, meist initiiert, immer begleitet von einem der drei oder vier stoffführenden Dramaturgen, vollzog sich nun von der Idee bis zum produktionsreifen Buch in einem kleinen Kollektiv. Die Autoren-

47 *1907 – † 1946, Schauspieler, Piscator- und Volksbühne Berlin, 1933 Emigration über Paris, Zürich nach Moskau, Sprecher deutschsprachiger Sendungen am Mos­ kauer Rundfunk; tragischer Tod durch fehlerhafte Blinddarm-OP. 48 Regie: János Veiczi, 102 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1963. 49 Die Military Intelligence Division (MID) war die Nachrichtendienstabteilung der United States Army. 50 Regie: Günter Stahnke, 37 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA/KAG Solidarität im Auftrag des DFF, 1962, Erstausstrahlung 1990. 51 Regie: Günter Stahnke, 53 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA/KAG Solidarität im Auftrag des DFF, 1962. 52 Wolf, Dieter: Das kurze Leben der Gruppe Solidarität. Erinnerungen eines Haupt­ dramaturgen, in: apropos: Film 2005. Das 6. Jahrbuch der DEFA-Stiftung, Berlin 2005, S. 243–263.

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und Themenwahl, die Entwicklung einer Filmstory bis zum Exposee oder zu einer Filmerzählung, lag vom Auftrag bis zur Abnahme in der vollen Kompetenz der Gruppe, also eines Hauptdramaturgen. Mit jeder ersten Vertragsaufgabe erhielt das Lektorat eine ausführliche Information für die Leitung mit Kurzangaben über den Inhalt und das kulturpolitische und künstlerische Anliegen. Eine differenzierte Statistik gab Auskunft über die Zeit der Handlung, die soziale Ansiedlung der Story, die Problemstel­ lung und Lebenssphäre sowie das Genre und enthielt zudem Angaben für die Planung, die Zielgruppe und den ökonomischen Rahmen. Mit dem Exposee oder einer ausführlicheren Filmerzählung und einer ideolo­ gisch-künstlerischen Führungslinie wurde fortan der Chefdramaturg um die Ausfertigung des Szenarienauftrags ersucht. Sie wurde nur selten ver­ weigert, meist, wenn aus unterschiedlichen Gründen die Kinochancen für zu gering erachtet wurden.53 Das Arbeitspapier war weniger notwendig für die Verständigung im wachsenden Filmteam. Es war mehr gedacht und formuliert als politische Argumentationshilfe für die Studioleitung und die Leiter bis hinauf in die HV Film, das ideelle Anliegen und die künstle­ rischen Absichten in Übereinstimmung zu sehen mit den aktuellen kultur­ politischen Leitlinien der Partei. Das von der Gruppe verabschiedete Sze­ narium wurde vom Chefdramaturgen nach kollektiver Beratung mit allen Hauptdramaturgen und in Anwesenheit des Autors oder der Autorin abge­ nommen, nicht selten mit Empfehlungen für die Drehbucharbeit, wenn der Regisseur oder die Regisseurin schon benannt war und teilnahm. Die Nicht-Abnahme eines Szenariums bedurfte schriftlicher Begründung. Um die führenden Regisseure von administrativer Arbeit zu entlasten und die ökonomisch-organisatorische Leitung des Gesamtstudios zu si­ chern, setzte Studio-Chef Wilkening zunächst erfahrene Produktionsleiter als Teamchefs ein,54 auch da, wo keine Regie-Persönlichkeit das Profil bestimmte.55 Die Lokalisierung in den kleinen Kollektiven brachte viele Vorteile: Man kannte sich, arbeitete gezielter für die in der Gruppe beheimateten oder freien Regisseure, ab 1975 auch zwei, drei Regisseurinnen. Autoren, seltener Autorinnen sahen sich keinem anonymen Apparat oder wech­ selnden Diskussionspartnerinnen und -partnern gegenüber. Kurt Maetzigs 53 Vgl. hierzu u. a. Wolf, Dieter: Gruppe „Babelsberg“. Unsere nicht gedrehten Filme, Berlin 2000. 54 Hans Mahlich (Gruppe Roter Kreis), Erich Albrecht (Gruppe Berlin), Prof. Günter Althaus (Gruppe Heinrich Greif). 55 Adolf Fischer (Gruppe Solidarität), Helmut Klein (Gruppe Johannisthal), Alexander Lösche (Gruppe 60), Anni v. Zieten (Gruppe Kinder- und Jugendfilm).

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frühe Idee schien sich zu bewähren. Die Produktion nahm, mindestens zahlenmäßig, einen raschen Aufschwung und erreichte 1964 mit 25 Titeln einen Rekord. Im Studio war plötzlich eine Wettbewerbssituation um einen Platz im Jahresproduktionsplan entstanden, auch mit neuen Kontroversen: Kunst contra Kommerz, Festivalpreise wurden gegen geringe Zuschauerzahlen ins Feld geführt. Regisseure wie Martin Hellberg oder Gottfried Kolditz kamen mit operativen Projektvorschlägen kurzfristig in den Plan und konnten auch mit mittlerem Resultat auf die Gunst der Leitung bauen, die ein neues Wunder vollbringen sollte: Mit ca. 35–38 Millionen Mark Produktionsbudget musste das Studio bei steigenden Lohnkosten bis zum Ende auskommen. Das reichte im letzten Jahrzehnt nur noch für 16 Titel, davon drei bis vier Kinderfilme als Planauflage. Im Studio fühlte man sich bestätigt. 1961 schickte Berlin Jochen Mückenberger, Bruder eines Politbü­ romitglieds, als neuen Studiochef und Dr. Werner Kühn als Parteisekretär nach Babelsberg. Aus Sorge um die Qualität der Produktion wurden 1964 erfahrene Dramaturgen mit der Leitung der Gruppen betraut. Und so kam es zu einer Neugründung der Gruppe Babelsberg. Nach dem Bau der Mauer blühte nicht nur im Studio die Illusion größerer künstlerischer Freizügigkeit, offener und öffentlich die systemei­ genen Probleme und Konflikte zu behandeln und still geduldete Tabus zu brechen. Regisseur Gerhard Klein konnte 1961 sein kühnes Formexperi­ ment Der Fall Gleiwitz56 über die Gestapo-Provokation zur Rechtfertigung des Überfalls auf Polen im kleinen Kreis hoher Parteifunktionäre gegen den Vorwurf der Ästhetisierung des Faschismus verteidigen. Frank Beyer drehte 1963 die erste Komödie über die frühe Nachkriegs- und Besatzungs­ zeit: Karbid und Sauerampfer.57 Die zweite Bitterfelder Konferenz 1964 schien den Aufwind zu bekräf­ tigen. Die Künste sollten sich enger mit dem Leben verbinden und die Autorinnen und Autoren inmitten der gesellschaftlichen Praxis schreiben. Allein, dass den Kunstschaffenden dabei von Walter Ulbricht der „Blick­ winkel des Planers und Leiters“58 abgefordert wurde, hätte stutzig machen sollen. Zum ersten Mal wurde das Politikum der Republikflucht auch im Film als Problem-, nicht mehr als Kriminalfall behandelt, ja, als tragischer 56 Regie: Gerhard Klein, 67 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1961. 57 Regie: Frank Beyer, 77 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1963. 58 Zweite Bitterfelder Konferenz 1964. Protokoll der von der ideologischen Kom­ mission beim Politbüro des ZK der SED und dem Ministerium für Kultur am 24. und 25. April im Kulturpalast des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld abge­ haltenen Konferenz, Berlin 1964, S. 81.

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Vorgang und in umstrittener künstlerischer Gestalt: Der geteilte Himmel (1964)59 von Konrad Wolf. Die Drehbucharbeit begann 1963 bereits mit dem Vorabdruck des Romans seiner Namensvetterin Christa Wolf in der Studentenzeitung Forum. Die Inszenierung ignorierte die zunächst mas­ siven politischen Anfeindungen gegen das Buch und die Autorin. Der Roman wurde zum Bestseller, der Film aber, 1964 viel beachtet, kein Besucherrekord. Im Gegenwartsfilm wurde die politische Strafjustiz als individuelles Drama gestaltet. Kurt Maetzig drehte 1964/65 nach dem nicht zum Druck freigegebenen Roman von Manfred Bieler den Film Das Kaninchen bin ich (1965).60 Zeitgleich gelang die Gestaltung bisher verschwiegener, ja geleugneter, scharfer Generationskonflikte: Denk bloß nicht, ich heule (1965)61 von Frank Vogel und Karla (1965)62 von Herrmann Zschoche, beide zudem im Milieu der sozialistischen Schule angesiedelt. Der erste Titel dieser Staffel hieß prophetisch Der Frühling braucht Zeit (1965)63, Regie Günter Stahnke. Er kam im November 1965 noch kurze Zeit ins Kino, doch der Film und die Gruppe Babelsberg wurden öffentlich bereits scharf attackiert. Das 11. Plenum des Zentralkomitees (ZK) der SED im Dezember 1965 setzte mit dem folgenden Verbot dieser Filme, ja einer halben Jahrespro­ duktion, diesem Trend ein Ende. Eine Parteikommission überprüfte alle Stoffentwicklungen, und so traf die Zensur neben unvollendeten Produk­ tionen, manche bereits im Rohschnittstadium, auch geplante Projekte in unterschiedlichen literarischen Entwicklungsstufen. Die künstlerischen Arbeitsgruppen wurden 1966 aufgelöst, um den vermuteten Einfluss ihrer führenden Regisseure zu beenden. Zwei delegierte Kulturfunktionäre aus dem Parteiapparat sollten für politische Ruhe sorgen. Chefdramaturg wur­ de Günter Schröder, ein enger Mitarbeiter von Kurt Hager, ZK-Sekretär und Politbüro-Mitglied. Der neue Studiodirektor kam aus der SED-Be­ zirksleitung Halle, als Sekretär für Agitation und Propaganda wusste er, worauf er in Babelsberg zu achten hatte. Doch die neue Leitung wollte auf die eingespielte Arbeit der Dramaturgengruppen nicht verzichten. Und so blieben dauerhaft nur vier von ihnen unter dem alten Namen erhalten. Aufgelöst wurde die Gruppe Heinrich Greif, zuletzt geleitet von Chefdra­ maturg Klaus Wischnewski, der sein höheres Amt für kurze zwei Jahre 59 60 61 62

Regie: Wolf, 110 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1964. Regie: Maetzig, 113 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1965. Regie: Frank Vogel, 93 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1965. Regie: Herrmann Zschoche, 128 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1965, Premiere: 1990. 63 Regie: Stahnke, 76 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1965.

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überflüssig machen wollte. Er wurde fristlos entlassen und mit Hausverbot belegt. Rückkehr zum Zentralismus In der Hauptverwaltung Film wurden die Kontrollmechanismen verstärkt. Die Hauptabteilung Künstlerische Produktion erhielt eine eigene drama­ turgische Abteilung mit einem Chefdramaturgen. Fortan mussten unbe­ queme Filme nicht mehr verboten werden. Sie entstanden gar nicht erst. Ohne Wissen der Filmleute gingen die Drehbücher von hier nicht nur zum Kulturressort des ZK, sondern auch etwa an involvierte Fachabtei­ lungen und Ministerien. Wie in früheren Zeiten wurden Projekte kurz vor Produktionsbeginn aus dem Plan genommen. Das traf 1973 noch das Drehbuch und den bereits kompletten Filmstab mit Regisseurin Iris Gusner von Einer trage des anderen Last … 64 und 1976 einen Kinderfilm zur deutsch-deutschen Problematik, obwohl auch dessen Drehbuch von der neuen Studioleitung abgenommen worden war. Das späte Verbot der erwarteten Kino-Sensation Spur der Steine (1966)65 von Frank Beyer nach organisierter Saal-Randale während der Berliner Erstaufführung am 30. Juni 1966 traf das Studio überraschend. Zwei Wo­ chen zuvor hatte es in Potsdam die umjubelte Premiere zur Eröffnung der jährlichen Arbeiterfestspiele gegeben. Nun aber hatten sich in Berlin die Hardliner durchgesetzt. Der staatlich zugelassene Film, vom eben neuer­ nannten Filmminister wegen Überschreitung der Meldefrist eigenhändig am Festivalort Karlovy Vary nachgereicht, musste von ihm dort wieder ab­ geholt werden. Es war seine letzte Aufgabe nach der wohl kürzesten Amts­ zeit auf diesem Stuhl. Jetzt sollte sein Nachfolger die ideologischen Ursa­ chen für das Desaster des ‚parteifeindlichen Films‘ im sympathisierenden Studio-Kollektiv aufdecken. Das Ergebnis der erneuten Versammlungs­ kampagne war eine starke Verunsicherung im Studio über die weitere kul­ turpolitische Entwicklung und ihre Konsequenzen für die dramaturgische Arbeit. Mit dem Schnellschuss über die Teilnahme der Betriebskampfgruppen während des Mauerbaus sollte und wollte sich das Studio zum VII. Partei­ tag politisch rehabilitieren. Die Idee hatte SED-Bezirkschef Horst Sinder­

64 Obwohl Lothar Warneke mit abgeschlossenem Theologie-Studium (1954–59) die Mentorenschaft für die Jung-Regisseurin übernommen hatte. 65 Regie: Frank Beyer, 134 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1966.

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mann, der Erfinder des Euphemismus „antifaschistischer Schutzwall“. Er gab Albert Wilkening die Anregung am Rande einer Präsidialratstagung des Kulturbundes. In neun Monaten war das nur als Episodenfilm mit vier selbständigen Filmstäben realisierbar und nicht, wie ursprünglich geplant, unter der alleinigen Regie des Sindermann-Favoriten Karlheinz Carpen­ tier, Fernsehregisseur im Studio Halle, der einen biografischen Film über seinen Förderer vorgeschlagen hatte. Der Titel für den Novellenkranz von vier Autoren und vier Regisseuren Geschichten jener Nacht (1967)66 ent­ stand im Schöpferkollektiv. Gerhard Klein, bereits schwer krank, drehte – als letzte vollendete Arbeit – die heitere Episode Der kleine und der große Willi mit dem Debütanten Jäcki Schwarz als fluchtentschlossenem Bur­ schen und seinem Star‑Widerpart Erwin Geschonneck als Kampfgruppen­ kommandeur. Autor Helmut Baierl und der Regisseur wussten sich mit pfiffigen Korrekturen gegen scharfe politische und militärische Einwände gegen das Drehbuch und ein drohendes Drehverbot durchzusetzen. Nur diese im Saal viel belachte Episode erhielt die beste künstlerische Note. Pünktlich zur Voraufführung am 17. April 1967 für Delegierte des Partei­ tags existierte eine einzige Kopie, der Massenstart war im Juni. Im Kino waren 1967 Autor Harry Thürk und Regisseur János Veiczi mit ihrem Großfilm über den internationalen antifaschistischen Widerstand gegen Wernher von Brauns mörderische Raketenproduktion und ihren Einsatz auf der sicheren Seite. Der zunächst für zwei separate Kinoabende geplante und nun überlange Film Die gefrorenen Blitze (1967)67 verfehlte nach glanzvoller Berliner Doppelpremiere im International und Kosmos die ‚Besucher‑Million‘, die der Hauptdramaturg angesichts exorbitanter Produktionskosten hatte versprechen müssen. Und das trotz starker aben­ teuerlicher Handlungsstränge und einer hochrangigen internationalen Be­ setzung aus Moskau, Warschau und Paris sowie mit Alfred Müller, Diet­ rich Körner und Renate Blume aus der DDR. Immerhin – mit kleinen Zensur-Schnitten am kritischen Bild des Raketenbarons kam der Film dank französischer Besetzung dort zur Aufführung, nicht aber in der Bun­ desrepublik. Konrad Wolf, nun ohne Gruppenheimat, wusste, dass im Gegenwarts­ film vorerst keine künstlerischen Lorbeeren zu ernten waren. So kam er zu mir mit der Ideenskizze für einen autobiografischen Film über das Kriegsende. Als sowjetischer Leutnant in einer Einheit der Frontagitation

66 Regie: Karl-Heinz Carpentier/Ulrich Thein/Frank Vogel/Gerhard Klein, 109 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1967. 67 Regie: János Veiczi, 156 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1967.

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hatte er auch den Vormarsch von der Oder nach Berlin am Mikrofon eines Lautsprecherfahrzeugs erlebt und mit seinen meist vergeblichen Aufrufen zur Kapitulation begleitet. In einer Filmerzählung rekonstruierte und ver­ vollständigte er sein Kriegstagebuch, das er verbotenerweise und nur un­ vollständig hatte führen können. Wolfgang Kohlhaase schrieb auf dieser Grundlage das Szenarium. Der Film beginnt mit einem gespenstischen Bild. Auf der Oder treibt ein Floß mit einem Galgen, daran ein deutscher Soldat, auf der Brust ein Schild „Ich bin ein Russenknecht“, wahrschein­ lich ein Befehlsverweigerer oder auch nur kriegsmüder Landser. Diese Warnung erwartete Konrad Wolf etwas später an einer Wandtafel der Universität in Halle, als er dort, noch in sowjetischer Uniform, zu einem Vortrag erschien. Ich war neunzehn (1967)68 wurde 1968 dank seines rea­ listischen Zeitbildes und glaubwürdiger, unheroischer Gestalt der Sieger eine politische und künstlerische Sensation und ein großer Kino-Erfolg. So hatte man im sowjetischen und im DEFA-Film die letzten Kriegs- und ersten Friedenstage noch nie gesehen. Unglücklicher dagegen erging es wenig später der künstlerisch kühnen Verfilmung des autobiografischen Romans Abschied (1968)69 von Johannes R. Becher durch Egon Günther. Wie von uns erhofft und geplant, zum Staatsakt an Bechers 10. Todestag 1968 aufgeführt, verschwanden die Ko­ pien nach kurzer Laufzeit ohne jede Erklärung aus den stark besuchten Kinos. Allein Walter Ulbricht hatte – offenbar zu spät – am Bilde von Bechers Kindheit und aufmüpfiger Jugend, seinem Abschied von der konservativen Familie und der bürgerlichen Klasse nichts Kunstwürdiges für die Gegenwart entdecken können. Er hatte die Festveranstaltung mit seiner Frau Lotte nach dem Referat von Alexander Abusch70 und dem musikalischen Auftritt des Armee-Ensembles verlassen, bevor der Film ge­ startet wurde. Witwe Lilly Becher, die Egon Günther nach einer internen Vorführung im kleinen Kreis im Studio begeistert umarmt hatte, war vom Aufführungsverbot so entsetzt wie wir in der Gruppe und auch ebenso machtlos. Ihre Fürsprachen wurden ihr übel angekreidet. Ulbricht persön­ lich forderte: „Sie muß eine richtige Abreibung bekommen, aber nicht offiziell. Ich würde das den Leiter der Kulturabteilung des ZK machen

68 Regie: Konrad Wolf, 119 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1967. 69 Regie: Egon Günther, 106 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1968. 70 Journalist, Parteifunktionär, 1956–1958 Staatssekretär im Ministerium für Kultur, 1958–1961 Minister für Kultur, 1961–1971 Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrats der DDR, Gutachter des Szenariums.

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lassen. […] Oder Abusch soll mit ihr sprechen und dabei seine eigenen Fehler in dieser Sache in Ordnung bringen.“71 Die meisten Gegenwartsfilme dieser Zeit sind mittlerweile in Vergessen­ heit geraten. An einen aber muss hier dank sagenhafter zwei Millionen Zu­ schauerinnen und Zuschauer erinnert werden. Die Gruppe Babelsberg wollte sich zum 7. Oktober 1969 mit einer Hauptplanposition72 einen Platz im Produktionsprogramm sichern. Die kulturpolitische Orientie­ rung galt jetzt der wissenschaftlich-technischen Revolution in industriellen Großbetrieben. Wolfgang Held, bis dahin im künstlerisch weniger geach­ teten, politisch eher unbeobachteten Abenteuer-Genre unterwegs, hatte schon 1967 die Zeichen der Zeit erkannt und machte einen Planer und Leiter zum zentralen Helden. Als Betreuer eines Zirkels schreibender Ar­ beiter hatte er im Büromaschinenwerk Sömmerda den Alltag der Arbeite­ rinnen und Arbeiter und des technischen Personals kennengelernt und Kontakte zum neuen Werkleiter Lorenz Lochthofen73 geknüpft. Er sollte den Betrieb von mehrjährigen Planschulden befreien und aus technischem Rückstand herausführen. Lochthofen übernahm diese neue Aufgabe trotz schwerer gesundheitlicher Bedenken aus Verantwortungsgefühl und Mo­ ral. Held ließ in Zeit zu leben (1969)74 sein filmisches Alter Ego Lorenz Reger sterben, nachdem er alle wichtigen Veränderungen auf den Weg gebracht hatte. Statt Lagerhaft im sowjetischen Exil im Zuge der Stalin­ schen Säuberungen darf Reger im sibirischen Norden gefahrvoll nach Bodenschätzen suchen. Regisseur Horst Seemann scheute die ästhetische Anmaßung nicht und nutzte unter anderem für eine von mehreren Rückblenden die Hafentreppe von Odessa, weltberühmt aus Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin (1925)75. Die Suggestivität schöner Bilder, auch die unkonventionelle Hauptbesetzung mit dem polnischen Filmstar Leon Niemczyk, dem DEFA-Stern Jutta Hoffmann und Jürgen Hentsch als jun­ gem Ingenieur-Paar, das selbst im Schlafzimmer am Modell des ersten 71 Deutz-Schroeder, Monika/Staadt, Jochen (Hrsg.): Teurer Genosse. Briefe an Erich Honecker, Berlin 1994, S. 10–11. 72 Jeder Thematische Plan wies hinfort 3–4 politisch bedeutsame Projekte aus, die der besonderen Förderung und Kontrolle anempfohlen waren. Entschieden vom Leiter der HV Film auf Antrag der Gruppe, unterschrieben vom Studio-Chef. 73 Vgl. hierzu Lochthofen, Sergej: Schwarzes Eis. Der Lebensroman meines Vaters, Hamburg 2014. Stalins Lager wurden zu Lebzeiten selbst von Betroffenen aus falscher Rücksichtnahme auf das Image der SU nicht thematisiert. 74 Regie: Horst Seemann, 103 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1969. 75 Regie: Sergej M. Eisenstein, Schwarz-Weiß, Spielfilm, Sowjetunion, Mosfilm, 1925, DEFA-Studio für Synchronisation.

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Großrechners bastelt, aber auch in ungewöhnlichen Liebesszenen glänzt,76 verhalfen dem Film zu überraschender Attraktivität. Fred Delmare, DEFAKomiker vom Dienst, sorgte im Ensemble der Arbeiterfiguren für viele hei­ tere Momente. Alltagsbeobachtungen wie Materialengpässe, Wohnungsund Krippenplatznot stützten die Glaubwürdigkeit der Handlung. Starke Momente der Identifikation entstanden aus der zugespitzten Lebenssituati­ on des Helden. Der Kassenerfolg war sicherlich auch einer freundlichen Presse, kulturpolitischer Förderung von Brigadebesuchen77 und dem Re­ nommee des Nationalpreises zu danken.

Abbildung 2: Kino-Aushangfoto mit einer Szene aus dem Film „Zeit zu leben“ (1969) in der Regie von Horst Seemann mit Frank Schenk als Klaus Reger und Traudl Kulikowksy als Monika May (Quelle: © DEFA-Stiftung/Peter Dietrich). 76 Vor allem die unorthodoxen Liebesszenen waren es wohl, die Jutta Hoffmann und Jürgen Hentsch animierten, das nicht so ergiebige Rollenangebot anzuneh­ men, eine kleine ironische Rache für das noch immer schmerzende Aufführungsverbot ihrer künstlerisch anspruchsvollen Paar-Gestaltung in Herrmann Zschoch­ es Gegenwartsfilm Karla aus dem Jahr 1965/66. 77 Der Brigade-Wettbewerb um den Staatstitel Kollektiv der sozialistischen Arbeit musste auch kulturelle Aktivitäten enthalten wie z.B. gemeinsame Filmbesuche. Dafür gewährten Kinoleiter auch Preisnachlässe.

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Seemanns Erfolg wurde von wichtigen Generationsgefährten nicht gou­ tiert. Denn ihr Programm hieß „dokumentar“ statt „fiktiv“, der Alltag wur­ de von ihnen erzählend gestaltet, nicht artifiziell dramatisierend, immer ungeschönt nahe am realen Leben. Schon 1964, zwei Jahre nach dem Oberhausener Manifest78 von 26 jungen westdeutschen Filmemachern hatte der Regiestudent Lothar Warneke an der Deutschen Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg in seiner Diplomarbeit geschrieben: „Der dokumentare Spielfilm […] stellt eine neue Qualität des Films dar und verwirklicht die Prinzipien des Realismus von allen augenblicklichen Kunstformen am besten.“79 Gewöhnliche Leute (1969)80, so ein Filmtitel nach der Erzählung von Werner Bräunig im Episodenfilm Aus unserer Zeit, nicht Superhelden sind ihre Protagonisten mit allen Konflikten und Widersprüchen im engeren persönlichen Umfeld. Ihre Helden lieferten schon die Titel: Dr. med. Sommer II (1969)81 oder Leben mit Uwe (1973)82 von Lothar Warneke, Mein lieber Robinson (1971)83 von Roland Gräf, von Rainer Simon Männer ohne Bart (1971)84 eröffneten einen glaubwürdigen Zugang zur Normalität. Die Filme hatten aber meist nur eine schwache Publikumsresonanz zwischen 250.000 und 500.000 Besucherinnen und Besuchern. Dieses Schicksal teilte selbst Der nackte Mann auf dem Sport­ platz (1973)85 von Konrad Wolf über die harte Hand- und Geistesarbeit eines noch wenig bekannten Bildhauers und seine Beziehung zum gesell­ schaftlichen Auftraggeber im Spannungsfeld von eigenem Auftrag, künst­ lerischem Anspruch und öffentlicher Wirksamkeit seiner Werke. Der Film hatte im Kino nach den signifikanten ersten 13 Wochen mit rund 50.000 verkauften Karten nur etwa halb so viele Besucherinnen und Besucher wie Ich war neunzehn in den ersten sieben Tagen.

78 Eine Erklärung vom 28.2.1962 sollte den Anfang des „neuen deutschen Films begründen, nachdem sich der konventionelle Film überlebt hatte. Junge Regis­ seure wollten sich unter dem Motto „Der alte Film ist tot“ von der bestehenden Filmindustrie abwenden. 79 Warneke, Lothar: Film ist eine Art zu leben, in: Hermann Herlinghaus (Hrsg.): Aus Theorie und Praxis des Films, Heft 3, o. O. 1982, S. 18. 80 Teil 3 der Reihe: Aus unserer Zeit, Teil 1–4. Regie: Helmut Nitzschke/Joachim (auch: Hans-Joachim) Kunert/Rainer Simon/Kurt Maetzig, 127 Min., SchwarzWeiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1969. 81 Regie: Lothar Warneke, 89 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1969. 82 Regie: Lothar Warneke, 102 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1973. 83 Regie: Roland Gräf, 81 Min., Farbe/Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1970. 84 Regie: Rainer Simon, 81 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1971. 85 Regie: Konrad Wolf, 101 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1973.

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Doch auch Horst Seemann konnte mit seinen nächsten drei Titeln in der von ihm kreierten Stilistik nicht wieder an seinen Sömmerda-Erfolg anknüpfen. Selbst eine ambitionierte Komödie von Helmut Baierl und Siegfried Kühn Das zweite Leben des Georg Friedrich Wilhelm Platow (1973)86 mit dem kauzigen Fritz Marquardt in einer Paraderolle über einen alten Schrankenwärter, stilistisch unkonventionell, von Kollegen und Kritikern hoch gelobt, in Berlin ungeliebt, fand trotz guter Mundpropaganda, im Kinoeinsatz behindert, keinen starken Zulauf. Bessere Aussichten hatten noch immer die großen historischen Angebo­ te, allen voran der Antifaschismus. Erstmals wurde der bürgerliche Wider­ stand gegen das Nazi-Regime 1971 zum Kino-Ereignis: KLK an PTX – Die Rote Kapelle87 kam als Dreistundenfilm in Farbe, 70mm- und Normalfor­ mat ins Kino. Nach vielen früheren vergeblichen Versuchen gelang es der Gruppe Babelsberg, Konrad Wolfs Goya (1971)88 nach dem Roman von Lion Feuchtwanger endlich als Koproduktion mit Len-Film Leningrad zu realisieren. Die Starbesetzung hatte hohen Schauwert, in den Haupt­ rollen brillierten Donatas Banionis als Goya und Rolf Hoppe als sein Gegenspieler König Karl IV. Das Thema aber, das Verhältnis des Künstlers zur Macht, wenn auch in Gestalt von Monarchie und Inquisition, war noch immer heikel. Und so gewannen wir Anton Ackermann als politi­ sche Autorität für die Buch- und Abnahmeberatungen. Für die Moskauer Filmhierarchie hatten wir mit Alexander Dymschitz einen kompetenten Fürsprecher. Auch Goya wurde trotz erheblicher Mehrkosten im Normalund 70mm-Format gedreht, obwohl es in der DDR nur wenige Filmthea­ ter für die neue Technik gab. All das geschah in der Hoffnung, dem wachsenden Fernsehkonsum mehr Kino‑Attraktivität entgegenzusetzen. In Anlehnung an die abenteuerliche Geschichte des Anarcho‑Revolutionärs Max Hoelz drehte Günter Reisch ein mitreißendes Kino-Stück: Wolz – Le­ ben und Verklärung eines deutschen Anarchisten (1973)89 über die unruhigen Jahre der Weimarer Republik.

86 Regie: Siegfried Kühn, 90 Min., Farbe/Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1973. 87 Regie: Horst E. Brandt, 178 Min., Farbe, Feature Film, DDR, DEFA, 1970. 88 Regie: Konrad Wolf, 134 Min., Farbe, Spielfilm, DDR/Sowjetunion, Lenfilm/ DEFA, 1971. 89 Regie: Günter Reisch, 110 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1973.

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Machtwechsel – Hoffnung auf mehr Freizügigkeit Der Führungswechsel von Ulbricht zu Honecker, der VIII. Parteitag der SED 1971 und die 6. Tagung des ZK („Kultur-Plenum“) 1972 weckten die Hoffnung auf größere künstlerische Freizügigkeit. In dieser Atmosphäre entstand Die Legende von Paul und Paula (1972)90 von Ulrich Plenzdorf und Heiner Carow. Doch der ungewöhnliche Ansturm auf die Kinokassen für einen DEFA-Gegenwartsfilm weckte wieder das Misstrauen an höchs­ ter Stelle – glücklicherweise zu spät, die Sensation war nicht mehr aufzu­ halten. Gerüchteweise kostete ausgerechnet dieser Film den kurzzeitigen ‚Filmminister‘ Günter Klein den Stuhl. Bald danach kam es immer wieder zu heftigen politischen Auseinander­ setzungen um einzelne Gegenwartsprojekte, zuweilen schon im Studio, danach zusätzlich in der Hauptverwaltung. Trotz verbaler Retuschen, zeit­ weiliger Lockerungen bis hin zur Aufgabe engstirniger Tabus, „[w]enn man von den festen Positionen des Sozialismus ausgeht“91 (Erich Hone­ cker), blieb die für das Filmschaffen so unerlässliche kritische Funktion der Kunst bis ans Ende ihrer staatlichen Finanzierung Kern und Streit­ punkt aller Auseinandersetzungen. Eine erste Annäherung an das heikle Umweltproblem in der IndustrieLandschaft von Bitterfeld rief zuletzt auch noch den Chefdramaturgen der HV Film auf den Plan, weil die Titelfigur die Attitüde des sozialistischen Helden vermissen ließ. Der Film Bankett für Achilles (1975)92 in Gestalt des wunderbaren Erwin Geschonneck erzählt den letzten Arbeitstag eines In­ dustrie-Meisters, der konfliktreicher verläuft als geplant. Ärger bekam auch Ralf Kirsten, diesmal mit der Verfilmung Eine Pyramide für mich (1975)93 nach dem Roman des Bestseller-Autors Karl-Heinz Jakobs. Die Geschichte einer bunt zusammengewürfelten Jugendbrigade in der Aufbauphase, ein­ gesetzt bei den Erd- und Betonarbeiten für die künftige Talsperre Sosa, provozierte in Berlin die inquisitorische Frage: Sind das unsere Aktivisten der ersten Stunde? Aber auch das große Mittelalter-Panorama um den le­ gendären Till Eulenspiegel (1974)94 führte zu heftigem Streit um ideelle Wertungen und ästhetische Maßfragen nicht nur im Studio, sondern auch

90 Regie: Heiner Carow, 105 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1972. 91 Schlusswort von Erich Honecker auf der 4. Sitzung des ZK der SED im Dezember 1971, zitiert nach Rüß, Gisela (Hrsg.): Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kultur­ politik der SED 1971–1974, Stuttgart 1976, S. 287. 92 Regie: Roland Gräf, 88 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1975. 93 Regie: Ralf Kirsten, 102 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1975. 94 Regie: Rainer Simon, 104 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1974.

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in der Presse. Simons Lesart und Stilistik entsprach nicht dem heiter-harm­ losen Kinderbuchhelden und manchem Kritiker blieb das Lachen tatsäch­ lich im Halse stecken, wie es vom Regisseur Rainer Simon durchaus beab­ sichtigt war. Im Gegenwarts-Sujet war es das Liebes-Drama Bis dass der Tod euch scheidet (1978)95 über Alkoholismus und häusliche Gewalt eines Bau­ arbeiters in der Ehe mit seiner selbstbewussten, engagierten jungen Frau, das über viele Bearbeitungen hinweg keine Produktionsfreigabe erhalten hatte. Immer häufiger wird die vielstufige Entscheidungspyramide — vom Haupt- zum Chefdramaturgen, von ihm zum immer vorsichtigeren Stu­ diodirektor und seinem Gremium, von dort an verschiedene Schreibtische in Berlin – ein offenkundiger Anachronismus. So schickte die Parteifüh­ rung zum 1. Januar 1977 einen Mann mit künstlerischer Autorität und Parteiamt erstmals als Generaldirektor ins Studio, den Regisseur Hans Die­ ter Mäde, zuletzt Generalintendant des Staatstheaters Dresden und Kandi­ dat des ZK. Er bekam größere Vollmachten, entschied selbst über die Pro­ duktionsfreigabe, die nur durch ein Veto des HV-Leiters gestoppt werden konnte. Der Fall trat nie ein, weil sich beide in heiklen Fragen vorsorglich abstimmten. Mäde übernahm zugleich das Amt des Künstlerischen Direk­ tors, das ihm den Regie-Kader direkt unterstellte, und er suchte einen neu­ en Chefdramaturgen. Ihm gingen im Studio streng parteikonforme, wenig kunstfreundliche Wortmeldungen voraus. Schon 1967 war er in einer Dis­ kussion über die Dresdener Kunstausstellung Walter Ulbricht beigesprun­ gen, als schmucklose zylinderförmige Vasen in die Kritik gerieten. Noch bevor unsere unkonventionelle Verfilmung von Bechers autobiografischem Roman Abschied (1968)96 von Egon Günther nach kurzer Laufzeit aus den Kinos verschwand, hatte Mäde im Parteigremium befunden, „daß [der Film] die Höhe des Becherschen Geschichts- und Menschenbildes nicht erreicht.“97 Er entdeckte auch hier „wieder [...] Konzessionen an so­ genannte moderne Mittel, die dazu führen, daß der Vorgang der Fabel und die Bechersche historische Vorgabe in impressionistische Einzelelemente aufgelöst wird.“98 Nur der Präsident der Akademie der Künste Konrad Wolf konnte an höchster Stelle dafür sorgen, dass an die Seite dieses Gene­ raldirektors ein Chefdramaturg mit politischer Autorität und kunstpoliti­ scher Weitsicht, jedenfalls ein eigenständiger philosophischer Kopf geriet. Prof. Dr. Rudolf Jürschik, ausgewiesen mit einer Dissertation zur Subjekt95 Regie: Heiner Carow, 96 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1978. 96 Regie: Egon Günther, 106 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1968. 97 Zitiert nach Haas, Klaus-Detlef/Wolf, Dieter (Hrsg.): Sozialistische Filmkunst. Eine Dokumentation, Berlin 2011, S. 90. 98 Ebd.

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Objekt-Dialektik im Film und mutigen Publikationen zum aktuellen Spielfilmschaffen, wurde so von 1977 bis zum Ende der DEFA der wich­ tigste Verbündete seiner Dramaturgen in der Förderung und Realisierung eines vielgestaltigen Spielplans und der Durchsetzung inhaltlicher und for­ maler Wagnisse.99 Er unterstützte die Gruppe Babelsberg beim Generaldi­ rektor, das mehrfach vertagte Projekt Bis dass der Tod euch scheidet nach in­ tensiven Diskussionen über die Regiekonzeption zur Produktion freizuge­ ben. Mit Solo Sunny100 von Wolfgang Kohlhaase und Konrad Wolf endete 1980 eine kurze Periode relativer Stabilität. Herrmann Zschoche fand für seine Günter-de-Bruyn-Verfilmung Glück im Hinterhaus (1979)101 über eine eher komische als dramatische Midlife-Crisis ein kleineres, doch dankbares Publikum. Aber seine mit Manfred Krug und Renate Krößner publikums­ sicher besetzte Komödie Feuer unter Deck (1977)102 landete im Zuge der Biermann-Affäre103 im Keller statt im Kino, als Manfred Krug die DDR verlassen hatte. Seine vergnügliche Tramp-Story Und nächstes Jahr am Bala­ ton (1980) wurde mit 750.000 Zuschauerinnen und Zuschauern in den ersten 13 Wochen zu einem der letzten ‚Kino-Millionäre‘ der 1980er-Jahre. Und das begann mit einer kleinen Sensation: Der neue und letzte Filmmi­ nister Horst Pehnert eröffnete die Sommerfilmtage im Kunsteisstadion in Weißwasser im heiter-lockeren Ton des Films und in der Jugendsprache des Publikums. Eine atemberaubend dramatische Variante des antifaschistischen The­ mas, frei nach dem Roman von Hermann Kant, gelang Wolfgang Kohlhaa­ se und Frank Beyer mit Der Aufenthalt (1982). Erst in einer polnischen Zel­ le mit tatsächlichen Kriegsverbrechern erkennt ein irrtümlich beschuldig­ ter junger deutscher Soldat seine moralische Mitschuld und verdankt sein Überleben allein dem gleichaltrigen polnischen Ermittler. Eine polnische Demarche veranlasste den DDR-Rückruf aus dem Berlinale-Programm und verhinderte so die erwartete große internationale Resonanz.

99 Kannapin, Detlef (Hrsg.): Im Maschinenraum der Filmkunst. Erinnerungen des DEFA-Chefdramaturgen Rudolf Jürschik, Berlin 2021. 100 Regie: Konrad Wolf, 104 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1978–1979. 101 Regie: Herrmann Zschoche, 98 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA1979. 102 Regie: Herrmann Zschoche, 87 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1977. 103 Nach einem Konzert in Köln, live übertragen, wird dem Sänger die DDR-Staats­ bürgerschaft entzogen. Die Maßnahme spaltet die Kunstszene in Kritiker und Befürworter, nur die Stellungnahmen Letzterer wurden massenwirksam publi­ ziert.

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Das letzte DEFA-Jahrzehnt Die 1980er-Jahre standen für das Studio unter keinem guten Stern. Das Zentralorgan des ZK der SED Neues Deutschland publizierte am 17. Januar 1981 in einem als Leserbrief getarnten Leitartikel eine bis dahin beispiello­ se DEFA-Kritik. Darin offenbarte sich der geballte Berliner Unmut über Babelsberg. Dem entrüsteten Autor, Genosse Hubert Vater aus Erfurt, hat­ te offenbar ein anderer die Feder nicht nur geführt, sondern aus der Hand genommen. „Wo sind die Kunstwerke, die das – ich nenne es so – Titanische der Leistung bewußt machen, die in der Errichtung, im Werden und Wachsen unseres stabilen und blühenden Arbeiter- und Bauernstaates besteht? […] [W]elche politische und moralische Entscheidungshilfe […] leisten unsere Filme?“104 Diesem hohen Anspruch wurde die intensive Alltagsstudie über eine al­ leinerziehende Hilfsarbeiterin an der Metallstanze nicht gerecht, die in materieller Notlage einen kleinen Versicherungsbetrug begeht: Das Fahr­ rad (Regie: Evelyn Schmidt, 1982)105. Nun wurde dem bereits geschol­ tenen Werk die Premiere in der Karl-Marx-Allee versagt. Zwar gab es keine neuen Verbote, aber auch die zuvor von Egon Krenz lancierten Parteirüffel für die Filme Insel der Schwäne (1982)106 und Erscheinen Pflicht (1983)107 bremsten nicht nur den Kino-Einsatz, sondern zunehmend auch die Risikobereitschaft der Dramaturgen und des Generaldirektors. Nach heftigen Diskussionen der Gruppe Babelsberg mit der Studioleitung und mit einigen Schnitt- und Textänderungen im facettenreichen Porträt eines Bürgermeisters – Jadup und Boel, produziert 1980/81108 von Rainer Simon – kam es schließlich zur misslaunigen Studio- und Berliner Abnahme. Kurz darauf aber wurde die terminierte Premiere abgesagt und einige Zeit später sogar die staatliche Zulassung widerrufen. Der Studiochef geriet zunehmend unter doppelten Druck. Immer häu­ figer drohten problemhaltige Buchangebote im heiteren wie im ernsten Fach die Berliner Auguren zu erzürnen. Es kam zu heftigen Differenzen

104 Vater, Hubert: Was ich mir mehr von unseren Filmemachern wünsche. Erwar­ tungen eines Lesers an DEFA und Fernsehen, in: Neues Deutschland, 17.11.1981, S. 2. 105 Regie: Evelyn Schmidt, 89 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1981. 106 Regie: Herrmann Zschoche, 88 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1982. 107 Regie: Helmut Dziuba, 75 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1983. 108 Regie: Rainer Simon, 103 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1988.

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Dieter Wolf

zwischen der Studioleitung und dem Ministerium des Inneren (MdI) über das Drehbuch für eine Kriminalkomödie mit dem Titel Der radlose Mann von Roland Oehme. Ratlos ist nämlich ein Freigänger im Film, weil ein Trabant-Rad-Diebstahl seine pünktliche Rückkehr in den Knast bedroht. Die viel diskutierte Mangelwirtschaft sollte kein mediales Echo erhalten. Große Bedenken hatte Mäde gegen den im Drehbuch kritisierten ge­ sellschaftlichen Umgang mit behinderten Menschen. Dramaturg Manfred Wolter, inzwischen auch Autor, schrieb die Geschichte seiner leicht phy­ sisch behinderten Tochter, die nicht in eine der großzügig geförderten Sonderschulen wechseln will. Manche Eltern sähen die Begabtenförderung gefährdet, wenn auf sie Rücksicht genommen werden müsse. Als Regis­ seur Karl Heinz Lotz 1989 unter der Interimsleitung von Gert Golde und Prof. Jürschik Rückwärtslaufen kann ich auch109 endlich drehen konnte, war Wolters Tochter der Rolle längst entwachsen und musste sich mit der Nebenrolle einer älteren Freundin begnügen. So geriet auch dieser Film schon in die Kinoflaute der Wendezeit. Nur dank energischer Fürsprache des Chefdramaturgen konnte Roland Gräf 1988 nach einem Buch von Helga Schütz das atemberaubende Drama Fallada – letztes Kapitel (1988)110 realisieren – mit all seinen Höhen und Tiefen im inneren Exil des Dichters im NS-Staat wie im persönlichen Leben, auch nach der Befreiung. Das Kino-Jahr 1989 startete mit dem letzten großen Kino-Hit des Studi­ os und der einzigen spannenden DEFA-Kriminal-Komödie Der Bruch111 von Wolfgang Kohlhaase und Frank Beyer. Dafür brauchten wir Einblick in die Ermittlungsakte zum spektakulärsten Bankraub der Nachkriegszeit: „Strafsache Pannewitz, Mikulka u. a“.112 Doch die Presseabteilung des MdI, die über den Zugang zum Kripo-Archiv verfügte, erklärte die Akten für verschollen. Wir hatten Grund, den mangelnden Nachforschungseifer im anhalten­ den Meinungsstreit über strafrechtlich relevante Konflikte in Gegenwarts­ filmen (z. B. Verbotene Liebe, 1989)113 oder im Missmut über den DEFAAutor Karl-Heinz Jakobs (Laufend in der Unterwelt) zu sehen. Da half mir ein heißer Draht zur Pressestelle beim Generalstaatsanwalt der DDR. Ein Anruf genügte, und wenige Tage später konnten Kohlhaase und Frank

109 Regie: Karl Heinz Lotz, 90 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1989. 110 Regie: Roland Gräf, 100 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1988. 111 Regie: Frank Beyer, 118 Min., Farbe/Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1989. 112 Einbruch in die Gesamtberliner Eisenbahnverkehrskasse mit den Lohngeldern aller Bahnbeschäftigten. 113 Regie: Helmut Dziuba, 90 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1989.

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Abbildung 3: Filmbroschüre mit einer Szene aus „Der Bruch“ (1989) mit Ange­ lika Waller und Götz George als Walter Graf in einer Hauptrolle (Quelle: © DEFA-Stiftung/Waltraut Pathenheimer). Beyer die Prozessakten studieren. Die literarische Arbeit verlief dank der engen Zusammenarbeit beider zügig. Während Kohlhaase schrieb, drehte Frank Beyer in Westberlin für Allianz Film einen Fernseh-Zweiteiler. Und das stiftete die Idee und Produktionschance für eine deutsch-deutsche Be­ setzung der Hauptrollen mit den westdeutschen Darstellern Götz George und Otto Sander sowie mit Rolf Hoppe, Hermann Beyer, Jürgen Walter und allen anderen für die DEFA-Crew. Erst nach dem lange von der Bundesrepublik verzögerten Kulturabkommen 1986 waren die Weichen auch für offizielle Koproduktionen gestellt und es kam mit dem ZDF zur Koproduktion über Alexander von Humboldt: Die Besteigung des Chimbo­ razo (1989)114. Mit der Schweiz entstand Pestalozzis Berg (1989)115, in der Hauptrolle mit Gian Maria Volonté, einem Filmstar aus Italien. 114 Regie: Rainer Simon, 96 Min., Farbe, Spielfilm, Bundesrepublik Deutschland (BRD)/DDR, DEFA/TORO-Film GmbH, Berlin/Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF), 1988–1989. 115 Regie: Peter von Gunten, 119 Min., Farbe, Spielfilm, DDR/Schweiz, DEFA/Elle­ pi Film S.R.L./Stella Films, München/Präsens-Film AG, 1988.

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Dieter Wolf

Die versteckte Aufführung von Jadup und Boel116 in den Filmkunstthea­ tern 1988, die ebenso eingeschränkte Zulassung des 1967 verbotenen Films Die Russen kommen (1987)117, der 15 Jahre verspätete staatliche Segen für Einer trage des anderen Last118 1988 und die Gründung einer eigenverant­ wortlichen Nachwuchsgruppe 1989 (DaDaeR) signalisierten eine kulturpo­ litische Kurskorrektur, die aber nur noch wenigen Produktionen zugute­ kam. Der Film von Lothar Warneke nach einem Buch von Wolfgang Held eröffnete das letzte originale DEFA-Kinojahr 1988 mit einer politischen Sensation. Er behandelte ernst und heiter die heiklen Konflikte zwischen einem jungen uniformierten Kommunisten und seinem christlichen Lei­ densgefährten in einem Lungensanatorium. Dafür war – wie schon 1973 – die Zustimmung des Staatssekretariats für Kirchenfragen unumgänglich. Die Gruppe Babelsberg erhielt sie nun prompt vom neuen Chef Klaus Gysi, gestützt auf ein Gutachten seines Mitarbeiters Dr. Horst Dohle. So wurde die Premiere am 28. Januar 1988 zur Protokollveranstaltung, erstmals mit einem Politbüromitglied, Prof. Kurt Hager, und neben ihm Altbischof Albrecht D. Schönherr. Beim Umtrunk nach der Premiere kam es zum an­ geregten Gespräch zwischen beiden, vom ‚Chefideologen‘ später so kom­ mentiert: „Es fällt nicht leicht einzugestehen, dass die Möglichkeit, zu einer Verständigung von Kommunisten und Christen und zu einer ge­ meinsamen Lösung der gesellschaftlichen Probleme zu kommen, nicht wahrgenommen wurde.“119 Doch auch dafür war es längst zu spät. Der Sensationserfolg auf der Berlinale mit einem Silbernen Bär ex ae­ quo für die beiden Debüt-Hauptdarsteller und einer ungewohnt einhellig positiven Presse in Ost und West stimulierten die Mundpropaganda für den unerwarteten Massenzulauf. Trotz seiner historischen Ansiedlung traf der Film den Nerv der Zeit, er wurde von sozialistisch orientierten wie von christlich geprägten jungen Leuten als Impuls für ein friedliches Mit­ einander angenommen und nach der Vorführung oft heiß diskutiert. Im Politbüro aber war das Urteil geteilt. Joachim Herrmann, ZK-Sekretär für Agitation und (un-)heimlicher Widerpart von Kurt Hager, erklärte den Film für „konterrevolutionär“ und verbot eine geplante Fernsehausstrah­ lung zum 40. Jahrestag der DDR. Nur die Gewerkschaftsführung krönte die Schöpfer mit ihrem angesehenen Kunstpreis des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB). Der Film und seine öffentliche Resonanz 116 Regie: Rainer Simon, 103 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1988. 117 Regie: Heiner Carow, 95 Min., Schwarz-Weiß, Spielfilm, DDR, DEFA, 1968. Im selben Jahr verboten, 1987 zugelassen für Filmkunsttheater. 118 Regie: Lothar Warneke, 113 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1988. 119 Hager, Kurt: Erinnerungen, Leipzig 1996, S. 413.

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täuschten einen Wandel vor, der zu spät kam. Zu spät auch für den krank­ heitsbedingten Wechsel an der Studiospitze. Mit der Angliederung der DDR an die Bundesrepublik und der Einfüh­ rung der Marktwirtschaft wurde auch ein VEB DEFA Studio für Spielfilme in Potsdam Babelsberg obsolet. Nach kurzer Existenz als GmbH (i. G.) un­ ter Treuhand-Kuratel stand das traditionsreiche Studiogelände zum Ver­ kauf. Schon zum 31. Dezember 1990 wurden alle künstlerischen Kräfte, al­ so auch die der Dramaturgie, fristgemäß entlassen. Einige wenige konnten mit befristeten Verträgen die laufende Produktion aus Treuhandmitteln und einem Zuschuss aus dem Parteivermögen der SED/PDS begleiten. Die Premiere manch einer interessanten Produktion fand in Berlin nun im Rio, Felix, Tivoli oder im Haus am Köllnischen Park statt. Und damit en­ dete auch die Geschichte der DEFA-Dramaturgie, drei Jahrzehnte in Ge­ stalt eigenständiger dramaturgischer Gruppen. Im Maschinenraum der Film­ kunst120 wurden die Kessel gelöscht. Was bleibt? Das DEFA-Erbe in Gestalt von etwa 750 Spielfilmen wurde der 1998 gegründeten gemeinnützigen DEFA-Stiftung übertragen. Sie erhält und pflegt diese Hinterlassenschaft und macht sie als Teil des nationalen Kul­ turerbes für die Öffentlichkeit nutzbar. Die laufende Digitalisierung der bald schadhaften 35mm-Archiv-Kopien erlaubt die weitere Vorführung dieses Filmstocks im Kino und im Fernsehen. Allerdings haben bisher nur die DEFA‑Märchenfilme ihren festen Platz im MDR und rbb erobert. Doch auch die wahrlich zauberhaften Gegenwartsfilme von Rolf Losansky wie Blumen für den Mann im Mond (1975)121, Ein Schneemann für Afrika (1977)122, Der lange Ritt zur Schule (1982)123 mit Gojko Mitic oder Moritz in der Litfaßsäule (1983)124 hätten das längst verdient. Die staatliche Plan­ auflage forderte drei bis vier Kinderfilme pro Jahr, auch das sicherte eine beispiellose Kontinuität des Kinoprogramms für die jüngste Zuschauerge­ meinde, die auf dem Kinderfilmfestival Der goldene Spatz ihren Film-Favo­ riten in Gera und seit 2003 auch in Erfurt noch immer selbst bestimmt.

120 121 122 123 124

Kannapin: Im Maschinenraum der Filmkunst. Regie: Rolf Losansky, 83 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1975. Regie: Rolf Losansky, 84 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1977. Regie: Rolf Losansky, 83 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1982. Regie: Rolf Losansky, 86 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1983.

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Und da sind wir bei dem einzigen langfristig angelegten Genre des Indianerfilms. Diese Filme waren ein sicheres Publikumsversprechen der DEFA von Beginn 1966 bis 1978 mit insgesamt zwölf echten Abenteuer­ geschichten, die unter der Federführung der Gruppe Roter Kreis entstan­ den sind. Sie wurden zielgerichtet für einen Darsteller geschrieben, der schnell zum Publikumsliebling wurde, für den vielleicht einzigen wirkli­ chen DEFA-Star Gojko Mitic. Viel von diesem Filmschatz schlummert nahezu ungenutzt im Archiv von Progress Filmverleih, der für die DEFA-Stiftung den Weltvertrieb organisiert. Die Sendeanstalten können sich nicht mehr darauf berufen, dass für bedeutende künstlerische Werke wie Abschied (1968) und Lotte in Weimar (1975)125, Beethoven – Tage aus einem Leben (1976) und Levins Müh­ le (1980)126, Fallada – letztes Kapitel (1988), Die Verlobte (1980)127 oder Goya (1971) keine sendetaugliche Kopie zur Verfügung stünde. Aber auch unter den Gegenwartsfilmen sind nicht wenige, die dank ihrer noch immer aktuellen Thematik und künstlerischen Qualität die Wiederentdeckung verdienten: Der nackte Mann auf dem Sportplatz über die Schaffensprobleme eines hart arbeitenden, aber wenig prominenten bildenden Künstlers im Kunstbetrieb, Bankett für Achilles zur Umweltproblematik oder Ikarus (1975)128, die Tragödie eines Neunjährigen, der unter der Trennung der El­ tern und dem Abschied vom geliebten Vater fast zerbricht, und Bürgschaft für ein Jahr (1981)129 über die Konflikte einer Alleinerziehenden, die mit fünf Kindern überfordert ist. Es bleibt aber auch der Kummer über manch eine nicht realisierte Dramaturgen-Hoffnung auf ein großes Leinwand-Ereignis. Die Gründe dafür waren vielfältig, manche künstlerischer oder auch ideologischer, an­ dere ökonomischer Natur. Besonders das Verhältnis von großem ökonomi­ schen Aufwand für eine jede Kino-Produktion und schwer kalkulierbarem Publikumsinteresse hatte die dramaturgische Arbeit von der Idee bis zum Drehbuch und zur öffentlichen Präsentation des Films ständig begleitet. ‚Das Herz der Filmproduktion‘ jedenfalls hat aufgehört zu schlagen…

125 Regie: Egon Günther, 119 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1975. 126 Regie: Horst Seemann, 116 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA/Fernsehen der DDR, 1980. 127 Regie: Günther Rücker/Günter Reisch, 108 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, Fernse­ hen der DDR/DEFA, 1980. 128 Regie: Heiner Carow, 90 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1975. 129 Regie: Herrmann Zschoche, 92 Min., Farbe, Spielfilm, DDR, DEFA, 1981.

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Dramaturgie in der DEFA

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Kino-Aushangfoto zum Film Sterne (Quelle: © DEFA-Stiftung/Lotte Michailowa). Abbildung 2: Kino-Aushangfoto zum Film Zeit zu leben (Quelle: © DEFA-Stif­ tung/Peter Dietrich). Abbildung 3: Filmbroschüre zum Film Der Bruch (Quelle: © DEFA-Stiftung/Waltraut Pathenheimer).

Literaturverzeichnis Barnert, Anne: Die Antifaschismus-Thematik der DEFA, Marburg 2008. Bulgakowa, Oksana: UFA-Stories, in: tip Berlin Magazin, Heft 4, Berlin 1992, S. 24– 26. Deutz-Schroeder, Monika/Staadt, Jochen (Hrsg.): Teurer Genosse. Briefe an Erich Honecker, Berlin 1994. Dietrich, Gerd: Kulturgeschichte der DDR, Göttingen 2018. Hager, Kurt: Erinnerungen, Leipzig 1996. Haas, Klaus-Detlef/Wolf, Dieter (Hrsg.): Sozialistische Filmkunst. Eine Dokumentati­ on, Berlin 2011. Kannapin, Detlef (Hrsg.): Im Maschinenraum der Filmkunst. Erinnerungen des DEFAChefdramaturgen Rudolf Jürschik, Berlin 2021. Lauter, Hans: Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fort­ schrittliche deutsche Kultur. Referat, Diskussion und Entschließung von d. 5. Tagung d. Zentralkomitees d. Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 15. bis 17. März 1951, Berlin 1951. Lochthofen, Sergej: Schwarzes Eis. Der Lebensroman meines Vaters, Hamburg 2014. Maetzig, Kurt: Die Zeit ist reif, in: Deutsche Filmkunst, Heft 9, Berlin 1956, S. 257– 260. Ministerium für Kultur der DDR: Mehr, bessere und billigere Filme. Programmer­ klärung des Ministeriums für Kultur, in: Filmspiegel, Heft 22, 1954, S. 2–10. Orbanz, Eva/Prinzler, Hans Helmut (Hrsg.): Staudte, Berlin 1991. Peitz, Christiane: „Schlöndorff: ‚Defa-Filme waren furchtbar‘“, in: Der Tagesspie­ gel,11.12.2008, online abrufbar: https://www.tagesspiegel.de/kultur/kino/kontro verse-schloendorff-defa-filme-waren-furchtbar/1393060.html (Zugriff 1.5.2022). Resolution des Politbüros des ZK der SED „Für den Aufschwung der fortschrittli­ chen deutschen Filmkunst“ 17./18.07.1952, in: Resolution des Politbüros des ZK der SED, Berlin 1953, S. 5–14. Rüß, Gisela (Hrsg.): Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED 1971–1974, Stuttgart 1976.

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Dieter Wolf Schenk, Ralf: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen, Berlin 2006. Schenk, Ralf: Mitten im Kalten Krieg. 1950 bis 1960, in: Filmmuseum Potsdam (Hrsg.): Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFA-Spielfilme 1946–1992, Berlin 1994, S. 50–157. Tulpanow, Sergij: Rede zur DEFA-Gründung, zitiert nach Deutsche Film AG: Auf neuen Wegen. 5 Jahre fortschrittlicher deutscher Film, Berlin 1951.Warneke, Lothar: Film ist eine Art zu leben, in: Hermann Herlinghaus (Hrsg.): Aus Theorie und Praxis des Films, Heft 3, o. O. 1982.Wilkening, Albert: Die DEFA in der Etappe 1950 bis 1953, in: DEFA Studio für Spielfilme (Hrsg.): Betriebsgeschichte des VEB DEFA Studios für Spielfilme, Teil 2, o. O. 1984. Wandel, Paul: Rede zur DEFA-Gründung, zitiert nach Deutsche Film AG: Auf neuen Wegen. 5 Jahre fortschrittlicher deutscher Film, Berlin 1951. Wilkening, Albert: Geschichte der DEFA von 1945–1950, in: DEFA Studio für Spielfilme (Hrsg.): Betriebsgeschichte des VEB DEFA Studios für Spielfilme, Teil 1, o. O. 1981. Vater, Hubert: Was ich mir mehr von unseren Filmemachern wünsche. Erwartun­ gen eines Lesers an DEFA und Fernsehen, in: Neues Deutschland, 17.11.1981. Wolf, Dieter: Das kurze Leben der Gruppe „Solidarität“. Erinnerungen eines Hauptdramaturgen, in: apropos: Film 2005. Das 6. Jahrbuch der DEFA-Stiftung, Berlin 2005, S. 243–263. Wolf, Dieter: Gruppe „Babelsberg“. Unsere nicht gedrehten Filme, Berlin 2000. Zweite Bitterfelder Konferenz 1964. Protokoll der von der ideologischen Kommis­ sion beim Politbüro des ZK der SED und dem Ministerium für Kultur am 24. und 25. April im Kulturpalast des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld ab­ gehaltenen Konferenz, Berlin 1964.

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Kino als Erfahrungs- und Erinnerungsraum

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Zwischen Unterhaltung und Systemkonflikt Die Rezeption populärer Filme im Kino der DDR Luise Poschmann

Die Rezeptionsforschung des Kinos in der DDR ist von vielschichtiger Natur und sie bedarf zunächst einiger Konkretisierungen. Versteht man Rezeption als verstehende und verarbeitende Aufnahme eines Kunstwer­ kes, so stehen vornehmlich die im Kino gezeigten Filme unabhängig vom Hintergrund ihrer Produktion, Distribution und Präsentation im Mittelpunkt der Betrachtung. Wird hingegen der Fokus auf die öffentliche Filmvorführung als soziales und kommunikatives Ereignis gelegt, so löst sich die Rezeptionsforschung ein Stück vom Film als ästhetisches Produkt und wendet sich hin zur sinnhaften Deutung des Kinos und der Filme innerhalb ihres gesellschaftspolitischen Kontextes. Beide Zugänge führen zu der Frage, wie die Menschen in der DDR das Kino und die Kinofilme wahrgenommen haben – als Teil ihres Alltages bzw. ihrer Freizeit und als künstlerisches Angebot in einem politischen Umfeld, in dem die öffentliche Filmvorführung nicht frei von politischem Einfluss war. Daraus folgt die Prämisse, dass sich eine künstlerische und eine gesell­ schaftspolitisch beeinflusste Rezeption des Kinofilms in der DDR nicht trennen lassen. Als Monopolist brachte der Progress-Filmverleih, seit 1955 ein Volkseigener Betrieb (VEB), die Filme der Deutschen Film-AG (DEFA) und auch die nicht in der DDR produzierten Filme aus dem westlichen und sozialistischen Ausland in die Kinos. Somit unterlag nicht nur die Produktion der Filme selbst, sondern auch ihre Präsentation staatlicher Kontrolle. Die von der DEFA hergestellten und doch für die Aufführung (z. T. nachträglich) verbotenen Werke1 zeugen davon, dass die Reglemen­ tierung auf mehreren Ebenen stattfand und zudem abhängig von der aktu­ ellen politischen Lage war. Aufgrund der nicht vorhandenen Pressefreiheit in der DDR unterlagen zudem auch Filmbesprechungen und andere im

1 Zu den bekanntesten verbotenen DEFA-Produktionen gehört der Film Spur der Steine (Regie: Frank Beyer), der 1966 kurz nach der Premiere verboten wurde und erst im Oktober 1989 wieder in der DDR aufgeführt werden durfte.

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Zusammenhang mit dem Kino stehende Medienberichte einer gewissen Kontrolle. Gleiches galt im Übrigen auch für die Werbung. Für die Zuschauerinnen und Zuschauer bedeutete dies, dass der Ki­ nobesuch als Freizeitelement nicht mit dem in einer freien Gesellschaft vergleichbar war. Das Filmangebot orientierte sich (nicht nur) an den Präferenzen des Publikums bzw. am wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch an ideologischen Prämissen. Es kann davon ausgegangen werden, dass dies auch die Rezeption der Filme bewusst oder unbewusst beeinflusste. Dies gilt im Besonderen für Filmproduktionen aus dem westlichen Ausland wie z. B. den Vereinigten Staaten oder der Bundesrepublik Deutschland, die sich auch in der DDR großer Beliebtheit erfreuten. Wie das Publikum sich den populären Westfilm im Kino der DDR aneignete, ist die Kernfrage der folgenden Abhandlung. Forschungsüberblick zur Rezeptionsgeschichte des Kinos in der DDR Die Forschungslandschaft zur allgemeinen Rezeptionsgeschichte des Kinos bzw. der Kinofilme in der DDR ist überschaubar. Dies gilt insbesondere für den Fokus auf das durchschnittliche Publikum bzw. die Bürgerinnen und Bürger der DDR, die die Filme in den Lichtspieltheatern des Landes angeschaut haben. Jene Arbeiten, die sich explizit der Rezeption der Ki­ nofilme widmen, konzentrieren sich fast ausschließlich auf Rezensionen in der Presselandschaft der DDR, also auf die Filmbesprechungen der Kri­ tikerinnen und Kritiker in Tageszeitungen oder in Fach- und Publikums­ zeitschriften. Abgesehen davon, dass diese Untersuchungen zumeist eine tiefergehende Reflexion über die Arbeit dieser Kritikerinnen und Kritiker im Umfeld der unfreien Presselandschaft der DDR – also die Hintergründe der Beteiligten und die internen Arbeitsbedingungen in den jeweiligen Redaktionen – vermissen lassen,2 sind sie zudem nur in Ansätzen aussage­ fähig hinsichtlich der Rezeption der Filme durch das Publikum selbst. Eine Einschränkung bildet zudem der Umstand, dass sich diese Untersu­

2 Die Filmkritik war ebenso wie die Filmproduktion in der DDR nicht frei von ideo­ logischem Einfluss. Wie u. a. in einem Beschluss des Politbüros der SED vom 8. November 1977 festgehalten wurde, sollte sie „mit ihren spezifischen Mitteln auf die Ausprägung der sozialistischen Lebensweise und die sozialistische Persön­ lichkeitsentwicklung Einfluss“ nehmen. Zitiert nach: Hindemith, Bettina: Der DEFA-Spielfilm und seine Kritik. Probleme und Tendenzen, in: Harry Blunk/Dirk Jungnickel (Hrsg.): Filmland DDR. Ein Reader zu Geschichte, Funktion und Wirkung der DEFA, Köln 1990, S. 27–46, hier S. 28.

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Zwischen Unterhaltung und Systemkonflikt

chungen aufgrund der Fülle des Materials oder eines speziellen Erkennt­ nisinteresses stets auf ausgewählte Kinofilme beschränken, die in der DDR zur Aufführung kamen. Den gedanklichen Ausgangspunkt bilden mithin die Filme selbst und nicht deren Rezeption. Zu diesen Studien zählt die Dissertation von Kinga Piatkowska aus dem Jahr 2011 zur Rezeption polnischer Spielfilme in der DDR.3 Die Verfasse­ rin hat rund 1.000 Rezensionen hinsichtlich der allgemeinen Beurteilung durch die Medienschaffenden, der künstlerischen Bewertung und der Ein­ ordnung eines Filmes in Bezug auf seine politische oder sozialkritische Aussage untersucht. Als Quellen dienten ihr die Alltagspresse und fachli­ che Kinozeitschriften aus dem genannten Zeitraum, die sie maßgeblich dem Pressearchiv der Filmhochschule Konrad Wolf und der Pressesamm­ lung des Bundesarchivs entnommen hat. Einen ähnlichen Ansatz wählte Lars Karl in seiner Dissertation aus dem Jahr 2002, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg im sowjetischen Spielfilm und dessen Rezeption in der DDR von 1945 bis 1965 befasst.4 Ein Unterschied ist, dass Karl auch den Versuch unternimmt, über die Zuschauerpost an die DEFA5 sowie über Leserbriefe in der Presse in An­ sätzen die Rezeption der Zuschauerinnen und Zuschauer zu ergründen. Allerdings kommt er diesbezüglich zu dem Schluss, dass diese Eingaben aufgrund ihrer verhältnismäßig kleinen Anzahl in ihrer Aussagekraft kaum zu verallgemeinern seien.6 Die Reaktionen der Leserinnen und Leser auf die Filmkritiken bezieht auch die Untersuchung zur katholischen Filmar­ beit in der DDR von Alexander Seibold mit ein,7 der allerdings wie Karl feststellen muss, dass die schriftliche Überlieferung in dieser Hinsicht äu­ ßerst lückenhaft ist. Nur rund zwanzig Briefe gingen in der Arbeitsstelle für Pastorale Medien ein, die sich kritisch mit der von den Rezensenten vorgenommenen Beurteilung von Filmen auseinandersetzten.

3 Piatkowska, Kinga: Das Kino der VRP im DDR-Alltag. Die Rezeption polnischer, im Lichtspielwesen der Deutschen Demokratischen Republik verliehener Spielfilme, auf der Grundlage der Analyse von Presserezensionen aus den Jahren 1949–1990, Dissertation Humboldt-Universität zu Berlin 2011. 4 Karl, Lars: „Von Helden und Menschen...“ Der Zweite Weltkrieg im sowjetischen Spiel­ film und dessen Rezeption in der DDR, 1945–1965, Dissertation Eberhard-Karls-Uni­ versität Tübingen 2002. 5 Diese Zuschauerpost konnte er in den Überlieferungen der Presseabteilung der DEFA einsehen. 6 Karl: Der Zweite Weltkrieg im sowjetischen Spielfilm, S. 17. 7 Seibold, Alexander: Katholische Filmarbeit in der DDR. „Wir haben eine gewisse Pfiffigkeit uns angenommen“, Dissertation Universität Gießen 2002, Münster 2003.

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Zu den Studien, die sich über die Rezensionen der Rezeption nähern, gehört auch die Arbeit von Ralf Harhausen, der hinsichtlich seiner unter­ suchten „Alltagsfilme“8 in der DDR einen Blick auf bedeutende Kritikerin­ nen und Kritiker wirft, während er für die Rezeption der Filme durch das Publikum lediglich einige Zuschauerzahlen aus den Kinosälen nennt. Ebenfalls nur auf journalistische Beiträge bezogen sind die Rezeptionsana­ lysen in der Abhandlung von Felix Rutzen zum Spielfilm Insel der Schwäne (Regie: Herrmann Zschoche)9 und in dem Aufsatz von Claudia Sandberg zu Es herrscht Ruhe im Land (Regie: Peter Lilienthal).10 Weiterhin kann sich die Untersuchung Politik und Film in der DDR11 von Klaus Finke zu diesen Ansätzen zählen lassen, auch wenn sie in erster Linie eine Inhaltsanalyse ausgewählter DEFA-Filme in Bezug auf ein „he­ roische[s] Selbstbild des totalitären Mythos des Marxismus-Leninismus“12 ist. Für die Rezeption durch das gemeine Publikum bietet seine Analyse der Kritiken allerdings keinen Mehrwert, was exemplarisch für diesen Zu­ gang über die Kritiken ist. Die Rezensionen der in der DDR gezeigten Filme – auch jene Filmbesprechungen, die nach 1990 entstanden sind – er­ wähnten das Publikum nur selten und eher zufällig. Ein ähnlicher Befund lässt sich übrigens auch mit Blick auf die Filmschaffenden in der DDR treffen. Im Mittelpunkt ihrer publizierten Erinnerungen oder Rückblicke in Interviews stehen zumeist der Film selbst als ein künstlerisches Werk oder die Produktionsarbeiten.13 Eine besondere Aufmerksamkeit kommt dabei allgemein der Arbeit bei der DEFA zu. Interessant sind Rezensionen jedoch, stellt man ihnen die Publikums­ meinung gegenüber. Dies hat etwa Andreas Kötzing in einem Aufsatz über

8 Harhausen, Ralf: Alltagsfilm in der DDR. Die „Nouvelle Vague“ der DEFA, Disserta­ tion Universität Oldenburg 2006, Marburg 2007. 9 Rutzen, Felix: Film als Spiegel gesellschaftlicher Konflikte in der DDR. Audio-visuelle Intention und Presse-Rezeption des Spielfilms „Insel der Schwäne“, München 2011, insb. S. 43–49. 10 Sandberg, Claudia: Zwischen Revolutionsromantik und mangelnder Leiden­ schaft für den Sozialismus. Die Rezeption von Peter Lilienthals Es herrscht Ruhe im Land in Ost- und Westdeutschland, in: Michael Wedel/Evan Torner/Barton Byg/Skyler Arndt-Briggs/Andy Räder (Hrsg.): DEFA international. Grenzüberschrei­ tende Filmbeziehungen vor und nach dem Mauerbau, Wiesbaden 2013, S. 183–200. 11 Finke, Klaus: Politik und Film in der DDR, 2 Teilbände, Oldenburg 2007. 12 Finke: Politik und Film, S. 22. 13 Siehe etwa die überwiegende Zahl der Beiträge in: Blunk, Harry/Jungnickel, Dirk (Hrsg.): Filmland DDR. Ein Reader zu Geschichte, Funktion und Wirkung der DEFA, Köln 1990.

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Agentenfilme der DEFA getan.14 Darin stellt er etwa fest, dass der Spielfilm Reserviert für den Tod (Regie: Heinz Thiel) „trotz der wohlwollenden Kriti­ ken“15 auf verhaltene Reaktionen in Leserbriefen der Zeitschrift Filmspiegel stieß und deutet damit ein Spannungsverhältnis zwischen der prinzipiell DEFA-freundlichen Presse und dem Publikum an. Ebenso wie Karl muss allerdings auch Kötzing konstatieren, dass die Publikumswirkung der Fil­ me nicht anhand einzelner publizierter Leserbriefe belastbar rekonstruiert werden kann. Zuschriften von Bürgerinnen und Bürgern bilden auch eine wichtige Quellengrundlage der Dissertation von Franziska Kuschel,16 allerdings konzentriert sie sich auf die Nutzung von Westmedien und behandelt hinsichtlich der Lichtspieltheater ausschließlich die Grenzkinos in WestBerlin aus der Zeit vor dem Mauerbau. Grund dafür sind die bereits erwähnten weitreichenden Kontrollmöglichkeiten des Kinos insbesondere nach dem Mauerbau, etwa im Gegensatz zu den Radiosendern.17 Ein in­ teressanter Befund in Bezug auf das DDR-Kinopublikum kann dennoch festgehalten werden und zwar, dass die Grenzgängerinnen und Grenzgän­ ger offenbar vor allem Unterhaltung suchten, was beim Berliner Senat auf Missfallen stieß. Als Konsequenz wurde der Kino-Besuch für Ostdeutsche nur noch für Filme subventioniert, die von der Filmbewertungsstelle in Wiesbaden als wertvoll eingestuft wurden.18 Der Grenzgang vor dem Mauerbau ist ein Sonderfall und kann nicht exemplarisch für die gesamte DDR stehen, allerdings widmet sich eine der für diese Untersuchung methodisch interessantesten Studien diesem Phänomen: Elizabeth Prommer und Andy Räder haben vor einigen Jahren den Filmgeschmack, die Nutzung und die Motive von Kinogrenzgänge­

14 Kötzing, Andreas: Vom Mythos der Allmacht – Die Darstellung der Staatssicher­ heit im DDR-Spielfilm der 1960er Jahre, in: Totalitarismus und Demokratie 11, 2014, S. 279–291. 15 Kötzing: Mythos der Allmacht, S. 284. 16 Kuschel, Franziska: Schwarzhörer, Schwarzseher und heimliche Leser. Die DDR und die Westmedien, Göttingen 2016. 17 Kuschel: Schwarzhörer, S. 27. 18 Kuschel: Schwarzhörer, S. 52. Siehe weiterführend zur Situation der Grenzkinos: Lemke, Michael: Vor der Mauer. Berlin in der Ost-West-Konkurrenz 1948 bis 1961, Köln/Weimar/Wien 2011, S. 483–509.

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rinnen und -grenzgängern in der Nachkriegszeit bis 1961 untersucht.19 Dafür wurden medienbiographische und leitfadengestützte Interviews mit je fünf Frauen und Männern geführt, die aus mehr als 100 Personen ausgewählt worden waren, welche sich auf Zeitungsanzeigen gemeldet hatten.20 Prommer und Räder kommen wie Kuschel zu dem Schluss, dass das Ostberliner Publikum in West-Berlin vor allem Unterhaltung suchte und dem Kino in der DDR skeptisch begegnete.21 Prommer knüpfte mit dieser Untersuchung an ihre Dissertation aus dem Jahr 1999 an, in der sie mittels medienbiographischen Interviews den Kinobesuch im Lebenslauf erforscht hatte.22 Wie die Ausführungen zu den bisherigen Publikationen gezeigt haben, steht die Rezeptionsforschung des Kinos in der DDR vor großen methodi­ schen Herausforderungen. Einen vielversprechenden Zugang bieten neben Zeitzeugeninterviews und einer Auswertung der soziologischen Studien die persönlichen Eingaben von Zuschauerinnen und Zuschauern an ver­ schiedene Stellen. Sie dürften zu den wenigen schriftlichen Quellen zäh­ len, die aus erster Hand von der Wahrnehmung der Filme und des Kinos durch die gemeine Bevölkerung berichten können. Den umfangreichsten Zugang zu diesem Quellenbestand bieten wohl die vielen verschiedenen Tages- und Wochenzeitungen sowie die filmischen (Fach-)Zeitschriften, die Leserbriefe zum Thema Kino veröffentlicht haben. Einschränkend muss allerdings auf die mangelnde Pressefreiheit sowie auf Auswahl, Kür­ zung und mögliche Veränderungen durch die Redaktionen und einzelne Medienschaffende verwiesen werden. Außerdem auf die Tatsache, dass die Gruppe der engagierten Leserbriefeschreiberinnen und -schreiber insge­ samt nicht so divers sein dürfte wie jene des allgemeinen Kino-Publikums in der DDR. Für die vorliegende Untersuchung wurden ausgewählte Jahrgän­ ge aus vier Publikationen systematisch gesichtet: Erstens die Jahrgän­ ge 1957, 1969, 1978 und 1986 des FDJ–Organs Junge Welt. Dies entspricht

19 Prommer, Elizabeth/Räder, Andy: Kinogrenzgänger im geteilten Deutschland (1949–1961). Filmgeschmack, Nutzung und Motive des Filmbesuchs, in: Michael Wedel/Evan Torner/Barton Byg/Skyler Arndt-Briggs/Andy Räder (Hrsg.): DEFA international. Grenzüberschreitende Filmbeziehungen vor und nach dem Mauerbau, Wiesbaden 2013, S. 131–147. 20 Prommer/Räder: Kinogrenzgänger, S. 136. 21 Z. B. Die Mörder sind unter uns (Regie: Wolfgang Staudte). Vgl. hierzu Prommer/ Räder: Kinogrenzgänger, S. 138 f. 22 Prommer, Elizabeth: Kinobesuch im Lebenslauf. Eine historische und medienbiogra­ phische Studie, Konstanz 1999.

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etwa 1.200 Exemplaren der Tageszeitung für junge Menschen. Die Streu­ ung in den Jahrgängen erfolgte absichtlich, um Mustern in der Berichter­ stattung bestimmter Jahre auszuweichen (z. B. in Jubiläumsjahren). Zwei­ tens wurden alle Ausgaben der Zeitschrift film gesichtet, die zwischen 1964 und 1986 in insgesamt 13 längeren Heften von der Arbeitsgruppe der Filmclubs herausgegeben wurde. Vom Verband der Film- und Fern­ sehschaffenden in der DDR wurde die dritte Publikation herausgegeben, die monatlich erscheinende Zeitschrift Film und Fernsehen. Sie existierte seit 1973/1974, der untersuchte Bestand beläuft sich damit auf mehr als 200 Hefte. Leider gelang es aber weder der Zeitschrift film noch Film und Fernsehen, regelmäßig mit ihren Leserinnen und Lesern ins Gespräch zu kommen.23 Den größten Anteil an Leserbriefen wies schließlich die Pu­ blikumszeitschrift Filmspiegel auf, die vierte untersuchte Publikation. Sie erschien ab 1954 ebenfalls monatlich und enthielt in praktisch jeder Aus­ gabe Eingaben durch die Zuschauerinnen und Zuschauer der Filme. Sys­ tematisch gesichtet wurden insgesamt 16 Jahrgänge der Zeitschrift: 1954– 1957, 1964–1967, 1974–1977 und 1984–1987. Diese Auswahl diente neben der Streuung auch dem Anspruch, Entwicklungen über die Jahrzehnte nachvollziehen zu können.24 Kino als Ort der Freizeit und Unterhaltung Doch welchen Stellenwert nahm das Kino überhaupt für die Bürgerinnen und Bürger der DDR ein? Aus der Zusammenschau verschiedener Quel­ lengattungen lässt sich erahnen, dass der Kinobesuch über die Jahre wohl an Bedeutung verlor. Der hauptsächliche Grund dafür dürfte sein, dass sich das Freizeitangebot insbesondere für die Jugendlichen im Laufe der Jahrzehnte ausdifferenzierte und breiter wurde. So gaben auch die damals jugendlichen Befragten in der Studie von Prommer und Räder an, dass der Mangel an Freizeitangeboten in den 1950er-Jahren der Hauptgrund für ihren Kinobesuch (in West-Berlin) gewesen sei.25 Eine bedeutende

23 Die Zeitschrift film bot zumindest den Filmclubs der DDR eine regelmäßige Bühne zur Vorstellung ihrer Arbeit, eine tatsächliche Auseinandersetzung über die Filme fand aber nicht statt. Ähnliches muss für die Zeitschrift Film und Fernsehen konstatiert werden. Zu Beginn versuchte sie noch, mit ihren Leserinnen und Lesern ins Gespräch zu kommen, später war dies nicht mehr zu vernehmen. 24 Aufgrund der Bindung der Ausgaben in Bibliotheken fehlen bei einigen zitierten Artikeln des Filmspiegels leider die Seitenangaben in den Heften. 25 Prommer/Räder: Kinogrenzgänger, S. 141.

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Rolle für die Entwicklung spielte wohl die Etablierung des Fernsehens und die damit gegebene Möglichkeit zum Konsum der Spielfilme abseits der Kinos. Die deutlichste Aussage über den Bedeutungsverlust könnten sicherlich die offiziellen Besucherstatistiken der einzelnen Lichtspieltheater geben, allerdings müssen diese mit Vorsicht betrachtet werden. Der Leipziger Medienwissenschaftler Hans-Jörg Stiehler etwa geht davon aus, dass die Kinos regelmäßig die Besucherzahlen verfälschten und verkaufte Tickets für westliche Filme den DEFA-Produktionen oder Werken aus dem sozia­ listischen Ausland zuschrieben.26 Ähnlich erklärt auch Jens Michalski in seiner Untersuchung zum Kino-Standort Döbeln, es sei eine Art offenes Geheimnis gewesen, dass die „abgerechneten Besucher ab etwa 1954/55 nicht mehr mit den realen Kinobesuchern identisch waren“27. Michalski kommt mithin zu dem Schluss, es sei nur noch mit Einschränkungen möglich, eine Rekonstruktion des realen Besucheraufkommens der Kino­ theater in der DDR zu zeichnen.28 In den untersuchten Fachzeitschriften wurden im Laufe der Jahrzehnte vermehrt Artikel und Leserbriefe veröffentlicht, die sich besorgt über die Zukunft des Kinos zeigten.29 Auffällig ist zudem, dass die früher äußerst rege Beteiligung des Publikums mittels Leserbriefen ab den 1970er-Jahren zunehmend von Berichten aus den Filmclubs abgelöst wurde, was darauf hindeuten könnte, dass sich das gemeinsame Kinoerlebnis von einem Frei­ zeitangebot für die breite Bevölkerung hin zu einem individuellen Hobby wandelte. Dies deckt sich auch mit Erkenntnissen des Zentralinstituts für Jugendforschung (ZIJ) in Leipzig, nach denen Ende der 1970er-Jahre eine deutliche Differenz zwischen Kinobesuchenden und Nicht-Kinobesuchen­ den bestand. Nach einer Schätzung waren zwei Drittel aller Jugendlichen und etwa zehn Prozent der Erwachsenen für den gesamten Kinobesuch verantwortlich; nur einzelne sehr populäre Filme vermochten noch das breite Publikum anzusprechen.30

26 Persönliches Gespräch der Autorin des Beitrags mit Hans-Jörg Stiehler am 8.10.2020. 27 Michalski, Jens: ... und nächstes Jahr wie jedes Jahr. Kinogeschichte Kreis Döbeln 1945–1990. DAS Beispiel für das Lichtspielwesen der SBZ/DDR, Berlin 2003, S. 75. 28 Michalski: Kinogeschichte Kreis Döbeln, S. 75. 29 Siehe etwa mehrere Leserbriefe in: Der Filmspiegel 11, Heft 5, 1964, S. 14; Der Filmspiegel 24, Heft 6, 1977, S. 10. 30 Stiehler, Hans-Jörg: Das unersetzbare Kino, in: Film und Fernsehen 9, Heft 10, 1981, S. 11–15, hier S. 13.

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Besonders aufschlussreich für die Frage nach der Bedeutung des Kino­ besuchs in der Freizeit ist die Lektüre der Zeitung Junge Welt. In den 1950er-Jahren stellte die Redaktion jede Woche Lieblinge des Publikums vor, die fast ausschließlich auf den Kinoleinwänden, sehr viel seltener auf den Theaterbühnen, zu sehen waren. Rund ein Dutzend Artikel pro Monat standen im Zusammenhang mit dem Kino. Schon in den 1960er-Jahren bezogen die Artikel auch das Fernsehen mit ein, bei einer weiterhin recht hohen Aufmerksamkeit für das Genre des Films im Allgemeinen. Für die 1970er- und 1980er-Jahre ist hingegen ein signifikanter Bedeutungs­ schwund des Films an sich festzustellen. Selten erhielten neue Spielfilme noch ausführliche Kritiken, dafür weiteten sich die Sportberichterstattung sowie neue Sonderseiten aus. Die Rubrik Kunst und Kultur musste sich das Kino mit der Vielfalt an Theaterproduktionen, Literatur, Musik und dem Fernsehen teilen. Besonders auffällig ist für das letzte Jahrzehnt der DDR zudem eine signifikant gestiegene Aufmerksamkeit für Musik und deren Stars. Im direkten Vergleich mit den gesichteten Ausgaben kann die Aussage getroffen werden, dass die Musik-Stars die Schauspielerinnen und Schauspieler ablösten. Hinweise geben auch die Erhebungen des ZIJ zum Kino als Freizeitele­ ment der jungen Menschen. Sie wurden ab den 1970er-Jahren in größerem Umfang getätigt. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Fernsehen das Kino als Ort für den Filmkonsum bereits eindeutig überholt. Zwar besuchten Ju­ gendliche nach einer Studie aus dem Jahr 1977 im Durchschnitt noch 15 bis 20 Mal pro Jahr das Kino, im Fernsehen sahen sie aber insgesamt mehr als 100 Spielfilme im selben Zeitraum. Dabei waren häufige Kinobe­ sucherinnen und -besucher auch diejenigen, die am häufigsten das TV-Ge­ rät für einen Spielfilm anschalteten.31 Für die Gesamtbevölkerung gab das ZIJ für das Ende der 1970er-Jahre jährlich knapp fünf Kinobesuche im Durchschnitt an, gegenüber etwa doppelt so vielen 1965 und dreimal so vielen 1960.32 Andere Berechnungen ergeben Ähnliches: Michael Meyen verzeichnet für 1956 einen Peak mit 17,0 Kinobesuchen pro Jahr und pro Einwohner, für 1960 13,8, 1965 noch 7,0 und 1970 nur noch 5,3 Kinobesu­

31 Bisky, Lothar/Wiedemann, Dieter: Weniger Kinobesucher, mehr Filmzuschauer. Spielfilmrezeption aus soziologischer Sicher, in: Film und Fernsehen 7, Heft 4, 1979, S. 28–31, S. 28 f. 32 Stiehler: Das unersetzbare Kino, S. 11.

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che.33 In einer weniger steilen Kurve setzt sich die Tendenz fort bis hin zu 3,8 Kinobesuchen pro Einwohnerin und Einwohner im Jahr 1989.34 Auch wenn die Zahlen wie erwähnt nur bedingt belastbar sind, lässt sich festhalten, dass das Kino als Element der Freizeitgestaltung offensichtlich an Bedeutung verlor. Der reinen Unterhaltung diente es ohnehin nie: Das Filmprogramm in der DDR unterlag vielfältiger staatlicher Kon­ trolle und hatte den formulierten Auftrag, die Erziehung der Menschen zu ‚sozialistischen Persönlichkeiten‘ zu unterstützen. Die gezeigten Filme stammten überwiegend aus dem sozialistischen Ausland oder wurden von der DEFA produziert. Diese war „angetreten, die Leute aufzuklären und zu erziehen, und dafür bereit, am Massengeschmack vorbeizuzielen“35. Hei­ terkeit per se gehörte nicht zum Auftrag. Neben historischen Erzählungen mit antifaschistischem Fokus36 gerieten die Filme über die soziale Wirk­ lichkeit in den Mittelpunkt. Diese sogenannten Gegenwartsfilme sollten die Menschen aufklären und sie motivieren, ein produktives Element der sozialistischen Gesellschaft zu sein. Das Verhältnis des Publikums zum ideologischen Film und zur DEFA war kompliziert. Es ist ein verfestigtes Narrativ, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer die Politisierung der Filme ablehnten. Gleichzeitig waren aber einige der einheimischen Produktionen, die durchaus den Vorstell­ ungen der DDR-Kulturpolitik entsprachen, große Erfolge. So erinnerten sich beispielsweise die Befragten in der Studie von Prommer und Räder daran, dass sie den Kinobesuch im Osten nicht mochten, weil in den 1950er-Jahren die Sowjetunion stets „großer Sieger“ und die „DDR der Freund“37 gewesen waren, während sie aber gleichzeitig Filme wie Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse (Regie: Kurt Maetzing) oder Die Mörder sind unter uns (Regie: Wolfgang Staudte) als besonders gute Produktionen in Erinnerung hatten.38 Die Durchsetzung gegen die filmische Konkurrenz fiel allerdings im­ mer schwerer. Im letzten Jahrzehnt der DDR kamen lediglich zwei DEFA33 Meyen, Michael: Hauptsache Unterhaltung. Mediennutzung und Medienbewertung in Deutschland in den 50er Jahren, Münster 2001, S. 202. 34 Meyen, Michael: Denver Clan und Neues Deutschland. Mediennutzung in der DDR, Berlin 2003, S. 149. 35 Meyen: Hauptsache Unterhaltung, S. 200. 36 Etwa Die Mörder sind unter uns (Regie: Wolfgang Staudte), Ehe im Schatten (Regie: Kurt Maetzing), Ich war neunzehn (Regie: Konrad Wolf) sowie Nackt unter Wölfen und Jakob der Lügner (Regie: Frank Beyer). 37 Weibliche Zeitzeugin, Jahrgang 1937, zitiert nach: Prommer/Räder: Kinogrenz­ gänger, S. 138. 38 Prommer: Kinogrenzgänger, S. 138 f.

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Spielfilme auf 1,5 Millionen Besucherinnen und Besucher (Einer trage des anderen Last, Regie: Lothar Warneke; Ärztinnen Regie: Horst Seemann).39 Zum Vergleich: 1989 wurden für die US-Musikromanze Dirty Dancing (Regie: Emile Ardolino) 5,2 Millionen Karten an das DDR-Publikum ver­ kauft.40 In den Gegenwartsfilmen zeigte sich zudem zunehmend das Problem der Distanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, für das sich das Publi­ kum sehr sensibel zeigte. Das Verhältnis des Publikums zu den DEFA-Pro­ duktionen war kompliziert; mehrere Befragungen des ZIJ ergaben unter­ schiedliche Ergebnisse. Wurden einmal die DEFA-Filme durchschnittlich am besten bewertet,41 erklärte ein anderes Mal jeder bzw. jede dritte Be­ fragte, er oder sie würde seltener ins Kino gehen, wenn mehr DEFA-Fil­ me gezeigt würden.42 Das größte Problem im Verhältnis offenbart die Erwartung an das, was ein Film leisten sollte. Denn während die DEFA Erziehung und Bildung in den Mittelpunkt stellte, lässt sich aus einer Viel­ zahl an Quellen entnehmen, dass das Publikum maßgeblich Unterhaltung im Kino suchte. Und diese, so die Kritik, lieferte die DEFA vor allem in frühen Jahren nur selten. Wo bleibe das gute Filmlustspiel, sollten denn die Menschen das La­ chen verlernen, fragte ein Leser des Filmspiegels 1954.43 Bei allen Bemü­ hungen der DEFA um Abwechslung im Spielplan fehlten doch heitere Filme auf hohem Niveau, stellte ein anderer 1955 fest.44 Und Waltraud H., die 1956 den Film Genesung (Regie: Konrad Wolf) gesehen hatte, schrieb, dass ihrer Ansicht nach der DEFA mit dem Film „der Film auf dem Gebiet der Unterhaltung“45 gelungen sei: „Endlich! Man empfindet dies ganz besonders stark nach den Enttäuschungen der letzten Zeit“46, fügte sie hin­ zu, wobei Genesung nicht einmal dem klassischen Unterhaltungsgenre ent­ sprach. Die DEFA reagierte nach und nach immer stärker auf den Wunsch

39 Meyen: Denver Clan, S. 148. 40 Meyen: Denver Clan, S. 147. 41 Stiehler, Hans-Jörg/Wiedemann, Dieter: Ausgewählte Ergebnisse der Studie „KinoDDR 80“, Leipzig 1980, S. 2. 42 Bisky, Lothar/Wiedemann, Dieter: Zu Zusammenhängen zwischen Filmerwartungen und Filmrezeption Jugendlicher. Untersucht am Beispiel der Spielfilme „Mama, ich lebe“ und „Die unverbesserliche Barbara“. Kurzfassung zum Forschungsbericht, Leipzig 1978, Blatt 5. 43 Jürgen H.: Leserbrief, in: Der Filmspiegel 1, Heft 9, 1954, S. 10. 44 Klaus D.: Leserbrief, in: Der Filmspiegel 2, Heft 16, 1955, S. 10. 45 Waltraud H.: Leserbrief, in: Der Filmspiegel 3, Heft 7, 1956, S. 10. 46 Ebd.

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nach Unterhaltung und bot dem Publikum – im Rahmen der Ideologie47 – unpolitische Liebes-, Abenteuer- oder Kriminalfilme an. Möglicherweise stand hinter der Bereitschaft, selbst mehr Unterhaltungsfilme zu produzie­ ren auch das Ansinnen, den Bedarf nicht durch Produktionen aus dem westlichen Ausland decken zu müssen. Die These, dass das ostdeutsche Publikum ausschließlich Leichtigkeit und Unterhaltung von den Kinofilmen erwartete, kann allerdings nicht vertreten werden. Durchweg gab es Stimmen aus dem Publikum, die auch mehr Dokumentationen und künstlerisch anspruchsvolle Produktionen verlangten.48 Das Publikum schätzte oftmals durchaus die ernsten und aufklärerischen Filme, gleichzeitig wurden aber die leichten Stoffe stärker nachgefragt. Der ZIJ-Mitarbeiter Lothar Bisky sprach diesbezüglich von einem „real vorhandenen Widerspruch“49: Zwar erwarteten die Menschen qualitativ hochwertige Filme, was aber nicht dazu führe, dass die Kinos bei wertvollen Filmen voll und bei minderwertigen leer seien.50 Der (un)sichtbare Westfilm Eng mit dem Unterhaltungswunsch des ostdeutschen Kinopublikums ver­ bunden ist die Rezeption von aus dem westlichen Ausland stammenden Filmen. Wie aufgezeigt, sind die Besucherstatistiken nicht hinreichend be­ lastbar, daher sollen die folgenden Angaben nur Tendenzen aufzeigen. Da­ zu Zahlen aus dem Jahr 1951 in Mecklenburg: Dort gab es eine festgesetzte Quote, nach der die Filmtheater 60 Prozent sowjetische Filme, 30 Prozent DEFA‑Filme und zehn Prozent alte deutsche bzw. westdeutsche Filme zei­ gen sollten. Letztere bdzählten in dem Jahr 7,2 Millionen Besucherinnen und Besucher; bei den sowjetischen Produktionen waren es 6,2 Millionen und bei den DEFA-Filmen nur 3,6 Millionen.51 Für 1952 ist überliefert, dass 47,7 Prozent aller Kinobesuche auf alte und westdeutsche Filme fie47 Beispielhaft dazu die Darstellung der Staatssicherheit in Agentenfilmen. Vgl. hier­ zu: Kötzing: Mythos und Allmacht. 48 Siehe etwa: Karl-Heinz D.: Mehr Chancen für den Dokumentarfilm, Leserbrief, in: Film und Fernsehen 4, Heft 9, 1976, S. 47; Thomas B.: Fernsehen allein reicht nicht, Leserbrief, in: Film und Fernsehen 4, Heft 9, 1976, S. 48; Bisky, Lothar: An­ satzpunkte. Zur Massenwirksamkeit des Films bei Jugendlichen, in: Film und Fernsehen 5, Heft 4, 1977, S. 49–52, hier S. 50. 49 Bisky, Lothar: Ansatzpunkte. Zur Massenwirksamkeit des Films bei Jugendlichen, in: Film und Fernsehen 5, Heft 4, 1977, S. 49–52, hier S. 50. 50 Ebd. 51 Karl: Der Zweite Weltkrieg im sowjetischen Spielfilm, S. 207.

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len.52 In diesem Jahr feierte auch Das doppelte Lottchen (Regie: Josef von Báky) Premiere. Innerhalb von nur fünf Monaten wurden 4,5 Millionen Karten verkauft.53 Im Umgang mit dem westlichen Film zeigen sich mehrere Linien: Erstens eine vehemente Ablehnung der kapitalistischen Filmproduktion als Ganzes, insbesondere der Filmproduktion in Hollywood. Zweitens die Tendenz, westliche Filme grundsätzlich kritisch zu beurteilen und jene Fil­ me herauszuheben, die die eigene Position im Systemkonflikt zu stärken schienen. In diesem Punkt beschränken sich die Ausführungen auf Filme aus den USA und aus Westdeutschland; Produktionen aus Italien, Spanien oder Frankreich wurden eher ästhetisch beurteilt und gerieten nicht in vergleichbarem Maße in das Fahrwasser des Systemkonflikts. Diese Form der Normalisierung im Umgang fand mit dem Film aus der BRD und den USA in den meisten Zusammenhängen erst im Laufe der Jahrzehnte statt.54 Schließlich und drittens soll über einen gewissen Star-Kult berich­ tet werden, dem man sich nicht entziehen konnte. „Natürlich läßt die Monopolbourgeoisie kein Mittel unversucht, um in ihrem Herrschaftsbereich das Filmschaffen ihren Klassenzielen dienstbar zu machen. Vor allem der Umstand, daß die Filmprodukti­ on nicht nur ein Kunstprozeß ist, sondern auch großen technischen und finanziellen Aufwand erfordert, bietet der herrschenden imperia­ listischen Schicht die Möglichkeit, die Kontrolle und Lenkung der Filmproduktion direkt und wirksam auszuüben. Denn ‚wer das Essen bezahlt, bestimmt auch die Musik‘.“55 Mit diesen Worten fasste Alexander Karaganow für die Zeitschrift Film und Fernsehen 1975 die Kritik an der ‚kapitalistischen Filmproduktion‘ zusammen. Über die Jahre hinweg fanden sich regelmäßig Artikel über die grundsätzlich negativ beurteilte Filmproduktion im westlichen Ausland,

52 Karl: Der Zweite Weltkrieg im sowjetischen Spielfilm, S. 208; Finke: Politik und Film, S. 414. 53 Finke: Politik und Film, S. 414. 54 Es gibt einige wenige Ausnahmen in diesem Zusammenhang. Z. B. Beiträge aus der Fachzeitschrift film, die von der Arbeitsgemeinschaft der Filmclubs herausge­ geben wurde. Zu frühen unkritisch besprochenen Filmen: R. Freund: Am Ende der Verwirrungen? Anmerkungen zu „Der junge Törleß“, in: film 66, 6/1966, S. 3–5. 55 Karaganow, Alexander: Film im Klassenkampf. Zu einigen Tendenzen auf dem kapitalistischen Filmmarkt (1), in: Film und Fernsehen 3, Heft 12, 1975, S. 5–9, hier S. 7 f.

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insbesondere in Hollywood.56 Beklagt wurden schlechte Arbeitsbedingun­ gen für Filmschaffende und aus dem Star-Kult folgende Belastungen,57 die Dominanz der Produktionsfirmen,58 Rassismus in der Filmindustrie59 und auch Zensur.60 All diese Rahmenbedingungen führten dem Narrativ zufolge zu qualita­ tiv minderwertigen Filmen mit fragwürdigen Themen. Insbesondere dem Film aus Hollywood wurde unterstellt, moralisch verdorben zu sein. Er verherrliche Gewalt und weise oft pornographische Züge auf; es gehe nur um Katastrophen, Horror, Krieg, unterkomplexe kitschige Unterhaltung oder bürgerliche Klischees – je nach derzeitigen Trends auf dem Film­

56 In dieser Hinsicht sticht der Kritiker Horst Knietzsch heraus, der in den 1970erJahren in fast jeder Ausgabe der Publikumszeitschrift Filmspiegel die westliche Filmproduktion kritisierte. Diese Regelmäßigkeit endete abrupt, als der Filmspie­ gel mit der Ausgabe 1977 Nr. 20 größere redaktionelle Änderungen einläutete, stärker auf die Stars einging, in Farbe erschien und jeder Ausgabe auch ein Poster beilegte. 57 Siehe etwa: o. A.: Die Megären von HOLLYWOOD, in: Der Filmspiegel 2, Heft 2, 1955, S. 4; o. A.: Nervenmühle HOLLYWOOD, in: Der Filmspiegel 2, Heft 15, 1955, S. 4; o. A.: Der bittere Ruhm von Hollywood, in: Der Filmspiegel 3, Heft 19, 1956, S. 11; Knietzsch, Horst: Arbeitslos, in: Der Filmspiegel 22, Heft 6, 1975; Schütt, Hans-Dieter: Anderes Amerika in Hollywood ungeliebt, in: Junge Welt, Jg. 32, 25.7.1978. 58 Siehe etwa: o. A.: Traum-Fabriken in der KRISE, in: Der Filmspiegel 3, Heft 5,1956, S. 11; Knietzsch, Horst: Sind Hollywoods Unabhängige unabhängig? Zur Uraufführung des Films „Marty“, in: Der Filmspiegel 4, Heft 21, 1957, S. 3; Müller, André: Die neue UFA, in: Der Filmspiegel 13, Heft 13, 1966, S. 8 f.; Knietzsch, Horst: Alles in eine Hand, in: Der Filmspiegel 24, Heft 6, 1977, S. 20. 59 O. A.: HOLLYWOODS unsauberer Kodex, in: Der Filmspiegel 2, Heft 7, 1955, S. 5; o. A.: Das Herz für die Neger entdeckt? in: Der Filmspiegel 4, Heft 2, 1957, S. 11. 60 Karaganow, Alexander: Film im Klassenkampf. Zu einigen Tendenzen auf dem kapitalistischen Filmmarkt (1), in: Film und Fernsehen 3, Heft 12, 1975, S. 5–9, hier S. 8; Knietzsch, Horst: BRD: Man trägt wieder Maulkorb, in: Der Filmspiegel 23, Heft 10, 1976, S. 20.

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markt.61 Gleichzeitig erhielten gerade einige der am stärksten kritisierten Produktionen ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, was bemerkenswert ist, da ausführliche Filmbesprechungen von westlichen Produktionen eher sel­ ten waren. Aber gerade diese Filme, sozusagen Symbole der Verderbtheit, die gar nicht in den Kinos zu sehen waren, erhielten so öffentlichen Raum. Zu nennen sind hier beispielsweise die erfolgreichen Reihen Star Wars62 (vgl. Abbildung 1) und James Bond.63

61 Siehe etwa zu Hollywood und Westdeutschland: o. A.: HOLLYWOOD läßt die Biester los, in: Der Filmspiegel 2, Heft 24, 1955, S. 5; Müller, André: Drachensaat. Westdeutschlands Kinos im Dienste der psychologischen Kriegsführung, in: Der Filmspiegel 11, Heft 2, 1964, S. 16f; o. A.: Flucht ins Belanglose, in: Der Filmspiegel 12, Heft 4, 1965, S. 16 f; Regner, Ilona: Wer will „Mord als die beste Unterhal­ tung“? Eine Untersuchung über das kapitalistische Geschäft mit der bluttriefen­ den Leinwand, in: Junge Welt, Jg. 23, 14.2.1969; Knietzsch, Horst: Schnaps, Bier und Porno, in: Der Filmspiegel 22, Heft 10, 1975, S. 10; Knietzsch, Horst: Träume und Fluchtwege. Bemerkungen zu neuen Produktionen aus den USA, in: Film und Fernsehen 4, Heft 2, 1976, S. 37–41; Schütt, Hans-Dieter: Die Zukunftsvisionen aus dem Gestern. Science-Fiction-Welle rollt mal hart, mal weich durch west­ liche Kinos – immer ist sie eine Spielart des Antikommunismus, in: Junge Welt, Jg. 32, 21.7.1978; Kohrt, Wolfgang: Wohlig graust’s den Amerikaner. Hochkon­ junktur in den USA für antisowjetische Filme und Schauspieler mit Schurkenge­ sicht, in: Junge Welt, Jg. 40, 28.1.1986. 62 Nicht ganz so vernichtend: Schütt, Hans-Dieter: Farbige „Hymne“ auf die Welt der Zerstörung. „Krieg der Sterne“ – USA-Film, den nicht die Zukunft interes­ siert, sondern die Angst vor ihr, in: Junge Welt, Jg. 32, 7.3.1978. 63 Müller, André: Mord als Hobby, in: Der Filmspiegel 11, Heft 12, 1964; Knietzsch, Horst: Die Hautfarbe, in: Der Filmspiegel 22, Heft 3, 1975, S. 20.

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Abbildung 1: Filmbesprechung „Star Wars“ in „Film und Fernsehen“ 6 (1978), Heft 8, S. 40. Drei reich bebilderte Seiten widmete die Fachzeitschrift Film und Fernsehen dem Oscar-prämierten ersten Teil von Star Wars (Regie: George Lucas) aus dem Jahr 1977, obwohl dieser Film gar nicht in der DDR zur Aufführung kam. Der Autor Peter Ulbrich, damals Rektor der Filmhochschule in Pots­ dam-Babelsberg, konnte nichts Gutes an dem Film finden: „Da hing ich nun zwei Stunden im Weltall rum und wußte nicht mehr ein noch aus mit meinen Gefühlen. Die Bilder zeigten eine Mixtur von Western im Astronautenlook und interstellarem Räuberund Prinzessin‑Spiel. Die Dialoge waren ein Konglomerat aus Com­ puter‑Platt, Ganoven-Idiom, Strategie‑Air‑Command‑Cockney und transgalaktischem Philosophaster‑Geschwätz, das offenbar noch nicht einmal die Darsteller verstanden hatten (und die kennen den Text doch wahrlich in- und auswendig). Die Geräusche, von allen Sei­

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ten peitschend, schlugen mich halbtot. Sogar das Orchester prügelte mit.“64 Offenbar sah Ulbrich den Film in einem westdeutschen Kino und teilte seinen Eindruck mit der DDR-Öffentlichkeit, ohne dass diese dazu in der Lage gewesen wäre, eigene Erfahrungen dem entgegenzustellen. Offensichtlich konnten oder wollten die Zeitschriften solche Produktionen, die von der DDR-Führung abgelehnt wurden, nicht gänzlich ignorieren, wes­ halb eine Art Strategie der Abschreckung erfolgte. Allerdings waren nicht alle Artikel über solche Filme von vergleichbarer Schärfe. Dem Film Mäd­ chen Mädchen (Regie: Roger Fritz) bescheinigte der Filmspiegel 1967 nur Langeweile und Bedeutungslosigkeit;65 Kopfstand Madam! (Regie: Christi­ an Rischert) mit differenzierter Argumentation die Darstellung vielfältiger Unterdrückungsmechanismen in der kapitalistischen Gesellschaft.66 Grundsätzlich ist trotz dieses interessanten Nebenaspekts festzustellen, dass insbesondere Produktionen aus den USA und aus der BRD in den ers­ ten Jahrzehnten der DDR in den untersuchten Zeitungen und Zeitschrif­ ten fast vollständig ignoriert wurden. Erst sehr zögerlich fand überhaupt eine Befassung mit dem Film aus dem westlichen Ausland statt (wie er­ wähnt wurden dabei z. B. französische oder italienische Filme prinzipiell wohlwollender betrachtet und öfters auch ausführlich besprochen) und bis zur Wiedervereinigung dominierte in allen Publikationen die Befassung mit dem DEFA-Film, gefolgt von Produktionen aus dem sozialistischen Ausland. Wurde nach den Lieblingsschauspielerinnen und -schauspielern gefragt, standen regelmäßig nur DEFA-Künstlerinnen und -Künstler zur Auswahl.67 In den gesichteten Jahrgängen des Filmspiegels aus den 1950er-Jahren, also in insgesamt rund 100 Ausgaben des Publikumsmagazins, fanden sich aus dieser Zeit kaum eine Handvoll an Hinweisen der Redaktion auf Fil­ me aus der BRD oder den USA, die in den Kinos der DDR gezeigt wurden. Selbst der international ausgezeichnete Spielfilm Der Hauptmann von Köpe­ nick (Regie: Helmut Käutner) mit dem vielgelobten Hauptdarsteller Heinz Rühmann wurde faktisch nur im Bild und mit einigen Szenebeschreibun­

64 Ulbrich, Peter: Krieg gegen Kinder, in: Film und Fernsehen 6, Heft 8, 1978, S. 40– 42, hier S. 41. 65 Müller, André: Liebe und Zement, in: Der Filmspiegel 14, Heft 4, 1967, S. 19. 66 Müller, André: Kopfstand, in: Der Filmspiegel 14, Heft 10, 1967, S. 21. 67 Siehe etwa: Junge Welt, Jg. 11, 17.8.1957; Der Filmspiegel 11, Heft 1, 1964, S. 11–13; Der Filmspiegel 13, Heft 10, 1966. Ebenso bei Filmen, siehe etwa: Der Filmspiegel 31, Heft 6, 1984, S. 4 f.

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gen, aber keiner ausführlichen Rezension vorgestellt.68 Auf diese Weise ging auch die Zeitschrift Film und Fernsehen bis Ende der 1970er-Jahre mit Produktionen aus Westdeutschland und den Vereinigten Staaten um, bevor auch ‚unpolitische‘ Filme regelmäßiger zumindest in Kurzkritiken besprochen wurden. Nur in der Jungen Welt erhielt der Oscar-nominierte Hauptmann von Köpenick eine ausführliche und auch sehr positive Bespre­ chung – allerdings nicht ohne einen Seitenhieb: Der Film richte sich „gegen den Fetisch, den die Militaristen aus der Uniform machen“, so der Redakteur Hermann Kähler, und dies sei für Westdeutschland doch von einiger Aktualität, „weil man dort natürlich bemüht ist, den altpreu­ ßischen Fetisch wieder auf den Thron zu setzen, und der Soldat nicht fragen soll, wer sein General ist und wessen Interesse dieser Mann in der Uniform verkörpert“69. Die trotz dieser Ausnahmen vorherrschende generelle Abwesenheit insbesondere des westdeutschen Spielfilms in den Beiträgen ist bemerkenswert, da recht viele auch aktuelle Produktionen parallel in der DDR gezeigt wurden – wovon übrigens auch viele Leserzu­ schriften im Filmspiegel zeugten. Somit ergab sich eine fast absurde Kon­ stellation: Gleichermaßen positive wie negative Reaktionen von Zuschaue­ rinnen und Zuschauern westdeutscher Filme wurden in einer Zeitschrift veröffentlicht, die diese Produktionen in ihren redaktionellen Beiträgen weithin ignorierte. Von der Ignoranz ausgenommen waren seit jeher allerdings Filme aus dem westlichen Ausland, die im Systemkonflikt der Sichtweise der DDR entsprachen. Sie wurden durchaus ausführlich besprochen. Darunter z. B. Filme zu Skandalen der US-amerikanischen Politik wie der Watergate-Af­ färe70 sowie Produktionen, die die Rassendiskriminierung in den Vereinig­ ten Staaten thematisierten71 und jene, die Kriminalität und Wirtschaftsverbrechen, die Rolle des Militärs und der Sicherheitsdienste oder Sozial-

68 G. S.: Der Hauptmann von Köpenick, in: Der Filmspiegel 4, Heft 6, 1957. 69 Kähler, Hermann: Der Schuster und des „Kaisers Rock“. Heinz Rühmann als Hauptmann von Köpenick, in: Junge Welt, Jg. 11, 16.3.1957. 70 Hanisch, Michael: Der Dialog, in: Der Filmspiegel 22, Heft 1, 1975; Blum, Heiko R.: Bedroht durch Terror. Tendenzen neuer amerikanischer Filme, in: Film und Fernsehen 4, Heft 6, 1976, S. 44–46, hier S. 45; Netzeband, Günter: Notizen zu neuen Filmen, Die Unbestechlichen, in: Film und Fernsehen 4, Heft 10, 1976, S. 20. 71 Pietzsch, Ingeborg: Conack, in: Film und Fernsehen 5, Heft 7, 1977, S. 20; o. A.: Nichts als ein Mensch, in: Der Filmspiegel 11, Heft 22, 1964.

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bzw. Gesellschaftskritik zum Gegenstand hatten.72 Weiterhin beispielswei­ se das US-amerikanische Filmdrama Rain Man (Regie: Barry Levinson) mit Dustin Hoffman und Tom Cruise, als Zeugnis des Umganges mit Menschen mit Behinderungen in den USA73 oder auch Die verlorene Ehre der Katharina Blum (Regie: Volker Schlöndorff/ Margarethe von Trotta) als abschreckendes Beispiel für die westdeutsche Medienlandschaft74 sowie The Rose (Regie: Mark Rydell), worin das Leben eines ausgebrannten Rockstars nach zu viel Alkohol- und Drogenkonsum thematisiert wurde.75 Zudem eine ganze Reihe von Filmen mit dezidiert antifaschistischer oder kommunistischer Ausrichtung, die vor ihrer Aufführung in DDR-Kinos breiter besprochen wurden.76 Zu einem Film über die Widerstandsgruppe Weiße Rose aus dem Jahr kam sogar der westdeutsche Regisseur Michael Verhoeven in der Fachzeitschrift Film und Fernsehen mit einem Gastbeitrag zu Wort, was außergewöhnlich war.77 In ähnlich seltener Weise führte die Redaktion 1978 ein Interview mit den Dokumentarfilmern Hannes Karnick und Wolfgang Richter, die Gewerkschaftskämpfe und Arbeitslo­

72 Siehe etwa: Stahnke, Günter: Glücksritter. Ein mutiger westdeutscher Film, in: Junge Welt, Jg. 11, 7.9.1957; Voss, Margit: Nur der Tod als Alternative? in: Der Filmspiegel 21, Heft 25, 1974, S. 8; Schütt, Hans-Dieter: Tragödie eines einsamen Helden. „Serpico“ – ein bitterer Spielfilm aus den USA, in: Junge Welt, Jg. 32, 15.4.1978; Rother, Hans-Jörg: Der kleine Staatsanwalt, in: Film und Fernsehen 16, Heft 6, 1988, S. 35. 73 Schumacher, Renate: Die Reise der ungleichen Brüder, in: Film und Fernsehen 17, Heft 7, 1989, S. 14–16. Mit ähnlicher Thematik: Schütt, Hans-Dieter: Kuckucks­ nest? Wespennest“ Im Kino: „Einer flog übers Kuckucksnest“, ein US-amerikani­ scher Film mit Jack Nicholson, in: Junge Welt, Jg. 32, 15.11.1978. 74 Gersch, Wolfgang: Böll-Verfilmung als politisches Tageskino, in: Film und Fernse­ hen 4, Heft 10, 1976, S. 14 f.; Pietzsch, Ingeborg: Reflektion einer brutalen Realität – „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, in: Der Filmspiegel 23, Heft 21, 1976. 75 Pietzsch, Ingeborg: The Rose, in: Film und Fernsehen 10, Heft 11, 1982, S. 48. 76 Siehe etwa: Jelenski, Manfred: Grösse und Grenzen eines Films, in: Der Filmspiegel 11, Heft 1, 1964, S. 10; Sladeck, Eleonore: Julia, in: Film und Fernsehen 8, Heft 4, 1980, S. 11 f.; Claus, Peter: Messerscharfe Diagnose gegen das Vergessen. In unse­ ren Kinos: Sidney Lumets Film „Daniel“ (USA), in: Junge Welt, Jg. 40, 11.3.1986; Claus, Peter: Zärtliche Liebeserklärung an eine Außergewöhnliche. Neu im Kino: „Rosa Luxemburg“ – ein beeindruckender BRD-Film von Margarethe von Trotta. Gedanken zu dem persönlichen Porträt-Versuch über eine große Revolutionärin, in: Junge Welt, Jg. 40, 29.11.1986. 77 Verhoeven, Michael: Warum ein Film über die „Weiße Rose“?, in: Film und Fern­ sehen 13, Heft 4, 1985, S. 41.

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Abbildung 2: Filmbesprechung „Tootsie“ im „Filmspiegel“ 31, Heft 8, 1984, S. 28 f. sigkeit in der BRD zum Gegenstand einer ihrer Produktionen gemacht hatten.78 Zu diesen mit einer politischen Brille besprochenen Filmen müssen auch jene zählen, die von der Kritik wohlwollend aufgenommen wurden, aufgrund ihres heiklen Themas aber trotzdem nicht in den DDR-Kinos liefen. Zu nennen sind hier die jeweils seitenlangen Besprechungen des Antikriegsfilms Apocalypse Now (Regie: Francis Ford Coppola)79 und vom Atomkriegsdrama The Day After (Regie: Nicholas Meyer).80 Erst langsam erfolgte in den Filmzeitschriften eine ruhigere bzw. neu­ tralere Berichterstattung zu westdeutschen oder US-amerikanischen Pro­ duktionen, zumeist zu vermeintlich unpolitischen Filmen wie Liebesko­ mödien oder Action-Filmen, die in den DDR‑Kinos gezeigt wurden. Zu­

78 Hoff, Peter: Filme, die verändern sollen. Gespräche mit Hannes Karnick und Wolfgang Richter (BRD), in: Film und Fernsehen 6, Heft 9, 1978, S. 44–48. 79 Netzeband, Günter: „Apocalypse Now“ und das amerikanische Kino, in: Film und Fernsehen 8, Heft 1, 1980, S. 37–41. 80 Schumacher, Ernst: The Day After. Der Tag danach – “Atomschocker” oder mehr?, in: Film und Fernsehen 12, Heft 3, 1984, S. 36–39.

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nächst oft nur kurz und ohne ausführliche Filmbesprechung,81 spätestens aber ab Ende der 1970er-Jahre auch mit echter redaktioneller Aufmerksam­ keit.82 Eine Art Durchbruch scheint dabei die US-amerikanische TravestieKomödie Tootsie (Regie: Sydney Pollack) gebracht zu haben. Der Film mit Dustin Hoffman war ein außerordentlicher Publikumserfolg und wurde auch in den Zeitschriften prominent und lobend aufgegriffen (vgl. Abbil­ dung 2). Die Zeitschrift Film und Fernsehen beeilte sich zwar noch legiti­ mierend zu erklären, dass Pollack gern auch gesellschaftskritische Themen aufgreife,83 aber allein der Erfolg des Films im Filmspiegel84 zeugt davon, dass nach zögerlicher und ideologisierter Annäherung an den US‑amerika­ nischen und westdeutschen Film die Zeit gekommen war, auch in der DDR schlichtweg hingerissen von einer Produktion sein zu können. Je­ denfalls waren ausführliche Besprechungen von Filmen aus den USA und

81 Aus der Fülle: o. A.: Sonntag in New York, in: Der Filmspiegel 12, Heft 5, 1965, S. 14; o. A.: High Noon, in: Der Filmspiegel 12, Heft 11, 1965, S. 14; o. A.: Sparta­ cus, in: Der Filmspiegel 13, Heft 8, 1966; o. A.: In 80 Tagen um die Welt, in: Der Filmspiegel 13, Heft 14, 1966, S. 14; o. A.: Ganz Paris träumt von der Liebe, in: Junge Welt, Jg. 23, 2..8.1969; o. A.: Sherlock Holmes und das Halsband des Todes, in: Der Filmspiegel 14, Heft 24, 1967, S. 14; o. A.: Cabaret, in: Der Filmspiegel 22, Heft 10, 1975, S. 15; o. A.: Tanja Baskin – Anruf genügt, in: Der Filmspiegel 22, Heft 26, 1975; Lange, Wolfgang: Zandy’s Braut, in: Film und Fernsehen 5, Heft 12, 1977, S. 37; Prochnow, Christoph: Strasse der Gewalt, in: Film und Fernsehen 7, Heft 1, 1979, S. 48; Lange, Wolfgang: Fame – Der Weg zum Ruhm, in: Film und Fernsehen 12, Heft 11, 1984, S. 35. 82 Mit einer ausführlicheren Filmkritik siehe etwa: Voss, Margit: Grundmuster ge­ fragt – Anleihen beim alten Hollywood, in: Der Filmspiegel 24, Heft 13, 1977, S. 9; Schütt, Hans-Dieter: Freibeuter der Meere und eine Sonate am See. Blick auf Ki­ no-Importe 1978, in: Junge Welt, 32, 11.1.1978; o. A.: Fame, in: Der Filmspiegel 31, Heft 5, 1984, S. 28 f.; o. A.: Rettender Sprung ins Tuch der Feuerwehr. Schmack­ hafter Sommer-Kino-Bonbon: Die Frau in Rot (USA), in: Junge Welt, Jg. 40, 8.8.1986; Claus, Peter: Weil Julius die Liebe im Büro so heftig liebt. Neu im Kino: „Männer“, eine Unterhaltung aus der BRD, in: Junge Welt, Jg. 40, 17.10.1986. 83 Peitzsch, Ingeborg: Tootsie, in: Film und Fernsehen 12, Heft 12, 1984, S. 32. Auch die Junge Welt erklärte Pollack zum Gegenmodell zum Klischee von Hollywood als Traumfabrik und führte sogar ein seltenes Interview mit ihm, siehe: Stoff, Joachim: Filme jenseits der Traumfabrik. Am Montag erhielt Sidney Pollack (USA) den „Oscar“ – JW sprach mit dem Regisseur, in: Junge Welt, Jg. 40, 26.3.1986. 84 Siehe auch: Voss, Margit: Tootsie, in: Der Filmspiegel 31, Heft 14, 1984, S. 14; Ha­ nisch, Michael: Sydney Pollack. Ein Liberaler in Hollywood, in: Der Filmspiegel 31, Heft 14, 1984, S. 22 f.; Linke, Marlies: Dustin Hoffmann, in: Der Filmspiegel 31, Heft 16, 1984, S. 28 f.

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der BRD ohne politische Implikation in den 1980er-Jahren verbreitet in allen Publikationen zu finden.85 Parallel dazu entwickelte sich ein gewisser Star-Kult, dem man sich nicht entziehen konnte. Bis in die 1970er-Jahre wurden auf Covern und in kleineren Miszellen fast ausschließlich DEFA-Schauspielerinnen und -Schauspieler sowie ihre Kolleginnen und Kollegen aus sozialistischen Län­ dern gezeigt und porträtiert; etwas seltener, aber schon früher dazu auch französische und italienische Filmstars. Ausnahmen wurden praktisch analog zu den politisierten Filmen gemacht. Entsprechend wurden also Schauspielerinnen und Schauspieler gezeigt, die sich kritisch zum kapita­ listischen System verhielten oder z. B. gegen den Vietnam‑Krieg eintraten bzw. in Filmen mitspielten, die dies thematisierten.86 Ein eindrückliches Beispiel dafür ist die äußerst positive Berichterstat­ tung über die US‑amerikanische Schauspielerin Jane Fonda aufgrund ihrer Kritik am Vietnam‑Krieg im Filmspiegel aus dem Jahr 1974 (vgl. Abbildung 3).87 Weiterhin tauchten westliche Stars auf, wenn sie sich positiv über die DDR äußerten. So durfte z. B. der westdeutsche Schauspieler Dieter Bor­ sche, den der Film‑Redakteur der Zeitung wohl zufällig im Babylon traf, in der Jungen Welt lobend über eine jüngst angesehene DEFA-Produktion sprechen.88

85 Siehe etwa: Schütt, Hans-Dieter: Lebensbilder der (glücks-)strähnigen Frohnatur – OTTO. Jetzt in unseren Kinos zu sehen: Otto – der Film, in: Junge Welt, Jg. 40, 27.7.1986. 86 Siehe etwa ein Interview mit Hildegard Knef zu Die Mörder sind unter uns (Regie: Wolfgang Staudte), in: Junge Welt, Jg. 23, 25.7.1969. 87 Zimmerling, Margot: Mein Film kostet weniger als eine Bombe, in: Der Filmspie­ gel 21, Heft 26, 1974. 88 O. A.: Dieter Borsche über „Berlin – Ecke Schönhauser“, in: Junge Welt, Jg. 11, 13.9.1957.

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Abbildung 3: Starporträt von Jane Fonda im „Filmspiegel“ 21, Heft 26, 1974. Reine Star-Berichterstattung erhielten die erfolgreichen West‑Schauspiele­ rinnen und ‑Schauspieler in der DDR zunächst nicht. Zu den wenigen Ausnahmen gehörten westdeutsche Berühmtheiten, z. B. Romy Schnei­ der,89 Liselotte Pulver90 und Heinz Rühmann.91 Erst 1967 schaffte es Au­ drey Hepburn als Eliza Doolittle in My Fair Lady (Regie: George Cukor) auf das Cover des Filmspiegels92 und in der Zeitschrift Film und Fernsehen wurde 1980 mit Marilyn Monroe überhaupt die erste US‑Schauspielerin auf dem Cover gezeigt, allerdings ohne begleitenden Artikel.93 Dies ging einher mit einer Entwicklung, bei der sich in den Zeitschrif­ ten ab Mitte der 1960er‑Jahre bis in die 1970er‑Jahre die Star-Berichterstat­ tung langsam von der Filmberichterstattung löste, weshalb auch öfters

89 Limpinen, Dagmar: Lieblinge des Publikums. Romy Schneider, in: Junge Welt, Jg. 11, 17.1.1957. 90 Cover des Filmspiegels 11, Heft 19, 1964. Zudem im Porträt: Limpinen, Dagmar: Liselotte Pulver, in: Junge Welt, Jg. 11, 19.9.1957. 91 Cover des Filmspiegels 4, Heft 6, 1956. 92 Cover des Filmspiegels 14, Heft 25, 1967. Diese Aussage steht unter Vorbehalt, da nicht alle Zeitschriftenausgaben des Filmspiegels lückenlos gesichtet werden konnten. 93 Cover der Zeitschrift Film und Fernsehen, Heft 4, 1980.

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kürzere Texte über Lebensereignisse etc. erschienen. Zunächst nur mit bio­ graphischen Angaben und einer Filmographie,94 später auch mit kleinen Geschichten aus dem Leben der Berühmtheiten, nicht mehr allzu spötti­ schen und größeren Porträts oder unverfänglichen Interviews.95 Ähnliches galt für Regisseure wie Steven Spielberg.96 Bis Ende der 1970er‑Jahre hatte sich der Umgang mit den westdeutschen und US‑amerikanischen Stars allmählich neutralisiert. In der ersten Farbausgabe des Filmspiegels 1977 zeigte auch gleich das erste Farbposter den amerikanischen Schauspieler Robert Redford.97 Abschließend sei noch auf das Verhältnis des Publikums zum Westfilm eingegangen. Grundsätzlich ist vor allem für die frühen Jahre eine hohe Nachfrage an Produktionen aus dem kapitalistischen Ausland festzustel­ len, wobei der Westfilm als Ergänzung zum Programm und zur Abwechs­ lung im Spielplan hervortrat, ohne dass ihm prinzipiell eine höhere Qua­ lität unterstellt wurde.98 1957 schrieb Erich S. dazu im Filmspiegel, die Auswahl der Filme sei im vergangenen Jahr äußerst vielseitig geworden: „Mag dies oder jenes auch nicht nach dem Geschmack jedes einzel­ nen sein, wesentlich ist, daß Filme aus fast allen Ländern bei uns gezeigt werden und daß es meist eine gute Auswahl ist, die unsere Filmeinkäufer treffen. Diese Tatsache ist besonders für Berlin wichtig; denn galt früher noch das Argument ‚ich gehe nach Westberlin ins

94 Siehe etwa: o. A.: Hepburn, Audrey, in: Der Filmspiegel 12, Heft 2, 1965, S. 20; o. A.: Henry Fonda, in: Der Filmspiegel 14, Heft 3, 1967; o. A.: Audrey Hepburn, in: Der Filmspiegel 14, Heft 24, 1967, S. 16; o. A.: Senta Berger, in: Der Filmspiegel 23, Heft 17, 1976, S. 16. 95 Siehe etwa: Knietzsch, Horst: Schwefelsäure, in: Der Filmspiegel 21, Heft 19, 1974, S. 20 (zu Romy Schneider); Knietzsch, Horst: Kurz belichtet, in: Der Filmspiegel 23, Heft 12, 1976 (zu Marilyn Monroe); o. A.: Barbara Streisand, in: Der Filmspie­ gel 24, Heft 7, 1977, S. 20 f; o. A.: Kirk Douglas, in: Der Filmspiegel 24, Heft 21, 1977; Maaß, Joachim: Barbara Streisand, in: Der Filmspiegel 31, Heft 13, 1984, S. 28 f.; Al-Janabi, Christiane: Marlon Brando. Der Rebell von Hollywood, in: Der Filmspiegel 32, Heft 6, 1985, S. 12 f.; o. A.: Otto – ein geordnetes Chaos mit fröhli­ chem roten Faden, Interview, in: Junge Welt, Jg. 40, 28.7.1986; Al-Janabi, Christia­ ne: Liselotte Pulver, in: Der Filmspiegel 33, Heft 25,1986, S. 8 f. 96 Hanisch, Michael: Hollywoods neues Wunderkind. Steven Spielberg, in: Der Filmspiegel 32, Heft 1, 1985, S. 26 f. 97 Vgl. hierzu: Der Filmspiegel 24, Heft 20, 1977. 98 Siehe etwa: Irma W./ Christa N.: Leserbrief, in: Der Filmspiegel 2, Heft 10, 1955, S. 10; Eberhard L.: Leserbrief, in: Der Filmspiegel 2, Heft 10, 1955, S. 10.

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Kino, weil ich auch einen Einblick in das Filmschaffen anderer Länder bekommen will‘, so trifft das heute auf keinen Fall mehr zu.“99 Das Publikum nahm die Filme aus dem Ausland scheinbar ebenso an wie die heimischen Produktionen und besprach sie in ihren Leserbriefen un­ aufgeregt – einiges gefiel, anderes nicht, wie bei allen übrigen Angeboten. Bei Filmen, die politisch gesehen werden konnten, wurde zum Teil auch in den Leserbriefen konform zur Ideologie der DDR-Führung auf diese Aspekte aufmerksam gemacht. So schrieb etwa Winfried L. aus Berlin zum amerikanischen Film Wer den Wind sät ..., Regisseur Stanley Kramer habe mit Prägnanz und Einfühlungsvermögen ein Problem dargestellt, „das auch heute noch im Zeichen des Rassenwahns in den USA brennend aktuell“100 sei. Ähnliche Eingaben gab es z. B. auch für Filme über den Vietnam‑Krieg.101 Aufgrund der Auswahl der staatlichen Einkäufer domi­ nierten allerdings leichtere Filme das Programm des westlichen Films, was oftmals besonders positiv aufgenommen wurde.102 Zur Unaufgeregtheit des Publikums gegenüber diesen Streifen gehörte auch, dass Leserinnen und Leser öfters die Redaktionen baten, dem ein oder anderem Star mehr Aufmerksamkeit zu widmen, was zum Teil auch geschah.103 Nicht sehr häufig, aber dann ausführlich, druckte der Filmspiegel aber auch Zuschriften von Leserinnen und Lesern, die sich dezidiert kritisch mit dem Westfilm befassten. 1955 war darunter sogar eine Zuschrift aus Westdeutschland von Richard B., der die westlichen Komödien gering­ schätzte und im Gegenzug die Lustspiele aus der Sowjetunion lobte.104 Die kritische Befassung mit dem Westfilm in den Leserbriefen bezog sich überwiegend auf dessen fehlende Tiefe, Albernheiten und Kitsch.105 Zu oft würden extrem seichte Filme gezeigt, monierte etwa 1957 Hans T. Es sei 99 Erich S.: Leserbrief, in: Der Filmspiegel 4, Heft 20, 1957, S. 10. 100 Winfried L.: Leserbrief, in: Der Filmspiegel 12, Heft 6, 1965, S. 14. 101 Hubert H.: Ein heldenhafter Sohn, Leserbrief, in: Der Filmspiegel 14, Heft 1, 1967, S. 14; Ulrich K.: Enthüllend..., Leserbrief, in: Der Filmspiegel 14, Heft 2, 1967, S. 19. 102 Siehe etwa: Siegfried S.: Leserbrief, in: Der Filmspiegel 12, Heft 9, 1965, S. 14; El­ ke S.: Schmunzeln – lachen – nachdenken, Leserbrief, in: Der Filmspiegel 12, Heft 12, 1965, S. 16; Peter S.: Der Graf von Monte Christo, Leserbrief, in: Der Film­ spiegel 24, Heft 4, 1977, S. 17. 103 Z. B. zu Romy Schneider: Renate T.: Leserbrief, in: Der Filmspiegel 2, Heft 5, 1955, S. 10 sowie im Filmspiegel 23, Heft 18, 1976, S. 19. 104 Richard B.: Leserbrief, in: Der Filmspiegel 2, Heft 19, 1955, S. 10. 105 Siehe etwa: Günther W.: Leserbrief, in: Der Filmspiegel 3, Heft 19, 1956, S. 10; Heinz M.: Leserbrief, in: Der Filmspiegel 3, Heft 23, 1956, S. 10; Richard B.: Stark übertriebene Erotik, Leserbrief, in: Der Filmspiegel 12, Heft 24, 1965, S. 16.

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ihm unerklärlich, was sich die Abnahmekommission bei der Zustimmung zu manchen Lustspielen denke: „Wenn damit demonstriert werden soll, wieviel Kitsch es auf dem westlichen Filmmarkt gibt, so ist uns der Preis dafür zu hoch. Wert­ volle Devisen werden verschleudert und was genauso schlimm ist, wir drücken damit den Publikumsgeschmack wieder in die tiefsten Tiefen“106, beklagte sich der Leser des Filmspiegels. Die Kritik richtete sich somit nicht ausdrücklich gegen den westlichen Film per se, sondern gegen die leichten (unpolitischen) Streifen, die es in die DDR schafften. Insgesamt kann aber festgehalten werden, dass sich das komplizierte Verhältnis der Redaktio­ nen zum Film aus den USA und der BRD nicht in gleicher Weise in den veröffentlichten Leserbriefen zeigte. Hier dominierte eine Gelassenheit im Umgang mit dem zunehmend populärer werdenden Westfilm als Teil eines vielfältigen Angebots an Kultur und Unterhaltung im DDR-Kino. Fazit Es ist deutlich geworden, dass die Rezeptionsforschung des Kinos in der DDR oft unter der Frage des Zuschnitts leidet. Gerät der Fokus zu eng – z. B. durch den Blick auf einen einzelnen Film –, so ist das verfügbare Material über die Publikumsrezeption meist so gering, dass keine allgemei­ ne Aussage getroffen werden kann. Ist der Fokus aber zu weit – etwa bei der Frage nach der Bedeutung des Kinos für den Alltag der Menschen –, verlieren sich einzelne Erinnerungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeu­ gen angesichts der epochalen Veränderungen, der künstlerischen Entwick­ lung und der unterschiedlichen Lebensverhältnisse der Menschen in der Bedeutungslosigkeit. Hinzu kommt eine sehr lückenhafte Überlieferung, wenn es um belastbare Zuschauerzahlen und die Rezeption durch das gemeine Publikum geht. Dennoch lassen sich einige Tendenzen festhalten: Der Kinobesuch verlor für die Bürgerinnen und Bürger im Laufe der Jahrzehnte offenbar an Bedeutung, was wohl einer Ausdifferenzierung der Gesellschaft und einem insgesamt breiteren Freizeitangebot (Fernsehen, Musik, Motorsport etc.) geschuldet war. Das Publikum suchte im Kino vor allem Unterhaltung und Zerstreuung, was kaum mit dem staatlichen Anspruch in Einklang zu bringen war, dass die Filme in erster Linie

106 Hans T.: Leserbrief, in: Der Filmspiegel 4, Heft 18, 1957, S. 10.

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einen Bildungsauftrag erfüllen sollten. DEFA-Produktionen konnten sich auf lange Sicht nicht gegen die populäre Konkurrenz durchsetzen. Diese stammte zunehmend auch aus dem westlichen Ausland. Wenngleich echte Hollywood-Blockbuster nie in der DDR zur Aufführung kamen, fand eine allmähliche unaufgeregtere Befassung mit den westlichen Produktionen statt, befördert durch einen gewissen Star-Kult, den sich insbesondere die Filmzeitschriften nicht entziehen konnten. Das Publikum verlangte nach Unterhaltung und ließ sich vor allem in späteren Jahrzehnten kaum darauf ein, sich beim Kinobesuch in der wertvollen Freizeit dem Systemkonflikt zu stellen.

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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Film und Fernsehen 6, Heft 8, 1978, S. 40. Abbildung 2: Der Filmspiegel 31, Heft 8, 1984, S. 28 f. Abbildung 3: Der Filmspiegel 21, Heft 26, 1974.

Quellenverzeichnis Tageszeitung Junge Welt, Jg. 1957, 1969, 1978, 1986. Zeitschrift film, Jg. 1964–1986. Zeitschrift Film und Fernsehen, Jg. 1974–1989. Zeitschrift Der Filmspiegel, Jg. 1954–1957, 1964–1967, 1974–1977, 1984–1987.

Literaturverzeichnis Bisky, Lothar/Wiedemann, Dieter: Weniger Kinobesucher, mehr Filmzuschauer. Spielfilmrezeption aus soziologischer Sicher, in: Film und Fernsehen 7, Heft 4, 1979, S. 28–31. Bisky, Lothar/Wiedemann, Dieter: Zu Zusammenhängen zwischen Filmerwartungen und Filmrezeption Jugendlicher. Untersucht am Beispiel der Spielfilme „Mama, ich lebe“ und „Die unverbesserliche Barbara“. Kurzfassung zum Forschungsbericht, Leip­ zig 1978. Blunk, Harry/Jungnickel, Dirk (Hrsg.): Filmland DDR. Ein Reader zu Geschichte, Funktion und Wirkung der DEFA, Köln 1990. Finke, Klaus: Politik und Film in der DDR, 2 Teilbände, Oldenburg 2007. Harhausen, Ralf: Alltagsfilm in der DDR. Die „Nouvelle Vague“ der DEFA, Dissertati­ on Universität Oldenburg 2006, Marburg 2007. Hindemith, Bettina: Der DEFA-Spielfilm und seine Kritik. Probleme und Tenden­ zen, in: Harry Blunk/Dirk Jungnickel (Hrsg.): Filmland DDR. Ein Reader zu Ge­ schichte, Funktion und Wirkung der DEFA, Köln 1990, S. 27-46. Karl, Lars: „Von Helden und Menschen...“ Der Zweite Weltkrieg im sowjetischen Spiel­ film und dessen Rezeption in der DDR, 1945–1965, Dissertation Eberhard-KarlsUniversität Tübingen 2002. Kötzing, Andreas: Vom Mythos der Allmacht – Die Darstellung der Staatssicher­ heit im DDR-Spielfilm der 1960er Jahre, in: Totalitarismus und Demokratie 11, 2014, S. 279–291. Kuschel, Franziska: Schwarzhörer, Schwarzseher und heimliche Leser. Die DDR und die Westmedien, Göttingen 2016. Lemke, Michael: Vor der Mauer. Berlin in der Ost-West-Konkurrenz 1948 bis 1961, Köln/Weimar/Wien 2011, S. 483–509.

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Zwischen Unterhaltung und Systemkonflikt Meyen, Michael: Denver Clan und Neues Deutschland. Mediennutzung in der DDR, Berlin 2003. Meyen, Michael: Hauptsache Unterhaltung. Mediennutzung und Medienbewertung in Deutschland in den 50er Jahren, Münster 2001. Michalski, Jens: ... und nächstes Jahr wie jedes Jahr. Kinogeschichte Kreis Döbeln 1945– 1990. DAS Beispiel für das Lichtspielwesen der SBZ/DDR, Berlin 2003. Piatkowska, Kinga: Das Kino der VRP im DDR-Alltag. Die Rezeption polnischer, im Lichtspielwesen der Deutschen Demokratischen Republik verliehener Spielfilme, auf der Grundlage der Analyse von Presserezensionen aus den Jahren 1949–1990, Disser­ tation Humboldt-Universität zu Berlin 2011. Prommer, Elizabeth: Kinobesuch im Lebenslauf. Eine historische und medienbiographi­ sche Studie, Konstanz 1999. Prommer, Elizabeth/Räder, Andy: Kinogrenzgänger im geteilten Deutschland (1949–1961). Filmgeschmack, Nutzung und Motive des Filmbesuchs, in: Micha­ el Wedel/Evan Torner/Barton Byg/Skyler Arndt-Briggs/Andy Räder (Hrsg.): DE­ FA international. Grenzüberschreitende Filmbeziehungen vor und nach dem Mauer­ bau, Wiesbaden 2013, S. 131–147. Rutzen, Felix: Film als Spiegel gesellschaftlicher Konflikte in der DDR. Audio-visuelle Intention und Presse-Rezeption des Spielfilms „Insel der Schwäne“, München 2011. Seibold, Alexander: Katholische Filmarbeit in der DDR. „Wir haben eine gewisse Pfiffigkeit uns angenommen“, Dissertation Universität Gießen 2002, Münster 2003.

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Das Kino in der DDR Eine nicht nur subjektive Betrachtung Dieter Wiedemann

„Und das Rundkino! Hier verbrachte ich viel Zeit. […] Ich schlich mich bestimmt zehnmal in Einer flog über das Kuckucksnest, den ich wegen der Altersbeschränkung gar nicht hätte sehen dürfen. Vielleicht zwanzigmal sah ich Der elektrische Reiter mit Jane Fonda und Robert Redford. Ebenso oft Geschichten aus dem Wiener Wald, ein Film von Maximilian Schell nach einem Theaterstück von Öden von Horváth […]. Dann natürlich jede Menge sowjetische Filme, die im Westen kaum bekannt sind, was ich schade finde. Unvollendetes Stück für ein mechanisches Klavier von Nikita Michalkov, Die unglaubwürdigen Aben­ teuer der Italiener in Russland mit dem großartigen Andrej Mironow, Das Zigeunerlager zieht in den Himmel von Emil Loteanu. Auch alle Tar­ kowski-Filme, die liefen aber nur kurze Zeit und auf der kleineren Stu­ diobühne. Nach dem Film Leuchte, mein Stern, leuchte von Alexander Mitta beschloss ich im Dunkel des Zuschauerraums, Schauspieler zu werden […]. Ich war überzeugt, ich lernte durch Musikhören und Filmegucken mehr fürs Leben als in der Schule.“1 So radikal hätte ich mein Leben mit Film und Kino sicher nicht formu­ liert. Aufgewachsen in einer südthüringischen Kleinstadt, gehörte in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre der sonntägliche Besuch von Kinderfilmen zu einem festen Wochenendritual: Erst dienten mein Bruder und ich als Ministranten in der Frühmesse und anschließend durften wir vor dem zumeist von unserer Oma gekochten Mittagessen ins Kino gehen. In mei­ ner Erinnerung waren es zumeist Kinderfilme der Deutschen Film AG (DEFA), aus der Sowjetunion und der Tschechoslowakei (ČSR), die uns in den Suhler Kinos angeboten wurden. In die Koproduktionen der DEFA mit Frankreich, die Ende der 1950er-Jahre in die Kinos der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) kamen, duften wir leider noch nicht gehen. Seit Beginn der 1950er-Jahre wurde das Fernsehen sowohl im Osten als auch im Westen zunehmend populärer, es war aber immer noch kein 1 Liefers, Jan Josef: Soundtrack meiner Kindheit, Hamburg 2009, S. 33 f.

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Massenmedium, das die audiovisuelle Dominanz des Kinos infrage stellen konnte.2 Kino und Filme zur politisch-ideologischen Erziehung in der Schule In meiner Erinnerung sahen wir vorrangig Kinderfilme aus der UdSSR, der ČSR und solche der DEFA. Ich erinnere mich an Das kalte Herz (Regie: Paul Verhoeven/Wolf von Gordon, DEFA 1950), den ich sicher erst Mitte/ Ende der 1950er-Jahre gesehen habe. Die Geschichte vom kleinen Muck (Re­ gie: Wolfgang Staudte, DEFA 1953) und Timur und sein Trupp (Regie: Alexander Rasumnij, Sojusfilm 1940) reihen sich in diese Liste ein. Als meine Freunde und ich zu dieser Zeit die DEFA-Filme wie z. B. Das singen­ de, klingende Bäumchen (Regie: Francesco Stefani, DEFA 1957) oder Das Feuerzeug (Regie: Siegfried Hartmann, DEFA 1959) sahen, ahnten wir nichts von den ideologischen Kontroversen in der DDR um diese und ähn­ liche Filme;3 wenn uns etwas im Kino nicht gefiel, langweilten wir uns einfach. Unser Leben in der Kleinstadt war von unseren Familien, der Schule, der Kirche (zumeist evangelisch, ich katholisch) und dem Kino be­ stimmt, die ‚große Politik‘ hatte uns zuletzt am 17. Juni 1953 direkt er­ reicht. Da die Filme in der DDR auch ihren Beitrag zur politisch-ideologischen Erziehung der nachwachsenden Generation leisten sollten, gehörten obli­ gatorische Kinobesuche von allen Schülerinnen und Schülern einer Schu­ le zum Standard der politisch-kulturellen Erziehung. Ich erinnere mich an eine Aufführung des Films Das Lied der Matrosen (Regie: Kurt Maet­ zig/Günter Reisch, DEFA 1958), den ich als etwa 13-Jähriger mit meinen Mitschülerinnen und Mitschülern zwischen zehn und 14 Jahren gesehen habe. Nach der Vorführung sparte ich nicht mit Kritik und sagte zu mei­ ner damaligen Klassenlehrerin, dass ich Zehnjährige deutlich zu jung für

2 Noch heute erinnere ich mich, dass wir am Ende der 1950er-Jahre manchmal bei einer Freundin meiner Eltern einen Rosenmontagsumzug vor einem TV-Gerät sehen konnten, das von den Ausmaßen her einer Kommode ähnelte, dessen Bild­ schirm aber eher die Maße eines unserer Kinderbücher hatte. Mein Bruder und ich saßen in der Regel direkt vor dem Bildschirm und versprachen, in der Schule nichts davon zu erzählen. 3 Vgl. hierzu u. a. Wiedemann, Dieter: Es war einmal… Märchenfilme in der Bun­ desrepublik Deutschland und in der BRD, in: Ute Dietmar/Claudia Marie Pecher/Ron Schlesinger (Hrsg.): Märchen im Medienwechsel. Zur Geschichte und Ge­ genwart des Märchenfilms, Stuttgart 2017, S. 179–228.

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diesen Film hielte.4 Ich wurde daraufhin zum Schuldirektor bestellt, der mich für diese Bemerkung tadelte, weil eine politisch-ideologische Erzie­ hung bereits in der Kindheit beginnen müsse, was ich doch als Mitglied der Jungen Pioniere und Kandidat für die Erweiterte Oberschule (EOS) nicht vergessen sollte. In den 1960er-Jahren, insbesondere nach dem Mauerbau und dem poli­ tisch gewollten Kampf gegen das sogenannte Westfernsehen, wurden die Kinos der DDR eine Zeitlang zur einzigen Möglichkeit, etwas audiovisuell von der ‚großen weiten Welt‘ zu erfahren. Natürlich gab es noch die Literatur und das Theater. In unserer EOS-Klasse waren z. B. Max Frisch, aber auch Bertolt Brecht und Wladimir Majakowski angesagt. Mauerbau und das DDR-Kino der1960er-Jahre Mit dem beginnenden Bau der Mauer 1961 wurden auch die Kinos in der DDR und die Filmproduktionen der DEFA nachhaltig beeinflusst. „Viele Künstler sahen die Errichtung der Mauer zunächst nicht nur negativ, sondern auch als eine Chance für ihr eigenes Schaffen. Sie glaubten, die Partei würde nun Reformen und Diskussionen zulassen, die sie bisher mit der Begründung verweigert hatte, bei offenen Gren­ zen würde dies der Gegner ausnutzen.“5 Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) machte allerdings sehr bald unmissverständlich deutlich, dass sie diese erhofften Chancen keinesfalls dulden würde. „Gegen die Zementierung der Grenzen zwischen dem freien Westen und dem kommunistischen Osten wurde zwar von westlicher Seite halbherzig protestiert, eine bewaffnete oder auch nur wirtschaftliche Auseinandersetzung, wie später in anderen Krisenregionen, wurde aber offenbar nicht ins Kalkül gezogen […]. Den freiwillig, zufällig oder unfreiwillig innerhalb des ‚antifaschistischen Schutzwalls‘ – so lautete die ideologisch nicht unwirksame Verbrämung der Berliner

4 Vielleicht war dies auch der Auslöser für meine späteren medienpädagogischen Ambitionen? 5 Schittly, Dagmar: Zwischen Regie und Regime. Die Filmpolitik der SED im Spiegel der DEFA-Produktionen, Berlin 2002, S. 104.

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Mauer – gebliebenen Bürgern blieb nur das Arrangement mit den nun uneingeschränkt herrschenden SED-Politikern.“6 Die Kinos und die Filmproduktion in der DDR reagierten zeitlich verzö­ gert auf den Mauerbau: In den Kinos war zunächst nur Unterhaltung angesagt, mit Filmen wie z. B. Das Appartement (Regie: Billy Wilder, USA 1960, in den DDR-Kinos 1963), Die glorreichen Sieben (Regie: John Sturges, USA 1960, in der DDR 1963)7, Wer den Wind sät (Regie: Stanley Kramer, USA 1959, in der DDR 1965), aber auch Das Urteil von Nürnberg (Regie: Stanley Kramer, USA 1961, in der DDR 1963) und Nimm nichts Süßes von Fremden (Regie: Cyril Frankel, USA 1959, in der DDR 1963). Aus der BRD kamen u. a. Das Spukschloss im Spessart (Regie: Kurt Hoffmann, BRD 1960), Dr. Crippen lebt (Regie: Erich Engels, BRD 1958), Agatha, lass das Morden sein! (Regie: Dietrich Haugk, BRD 1960) und Der letzte Zeuge (Regie: Wolfgang Staudte, BRD 1960); aus Italien und Frankreich u. a. La Strada (Regie Federico Fellini, Italien 1954), Das Gänseblümchen wird entblättert (Regie: Marc Allégret, Frankreich 1956) und aus Großbritannien u. a. Bitterer Honig (Regie: Tony Richardson, Großbritannien 1961). Die nun ‚eingeschlossene Gesellschaft‘ sollte zumindest im Kino an der großen weiten Welt teilhaben können. „Die DEFA ‚belohnte‘ die ‚Dagebliebenen‘ zunächst mit durchaus gut gemachten Unterhaltungsfilmen und brachte Filme wie Auf der Sonnenseite (Regie: Ralf Kirsten, 1962) mit Manfred Krug und Jazzmu­ sik in die Kinos. Später folgten weitere Filme, die den ‚gewachsenen Unterhaltungsbedürfnissen der Werktätigen‘ und insbesondere denen der jungen Leute gerecht werden sollten. So z. B. Revue um Mitter­ nacht und Mir nach, Canaillen! (Regie: jeweils Gottfried Kolditz, 1962 und 1964). Auch in diesen beiden Filmen spielte Manfred Krug die Hauptrolle, der damit zu einem Filmstar für die jungen Kinogänger wurde (er spielte zwischen 1962 und 1964 in sieben Spielfilmen fast ausschließlich Hauptrollen). Es gab aber auch Versuche einer etwas kritischeren Auseinandersetzung mit der DDR-Realität, so in: Die Glatzkopfbande (Regie: Richard Groschopp, 1963), Beschreibung eines Sommers (Regie: Ralf Kirsten, 1963), Karbid und Sauerampfer (Regie: 6 Wiedemann, Dieter: Lebenswelten und Alltagswissen, in: Christoff Führ/Carl-Lud­ wig Furck (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band VI. 1945 bis zur Gegenwart. Zweiter Teilband: Deutsche Demokratische Republik und neue Bundeslän­ der, München 1998, S. 69–100, hier S. 83. 7 Diesen Film habe ich mit Schulfreundinnen und -freunden auf einem Zeltplatzki­ no an der Ostsee gesehen und war begeistert.

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Frank Beyer, 1963) oder in Der geteilte Himmel (Regie: Konrad Wolf, 1964). Zu den größten DEFA-Erfolgen gehörten außerdem Frank Bey­ ers Nackt unter Wölfen (1963) und Joachim Kunerts Die Abenteuer des Werner Holt (1965).“8 Der geteilte Himmel war der erste Spielfilm, der sich mit dem nun durch eine Mauer geteilten Deutschland und den Folgen für seine Bürgerinnen und Bürger auseinandersetzte.9 1965 wurde jedoch die durch den Mauer­ bau von einigen Künstlerinnen und Künstlern erhoffte größere Freiheit für künstlerische Experimente und Projekte durch die SED auf dem berüchtig­ ten 11. Plenum für lange Zeit gestoppt, wie der folgende Ausschnitt aus der Rede von Erich Honecker zeigt: „Unsere Partei tritt entschieden gegen die von den Imperialisten be­ triebene Unmoral auf, die das Ziel verfolgt, dem Sozialismus Schaden zuzufügen. […] In den letzten Monaten gab es einige Vorfälle, die unsere besondere Aufmerksamkeit erforderten. […] Hier zeigt sich wiederum der negative Einfluß von Westfernsehen und Westrundfunk auf Teile unserer Bevölkerung. […] Es häuften sich in letzter Zeit auch in Sendungen des Fernsehfunks, in Filmen und Zeitschriften antihumanistische Darstellungen, Brutalitäten werden geschildert, das menschliche Handeln auf sexuelle Triebhaftigkeit reduziert. Den Er­ scheinungen der amerikanischen Unmoral und Dekadenz wird nicht offen entgegengetreten.“10 Die Konsequenzen dieses Plenums habe ich Wochen später hautnah ge­ spürt, ich arbeitete im Kreiskulturhaus in Suhl und war dort für Jugend­ veranstaltungen zuständig: Mein Plan für einen Keller-Jugendklub wurde ebenso gestrichen wie mein Engagement für die sogenannten Beatgrup­ pen, die mit englischen Texten die jungen Leute in meinem Heimatort begeisterten. Gleichzeitig konnte ich aber wichtige Inszenierungen des Meininger Theaters und auch einige Gastspiele prominenter Künstlerin­ nen und Künstler, wie z. B. Marcel Marceau und Manfred Krug, erleben. Im Kino konnte ich u. a. Wir Wunderkinder (Regie: Kurt Hoffmann, BRD 1958), Zwölf Uhr mittags (Regie: Fred Zinnemann, USA 1952), Das Lamm (Regie: Wolfgang Staudte, BRD 1964) und Sie tanzte nur einen Sommer (Regie: Arne Mattsson, Schweden 1951) sehen. Es waren also in der Regel

8 Wiedemann: Lebenswelten und Alltagswissen, S. 84. 9 Vgl. hierzu Schittly: Zwischen Regie und Regime, S. 125–127. 10 Bericht des Politbüros an das 11. Plenum des Zentralkomitees der SED, Dezem­ ber 1965, zitiert nach Wiedemann: Lebenswelten und Alltagswissen, S. 86.

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keine aktuellen Filmproduktionen aus dem Westen, die in die DDR-Kinos kamen. Im Gedächtnis geblieben sind mir allerdings auch Filme von und mit Wassili Schukschin, einem sowjetischen Autor, dessen Bücher und Filme mich lange begleitet haben, insbesondere Kalina Krassnaja aus dem Jahr 1974, in dem er die Hauptrolle spielte und Regie führte.

Abbildung 1: Auszug aus dem Progress-Filmblatt zur DEFA-Produktion „Der geteilte Himmel“ (Quelle: © DEFA-Stiftung).

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1967 wurde ich an der renommierten Theaterhochschule Hans Otto in Leipzig immatrikuliert. Ich stammte zwar weder aus einer Künstlerfami­ lie noch hatte ich genügend praktische Theatererfahrungen, konnte aber offenbar mit meinen Texten die Kommission überzeugen. Die Leipziger Zeit war eine ziemlich schwierige für mich. Neben anhaltenden gesund­ heitlichen Einschränkungen hatte ich ein sehr inspirierendes Praktikum am Meininger Theater und ein eher problematisches am Theater Leipzig. Prägend wurde für mich ein Sommerurlaub in Prag im August 1968, wo ein Freund und ich zunächst im Kino den Film Yellow Submarine (Regie: George Dunning, Großbritannien/USA 1968) sehen konnten und anschlie­ ßend den Einmarsch sowjetischer Truppen in Prag erleben mussten. Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR Weil das zweite DDR-Fernsehen am 7. Oktober 1969 sein Programm star­ tete und dafür u. a. dramaturgisches Personal fehlte, wurde ein Teil unse­ res Studienjahres zum Weiterstudium an die Hochschule für Film und Fernsehen der DDR (HFF) nach Babelsberg delegiert. Diese war gerade unter der Leitung des neuen Rektors Lutz Köhlert zu einer Fernsehhoch­ schule geworden. Das Fernsehen der DDR finanzierte viele Abschlussfilme der HFF, die dann auch im Vorabendprogramm gezeigt wurden, nachdem sie vorher u. a. von Karl-Eduard von Schnitzler abgenommen worden wa­ ren. Dieses Studium hat mein Filmverständnis nachhaltig beeinflusst. Mei­ nen persönlichen Aufzeichnungen zufolge sah ich 1970 insgesamt 121 Spiel- und 114 Dokumentarfilme. Zudem lernte ich in Filmgeschichte die deutsche und internationale Geschichte des Films an konkreten Werken kennen und wir durften als Studierende an den Sondervorführungen von international aktuellen Filmen für das Führungspersonal des DEFA-Spiel­ filmstudios (Regisseurinnen und Regisseure, Autorinnen und Autoren etc.) teilnehmen. Hier konnten wir u. a. Das Schweigen und Schande (Regie: Ingmar Bergman, Schweden 1963 und 1968), Der Spatz ist auch ein Vogel (Regie: György Hintsch, Ungarn 1968), Familie Tóth (Regie: Zoltán Fábri, Ungarn 1969), Cardillac (Regie: Edgar Reitz, BRD 1969), aber auch Am See (Regie: Sergej Gerassimow, UdSSR 1969) sehen. Daneben konnten wir die aktuellen DEFA-Premieren genießen, deren Teammitglieder häufig einen direkten Bezug zur HFF hatten. Von außen betrachtet wurden die aktuellen DEFA-Produktionen aber eher kritisch gesehen:

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Dieter Wiedemann

„Das gesamte DEFA-Spielfilmschaffen befand sich Ende der sechziger Jahre in einer scheinbar unüberwindbaren Krise, der Kahlschlag, den die Partei angerichtet hatte, hinterließ seine Spuren. Die jüngere Gene­ ration der Filmschaffenden wandte sich seit dem Ende der sechziger Jahre verstärkt einem neuen Bereich zu. Private, alltägliche Themen aus der Gegenwart rückten in den Vordergrund. Zu den Geschichten aus dem Alltag zählten eine Reihe Filme, die sich mit Zweierbeziehun­ gen befassten […]. Diese Darstellungen waren neu im DEFA-Film. Jedoch wirkten die Alltagsgeschichten im Kino recht unspektakulär, weshalb sich der Publikumszuspruch in Grenzen hielt.“11 1970 wurden immerhin noch 91.355.000 Kinobesucherinnen und -besu­ cher in den Kinos der DDR gezählt, bei 6.028 Sendestunden des DDRFernsehens.12 Die Nutzung der Angebote von ARD und ZDF war durch die nicht ganz selbstständige Entscheidung der DDR-Regierung für das französische SECAM- und gegen das bundesdeutsche PAL-System für eini­ ge Zeit beeinträchtigt worden: „Nachdem die Sowjetunion die Übernahme des französischen SE­ CAM-Systems bekannt gegeben hatte, war diese Entscheidung für die DDR sowie die anderen Ostblockstaaten […] de facto gefallen […]. Am 5. März 1969 erklärte die DDR-Regierung auf der Leipziger Früh­ jahrsmesse die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Farbfernsehens, basierend auf dem System SECAM III b.“13 Vermittelt durch einen Kontakt unseres Fachrichtungsleiters Dr. Peter Wuss zu Dr. Lothar Bisky vom Zentralinstitut für Jugendforschung (ZIJ) in Leipzig, konnte ich meine Diplomarbeit an der HFF zu einem Thema der soziologischen Filmrezeptionsforschung in der DDR14 schreiben. Es war bizarr – ich bekam aus Leipzig Computerausdrucke, die ich nieman­ dem zeigen durfte, und meine Diplomarbeit wurde als sogenannte ‚Ver­ trauliche Verschlusssache‘ eingestuft, die bis heute nicht in der Filmbiblio­ thek der Filmuniversität Babelsberg gelesen werden kann. 11 Schittly: Zwischen Regie und Regime, S. 162. 12 Staatliche Zentralverwaltung für Statistik der DDR (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch der DDR 1971, Berlin, S. 391 und 393. 13 Steinmetz, Rüdiger/Viehoff, Reinhold (Hrsg.): Deutsches Fernsehen OST, Berlin 2008, S. 183. 14 Wiedemann, Dieter: Erwartungen an den Spielfilm als ein Ausdruck der ideologi­ schen Einstellungen Jugendlicher. Zu Problemen von Filmerwartung, Filmwirkung und Filmerziehung. Diplomarbeit in der Fachrichtung Dramaturgie, 1971 (unveröffentlicht).

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Das Kino in der DDR

Obwohl ich bereits einen Vertrag mit dem DEFA‑Studio für Spielfilme als künstlerisch‑wissenschaftlicher Mitarbeiter unterschrieben hatte, erreichte mich im Juli 1971 ein Angebot des ZIJ in Leipzig, das ich eigent­ lich nicht ausschlagen wollte. Entgegen den Prinzipien der ‚realsozialisti­ schen Karriereplanung‘ stimmten überraschenderweise alle Entscheider meinem Wechsel nach Leipzig zu. Ich wurde Mitarbeiter der Abteilung Massenkommunikationsforschung, die von Dr. Lothar Bisky geleitet wur­ de. An diesem von Psychologen und Soziologen bestimmten Institut muss­ te ich mich als Neuling erst einmal wissenschaftlich beweisen, da mein Abschluss an der HFF als künstlerisches Diplom eingestuft wurde. Als eine Art ‚zweite Reifeprüfung‘ durfte ich dann meine erste empiri­ sche Untersuchung 1972 auf Bitten des DEFA-Studios zu Ulrich Plenzdorfs Filmmanuskript Die neuen Leiden des jungen W. realisieren. Aus dem Film wurde nichts, aber als Inszenierung am Landestheater Halle und, wesent­ lich später, als Buch wurden Die neuen Leiden des jungen W. ein großer Erfolg. Die jungen Leute sahen Edgar Wibeau, der Goethes Werther und Salingers Fänger im Roggen verehrte und der sich ein Leben ohne echte Jeans und ‚echte Musik‘ nicht vorstellen konnte und etwas gegen Selbstkri­ tik sowie Vorbilder hatte, als einen der ihren an und nicht als einen ‚ver­ haltensgestörten Außenseiter‘. In einer 1994 von der HFF verantworteten Veranstaltung zum Thema Jugendfilm in Ost und West äußerte sich Ulrich Plenzdorf zu diesem Themenkomplex u. a. folgendermaßen: „Die neuen Leiden des jungen W. waren immer als Film geschrieben, weil ich nie etwas anderes wollte, als Filme schreiben […]. Ich glau­ be, es existierte sogar schon ein Drehbuch, das ursprünglich Heiner Carow realisieren sollte. Mir ist so, als hätte es die ganze Zeit über ‚grünes Licht‘ gegeben. Bis an einem Tag, in einem Jahr, in irgendei­ nem Monat umgeschaltet wurde, und das Licht stand auf ‚rot‘. Es führte kein Weg mehr rein. Zu jener Zeit hatte auch die allgemeine Deprimierung schon weit um sich gegriffen. Es war auch kein echter Kampfesmut mehr da […]!“15 Der Stoff wurde 1975 in der Regie von Eberhard Itzenplitz in die bundes­ deutschen Kinos und später auch ins Fernsehen gebracht.

15 Plenzdorf, Ulrich: Nicht alles so schwarzsehen …? (Diskussion), in: Ingelore Kö­ nig/Dieter Wiedemann/Lothar Wolf (Hrsg.): Zwischen Bluejeans und Blauhemden. Jugendfilm in Ost und West, Berlin 1995, S. 45–56, hier S. 49.

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Dieter Wiedemann

Im Wandel der Generationen: Kino und Film der 1970er-Jahre Seit Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre wurde auch in der DDR deutlich, dass es zumindest in Sachen ‚kultureller Alltag‘ einen Konflikt der Generationen gab. Die junge Generation zog zwar an den gesetzlichen Feiertagen das FDJ-Hemd an, wollte aber dennoch ‚ihre‘ Musik hören, ‚ihre‘ Filme sehen und ‚ihre‘ Bücher lesen. Das war in den meisten Fällen nicht einfach. In Sachen Musik konnten Radio Luxemburg und SFB2 und andere Sender gehört und Platten im sozialistischen Ausland erworben werden.16 In Sachen Literatur und Film war das schon schwieriger, weil es hier nicht selten um länderbezogene Lizenzen ging. Der Filmvertrieb der DDR und das DEFA-Spielfilmstudio wollten die Dominanz junger Leute in den DDR-Kinos – als Zahl wurden in den 1970er-Jahren immer wieder 70 Prozent Zuschauerinnen und Zuschauer unter 25 Jahren genannt – durch die jeweiligen Filmangebote auch be­ dienen.17 So wurden in den Jahren 1971 und 1972 u. a. die folgenden Spielfilme in die DDR-Kinos gebracht: Kennen Sie Urban? (Regie: Ingrid Reschke), Mein lieber Robinson (Regie: Roland Gräf), Zeit der Störche (Re­ gie: Siegfried Kühn); Männer ohne Bart (Regie: Rainer Simon), Osceola (Regie: Konrad Petzold), Der Dritte (Regie: Egon Günther), Der Mann, der nach der Oma kam (Regie: Roland Oehme) sowie Sechs kommen durch die Welt (Regie: Rainer Simon). Diese konkurrierten mit internationalen Filmen wie Der Reigen (Regie: Roger Vadim, Frankreich/Italien 1964), Das wilde Kind (Regie: François Truffaut, Frankreich 1970), Die Olsenbande in der Klemme (Regie: Erik Bal­ ling, Dänemark 1969), Cat Ballou (Regie: Elliot Silverstein, USA 1965), Die weiße Spinne (Regie: Harald Reinl, BRD 1963), Sonnenfinsternis (Regie: Mi­ chelangelo Antonioni, Italien 1962), Der Glöckner von Notre Dame (Regie: Jean Delannoy, Italien/Frankreich 1956), Der Mann in der Schlangenhaut (Regie: Sidney Lumet, USA 1960), Hello, Dolly! (Regie: Gene Kelly, USA 1969), Das Mädchen Irma la Douce (Regie: Billy Wilder, USA 1963), Trotta (Regie: Johannes Schaaf, BRD 1971), Little Big Man (Regie: Arthur Penn, USA 1970), Die Glut der Gewalt (Regie: William Wyler, USA 1970) und sol­

16 Meine erste Beatles-LP hatte ich übrigens in Moskau gekauft. 17 Vgl. hierzu u. a. Bisky, Lothar/Wiedemann, Dieter: Der Spielfilm – Rezeption und Wirkung, Berlin 1985, S. 13–33. Die Daten sind in der Studie des ZIJ Kino-80 er­ mittelt worden; vgl. hierzu u. a. Lindner, Bernd/Wiedemann, Dieter: Kultur und Medienforschung, in: Walter Friedrich/Peter Förster/Kurt Starke (Hrsg.): Das Zen­ tralinstitut für Medienforschung Leipzig 1966–1990. Geschichte, Methoden, Erkennt­ nisse, Berlin 1999, S. 301–351, hier S. 314 f.

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chen aus Osteuropa, wie z. B. Befreiung (Regie: Juri Oserow, UdSSR/DDR/ Polen/Italien 1969) und Onkel Wanja (Regie: Andrei Michalkow-Kontscha­ lowski, UdSSR 1970). Da ich nun als Filmwissenschaftler und Dramaturg mit der Analyse zu Die neuen Leiden des jungen W. in den heiligen Gral der Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler am ZIJ aufgenommen war, hatte ich das Bedürfnis, noch einmal etwas wirklich ‚Wissenschaftliches‘ zu studieren – der Vorschlag meines Chefs lautete: Pädagogische Psychologie an der Universität Leipzig. Ich nahm die Empfehlung an und bestand auch die Aufnahmeprüfung für diesen Studiengang. Nun war ich also wieder in der Kinostadt Leipzig und konnte den Film­ klub im Leipziger Casino besuchen, der von Fred Gehler geleitet wurde und ein hervorragendes Programm des internationalen Films verantworte­ te. Ich konnte das Leipziger Theater besuchen, was ich auch tat, und mir eine Bleibe suchen, wofür es im ‚realen Sozialismus‘ zu Beginn der 1970erJahre für Alleinstehende keine Angebote gab. Also bin ich Untermieter geworden. Am ZIJ war ich nun bei der Planung empirischer Untersuchungen für den Bereich Kunst zuständig, die ich 1973 im Rahmen einer repräsentati­ ven Analyse zum Thema Kultur und Jugend (Kultur 73) etwas in Richtung Kino und Spielfilme beeinflussen konnte. In der Befragung zur Nutzung und Bewertung von zehn Spielfilmen, die in den Kinos der DDR angebo­ ten wurden, gab es doch einige überraschende Ergebnisse: „Die damals befragten jungen Leute (knapp 4.000) bevorzugten ein­ deutig (bezogen auf sehr starke Interessen): Abenteuerfilme (53 %), utopische Filme (44 %), Kriminal- und Spionagefilme (jeweils 36 %) und Gegenwartsfilme der DEFA (19 %). In der Bewertung von zehn ausgewählten Kinoangeboten schnitten Blutige Erdbeeren (Regie: Stuart Hagmann, USA 1970), Blutige Spur (Regie: Abraham Polonsky, USA 1969) und Die Legende von Paul und Paula (Regie: Heiner Carow) am besten ab.“18 Blutige Erdbeeren war damals auch für mich ein Film über ein Lebensge­ fühl, das ich nicht teilen durfte, aber sehr mochte, während der von mir ebenso geschätzte Film von Heiner Carow mich wieder in die Realität der DDR mit Kohlehaufen, Datschenbesitzern und den Hoffnungen auf ein anderes Leben zurückbrachte.

18 Zitiert nach dem Teilentwurf des Forschungsberichtes (Originalmanuskript) von Wiedemann, Dieter, undatiert, Privatarchiv.

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Im Prinzip hat diese Analyse den zumindest kulturellen Generations­ konflikt in der DDR bestätigt, wenngleich auch die Autorinnen und Auto­ ren (mich eingeschlossen) dies nicht so formulieren wollten bzw. durften. Neben den hier schon genannten Erfolgsfilmen der jungen Generation gab es auch Kinoangebote der DEFA, wie z. B. Apachen (Regie: Gottfried Kolditz, 1973), Die Schlüssel (Regie: Egon Günther, 1974), Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow (Regie: Siegfried Kühn, 1973), die nicht direkt an ein jugendliches Publikum adressiert waren. Diese Feststellung traf sicher auch auf die folgenden Kinoangebote der DDR zu: Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss (Regie: Sydney Pollack, USA 1969, mit Jane Fonda in der Hauptrolle), … und wir sind nur Kinder (Regie: Stanley Kramer, USA 1971) und Die Berührung (Regie: Ingmar Bergman, Schwe­ den/USA 1971). Aus ‚dem Osten‘ kamen u. a. hinzu: Im Morgengrauen ist es noch still (Regie: Stanislaw Rostozki, UdSSR 1972), Andrej Rubljow (Regie: Andrei Tarkowski, UdSSR 1966) – ein Film, der mich bleibend geprägt hat – und Das Birkenwäldchen (Regie: Andrzej Wajda, Polen 1970). 1973 war also mit Ausnahme der drei oben genannten Erfolgsfilme kein sonderlich gutes Publikumsjahr, hatte aber – im Unterschied zu den Jahren zuvor – für Cineastinnen und Cineasten einiges zu bieten. Hierzu noch eine kurze Erläuterung von mir: Neben den offiziell vom VEB Progress Filmvertrieb in die Jahresprogramme der Kinos gebrachten Filme wurden immer wieder auch Sonderprogramme angeboten, wie z. B. die Sommerfilmtage und die Wochen des sowjetischen, ungarischen oder polnischen Films, in denen manchmal auch Filme gezeigt wurden, die sich nicht im normalen Repertoire‑Angebot befanden. Darüber hinaus konnten Filmklubs und auch Filmkunsttheater bei den Häusern der sowje­ tischen, polnischen und ungarischen Kultur, aber auch beim Staatlichen Filmarchiv der DDR, gelegentlich Filme außerhalb des Progress-Reper­ toires für eine sehr begrenzte Zahl von Vorführungen ausleihen.19 Das machte die Filmklubs und Filmkunsttheater für das cineastische Publikum besonders attraktiv, zeigte ihnen aber auch immer wieder die Differenzen zwischen einer ‚offiziellen‘ und einer ‚geduldeten‘ Filmpolitik auf. In den Produktionen des DEFA-Spielfilmstudios gab es schon seit Beginn der 1970er-Jahre ein Bekenntnis entweder zum dokumentaren oder zum pri­ mär erzählerisch und gestalterisch erfundenen Spielfilm, womit die in der DEFA beschäftigten Regisseurinnen und Regisseure sich sowohl an internationalen Entwicklungen (z. B. dem italienischen Neorealismus und

19 Vgl. hierzu u. a. Wiedemann, Dieter/Griebel, Eckhard: Film – Jugend – Freizeit. Zentralhaus für Kulturarbeit der DDR, Leipzig 1980.

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dem französischen Cinéma vérité) als auch an durchaus interessanten Dis­ kursen in Teilen der DDR-Kunstszene, z. B. in der Bildenden Kunst, in der Literatur oder im Theater, orientierten. Die Jahre 1974 und 1975 waren weder für die DEFA noch für die Film­ theater besonders erfolgreich. Die DEFA brachte u. a. Wolz – Leben und Verklärung eines deutschen Anarchisten in der Regie von Günter Reisch in die Kinos, für den ich im Auftrag der Hauptverwaltung Film20 (HV Film) am ZIJ eine Rezeptionsstudie realisieren durfte. Außerdem kamen Leben mit Uwe in der Regie von Lothar Warneke, Zum Beispiel Josef (Regie: Erwin Stranka), Die Wahlverwandtschaften (Regie: Siegfried Kühn) und Der nackte Mann auf dem Sportplatz in der Regie von Konrad Wolf in die Kinos. Es darf nicht vergessen werden, dass 1974 auch der weihnachtliche Kultfilm der nächsten Jahrzehnte startete, nämlich: Drei Haselnüsse für Aschenbrödel in der Regie von Václav Vorlíček. Auch im internationalen Angebot, wel­ ches Progress den Filmtheatern zur Verfügung stellte, gab es nur Weniges, was man meiner Meinung nach unbedingt gesehen haben musste. Im Jahr 1974 waren für mich und meinen Freundeskreis Filme wie Roter Psalm (Regie: Miklós Jancsó, Ungarn 1972) und Der Tod in Venedig (Regie: Luchino Visconti, Italien 1971) von besonderer Bedeutung. Beide Produk­ tionen blieben aber jeweils unter der wichtigen Schwelle von einer halben Million Kinobesuchen. Die DEFA punktete an den Kinokassen eher mit Ulzana, einem Indianerfilm unter der Regie von Gottfried Kolditz. Ein Jahr darauf war es wieder ein Indianerfilm der DEFA, nämlich Blutsbrüder in der Regie von Werner W. Wallroth, aber auch Lotte in Weimar in der Regie von Egon Günther und Till Eulenspiegel in der Regie von Rainer Simon, die großen Zuspruch vom Kinopublikum erhielten. Leider konnte mein DEFA-Lieblingsfilm des Jahres und einziger OscarKandidat der DEFA, Jakob der Lügner in der Regie von Frank Beyer, das Kinopublikum nicht begeistern. Auch zwei weitere DEFA-Lieblingsfilme von mir überzeugten das übrige DDR-Publikum nicht: Ikarus in der Regie von Heiner Carow und Bankett für Achilles in der Regie von Roland Gräf. Im internationalen Angebot in den DDR-Kinos waren es eigentlich nur Kalina Krassnaja in der Regie von Wassili Schukschin (UdSSR 1974) und Die Singdrossel in der Regie von Otar Iosseliani (UdSSR 1971), die mir im Gedächtnis geblieben sind.

20 Die Hauptverwaltung Film war am Ministerium für Kultur (MfK) angesiedelt und als zentrale Einrichtung des gesamten Filmwesens für die Kontrolle und Organisation aller Prozesse von der Filmherstellung bis zur Filmpräsentation verantwortlich.

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Für meine Diplomarbeit an der Sektion Psychologie an der Karl-MarxUniversität in Leipzig durfte ich mit großer Unterstützung meines Arbeit­ gebers, dem ZIJ in Leipzig, 1974/75 eine vergleichende Rezeptions- und Wirkungsuntersuchung zu einem Spiel- und einem Dokumentarfilm über Ernst Thälmann (Aus meiner Kindheit in der Regie von Bernhard Stephan und Teddy in der Regie von Volker Koepp) realisieren. Die Studie brachte für uns interessante Ergebnisse zu den unterschiedlichen Wirkungen von fiktionalen und dokumentaren Genres bei jungen Menschen hervor. Hier­ zu ein Ergebnis: „Durch Filme können Informationen angeeignet werden, Fakten ge­ lernt werden. In einer Wirkungsuntersuchung [eben genannter Filme, d. A.] konnten wir z. B. einen Wissenszuwachs von 16 % in der Frage nach Thälmanns Geburtstag […] nach der Rezeption des Dokumentar­ films bei 12- bis 16-jährigen Schülern nachweisen (in der Kontroll­ gruppe, in der keiner der beiden Filme eingesetzt worden war, konnte zwischen Vor- und Nachuntersuchung k e i n Wissenszuwachs nachge­ wiesen werden).“21 Auch 1976 war meiner Meinung nach kein gutes Jahr für die DEFA und für die Filmkultur in der DDR. Die DEFA konnte zwar mit Hostess in der Regie von Rolf Römer mit erotischen Szenen beim Publikum punkten und mit Die Leiden des jungen Werthers in der Regie von Egon Günther davon ablenken, dass sie ein paar Jahre zuvor die – aus meiner Sicht – weitaus zeitgemäßere Fassung von Ulrich Plenzdorf zur Verfilmung abge­ lehnt hatte (oder hatte ablehnen müssen?). Interessant war sicher noch Beethoven – Tage aus einem Leben in der Regie von Horst Seemann mit einer sehr bemerkenswerten Schlusssequenz: Beethoven schreitet aus sei­ ner Wiener Wohnung kommend plötzlich im dichten Straßenverkehr auf der Karl-Marx-Allee in Richtung Alexanderplatz, nachdem er vorher von der österreichischen Geheimpolizei bespitzelt worden war. „Der Film […] endet mit Beethovens ärmlichen Umzug in die vierte Wiener Wohnung, der plötzlich im Ostberliner Zentrum am Alex verläuft. Nicht Gag, nicht Apotheose, sondern leise drängende Frage ‚Was wäre, wenn…‘. Nähe, Forderung, Prüfung. Das soziale Klima,

21 Bisky, Lothar/Wiedemann, Dieter: Jugend und Spielfilm, in: Aus Theorie und Pra­ xis des Films, Heft 3/77, Berlin 1977, S. 87.

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die Problemsolidarität der Leute in der DDR machte diesen Schluß möglich, sinnfällig und tragfähig.“22 An internationalen Filmen sah ich u. a. Feuerwehrgasse 25 in der Regie von István Szabó (Ungarn 1973), Seltsame Leute in der Regie von Wassili Schukschin (UdSSR 1970), Szenen einer Ehe in der Regie von Ingmar Berg­ man (Schweden 1973), Das gelobte Land in der Regie von Andrzej Wajda (Polen 1974) und Die verlorene Ehre der Katharina Blum (BRD 1975) in der Regie von Margarethe von Trotta und Volker Schlöndorff. Insgesamt habe ich im Jahr 1976 57 Spielfilme im Kino gesehen, weitere Artikel zur Rezeptionsforschung geschrieben, an einer UNESCO-Kulturstudie mitge­ wirkt und an einer Filmankaufsreise des DEFA-Außenhandels in der ČSR teilgenommen. Der Kinofilm bestimmte nun immer mehr mein wissen­ schaftliches, kulturelles und auch privates Leben.

Abbildung 2: Kino-Aushangfoto mit einer Szene aus dem Film „Beethoven – Tage aus einem Leben“ (Quelle: © DEFA-Stiftung/Waltraut Pathenheimer).

22 Wischnewski, Klaus: Träumer und gewöhnliche Leute 1966 bis 1979, in: Filmmu­ seum Potsdam (Hrsg.): Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFA-Spielfilme 1946–1992, Berlin 1994, S. 231 f.

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1977 sollte ebenfalls ein durchwachsenes Kinojahr für mich werden. In den DDR-Kinos war ich u. a. in den DEFA-Filmen Mama, ich lebe in der Regie von Konrad Wolf und Die unverbesserliche Barbara in der Regie von Lothar Warneke (zu diesen beiden Filmen habe ich soziologische Rezep­ tionsstudien am ZIJ verantwortet und habe mit vielen Zuschauerinnen und Zuschauern über diese beiden Filme diskutiert, u. a. im Universitäts­ filmclub Jena, in Gera, Halle, Wittenberg und Dresden, aber auch im Waggonbau Ammendorf). Auch bei den internationalen Angeboten gab es im entsprechenden Jahr kaum Filme, die ich rückblickend als besonders sehenswert einstufen würde. Im Gedächtnis geblieben sind mir aber Amar­ cord in der Regie von Federico Fellini (Italien 1973), Der Stille Don in der Regie von Sergei Gerassimow (UdSSR 1957), Das fünfte Siegel in der Regie von Zoltán Fábri (Ungarn 1976) und Aufstieg in der Regie von Larissa Schepitko (UdSSR 1977). Dennoch war 1977 meines Erachtens kein gutes Jahr für das DDR-Kino und die Kulturpolitik in der DDR im Allgemei­ nen. Verantwortlich dafür sind mit Sicherheit auch die Ereignisse aus dem Vorjahr, die sich filmpolitisch auf das Programm auswirkten: 1976 war Wolf Biermann nach einem Konzert in Köln, das ich in der ARD gesehen hatte, die DDR-Staatsbürgerschaft entzogen worden, was zu einem kultur­ politischen, aber nur bedingt zu einem gesellschaftlichen Eklat führte. Das Problem der Biermann-Ausbürgerung und der damit verbundenen Protes­ te von bekannten Künstlerinnen und Künstlern23 und auch Intellektuellen in der DDR beeinflusste natürlich auch die Projekte des DEFA-Spielfilmstudios und die Programmgestaltung des VEB Progress.24 Die DDR war zwar inzwischen ein auch international z. T. anerkannter Staat (siehe Konferenz in Helsinki 1975),25 verlor aber nach innen bei der eigenen Bevölkerung spürbar an Akzeptanz. Auf der einen Seite sorgte das Wohnungsbauprogramm der SED insbesondere in einigen Großstädten für etwas Entspannung auf dem Wohnungsmarkt, weil bezahlbarer Wohn­ raum für die Bevölkerung zur Verfügung stand. Auf der anderen Seite schufen die Exquisit- und späteren Delikatläden seit 1962 und vor allem die Intershop-Läden, die ab 1974 auch für DDR-Bürgerinnen und -Bürger

23 Zu den Protestierenden gehörten u. a. Christa und Gerhard Wolf, Sarah Kirsch, Stefan Heym, Heiner Müller, Jurek Becker sowie Volker Braun. 24 Vgl. hierzu Schittly: Zwischen Regie und Regime, S. 197–214. 25 Am 1. August 1975 wurde in Helsinki die Schlussakte der Konferenz über Sicher­ heit und Zusammenarbeit in Europa von 35 Staaten unterzeichnet, für die BRD von Helmut Schmidt und für die DDR von Erich Honecker. Zu den Unterzeichnern gehörten auch Kanada, die Sowjetunion und die USA.

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offen waren, eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, die in den DEFA-Filmen rela­ tiv wenig reflektiert wurde bzw. reflektiert werden durfte. 1978 war ein eher wissenschaftliches als ein filmkünstlerisches Jahr für mich: Am Anfang des Jahres musste ich in der HV Film die Ergebnisse der Rezeptionsstudien zu den Filmen Mama, ich lebe und Die unverbesserli­ che Barbara vor der HV-Leitung und den jeweiligen Drehstäben präsentie­ ren und verteidigen. Außerdem war ich inzwischen in die Theorie- und Wissenschaftsgruppe des Verbands der Film- und Fernsehschaffenden der DDR aufgenommen worden und tauschte mich dort regelmäßig mit Eri­ ka26 und Rolf Richter27, aber auch Peter Wuss28 aus. Kinomäßig gesehen brachte das Jahr ein paar interessante DEFA-Pro­ duktionen, so z. B. Anton der Zauberer in der Regie von Günter Reisch, Sieben Sommersprossen in der Regie von Herrmann Zschoche, Das Versteck in der Regie von Frank Beyer und Sabine Wulff in der Regie von Er­ win Stranka. Im internationalen Angebot ragten für mich die folgenden Filme heraus: Einer flog über das Kuckucksnest in der Regie von Miloš Forman (USA 1975), Die Unschuld in der Regie von Luchino Visconti (Italien 1976), Die Marquise von O. (BRD/Frankreich 1976) in der Regie von Eric Rohmer, Baum der Wünsche in der Regie von Tengis Abuladse (UdSSR 1977), Die Spitzenklöpplerin in der Regie von Claude Goretta (Frankreich/BRD/Schweiz 1977) und Zwei Frauen in der Regie von Márta Mészáros (Ungarn 1977). Natürlich habe ich auch Filme wie ABBA – The Movie in der Regie von Lasse Hallström (Australien/Schweden 1977), das Gasthaus an der Themse in der Regie von Alfred Vohrer (BRD 1962) und andere Unterhaltungsfilme gesehen. Ende des Jahres 1979 nahm ich an einer Tagung der Zentralen Arbeitsgemeinschaft Filmklubs in Dresden teil und sah dort den Film Eroberung der Zitadelle in der Regie von Bernhard Wicki (BRD 1977). Außerdem war ich kurz danach zu einer Pressevor­ schau neuer DEFA-Produktionen wiederum in Dresden eingeladen. Ich sah dort u. a. Zünd an, es kommt die Feuerwehr in der Regie von Rainer Simon, P.S. in der Regie von Roland Gräf, Bis dass der Tod uns scheidet in

26 Erika Richter (1938–2020) war eine deutsche Dramaturgin beim DEFA-Studio für Spielfilme und betreute dort u. a. Produktionen von Lothar Warneke (Die Beunruhigung, 1981; Eine sonderbare Liebe, 1984), Rainer Simon (Jadup und Boel, 1981) und Heiner Carow (So viele Träume, 1986; Coming Out, 1989). 27 Rolf Richter (1932–1992) war einer der wichtigsten Filmkritiker in der DDR. Außerdem war er Filmautor, Dozent an der HFF Babelsberg, Maler und Kurator. 28 Peter Wuss (geb. 1940): Autor zahlreicher Publikationen zur Filmanalyse und -psychologie, Drehbuchautor und Dramaturg, Prof. für Filmgeschichte an der HFF.

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der Regie von Heiner Carow – für mich der Film des Jahres –, Ein April hat 30 Tage in der Regie von Gunter Scholz und Addio, piccola mia in der Regie von Lothar Warneke. Die jeweiligen Produktionsteams waren wie ich im Hotel Newa in Dresden untergebracht, sodass am Abend bei einem Radeberger Bier das ein oder andere interessante Gespräch zustande kam. Es gab 1979 natürlich noch andere DEFA- und internationale Produk­ tionen in den DDR-Kinos. Die DEFA brachte u. a. Feuer unter Deck in der Regie von Herrmann Zschoche, die letzte DEFA-Produktion mit Manfred Krug, der 1978 aus der DDR ausgereist war, und Blauvogel in der Regie von Ulrich Weiß auf die Leinwand. Aus dem Angebot an internationalen Filmen sah ich Rocco und seine Brüder in der Regie von Luchino Visconti (Italien 1960). Der Film war zwar fast 20 Jahre alt, bevor er in die Kinos der DDR kam, hatte auf mich aber die sehr schöne Wirkung eines alten Whiskys. Interessant für mich war, dass ich im Februar 1979 nach Sofia eingela­ den wurde und dort zwei aktuelle Spielfilmproduktionen und eine Thea­ terinszenierung zu Einer flog über das Kuckucksnest am Dramatischen Thea­ ter in Sofia sehen konnte. Im Mai war ich dann erneut in Sofia und nahm an einem internationalen Symposion zum Thema Kino und Zuschauer teil. Während einer zweiwöchigen Vortragsreihe im September 1979 in Ungarn wurden mir sogar einige Westproduktionen gezeigt, die ich sonst erst nach dem Mauerfall hätte sehen können, z. B. Star Wars in der Regie von George Lukas (USA 1977), Decameron in der Regie von Pier Paolo Pasolini (Frankreich 1971) und The Band in der Regie von Martin Scorsese (USA 1978). Alle Filme liefen originalsprachig mit ungarischen Unterti­ teln und dennoch hat sich insbesondere The Band in mein audiovisuelles Gedächtnis eingebrannt. Eine kultur- und wissenschaftspolitische Signalwirkung hatte der im Jahr 1979 von der DDR‑Regierung verfügte ‚Maulkorberlaß‘ (Strafgesetz­ buch § 219), nach dem bestraft werden sollte, „wer Schriften, Manuskripte oder andere Materialien, die geeignet sind, den Interessen der Deutschen Demokratischen Republik zu schaden, unter Umgehung von Rechtsvor­ schriften an Organisationen, Einrichtungen oder Personen im Ausland übergibt oder übergeben läßt.“29 Davon war auch der Austausch mit Wis­ senschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den sogenannten sozialisti­

29 Zitiert nach Wiedemann: Lebenswelten und Alltagswissen, S. 93.

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schen Bruderländern betroffen, wie die Stasiakte eines ungarischen Freun­ des zeigt.30 Zwischen Erziehung und Unterhaltung: Kino in den frühen 1980er-Jahren Das Jahr 1980 wurde zu einem bedeutenden Kinojahr und auch zu einem wichtigen Jahr für mich persönlich: Das DEFA-Jahr startete mit dem Er­ folgsfilm des Jahres, nämlich mit Solo Sunny in der Regie von Konrad Wolf: „Nicht mehr die ‚sozialistische Menschengemeinschaft‘ oder wenig­ stens das ‚sozialistische Kollektiv‘ wurde in diesem Film thematisiert, sondern die ‚Außenseiterin‘: die Bandsängerin Sunny. Spätestens hier begann die Verabschiedung von den Idealen einer klassenlosen, huma­ nistischen Gesellschaft, war die Zeit der Illusionen und Hoffnungen vorbei.“31 Dieser Film war meines Erachtens ein grandioser Abschied des damaligen Präsidenten der Akademie der Künste der DDR, Konrad Wolf, vom DEFASpielfilm. Dieser Film war sicher auch ein Verdienst des Autors Wolfgang Kohlhaase, des Komponisten Günther Fischer, des Kameramanns Eber­ hard Geick und natürlich der Hauptdarstellerin Renate Krößner.

30 Unter MfS ZMA XX, Nr. 20836 findet man z. B. eine Information über eine ge­ plante Tagung mit dem Titel Die soziale Funktion der Künste in der sozialistischen Gesellschaft der 80er Jahre und Methoden ihrer empirischen Untersuchung, in der u. a. moniert wird, dass mein Freund und ich 1979 in Budapest vertrauliche Kinoda­ ten ausgetauscht hätten. 31 Zitiert nach Wiedemann: Lebenswelten und Alltagswissen, S. 95.

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Abbildung 3: Kinoplakat zum Film „Solo Sunny“ mit der Schauspielerin Renate Krößner in der Hauptrolle als Sunny (Quelle: © DEFA-Stiftung/Gerda Dassing).

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Im Februar des Jahres habe ich dann an der HU in Berlin meine Disserta­ tion zum Thema Filmkommunikation und Persönlichkeitsentwicklung Jugend­ licher – Empirische Aussagen und theoretische Erkenntnisse zur Entwicklung des Verhältnisses Jugendlicher zum Film erfolgreich verteidigt. Nun galt ich also auch als Wissenschaftler, was meine Kolleginnen und Kollegen in den DEFA-Studios zwar nicht sehr interessierte, weil sie primär an der Unterstützung ihrer Ideen interessiert waren und es dabei egal gewesen ist, ob jemand promoviert war oder nicht. Für unsere Unterstützerinnen und Unterstützer in den Ministerien und Künstlerverbänden, die ja unsere Forschungsideen genehmigen und finanzieren sollten, aber schon; d. h., auch im Arbeiter- und Bauernstaat erleichterten akademische Titel die Durchsetzung von Forschungsideen. 1980 war ein besonders spannendes Kinojahr in der DDR: Progress wollte offenbar sowohl die nun staatlich anerkannten Unterhaltungsbe­ dürfnisse32 der Werktätigen als auch die ästhetischen Bedürfnisse der Intel­ lektuellen befriedigen. Für diese beiden sich oft vermischenden Richtun­ gen bot man in den DDR-Kinos u. a. an: Ein Unvollendetes Stück für ein mechanisches Klavier in der Regie von Nikita Michalkow (UdSSR 1977, dieser Film wurde nur in den Studiokinos gezeigt), Das Schlangenei in der Regie von Ingmar Bergman (BRD/USA 1977), Der Filmamateur in der Regie von Krzysztof Kieslowski (Polen 1979), Moskau glaubt den Tränen nicht in der Regie von Wladimir Menschow (UdSSR 1980), Kramer gegen Kramer in der Regie von Robert Benton (USA 1979) oder Caseys Schatten in der Regie von Martin Ritt (USA 1978). Die DDR veranstaltete im April 1980 zum ersten Mal das Nationale Spielfilmfestival in Karl‑Marx-Stadt (im heutigen Chemnitz), wo alle meine Lieblingsfilme des Jahres und des Vorjahres noch einmal einer Jury, der ich neben Paul Wiens33, Dieter Mann34, Rolf Richter und Margit Voss35 angehören durfte, und dem Publikum gezeigt wurden. Die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR hatte inzwischen eine Fach­ gruppe Ästhetische Erziehung gegründet und der Verband der Film- und Fernsehschaffenden der DDR veranstaltete jährlich das Slatan-Dudow-Semi­

32 Vorher stand die Erziehungsfunktion der staatlichen Medien aus Sicht der Macht­ haber im Zentrum des Auftrages, Unterhaltung galt als bürgerliche Ablenkung vom notwendigen Kampf der Systeme. 33 Paul Wiens (1922–1982), Lyriker, Autor von Drehbüchern (u. a.: Genesung, Das Lied der Matrosen und Sonnensucher) und Hörspielen. 34 Dieter Mann (1941–2022) war einer der bekanntesten deutschen Schauspieler, er war Regisseur und Intendant des Deutschen Theaters. 35 Margit Voss (geb. 1931): Filmkritikerin.

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nar36, das sich filmwissenschaftlichen Fragestellungen widmete. Ab August 1980 begannen dann unsere methodischen Einweisungen für die Mitarbei­ terinnen und Mitarbeiter der Bezirksfilmdirektionen zum Umgang mit unserem Fragebogen zur Studie Kino-DDR 80. Ich war hierzu u. a. in Dres­ den, Halle, Rostock, Erfurt, Potsdam, Schwerin und Gera. Nach meiner Erinnerung hat die meisten Kolleginnen und Kollegen in den Kinos unser Konzept sehr interessiert, etwas mehr über ihr tatsächliches Publikum herausfinden zu wollen. Im November 1980 haben wir dann mit Unterstützung der HV Film eine Konferenz der Filmsoziologinnen und -soziologen sozialistischer Län­ der in Berlin und im Bezirk Gera durchgeführt. Ich erinnere mich, dass mein ungarischer Kollege und Freund Dr. Andras Szekfu zunächst nicht eingeladen werden sollte bzw. einreisen durfte – ein Problem, dass dann offenbar nach Interventionen bekannter Filmwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler und dem nunmehrigen Mitglied der Akademie der Gesell­ schaftswissenschaften der DDR, Prof. Dr. Lothar Bisky, geklärt und gelöst werden konnte. Ein paar Wochen später war ich dann in Moskau zu einem Filmsymposium mit einer ähnlichen Themenstellung. Ich durfte dort ein paar interessante Filme aus der UdSSR, Bulgarien und Rumänien und anderen sozialistischen Ländern sehen. Die DDR-Delegation präsentierte Bis dass der Tod euch scheidet und ich durfte zum Stand der filmsoziologischen Forschung in der DDR einen Vortrag halten. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich auf dieser Veranstaltung auch den von mir sehr gern gelesenen kirgisischen Schriftsteller Tschingis Aitmatow kennengelernt, der eine Art Schirmherr der Veranstaltung war. 1980 war also künstlerisch und wissenschaftlich betrachtet ein äußerst interessantes Kinojahr für mich, wobei bei den künstlerischen Höhepunk­ ten des Jahres noch unbedingt die DEFA-Produktion Die Verlobte in der Regie von Günther Rücker und Günter Reisch mit der hervorragenden Hauptdarstellerin Jutta Wachowiak erwähnt werden muss. Das neue und gewissermaßen letzte Jahrzehnt für die DDR hatte also kinomäßig ziem­ lich gut begonnen. Diese Entwicklung sollte sich in den nächsten Jahren in der DDR nur noch bedingt fortsetzen können. In politischer und wirt­ schaftlicher Hinsicht sollte der Staat, der den Kinobetrieb immer noch fest im Griff hatte, allerdings auf eine Katastrophe zusteuern, was zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal die schärfsten DDR-Kritikerinnen und -Kriti­ ker prognostizierten.

36 Slatan Dudow (1903–1963): Filmregisseur (u. a. Kuhle Wampe, Frauenschicksale, Der Hauptmann von Köln, Verwirrung der Liebe) und Autor.

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Das Kino in der DDR

Im Januar 1981 war ich wieder zur DEFA-Spielfilmpräsentation in Dres­ den, wo ich zwar interessante Kinderfilme, aber nur durchschnittliche Filme für das erwachsene Publikum sehen konnte. Bürgschaft für ein Jahr in der Regie von Herrmann Zschoche mit einer beeindruckenden Kathrin Sass in der Hauptrolle lief leider erst einige Monate später an. Meine Kolleginnen und Kollegen und ich tingelten Anfang des Jahres durch die Bezirksfilmdirektionen der DDR, um über die Ergebnisse unserer Stu­ die Kino–DDR 80 zu informieren – natürlich unter Berücksichtigung der Tatsache, dass in der DDR soziologische Forschungsergebnisse zumindest als ‚Vertrauliche Dienstsache‘ eingestuft wurden. In meiner Erinnerung gab es zumeist positive Rückmeldungen zu unseren Forschungsergebnis­ sen, nach dem Motto: Endlich bestätigt uns jemand in dem, was wir eigentlich schon lange wissen und täglich in den Kinos erfahren! Kritik gab es daran, dass wir mit den Ergebnissen unserer Studie die politischideologische Erziehungsfunktion des Films infrage stellen würden. Dieser Vorwurf kam natürlich zumeist von den Parteifunktionärinnen und ‑funk­ tionären in den jeweiligen Bezirksfilmdirektionen, wobei diese nach mei­ ner Erinnerung nicht nur der SED angehören mussten, weil der Einfluss der sogenannten Blockparteien (CDU, LDPD, NDPD und DBD) auf das Lichtspielwesen auch gewährleistet sein sollte. Anfang Februar 1981 war ich beim Goldenen Spatz in Gera, wo ich als Mitglied der Fachjury mit über die Vergabe der Goldenen Spatzen ent­ scheiden konnte. Diese wurden ausgewählt aus 26 Animationsfilmen, 18 Dokumentarfilmen und Beiträgen der Fernsehpublizistik sowie 14 Spielund Fernsehfilmen. Die Goldenen Spatzen gingen in dem Jahr an Max und siebeneinhalb Jungen in der Regie von Egon Schlegel, Jeder lacht so gut er kann in der Regie von Günter Meyer und an Der Eierkuchenmond in der Regie von Peter Blümel37. In meiner Erinnerung gab es damals sehr spannende Diskussionen um den Fernsehfilm Gevatter Tod in der Regie von Wolfgang Hübner, wo es primär um die Zumutbarkeit bestimmter Themen für Kinder ging, wobei weder das Fachpublikum noch die Jury zu einer einheitlichen Meinung gelangten38 – ein Thema, das mich auch in den folgenden Jahren bzw. Jahrzehnten immer wieder begleitete. Ende November war ich dann nach Warschau eingeladen, wo ich u. a. Der Mann aus Eisen (Polen 1981) in der Regie von Andrzej Wajda sehen konnte und 37 Vgl. hierzu Deutsche Kindermedienstiftung Goldener Spatz (Hrsg.): 30 Jahre – 30 Stimmen. Goldener Spatz 1979–2009, Gera 2009, S. 22–24. 38 Vgl. zu den späteren Bewertungen König, Ingelore/Wiedemann, Dieter/Wolf, Lo­ thar (Hrsg.): Zwischen Marx und Muck. DEFA-Filme für Kinder, Berlin 1995, S. 28 und Wiedemann: Es war einmal…, S. 200.

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Dieter Wiedemann

mit den dortigen Kolleginnen und Kollegen über das Thema Kunst und Ju­ gend im Sozialismus unter Aufsicht von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Zentralrats der FDJ einen wissenschaftlichen Austausch führen durfte. Zwei Wochen später war ich dann in Bratislava, wo ich mit meinen slowa­ kischen Kolleginnen und Kollegen – dieses Mal ohne erkennbare Aufsicht – über die Möglichkeit gemeinsamer Forschungsprojekte diskutierte. Natürlich war ich auch 1981 ein ‚ganz normaler‘ Kinogänger, ich habe u. a. gesehen Messer im Kopf (BRD 1978) in der Regie von Reinhard Hauff, Der elektrische Reiter (USA 1979) in der Regie von Sydney Pollack, Stalker (UdSSR 1979) in der Regie von Andrei Tarkowski, Spiel mir das Lied vom Tod (Italien/USA 1968) in der Regie von Sergio Leone und Die Ehe der Ma­ ria Braun (BRD 1979) in der Regie von Rainer Werner Fassbinder. Die bis­ her beispielhaft genannten Spielfilme haben in sehr differenzierter Weise meine filmästhetischen, aber auch filmpolitischen Interessen bedient und weiterentwickelt. Diese Entwicklung gefiel offensichtlich nicht allen in den kulturpolitischen Führungsetagen der SED, weshalb diese ‚besorgten‘ Genossinnen und Genossen im November 1981 im Neuen Deutschland, dem Zentralorgan der SED, einen Leserbrief eines Erfurter Werktätigen namens Hubert Vater (‚Vater-Brief‘) auf der Kommentarseite veröffentlichen ließen, der feststellte, dass weder die DEFA noch das DDR-Fernsehen mit ihren kulturellen Angeboten, die Interessen der Werktätigen erfüllten: „Ich habe den Eindruck, und den bestätigen auch andere Zuschauer, daß wir gegenwärtig eine Reihe belangloser und langweiliger Filme im Angebot haben. Ich meine nicht nur einige der importierten Streifen, wo es mir mitunter schade ums Geld ist, das wir dafür ausgegeben ha­ ben. Ich denke dabei auch an Produktionen, die aus unseren eigenen Studios […] kommen. […] Vom Thema und auch von der künstleri­ schen Ausdruckskraft her finde ich kaum einen unserer jüngsten Filme bemerkenswert. Die meisten sagen mir über uns und unsere Zeit viel zu wenig aus. […] Wo sind die Kunstwerke, die das – ich nenne es so – Titanische der Leistung bewußt machen, die in der Errichtung, im Werden und Wachsen unseres stabilen und blühenden Arbeiter- und Bauernstaats besteht. […] Ich habe manchmal den Eindruck, unsere Filmschaffenden tun sich allzu schwer damit [mit dem ‚sozialistischen Menschenleben‘, d. A.]. Vielleicht liegt es an ihnen selbst, an ihrer

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Selbstgenügsamkeit, wenn sie sich nur mit belanglosen Problemchen beschäftigen und damit auf gesellschaftliche Wirkung verzichten.“39 So absurd diese sogenannten Wünsche eines „Erfurter Werktätigen“ an die Filmschaffenden auch waren, sie führten u. a. dazu, dass der bereits fertiggestellte Film von Rainer Simon Jadup und Boel erst einmal aus dem Progress-Programm genommen wurde und für sieben Jahre in den ‚Film­ keller‘ musste.40 In der ersten Januarwoche 1982 war ich wieder bei der DEFA-Spielfilmpräsentation in Dresden. Aus meinem ‚slowakischen Kalender‘41 entneh­ me ich, dass mir drei Filme besonders gefallen haben: Die Beunruhigung in der Regie von Lothar Warneke, Märkische Forschungen in der Regie von Roland Gräf und der beeindruckende Kinderfilm Sabine Kleist, 7 Jahre in der Regie von Helmut Dziuba. Anfang der 1980er-Jahre wurde für die HV Film auch das Thema Doku­ mentarfilm im Kino wieder interessant. Natürlich hatte es in den Jahren zuvor immer wieder ‚Vorzeige-Dokumentarfilme‘ in den DDR-Kinos gege­ ben, die man gesehen haben musste und manchmal auch wollte. Seit ein paar Jahren hatten die DEFA-Dokumentarfilmstudios in Berlin und Pots­ dam und auch die vielen Amateurfilmstudios zu einem neuen – manchmal durchaus kritischen – Blick auf die DDR‑Wirklichkeit beigetragen, was auch einige zeitgenössische Studien zum Dokumentarfilm belegen.42 Der Dokumentarfilm konnte und musste eher ein – auch künstlerischer – Zeitzeuge einer Wirklichkeit/Realität sein, als es von den fiktionalen Mediengenres erwartet worden wäre: Solo Sunny war eine realitätsnahe Fiktion, Die Kinder von Golzow in der Regie von Winfried Junge bildeten aber eine filmkünstlerisch gestaltete Realität in der DDR ab, was beides wichtig war für das, was im Oktober 1989 zur Überraschung der BRD

39 Zitiert nach Wiedemann, Dieter: DDR-Jugend als Gegenstand empirischer Sozial­ forschung, in: Christoff Führ/Carl-Ludwig Furck (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band VI. 1945 bis zur Gegenwart. Zweiter Teilband: Deutsche De­ mokratische Republik und neue Bundesländer, München 1998, S. 117–136, hier S. 131 f. 40 Vgl. hierzu u. a. Kannapin, Detlef (Hrsg.): Im Maschinenraum der Filmkunst. Erin­ nerungen des DEFA-Chefdramaturgen Rudolf Jürschik, Berlin 2021, S. 106–114 und Schittly: Zwischen Regie und Regime, S. 260–265. 41 Im Jahr 1982 habe ich meine Aufzeichnungen in einem slowakischen Kalender, einem Geschenk der dortigen Kolleginnen und Kollegen, unter dem Motto „Kostbare Gefäße aus Silber und Zinn“ verewigt. 42 Vgl. hierzu u. a. Wiedemann, Dieter: Dokumentarfilme und ihre Nutzer, in: Film­ wissenschaftliche Beiträge, Heft 4, Berlin 1981, S. 20–29.

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an bürgerschaftlichem Engagement in der DDR passierte. Filme wie Solo Sunny, Die Kinder von Golzow und andere DEFA-Produktionen sensibili­ sierten mit unterschiedlichen filmischen Mitteln die Kinobesucherinnen und Kinobesucher zum reflektierten Nachdenken über ihre aktuellen Le­ benssituationen in der DDR. Die Diskrepanz zwischen der von der Staats­ partei verordneten Lebensfreude und -zufriedenheit einerseits und der tag­ täglichen Lebensrealität andererseits wurde auch durch Filme der DEFA deutlich akzentuiert. Doch zurück in die erste Hälfte der 1980er-Jahre. Auf dem 2. Nationalen Spielfilmfestival der DDR – wiederum in KarlMarx-Stadt – gab es neben den bereits erwähnten DEFA-Produktionen für mich als Jury-Mitglied dennoch ein paar Überraschungen: Das betraf u. a. Dein unbekannter Bruder in der Regie von Ulrich Weiß, ein Film, der mich bei der Präsentation in Dresden nicht so bewegt hatte wie vier Monate später im Umfeld einer anderen Veranstaltung. Eine weitere Überraschung war für mich die Präsentation von Studentenfilmen der HFF am Schluss­ tag des Festivals. Natürlich bot das Kinojahr 1982 nicht nur interessante DEFA-Filme: Es gab u. a. auch Coming Home (USA 1978) in der Regie von Hal Ash­ by, Alexis Sorbas (USA/Großbritannien/Griechenland 1964) in der Regie von Michael Cacoyannis, Lady Chatterleys Liebhaber (BRD/Frankreich, GB 1981)43 in der Regie von Just Jaeckin und Die bleierne Zeit (BRD 1981) in der Regie von Margarethe von Trotta. Das Jahr 1982 war in der DDR ein gleichermaßen wirtschaftlich wie auch kulturpolitisch schwieriges Jahr: Auf der einen Seite war die DDR mit ihrem teuren Sozial- und auch Rüstungsprogramm am Ende ihrer finanziellen Liquidität. Auf der anderen Seite hatten dieses Problem auch viele Künstle­ rinnen und Künstler erkannt, die nun versuchten, es künstlerisch zu gestal­ ten. Es waren zunächst die Literatur und das Theater, die den notwendigen gesellschaftlichen Diskurs bespielten, später kamen auch die anderen Künste hinzu. Ein Jahr später machte die SED-Führung wiederum deutlich, dass der ‚Vaterbrief‘ als politische Disziplinierungsmaßnahme der DDR-Filmkünst­ lerinnen und -künstler ernst gemeint war.44 Bei der traditionellen DEFA-Präsentation Anfang Januar in Dresden gab es für mich drei interessante Angebote für das Kinojahr 1983: Das Luftschiff in der Regie von Rainer Simon, Insel der Schwäne in der Regie von Herrmann Zschoche und Der Aufenthalt in der Regie von Frank Beyer.

43 Dieser Film wurde zu Weihnachten 1983 sogar im Fernsehen der DDR gezeigt. 44 Siehe Anmerkung 39.

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Die HV Film im Ministerium für Kultur der DDR hatte das ZIJ mit drei filmsoziologischen Analysen zur aktuellen DEFA-Präsentation beauftragt: Insel der Schwäne, Der Aufenthalt und Schwierig sich zu verloben in der Regie von Karl-Heinz Heymann. Zwei dieser Filme erwiesen sich für unser Team als besonders interessant: Insel der Schwäne und Der Aufenthalt, wobei wir nicht ahnten, dass wir mit unserer rezeptionssoziologischen Analyse zu Insel der Schwäne wieder in ein ‚kulturpolitisches Wespennest‘ geraten würden: „Die offiziellen Reaktionen auf diesen nach einer Erzählung von Benno Pludra und Ulrich Plenzdorf geschriebenen Film waren vernichtend. Die Zeitung der FDJ, die Junge Welt, verkündete nach der Premiere, ‚Das ist wieder kein Film über uns‘ und beklagte, daß der Film ‚mit Betonbat­ zen‘ nach jungen Leuten werfe, die, aufwachsend in sozialistischen Großstädten, diese mitgestalten wollen. Der Kritiker des Neuen Deutsch­ land […] stellte unter der Überschrift ‚Verstellte Sicht auf unsere Wirk­ lichkeit‘ die Frage, ‚was mit dem Strickmuster bürgerlichen Kinos an sozialistischer Wirklichkeit erhellt werden sollte‘. Nach den Verrissen […] begann eine Kampagne gegen den Film, die nicht wenige Kinover­ antwortliche davon abhielt, ihn in der üblichen Weise einzusetzen, wodurch er nicht nur vielen potentiellen Besuchern vorenthalten wurde, sondern auch der notwendige gesellschaftliche Diskurs über die ange­ sprochenen Themen gestört bzw. verhindert wurde. Der Film traf nämlich nicht nur in seiner Kritik an Wohnsilos die Mentalität großer Gruppen und die blankliegenden Nerven mancher Funktionäre […]. Die Auswertung der Fragebogen-Analyse des ZIJ unter zufällig ausge­ wählten Kinobesuchern konnte belegen, daß die jungen unter ihnen Insel der Schwäne als einen wichtigen Film über sich und ihre Probleme empfanden und ihn zudem außerordentlich gut bewerteten […]. In den zum Film geäußerten Meinungen artikulierten sich (1983) die Wünsche nach einem menschenwürdigen Leben, nach einer höheren Lebensqua­ lität und nach sozialen Utopien, die in den ‚offiziellen Parteimedien‘ sonst nicht berücksichtigt wurden, wie folgende Meinungen belegen: […] Eine junge Arbeiterin stellte sich und damit der Gesellschaft, in der sie lebt, die Frage, ‚was wir Kindern für eine Chance geben phantasie­ volle, gefühlvolle Menschen zu werden, wenn sie in der gezeigten Umwelt aufwachsen müssen (Betonblöcke, Betonspielplätze). Wo bleibt die Natur und die Freiheit zum Entdecken der Umwelt, die Kinder eigentlich brauchen?‘“45 45 Zitiert nach Wiedemann: DDR-Jugend als Gegenstand empirischer Sozialfor­ schung, S. 132 f.

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Abbildung 4: Kino-Aushangfoto mit einer Szene aus dem Film „Insel der Schwä­ ne“ (Quelle: © DEFA-Stiftung/Waltraut Pathenheimer). Wir haben diese Ergebnisse damals in einem Forschungsbericht zusam­ mengefasst und vergeblich gehofft, dass wenigstens einige der politischen Entscheiderinnen und Entscheider in der DDR darüber nachdenken wür­ den. Da die Ergebnisse nicht veröffentlicht werden durften, blieben nur 262 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

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vereinzelte Vorträge vor einem – in der Regel – politisch handverlesenen Publikum, im Rahmen derer wir gelegentlich ein paar Tendenzen aus un­ seren Kinoforschungen öffentlich machen konnten. Die Kampagne gegen Insel der Schwäne war wiederum ein politischer Schlag gegen die nationale Filmproduktion und damit auch gegen die damals aktuellen politisch-kul­ turellen Diskurse in der DDR. Natürlich funktionierten die Kinos in der DDR auch 1983 weiter als Er­ ziehungs- und Unterhaltungsmedium: Die Olsenbande arbeitete weiter an ihrem Kultstatus in der DDR mit Die Olsenbande ergibt sich nie (Regie: Erik Balling, Dänemark 1979). Für die Filmklubenthusiasten gab es u. a. Das Boot ist voll (Regie: Markus Imhoof, Schweiz 1980), Agonie (Regie: Elen Klimow, UdSSR 1981), Das Luftschiff (Regie: Rainer Simon, DEFA), Bahn­ hof für Zwei (Regie: Elmar Rjasanow, UdSSR 1983), Olle Henry (Regie: Ul­ rich Weiß, DEFA), Frühlingssinfonie (Regie: Peter Schamoni, BRD 1983)46 und Die Konstante (Regie: Krzysztof Zanussi, Polen 1980). Zudem war das Jahr 1983 für mich als Wissenschaftler ein interessantes Forschungsjahr: Neben den drei empirischen Rezeptionsstudien zu den DEFA-Filmen Der Aufenthalt, Insel der Schwäne und Schwierig sich zu verloben gab es u. a. in Weimar eine Begegnung mit Kulturverantwortlichen des Komsomol47, wo ich bei den abendlichen Biergesprächen das erste Mal den Namen Gor­ batschow hörte. Ich hatte außerdem viele Weiterbildungsveranstaltungen für Lehrerinnen und Lehrer zu den Themen Film und Theater, war mit der Auswertung unserer Studien beschäftigt und versuchte, eine ‚interne Öffentlichkeit‘48 über deren Ergebnisse zu informieren. Außerdem war ich in diesem Jahr in Sofia, Prag und Bratislava, um mit meinen dortigen Kol­ leginnen und Kollegen über gemeinsame Forschungsprojekte zu beraten, die natürlich nicht realisiert werden konnten und durften, weil die ‚Sozia­ listische Staatengemeinschaft‘ anscheinend nicht so genau wissen wollte, was die junge Generation tatsächlich denkt und fühlt.

46 Diese Produktion war auch insofern bemerkenswert, da nach seinem grandiosen Debüt in Mephisto Rolf Hoppe nun auch in einem „westdeutschen“ Spielfilm in die DDR-Kinos kam. 47 Nachwuchsorganisation der sowjetischen KPdSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion). 48 Unter dem Hinweis auf eine Vertraulichkeit der nun folgenden Informationen konnten wir gelegentlich die Leitungen künstlerischer Einrichtungen über unsere Forschungsergebnisse informieren. Falls unter den Anwesenden jemand über die von uns genannten Ergebnis ein ‚übergeordnetes‘ Organ (Parteileitungen, MfS etc.) informierte, konnte das schon zu zeitweiligen Sprechverboten führen. Eine Erfahrung, die ich auch machen musste.

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Die DEFA-Präsentation zu Beginn des Jahres 1984 in Dresden brachte für mich zwei Überraschungen: Bockshorn in der Regie von Frank Beyer, nach einem Buch von Ulrich Plenzdorf, und Erscheinen Pflicht in der Re­ gie von Helmut Dziuba. Ansonsten war alles wie immer: Ich hielt einen Vortrag auf einem Symposium mit dem Titel Massenwirksamkeit in Kino und Fernsehen und wusste, dass ein paar Zuhörerinnen und Zuhörer meine Äußerungen wieder als einen Angriff auf die ‚sozialistische Kulturpolitik‘ weitermelden würden. Es gab 1984 eine Vielzahl von Symposien, z. B. das Slatan-Dudow-Seminar, auf denen das Thema Kunstwirkungen intensiv und kontrovers diskutiert wurde. Das betraf z. B. auch meine Mitarbeit in der Jury des Theaterverbandes zur Ermittlung der besten Inszenierung eines Puppentheaters. Ich bin im ersten Quartal 1984 insgesamt 4.290 km mit der Deutschen Reichsbahn (DR) durch die DDR zu Vorträgen und Kongressen gereist, war im zweiten Quartal wieder beim Nationalen Spiel­ filmfestival der DDR und habe in Riesa an einem Kolloquium der Zentralen Arbeitsgemeinschaft Filmklubs der DDR zum Thema Filmästhetische Erzie­ hung mit einem Beitrag teilgenommen und bin weitere 3.760 km mit der DR unterwegs gewesen. Im dritten Quartal wurde ich zum UNICA49-Kongress in Karl-MarxStadt eingeladen. Die DDR wollte einmal wieder beweisen, dass sie inter­ national im Kulturbereich hoffähig ist, und hatte dafür Vertreterinnen und Vertreter des internationalen Amateurfilms eingeladen. Ende September bin ich dann nach Tiflis geflogen, wo es wieder um die Möglichkeiten gemeinsamer Forschungsprojekte ging: Wir waren im georgischen Film­ studio, im Puppentheater, in einem georgischen Weingut und auf dem Mtazminda, dem Heiligen Berg der Georgier. Im März 1985 war ich auf Einladung des ungarischen Jugendverbandes zu einer Vortragsreihe zum Thema Kultur und Jugend in Ungarn. Natür­ lich musste ich mein ‚offizielles‘ Redemanuskript von unseren vorgesetz­ ten Behörden genehmigen lassen, in Ungarn hatte ich allerdings dank meines damaligen Dolmetschers und heutigen Freundes, Lorant, relativ viele Freiheiten in der Interpretation des genehmigten Textes. Im Septem­ ber desselben Jahres durfte ich dann an einem internationalen Filmklub­ seminar (FICC) in Weimar teilnehmen, wo ich mich u. a. zu unseren Forschungsergebnissen zum Film Insel der Schwäne geäußert habe, was mir nach einer Berichterstattung von Heinz Kersten im Deutschlandarchiv ziemlich viel Ärger einbrachte. Darüber hinaus war ich Ende des Jahres,

49 Union Internationale du Cinéma (UNICA) – internationale Organisation zur För­ derung des Films als Mittel der internationalen Verständigung.

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Das Kino in der DDR

im Dezember 1985, zu Besuch in Warschau, wo ich u. a. im Institut für Meinungsforschung, im Institut für Kulturforschung und in der Akademie für Wissenschaften zum Thema gemeinsamer Forschungsprojekte – mehr oder weniger erfolglos – diskutierte. Natürlich war ich auch in den War­ schauer Kinos und habe dort u. a. Apocalypse Now in der Regie von Francis Ford Coppola (USA 1979), Indiana Jones (USA 1981) und 1941 (USA 1979) jeweils in der Regie von Steven Spielberg sowie The Gremlins in der Regie von Joe Dante (USA 1984) gesehen. Beginn der kulturellen Öffnung: Kinofilme in der zweiten Hälfte der 1980erJahre 1986 wurde in Dresden ein meiner Meinung nach eher schwaches DEFAJahr eröffnet. Erfreuliche Ausnahmen bildeten jedoch die Filme von Hei­ ner Carow So viele Träume, Roland Gräf Das Haus am Fluss und Lothar Warneke Blonder Tango. Interessanterweise gab es neben den ‚Profi-Filmen‘ aber eine zunehmend interessante ‚Amateurfilmlandschaft‘ in der DDR, wie ich als Jury-Mitglied im Januar feststellen konnte. Dabei gab es durch­ aus Produktionen, die sich mit Themen wie saurer Regen im Industrie­ gebiet Mitteldeutschlands z. T. satirisch auseinandersetzten. Gleichzeitig versuchte sich die DDR kulturell etwas zu öffnen. So konnte ich in Leipzig Konzerte von Konstantin Wecker, Hermann van Veen und der Ersten Allgemeinen Verunsicherung (EAV) erleben und eine Inszenierung des Staatsschauspiels Düsseldorf sehen. Meinem Kalender entnehme ich, dass ich auch in diesem Jahr häufig zu Gesprächen im sozialistischen Ausland war, z. B. in Budapest, in Sofia und Plovdiv und in Warschau. Es ging bei diesen Gesprächen immer auch um theoretische und empirische Filmanalysen, es handelte sich aber pri­ mär um unseren Umgang mit Glasnost und Perestroika, wobei für mich deutlich wurde, dass die DDR leider am konsequentesten die Ideen von Gorbatschow bekämpfte. Die Herrschenden in der DDR „reagierten zunächst abwartend (noch dachten sie, er sei einer von ihnen), dann verwundert und später restriktiv. Sowjetische Filme wur­ den verboten, die Prawda verschwand ebenso von den Zeitungskios­ ken wie der Sputnik, und die Werke der sowjetischen Dramatik und Belletristik wurden z. T. ebenso begehrlich in den Buchhandlungen gesucht wie Bücher von Böll, Dürrenmatt, Frisch, Grass oder Sartre. Der einst zu den ‚Geboten der sozialistischen DDR‘ gehörende Aus­

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Dieter Wiedemann

spruch ‚Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen‘ wurde als eine die Staatsmacht in Frage stellende Provokation gewertet.“50 Die Jahre 1987 und 1988 waren dennoch oder gerade wegen der politi­ schen Spannungen in Osteuropa auch interessant für das Kino in der DDR. Man konnte in den Kinos Filme sehen von Carlos Saura (Carmen, Spanien 1983; Liebeszauber, Spanien 1986), Woody Allen (The Purple Rose of Cairo, USA 1985; Hannah und ihre Schwestern, USA 1986), Andrzej Wajda (Die Mädchen vom Wilkohof, Polen/Frankreich 1979), Miloš For­ man (Amadeus, USA 1984; Ragtime, USA 1981), Herrmann Zschoche (Die Alleinseglerin, DEFA 1987), Lothar Warneke (Einer trage des anderen Last …, DEFA 1988), Jean-Jacques Annaud (Der Name der Rose, BRD/ Frankreich/Italien 1986), Andrei Tarkowski (Stalker, UdSSR 1979), Viktor von Bülow (Ödipussi, BRD 1988), Hark Bohm (Der kleine Staatsanwalt, BRD 1987), Steven Spielberg (E. T., USA 1982; Die Farbe Lila, USA 1985) und Niki List (Müllers Büro, Österreich 1986). In diesen Jahren tauchten aber auch ein paar ‚Kellerfilme‘ der DEFA wieder in den Kinos der DDR auf, z. B. Die Russen kommen (Regie: Heiner Carow, 1968) und Jadup und Boel (Regie: Rainer Simon, 1980). Zu den filmischen Ereignissen dieser Jahre zählten für mich auch die Dokumentarfilme von Dieter Schumann Flüstern und Schreien (1988) und von Helke Misselwitz Winter adé (1988). Es wurde deutlich, dass das DDR-Regime sich einerseits als weltoffen präsentieren wollte, wofür auch das Kino als ein massenwirksames Medi­ um eine gute Projektionsfläche bot. Andererseits griff die Staatsführung aber immer brutaler in den aktuellen Kunstbetrieb ein. Dafür spricht sicher auch, dass ich mit einem befreundeten Kollegen und zumindest zwei Bewachern zu einem bilateralen Seminar zum Thema Jugend und Freizeit nach Finnland fliegen und dort ein mehrfach genehmigtes Referat halten durfte, andererseits in Budapest, Havanna, Sofia und Warschau in diesen Jahren den politischen Niedergang des Sozialismus, aber nicht den der nationalen Filmkulturen erlebt habe. In einem Festivalkino in Havan­ na habe ich 1988 u. a. Proteste gegen Fidel Castro erlebt, was zu einem Abbruch der Vorführung und einem Polizeieinsatz in dem Kino führte. Ich war natürlich auch in der berühmten Filmhochschule von Havanna, die mich sehr beeindruckte.

50 Wiedemann: Lebenswelten und Alltagswissen, S. 94.

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Das Kino in der DDR

Abbildung 5: Kinoplakat zum sogenannten Kellerfilm „Jadup und Boel“, der aufgrund staatlicher Zensur erst sieben Jahre nach seiner Fertigstellung eine Aufführungsfreigabe erhielt (Quelle: © DEFA-Stiftung/Grafiker unbekannt). 267 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Dieter Wiedemann

An dieser Stelle will ich noch auf ein Thema eingehen, das auch mit der Funktion des Kinos in der DDR zu tun hat, aber erkennbare Bezüge bis in die Gegenwart hat. „Eine 1986 anläßlich des Wiedereinsatzes von Konrad Wolfs Film Ich war 19 realisierte empirische Rezeptionsstudie erbrachte erneut, wie schon in den Studien zu Mama, ich lebe (Regie: ebenfalls Konrad Wolf) und Der Aufenthalt (Regie: Frank Beyer), ein Ergebnis, das so gar nicht in das Bild von der antifaschistisch erzogenen und eingestellten Ju­ gend bzw. Gesellschaft paßte: Eine offene Frage zu dem, was im Film besonders gefallen hatte, nutzten 3 % der Befragten zu einer ‚partiel­ len‘ Huldigung der faschistischen Armee, und 6 % fanden einen SSSturmbannführer sympathisch. Bemerkenswert außerdem: 1986 hiel­ ten es 8 % weniger Besucher als in der Erstuntersuchung zum Film im Jahr 1968 für richtig, daß Gregor als Deutscher als Mitglied der Roten Armee kämpft. Bereits neun Jahre früher gab es in der Studie zu Ma­ ma, ich lebe Ergebnisse, die Sympathien mit Angehörigen der faschisti­ schen Armee erkennen ließen. In der Studie zum Film Der Aufenthalt lehnte jeder sechste Kinobesucher eine Mitschuld des jungen Wehr­ machtsangehörigen Marc Niebuhr an den Untaten des Faschismus ab […].“51 Ich habe diesen Text vor mehr als zwanzig Jahren geschrieben und die For­ schungsberichte zu diesen Rezeptionsstudien liegen seit drei Jahrzehnten in den entsprechenden Archiven vor, insofern verwundern mich manch­ mal die medialen und auch politischen Reaktionen über bestimmte Wahl­ entscheidungen im Osten der BRD. Zusammenfassung und Schlussbemerkungen Zum Schluss eine Zusammenfassung und ein paar abschließende Bemer­ kungen zu etwas mehr als drei Jahrzehnten Kinoerfahrungen in und mit der DDR. Ich habe das Kino in der DDR aus sehr unterschiedlichen Perspektiven erlebt. Meine erste Perspektive: Als Kind und Jugendlicher waren die beiden Kinos in meiner Heimatstadt Suhl mein Tor zur media­ len (audiovisuellen) Welt. Ein TV-Gerät gab es in meiner Familie nicht. Daneben gab es natürlich Bücher, die mich in der Kindheit und Jugend prägten. Das Kino als audiovisuelles Medium in der DDR wurde für mich

51 Wiedemann: Lebenswelten und Alltagswissen, S. 133 f.

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Das Kino in der DDR

besonders in der EOS-Zeit wichtig, weil es nach dem Mauerbau neben der Belletristik und später dem Theater zu einer der wichtigsten Formen der individuell-künstlerischen Auseinandersetzungen mit Vergangenheit und Gegenwart wurde. Das Kino war in den 1960er-Jahren daher der Zugang zu dem, was dokumentarisch und fiktional hinter Mauern und Stacheldraht passierte. Mit dem Studium an zwei Kunsthochschulen in der DDR (Theater­ hochschule Hans Otto in Leipzig und HFF Potsdam) bekam ich einen privilegierten Zugang zum Kino, aber auch zu den anderen Künsten in der DDR. Als Jugendforscher in Leipzig war ich dann gleichermaßen der Überbringer schlechter (in der Regel für die Partei- und Staatsführung) und manchmal auch guter Nachrichten (in der Regel für die Kunstschaf­ fenden selbst, was ihnen offiziell zumeist wenig nützte, weil sie sich nicht auf die Aussagen eines Jugendforschers berufen konnten). Was ich damit sagen will: Ich war als Wissenschaftler in das DDR-Sys­ tem integriert und konnte mir gleichzeitig gelegentlich auf das DDR-Kino bezogene Kritik leisten, weil mich offenbar Kolleginnen und Kollegen geschützt haben und schützen wollten (z. B. der ZIJ-Chef Walter Friedrich oder der HFF-Rektor Lothar Bisky, der mir im September 1989 einen Arbeitsvertrag mit der HFF anbot, den ich unterschrieb, um dann im Januar 1990 unter völlig veränderten Bedingungen tatsächlich an der HFF einen Neustart zu wagen). Zu diesem Geschütztsein zählt sich auch ein sehr persönliches Ereignis: Meine Familie und ich sind am 7. Oktober 1989 von Leipzig aus nach Bu­ dapest geflogen, weil mein guter ungarischer Freund Lorant uns auf seine Datsche an den Balaton eingeladen hatte. Am Flughafen in Leipzig wünschten uns die Beamten viel Spaß in der neuen Heimat. In Budapest fragte uns der Fahrer meines Freundes, ob er wirklich an den Balaton oder uns doch gleich nach Wien fahren solle (unsere wichtigsten Unterlagen hatten wir bei uns). Ich habe mich (die Kinder und meine Frau schliefen) für den Balaton entschieden, was mein Freund in der ersten Woche ziem­ lich irritierend und in der zweiten Woche (Erich Honecker war am 17. Oktober vom SED-Politbüro zum Rücktritt gezwungen worden) ziem­ lich gut fand. Das war natürlich eine sehr persönliche Entscheidung, die in erster Linie eine Entscheidung für unsere Familien und Freundinnen und Freunde im Osten war. Leipzig war nach dem 9. Oktober 1989 eine andere Stadt geworden, der Chef unseres Institutes zählte zu den bekannten Unterzeichnern des Ap­ pells an die DDR-Regierung, auf die Demonstrierenden der berühmten Montagsdemo nicht zu schießen, gleichzeitig wirkte vieles fragil in dieser merkwürdigen Zwischenphase. 269 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Dieter Wiedemann

Nach der Rückkehr aus Ungarn bin ich sofort auf Einladung des dor­ tigen Filmverbandes nach Moskau geflogen, um nun über Forschungspro­ jekte im Zeichen von Glasnost und Perestroika zu diskutieren. Ich erinne­ re mich an nächtliche Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen aus der UdSSR, aus Ungarn, Polen und auch Bulgarien, wo wir nun von veränderten Forschungsstrategien, aber auch von mehr Freiheiten in den nationalen Filmindustrien träumten. Zurück in der DDR habe ich einen denkwürdigen Abend am 9. No­ vember 1989 im (Ost-)Berliner Kino International erlebt. Heiner Carows Film Coming out nach dem Szenarium von Wolfram Witt hatte Premiere. Ich war sicher auch deswegen eingeladen, weil ich Heiner und Wolfram, den ich aus einer gemeinsamen Jurytätigkeit für den Theaterverband der DDR ganz gut kannte, mit unseren Forschungsergebnissen aus einer Auf­ tragsstudie zu einem Auftragsfilm des Deutschen Hygienemuseums in Dresden zur Homosexualität in der DDR beraten hatte. Nach der Premie­ renfeier fuhr ich mit der S-Bahn zum Bahnhof Lichtenberg und dann mit dem Nachtzug zurück nach Leipzig. Am Bahnhof in Leipzig fragte mich ein Mitarbeiter dann etwas erstaunt, weshalb ich denn nicht in Berlin ge­ blieben sei. Erst da erfuhr ich, was während der Filmpremiere in Berlin wirklich Wichtiges passiert war – der Fall der Berliner Mauer. Auf der 32. Internationalen Dokumentarfilmwoche in Leipzig – zwei Wochen nach dem Mauerfall – wurde deutlich, dass es nun nicht mehr nur um mehr Freiheiten in Kunst und Kultur ging, sondern um den Wunsch, zukünftig in einem anderen Land zu leben. Die HFF, in der ich im Januar 1990 als wissenschaftlicher Mitarbeiter anfangen würde, bekam einen Sonderpreis des Festivals für ihre mehr als mutigen Doku­ mentationen zu den Ereignissen in Dresden und Leipzig im Herbst 1989, gleichzeitig wurde aber vor dem Festivalkino Capitol gegen dieses Festival demonstriert. Zu den wichtigen Ereignissen im Jahr 1989 zählten für mich auch eine Begegnung mit Studierenden und Lehrenden der HFF München in Babelsberg, zu der ich ebenfalls eingeladen war, und ein erneutes Zusam­ mentreffen mit Kolleginnen und Kollegen des Münchner Instituts JFF (Jugend Film Fernsehen e. V.), bei dem wir ein gemeinsames Festival, das Rock and Cinema, in Leipzig und München planten. 1990 sollte das letzte Kinojahr in der DDR werden. Ich arbeitete nun an der HFF Konrad Wolf und schlief, weil es keine Wohnung für meine Familie und mich gab, zunächst in verschiedenen Studenteninternaten. Ich war auf einmal verantwortlich für zwei Bibliotheken (in Berlin und Potsdam), für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines wissenschaftlichen Lehrstuhls und sollte ein Institut für Medienforschung gründen. 270 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Das Kino in der DDR

Anfang Februar 1990 bin ich mit Studierenden der HFF nach München und Tutzing gefahren. Wir waren beim Bayerischen Rundfunk und in der Bavaria und haben in Tutzing mit unseren Münchner Kolleginnen und Kollegen über die wahrscheinlich zukünftige gemeinsame Kino- und Film­ ausbildungslandschaft diskutiert, wobei das Abendbier in der Regel von unseren Münchner Freundinnen und Freunden bezahlt werden musste, denn die Getränkeautomaten verschmähten unser Ostgeld.52 Das Jahr 1990 verlief aber nicht immer so einvernehmlich. Es ging um den Fortbestand von Hochschulen und Forschungseinrichtungen, um neue Freundinnen und Freunde im Westen und alte ‚Seilschaften‘ im Os­ ten, es ging nicht zuletzt aber immer auch um an Arbeitsplätze geknüpfte Existenzen. Wir haben auf Bitten des Rektors der HFF, Lothar Bisky, zwei deutschdeutsche Filmtage organisiert und in Berlin über die Zukunft der Medi­ enpädagogik diskutiert. Die für mich in der Regel ersten Begegnungen mit Filmschaffenden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem Westen waren von einer starken gegenseitigen Neugierde und auch Achtung für die jeweiligen Leistungen der anderen geprägt. Es wurden gemeinsame Forschungsprojekte geplant und z. T. auch realisiert. Wir diskutierten über die Zukunft des deutschen Kinderfilms und später auch über die des deutschen Films überhaupt, dennoch formulierte ich in einer Publikation aus dem Jahre 1995 diesen Satz, zu dem ich heute noch stehe: „Keine ‚schöne Medienwelt‘ ohne (schöne) Filme in schönen Kinos!“53 Abschließend zum Thema Kino in der DDR möchte ich anmerken: Ich habe bis zum Herbst 1990 viel über Kino und Filme nachgedacht und habe verschiedene Filmfestivals besucht. Ab 1990 habe ich mich dann einerseits darum bemüht, das Erhaltenswerte in der Filmausbildung und -produktion bewahren zu helfen (dies meint z. B. den Erhalt der HFF

52 Dazu eine kleine Anekdote: Der Produktionschef der HFF Konrad Wolf hatte uns für diese Reise in West-Berlin einen VW-Bus besorgt, der von unseren Studieren­ den gefahren wurde. Auf der A9 in Bayern sind wir wegen überhöhter Geschwin­ digkeit angehalten worden (das Auto hatte ja auch eine West-Berliner Nummer). Der studentische Fahrer des Wagens erklärte den Polizisten daraufhin, dass wir ja aus dem Osten kommen und deshalb keine Autos kennen, die schneller als 120km/h fahren können. Die Autobahnpolizisten haben uns daraufhin lachend weitergeschickt. 53 Wiedemann, Dieter: „…und abends ins Kino!“ Die neuen Bundesbürgerinnen zwischen „Rambo“ und DEFA-Nostalgie?, in: Jürgen Lauffer/Renate Röllecke/ Dieter Wiedemann (Hrsg.): Jugendfilm spezial. Aufwachsen in getrennten Staaten. Deutsche Jugendfilme aus Ost und West. Empfehlungen und Hintergründe, Bielefeld 1995, S. 177–194, hier S. 193.

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Dieter Wiedemann

Konrad Wolf, was gelungen ist, aber auch der Kinderfilmproduktion, was leider nicht geglückt ist), und andererseits versucht, mich mit dem Gelun­ genen der westdeutschen Filmausbildung und -produktion kurzerhand an­ zufreunden und sie zu begreifen. Wichtig dabei war, dass wir sehr schnell Partner in den alten Bundesländern gefunden hatten, die mit – durchaus kritischer – Sympathie unsere Anliegen befürworteten und prolongierten.

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Das Kino in der DDR

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Auszug aus dem Progress-Filmblatt Der geteilte Himmel (Quelle: © DEFA-Stiftung). Abbildung 2: Kino-Aushangfoto zum Film Beethoven – Tage aus einem Leben (Quel­ le: © DEFA-Stiftung/Waltraut Pathenheimer). Abbildung 3: Kinoplakat zum Film Solo Sunny (Quelle: © DEFA-Stiftung/Gerda Dassing). Abbildung 4: Kino-Aushangfoto zum Film Insel der Schwäne (Quelle: © DEFA-Stif­ tung/Waltraut Pathenheimer). Abbildung 5: Kinoplakat zum Film Jadup und Boel (Quelle: © DEFA-Stiftung/Grafiker unbekannt).

Literaturverzeichnis Bisky, Lothar/Wiedemann, Dieter: Jugend und Spielfilm, in: Aus Theorie und Praxis des Films, Heft 3/77, Potsdam 1977. Bisky, Lothar/Wiedemann, Dieter: Der Spielfilm – Rezeption und Wirkung, Berlin 1985. Deutsche Kindermedienstiftung Goldener Spatz (Hrsg.): 30 Jahre – 30 Stimmen. Goldener Spatz 1979–2009, Gera 2009. Kannapin, Detlef (Hrsg.): Im Maschinenraum der Filmkunst. Erinnerungen des DEFAChefdramaturgen Rudolf Jürschik, Berlin 2021. König, Ingelore/Wiedemann, Dieter/Wolf, Lothar (Hrsg.): Zwischen Marx und Muck. DEFA-Filme für Kinder, Berlin 1995. Liefers, Jan Josef: Soundtrack meiner Kindheit, Hamburg 2009. Lindner, Bernd/Wiedemann, Dieter: Kultur und Medienforschung, in: Walter Friedrich/Peter Förster/Kurt Starke (Hrsg.): Das Zentralinstitut für Medienfor­ schung Leipzig 1966–1990. Geschichte, Methoden, Erkenntnisse, Berlin 1999, S. 301– 351. Plenzdorf, Ulrich: Nicht alles so schwarzsehen …? (Diskussion), in: Ingelore Kö­ nig/Dieter Wiedemann/Lothar Wolf (Hrsg.): Zwischen Bluejeans und Blauhem­ den. Jugendfilm in Ost und West, Berlin 1995, S. 45–56. Schittly, Dagmar: Zwischen Regie und Regime. Die Filmpolitik der SED im Spiegel der DEFA-Produktionen, Berlin 2002. Staatliche Zentralverwaltung für Statistik der DDR (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch der DDR 1971, Berlin. Steinmetz, Rüdiger/Viehoff, Reinhold (Hrsg.): Deutsches Fernsehen OST, Berlin 2008. Wiedemann, Dieter: Dokumentarfilme und ihre Nutzer, in: Filmwissenschaftliche Beiträge, Heft 4, Berlin 1981, S. 20–29.

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Dieter Wiedemann Wiedemann, Dieter: „…und abends ins Kino!“ Die neuen Bundesbürgerinnen zwi­ schen „Rambo“ und DEFA-Nostalgie?, in: Jürgen Lauffer/Renate Röllecke/ Dieter Wiedemann (Hrsg.): Jugendfilm spezial. Aufwachsen in getrennten Staaten. Deutsche Jugendfilme aus Ost und West. Empfehlungen und Hintergründe, Bielefeld 1995, S. 177–194. Wiedemann, Dieter: Lebenswelten und Alltagswissen, in: Christoff Führ/Carl-Lud­ wig Furck (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band VI. 1945 bis zur Gegenwart. Zweiter Teilband: Deutsche Demokratische Republik und neue Bun­ desländer, München 1998, S. 69–100. Wiedemann, Dieter: DDR-Jugend als Gegenstand empirischer Sozialforschung, in: Christoff Führ/Carl-Ludwig Furck (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsge­ schichte. Band VI. 1945 bis zur Gegenwart. Zweiter Teilband: Deutsche Demokrati­ sche Republik und neue Bundesländer, München 1998, S. 117–136. Wiedemann, Dieter: Es war einmal… Märchenfilme in der Bundesrepublik Deutschland und in der BRD, in: Ute Dietmar/Claudia Marie Pecher/Ron Schle­ singer (Hrsg.): Märchen im Medienwechsel. Zur Geschichte und Gegenwart des Mär­ chenfilms, Stuttgart 2017, S. 179–228 Wiedemann, Dieter/Griebel, Eckhard: Film – Jugend – Freizeit. Zentralhaus für Kul­ turarbeit der DDR, Leipzig 1980. Wischnewski, Klaus: Träumer und gewöhnliche Leute 1966 bis 1979, in: Filmmu­ seum Potsdam (Hrsg.): Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFA-Spielfilme 1946–1992, Berlin 1994, S. 212–263.

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Kinogeschichte miteinander erforschen und (be-)schreiben Das Citizen Science-Projekt „Kino in der DDR“ in seiner Umsetzung und Evaluation Anna-Rosa Haumann, Kathleen Kröger, Christiane Kuller, Marcus Plaul, Patrick Rössler, Martin Schlobach, René Smolarski

Es ist zumeist der Film, an den sich die Menschen als Erstes erinnern, wenn sie auf ihren letzten Kinobesuch zurückblicken. Mit diesem initialen Gedanken entstehen oftmals weitere imaginäre Bildfolgen zu Besetzung, Inhalten und Szenen des Films, die auch viele Jahre nach der eigentli­ chen Rezeption im Gedächtnis verhaftet bleiben. Das Filmerleben stellt aber nur einen Teilaspekt des Kinobesuchs dar. Schließlich wirken sich auch die persönlichen Bedürfnisse und Befindlichkeiten sowie das soziale Umfeld auf die Rezeptionssituation aus.1 Nicht zuletzt sind es auch die Angestellten2 sowie die von der Architektur und Ausstattung getragene räumliche Atmosphäre3, die das Kinogeschehen ‚vor Ort‘ beeinflussen. Alle diese genannten Faktoren bilden den Bedeutungsrahmen für eine konkrete Kinosituation und entscheiden letztendlich darüber, wie sich der Kinobesuch im Gedächtnis des Menschen manifestiert. Die verschiedenen Bedeutungszuschreibungen des Kinos lassen sich je­ doch nicht nur auf der Ebene des Individuums erfassen. In ihrer Summe erlauben sie mitunter Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Relevanz des Kinos innerhalb eines bestimmten Systems. Dies trifft insbesondere auch auf das Kino der DDR zu, das mit seiner staatlich gelenkten Film- und Kulturpolitik nie autonom war. Stattdessen betrachtete die Staats- und Parteiführung der DDR das Kinowesen als wichtige Kultureinrichtung, die „zu einer Fort- und Weiterentwicklung der sozialistischen Persönlichkeit beitragen sollte.“4 Inwieweit diese staatlich verordnete Rolle des Kinos den Erwartungen des DDR-Publikums entsprach oder dieses dem Kino 1 Prommer, Elizabeth: Kinobesuch im Lebenslauf. Eine historische und medienbiografische Studie, Konstanz 1999, S. 275 sowie der Beitrag von Luise Poschmann in die­ sem Band. 2 Siehe hierzu das Kapitel „Kino als Arbeits- und Wirkungsraum“ in diesem Band. 3 Siehe hierzu das Kapitel „Kino als Schauplatz und Erlebnisraum“ in diesem Band. 4 Prommer: Kinobesuch im Lebenslauf, S. 124.

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A.-R. Haumann, K. Kröger, C. Kuller, M. Plaul, P. Rössler, M. Schlobach, R. Smolarski

im Alltag eine gänzlich andere Bedeutung zuschrieb, wurde bislang kaum untersucht. Zum einen, weil zahlreiche in der DDR durchgeführte Filmre­ zeptionsstudien wegen politischer Zensur nie veröffentlicht wurden.5 Zum anderen, weil nach dem Fall der Mauer die Geschichte des DDR-Kinos mit DEFA und Progress vor allem als Filmpolitik- und Produktionsgeschichte6 fortgeschrieben wurde, ohne die Perspektive der DDR-Bürgerinnen und -Bürger zu berücksichtigen.7 An dieser Stelle setzt das Forschungsprojekt „Kino in der DDR – Rezep­ tionsgeschichte ‚von unten‘“8 an, dessen Ziel es ist, die Kinogeschichtsfor­ schung um die bislang weitgehend ausgesparte Sichtweise der DDR-Kino­ besucherinnen und -besucher zu erweitern. Auf Grundlage eines Citizen Science-Ansatzes soll dabei Quellenmaterial zu verschiedenen Aspekten des Kinobesuchs in der DDR auf einer digitalen Plattform gesammelt wer­ den. Hierzu zählen beispielsweise Zeitzeugenberichte, Fotografien oder auch andere private Zeugnisse von Bürgerinnen und Bürgern, die über klassische historische Methoden nur schwer zugänglich sind. Anhand der hinzugewonnenen Quellen wird eine breite Datengrundlage geschaffen, auf deren Fundament eine Alltagsgeschichte des Kinos in der DDR erar­ beitet werden soll. In diesem Kontext ergeben sich weiterführende Fragen nach den Narrativen und Sinndeutungen, in die diese Quellen eingebun­ den sind. Zugleich setzt sich das Projekt aber auch mit den Möglichkeiten und Herausforderungen von Citizen Science in der Geschichtswissenschaft auseinander: Es wird danach gefragt, welche Chancen die gesellschaftliche Partizipation in geisteswissenschaftlichen Forschungsprozessen eröffnet, und dies anhand des Fallbeispiels „Kino in der DDR“ erörtert.

5 Siehe hierzu den Beitrag von Dieter Wiedemann in diesem Band. 6 Vgl. hierzu u. a. Finke, Klaus: Politik und Film in der DDR, 2 Teilbände, Oldenburg 2007 sowie Filmmuseum Potsdam (Hrsg.): Das zweite Leben der Filmstadt Babels­ berg. DEFA-Spielfilme 1946–1992, Berlin 1994. 7 Zur Notwendigkeit einer Erweiterung der DDR-Kinogeschichtsforschung um die Perspektive des Publikums siehe auch: Carius, Hendrikje/Kuller, Christiane/Röss­ ler, Patrick/Smolarski, René: Development of a Cross-Project Citizen Science Plattform for the Humanities, in: Marlene Ernst/Peter Hinkelmanns/Lina Maria Zangerl/Katharina Zeppezauer-Wachauer (Hrsg.): Digital Humanities Austria 2018. Empowering Researchers, Wien 2020, online abrufbar: https://epub.oeaw.ac.at/?arp=0 x003b3d14 (Zugriff 10.6.2022). 8 Das Projekt ist an der Interdisziplinären Forschungsstelle für historische Medien (IFhM) der Universität Erfurt angesiedelt und verbindet als Teil des Netzwerks für digitale Geisteswissenschaften und Citizen Science die Forschungsbereiche der Geschichts-, Informations- und Kommunikationswissenschaft.

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Kinogeschichte miteinander erforschen und (be-)schreiben

Der folgende Beitrag gliedert sich in die drei Teilbereiche der Ge­ schichts-, Informations- und Kommunikationswissenschaft, die an dem interdisziplinär ausgerichteten Forschungsprojekt beteiligt sind. Er befasst sich zunächst mit dem Citizen Science-Ansatz des Projektes, der im Be­ reich der Geschichtswissenschaft eng mit dem Feld der Public History verknüpft ist, und erläutert darauf aufbauend das Erkenntnisinteresse des Forschungsvorhabens. Danach richtet sich der Blick auf die virtuelle Forschungsumgebung des Projektes, die als partizipative Plattform kon­ zipiert ist und mit ihren digitalen Werkzeugen den Forschungsprozess unterstützt. Neben der technischen Umsetzung und Funktionsweise der Projektplattform setzt sich dieser Abschnitt auch mit der Rolle der darin eingebundenen digitalen Quellen und Materialien als Zeugnisse einer DDR-Kinokultur auseinander. Anschließend werden die Herausforderun­ gen bei der Kontaktaufnahme mit der potenziell interessierten Öffentlichkeit aufgezeigt und es wird erläutert, wie diese im Rahmen einer adressa­ tenorientierten Kommunikationsstrategie angegangen wurden. Der Erfolg des zugrunde gelegten Kommunikationskonzepts wird schließlich anhand von Ergebnissen einer Evaluationsstudie zur Online-Kommunikation be­ wertet, um in einem weiteren Schritt die Chancen und Barrieren des digitalen Zugangs für diese spezifische Zielgruppe zu diskutieren. Citizen Science in der Geschichtswissenschaft In den letzten Jahren finden zunehmend Ansätze Eingang in die institu­ tionalisierte, historisch ausgerichtete Forschungslandschaft, die unter dem Schlagwort Citizen Science (bzw. im deutschsprachigen Raum unter dem Label der ‚Bürgerwissenschaft‘) versuchen, eine interessierte Öffentlichkeit in den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess einzubeziehen. Die Partizipa­ tionsmöglichkeiten können dabei von der reinen Zuarbeit (Crowdsour­ cing) bis zu einer kooperativen Zusammenarbeit auf Augenhöhe (Citizen

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Science) reichen.9 Wissenschaft und Öffentlichkeit werden im Rahmen dieser Ansätze jedoch stets in einem engen Bezug zueinander gedacht, der im Idealfall weit über eine unilaterale gesellschaftliche Informations- und Bildungsfunktion von Forschung hinausreicht. Verglichen mit den Naturwissenschaften fand diese Öffnung des wis­ senschaftlichen Erkenntnisprozesses und die damit verbundene Teilhabe einer außeruniversitären Öffentlichkeit in den Geistes- und Kulturwissen­ schaften (und insbesondere in der Geschichtswissenschaft) eher zögerlich statt, was sowohl auf strukturelle Hindernisse als auch auf methodische Bedenken zurückzuführen ist. Die Ausweitung des Einsatzes digitaler Technologien – und hier vor allem die unter dem Paradigma des Web 2.0 einsetzende Erweiterung des World Wide Web um interaktive und kollaborative Elemente – hat jedoch auch in den verschiedenen Bereichen der historischen Forschung das Po­ tenzial bürgerwissenschaftlicher Forschungsprojekte enorm vergrößert.10 Die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften haben dieses Potenzial bür­ gerwissenschaftlich gestützter Forschungsarbeit in den letzten Jahren zu­ nehmend erkannt und unter dem Schlagwort Citizen Humanities heraus­

9 Zur Citizen Science als Methode in der Geschichtswissenschaft und zu den ver­ schiedenen Ebenen partizipativer Beteiligung siehe unter anderem Smolarski, René/Carius, Hendrikje/Prell, Martin (Hrsg.): Citizen Science in den Geschichtswis­ senschaften. Methodische Perspektive oder perspektivlose Methode? (Schriftenreihe des Netzwerkes für digitale Geisteswissenschaften und Citizen Science, Band 3), Göt­ tingen 2023 (in Vorbereitung); Carius, Hendrikje/Ernst, Marlene/Munke, Martin/ Smolarski, René: Gemeinsam Geschichte(n) entdecken, erforschen, rekonstruie­ ren. Stand und Perspektiven von Citizen Science in den Geschichtswissenschaf­ ten, in: Aletta Bonn u. a. (Hrsg.): Citizen Science – Gemeinsam forschen! Ein Hand­ buch für Wissenschaft und Gesellschaft, Cham 2022 (angenommen). 10 Vgl. hierzu Homepage des Netzwerkes Bürger schaffen Wissen, online abrufbar: https://www.buergerschaffenwissen.de/citizen-science/handbuch/digital-citizen-sci ence (Zugriff 10.6.2022).

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gearbeitet.11 Betont wird in diesem Zusammenhang stets, dass die Koope­ ration von institutionalisierter und nicht-institutionalisierter Wissenschaft nicht allein für die wissenschaftlichen Beteiligten einen Mehrwert bietet, sondern auch für öffentliche Belange und konkrete Anwendungsfragen von Relevanz ist.12 Dies betrifft auch die historische Forschung. Aus Sicht der universitären Geschichtswissenschaft verspricht die Ein­ bindung einer interessierten nicht-institutionalisierten Öffentlichkeit in den Wissenschaftsprozess auf den unterschiedlichen Ebenen bürgerwissen­ schaftlicher Beteiligung nicht nur eine Integration bislang unzugänglicher historischer Quellenbestände13 oder deren Erschließung, Ordnung und

11 Eine Zusammenfassung findet sich bei Göbel, Claudia/Henke, Justus/Mauermeis­ ter, Sylvi: Kultur und Gesellschaft gemeinsam erforschen. Überblick und Handlungsop­ tionen zu Citizen Science in den Geistes- und Sozialwissenschaften (HoF-Handrei­ chungen 14), Halle‐Wittenberg 2020, S. 25–29. Zum Begriff der Citizen Huma­ nities siehe auch Heinisch, Barbara/Oswald, Kristin/Weißpflug, Maike/Shuttle­ worth, Sally/Belknap, Geoffrey: Citizen Humanities, in: Katrin Vohland/Anne Land-Zandstra/Luigi Ceccaroni/Rob Lemmens/Josep Perelló/Marisa Ponti/ Roeland Samson/Katherin Wagenknecht (Hrsg.): The Science of Citizen Science, Cham 2021, S. 97–118, hier S. 98–99. Im Bereich der Sozialwissenschaften findet hingegen seit einiger Zeit vor allem der Begriff der Citizen Social Science Ver­ wendung. Vgl. Thomas, Stefan/Schröder, Susan/Scheller, David: Citizen Social Science. Das Research Forum als partizipative Forschungsmethodik, in: Sandra Eck (Hrsg.): Forschendes Lernen – Lernendes Forschen. Partizipative Empirie in Erzie­ hungs- und Sozialwissenschaften, Weinheim 2018, S. 103–115. 12 Göbel/Henke/Mauermeister: Kultur und Gesellschaft, S. 25. 13 Beispielhaft sei hier auf den Bereich der Philatelie verwiesen. Vgl. Smolarski, Pierre/Smolarski, René: Wissenschaftliches Stiefkind und amateurhafte Liebhabe­ rei. Ein designrhetorischer Zugang zur Philatelie als historischer Grundwissen­ schaft, in: Étienne Doublier/Daniela Schulz/Dominik Trump (Hrsg.): Die Histori­ schen Grundwissenschaften heute. Tradition – Methodische Vielfalt – Neuorientierung, Köln/Weimar/Wien 2020, S. 95–119.

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Transkription,14 sondern auch die Eröffnung neuer Perspektiven und in­ terdisziplinärer Problemlösungsansätze.15 Eine solche Zusammenarbeit universitärer und außeruniversitärer For­ schung ‚auf Augenhöhe‘16 bietet insofern weiterführende Potenziale für die historische Forschung, als dass gerade durch die öffentlichkeitswirksame Durchführung insbesondere digitalgestützter Citizen Science-Projek­ te auch die Zugänglichkeit, Sichtbarkeit und Popularität der jeweiligen Forschungsfelder gesteigert wird. Citizen Science ist somit stets mit öffentlicher Wissenschaftsvermittlung – und damit im Bereich der Geschichts­ wissenschaft mit dem Feld der Public History – verbunden.17 Diese öf­ fentliche Dimension von Citizen Science-Projekten erbringt zudem einen wesentlichen Mehrwert für die beteiligten Bürgerwissenschaftlerinnen und

14 Stellvertretend seien hier Transkriptionsprojekte wie das Projekt Transcribe Bent­ ham genannt. Vgl. Causer, Tim/Tonra, Justin/Wallace, Valerie: Transcription ma­ ximized; expense minimized? Crowdsourcing and editing. The Collected Works of Jeremy Bentham, in: Literary and Linguistic Computing 27 (2012) 2, S. 119–137, online abrufbar: https://doi.org/10.1093/llc/fqs004 (Zugriff 10.6.2022). 15 Vgl. Oswald, Kristin/Smolarski, René: Einführung: Citizen Science in Kultur und Geisteswissenschaften, in: Kristin Oswald/René Smolarski (Hrsg.): Bürger Künste Wissenschaft. Citizen Science in Kultur und Geisteswissenschaften, Gutenberg 2016, S. 9–27, hier S. 14. Siehe hierzu auch: Tauginienė, Loreta/Butkevičienė, Eglė/ Vohland, Katrin/Heinisch, Barbara/Daskolia, Maria/Suškevičs, Monika/Portela, Manuel/Balázs, Bálint/Prūse, Baiba: Citizen science in the social sciences and hu­ manities. The power of interdisciplinarity, in: Palgrave Communications 6, 89 (2020), online abrufbar: https://doi.org/10.1057/s41599-020-0471-y (Zugriff 10.6.2022), S. 6. Zur Einbindung von Citizen Science-Ansätzen in die universitäre Forschungslandschaft siehe unter anderem Wyler, Daniel/Haklay, Muki: Integra­ ting citizen science into university, in: Susanne Hecker/Muki Haklay/Anne Bow­ ser/Zen Makuch/Johannes Vogel/Aletta Bonn (Hrsg.): Citizen Science. Innovation in Open Science, Society and Policy, London 2018, S. 168–181, online abrufbar: https://doi.org/10.14324/111.9781787352339 (Zugriff 10.6.2022). 16 Zur Durchführung von Citizen Science-Projekten auf Augenhöhe wurden von einer Arbeitsgruppe der European Citizen Science Association (ECSA) 2015 ein Best-Practice-Leitfaden dazu erarbeitet, was gute Bürgerwissenschaft ausmacht. Die zugrunde liegenden ten principles of citizen science finden sich bei: Robinson, Lucy Danielle/Cawthray, Jade Lauren/West, Sarah Elizabeth/Bonn, Aletta/Ansine, Janice: Ten principles of citizen science, in: Hecker/Haklay/Bowser/Makuch/ Vogel/Bonn (Hrsg.): Citizen Science, S. 27–40, online abrufbar: https://doi.org/10.1 4324/111.9781787352339 (Zugriff 10.6.2022). 17 Vgl. hierzu Smolarski, René/Speit, Sina: Was kann Public Interest Design aus Sicht der Geschichtswissenschaften sein?, in: Christoph Rodatz/Pierre Smolarski (Hrsg.): Was ist Public Interest Design?, Bielefeld 2018, S. 95–112. Zur Verbindung von Praxis und Public History vgl. unter anderem Cauvin, Thomas: Public History. A Textbook of Practice, New York 2016.

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Bürgerwissenschaftler, der über die reine „Freude am Mitmachen“18 hin­ ausgeht. Gerade eine Mitwirkung an Projekten mit geschichtswissenschaftlichem Bezug, die häufig auf große Resonanz in der Öffentlichkeit stoßen, fördert durch die damit einhergehende Vermittlung methodischer und theoretischer Kompetenzen den kritischen Umgang mit Quellen und ein besseres Verständnis für die Komplexität gesellschaftlicher Veränderun­ gen.19 Eine verstärkte Einbeziehung der Öffentlichkeit über die Bereiche des reinen Crowdsourcing hinaus kann somit auch zu einer Auseinander­ setzung mit Werten und Normen in der Gesellschaft beitragen.20 Dies bedeutet vor allem, dass durch das gemeinsame Reflektieren eine Stärkung der gesellschaftlichen Relevanz geisteswissenschaftlichen bzw. historischen Wissens über die Grenzen der universitären Geschichtswissenschaft hinaus erfolgt.21 Die Wissenschaftskommunikation in einem Citizen Science-Projekt – auf deren konkrete Umsetzung im Projekt „Kino in der DDR“ im Verlauf des Beitrages genauer eingegangen werden soll – ist jedoch nicht unidi­ rektional. Vielmehr erhalten die universitären Partnerinnen und Partner auch direktes Feedback zu ihren Forschungsfragen und werden zudem nicht selten mit kritischen Fragen konfrontiert, die den Blick auf die bearbeiteten Themen erweitern und unter Umständen neue Perspektiven ermöglichen.22 Forschung zum Mitmachen: „Kino in der DDR“ als partizipatives Projekt Ausgehend von den eben erläuterten Aspekten zum Einsatz partizipativer Formate in der historischen Forschung wird im Folgenden die grundle­

18 Bettel, Sonja: Forschung zum Mitmachen, in: upgrade 1 (2016), S. 33–35, hier S. 35. 19 Oswald/Smolarski: Einführung: Citizen Science. 20 Finke, Peter: Citizen Science und die Rolle der Geisteswissenschaften für die Zu­ kunft der Wissenschaftsdebatte. Citizen Science in Kultur und Geisteswissen­ schaften, in: Kristin Oswald/René Smolarski (Hrsg.): Bürger Künste Wissenschaft, S. 31–56, hier S. 32. 21 Göbel/Henke/Mauermeister: Kultur und Gesellschaft, S. 26, 60. 22 Vgl. hierzu Hendriks, Friederike/Niederhoff, Doris: Was haben Wissenschaftler von Wissenschaftskommunikation? – Eine Interviewstudie. 10. Forum Wissenschaftskommunikation, Wissenschaft im Dialog, Braunschweig 2017.

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A.-R. Haumann, K. Kröger, C. Kuller, M. Plaul, P. Rössler, M. Schlobach, R. Smolarski

gende Konzeption des Projektes „Kino in der DDR“ erläutert.23 Dessen Zielstellung ist es einerseits, bislang unzugängliches, in privater Hand liegendes Quellenmaterial für die Forschung zu erschließen. Andererseits soll eine Übersicht über die ostdeutsche Kinolandschaft zwischen 1945 und 1990, vor allem die Standorte der mittlerweile meist nicht mehr exis­ tierenden Kinos und Filmvorführstätten, die teilweise als Wanderkinos auf Campingplätzen und in den Gaststätten von Kleingartenanlagen betrieben wurden, ermittelt und durch die Nutzerinnen und Nutzer selbst validiert werden (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Kartenzentrierte Datenvisualisierung der Forschungsplattform über die Standorte der ostdeutschen Kinolandschaft (Stand: Juni 2022). Diese Zielstellung ist eingebettet in die Konzeption einer übergreifenden projektunabhängigen Citizen Science-Plattform, die mit unterschiedlichen Werkzeugen (etwa eine kartenzentrierte Datenvisualisierung oder ein in­ teraktives Bildarchiv) ausgestattet wurde und auch anderen Vorhaben zur

23 Siehe dazu auch Carius/Kuller/Rössler/Smolarski 2020: Development of a CrossProject Citizen Science Plattform; Smolarski, René/Carius, Hendrikje/Plaul, Mar­ cus: Perspectives and Challenges of Historical Research with Citizen Participati­ on. A Critical Reflection on the Example of „Cinema in the GDR“, in: Karoline Dominika Döring/Stefan Haas/Mareike König/Jörg Wettlaufer (Hrsg.): Digital History: Konzepte, Methoden und Kritiken Digitaler Geschichtswissenschaft, Berlin 2022, S. 303–317.

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Kinogeschichte miteinander erforschen und (be-)schreiben

Verfügung steht.24 Ausgangspunkt dieser Planungen war die Erkenntnis, dass bestehende digitale Infrastrukturen für Citizen Science-Projekte in den Geisteswissenschaften in der Regel auf Einzelstudien und die damit einhergehende Datenerfassung ausgerichtet sind, aber keine projektüber­ greifende Struktur für die Nachnutzung bieten. Aufgrund der vielschichtigen Anforderungen in Bezug auf die techni­ sche Konzeption und Implementierung, die medienwirksame Öffentlichkeitsarbeit und die historische Quellenarbeit war das Projekt von Beginn an interdisziplinär ausgelegt. Ausgehend von einer für die DDR-Alltags­ geschichte relevanten Fragestellung zur Kinopraxis als Teil der Alltagskul­ tur sollten nicht nur die infrastrukturelle Basis für eine systematische Zusammenarbeit zwischen Bürgerinnen und Bürgern einerseits und wis­ senschaftlichen Einrichtungen andererseits gelegt, sondern genauso neue Konzepte von Citizen Science erprobt und aus informations-, geschichtsund kommunikationswissenschaftlicher Perspektive reflektiert werden. Ci­ tizen Science wurde in diesem Zusammenhang in einem weiten Sinne als die Beteiligung der (zum großen Teil fachfremden) Öffentlichkeit in verschiedenen Phasen eines Forschungsprozesses unter Einhaltung wissen­ schaftlicher Standards verstanden. Diese Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern zielt im Projekt „Kino in der DDR“ in erster Linie auf eine Partizipation an den Funktionen der digitalen Plattform, die das Herzstück des Projektes bildet. Neben dem Eintragen von Ortsmarken auf der virtuellen Karte besteht die Möglich­ keit, bereits vorhandene Informationen anderer Nutzerinnen und Nutzer zu bearbeiten und zu kommentieren. Das Wissen bzw. die Erinnerungen der Nutzerinnen und Nutzer fließen zusätzlich in das Bildarchiv ein, wo Fotomaterial nicht nur hochgeladen, sondern auch mit Metadaten verknüpft wird. Im Verlauf des Projektes wurde ein zusätzliches Tool im­ plementiert, innerhalb dessen die beteiligten Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürgerwissenschaftler ihre erinnerten Daten nicht nur in die dafür vorgesehenen Masken eintragen, sondern auch Informationen hinterlassen können, die über die Abfrage des Ortes und der Größe der Kinos hinausge­ hen. So wurde mithilfe des Tools „Erfahrungsberichte“ eine weitere Mög­ lichkeit geschaffen, um Erinnerungen und Erfahrungen digital zu teilen und hochzuladen.

24 Der Quellcode der virtuellen Forschungsplattform „Kino in der DDR“ ist auf der GitHub-Webseite verfügbar: https://github.com/cos-ue (Zugriff 10.6.2022).

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Der technische Aufbau der Plattform „Kino in der DDR“ Die Grundlage der virtuellen Forschungsumgebung „Kino in der DDR“, über die Bürgerinnen und Bürger ihre Erinnerung an das Kino in der DDR teilen können, bildet die Plattform COSE25. Im Folgenden soll es um die Aufgabenverteilung zwischen COSE und der virtuellen For­ schungsumgebung gehen. Die Plattform COSE besitzt grundlegende Funktionen zum Verwalten von Nutzerdaten, dem Anlegen und Löschen von Bildern, dem Ändern von Bildinformationen wie Titel, Beschreibung und Quelle sowie dem Anlegen, Ändern und Löschen von Texten. Die virtuelle Forschungsumge­ bung nutzt diese Funktionen von COSE mittels einer Anwendungsschnitt­ stelle, kurz API (Application Programming Interface) genannt. Die virtuelle Forschungsumgebung stellt für Nutzerinnen und Nutzer die Hauptoberfläche der Anwendung dar. Eine Registrierung für die Nut­ zung ist sowohl in der virtuellen Forschungsumgebung als auch in COSE möglich. Für Nutzerinnen und Nutzer wird somit ein intuitiver Zugang geschaffen. Eine grafische Darstellung von COSE und der virtuellen Forschungsum­ gebung „Kino in der DDR“ zeigt Abbildung 2. Dort sind die einzelnen Schnittstellen zwischen COSE und der virtuellen Forschungsumgebung, welche im Bild als Modul bezeichnet wird, zu sehen. Aufgrund des modu­ laren Aufbaus können die verschiedenen Funktionen auch durch andere Forschungsumgebungen genutzt werden.

25 COSE (Citizen Open Science Erfurt) ist eine im Hintergrund arbeitende Platt­ form, mit der Nutzerinnen und Nutzer des Kinomoduls nur selten in Berührung kommen (z. B. bei der Bestätigung der E-Mail-Adresse).

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Abbildung 2: Schematisches Zusammenspiel von COSE und seinen Komponen­ ten. Die Benutzeroberfläche der virtuellen Forschungsumgebung „Kino in der DDR“ lässt sich in drei Teilbereiche untergliedern: die Karte, die Erfah­ rungsberichte und das Bildarchiv. Zu jedem Kino werden Grunddaten ge­ sammelt. Dies umfasst den Namen, die aktuelle Adresse, die geografischen Koordinaten, den Betriebszeitraum, ein Bild des Kinos, den Typ des Kinos und dessen Geschichte. Neben diesen Grunddaten werden Daten gesam­ melt, welche sich im Laufe der Zeit ändern können. Zu diesen gehören die historischen Namen und Adressen, die Anzahl der Säle und deren Sitzplätze sowie Erfahrungsberichte und weitere Bilder zum jeweiligen Kino. Alle Informationen rund um ein Kino werden durch einen eindeuti­ gen Identifikator miteinander verknüpft. Das Datenmodell der virtuellen Forschungsumgebung zeigt Abbildung 3. Nutzerinnen und Nutzer könne Bilder dem Bildarchiv hinzufügen. Zu den einzelnen Bildern muss ein Titel angegeben werden, eine Geschich­ te und eine Quelle lassen sich ergänzen. Ein Erfahrungsbericht besteht jeweils aus einem Titel und dem eigentlichen Text.

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Abbildung 3: Schematisches Prinzip des Aufbaus der Datenbank. Der sorgsame Umgang mit den Daten besitzt aus Sicht aller Beteiligten einen hohen Stellenwert. Die personenbezogenen Daten werden deswegen auf einen Minimalumfang reduziert, weshalb die Angabe von realen Voroder Nachnamen nicht verpflichtend ist. Jedoch benötigt das System eine Mailadresse zur Verifizierung des Zugangs und um dem Projektteam die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit den Nutzerinnen und Nutzern zu geben. Da Texte potenziell Informationen über Dritte enthalten können, die davon vielleicht nichts wissen, müssen sie durch eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter zuerst überprüft und freigegeben werden. Die Bereitstellung der technischen Plattform ist ein wichtiger Bestand­ teil des Projektes „Kino in der DDR“. Ein nicht weniger bedeutsamer Teilaspekt ist jedoch auch die Nutzung der digitalen Werkzeuge durch die Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürgerwissenschaftler, um der Forschung interessantes Quellenmaterial zur Verfügung zu stellen. Welche privaten Zeugnisse und Materialien hierfür infrage kommen und teilweise den Projekmitarbeitenden schon vorliegen, ist Gegenstand des nun folgenden Abschnitts. Zur Materialität des Kinoerlebnisses und den Medien der Erinnerungskultur Menschen denken oft mit Freude an ihre Kinobesuche zurück, nicht selten markieren Erinnerungen an Filmvorführungen auch biografische Wende­ punkte oder Schlüsselereignisse in der eigenen kulturellen Entwicklung. 286 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

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Dabei besitzt der Film als Medium einen entscheidenden Nachteil für die individuelle Erinnerungskultur: Seine Faszination entwickelt sich über das Storytelling in der Zeit, sein immersives Potenzial entsteht dabei im­ materiell als vergängliche Lichtspuren auf einer Leinwand.26 Souvenirs als kognitive Anker, die das Filmerlebnis zu konservieren helfen, entstehen also nicht ‚automatisch‘ durch das Medium selbst (wie etwa bei Zeitungen und Zeitschriften, aus denen man Artikel ausschneiden kann), sondern sind auf separate Nebenprodukte angewiesen.27 Diese lassen die dynami­ sche, zeitintensive Filmrezeption in statische Repräsentationen gerinnen; sie kristallisieren die Idee eines Films für die Kinobesucherinnen und -besucher in einem Filmprogramm oder einer Starpostkarte, einem Kino­ aushang oder nur einer Eintrittskarte. Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürgerwissenschaftler haben nicht selten ganze Sammlungen solcher Ma­ terialien angelegt – diese dienen ihnen dann einerseits zur Unterstützung ihrer Arbeit im Portal, andererseits wurden dem Projekt bereits auch mehrfach solche Sammlungen zur Ver- und Bewahrung angeboten, weil die Sammlerinnen und Sammler sich aufgrund persönlicher Lebenssitua­ tionen davon trennen wollten. Grundsätzlich sind hier – unbeschadet weiterer möglicher Differenzierungen – zwei Sorten von Material zu unterscheiden: (1) Individuelle Zusammenstellungen von Filmmemorabilia, die eine persön­ liche Handschrift tragen: Alle mit Eigenleistung aufbereiteten Souvenirs des Kinobesuchs, die bevorzugt in Alben (analog zu Fotoalben, Poesiealben etc.) verwahrt werden; Bestandteile sind oft Eintrittskarten und an der Kinokasse erworbene Postkarten, ebenso Ausschnitte aus Zeitschriften und Zeitungen mit Rezensionen oder Starporträts; seltener eigene Fotografien (vgl. Abbildung 4). Die Dokumente werden oft mit tagebuchähnlichen Einträgen versehen, was für die Verwendung in der Forschung essenziell ist, weil erst dies genauere Datierungen und Kontextualisierungen ermög­ licht. Gleichzeitig sind dies auch die alltagshistorisch interessantesten Ob­ jekte, die beispielsweise im Zuge von Citizen Science-Initiativen entdeckt werden können. Allerdings sind sie aufgrund ihrer Beschaffenheit nur schwierig in ein digitales Format zu übertragen – die Seiten lassen sich nur mit Mühe scannen, eigentlich müssen Einzelobjekte auf einer Seite separat erfasst und erschlossen werden, und gerade wenn es sich um eine 26 Pauleit, Winfried: Filmstandbilder. Passagen zwischen Kunst und Kino, Frankfurt am Main/Basel 2004. 27 Rössler, Patrick: Souvenirs aus dem Kinosaal. Historische Filmmemorabilia als Teil unserer medialen Erinnerungskultur, in: Ute Schneider (Hrsg.): Imprimatur. Ein Jahrbuch für Bücherfreunde, N.F. XXIV. München 2015, S. 73–100.

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ältere Zielgruppe handelt, ist diese mit so etwas schnell überfordert. Eine Unterstützung oder Mitwirkung durch eine die Citizen Science-Initiative koordinierende Instanz scheint hier unabdinglich.

Abbildung 4: Fan-Album zu der Schauspielerin Brigitte Bardot (1950er-Jahre, Quelle: Archiv der IFhM an der Universität Erfurt). (2) Institutionell bereitgestelltes und professionell produziertes Material für das Film-Marketing: Verleihe und große Kinos verfügten selbstverständlich über ein breites Repertoire an Werbemitteln, mit denen das Publikum für die jeweilige Filmaufführung interessiert werden sollte. Das Spektrum um­ fasste bei Progress, dem staatlichen Filmverleih der DDR, Plakate in un­ terschiedlichen Größen (vom gigantischen Dreifach-A0-Format28 über das Standard-Format A1 bis zum briefbogengroßen Miniaturformat), Wand­ zeitungen mit individuellem Eindruckfeld, Sätze von Aushangfotos, Dia­ positive, Matern (für die Anzeigenwerbung in der lokalen Presse) oder

28 Rössler, Patrick: Großes Kino. Monumentale DDR-Filmplakate der 1960er Jahre, Erfurt 2021.

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die Progress-Filmillustrierte (das Programm zum Film).29 Auf legalem We­ ge konnte allerdings nur Letztere gegen eine geringe Gebühr durch das Publikum im Kino erworben werden; alle anderen Materialien waren – wie ein erhaltener Lieferschein illustriert (vgl. Abbildung 5) – nach Ende der Spieldauer wieder an den Verleih zurückzugeben, sodass sie bei der nächsten Spielstätte erneut eingesetzt und mit der Filmkopie zugeschickt werden konnten. Dennoch fanden vereinzelt auch Plakate und Fotos den Weg zu Filmfans, wenn diese im guten Kontakt zur Spielstätte standen und dort vermeintlich verschlissene, abgenutzte oder verklebte Exemplare erhalten hatten. Zuweilen erstatteten diese Sammler den Kinobetreibern sogar die dann fälligen Gebühren, die Progress für den Materialausfall er­ hob, was sich mancherorts wohl zu einem lukrativen Nebenerwerb mau­ serte. Ein Bestand von über 100.000 dieser Werbematerialien hat sich nach der Abwicklung der Progress-Bezirksvertretungen durch einen glücklichen Zufall erhalten und wird nun von der Interdisziplinären Forschungsstelle für historische Medien (IFhM) an der Universität Erfurt für Forschung, Lehre und kulturelle Zwecke bereitgehalten. Bei der Verwendung dieses professionellen Materials auf der Online-Plattform ist aber zwingend die Frage der Urheber- und Verwertungsrechte zu klären, im vorliegenden Fall mit der DEFA-Stiftung als Rechtsnachfolgerin auch des Progress-Filmver­ leihs. Werden diese beiden Materialgruppen zugrunde gelegt, lassen sich im Umkehrschluss grob drei Typen von Content-Anbietern unterscheiden, die auf jeweils spezifische Weise zum Erfolg eines Citizen Science-Ange­ bots im Bereich Kino beitragen können: (A) Koordinatorinnen und Koordinatoren der Citizen Science-Initiative. Wenn die Forschenden oder Koordinatorinnen und Koordinatoren die Plattform flankierend durch ein redaktionelles Angebot ergänzen, so kann es sich anbieten, hier auch das professionell produzierte Material unter (2) zu integrieren. Im Fall der Plattform zum DDR-Kino ergänzt ein Blog durch die kontinuierliche Aufbereitung aktueller Themen und Beiträge den Upload durch die Mitwirkenden;30 hierfür wird, sofern passend, auch auf die Bestände der IFhM zurückgegriffen.

29 Für eine Übersicht vgl. Rössler, Patrick: Wie der Film in die Thüringer Kinos kam… und wie das Publikum auf ihn aufmerksam wurde. Verleihwerbung in der DDR, in: Michael Grisko/Patrick Rössler (Hrsg.): DEFA in Thüringen. Staatliche Filmproduktion zwischen gesellschaftlichem Auftrag und regionaler Topographie, Ba­ den-Baden 2018, S. 189–211. 30 Vgl. Projekthomepage Kino in der DDR, online abrufbar: https://projekte.uni-erfu rt.de/ddr-kino/blog/ (Zugriff 10.6.2022).

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Abbildung 5: Lieferschein des VEB Progress Filmverleihs (Juni 1965, Quelle: Archiv der IFhM an der Universität Erfurt).

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(B) Kinopublikum und Filmfans. Die Kernzielgruppe der Citizen SciencePlattform rekrutiert sich naheliegenderweise aus filmbegeisterten Perso­ nen, die ihre Erfahrungen und Erlebnisse im Kontext des Kinos und der Filmproduktion mit anderen teilen möchten.31 Dieser Kreis von Mitwir­ kenden wird, neben dem sprachlich vermittelten, reichen Erinnerungs­ schatz, materiell primär die Ergebnisse ihrer eigenen Sammlung von Film­ memorabilia beizutragen haben (vgl. Abbildung 6). Diesen Dokumenten muss das größte Augenmerk gelten, sind sie doch ansonsten nirgendwo systematisch erfasst oder verfügbar, konstituieren mithin einen originären Beitrag der Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürgerwissenschaftler zur ana­ logen Überlieferung von Filmkultur. Das Kino-Projekt stellt diese Materia­ lien auch in einer klassischen Broschürenreihe vor.

Abbildung 6: Album mit Erinnerungsfotos an den Besuch der Kinderschauspieler des Films „Pünktchen und Anton“ (Capitol Hagen, September 1953, Quelle: Archiv der IFhM an der Universität Erfurt). (C) (Ehemalige) Insider des Film- und Kinogewerbes. Eine im Kreis der potenziell an einer Citizen Science-Initiative Mitwirkenden besonders

31 Weitere Erläuterungen zur Kernzielgruppe erfolgen später im Abschnitt „Evalua­ tion der Online-Kommunikation des Forschungsprojektes“ in diesem Beitrag.

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Abbildung 7: Kostenanschlag für Sanierungsarbeiten, Baugeschäft Max Herr­ mann für Astoria-Lichtspiele, Dresden (Dezember 1953. Quelle: Archiv der IFhM an der Universität Erfurt). 292 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

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interessante Zielgruppe sind frühere Beschäftigte aus der Branche, die über Insiderwissen verfügen und damit zwischen beiden Polen stehen: Sie sind in der Lage, zwar in einem professionellen Kontext gewonnenes, aber dennoch individuelles Material beizusteuern, das (neben den persönlichen Fankulturen) die Kinobranche auch als Berufswelt für manche Bevölke­ rungsteile lebendig werden lässt. Kinobesitzerinnen und Kinobesitzer und Filmvorführerinnen und Filmvorführer, Komparsen und Beschäftigte in Maske und Kostüm – die Liste potenzieller Beiträgerinnen und Beiträger ist beträchtlich. Beispielhaft sei hier die Korrespondenz aus dem Nachlass des Dresdner Kinobetreibers Hans Scheibe genannt, die uns von dessen Sohn Ralf zugetragen wurde und etwa Dokumente zum Betrieb der Asto­ ria Lichtspiele in den 1950er-Jahren enthält. Auch scheinbar ephemeren Schriftstücken wie dem Kostenanschlag eines lokalen Baugeschäfts aus dem Jahr 1953 (vgl. Abbildung 7) sind dann interessante Aufschlüsse zur baulichen Beschaffenheit eines nicht mehr existenten Filmtheaters zu ent­ nehmen und geben Hinweise auf den Alltag in einem Kinoberuf. In der Gesamtschau wird deutlich, dass auch digitale, auf den virtuel­ len Raum hin orientierte Citizen Science-Projekte, die datenbankgestützt arbeiten und auf der Logik eines Content-Management-Systems beruhen, stets die Rückgriffe auf die analoge Materialität von relevanten Grundla­ gen für die bürgerwissenschaftlichen Beiträge mitdenken müssen. Im Falle des Kinos sind das die vielfältigen Medien der Filmpublizistik, auch in ihren individuellen Aneignungsformen durch die Kinogängerinnen und Kinogänger. Ein Transfer vom Analogen ins Digitale wird dann unver­ meidlich; inwieweit die Barrieren für diesen Prozess – die nicht nur aus den Beschränkungen des Urheberrechts, sondern auch in praktischen Digi­ talisierungshürden bestehen – möglichst geringgehalten werden können, hängt dabei aber nicht nur von der Natur der Materialien ab, sondern auch von der Medienkompetenz der adressierten Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürgerwissenschaftler. Herausforderungen bei der Kontaktaufnahme mit der Öffentlichkeit Für die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger, mit dem Projekt in Kontakt zu treten, waren offenbar nicht nur die Öffentlichkeitsmaßnahmen des Projektes von Bedeutung. Wie Rückmeldungen aus der Zielgrup­ pe zeigten, spielte auch eine Rolle, dass das Projekt in einschlägigen Netzwerken, insbesondere in Kino-Fanklubs, die schon seit der DDR-Zeit bestanden, ‚weiterempfohlen‘ wurde. Viele Bürgerinnen und Bürger, die Kontakt aufnahmen und bereit waren, ihre Erfahrungen zu teilen, erzähl­ 293 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

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ten, dass sie zunächst gegenüber einem Projekt der Universität skeptisch gewesen seien. Sie befürchteten, dass vom Projekt nur ganz bestimmte DDR-kritische Narrative erwartet und andere Stimmen nicht gehört wer­ den würden. Mit öffentlichen Veranstaltungen und über die erwähnten Netzwerke konnte solchen Vorbehalten begegnet werden. Dies bedeutet aber auch, dass sich das Engagement vor allem kanalisiert über solche Netzwerke entwickelt hat und nicht in einem offenen Prozess stattfand. Eine wichtige Rolle spielt das Alter der Bürgerinnen und Bürger, die das Projekt erreichen konnte. Nachdem das Ende der DDR inzwischen über 30 Jahre zurückliegt, war davon auszugehen, dass die anzusprechen­ den Personen mit eigenen Erfahrungen mindestens 40 bis 45 Jahre alt sein müssen. Vielfach meldeten sich auch ältere Menschen ab 65 Jahren und deutlich darüber hinaus, die Erfahrungen aus weiter zurückliegenden Phasen der DDR-Zeit teilen wollten. Zumindest diese Klientel gab mehr­ fach zurück, dass das digitale Format ein erhebliches Hindernis darstellen würde: Das Projekt hatte zahlreiche Kontaktaufnahmen von Personen, die Material schicken und ihre Geschichten erzählen wollten, jedoch die digitalen Tools nicht bedienen konnten oder wollten.32 Offenbar waren die digitalen Angebote für die Zielgruppe älterer Menschen weniger an­ sprechend. Das Projekt wird sich aufgrund dessen in seiner Schlussphase auch damit beschäftigen, wie die Zugänglichkeit der Plattform auch für weniger Internet-affine Personen verbessert werden kann. Die Problematik geht jedoch nach den ersten Ergebnissen der Evaluati­ on weit über Barrieren der digitalen Kommunikation und die mutmaß­ liche geringere technische Versiertheit der angesprochenen Zielgruppe hinaus: Viele Menschen möchten ihre Erfahrungen bevorzugt in einem persönlichen Gespräch an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weitergeben. Sie betten die Kinoerfahrungen in lebensgeschichtliche Kon­ texte ein, die sie mündlich in einem Dialog-Gespräch vor Ort erzählen und nicht über digitale Formate teilen wollen. Diese Bedürfnisse zeigten sich bereits in den ersten Projektwochen, weshalb das Projekt schon frühzeitig Ansätze entwickelte, um durch die Integration von Oral-History-Elemen­ ten interessante Quellen (Oral-History-Gespräche und anderes Material der Zeitgenossinnen und Zeitgenossen) zu erschließen.

32 Eine durchgeführte Evaluierung zur Online-Kommunikation des Projekts, auf die an späterer Stelle noch einmal genauer eingegangen wird, ergab, dass ältere Perso­ nen ab 65 Jahren nur schwer über die projekteigenen Online-Kanäle zu erreichen sind. Der Anteil dieser Personengruppe belief sich lediglich auf 3,1 Prozent, die auf digitalem Wege von dem Projekt erfahren haben.

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Dass kaum Bürgerinnen und Bürger im Alter über 65 Jahren beim Eintragen von Lichtspielhäusern auf der Plattform partizipieren, ist der Distanz der altersmäßigen Zielgruppe geschuldet, da es viele Personen gab, die mit dem digitalen Format nicht angesprochen werden konnten.33 Die digitale Hürde, sich nicht ‚bloß‘ mit dem Internet, sondern auch mit einer interaktiven Plattform zu beschäftigen, schien bei vielen Personen zu hoch zu sein. Dieses Publikum, dessen Wissen ein Potenzial für die Geschichts­ wissenschaft aufweist, beschäftigt sich kaum mit dem Internet und noch weniger mit interaktiven Plattformen.34 Die Mehrheit der zu erreichenden Altersgruppen bevorzugte die ihnen geläufigen analogen Möglichkeiten, ihre Erinnerungen zu teilen. So wurden selbstverfasste Texte, persönliche Gespräche oder Telefonate bevorzugt. Die aus diesen Formen gewonnenen Erkenntnisse mussten dann zuerst von den wissenschaftlichen Mitarbeite­ rinnen und Mitarbeitern in die Plattform eingespeist werden, um dort sichtbar und für die Öffentlichkeit nachvollziehbar zu werden. Dieses ‚Über-Eck-Spiel‘ ist jedoch im Sinne des Projektes und des Citizen ScienceGedankens problematisch zu bewerten, da die verzeichneten Daten auf der Plattform dann nicht mehr von den Bürgerinnen und Bürgern selbst eingetragen werden, wie es dem Grundgedanken der bürgerwissenschaftlichen Plattform entspricht. Die Zahl der Kino-Eintragungen wurde auf diese Weise erhöht, während sich die Anzahl der tatsächlich angemeldeten Userinnen und User langsamer fortentwickelte.35

33 Die Divergenz der Zielgruppe und der digital-affinen Gruppe war zu Beginn des Projektes „Kino in der DDR“ bereits klar. Dennoch sind die Reichweite und die Publikumszahl, die mit dem digitalen Frontend erreicht werden, deutlich höher, als würde lediglich das analoge Publikum angesprochen werden. In diesem Sinne ist das digitale Frontend hier als Katalysator zu sehen. 34 Vgl. hierzu u. a. Huxhold, Oliver/Otte, Katrin: Internetzugang und Internetnut­ zung in der zweiten Lebenshälfte, in: dza akutell. Deutscher Alterssurvey, Heft 01/2019, S. 10–17. Beispielsweise hatten laut dieser Studie im Jahr 2017 nur 54,3 % der Frauen zwischen 73 und 78 Jahren überhaupt einen Internetzugang. Weiterhin gaben selbst ab der Altersgruppe der 55 bis 60-Jährigen bis zur Alters­ gruppe 79 bis 84 Jahre nur zwischen 5,4 und 8,5 % der Befragten an, im Internet eigene Inhalte erzeugen zu wollen. 35 Smolarski, René/Kröger, Kathleen: Das digitale Frontend. Katalysator oder Fla­ schenhals für Citizen Science-Projekte in der Geschichtswissenschaft?, in: Robert Gramsch-Stehfest/Christian Knüpfer/Christian Oertel/Clemens Beck (Hrsg.): Das Frontend als ‚Flaschenhals‘? Mediävistische Ressourcen im World Wide Web und ihre digitalen Nutzungspotentiale für Historiker, Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaf­ ten/Sonderband 6, 2022, online abrufbar: https://doi.org/10.17175/sb006 (im Erscheinen).

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Die Maßnahmen im Rahmen der COVID-19-Pandemie, die eine Teil­ nahme an einem digitalen Projekt eher begünstigte und die Bereitschaft zur Nutzung digitaler Technologien grundsätzlich erhöhte,36 da die Parti­ zipation auch im Lockdown möglich blieb, wirkte sich für den Verlauf des Kinoprojektes eher nachteilig aus, da die begleitenden, für einen Teil der Zielgruppe wichtigen nicht-digitalen Beteiligungsformate entfielen. Geplante Veranstaltungen sowohl in ehemaligen als auch in bestehenden Kinos der neuen Bundesländer sowie Workshops vor Ort und Besuche bei wenig mobilen Gesprächspartnerinnen und -partnern mussten verschoben bzw. abgesagt werden. Das Projekt sprach jedoch nicht nur Menschen mit persönlichen Kino­ erfahrungen aus der DDR-Zeit an. Beteiligt haben sich daneben auch Expertinnen und Experten, die sich ihr sehr umfangreiches Wissen auf anderem Wege erarbeitet haben (Citizen Scientists). So verfügt das Projekt über Kontakte zu Sammlerinnen und Sammlern historischer Filmmemo­ rabilia sowie zu Menschen, die lokale und regionale Kinogeschichte(-n) aufwendig recherchiert haben. Das Projekt hatte auch das Ziel, mit dem digitalen Format jüngere und jugendliche Menschen zu adressieren, die über digitale Tools besser zu erreichen sind, und wollte diese Altersgruppe ebenfalls für das Thema interessieren. Über die verschiedenen Gespräche mit Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern hat sich im Laufe des Projekts bestätigt, dass sich vor allem solche Personen angesprochen und zur Partizipation ermutigt füh­ len, die einen selbstbewussten Dialog mit Wissenschaftlerinnen und Wis­ senschaftlern führen wollen. Dies ist in der Regel mit einem höheren Bildungsgrad und einem bürgerlichen Hintergrund verbunden. Zudem handelt es sich um Menschen, die ihre Geschichte erzählen wollen – nur solche Erfahrungen kann ein Projekt, das auf Freiwilligkeit basiert, naturgemäß einfangen. Dies bedeutet jedoch auch, dass lediglich ein spe­ zifischer Ausschnitt aus dem Spektrum möglicher Kinoerfahrungen wahr­ genommen und gesichert wird. Menschen, die gesellschaftlich weniger artikulationskräftig sind oder weniger Motivation haben, ihre Stimme zu Gehör zu bringen, sind unterrepräsentiert.

36 Avenarius, Christine: Was Bedeutet Corona für starke und schwache Beziehun­ gen?, in: Christian Stegbauer/Iris Clemens (Hrsg.): Corona-Netzwerke. Gesellschaft im Zeichen des Virus, Wiesbaden 2020, S. 53–62. Avenarius beschreibt den Sachver­ halt, dass der Wunsch nach digitaler Kommunikation in allen Altersgruppen auf­ grund der Einschränkungen der Covid-19-Pandemie wuchs. Darüber hinaus stellt sie fest, dass Menschen während der Pandemie zum Teil über Plattformen inter­ agieren, die sie zuvor gar nicht oder nur wenig genutzt hatten.

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Ausgangslage, Ziele und Umsetzung der Projektkommunikation Die eben skizzierten Überlegungen und Problemfelder hinsichtlich der Einbindung einer eher weniger Internet-affinen Zielgruppe in ein digitales Forschungsformat finden sich auch in der Ausgestaltung einer geeigneten Kommunikationsstrategie für das Projekt wieder. Den Projektinitiatorin­ nen und -initiatoren war von Beginn an bewusst, dass das zugrunde liegen­ de Kommunikationskonzept verschiedene Instrumente der Offline- und Online-Kommunikation verknüpfen muss, um eine adäquate Menge an Laienforschenden zu erreichen, die für das Projekt hilfreich sein könnten. Hierzu wurden zum einen die klassischen Wege der Wissenschaftskommunikation bemüht – beginnend bei Flyern, Projektplakaten und Broschüren bis hin zu Präsenzveranstaltungen und Workshops –, einhergehend mit der medialen Verbreitung von Informationen mittels Pressearbeit. Gerade für die zu erreichende Zielgruppe ab einem Alter von circa 40 bis 45 Jahren spielt der Wissenschaftsjournalismus37, also die selektive und taxie­ rende journalistische Berichterstattung über Wissenschaft in Presse und Rundfunk, aber auch im Internet, nach wie vor eine wichtige Rolle, die im Kontext der Kommunikationsarbeit nicht vernachlässigt werden konnte.38 Dem Forscherteam war außerdem die Integration hybrider Be­ teiligungsformate wichtig, um sowohl die verschiedenen Zielgruppen für die Mitwirkung am Projekt zu motivieren als auch narrative Elemente einzufügen und mit den erinnerten Fakten zu verbinden. Im Projekt „Ki­ no in der DDR“ wurden und werden dazu verschiedene Formate wie In­ terviews, Zeitzeugenbefragungen oder öffentliche Veranstaltungen wie Er­ 37 Weiterführende Informationen zu Aufgaben und Eigenschaften des Wissen­ schaftsjournalismus siehe auch Blöbaum, Bernd: Wissenschaftsjournalismus, in: Heinz Bonfadelli/Birte Fähnrich/Corinna Lüthje/Jutta Milde/Markus Rhomberg/ Mike S. Schäfer (Hrsg.): Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation, Wiesbaden 2017, S. 221–238 sowie zum Rollenverständnis von Wissenschaftsjournalisten in Abgrenzung zu Wissenschaftskommunikatoren Heißmann, Nicole: „…und schreiben Sie uns einen schönen Artikel!“. Zum Verhältnis der Wissenschaftsjournalisten zu Wissenschaftskommunikatoren, in: Beatrice Dernbach/Christian Klei­ nert/Herbert Münder (Hrsg.): Handbuch Wissenschaftskommunikation, Wiesbaden 2012, S. 221–227. 38 Zu nennen sind unter anderem mehrere Filmbeiträge in den TV-Regionalnach­ richten des MDR Thüringen, der Artikel „Kino in der DDR. DEFA Film in Farbe – aber ohne Popcorn“ in der Maiausgabe der SuperIllu 2021, das Radiointerview „Kinobesucher als Bürgerwissenschaftler“ im Deutschlandfunk-Kultur vom 25.10.2020, online abrufbar: https://www.deutschlandfunkkultur.de/forschungspr ojekt-kino-in-der-ddr-kinobesucher-als-100.html (Zugriff 10.6.2022) oder auch der Beitrag „Die Spur der Filme“ in der ZEIT-Wissen in Ausgabe 05/2020, S. 62.

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zählcafés39, Filmnachmittage sowie offene Diskussionsrunden eingesetzt, um eine Brücke zur interessierten Öffentlichkeit zu bauen. Neben diesen klassischen Medienkanälen der Wissens- und Wissen­ schaftskommunikation liegt – passend zum digitalen Zuschnitt des Pro­ jektes – ein weiterer Schwerpunkt der Projektkommunikation auf OnlineKommunikationsformen. Dies umfasst insbesondere die Bereitstellung eines Projektblogs40 als Bindeglied und Vermittler zwischen virtueller Forschungsplattform und Öffentlichkeit, der von einem Twitter- und Facebook-Kanal inhaltlich begleitet wird. Im Fokus der Projektkommuni­ kation steht einerseits die Schaffung eines Informationsangebots zum For­ schungsvorhaben „Kino in der DDR“ und andererseits die Bereitstellung dialog- und beteiligungsorientierter Formate, um in den inhaltlichen Aus­ tausch mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern zu treten. Des Weite­ ren richten sich die durch die Projektverantwortlichen initiierten Angebo­ te nicht nur an potenzielle Laienforschende, sondern genauso an mögliche Multiplikatoren der professionellen Medienarbeit und an bestehende Citi­ zen Science-Communities im deutschsprachigen Raum, wie etwa Bürger schaffen Wissen41, Österreich forscht42 und Schweiz forscht43. Das Internet mit seinen unterschiedlichen Kommunikationsmodi und -diensten erlaubt es den Wissenschaftsakteuren, mit geringem Aufwand und niedrigem Kostenfaktor viele potenzielle Interessenten anzusprechen und zum Mitmachen zu motivieren. Daher liegt es nahe, dass auch die Projektverantwortlichen von „Kino in der DDR“ verstärkt auf OnlineKommunikationsangebote setzten und setzen, obwohl die Wahl dieses Formats im Hinblick auf die gewünschte Zielgruppe zunächst wenig vielversprechend erscheint. Zu klären bleibt, ob über die eingeschlagene Kommunikationsstrategie die gesteckten Ziele der Projektinitiatoren tat­

39 Siehe beispielsweise Homepage des Literaturvereins Herbstlese e.V. in Erfurt, on­ line abrufbar: https://www.herbstlese.de/de/veranstaltungen/haus-dacheroeden/20 20/09/04/generationencafe-kurt-trifft-caroline-11/001519/ (Zugriff 10.6.2022) oder den Beitrag „Erfolgreiche Auftaktveranstaltung für Kino-Projekt“ von 3.12.2019, online abrufbar: https://projekte.uni-erfurt.de/ddr-kino/erfolgreiche-auftaktverans taltung-fuer-kino-projekt/ (Zugriff 10.6.2022). 40 Vgl. Projekthomepage Kino in der DDR, online abrufbar: https://projekte.uni-erfu rt.de/ddr-kino/blog/ (Zugriff 10.06.2022). 41 Homepage des Netzwerkes Bürger schaffen Wissen“, online abrufbar: https://www. buergerschaffenwissen.de (Zugriff 10.6.2022). 42 Homepage des Citizen Science Network Austria, online abrufbar: https://www.citize n-science.at (Zugriff 10.6.2022). 43 Homepage der Geschäftsstelle Citizen Science Schweiz, online abrufbar: https://www .schweiz-forscht.ch/de (Zugriff 10.6.2022).

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sächlich erfüllt werden können. Aus diesem Grund kommt der Evaluie­ rung der Projektkommunikation eine große Bedeutung zu. Mit Blick auf das digitale Format und die zu adressierende Zielgruppe stellt sich dabei insbesondere die Frage, ob durch die eingesetzten Online-Instrumente die für das Forschungsvorhaben relevanten Personenkreise erreicht werden können und wie das geschaffene Angebot von der Online-Community wahr- und angenommen wird. Evaluation zur Online-Kommunikation des Forschungsprojektes Mithilfe einer Online-Umfrage haben die Projektinitiatoren von „Kino in der DDR“ zum einen soziodemografische Merkmale der angesproche­ nen Zielgruppe bzw. der beteiligten Bürgerforschenden erhoben. Zum anderen richtete sich der Blick der Erhebung auch auf die Nutzung und Wahrnehmung der unterschiedlichen Kommunikationsangebote des Forschungsprojektes durch die Zielgruppe und auf die Beteiligungsbereit­ schaft der Projektinteressierten an der virtuelle Forschungsplattform. In Anbetracht der digitalen Ausrichtung des Projektes und der Schwer­ punktsetzung auf die Nutzung und Bewertung der Online-Kommunikati­ onsmodi wurde die Befragung als Onlinebefragung konzipiert und durch­ geführt. Die Aufforderung zur Teilnahme erfolgte dabei im Befragungs­ zeitraum vom 30. November 2021 bis zum 7. Januar 2022 über den pro­ jektbegleitenden Forschungsblog sowie die dazugehörigen Social MediaKanäle auf Twitter und Facebook. Um möglichst viele Teilnehmende für die Umfrage zu erreichen, wurde im genannten Befragungszeitraum ein­ mal wöchentlich ein gesonderter Aufruf zur Beteiligung über Twitter und Facebook geteilt. Insgesamt wurde der Online-Fragebogen 140-mal ange­ klickt; am Ende der Befragungszeit lagen 96 vollständig ausgefüllte Frage­ bögen vor, die entsprechend ausgewertet werden konnten. Die erhobenen Daten sind zwar aufgrund der geringen Teilnehmendenzahl und der ge­ wählten Online-Methode nicht repräsentativ für die gesamte Gruppe der am Projekt interessierten Personen, bilden aber wichtige Erkenntnisse über die Struktur und das Nutzungs- und Informationsverhalten der digi­ talen Community des Forschungsformats ab.

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A.-R. Haumann, K. Kröger, C. Kuller, M. Plaul, P. Rössler, M. Schlobach, R. Smolarski Häufigkeit

Prozent

Geschlecht Weiblich Männlich Divers Gesamt

38 58 0 96

39,6 % 60,4 % 0,0 % 100,0 %

Altersgruppen Unter 18 Jahre 18‑29 Jahre 30‑39 Jahre 40‑49 Jahre 50‑64 Jahre 65 Jahre und älter Gesamt

0 8 17 32 36 3 96

0,0 % 8,3 % 17,7 % 33,3 % 37,5 % 3,1 % 100,0 %

0 5 1 18 48 8 1

0,0 % 5,2 % 1,0 % 18,8 % 50,0 % 8,3 % 1,0 %

2

2,1 %

9 1 3 96

9,4 % 1,0 % 3,1 % 100,0 %

77 19 96

80,2 % 19,8 % 100,0 %

Beruflicher Status Schüler/in Student/in Auszubildende/r Angestellte/r im wissenschaftlichen Bereich Angestellte/r im nicht wissenschaftlichen Bereich Rentner/in, Pensionär/in Beamter/Beamtin im wissenschaftlichen Bereich Beamter/Beamtin im nicht wissenschaftlichen Be­ reich Selbstständige/r Derzeit ohne berufliche Tätigkeit Sonstiges Gesamt Ost-Herkunft* Ja Nein Gesamt

* Die ursprüngliche Formulierung im Fragebogen lautete: „Wurden Sie in der DDR bzw. in den neuen Bundesländern geboren?“

Tabelle 1: Soziodemografische Merkmale, Quelle der Daten: Umfrage zur Evalu­ ierung der Online-Kommunikation des Forschungsprojektes „Kino in der DDR“ (n = 96), eigene Erhebung. Rundungsdifferenzen sind möglich. Hinsichtlich der soziodemografischen Merkmale lässt sich der erhobene Datensatz wie folgt beschreiben (vgl. Tabelle 1): 39,6 Prozent der Teilneh­ menden gaben an, dem weiblichen Geschlecht anzugehören, während 60,4 Prozent männlich sind. Bezüglich der Altersstruktur ist jeweils rund ein Drittel der Befragten zwischen 50‑64 Jahre (37,5 %) und 40‑49 Jahre (33,3 %) alt. Das restliche Drittel verteilt sich auf die Altersgruppen 30‑39 Jahre (17,7 %), 18‑29 Jahre (8,3 %) und über 65 Jahre (3,1 %). Der Online300 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Kinogeschichte miteinander erforschen und (be-)schreiben

Erhebung zufolge liegt damit ein Großteil der Befragten in dem von den Projektverantwortlichen gewünschten Alterskorridor der anvisierten Ziel­ gruppe. Das Ergebnis zeigt aber auch, dass die ältere Klientel ab 65 Jahren nur schwer über das geschaffene Online-Angebot zu erreichen ist. Da diese Personengruppe mit ihren Erinnerungen an das DDR-Kino und hier ins­ besondere an das frühe Kino der DDR jedoch eine relevante Größe für das Projekt darstellt, bestätigt dies einmal mehr, wie wichtig es ist, im Rahmen des Kommunikationskonzepts auch klassische Medien zu bespielen. Mit Blick auf den beruflichen Status gab jede oder jeder Zweite an, als Angestellte oder Angestellter im nicht wissenschaftlichen Bereich tätig zu sein, gefolgt von der Berufsgruppe der wissenschaftlichen Angestellten mit 18,8 Prozent. Knapp jeder Zehnte geht einer Selbstständigkeit nach (9,4 %) oder ist als Pensionärin oder Pensionär bzw. Rentnerin oder Rent­ ner im Ruhestand (8,3 %). Studierende (5,2 %) und Auszubildende (1,0 %) sowie Beamtinnen und Beamte im wissenschaftlichen (1,0 %) und nicht wissenschaftlichen Bereich (2,1 %) sind deutlich weniger vertreten. Dem­ nach zeigt sich, dass ein Großteil der Befragten aus einem nicht wissen­ schaftlichen Berufsumfeld stammt und somit auch die ursprünglich ange­ dachte Rolle einer Bürgerwissenschaftlerin oder eines Bürgerwissenschaftlers bedient. 44 Weiteren Aufschluss über eine mögliche ostdeutsche Identi­ fikation der Befragten geben die Antworten zur Frage, ob man in der DDR bzw. in den neuen Bundesländern geboren wurde, die rund 80 Prozent be­ jahten. Knapp 20 Prozent der Teilnehmenden verneinten dies. Das über­ wiegende Interesse der ostdeutschen Bevölkerung an dem Projekt liegt klar an der thematischen Ausrichtung des Formats und entspricht auch der vom Forscherteam vorab definierten Zielgruppe, die vornehmlich an­ gesprochen werden sollte.45

44 Zur Definition von Bürgerwissenschaften bzw. Citizen Science siehe auch Bonn, Aletta/Herrmann, Thora Martina/Brink, Wiebke/Hecker, Susanne/Liedtke, Chris­ tin/Premke-Kraus, Matthias/Voigt-Heucke, Silke/ von Gönner, Julia: Der Begriff ‚Citizen Science‘, in: Weißbuch. Citizen-Science-Strategie 2030 für Deutschland, Leip­ zig/Berlin 2022, S. 12, online abrufbar: https://osf.io/preprints/socarxiv/ew4uk/ (Zugriff 10.6.2022). 45 Für weitere Erläuterungen zur Kernzielgruppe des Projektes siehe auch den Abschnitt „Herausforderungen bei der Kontaktaufnahme mit der interessierten Öffentlichkeit“ dieses Beitrags.

301 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

A.-R. Haumann, K. Kröger, C. Kuller, M. Plaul, P. Rössler, M. Schlobach, R. Smolarski

Wo haben Sie erstmals vom Forschungsprojekt „Kino in der DDR“ erfahren?

Häufigkeit

Twitter Facebook Projektwebseite/Blog (z. B. über Online-Suchma­ schinen) Bekannte, Freunde/Freundinnen, Kollegen/Kolle­ ginnen Zeitung (Print- und Online-Ausgabe) Flyer, Aushang Veranstaltung Radio Sonstiges Gesamt

44 18

45,8 % 18,8 %

9

9,4 %

8

8,3 %

9 1 2 1 4 96

9,4 % 1,0 % 2,1 % 1,0 % 4,2 % 100,0 %

Prozent

Tabelle 2: Erstmalige Kontaktaufnahme mit dem Projekt, Quelle der Daten: Umfrage zur Evaluierung der Online-Kommunikation des Forschungsprojektes „Kino in der DDR“ (n = 96), eigene Erhebung. Rundungsdifferenzen sind mög­ lich. Neben den soziodemografischen Merkmalen ist es ein weiteres zentrales Anliegen der Befragung, einen Einblick in das Informationsverhalten und die Nutzung der bereitgestellten Medienkanäle durch die Befragten zu er­ halten. Dabei waren die Teilnehmenden zunächst aufgefordert, anzuge­ ben, wo sie erstmals vom Forschungsprojekt „Kino in der DDR“ erfahren haben (vgl. Tabelle 2). Rund 46 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer ga­ ben an, über Twitter von dem Projekt erstmals in Kenntnis gesetzt worden zu sein. Knapp 19 Prozent sind über den projektbegleitenden FacebookKanal auf das Projekt aufmerksam geworden. Die klassischen Kanäle der Wissenschaftskommunikation wie Flyer (1 %), Veranstaltungen (2 %) und populäre Massenmedien (1 %) spielen hingegen eine eher untergeordnete Rolle, was nicht zuletzt an der gewählten Erhebungsmethode der OnlineBefragung liegen könnte.

302 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 00:56:01.

Kinogeschichte miteinander erforschen und (be-)schreiben

Twitter Mind. 1x pro Woche Monatlich Quartalsweise Seltener Gar nicht Gesamt

34 35,4 % 9 9,4 % 1 1,0 % 14 14,6 % 38 39,6 % 96 100,0 %

Facebook 22 14 10 13 37 96

22,9 % 14,6 % 10,4 % 13,5 % 38,5 % 100,0 %

Projektwebseite/Blog 10 17 21 21 27 96

Mail/ Kon­ taktformu­ lar

10,4 % 5 17,7 % 2 21,9 % 2 21,9 % 14 28,1 % 73 100,0 % 96

5,2 % 2,1 % 2,1 % 14,6 % 76,0 % 100,0 %

Tabelle 3: Nutzung der Online-Kommunikationskanäle, Quelle der Daten: Um­ frage zur Evaluierung der Online-Kommunikation des Forschungsprojektes „Ki­ no in der DDR“ (n = 96), eigene Erhebung. Rundungsdifferenzen sind möglich. In Bezug auf die selbst eingeschätzte Nutzung des bereitgestellten digitalen Medienangebots zeigt sich, dass der Twitter-Kanal des Projektes von rund 35 Prozent der Befragten mindestens einmal pro Woche frequentiert wird, gefolgt von Facebook mit fast 23 Prozent und dem Projektblog mit mehr als zehn Prozent. Den direkten Kontakt zu den Projektverantwortli­ chen über E-Mail oder Kontaktformular nutzen hingegen nur wenige Per­ sonen. Hier gab die Mehrheit der Befragten an, von dieser Möglichkeit gar nicht (76 %) oder seltener als einmal im Monat (14,6 %) Gebrauch zu ma­ chen (vgl. Tabelle 3). Darüber hinaus wurden die Teilnehmenden gebeten, auch eine Bewer­ tung des Informationsangebots vorzunehmen (vgl. Tabelle 4). Im Fragebo­ gen wurden dazu jeweils einige Aussagen in Bezug auf die Projektkommu­ nikation vorgegeben, die mittels einer fünfstufigen Antwortskala von 1 = „trifft zu“ bis 5 = „trifft nicht zu“ eingeschätzt werden sollten.46 Die Aussage, ob die Projektziele des Forschungsvorhabens den Befragten be­ kannt seien, beantworteten zwei von drei Befragten (65 %) mit „trifft zu“ oder „trifft eher zu“. Vierzehn Prozent gaben an, gar nichts über die Pro­ jektziele zu wissen. Insgesamt liegt die Skala damit in einem positiven Wertebereich (M = 2.39, SD = 1.36). Die Aussage „Die Inhalte des For­ schungsvorhabens werden verständlich und ansprechend kommuniziert“ bewerteten rund 72 Prozent der Teilnehmenden als „zutreffend“ oder „eher zutreffend“, was damit ebenfalls deutlich positiv ausfällt (M = 1.97, SD = 1.24). In Bezug auf die Aussage „Ich weiß, wie ich mich als Interes­ sent in den Forschungsprozess einbringen kann“, fallen die Ergebnisse (M = 2.52, SD = 1.47) zwar immer noch tendenziell positiv, jedoch etwas

46 Ergänzt wurden diese zwei Pole durch die Abstufungen 2 = „trifft eher zu“, 3 = „trifft teilweise zu“ und 4 = „trifft weniger zu“.

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ambivalenter aus. Der Anteil der zustimmenden Antworten mit „trifft zu“ bzw. „trifft eher zu“ liegt hier bei 57 Prozent. Dass es den Befragten wich­ tig ist, das Informationsangebot zum Projekt „Kino in der DDR“ aktuell zu halten, zeigt die Beurteilung der Aussage „Mir ist es wichtig, regelmäßig Informationen zum Projektfortschritt zu erhalten“. Mit rund 69 Prozent (M = 2.14, SD = 1.08) zustimmender oder eher zustimmender Antworten wurde die Aussage klar positiv eingeschätzt. Aussage Die Projektziele des Forschungsvorhabens sind mir bekannt. Die Inhalte des Forschungsvor­ habens werden verständlich und ansprechend kom­ muniziert. Ich weiß, wie ich mich als Lai­ enforschender in das Forschungsvor­ haben einbringen kann. Mir ist es wich­ tig, regelmäßig In­ formationen zum Projektfortschritt zu erhalten.

Trifft zu (1)

Trifft eher zu (2)

Trifft teilweise zu (3)

Trifft we­ niger zu (4)

Trifft gar nicht zu (5)

Mit­ telwert M

Standard­ abwei­ chung SD

13,5 %

2,39

1,36

6

6,3 %

1,97

1,24

10,4 % 16

16,7 %

2,52

1,47

5,2 %

2,14

1,08

30

31,3 %

32

33,3 % 14

14,6 %

7

7,3 % 13

49

51,0 %

20

20,8 % 14

14,6 %

7

7,3 %

33

34,4 %

22

22,9 % 15

15,6 % 10

31

32,3 %

35

36,5 % 21

21,9 %

4

4,2 %

5

Tabelle 4: Bewertung der Online-Kommunikation, Quelle der Daten: Umfrage zur Evaluierung der Online-Kommunikation des Forschungsprojektes „Kino in der DDR“ (n = 96), eigene Erhebung. Rundungsdifferenzen sind möglich. Ein weiterer Themenschwerpunkt der Umfrage widmet sich der Beteili­ gungsbereitschaft der Befragten sowie deren Bereitschaft, sich aktiv als Bür­ gerwissenschaftlerin oder Bürgerwissenschaftler in den Forschungsprozess einzubringen (vgl. Tabelle 5). Dem Datensatz zufolge nahmen 84 Prozent der Befragten nicht aktiv am Projekt teil. Davon gaben zwar rund 82 Pro­ zent an, sich für das Thema DDR-Kino (69 %) bzw. Bürgerwissenschaften (13 %) zu interessieren – sie sehen aber dennoch von einer tatsächlichen Mitwirkung ab. Dem steht eine kleine Gruppe von Befragten (16 %) ge­ genüber, die sich als Laienforschende oder Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in das Projekt einbringen oder eingebracht haben.

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Kinogeschichte miteinander erforschen und (be-)schreiben

Welche Aussage trifft auf Sie in Bezug auf das Projekt „Kino in der DDR“ am ehesten zu? Ich arbeite aktiv als Bürgerwissenschaflter/in oder Zeitzeug/in im Projekt mit. Ich arbeite nicht aktiv im Projekt mit, interessiere mich aber für das Thema DDR-Kino. Ich arbeite nicht aktiv im Projekt mit, interessiere mich aber für bürgerwissenschaftliche Projekte im Allgemeinen. Ich interessiere mich weder für Bürgerwissenschaf­ ten noch für das Projekt „Kino in der DDR“. Gesamt

Häufigkeit

Prozent

15

15,6 %

66

68,8 %

13

13,5 %

2

2,1 %

96

100 %

Tabelle 5: Projektbeteiligung, Quelle der Daten: Umfrage zur Evaluierung der Online-Kommunikation des Forschungsprojektes „Kino in der DDR“ (n = 96), eigene Erhebung. Rundungsdifferenzen sind möglich. Auch die Nutzungsbereitschaft der zum Projekt zugehörigen virtuellen Forschungsumgebung fällt mit einem Anteil von 16 Prozent aktiv Nutzen­ den eher gering aus (vgl. Tabelle 6). Weitere neun Prozent gaben an, die Forschungsplattform ohne Anmeldung zu nutzen, um sich die Zwi­ schenergebnisse anzusehen, wohingegen 35 Prozent die Anwendung zwar kennen, jedoch nicht darauf zugreifen. Knapp 40 Prozent der Befragten können hingegen mit dem Begriff der virtuellen Forschungsumgebung nichts anfangen und gaben an, diese nicht zu kennen. Für den weiteren Verlauf des Projektes gilt es daher, das Informationsangebot rund um die virtuelle Forschungsplattform weiter auszubauen und zusätzliche Anreize zu schaffen (z. B. durch Gamification oder Incentivierung), um den Kreis der Nutzenden weiter zu vergrößern. Darüber hinaus wird auch die ausste­ hende Usability-Evaluation47 der virtuellen Forschungsplattform hilfreich sein, um mögliche Unzulänglichkeiten und Hemmnisse im Umgang mit dieser durch Laienforschende ausfindig zu machen. Auf Basis dieser Er­ kenntnisse könnte die Plattform im Anschluss weiter optimiert und ziel­ gruppengerechter gestaltet werden, was sich letztlich in einer intensiveren Nutzung niederschlagen würde.

47 Die Usability-Evaluation ist für das dritte Quartal 2022 angesetzt und soll wichti­ ge Erkenntnisse über die Anwenderfreundlichkeit der virtuellen Forschungsplatt­ form liefern.

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A.-R. Haumann, K. Kröger, C. Kuller, M. Plaul, P. Rössler, M. Schlobach, R. Smolarski

Nutzen Sie die virtuelle Forschungsplattform zum Projekt „Kino in der DDR“? Ja, ich nutze die virtuelle Forschungsplattform und habe mir dort ein Nutzerkonto eingerichtet. Ja, ich nutze die virtuelle Forschungsplattform, al­ lerdings ohne Nutzerkonto, um mir die Zwischen­ ergebnisse anzusehen. Nein, ich nutze die virtuelle Forschungsplattform zum Projekt nicht, habe aber bereits von ihr gehört oder gelesen. Nein, die virtuelle Forschungsplattform zum Pro­ jekt „Kino in der DDR“ kenne ich nicht. Gesamt

Häufigkeit

Prozent

15

15,6 %

9

9,4 %

34

35,4 %

38

39,6 %

96

100,0 %

Tabelle 6: Nutzung der virtuellen Forschungsumgebung, Quelle der Daten: Um­ frage zur Evaluierung der Online-Kommunikation des Forschungsprojektes „Ki­ no in der DDR“ (n = 96), eigene Erhebung. Rundungsdifferenzen sind möglich. Ergebnisse und Schlussfolgerungen zur Projektkommunikation Unbestritten präferiert ein Teil der Community analoge Austauschforma­ te – dennoch ist der Zuspruch für die digitale Plattform groß und hat sich im Fortlauf der Projektzeit seit Ende 2019 stetig gesteigert, was auch die kontinuierlich wachsende Zahl von Followern des Projektes auf Facebook und Twitter belegt (vgl. Abbildung 8). Dabei ist die Zahl der Seitenfollower von Twitter im direkten Vergleich zu Facebook im ersten Quartal 2022 mehr als doppelt so hoch. Bei Twitter haben seit Beitritt des Netzwerks im Oktober 2019 bereits mehr als 530 Personen und offizielle institutionelle Accounts die Projektseite abonniert. Darunter sind neben den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürgerwissenschaftlern auch eine Vielzahl Wissenschaftlerinnen und Wis­ senschaftler aus der Informatik und Geschichtswissenschaft, Hochschulen, andere Drittmittelprojekte und Medienarbeitende, die mit dem Content des Projektes erreicht werden.48 Wie aus den Followerzahlen ersichtlich wird, entwickelte sich die Zahl der Seitenabonnentinnen und -abonnenten bis zum zweiten Quartal 2021 gleichmäßig, bis ab dem dritten Quartal

48 Diese Evaluation geht aus den Insights des Twitteraccounts hervor, online abruf­ bar: https://twitter.com/kino_ddr (Zugriff: 10.6.2022).

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Kinogeschichte miteinander erforschen und (be-)schreiben

2021 – nach einer erfolgten Meldung der Deutschen Presseagentur (dpa) über das digitale Forschungsprojekt, die von zahlreichen Medienanbietern aufgegriffen wurde49 – ein signifikanter Anstieg an dem Projekt folgenden Nutzerinnen und Nutzern zu verzeichnen ist. Ein Teil dieser Personen und Institutionen wurde aufgrund des eigentlichen Feed-Contents auf das Projekt aufmerksam, andere wurden mit dem Einsatz von Hashtags und dem Follow-Back-Prinzip generiert.50 Ebenfalls in Verbindung mit der stei­ genden Followerzahl kann eine erhöhte Posting-Frequenz gesetzt werden, die das Team der Projektkommunikation seit dem zweiten Quartal 2021 verstärkt betreibt.

Abbildung 8: Die Entwicklung der Followerzahlen der projektbegleitenden Ac­ counts „Kino in der DDR“ auf Facebook und Twitter seit Beginn des Projektes im vierten Quartal 2019 bis zum ersten Quartal 2022 anhand der Seiten-In­ sights (Stichtag der Messung ist jeweils der letzte Tag eines Quartals).

49 Die dpa-Meldung „Uni Erfurt erforscht Kinoalltag“ erschien am 11. Juli 2021 un­ ter anderem bei den Zeitungen Berliner Zeitung, Main-Echo, Münstersche Zeitung, aber auch auf den Internetseiten t-online.de und zeit.de, online abrufbar: https://w ww.zeit.de/news/2021-07/11/uni-erfurt-erforscht-ddr-kinoalltag (Zugriff 10.6.2022). 50 Vgl. Smolarski/Kröger: Das digitale Frontend.

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Ein etwas uneinheitlicheres Bild ergibt sich beim Facebook-Account des Kino-Projektes, dem seit Beitritt im Oktober 2019 bisher 254 Profile fol­ gen. Gemessen an dieser vergleichsweise kleinen Community ist die Sei­ tenreichweite mit mehr als 18.000 erreichten Personen seit Bestehen der Facebook-Präsenz um ein Vielfaches höher51, was unter anderem auf das umfassende Community- und Contentmanagement zurückführbar sein könnte. Betrachtet man die Entwicklung der konkreten Followerzahlen der Facebook-Seite „Kino in der DDR“, zeigt sich bis zum vierten Quartal 2020 (vgl. Abbildung 8) eine kontinuierlich, aber im Vergleich geringer wachsende Zahl von null auf 77 Followern, gefolgt von einem größeren Anstieg ab dem ersten Quartal 2021 auf 106 Abonnenten, der bis 2022 weitere Zuwächse verzeichnen kann. Eine mögliche Erklärung hierfür wäre zum einen die erhöhte Postingfrequenz von einmal auf zweimal wöchentlich, zum anderen aber auch eine zunehmende Sensibilisierung von Journalistinnen und Journalisten für das Forschungsprojekt, in deren Folge mehrere Beiträge über das Vorhaben veröffentlicht wurden.52 Parallel zu den steigenden Followerzahlen auf den Social Media-Kanä­ len des Projektes war auch eine Zunahme der Besucherinnen und Besu­ cher auf dem projektbegleitenden Blog beobachtbar. Lag die Zahl der Besuchenden im ersten Quartal 2020 noch bei 577 Personen, hielt sich die Zahl seit dem vierten Quartal 2020 konstant bei über 2.000 Besuchenden – mit einem Höchstwert im dritten Quartal 2021 mit rund 3.000 UniqueUsern und 12.000 Seitenaufrufen (vgl. Abbildung 9). Aus Zuschriften und persönlichen Gesprächen wissen die Projektmitar­ beitenden jedoch auch, dass Teile der gewünschten Zielgruppe nicht über die präferierten digitalen Mittel, bestehend aus dem Projektblog und den Social Media-Auftritten, erreicht werden können und dass dies insbesonde­ re für weniger Internet-affine Menschen mit erheblichen Einstiegshürden verbunden ist. Auch die durchgeführte Online-Umfrage bestätigt dies und zeigt, dass vor allem Personen ab dem 65. Lebensjahr im Vergleich zur jüngeren Zielgruppe über die Internetkanäle kaum erreicht werden (vgl. Tabelle 1). Um dies zu kompensieren, war eine verstärkte Einbindung

51 Die Follower- und Reichweitenzahlen gehen aus den Insights der Projektseite „Kino in der DDR“ auf Facebook hervor (Stand: 31.3.2022). 52 Siehe Fußnote38.

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Kinogeschichte miteinander erforschen und (be-)schreiben

Abbildung 9: Projektstatistik über die Besucherzahlen und die Seitenaufrufe des Forschungsprojektes „Kino in der DDR“ (Stichtag der Messung ist jeweils der letzte Tag eines Quartals). klassischer Printmedien oder anderer analoger Formate notwendig,53 was den Arbeitsbereich der Wissenschaftskommunikation zwar breiter aufstell­ te, dafür aber andere Herausforderungen mit sich brachte, als zu Beginn des Projektes geplant war. Dies wird unter anderem darin ersichtlich, dass die Zahl der Aufrufe des projektbegleitenden Blogs, auf dem regelmäßig Zeitzeugenberichte sowie journalistische Beiträge zur Kinogeschichte und zu DEFA-Filmen veröffentlicht werden, in dem Moment signifikant stieg, als im dritten Quartal 2021 die bereits erwähnte dpa-Meldung über das

53 Hier zu nennen unter anderem: „Geschichten aus den Erfurter Kinos“ (14.11.2019), „Vom ‚Panoramapalast‘ bis zur ‚Unne’“ (26.2.2020) in der Thüringer Allgemeine; „Uni Erfurt startet Datenbank zum DDR-Kino“ als MDR-Beitrag (10.10.2020); „Kinobesucher als Bürgerwissenschaftler“ als Beitrag bei Deutsch­ landfunk-Kultur oder „Wissen darf man nicht vergessen“, PM Thema 1 (2020), 40– 47 und „Die Spur der Filme“, ZEIT Wissen, 5 (2020), S. 62–63.

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Citizen Science-Projekt lanciert und in zahlreichen regionalen und überre­ gionalen Zeitungen gedruckt und damit verbreitet wurde.54 Trotz der bestehenden Divergenz in der digitalen Ausrichtung des Pro­ jektes und der gewünschten Zielgruppe55 bleibt festzuhalten, dass es dem Forscherteam gelungen ist, eine für das Projekt notwendige Schnittmenge zwischen den angebotenen Kommunikationsaktivitäten, den Projektzielen und einer potenziell interessierten Öffentlichkeit auszumachen. Indizien hierfür finden sich u. a. in den Ergebnissen der nicht-repräsentativen Online-Evaluation durch die Webseitenbesucherinnen und -besucher, zei­ gen sich aber auch in den kontinuierlich steigenden Nutzerzahlen der virtuellen Forschungsplattform. So verzeichnet die digitale Forschungsum­ gebung zum Projekt seit ihrem Online-Start im Oktober 2020 mittlerweile mehr als 170 Anmeldungen von Bürgerinnen und Bürgern, die bislang zu­ sammen rund 510 Kinoeinträge vorgenommen und mehr als 130 Fotogra­ fien von Lichtspielhäusern und Lichtspieltechnik im Archiv der Plattform hochgeladen haben (Stand: Juni 2022). Darüber hinaus gab es bislang mehr als 90 Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern per E-Mail und Tele­ fon, die sich außerhalb der Online-Plattform als Zeitzeugin oder Zeitzeuge an dem Projekt beteiligen möchten. Darunter befinden sich nicht nur ehemalige Kinogängerinnen und Kinogänger, sondern auch Filmvorführe­ rinnen und -vorführer, Kassiererinnen und Kassierer, Kinobesitzer sowie Filmschaffende aus der ehemaligen DDR. Fazit und Ausblick Abschließend sei erneut betont, dass eine wesentliche Erkenntnis des vorliegenden Projektes in den teilweise erheblichen Diskrepanzen liegt, die sich zwischen der anfänglichen Projekterwartung an ein mehrheitlich digital ausgerichtetes Citizen Science-Projekt und der realen Interaktion zwischen interessierter Öffentlichkeit und Wissenschaft ergaben. Daher stand der enge Austausch mit den Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürger­ wissenschaftlern nicht bloß auf der inhaltlichen Ebene im Fokus, wenn es um die geteilte Kinoerfahrung in der DDR ging, sondern erste kommuni­ 54 Siehe Fußnote 49. 55 Vgl. Haumann, Anna-Rosa/Smolarski, René: Digital project meets analog com­ munity. Expectations and experiences in a digital citizen science project on GDR history, in: Austrian Citizen Science Conference 2019 (ÖCSK 2019), Conference Pro­ ceedings, Wien 2021, online abrufbar: https://pos.sissa.it/393/010/pdf (Zugriff 10.6.2022) und Smolarski/Kröger: Das digitale Frontend.

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Kinogeschichte miteinander erforschen und (be-)schreiben

kationswissenschaftliche Evaluationen ergaben bereits sechs Monate nach Projektbeginn, dass die potenzielle Reichweite einer digitalen Plattform zwar groß ist, die gewünschte Zielgruppe jedoch nur ansatzweise erreicht werden konnte. Durch die stetige Anpassung und den damit einhergehen­ den Ausbau der Kommunikationskanäle gelang es – trotz der erschwer­ ten Situation durch die COVID-19-Pandemie – zahlreiche Kinoeinträge auf der digitalen Projekt-Plattform zu generieren, mit den am Projekt Interessierten in den Dialog zu treten, Veranstaltungen durchzuführen, mit Kinoexpertinnen und -experten neue Perspektiven zu eröffnen und spannende Geschichten über diverse Kinoerlebnisse festzuhalten. Die Er­ gebnisse, die sich in den Interaktionen und den gesammelten und veröf­ fentlichten Quellen widerspiegeln, zeigen, dass vor allem die thematische Ausrichtung des Projektes „Kino in der DDR“ durchaus auf eine interes­ sierte Öffentlichkeit gestoßen ist, die häufig mit großer Begeisterung aus der Vergangenheit berichtet hat. In dem Projekt ging es darum, die Quellen für die Erarbeitung einer Kinogeschichte des Alltags zu finden und digital in den Wissenschaftsprozess einzuspeisen. Mit Blick auf eine spätere geschichtswissenschaftliche Auswertung des gesammelten Quellenmaterials zeigt sich noch ein weiterer bedeutsamer Aspekt: Es wird niemals die ‚eine‘ oder ‚richtige‘ historische Erzählung über die Geschichte des Kinos in der DDR geben. Jede historische Erzählung ist von unterschiedlichen Relevanz- und Aus­ wahlprozessen geprägt, die sich aus der selektiven und perspektivischen Auswahl des zur Verfügung stehenden Quellenmaterials zusammensetzt. Es kann immer nur der Versuch unternommen werden, möglichst viele Quellen mit unterschiedlichen Sichtweisenaus diversen Bereichen des Ki­ noalltags zusammenzutragen und diese auf multiperspektivische Weise auszuwerten. So kann das Citizen Science-Projekt „Kino in der DDR – Rezeptionsgeschichte ‚von unten‘“ durchaus als ein gelungenes Beispiel für interdisziplinäre Zusammenarbeit – sowohl zwischen den Forschenden als auch gemeinsam mit einer interessierten Öffentlichkeit – gesehen werden und ordnet sich daher gut in den Forschungskanon bewährter Citizen Science-Projekte in den Geisteswissenschaften ein.

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A.-R. Haumann, K. Kröger, C. Kuller, M. Plaul, P. Rössler, M. Schlobach, R. Smolarski

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Kartenzentrierte Datenvisualisierung der Forschungsplattform über die Standorte der ostdeutschen Kinolandschaft (Stand: Juni 2022). Abbildung 2: Schematisches Zusammenspiel von COSE und seinen Komponen­ ten. Abbildung 3: Schematisches Prinzip des Aufbaus der Datenbank. Abbildung 4: Fan-Album zu der Schauspielerin Brigitte Bardot (1950er-Jahre, Quel­ le: Archiv der IFhM an der Universität Erfurt). Abbildung 5: Lieferschein des VEB Progress Filmverleihs (Juni 1965, Quelle: Ar­ chiv der IFhM an der Universität Erfurt). Abbildung 6: Album mit Erinnerungsfotos an den Besuch der Kinderschauspieler des Films „Pünktchen und Anton“ (Capitol Hagen, September 1953, Quelle: Archiv der IFhM an der Universität Erfurt). Abbildung 7: Kostenanschlag für Sanierungsarbeiten, Baugeschäft Max Herrmann für Astoria-Lichtspiele, Dresden (Dezember 1953. Quelle: Archiv der IFhM an der Universität Erfurt). Abbildung 8: Die Entwicklung der Followerzahlen der projektbegleitenden Ac­ counts „Kino in der DDR“ auf Facebook und Twitter seit Beginn des Projektes im vierten Quartal 2019 bis zum ersten Quartal 2022 anhand der Seiten-Insights (Stichtag der Messung ist jeweils der letzte Tag eines Quartals). Abbildung 9: Projektstatistik über die Besucherinnen- und Besucherzahlen und die Seitenaufrufe des Forschungsprojektes „Kino in der DDR“ (Stichtag der Messung ist jeweils der letzte Tag eines Quartals).

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Soziodemografische Merkmale, Quelle der Daten: Umfrage zur Evaluie­ rung der Online-Kommunikation des Forschungsprojektes „Kino in der DDR“ (n = 96), eigene Erhebung. Rundungsdifferenzen sind möglich. Tabelle 2: Erstmalige Kontaktaufnahme mit dem Projekt, Quelle der Daten: Um­ frage zur Evaluierung der Online-Kommunikation des Forschungsprojektes „Ki­ no in der DDR“ (n = 96), eigene Erhebung. Rundungsdifferenzen sind möglich. Tabelle 3: Nutzung der Online-Kommunikationskanäle, Quelle der Daten: Umfra­ ge zur Evaluierung der Online-Kommunikation des Forschungsprojektes „Kino in der DDR“ (n = 96), eigene Erhebung. Rundungsdifferenzen sind möglich. Tabelle 4: Bewertung der Online-Kommunikation, Quelle der Daten: Umfrage zur Evaluierung der Online-Kommunikation des Forschungsprojektes „Kino in der DDR“ (n = 96), eigene Erhebung. Rundungsdifferenzen sind möglich. Tabelle 5: Projektbeteiligung, Quelle der Daten: Umfrage zur Evaluierung der Online-Kommunikation des Forschungsprojektes „Kino in der DDR“ (n = 96), eigene Erhebung. Rundungsdifferenzen sind möglich.

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Kinogeschichte miteinander erforschen und (be-)schreiben Tabelle 6: Nutzung der virtuellen Forschungsumgebung, Quelle der Daten: Umfra­ ge zur Evaluierung der Online-Kommunikation des Forschungsprojektes „Kino in der DDR“ (n = 96), eigene Erhebung. Rundungsdifferenzen sind möglich.

Literaturverzeichnis Avenarius, Christine: Was bedeutet Corona für starke und schwache Beziehungen?, in: Christian Stegbauer/Iris Clemens (Hrsg.): Corona-Netzwerke. Gesellschaft im Zeichen des Virus, Wiesbaden 2020, S. 53–62. Bettel, Sonja: Forschung zum Mitmachen, in: upgrade 1 (2016), S. 33–35. Blöbaum, Bernd: Wissenschaftsjournalismus, in: Heinz Bonfadelli/Birte Fähnrich/ Corinna Lüthje/Jutta Milde/Markus Rhomberg/Mike S. Schäfer (Hrsg.): For­ schungsfeld Wissenschaftskommunikation, Wiesbaden 2017, S. 221–238. Bonn, Aletta/Herrmann, Thora Martina/Brink, Wiebke/Hecker, Susanne/Liedtke, Christin/Premke-Kraus, Matthias/Voigt-Heucke, Silke/ von Gönner, Julia: Der Begriff ‚Citizen Science‘, in: Weißbuch. Citizen-Science-Strategie 2030 für Deutschland, Leipzig/Berlin 2022, S. 12, online abrufbar: https://osf.io/preprints/ socarxiv/ew4uk/ (Zugriff 10.6.2022). Carius, Hendrikje/Kuller, Christiane/Rössler, Patrick/Smolarski, René: Develop­ ment of a Cross-Project Citizen Science Plattform for the Humanities, in: Mar­ lene Ernst/Peter Hinkelmanns/Lina Maria Zangerl/Katharina Zeppezauer-Wach­ auer (Hrsg): Digital Humanities Austria 2018. Empowering Researchers, Wien 2020, online abrufbar: https://epub.oeaw.ac.at/?arp=0x003b3d14 (Zugriff 10.6.2022). Carius, Hendrikje/Ernst, Marlene/Munke, Martin/Smolarski, René: Gemeinsam Geschichte(n) entdecken, erforschen, rekonstruieren. Stand und Perspektiven von Citizen Science in den Geschichtswissenschaften, in: Aletta Bonn u. a. (Hrsg.): Citizen Science – Gemeinsam forschen! Ein Handbuch für Wissenschaft und Gesellschaft, Cham 2022 (angenommen). Causer, Tim/Tonra, Justin/Wallace, Valerie: Transcription maximized; expense mi­ nimized? Crowdsourcing and editing. The Collected Works of Jeremy Bentham, in: Literary and Linguistic Computing 27 (2012) 2, S. 119–137, online abrufbar: https://doi.org/10.1093/llc/fqs004 (Zugriff 10.6.2022). Cauvin, Thomas: Public History. A Textbook of Practice, New York 2016. Filmmuseum Potsdam (Hrsg.): Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFASpielfilme 1946–1992, Berlin 1994. Finke, Klaus: Politik und Film in der DDR, 2 Teilbände, Oldenburg 2007 Finke, Peter: Citizen Science und die Rolle der Geisteswissenschaften für die Zu­ kunft der Wissenschaftsdebatte. Citizen Science in Kultur und Geisteswissen­ schaften, in: Kristin Oswald/René Smolarski (Hrsg.): Bürger Künste Wissenschaft. Citizen Science in Kultur und Geisteswissenschaften, Gutenberg 2016, S. 31–56. Göbel, Claudia/Henke, Justus/Mauermeister, Sylvi: Kultur und Gesellschaft gemein­ sam erforschen. Überblick und Handlungsoptionen zu Citizen Science in den Geistesund Sozialwissenschaften (HoF-Handreichungen 14), Halle‐Wittenberg 2020.

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A.-R. Haumann, K. Kröger, C. Kuller, M. Plaul, P. Rössler, M. Schlobach, R. Smolarski Haumann, Anna-Rosa/Smolarski, René: Digital project meets analog community. Expectations and experiences in a digital citizen science project on GDR history, in: Austrian Citizen Science Conference 2019 (ÖCSK 2019), Conference Proceedings, Wien 2021, online abrufbar: https://pos.sissa.it/393/010/pdf (Zugriff 10.6.2022). Heinisch, Barbara/Oswald, Kristin/Weißpflug, Maike/Shuttleworth, Sally/Belknap, Geoffrey: Citizen Humanities, in: Katrin Vohland/Anne Land-Zandstra/Luigi Ceccaroni/Rob Lemmens/Josep Perelló/Marisa Ponti/Roeland Samson/Katherin Wagenknecht (Hrsg.): The Science of Citizen Science, Cham 2021, S. 97–118. Heißmann, Nicole: „…und schreiben Sie uns einen schönen Artikel!“. Zum Ver­ hältnis der Wissenschaftsjournalisten zu Wissenschaftskommunikatoren, in: Beatrice Dernbach/Christian Kleinert/Herbert Münder (Hrsg.): Handbuch Wis­ senschaftskommunikation. Wiesbaden 2012, S. 221–227. Hendriks, Friederike/Niederhoff, Doris: Was haben Wissenschaftler von Wissenschaftskommunikation? – Eine Interviewstudie. 10. Forum Wissenschaftskommunikation, Wissenschaft im Dialog, Braunschweig 2017. Huxhold, Oliver/Otte, Katrin: Internetzugang und Internetnutzung in der zweiten Lebenshälfte, in: dza akutell. Deutscher Alterssurvey, Heft 01/2019, S. 10–17. Oswald, Kristin/Smolarski, René: Einführung: Citizen Science in Kultur und Geis­ teswissenschaften, in: Kristin Oswald/René Smolarski (Hrsg.): Bürger Künste Wis­ senschaft. Citizen Science in Kultur und Geisteswissenschaften, Gutenberg 2016, S. 9–27. Pauleit, Winfried: Filmstandbilder. Passagen zwischen Kunst und Kino, Frankfurt am Main/Basel 2004. Prommer, Elizabeth: Kinobesuch im Lebenslauf. Eine historische und medienbiografische Studie, Konstanz 1999. Robinson, Lucy Danielle/Cawthray, Jade Lauren/West, Sarah Elizabeth/Bonn, Alet­ ta/Ansine, Janice: Ten principles of citizen science, in: Susanne Hecker/Muki Haklay/Anne Bowser/Zen Makuch/Johannes Vogel/Aletta Bonn (Hrsg.): Citizen Science. Innovation in Open Science, Society and Policy, London 2018, S. 27-40, on­ line abrufbar: https://doi.org/10.14324/111.9781787352339 (Zugriff 10.6.2022) Rössler, Patrick: Großes Kino. Monumentale DDR-Filmplakate der 1960er Jahre, Erfurt 2021. Rössler, Patrick: Souvenirs aus dem Kinosaal. Historische Filmmemorabilia als Teil unserer medialen Erinnerungskultur, in: Ute Schneider (Hrsg.): Imprimatur. Ein Jahrbuch für Bücherfreunde, N.F. XXIV. München 2015, S. 73–100. Rössler, Patrick: Wie der Film in die Thüringer Kinos kam… und wie das Publi­ kum auf ihn aufmerksam wurde. Verleihwerbung in der DDR, in: Michael Gris­ ko/Patrick Rössler (Hrsg.): DEFA in Thüringen. Staatliche Filmproduktion zwi­ schen gesellschaftlichem Auftrag und regionaler Topographie, Baden-Baden 2018, S. 189–211. Smolarski, Pierre/Smolarski, René: Wissenschaftliches Stiefkind und amateurhafte Liebhaberei. Ein designrhetorischer Zugang zur Philatelie als historischer Grundwissenschaft, in: Étienne Doublier/Daniela Schulz/Dominik Trump (Hrsg.): Die Historischen Grundwissenschaften heute. Tradition – Methodische Viel­ falt – Neuorientierung, Köln/Weimar/Wien 2020, S. 95–119.

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Kinogeschichte miteinander erforschen und (be-)schreiben Smolarski, René/Speit, Sina: Was kann Public Interest Design aus Sicht der Ge­ schichtswissenschaften sein?, in: Christoph Rodatz/Pierre Smolarski (Hrsg.): Was ist Public Interest Design?, Bielefeld 2018, S. 95–112. Smolarski, René/Carius, Hendrikje/Prell, Martin (Hrsg.): Citizen Science in den Ge­ schichtswissenschaften. Methodische Perspektive oder perspektivlose Methode? (Schrif­ tenreihe des Netzwerkes für digitale Geisteswissenschaften und Citizen Science, Band 3), Göttingen 2023 (in Vorbereitung). Smolarski, René/Carius, Hendrikje/Plaul, Marcus: Perspectives and Challenges of Historical Research with Citizen Participation. A Critical Reflection on the Example of „Cinema in the GDR“, in: Karoline Dominika Döring/Stefan Haas/ Mareike König/Jörg Wettlaufer (Hrsg.): Digital History: Konzepte, Methoden und Kritiken Digitaler Geschichtswissenschaft, Berlin 2022, S. 303–317. Smolarski, René/Kröger, Kathleen: Das digitale Frontend. Katalysator oder Fla­ schenhals für Citizen Science-Projekte in der Geschichtswissenschaft?, in: Robert Gramsch-Stehfest/Christian Knüpfer/Christian Oertel/Clemens Beck (Hrsg.): Das Frontend als ‚Flaschenhals‘? Mediävistische Ressourcen im World Wide Web und ihre digitalen Nutzungspotentiale für Historiker, Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften/Sonderband 6, 2022, online abrufbar unter: https://doi.org/1 0.17175/sb006 (im Erscheinen). Tauginienė, Loreta/Butkevičienė, Eglė/Vohland, Katrin/Heinisch, Barbara/Dasko­ lia, Maria/Suškevičs, Monika/Portela, Manuel/Balázs, Bálint/Prūse, Baiba: Citi­ zen science in the social sciences and humanities. The power of interdisciplinari­ ty, in: Palgrave Communications 6, 89 (2020), online abrufbar: https://doi.org/10.1 057/s41599-020-0471-y (Zugriff 10.6.2022). Thomas, Stefan/Schröder, Susan/Scheller, David: Citizen Social Science. Das Re­ search Forum als partizipative Forschungsmethodik, in: Sandra Eck (Hrsg.): For­ schendes Lernen – Lernendes Forschen. Partizipative Empirie in Erziehungs- und Sozi­ alwissenschaften, Weinheim 2018, S. 103–115. Wyler, Daniel/Haklay, Muki: Integrating citizen science into university, in: Susan­ ne Hecker/Muki Haklay/Anne Bowser/Zen Makuch/Johannes Vogel/Aletta Bonn (Hrsg.): Citizen Science: Innovation in Open Science, Society and Policy, Lon­ don 2018, S. 168–181, online abrufbar: https://doi.org/10.14324/111.978178735 2339 (Zugriff 10.6.2022).

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Autorinnen und Autoren des Bandes

Joseph Garncarz, Dr., ist Professor am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln. Sein Forschungsinteresse gilt vor allem der Film- und Me­ diengeschichte. Er war an verschiedenen Universitäten in Europa tätig, hat meh­ rere Forschungsprojekte geleitet und eine Reihe von Monografien, insbesondere zur Film- und Kinogeschichte in Deutschland, vorgelegt. Garncarz’ Publikatio­ nen wurden ins Englische, Französische, Tschechische und Polnische übersetzt. Seine Forschung wurde u. a. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert und 2011 mit dem Willy Haas-Preis ausgezeichnet. E-Mail: [email protected] Ronny Grundig, Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Sein Forschungsinteresse gilt verschiede­ nen Aspekten der Geschichte sozialer Ungleichheit seit 1945. Promoviert wur­ de er mit einer Arbeit zur Vermögensvererbung in der Bundesrepublik und Großbritannien (1945–1990) an der Universität Potsdam. Derzeit bearbeitet er ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt zur Gesellschaftsgeschichte des ostdeutschen Handwerks in der Transformationszeit (ca. 1980–2000). E-Mail: [email protected] Anna-Rosa Haumann, M. Ed., ist seit 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Ci­ tizen Science-Projekt „Kino in der DDR – Rezeptionsgeschichte ‚von unten‘“. Ihr Forschungsinteresse gilt vor allem der Umsetzung von digitalen Themen­ feldern im Kontext des historischen Lernens. Darüber hinaus forscht sie seit 2018 als Promotionsstipendiatin im Bereich der empirischen Geschichtsdidak­ tik zur narrativen Kompetenz im Geschichtsunterricht. Sie arbeitete bereits an verschiedenen digitalen Projekten mit, so unter anderem an der Entwicklung und Konzeption der interaktiven Lern-App: „HistoTeach – Die App für den Geschichtsunterricht“ und der Lernspiel-App „Sie heißt jetzt Lotte!“. E-Mail: [email protected] Ben Kaden, M. A., studierte Bibliothekswissenschaft, Soziologie und Politik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er interessiert sich multiperspektivisch für das Thema Architektur und Ansichtskarten. Seine Annäherung ist vorwiegend kultur- und mediensoziologisch geprägt. Er publiziert zum Thema (u. a. Karten zur Ostmoderne, sphere publishers, Leipzig 2020 sowie Gera Ostmodern, 1. und 2. Auflage, sphere publishers, Leipzig 2020) und hält regelmäßig Vorträge. E-Mail: [email protected] Kathleen Kröger, B. A., studierte an der Universität Erfurt Literaturwissenschaft und Geschichtswissenschaft und schließt ihren Master im Bereich Public Histo­ ry ab. Als Mitarbeiterin im Projekt „Kino in der DDR – Rezeptionsgeschich­ te ‚von unten‘“ ist sie gleichsam als Historikerin und im Bereich der Wissen­

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Autorinnen und Autoren des Bandes schaftskommunikation tätig. Daneben ist sie seit 2016 Journalistin und freie Medienschaffende in Erfurt. Ihre Forschungsinteressen umfassen die Felder Mediengeschichte, Kunst im öffentlichen Raum sowie deutsche Gedenk- und Erinnerungspolitik. E-Mail: [email protected] Christiane Kuller, Prof. Dr., ist Professorin am Historischen Seminar der Univer­ sität Erfurt. Ihr Forschungsinteresse gilt vor allem der Geschichte der beiden deutschen Diktaturen mit ihren jeweiligen Nachgeschichten. Sie war u. a. an den Universitäten München und Berlin tätig, leitet derzeit mehrere Forschungs­ projekte, insbesondere zur Geschichte der DDR und der Transformationszeit, und hat vor allem zu politik- und alltagsgeschichtlichen Aspekten publiziert. Ihre Publikationen wurden in mehrere Sprachen übersetzt, ihre Habilitation wurde u. a. mit dem internationalen Ernst Fraenkel Prize der Wiener Library (London) ausgezeichnet. Die Forschungen von Christiane Kuller wurden u. a. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gefördert. E-Mail: [email protected] Merve Lühr, M. A., ist Kulturanthropologin. Nach dem Studium der Kulturan­ thropologie/Europäischen Ethnologie, Mittleren und Neueren Geschichte sowie Umweltgeschichte in Göttingen war sie von 2013 bis 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Volkskunde/Kulturanthropologie des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde in Dresden, wo sie u. a. Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „1918 als Achsenjahr der Massenkultur. Kino, Filmindus­ trie und Filmkunstdiskurse in Dresden“ war. Sie promoviert zum Thema „Erin­ nern an die Arbeit im Kollektiv. Das Brigadeleben in der DDR und seine postso­ zialistischen Tradierungen“. Seit Februar 2022 ist sie wissenschaftliche Mitarbei­ terin am Seminar für Volkskunde/Kulturgeschichte der Universität Jena. E-Mail: [email protected] Marcus Plaul, M. A., hat Kommunikations- und Medienwissenschaft in Leipzig und Oslo, Norwegen, studiert. Seit 2019 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt „Kino in der DDR – Rezeptionsgeschichte von ‚unten‘“ am Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Erfurt. Dort ist er zugleich Doktorand mit einer Arbeit zum Thema Wissenschaftskommunikation im Kontext von Citizen Science. Seine weiteren Forschungsinteressen liegen in den Bereichen (digitale) Medien und deren Nutzung, Online-Kommunikation sowie Medieninhaltsforschung. E-Mail: [email protected] Luise Poschmann, Dr., war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Georg-AugustUniversität Göttingen und Doktorandin am Lehrstuhl für Neuere und Zeitge­ schichte und Geschichtsdidaktik der Universität Erfurt. Zu ihren Schwerpunk­ ten gehörte die Forschung zu historischen Kommunikationsprozessen. So be­ fasste sie sich im Rahmen der DFG-Forschergruppe 1765 mit Debatten über die rechtliche Stellung der freien Wohlfahrtspflege im bundesdeutschen Sozialstaat.

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Autorinnen und Autoren des Bandes Daneben forschte sie zur öffentlichen Kommunikation über den Bosnienkrieg und die Auseinandersetzung mit dem Kino in Medien der DDR. Luise Posch­ mann ist gelernte Journalistin und derzeit als PR-Beraterin im Gesundheitsbe­ reich in Düsseldorf tätig. E-Mail: [email protected] Patrick Rössler, Prof. Dr., ist Professor für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Empirische Kommunikationsforschung/Methoden an der Universität Erfurt. Sein Forschungsinteresse gilt vor allem den Medienwirkun­ gen, der politischen Kommunikation und der visuellen Kommunikation in historischer Perspektive. Er hat mehrere Forschungs- und Ausstellungsprojek­ te u. a. zur Deutschen Filmpublizistik der Zwischenkriegszeit, zur modernen Typografie, zur Bauhausgeschichte und zu historischen VR-Rekonstruktionen geleitet und zahlreiche deutsch- bzw. englischsprachige Monografien zu Medien in Geschichte und Gegenwart vorgelegt. Seine Forschung wurde u. a. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Bundeskulturstiftung geför­ dert und zuletzt 2022 mit dem Antiquaria-Preis für Buchkultur ausgezeichnet. E-Mail: [email protected] Martin Schlobach, B. Sc., studierte Informatik an der TU Ilmenau. Von 2019 bis 2020 war er studentische Hilfskraft im Citizen Science-Projekt „Kino in der DDR – Rezeptionsgeschichte von ‚unten‘“. Seit 2020 ist er als technischer Mitarbeiter im Projekt für die Programmierung und Umsetzung der digitalen Forschungsplattform zuständig. E-Mail: [email protected] René Smolarski, Dr., ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Juniorprofes­ sur für Digital Humanities (Bild/Objekt) an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und als Projektmanager im Projekt „Change 2027 – UNESCO-Welterbe Wartburg im Wandel“ der Wartburg-Stiftung tätig. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Digital Humanities, (Digital) Citizen Science und ver­ schiedenen Feldern der Neueren und Neuesten Geschichte (u. a. Missionskarto­ graphie, Philatelie). Er war als Koordinator und Mitarbeiter für verschiedene Forschungs- und Infrastrukturprojekte auf dem Feld der Digital Humanities und Citizen Science verantwortlich. Er ist (Mit-)Herausgeber einer Reihe von Sammelbänden und Buchreihen, insbesondere zur Rolle von (Digital) Citizen Science in der Wissenschaft und Post- und Philateliegeschichte. E-Mail: [email protected] Tanja Tröger, M. A., studierte Kommunikations- und Medienwissenschaft, Sozio­ logie und Betriebswirtschaft in Leipzig und arbeitete anschließend viele Jahre als Filmvorführerin und im Kino-Service. Seit 2017 ist sie beim Deutschen Institut für Animationsfilm (DIAF) in Dresden tätig. E-Mail: [email protected] Dieter Wiedemann, Prof. Dr., hat Dramaturgie und Pädagogische Psychologie in Leipzig und Potsdam studiert. Von 1971 bis 1989 war er am Zentralinstitut für Jugendforschung in Leipzig als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Medi­ en-, Kultur- und Kunstforschung tätig. Seit 1990 war er an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg/Filmuniversität Babelsberg „Konrad Wolf“ als Dozent, Professor für Medienwissenschaft und von 1995 bis 2012 als

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Autorinnen und Autoren des Bandes Rektor/Präsident tätig. Seine Forschungsinteressen galten und gelten vor allem der Filmausbildung, den Kindermedien, der Medienpädagogik und den Medi­ en- und Kunstwirkungen. Er war Vorsitzender der Gesellschaft für Medienpäd­ agogik und Kommunikationskultur e. V. und Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Vereine und Kuratorien. Er hat zahlreiche Publikationen zu Kinderfilm und -fernsehen, zur Medienpädagogik, zur Rezeption und Wirkung von DEFAFilmen und Theaterinszenierungen und zu anderen medienwissenschaftlichen Themen veröffentlicht. E-Mail: [email protected] Dieter Wolf, Dr., studierte von 1952 bis 1954 Germanistik an der Friedrich-Schil­ ler-Universität in Jena und schloss sein Studium 1958 an der neu gegründe­ ten Deutschen Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg mit einem Diplom in der Fachrichtung Produktion ab. 1961 erhielt er eine Berufung als Hauptdramaturg der Künstlerischen Arbeitsgruppe Solidarität und wurde 1964 Leiter und Hauptdramaturg der Künstlerischen Arbeitsgruppe Babelsberg und arbeitete von 1974 bis 1977 im Studio als Leiter der Fachrichtung Film- und Fernsehwissenschaft an der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR. Seine Promotion an der Humboldt-Universität zu Berlin schloss er 1974 mit dem Thema „Die Sprache im Spielfilm – Bedeutung, Funktion und Grundzüge ihrer Gestaltung im DEFA-Spielfilm“ ab und war über die Jahre mit zahlreichen Beiträgen in Zeitschriften, Sammelbänden und eigenen Herausgeberschaften filmpublizistisch tätig. E-Mail: [email protected]

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