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German Pages 362 Year 2018
Joanna Staśkiewicz Katholische Frauenbewegung in Polen?
Gender Studies
Joanna Staśkiewicz (Dr. phil.) studierte Sozialwissenschaften an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und promovierte im Fach Kulturwissenschaften an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Sie war u.a. als Research Associate an der Loyola University in New Orleans (USA) tätig. Ihre Forschungsinteressen sind Gender Studies, soziale Bewegungen, Mythen- und Diskursforschung, Poststrukturalismus, populäre Kulturen und Performance Studies.
Joanna StaŚkiewicz
Katholische Frauenbewegung in Polen? Zum Wandel der Geschlechterverhältnisse in der katholischen Kirche in Polen nach 1989
Der Druck dieser Publikation wurde aus Mitteln der Europa-Universität Viadrina gefördert.
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Inhalt
Verzeichnis der Abkürzungen | 7 Danksagung | 9 Einleitung | 11 1
Forschungsstand | 19
2
Frauenbewegungen als soziale Bewegungen und ihre Verlaufsformen | 31
2.1 Katholisch-feministischer Denkstil. Von den kirchengebundenen zu den Neuen Katholischen Frauenbewegungen | 37 2.2 Die Replik der katholischen Amtskirche auf die Frauenbewegungen: Der neue Feminismus von Johannes Paul II. | 47 3
Methodologisches Vorgehen | 55
Katholische (Frauen-)Organisationen in Polen | 61 4.1 Zwischen Konservatismus und pro-life – die kirchennahen katholischen (Frauen-)Organisationen | 64 4.2 Amicta Sole – mehr Gestaltung durch neuen Feminismus | 83 4.3 Katholisch-feministischer Denkstil in YWCA Polska | 88 4.4 Exkurs: Radio Maryja – (k)ein Radio für ältere Frauen | 94 4
5
Zwischen Identitätsbildung, Abgrenzung und Repräsentationsanspruch – katholische (Frauen-)Organisationen im Verhältnis zum polnischen Feminismus der zweiten Welle am Beispiel ausgewählter Debatten der 1990er Jahre | 103
5.1 Der katholische Diskurs über reproduktive Rechte als identitätsstiftende Konfrontation mit der zweiten Welle der polnischen Frauenbewegung | 107 5.2 Die UN-Weltfrauenkonferenz 1995 | 130
6
Der neue Feminismus als Verteidigung der katholischen Anthropologie | 155
6.1 Die Auseinandersetzungen um die staatliche Gleichstellungspolitik | 156 6.2 Die Anti-Gender-Kampagne nach 2012 | 167 7
„Unsere Blicke an Maria haftend“ – der polnische Marienkult und katholisch-nationale Weiblichkeitsmythen | 203
Zur Genese des polnischen Marienkultes | 208 Maria als Verteidigerin und (politische) Subversion | 214 Die Mütterlichkeit Marias | 222 Maria im Diskurs der katholischen (Frauen-)Organisationen in Polen | 231 7.5 Vorbild der Demut oder der Stärke? – Maria für Polinnen heute | 249 7.1 7.2 7.3 7.4
Teilhabe in der Kirche | 261 8.1 „Schlafende Riesinnen und Riesen“? Zur Rolle der Laiinnen in der katholischen Kirche Polens | 265 8.2 Mögliche Rollen von Frauen in der Kirche und die Situation in Polen | 270 8.3 „Die Stunde der Frauen“? – katholische (Frauen-)Organisationen zur Teilhabe der Frauen in der Kirche | 276 8.4 Von der „schweigenden Anwesenheit“ zum stillen Abschied von Frauen? | 284 8
9
Resümee | 293
Literaturverzeichnis | 301
Verzeichnis der Abkürzungen
Der Verein FKK Verein Forum Katholischer Frauen FKK (Stowarzyszenie Forum Kobiet Katolickich) FKK Forum Katholischer Frauen (Forum Kobiet Katolickich) FKP Forum Polnischer Frauen „Die Frau in der gegenwärtigen Welt“ (Forum Kobiet Polskich „Kobieta w Świecie Współczesnym“) KDFB Katholischer Deutscher Frauenbund KFD Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands PFROŻ Polnische Föderation der Lebensschutzbewegungen (Polska Federacja Ruchów Obrony Życia) PZKK Polnischer Verband Katholischer Frauen (Polski Związek Kobiet Katolickich) SKOP Soziales Komitee der Nichtregierungsorganisationen SKOP (Społeczny Komitet Organizacji Pozarządowych) UNDP Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen WUCWO Weltunion Katholischer Frauenverbände YWCA Young Women’s Christian Association
Danksagung
Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2017 vom Fakultätsrat der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) unter dem Titel: „Katholische Frauenbewegung in Polen? Katholische (Frauen)Organisationen in Polen nach 1989 und ihre Handlungsstrategien“ angenommen. Mein Dank richtet sich an erster Stelle an meine Doktormutter Prof. Bożena Chołuj, die meine Leidenschaft für und die Freude an der Wissenschaft weckte, mich zu dieser Doktorarbeit anregte, mich jahrelang intellektuell begleitete und dieses Vorhaben geduldig und mit großem fachlichen und persönlichen Interesse betreute. Ebenfalls ein sehr großer Dank gilt der Zweitbetreuerin dieser Arbeit Prof. Claudia Kraft für ihre wegweisenden fachlichen Hinweise und Anregungen, die geholfen haben, das Thema einzugrenzen und zu strukturieren. Bedanken möchte ich mich ebenfalls bei Prof. Dagmara Jajeśniak-Quast vom Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien der Viadrina, wo ich Mitglied des von der Hanns-Seidel-Stiftung geförderten Promotionskollegs war. Ihre Unterstützung, gemeinsame Kolloquien und Studienreisen unseres Kollegs brachten viele Anregungen und einen wichtigen Austausch. Danken möchte ich auch Prof. Valerie Goertzen und Dr. Patricia Boyett von der Loyola University New Orleans dafür, dass ich im Rahmen meines vom DAAD und dem VIP-Programm der Viadrina geförderten Forschungsaufenthaltes an dieser katholischen Universität die Arbeit des Women Studies Program und des Women’s Resource Centers (WRC) kennenlernen konnte. Meinen Eltern bin ich ausgesprochen dankbar für ihre liebevolle Unterstützung, ihr großes Mitfiebern im Schreibprozess und ihr Vertrauen in mich. Wenke Lewandowski danke ich für das hervorragende Lektorat dieser Arbeit. Ein besonderer Dank gilt jedoch Bernd, der mich schon so viele Jahre verständnisvoll und unterstützend begleitet, mich ermutigt, an mich glaubt, mit mir über meine Texte diskutiert, mich inspiriert und Raum für das Denken ermöglicht – ohne Dich wäre diese Arbeit nicht entstanden!
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Auch ohne entsprechende Finanzierung hätte diese Arbeit nicht entstehen können, daher möchte ich mich ganz herzlich bei der Europa-Universität Viadrina und dem Land Brandenburg, der Hanns-Seidel-Stiftung, der Familienbeauftragten der Viadrina, dem Viadrina Center for Graduate Studies (VCGS) und dem DAAD (Kongressreisen sowie VIP-Programm) für die Förderung bedanken. Die Veröffentlichung erfolgte mit freundlicher Unterstützung einer Publikationsbeihife des Viadrina Center for Graduate Studies (VCGS).
Einleitung
Im Mai 1999 brachten die Delegierten der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands KFD die Leitlinien ’99 heraus und stießen dabei mit einigen der darin enthaltenen Forderungen auf rasche Kritik seitens der kirchlichen Amtsträger in Deutschland.1 Die Kritik richtete sich hauptsächlich gegen zwei Positionierungen der KFD, die in den Leitlinien mit „Frauenleben sind vielfältig“ und „Frauen und die Dienste und Ämter in der Kirche“ überschrieben waren. Die KFD sprach sich bezüglich der Themen Sexualität und Priesterweihe von Frauen klar gegen die Politik des Vatikans aus, nach der die Homosexualität der katholischen Lehre widerspricht und die Priesterweihe den Männern vorenthalten ist. Außerdem wurde für die Akzeptanz selbstgewählter Lebensformen von Frauen plädiert. Die KFD berührte hiermit ein kirchliches Tabuthema, da sie gleichgeschlechtliche Partnerschaften zwar indirekt aber immerhin ansprach. Die Delegierten forderten ebenfalls das Recht der Frauen auf alle Dienste und Ämter in der Kirche, also auch auf die Priesterweihe. Die Kritikpunkte wurden wegen der Einmischung der Katholischen Bischofskonferenz, die drohte, die diözesiale Einbindung der KFD einzuziehen, zurückgenommen. Die damalige KFD-Präsidentin Magdalena Bogner betonte jedoch, dass eine Diskussion über diese umstrittenen Themen in der Kirche „unumgänglich“ sei.2
1
Vgl. BRITTA BAAS, Die umstrittenen Forderungen, in: Publik Forum, H. 16, 2000, S. 40; KATHOLISCHE FRAUENGEMEINSCHAFT DEUTSCHLANDS KFD, Herausforderung Gerechtigkeit. Leitlinien’99 Beschlüsse der Delegiertenversammlung der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands, 1999, http://www.kfd-bundesverband.de/fileadmin/ Bilder/Die_kfd/Leitlinien99.pdf (abgerufen am 12.10.2013).
2
Umstrittene Forderungen kfd-Präsidentin: „Diskussion über Weihe unumgänglich“, 1999, http://www.paulinus.de/archiv/archiv/9945/bistuma2.htm (abgerufen am 15.01. 2017).
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Die KFD sowie der Katholische Deutsche Frauenbund KDFB sind etablierte katholische Frauenorganisationen in Deutschland, die sich aktiv für die Gleichberechtigung der Frauen einsetzen und dabei ihren christlichen Charakter betonen. Sie integrierten den Gender-Ansatz in ihre Arbeit und verteidigen diesen vor der Kritik durch den Vatikan, wie z.B. 2008, als Papst Benedikt XVI. bei seiner Audienz anlässlich des Kongresses Frau und Mann – Das Humanum in seiner Ganzheit die „kulturellen und politischen Strömungen“ kritisierte, welche die Verschiedenheit der Geschlechter „verwischen“ und als „kulturelles Konstrukt“ betrachten.3 Die deutschen katholischen Frauenverbände betonten daraufhin in ihrer Stellungnahme, dass es sich bei dem Gender-Ansatz um ein wichtiges Instrument auf dem Weg zur Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche und Gesellschaft handle.4 Unter dem Gender-Ansatz verstehe ich in meiner Arbeit das wissenschaftliche Instrumentarium, mit dem Gender im Sinne des kulturellen Geschlechts untersucht wird. Sabine Hark und Paula-Irene Villa betonen in Anlehnung an Erving Goffman: „Gender ist, kurz gefasst, also nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein soziales Klassifikationsschema, ein konstitutiver Rahmen, in dem sich Praxis performativ vollzieht“.5 Speziell hierauf richtet sich die Analyse: Auf die performa-
3
Papst Benedikt XVI. sagte: „Angesichts kultureller und politischer Strömungen, die versuchen, die in die menschliche Natur eingeschriebene Verschiedenheit der Geschlechter zu eliminieren oder zumindest zu trüben und zu verwischen und sie als kulturelles Konstrukt betrachten, ist es notwendig, an den Plan Gottes zu erinnern, der den Menschen als Mann und Frau erschaffen hat, als eine Einheit und zugleich mit einer ursprünglichen und komplementären Verschiedenheit. Die menschliche Natur und die kulturelle Dimension ergänzen sich in einem weitläufigen und komplexen Prozeß, der die Formung der eigenen Identität bewirkt, wo sich beide Dimensionen, die weibliche und die männliche, entsprechen und ergänzen.“ BENEDIKT XVI., Ansprache von Benedikt XVI. an die Teilnehmer des internationalen Kongresses „Frau und Mann – Das humanum in seiner Ganzheit“, 2008, http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/ speeches/2008/february/documents/hf_ben-xvi_spe_20080209_donna-uomo.html (abgerufen am 15.02.2017).
4
Vgl. KATHOLISCHE FRAUENGEMEINSCHAFT DEUTSCHLANDS KFD, Katholische Frauenverbände lehnen Verurteilung der Gendertheorie als Ideologie ab, 2008, http:// www.kfd-paderborn.de/nachrichten/aktuelles/einzelansicht-news/article/katholische-fr auenverbaende-lehnen-verurteilung-der-gendertheorie-als-ideologie-ab/ (abgerufen am 04.10.2013).
5
SABINE HARK, PAULA-IRENE VILLA, „Eine Frage an uns und für unsere Zeit“ Verstörende Gender studies und symptopatische Missverständnisse, in: HARK, SABINE;
Einleitung | 13
tiven Prozesse, in denen Gender als Matrix gesellschaftlicher und kultureller Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit konstruiert wird.6 Mit dem GenderAnsatz werden diese Vorstellungen und ihre Entstehungsprozesse analysiert, dabei wird durch die Infragestellung der Geschlechterstereotype der Weg zur Gleichstellung der Geschlechter geebnet. Auch die Frauen des KDFB heben die Infragestellung der Geschlechterstereotypen als Weg zur Gleichstellung der Geschlechter hervor und verteidigen ihn gegen Kritik aus konservativen Kreisen. So ist in einer KDFB-Broschüre, die explizit dem Thema des Gender-Mainstreaming gewidmet ist, zu lesen: „Ein genderbewusstes Denken und Handeln hinterfragt Engführungen, festgefahrene Rollenzuweisungen und Vorurteile. Es hat deshalb ein ideologiekritisches und befreiendes Potential, das es ermöglicht, ungerechte Geschlechterverhältnisse zu verändern.“7 Ein Blick auf die Situation in den USA erscheint im Zusammenhang mit der Anwendung des Gender-Ansatzes im katholischen Milieu ebenfalls interessant. Während der Abschlussphase meiner Doktorarbeit verbrachte ich ein paar Monate eines Forschungsaufenthalts an der von der Jesuiten geführten katholischen Loyola University in New Orleans. Mit großem Interesse lernte ich die Arbeit des dortigen Womenʼs Resource Centers kennen, das sich auf Universitätsebene für Geschlechtergerechtigkeit einsetzt, den Studierenden verschiedene Veranstaltungen und Diskussionsrunden bietet, wie z.B. die wöchentliche Reihe Feminist Fridays, feministische Workshops, z.B. zum Thema Transgender, oder studentische Aufführungen der Vagina-Monologe von Eve Ensler. Zudem fand 2016 das erste elftägige Feminist Festival an der Loyola statt, welches mit seinen interdiszipli-nären Beiträgen, Paneldiskussionen und Events insbesondere auf die Thematik der Geschlechtergleichstellung eingegangen ist. In Polen sind katholische Frauenorganisationen, die den Leitlinien’99 ähnliche Veröffentlichungen machen, den Gender-Ansatz für sich nutzen oder diesen ge-
VILLA, PAULA-IRENE (Hrsg.), (Anti-)Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Bielefeld, 2015, S. 15–39, hier S. 17. 6
Vgl. KAROLINA KRASUSKA, Jaki gender jest, każdy widzi: podstawowe terminy [Wie gender ist, sieht jeder: Grundbegriffe], in: KAPELA, JAŚ (Hrsg.), Gender. Przewodnik Krytyki Politycznej, Warszawa, 2014, S. 46–54; CANDACE WEST, DON H. ZIMMERMAN, Doing Gender,
7
in: Gender and Society, 1, H. 2, 1987, S. 125–151.
KATHOLISCHER DEUTSCHER FRAUENBUND (KDFB), Gender, Gender Mainstreaming und Frauenverbandsarbeit, 2015, http://www.frauenbund.de/fileadmin/user_upload/ Downloads/pdf/KDFB_Gender_2015.pdf (abgerufen am 30.01.2017).
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gen Kritik der Amtskirche verteidigen, undenkbar. Der Versuch, die Gender-Theorie an einer katholischen Universität in Polen zu lehren, scheiterte schnell an der harschen Kritik der polnischen Amtskirche. Die katholische Kirche übt in der polnischen Gesellschaft einen großen Einfluss aus, über 90 Prozent aller Polinnen und Polen bekennen sich zum katholischen Glauben und circa 50 Prozent nehmen regulär an religiösen Praktiken teil.8 Bei einem genaueren Blick auf die Träger kirchlicher Funktionen in Polen fällt jedoch auf, dass Frauen diese nur sehr selten besetzen. Gläubige Polinnen füllen zwar die kirchlichen Bänke während der Messen, können als Ordensfrauen, Hausverwalterinnen im Pfarrhaus und zunehmend als Religionslehrerinnen angetroffen werden, aber sie übernehmen selten prestigeträchtigere Aufgaben in der Kirche. Seit einigen Jahren wenden sich zudem immer mehr Frauen von der institutionellen Kirche ab und verzichten auf die Teilnahme an religiösen Veranstaltungen, obwohl sie sich weiterhin zum Glauben bekennen.9 Die Ursachen für die geringe Sichtbarkeit von Frauen in den kirchlichen Funktionen liegen, wie in dieser Arbeit gezeigt wird, in der historisch bedingten Besonderheit des polnischen Katholizismus und in der Wirksamkeit national-katholischer Traditionen, welche kulturelle Konstruktionen der Weiblichkeit, wie der sich aufopfernden Mutter Polin, hervorbrachten. Der zeitgenössische polnische Katholizismus ist durch den Traditionalismus geprägt. Man kann ihn in Anlehnung an Janusz Mariański in zwei Strömungen aufteilen: den orthodoxen und den selektiven Katholizismus.10 Der orthodoxe Katholizismus, verbunden mit dem Stereotyp des „Pole-Katholik“, zeichnet sich durch Treue zu traditionellen religiösen und nationalen Werten und die Anerkennung der kirchlichen Autorität, auch in außerreligiösen Fragen aus. Das Polentum wird dabei ethnisch verstanden, weshalb sich der orthodoxe Katholizismus auch Elemente von Xenophobie enthalten kann. Mariański sieht den orthodoxen Katholizismus als Erbe des Volkskatholizismus, der stark ritualisiert ist und (teils
8
Laut einer repräsentativen Umfrage des statistischen Instituts CBOS vom Dezember 2016 (face-to-face-Interviews) an der Gruppe von 1136 Personen, bezeichneten sich 92 Prozent als „gläubig“ und 43 Prozent gaben an, an religiösen Praktiken teilzunehmen. Vgl. CENTRUM BADANIA OPINII SPOŁECZNEJ CBOS, Zasady moralne a religia [Moralische Grundsätze und Religion], 2017, http://cbos.pl/SPISKOM.POL/2017/ K_004_17.PDF (abgerufen am 30.01.2017), S. 1.
9
Vgl. MIROSŁAWA GRABOWSKA, Przeobrażenia polskiej religijności [Veränderungen der polnischen Religiosität], in: Znak, H. 673, 2011, S. 44–52.
10 Vgl. JANUSZ MARIAŃSKI, Katolicyzm polski – ciągłość i zmiana. Studium socjologiczne [Polnischer Katholizismus – Kontinuität und Veränderung. Eine soziologische Studie], Kraków, 2011, S. 85–98.
Einleitung | 15
magische) Elemente der Volkskultur in sich aufgenommen hat.11 Den selektiven Katholizismus verbindet Mariański mit dem Phänomen der Deinstitutionalisierung, d.h. er zählt dazu Katholikinnen und Katholiken, die sich zwar der katholischen Konfession zugehörig fühlen und ihre Kinder katholisch erziehen, dabei aber eine distanzierte Haltung zur Amtskirche haben, Lehre und Dogmen selektiv befolgen und unregelmäßig religiöse Praktiken ausüben.12 Mariański beziffert den Anteil der traditionellen Katholikinnen und Katholiken im polnischen Katholizismus auf circa 60 Prozent, davon sind jeweils 30 Prozent orthodox und 30 Prozent selektiv.13 Eine wichtige Strömung des polnischen Katholizismus ist der sogenannte offene Katholizismus, eine reformorientierte Strömung, auf die ich auch in meiner Arbeit eingehe, da von dieser Seite am ehesten Forderungen nach größerer Beteiligung von Frauen in der Kirche zu vermuten wären. Mariański bezeichet den offenen Katholizismus als intellektuellen, progressiven, liberalen und auch suchenden Katholizismus und beziffert seinen Anteil in der katholischen Kirche in Polen auf 15 Prozent.14 Die offenen Katholikinnen und Katholiken distanzieren sich vom traditionellen Katholizismus und vom Mythos „Pole-Katholik“. Sie sehen die Kirche als eine gemeinschaftliche Kirche und sind bereit zum Dialog, zur Zusammenarbeit mit Atheistinnen und Atheisten und scheuen die Kritik der polnischen Amtskirche nicht. Medial ist der offene Katholizismus durch die Wochenzeitung Tygodnik Powszechny (Krakau), die Monatszeitschrift Znak (Krakau) und die Quartalszeitschrift Więź (Warschau) vertreten. Und tatsächlich, falls innerhalb der katholischen Kirche in Polen öffentliche Debatten über die Rolle der Frauen in der Kirche stattfinden, werden diese meist in den genannten Medien geführt. Die Position, dass die katholische Kirche ihre Einstellung gegenüber Frauen ändern müsse, wird dabei deutlich vertreten.15 Nach der politischen Wende von 1989 entstanden in Polen mehrere katholische (Frauen-)Organisationen. Ihr Engagement konzentriert sich jedoch, wie in dieser Arbeit dargestellt, hauptsächlich auf die Konfrontation mit der zweiten Welle der Frauenbewegung, denn auf die Forderung nach stärkerer Teilhabe von Frauen an kirchlichen Strukturen oder den Kampf gegen Diskriminierung. Anders
11 Vgl. ebd., S. 88–91. 12 Vgl. ebd., S. 91–93. 13 Vgl. ebd., S. 97. Allerdings handelt es sich hier um die Schätzungen von Mariański und keine statistischen Erhebungen. 14 Vgl. ebd. 15 Diese Debatte ist z.B. in thematischen Schwerpunkten in den katholischen Zeitschriften Więź (603-604) 1-2 und Tygodnik Powszechny Nr. 29 (3236) 2011 nachzulesen.
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als die Glaubensschwestern vom deutschen KDFB distanzieren sich die katholischen (Frauen-)Organisationen vehement vom Gender-Ansatz, den sie nicht als Weg zur Gechlechtergerechtigkeit, sondern als Bedrohung der katholischen Anthropologie ansehen. 16 Allein der Begriff Frauenorganisationen erweist sich im Falle einiger dieser Organisationen als problematisch, denn wie ich am Beispiel des Forums Polnischer Frauen „Die Frau in der gegenwärtigen Welt“ FKP (Forum Kobiet Polskich „Kobieta w Świecie Współczesnym“), zeige, funktioniert die Selbstdefinition eines die „polnischen Frauen“ repräsentierenden Dachverbandes der untereinander recht verschiedenen pro-familiären- und pro-life-Gruppen als eine geschickte Strategie, um im Namen „polnischer Frauen“ als Sprachrohr der katholischen Kirche politischen Einfluss auf die Frauen- und Gleichstellungspolitik auszuüben. In der vorliegenden Arbeit verwende ich daher die Sammelbezeichnung (Frauen-)Organisationen in Bezug auf die untersuchten Vereine. Ich untersuche neben dem erwähnten, 1996 gegründeten Forum Polnischer Frauen FKP folgende (Frauen-)Organisationen: den Polnischen Verband Katholischer Frauen PZKK (Polski Związek Kobiet Katolickich, gegründet 1990), den Verein Forum Katholischer Frauen FKK (Stowarzyszenie Forum Kobiet Katolickich, gegründet 1996) und den Verein Amicta Sole (gegründet 2008) anhand ihrer Positionierung, insbesondere ihrer Beteiligung an Debatten um reproduktive Rechte der Frauen, Geschlechtergleichstellung und Diskriminierung, sowie anhand ihrer Positionierung in der Anti-Gender-Kampagne der polnischen Amtskirche seit 2012. Dadurch soll nachvollzogen werden, wie sich die Identität dieser Organisationen konstruiert. Ich gehe dabei der Frage nach, inwiefern die Identitätsbildung der katholischen (Frauen-)Organisationen durch die Abgrenzung von und Konfrontation mit der zweiten Welle der polnischen Frauenbewegung und das Fungieren als Sprachrohr der Amtskirche bestimmt ist. Zudem analysiere ich das Frauen-, bzw. Weiblichkeitsbild dieser Organisationen unter Einbeziehung ihrer Interpretationen des polnischen Marienkultes und deren politische Verwendung. Relevant ist auch die Frage, ob die untersuchten (Frauen-)Organisationen
16 Vgl. FRONDA.PL, Kobiety apelują do rządu żeby nie ratyfikował Konwencji o zwalczaniu przemocy wobec kobiet [Frauen appellieren an die Regierung, die Konvention über die Bekämpfung der Gewalt an Frauen nicht zu ratifizieren], 2012, www.fronda.pl/ a/kobiety-apeluja-do-rzadu-zeby-nie-ratyfikowal-konwencji-o-zwalczaniu-przemocywobec-kobiet,19400.html (abgerufen am 30.01.2017); MARIA JANKOWSKA, Sprzeciwiamy się propagowaniu ideologii gender [Wir erheben Widerspruch gegen die Verbreitung der Gender-Ideologie], 2014, http://www.naszdziennik.pl/polska-kraj/640 04,sprzeciwiamy-sie-propagowaniu-ideologii-gender.html?d=1 (abgerufen am 30.01. 2017).
Einleitung | 17
die traditionell-katholische Geschlechterordnung akzeptieren oder ob sie diese ändern wollen, da die Infragestellung der traditionellen Geschlechterrollen eines der Grundanliegen der Frauenbewegungen ist. Darüber hinaus untersuche ich die Einstellung dieser Organisationen zur Rolle von Frauen innerhalb der katholischen Strukturen und folge der Frage, ob und inwiefern sich die Organisationen für die stärkere Teilhabe von Frauen engagieren. Zur Vervollständigung des Spektrums der katholischen (Frauen-)Organisationen stelle ich am Beispiel der ökumenischen Organisation YWCA Polen (YWCA Polska) einen alternativen katholischen Diskurs zur Abtreibungsfrage vor. Meine forschungsleitende Hypothese ist dabei, dass sich in Polen nach 1989 keine katholische Frauenbewegung herausbilden konnte, die sich für den Wandel zugunsten der Geschlechtergerechtigkeit in Kirche und Gesellschaft einsetzt und dass die stark an die Amtskirche angebunden katholischen (Frauen-)Organisationen primär eine katholische Bewegung sind und als Sprachrohr der polnischen Amtskirche fungieren. Die vorliegende Arbeit schließt eine Forschungslücke zum Thema Frauenbewegung und Katholizismus in Polen und widmet sich gleichzeitig einem aktuellen gesellschaftspolitischen Thema. Darüber hinaus ist diese Arbeit auch als Beitrag zum besseren Verständnis der polnischen Gesellschaft gedacht.
1
Forschungsstand
Die Untersuchung der gegenwärtigen polnischen Frauenbewegungen in Bezug auf den Katholizismus ist bislang ein Forschungsdesiderat. Für die Zeit vor 1989 ist die 2012 erschienene Dissertation von Dominika Gruziel, die sich auf die katholische Kirche und die Frauenfrage im geteilten Polen (1878-1918) bezieht, eine wichtige wissenschaftliche Publikation zum Thema katholische Frauenorganisationen und soziales Laiinnenengagement. 1 Gruziel untersucht die ersten katholischen Frauenorganisationen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts im russischen, habsburgischen und preußischen Teilungsgebiet entstanden sind. Ihre Arbeit zeigt, dass bis 1918 eine katholische Frauenbewegung in Polen (erste Welle) existierte, die in der Frage des Wahlrechts und im Frauenbild der allgemeinen polnischen Frauenbewegung nahestand. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund erwähnenswert, als dass die zweite Welle der katholischen Frauenbewegung nach 1989 bisher ausgeblieben ist und die zeitgenössischen katholischen (Frauen-)Organisationen der Zusammenarbeit mit der zweiten Welle der Frauenbewegung nach 1989 ablehnend gegenüberstehen. Seit den 1990er Jahren entstanden viele wissenschaftliche Arbeiten zur zweiten Welle der polnischen Frauenbewegung und dem polnischen Feminismus, sowohl Monografien als auch Sammelbände, die sich mit der Analyse feministischer Organisationen und Netzwerke befassen.2 Einige von ihnen behandeln die Frage
1
Vgl. DOMINIKA GRUZIEL, At the Crossroads of New Catholicism and the „Women Question“: Polish Roman Catholic Laywomen’s Social Activism on Behalf of Women in the Three Zones of Partitioned Poland, 1878-1918., 2012, www.etd.ceu.hu /2012/gphgrd01.pdf (abgerufen am 30.01.2017).
2
Vgl. WERONIKA CHAŃSKA, DANUTA ULICKA (HRSG.), Polskie oblicza feminizmu [Polnische Antlitze des Feminismus], Warszawa, 2000; IZA DESPERAK, Płeć zmiany. Zjawisko transformacji w Polsce z perspektywy gender [Das Geschlecht des Wechsels. Das Phänomen der Transformation in Polen aus der Genderperspektive], Łódź, 2013;
20 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
der Vereinbarkeit feministischer Identität mit dem katholischen Glauben der Frauen. Joanna Tomaszewska untersuchte Katholikinnen, die sich auch mit dem Feminismus identifizieren – sie nennt sie „Katholikinnen-Feministinnen“3 – und weist dabei auf die Dilemmata dieser Frauen hin, die sich doppelt ausgegrenzt fühlen; sie sind weder „richtige“ Katholikinnen noch „richtige“ Feministinnen4 Für Tomaszewska ist die vermeintliche Dichotomie Katholizismus versus Feminismus sowohl seitens der Katholikinnen als auch der Feministinnen internalisiert worden und erschwert auf beiden Seiten die Zusammenarbeit. Tomaszewska sieht aber durchaus die Möglichkeit einer Zusammenarbeit der „Katholikinnen-Feministinnen“ mit den feministischen Organisationen und zwar aufgrund des größeren inhaltlichen Unterschieds zwischen Personen mit einem essentialistischen und
GESINE FUCHS, Die Zivilgesellschaft mitgestalten. Frauenorganisationen im polnischen Demokratisierungsprozess, Frankfurt am Main, New York, 2003; MAGDALENA GRABOWSKA, Polish feminism between East and West, 2009, https://rucore.libraries. rutgers.edu/rutgers-lib/26287/ (abgerufen am 12.10.2016); WALTER KOSCHMAL (HRSG.), Die Frau in der polnischen Gegenwartskultur, Köln, 1996; EWA MALINOWSKA, Feminizm europejski. Demokracja parytetowa a polski ruch kobiet: socjologiczna
analiza walki o równouprawnienie płci [Europäischer Feminismus. Paritätische Demokratie und die polnische Frauenbewegung; Eine soziologische Analyse des Kampfes um die Geschlechtergleichberechtigung], Łódź, 2002; JOANNA MIZIELIŃSKA, (De)Konstrukcje kobiecości. Podmiot feminizmu a problem wykluczenia [(De)Konstruktionen der Weiblichkeit. Das Subjekt des Feminismus und das Ausschlussproblem], Gdańsk, 2004; FILIP PIERZCHALSKI, KATARZYNA SMYCZYŃSKA, MARIA EWA SZATLACH u. a. (Hrsg.), Feminizm po polsku [Der Feminismus auf Polnisch], Warszawa, 2011; ANNA TITKOW, Kobiety pod presją. Proces kształtowania się tożsamości [Frauen unter Druck. Prozess der Identitätsbildung], in: TITKOW, ANNA; DOMAŃSKI, HENRYK (Hrsg.), Co to znaczy być kobietą w Polsce. Praca zbiorowa, Warszawa, 1995, S. 9–39; SŁAWOMIRA WALCZEWSKA, Damy, rycerze i feministki, Kraków, 1999; SŁAWOMIRA WALCZEWSKA, Damen, Ritter und Feministinnen. Zum Frauenrechtsdiskurs in Polen. Mit einem Vorwort von Claudia Kraft und Sigrid Metz-Göckel sowie einem Nachwort der Verfasserin. Aus dem Polnischen von Ursula Kiermeier, Wiesbaden, 2015. 3
JOANNA TOMASZEWSKA-KOŁYSZKO, Czy w Polsce możliwy jest katolicki feminizm? [Ist katholischer Feminismus in Polen möglich?], in: OSTOLSKI, ADAM (Hrsg.), Kościół, państwo i polityka płci, Warszawa, 2010, S. 116–131, hier S. 126.
4
Vgl. ebd.
Forschungsstand | 21
Personen mit einem nichtessentialistischen Verständnis der Geschlechter als zwischen religiösen oder nichtreligiösen Personen.5 Magdalena Grabowska weist auf die hybriden Identitäten der polnischen Feministinnen hin, die gläubige Katholikinnen sind, und die sie als „traveling identities“ bezeichnet.6 Die katholischen Feministinnen stellen laut Grabowska eine Herausforderung für den polnischen Feminismus und dessen Diskurs der Gleichheit dar; sie plädiert dafür, dass die religiösen und spirituellen Bedürfnisse der Frauen in den feministischen Diskurs miteinbezogen werden.7 Diese Beiträge verdeutlichen, dass es sich bei der zweiten Welle des polnischen Feminismus um eine Bewegung handelt, die sowohl durch Atheistinnen als auch durch Frauen unterschiedlicher Konfessionen getragen wird. Allerdings scheinen solche Analysen zur Vereinbarkeit der katholischen und feministischen Identität Gefahr zu laufen, die vermeintliche Dichotomie zwischen Feminismus und Katholizismus lediglich zu bestärken. Denn der Feminismus mit seinem Gleichheitsdiskurs und Engagement für reproduktive Rechte kann nicht mit dem säkularen Feminismus gleichgestellt werden. Es gibt sicherlich auf der Seite der pro-choice-Feministinnen auch religiöse Frauen. Diese handhaben ihren Glauben allerdings als Privatangelegenheit. Ein Beispiel dafür war die Frauenaktivistin und bekennende Katholikin Izabela Jaruga-Nowacka, die sich für die reproduktiven Rechte der Frauen und die Trennung von Staat und Religion engagierte.8 Aus diesem Grund ist die Konstruktion einer Dichotomie zwischen dem Katholizismus und dem Feminismus der zweiten Welle, die, wie in dieser Arbeit gezeigt wird, auch im Diskurs der katholischen (Frauen-)Organisation wiederholt zum Vorschein kommt, nicht nachvollziehbar. Im Rahmen der polnischen Genderforschung erschienen mehrere Beiträge, welche sich mit national-katholischen Mythen und Weiblichkeitskonstruktionen, wie dem Mythos der Mutter Polin kritisch auseinandersetzen und den Einfluss des Katholizismus auf das Leben von Frauen analysieren.9 Besonders kritisch wird die
5
Vgl. ebd.
6
GRABOWSKA, Polish feminism between…, a.a.O., S. 187.
7
Vgl. ebd., S. 159–205.
8
Vgl. MAGDALENA ŚRODA, Wyznaniowość i neutralność państwa a sprawa polska [Konfessionalität, Neutralität des Staates und der Fall Polen], in: MACIEJEWSKA, BEATA; KĄDZIELA, KATARZYNA; DĄBROWSKA, ZUZANNA (Hrsg.), Drogi równości. Izabela Jaruga-Nowacka - polityczka, feministka, działaczka lewicy, Gdańsk, 2011, S. 103–106.
9
Vgl. unter anderem BOŻENA CHOŁUJ, Matka Polka i zmysły [Mutter Polin und die Sinne], in: Res Publica Nova, H. 3, 1992; BOŻENA CHOŁUJ, Mutter Polin nach der
22 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
politische Einmischung der Kirche in Bereiche gesehen, die unmittelbar Frauenleben betreffen, wie z.B. die Abtreibungsfrage.10 Mit dem Einfluss der Religion auf die Identität und die soziale Stellung der Frau beschäftigen sich die Artikel von Katarzyna Leszczyńska und Agnieszka Kościańska.11 Hier werden polnische und internationale Beispiele von Frauen dargestellt, die eine aktivere Rolle in der Kirche als Reformatorinnen oder gar Gründerinnen neuer religiöser Bewegungen anstreben. Von Agnieszka Kościańska stammen zudem mehrere Beiträge zur Rolle von Frauen in informellen religiösen Frauengruppen oder als katholische Visionärinnen. In den Beiträgen geht es weniger um eine Analyse einer katholischen Frauenbewegung, als vielmehr um die Untersuchung der agency religiöser
Wende, in: Via Regia. Blätter für internationale kulturelle Kommunikation, 68/69, 2000, S. 30–35; BOŻENA CHOŁUJ, Wstęp. Między Marią i Ewą [Einführung. Zwischen Maria und Eva], in: CHOŁUJ, BOŻENA; FUSZARA, MAŁGORZATA (Hrsg.), Katedra. Gender studies UW, Bd. 5, Warszawa, 2004, S. 2–4; MAGDA MONCZKA-CIECHOMSKA, Mit kobiety w polskiej kulturze [Der Frauenmythos in der polnischen Kultur], in: WALCZEWSKA,
SŁAWOMIRA (Hrsg.), Głos mają kobiety. Teksty feministyczne, Kraków,
1992, S. 95–101; ŚRODA, Frauen und Feministinnen in Polen, in: KOSCHMAL, WALTER (Hrsg.), Die Frau in, a.a.O; WALCZEWSKA, Damy, rycerze i…, a.a.O. 10 Vgl. MAŁGORZATA FUSZARA, Between Feminism and the Catholic Church: The Women’s Movement in Poland, in: Sociologický časopis/Czech Sociological Review, 6, H. 41, 2005, S. 1057–1075; AGNIESZKA GRAFF, Efekt magmy, czyli o szczególnej roli Kościoła w Polsce [Der Magma-Effekt, oder: Über die besondere Rolle der Kirche in Polen], in: OSTOLSKI, ADAM (Hrsg.), Kościół, państwo i polityka płci, Warszawa, 2010, S. 10–24; AGNIESZKA GRAFF, Magma i inne próby zrozumienia o co tu chodzi [Magma und andere Versuche des Verstehens, worum es hier geht], Warszawa, 2010; WANDA NOWICKA, Roman Catholic Fundamentalism Against Women’s Reproductive Rights in Poland, in: Reproductive Health Matters, H. 4, 1996, S. 21–29; ŚRODA, Frauen und Feministinnen in Polen, in: KOSCHMAL, WALTER (Hrsg.), Die Frau in, a.a.O; MAGDALENA ŚRODA, Polska, Kościół, etyka [Polen, Kirche und die Ethik], in: OSTOLSKI, ADAM (Hrsg.), Kościół, państwo i polityka płci, Warszawa, 2010, S. 25–39; MAGDALENA ŚRODA, Kobiety, Kościół, katolicyzm [Frauen, Kirche und Katholizismus], in: OCKRENT, CHRISTINE; TREINER, SANDRINE; BARTKIEWICZ, KATARZYNA (Hrsg.), Czarna księga kobiet, Warszawa, 2010; TITKOW, Frauen unter Druck?, in: KOSCHMAL, WALTER (Hrsg.), Die Frau in, a.a.O. 11 Vgl. AGNIESZKA KOŚCIAŃSKA, KATARZYNA LESZCZYŃSKA (HRSG.), Kobiety i religie [Frauen und Religionen], Kraków, 2006.
Forschungsstand | 23
Frauen und die Hervorhebung emanzipatorischer Aspekte der Religion für das persönliche Leben von Frauen.12 1995 konstatierte Elżbieta Adamiak,13 die bekannteste polnische Theologin, dass die ersten theologischen Beiträge in Polen zum Thema Frauen in der katholischen Kirche von Männern stammen, die sich dabei wiederum meist auf die Lehre Johannes Pauls II. und seine „Theologie der Frau“ konzentrieren und den Feminismus als Vermännlichung kritisieren.14 Es gibt in Polen bis dato nur wenige
12 Vgl. AGNIESZKA KOŚCIAŃSKA, Legion of small knights: informal movement within the Polish Roman Catholic Church, in: LUNDSKOW, GEORGE N. (Hrsg.), Religious innovation in a global age. Essays on the construction of spirituality, Jefferson, N.C., 2005; AGNIESZKA KOŚCIAŃSKA, Działanie ciszą [Wirken durch Stille], in: (Op.cit.,) Maszyna interpretacyjna, 3 (36 ), 2007, S. 3–5; AGNIESZKA KOŚCIAŃSKA, The „power of silence“: Spirituality and women’s agency beyond the Catholic Church in Poland, in: Focaal - European Journal of Anthropology, 2009, H. 53, 2009, S. 56–71; AGNIESZKA KOŚCIAŃSKA, Twórcze odgrywanie Matki Polki i Matki Boskiej. Religia a symbolika macierzyństwa w Polsce [Schöpferisches Spielen mit der Mutter Polin und Mutter Gottes. Religion und die Symbolik der Mutterschaft in Polen], in: HRYCIUK, RENATA E; KOROLCZUK ELŻBIETA (Hrsg.), Pożegnanie z Matką Polką? Dyskursy, praktyki i reprezentacje macierzyństwa we współczesnej Polsce, Warszawa, 2012, S. 147–164. 13 Elżbieta Adamiak ist die einzige akademische feministische Theologin Polens. Sie beschäftigt sich mit Hermeneutik und Bibelexegese und gilt als Vertreterin der christlichfeministischen Hermeneutik. Neben der Analyse der Stellung der Frau in der Bibel und der Suche nach wichtigen biblischen Frauenfiguren mit dem Schwerpunkt Mariologie veröffentlicht sie kritische Beiträge zu kirchlichen Beschlüssen. Sie unterrichtet an der Katholischen Theologischen Fakultät der Universität in Poznań in der Abteilung für Dogmatik. Seit 2014 hat sie eine Vertretungsprofessur am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz-Landau mit dem Schwerpunkt Fundamentaltheologie und Dogmatik. 14 ELŻBIETA ADAMIAK, Feministische Theologie in Polen? Ein beinahe unmögliches Thema, in: BERLIS, ANGELA; HOPKINS, JULIE; MEYER-WILMES, HEDWIG u. a. (Hrsg.), Frauenkirchen, Vernetzung und Reflexion im europäischen Kontext, Kampen, Mainz, 1995, S. 106–112, hier S. 108. In ihrem späteren Beitrag von 2008 zur Rezeption der polnischen Theologie über Frauen kommt Adamiak zu ähnlichen Schlüssen, Vgl. ELŻBIETA ADAMIAK, Recepcja nauczania Kościoła o kobietach w polskiej literaturze teologicznej. Aspekt antropologiczny i mariologiczny [Die Rezeption der Lehre der katholischen Kirche über Frauen in der theologischen Literatur. Der anthropologische und mariologische Aspekt], in: ADAMIAK, ELŻBIETA; CHRZĄSTOWSKA, MAŁGORZATA
24 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
Frauen, die als Theologinnen an Universitäten lehren,15 und die feministische Theologie hat sich kaum entwickelt. Von Elżbieta Adamiak und der bereits verstorbenen Stanisława Grabska stammen die ersten theologischen Publikationen nach 1989, die sich mit dem Thema Frauen in der Kirche befassen.16 Nach 1995 erschienen weitere Beiträge zum Thema Frau und Kirche, die einerseits, im Sinne Adamiaks, als Fortsetzung der Strömung der „Theologie der Frau“17 bezeichnet werden können. Meist stützen sie sich auf das 1995 entwickelte Konzept des neuen Feminismus, die katholische Alternative zur zweiten Welle der Frauenbewegung, von Johannes Paul II.18 Andererseits gab es auch neuere Perspektiven, seitens der Vertreterinnen und Vertreter des offenen Katholizismus, welche inhaltlich der in Polen kaum präsenten feministischen Theologie nahe stehen. Diese Beiträge führen eine der Gegenwart angepasste Neuinterpretation der Marienfigur ein, welche dem aktuellen Bedarf einer geschlechtergerechten Sprache in der Bibel nachkommt, und gehen konkret auch auf die Rolle der Frauen in kirchlichen Strukturen ein.19
(Hrsg.), Godzina kobiet? Recepcja nauczania Kościoła rzymskokatolickiego o kobietach w Polsce w latach 1978-2005, Poznań, 2008, S. 189–213. 15 Vgl. ADAMIAK, Feministische Theologie in…, a.a.O. 16 Vgl. ADAMIAK, Feministische Theologie in…, a.a.O; ELŻBIETA ADAMIAK, Błogosławiona mie̜ dzy niewiastami. Maryja w feministycznej teologii Cathariny Halkes [Gebenedeit unter den Frauen. Maria in der feministischen Theologie von Catharina Halkes], Lublin, 1997; ELŻBIETA ADAMIAK, Brauchen wir eine Theologie der Frauen in der „Zweiten Welt“? Was könnte sie bedeuten?, in: ADAMIAK, ELŻBIETA; ANIĆ, REBEKA JADRANKA;
BUDAY, KORNÉLIA (Hrsg.), Theologische Frauenforschung in Mit-
tel-Ost-Europa. Theological women’s studies in central/eastern Europe = Recherche théologique des femmes en Europe orientale et centrale, Bd. 11, Leuven [u.a.], 2003, S. 7–23; STANISŁAWA GRABSKA, Kobiety w Polsce, we Francji i w Niemczech [Frauen in Polen, Frankreich und Deutschland], in: Więź, H. 1, 1993, S. 169–174; STANISŁAWA GRABSKA, Spór o miejsce kobiety w Kościele i społeczeństwie [Streit um den Platz von Frauen in Kirche und Gesellschaft], in: Więź, H. 1, 1993, S. 24–31. 17 ADAMIAK, Feministische Theologie in…, a.a.O., S. 108. 18 Vgl. IRENEUSZ MROCZKOWSKI, Nowy feminizm w nauczaniu Jana Pawła II [Der neue Feminismus in der Lehre Johannes Pauls II.], in: Więź, H. 1, 1998, S. 11–19; JOANNA PETRY MROCZKOWSKA, Feminizm – antyfeminizm. Kobieta w Kościele [Feminismus – Antifeminismus. Frauen in der Kirche], 2012; ARTUR STRZĘPKA, Kościół i kobiety [Frauen und Kirche], Tolkmicko, 2010. 19 Vgl. ALEKSANDER GOMOLA, Od św. Hieronima do feministek – tłumacz jako vox Dei [Vom Heiligen Hieronymus bis zu den Feministinnen - der Übersetztes als vox Dei],
Forschungsstand | 25
Die Diskussion über Frauen in der katholischen Kirche in Polen eröffnete 1999 Elżbieta Adamiak mit ihrem Buch „Milcząca obecność“ („Schweigende Anwesenheit“),20 so bezeichnet sie die Rolle von Frauen in der katholischen Kirche Polens und weist auf den Handlungsbedarf der Kirche in Richtung Geschlechtergerechtigkeit hin. Adamiak ruft Frauen auf, ihre stärkere Beteiligung aktiv zu fordern. Allerdings zeigt das 2007 erschienene Buch von Jarosław Makowski,21 für das er u.a. mit Katholikinnen über ihre Rolle in der katholischen Kirche sprach, und die ein nüchternes Bild der katholischen Kirche in Polen präsentieren, dass sich an der Situation der Frauen in kirchlichen Strukturen in dieser Zeitspanne von nahezu zehn Jahren kaum etwas bewegt hat. Nach 2009 erschienen verschiedene Texte von katholischen Frauen aus dem Frauenverein Amicta Sole, die sich mit der Rolle von Frauen im polnischen Katholizismus beschäftigen und versuchen, die päpstliche Lehre des neuen Feminismus zu popularisieren sowie die Rechte von Frauen im kanonischen Recht von 1983 in Polen bekannt zu machen und umzusetzen.22 Auf diese Texte gehe ich in der vorliegenden Arbeit detaillierter ein.
in: Znak, H. 699, 2012, S. 56–61; ALEKSANDER GOMOLA, Niech Kościół jej posłucha [Die Kirche soll ihr zuhören!], in: BILSKA, MAŁGORZATA; MAKOWSKI, JAROSŁAW; SALAMON, JANUSZ (Hrsg.), Chrześcijaństwo przed nami, Kraków, 2008, S. 99–110; JÓZEF MAJEWSKI, Macierzyńskie oblicze Ojca. Konsekwencje „nowych“ akcentów w nauczaniu Magisterium Kościoła o Bogu [Das mutterschaftliche Antlitz des Vaters. Die Konsequenzen von „neuen“ Akzenten in der Magisterium-Lehre], in: Więź, H. 1, 1998, S. 102–111; JÓZEF MAJEWSKI, Mariologia feministyczna [Feministische Mariologie], in: Znak, H. 599, 2005, S. 159–170; JAROSŁAW MAKOWSKI, Po co Kościołowi kobiety? [Wozu der Kirche die Frauen?], 2006, http://www.teofil.dominikanie.pl/wydanie/ artykuly/152 (abgerufen am 23.03.2012). Vgl auch die sprachwissenschaftliche Studie von Aleksander Gomola zum Sprechen über Gott in der feministichen Theologie: ALEKSANDER GOMOLA, Bóg kobiet. Studium językoznawczo-teolosgiczne, Tarnów, 2010. 20 Vgl. ELŻBIETA ADAMIAK, Milcząca obecność. O roli kobiety w Kościele [Die schweigende Anwesenheit. Zur Rolle von Frauen in der Kirche], Warszawa, 1999. 21 Vgl. JAROSŁAW MAKOWSKI, Kobiety uczą kościół [Frauen lehren die Kirche], Warszawa, 2007. 22 Unter anderem EWA KARABIN, Nadchodzą zmiany? Kościelna teoria i praktyka wobec kobiet [Nähern sich Änderungen? Kirchliche Theorie und Praxis gegenüber Frauen], in: Więź, 2009, 603-604, 1-2, S. 10–25; ALINA PETROWA-WASILEWICZ, Czy Kościół traci kobiety [Verliert die Kirche Frauen?], in: Więź, 1-2, 603-604, 2009, S. 5–9; MONIKA WALUŚ, Die Frau als locus theologicus?, in: METHUEN, CHARLOTTE; BERLIS, ANGELA (Hrsg.), The end of liberation? Liberation in the end! Feminist theory, feminist
26 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
Ein Schlüsselwerk in puncto Handlungsmöglichkeiten von Polinnen in der katholischen Kirche sind die von Adamiak und Chrząstowska 2008 herausgegebenen Aufsätze zur Rezeption der Lehre der polnischen katholischen Kirche in Bezug auf Frauen im Zeitraum 1978-2005. 23 Der Sammelband ist aus dem von Adamiak 2005-2008 geleiteten Forschungsprojekt zum gleichen Thema entstanden und umfasst neben analytischen Beiträgen zu dogmatischen24, juristischen25 und theologischen26 Aspekten der Rolle der Frauen in der Kirche u.a. auch solche zum Frauenbild der polnischen Geistlichen27, zur Beteiligung von Frauen an polnischen theologischen Lehrstühlen28 oder zum feministischen Diskurs zur Lehre
theology, and their political implications = Befreiung am Ende? Am Ende Befreiung!, Bd. 10, Leuven, 2002, S. 131–142. 23 Vgl. ELŻBIETA ADAMIAK, MAŁGORZATA CHRZĄSTOWSKA (HRSG.), Godzina kobiet? Recepcja nauczania Kościoła rzymskokatolickiego o kobietach w Polsce w latach 19782005 [Die Stunde der Frauen? Die Rezeption der Lehre der römisch-katholischen Kirche über Frauen in Polen in den Jahren 1978-2005], Poznań, 2008. 24 Vgl. ADAMIAK, Nauczanie Kościoła rzymskokatolickiego o kobietach. Ujęcie dogmatyczne [Die Lehre der römisch-katholischen Kirche über Frauen. Die dogmatische Auffassung], in: ADAMIAK, ELŻBIETA; CHRZĄSTOWSKA, MAŁGORZATA (Hrsg.), Godzina kobiet? Recepcja, a.a.O. 25 Vgl. CHOŁODNIUK, Miejsce kobiet w Kościele rzymskokatolickim w Polsce – sytuacja prawna [Der Platz der Frau in der römisch-katholischen Kirche in Polen – die rechtliche Situation], in: ADAMIAK, ELŻBIETA; CHRZĄSTOWSKA, MAŁGORZATA (Hrsg.), Godzina kobiet? Recepcja, a.a.O. 26 Vgl. ADAMIAK, Recepcja nauczania Kościoła o kobietach w polskiej literaturze teologicznej. Aspekt antropologiczny i mariologiczny [Die Rezeption der Lehre der katholischen Kirche über Frauen in der theologischen Literatur. Der anthropologische und mariologische Aspekt], in: ADAMIAK, ELŻBIETA; CHRZĄSTOWSKA, MAŁGORZATA (Hrsg.), Godzina kobiet? Recepcja, a.a.O. 27 Vgl. SZWED, „Nie ma Kościoła bez kobiet“. Obraz roli kobiet w wypowiedziach księży katolickich (na podstawie badań jakościowych) [„Es gibt keine Kirche ohne Frauen “. Das Frauenbild in den Aussagen von katholischen Priestern (laut einer qualitativen Untersuchung)], in: ADAMIAK, ELŻBIETA; CHRZĄSTOWSKA, MAŁGORZATA (Hrsg.), Godzina kobiet? Recepcja, a.a.O. 28 Vgl. BYNOWSKI, Kobiety na wydziałach teologii chrześcijańskiej w Polsce, in: ADAMIAK, ELŻBIETA; CHRZĄSTOWSKA, MAŁGORZATA (Hrsg.), Godzina kobiet? Recepcja, a.a.O.
Forschungsstand | 27
der katholischen Kirche29. Aus einigen im Sammelband vorgestellten Forschungsprojekten resultierten später umfangreiche Monografien, wie 2015 zum Frauenbild der polnischen Geistlichen, von Anna Szwed,30 oder 2016 zum Konzept der Weiblichkeit bei Johannes Paul II., von Justyna Melonowska.31 2009 erschien ein in englischer Sprache mitunter ebenfalls von Adamiak und Chrząstowska herausgegebener Sammelband zum Gender-Ansatz und seiner Rezeption in der Theologie Mittelosteuropas.32 In einem der Beiträge analysiert Adamiak die Rezeption der Unterscheidung von sex und gender in der polnischen Theologie und konstatiert, dass die Kategorie gender in der polnischen Theologie kaum präsent ist: „We are still waiting for works which will offer a serious discussion of the importance of the gender category, especially as far as the category’s anthropological, theological and ecclesiological consequences are concerned.“33 Das Ausmaß der nach 2012 begonnenen Anti-Gender-Kampagne der polnischen Amtskirche zeigt allerdings, dass eine solche Diskussion und die Anwendung der Gender-Kategorie in der polnischen Theologie unter der Bedingung dieser ablehnenden Haltung gegenwärtig undenkbar erscheint. Ab 2012 kam es in Polen zu einer plötzlichen Flut von Beiträgen, welche sich in dieser Anti-Haltung mit dem Gender-Ansatz beschäftigen. In der katholischen Presse, den Stellungnahmen des polnischen Episkopats sowie in den Predigten war in Anlehnung an den Vatikan von der Konstruktion einer gefährlichen „Gender-Ideologie“ die Rede, die zur Bedrohung der katholischen Anthropologie stilisiert wurde. Einige
29 Vgl. SOBKOWIAK, Inna perspektywa. Dyskusja wokół nauczania Kościoła rzymskokatolickiego o kobietach w polskiej literaturze feministycznej [Eine andere Perspektive. Die Diskussion über die Lehre der katholischen Kirche über Frauen in der polnischen feministischen Literatur], in: ADAMIAK, ELŻBIETA; CHRZĄSTOWSKA, MAŁGORZATA (Hrsg.), Godzina kobiet? Recepcja, a.a.O. 30 Vgl. ANNA SZWED, Ta druga. Obraz kobiety w nauczaniu Kościoła rzymskokatolickiego i w świadomości księży [Die Andere. Das Frauenbild in der Lehre der römisch-katholischen Kirche und im Bewusstsein der Priester], Kraków, 2015. 31 Vgl. JUSTYNA MELONOWSKA, Osob(n)a: kobieta a personalizm Karola Wojtyły – Jana Pawła II. Doktryna i rewizja [Eine (einzelne) Person: Die Frau und der Personalismus von Karol Wojtyła – Doktrin und Revision Johannes Pauls II.], Warszawa, 2016. 32 Vgl. ELŻBIETA ADAMIAK, MAŁGORZATA CHRZĄSTOWSKA, CHARLOTTE METHUEN u. a. (Hrsg.), Gender and religion in central and eastern Europe, Poznań, 2009. 33 ADAMIAK, Awerness of Sex/Gender Difference in Christian Theology in Poland: a Report on the State of Research, in: ADAMIAK, ELŻBIETA; CHRZĄSTOWSKA, MAŁGORZATA;
METHUEN, CHARLOTTE u. a. (Hrsg.), Gender and religion, a.a.O., S. 34.
28 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
der zahlreichen Publikationen waren die polnischen Ausgaben von genderkritischen Beiträgen der deutschen Anti-Gender-Aktivistin Gabriele Kuby, welche von den polnischen Kirchenhierarchien breit rezipiert wurden.34 Andererseits erschienen Beiträge, die Gender als wissenschaftliche Kategorie analysieren und die Auswirkung der Anti-Gender-Kampagne auf die polnische Frauen- und Gleichstellungspolitik untersuchen. 35 Während der Anti-GenderKampagne zeigte sich auch eine Spaltung innerhalb des polnischen Katholizismus, denn die Medien des offenen Katholizismus distanzierten sich von der AntiGender-Kampagne der polnischen Amtskirche.36 Zu erwähnen sind insbesondere Beiträge offener Katholikinnen wie Małgorzata Bilska, Dominika Kozłowska oder Zuzanna Radzik, in denen das Bemühen um Dialog sichtbar ist, denn es wird explizit auf das Potential der Gender-Kategorie sowohl für die Kirche als auch die Gesellschaft hingewiesen.37
34 Vgl. Benedikt XVI., ADAM BUJAK, WALDEMAR CHROSTOWSKI (HRSG.), Dyktatura gender [Die Gender-Diktatur], Kraków, 2014; GABRIELE KUBY, DOROTA JANKOWSKA, JANUSZ
SERAFIN, Globalna rewolucja seksualna. Likwidacja wolności w
imię wolności [Globale sexuelle Revolution. Zerstörung der Freiheit im Namen der Freiheit], Kraków, 2013. 35 Unter anderem: BOŻENA CHOŁUJ, „Gender-Ideologie“ – ein Schlüsselbegriff des polnischen Anti-Genderismus, in: HARK, SABINE; VILLA, PAULA-IRENE (Hrsg.), (Anti-)Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Bielefeld, 2015, S. 219–237; MAŁGORZATA FUSZARA, Der Streit um „Gender“ und seine polnische Spezifik, 2014, http://www.laender-analysen. de/polen/pdf/PolenAnalysen142.pdf (abgerufen am 20.11.2016); MAGDALENA GRABOWSKA,
Between Gender Studies and „Gender Ideology“. Gender Education in Po-
land, in: Heinrich Böll Stiftung Kiew (Hrsg.), Overcoming gender backlash. The Second International Gender Workshop. Experiences of Ukraine, Belarus, Russia, Georgia, Armenia and Poland. Materials of the Second International Gender Workshop, Kiew, 2013, S. 43–50; JAŚ KAPELA (HRSG.), Gender. Przewodnik Krytyki Politycznej [Gender. Leitfaden der politischen Kritik], Warszawa, 2014. 36 Vgl. dazu insbesondere die der Gender-Thematik gewidmeten Ausgaben von Znak Nr. 706 und Więź 1 (655) im Jahr 2014. 37 Vgl. MAŁGORZATA BILSKA, Gender – za, a nawet przeciw [Gender – dafür und sogar dagegen], in: Więź, 655, H. 1, 2014; DOMINIKA KOZŁOWSKA, Kościół szukający nowego językaKirche, die nach einer neuen Sprache sucht, in: Znak, H. 706, 2014, S. 23–29; ZUZANNA RADZIK, Przepis na wroga [Rezept für einen Feind], in: Tygodnik Powszechny, 3356, H. 44, 2013, S. 17.
Forschungsstand | 29
2015 erschien Zuzanna Radziks Monografie, „Kosciół kobiet“ (Kirche der Frauen), in der die Frauen- bzw. Genderfrage in der katholischen Kirche mit Augenmerk auf die Entwicklungen in den USA und Indien analysiert wird.38 Radzik untersucht die emanzipatorischen Bestrebungen der Katholikinnen sowie die Entwicklung der feministischen Theologie und schaut dabei insbesondere auf die Frauenorden und ihr feministisches Engagement. Zwar handelt es sich hier nicht um eine explizite Untersuchung der Situation in Polen, aber Radzik bezieht sich in Form von Vergleichen stellenweise auf die Teilhabe von Frauen innerhalb der Strukturen der katholischen Kirche in Polen. So analysiert sie die Beteiligung von Polinnen in der Liturgie und kirchlichen Verwaltung sowie in der Theologie und konstatiert, dass Polinnen den emanzipatorischen Beispielen in anderen Ländern folgen sollten, denn es zeige sich, dass ein anderer Diskurs in der Kirche möglich sei. Eine kontrastive Arbeit zu Radziks Beschreibungen der Frauenorden in den USA ist das 2016 erschienene Buch von Marta Abramowicz „Zakonnice odchodzą po cichu“ (Die Nonnen gehen still weg) zu Ordensaustritten von Polinnen, die ein weithin verschwiegenes Tabu darstellen.39 Damit wurde der Blick auf die Alltagspraxis der Frauenorden in Polen und deren im Vergleich zu den US-amerikanischen Orden sehr traditionelles Frauenbild erweitert, das für einige Frauen Grund zum Verlassen der Orden wurde. Der beschriebene Forschungsstand verdeutlicht, dass es in Polen zwar Beiträge zur Rolle der Frauen in der Kirche, zur (kontrovers diskutierten) Genderfrage in Bezug auf die katholische Kirche Polens oder zur Bedeutung der Religion im Leben der Polinnen gibt. Die Frage, ob es eine gegenwärtige katholische Frauenbewegung gibt, bleibt jedoch ein unberührtes Forschungsfeld. Auch eine Analyse der katholischen (Frauen-)Organisationen und ihres Diskurses in Polen hat bisher nicht stattgefunden. Mit dieser Arbeit sollen diese Forschungslücken geschlossen werden.
38 Vgl. DERS., Kościół kobiet [Kirche der Frauen], Warszawa, 2015. 39 Vgl. MARTA ABRAMOWICZ, Zakonnice odchodzą po cichu [Die Nonnen gehen still weg], Warszawa, 2016.
2
Frauenbewegungen als soziale Bewegungen und ihre Verlaufsformen
In der vorliegenden Arbeit geht es nicht um die Bestimmung dessen, was die (katholische) Frauenbewegung „wirklich“ oder „in Wahrheit“ ist. In Anlehnung an die philosophische Theorie des Non-Dualismus von Josef Mitterer können Definitionen als Beschreibungen gelten, und so können die Definitionen der Frauenbewegung auch als Beschreibungen gesehen werden. Für Mitterer sind Beschreibungen immer „Beschreibungen von Etwas“1, es gebe nur Beschreibungen von Beschreibungen, womit er die Existenz einer einzig wahren essentiellen Bedeutung, einer Ur-Beschreibung oder einer wahren Definition in Frage stellt. Bereits erfolgte Beschreibungen eines Objekts bezeichnet Mitterer als Beschreibungen so far, neue Beschreibungen hingegen als Beschreibungen from now on.2 Eine Beschreibung der Frauenbewegung in Polen lieferte 2006 die konservative katholische Aktivistin Ewa Kowalewska, Präsidentin der katholischen Organisation Forum Polnischer Frauen FKP, einer Dachorganisation unterschiedlicher pro-life-Gruppen und ebenso Direktorin der polnischen Abteilung von Human Life International, einer US-amerikanischen pro-life-Organisation, indem sie die Entwicklung der polnischen Frauenbewegung nach 1989 wie folgt einschätzt: „Im Polen der Solidarność-Wende gab es keine aktive feministische Bewegung. Es existierten wenige offizielle Frauenorganisationen, sie interessierten sich jedoch nicht für den Feminismus. Es gab zu dieser Zeit kein gesellschaftliches Bedürfnis danach. Der UN-Gipfel in Peking (Vierte UN-Weltfrauenkonferenz 1995, J.S.) war ein ausgezeichneter Anlass zur Gründung einer feministischen Bewegung und zur Schulung der Leader-Frauen. Ich nahm an einigen der Treffen teil und erinnere mich, dass gelehrt wurde, wie neue Frauenorgani-
1
JOSEF MITTERER, Die Flucht aus der Beliebigkeit, Frankfurt am Main, 2001, S. 37.
2
Vgl. ebd., S. 47–50.
32 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
sationen zu gründen seien, um eine Finanzierung von internationalen Organisationen zu erhalten. Auf Basis dieser neuen Frauenorganisationen entstand in Polen eine starke Pro-Abtreibungs-Bewegung. Das ist ausgesprochen schädlich für die Entwicklung einer wirklichen Frauenbewegung, die sich mit der Lösung von wichtigen Problemen der Frauen beschäftigt.“3
Kowalewskas Einschätzung ist aus zweierlei Gründen interessant: Erstens setzt sie die zweite Welle der polnischen Frauenbewegung nach 1989 mit der sogenannten Pro-Abtreibungs-Bewegung gleich und will sie darüber hinaus auch nicht als Frauenbewegung anerkennen. Und zweitens spricht sie von einer verhinderten „wirklichen“ Frauenbewegung, die sich mit „wichtigen“ Problemen der Frauen beschäftigt. Damit zeigt sie, dass der Begriff Frauenbewegung auslegbar ist und dass er mit verschiedenen Bedeutungen aufgeladen werden kann: Für Kowalewska ist es eine Bewegung, die mit der pro-life-Bewegung und den pro-familiären-Organisationen zusammenhängt.4 Der Begriff Frauenbewegung wird hier als Legitimation der pro-life-Bewegung politisch eingesetzt, gemeint als Bewegung von Frauen für Frauen, dabei werden sie zu Lebenschützerinnen qua Berufung stilisiert.5 Kowalewska nimmt damit Bezug auf die Lehre von Johannes Paul II. und seine Betonung des Genius der Frau, was auf ein stilles Engagement von Frauen für zwischenmenschliche Beziehungen und Familie abhebt, worauf in der Arbeit noch genauer eingegangen wird.6 Diese Arbeit soll sich nicht, erneut mit Mitterer gesprochen, mittels „argumentativer Setzung“ oder Berufung auf eine „Wahrheitsinstanz“ 7 der Wissenschaft jenseits des Diskurses positionieren, indem eine wahre katholische Frauenbewegung zu Forschungszwecken konstruiert wird. Es soll kein neuer Dualismus erschaffen werden, der die konstruierte Trennung von Feministinnen und Katholi-
3
EWA KOWALEWSKA, Być kobietą, ale jaką? [Frau sein, aber welche?], Częstochowa, 2006, S. 86. Alle polnischsprachigen Zitate wurden, soweit nicht anders angegeben, von mir übersetzt.
4
Vgl. DERS., Usłyszec prawdziwy głos kobiet [Die wahre Stimme von Frauen wahrneh-
5
Vgl. JANINA MICHALSKA, Mówić różaniec życiem [Das Leben mit dem Rosenkranz
men], in: List do Pani, 6 (102), 2002, S. 8–9, hier S. 8. sprechen], in: List do Pani, 12/1/42, Dezember 19961997, S. 11; MARIA WILCZEK, Broniąc życia [Das Leben schützend], in: List do Pani, 7/18 Juli-August, 1994, S. 3. 6
Vgl. JOHANNES PAUL II., Brief an die Frauen. 29. Juni 1995, Bonn, 1995; KOWALEWSKA, Usłyszec prawdziwy głos…, a.a.O., S. 9.
7
MITTERER, Die Flucht aus…, a.a.O., S. 27.
Frauenbewegungen als soziale Bewegungen | 33
kinnen weiter stabilisieren könnte. Stattdessen wird hier nach einer Frauenbewegung gesucht, die sich von der Beschreibung Kowalewskas grundlegend unterscheidet, bzw. wie Mitterer es nennt, nach einer anderen, neuen Beschreibung der Frauenbewegung – einer Beschreibung from now on. Als Frauenbewegung verstehe ich in Anlehnung an Ilse Lenz eine Bewegung, welche sich „für einen grundlegenderen Wandel der Geschlechterverhältnisse“ einsetzt.8 Da es sich aber nicht nur um eine, sondern um eine Vielzahl an Fraueninitiativen und Gruppierungen handelt, weist Ute Gerhard auf die Notwendigkeit der Verwendung des Plurals hin – in diesem Sinne ist dann von „Frauenbewegungen“ zu sprechen und nicht von „der Frauenbewegung“. Darüber hinaus situiert sie Frauenbewegungen im Bereich der sozialen Bewegungen,9 da sie Veränderungen anstreben und von der „Machbarkeit der Geschichte“ ausgehen.10 Der angestrebte Wandel zielt auf die Überwindung von „Bevormundung, Ungerechtigkeit und soziale[n] Ungleichheiten“11. Gerhard betont dabei auch den kollektiven und organisierten Charakter einer Frauenbewegung: „Als Frauenbewegung werden hier zunächst pragmatisch alle kollektiven, in Gruppen, Organisationen und Netzwerken organisierten Bestrebungen bezeichnet, die Frauen in allen Lebensbereichen, in Staat, Gesellschaft und Kultur sowie in der Privatsphäre, gleiche Rechte und Anerkennung sowie gleiche Teilhabe an gesellschaftlichen und ökonomischen Ressourcen und politischer Macht verschaffen.“12
8
ILSE LENZ, Frauenbewegungen: Zu den Anliegen und Verlaufsformen von Frauenbewegungen als sozialen Bewegungen, in: BECKER, RUTH; KORTENDIEK, BEATE (Hrsg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, Wiesbaden, 2008, S. 859–869, hier S. 860.
9
Dieter Rucht bezeichnet soziale Bewegung als „ein auf gewisse Dauer und durch kollektive Identität abgestütztes Handlungssystem mobilisierter Netzwerke von Gruppen und Organisationen“ DIETER RUCHT, Modernisierung und neue soziale Bewegungen. Deutschland, Frankreich und USA im Vergleich, Frankfurt, New York, 1994, S. 76. Eine soziale Bewegung strebt jedoch nicht nur die Herbeiführung von sozialem Wandel an, sondern kann ebenso bestrebt sein, ihn zu unterbinden oder gar rückgängig zu machen, ebd.
10 UTE GERHARD, Frauenbewegung, in: ROTH, ROLAND; RUCHT, DIETER (Hrsg.), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt, New York, 2008, S. 187–217, hier S. 189. 11 DERS., Frauenbewegung und Feminismus. Eine Geschichte seit 1789, München, 2009, S. 6. 12 GERHARD, Frauenbewegung…, a.a.O., S. 188–189.
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Diese Definition ist eine von vielen Definitionen der Frauenbewegung, die jedoch eines gemeinsam haben – die Feststellung, dass eine Frauenbewegung einen emanzipatorischen Wandel, eine Änderung in Richtung Geschlechtergerechtigkeit anstrebt. Eine Frauenbewegung ist demnach eine soziokulturelle Bewegung mit dem Ziel, Frauen mehr gesellschaftliche Wirkung zu ermöglichen und ihre Diskriminierung zu bekämpfen. Dementsprechend zählen zur Frauenbewegung keine Bewegungen, die die Bewahrung des Status quo anstreben.13 Die Encyklopedia of Global Studies enthält eine erweiterte Definition des Begriffs Frauenbewegung, die beinhaltet, dass neben dem Hauptziel der Geschlechtergerechtigkeit noch weitere Ziele verfolgt werden können: „The term women’s movement refers to any form of organizing, mainly by women, for the purpose of bringing about social change in which gender justice constitutes a crucial part either as a goal in and of itself (e.g., women’s emancipation), as a means to achieve wider goals (e.g., development), or as inseparable from other struggles (e.g., antiracist and anticolonial projects). Broadening conventional definitions of social movements to other forms of organizing allows for the inclusion of multiple and varied women’s collective action, from small-scale neighborhood-grassroots organizations to international feminist groups participating in the antiglobalization movement.“14
Diese Definition unterstreicht den intersektionalen Charakter der Frauenbewegung, denn nicht nur der Geschlechterunterschied beeinflusst das Leben von Frauen, sondern auch Klassenzugehörigkeit, Hautfarbe oder Nationalität – all diese Aspekte stehen in gegenseitiger Abhängigkeit voneinander und es ist daher
13 Vgl. DRUDE DAHLERUP, Is the New Women’s Movement Dead? Decline or Change of the Danish Movement, in: DAHLERUP, DRUDE (Hrsg.), The new women’s movement. Feminism and polit. power in Europe and the USA, Bd. 12, London u.a., 1986, S. 217– 244; FUSZARA, Between Feminism and…, a.a.O., S. 1058; MAŁGORZATA FUSZARA, Women’s Movements in Poland, in: SCOTT, JOAN WALLACH; KAPLAN, CORA; KEATES, DEBRA (Hrsg.), Transitions, environments, translations. Feminisms in international politics, New York, 1997, S. 128–142; GERHARD, Frauenbewegung…, a.a.O; LENZ, Frauenbewegungen: Zu den…, a.a.O. 14 HELMUT K. ANHEIER, MARK JUERGENSMEYER, Encyclopedia of global studies, Thousand Oaks, Calif, 2012, S. 1792.
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wichtig, die Frauenbewegung in einem breiteren Rahmen zu betrachten und sie nicht allein auf die sogenannte Frauenfrage zu reduzieren.15 Eine interessante Analyse zum Vergleich der deutsch- und englischsprachigen Auslegung des Begriffs Frauenbewegung liefern Sylvia Paletschek und Bianka Pietrow-Ennker. Für ihren englischsprachigen Sammelband zum Thema der europäischen Frauenbewegung im 19. Jahrhundert wählen sie den Begriff women’s emancipations movement, denn women’s movement erschien ihnen als ein zu breit gefasster Begriff, der mitunter auch konservative und anti-feministische Frauenorganisationen umfassen könne.16 Die Bezeichung women’s emancipations movement sei laut der Autorinnen mit dem deutschen Begriff Frauenbewegung vergleichbar, welcher das emanzipatorische Moment bereits beinhalte. Beim englischen Begriff women’s movement sei das emanzipatorische Element noch nicht enthalten, es seien auch nichtfeministische Organisationen hinzuzählen.17 Wenn der weit gefasste Begriff women’s movement benutzt wird, bedürfe der Begriff einer genaueren Bestimmung im Sinne der Untergruppen feminist, potential feminist und nonfeminist movements, wobei die Grenze zwischen ihnen fließend sei.18 Paletschek und Pietrow-Ennker nennen als Beispiel die Armenhilfe der Frauen als eine Bewegung, die von nicht-emanzipatorischer Armenhilfe zu feministischem Bewusstsein fand, da durch die Analyse der Armutsursachen die in der Armenhilfe aktiven Frauen auf die Diskriminierung von Frauen im Eherecht und im Berufsleben aufmerksam geworden seien.19 Frauenbewegungen werden gemäß ihrer Ziele und Form in drei Wellen aufgeteilt.20 Für meine Arbeit sind insbesondere die Neuen Frauenbewegungen interessant, die sich in Westeuropa und in den USA in den 1960er Jahren im Rahmen der
15 Zur Intersektionalität vgl. z.B. GUDRUN-AXELI KNAPP, ANGELIKA WETTERER, Achsen der Differenz, Münster, 2003; GABRIELE WINKER, NINA DEGELE, Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten, Bielefeld, 2010. 16 Vgl. SYLVIA PALETSCHEK, BIANKA PIETROW-ENNKER, Concepts and issues, in: PALETSCHEK, SYLVIA; PIETROW-ENNKER, BIANKA (Hrsg.), Women’s emancipation movements in the nineteenth century. A European perspective, Stanford, Calif, 2004, S. 3–10, hier S. 6. 17 Ebd., S. 4–6. 18 Ebd., S. 6. 19 Vgl. ebd. 20 Gisa Bauer spricht sogar von einer „Vierten“ Welle des Feminismus, die sich durch die starke Nutzung der Medien und des Internets auszeichnet und, wie im Falle des entblößten Protests der Femen-Aktivistinnen oder der Slutwalks („Schlampenaufmär-
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gesellschaftlichen Reformen im Zuge der Studierendenbewegungen aufkamen.21 Lenz sieht die Gründe, die die Entstehung der Neuen Bewegungen in der BRD ermöglichten, zum einen im damaligen „neopatriarchalischen“ Gesellschaftssystem und den damit einhergehenden geschlechtlichen Konfliktlagen, die soziale Veränderungen unabdingbar machten.22 Zudem entstanden zu dieser Zeit durch die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates und das Aufkommen der Globalisierung „Gelegenheitsstrukturen“, die durch die Verbesserung sozialer Teilhabechancen Aktivismus ermöglichten.23 Auch die nationalen und internationalen politischen Prozesse, die zur Pluralisierung und Demokratisierung führten, sowie die Studentenbewegung, die gesellschaftliche Veränderungsprozesse einleitete, begünstigten die Entstehung Neuer Bewegungen.24 Laut Ilse Lenz unterschieden sich die früheren Frauenbewegungen Mitte des 19. Jahrhunderts (erste Welle) von den Neuen Frauenbewegungen insbesondere darin, dass sie Zweigeschlechtlichkeit und Mütterlichkeit als ausschließlich weibliche Berufung noch nicht infragestellten. Die Neuen Frauenbewegungen hingegen diskutieren den Begriff Geschlecht und wehren sich gegen den Biologismus mit dem Argument, Biologie solle nicht Schicksal der Frauen sein. Stattdessen werde verstärkt von „Wahlbiographie“ gesprochen.25 Auch Ute Gerhard bringt die Neue Frauenbewegung mit „[…] neuen Bürgerrechts- und Alternativbewegungen […], für die nicht so sehr Verteilungs- und Eigentumsfragen – also Gleichheit – sondern die ‚Lebensweise‘, Selbstbestimmung und die kontraproduktiven Folgen
sche“), mit medienwirksamen Aktionen arbeite. Vgl. GISA BAUER, Gemeinsam gegeneinander mit dem Rücken an der Wand gender turn – eine Geschichte, in: SCHMELZER, CHRISTIAN (Hrsg.), Gender turn. Gesellschaft jenseits der Geschlechternorm, Bielefeld, 2013, S. 35–80. 21 Vgl. UTE GERHARD, Die „langen Wellen“ der Frauenbewegung – Traditionslinien und unerledigte Anliegen, in: LENZ, ILSE (Hrsg.), Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung, Wiesbaden, 2008, S. 488–498; LENZ, Frauenbewegungen: Zu den…, a.a.O; ROSEMARIE NAVE-HERZ, Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, Wiesbaden, 1994. 22 Vgl. ILSE LENZ (HRSG.), Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Ausgewählte Quellen, Wiesbaden, 2009, S. 17. 23 Ebd. 24 Vgl. ebd. 25 DERS., Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung, Wiesbaden, 2008, S. 23.
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industriellen Wachstums im Zentrum der Mobilisierung und des Protestes stehen“ in Verbindung.26 Die Neuen Frauenbewegungen begannen also die Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität in Frage zu stellen und damit eröffneten sie neue Entfaltungsmöglichkeiten für unterschiedliche Lebensentwürfe, jenseits der traditionellen Geschlechterrollen. Dieser Wandel ist für die vorliegende Arbeit insofern interessant, als die Bezeichnung der Neuen Bewegungen ebenfalls auf die Entwicklung der katholischen Frauenbewegung angewendet werden kann. Ewa Malinowska grenzt in ihrer Analyse des europäischen Feminismus in Anlehnung an die Theorie der sozialen Bewegungen von Alain Touraine die soziale Bewegung vom Kampf ab.27 Unterschiede macht sie insbesondere in den formulierten Zielen, den Identitäten der Akteurinnen und Akteure und bei potenziellen Gegnerinnen und Gegnern aus. Während im Falle des Kampfes das Ziel einen partikularen Charakter habe und durch Gruppeninteressen charakterisiert werde, sei das Ziel der sozialen Bewegung allgemeiner und könne auch die gesamte Gesellschaft betreffen. Die Wichtigkeit persönlicher Identität von Akteurinnen und Akteuren verschiebe sich beim Kampf in Richtung Gruppenzugehörigkeit. In der sozialen Bewegung hingegen stehen Identität und Wertegebundenheit über dem Paradigma Klassen- und Staatsangehörigkeit. Der Kampf sei auf „greifbare“ Gegnerinnen und Gegner ausgerichtet, die als Fremde oder Feinde betrachtet werden. Eine soziale Bewegung hat keinen klar definierten Feind und richte sich gegen Ideen, Überzeugungen oder Prinzipien.28 Diese Unterscheidung, die Ewa Malinowska vornimmt, führte mich zu der Frage, ob es sich bei katholischen (Frauen-)Organisationen um eine Frauenbewegung, eine Gegenbewegung zu dieser oder vielleicht sogar um einen Kampf handelt, zumal auch der kämpferische Wortschatz dieser Organisationen zu dieser Annahme führen kann.
2.1 KATHOLISCH-FEMINISTISCHER DENKSTIL. VON DEN KIRCHENGEBUNDENEN ZU DEN NEUEN KATHOLISCHEN FRAUENBEWEGUNGEN Ludwik Fleck entwickelte in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts sein wissenschaftstheoretisches Konzept zu Denkkollektiven und Denkstilen, beruhend auf
26 GERHARD, Die „langen Wellen“ der Frauenbewegung – Traditionslinien und unerledigte Anliegen, in: LENZ, ILSE (Hrsg.), Die Neue Frauenbewegung, a.a.O., S. 488. 27 Vgl. MALINOWSKA, Feminizm europejski. Demokracja…, a.a.O., S. 49–50. 28 Vgl. ebd.
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der Frage, wie Wissen zustande kommt und wie „wissenschaftliche Tatsachen“ entstehen.29 Denkkollektive definiert er als „Gemeinschaft von Menschen, die im Gedankenaustausch oder in gedanklicher Wechselwirkung stehen“.30 Sie werden durch einen gemeinsamen Denkstil geprägt und zusammengehalten. Dabei zeige sich, dass, je stärker ein Denkkollektiv von einem Denkstil „getränkt“ sei, desto unwahrscheinlicher erscheine die Möglichkeit des Widerspruchs. 31 Fleck beschreibt die Beharrungstendenzen eines Denkstils und dass die Abhängigkeiten zwischen den Mitgliedern eines Denkkollektivs ein gedankliches Dissidententum zum Denkkollektiv kaum möglich machen. Allerdings könne es durch Interaktion zwischen verschiedenen Denkkollektiven, durch „interkollektiven Gedankenverkehr“32, zu einer Veränderung des Denkstils kommen. Dies könne in Form von Denkstilergänzung, Denkstilentwicklung oder Denkstilumwandlung stattfinden.33 Flecks Theorie und Kategorien bieten sich als hilfreiches Instrumentarium zur Analyse der Entwicklung der katholischen Frauenbewegung an, in der eine Verbindung des katholischen und des feministischen Denkstils zu beobachten ist. Diese katholisch-feministische Verbindung entwickelte sich insbesondere nach den Reformen des Zweiten Vatikanums (1962-65) und im Zuge der gesellschaftlichen Veränderungen seit den 1960er Jahren. Wie bereits in Bezug auf die Entwicklung der Neuen Frauenbewegungen erwähnt, richteten sich diese insbesondere gegen den Biologismus und begannen sich mit der traditionellen Geschlechterordnung kritisch auseinanderzusetzen. Ein ähnlicher Verlauf trifft auf die Entwicklung der katholischen Frauenbewegung zu, wobei es sich hier meiner Ansicht nach eher um eine Umwandlung einer katholischen Bewegung in eine feministische im Sinne einer Neuen Frauenbewegung handelt. Diese Bewegung wird meist von kirchenunabhängigen Frauenorganisationen und -gruppen getragen, wie z.B. Maria von Magdala oder Aktion Lila Stola in Deutschland, die sich u. a. für die Priesterweihe für Frauen einsetzen, womit sie sich offiziellen katholischen Positionen entgegenstellen. Klar abzugrenzen sind die Neuen Katholischen Frauenbewegungen von dem Konzept des neuen Feminismus von Johannes Paul II., der eine auf Essentialismus aufbauende Antwort der katholischen Amtskirche auf die Frauenbewegungen ist. Der neue Feminismus stellt einen Feminismus dar, der im Sinne der katholischen Kirche agiert. Dies wurde für diese Kirche wichtig, weil
29 Vgl. LUDWIG FLECK, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv, Frankfurt am Main, 1980. 30 Ebd., S. 54–55. 31 Vgl. ebd., S. 41. 32 Ebd., S. 143. 33 Vgl. ebd., S. 122.
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die Zahl der kritischen Stimmen von Frauen gegen sie im Zuge der Neuen Frauenbewegungen rapide zunahm. Die ersten katholischen Frauenorganisationen entstanden Ende des 19. Jahrhunderts. Als erste wurde 1893 die belgische Ligue des Femmes Chrétiennes de Bruxelles auf Initiative eines Jesuiten mit dem Ziel der Sozialarbeit im Brüsseler Arbeiterinnenmilieu gegründet. 34 Danach folgten die Ligue patriotique des Françaises 1902, welche sich zur weltweit einflussreichsten katholischen Frauenorganisation entwickelte und die Entstehung vergleichbarer Organisationen in Portugal (1902) und Uruguay (1906) mitinitiierte.35 1903 entstand in Köln der Katholische Frauenbund KFB (heute Katholischer Deutscher Frauenbund KDFB) und im zu diesem Zeitpunkt dreigeteilten Polen wurden ebenfalls mehrere katholische Frauenorganisationen gegründet. Deutsche und Polinnen gehörten somit zu den Pionierinnen der katholischen Frauenbewegung. Ida Raming sieht die Entstehungsgeschichte der katholischen Frauenbewegung in einem größeren Zusammenhang und verbindet die Entstehungswelle der katholischen Frauenorganisationen mit Anweisungen aus dem Vatikan.36 Raming beschreibt die Haltung verschiedener Päpste zur Frauenfrage seit den Anfängen der Frauenbewegungen im 19. Jahrhundert. Während Pius IX. und sein Nachfolger Leo XIII. sich noch strikt gegen die Frauenemanzipation stellten und sich auf die traditionell-katholische Ordnung stützen, erkannte Pius X., dass die katholische Kirche in Bezug auf die Frauenfrage nun handeln und eine katholische Antwort hervorbringen müsse.37 Damit sollte verhindert werden, dass die Frauenfrage
34 Vgl. GRUZIEL, At the Crossroads…, a.a.O., S. 195. 35 Vgl. ebd., S. 196. 36 Vgl. IDA RAMING, Frauenbewegung und Kirche. Bilanz eines 25jährigen Kampfes für gleichberechtigung und Befreiung der Frau seit dem 2. Vatikanischen Konzil, Weinheim, 1989, S. 21. 37 Vgl. ebd. Papst Pius X. setzte sich insgesamt für das Laienapostolat ein, d.h. die Beteiligung von Laien und Lainnen in der Kirche und förderte die Katholische Aktion – eine Laienbewegung. Diese Bewegung wurde unter der Amtszeit des nächsten Papstes Pius XI. institutionalisiert. Der Zeitpunkt der Entwicklung der katholischen Frauenbewegung deckt sich daher mit der durch den Vatikan gesteuerten Laienbewegung, auch wenn die ersten katholischen Frauenorganisationen in Deutschland und Polen zunächst nicht der Katholischen Aktion angehörten. Im Falle des KDFB wurde der Verein erst in der NS-Zeit in die Katholische Aktion eingegliedert und die polnischen katholischen Frauenorganisationen bereits in den 1920er Jahren. Vgl. JOANNA STAŚKIEWICZ, Gender oder „neuer Feminismus“? Katholische Frauenorganisationen in Polen und in
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der sozialistischen Bewegung oder der allgemeinen Frauenbewegung überlassen wird und sich Arbeiterinnen sozialistischen Ideen zuwenden. Pius X. erklärte daher schon 1906, dass er eine Frauenbewegung befürwortet: „soweit sie mit der christlichen Moral nicht im Widerspruch steht“.38 Laut Raming zeigt dies die Ausrichtung der sich zu dieser Zeit entwickelnden katholischen Frauenbewegung. Es sei sei mehr darum gegangen, die gesellschaftliche Verankerung der Kirche zu erhalten, als die Situation der Frauen an sich zu verbessern. Sie bezeichnet daher die Beziehung zwischen Kirche und Frauenbewegung als ein „tragisches Faktum“, das nicht auf Zusammenarbeit, sondern auf Konfrontation basiere.39 Nämlich werde die Frauenbewegung als „gesellschaftliche Realisierung von Freiheit“ mit einer die Unterordnung von Frauen legitimierenden, „rückwärtsgewandten ‚Theologie der Ordnungen‘“ konfrontiert.40 Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Verbindung Frauenbewegung und Katholizismus kontrovers diskutiert. Zudem wurde die Existenz einer katholischen Frauenbewegung lange in der Frauenforschung ignoriert, und zwar aufgrund der konservativen Ausrichtung dieser Bewegung. 41 So erinnert Gisela Breuer in Bezug auf die Entstehung der katholischen Frauenbewegung in Deutschland daran, dass diese von der allgemeinen Frauenbewegung gar nicht begrüßt wurde, denn sie weckte Ängste vor einer konservativen Wende. Mitunter verweist sie auf die Ablehnung seitens des linken und des gemäßigten Flügels des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF), da die Verbindung von Frauenemanzipation und katholischem Glauben als unvereinbar gegolten habe.42 Auch in der Forschung zur katholischen Frauenbewegung finden sich Diskrepanzen zur Verbindung von Katholizismus und Frauenbewegung. Einerseits sind
Deutschland im Vergleich, in: CHYLEWSKA-TÖLLE, ALEKSANDRA; HEIDRICH, CHRISTIAN (Hrsg.), Mäander des Kulturtransfers. Polnischer und deutscher Katholizismus im
20. Jahrhundert, Bd. 22, Berlin, 2014, S. 183–200. 38 Zitiert nach: RAMING, Frauenbewegung und Kirche…, a.a.O., S. 21. 39 Ebd., S. 17. 40 Ebd. 41 Vgl. GISELA BREUER, Frauenbewegung im Katholizismus. Der Katholische Frauebund 1903-1918, Frankfurt [u.a.], 1998; CORNELIA WENZEL, KERSTIN WOLFF (HRSG.), Im Namen des Herrn? Konfessionelle Frauenverbände 1890-1933, Ariadne 35, Kassel, 1999, S. 4. 42 Breuer nennt hier u. a. die Skepsis der Frauenrechtlerin Gertrud Bäumer, welche diese in ihrem „Handbuch der Frauenbewegung“ zum Ausdruck brachte. Vgl. BREUER, Frauenbewegung im Katholizismus…, a.a.O., S. 30.
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es Texte, die das Emanzipatorische der katholischen Frauenbewegung hervorheben, auch wenn sie dabei die kirchliche Gebundenheit dieser Bewegung und ihre Zustimmung zur kirchlichen Soziallehre betonen.43 Andererseits bestreiten verschiedene Beiträge das Emanzipatorische der katholischen Frauenbewegung der ersten Welle und bezeichnen erst die Neue Katholische Frauenbewegung, die in den 1960er Jahren aufkam, als emanzipatorisch.44 In ersteren Texten wird betont, dass die Existenz eigener Verbände den katholischen Frauen ermöglichte, sich für ihre Sache ohne klerikalen Einfluss zu engagieren, wenn auch unter der Bedingung, von der kirchlichen Autorität und der katholischen Lehre akzeptiert zu werden.45 Durch ihr gesellschaftliches Engagement durchbrachen Katholikinnen die Trennung von Privatem und Öffentlichem und erlangten eine gewisse Eigenständigkeit, auch wenn sie dieses Engagement der Amtskirche gegenüber zu rechtfertigen hatten.46 Die konfessionelle Frauenbewegung stand beispielsweise in ihrer
43 Vgl. URSULA BAUMANN, Religion und Emanzipation: Konfessionelle Frauenbewegung in Deutschland 1900-1933, in: OLENHUSEN, IRMTRAUD GÖTZ von (Hrsg.), Frauen unter dem Patriarchat der Kirchen. Katholikinnen und Protestantinnen im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart, 1995, S. 89–119; BREUER, Frauenbewegung im Katholizismus…, a.a.O; ZOFIA CHYRA-ROLICZ, Kościół katolicki a ruch kobiecy przed 1993 rokiem [Die katholische Kirche und die Frauenbewegung vor 1939], in: RENZ, REGINA; PAWLINA-MEDUCKA, MARTA (Hrsg.), Społeczno-kulturalna działalność Kościoła katolickiego w Polsce XIX i XX w, Kielce, 1994, S. 149–158; MAŁGORZATA JANAS, Nowe formy żeńskiego ruchu zakonnego i stowarzyszeniowego w Kościele katolickim na ziemiach polskich w XIX i na początku XX wieku [Neue Formen der weiblichen Ordens- und Vereinigungsbewegungen in der katholischen Kirche in Polen im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts], in: JANIAK-JASIŃSKA, AGNIESZKA (Hrsg.), Działaczki społeczne, feministki, obywatelki… Samoorganizowanie się kobiet na ziemiach polskich do 1918 roku (na tle porównawczym), Warszawa, 2008, S. 407–446; BIRGIT SACK, Zwischen religiöser Bindung und moderner Gesellschaft. Katholische Frauenbewegung und politische Kultur in der Weimarer Republik (1918/19-1933), Münster, op. 1998. Die katholische Soziallehre wurde insbesondere in der Enzyklika Rerum novarum von Papst Leo XII. von 1891 propagiert. 44 Vgl. RAMING, Frauenbewegung und Kirche…, a.a.O; MICHAELA SOHN-KRONTHALER, ANDREAS SOHN, Frauen im kirchlichen Leben. Vom 19. Jahrhundert bis heute, Kevelaer, 2008. 45 BAUMANN, Religion und Emanzipation…, a.a.O., S. 91; BREUER, Frauenbewegung im Katholizismus…, a.a.O., S. 10. 46 Vgl. CHYRA-ROLICZ, Kościół katolicki a…, a.a.O; SACK, Zwischen religiöser Bindung…, a.a.O., S. 2.
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Einstellung zum Frauenstudium und Mädchenbildung der allgemeinen Frauenbewegung nahe, obwohl sie in den Bildungsfragen für die Beachtung religiöser Werte eintrat.47 Laut Birgit Sack vertraten die ersten deutschen katholischen Frauenorganisationen durch die Betonung der Komplementarität der Geschlechter und insbesondere der sogenannten geistigen Mutterschaft als Rolle der Frau eine ähnliche Haltung wie der gemäßigte Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung.48 Die Katholikinnen wollten durch ihr Engagement bewirken, dass die Frauenfrage nicht allein der allgemeinen Frauenbewegung überlassen wird.49 Hingegen für Anne E. Carr begann die emanzipatorische katholische Frauenbewegung erst in den 1970er Jahren.50 Sie schrieb 1990 in Bezug auf die Frauenbewegung der christlichen Kirchen im Westen, dass zwanzig Jahre zuvor eine Frauenbewegung in den Kirchen kaum existierte, obwohl in den USA bereits 1916 mit der Catholic Women’s Union eine katholische Frauenorganisation gegründet wurde. Für Carr entstanden erst seit den 1970ern mehrere Initiativen, die sich für „die volle Beteiligung von Frauen auf jeglicher kirchlichen Ebene“51 einsetzten. Einer ähnlichen Argumentation in Bezug auf die Entwicklung in den USA folgt Mary Henold, die den Beginn der US-amerikanischen katholischen Frauenbewegung nach dem Erscheinen des Buches von Betty Friedan im Jahre 1963 sieht.52 Sie spricht sich zudem gegen den Dualismus Katholizismus versus Frauenbewegung aus und lehnt die Bezeichnung säkulare Frauenbewegung ab, da auch katholische Frauen die allgemeine amerikanische Frauenbewegung mitgeprägt haben.53 Dadurch sei die katholische mit der allgemeinen Frauenbewegung sehr verwoben, soweit jene organisatorisch nicht an die Amtskirche gebunden ist.
47 Vgl. BAUMANN, Religion und Emanzipation…, a.a.O., S. 104. 48 Vgl. SACK, Zwischen religiöser Bindung…, a.a.O., S. 27. 49 Vgl. BREUER, Frauenbewegung im Katholizismus…, a.a.O., S. 9; DOROTHEA ROHR, „… mit heiliger Begeisterung“. Zur Gründungsgeschichte des Katholischen Frauenbundes in Freiburg, in: MUSCHIOL, GISELA (Hrsg.), Katholikinnen und Moderne. Katholische Frauenbewegung zwischen Tradition und Emanzipation, Münster, 2003, S. 91– 104, hier S. 91–92. 50 Vgl. ANNE E. CARR, Frauen verändern die Kirche. Christliche Tradition und feministische Erfahrung, Gütersloh, 1990. 51 Ebd., S. 14. 52 Vgl. MARY J. HENOLD, Catholic and Feminist: The Surprising History of the American Catholic Feminist Movement, hier S. 2. In Deutschland erschien das Buch von Friedan 1966 im Rowohlt Verlag u. d. T. „Der Weiblichkeitswahn oder Die Selbstbefreiung der Frau“. 53 Vgl. ebd., S. 8.
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Ida Raming konstatiert eine Inkommensurabilität zwischen der Emanzipation und dem Konzept der Frauenwürde im Sinne der katholischen Lehre. Da die Kirche sich nicht von der Frauenfrage habe abwenden können, habe sie ein katholisches Konzept als Gegenpol zur Frauenemanzipation vorgestellt.54 Sie habe, so Raming, auf Impulse der Frauenbewegung mit Umschreibungen der Geschlechterordnung geantwortet – statt der Unterordnung der Frau wurde von da an ihre Verschiedenartigkeit und ihre besondere Frauenwürde betont.55 Das steht laut Raming im Gegensatz zu den Zielen einer Frauenbewegung, die sich dafür einsetzt, „den Prozeß der Entpatriarchalisierung des Christentums in Lehre, Recht, liturgischer Sprache und Praxis voranzutreiben“.56 Für Raming bedeutet eine katholische Frauenbewegung demnach einen tiefgreifenden Prozess, der nicht lediglich die katholische „patriarchale“ Geschlechterordnung verändert, sondern sie sowohl in der kirchlichen Praxis als auch in der Theorie durchbricht. Den Beginn einer solchen katholischen Frauenbewegung sieht auch sie erst nach den Änderungen des Vatikanums, insbesondere jedoch in den Gründungen alternativer Frauengruppen und -initiativen in den 1980er Jahren.57 Elisabeth Schüssler Fiorenza kritisiert an der kirchlich gebundenen Frauenbewegung, dass diese sich nach dem Zweiten Vatikanum für die „klerikalen Rechtsansprüche“ von Frauen engagierte, anstatt die „leibliche und geistliche Selbstbestimmung“ aller Frauen zu fordern.58 Das habe dazu geführt, dass die katholische Amtskirche auf die klerikalen Rechtsforderungen von Frauen mit „einer Theologie von Weiblichkeit als wesentlicher Differenz“59 antwortet, welche: „[…] darauf besteht, dass aufgrund dieser Wesensdifferenz Frauen nicht nur Christus nicht als Amtsträgerinnen repräsentieren können. Diese Theologie lehrt auch, dass das Wesen der Frau in leiblicher oder geistiger Mutterschaft besteht. Der Kampf gegen Geburtenkontrolle und Schwangerschaftsabbruch eskalierte so sehr, dass er weiterhin zum einzigen Kriterium des Katholischseins gemacht wird. Vatikanische Kirchenpolitik benutzt die Theologie der
54 Vgl. RAMING, Frauenbewegung und Kirche…, a.a.O., S. 24. 55 Vgl. ebd., S. 27. 56 Ebd., S. 110. 57 Vgl. ebd., S. 108–111. 58 ELISABETH SCHÜSSLER FIORENZA, Welche Kirche brauchen wir angesichts der Herausforderungen unserer Zeit? Welche Kirche leben wir angesichts der Welt, in: LAAKMANN, ANNEGRET;
ARNTZ, NORBERT; MEESMANN, HARTMUT (Hrsg.), Hoffnung und
Widerstand. Konziliare Versammlung Frankfurt am Main Oktober 2012, Oberursel, 2013, S. 39–51, hier S. 44. 59 Ebd.
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Frau dazu, Frauen das Recht auf körperliche Selbstbestimmung und kirchliches Amt zu verweigern.“60
Schüssler Fiorenza plädiert daher für eine egalitäre Kirche, eine Ecclesia von Frauen, in der beide Geschlechter gleichberechtigt sind. Obwohl sie auch Männer ausdrücklich zu dieser Kirche zählt, benutzt sie die Bezeichnung Ecclesia von Frauen, um in subversiver Art zu zeigen, dass es sich hier um einen Gegensatz zur heutigen Männerkirche handeln soll. Mit diesem Namen betont sie „ein radikal-demokratisches Verständnis“ und die Förderung einer „vollen Partizipation von Frauen“ und anderer bisher Benachteiligter in der Kirche.61 Ausgehend von unterschiedlichen Verläufen einer Frauenbewegung und in Anlehnung an Ludwik Flecks Theorie entschied ich mich für die vorliegende Arbeit für eine Aufteilung der katholischen Frauenbewegung in Wellen. Die Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen katholischen Frauenorganisationen, die im Geiste der katholischen Soziallehre und auf Anweisung des Vatikans handelten, können als erste Welle der katholischen Frauenbewegung bzw. als kirchengebundene Frauenbewegung gesehen werden. Die erste Welle zeichnete sich durch einen katholischen Denkstil der katholischen Frauenorganisationen aus, mit dem sie der katholischen Lehre treu blieb und die katholisch-traditionelle Geschlechterordnung nicht in Frage stellte. Aufgrund ihrer Ziele handelte sie eher im Sinne einer katholischen Bewegung als einer Frauenbewegung, denn der emanzipatorische Aspekt spielte eine eher untergeordnete Rolle. In den 1960er Jahren begann sich in Westeuropa und den USA der katholische Denkstil der bestehenden katholischen Frauenorganisationen um feministische Elemente zu erweitern, die sich für die stärkere Mitwirkung von Frauen in Kirche und Gesellschaft jenseits der traditionellen Rolle Ehefrau und Mutter einsetzten.62 Parallel dazu entstanden neue alternative Organisationen von katholischen Frauen, die eine volle Gleichberechtigung und Selbstbestimmung von Frauen und nicht
60 Ebd. 61 Ebd., S. 46. 62 Dieser Prozess verlief jedoch sehr langsam, da z.B. der KDFB trotz seiner selbständigen Leitung aufgrund ihrer organisatorischen Gebundenheit weiterhin der Lehre der katholischen Amtskirche treu folgen musste. Die Mitgliedsfrauen versuchten ihre Handlungsmöglichkeit im gegebenen Rahmen zu erweitern und selbst durch ihre berufstätigen Biografien zeigten sie, dass es jenseits der Mutter und Ehefrau auch andere möglichen Rollen für Frauen gibt, vgl. REGINA ILLEMANN, Katholische Frauenbewegung in Deutschland 1945-1962. Politik, Geschlecht und Religiosität im Katholischen Deutschen Frauenbund, Paderborn, 2016.
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lediglich mehr Mitsprache anstrebten.63 Es kam zu einer Annäherung der katholischen Frauenorganisationen an die Neuen Frauenbewegungen. Die katholische Geschlechterordnung wurde durch diese neuen bzw. neu orientierten katholischen Frauenorganisationen nicht mehr schweigend hingenommen, sondern in Frage gestellt.64 Mit Fleck gesprochen kam es aufgrund interkollektiven Gedankenverkehrs zwischen den Neuen Frauenbewegungen seit den 1960er Jahren und den katholischen Frauenorganisationen zur Entwicklung einer neuen katholischen Frauenbewegung der zweiten Welle, welche die katholische Geschlechterordnung nicht mehr stillschweigend akzeptiert und eine weitgehende „Entpatriarchalisierung“ der kirchlichen Strukturen, Lehre und Gesellschaft anstrebt. Ebenfalls in den 1960er Jahren entwickelte sich in Westeuropa und in den USA im Zuge der Reformen des Zweiten Vatikanums (1962-65) und beeinflusst durch die Neuen Frauenbewegungen sowie die Ökumene, hier insbesonders durch Impulse aus der protestantischen Kirche, die katholische feministische Theologie. 65 Die feministische Theologie als „eine Annäherung von Feminismus und
63 In Deutschland z.B. Maria von Magdala (gegründet 1986) oder Aktion Lila Stola (gegründet 1996). 64 Der Prozess der Verselbständigung der kirchengebundenen Frauenorganisationen war laut Elisabeth Moltmann-Wendel sehr lang und ist noch nicht abgeschlossen, ELISABETH
MOLTMANN-WENDEL, Einleitung, in: MOLTMANN-WENDEL, ELISABETH; BÄU-
MER,
GERTRUD (Hrsg.), Frau und Religion. Gotteserfahrungen im Patriarchat, Frank-
furt am Main, 1983, S. 11–38, hier S. 35. Vgl. auch MARGIT ECKHOLT, Kein Konzil der Frauen, aber eines mit Frauen. Das Zweite Vatikanum – Frauenperspektiven?!, in: Die Theologisch-praktische Quartalsschrift (ThPQ), 160, H. 3, 2012, S. 270–277; RAMING, Frauenbewegung und Kirche…,
a.a.O.
65 Vgl. ADAMIAK, Feministische Theologie in…, a.a.O; MARGIT ECKHOLT, Ohne die Frauen ist keine Kirche zu machen. Der Aufbruch des Konzils und die Zeichen der Zeit, Ostfildern, 2012, S. 7; ELISABETH SCHÜSSLER FIORENZA, Grenzen überschreiten. Der theoretische Anspruch feministischer Theologie; ausgewählte Aufsätze, Berlin, 2007, S. 2.
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Theologie“66 befasst sich mit der „Reflexion“67 der kirchlichen Frauenbewegungen und hat als wissenschaftliche Disziplin mittlerweile auch Eingang in die Universitäten gefunden. Sie begann in den 1970er Jahren und entwickelte sich in mehreren Phasen. Zunächst strebte sie Änderungen der traditionellen Geschlechterrollen an und forderte die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Kirche und Gesellschaft. In der nächsten Phase wurde sie zunehmend zu „Theologischen Gender Studies“,68 d.h. sie begann, sich theologisch mit der Kategorie des Geschlechts auseinanderzusetzen und neben der Geschlechterdifferenz auch kulturelle, sexuelle und soziale Differenzen zu reflektieren. Die heutige Phase ist gekennzeichnet durch „eine stärker politisch orientierte Feministische Theologie und Theologische Genderforschung“ unter Berücksichtigung internationaler (z.B. asiatische oder black-Theologie) Diskurse und deren Diversität.69 Durch die Zusammenfassung der oben erwähnten Beschreibungen der Begriffe Frauenbewegung und katholische Frauenbewegung ergibt sich eine Definition der katholischen Frauenbewegung, dernach die katholische Frauenbewegung eine Gruppe vernetzter Frauenorganisationen und -gruppen ist, die sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter innerhalb der Institution Kirche einsetzt, zur Überwindung ihrer patriarchalen Strukturen beiträgt sowie die Dekonstruktion der gängigen katholischen Geschlechtervorbilder betreibt, welche die Benachteiligung der Frauen fördern und die Ungleichheit der Geschlechter legitimieren.
66 WOLFGANG MÜLLER W., Frau und Kirche. Anmerkungen zu einem schwierigen Themenbereich aus systematischer Sicht, in: EGGER, MONIKA; MEIER, LIVIA; WISSMILLER, KATJA (Hrsg.), WoMan in Church. Kirche und Amt im Kontext der Geschlechter-
frage, Berlin, 2006, S. 103–120. 67 GISELA MATTHIAE, RENATE JOST, CLAUDIA JANSSEN u. a. (Hrsg.), Feministische Theologie. Initiativen, Kirchen, Universitäten – eine Erfolgsgeschichte., Gütersloh, 2008, S. 38. 68 JOST, Erfolgsgeschichte Feministische Theologie – Initiativen, Kirchen, Universitäten. Einführung., in: MATTHIAE, GISELA; JOST, RENATE; JANSSEN, CLAUDIA u. a. (Hrsg.), Feministische Theologie, a.a.O., S. 14. 69 Ebd. Ebenfalls interessant ist der Ansatz der kritischen Bio-Theologie von Ulrike Auga als eine nicht-essentialistische Theologie, welche die Phänomene des Postkolonialismus, der Globalisierung und des Post-Säkularismus unter der Einbeziehung von Geschlechterperspektiven aufgreift. Vgl. ULRIKE AUGA, Decolonizing Public Space: A Challenge of Bonhoeffer’s and Spivak’s Concepts of Resistance, ‚Religion‘ and Gender‘, in: Feminist Theology, 24, H. 1, 2015, S. 49–68.
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2.2 DIE REPLIK DER KATHOLISCHEN AMTSKIRCHE AUF DIE FRAUENBEWEGUNGEN: DER NEUE FEMINISMUS VON JOHANNES PAUL II. Die Entwicklung der Frauenbewegung im 19. Jahrhundert bedeutete, wie erwähnt, für die katholische Kirche eine Herausforderung, was an der zunächst ablehnenden Haltung der Päpste gegenüber dieser Bewegung erkenntlich ist. Erst durch Pius X. erfolgte eine gewisse Beachtung der Frauenfrage, die jedoch eher aus einer Not geboren wurde. Denn diese Frage sollte nicht allein der bürgerlichen oder protestantischen Frauenbewegung überlassen werden. Die katholische Kirche antwortete auf die Frauenbewegung lediglich mit einer „Korrektur“, was auch von einigen Theologinnen bemängelt wurde: Anstatt die Unterdrückung der Frau aufzuheben wurde nun die „Wesensdifferenz“ zwischen Mann und Frau in den Vordergrund gestellt, die schließlich weiterhin Frauen von wichtigen Ämtern ausschloss und per Reduktion des Frau-Seins auf das Mutter-Sein ihnen auch das Recht auf körperliche Selbstbestimmung absprach.70 Auf dem Prinzip der „Wesensdifferenz“ baut auch das Konzept des neuen Feminismus von Papst Johannes Paul II. auf, der erstmals 1988 im apostolischen Schreiben Mulieris Dignitatem aus dem Jahre 1988 erwähnt wurde.71 Papst Johannes Paul II. entwickelt dort die Idee der besonderen Würde der Frau, die er als essentialistisches Frauenbild von ihrer biologischen Rolle ableitet. 72 Johannes
70 Vgl. RAMING, Frauenbewegung und Kirche…, a.a.O; SCHÜSSLER FIORENZA, Welche Kirche brauchen…, a.a.O. 71 Vgl. JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Mulieris Dignitatem von Papst Johannes Paul II. über die Würde und Berufung der Frau anlässlich des Marianischen Jahres. 15. August 1988, Bonn, 1988. Johannes Paul II. schrieb bereits 1981 über die „Würde der Frau“, setzt sie jedoch noch in den Kontext der gleichberechtigten Würde zur „Würde des Mannes“, ohne den Entwurf einer „besonderen“ Würde der Frau, die er 1988 explizit entwickelte, Vgl. DERS., Apostolisches Schreiben Familiaris Consortio von Papst Johannes Paul II. an die Bischöfe, Priester und Gläubigen der ganzen Kirche über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute, Bonn, 1981. 72 Aneta Gawkowska bezeichnet den neuen Feminismus als „Suche nach der Essenz der Weiblichkeit“, so der Titel ihres Aufsatzes. Die weibliche Berufung im Sinne dieses Konzepts, das sie als eine soziale Bewegung sieht, könne durch die Regel „Drei mal R“ zusammengefasst werden: Frauen seien somit zur Rezeption (Bereitschaft zu einer Gabe), Relation (die Frau sei durch Beziehungen zu anderen und die Gemeinschaft geprägt, Sorge um andere gehöre zu ihrem Wesen) und Offenbarung (die Frau wird hier
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Paul II. weist auf eine Berufung von Frauen und auf ihren weiblichen Genius hin, der insbesondere in ihrer Mutterschaft begründet sei. Die Mutterschaft der Frau wird sowohl biologisch als auch geistig verstanden. Maria wird zum „Urbild“ der Weiblichkeit stilisiert und den katholischen Frauen als nachzuahmendes Ideal und „‚neue[r] Anfang der Würde und Berufung der Frau, aller Frauen und jeder einzelnen“73 präsentiert. Die Würde der Frauen verbindet Johannes Paul II. mit einer vorausgesetzten besonderen Befähigung von Frauen zur Liebe – durch ihre Mutterschaft sei die Frau befähigt und dazu berufen, Liebe zu empfangen und sie weiter zu schenken.74 Davon leite sich der „Genius“ der Frau ab, „der die Sensibilität für den Menschen, eben weil er Mensch ist, unter allen Umständen sicherstellt“.75 Zu erwähnen bleibt, und das ist ein Novum in der Positionierung des Vatikans zum Feminismus, dass der Papst in diesem Schreiben die Diskriminierung von Frauen anprangert: „Die Frau darf nicht zum ‚Objekt‘ männlicher ‚Herrschaft‘ und männlichen ‚Besitzes‘ werden“.76 Johannes Paul II. entwickelte sein Konzept 1995 in der Enzyklika Evangelium vitae weiter,77 im gleichen Jahr, in dem auch die Vierte Weltfrauenkonferenz der
als Entdeckerin des Menschen bezeichnet, sie bringe einen Menschen zur Welt und erziehe ihn moralisch), vgl. ANETA GAWKOWSKA, Nowy feminizm – poszukiwanie esencji kobiecości [Neuer Feminismus – Suche nach der Essenz der Weiblichkeit], in: Societas/Communitas, 2, H. 6, 2008, S. 67–86. 73 JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Mulieris…, a.a.O., S. 30. 74 Vgl. ebd., S. 5. 75 Ebd., S. 67. 76 Ebd., S. 26. In Polen wurde der Inhalt dieses päpstlichen Briefes in keinem der Briefe des polnischen Episkopats an die Gläubigen weitergegeben. Lediglich in einem Brief anlässlich des Endes des Marienjahres 1988 wurde auf Mulieris Dignitatem kurz hingewiesen und die Lektüre den Frauen empfohlen, um ihnen das Frauenideal Maria nahezubringen, Vgl. ADAMIAK, Nauczanie Kościoła rzymskokatolickiego o kobietach. Ujęcie dogmatyczne [Die Lehre der römisch-katholischen Kirche über Frauen. Die dogmatische Auffassung], in: ADAMIAK, ELŻBIETA; CHRZĄSTOWSKA, MAŁGORZATA (Hrsg.), Godzina kobiet? Recepcja, a.a.O., S. 31. 77 Vgl. JOHANNES PAUL II., Enzyklika Evangelium vitae von Papst Johannes Paul II. an die Bischöfe Priester und Diakone, die Ordensleute und Laien sowie an alle Menschen guten Willens über den Wert und die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens. 25. März 1995, Bonn, 2009.
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UN in Peking stattfand.78 Hier entwirft er Beschreibungen der Weiblichkeit und der Rolle von Frauen in der Gesellschaft, und ruft Frauen zu einem neuen Feminismus auf, der allerdings: „ohne in die Versuchung zu verfallen, ‚Männlichkeits‘-Vorbildern nachzujagen, durch den Einsatz zur Überwindung jeder Form von Diskriminierung, Gewalt und Ausbeutung den echten weiblichen Geist in allen Ausdrucksformen des bürgerlichen Zusammenlebens zu erkennen und zu bekunden versteht.“79
Diese Enzyklika thematisiert, wie schon ihr Untertitel sagt, die „Würde und Unantastbarkeit des menschlichen Lebens“.80 Damit ist der neue Feminismus in den Kontext der kirchlichen pro-life-Kampagne gestellt. Dieser Kontext sowie an sich die Bezeichnung neuer Feminismus, in Abgrenzung zum alten, lassen die deutlich kritische Position gegenüber dem säkularen Feminismus erkennen. Dass der Papst in diesem Schreiben eine der Hauptforderungen der feministischen Bewegung, die Auflehnung gegen die Diskriminierung von Frauen, als berechtigt anerkennt, steht im Gegensatz zur Einstellung von Papst Pius XI., der noch in den 1970er Jahren die Frauenemanzipation als Sünde gegen die eheliche Treue anprangerte.81 Weitere Aspekte des neuen Feminismus sind im Brief An die Frauen erschienen, den Johannes Paul II. für die Pekinger Weltfrauenkonferenz 1995 verfasste. Dort bedauert er die lange Tradition der Unterdrückung von Frauen auch in der katholischen Kirche. Er zeigt dabei seine Anerkennung gegenüber Frauen,
78 Bereits im Mai 1995 empfing Papst Johannes Paul II. die Generalsekretärin der bevorstehenden Weltfrauenkonferenz Gertrude Mongella und übergab ihr seine Papal Message on Women Conference, in der er zur Beachtung der Komplementarität der Geschlechter aufrief, da eine Angleichung der Frau an den Mann den Verlust der besonderen weiblichen Berufung bedeuten würde: „As most women themselves point out, equality of dignity does not mean ‚sameness with men‘. This would only impoverish women and all of society, by deforming or losing the unique richness and the inherent value of femininity. In the Church’s outlook, women and men have been called by the Creator to live in profound communion with one another, with reciprocal knowledge and giving of self, acting together for the common good with the complementary characteristics of that which is feminine and masculine.“ DERS., Pope John Paul II speaks on women, Washington, 2014, S. 250–251. 79 JOHANNES PAUL II., Enzyklika Evangelium vitae…, a.a.O., S. 117–118. 80 Ebd. 81 Vgl. ADAMIAK, Milcząca obecność. O…, a.a.O., S. 158.
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„die sich der Verteidigung der Würde des Standes der Frau durch die Erringung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Grundrechte gewidmet und diese mutige Initiative zu einer Zeit ergriffen haben, in der ihr Einsatz als eine Übertretung, als Zeichen mangelnder Fraulichkeit, als großtuerisches Gehabe, ja als Sünde angesehen wurde!“82
Obwohl diese Erklärung als verspätet und eher als Zeichen einer längst fälligen Anerkennung der fortschreitenden Gleichberechtigung von Frauen gesehen werden kann, kann sie für die gläubigen Frauen als eine Legitimation für ihr Engagement für Gleichstellung in der katholischen Kirche gelten. Dennoch wurde der neue Feminismus sowohl seitens der „alten“ Feministinnen als auch seitens der feministischen Theologie heftig kritisiert.83 Feministinnen wie Joanna Mizielińska oder Monika Bobako warfen dem Papst vor, dass er sich des Begriffs des Feminismus bedient habe, um alte Rollen neu aufzufrischen – Frauen werden mit dem Argument der Komplementarität der Geschlechter insbesondere an ihre vermeintlich fürsorgliche, durch die Mutterschaft, geprägte Berufung erinnert.84 Nach Joanna Tomaszewska-Kołyszko ist der neue Feminismus, neben der feministischen Theologie, die Möglichkeit eines christlichen Feminismus. 85 Sie bemerkt, dass weniger die Frage sei, ob es sich bei dem neuen Feminismus um ein altes, neu verpacktes Denken handelt oder inwieweit er tatsächlich feministisch ist, sondern welche Effekte für die Situation von Frauen er mit sich bringt: Ob er ihre Situation verbessert oder die alte Geschlechterordnung legitimiert. Während die feministische Theologie gegen essentialistische Auslegungen von Geschlecht und gegen die katholische Geschlechterordnung polemisiere, ändere der neue Feminismus das Paradigma nicht, so Tomaszewska-Kołyszko, Frauen werden im Rahmen der alten Ordnung aufgewertet.86
82 JOHANNES PAUL II., Brief an die…, a.a.O., S. 7. 83 Vgl. JOANNA STAŚKIEWICZ, Katholische Frauenbewegung in Polen – eine (Un-)Möglichkeit?, in: Gender. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, 4, H. 3, 2012, S. 41–57. 84 Vgl. JOANNA MIZIELIŃSKA, Pomiędzy nowym a starym: feminizm wobec wyzwań współczesności [Zwischen Neuem und Altem: Feminismus gegenüber der Herausforderungen der Gegenwart], in: Societas/Communitas, 2, H. 6, 2008., auch MONIKA BOBAKO, „Katoliczka-feministka“. O politycznej sile paradoksu [„Katholikin-Feministin“. Über die politische Kraft des Paradoxes], http://www.ekologiasztuka.pl/think. tank.feministyczny/readarticle.php?article_id=152 (abgerufen am 30.01.2012). 85 Vgl. TOMASZEWSKA-KOŁYSZKO, Czy w Polsce…, a.a.O., S. 118–120. 86 Vgl. ebd.
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Auch Elżbieta Adamiak kritisiert am päpstlichen Konzept, dass den Frauen besondere Merkmale und fürsorgliche Tugenden zugeschrieben werden, und zwar qua Geburt, als ob diese gar nicht erarbeitet werden müssten und sie Männer nicht betreffen würden.87 Sie bemängelt, dass der Papst aus einer männlichen Perspektive heraus das Frau-Sein als Gegensatz zum Mann-Sein entwerfe. Damit werde die Frau durch den Unterschied zum Mann bestimmt und ausgerechnet durch ihre Mutterschaft, die sie, in den Worten des Papstes, in besonderer Weise ausmache, zum „zweiten Geschlecht“ herabgesetzt.88 Obwohl der Papst die Mutterschaft sowohl biologisch als auch geistig verstehe, führe die Hervorhebung der „Andersartigkeit“ der Frau dazu, dass die sie vom Mann unterscheidende Mutterschaft zu ihrer Hauptberufung erklärt werde. Adamiak stellt die Frage, ob die Erschaffung eines Idealbildes der Frau theologisch sinnvoll sei, denn es gebe auch kein Idealbild des Mannes in äquivalenter Funktion.89 Die Betonung der Mutterschaft durch den Papst bedeute zudem, dass nur gewisse fürsorgliche Rollen und Aufgaben in der Kirche und der Gesellschaft, in erster Linie in der Erziehung oder im Gesundheitsdienst, als „besondere Domäne der Frauen“ angesehen werden.90 Ähnlich argumentiert Zuzanna Radzik und kritisiert die „anthropologische Vision“ des Papstes, mit der versucht werde, durch die Aufwertung von Frauen die Diskussion über die feministischen Fragen „auf der sicheren Seite“, nach den Regeln des Vatikans abzuschließen: „Das ist ein Versuch der Beschränkung des Gesprächs auf die besondere Rolle der Frau, ihre familiären Beziehungen und ihre Funktion als Mutter und Ehefrau. Das ist ein Versinken in den Stereotypen der Sanftheit, Zartheit und Mutterschaft“.91 Auch für Tina Beattie ist der neue Feminismus ein Zurückverweisen von Frauen auf ihren durch die katholische Geschlechterordnung vorgesehenen Platz.
87 Vgl. ADAMIAK, Nauczanie Kościoła rzymskokatolickiego o kobietach. Ujęcie dogmatyczne [Die Lehre der römisch-katholischen Kirche über Frauen. Die dogmatische Auffassung], in: ADAMIAK, ELŻBIETA; CHRZĄSTOWSKA, MAŁGORZATA (Hrsg.), Godzina kobiet? Recepcja, a.a.O., S. 30. 88 Ebd., S. 28. 89 Vgl. ADAMIAK, Milcząca obecność. O…, a.a.O., S. 63. 90 Ebd., S. 123. Zur Betonung der Mutterschaft der Frau im Konzept des neuen Feminismus siehe auch: MELONOWSKA, Osob(n)a…, a.a.O. 91 ALEKSANDRA KLICH, ZUZANNA RADZIK, Kobiety Kościoła policzmy się. Z Zuzanną Radzik rozmawia Aleksandra Klich [Frauen der Kirche, lasst uns gegenseitig zählen. Aleksandra Klich spricht mit Zuzanna Radzik], 2015, http://wyborcza.pl/magazyn/ 1,145325,18257573,Kobiety_Kosciola_policzmy_sie.html (abgerufen am 10.09.2015).
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Er sei: „[…] a subtle way of silencing or rejecting feminist arguments through a confident reassertion of the authority and wisdom of the Catholic tradition“.92 Nicht der Feminismus sei der Verursacher „des Antagonismus der Geschlechter“93, sondern die Doktrin der katholischen Kirche, die weiterhin die Unterordnung von Frauen legitimiere, auch wenn sie sich seit den 1950er und 1960er Jahren unter dem Deckmantel der Komplementarität verberge. Beattie kritisiert gleichzeitig am säkularen Feminismus, dass er die religiösen Bedürfnisse gläubiger Frauen nicht ausreichend berücksichtige, sie entwirft ein eigenes Konzept eines dritten Weges – des sacramental feminism – der Frauen mit ihren religiösen Körpern, dem sacramental body, wahrnehme.94 Birgit Schneider kritisiert, dass durch die päpstliche Betonung der Berufung der Frau zur biologischen oder geistigen Mutterschaft diejenigen Frauen ausgeschlossen werden, die „weder im leiblichen noch im geistigen Sinne Mutter sind“.95 Sie weist auf den Zusammenhang zwischen der Lehre Johannes Pauls II. und der Spezifik des polnischen Katholizismus hin, der aufgrund seiner Rolle im polnischen Freiheitskampf nicht reformiert wurde und keine Entwicklung in Richtung Pluralismus genommen habe. Nach der politischen Wende 1989 habe sich gezeigt, so Schneider, wie sehr die Strukturen der katholischen Kirche in Polen „von mittelalterlichen und monarchistischen Organisationsformen“ 96 geprägt seien, was dazu führe, dass demokratische Strukturen westlicher Prägung nur schwer akzeptiert werden. Die päpstlichen Vorstellungen von Weiblichkeit und einer idealen Mutter seien von bürgerlichen Geschlechterkonstruktionen des 19. Jahrhunderts während des patriotischen Freiheitskampfes geprägt. In dieser Zeit galten Polinnen als Hüterinnen der nationalen Traditionen und somit zugleich als Trägerinnen der polnischen Nation.97 Auf diese spezifischen polnischen national-
92
TINA BEATTIE, New catholic feminism. Theology and theory, London u.a., 2006, S.
93
Ebd., S. 21.
94
Ebd., S. 46.
95
BIRGIT SCHNEIDER, „Wer Gott dient, wird nicht krumm“. Feministische Ethik im Di-
96
Ebd., S. 102.
97
Vgl. ebd., S. 164. In der Lehre Johannes Paul II. und in seinem Konzept der besonde-
19.
alog mit Karol Wojtyla und Dietmar Mieth, Mainz, 1997, S. 141.
ren Würde der Frau spiegeln sich Gedanken anderer Persönlichkeiten der polnischen Kirchengeschichte, was zeigt, wie sein Denken durch den polnischen Kontext geprägt gewesen ist. Monika Waluś bemerkt, dass dieses Konzept bereits teilweise von Marcelina Darowska, der Mitbegründerin des Ordens der Schwestern der unbefleckten Empfängnis der Heiligen Jungfrau Maria vorweggenommen wurde, Vgl. WALUŚ,
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katholischen Weiblichkeitskonstruktionen in Verbindung mit dem polnischen Marienkult wird noch genauer eingegangen werden. Nicht nur Johannes Paul II. war ein Kind seiner polnischen Heimat. Auch Polen stand in einem besonderen Verhältnis zur Lehre „seines“ Papstes. Wie Ted Lipien bemerkt, beziehen sich katholische Politikerinnen und Politiker sowie Priester in Polen bevorzugt auf die Aspekte der päpstlichen Lehre, welche die reproduktiven Rechte betreffen: „Das […] hat einen weitaus unmittelbareren Einfluss auf die Frauen als seine philosophischen und theologischen Schriften, in denen er sich für gemäßigte Formen eines katholischen Feminismus ausspricht.“98 Somit ist Polen laut Lipien ein Land, in dem die Lehre des Papstes einen starken Einfluss auf das Leben der Frauen hat. Manchmal werde diese Lehre sogar entgegen „des Geistes, in dem der Papst sie präsentierte“99 interpretiert, wenngleich im Rahmen seiner Lehre agiert werde. Es scheint, dass polnische katholische Politikerinnen und Politiker sowie die Amtskirche die Lehre des Vatikans zu reproduktiven Rechten sehr restriktiv interpretieren, teilweise restriktiver als der Vatikan selbst. Dass Johannes Paul II. seine Heimat insbesondere für diese Hartnäckigkeit in Sache des „Lebensschutzes“ würdigte, zeigt, dass er allerdings mit der restriktiven Interpretation seiner Lehre durchaus einverstanden war.100 Der neue Feminismus wurde in Polen mit einigen Jahren Verspätung, aber auf kämpferische Weise rezipiert. Noch 2007 konnten lediglich wenige katholische
Świętość kobiet i kategoria płci. Recepcja nauczania Kościoła na temat kobiet a opisy hagiografii, in: ADAMIAK, ELŻBIETA; CHRZĄSTOWSKA, MAŁGORZATA (Hrsg.), Godzina kobiet? Recepcja, a.a.O. 98
TED LIPIEN, Wojtyła a kobiety. Jak zmienia się Kościół [Wojtyła und die Frauen. Wie sich die Kirche ändert], Warszawa, 2010, S. 326–327.
99
Ebd., S. 327.
100 Vgl. z.B. die Danksagung von Johannes Paul II. für parlamentarische Initiativen zum Abtreibungsverbot, die er während der Pilgerfahrt nach Polen 1991 aussprach, JOHANNES
PAUL II., Słowo do parlamentarzystów – inicjatorów ustawy dotyczącej
prawnej ochrony dziecka poczętego [An die Abgeordneten, die ein Gesetz über den Schutz ungeborenen Lebens erarbeiten], 1991, https://w2.vatican.va/content/johnpaul-ii/pl/speeches/1991/june/documents/hf_jp-ii_spe_19910608_parlamentari-varsa via.html (abgerufen am 12.08.2015). Siehe auch seine Predigt in Kalisz während seiner Pilgerfahrt nach Polen 1997, JOHANNES PAUL, Rodzina wspólnotą życia i miłości. Homilia podczas Mszy św. przed sanktuarium św. Józefa [Familie als Gemeinschaft des Lebens und der Liebe. Die Homilie während der Messe am Hl. Josef Sanktuarium], 1997, www.opoka.org.pl/biblioteka/W/WP/jan_pawel_ii/homilie/kalisz_04 061997.html (abgerufen am 17.01.2017).
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Priester etwas mit diesem Begriff anfangen, bzw. assoziierten den neuen Feminismus mit dem von ihnen verachteten „kämpferischen“ Feminismus.101 Wenn nicht einmal Geistliche den neuen Feminismus kannten, so konnte er dementsprechend auch nicht bei den Gläubigen bekannt werden. Wie ich in meiner Arbeit zeige, entwickelte er sich jedoch ab der zweiten Hälfte der 2000er Jahre immer mehr zu einem Gegenspieler des polnischen Feminismus der zweiten Welle nach 1989 und des Gender-Ansatzes. Anstatt zum vom Papst kritisierten Antagonismus der Geschlechter, an dem der alte Feminismus schuld sein sollte, kam es zu einem Antagonismus zwischen dem polnischen pro-choice-Feminismus und dem katholischen neuen (pro-life)-Feminismus, der durch die katholische pro-life-Aktivistin Ewa Kowalewska sogar zu einer „elementaren Konfrontation der ‚Kultur des Todes‘ mit der ‚Kultur des Lebens‘“ stilisiert worden ist.102
101 Vgl. SZWED, Ta druga. Obraz…, a.a.O; SZWED, „Nie ma Kościoła bez kobiet“. Obraz roli kobiet w wypowiedziach księży katolickich (na podstawie badań jakościowych) [„Es gibt keine Kirche ohne Frauen“. Das Frauenbild in den Aussagen von katholischen Priestern (laut einer qualitativen Untersuchung)], in: ADAMIAK, ELŻBIETA; CHRZĄSTOWSKA, MAŁGORZATA (Hrsg.), Godzina kobiet? Recepcja, a.a.O. 102 KOWALEWSKA, Być kobietą, ale…, a.a.O., S. 115–116.
3
Methodologisches Vorgehen
Methodologisch ist diese Arbeit im Bereich der Diskursanalyse angesiedelt. Den Diskurs verstehe ich dabei in Anlehnung an Michel Foucault und Johannes Angermuller als einen kommunikativen, durch Äußerungen bzw. Deutungen konstruierten Herstellungsprozess der sozialen Wirklichkeit.1 Der Diskurs ist dadurch geprägt, dass er Wissens- und Machtsysteme erläutert, gleichzeitig aber selbst Macht besitzt, indem er manche Aussagen bzw. Deutungen legitimiert, während er andere ausschließt bzw. verdrängt. Somit zeichnet sich die diskursive Praxis durch die Wiederholung (Iteration) bestimmter Äußerungen bzw. Deutungen aus, während gleichzeitig andere Interpretationen ausgeschlossen bleiben.2 Das Ziel einer Diskursanalyse ist daher die Suche nach den Elementen dieser diskursiven Praxis, d.h. nach Regelmäßigkeiten im Sinne von Wiederholungen von Äußerungen oder Deutungen. Robert Feustel und Maximilian Schochow sehen die Diskursanalyse als ein Konzept „zwischen Sprachspiel und Methode“.3 Damit wird gezeigt, dass Diskursanalyse und Diskurs vielseitig interpretierbare Begriffe darstellen. So wird die Diskursanalyse einerseits als Methode verstanden und genutzt, anderseits wird der
1
Vgl. JOHANNES ANGERMULLER, Einleitung. Diskursforschung als Theorie und Analyse. Umrisse eines interdisziplinären und internationalen Feldes, in: ANGERMÜLLER, JOHANNES; NONHOFF, MARTIN; HERSCHINGER, EVA u. a. (Hrsg.), Diskursforschung. Ein interdisziplinäres Handbuch, Bielefeld, 2014, S. 16–36, hier S. 20; MICHEL FOUCAULT, Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main, 1981.
2
Vgl. FOUCAULT, Archäologie des Wissens…, a.a.O.
3
So lautet der Titel des von Feustel und Schochow herausgegebenen Sammelbandes, Vgl. ROBERT FEUSTEL, MAXIMILIAN SCHOCHOW (HRSG.), Zwischen Sprachspiel und Methode. Perspektiven der Diskursanalyse, Bielefeld, 2010.
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Diskursanalyse das Methodische abgesprochen, indem sie vielmehr als theoretischer Fundus4 oder philosophische Haltung5 rezipiert wird. Im Verständnis der Diskursanalyse gibt es je nach wissenschaftlicher Disziplin verschiedene methodische Möglichkeiten. Laut Feustel führt diese Vielfalt und auch Uneinigkeit zu methodischen Präzisierungsversuchen und zur Ankoppelung der Diskursanalyse an die empirische Sozialforschung.6 Feustel bezweifelt jedoch die Sinnhaftigkeit der methodischen Stabilisierungsversuche der Diskursanalyse und sieht sie in Anlehnung an Jean-Francois Lyotard und Jacques Derrida eher als ein Sprachspiel im Sinne eines spielerischen Kampfes verschiedener Bedeutungen. Eine Stabilisierung der Diskursanalyse ist kaum möglich: „[…] denn wir verfügen über keine Mittel, die jenseits von arbiträren und instabilen Sinnkonstruktionen einen wissenschaftlichen Punkt des Aussagens fixieren und die Diskursanalyse dem endlosen Spiel aufeinander verweisender Zeichen entziehen können“. 7 Diese Unbestimmtheit der Diskursanalyse, die sich nicht auf die eine Methode reduzieren lässt, sowie die Vielfalt an methodischen Ansätzen machen sie selbst zu einem Diskurs.8 Plausibel erscheint daher folgende Feststellung von Angermuller: „Die Diskursanalyse ist keine Methode, sondern ein breites, interdisziplinäres Feld von Methoden, die die Produktion von Sinn als sozial gerahmte und situierte Praxis erforschen.“9
4
STEFAN MICHELER, Geschichte schreiben mit Diskursanalyse und Queer Theory?!, in: PRETZEL, ANDREAS; WEIß, VOLKER (Hrsg.), Queering. Lesarten, Positionen, Reflexionen zur Queer-Theorie, Bd. 14, Göttingen, 2008, S. 45–74, hier S. 45.
5
PHILIPP SARASIN, Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt a.M., 2003, S. 8.
6
Vgl. FEUSTEL, „Off the Record“. Diskursanalyse als die Kraft des Unmöglichen, in: FEUSTEL, ROBERT; SCHOCHOW, MAXIMILIAN (Hrsg.), Zwischen Sprachspiel und, a.a.O.
7
Ebd., S. 86.
8
Vgl. dazu die Diskussion zwischen den auf die Diskursanalyse spezialisierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu den Möglichkeiten einer methodologischen Festlegung der Diskursanalyse, die auf die Kontingenz verschiedener methodologischer Ansätze auslief: SILKE VAN DYK, ROBERT FEUSTEL, REINER KELLER u. a., Zur method(olog)ischen Systematisierung der sozialwissenschaftlichen Diskursforschung Herausforderung, Gratwanderung, Kontroverse, in: ANGERMÜLLER, JOHANNES; NONHOFF, MARTIN;
HERSCHINGER, EVA u. a. (Hrsg.), Diskursforschung. Ein interdiszipli-
näres Handbuch, Bielefeld, 2014, S. 482–507. 9
ANGERMULLER, Einleitung. Diskursforschung als…, a.a.O., S. 24.
Methodologisches Vorgehen | 57
Auch John Law kritisiert, dass die wissenschaftlichen Methoden allzu sehr als „eine Art von hygienischem Imperativ“10 betrachtet werden. Laut Law ist es jedoch nicht möglich, das wissenschaftlichen „Chaos“ zu verstehen, denn die Forschung sei zu heterogen, um sie auf einfache Weise mittels einer Methode erklären zu können.11 Durch die Suche nach Ordnung werden das Chaos und das In-Kohrente ausgeblendet. Eine Sache werde aufgedeckt, eine andere verdrängt. Somit impliziere Präsenz auch Abwesenheit. Laut Law besitzen Methoden selbst einen performativen Charakter, und zwar durch die Konzentration auf ausgewählte Aspekte bei gleichzeitiger Ausblendung anderer.12 Law plädiert für ein methodisches Durcheinander, denn nur das werde dem Durcheinander, der chaotischen Ordnung des Geforschten gerecht. Die Konzentration auf eine einzige Methode schränke die Forschungsarbeit ein – Law bemerkt: „Simplizität kann uns nicht helfen, Chaos zu verstehen“.13 Aus diesen Gründen habe ich mich gegen ausschließlich eine Methode entschieden, mich des Lawschen Prinzips des methodischen Durcheinanders bedient und eine Verbindung aus poststrukturalistischer Diskursanalyse und Elementen der Inhaltsanalyse gewählt. Die poststrukturalistische Diskursanalyse zeichnet sich nach Angermuller durch eine „resolut essenzialismuskritische Haltung“14 aus und bezweckt die Offenlegung der diskursiven Konstituiertheit von Sinn und Wirklichkeit: „Daraus folgt die Infragestellung der Existenz stabiler, einheitlicher Entitäten und das Interesse an dem Ausgegrenzten, den Brüchen, Transformationen, Widersprüchen und dem Mäandernden. Soziale Gegenstände sind demnach durch Sprache, diskursive Praktiken und Macht geformte Konstrukte. Der Blick wird auf das Prozesshafte der Gegenstände gerichtet
10 LAW, Methodisch(e) Welten durcheinanderbringen, in: FEUSTEL, ROBERT; SCHOCHOW, MAXIMILIAN
(Hrsg.), Zwischen Sprachspiel und, a.a.O., S. 149.
11 Vgl. ebd. 12 Vgl. ebd., S. 156–165. Ähnlich sieht das der Soziologe Hermann Kocyba, wenn er meint: „Nicht nur der Entstehungs-, sondern auch der Begründungszusammenhang wissenschaftlichen Wissens ist sozialer Natur“, KOCYBA, Diskursanalyse als neue Wissenssoziologie? Über einige Schwierigkeiten der disziplinären Verortung Foucaults, in: FEUSTEL, ROBERT; SCHOCHOW, MAXIMILIAN (Hrsg.), Zwischen Sprachspiel und, a.a.O., S. 101. 13 LAW,
Methodisch(e)
Welten
durcheinanderbringen,
in:
FEUSTEL, ROBERT;
SCHOCHOW, MAXIMILIAN (Hrsg.), Zwischen Sprachspiel und, a.a.O., S. 147. 14 ANGERMULLER, Einleitung. Diskursforschung als…, a.a.O., S. 22.
58 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
sowie auf die mit ihnen verbundenen Sinnproduktionen und Strukturierungsleistungen. Untersucht werden semiotische Bedeutungssysteme und diskursive Praktiken, wobei Sinn als kontingent und nur partiell fixiert angenommen wird.“15
Die poststrukturalistische Diskursforschung ist besonders populär im Bereich der Gender Studies, da sie zeigt, dass Geschlecht (Gender) ein performativ hergestelltes „Produkt historisch-kontingenter Praktiken“16 ist. Diese historisch-kontingente Produktion von Deutungen ist der Forschungsgegenstand meiner Arbeit, denn ich untersuche, welche Aussagen und Deutungen durch katholische (Frauen-)Organisationen produziert werden und ob sie an die Lehre bzw. den Denkstil der katholischen Amtskirche in Polen anknüpfen. In Anlehnung an poststrukturalistische Theorien der Performativität von Judith Butler, einer anderen Wiederholung (Iterabilität) von Jacques Derrida und der Mythentheorie von Roland Barthes analysiere ich, wie diese Organisationen Weiblichkeit, Geschlechtergerechtigkeit, Feminismus und die Rolle von Frauen in Kirche und Gesellschaft verstehen und wie sie dabei auf die national-katholische Mythologie Polens zurückgreifen. Darüber hinaus möchte ich mit der Untersuchung der Positionierungen der katholischen Frauenorganisationen in den politisch-moralischen Schlüsseldebatten Polens nach 1989 (am Beispiel der Abtreibungs-, Gleichstellungs- und Anti-Gender-Debatte) sowie im Rahmen ihrer internationalen Aktivität (am Beispiel der Vierten Weltfrauenkonferenz in Peking) der Frage der Identitätssuche und des Repräsentationsanspruchs dieser Organisationen nachgehen. Den Großteil meines Forschungsmaterials macht die seit 1993 erscheinende Monatszeitschrift des Polnischen Verbandes Katholischer Frauen (PZKK) List do Pani aus, deren Auflage 2016 5.200 Exemplare zählte.17 Sie ist eine Fortsetzung der 1993 eingestellten Zeitschrift der episkopalen Unterkommission zur Frauenseelsorge (1984-1993).18 Ich habe die Jahrgänge seit der ersten Ausgabe von Februar 1993 bis zur Septemberausgabe 2014. untersucht. List do Pani ist besonders
15 JOHANNES ANGERMULLER, JULIETTE WEDL, Diskursforschung in der Soziologie, in: ANGERMÜLLER, JOHANNES; NONHOFF, MARTIN; HERSCHINGER, EVA u. a. (Hrsg.), Diskursforschung. Ein interdisziplinäres Handbuch, Bielefeld, 2014, S. 162–191, hier S. 167. 16 Ebd., S. 170. 17 1995 belief sich die Auflage auf 1.000 Exemplare, auch die Seitenzahl hat sich von 8 Seiten in 1993 auf 48 Seiten in 2016 erhöht. Vgl. http://listdopani.pl/informacje (abgerufen am 20.07.2016). 18 Vgl. http://listdopani.pl…, a.a.O; MARIA WILCZEK, Nasz mały jubileusz [Unser kleines Jubiläum], in: List do Pani, 02 (161), 2008, S. 4–5.
Methodologisches Vorgehen | 59
aufschlussreich für meine Analyse der (Frauen-)Organisationen, weil dort neben den Aktivistinnen des PZKK auch Frauen aus anderen katholischen (Frauen-)Organisationen regelmäßig publizieren, wie z.B. Alina Petrowa-Wasilewicz, die stellvertretende Vorsitzende des 2009 entstandenen Vereins Amicta Sole und Ewa Kowalewska, die Direktorin des Forums Polnischer Frauen (FKP). Somit fungiert List do Pani als eine wichtige Plattform der katholischen (Frauen-)Organisationen in Polen, die aufzeigt, wie miteinander verwoben diese Organisationen sind. Ich habe zudem Stellungnahmen und offene Briefe der katholischen (Frauen-)Organisationen sowie Aufsätze und Monografien der Mitgliedsfrauen analysiert. Darüber hinaus habe ich die katholische Tagespresse analysiert, u.a. Słowo. Dziennik Katolicki, Nasz Dziennik und die Wochenzeitung Idziemy, um die Handlungen der katholischen (Frauen-)Organisationen während der politischen Debatten und während der Weltfrauenkonferenz einordnen zu können. Ebenfalls untersuchte ich die Medien des offenen Katholizismus wie Tygodnik Powszechny, Znak und Więź. Für meine Analyse habe ich zudem kirchliche Dokumente genutzt, wie päpstliche Schriften und Enzykliken sowie Stellungnahmen, offene Briefe und Veröffentlichungen der polnischen Amtskirche. Als Sekundärforschungsmaterial zur Untersuchung der Verknüpfungen und Zusammenhänge von katholischen (Frauen-)Organisationen mit dem Denkstil der katholischen Weltkirche und der polnischen Amtskirche diente breitgefächerte soziologische und politikwissenschaftliche Literatur zum Thema des polnischen Katholizismus. Auch die Forschungsliteratur zur zweiten Welle der polnischen Frauenbewegung nach 1989 war eine wichtige Quelle, um die Interdependenzen zwischen dieser Bewegung und katholischen (Frauen-)Organisationen untersuchen zu können. Mein Forschungsmaterial habe ich in mehrere Kategorien aufgeteilt, und zwar nach Regelmäßigkeiten, die ich dort feststellen konnte. In Anlehnung an die zuvor genannte Definition einer katholischen Frauenbewegung entschied ich mich, zunächst die Kategorie organisatorische Struktur und Netzwerk der katholischen (Frauen-)Organisationen zu analysieren. Hier bin ich der Frage nachgegangen, ob es sich bei den untersuchten Organisationen um vernetzte Frauenorganisationen handelt, da, nach Rucht, Vernetzung eine der Bedingungen für eine soziale Bewegung ist. Meine Hypothese ist, dass es sich bei den untersuchten Organisationen wegen ihrer kirchlichen Gebundenheit um eine katholische Bewegung handelt. Eine weitere Kategorie leitet sich aus dem Aspekt der Identitätsbildung ab, mit ihr hängen die Fragen des Repräsentationsanspruchs der „polnischen Frauen“ sowie der Positionierung der katholischen (Frauen-)Organisationen zur zweiten
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Welle der polnischen Frauenbewegung nach 1989 zusammen. Es wird die Hypothese überprüft, ob es sich bei den Organisationen um eine Gegenbewegung oder sogar um Kampf in Anlehnung an Malinowska zur feministischen Bewegung handelt. Anhand der Kategorie Weiblichkeitskonstruktionen habe ich analysiert, welche Bilder der Weiblichkeit die untersuchten Organisationen vertreten und wie sie den polnischen Marienkult interpretieren. Die untersuchte Hypothese ist, dass die katholischen (Frauen-)Organisationen dem traditionellen national-katholischen Frauenbild verbunden sind und keine Änderung und Diskussion der katholischen Geschlechterordnung anstreben, während die Infragestellung der traditionellen Geschlechterrollen eine der Grundaufgaben der Neuen Frauenbewegungen ist. Die letzte Kategorie Teilhabe in der Kirche betrifft die Einstellung und Aktivitäten der untersuchten Organisationen bezüglich der Beteiligung von Frauen in den kirchlichen Strukturen. Ausgangspunkt ist hier die Hypothese, dass die katholischen (Frauen-)Organisationen sich kaum oder nicht ausreichend für die bessere Beteiligung von Frauen in Kirche einsetzen.
4
Katholische (Frauen-)Organisationen in Polen
Der Begriff katholische Organisation wurde in Polen in einem kurz vor der Wende vom Sejm verabschiedeten Gesetz über die Beziehung von Staat und katholischer Kirche definiert.1 Laut Artikel 35 dieses Gesetzes sind katholische Organisationen mit der Zustimmung der kirchlichen Entscheidungsträger gegründet worden und arbeiten mit der Kirche zusammen. Sie können in Anlehnung an die kirchliche Lehre im sozio-kulturellen, erzieherischen und karitativen Bereich aktiv sein.2 Als katholische Frauenorganisationen benennt Maria Rogaczewska in ihrer Analyse des kirchlichen „dritten Sektors“ von 2005 die drei Organisationen PZKK, FKP und den Verein FKK. Angelehnt an das kanonische Recht zählt sie diese zur Kategorie der Vereine von Gläubigen, die eine gesellschaftliche Aktivität ausüben.3 Damit unterscheiden sie sich von den Vereinen der Gläubigen, die explizit eine religiöse Mission verfolgen, wie z.B. Orden, Bruderschaften oder religiöse Bewegungen. Bei allen Vereinen von Gläubigen besteht eine Bindung an die institutionelle Kirche, denn laut Can 299 § 3 gilt: „Kein privater Verein von Gläubigen
1
Vgl. MARIA ROGACZEWSKA, Obrzeża sektora [Ränder des Sektors], 2005, http://wiadomosci.ngo.pl/files/wiadomosci.ngo.pl/public/korespondenci/obrzeza_org_Kosciola_kat.pdf (abgerufen am 30.05.2015), S. 6.
2
Vgl. KANCELARIA SEJMU, Ustawa z dnia 17 maja 1989 r. o stosunku Państwa do Kościoła Katolickiego w Rzeczypospolitej Polskiej [Das Gesetz vom 17. Mai 1989 über die Beziehungen zwischen dem Staat und der katholischen Kirche in der Republik Polen], http://isap.sejm.gov.pl/Download?id=WDU19890290154&type=3 (abgerufen am 30.05.2015).
3
Vgl. ROGACZEWSKA, Obrzeża sektora…, a.a.O., S. 10.
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wird in der Kirche anerkannt, wenn seine Statuten nicht von der zuständigen Autorität überprüft sind“4 Hinzu kommt, dass sich keine Organisation laut Can. 300 ohne Zustimmung der kirchlichen Autorität als katholisch bezeichnen darf.5 Mit diesem gesetzlichen Rahmen wird die Gebundenheit der katholischen (Frauen-)Organisationen an die Amtskirche und ihre Lehre betont. Interessanterweise wurde, während Rogaczewska 2005 in ihrer Analyse den PZKK, das FKP und den Verein FKK noch als katholische Frauenorganisationen bezeichnete, 2015 in einem Bericht des kirchlichen Statistikamtes lediglich der PZKK als katholische Frauenorganisation aufgeführt. 6 Auch auf der Internetseite des Gesamtpolnischen Rates der Katholischen Bewegungen (Ogólnopolska Rada Ruchów Katolickich) werden der PZKK und der Verein FKK, jedoch nicht das FKP, erwähnt.7 Es scheint, dass möglicherweise selbst in den kirchlichen Kreisen eine Unstimmigkeit darüber herrscht, welche Organisation als katholische Frauenorganisation anzusehen ist. Bei der ökumenischen YWCA Polska handelt es sich um eine ökumenische Frauenorganisation, in der auch Katholikinnen tätig sind, die einen alternativen katholischen Diskurs führen, indem sie die Lehre der Amtskirche bezüglich der reproduktiven Rechte in Frage stellen. YWCA Polska gehört der zweiten Welle der polnischen Frauenbewegung nach 1989 an. Die YWCA war eines der Gründungsmitglieder der feministischen Frauen-Nichtregierungsorganisationen Föderation für Frauenangelegenheiten und Familienplanung (Federacja na Rzecz Kobiet i Planowania Rodziny) und gehört dieser weiterhin an. Mit der Föderation ist auch Anna Grzywacz verbunden: Sie ist dort Mitglied des Vereins Ponton, einer Gruppe der ehrenamtlichen Sexualpädagogen und -Pädagoginnen, die in den offiziellen Schulprogrammen fehlende Sexualkunde an den Schulen anbieten, zudem ist sie auch die polnische Repräsentantin im Weltvorstand von Catholics for Choice. Die polnische Filiale des Catholics for Choice konnte sich laut Grzywacz in Polen bisher nicht etablieren, weil die Katholikinnen und Katholiken mit einer pro-choice-Haltung als Exotinnen und Exoten angesehen werden, sowohl in den
4
Codex des Kanonischen Rechtes, www.vatican.va/archive/DEU0036/_P11.HTM (abgerufen am 30.05.2015).
5
Vgl. ebd.
6
Vgl. INSTYTUT STATYSTYKI KOŚCIOŁA KATOLICKIEGO, Religijność i aktywność kobiet w Kościele katolickim w Polsce. [Religiosität und Aktivitäten von Frauen in der katholischen Kirche in Polen], 2015, http://iskk.pl/images/stories/Instytut/dane/ ISKK_Kobiety_Religijnosc_2015.pdf (abgerufen am 12.06.2016), S. 19; ROGACZEWSKA, Obrzeża
7
sektora…, a.a.O., S. 11.
Vgl. www.orrk.pl/ruchy-i-stowarzyszenia (abgerufen am 20.11.2016).
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katholischen als auch in den feministischen Kreisen.8 Somit handelt es sich hier um eine Einzelperson, die dafür sorgt, dass Positionen der internationalen Catholics for Choice in Polen bekannt werden. Eine katholische Organisation mit einer pro-choice-Stimme ist in Polen daher noch immer ein Desiderat.9 Die von mir untersuchten (Frauen-)Organisationen sind keine Massenorganisationen. Abgesehen von der Dachorganisation FKP ist die Reichweite dieser Frauenvereine recht gering und beschränkt sich auf ca. 50 Mitgliedschaften10 wie bei der PZKK, oder ein paar Dutzend Mitgliedsfrauen bei Amicta Sole oder auf einzelne Personen, wie bei der YWCA der Fall. Diese geringe Mitgliederzahl hängt mit der insgesamt geringen Ausprägung des gesellschaftlichen Engagements in Polen zusammen. 2013 gehörten 13,7 Prozent der befragten Polinnen und Polen einer Organisation, Gruppe, einem Verein, Komitee oder Kreis an, von denen nur 72,2 Prozent dort auch tatsächlich aktiv waren.11 Am häufigsten (mit 23,9 Prozent) wählten die einer Organisation angehörenden Befragten eine religiöse Organisation für ihre Mitgliedschaft. Laut einem anderen Bericht waren 2013 ca. 34 Prozent der Polinnen und Polen gesellschaftlich aktiv. Hierzu zählten neben den 18 Prozent in den Organisationen aktiven Befragten (s.g. formales Volontariat) ebenfalls 27 Prozent, die sich ohne organisatorische Verankerung über den eigenen Familien- und Bekanntenkreis hinaus für ihre Umgebung engagierten. 9 Prozent engagierten sich für die Kirche oder eine Glaubensgemeinschaft.12 Beide Berichte konstatieren somit eine schlechte Kondition der polnischen Bürgergesellschaft. Teilweise wird das mit dem noch seit den 1980er Jahren währenden „Syndrom
8
E-Mail von Anna Grzywacz an die Verfasserin, ich bedanke mich bei Anna Grzywacz
9
Vgl. FEDERACJA NA RZECZ KOBIET I PLANOWANIA RODZINY, Można być katolicz-
für diese Information. ką/katolikiem i popierać prawo kobiety do decydowania o własnym ciele [Man kann Katholik/in sein und das Recht der Frau zur Entscheidung über ihren eigenen Körper unterstützen], 2011, http://www.federa.org.pl/index.php?option=com_content&view= article&id=764:katolicyoaborcji&catid=76:aborcja&Itemid=157 (abgerufen am 09.06. 2015); FUCHS, Die Zivilgesellschaft mitgestalten…, a.a.O., S. 202–203. 10 Vgl. Instytut Statystyki Kościoła Katolickiego, Religijność i aktywność…, a.a.O., S. 19. 11 Vgl. JANUSZ CZAPIŃSKI, TOMASZ PANEK (HRSG.), Diagnoza społeczna 2013. Warunki i jakość życia Polaków. Raport. [Die Sozialdiagnose 2013. Lebensbedingungen und Lebensqualität der Polinnen und Polen], Warszawa, S. 289. 12 Vgl. STOWARZYSZENIE KLON/JAWOR, Zaangażowanie społeczne Polek i Polaków – raport z badania 2013 [Das gesellschaftliche Engagement der Polinnen und Polen – Bericht aus der Untersuchung 2013], Warszawa, 2014, S. 41.
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des amoralischen Familismus“13 erklärt, also mit der Konzentration jeglichen Engagements auf den Familien- und Bekanntenkreis. Genannte Erklärungsgründe sind auch der geringe Bekanntheitsgrad vieler Organisationen und die Idealisierung sozialen Engagements als zeitlich und moralisch sehr anspruchsvoll.14 Keine guten Voraussetzungen für das gesellschaftliche Engagement bringt das allgemein sehr geringe gesellschaftliche Vertrauen: Lediglich 12,2 Prozent der Befragten teilen die Meinung, dass der Mehrheit der Bevölkerung vertraut werden kann und nur 16 Prozent glauben an gute Absichten bei anderen Menschen.15 Auch die Erfahrung des Realsozialismus nährt gesellschaftliches Misstrauen gegenüber Massenorganisationen.16 Die geringe Anzahl der in den Organisationen aktiven Katholikinnen soll daher in diesem Kontext betrachtet werden.
4.1 ZWISCHEN KONSERVATISMUS UND PRO-LIFE – DIE KIRCHENNAHEN KATHOLISCHEN (FRAUEN-)ORGANISATIONEN „Wenn eine Organisation gar keine praktischen Bedürfnisse wie Beratung bedient, sondern eher im Namen ‚der Frauen‘ spricht, also ‚theoretische Interessen‘ vertritt, dann hatte eine solche Vereinigung keinen Erfolg im Polen der 90er Jahre. Das Forum Katholischer Frauen ist dafür eines der sehr seltenen Beispiele: Ohne praktische, d.h. im weitesten Sinne soziale Arbeit bleibt die Organisation für Aktivistinnen und Klientinnen unattraktiv. Ohne Formulierung einer eigenen Position und lediglich mit der Affirmation bereits anderswo vertretener Werte, besteht kein Grund und kein Anlass, sich ausgerechnet hier zu engagieren. Das Forum ist, wie die Polnische Vereinigung Katholischer Frauen (PZKK, Polski Związek Kobiet Katolickich) vor ihm und das Forum Polnischer Frauen (Forum Kobiet Polskich) nach ihm, die moderne Variante der Transmissionsriemen-Organisation, diesmal der Lebenschützervereinigungen der Dritten Republik.“17
Der PZKK, das FKP sowie bis zum Ende seiner Tätigkeit 2010 auch der Verein FKK gelten als kirchennahe Organisationen, da sie stets ihre Bindung an die Lehre
13 Ebd., S. 8. 14 Vgl. ebd. 15 Vgl. JANUSZ CZAPIŃSKI, TOMASZ PANEK (HRSG.), Diagnoza społeczna 2013…, a.a.O., S. 297. 16 Vgl. FUCHS, Die Zivilgesellschaft mitgestalten…, a.a.O., S. 99. 17 Ebd., S. 294.
Katholische (Frauen-)Organisationen in Polen | 65
der katholischen Kirche beton(t)en und mit der institutionellen Kirche zusammenarbeite(te)n. Sie fungieren, wie Gesine Fuchs im Eingangszitat über katholische Frauenorganisationen 2004 schrieb, als „Transmissionsriemen-Organisationen“ der pro-life-Bewegung bzw. als Sprachrohr der katholischen Kirche. Małgorzata Fuszara konstatiert in Anlehnung an die Theorie der Frauenbewegung von Drude Dahlerup, dass die katholischen Frauenorganisationen in Polen per Definition keine Frauenbewegung sind, da sie sich nicht für den Wandel der Geschlechterverhältnisse einsetzen, sondern im Gegenteil eine konservativ-traditionelle Geschlechterrollenaufteilung befürworten.18 Bei der Betrachtung der Entstehungsgeschichte der katholischen (Frauen-)Organisationen, die auch in „Konfrontation“ 19 mit feministischen Frauenorganisationen gegründet wurden, stellt sich hier die Frage, ob es sich hier um eine soziale Gegenbewegung handeln könnte. Ob sich diese Gegenposition zu der zweiten Welle der polnischen Frauenbewegung unter dem Einfluss der Amtskirche einwickelte, kann an der Entstehungsgeschichte der katholischen (Frauen-)Organisationen verfolgt werden. 4.1.1 Der Polnische Verband Katholischer Frauen PZKK (Polski Związek Kobiet Katolickich) „Von Anfang an wollten wir ein bisschen wie unsere Mütter, Großmütter und Urgroßmütter sein, die in schwierigen und sehr schwierigen Zeiten den Glaubenswerten treu bleiben und das christliche Erziehungsmodell verteidigen konnten.“20
Mit diesen Worten erinnerte die damalige Vorsitzende Maria Wilczek im Jahre 2000 anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Polnischen Verbandes Katholischer Frauen PZKK (Polski Związek Kobiet Katolickich), im Folgenden PZKK, an die Motive, welche die ersten Mitgliedsfrauen zu ihrer Mitwirkung an dieser Organisation bewegten. Der PZKK entstand auf Initiative von Kardinal Józef Glemp und unter Beteiligung der in der Unterkommission des Episkopats zur
18 Vgl. FUSZARA, Between Feminism and…, a.a.O., S. 1072. 19 ALINA PETROWA-WASILEWICZ, Nowy feminizm [Der neue Feminismus], in: List do Pani, 3 (152), 2007, S. 12–14, hier S. 12. 20 Die Vorsitzende des PZKK Maria Wilczek im Jahre 2000 anlässlich des zehnten Jahrestages der PZKK-Gründung: LIDIA MOLAK, Wzorem matek, babek i prababek. 10lecie Polskiego Związku Kobiet Katolickich [In Anlehnung an Mütter, Großmütter und Urgroßmütter. 10. Jahrestag des Polnischen Verbands der Katholischen Frauen], 2000, http://www.niedziela.pl/artykul/853/nd/Wzorem-matek-babek-i-prababek (abgerufen am 14.10.2016).
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Frauenseelsorge wirkenden Mitgliedsfrauen (u.a. der ersten Vorsitzenden Maria Starzyńska, Jolanta Makowska, Marta Wójcik und Janina Michalska) und wurde im Oktober 1990 registriert.21 Diese Unterkommission des Episkopats wirkte von 1967 bis 1990 (faktisch bis 1986)22 und wurde in Folge der Beschlüsse des Zweiten Vatikanums gegründet. Die unter Vorsitz eines Bischofs geführte Unterkommission bestand aus den diözesalen Referenten zur Frauenseelsorge sowie zehn Frauen.23 Der PZKK wurde laut Wilczek zum „inoffiziellen Nachfolger“24 der Unterkommission, die wegen der Anpassung der Struktur der Erzbischofskonferenz
21 Vgl. KATOLIK.PL, 18 X – Pielgrzymka Kobiet na Jasną Górę, 2008, http://www.ka tolik.pl/18-x---pielgrzymka-kobiet-na-jasna-gore,21254,794,news.html (abgerufen am 25.09.2016). 22 Vgl. MAŁGORZATA BILSKA, Zapomniane katolickie gender [Vergessenes katholisches Gender], in: Tygodnik Powszechny, Nr 51-52 (3363-3364), 2013, S. 31. Die Unterkommission des Episkopats wurde bezeichnenderweise letztendlich in die Kommission zur Familienseelsorge eingegliedert. 1985 entstand u.a. ein Bericht dieser Kommission, welche die Konzentration der katholischen Kirche auf die Mutterrolle bedauerte, und dass andere Lebensentwürfe kaum wahrgenommen werden: „[...] die intellektuellen Ambitionen von Frauen [werden] unberücksichtigt gelassen und es wird vergessen, dass Frauen gegenwärtig – nach der Kindererziehung – noch viele weitere Lebensjahre verbleiben. Diese Lebensjahre können nur dann richtig gelebt werden, wenn Frauen zuvor auf die Erfüllung weiterer Rollen als nur die Elternschaft vorbereitet werden“, zitiert nach Inka Skłodkowska, in INKA SŁODKOWSKA, O czym w Polsce milczą kobiety „na świeczniku” [Worüber schweigen in Polen „im Rampenlicht“ stehende Frauen], in: Więź, H. 1, 1993, S. 10–23. Maria Wilczek vom PZKK bezeichnet die Aufgaben der früheren Kommission als Vorbereitung des Programms der Frauenseelsorge, Frauen sollten demnach Unterstützung bei der „Entdeckung und der Erfüllung ihrer mütterlichen Berufung“ erhalten: MARIA WILCZEK, Wychowanie do macierzyństwa [Erziehung zur Mutterschaft], 2011, www.fidesetratio.org.pl/files/plikipdf/wilczek1.pdf (abgerufen am 30.09.2016), S. 12. Ende 2013 wurde im Episkopat erneut eine Kommission zur Frauenseelsorge gegründet. Interessanterweise bedauerte die langjährige Mitgliedsfrau der ersten Kommission, Maria Braun-Gałkowska im Februar 2014, dass die katholischen Priester in Polen Frauen weiterhin meist in ihrer biologischen Mutterrolle sehen, Vgl. DEON.PL, Warszawa: kobiety chcą być bardziej obecne w ewangelizacji [Warschau: Frauen möchten in der Evangelisierung präsenter sein], 2014, http://ekai.pl /diecezje/warszawska/x75813/warszawa-kobiety-chca-byc-bardziej-obecne-w-ewange lizacji/ (abgerufen am 30.09.2016). 23 Vgl. katolik.pl, 18 X Pielgrzymka…, a.a.O. 24 WILCZEK, Wychowanie do macierzyństwa…, a.a.O., S. 12.
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an die vatikanische Struktur aufgelöst wurde. Bereits bei der Gründung wurde die Bindung an die institutionelle Kirche explizit betont: „Bereits beim Gründungstreffen [am 12. Mai 1993 J.S.] wurde die Rückkehr zur Normalität, in der die richtige Wertehierarchie waltet, in der Begriffe wie Würde, Ehre, Wahrheit, Anstand und Treue ihren wahren Sinn wiedergewinnen, als ein wichtiger Aufruf genannt. Wir vereinbarten, dass das Hauptziel unserer Aktivitäten die Sorge um die Familie und die richtige Stellung der Frau in der Familie und der Gesellschaft, die Verteidigung des christlichen Erziehungsmodells und die Erhöhung des Niveaus der Alltagskultur ist. Wir entschieden ebenfalls danach zu streben, dass jede Frau eine Wahlmöglichkeit für ihren eigenen Lebensweg hat, damit ihre Berufsarbeit keine ökonomische Notwendigkeit darstellt, sie Hilfe bei der Entstehung verschiedener Formen der Frauenaktivität erhält sowie bei der Erlangung der Chance zur Realisierung vieler Vorhaben, bei der Initiierung von Selbsthilfemechanismen und zur Ermöglichung zahlreicher ‚Freundschaftsbrücken‘ zwischen verschiedenen Frauen und Frauengruppen und darüber hinaus bei der Gründung von zu wirksamen Aktivitäten befähigten Frauengemeinschaften unterstützt wird. Gleichzeitig entschieden wir im Bewusstsein und im Angesicht der wichtigen Aufgaben, vor denen die Kirche in einer Zeit grundsätzlicher Veränderungen in Polen steht, dass wir Aktivitäten und Initiativen von Frauen unterstützen.“25
Die katholische Kirche war die einzige Organisation, die nach der politischen Wende 1989 über gefestigte Strukturen verfügte, während andere politische Parteien, Gruppen und Organisationen sich erst gründen bzw. neu strukturieren mussten.26 Die Kirche genoss zudem großes Vertrauen in der Gesellschaft: Ende der 1980er Jahre beurteilte 80 Prozent der polnischen Bevölkerung die Rolle der katholischen Kirche als positiv.27 In diesem Kontext entstand der PZKK als eine katholische Frauenorganisation, die über einen starken institutionellen Rückhalt verfügt. Bis 1994 trug der PZKK den Namen Polnischer Verband Gewöhnlicher Frauen (Polski Związek Zwykłych Kobiet), in Anlehnung an Mütter und Groß-
25 POLSKI ZWIĄZEK ZWYKŁYCH KOBIET, „List“ i „List do Pani“ [„Brief“ und „Brief an die Frau“], in: List do Pani, H. 1, 1993, S. 1. 26 Vgl. AGATA CHEŁSTOWSKA, MAŁGORZATA DRUCIAREK, JACEK KUCHARCZYK (HRSG.), Relacje Państwo-Kościół w III RP [Die Beziehungen Staat-Kirche in der 3. polnischen Republik], Warszawa, 2013, S. 73. 27 Vgl. MARIAŃSKI, Katolicyzm polski – ciągłość…, a.a.O., S. 123.
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mütter, die christliche Werte und Erziehung in prekären politischen Zeiten verteidigt haben.28 Der Name wurde letztendlich geändert, da er sich als problematisch erwiesen habe und viele Frauen sich weder mit der Bezeichnung „gewöhnlich“ identifizieren noch als „Verein verbitterter Feministinnen“29 gelten wollten. Die Namensänderung habe jedoch nichts daran geändert, dass der PZKK „gewöhnliche polnische Frauen, die im Geiste des Evangeliums leben und tätig sein möchten“30 vertritt. In der folgenden Tabelle werden die Ziele der PZKK aufgelistet, die von religiös-erzieherischen oder meinungsbildenden Aufgaben bis hin zum Schutz der polnischen Frauen und Familien vor Verfall und Verderbnis reichen: Ziele des Polnischen Verbandes Katholischer Frauen PZKK „Integration und Aktivierung von polnischen katholischen Frauen in gemeinsame Arbeit für das Wohlergehen Polens, die Frau, die Familie und die Bedürftigen; Streben nach Vertiefung des Selbstbewusstseins und der Selbstreflexion von Frauen in ihrem persönlichen, beruflichen und gesellschaftspolitischen Leben; Streben nach Vertiefung der religiösen Bildung von Frauen; Unterstützung von kirchlichen Initiativen; Sorge um die integrale psychische, kulturelle, gesellschaftliche und geistige Entwicklung jeder Mitgliedsfrau der PZKK; Bildung einer Bewegung zum Schutz der polnischen Familie und der Frau vor Verfall; Schutz des Lebens durch aktives Handeln gegen die Zivilisation des Todes;
28 Vgl. MARIA WILCZEK, To już 20 lat! Jubileusz PZKK [Das sind schon 20 Jahre! Das Jubiläum des PZKK], in: List do Pani, 2 (191), 2011, S. 14–16. Der Übersichtlichkeit wegen wird in dieser Arbeit die Abkürzung PZKK auch für den Zeitraum bis 1994, als der PZKK sich Polnischer Verband Gewöhnlicher Frauen nannte, genutzt. 29 Ebd., S. 14–15. 30 DERS., Czy pożegnanie zwykłości? [Ein Abschied der Gewöhnlichkeit?], in: List do Pani, 7/18, 1994, S. 3.
Katholische (Frauen-)Organisationen in Polen | 69
Schutz der Kinder und Jugend vor Verderbnis; Propagieren des christlichen Erziehungsmodells; Aktive Erhöhung der Kultur in Polen und Entwicklung kultureller Bedürfnisse; Bildung von Ansichten, Meinungen und Bewertungen und deren Verbreitung im öffentlichen Raum Handeln im Sinne der ‚Caritas‘“31
Seit 1993 gibt der PZKK die Monatszeitschrift List do Pani („Brief an die Frau“) (Auflage 5.200 Exemplare), als Fortsetzung der zuvor eingestellten, an Frauen adressierten Zeitschrift List („Brief“) der episkopalen Unterkommission (19841993), heraus.32 Die Mitgliederzahl des PZKK belief sich 2013 laut eines Berichts des kirchlichen Statistikinstituts ISKK auf eine Anzahl von 5233 Mitgliedschaften. Der PZKK verfügt über dreizehn Abteilungen und 20 Regionalkreise.34 Die gegenwärtige Vorsitzende ist die promovierte Psychologin Maria Jankowska.35 In den 1990er Jahren wurde die internationale Zusammenarbeit entwickelt. Mit der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands KFD beispielsweise kam der PZKK 1990, bereits zwei Wochen nach dem Gründungstreffen, am Katholikentag in Berlin in Kontakt. Und es folgten weitere gegenseitige Besuche mit deutschen, französischen und schweizerischen Frauenorganisationen. 36 Dieser 31 Vgl. www.pzkk.org.pl/pzkk.html#cele (abgerufen am 20.12.2016). 32 Vgl. http://listdopani.pl…, a.a.O; WILCZEK, Nasz mały jubileusz…, a.a.O. 33 Vgl. Instytut Statystyki Kościoła Katolickiego, Religijność i aktywność…, a.a.O., S. 19. 34 Vgl. Skuteczny patron [Wirksamer Schutzheiliger], 2014, http://www.opiekun.ka lisz.pl/index.php?dzial=artykuly&id=4268 (abgerufen am 20.12.2016). 35 Maria Jankowska promovierte mit der Doktorarbeit „Retrospektive der Motive des Schwangerschaftsabbruchs – psychologisch-empirische Untersuchungen“ (pl. „Retro spektywny obraz motywów decyzji przerywania ciąży – psychologiczne badania empiryczne“). http://www.wsns.aps.edu.pl/instytut-psychologii/sylwetki-naukowe/jan kowska-maria.aspx (abgerufen am 20.12.2016). 36 Vgl. POLSKI ZWIĄZEK ZWYKŁYCH KOBIET, Seminarium polsko-francuskie, Warszawa 5-11 X 1992. Kobieta a praca zawodowa [Das polnisch-französische Seminar, Warschau 5-11. November 1992. Frauen und die Berufsarbeit], in: List do Pani, 8/9, 1993,
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Austausch verlief manchmal problematisch, die internationalen Gäste sahen z.B. Weiblichkeitsentwürfe sowie die Frage der reproduktiven Rechte und nach einer vermeintlichen Berufung der Frau viel differenzierter als polnische Katholikinnen.37 Stanisława Grabska, die am Treffen des PZKK mit der französischen Frauenorganisation Action Catholique Generale Française (ACGF) im Oktober 1992 teilnahm und im November 1992 am Treffen mit der deutschen KFD, schildert daraufhin in einem Artikel ihre Eindrücke dieser Gespräche und weist mitunter auf die unterschiedlichen Einstellungen zum Abtreibungsthema hin: Während sich die Französinnen bezüglich des Themas Abtreibung politisch zurückgehalten hätten, seien die Polinnen sowohl inhaltlich innerhalb ihrer Initiativen als auch mittels aktiven Drucks auf die Legislative auf diese Frage besonders stark konzentriert gewesen.38 In Bezug auf die deutsche KFD verwies Grabska auf die Verwunderung der Gäste aus Deutschland aufgrund des Beharrens der polnischen Seite auf einem idealisierten, heroischen Frauenbild, während sie selbst ihren Schwerpunkt auf die tatsächliche Stellung von Frauen innerhalb der kirchlichen Strukturen legten.39 Interessant erscheint hier außerdem der im List do Pani erschienene Bericht des PZKK über das Treffen mit deutschen Kolleginnen und deren Reaktion auf das Referat von Ewa Polak über die Weiblichkeit u.d.T. Frau, die ein Zeichen ist. In diesem Bericht wird deutlich, wie in diesem Fall diese Differenzen und die Position der Deutschen seitens polnischer Teilnehmerinnen interpretiert und mit dem negativen Einfluss der Frauenemanzipation auf den deutschen Katholizismus in Verbindung gebracht wurden: „Unsere deutschen Gäste hatten Schwierigkeiten diese Stellungnahme zu akzeptieren, sie sahen hierin in erster Linie ein Zeichen des Unwillens, Männer- und der Frauenwürde in Bezug zu Gott zu definieren. Es scheint, dass die lebendige Strömung der Frauenemanzipation, der gesellschaftliche Druck zur Übernahme typisch männlicher Aktivitäten durch
S. 4; POLSKI ZWIĄZEK ZWYKŁYCH KOBIET, Z życia Związku [Aus dem Verein], in: List do Pani, 8/9, 1993, S. 11; POLSKI ZWIĄZEK ZWYKŁYCH KOBIET, Kalendarium, in: List do Pani, H. 1, 1993, S. 2; POLSKI ZWIĄZEK ZWYKŁYCH KOBIET, Nasze seminaria. Kobieta a rodzina dziś [Unsere Seminare. Frau und Familie heute], in: List do Pani, H. 3, 1993, S. 3; POLSKI ZWIĄZEK ZWYKŁYCH KOBIET, Z życia Związku [Aus dem Verein], 1 (12), 1994, S. 10–11. 37 Vgl. Polski Związek Zwykłych Kobiet, Seminarium polsko-francuskie, Warszawa…, a.a.O; POLSKI ZWIĄZEK ZWYKŁYCH KOBIET, Z życia Związku [Aus dem Verein], 6/7, 1993, S. 9. 38 Vgl. GRABSKA, Kobiety w Polsce…, a.a.O. 39 Vgl. ebd.
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Frauen, als Faktor oder gar Bedingung der Selbstverwirklichung ebenfalls tief im katholischen Bewusstsein verankert ist. Ebenfalls fand selbst die Benennung der Rolle der Frauen als ‚Berufung‘ nur schwerlich den Weg in ihr Bewusstsein. Die Referatsthesen Ewa Polaks wurden als Ausdruck des typischen polnischen Konservatismus oder der fehlenden Öffnung unserer Kirche gegenüber der gesellschaftlichen Problematik angesehen, verstanden als Terrain der eines unaufhörlichen Kampfes um ‚Befreiung‘, diesmal der Frau, vom Überfluss der traditionellen, d.h. der Natur und des alten gesellschaftlichen Ordnung entsprechenden Rollen und Aufgaben.“40
Seit 2001 ist der PZKK offizielles Mitglied der Weltunion Katholischer Frauenverbände WUCWO, nahm aber bereits in der Beitrittsphase ab 1991 regelmäßig an den Generalversammlungen teil.41 Interessanterweise war der PZKK 2013 laut der Mitgliederliste der WUCWO nicht der alleinige Repräsentant der polnischen Frauen. Bereits seit 1970 vertritt die Federation of Polish Catholic Women’s Organizations Abroad in Großbritannien polnische Frauen beim WUCWO. Es handelt sich hier um eine Organisation von Exilpolinnen, die mit der 1947, im Zuge der polnischen Exilwelle nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Polnischen Katholischen Aktion in Großbritannien verbunden ist. Die Federation of Polish Catholic Women’s Organizations Abroad war 2013 bei der WUCWO als Mitglied aus Großbritannien aufgelistet, wodurch polnische Frauen also zweifach vertreten werden.42 Der PZKK arbeitet im Rahmen der WUCWO mit den polnischen Frauen aus Großbritannien zusammen und veröffentlicht gemeinsame Resolutionen.43
40 POLSKI ZWIĄZEK ZWYKŁYCH KOBIET, Nasze seminaria. Kobieta, ktora jest znakiem [Unsere Seminare. Frau, die ein Zeichen ist], in: List do Pani, H. 2, 1993. 41 Vgl. www.pzkk.org.pl/dzialalnosc.html (abgerufen am 24.11.2016). 42 Vgl. http://www.wucwo.org/about_us/member_organisations/europe (abgerufen am 12.04.2013). Diese Organisation ist Teil der 1947 in Großbritannien entstandenen Polnischen Katholischen Aktion. http://www.ipakwb.eu/zarys-historyczny (abgerufen am 12.04.2013). Allerdings ist sie im Dezember 2016 auf der genannten Webseite nicht mehr unter dem Landesnamen Polen, sondern unter Großbritannien aufgelistet. 43 Z.B. wurde 2001 die von polnischen Frauen aus London initiierte Resolution der WUCWO zur Verpflichtung der Regierungen zum Schutz der Familien veröffentlicht MARIA WILCZEK, Echa kongresu [Echo des Kongresses], in: List do Pani, 5 (89), 2001, S. 6–8. Federacja Polskich Kobiet Katolickich za Granicą war 2003 Mitorganisatorin der WUCWO-Generalversammlung in St. Albans, Großbritannien, vgl. DERS., Dwa miliony pań w St. Albans? [Zwei Millionen Frauen in St. Albans?], in: List do Pani, 05 (113), 2003, S. 10–13.
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Der PZKK beteiligt sich zudem seit 1992, zusammen mit der Frauensektion des Polnischen Ökumenischen Rates an der Organisation und der Veranstaltung der Weltgebetstage in Polen, einem ökumenischen Frauengottesdienst, der gleichzeitig in über 170 Ländern abgehalten wird. Der Weltgebetstag ist eine ökumenische Initiative, die Ende des 19. Jahrhunderts in Nordamerika entstand, die damals als gemeinsames Gebet von Frauen für Arme, Arbeitslose, Verletzte des amerikanischen Bürgerkrieges sowie für europäische Einwanderinnen und Einwanderer ins Leben gerufen wurde. Das Frauengebet breitete sich weltweit aus und wurde erstmals 1928 als Weltgebetstag begangen. Er wird seit 1968 jeweils am ersten Freitag im März veranstaltet und die Gebete werden jedes Jahr von Frauen aus einem anderen Land zusammengestellt. Katholikinnen nehmen seit 1970 teil. Polen war zum ersten Mal 1927 mit der Baptisten Kirche in Łódź beteiligt. Der Weltgebetstag wird in Polen durch im Ökumenischen Rat vereinte Vertreterinnen verschiedener Kirchen organisiert. 2005 wurden polnische Frauen beauftragt, den Weltgebetstag in Polen zu organisieren, auch der PZKK wurde bei den Vorbereitungen durch Maria Wilczek und Barbara Rytel vertreten.44 Der PZKK engagierte sich von Beginn an für die Verschärfung des Abtreibungsrechts und arbeitete dabei eng mit den pro-life-Organisationen zusammen. Die ersten pro-life-Gruppen entstanden in Polen bereits in den 1980er Jahren, darunter die Bewegung Gaudium Vitae aus Warschau oder die Lebensschutzbewegung namens Priester Jerzy Popiełuszko (Ruch Obrony Życia im. ks. Jerzego Popiełuszki).45 Dies sind kleine Organisationen, die sich rhetorisch an der US-amerikanischen pro-life-Bewegung orientierten.46 1992 entstand die Polnische Föderation der Lebensschutzbewegungen PFROŻ (Polska Federacja Ruchów Obrony
44 Vgl. PELAGIA JAWORSKA, Światowy Dzień Modlitwy [Weltgebetstag], 2004, http:// www.mariawita.pl/htmls/ekumenia/swiatowy_dzien.html (abgerufen am 22.06.2012); BOŻENA RYTEL, Światowy dzień modlitwy [Weltgebetstag], in: List do Pani, 2 (191), 2011, S. 12–13; MARIA WILCZEK, O związku w czas jubileuszu [Über den Verband zu Zeiten des Jubiläums], in: List do Pani, 10 (82), 2000, S. 5–8, hier S. 8. Zum Weltfrauentag in Polen Vgl. Deutsches Weltgebetstagskomitee e.V. (Hrsg.), Weltgebetstag 2005 Polen. Ideen und Informationen. Arbeitsheft zum Weltgebetstag. 45 Vgl. JACQUELINE HEINEN, ANNA MATUCHNIAK-KRASUSKA, KRYSTYNA ADAMUSDARCZEWSKA, Aborcja w Polsce. Kwadratura koła [Abtreibung in Polen. Die Quadratur des Kreises], Warszawa, 1995, S. 118. 46 Vgl. JUSTYNA WŁODARCZYK, Manufacturing Hysteria. The Import of U.S. Abortion Rhetorics to Poland, 2010, http://www.genders.org/g52/g52_wlodarczyk.html (abgerufen am 15.06.2016). Der Aspekt der Inspiration der polnischen durch die US-amerika-
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Życia), im Folgenden PFROŻ, die durch die konservative Politikerin Alicja Grześkowiak ins Leben gerufen wurde.47 Die PFROŻ wurde im April 1993 registriert und entwickelte sich zu einer wichtigen, die Position der katholischen Kirche vertretenden Akteurin in der Debatte um das Abtreibungsgesetz.48 Nicht nur zur Frage des Abtreibungsrechts nahm sie Stellung, sondern erklärte sich als Organisation für Familien ebenfalls für Frauenangelegenheiten zuständig. Wie Małgorzata Fuszara konstatiert, betrachteten sich die pro-life-Gruppen in Polen selbst als Frauenorganisationen.49 PFROŻ forderte beispielsweise die Beteiligung an parlamentarischen Veranstaltungen, die Frauen betrafen und so verlangte sie im November 1994 eine Einladung der Parlamentarischen Frauengruppe (Parlamentarna Grupa Kobiet)50 zur Konferenz Frau in der Familie und im öffentlichen Le-
nischen pro-life-Bewegungen ist insofern interessant, als die US-amerikanische Inspiration wiederholt zum Vorwurf an die zweite Welle der polnischen Frauenbewegung durch die konservative Seite gemacht wurde. 47 Vgl. Ogólnopolskie spotkanie liderów ruchów obrony życia pod patronatem Wicemarszałek Senatu RP prof. Alicji Grześkowiak [Gesamtpolnisches Treffen der Anführer der pro-life-Bewegungen unter der Schirmherrschaft der Vize-Marschallin und Senatorin Prof. Alicja Grześkowiak], in: Głos dla Życia, 2 (4), 1992, S. 1–2; ALINA PETROWAWASILEWICZ, Leksykon ruchów i stowarzyszeń w Kościele [Das Lexikon der Bewegungen und Vereine in der Kirche], Warszawa, 2000, S. 279–280. 48 Alina Petrowa-Wasilewicz ordnete die zum PFROŻ gehörenden Organisationen in drei Gruppen ein: Gebetsbewegungen, karitative Bewegungen (z.B. telefonische pro-lifeBeratung schwangerer Frauen) sowie aufklärerische Bewegungen, welche natürliche Verhütungsmethoden propagieren und eine Anti-Abtreibungs-Kampagnie führen. Vgl. PETROWA-WASILEWICZ, Leksykon ruchów i…, a.a.O., S. 279–280. Eine der ersten Stellungnahmen des Gründungskomitees der PFROŻ vom Dezember 1992 betraf die strikte Ablehnung eines Referendums zum Abtreibungsgesetz. PFROŻ forderte den Schutz des Lebens ab der Empfängnis, unabhängig davon, unter welchen Umständen es zur Empfängnis kam, vgl. Oświadczenie Polskiej Federacji Ruchow Obrony Zycia [Erklärung der Polnischen Föderation der Lebensschutzbewegungen], in: Głos dla Życia, 4 (6), 1992, S. 3. 49 Vgl. FUSZARA, Between Feminism and…, a.a.O., S. 1065. 50 Bei der Parlamentarischen Frauengruppe handelt sich um eine Parlamentsgruppe, der Abgeordnete und Senatorinnen aller Parteien sowie parteiunabhängige Politikerinnen angehören und welche sich nach jedem Regierungswechsel neu zusammenstellt. Gegründet 1991 auf Initiative von weiblichen Abgeordneten, um die politische Arbeit zur
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ben. Diese Forderung wurde von der damaligen Vorsitzenden der Parlamentarischen Frauengruppe Barbara Labuda, aufgrund der Befürchtung abgelehnt, dass die katholischen Gruppen dadurch „ihre Thematik aufzwingen sowie die Arbeit desorganisieren“51 wollen. Der Anspruch auf Teilhabe an Gremien, die zu Frauenproblematik Entscheidungen treffen, wurde insbesondere während der Vorbereitungen auf die Vierte Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking wiederholt. Die sich als pro-life oder pro-familiär52 bezeichnenden Organisationen beanspruchten ihre Mitwirkung am Vorbereitungskomitee zur Erstellung des Regierungsberichts zur Lage von Frauen sowie die Teilnahme an der Konferenz selbst. Durch die Gründung einer neuer Organisation, die unter dem Namen Forum Polnischer Frauen „Die Frau in der gegenwärtigen Welt“ FKP (Forum Kobiet Polskich „Kobieta w Świecie Współczesnym“) als Frauenorganisation laufen sollte, sicherten sich letztendlich die pro-life- und pro-familiären-Gruppen ihre Beteiligung an den Gremien zur Frauenthematik.
Gleichberechtigung von Frauen voranzutreiben sowie Interessen von Frauen zu vertreten. http://www.sejm.gov.pl/sejm7.nsf/agent.xsp?symbol=ZESPOL&Zesp=126 (abgerufen am 29.09.2015); MAGDALENA KICIŃSKA, Parlamentarna Grupa Kobiet – lobby kobiece w polskim parlamencie [Die parlamentarische Frauengruppe – eine Frauenlobby im polnischen Parlament], in: PIOTROWSKA, JOANNA; GRZYBEK, AGNIESZKA
(Hrsg.), Kobiety dla Polski. Polska dla kobiet. 20 lat transformacji 1989-2009,
Warszawa, 2009, S. 211–228. 51 OLENA SKWIECIŃSKA, Tłok w sprawie kobiet [Gedränge in der Frauenfrage], in: Gazeta Wyborcza, H. 268, 1994, S. 4. 52 Ein wichtiger Akteur war hier die im März 1995 gebildete konservative Parlamentarische Gruppe für Familienangelegenheiten (Parlamentarna Grupa ds Rodziny) mit der stellvertretenden Vorsitzenden Senatorin Alicja Grześkowiak, die bereits 1992 die PFROŻ initiierte. Diese Gruppe forderte die Teilnahme ihrer Mitglieder an der Weltfrauenkonferenz im September 1995 in Peking.
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4.1.2 Das Forum Polnischer Frauen „Die Frau in der gegenwärtigen Welt“ FKP (Forum Kobiet Polskich „Kobieta w Świecie Współczesnym“) und der Verein Forum Katholischer Frauen (Stowarzyszenie Forum Kobiet Katolickich) Im Januar 1995 entstand auf Initiative von Frauen aus dem PZKK das Forum Katholischer Frauen FKK (Forum Kobiet Katolickich), im Folgenden FKK, eine „informelle Bewegung“53 bzw. ein „katholisches Frauengremium, welches zu öffentlichen Stellungnahmen und Postulaten berechtigt ist, die die lebhaftesten Angelegenheiten von Frauen, Familie, Ehe und Nation betreffen“.54 Dabei wurde die Notwendigkeit einer Vereinigung der Katholikinnen im Kontext eines „historisch wichtigen Moments“55 hervorgehoben. Das FKK sollte die katholischen Frauen und Gruppen konsolidieren, um als alternative Stimme und Gegengewicht zu feministischen Organisationen anlässlich der Vorbereitungen zur Vierten Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking aufzutreten. Wie Anna Pernal vom PZKK, eine der Mitinitiatorinnen dieser „informellen Bewegung“ bemerkte: „Wir haben keine Kanonen“, denn: „[…] Feministinnen haben ihre Organisationen, die aus mehreren oder einigen Dutzenden Personen bestehen und jede dieser Organisationen ist ein unabhängiges meinungsbildendes Subjekt – sie sind z.B. berechtigt, eine eigene Repräsentantin zu den verschiedenen Behörden zu senden. Währenddessen der Polnische Verband Katholischer Frauen, welcher eine gesamtpolnische Struktur, einige Niederlassungen und circa 500 Mitgliedsfrauen besitzt, immer nur eine Repräsentantin hat.“56
Es ging hier also um die Gründung einer neuen Organisation, um die Landschaft der katholischen Gruppen zu diversifizieren. Pernal äußerte bereits 1995 die Vermutung, dass sich aus dem FKK neue Organisationen entwickeln würden und sprach über die Notwendigkeit einer organisatorischen Diversifizierung, denn:
53 PETROWA-WASILEWICZ, Leksykon ruchów i…, a.a.O., S. 338. 54 POLSKI ZWIĄZEK KOBIET KATOLICKICH, Z życia Związku [Aus dem Verein], 12/23, 1995, S. 17. 55 Ebd. 56 ELŻBIETA MALICKA, ANNA PERNAL, Pospolite ruszenie katoliczek. Rozmawiamy z Anną
Pernal,
przewodniczacą
Forum
Kobiet
Katolickich
[Landsturm
der
Katholikinnen. Wir sprechen mit Anna Pernal, der Vorsitzenden des Forums Katholischer Frauen], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 161 (653), 1995, S. 3.
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„Obwohl das Verbinden gesünder als das Teilen ist, ist das Erschaffen mehrerer Subjekte heute strategisch wirksamer“57. Der Hintergrund der Entstehung der „informellen Bewegung“58 FKK ist, wie bereits erwähnt, eng mit der Vierten Weltfrauenkonferenz in Peking sowie den Vorbereitungen des Regierungsberichts zur Situation polnischer Frauen verbunden. Auf diese Konferenz wird später gesondert eingegangen werden, an dieser Stelle soll jedoch kurz die Mobilisierung der katholischen Gruppen anlässlich der sich nährenden Konferenz geschildert werden. Im Mai 1995 trat Jolanta Banach aus der damaligen Regierungspartei SLD das Amt der Regierungsbeauftragten für Familien- und Frauenfragen an.59 Sie berief ein Vorbereitungskomitee zur Erstellung eines Regierungsberichts zur Lage der polnischen Frauen für die Weltfrauenkonferenz in Peking ein, zu dem sie zahlreiche Frauen-Nichtregierungsorganisationen einlud.60 Zu Beginn waren neben den Vertreterinnen der feministischen Nichtregierungsorganisationen ebenfalls Vertreterinnen der katholischen Organisationen an den Arbeiten des Komitees beteiligt: Anna Przyborowska und Jolanta Kucharska von der kurz zuvor gegründeten „informellen Bewegung“61 FKK und Ewa Kowalewska von der pro-life-Föderation PFROŻ.62 Ewa Kowalewska wurde jedoch bereits im Juni 1995 vom Vorstand der PFROŻ aus dem Komitee abgezogen, da die Meinung und der Bericht
57 Ebd. 58 PETROWA-WASILEWICZ, Leksykon ruchów i…, a.a.O., S. 338. 59 Das Amt des Regierungsfrauenbeauftragten wurde erstmals in Polen 1986 als Folge der Beschlüsse der UN-Weltfrauenkonferenz in Nairobi 1985 gegründet und existierte zunächst bis 1989. 1991 schuf der damalige Premierminister Jan Krzysztof Bielecki das Amt des Beauftragten für Frauen- und Familienfragen, besetzt durch Anna Popowicz, die 1992 durch Premierminister Jan Olszewski wegen ihrer Vorbehalte gegen die rechtlichen Einschränkungen des Abtreibungsrechts und des Zugangs zu Verhütungsmitteln abberufen wurde. Erst im Dezember 1994 wurde auf Druck der feministischen Frauenorganisationen das Amt erneut besetzt. 1995 wurde das Amt in Regierungsbeauftragte für Familien- und Frauenfragen umbenannt. Vgl. Fundacja Centrum Praw Kobiet (Hrsg.), Kobiety w Polsce w latach 90. Raport Centrum Praw Kobiet [Frauen in Polen in den 1990er. Ein Bericht des Zentrums für Frauenrechte], Warszawa, 2000, S. 9–25. 60 Laut Gesine Fuchs beteiligten sich insgesamt 56 Vertreterinnen aus Regierung, Wissenschaft und 20 Nichtregierungsorganisationen, vgl. FUCHS, Die Zivilgesellschaft mitgestalten…, a.a.O., S. 124. 61 PETROWA-WASILEWICZ, Leksykon ruchów i…, a.a.O., S. 338. 62 Vgl. Pekińskie kalendarium [Pekinger Kalendarium], in: Głos dla Życia, 3 (17), 1995; MALICKA, PERNAL, Pospolite ruszenie katoliczek…, a.a.O.
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der pro-life-Gruppen bei den Arbeiten des Vorbereitungskomitees „völlig ignoriert“63 worden seien. Sie entschieden sich zum Rückzug: „[...] nachdem sich zeigte, dass unsere Postulate gar nicht berücksichtigt werden und das, obwohl wir sehr zahlreiche Organisationen vertreten. Man musste feststellen, dass Repräsentantinnen marginaler Frauenorganisationen und Personen, die willkürlich von der Regierungsbeauftragten für Familien- und Frauenfragen berufen wurden, ein Dokument im Namen angeblich aller Frauen vorbereiten, auch der gläubigen, die auf seine Form keinen Einfluss haben. Durch die nicht objektive Darstellung der Situation von Frauen in Polen schlägt man eine Reihe von Lösungen vor, die den Erwartungen der Katholiken widersprechen.“64
Auch die beiden Frauen des FKK zogen sich aus dem Vorbereitungskomitee zurück, sie begründeten es u.a. mit der Nichtzulassung der Mitglieder der Parlamentariergruppe für Familienfragen (Parlamentarna Grupa ds. Rodziny) sowie der Föderation der Vereine der Katholischen Familien (Federacja Stowarzyszeń Rodzin Katolickich) zur Teilnahme an diesem Komitee, die vom Büro der Regierungsbeauftragten für Familien- und Frauenfragen damit begründet worden sei, dass eine der Teilnahmevoraussetzungen der passende Status der jeweiligen Organisation ist. 65 Da es sich bei den genannten Organisationen aber nicht um Frauen-, sondern um sogenannte pro-familiäre-Organisationen handle, wurde ihre Teilnahme nicht akzeptiert; der Regierungsbericht zur Weltfrauenkonferenz habe „nicht die Familie betroffen“66. Diese katholischen Gruppen sahen sich jedoch durchaus als Stimmberechtigte in Frauenfragen, ein Mitglied der Parlamentariergruppe für Familienfragen, Jerzy Gwiżdż, antwortete im Juli 1995 auf die Frage, warum eine Gruppe, die sich für Familie zuständig erklärt, ausgerechnet an der Weltfrauenkonferenz zum Thema der Gleichberechtigung von Frauen teilnehmen
63 Pekińskie kalendarium…, a.a.O. 64 ANTONI SZYMAŃSKI, Antykatolicka nietolerancja [Antikatholische Intoleranz], in: Głos dla Życia, 3 (17), 1995, S. 13. 65 Vgl. MALICKA, PERNAL, Pospolite ruszenie katoliczek…, a.a.O; PARLAMENTARNY ZESPÓŁ D.S. RODZINY, Stanowisko Parlamentarnego Zespołu d.s. Rodziny dotyczące projektu końcowego IV Światowej Konferencji w sprawie Kobiet w Pekinie [Die Stellungnahme der Parlamentarischen Gruppe in Sachen Familie zum Abschlussdokument der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 153 (645), 1995, S. 8. 66 Raport się spodobał [Der Bericht gefiel], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 154 (646), 1995, S. 1.
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will: „Die Frau realisiert sich insbesondere durch die Familie“.67 Durch die Verortung der Frau im Bereich der Familie sollte die Repräsentation also legitimiert werden; gleichzeitig wurden die feministischen Frauenorganisationen, die im Vorbereitungskomitee mitwirkten, insbesondere die Parlamentarische Frauengruppe, als „antifamiliäre Lobby“68 bezeichnet. Die Verortung von Frauen im familiären Bereich hängt mit einer essentialistischen Sichtweise zusammen, die Frauen als prädestiniert für karitative, pflegende und soziale Arbeit sieht. Weil es sich bei diesen Tätigkeiten um Frauenarbeit handelt, werden Organisationen, die sich diesen Bereichen widmen, im pro-life- und pro-familiären-Diskurs bereits als Frauenorganisation gezählt. So schildert Ewa Kowalewska in ihrer 2006 veröffentlichten Monografie u.d.T. Frau sein, aber welche? ihr Verständnis einer Frauenorganisation: „Dort, wo man jemandem helfen muss, sich um Kinder und Kranke kümmern oder für sie etwas zu erkämpfen hat, sind Frauen am aktivsten. In Selbsthilfegruppen für behinderte Kinder sind Frauen am häufigsten beteiligt. Jedoch laut der feministischen Nomenklatur sind sie gar nicht aktiv, da sie den Anderen dienen. Sogar wenn Dutzende von Müttern eine Organisation gründen, um ihre Töchter heilen zu können, bedeutet das nach der feministischen Terminologie nicht, dass es eine Frauenorganisation ist. Sogar noch mehr, man behandelt diese Frauen, als wenn sie überhaupt nicht berechtigt wären, ihre Stimme in Frauenfragen zu erheben “69
Die Logik der Operationalisierung des Begriffs der Frauenorganisation durch katholische Gruppen bedeutet, dass sich pro-life-Gruppen als eine Familienorganisation betrachten; weil Familie im katholischen Diskurs in Verbindung mit Frauen stehe, sind laut Kowalewska dementsprechend die pro-life-Gruppen berechtigt, sich ebenfalls als Frauenorganisationen zu verstehen. Hierin sei ein großer Unterschied zur „Propaganda des IPPF [International Planned Parenthood Federation
67 OLENA SKWIECIŃSKA, Spór o Pekin [Streit um Peking], in: Gazeta Wyborcza, H. 160, 1995, S. 4. 68 POLSKA FEDERACJA RUCHÓW OBRONY ŻYCIA, Oświadczenie Polskiej Federacji Ruchów Obrony Życia [Erklärung der Polnischen Föderation der Lebensschutzbewegungen], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 150 (642), 1995, S. 2. 69 KOWALEWSKA, Być kobietą, ale…, a.a.O., S. 95., siehe dazu auch DERS., O co walczą polskie feministki? [Worum kämpfen polnische Feministinnen?], in: Głos dla Życia, 2003, H. 5.
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J.S.]“ zu sehen, die dazu führe, dass als eine Frauenorganisation nur eine Organisation, „welche Frauen in ihrem Namen hat, nur Frauen versammelt oder ein feministisches Programm realisiert “ gilt.70 Unbeachtet der Selbstdarstellung der pro-life- und pro-familiären-Gruppen als Frauenorganisation zeigt die vom Büro der Regierungsbeauftragten für Familienund Frauenfragen erteilte Absage, an den Arbeiten zum Regierungsbericht teilzunehmen, deutlich, wie wichtig für die katholischen Gruppen die Gründung neuer Organisationen war, die an Gremien zu Frauenfragen teilnehmen können. Die katholischen Organisationen übernahmen dabei die zuvor kritisierte Rhetorik, die zuvor noch als „Propaganda des IPPF“71 bezeichnet wurde, indem sie im Namen der neuen Organisationen ebenfalls das Wort Frauen platzierten. So informierte die Redaktion des List do Pani am 12. Juni 1996 über die Entstehung der neuen Organisation Forum Polnischer Frauen „Die Frau in der gegenwärtigen Welt“ FKP (Forum Kobiet Polskich „Kobieta w Świecie Współczesnym“), im Folgenden FKP, auf Initiative der Mitglieder vom PZKK, PFROŻ, der Frauensektion der Gewerkschaft Solidarność, der Frauen- und Ärzteseelsorge u.a. Das FKP wurde als Dachorganisation für Vereine und Bewegungen geplant, die an der Schaffung eines „meinungsbildenden Milieus der katholischen Frauen in allen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens“72 interessiert sind. Das FKP versammelt gegenwärtig 53 Organisationen, welche der pro-life-Bewegung zuzuordnen sind.73 Agnieszka
70 Ebd. Kowalewska betont zudem die Bescheidenheit der pro-familiären-Organisationen, weil die dort tätigen Frauen wegen ihres Engagements in den Familien öffentlich kaum hörbar seien. Sie würden ihren familiären Dienst in Stille ausüben: „Sie dienen meist demütig und still, während sie Großes vollbringen. Es breitet sich aber die Meinung aus, dass in Frauenfragen nur eine Frauenorganisation sprechen könne. Es ist also an der Zeit, sich um die Stimme der Menge an Frauen, die sich seit Jahren gesellschaftlich in zahlreichen Nichtregierungs- und kirchlichen Organisationen engagieren, der Familie dienen und allem, was sie betrifft“, KOWALEWSKA, Usłyszec prawdziwy głos…, a.a.O., S. 8–9. 71 KOWALEWSKA, O co walczą…, a.a.O. 72 REDAKCJA LIST DO PANI, Forum Kobiet Polskich „Kobieta w świecie współczesnym“ [Forum Polnischer Frauen „Frau in der gegenwärtigen Welt“], in: List do Pani, 7-8/38, 1996, S. 3. 73 Auf der Internetseite werden unter „Repräsentierten Organisationen“ 57 Organisationen genannt. In den öffentlichen Stellungnahmen des FKP sowie im Brief an Präsident Komorowski vom 17.03.2015 wurde hingegen erläutert, dass das FKP 53 Organisationen repräsentiert. Vgl. www.forumkobietpolskich.csc.pl (abgerufen am 22.11.2016).
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Graff konstatiert daher, dass das FKP eine Gruppe konservativer Organisationen sei, die „nichts mit einer Frauenbewegung zu tun haben“.74 Laut ihrem Statut konzentriert sich die Tätigkeit des FKP auf die meinungsbildende Funktion als Sprachrohr der katholischen Kirche und ihrer Lehre: Ziele des Forums Polnischer Frauen „Die Frau in der gegenwärtigen Welt“ FKP „Das Forum vertritt in Anlehnung an die Lehre der katholischen Kirche, des Heiligen Vaters Johannes Paul II. und an die Charta der Familienrechte im Geiste der Zivilisation der Liebe Folgendes: Schaffung eines meinungsbildenden Milieus in Fragen, die die Rolle der Frau in Familie und Gesellschaft betreffen; die Probleme von Familien, Ehe und Erziehung; den Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod und der Verteidigung der religiösen und moralischen Werte; Verbreitung der Meinung dieses Milieus, damit diese bei der Gestaltung von Recht beim Funktionieren der gesellschaftlichen Lebens in Polen respektiert und umgesetzt wird.“75
Die erste Vorsitzende des FKP wurde die bereits genannte, von den Arbeiten am Regierungsbericht zurückgezogene Repräsentantin der PFROŻ, die Polonistin76 Ewa Kowalewska, die dieses neue Amt bis heute ausübt. Gleichzeitig ist sie die Direktorin der polnischen Filiale der amerikanischen pro-life-Organisation Human Life International. Auch der PZKK gehört dem FKP an, beide Organisationen arbeiten eng zusammen und verfolgen ähnliche Ziele. Das FKP ist mit den
74 Agnieszka Graf gościem Faktów RMF FM [Agnieszka Graf ist Gast der Nachrichtensendung Fakty bei RMF FM], 2002, http://fakty.interia.pl/wywiady/news-agnieszkagraf-gosciem-faktow-rmf-fm,nId,789595 (abgerufen am 20.11.2016). 75 Siehe www.forumkobietpolskich.csc.pl/statut.php, abgerufen am 21.11.2016. 76 Vgl. SŁAWOMIR SZNURKOWSKI, „Od Oceanu do Oceanu“. Niezwykła peregrynacja Ikony Jasnogórskiej w obronie życia [„Vom Ozean zum Ozean“. Eine besondere Wanderschaft der Ikone von Jasna Góra zum Schutz des Lebens], 2012, http://magazyn familia.pl/artykuly/Od_Oceanu_do_Oceanu_Niezwykla_peregrynacja_Ikony_Jasnogorskiej_w_obronie_zycia,6121,120.html (abgerufen am 22.11.2016).
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anderen pro-life-Organisationen verwoben, so gehören die Vorsitzende Ewa Kowalewska und das Vorstandsmitglied des FKP Anna Dyndul ebenfalls dem Vorstand der PFROŻ an.77 Die Mitgliedsorganisation des FKP, Stiftung Stimme für das Leben (Fundacja Głos dla Życia), bildet gleichzeitig die „logistisch-finanzielle Basis“78 der PFROŻ. Mit der Gründung des FKP, das neben dem PZKK mehrheitlich aus pro-life-Gruppen und katholischen Medien-, Ärzte- und Journalistenvereinen besteht, wurde eine Dachorganisation der pro-life-Bewegung geschaffen, die durch die Benennung als Forum Polnischer Frauen im Namen katholischer Frauen Stellung bezieht. Die Neukonstituierung der pro-life-Gruppen als Frauenorganisation wurde zu einem performativen Akt der Um-Definition – die pro-lifeBewegung wurde von einer Bewegung für Familien zu einer Frauenbewegung. Aus der durch den PZKK initiierten „informellen Bewegung“ FKK entstand im Mai 1996 eine weitere Organisation, die den Namen der Bewegung weiterführte – der Verein Forum Katholischer Frauen FKK (Stowarzyszenie Forum Kobiet Katolickich), im Folgenden Verein FKK, mit der Vorsitzenden Anna Pernal, der früheren, aus der PZKK stammenden Mitinitiatorin der „informelen Bewegung“ FKK.79 In seinen Zielen nennt der Verein FKK ähnlich wie das FKP die meinungsbildende Funktion, aber auch die Förderung der katholischen Frauenpersönlichkeiten und ihre Vorbereitung für die öffentliche Arbeit im Sinne der katholischen Werte: Ziele des Vereins Forum Katholischer Frauen FKK Vereinigung von Frauen zur Erlangung höherer Wirksamkeit zum Schutz der Rechte des Lebens nach dem katholischen Wertesystem Erschaffung eines meinungsbildenden Milieus von katholischen Frauen Ausbildung katholischer Leaderfrauen zur öffentlichen Arbeit Inspirieren der Aktivitäten zugunsten der Familie und Frauen in den Kirchenund Verwaltungsgemeinden.80
77 Vgl. www.prolife.com.pl/ (abgerufen am 22.11.2016). 78 http://glosdlazycia.pl/ (abgerufen am 22.11.2016). 79 Vgl. PETROWA-WASILEWICZ, Leksykon ruchów i…, a.a.O., S. 338–339. 80 http://bazy.ngo.pl/search/info.asp?id=4533 (abgerufen am 22.11.2016).
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Der Verein FKK stand seit Anbeginn im Schatten des neugegründeten FKP, welches wie oben dargestellt, das „meinungsbildende Milieu katholischer Frauen“81 werden sollte. So erwähnte die Monatszeitschrift List do Pani im Juni 1996 die Gründung des FKP und erklärte, dass das FKP auch im Namen des PZKK sprechen werde, die zur beinahe gleichen Zeit erfolgte Gründung des Vereins FKK blieb hingegen unerwähnt. Gesine Fuchs zeigte 2004 am Beispiel des Vereins FKK, dass eine fehlende gesellschaftliche Basis die Interessenvertretung zu einer theoretischen Vertretung ohne Wirkung machte.82 Das Fehlen einer gesellschaftlichen Basis kann in diesem Fall dadurch erklärt werden, dass der Verein FKK eine von vielen Organisationen des konservativen Milieus war. Es gab bereits genügend Gruppen, die konservative Werte vehement verteidigten und über mehr Profil und gesellschaftliche Aufmerksamkeit verfügten, z.B. andere pro-life-Organisationen. Fuchs spricht also ein wichtiges Dilemma der katholischen Frauenorganisationen an, denn solange sie sich nicht für Frauenanliegen, sondern nur im politischen Kampf gegen das Recht auf Abtreibung engagieren würden, könnten sie der Popularität der pro-life-Gruppen wenig entgegensetzen.83 Der Verein FKK zeichne sich vielmehr durch Kulturarbeit für katholische „Damen“ aus, so Fuchs.84 Nach dem Tod der Vorsitzenden Anna Pernal 2010 wurde die Tätigkeit dieser Organisation praktisch nicht mehr fortgeführt.85 Die Gründung des FKP als Sammelbecken von pro-life-Gruppen und sein starker Rückhalt in der katholischen Amtskirche Polens verdrängte den kleineren Verein FKK, der sich der sozio-kulturellen Arbeit für Frauen widmete. Das zeigt, dass die katholische Amtskirche in Polen die Gründung politisch ausgerichteter Organisationen intendiert, die der Kirche als Frauenorganisationen z.B. im Anti-Abtreibungsdiskurs zur Seite stehen.
81 Redakcja List do Pani, Forum Kobiet Polskich…, a.a.O. 82 Vgl. FUCHS, Die Zivilgesellschaft mitgestalten…, a.a.O., S. 300. 83 Vgl. ebd., S. 275–279. 84 Als Beispielaktivitäten des Vereins FKK können die Verlagsarbeit (z.B. die Herausgabe des Buches „Marientraditionen in meinem Haus“ Tradycje maryjne w moim domu) oder Schulungen für Frauen im Bereich des Managements, der Gesundheit oder beruflichen Aktivität genannt werden. Vgl. a.a.O. 85 Ich bedanke mich für diese Information und die E-Mail-Korrespondenz bei Jan Rytau, der zuletzt als Kontakt des Vereins aufgeführt wurde.
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4.2 AMICTA SOLE – MEHR GESTALTUNG DURCH NEUEN FEMINISMUS Elżbieta Adamiak untersuchte 1999 die Rolle von Frauen in der katholischen Kirche in Polen und spricht wegen des deutlich quantitativen Ungleichgewichts des Redens über die Rolle der Frau und der hörbaren weiblichen Stimme in der katholischen Amtskirche über die „schweigende Anwesenheit“ von Frauen.86 Sie beendet ihr Buch mit einem Plädoyer für eine größere Teilhabe von Frauen in der Kirche und fordert dabei Frauen auf, selbst Initiative zu ergreifen.87 Fast zehn Jahre später, im Dezember 2008, schlossen sich über 20 katholische Frauen mit akademischem Hintergrund, darunter Theologinnen, Soziologinnen, Journalistinnen, Juristinnen und Ordensfrauen, zu dem neuen Frauenverein Amicta Sole in Warschau zusammen. Der Vereinsgründung gingen gemeinsame Treffen im Orden der Ursulinen voraus, welche im Dienst „der Diskussion über die Werte und Entscheidungen von Frauen von heute“ standen;88 der Sitz des Vereins ist ebenfalls bei diesem Frauenorden.89 Im Januar 2009, fast zeitgleich zur Bekanntgabe der Vereinsgründung, erschien die Sonderausgabe der katholischen Zeitschrift Więź mit dem Titel „Kościół jest kobietą“ („Die Kirche ist eine Frau“) mit mehreren Beiträgen der Frauen von Amicta Sole, in denen auf die untergeordnete Rolle von Frauen in den kirchlichen Strukturen und auf die mangelnde Umsetzung kirchlicher Gesetze zur Beteiligung von Frauen innerhalb der Kirche hingewiesen wurde.90 Die Vorsitzende des Vereins ist die katholische Theologin und Publizistin Monika Waluś. Amicta Sole strebt insbesondere die Förderung von Frauen in der Kirche an, die Erforschung und Popularisierung der Lehre zum Thema Frau in der Kirche
86 ADAMIAK, Milcząca obecność. O…, a.a.O., S. 20. 87 Vgl. ebd., S. 161. 88 KATOLICKA AGENCJA INFORMACYJNA KAI, Amicta Sole w poszukiwaniu nowego feminizmu [Amicta Sole auf der Suche nach dem neuen Feminismus], 2009, http:// ekai.pl/wydarzenia/polska/x17303/amicta-sole-w-poszukiwaniu-nowego-feminizmu/ (abgerufen am 01.10.2013). 89 Vgl. MAŁGORZATA KRUPECKA, Kobiety w Kościele [Frauen in der Kirche], in: Przewodnik Katolicki, 2009, H. 4, 2009, S. 38. 90 Vgl. z.B. KARABIN, Nadchodzą zmiany? Kościelna…, a.a.O; PETROWA-WASILEWICZ, Czy Kościół traci…, a.a.O.
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sowie die Erinnerung an herausragende Frauen der Vergangenheit.91 Zudem beabsichtigen die Frauen von Amicta Sole an die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils zum Thema des kirchlichen Engagements von Laiinnen und Laien, besonders aber der Frauen, zu erinnern und auf die Nutzung bisher ungenutzter Rechte durch Frauen zu drängen und ihre Wirkungsmöglichkeiten in den kirchlichen Strukturen zu erhöhen.92 Weitere Ziele werden in der folgenden Tabelle aufgeführt:
91 Vgl. Katolicka Agencja Informacyjna KAI, Amicta Sole – w…, a.a.O; STAŚKIEWICZ, Katholische Frauenbewegung in…, a.a.O. 92 Vgl. Katolicka Agencja Informacyjna KAI, Amicta Sole – w…, a.a.O.
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Ziele von Amicta Sole Förderung und Unterstützung größerer Teilhabe von Frauen im öffentlichen Leben, in der Kirche und der Gesellschaft Erforschen der Lehre der Kirche zum Thema Frauen, Reflexion und Diskussion über Rollen und Frauenvorbilder in der Kirche und Gesellschaft Studien über Traditionen, Schriften und Geistigkeit von Frauen in der Kirche und Priestertum. Erinnerung an Heilige, Gesegnete und andere bedeutende Frauen der Kirchengeschichte, insbesondere in der polnischen Kirche, Re-Interpretation, Popularisierung und Verbreitung ihrer Schriften, Geistlichkeit, ihres Werkes und ihrer Erfahrungen Suche nach neuen Charismen von Frauen und einem neuen Platz für Frauen in der Kirche im Kontext der sich ändernden zivilisatorischen und kulturellen Bedingungen in der gegenwärtigen Welt Verbandsarbeit, Durchführung von Seminaren und Werkstätten sowohl im Verein als auch Durchführung von wissenschaftlichen Konferenzen, Vorträgen, Besinnungstagen und Treffen mit dem Ziel der Weiterbildung insbesondere für Frauen und Jugend Verlagstätigkeit für Themen, die der Mission des Vereins entsprechen, Förderung von Autorinnen und Autoren von Veröffentlichungen zu Frauenthemen im weitesten Sinne Soziale Arbeit mit dem Ziel der Frauenförderung in Kirche und Gesellschaft, Unterstützung der sozialen und kulturellen Aktivität von Frauen, Förderung positiver Frauenvorbilder, auch in Ehe und Familie. Maßnahmen gegen Gewalt und andere Pathologien in der Familie, soziale Pathologien und sozialen Ausschluss, Maßnahmen in Richtung Suchtvorbeugung Initiieren, Kommentieren und Begutachtung juristischer Akten, welche wichtige soziale Fragen betreffen, die das allgemeine Wohl von Frauen zum Ziel haben
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Maßnahmen zur Aufwertung der Arbeit von Frauen zu Hause und in der Familie; Entwicklung von Modellen zur Vereinbarkeit der häuslichen und beruflichen Arbeit, der Mutterrolle und der Rolle im Beruf Hilfe beim Informations-, Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen Organisationen, welche Frauen innerhalb und außerhalb Polens vereinen; Konsolidierung von Frauenmilieus mit ähnlichen Zielen93 Der Verein distanziert sich dabei vom „kämpferischen Feminismus“ – er folgt dem neuen Feminismus Johannes Pauls II. und will „gemeinsam und in Harmonie mit Männern und im Kontext der sich verändernden zivilisatorischen und kulturellen Umstände nach einem neuen Platz für Frauen in der Kirche suchen“.94 Alina Petrowa-Wasilewicz (spätere Mitbegründerin und stellvertretende Vorsitzende der Amicta Sole) stellt 2007 im List do Pani den neuen Feminismus als eine durch die Medien ignorierte Frauenbewegung in Polen dar. Der neue Feminismus werde durch das soziale Engagement „gewöhnlicher“ Frauen und von „Frauenorganisationen“ (u.a. erwähnt sie FKP, PZKK, die informelle Gruppe „Pro Familie“ oder Vereinigung der Katholischen Pfadfinder) getragen. Zwar wird mittels Zitaten „neuer Feministinnen“ eine „leichte Diskriminierung“ von Frauen in Polen eingeräumt, insbesondere in Form von Lohnunterschieden oder Arbeitsplatzverlust bei Frauen, die Mütter geworden sind, doch sei es nicht in ihrem Sinne, sich gegen das Patriarchat aufzulehnen, denn sie bevorzugten „die Harmonie in der Andersartigkeit zu suchen“.95 Die gleiche Strategie wurde dann 2009 von Frauen der Amicta Sole umgesetzt, denn auch sie sprachen sich, wie erwähnt, für die Förderung der Frauen in Harmonie mit Männern aus. Für Amicta Sole dient, wie noch im weiteren Verlauf der Arbeit ausführlicher dargestellt werden wird, das Konzept des neuen Feminismus als ein Mittel, mit dem Frauen größere Wirkung innerhalb der katholischen Kirche erringen können, allerdings im Rahmen der gegebenen katholischen Ordnung. So wiesen die Mitgliedsfrauen von Amicta Sole darauf hin, dass die Rolle der Frauen in der Gesellschaft sich so stark verändert habe, dass sich ihre Rolle in der Kirche „nicht auf
93 http://amictasole.pl/o-stowarzyszeniu/misje-i-cele/ (abgerufen am 15.01.2016). 94 EWA K. CZACZKOWSKA, Katolickie feministki łączą siły [Katholische Feministinnen vereinen ihre Kräfte], 2009, http://www.rp.pl/artykul/242383.html (abgerufen am 14.10.2013). 95 PETROWA-WASILEWICZ, Nowy feminizm…, a.a.O., S. 14.
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Stereotypen von Frauen reduzieren“96 ließe. Maria Rogaczewska sprach 2009 zu den Zielen des Vereins: „Wir möchten erreichen, dass die nachkonziliare Lehre zum Thema der Laien und Frauen in der Kirche in Polen bekannter wird. Dass das Recht, das zurzeit brachliegt, aber Möglichkeiten zur Nutzung der Charismen von Frauen bietet, endlich genutzt wird. Heute muss eine Frau, um zu Wort zu kommen, ein ‚Etikett‘ tragen: sie muss eine respektierte ältere Frau Professorin, eine Nonne oder Mutter von fünf Kindern sein. Hingegen werden junge Frauen, die keine Familien haben und ihre Berufung anders realisieren, nicht ernst genommen.“97
Małgorzata Krupecka, Ordensfrau und Mitglied von Amicta Sole, betonte 2009, dass man heute nicht über die Würde der Frau im Allgemeinen sprechen sollte, sondern es müsse vielmehr überdacht werden, wie Frauen die neuen gesellschaftlichen Rollen erfüllen können. Sie berief sich dabei auf das Zitat von Johannes Paul II. zum Recht von Frauen auf Revindikation ihrer Rolle in der Gesellschaft und der Kirche und bedauerte, dass diese Lehre des Papstes kaum rezipiert werde.98 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Amicta Sole bei der Förderung der Beteiligung von Frauen in der Kirche im Sinne des kanonischen Rechts und innerhalb der katholischen Ordnung eine Rolle spielen kann. Die bisherigen Aktivitäten konzentrierten sich auf Veranstaltungen, Publikationen und Interviews zum Thema der Frau in der katholischen Kirche Polens sowie der Popularisierung von in Vergessenheit geratenen polnischen Katholikinnen, wie den Gründerinnen von Frauenorden.99 Die publizistischen Beiträge der Mitgliedsfrauen schärften das
96
EWA K. CZACZKOWSKA, Katolickie feministki ruszają do boju [Katholische Feministinnen ziehen in den Kampf], 2009, http://www.rp.pl/artykul/242383Katolickie-feministki-lacza-sily-.html#ap-3 (abgerufen am 20.10.2013).
97
Ebd.
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Vgl. Katolicka Agencja Informacyjna KAI, Amicta Sole – w…, a.a.O.
99
Über die bereits genannten Beiträge in Więź hinaus vgl. z.B. JOLANTA KRASNOWSKA, MONIKA WALUŚ, Nie oczekujmy od matek jeszcze więcej [Wir sollten nicht noch mehr von Müttern erwarten], 21/2013, http://echokatolickie.pl/index.php?str=100&id =5841; ALINA PETROWA-WASILEWICZ, Potrzeba nowego spojrzenia na Maryję [Es ist eine neue Sicht auf Maria nötig], 2011, http://ekai.pl/analiza/x44741/potrzebanowego-spojrzenia-na-maryje/ (abgerufen am 09.12.2012); ALINA PETROWA-WASILEWICZ,
Nadeszła godzina kobiet [Die Stunde der Frauen ist gekommen], in: List do
Pani, 3 (222), 2014, S. 11–13; ALINA PETROWA-WASILEWICZ, MONIKA WALUŚ, Jan
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gesellschaftliche Bewusstsein für die Situation der Frauen in der Kirche und brachten die Wirkungsmöglichkeiten von Frauen einem breiteren Publikum nah. Für einen grundlegenden Wandel innerhalb der katholischen Kirche und für die Entstehung einer katholischen Frauenbewegung in Polen, die über die katholische Geschlechterordnung diskutiert, bedarf es jedoch mehr als nur eines den Rahmen der kirchlichen Lehre und des katholischen Denkstils einhaltenden neuen Feminismus.100
4.3 KATHOLISCH-FEMINISTISCHER DENKSTIL IN YWCA POLSKA Die Geschichte der Organisation YWCA in Polen reicht bis in die 1920er Jahre zurück. Die Organisation wurde erstmals im September 1922 als Christlicher Verein Junger Frauen (Chrześcijańskie Stowarzyszenie Młodych Kobiet) registriert. Initiiert wurde die Gründung durch die in den USA lebenden Exilpolinnen, die seit 1918 freiwillige soziale Schulungen für junge Frauen organisierten, die dann ihr Wissen als sogenannte Graue Samariterinnen im wieder neuentstandenen polnischen Staat weitergaben. 101 YWCA gehörten anfangs nur Katholikinnen an, wodurch der Verein den Mitgliedsvoraussetzungen des Weltverbandes nicht entsprach.102 Die Tätigkeit des Vereins wurde 1948 aus politischen Gründen einge-
Paweł II. dostrzegał geniusz kobiety. Rozmowa Aliny Petrowej-Wasilewicz z dr Moniką Waluś [Johannes Paul II. nahm den Genius der Frau wahr. Ein Gespräch von Alina Petrowa-Wasilewicz mit Dr. Monika Waluś], 2011, http://ekai.pl/wyda rzenia/temat_dnia/x39453/jan-pawel-ii-dostrzegal-geniusz-kobiety/ (abgerufen am 21.10.2013); MARIA ROGACZEWSKA, The Sleeping Giant – The Church’s Relationship with Civil Society, in: International Journal of Civil Society Law, H. 8, 2010, S. 29–35; MONIKA WALUŚ, KAZIMIERZ PEK, Inspiratorki – założycielki – liderki. Aktywność przedstawicielek katolickich wspólnot i ruchów kobiecych w Polsce (1805-1963) [Eingeberinnen – Gründerinnen – Führungsfrauen. Die Aktivität von Vertreterinnen der katholischen Gemeinden und Bewegungen in Polen (1805-1963)], Lublin, 2013. 100 Vgl. STAŚKIEWICZ, Katholische Frauenbewegung in…, a.a.O. 101 Mehr als 30 junge Frauen waren unter der Schirmherrschaft der damaligen Ehefrau des polnischen Premierministers Helena Padarewska tätig. Vgl. www.ywca.pl (abgerufen am 23.11.2016). 102 Vgl. Polska YWCA [YWCA Polen], in: Gazeta Wyborcza, 1991, S. 1.
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stellt, erst nach der politischen Wende konnte der Verein im September 1991 reaktiviert werden. Die Neugründung wurde durch Kinga Stawikowska, die der evangelisch-reformierten Kirche Polens angehörte, initiiert. Stawikowska wurde Generalsekretärin und die erste Präsidentin wurde Biruta Przewłocka-Pachnik, die ebenfalls der evangelisch-reformierten Kirche angehörte; die gegenwärtige Präsidentschaft hat seit 2007 die Katholikin Alina Kozińska-Bałdyga inne. Bemerkenswert ist, dass es sich bei dieser Organisation um eine christliche Organisation handelt, die an der nach 1989 entstandenen zweiten Welle der polnischen Frauenbewegung beteiligt ist. Der YWCA wurde 1991 zu einem der Gründungsvereine der feministischen pro-choice-Organisation Föderation für Frauenangelegenheiten und Familienplanung (Federacja na Rzecz Kobiet i Planowania Rodziny) 103 Andere Gründungsmitglieder waren die Liga Polnischer Frauen (Liga Kobiet Polskich)104, die Polnische Feministische Vereinigung (Polskie Stowarzyszenie Feministyczne), die Vereinigung für einen weltanschaulich neutralen Staat Neutrum (Stowarzyszenie na rzecz Państwa Neutralnego Światopoglądowo Neutrum)105 und der Verein Pro Femina. Die Gründungsmitglieder der Födera-
103 Vgl. www.federa.org.pl (abgerufen am 22.11.2016). 104 Die Liga Polnischer Frauen entstand 1913 in Warschau, sie war die einzige offiziell staatlich geduldete und gesamtpolnische Frauenorganisation in der Volksrepublik Polen und existiert bis heute; die jetzige Vorsitzende ist Aldona Michalak. Vgl. http:// ligakobietpolskich.pl/ (abgerufen am 22.11.2016); DARIUSZ JAROSZ, Idee, programy i realia: funkcje Ligi Kobiet w porządku instytucjonalnym Polski Ludowej (19451957) [Ideen, Programme und Realitäten: Funktionen der Frauenliga in der institutionellen Ordnung der Volksrepublik Polen (1945-1957)], in: JANIAK-JASIŃSKA, AGNIESZKA;
SIERAKOWSKA, KATARZYNA; SZWARC, ANDRZEJ (Hrsg.), Działaczki
społeczne, feministki, obywatelki… Samoorganizowanie się kobiet na ziemiach polskich po 1918 roku (na tle porównawczym), Warszawa, 2009, S. 307–330; BARBARA AGNIESZKA NOWAK, Serving women and the state: the league of women in Communist Poland. Dissertation, Ohio State University, History., 2004, http://rave.ohio link.edu/etdc/view?acc_num=osu1091553624 (abgerufen am 22.11.2016). 105 Bei Neutrum handelt sich um eine 1991 entstandene Nichtregierungsorganisation, sie ist keine Frauenorganisation sensu stricto, ihr gehören Frauen und Männer an; das Hauptziel der Organisation ist die Wahrung der Neutralität und Laizität des Staates. Vgl. http://neutrum.racjonalista.pl (abgerufen am 12.10.2016).
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tion unterschieden sich in ihren Zielen oder Organisationsformen, das Verbindende war die gemeinsame Überzeugung, „dass nur die Frau und kein Staat über ihr eigenes Schicksal und ihre Schwangerschaft entscheiden darf“.106 Die polnische YWCA engagierte sich bis 2007 insbesondere im Kampf gegen Frauenhandel durch die Überprüfung ausländischer Stellenanzeigen und die Vorbereitung junger Frauen auf ihre Au-pair-Aufenthalte in Westeuropa. 107 Einen Schwerpunkt bildet gegenwärtig die Förderung von Frauen in ländlichen Gegenden, so wurde YWCA ebenfalls zum Mitglied der Föderation der Bildungsinitativen (Federacja Inicjatyw Oświatowych), die die Unterstützung des bürgerlichen Engagements auf lokaler Ebene zum Ziel hat, mit einem besonderen Schwerpunkt auf ländlichen Gegenden. Da Alina Kozińska-Bałdyga, die gegenwärtige Präsidentin des YWCA ebenfalls das Amt der stellvertretenden Vorsitzenden der Föderation der Bildungsinitativen innehat, ist diese Verbindung ebenfalls personell gefestigt.108 Für meine Arbeit sind insbesondere die Rolle der polnischen YWCA während ihrer Beteiligung an der Debatte um das Abtreibungsrecht sowie anlässlich der Vierten Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 und ihre Mitwirkung am feministischen Bericht zur Lage der Frauen anlässlich der Konferenz von besonderer Bedeutung. Der zuvor genannte Abzug der Vertreterinnen katholischer Organisationen aus dem Regierungskomitee zur Vorbereitung des Berichts zur Lage der Frauen für die Pekinger Weltfrauenkonferenz sowie die Kritik an der Arbeitsweise des Komitees zeigen ein ambivalent wirkendes Auftreten der katholischen Organisationen, hinter dem sich andererseits auch eine Strategie vermuten lässt. Dem Regierungskomitee wurde u.a. vorgeworfen, dass die gläubigen Frauen keinen Einfluss auf die Form des Berichts haben würden, obwohl der Rückzug der Vertreterinnen katholischer Organisationen auf eigene Initiative erfolgte, womit wie-
106 WANDA NOWICKA, AGNIESZKA WALKO-MAZUREK, Federacja będzie trwała, bowiem nasza misja nie została zrealizowana… Wanda Nowicka o Federacji [Die Föderation wird andauern, weil unsere Mission noch nicht vollendet ist…], in: NOWICKA, WANDA;
WALKO-MAZUREK, AGNIESZKA (Hrsg.), Zawsze po stronie kobiet.
20 lat Federacji na rzecz Kobiet i Planowania Rodziny, Warszawa, 2011, S. 4–17, hier S. 5. 107 Siehe die Beschreibung der YWCA Polska in der Datenbank der polnischen Nichtregierungsorganisationen: http://bazy.ngo.pl/search/info.asp?id=3820 (abgerufen am 22.11.2016). 108 Mehr zu dieser Organisation siehe: http://fio.org.pl (abgerufen am 23.11.2016).
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derum suggeriert wurde, dass lediglich pro-life- oder pro-familiäre Organisationen eine Berechtigung besitzen, im Namen gläubiger Frauen zu sprechen.109 Eine differenzierende Haltung lässt sich hingegen an der Gegendarstellung der bekennenden Katholikin und Mitgliedsfrau des YWCA, Alina Kozińska-Bałdyga, der Mitautorin des feministischen Schattenberichts des Sozialen Komitees der Nichtregierungsorganisationen SKOP (Społeczny Komitet Organizacji Pozarządowych), im Folgenden SKOP, für die Pekinger Konferenz ablesen. KozińskaBałdyga erklärt in ihrem Artikel Gemeinsamer Feminismus, warum sie mit „nichtgläubigen Frauen, teilweise mit antikirchlicher Einstellung“110 zusammenarbeite und argumentiert, dass es viel Spielraum und Möglichkeiten zur Zusammenarbeit in Fragen der Abtreibung und Verhütung gebe, insbesondere wenn man die Ursachen für eine Abtreibung im patriarchalen System sehen würde. In einem anderen Artikel, den Alina Kozińska-Bałdyga in der katholischen Zeitschrift Więź veröffentlichte, nennt sie weitere Verbindungselemente des katholischen und feministischen Denkstils, diesmal in Anlehnung an das Konzept des neuen Feminismus von Johannes Paul II. Sie versteht die päpstliche Kritik am
109 Vgl. JACQUELINE HEINEN, STÉPHANE PORTET, Religia, polityka i równość płci w Polsce. Końcowy raport badawczy podsumowujący projekt „Religion, Politics and Gender Equality“ [Religion, Politik und Geschlechtergleichstellung in Polen. Endbericht zum Projekt], 2009, http://www.boell.pl/downloads/Religa_polityka_i_row nosc_plci_Heinen_Portet.pdf (abgerufen am 23.11.2016), S. 33. Dass die Vorstellung von einer Feministin, die gleichzeitig auch eine Katholikin werden kann, immer noch kontrovers ist, zeigte die Überraschung und Diskussion um die katholisch abgehaltene Trauerfeier von Izabela Jaruga-Nowacka, der beim Flugzeugabsturz von Smoleńsk 2010 verunglückten Feministin, Frauenaktivistin und Politikerin der postsozialistischen Partei SLD. Auch für ihre feministischen Mitstreiterinnen wirkte die Gläubigkeit Jaruga-Nowackas überraschend. So schilderte Magdalena Środa in ihren Erinnerungen an sie: „Sie war keine Atheistin. Sie war eine tiefgläubige Person. Als ich an der Beerdigungsmesse teilnahm, die durch befreundete Priester zelebriert wurde, konnte ich nicht an diese Religiosität glauben: Wir haben uns doch vor so vielen Jahren bei ,Neutrum‘ kennengelernt, einem Verein, welcher sich für die weltanschauliche Neutralität des Staates einsetzt! Aber wirklich: Sollen nur Atheisten der in der Verfassung festgelegten weltanschaulichen Neutralitätsregel folgen? Diese Regel sollte auch ein Anliegen der Gläubigen sein“, MAGDALENA ŚRODA, Iza Jaruga-Nowacka. Wspomnienie [Iza Jaruga Nowacka. Eine Erinnerung], http://wiadomosci.onet.pl/ opinie/iza-jaruga-nowacka-wspomnienie/x51ydn8 (abgerufen am 24.11.2016). 110 ALINA KOZIŃSKA-BAŁDYGA, Wspólny feminizm [Gemeinsamer Feminismus], in: Gazeta Wyborcza, H. 228, 1995, S. 19.
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„Maskulinismus“ als Kritik am Patriarchat – und weil Feministinnen sich gegen das Patriarchat auflehnen – dienen sie auf diese Weise auch der „Zivilisation des Liebe“: „Die unterschiedlichen Stellungnahmen der linken Feministinnen und der fanatischen Lebensschützer können zum besseren Verständnis der Wahrheit beitragen, wenn nur die Bereitschaft, der anderen Seite zuzuhören und sich gegenseitig besser zu verstehen, gegeben wäre. Ich denke, dass es sich zeigen kann, dass die Zivilisation der Liebe in der Vision von Johannes Paul II. und die von Feministinnen propagierte Zivilisation der Geschlechtergleichheit viele gemeinsame Elemente besitzen“.111
Hier handelt sich um eine alternative Interpretation des neuen Feminismus von Johannes Paul II. Kozińska-Bałdyga sieht das päpstliche Konzept als eine Art des Differenzfeminismus, mit dem sie sich selbst identifiziert. So schreibt sie über die Notwendigkeit einer höheren Beteiligung von Frauen an politischen Gremien, da Frauen dadurch ihre Sichtweise einbringen könnten. Sie bescheinigt den Frauen ein besseres Verständnis einiger Bereiche allein aufgrund ihrer erzieherischen Tätigkeit: „Eine erhöhte Anwesenheit von Frauen in den regierenden Sphären würde die Prioritätensetzung in der Politik ändern. Man kann davon ausgehen, dass das Gewicht der sozialen Aufgaben, wie Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen, also der Themen, mit denen sich besonders Frauen beschäftigen, ebenfalls wachsen würde. Ebenfalls würde die Erhöhung des Frauenanteils bei den Entscheidungsträgern die Art der Entscheidungsfindung beeinflussen“.112
Kozińska-Bałdyga nahm den während der Pekinger Weltfrauenkonferenz vorgelesenen Brief an die Frauen von Johannes Paul II. positiv auf. Sie sieht diesen Brief als Aufforderung und Unterstützung von Frauen zu einer verbesserten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.113 So schrieb sie am letzten Konferenztag gemeinsam mit einigen anderen Frauen aus der feministischen Delegation sogar ei-
111 DERS., Feministka katolicka [Katholische Feministin], in: Gazeta Wyborcza, Wysokie Obcasy, H. 269, 2005, S. 4. 112 DERS., Kobiety, feminizm, demokracja [Frauen, Feminismus und Demokratie], in: Więź, 1998, H. 1, S. 45–54. 113 Vgl. ebd.
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nen Dankesbrief an Johannes Paul II., in dem sie seine „Wahrnehmung der ungeheuren Rolle von Frauen in der Welt und die Anerkennung ihrer Aktivitäten in Sachen der Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und der Friedensbildung“114 würdigen. In den Stellungnahmen von Kozińska-Bałdyga, ihrer Betonung der Komplementarität der Geschlechter und in ihrer Hoffnung, dass die höhere Beteiligung der Frauen zu einer sich am Allgemeinwohl und nicht an der Macht orientierenden Demokratie führen würde, lassen sich ansatzweise Elemente des Essentialismus erkennen. Allerdings leitet sie die besonderen Fähigkeiten der Frau, ihr aufgrund der familiären Arbeit entwickeltes Verantwortungsgefühl, als von den traditionellen Rollen der patriarchalen Gesellschaft verursacht ab und nicht wie der Papst von ihrer biologischen Rolle.115 Im Falle des YWCA zeigt sich eine mögliche Verbindung der christlichen und feministischen Einstellung, wobei man sich trotz einer Betonung der Gewissensentscheidung der Frau in der Abtreibungsfrage eher zurückhielt. Auch im feministischen Bericht für die Pekinger Weltfrauenkonferenz konzentrierte sich der YWCA auf Gesundheitsfragen, soziale Aspekte der Frauengesundheit und insbesondere auf die Darstellung der Situation von behinderten Menschen.116 Ein katholischer Diskurs mit einer expliziten pro-choice-Ausrichtung, wie sie bestimmend ist für die internationale Organisation Catholics for Choice, konnte sich, wie bereits erwähnt, in Polen nicht entwickeln. Obwohl es in Polen über die Person Anna Grzywacz hinaus keine Vertretung der Catholics for Choice gibt, ist Catholics for Choice im Diskurs der polnischen katholischen (Frauen-)Organisationen präsent und trifft dabei auf starke Ablehnung. Als die US-amerikanischen Aktivistinnen und Aktivisten von Catholics for Choice Polen 2009 besuchten, stellte Alina Petrowa-Wasilewicz, die stellvertretende Vorsitzende von Amicta Sole, in List o Pani deren Katholizität in Frage:
114 KOZIŃSKA-BAŁDYGA, Wspólny feminizm…, a.a.O. 115 Diese Argumentation Kozińska-Bałdygas bezüglich der gesellschaftlichen Prägung und des angelernten Charakters einiger „Fraueneingeschaften“ erinnert an das Konzept der sozialisierten Friedfertigkeit von Margarete Mitscherlich, vgl. MARGARETE MITSCHERLICH, Die friedfertige Frau. Eine psychoanalytische Untersuchung zur Aggression der Geschlechter, Frankfurt am Main, 1987. 116 Vgl. SPOŁECZNY KOMITET ORGANIZACJI POZARZĄDOWYCH SKOP – PEKIN 1995, Sytuacja kobiet w Polsce: raport organizacji pozarządowych [Die Situation von Frauen in Polen. Bericht der Nichtregierungsorganisationen], Warszawa, 1995, S. 34– 40.
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„Kein Katholik ist, wer sich am ‚Durchbrechen der Denkschemata‘ versucht. Durch die Befürwortung von Abtreibung empfehlen sie sich selbst zur Exkommunikation, denn sie verbreiten eine der kirchlichen Lehre widersprechende Meinung und lehnen das kirchliche Lehramt ab. Sie missbrauchen also den Namen ‚Katholik‘. Auch das ‚einladende Organ‘ lässt keine Zweifel offen: Die Abtreibungsbefürworterinnen, die in der Föderation unter der Führung von Wanda Nowicka tätig sind, luden eine Gruppe von Amerikanern ein, die das Wort ‚Katholik‘ missbrauchen“.117
Der YWCA als ökumenische Organisation besitzt eine gewisse Unabhängigkeit vom offiziellen katholischen Diskurs und bringt durch die Beteiligung von Mitgliedsfrauen anderer Konfessionen (z.B. der evangelisch-lutheranischen Diakonin Halina Radacz) eine andere Sichtweise ein, die der Haltung der jeweiligen Kirchen entspricht und somit die Möglichkeit eines divergierenden Blicks bietet.
4.4 EXKURS: RADIO MARYJA – (K)EIN RADIO FÜR ÄLTERE FRAUEN Während der Konferenzen, auf denen ich meine Forschungsthesen vorstellte, wurde ich nach dem Phänomen des polnischen Senders Radio Maryja gefragt, genauer – ob es sich hier um eine katholische Frauenbewegung handeln könnte, denn dieser Sender wird bekanntlich von älteren katholischen Frauen gehört, die in der Umgangssprache abwertend als „Mohairmützen“ bezeichnet werden. Diese Redewendung wurde zu einer pejorativen Beschreibung älterer, konservativ wählender Frauen respektive der Hörerinnen von Radio Maryja, seit 2005 der damalige Vorsitzende der liberal-konservativen Bürgerplattform Donald Tusk die soeben zustande gekommene national-konservative Regierungskoalition aus den Parteien Recht und Gerechtigkeit PIS, Liga der Polnischen Familien LPR und Selbstverteidigung als eine „Mohairkoalition“ bezeichnet hatte.118 Wie Stanisław Burdziej bemerkt: „In freier Übersetzung bezeichnet ‚Mohair‘ den älteren, unproduktiven
117 ALINA PETROWA-WASILEWICZ, „Katolicy“ na rzecz aborcji czyli nalot dywanowy trwa! [„Katholiken“ für Abtreibung oder das Flächenbombardement dauert an], in: List do Pani, 9 (177), 2009, S. 11. 118 WIADOMOSCI.WP.PL, Tusk: Polska nie jest skazana na „moherową“ koalicjęTusk: Polen ist nicht zu einer „Mohair“-Koalition verurteilt, http://wiadomosci.wp.pl/tuskpolska-nie-jest-skazana-na-moherowa-koalicje-6037379576824961a (abgerufen am 14.10.2016).
Katholische (Frauen-)Organisationen in Polen | 95
und ungebildeten Teil der Gesellschaft“.119 Bei der Hörerschaft von Radio Maryja handelt es sich um eine Gruppe sogenannter Transformationsverliererinnen und verlierer; also nicht um eine ausschließlich weibliche Zuhörerschaft. Radio Maryja wird regelmäßig von zwei bis vier Prozent der Bevölkerung gehört, was ca. 1,5 Millionen Menschen ausmacht.120 Meist handelt es sich dabei um ältere, weniger gut gebildete, gläubige und religiöse Praktiken ausübende Menschen.121 Laut Bericht der Statistikbehörde CBOS von 2011 anlässlich des zwanzigsten Bestehens von Radio Maryja sieht diese Gruppe jedoch etwas differenzierter aus: „[…] 20 Prozent sind mindestens 45 Jahre alt, 25 Prozent wohnen in Städten mit einer Einwohnerzahl über 100.000, ein Drittel hat eine mittlere oder höhere Ausbildung, die Hälfte erzielt ein durchschnittliches Einkommen und 25 Prozent schätzt, dass sie und ihre Familien mindestens gut leben“.122 Radio Maryja wurde 1991 durch den Redemptoristenpater Tadeusz Rydzyk in Toruń gegründet und entwickelte sich unter dem Slogan Katholische Stimme in Deinem Haus zu einem kontroversen, katholischen Sender, der sich zunehmend politisierte. Der Sender Radio Maryja sendet unmittelbare politische Botschaften und nimmt an politischen Auseinandersetzungen teil, indem er ausgewählte Parteien und Politiker unterstützt und andere medial „zerstört“.123 Namentlich die tägliche Abendsendung Unvollendete Gespräche (Rozmowy niedokończone) zeichnet sich durch „politische Propaganda“ aus und steht aufgrund ihrer xenophoben und antisemitischen Botschaften in der Kritik.124 Ireneusz Krzemiński fand in seiner Analyse der Sendungen von Radio Maryja zwar keine explizit antisemitischen
119 STANISŁAW BURDZIEJ, Radio Maryja a społeczeństwo obywatelskie [Radio Maria und die Zivilgesellschaft], in: Znak, H. 640, 2008, S. 17–28, hier S. 21. 120 Vgl. CENTRUM BADANIA OPINII SPOŁECZNEJ CBOS, Dwadzieścia lat Radia Maryja [Zwanzig Jahre Radio Maria], 2011, http://www.cbos.pl/SPISKOM.POL/2011/ K_168_11.PDF (abgerufen am 14.10.2016), S. 2. Zwischen Februar 2014 bis April 2015 lag der Prozentsatz zwischen 1,8 – 2,3 Prozent. Vgl. Najnowsze wyniki słuchalności Radio Track. II 2015 - IV 2015 [Neueste Reichweitenuntersuchung für Radiosender, Radio Track, Februar 2015 - April 2015], 2015, www.badaniaradiowe.pl/ wyniki/ (abgerufen am 25.11.2016). 121 Vgl. Centrum Badania Opinii Społecznej CBOS, Dwadzieścia lat Radia…, a.a.O. 122 Ebd., S. 18. 123 BURDZIEJ, Radio Maryja a…, a.a.O., S. 24. 124 MIROSŁAWA GRABOWSKA, Radio Maryja – polska prawica religijna [Radio Maria – Die polnische religiöse Rechte], in: Znak, H. 640, 2008, S. 10–16, hier S. 12.
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Aussagen, traf jedoch auf versteckte antisemitische Botschaften, die er als „Andeutungen“ 125 bezeichnet. Die politische Ausrichtung von Radio Maryja wird durch den polnischen Episkopat offiziell zwar kritisiert, es werden jedoch keine Konsequenzen bezüglich des Senders gezogen.126 Im Gegenteil, inoffiziell erfreut sich Pater Rydzyks Sender der Sympathie mehrerer Bischöfe.127 Scharf kritisiert wird Radio Maryja hingegen im Milieu des offenen Katholizismus. So schrieb 2013 der Dominikanerpriester Ludwik Wiśniewski, der sich in der oppositionellen Arbeit der Solidarność-Zeit hochverdient machte, in seinem Artikel in der Wochenzeitung Tygodnik Powszechny: „Die Tätigkeit und Worte des Paters Tadeusz Rydzyk fasse ich als Stänkerei und im Endeffekt als Zerstörung der Kirche und der Nation auf. Von Stänkerei und Zerstörung spricht Vater Rydzyk selbst übrigens sehr oft, aber er schreibt es anderen zu, nur nicht sich selbst.“128 Bei der Gründung des Senders griff Rydzyk auf seine Erfahrungen in Westdeutschland zurück, wo er in den 1980er Jahren im bayrischen Balderschwang bei
125 IRENEUSZ KRZEMIŃSKI, Czego nas uczy Radio Maryja? Socjologia treści i recepcji rozgłośni [Was lehrt uns Radio Maryja? Soziologie des Inhalts und der Rezeption des Senders], Warszawa, 2009, S. 129. 126 Vgl. z.B. den mahnenden Brief des Präsidiums des Polnischen Episkopats vom 07.02.2006 an den damaligen Generalprior des Redemptoristenordens (direkter Vorgesetzter von Pater Rydzyk) mit der Kritik des politischen Engagements des Senders. INFO.WIARA.PL, List Prezydium KEP do prowincjała redemptorystów [Brief des Prä-
sidiums des Polnischen Episkopats an den Generalprior des Redemptoristen], http://info.wiara.pl/doc/157243.List-Prezydium-KEP-do-prowincjala-redemptorysto w/4 (abgerufen am 25.11.2016). 127 Vgl. PIOTR GŁUCHOWSKI, JACEK HOŁUB, Ojciec Tadeusz Rydzyk. Imperator [Vater Tadeusz Rydzyk. Der Imperator], Warszawa, 2013, S. 235–243. Vgl. auch WIŚNIEWSKI, LUDWIK, Gdzie my jesteśmy? Kto niszczy polski Kościół? Część II. [Wo sind wir? Wer zerstört die polnische Kirche? Teil II.], in: Tygodnik Powszechny, 10 (3322), 2013, S. 20–21. 128 LUDWIK WIŚNIEWSKI, Gdzie my jesteśmy? Kto niszczy polski Kościół? Część I. [Wo sind wir? Wer zerstört die polnische Kirche? Teil I.], in: Tygodnik Powszechny, 9 (3321), 2013, S. 3–7, S. 5.
Katholische (Frauen-)Organisationen in Polen | 97
Augsburg beim xenophoben und populistischen Sender Radio Maria Internazional den Radiobetrieb kennenlernte.129 Als zunächst lokal auftretender Sender bekam Radio Maryja 1994, neben den populären Sendern Radio Zet und Rmf fm, als einer der ersten (privaten) Radiosender eine landesweite Sendekonzession in Polen. In den weiteren Jahren entwickelte sich das Unternehmen zu einem „Imperium“130: 1996 erschien die Tageszeitung Unsere Tageszeitung (Nasz Dziennik), 2001 wurde in Toruń mit der Hochschule für soziale und mediale Kultur (Wyższa Szkoła Kultury Społecznej i Medialnej) die Kaderschmiede des erzkonservativen national-katholischen Journalismus eröffnet und 2003 erfolgte die erste Ausstrahlung des TV-Senders Trwam. Neben diesen Institutionen entstanden auch verschiedene durch Zuhörer und Zuhörerinnen des Radios Maryja getragene Initiativen in den Gemeinden, wie Freunde des Radios Maryja in den Gemeinden oder die Hof-Rosenkranzgruppen für Kinder. Diese Gruppen können grundsätzlich in den kirchlichen Gemeinden mit Zustimmung des Gemeindepfarrers gegründet werden. Mittlerweile ist eine soziale Bewegung der Zuhörerinnen und Zuhörer, Sympathisantinnen und Sympathisanten des Senders entstanden, die sich Familie Radio Maryja (Rodzina Radia Maryja) nennt. Seit 1993 finden im Juli jährliche Pilgerfahrten nach Częstochowa, zum Sanktuarium Jasna Góra statt, die sich großer Beliebtheit erfreuen. 2016 pilgerten ca. 100.000 Anhängerinnen und Anhänger des Senders des Paters Rydzyk nach Częstochowa.131 Radio Maryja steht laut Krzemiński in der Tradition des nationalen Katholizismus der Zwischenkriegszeit 1918-1939, teilweise in Anlehnung an die politischen Ideen der Nationalen Demokratie von Roman Dmowski, die jedoch an die Gegenwart z.B. in der Einstellung zur pluralistischen Demokratie angepasst werden.132 Der durch den Sender repräsentierte Katholizismus gehe mit der Identifi-
129 Der Sender wurde in den 1990er Jahren in Radio Horeb umbenannt, nach dem Austausch des Programmverantwortlichen verlagerte sich der Schwerpunkt von politischer Agitation auf Gebete, vgl. GŁUCHOWSKI, HOŁUB, Ojciec Tadeusz Rydzyk…, a.a.O., S. 85. 130 Ebd., S. 440. 131 Vgl. 25. Pielgrzymka Rodziny Radia Maryja na Jasną Górę [Die 25. Pilgerfahrt der Familie Radio Maryja nach Jasna Góra], http://wiadomosci.wp.pl/gid,18416343, kat,1342,title,25-Pielgrzymka-Rodziny-Radia-Maryja-na-Jasna-Gore,galeria.html? ticaid=118b54 (abgerufen am 17.09.2016). 132 Vgl. KRZEMIŃSKI, Czego nas uczy…, a.a.O., S. 117–118.
98 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
kation mit einer nationalen Idee und einer „autoritativen Orientierung der Radiohörer“133 einher, d.h. mit einer Obrigkeitshörigkeit, die auf der Überzeugung beruht, dass der Klerus eine Führungsposition in der Kirche innehabe und sich damit von den anderen Gläubigen unterscheide. Rydzyk gelinge es, seinen Zuhörerinnen und Zuhörern eine Identität aufzubauen, er selbst sei zu einer Autorität, beinahe zu einem Sektenanführer, zu „einem ebenfalls religiösen und kirchlichen Symbol der ‚richtigen‘ katholisch-nationalen Werte“134 geworden. Die Zuhörerinnen und Zuhörer seien, so Krzemiński, keine einfachen Radiozuhörerinnen und -zuhörer, sondern eine „organisierte Gemeinschaft“.135 Diese Gemeinschaft ist laut Andrzej Madera „eine starke, mobilisierte und disziplinierte Gruppe des gesellschaftlichen Drucks“136 und schnell als Protestgruppe einsetzbar, z.B. im Falle von Demonstrationen für das Abtreibungsverbot, Boykottaktionen gegen kirchenkritische Filme oder sogar gegen Kioskbesitzerinnen und -besitzer, die erotische Zeitschriften verkaufen. Stanisław Burdziej stellte in seinem Beitrag in der katholischen Zeitschrift Więź das Phänomen Radio Maryja in den Kontext einer Zivilgesellschaft, die er als „Netz von Institutionen, Organisationen, Bewegungen, Vereinen und freiwilligen Nichtregierungsinitiativen, welche innerhalb eines demokratischen Staates funktionieren und deren Ziel das Allgemeinwohl ist“ definiert.137 Er zeigt, dass die Familie Radio Maryja ihren Mitgliedern die Möglichkeit sozialer Bindungen und Interaktionen anbiete. Auch der Begriff des Allgemeinwohls werde in verschiedenen Aussagen im Sender benutzt, jedoch in einem nationalistischen Verständnis, meist als das von außen, durch Fremde gefährdete Allgemeinwohl der polnischen Nation. Die offensichtlich vergemeinschaftende Wirkung des Senders auf seine Zuhörerinnen und Zuhörer, ihre freiwillige Anteilnahme in diesen außerstaatlichen Strukturen und das soziale Kapital der zwischenmenschlichen Bindungen ließen nach Burdziej die Überlegung aufkommen, ob das Verständnis einer Zivilgesellschaft selbst nicht allzu sehr ideologisiert werde, wenn man nur ausgesuchte politische oder religiöse Weltanschauungen im Kontext einer Zivilgesellschaft anerkennt und z.B. die zivilgesellschaftliche Wirkung von Radio Maryja verkennt. Er konstatiert:
133 Ebd., S. 118. 134 Ebd., S. 130. 135 Ebd., S. 120. 136 ANDRZEJ J. MADERA, Fenomen społeczno-polityczny Radia Maryja [Das gesellschaftlich-politische Phänomen Radio Maryja], in: Środkowoeuropejskie Studia Polityczne, Band 2, 2003, S. 79–100, hier S. 96. 137 BURDZIEJ, Radio Maryja a…, a.a.O., S. 20.
Katholische (Frauen-)Organisationen in Polen | 99
„Eine Million (bei vorsichtigen Schätzungen) der regulären Zuhörer von Radio Maryja wird manchmal als eine Armee der unausgebildeten Omas oder anderer ‚Transformationsabfälle‘ behandelt – nach Meinung mancher können solche Menschen aber gleichsam qua Definition keine Zivilgesellschaft bilden“.138
In einigen Beiträgen zum Thema Radio Maryja wird darauf hingewiesen, dass seine Zuhörerinnen und Zuhörer im neoliberalen Diskurs marginalisiert und teils im intellektuellen Diskurs als ungebildete Masse „orientalisiert“139 werden würden. Durch den gesellschaftlichen Ausschluss und die Stigmatisierung sei diese Gruppe paradoxerweise nicht nur populärer geworden, sondern wurde auch zu einer fundamentalistischen politischen Kraft, zu einer Basis der „religious right“.140 Diese Basis habe nach 1989 mithilfe des Senders Radio Maryja aus ihrer bisherigen Privatheit in Erscheinung treten können und dadurch eine Stimme erhalten.141 Eine besondere Macht der Familie Radio Maryja liegt laut Krzemiński in ihrer politischen Mobilisierbarkeit, die bei der allgemein niedrigeren Wahlbeteiligung in Polen umso wirksamer sei.142 Tatsächlich zeigt die CBOS-Umfrage aus dem Jahre 2011, dass 71 Prozent der Zuhörerinnen und Zuhörer von Radio Maryja und 66 Prozent derjenigen, die den Sender nicht hören, angaben, sich an den Präsidentschaftswahlen 2010 mit ihrer Stimme beteiligt zu haben (die tatsächliche Wahlbeteiligung betrug 55,31 Prozent). Für die Parlamentswahlen 2011 gaben 72 Prozent der Radio-Maryja-Anhängerinnen und -Anhänger und 58 Prozent der Nichtanhänger ihre Bereitschaft zur Wahlbeteiligung an; die tatsächliche Wahlbeteiligung lag bei 48,92 Prozent.143 Diese Zahlen zeigen, dass die Familie Radio
138 Ebd., S. 28. 139 MICHAŁ BUCHOWSKI, The Specter of Orientalism in Europe: From Exotic Other to Stigmatized Brother, in: Anthropological Quarterly, 79(3), 2006, S. 463–482. Vgl. auch die Kategorie „Überflüssige Menschen“ bei ANNA ZAWADZKA, Zarządcy frustracji [Die Frustverwalter], in: OSTOLSKI, ADAM (Hrsg.), Kościół, państwo i polityka płci, Warszawa, 2010, S. 53–64. 140 GRABOWSKA, Radio Maryja – polska…, a.a.O., S. 16. Vgl. auch BURDZIEJ, Radio Maryja a…, a.a.O; AGNIESZKA KOŚCIAŃSKA, Mohair Berets: The Development of Fundamentalism Within the Catholic in Poland., in: LUNDSKOW, GEORGE N. (Hrsg.), The sociology of religion. A substantive and transdisciplinary approach, Los Angeles, 2008, S. 363–365, hier S. 364. 141 Vgl. GRABOWSKA, Radio Maryja – polska…, a.a.O., S. 16. 142 Vgl. KRZEMIŃSKI, Czego nas uczy…, a.a.O., S. 11. 143 Vgl. Centrum Badania Opinii Społecznej CBOS, Dwadzieścia lat Radia…, a.a.O., S. 7–8.
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Maryja eine Gruppe von motivierten Wählerinnen und Wählern bildet, die bei den Wahlen im Durchschnitt aktiver ist. Die Analyse der Wahlpräferenzen der Zuhörerinnen und Zuhörer von Radio Maryja wiederum zeigt, dass sie meist Anhängerinnen und Anhänger der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit PIS mit dem Vorsitzenden Jarosław Kaczyński sind. So gaben im November 2011 (ein Jahr nach der Katastrophe von Smoleńsk) ca. 70 Prozent ihre Stimme für PIS und 14 Prozent an die Bürgerplattform PO. Interessant ist jedoch, dass im September und Oktober, noch vor den Parlamentswahlen, lediglich 40 Prozent dieser Gruppe die Stimmabgabe für PIS beabsichtigte. Laut Mirosława Grabowska zeigt dieses Wahlverhalten, dass sich insbesondere die unentschiedenen Zuhörerinnen und Zuhörer kurz vor den Wahlen für PIS entschieden haben.144 Im CBOS-Bericht wird darauf verwiesen, dass es sich bei diesen Entwicklungen lediglich um Tendenzen handle: „[…] bei allen analysierten Wahlen ist auch geschehen, dass ein Teil von Zuhörer des Radio Maryja anders als die Mehrheit dieses Milieus stimmte. 2007 unterstützte ‚nur‘ etwas mehr als die Hälfte PIS, was heißt, dass beinahe die Hälfte anders stimmte, davon 11 Prozent für PO. In den Präsidentschaftsstichwahlen 2010 stimmte ein Drittel für Bronisław Komorowski und gegenwärtig [2011 J.S.] vertraut ihm zwei Drittel. In den diesjährigen Parlamentswahlen unterstützten 70 Prozent der Zuhörer von Radio Maryja PIS, aber 14 Prozent gaben zu, auf PO gestimmt zu haben“.145
Laut Grabowska besitzen die Zuhörerinnen und Zuhörer von Radio Maryja zwar ihre eigenen politischen Präferenzen unabhängig vom Sender, diesem gelingt es jedoch, sie zur Wahlbeteiligung zu mobilisieren und zu suggerieren, wen sie wählen sollten.146 Obwohl durch die Bezeichnung „Mohairmützen“ der Eindruck entsteht, dass es sich hier hauptsächlich um ein von älteren Frauen gehörtes Radio handeln würde, zeigen die Statistiken, dass zwar tatsächlich mehr Frauen als Männer diesem Sender folgen, der Unterschied jedoch nicht so groß ist. 2011 waren 61 Prozent der Hörerschaft von Radio Maryja Frauen, 2013 sank der Anteil auf 53,9 Prozent. 147 Evident ist allerdings, dass Radio Maryja insbesondere von älteren
144 Vgl. ebd., S. 9. 145 Ebd., S. 11. 146 Vgl. GRABOWSKA, Radio Maryja – polska…, a.a.O., S. 15. 147 Vgl. Centrum Badania Opinii Społecznej CBOS, Dwadzieścia lat Radia…, a.a.O., S. 5; WIRTUALNEMEDIA.PL, Kto słucha Radia Maryja? [Wer hört Radio Maryja?], 2013, www.wirtualnemedia.pl/artykul/kto-slucha-radia-maryja (abgerufen am 15.10.2016).
Katholische (Frauen-)Organisationen in Polen | 101
Menschen gehört wird: 2011 waren 69 Prozent der Hörerinnen und Hörer über 55 Jahre alt. Mit höherem Alter steigt ohnehin der Frauenanteil in den Alterskohorten. Bei der genaueren Betrachtung dieser Zahlen relativiert sich die Mehrheit der weiblichen Zuhörerinnen des Radios, man kann daher nicht von einem Radio der älteren Damen sprechen. Da es sich hier, wie angemerkt, um eine fundamentalistische Bewegung der „catholic rights“ mit dem männlichen Anführer Pater Rydzyk und nicht um eine Frauenbewegung handelt, habe ich das Phänomen Radio Maryja nicht zum Gegenstand meiner Untersuchung gemacht. Allerdings gehe ich im Zusammenhang mit dem polnischen Marienkult nochmals auf die Zuhörerinnen des Senders ein, um zu überprüfen, ob es sich bei diesen Frauen um die von Agnieszka Kościańska festgestellte „power of silence“148 handelt, d.h. ob die Stille und Bescheidenheit der religiösen Frauen tatsächlich eine Art Stärke ist, und um nachzuvollziehen, wie diese Frauen den Marienkult interpretieren.
148 KOŚCIAŃSKA, The “power of…, a.a.O.
5
Zwischen Identitätsbildung, Abgrenzung und Repräsentationsanspruch – katholische (Frauen-)Organisationen im Verhältnis zum polnischen Feminismus der zweiten Welle am Beispiel ausgewählter Debatten der 1990er Jahre
Laut Gesine Fuchs entwickelte sich die zweite Welle der polnischen Frauenbewegung ab 1989 von einem zunächst eher wenig medienwirksamen „Frauenmilieu“ zu Beginn der 1990er Jahre zu einer immer stärker werdenden zivilgesellschaftlichen Frauenbewegung, die mit Gründungen verschiedener Frauen-Nichtregierungsorganisationen einherging. Die polnische Frauenbewegung wurde politisch insbesondere im Rahmen der 1993 geführten Debatten um das Abtreibungsgesetz sowie im Zuge der Vierten Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking aktiv und zeigte dabei verstärkt ein an die internationale Gleichstellungspolitik anknüpfendes frauenrechtlerisches Profil. So wurden diese Debatten zum Mobilisierungsfaktor für die polnische Frauenbewegung.1 Diese Mobilisierung traf, wie bereits dargestellt, auch auf katholische (Frauen-)Organisationen zu: Der PZKK initiierte 1995 die „informelle Bewegung“2 FKK, deren Rolle als Gegenaktion und Gegengewicht zu den Aktivitäten der polnischen Frauenbewegung der zweiten Welle beschrieben werden kann. Das bestätigt Ewa Kowalewska, die spätere Vorsitzende einer aus dieser „Bewegung“ hervorgegangenen Dachorganisation der pro-life-Gruppen, des FKP, 2007 in einem List-do-Pani-Artikel explizit damit, dass sie sagt, ihre
1
Vgl. FUCHS, Die Zivilgesellschaft mitgestalten…, a.a.O.
2
PETROWA-WASILEWICZ, Leksykon ruchów i…, a.a.O., S. 338.
104 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
Organisation sei „auf einer Gegenwelle zu den radikalen Feministinnen“3 entstanden. Es zeigt sich also, dass die Identitätsbildung der katholischen (Frauen-)Organisationen in hohem Maße durch die Abgrenzung von und die Konfrontation mit dem polnischen Feminismus nach 1989 bestimmt gewesen ist, während sie ihre Legitimation selbst aus dem Fakt der Gegenbewegung beziehen. Der Fokus ihrer Aktivitäten ist somit primär von den Aktivitäten der feministischen Organisationen bestimmt. Ein weiterer Aspekt, der bei der Analyse der katholischen (Frauen-)Organisationen deutlich wurde, ist die Frage der Repräsentation der polnischen Frauen: Diese Frage ist ebenfalls im Zusammenhang der Abgrenzung von und Konfrontation mit dem Feminismus nach 1989 zu sehen.4 Katholische (Frauen-)Organisation erheben im Diskurs immer wieder den Vorwurf, dass Feministinnen das Recht auf Repräsentation polnischer Frauen für sich beanspruchen – gleichzeitig beanspruchen die katholischen Organisationen dieses Recht aber selbst für sich.5 Somit
3
PETROWA-WASILEWICZ, Nowy feminizm…, a.a.O., S. 12.
4
Eine interessante Analyse der Identitäts- und Repräsentationsfragen der polnischen Nichtregierungsorganisationen im Vorfeld der Vierten Weltfrauenkonferenz in Verbindung mit dem räumlichen Konzept von Scales liefert Jennifer Ramme, vgl. JENNIFER RAMME, Das Spiel mit den Scales - Strategien der Interessenvertretung am Beispiel der KARAT-Koalition. Polnische Akteure auf der 4. Weltfrauen-Konferenz der Vereinten Nationen und dem NGO-Begleitforum 1995 in Beijing (unveröffentlicht). Siehe auch das laufende Forschungsprojekt von Jennifer Ramme an der Europa-Universität Viadrina: Strittige Geschlechterordnungen. Feministische Bewegung in räumlichen Kategorien.
5
Vgl. z.B. Nowy feminizm [Neuer Feminismus], in: List do Pani, 03 (142), 2006, S. 8– 9; ALINA PETROWA-WASILEWICZ, O nas bez nas – tym razem o emeryturach [Über uns ohne uns – diesmal über die Renten], in: List do Pani, 3 (202), 2012, S. 16; KASIA PLIS, O feministycznym salonie i tradycyjnym zaścianku [Über den feministischen Salon und die traditionelle Spießbürgerlichkeit], in: List do Pani, 12/1 (180), 2009 - 2010, S. 42– 43; POLSKI ZWIĄZEK ZWYKŁYCH KOBIET, Tekst oświadczenia wystosowanego wspólnie przez Instytut Edukacji Obywatelskiej i Promowania Kobiet oraz Polski Związek Zwykłych Kobiet [Text der gemeinsamen Erklärung des Instituts für die Bürgerschaftliche Bildung und Frauenförderung und des Polnischen Verbands Gewöhnlicher Frauen], in: List do Pani, H. 3, 1993, S. 3. Über die vermeintliche Manipulation der Polinnen durch die feministische „Ideologie“ z.B. ANNA PRZYBOROWSKA, Manipulowanie świadomością kobiety [Die Manipulation mit dem Bewusstsein der Frau], in: List do Pani, 12/23, 1995, S. 7–8; MARIA WILCZEK, Sytuacja kobiet w Polsce (2) [Die Situation der Frauen in Polen (2)], in: List do Pani, 3 (122), 2004, S. 8–9; ZOFIA
Zwischen Identitätsbildung, Abgrenzung und Repräsentationsanspruch | 105
konstruieren sie ein Subjekt der „polnischen Frauen“ als vermeintliche Zielgruppe der Feministinnen, obwohl, wie Anna Titkow ausführt, kein Gruppeninteresse „der Polinnen“, bzw. keine kollektive Identität existiert, die es zu repräsentieren gäbe. Vielmehr könne man, so Titkow, über eine im „familienzentrischen Individualismus gefangene Identität“6 von Frauen in Polen sprechen. Die Frage einer Frauenidentität oder eines Frauensubjekts ist im polnischen Feminismus stark umstritten und die Existenz eines weiblichen Subjekts wird generell in Frage gestellt.7 Die Ablehnung des Subjektbegriffs bedeutet jedoch nicht, dass in einer politischen Strategie auf das Subjekt Frau nicht zurückgegriffen werden könne. Nur müsse die Konstruiertheit und strategische Verwendung dieses vermeintlichen Subjekts stets bewusst bleiben, und dass es sich hier um ein subversives Spiel mit der Kategorie des Subjektes und seiner Umdeutung handle.8 Die feministischen Organisationen interpretierten nach 1989 die Subjekthaftigkeit der Frau strategisch als
ZDYBICKA, Czy Polsce zagraża feminizm? [Droht in Polen der Feminismus?], in: List do Pani, 1995, 7/28 Juli-August, S. 8. 6
ANNA TITKOW, Tożsamość polskich kobiet. Ciągłość, zmiana, konteksty [Die Identität von polnischen Frauen. Kontinuität, Änderung und Kontexte], Warszawa, 2007, S. 283.
7
Vgl. z.B. GĘBAROWSKA, „Kobiety“ jako zbiorowy podmiot ruchu feministycznego w Polsce. Polemika z Partią Kobiet i Kongresem Kobiet Polskich [„Frauen“ als kollektives Subjekt der feministischen Bewegung in Polen. Eine Polemik gegen die Frauenpartei und den Frauenkongress], in: PIERZCHALSKI, FILIP; SMYCZYŃSKA, KATARZYNA;
SZATLACH, MARIA EWA u. a. (Hrsg.), Feminizm po polsku, a.a.O; MIZIELIŃSKA,
(De)Konstrukcje kobiecości…, a.a.O. Durch die Infragestellung des Subjektbegriffs im Sinne eines weiblichen Subjekts lehnt sich der polnische Feminismus aktiv an die Theorie Judith Butlers an, welche in Polen politisch und nicht als bloße Theorie rezipiert wurde. So wies Bożena Chołuj 2013 darauf hin, dass die Frauenbewegung in Polen einer „subjektlosen Politik“ gefolgt sei, dadurch sei der Butlersche Ansatz zeitlich vorweggenommen worden und umgesetzt, noch bevor die polnische Übersetzung von „Gender Trouble“ erschien, vgl. BOŻENA CHOŁUJ, Gender traveling zwischen Wissenschaft und Literatur in Polen. Vortrag auf der Jahrestagung der Leibniz Graduate School for Cultures „Geschlecht und Wissen(schaft) in Ostmitteleuropa“, Marburg, 2013. 8
Vgl. GĘBAROWSKA, „Kobiety“ jako zbiorowy podmiot ruchu feministycznego w Polsce. Polemika z Partią Kobiet i Kongresem Kobiet Polskich [„Frauen“ als kollektives Subjekt der feministischen Bewegung in Polen. Eine Polemik gegen die Frauenpartei und den Frauenkongress], in: PIERZCHALSKI, FILIP; SMYCZYŃSKA, KATARZYNA; SZATLACH, MARIA EWA u. a. (Hrsg.), Feminizm po polsku, a.a.O., S. 198; MIZIELIŃSKA, (De)Konstrukcje
kobiecości…, a.a.O., S. 22.
106 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
etwas, das ihr das Recht auf persönliche Freiheit und Selbstbestimmung gibt, im Sinne der Menschenrechte und der vom Geschlecht unabhängigen Gleichheit.9 Im Gegensatz zum Subjekt-Skeptizismus der zweiten Welle der polnischen Frauenbewegung heben sowohl der PZKK als auch das FKP in ihren Stellungnahmen wiederholt das Subjekt einer „polnischen katholischen Frau“ hervor und schreiben sich in ihrem Namen z.B. in den Anti-Abtreibung-Diskurs ein. Indem diese Organisationen im Namen der „katholischen Frauen“ sprechen und dadurch ein Subjekt konstruieren, schließen sie Frauen aus, die diesem Subjekt nicht entsprechen, wie z.B. Katholikinnen, die für das Recht auf Abtreibung sind. Die Frage der Repräsentation wird hier zu einem Instrumentarium der Macht über die Entscheidung, wer überhaupt katholisch sei. In diesem Sinne trifft hier das zu, was Gayatri Chakravorty Spivak in ihrem Essay Can subalterns speak feststellt: Dass die Repräsentierten nicht sprechen können, wenn sie repräsentiert werden – sie werden gerade durch den Repräsentationsanspruch der Anderen ihres Subjekts beraubt, bzw. das Subjekt werde zu Repräsentationszwecken konstruiert.10 Der Repräsentationsanspruch, der in Anlehnung an Judith Butler als eine „performative Äußerung“11 betrachtet werden kann, unterstützt den Prozess der Identitätskonstruktion der katholischen (Frauen-)Organisationen: Indem sie sich selbst zur Repräsentation katholischer Polinnen aufschwingen und dadurch eine Autorität beanspruchen, gewinnen sie an Identität. Laut Butler beschreibt eine Anrufung oder performative Äußerung keinen Ist-Zustand, sondern versucht „eine Realität einzuführen“.12 An ihr wird so der Prozess der Konstruktion einer solchen Repräsentation und mit ihr auch die Identität der katholischen (Frauen-)Organisationen evident. Die Konstruktion eines zu repräsentierenden Subjekts der katholischen Frau wurde durch katholische (Frauen-)Organisationen insbesondere in den Auseinandersetzungen um das Abtreibungsrecht und die Weltfrauenkonferenz in Peking
9
Vgl. FUCHS, Die Zivilgesellschaft mitgestalten…, a.a.O., S. 293; MALINOWSKA, Feminizm europejski. Demokracja…, a.a.O., S. 178. Malinowska schreibt dazu: „Das Zuerkennen der Subjekthaftigkeit ist die ‚Erzeugung eines Freiheitsraumes für ein Individuum‘ […]. Laut diesem Konzept sollen alle Subjekte als menschliche Individuen und Bürger einer demokratischen Gesellschaft den gleichen sozialen Status haben, unabhängig vom Geschlecht“, MALINOWSKA, Feminizm europejski. Demokracja…, a.a.O., S. 178.
10 Vgl. GAYATRI CHAKRAVORTY SPIVAK, Can the subaltern speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation, Wien, 2011, S. 21–41. 11 JUDITH BUTLER, Haß spricht. Zur Politik des Performativen, Berlin, 2013, S. 249. 12 Ebd., S. 59.
Zwischen Identitätsbildung, Abgrenzung und Repräsentationsanspruch | 107
einerseits benutzt, um, legitimiert durch die Autorität der Repräsentation der katholischen Frauen, in der Debatte zum Abtreibungsrecht die offizielle Lehre der katholischen Kirche zu vertreten. Katholikinnen mit einem pro-choice-Standpunkt verortete man dabei allerdings jenseits des katholischen Diskurses. Andererseits wurde diese Strategie angewendet, um, als Repräsentantinnen der „katholischen Frauen“, u.a. während der Weltfrauenkonferenz zu bezeugen, dass polnische Frauen – entgegen der Aussagen in feministischen Berichten – nicht diskriminiert werden, sondern aufgrund der national-katholischen Tradition besonders verehrt werden.
5.1 DER KATHOLISCHE DISKURS ÜBER REPRODUKTIVE RECHTE ALS IDENTITÄTSSTIFTENDE KONFRONTATION MIT DER ZWEITEN WELLE DER POLNISCHEN FRAUENBEWEGUNG Zu Beginn der vorliegenden Arbeit wurde herausgearbeitet, dass eine Neue Katholische Frauenbewegung sich durch eine Verbindung von katholischem und feministischem Denkstil auszeichnen müsse, indem die katholische Lehre mit ihrer Geschlechterordnung nicht mehr als Dogma hingenommen, sondern einer Revision bzw. Diskussion unterzogen wird. Somit wäre die katholische Lehre auch bezüglich der reproduktiven Rechte und insbesondere der Abtreibungsfrage grundsätzlich diskutierbar. In Polen wurde die Anti-Abtreibungs-Haltung im Diskurs der katholischen Amtskirche aber sehr deutlich „zum einzigen Kriterium des Katholischseins gemacht“. 13 Im Kampf der Kirche gegen die reproduktiven Rechte spielen die polnischen katholischen (Frauen-)Organisationen eine bedeutende Rolle: Sie folgen treu der Lehre der katholischen Kirche und positionieren sich als Stimme der polnischen (katholischen) Frauen gegen ein reformiertes Abtreibungsrecht, künstliche Verhütungsmethoden oder Sexualkundeunterricht in den Schulen. In ihrem Diskurs wird die pro-life-Einstellung nicht nur zum Maßstab des Katholisch-Seins, sondern auch des Frau-Seins schlechthin erhoben, denn eine Frau müsse allein qua ihrer Berufung zur Mutterschaft pro-life sein. Das prolife-Engagement der katholischen (Frauen-)Organisationen wirkt dabei identitätsstiftend – die Identität wird durch die Konfrontation mit dem pro-choice-Feminismus erzeugt. Die katholischen Organisationen handeln als eine katholische prolife-Bewegung, dennoch bezeichnen sie sich selbst, wie bereits am Beispiel des 13 SCHÜSSLER FIORENZA, Welche Kirche brauchen…, a.a.O., S. 44.
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FKP dargestellt, auch als eine katholische Frauenbewegung, weil sie das pro-lifeEngagement als Engagement für Frauen begreifen. In diesem Sinne entsprechen sie jedoch nicht der gegebenen Definition einer Neuen Katholischen Frauenbewegung, welche die katholische Lehre und ihre Dogmen einer kritischen Diskussion unterziehen müsste. 5.1.1 Zur Geschichte des Abtreibungsgesetzes von 1993 Bereits im März 1989, drei Monate vor den ersten demokratischen Parlamentswahlen legten konservative Abgeordnete des Polnischen Katholischen Sozialverbandes (Polski Związek Katolicko-Społeczny) im Sejm einen Gesetzesentwurf zum Abtreibungsverbot vor. An der Vorbereitung des Entwurfs, der im Falle einer Abtreibung eine dreijährige Freiheitsstrafe für die betroffene Frau und eine fünfjährige Freiheitsstrafe für den die Abtreibung durchführenden Arzt vorsah, waren Experten für Familienfragen des polnischen Episkopats beteiligt. Das Gesetz konnte letztendlich in der Amtszeit des Sejms nicht mehr verabschiedet werden, da im Juni Neuwahlen stattfanden.14 Nach dem Wahlsieg der Solidarność drängte der Episkopat erneut auf Einschränkungen im Abtreibungsrecht.15
14 Vgl. MIROSŁAW CHAŁUBIŃSKI (HRSG.), Polityka i aborcja. Praca zbiorowa [Politik und Abtreibung. Eine Gemeinschaftsarbeit], Warszawa, 1994; AGATA CHEŁSTOWSKA, Krótka historia aborcji [Eine kurze Geschichte der Abtreibung], in: CZERWIŃSKA, ANNA; PIOTROWSKA, JOANNA (Hrsg.), Raport 20 lat – 20 zmian. Kobiety w Polsce w okresie transformacji 1989-2009, Warszawa, 2009, S. 11–30; HEINEN, MATUCHNIAKKRASUSKA, ADAMUS-DARCZEWSKA, Aborcja w Polsce…, a.a.O; HANNA JANKOWSKA,
Abortion, Church and Politics in Poland, in: Feminist Review, H. 39, 1991, S.
174–181; NOWICKA, Roman Catholic Fundamentalism…, a.a.O; ELEONORA ZIELIŃSKA, Chapter 1. Between Ideology, Politics, and Common Sense: The Discourse of Reproductive Rights in Poland, in: GAL, SUSAN; KLIGMAN, GAIL (Hrsg.), Reproducing gender. Politics, publics, and everyday life after socialism, Princeton, 2000, S. 23–57. 15 Im Falle der Solidarność ist es wichtig zu betonen, dass 1990 die Verschärfung des Abtreibungsrechts auf der Zweiten Vollversammlung der Solidarność beschlossen wurde, wo nur zehn Prozent der Delegierten Frauen waren, obwohl sie die Hälfte aller Mitglieder der Solidarność ausmachten. Die 1989 auf Druck der International Confederation of Free Trade Unions (ICFTU) gegründete Frauenkommission protestierte gegen diesen Beschluss, insbesondere da sie vorher nicht konsultiert wurde. Die Aktivität der Frauenkommission gefiel den männlichen Anführern der Solidarność nicht, die Frauen aus der Kommission durften die Solidarność beispielsweise nicht im Ausland
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Im Dezember 1989 brachte in der zweiten Kammer des polnischen Parlaments, dem Senat, eine Gruppe von Senatoren eine Gesetzesinitiative ein, die zwar keine Bestrafung der Frau im Falle der Abtreibung vorsah, jedoch die Androhung einer dreijährigen Freiheitsstrafe gegenüber denen beinhaltete, die Abtreibungen durchführen oder dabei helfen.16 Eine Abtreibung sei nur erlaubt, wenn das Leben der Frau gefährdet ist. Wenn die Schwangerschaft aufgrund eines Verbrechens zustande gekommen sei (z.B. durch Vergewaltigung oder Inzest), solle dafür nicht das Kind „bestraft“ werden.17 Mit einigen Änderungen wurde die Gesetzesvorlage dann durch den Senat im September 1990 angenommen: Die Abtreibung sollte im Falle einer durch ein Verbrechen erfolgten Schwangerschaft sowie bei einer medizinischen Indikation erlaubt sein und die Strafe für die durchführenden oder dabei helfenden Personen wurde auf zwei Jahre reduziert. Der Senat stimmte für die Initiative, obwohl diese durch die Senatskomission für Menschenrechte zuvor abgelehnt worden war und die Abstimmung von Gegendemonstrationen feministischer und linker Gruppen begleitet wurde.18 Laut Hanna Jankowska führte u.a. die Einmischung des polnischen Papstes Johannes Pauls II., der mehrmals seine Landsleute zum Schutz des „ungeborenen Lebens“ aufforderte, zur Zustimmung des Senats: Der Eindruck sei entstanden, dass die polnischen, konservativen Entscheidungsträger mit dem restriktiven Gesetz dem Papst ein „Geschenk“ machen wollten. Jankowska schreibt: „The Pope paid tribute to the decision of the Senate and stressed once more his concern for ,unborn life‘. It confirmed rumours that the parliament intends to promulgate the Unborn Child Protection Bill as a gift to him. And in fact, Vatican sources affirmed it. Dominik Morawski wrote from the Vatican (Solidarność, No. 43, 26 October 1990): ,The issue of antiabortion law proposal is treated here in a more serious way than some circles in Poland can imagine, I mean those circles which make it a matter of political manipulation. I am
repräsentieren, da ihnen „das moralische Rückgrat“ fehlen würde. Die Frauenkommission wurde 1991 aufgelöst. Vgl. CHEŁSTOWSKA, Krótka historia aborcji…, a.a.O; SHANA PENN, HANNA JANKOWSKA, MARIA JANION, Podziemie kobiet [Der Frauenuntergrund], Warszawa, 2003; PEGGY WATSON, The Rise of Masculinism in Eastern Europe, in: New Left Review, H. 198, 1993, S. 71–82. 16 Es handelte sich um 37 Senatoren, angeführt durch Walerian Piotrowski, vgl. JANKOWSKA, Abortion, Church and…, a.a.O., S. 177. 17 Vgl. ebd. 18 So stimmten 50 Abgeordnete für das Gesetz, 17 dagegen und fünf enthielten sich, vgl. ebd.
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entitled to believe that the visit of John Paul II to Poland in June next year may be cancelled if the matter is not resolved in a favourable way before spring 1991.‘“19
Die Arbeiten am Gesetz wurden im Januar 1991 im Sejm fortgesetzt, es wurde dafür eine Außerordentliche Kommission für die Vorbereitung des Abtreibungsgesetzes berufen.20 Darüber hinaus wurden sogenannte soziale Konsultationen initiiert – so konnten im Zeitraum 15.02.-31.03.1991 alle Bürgerinnen und Bürger sowie Organisationen ihre Meinungen zur Frage der Abtreibung gegenüber dem Sejm kundtun.21 Józefa Hennelowa, eine als Expertin an der Kommission beteiligte katholische Intellektuelle, erinnerte sich 2012 an die damalige Arbeitsatmosphäre und die Spannungen, insbesondere an den Druck seitens der katholischen Kirche.22 Hennelowa setzte sich damals gemeinsam mit einem anderen an der Kommission beteiligten katholischen Intellektuellen, Aleksander Wielowieyski, für die Ergänzung des Abtreibungsgesetzes um die soziale Indikation ein, nach Inanspruchnahme eines soziales Beratungsangebot durch die schwangere Frau (ähnlich dem deutschen Modell); diese Ergänzung wurde letztendlich abgelehnt. Eine große Bedeutung habe dabei der Polen-Besuch von Papst Johannes Paul II. im Juni 1991 gespielt. Zu dem geplanten „Geschenk“ für den Papst im Sinne eines restriktiven Abtreibungsrechts kam es jedoch nicht, da die Arbeiten am Gesetz nicht abgeschlossen wurden. Noch vor dem Papstbesuch wurde ein liberaler Gesetzesentwurf zur Abtreibung durch die postkommunistische Partei SLD eingebracht. Wo-
19 Ebd., S. 178. 20 Dabei stimmten 213 Abgeordnete für die weitere Arbeit am Gesetz, 124 waren dagegen. Zur Zusammensetzung der Außerordentlichen Kommission schreibt Jankowska: „The commission consists of 46 persons, 50% women, 20 of whom are of the pro-choice lobby (among them 68% women), 24 from pro-life (among them 33% women), two of unknown attitude“, ebd., S. 179. 21 Vgl. ebd. Hier zeigt sich ein großes Engagement der katholischen Kirche und der Geistlichen in Polen; es wurden Unterschriften für die Verschärfung des Abtreibungsrechtes u.a. in den Kirchengemeinden oder während des Religionsunterrichts gesammelt, Vgl. KRZYSZTOF KOWALCZYK, Partie i ugrupowania parlamentarne wobec Kościoła katolickiego w Polsce w latach 1989-2011 [Parteien und parlamentarische Gruppen gegenüber der katholischen Kirche in Polen 1989-2011], Szczecin, 2012. 22 Vgl. JÓZEFA HENNELOWA, Otwarty bo powszechny. O Kościele, który może boleć [Offen, weil gemeinschaftlich. Über Kirche, die weh tun kann], Kraków, 2012, S. 95– 122.
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raufhin, so Hennelowa, die weiteren Arbeiten am Gesetz durch den Sejm eingefroren wurden, „damit während der päpstlichen Pilgerfahrt kein ‚Krieg um Abtreibung‘ herrscht“.23 Der Papst zeigte allerdings während des Heimatbesuchs ganz deutlich, welche Erwartungen er an seine Landsleute hat und sprach sich in seiner Predigt bei Kielce ausdrücklich gegen Abtreibung aus.24 Hennelowa merkt an, der Papst setze sich für jedes Leben ein, weshalb er eine Abtreibung auch im Falle einer medizinischen Indikation und im Falle einer Schwangerschaft aufgrund eines Verbrechens ablehnen würde. Somit sei der zu diesem Zeitpunkt im Sejm diskutierte Gesetzesentwurf, welcher eine Abtreibung in den aufgeführten Fällen zulasse, nicht weitreichend genug für den polnischen Papst gewesen.25 Noch während der öffentlichen Diskussion entstand bei den Gegnerinnen und Gegnern des Abtreibungsverbotes die Idee einer Volksabstimmung, was rasch auf starke Kritik des Episkopats stieß.26 Jeweils im März 1991 und 1992 legten Abgeordnete linker Parteien den Entwurf einer Volksabstimmung vor, der jedoch vom Sejm abgelehnt wurde. Abgelehnt wurde ebenso ein Gesetzesentwurf zur Abtreibung, der durch die Parlamentarische Frauengruppe (Parlamentarna Grupa Kobiet) mit Unterstützung linker Abgeordneter im März 1992 vorgelegt wurde und der die Abtreibung auch bei einer sozialen Indikation straffrei stellte und die Einführung von Sexualkunde sowie den freien Zugang zu Verhütungsmitteln vorsah. Stattdessen wurde ein zur gleichen Zeit eingereichter, restriktiver Gesetzesentwurf der rechtskonservativen Parteien in den zuständigen Parlamentsausschuss verwiesen. Gemäß diesem Entwurf sollte jedes Leben von der Empfängnis an geschützt werden, einer die Abtreibung durchführenden Person eine zweijährige Freiheitsstrafe drohen, wenn keine medizinische Indikation vorliegt. Sexualkundeunterricht an Schulen sollte nicht stattfinden, stattdessen Unterricht in bewusster Elternschaft.27 Aufgrund der Weiterleitung dieses restriktiven Entwurfs an den Ausschuss legten die Befürworterinnen und Befürworter eines liberalen Abtreibungsrechts im November 1992 einen dritten Entwurf für eine Volksabstimmung im Sejm vor, der aber ebenfalls abgelehnt wurde. Daraufhin verstärkte sich der
23 Ebd., S. 106. 24 Vgl. ebd., S. 103. 25 Vgl. ebd., S. 104. 26 Vgl. AGATA CHEŁSTOWSKA, MAŁGORZATA DRUCIAREK, JACEK KUCHARCZYK (HRSG.), Relacje Państwo-Kościół w…, a.a.O., S. 82; KOWALCZYK, Partie i ugrupowania…, a.a.O., S. 289. 27 Vgl. AGATA CHEŁSTOWSKA, MAŁGORZATA DRUCIAREK, JACEK KUCHARCZYK (HRSG.), Relacje Państwo-Kościół w…, a.a.O., S. 82; ZIELIŃSKA, Chapter 1. Between…, a.a.O., S. 31.
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öffentliche Protest gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts, was mit der Gründung eines Komitees im Rahmen einer Bürgerinitiative zur Durchführung der Volksabstimmung in der Abtreibungsfrage organisatorisch unterstützt wurde. Die mehr als 1,3 Millionen Unterschriften für die Volksabstimmung wurden jedoch durch den Sejm nicht beachtet. Der Sejm folgte hier dem polnischen Episkopat, der diese Volksabstimmung strikt ablehnte mit der Begründung, die Frage der Abtreibung sei nicht verhandelbar: „Es gibt Werte, die keiner plebiszitären Abstimmung unterliegen – keine Volksabstimmung ist imstande, Rassismus, Gewalt, Diebstahl oder Terror gutzuheißen.“28 Abtreibung wurde also mit Rassismus oder Terror gleichgesetzt. Am 7. Januar 1993 wurde der rechts-konservative Gesetzesentwurf als Gesetz zur Familienplanung, zum Schutz des menschlichen Fötus und zu Voraussetzungen des Schwangerschaftsabbruchs (Ustawa o planowaniu rodziny, ochronie płodu ludzkiego i warunkach dopuszczalności przerywania ciąży), welches bis heute in Kraft ist, angenommen. Demnach ist eine Abtreibung in drei Fällen zulässig: Wenn Gesundheit und Leben der Mutter in Gefahr sind, wenn pränatale Untersuchungen eine unheilbare Beschädigung oder Erkrankung des Fötus zeigen oder wenn die Schwangerschaft aufgrund eines Verbrechens entstanden ist. Darüber hinaus verpflichtet das Gesetz den Staat, seinen Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu Verhütungsmitteln zu ermöglichen sowie zur Einführung des Sexualkundeunterrichts an Schulen.29 Bereits 1994 scheiterte der erste Versuch zur Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes am Veto des damaligen Präsidenten Lech Wałęsa. Eine liberalisierende Erweiterung des Gesetzes folgte 1996, als die damalige Regierungskoalition aus der postkommunistischen SLD und der PSL das Abtreibungsgesetz um die soziale Indikation erweiterte. Eine Abtreibung wurde nach Konsultationen mit zwei Ärzten, einer Stellungnahme der schwangeren Frau und drei Tagen Bedenkzeit als legitim erachtet. Allerdings galt es nur ein Jahr lang, denn 1997 wurde es durch das polnische Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt.30 In diesem Jahr
28 Zitiert
nach
AGATA
CHEŁSTOWSKA,
MAŁGORZATA
DRUCIAREK,
JACEK
KUCHARCZYK (HRSG.), Relacje Państwo-Kościół w…, a.a.O., S. 85. 29 Vgl. ebd., S. 83. In diesem Sinne sollte das Gesetz einen Kompromiss darstellen, denn es ist nicht so restriktiv, wie rechts-konservative Parteien und die katholische Kirche forderten; aus Sicht der pro-choice-Gruppen bedeutet es allerdings weiterhin die Einschränkung des Abtreibungsrechts. 30 Vgl. WANDA NOWICKA, Prawa reprodukcyjne w Polsce [Die reproduktiven Rechte in Polen], in: OCKRENT, CHRISTINE; TREINER, SANDRINE; BARTKIEWICZ, KATARZYNA (Hrsg.), Czarna księga kobiet, Warszawa, 2010, S. 663–679.
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besuchte Papst Johannes Paul II. erneut seine polnische Heimat und das revidierende Urteil wurde erneut zu einem „Geschenk“ an den Papst, wie einige rechtskonservative Politiker offen zugaben.31 Der Papst bedankte sich in seiner Predigt in Kalisz bei den pro-life-orientierten Gruppen, Institutionen und Privatpersonen für ihre Haltung und würdigte deren „Beitrag für den Bau einer Zivilisation der Liebe“.32 Es wurden wiederholt Versuche unternommen, sowohl zur Verschärfung als auch zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts, aber das Gesetz ist in der bisherigen Fassung unverändert geblieben.33 Allerdings nur auf theoretischer Ebene, denn praktisch wird das als „Kompromiss“ gedachte Gesetz nicht eingehalten. Die Sexualkunde wurde bis heute nicht eingeführt und der Zugang zu pränatalen Untersuchungen oder zu Verhütungsmitteln ist weiterhin erschwert. Die Folgen des restriktiven Gesetzes sind u.a. hohe Zahlen illegaler Abtreibungen in Polen und Abtreibungstourismus.34 Auch das Vorliegen einer gesetzlich erlaubten Indikation
31 Vgl. AGATA CHEŁSTOWSKA, MAŁGORZATA DRUCIAREK, JACEK KUCHARCZYK (HRSG.), Relacje Państwo-Kościół w…, a.a.O., S. 87. 32 Zitiert nach ebd., S. 88. 33 So wurde z.B. 2012 die Gesetzesinitiative der rechts-konservativen Partei Solidarisches Polen (Solidarna Polska), die eine Abtreibung aufgrund von Krankheit oder Beschädigung des Fötus verbat, zunächst zu weiteren Arbeiten zugelassen, bevor sie letztendlich abgelehnt wurde. Eine gleichzeitige Gesetzesinitiative der Partei Bewegung Palikot (Ruch Palikota) zur Liberalisierung des Gesetzes – mit einer Möglichkeit der Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche – wurde sofort abgelehnt. Neben den Versuchen der Gesetzesänderung wurden ebenfalls Versuche der Verfassungsänderung unternommen, um damit den Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum Tod zu bewirken. Z.B. legten 2007 die rechts-konservativen Parteien einen Änderungsentwurf vor, der letztendlich abgelehnt wurde (vorgelegt durch 155 Abgeordnete der Parteien Recht und Gerechtigkeit PIS (Prawo i Sprawiedliwość), Liga der Polnischen Familien LPR (Liga Polskich Rodzin), Selbstverteidigung (Samoobrona) und Polnische VolksparteiPSL (Polskie Stronnictwo Ludowe). 2013 gelang es einer Initiative von pro-life-Gruppen ca. 480.000 Unterschriften für einen Gesetzentwurf zu sammeln, der eine Abtreibung aufgrund einer medizinischen Indikation verbot, dieser wurde vom Sejm zunächst in die Kommission weitergeleitet, dann letztlich abgelehnt. Eine zeitgleiche pro-choice-Initiative feministischer Nichtregierungsorganisationen sammelte lediglich 30.000 Unterschriften. 34 Vgl. FEDERACJA NA RZECZ KOBIET I PLANOWANIA RODZINY, 20 lat tzw. ustawy antyaborcyjnej w Polsce. Raport 2013 [20 Jahre des sogenannten Anti-Abtreibungsgesetzes in Polen. Bericht 2013], 2013.
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ist keine Garantie für Schwangere, dass ihr Recht auf Schwangerschaftsabbruch umgesetzt wird.35 Umfragen der Folgejahre zeigen eine sinkende Befürwortung der Abtreibung und eine steigende Akzeptanz des geltenden Abtreibungsrechts: Während 2009 noch 31 Prozent der Bevölkerung eine Abtreibung akzeptierten, waren es 2013 nur noch 27 Prozent.36 Für die wachsende pro-life-Einstellung der Polinnen und Polen nennt die Chefin des CBOS Mirosława Grabowska 2013 drei Faktoren: „Erstens, das Gesetz, das unser Bewusstsein formt, zweitens natürlich die Lehre der Kirche. Und drittens die technologische Entwicklung, welche paradoxerweise die pro-life-Einstellung unterstützt. Beinahe jede Frau sieht zu Beginn ihrer Schwangerschaft ein Ultraschall-Bild ihres Kindes und diese Bilder sind suggestiv.“37 Für Magdalena Środa zeigt sich hingegen die Wirksamkeit der religiösen Erziehung in den Schulen, bei gleichzeitiger Abwesenheit von Sexualkunde: „Es ist nicht nur durch den Schuldiskurs, sondern auch durch die Sprache der Katechisierung wirkungsvoll. Kinder, die Religionsunterricht in der Schule erhalten, erinnern sich von der ganzen Doktrin, der ganzen Geschichte des Christentums lediglich an diese beiden größten Übel: Homosexualität und Abtreibung. Diese Schulbildung ist einfach, aber effektiv. Im
35 Von der Missachtung des geltenden gesetzlichen Rahmens zeugt z.B. der Fall von Alicja Tysiąc. Ihr wurde das Recht auf Abtreibung verwehrt, obwohl Schwangerschaft und Geburt nach ärztlichen Attesten für sie das Risiko der Erblindung bedeuteten, was nach dem Gesetz ein legitimer Grund für einen Schwangerschaftsabbruch gewesen wäre. Nach der erfolgten Geburt verschlechterte sich ihre Sehkraft so stark, dass sie arbeitsunfähig wurde. 2007 gewann Tysiąc eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, welcher Polen zu einer Schadensersatzzahlung in Höhe von 25.000 Euro verurteilte. 36 Vgl. MIROSŁAWA GRABOWSKA, Religijność i Kościół 10 lat po śmierci Jana Pawła II [Religiosität und Kirche 10 Jahre nach dem Tod Johannes Pauls II.], Warszawa, 2015, S. 73. 37 KATARZYNA WIŚNIEWSKA, Co najmniej 4 mln Polek zdecydowały się na aborcję [badanie CBOS]. „Zwolennicy pro-life niepotrzebnie walczą z edukacją seksualną“ [Mindestens vier Millionen Polinnen haben sich für die Abtreibung entschieden [CBOS Umfrage]. „Die pro-life-Anhänger kämpfen unnötig gegen die Sexualkunde“], http://wybor cza.pl/1,75478,13887565.html (abgerufen am 10.06.2013).
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Gegensatz zur Sexualkunde, die es kaum gibt. Wenn man heute einen durch den Religionsunterricht geformten Studenten nach dem größten Übel fragt, sagt er wie ein Automat, es sei die Abtreibung“.38
Somit zeichnet sich das restriktive Abtreibungsrecht durch einen performativen Charakter aus, nicht nur dadurch, dass es im rechtlichen Sinne gilt, sondern auch dadurch, dass es die Meinung von Polinnen und Polen formt, insbesondere von jungen Menschen, die mit diesem Gesetz aufgewachsen sind.39 5.1.2 Katholische (Frauen-)Organisationen als pro-life-Bewegung Sowohl der PZKK als eine auf Initiative des Episkopats gegründete katholische Frauenorganisation als auch der FKP als eine sich selbst als Frauenorganisation definierende Vereinigung von pro-life-Gruppen beteiligen sich laufend an der Abtreibungsdebatte, indem sie als Sprachrohr der katholischen Kirche und der prolife-Bewegung agieren. Ihr Diskurs zeichnet sich durch ein interessantes Muster aus, in dessen Kern die Konfrontation mit der pro-choice-orientierten zweiten Welle der polnischen Frauenbewegung steht. Der PZKK äußerte sich zur Frage der Abtreibung bereits im ersten Heft seiner Mitgliederzeitschrift List do Pani im Februar 1993. Dort nahm er Stellung zur bürgerlichen Initiative einer Volksabstimmung über das Abtreibungsrecht, die inhaltlich der entsprechenden Erklärung des Episkopats zu diesem Thema folgte. Die Frauen des PZKK erklärten: „Als eine die Meinung katholischer Frauen repräsentierende Organisation sind wir mit einer öffentlichen Debatte über grund-
38 CEZARY MICHALSKI, MAGDALENA ŚRODA, Środa: Oto koszty „rozwiązania problemu aborcji” [Środa: Das sind die Kosten der „Lösung der Abtreibungsfrage“], 2013, http://www.krytykapolityczna.pl/artykuly/opinie/20130516/sroda-oto-koszty-rozwiaza nia-problemu-aborcji (abgerufen am 21.06.2013). 39 2012 lehnten 36 Prozent der jungen Polinnen und Polen (Alter 18-24 Jahre) den Schwangerschaftsabbruch aufgrund der gesetzlich zugelassen Indikation im Falle einer Erkrankung und Beschädigung des Embryos ab, es handelt sich hier um einen überdurchschnittlichen Ablehnungsgrad im Vergleich mit anderen Alterskohorten, vgl. CENTRUM BADANIA OPINII SPOŁECZNEJ CBOS, Opinie o prawie aborcyjnym [Meinungen über das Abtreibungsgesetz], 2012, www.cbos.pl/SPISKOM.POL/2012/K_160_ 12.PDF (abgerufen am 11.10.2016), S. 4.
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sätzliche Regeln unseres Glaubens und unserer Moral, über das Recht jedes Menschen auf Leben, nicht einverstanden“.40 Damit erhoben sie den Anspruch als eine, katholische Frauen repräsentierende, Organisation zu fungieren, positionierten sich als Akteurin in der Debatte um reproduktive Rechte auf der Seite der polnischen Amtskirche und vertraten schließlich eine kompromisslose Position im Abtreibungsdiskurs. Sie lehnten unter Bezug auf Moral und Glauben jegliche Bereitschaft zum Dialog über das Abtreibungsrecht ab, obwohl der PZKK laut der damaligen Präsidentin Maria Wilczek politisch neutral bleiben wollte – in der Frage des „Lebensschutzes“ ist eine Neutralität seitens des PZKK jedoch nicht möglich.41 Ein wiederkehrendes Motiv des Diskurses der katholischen (Frauen-)Organisationen ist die Konstruktion der Frau als Lebensschützerin, die allein aus ihrer biologischen Fähigkeit, Mutter zu werden, abgeleitet wird. Der „Schutz des Lebens“ sei insbesondere eine Pflicht der Frauen, denn: „Frauen sind besonders dazu berufen, um dem Dienst am Menschen, also auch dem Schutz seines Lebens den höchsten Stellenwert zu geben. Der Respekt für das Leben soll auch dank der aktiven Haltung von Frauen zur allgemein in der Welt geltenden ethischen Norm werden“.42
Die Argumentation schreibt den Frauen und ihrem Engagement die Verantwortung für das Wohlergehen der Welt zu. Die Betonung dieser „lebensschützenden“ Rolle der Frau trat bei List do Pani besonders häufig 1996 auf, in der Zeit, in der
40 POLSKI ZWIĄZEK ZWYKŁYCH KOBIET, Oświadczenie z 15.12.1992 [Erklärung vom 15.12.1992], in: List do Pani, H. 1, 1993, S. 2. 41 In der Sommerausgabe des List do Pani im Jahre 1994 (kurz vor der UN-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo) schrieb Maria Wilczek, dass ihre Organisation zwar nah an den „gewöhnlichen“ Frauen sein und sich für ihre Anliegen einsetzen wolle, statt sich in politische Auseinandersetzungen einzumischen. Im Falle des „Lebensschutzes“ jedoch handle sich um eine Ausnahme, hier müsse sich „(…) die stille Liebe mit erhobener Stimme für die Geschädigten einsetzen“, diesem Beitrag wurde eine Stellungnahme beigefügt, welche der damaligen Präsidentin der WUCWO, Maria Theresa van Heteren Hogenhuis, übergeben wurde. Die PZKK-Frauen erklärten dort, dass sie mit der Meinung des Vatikans anlässlich dieser Konferenz völlig übereinstimmen und betonten, dass die demographischen Probleme nicht mittels eines „Todesurteils an schwachen, armen, älteren und der heute besonders gefährdeten – ungeborenen“ Menschen gelöst werden dürfen, WILCZEK, Broniąc życia…, a.a.O. 42 Ebd.
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das liberalisierte Gesetz in Kraft war. So konnte man im Sommer 1996 lesen: „Wenn eine Frau diesen Dienst aufnimmt, ‚ja‘ zum Leben und ,ja‘ zum neuen Menschen sagt, wenn sie ihn bei seiner Entwicklung begleitet und hilft – dann wählt sie das größte Gut der Welt. Dann ist sie nach Gottes Plan tätig und gestaltet mit Gott“.43 Damit sollten polnische Frauen daran erinnert werden, dass sie nur dann „mit Gott“ leben würden, wenn sie sich gegen einen möglichen Schwangerschaftsabbruch entscheiden. In der Dezemberausgabe desselben Jahres wurde der Aufruf in einer politischen Variante wiederholt: „Polnische Frauen können viel dazu beitragen, dass wir dem erwachenden Leben in unserer Heimat mit konkreter Hilfe Schutz angedeihen lassen, wenn das polnische Recht es nicht mehr schützt“.44 Somit sollten Polinnen sich gegen das liberalisierte Abtreibungsgesetz auflehnen, allerdings wurde hier nicht genauer erläutert, wie diese „konkrete“ Hilfe aussehen sollte. Lediglich der Titel des Beitrags „Das Leben mit dem Rosenkranz sprechen“ benennt die zu leistende Hilfe konkreter, nämlich dass Polinnen sich im Gebet für den „Lebensschutz“ einsetzen sollen. Zur größten Bedrohung „ungeborener Kinder“ wurde im Diskurs der katholischen (Frauen-)Organisationen der Feminismus erklärt, wodurch es zu einer Konfrontation mit der zweiten Welle des polnischen Feminismus nach 1989 kam, die sich für die reproduktiven Rechte der Frau engagierte. Diese Konfrontation ist nicht verwunderlich, denn es handelt sich um einen Konflikt zwischen der feministischen pro-choice- und katholischen pro-life-Ausrichtung. Vertreterinnen der katholischen (Frauen-)Organisationen stilisierten diesen Konflikt sogar zu einer kompromisslosen Auseinandersetzung zwischen der, gemäß dem Kirchenjargon, „Zivilisation des Todes“ gegen die „Zivilisation des Lebens“. Der polnische Feminismus der zweiten Welle wurde von den katholischen (Frauen-)Organisationen als Teil einer gefährlichen Ideologie aus dem Westen betrachtet, die Menschen gegeneinander ausspiele: Menschen in den Städten gegen Menschen auf dem Lande, alt gegen jung, Frau gegen Mann und „Geborene gegen noch nicht Geborene”, wobei die Ungeborenen die größte Bedrohung seien, denn „[s]ie bedrohen das Freiheitsgefühl der Mütter, die Karrieren der Väter und die Welt durch die Überbevölkerung“. 45 In dieser Aussage wird das „ungeborene Kind“ als personalisierter Fötus und damit als ein besonders gefährdeter Mensch
43 JANINA MICHALSKA, Kobieta wychowawczynią ludzkich sumień według nauki Jana Pawla II [Die Frau als Erzieherin des menschlichen Gewissen gemäß der Lehre Johannes Pauls II.], in: List do Pani, 7-8/38, 1996, S. 4–5, hier S. 4. 44 MICHALSKA, Mówić różaniec życiem…, a.a.O. 45 ANNA PRZYBOROWSKA, Rodzina, nadzieja pokoju [Familie, die Hoffnung des Friedens], in: List do Pani, 4/15, 1994, S. 3.
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dargestellt, der eines verstärkten Schutzes bedürfe. Somit wird der Fötus und nicht die schwangere Frau zum Subjekt der Menschenrechte, ganz im Gegensatz zu der zuvor dargestellten feministischen Argumentation über die juristische Subjekthaftigkeit der Frau im Sinne der Menschenrechte. Hier zeigt sich dementsprechend eine bestimmte Definition der Menschenrechte, die dem Fötus gilt, während gleichzeitig angeprangert wird, dass im feministischen Diskurs ausgerechnet das Abtreibungsrecht als „Freiheitsattribut und ‚Menschenrecht‘“46 gepriesen werde. Die feministischen Forderungen nach reproduktiven Rechten, Sexualkundeunterricht und Verhütungsmitteln werden in den Beiträgen in List do Pani als feministische „Manipulation“ oder „Kampagne“47, „Propaganda gegen das menschliche Leben“48 und „Informations- und ideologische Gewalt“49 dargestellt, womit den Frauen eingeredet werden solle, die reproduktiven Rechte seien Zeichen des „neuen Lebensstils“50, „Freiheitsattribut und ‚Menschenrecht‘“51 oder sogar „Segen“52. Die feministische „Ideologie“ als „eine ökonomisch starke, mit modernen soziotechnischen Methoden ausgestattete Minderheit“53 manipuliere die Mehrheit und übe Druck auf die polnischen Frauen aus. Der Feminismus wird so mit totalitären Ideologien gleichgesetzt, deren Opfer Frauen sind, denn Feminismus verursache durch seine „Indoktrinierung“ eine „Verhärtung der weiblichen Herzen und Verweichlichung ihres Willens“54. Demnach würden Feministinnen Frauen manipulieren, indem sie gegen die Berufung von Frauen und ihre Identität arbeiten.55 Der Vorwurf der Manipulation von Frauen gegen ihre Berufung durch Feministinnen ist besonders interessant, denn er korrespondiert mit der zuvor genannten Konstruktion der Frau als Lebensschützerin. Eine Frau, die sich gegen die Berufung des Mutter-Seins stellt oder die einen pro-choice-Standpunkt vertritt, gelte als indoktrinierte Person mit verhärtetem Herz – oder kurz gesagt als eine gestörte
46 KAROLINA GÓRSKA, Zanim opadną emocje [Bevor die Emotionen absinken], in: List do Pani, H. 5, 1993, S. 2. 47 Ebd. 48 Ebd. 49 WILCZEK, Sytuacja kobiet w…, a.a.O. 50 Ebd. 51 GÓRSKA, Zanim opadną emocje…, a.a.O. 52 Ebd. 53 WILCZEK, Sytuacja kobiet w…, a.a.O. 54 Ebd. 55 Vgl. ALINA PETROWA-WASILEWICZ, Bezpłodna „manifa“ [Die unfruchtbare „Manifa“], in: List do Pani, 4 (203), 2012, S. 10–11; WILCZEK, Sytuacja kobiet w…, a.a.O; ZDYBICKA, Czy Polsce zagraża…, a.a.O.
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Frau. Es gibt einige Versuche, feministische Motivationen des pro-choice-Engagements psychologisch zu erklären und auf erlebte Traumata zurückzuführen. Maria Ryś56 erklärt die feministische Identität beispielsweise mit den Folgen einer Abtreibung: „Es bleibt die Frage zu stellen: Warum die so aggressiv verbissenen Feministinnen ein Recht auf etwas fordern, was den Frauen so viel Schlechtes einbringt. Die Antwort liegt allein im Willen zur Verneinung der im Leben eines Christen wichtigen moralischen Normen. Die Antwort ist in den Herzen vieler von ihnen suchen. Diese Sicht auf die Welt, die Haltungen gegen das Leben können bei ihnen Folge einer Abtreibung sein. Denn sie führt zu einer psychischen Betäubung und Versteinerung des Herzens. Die Liebe ist nicht mehr die warme Liebe, das Leben hat keine tiefe Dimension mehr. Andere Werte werden wichtiger, z.B. der Erfolg, hoher materieller Lebensstandard, die Möglichkeit der Lebensauskostung und das in meist prosaischer Dimension. Daher kommt die Forderung nach Verhütung, Abtreibung, Sexualkunde. Das ist die Wahl eines Herzens, das versteinert ist.“57
Ähnlich argumentiert die Vorsitzende des FKP Ewa Kowalewska und erklärt das feministische Engagement mit von Feministinnen erlebten Gewalterfahrungen.58 Das feministische Bewusstsein und die pro-choice-Handlung werden demnach zur geistigen Krankheit stilisiert. Diesem „gestörten“ pro-choice-Feminismus
56 Maria Ryś ist Psychologieprofessorin der katholischen Wyszyński Universität in Warschau und seit 2005 die Vorsitzende der auf Initiative des damaligen Primas Glemp gegründeten erzkonservativen Universitätsgesellschaft Fides et Ratio (Uniwersyteckie Towarzystwo Fides et Ratio), die an der katholischen Universität Kardinal Wyszyński tätig ist und die Verbindung der akademischen Welt mit dem katholischen Glauben im Sinne der Enzyklika Fides et Ratio von Johannes Paul II. von 1998 zum Ziel hat. Ziele des Vereins sind „die Propagierung der Idee von Einheit der Wissenschaft und des Glaubens“ und die Integration der wissenschaftlichen Milieus „rund um christliche Werte“. www.fidesetratio.org.pl (abgerufen am 10.10.2015). Ryś ist gelegentlich auch Autorin von Beiträgen in List do Pani z.B. MARIA RYŚ, Bilans strat i zysków. Jeszcze o edukacji seksualnej [Gewinne und Verluste. Nochmals zur Sexualkunde], in: List do Pani, 6/47, 1997, S. 9. und DERS., Kiedy serce kamienieje [Wenn das Herz versteinert], in: List do Pani, 4 (100), 2002, S. 12–13. 57 Ebd. 58 Vgl. KOWALEWSKA, Być kobietą, ale…, a.a.O., S. 96.
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wird seit Mitte der 2000er Jahre der bereits beschriebene neue Feminismus Johannes Pauls II. entgegengehalten, „der keine Kinder ausschließt, die noch nicht geboren sind und die Abtreibung nicht als Menschenrecht zählt“.59 Ein weiteres Merkmal des pro-life-Diskurses der katholischen (Frauen-)Organisationen ist die auf den polnischen Feminismus der zweiten Welle reagierende subversive Nutzung des Begriffs Diskriminierung, und zwar per Verkehrung des Begriffs durch die katholischen Aktivistinnen. In den Stellungnahmen des PZKK und des FKP wird wiederholt auf die falsche Nutzung des Begriffs der Diskriminierung durch Feministinnen hingewiesen, die auf einem hedonistischen Menschenbild beruhe: „Gerade durch das schlechte, egoistische und flache Verständnis von Freiheit und Liebe entstehen Aufschreie gegen eine seltsam aufgefasste Diskriminierung, welche mit der Forderung nach einer Vereinfachung von Scheidungen, der Tötung ungeborener Kinder, der Subventionierung von Verhütungsmitteln und Sexualkunde, die schulische Demoralisierung bedeuten würde, einhergeht.“60
Dieses Zitat stammt aus dem Jahr 1996 vor der Aufhebung des liberalisierten Abtreibungsrechts durch das Verfassungsgericht. Nach Meinung der katholischen (Frauen-)Organisationen würden nicht Frauen diskriminiert, indem ihre reproduktiven Rechte eingeschränkt werden, sondern „die jüngsten Polen noch vor der Geburt“, denen man „das grundsätzliche Recht auf Leben“ verweigere.61 Auch Ärzte würden diskriminiert, indem sie gezwungen würden, eine Abtreibung gegen das eigene Gewissen durchzuführen und Eltern, die durch die gesetzliche Pflicht zur Einführung der Sexualkunde in den Schulen ihres Rechts auf die Erziehung der eigenen Kinder nach ihren Überzeugungen beraubt werden würden.62 Im Rahmen des genannten Repräsentationsanspruchs bescheinigen sich die katholischen (Frauen-)Organisationen, über ein besseres Verständnis der Mehrheit der Polinnen zu verfügen, während die Feministinnen den polnischen Frauen eine Diskriminierung einreden würden. Der Vorwurf der Abkoppelung der Feministinnen von der polnischen Gesellschaft und insbesondere von der Mehrheit
59 Nowy feminizm…, a.a.O., S. 9. 60 REDAKCJA LIST DO PANI, Pytania o dyskryminację [Fragen nach Diskriminierung], in: List do Pani, 9/39, 1996, S. 3. 61 FORUM KOBIET POLSKICH, Oświadczenie Forum Kobiet Polskich [Erklärung des Forum Polnischer Frauen], in: List do Pani, 12/1/42, 1996 - 1997, S. 43. 62 Vgl. ebd.
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„normaler“ Frauen wurde verstärkt während der politischen Versuche der Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes vorgebracht. Als im Januar 1994 der von der Parlamentarischen Frauengruppe entworfene liberalisierte Gesetzesentwurf diskutiert wurde, kritisierte der PZKK, dass die Frauen dieser Parlamentsgruppe ihre politischen Befugnisse missbrauchen und versuchen, die Gesellschaft davon zu überzeugen, „dass sie besonders berechtigt sind, Bedürfnisse und Bestrebungen von Frauen zu äußern und dass sie besser als andere wissen, was für Frauen gut ist“.63 Die PZKK-Frauen betonten, dass sie sich verpflichtet fühlen, diesen Anspruch gegen das durch die Parlamentarische Frauengruppe „usurpierte Recht zum Sprechen im Namen der polnischen Frauen“64 zu erheben (obwohl sie sich selbst ein selbiges Recht zusprechen), weil die Haltung dieser Gruppe eine „moralische und physische Bedrohung der polnischen Nation, insbesondere der Frauen“65 mit sich bringe: „Den Abbruch eines sich entwickelnden Lebens eines Kindes betrachten wir als die größte Tragödie, die eine Frau treffen kann, und vom Sejm und Senat erwarten wir eine solche Gesetzgebung, die sowohl die Mutter als auch ihr Kind vor dieser Tragödie schützt. Wir sind mit der Benutzung des Begriffs ,Frauen‘ in der Angelegenheit nicht einverstanden, die auf unser höchstes Gut – die Mutterschaft – zielt.“66
Hier wurde erneut an die Berufung der Frau zur Mutterschaft gemahnt. Die Frauen des PZKK treten dabei sowohl als Schützerinnen des „ungeborenen Kindes“ auf als auch der bei der Ausübung ihrer Berufung gefährdeten Frau, voraussetzend, dass es keine Frauen gibt, die keine Mutter sein möchten. Die katholischen (Frauen-)Organisationen betonen, dass die von Diskriminierung sprechenden Feministinnen nicht im Namen der gläubigen Frauen sprechen würden.67 Diese Argumentation wurde besonders 1995 im Bericht der katholischen Gruppen über die
63 REDAKCJA LIST DO PANI, Od redakcji [Von der Redaktion], in: List do Pani, 1 (12), 1994, S. 5. 64 POLSKI ZWIĄZEK ZWYKŁYCH KOBIET, List otwarty do parlamentarzystów Rzeczypospolitej Polskiej [Offener Brief an die Parlamentarier der Republik Polen], in: List do Pani, 1 (12), 1994, S. 5. 65 Redakcja List do Pani, Od redakcji…, a.a.O. 66 Polski Związek Zwykłych Kobiet, List otwarty do…, a.a.O. 67 Im Herbst 1996 berief sich die Redaktion von List do Pani auf die vermeintliche Meinung der polnischen Frauen, die sich mit den Diskriminierungsvorwürfen der Feministinnen nicht identifizieren könnten: „In diesem Land bilden die gläubigen Frauen die
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Situation von polnischen Frauen für die Pekinger Weltfrauenkonferenz benutzt (auf diesen Bericht werde ich später noch näher eingehen). Der PZKK und das FKP bemächtigten sich des gleichen Diskurses wie die offizielle katholische Kirche, die in der Debatte um das Abtreibungsrecht zum stärksten Akteur in Sachen Abtreibungsverbot wurde.68 Der Einfluss der katholi-
Mehrheit der weiblichen Population. Die Mehrheit der Frauen spricht nicht in der gleichen Sprache wie die Feministinnen“: Redakcja List do Pani, Pytania o dyskryminację…, a.a.O. 68 Vgl. FUSZARA, Between Feminism and…, a.a.O; HEINEN, MATUCHNIAK-KRASUSKA, ADAMUS-DARCZEWSKA, Aborcja w Polsce…, a.a.O; NOWICKA, Roman Catholic Fundamentalism…, a.a.O; ZIELIŃSKA, Chapter 1. Between…, a.a.O. In einem Bericht aus dem Jahre 2013 über die politische Einflussnahme der katholischen Kirche sind mehrere Methoden der kirchlichen Beeinflussung dargestellt, Vgl. AGATA CHEŁSTOWSKA, MAŁGORZATA DRUCIAREK, JACEK KUCHARCZYK (HRSG.), Relacje Państwo-Kościół w…, a.a.O. Im Falle des Abtreibungsgesetzes wird darin gezeigt, dass die Kirche unmittelbaren Druck auf politische Entscheidungsträger in Form von Briefen, persönlichen Treffen oder öffentlichen pro-life-Gebeten ausgeübt habe. Dies habe sich ebenfalls in den an Politikerinnen und Politiker gerichteten Predigten oder auch in den in der Sejmkapelle vor Abstimmungen abgehaltenen Mahnwachen geäußert. Zudem beeinflusste demnach die katholische Kirche die Ärzteschaft, um dadurch direkten Druck auf die medizinische Praxis auszuüben. Dieser Druck sei insbesondere durch die von der Kirche inspirierte Verabschiedung des Ärztekodex von 1991 sichtbar geworden, der eine Abtreibung im Falle einer medizinischen Indikation verbietet und somit noch restriktiver ist als das 1993 verabschiedete Abtreibungsgesetz. Die Ärztinnen und Ärzte können zudem die Durchführung einer Abtreibung ablehnen, indem sie sich auf die sogenannte „Gewissensklausel“ berufen, welche 1996 im Gesetz über den Beruf des Arztes und Zahnarztes verabschiedet wurde. Das Wachstum des sogenannten „Abtreibungsuntergrunds“ seit den 1990er Jahren ließe allerdings darauf schließen, dass auch einige der Ärzte, die sich offiziell auf ihr Gewissen berufen, privat Abtreibungen durchführen. Eine weitere Methode der katholischen Kirche sei die Beeinflussung der Meinung der einfachen Gläubigen, sei es durch Predigten, Religionsunterricht oder die prolife-Aktivitäten von Priestern in ihren Gemeinden, siehe auch CHAŁUBIŃSKI, Polityka, Kościół, aborcja [Politik, Kirche und Abtreibung], in: CHAŁUBIŃSKI, MIROSŁAW (Hrsg.), Polityka i aborcja, a.a.O; FEDERACJA NA RZECZ KOBIET I PLANOWANIA RODZINY, 20 lat tzw…, a.a.O; NOWICKA, Prawa reprodukcyjne w…, a.a.O. Im Bericht wird neben diesen Methoden auf weitere Charakteristika des Abtreibungsdiskurses der
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schen Kirche auf die Politik zeigte sich in verschiedenen Formen, besonders hervorzuheben ist jedoch, dass die katholische Kirche den gesellschaftlichen Diskurs über die Abtreibung für sich entschied, indem sie die Sprache maßgeblich bestimmte – der Fötus wurde zum „empfangenen Leben“ und die Abtreibung zum Mord an „ungeborenen Kindern“.69 Dieser „verlorene Kampf um die Sprache“
katholischen Kirche hingewiesen, die auch im Diskurs der katholischen (Frauen-)Organisationen erkennbar sind: 1. Personalisierung des Fötus als Subjekt des Diskurses, als ‚empfangenes Kind‘ – ist der vermenschlichte Fötus mit der Fähigkeit des Fühlens ausgestattet, ist er Subjekt der Bürgerrechte, Mitglied einer Minderheit; er ist wehrlos und verdient daher Schutz; ‚das empfangene Kind‘ hat ebenfalls eine Nationalität und gehört der schwangeren Frau nicht in dem Maße, wie es der polnischen Nation angehört; 2. verglichen mit dem ‚empfangenen Kind‘ geringe Präsenz der Frau oder besser der ‚Mutter‘ im Diskurs – Verurteilung und Pathologisierung des Schwangerschaftsabbruchs; Abtreibung wird als ‚schlecht für die Frauen‘ bezeichnet, Frauen seien vor ihr zu schützen; 3. Verwendung des Begriffs ‚Töten der Ungeborenen‘ anstelle von ‚Schwangerschaftsabbruch‘, häufige Verwendung von Worten wie ‚Töten‘, ‚Mord‘ oder sogar ‚Völkermord‘ – Vergleich von Abtreibung mit Naziverbrechen und dem Holocaust; 4. Abwechselnde Nutzung sakraler Sprache (z.B. Appelle an die Mutter Gottes) und politischer Sprache (z.B. Informationen über anstehende Wahlen) sowie patriotischer und medizinischer Sprache usw.; 5. Darstellung der Abtreibung als nationales Anliegen, von dem der Fortbestand Polens abhänge – Einführung und Beibehaltung des Abtreibungsverbots wird als Zeichen der Befreiung von und des Widerstands gegenüber fremder Dominanz, zunächst der sowjetischen, heute der westeuropäischen, gedeutet; die Frage der Unterstützung des Abtreibungsverbotes wird als Frage der nationalen Loyalität und der Unterstützung der Souveränität Polens dargestellt“: AGATA CHEŁSTOWSKA, MAŁGORZATA DRUCIAREK, JACEK KUCHARCZYK (HRSG.), Relacje Państwo-Kościół w…, a.a.O., S. 94. 69 Vgl. AGATA CHEŁSTOWSKA, MAŁGORZATA DRUCIAREK, JACEK KUCHARCZYK (HRSG.), Relacje Państwo-Kościół w…, a.a.O; AGNIESZKA GRAFF, Świat bez kobiet. Płeć w polskim życiu publicznym [Welt ohne Frauen. Das Geschlecht im polnischen öffentlichen Leben], Warszawa, 2003; ANNA MATUCHNIAK-KRASUSKA, Kategorie i reguły polskiego dyskursu o aborcji [Kategorien und Regeln des polnischen Diskurses über Abtreibung], in: CZYŻEWSKI, MAREK; DUNIN, KINGA; PIOTROWSKI, ANDRZEJ (Hrsg.), Cudze problemy. O ważności tego, co nieważne: analiza dyskursu publicznego w Polsce, Warszawa, 1991, S. 100–123; NOWICKA, Roman Catholic Fundamentalism…, a.a.O; KAZIMIERA SZCZUKA, Milczenie owieczek. Rzecz o aborcji [Schweigen der Lämmer. Über die Abtreibung], Warszawa, 2004.
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habe dazu geführt, so Agnieszka Graff 2003, dass die „Mythologie der Menschlichkeit eines Fötus“70 die Menschlichkeit der Frau in den Schatten gestellt habe – die Abtreibungsdebatte habe sich mit dem Syndrom der „verschwundenen Frau“ verbunden.71 Die katholische Kirche und katholische Organisationen betrachten dies als ihren Sieg. Ewa Kowalewska vom FKP – hier jedoch insbesondere in ihrer Rolle als Präsidentin der pro-life-Organisation Human Life International – äußerte sich 2014 erfreut, dass besonders der Sprachwandel der größte Sieg der pro-lifeGruppen sei, weil man nicht mehr über einen „Eingriff“ oder „Frauenrecht“, sondern über Mord spreche. Dadurch stehe die gegenwärtige öffentliche Meinung mehrheitlich „auf Seiten des Kindes, auf Seiten des Lebens“.72 Die polnische Amtskirche würdigte die Umsetzung der von ihr vorgegebenen Instruktionen.73 Als das FKP 1996 gegründet wurde, äußerte sich Kardinal Glemp gleich zur Richtung dieser Organisation wie folgt und stilisierte diese Dachorganisation von pro-life-Gruppen dabei zu einer Frauenorganisation: „Allen polnischen Frauen, die sich im Namen der Ideale der Verantwortung für den Menschen und die Nation im ,Forum Polnischer Frauen‘ versammelt haben, übersende ich herzliche Grüße und Wünsche, damit sie unseren Schwestern und Müttern das Leben nach Gottesgeboten in der ,gegenwärtigen Welt‘ lehren.“74
Damit wird gezeigt, dass der polnischen Amtskirche sehr daran lag, dass der Widerstand gegen die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs besonders von (katholischen) Frauen ausgeübt werde. Deutlich werden die Anweisungen der polnischen Amtskirche an katholische (Frauen-)Organisationen während der politischen Auseinandersetzungen rund um die Liberalisierungsschritte des Abtreibungsrechts. Die Organisationen wurden ausdrücklich aufgefordert, sich für den
70 GRAFF, Świat bez kobiet…, a.a.O., S. 111. 71 Ebd. 72 ALINA PETROWA-WASILEWICZ, Kościół na rzecz obrony życia [Kirche im Einsatz für den Lebensschutz], 2014, http://ekai.pl/dossier/x80405/kosciol-na-rzecz-obrony-zycia/ (abgerufen am 10.10.2016). 73 Kardinal Glemp schrieb anlässlich seines 10-jährigen Bestehens an den PZKK: „Ich möchte Euch heute dafür danken, was Ihr bisher getan habt, und hier denke ich insbesondere an Eure konsequente und aktive Haltung zum Schutz des Lebens der Ungeborenen und der Würde der Mutterschaft. Ich wünsche Euch Ausdauer in diesem aufgenommenen Dienst und segne Euch von Herzen“, JÓZEF GLEMP, List [Brief], in: List do Pani, 10/82, 2000, S. 3. 74 DERS., List [Brief], in: List do Pani, 7-8/38, 1996, S. 3.
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„Schutz des Lebens“ zu engagieren und diese Aufforderungen wurden auch eifrig aufgegriffen und befolgt.75 Der PZKK und das FKP engagierten sich nicht nur durch kritische Stellungnahmen, sondern auch durch Protest- und Unterschriften-
75 Als 2003 erneut ein Versuch zur Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes unternommen wurde, welcher jedoch 2004 scheiterte, rief der polnische Episkopat die Gläubigen, insbesondere aber die katholischen Organisationen und Vereine, zu Aktivitäten zum Schutz des Lebens, der Familien und der Ehe zwischen Mann und Frau auf, vgl. EPISKOPAT POLSKI, Komunikat z 324. Zebrania Plenarnego Konferencji Episkopatu Polski [Bericht der 324. Plenarsitzung der Polnischen Bischofskonferenz], 2003, http://episkopat.pl/dokumenty/komunikaty_zp_kep/4790.1,Komunikat_z_324_Zebrania_Plenarnego_Konferencji_Episkopatu_Polski.html (abgerufen am 11.10.2016). Dieser Aufruf wurde in List do Pani zitiert und mit folgenden Worten bestätigt: „Dem Appell unserer Hirten müssen wir mit voller Verantwortung folgen, indem wir uns noch umfassender für den Schutz des Lebens, der Familie und der christlichen Kultur einsetzen, mehr noch, denn wir werden die Anerkennung dieser Werte (und ihre Bezeugung) nicht nur in Polen, sondern auch in Europa fordern“: REDAKCJA LIST DO PANI, Trudny i piękny miesiąc [Schwieriger und schöner Monat], in: List do Pani, 11 (118), 2003, S. 3. Ein ähnlicher, diesmal gemeinsamer Appell des PZKK und des FKP folgte im März 2004: POLSKI ZWIĄZEK KOBIET KATOLICKICH, Apel [Der Apell], in: List do Pani, 4 (123), 2004, S. 13. Als 2007 der Gesetzesentwurf zur Verfassungsänderung über den Schutz des Lebens von der Empfängnis an kurz vor der Abstimmung im Sejm stand, sprach das FKP in seiner Stellungnahme über die Notwendigkeit einer solchen Verfassungsänderung, um Fällen wie dem von Alicja Tysiąc vorbeugen zu können. Dann wäre Polen vor der Rechtsprechung der europäischen Gerichte in Bezug auf die Abtreibungsfrage besser geschützt, denn diese seien ideologisch gegen Polen und dessen Traditionen gerichtet, vgl. FORUM KOBIET POLSKICH, Oświadczenie [Erklärung], in: List do Pani, 3 (152), 2007, S. 1. Auch 2011 unterstützten das FKP und der PZKK die bürgerliche Initiative des Verbots einer Abtreibung im Falle der Erkrankung des Fötus, vgl. MARIA JANKOWSKA, Walka o życie trwa! [Der Kampf um das Leben dauert an!], in: List do Pani, 7/8 (196), 2011, S. 12–13. Beteiligt hat sich hier u.a. die stellvertretende Vorsitzende des Vereins Amicta Sole Alina Petrowa-Wasilewicz, die als katholische Publizistin den Brief der 100 Journalistinnen unterzeichnete, in dem der Schutz des Lebens von der Befruchtung an gefordert wurde, vgl. WIARA.PL, Kongres Kobiet to nie my! [Frauenkongress, das sind nicht wir!], 2011, http://info.wiara.pl/doc/974357. Kongres-Kobiet-to-nie-my (abgerufen am 11.10.2016).
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aktionen. Wiederholt wurden List do Pani vorformulierte Briefe der pro-life-Organisationen an politische Entscheidungsträgerinnen und -träger beigefügt, mit denen gegen die Sexualkunde an Schulen protestiert wurde.76 Die katholischen (Frauen-)Organisationen folgten in der Frage der Abtreibung dabei nicht nur dem Denkstil der polnischen Amtskirche, sondern auch den Anweisungen von Johannes Paul II. Als 1995 seine pro-life-Enzyklika Evangelium Vitae erschien, veröffentlichten die PZKK-Frauen eine Erklärung, in der sie sich „gegen Abtreibung, Euthanasie und gegen alle in der Enzyklika bezeichneten Maßnahmen gegen das Leben“77 aussprachen. Ebenso wie der Papst machten sie zudem die Gottesmutter zur Patronin der pro-life-Bewegung und veröffentlichten Aufrufe an sie. So machten die PZKK-Frauen im Oktober 1996, in dem Jahr, in dem das liberalisierte Abtreibungsgesetz in Kraft war, die Figur Marias zur Hoffnungsträgerin der polnischen Nation und zur Anführerin der „Lebensschutzbewegung“ und baten sie: „Lass uns wünschen, dass Polen ein mit Kindern blühendes Land und kein Land der Rentner wird, denen man nur Krümel vom gemeinsamen Tisch zuwirft. Lass uns das Recht aller polnischen Kinder auf Leben und ihre würdige Erziehung in den Familien einfordern.“78 Auf die Bedeutung des Marienkults und seiner Nutzung durch die katholischen (Frauen-)Organisationenen wird noch genauer eingegangen werden. Abschließend fällt im Diskurs der katholischen (Frauen-)Organisationen in Polen auf, dass die Hauptgegnerinnen die Feministinnen sind – oft namentlich genannte pro-choice-Vertreterinnen, wie medial bekannte Feministinnen (Wanda Nowicka, 79 Izabela Jaruga-Nowacka, 80 Magdalena Środa 81 oder Kazimiera
76 Wie z.B. 2002 im Falle eines Aufrufs des FKP zum Protest gegen die Pläne der postsozialistischen Regierung Leszek Miller, „den demoralisierenden sexuellen Unterricht“ in den Schulen einzuführen, FORUM KOBIET POLSKICH, Oświadczenie [Erklärung], 2002,
http://www.npr.prolife.org.pl/Stanowisko%20Forum%20Kobiet%20Polskich.
htm (abgerufen am 12.10.2016). 77 POLSKI ZWIĄZEK KOBIET KATOLICKICH, Oświadczenie w nawiązaniu do Encykliki Evangelium Vitae [Erklärung in Anlehnung an die Enzyklika Evangelium Vitae], in: List do Pani, 5/26, 1995, S. 3. 78 JANINA MICHALSKA, Mówić różaniec życiem [Das Leben mit dem Rosenkranz sprechen], in: List do Pani, 10/40, 1996, S. 10. 79 Vgl. ALINA PETROWA-WASILEWICZ, Budzić sumienia [Gewissen erwecken], in: List do Pani, 4 (88), 2001, S. 11. 80 Vgl. ebd. 81 Vgl. ALINA PETROWA-WASILEWICZ, Feministyczna obrona „domowej kury“ [Die feministische Verteidigung des „Heimchens am Herd“], in: List do Pani, 9 (93), 2001,
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Szczuka82). Hier stellt sich in Anlehnung an Ewa Malinowskas Unterscheidung von sozialer Bewegung und Kampf die Frage, ob es sich hier möglicherweise um einen Kampf handelt. Wie bereits zu Beginn der vorliegenden Arbeit dargestellt, weist Malinowska in Bezug auf soziale Bewegungen darauf hin, dass bei persönlicher Nennung eines Gegners einer Bewegung es sich um einen Kampf und nicht um eine soziale Bewegung handle.83 Der auf Konfrontation mit der zweiten Welle der polnischen Frauenbewegung ausgerichtete Diskurs der katholischen (Frauen-)Organisationen in der Abtreibungsfrage zeigt, dass es sich hier um einen Kampf handelt und dass diese Organisationen dabei als Trägerinnen der katholischen pro-life-Bewegung fungieren. 5.1.3 „Anders“ über Abtreibung sprechen – YWCA Polska und die Suche nach einer Verbindung zwischen Feminismus und Glauben Hinsichtlich des Diskurses um reproduktive Rechte erscheint die ökumenische Frauenorganisation YWCA als Ausnahmefall eines feministisch-religiösen Denkstils. Als Gründungsmitglied und Bestandteil der feministischen pro-choice-Organisation Föderation für Frauenangelegenheiten und Familienplanung hat die YWCA Polska eine spezielle Position im Spannungsfeld der Abtreibungsdebatte inne. Bereits bei der Gründung in den 1990er Jahren drängte sich am Beispiel der Abtreibungsdebatte die dilemmatische Frage auf, wie christlicher Glaube der YWCA-Mitgliedsfrauen mit der pro-choice-Ausrichtung der Dachorganisation Föderation für Frauenangelegenheiten und Familienplanung vereinbart werden könne. Die Protestantin Biruta Przewłocka-Pachnik, die langjährige Präsidentin der YWCA Polska, sprach 2015 wie folgt über diese uneindeutigen Anfänge: „Ich muss sagen, dass wir als YWCA dieser Organisation mit dem Vorbehalt unserer Nichtbeteiligung in der Abtreibungskampagne beigetreten sind. In unserem Büro gab es keine Plakate, die mit dem Schwangerschaftsabbruch verbunden gewesen wären. Übrigens waren Frauen aus der Föderation damit einverstanden. Sich um die Gesundheit von Frauen zu kümmern – ist das nicht christlich? Und um die Familienplanung? Warum werden überhaupt ungewollte Kinder geboren? […] Als der Sturm rund um Föderation und Abtreibung
S. 10–11; ALINA PETROWA-WASILEWICZ, Selekcjonerki [Türsteherinnen], in: List do Pani, 10(106), 2002, S. 10. 82 Vgl. DERS., Feminizm nowa utopia [Feminismus als neue Utopie], in: List do Pani, 3 (111), 2003, S. 14. 83 Vgl. MALINOWSKA, Feminizm europejski. Demokracja…, a.a.O.
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ausbrach, nahmen wir bei der Jahresversammlung der YWCA Stellung, wir betonten, dass die Mutterschaft Sache des Gewissens jeder Frau ist. Ich finde, dass diese Aktivitätsfelder nicht gegensätzlich sind.“84
Die YWCA-Frauen argumentierten also insbesondere mit der Gewissensentscheidung der Frauen, hielten sich jedoch in der Abtreibungsfrage zurück und konzentrierten sich auf die Thematik der sexuellen Aufklärung und Verhütung. Frauen sollen über ihre Mutterschaft selbst entscheiden, indem sie verhüten – mit diesen Standpunkt vertrat Kinga Olgyay-Stawikowska die YWCA im feministischen Komitee, das einen eigenen Bericht zur Lage der polnischen Frauen für die Vierte Weltfrauenkonferenz vorbereitete.85 Bei der YWCA handelt sich um keinen expliziten Akteur der feministischen pro-choice-Bewegung, dennoch ist sie als Bestandteil einer pro-choice-Organisation an der Abtreibungsdebatte beteiligt gewesen und setzte sich insbesondere für einen Dialog ein. Sowohl PrzewłockaPachnik als auch Olgyay-Stawikowska vertraten den evangelischen Glauben, für den katholischen Diskurs ist die bekennende Katholikin und heutige Vorsitzende der YWCA Polska Alina Kozińska-Bałdyga besonders interessant. Sie veröffentlichte mehrere Beiträge in der Presse, u.a. in der katholischen Monatszeitschrift Więź, in denen sie über die Abtreibungsfrage, den Glauben und ihre Zusammenarbeit mit pro-choice-Feministinnen schreibt. Sie betont, dass der feministische Diskurs die Ursachen einer Abtreibung im patriarchalen System sehe: „Deswegen kann auch die Stärkung der Position von Frauen in der gegenwärtigen Welt, wofür sich Feministinnen einsetzen, zur Überwindung dieses Ur-Grundes [der Abtreibung J.S.] führen, der in der patriarchalen Zivilisation liegt“.86 Demnach würden die gegen das Patriarchat kämpfenden Feministinnen auch zwangsläufig zur Lösung der Abtreibungsfrage beitragen, indem Abtreibungen die Notwendigkeit entzogen würde.
84 JAKUB T. NIEWIADOMSKI, BIRUTA PRZEWŁOCKA-PACHNIK, Dobro wraca z innej strony. Biruta Przewłocka-Pachnik [Das Gute kommt von einer anderen Seite zurück. Biruta Przewłocka-Pachnik], http://ewangelicki.pl/temat-numeru/dobro-wraca-z-innejstrony-biruta-przewlocka-pachnik/ (abgerufen am 23.10.2016). 85 Vgl. URSZULA KARNASZEWSKA, KINGA LOHMANN, MARTA MAŁACHOWSKA u. a., Same o sobie. Rozmowy z 13 członkiniami Społecznego Komitetu Organizacji Pozarządowych Pekin 1995 [Über sich selbst. Gespräche mit 13 Mitgliedsfrauen des Gesellschaftlichen Komitees der Nichtregierungsorganisationen in Peking 1995], Warszawa, 1997, S. 93. 86 KOZIŃSKA-BAŁDYGA, Wspólny feminizm…, a.a.O.
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Kozińska-Bałdyga setzte sich 1999 in ihren Beiträgen in Więź insbesondere für den Dialog zwischen Abtreibungsgegnerinnen und -gegnern und Befürworterinnen und Befürwortern des Abtreibungsrechts ein. Eine Diskussion über die Abtreibung findet sie sehr wichtig, es soll dabei jedoch versucht werden, die andere Seite zu verstehen statt sie ad hoc zu verurteilen. Sie plädiert in ihrem Artikel Wie anders über die Abtreibung sprechen? für einen Dialog, kritisierte die gewalttätigen Methoden der westlichen pro-life-Bewegungen und äußerte die Hoffnung, dass sie in Polen keine Nachahmung finden.87 Obwohl der Text sehr gemäßigt wirkt, zeigt die Replik des katholischen Journalisten Tomasz Wiścicki, wie problematisch der Dialog in der Abtreibungsfrage in Polen ist, da es sich bei der Abtreibungsdebatte laut Wiścicki um eine Auseinandersetzung moralischer Natur handle, in der die Befürworterinnen und Befürworter der Abtreibung den „ungeborenen Kindern“ das Recht auf Leben absprechen würden und im Recht des Menschen auf Leben als einer Grundsatzfrage der Moral könne es keinen Kompromiss und keinen Dialog geben.88 In ihrer Antwort auf diese Replik bestätigt Kozińska-Bałdyga den moralischen Charakter der Auseinandersetzung um das Abtreibungsrecht, weist jedoch auf die starke Politisierung dieser Frage nach 1989 hin. Einerseits sei die Abtreibung zu einem Mittel geworden, mit dem Politikerinnen und Politiker ihr „politisches image“ hätten aufbauen wollen, andererseits habe sich die katholische Kirche massiv an der Anti-Abtreibungs-Kampagne beteiligt: „Der Titel ‚Lebensschützer‘ klang doch sehr schön und man bekam dadurch [als Politikerin und Politiker J.S.] die Unterstützung der Kirche. Auf diese Weise wurde die Kirche in die Politik eingebunden und übernahm dabei die Sprache der Politik. Es handelt sich hier aber um eine Sprache des Kampfes, die trennen, eine Seite zum Sieg führen und dabei die Gegner zerstören und diskreditieren soll.“89
Kozińska-Bałdyga weist in ihrem Beitrag auf eine weitere Dimension hin – die Beziehungen zwischen Mann und Frau als Bestandteil der Abtreibungsfrage – und stellt die Frage, inwiefern die Diskussion über diese Beziehungen zur Lösung der Abtreibungsfrage beitragen könnte.
87 Vgl. DERS., Jak inaczej rozmawiac o aborcji [Wie anders über die Abtreibung sprechen?], in: Więź, H. 2, 1999, S. 174–177. 88 Vgl. TOMASZ WIŚCICKI, Spór zupełnie wyjątkowy [Ein ganz besonderer Streit], in: Więź, H. 2, 1999, S. 178–181. 89 ALINA KOZIŃSKA-BAŁDYGA, Którędy droga? [Wo ist der Weg?], in: Więź, H. 3, 1999, S. 169–171, hier S. 169–170.
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In diesem Sinne ist der Fall der YWCA Polska ein Beispiel des von KozińskaBałdyga geforderten Dialogs in der Abtreibungsfrage. Als eine christliche Frauenorganisation, die zum Bestandteil der pro-choice-Bewegung wurde, bei gleichzeitiger Beibehaltung der Neutralität in der Abtreibungsfrage, aber auch der Betonung der Gewissensentscheidung der Frau, zeigte sie eine Möglichkeit eines feministisch-religiösen Weges. Durch die Darstellung der Abtreibung auf der Metaebene und den Hinweis, dass es sich hier vielmehr um Fragen patriarchaler Strukturen und überkommener Geschlechterbeziehungen handle, wurde eine gemeinsame Sprache mit dem Feminismus gefunden. Gleichzeitig jedoch zeigte die Debatte in Więź, dass es sich hinsichtlich einer gemeinsamen Sprache mit dem katholischen Diskurs viel schwieriger verhält.
5.2 DIE UN-WELTFRAUENKONFERENZ 1995 Besonders brisant wurden die Auseinandersetzungen um die Vierte Weltfrauenkonferenz der UN in Peking, die zum Auslöser und Schauplatz innerpolnischer Konflikte rund um die Rolle von Frauen in der Gesellschaft und die Frage ihrer Diskriminierung geworden war. Die Hauptakteurinnen und -akteure dieser Auseinandersetzungen waren zum einen die SLD-Regierung und feministische Nichtregierungsorganisationen, zum anderen die katholische Kirche und katholische Organisationen, insbesondere die PFROŻ, PZKK und seit Januar 1995 die Frauenuntergruppe des PZKK, das FKK, die sogenannte „informelle Bewegung“90, aus der 1996, wie bereits dargestellt, der Verein FKK und das FKP hervorgingen. Dabei kamen der Anspruch der katholischen (Frauen-)Organisationen, polnische Frauen zu repräsentieren sowie die Identitätsbildung durch Abgrenzung zum Feminismus der zweiten Welle besonders zum Vorschein. Bereits zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich die Ablehnung der internationalen Gleichstellungspolitik durch die katholische Kirche und ihre Organisationen ab, die zur Gefahr für die traditionelle Geschlechterordnung und Familienleben erklärt wurden. Diese Ablehnung zog sich kontinuierlich seit den 1990er Jahren durch den Diskurs der katholischen Kirche in Polen und fand ihren Höhepunkt in der Anti-Gender-Kampagne nach 2012.
90 PETROWA-WASILEWICZ, Leksykon ruchów i…, a.a.O., S. 338.
Zwischen Identitätsbildung, Abgrenzung und Repräsentationsanspruch | 131
5.2.1 „Kampf zwischen Gut und Böse“ – Die Stilisierung der bevorstehenden Weltfrauenkonferenz zum Kampf gegen die Zerstörung der Familien „Hier findet der derzeit größte weltweite Kampf zwischen Gut und Böse statt. Die großen UN-Konferenzen bieten eine Fläche, auf der die Atheisierung der Welt und die Propagierung einer Familien zerstörenden sozialen Pathologie erfolgen kann.“91
Diese Worte adressiert die pro-life-Aktivistin und spätere Vorsitzende des FKP Ewa Kowalewska im März 1995 im Magazin der polnischen pro-life-Bewegung an die Arbeit der UN. Desweiteren bringt sie, sich quasi hinter der UN verbergende Gefahren für Familien, mit „feministischen Gruppen“ in Verbindung, die „lautstark“ undefinierte und vage Frauenrechte fordern würden. Laut Kowalewska sind die Menschenrechte (also auch die der Frau) bereits in der Menschenrechtsdeklaration enthalten, sie würden jedoch zunehmend eine „verwundernde Transformation“ durchlaufen und einen „trügerischen“ US-amerikanischen Wortschatz aufnehmen: „Viele der Begriffe haben keine konkrete Definition, womit sie beliebig interpretierbar sind.“ 92 Kowalewskas Schilderung beschreibt nahezu eine Verschwörung der UN auf Druck „feministischer Gruppen“93, die durch die Verklausulierung der Begriffe eine Manipulation der anerkannten Gesetze vorantreiben würde. In Anbetracht der damals kurz bevorstehenden vierten UN-Weltfrauenkonferenz im September 1995 in Peking zeigt dies, mit welchem Misstrauen die pro-life-Gruppen diesem Ereignis entgegensahen. Die Weltfrauenkonferenz stellte einen wichtigen Wendepunkt in der Entwicklung sowohl der feministischen als auch der katholischen Organisationen dar. Insbesondere für die feministischen Nichtregierungsorganisationen war diese Konferenz ein Mobilisierungsmoment, um auf die Diskriminierung von Frauen hinzuweisen und Polen an den internationalen Diskurs über Frauenrechte anzubinden.94 Die Phase der Internationalisierung begann bei den Frauenorganisationen insbesondere nach 1994, nachdem 1993 die postkommunistische SLD-Regierung gewählt worden und der Liberalisierungversuch des Abtreibungsgesetztes am Veto von Präsident Wałęsa gescheitert war. Gesine Fuchs sieht in dieser internationalen
91 KOWALEWSKA EWA, LECH KOWALEWSKI, Kair – Kopenhaga – Pekin… i co dalej? [Kairo – Kopenhagen – Peking… und jetzt?], in: Głos dla życia. Magazyn obrońców życia i rodziny, 1 (15), 25.03.1995, 1995, S. 5. 92 Ebd. 93 Ebd. 94 Vgl. FUCHS, Die Zivilgesellschaft mitgestalten…, a.a.O., S. 122–132.
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Orientierung der feministischen Organisationen, nach dem „Paukenschlag“95 des verlorenen Kampfes um das liberale Abtreibungsrecht, den Beginn der zweiten Entwicklungsphase der polnischen Frauenbewegung. Bereits im September 1994 nahm Wanda Nowicka von der feministischen Föderation für Frauenangelegenheiten und Familienplanung an der UN-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo teil. Die Ergebnisse dieser Konferenz bezeichnet Fuchs als Durchbruch, da auf die Bedeutung der reproduktiven Rechte von Frauen hingewiesen worden sei.96 Ganz anders sahen dies katholische Gruppen in Polen. So kritisiert die pro-life-Organisationen repräsentierende Maria Smereczyńska die Konferenz scharf und weist auf den von westlichen Ländern hinsichtlich der „Einführung des Rechts zur Tötung von Kindern vor der Geburt im Rahmen der Familienplanung“ ausgeübten Druck auf andere Staaten hin.97 Nur dank der Haltung des Vatikans, der islamischen und südamerikanischen Länder hätte laut Smereczyńska verhindert werden können, dass Abtreibung als Mittel zur Familienplanung benannt wurde. Dennoch sei aber nicht verhindert worden, dass die „reproduktive Gesundheit“ seither als „Instrument der Begrenzung der Weltbevölkerungszahlen“ propagiert wird.98 Durch die Kairo-Konferenz sei offenkundig geworden, dass die UN „krank“ und zum „Werkzeug des Imperialismus der reichen Länder gegenüber den ärmeren“ geworden sei.99 Die polnischen pro-lifeGruppen beklagten sich, dass sie während der Konferenz behindert worden seien, da Smereczyńska dort ihren Vortrag nicht habe halten können.100 Stattdessen sei der pro-choice-Aktivistin Wanda Nowicka ermöglicht worden, einen Vortrag zu halten, was die pro-life-Gruppen als „Skandal“101 auffassten. Sie kritisierten Äußerungen Nowickas zur Politik des Vatikans, der die Situation von polnischen Frauen auf negative Weise beeinflusse und sie in ihren reproduktiven Rechten einschränke. Besonders kontrovers wurde die Aussage Nowickas zu Papst Johannes Paul II. aufgenommen, sie soll gesagt haben, dass „das größte Unglück“ für polnische Frauen darin liege, dass der Papst ein Pole sei.102 Im August
95
Ebd., S. 114.
96
Vgl. ebd.
97
MARIA SMERECZYŃSKA, O co chodziło na konferencji w Kairze [Worum ging es bei der Konferenz in Kairo?], in: Głos dla Życia, 3 (13), 1994.
98
Ebd.
99
Ebd.
100 Vgl. Skandal w Kairze [Skandal in Kairo], in: Głos dla Życia, 3 (13), 1994, S. 5. 101 Ebd. 102 Ebd. Diese Aussage Nowickas wird wiederholt zitiert und als ein abschreckendes Beispiel für den Feminismus in der katholischen Presse dargestellt oder in gleicher Weise
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1995, einen Monat vor der Pekinger Konferenz, erinnerte Anna Pernal von der „informellen Bewegung“ FKK an die Ereignisse der Kairoer Konferenz und warnte davor, dass eine solche Situation wie die mit Wanda Nowicka sich nicht wiederholen dürfe. Sie kritisierte, dass man in Kairo „das durch nichts begrenzte Recht auf Tötung des empfangenen Kindes“ und die „Degradierung der Familien“ forderte.103 Die Gefahr sei laut Pernal noch nicht vorüber: „Der Kampf mit der Religion und Kirche dauert an. Die Bestrebungen zur Kreierung einer ‚neuen Zivilisation‘ und ‚einer neuen Moralordnung‘ sind nicht beendet, im Gegenteil, sie werden immer stärker. Unerschrockene Abortionisten, Kontrolleure der Bevölkerung und Feministinnen machen alles, damit die in Kairo getilgten, Familie und die Frauen diskreditierende Formulierungen in Peking wiederbelebt werden.“104
Dementsprechend wurde bereits vor der Weltfrauenkonferenz in Peking eine negative Stimmung geschaffen und die Vorbereitung darauf als Kampfvorbereitung stilisiert. Interessanterweise wurden für diesen Kampf gegen die „kranke“ UN neue Verbündete in islamischen Ländern gefunden. Bereits bei der Konferenz in Kairo wurde in der katholischen Presse auf eine mögliche Zusammenarbeit hingewiesen, die Übereinstimmung betraf hier insbesondere die Einstellung zu den reproduktiven Rechten, aber auch zur Rolle der Frau.105 Im Juni 1995 erschien in
gegen Nowickas internationale Aktivitäten genutzt. So distanzierte sich kurz nach der Pekinger Konferenz Anna Pernal von Nowickas „Führungshochmut“, die „versklavten Frauen des Ostblocks anzuführen“. Wie Pernal konstatiert: „Man könnte, das Vergeltungsrecht nutzend, sagen, dass wir uns jetzt dafür schämen, dass Wanda Nowicka eine Polin ist. Wir sagen es jedoch christlich – Herr, behüte sie“: ANNA PERNAL, A co po Pekinie? Pytanie o losy ludzkości [Und was nach Peking? Eine Frage nach dem Schicksal der Menschheit], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 186 (678), 1995, S. 5. Gemeint ist hier die nach Peking entstandene Koalition osteuropäischer Frauen, die zunächst informell die Durchführung der Beschlüsse der Pekinger Konferenz überwachte, 1997 entstand daraus die Koalition Karat. Vgl. FUCHS, Die Zivilgesellschaft mitgestalten…, a.a.O., S. 128–129. 103 ANNA PERNAL, A Pekin tuż, tuż… [Und Peking ganz nah…], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 163 (655), 1995, S. 10. 104 Ebd. 105 Vgl. darüber hinaus AMAL ABD EL-HADI, Islamic Politics in Beijing: Change of Tactics but Not Substance, in: Reproductive Health Matters, H. 8, 1996; VAL MOGHADAM, On the Muslim-Catholic Coalition and Other Conference Highlights, in: AMEWS, H. 10, 1995; NAYEREH TOHIDI, „Fundamentalist“ Backlash and Muslim
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der Zeitschrift der pro-life-Organisationen Głos dla Życia ein Interview mit dem muslimischen Arzt Majid Katme, dem damaligen Vorsitzenden der Vereinigung der Islamischen Ärzte, in dem er mit Blick auf die anstehende Konferenz in Peking zum gemeinsamen katholisch-muslimischen Kampf gegen die reproduktiven Rechte aufrief. Er äußerte seine Hoffnung, „eine gute muslimisch-christliche Zusammenarbeit für die Rettung der Zukunft der Menschheit“106 zu initiieren und wies darauf hin, dass Christen und Muslime gemeinsam ihre Stimme erheben und auf internationalen Konferenzen ihre Haltung präsentieren sollen. Tatsächlich hielt diese Zusammenarbeit während der Pekinger Konferenz an. Wie Amal Abd El-Hadi schreibt, suchten die islamischen Länder ihre Verbündeten nicht nur in anderen islamischen Ländern, sondern ebenfalls beim Vatikan und konservativen westlichen Gruppen, wodurch sie von ihrem bisherigen Paradigma des feindlichen christlichen Westens abrückten.107 So wurde beispielsweise dem muslimischen Bericht der Organisation International Islamic Council for Dawah and Relief (IICDR) ein Artikel westlicher Frauen zum Thema Gender beigefügt.108 Auch in den Konferenzberichten von Ewa Kowalewska als Repräsentantin der polnischen pro-life-Gruppen in Peking finden sich mehrmals wohlwollende Passagen über die positive Rolle, welche die Delegationen der islamischen Länder spielten.109 Kowalewska schildert in ihren Berichten ein Bild beinahe heldenhafter
Women in the Beijing Conference. New Challenges for International Women's Movements, in: Canadian Woman Studies, 16, H. 3, 1996, S. 30–34; NAYEREH TOHIDI, JANE H. BAYES, Chapter 2. Women Redefining Modernity and Religion in the Globalized Context, in: BAYES, JANE H; TOHIDI, NAYEREH (Hrsg.), Globalization, gender, and religion. The politics of women’s rights in Catholic and Muslim contexts, Basingstoke, Hampshire [England], New York, 2001, S. 17–60. 106 Islam a obrona życia i rodziny. Z dr M. Katme – przewodniczącym Stowarzyszenia Lekarzy Islamskich, członkiem SPUC (Towarzystwa Ochrony Nienarodzonych Dzieci) w Wielkiej Brytanii, czynnym uczestnikiem konferencji ONZ w Kairze i Kopenhadze – rozmawia Ewa Kowalewska [Der Islam und der Schutz des Lebens und der Familien. Mit Dr. M. Katme, dem Vorsitzenden der Islamic Medical Association (Großbritannien), Mitglied der Society for the Protection of Unborn Children (SPUC) und aktiver Teilnehmer an den UN-Konferenzen in Kairo und Kopenhagen, spricht Ewa Kowalewska], in: Głos dla życia. Magazyn obrońców życia i rodziny, 2 (16), 10.06.1995, 1995, S. 11. 107 Vgl. EL-HADI, Islamic Politics in…, a.a.O., S. 48. 108 Vgl. ebd., S. 46. 109 Vgl. z.B. EWA KOWALEWSKA, Konferencja paradoksów. Korespondencja wlasna z Pekinu [Konferenz der Paradoxe. Eigenkorrespondenz aus Peking], 171 (663), 1995,
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Aktivitäten und einer standhaften Haltung der Delegierten, die sich nicht durch die „Provokation des Lesbierinnen“ 110 aus der Fassung bringen ließen und die nach Gleichberechtigung rufenden Feministinnen an die Bedeutung der Familien erinnerten.111 Die Frauen des PZKK sahen das Motto der Weltfrauenkonferenz Gleichheit – Entwicklung – Frieden kritisch und brachten es mit „radikalem Feminismus“ in Zusammenhang, der wiederum mit Marxismus, Kommunismus und Bolschewismus in eine Reihe gestellt wurde; eine Strategie, die in der Anti-Gender-Kampagne nach 2012 ebenfalls im katholischen Diskurs genutzt wurde. Der Radikalismus biete, so die Redaktion des List do Pani, eine vereinfachte, verfälschte Sicht auf die Welt, die durch ihre Einfachheit verlockend wirke: „Auf diese Weise lockt der Radikalismus des Feminismus nicht nur eine Frau. Wie verlockend ist es, nochmals ein Buch der Geschichte, Bücher der Weltreligionen so zu schreiben, um die Überlegenheit des weiblichen über das männliche Element zu zeigen. Um aus der Biologie falsche Schlussfolgerungen und demagogische Sprüche zu ziehen und sie über all das zu stellen, was sie über die Familie und Ehe, Anthropologie, Psychologie und Soziologie besagen.“112
S. 4; EWA KOWALEWSKA, Głos za życiem. Korespondencja z Pekinu [Stimme für das Leben. Korrespondenz aus Peking], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 173 (665), 1995, S. 5; EWA KOWALEWSKA, Międzynarodowa koalicja na rzecz rodziny. Korespondencja własna z Pekinu [Internationale Koalition in Sachen Familie. Eigenkorrespondenz aus Peking], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 177 (669), 1995, S. 8. 110 KOWALEWSKA, Międzynarodowa koalicja na…, a.a.O. 111 Vgl. auch PAWEŁ WOSICKI, EWA KOWALEWSKA, Pekińskie zmagania. Z Ewą Kowalewską – delegatką Polskiej Federacji Ruchow Obrony Życia na IV Światową Konferencję ws. Kobiet w Pekinie rozmawia Paweł Wosicki [Pekinger Streitereien. Paweł Wosicki spricht mit der Delegierten der Polnischen Föderation der Bewegungen zum Schutz des Lebens PFROŻ bei der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking], in: Głos dla Życia, 3 (17), 1995, S. 4–5. Viel negativer wurde durch Kowalewska hingegen die Einstellung der damaligen UN-Konferenzsekretärin Gertrude Mongella zum eigenen katholischen Glauben betrachtet. Sie warf ihr vor, dass sie während der Konferenz ihren Glauben ins Private verlegte, anstatt den katholischen Standpunkt zu vertreten. Besonders kritisiert wurde durch Kowalewska die Organisation Catholic for Choice, welche als größter Gegner der Delegation des Vatikans gegolten habe, ebd. 112 REDAKCJA LIST DO PANI, Radykalizm feminizmu a radykalizm wiary [Radikalismus des Feminismus und Radikalismus des Glaubens], in: List do Pani, 10/30, 1995, S. 3.
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Der Feminismus solle nicht unterschätzt werden, denn er richte nur Schaden an, auch für Frauen selbst – seinem Radikalismus könne nur der Radikalismus des Glaubens widerstehen. Der Pekinger Weltfrauenkonferenz mit ihrem Motto Gleichheit – Entwicklung – Frieden und der UN wurde eine feministische Agenda unterstellt; so warnten die Frauen aus dem PZKK davor, dass die von Feministinnen geforderte Gleichheit den Frauen schade, denn sie würden dadurch den Männern gegenüber gestellt, wodurch die Harmonie der Familien zerstört werde. Auch das Motto der Entwicklung sei verhängnisvoll, wenn dadurch die mütterliche Rolle und die Berufung der Frau zugunsten der Eroberung der männlichen Felder aufgegeben werden soll, da die Besonderheit und Unersetzbarkeit der Frauen dadurch zerstört werden würde. Das Ziel des Friedens hingegen sei bereits durch den „Kampf der Geschlechter“ von Feministinnen selbst infrage gestellt worden, mitunter auch dadurch, dass sie den Zugang zu Verhütungsmitteln fordern und somit den Frieden bedrohen: „Es ist kein Frieden, wenn man den ungeborenen Kindern den Krieg erklärt; es dient nicht dem Frieden, wenn die Tür zu Scheidungen weit geöffnet wird; dem Frieden kommt man durch die Verneinung der Liebe in Familien und – was immer verbundenen ist mit der Akzeptanz des moralischen Chaos und des von sozialen und familiären Normen befreiten Sexuallebens – durch die Propagierung von Verhütungsmitteln, nicht näher.“113
Die Stellungnahme der Redaktion endet mit der politischen Anweisung an die Leserinnen, in den im Oktober 1995 stattfindenden Präsidentschaftswahlen auf eine Person zu setzen, die den katholischen Glaubensprinzipien folgt. Die ablehnende Haltung des PZKK gegenüber der UN und der Konferenz als Bühne des Radikalfeminismus steht im Kontrast zu dem bereits im Juni veröffentlichten Brief an die Frauen von Papst Johannes Paul II., in dem er seine Hochachtung gegenüber der UN für die Organisation dieser Konferenz aussprach und den Feminismus für seinen Kampf gegen Diskriminierung und Unterdrückung lobte.114 5.2.2 Geschichte von drei Berichten oder: Wer repräsentiert polnische Frauen? Die Pekinger Weltfrauenkonferenz und die Gründung der sogenannten „informellen Bewegung“ FKK wurden, wie erwähnt, für Frauen von katholischen Organisationen zu einer Mobilisierungsphase zur Konfrontation mit den feministischen
113 DERS., Nie lękajmy się [Laß uns nicht fürchten], in: List do Pani, 9/29, 1995, S. 4. 114 Vgl. JOHANNES PAUL II., Brief an die…, a.a.O.
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Organisationen. Die im SKOP vereinigten feministischen Frauenorganisationen erstellten vorbereitend zur Konferenz einen ersten Bericht zur Lage von Frauen in Polen, wodurch sie die Regierung unter Zugzwang setzten, den offiziellen Bericht fertigzustellen. Die Aktivistinnen aus den Nichtregierungsorganisationen ergriffen die Initiative, da sie von der zurückhaltenden Haltung der Regierung bei der europäischen Vorbereitungskonferenz auf Peking (Wien, Oktober 1994) enttäuscht waren, denn der Bericht der Beauftragten der Regierung für Frauen und Familie habe die Situation von Frauen nicht ausreichend dargestellt.115 Dem Bericht der feministischen Nichtregierungsorganisationen gingen Umfragen voraus, die an ca. 70 Frauen-Nichtregierungsorganisationen gesandt wurden und die nach Themen fragten, welche die polnische Delegation auf der Konferenz vorstellen sollte.116 Somit konnten sich dabei auch Frauen aus den katholischen Organisationen beteiligen, die sich dann aber zur Erstellung eines eigenen Berichts entschlossen. Der feministische Bericht wurde Ende Mai verfasst, einen Monat später folgte der Bericht katholischer (Frauen-)Organisationen.117 Es handelt sich hier um zwei sogenannte „Schattenberichte“, d.h. um die Pendants zum im August vorgestellten offiziellen Regierungsbericht, der von der Regierungsbeauftragten in Zusammenarbeit mit Frauen-Nichtregierungsorganisationen vorbereitet wurde. Über diese Zusammenarbeit und auf die kurzzeitige Beteiligung der katholischen (Frauen-)Organisationen an der Regierungskommission wurde bereits eingegangen. Der feministische Bericht wies auf die Diskriminierung von Frauen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen in Polen hin und prangerte z.B. die rechtliche, wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Stellung der Frauen, aber auch ihre Stellung in Familie, Öffentlichkeit und im Schulwesen an. Auch die Lage der Gesundheit der Frauen und des Lebens mit Behinderung wurden vorgestellt. Analysiert wurde zudem der Themenbereich der reproduktiven Rechte, insbesondere die Auswirkungen des restriktiven Abtreibungsgesetzes von 1993. Der Problema-
115 Vgl. KARNASZEWSKA, LOHMANN, MAŁACHOWSKA u. a., Same o sobie…, a.a.O., S. 12. 116 Vgl. SPOŁECZNY KOMITET ORGANIZACJI POZARZĄDOWYCH SKOP - PEKIN 1995, Sytuacja kobiet w…, a.a.O., S. 4. 117 Vgl. OLENA SKWIECIŃSKA, Jak kobieta z kobietą [Wie Frau mit der Frau], in: Gazeta Wyborcza, H. 150, 1995, S. 14.
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tik der Gewalt gegen Frauen, insbesondere der häuslichen Gewalt, wurde ebenfalls ein Kapitel gewidmet. Darüber hinaus wiesen die Verfasserinnen des Berichts auf die Situation von Migrantinnen und nicht heterosexueller Frauen hin.118 Der einen Monat später veröffentlichte katholische Bericht wirkt dagegen wie ein Gegenbericht zum feministischen Bericht. Der Bericht unterscheidet sich grundlegend sowohl vom feministischen als auch vom späteren Regierungsbericht. Während die beiden letztgenannten sich an die Vorgaben der UN hielten und verschiedene Lebensbereiche und -aspekte polnischer Frauen analysierten, besteht der katholische Bericht laut Gesine Fuchs primär aus Behauptungen: „An diesen Berichten fällt auf, dass hier offensichtlich eigene Meinungen als die hegemonialen Einstellungen ‚der Gesellschaft‘ dargestellt wurden. Dass die Mehrheit der Bevölkerung zu Verhütung, Abtreibung und Familienmodell anders als im Bericht behauptet denkt, lässt sich anhand von Umfragedaten nachweisen. Der Bericht stellte in dieser Hinsicht keine Ist-, sondern eine Soll-Beschreibung dar und trug dem pluralistischen Charakter der polnischen Gesellschaft keine Rechnung. Eigene Recherchen wurden nicht vorgenommen.“119
Interessanterweise wird sowohl im feministischen als auch im katholischen Bericht auf die gleiche Umfrage über die Lebenssituation von Frauen aus dem Jahr 1993 Bezug genommen, jedoch mit gänzlich unterschiedlichen Schlüssen.120 Die Verfasserinnen und Verfasser des „katholischen Berichts“, die sich als „Frauen, die sich in polnischen pro-familiären-Nichtregierungsorganisationen sammeln und sich zur Polnischen Föderation der Lebensschutzbewegungen zusammengeschlossen haben“121, betiteln, betonen, dass in der genannten Umfrage die Familie als wichtigster Wert im Leben der Frauen genannt wird. Sie greifen diese Aussage
118 Vgl. SPOŁECZNY KOMITET ORGANIZACJI POZARZĄDOWYCH SKOP – PEKIN 1995, Sytuacja kobiet w…, a.a.O. 119 FUCHS, Die Zivilgesellschaft mitgestalten…, a.a.O., S. 126. 120 Vgl. CENTRUM BADANIA OPINII SPOŁECZNEJ CBOS, Kobiety o swoim życiu osobistym [Frauen über ihr persönliches Leben], 1993, http://badanie.cbos.pl/details.asp?q= a1&id=1079 (abgerufen am 10.10.2016). 121 KOWALEWSKA EWA, Raport polskich kobiet skupionych w polskich pozarządowych organizacjach prorodzinnych zrzeszonych w Polskiej Federacji Ruchów Obrony Życia przygotowany na Międzynarodową Konferencję Kobiet „Równość – Rozwój – Pokój“ ONZ – Pekin 1995 [Der Bericht polnischer Frauen, vereinigt in polnischen pro-familiären Nichtregierungsorganisationen unter dem Dach der Polnischen Föderation der Lebensschutzbewegungen], Warszawa, Poznań, Gdańsk, Kraków, 1995, S. 42.
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auf und stilisieren sich als diejenigen Organisationen, welche den Erwartungen und Bedürfnissen von Frauen entsprechen würden. Insbesondere sehen sie ihre Aufgabe darin, bei der Ausübung der traditionellen Rollen zu helfen und nicht beim „[…] Kreieren anderer Lebensentwürfe, die Frauen die Selbstverwirklichung außerhalb des Hauses ermöglichen“.122 Hier wird außer Acht gelassen, dass in der genannten Umfrage von 1993 zwar ein Viertel der Frauen das traditionelle Familienmodell befürwortet, jedoch über die Hälfte von ihnen für ein „partnerschaftliches Ehemodell“123 ist. Die Wünsche von Frauen nach partnerschaftlicher Aufgabenverteilung bleiben laut Bericht jedoch unerfüllt, denn die Arbeit im Haushalt laste weiterhin auf den Frauen.124 Der feministische Bericht fordert daher die Ermöglichung einer partnerschaftlichen Aufgabenverteilung, um diesem Wunschmodell der Polinnen näher zu kommen. Dass in der Praxis weiterhin das traditionelle Modell praktiziert wird, gründet laut feministischem Bericht in der starken Verankerung traditioneller Geschlechterrollen in der polnischen Gesellschaft.125 Im Bericht der katholischen Gruppen hingegen wird bereits in der Einführung die Stellung der Frau in der polnischen Gesellschaft als sehr privilegiert dargestellt: „Frauen in Polen fühlen keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. […] Anhand der polnischen, christlichen Tradition und Kultur wird eine Frau aufgrund ihres Geschlechts mit besonderem Respekt behandelt. Sie wurde für ihr Frau-Sein immer besonders verehrt und respektiert, dessen besonderer Ausdruck bis heute die lebendige Sitte des Handkusses durch die Männer während der Begrüßung ist. Diesen Respekt konnte sie nur in Folge eines unwürdigen Benehmens verlieren.“126
Größten Respekt und Verehrung werde der Mutter gezollt, insbesondere der Mutter Polin, in Erinnerung an Frauen, die ihr Leben für ihre Kinder und die Nation während der Teilungszeit opferten. Die Mutter Polin sei „ein Symbol der vitalen Kräfte der Nation und ihrer Hoffnungen“.127 Die gesellschaftlichen Veränderungen hätten Mütter jedoch dazu gezwungen, einer Berufstätigkeit nachzugehen,
122 Ebd., S. 2. 123 Centrum Badania Opinii Społecznej CBOS, Kobiety o swoim…, a.a.O. 124 Vgl. ebd. 125 Vgl. SPOŁECZNY KOMITET ORGANIZACJI POZARZĄDOWYCH SKOP - PEKIN 1995, Sytuacja kobiet w…, a.a.O., S. 29–33. 126 KOWALEWSKA EWA, Raport polskich kobiet…, a.a.O., S. 1. 127 Ebd., S. 2.
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was zu einer Doppelbelastung geführt habe. Insbesondere der Kommunismus habe mit seinem Konzept, dass die „Frau sich in nichts vom Manne unterscheide“ 128 , Frauen in Arbeitskonkurrenz zu Männern gebracht und aus ihnen Traktorfahrerinnen oder Maurerinnen gemacht. Auch heute würden Polinnen zu einer beruflichen Tätigkeit „gezwungen“, obwohl die Mehrheit von ihnen lieber zu Hause bliebe. Interessant ist an dieser Stelle der direkte Schwenk zur Abgrenzung vom Feminismus. Unter Berufung auf „Umfragen des CBOS“, jedoch ohne konkrete Benennung dieser Umfragen, wird betont, dass „die Mehrheit der Polinnen“ von den Frauen-Nichtregierungsorganisationen Hilfe bei der Ausübung traditioneller Rollen erwarte. Hier wird die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit feministischer Frauenorganisationen bestritten und stattdessen die „richtige“ Arbeit der pro-familiären-Organisationen unterstrichen, in denen Frauen gemeinsam mit Männern arbeiten würden, ohne den „Antagonismus“ der Geschlechter.129 Die Ablehnung der Arbeit feministischer Frauen-Nichtregierungsorganisationen und die Darstellung des Feminismus als überflüssig und störend für die Familienarbeit ist letztendlich nichts anderes als eine Strategie der Selbstlegitimation der katholischen (Frauen-)Organisationen. So protestieren die Verfasserinnen und Verfasser des katholischen Berichts gegen die Gründungen der „künstlichen Frauenorganisationen auf Kosten der effektiv arbeitenden pro-familiären-Organisationen“.130 Das Christentum und nicht der Feminismus wird im katholischen Bericht zur Quelle der „wahren“ Gleichheit zwischen den Geschlechtern erhoben: „Das Christentum sicherte den Frauen Gleichheit zu, ohne gleichzeitig Spannungen zwischen den Geschlechtern, wie im Falle des gegenwärtigen Feminismus, zu erzeugen. Denn Gleichheit bedeutet nicht das Nichtvorhandensein der Unterschiede. Die Frau wird erst ganz zur Frau durch die Bindung zum Mann und er wird erst ganz zum Mann durch die Bindung zu ihr. Sie ergänzen sich in der Harmonie der Liebe, indem sie ein gemeinsames Nest, eine Familie erschaffen. Sie nehmen unterschiedliche Rollen an, um gemeinsam ein Haus zu bauen. Gleich, aber nicht identisch.“131
Demnach würden nur Aktivitäten von christlichen und pro-familiären Organisationen als „authentisches“ Engagement für Familien gelten. Und weil Frauen durch diese Organisationen im Bereich der Familie verortet werden, verstehen diese ihr Engagement auch als ein Engagement für Frauen.
128 Ebd. 129 Ebd. 130 Ebd. 131 Ebd.
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Weiterhin wird im Bericht die Tätigkeit der pro-life-Gruppen genauer geschildert und als Beispiel der für Frauen geleisteten Hilfe durch Nichtregierungsorganisationen hervorgehoben. Diese Hilfe der pro-life-Gruppen erfolge auf dreierlei Art: – Als „Lebensrettung“, d.h. Kontaktaufnahme zu schwangeren Frauen in schwierigen sozialen Situation, z.B. über ein „Vertrauenstelefon“, über das Frauen psychische oder materielle Hilfe erhalten können.132 – Als „Unmittelbare Hilfe“ für Schwangere in schwierigen Lebenssituation und ihre Familien in Form einer nicht genauer definierten „ganzheitlichen Unterstützung“ und einmaliger oder zeitlich befristeter materieller Hilfe,133 meist in enger Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden und kirchlichen sozialen Institutionen (z.B. Hilfe bei der Beantragung staatlicher Zuschüsse, von Rechtsberatung oder von Unterbringung in „Häusern der einsamen Mütter“); interessanterweise bescheinigen die Verfasserinnen und Verfasser des Berichts eine ausreichende Zahl dieser Häuser in Polen und betonen, dass die meisten (über 30) von der Kirche geführt werden134
132 Im Bericht wird die Anti-Abtreibungs-Mission einer solchen telefonischen Beratung nicht genauer geschildert, diese Informationen finden sich jedoch z.B. in Ewa Kowalewskas späterem Buch „Frau sein, aber welche?“, in dem sie über ihre frühere Arbeit bei einem Vertrauenstelefon berichtet: „Es rief ein junges Mädchen an. Es war sehr erschrocken, weil der Test ihre Schwangerschaft bestätigte. Es weiß noch nicht, was es tun kann; ist emotional stark belastet. Ihre Situation ist definitiv schwierig. Ich tröste es und schlage verschiedene positive Lösungen vor. Das Mädchen ist jedoch nicht bereit, sie anzunehmen. Es sagt: Ich habe doch die freie Wahl! Natürlich hat jeder eine freie Wahl. Stille im Hörer. […] Ich frage es, ob es weiß, wie ihr Kind aussieht. Ich erkläre dem Mädchen, dass das Kind schon da ist, weil es empfangen wurde, also es wächst und das sehr schnell. Das Mädchen ist also bereits eine Mutter und hat ein Kind, nur dass es noch sehr klein ist. Welche Wahlmöglichkeiten hat das Mädchen jetzt? Es kann: 1) Das empfangene Leben annehmen und dem Kind erlauben, sich zu entwickeln, dann in der richtigen Zeit ein lebendiges, schönes Kind gebären. 2) Das empfangene Leben ablehnen, das Kind töten und es zerstückelt herausnehmen.“: KOWALEWSKA, Być kobietą, ale…, a.a.O., S. 82. Diese Beschreibung zeigt, wie fokussierend die pro-life-Beratung von Schwangeren vorgeht, welche im Bericht als Engagement für Frauen beschrieben wird. 133 KOWALEWSKA EWA, Raport polskich kobiet…, a.a.O., S. 14. 134 Vgl. ebd. In einem Bericht der feministischen Organisation Zentrum für Frauenrechte (Centrum Praw Kobiet) zur Situation polnischer Frauen in den 1990er Jahren wurde hingegen auf die unzureichende Anzahl von Schutzunterkünften für insbesondere von Gewalt betroffene Frauen hingewiesen. Vgl. Fundacja Centrum Praw Kobiet (Hrsg.),
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Als dritter Bereich wird die „aufklärende Tätigkeit“ in den Schulen genannt, insbesondere im Rahmen der Vorbereitung zum Leben in der Familie. Im Zuge dieser Aufklärungsarbeit durch katholische Aktivistinnen und Aktivisten wird natürliche Verhütung und sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe propagiert; diese Form der „Aufklärung“ ist im Schulwesen weiterhin möglich, denn es fehlt an Sexualkunde, die eine Aufklärung über alle Möglichkeiten zur Verhütung oder zum Schutz vor Geschlechtskrankheiten beinhaltet.135 Am deutlichsten zeigt sich der konfrontative Charakter des katholischen Berichts in Bezug auf den Feminismus in den Abschnitten zu juristischen und gesundheitlichen Aspekten sowie zum Schulwesen. Der jetzige Status quo in diesen Bereichen wird als zufriedenstellend dargestellt, allerdings wird auf die Bedrohung seitens „einiger sozialer Gruppen“ hingewiesen. Konkreter ist von einer „neuen Interpretation der Frauenrechte als Menschenrechte, die Frauen umfangreiche Rechte auf Kosten anderer, insbesondere der schwachen Mitglieder der Gesellschaft und der Familie zubilligen sollen“ die Rede.136 Als besonders „drastische“ Initiative wird die Forderung des Rechts auf Abtreibung bezeichnet, wodurch „die Rechte des empfangenen Kindes“ und des Vaters missachtet würden.137 Kritisiert werden ebenfalls die Ablehnung einer Gesetzesinitiative zur Ehetrennung durch den Sejm im April 1994 sowie die Gesetzesinitiative vom September 1994 zur Vereinfachung des Scheidungsrechts, was im Bericht als „Scheidung auf Wunsch“ bezeichnet wird, welche die „Stabilität der Familien“ bedrohe.138 Im Bereich der Gesundheit beschreiben die Verfasserinnen und Verfasser bezeichnenderweise diejenigen Aspekte als größte Bedrohung für die Gesundheit der Frau, die von feministischen Organisationen als reproduktive Rechte gefordert
Kobiety w Polsce…, a.a.O., S. 169. Die durch die Kirche geführten „Häuser der einsamen Mütter“ spezialisieren sich auf die Unterbringung von Müttern mit Kindern, wobei oft psychologische Hilfen fehlen, stattdessen werden katholische Geschlechterrollen und die Idee der „Untrennbarkeit“ der Ehe propagiert, weshalb sich viele Frauen von gewalttätigen Ehemännern kaum zu trennen wagen, vgl. ILONA BAŁDYGA, HANNA
DĄBROWIECKA, ANDRZEJ DOMINICZAK u. a. (Hrsg.), Kobiety w Polsce
2003. Raport Centrum Praw Kobiet [Frauen in Polen 2003. Der Bericht des Zentrums der Frauenrechte], Warszawa, 2003, S. 169–170; Fundacja Centrum Praw Kobiet (Hrsg.), Kobiety w Polsce…, a.a.O., S. 55. 135 Vgl. FEDERACJA NA RZECZ KOBIET I PLANOWANIA RODZINY, 20 lat tzw…, a.a.O., S. 38–49. 136 KOWALEWSKA EWA, Raport polskich kobiet…, a.a.O., S. 3. 137 Ebd. 138 Ebd., S. 7.
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werden, wie das Recht auf Abtreibung oder den Zugang zu Verhütungsmitteln. Allein der Begriff „reproduktive Rechte“ wird im katholischen Bericht aufgrund seiner „Uneindeutigkeit“, die zum Abtreibungsrecht als Geburtenkontrolle führe könne, stark kritisiert.139 Die Abtreibung wird in Anlehnung an Publikationen des in der pro-life-Bewegung aktiven polnischen Frauenarztes Bogdan Chazan als eine ernste Bedrohung für die Gesundheit der Frau dargestellt, die zu psychischen und physischen Leiden führen könne.140 Verhütungsmittel würden, so der Bericht, ebenfalls Gefahren für die Frauengesundheit mit sich bringen. Die Bevölkerung werde z.B. durch die „große Propaganda zur Nutzung von Präservativen“141 belogen, denn Präservative würden weder vor Schwangerschaften noch vor HIV-Infektionen schützen. Allerdings werde die Frau durch Verhütungsmittel zum Objekt der männlichen Begierde: „Unfruchtbarkeitsmachung der Frauen durch Einnahme von Verhütungsmitteln führt zu immer häufigeren Beispielen der Aggression von Männern gegenüber Frauen, die von ihnen als ein Gegenstand des zeitweiligen Gebrauchs und nicht als Mensch, Lebensgefährtin und Mutter gemeinsamer Kinder behandelt werden.“142
Hier ist ein interessanter, schwer übersetzbarer Neologismus verwendet worden – die Verfasser und Verfasserinnen benutzen das Wort obezpładnianie (Unfruchtbarkeitsmachung), welches stark an das Wort obezwładnianie (Überwältigung) erinnert. Dieses Wortspiel unterstreicht die projizierte Bedrohung der Überwältigung der Frau durch den Mann, da sie durch Verhütung zu einem verfügbaren Sexualobjekt werden würde. Nur die von den pro-life-Organisationen propagierten natürlichen Verhütungsmethoden seien mit der Weiblichkeit und Mütterlichkeit der Frau in Einklang zu bringen und würden einen gesunden Lebensstil bedeuten.143 Für das Schulwesen bescheinigt der katholische Bericht die Gleichstellung von Frauen und Männern.144 Insbesondere wird die Bedeutung der pro-familiären Erziehung in den Schulen hervorgehoben, die junge Mädchen auf ihre Mutterrolle vorbereiten soll. Dabei werden die auf das familiäre Leben vorbereitenden Lehr-
139 Ebd., S. 16. 140 Vgl. ebd., S. 17. 141 Ebd., S. 21. 142 Ebd., S. 21–22. 143 Vgl. ebd., S. 22. 144 Vgl. ebd., S. 28.
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bücher, die die Komplementarität der Geschlechter hervorheben und unterschiedliche Rollen und Bedürfnisse von Frauen und Männer thematisieren, positiv bewertet. In diesem Sinne sollten Frauen laut Bericht weiterhin im Geiste der polnischen Kultur erzogen werden, da sie die Trägerinnen dieser Kultur in ihren Familien seien.145 Im letzten Punkt des katholischen Berichts wird auf die wachsende Gewalt gegen Frauen hingewiesen, deren Hauptursachen in der Popularisierung der Pornografie und der Vulgarisierung der Medien gesehen werden. Interessanterweise wird als Grund für das Anwachsen von Gewalt die „Belastung der Frauen mit der Verantwortung für ihre Fruchtbarkeit“146 genannt. Hieran lässt sich eine indirekte Kritik an der pro-choice-Haltung der feministischen Organisationen ablesen – im Bericht heißt es: „Man redet den Frauen ein, dass es ihre Pflicht sei, ihre Fruchtbarkeit, die nun Gefahr genannt wird, zu zerstören.“147 Auch der „Druck auf Frauen zur Durchführung einer Abtreibung“148 wird als Gewaltauslöser genannt, der allerdings durch die Novellierung des Abtreibungsrechts 1993 erfolgreich reduziert worden sei. Anders als im feministischen Bericht wird auf das Phänomen der häuslichen Gewalt nicht hingewiesen. In der Selbsteinschätzung der Verfasserinnen und Verfasser zeige der katholische Bericht „die wichtigsten Probleme und Beispiele authentischer Aktivitäten der polnischen Nichtregierungsorganisationen zum Wohl der Frauen und ihrer Familien in der schwierigen Zeit der Transformation“.149 Die Herausgeberin Kowalewska äußert 2007 in einem Rückblick, dass dieser Bericht „pro-Frau und profamiliär“ gewesen sei und Frauenrollen aufzeige, die Polinnen als die für sie wichtigsten genannt hätten, und betont, dass niemand dort „ein ,Recht‘ auf Abtreibung“ gefordert habe.150 Auch hier wird die Kritik am feministischen Bericht laut, der für die reproduktiven Rechte der Frauen plädiert – und auch der Anspruch auf Repräsentation der Mehrheit der polnischen Frauen bzw. die Selbsteinschätzung, dass nur der „katholische“ Bericht den „wahren“ Bedürfnissen und Problemen „polnischer Frauen“ Rechnung trage. Das Thema der reproduktiven Rechte wurde zu einem der Streitpunkte in der Debatte um den offiziellen Regierungsbericht für die Pekinger Konferenz. Die
145 Vgl. ebd., S. 32. 146 Ebd., S. 40. 147 Ebd. 148 Ebd. 149 Ebd., S. 1. 150 PETROWA-WASILEWICZ, Nowy feminizm…, a.a.O., S. 12.
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Vorstellung des Berichts Anfang August entfachte heftige Kritik in den katholischen Medien und seitens der katholischen Organisationen. Es wurde kritisiert, dass dort ein „gänzlich imaginäres Bild einer durch Traditionen und Recht diskriminierten, zur Pflege ihrer Kinder und Familien gezwungenen, von ihren Angehörigen malträtierten und vor allem berufliche Karriere und Emanzipation anstrebenden Polin“151 präsentiert werde. Besonders kritisiert wurde die im Bericht gegebene Einschätzung, dass das Abtreibungsgesetz von 1993 „auf Kosten“ einiger bereits geltender reproduktiver Frauenrechte verabschiedet wurde und zudem eine Empfehlung enthalte, die Abtreibung aufgrund einer sozialen Indikation zu ermöglichen.152 Darüber hinaus propagiere der Bericht durch das Postulat der Einführung von Sexualkunde in Schulen „sexuelle Lüsternheit“, statt die Mutterschaftsrolle der Frauen hervorzuheben.153 Der Bericht würde somit nicht der Meinung polnischer Frauen entsprechen.154 Der PZKK rief während der Pilgerfahrt der Frauen nach Jasna Góra im Juli 1995 die polnische Delegation dazu auf, sie solle die Meinung der katholischen Frauen und deren Bericht repräsentieren.155 Bei der Betrachtung des Inhalts des Regierungsberichts fällt auf, dass dieser sich an den Empfehlungen der UN zur Berichterstattung orientiert, die schwerpunktmäßig ausgewählte Aspekte der Situation von Frauen, die gesellschaftlich von Diskriminierung besonders betroffen sind, beinhalten. Das durch die Familien- und Frauenbeauftragte Jolanta Banach berufene Vorbereitungskomitee entschied sich für die Darstellung folgender Aspekte: Beteiligung von Frauen im politischen und sozialen Leben, Frauen in Wirtschaft und Arbeitsmarkt, Schulwesen und Kenntnis der Frauenrechte, Gesundheitsfragen sowie Gewalt gegen Frauen.156
151 AGNIESZKA RYBAK, Z czym do Pekinu? [Womit nach Peking?], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 150 (642), 1995, S. 1, S. 1. 152 Vgl. ebd. 153 Nierządowy raport rządowy [Nicht-Regierungs-Regierungsbericht], in: Gazeta Wyborcza, 1995, S. 3. 154 Vgl. ebd. Diese Meinung vertraten die Vertreterinnen der katholischen Organisationen bei PFROŻ auf einer Pressekonferenz im August 1995. 155 Vgl. POLSKI ZWIĄZEK KOBIET KATOLICKICH, Stanowisko Polskich Kobiet Katolickich na IV Światową Konferencję w Pekinie Równość-Rozwój-Pokój [Stellungnahme des Polnischen Verbands Katholischer Frauen anlässlich der 4. Weltfrauenkonferenz Gleichheit-Entwicklung-Frieden in Peking], in: List do Pani, 9/29, 1995, S. 3. 156 Vgl. PEŁNOMOCNIK RZĄDU DS. RODZINY I KOBIET [REGIERUNGSBEAUFTRAGTE FÜR FAMILIEN- UND FRAUENANGELEGENHEITEN], Raport na IV Światową Konferencję Narodów Zjednoczonych w sprawach kobiet, Pekin 1995 [Bericht für die 4. UN-Weltfrauenkonferenz, Peking 1995], Warszawa, 1995, S. 7.
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Der Bericht bescheinigt die Diskriminierung von Frauen auf verschiedenen Ebenen und enthält dringende Empfehlungen für Rechtsänderungen an die Regierung. 157 Am Bericht wirkten Vertreterinnen mehrerer feministischer FrauenNichtregierungsorganisationen und anfänglich, bis zum demonstrativen Austritt, auch drei Vertreterinnen katholischer Organisationen mit. Die Frauen aus den katholischen Organisationen hatten ebenfalls die Möglichkeit, am Bericht der feministischen Gruppen mitzuwirken. Jede Frauenorganisation konnte beim SKOP beteiligt sein, unter der Voraussetzung der Einhaltung demokratischer Regeln: „des Rechts der freien Meinungsäußerung, der Annahme, dass man selbst nicht immer Recht haben muss und der Anerkennung unterschiedlicher Wege der Wahrheitsfindung“.158 Agnieszka Rybak antwortete den Feministinnen auf die von ihnen geäußerte Enttäuschung über die ablehnende Haltung der Katholikinnen hinsichtlich eines Dialogs mit folgenden Worten: „Es gibt Prinzipien, auf die ein ehrlicher Mensch nicht verzichten kann. Für Frauen aus katholischen Organisationen sind die zehn Gebote so ein Prinzip und dort steht das Gebot ‚Du sollst nicht töten‘. […] Eine Diskussion ist in sich kein Wert. Es ist eine Zeitverschwendung. Anstatt zu überlegen, was man gemeinsam mit katholischen Organisationen machen könnte, um ‚die Situation von Frauen zu verbessern‘, solltet ihr einfach diese Frauen nicht stören. Lasst die polnischen Frauen normal leben.“159
Gegen den Regierungsbericht entstand im katholischen Milieu eine große Protestwelle, katholische Tageszeitungen riefen zu einer Briefaktion auf und bereiteten Musterbriefe an die Kanzlei des Premierministers vor.160 Die Proteste betrafen insbesondere die „Abtreibung auf Wunsch“, eine Angleichung des Renteneintrittsalters für Frauen und Männer, die Erleichterung von Scheidungen, die Einführung von Sexualkunde an Schulen, den Zugang zu Verhütungsmitteln. Denn durch diese Forderungen seien Familien als größte Bedrohung dargestellt worden. Die Regierung habe damit nicht die Haltung „der Mehrheit der polnischen Frauen“ dargestellt, sondern nur die Meinungen der „größten antifamiliären Lobby“ Par-
157 Mehr dazu vgl. FUCHS, Die Zivilgesellschaft mitgestalten…, a.a.O., S. 122–128. 158 KOZIŃSKA-BAŁDYGA, Wspólny feminizm…, a.a.O. 159 AGNIESZKA RYBAK, Dyskusja o pryncypiach [Diskussion über die Prinzipien], 147 (639), 1995, S. 2. 160 Vgl. Polska Federacja Ruchów Obrony Życia, Oświadczenie Polskiej Federacji…, a.a.O.
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lamentarische Frauengruppe (Parlamentarna Grupa Kobiet) und anderer „radikaler“ feministischer Organisationen.161 Insgesamt sind ca. 220.000 Protestbriefe, basierend auf drei Mustern, in der Kanzlei eingegangen, die laut der damaligen Frauenbeauftragten Banach teilweise Aspekte kritisierten, die im Regierungsbericht gar nicht enthalten waren.162 Der Bericht enthielt keine Empfehlung zur „Abtreibung auf Wunsch“, sondern die Möglichkeit zur Abtreibung aufgrund einer sozialen Indikation, auch keine kostenfreie Verhütung, sondern die ermäßigte Abgabe von Verhütungsmitteln zur Heilung z.B. hormoneller Krankheiten. Auch die Einführung einer zur „Lüsternheit“ führenden Sexualkunde oder der Verbannung der Mutterrolle aus den Lehrbüchern wurden nicht im Regierungsbericht erwähnt, denn es ging hier vielmehr um die Überwindung stereotyper Darstellungen der Geschlechter.163 Der Regierungsbericht wurde durch den Ministerrat am 22. August 1995 verabschiedet, allerdings ohne den in katholischen Kreisen umstrittenen Empfehlungsteil. Die katholischen Organisationen kritisierten dennoch, dass ein Teil der Empfehlungen weiterhin in anderen Textstellen enthalten sei, wie z.B. die Zulassung der Abtreibung aus sozialen Gründen.164 Im Diskurs des PZKK gab es, wie die Beiträge im List do Pani zeigen, im Vorfeld der Pekinger Weltfrauenkonferenz Verbitterung und Ablehnung gegenüber der Konferenz. In der Stellungnahme unter dem Titel „Lass uns nicht fürchten“ (Nie lękajmy sie) konstatierte die Redaktion mit Bedauern, dass die Meinung der katholischen Frauen im Bericht der Regierung und der Nichtregierungsorganisationen unberücksichtigt geblieben sei und dass in einem demokratischen Staat eine Minderheit ihre Meinung der Mehrheit aufgezwungen habe.165 Ihre „Niederlage“ erklärten sich die Frauen vom PZKK mit ihrer fehlenden Kenntnis der Nutzung demokratischer Mechanismen zur Ausübung öffentlichen Drucks sowie zur Verbreitung eigener Standpunkte z.B. durch die Gründung von Vereinen und Organisationen.166
161 Ebd., S. 2. 162 Vgl. OLENA SKWIECIŃSKA, Krucjata kobiet [Frauenkreuzzug], in: Gazeta Wyborcza, H. 209, 1995, S. 14. 163 Vgl. ebd. 164 Vgl. 7 minut dla Łuczaka? [Sieben Minuten für Łuczak?], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 169 (661), 1995, S. 1. 165 Vgl. Redakcja List do Pani, Nie lękajmy się…, a.a.O. 166 Vgl. ebd.
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5.2.3 Die Kontrollinstanz. Zur Rolle der Vertreterinnen von katholischen (Frauen-)Organisationen in Peking Konfliktreich gestaltete sich auch die Frage der Zusammensetzung der polnischen Delegation in Peking. Die Regierung schickte den SLD-Politiker Łuczak als Chef der polnischen Delegation, die katholischen Organisationen drängten jedoch darauf, ebenfalls in der offiziellen Delegation vertreten zu sein.167 Letztendlich wurden als Vertreterinnen der katholischen Öffentlichkeit die Senatorin Grześkowiak und die Sejm-Abgeordnete Lubera als Expertinnen aufgenommen. Das führte wiederum zu Diskussionen darüber, welche Meinung die beiden der katholischen Kirche nahestehenden Politikerinnen vertreten werden. Der Chef der Delegation betonte auf Nachfrage von linken Abgeordneten im Sejm, dass beide Frauen frei seien, ihre eigene Meinung zu vertreten, denn es ginge darum, unterschiedliche Meinungen in der Delegation zu vereinen.168 Rederecht beim Hauptforum hatte jedoch, wie bei allen anderen Regierungsdelegationen, allein Łuczak als Chef der Delegation. Das traf bei rechtskonservativen Politikerinnen der Delegation auf Unmut, da sie auf ein Rederecht gehofft hatten, um die Meinung der katholischen Kirche zu repräsentieren.169 Letztendlich fuhren zur Weltfrauenkonferenz neben der offiziellen Delegation etwa 27 Frauen aus feministischen Nichtregierungsorganisationen zum Forum der Nichtregierungsorganisationen in Huairou, und drei Frauen aus den katholischen Organisationen: Ewa Kowalewska vom PFROŻ in ihrer Rolle als Korrespondentin für Głos dla Życia und List do Pani sowie die PZKK-Mitgliedsfrauen Jolanta Kucharska und Anna Przyborowicz als Vertreterinnen des FKK.170 Anders als die
167 Vgl. Przed Pekinen: o nas bez nas [Vor Peking: Über uns ohne uns], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 154 (646), 1995, S. 4; SKWIECIŃSKA, Spór o Pekin…, a.a.O. 168 Vgl. Stenogram posiedzenie Sejmu, 2 kadencja, 57 posiedzenie, 2 dzień (25.08.1995), 11 Pkt porządku dziennego [Stenogramm der Sejmsitzung, Zweite Amtszeit, 57. Sitzung, Zweiter Tag (25.08.1995), elfter Punkt der Tagesordnung], http://orka2.sejm. gov.pl/Debata2.nsf/main/5A6307D9 (abgerufen am 27.11.2017). 169 Vgl. Prymas Polski przyjąl katolickie delegatki na konferencję w Pekinie [Der Primas Polens emfing katholische Delegierte zur Konferenz in Peking], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 167 (659), 1995, S. 1. 170 Vgl. KARNASZEWSKA, LOHMANN, MAŁACHOWSKA u. a., Same o sobie…, a.a.O., S. 64. Die Teilnehmerinnen des PZKK betonten, dass ihre Teilnahme durch Spenden finanziert wurde, Vgl. FORUM KOBIET KATOLICKICH, Oświadczenie Forum Kobiet Katolickich [Erklärung des Forum Katholischer Frauen], in: Słowo. Dziennik
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Vertreterinnen der feministischen Nichtregierungsorganisationen nahmen sie nicht am Forum in Huairou teil, sondern traten als Beobachterinnen bei der Hauptkonferenz auf.171 Bereits beim Empfang bei Primas Glemp vor ihrer Abreise nach Peking bekräftigten sie, dass sie dort die Meinung der katholischen Kirche vertreten werden.172 Zusätzliche Unterstützung erhielten sie von der Repräsentantin des Präsidenten Lech Wałęsa, Ewa Tomaszewska, sowie von der polnischen Repräsentantin der vatikanischen Delegation, der Ökonomin Irena Kowalska, die ihre Bereitschaft erklärte, die Meinung der polnischen Frauen zu repräsentieren, die entgegen dem Regierungsbericht gar nicht „unglücklich“ seien.173 Die Rolle der katholischen Delegierten während der Konferenz diente folglich der Überwachung der polnischen Regierungsdelegation und der Präsentation der eigenen Gegendarstellung. Die Senatorin Grześkowiak erinnerte rückblickend, dass sowohl sie als auch Maria Lubera auf die Vertreterinnen der polnischen Delegation, die als Unterhändlerinnen an den Diskussionsrunden teilnahmen, buchstäblich „aufpassten“.174 Besondere Aufregung bei den Vertreterinnen der katho-
Katolicki, 159 (651), 1995, S. 2. Die Frauen der katholischen Organisationen beklagten sich über die angebliche Bevorzugung der feministischen Organisationen durch die Regierung sowie über die ihrer Meinung nach einseitige Unterstützung der Feministinnen durch die UN, während Katholikinnen „ausschließlich“ auf Spenden angewiesen gewesen seien. Sie lehnten allerdings den ihnen angebotenen Platz im „Sonderzug“ der Frauen nach Peking ab, der vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) finanziert wurde, da sie die UNDP als „Sponsor atheistisch-feministischer Organisationen“ betrachteten und die Politik der UN mit ihrer Anwesenheit im Zug nicht „glaubwürdig machen“ wollten: „Es war möglich, sich aus dem ‚Komitee‘ [der Regierung zur Vorbereitung des Berichts J.S.] mit Ehre zurückzuziehen. Dies wäre mit dem Zug eher nicht möglich“, Ebd. 171 Vgl. WOSICKI, KOWALEWSKA, Pekińskie zmagania. Z…, a.a.O. 172 Vgl. Prymas Polski przyjąl…, a.a.O. 173 AGNIESZKA RYBAK, IRENA KOWALSKA, Polki nie są nieszczęśliwe. Rozmowa z dr Irena Kowalską z Instytutu Statystyki i Demografii SGH, czlonkinią delegacji Apostolskiej na konferencję w Pekinie [Polinnen sind nicht unglücklich. Ein Gespräch mit Dr. Irena Kowalska vom Institut für Statistik und Demografie SGH, Mitglied der Vatikandelegation für die Konferenz in Peking], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 168 (660), 1995, S. 3. 174 ALICJA GRZEŚKOWIAK, Rodzina i kobieta w świetle IV Światowej Konferencji w sprawach kobiet w Pekinie [Familie und Frau im Lichte des 4. Weltfrauenkonferenz in Peking], in: BURZYK, EUGENIUSZ (Hrsg.), Ewangelia życia. Materiały z sesji
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lischen Organisationen in Peking erregte die offizielle Ansprache Łuczaks zur Situation der polnischen Frauen. Obwohl er in seiner moderaten Ansprache auf die Bedeutung der Lehre und die Autorität der katholischen Kirche in Polen hinwies, löste er eine Kritikwelle im katholischen Milieu in Polen aus, als er den Regierungsbericht als einen „objektiven“ Bericht bezeichnete, der die Meinung verschiedener Gruppen, auch der katholischen, repräsentiere. Frauen aus den katholischen Organisationen vor Ort in Peking wie auch die katholische Presse in Polen warfen ihm das Verschweigen der Protestbriefe vor und kritisierten, dass die katholischen Gruppen keinen Einfluss auf den Regierungsbericht hatten, der ihrer Meinung nach die feministischen Gruppen repräsentierte, allerdings ohne zu erwähnen, dass dies auf ihrem freiwilligen Verzicht beruhte.175 Besonders kritisiert wurde die Aussage Łuczaks bezüglich der reproduktiven Rechte, in der er diese Fragen als Privatangelegenheiten von Frauen bezeichnete. 176 Das FKK erinnerte in seiner Stellungnahme an den bereits erwähnten Kairoer „Skandal“ um die papstkritische Aussage der Frauenaktivistin Nowicka, die „im Namen der polnischen Frauen“ den Papst beleidigt habe. Das FKK konstatierte, dass diesmal der polnische Vize-Premierminister durch seine unwahre
naukowej na temat encykliki Evangelium vitae, Bielsko-Biała, 1996, S. 85–107, hier S. 113. 175 Vgl. Konferencja w Pekinie. Pośrednie potępianie [Die Konferenz in Peking. Indirekte Verurteilung], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 173 (665), 1995, S. 1; Przeciw Hillary, atomowym próbom i aborcji [Gegen Hillary, Atomwaffentest und Abtreibung], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 174 (666), 1995, S. 1; Protest Forum Kobiet Katolickich [Protest des Forums Katholischer Frauen], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 175 (667), 1995, S. 3. 176 Vgl. Protest Forum Kobiet…, a.a.O; Protest Forum Kobiet Katolickich [Protest des Forums Katholischer Frauen], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 176 (668), 1995, S. 4. Es handelt sich um folgenden Abschnitt aus Łuczaks Rede: „Each woman’s decision concerning contraception, abortion, and divorce, which are often based on difficult moral considerations, cannot be subject topological bargaining. As guardian of the law, the Polish Government opposes adding a political dimension to decisions which are always highly personal. These decisions are, of course, subject to ethical and philosophical judgements; judgements originating in a woman’s conscience, her family circle, and in the wider community both religious and secular“, ALEKSANDER ŁUCZAK,
Speech by the Deputy Prime Minister of the Republic of Poland, Professor
Aleksander Łuczak, PhD, at the 4th World Conference on Women Issues Beijing 1995, www.un.org/esa/gopher-data/conf/fwcw/conf/gov/950910174608.txt (abgerufen am 29.11.2016).
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Aussage die „Delegatinnen des katholischen Milieus“ verspottet habe.177 In der Stellungnahme wurde betont, dass die Abtreibung in Polen gesetzlich geregelt und daher keine Privatangelegenheit von Frauen sei.178 Die PFROŻ-Aktivistin Kowalewska beklagte sich in ihren Berichten über die während der Konferenz herrschende Atmosphäre und verurteilte die „aufdringliche Erfolgspropaganda“179 einer mutmaßlichen Revolution. Für sie bedeute diese Revolution den „Verstoß gegen das Wertefundament einer dauerhaften, sich liebenden, aus Mutter, Vater und Kindern bestehenden Familie“.180 Statt diese Werte zu schützen, würden reproduktive Rechte propagiert. Sie kritisierte zudem, dass die polnische Delegation dem „radikalen Feminismus“ und der „neuen Moral“ der Europäischen Union zugeneigt gewesen sei.181 Die Vertreterinnen der polnischen katholischen Organisationen fühlten sich hingegen diskriminiert, da sie keine Möglichkeit hatten, ihre Meinung öffentlich kundzutun. Sie betonten, dass die Regierungsdelegation mit ihrem Bericht lediglich feministische, jedoch keine katholischen Gruppen repräsentiert habe.182 Die Pekinger Weltfrauenkonferenz wurde mit einer Aktionsplattform abgeschlossen, zu der sich neben 188 Ländern auch die Delegation der polnischen Regierung verpflichtete. Im Rahmen der Aktionsplattform wurden die Regierungen angehalten, sich mit „nachhaltige[m] und langfristige[m] Engagement“183 für die Gleichberechtigung der Geschlechter auf allen Ebenen und für die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen einzusetzen. Während die Regierungsdelegation sowie Frauen-Nichtregierungsorganisationen die Aktionsplattform als einen wichtigen Schritt begrüßten, standen die katholischen Delegierten dieser sehr kritisch
177 Protest Forum Kobiet…, a.a.O. Ähnlich Kritik auch seitens des PFROŻ, Vgl. POLSKA FEDERACJA RUCHÓW OBRONY ŻYCIA, Polska Federacja Ruchów Obrony Zycia przeciwko wystąpieniu A. Łuczaka. Oświadczenie [Polnische Föderation der Lebensschutzbewegungen gegen die Rede A. Łuczaks], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 174 (666), 1995, S. 3. 178 Vgl. Protest Forum Kobiet…, a.a.O. 179 WOSICKI, KOWALEWSKA, Pekińskie zmagania. Z…, a.a.O., S. 4. 180 Ebd. 181 Ebd. 182 Vgl. W Pekinie czułyśmy się dyskryminowane [Wir fühlten uns in Peking diskriminiert], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 180 (672), 1995, S. 2; PERNAL, A co po…, a.a.O. 183 Aktionsplattform auf Deutsch, vgl. Aktionsplattform der Vierten Weltfrauenkonferenz,
http://www.un.org/Depts/german/conf/beijing/anh_2.html
10.12.2016).
(abgerufen
am
152 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
gegenüber. Sie folgten hier der Meinung des Vatikans und des polnischen Episkopats, die die Aktionsplattform ebenfalls kritisch sahen. Die Delegation des Vatikans wendete sich in ihrer Stellungnahme gegen die „vage“ Terminologie, welche Hintertürchen für verschiedene Interpretationen öffne, die der Lehre der katholischen Kirche widersprechen: „Surely we can do better than to address the health needs of girls and women by paying disproportionate attention to sexual reproductive health. Moreover, ambiguous language concerning unqualified control over sexuality and fertility could be interpreted as including societal endorsement of abortion and homosexuality.“184
Neben der Frage der reproduktiven Rechte weckte der im Rahmen der Aktionsplattform benutzte Begriff Gender die besondere Aufmerksamkeit des Vatikans, aber auch einiger islamischer und lateinamerikanischer Länder.185 Die vatikanische Delegation beharrte in Anlehnung an das Komplementaritätsprinzip der Geschlechter und an die Lehre Johannes Pauls II. auf ihrer Auslegung dieses Begriffs als auf der Biologie gründende männliche und weibliche sexuelle Identität.186 Auf Druck dieser Länder wurde der Plattform ein Anhang mit der Stellungnahme der Konferenzpräsidentin beigefügt, die beinhaltet, dass der Begriff Gender nach der Auslegung der UN, genauer „in its ordinary, generally accepted usage in numerous other United Nations“,187 verstanden werde. Die Aktionsplattform wurde für die feministischen Nichtregierungsorganisationen zu einem wichtigen Dokument, in dem sie ein wichtiges Mittel zur weiteren
184 Holy See’s final statement at Beijing Women’s Conference, http://www.its.caltech. edu/~nmcenter/women-cp/beijing3.html (abgerufen am 10.12.2016). 185 Kowalewska berichtete aus Peking, dass der Vatikan, lateinamerikanische und islamische Länder sich zudem gegen die Propagierung von Verhütungsmitteln und für das Recht der Eltern auf Erziehung der Kinder nach ihrem eigenen Gewissen einsetzten. Sie wehrten sich ebenfalls gegen die Verurteilung der Diskriminierung von Frauen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, weil dies zu einem Adoptionsrecht für Lesben führen würde, vgl. Zgoda w Pekinie? [Einigung in Peking?], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 176 (668), 1995, S. 1. Siehe auch GRZEŚKOWIAK, Rodzina i kobieta…, a.a.O. 186 Vgl. Holy See’s…, a.a.O. 187 Report of the Fourth World Conference on Women, 1995, http://www.un.org/ esa/gopher-data/conf/fwcw/off/a-20a1.en (abgerufen am 20.12.2016).
Zwischen Identitätsbildung, Abgrenzung und Repräsentationsanspruch | 153
Umsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter sahen.188 Als ein internationales Dokument der UN fungierte es als Druckmittel, um die Frauenpolitik der Regierung voranzubringen. 189 Die katholischen (Frauen-)Organisationen hingegen folgten einer Strategie der Verharmlosung der Bedeutung dieses Dokuments, sie wiesen auf den unverbindlichen Konsenscharakter der Aktionsplattform hin, insbesondere da polnische Feministinnen ihre Umsetzung bereits „laut fordern“190 würden. Damit unterschieden sich die polnischen Vertreterinnen katholischer Gruppen von ihren Glaubensschwestern aus anderen Ländern, wie z.B. den Frauen des deutschen KDFB. Sowohl der KDFB als auch der Weltverband WUCWO, dem der PZKK angehört, schlossen sich zur Gruppe der Ecumenical Women United zusammen und beteiligten sich an den Arbeiten zur Aktionsplattform. Der KDFB verpflichtete sich dazu, das Einhalten der Aktionsplattform durch die Regierung zu überwachen.191 Die im Vorfeld von Frauen aus den katholischen (Frauen-)Organisationen geäußerte Kritik an der UN-Konferenz zeigt eine Rhetorik, die auch in späteren polnischen Debatten und auch in der Anti-Gender-Kampagne nach 2012 erkennbar ist. Mit dieser Rhethorik wird eine nahende Bedrohung in Gestalt einer gefährlichen Ideologie aufgerufen, welche gewissermaßen in verschiedene Erscheinungen hineinschlüpft. So wird die UN eines Feminismus bezichtigt, der in seiner Radikalität dem Kommunismus gleiche und von einer, nicht näher spezifizierten, „New Age“-Ideologie schwedischer Provenienz herrühre, die sich von Skandinavien auf
188 Vgl. z.B. die durch die Regierungsbeauftragte für Gleichstellungsfragen Fuszara veranstaltete Konferenz „20 Jahre nach Peking“ im Rahmen des Frauenkongresses 2015. 189 Vgl. FUCHS, Die Zivilgesellschaft mitgestalten…, a.a.O. 190 EWA KOWALEWSKA, Kilka uwag po Konferencji w sprawie kobiet w Pekinie [Einige Anmerkungen nach der Weltfrauenkonferenz in Peking], in: List do Pani, 10/30, 1995, S. 6. Vgl. auch GRZEŚKOWIAK, Rodzina i kobieta…, a.a.O; EWA KOWALEWSKA, Kontrowersje wokół dokumentu końcowego. Korespondencja z Pekinu [Kontroversen um das Abschlussdokument. Korrespondenz aus Peking], in: Słowo. Dziennik Katolicki, 180 (672), 1995, S. 10. 191 Vgl. DEUTSCHE KOMMISSION JUSTITIA ET PAX, Gleichberechtigung – Entwicklung – Frieden Die PekingerWeltfrauenkonferenz 1995. Eine Handreichung der Projektgruppe Frauen und Menschenrechte der Deutschen Kommission Justitia et Pax, www. justitia-et-pax.de/jp/publikationen/pdf/guf_078.pdf (abgerufen am 12.12.2016); MONIKA PANKOKE-SCHENK, Frauenrechte sind Menschenrechte, in: Christliche Frau, H.
1, 1996, S. 14–15.
154 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
die UN übertragen habe.192 Bereits in den 1990er Jahren war der Widerstand der katholischen Organisationen gegen die als Bedrohung angesehenen Modernisierungstendenzen eklatant erkennbar, dieser Bedrohung wurde damals jedoch noch kein eindeutiges Feindbild beigemessen. Mal handelte sich um den Kommunismus, mal um den Stalinismus, den Feminismus oder eben New Age. Nach 2012, bzw. mit Beginn der Anti-Gender-Kampagne der katholischen Kirche in Polen, liefen die Proteste dann unter dem gemeinsamen Nenner der vermeintlichen „Gender-Ideologie“.
192 Vgl. PERNAL, A Pekin tuż…, a.a.O., S. 10. Pernal bezog sich hier auf die schwedische Politikerin und Friedensnobelpreisträgerin Alva Myrdal, der Pernal vorwarf, dass sie 1934 erklärt haben soll, dass die „Gleichheit der Geschlechter eine bewusste Demontage der traditionellen Familien, Überwindung der traditionellen weiblichen Rollen durch Recht und Politik, auch unter Zwang“ erfordere, Ebd. Hier wurde außer Acht gelassen, dass Myrdal auch eine große Anhängerin der Vereinbarkeit von beruflichem und familiärem Leben von Frauen war, vgl. dazu z.B. HEDVIG EKERWALD, Alva Myrdal: Making the Private Public, in: Acta Sociologica, 43, 4 (2000), S. 343–352.
6
Der neue Feminismus als Verteidigung der katholischen Anthropologie
Die Beschlüsse der Pekinger Weltfrauenkonferenz sowie die Gender-Mainstreaming-Verordnungen der Europäischen Union lieferten der zweiten Welle der polnischen Frauenbewegung ein Instrumentarium, mit dem sie sich politisch für Frauenrechte und die Gleichstellungspolitik einsetzen konnte. Gleichzeitig zeigte die Haltung der polnischen Amtskirche und katholischer Organisationen bezüglich der Weltfrauenkonferenz, dass die internationalen Gleichstellungsbestimungen eine Bedrohung der traditionellen Geschlechterordnung und Familienwerte darstellten. Deshalb lehnte die katholische Kirche, in diesem Fall vatikankonform, die von der UN und der EU betriebene Gleichstellungspolitik vehement ab, die für den polnischen Feminismus nach 1989 eine Unterstützung gewesen war. Durch den starken gesellschaftlichen und politischen Einfluss der katholischen Kirche entwickelte sich die Auseinandersetzung um die Gleichstellungspolitik weiterhin förmlich zu einem Kampf. Die katholischen (Frauen-)Organisationen spielten hier eine wichtige Rolle, denn sie antworteten auf die feministischen Gleichstellungsforderungen mit dem neuen Feminismus Johannes Pauls II. und fungierten dabei als katholische Bewegung von Frauen, die sich von der feministischen Bewegung und deren Gleichstellungsforderungen abgrenzt. Damit begann eine aufgeheizte Debatte und kämpferische Aushandlung zwischen zwei unterschiedlichen Gleichheitsverständnissen – der auf der katholischen Lehre und der katholischen Anthropologie basierenden Komplementarität der Geschlechter und der auf internationaler Gleichstellungspolitik und Frauenrechten fußenden Gleichberechtigung der Geschlechter.
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6.1 DIE AUSEINANDERSETZUNGEN UM DIE STAATLICHE GLEICHSTELLUNGSPOLITIK „Zwischen Mann und Frau besteht wesensbedingte Gleichheit in der Menschlichkeit. Man kann also die Geschlechtlichkeit nicht von der Menschlichkeit trennen. Aufgrund der personellen Struktur sind sowohl Mann als auch Frau gleich in der menschlichen Würde und freie Vernunftwesen, sie sind jedoch von Natur aus unterschiedlich unter dem Aspekt des Geschlechts. Man kann hingegen nicht von der Höherwertigkeit oder Minderwertigkeit eines Geschlechts, über ein erstes und ein zweites Geschlecht, sprechen. So wie Gott den Menschen geplant hatte: Als Mann und Frau schuf er sie. (Gen 1,27).“1
Das aus einem Beitrag aus dem Jahr 1995 in List do Pani stammende Zitat weist auf das Prinzip der Komplementarität der Geschlechter in der katholischen Anthropologie hin, die meist mit der Wendung gleich, aber unterschiedlich beschrieben wird. Diese Wendung zieht sich durch verschiedene Beiträge und Stellungnahmen der Frauen des PZKK und des FKP und wird immer wieder politisch gegen die staatliche Gleichstellungspolitik als Argument dafür eingesetzt, dass es keiner gesonderten Regelungen zur Gleichberechtigung der Geschlechter bedürfe, da die Menschenrechtsregelungen ausreichend seien. Die Gleichstellungspolitik wird in diesen Stellungnahmen vielmehr als zur Gleichmachung der Geschlechter führend sowie als bedrohlich für das Komplementaritätsprinzip angesehen. Joanna Bator stellt in ihrer Analyse der Sejm-Sitzungen zur Gleichstellungspolitik 1999 dar, wie diese Argumentation Eingang in die politische Debatte fand: Der katholische Denkstil nach der Devise gleich, aber unterschiedlich sei durch rechts-konservative Politikerinnen und Politiker in den Sejm eingebracht worden und lehne politische Gleichstellungsinitiativen als Bedrohung der Komplementarität zwischen Mann und Frau und als Zerstörung der Harmonie zwischen den Geschlechtern pauschal ab.2 Laut Bator handelt es sich bei dieser Debatte um den Zusammenstoß zweier Weltanschauungen, einer auf der kirchlichen Lehre aufbauenden Weltanschauung, die sie als „national-katholischen Diskurs der Ungleichheit“ be-
1
ZOFIA ZDYBICKA, Równi i różni [Gleich und verschieden], in: List do Pani, 1995,
2
Vgl. JOANNA BATOR, Wizerunek kobiety w polskiej debacie politycznej. Perspektywa
12/32, S. 6. feministyczna [Das Bild der Frau in der polnischen politischen Debatte. Die feministische Perspektive], 1999.
Der neue Feminismus | 157
zeichnet, und des „liberalen Gleichheitsdiskurses“, d.h. der liberal-demokratischen Idee der Gleichheit der Geschlechter.3 Die ideologische Auseinandersetzung zur Rolle der Frau und möglichen geschlechtsspezifischen Unterschieden hätte dabei die Kompromisssuche und deren politische Umsetzung überschattet. Bator bemerkt: „Im Ganzen verlieren nur die Frauen, die in unserem Land weiterhin höchstens mit der patriarchalen Galanterie des Handkusses bedacht werden“.4 Die Parlamentsdebatte, auf die sich Bator bezog, ist einer von drei (1997, 1998 und 2005) gescheiterten Versuchen, ein Gesetz zur Gleichstellung von Frauen und Männern zu verabschieden. Polen verpflichtete sich durch die Ratifizierung internationaler Verträge und durch den EU-Beitritt zur Übernahme der Gleichstellungspolitik und zur Bekämpfung von Diskriminierung.5 Die polnischen, sowohl konservative als auch postkommunistische, Regierungen ignorierten aber lange die Gleichstellungspolitik, Gleichstellungsinitiativen wurden vielmehr von Nichtregierungsorganisationen getragen. 6 Diskriminierung aufgrund des Geschlechts konnte somit juristisch kaum belangt werden. Zwar wurde das Arbeitsrecht entsprechend novelliert und um Aspekte der Diskriminierung erweitert, Gleichstellungs- und Anti-Diskriminierungs-Maßnahmen waren jedoch bis 2010 auf kleinere Änderungen und Interventionen begrenzt und von der politischen Stimmung abhängig.7 Wie Bożena Chołuj 2009 bemerkte, wurden besonders Frauen von der
3
Ebd., S. 40.
4
Ebd., S. 43.
5
Polen wurde mehrmals in den Berichten der UN-Komitees zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen aufgerufen (1989, 1999, 2002 und 2004), vgl. ELEONORA ZIELIŃSKA, Prawo wobec kobiet. Refleksja w dwudziestą rocznicę kontraktu Okrągłego Stołu [Gesetzgebung bezüglich der Frauen. Eine Reflexion anlässlich des 20. Jahrestages des Runden Tisch], in: SLANY, KRYSTYNA; STRUZIK, JUSTYNA; WOJNICKA,
KATARZYNA (Hrsg.), Gender w społeczeństwie polskim, Kraków, 2011, S.
103–118, hier S. 117. 6
Vgl. NATALIA SARATA, Polityka równościowa w kryzysie [Gleichstellungspolitik in der Krise], in: CZERWIŃSKA, ANNA; ŁAPNIEWSKA, ZOFIA; PIOTROWSKA, JOANNA (Hrsg.), Kobiety na „zielonej wyspie“. Kryzys w Polsce z perspektywy gender, Warszawa, 2010, S. 105–122, hier S. 121.
7
Vgl. DOMINIKA BYCHAWSKA, Unia nierychliwa, ale sprawiedliwa. O konsekwencjach niewprowadzenia przez Polskę dyrektyw równościowych [Eine langsame, aber gerechte Union. Über die Konsequenzen der Nichteinführung der Gleichstellungsrichtlinien in Polen], in: Fundacja Feminoteka (Hrsg.), Gendermeria. Równościowy monitoring. Raport z wyników monitoringu, Warszawa, 2008, S. 115–118; SARATA, Polityka równościowa w…, a.a.O; KRZYSZTOF ŚMISZEK, Obecny projekt Ustawy o
158 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
politischen Konjunktur und der sich mit jedem Regierungswechsel ändernden Gesetzeslage abhängig.8 Das in der Folge der Nairobi-Konferenz 1985, die einen ersten Impuls für die polnische Gleichstellungspolitik gab, bereits 1986 eingeführte Amt für Gleichstellung wurde mehrfach umbenannt.9 Dies geschah abhängig von der Haltung der Regierungen zur Gleichstellungspolitik und zur Rolle der Frauen: Mal war es ein Amt zum gleichen Status von Frauen und Männern, mal wurde es in Amt für Familienfragen umbenannt oder sogar abgeschafft, wie 2005 nach den durch die rechts-konservative Partei PiS gewonnenen Wahlen.10 Erst 2010 wurde durch die damalige Regierung der Bürgerplattform PO von Donald Tusk die Gleichstellungspolitik zum Thema durch die wegen fehlender Fortschritte in diesem Bereich nach Ablauf jenes Jahres zu erwartenden Sanktionen der EU gegen Polen erzwungen. Aus diesem Grund wurde eilig ein Gesetz verabschiedet, welches jedoch die Gleichstellungspolitik deutlich kürzer behandelt als frühere gescheiterte Gesetzesentwürfe zur Gleichstellung. Bereits der Titel Über die Implementierung einiger Vorschriften der EU im Bereich der Gleichstellung zeigt, dass es sich hier nur um die minimale Teileinführung der Gleichstellungspolitik zur Abwendung der EU-Sanktionen handelt.11 Die in feministischen Kreisen wegen ihres fehlenden Engagements für die Gleichstellungspolitik kritisierte PO-Politikerin Radziszewska, die das Amt der Regierungsbeauftragten zum gleichen Status von Frauen und Männern innehatte, bereitete das Gesetz in einem verkürzten Verfahren vor, so dass es im Dezember 2010 verabschiedet werden
równym traktowaniu nie przeciwdziała zjawisku dyskryminacji [Der aktuelle Entwurf des Gleichstellungsgesetzes wirkt nicht gegen die Diskriminierung], in: Fundacja Feminoteka (Hrsg.), Gendermeria. Równościowy monitoring. Raport z wyników monitoringu, Warszawa, 2008, S. 119–122. 8
Vgl. BOŻENA CHOŁUJ, Zum Stand der Gleichstellungspolitik in Polen, 2009, http://www.bpb.de/internationales/europa/polen/40779/frauen-in-polen (abgerufen am 19.10.2016).
9
Vgl. UNDP PROGRAM NARODÓW ZJEDNOCZONYCH DS. ROZWOJU, FUNDACJA FUNDUSZ WSPÓŁPRACY,
Polityka równości płci Polska 2007 [Gleichstellungspolitik Polen
2007], Warszawa, 2007, S. 32–33. Siehe auch SARATA, Polityka równościowa w…, a.a.O; ZIELIŃSKA, Prawo wobec kobiet…, a.a.O. 10 Vgl. UNDP PROGRAM NARODÓW ZJEDNOCZONYCH DS. ROZWOJU, FUNDACJA FUNDUSZ WSPÓŁPRACY, Polityka
równości płci…, a.a.O., S. 32–33.
11 Vgl. Ustawa z dnia 3 grudnia 2010 r. o wdrożeniu niektórych przepisów Unii Europejskiej w zakresie równego traktowania [Gesetz vom 3. Dezember 2010 über die Implementierung einiger Vorschriften der EU im Bereich der Gleichstellung], http://isap. sejm.gov.pl/DetailsServlet?id=WDU20102541700 (abgerufen am 27.10.2016).
Der neue Feminismus | 159
konnte; besonders umstritten war die Einbindung des Episkopats im Gesetzgebungsverfahren.12 Die erwähnte Einteilung des Diskurses in einen „national-katholischen Ungleichheits-“ und einen „liberal-demokratischen Gleichheitsdiskurs“ 13 kann als Teil der durch Peggy Watson festgestellte Maskulinisierung und ReTraditionalisierung der polnischen Gesellschaft nach 1989 gesehen werden.14 Ebenfalls in Anlehnung an Watson konstatiert Annika Keinz, dass die Wiedererlangung der Freiheit nach 1989 in Polen auch die Freiheit zur Ausübung traditioneller Geschlechterrollen bedeutete, im Zuge dessen Differenzen an Gewicht gewannen.15 Die parlamentarischen Debatten nach 1989 wurden laut Keinz zum Schauplatz von Verhandlungen über nationale Werte, die (Geschlechter-)Differenz zum „political instrument for the renaturalisation of gender roles“.16 Keinz zeigt am Beispiel der politischen Debatten über das Abtreibungs- und das Gleichstellungsgesetz, wie das Spannungsfeld zwischen Europäisierungs- und Nationalisierungsprozess die Ordnung der Geschlechter beeinflusste. Während sich die feministischen Nichtregierungsorganisationen in ihren Handlungsstrategien auf Beschlüsse der Europäischen Union beriefen, verherrlichte die konservative Seite, welche auf der Differenz der Geschlechter beharrte, die „gute [vor-sozialistische] Vergangenheit“ Polens, insbesondere während der Zweiten Republik 1918-1939. Gleichheit ist hier mit Gesetzen der Volksrepublik Polen assoziiert, Differenz hingegen mit der Rückbesinnung auf traditionelle Werte.17
12 Der Episkopat nahm dahingehend Stellung, dass die gesetzlichen Regelungen im Bereich der Gleichstellung in Polen nicht notwendig seien und die Anpassung an EU-Verordnungen zudem die Nachgiebigkeit Polens bedeuten könnte. Laut Radziszewska wurde diese Stellungnahme letztendlich nicht berücksichtigt, vgl. Minister wysłała projekt ustawy do episkopatu. SLD żąda dymisji [Ministerin schickte den Gesetztesentwurf an das Episkopat. SLD fordert ihren Rücktritt], 2010, http://www.lex.pl/czytaj/-/artykul/ minister-wyslala-projekt-ustawy-do-episkopatu-sld-zada-dymisji?refererPlid=525712 8 (abgerufen am 27.10.2016). 13 BATOR, Wizerunek kobiety w…, a.a.O., S. 40. 14 Vgl. WATSON, The Rise of…, a.a.O., S. 71. 15 Vgl. ANIKA KEINZ, Polens Andere. Verhandlungen von Geschlecht und Sexualität in Polen nach 1989, Bielefeld, 2008, S. 86–128; ANIKA KEINZ, Negotiating democracy’s gender between Europe and the nation, in: Focaal, 2009, H. 53, 2009, S. 38–55, hier S. 43. 16 KEINZ, Negotiating democracy’s…, a.a.O., S. 43. 17 Vgl. ebd., S. 43–44. Zur Bedeutung der EU-Rechtsprechung für die Handlungsstrategien der feministischen NGOs siehe z.B. FUSZARA, Between Feminism and…, a.a.O.
160 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
Die Demokratisierung als Normalisierungsprozess ging demnach mit der Repatriarchalisierung, der Abgrenzung vom sozialistischen Recht und, am Beispiel des Abtreibungsrechts, der Rücknahme von Frauenrechten einher. Keinz sieht in den politischen Auseinandersetzungen zwei Narrative: das nationale „antieuropäische“ Narrativ der Abtreibungsgesetz- und Gleichstellungsgesetz-Gegnerinnen und -Gegner versus das Narrativ der EU-Rechtsprechung, auf die sich der feministische Diskurs berief. Interessanterweise habe, so Keinz, der katholische Denkstil ebenfalls den Gleichheitsdiskurs des Feminismus beeinflusst. Keinz stellt eine sich ändernde Strategie der feministischen Organisationen fest, die sich neben der Berufung auf die EU immer mehr des national-katholischen Diskurses bedienten, z.B. unter Berufung auf das Familienethos, um damit gesellschaftliche Legitimation in einer konservativ geprägten Gesellschaft zu erlangen.18 Die katholischen (Frauen-)Organisationen PZKK und FKP folgten in den gleichstellungspolitischen Auseinandersetzungen dem durch Bator genannten national-katholischen Diskurs der Ungleichheit, bzw. der katholischen Anthropologie im Sinne von gleich, aber unterschiedlich des neuen Feminismus Johannes Pauls II., und widersetzten sich in ihren Stellungnahmen jeglicher politischen Gleichstellung von Frauen. Sie bedienten sich der gleichen Strategien wie in den Debatten um das Abtreibungsgesetz und die Weltfrauenkonferenz. Auch in diesem Falle griffen sie zu ihrer eigenen Definition von Diskriminierung. 1996, als die Parlamentarische Frauengruppe ihren Entwurf eines Gleichstellungsgesetzes vorlegte, verurteilte die Redaktion des List do Pani zwar die Diskriminierung von Frauen, wies jedoch gleichzeitig darauf hin, dass man zunächst die „wahre“ Diskriminierung der traditionellen Werte und ihre Vernachlässigung erkennen solle und lieferte dazu folgende Definition von Diskriminierung: „Diskriminierung von Frauen bedeutet die Geringschätzung der mütterlichen Rolle der Frau, ihrer Rolle ‚einer Priesterin des häuslichen Feuers‘; die Verspottung des Kinderreichtums; die Kreierung eines Lügenbildes der Frau und die ökonomische Behinderung in der Erfüllung ihrer mütterlichen und erzieherischen Aufgaben. Diskriminierung von Frauen be-
18 Als ein Beispiel nennt Keinz u.a. die neue Argumentationslinie der feministischen prochoice-NGO Föderation für Frauenangelegenheiten und Familienplanung, in der das Recht auf Abtreibung nicht nur das Recht der Frau sein solle, aber zudem auch ein Zeichen der Verantwortung zum Wohle der Familie und den bereits geborenen Kindern zugutekomme. Vgl. KEINZ, Negotiating democracy’s…, a.a.O., S. 49.
Der neue Feminismus | 161
deutet heute die Geringschätzung und rechtliche Vernachlässigung der Gesellschaft der Familien, der Vereinigungen sowie der kulturellen und ökologischen Verwurzelung (Fehlen einer realen profamiliären Politik).“19
Damit wurde als Diskriminierung nicht die fehlende Gleichstellungspolitik, sondern in Anlehnung an das Komplementaritätsprinzip der Geschlechter – die Geringschätzung der besonderen Rolle der Frau als Mutter aufgefasst. Der PZKK widersetze sich diesem „falschen“ Verständnis der Diskriminierung und sehe sich in Anlehnung an das Evangelium und den neuen Feminismus in der religiösen Pflicht, gemeinsam mit der Amtskirche seinen Dienst an der Bekämpfung des „wahren Wesens“ der Diskriminierung zu leisten. Von katholischen (Frauen-)Organisationen wurden besonders die Regierungsprogramme zur Förderung von Frauen aus den Jahren 1997-2000 und 2003-2005 kritisiert.20 In diesen Programmen sind die Beschlüsse der Aktionsplattform der
19 Redakcja List do Pani, Pytania o dyskryminację…, a.a.O., S. 3. 20 Diese Regierungsprogramme bestanden aus zwei Etappen. Die erste Etappe für die Jahre 1997-2000 wurde gemeinsam mit der Regierungsbeauftragten für Familien- und Frauenfragen (Pełnomocniczka Rządu ds Rodziny i Kobiet) und dem 1996 einberufenen Forum der Zusammenarbeit der Nichtregierungsorganisationen (Forum Współpracy Organizacji Pozarządowych) durch die Regierung Cimoszewicz im Frühling 1997 verabschiedet. Die zweite Etappe des Programms wurde in Gang gesetzt, da die erste Etappe kaum umgesetzt wurde, es fehlten Kontroll- und Evaluationsmechanismen, zudem wurden keine Haushaltsmittel dafür reserviert. Hinzu kam, dass im Herbst 1997 die konservative Regierung Buzek gewählt wurde, die das Amt des Beauftragten für Familien- und Frauenfragen auflöste und stattdessen einen Beauftragten für Familienfragen berief, der mit dem rechts-konservativen Politiker Kazimierz Kapera von der Christlich-Nationalen Vereinigung (Zjednoczenie Chrześcijańsko-Narodowe) besetzt wurde. Kapera wurde durch kontroverse Aussagen bekannt, u.a. forderte er die Heilung von homosexuellen Menschen, die er für krank hielt. Im August 1999 trat er auf Druck liberaler Gruppen von seinem Amt zurück. Die zweite Etappe des Programms für die Jahre 2003-2005 wurde 2003 durch die damalige Regierungsbeauftragte zum gleichen Status von Frauen und Männern Jaruga-Nowacka vorbereitet und durch die Regierung Miller verabschiedet. Vgl. CHEŁSTOWSKA, Krótka historia aborcji…, a.a.O., S. 12; NOWAKOWSKA, JABŁOŃSKA, Przemoc wobec kobiet [Gewalt gegen Frauen], in: BAŁDYGA, ILONA; DĄBROWIECKA, HANNA; DOMINICZAK, ANDRZEJ u. a. (Hrsg.), Kobiety w Polsce, a.a.O; PEŁNOMOCNIK RZĄDU DS. RÓWNEGO STATUSU KOBIET I MĘŻCZYZN, Krajowy program działań na rzecz kobiet. Etap II na lata 2003-2005 [Landesprogramm der Aktivitäten für Frauen. Die zweite Etappe 2003-2005], Warszawa,
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Vierten Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking umgesetzt und die konkreten gleichstellungspolitischen Aufgaben für Regierungsinstitutionen, Kommunen und Nichtregierungsorganisationen festgelegt, diese betreffen die Bereiche Frauenrechte und Gleichstellung im Kontext der Menschenrechte, Politik, Schulwesen, Wirtschaft, Frauengesundheit, Umwelt, Gewalt gegen Frauen sowie die Massenmedien.21 Die Frauen vom PZKK sahen darin „einen Beweis der Nachgiebigkeit der Regierung gegenüber radikal-feministischen Gruppen“ 22 und konstatierten, dass dies „in geringem Grad mit den wahren Problemen der Mehrheit von uns“ zu tun hätte.23 Somit wurde vom PZKK, verbunden mit dem Anspruch, die „Mehrheit“ der Polinnen zu repräsentieren, erneut das Argument vorgebracht, die Feministinnen würden lediglich Antworten auf ihre eigenen Forderungen geben, ohne auf die Bedürfnisse der „Mehrheit“ der Polinnen zu achten. Dabei ließ die PZKK außen vor, dass es sich bei den Programmen um die Umsetzung internationaler UN-Beschlüsse handelt, die seit den UN Konferenzen in Kairo und Peking als sogenannte „feministische Propaganda“ abgelehnt werden. Interessant ist in der Argumentation der katholischen (Frauen-)Organisationen auch, dass die „Ideologie“ der UN mit der Erfahrung des Kommunismus in Verbindung gebracht und mit Totalitarismus gleichgesetzt wird. So erklärt Alina Petrowa-Wasilewicz in ihrem Artikel in List do Pani bezugnehmend auf das Regierungsprogramm, dass die Zeit der Ideologie in Polen nach dem Ende des Kommunismus nicht zu Ende gegangen sei, sondern durch den Feminismus ersetzt wurde.24 Sie zeigt sich aber erleichtert, dass das Programm aufgrund der sich zu dem Zeitpunkt nähernden Wahlen nicht würde umgesetzt werden können, sieht aber die „Ideologinnen“ des Feminismus auf dem Vormarsch zur Machterlangung per „Gehirnwäsche an Millionen von Frauen“, denen eine „falsche Vision eines Paradieses“ vorgegaukelt werde.25 Sie schreibt: „Dass der Feminismus eine Ideologie ist, habe ich bereits mehrmals in List do Pani geschrieben. Eine Ideologie bedeutet eine künstliche Erfindung der Menschheitsbeglücker,
2003; UNDP PROGRAM NARODÓW ZJEDNOCZONYCH DS. ROZWOJU, FUNDACJA FUNDUSZ WSPÓŁPRACY, Polityka równości płci…, a.a.O. 21 Vgl. CHEŁSTOWSKA, Krótka historia aborcji…, a.a.O., S. 12. 22 Redakcja List do Pani, Trudny i piękny…, a.a.O., S. 3. Auch DERS., Gaudeamus, in: List do Pani, 10 (117), 2003, S. 3. 23 Ebd., S. 3. 24 Vgl. ALINA PETROWA-WASILEWICZ, Kierunek – „Seksmisja“ [Richtung – „Sexmission“], in: List do Pani, 06 (114), 2003, S. 17. 25 Ebd.
Der neue Feminismus | 163
denen es scheint, dass die Schaffung einer Welt ohne Blut, Schweiß und Tränen möglich ist. Die Beglückung ist mit der Befreiung der konkreten, unterdrückten sozialen Gruppe verbunden – in der Vergangenheit waren dies Arbeiterklasse und Jugend, heute muss man Frauen befreien. Und man befreit sie, indem man sie von Ehemann, Kindern, von der Fruchtbarkeit und der Naturrechte befreit.“26
Hier wird der seit der Abtreibungsdebatte populäre Ideologie-Vorwurf gegenüber dem Feminismus und seine angebliche Ähnlichkeit mit dem Kommunismus wiederholt, der im katholischen Diskurs in Polen in den folgenden Jahren immer mehr auf den Gender-Ansatz verlagert wird. Einerseits wurde die auf internationalen Vereinbarungen basierende Gleichstellungspolitik mit Kritik an internationalen Organisationen verbunden, andererseits wurden UN-Beschlüsse durch katholische (Frauen-)Organisationen zwar nicht als Ideologie bezeichnet, sondern es wurde nur auf deren falsche Umsetzung und falsches Verständnis durch „radikal feministische Milieus“27 in Polen hingewiesen. So forderte das FKP die „dringende Verifizierung“28 des Regierungsprogramms, da dieses die UN-Vorgaben und die Beschlüsse der Pekinger Weltfrauenkonferenz falsch interpretiere. Laut dem FKP stelle das Programm die Situation von Frauen in Polen einseitig und nicht wahrheitsgemäß dar, biete lediglich gegen das Wohl von Frauen gerichtete Lösungen an und beinhalte ideologische, auf „radikalem“ Feminismus aufbauende Botschaften. 29 Die im Programm genannten Maßnahmen führten zur Verschwendung von Haushaltsmitteln, z.B. für die Gleichstellungsbeauftragte in den Woiwodschaften, wodurch nur Arbeitsplätze für radikale Feministinnen geschaffen würden, oder für die Bezuschussung von Verhütungsmitteln oder künstliche Befruchtung, anstatt diese für „konkrete“ Maßnahmen zur Unterstützung von Frauen zu verwenden. Zudem greife das Programm den in der Verfassung verankerten Schutz von Mutterschaft, Ehe und Familie sowie demokratische Regeln an, indem es das „feministische Ehe- und Fa-
26 Ebd. 27 FORUM KOBIET POLSKICH, Rządowy Program Działań na rzecz Kobiet wymaga zasadniczych zmian! [Das Regierungsprogramm für Frauen benötigt grundsätzliche Änderungen!], in: Międzynarodowy Przegląd Polityczny, H. 4, 2003, S. 210–214, hier S. 214. 28 Ebd. 29 Ebd.
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milienmodell“ aufzwinge und Frauen in ihrer Mutterrolle nicht genügend unterstütze.30 Interessanterweise sah das FKP als gegen das Wohl von Frauen gerichtete Maßnahmen insbesondere diejenigen Programmvorschläge an, die beabsichtigten, Geschlechterstereotype z.B. bei der Berufswahl oder in Schulbüchern, aufzulösen und sich gegen Geschlechterstereotype in sexistischen Aussagen richteten – diese Maßnahmen seien laut FKP ein Ausdruck von Zensur und schränkten die Pressefreiheit ein.31 Eine weitere politische Initiative der Gleichstellungspolitik, die von katholischen (Frauen-)Organisationen besonders heftig kritisiert wurde, betraf die Einführung von Frauenquoten auf den Wahllisten politischer Parteien. Diese Idee wurde bereits nach der politischen Wende 1989 von feministischen Gruppen aufgegriffen, z.B. durch die informelle Gruppe Frauen auch („Kobiety Też”) und linke Abgeordnete wie Izabela Jaruga-Nowacka von der SLD.32 2009 fand zum ersten Mal der Frauenkongress (Kongres Kobiet) statt, an dem 4.000 Frauen aus ganz Polen und aus unterschiedlichen Milieus teilnahmen, um zwanzig Jahre nach der politischen Wende über den von Frauen geleisteten Beitrag zu diskutieren.33
30 Ebd., S. 210. 31 Vgl. ebd., S. 213–214. Zur Kritik der Renteneintrittsangleichung Vgl. ebenfalls PETROWA-WASILEWICZ, O nas bez…, a.a.O. Auch hier argumentiert Alina PetrowaWasilewicz, dass „Millionen gewöhnliche Frauen“ nicht um ihre Meinung gebeten worden seien und dass diese Initiative von privilegierten, reichen Frauen ausgehe, die einer leichten Arbeit nachgehen würden. 32 2001 wurde von 50 Nichtregierungsorganisationen die Vorwahl-Frauenkoalition (Przedwyborcza Koalicja Kobiet) gegründet, um Frauen beim Einzug in das Parlament zu unterstützen, die Koalition forderte u.a. Frauenquoten in den Parteistatuten. Durch diese Initiativen wurde die Frage der Frauenquoten laut Joanna Piotrowska immer mehr gesellschaftskonform, sodass 2009 laut einer Umfrage von Gazeta Wyborcza 70 Prozent der befragten Frauen und 52 Prozent der Männer für Frauenquoten auf den Wahllisten plädierten, vgl. ANNA CZERWIŃSKA, JOANNA PIOTROWSKA (HRSG.), Raport 20 lat – 20 zmian. Kobiety w Polsce w okresie transformacji 1989-2009 [Der Bericht: 20 Jahre – 20 Änderungen. Frauen in Polen in der Transformationszeit 1989-2009], Warszawa, 2009, S. 153. 33 Vgl. GĘBAROWSKA, „Kobiety“ jako zbiorowy podmiot ruchu feministycznego w Polsce. Polemika z Partią Kobiet i Kongresem Kobiet Polskich [„Frauen“ als kollektives Subjekt der feministischen Bewegung in Polen. Eine Polemik gegen die Frauenpartei und den Frauenkongress], in: PIERZCHALSKI, FILIP; SMYCZYŃSKA, KATARZYNA; SZATLACH, MARIA EWA u. a. (Hrsg.), Feminizm po polsku, a.a.O., S. 213.
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Der Frauenkongress initiierte eine Gesetzesinitiative, die über 150.000 Unterschriften sammelte. Im Zuge dieser Gesetzesinitiative wurde im Januar 2011 das sogenannte. Quotengesetz verabschiedet und vom Präsidenten Bronisław Komorowski unterschrieben, das eine Frauenquote von 35 Prozent einführte. Der Kongress, aus dem 2010 der Verein Frauenkongress (Stowarzyszenie Kongres Kobiet) hervorging, entwickelte sich in den Folgejahren zu einer sozialen Bewegung und zum wichtigen Akteur während der Anti-Gleichstellungs- und nach 2012 auch der Anti-Gender-Kampagne der katholischen Kirche. Die katholischen (Frauen-)Organisationen standen dem Frauenkongress kritisch gegenüber und bezeichneten ihn als „feministisches Milieu, welches sich selbst ,Kongress Polnischer Frauen‘ nennt“.34 Hier wird gegenüber dem Frauenkongress erneut das Argument des unberechtigten Repräsentationsanspruchs der „gewöhnlichen Frauen“ durch privilegierte, gut ausgebildete, großstädtische Frauen verwendet. Petrowa-Wasilewicz plädierte 2011 zum „Aussteigen aus dem Zug namens Frauenkongress“35, da er sich mit Problemen beschäftige, die für die Mehrheit der Polinnen irrelevant seien. Obwohl der Frauenkongress anfangs auch Frauen aus anderen Gruppen angelockt habe, zeigt sich laut Petrowa-Wasilewicz, dass Probleme z.B. arbeitsloser oder ihre Familienangehörigen pflegender Frauen keine Priorität des Frauenkongresses gewesen seien. Stattdessen habe er Frauenquoten durchgesetzt, die nur privilegierte Frauen betreffen, um mit ihrer Hilfe in die Politik zu gehen. Sie konstatiert daher, dass Polinnen dem Kongress den Rücken kehren sollten, insbesondere da er sie nicht bei der Erfüllung ihrer weiblichen Rolle unterstütze, sondern durch die Forderung nach der Legalisierung des Abtreibungsrechts diese Rolle missachte, womit wieder die katholische Anthropologie der Komplementarität der Geschlechter ins Spiel gebracht wird: „Daher sollten gewöhnliche Frauen in Polen aus diesem Zug aussteigen und nicht länger diese politische Initiative zynischer Damen legitimieren, die ihre Schwestern instrumentalisieren. Man darf nicht gemeinsame Sache mit Leuten machen, die den Tod wählen und ihn propagieren. Denn sich für die Seite des Todes auszusprechen, bedeutet die Verleugnung des weiblichen Wesens, der weiblichen Mission.“36
34 ALINA PETROWA-WASILEWICZ, Parytety? – I na co nam to? [Quoten? – Wozu brauchen wir das?], in: List do Pani, 2 (181), 2010, S. 13. 35 DERS., Czas wysiaść z pociągu zwanego Kongresem Kobiet [Es ist Zeit auszusteigen aus dem Zug namens Frauenkongress], in: List do Pani, 11 (199), 2011, S. 12. 36 Ebd.
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Dieses Zitat zeigt, dass es bei der Ablehnung der Frauenquote mehr noch um die Ablehnung des Frauenkongresses als Fraueninitiative geht, da er in der Frage der reproduktiven Rechte eine andere Meinung als die katholische Amtskirche und deren Organisationen vertritt. Erneut wird hierzu das bereits bekannte Argument einer ihre Bestimmung verdrängenden Frau angeführt – laut Petrowa-Wasilewicz bestehe der Frauenkongress, der Verein derer, die sich für „die Seite des Todes“ aussprächen, aus Frauen, die ihre weibliche Rolle „verleugneten“ und daher kein Recht besäßen, andere Frauen zu repräsentieren. Desweiteren argumentieren PZKK und FKP gegen die Frauenquoten damit, dass die Idee der Frauenquoten „eine Falle“ sei, die „durch Feministinnen der normalen weiblichen Mehrheit geschickt aufgestellt“ worden sei. 37 Laut PetrowaWasilewicz würden sich Frauen bereits vielfältig in Kommunen, Gemeinden oder karitativen Einrichtungen engagieren, da diese Bereiche für sie viel interessanter seien als die Politik.38 Die Frauenquote sei deswegen eine von Feministinnen gestellte Falle, damit diese „Punkte für das Geschlecht“ erhalten würden und sie anstelle „gewöhnlicher“ Polinnen den Einzug in die Politik erreichen könnten.39 Hier wird wohlgemerkt eine Parallele zwischen Frauenquote und „Herkunftsquote“ gezogen, mit der während der Volksrepublik Polen Arbeiterkinder bevorzugt studieren konnten, wodurch eine „hässliche historische Konnotation“ 40 erzeugt wird. Der Frauenkongress wird also erneut mit Totalitarismus in Verbindung gebracht – in einer Stellungnahme des FKP wird die Initiative des Kongresses sogar als „Förderung von Bewusstseins- und Mentalitätsveränderungen der Gesellschaft im Orwellschen Sinne“41 angeprangert. Sehr aufschlussreich ist auch ein anderes, erstaunlich weitgreifendes Argument von Petrowa-Wasilewicz. Die Autorin rekurriert auf den Sejm als „Miniatur der Gesellschaft“42, der alle gesellschaftlichen Gruppen repräsentieren soll. Die Frauenquote sei deswegen so gefährlich, weil durch sie auch Homosexuelle oder
37 PETROWA-WASILEWICZ, Parytety? – I na…, a.a.O., S. 13. 38 Vgl. ebd. 39 Ebd. 40 JOLANTA WACHOWICZ, Czy są nam potrzebne parytety? [Brauchen wir die Quoten?], in: List do Pani, 11(199), 2011, S. 13. 41 EKAI.PL, Parytety – nie, dziękujemy [Quoten – nein, danke], 2009, http://ekai.pl/ wydarzenia/polska/x22444/parytety-nie-dziekujemy/ (abgerufen am 12.12.2016). 42 PETROWA-WASILEWICZ, Parytety? – I na…, a.a.O., S. 13.
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Transvestiten eine eigene Quote fordern können.43 Anhand der eigentlichen Quotenthematik wird also der Versuch unternommen, die heteronormative Geschlechter- und Sexualordnung zu verteidigen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich in den Auseinandersetzungen um die Gleichstellungspolitik inhaltlich frühere Debatten fortsetzten. Diese Diskurse sind dem Narrativ der katholischen Kirche zuzuordnen, demnach die binäre Anthropologie, die Geschlechterordnung und die heteronormativen Sexualität einer Bedrohung ausgesetzt seien. Die gleichen Argumentationsstränge wurden auch in der seit 2012 aktiven Anti-Gender-Kampagne in Polen verwendet, diesmal jedoch wurden die bisher genannten „Gefahren“ für die katholische Geschlechterordnung und das traditionelle Familienverständnis auf den gemeinsamen begrifflichen Nenner Gender gebracht.
6.2 DIE ANTI-GENDER-KAMPAGNE NACH 2012 Die dargestellten Auseinandersetzungen um die reproduktiven Rechte, insbesondere um das Abtreibungsrecht, um die Vierte Weltfrauenkonferenz und um die Gleichstellungspolitik zeigen den Widerstand der katholischen Kirche in Polen gegen den „Zerfall einer binären Ordnung der Geschlechter“44, worin diese die Zerstörung der sozialen Ordnung sehe, sowie den Versuch der Verteidigung einer traditionell aufgefassten Vision der Familie im Sinne der kirchlichen, heteronormativen Anthropologie. Der von Frauen- und LGBTQ-Bewegungen befeuerte soziale Wandel, mit dem das Recht von Frauen auf Selbstbestimmung (u. a. im Sinne der reproduktiven Rechte) eingefordert und die als „natürlich“ empfundene Geschlechterordnung in Frage gestellt wurde, traf auf massive Skepsis und großen Widerstand bei katholischen und traditionell-konservativen Gruppen. Dieser Widerstand wurde gar zu einem Kampf der „Zivilisation des Todes“ gegen die „Zivilisation der Liebe“ stilisiert.45 Meistens zielten die Vertreterinnen und Vertreter der katholischen und traditionell-konservativen Gruppen dabei auf die Existenz einer totalitären, international vernetzten Ideologie ab, die von internationalen Organisationen wie der UN oder der EU getragen und dabei anderen „aufgedrängt“ worden sei.
43 Vgl. ebd. 44 BARBARA SZACKA, On, ona, gender [Er, sie, gender], in: Znak, H. 706, 2014, S. 18– 22, hier S. 22. 45 KOWALEWSKA, Być kobietą, ale…, a.a.O., S. 115–116.
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6.2.1 Zur Konstruktion der „Gender-Ideologie“ Der Begriff „Gender-Ideologie“ hat laut Bożena Chołuj ihren Ursprung im Vatikan und wurde erstmals 2000 in der Schrift des Päpstlichen Rats für Familie erwähnt.46 Dort wurde vor einer „gewissen Gender-Ideologie“47 gewarnt, die Ehe und Familie ernsthaft bedrohe. Dieser Argumentation folgte die katholische Kirche bereits seit den Weltkonferenzen der UN in Kairo und Peking in den 1990er Jahren, die zu Themen wie Frauenrechte, reproduktive Rechte und Gleichberechtigung stattfanden.48 Der Vatikan wehrte sich, wie bereits dargestellt, (gemeinsam mit einigen islamischen Ländern) schon 1995 gegen die Verwendung des Begriffs Gender im Abschlussdokument der Weltfrauenkonferenz in Peking. Johannes Paul II. rief anlässlich der Konferenz in einem Brief die Frauen auf, die Geschlechterordnung im Sinne des Prinzips der Komplementarität der Geschlechter zu akzeptieren, was überaus deutlich zeigt, dass die katholische Kirche an diesem für sie wesentlichen Prinzip weiterhin festhielt.49 Bereits damals äußerte sie ihre Befürchtung vor der Infragestellung der vorherrschenden Geschlechterordnung und essentialistischen Geschlechterdifferenzen, welche das Hauptprinzip der katholischen Anthropologie ausmachen – die Kirche sah den als unhinterfragbares Dogma wirkenden Denkstil bedroht. Die vatikanischen Einwände gegen den Begriff Gender wurden in den Folgejahren mehrfach wiederholt, wie 2004 im Brief der von Kardinal Ratzinger geleiteten Kongregation für die Glaubenslehre, in dem vor der gefährlichen Anthropologie gewarnt wird, die nicht nur die Zerstörung der Familien, sondern auch der heteronormativen Ordnung bedeuten würde: „Die Verschleierung der Verschiedenheit oder Dualität der Geschlechter bringt gewaltige Auswirkungen auf verschiedenen Ebenen mit sich. Diese Anthropologie, die Perspektiven für eine Gleichberechtigung der Frau fördern und sie von jedem biologischen Determinismus befreien wollte, inspiriert in Wirklichkeit Ideologien, die zum Beispiel die Infragestel-
46 Vgl. CHOŁUJ, „Gender-Ideologie“ – ein Schlüsselbegriff…, a.a.O., S. 220. 47 PÄPSTLICHER RAT FÜR DIE FAMILIE, Ehe, Familie und „faktische Lebensgemeinschaften“, 2000, www.vatican.va/roman_curia/pontifical_councils/family/documents/rc_pc _family_doc_20001109_de-facto-unions_ge.html (abgerufen am 04.05.2016). 48 Vgl. CHOŁUJ, „Gender-Ideologie“ – ein Schlüsselbegriff…, a.a.O., S. 220. 49 Vgl. JOHANNES PAUL II., Brief an die…, a.a.O.
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lung der Familie, zu der naturgemäß Eltern, also Vater und Mutter, gehören, die Gleichstellung der Homosexualität mit der Heterosexualität sowie ein neues Modell polymorpher Sexualität fördern.“50
Somit berge die Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und ihrer Selbstbestimmung auch jenseits der Mutterrolle eine versteckte Ideologie, die die traditionelle Geschlechterortung bedrohe. Auch 2012 warnte Ratzinger, nunmehr als Papst Benedikt XVI., in seiner Weihnachtsansprache vor der manipulierenden Kraft der Gender-Theorie, denn die Zerstörung der Dualität zwischen Mann und Frau würde die Zerstörung der Familien als „von der Schöpfung vorgegebene Wirklichkeit“ und der alten und vertrauten, „gottgegebenen“ Geschlechterordnung mit sich bringen.51 Diese Befürchtungen des Vatikans waren keineswegs unbegründet, denn die Infragestellung der traditionellen Geschlechterordnung, welche es für die Kirche zu bewahren gilt, ist gleichzeitig das Prinzip des GenderAnsatzes, mit dem die Beseitigung von Stereotypen und die Gleichberechtigung der Geschlechter erreicht werden soll. Ohne eine Revision und Infragestellung der alten Geschlechterrollen ist ein Wandel in Richtung Gleichstellung nicht möglich. Auch Sabine Hark und Paula-Irene Villa weisen darauf hin, dass die Gender Studies mit ihrem post-essentialistischen Prinzip, das die kulturelle und gesellschaftliche Prägung der Geschlechterordnung ohne das Prinzip der schicksalhaften Biologie betont, „den Wahrheitsraum Geschlecht“52 grundlegend neu ausrichten. Beim Phänomen des „Anti-Genderismus“ handle es sich daher um viel mehr als einen Ideologievorwurf – der „Anti-Genderismus“ sei eine „Anti-Haltung“ gegen das, was Gender-Gegnerinnen und -Gegner mit dem Begriff verbinden, nämlich dass Gender „eine nicht-natürliche, damit also post-essentialistische Fassung
50 KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt, 2004, www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_ cfaith_doc_20040731_collaboration_ge.html (abgerufen am 04.05.2016). 51 BENEDIKT XVI., Ansprache von Papst Benedikt XVI. beim Weihnachtsempfang für das Kardinalskollegium, die Mitglieder der Römischen Kirche und der päpstlichen Familie. Sala Clementina Freitag, 21. Dezember 2012, 2012, http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/speeches/2012/december/documents/hf_ben-xvi_spe_20121221_ auguri-curia.html (abgerufen am 05.05.2016). 52 HARK, VILLA, „Eine Frage an…, a.a.O., S. 33.
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von Geschlecht (und Sexualität)“53 bedeute. Gerade dieser Anspruch der Gender Studies, „natürliche Wahrheiten“ als Prozess der Wissensproduktionen zu entlarven, droht hier, wo sich an diese „Wahrheiten“ geklammert wird, ein etabliertes Weltbild aus den Fugen geraten zu lassen: „Der Begriff Gender verunsichert tatsächlich und das ist aus forschender wie politischer Perspektive durchaus (wenn auch je mit anderer Absicht) gewollt. Denn der Gender-Begriff bricht mit der lebensweltlichen doxa (Pierre Bourdieu), dem Alltagsglauben also, und diese kontraintuitive, mindestens aber dem naiven Glauben gegenüber skeptische Stoßrichtung verstört logischerweise die Naivität, die sie ja in Frage stellt. In forschender Absicht hinterfragt der Gender-Begriff das Apriori einer gegebenen, unveränderlichen und naturhaften Essenz der Geschlechterdifferenz.“54
Hark und Villa betonen zurecht, dass die Abwehr des Gender-Ansatzes nicht unbedingt auf Unwissenheit oder Missverständnis dieses Begriffs bei seinen Gegnerinnen und Gegnern beruhe, sondern dass diese genau wüssten, worum es sich handle und daher auch verunsichert seien, denn sie „haben durchaus verstanden, was der gender turn impliziert, nämlich in der Tat ein post-naturalistisches beziehungsweise post-essentialistisches Verständnis von Geschlecht.“ 55 Da es sich beim Gender-Ansatz um die Infragestellung gewohnter, durch Tradition legitimierter Denkweisen handle, wird die katholische Anthropologie der Komplementarität der Geschlechter dadurch hinterfragt, wogegen sich die katholische Kirche und ihre Institutionen wehren, indem sie dem Gender-Ansatz Unwissenschaftlichkeit vorwerfen. Diese Strategie sei laut Hark und Villa bewusst irreführend und bedeute eine Diskreditierung, die sich zur rechts-populistischen Mobilisierung gegen die zur Dogmatik stilisierten akademischen Disziplin entwickelte, weil sie keine „natürlichen Tatsachen“ 56 zu produzieren beabsichtige, sondern diese in Frage stelle. In diesem Sinne wird eine Wissenschaft, die andere als die von religiösen und rechts-konservative Gruppen gewünschten Ergebnisse produziert, als Nicht-Wissenschaft diffamiert. Die Mobilisierung gegen eine akademische Dis-
53 SABINE HARK, PAULA-IRENE VILLA, „Anti-Genderismus“ – Warum dieses Buch?, in: HARK, SABINE; VILLA, PAULA-IRENE (Hrsg.), (Anti-)Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Bielefeld, 2015, S. 7–13, hier S. 7. 54 Ebd., S. 8. 55 HARK, VILLA, „Eine Frage an…, a.a.O., S. 18–19. 56 Ebd., S. 21.
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ziplin ist dabei laut Hark und Villa ein Novum – denn sie habe die frühere Mobilisierung gegen den Feminismus und die Gleichstellungspolitik ersetzt: „Die Argumentation ist nicht, Frauen* können nicht gleich an Rechten sein, weil sie von Natur aus verschieden sind, sondern Frauen* und Männer* sind zwar gleich an Rechten, dennoch von Natur aus grundsätzlich verschieden“. 57 Kurioserweise wurden damit die früheren Anti-Feministinnnen und Anti-Feministen zu feminismusfreundlichen Anti-Genderistinnen und Anti-Genderisten.58 Die Heinrich-Böll-Stiftung verfasste bereits 2013 eine Broschüre, in der u.a. auch der Ideologievorwurf und der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit gegenüber den Gender Studies analysiert werden und Argumentationshilfen gegeben werden.59 Sebastian Scheele unterscheidet in Anlehnung an Herbert Schnädelbach einen neutralen und einen kritischen Ideologiebegriff. Während der erste Begriff mit einer Weltanschauung z.B. mit einer politischen Ausrichtung wie Liberalismus oder Konservatismus gleichgesetzt werden könne, bedeute der zweite „das Kriterium der Wahrheit“ im Sinne der Erkenntnistheorie, genauer gesagt, der Frage nach der Entstehung von Ideen.60 Die Kritiker und Kritikerinnen der sogenannten „Gender-Ideologie“ benutzen, so Scheele, den Ideologiebegriff in einer vereinfachten Version, die sich an der zweiten Bedeutung orientiere und werfen den Gender Studies damit vor, dass diese mit der Infragestellung von als natürlich geltenden binären Geschlechterordnungen neue Ideen bzw. Wahrheiten erschaffen würden. Dies sei von der Überzeugtheit von der eigenen nicht ideologischen Haltung und dem Folgen eines sogenannten „gesunden Menschenverstands“ begleitet.61 Scheele fragt, ob tatsächlich „im Namen der Gender Studies noch nie schlechte Wissenschaft oder ‚Ideologieproduktion‘“ 62 betrieben worden sei. Dafür untersucht er die Methodologie und das Wissenschaftsverständnis der Gender Studies
57 Ebd., S. 26. 58 Vgl. ANDREA MAIHOFER, FRANZISKA SCHUTZBACH, Vom Antifeminismus zum ›AntiGenderismus‹. eine zeitdiagnostische Betrachtung am Beispiel Schweiz, in: HARK, SABINE; VILLA, PAULA-IRENE (Hrsg.), (Anti-)Genderismus. Sexualität und Geschlecht als
Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Bielefeld, 2015, S. 201–218. 59 Vgl. REGINA FREY (HRSG.), Gender, Wissenschaftlichkeit und Ideologie. Argumente im Streit um Geschlechterverhältnisse, Berlin, 2013. 60 SCHEELE, Gender-Ideologie? Welche Fragen der Ideologie-Vorwurf aufwirft und warum gerade die Gender Studies einiges zu den Antworten beitragen, in: FREY, REGINA (Hrsg.), Gender, Wissenschaftlichkeit und, a.a.O., S. 40. 61 Ebd., S. 41. 62 Ebd., S. 44.
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und weist zunächst auf die Inter- und Transdisziplinarität der Gender Studies hin. Gerade ihre Interdisziplinarität habe die Gender Studies ganz besonders herausgefordert, ihre erkenntnistheoretischen Grundannahmen transparent zu machen.63 Der „pauschale Ideologie-Vorwurf“ gegenüber einem an unterschiedlichen Disziplinen anknüpfenden Projekt zeige deutlich, dass es sich hier nicht „um eine Diskussion wissenschaftlicher Gütekriterien handelt“64, sondern um den Versuch zur Delegitimierung der Gender Studies. Scheele betont, dass, gerade weil verschiedene Disziplinen und Positionen innerhalb der Gender Studies diskutiert werden, eine dauerhafte Selbstinfragestellung der eigenen Standpunkte stattfinde. Er konstatiert: „Angesichts dessen ist es absurd, dass das, was in den Gender Studies als fundamentale Selbstverunsicherung erlebt und kontrovers diskutiert wird, von den Gender-Gegner_innen als gleichgeschalteter Durchmarsch einer Ideologie dargestellt wird“.65 Die Kritik am kritischen Ideologiebegriff, dass Gender Studies als Kriterium der Wahrheit fungieren möchten, ist also nicht zutreffend, denn Gender Studies stellen gerade den Wahrheitsanspruch und die Existenz von Wahrheiten überhaupt in Frage. David Paternotte bemerkt, die katholische Kirche sehe im Begriff Gender eine totalitäre, politische Strategie einer manipulierenden elitären Minderheit, die ihre Meinung mit Hilfe der UN oder der EU der Mehrheit aufzwingen wolle.66 Genauer gesagt, sehe die katholische Kirche in den Bewegungen, die sich für Frauen- und LGBT-Rechte einsetzen, und in der Dekonstruktion der katholischen Geschlechterordnung die größte Bedrohung ihres Denkstils. Der Begriff der „Gender-Ideologie“ sei dabei laut Paternotte zum begrifflichen Nenner für alle Entwicklungen geworden, die die katholische Kirche ablehnt, wie das Abtreibungsrecht, Sexualkunde, gleichgeschlechtliche Ehen oder Gender Mainstreaming. Die katholische Kirche antworte seit den UN Konferenzen in Kairo und Peking mit einer Gegenstrategie, die sowohl den Diskurs der Komplementarität der Geschlechter und dem neuen Feminismus als anthropologischem Ansatz folge als auch transnationale Mobilisierungen und Protestaktionen initiiere. Die seit 2011 erstarkten Protestbewegungen gegen die Einführung gleichgeschlechtlicher Ehen und gleichstellungs-
63 Vgl. ebd., S. 45. 64 Ebd., S. 46. 65 Ebd., S. 48. 66 Vgl. DAVID PATERNOTTE, Catholic Mobilisations against Gender in Europe, in: HARK, SABINE; VILLA, PAULA-IRENE (Hrsg.), (Anti-)Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Bielefeld, 2015, S. 129– 148.
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politischer Sexualkunde fanden gleichzeitig in mehreren katholisch geprägten europäischen Ländern, wie Italien, Frankreich, Kroatien, Polen, Slowenien oder Spanien, statt.67 Damit ist die Anti-Gender-Kampagne der polnischen Amtskirche seit 2012 nicht als Ausnahmeerscheinung zu werten, sondern als Bestandteil einer internationalen Kampagne des Vatikans. 6.2.2 „Wachen über die richtige Auffassung der menschlichen Würde“ – der Anti-Genderismus der polnischen Amtskirche Die Anti-Gender-Kampagne in Polen wurde 2012 durch einen Beschluss des Europarates ausgelöst, die im Mai 2011 in Istanbul verabschiedete Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (im Folgenden Istanbulkonvention). In diesem Beschluss wird u.a. auf die Bedeutung der durch Tradition oder Religion legitimierten geschlechtsspezifischen Stereotype sowie auf die Diskriminierung von Frauen hingewiesen. Die Benennung religiöser Aspekte in Verbindung mit Gewalt stieß auf heftige Kritik des polnischen Episkopats, die dies als Angriff auf Tradition und Religion verstand. Polnische Bischöfe wehrten sich auch gegen die Nutzung des Begriffs Gender im Sinne des kulturellen Geschlechts und gegen jegliche Negierung der biologischen Unterschiede von Mann und Frau. In der im Juli 2012 veröffentlichten Stellungnahme des Episkopats findet sich folgende Kritik der Konvention:
67 Vgl. ebd. Patternotte stellt dabei die Frage, warum andere katholisch geprägte Länder wie Irland und Malta von der gleichen Protestwelle nicht erfasst wurden. Vgl. dazu auch die heftige Debatte um den Vorschlag von Lann Hornscheidt vom Lehrstuhl für Gender Studies der Humboldt-Universität Berlin zu einer geschlechterfreien Sprache (am Beispiel der Abkürzung Professx) welcher sowohl zu persönlichen Attacken gegen Hornscheidt als auch gegen die Gender Studies als Wissenschaftsdisziplin führte, siehe z. B.: ROBIN DETJE, Gender-Debatte: Anschwellender Ekelfaktor, www.zeit.de/kultur/201411/lann-hornscheidt-feminismus-gender-maenner-polemik (abgerufen am 23.19.2016); SABINE HARK, PAULA VILLA, Attacken auf die Geschlechterforschung. Das dubiose Gender, 2014, www.tagesspiegel.de/wissen/attacken-auf-die-geschlechterforschungdas-dubiose-gender/11128828.html (abgerufen am 15.11.2016); LANN HORNSCHEIDT, Es war einmal ein X Versuch einer geschlechtsfreien Sprache, 2014, www.zeit. de/2014/50/gender-studies-sprache-ohne-geschlecht-lann-hornscheidt (abgerufen am 15.11.2016); LARS KLAAßEN, Hass auf ein x Die Bitte, geschlechtsneutral angesprochen zu werden, führte zu Gewaltdrohungen gegen Lann Hornscheidt, in: Humboldt. Die Zeitung der Alma Mater Berolinensis, 58, 3 – 2014/2015, S. 3.
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„Es ist zu unterstreichen, dass die Konvention, obwohl sie einem so wesentlichen Problem wie der Gewalt gegen Frauen gewidmet ist, auf ideologischen und der Wahrheit nicht entsprechenden Annahmen aufgebaut ist, die man in keinster Weise akzeptieren kann. Sie erklärt, dass die Gewalt gegen Frauen eine Systemgewalt ist und ihre Quellen in Religion, Tradition und Kultur liegen. Art. 12 verpflichtet die Unterzeichner zum Kampf gegen eine zivilisatorische Errungenschaft, die nun als Gefahr und Quelle der Gewalt betrachtet wird. Sie definiert Geschlecht als ‚gesellschaftlich konstruiert bezüglich seiner Rollen, Verhaltensmuster und Merkmale, welche die Gesellschaft für die Frau oder den Mann für geeignet hält‘ (Art. 3), wobei die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau völlig ignoriert werden und angenommen wird, dass das Geschlecht wählbar wäre. Besondere Besorgnis erweckt jedoch die Beauftragung der Unterzeichner mit der Erziehungspflicht (Art. 14) und der Förderung u.a. ‚nicht stereotyper Geschlechterrollen‘, also von Homosexualität und Transsexualität.‘68
68 KONFERENCJA EPISKOPATU POLSKI, Oświadczenie Prezydium Konferencji Episkopatu Polski [Erklärung des Präsidiums der Polnischen Bischofskonferenz], 2012, http:// episkopat.pl/dokumenty/pozostale/4401.1,Oswiadczenie_Prezydium_Konferencji_Epi skopatu_Polski.html (abgerufen am 10.10.2013). Trotz der Vorbehalte der katholischen Kirche unterschrieb Polen im Dezember 2012 die Konvention; die Zustimmung wurde nach zwei Jahren im Februar 2015 durch den Sejm verabschiedet und einen weiteren Monat später von Präsident Komorowski ratifiziert. Die Debatte um den Begriff Gender erreichte unterdessen große gesellschaftliche Wirkung. Es fanden zahlreiche Konferenzen und Diskussionen statt, organisiert sowohl durch feministische als auch katholische Organisationen, teilweise mit Vertreterinnen und Vertretern der Gender Studies und Kritikerinnen und Kritikern des Gender-Ansatzes. Interessant waren die vom polnischen Episkopat veranstalteten, spannungsgeladenen Konferenzen, zu denen auch Vertreterinnen der Gender Studies eingeladen wurden, welche gezeigt haben, wie schwierig sich die Verständigung gestaltete. Auch in den Medien fand eine hitzige Debatte statt, hier ist insbesondere der Priester Dariusz Oko durch seine provokanten Anti-GenderGenderAussagen aufgefallen, er wurde zum häufigen Gast in Debatten über Gender, in denen er vor dem „Genderismus“ oder der „Homolobby“ warnte, vgl. Gender – ideologia totalitarna. Z ks. dr. hab. Dariuszem Oko z Uniwersytetu Papieskiego Jana Pawła II w Krakowie rozmawia Anna Cichobłazińska [Gender – eine totalitäre Ideologie. Anna Cichobłazińska spricht mit dem Priester Dr. hab. Dariusz Oko von der Päpstlichen Universität Johannes Paul. II. in Krakau], in: Niedziela Ogólnopolska 24/2013, 2013, S. 40–43.
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Dieses Zitat zeigt, was die polnischen Bischöfe befürchten, wenn sie den GenderAnsatz kritisieren: Für sie bedeutet die von der EU angestrebte Überwindung stereotyper Geschlechterrollen eine Förderung von Homo- und Transsexualität. Mit der Kategorie Gender verbindet die polnische Amtskirche insgesamt Liberalisierungstendenzen in den Bereichen Familie, Ehe und Mutterschaft, die sie als gefährliche Veränderung ansieht, da sie zur gesellschaftlichen Akzeptanz anderer Formen familiären Lebens führen könnten. Somit sei die Debatte bereits viel älter und betreffe alle politischen Auseinandersetzungen zum Thema Familie und Sexualität; von der gesetzlichen Regelung der Partnerschaften über Fragen der Bioethik bis zur Sexualkunde.69 Es ist daher Bożena Chołuj zuzustimmen, die auf diese Kontinuität in der Strategie der Kirche hinweist und den oft gebrauchten Begriff des backlash in Bezug auf die polnische Situation ablehnt, weil die gleichen Tendenzen des „Paternalismus“ gegenüber Frauen bereits in den 1980er Jahren und nicht nur in katholischen Kreisen sichtbar waren.70 Im Zentrum der Anti-Gender-Kampagne der polnischen Bischöfe standen die Familie und die katholische Ehe zwischen Frau und Mann. Diese Bereiche sollten durch die Kirche vor der Zerstörung durch die gefährliche „Gender-Ideologie“
69 Vgl. KOZŁOWSKA, Kościół szukający nowego…, a.a.O., S. 24. Zur Rolle der katholischen Kirche in der Debatte um Partnerschaften, Bioethik oder Sexualkunde in Polen siehe z.B.: AGATA CHEŁSTOWSKA, MAŁGORZATA DRUCIAREK, JACEK KUCHARCZYK (HRSG.), Relacje Państwo-Kościół w…, a.a.O; ANJA HENNIG, Moralpolitik und Religion. Bedingungen politisch-religiöser Kooperation in Polen, Italien und Spanien, Würzburg, 2012; KOWALCZYK, Partie i ugrupowania…, a.a.O. 70 Vgl. CHOŁUJ, „Gender-Ideologie“ – ein Schlüsselbegriff…, a.a.O., S. 223. Über das Backlash-Phänomen in Polen schrieben u.a. Agnieszka Graff und Małgorzata Fuszara. Sie verbanden es mit der Retraditionalisierung der polnischen Gesellschaft und dem antifeministischen Charakter der Transformation nach 1989, die durch neoliberale Reformen insbesondere Frauen zu Verliererinnen machte und dabei ihre reproduktiven Rechte einschränkte, FUSZARA, Der Streit um…, a.a.O; MAŁGORZATA FUSZARA, Will the Abortion Issue Give Birth to Feminism in Poland?, in: MACLEAN, MAVIS; GROVES, DULCIE (Hrsg.), Women’s issues in social policy, London, New York, 1991, S. 205– 228; vgl. AGNIESZKA GRAFF, Lost between the Waves? The Paradoxes of Feminist Chronology and Activism in Contemporary Poland, in: Journal of International Women’s Studies, 4, 2003, S. 100–116; AGNIESZKA GRAFF, Backlash nad Wisłą: reakcja przed akcją? Wstęp do wydania polskiego. [Backlash an der Weichsel: Reaktion vor der Aktion? Einleitung zur polnischen Ausgabe], in: FALUDI, SUSAN; DZIERZGOWSKA, ANNA; GRAFF, AGNIESZKA (Hrsg.), Reakcja. Niewypowiedziana wojna przeciw kobietom, Warszawa, 2013, S. 8–20.
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verteidigt werden, die laut der Bischöfe zu „Relativierung“ oder gar „gänzlicher Devaluierung“ führe.71 Laut Tadeusz Bartoś gilt die polnische Familie als eine heilige Institution und eine Art „häusliche Kirche“72 und sie müsse deshalb gleichzeitig asexuell sein. Damit lassen sich laut Bartoś die Bestrebungen der katholischen Kirche zur Verbannung und Tabuisierung der Sexualität erklären – die Gender-Kategorie wurde dabei zum Inbegriff einer kulturellen Revolution und zu einer „Kriegsparole“.73 Auch Bożena Chołuj bemerkt, dass den größten Widerstand der polnischen Amtskirche diejenigen Maßnahmen weckten, die als Angriff gegen Familien interpretiert und darüber hinaus mit Sexualität in Verbindung gebracht wurden. So wehrte sich die Kirche gegen Sexualkunde oder Projekte im Kindergarten, die Stereotype bekämpfen sollten, was mit Sexualisierung von Kindern gleichgesetzt wurde.74 Einige Eltern begannen daraufhin, sich gegen diese pädagogischen Maßnahmen zu wehren, auch Schulen wurden unter Druck gesetzt und mussten erklären, ob und inwiefern in den Schulprogrammen die Erziehung zur Gleichstellung enthalten sei, die als „Gender-Ideologie“ abgestempelt wurde. Nicht nur in der schulischen und Kindererziehung sahen polnische Bischöfe Gefahren durch die „Gender-Ideologie“: In der längeren Fassung ihres kontroversen Hirtenbriefs für den Sonntag der Heiligen Familie 2013 erwähnen sie zudem weitere Bereiche, die von der sogenannten „Gender-Ideologie“ erfasst würden.75
71 Głos Prymasa Polski w sprawie gender [Die Stimme des Primas Polens in der GenderFrage], http://www.niedziela.pl/artykul/7629/Glos-Prymasa-Polski-w-sprawie-gender (abgerufen am 21.01.2016); KONFERENCJA EPISKOPATU POLSKI, List pasterski na Niedzielę Świętej Rodziny 2013 roku [Hirtenbrief für den Sonntag der Heiligen Familie 2013], 2013, http://episkopat.pl/dokumenty/5545.1,List_pasterski_na_Niedziele_Swie tej_Rodziny_2013_roku.html (abgerufen am 31.03.2014); KOZŁOWSKA, Kościół szukający nowego…, a.a.O. 72 TADEUSZ BARTOŚ, TOMASZ STAWISZYŃSKI, „Gender” służy jako hasło wojenne [„Gender“ dient als Kriegsparole], 2013, http://www.krytykapolityczna.pl/artykuly/ opinie/20131202/bartos-gender-sluzy-jako-haslo-wojenne (abgerufen am 14.11.2016). 73 Ebd. 74 Vgl. CHOŁUJ, „Gender-Ideologie“ – ein Schlüsselbegriff…, a.a.O; WALDEMAR WESOŁOWSKI, Gender wchodzi do szkół i przedszkoli [Gender geht in die Schulen und Kindergärten], 2013, http://www.niedziela.pl/artykul/6352/Gender-wchodzi-do-szkoli-przedszkoli (abgerufen am 14.11.2016). 75 Der Hirtenbrief wurde am 29. Dezember 2013 in den Kirchen verlesen. Interessanterweise wurden bereits am 20. Dezember innerhalb weniger Stunden zwei Versionen des Briefes auf der Seite des katholischen Internetportals KAI veröffentlicht, eine längere mit besonders starker Kritik an der „Gender-Ideologie“ und eine kürzere Version, ohne
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Sie würden beinahe alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens betreffen: Auf der juristischen Ebene zeige sich die Bedrohung durch Gender beispielsweise in den Gleichstellungsgesetzen oder der Konvention zur Gewalt gegen Frauen. Auf kulturellem Gebiet wolle diese Ideologie reproduktive Rechte fördern – und zwar durch Manipulation in Film, Theater und Fernsehproduktionen zur gesellschaftlichen Akzeptanz der „Gender-Ideologie“.76 Somit dient die Konstruktion des Feindbegriffs „Gender-Ideologie“ zum Sammelsurium verschiedenster „Übel“, gegen die sich die polnische Amtskirche bereits seit den 1990er Jahren mittels ihrer politischen Einflussnahme Widerstand übt.77
die kontroversen Passagen. Die moderate Kurzversion entstand, weil einige der Bischöfe Einwände gegen den ersten Brief gehabt haben sollen. Die längere Version sollte laut der Stellungnahme des Episkopats für seelsorgerische Zwecke benutzt werden, während die kürzere Version für das Vorlesen in den Kirchen vorgesehen war, allerdings nach einer dementsprechenden Entscheidung des jeweiligen Diözesenbischofs. In einigen Kirchengemeinden wurde jedoch nicht die kürzere, sondern die längere Version des Briefes vorgelesen. Vgl. „Społeczeństwo wymrze“ – księża czytają i komentują list biskupów o gender [„Die Gesellschaft wird aussterben“ – Priester lesen und kommentieren den Brief der Bischöfe über Gender], 29.12.13, http://wyborcza.pl/1,754 78,15198294,_Spoleczenstwo_wymrze____ksieza_czytaja_i_komentuja.html
(abge-
rufen am 14.11.2015); Biskupi byli podzieleni w sprawie listu o gender. „Wielu wyraziło zastrzeżenia“ [Bischöfe waren uneins in der Frage des Briefes. „Viele äußerten Vorbehalte“], 2013, http://tygodnik.onet.pl/wwwylacznie/biskupi-byli-podzieleni-wsprawie-listu-o-gender-wieluwyrazilo- (abgerufen am 14.11.2015); ARTUR SPORNIAK, BŁAŻEJ STRZELCZYK, Dwie wersje listu KEP na Niedzielę św. Rodziny. Pierwsza – bardzo ostra, druga – tylko trochę łagodniejsza [Zwei Versionen des Briefes der Polnischen Bischofskonferenz für den Sonntag der Heiligen Familie. Erste – sehr scharfe, zweite – eine nur etwas sanftere Version], 2013, http://tygodnik.onet.pl/wwwylacznie/ dwie-wersje-listu-kep-na-niedziele-sw-rodziny-pierwsza-bardzo-ostra-druga-tylko/35 qde (abgerufen am 14.11.2015). 76 Vgl. EPISKOPAT POLSKI, Zagrożenia rodziny płynące z ideologii gender – List Pasterski na Niedzielę Świętej Rodziny [Gefahren für die Familie durch die Gender-Ideologie – Pastoralbrief für den Sonntag der Heiligen Familie 2013], 2013, http://www.diecezja. elblag.opoka.org.pl/index.php?option=com_content&view=article&id=430%3Azagro enia-rodziny-pynce-z-ideologii-gender-list-pasterski-na-niedziel-witej-rodziny&catid =49%3Aepiskopat&Itemid=121 (abgerufen am 14.11.2015). 77 Zur politischen Einflussnahme der katholischen Kirche in Polen nach 1989 vgl. AGATA CHEŁSTOWSKA, MAŁGORZATA DRUCIAREK, JACEK KUCHARCZYK (HRSG.), Relacje
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Der Hirtenbrief des polnischen Episkopats löste eine Welle, darunter auch bei den Vertreterinnen und Vertretern des offenen Katholizismus, die den Bischöfen ein falsches bzw. vereinfachtes Verständnis des Begriffs Gender und eine ideologische „Kriegsführung“78 bescheinigten.79 Auch die damalige Gleichstellungsbeauftragte der Regierung Agnieszka Kozłowska-Rajewicz intervenierte und schrieb an die Bischöfe, dass der von ihnen benutze Terminus der „Gender-Ideologie“ falsch sei und betonte, dass er sowohl in der Wissenschaft als auch in der europäischen Gesetzgebung eine ganz andere Bedeutung habe: „Als Sprachrohr der Ideen von Gleichheit, Solidarität und Chancengleichheit für Frauen und Männer möchte ich unterstreichen, dass die Werte der Gleichbehandlung von Frauen und Männern (gender equality) seit langem in Polen anerkannt und in der Verfassung und anderen Gesetzen festgeschrieben sind; Implementierung und Gebrauch stellen keine Bedrohung von Familien dar.“80
Państwo-Kościół w…, a.a.O; CZESŁAW JANIK, PAWEŁ BORECKI, Dziesięć lat polskiego konkordatu [Zehn Jahre des polnischen Konkordats], Warszawa, 2009; KOWALCZYK, Partie
i ugrupowania…, a.a.O.
78 BŁAŻEJ STRZELCZYK, Odpowiadam biskupom na ich list o gender: „Modlimy się o siłę w wojnie którą prowadzicie!“ [Ich antworte den Bischöfen auf deren Brief über Gender: „Wir beten um die Kraft im Krieg, den ihr führt!“], http://followjezus.blog.pl/2013/ 12/odpowiadam-biskupom-na-ich-list-o-gender-modlimy-sie-o-sile-w-wojnie-ktoraprowadzicie/ (abgerufen am 15.11.2015). 79 Vgl. „Krzywdzące tezy“ „Zredagowany z zaciśniętymi zębami“ – opinie o liście biskupów w sprawie gender [„Ungerechte Thesen“ ,‚Redigiert mit zusammengepressten Zähnen“ – Meinungen über den Brief der Bischöfe in Sachen Gender], 2013, http:// wyborcza.pl/1,75478,15199919,_Krzywdzace_tezy____Zredagowany_z_zacisnietymi _zebami_.html (abgerufen am 16.11.2015); ZUZANNA RADZIK, List biskupów na temat gender: instrukcja obsługi [Brief der Bischöfe über Gender: Die Bedienungsanleitung], 2013, http://tygodnik.onet.pl/wwwylacznie/list-biskupow-na-temat-gender-instrukcjaobslugi/jfdj9 (abgerufen am 16.11.2015); STRZELCZYK, Odpowiadam biskupom na…, a.a.O. 80 POLSKA AGENCJA PRASOWA PAP, Kozłowska-Rajewicz do biskupów: prawa człowieka i dobro rodziny są po tej samej stronie [Kozłowska-Rajewicz an die Bischöfe: Menschenrechte und das Familienwohl sind auf der gleichen Seite], 2013, http://www.pap. pl/palio/html.run?_Instance=cms_www.pap.pl&_PageID=1&s=infopakiet&dz=kraj& idNewsComp=&filename=&idnews=138521&data=&status=biezace&_CheckSum=133650930 (abgerufen am 17.11.2015).
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Einige Bischöfe antworteten auf diesen Brief, darunter Primas Kowalczyk, der bekräftigte, dass die Genderperspektive und ihre „Interpretation des Geschlechtsphänomens“ keinen Anspruch habe, zur Grundlage des nationalen und internationalen Rechts zu werden.81 Erzbischof Józef Kupny betonte seinerseits, dass die Kirche seit jeher „über die richtige Auffassung der menschlichen Würde“82 gewacht und Familie und Ehe als Beziehung zwischen Frau und Mann verteidigt habe. Hier stellt sich die Frage, ob die Verteidigungsstrategie der Gleichstellungsbeauftragten, in der sie auf die internationale Gleichstellungspolitik hinwies, überhaupt in Bezug zum Gender-Ansatz wirken könnte, denn für die katholische Kirche bedeutet gerade die Gleichstellungspolitik die eigentliche Gefahr, weil sie zur Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften führt. Wie bereits erwähnt, wehrt sich die katholische Kirche bereits seit den 1990er Jahren dagegen und sieht die Gleichstellungspolitik als politische Strategie bzw. totalitäre Ideologie, die anderen Ländern aufgezwungen werde. Die polnische Amtskirche führt laut Tadeusz Bartoś, genauso wie der Vatikan, einen Kampf um die Bewahrung der eigenen Kultur und Identität: „Sie wissen – oder vermuten – dass der kulturelle Wandel die sozialen Bindungen lockert, und somit ebenfalls die soziale Kontrolle, mitunter die kirchliche Kontrolle über menschliche Sitten, Verhaltensweisen usw. Weil der Katholizismus eine Sphäre der Sitten und Kultur ist, bedeutet eine Veränderung der Kultur und Sitten die Zerstörung des Katholizismus. Wir haben es also mit einem kulturellen Identitätskrieg zu tun. In diesem Krieg greifen die Anhänger der alten Ordnung leider zur Methode: ‚Der Zweck heiligt die Mittel‘“.83
In diesem Sinne kämpft die Kirche gegen die Dekonstruktion der eigenen Lehre und Prinzipien und lässt daher keine Diskussion über den eigenen Denkstil zu. Der von Hark und Villa zuvor erwähnte „Wahrheitsraum“ der binären Geschlechterordnung soll unangetastet bleiben. Solange behauptet wird, es gäbe keine (bzw. eine nur falsch verstandene) „Gender-Ideologie“, sondern Gender sei eine wissenschaftliche Kategorie,84 sind
81 Głos Prymasa Polski…, a.a.O. 82 JÓZEF KUPNY, W sprawie gender potrzebny jest dialog [In der Gender-Frage ist ein Dialog vonnöten], 2014, www.niedziela.pl/artykul/7636 (abgerufen am 17.11.2015). 83 BARTOŚ, STAWISZYŃSKI, „Gender” służy jako…, a.a.O. 84 Vgl. JOANNA BATOR, Gender biskupa Michalika [Gender des Bischofs Michalik], 2013,
http://wyborcza.pl/magazyn/1,134734,15134648,Gender_biskupa_Michalika.
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alle Versuche, eine differenziertere Auseinandersetzung mit der Gender-Theorie in Polen anzuregen, wirkungslos. Denn bei den Einwänden der polnischen Amtskirche geht es weniger um eine Auseinandersetzung mit den Gender Studies als Wissenschaftsdisziplin, sondern um eine Auseinandersetzung mit Gender als Oberbegriff für die Gleichstellungspolitik. Vielleicht ist das geringe Interesse der polnischen Amtskirche an der akademischen Disziplin der Gender Studies darin begründet, dass diese im Vergleich zu Westeuropa eine viel schwächere akademische Institutionalisierung erlangten. Gender Studies existieren beispielsweise nur als Aufbaustudium.85 Elżbieta Adamiak bemerkt, dass die Kategorien sex und gender überhaupt keinen Eingang in die polnische und auch osteuropäische Theologie fanden, wodurch sich die feministische Theologie bis heute auch nicht entwickeln konnte.86 Meist würden auf dem Essentialismus basierende Geschlechterdifferenzen reproduziert, eine konstruktivistische oder dekonstruktivistische Sicht auf die Geschlechterverhältnisse sei bisher vergeblich zu suchen.87 Adamiak konstatierte 2014, dass im
html (abgerufen am 20.12.2015); MICHAŁ FAL, „Ideologia gender“ przyczyną pedofilii? Agnieszka Graff: Robienie z gender studies malowanego diabła to aberracja [„Gender-Ideologie“ als Ursache der Pädophilie? Agnieszka Graff: Gender Studies zum Teufel machen], 2013, http://natemat.pl/78839,ideologia-gender-przyczyna-pedofiliiagnieszka-graff-robienie-z-gender-studies-malowanego-diabla-to-aberracja (abgerufen am 20.12.2015); JAKUB NOCH, „Ten straszny gender“ Z kim idzie na wojnę Kościół i czemu z samym sobą? [„Dieses schreckliche Gender“. Wem erklärt die Kirche den Krieg und warum sich selbst?], 2013, http://natemat.pl/46317,ten-straszny-gender-zkim-idzie-na-wojne-kosciol-i-czemu-z-samym-soba (abgerufen am 20.12.2016); RADKOWSKA-WALKOWICZ,
STAWISZYŃSKI, Czemu służy straszenie „ideologią gender“?
[Wofür dient der Schreck der „Gender-Ideologie“?], in: KAPELA, JAŚ (Hrsg.), Gender. Przewodnik Krytyki, a.a.O; MAGDALENA ŚRODA, Jezus, arcybiskup i gender [Jesus, Erzbischof und Gender], 2013, http://wyborcza.pl/1,75968,14979666,Jezus__arcy biskup_i_gender.html (abgerufen am 20.12.2015). 85 Vgl. KATHARINA KINGA KOWALSKI, Gender Studies in Polen – eine Standortanalyse, in: L’Homme, 2016, S. 143–151; AGNIESZKA MROZIK, Gender Studies in Poland: Prospects, Limitations, Challenges, in: Dialogue and Universalism, 20 (5):19 (2010). 86 Vgl. ADAMIAK, Awerness of Sex/Gender Difference in Christian Theology in Poland: a Report on the State of Research, in: ADAMIAK, ELŻBIETA; CHRZĄSTOWSKA, MAŁGORZATA; METHUEN, CHARLOTTE u. a. (Hrsg.), Gender and religion, a.a.O. 87 Vgl. ELŻBIETA ADAMIAK, SONIA SOBKOWIAK, Gender and Religion in Central and Eastern Europe. Theoretical approaches, in: European Journal of Mental Health, H. 6, 2011, S. 3–25.
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Zuge der Gender-Debatte zwar genderkritische Positionen ins Polnische übersetzt wurden, aber auf dem Gender-Ansatz basierende religiöse Beiträge in Polen weithin unbekannt sind. Somit hatte die katholische Kirche präventiv reagiert – bevor die wissenschaftliche Kategorie Gender überhaupt die polnische Theologie beeinflussen konnte.88 Agnieszka Graff findet durch eine veränderte Perspektive eine interessante Antwort auf die Angriffe gegen die „Gender-Ideologie“. Sie bescheinigt den polnischen Bischöfen kein falsches Verständnis oder ein Unverständnis der Kategorie Gender, sondern setzt die Anti-Gender-Kampagne in den Kontext der Auseinandersetzung um die Gleichstellungspolitik. Sie betont dabei, dass es sich bei der Kategorie Gender nicht nur um eine wissenschaftliche Kategorie, sondern auch um eine Weltanschauung handle: „Ja, Gender ist eine Ideologie. Nein, es ist weltanschaulich nicht neutral. Weil es Gleichheit und Freiheit schätzt und Diskriminierung und Ausbeutung bewusst macht.“89 Sie weist hier auf den politischen Charakter des Gender-Ansatzes im Sinne der Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik hin, wobei die positive „Aneignung“ und gleichzeitige Anwendung des Ideologiebegriffs auf den Katholizismus eine durchaus interessante Methode zu sein scheint. 90 Damit wird die eigentliche Auseinandersetzung um Frauenrechte und Gleichstellungspolitik offengelegt, die von der Konstruktion der „Gender-Ideologie“ verdeckt wurde. Wenn es sich bei der Anti-Gender-Debatte um die Fortsetzung des Diskurses der 1990er Jahre handelt, so ist darüber hinaus auch interessant, warum ausgerechnet 2012 die zuvor im katholischen Diskurs kaum präsente Kategorie Gender zum Ziel der Attacken in Polen wurde, obwohl der Vatikan schon seit 2000 vor der sogenannten „Gender-Ideologie“ warnte. Laut Bożena Chołuj seien neben der erwähnten Konvention des Europarates die seit 2006 öffentlich gewordenen Missbrauchs- und Pädophilie-Fälle in der katholischen Kirche von Bedeutung für diese Kampagne. So wurde die Etablierung des Feindbegriffs „Gender-Ideologie“ zu einem willkommenen Mittel, um die gesellschaftliche Aufmerksamkeit von den
88 Vgl. ELŻBIETA ADAMIAK, Lila und lavendel in Polen, in: ADAMIAK, ELŻBIETA (Hrsg.), Feministische Theologie in Europa – mehr als ein halbes Leben. Ein Lesebuch für Hedwig Meyer-Wilmes = Feminist theology in Europe – more than half a life : a reader in honour of Hedwig Meyer-Wilmes, Bd. 25, Berlin, 2013, S. 80–89. 89 AGNIESZKA GRAFF, Macie prawo nie lubić Dżendera. Ale nie wolno wam go bić [Ihr habt das Recht gender nicht zu mögen. Aber ihr habt kein Recht, gender zu verprügeln.], 2014, http://wyborcza.pl/magazyn/1,137947,16022018,Macie_prawo_nie_lubic_Dzen dera__Ale_nie_wolno_wam.html (abgerufen am 21.12.2015). 90 Siehe dazu z.B. RADZIK, List biskupów na…, a.a.O.
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Skandalen abzulenken.91 Besonders bezeichnend war die Aussage des damaligen Primas Józef Michalik, der in seiner Predigt im Oktober 2013 die „Gender-Ideologie“ für den Zerfall von Familien und die Sexualisierung von Kindern verantwortlich machte, woraufhin die einsamen Kinder die Nähe von Priestern suchen würden. 92 Damit wurde der dreiste Versuch unternommen zu sagen, dass die „Gender-Ideologie“ für den Missbrauch verantwortlich wäre und nicht die pädophilen Priester selbst. Die Haltung der polnischen Amtskirche kann auch als Reaktion auf gesellschaftliche Änderungen und die beginnende Säkularisierung der polnischen Gesellschaft verstanden werden. Laut einer Umfrage von 2014 verzichteten seit 2003 zwei Millionen Gläubige auf religiöse Praktiken, die größte Gruppe bildeten dabei
91 Vgl. CHOŁUJ, „Gender-Ideologie“ – ein Schlüsselbegriff…, a.a.O. Siehe auch BARTOŚ, STAWISZYŃSKI, „Gender” służy jako…, a.a.O; AGNIESZKA GRAFF, Report from the gender trenches: War against ‘genderism‘ in Poland, in: European Journal of Women’s Studies, 21 (4), 2014, S. 431–442; RADZIK, Przepis na wroga…, a.a.O; JUSTYNA SUCHECKA,
Wykładowca gender studies: Kościół w Polsce potrzebuje wroga, więc mi-
anowano nim gender [Ein Hochschullehrer in Gender Studies: Die Kirche in Polen braucht einen Feind, deswegen ist Gender zum Feind ernannt worden], 2013, http:// wyborcza.pl/1,75478,14979970,Wykladowca_gender_studies__Kosciol_w_Polsce_po trzebuje.html (abgerufen am 22.12.2015). Anfang 2013 erschien ein Buch des niederländischen Journalisten Overbeek mit Interviews von polnischen Missbrauchsopfern, Vgl. EKKE OVERBEEK, Lękajcie się. Ofiary pedofilii w polskim Kościele mówią [Fürchtet euch. Opfer der Pädophilie in der polnischen Kirche sprechen], Warszawa, 2013. 92 Vgl. Abp Michalik o pedofilii: Gdy dziecko szuka miłości, ono lgnie i jeszcze tego drugiego człowieka wciąga [Erzbischof Michalik über die Pädophilie: Wenn ein Kind nach Liebe sucht, dann verliert es sich selbst und zieht den anderen Menschen mit.], 2013,
http://wyborcza.pl/1,76842,14742202,Abp_Michalik_o_pedofilii__Gdy_dziec
ko_szuka_milosci_.html (abgerufen am 22.12.2015).
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Frauen.93 Elżbieta Karolczuk wertet daher die Reaktion der polnischen Amtskirche als einen „Schwanengesang“94 – die Kirche habe versucht, ihre hegemonische Position zu stärken. Es geht hier zudem laut Magdalena Radkowska-Walkowicz um den Anspruch der Kirche, „Recht, Bedeutungen und moralische Regeln zu bestimmen“, wobei der Fokus der Einmischung der Kirche insbesondere in den Bereichen Familie und Sexualität liegt.95 Die katholischen (Frauen-)Organisationen spielten in diesem Anti-GenderDiskurs weiterhin ihre Rolle als Sprachrohr der Kirche und als selbst ernannte Repräsentation der katholischen Frauen. Die Vertreterinnen vom PZKK, FKP und Amicta Sole bekräftigten unisono als „Stimme der katholischen Frauen“ in ihren gemeinsamen Stellungnahmen, die meist den zuvor veröffentlichten Stellungnahmen des polnischen Episkopats entsprachen, die Argumentation der polnischen Bischöfe.96 Dafür griffen sie verstärkt auf das Konzept des neuen Feminismus zurück, mit dem sie ihre alte Kritik an den reproduktiven Rechten und der Gleichstellungspolitik fortsetzten.
93 Vgl. DZIENNIK OPINII. KRYTYKA POLITYCZNA, Kobiety uciekają z Kościoła [Frauen flüchten aus der Kirche], 2014, www.krytykapolityczna.pl/artykuly/opinie/20140413/ radzik-najliczniejsza-grupa-ktora-uciekla-z-kosciola-sa-kobiety (abgerufen am 22.12. 2015); INSTYTUT STATYSTYKI KOŚCIOŁA KATOLICKIEGO, Dominicantes 2013, 2014, www.iskk.pl/kosciolnaswiecie/193-dominicantes-2013.html (abgerufen am 22.12. 2015). 94 KOROLCZUK, SZCZERBIAK, Dyskusja o gender to łabędzi śpiew Kościoła [Die Diskussion über Gender ist ein Schwanengesang der Kirche], in: KAPELA, JAŚ (Hrsg.), Gender. Przewodnik Krytyki, a.a.O., S. 376. 95 RADKOWSKA-WALKOWICZ, STAWISZYŃSKI, Czemu służy straszenie „ideologią gender“? [Wofür dient der Schreck der „Gender-Ideologie“?], in: KAPELA, JAŚ (Hrsg.), Gender. Przewodnik Krytyki, a.a.O., S. 347. 96 So verfassten Vertreterinnen von PZKK, FKP und Amicta Sole eine Stellungnahme in der Frage der EU Konvention, die in ihrem Inhalt der Stellungnahme des Episkopats ähnelte. Auch sie protestierten gegen die Annahme einer auf Tradition und Kultur aufgebauten „Systemgewalt“ und gegen Gender als Definition des Geschlechts, wodurch die Anthropologie auf „oberflächliche äußere Rollen“ reduziert werde. Anders als im Brief des Präsidiums des Episkopats bezogen sie sich explizit auf das Prinzip der Komplementarität und warnten vor der Antagonisierung der Geschlechter durch die Gleichstellungspolitik, was zu Aggression und Gewalt an Frauen führen könne. Gleichzeitig betonten sie, dass die gegenwärtige juristische Lage bereits ausreichend sei, um der Gewalt gegen Frauen vorzubeugen, die jetzigen Maßnahmen sollten lediglich verbessert werden. In der Konvention der EU sahen sie ausdrücklich ein Dokument, das „in
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6.2.3 Der neue Feminismus als Antwort der katholischen (Frauen-)Organisationen Im Januar 2012 fand beinahe unbemerkt eine Diskussion katholischer Frauen (u. a. mit Monika Waluś von Amicta Sole) zum Thema Gender im Collegium Bobolanum an der Päpstlichen Theologischen Fakultät, einer katholischen Hochschule, in Warschau statt. Sie erfolgte in einer ruhigen Atmosphäre, die Kategorie Gender wurde (noch) nicht als Ideologie, sondern ein komplexes Thema gesehen; insbesondere der Aspekt der geschlechtsspezifischen Rollen wurde als wichtiger Impuls für die Kirche hervorgehoben. Denn Männer seien gegenüber Frauen immer noch höher gestellt, was „hinter dem Vorhang stereotypen Denkens“97 versteckt werde. Diese Diskussion ist insofern interessant, als sie zu dieser Zeit eher eine Seltenheit war. Die Kategorie Gender blieb, wie bereits erwähnt, lange im katholischen Diskurs der polnischen Amtskirche unbeachtet. Obwohl die erste Kritik an der sogenannten „Gender-Ideologie“ bereits im Jahr 2000 aus dem Vatikan kam, war die Kategorie Gender lange außerhalb des Interesses der katholischen Kirche in Polen – kritisiert wurde namentlich der Feminismus.98 Diese Entwicklung lässt sich auch an verschiedenen Artikeln der List do Pani ablesen, wo die ersten Beiträge, die sich mit der Kategorie Gender befassen, erst im Zuge der polnischen Anti-Gender-Kampagne nach 2012 erschienen sind. Wie die zuvor vorgestellten Debatten zeigen, wurde in den 1990er und 2000er Jahren die größte Bedrohung der Familien und der polnischen Nation meist mit der „feministischen Ideologie“ assoziiert, die darin als eine dem Marxismus ähnelnde totalitäre Ideologie beschrieben wird. Erst ab 2004, also beinahe zehn Jahre nach
Zukunft zu einem Werkzeug zum Kampf gegen Religion, Tradition und Familie benutzt werden“ könne, EKAI.PL, Apel polskich kobiet [Der Appell polnischer Frauen], 2012, https://ekai.pl/wydarzenia/temat_dnia/x54056/apel-polskich-kobiet/
(abgerufen
am
11.01.2016). 97 NATALIA ŚWIT, Gender w Kościele [Gender in der Kirche], 2012, www.radiownet.pl/ publikacje/gender-w-kosciele (abgerufen am 11.01.2016). 98 Als Beispiele der ersten polnischen Publikationen zur „Gender-Ideologie“ gelten z.B. von Kirchenmännern verfasste Beiträge: MARIAN MACHINEK, ANTONI JUCEWICZ, Idea gender jako wyzwanie dla teologii [Die Gender-Idee als Herausforderung für die Theologie], Olsztyn, 2009; JACEK JAN PAWŁOWICZ, Ideologia gender realnym zagrożeniem dla małżeństwa i rodziny [Die Gender-Ideologie als reale Bedrohung für Ehe und Familie], in: PRYBA, ANDRZEJ (Hrsg.), Społeczeństwo rodzinie – rodzina społeczeństwu. Die Gesellschaft der Familie – die Familie der Gesellschaft, Bd. 11, Poznań, 2012, S. 139–154.
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der 1995 erschienenen Enzyklika Evangelium Vitae mit dem Konzept des neuen Feminismus, änderte sich der Diskurs der katholischen (Frauen-)Organisationen.99 So wies das FKP in einer Presseerklärung 2004 darauf hin, dass es einen neuen Feminismus repräsentieren möchte, „der auf Menschen schaut und, statt Ehe und Familie zu negieren, positiv darüber spricht“.100 Maria Wilczek vom PZKK sprach ihrerseits 2004 über den neuen Feminismus als „Rettung für die Welt, in der Bindungen auseinander brechen und die Mutterschaft immer weniger geschätzt“ werde.101 Der neue Feminismus und seine Fürsprecherinnen betonten mit der Aufwertung der Mutterschaft der Frau insbesondere den pro-life-Aspekt und grenzten sich mit diesen Argumenten seit 2012 zunehmend von der sogenannten „GenderIdeologie“ Der erste ausführliche Beitrag zum neuen Feminismus in List do Pani stand im Kontext der bereits bekannten Auseinandersetzung mit dem „alten“ Feminismus, genauer – mit der alljährlichen feministischen Frauen-Demos anlässlich des Internationalen Frauentags, der sogenannten Manifa.102 2006 fand die Manifa, anders als in den Jahren zuvor, erstmals vor dem Sejm statt. Alina Petrowa-Wasilewicz äußerte sich zur bevorstehenden Manifa folgendermaßen:
99
Der erste Beitrag in List do Pani zum Thema des neuen Feminismus war die Leseempfehlung der katholischen Zeitschrift Więź, deren Themenheft 1999 explizit dem neuen Feminismus gewidmet war. Als 1995 die Enzyklika Evangelium vitae erschien, wurde eine kurze Meldung mit dem Aufruf zur Verteidigung der „Zivilisation der Liebe“ u.a. gegen Abtreibung oder Euthanasie veröffentlicht, die jedoch keinen Bezug zum Konzept des neuen Feminismus enthielt: Polski Związek Kobiet Katolickich, Oświadczenie w nawiązaniu…, a.a.O.
100 KATOLICKA AGENCJA INFORMACYJNA KAI, Forum Kobiet Polskich oskarża Millera [Das Forum Polnischer Frauen klagt Miller an], 2004, http://ekai.pl/wydarze nia/x6753/forum-kobiet-polskich-oskarza-millera/ (abgerufen am 12.10.2013). 101 EKAI.PL, Gniezno: Nowy feminizm – łagodzić ból świata [Gniezno: Der neue Feminismus – den Weltschmerz besänftigen], 2004, http://ekai.pl/wydarzenia/x6817/ gniezno-nowy-feminizm-lagodzic-bol-swiata/ (abgerufen am 12.01.2016). 102 Bei der Manifa (Abkürzung des polnischen Wortes manifestacja, dt. Demonstation) handelt es sich um alljährliche feministische Frauendemos die anlässlich des Internationalen Frauentages am 8. März. Die erste Manifa fand am 8. März 2000 mit ca 150 Teilnehmerinnen in Warschau unter dem Motto: „Demokratie ohne Frauen ist eine halbe Demokratie“ statt. Die Idee der Manifa und ihre Durchführung entstammen der Frauenorganisation Vereinigung 8. März (Porozumienie 8 Marca). Mittlerweile entwickelten sich die Manifas zu großen und medienwirksamen Veranstaltungen, bei denen das Thema der Frauenrechte behandelt wird. Zum Thema Manifa vgl. z.B.
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„Wie jedes Jahr um den 8. März wird eine ‚Manifa‘ stattfinden – eine laute und lärmende Straßendemonstration, welche Feministinnen, Anhängerinnen der Abtreibung und des Matriarchats, lesbische Frauen sowie – vielleicht – Krankenschwestern und arme Frauen, die ihr Schicksal in die Hände nehmen möchten, versammelt.“103
Diese Manifa erwecke, so Petrowa-Wasilewicz, fälschlicherweise den Eindruck, dass polnische Frauen unterdrückt seien. Sie hält dieser den neuen Feminismus entgegen, der die richtigen Lösungen für diese, auch von der Autorin bestätigten, Bereiche der Diskriminierung von Frauen bereithalte. Polinnen sollten demnach mehr Unterstützung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhalten, dazu sei jedoch ein anderer Feminismus vonnöten, „der keine ungeborenen Kinder ausschließt und Abtreibung nicht für ein Menschenrecht hält“104 Der Begriff Feminismus wird also nicht mehr per se als Inbegriff einer gefährlichen Ideologie abgelehnt, sondern subversiv durch das päpstliche Konzept positiv neu konnotiert und mit dem pro-life-Diskurs verknüpft. Bożena Chołuj bemerkt dazu in Anlehnung an die Theorie Bruno Latours, dass die Vereinnahmung des FeminismusBegriffs durch die katholische Kirche nach der Methode des Spießumdrehens funktioniere, denn man habe die Methode des kritisierten Gegners übernommen.105 Interessant ist, dass die Berufung auf den neuen Feminismus als den „wahren“ und „besseren“ Feminismus zu einem Zeitpunkt erfolgte, als die feministischen Manifa an Stärke und medialer Aufmerksamkeit gewann und sich damit das gesellschaftliche Bewusstsein zunehmend für das Thema der Gleichstellung sensibilisierte.106 2012 steigerte sich das strategische Vorgehen erneut: Im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die erwähnte Konvention des Europarates wurde im List do Pani anstatt von feministischer Ideologie immer mehr von der „GenderIdeologie“ gesprochen. In diesem Sinne ersetzte die Kritik an der Gender-Theorie
LUCYNA KOPCIEWICZ, „ Manifa“ („Frauendemo“) und 8. März in Polen – Medienecho und Erfahrungen verschiedener Generationen, in: Gender. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, 4, H. 3, 2012, S. 130–137. 103 Nowy feminizm…, a.a.O., S. 8. 104 Ebd., S. 9. 105 Vgl. CHOŁUJ, „Gender-Ideologie“ – ein Schlüsselbegriff…, a.a.O., S. 229. 106 Vgl. KICIŃSKA, Barierą jest płeć. 20 lat kobiet w polityce [Das Geschlecht ist eine Hürde. 20 Jahre Frauen in der Politik], in: CZERWIŃSKA, ANNA; PIOTROWSKA, JOANNA (Hrsg.), Raport 20 lat, a.a.O; KOPCIEWICZ, „Manifa“ („Frauendemo“) und…, a.a.O.
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die frühere Kritik am Feminismus, die aufgrund des neuen Feminismus von Johannes Paul II. nicht mehr angezeigt war. Nicht nur alle denkbaren Bedrohungen für Familie und Gesellschaft und die katholische Lehre wurden nun unter dem Begriff Gender zusammengefasst – auch der neue Feminismus wurde zum gemeinsamen Nenner für den Widerstand der katholischen Kirche gegen diese Bedrohungen. Laut des Konzepts von Papst Johannes Paul II. sollten insbesondere Frauen Widerstand leisten und den Änderungen entgegenwirken, die er in seiner Enzyklika Evangelium Vitae mit der „Kultur des Todes“ assoziierte.107 Diesen Ruf zur Verteidigung der „Zivilisation des Lebens“ – einer pro-lifeMission – nahmen Frauen aus den polnischen (Frauen-)Organisationen zwar bereits kurz nach dem Erscheinen der Enzyklika auf und erklärten 1995 im List do Pani, dass sie gegen die vom Papst genannten Bedrohungen kämpfen werden, sie griffen jedoch den Namen des neuen Feminismus zu dieser Zeit nicht explizit auf.108 Sie folgten der pro-life-Strategie in den zuvor vorgestellten Debatten und bezeichneten ab 2012 die sogenannte „Gender-Ideologie“ als Inbegriff der „Kultur des Todes“. Der neue Feminismus avancierte hingegen zum Inbegriff der „Zivilisation der Liebe“ und katholische (Frauen-)Organisationen zu seinen Trägerinnen und Verteidigerinnen wie in der folgenden Stellungnahme des PZKK beschrieben: „Wir möchten gemeinsam mit allen Milieus, die die Bedrohungen der Ideologie Gender wahrnehmen, die Zivilisation des Lebens und der Liebe bauen, indem wir ein integrales Modell des Menschen propagieren, bei dem man sich um seine physische, psychische, soziale und geistige Entwicklung kümmern soll und zwar in Anlehnung an christliche Werte, welche mit dem Plan des Schöpfers: ‚Als Mann und Frau schuf er sie‘ übereinstimmen. Frau und Mann, obwohl sie in ihrem Geschlecht verschieden sind, unterschiedliche Aufgaben besitzen und Gottes Plan realisieren, behalten die gleiche, persönliche Würde des Menschen. Und hierin sehen wir die Gleichheit der beiden Geschlechter.“109
Dieses Zitat stammt aus der Antwort des PZKK auf den erwähnten Hirtenbrief der Bischöfe, die die Vorsitzende des Verbandes Maria Jankowska im Namen ihrer Organisation als offenen Dankesbrief an die Bischöfe für ihren „sehr wichtigen, sachlichen und notwendigen Hirtenbrief“110 schrieb. Dieser Brief ist deswegen interessant, da er im Vergleich zu früheren Stellungnahmen, z.B. im Rahmen der
107 Vgl. JOHANNES PAUL II., Enzyklika Evangelium vitae…, a.a.O. 108 Vgl. Polski Związek Kobiet Katolickich, Oświadczenie w nawiązaniu…, a.a.O. 109 JANKOWSKA, Sprzeciwiamy się propagowaniu…, a.a.O. 110 Ebd.
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Proteste gegen die Istanbulkonvention, deutlich ausführlicher ist.111 An mehreren Stellen wird auf Theorien der sogenannten „Gender-Ideologie“ Bezug genommen, z.B. auf die Theorie Judith Butlers: „Das biologische Geschlecht solle also nicht als bindend betrachtet werden, müsse gar nicht die Grundlage einer Identität sein, weil die Weise wichtig sei, in der der Mensch sich ausdrücken wolle. So meinen die Anhänger der Gender-Ideologie, dass viele der genetisch festgestellten Merkmale, die entsprechend der Frau und dem Mann zugeordnet werden, Folge
111 Teilweise finden sich dort die gleichen Formulierungen, wie in einer seit 2013 in katholischen Kreisen zirkulierenden Broschüre, vgl. MARIA RYŚ, MAŁGORZATA WALASZCZYK, Gender – cywilizacja śmierci.Historia ideologii gender, jej twórcy, podstawowe założenia ideologii gender oraz próby jej wdrażania w Polsce [Gender – Zivilisation des Todes. Geschichte der Gender-Ideologie, ihre Schöpfer, Grundannahmen der Gender-Ideologie und die Versuche ihrer Einführung in Polen], 2013, http://przedszkole-integracyjne.edu.pl/download/dla_rodzicow/GENDER_istota.pdf (abgerufen am 13.01.2016). Sie bietet eine Argumentationshilfe, erklärt in knapper Wiese die „Gender-Ideologie“ und ist mit den biografischen Angaben ihrer „Schöpfer“ ergänzt. Es entsteht dadurch der Eindruck, dass die polnische Amtskirche durch die Veröffentlichung von Argumentationshilfen und Kompendien genderkritischer, meist ins Polnische übersetzter Texte, eine eigene Professionalisierung und wissenschaftliche Verankerung ihrer Kritik der Kategorie Gender signalisieren will, Vgl. z.B. Benedikt XVI., ADAM BUJAK, WALDEMAR CHROSTOWSKI (HRSG.), Dyktatura gender…, a.a.O. Meist wird in solchen Publikationen auf die genderkritischen, wissenschaftlich jedoch nicht fundierten Arbeiten der deutschen Publizistin Gabriele Kuby Bezug genommen, deren Werke schnell ins Polnische übersetzt wurden und beim polnischen Episkopat als Expertisen besonders beliebt sind. Gabriele Kuby, ehemalige Studentin von Ralf Dahrendorf konvertierte 1996 nach einer langen Phase der Beschäftigung mit spirituellen Methoden zum Katholizismus und vertritt seitdem eine erzkonservative Haltung in Bezug auf sexuelle Minderheiten, Gender-Theorie oder Abtreibung. Siehe z.B. GABRIELE KUBY, Die Gender Revolution. Relativismus in Aktion, Kißlegg, 2006; GABRIELE KUBY, Auf dem Weg zum neuen Gender-Menschen. Verstaatlichung der Erziehung, Kisslegg, 2007; GABRIELE KUBY, Die globale sexuelle Revolution. Zerstörung der Freiheit im Namen der Freiheit, Kißlegg, 2012. Zur Rezeption von Kuby in Polen vgl. z.B. CHOŁUJ, „Gender-Ideologie“ – ein Schlüsselbegriff…, a.a.O; RYŚ, Antygenderowy katechizm [Der Anti-Gender-Katechismus], in: KAPELA, JAŚ (Hrsg.), Gender. Przewodnik Krytyki, a.a.O. Als „Expertin für Gender-Ideologie“ wird auch die US-amerikanische Journalistin Dale O’Leary genannt.
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des gesellschaftlichen Drucks oder der kulturellen Bedingtheit seien. Die Gesellschaft zwinge also mit der menschlichen Natur nicht vereinbare Frauen- und Männerrollen auf, was die ganzheitliche Entwicklung des Menschen begrenze.“112
Im letzten Satz wurde die Theorie Butlers missverstanden, denn Butler stellt in ihrem Werk insbesondere die „menschliche Natur“ der Geschlechterrollen infrage und spricht daher keinesfalls von einem gesellschaftlichen Zwang zur Ausübung der „mit der menschlichen Natur nicht vereinbaren Frauen- und Männerrollen“ – für Butler sind sowohl die „natürlichen“ als auch kulturellen Geschlechterrollen eine Konstruktion. Es geht bei Butler also nicht um die Frage, ob das biologische Geschlecht als bindend betrachtet werden kann oder nicht, sondern vielmehr um die Hinterfragung des biologischen Geschlechts an sich. Für den PZKK ist hingegen der Biologismus ein Erklärungsansatz für die Natürlichkeit der Geschlechterrollen. So wird die Annahme der sogenannten „Gender-Ideologie“ dahingehend kritisiert, dass bereits die Benennung eines Menschen als Frau oder Mann eine Diskriminierung darstelle, und auf die Bedeutung der kulturellen Geschlechterrollen für die Identitätsentwicklung des Menschen hingewiesen: „Das Aufwachsen im Gefühl und in der Identität eines Geschlechts ist die Bedingung für die Entwicklung einer reifen menschlichen Persönlichkeit. Wenn also z.B. ein Mann durch die Kultur als Mann angesehen ist, dann baut sich dadurch die persönliche Identität dieses Menschen als Mann. Wenn es an diesen kulturellen Einflüssen auf die Bildung der persönlichen Identität als Mann mangeln würde, weil im Namen der Gender-Ideologie das Geschlecht freiwillig geändert werden kann, dann kann das in Konsequenz zu ernsten Persönlichkeitsstörungen eines Menschen führen.“113
Hier zeigt sich, welche Befürchtungen der PZKK mit der Infragestellung der kulturellen Geschlechterrollen verbindet – ohne Kultur und Tradition würde der Mensch in seiner Persönlichkeit und Identitätsbildung gestört. Die größte Störung bedeute jedoch die Infragestellung der Heteronormativität, was im folgenden Appell, mit dem der Brief des PZKK endet, deutlich wird: „Als Frauenverband sind wir gegen eine aggressive Propagierung der Gender-Ideologie, die Verderbnis unserer Kinder durch die Einführung der Sexualisierung in den Kindergärten und die Einführung des Modells partnerschaftlicher Beziehungen, auch der gleichgeschlechtlichen, sowie gegen die Betrachtung der Ehe zwischen Frau und Mann als Relikt. Wir
112 JANKOWSKA, Sprzeciwiamy się propagowaniu…, a.a.O. 113 Ebd.
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wünschen uns gesunde Familien und gesunde Kinder, die von Frau und Mann, also Mutter und Vater, erzogen werden.“114
Gender sei demnach eine Bedrohung der Gesundheit von Kindern und Familien: Gesundheit wird dabei mit der Ehe zwischen Frau und Mann gleichgesetzt, wodurch indirekt andere Beziehungsformen als krank konnotiert werden. Deutlichere Worte über Homosexuelle fand 2013 Petrowa-Wasilewicz in ihren Texten in List do Pani, in denen sie auf eine besondere Bedrohung für Menschen und Familien hinwies, die von der Sexualkunde ausgehe.115 Sie legt am Beispiel einer publizierten LGBTQ-Analyse116 zur Homophobie in polnischen Schulbüchern dar, dass „homosexuelle Milieus“ nun ihren langen Kampf um die „Legalisierung jeglicher Abweichung“ mittels Sexualkunde in den Schulen beginnen würden.117 Diese Art der Sexualkunde stelle einen Angriff auf die Komplementarität der Geschlechter nach Gottes Werk dar. Sie nennt ein kurioses Beispiel eines jüngsten „Opfers einer Verfolgung“, den polnischstämmigen Kanadier Andrew
114 EKAI.PL, Kobiety katolickie wdzięczne biskupom za list o gender [Katholische Frauen sind den Bischöfen dankbar für den Brief über Gender], 2014, http://ekai.pl/wyda rzenia/polska/x74079/kobiety-katolickie-wdzieczne-biskupom-za-list-o-gender/ (abgerufen am 16.01.2016). 115 Vgl. ALINA PETROWA-WASILEWICZ, Sprawdź, czego uczą twoje dziecko [Prüfe, was Deinem Kind gelehrt wird], in: List do Pani, 9 (217), 2013, S. 9; ALINA PETROWAWASILEWICZ, Uwaga seksedukatorzy u bram! [Vorsicht, Sexerzieher vor den Toren!], in: List do Pani, 6 (215), 2013, S. 15. Wie bereits erwähnt, wurde die Sexualkunde als eine der Bedingungen des Abtreibungsgesetzes 1993 in den Schulen bisher nicht eingeführt. Petrowa-Wasilewicz bezieht sich hier auf die von NGOs angebotene Sexualkunde in Schulen, die auf freiwilliger Basis und auf Wunsch der Schulen erfolgt. Hervorzuheben ist hier insbesondere die Organisation „Ponton“ – (Gruppe der Sexualkundeerzieherinnen und -erzieher bei der Föderation für Frauenangelegenheiten und Familienplanung (Grupa Edukatorów Seksualnych przy Federacji na rzecz Kobiet i Planowania Rodziny) 116 Gemeint ist hier die Publikation: JACEK KOCHANOWSKI, ROBERT KOWALCZYK, ZBIGNIEW LEW-STAROWICZ u. a. (Hrsg.), Szkoła milczenia [Schule des Schweigens], Toruń, 2013. 117 Petrowa-Wasilewicz bezieht sich hier auf die im katholischen Diskurs heftig kritisierten gleichstellungspolitischen Erziehungsprogramme in Kindergärten: „Równościowe przedszkole“ (Gleichstellungs-Kita). Zur katholischen Kritik an diesen Programmen vgl. GRABOWSKA, Between Gender Studies…, a.a.O.
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Ciastek, der aufgrund seiner homophoben Aussagen im Newsletter seines Arbeitgebers über die angebliche Lebensunfähigkeit der von homosexuellen Paaren erzogenen Kinder gekündigt wurde. Für Petrowa-Wasilewicz wurde dieser Mensch zerstört, sie warnt daher: „Vielleicht werden die zukünftigen Märtyrer für den Schutz der Ehe und des Rechts einer Familie auf die Erziehung der eigenen Kinder sterben. Und es kommt dazu, weil die schweigende Mehrheit weder in entsprechendem Ausmaß noch zum richtigen Zeitpunkt auf den homosexuellen Terror reagierte.“118
In diesem Zitat zeigt sich ein weiteres Mal deutlich, dass mit der Konstruktion der „Gender-Ideologie“ die Bedrohung der binären, dabei insbesondere der heteronormativen Geschlechterordnung im Sinne der katholischen Anthropologie gemeint ist. Es handelt sich um eine Fortsetzung der seit den 1990er Jahre stattfindenden Diskussion um reproduktive Rechte und Gleichstellungspolitik.119 Im Anti-Gender-Diskurs der katholischen (Frauen-)Organisationen findet sich ein weiterer bereits bekannter Aspekt – die Frage der Repräsentation der polnischen (katholischen) Frauen – welche erneut im Rahmen einer Konfrontation mit dem Frauenkongress zum Vorschein kam. Die teilweise hasserfüllten Proteste der Gender-Kritikerinnen und -Kritiker veranlassten den Frauenkongress dazu, einen offenen Brief an Papst Franziskus mit der Bitte um eine Intervention zu verfassen. In diesem Brief werden die Aussagen von Vertretern der polnischen Amtskirche kritisiert, die die Gender-Theorie dem Kommunismus oder dem Nationalsozialismus gleichsetzten und sie für die Sexualisierung von Kindern, die Zerstörung von Familien oder gar Pädophilie verantwortlich gemacht haben.120 Die Verfasserin-
118 PETROWA-WASILEWICZ, Uwaga seksedukatorzy u…, a.a.O., S. 15. 119 Vgl. dazu auch Konwencja ograniczy naszą suwerenność. Wywiad z Ewą Kowalewską [Die Konvention wird unsere Souveränität einschränken. Ein Interview mit Ewa Kowalewska], 2012, www.rp.pl/artykul/958562.html (abgerufen am 17.01.2016). Die FKP-Vorsitzende Kowalewska warnt hier vor der Propagierung von „Homosexualität, Transsexualität und radikaler feministischer Ideologie“ mittels der „Gender-Ideologie“. Laut Kowalewska haben Feministinnen „solche Beiträge“ zum Thema Geschlecht bereits bei verschiedenen UN-Konferenzen, auch in Peking 1995, durchzusetzen versucht. 120 Siehe dazu: Abp Michalik o…, a.a.O; EKAI.PL, Ideologia gender poważnym zagrożeniem dla cywilizacji [Die Gender-Ideologie ist eine ernste Bedrohung der Zivilisation], 2014, http://ekai.pl/wydarzenia/ostatnia_chwila/x75010/ideologia-gender-po
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nen des Briefes zeigen sich besorgt, dass einige Kirchenhierarchen die Gleichheitsidee verwerfen und berufen sich auf die Lehre von Johannes Paul II., vor allem seine Verurteilung der Diskriminierung in seinem Brief an die Frauen von 1995. Sie baten Papst Franziskus um ein Gespräch, um gemeinsam einen Ausweg aus der Sprache des Hasses zu finden.121 Mit der Veröffentlichung dieses Briefs zeigte sich die Kluft zwischen dem Frauenkongress und den katholischen (Frauen-)Organisationen, die sich sofort von der Initiative des Kongresses distanzierten. Das FKP bezeichnete in einem weiteren offenen Brief den Frauenkongress als einen Verein mit „radikaler feministischer Haltung“122, der somit nicht die Allgemeinheit der polnischen Frauen
waznym-zagrozeniem-dla-cywilizacji/ (abgerufen am 17.01.2016); MAŁGORZATA JĘDRZEJCZYK, HENRYK HOSER, Gender groźniejsze od marksizmu. Z JE ks. abp. Henrykiem Hoserem, przewodniczącym Zespołu Ekspertów ds. Bioetycznych Konferencji Episkopatu Polski, ordynariuszem warszawsko-praskim, rozmawia Małgorzata Jędrzejczyk [Gender ist gefährlicher als der Marxismus. Małgorzata Jędrzejczyk spricht mit seiner Exzellenz Erzbischof Henryk Hoser, dem Vorsitzenden der Expertengruppe der Konferenz des Episkopats Polens in Sachen der Bioethik und dem Ordinarius von Warszawa-Praga], 2013, www.naszdziennik.pl/wiara-kosciol-w-polsce/ 24344 (abgerufen am 18.01.2016); JACEK NIZINKIEWICZ, Biskup Pieronek: Gender nie uznaje Boga [Bischof Pieronek: Gender erkennt Gott nicht an], 2014, www.rp.pl/ artykul/1077233.html (abgerufen am 17.01.2016). 121 Vgl. KONGRES KOBIET, List Kongresu Kobiet do Jego Świątobliwości Papieża Franciszka [Brief des Frauenkongresses an Seine Heiligkeit Papst Franziskus], 2013, www.kongreskobiet.pl/pl-PL/news/show/list_kongresu_kobiet_do_jego_swiatobli wosci_papieza_franciszka (abgerufen am 20.08.2016). Der Papst antwortete nicht direkt auf diesen Brief, ließ jedoch durch seinen Vertreter in Polen im Rahmen eines Treffen mit Vertreterinnen des Frauenkongresses ausrichten, dass ihm die Auseinandersetzungen zum Thema Gender vertraut seien, wichtig wäre, dass die Diskussion darüber, ohne Angst und Konfrontation zu schüren, stattfinde, Vgl. KONGRES KOBIET, Papież Franciszek odpowiedział na list Kongresu Kobiet! [Papst Franziskus ant-
wortete auf den Brief des Frauenkongresses], 2014, www.kongreskobiet.pl/plPL/news/show/papiez_franciszek_odpowiedzial_na_list_kongresu_kobiet
(abgeru-
fen am 20.08.2016). 122 EWA KOWALEWSKA, ANNA LISIEWICZ, List Otwarty Forum Kobiet Polskich w odniesieniu do listu przedstawicielek Kongresu Kobiet do Ojca Świętego [Offener Brief des Forums Polnischer Frauen bezüglich des Briefes der Frauenkongress-Vertreterinnen an den Heiligen Vater], 2013, www.forumkobietpolskich.csc.pl/letters.php (abgerufen am 20.08.2016).
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repräsentieren könne. Desweiteren wurde der Brief des Frauenkongresses als Bestrebung zur Einführung der Zensur gesehen, wodurch die Kritik an der „gefährlichen Gender-Ideologie“ 123 mundtot gemacht werden solle. Zudem berief sich das FKP auf die Kritik am Gender-Ansatz durch Benedikt XVI., in der er „die gegenwärtige Infragestellung der Natur des Menschen sowie die Attacken auf die Familie, die aus Vater, Mutter und Kind besteht“124, kritisierte. Die bereits durch ihre Artikel im List do Pani bekannte Maria Ryś entschuldigte sich zusammen mit Irena Grochowska im Namen des akademischen Vereins Fides et Ratio bei Papst Franziskus für den Brief des Frauenkongresses und versicherte, dass die von ihnen erhobenen Vorwürfe gegen polnische Kirchenvertreter eine Verleumdung darstellen, denn diese würden der Gleichheitsidee in keiner Weise entgegenstehen.125 Darüber hinaus repräsentiere der Frauenkongress nur einen geringen Prozentsatz der polnischen Frauen, zudem „ausschließlich ungläubige Frauen“ 126 . Deshalb habe der Kongress keine Legitimation, im Namen der gläubigen Katholikinnen zu sprechen, geschweige denn, sich ans Oberhaupt der katholischen Kirche zu wenden. Bei diesem Versuch der Delegitimierung des Frauenkongresses als einer Initiative von „ausschließlich ungläubigen Frauen“ wurde außer Acht gelassen, dass dessen Brief auch von der lutheranischen Diakonin und YWCA-Polska-Mitglied Halina Radacz unterschrieben worden war.127 Auch andere Unterzeichnerinnen
123 Ebd. 124 Ebd. 125 Zwar handelt es sich bei dem Verein Fides et Ratio um keine katholische Frauenorganisation, sondern um einen akademischen Verein, dennoch ist dieser Brief aufgrund der persönlichen Verbindung seiner Mitverfasserin Maria Ryś, Vorsitzende von Fides et Ratio, zu den katholischen (Frauen-)Organisationen und ihrer Rolle als List do Pani-Autorin durchaus interessant. 126 FIDES ET RATIO, Fides et Ratio prostuje list Kongresu Kobiet [Fides et Ratio protestiert gegen den Brief des Frauenkongresses], 2013, www.stowarzyszeniefidesetratio. pl/Presentations0/LISTodFIDES.pdf (abgerufen am 22.08.2016). 127 Die Diakonin Halina Radacz setzte sich wiederholt für die Anerkennung der Genderforschung als Weg zur Gleichstellung der Geschlechter ein und plädierte ebenfalls für eine christliche Genderperspektive. Sie sagte: „Wir sollten nicht nur keine Angst vor Gender haben, sondern es ist sogar unsere christliche Pflicht, diese Wissensdisziplin zu vertiefen“, KONGRES KOBIET, Gender to nowy „Młot na czarownice“ [Gender, das ist der neue „Hexenhammer“], 2013, www.kongreskobiet.pl/pl-PL/news/show/gen der_to_nowy_mlot_na_czarownice (abgerufen am 22.08.2016). Die Organisation
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wurden pauschal als ungläubig verurteilt, obwohl die Initiative zu diesem Brief von engagierten Katholikinnen des Frauenkongresses ausgegangen war. 128 Ein anderer Abschnitt des Briefs des Fides et Ratio macht deutlich, warum man den Frauenkongress als eine Vereinigung ungläubiger Frauen bezeichnete: „Mit der ‚Zivilisation der Liebe‘ rief uns Johannes Paul II. zur Respektierung des Lebens jedes Menschen auf – von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod. Die im Frauenkongress engagierten sowie das Programm der Gender Studies entwickelnden Personen propagieren sogenannte reproduktive Rechte, also das Recht zu einer legalen Abtreibung auf Wunsch. Für uns gläubige Menschen ist eine Abtreibung immer die Tötung eines ungeborenen Kindes.“129
Hier bedient sich die Argumentation erneut der seit 1989 in der Abtreibungsdebatte genutzten Rhetorik des katholisch-nationalen Diskurses, gemäß welcher eine gläubige Katholikin nur eine Katholikin mit einer pro-life-Einstellung sein könne. Im November 2013 erschien auf der Seite der institutionellen katholischen Kirche ein neuer Akteur in der Anti-Gender-Kampagne – der wiedergegründete
YWCA Polska veranstaltete einen Zyklus von Debatten über die Gender-Theorie, welche in einer evangelisch-reformierten Gemeinde in Warschau stattfand. In diesem Sinne zeigte der ökumenische Charakter der Organisation eine Öffnung gegenüber der Gender-Thematik, die auch mit durchaus differenten Haltungen anderer Kirchen zur Genderfrage zusammenhängt. Der Lutherische Weltbund setzte sich z.B. 2013 für die Nutzung des Gender-Ansatzes ein, vgl. Grundsatzpapier: „Gender Justice Policy“, das 2014 auch auf Polnisch erschien: ŚWIATOWA FEDERACJA LUTERAŃSKA, WYDZIAŁ TEOLOGII I PUBLICZNEGO ŚWIADECTWA, Płeć i sprawiedliwość – zasady postępowania. Wersja robocza [Geschlecht und Gerechtigkeit – Vorgehensweise. Arbeitsversion], 2014, http://luter2017.pl/wp-content/uploads/2014/11/na-www_plec -i-sprawiedliwosc.pdf (abgerufen am 23.08.2016). Vgl. dazu auch: LUTER2017.PL, Gender i luteranizm – o co właściwie chodzi? Rozmowa z Agnieszką GodfrejówTarnogórską [Gender und Luthertum – worum geht es eigentlich? Gespräch mit Agnieszka Godfrejów-Tarnogórska], 2013, /http://luter2017.pl/gender-i-luteranizm-oco-wlasciwie-chodzi-rozmowa-z-agnieszka-godfrejow-tarnogorska/#modal-304 (abgerufen am 23.08.2016). 128 Vgl. POLSKIERADIO.PL, Nie ma zgody w sprawie gender [Es gibt keine Einigung in der Gender-Frage], 2013, http://www.polskieradio.pl/7/1691/Artykul/995838,Nie-ma -zgody-w-sprawie-gender (abgerufen am 23.08.2016). 129 Fides et ratio, Fides et Ratio…, a.a.O.
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Landesrat zur Frauenseelsorge beim Episkopat.130 Der Zeitpunkt dieser Neugründung scheint nicht zufällig zu sein und es entsteht der Eindruck, dass dadurch eine weitere Stimme geschaffen werden sollte, die im Namen der „katholischen Frauen“ in der Genderfrage Stellung bezieht. Über die Notwendigkeit der Konsolidierung katholischer Frauen in Polen und ihre meinungsbildende Funktion sprachen die Mitgliedsfrauen des Landesrats zur Frauenseelsorge auch bei der Gründungssitzung. Sie bedauerten, dass die Meinung katholischer Frauen nicht in die Diskussionen über Frauen- oder Familienfragen in den Ministerien einbezogen werde und dass stattdessen die Regierung internationale und gefährliche Gesetze wie die Istanbulkonvention implementiere.131 Bereits bei der ersten Sitzung sprach Maria Ryś die Notwendigkeit von Informationsaktionen zum Thema „GenderIdeologie“ an. Auch die erste Stellungnahme des Landesrats betraf die GenderDebatte, seine Mitgliedsfrauen verurteilten den Brief des Frauenkongress an Papst Franziskus und warnten in Anlehnung an Benedikt XVI. vor der „GenderIdeologie“. Sie wollten den Brief als Aufruf zur Zensur verstanden wissen und forderten den Frauenkongress auf zu erklären, was er unter dem Begriff Gender „konkret“ verstehe, anstatt die „berechtigte Sorge“ der Gender-Gegnerinnen und -Gegner zum Schweigen bringen zu wollen.132 Die Stellungnahme des Landesrats unterschrieben als Mitgliedsfrauen u. a. Aktivistinnen der in dieser Arbeit untersuchten katholischen (Frauen-)Organisationen, Alina Petrowa-Wasilewicz und Monika Waluś (Amicta Sole), Ewa Kowalewska (FKP), Marta Wójcik und Ewa Tomaszewska (PZKK). Auch in anderen politischen Fragen bestätigte der Landesrat die Meinung des polnischen Episkopats, wie z.B. im Falle der Debatte um das
130 Es handelt sich um die Nachfolge der, bereits erwähnten, bis 1990 existierenden Unterkommission des Episkopats zur Frauenseelsorge, die seit 1985 der Kommission zur Familienseelsorge eingegliedert war. 131 Vgl. DEON.PL, Warszawa: Rusza Rada Duszpasterstwa Kobiet [Warschau: Der Rat zur Frauenseelsorge nimmt seine Tätigkeit auf], 2013, www.deon.pl/religia/koscioli-swiat/z-zycia-kosciola/art,16516,warszawa-rusza-rada-duszpasterstwa-kobiet.html (abgerufen am 25.08.2016). 132 DEON.PL, Przepraszają za list Kongresu Kobiet do papieża [Sie entschuldigen sich für den Brief des Frauenkongresses an den Papst], 2013, www.deon.pl/religia/koscioli-swiat/z-zycia-kosciola/art,16676,przepraszaja-za-list-kongresu-kobiet-do-papieza. html (abgerufen am 25.08.2016).
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Thema der künstlichen Befruchtung, die er in seiner Stellungnahme als medizinische Methode kategorisch ablehnte.133
133 Im Dezember 2013 entstand mit Zustimmung des Episkopats eine weitere katholische Organisation unter dem Namen Korps Katholischer Frauen (Korpus Kobiet Katolickich). Das Hauptziel der Organisation ist laut Statut: „Die Unterstützung und die Nutzung des Potentials von Frauen“, jener, die der katholischen Kirche angehören, wie auch derjeniger, die ihrer Lehre folgen, um die soziale und wirtschaftliche Entwicklung Polens voranzutreiben. Zudem solle die „Popularisierung der Übernahme sozialer Verantwortung“ vorangetrieben sowie das Engagement von Frauen in Aktivitäten der katholischen Kirche gefördert werden, KORPUS KOBIET KATOLICKICH, Statut Fundacji Korpus Kobiet Katolickich [Statut der Stiftung Korpus der Katholischen Frauen], www.korpuskobietkatolickich.pl/o-fundacji/statut.pdf (abgerufen am 10.10.2015), S. 2. Somit handelt es sich hier um eine katholische Organisation, die der Lehre und den Anweisungen der Amtskirche in Polen folgt und sie unterstützt. Beim Betrachten des Statuts wird deutlich, dass es sich bei der Nutzung des Frauenpotentials um ein klar definiertes Potential handelt – Frauen sollen ihr Charisma im Sinne der Lehre der katholischen Kirche entwickeln und sich an weiblichen Vorbildern des alten und neuen Testaments sowie heilig und selig gesprochenen Frauen orientieren. In diesem Sinne strebt das Korps eine höhere Beteiligung von Frauen in staatlichen, kommunalen, wirtschaftlichen und sozialen Institutionen an, mit dem Ziel, die „katholische Lehre und Doktrin in Bezug auf die Frauen“ zu propagieren: EWA ILNICKA, Przemówienie prezeski Fundacji Korpus Kobiet Katolickich Ewy Ilnickiej [Rede der Vorsitzenden der Stiftung Korps Katholischer Frauen, Ewa Ilnicka], 2014, www.korpuskobietkatolickich.pl/przemowienie_koncert.pdf (abgerufen am 10.10.2015). Dafür sollte u.a. eine Liste von hochqualifizierten, dem Ehrenkodex des Korps verpflichteten Frauen geführt werden, die zur Rekrutierung für wichtige Positionen in Wirtschaft und Politik bereitstehen. Die Vorsitzende des Vereins, die Juristin Ewa Ilnicka, sprach über die Notwendigkeit der „Wiederherstellung einer Elite“, die die Fähigkeit besäße, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und ihnen zuzuhören. Es wurde also die Bildung einer katholischen Kaderschmiede angestrebt, deren Absolventinnen dann der katholischen Lehre folgend als Elite in Wirtschaft und Politik tätig werden sollten, ebd. Das Korps verfügt über Stiftungsmittel, die für die „begabtesten“ Jugendlichen aus ärmlichen Verhältnissen, vor allem aus den durch die Transformationsprozesse nach 1989 besonders betroffenen Regionen bestimmt sind. Die geeigneten, durch Eltern, Schulpädagogen oder Katecheten vorgeschlagenen Jugendlichen werden mit einem „individualisierten beaufsichtigend-unterstützenden Programm“ an katholischen Internatsschulen und durch Unterstützung beim Studium gefördert: www.korpuskobietkatolickich.pl [16.12.2016]. Obwohl das Korps bisher
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Der Zeitpunkt der Neugründung des Landesrats zur Frauenseelsorge zeigt, dass hier innerhalb der katholischen Kirche starke Tendenzen zur organisatorischen Konsolidierung in Bezug auf die Frauenfrage vorhanden waren. Wie im Falle der Gründung des FKP aus den, während der Auseinandersetzungen um die Pekinger Weltfrauenkonferenz aktiven, pro-life-Gruppen, wurden in der GenderDebatte neue Akteure geschaffen, um als Sprachrohr der katholischen Kirche Polens die katholische Anthropologie zu „verteidigen“. Bei der Betrachtung der katholischen (Frauen-)Organisationen ist der Fall von Amicta Sole besonders interessant. Amicta Sole ist eine Organisation, die bei ihrer Gründung die Förderung von Frauen in der Kirche als Ziel nannte und laut ihrem Statut die „Reflexion und Diskussion über Rollen und Frauenvorbilder in der Kirche und Gesellschaft“134 betreiben möchte. Dennoch schloss sich Amicta Sole der Kritik der kirchennahen (Frauen-)Organisationen an der „Gender-Ideologie“ an und wehrte sich in einem gemeinsamen Brief gegen den Begriff Gender, der unter Geschlecht „Rollen, Verhaltensweisen, Handeln und Eigenschaften, welche gesellschaftlich konstruiert wären und welche diese Gesellschaft als eigen für Frauen oder Männer betrachtet“135 subsumiert. Wenn man auf das zuvor erwähnte Ziel von Amicta Sole schaut, das an die Ziele des Gender-Ansatzes erinnert – sich mit der Analyse der Konstruktion des Geschlechts (doing gender) zu beschäftigen – ist es verwunderlich, warum Amicta Sole sich gegen das Verständnis von Gender wehrt, das als Werkzeug zur Reflexion der Geschlechterrollen innerhalb von Kirche und Gesellschaft geeignet scheint und zum Erreichen des erwähnten Ziels hätte beitragen können. Das gespaltene Verhältnis zur Kategorie Gender wird ebenfalls in der Interpretation des Amicta-Sole-Mitglieds Maria Rogaczewska sichtbar, die ihre Gender-Auffassung in einem Interview in List do Pani erläutert.136 Sie unterscheidet
wenig bekannt ist und in der Gender-Debatte nicht zur Sprache kam, gab es bereits die Gründung einer eigenen Legislativgruppe bekannt, die die Gesetzgebung in den Bereichen Frauen und Soziales überwachen und analysieren will, vgl. DEON.PL, Grupa Legislacyjna Korpusu Kobiet Katolickich [Die Legislativgruppe des Korps der Katholischen
Frauen],
2014,
www.deon.pl/patronaty/art,15,grupa-legislacyjna-
korpusu-kobiet-katolickich.html (abgerufen am 10.10.2015). 134 A.a.O. 135 ekai.pl, Apel polskich kobiet…, a.a.O. 136 Vgl. ALINA PETROWA-WASILEWICZ, MARIA ROGACZEWSKA, Gender. Co to znaczy? O szkodliwości ideologii gender mówi socjolog, Maria Rogaczewska, w rozmowie z
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zwischen einer guten und einer schlechten Bedeutung von Gender – einerseits nennt sie Gender als neutrale Bezeichnung für Geschlecht, z.B. für das Geschlecht in den Naturwissenschaften oder für das kulturelle Geschlecht in den Geisteswissenschaften: Das kulturelle Geschlecht sei für Rogaczewska ein Faktum. Sie verdeutlicht dies am Beispiel der Unterschiede von Frauenleben in Saudi-Arabien oder Japan. Sie verbindet zudem die Gender-Kategorie in Anlehnung an Michel Foucault mit Wissens- und Machtbeziehungen und unterwürfigen Weiblichkeitsmodellen, die geschaffen worden seien, um Frauen zu unterdrücken. Sie spricht aber auch von einer Gender inhärenten gefährlichen Ideologie: „Und diese Ideologie postuliert einen reinen Konstruktivismus, das heißt also, dass jeder sein Geschlecht frei wählen und es so gestalten kann, wie er will. Und das ist keine Theorie mehr, sondern eine Ideologie, die jegliche Beschränkung auf diesem Gebiet negiert. Insbesondere, dass jemand etwas Gegebenes, durch Natur bestimmtes hat.“137
Damit zeigt sie selbst auf, dass die Kategorie Gender unterschiedliche Bereiche betrifft. Doch bei vielen unterschiedlichen Nuancen ist es, wie bereits in Anlehnung an Schelle erwähnt, schwierig, über Gender als Ideologie zu sprechen, außer Rogaczewska meint in Anlehnung an den Diskurs der institutionellen Kirche die Bedrohung durch die Konstruktion der „Gender-Ideologie“, also die als feindlich betrachtete Gleichstellungspolitik. Durch die Aufteilung von Gender in eine gute und eine schlechte Kategorie stellt Rogaczewska die Aspekte von Gender in den Schatten, denen gegenüber sie positiv eingestellt ist, wie den Aspekt des kulturellen Geschlechts, mit dem Weiblichkeitsmodelle in Bezug auf die Machtverhältnisse der Geschlechter analysiert werden können. Die Vorsitzende von Amicta Sole Alina Petrowa-Wasilewicz zeigte sich sowohl in ihren oben vorgestellten schriftlichen Beiträgen sowie persönlichen Auftritten besonders ablehnend gegenüber der Gender-Theorie. Wie noch dargestellt werden wird, erinnerte sie mit der Absicht zu bezeugen, dass die Kirche schon immer Frauen Gestaltungsmöglichkeiten geboten hat, an bedeutende Frauen aus der polnischen Kirchengeschichte. Damit nutzte sie das bei der Gründung von Amicta Sole genannte Ziel des Hervorholens berühmter Frauen aus der Vergessenheit, was an Ansätze der Geschlechtergeschichte, bzw. herstory erinnert, nicht nur, um diesen Frauen zu Ruhm zu verhelfen, sondern um in der Debatte um die
Aliną Petrową-Wasilewicz [Gender. Was heißt das? Die Soziologin Maria Rogaczewska spricht mit Alina Petrowa-Wasilewicz über die Schädlichkeit der Gender-Ideologie], in: List do Pani, 3 (212), 2013, S. 10–11. 137 Ebd., S. 10.
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Istanbulkonvention die Kirche als besondere Förderin von Frauen zu zeigen. Es zeigen sich also Unstimmigkeiten bezüglich des Ziels von Amicta Sole, Frauen in der Kirche, im Sinne einer Ergreifung bisher ungenutzter Möglichkeiten, zu fördern. Zuzanna Radzik bemerkt, dass die Heftigkeit der Gender-Debatte in Polen auch mit dem Fehlen prominenter Theologinnen und Theologen sowie starker Laiinnen- und Laien-Organisationen zu erklären sei, die für das Potential des GenderAnsatzes eintreten würden. Zwar gab es, wie erwähnt, von Vertreterinnen und Vertretern des offenen Katholizismus, jedoch ohne viel Einfluss auf die gesellschaftliche Meinung oder die polnische Amtskirche. Die katholischen (Frauen-)Organisationen als Lainnen- und Laienorganisationen positionierten sich in der Diskussion auf Seiten der polnischen Amtskirche und der Anti-GenderKampagne. Kontrastierend sei ein Ausblick auf die Haltung der katholischen Frauenorganisationen in Deutschland angeführt, mit denen auch, wie bereits geschildert, der polnische PZKK in der Folge seiner Entstehung in Kontakt kam. Der 1903 gegründete KDFB setzte sich bereits während der Pekinger Weltfrauenkonferenz 1995 vehement für die Verteidigung der Gender-Theorie ein. 1996 antworteten die Frauen des KDFB Papst Johannes Paul II. auf seinen Brief der Frauen und ließen sich nicht auf eine besondere Berufung von Frauen beschränken, sie wiesen u.a. darauf hin, dass das „Prinzip der Hilfe“, das der Papst mit der helfenden Rolle der Frauen in Verbindung brachte, auch für Männer gelten solle.138 Sie appellierten: „Nur zu oft läuft es – gerade in der Kirche – auf die Lösung hinaus: ,Den Männern die Herrschaft und den Frauen den Dienst‘. Darauf können und wollen wir uns nicht länger einlassen.“139 Die Arbeitsgemeinschaft katholischer Frauenverbände, zu der auch der KDFB gehört, bedauerte 2008 die Verurteilung der Gender-Theorie durch den Vatikan, „statt deren positive Ansätze für geschlechtergerechtes Handeln aufzuzeigen“.140 Besonders bemerkenswert ist die Broschüre des KDFB von 2015, in der Stellung zur Anti-Gender-Debatte in konservativen Kreisen in Deutschland bezogen wird. Darin wird bekräftigt: „Ein genderbewusstes Denken und Handeln hinterfragt Engführungen, festgefahrene Rollenzuweisungen und Vorurteile. Es hat deshalb ein ideologiekritisches und befreiendes Potential, das
138 Vgl. URSULA HANSEN, Antwort des KDFB auf den Brief des Papstes an die Frauen, in: Christliche Frau, H. 1, 1996, S. 22. 139 Ebd., S. 22. 140 Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands kfd, Katholische Frauenverbände lehnen…, a.a.O.
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es ermöglicht, ungerechte Geschlechterverhältnisse zu verändern“.141 In der Folge der Dekonstruktion des „Gender-Ideologie“-Arguments kommt man zu dem Schluss, dass die Anti-Gender-Angriffe eine Projektionsfläche unterschiedlicher Vorstellungen seien, die nichts mit den Genderwissenschaften zu tun hätten: „So werden Ängste gezielt geschürt, wenn etwa behauptet wird, dass ein genderbewusstes Denken das biologische Geschlecht aufhebt oder unser Werte-Fundament sowie die Ehe zwischen Mann und Frau und die Familie zerstört. Genderbewusstes Denken tut dies gerade nicht! Im Gegenteil: Es macht klar, dass mit biologischen Unterschieden keine diskriminierenden, hierarchischen und lebensfeindlichen Rollenzuweisungen begründet werden dürfen.“142
Dieser kurze Exkurs über katholische Frauenorganisationen in Deutschland verdeutlicht das Ausbleiben ähnlicher Stimmen in Polen und beschreibt unterschiedliche Handlungsstrategien der sich als katholisch bezeichnenden (Frauen-)Organisationen in beiden Ländern. Während die deutschen, im KDFB oder KFD vereinigten Katholikinnen mit dem Gender-Ansatz im Werkzeugkasten für Geschlechtergerechtigkeit arbeiten, berufen sich polnische Katholikinnen vom PZKK, FKP und Amicta Sole auf die katholische Anthropologie und den neuen Feminismus.143 Laut Zuzanna Radzik haben sich die neuen Feministinnen der Haltung des Vatikans untergeordnet und sprechen nur entsprechend dem, was ihnen von päpstlicher Stelle erlaubt werde: „Das ist daher nicht ihre freie Stimme, sondern eine Anpassung an den ihnen bereits zugewiesenen Platz. Der Feminismus ist aber keine Bewegung, die sich mit der vorhandenen Ordnung arrangiert, sondern eine Bewegung, die den Wandel anstrebt (auch der kirchlichen Wirklichkeit).“144
141 Katholischer Deutscher Frauenbund (KDFB), Gender, Gender Mainstreaming…, a.a.O., ohne Seitenzahlen. 142 Ebd., ohne Seitenzahlen. 143 Vgl. STAŚKIEWICZ, Gender oder „neuer…, a.a.O. 144 MARTA BRZEZIŃSKA-WALESZCZYK, ZUZANNA RADZIK, Dlaczego Kościół ma problem z feministkami? [Warum hat die Kirche ein Problem mit Feministinnen?], 2015, http://ksiazki.wp.pl/tytul,Dlaczego-Kosciol-ma-problem-z-feministkami,wid, 21303,wywiad.html?ticaid=115ee4 (abgerufen am 29.08.2016).
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Die wenigen Stimmen der offenen Katholikinnen, die anhand ihrer Beiträge zur konstruktiven Diskussion über den Gender-Ansatz und zum Dialog mit dem feministischen Diskurs bereit sind, wie z.B. Zuzanna Radzik und Małgorzata Bilska oder die Chefredakteurin von Znak, Dominika Kozłowska, zeigen zwar, dass in Polen ein anderer Diskurs existiert, dieser jedoch vom Diskurs der polnischen Amtskirche übertönt wird. Dies wird so lange der Fall sein, wie es bei Einzelstimmen bleibt und sich keine soziale Bewegung herausbildet.145
145 Zur Möglichkeit eines katholisch-feministischen Dialogs vgl. z.B. AGNIESZKA GRAFF, Skutek uboczny świętej wojny [Nebeneffekt des heiligen Krieges], in: Gazeta Wyborcza. Wysokie Obcasy, H. 3, 2014, S. 5. Besonders interessant war die Diskussion bei den Dominikanern, an denen neben Kozłowska und Radzik auch Graff teilnahm. Es gab die Möglichkeit einer Diskussion, trotz Zwischenrufen aus dem Publikum und in den Raum geworfenen Knallkörpern, vgl. DOMINIKA KOZŁOWSKA, Gender – błogosławieństwo czy przekleństwo? Debata po katolicku, z racami w tle [Gender – Segen oder Fluch. Debatte auf Katholisch, mit Knallkörpern im Hintergrund], 2013, http://wyborcza.pl/1,75968,14993533,Gender___blogoslawienstwo _czy_przeklenstwo__Debata.html (abgerufen am 29.08.2016).
7
„Unsere Blicke an Maria haftend“ – der polnische Marienkult und katholisch-nationale Weiblichkeitsmythen
Die national-katholischen Konzepte der Weiblichkeit sind in Polen seit Jahrhunderten wirksam. Eine weibliche Zentralfigur des polnischen Katholizismus ist Maria, die gekrönte Königin von Polen und Mutter Gottes. Sie ist nicht nur ein Vorbild für Polinnen, sondern auch eine Projektionsfläche, welche im katholischen Diskurs wiederholt für politische und ideologische Zwecke genutzt wird. Dass diese Projektionsfläche Marienfigur derartig vielfältig besetzt werden kann, hängt auch mit dem von Bożena Chołuj beschriebenen Phänomen des „Schweigens über Maria“1 in der Bibel zusammen, denn es gibt dort nur wenige Stellen, welche sie explizit betreffen. Dieses Schweigen wird durch die Marienbilder der institutionellen Kirche in Polen gefüllt, die so präsent und mächtig sind, dass es schwierig ist, das „Schweigen über Maria“ mit anderen Inhalten, wie z.B. mit Elementen aus der feministischen Theologie zu füllen. Die katholische Kirche bestimmte somit und bestimmt bis heute das „Füllmaterial“, das aus nationalen Legenden, Projektionen und Konstruktionen besteht. Als Mythen bezeichnet der Politikwissenschaftler Herfried Münkler Erzählungen, welche statt der historischen Wahrheit historische Bedeutsamkeit vermitteln, Geschichte aufwerten und sie dabei „von der Vermutung des bloß Vergangenen
1
BOŻENA CHOŁUJ, Die Macht des Schweigens über Maria, in: CZARNECKA, MIROSŁAWA; EBERT, CHRISTA; SZEWCZYK, GRAŻYNA (Hrsg.), Archetypen der Weiblichkeit im multikulturellen Vergleich. Studien zur deutschsprachigen, polnischen, russischen und schwedischen Literatur, Wrocław, Dresden, 2006, S. 151–161.
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befreien“2. Mythen erfüllen dabei, so Münkler, eine aufrufende Rolle – sie appellieren und beanspruchen. Dabei sei es mühsam, sich ihnen zu entziehen.3 Er verweist auf die gesellschaftliche Wirkungsmacht von Mythen, denn sie: „[...] verleihen Identität und stiften so Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen, für das Individuum wie für sozio-politische Kollektive; aber sie nehmen diese auch in die Pflicht. Man hat sich der Heroen der Vergangenheit würdig zu erweisen.“ 4 Dadurch, dass Mythen sich auf eine andere Wirklichkeit als die der Alltagserfahrung beziehen, können sie in Anlehnung an Peter Berger und Thomas Luckmann als „symbolische Sinnwelten“5 gesehen werden, welche „die institutionelle Ordnung als symbolische Totalität überhöhen“6 und diese auch legitimieren. Symbolische Sinnwelten können sowohl das individuelle Leben von Personen als auch die Gesellschaft und ihren Blick auf die Vergangenheit beeinflussen. Beispiele symbolischer Sinnwelten sind Mythologie, Philosophie, Theologie und Religion. In Frage gestellt werden können sie nur durch die Konfrontation mit alternativen Sinnwelten. Roland Barthes spricht seinerseits vom Mythos als einer Aussage, einer Botschaft, aber auch als einem Aufruf und einer Aufforderung. Ein Mythos ist nach Barthes kein passives Mitteilungssystem, sondern er zwinge, Botschaften zu empfangen und deren Intentionen aufzuspüren. Barthes hebt dabei die die Ordnung legitimierende Funktion des Mythos hervor, denn „[e]r verwandelt Geschichte in Natur“7. Es kommt zu einer Verwechslung, in der der Mythos nicht mehr als semiologisches System wahrgenommen wird, sondern als ein Faktensystem.8 Der Mythos sei ebenfalls „eine entpolitisierte Rede“, wobei die Bezeichnung „politisch“ „als Ensemble der menschlichen Verhältnisse in ihrer realen gesellschaftlichen Struktur zu verstehen“9 sei. Das Präfix ent- deute dabei auf die aktive Rolle
2
HERFRIED MÜNKLER, Geschichtsmythen und Nationenbildung, 2008, www.bpb.de/ themen/IPFPLD,0,0,Geschichtsmythen_und_Nationenbildung.html (abgerufen am 19. 01.2012), S. 2.
3
Vgl. ebd.
4
Ebd.
5
PETER LUDWIG BERGER, THOMAS LUCKMANN, HELMUTH PLESSNER u. a., Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt am Main, 2012, S. 102.
6
Ebd.
7
ROLAND BARTHES, Mythen des Alltags, Berlin, 2012, S. 278.
8
Vgl. ebd., S. 280.
9
Ebd., S. 295.
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des Mythos hin und symbolisiere einen Verlust der zur Natur gewordenen Geschichte, sie werde dabei vereinfacht, deformiert und umgedeutet.10 Widerstand gegen den Mythos sei kaum möglich, denn auch der Widerstand selbst könne zum Mythos werden. Einen Ausweg sieht Barthes dennoch in einer erneuten, bewussten „Mythifizierung“11 eines Mythos, also in der Schaffung eines neuen Mythos. Wenn Barthes die Mythen als Rede, Botschaft oder Aussage bezeichnet, verortet er die Mythen im Bereich der Sprache. Insbesondere Judith Butlers Theorie zur hate speech zeigt, dass Mythen im Bartheschen Sinne als performative Äußerung betrachtet werden können, als Äußerung, der die Funktion der „Reinszenierung und Resignifizierung“12 inne ist. Auch für Butler kann die Aussage nicht vernichtet, sondern nur umgedeutet und mit neuem Zusammenhang gefüllt werden. Butler bezieht sich auf den Derridaschen Begriff der Wiederholbarkeit – der Iterabilität – einer anderen Wiederholung, welche Jaques Derrida als eine Bedingung für die Lesbarkeit einer Schrift bestimmt.13 Diese andere Art der Wiederholung sei nach Derrida notwendig, weil weder der ursprüngliche Sender, der ursprüngliche Empfänger noch das Zeichen einer Schrift anwesend seien, die Schrift jedoch über sie hinaus wirke. Derrida weist darauf hin, dass bei der Entstehung jeder Schrift der Empfänger grundsätzlich immer abwesend sei: „Man schreibt, um Abwesenden etwas mitzuteilen“14. Polinnen werden noch heute mit verschiedenen, um erneut mit Münkler zu sprechen, „Heroinnen der Vergangenheit“ und Weiblichkeitsmythen konfrontiert, insbesondere mit Frauenidealen, welche in einer Verschmelzung von katholischem und nationalem Diskurs entstanden sind. Agnieszka Graff bezeichnet diese Verschmelzung von Katholischem und Nationalem, welche insbesondere während der Nichtexistenz des polnischen Staates in der Zeit der Dreiteilung 17721918 gestärkt wurde, als Magma – in dem sowohl gläubige als auch nichtgläubige Polinnen und Polen gefangen seien.15 Der Satz Polen ist ein katholisches Land
10 Vgl. ebd., S. 296. 11 Ebd., S. 285. 12 BUTLER, Haß spricht…, a.a.O., S. 28. „Performative Äußerungen“, so Butler „müssen nicht nur als Handlungen neu gedacht werden, die jemand, der Sprache öffentlich benutzt, ausführt, um bereits autorisierte Wirkungen zu implementieren, sondern gerade auch als gesellschaftliche Rituale, als wirkungskräftige Praxisformen, die ‚stumm und hinterhältig sind, beharrlich und manipulativ‘“, Ebd., S. 249. 13 Vgl. JACQUES DERRIDA, Signatur Ereignis Kontext, in: ENGELMANN, PETER (Hrsg.), Die différance. Ausgewählte Texte, Stuttgart, 2004, S. 68–109, hier S. 80. 14 Ebd., S. 76. 15 Vgl. GRAFF, Efekt magmy, czyli…, a.a.O., S. 19.
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stelle eigentlich, so Graff, kein Faktum mehr dar, sondern sei eine Art Zauber, eine selbst erfüllende Prophezeiung, deren Kraft wachse, je häufiger sie wiederholt werde.16 Die Verschmelzung des politischen Katholizismus mit der nationalen Identität wurde zu einer Ideologie, die nicht mehr hinterfragt werde, weil sie zu einem fest geglaubten nationalen Mythos wurde. Dadurch entstünden Konstruktionen sozialer Realität sowie Vorstellungen über Weiblichkeit und Männlichkeit, welche als Regulativ der Verhaltensweisen benutzt werden. Da die katholische Kirche der Sexualität und Reproduktionsthematik besondere Aufmerksamkeit widme, werde hier vor allem das Verhalten der Frauen reguliert und ein strenges Korsett an Rollenvorstellungen geschaffen.17 Die nationalen Geschlechterkonstruktionen seien laut Graff nicht spezifisch polnisch, das Besondere an Polen sei jedoch die Monopolstellung der katholischen Kirche als Wächterin über nationale Identität und nationale Werte und somit auch über die Geschlechterkonstruktionen.18 Besonders die national-katholischen Auffassungen von Weiblichkeit seien in der polnischen Gesellschaft weiterhin präsent und haben einen realen Einfluss auf die Situation der Polinnen, nicht nur der Katholikinnen, sondern auch der säkularen Frauen und Frauen anderer religiösen Konfessionen.19 Durch das Erheben der Frauen auf einen besonderen, symbolisch erhöhten Platz in der nationalen Mythologie entstehe der Eindruck, dass Frauen in Polen gleichberechtigt seien, womit aber die tatsächliche Diskriminierung von Frauen in der Gesellschaft ausgeblendet werde.20 Die symbolische Sinnwelt der Mythen wird also auf das Alltagsleben übertragen und, wie im bereits vorgestellten Bericht der katholischen (Frauen-)Organisationen für die Weltfrauenkonferenz, zur Legitimierung des als zufriedenstellend angesehenen Status quo genutzt. Gerade jedoch diese symbolische Erhöhung, so Graff, schwäche die Stellung der real lebenden Frauen – sie werden ihrer Rolle als Subjekte beraubt und „unter Druck“21 gesetzt.
16 Vgl. ebd., S. 12. 17 Vgl. ebd. 18 Vgl. DERS., Rykoszetem. Rzecz o płci, seksualności i narodzie [Abgeprallt. Über Geschlecht, Sexualität und Nation], Warszawa, 2008, S. 9–32. 19 So können beispielsweise die evangelischen Polinnen aus Rücksicht auf die katholische Kirche und das Wohl der Ökumene in Polen keine Pastorin werden – ihre Handlungsmöglichkeit innerhalb eigener Kirchen sind hier proportional zu den Handlungsmöglichkeiten von Frauen in der katholischen Kirche. 20 Vgl. GRAFF, Rykoszetem. Rzecz o…, a.a.O; ŚRODA, Frauen und Feministinnen in Polen, in: KOSCHMAL, WALTER (Hrsg.), Die Frau in, a.a.O. 21 TITKOW, Frauen unter Druck?, in: KOSCHMAL, WALTER (Hrsg.), Die Frau in, a.a.O.
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Frauen sind laut Graff keine Subjekte der nationalen Erzählungen, sondern vielmehr deren Geisel.22 Die katholisch-nationale Verschmelzung zeigt sich laut Sławomira Walczewska durch die Verknüpfung des katholischen Frauenbildes mit dem Ethos der polnischen Adelsrepublik (1569-1795). Zu dieser Zeit sei auch, so die Autorin, der „Damen-Ritter-Vertrag“23, eine besondere Form der Geschlechterbeziehung, entstanden. Gemäß diesem Vertrag nehmen Männer Aufgaben bei der Versorgung, Verteidigung und im Kampf wahr, während Frauen als Männer bezirzende und Männern ein warmes Zuhause bereithaltende Damen zu leben haben.24 Der „Damen-Ritter-Vertrag“ tauche weiterhin in unterschiedlichen Ausprägungen im polnischen Diskurs der Frauenemanzipation auf, mal patriotisch-aufständisch konnotiert, mal liberal oder auch sozialistisch kodiert: „Die Frau, die den Mann zum Kampf ums Vaterland anspornt, die ihm die Kokarde an die Brust heftet, die Frau als aufopferungsvolle Samariterin, die seine Wunden versorgt – das ist die katholisch-nationale Spielart. Im liberalen Diskurs ist der Ritter ein Gentleman, der seine Lady verehrt, im sozialistischen Diskurs ein charmanter Parteifunktionär, der an ‚unsere schönen Frauen‘ anlässlich des Internationalen Weltfrauentages in steifen Zeremonien rote Nelken verteilt.“25
Im Sinne von Bożena Chołujs Raum des „Schweigens über Maria“ lässt sich formulieren, dass dieser Geschlechtervertrag mit neuen Interpretationen und Bedeutungen gefüllt wird, vorausgesetzt der Platz ist nicht bereits durch andere „institutionelle Vereindeutlichungen“26 besetzt. Nicht nur das Schweigen über die Figur Maria wurde institutionell durch den katholischen Diskurs gefüllt, auch die Weiblichkeitskonstruktionen wurden in Polen mit katholisch-nationalen „institutionellen Vereindeutlichungen“ aufgeladen und werden weiterhin ununterbrochen in
22 Vgl. AGNIESZKA GRAFF, Feminizm, patriotyzm, religia – czyli o kłopotach z tożsamością [Feminismus, Patriotismus und Religion – oder über Identitätsprobleme], in: OSTOLSKI, ADAM (Hrsg.), Kościół, państwo i polityka płci, Warszawa, 2010, S. 155–169, hier S. 168. 23 WALCZEWSKA, Damen, Ritter und…, a.a.O., S. 93. 24 Vgl. WALCZEWSKA, Damen, Ritter und…, a.a.O., S. 93; SŁAWOMIRA WALCZEWSKA, Ritter und Damen? Für einen neuen Geschlechtervertrag, in: KALUZA, ANDRZEJ; WIERCZIMOK, JUTTA (Hrsg.), Jahrbuch Polen 2006. Frauen. Band 17, Wiesbaden, 2006, S. 24–33. 25 WALCZEWSKA, Damen, Ritter und…, a.a.O., S. 185. 26 CHOŁUJ, Die Macht des…, a.a.O., S. 153.
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dieser Dimension wiederholt. Dadurch können sich andere Bedeutungen bzw. neue Mythen im Bartheschen Sinne nur schwer entfalten. Die Marienfigur wird durch den katholischen Diskurs der institutionellen Kirche sowie durch die katholischen (Frauen-)Organisationen in Polen in einer besonderen Weise rekontextualisiert, d.h. katholisch-national wiederholt. Die Funktion dieser Wiederholungen liegt dabei in der Normierung der Weiblichkeitskonstruktionen. Ein Schlüssel zur Analyse der katholisch-nationalen Wiederholungen ist das Auffinden daraus entspringender, versteckter Intentionen, Anweisungen bzw. Aufforderungen. Diese werden laut Jens Loenhoff meist ausgeblendet, denn das Ergebnis des Verstehens werde durch Empfängerinnen und Empfänger der Sprache oftmals als Bedeutung registriert, wodurch der performative Charakter des Verstehens ausgeblendet sei.27 Die Erforschung der in der Sprache bzw. den Mythen enthaltenen Anweisungen ist daher erforderlich, um sich der naturalisierten Geschichte und des performativen Verstehens bewusst zu werden.
7.1 ZUR GENESE DES POLNISCHEN MARIENKULTES „Mary, the Queen of Poland, has been offered to the faithful as a model for conceptualising the feminine within the nation, a model which is flexible enough to endure because it rests on a basic dichotomy: on the one hand, Mary is a powerful, sometimes militant protector of Poland; on the other hand, she is an exemplar of feminine domesticity.“28
Der polnische Marienkult gründet im Prozess der Christianisierung Polens, welche mit der Taufe des Herzogs Mieszko I. im Jahre 966 begann. Das Christentum ersetzte sukzessive die vorchristlichen Kulte, zahlreiche christliche Kultstätten entstanden an Stelle slawischer Tempel.29 Die älteste christliche Basilika Polens entstand beispielsweise in Gniezno auf dem Platz der slawischen Kultstätte der
27 Vgl. JENS LOENHOFF, Kommunikationstheoretische Anmerkungen zum Problem der Übersetzung, in: RENN, JOACHIM; STRAUB, JÜRGEN; SHIMADA, SHINGO (Hrsg.), Übersetzung als Medium des Kulturverstehens und sozialer Integration, Frankfurt, 2002, S. 161–179, hier S. 167. 28 BRIAN PORTER, Hetmanka and Mother: Representing the Virgin Mary in Modern Poland, in: Contemporary European History, 14, H. 2, 2005, S. 151–171, hier S. 153. 29 Vgl. MAŁGORZATA OLESZKIEWICZ-PERALBA, Black madonna in Latin America and Europe. Tradition and transformation, Albuquerque, 2009, S. 31–32.
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Todesgöttin Nyja.30 Die slawischen Kulte hielten sich darüber hinaus allerdings noch lange und existierten bei der Landbevölkerung parallel zum christlichen Glauben weiter.31 Dies hängt mit der langsamen Christianisierung Polens zusammen, weil sie, so Jerzy Kłoczkowski, meist durch die Überzeugungsarbeit der missionierenden Bettelorden und weniger durch Zwang erfolgte. Erst die Erweiterung des Gemeindenetzes sowie gesellschaftliche Veränderungen im familiären und feudalen Leben ermöglichten, dass sich das Christentums durchsetzte.32 Einflüsse der slawischen Kultur auf die Weltanschauung und das sakrale Leben in Polen sind jedoch noch heute sichtbar.33 Der Marienkult in Polen entstand neben dem Einfluss der bäuerlich-slawischen Kultur auch durch die gleichzeitige Einwirkung des westlichen und östlichen Christentums.34 Zunächst entwickelte sich in Byzanz das Interesse am Leben der heiligen Figuren, da es in den Evangelien an Informationen mangelte. Ab dem vierten Jahrhundert entstanden literarische Werke, s.g. Apokryphe, z.B. über die Kindheit Jesu, die neben den heiligen Büchern als Ergänzung existierten.35 Ein wichtiges Datum für die Etablierung des Marienkultes war das Konzil in Ephesos im Jahre 431, auf dem Maria als Mutter Gottes Theotokos anerkannt wurde.36 Der westchristliche Kult Christi und seiner Mutter in ihrer Rolle als Mittlerin zwischen ihm und den Menschen entwickelte sich ab dem fünften Jahrhundert, gehörte bis zum zehnten Jahrhundert zur Domäne der Mönche und wurde von ihnen in einer intellektualisierten Form gepflegt. Dadurch hatte der Marienkult bis ins zwölfte Jahrhundert einen elitären Charakter. 37 In der Bevölkerung, so
30 Vgl. ALEKSANDER GIEYSZTOR, Mitologia Słowian [Mythologie der Slawen], Warszawa, 1986. 31 Vgl. ebd. 32 Vgl. JERZY KŁOCZOWSKI, Sens społeczny polskiej maryjności [Die gesellschaftliche Bedeutung des polnischen Marienkults], in: Więź, 7, H. 285, 1982, S. 3–13, hier S. 6– 7. 33 Vgl. GIEYSZTOR, Mitologia Słowian…, a.a.O. 34 Vgl. KŁOCZOWSKI, Sens społeczny polskiej…, a.a.O., S. 4. 35 Insbesondere apokryphe Texte über das Leben Marias waren populär, die vermehrt im Zeitraum zwischen dem siebten und neunten Jahrhundert entstanden, vgl. ANDRZEJ J. ZAKRZEWSKI, W kręgu kultu maryjnego. Jasna Góra w kulturze staropolskiej [Im Kreise des Marienkultes. Jasna Góra in der altpolnischen Kultur], Częstochowa, 1995, S. 21–22. 36 Vgl. ebd., S. 22. 37 Vgl. ebd., S. 23.
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Zakrzewski, wurde der Marienkult ab dem zehnten Jahrhundert, einer Zeit der Bedrohung, sozialer Ängste und der Unkenntnis der Natur, und eines generellen Prozesses der „Humanisierung“38 der Götter,39 immer populärer. Dabei wurde Maria zur Beschützerin der Menschen. Insbesondere wurde der Marienkult in Polen, so Zakrzewski, durch die aus dem Westen kommenden Benediktiner- und Zisterziensermönche verbreitet, während die östlichen Einflüsse meist durch Heirat polnischer Herrscher mit russischen Prinzessinnen einflossen.40 Ab dem elften Jahrhundert kam es zu sogenannten Marienerscheinungen, die laut Zakrzewski den Beginn der polnischen Volkstümlichkeit markieren.41 Die erste Marienerscheinung wird 1079 in Górka Klasztorna bei Łobżenica verzeichnet und es folgten zahlreiche Marienkultstätten und sogenannte wundertätige Marienbilder.42 Ab dem zwölften Jahrhundert breiteten sich Bildnisse Marias mit dem Kind aus, so Kłoczkowski, auf denen Einflüsse sowohl der östlichen als auch der westlichen Kreise des Christentums zu erkennen sind.43 In der ersten polnischen Nationalhymne Bogurodzica (Gottesgebärerin), die vermutlich im 13. Jahrhundert entstand, wurde Maria in ihrer Rolle der Mutter Gottes und Vermittlerin zwischen Volk und Gott dargestellt, diese Darstellung wurde zum Kern des polnischen Marienkultes.44 Massenreligiosität und Ausbreitung des Marienkultes steigerten sich im 13. Jahrhundert weiter, was mit dem Einfluss des Dominikaner- und Franziskanerordens und der von ihnen neu entwickelten Rituale, wie der Zelebrierung von Weihnachten auf volkstümliche Weise mit Krippenspielen und Weihnachtsliedern zurückzuführen ist.45 Bereits ab dem 16.
38 Ebd. 39 Vgl. ebd., S. 25. 40 Vgl. ebd. 41 Vgl. ebd., S. 31. 42 Vgl. ebd., S. 30. 43 Vgl. KŁOCZOWSKI, Sens społeczny polskiej…, a.a.O., S. 4. Insbesondere das Bild der Schwarzen Madonna verkörpert den polnischen Marienkult. Jan Kubik zieht eine Parallele zwischen der Ästhetik des Bildes und der polnischen Kultur. Die doppelte Ästhetik des Bildes – seine Ebenheit ähnelt osteuropäischen Ikonen, während die Sanftheit und Rundlichkeit der Konturen an die italienische Schule erinnere – repräsentiere den besonderen Charakter der polnischen Kultur – das Oszillieren zwischen Ost und West, ihr permanentes Dazwischensein, Vgl. JAN KUBIK, The power of symbols against the symbols of power. The rise of Solidarity and the fall of state socialism in Poland, University Park, 1994, S. 109. 44 Vgl. KŁOCZOWSKI, Sens społeczny polskiej…, a.a.O. 45 Vgl. ZAKRZEWSKI, W kręgu kultu…, a.a.O., S. 32.
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Jahrhundert war, so Zakrzewski, der Marienkult in allen sozialen Schichten verbreitet.46 Verbunden mit einem „Klima der Angst“47 und gleichzeitig zunehmender Frömmigkeit wie einem gesteigerten Glauben der Bevölkerung an Wunder während der eingehenden Barockzeit entstanden ab dem 17. Jahrhundert vermehrt neue Mariensanktuarien, die zu einem Ort der Rettung und Hilfe wurden.48 Das wichtigste Sanktuarium und bedeutendste Marienbild, das Jan Kubik „die allgegenwärtige Erinnerung des Marientenors des polnischen Katholizismus“ 49 nennt, ist der Wallfahrtsort Jasna Góra (Heller Berg) in Częstochowa mit dem Bild der Schwarzen Madonna, das sich im dortigen Paulinerkloster befindet. Das Sanktuarium wurde 1382 durch den Fürsten Władysław Opolczyk gestiftet, der die Paulinermönche aus Ungarn nach Jasna Góra holte. Vermutlich 1400 entwickelte sich Jasna Góra zum wichtigen Wallfahrtsort, als auch die Wunderbücher des dortigen Gnadenbildes entstanden. 50 Zur Entstehungsgeschichte des Bildes der Schwarzen Madonna existieren verschiedene Legenden, wahrscheinlich ist die Entstehung in Italien zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert.51 Laut Anna Niedźwiedź wird es im katholischen Diskurs als acheiropoietos behandelt, d.h. als nicht von Menschenhand gemachtes, sondern als ein unter göttlichem Zutun entstandenes Bildnis.52 Niedźwiedź weist darauf hin, dass das Bild der Schwarzen Madonna von Częstochowa zu einem Hybrid und Palimpsest wurde, denn es funktioniere sowohl als religiöses Symbol, Zeichen der nationalen Identität als auch als Emblem (wie z.B. während der Solidarność-Streiks der 1980er Jahre), also in mehreren Diskursen gleichzeitig.53 Das Bild ist im Laufe der Zeit kontinuierlich erweitert und angepasst worden, teilweise in seiner Bedeutung deformiert oder subversiv
46 Vgl. ebd. 47 Ebd., S. 88. 48 Vgl. ebd., S. 88–89. 49 KUBIK, The power of…, a.a.O., S. 108. 50 Vgl. WOLFGANG BEINERT, HEINRICH PETRI (HRSG.), Handbuch der Marienkunde, Regensburg, 1984, S. 761. 51 Vgl. ANNA NIEDŹWIEDŹ, GUY TORR, The image and the figure. Our Lady of Częstochowa in Polish culture and popular religion, Kraków, 2010, S. 41. Laut Niedźwiedź ist die Hypothese über die italienische Herkunft bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besonders populär, nichtsdestotrotz wird auch weiterhin ebenfalls auf die byzantinische, böhmische oder ungarische Herkunft hingewiesen. 52 Eine der Legenden schreibt das Bild Apostel Lukas zu. Vgl. ebd., S. 6. 53 Vgl. ANNA NIEDŹWIEDŹ, Obraz i postać. Znaczenia wizerunku Matki Boskiej Częstochowskiej [Das Bild und die Gestalt. Die Bedeutung des Bildes der Mutter Gottes von Częstochowa], Kraków, 2005, S. 283.
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für politische Zwecke genutzt. Die Deformierung des Marienbildes wurde und wird jedoch nur unter Beibehaltung der patriotisch-nationalen Botschaft gesellschaftlich akzeptiert.54 Laut Zakrzewski hat das Sanktuarium in Jasna Góra eine nahezu kulturstiftende Funktion im Bereich der Religiosität – es prägte die lokale, dann die Adels-, und später auch die bäuerliche Kultur.55 Die Bedeutung des Sanktuariums wird durch zahlreiche Legenden deutlich, wie z.B. die Legende über die wunderkräftige Verteidigung Częstochowas durch Maria während des polnisch-schwedischen Kriegs 1655-1660. Die erfolgreiche Verteidigung des Klosters nach seiner vierzigtägigen Belagerung durch Schweden war der erste polnische Sieg in diesem Krieg. Zum Zeichen der Dankbarkeit ernannte König Jan Kazimierz im Lemberger Gelöbnis im April 1656 Maria zur Königin von Polen. Durch diesen Akt wurde auch der Katholizismus mit der polnischen Nation institutionell verbunden.56 Die feierliche Krönung des Bildes der Schwarzen Madonna mit der päpstlichen Krone fand im Jahre 1717 statt.57 Die Krönung wurde laut Zakrzewski zu einem nationalen, sowohl religiösen als auch politischen Ereignis, führte zur Verfestigung der
54 Beispielsweise wird ein Titelbild der Wochenzeitung heftig kritisiert, das Maria mit Jesuskind in Gasmasken zeigte, um auf die Umweltverschmutzung in Polen hinzuweisen, während ein Bild mit Maria und Jesuskind aus der Solidarność-Zeit, welches das Victoriasymbol zeigt, akzeptiert ist. Vgl. ebd. 55 Vgl. ZAKRZEWSKI, W kręgu kultu…, a.a.O., S. 45–55. 56 Erwähnenswert sind hier die Folgen der Schwedenkriege für die Polinnen und Polen anderer, insbesondere der protestantischen Konfessionen, welche die Figur Maria ablehnten. 1658, zwei Jahre nach der Krönung Marias wurde ein Dekret erlassen, welches die Polnischen Brüder (Vertreter der aus dem Calvinismus hervorgehenden Reformationsbewegung) der Kollaboration mit den protestantischen Schweden bezichtigte und aus Polen verbannte bzw. zum Übertritt zum Katholizismus zwang. Viele von ihnen fanden Zuflucht in den Niederlanden, Siebenbürgen oder England. Ihre liberalen Ideen fanden später Anklang in der Philosophie der Aufklärung. Hinsichtlich der Geschlechterkonstruktionen ist hier bezeichnend, dass die Polnischen Brüder für eine viel stärkere Position von Frauen plädierten. Durch ihre Ablehnung der Figur Maria lehnten sie auch ihre Vorbildrolle für Frauen ab. Mehr dazu vgl. z.B. MARIA BOGUCKA, Białogłowa w dawnej Polsce. Kobieta w społeczeństwie polskim XVI-XVIII wieku na tle porównawczym [Das Frauenzimmer im alten Polen. Die Frau in der polnischen Gesellschaft im 16. bis 18. Jahrhundert im Vergleich], Warszawa, 1998, S. 116. 57 Zwei weitere Krönungen fanden 1910 (nach dem Diebstahl der Kronen von 1717) und 1966 anlässlich der Milleniumsfeierlichkeiten statt, vgl. KUBIK, The power of…, a.a.O.,
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Verbindung des Marienkultes mit der „nationalen Kultur“58 und machte Maria zur Garantin der nationalen Sicherheit. Für das Sanktuarium in Jasna Góra bedeutete diese Krönung eine Aufwertung und der Paulinerorden konnte sich den Kult politisch und ökonomisch zu Nutze machen. Obwohl der König Jan Kazimierz bei seinem Gelöbnis noch keine Marienstätte explizit nannte, setzte sich Jasna Góra bald durch geschickte Taktik der Mönche, die mit den politischen Eliten zusammenarbeiteten, und durch die (teilweise propagandistisch untermauerte) Entstehung von Volkslegenden über das Marienbild als wichtigste Kultstätte durch.59 Ab dem 17. Jahrhundert häuften sich Massenpilgerfahrten, an denen alle gesellschaftlichen Schichten teilnahmen und die die volkstümlichen religiösen Verhaltensweisen popularisierten; so wurde die Religion auch zu einer Brücke zwischen Bauern und Adel.60 Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Marienkult durch die sogenannten Marienerscheinungen gestärkt, zu denen, anders als z.B. in Frankreich, ein nationaler und weniger ein individueller Bezug bestand. Zu dieser Zeit der Nichtexistenz des polnischen Staates wurde Maria verstärkt zum Vorbild für Frauen. In der Interpretation der Marienfigur als „the long suffering, patient and emotional mother“61 und ihrer Verknüpfung mit der Figur der Mutter Polin wurde sie insbesondere Frauen als Ideal der Weiblichkeit anbefohlen.62 Während Maria sich im westlichen Christentum von der mächtigen, mittelalterlichen Herrscherin in eine passive Rolle während der Neuzeit verwandelte, wurde diese Transformation in Polen nicht so deutlich, so Brian Porter. Sie wurde zwar zu einem mit dem Mythos der Mutter Polin verknüpften Frauenideal, blieb dabei aber die Verteidigerin der
S. 109. Krönungen des Gnadenbildes sind in der katholischen Kirche seit dem 17. Jahrhundert populär, zur Zeit der Gegenreformation und des Barocks mit der gesteigerten Ritualisierung der Religionsausübung, vgl. WOLFGANG BEINERT, HEINRICH PETRI (HRSG.), Handbuch der Marienkunde…, a.a.O., S. 822. 58 ZAKRZEWSKI, W kręgu kultu…, a.a.O., S. 95. 59 Vgl. ebd., S. 90. Zakrzewski beschreibt die Legenden zur Wundertätigkeit des Bildes, die aus heutigen Sicht Placebo-Beispiele seien, aber damals zur Popularität des Bildes geführt haben. 60 Zakrzewski bezeichnet als Volksreligiosität die religiösen Verhaltensweisen der bäuerlichen Bevölkerung, die durch Kontakt der offiziellen Kirchendoktrin mit den Werten und Normen, der Land- und Kleinstadtbevölkerung des 17. und 18. Jahrhunderts entstanden sind. Vgl. ebd., S. 127. 61 PORTER, Hetmanka and Mother…, a.a.O., S. 158. 62 Vgl. ebd., S. 160.
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polnischen Nation.63 Anna Niedźwiedź spricht in diesem Zusammenhang über die Gleichzeitigkeit der großen nationalen und kleinen, persönlichen Geschichten bzw. Erzählungen in Bezug auf Maria, einerseits über die Verteidigerin und andererseits über die Mutter.64 Laut Katarzyna Skowronek, die die Hirtenbriefe der polnischen Bischofskonferenz aus den Jahren 1945-2005 untersuchte, ist die Doppeldeutigkeit Marias auch heute im Diskurs der katholischen Kirche noch sichtbar. Maria wird dort einerseits als mächtige Königin und andererseits als leidende Mutter interpretiert, weil auf diese Weise emotionale, „kollektive national-religiösen Erlebnisse“65 aufgerufen und die Stärke der Volksreligiosität angesprochen werden sowie die Macht der institutionellen Kirche demonstriert werden kann.
7.2 MARIA ALS VERTEIDIGERIN UND (POLITISCHE) SUBVERSION „She remains the mighty Hetmanka, even as she is deployed to encourage traditional forms of feminity. Challenges to those norms become attacks on the nation, and Mary is once again called upon to save Poland from its foes, be they Swedes, Turks, Russians or the temptations of modernity.“66
Die katholisch-polnische Doppeldeutigkeit der Mutter Gottes wurde im Laufe der Geschichte immer wieder auch zur militärischen Verteidigung Polens eingesetzt, sie wurde nicht nur zur Königin von Polen, sondern auch zur hetmanka, zur Heerführerin ernannt.67 Militärische Siege wurden als unter Marias Zutun erfolgte Triumphe erklärt, wie z.B. der Sieg König Jan Sobieskis bei der Schlacht vor Wien 1683.68 Auch während des polnisch-sowjetischen Krieges 1920 war sie als Ver-
63 Vgl. ebd., S. 153. 64 Vgl. NIEDŹWIEDŹ, Obraz i postać…, a.a.O. 65 KATARZYNA SKOWRONEK, Między sacrum a profanum. Studium językoznawcze listów pasterskich Konferencji Episkopatu Polski (1945-2005) [Zwischen sacrum und profanum. Eine sprachwissenschaftliche Studie der Pastoralbriefe der Polnischen Bischofskonferenz (1945-2005)], Kraków, 2006, S. 145. 66 PORTER, Hetmanka and Mother…, a.a.O., S. 170. 67 Als Hetman bezeichnete man in Polen bis zu den Teilungen Polens im 18. Jahrhundert einen Feldherren. Laut Porter wurde Maria als Hetmanka (weibl. Form zu Hetman) noch 1904 auf dem Marienenkongress in Lemberg bezeichnet, vgl. ebd., S. 155. 68 Vgl. ebd., S. 154.
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teidigerin im nationalen Diskurs präsent; die im August 1920 durch Polen gewonnene Schlacht bei Warschau, das sogenannte „Wunder an der Weichsel“ wurde als Sieg aufgrund ihrer göttlichen Intervention interpretiert.69 Weitere Legenden über Marias Wunderkraft setzten sich im Zweiten Weltkrieg fort. So soll sie die Zerstörung des Sanktuariums während der deutschen Luftangriffe Anfang September 1939 verhindert haben.70 Zur Zeit der Solidarność-Streiks wurde Maria zu einem wichtigen Symbol und stilisiert als Streikende Mutter Gottes, zur Verteidigerin der Arbeiter.71 Das Motiv der Maria als hetmanka und Verteidigerin der Polinnen und Polen ist bis in die Gegenwart präsent, erhält jedoch im Zeitverlauf stets neue dimensionale Ausrichtungen und Inhalte. Laut Brian Porter ändern sich dabei insbesondere die Feinde, vor denen Maria die polnische Nation beschützen soll: Während Feinde in der Vergangenheit meist von außen kamen (Schweden, Türken oder Russen), werde heute zunehmend die „Moderne“ zur Bedrohung, und Maria somit als Verteidigerin der Moral interpretiert.72 In der Zeit der Volksrepublik Polen wurde das Motiv Marias als Moralverteidigerin insbesondere aufgrund der Verschmelzung von Politik und Moral in der institutionellen katholischen Kirche gestärkt. Das zeigte sich während der Milleniumsfeierlichkeiten Sacrum Poloniae Millennium (1957-1966) anlässlich des 1000. Jahrestages der polnischen Taufe, die sich zu einem „Kampf um die Herrschaft über die Seelen“73 zwischen der katholischen Kirche und der sozialistischen Regierung entwickelten. Diese Feierlichkeiten dienten als ein besonderes Beispiel der subversiven Nutzung des polnischen Marienkults gegen die Machthaber. Maria wurde in diesem Kampf durch die katholische Kirche erneut zur Verteidigerin Polens erhoben und in ihrer Funktion als polnische Königin bestätigt.
69 Der Sieg wurde im nationalen Diskurs als Erfüllung der Gebete auf Jasna Góra um diesen Sieg gesehen, vgl. NIEDŹWIEDŹ, Obraz i postać…, a.a.O., S. 169. 70 Am 1. September 1939 flogen die deutschen Bomber über Jasna Góra und warfen in der Nähe des Sanktuariums einige Bomben ab, die das Kloster nicht beschädigt haben. Schon am nächsten Tag berichtete die polnische Presse über den deutschen Angriff auf die polnische „Reliquie“, vgl. ebd., S. 173. 71 Vgl. KUBIK, The power of…, a.a.O; ANNA NIEDŹWIEDŹ, Religious Symbols in the 1980s Underground Art and Literature in Poland, in: BEHRENDS, JAN C; LINDENBERGER,
THOMAS (Hrsg.), Underground publishing and the public sphere. Transna-
tional perspectives, Münster, 2014, S. 189–211, hier S. 200. 72 Vgl. PORTER, Hetmanka and Mother…, a.a.O., S. 170. 73 Zitiert nach dem Titel des Buches: CYPRIAN WILANOWSKI (HRSG.), Millennium polskie. Walka o rząd dusz [Polnisches Millenium, Kampf um die Seelen], Warszawa, 2002.
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Die Idee zu diesen Feierlichkeiten stammte von Kardinal Stefan Wyszyński, er entwickelte sie während seiner Internierung 1953-1956. Sein Plan umfasste die gleichzeitige Begehung zweier historischer Ereignisse – des 300. Jahrestages der Krönung Marias zur Königin von Polen, im Jahr 1956, sowie des 1000. Jahrestages der polnischen Taufe, 1966. Zu dieser Zeit regierte in Polen Władysław Gomułka, der zwar im Rahmen des sogenannten Tauwetters 1956 an die Macht gekommen war und die stalinistische Ära in Polen beendet hatte, jedoch weiterhin mit harter Hand das Land regierte. In dieser Zeit fanden auch Auseinandersetzungen zwischen Staat und katholischer Kirche statt, während derer die Kirche Repressionen durch den Staat, wie beispielsweise Konfiszierungen und Schließungen von Priesterseminaren, ausgeliefert war.74 Die Feierlichkeiten begannen am 26. August 1956 mit der Erneuerung des Gelöbnisses an Maria und ihrer erneuten Anerkennung als Königin von Polen während der Messe in Jasna Góra. Der Text des Gelöbnisses wurde durch den zu dieser Zeit noch internierten Wyszyński verfasst. Er ergänzte den Text des Gelöbnisses von 1656 um aktuelle politische Aspekte und Moralfragen, insbesondere zu Fragen der Abtreibung und der Sexualmoral. So schworen die versammelten Gläubigen der Königin von Polen, dass sie u.a. „über das erwachende Leben“75 wachen, „die Unauflöslichkeit der Ehen“76 beachten sowie „die Würde von Frauen“77 beschützen werden. Die eigentliche Hauptfeier des Jahrestages der polnischen Taufe sollte am 3. Mai 1966 stattfinden, vorbereitet durch die sogenannte neunjährige Große Novene (1957-1966). Diese Jahre sollten ebenfalls feierlich gestaltet werden und jedes dieser Jahre unter einem anderen Motto stehen. Kardinal Wyszyński setzte in seinem Plan dieser Feierlichkeiten insbesondere auf die Kraft des polnischen Volkskatholizismus und des polnischen Marienkults mit seiner starken Symbolik.78 Laut Stanisław Celestyn Napiórkowski sind im polnischen Katholizismus drei Motive der Marienfrömmigkeit besonders beliebt: Akte der Selbstergebung in die mütterliche Sklaverei Marias, Krönungen der Marienbilder und deren Peregrinationen
74 Vgl. ANTONI DUDEK, Państwo i Kościół w Polsce 1945–1970 [Staat und Kirche in Polen 1945-1970], Kraków, 1995. 75 Text des Gelöbnisses zitiert nach: STANISŁAW CELESTYN NAPIÓRKOWSKI, Służebnica Pana (problemy-poszukiwania-perspektywy) [Die Magd des Herrn (Probleme, Forschungen und Perspektiven)], Lublin, 2004, S. 218. 76 Ebd. 77 Ebd. 78 Vgl. MARIA PONIEWIERSKA, BARBARA CHYROWICZ, WACŁAW OSZAJCA u. a., Kryzys w Kościele? [Eine Krise in der Kirche?], in: Znak, H. 689, 2012, S. 6–27.
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(Wanderschaften).79 Eben diese Elemente wählte auch Wyszyński und initiierte die Wanderschaft einer speziell zu diesem Anlass gefertigten und von Papst Paul VI. gesegneten Kopie des Marienbildes von Częstochowa. Das Marienbild sollte durch jede Gemeinde aller Diözesen wandern.80 Die aufwendig zelebrierte Wanderschaft wurde zu einem großen Ereignis für die Gläubigen – die Wege, denen entlang das Bild „gewandert“ ist, waren mit Blumen geschmückt, die Menschenmassen begleiteten es am Wegesrand, so als wenn Maria persönlich zu Besuch kommen würde. Hier kamen insbesondere zwei Elemente des polnischen Volkskatholizismus zum Vorschein, die Ritualisierung und der Sensualismus, d.h. die Personifizierung der heiligen Gegenstände.81 Die Gläubigen glaubten an die Anwesenheit Marias im wandernden Bild. Als es zur „Festnahme“ des Marienbildes
79 Vgl. STANISŁAW CELESTYN NAPIÓRKOWSKI, Matka naszego pana (problemy – poszukiwania – perspektywy) [Die Mutter unseres Herren (Probleme, Forschungen und Perspektiven)], Tarnów, 1992, S. 118. 80 Die Wanderschaft begann im August 1957 und dauerte bis Oktober 1980 an, davon war das Bild sechs Jahre, von 1966 bis 1972, in Jasna Gora „interniert“. Von dort wurde das Marienbild von einem Priester mit Wissen und Zustimmung von Wyszyński „entführt“ und konnte seine Wanderschaft fortsetzen, vgl. ebd., S. 119. 1985 begann die zweite Peregrinaton, die bis heute andauert. Vgl. Peregrynacja kopii Obrazu Jasnogórskiego, http://dziedzictwo.ekai.pl/text.show?id=4645 (abgerufen am 07.02.2015). 81 Barbara Bukraba-Rylska bezeichnet als Sensualismus den sinnlichen Kontakt zu Kultgegenständen wie heiligen Bildern oder Orten, sichtbar insbesondere in der Verehrung der Marienbilder in Polen (vor den Teilungen existierten in Polen beinahe 400 Marienbilder). Die geweihten Gegenstände hatten im Volksglauben gewisse Schutzkräfte, wie z.B. ein im Ackerboden vergrabenes Bibelfragment. – Neben dem Sensualismus nennt Bukraba-Rylska weitere Elemente des polnischen Volkskatholizismus: Erstens den Soziomorphismus, d.h. die Übertragung der dörflichen Struktur auf die heiligen und biblischen Gestalten. Die Vorstellung vom Himmel gleiche hier einem bäuerlichen Hof, auf dem Jesus der Bauer, Maria die Gütige Herrin und der Heilige Petrus als Verwalter fungieren. Dadurch konnten die religiösen Elemente mit dem bäuerlichen Alltag verbunden werden. – Neben Sensualismus und Soziomorphismus nennt Bukraba-Rylska außerdem den Glaubensnationalismus. Dieser setzte Polentum mit Katholizismus gleich und sah dabei auch andere Nationen als weniger katholisch an (es herrschte gar die Überzeugung, dass die Heiligen polnisch sprechen). – Dieses Merkmal sei darüber hinaus mit dem Partikularismus verbunden gewesen, der Überzeugung, dass die eigene lokale Struktur einen besseren Zugang zur Welt der Heiligen gewährleiste und deshalb auch als überlegen anderen lokalen Strukturen gegenüber angesehen wurde. Die verschiedenen Dörfer besaßen ihre eigenen, heiligen Patrone, die teilweise gegeneinander
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durch die staatlichen Behörden kam, um auf diese Weise die kirchlichen Feierlichkeiten zu unterbinden, wurde die Wanderschaft symbolisch mit dem leeren Rahmen fortgesetzt.82 Zu einer subversiven Rhetorik kam es während der Milleniumsfeierlichkeiten gleichsam in der Sprache der Briefe der Bischofskonferenz, in denen Maria gezielt neue Namen gegeben wurden. So nannten Bischöfe Maria „Anführerin auf dem Weg zum Jahrtausend“, „Anführerin der Großen Novene“ und in Bezug auf die Wanderschaft „Göttliche Wanderin“ oder sogar „Gefangene Mutter“.83 Die kommunistischen Machthaber konnten gegen die Stärke des polnischen Volkskatholizismus kaum etwas ausrichten. Als Gegenveranstaltung zu den Milleniumsfeierlichkeiten veranstalteten sie den 1000. Jahrestag der polnischen Staatlichkeit, und verbanden dies mit der propagandistischen Rückbesinnung auf die Piastenzeit.84 Die Regierung versuchte die Aufmerksamkeit der Bevölkerung für sich zu gewinnen und ließ viele Veranstaltungen parallel zu den kirchlichen Festen stattfinden. Es wurden Volksfeste und Sportwettbewerbe organisiert sowie westliche Filme in den Kinos gezeigt. Mit verschiedenen Aktionen wie z.B. „1000 Schulen zum 1000. Jahrestag“ sollten Gunst und Aufmerksamkeit der Bevölkerung gewonnen werden.85 Die Regierungsseite nahm dabei auch auf die Hilfe des Millizapparates in Anspruch. In Jasna Góra kam es zu einer Auseinandersetzung als 1957 die Miliz das von Wyszyński gegründete Komitee der Feierlichkeiten auf dem Gelände des Klosters auflösen wollte. Sie wurde von wütenden Pilgern und Gläubigen davon abgehalten, welche die Miliz in Anlehnung an die „schwedische Sinnflut“ von 1655-1660 als „Schweden“86 bezeichneten. Die Regierung konnte die Bevölkerung letztendlich nicht von den kirchlichen Feierlichkeiten abbringen.
ausgespielt wurden. – Ritualismus als weiteres Element des Volkskatholizismus bezeichnete Bukraba-Rylska als ostentative Ausübung religiöser Praktiken, die mit intellektueller Unkenntnis der Glaubensinhalte verbunden sei. Vgl. IZABELLA BUKRABARYLSKA, Socjologia wsi polskiej [Die Soziologie des polnischen Dorfes], Warszawa, 2008, S. 509–528. 82 Vgl. NAPIÓRKOWSKI, Matka naszego pana…, a.a.O., S. 119. 83 SKOWRONEK, Między sacrum a…, a.a.O., S. 127. 84 Vgl. KAROL SAUERLAND, Die Rolle der katholischen Kirche Polens in der Nachkriegszeit, in: Kirchliche Zeitgeschichte. Internationale Zeitschrift für Theologie und Geschichtswissenschaft, Band 20, 2007, S. 288–297. 85 Vgl. KRAWCZAK, Centralne władze partyjno-rządowe wobec Millenium [Das Zentralkomitee gegenüber dem Millenium], in: WILANOWSKI, CYPRIAN (Hrsg.), Millennium polskie. Walka, a.a.O. 86 NIEDŹWIEDŹ, Obraz i postać…, a.a.O., S. 184.
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Jan Rydel vergleicht die beiden konkurrierenden, im Rahmen eines totalitären Systems veranstalteten Feierlichkeiten mit einem Volksentscheid, den die staatliche Seite trotz Sicherheitsapparat und staatlicher Medien verloren habe.87 Am 3. Mai 1966, zum Abschluss der neunjährigen Novene, fand der Millenniumsakt der Selbstergebung in die mütterliche Sklaverei Marias, Mutter der Kirche, für die Freiheit der Christuskirche statt, in dem Maria erneut als Königin von Polen anerkannt wurde: „[W]ir, der Primas und die polnischen Bischöfe, umgeben mit Vertretern der ganzen gläubigen Nation – der Geistlichen und des Volkes Gottes aus den Diözesen und Gemeinden, in Verbindung mit der Polonia – übergeben mit trauerndem Herz alle Gotteskinder des getauften Volkes und alles, was Polen ausmacht, in Deine ewige, mütterliche Sklaverei der Liebe, für die Freiheit der Kirche in der Welt und in unserer Heimat, für die Ausbreitung der Christuskirche auf der Erde. Von nun an, unsere Beste Mutter und Königin von Polen, behandle uns, Polen – als Nation – als Dein volles Eigentum, […]. Tue mit uns, was Du nur magst.“88
Die andauernde Wiederholung der Interpretation Marias als Königin und Verteidigerin Polens im Diskurs der katholischen Kirche erweckt den Eindruck, dass sie für die polnischen Gläubigen teilweise mehr Bedeutung hat als Gott, was im Gegensatz zur offiziellen Marienlehre der katholischen Kirche steht: Die Zweitrangigkeit Marias wurde durch das Zweite Vatikanum betont, das 1962-1965, also zur Zeit der Großen Novene stattfand. Insbesondere in der Konzilkonstitution Lumen Gentium wurde die „untergeordnete Aufgabe“89 Marias genannt.90 Doch den Beschlüssen des Zweiten Vatikanums wurde in dieser politischen Situation während
87 Vgl. JAN RYDEL, Sacrum Poloniae Millenium. Bemerkungen zur Anatomie eines Konflikts im „realen Sozialismus“, in: BRIX, EMIL; STEKL, HANNES (Hrsg.), Der Kampf um das Gedächtnis. Öffentliche Gedenktage in Mitteleuropa, Wien, 1997, S. 231–250, hier S. 250. 88 NAPIÓRKOWSKI, Służebnica Pana (problemy-poszukiwania-perspektywy…, a.a.O., S. 221. 89 Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, http://www.vatican.va/ archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19641121_lumen-ge ntium_ge.html (abgerufen am 01.02.2016). Punkt 62 90 Bis zum Vatikanum dominierte in der katholischen Kirche eine christotypische Tendenz in der Mariologie, welche Maria den gleichen Rang wie Christus gab und sie als Miterlöserin betrachtete. Nach dem Zweiten Vatikanum setzte sich die ecclesiotypische Tendenz durch, nach der Maria ein Vorbild der Kirche sei. Weitere Tendenzen in der
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der Auseinandersetzungen um die Milleniumsfeierlichkeiten wenig Gehör geschenkt. Hinzu kommt, dass gerade die Popularität der Marienfigur in der polnischen Bevölkerung Wyszyński half, dass er letztendlich „den Kampf um die Seelen“ gewann, was auch zufolge hat, dass Maria in Polen seither weiterhin in vielen polnischen Kirchenliedern als Retterin bzw. Miterlöserin bezeichnet wird.91 Die schwache Rezeption der Beschlüsse des Zweiten Vatikanums in Polen bewirkte zudem, dass die katholische Kirche in Polen sich nicht zu einer offenen, gemeinschaftlichen Kirche entwickelte, sondern bis heute auf dem Niveau einer streitenden Kirche (Ecclesia militans) in Verteidigungshaltung bleibt.92 Bis heute ist die Interpretation Marias als Verteidigerin der polnischen Nation populäres Mittel im Diskurs der katholischen Kirche und die Elemente der volkstümlichen Marienfrömmigkeit werden noch heute aufwendig inszeniert und für politische Zwecke genutzt. Auch die Jahrestage der vergangenen Krönungen oder Gelöbnisse an Maria werden feierlich begangen. Dabei werden teils auch neue Elemente eingebracht. So wurde beispielsweise 2010 der 100. Jahrestag der Wiederkrönung des Marienbildes von Częstochowa begangen, aus diesem Anlass wurden neue „Kronen“ und „Gewänder“ erstellt, die u.a. Fragmente der im April
heutigen Mariologie sind die in den charismatischen Bewegungen populäre pneumatologische Tendenz, die Maria eine Rolle ähnlich der Rolle des Heiligen Geistes zuweist, sowie die akademische Tendenz, die insbesondere für die feministischen Ansätze in der Theologie interessant ist. Maria wird hier anthropologisch erfasst, d.h. ihre Vorstellung wird im Einklang mit der gegenwärtigen Anthropologie interpretiert und an die Gegenwart angepasst, vgl. NAPIÓRKOWSKI, Matka naszego pana…, a.a.O., S. 16–18. 91 Vgl. NAPIÓRKOWSKI, Służebnica Pana (problemy-poszukiwania-perspektywy…, a.a.O., S. 345. Zum Marienbild in den polnischen Kirchenliedern Vgl. insbesondere NAPIÓRKOWSKI, Matka naszego pana…, a.a.O., S. 82–96. 92 Vgl. Kościół na miarę Jezusa. Z bp. Andrzejem Czają rozmawia Tomasz Ponikło [Die Kirche nach Jesu Maß. Tomasz Ponikło spricht mit dem Bischof Andrzej Czaja], in: Więź, 10 (648), 2012, S. 39–50; TADEUSZ BARTOŚ, Polski Kościół walczy i osądza [Polnische Kirche kämpft und verurteilt], 2014, http://wyborcza.pl/1,75968,15948670, Polski_Kosciol_walczy_i_osadza.html (abgerufen am 02.02.2016); JOANNA STAŚKIEWICZ,
„Die Tür ist geöffnet“ – auch für Frauen? Das Zweite Vatikanum aus Frau-
enperspektive im deutsch-polnischen Vergleich, in: CHYLEWSKA-TÖLLE, ALEKSANDRA;
TÖLLE, ALEXANDER (Hrsg.), Religion im transnationalen Raum. Raumbezo-
gene, literarische und theologische Grenzerfahrungen aus deutscher und polnischer Perspektive, 2014, S. 261–276.
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2010 bei Smoleńsk abgestürzten Präsidentenmaschine enthielten.93 Und während der Krönung eines anderen Marienbildes im Jahre 2013 rief der Erzbischof Sławoj Leszek Głódź in seiner Predigt während der Anti-Gender-Kampagne Maria in ihrer Verteidigerinnenrolle auf und bat sie um Schutz „vor der Verwirrung des Geistes“94 durch gefährliche Ideologien. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Projektion der Verteidigerin Polens auf die Figur Marias neu wiederholt – im Derridaschen Sinne iteriert – und dabei subversiv durch den Diskurs der katholischen Kirche benutzt wird. Dadurch, dass Maria während der Milleniumsfeierlichkeiten zu einer Verteidigerin der Moral geworden war, konnte ihr Kult als subversives Mittel gegen die realsozialistische Regierung eingesetzt werden. Michel Foucault sagt bezüglich der Subversion, dass „die strategische Codierung der Widerstandspunkte zur Revolution führen“95 könne. Im Diskurs der katholischen Kirche zeigt sich, dass eine Subversion, d.h. die geschickte Umkodierung des Marienbildes – von einer Heerführerin gegen äußere Feinde zu einer Abtreibungsgegnerin – zu einer konservativen Revolution und der Festigung katholischer Moralvorstellungen und Wirklichkeitskonstruktionen führte.96 Nach der politischen Wende wurde diese konservative Revolution mit dem restriktiven Abtreibungsgesetz gesetzlich verwirklicht.
93 Vgl. STANISŁAW TOMOŃ, Przyjmij, o Maryjo, ten dar narodu polskiego… [O Maria, nimm das Geschenk des polnischen Volkes an…], 2010, www.jasnagora.com/ wydarzenie-5951 (abgerufen am 02.02.2016). Eine erneute Krönung des Marienbildes in Częstochowa fand 1910 statt, nachdem ein Jahr zuvor die ursprünglichen Kronen von 1717 gestohlen worden waren, Vgl. NIEDŹWIEDŹ, Obraz i postać…, a.a.O., S. 204. 94 Zitiert nach: Koronacja Matki Bożej na Pólku pod Bralinem [Krönung der Mutter Gottes in Pólko bei Bralin], 2013, http://www.diecezja.kalisz.pl/z-zycia-diecezji/koronacja-matki-bozej-na-polku-pod-brali (abgerufen am 12.01.2015). 95 MICHEL FOUCAULT, Der Wille zum Wissen, Frankfurt am Main, 1983, S. 118. Judith Butler erweiterte diese Theorie in Anlehnung an den Iterabilitätsbegriff Derridas und weist am Beispiel der performativen Geschlechteridentität auf das subversive Potential einer bewussten „Fehlwiederholung“ oder „De-Formierung“ der heteronormativen Geschlechterkonstruktionen hin, JUDITH BUTLER, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main, 1991, S. 207. 96 Napiórkowski führt an, dass Maria im 19. Jahrhundert im ethischen Sinne kaum ein Vorbild gewesen sei und keine Besserung der Moral in der Gesellschaft bewirkt habe, vgl. NAPIÓRKOWSKI, Matka naszego pana…, a.a.O. Allerdings trifft diese Aussage eher auf Männer zu, denn für Frauen wurde Maria samt der Figur der Mutter Polin zum Nachahmungsideal stilisiert.
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7.3 DIE MÜTTERLICHKEIT MARIAS Sie war still und schön wie der Frühling, lebte einfach, gewöhnlich, wie wir. Sie brachte uns den Gott auf die Welt und so leuchteten auf der Erde zwischen den Tränen neue Tage auf. Mutter, die alles versteht, die mit ihrem Herz jeden von uns erfasst. Mutter, die das Gute in uns sehen kann, Sie ist mit uns jederzeit.
Das Zitat stammt aus einem populären Marienlied, das noch immer in polnischen Kirchen gesungen wird. Maria wird hier als „eine von uns“, als allgegenwärtige Mutter, die „alles versteht“ dargestellt.97 Im polnischen Volkskatholizismus wird Maria als volksnah dargestellt, besonders ihre Körperlichkeit wird betont, letzteres ist bereits aus biblischen Texten zu entnehmen, da sie hier, wie Marta Jermaczek bemerkt, als schwangere, gebärende und leidende Frau dargestellt wird. Dadurch wurde sie als Beschützerin, Trösterin des gläubigen Volkes und sanftmütige Vermittlerin zwischen Mensch und Gott im Volkskatholizismus wahrgenommen.98 Obwohl, wie bereits erwähnt, die „untergeordnete“ Rolle Marias im Rahmen des Zweiten Vatikanums betont wurde, ist das Verständnis der Maria als Vermittlerin und Fürsprecherin im polnischen Volkskatholizismus nach wie vor präsent.99 Wie
97 Folgende Bemerkungen und Beobachtungen stützen sich auf meinen Artikel JOANNA STAŚKIEWICZ, Von der ‚Złota Baba‘ zur ‚Mutter Polin‘ – die Transformations- und Transferprozesse von Mythen und Topoi, in: KOPIJ-WEISS, MARTA; ZIELINSKA, MIROSLAWA (Hrsg.), Transfer und Vergleich nach dem Cross-Cultural-Turn. Studien zu deutsch-polnischen Kulturtransferprozessen, Leipzig, 2015, S. 399–410. 98
Vgl. MARTA JERMACZEK, Dziewica, matka, królowa… Poszukiwanie pradawnej bogini w kulcie maryjnym [Jungfrau, Mutter, Königin… Suche nach der uralten Göttin im Marienkult], 2004, http://web.archive.org/web/20120703070301/http://free.art.pl/ artmix/archiw_7/martaj.html (abgerufen am 11.10.2016); MAGDA ŁAZAR-MASSIER, Maryja cielesna [Die körperliche Maria], 2002, http://web.archive.org/web/20120704 135909/http://free.art.pl/artmix/archiw_3/0102mlm.html (abgerufen am 10.11.2016); STAŚKIEWICZ, Von der ‚Złota…, a.a.O.
99
Vgl. NAPIÓRKOWSKI, Matka naszego pana…, a.a.O., S. 82–96; NAPIÓRKOWSKI, Służebnica Pana (problemy-poszukiwania-perspektywy…, a.a.O., S. 345.
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Stanisław Celestyn Napiórkowski bemerkt: „Effektiv, d.h. inhaltlich, bleibt Christus derjenige, der am Wichtigsten ist, aber affektiv, d.h. praktisch, steht Maria im Zentrum, um sie organisiert sich die Frömmigkeit“.100 In der polnischen volkstümlichen Religiosität wird Maria insbesondere als Mutter verehrt.101 Jerzy Kłoczkowski erklärt die Betonung der Mutterschaft anstelle der Jungfräulichkeit Marias, wie z.B. bei der französischen Vierge oder der Notre Dame, mit dem Erbe der bäuerlich-slawischen Verehrung von mütterlichen Fruchtbarkeitsgöttinnen. 102 In den Ur-Religionen der west- und ostslawischen Völker wurden Göttinnen der Mutterschaft bzw. Große Mütter in verschiedener Gestalt verehrt: bei den Ostslawen als Mokosz (Mokosch) und bei den Westslawen als Złota Baba (Goldene Frau), auch Żywa/Żywie oder Zywye genannt103. Für meinen 2015 veröffentlichten Aufsatz Von der ‚Złota Baba‘ zur ‚Mutter Polin‘ – die Transformations- und Transferprozesse von Mythen und Topoi analysierte ich den Transfer der slawischen Verehrung von der Złota Baba in den polnischen Marienkult.104 Die Złota Baba wurde, wie auch andere Mutter-ErdeGöttinnen, insbesondere in der Rolle als Lebensspenderin und Ernährerin verehrt. Die slawischen Großen Mütter wurden durch das Motiv des Spinnens gezeigt und symbolisierten dadurch die Erzeugung des Lebens, häufig in der Nähe von Wasserquellen. So wurde z.B. Mokosz gern als spinnende Frauengestalt gezeigt, die ihre gewebten Stoffe einer Wasserquelle als Gaben übergibt. Die Verbindung von Wasser und Feuchtigkeit transportierte zusätzlich eine sexuelle Assoziation.105 In
100 Zitiert nach Skowronek in: SKOWRONEK, Między sacrum a…, a.a.O., S. 132. 101 Vgl. ZOFIA SOKOLEWICZ, Matka Boska w polskiej kulturze ludowej XIX i XX w. Wybrane kwestie źródłowe i zarysowujące się pytania [Mutter Gottes in der polnischen Volkskultur des 19. und 20. Jahrhunders. Ausgewählte Quellenfragen und Fragenstellungen], in: Etnografia Polska, XXXII, 1988, S. 289–303, hier S. 300. 102 Vgl. KŁOCZOWSKI, Sens społeczny polskiej…, a.a.O., S. 5. 103 Vgl. JOANNA HUBBS, Mother Russia. The feminine myth in Russian culture, Bloomington, 1993, S. 3–23; OLESZKIEWICZ-PERALBA, Black madonna in…, a.a.O., S. 26; STRZELCZYK, Mity, podania i…, a.a.O., 240-241, 243; JERZY STRZELCZYK, Mity, podania i wierzenia dawnych Słowian [Mythen, Sagen und Glauben der frühen Slawen], Poznań, 1998, S. 131–132. In Mittelosteuropa finden sich noch heute viele Ortschaften (meist auf Hügeln oder Bergen gelegen), deren Namen an slawische Gottheiten erinnern, wie z.B. Babia Góra, Babie Łono, Babiec, Mokrzesz, Wola Mokrzeska usw. Vgl. OLESZKIEWICZ-PERALBA, Black madonna in…, a.a.O., S. 11– 47. 104 Vgl. STAŚKIEWICZ, Von der ‚Złota…, a.a.O. 105 Vgl. OLESZKIEWICZ-PERALBA, Black madonna in…, a.a.O., S. 29.
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der christlichen Kunst wurde Maria ebenfalls als spinnende Frauengestalt,106 zusätzlich mit Fruchtbarkeitsinsignien versehen, dargestellt, beispielsweise mit einem Füllhorn, Früchten, Ähren. So schmücken auf dem Marienbild Dienerin Maria im Gotteshaus (Maria Służebnica w Świątyni, 15. Jahrhundert, Nationalmuseum Warschau) Ährenmuster den Mantel Marias.107 Dies zeigt, dass die slawischen Rituale noch lange nach der Christianisierung Polens von der Bevölkerung ausgeübt wurden, Teile davon wurden in die christliche Volkskultur aufgenommen, insbesondere in den Marienkult. Laut dem Historiker Aleksander Gieysztor versuchten die katholischen Würdenträger schon im 15. Jahrhundert durch Appelle an die Bevölkerung die Huldigung der slawischen Götter zu verbieten.108 Dennoch finden sich auch heute noch im polnischen Volkskatholizismus viele Elemente des Volksglaubens aus vorchristlichen Zeiten. Marta Jermaczek schreibt dazu: „Alter Glauben, Feiertage, die mit dem Wechsel der Jahreszeiten sowie Sommer- oder Winterwenden zusammenhängen, Kult der Tiere, Bäume und Wälder, Götter und Göttinnen der Naturgewalten, der Blitze, des Feuers, der Sonne, des Wassers, des Lebens und des Todes, müssten fließend in den neuen, oft mit Gewalt aufgezwungenen Glauben übergehen. Bei einigen Göttern wurden lediglich der Name und die Gestalt geändert, der Unterschied verschwamm durch die Jahrhunderte, aber wir erinnern uns noch heute an Szczodre Gody [slawisches Fest der Winterwende J.S.], christliche Weihnachten; Ostern wird weiterhin nach dem ersten Vollmond des Frühlings gefeiert, viele kirchliche Feste hängen mit alten, an den Rhythmus der Natur gekoppelten Festen zusammen. Die Kirche musste sich an diese Feste anpassen, sie konnte sie nicht zerstören, also änderte sie deren Bedeutung. Ob bis ans Ende? In der patriarchalen Dreifaltigkeit fehlte der Platz für eine der wichtigsten Gestalten der UrReligionen – die Fruchtbarkeitsgöttin. Diese Rolle musste Maria erfüllen.“109
In der Tat finden zu den Zeiten der Feste für die vorchristlichen Fruchtbarkeitsgöttinnen heute Marienfeste statt: So wie die keltischen Göttinnen im Frühjahr geehrt wurden, ist Maria im Katholizismus ebenfalls der Frühlingsmonat Mai gewidmet.110 Die polnischen Marienfeste entsprechen dadurch dem Rhythmus der
106 Z.b. auf dem Erfurter Gemälde Maria am Spinnrocken aus dem 14. Jahrhundert, vgl. ebd. 107 Vgl. ŁAZAR-MASSIER, Maryja cielesna…, a.a.O. 108 Vgl. GIEYSZTOR, Mitologia Słowian…, a.a.O. 109 JERMACZEK, Dziewica, matka, królowa…, a.a.O. 110 Vgl. ŁAZAR-MASSIER, Maryja cielesna…, a.a.O; STAŚKIEWICZ, Von der ‚Złota…, a.a.O.
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Jahreszeiten und dem bäuerlichen Wirtschaftszyklus von Aussaat und Ernte.111 Um die Figur der Maria entstanden viele ätiologische (Volks)Märchen, welche Maria mit magischen Elementen verbanden und sie als Herrscherin über die Natur stilisierten, wie z.B. im Märchen über die Entstehung von Erbsen aus ihren Tränen.112 Viele polnische Marientage stehen zudem in Verbindung mit der überlieferten Naturmedizin, z.B. ist der 2. Februar im Volkskatholizismus als Feiertag der Mutter Gottes der Kerze (Matki Boskiej Gromnicznej) bekannt, an dem Taufund Sterbekerzen gesegnet werden, die das Haus vor Unwettern schützen sollen. Der 15. August steht im Zeichen der Mutter Gottes der Kräuter (Matki Boskiej Zielnej), hier werden Blumen und Kränze in der Kirche gesegnet, die das Heim vor „bösen Kräften“ verteidigen sollen. Maria wurde damit auch zur „Königin der Wiesen, Felder und Wälder“.113 Auch kirchliche Marienlieder zeigen bis heute diese Auslegung der Marienfigur, z.B. das besonders populäre Kirchenlied Chwalcie łąki umajone (Lobet die Maiwiesen), in dem Maria als Herrscherin über die gesamte Welt durch alle Lebewesen verehrt und gefeiert wird.114 Interessanterweise greifen heute polnische Bischöfe in ihren Hirtenbriefen das Motiv der Mutter Gottes der Saat und der Kräuter auf, wenn sie sich an Geistliche in ländlichen Gebieten wenden.115 Das Motiv Marias als Mutter und Trägerin magischer Kräfte sowie als mächtige Herrscherin der Naturwelt ist zwar in den Kirchenliedern enthalten, im offiziellen Diskurs der katholischen Kirche werden jedoch bezüglich der Mutterschaft Marias inbesondere ihre Aufopferung betont. Darüber hinaus wird sie als Mutter von Jesus zur idealsten aller Mütter stilisiert. Der Aspekt der mächtigen Heerführerin und Königin ist in diesem Kontext durch den Aspekt der Selbstaufgabe für das eigene Kind ersetzt worden. Laut Brian Porter verschob sich im Zuge der wachsenden Marienverehrung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, begünstigt
111 Vgl. SOKOLEWICZ, Matka Boska w…, a.a.O., S. 295–299; STAŚKIEWICZ, Von der ‚Złota…, a.a.O. 112 Vgl. SOKOLEWICZ, Matka Boska w…, a.a.O., S. 294. 113 JERMACZEK, Dziewica, matka, królowa…, a.a.O. Weitere Marienfeste in Polen sind ebenfalls der Feiertag der Mutter Gottes der Beeren (Matki Boskiej Jagodnej) am 2. Juli oder Mutter Gottes der Saatzeit (Matki Boskiej Siewnej) am 8. September. Vgl. ANDRZEJ DRAGUŁA, Królowa łąk, pól i lasów [Die Königin der Wiesen, Felder und Wälder], www.niedziela.pl/artykul/28204/nd/Krolowa-lak-pol-i-lasow (abgerufen am 12.11.2016). 114 Vgl. JERMACZEK, Dziewica, matka, królowa…, a.a.O. 115 Vgl. SKOWRONEK, Między sacrum a…, a.a.O., S. 127.
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durch mehrere Marienerscheinungen, die Wahrnehmung Marias von der hetmanka hin zu einem Frauenvorbild, welches den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts und frühen 20. Jahrhundert entsprach. Maria war nicht mehr die mächtige, manchmal grausame Heerführerin, sondern die leidende und emotionale Mutter.116 Die Stärke und Autorität der Mutter Gottes führte laut Porter paradoxerweise zur Verfestigung passiver Weiblichkeitsvorstellungen der Frauen – die Macht Marias als hetmanka sei im national-katholischen Diskurs kein Ermutigungsbeispiel für Frauen, sondern gegen äußere Feinde oder auf die Verteidigung der Moral gerichtet, es sei allein die sanfte, mütterliche Seite Marias zur Nachahmung verfügbar.117 Auch Elżbieta Adamiak bedauert, dass, obwohl Maria als Königin von Polen eine befreiende Bedeutung für die Nation gehabt hätte, eine solche Wirkung in Bezug auf Frauen ausgeblieben sei, obwohl in der volkstümlichen Marienfrömmigkeit, ähnlich wie in der feministischen Theologie, durchaus Motive für die Stärkung von Frauen enthalten seien: „Die Ähnlichkeiten soll man in der ‚befreienden‘, d.h. in der sich der gesellschaftlichen Ungerechtigkeit widersetzenden Wirkung des Marienkultes und in seiner Verknüpfung mit kosmischen Elementen suchen, welche die Macht der Erde, der Pflanzen und der Himmelskörper mit einer Frauengestalt verbinden. […] Maria, Königin von Polen, hatte eine große, befreiende Bedeutung für die Nation; es ist jedoch schwer, eine ähnliche Bedeutung für Frauen nachzuweisen. Es fehlen Studien über die kosmisch-göttliche Dimension der polnischen Frömmigkeit.“118
116 Vgl. PORTER, Hetmanka and Mother…, a.a.O., S. 158. 117 Vgl. ebd., S. 165–166. Laut Silke Wenk stellen westeuropäische Frauenbilder meist das Andere dar, in Anlehnung an Julia Kristeva weist sie darauf hin, dass das Weibliche abwesend sein müsse, damit die patriarchale Ordnung repräsentiert werden kann: „Damit das Weibliche als Zeichen das Allgemeine, das meint das Patriarchale, vertreten kann, damit es als ‚Verkörperung‘ eines nicht Verkörperbaren fungieren kann, ist offenbar der Ausschluss der Frauen notwendig.“: SILKE WENK, Nike in Flammen. Gründungsopfer in der Skulptur der Nachkriegszeit?, in: KOHN-WAECHTER, GUDRUN
(Hrsg.), Schrift der Flammen. Opfermythen und Weiblichkeitsentwürfe im 20.
Jahrhundert, Berlin, 1991, S. 193–218, hier S. 205. 118 ELŻBIETA ADAMIAK, Maryja w feministycznej teologii Cathariny Halkes. Fragment rozprawy doktorskiej z 1994 [Maria in der feministischen Theologie von Catharina Halkes. Fragment der Doktorarbeit aus dem Jahr 1994], in: NAPIÓRKOWSKI, STANISŁAW CELESTYN (Hrsg.), Ku mariologii w kontekście. Część II. Mariologia teologów,
kaznodziejów, ruchów odnowy, Lublin, 2008, S. 11–20, hier S. 19.
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Die Mutterschaft Marias wird im katholischen Diskurs im besonderen Verständnis der Selbstaufgabe kontextualisiert. Kardinal Wyszyński sprach 1962, zur Zeit der Großen Novene in seiner Predigt an die jungen Ehen folgende Worte über die Berufung von Frauen: „Besondere Aufgabe einer Frau: Mutter, Königin, Dienerin“119 und: „Wenn eine Frau die Haltung annimmt, für die sich Maria entschieden hat, dann herrscht sie. Sie herrscht durch ihre große L i e b e und die Bereitschaft zur g ä n z l i c h e n Selbstaufgabe und Aufopferung für einen neuen Menschen“120 (Hervorhebungen im Original). Durch diese Interpretation des Marienkultes und seinen für Frauen vorbildhaften Charakter entwickelte sich in Polen ein besonderes Ethos der Mutterschaft, das auch heute den politischen Diskurs über die reproduktiven Rechte bestimmt.121 Eine Ablehnung der an Maria angelehnten Mutterschaft wurde im Diskurs der katholischen Kirche in Polen gar zu Ablehnung des göttlichen Willens hochstilisiert.122 Die Mutterrolle wurde in der polnischen Volkskultur und im nationalen Diskurs beinahe zum Sacrum erhoben.123 In der Zeit der Solidarność-Streiks waren die kommunistischen Machthaber eher bereit, vor streikenden Textilarbeiterinnen, die demonstrativ leere Kinderwagen vor
119 STEFAN WYSZYŃSKI, Kobieta w Polsce współczesnej [Die Frau in Polen der Gegenwart], Warszawa, 1978, S. 126. 120 Ebd., S. 128. 121 Vgl. MONCZKA-CIECHOMSKA, Mit kobiety w…, a.a.O., S. 95. 122 Vgl. KATARZYNA LESZCZYŃSKA, ŁUKASZ ZYCH, Wzorce kobiecości w dyskursie Kościoła rzymskokatolickiego w Polsce [Weiblichkeitsvorbilder im Diskurs der römisch-katholischen Kirche in Polen], in: SLANA, KRYSTYNA; KOWALSKA, BEATA; ŚLUSARCZYK, MAGDALENA (Hrsg.), Kalejdoskop genderowy. W drodze do poznania płci społeczno-kulturowej w Polsce, Kraków, 2011, S. 201–216, hier S. 210. 123 Ewa Jędrzejko untersuchte polnische Sprichwörter und Redewendungen in Bezug auf die dort erhaltenen Wirklichkeitskonstruktionen: Während Begriffe wie z.B. Weib eine negative Konnotation hatten, hatte allein Matka (polnisch für Mutter) eine eindeutig positive Bedeutung und wurde mit Güte und Fürsorge assoziiert. Mutter, so Jędrzejko, sei in der Volkskultur heilig und kein Gegenstand von Witzen. Vgl. EWA JĘDRZEJKO, Kobieta w przysłowiach, aforyzmach i anegdotach polskich. Konotacje i stereotypy [Frau in polnischen Sprichwörtern, Aphorismen und Anekdoten. Konnotationen und Stereotypen], in: ANUSIEWICZ, JANUSZ; HANDKE, KWIRYNA (Hrsg.), Płeć w języku i kulturze, Bd. 9, Wrocław, 1994, S. 159–172, hier S. 169.
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sich herschoben und auf den Hunger der Kinder wegen gestiegener Lebensmittelpreise hinwiesen, zu kapitulieren, als vor streikenden Männern – die Mutter-Arbeiterin war ein sacrum.124 Die Verehrung Marias als Mutter, verbunden mit der idealisierten Sicht der Mutterschaft, lässt sich in Anlehnung an Elżbieta Ostrowska bis in die, den homosozialen Charakter, d.h. Männerbeziehungen, affirmierende polnische Adelsrepublik der szlachta-Brüder zurückverfolgen.125 Ostrowska verweist dabei auf die Theorien der Nationalismusforschung, die die Verehrung der Mutter und enge Männerbünde zu dieser Zeit untersuchen. Gesellschaften mit starken Männerbünden zeichnen sich diesen nach dadurch aus, dass sie die Mutter als Ideal der Weiblichkeit verehren. Mit diesem Phantasma der Mutterschaft werden Männerbünde und männliche Geschichte gestärkt sowie ein heteronormatives und auf Reproduktion orientiertes Sexualitätsmodell propagiert.126 Viele Männerbünde wie exklusiv männliche Studentengruppen entstanden in der Teilungszeit, was laut Ostrowska eine Art der Kompensation für die Schwächung der patriarchalen Strukturen durch den Verlust der staatlichen Souveränität gewesen ist, denn die Teilungsmächte besetzten die den Männern zuvor vorenthaltene Öffentlichkeit. Die patriotischen Männer-Dichter-Bünde zogen sich in die Konspiration zurück und schworen ihre Treue der versklavten Nation, welche in Gestalt der angeketteten Polonia symbolisiert wurde.127
124 Vgl. PADRAIC KENNEY, The gender of resistance in communist Poland, in: The American Historical Review, H. 104, 1999, S. 399–425. 125 Vgl. ELŻBIETA OSTROWSKA, Matki Polki i ich synowie. Kilka uwag o genezie obrazów kobiecości i męskości w kulturze polskiej [Mütter Polinnen und ihre Söhne. Einige Anmerkungen zur Genese der Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder in der polnischen Kultur], in: RADKIEWICZ, MAŁGORZATA (Hrsg.), Gender. Konteksty. Gender. Kontexte, Kraków, 2004, S. 215–227, hier S. 217–218. Zu den Konstruktionen der Männlichkeit und Weiblichkeit in Verbindung mit der Tradition der Aufstände während der Dreiteilung Polens vgl. auch CLAUDIA KRAFT, From Noble Knights to Polish Warriors? Reconfigurations of Masculinities and Femininities in Polish Revolutionary Warfare and During the Times of Partition, in: Rocznik Antropologii Historii, 7, H. 2, 2014, 17-35. 126 Vgl. OSTROWSKA, Matki Polki i…, a.a.O., S. 217–218. Ostrowska bezieht sich hier auf die Anthologie: ANDREW PARKER (HRSG.), Nationalisms & sexualities, New York, 1992. 127 Vgl. MARIA JANION, Niesamowita Słowiańszczyzna. Fantazmaty literatury [Das unheimliche Slawentum. Phantasmen der Literatur], Warszawa, 2006; OSTROWSKA, Matki Polki i…, a.a.O.
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Nicht ohne Bedeutung für die Hervorhebung der Mutterrolle im Marienkult und die Steigerung des Mutterethos war die Amtszeit von Papst Johannes Paul II. Er bezog sich in seinen Texten auf die polnische Volkstümlichkeit mit ihrem Marienkult, insbesondere in seiner Enzyklika Redemptoris Mater, die laut N.C. Napiórkowski als eine „Apologie des Volkskatholizismus“ 128 gesehen werden kann. Der „polnische“ Papst war durch den heimischen Marienkult stark geprägt, insbesondere seine Hervorhebung der Mutterrolle steht in der Tradition der Marienfrömmigkeit Kardinal Wyszyńskis. 129 Johannes Pauls II. Vorstellungen über Weiblichkeit und über Maria, die er als den „‚neue[n] Anfang‘ der Würde und Berufung der Frau“130 und als das „biblische Urbild der ‚Frau‘“131 mit ihrem Höhepunkt „in der Mutterschaft der Gottesmutter“132 sah, prägten seine bereits dargestellte Idee des neuen Feminismus und sein Konzept des Genius der Frau entscheidend mit. Laut Birgit Schneider wiederholt er dadurch biblische Mythen der Weiblichkeit, ohne dabei den Wünschen der Frauen von heute gerecht zu werden.133 Die geschichtliche Prägung der Interpretationen über die Mutterschaft Marias werden ausgeblendet, sie werden vom Papst zur wahren Grundlage seiner „ethischen Sollensforderungen“ an Frauen.134 Dass die Mutterschaft Marias im Diskurs der katholischen Kirche in Polen immer noch als Vorbild in der Fokussierung der Mutter-Rolle auf die Selbstaufgabe dient, zeigt ein Beispiel aus dem Frühjahr 2014. Mit seinem Artikel unter dem Titel „Maria, die Mutter von Gender“ wagte Alfred Wierzbicki, ein Priester und Professor der Theologie an der Katholischen Universität Lublin, eine andere Interpretation der Mutterschaft Marias.135 Dieser Lesart nach ist Maria Mutter des
128 NAPIÓRKOWSKI, Matka naszego pana…, a.a.O., S. 176. 129 Vgl. O Maryi nigdy dość, ale poprawnie. Z o. Stanisławem Celestynem Napiórkowskim rozmawiają Elżbieta Adamiak i Monika Waluś [Über Maria niemals genug, aber richtig. Mit dem Priester Stanisław Celestyn Napiórkowski sprechen Elżbieta Adamiak und Monika Waluś], in: NOSOWSKI, ZBIGNIEW (Hrsg.), Dzieci Soboru zadają pytania. Rozmowy o Soborze Watykańskim II, Warszawa, 1996, S. 91–112. 130 JOHANNES PAUL II., Apostolisches Schreiben Mulieris…, a.a.O., S. 30. 131 Ebd., S. 45. 132 Ebd. 133 Vgl. SCHNEIDER, „Wer Gott dient…, a.a.O. 134 Ebd., S. 159. 135 Vgl. ALFRED WIERZBICKI, Maryja, matka gender [Maria, Mutter von Gender], 2014, http://wyborcza.pl/magazyn/1,137067,15585759,Maryja__matka_gender.html gerufen am 13.11.2016).
(ab-
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Genders, weil sie mit ihrer damals unerklärbaren Schwangerschaft Mut gezeigt und sich über die gängigen Geschlechtervorstellungen hinweggesetzt habe. Eine Verbindung Marias mit dem Wort Gender, und das während der bereits vorgestellten Anti-Gender-Kampagne, wirkte wie eine Provokation. So widersprach bald ein anderer Priester in seiner Replik, dass Maria keinesfalls Mutter von Gender sei, da sie durch ihre Mutterrolle die essentielle Rolle einer Frau erfülle und somit den katholischen Weiblichkeitsvorstellungen entspräche.136 Ein anderes Phänomen der polnischen katholischen Kirche, das ihre Bindung an Marias Bild als demütige Mutter verdeutlicht, ist ein besonderer Dienst der Mädchen im Gottesdienst. Es handelt sich hier nicht um die Funktion einer Messdienerin, die theoretisch seit 1994 den Mädchen offensteht, in Polen jedoch, wie ich noch zeigen werde, praktisch aufgrund der Ablehnung seitens der Diözesenbischöfe kaum ausgeübt wird. Die katholische Kirche in Polen entwickelte stattdessen 1982 eine Alternative für interessierte Mädchen im Alter von neun bis sechzehn Jahren – einen explizit an die Marienfigur angelehnten Mädchenmariendienst (Dziewczęca Służba Maryjna, auch Bielanki genannt). Durch diesen Dienst sollen polnische Mädchen „das richtige Idealbild eines Mädchens und einer christlichen Frau“137 sowie ihr Ziel des Dienstes nach dem Vorbild Marias – dem „immer aktuellen Ideal des Dienstes“138 – entdecken und lernen. Sie sollen „vorbildlich ihre Pflichten als Töchter und Schwester erfüllen“139, um dadurch für ihre zukünftige Rolle als „gute Ehefrauen und christliche Mütter“ 140 vorbereitet zu werden. Zudem sollen sie durch ihre festlichen Kleider, Schärpen sowie „Blumenblütenwerfen“ die kirchlichen Festtage „veredeln“.141 Somit werden junge Katholikinnen nach dem spezifisch polnischen Marienbild geformt und mit Verweis auf ihre besondere Rolle von ihnen offenstehenden Funktionen ausgeschlossen – mit dem Mädchenmariendienst wird die Messdienerschaft weiterhin nur den Jungen vorbehalten.
136 Vgl. ebd. Zur Replik Vgl. JANUSZ KRÓLIKOWSKI, Maryja nie jest matką gender! [Maria ist keine Mutter von Gender!], 2014, www.niedziela.pl/artykul/111264/nd/ Maryja-nie-jest-matka-gender (abgerufen am 14.11.2016). 137 ZYGMUNT BOCHENEK, SALEZJA KARDAS, Dziewczęca Służba Maryjna. Koncepcja 7-letniej formacji w duchu maryjnym oraz konspekty spotkań na pierwszy rok pracy [Der Mädchen-Mariendienst. Das Konzept einer 7-jährigen Formation im Mariengeist und Entwürfe für Treffen im ersten Arbeitsjahr], Tarnów, 2000, S. 16. 138 Ebd. 139 Ebd., S. 17–18. 140 Ebd. 141 Vgl. http://parafiawidok.pl/sluzba-oltarza (abgerufen am 14.06.2015).
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Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die katholische Kirche in Polen die Doppeldeutigkeit Marias als Spezifikum des polnischen Marienkultes iteriert, wobei die starke Seite Marias der hetmanka der Kirche dient, z.B. zur Manifestation ihrer Überlegenheit während der Milleniumsfeierlichkeiten. Den polnischen Frauen hingegen wird Marias opferbereite Mütterlichkeit als Vorbild vorgehalten. Es entsteht an dieser Stelle die Frage, wie Maria durch polnische Frauen und insbesondere katholische (Frauen-)Organisationen wiederholt wird – ob sie der offiziellen katholischen Lehre folgen und Maria als Vorbild der Mutterschaft sehen oder ob sie ebenfalls die Stärke Marias für sich entdecken.
7.4 MARIA IM DISKURS DER KATHOLISCHEN (FRAUEN-)ORGANISATIONEN IN POLEN „Wir anvertrauen Deiner Fürsorge, Schwarze Madonna und unsere Königin – unsere Heimat Polen. Wir anvertrauen Dir Mutter ebenfalls, den Polnischen Verband Katholischer Frauen, alle seine Filialen, Initiativen, Aktionen, Taten, bei denen wir bestrebt sind, dass sie der katholischen sozialen Lehre entsprechen und Gott und den Menschen gut dienen. Wir anvertrauen Dir, Mutter, sich selbst und jede Mitgliedsfrau des Verbandes Katholischer Frauen, alle unsere Angelegenheiten und sowohl unsere heutigen als auch zukünftigen Tätigkeiten. Wir geben Dir unsere Leiden, Schwierigkeiten, Krankheiten, Traurigkeit, aber auch unsere Freuden und Erfolge ab.“142
Mit diesen Worten begaben sich Frauen aus dem PZKK 2011 unter den Schutz Marias: Es ist ein Ritual, welches alljährlich während der vom PZKK und der Frauenseelsorge organisierten Pilgerfahrten von Frauen nach Częstochowa stattfindet. Die katholischen (Frauen-)Organisationen beziehen sich in ihrem Diskurs vermehrt auf die Figur Marias, sie folgen dabei dem offiziellen Diskurs der katholischen Kirche in Polen, insbesondere der Marienlehre von Kardinal Wyszyński und Papst Johannes Pauls II. In der Rhetorik der katholischen (Frauen-)Organisationen ist ebenfalls die bereits dargestellte Doppeldeutigkeit der Figur Maria als mächtige Königin und sanfte Mutter erkennbar. Diese Argumentation schreibt die nationale Mythologie fort. In dieser Argumentation soll die polnische Nation weiterhin verteidigt werden, diesmal hingegen gegen die „Zivilisation des Todes“, der
142 POLSKI ZWIĄZEK KOBIET KATOLICKICH, Matko pomnażaj w nas wiarę. Akt oddania się Matce Bożej [Mutter, vermehre den Glauben in uns. Akt der Hingabe an die Mutter Gottes], in: List do Pani, 12/1 (200), 2011 - 2012, S. 5.
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der alte Feminismus und die sogenannte „Gender-Ideologie“ zugeschrieben werden. Maria wird in diesem Kontext zur Abtreibungsgegnerin, Anti-Feministin oder Anti-Genderistin. Sie bleibt ein weibliches Vorbild und insbesondere eine Ikone des bereits dargestellten kirchlichen neuen Feminismus. Die Organisation Amicta Sole bestimmte Maria zu ihrer Patronin. Der Name Amicta Sole bedeutet „mit der Sonne bekleidet“, der der Offenbarung des Johannes aus dem Neuen Testament (Offb 12,1) entstammt. Die stellvertretende Vorsitzende des Vereins Alina Petrowa-Wasilewicz sagte über die Wahl der Patronin: „Wir nahmen Maria, die apokalyptische, mit der Sonne bekleidete Frau, zur Patronin, Maria, die unter Anerkennung ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter das größte Werk zugunsten aller Menschen vollbracht hat.“143 Obwohl Petrowa-Wasilewicz betont, dass es sich bei Maria um eine „Siegesgestalt“144 handle, ist es gleichzeitig bemerkenswert, dass sie insbesondere ihre Rolle als Mutter und Ehefrau hervorhebt. Maria funktioniert im Diskurs der katholischen Frauenorganisationen als Element der national-katholischen Verschmelzung, sie wird kaum als Mutter der Kirche(wie Maria z.B. 1964 durch Papst Paul VI. bezeichnet wurde),145 sondern vielmehr als Mutter Polens geehrt. Sie ist dabei mit einem anderen national-katholischen Mythos der Weiblichkeit – der Mutter Polin – verwoben: „Die Geschichte Polens beinhaltet Erzählungen über viele großartige Polinnen, die, ihre Blicke an Maria haftend, ihre Leben heldenhaft durch ihren Dienst an Gott, an der Heimat und der Familie erfüllten. In der Vergangenheit aller unserer Familien existieren Frauen, vor denen wir nach Jahrhunderten voll Ehrerbietung unsere Köpfe verneigen. In diesen Frauen zeigte sich dieser ‚Genius der Frau‘, von dem Johannes Paul II. sprach, wünschend, dass der Geist niemals in Polen fehlen möge. Mögen Frauen diesen Geist in sich finden, für die Ehre Gottes und für das Wohl Polens.“146
143 MILENA KINDZIUK, Geniusz współczesnej kobiety. Amicta Sole [Der Genius der Frau von heute. Amicta Sole], in: Niedziela Ogólnopolska 04/2009, 2009, H. 4, S. 27. 144 Ebd. 145 Vgl. GÜNTHER WASSILOWSKY (HRSG.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils, Mainz, 2006, S. 521. 146 MARIA WILCZEK, Macierzyństwo istotą powołania kobiety. Wykład wygłoszony na Międzynarodowym Kongresie „O godność macierzyństwa“ [Die Mutterschaft als das Wesen der Berufung der Frau. Das Referat, welches auf dem Internationalen Kongress „Über die Würde der Mutterschaft“ gehalten wurde], in: List do Pani, 7/8/58, 1998, S. 8–11, hier S. 11.
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Mit diesen Worten ehrte die damalige Vorsitzende des PZKK Maria Wilczek 1998 die „großartigen Polinnen“ und ihre heldenhaften Taten für die polnische Heimat, die in ihrem erzieherischen Dienst in den Familien bestanden. Einige Jahre später erinnerte sie an die Pflichten der „das christliche Antlitz ihrer Familien“147 gestaltenden Frauen, die in der Pflicht seien, dem Kind sowohl Familie als auch Heimat zu bieten. Dabei sollten sie sich dem Beispiel der Vorgängerinnen anschließen und religiöse sowie patriotische Traditionen in ihren Familien weitergeben. 148 Alina Petrowa-Wasilewicz bedauerte 2001, dass die Wortbildung Mutter Polin immer mehr eine ironische Konnotation bekomme und nicht mehr attraktiv für junge Frauen sei, während die Erziehung neuer Generation fortschreitend über die Medien erfolge. Sie warnte, dass dadurch: „während der Lebensdauer von nur einer Generation Polen fast vollständig sein christliches Antlitz verlieren kann und die das Fernsehen anstarrende Gesellschaft es nicht mal merken wird.“149 In den Beiträgen im List do Pani wird die Sehnsucht nach der weiblichen Figur der Mutter Polin sehr deutlich, und ist von der Aufforderung begleitet, diese aus dem gesellschaftlichen Diskurs nicht verschwinden zu lassen.
147 DERS., Kobieta kształtująca chrześcijańskie oblicze rodziny [Die Frau als Gestalterin des christlichen Antlitzes der Familie], in: List do Pani, 11 (118), 2003, S. 14–16, hier S. 14. 148 Vgl. ebd. In List do Pani erscheinen regelmäßig Beiträge, die an große Vorgängerinnen und Hüterinnen der national-religiösen Traditionen erinnern und diese als Nachahmungsvorbilder hervorheben, z.B. EWA JABŁOŃSKA-DEPTUŁA, Kobieta czasu rozbiorów (1) [Frau in der Teilungszeit (1)], in: List do Pani, 6/37, 1996, S. 6–7; EWA JABŁOŃSKA-DEPTUŁA, Jak dawniej dzieci chowano, czyli o rodzinach prawdziwie polskich [Wie früher Kinder erzogen wurden oder über wahrhaft polnische Familien], in: List do Pani, 11 (107), 2002, S. 12–13; EWA JABŁOŃSKA-DEPTUŁA, Wychowanie u kolan matki [Erziehung vor den Knien der Mutter], in: List do Pani, 12/01 (108/109), Dezember 20022003, S. 13; EWA POLAK, Rodzina a sprawa polska [Familie und die polnische Frage], in: List do Pani, 1 (12), 1994, S. 4; ZOFIA SOKÓŁ, Wspominając dawne domy [In Erinnerung an frühere Häuser], in: List do Pani, 12/23, 1995, S. 12; ALICJA SZUBERT-OLSZEWSKA, Polska rodzina na obrazach [Polnische Familie auf den Bildern], in: List do Pani, 12/01 (108/109), 2002/2003, S. 30–31; MARIA WILCZEK, Przesłanie z przeszłości [Eine Botschaft aus der Vergangenheit], in: List do Pani, H. 3, 1993, S. 3; MARIA WILCZEK, Uczmy się od naszych antenatek [Lasst uns von unseren Vorgängerinnen lernen], in: List do Pani, 6/37, 1996, S. 5. 149 ALINA PETROWA-WASILEWICZ, Kobieta narzędziem dechrystianizacji [Die Frau als Werkzeug der Dechristianisierung], in: List do Pani, 12/1 (96/97), 2001, S. 16–17, hier S. 16.
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Der Mythos der Mutter Polin wird hier in seiner national-katholischen Ausprägung gesehen, die sich im 19. Jahrhundert verfestigte in Zeiten der (Post-) Romantik, nationaler Aufstände und des Messianismus, der die polnische Nation zum Christus der Völker ernannte.150 Maria Janion schreibt zum Thema des polnischen Messianismus: „Zur Leibnizschen Theodizee gibt es eine spezielle Variante. Die polnische nationale Theodizee. Es handelt sich hier um eine echte polnische Spezialität: die Rechtfertigung Gottes in der bösen, vor Unglück und Verfolgung strotzenden Geschichte Polens. Zum Ausweg, den man in dieser Situation beschritt, wurde der Messianismus. Wenn Polen besonderen Leiden und Kränkungen ausgesetzt war, wenn es in ungewöhnlicher Weise vom Bösen bedrängt wurde, so deshalb, weil Gott es als Opfer ausersehen hatte – für andere, sündhafte Völker. So konnte Polen zum ‚Christus der Völker‘ erklärt werden. Überaus verständlich wird dann die Angelisierung Polens, die ganz auffällig ist vor dem Hintergrund anderer, sündhafter und böser Völker, insbesondere der Russen und Deutschen.“151
Der Historiker Norman Davies spricht vom Messianismus als „Religion des Patriotismus“.152 Im Europa des 19. Jahrhunderts konnte das geteilte Polen seinen Patriotismus nur im Untergrund ausleben, somit entwickelte sich eine besondere Mystik des Patriotismus, der dadurch eine religiöse (jedoch nicht unbedingt katholische) Dimension erhielt.153 Laut Davies lasse sich diese religiös-philosophische Strömung gar als Sekte bezeichnen, da die größten Messianisten der polnischen Romantik, die Dichter Adam Mickiewicz und Juliusz Słowacki, aus der katholischen Kirche ausgetreten sind.154 In dieser Zeit des Messianismus entstanden
150 Vgl. STAŚKIEWICZ, Von der ‚Złota…, a.a.O. 151 MARIA JANION, Der „polnische“ und der „deutsche“ Teufel, in: KOBYLIŃSKA, EWA; LAWATY, ANDREAS; STEPHAN, RÜDIGER (Hrsg.), Deutsche und Polen. 100 Schlüsselbegriffe, München, 1992, S. 169–179, hier S. 171. 152 NORMAN DAVIES, Im Herzen Europas. Geschichte Polens, München, 2000, S. 244. 153 Die Idee des Messianismus ist auch aktuell populär, wie Maria Janion am Beispiel des „Pop-Messianismus“ nach der Flugzeugkatastrophe bei Smoleńsk 2010 erklärt; so werde behauptet, Polen sei immer noch versklavt, vgl. MARIA JANION, KAZIMIERA SZCZUKA, Transe, traumy, transgresje. 1. Niedobre dziecię [Trance, Trauma, Transgression. 1. Schlechtes Kind], Warszawa, 2012, S. 113. 154 Vgl. DAVIES, Im Herzen Europas…, a.a.O., S. 246. Adam Mickiewicz zeigte in seinem Traktat „Über den Messianismus“, welches auf der zaristischen Index stand, seine starke Abneigung gegenüber der Amtskirche und insbesondere des Vatikans.
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mütterliche Frauenfiguren, welche sich als Vorbilder kanonisierten. Zum einen die Mutter Polin als heroisches Frauenvorbild für Polinnen schlechthin, deren Aufgabe die Aufopferung für die Heimat und die patriotische Erziehung ihrer Kinder, insbesondere der Söhne war.155 So rief der polnische Nationaldichter Adam Mickiewicz die polnischen Frauen 1830 in seinem Gedicht An die Mutter Polin zur Vorbereitung ihrer „Knaben“ auf den Heldentod für ihr Land auf.156 Zum anderen gab es Polonia, die symbolische Darstellung der Nation. Sie hatte eine ähnliche Aufgabe wie die Mutter Polin: Sie verkörperte die trauernde, angekettete, aber auch grausame, von ihren Kindern opferfordernde Mutter.157 In der Zeit der polnischen Dreiteilung wurden Mutter Polin und Polonia mit Aufopferung und Heroismus assoziiert, obwohl gleichzeitig die familiären Züge dieser Figuren, im Zuge der Politisierung des Privaten, durchaus an Bedeutung gewannen.158
Dem Vatikan waren gute Beziehungen mit den Teilungsmächten von großer Bedeutung. Polnische Unabhängigkeitsbestrebungen wurden nicht unterstützt, sondern verurteilt, wie im Falle der Exkommunikation der Aufständischen vom November 1831 durch Papst Gregor XVI. Vgl. ebd., S. 307. Die starke Verbindung zur katholischen Kirche fand in der polnischen Gesellschaft daher auf den unteren kirchlichen Stufen mit dem lokalen Klerus statt, der der offiziellen Amtskirche nicht folgte und sich dadurch politischen Repressionen aussetzte, z.B. die Verbannung nach Sibirien von politisch aktiven Priestern, Vgl. ebd., S. 307–308. 155 Vgl. CHOŁUJ, Matka Polka i…, a.a.O; CHOŁUJ, Mutter Polin nach…, a.a.O; WALCZEWSKA, Damy,
rycerze i…, a.a.O.
156 ADAM MICKIEWICZ, An die Mutter Polin, in: MICKIEWICZ, ADAM; DEDECIUS, KARL (Hrsg.), Dichtung und Prosa. Ein Lesebuch, Frankfurt am Main, 1995, S. 256–257. 157 Vgl. MARIA JANION, Pożegnanie z Polską. Jeszcze Polska nie umarła [Abschied von Polen. Noch ist Polen nicht verloren], in: Krytyka Polityczna, H. 6, 2004, S. 140–151. 158 Vgl. BIANKA PIETROW-ENNKER, Tradycje szlacheckie a dążenia emancypacyjne kobiet w społeczeństwie polskim w dobie rozbiorów [Die Adelstraditionen und Emanzipationsbestrebungen der Frauen in der polnischen Gesellschaft der Teilungszeit], in: ŻARNOWSKA, ANNA; SZWARC, ANDRZEJ (Hrsg.), Kobieta i edukacja na ziemiach polskich w XIX i XX wieku, Warszawa, 1995, S. 9–24; TITKOW, Frauen unter Druck?, in: KOSCHMAL, WALTER (Hrsg.), Die Frau in, a.a.O. Die Politisierung des Privaten, die Familien zu einer „Ersatzöffentlichkeit“ machte, hielt in den Ländern Mittelosteuropas auch in Zeiten des Staatssozialismus an, vgl. CLAUDIA KRAFT, Geschlecht als Kategorie zur Erforschung der Geschichte des Staatssozialismus, in: KRAFT, CLAUDIA (Hrsg.), Geschlechterbeziehungen in Ostmitteleuropa nach dem
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Elżbieta Ostrowska bezeichnet die Mutter Polin als ein sich aus drei Aspekten zusammensetzendes „Phantasma der Weiblichkeit“: Erstens aus der Verbindung der idealisierten Mutter Gottes und der leidenden (Schmerzens-)Mutter des polnischen Marienkults, zweitens aus der weiblichen Vorstellung der Heimat in Gestalt der Polonia und drittens aus der kollektiven Erfahrungen der Polinnen sowie den an sie gerichteten Erwartungen. 159 Basierend auf Roland Barthes spricht Ostrowska vom Mythos der Mutter Polin als einem „leeren Zeichen“, bei dem das signifiant stabil bleibt, das signifé hingegen auswechselbar, zeit- und diskursabhängig sei.160 Maria als ein Bestandteil des Mythos der Mutter Polin macht dessen religiöse Dimension aus. Die katholischen (Frauen-)Organisationen beziehen sich in ihren Stellungnahmen immer wieder auf die Konstruktion Maria – Mutter Polin. In dieser Verbindung wird nämlich die Begründung für den vermeintlichen Respekt gesehen, der den Polinnen gesellschaftlich gezollt werde.161 Es ist dabei interessant, dass Maria – Mutter Polin im Diskurs der katholischen (Frauen-)Organisationen genauso doppeldeutig ist wie die Mutter Gottes im polnischen Marienkult – heroische Verteidigerin der Nation und gleichzeitig sanfte Mutter: Polinnen sollen einerseits ihre Nation vor der „Zivilisation des Todes“ retten und gleichzeitig ihrer Berufung und ihrem „Genius“ der Mutterschaft folgen. 7.4.1 Mit pro-life Maria gegen die „Zivilisation des Todes“ „Wir rufen euch zu einem Frauenkreuzzug zum Schutz des Lebens der Nation auf, damit die Nation im heiligen Segen lebt und die Aufgaben erfüllt, welche Gott ihr aufgezeigt hat, als er euch als diejenigen bestimmte, welche, Marias Beispiel folgend, den Kopf der Schlange zertreten sollen, überall dort, wo die Schlange darauf lauert, in das Leben eurer ungeborenen Kinder und das gesegnete Leben in euren Seelen und Familien einzubrechen.“162
Zweiten Weltkrieg. Soziale Praxis und Konstruktionen von Geschlechterbildern: Vorträge der Tagung des Collegium Carolinum in Bad Wiessee vom 17. bis 20. November 2005, München, 2008, S. 1–21, hier S. 9. 159 OSTROWSKA, Matki Polki i…, a.a.O. 160 OSTROWSKA, Matki Polki i…, a.a.O., S. 215; vgl. dazu auch STAŚKIEWICZ, Von der ‚Złota…, a.a.O. 161 Vgl. JANINA MICHALSKA, Kobiety w nowym dziele ewangelizacji. Tych dwoje ewangelizacja relacji między kobietą i mężczyzną [Frauen im Werk der neuen Evangelisierung. Die Beiden – Evangelisierung der Beziehungen zwischen Frau und Mann], in: List do Pani, H. 11, 1993, S. 2; ZDYBICKA, Czy Polsce zagraża…, a.a.O. 162 WYSZYŃSKI, Kobieta w Polsce…, a.a.O., S. 142.
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Diese Worte sprach Kardinal Wyszyński 1957 während der Großen Novene zu den in Częstochowa versammelten Frauen. Indem er die Polinnen zur Verteidigung des „Lebens der Nation“ und ihrer „ungeborenen Kinder“ ermahnte, nutzte er Maria als Bestandteil des Mythos der Mutter Polin, der Maria wie erwähnt nicht nur als religiöse Figur behandelt, sondern sie mit der nationalen Frage verknüpft. Weiter rief er Frauen auf, „unter der Siegesfahne Marias und mit dem Gelöbnis von Częstochowa auf den Lippen am Kreuzzug für das Leben, Nüchternheit und Frieden, für Fleiß, Recht und Ordnung der Nation, der Familie und der Gotteskirche“163 teilzunehmen. Maria wird hier zur Anführerin eines Kreuzzuges der Polinnen. In militaristischer Sprache zeichnet Wyszyński das Bild einer großen Bedrohung der polnischen Nation, die ihm nach in Unmoral versinke. Wyszyński sagte 1978, lediglich die Frauen könnten ihre Heimat retten, von ihrer „Wachsamkeit und Sensibilität“164 hänge es ab, ob die Nation christlich bleibe. Das Heldentum der Frauen sieht er insbesondere in ihrer Mutterrolle, er erinnert die Polinnen daran, dass nur heldenhafte Mütter große Söhne haben könnten, ohne sie würde es keine berühmten Könige, Feldherren, Ritter, Künstler sowie „Helden in Bischofsmützen und Soutanen“165 geben. Bei meiner Analyse der Monatszeitschrift List do Pani fällt auf, dass dieser Aufruf Kardinal Wyszyńskis beim PZKK weiterhin gültig ist. Frauen werden in der Zeitschrift als Hüterinnen der national-religiösen Traditionen beschrieben, die die Aufgaben ihrer Vorgängerinnen fortzusetzen und den Glauben und Patriotismus an ihre Kinder weiterzugeben haben.166 Insbesondere aber wird eine Polin als „Verteidigerin des Lebens“ normiert: „Sie verteidigt das Leben in allen seinen Dimensionen – biologisch und geistig. Sie schafft Bedingungen, damit sich das Leben prächtig entwickeln kann – sowohl das Leben der Gemeinschaft als auch das Leben jedes [Hervorhebung im Original] seiner Mitglieder. Sie erwartet mit Freude Empfängnis jedes Kindes und nimmt bereits in der pränatalen Phase einen tiefen emotionalen Kontakt zu ihm auf.“167
163 Ebd. 164 Ebd., S. 153. 165 Ebd., S. 146. 166 Vgl. WILCZEK, Kobieta kształtująca chrześcijańskie…, a.a.O., S. 14. 167 Ebd., S. 15.
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Als Patronin des Kreuzzuges für das Leben gilt weiterhin Maria, die in ihrer Rolle als Mutter hervorgehoben wird. Auf diese berufen sich Frauen von der PZKK immer wieder, wie z.B. 1993 während der politischen Auseinandersetzungen um das neue Abtreibungsgesetz: „Das Schöpfungswunder wiederholt sich immer wieder im Mutterleib aller Frauen. Was ist mit der Menschheit passiert, dass man dieses Wunder als eine Bedrohung und als Beeinträchtigung der menschlichen Freiheit betrachtet? Wir müssen andauernd Maria fragen, […] wie wir beten und leben sollen, damit die Mutterschaft des Menschen – ein großes Geschenk Gottes, nicht zertreten und weggeworfen wird.“168
Der PZKK und das FKP greifen in ihrem pro-life-Diskurs auf die Elemente der polnischen Marienfrömmigkeit zurück, wie den Akt der Übergabe für Maria, die Wanderschaft des Marienbildes sowie auf dessen Krönungen bzw. Schmückung. Sie stünden hier in der Tradition national-konservativer Frauenorganisationen der Zwischenkriegszeit, auf deren Geschichte sie sich berufen. So erinnerte der PZKK 1996 an den 70. Jahrestag des „Votums der Frauen“ von 1926 und bezeichnete dieses Votum auch als Votum „polnischer Frauen“, ohne zu konkretisieren, um welche Frauenorganisationen es sich hier handelt.169 Ähnlich allgemein gehalten ist eine Notiz in der Monatszeitschrift „Jasna Góra“ von 1989, laut der im Mai 1921 Frauen aus „allen polnischen Frauenorganisationen“170 während ihrer Pilgerfahrt nach Częstochowa einen Akt der Dankbarkeit von polnischen Frauen für den Sieg gegen die Rote Armee bei Warschau im August 1920 initiierten. Die Idee dieses Aktes wurde 1926 durch Eleonora Czarnowska (in den 1930er Jahren Vorsitzende der Organisationen der Vereinten Gutsbesitzerinnen (Stowarzyszenie
168 EWA POLAK, Nadzieja żywych [Die Hoffnung der Lebenden], in: List do Pani, H. 4, 1993, S. 1. 169 Vgl. POLSKI ZWIĄZEK KOBIET KATOLICKICH, Rok 1996 – to czas wielkich rocznic [Jahr 1996 – Zeit großer Jubiläen], in: List do Pani, 4/35, 1996, S. 7; MARIA STARZYŃSKA,
Pierwsze wotum kobiet polskich [Das erste Votum polnischer Frauen], in:
List do Pani, 5/36, 1996, S. 4–5. 170 JÓZEF PŁATEK, Insygnia Królowej Polski z 1926 r. – wotum kobiet polskich [Insignien der Königin von Polen von 1926 – das Votum polnischer Frauen], in: Jasna Góra, VII, 5(67), 1989, S. 3–11. Es handelt sich hier um eine sehr allgemein verfasste Beschreibung, leider fehlen hier die konkreten Benennungen der beteiligten Organisationen.
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Zjednoczonych Ziemianek)171 aufgegriffen, die ein Organisationskomitee gründete. Nach einer Spendenaktion wurden „königliche Insignien“ für Maria hergestellt – Zepter und Königsapfel – und 1926 feierlich in Częstochowa übergeben. 172 Während der Zeremonie der Insignienübergabe wurde eine Resolution der nationalistisch-katholischen Frauenorganisation Nationale Frauenorganisation (Narodowa Organizacja Kobiet)173 verabschiedet, mit einer eindeutig politischen Botschaft: „Wir schwören, der Heimat treu zu dienen, sich mit jeder Kraft allen Anschlägen gegen ihre Ganzheit und Unabhängigkeit zu widersetzen, sowohl äußeren Feinden Polens, als auch jenen, die im Inneren des Landes umstürzlerische Parolen säen... Wir schwören und beschließen, dass wir bei allen Wahlen die Macht nur in die Hände derjenigen Menschen legen, die in der Vergangenheit ihre Uneigennützigkeit im bürgerlichen Dienst für die Heimat, ehrliche und gewissenhafte Arbeit, mutigen Widerstand gegen den Klassenhass und
171 Es handelte sich hier um 1906 entstandene Frauenorganisationen, meist der Gutsbesitzerinnen, die sich als Repräsentantinnen der Interessen von Landfrauen (auch der Bäuerinnen) verstanden. Sie lehnten sich an die Lehre der katholischen Kirche an, arbeiteten mit der Katholischen Aktion zusammen und waren politisch den konservativen Parteien, auch der nationalistisch-konservativen Partei Nationale Demokratie nah. Vgl. EWELINA M. KOSTRZEWSKA, Stowarzyszenie Zjednoczonych Ziemianek w dwudziestoleciu międzywojennym [Die Gesellschaft der Vereinigten Grundbesitzerinnen zwischen den Weltkriegen], in: JANIAK-JASIŃSKA, AGNIESZKA; SIERAKOWSKA, KATARZYNA; SZWARC, ANDRZEJ
(Hrsg.), Działaczki społeczne, feministki,
obywatelki… Samoorganizowanie się kobiet na ziemiach polskich po 1918 roku (na tle porównawczym), Warszawa, 2009, S. 117–132. 172 Vgl. PŁATEK, Insygnia Królowej Polski…, a.a.O. Das Zepter wurde mit der Inschrift „Mutter, Königin von Polen! Wir polnische Frauen, übergeben Dir dieses Zepter als Symbol Deiner Macht! Regiere uns!“ versehen. 173 Eine mit der nationalistisch-konservativen Bewegung Narodowa Demokracja (Nationale Demokratie) verbundene Frauenorganisation mit katholischer Ausrichtung aus den Jahren 1919-1939, vgl. ROBERT KOTOWSKI, Między polityką a działalnością społeczną – Narodowa Organizacja Kobiet w dwudziestoleciu międzywojennym [Zwischen Politik und gesellschaftlicher Aktivität – Nationale Frauenorganisation zwischen den Weltkriegen], in: JANIAK-JASIŃSKA, AGNIESZKA; SIERAKOWSKA, KATARZYNA;
SZWARC, ANDRZEJ (Hrsg.), Działaczki społeczne, feministki, obywa-
telki… Samoorganizowanie się kobiet na ziemiach polskich po 1918 roku (na tle porównawczym), Warszawa, 2009, S. 275–286.
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alle umstürzlerischen Taten, die dem polnischen Staat und Nation schaden, bewiesen haben.“174
Das waren nicht die letzten Gaben von „polnischen Frauen“ an die Maria von Częstochowa, denn 1982 initiierte die Kommission der polnischen Bischofskonferenz zur Frauenseelsorge anlässlich des 600. Jahrestages der Gründung des Sanktuariums in Jasna Góra eine neue Aktion. Polnische Frauen wurden in allen katholischen Gemeinden zu einer Spendenaktion aufgerufen, um Maria den Kelch „des Lebens und der Umwandlung“175 darreichen zu können. Die Bischofskonferenz entschied, dass aus den gesammelten Spenden zehn Prozent für den Kelch und die Monstranz für Jasna Góra angewendet werden und das restliche Geld an die Gemeinden zurückfließen solle, um dort Initiativen „zur Unterstützung und den Schutz des Lebens“176 zu ermöglichen. Die feierliche Übergabe des Kelchs als „Zeichen des moralischen Sieges der Nation“177 fand am 2. Mai 1982 statt. Janina Michalska (Sekretärin der Kommission zur Frauenseelsorge und spätere Mitgliedsfrau des PZKK) händigte ihn stellvertretend für die polnischen Frauen an Primas Józef Glemp aus und erklärte dabei, jedes „empfangene Leben“178 willkommen zu heißen. Eine noch deutlichere pro-life-Botschaft beinhaltete ein weiteres Geschenk von Frauen, welches 1987 Johannes Paul II. überreicht wurde. Es handelte sich hier um eine „Monstranz des Lebens“ für das Kloster in Jasna Góra in Gestalt eines Frauenmutterleibes.179 Mit dieser Monstranz wurde Ostern 2009 das symbolische Grab Christi als Zeichen des Schutzes des Lebens und zur Erinnerung daran, dass auch „Jesus ein Embryo war“180, geschmückt. Das Motiv der pro-life-Maria wiederholte sich ebenfalls während einer unter anderem von Ewa Kowalewska (FKP und Human Life International) „zum Schutz des Lebens“ initiierten Von-Ozean-zu-Ozean-Wanderschaft einer Kopie der
174 PŁATEK, Insygnia Królowej Polski…, a.a.O., S. 10–11. 175 KATOLICKA AGENCJA INFORMACYJNA KAI, Jasna Góra: 25. rocznica złożenia przez kobiety Kielicha Życia i Przemiany [Jasna Góra: 25. Jahrestag der Gabe des Kelches des Lebens und des Wandels von Frauen], 2007, http://system.ekai.pl/kair/ ?screen=depesza&_scr_depesza_id_depeszy=377824 (abgerufen am 12.10.2015). 176 Ebd. 177 Ebd. 178 Ebd. 179 Vgl. EKAI.PL, Jasna Góra: Grób Pański z Monstrancją Życia [Jasna Góra: Das Herrengrab mit der Monstranz des Lebens], 2009, http://ekai.pl/wydarzenia/polska/ x19311/jasna-gora-grob-panski-z-monstrancja-zycia/ (abgerufen am 16.10.2016). 180 Ebd.
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Schwarzen Madonna von Częstochowa.181 Die Wanderschaft begann im Mai 2012 und umfasste 23 Länder von Russland bis nach Mexiko.182 Die Kopie des Bildes wanderte mit „Gebets“-Zwischenstationen u.a. vor US-amerikanischen und kanadischen „Abtreibungskliniken“.183 Die mächtige Maria als hetmanka, im Sinne der pro-life-Maria, ist im Diskurs der PZKK und FKP konform zur offiziellen Lehre der katholischen Kirche eine Verteidigerin der Moral – jedoch keine hetmanka als starkes Vorbild für Frauen. Einen Ausnahmefall stellt die Maria-Interpretation einer Mitgliedsfrau von Amicta Sola, Maria Rogaczewska, dar, die die hetmanka-Seite Marias auch als Vorbild für Frauen empfiehlt: „Jede Frau soll genauso kämpferisch sein wie Maria und auf keine Hilfe von außen, nicht auf den Mann, sondern auf die direkte Kraft von Gott hoffen.“184 Rogaczewska äußerte dies 2014 anlässlich des „Ersten Diözesialen Frauentages“185 in Skierniewice und betonte dabei, dass jede Frau eine
181 EWA H. KOWALEWSKA, „Od oceanu do oceanu“ w obronie życia – peregrynacja przez świat ikony jasnogórskiej [„Vom Ozean zum Ozean“ zum Schutz des Lebens – die Pilgerreise der heiligen Ikone aus Jasna Góra], in: List do Pani, 7/8 206, 2012, S. 9. 182 Vgl. www.odoceanudooceanu.pl (abgerufen am 20.12.2016). 183 Vgl. EWA H. KOWALEWSKA, Wspaniały prezent od Matki Bożej Częstochowskiej [Ein wunderbares Geschenk von der Mutter Gottes von Częstochowa], in: List do Pani, 7-8 (226), 2014, S. 5. In einem Interview erklärt Kowalewska bezugnehmend auf die Wanderschaft, wovor Polen und die Welt mithilfe Marias geschützt werden sollen: „Wir leben in der schwierigen Zeit einer ungemein aggressiven Attacke der Zivilisation des Todes. Man muss sich darüber bewusst werden und sich verteidigen. Es sind Frauen, die Kinder gebären. Wenn sie der feministischen Propaganda folgen und ihre Mutterschaft ablehnen, werden sie nicht nur ihre eigenen Kinder zerstören, sondern auch sich selbst und ihre Ehemänner. Eine Abtreibung ist kein Recht einer Frau auf den eigenen Bauch. Dieser Slogan ist eine große Lüge. Kinder sind unsere gemeinsame Zukunft, unser Leben und Segen. Wenn wir das Leben wählen, steht uns alles offen.“ SZNURKOWSKI, „Od Oceanu do…, a.a.O. 184 PETROWA-WASILEWICZ, Potrzeba nowego spojrzenia…, a.a.O. 185 Der 2014 zum ersten Mal organisierte gesamtpolnische Frauentag der Diözesen wurde durch die katholische Journalistin Agnieszka Napiórkowska als Gegenveranstaltung zur feministischen manifa initiiert, vgl. Pierwszym talentem jest godność [Das erste Talent ist die Würde], 2014, http://lowicz.gosc.pl/doc/1912569.Pierwszym-talentemjest-godnosc (abgerufen am 17.10.2016).
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Meisterin in irgendeinem Bereich sei und dass sie durch diese Meisterschaft gestärkt werde. In dieser Aussage lassen sich Elemente einer Empowerment-Strategie für Frauen finden, welche bei PZKK oder FKP ausbleiben. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der PZKK und das FKP in ihrem Diskurs über Maria dem offiziellen Diskurs der katholischen Kirche in Polen folgen, insbesondere der Lehre von Kardinal Wyszyński und Johannes Paul II. Maria wird als Verteidigerin Polens gegen die „Zivilisation des Todes“ geführt, wobei unter dieses Schlagwort Abtreibung, Marxismus, Feminismus, Atheismus und die sogenannte „Gender-Ideologie“ fallen. Rituale der Marienfrömmigkeit werden aufwendig in Szene gesetzt und lassen dabei die Konstruktion Marias als Verteidigerin und Königin von Polen immer wieder aufleben. Als Einzelfall legt der Verein Amicta Sole Maria zwar in gemäßigterer Weise aus, jedoch teilt auch er die Bedrohungsangst der PZKK und FKP hinsichtlich der „Zivilisation des Todes“ und der „Gender-Ideologie“ und schließt sich den gemeinsamen Stellungnahmen an. Dabei referieren alle drei Organisationen auf den neuen Feminismus Johannes Pauls II. 7.4.2 Maria als neue Feministin „Maria – ein bescheidenes und einfaches israelisches Mädchen, wurde zur wichtigsten Frau der Welt. Als Mutter von Jesus wird sie durch Christen verehrt, sogar durch Muslime, Maria wurde zum Vorbild der Weiblichkeit und Mutterschaft. Sie bringt das Genie der Frau durchweg in unsere Leben und das Leben der Kirche. Maria ist demütig, gehorsam, bedingungslos nimmt sie Gottes Willen an und vertraut Ihm gänzlich. Sie ist eine Mutter, die ihr eigenes Kind niemals wie einen Besitz behandelt. Sie kann ohne Aufsehen dienen. Sie arbeitet schwer, ist arm. Sie weicht vor dem Leiden nicht zurück, sie erträgt es leise und ohne ein Wort zu sagen.“186
Wie bereits dargestellt wurde Maria für Papst Johannes Paul II. zur zentralen Figur des neuen Feminismus. Der PZKK, das FKP und Amicta Sole beziehen sich in ihren Programmen auf diese seine Lehre und sehen in Maria ein Vorbild für das „Genie der Frau“.187 In List do Pani erscheinen regelmäßig Artikel zu diesem besonderen Auftrag der Frau. Das Genie der Frau wird dabei als „Berufung zur Liebe
186 KOWALEWSKA, Być kobietą, ale…, a.a.O., S. 117. 187 Vgl. Jan Paweł II Wielki do kobiet. Fragmenty listu apostolskiego „Mulieris dignitatem“ o godności i powołaniu kobiety [Johannes Paul II. der Große an die Frauen. Fragmente des Apostolischen Schreibens „Mulieris dignitatem“ über die Würde und Berufung der Frau], in: List do Pani, 5 (194), 2011, S. 4; KRYSTYNA
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und zum Lehren der Liebe“188 bezeichnet, es soll die „völlige Selbstaufgabe aus Liebe, eine selbstlose Gabe einer Person für eine andere Person, Dienst und Hilfe für die Anderen“ bedeuten.189 Um diese spezielle Berufung, die helfende und dienende Rolle als die wahre Rolle von Frauen zu begründen, greifen die Frauen vom PZKK zu essentialistischen Weiblichkeitszuschreibungen. Dass Weiblichkeit bereits in diesem Sinne aufgefasst und propagiert wurde, als der PZKK noch den Namen Polnischer Verband Gewöhnlicher Frauen trug, zeigt das erste Heft von List do Pani 1993: Maria Starzyńska beschrieb eine gewöhnliche Frau so: „Insbesondere akzeptiert sie ihre Weiblichkeit, kennt die Wertehierarchie […], sie weiß auch, dass die Rolle – nicht unbedingt des Kopfes – aber sicherlich des Herzens der Familie kein geringeres Werk ist als das Entwerfen von Gebäuden oder Maschinen“.190 Die Akzeptanz der Weiblichkeit bedeutet für Frauen vom PZKK, ihrer Hauptaufgabe – dem „Dienst am Menschen“ 191 nachzugehen – sowohl im Sinne des Dienstes für das familiäre Leben als auch für die Gesellschaft. Nur Frauen könnten diese Hilfe leisten, denn sie besäßen die entsprechenden Tugenden dazu: „Sensibilität, Gefühlstiefe, Intuition und Geduld ermöglichen diesen besonders verehrenswerten Dienst aus Liebe zu erfüllen.“192 Die helfende Rolle der Frau als „Expertin für den Menschen und die Liebe“193 gründe in ihrer Mutterschaft, sie sei dazu berufen und habe nur dann „ein reines Herz“194, wenn sie dieser Berufung nachgehe. Mutterschaft meint dabei in Anlehnung an Johannes Paul II. die zwei „Säulen der Mutterschaft“195 – sowohl die biologische als auch die geistige. Es wird dabei stets betont, dass es sich bei den Aufgaben der Frau um andere
CZUBA, Kobieta w nauczaniu Jana Pawła II [Die Frau in der Lehre Johannes Pauls II.], in: List do Pani, 07/08 (136), 2005, S. 7–9; KINDZIUK, Geniusz współczesnej kobiety…, a.a.O; MICHALSKA, Kobieta wychowawczynią ludzkich…, a.a.O. 188 MICHALSKA, Kobieta wychowawczynią ludzkich…, a.a.O., S. 5. 189 DOROTA KORNAS-BIELA, Wpatrzone w Maryję odkrywajmy istotę godności i powołania kobiety (3) [Unsere Blicke an Maria haftend, entdecken wir das Wesen der Würde und Berufung der Frau (3)], in: List do Pani, 4 (223), 2014b, S. 8–9, hier S. 8. 190 MARIA STARZYŃSKA, Kim jest kobieta zwykła? [Wer ist eine gewöhnliche Frau?], in: Beilage zu List do Pani, H. 1, 1993, S. 2. 191 MICHALSKA, Kobieta wychowawczynią ludzkich…, a.a.O., S. 4. 192 Ebd. 193 MAREK DRZEWIECKI, Jak wygrać kobiecość? (4) [Wie gewinnt man die Weiblichkeit? (4)], in: List do Pani, 5 (224), 2014, S. 12. 194 WILCZEK, Macierzyństwo istotą powołania…, a.a.O., S. 11. 195 Ebd., S. 9.
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Aufgaben handle als bei Männern. Frauen werden in den familiären Kontext gesetzt, während Männer für die Außenwelt zuständig seien.196 Immer wieder wird zu Aussagen gegriffen, die eine als selbstverständlich beschriebene GeschlechterDifferenz konstruieren, wie im Buch der Vorsitzenden des FKP Ewa Kowalewska mit dem Titel „Eine Frau sein, aber welche?“: „Ein Geschlechtsmerkmal bedeutet eine andere Sicht auf die Realität. Der Mann schaut von einer Perspektive aus. Er sieht entfernte Ziele, es ist ihm einfacher zu führen, die Richtung zeigen, aber er sieht die Details nicht und bagatellisiert sie oft, was für eine Frau sehr schmerzlich sein kann. Die Frau hingegen schaut wie durch ein Vergrößerungsglas. Mehrmals scheint ihr eine Sache unüberwindbar zu sein, dafür aber nimmt sie einfacher menschliche Probleme wahr. Sie kann sich über diese Probleme neigen, trösten, ihr Herz öffnen. Hierin steckt das Genie der Frau, dass sie sich vor einem leidenden Menschen verneigt und weiß, was er braucht.“197
Frauen besäßen die Fähigkeit, so Kowalewska, Bedürfnisse anderer Menschen wahrzunehmen: „Sie ist befähigt zu beraten, Wunden zu verbinden, Trost zu geben. Sie kann eine wahre, treue Freundin werden, ohne überhaupt in irgendwelche sexuellen Bezüge zu geraten. Sie kann eine herzliche Mutter sein und das nicht nur für ihre eigenen Kinder.“198 Kowalewska zeichnet hier das Bild einer Frau, die auf die eigenen Bedürfnissen und die eigene Sexualität verzichtet. Ihre Rolle werde, so Kowalewska, zudem nur in Relation zu anderen konstruiert. Außerdem würden Frauen besondere Merkmale qua Geburt besitzen, die gleichzeitig für Männer ein fremdes Terrain bleiben. Die Aufgabe der Frauen ist im Diskurs des PZKK mit Aufopferung und Leidensbereitschaft verknüpft, denn ihre Berufung, „sei es durch physische oder geistige Mutterschaft, bedeutet auch das Tragen des Kreuzes und die Nachahmung von Jesus und Maria“.199 Ihre Aufgabe sei sehr weit gefasst – Frauen hätten durch ihre Sensibilität einen Auftrag zur Erziehung der Menschheit zum Glauben und zum Formen des „Gewissens der Generationen“200, wodurch sie der drohenden
196 Vgl. ebd., S. 10. 197 KOWALEWSKA, Być kobietą, ale…, a.a.O., S. 15. 198 Ebd., S. 16. 199 DOROTA KORNAS-BIELA, Wpatrzone w Maryję odkrywajmy istotę godności i powołania kobiety (7) [Unsere Blicke an Maria haftend, entdecken wir das Wesen der Würde und Berufung der Frau (7)], in: List do Pani, 9 (227), 2014, S. 9. 200 Vgl. MICHALSKA, Kobieta wychowawczynią ludzkich…, a.a.O., S. 5; JANINA MICHALSKA, Kobiety w dziele nowej ewangelizacji. Kobiety w tajemnicy Zbawienia
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Dechristianisierung entgegenwirken sollen.201 In List do Pani werden verschiedene Bedrohungsszenarien geschildert, welche zu erwarten seien, wenn Frauen diese Berufung ablehnen. So setzte Maria Wilczek 1996 die Situation Polens mit der Teilungszeit gleich: Nachdem die postkommunistische Regierung eine (letztendlich gescheiterte) Novellierung des Abtreibungsgesetzes vorgenommen habe, sei die polnische Nation erneut bedroht – diesmal durch „unserer Moral fremde Gesetze, die die biologische und geistige Existenz unserer Nation angreifen“.202 Eine ebenfalls starke Bedrohung brächten auch Sexualkunde und Pornographie mit sich“.203 Polnische Frauen werden im Sinne des Mythos Mutter Polin als Hüterin der Nation fortgeschrieben, ihre Verantwortung wird für den Fortbestand der Nation, aber auch für die moralische Standhaftigkeit des Menschen eingefordert: „Unglückselig der Mensch, dem in der Stunde der Versuchung und des geistigen Kampfes keine gottestreue Frau beisteht, unglückselig die Nation, deren Frauen ihre weibliche Berufung zur Sorge um den Menschen verleugnen.“204 In List do Pani wird der Gefahrenhorizont gar noch erweitert: Gefahren würden über die Nation hinausgehen und die Menschheit werde schlechthin krank, wenn Frauen ihrer mütterlichen und erzieherischen Berufung nicht nachgehen würden.205 Maria – Grundlage des Weiblichkeitsbildes der PZKK-Frauen – wird ebenfalls essentialistisch iteriert, wenn sie in ihrer als typisch weiblich aufgefassten dienenden Rolle dargestellt wird. So bezeichnete Maria Wilczek vom PZKK 1998 während der internationalen Konferenz „Über die Würde der Mutterschaft“206 Maria als „jene, die zuhören und dienen konnte“, wodurch sie „das vollkommene Beispiel der Erfüllung der Berufung der Frau“ sei.207 Interessanterweise wird Maria
[Frauen im Werk der neuen Evangelisierung. Frauen im Geheimnis der Erlösung], in: List do Pani, H. 10, 1993, S. 2. 201 Vgl. MICHALSKA, Kobiety w dziele…, a.a.O; MICHALSKA, Kobiety w nowym…, a.a.O; MICHALSKA, Kobieta wychowawczynią ludzkich…, a.a.O., S. 5; JANINA MICHALSKA, Kobiety w dziele nowej ewangelizacji [Frauen im Werk der neuen Evangelisierung], in: List do Pani, 8/9, 1993, S. 2; MARIA WILCZEK, Maryja wzorem dla chrześcijańskiej matki (3) [Maria als Vorbild einer christlichen Mutter (3)], in: List do Pani, 11 (95), 2001, S. 7. 202 WILCZEK, Uczmy się od…, a.a.O. 203 WILCZEK, Macierzyństwo istotą powołania…, a.a.O., S. 9. 204 JANINA MICHALSKA, Kobiety w życiu Kościoła [Frauen im Leben der Kirche], in: List do Pani, 4/15, 1994, S. 2. 205 Vgl. MICHALSKA, Kobieta wychowawczynią ludzkich…, a.a.O., S. 5. 206 WILCZEK, Macierzyństwo istotą powołania…, a.a.O., S. 11. 207 Ebd.
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umso stärker in der dienenden Rolle iteriert, je mehr die katholische Geschlechterordnung aus Sicht des PZKK in Gefahr zu sein scheint. Insbesondere während der bereits erwähnten Auseinandersetzungen um die sogenannte „Gender-Ideologie“ erschienen in List do Pani reihenweise Beiträge, die das Wesen Marias und mitmeinend auch das Wesen von (polnischen) Frauen zeichnen. So beschreibt Kornas-Biela in ihrem Zyklus Unsere Blicke an Maria haftend, entdecken wir das Wesen der Würde und Berufung der Frau 208 Maria mit folgenden Adjektiven: „subtil und delikat, warm und fürsorglich“,209 „verschlossen und still“,210 „demütig und dienstbereit“211 sowie „so schön, so umsichtig, so opferbereit“.212 Die Autorin bedauert, dass diese Attribute nicht mehr „in Mode“ seien und gibt zu, dass dieses Marienbild für junge Frauen nicht länger attraktiv sein könne. Sie sieht jedoch kein Bedürfnis einer Aktualisierung des Bildes Maria, sondern im Gegenteil, sie beschreibt die Frauen von heute als dem Egoismus, einem Schönheitsdiktat und „alternativen Lebensstilen“213 verfallen, während Maria verlorengegangene Werte versinnbildliche, die wiederentdeckt werden sollten. Die heutige Welt habe ihren Kopf verloren und sei jetzt dabei, auch „ihr Herz und ihre Seele“214 zu ver-
208 Von Februar bis September 2014 erschienen insgesamt sieben Beiträge dieser Reihe. 209 DOROTA KORNAS-BIELA, Wpatrzone w Maryję odkrywajmy istotę godności i powołania kobiety (1) [Unsere Blicke an Maria haftend, entdecken wir das Wesen der Würde und Berufung der Frau (1)], in: List do Pani, 2 (221), 2014a, S. 10–11, hier S. 11. 210 Ebd. 211 Ebd. 212 DERS., Wpatrzone w Maryję odkrywajmy istotę godności i powołania kobiety (2) [Unsere Blicke an Maria haftend, entdecken wir das Wesen der Würde und Berufung der Frau (2)], in: List do Pani, 3 (222), 2014, S. 8–9, hier S. 8. 213 Ebd., S. 9. 214 Ebd.
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lieren. Maria sei keine Frau gewesen, die sich um „Selbstbestimmtheit, Selbstverwirklichung, Selbsterfüllung, Selbstaktualisierung und Selbstakzeptanz“ 215 bemüht hätte und passe daher nicht zum „Muster der vulgären und garstigen Frau“216, die heute in den Medien als Vorbild für Mädchen propagiert werde. Die Beiträge der Autorinnen des PZKK und FKP zeichnen ein pessimistisches Bild der gegenwärtigen Frauen, sie würden sich in einer Identitätskrise befinden, da sie „die Wahrheit“ über sich selbst verloren hätten: „Die Wurzel des Fehlers ist die Überzeugung, dass Frauen, um gleiche Rechte zu bekommen und sich von der Dominanz der Männer zu befreien, so werden sollen ‚wie die Männer‘. Dies entpuppte sich eher als eine neue satanische Versuchung, denn als Frauenbefreiung. Indem wir die weibliche Dimension der Menschlichkeit verwarfen, verloren wir unsere Identität; wir lehnten das ab, was unseren eigenen Reichtum und unseren einzigartigen Beitrag für das soziale Leben ausmacht.“217
Es gebe immer mehr zutiefst leidende Frauen, welche „nicht nur kein eigenes Kind haben, sondern nicht mal bereit sind, ein kleines Kind überhaupt in die Arme zu nehmen“,218 was laut Ewa Kowalewska auf ihre tief versteckte Verletzung zurückzuführen sei, derer sie sich noch nicht einmal bewusst seien. Insbesondere unter dem Einfluss der sogenannten „Gender-Ideologie“ verleugneten Frauen ihr biologisches Geschlecht und ihre „weibliche Spezifik“.219
215 Kornas-Biela über junge Frauen: „Sie hungern bis zur Zerstörung ihrer Körper; peinigen sich mit Leibesübungen, Schönheitsbehandlungen, Operationen; sie erniedrigen ihre Körper, dadurch dass sie diese an Männer verkaufen, und erniedrigen ihr Herz und Seele; sie behandeln sich als Objekt von Männern, Medien und Unternehmen; lassen sich ständig durch die sich ändernde Mode verführen, aber auch durch die zügellosen Bedürfnisse von Menschen, die man früher als Perverse bezeichnete, die aber jetzt die politische Korrektheit als alternativen Lebensstil zu bezeichnen gebietet.“: KORNAS-BIELA, Wpatrzone w Maryję…, a.a.O., S. 10. 216 Ebd., S. 11. 217 MICHALSKA, Kobiety w nowym…, a.a.O. Zum Identitätsverlust vgl. auch EWA KOWALEWSKA, Feminizm nowy kształt kobiecości [Feminismus, neue Gestalt der Weiblichkeit], 2007, www.fidesetratio.org.pl/files/plikipdf/kowalewska2.pdf (abgerufen am 12.10.2016); MICHALSKA, Kobiety w nowym…, a.a.O; PRZYBOROWSKA, Manipulowanie świadomością kobiety…, a.a.O. 218 KOWALEWSKA, Być kobietą, ale…, a.a.O., S. 79. 219 KORNAS-BIELA, Wpatrzone w Maryję…, a.a.O., S. 9.
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Zur Rettung für Frauen wird die „tapfere Frau“220 Maria eingesetzt, sie könne den Frauen den richtigen Weg aufzeigen, um schließlich in der Lage zu sein, sich gegen „feindliche Ratschläge“ 221 zu wehren. Maria wird in diesem Sinne zur Wächterin der katholischen Geschlechterordnung und Hüterin der traditionellen Geschlechterrollen erkoren. Der Ort, an dem Frauen ihre Identität finden könnten, sei die Familie. Nur dort würden sie mit Marias Hilfe vor Einflüssen des Feminismus oder Atheismus geschützt und könnten die nationale und religiöse Identität ihrer Kinder fördern.222 Als Grundlage dafür könne nur die „unverlogene Anthropologie“223 Johannes Pauls II. mit seinem Konzept des neuen Feminismus dienen: „Der Feminismus ist also nötig, aber [...] in der Auffassung von Johannes Paul II., welcher keine ungeborenen Kinder ausschließt und Abtreibung nicht für ein Menschenrecht hält. Welcher sich vor den Schwächsten, unheilbar Kranken und Sterbenden verneigt. Welche keine Gewalttäter ausschließt, sondern sie heilt. Und welcher Opfer bringen kann, denn ohne Opfer verkümmert die Welt und geht verloren, und der Mensch verwandelt sich in einen einsamen Jäger, der nach dem größtmöglichen Stück auf der Lebenstorte jagt.“224
Deutlicher noch äußerte sich Ewa Kowalewska 2006. Sie beschreibt den Gegensatz neuer Feminismus versus „radikaler“ Feminismus als „elementare Konfrontation der ‚Kultur des Todes‘ mit der ‚Kultur des Lebens‘“.225 Maria stehe dabei auf der Seite der Kultur des Lebens – des neuen Feminismus. Von den „radikalen Feministinnen“ werde Maria hingegen nicht toleriert: „Maria ist gänzlich in der Mutterschaft vertieft und das verursacht eine Aggression bei Frauen, die ihre Mutterschaft verleugnen.“226 Eine etwas differenziertere Sicht auf Maria vertreten, wie bereits erwähnt, Frauen aus dem Kreis von Amicta Sole und sprechen sich für eine andere Sichtweise aus, jenseits der Klischees der stillen und demütigen Mutter. Bereits 2007 sagte Monika Waluś, die spätere Vorsitzende des Anfang 2009 gegründeten Ver-
220 Ebd. 221 Ebd. 222 Vgl. MARIA WILCZEK, Maryja wzorem dla chrześcijańskiej matki (2) [Maria als Vorbild einer christlichen Mutter (2)], in: List do Pani, 10 (94), 2001, S. 4–5, hier S. 4. 223 KOWALEWSKA, Feminizm nowy kształt…, a.a.O. 224 Nowy feminizm…, a.a.O., S. 9. 225 KOWALEWSKA, Być kobietą, ale…, a.a.O., S. 115–116. 226 Ebd., S. 118.
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eins, dass Maria ein Vorbild sowohl für Männer als auch für Frauen sei, und forderte, sie solle nicht auf Vorstellungen aus vergangenen Epochen reduziert werden.227 Einige Jahre später betrachtete sie ebenfalls den Mythos der Mutter Polin in ihrer heroischen Dimension kritisch: Sie bemerkte, dass man Heroismus von Frauen erwarte, jedoch im Kontext des fehlenden Mannes, und fragte nach einem vergleichbaren Ethos des Mannes als Vater in Polen.228 Obwohl auch die Frauen von Amicta Sole, genauso wie die Frauen aus PZKK und FKP, Maria als den „Genius der Frau“ sehen und dem neuen Feminismus folgen, betonen sie andere Bereiche, in denen Frauen ihre „Charismen“ einbringen können. Sie sprechen nicht so vehement von der Mutterschaft als Berufung, sondern von „verschiedenen Berufungen“.229 Da sie sich aber vom Konzept der Gender-Theorie distanzieren, ist es fraglich, wie sie sich mit den, von ihnen kritisierten, kulturbedingten und nicht mehr zeitgemäßen Marienvorstellungen auseinandersetzen. Abschließend lässt sich feststellen, dass Maria durch PZKK, FKP und Amicta Sole als Patronin des päpstlichen neuen Feminismus dargestellt und gegen die Gefahren der heutigen Welt geführt wird. Sie erhält die Rolle der Mutter Polin – einer dienenden und opferbereiten Hüterin der Nation und religiösen Tradition – sogar als Erzieherin der Menschheit. Frauen sollen Maria folgen und ihrer Berufung der biologischen oder geistigen Mutterschaft nachgeben, anderenfalls seien Familie, Nation und Menschheit bedroht. Obwohl Amicta Sole auch auf andere Berufungen hinweist und Maria nicht nur demütig sehen möchte, zeigt die Exponierung der großen, opferbereiten Mütter und Großmütter, dass auch hier das Paradigma der opferbereiten Mutter Polin nicht aufgegeben wurde. Die Mutter Polin wurde durch PZKK, FKP sowie Amicta Sole zur neuen Feministin transformiert.
7.5 VORBILD DER DEMUT ODER DER STÄRKE? – MARIA FÜR POLINNEN HEUTE Der Diskurs der institutionellen katholischen Kirche und der katholischen (Frauen-)Organisationen iteriert die opferbereite Dimension der Figur Maria in
227 Vgl. Maryja naszą mistrzynią. O roli Maryi, jak również o miejscu kobiety w Kościele i świecie rozmawia z teologiem Moniką Waluś ks. Wesołowski [Maria ist unsere Meisterin. Über die Rolle von Maria und über den Platz der Frau in Kirche und Welt spricht Priester Wesołowski mit der Theologin Monika Waluś], in: List do Pani, 10 (158), 2007, S. 6–7. 228 Vgl. KRASNOWSKA, WALUŚ, Nie oczekujmy od…, a.a.O. 229 MONIKA WALUŚ, Amicta Sole, in: List do Pani, 3 (172), 2009, S. 14.
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Verbindung mit der national-katholischen Auslegung des Mythos Mutter Polin. Zu fragen ist hier, ob dieses Bild auch den Vorstellungen der polnischen Katholikinnen von Maria, also denen der „gewöhnlichen“ Frauen entspricht, deren Repräsentation der PZKK und das FKP vehement für sich beanspruchen. Marta Bierca stellt in ihrer Untersuchung zur Marienfrömmigkeit polnischer Frauen, die auf dem Land leben, fest, dass diese eine große Vertrautheit und Nähe zu Maria empfinden, weil Maria als eine von ihnen aufgefasst wird.230 Sie identifizieren sich mit Maria als Mutter, sehen in ihr jedoch zunächst eine starke und erfahrene Frau, „eine Partnerin […] in ihrem Alltag, eine geistige Führerin, eine Beschützerin, eine Freundin“.231 Sie beanspruchen Maria im Rahmen der Frauensolidarität für sich, weil nur sie könne sie als Frau verstehen, besser als der männliche Vater Gott. Die Nähe zu ihr – als Nähe zum Weiblichen – könne auf ein Überbleibsel des slawischen Kultes der Göttinnen schließen, aber auch auf die Sehnsucht der Frauen nach einem weiblichen Element in der Gottesnatur.232 Für Bierca ist diese Marienfrömmigkeit bei Frauen ein Beispiel für eine Form des Feminismus, denn die Marienverehrung hilft, Frauen ihren Platz in der Welt zu finden und ihre Umwelt zu gestalten.233 Frauen verbinden sich also durchaus mit der zuvor dargestellten starken Seite Marias der hetmanka, die für sie Quelle der persönlichen Kraft ist und nicht unbedingt Mittel im Kampf gegen die „Zivilisation des Todes“, wie PZKK und FKP sie konzipieren. Die ethnologischen Feldforschungen 234 von Inga Kuźma zeigen hingegen, dass der polnische Marienkult Frauen und ihre Rolle zwar aufwerten könne, jedoch lediglich im traditionellen privat-häuslichen Rahmen. Frauen erfüllen laut Kuźma eine wichtige Rolle in der Weitergabe religiöser Traditionen und erlangen dadurch eine gewisse Autonomie innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen. Bei dieser religiös-erzieherischen Aufgabe der Frauen handle es sich deutlich um eine
230 Vgl. BIERCA, Mistyka typu ludowego. Kobieca pobożność maryjna w świetle teologii feministycznej [Die Volksmystik. Die weibliche Marienfrömmigkeit im Licht der feministischen Theologie], in: KOŚCIAŃSKA, AGNIESZKA; LESZCZYŃSKA, KATARZYNA
(Hrsg.), Kobiety i religie, a.a.O.
231 Ebd., S. 138. 232 Vgl. ebd., S. 127–133. 233 Vgl. ebd., S. 138. 234 Vgl. INGA KUŻMA, Świat kobiet [Welt der Frauen], in: Etnografia Polska, XLVII, 12, 2003, S. 103–127. Die Forschungen von Kuźma zum Thema der religiösen Praktiken im Katholizismus und der Bedeutung des Marienkultes sowie zur Stellung von Frauen im Volkskatholizismus fanden im Sommer 2002 statt.
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Tätigkeit innerhalb der Familie und nicht in der Öffentlichkeit. So ist beispielsweise bei religiösen Praktiken die gesellschaftliche Akzeptanz einer öffentlichen Rolle von Frauen weiterhin gering – Akzeptanzprobleme beginnen bereits, wenn eine Frau die Rolle einer Pilgerfahrtführerin übernehmen möchte.235 Die familiären Aufgaben der Frau werden durch den Marienkult gesellschaftlich legitimiert, mit der Begründung, auch Maria habe sich um das Haus und den kleinen Jesus gekümmert. Kuźma weist hier explizit auf die meinungsbildende Rolle der katholischen Kirche in Polen hin, die Frauen als Trägerin der Religion im familiären Leben jenseits der Öffentlichkeit kontextualisiere.236 Ursprünge der Zuweisung von Frauen an das Familiäre deckt sie in den volkstümlichen Ritualen auf. Am Beispiel früherer ländlicher Hochzeiten zeigt Kuźma eine Aufteilung der zeremoniellen Aufgaben auf männliche repräsentative Aufgaben und privat-häusliche Aufgaben der Frauen. In der Volkskultur war die Geburt eines Sohnes von höherem Wert: Die Mutter wurde erst durch ein männliches Kind in Autorität und Ansehen gestärkt. Taufrituale der Söhne wurden dementsprechend viel effektvoller als die der Töchter zelebriert.237 Der Marienkult in Verbindung mit dem Mythos der Mutter Polin beeinflusst weiterhin das Denken über die Rolle von Frauen und ihre Räume in der polnischen Kultur, so Kuźma. er: „vereinfacht und verflacht und begrenzt die Funktionen und die Rolle von Frauen auf nur drei Bereiche: Biologie, Religion und Patriotismus“.238 Dabei sei die Rolle von Frauen „stumm“ und von gesellschaftlichen Erwartungen bestimmt. Diese „Stummheit“ sei von den Frauen internalisiert, sie seien „Geisel“ der kulturellen Weiblichkeitszuschreibungen und selbst wenn sie ihre Stimme erheben, werde diese Stimme lediglich zum „Abbild der übergeordneten Sprache“239, so sehr seien sie in dieser Sprache gefangen. Ganz anders interpretiert Agnieszka Kościańska die „Stummheit“ von Frauen – sie spricht ihrerseits von der Macht des Schweigens und sieht hier eine Art der agency von Frauen.240 Sie kritisiert dabei, dass gerade die Suche nach und die Überbewertung der Stimme von Frauen den polnischen Feminismus nach 1989 dominiert habe (z.B. hieß eines der ersten feministischen Bücher nach 1989 „Frauen haben eine Stimme“ (Głos mają kobiety):
235 Vgl. ebd., S. 113. 236 Vgl. ebd., S. 116. 237 Vgl. ebd., S. 116–118. 238 Ebd., S. 118. 239 Ebd., S. 119. 240 Vgl. KOŚCIAŃSKA, The „power of…, a.a.O., S. 68.
252 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
„[...] gender-related research often concentrates on verbal forms of action, sees empowerment as gaining voice, and equates agency with autonomy; for example, action free from social, religious, or family-based obstacles. This approach assumes that within the process of democratisation and Europeanization, women will receive rights and their personhood and agency will be transformed to be more individualistic and autonomous.“241
Diese zunächst in Westeuropa und Nordamerika und in Polen nach 1989 populäre Auffassung von agency berücksichtige jedoch nicht die Erfahrungen religiöser Frauen und ihre mögliche emanzipatorische Wirkung. Laut Kościańska bemühen sich religiöse Polinnen die Religion im Sinne von Leea Fernandes zu „dekolonisieren“ und frauenfreundlicher zu machen, während manche religionskritische Strömungen des Feminismus den katholischen Frauen ihre Wirkungskraft per se aberkennen und sie „orientalisieren“242. Zur Analyse der katholischen Frauen bedürfe es laut Kościańska einer Umdeutung des Begriffs der Wirkungskraft, welcher im liberalen Feminismus meist der Inbegriff einer kollektiven, auf Veränderung zielenden Wirkung sei, in der die Autonomie der/des Einzelnen im Vordergrund stehe. Das auf religiöse Gruppen und nicht auf das Individuum konzentrierte Handeln der religiösen Frauen passe folglich nicht in die Schema des liberal-feministischen Begriffs der Wirkungskraft, gleichzeitig könne religiösen Frauen Wirkungskraft nicht abgesprochen werden: „Die Wirkungskraft kann daher unterschiedlich definiert werden; Marias Weg folgend, sich auf die Symbolik der für das Vaterland verantwortlichen Mutter Polin berufend [...], können diese Frauen ihr Leben ändern und dieser Symbolik eine neue Bedeutung verleihen. Die durch Gebete, Schweigen und Fasten gewonnene geistige Kraft gibt Kraft für das tägliche Leben.“243
Religiöse Frauen seien nicht zwangsläufig passiv, so Kościańska, sie könnten durch religiöse Praktiken durchaus eine Wirksamkeit erlangen. Sie verweist auf engagierte Katholikinnen, die meist inoffizielle religiöse Frauengruppen anführen, wodurch sie die häusliche Sphäre verlassen und gesellschaftlich tätig werden.244
241 Ebd., S. 59. 242 KOŚCIAŃSKA, Twórcze odgrywanie Matki…, a.a.O., S. 150. 243 Ebd., S. 154. 244 Vgl. ebd., S. 153–157.
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Kościańska untersuchte in diesem Zusammenhang das Phänomen der Mystikerinnen und Visionärinnen, welches in Polen nach wie vor populär ist.245 Am Beispiel der 2009 verstorbenen Visionärin Zofia Grochowska, Gründerin der sich
245 Erwähnenswert ist die Geschichte einer der ersten exkommunizierten Frauen der katholischen Kirche, der Ordensschwester Feliksa Kozłowska, bekannt unter dem Ordensnamen Maria Franciszka Kozłowska (1862-1921). Von 1893 bis 1918 soll sie mystische Erfahrungen im Sinne der Marienerscheinungen gemacht haben, woraufhin sie eine religiöse Bewegung gründete – einen geheimen Männerorden, dem römischkatholische Priester angehörten und dessen geistige Anführerin sie war. Die s.g. Mariaviten bemühten sich um die Anerkennung durch den Vatikan, wurden jedoch vom Papst 1906 exkommuniziert, während die Visionen Kozłowskas als Halluzinationen bezeichnet wurden. Die Mariaviten setzten ihre Tätigkeiten außerhalb der Strukturen der katholischen Kirche fort, bis zu ihrem Tod 1921 unter der Anführung des „Mütterchens“ Kozłowska. Sie führte verschiedene Reformen durch, u. a. die Liturgie in polnischer Sprache, während die katholische Kirche bis zum Zweiten Vatikanum (1962-65) Latein beibehielt. 1935 kam es zu einer Spaltung des Ordens, Grund dafür war die Einführung der Priesterweihe für Frauen sowie die s.g. „mystischen Ehen“ zwischen Nonnen und Priestern, aus denen Kinder ohne Erbsünde geboren werden sollten, was einigen mariavitischen Ordensmitgliedern zu weit ging. Bischof Jan Maria Michał Kowalski, der die Reformen initiiert hatte, verließ daraufhin den Hauptorden und gründete eine eigene Bewegung. Diese Spaltung des Ordens überdauert bis heute: Der frühere Hauptorden existiert heute unter dem Namen Altkatholische Kirche der Mariaviten (Kościół Starokatolicki Mariawitów), mit ca. 30.000 Gläubigen in Polen und Sitz in Płock sowie einem Ableger in Paris. Die kleinere abgespaltene Katholische Kirche der Mariaviten (Kościół Katolicki Mariawitów) mit 3.000 Gläubigen und Sitz in Felicjanów bei Płock. Letztere steht weiterhin zu ihren früheren Reformen, so gibt es dort Frauen als Priesterinnen, und mit der Bischöfin Maria Beatrycze Szulgowicz ist gegenwärtig auch eine Frau Vorgesetzte dieser Kirche. Vgl. MARCIN KARAS, Kapłaństwo kobiet w felicjanowskim odłamie mariawityzmu na tle jego założeń
teologicznych [Priestertum von Frauen in der Katholischen Kirche der Mariaviten gemäß ihrer theologischen Annahmen], in: Studia Bobolanum, H. 2, 2002, S. 25–51. Heute gibt es unabhängige mariavitische Kirchen u.a. auch in den USA, Deutschland, Frankreich, Schweden und Litauen, vgl. BRODA, Maria Franciszka Kozłowska. Próba analizy wizerunku założycielki mariatywizmu [Maria Franciszka Kozłowska. Versuch der Analyse des Bildes der Gründerin der Mariaviten], in: KOŚCIAŃSKA, AGNIESZKA; LESZCZYŃSKA, KATARZYNA (Hrsg.), Kobiety i religie, a.a.O; KRZYSZTOF MAZUR, Mariawityzm w Polsce [Mariaviten in Polen], Kraków, 1991.
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mittlerweile unter Aufsicht der Jesuiten befindenden Bewegung Legion der Kleinen Ritter des Barmherzigen Herz Jesu (Legion Małych Rycerzy Miłosiernego Serca Jezusowego), zeigt sie, wie sich die agency der religiösen Frauen gestalten kann.246 Die 1931 geborene Grochowska stammte aus ärmlichen Verhältnissen und ging lediglich drei Jahre zur Schule, ihre Eltern waren Analphabeten. Sie selbst sagte von sich, dass sie eine „göttliche Ausbildung“ besitze.247 Sie orientierte sich am Kult der „Göttlichen Barmherzigkeit“, inspiriert von einer Visionärin der Zwischenkriegszeit, der von Johannes Paul II. 2000 heilig gesprochenen Ordensschwester Faustyna Kowalska (1905-1938). Nach der Heirat und Erziehung dreier Töchter soll Grochowska mit 56 Jahren Marien- und Jesuserscheinungen erlebt haben. Sie gründete darauf hin die Legion und war bis zu ihrem Tod deren geistige Anführerin.248 Sie sei, so Kościańska, die „Mutter“ der Bewegung gewesen, organisierte Treffen in ihrem Heimatort und kümmerte sich um die Mitglieder. 249 Sowohl Grochowska als auch andere durch Kościańska untersuchte gläubige Frauen hielten und halten sich an die von der Kirche propagierten Weiblichkeitsbilder, die Frauen in der häuslichen Sphäre verorten: „They claim that women should be like the Madonna: humble, quiet, familiy-oriented, and responsible. Being silent and humble is a source of power for them and allows them to act beyond the private sphere, despite the fact that they fundamentally believe that women belong to the domestic realm.“250
Paradox scheint, dass Visionärinnen Frauen in der traditionellen, demütig-frommen Rolle sehen und gleichzeitig aber selbst als öffentlich aktive, geistige Anführerinnen auftreten. In einem anderen Artikel erwähnt Kościańska, dass Grochowska in erwähntem Sinne bezüglich der katholischen Geschlechterrollen Frauen eine wichtige Rolle in der Welt zuerkannte, die weit über das Häusliche hinausging.251 Diese Diskrepanz lässt sich nur damit überbrücken, wenn man in Betracht zieht, dass Grochowska und andere Visionärinnen den Frauen eine große (wenn auch nur) symbolische Macht zur Welt- und Menschheitsrettung zugestehen, die durch Frömmigkeit und Gebete erreicht werden könne. Laut Kościańska haben die Visionen bzw. Erscheinungen in Polen einen starken milleanistischen,
246 Vgl. KOŚCIAŃSKA, Legion of small…, a.a.O. 247 Ebd., S. 167. 248 Vgl. ebd., S. 167–170. 249 Vgl. ebd., S. 173. 250 KOŚCIAŃSKA, The „power of…, a.a.O., S. 67. 251 Vgl. KOŚCIAŃSKA, Legion of small…, a.a.O., S. 174.
„Unsere Blicke an Maria haftend“ | 255
(d.h. einen das biblische Ende der Welt betreffenden) Charakter. Polen sei dabei in messianischer Weise ein erlösender „Christus der Völker“, während Frauen eine entscheidende Rolle durch ihre stillen Gebete erfüllen. 252 Damit würden Frauen eine agency erlangen, die sich nicht nur auf den häuslichen Bereich erstreckt, sondern symbolisch eine Macht zur Weltrettung bedeutet.253 Die lokalen Visionärinnen sind oft engagierte Hörerinnen von Radio Maryja und der mit dem Sender verbundenen Bewegung der Familie Radio Maryja. Laut Kościańska wird die öffentliche Macht dieser Frauen jedoch gekonnt durch die katholischen Entscheidungsträger für ihre eigenen politischen Ziele genutzt: „Their status as visionaries allows them to chair church meetings and be publicly active in other ways. Due to the relatively powerless social and economic position of these women, Radio Maryja and its radical right-wing (male) leaders have managed to appropriate this agency and direct it toward particular political goals. The visionaries are thus in an ambivalent position. On the one hand, they have the capacity to redefine their private actions, to sometimes act publicly, and to demonstrate their importance to the nation and their community. On the other hand, they are subjected to the goals of the political right and subordinated to the church leadership.“254
Somit dient ihre Aktivität mehr der Amtskirche als den Frauen selbst. Hinzu kommt, falls eine Frau als Visionärin eine allzu hohe öffentliche Position erlangt, wird sie genauso wie die zuvor erwähnten Pilgerfahrtanführerinnen durch die Amtskirche diszipliniert. Grochowska suchte lange nach Anerkennung seitens der offiziellen Kirche und fand diese unter der Ägide des Jesuitenordens. Die Anerkennung durch die polnische Amtskirche war mit der schriftlichen Erklärung
252 Kościańska schreibt zu der symbolischen Macht der Frauen wie folgt: „According to their visions the end of the world is approaching and they have a special mission to accomplish in order to postpone the catastrophe and make people regret their sins and convert to Catholicism. According to their beliefs, all sins are the results of Satan’s activity. Thus, the role of pious women is to stop Satan’s influence in people’s lives. They are able to do this using means such as silence, fasting, and the acceptance of suffering. They claim that women should be like the Madonna: humble, quiet, familyoriented, and responsible. Being silent and humble is a source of power for them and allows them to act beyond the private sphere, despite the fact that they fundamentally believe that women belong to the domestic realm.“ KOŚCIAŃSKA, The „power of…, a.a.O., S. 67. 253 Vgl. ebd. 254 Ebd.
256 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
Grochowskas von 2000 verbunden, in der sie sich zur vollen Gefolgschaft der Kirche gegenüber verpflichtete.255 Kościańskas Analyse der agency der katholischen Frauen stellt einen wichtigen Beitrag dar, die katholische Kirche nicht als einen Monolithen zu sehen und ihre persönliche Stärkung durch die Religion zu betonen. Allerdings gehen in ihrer Analyse die Aspekte der Selbst- und Fremddisziplinierung bei katholischen Frauen unter, denn sie haben sich nicht nur selbst dem katholischen Weiblichkeitsvorbild untergeordnet, sondern erwarten dasselbe auch von anderen Frauen.256 Die Zuerkennung der symbolischen Macht durch Gebete und Demut ist mit einem Imperativ verbunden, der vorschreibt, wie Frauen sich zu verhalten haben, und mit der Verurteilung von Frauen, die dem katholischen Verhaltensmuster der demütigen Maria nicht Folge leisten. Diese Aspekte sind in der folgenden, bei Kościańska zitierten Aussage einer emeritierten Lehrerin und Anhängerin einer Visionärin erkennbar: „Ich habe diesen Wunsch, dass Frauen das Muster der Mutter Gottes nehmen, dass sie über ihre Sprache und Emotionen Beherrschung haben. Wir sehen, dass sie sich immer mehr von Gott und von den Geboten entfernen. Sie sind immer vulgärer, nicht wahr? Sie sollten aber stummer sein und nicht ihren Ambitionen folgen, sondern dem Wohl ihrer Familien.“257
Wie sehr die katholischen Frauen dem katholischen Weiblichkeitsbild folgen, zeigen auch die Untersuchungen von Klaudyna Świstow, in denen sie die Einstellungen von Frauen zur Kirche als Institution in verschiedenen ländlichen Gemeinden in Südpolen analysierte.258 In einer der untersuchten Gemeinden verstießen drei Priester gegen das Zölibatsgebot und verließen die Kirche. Świstow zeigt an diesem Fall den Prozess der „Individualisierung“ bzw. Privatisierung der Religion bei den Frauen unter besonderer Bindung an die Marienfigur. Während sie sich
255 Vgl. LESŁAW KRZYŻAK, Historyczne i prawne fundamenty działalności stowarzyszenia Małych Rycerzy Miłosiernego Serca Jezusowego [Geschichtliche und rechtliche Fundamente der Aktivitäten des Vereins der Kleinen Ritter des Barmherzigen Herz Jesu], in: Pedagogika Katolicka, 16, H. 1, 2015, S. 90–110. 256 Vgl. KOŚCIAŃSKA, The „power of…, a.a.O., S. 67. 257 KOŚCIAŃSKA, Twórcze odgrywanie Matki…, a.a.O., S. 153. 258 Vgl. ŚWISTOW, Współczesne kobiety wobec nauki Kościoła. Prywatyzacja religii w regionach wiejskich południowej Polski [Heutige Frauen gegenüber der Kirchenlehre. Die Privatisierung der Religion in den ländlichen Gebieten Südpolens], in: KOŚCIAŃSKA, AGNIESZKA; LESZCZYŃSKA, KATARZYNA (Hrsg.), Kobiety i religie, a.a.O.
„Unsere Blicke an Maria haftend“ | 257
enttäuscht von der institutionellen Kirche und ihren „unwürdigen“ Vertretern abwenden, halten sie dennoch am katholischem Glauben und der katholischen Lehre fest. Besonders interessant ist, dass die Katholikinnen weiterhin katholische Weiblichkeitsvorstellungen als soziale Normen anerkennen. Die katholische Kirche in Polen hat demnach einen großen Einfluss auf die Konstruktion der Weiblichkeitsvorstellungen, auch wenn sie als Institution ihr Vertrauen bei katholischen Frauen einbüßte.259 Gut ausgebildete und berufstätige Frauen aus den Großstädten hingegen, wie ich in dieser Arbeit noch ausführlicher darstellen werde, identifizieren sich immer weniger mit dem demütigen Marienbild. Anna Karoń-Ostrowska260 wies in einem Gespräch mit Jarosław Makowski über Frauen und Kirche darauf hin, dass der Diskurs der polnischen katholischen Amtskirche und der katholischen (Frauen-)Organisationen den Frauen ein „altmodisches“ Frauenbild vorhalte: „Das heißt eine Katholikin muss eine Mutter Polin sein, mit einem Rosenkranz in der Hand gegen die Abtreibung kämpfen, eine Hüterin des familiären Feuers sein, am besten täglich eine Pilgerfahrt zur Kirche machen, usw.“261 Karoń-Ostrowska konstatiert, dass obwohl diese Vision der Weiblichkeit bei den älteren Frauen nach wie vor aktuell sei, könne sie die jüngeren und gut ausgebildeten Frauen nicht mehr erreichen.262 Insbesondere die durch Joanna Tomaszewska befragten „Katholikinnen-Feministinnen“, d.h. Katholikinnen, die über feministisches Bewusstsein verfügen und die Gechlechtergleichstellung anstreben, seien mit dem demütigen Marienbild der polnischen Amtskirche nicht einverstanden.263 2015 beschrieb ich den Mythos der Mutter Polin in Anlehnung an die Theorie des „Dritten Raums“ von Homi K. Bhabha und die bereits erwähnte, durch Elżbieta Ostrowska festgestellte Mehrfachkodierung dieses Mythos als einen Aushandlungsort.264 Die drei Bestandteile des Mythos Mutter Polin – das Katholische
259 Vgl. ebd., S. 157. 260 Anna Karoń-Ostrowska ist Philosophin, Publizistin und Redakteurin der Monatszeitschrift des offenen Katholizismus Więź 261 MAKOWSKI, Kobiety uczą kościół…, a.a.O., S. 119. 262 Vgl. ebd., S. 121. 263 Vgl. JOANNA TOMASZEWSKA, Maryja nie była spokojną kobietką [Maria war keine ruhige Frau], in: Wysokie Obcasy, 45, H. 446, 2007, S. 36–42; JOANNA TOMASZEWSKA, Między katolicyzmem a feminizmem. O poszukiwaniu własnej drogi [Zwischen dem Katholizismus und dem Feminismus. Über die Suche eines eigenen Weges], in: CHOŁUJ, BOŻENA; FUSZARA, MAŁGORZATA (Hrsg.), Katedra. Gender studies UW, Bd. 5, Warszawa, 2004, S. 18–36. 264 Vgl. STAŚKIEWICZ, Von der ‚Złota…, a.a.O.
258 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
in der Gestalt der Mutter Gottes, das Nationale in der Gestalt der Polonia und Gender im Sinne der kollektiven Erfahrungen der Polinnen wie der an sie gerichteten Erwartungen – befinden sich in einem ständigen Aushandlungsprozess. Während es jedoch im Bhabhaschen „Dritten Raum“ keine Hierarchien gibt, sondern permanente Aushandlungen von Bedeutungen, überwiegt in Polen die national-katholische Wiederholung des Mythos der Mutter Polin und des demütigen Marienbilds.265 Der Mythos der Mutter Polin könnte und sollte auch anders gedeutet werden. Laut Maria Janion sollte er zu einer „anderen Geschichte“,266 beziehungsweise zu einem neuen Mythos in Anlehnung an Barthes werden, damit die katholisch-nationale Interpretation nicht den gesellschaftlichen Diskurs dominiere. 267 Im Jahr 2012 versuchten einige Wissenschaftlerinnen im Rahmen der Gender Studies, die Mutter Polin „zu verabschieden“ und stellten unterschiedliche Neuinterpretationen dieser Figur vor, sie analysierten in ihren Beiträgen, ob z.B. eine jüdische, lesbische oder behinderte Frau auch als Mutter Polin gesehen werden könne.268 Allein der Abschied des feministischen Diskurses von der Mutter Polin reicht jedoch nicht aus, um die Dominanz seiner katholisch-nationalen Wiederholung aufzuheben. Wichtig wäre ein derartiger Abschied von der Mutter Polin auch vom national-katholischen Diskurs selbst. Diese Aufgabe könnte eine katholische Frauenbewegung und/oder die feministische Theologie übernehmen und z.B. den katholischen Bestandteil des Mythos der Mutter Polin in Gestalt der Mutter Gottes anders interpretieren und diese zu einem starken selbstbewussten Frauenbild machen. Wie unterschiedlich die Figur Marias interpretiert und transferiert werden kann, zeigte auch mein Forschungsaufenthalt in New Orleans. Mit Erstaunen fand ich heraus, dass der Schutzgeist von New Orleans und die Beschützerin von LGBTQ-Menschen im Voodoo-Kult in der Gestalt der polnischen Schwarzen Madonna von Częstochowa dargestellt wird. 269 Während das Marienbild in Polen
265 Vgl. ebd. 266 JANION, Pożegnanie z Polską…, a.a.O., S. 151. 267 Vgl. JANION, Pożegnanie z Polską…, a.a.O; STAŚKIEWICZ, Von der ‚Złota…, a.a.O. 268 Vgl. RENATA E. HRYCIUK, KOROLCZUK ELŻBIETA (Hrsg.), Pożegnanie z Matką Polką? Dyskursy, praktyki i reprezentacje macierzyństwa we współczesnej Polsce [Abschied von der Mutter Polin? Diskurse, Praktiken und Repräsentationen der Mutterschaft im gegenwärtigen Polen], Warszawa, 2012. 269 Es handelt sich hier um das religiöse Erbe der polnischen Aufständischen, die von Napoleon anstatt ins geteilte Polen zur Niederschlagung des Unabhängigkeitskampfes nach Haiti geschickt wurden, vgl. RANDY P. CONNER, DAVID HATFIELD SPARKS,
„Unsere Blicke an Maria haftend“ | 259
durch den katholischen Diskurs zur Verteidigung der traditionellen und heteronormativen Geschlechterordnung benutzt wird, verteidigt die durch den Voodoo-Kult transferierte Mutter Gottes die sexuellen Minderheiten und von Gewalt betroffenen Frauen in New Orleans.
Queering creole spiritual traditions. Lesbian, gay, bisexual, and transgender participation in African-inspired traditions in the Americas, New York, 2004; MAREK KĘPA, Pirates, Freedom, and a Voodoo Goddess: The Story of Polish Haitians, 2015, http://culture.pl/en/article/pirates-freedom-and-a-voodoo-goddess-the-story-of-polis h-haitians (abgerufen am 10.01.2017).
8
Teilhabe in der Kirche
„Wer füllt jeden Sonntag die kirchlichen Bänke? Wer wäscht und bügelt die liturgischen Gewänder des Priesters, wenn nicht die Ordensschwester? Wer kommt nach Stunden der Berufsarbeit ins Gotteshaus, um sich um das Ausschmücken des Altars mit Blumen zu kümmern? Wer schrubbt schließlich die Böden und wischt Staub, wenn nicht unsere Großmütter, Mütter und Schwestern? Ist das also eine Kirche der Frauen, über die immer noch Männer regieren?“1
Diese Worte stammen aus dem 2007 erschienenen Buch von Jarosław Makowski, für das er einige prominente Polinnen aus dem kirchlichen, kulturellen und politischen Leben über die Rolle der Frauen in der Kirche und auch über den Einfluss der Kirche auf das Leben von Frauen interviewte.2 Sein Fazit ist sehr nüchtern, denn er kritisiert, dass die Rolle der Frauen sich auf die im Zitat benannten helfenden und aufräumenden Rollen beschränke und die für Frauen zugänglichen, prestigeträchtigen Positionen in der Kirche weiterhin Männern vorbehalten blieben. In diesem Sinne bestätigt Makowski die bereits 1999 durch die Theologin Elżbieta Adamiak konstatierte „schweigende Anwesenheit“ von Frauen in der katholischen Kirche Polens, d.h. dass Frauen zwar die Kirche besuchen, aber in der
1
MAKOWSKI, Kobiety uczą kościół…, a.a.O., S. 7.
2
Makowski sprach mit den Theologinnen Elżbieta Adamiak und Monika Waluś, katholischen Publizistinnen Halina Bortnowska und Anna Karoń-Ostrowska, der Historikerin Ewa Wipszycka, der Politikerin und Ökonomin Hanna Gronkiewicz-Waltz, den Ordensfrauen Barbara Chyrowicz, Małgorzata Chmielewska, Teresa Kieniewicz und der ehemaligen Nonne Monika Szewc sowie mit der Feministin Magdalena Środa.
262 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
Kirche nichts zu sagen haben.3 Er bemerkte 2009 zudem sarkastisch, dass falls die Kirche in Polen Frauen höre, dann nur im Beichtstuhl.4 „Ich bin schon gelangweilt zu fragen, wo Frauen in Führungspositionen in der Kirche sind. Wir sprechen darüber, fragen danach, und was passiert? Unsere Forderungen sind ja so bescheiden, brav, orthodox und immer noch – zumindest in der polnischen Wirklichkeit – nicht realisierbar. Deren Einführung erfordert keine theologische Revolution, sondern nur den Willen der kirchlichen Entscheidungsträger zu gewöhnlichen administrativen Entscheidungen.“5
Diese Worte stammen einem 2013 erschienenen Artikel, den die polnische katholische Theologin Zuzanna Radzik in Tygodnik Powszechny publizierte. In ihnen bringt sie ihre Enttäuschung über die Situation der polnischen Frauen innerhalb der katholischen Kirche zum Ausdruck. Sie ist dahingehend resigniert, dass sogar die einfachsten und bescheidensten Forderungen von Frauen nach mehr Mitwirkung in der Kirche an der ablehnenden Haltung der polnischen Amtskirche scheitern. Damit zeigt sie, dass die polnischen kirchlichen Amtsträger mit der jetzigen schweigend-helfenden Rolle von Frauen in der Kirche zufrieden sind und keinen Anlass für Veränderungen sehen – auch nicht für jene, die im Rahmen der kirchlichen Lehre möglich wären. Zwischen den beiden Zitaten Makowskis und Radziks liegen sechs Jahre und sie zeigen, dass sich im Bereich der Teilhabe von Frauen in der katholischen Kirche wenig geändert hat. Es erschienen zwar mehrere Artikel zur Rolle der Polinnen innerhalb der Kirche, die auf die Unsichtbarkeit der Katholikinnen in den kirchlichen Strukturen hinweisen, die Aktualität dieses Themas zeigt jedoch, dass es sich hier sprichwörtlich um Rufe in die Wüste handelt.6
3
ADAMIAK, Milcząca obecność. O…, a.a.O., S. 20.
4
Vgl. JAROSŁAW MAKOWSKI, Kościół słucha kobiet? Tak, w konfesjonale [Hört die Kirche auf die Frauen? Ja, im Beichtstuhl], 2009, http://wyborcza.pl/1,76842,71560 85,Kosciol_slucha_kobiet__Tak__w_konfesjonale.html (abgerufen am 30.03.2012).
5
ZUZANNA RADZIK, Druga połowa ludzkości [Die zweite Hälfte der Menschheit], in: Tygodnik Powszechny, 3355, H. 43, 2013, S. 18–19, S. 18.
6
Die bisher wichtigste Analyse der Situation von Frauen in der katholischen Kirche in Polen in Bezug auf die Lehre der Kirche stellt der Sammelband von Elżbieta Adamiak und Małgorzata Chrząstowska von 2008 dar, der eine umfangreiche Untersuchung der Rezeption der Lehre von Johannes Paul II. auf verschiedenen Ebenen in der polnischen Amtskirche beleuchtet, vgl. ELŻBIETA ADAMIAK, MAŁGORZATA CHRZĄSTOWSKA
Teilhabe in der Kirche | 263
Polnische Theologinnen und Theologen finden teilweise Erklärungen dafür, warum die erwähnte „schweigende Anwesenheit“ der Frauen sich noch immer nicht in aktive Teilnahme wandelt. Zum einen sei hierfür eine insgesamt geringe
(HRSG.), Godzina kobiet? Recepcja…, a.a.O. Andere Texte zur Rolle von Frauen in der polnischen katholischen Kirche betreffen u.a. die Frage der Messdienerschaft für Frauen: ELŻBIETA ADAMIAK, Dziewczyny przy ołtarzu [Mädchen am Altar], in: Tygodnik Powszechny, 40, H. 2830, 2003, S. 10; des Antifeminismus der katholischen Kirche: PETRY MROCZKOWSKA, Feminizm – antyfeminizm. Kobieta…, a.a.O; RADZIK, Kościół kobiet…, a.a.O; das Weiblichkeitsbild polnischer Geistlicher: SZWED, Ta druga. Obraz…, a.a.O; oder der Rolle der Frauen in der katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanum: ZYCH, Kobieta w Kościele katolickim po Soborze Watykańskim II [Die Frau in der katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanum], in: KOŚCIAŃSKA, AGNIESZKA; LESZCZYŃSKA, KATARZYNA (Hrsg.), Kobiety i religie, a.a.O. Darüberhinaus sind regelmäßig Beiträge in den katholischen Zeitschriften und im Themenschwerpunkt von Gazeta Wyborcza 2009 „Godzina kobiet w Kościele“ [Die Stunde der Frauen in der Kirche] erschienen: ALEKSANDRA KLICH, Niewygodna lekcja Wandy Półtawskiej [Die unbequeme Lektion von Wanda Półtawska], 2009, http:// wyborcza.pl/1,76842,7138664,Niewygodna_lekcja_Wandy_Poltawskiej.html (abgerufen am 15.10.2016); ALEKSANDRA KLICH, Kogo widzi ksiądz, patrząc na kobietę [Wen sieht ein Priester, wenn er eine Frau anschaut], 2009, http://wyborcza.pl/ 1,76842,7149600,Kogo_widzi_ksiadz__patrzac_na_kobiete.html?as=2 (abgerufen am 15.10.2016); ALEKSANDRA KLICH, JAN TURNAU, ALFONS JÓZEF SKOWRONEK, Feministyczna rewolucja Chrystusa. Rozmowa ks. prof. Alfonsem Józefem Skowronkiem [Die feministische Revolution von Jesus. Gespräch mit dem Priester Prof. Alfons Józef Skowronek], 2009, http://wyborcza.pl/1,76842,7135236,Feministyczna_rewolucja_ Chrystusa.html?as=5&startsz=x (abgerufen am 30.03.2012); NATALIA WALOCH, W oblężonej twierdzy [In der belagerten Festung], 2009, http://wyborcza.pl/1,76842,7144 119,W_oblezonej_twierdzy.html?as=1&startsz=x (abgerufen am 29.03.2012). Auf Deutsch erschienen zur Rolle von Frauen in der katholischen Kirche Polens u.a. ALINA PETROWA-WASILEWICZ, Denkmal der Unbekannten Köchin oder braucht Polen den Feminismus?, in: KALUZA, ANDRZEJ; WIERCZIMOK, JUTTA (Hrsg.), Jahrbuch Polen 2006. Frauen. Band 17, Wiesbaden, 2006, S. 52–59; STAŚKIEWICZ, Katholische Frauenbewegung in…, a.a.O; MONIKA WALUŚ, Die Kirche und die Frauen im heutigen Polen, in: KALUZA, ANDRZEJ; WIERCZIMOK, JUTTA (Hrsg.), Jahrbuch Polen 2009. Religion. Band 20, Wiesbaden, 2009, S. 58–69.
264 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
Beteiligung der Laiinnen und Laien in der kirchlichen Gemeinschaft verantwortlich, was der politischen Situation Polens nach 1945 geschuldet sei.7 Zum anderen fehle das kirchliche Gemeinschaftsgefühl sowohl bei Priestern, als auch bei Laiinnen und Laien.8 Auch polnische Katholikinnen selbst insistieren nicht entschieden genug auf mehr Beteiligung an den und Einbindung in die kirchlichen Strukturen.9 Laut Makowski sehe gar die Mehrheit der Katholikinnen keine Veranlassung für Veränderungen – die Oberhand würden Traditionalistinnen gewinnen, während feministisch eingestellte Katholikinnen ihren Glauben privatisieren oder ein Nischendasein in den kirchlichen Strukturen führen.10 Gleichzeitig verzichten immer mehr Frauen auf religiöse Praktiken, auch wenn sie weiterhin gläubig bleiben. Darauf wird noch genauer eingegangen werden, aber es zeigt sich bereits, dass die Ablehnung der institutionellen Kirche durch Frauen ein stiller Akt ist, denn sie verlassen die Kirche weder „mit Krach“11, noch versuchen sie diese zu verändern – es fehlt in Polen eine Bewegung von katholischen Frauen, die sich für die größere Teilhabe von Frauen innerhalb der katholischen Kirche einsetzt.
7
Vgl. Maryja naszą mistrzynią…, a.a.O., S. 7; KLICH, Kogo widzi ksiądz…, a.a.O; RADZIK, Druga połowa ludzkości…, a.a.O., S. 18.
8
Vgl. MAŁGORZATA CHMIELEWSKA, Miejsce kobiety w Kościele [Der Platz der Frau in der Kirche], in: List do Pani, 11 (169), 2008, S. 7; ELŻBIETA FIRLIT, Asymertryczność relacji laikatu i duchowieństwa w polskim kontekście społeczno-kulturowym [Asymetrie der Beziehung zwischen Laientum und Klerus im polnischen sozio-kulturellen Kontext], in: BANIAK, JÓZEF (Hrsg.), Laikat i duchowieństwo w Kościele katolickim w Polsce. Problem dialogu i współistnienia, Poznań, 2010, S. 271–290.
9
Vgl. KLICH, TURNAU, SKOWRONEK, Feministyczna rewolucja Chrystusa…, a.a.O; MAKOWSKI, Kościół słucha kobiet…, a.a.O.
10 Vgl. MAKOWSKI, Kościół słucha kobiet…, a.a.O. Siehe auch Ta druga, inna od mężczyzny. Z Elżbietą Adamiak, teolożką, rozmawia Anna Mateja [Die zweite, anders als der Mann. Mit der Theologin Elżbieta Adamiak spricht Anna Mateja], in: Tygodnik Powszechny, 2787, H. 49, 2002, S. 19; BRZEZIŃSKA-WALESZCZYK, RADZIK, Dlaczego Kościół ma…, a.a.O; GOMOLA, Niech Kościół jej…, a.a.O. 11 RADZIK, Kościół kobiet…, a.a.O., S. 7.
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8.1 „SCHLAFENDE RIESINNEN UND RIESEN“? ZUR ROLLE DER LAIINNEN IN DER KATHOLISCHEN KIRCHE POLENS Obwohl sich über 90 Prozent der Polinnen und Polen als gläubig bezeichnen, ist ihre Bereitschaft, sich aktiv in die kirchlichen Gemeinden einzubringen, sehr gering.12 Zwar fühlten sich 2014 etwa 66 Prozent der Gläubigen mit der Kirchengemeinde verbunden, sie sahen darin aber eher eine „Dienstleistung“ zur Erfüllung von religiösen und zunehmend auch außerreligiösen Bedürfnissen.13 Ihre eigene Beteiligung in der lokalen Kirchengemeinde konzentrierte sich auf die Teilnahme an Messen und religiösen Praktiken, nur acht Prozent der Gläubigen deklarierte 2014 die Mitgliedschaft in einer Gruppe in der Kirchengemeinde (z.B. einer Rosenkranzgruppe).14 Und wie bereits erwähnt, engagierten sich 2013 lediglich 13,7 Prozent der Polinnen und Polen privat in unterschiedlichen Organisationen, was für die polnische Zivilgesellschaft eine sehr niedrige Zahl ist.15 Die Laiinnen und Laien werden in der polnischen Religionswissenschaft wegen ihrer großen Anzahl, die jedoch im Kontrast zu ihrer Unsichtbarkeit und zu dem ungenutzten Potenzial steht, als „schlafende Riesen“ bezeichnet.16 Diese geringe Ausprägung des kirchlichen Engagements bei einer so großen Zahl der sich
12 Seit 2005 wächst jedoch systematisch der Anteil der Menschen, die sich als ungläubig bezeichnen, die Zahl hat sich von vier auf acht Prozent verdoppelt. Vgl. BOGUSZEWSKI, Zmiany podstawowych wskaźników religijności Polaków po śmierci Jana Pawła II. [Änderungen der Religiosität der Polen nach dem Tod von Johannes Paul II.], in: GRABOWSKA, MIROSŁAWA (Hrsg.), Religijność i Kościół, a.a.O., S. 36. 13 Vgl. BOGUSZEWSKI, Lokalna parafia – jej społeczne znaczenie i funkcje [Die lokale Gemeinde – ihre gesellschaftliche Bedeutung und Funktion], in: GRABOWSKA, MIROSŁAWA (Hrsg.), Religijność i Kościół, a.a.O., S. 115. 14 Vgl. ebd., S. 99. 15 Vgl. JANUSZ CZAPIŃSKI, TOMASZ PANEK (HRSG.), Diagnoza społeczna 2013…, a.a.O., S. 290. 16 WIESŁAW PRZYGODA, Apostolat świeckich w Polsce w czterdzieści lat po Soborze Watykańskim II. [Das Laienapostolat in Polen vierzig Jahre nach dem Zweiten Vatikanum], in: PRZYBECKI, ADAM (Hrsg.), Teologia Praktyczna, Band 7, 2006, S. 41–56. Vgl. .auch ROGACZEWSKA, The Sleeping Giant…, a.a.O; SŁAWOMIR H. ZARĘBA, Laikat katolicki w Polsce. Pasywny czy aktywny aktor życia religijnego? [Das katholische Laikat in Polen. Ein passiver oder aktiver Akteur des religiösen Lebens?], in: BANIAK, JÓZEF (Hrsg.), Laikat i duchowieństwo w Kościele katolickim w Polsce. Problem dialogu i współistnienia, Poznań, 2010, S. 47–64.
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als gläubig bezeichnenden Menschen in Polen ist also auffallend, obwohl ihnen insbesondere seit dem Zweiten Vatikanum viele Möglichkeiten der Teilhabe offenstehen. Das Zweite Vatikanum, welches das Aggiornamento der katholischen Kirche zum Ziel hatte, bedeutete eine Abkehr von der Teilung der katholischen Kirche in eine belehrende Kirche der Geistlichen und eine zuhörende Kirche der Gläubigen und eine Hinwendung zu einer gemeinschaftlichen Kirche „des gemeinsamen Priestertums“ und des „Gottesvolkes“17. In der Konzilsverfassung Lumen gentium wurden die durch die Taufe mit der Kirche verbundenen Laiinnen und Laien dazu aufgerufen, mehr eigene Aktivität in die Kirche einzubringen. Diese neu eröffneten Möglichkeiten wurden in Westeuropa und den USA von den Laiinnen und Laien aufgegriffen – was auch mit den gesellschaftlichen Veränderungen der 1960er und der 1970er Jahre zusammenhing. Es war die Geburtsstunde verschiedener Initiativen, die teilweise autonom, ökumenisch oder jenseits der kirchlichen Strukturen entstanden sind.18 Die Rezeption des Zweiten Vatikanums in der katholischen Kirche in Polen gestaltete sich aufgrund der politischen Situation nach 1945 schwierig.19 Parallel zum Vatikanum fanden in Polen die bereits vorgestellten Millenniumsfeierlichkeiten zum 1000. Jahrestag der „polnischen Taufe“ statt, die sich zum „Kampf um die Seelen“20 mit den als staatliche Reaktion konzipierten Gegenveranstaltungen zum 1000. Gründungsjubiläum des polnischen Staates entwickelten. Die Entstehung einer Laiinnen- und Laienbewegung, ähnlich der in Westeuropa, war unter diesen Bedingungen erschwert. Hinzu kommt auch, dass die Kirchenhierarchien
17 Kirchenkonstitution Lumen Gentium, insbesondere Punkte 9-17, oder „das gemeinsame Priestertum“ (Lumen Gentium 10) 18 Vgl. z.B. das 1995 in Deutschland entstandene KirchenVolksBegehren, aus dem sich die Reformbewegung KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche entwickelte. Auch katholische Frauen ergriffen die Initiative, so entstanden in den 1980er Jahren mehrere katholische Frauenorganisationen in Westdeutschland, wie z.B. die Initiative Gleichberechtigung für Frauen in der Kirche – Maria von Magdala. Vgl. GISELA MATTHIAE, RENATE JOST, CLAUDIA JANSSEN u. a. (Hrsg.), Feministische Theologie…, a.a.O., S. 57. 19 Vgl. ZBIGNIEW NOSOWSKI (HRSG.), Dzieci Soboru zadają pytania. Rozmowy o Soborze Watykańskim II [Kinder des Konzils stellen Fragen. Gespräche über das Zweite Vatikanum], Warszawa, 1996; STAŚKIEWICZ, „Die Tür ist…, a.a.O. 20 CYPRIAN WILANOWSKI (HRSG.), Millennium polskie. Walka…, a.a.O.
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in Polen den außerkirchlichen grass-roots-Initiativen skeptisch gegenüberstanden.21 Dadurch entwickelte sich eine bis heute andauernde Passivität des Laientums – was in der polnischen katholischen Kirche zähle, ist: „Gehorsamkeit Gott und der Kirche gegenüber, Marienfrömmigkeit und Sorge um die religiöse und patriotische Erziehung von Katholiken“.22 Anlässlich des Jubiläums des Zweiten Vatikanums 2012 setzten sich einige katholische Intellektuelle und Geistliche kritisch mit dessen polnischer Rezeption und dem Niveau des polnischen Katholizismus auseinander.23 Es wurde bemängelt, dass die Kirche sich allzu sehr um die Stärkung eigener, hierarchisch aufgebauter Strukturen, denn um die Reformen und Umwandlung in eine gemeinschaftliche Kirche kümmere.24 Statt sich zu einer offenen Kirche zu entwickeln, fungiere sie als eine Festung und verbleibe auf dem Niveau einer streitenden Kirche (ecclesia militans).25 Wie bereits in dieser Arbeit dargestellt zeigten sich die katholische Amtskirche in Polen und ihre Organisationen besonders in der Frage der reproduktiven Rechte in der Rolle der ecclesia militans. Mit dem restriktiven Abtreibungsgesetz wurde die konservative Revolution der Kirche letztendlich vollbracht. Laut Stanisław Obirek führt die katholische Kirche in Polen dennoch weiterhin einen „kalten Krieg“26: Statt sich mit dem demokratischen System zu arrangieren, schürt sie weitere Ängste und das Gefühl des Bedrohtseins in der Bevölkerung. Die Stellungnahmen des polnischen Episkopats zur bereits dargestellten Anti-GenderKampagne der letzten Jahre scheinen Obireks These zu stützen. Die institutionelle
21 Vgl. PRZYGODA, Apostolat świeckich w…, a.a.O. 22 Ebd., S. 51. 23 Diese Debatte fand in Form mehrerer Beiträge in den Medien des offenen Katholizismus statt: Znak, Więź und Tygodnik Powszechny statt. Es nahmen an ihr u.a. Barbara Chyrowicz, Andrzej Czaja, Andrzej Draguła, Józefa Hennelowa, Dominik Jurczak, Karol Kleczka, Dominika Kozłowska, Józef Majewski, Wacław Oszajca, Maria Poniewierska, Jacek Prusak, Grzegorz Ryś, Konrad Sawicki und Maciej Zięba teil, vgl. Więź Heft 10 (648) 2012 und Znak (10) 2012 und Tygodnik Powszechny, 42 (3301) 2012. 24 Vgl. PONIEWIERSKA, CHYROWICZ, OSZAJCA u. a., Kryzys w Kościele…, a.a.O; JACEK PRUSAK, Duchowe tsunami do nas nie dotarło [Der geistige Tsunami kam bei uns nicht an], in: Tygodnik Powszechny, 42, H. 3301, 2012, S. 3. 25 Vgl. Kościół na miarę…, a.a.O. 26 STANISŁAW OBIREK, ANDRZEJ BRZEZIECKI, JAROSŁAW MAKOWSKI, Przed Bogiem. Ze Stanisławem Obirkiem rozmawiają Andrzej Brzeziecki i Jarosław Makowski [Vor Gott. Andrzej Brzeziecki und Jarosław Makowski sprechen mit Stanisław Obirek], Warszawa, 2005, S. 18.
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Kirche in Polen funktioniert heute zwar ohne einen politischen Gegner, aber stattdessen über ein „verschärftes Gefühl der Bedrohung“, insbesondere in Bezug auf „weltanschaulichen und axiologischen Pluralismus“27. Die kämpferische Ausrichtung der polnischen Amtskirche machte und macht sie zu einer Art Festung und führt zu einer Konservierung ihrer stark hierarchisierten Struktur, die einen Dialog zwischen dem Klerus und der gläubigen Bevölkerung erschwert. Die Beziehung zwischen den Gläubigen und den Geistlichen in Polen ist durch Asymmetrie gezeichnet – die polnischen Priester fungieren eher als Autorität, denn als Partner der Gläubigen in den Gemeinden.28 Es herrscht insgesamt der Zustand einer Gleichgültigkeit für das soziale Engagement in den Gemeinden: „Es scheint, dass nach der über die Jahre hinweg erlernten – und im gewissen Sinne ‚belohnten‘ – Passivität und Subjektlosigkeit der Mehrheit der Laienkatholiken in Polen und zur klerikalen Monopolisierung der meisten Angelegenheiten, die das religiöse Leben der Bevölkerung ebenso wie das Funktionieren der lokalen religiösen Strukturen betreffen, in den Jahren der Transformation Merkmale hinzutraten, wie die Konzentration auf die eigenen Angelegenheiten, eine fortschreitende Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal anderer Menschen, Individualismus und eine geweckte und propagandistisch geschürte Orientierung hin zu Erfolg und Geld. Diese Merkmale betreffen nicht nur den bedeutenden Teil des Laientums im gegenwärtigen Polen, sondern sind auch in den Reihen der Geistlichen vorhanden, die sich in den vergangenen zwanzig Jahren in großem Maße auf die Stärkung der institutionellen Stellung der kirchlichen Strukturen und der Stabilisierung ihrer eigenen Position konzentrierten und in viel geringerem Maße auf den Ausbau partnerschaftlich ausgeglichener Beziehungen mit den Laien. In der Konsequenz ist es – wie es scheint – sowohl dem Laientum (welches sich in der Mehrheit durch schwaches ecclesiales Bewusstsein auszeichnet) als auch den Geistlichen (gewöhnt an das hohe soziale Prestige und eine stabile soziale und berufliche Position) immer gleichgültiger, ob die gemeinsamen Beziehungen vertieft werden.“29
Maria Rogaczewska betonte 2010 die Notwendigkeit der Anpassung der katholischen Kirche an die gegenwärtige Welt und die Nutzung des Potentials des Engagements von Laiinnen und Laien. Die Kirche sollte dabei auch die Änderungen der Geschlechterrollen anerkennen. Sie schreibt:
27 TOMASZEWSKA-KOŁYSZKO, Czy w Polsce…, a.a.O., S. 124. 28 Vgl. FIRLIT, Asymertryczność relacji laikatu…, a.a.O; PONIEWIERSKA, CHYROWICZ, OSZAJCA u. a., Kryzys w Kościele…, a.a.O; PRUSAK, Duchowe tsunami do…, a.a.O. 29 FIRLIT, Asymertryczność relacji laikatu…, a.a.O., S. 287.
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„The Church has to overcome the gender bias, introduce a democratic system of decisionmaking and put a much heavier emphasis on a practical interpretation of Catholic Social Teaching in the contemporary social world, culture and economy.“30
Interessanterweise äußerte sich Rogaczewska in einem ihrer nächsten Beiträge während der Anti-Gender-Kampagne der katholischen Amtskirche in Polen viel kritischer über den Gender-Ansatz, indem sie eine Opposition zwischen guter Gender-Theorie und „gefährlicher“ konstruktivistischer „Gender-Ideologie“ aufmachte. Sie würdigte dabei die strukturbringende Wirkung von Weiblichkeitsund Männlichkeitsmustern für die Entwicklung von jungen Menschen, denn insbesondere in der Kindheit bedürfe es „eines in seiner Männlichkeit starken Vaters und einer in ihrer Weiblichkeit starken Mutter“.31 Zusammenfassend ist festzustellen, dass im Lichte der westeuropäischen Erfahrung die Entwicklung einer katholischen Frauenbewegung ohne eine Laiinnenund Laienbewegung sowie ohne eine starke kirchliche Zivilgesellschaft kaum möglich ist. Es mangelt in Polen nicht nur an katholischen, von der Amtskirche unabhängigen, Frauenorganisationen, sondern insgesamt an unabhängigen katholischen Laiinnen- und Laienorganisationen, die die Zivilgesellschaft prägen. Auch die ökumenische Bewegung konnte sich in Polen nicht entwickeln, was insbesondere an der Vorrangstellung der katholischen Kirche in Polen liegt.32 Unter diesen Bedingungen kann sich keine Frauenbewegung entwickeln, denn das Problem der mangelhaften Präsenz der Frauen stellt, so Zuzanna Radzik, „ein Derivat“ der mangelnden Präsenz der Laiinnen und Laien in der katholischen Kirche in Polen dar.33
30 ROGACZEWSKA, The Sleeping Giant…, a.a.O., S. 34., 31 PETROWA-WASILEWICZ, ROGACZEWSKA, Gender. Co to…, a.a.O. 32 Vgl. Bóg się nie powtarza Z ks. Wacławem Hryniewiczem rozmawiają Ewa Jóźwiak i Teresa Terczyńska [Gott wiederholt sich nicht. Mit dem Priester Wacław Hryniewicz sprechen Ewa Jóźwiak und Teresa Terczyńska], in: NOSOWSKI, ZBIGNIEW (Hrsg.), Dzieci Soboru zadają, a.a.O. 33 RADZIK, Druga połowa ludzkości…, a.a.O., S. 18.
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8.2 MÖGLICHE ROLLEN VON FRAUEN IN DER KIRCHE UND DIE SITUATION IN POLEN „Ich bin schon seit vier Tagen in Polen und ich merke, dass es hier keine Frauen gibt – weder als Lektorinnen noch als Messdienerinnen oder als Kommunionsspenderinnen. In vielen Ländern ist das eine gewöhnliche Praxis. Natürlich hängt das von lokalen Bedingungen ab, aber dieses Lokalkolorit ist offensichtlich.“34
Mit diesen Worten schilderte Gillian Badcock, die Präsidentin der katholischen Weltorganisation WUCWO, die Eindrücke ihres Besuchs in Polen im Jahr 2007 – acht Jahre nach Adamiaks Feststellung der „schweigenden Anwesenheit“ 35 der Frauen in der katholischen Kirche. Diese Verwunderung der Vertreterin einer Organisation, der auch der PZKK angehört, lässt die Frage nach den Ursachen dieses „Lokalkolorits“ aufkommen. Denn auch in Polen gilt das kirchliche Recht, insbesondere das 1983 modifizierte kanonische Recht, welches Frauen wie allen Laiinen und Laien verschiedene Funktionen innerhalb der Kirche gewährt. In der folgenden Tabelle sind einige von ihnen aufgezählt:
34 ALINA PETROWA-WASILEWICZ, Razem łatwiej budować cywilizację miłości [Zusammen ist es einfacher, die Zivilisation der Liebe zu bauen], 2 (151), 2007, S. 10–11, hier S. 11. 35 ADAMIAK, Milcząca obecność. O…, a.a.O., S. 19.
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Mögliche Funktionen für Frauen als Laiinnen in der katholischen Kirche nach Kanonischem Recht Teilnehmerin des Ökumenischen Konzils (Can. 339 § 2) Beratung bei Bischofssynoden (Can. 344 Abs. 2) Ratgeberin (Konsultoren) bei den Wahlen des Diözesanbischofs oder Bischofskoadjutores (Can. 377 § 3) Mitglied der beratenden Partikularkonzilien (Can. 443 § 6) Mitglied der Diözesensynode (Can. 463 Abs. 5) Mitglied des beratenden Pastoralsrates der Diözese (Can. 512 § 2) und der Pfarrei (Can. 536 § 1) Ökonomin der Diözesen (Can. 494) Mitglied des Vermögensverwaltungsrates der Diözesen (Can. 492 § 1) Diözesanrichterin (Can. 1421 § 2) und Beisitzerin des Richters (Can. 1424) Funktion der Kirchenanwältin, Bandverteidigerin (Can. 1435) und Notarin (Can. 483) im kirchlichen Gerichtswesen Begrenzte liturgische Handlungen, wie z.B. Aufgaben des Kommentators, des Kantors oder „andere Aufgaben nach Maßgabe des Rechtes“ (Can. 230 § 2) Als Priestervertretung „Dienst am Wort, Leitung liturgischer Gebete, Spendung der Taufe und Austeilung der heiligen Kommunion“ (Can. 230 § 3) Lehre der theologischen Wissenschaften (Can. 229 § 3) Es stehen den Frauen also verschiedene Funktionen zur Verfügung, für Polinnen bleiben diese Möglichkeiten jedoch weiterhin Theorie, statt in der Praxis umgesetzt zu werden. Elżbieta Adamiak untersuchte die Rolle polnischer Frauen auf drei Ebenen möglicher Beteiligung für Laiinnen und Laien im kirchlichen Leben: in der Glaubensvermittlung, der Liturgie und in der Diakonie. Polinnen spielen eine große Rolle in der religiösen Erziehung, insbesondere in den Familien und in der elementaren religiösen Ausbildung in den Schulen. Adamiak spricht hier von „Arbeit an Grundlagen“, denn je höher der Ausbildungsgrad, desto seltener sind Frauen als Religionslehrende zu finden. 36 Frauen sind ebenfalls auf karitativer 36 ELŻBIETA ADAMIAK, Możliwość duszpasterskiego zaangażowania kobiet w parafii [Über die Möglichkeit des seelsorgerischen Engagements der Frauen in der Gemeinde], in: BANIAK, JÓZEF (Hrsg.), Parafia jako rzeczywistość wielowymiarowa, Poznań, 2003, S. 27–36, hier S. 30–33.
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Ebene aktiv, weil diese Arbeit als typisch weibliche und der „fraulichen“ Berufung entsprechende Aufgabe angesehen wird. Die Liturgie hingegen ist weiterhin größtenteils für Frauen verschlossen und ihre Rolle beschränkt sich auf den „schweigenden und fremden Zuschauerraum“.37 Das Fehlen von Frauen in der Gestaltung der Liturgie ist derjenige Aspekt, welcher auch die eingangs erwähnte WUCWO-Präsidentin Badcock bei ihrem Polen-Besuch besonders verwunderte. Hier handelt es sich um ein polnisches Spezifikum, insbesondere, wenn man die Gestaltung der katholischen Messen in Polen, Deutschland, Frankreich und Italien miteinander vergleicht. 38 Frauen in Polen können theoretisch in Vertretung und auf Empfehlung eines Priesters „Außerordentlichen Kommunionsspenderin“ werden. Der polnische Episkopat sieht diese Funktion für Männer, Ordensschwestern und geweihte Frauen im Alter zwischen 25-65 Jahren vor. Trotz dieser Regelungen bilden Frauen in dieser Funktion eine Ausnahme; auch die Gläubigen, sowohl Frauen wie Männer, begegnen einer Kommunion verteilenden Frau größtenteils mit Ablehnung.39 Wie Anna Szwed mit ihren Interviews zeigt, verbleiben einige Priester bei der arbiträren Feststellung „es ist ja nicht nötig“ als einer möglichen Begründung der Nichtzulassung von Frauen zu dieser Aufgabe.40 Anzumerken ist aber, dass auch Frauen nicht genügend Interesse für diese Funktion zeigen.41 Obwohl Mädchen gemäß des kirchlichen Rechts Messdienerinnen sein können, werden sie nur in wenigen Diözesen zugelassen, da die polnische Amtskirche in dieser Frage sehr konservativ ist.42 In einer synodalen Anordnung der Erzdiözese Warschau von 2003 wurden Mädchen zwar zur Teilnahme an Gesang und
37 Ebd., S. 31. 38 Vgl. ALA BUDZYŃSKA, ZUZANNA RADZIK, Radzik: Kościół potrzebuje feminizmu. Z Zuzanną Radzik rozmawia Ala Budzyńska [Radzik: Die Kirche braucht den Feminismus. Ala Budzyńska spricht mit Zuzanna Radzik], 2014, http://magazynkontakt.pl /radzik-kosciol-potrzebuje-feminizmu.html (abgerufen am 12.12.2016). 39 Vgl. Czy kobiety powinny rozdawać Komunię? [Sollen Frauen die Kommunion erteilen?], 2007, http://kosciol.wiara.pl/doc/493940.Czy-kobiety-powinny-rozdawac-Ko munie (abgerufen am 12.12.2016); KARABIN, Nadchodzą zmiany? Kościelna…, a.a.O. 40 SZWED, Ta druga. Obraz…, a.a.O., S. 260. 41 Vgl. KLICH, TURNAU, SKOWRONEK, Feministyczna rewolucja Chrystusa…, a.a.O. 42 Laut Can. 230 § 2 können Laiinnen und Laien, also auch Frauen, liturgische Handlungen wie z.B. Aufgaben des Kommentators, des Kantors und „andere“ Aufgaben übernehmen. Die „anderen“ Aufgaben wurden 1992 in einem Brief Johannes Pauls II. konkretisiert, auch der „Dienst am Altar“ gehört dazu. Vgl. ADAMIAK, Dziewczyny przy ołtarzu…, a.a.O. 2011 gab es 1000 Ministrantinnen auf 300000 Ministranten, sie waren
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Prozessionen ermutigt, aber sie sollten „gemäß der Tradition und althergebrachter Praktiken“ keine Ministrantinnen sein.43 Die meisten Argumente gegen die Zulassung der Mädchen hängen mit der Annahme zusammen, dass die Messdienerschaft eine Kaderschmiede für zukünftige Priester sei, die Jungen könnten durch diesen Dienst ihre Berufung entdecken. Die Beteiligung von Mädchen würde aber die Jungen verunsichern oder gar einschüchtern, da Mädchen oft fleißiger und besser organisiert seien. Das würde dann zum Rückgang der ohnehin sinkenden Zahl von Berufungen zum Priesteramt führen.44 Teilweise wird sogar argumentiert, dass Mädchen die Jungen oder sogar Priester durch ihre Weiblichkeit herausfordern und verführen könnten.45 Wie ich bereits erwähnte, wurde mit dem Mädchenmariendienst (Dziewczęca Służba Maryjna) ein Ersatz für die Ministrantinnenrolle entwickelt, welcher jedoch auf die traditionelle Frauenrolle vorbereitet. Polinnen machen heute etwa die Hälfte der Theologiestudierenden aus, allerdings zeigt eine Untersuchung von Bartosz Bynowski über Theologinnen an den Universitäten in den Jahren 1978-2008, dass, je höher die akademische Stufe ist, umso weniger Frauen anzutreffen sind (11,5 Prozent aller Promovierten und 2,17 Prozent der Habilitierten).46 Lediglich 8,2 Prozent aller Theologielehrenden sind Frauen. Dafür ist unter anderem das Dokument Ratio institutionis sacerdatalis pro
in 20 von 41 Diözesen zugelassen, vgl. JAN DZIADUL, Śląskie ministrantki przecierają szlaki. Alicja w Krainie Modłów [Schlesische Ministrantinnen als Pionierinnen. Alice im Gebetsland], in: Polityka, 2011. 43 ARCHIDIECEZJA WARSZAWSKA, IV Synod Archidiecezji Warszawskiej [Die 4. Synode des Erzbistums Warschau], 2003, http://www.archidiecezja.warszawa.pl/upload/ binaries/dokument7/synod_aw.pdf (abgerufen am 12.08.2016), S. 64. 44 Vgl. ADAMIAK, Dziewczyny przy ołtarzu…, a.a.O; JACEK PRUSAK, Ministrantki kontra klerykalizm. Kobieta w „męskim" Kościele [Messdienerinnen kontra Klerikalismus. Die Frau in der „männlichen“ Kirche], in: Tygodnik Powszechny, 2003, H. 42, S. 11; RADZIK, Kościół kobiet…, a.a.O., S. 83-90; SZWED, „Nie ma Kościoła bez kobiet“. Obraz roli kobiet w wypowiedziach księży katolickich (na podstawie badań jakościowych) [„Es gibt keine Kirche ohne Frauen“. Das Frauenbild in den Aussagen von katholischen Priestern (laut einer qualitativen Untersuchung)], in: ADAMIAK, ELŻBIETA; CHRZĄSTOWSKA, MAŁGORZATA (Hrsg.), Godzina kobiet? Recepcja, a.a.O., S. 256266. 45 Vgl. SZWED, Ta druga. Obraz…, a.a.O., S. 259. 46 Vgl. BYNOWSKI, Kobiety na wydziałach teologii chrześcijańskiej w Polsce, in: ADAMIAK, ELŻBIETA; CHRZĄSTOWSKA, MAŁGORZATA (Hrsg.), Godzina kobiet? Recepcja, a.a.O.
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Polonia des polnischen Episkopats von 1999 verantwortlich, welches besagt, dass Theologieprofessoren Priester sein „sollen“, während das kanonische Recht geeigneten Laiinen und Laien das Lehren der Theologie erlaubt.47 Ein weiteres Problem besteht darin, dass es ohnehin für Laiinnen und Laien in Polen kaum möglich ist, Theologie über das Niveau des schulischen Religionsunterrichts hinausgehend zu unterrichten.48 Das Niveau der Theologie in Polen ist ein weiterer Aspekt, welcher bemängelt wird. Die polnischen Theologen beschäftigen sich mit der meist unkritischen Rezeption der vatikanischen Schriften, während die wichtigsten neuen Werke der Welttheologie nicht ins Polnische übersetzt sind.49 Unter diesen Bedingungen ist die Entwicklung einer feministischen Theologie beeinträchtigt, sie bleibt in Polen nach Elżbieta Adamiaks Diagnose von 1994 weiterhin ein „beinahe unmögliches Thema“.50 Da es kaum Frauen als Theologieprofessorinnen gibt, sind Lehrstühle für feministische Theologie ebenfalls kaum vorstellbar. Auch an den Priesterseminaren wird keine feministische Theologie oder zumindest etwas Frauenperspektive unterrichtet, was zur Verfestigung des idealisierten, traditionellen Frauenbildes bei den angehenden Priestern führt.51 Die polnischen Texte zum Thema Frau in der Kirche beschäftigen sich mit der „Theologie der Frau“.52 Der Großteil der Publikationen betrifft die Lehre Johannes Pauls II. über die Rolle der Frauen in der Kirche und die ersten Veröffentlichungen, die explizit zur feministischen Theologie gemacht wurden, sind dabei von Männern geschrieben. So bemängelt
47 Vgl. CHOŁODNIUK, Miejsce kobiet w Kościele rzymskokatolickim w Polsce – sytuacja prawna [Der Platz der Frau in der römisch-katholischen Kirche in Polen – die rechtliche Situation], in: ADAMIAK, ELŻBIETA; CHRZĄSTOWSKA, MAŁGORZATA (Hrsg.), Godzina kobiet? Recepcja, a.a.O., S. 102. 48 Vgl. ELŻBIETA ADAMIAK, Exemplarische Debatten im katholischen Polen seit 1989, in: ASSEL, HEINRICH; BEDFORD-STROHM, HEINRICH; CHRISTFRIED, BÖTTRICH (Hrsg.), Verkündigung und Forschung, Heft 1/2011, s.l, 2011, S. 29–40. 49 Vgl. TADEUSZ BARTOŚ, Bezradność teologów [Die Hilflosigkeit der Theologen], in: Przegląd, 2012, H. 14, 2012, S. 26–28. 50 ADAMIAK, Feministische Theologie in…, a.a.O. 51 Vgl. A co tu pani robi? O roli kobiet w formacji kapłańskiej z Ewą Kusz i Piotrem Jordanem Sliwińskim OFMCap rozmawia Grzegorz Pac [Und was machen Sie hier? Grzegorz Pac spricht über die Rolle von Frauen in der Priesterausbildung mit Ewa Kusz und dem Kapuzinerpater Piotr Jordan Sliwiński], in: Więź, 603-604, 1-2, 2009, S. 63– 73; KLICH, Kogo widzi ksiądz…, a.a.O. 52 ADAMIAK, Feministische Theologie in…, a.a.O., S. 108.
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Adamiak, dass in vielen Texten eine Auffassung des Feminismus als Vermännlichung der Frau zu lesen sei.53 Frauen könnten als Laiinnen qua kirchliches Gesetz auch Mitglieder der Kommissionen des Episkopats sein. Faktisch aber gibt es dort kaum Laien und insbesondere kaum Frauen. Das betrifft auch Kommissionen, die sich u.a. mit frauenrelevanten Themen beschäftigen, also, wie Zuzanna Radzik anmerkt, kulturell mit Frauen verbunden sind, wie z.B. die Kommission für Familienfragen, in der es drei Frauen unter den zwölf Konsultatoren gibt, während es in der Kommission zu Fragen der Bioethik sogar nur eine Frau gibt.54 Radzik bemerkt: „Wenn der Episkopat gnädigerweise mit den Frauen reden möchte, wählt er nur die für ihn ‚sicheren‘ Frauen.“55 Das betrifft insbesondere die im November 2013 neu konstituierte Kommission für Frauenseelsorge, die laut Radzik „vorsichtig besetzt“ wurde und lediglich eine Randbedeutung habe.56 In dieser Kommission sitzen mit Monika Waluś und Alina Petrowa-Wasilewicz (beide Amicta Sole) sowie mit Ewa Kowalewska vom FKP auch die Vertreterinnen der von mir untersuchten (Frauen-)Organisationen.
53 Vgl. ebd., S. 109. 54 Vgl. RADZIK, Kościół kobiet…, a.a.O., S. 43–57. 55 MARTA BRZEZIŃSKA-WALESZCZYK, ZUZANNA RADZIK, Bomba, która wysadzi patriarchat? Kato-feministyczny manifest Zuzanny Radzik [Eine Bombe, die das Patriarchat sprengt? Das katho-feministische Manifest Zuzanna Radziks], 2015, http:// ksiazki.wp.pl/tytul,Bomba-ktora-wysadzi-patriarchat-Kato-feministyczny-manifestZuzanny-Radzik,wid,21302,wywiad.html?ticaid=115ee4 (abgerufen am 29.08.2016). 56 BRZEZIŃSKA-WALESZCZYK, RADZIK, Dlaczego Kościół ma…, a.a.O. In einem vor der „Gender-Ideologie“ warnenden Protestbrief der Kommission zur Frauenseelsorge anlässlich des Briefes des Frauenkongresses an Papst Franziskus finden sich folgende Unterzeichnerinnen, die teilweise in den katholischen (Frauen-)Organisationen tätig sind: Dorota Kornas-Biela (KUL Katholische Universität Lublin); Alina Petrowa-Wasilewicz, Vizevorsitzende von Amicta Sole; Ewa Tomaszewska, ehemalige Abgeordnete des EU-Parlaments; Monika Waluś, Vorsitzende von Amicta Sole; Marta Wójcik, Direktor des Instytutu Prymasa Kardynała Stefana Wyszyńskiego und Ewa Kowalewska, Direktorin von Human Life International – Europa und Vorsitzende des FKP. EKAI.PL, Kongres Kobiet chce ograniczyć wolność głoszenia opinii przez Kościół [Der
Frauenkongress will die Meinungsfreiheit der Kirche einschränken], 2013, http://ekai.pl /wydarzenia/komentarze/x73077/kongres-kobiet-chce-ograniczyc-wolnosc-gloszeniaopinii-przez-kosciol/ (abgerufen am 12.12.2016).
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8.3 „DIE STUNDE DER FRAUEN“? – KATHOLISCHE (FRAUEN-)ORGANISATIONEN ZUR TEILHABE DER FRAUEN IN DER KIRCHE Die Inhaltsanalyse der Stellungnahmen der katholischen (Frauen-)Organisationen zeigt insbesondere eine geringe Bedeutung des Themas der Teilhabe von Frauen in der katholischen Kirche. Während z.B. in List do Pani wiederholt Beiträge zu Themen, wie reproduktive Rechte, Gender-Debatte, Konfrontation mit dem Feminismus oder Weiblichkeitsideale, erschienen sind, finden sich nur wenige Beiträge zur eigentlichen Rolle von Frauen in den kirchlichen Strukturen. Die ersten Beiträge, explizit zum Thema der Rolle von Frauen in der katholischen Kirche Polens, erschienen in List do Pani seit 2006 und folgen dem Diskurs der katholischen Anthropologie im Sinne der Komplementarität der Geschlechter. Bezeichnenderweise begann dort die Diskussion über Frauen unter Einbeziehung der Meinung von hohen Kirchenvertretern. So sprach sich 2006 Erzbischof Damian Zimoń in einem Interview mit Petrowa-Wasilewicz für mehr Teilhabe von Frauen in der Kirche aus. Frauen sollten jedoch ihre heiligen Vorgängerinnen nachahmen, die „diskret“ die Kirche gestalteten, und dabei insbesondere Maria folgen. Interessanterweise schlussfolgerte er, dass Frauen dort besonders aufgewertet würden, wo der Marienkult herrscht. Gleichzeitig gab er aber zu, dass er sich gegen die Zulassung von Mädchen zur Ministrantinnenrolle in seiner Diözese entschied. Er erkennt also die Notwendigkeit einer größeren Sichtbarkeit von Frauen an, allerdings sieht er ihre Beteiligung in einem traditionellen Rahmen.57 Auch der Bischof von Płock, Piotr Libera, der seinerseits 2008 die erste Frau zu einer Pressesprecherin einer Diözese in Polen berief, forderte 2009 eine „starke Lobby christlicher Frauen“58 und rief Frauen zur größeren medialen Sichtbarkeit auf, sie sollten ihre Stimmen erheben lernen und das „kulturelle, gesellschaftliche
57 Vgl. ALINA PETROWA-WASILEWICZ, DAMIAN ZIMOŃ, Nadszedł czas kobiet. Z metropolitą śląskim abp. Damianem Zimoniem rozmawia Alina Petrowa-Wasilewicz [Die Zeit der Frauen ist gekommen. Alina Petrowa-Wasilewicz spricht mit Erzbischof Damian Zimoń], in: List do Pani, 11(149), 2006, S. 8–9, hier S. 9. 58 Trzeba stworzyć mocne lobby kobiet chrześcijańskich. Wywiad przeprowadzony przez KAI z bp. Piotrem Liberą [Man muss eine starke Lobby der christlichen Frauen schaffen. Ein Interview der Nachrichtenagentur KAI mit Bischof Piotr Libera], in: List do Pani, 4 (173), 2009, S. 12–15, hier S. 12. Elżbieta Grzybowska, Doktor der Theologie, ist weiterhin Pressesprecherin der Diözese Piotr Liberas, ihre Berufung, als „erste Frau“ in Polen war häufig in den Medien diskutiert.
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und berufliche Leben“59 mehr prägen. Gleichzeitig sprach er in essentialistischer Manier über die besonderen Fähigkeiten von Frauen, wie „Hingabe“, „die personenbezogene Einstellung zur Welt“ oder die „den Frauen typische Wärme“.60 Die höhere Beteiligung der Frauen wurde hier mit der Einbringung ihrer besonderen Fähigkeiten in das kirchliche Leben begründet. Einen Anstoß zur Diskussion über die Rolle von Frauen in der Kirche brachte das Jahr 2008 mit dem 20. Jahrestag der Veröffentlichung der in Polen wenig rezipierten Enzyklika Johannes Pauls II. Mulieris Dignitatem. Im November 2008 fand in Płock auf Initiative von Erzbischof Libera ein Symposium über das Potential und die Mitwirkung von polnischen Frauen in der katholischen Kirche statt, organisiert durch die Katholische Aktion (Akcja Katolicka).61 Dort sprachen neben der Theologin Elżbieta Adamiak auch die zukünftigen Mitgliedsfrauen von Amicta Sole: Jadwiga Chołodniuk, Alina Petrowa-Wasilewicz und Monika Waluś. Angesprochen wurden die potentiellen, für Frauen möglichen Rollen, die jedoch durch sie nicht wahrgenommen werden. Die Referentinnen bedauerten, dass wenn beruflich erfolgreiche und dynamische Frauen die Schwelle der Kirche beträten, sie sich „in einer anderen Welt“62 befänden. Den Frauen müsse daher nach Petrowa-Wasilewicz eine Alternative angeboten werden, insbesondere den gut ausgebildeten Frauen, die sich zurzeit nicht ausreichend in die Kirche einbringen können:
59 Ebd., S. 13. 60 Ebd., S. 14. 61 Vgl. ALINA PETROWA-WASILEWICZ, Współczesna kobieta w Kościele [Die gegenwärtige Frau in der Kirche], in: List do Pani, 12/1 (170), 2008 - 2009, S. 14–15. Erzbischof Libera entschuldigte sich während des Symposiums bei den Frauen dafür, dass das „weibliche Genie“ in der Kirche unterschätzt und missachtet werde, siehe KARABIN, Nadchodzą zmiany? Kościelna…, a.a.O. Die Organisation Katholische Aktion in Polen entstand 1930 als Teil der durch Pius X. initiierten Laiinnen- und Laienbewegung unter Aufsicht der Amtskirche (siehe auch Anm. ). Als Zentralorganisation der Laien und Laiinnen in Zusammenarbeit mit der polnischen Amtskirche vereinigte sie u.a. die damaligen katholischen Frauen- und Jugendorganisationen. Während des 2. Weltkriegs und der darauffolgenden Zeit der Volksrepublik Polen war die weitere Existenz der Katholischen Aktion nicht möglich. Erst 1996 wurde sie durch den polnischen Episkopat neugegründet. Obwohl sie um 2004 ca. 35.000 Mitglieder zählte, ist sie bei den polnischen Gläubigen nicht besonders bekannt: 2008 wusste lediglich ein Fünftel der Gläubigen über die Existenz eines Kreises der Katholischen Aktion in seiner Kirchengemeinde, Vgl. ZARĘBA, Laikat katolicki w…, a.a.O. 62 PETROWA-WASILEWICZ, Współczesna kobieta w…, a.a.O.
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„Neben den ‚immer treuen‘ Frauen soll man heute auch diese wahrnehmen, welche entfremdet sind, zögern oder ohne größeren Erfolg nach ihrem Platz in der Kirche suchen. An sie soll man seelsorgerische Handlungen adressieren, zu ihnen soll man sprechen, eine neue Sprache suchend.“63
Die erweiterte Fassung des Referats von Petrowa-Wasilewicz erschien 2009 in der Januarausgabe der Zeitschrift Więź, welche der Thematik von Frauen in der katholischen Kirche Polens gewidmet war.64 Damit wurde die Diskussion angestoßen, die auch durch die Entstehung des neuen Vereins Amicta Sole fortgesetzt wurde. Begleitend zu dieser Gründung äußerten sich die Mitgliedsfrauen von Amcita Sole in öffentlichen Stellungnahmen wiederholt zur Rolle von Frauen in den Strukturen der Kirche und erklärten, dass sich ihr Verein für deren Förderung einsetzen werde.65 Besonders betont wurde die Notwendigkeit, an die wichtigen, kirchlich aktiven Frauen der Vergangenheit zu erinnern. Dies ist ein wiederkehrendes Motiv in der Tätigkeit von Amicta Sole. So bedauerte Monika Waluś 2012, dass sich katholische Zeitschriften allzu sehr mit den Gefahren des Feminismus beschäftigen, anstatt über die starke Frauenpersönlichkeiten innerhalb der katholischen Kirche zu schreiben.66 Mit der Erinnerung an die vergessenen Frauenfiguren lehnt sich Strategie von Amicta Sole in die Kategorie der Frauen- und Biografiegeschichte an, die in der feministischen Forschung eine große Bedeutung hatte und immer noch hat.67 Al-
63 PETROWA-WASILEWICZ, Czy Kościół traci…, a.a.O. 64 Vgl. ebd. 65 Vgl. EWA K. CZACZKOWSKA, Kobieca alternatywa, czyli o roli kobiet w Kościele i świecie. Amicta Sole Aeropag [Weibliche Alternative oder: Über die Rolle von Frauen in der Kirche und der Welt], http://areopag21.pl/post/3822 (abgerufen am 12.05.2016); KINDZIUK, Geniusz współczesnej kobiety…, a.a.O; WALUŚ, Amicta Sole…, a.a.O. 66 Vgl. JOLANTA KRASNOWSKA, I Bóg stworzył kobietę [Und Gott schuff die Frau], 2012, www.echokatolickie.pl/index.php?str=100&id=3965 (abgerufen am 16.03.2012). Waluś selbst ist neben Pek Koautorin der Publikation über die Initiatorinnen und Gründerinnen der religiösen Glaubensgemeinschaften in Polen, Vgl. WALUŚ, PEK, Inspiratorki – założycielki – liderki…, a.a.O. 67 Zur Frauen-, Biografiegeschichte und Geschlechtergeschichte vgl. z.B. GISELA BOCK, Geschichte, Frauengeschichte, Geschlechtergeschichte, in: Geschichte und Gesellschaft, 13, H. 3, 1988, S. 364–391; BETTINA DAUSIEN, Biografieforschung: Theoretische Perspektiven und methodologische Konzepte für eine re-konstruktive Geschlechterforschung, in: BECKER, RUTH; KORTENDIEK, BEATE (Hrsg.), Handbuch Frauen- und
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lerdings scheint diese Strategie von Amicta Sole eher der Bestätigung für die Geschlechtergleichheit in der katholischen Kirche zu dienen und weniger der Analyse der Geschlechterbeziehungen innerhalb der katholischen Kirche. 68 Somit trifft hier die Kritik der deutschen evangelischen und katholischen Theologinnen Ute Gause und Julia Paulius am umstrittenen great women approach zu. Sie bemängeln, dass die Hervorhebung großer Frauen nur dazu diene, um zu bestätigen, dass es schon immer bedeutende Frauen in der Kirchengeschichte gegeben habe, ohne dabei jedoch „die kulturellen Dynamiken gesellschaftlich sich wandelnder Rollenbilder“ 69 zu beachten und ohne eine Analyse „geschlechtsspezifischer Handlungs- und Verhaltensweisen und -räume“70 vorzunehmen. Diese Strategie wurde durch Amicta Sole, wie bereits erwähnt, auch im Zuge der Anti-Gender-Kampagne der katholischen Amtskirche in Polen nach 2012 verfolgt. Mit der Erinnerung an die „großen Frauen“ sollte gezeigt werden, dass, wie Petrowa-Wasilewicz in ihrem Referat bei der Diskussion Gender in Augen der
Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, Wiesbaden, 2008, S. 354–367; JOHANNA GEHMACHER, ELIZABETH HARVEY, SOPHIA KEMLEIN (HRSG.), Zwischen Kriegen. Nationen, Nationalismen und Geschlechterverhältnisse in Mittel- und Osteuropa, 1918-1939, Osnabrück, 2004; KARIN HAUSEN (HRSG.), Frauen suchen ihre Geschichte. Historische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert, München, 1983; CLAUDIA OPITZ, Geschlechtergeschichte, Frankfurt am Main, New York, 2010. 68 Diese Kritik kann allerdings auch auf den great women approach der zweiten Welle der Frauenbewegung angewendet werden. Allein die Darstellung großer Frauenfiguren reicht nicht aus um der Komplexität der kulturellen Geschlechterordnung gerecht zu werden, es wird daher z.B. in den historischen Frauenforschung in Deutschland von der Erweiterung der Frauengeschichte (herstory) um die Geschlechtergeschichte gesprochen, vgl. BOCK, Geschichte, Frauengeschichte, Geschlechtergeschichte…, a.a.O; OPITZ, Geschlechtergeschichte…, a.a.O. Diese Entwicklung ähnelt der Wandlung der Women Studies zu den viel umfassenderen Gender Studies, vgl. dazu den Sammelband: HEIKE FLEßNER, LYDIA POTTS (HRSG.), Societies in Transition – Challenges to Women’s and Gender Studies, Bd. 4, Wiesbaden, 2002. Zur Diskussion in Polen: BOŻENA CHOŁUJ, Dlaczego gender studies? [Warum Gender-Studien?], in: Katedra, H. 3, 2001, S. 2–4; vgl. BOŻENA CHOŁUJ, Różnica między women’s studies i gender studies [Der Unterschied zwischen Frauen- und Gender-Studien], in: Katedra, H. 1, 2001, S. 2–5; MROZIK, Gender Studies in…, a.a.O. 69 UTE GAUSE, JULIA PAULUS, Evangelische und katholische Gender-Forschung im Überblick, in: GAUSE, UTE (Hrsg.), Starke fromme Frauen? Eine Zwischenbilanz konfessioneller Frauenforschung heute, Hofgeismar, 2000, S. 5–25, hier S. 16. 70 Ebd., S. 20.
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Experten71 erläuterte, die Kirche sich in ihrer Geschichte schon immer für Frauen eingesetzt habe: „Dank dieser Frauen (und ihre Liste ist sehr lang), welche lehrten, unterstützten, heilten, resozialisierten und für die Würde anderer Frauen kämpften, ist die Kirche eine Institution mit den größten Verdiensten zur Förderung und Angleichung der Rechte von Frauen in ihrer untergeordneten Position.“72
Die Erklärung, dass die Kirche schon immer gegen die Diskriminierung von Frauen gewesen sei, ist im Kontext der erwähnten Auseinandersetzungen um die Istanbulkonvention zu verstehen – als Verteidigung der Kirche vor der in der Konvention enthaltenen Aussage über einen möglichen Einfluss von Tradition und Religion auf systemische Gewalt gegen Frauen. „Die Stunde der Frauen ist gekommen“ (Nadeszła godzina kobiet) betitelte Petrowa-Wasilewicz ihren Beitrag für die Konferenz des Episkopats zum Thema Gender, den sie später ebenfalls in List do Pani veröffentlichte. 73 Dieser Titel wirkt wie ein Wunschdenken über die angebliche Verbesserung der Situation von Frauen innerhalb der katholischen Kirche Polens, als ob das Thema der nicht genutzten Möglichkeiten damit abgeschlossen wäre. Dadurch hat sich Petrowa-Wasilewicz als stellvertretende Vorsitzende von Amicta Sole selbst in die Schranken verwiesen, denn wenn die Kirche schon viel getan hätte für Frauen, dann bräuchte man auch nicht viel zu ändern, sondern sollte vielmehr alte Beispiele „großer Vorgängerinnen“ nachahmen. Bei der Beachtung des Gründungsauftrages von Amicta Sole, laut dem Frauen zu mehr Teilhabe in den kirchlichen Strukturen animiert und gefördert werden sollten, zeigt sich ein Widerspruch zwischen Ziel und Vorgehensweise. Dieser Widerspruch lässt sich zum Teil damit erklären, dass, wie die Soziologin Joanna Tomaszewska-Kołyszko in ihrer Analyse zeigt, viele der Katholikinnen, die sich einen Wandel in der katholischen Kirche wünschen und die sie als „Katholikinnen-Feministinnen“ bezeichnet – in den kirchlichen Institutionen beschäftigt sind, wodurch eine offene Kritik an der Situation in der Kirche erschwert
71 Diese Diskussion war besonders interessant, denn sie fand auf Initiative und am Sitz des polnischen Episkopats statt. Mit Małgorzata Fuszara, der Soziologieprofessorin, Mitbegründerin der Warschauer Gender Studies und der damaligen Gleichstellungsbeauftragten der Regierung wurde auch eine Vertreterin der Gender Studies eingeladen. 72 PETROWA-WASILEWICZ, Nadeszła godzina kobiet…, a.a.O., S. 12. 73 Vgl. ebd.
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ist.74 Mögliche Wege für einen katholischen Feminismus finden sie entweder in der feministischen Theologie oder im neuen Feminismus Johannes Paul II. Die feministische Theologie ist in Polen jedoch wie bereits erwähnt kaum bekannt und wird durch wenige Personen (neben der feministischen Theologin Elżbieta Adamiak nennt Tomaszewska-Kolyszko ebenfalls Józef Majewski, Jarosław Makowski und Tadeusz Bartoś) meist außerakademisch, eher publizistisch betrieben, wodurch den an die Kirche institutionell gebundenen Frauen nur der neue Feminismus bleibt. 75 In Bezug auf den Verein Amicta Sole weist TomaszewskaKołyszko darauf hin, dass seine sich mit dem neuen Feminismus identifizierenden Mitgliedsfrauen über das Wohlwollen der katholischen Amtsträger verfügen, denn sie bewegen sich auf sicherem Terrain und folgen der Lehre Johannes Paul II. Problematisch sei jedoch, dass sie in ihrer Aktivität zur Frauenförderung „mit der kirchlichen Praxis und stereotypem Denken über Frauen“76 konfrontiert werden. Die Frauen von Amicta Sole lehnen jedoch wie bereits dargestellt die Genderperspektive als ein mögliches Werkzeug zur Reflexion über die Geschlechterrollen innerhalb von Kirche und Gesellschaft ab und treten in gemeinsamen Stellungnahmen mit dem PZKK und FKP gegen die sogenannte „Gender-Ideologie“ auf. Damit distanzieren sie sich von einem wissenschaftlichen Ansatz, welcher zur Reflexion und Überwindung eben dieser Stereotype in der Kirche beitragen könnte. Ende 2015 erschien auf Initiative des Rates des Episkopats zur Frauenseelsorge der Bericht Religiosität und Aktivität von Frauen und der katholischen Kirche in Polen, der sich an statistische Daten und Untersuchungen aus dem Jahr 2012 anlehnt.77 Aus dem Bericht geht das Bild einer feminisierten Kirche hervor, aufgrund der aktiven Beteiligung von Frauen an religiösen Praktiken, aber auch ihrer stärkeren Religiosität schlechthin (ca. 26 Prozent der Frauen bezeichnen sich
74 Vgl. TOMASZEWSKA-KOŁYSZKO, Czy w Polsce…, a.a.O., S. 127. Joanna Tomaszewska führte im Rahmen ihrer Doktorarbeit zwischen 2000 und 2001 qualitative Forschungen zu diesem Thema durch und sprach mit katholischen Frauen über ihre Rolle in der Kirche und ihre katholisch-feministische Identität. Der Titel ihrer bisher nicht veröffentlichten Doktorarbeit von 2005 lautet: Między feminizmem a katolicyzmem. Antynomie tożsamości (Zwischen Feminismus und Katholizismus. Antynomien der Identität). 75 Neben der feministischen Theologin Elżbieta Adamiak nennt Tomaszewska-Kolyszko die Theologen und Publizisten Józef Majewski, Jarosław Makowski und Tadeusz Bartoś. Vgl. ebd., S. 128. 76 Ebd., S. 129. 77 Vgl. Instytut Statystyki Kościoła Katolickiego, Religijność i aktywność…, a.a.O.
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als tief religiös, aber nur ca. 14 Prozent der Männer).78 Der Bericht bestätigt sowohl die bereits von Adamiak festgestellte „schweigende Anwesenheit“ von Frauen als auch die von Makowski erwähnte Kirche von Frauen, die von Männern regiert sei. Der Frage nach Teilhabe von Polinnen in zugänglichen Strukturen der Kirche oder in liturgischen Funktionen wurde nicht nachgegangen. Daher stellte Petrowa-Wasilewicz in einem Kommentar zu diesem Bericht die wichtige Frage, ob man die Aktivitäten von Frauen in der Kirche auch in anderen Funktionen als der „sprichwörtlich aufräumenden“79 berücksichtige, insbesondere da Frauen immer besser ausgebildet seien. Sie relativierte jedoch diese Frage mit der Bemerkung, dass man dabei nicht in „Versuchung“ kommen solle, „die Rolle von Frauen aus der Sicht von Funktion und Macht zu sehen“.80 Man dürfe dabei die „Perspektive des Dienens“81 nicht außer Acht lassen, die im Hinblick der großen, heiligen Vorgängerinnen keine „Degradierung oder Behinderung“82 bedeuten würde. Auch hier wurden Frauen konzeptionell mithilfe des great women approach und der Affirmation des „Dienens“ erneut auf ihre unterstützende Rolle verwiesen, während die Macht in der Kirche bei den Männern verbleibt. Keine Veranlassung zu Veränderungen sieht auch Ewa Kowalewska, Vorsitzende des FKP. Dieser Eindruck entsteht, wenn man ihrer Argumentation zum Thema des Verlangens junger polnischer Katholikinnen nach kirchlichen Veränderungen folgt. Sie erkennt zwar, dass viele junge Frauen die Kirche verlassen, da sie dort keine Perspektive für sich sehen, verweist jedoch auf die Treue zur Lehre der Kirche und verteidigt ihre hierarchische Struktur als durch Tradition sanktionierte Ordnung, die es zu akzeptieren gelte: „Die Kirche schützt seit zweitausend Jahren das ihr anvertraute Glaubensdepot. Ihre Organisationsstruktur ist hierarchisch, angelehnt an die apostolische Sukzession. Sie ist nicht an demokratische Wahlen angelehnt, während derer man sogar abstimmen kann, dass die Erde quadratisch ist. Wenn ich die Wahl treffe, dass ich eine Katholikin sein möchte, verpflichte ich mich damit, die Lehre der Kirche anzunehmen und in Glaubensfragen zu gehorchen. Ich gebe zu, dass das heute gänzlich aus der Mode ist. Wir haben uns daran gewöhnt, mit allen
78 Vgl. ebd. 79 ALINA PETROWA-WASILEWICZ, Kościół kobiet – świętość i inwencja [Kirche der Frauen – Heiligkeit und Erfindungsgeist], 2015, http://ekai.pl/wydarzenia/temat_dnia/ x93873/alina-petrowa-wasilewicz-kosciol-kobiet-swietosc-i-inwencja/ (abgerufen am 14.09.2016). 80 Ebd. 81 Ebd. 82 Ebd.
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zu polemisieren und Mehrheitsentscheidungen als das grundsätzliche Wahrheitskriterium zu nehmen. Über das Naturrecht oder Gottesgebote kann jedoch nicht abgestimmt werden. Sie sind so, wie sie sind, sie sind unveränderbar. Meine Freunde in den USA prägten einen neuen Begriff, den Supermarkt-Katholiken. So ein ‚Katholik‘ geht in einen Supermarkt, der katholische Kirche heißt, schaut, was in den Regalen liegt und wählt nur das, was ihm passt […] Im Endeffekt verwerfen wir die christliche Moral, indem wir versuchen selbst zu entscheiden, was gut ist und was schlecht. Herr Gott verzeiht immer, der Mensch manchmal, die Natur niemals!“83
Mit der dogmatischen Treue zur unveränderbaren Lehre der katholischen Kirche und dem Gehorsam als Bedingungen für das Katholisch-Sein ist eine Veränderung zu größerer Geschlechtergerechtigkeit innerhalb der kirchlichen Strukturen kaum möglich. Das betrifft auch die Veränderungen, welche mit Radziks Worten „keine theologische Revolution“ 84 bedeuten würden, sondern lediglich die Umsetzung des geltenden katholischen Rechts. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass weder der PZKK noch das FKP sich in ihrer Tätigkeit für größere Teilhabe von Frauen in der katholischen Kirche einsetzen. Die ersten Beiträge im List do Pani rezipierten die Lehre der Kirchenhierarchien, bzw. stammen aus der Feder der Journalistin Alina Petrowa-Wasilewicz, die später stellvertretende Vorsitzende von Amicta Sole wurde. Inhaltlich gehen sie in die Richtung der Verteidigung der katholischen Kirche, als wäre sie eine Institution, welche Frauen besonders fördert.85 Der Verein Amicta Sole begann seine Tätigkeit mit dem Anspruch auf Förderung von Frauen in der Kirche und folgte dabei der Strategie der Bekanntmachung bedeutender Frauenfiguren der polnischen Kirchengeschichte. Beim akuten Mangel von Frauen in wichtigen kirchlichen Positionen scheint diese Strategie jedoch nicht besonders fruchtbar, um Frauen zu helfen, ihren Platz in der Kirche zu finden bzw. zu stärken. Die zunehmende Zahl der Frauen, die sich von der polnischen institutionellen Kirche abwenden, zeigt, dass es ihnen nicht reicht, an bedeutende oder heilige Frauen der Vergangenheit erinnert zu werden. Es fehlt weiterhin an Organisationen, die sich
83 KOWALEWSKA, Być kobietą, ale…, a.a.O., S. 101–102. 84 RADZIK, Druga połowa ludzkości…, a.a.O., S. 18. 85 List do Pani ähnelt hier den anderen katholischen Zeitschriften in Polen, welche die traditionell-katholischen Geschlechterrollen affirmieren, vgl. KUPCZYK, SOBKOWIAK, Recepcja nauczania Kościoła o kobietach w tygodnikach katolickich [Rezeption der Lehre der katholischen Kirche über Frauen in katholischen Wochenzeitschriften], in: ADAMIAK, ELŻBIETA; CHRZĄSTOWSKA, MAŁGORZATA (Hrsg.), Godzina kobiet? Recepcja, a.a.O.
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für größere Teilhabe von Frauen aktiv einsetzen. Amicta Sole scheint durch die Beteiligung ihrer Vertreterinnen im Rat zur Frauenseelsorge lediglich einen theoretischen bzw. gar keinen Einfluss auf den Episkopat zu haben. Die Themen der offenen Briefe dieses Rates zeigen jedoch, dass es wichtiger für sie ist, als Sprachrohr der Kirche an gegenwärtigen politischen Debatten teilzunehmen, wie z.B. zur Frage der erwähnten Konvention des Europarates oder der gesetzlichen Regelung zur künstlichen Befruchtung, als sich wirksam für den Einfluss von Frauen in kirchlichen Strukturen einzusetzen.86
8.4 VON DER „SCHWEIGENDEN ANWESENHEIT“ ZUM STILLEN ABSCHIED VON FRAUEN? „[…] nur Frauen, welche sich selbst als Kirche sehen und keine passiven Beobachterinnen bleiben, können die Kirche für sich wiedergewinnen. Sie sollen sich erlauben, mehr zu wollen. Wenn sie entscheiden wegzugehen – sollen sie hinter sich die Tür zuknallen. Ja, unbedingt zuknallen. Wir sollten damit anfangen, das stille Weggehen zu beenden.“87
Mit diesen Worten forderte Elisabeth Schüssler Fiorenza Frauen auf, bei ihrem Weggehen aus der Kirche ein deutliches Signal zu setzen, da das stille Verlassen der Kirche eine Art der Kapitulation sei. Stattdessen sollten sie auf Veränderungen bestehen und deutlich sagen, was ihnen in der Kirche nicht gefällt und, wenn sie diese verlassen, erklären, warum sie sich dazu entschieden haben.88 Nach Maria Flis können Frauen durch die Ausdehnung ihrer Freiheitssphäre und Selbständigkeit innerhalb der Kirche diese von innen verändern. 89 Auch Zuzanna Radzik
86 Vgl. Rada ds. Duszpasterstwa Kobiet do Premiera [Rat zur Frauenseelsorge an den Premierminister], 2014, http://www.niedziela.pl/artykul/8400/Rada-ds-DuszpasterstwaKobiet-do-Premiera (abgerufen am 16.06.2016); WIARA.PL, Kobiety do senatorów ws. in vitro [Frauen wenden sich an die Senatoren in der Frage der künstlichen Befruchtung], 2015, http://info.wiara.pl/doc/2578078.Kobiety-do-senatorow-ws-in-vitro (abgerufen am 10.09.2016). 87 Zitiert nach ZUZANNA RADZIK, Cichy eksodus [Stiller Exodus], in: Tygodnik Powszechny, 29, H. 3236, 2011, S. 3–4. 88 Vgl. ebd. 89 Vgl. MARIA FLIS, Matka Boża w jednym pantofelku [Mutter Gottes in einem Pantoffel],http://tygodnik.onet.pl/32,0,65686,matka_boza_wjednym_pantofelku, ar-tykul. html (abgerufen am 12.11.2016).
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hofft, dass Polinnen noch anfangen werden „mit Krach“90 wegzugehen und erinnert daran, dass die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen heterogen sei und man seinen Platz finden könne, ohne sie zu verlassen. Diese Motivation veranlasste sie zum Schreiben ihres Buches über feministische Theologinnen und mutige USamerikanische Nonnen, in dem sie zeigt, wie Frauen sich ihren Platz in der Kirche erstreiten können.91 Ein derartiger Weg erweist sich für Polinnen jedoch zur Zeit als schwierig, da der polnisch-katholische Diskurs, wie gezeigt wurde, von Traditionalistinnen dominiert ist. Sie stellen die katholische Kirche in Polen als frauenfreundliche Institution dar und affirmieren in Anlehnung an den neuen Feminismus althergebrachte Geschlechterrollen in einem „neuen“ Gewand. Zum Beginn der Arbeit an meiner Dissertation wurde ich mehrfach gefragt, ob eine katholische Frauenbewegung in Polen überhaupt noch entstehen könne oder ob Frauen die Kirche einfach verlassen werden. Es sieht derzeit danach aus, dass sich Frauen in Polen nicht nur durch ihre „schweigende Anwesenheit“ in der Kirche auszeichnen, sondern dass sie ebenfalls schweigend die Kirche verlassen. Sie „machen keinen Krach“ oder formieren sich zu einer Bewegung – man könnte sogar sagen, dass sie mit ihren Füßen abstimmen, jedoch ohne jeglichen Einfluss auf die Kirche. Die Statistiken zeigen, dass seit einigen Jahren immer mehr Polinnen, insbesondere in den Großstädten, auf ihre Teilnahme an religiösen Veranstaltungen verzichten – 2009 geben nur 40 Prozent der Großstadtbewohnerinnen an, regelmäßig an religiösen Praktiken teilzunehmen, 1992 sind dies noch 66 Prozent.92 Zuzanna Radzik spricht daher 2011 vom „stillen Exodus“ der Frauen aus der katholischen Kirche in Polen.93 Das Phänomen des „stillen“ Weggehens (was nicht mit dem Austreten aus der Kirche zu verwechseln ist) 94 betrifft auch Ordensaustritte, denn wie Marta
90
RADZIK, Kościół kobiet…, a.a.O., S. 7.
91
Vgl. ebd.
92
Vgl. CENTRUM BADANIA OPINII SPOŁECZNEJ CBOS, Dwie dekady przemian religijności w Polsce [Zwei Jahrzehnte von Änderungen der Religiosität in Polen], 2009, www.cbos.pl/SPISKOM.POL/2009/K_120_09.PDF (abgerufen am 11.12.2016), S. 17.
93
RADZIK, Cichy eksodus…, a.a.O.
94
In Polen ist die Prozedur des Kirchenaustritts komplizierter als in Deutschland: Einen Antrag auf Austritt aus der katholischen Kirche kann nur eine volljährige Person schriftlich bei dem zuständigen Gemeindepriester stellen. Dem Antrag muss der Taufschein beigefügt werden. Bis Februar 2016 war zudem die Anwesenheit von zwei Zeugen erforderlich, vgl. KONFERENCJA EPISKOPATU POLSKI, Dekret Ogólny Kon-
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Ambramowicz in ihrem Buch zeigt, verlassen auch Nonnen ihre Orden. Sie tun dies diskret und möchten nur selten über ihre Geschichten sprechen.95 Die Zahl der Ordenseintritte sinkt ohnehin stetig, auch wenn nicht in solch einem starken Maß wie im Westen, wo sie in 30 Jahren um über 50 Prozent gesunken ist.96 In Polen gibt es im Jahr 2000 über 24.000 Ordensschwestern, 2010 beläuft sich die Zahl auf ca. 21.500.97 Die letzten Untersuchungen des staatlichen Statistikinstituts CBOS zur Religiosität der Polinnen und Polen konzentrieren sich erstaunlicherweise mehr auf die Analyse der Religiosität unter den Aspekten Alter, Ausbildung oder Wohnort als auf die Analyse des Geschlechts.98 Die Zahlen sind aussagekräftig, denn die Zahl der Jüngeren sinkt von 51 Prozent 2005 auf 44 Prozent 201499 und derer mit Hochschulabschluss von 54 Prozent 2005 auf 45 Prozent 2014100. Insgesamt sinkt die Zahl der Praktizierenden seit 2005 kontinuierlich.101 Nach dem Jesuiten Jacek Prusak sei der „Exodus“ der Frauen damit begründet, dass die katholische Kirche Frauen gern belehre, ohne ihnen jedoch zuzuhören.102 Weder die Anweisung „Sei Mutter Polin“ noch die traditionelle Marienfrömmigkeit sprechen die jungen, gut ausgebildeten Polinnen heutzutage an.103 Sie identifizieren sich nicht mehr mit dem Kult der „leidenden Mutter Polin“104, trauen sich
ferencji Episkopatu Polski w sprawie wystąpień z Kościoła oraz powrotu do wspólnoty Kościoła [Das Allgemeindekret der Polnischen Bischofskonferenz in der Frage der Kirchenaustritte und der Rückkehr zur Gemeinschaft der Kirche], 2015, http://epi95
skopat.pl/wp-content/uploads/2016/04/dekret_ogolny.pdf (abgerufen am 12.12.2016). Vgl. ABRAMOWICZ, Zakonnice odchodzą po…, a.a.O.
96
Vgl. ebd., S. 174.
97
Vgl. ebd., S. 175.
98
Vgl. CENTRUM BADANIA OPINII SPOŁECZNEJ CBOS, Zmiany w zakresie podstawowych wskaźników religijności Polaków po śmierci Jana Pawła II. [Die Änderungen im Bereich der Anzeichen der Religiosität der Polen nach dem Tod Johannes Pauls II.], 2015, http://cbos.pl/SPISKOM.POL/2015/K_026_15.PDF (abgerufen am 12.12.2016).
99
Vgl. GRABOWSKA, Religijność i Kościół…, a.a.O., S. 42.
100 Vgl. ebd., S. 46. 101 Vgl. ebd., S. 38. 102 JACEK PRUSAK, Siostry nie chcą być besztane [Schwestern möchten nicht zusammengestaucht werden], in: Tygodnik Powszechny, 29, H. 3236, 2011, S. 5–6. 103 Ebd. 104 Ebd.
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aber auch nicht, den Priestern zu widersprechen und ertragen ihren Frust im Privaten.105 Ich stimme der These der Anthropologin Marta Trzebiatowska zu, dass immer mehr Frauen der katholischen Kirche in Polen den Rücken zudrehen werden: „Frauen in Polen stellen heute furchtlos die Frage danach, was sie selbst für sich möchten, gleichzeitig ist die Weitergabe traditioneller Werte von der älteren zur jüngeren Generation weiterhin ausreichend stark, um Frauen in den religiösen Gemeinschaften zu halten. Polen öffnet sich jedoch gen Westen auch in der Hinsicht, dass Frauen durch Migration und Reisen mit eigenen Augen andere Lebensstile, auch unter religiösem Aspekt, sehen. Die Veränderungen geschehen unglaublich schnell. Persönlich erwarte ich, dass junge Frauen anfangen werden, die katholische Kirche zu verlassen. Sie sind unabhängiger und immer besser ausgebildet. In vielen sozialen Aspekten überragen sie Männer. Sie können daher das auf Kinder, Haus und Kirche fokussierte Weiblichkeitsideal ablehnen. Ich wette, dass die Kirche in Polen sich dessen zwar noch nicht bewusst ist, aber sie wird bereits in den nächsten Jahren die Mehrheit der Frauen jüngeren und mittleren Alters verlieren. Das wird zum Problem der ganzen Institution werden.“106
In Anbetracht dieser Tendenz scheint die Entstehung einer katholischen Frauenbewegung in Polen kaum möglich zu sein. Anna Titkow hat die Identitäten von polnischen Frauen nach 1989 untersucht. Auch wenn der Begriff Identität107 im Feminismus umstritten ist, da er der Kategorie der Intersektionalität nicht gerecht wird, ist die Herausbildung einer „kollektiven Identität“ oder besser – das Definieren von gemeinsamen Interessen, eine der zuvor genannten Bedingungen für die Entstehung einer sozialen Bewegung. Titkows Untersuchung zeigt, dass Po-
105 Vgl. auch MICHAŁ JĘDRZEJEK, MARTA TRZEBIATOWSKA, Dlaczego kobiety odchodzą z Kościoła? – Z Martą Trzebiatowską rozmawia Michał Jędrzejek [Warum verlassen Frauen die Kirche? Michał Jędrzejek spricht mit Marta Trzebiatowska], in: Znak, H. 695, 2013, S. 18; RADZIK, DIDUSZKO-ZYGLEWSKA, Najliczniejszą grupą, która uciekła z Kościoła na przestrzeni ostatnich 20 lat, są kobiety [Frauen sind die größte Gruppe, die die Kirche in den letzten zwanzig Jahren verließ], in: KAPELA, JAŚ (Hrsg.), Gender. Przewodnik Krytyki, a.a.O. 106 JĘDRZEJEK, TRZEBIATOWSKA, Dlaczego kobiety odchodzą…, a.a.O. 107 Vgl. DESPERAK, Płeć zmiany. Zjawisko…, a.a.O; MIZIELIŃSKA, (De)Konstrukcje kobiecości…, a.a.O; AGNIESZKA MROZIK, Akuszerki transformacji. Kobiety, literatura i władza w Polsce po 1989 roku [Hebammen der Demokratie. Frauen, Literatur und Macht in Polen nach 1989], Warszawa, 2012.
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linnen keine gemeinsamen Interessen entwickeln. Unter ihnen dominiert ein „individualistischer Familienzentrismus“108, in Verbindung mit einer Hybridität von (Frauen)Identitäten („Puzzle-Identität“109), die teils widersprüchliche Merkmale aufweisen, wie beispielsweise der sich aufopfernden Mutter Polin und der assertiven Karrierefrau. Zudem konstatiert Titkow einen Mangel an Solidarität zwischen den polnischen Frauen, was die Herausbildung gemeinsamer Interessen verhindert. So meinen über 56 Prozent der Frauen, dass Frauen einander feindlich gesinnt sind; 42 Prozent der Frauen sind der Meinung, dass Frauen neidisch auf Erfolge anderer Frauen sind. Andererseits sind über 42 Prozent der Frauen der Meinung, dass ein gutes Verhältnis zwischen Frauen innerhalb der Familie möglich ist, was von Familienzentrismus zeugt. Aus dem negativen Bild, welches Frauen sich selbst zuschreiben, folgt laut Titkow, dass Männer ihre Dominanz nur bestätigt sähen und dass ohne Solidarität und Integration von Frauen die Bedingungen für ein gemeinsames Handeln ausbleiben.110 In einer weiteren Untersuchung betont Titkow, dass, obwohl die Bedeutung der traditionellen Rollen kleiner geworden sei, sie dennoch weiterhin akzeptiert werden. Sie spricht vom „fassadenhaften“ Charakter des „Skriptes der Mutter Polin“111: Polinnen und Polen schreiben zwar der Mutterschaft und dem Familienleben einen hohen Wert zu, es entscheiden sich jedoch immer mehr Paare gegen Kinder. Die politische Dominanz des Themas der reproduktiven Rechte nach 1989 und die Überbewertung der Mutterschaft, die zur deklarativen Anerkennung dieser Werte führte, sei ein Sieg jenes „Skriptes der Mutter Polin“. Ähnlich fassadenhaft zeigt sich insgesamt die Anerkennung der katholischen Morallehre durch Polinnen und Polen: Über 60 Prozent der sich als sehr moralisch bezeichnenden Personen toleriert die Verhütung, den vorehelichen Sex und die Ehe-Scheidung.112 Man kann hier von der „Säkularisierung der Moral“113 sprechen, was zeigt, dass in der polnischen Gesellschaft sich eine gewisse konformistische Kreativität entwickelt, mit der die katholisch-nationale Morallehre umgangen wird. Vielleicht ist diese Art der Konformität, mit der trotz verschiedener katholisch-nationaler
108 TITKOW, Tożsamość polskich kobiet…, a.a.O., S. 293. 109 Ebd. 110 Vgl. ebd., S. 274–275. 111 TITKOW, Figura Matki Polki. Próba demitologizacji [Die Figur der Mutter Polin. Ein Versuch der Entmythologisierung], in: HRYCIUK, RENATA E; Korolczuk Elżbieta (Hrsg.), Pożegnanie z Matką, a.a.O., S. 38. 112 Vgl. GRABOWSKA, Religijność i Kościół…, a.a.O., S. 75. 113 BOGUSZEWSKI, Religijność a zasady moralne [Religiosität und Moralgrundsätze], in: GRABOWSKA, MIROSŁAWA (Hrsg.), Religijność i Kościół, a.a.O., S. 75.
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Anweisungen, wie z.B. der vorehelichen Keuschheit, ein eigener Spielraum gestaltet wird, auch einer der Gründe für das Ausbleiben des Engagements für die Veränderung dieser Anweisungen: Statt die Anweisungen zu verändern, werden sie einfach ignoriert. Neben den fehlenden gemeinsamen Interessen und dem Familienzentrismus der Polinnen könnte auch der Mangel an organisatorischen Strukturen für das außerreligiöse Engagement von Frauen einer der Gründe für die Beibehaltung des Status quo in der katholischen Kirche Polens sein. Gemeint sind hier nicht die religiösen Strukturen, wie Rosenkranzgruppen oder karitative Organisationen, in denen Frauen durchaus aktiv sind, sondern Strukturen, in denen Frauen ihre Rolle in Kirche und Gesellschaft diskutieren und Unterstützung für ihr tägliches Leben bekommen könnten.114 Mary Henold konstatiert in Bezug auf die Entwicklungen in den USA, dass die katholische Frauenbewegung Hilfe und Gestaltungsmöglichkeiten für Frauen anbietet, die sich nicht mehr der institutionellen Kirche zugehörig fühlen. Dank dieser Aktivitäten bleiben diese Frauen in der Kirche.115 In diesem Sinn plädiert sie für das Recht auf eine eigene Interpretation des Katholizismus – ein von Kowalewska kritisiertes Vorgehen, das sie, wie bereits erwähnt, als „Supermarktkatholizimus“ abwertet. Laut Henold haben Gläubige durchaus das Recht und die Macht zu definieren, was für sie katholisch bedeutet, da Kirche Gemeinschaft und Volkskirche sei: „This is not ‚cafeteria-style‘ Catholicism, when Catholics pick and choose what they want to believe. This is a liberated Catholicism in which Catholic women understand that the unjust institutional power structure does not have power to define them, or imprison them, or even reject them.“116
Die Frage nach der katholischen Frauenbewegung in diesem Kontext erinnert an das sprichwörtliche Henne-Ei-Problem: Verlassen Frauen in Polen die katholische Kirche, weil es keine katholische Frauenbewegung gibt oder gibt es keine katholische Frauenbewegung, weil Frauen die Kirche schweigend verlassen? Diese Fragen sind zu spekulativ, um sie zu beantworten. Was signifikant ist, dass es zur Zeit
114 Inspirierend wirkt hier die Analyse von Angeboten z.B. des deutschen Sozialdienstes katholischer Frauen e.V., welche die rechtliche Betreuung, Schuldnerberatung, AIDS-Beratung, Wohnungslosenhilfe etc. umfassen. Vgl. www.skf-zentrale.de (abgerufen am 20.12.2016). 115 Vgl. HENOLD, Catholic and Feminist…, a.a.O. 116 Ebd., S. 243.
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keine katholische Frauenbewegung gibt und dass immer mehr jüngere, gut ausgebildete Frauen auf religiöse Praktiken verzichten. In Westeuropa und in den USA stellt die katholische Frauenbewegung, die über die katholische Geschlechterordnung diskutiert, einen langen Prozess dar, der durch die Reformen des Zweiten Vatikanums ermöglicht wurde. Es hat einige Zeit in Anspruch genommen, bis sich neben oder aus den institutionell an die katholische Kirche gebundenen Frauenorganisationen eine neue Frauenbewegung entwickelte. In Polen, wo sich die Kirche immer noch nicht zu einer gemeinschaftlichen Kirche gewandelt hat und diese als belehrende oder gar kämpferische Kirche fungiert, gestalten sich die Möglichkeiten für eine soziale Bewegung von Frauen in Richtung Geschlechtergerechtigkeit innerhalb der Kirche schwierig. Es stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch möglich ist, die Entwicklung einer solchen Bewegung nachzuholen, da auch in Polen die Säkularisierungstendenzen zunehmen. Auch wenn die Zahl der sich als nichtgläubig bezeichnenden Menschen in Polen mit sechs Prozent gering ist, hat sie sich zwischen 2005 und 2015 verdoppelt.117 Zudem stellen Statistiken wiederholt eine kontinuierlich sinkende Zahl der Praktizierenden fest: Von 58 Prozent im Jahr 2005 auf 50 Prozent im Jahr 2014118 und 2013 betrug die Zahl der regelmäßig Praktizierenden rund zwei Millionen Gläubige weniger als zehn Jahre zuvor.119 „Abstimmung mit den Füßen“ bedeutet Resignation und Skepsis bezüglich der Veränderungschancen innerhalb der katholischen Kirche Polens. Die kirchlichen Gemeinden sind auf der Autorität des Priesters aufgebaut, viele von ihnen vertreten ein traditionelles Frauenbild und wissen nur wenig über mögliche Mitwirkungswege von Frauen, bzw. stehen diesen ablehnend gegenüber. 120 Abschreckend für größere Beteiligung kann wirken, was Leszczyńska in ihrer Untersuchung von über die Mystikerinnen darstellt: dass sobald Frauen eine starke Position erringen, sie von der Kirche diszipliniert werden. 121 Das Gleiche gilt für Frauen, die eine aktive Rolle bei den Pilgerfahrten übernehmen möchten.122 Auch auf Priester, die in Polen wagen, eine etwas andere Meinung zu vertreten als die des Episkopats, wirken medial wirksamen Disziplinierungsmaßnahmen abschreckend. Großes Aufsehen erregte das Beispiel von Priester Wojciech Lemański,
117 Vgl. GRABOWSKA, Religijność i Kościół…, a.a.O., S. 38. 118 Vgl. ebd. 119 Vgl. Instytut Statystyki Kościoła Katolickiego, Dominicantes 2013…, a.a.O. 120 Vgl. FIRLIT, Asymertryczność relacji laikatu…, a.a.O; SZWED, Ta druga. Obraz…, a.a.O. 121 Vgl. KOŚCIAŃSKA, Legion of small…, a.a.O; KOŚCIAŃSKA, The „power of…, a.a.O. 122 Vgl. KUŻMA, Świat kobiet…, a.a.O.
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der suspendiert wurde, obwohl seine Gemeinde hinter ihm stand. Er vertritt seine eigene Meinung zum Thema der künstlichen Befruchtung und fordert einen anderen Umgang mit dem Thema des Antisemitismus. Auch die Austritte von prominenten Geistlichen, nachdem sie den Glauben an innerkirchliche Veränderungen verloren haben, lassen fragen, wie Frauen unter diesen Bedingungen anfangen können zu glauben, dass es ihnen gelingen könnte, in der Kirche etwas zu verändern, wenn selbst die Priester es nicht schaffen und an ihren Versuchen scheitern.123
123 Vgl. OBIREK, BRZEZIECKI, MAKOWSKI, Przed Bogiem. Ze…, a.a.O; KATARZYNA WIŚNIEWSKA, Nie opuszczam Kościoła [Ich verlasse die Kirche nicht], 2007, http:// wyborcza.pl/magazyn/1,133483,4124487.html (abgerufen am 16.12.2016); KATARZYNA
WIŚNIEWSKA, Były ksiądz Tomasz Węcławski: apostata [Der ehemalige
Priester Tomasz Węcławski ist ein Apostat], 2013, http://wyborcza.pl1,87648,14569 527,Byly_ksiadz_Tomasz_Weclawski__apostata.html (abgerufen am 16.12.2016).
9
Resümee
Jochen Roose verfasste 2000 in Anlehnung an Ludwig Wittgenstein ein Plädoyer für die Untersuchung der „Fälle, die nicht der Fall sind“, wobei die Analyse dieser sogenannten Nichtfälle die Rahmen- und Entstehungsbedingungen der eingetretenen Fälle beleuchtet: „Erst wenn eine Theorie das Ausbleiben eines Ereignisses mit dem Fehlen einer Bedingung erklären kann, enthält die Theorie alle relevanten Faktoren. Fallstudien zu Nichtfällen bieten die Möglichkeit, systematisch die Tragweite von Theorien auch für das Ausbleiben von Ereignissen zu überprüfen und gegebenenfalls die Theorie um wesentliche Elemente zu erweitern.“1
Die vorliegende Arbeit ist die Untersuchung eines solchen „Nichtfalls“ – hier der Nicht-Existenz einer polnischen katholischen Frauenbewegung, die auf das „Fehlen einer Bedingung“, das Fehlen der Anerkennung der Geschlechtergleichheit durch die katholische Kirche, verweist. Diese Arbeit ist aber vor allem Analyse einer Bewegung, die ihre Aktivitäten als Aktivitäten einer Frauenbewegung katholischer Frauen in Polen markiert. Damit führte meine Suche nach den Ursachen des „Nichtfalls“ einer katholischen Frauenbewegung zu der Untersuchung der vorhandenen „Fälle“ der katholischen (Frauen-)Organisationen und der Überprüfung, ob sie als katholische Frauenbewegung betrachtet werden können.
1
JOCHEN ROOSE, Fälle, die nicht der Fall sind – ein Plädoyer für Fallstudien zu ausgebliebenen Ereignissen, in: CLEMENS, WOLFGANG; STRÜBING, JÖRG (Hrsg.), Empirische Sozialforschung und gesellschaftliche Praxis. Bedingungen und Formen angewandter Forschung in den Sozialwissenschaften ; Helmut Kromrey zum 60. Geburtstag, Opladen, 2000, S. 47–66, hier S. 63.
294 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
Zu Beginn dieser Arbeit wurde auf Josef Mitterers erkenntnistheoretisches Konzept hingewiesen, demnach es keine Definitionen gibt, sondern nur Beschreibungen, d.h. unterschiedliche Interpretationen und Auffassungen von „Wirklichkeit“. Meiner Beschreibung des Begriffs „katholische Frauenbewegung“ liegt, in Anlehnung an Ludwik Flecks Begriff des Denkstils, eine Verbindung des katholischen und des feministischen Denkstils zugrunde, die mit den Neuen Katholischen Frauenbewegungen nach den 1960er Jahren entstand. Die Neuen Frauenbewegungen stellten die Heteronormativität der Geschlechterordnung und die biologistischen Ansätze in Frage. Nach dem Zweiten Vatikanum 1962-65 begannen in Westeuropa und den USA auch Katholikinnen über die traditionell-katholische Geschlechterordnung zu diskutieren: Dies war die Geburtsstunde sowohl der feministischen Theologie als auch der autonomen Frauenorganisationen der Katholikinnen, die mehr Rechte von Frauen in Kirche und Gesellschaft forderten. Die Entwicklung der von der katholischen Amtskirche unabhängigen Frauenorganisationen blieb nicht ohne Einfluss auf die bisherigen kirchengebundenen Frauenorganisationen und so fingen z.B. die deutschen katholischen Frauenorganisationen KDFB oder KFD an, mit dem Gender-Ansatz zu arbeiten und verteidigen ihn heute gegenüber der Kritik seitens des Vatikans.2 Eine solche Entwicklung ist in Polen bisher ausgeblieben. Zwar gehörten Ende des 19. Jahrhunderts Polinnen, zusammen mit den Deutschen, zu den ersten Gründerinnen katholischer Frauenorganisationen und bestanden bereits während der Dreiteilung Polens darauf, als polnische Vertreterinnen beim Weltverband WUCWO anerkannt zu werden. Wie Dominika Gruziel in ihrer Doktorarbeit zeigt,3 vertraten Polinnen aus den ersten katholischen Organisationen ein für die damalige Zeit modernes Frauenbild und wunderten sich z.B. bei ihrem Besuch 1906 in München über die klerikale Abhängigkeit des Katholischen Deutschen Frauenbunds. Polnische Katholikinnen arbeiteten mit der gesamten Frauenbewegung zusammen und nahmen am polnischen Frauenkongress 1917 in Warschau teil.4 Dabei setzten sie sich gemeinsam mit den Frauenrechtlerinnen der überkonfessionellen Frauenbewegung für das Frauenwahlrecht ein, während der deutsche KDFB sich in der Wahlfrage neutral verhielt. Die Zusammenarbeit der polnischen Katholikinnen mit den Feministinnen der ersten Welle ist bemerkenswert, denn,
2
Vgl. Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands kfd, Katholische Frauenverbände lehnen…, a.a.O; Katholischer Deutscher Frauenbund (KDFB), Gender, Gender Mainstreaming…, a.a.O.
3
Vgl. GRUZIEL, At the Crossroads…, a.a.O., S. 205–206.
4
Vgl. JUSTYNA BUDZIŃSKA-TYLICKA (HRSG.), Pamiętnik Zjazdu Kobiet Polskich w Warszawie, w roku 1917, 1918, S. 158–167.
Resümee | 295
wie ich in dieser Arbeit zeige, ist eine ähnliche Kooperation der katholischen Frauenorganisationen mit der zweiten Welle der Frauenbewegung heute kaum denkbar.5 Nach der Wiederentstehung des polnischen Staates 1918 begann bereits Ende der 1920er Jahre der Klerikalisierungsprozess der katholischen Frauenorganisationen. Diese entwickelten sich in Richtung traditionell-konservativer Organisationen und wurden letztendlich in die Katholische Aktion eingegliedert.6 Von 1939 bis 1989, während des Zweiten Weltkrieges und der Zeit der Volksrepublik Polen, konnten in Polen aus politischen Gründen keine katholischen Frauenorganisationen existieren, weil alle Bürgerinitiativen unterbunden waren. Der einzige Frauenbezug der polnischen katholischen Amtskirche war die zwischen 1967 und 1990 funktionierende Unterkommission des Episkopats zur Frauenseelsorge, an der einige Frauen mitwirkten, die später Gründungsmitglieder des PZKK wurden. Erst die politische Wende 1989 machte die Gründung neuer katholischer Organisationen möglich. Die Entstehungsgeschichte der katholischen (Frauen-)Organisationen nach 1989, die ich mittels der Kategorie organisatorische Struktur und Netzwerk analysierte, zeigt, dass die (Frauen-)Organisationen durch ihre kirchliche Gebundenheit als katholische Bewegung und Sprachrohr der katholischen Amtskirche in Polen fungieren. Auch ihr an die katholische Lehre angelehnter Diskurs sowie ihre Positionierung in den politischen Debatten zeugen davon. Der 1990 auf Initiative von Primas Glemp gegründete PZKK, der in Erinnerung an die Polinnen, Hüterinnen der polnischen Traditionen während der Dreiteilung, zunächst den Namen Polnischer Verband Gewöhnlicher Frauen trug, knüpfte bezeichnenderweise nicht an das moderne Frauenbild der ersten polnischen katholischen Frauenorganisationen vor 1918 oder die Bereitschaft dieser Katholikinnen zur Zusammenarbeit (in der Wahlrechtsfrage) mit der gesamten Frauenbewegung an. Im Gegenteil, die Beziehung zur zweiten Welle der Frauenbewegung entwickelte sich in konfrontativer Weise, vor allem hinsichtlich der Abtreibungsfrage, die zur Grundsatzfrage des PZKK wurde. Auf Initiative des PZKK entstand 1995 eine „informelle Bewegung“7 FKK, aus der ein Jahr später das FKP und der Verein FKK hervorgingen. Es handelte sich hier um die Konsolidierung katholischer pro-life- und pro-familiärer-Gruppen in Vorbereitung auf die Vierte UN-Weltfrauenkonferenz in Peking. Die katholischen Gruppen verfassten einen eigenen Bericht zur Situation der polnischen Frauen, in dem sie sich als Repräsentation der Mehrheit der
5
Vgl. STAŚKIEWICZ, Gender oder „neuer…, a.a.O.
6
Vgl. ebd.
7
PETROWA-WASILEWICZ, Leksykon ruchów i…, a.a.O., S. 338.
296 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
polnischen Frauen präsentierten, die die „wahren“ Probleme der Polinnen kennt. Ewa Kowalewska, die pro-life-Aktivisitin und Herausgeberin des katholischen Berichts wurde zur Vorsitzenden einer Dachorganisation verschiedener pro-lifeGruppen, die sich als Forum Polnischer Frauen bezeichnet – des FKP. Die Selbstbezeichnung als „Frauenorganisation“ und „Frauenbewegung“ dient dem Zweck, in politischen Gremien und bei Debatten zu sogenannten Frauenangelegenheiten auftreten zu können, um dort die Meinung der katholischen Kirche „im Namen der polnischen Frauen“ zu vertreten. Die Identität der untersuchten (Frauen-)Organisationen ist bereits durch ihre katholische Gebundenheit geprägt, die zu ihrem wichtigsten Merkmal wurde. Dabei beruht das Katholischsein dieser Organisationen auf einer kirchentreuen Religionsauslegung als „Kampf gegen Geburtenkontrolle und Schwangerschaftsabbruch“.8 Wie meine Analyse des Diskurses der katholischen (Frauen-)Organisationen zeigt, ist deren Identitätsbildung durch die Abgrenzung zur zweiten Welle des polnischen Feminismus geprägt. Zunächst hatte diese Konfrontation einen strikt anti-feministischen Charakter und der Feminismus wurde in den Beiträgen in List do Pani als Sammelsurium allen Übels stilisiert. Die kämpferische Sprache dieser Feminismuskritik sowie die namentliche Nennung der Gegnerinnen – der Feministinnen – lassen darauf schließen, dass es sich bei diesen Attacken auf den Feminismus auch um einen Kampf im Sinne der zu Beginn dieser Arbeit dargestellten Definition von Ewa Malinowska handelt. Ab Mitte der 2000er Jahre erfolgte ein interessanter Strategiewechsel: Der Feminismus wurde nicht mehr per se kritisiert; stattdessen wurde der neue Feminismus von Papst Johannes Paul II. zum Programm der katholischen (Frauen-)Organisationen. Obwohl das Konzept bereits 1995 veröffentlicht wurde, wurde es in Polen nur zögernd rezipiert. 2007 kannten dieses Konzept nur wenige polnische Priester, deren Mehrheit es mit dem „kämpferischen“ Feminismus in Verbindung brachte. 9 Im Diskurs der katholischen (Frauen-)Organisationen wurde der neue Feminismus zum „wahren“ Feminismus und zum Bestandteil der sogenannten „Zivilisation der Liebe“ und gleichzeitig wurde der alte Feminismus als „falsche“ Ideologie und Bestandteil der sogenannten „Zivilisation des Todes“ definiert. Seit 2012 änderte sich im Zuge der
8
SCHÜSSLER FIORENZA, Welche Kirche brauchen…, a.a.O., S. 44.
9
Vgl. SZWED, „Nie ma Kościoła bez kobiet“. Obraz roli kobiet w wypowiedziach księży katolickich (na podstawie badań jakościowych) [„Es gibt keine Kirche ohne Frauen“. Das Frauenbild in den Aussagen von katholischen Priestern (laut einer qualitativen Untersuchung)], in: ADAMIAK, ELŻBIETA; CHRZĄSTOWSKA, MAŁGORZATA (Hrsg.), Godzina kobiet? Recepcja, a.a.O.
Resümee | 297
Anti-Gender-Kampagne der katholischen Amtskirche in Polen erneut die Argumentation: Nun wurde die Konstruktion der sogenannten „Gender-Ideologie“ zum gemeinsamen begrifflichen Nenner aller Vorwürfe, die bisher gegen den alten Feminismus erhoben worden waren. Dabei ging es bei der Konfrontation mit dem alten Feminismus, bzw. später mit dem Gender-Ansatz, um die Auseinandersetzung des „national-katholischen Diskurses der Ungleichheit“ mit dem „liberalen Gleichheitsdiskurs“ im Sinne der UN- und EU-Beschlüsse.10 Anhand der Kategorie Weiblichkeitskonstruktionen zeigte ich am Beispiel des Marienkults, dass der PZKK und das FKP den Marienkult, der polnischen Amtskirche folgend, in national-katholischer Ausprägung wiederholen: Maria ist einerseits eine mächtige Verteidigerin der Moral und der alten Geschlechterordnung. Andererseits, erhoben zur Rolle einer neuen Feministin und Abtreibungsgegnerin, ist sie ein demütiges Frauenvorbild für Katholikinnen. Diese Doppeldeutigkeit der Marienfigur im polnischen national-katholischen Diskurs wurde in dieser Arbeit in Anlehnung an Brian Porter formuliert: Maria ist zunächst mutige hetmanka (Heerführerin), Königin und Verteidigerin Polens vor fremden Mächten, gewesen und wandelte sich zur Verteidigerin Polens vor den Gefahren der Moderne, insbesondere der Abtreibung. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde sie zudem, in Verbindung mit dem Mythos der Mutter Polin, zum persönlichen Vorbild für Frauen, das allerdings nicht mehr mächtig, sondern passiv ist. Die Stärke Marias gilt laut Porter für die polnische Nation, während das demütige Vorbild für Frauen bestimmt ist. Eine etwas andere Sicht auf Maria vertritt Amicta Sole und erinnert daran, dass Maria durchaus ein starkes und positives Vorbild sein könne. Allerdings stellt sich Amicta Sole durch die Ablehnung der Genderperspektive gegen die eigenen Ziele, den Marienkult anders zu interpretieren. Auffallend vernachlässigt im Diskurs, den PZKK und FKP entwickeln, ist die Frage der Teilhabe von Frauen in der Kirche. Beide Organisationen halten Änderungen zur größeren Beteiligung von Frauen in der Kirche für nicht notwendig, sind also mit der jetzigen Situation zufrieden. Das Festhalten am Status quo hängt hier mit der dogmatischen Befolgung der kirchlichen Lehre zusammen. Eine Infragestellung oder Revision der katholischen Lehre wird als „Supermarktkatholizismus“ kritisiert,11 wie Ewa Kowalewska den Katholizismus, der mit religiösen „Wahrheitskriterien“ diskutiert, bezeichnete, oder gar als „Nichtkatholizismus“, wie im Falle von Catholics for Choice.12 Allein Amicta Sole betonte bei der Gründung 2008, dass der Verein sich für eine höhere Beteiligung und Förderung von
10 BATOR, Wizerunek kobiety w…, a.a.O., S. 40. 11 KOWALEWSKA, Być kobietą, ale…, a.a.O., S. 101–102. 12 PETROWA-WASILEWICZ, „Katolicy“ na rzecz…, a.a.O.
298 | Katholische Frauenbewegung in Polen?
Frauen in den kirchlichen Strukturen im Sinne des Kanonischen Rechts einsetzen wolle. Allerdings scheint Amicta Sole in dieser Frage gescheitert zu sein: Durch ihre Beteiligung an der Anti-Gender-Kampagne stellten sie sich gegen ein Instrumentarium, mit dem, wie die Beispiele der deutschen Organisationen KFD und KDFB zeigen, die Förderung der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in der Kirche angestrebt werden kann. Die stellvertretende Vorsitzende von Amicta Sole, Alina Petrowa-Wasilewicz, spielte eine aktive Rolle in der kirchlichen Anti-Gender-Kampagne. Sie betonte wiederholt im Zuge der Auseinandersetzungen um die Istanbulkonvention, dass gerade die katholische Kirche eine große Förderin der Frauen sei. Diese Argumentation sollte den, für die katholische Kirche besonders strittigen, Bestimmungen der Istanbulkonvention entgegenwirken, laut derer Tradition und Religion einen Einfluss auf Gewalt gegen Frauen haben könnten. Petrowa-Wasilewiczs Betonung der fördernden Rolle der Kirche im Leben der Frauen erweckt den Eindruck, dass eine Geschlechtergleichheit nicht mehr erforderlich sei. Tatsächlich sind die Aktivitäten von Amicta Sole gegenwärtig kaum sichtbar, auch der offizielle Internetauftritt des Vereins ist seit Ende 2016 nicht mehr abrufbar. Die 2015 durch die rechtskonservative Partei PiS gewonnenen Wahlen brachten die Wiederkehr des Nationalkatholizismus und die Wiederbelebung nationalkatholischer Mythen. Das bestätigen Worte von Jarosław Kaczyński, ausgesprochen im Dezember 2015 anlässlich des 25. Jubiläums des national-katholischen Senders Radio Maryja: „Jede Hand, die gegen die Kirche erhoben wird, wird gegen Polen erhoben“.13 Polnischsein wird damit erneut mit Katholischsein gleichgesetzt, während die offizielle Unterstützung der PiS durch die Amtskirche ein zum sprichwörtlichen Bündnis von Thron und Altar bedeutet. So führt diese Gleichsetzung auch dazu, dass die Anti-Gender-Kampagne der polnischen Amtskirche ausgeklungen ist, da nach dem Regierungswechsel die „Gefahr“ der Umsetzung der EU-Gleichstellungspolitik gebannt ist. Die PiS-Regierung plant, die gleichstellungspolitischen Beschlüsse der Vorgänger zurückzunehmen. Die Gesetzesinitiative der pro-life-Gruppen zum totalen Abtreibungsverbot konnte im April 2016 nur durch eine gewaltige Protestwelle polnischer Frauen verhindert
13 MICHAŁ WILGOCKI, Urodziny Radia Maryja. Kaczyński: Każda ręka podniesiona na Kościół to ręka podniesiona na Polskę [Geburtstag von Radio Maryja. Kaczyński: Jede Hand, die gegen die Kirche erhoben wird, ist gegen Polen erhoben], 2015, http://wyborcza.pl/1,75398,19299183,radio-maryja-swietuje-24-urodziny-tlumy-sluchaczy-wtoruniu.html (abgerufen am 12.12.2016).
Resümee | 299
werden. Die Vorbereitungen zur Kündigung der Istanbulkonvention kündigte die Regierung desweiteren für Ende 2016 an.14 Unter diesen Voraussetzungen erscheint die bisherige Chance auf Entwicklung einer katholischen Frauenbewegung in Polen von katholischen Frauen verspielt zu haben, denn sie ist zum heutigen Zeitpunkt in Bezug auf gravierende Änderungen der Position der Frauen im Sinne der Geschlechtergleichstellung in der Amtskirchenicht mehr möglich. Die medial wirksame Aktion, in der Frauen während der Anti-Abtreibungs-Predigt im April 2016 die Kirchen in einigen Städten aus Protest verlassen haben, wurde nicht durch katholische, sondern durch prochoice-Gruppen organisiert.15 Die kritischen Katholikinnen führen entweder ein Dissidentinnen-Dasein, wie alle Vertreterinnen und Vertreter des offenen Katholizismus, oder haben bereits der Kirche schweigend den Rücken gekehrt. Im katholischen Diskurs spielen stattdessen die pro-life-Gruppen eine immer wichtigere Rolle. 2016 erschien ein neuer Akteur in der pro-life-Bewegung, die Konföderation der Frauen der Republik Polen.16 Erneut, wie im Fall FKP, wird der Name „Frauen“ benutzt, um als „Frauenorganisation“ einen pro-life-Diskurs zu vertreten. Eine systematische Analyse der pro-life-Gruppen in Polen ist bisher ausgeblieben. Die vorliegende Studie bemüht sich deswegen um ein Instrumentarium,
14 Vgl. RENATA GROCHAL, Rząd wypowie konwencję o zwalczaniu przemocy wobec kobiet? Trwają prace. Minister Rafalska: „Jestem za!“ [Wird die Regierung die Istanbulkonvention kündigen? Die Arbeiten dauern an. Die Ministerin Rafalska: „Ich bin dafür!“]
2016,
http://wyborcza.pl/7,75398,21082147,rzad-wypowie-konwencje-o-
zwalczaniu-przemocy-wobec-kobiet-trwaja.html (abgerufen am 10.12.2016). 15 Vgl. Przepychanki w kościele św. Anny: protest kobiet przeciw żądaniom biskupów [Zank in der St. Anna Kirche: Protest von Frauen gegen Forderungen der Bischöfe], 2016, http://wiadomosci.gazeta.pl/wiadomosci/1,114871,19859498,incydent-i-przepy chanki-w-kosciele-sw-anny-kobiety-opuscily.html (abgerufen am 07.12.2016). 16 Die Organisation beschreibt sich selbst mit folgenden Worten: „Wir vereinen lokale Frauenmilieus und Frauengruppen, die sich für die Förderung und den Schutz der Mutterschaft, der Ehe und der Familie engagieren. Unser Ziel ist die Betonung der Meinung eines großen, jedoch marginalisierten Gremiums im öffentlichen Raum, welches in Anlehnung an gemeinsam verfolgte Werte, wie traditionelle Familie, natürlich verstandene Weiblichkeit, Aufwertung der Ehefrau- und Mutterrolle und Respekt, über menschliches Leben wacht. Im Aufgabenbereich der Konföderation liegen auch Angelegenheiten der Arbeit von Frauen, sowohl der Hausarbeit als auch der beruflichen“. http://docenmyzycie.pl (abgerufen am 24.01.2017).
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mit dem Bewegungen untersucht werden können, welche sich selbst als emanzipatorisch oder als Repräsentation benachteiligter Bevölkerungsgruppen deklarieren. Die Kombination aus Diskursanalyse und theoretischen Konzepten des Denkstils von Ludwik Fleck sowie den Beschreibungen der „Wirklichkeit“ (so far und from now on) von Josef Mitterer waren besonders hilfreich bei der Analyse der Strategien der Selbstpositionierung der katholischen Organisationen und deren Versuchs, sich als eine bürgerliche, soziale Bewegung zu definieren bzw. als solche zu etikettieren. Die Verknüpfung theoretischer Ansätze, zum Mythos von Roland Barthes, zur Iterabilität von Jacques Derrida sowie zur Performativität von Judith Butler, ermöglicht eine gezielte Analyse des national-katholischen Diskurses. Dadurch konnten Umschreibungen und Aneignungen der Elemente des feministischen Diskurses aufgedeckt werden, wie beim Begriff des neuen Feminismus oder beim performativen Akt der Umbenennung der pro-life-Bewegung zu einer Frauenbewegung. Es zeigt sich deutlich, dass performative Äußerungen im Sinne der „Reinszenierung und Resignifizierung“ 17 nicht nur als Weg in Richtung Emanzipation bisher benachteiligter Gruppen dienen können, sondern auch eine Möglichkeit für den backlash traditionell-konservativer Kreise bieten. Um einen solchen backlash hinter neuen Bewegungen aufzudecken, erweist sich eine Diskursanalyse mithilfe der genannten theoretischen Ansätze als bestens geeignet.
17 BUTLER, Haß spricht…, a.a.O., S. 28.. „Performative Äußerungen“, so Butler, „müssen nicht nur als Handlungen neu gedacht werden, die jemand, der Sprache öffentlich benutzt, ausführt, um bereits autorisierte Wirkungen zu implementieren, sondern gerade auch als gesellschaftliche Rituale, als wirkungskräftige Praxisformen, die ‚stumm und hinterhältig sind, beharrlich und manipulativ‘“, Ebd., S. 249.
Literaturverzeichnis
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Die Dämonisierung der Anderen Rassismuskritik der Gegenwart 2016, 208 S., kart. 17,99 € (DE), 978-3-8376-3638-3 E-Book PDF: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3638-7 EPUB: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3638-3
Fatima El-Tayeb
Undeutsch Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft 2016, 256 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3074-9 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3074-3
Götz Großklaus
Das Janusgesicht Europas Zur Kritik des kolonialen Diskurses 2017, 230 S., kart., z.T. farb. Abb. 24,99 € (DE), 978-3-8376-4033-5 E-Book: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4033-9
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Kulturwissenschaft Rainer Guldin, Gustavo Bernardo
Vilém Flusser (1920–1991) Ein Leben in der Bodenlosigkeit. Biographie 2017, 424 S., kart., zahlr. Abb. 34,99 € (DE), 978-3-8376-4064-9 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4064-3
Till Breyer, Rasmus Overthun, Philippe Roepstorff-Robiano, Alexandra Vasa (Hg.)
Monster und Kapitalismus Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2017 2017, 136 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-3810-3 E-Book: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3810-7
Thomas Hecken, Moritz Baßler, Robin Curtis, Heinz Drügh, Mascha Jacobs, Nicolas Pethes, Katja Sabisch (Hg.)
POP Kultur & Kritik (Jg. 6, 2/2017) 2017, 176 S., kart., zahlr. Abb. 16,80 € (DE), 978-3-8376-3807-3 E-Book: 16,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-3807-7
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