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German Pages 347 [352] Year 1903
Karl Stauffer-Bern. Zein Leben. Seine Vriefe. Seine Gedichte. Dar gestellt von
Otto WrraHnr. Vedst einem £rlb|lpiirfräf des Künstlers und einem Brief von Gustav Ireykag.
Künste Anstage.
-keipzlg. G. 3« Göschen'sche Verlagshandlung. 1903.
Alle Rechte Vorbehalten.
Vorwort. Den Plan zu dem vorUeqenven Buche habe ich nicht
aus Eigenem gefaßt,
er ist mir von außen her durch eine
Reihe von Umständen gegeben worden, die ich der Folge
nach erzählen will. Ich hatte mit Stauffer während seiner Berliner Zeit
in freundschaftlichem Verkehr gestanden (ohne grade zu den
Allernächsten seines Kreises
zu
gehören)
und theilte der
Leffentlichkeit, als er gestorben, einiges an Erinnerungen
und Eindrücken mit, in der bewußten Absicht: umlaufenden irrigen und beschränkten Urtheilen,
Entstellungen und der
Splitterrichterei des Philisteriums entgegenzutreten.
Einige
Briefe Stauffers an Peter Halm konnte ich bald darauf ver öffentlichen, und hatte die Freude zu erfahren, daß diese
Bekenntnisse einer echten Künstlernatur gewirkt hatten, wie sie sollten: sie hatten geholfen, das innere Wesen des Ver
storbenen aufzuschließen, sie hatten den schönen, tiefen Ernst seiner ringenden Begabung respectgebietend anschauen lassen.
Meine Aufgabe schien damit erledigt; allein vier Monate
später, Ende Juni 1891, erreichte mich unerwartet eine um fangreiche Sendung aus Genf: „Absenderin Lydia Escher."
Ich öffnete, erstaunt, was die mir völlig fremde Dame, deren Aufenthaltsort selbst mir unbekannt geblieben, schicken
möchte — und fand Stauffers Briefe an sie, in vier Jahr-
IV gangen sorgsam gesammelt, Bogen um Bogen. Es ergab sich (wie ©. 320 dieses Buches näher zu lesen), daß eine Publikation der Briefe mir nahegelegt ward, die ich gern übernahm; und als Lydia Escher zu Ende 1891 starb, blieben die Briefe in meinen Händen. Ich sollte die Papiere für den Fall ihres Todes als mein Eigenthum empfangen, hatte sie mir erklären lasten; da ich jedoch auf so werth vollen Besitz keinen Anspruch machen wollte, stellte ich ihn der Familie Stauffers zur Verfügung, die ihn annahm. Diesen Sachverhalt, sowie Frau Lydia's Brief an mich vom 6. Juli 1891, der der Publikation zustimmte, theilte ich in der Frankfurter Zeitung vom 17. und 18. December mit; am letzten Tage des Jahres aber, den 31., erreichte mich, durch die gewichtige Vermittlung eines Gerichtsvollziehers, ein seltsamer Einspruch: die hohe Eidgenostenschaft, als Universal erbe der Verstorbenen, wollte Besitzerin der Briefe sein imb — dies vor Allem — die Publikation untersagen. „Ohne die Genehmigung des Bundes," hieß es in dem Schrift stück des Rechtsanwaltes, der die Schweiz vertrat, „dürfen Publikationen aus jenen Briefen nicht mehr erfolgen und bin ich beauftragt, Sie zu ersuchen, derartige Publikationen Unterlasten zu wollen." Und es wurde mir empfohlen, falls ich die Rechte des Bundes nicht anerkennte, die Briefe bis
auf Weiteres an einem dritten Ort zu deponiren: ein Wink mit dem Zaunpfahl, welcher mit einer schleunigen Confis cation zu drohen schien, wenn ich nicht that, wie geschrieben. Wirklich stellte sich dann heraus, daß man zu einer Hauptund Staatsaction die Einleitung bereits getroffen hatte: der Leiter unseres Auswärtigen Amtes war von der An gelegenheit, auf diplomatischem Wege, unterrichtet worden; und ich konnte dem erneuten Besuch des Herrn Gerichts vollziehers entgegensehen.
V Eine ruhige Betrachtung lehrte bald: auf wie schwachen Füßen dies feierliche Verfahren stand; und wie gut Herr Professor Vaechtold in Zürich und Herr Bundesrath Schenk in Bern, die die Action leiteten, gethan hätten, eine private Verständigung zu suchen, bevor sie das schwere Geschütz juri stischer und diplomatischer Action auffuhren, im Namen eines
ganzen, großen Staates. Selbst angenommen, daß das Eigen thumsrecht der Briefe strittig erscheinen konnte — daß die Be sitzerin die Veröffentlichung gewünscht hatte, ergab der Wortlaut ihres Schreibens, in der Frankfurter Zeitung abge druckt (und wiederholt S. 321 f. dieses Buches) klar und deut lich; und als ein allgemeiner Nechtsgrundsatz ist doch bekannt: daß der Erbe den Willen des Erblassers zu respectiren hat. Das Recht zur Veröffentlichung aber, das der Bund mir verweigerte, besaß gar nicht er, auch nicht Frau Lydia Escher, sondern, nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes, die Erben des Briefschreibers, Stauffers Familie. So wenig Gesetzes kunde also fand sich an der Spitze der Schweizer Regierung, daß man, mit großem Apparat von Gesandtem und deut schem Staatssecretär, ein Verfahren einleitete, das in seinen: wesentlichen Punkte: in der Publikationsfrage, gänzlich in der Luft schwebte. Spät erst wurde der Irrthum erkannt, und Herr Bundesrath Schenk lud nunmehr Stauffers Bruder, Herrn Advocaten Eduard Stauffer, in seine Audienz, um ihm das Ansinnen zu stellen: Stauffers Familie möge mir die Publikation doch untersagen: eine Aufforderung, die rundweg abgelehnt wurde. Von dem Rechtsstreit gegen mich aber habe ich nicht wieder gehört: zum deutlichen Beweis, daß nicht das Eigenthum an den Briefen, sondern lediglich ihre Veröffentlichung für den Schweizer Bundesrath in Frage stand. Und weshalb nun dieses überstürzte, tappende Ver-
VI fahren, weshalb diese Besorgniß vor meiner Publikation? Welche Ursache konnte die freie Schweiz, als Staat, haben, die Veröffentlichung unfrei zu hindern?
Eine Veröffent
lichung, die doch klar zum Ruhme eines Schweizers geschah; eines Mannes, der in den Wirren seines Lebens Hilfe bei dem Bunde nicht gefunden hatte,
und deffen Wort man
jetzt noch im Tode knebeln wollte.
Hatte man Gründe, im
Bundesrath, der Nachforschung über Stauffers Leben aus zuweichen? Stauffer hatte diese Veröffentlichung gewünscht,
Frau Escher wünschte sie von mir — aber die Eidgenossen schaft verbot sie und drohte mir mit einem Proceß, dem,
zugleich mit der juristischen, auch jede ideale Begründung mangelte: denn der Bund hatte für Stauffer nichts, nichts gethan; ich immerhin einiges.
Aber grade das Vorgehen der Eidgenossenschaft war
es,
was
derte.
mich zu weiterer Arbeit jetzt
energisch
auffor
Hatte ich zunächst nur eine Veröffentlichung in Zeit
schriften bewirkt, so erwuchs mir nun die Aufgabe: den viel
verschlungenen Pfaden dieses Lebens sorgsam nachzugehen und alles mir Erreichbare zu biographischer Darstellung zu
sammenzufassen, — selbst auf die Möglichkeit hin, in das pri vate Interesse noch lebender Personen einzudringen.
Auch
die Räthsel, welche die Berner Rathsherren mir aufgaben,
waren
vielleicht
auf diesem Wege mit zu lösen.
Zurücksetzung eigener, drängender Aufgaben
Arbeit unternommen und auf
Unter
habe ich die
mehrfachen Reisen in
die
Schweiz, nach Zürich, Bern, Biel, Genf das Material zu dem vorliegenden Buche gesammelt.
Mit der liberalsten
Gesinnung haben Frau Pfarrer Stauffer und Herr Für
sprech Stauffer in Biel mir die Einsicht in alle Papiere, und
ihre freie Benutzung verstattet; desgleichen Stauffers Ge treue in München und Berlin, Peter Halm und Max Mosse.
— vir (Jin verehrungswürdiger Poet Ijat, zu meiner großen, herz lichen Freude, zu diesem Buche bereitwilligst beigesteuert.
Und so habe ich versuchen dürfen, das entstellte Bild eines und der mir nun, da ich die tragische Verknüpfung seine
u
Daseins erkannt habe, immer theurer, immer rührender ge