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German Pages 150 [156] Year 1906
KARL ERNST ADOLF
VON HOFF DER B A H N B R E C H E R MODERNER GEOLOGIE EINE WISSENSCHAFTLICHE BIOGRAPHIE VON
DR OTTO REICH
LEIPZIG V E R L A G VON VEIT & COMP. 1905
MEINEM LEHRER
FRIEDRICH RATZEL ZUM GEDÄCHTNIS
Vorwort. m Ende des achtzehnten Jahrhunderts befanden sich die politischen Verhältnisse Deutschlands in der traurigsten Verfassung. In zahllose Territorien und Kleinstaaten zersplittert, nur durch die schattenhafte Oberhoheit des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, ohne irgend welche gemeinsame Interessen, zusammengehalten, boten die einzelnen Glieder sowohl wie die Gesamtheit ein trostloses Bild von Ohnmacht und Schwäche. In dieser Zeit des politischen Niederganges stieg das geistige Deutschland dafür auf eine Höhe, die von keinem Volke vorher erreicht worden war. Überall ein gewaltiges Ringen um neue Gedanken, ein machtvolles Streben nach neuen Zielen, ein Stürmen und Drängen, rastlos und gewaltig. Gleichsam als Ersatz für das äußere Unglück des in Verfall geratenen deutschen Reiches hat eine große Zahl hochbegabter und gelehrter Männer ihr bedrücktes Vaterland zu einer Höhe des Geisteslebens emporgehoben, deren sich bisher kaum ein Volk rühmen konnte. Besonders aus Thüringen, dem Herzen Deutschlands, heraus pulsierte neues Leben. Mochten draußen in der Welt die Stürme des Aufruhrs und der Gesetzeslosigkeit toben, in Thüringen fanden Kunst und Wissenschaft ein sicheres Asyl. Seine geographische Lage machte es naturgemäß zu einem Ausgangspunkt treibender Ideen. Den Austausch und die weitere Verbreitung derselben verdankt es aber erst dem Edelsinn seiner Fürsten. Die beiden Lichtpunkte Thüringens waren Weimar und Gotha. Weimar darf sich rühmen, der Sammelplatz der größten Geister in der deutschen Literatur, eines W i e l a n d , H e r d e r , G o e t h e und S c h i l l e r gewesen zu sein, und mit Recht steht der Name Karl A u g u s t s , des Beschützers und Freundes der Musen, mit goldenen Lettern in Thüringens Geschichte verzeichnet. Nicht minder sollte der
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Vorwort
Name eines anderen Fürsten glänzen, E m s t s II., durch welchen Gotha ein Sammelpunkt der Gelehrten von den verschiedensten Zweigen der Wissenschaften wurde. Er gehört zu den wenigen Fürsten, die, ohne in dem lebendigen Eifer bei Erfüllung ihrer Regentenpflichten im mindesten nachzulassen, die wissenschaftlichen Studien mit großem Erfolg pflegten und selbst gründliche Kenntnisse besaßen. Um den Regenten sammelte sich ein Kreis von Gelehrten. Diesen und ihrem fürstlichen Beschützer verdankt Gotha seinen Ruf, den es als Pflegestätte der Wissenschaft in ganz Deutschland, ja weit über dessen Grenzen hinaus genoß. Es ist besonders charakteristisch, daß diese Männer nicht Zeit noch Muße hatten, ganz den Wissenschaften zu leben, sondern daß sie daneben noch arbeitsreiche Staatsämter bekleideten. Wie aber Herzog E r n s t selbst und seine Nachfolger, „die in seinen Fußtapfen fortgingen", niemals über den geliebten Wissenschaften die Staatsgeschäfte vernachlässigten, so haben auch seine Beamten ihr Staatsamt als ihre erste Pflicht angesehen, von deren oft einförmiger und mühevoller Erfüllung sie im Tempel der Wissenschaft Erholung suchten. Eine der Hauptstützen von Gothas wissenschaftlichem Ruhme aber war Karl E r n s t A d o l f v o n H o f f , er „gehört nach Art und Zahl seiner wissenschaftlichen Leistungen zu den hervorragendsten Geologen und Geographen seiner Zeit" (Ratzel). In der Geschichte der Geologie hat er sich den Ruhm eines Bahnbrechers erworben. Der Schilderung seines Lebens und seiner wissenschaftlichen Verdienste soll vorliegende Arbeit gewidmet sein. Die Veranlassung dazu gab F r i e d r i c h Ratzel. Als ein Dankeszeichen des Schülers sollte sie zu seinem sechzigsten Geburtstage erscheinen. Durch den plötzlichen Tod des großen Leipziger Geographen ist sie nun eine Gedächtnisschrift geworden. Allen denen, welche mich bei meinen Quellenstudien in so reichem Maße unterstützten, sage ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank, insbesondere aber meinem Lehrer, Herrn Geheimen Bergrat Professor Dr. H e r m a n n C r e d n e r für Rat und Tat! P i r n a , im Herbst 1904.
Otto Reich.
Inhalt. Seite
Vorwort Erster A b s c h n i t t , von Hoffs L e b e n s g a n g . 1. Vorfahren, Jugend- und Studienzeit 2. Staatsdienst 3. Wissenschaftliche Tätigkeit 4. Lebensende. Familienverhältnisse. Charakterschilderung . . . . Z w e i t e r A b s c h n i t t , von H o f f s w i s s e n s c h a f t l i c h e V e r d i e n s t e . 1. Um die geologische Erforschung Thüringens 2. Um die Geographie Thüringens 3. Um die dynamische Geologie und physikalische Geographie . . 4. Um die Begründung der modernen Geologie Schluß Anhang. 1. Handschriftliche Quellen 2. Karl von Hoffs literarische Arbeiten
V 1 12 20 40 43 62 68 86 135 138 140
Erster
Abschnitt.
von Hoffs Lebensgang.1 1. Vorfahren, 2 Jugend- und Studienzeit. Der thüringische Name v o n H o f f geht in dieser, wie in anderen Schreibarten auf de curia, von dem Hofe, zurück. Sein Träger ist ein altes Adelsgeschlecht, dessen erster urkundlich über1 Die Grundlage zur vorliegenden Biographie bildeten hauptsächlich die im Anhang aufgeführten handschriftlichen Quellen. Weitere Anknüpfungspunkte bot folgende Literatur: 1. Jenaische Allgemeine Literaturzeitung, Intelligenzblatt Nr. 30, S. 234—238; 242—244. 2. Neuer Nekrolog der Deutschen, Jg. 1837, Teil I, S. 586—590. 3. F r i e d r i c h J a c o b s , Vermischte Schriften, Leipzig 1840, Teil VII, S. 571—590. 4. Gothaische politische Zeitung, Jg. 146, Nr. 106, Gotha, vom 27. Mai 1837. 5. Allgemeine Zeitung, Jg. 1837, Beilage v. 6. Juni, Nr. 157, S. 1254. 6. Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen, J g . 1837, S. 2221. 7. Leipziger Zeitung, J g . 1837, Nr. 134, S. 1699. 8. Verbesserter Gothaer Historienkalender auf das Schaltjahr 1838. 9. J . J. L i t t r o w , Geschichte der induktiven Wissenschaften. Nach dem Englischen des W. W h e w e l l . Stuttgart 1841, Teil III, S. 620, Anmerk. 1. 10. J . M e y e r , Das große Konversations-Lexikon für die gebildeten Stände, Band XV, 1850, S. 973. 11. Biographie universelle (Michaud), ancienne et moderne. Nouvelle Edition, Paris 1857, Tom. X I X , S. 498—499. 12. A u g . B e c k , E r n s t II., Herzog z. Sachs.-Gotha und Altenburg als Pfleger und Beschützer der Wissenschaft und Kunst. Gotha 1854, S. 126.
13. J. C. P o g g e n d o r f f , Biogr.-literar. Handwörterbuch z. Geschichte d. exakt. Wissenschaften. Leipzig 1863, Band I, S. 1121. 14. Catalogue of Scientific Papers (1800—1863). London 1869, Vol. III, S. 383—385. 15. H o e f e r , Nouvelle Biographie générale. Paris 1861. Band X X I V . 16. La Grande Encyclopédie. Inventaire raisonné des Sciences, des Lettres et des Arts par une Société de Savants et de Gens de Lettres, Paris, Tom. vingtième. 17. Allgemeine Deutsche Biographie. Leipzig 1881, XII. Band, S. 564. R e i c h , V Hoff
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von Hoffs Lebensgang
lieferter Vertreter O t t o v o n d e m H o f e 1 um das Jahr 1365 im Dienste G ü n t h e r s v o n S c h w a r z b u r g stand, wohl des Grafen, den dereinst nach L u d w i g s d e s B a y e r n Tode die Wittelsbacher als Kronprätendenten gegen Karl IV. aufwarfen. Ein Sohn des Ahnherrn war Propst des Nonnenklosters Ilm, dann Domherr zu Würzburg, ein anderer, E r a s m u s , vererbte auf seinen männlichen Nachkommen den Lehnsbesitz und des Grossvaters Namen, während seine Tochter, des Oheims Vorgang folgend, das Priorat des Klosters Ilm verwaltete, womit später noch öfters weibliche Glieder der Familie ausgestattet wurden. Aus Dokumenten und Chroniken der drei folgenden Jahrhunderte erhellt 18. J o h a n n e s W a l t h e r , Einleitung in die Geologie als historische Wissenschaft. Jena 1893, Teil I, S. XV—XVI, Anmerkung. 19. Z i t t e l , K. A. v., Geschichte der Geologie u. Paläontologie bis Ende des XIX. Jh., München und Leipzig 1899, S. 285, Anmerkung. 20. G o t t l o b S c h n e i d e r , Gothaer Wegweiser, Gotha 1900, S. 27—28. F r i e d r i c h J a c o b s hat in der Allg. Jenaisch. Literaturzeitung (Verzeichnis No. 1) seinem Freunde K a r l v o n H o f f einen herzlichen Nachruf gewidmet. Dieser fand gekürzt Aufnahme im Neuen Nekrolog der Deutschen und ging über in J a c o b s vermischte Schriften, Band VII. Die übrigen Nekrologe sind meist sehr kurz, teils ungenau oder nur eine Übernahme des Nachrufes von F r i e d r i c h J a c o b s . Das Verdienst, zuerst scharf und klar auf die Bedeutung K a r l v o n H o f f s hingewiesen zu haben, gebührt F r i e d r i c h R a t z e l in der Allgem. Deutschen Biographie. Die Hauptquelle f ü r die vorliegende Arbeit bildete das bisher noch unbenutzte handschriftliche Material, v o n H o f f hat Annalen und Tagebücher hinterlassen. Ein Einblick in dieselben wurde uns leider nicht gestattet, aber der Enkel von K. v o n H o f f , Herr Hauptmann H e i n r . v o n H o f f in Ulm, hatte die Güte, uns kurze Auszüge aus den Annalen zur Verfügung zu stellen. Wir werden die benutzten Stellen kurz als Annalen zitieren. Mündliche Mitteilungen von dem erst im Jahre 1902 verstorbenen jüngsten Sohne K a r l v o n H o f f s , A s t o l f v. H o f f , wurden gleichfalls verwertet. Leider war es uns trotz vielfacher Bemühungen nicht möglich, handschriftliches Material aus dem Nachlasse aufzufinden. Wir bedauern dies sehr, da v o n H o f f mit den bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit in lebhaftem Briefwechsel stand. Wertvolles Material für die Lebensgeschichte und Bedeutung dieses Mannes ging uns dadurch verloren. Ein merkwürdiger Zufall fügte es auch, daß im herzogl. Staatsarchive zu Gotha v o n H o f f s Personalakten nicht aufgefunden werden konnten. ( A n m e r k u n g 2 zu S e i t e 1.) Vergl.W. W. 1 0 ' N o . 78, Archiv des Herzogl. Staatsministeriums zu Gotha, Akten, den Akzeß des Studiosus der Berg- und Kameralwissenschaft E m i l v o n H o f f zu Gotha bei der Hüttenfactoria und Kohlenverwaltung zu Luisental betr. S. 27 ff. 1 Urkunde im Staatsarchive zu Gotha, 99 X (IV) 19.
Vorfahren, Jugend- und Studienzeit
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genugsam, dass die v o m H o f f e , welche den Namen fortleiteten, Adelsvorrechte genossen und im Schwarzburgischen und im Gothaischen (in der früheren Grafschaft Gleichen) begütert waren. 1 Am Ende des 17. und am Anfang des 18. Jahrhunderts trat infolge ungünstiger Zeitumstände eine Verminderung der Vermögenslage der Familie ein, der Zusammenhang der Zweige ward nicht weiter aufrecht erhalten, Herkunft und Geschlechtsfolge entwertet, die Standesauszeichnung tatsächlich preisgegeben. So erklärt es sich, daß, obwohl der Adelsbrief bis 1808 vorhanden war und erst durch eine Feuersbrunst in Ohrdruf verloren ging, „daß unter den einhundertelf adligen Männern, welche die zweite Abteilung der 1716 erschienenen Gotha diplomatica enthält, keine Familie v o n H o f f genannt, ja, daß sie nicht einmal unter den vornehmeren bürgerlichen Familien aufgeführt wird". 2 Man weiß sonach von G e o r g A n d r e a s v o n H o f f wenig mehr, als daß jene Ignorierung ihn selbst, falls er aber gestorben war, seine beiden Söhne betraf. Unter A l b r e c h t s , des älteren, Nachkommenschaft begegnen wir sodann wieder Offizieren in preußischen Diensten und gothaischen Beamten. Mit ihnen rücken wir dem Zeitpunkte nahe, der für die Geschichte des Hauses mit dem Auftreten schon des Geheimen Legationsrates J o h a n n C h r i s t i a n v o n H o f und mehr noch seines Sohnes K a r l , — dessen Verdiensten diese Blätter gewidmet sind, — eine so günstige Wendung brachte, die für die Familie eine bewundernswerte geistige Adelung bedeutet. 3 Dem Bruder A l b r e c h t s , J o h a n n A n d r e a s , wurde am 6. August 1722 ein Sohn geboren, J o h a n n C h r i s t i a n v o n Karl von Hoff, 20. Dez. 1826. 1
Brief an den stud. theol. L u d w i g v o n H o f f vom
W. W . 10 1 No. 78, Akten des Herzogl. Staatsministeriums zu Gotha: Untertänigster Bericht des Herzogl. Oberhofmarschallamtes, das Gesuch des Akzessisten E m i l v o n H o f f um Anstellung als Hofjunker betr., Gotha, den 19. Mai 1838. 2
3 Im Jahre 1838 wurde vom Herzog E r n s t I. v. S. Coburg-Gotha der Adel erneuert und zwar »aus Rücksicht der geleisteten treuen Dienste" des verstorbenen Geheimen Konferenzrates v o n H o f f zu Gotha. W. W. 10 1 No. 78 Akten des Herzogl. Staatsministeriums z. Gotha: Diplom über die Erneuerung des Adels der Gebrüder E m i l u. A s t o l f v o n H o f f zu Gotha, Coburg, 12. Aug. 1838.
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von Hoffs Lebensgang
H o f f , 1 welcher zu Jena 1740 — 1743 Jura und Diplomatica studierte. Am 10. Juli 1747 erhielt er den Akzeß beim geheimen Archiv zu Gotha. Seine Neigung für publizistische Geschäfte, denen er sich anfangs nicht bestimmt hatte, wurde durch den Grafen v o n B ü n a u dem Jüngeren, der ihn zu verschiedenen Arbeiten brauchte, geweckt, und er widmete sich ihnen mit großer Liebe und großem Erfolge. 2 Er war von ernstem strengem Charakter, unermüdlich im Amte, vorbildlich in der Erfüllung seiner Berufspflichten. In Anerkennung seiner vielseitigen Kenntnisse und treuen Dienste 1766 zum Geheimen Legationsrat ernannt, 3 vermählte er sich, Witwer in zweiter kinderloser Ehe, am 2. November 1769 mit J o h a n n a F r i e d e r i k e S o p h i e v o n A v e m a n n , aus einer alten adeligen, in Gotha ansässigen Familie. 4 Am 1. November 1771, morgens 7 Uhr, wurde ihm Karl E r n s t A d o l f geboren, 5 am 1693. Jahrestag des Vesuvausbruches, der Herkulaneum zerstörte, und am 16. des großen Erdbebens von Lissabon. 8 Der Vater gab dem Knaben eine äußerst sorgfältige Erziehung, an der auch die Mutter tätigen Anteil nahm. Frühzeitig erwachten dadurch die in ihm schlummernden Anlagen und erhöhten den Liebreiz seiner kindlichen Gestalt. „Keine schöneren Kinder hatte die Stadt aufzuweisen als Karl und F r i e d e r i k e v o n H o f f , die, wenn sie Hand in Hand auf Spaziergängen vor ihren Eltern einhergingen, wie damals die Sitte in wohlgeordneten Familien war, alle Augen auf sich zogen". 7 1
Er schrieb sich zeitlebens v o n H o f und war ungehalten darüber, daß er von seinem Sohne in der Dedikation zu: Das teutsche Reich vor der französischen Revolution und nach dem Frieden zu Luneville (Gotha 1801) v o n H o f f benannt wurde. Vgl. Geh. Archiv W. W. IO1 No. 78, Bericht des Oberhofmarschallamtes. 2 Nationalzeitung der Teutschen, Gotha 1797, S. 638 ff. Zum 50. Dienstjubiläum von Joh. C h r i s t , v o n H o f f . 3 Personalakten von Joh. C h r i s t , v o n H o f . Herzogl. Staatsarchiv zu Gotha. U. U. I. 76. 4 Register der herzoglichen Schloßkirche zu Gotha 1769. 5 Ebenda 1771. 6 K. v o n H o f f erwähnte dies oft im Kreise seiner Freunde mit Anspielung auf seine wissenschaftl. Lebensarbeit. Vgl. Annalen I, 1 und J a c o b s , Vermischte Schriften, Band VII, S. 571, Anmerkung. ' F r i e d r i c h J a c o b s , Vermischte Schriften, Bd. VII, Leipzig 1849. S. 585. Karl v o n H o f f hatte noch vier Geschwister: F r i e d e r i k e und H e d w i g , G e o r g und H e i n r i c h . G e o r g wurde Oberst beim gothaischen Regiment, das in Holland diente, und H e i n r i c h Oberpostdirektionsrat bei der Thum- und
Vorfahren, Jugend- und Studienzeit
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Im väterlichen Hause ward K a r l v o n H o f f von trefflichen Lehrern unterrichtet. 1 Der liebste wurde ihm F r i e d r i c h J a c o b s der während der Krankheit seines Vorgängers einen Versuch des Unterrichtens gemacht hatte. 2 Seit jener Zeit, wo ein Zufall F r i e d r i c h J a c o b s dem Höfischen Hause zuführte, hat innige Freundschaft beide miteinander verbunden. 3 Ein Zufall war es auch, der damals schon dem Schüler die Lust an der Naturgeschichte des Erdkörpers abgewann. 4 Im Sommer begleitete er seinen Vater auf einer Dienstreise nach Coburg. 5 Dort hatte der Minister M o r i t z A u g u s t v o n T h ü m m e l , ® ein Verwandter und Freund der Familie, kurz vorher eine Steinschneidemühle und Steinschleiferei angelegt und ließ aus dem im Coburgischen gefundenen versteinerten Holze vielerlei Kunstwerke verfertigen. Als er sah, daß derlei den jungen v o n H o f f Taxisschen Post in Tübingen. Soweit wir erfahren konnten, scheinen die Geschwister K a r l v o n H o f f s keine Nachkommen hinterlassen zu haben. In dieser Beziehung waltet augenscheinlich ein merkwürdiges Geschick über der Familie. K a r l v o n H o f f schreibt schon in dem oben genannten Briefe an den stud. theol. L u d w . v o n H o f f : „Meine Seitenverwandtschaft väterlicherseits war sehr klein und ist in den neueren Zweigen abgestorben." Er selbst hat zwei Söhne hinterlassen, E m i l und A s t o l f . Nur der letztere war verheiratet. Sein jetzt noch lebender einziger Sohn H e i n r i c h , Hauptmann und Brigadeadjutant in Ulm a. D., hat keine männlichen Nachkommen. (Nach mündlicher Mitteilung von Astolf v o n H o f f . ) 1 Sein erster Lehrer war „ein gewisser B o h n , welcher 6 / 4 Jahre beim Leg.Rat H o f f als Informator gestanden hat". — B e c k , E r n s t IL, Herzog zu SachsenGotha u. Altenburg als Pfleger und Beschützer d. Wissenschaft u. Kunst. Gotha 1854, S. 29. — Vom Herzog wurde hierauf B o h n als Lehrer seiner Kinder angenommen. ( E r n s t II. an den Kirchenrat G e i ß l e r vom 28./10. 1779.) 2 Friedr. J a c o b s , Vermischte Schriften, Bd. VI. Leipzig 1837, S. IX, Zuschrift an den Herrn Geheimen Konferenzrat v o n H o f f . Es war Winter 1783/84. F r i e d r . J a c o b s hatte die Universität Jena verlassen, hielt sich sechs Monate daheim in Gotha auf und ging dann nach Göttingen. — F r . J a c o b s , Personalien. Nachrichten aus meinem Leben. S. 26 ff.
* F r . J a c o b s , Vermischte Schriften VI, S. X, Zuschrift. v o n H o f f , Geschichte der durch Überlieferung nachgewiesenen natürlichen Veränderungen der Erdoberfläche. Band I, Gotha 1822, Zueignung S. V, 6 „Die Administration der Finanzen des Hauses Coburg-Saalfeld betreffend", die seit 1778 dem Assistenzrate v o n H o f f übertragen worden war. — A u g u s t B e c k , Geschichte der Regenten des gothaischen Landes, Gotha 1868, S. 417; auch Nationalzeitung 1797, S. 639. 0 B e c k , E r n s t IL, S. 147. 4
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von Hoffs Lebensgang
lebhaft interessierte, beschenkte er ihn mit einer Dose von versteinertem Holze und mit mehreren polierten Stücken von verschiedener Art und Farbe. Dieses Geschenk hat den ersten Grund zu seiner Liebhaberei an der Mineralogie gelegt. Die Thümmelsche Dose bewahrte er als ein Heiligtum. Auf der Rückfahrt über den Thüringer Wald mußten die Reisenden wegen der fürchterlichen Wege oft aussteigen. Der Knabe benutzte die Gelegenheit, Steine zu untersuchen, um versteinertes Holz zu entdecken. 1 Eine Weile wurde dieses Interesse auf verschiedene Weise genährt, wozu auch die damals von seinem später hochgeehrtem Freunde K a r l W i l h e l m V o i g t 2 veranstalteten Sammlungen von Gebirgsarten nicht wenig beitrugen. 8 V o i g t bot einige Zeit nach der Coburger Reise eine Sammlung zum Verkaufe aus. K a r l v o n H o f f bewog seinen Vater, ihm diese kommen zu lassen. 4 Allein vor den notwendigen Schulstudien und der bunten Geschäftigkeit der ersten Jugend trat dieser aufkeimende wissenschaftliche Drang in den Hintergrund, ohne jedoch ganz unterdrückt zu werden. 5 Im Herbste 1785 wurde Karl v o n H o f f s sehnlicher Wunsch, das Gothaer Gymnasium zu besuchen, erfüllt. Mit dem 14. Lebensjahre trat er in die erste Klasse ein. 8 Das Direktorat der alten, von F r i e d r i c h M y c o n i u s , dem Reformator Thüringens, gegründeten Anstalt war damals verwaist. Der Generalsuperintendent B e n j a m i n K o p p e leitete sie interimistisch. 7 Aber „mit dem Eifer eines Kenners und Freundes der Wissenschaften nahm er sich des Gymnasiums an. Ein fleißiger Besucher der Klassen, kannte er Lehrer und Schüler auf das genaueste; und indem er die Tüchtigen auszeichnete, die Schlechten entfernte, belebte er den Eifer eines jeden, und gab ihm die Richtung nach dem für ihn geeigneten Ziele." 8 K o p p es Wirksamkeit war aber nur kurz bemessen und auf 1
Annalen I, 2. Dem späteren Bergrat in Ilmenau. — v. Z i t t e l , Geschichte der Geologie und Paläontologie, S. 117, Anmerk. * v o n H o f f , Geschichte der natürlichen Veränderung. Bd. I, Zueignung S.V. * Annalen I, 2. 6 v o n H o f f , Geschichte I. Zueignung S. VI. 4 Annalen I, 3. ' S c h u l z e , Gesch. d. Gymnas. zu Gotha. Gotha 1824, S. 286ff. 8 J a c o b s , Personalien, S. 599. 2
Vorfahren, Jugend- und Studienzeit
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seinen Vorschlag wurde der Magister F r i e d r e h W i l h e l m D ö r i n g , 1 seit 1784 Rektor zu Naumburg, zum Leiter des Gymnasiums berufen als «der Mann, der den erlittenen Verlust ersetzen könnte." Am 23. Juli 1786 wurde D ö r i n g in sein neues Amt eingewiesen und hielt den 23. Oktober seine Antrittsrede, die er durch ein archäologisches Programm, de imaginibus alatis apud veteres, ankündigte. 2 Hatte das Gymnasium durch die gewissenhafte Verwaltung seiner gelehrten und talentvollen Vorgänger G e i ß l e r und S t r o t h 8 an Ansehen sehr gewonnen, so sollte es sich unter D ö r i n g s Leitung zur höchsten Blüte entwickeln. Kenntnisreiche Männer, wie K a l t w a s s e r , G a l l e t t i , G e b h a r d t , V o i g t , M a n s o und J a c o b s / die ihr treffliches Lehrgeschick auf die glänzendste Weise entfalteten, unterstützten den neuen Direktor. Dem Geiste, der die Lehrenden beseelte, entsprach die Arbeitsfreude der Lernenden, und mit anwachsendem Besuche wetteiferte die innere Stärke der Schule. 5 Auf diesem Gymnasium empfing K a r l v o n H o f f seine klassische Bildung. Allen Unterrichtsfächern wandte er Interesse zu, Geographie, Naturgeschichte, Mathematik und Physik zogen ihn aber vornehmlich an. Zur Mathematik hatte er ganz besondere Neigung. Sein Lehrer V o i g t , bei dem er auch Privatstunden nahm, wußte sie in jeder Weise zu stärken. W o K a r l v o n H o f f irgend Zeit dazu gewinnen konnte, suchte er sich in der Mathematik fortzubilden, aber es geschah zu ungestüm, nicht beharrlich genug. Er wollte immer schnell weiterkommen, nahm vorzeitig angewandte Teile vor. So brachte er es in der Astronomie und Physik zu einigen Kenntnissen, „aber die mathematische Gründlichkeit blieb 1 Friedrich W i l h e l m D ö r i n g (1786—1833). Allg. Deutsche Biogr. V, 289—291. 2 Jacobs, Personalien. S. 598. 3 J o h . G o t t f r i e d G e i ß l e r (1768—1779). Allg. Deutsche Biogr. VIII, S. 528. F r i e d r . A n d r e a s S t r o t h (1779—1783). Allg. Deutsche Biogr. XXXVI, 624—629. 4 J o h . F r i e d r . Sal. K a l t w a s s e r (1775—1813). Allg. Deutsche Biogr. XV, S. 491. J o h . G e o r g A u g . G a l l e t t i (1778—1819). Allg. Deutsche Biogr. VIII, S. 332f. G e o r g C a s p . G e b h a r d t (1768—1791). S c h u l z e , S. 272 u. 290. J o h . H e i n r . V o i g t (1775—1789). N. Nekrol. d. Deutschen 1823. S. 639. J o h . C a s p . F r i e d r . M a n s o (1783—1790). Allg. Deutsche Biogr. X X , S. 246 bis 248. C h r i s t . F r i e d r . W i l h . J a c o b s (1785—1807). Allg. Deutsche Biogr. XIII, S. 6 0 0 - 6 1 3 . 5
J a c o b s , Personalien, S. 598 ff.
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von Hoffs Lebensgang
dahinten". Es zeugt von seinem hohen Interesse für die Himmelskunde, daß er sich an der Decke seiner kleinen Mansardenstube das ganze Kopernikanische System mit allen proportionierten Entfernungen, Exzentrizitäten u. s. w. aufzeichnete. Zur Betätigung seiner Vorliebe schloß er mit dem Mechaniker S c h r ö d e r , 1 dem treuen Hüter des physikalischen Kabinetts Ernst II., Freundschaft. Dieser nahm ihn oft mit sich auf die Sternwarte, die der Herzog auf dem Friedenstein errichtet hatte. Dort sahen sie nach den Sternen, beobachteten die Jupitertrabanten, die Finsternisse und stellten die Durchgänge der Fixsterne durch das Mittagsfernrohr fest. Nach alledem wurde in dem Jüngling der Wunsch lebhaft rege, sich ganz dem Studium der Mathematik zu widmen. Der Erfüllung stand aber des Vaters Wille im Wege, die eigene Laufbahn den Sohn wiederholen zu sehen. Und der Gehorsam überwog den Lieblingsplan, für den nichts weiter eintrat, als der Glaube: „daß ich zum Gründlichen darin gekommen, wäre, wenn man mir Zeit dazu gelassen hätte". 2 Nach dreijährigem Besuche, Michaelis 1788, verließ K a r l v o n H o f f als Primus omnium das Gymnasium. In der öffentlichen Abgangsfeierlichkeit hielt er eine Rede in französischer Sprache: „de vi, quam spectacula publica in mores hominum habeant." 8 Die Wahl der Hochschule entschied das Herkommen. Danach war es für ein Gothaer Landeskind, das späterhin in der Heimat seiner Vorbereitung gemäß angestellt werden wollte, unerläßlich, zu längerem Aufenthalte die thüringische Landesuniversität Jena zu beziehen. Am 25. Oktober 1788 daselbst immatrikuliert, 1 warf K a r l v o n H o f f sich mit musterhaftem Fleiße auf die Jura und Diplomatica, obschon er wenig Lust und Neigung dafür empfand. 5 Zur Vertiefung seiner Rechtsstudien hörte er Geschichte bei Professor H e i n r i c h . ® Diese Vorlesungen mögen ihn um vieles der historischen Wissenschaft genähert haben, mit der er sich nachmals gern beschäftigte. Aber auch die bereits ausgemachten Mechanikus J o h a n n F r i e d r i c h S c h r ö d e r . — B e c k , Ernst II., S. 202. - Annalen I, 5. * Programm des Gymnasiums zu Gotha. 1788, S. 17. — Annalen I, 4. — J a c o b s , Personalien, S. 572. 4 Matrikel der Universität Jena, Band 8, Jg. 1788. 6 Annalen I, 5. 0 Ebenda. 1
Vorfahren, Jugend- und Studienzeit
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Lieblingswissenschaften fanden Nahrung, als 1789 sein früherer Lehrer, der Mathematiker und Physiker V o i g t , einem Rufe als ordentlicher Professor an die Universität Jena gefolgt war. 1 Zugleich blieb Professor V o i g t seinem einstigen Schüler — und sicherlich war er ihm damit ebenso dienlich — ein väterlicher Freund. Er erleichterte dadurch dem ernster Geistesarbeit zugewandten jungen Menschen die Auseinandersetzung mit dem Studentenleben, wozu dieses in Jena damals mehr als anderswo notwendig aufforderte. Die Neigung der akademischen Jugend zu engeren Verbänden war auf eine Weise ausgeartet, die sie wenig empfahl. Indem die Studenten dem Trugbilde einer nichtigen und strafbaren Freiheit nachjagten, schwächten sie das wissenschaftliche Streben wesentlich oder vernichteten es gänzlich. Der verschwindende Teil der Studierenden, der nicht uniiert war, wurde von den Verbindungsstudenten verachtet. 2 Häusliche Verhältnisse und innere Abneigung hielten K a r l v o n H o f f von einer solchen Art des Zusammenschlusses fern. Desto dankbarer genoß er die Gunst des wohlwollenden Lehrers. Desto inniger schloß er sich an seinen Jugendfreund A u g u s t v o n Studnitz® an, der schon seit Ostern 1788 in Jena weilte, und an E r n s t W a g n e r , 4 einen Meininger, später als Kabinettssekretär des Herzogs von Meiningen, ein Romanschriftsteller von Ruf. Wir dürfen annehmen, daß dieser Freundschaftsbund der akademischen Freiheit gerade so gerecht wurde wie der Pflicht und die Rechte der Jugend nicht über ihren Aufgaben versäumte. Aber an den Tollheiten der Kommilitonen beteiligte er sich nicht. Während der Jenaer Studentenzeit erfuhr K a r l v o n H o f f auch die Freigebigkeit seines Herzogs, der ihm ein ansehnliches Stipendium bewilligte, damit er sich weiter ausbilden könne. 5 Nach zweijährigem Aufenthalt verließ er dann Jena, um sich nach Göttingen zu begeben, 8 das durch P ü t t e r der Mittelpunkt publizistischer und diplomatischer Studien geworden war. 7 Die 1
Annalen I, 5.
- Jacobs,
Personalien, S. 2 2 ff.
3
Annalen, I, 5.
4
Annalen II, 1806.
5
B e c k , Ernst II.
6
Matrikel der Universität Oöttingen, Bd. IV, No. 121.
' Jacobs,
Allg. Dtsch. Biogr. L X , 486. S. 97.
Personalien, S. 572.
von Hoffs Lebensgang
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Universität Göttingen war überhaupt damals die Hauptpflegestätte der Wissenschaften in Deutschland. Eine Reihe bedeutender Männer, Juristen, Historiker, Geographen und Naturforscher hatten sie auf die Höhe gebracht. Die P ü t t e r , B o h n e r , G a t t e r e r , S c h l ö z e r , H e e r e n , L i c h t e n b e r g und B l u m e n b a c h ließen sie noch lange die führende Stelle innehaben. 1 Bei P ü t t e r 2 und B o h n e r setzte K a r l v o n H o f f die auferlegte Beschäftigung mit Eifer fort, daneben hörte er bei dem geist- und humorvollen L i c h t e n b e r g 3 Experimentalphysik. Das Kabinett dieses gefeierten Lehrers galt als das best ausgestattete in ganz Deutschland. 4 Was K a r l v o n H o f f davon für sich zu verwerten gewußt, wird sich uns später zeigen. Es war wirklich ein guter Stern gewesen, der ihn in den Schoß der Georgia Augusta geleitet hatte. B l u m e n b a c h 5 vor allem trug dazu bei, daß diese Überzeugung in seinem jüngeren Landsmann unerschütterlich fortbestand. Die Vorlesungen über Naturgeschichte zündeten ihm das Licht an, das ihm die Schöhnheiten und die Geheimnisse des Tempels enthüllte, als dessen Priester er B l u m e n b a c h verehrte. 6 Durch die lichtvollen Gedanken aus dem freundlichen und beredten Munde des teuern Lehrers 7 wurde in ihm der alte Hang zur Mineralogie und Geologie wieder rege. Seitdem hat er im Dienste der Naturwissenschaften »Erholung von Mühe und Geschäften, Freude in heiteren und Trost in trüben Tagen gefunden und erfahren, daß die einzige Leidenschaft, die nie der Sättigung unterliegt, der Dienst der Wissenschaft ist, weil diese Quelle des Strebens und des Genusses nie erschöpft werden kann." 8 F. H ä n s c h , M a t t h . C h r . S p r e n g e l , Halle 1902. Leipz. Diss. Vergl. Pütter-Saalfeld, Versuch einer akademischen Gelehrtengeschichte von der Georgs-Augustus-Universität zu Göttingen. * L i c h t e n b e r g , G. C. — S. G ü n t h e r , Geschichte der anorgan. Naturwiss. Berlin 1901, S. 5. - Der ältere Bruder L i c h t e n b e r g s war Legationsrat in Gotha. K. v. H o f f s Vater dessen Vorgesetzter in der Geh. Kanzlei. 4 S i g . G ü n t h e r , A l e x . v. H u m b o l d t , Berlin 1900, S. 19. » J o h . Friedr. B l u m e n b a c h , 1 7 5 2 - 1 8 3 9 . - Vergl. K. H. F. M a r x , zum Andenken an J o h . F r i e d r . B l u m e n b a c h , Göttingen 1840. 8 v o n H o f f , Geschichte I, Vorwort S. VI. ' v o n H o f f , Erinnerung an B l u m e n b a c h s Verdienste um die Geologie, Gotha 1826, S 21. 8 v o n H o f f , Geschichte I, Vorwort S. Vif. 1
2
Vorfahren, Jugend- und Studienzeit
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Der überaus fleißige und strebsame Student suchte sich auf allen Gebieten eine umfassende Bildung anzueignen. Die im Hörsaal empfangenen Anregungen suchte er durch die Anschauung möglichst zu vertiefen. Im akademischen Museum war er häufig anzutreffen und B l u m e n b a c h , der es leitete, unterstützte ihn in jeglicher Weise. Die Sammlungen waren für ihn jederzeit geöffnet, und stundenlang durfte er allein in den Sammlungsräumen arbeiten. Bedurfte er aber einer Auskunft, so stand ihm der trefflche Mann stets zu Gebote. 1 Das hat der Schüler treu gedankt. Die „Erinnerung an B l u m e n b a c h s Verdienste um die Geologie" und die Dedikation seiner » Geschichte der natürlichen Veränderungen der Erdoberfläche" sind Zeichen seines lebendigen, begeisterten Dankes. 2 Bei all ihrem hohen geistigen Gewinn entbehrt doch auch die Göttinger Studentenzeit nicht des Glückes, das aus guter Gesellschaft und gern gepflogenem Umgange quillt. 8 Zumal in L i c h t e n b e r g s und ganz besonders in B l u m e n b a c h s Hause war v o n Hoff ein willkommener Gast, 4 beliebt durch sein schlichtes und bescheidenes Wesen. Studienhalber unternahm er zu Pfingsten 1791 eine Fußreise in den Harz. Der Besuch dieses Gebirges bot für ihn des Interessanten ungemein viel und gab ihm volle Freiheit, die durch B l u m e n b a c h s Vorträge wieder erwachte Neigung zu bekunden und zu pflegen. Er besichtigte Höhlen und Hütten, und durch Befahren der Grube Samson bei Andreasberg stillte er die brennende Neugierde, zum ersten Male in das Innere der Erde hinabzusteigen. 5 Daß aber auf dieser Harzreise auch der Phantasie und Gemüt berückende landschaftliche Charakter der Gegend bei unserem Wanderer nicht zu kurz gekommen ist, dafür bürge 1
Annalen I, 10. v o n H o f f , Erinnerung an B l u m e n b a c h s Verdienste um die Geologie bei der 50jährigen Jubelfeier seines Lehramtes am 24. Februar 1826. — v o n H o f f , Geschichte der Veränderungen der Erdoberfläche I. Gotha 1822. Dedikation S. III. 3 F r i e d r i c h K r i e s , Selbstbiographie. Aus Kries Nachlaß, welcher sich in Verwahrung der herzogl. Bibliothek in Gotha befindet. * Annalen I, 8. 5 Annalen I, 9. 2
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ein Wort von F r i e d r i c h J a c o b s über den Freund: »In dem Jünglinge entwickelte sich ein romantischer Schwung des Geistes, der dem Äußeren seiner edlen Gestalt angemessen war, in den männlichen Jahren der wissenschaftichen Richtung wich und einen milden gefälligen Ernst zurückließ." 1 Juristisch und diplomatisch vorzüglich vorbereitet, in den Lieblingswissenschaften tief gebildet und ergriffen von dem Feuer lauteren Wahrheitsdranges, beschloß K a r l v o n H o f f Ende September 1791 das Universitätsstudium und kehrte in die Heimat zurück, des Vaters Beruf aufzunehmen. 2
2. Staatsdienst. Bei der Darstellung eines besonderer Geistesarbeit zugewandten Lebensinhaltes des längeren bei der äußeren, dem Zwange entsprungenen Lebensstellung zu verweilen, gewinnt leicht den Anschein der Begünstigung des Unwesentlichen. Es ist freilich meist so, daß Amt und Beruf, als notwendige Last getragen, im Leben bedeutender Männer zurücktreten hinter der weit fruchtbareren Pflege ihrer schöpferischen Neigungen. Es gibt aber auch Fälle, wo der Betrachter zweifelt, was er mehr bewundern soll, den Reichtum abgerungener Mußestunden oder die Willenskraft, die drückende Berufsarbeiten würdig und vorbildlich bewältigt. Und da mag es wohl angehen, an der Größe der Entsagung die Größe des Geistes zu ermessen. K a r l v o n H o f f erhielt am 30. Dezember 1791 das Patent als Legationssekretär bei der geheimen Kanzlei und ward daraufhin, drei Tage danach, von seinem Vater eidlich verpflichtet.® Die Geschäfte seines Amtes bestimmte das Geheimratskollegium. Es war dies die vornehmste Behörde des Herzogtums. Sie versammelte sich im Schlosse um den Fürsten, beriet und beschloß über äußere politische, den sächsischen Staaten gemeinsame, die
1 2 3
S. 234.
J a c o b s , Personalien, S. 585. Annalen
1791.
Annalen 1791.
-
Jenaische Allg. Literaturzeitung, Intelligenzblaft Nr. 30,
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Staatsdienst
Landesverteidigung und Verwaltung im weiteren Sinne alle das Wohl des Ganzen betreffenden Angelegenheiten. Die Formulierung des dieser Instanz zugehenden und von ihr verhandelten Stoffes beanspruchte unausgesetzt die obersten Tugenden des Kanzleidienstes: Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit. v o n H o f f zeichnete sich darin von Anfang an aus. Schärfe der Auffassung, Gewandtheit in schriftlichen Arbeiten, sowie die gründlichen Kenntnisse gesellten sich dazu und sicherten ihm in kurzer Zeit das Vertrauen der Vorgesetzten, die Gunst des Herzogs und ganz besonders die seines Ministers v o n F r a n k e n b e r g . 1 Dieser liebte ihn wie einen Sohn und vertraute ihm die schwierigsten Geschäfte an. Diesen Vorzug zu verdienen, war er unablässig an sich tätig und erwies sich so weiterer Förderung wert. Früh verwandte man ihn daher zu besonderen Zwecken. Herzog E r n s t II., einer der edelsten deutschen Fürsten, war im echten Sinne des Wortes ein Landesvater. Der Sinn für das Volk, die Liebe zu seinem Volke, setzte ihn nie der Versuchung aus, der damals mancher deutsche Fürst erlag, ja gewissenlos sich ergab, das Blut seiner Untertanen sich feil sein zu lassen und sie der Reaktion auf Freiheitsäußerungen zu verkaufen. Als 1792 der Reichskrieg gegen Frankreich beschlossen war, veranlaßte ihn das innige Verhältnis zu seinen Landeskindern auf Mittel und W e g e zu sinnen, um sie vor dem rauhen Kriegsgebot zu bewahren. Auf den erdachten Ausweg nach Kräften hinzuwirken, entsandte er den Minister H a n s v o n T h ü m m e l 2 nach Frankfurt am Main, wo mit Preußen wegen des zu stellenden Kontingentes zu verhandeln war. v o n H o f f begleitete ihn. Daß man es erreichte, gegen Zahlung von Geldsummen die Truppenstellung auf mehrere Jahre erlassen zu bekommen, genügte des Herzogs Wunsche,
1
Silvius
v. F r a n k e n b e r g ,
„der Minister
Staatsmann von erprobter Rechtschaffenheit, und
Kunst
genannt,
begeistert.
Des 'Ministers
dreier
Herzöge",
geschäftskundig,
Sommerwohnung,
war
ein
für Wissenschaft
die gute
Schmiede
in Siebleben bei Gotha ist im Jahre 1851 G u s t a v F r e y t a g s Musen-
sitz geworden.
K a r l A u g u s t und G o e t h e waren bei Frankenberg oft zn Gast.
Auf Frankenberg hatte Napoleon, wohl wissend, wer in Gotha eigentlich regierte, das Scherzwort gemünzt: le gouvernement de Siebleben. 2
U . U . VIII 4, Tagebuch d. Ministers v o n T h ü m m e l in d. Akt. d. Geh.
Archivs zu Gotha.
von Hoffs Lebensgang
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genügte auch, an die erste Mission eines jungen Diplomaten all den Schimmer zu heften, wodurch sich der Biograph so gern an den Glanz der Morgenröte erinnert fühlt. Zu besonderen auswärtigen Sendungen gab indes das nächste Jahrzehnt keinen Anlaß. Infolge des Stillstandes, in den seit dem Frieden von Basel die Politik der führenden Macht Nordeutschlands geraten war, stagnierten auch die thüringischen Staaten. Erst die Hochflut der politischen Ereignisse im Jahre 1806 brachte hier wie dort die Dinge in Fluß, in Thüringen mit um so empfindlicherem Nachdruck, als sie gerade auf dieses unglückliche Land zuvörderst hereinbrach. Gotha hatte sich an der Kriegserklärung Preußens nicht beteiligt, ebensowenig war es dem Rheinbund beigetreten. A u g u s t , der Nachfolger E r n s t II., 1 ein eifriger Verehrer Napoleons, verstand es aber, unterstützt von dem ehrwürdigen F r a n k e n b e r g , das Herzogtum in der schweren Zeit nach der Schlacht bei Jena vor Gewalt und Erpressungen zu behüten. J e ne sera point inquiété et ne payera point de contribution, gebot Bonaparte. Den Anschluß an den Rheinbund zu betreiben, wurde darauf eine Gesandtschaft in das kaiserliche Lager nach Berlin abgeschickt. Sie folgte weiterhin nach Königsberg und Posen. Die Abgesandten waren die Jugendfreunde A u g u s t v o n S t u d n i t z und K a r l v o n H o f f . 2 Am 15. Dezember wurde im Traktate von Posen der Beitritt Gothas zum Rheinbunde vollzogen. 3 Der Februar des nächsten Jahres führte ihn im Geleite des Ministers v o n T h ü m m e l und des geh. Legationsrates B r i d e l B r i d e r i 4 für längere Zeit wiederum in das Quartier Napoleons, zunächst nach Dresden, dann nach Berlin. Von hier trat er mit einem à Thorn ou partout ailleurs lautenden Paß eine zweite Dienstreise ins traurige Polen an, von der er spät im Juli nach Gotha zurückkehrte. 5 Den Verhandlungen mit dem Protektor des Rheinbundes schloß sich eine Auseinandersetzung mit Sachsen-Weimar an, um E r n s t II. starb am 29. April 1804. Geh. Staatsarchiv zu Gotha Q Q (H H) No. I, T. Urkunden, den Beitritt des Herzogl. Gesamthauses Sachsen zum Rheinischen Bunde betr. 1806. 1
2
3 4 s
Ebenda Rheinische Bundesacta Vol. II. B r i d e l - B r i d e r i war vorher Erzieher der Prinzen August und Friedrich. v o n H o f f a n den Minister v o n F r a n k e n b e r g , Berlin, d. 2. Juli 1807.
Staatsdienst
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die Abwechselung im Oberkommando der zu der großen Armee zu stellenden herzoglich-sächsischen Truppen. 1 Sodann verbanden sich mit den diplomatischen auch repräsentative Aufträge. J e r o m e , den König von Westfalen, zu begrüßen, verweilte v o n Hoff 1808 mit dem Grafen v o n S a l i s c h vorübergehend in Kassel. Mit v o n T h ü m m e l war er Begleiter des Herzogs auf dem Kongreß zu Erfurt. 2 Seine offenbaren Verdienste — bei einem Manne von seiner Begabung und Arbeitskraft denkt man unwillkürlich auch an verborgene — ehrte der Herzog, indem er ihn zum Hofrat ernannte und nach weiteren drei Jahren zum Chef des Geh. Archivs und Geh. Assistenzrat beförderte. Dadurch trat er in die nächste Nähe der Minister. Er dankte mit einer diplomatischen Tat. Herzog A u g u s t hatte sich durch N a p o l e o n s Niederlage bei Leipzig und „nach dem glorreichen Erfolge, mit welchem die fliegenden Heere Ihrer Kaiserlichen und Königlichen Majestäten, der hohen verbündeten Mächte, in dem deutschen Vaterlande vorgedrungen waren, bewogen gefunden, die durch den Beitritt zum Rheinbunde übernommenen Verpflichtungen für erloschen zu erachten," und beabsichtigte nunmehr, sich der Sache der hohen Alliierten anzuschließen, als derjenigen, „die das Wohl und die Selbständigkeit der deutschen Fürsten und Völker zum Ziele habe."1* Die schwierige Schwenkung möglichst vorteilhaft, namentlich in den neu zu übernehmenden Verbindlichkeiten auszuführen, ward auf Grund seiner Vorsicht und Sachkenntnis v o n H o f f als Bevollmächtigter an den Verhandlungsort, nach Frankfurt, geschickt. 4 Hier ist er dann überaus rasch und klug zu Werke gegangen. Schon am 24. November ist der Beitritt Gothas zum deutschen Bunde ratifiziert worden. Wiederholt hat der Herzog seinem Vertreter in Briefen Beifall und Anerkennung ausgedrückt. So schreibt er in einem \ » Wir mögen, zu Eurer Beruhigung nicht unterlassen, Euch nochmals Unsere Zufriedenheit 1 Geh. Archiv z. Gotha, Q Q (K) XXI Konvention zwischen Sachs.-Weimar u. Sachs-Gotha, die Alternation Im Oberkommando über das Bundeskontingent betr. v. 20. Sept 1808. 2 v o n H o f f , Tagebuchblätter 1811. 8 Geh. Archiv zu Gotha, Q Q (JJ) 1»—In. Urkunden, die Auflösung des Rheinischen Bundes und Errichtung des deutschen Bundes betr. 4 Ebenda. Vollmacht f. d. Geh. Assistenzrat v o n H o f f v. 14. Nov. 1813.
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mit Eurer Geschäftsführung überhaupt und Unser volles Vertrauen, daß Ihr in dieser Angelegenheit insbesondere, nach Eurer Uns bekannten guten Einsicht und Euren unverdrossenen Diensteifer, alles geleistet habt, was die Umstände erlaubten, zu erkennen zu geben.« 1 Die Gebilde des deutschen Staatenbundes und der heiligen Allianz drängten in der Folgezeit diplomatische Sendungen zurück. Des Gothaer Assistenzrates Berufslast war dadurch wenig vermindert worden. Schon die täglichen Amtsgeschäfte, wachsend mit dem Range, hätten das nicht zugelassen. Daß sie sich aber vermehrte, dafür sorgten fortan Zufälle und unerwartete Berufungen im inneren Staatsdienste. Doch blieben Ordnungssinn und Anpassungsvermögen aller Arbeitsfülle Herr. Schon früher, im Jahre 1801, war v o n Hoff die mühsame Regulierung des Nachlasses der Erbprinzessin L o u i s e , der Gemahlin des nachmaligen Herzogs A u g u s t , übertragen worden. 2 Bald darauf hatte er dem Befehl entsprochen, ah der Teilung des sächsischen Gesamtarchivs zu Wittenberg mitzuwirken,® bis man ihn zur Mitbesorgung überhäufter Kanzleigeschäfte nach Gotha zurückbeorderte. Hier wurden er und der Assistenzrat L i c h t e n b e r g die Vollstrecker des Privattestamentes E r n s t II.1 Viel Mühe und Arbeit brachte die Reorganisation der Universität Jena. Der Finanzzustand der Gesamtuniversität war um das Jahr 1817 ein so zerrütteter, daß von den tatsächlich die Hochschule verwaltenden Regierungen, von Weimar und Gotha, eine gründliche Reform für nötig erachtet wurde. 5 Die Leitung sollte vereinfacht, die Geldmittel und Lehrgehälter sollten erweitert, neue Lehrstühle und praktische Anstalten errichtet werden, v o n H o f f und der Weimarer Legationsrat C o n t a wurden mit der Umgestaltung betraut. Die Konferenzen in Jena und die damit verbundene Korrespondenz nicht nur mit dem Mitkommissar,
1
Brief des Herzogs an K. v o n H o f f vom 7. Jan. 1814. Geh. Archiv A. X. 12. Geh. Archiv, E. VI. 5. 129. 3 Geh. Archiv, S S I . 24. Verteilung des Chur- u. Fürstl. Säch. GesamtArchivs in Wittenberg betr. 1802. 4 Geh. Archiv, E XIII. A. 10. 5 Geh. Archiv, Q Q (K) Nr. XXIII a b c d e , Verträge wegen der Universität Jena 1817. 2
Staatsdienst
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sondern auch dem akademischen Lehrkörper und anderen Interessenten wollten gar kein Ende nehmen. »Da wurden mir selbst die schriftstellerischen und Preßprodukte aller Fakultäten zugeschickt, ich mochte etwas davon verstehen oder nicht, und die captationes benevolentiae strömten mir entgegen wie die Wasser der Saale." 1 Im Juli 1820 war die Reorganisation der Universität glücklich vollzogen und ihr dauerndes Aufblühen datiert seit jener Zeit. Bei der Wiedereröffnungsfeier der Universität faßte der Redner die Anerkennung des Verdienstes der beiden Kommissare in die Worte: Ita nobiscum egerunt viri optimi, tarn benevole res nostras curarunt, et tanta nobis tamque velut domestica necessitudine coniuncti sunt, ut, quamquam nunc per temporum vicissitudines illorum consuetudine careamus, tarnen memoriam grata mente servemus, neque ulla unquam tarn eximiae benevolentiae lendes obscurata sit oblivio. 2 Der Großherzog von Weimar aber dankte durch Verleihung des weißen Falkenordens. Dieses organisatorische Geschäft brachte neben vieler Arbeit auch viel Freude, so die erneute Freundschaft mit G o e t h e , dem Kurator der Universität. 8 Am 17. Mai 1822 starb plötzlich Herzog A u g u s t ohne männliche Nachkommen zu hinterlassen. Sein Bruder F r i e d r i c h , der rechtmäßige Erbe und Nachfolger, litt an einem unheilbaren Gehirnleiden. Zum Glück im Unglück für Gotha-Altenburg stand seit 1820 ein Minister am Ruder, der die Geschicke des Landes mit Umsicht und Tatkraft leitete, Bernhard v o n L i n d e n a u , * »Herzog A u g u s t s schönstes Vermächtnis", wie das Volk von ihm, seinem » Herzog B e r n h a r d " sagte. Zu seinen tüchtigsten und am liebsten gehörten Räten zählte v o n H o f f . Ihm wurde daher, nachdem F r i e d r i c h IV., im Süden weilend, in Rom zum Katholizismus übergetreten war, die Ordnung der kirchlichen Angelegenheiten anvertraut. Er hatte dabei mit den Agnaten zu unterhandeln. Einer von ihnen bot ihm zur
Annalen 1817. E i c h s t a e d t , Annal. Academ. Jenens. p. 104. 8 G o e t h e , Tages- und Jahreshefte 1821. 4 Bernhard v o n L i n d e n a u war als Nachfolger Z a c h s im Jahre 1805 an die Sternwarte Seeberg berufen worden. 1
2
R e i c h , v. Hoff.
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vollen Entfaltung seines allenthalben sich bewährenden Geschicks die Stelle eines Ministers an. Er schlug sie aus, der bescheideneren, die er inne hatte, zu genügen. In jener Zeit fiel ihm abermals die schwierige Aufgabe einer Erbschaftsregulierung zu. 1 Die Schulden des verstorbenen Herzogs waren sehr groß. Seine Tochter, die Herzogin von Coburg, beabsichtigte deshalb das väterliche Mobiliarvermögen anzugreifen, v o n Hoff gelang es, sie davon abzuhalten und dadurch die herzoglichen Haussammlungen sowie die nach dem Wunsche des Erblassers ihnen einzuverleibenden Privatsammlungen 2 für Gotha vor dem Hammer zu retten, indem er Herzog F r i e d r i c h bewog, die „Berichtigung der auf dem Schatullvermögen haftenden Passivorum seines Bruders" zu übernehmen. Aller Nachlaßordnungen seines Lebens unerquicklichste und traurigste aber ward die, wozu er nach seines dritten Fürsten Tod berufen wurde. Mit F r i e d r i c h 8 starb der gothaische Seitenzweig der Ernestinischen Linie aus. In einer Extrabeilage der Gothaischen Zeitung wurde infolgedessen bekannt gemacht, »daß nach Maßgabe der von den durchlauchtigsten Agnaten zu Hildburghausen, Coburg und Meiningen für diesen Todesfall getroffenen Übereinkunft und höchsten Autorisation in höchstdero Gesamtnamen die Besitzergreifung der Herzoglichen Gothaischen und Altenburgischen Lande verfügt und bewirkt worden sei." 4 Schon 1822 hatte v o n Hoff die Erbfolgefrage in einer besonderen Schrift behandelt. 5 Jetzt, wo die Frage aktuell geworden war, veröffentlichte er eine 148 Seiten starke Arbeit: „Historische Entwicklung der im Herzoglichen Hause Sachsen beobachteten Grundsätze der Erbfolge unter Seitenverwandten. Auf Akten und Urkunden gegründet." Dadurch brachte er viel Licht in die verworrenen Verhältnisse und trug ein gut Stück dazu bei, daß 1
Geh. Archiv, E XIII, B, b, no. 8. Privatacta die v. d. regier. Fr. Herzogin u.s.w. dem Geh. Ass.-Rat v o n H o f f übertragene Vollmacht betr. etc. 1822. 2 Die Sammlungen des Herzogs enthielten u. a. die wertvollen Beiträge des Orientreisenden U l r i c h J a s p a r S e e t z e n , der durch den Herzog tatkräftigste Unterstützung gefunden hatte. 3 Herzog F r i e d r i c h starb am 11. Februar 1825. 4 S. Extra-Beilage zu No. 24 d. Goth. polit. Zeitung auf d.Jahr 1825. B Versuch einer Darstellung der Ansprüche der Allodialerben einer erlöschenden Speziallinie des Herzogl. Gesamthauses Sachs-Gotha u.s.w. — Aus archival. Quellen entwickelt, 1822. Geh. Archiv O l sub fi 178.
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nach verwickelten Geschäften und mühsamen Erörterungen am 15. November 1826 durch Vermittelung des Königs F r i e d r i c h A u g u s t von Sachsen der gothaische Erbfolgestreit geschlichtet wurde. Gotha fiel an Coburg. Am 25. November 1826 hielt Herzog E r n s t , bisher Herzog zu Coburg-Saalfeld, seinen feierlichen Einzug. H o f f wurde zum Geheimen Konferenzrat und Mitglied des Ministeriums ernannt, wodurch er verpflichtet war, dem Hofe auch nach Coburg zu folgen. An die veränderten Verhältnisse des Landes konnte er sich aber nicht recht gewöhnen, wie denn auch im allgemeinen in Gotha Unzufriedenheit über die Neuerungen herrschte. Hier nicht zu erörternde Gründe veranlaßten v o n H o f f nach einjähriger Tätigkeit in Coburg seine Stellung im Ministerium niederzulegen. Bei der Wiederbesetzung der hohen Staatsämter erhielt er 1829 das Oberkonsistorialpräsidium zu Gotha, das er sich lange schon gewünscht hatte und nun ununterbrochen bis zum Tode bekleidete. Es würde uns zu weit führen, wollten wir auf seine Tätigkeit in diesem letzten und vornehmsten Teile seines Staatsdienstes so, wie sie es verdiente, eingehen. Die jährlichen Generalberichte an den Herzog 1 bezeugen aber eine solche Fülle von Einsicht in Kirchen- und Schulwesen, reden von so sinnvollen Anordnungen und bahnbrechendem Aufräumen veralteter Zustände und proklamieren so bewußt den Fortschritt in allem, daß die Vielseitigkeit dieses Mannes unbedingt unsere Bewunderung herausfordert. Gründliches Wissen in allen Fächern menschlicher Tätigkeit befähigte K a r l v o n H o f f zu der hohen Stellung, zu welcher er, fast ein halbes Jahrhundert dem Staate dienend, aufgestiegen war. Mit innerer Befriedigung konnte der treue Staatsdiener an seinem Lebensabend auf ein an Arbeit, aber auch an Erfolgen reiches Leben zurückblicken. Der Dank des herzoglichen Hauses hat ihm trotz mancher Enttäuschungen nicht gefehlt. 1833 wurde er bei Erneuerung des Ernestinischen Hausordens zum Ritter geschlagen und ein Jahr nach seinem Tode seiner Familie „aus Rücksicht der geleisteten treuen, Dienste" der Adel aufs Neue verliehen. W i r verlassen nun v o n H o f f s Laufbahn im Staatsdienste und wenden uns zu seinem an Arbeit und Erfolgen ebenso reichen wissenschaftlichen Leben. 1 Acta, das Direktorium d. Herzogl. Oberkonsistoriums betr. c o c . 1, No. 3 9 a .
Vol. I. u. II, 2*
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3. Wissenschaftliche Tätigkeit. Wer über den Gelehrten billig urteilen will, der darf ihn nicht gleich auf seiner von aller Welt abgeschiedenen Studierstube aufsuchen. Das hieße, sich absichtlich den Horizont verengen und den Forscher und Denker mit Gewalt von dem Boden losreißen, worauf er steht und woraus er die Nahrung zu seinem ganzen Wirken zieht. Sondern er bemühe sich, ihn, wie den Künstler, wie den Menschen überhaupt, aus seiner Zeit und seiner Umgebung herauswachsen zu sehen, hier die Fäden aufzuspüren, die im Gebilde dort verwoben sind und deren anfängliche Beachtung sein Verständnis fördert und seinen Eindruck erhöht. Gerade in die Entwicklung der wissenschaftlichen Neigungen Karl v o n H o f f s haben Zeit- und Ortsverhältnisse, mächtig unterstützend, eingegriffen. Sie sind darum der sicherste Wegweiser zu den Schöpfungen seiner Muse. Es ist ein glänzendes Vermächtnis der thüringischen Geschichte seit den Tagen des Sängerkriegs auf der Wartburg, daß ihre Jahrhunderte wetteifern an idealer Gesinnung der Fürsten, die sie dem Lande gegeben haben. Was daraus für die deutsche Dichtung und Kunst und für das religiöse Bedürfnis des deutschen Gemütes entsprungen ist, das ist längst empfunden und ausgesprochen worden; was dieser fürstlichen Protektion und Mithilfe die Wissenschaften verdanken, daran dürfte sich die Nachwelt öfter erinnern. Sie würde dann E r n s t II. von Gotha nicht so häufig vergessen, wenn sie die großen Namen Thüringens aufzählt. Die Pflege der Forschung war traditionell am Gothaer Hofe. Herzog E r n s t d e r F r o m m e (1640—1675) war wohl der erste, der ihr Aufmerksamkeit schenkte und Beschäftigung gab; also in einer Zeit, wo sie gerade dem Dienste der Alchimie und anderer Afterkünste entlief. So ließ er auch alle wirtschaftlichen, staatsrechtlichen und kirchlichen Verhältnisse seines Landes mit äußerster Sorgfalt statistisch feststellen. Seine Nachfolger legten auf ihrem Schlosse Friedenstein naturwissenschaftliche Sammlungen an und bereicherten sie durch Ankauf und Aufträge um physikalische Vorrichtungen aller Art. Durch den hochsinnigen E r n s t II. aber gelangte die Wissenschaft erst zur rechten Blüte in Gotha, vor allem die Naturlehre und Himmelskunde. Denn in diesem Fürsten, dessen reine Auffassung und treue Ausübung der Herrscher-
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pflichten wir bereits kennen, verbanden sich zu einer wahrhaft erhabenen Persönlichkeit Großmut und Freigebigkeit gegenüber jeglicher höheren und so auch den gelehrten Bestrebungen mit dem edlen Drange und der unermüdlichen Geisteskraft zu eigener Forschung. Sich selbst gründlich zu bilden und dies auch anderen am Hofe wie in der Stadt möglich zu machen, bestimmte er bald nach seinem Regierungsantritt den älteren L i c h t e n b e r g , des Göttinger Dozenten Bruder, der kostbare Instrumente besaß, einen Winter hindurch Vorlesungen über Physik zu halten. Später kaufte er den ganzen Lichtenbergschen Apparat, brachte ihn in einem von seinen Gemächern bequem zu erreichenden Saal des Schlosses unter und erweiterte ihn beständig durch Neuanschaffungen. Als Schloß Friedenstein Blitzableiter erhielt, ließ der Herzog eine Leitungsstange durch jenen Saal führen, um über die Elektrizität in der Luft zu experimentieren. 1 Mit ganz besonderer Vorliebe und »mit einem seltenen, selbst unter Privatpersonen ungewöhnlichen Eifer" aber trieb er Astronomie. „Bis an den letzten Tag seines Lebens brachte er ihr jedes Opfer dar, das er ihr nur irgendwie zu bringen vermochte." 2 So reifte früh in ihm der Plan eine Sternwarte zu erbauen. Man empfahl ihm v o n Z a c h als einen zu dieser Absicht geeigneten Astronomen. Der ward daraufhin 1786 nach Gotha berufen, und gemeinsam mit ihm errichtete nun der Fürst die Sternwarte auf dem Seeberg, 3 die Kosten äus»seiner « Sparbüchse" bestreitend, versah sie mit den besten Instrumenten und schuf so ein Werk, dessen Bedeutung allein ausreicht, der Regierung E r n s t II. ein unvergängliches Denkmal zu setzen. Z a c h s Direktorat des Observatoriums, geschweige das spätere L i n d e n a u s oder gar E n k e s , nach Gebühr zu würdigen, ist hier zu wenig Raum. Unter jenes vortrefflichen, so gelehrten als gefälligen und lehrbereiten Mannes Leitung hat der Seeberg schnell Schule gemacht; von ihm haben S t i e l e r , S e e t z e n und A. v o n H u m b o l d t die tatkräftigste Unterstützung erfahren; schrieb ihm doch der große Kosmograph: „ohne Sie hätten die Gestirne des Tropenhimmels mich nie angelächelt,
1
v o n H o f f , Höhenmessungen, Gotha 1833, S. 3ff. Monatliche Korrespondenz, herausgeg. v o n Z a c h , Mai 1804. 3 Naturwissenschaftliches und Geschichtliches vom Seeberg, Gotha 1901, Seite 8 f. 2
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Ihnen verdanke ich die reinsten Freuden, Genuß der nächtlichen Natur, den stillsten und ruhigsten aller Genüsse," 1 und der berühmte Kartograph erinnerte sich »immer mit Interesse und Dankbarkeit, daß v o n Z a c h die erste Veranlassung gegeben" seinem « Lieblingsgeschäfte einen ernsten Weg vorzuzeichnen und dadurch auch für andere nützlich zu werden." 2 Ein frühes Ruhmesblatt in der Geschichte der Sternwarte bedeutet der Astronomenkonvent im Jahre 1798. Auf des Herzogs Einladung hin und unter Z a c h s Auspizien scharten sich, vorbildlich für zukünftige Naturforscherversammlungen, berühmte Astronomen, Physiker und Mathematiker zu gegenseitiger Aussprache um den Franzosen L a l a n d e , der damals längere Zeit in Gotha weilte. 8 Die Herzogin übernahm dabei huldvoll die Rolle der Wirtin. Der denkwürdige Kongreß machte Propaganda für den Ort, wo er tagte. Bald danach, in der bei Wiedereröffnung des Collège de France zu Paris gehaltenen Rede, sagte L a l a n d e : «L'observatoire de Gotha est le plus beau qu'il y ait en Allemagne. Le Duc a dépensé plus de 200 Mille francs, aucun Prince, aucun Roi n'a donné, ni suivi cet exemple." 4 Mehr Nachahmung fand das Beispiel, das der Herzog mit seinem tiefen und wahren Forschungseifer gab: treu dem Staate zu dienen, gewissenhaft seine Berufspflicht zu erfüllen und dabei doch auch Geschmack an den Freuden rein geistiger Tätigkeit zu finden und Muße zu innerer Vervollkommnung. Selbst beides musterhaft miteinander vereinend, verstand er es, Männer in seinen Dienst zu ziehen und daran zu fesseln, die dem gleichen Ziel zustrebten. Der Kreis von Staatsdienern und Gelehrten in einer Person war es vorzugsweise, von dem der literarische Ruf Gothas — so ungleich und wiederum so zum Vergleich herausfordernd mit dem der Nachbarstadt Weimar — ausging. Mit v o n Hoff stehen wir in diesem Kreise, dem Z a c h als Militär, L i c h t e n b e r g als Legationsrat, später L i n d e n a u als Staatsminister angehörten, und in dem wir bald neue Persönlichkeiten kennen lernen werden. Aber des Herzogs Umgebung ist nicht der alleinige Konzen1 2 3 4
Brief v. 19. Sept. 1806 in B r u h n s Humboldt-Biographie I, S. 418. A. S t i e l e r , Brief an B e r t u c h v. 6. Juli 1809. H. R e i c h a r d s Selbstbiogr., Stuttgart 1877, S. 317 f. Allg. geograph. Ephemeriden, 3. Bd. 1799, S. 631.
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trationspunkt des wissenschaftlichen Geistes in Gotha zu jener Zeit gewesen. Die edle Lebensart am Hofe wirkte, durch die vornehmen Beamtenfamilien vermittelt, auch auf die gut situierte Bürgerschaft und steigerte ihren Charakter zu dem Grade der Kultur, der so manche kleine deutsche Residenz im Ausgang des 18. Jahrhunderts auszeichnete. Der Kernpunkt der Bildung und des feinen Geschmackes in der Stadt ward die „Teegesellschaft", aus den angesehensten Familien und alleinstehenden Personen beiderlei Geschlechts sich rekrutierend, die jeden Donnerstag Nachmittag zu geist- und gemütvoller Unterhaltung sich zusammenfanden. 1 Gründer und Seele der Vereinigung war der Dichter F r i e d r . W i l h e l m G o t t e r , H o f f s Oheim, zu G o e t h e s Vertrauten in Wetzlar gehörig und von ihm als Mensch wie als Poet geschätzt. Die wechselseitige Berührung, in die durch jene Einrichtung hervorragende Gelehrte und achtungswerte Geschäftsleute traten, förderte die wissenschaftliche Arbeit der einen, den wissenschaftlichen Sinn der anderen, beides zum Ruhm der Stadt. Entschieden Anteil an Gothas Ruf haben schließlich auch B e c k e r s und E t t i n g e r s Verlagsbuchhandlungen, 2 jene namentlich durch die Herausgabe bedeutender Blätter, des „Reichsanzeigers" und der „Nationalzeitung"; bei E t t i n g e r aber erschienen seit 1774 — gewiß nicht ohne viele Kosten, doch unter reicher Beisteuerung von Seiten des Herzogs — in 20 Jahren an 800 Bände „einer Gelehrtenzeitung", wie man sie sonst nur an Universitäten hatte, und seit 1784 der „Gothaische Hofkalender". Durch diese erstaunliche Tatkraft und bewundernswürdige Großzügigkeit ermöglichten die beiden Häuser den dauernden Aufenthalt vieler Gelehrten an einem Orte von wenig mehr als 10000 Einwohnern und erwarben sich um die Geistesbildung im ganzen Thüringerlande, dann aber auch weiterer Kreise unzweifelhaft die größten Verdienste. Beeinträchtigt und zugleich gefördert durch den Staatsdienst, begann v o n H o f f s wissenschaftliche Tätigkeit. Der junge Diplomat ließ seit den Eintritt in den Beruf keine Gelegenheit, die ihm dieser durch Reisen, durch Begegnungen mit bedeutenden Männern eröffnete, vorübergehen, ohne sich wie in seinem Fach, so auch 1 2
R e i c h a r d , Selbstbiographie, S. 91 ff. B e c k , Ernst II., Gotha 1854, S. 105f.
Annalen 1,11.
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in seinen Neigungen weiterzubilden und zu größeren als den gerade vorgenommenen Aufgaben vorzubereiten. Von vornherein war er aber darauf bedacht die Richtung auf Mineralogie und Geologie einzuhalten, die ihm B l u m e n b a c h gewiesen hatte. Der Frankfurter Aufenthalt gab dazu ganz besondere Veranlassung. Hier wurde er mit einem tüchtigen Mineralogen bekannt, dem Brunnenarzt S u l z e r aus Ronneburg; 1 dessen Aufforderung, „das Schleifen der Edelsteine zu lernen", führte ihn im nächsten Herbst nach Ronneburg, wo er sich auch mit S u l z e r s Mineraliensammlung eingehend beschäftigte. Ein Ausflug nach der schwarzen Steinkante von Frankfurt aus bereicherte die eigene Sammlung um eine prachtvolle Ernte von Hyalit. Auch fand v o n Hoff bei dem hessischen Kreisgesandten S c h m i d t - R o s s a u eine Sammlung und Gelegenheit, einiges zu erhandeln. 2 Danach, in Gotha, erfuhr er eine unerwartete Erwiderung seines Hanges zur Mineralogie von dem älteren Bruder seines Jugendlehrers und innigsten Freundes, von W i l h e l m J a c o b s , 3 seit 1796 Konsistorialsekretär. Dieser hatte zwar diese Lehre nicht sehr ernstlich und mehr in technologischer Hinsicht kultiviert. Doch besaß er schon den Anfang zu einer Mineraliensammlung, und die gemeinschaftliche Liebhaberei verband beide bald noch mehr. Auch B r i d e l , der Erzieher der Prinzen A u g u s t und F r i e d r i c h , ein namhafter Botaniker, und A u g u s t v o n S t u d n i t z , der Jugend- und Studiengenosse, interessierten sich für das gleiche Studium. 4 In der Erforschung der Erdgeschichte aber wetteiferte v o n Hoff mit dem Freiherrn v o n S c h l o t h e i m , dem Schüler W e r n e r s und dem Freunde A. v o n H u m b o l d t s . Seit 1793 in herzoglichen Diensten, weihte dieser ihn in die W e r n e r s c h e Lehre ein. 5 Noch aber hatte v o n Hoff zu wählen zwischen dilettantischer und streng planmäßiger Beschäftigung mit den von seiner freien Zeit bevorzugten Wissenschaften. „Demjenigen, dem fremdartige Berufsgeschäfte und äußere Verhältnisse nicht gestatten, einem Teil der Naturkunde sich ausschließlich zu 1 Friedr. Brunnenarzt zu 2 Annalen 3 Annalen * Annalen 6 Annalen
Q a b r . S u l z e r , geb. 1749 zu Gotha, Hofmedicus, seit 1784 Ronneburg. - Annalen I, 13. I, 13, 15. 1, 12. II, 20. II, 16.
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widmen, ist zu raten, daß er entweder sein Studium desselben bloß als Liebhaberei treibe oder sich einen untergeordneten Zweig davon erwähle und diesem alle seine Muße schenke." Für das Letztere entschied er sich und beschränkte sich darauf, die seinem Wohnorte nahegelegenen Gegenden und besonders die kleine Gebirgskette des Thüringer Waldes zum Gegenstand seiner näheren Beobachtung zu machen. 1 Auf der ersten geognostischen Exkursion 1792 nach dem Schneekopf und Oberhof wurden die Lagerstätten des kugeligen Porphyrs untersucht. Den vielen kleineren und größeren Streifzügen schloß sich bald W i l h e l m J a c o b s als treuer Begleiter an. Auf einer » naturhistorischen Reise" im Jahre 1793 begleitete F r i e d r i c h K r i e s , der Mathematiker am Gymnasium, ein Göttinger Studienfreund H u m b o l d t s , ' 2 die beiden Wanderer. Seitdem nahm er an den Exkursionen regelmäßig teil. Eine deutliche Anschauung von den Verhältnissen der Verschiebungen und der Gänge im Flötzgebirge gewährte auf einem dieser Ausflüge das Befahren der Kobaltwerke zu Glücksbrunn. 3 Das veranlaßte auch v o n H o f f , sich mit diesem Gebirge eingehender zu befassen. Eine Reise im Jahre 1795, die F r i e d r i c h K r i e s in seiner Selbstbiographie beschrieben hat, führte die drei jungen Naturforscher bis nach Lobenstein. Ein Besuch bei Bergrat V o i g t 4 in Ilmenau befreundete v o n Hoff mit dem Schüler, aber erbittertsten Gegner W e r n e r s , und die Besichtigung der Bergwerke erweiterte seine geologischen Kenntnisse. Damals war es auch, wo er anfing, Beiträge für die Gelehrtenzeitung zu liefern. Im Kontor des Buchhändlers E t t i n g e r fand an zwei Vormittagen fast jeder Woche eine wissenschaftliche Zusammenkunft statt. Da vereinigten sich mehrere Mitarbeiter an der Gelehrtenzeitung, namentlich die Gebrüder F r i e d r i c h und W i l h e l m J a c o b s , K r i e s , S c h a t z , E w a l d und H o f f , um die neuesten literarischen Ereignisse zu besprechen. 8 1 v o n H o f f , Etwas über das Vorkommen des älteren Flötzkalksteins an dem nördlichen Fuße des Thüringer Waldgebirges. L e o n h a r d s Taschenbuch für die gesamte Mineralogie 1810, S. 97 ff. 2 F r i e d r i c h K r i e s , 1 7 6 8 - 1 8 4 2 , Allgem. Deutsche Biogr. XVII, 167. — B e c k , Ernst II., S. 132. 3 Annalen I, 14. 4 Z i t t e l , Geschichte der Geologie, S. 117. - Ann. II, 17. ä Annalen II, 16.
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Durch seinen Vetter A d o l f S t i e l e r , den würdigsten Schüler Z a c h s , den Schmuck des Gothaer Gelehrtenkreises, beeinflußt, übte sich v o n H o f f ferner im Kartenzeichnen. Der dem Werke K l e b es, Gotha und die umliegende Gegend, beigegebene Grundriß der Stadt ist ein wohlgelungener Versuch aus dem Jahre 1796. Im übrigen arbeitete er noch nicht für das Publikum, sondern las und exzerpierte viel, sammelte Mineralien, machte nach wie vor geognostische Wanderungen und fruchtbare Bekanntschaften, so mit L a l a n d e gelegentlich des ihn lebhaft interessierenden Astronomenkonventes. Doch fand auch schon jetzt sein Wirken für die Wissenschaft Lohn und Anerkennung. Durch die Fürsprache des Hallenser Professors V a t e r , der den aufstrebenden Forscher während jenes Kongresses hatte schätzen lernen, wurde v o n H o f f 1798 zum Mitglied der mineralogischen Sozietät Jena ernannt. Er dankte mit folgenden Worten: »Ihre geehrteste Zuschrift vom vierten dieses hat mich auf eine unerwartete und mir sehr schmeichelhafte Art überrascht. Ich weiß in der Tat nicht, wodurch ich mir das Zutrauen der verehrungswürdigen mineralogischen Sozietät zu Jena in dem Grade erworben habe, daß sie mich der Aufnahme unter ihre Ehrenmitglieder für würdig hält, da ich noch gar nichts für die Beförderung der Mineralogie geleistet habe und der gelehrten Welt völlig unbekannt bin. Ich sehe indessen die mir erzeigte Ehre als die größte Aufmunterung an, mich immerfort einer Wissenschaft zu widmen, an deren Bearbeitung ich seit langer Zeit Vergnügen finde, und es würde einer meiner heißesten Wünsche erfüllt werden, wenn mir je Zeit und Umstände, mehr als gegenwärtig, erlauben wollten, zur Erweiterung dieser — wirklich noch jungen Wissenschaft, etwas beitragen zu können." 1 So faßte v o n H o f f denn im nächsten Jahre den Plan, ein Journal für Mineralogie und Geologie zu gründen, »um die mineralogische Tätigkeit und Publizität anzufachen und sich selbst in dem Kreise des Wissenswürdigen dieses Lieblingsstudiums geschäftig zu erhalten." Er setzte sich mit dem Buchhändler R o c h in Leipzig in Verbindung, ein Kontrakt kam zustande, angesehene Fachgelehrten sicherten ihre Unterstützung zu, so
1
Brief an Bergrat L e n z in Jena v. 15. Nov. 1798.
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K a r s t e n , K l a p r o t h , R o s e , S e e t z e n und H e i n r i c h v o n S t r u v e . 1 Ausländische Zeitschriften vermittelte Z a c h , der das Unternehmen auf jede Weise förderte. 2 Nach so günstiger Vorbereitung konnte 1801 das erste Heft des Magazins für die gesamte Mineralogie, Oeognosie und mineralogische Erdbescheibung erscheinen. Es verkündete ein glänzendes Programm: „Alles, was der Wahrheit in Ansehung dieser äußerst interessanten Gegenstände näher bringt, soll darin gesammelt und verglichen, alle neuen Entdeckungen vorgelegt und geprüft werden, und von Zeit zu Zeit sollen darin die Resultate derselben kritisch zusammengestellt, der Zustand der Wissenschaft gezeigt, und jeder Gewinn, der für sie gemacht worden ist, treulich berechnet werden." 3 Die Aufnahme des Journals war äußerst günstig. Es entsprach eben einem lange und herb empfundenen Bedürfnis, da die bisherigen Zeitschriften dieser Art sich auch auf die Technologie und Bergwerkskunde ausdehnten und zu wenig Raum für das gestatteten, was der Mineraloge als das wirklich und eigentlich in sein Fach Schlagende begehrte. Leider ging aber das Magazin nach der Herausgabe des vierten Heftes infolge plötzlichen Todes des Verlagsbuchhändlers wieder ein, zum großen Leidwesen aller, die an dem Werke beteiligt und durch dasselbe befriedigt waren. 4 Den ersten Anlauf zu ernster literarischer Produktion hatte v o n Hoff damit genommen. Dem immerhin äußerlichen Ereignis in der Entwickelung seiner naturwissenschaftlichen Einsicht folgte ein inneres, die Auseinandersetzung mit W e r n e r . Er hat sie selbst trefflich geschildert: 5 „ W e r n e r sprach in Gotha ein, als er von Paris zurückkam, wo er sich sogar von Bonaparte hatte huldigen lassen. S c h l o t h e i m , sein Schüler, den er zuerst besuchte, benachrichtigte mich sogleich davon und lud mich ein, zu ihm zu kommen. Ich, damals 1 In jener Zeit veranlaßte v o n H o f f auch einen mineralogisch-geognostischen Lesezirkel mit S c h l o t h e i m , C r e d n e r (gest. 1817 als Pastor in Molschleben, Großvater des Geologen H e r m a n n C r e d n e r ) , K r i e s u . a .
» Ann. II, 21, 22. * v o n H o f f , Magazin I, S. 3. 4 Vgl. Briefe v o n K a r s t e n an S c h l o t h e i m , Berlin, d. 16. April 1804. 6 Ann. II, 24.
d. 2. Febr. 1801 u.
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vom Wernerianismus begeistert, und ein so fanatischer Wernerianer, daß ich von dieser Schulparteisucht durchdrungen in meinem Magazin sogar würdige Männer wie C h a r p e n t i e r und Graf V e l t h e i m derb zurechtzuweisen mich erdreistet hatte, — was mir ewig im Kopfe herumgeht — ich eilte natürlich dahin, den Wundermann zu sehen und etwas von seinem Glänze auf mich herabstrahlen zu lassen. Ich fand einen — recht steifen Meißner. Als Einen seiner Partei behandelte er mich äußerst zuvorkommend und würdigte mich am folgenden Tage eines Besuches, ja er verschmähte sogar nicht, die Ansicht meiner, damals noch ganz kleinen Sammlung von Felsarten und Mineralien des Thüringer Waldes zu begehren. Ich zeigte sie ihm. Als er die Glimmerschiefer aus der Gegend von Ruhla erblickte, rief er verwundert aus: Ja das ist unzweifelhaft Glimmerschiefer; ich hätte nimmermehr geglaubt, daß im Thüringer Wald sich wirklich dergleichen fände.' Diese seltsame Verwunderung setzte den großen Mann einige Stufen herab in der Meinung, die ich bis dahin von ihm gehegt hatte. Seit 20 Jahren waren V o i g t s Schriften über den Thüringer Wald bekannt, in welchen dieser würdige und wohlunterrichtete Geognost den Glimmerschiefer dieses Gebirges deutlich genug charakterisiert hatte. Und wenn auch Werners stolzes Mißtrauen in die Wahrnehmungen Anderer ihn zu Zweifeln an V o i g t s richtiger Beobachtungsweise veranlassen konnte, so hätte er sich durch die Ansicht von V o i g t s ebenfalls seit 20 Jahren käuflichen Musterstücken von der Richtigkeit derVoigtschen Beobachtung überzeugen können. Über einen anderen Gegenstand, über welchen ich von dem großen Geognosten gewisse Auskunft erwartete, ließ er mich ganz im Stiche, oder vielmehr gab eine Meinung ab, die sich in der Folge unrichtig gezeigt hatte. Ich legte ihm nämlich die Beschaffenheit unseres Seeberges so genau, als es ohne Besichtigung an Ort und Stelle geschehen konnte, vor Augen und fragte ihn nun, ob er glaube, daß der Sandstein des Seeberges über oder unter dem Muschelkalk liege. Er entschied für die Lage u n t e r dem Muschelkalk, was sich in der Folge als irrig gezeigt hat. Damals kannte also W e r n e r noch nicht einmal den Unterschied der verschiedenen Sandsteine, der doch in Meißen recht grell hervortritt." Wie die eissprengende Frühlingssonne die Natur, so belebt der Bruch mit einer bezopften Autorität das geistige Wachstum reich beanlagter Menschen. Dann springen hier wie dort die
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Knospen, es spießt, es blüht, und unmerklich reift es der Ernte zu. Die nächsten Jahre, ja das ganze weitere Leben v o n H o f f s war — trotz aller drückenden Berufslast — solch ein immerwährendes Entfalten, Aufblühen und Gedeihen wissenschaftlicher Tätigkeit. Kein Stillstand, kein Einhalt, stets neue Ziele, rastlos bis zum Ende! Eine köstliche Frucht brachte diese unbändige Schaffensfreude mitten im widrigsten Kriegswetter mit der Beschreibung des Thüringer Waldes, das Ergebnis der lange gewohnten Exkursionen mit W i l h e l m J a c o b s . Die beiden Wanderfreunde arbeiteten gemeinschaftlich daran; J a c o b s behandelte vorzüglich den botanischen und technologischen Teil. Sie ließen sich von dem Gedanken leiten, das Gebirge durch eine treue Schilderung seiner Eigentümlichkeiten den Liebhabern der Natur vor die Seele zu malen und ihnen die Möglichkeit zu erleichtern, sich eine nähere Bekanntschaft mit diesen Gegenden zu verschaffen. Zwar wurde schon damals der Thüringer Wald von vielen Reisenden besucht, aber sie beschränkten sich immer nur auf bestimmte Punkte, obgleich es andere gab, die ebenso gekannt und gesehen zu werden verdienten. Andererseits waren die bis dahin vorhandenen Karten und Beschreibungen ungenau und unzureichend. 1 Bis 1807 war man mit dem Entwurf beschäftigt, von da bis 1812 ward das Werk in zwei Bänden herausgegeben. Die ausserordentliche Gründlichkeit, die überaus klare und gefällige Darstellung, mit welcher die Verfasser den in Angriff genommenen Stoff bewältigt hatten, erregten ungeteilten Beifall und sicherten dem Buche reiche und anhaltende Benutzung. G o e t h e vor allen war entzückt von der Behandlung der mineralogischen und geognostischen Verhältnisse. Er, dem »kein Berg zu hoch, kein Schacht zu tief, kein Stollen zu niedrig und keine Höhle labyrinthisch genug" war, stand seitdem in regem mündlichen und schriftlichen Verkehr mit v o n H o f f . Bald wurden sie herzliche Freunde, der ältere des jüngeren Stolz und Ansporn. G o e t h e verfaßte damals seinen Aufsatz über den Kammerberg bei Eger, v o n Hoff erhielt ihn zugeeignet. 2 Dieser ehren- und bedeutungsvollen Bekanntschaft ging eine ebenbürtige voraus, mit A l e x a n d e r v o n H u m b o l d t . Der erste Aufenthalt in Berlin 1806 hatte sie herbeigeführt, wo am 17. November v o n Hoff in der Akademie der Wissenschaften einer Vorlesung 1 2
Vgl. die Vorrede zu dem Werke. v o n H o f f , Brief an G o e t h e v. 27. Nov. 1808.
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des Weltreisenden beiwohnte. Auch das folgende Jahr brachte wechselseitige Berührung. Auf den 28. Februar 1807 fällt der erste Besuch H u m b o l d t s : »Er sprach mit viel Ausführlichkeit sehr schnell im Anfang wie jemand, der Seltenheiten zeigt und bald davon kommen will, allmählich aber wurde er interessanter und warmer." »/ Von seiner schriftlichen und mündlichen Beredsamkeit bezaubert" war v o n H o f f , als H u m b o l d t seinen Aufsatz „Über die Steppen und Wüsten" am 3. Mai »mit einem hinreißenden Feuer" vorlas. 1 In jener Zeit bildete die Gesellschaft der naturforschenden Freunde den Kristallisationspunkt der naturwissenschaftlich Gebildeten Berlins. Sie ernannte von Hoff in Anerkennung seiner wissenschaftlichen Bestrebungen am 6. März 1807 zum Ehrenmitglied. Wir erkennen daraus, daß man den Gothaer Diplomaten und Geognosten in der wissenschaftlichen Welt zu schätzen begann. Dasselbe beweist auch die Freundschaft mit L e o p o l d v o n B u c h , der den bescheidenen Gelehrten 1810 in seiner Häuslichkeit zum ersten Male aufsuchte, v o n Hoff schreibt selbst darüber: »Am 3. Junius trat zu mir ins Zimmer — L e o p o l d v o n B u c h , der Mann, den ich schon seit fast 10 Jahren für den Ersten aller Geognosten zu halten ganz entschieden war. Wir gerieten tief in unser gemeinschaftliches Lieblingsstudium, meine Sammlung von Steinen und Notizen wurde geöffnet und diesen und den ganzen folgenden Tag blieben wir zusammen. Er trug alles, was ich ihm mitzuteilen hatte, in seine Schreibtafel. Ich eilte ihn mit S t u d n i t z und L i n d e n a u bekannt zu machen. Am 5. wollte er weiter wandern über den Thüringer Wald, und gern nahm er meine Begleitung zum Inselsberge an. S t u d n i t z und L i n d e n a u folgten uns dahin nach, wo wir zusammen einen interessanten und vergnügten Tag zubrachten. S t u d n i t z und L i n d e n a u kehrten abends nach Gotha zurück, ich brachte mit B u c h die Nacht auf dem Inselsberge zu und geleitete ihn noch am folgenden Tag durch das Drusental bis zum südlichen Rand des Gebirges". 2 L e o p o l d v o n B u c h schätzte die freundschaftlichen Beziehungen zu von Hoff sehr hoch, gern und oft sprach er in Gotha vor. 8 1 2 a
Annalen 1806 u. 1807. Annalen 1810. Annalen 1818, 1823, 1824 u. 1831.
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Die diplomatischen Sendungen hemmten zwar v o n H o f f s wissenschaftliche Tätigkeit, ohne sie aber ganz zu unterdrücken. Noch mit der Fertigstellung des Werkes über den Thüringer Wald beschäftigt, begann er auf diesem Höhenmessungen mit dem Barometer zu unternehmen. Die nach langen Voranstalten und in großem Maßstabe angefangenen Untersuchungen 1 veranlaßten ihn 1810 zu einer barometrischen Reise, die sich bis ins hessische Bergland ausdehnte und auch für die geologische Wissenschaft erfolgreich werden sollte. »Hier auf der blauen Kuppe, fand ich auf einmal Licht und Aufschluß über die Bildung des Basaltes, und die W e r n e r s e h e Wassertheorie war nun für immer und fest aus meinen Augen verworfen." 2 Die Fortsetzung der Reise — oder vielmehr des Rittes — über die basaltischen Berge Stopfeiskuppe und Pflasterkante bei Marksuhl bestätigte die neugewonnene Ansicht. Das Ergebnis veröffentlichte v o n Hoff in einem Aufsatze, den er in dem Magazin der naturforschenden Freunde zu Berlin niederlegte. »Er regte den Basaltstreit von neuem auf und half den Vulkanisten den Sieg über die Neptunisten erringen." 8 Die volle Durchführung der Höhenmessungen aber scheiterte an der Unvollkommenheit der dabei verwendeten Werkzeuge, sie blieb einer späteren Zeit vorbehalten. Freudig begrüßte damals v o n H o f f eine Aufforderung des Professors D o m i n i c u s aus Erfurt, des Sekretärs der dortigen Akademie der Wissenschaften, bei einer demnächst stattfindenden feierlichen Sitzung den Festvortrag zu übernehmen. In kurzer Zeit schrieb er das »Gemälde der physischen Beschaffenheit, insbesondere der Gebirgsformationen von Thüringen", das er am 15. August 1811 zur Geburtstagsfeier Napoleons in der Akademie vorlas. Sie hatte ihn kurz vorher zum Mitglied ernannt, nun spendete sie ihm — G o e t h e war auch anwesend — lebhaften Beifall und ließ seine Arbeit im Druck erscheinen. Noch eine dritte Publikation zur Geographie Thüringens fällt in diese Zeit: das Panorama vom Gipfel des Inselberges. 4 Die 1 2 3 4
v o n H o f f , Höhenmessungen, S. 11. Annalen II, 31. Annalen II, 32. Monatl. Korrespondenz, Band 17, S. 427.
u . 8. 8. 1811.
Briefe an B e r t u c h v. 26. 7.
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Zeichnung hatte v o n H o f f viel Mühe gekostet, einige Tage hatte er auf dem Berge zubringen müssen, um die günstigste Beleuchtung des Gesichtsfeldes auf allen Seiten von Morgen bis zum Abend abzulauern und die Winkel ringsherum mit dem Spiegelsextanten zu messen. Das Blatt scheint verloren gegangen zu sein und damit die erste Fixierung des Rundblicks von jenem Punkte. W i r wenigstens haben nichts darüber in Erfahrung bringen können. Thermo- und barometrische Beobachtungen, geologische Exkursionen mit anschließenden Abhandlungen 1 bezeichnen v o n H o f f als einen exakten Naturbeobachter. Sie erfüllen hauptsächlich die beiden ersten Dezennien seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Als nach W e r n e r s Tod ein gewaltiger Umschwung in der geologischen Anschauung eintrat, befand sich v o n H o f f auf der Höhe seines wissenschaftlichen Strebens. Sein Meisterwerk ist »die Geschichte der durch Überlieferung nachgewiesenen natürlichen Veränderungen der Erdoberfläche", ein Eckstein der modernen Geologie. Die Entstehungsgeschichte führt uns wieder auf den Aufenthalt in Berlin zurück, weil dort der Grund zum Hauptwerke gelegt wurde. Die plötzliche Bildung einer Insel in der Havel bei Pichelsdorf, welche v o n H o f f kurz darauf besuchte, gab ihm die erste Idee zu seiner « Geschichte der natürlichen Veränderungen". Er hatte dem Phänomen peinliche Aufmerksamkeit geschenkt und eine Vorlesung in der Gesellschaft der naturforschenden Freunde darüber gehalten. 2 Jetzt, als die Schilderung des Thüringer Waldes soweit beendigt war, trat er dem neugefaßten Ziele näher. Er nahm ein Vierteljahr Urlaub und ging nach Göttingen, um in der dortigen Bibliothek Material zu sammeln. Zurückgezogen und ganz den Studien ergeben, lebte er in der an Erinnerungen ihm so teuren Stadt. Nur B l u m e n b a c h und G a u ß sah er oft. 3 Nach seiner Rückkehr in die Heimat machten der Freiheitskrieg und die daraus entspringenden Sendungen eine ruhige wissenschaftliche Arbeit unmöglich. Mußte er doch als der Kundigste gar die flüchtigen Vgl. die Arbeiten in folg. Zeitschr.: v o n Z a c h , Monatl. Korresp. f. Erdu. Himmelskunde; P o g g e n d o r f f s Annalen der Physik; R ü h l e v o n L i l i e n s t e r n , Pallas; L e o n h a r d , Taschenbuch f. d. Mineralogie; M a g a z i n der naturi. Freunde zu Berlin. 2 Annalen III, 1; Magazin d. naturf. Freunde, Berlin 1807, 1. Jg., S. 233 ff. 8 Annalen III, 2. 1
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Franzosen über die Wege und Lokalbeschaffenheiten des Thüringer Berglandes aufklären. 1 Im Spätjahr 1815 aber beschäftigte er sich fleißig mit der von H u d s o n herausgegebenen „Geographie minores". Als auch die Jenaer Universitätsverhältnisse geregelt waren, nahm er die Bearbeitung des gesamten Materials ernstlich in Angriff. Es wurde geordnet und einzelne Teile begonnen. In der von ihm in Verbindung mit Q e i ß l e r , K r i e s und J a c o b s gestifteten Mittwochsgesellschaft, die man « die gelehrte" zu nennen pflegte, hielt v o n H o f f über seine Arbeit den ersten Vortrag, eine Skizze über „die durch Alluvium hervorgebrachten Veränderungen der Erdoberfläche." 2 Wenige Wochen später las er wieder einen Teil seiner Arbeit vor. Kurze Zeit darauf erschien in den Göttingischen gelehrten Anzeigen eine Preisaufgabe der Königlichen Sozietät der Wissenschaften: »Die gründlichste und umfassendste Untersuchung über die Veränderungen der Erdoberfläche, welche in der Geschichte sich nachweisen lassen, und die Anwendung, welche man von ihrer Kunde bei Erforschung der Erdrevolutionen, die außer dem Gebiete der Geschichte liegen, machen kann.« 8 Dies war dasselbe Thema, welches v o n H o f f sich zu seinem Lebensziele gesetzt hatte. Die Freunde drängten ihn, als Bewerber aufzutreten. Er selbst wollte nicht recht. 4 Nach seiner Idee sollte dieser so groß vorbereiteten Arbeit noch manches Jahr gewidmet werden. Indes, es war viel vorgetan, auch fiel der Ablieferungstermin erst auf Michaelis 1821. Und die Aufgabe machte ihm Mut. Sie lehrte, daß die Behandlung des gewählten Stoffes nicht unfruchtbar, sondern Bedürfnis sei. Ganz sicher war sich von H o f f dennoch nicht. Deshalb schrieb er an seinen Freund, den Verlagsbuchhändler B e r t u c h in Weimar: »Ich möchte incognito einen Versuch machen, etwas von meiner Arbeit vorher ins Publikum zu bringen, um Urteile darüber zu vernehmen, die mich erst selbst belehren sollen, ob ich der Sache auch gewachsen bin, und ob ich wohl tue, Zeit und Mühe darauf zu wenden" 5 und bat denselben, eine kleine Abhandlung aus dem Fache der physischen Geographie 1 2 3 4 5
cf. Brief an F r i e d e r i k e R e i n b o l d in Qöttingen v. 26. Oktober 1813. Annalen III, 4. Oött. gel. Anz. 1818, No. 205. Brief an B e r t u c h v. 2. Febr. 1820. Brief an B e r t u c h v. 25. Jan. 1820.
R e i c h , v. Hoff.
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in die allgemeinen geographischen Ephemeriden aufzunehmen. Sie ward als »Übersicht der Veränderungen, welche die Oberfläche der Niederlande durch die Wirkung des Meeres und der Ströme erlitten hat" publiziert. 1 Dann aber wurden „alle freien Stunden — freilich oft mitternächtlich —« der Preisfrage geweiht, die Lösung zur festgesetzten Zeit eingeschickt. Im November teilte ihm B l u m e n b a c h mit, daß sie gekrönt wäre. Von den drei eingesandten Konkurrenzschriften war seiner einstimmig der Preis zuerkannt worden mit dem Wunsche, daß er Muße gewinnen möge, die Untersuchungen nach dem angelegten Plane fortzusetzen und zu vollenden. 2 Revidiert, erschien die Arbeit 1822 bei P e r t h e s als erster Teil einer » Geschichte der durch Uberlieferung nachgewiesenen natürlichen Veränderungen der Erdoberfläche". Die Literaturzeitungen zollten ihr durchweg die höchsten Lobsprüche. 8 Uns interessiert das Urteil G o e t h e s . Es mußte sehr günstig sein, da die Arbeit in Übereinstimmung mit seinen Anschauungen die durch das Wasser hervorgerufenen Veränderungen behandelte. Ein Abschnitt in G o e t h e s naturwissenschaftlichen Schriften befaßt sich damit. 4 Er charakterisiert nach seiner Weise: »Wenn man das Studium dieses trefflichen Werkes antritt, so scheint es uns gleich, man setze sich zu Rat, und ein umsichtiger, seinem Gegenstande mit Liebe zugetaner Referent trüge den fraglichen Fall umständlich und zugleich gewissenhaft vor, dergestalt, daß er zwar wünscht, seine Kollegen von seiner Meinung zu überzeugen, aber nicht den mindesten Versuch wagt, sie zu überreden." Und weiter: »Uns hat dieses Werk aus tiefer Wintereinsamkeit in die weite Welt geführt und angeregt, aus eigner Erfahrung zustimmende Beiträge freundlichst mitzuteilen." 5 Er nahm das »vortreffliche Werk als Bibliothek" mit nach Marienbad, 6 es bewog ihn, die Vermutungen über die Eiszeit zu 1
A. G. E, Weimar 1820, 3. Bd., S. 3—56. Gött. gel. Anz. 1821, S. 190f. ' I . A . G. E., Weimar 1822, 11. Bd., S. 305 ff. 2. Jenaisch. Allg. Literat. Ztg., Jena 1822, S. 386ff. 3. Gött. gelehrte Anz. 1821, S. 1892 ff. 4. H e r m e s , Krit. Jahrb. d. Literatur, Leipzig 1823, No. XVIII, S. 89ff. 4 K ü r s c h n e r , Goethes nat. Schriften 2, S. 186ff. 5 Die angeführten Stellen ebd. S. 186. 6 G o e t h e s Brief an H o f f v. 2. Juni 1823. 2
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einer bestimmten Lehre zu verdichten, und es gab ihm Veranlassung, ein gleich schwieriges Problem wie das der Eiszeit zu behandeln: Die Trümmer des Serapistempels bei Pozzuoli. 1 Auch bestimmte es ihn, den darüber verfaßten Essay v o n H o f f zuzueignen: » Diesem würdigen Mann sei denn zuvörderst gegenwärtiger Aufsatz gewidmet, mit Vorbehalt, unsern verpflichteten Dank für die große durchgreifende Arbeit öfters, und zwar bei Gelegenheit anderer bedeutender Punkte unumwunden auszusprechen". Das Verhältnis zu G o e t h e unterhielt auch weiterhin reger Briefwechsel. Dazu gesellte sich hin und wieder eine Zusammenkunft. Die ihm zu teil gewordenen aufmunternden Beifallsbezeugungen bestärkten v o n H o f f , mit der Fortsetzung seines Werkes hervorzutreten. 1824 erschien der zweite Teil als ,, Geschichte der Vulkane und Erdbeben". Des für die eigentliche Geologie wichtigsten Gegenstandes wegen stellt dieser Band das Hauptziel des Verfassers dar. 2 Wir lassen auch hier einiges aus der fachlichen Aufnahme und Beurteilung folgen: »Nur wenige Beispiele — schrieb die Jenaer Allgemeine Literaturzeitung — gibt es in der gesamten deutschen Literatur, daß Materien von dem Umfange und von der Schwierigkeit der vorliegenden schon bei der ersten Bearbeitung zu diesem Grade der Vollkommenheit gediehen seien«. 3 Und die Göttingischen gelehrten Anzeigen: »Dies ist unstreitig das Vollständigste, was bis jetzt über vulkanische Erscheinungen geliefert worden, und wir möchten diese vortreffliche Darstellung für den gelungensten Teil des bewunderungswürdigen Werkes halten, der auch am reichsten mit eigenen neuen Ansichten ausgestattet ist«. 4 Mit Aufwendung aller Kräfte war die Lieblingsarbeit bis dahin fortgeführt worden. Die körperliche und geistige Abspannung, die daraus entsprungen war, drang auf eine Ruhepause. Schon zweimal in seinem Leben hatte v o n H o f f Karlsbad zur Erholung aufgesucht und den Aufenthalt dort zu mineralogischen Studien ausgenutzt 5 Auch jetzt zog es ihn dahin; und wiederum »Architektonisch-naturhistorisches Problem" im 1. Heft des 2. Bd. »Zur Naturwissenschaft". Vgl. dazu auch den Brief G o e t h e s an H o f f v. 23. Dez. 1823. 2 v o n H o f f , Geschichte II, S. III. 3 Jen. Allg. Lit. Zeitung 1824, S. 249. 4 Gött. gel. Anz. 1824, S. 1867. 6 In den Jahren 1803 u. 1821. 1
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gaben die Bodenverhältnisse des Kurortes seiner so notwendigen Muße die ebenso unerläßliche Beschäftigung. Diesesmal sah er sich sogar aufgefordert, zur Erläuterung und Vermehrung der in der »Geschichte der Vulkane und Erdbeben" über warme Quellen getanen Äußerungen Neues beizutragen und schrieb die »Geognostischen Bemerkungen über Karlsbad". Ähnlich legte er in einem Aufsatze über Baden-Baden die wissenschaftlichen Resultate einer späteren Erholungsreise 1 in diese Stadt nieder. Mit der Beschließung des fortgesetzten Hauptwerkes aber geriet er ins Stocken. Das Ziel verschob sich ihm für die nächstfolgende Zeit mitunter auf andere Gebiete, wiewohl er das einmal vorgenommene nicht eben aus den Augen verlor. Seine Arbeitsweise bekam etwas Aphoristisches, ohne deshalb den Zusammenhang ganz einzubüßen. So sammelte er unaufhörlich für den dritten Teil, daneben schrieb er an einer Chronik der Erdbeben und vulkanischen Ausbrüche, veröffentlichte zahlreiche kleinere Abhandlungen meist lokalen Inhalts und ging an das Riesenunternehmen einer Bibliotheca geologica. 2 Vor allem aber zog es ihn zum Wiederaufgreifen meteorologischer Beobachtungen, und damit verband sich das Bedürfnis, die lange unterbrochenen Höhenmessungen in Thüringen von neuem aufzunehmen. Diese letzte Arbeit führte ihn dazu, ältere und jüngere Höhenbestimmungen kritisch zusammenzustellen, mit den eigenen zu vergleichen, um so ein zuverlässiges und vollständiges Bild der Bodengestalt des Landes zu gewinnen. 3 Einen lebhaften Briefwechsel zwischen E n k e , G a u ß und H e i n r i c h B e r g h a u s veranlaßten diese Bestrebungen. 4 Durch die „Höhenmessungen" schien die Geschichte der Veränderungen fast ganz in den Hintergrund gedrängt zu werden. Zwar hatte v o n Hoff immerfort Material gesammelt, aber mehr und mehr entfernte er sich von den Literaturstudien, exakten Beobachtungen obliegend. Mittlerweile erschienen L y e l l s „Prin1 Annalen 1831. — Den Aufsatz schickte v o n H o f f als Brief an L e o p . v o n Buch. 2 Diese »herkulische Arbeit", welcher v o n H o f f bis an sein Lebensende die meiste Zeit opferte, scheint verloren gegangen zu sein. Für die Wissenschaft ein bedeutender Verlust. 3 v o n H o f f , Höhenmessungen in und um Thüringen, Gotha 1833. 4 v o n H o f f s Briefwechsel mit G a u ß , Archiv der Sternwarte zu Göttingen, und mit B e r g h a u s , H e r t h a , Bd. V, S. l f f .
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ciples of Geology", sie traten für die in der Geschichte der Veränderungen der Erdoberfläche ausgesprochenen Ansichten ein und hatten sie mit vielen Tatsachen zu belegen versucht. Wollte v o n Hoff verhindern, daß durch dieses epochemachende Werk seine Lebensarbeit in Vergessenheit geriet, mußte er die harrende Ergänzung vollziehen. Aber erst als die Herausgabe der Höhenmessungen vollzogen war, erschien der Schlußband, die Ergänzung zu den in den beiden ersten erörterten Veränderungen. In vieler Beziehung war die verzögerte Herausgabe dem Ganzen zum Vorteil. Gerade die verflossenen zehn Jahre nach dem Erscheinen der Geschichte der Vulkane und Erdbeben hatten in der Geologie einen Umschwung herbeigeführt. Die Berücksichtigung der neuesten Ergebnisse war darum eine notwendige Forderung. Ihr ist v o n Hoff in jeder Weise gerecht geworden. Die fast die Hälfte des dritten Bandes einnehmenden Zusätze zum ersten und zweiten Bande der Geschichte lassen erkennen, mit welchem Eifer der Verfasser bemüht gewesen ist, seinem Werke, »auf welches Deutschland mit Recht stolz sein kann", 1 die größte Vollständigkeit zu geben. Die Lebensarbeit par excellence war getan, und dennoch war sie eigentlich nicht beschlossen. Sie überschritt gleichsam die Grenze ihrer Vollendung und wuchs in die ursprünglich selbständig gedachte Chronik der Erdbeben und Vulkanausbrüche hinein. Während der Forscher die letzten Jahre, die ihm beschieden waren, dieser widmete, verhehlte er sich nicht, daß er damit jener diente. Er hielt es schließlich für angemessen, die Chronik dem monumentalen Werke einzuverleiben. Sie erschien als dessen vierter und fünfter Band nach des Verfassers Tode, von seinem Freunde H e i n r i c h B e r g h a u s herausgegeben. Da es sich zuerst darum gehandelt hatte, den Entwicklungsgang darzustellen, den die am sorglichsten v o n H o f f gepflegte Neigung genommen hat, war es geboten, eine bestimmte Gruppe von Unternehmungen auszuschalten, denen ein mehr zufälliger, in Anregungen von außenher liegender Ursprung eine besondere Stelle in unserer Betrachtung anweist. Zwar ruhten selbstverständlich auch zu ihnen die wichtigsten Vorbedingungen in der Geistesanlage dessen, den sie beschäftigten, aber im Vergleich zu 1
Oött. gel. Anz. 1834, S. 1873.
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seiner wesentlichen Tätigkeit spielen sie immerhin nur eine untergeordnete Rolle. Der Beruf vor allem war die Quelle dieser Arbeiten v o n H o f f s . Durch ihn stand er mitten in den Zeitereignissen. Wohl liebte er es, seine Muße von Tagesfragen und Welthändeln abzuschließen. Doch es bedurfte nur des erschütternden Anlasses, so fanden auch die öffentlichen Angelegenheiten den Weg in sein Innerstes. Als um die Wende des Jahrhunderts die Wellen der französischen Staatsumwälzung an dem morschen Bau des heiligen römischen Reiches deutscher Nation gerüttelt und die Folgen des Deputationshauptschlusses seine Grundfesten unterwühlt hatten, erschien in zwei Bänden 1801 und 1805 aus v o n H o f f s Feder: „Das deutsche Reich vor der französischen Revolution und nach dem Frieden zu Luneville", ein Werk, das wegen seiner genauen Angaben, seiner treffenden Zeichnung der alten und unveränderten Verhältnisse, seiner wahrhaftigen Schilderung von dem Gange der Verhandlungen auch heute noch eine vielbenutzte Quelle ist und von niemandem ungefragt bleibt, der sich mit der Geschichte jener Zeit vertraut machen will. Dieses Buch hat aber auch für die Geographische Anstalt von J u s t u s P e r t h e s eine historische Bedeutung, es gab ihm in Verbindung mit zwei gleichzeitig erscheinenden Publikationen, » A n t o n P i g a f e t t a s Beschreibung der von M a g e l l a n unternommenen ersten Reise um die Welt" und der „Diplomatischen Geschichte des portugiesischen berühmten Ritters M a r t i n B e h e i m von M u r r " , die Richtung aufs Geographische, nachdem fast jeder Zweig der Literatur versucht worden war. Außerdem ist die erste kolorierte Karte, welche bei P e r t h e s erschien, die v o n Hoff zum ersten Bande seiner statistischgeographischen Parallele gezeichnete, „mit einem sauberen Flächenkolorit versehene von Teutschland." 1 Als 1805 der Gothaer Gelehrte den zweiten Teil seines Deutschen Reiches herausgab, führte er gleichzeitig seinen Vetter S t i e l e r der Firma P e r t h e s zu. Mit der dem Werke beigegebenen „Karte von Teutschland nach dem Reichsschlusse vom 27. April 1803 mit den bis zum September 1804 erfolgten Veränderungen" be-
1
J u s t u s P e r t h e s in Gotha, Jubiläumsschrift, S. 7f.
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ginnt der große Kartograph seine bedeutungsvolle Laufbahn zu seinem und der geographischen Anstalt bleibendem Ruhme. 1 Im P e r t h e s s c h e n Verlage spielt v o n Hoff überhaupt eine hervorragende Rolle; seit 1795 Mitarbeiter am Hofkalender, gab er ihn sogar von 1819 bis 1822 selbständig heraus. 2 Mit J u s t i n B e r t u c h in Weimar hatte er seit 1805 lebhafte Beziehungen angeknüpft; erst Mitarbeiter an den Geographischen Ephemeriden beteiligte er sich auch an der Herausgabe der Länderund Völkerkunde. Die Beschreibung der Länder des Hauses Sachsen ist eine gesonderte Ausgabe dieser Arbeiten. Eine Dankespflicht gegen S t i e l er erfüllte der Freund und Verwandte an seinem Lebensabend. Seinem Handatlas als auch seiner großen Karte von Deutschland wollte der Kartograph geographische Handbücher zur Begleitung beigeben. Der Tod verhinderte die Ausführung, v o n Hoff übernahm die Bearbeitung und vollendete das Werk über „Teutschland" bis zur Rechenschaft seines Verfahrens in der Vorrede. Noch vor der Drucklegung überraschte auch ihn plötzlich der Tod. 8 Im Jahre 1832 starb F r i e d r i c h v o n S c h l o t h e i m . Nachdem v o n Hoff bereits 1826 nach L i n d e n a u s Weggang zum Kurator der Sternwarte ernannt worden, übertrug man ihm nach des Freundes Tode die Direktion der Kunst- und wissenschaftlichen Sammlungen. Gleichsam als Dankespflicht erschien es ihm, die hinterlassenen Arbeiten S c h l o t h e i m s aufzunehmen und zur Vollendung zu bringen. Dem Gothaer Museum, damals noch im Schlosse Friedenstein, hatte er stets das größte Interesse entgegengebracht. 1818 ging seine reichhaltige Sammlung der Mineralien und Gesteine des Thüringer Waldes in das naturhistorische Kabinett über, 4 später folgten dieser die Petrefakten, so daß wir v o n Hoff als den eigentlichen Schöpfer der mineralogischgeologischen Abteilung des Museums betrachten müssen. 5 Auch 1
J u s t u s P e r t h e s in Gotha, S. 12. Ebenda, S. 21. 3 v o n H o f f , Teutschland 1838, Vorwort. 4 L e o n h a r d s Taschenb. f. Mineral., Bd. XIII, 1819, S. 606. — Herzogl. Museum zu Gotha, Titel C. 5. III, 2. 6 Herzogl. Museum, Vorw. zum Katalog v. H. C r e d n e r , Gotha im Febr. 1844, desgl. Febr. 1848. — B r e t s c h n e i d e r , Gotha u. seine Umgebung, Gotha 1851, Seite 46. 2
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für die übrigen Sammlungen zeigte er gleiches Interesse, er schrieb einen Katalog zur S e e t z e n s c h e n und veranlaßte die Einrichtung zweckmäßiger Anstalten zur Sicherung des umfangreichen Museums gegen Feuersgefahr. Eine seiner letzten Arbeiten. 4. Lebensende.
Familienverhältnisse.
Charakterschilderung.
v o n H o f f s Konstitution war stark und kräftig. Sie hatte es gestattet, daß die Unterleibsbeschwerden, die ihn während seines Mannesalters öfters befallen hatten, durch mehrmalige Badereisen gehoben waren. Seitdem erfreute er sich trefflicher Gesundheit und schien, nach menschlicher Berechnung, zu seines Vaters langem Leben berufen zu sein. Vom Jahre 1837 glaubte er sich besonders begünstigt. Seine Annalen leiten es mit den Worten ein: » Meine meisten Unternehmungen gelingen mir über Erwarten." Im März heißt es sodann: „Am 2. abends habe ich das Glück, meine Chronik der Erdbeben jnd Vulkanausbrüche bis auf die letzte Zeile zu vollenden". Vom 24. „der Himmel will mir wirklich wohl, P e r t h e s schreibt mir, daß er meine Chronik drucken will. Ich bin zufrieden, das Werk untergebracht zu haben. Beschäftige mich anhaltend mit einer Tafel über Maß, Gewicht und Münzen für mein Buch über Deutschland". Doch plötzlich erschienen die Boten des Todes, und beschlich ihn die Vorahnung seines Endes. Eine Aufzeichnung am 17. April lautet: »Wenn die Beklemmungen, welche mich jetzt so häufig überfallen, nicht eine Folge jenes Katarrhes sind, der mich in letzter Zeit verfolgt, so ist es der Anfang der Brustwassersucht, von welcher ich immer erwartet habe, daß sie mich im letzten Teile meines Lebens befallen würde und deren Ankunft ich vielleicht in den letzten Monaten durch angestrengte Arbeit und anhaltendes Sitzen beschleunigt habe. Nun, wie Gott will! Freilich hätte ich gern in meinem Leben noch einige Dinge zu stände gebracht, doch welcher Mensch führt alle seine Pläne aus!" Gegen die Mitte des Mai nahmen Schwäche und Kräfteverfall zu. Krankheit zwang ihn nieder, aber schon nach wenigen Tagen hielt er sich für so weit hergestellt, daß er seine Geschäfte außer dem Hause wieder aufnehmen wollte. Die Besorgnis der Angehörigen schien unbegründet und wich. Da — am 24. Mai, abends V211 Uhr, verschied er plötzlich, vom Schlag gerührt. Den vierten
Lebensende.
Familienverhältnisse.
Charakterschilderung
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Morgen darauf, früh in der Stille, wurde er im Gotterschen Erbbegräbnis beigesetzt. 1 Die Trauer seiner Gattin und seiner Söhne fand allgemeine Teilnahme. Die erste Frau — er war zweimal verheiratet — war ihm schon 1812 im Tode vorangegangen. Sie hatte ihm sechs Kinder geboren, und alle waren vor ihr gestorben. So hatte ihn der Schmerz im Leben nicht verschont. W e r ihm aber nahe stand, der wußte, daß auch seine letzten Jahre der Kummer bitter heimsuchte, daß er in Wahrheit am gebrochenen Herzen hinsank. 2 Er hatte sowohl im Dienste seiner fürstlichen Herren infolge des von ihm geforderten ununterbrochenen Verkehrs am Hofe und in den Kreisen desselben durch eine lange Reihe von Jahren schon gegen seine Grundsätze erhöhte Ausgaben gehabt, die empfindlicher noch gesteigert wurden, nachdem er als Geheimer Konferenzrat dem Hofe alljährlich in die zweite Residenz Coburg folgen mußte. Doppelter Haushalt und Unterhaltung von zwei Häusern in dieser Zeit hatten schwere Opfer für ihn im Gefolge, so sehr er im privaten Leben die persönlichen Bedürfnisse seiner Person und Familie auf das mindeste Maß in äußerster Selbstlosigkeit einschränkte. Daneben gab er für die Pflege der Wissenschaft, welcher er sich widmete, den Rest seiner beschränkten Mittel hin, wie er dies einmal eigens bekannte: »Ich habe immer nur um der Sache willen, auf die es ankam, gearbeitet, nie bedacht, was mir etwa selbst daraus für Vorteil erwachsen könnte. Selbst als ich anfing, schriftstellerische Arbeiten zu unternehmen, hat der dazu von mir gemachte Aufwand an literarischen Hilfsmitteln, Reisen und dergl. immer mehr betragen, als das Honorar ersetzen konnte". 3 Das verteidigt ihn genugsam. Menschengröße und Haushaltungskunst lassen sich schwer vereinen, ohne daß die eine oder die andere darunter leidet. Wenn bei K a r l v o n H o f f die Verluste auf Seiten der Wirtschaft das gewöhnliche Maß überstiegen, so hat er sie auf der anderen Seite mit noch ungewöhnlicherem Gewinne überreich ausgeglichen. Und diesen Reichtum an menschlicher Größe zu würdigen, ist uns nunmehr Pflicht und Ehrensache. 1 5 3
J a c o b s , Personalien, S. 282. U k e r t , Brief an F r o r i e p in Weimar v. 28. Mai 1837. Annalen 1813.
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Daß er dem Staate und der Wissenschaft alles opferte, was ihm von Natur gegeben war und was er sich durch eigene Kraft errungen hatte, daß er als Beamter wie als Gelehrter die höchsten Tugenden besaß, braucht hier nicht mehr hervorgehoben zu werden. „In wissenschaftlichen Dingen seiner klaren Ansicht, in gelehrten Untersuchungen seiner Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit bewußt, blieb v o n H o f f nichtsdestoweniger zugänglich für entgegengesetzte Meinungen, die er bei all seiner geistigen Überlegenheit mit jener milden Gesinnung auf- und annahm, die neben Anspruchlosigkeit einer der Hauptzüge seines wohlwollenden Herzens war. W e r ihn einmal gesehen, einmal gehört, mußte ihn lieb gewinnen, so sprach seine äußere Erscheinung an, sein heiterer Sinn, sein biederes Wort. Freundlich schloß er den reichen Schatz seiner Kenntnisse und Erfahrungen zum Nutzen anderer auf, willkommen war ihm jeder, der nach geistiger Veredlung und Befriedigung strebte. So in der mündlichen Unterredung, so in vertraulichem Briefwechsel." 1 Die gelehrte Mitwelt hat v o n H o f f s Verdienste voll anerkannt, fünfzehn Gesellschaften ernannten ihn zum Ehrenmitglied. Möge auch die gelehrte Nachwelt seiner nicht vergessen und, wenn sie sich dieses Forschergeistes erinnert, auch die Unsterblichkeit dem Biedermanne nicht versagen, mit der einer der letzten Großen aus den Tagen Ernst II. von Gotha die Erde verließ. 1
H e i n r i c h B e r g h a u s , Vorwort II zu: v o n H o f f , Geschichte IV.
Zweiter Abschnitt.
von Hoffs wissenschaftliche Verdienste. 1. Um die geologische Erforschung Thüringens. Thüringen, „die Wiege der Formationslehre Deutschlands", ist ein klassischer Boden für die Entwicklung und Ausgestaltung der geologischen Wissenschaft. „Die Fülle verschiedenartiger Gesteine, welche sich namentlich im Thüringerwald auf verhältnismäßig engem Räume beisammen vorfinden, schärften die Sinne zahlreicher Beobachter und Forscher seit dem Erwachen und Aufblühen naturwissenschaftlicher Studien." 1 Bereits im Jahre 1695 fand man bei Tonna, zwei Meilen von Gotha, ein Elefantengerippe, der erste bedeutende Fund dieser Art in Norddeutschland. Der gothaische Geschichtsschreiber T e n z e l erklärte diese Gebeine richtig für Elefantenknochen und verteidigte seine Ansicht siegreich gegen die damals eingewurzelte Meinung, welche alle versteinerten Überbleibsel der Tier- und Pflanzenwelt für Spiele der Natur erklären wollte. 2 In Thüringen gab F ü c h s e l 3 in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts der deutschen Geologie die ersten sicheren Grundlinien. Auf den Wegen F ü c h s e i s wandelte H e i m , 4 der treu die Natur darzustellen versuchte. Gleichzeitig gebührt unter den Thüringer Geologen V o i g t , 5 einem durchweg scharf und klar denkenden Geiste, dessen vorzügliche 1
R e g e l , Geogr. Handbuch V.Thüringen, Jena 1892, I, S. 89. v o n H o f f , Höhenmessungen, in und um Thüringen, 1833, Einl., S. 3. 3 Joh. Chr. F ü c h s e l (1722—1773), fürstl. Hofmedicus zu Rudolstadt. — Vgl. Chr. K e f e r s t e i n , Geschichte der Geognosie, Halle 1840, S. 55 4 J o h . L u d . H e i m (1741—1819), Geheimrat in Meiningen; vgl. K e f e r s t e i n , Gesch. d. Geogn., S. 135 f. 5 Joh. C a r l W i l h . V o i g t (1752—1821), Bergrat in Ilmenau; vgl. K e f e r s t e i n , Gesch. d. Geogn., S. 31. 2
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von Hoffs wissenschaftliche Verdienste
Beobachtungen erst nach vierzig Jahren zur allgemeinen Geltung gelangen konnten, ein ehrenvoller Platz. Dem Dreigestirn, F ü c h s e l , H e i m und V o i g t reiht sich unter den einheimischen Forschern aus dem Jugendalter der Geologie Karl v o n Hoff würdig an. Seine geologischen Studien hatte er auf der Göttinger Hochschule begonnen, F r i e d r i c h v o n S c h l o t h e i m weihte ihn in die W e r n e r s c h e Lehre ein. 1 Das »Magazin für die gesamte Mineralogie, Geognosie und mineralogische Erdbeschreibung" bezeichnet den Anfang seiner literarischen Tätigkeit auf mineralogisch-geologischem Gebiet. In der Einleitung dieser leider zu früh eingegangenen Zeitschrift gibt v o n Hoff „Bemerkungen über das Studium und die Behandlungsart der Mineralogie als Wissenschaft nebst einer kurzen Übersicht der wichtigsten neueren Fortschritte und des jetzigen Zustandes derselben". Die Mineralogie blieb aus Mangel an Methode, an wissenschaftlicher Form und Bestimmtheit lange im Rückstand. So kam es, daß oft ein und derselbe Gegenstand auf verschiedene Weise beschrieben wurde. Die unzählig aufgestellten Systeme wirkten auf das Studium der Mineralogie geradezu verwirrend. Ein Mineralsystem aber muß naturgemäß und logisch richtig sein, so, daß sich jede Stufe, jedes Glied nach den Kennzeichen und seinem gehörigen Platz und unter seinem Namen auffinden und wieder erkennen lasse. In dieser Erkenntnis forderte der Gothaer Forscher, W e r n e r s verdienstvolles Bestreben anerkennend, die Einreihung aller Mineralien in ein natürliches System und Einführung einer einheitlichen Nomenklatur: „das eigentliche große System des Mineralreiches liegt in der von der Natur selbst bewirkten Anordnung der unorganischen Stoffe auf der Erde." 2 Als Frucht fünfzehnjähriger Wanderungen und geologischer Exkursionen mit C. W . J a c o b s erschien 1807 und 1812 der zweibändige „Thüringer Wald". Dieses treffliche Buch gibt eine vorzügliche Darstellung der mineralogisch-geologischen Verhältnisse des Thüringer Waldes, die ausschließlich von Hoff bearbeitet worden ist. Sie stellt sich dem voluminösen Werke H e i m s „Geologische Beschreibung des Thüringer Waldgebirges" eben1
Annalen 1793; v o n H o f f , Brief an einen Unbekannten nach München v. 30. Okt. 1817. - v o n H o f f , Magazin f. d. ges. Mineralogie, S. 17.
um die geologische Erforschung Thüringens
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bürtig zur Seite und wurde von diesem gründlichen Kenner des Thüringer Waldes selbst als eine vortreffliche Beschreibung bezeichnet. 1 In L e o n h a r d s Taschenbuch für Mineralogie fand sie besonderen Abdruck. 2 Die aus einer Vorlesung in der Akademie zu Erfurt hervorgegangene Schrift „Gemälde der physischen Beschaffenheit besonders der Qebirgsformationen von Thüringen" (Erfurt 1812) gibt die erste übersichtliche Darstellung der geologischen Verhältnisse Thüringens. Bedauern müssen wir, daß v o n H o f f s Absicht, eine zusammenhängende Darstellung der Geologie des Thüringer Waldes herauszugeben, nicht verwirklicht wurde, weil er dazu eine geologische Karte und jeder Abhandlung ein petrographisches Kärtchen beilegen wollte. Die Ungunst der Zeitverhältnisse verhinderte dieses gewiß dankenswerte Unternehmen. Die Ergebnisse seiner eingehenderen Studien über einzelne Formationsglieder hat v o n H o f f in L e o n h a r d s Taschenbuch für die gesamte Mineralogie niedergelegt. Für diese noch jetzt als Jahrbuch blühende Zeitschrift war er ein äußerst tätiger Mitarbeiter seit ihrer Gründung. Mit L e o n h a r d selbst stand er infolgedessen in lebhaftem Briefwechsel und freundschaftlichem Verkehr. Die im Taschenbuch und später im Jahrbuch abgedruckten Arbeiten und Briefe sind durchweg inhaltsschwere Mitteilungen. Als v o n H o f f seine geologischen Studien begann, stand er unter dem Einfluß der W e r n e r s c h e n Richtung, die mit Beziehung auf F ü c h s e l einen entschiedenen Rückschritt bedeutete. Aber er war keiner von denen, die den einseitigen Anschauungen einer intoleranten Schule unbedingt folgten. Schon frühzeitig hat er den neptunistischen Standpunkt, von dem er ausging, verlassen. Dieser Wechsel vollzog sich nicht auf Anregung der von den Gegnern jener Lehre geltend gemachten Gründe, sondern von innen heraus infolge der Erfahrungen, welche er selbst in der Natur zu sammeln Gelegenheit hatte. Keineswegs aber wurde 1
1812. 2
J. L. H e i m , Geolog. Beschreibung des Thüringer Waldgebirges, Meiningen Teil III, S. 322. Jg. VIII, 1811, S. 339. — Selbst ins Französische wurde sie übersetzt: a) H o f f , Description géologique et mineralogique du Thüringer Wald. Journal de Physique, de Chimie, d'Histoire Naturelle. LXXVII, 1813, S. 17—33. (Obersetzt von Bruun-Neergard.) b) Annales des Mines II, 1817, S. 347—360.
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von Hoffs wissenschaftliche Verdienste
v o n H o f f ein extremer Vulkanist, er war ein durchweg nüchterner Forscher, der sich nur von seinen Beobachtungen und nicht von Phantasien leiten ließ. So betritt er überall mit Überlegung und Vorbedacht, oft allzu bedächtig den W e g , der nur allein zu bleibenden Ergebnissen der Wissenschaft führen kann. Eine Stelle eines Briefes ist sehr bezeichnend für seine ganze Forschertätigkeit. Darin schreibt er: „Ich bin leider zu sehr mit anderen Dingen überhäuft gewesen, die mich gehindert haben, Exkursionen und Beobachtungen in der Natur zu machen und nur diese sind es, welche mich reizen, die Feder zu Arbeiten im Fache der Geologie oder Mineralogie zu ergreifen." 1 Nach den raschen Fortschritten, welche die Geologie und insbesondere die Formationslehre im vergangenen Jahrhundert gemacht hat, ist es nicht leicht, sich heutzutage auf den Standpunkt zurückzuversetzen, auf dem sie sich in ihrem Jugendalter befand. Es ist dies aber durchaus erforderlich, wenn man sich ein Urteil über die Bedeutung der Arbeiten des Gothaer Forschers für die Entwickelung der geologischen Erforschung Thüringens bilden will. Um die Hauptresultate aus v o n H o f f s geologischen Arbeiten über Thüringen zu gewinnen, werden wir an W e r n e r anknüpfen.* Die systematische Geognosie, wie sie in Freiberg gelehrt wurde, gliederte den ganzen Gebirgsbau der festen Erdrinde in vier A b teilungen, nämlich in das Ur-, Übergangs-, Flöz- und aufgeschwemmte Gebirge und unterschied dann in jeder derselben hauptsächlich nach der Gesteinsbeschaffenheit mehrere Formationen. Das Urgebirge, alle kristallinischen und ungeschichteten Gebirgsmassen, galt als der Kern des Erdballs, als die Grundlage und eine allen übrigen Ablagerungen vorausgegangene Bildung. W e r n e r unterschied darin einzelne Unterabteilungen, die er als besondere Formationen betrachtete, so Granit, Gneiß, Glimmerschiefer und Tonschiefer, alle in gleichförmiger Lagerung und Porphyr mit Syenit, die jenen in ungleichförmiger Lagerung folgen sollten. Frühzeitig erwachten in v o n H o f f durch eingehende Beobachtungen ernste Bedenken, die Natur möchte sich nicht überall dem 1 von H o f f an einen unbekannten Empfänger in München. Gotha30. Okt. 1817. 2 Abr. Oottl. W e r n e r , Kurze Klassifikation der verschiedenen Gebirgs, arten. Dresden 1787. — K e f e r s t e i n , Gesch. d. Geognosie S. 68f.
um die geologische Erforschung Thüringens
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W e r n ersehen Schema fügen. Schon 1801 hatte er bei seinen Studien über den Kugelporphyr des Thüringer Waldes „am Wege zwischen Friedrichroda und Kleinschmalkalden" bemerkt, daß „dieser Porphyr auf Granit ruht und am Abhänge der Berge von der alten Sandsteinformation und von dem Mandelstein bedeckt wird." Auch war ihm das Vorkommen des Mandelsteins auf diesem Porphyr besonders merkwürdig, „da in der Bildung dieser beiden Gebirgsarten offenbar eine gewisse Übereinstimmung herrscht." 1 W e r n e r s Lehre von der Progression der Gebirgsarten erhielt hier einen Stoß. Auch L e o p o l d v o n B u c h hatte in jener Zeit bereits ähnliches beobachtet. Bei Trient hatte er Porphyr mit Kalksteinen in enger Verbindung gesehen, deren Flözgebirgscharakter ihm unzweifelhaft sein mußte. 2 Im „Gemälde der physischen Beschaffenheit Thüringens" rechnet v o n Hoff bereits das „ganze Porphyrgebirge der Übergangsformation" zu. Weitere Untersuchungen bestärkten diese Ansichten und ließen erkennen, daß der Porphyr im Übergangsgebirge selbst ein zeitlich sehr junges Gestein bilde. 1813 zeigt uns der Gothaer Forscher, daß der Porphyr auf Tonschiefer und Quarziten, die wir, seiner weiteren Beschreibung folgend, nur dem Karbon zurechnen können, aufliegt. 8 Zugleich aber folgte aus diesen Beobachtungen auch die Erkenntnis der Korrelation des Porphyrs zum Rotliegenden. In der Nähe des Inselsberges bei Tabarz findet man sich „von lauter Stücken Porphyr und Totliegendem umgeben". „Diese Erscheinung erklärt sich leicht bei näherer Untersuchung. Der Tatenberg nämlich besteht am Fuße aus Totliegendem und in der Höhe aus Porphyr." 4 Für die Formationslehre bedeuteten diese Beobachtungen einen ganz erheblichen Fortschritt. B u c h s und H a u s m a n n s 5 Untersuchungen fanden durch v o n Hoff in Thüringen ihre Be1 2
v o n H o f f , Brief an Bergrat L e n z in Jena v. 22. Okt. 1801. L e o p . v o n B u c h , Sämtl. Werke I, Oeognost. Beobachtungen auf Reisen,
S. 337. 3 v o n H o f f , Beschreibung des Tonschiefer- und Grauwackengebirges im Thüringer- und Frankenwald in L e o n h a r d s Taschenb. 1813, Bd. VII, S. 177f. 4 v o n H o f f , Etwas über das Vorkommen des älteren Flözkalksteins an dem nördlichen Fuße des Thüringer Waldgebirges in L e o n h a r d s Taschenb für Mineral., 1810, S. 114f. — Vgl. auch v o n H o f f , Brief an L e o n h a r d , März 1813, und L e o n h a r d s Taschenb. f. Min. 1818, Bd. VII, S. 294. 5 H a u s m a n n , F. L., Reise durch Skandinavien in den Jahren 1806 und 1807. Göttingen 1811—1818.
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stätigung. Die Auflagerung gewisser Syenite und granitischer Gesteine auf neueren Gebirgsarten ließen das jüngere Alter dieser Gesteine auch als sehr wahrscheinlich erkennen. 1 So konnte er mit vollem Rechte der W e r n e r s c h e n Lehre entgegenhalten: «Die kristallinische Bildung eines Porphyres, eines Syenites berechtigt uns noch nicht, diese Massen für eben so alt als den Erdball selbst annehmen zu wollen, wenn wir diese Gebirgsarten augenscheinlich auf andere mit Versteinerungen organischer Wesen angefüllte aufgelagert finden." 2 Zwischen Urgebirge und Flözgebirge stellte W e r n e r das Übergangsgebirge, bestehend aus Tonschiefer, Grauwackenschiefer, Grauwacke und Übergangskalkstein. Daran anschließend erläuten v o n Hoff in vortrefflicher Weise, unter Zugrundelegung einer Übersichtskarte und eines Profiles, die Gebirgsarten im Südosten Thüringens, von denen er Grauwacke, Grauwackenschiefer, Kalkstein und Tonschiefer unterscheidet. Von letzterem hebt er drei, durch ihre oryktognostische Beschaffenheit voneinander getrennte Varietäten ganz besonders hervor. 3 Mit der zeitlichen Aufeinanderfolge der drei Tonschiefer können wir uns heute mit ihm nicht vollständig einverstanden erklären. Wer im Südosten Thüringens einmal die Lagerung der Schiefer studiert, wird sich auch leicht überzeugen, daß hier außerordentlich schwierige Verhältnisse vorwalten. Durch den Einfluß der Gebirgsbildung sind die Lagerungsformen so verändert, daß nur eine eingehende geologische Landesuntersuchung, wie sie heute abgeschlossen vor uns liegt, Klarheit schaffen konnte. Was v o n Hoff als unterste Tonschieferformation beschreibt, rechnen wir heute größtenteils der Kulmformation zu, während die seiner Ansicht nach aufliegenden dem Kambrium und Devon zuzuweisen sind.- Mit seiner Ansicht stand er nicht allein da. Die dunklen Schiefer des östlichen Thüringens wurden «noch 1854 von H e i n r i c h C r e d n e r auf seiner Karte als ,ältere Grauwacke' zusammengefaßt". 4 Heutzutage unterscheiden wir leicht mit Hilfe von Graptolithen die silurischen, mit Tenta1
v o n H o f f , Beschreibung des Tonschiefer- und Grauwackengeb., L e o n h a r d s Taschenb. 1813, S. 180. 2 Ebenda, S. 185. 8 Ebenda, S. 1 3 5 - 1 8 7 . * Joh. W a l t h e r , Geologische Heimatskunde von Thüringen. Jena 1903, Seite 7.
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kuliten und Cypridinen die devonischen, mit bestimmten Pflanzenresten die karbonischen Schiefer. Ein Gegner der Übergangsformation war H e i m , weil er eine große Übereinstimmung in der Bildungsart der Urgebirgsund Übergangsgebirgsmassen zu finden glaubte. Nach ihm sind die Gebirgsarten beider Formationen, besonders die Grauwacke, die Produkte einer rein chemischen Bildung, durch Metamorphismus die jüngeren Gesteine aus älteren hervorgegangen. 1 In sehr scharfsinniger Weise sucht v o n H o f f diese Ansichten zu widerlegen. Die Gesteine an sich geben ihm keineswegs ein Kriterium für die Altersfolge einer Formation, sondern die Verbandsverhältnisse, die Lagerungsformen und das Vorkommen versteinerter Wesen. Das begründet er am Übergangskalkstein: „Dieser Kalkstein liegt zwischen den Lagern des Tonschiefers und der Grauwacke völlig gleichförmig eingelagert und ist daher für eine in fortlaufender Formation mit zu diesen beiden abgelagerten Massen anzunehmen, und die versteinerten organischen Körper darinnen müssen seiner Bildung präexistiert haben, folglich auch das Meer, in welchem sie lebten."-' Dem Übergangsgebirge schließt sich nach W e r n e r das Flözgebirge 3 an. Das ältere umfaßt heute das Karbon und die für Mitteldeutschland charakteristische Dyas- oder Permformation. Von der Steinkohlenformation tritt in Thüringen ausschließlich der Kulm auf, die obere produktive Formation fehlt. 1 Was v o n H o f f als älteres Steinkohlengebirge beschreibt, müssen wir dem Rotliegenden zuweisen. Noch bis in die neueste Zeit hinein wurde der produktiven Steinkohlenformation in Thüringen ein beträchtlicher Raum eingeräumt und besonders die Manebacher Flöze dem Karbon zugezählt. Die genauen und kritischen Untersuchungen durch die Landesgeologen F. B e y s c h a g , R. S c h e i b e und E. Z i m m e r m a n n führten zu dem überraschenden Resultat, „daß auch die Manebacher und die anderen gleich alten Flöze ins Rot-
1
H e i m , Geologische Beschreibung des Thüringer Waldgebirges.
Teil II,
Abt. 5 und Teil III. 2
v o n H o f f , Beschreibungd.Tonschiefer-u. Grauwackengeb.
Leonhards
Taschenb. 1813, S. 183. 3
v o n H o f f , Gemälde der phys
4
R e g e l , Geogr. Handb. v. Thüringen I, S. 108.
R e i c h , V Hoff
Beschaff, von Thüringen, S. 23ff. 4
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liegende gehören." 1 Die Zugehörigkeit der Kohlenflöze des Thüringer Waldes zum Rotliegenden hatte v o n Hoff bereits erkannt und sich in den Jahren 1806 und 1810 darüber ausgesprochen: „Ihr eigentliches Vorkommen ist nicht leicht zu bestimmen, und man findet sie sehr zerrissen, meist am oberen Ende enger Schluchten und immer in Verbindung mit jenem Konglomerate und dem Flözkalkstein oder Alpenkalkstein." 2 „Da wo das Totliegende sich in den Schluchten des Urgebirges hinaufzieht, findet man an vielen Stellen Ablagerungen von Steinkohlen." 3 In Thüringen hat das Rotliegende eine sehr große Verbreitung, besonders am Thüringer Wald. »Diese Gebirgsart umgibt fast den ganzen nördlichen Abhang und hat an seinem westlichen Ende ungeheure Bergmassen aufgetürmt." 4 Für paläontologische Studien bietet dieses Formationsglied sehr wenig, v o n Hoff widmete ihm aber trotzdem eingehende Untersuchungen. Seine Aufmerksamkeit richtete sich besonders auf die Lagerung und die physikalischen Bedingungen, unter welchen sich die Felsarten gebildet haben. Hierbei zeigt er sich als ein seiner Zeit weit vorauseilender Geist, denn seine Ansichten über das Totliegende sind durchaus modern und stehen im Gegensatze zu der damals herrschenden Richtung in der geologischen Wissenschaft. Bei Untersuchung der Konglomerate hatte er nicht allein erkannt, daß dieselben lediglich von Felsarten gebildet werden, welche im Thüringer Wald anstehend vorkommen, sondern auch daß sie, je näher ihrem Ursprungsorte, um so gröber, je ferner, um so feinklastischer sind. Sehr schön und deutlich zeigt dies eine Beschreibung der Gegend von Tabarz: »Der Tatenberg nämlich besteht am Fuße aus Totliegendem und in der Höhe aus Porphyr. Dieser letztere Teil erhebt sich steil zu einer sehr beträchtlichen Höhe und trägt einen Kamm von zackigen zerbrochenen Felsen. Von diesem Kamme und der Höhe herab kamen alle Trümmer, welche den weit in die Ebene hervorragenden Fuß des Berges 1
R e g e l , Thüringen I, S. 112. v o n H o f f , Der Thür. Wald I, S. 116. 3 v o n H o f f , Etwas über das Vorkommen des älteren Flözkalksteins an dem nördlichen Fuße d. Thür. Waldgebirges, L e o n h a r d s Taschenb. 1810, 4. Bd., Seite 102. * v o n H o f f , Physisches Gemälde, S. 25. 2
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gebildet haben. Dieser ist nichts anderes als ein großer Haufen Trümmer, die von dem oberen steilen Teile des Bergs seit Jahrtausenden herabgerollt sind." 1 Die weitverbreiteten Konglomerate und grobklastischen Ablagerungen wurden von den meisten Geologen in jener Zeit auf plötzliche verheerende Überschwemmungen, riesige Wasserfluten und lebenvernichtende Kataklysmen zurückgeführt. Dem tiefgründlichen Forscher aber ist das Rotliegende nicht das Ergebnis einer plötzlichen Überschwemmung, sondern eines allmählichen Niederschlages. »Am Thüringer Walde ist dieses überall sehr sichtbar und hat auf die Gestalt und Masse des Totliegenden in den verschiedensten Gegenden den deutlichsten Einfluß, da die Trümmer darin immer aus den Gebirgsarten der nahestehenden älteren Berge bestehen." 2 Auf einen hauptsächlich fluviatilen Charakter des Rotliegenden glaubt v o n H o f f zu schließen aus der „Art und Weise wie sich das Totliegende am Thüringer Wald zeigt, wo es sich in den Tiefen und an den Talwänden angelegt und verteilt hat, zwischen welchen die Rücken und höheren Teile noch aus älteren Gebirgsmassen bestehen." Er stützt sich dabei auf die richtige Erkenntnis, daß «die Talbildung noch vor der Entstehung unseres Totliegenden" begonnen hat und daß »schon Täler im Urgebirge vorhanden gewesen zu sein scheinen." 8 v o n H o f f s fortschrittliche Ansichten über die Bildung des Totliegenden 1 erhalten noch größere Bedeutung dadurch, daß er an die Stelle der willkürlich angenommenen Wasserfluten und Kataklysmen Erklärungen setzt, welche den Vorgängen in der Natur vollständig entsprechen. Die Studien über die Bildung der Gesteine, denen er sich mit größtem Eifer hingab, führten ihn ungezwungen dazu, eine natürliche und allmähliche Entwicklung der Erdschichten anzunehmen.
1 von H o f f , Etwas über das Vorkommen des älteren Flözkalksteins, L e o n h a r d , Taschenb. f. Min., IV. Jg. 1810, S. 115. 2 v o n H o f f , Beschreibung des Trümmergebirges, L e o n h a r d VIII, 1814, S. 382 f. 3 Ebenda S. 331. 4 von H o f f s Darstellung und Ansichten fanden L e o p o l d v o n B u c h s lebhaften Beifall: »Herr v o n H o f f hat es besonders schön und klar gezeigt, wie von allen Schichten des Flözgebirges nur allein das rote Tote in den Tälern des Gebirges vorkommt; Kalkstein aber und Sandstein außerhalb bleiben und von ihnen im Innern nichts gefunden wird." L e o p o l d v o n B u c h an den Geheimrat von S c h l o t h e i m zu Gotha. L e o n h a r d s Taschenb. 1824, 18. Jg., S. 444 4*
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Das Medium dazu ist ihm aber nicht eine übernatürliche, bis ins Ungeheure gesteigerte Kraft, sondern die Zeit, die jedem Vorgang ungemessen zur Verfügung steht. Einfach und klar drückt dies v o n Hoff aus in einem Schlußsatz seiner Betrachtungen: »Um die Bildung des Totliegenden, und die Einmengung der Trümmer und großen Geschiebe in dasselbe zu erklären, dürfte man weniger zu großen Kräften, als zu großen Zeiträumen seine Zuflucht zu nehmen haben. Mit den Zeiträumen hat man durchaus nicht nötig haushälterisch umzugehen in der Geschichte des Erdballs, aber wohl mit den Kräften. Die Zeit hinter uns ist so endlos als die vor uns, aber die größten Naturkräfte sind doch in Regeln und Gesetze gezwängt. Gewiß gilt in der Geologie gar sehr das: gutta cavat lapidem non vi sed saepe cadendo." 1 Nach dem W e r n e r s c h e n Schema schließt sich in unserer Betrachtung des älteren Flözkalksteines die jüngere Abteilung der Dyas an, welche wir heute als Zechstein bezeichnen. 2 Im Vergleich zu den gewaltigen Schichtenfolgen der älteren Glieder des Paläozoicums von nur geringer Mächtigkeit, meist band- oder gar saumartig schmaler Oberflächenentwicklung, spielt dennoch der Zechstein in geologischer wie auch in volkswirtschaftlicher Hinsicht eine hervorragende Rolle. 3 In Erkenntnis dieser Wichtigkeit widmete ihm der Gothaer Forscher auch eine sehr eingehende Darstellung. Die dreifache Faciesbildung des Zechsteins, welche wir heute unterscheiden, kann selbstverständlich bei ihm noch nicht hervortreten, um so mehr, als eine normale Gliederung in Thüringen keineswegs vorhanden ist, eine zweifache aber läßt sich aus seiner Beschreibung ziemlich deutlich erkennen. Das unterste Glied dieser Reihe ist der bituminöse Mergelschiefer, im unteren Zechstein Kupferschiefer genannt. Den eigentlichen Zechstein setzt v o n Hoff zur zweiten Abteilung in Verbindung mit Stinkstein, Rauhkalk (Rauchwacke) und Eisenkalkstein. Das zweite
1
v o n H o f f , L e o n h . Taschenb. 1814, S. 339f. v o n H o f f , Beschreibung des Trümmergebirges u. d. älteren Flözgebirges, welche den Thüringer Wald umgeben. L e o n h . Taschenb. f. Min. VIII. Jg. 1814, S. 319ff. — v o n H o f f , Etwas über das Vorkommen d. ält. Flözkalksteins an dem nördl. Fuße d. Thür. Waldgebirges. L e o n h . Taschenb. f. Min. 4. Jg. 1810, S. 97 ff. 8 R e g e l , Thüringen I, S. 127. 2
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Glied umfaßt heute mit Ausschluß des eigentlichen Zechsteins die mittlere Facies. Hier hatte v o n Hoff Gelegenheit, irrige Ansichten H e i m s über die Entstehung von Eisenkalkstein, Stinkstein und Höhlenkalk, welche dieser als Produkte für eine mit einem älteren Flözkalk vorgegangenen Umbildung erklärte, zu widerlegen: „Es ist schwer, sich zu denken, wie mit einer abgelagerten Flözschicht noch eine solche Veränderung hätte vorgehen können, deren Wirkungen bis in die innerste Masse derselben dringen und diese in Gestalt und Bestandteilen umwandeln konnten und die eigentümliche kristallinische Bildung des Rauhkalks spricht ziemlich laut gegen diese Vorstellung." 1 Auch mit einer anderen Ansicht H e i m s , welcher den Schieferton und den bituminösen Mergelschiefer als gewissermaßen zusammengehörend und als zwei Teile eines und desselben Zwischenlagers zwischen dem Totliegenden und dem älteren Flözkalkstein ansah, konnte der Gothaer Forscher nicht übereinstimmen. Seine Beobachtungen hatten gerade das Gegenteil erkennen lassen, einen wesentlichen Unterschied „dieser Formation, oder des Schiefertons von dem bituminösen Mergelschiefer welcher immer jenseits dieser Trümmermassen oder auf ihrer oberen Grenze mit der darauf folgenden Formation des älteren Flözkalksteins abgesetzt gefunden wird." 2 Entgegen der sehr verbreiteten Gewohnheit, aus jedem Gesteine eine neue Formation zu bilden, zeigte v o n H o f f , daß Zechstein, Rauchwacke, Stinkstein und Rauhkalk einer Formation angehören. 3 Auch veranlaßten ihn die Untersuchungen über das Vorkommen des Gipses, diese Gebirgsart nicht als eine eigene Formation, sondern als ein Glied aufzuführen. 1 Ein sehr großes Verdienst hat er sich erworben durch den Nachweis der marinen Entstehung des bituminösen Mergelschiefers. Es war bisher unter den Geologen ziemlich allgemein angenommen worden, daß die in diesem Schiefer vorkommenden Fischabdrücke von Süßwasserfischen herrühren und sogar Über1 2
4
Leonhard Ebenda, S. Ebenda, S. Ebenda, S.
VIII, 1814, S. 395f. 372. 391. 408 f
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bleibsei von Landtieren darunter vorkommen sollten. Über den Ursprung dieser Meinung hatte v o n H o f f , schon länger mit Untersuchung dieser Formation beschäftigt, eifrig nachgeforscht, nirgends aber auf genauen und zuverlässigen Untersuchungen beruhende Beweise gefunden. In einem Steinbruche zwischen Waltershausen und Eisenach machte er nun in jener Zeit eine für die Folge bedeutsame Entdeckung im bituminösen Mergelschiefer. Er selbst schreibt darüber: »Das Merkwürdigste, was mir bei dieser Gebirgsart vorgekommen ist, sind die Gryphiten, die sich schön und mit gut erhaltener perlmutterglänzender Schale bei Schmerbach in demselben Steinbruche darin finden, in welchem die häufigen und zum Teil großen Fischabdrücke vorkommen." 1 Bisher hatte man die Gryphiten als dem Zechstein allein zugehörig betrachtet, und es war unbekannt, daß sie auch im bituminösen Mergelschiefer vorkommen sollten. Im Frühjahr 1809 fand v o n Hoff „Gryphiten und Fischabdrücke nahe beieinander". Das Vorhandensein dieser beiden Arten von Versteinerungen in einer und derselben Flözschicht, die man bisher für eine Süßwasserablagerung gehalten hatte, verdiente eine genaue Untersuchung und Beweisführung. Durch seinen Freund F r i e d r i c h v o n S c h l o t h e i m und durch einen Aufsatz C u v i e r s , worin dieser seine Zweifel über jene Tatsache äußert, veranlaßt, 2 untersuchte er 1810 den Fundort »nochmals auf das genaueste". i! Das Ergebnis war überraschend. Im oberen Gliede des bituminösen Mergelschiefers fanden sich Gryphiten zugleich mit gestreiften Terebratulen und außerdem Deckel der Gryphiten. Die dritte und unterste Lage des Schiefers, der Kupferschiefer, ergab hauptsächlich Fisch abdrücke. Zugleich aber entdeckte der eifrige Forscher in einer Platte von bituminösem Mergelschiefer der untersten Schicht »/einen 1
L e o n h a r d s Taschenb. 1810, IV, S. 105. Ebenda, S. 126 f. s Daß die Entdeckung sehr wichtig war, ergibt sich auch aus einem Briefe von S c h l o t h e i m an den Geheimen Rat K a r s t e n in Berlin: „Vor kurzem hat unser gemeinschaftlich geschätzter Bekannter und Freund, der Hofrat v o n H o f f , ganz zufällig Muschelversteinerungen im bituminösen Mergelschiefer entdeckt, die mir um so merkwürdiger zu sein scheinen, weil es bisher, so viel ich weiß, noch ganz unbekannt geblieben ist, daß man irgendwo in eigentlichen Schieferflözen dergleichen gefunden hätte." v o n S c h l o t h e i m an den Geh. Rat K a r s t e n , Gotha, 2. Mai 1809. — Aus dem Magazin der Gesellschaft naturforsch. Freunde zu Berlin. IV. Jg., 1810, Seite 74. 8
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Fischabdruck und einen Gryphiten zugleich". Das Vorkommen von Gryphiten im Zechsteine war bekannt, nicht aber im Kupferschiefer selbst, völlig eingewachsen und mitten in der Mächtigkeit des Flözes. Die Entdeckung, „daß diese beiden Versteinerungen auch zusammen und nicht in zwei verschiedenen getrennten Schichten dieser Gebirgsart vorkommen", 1 führte v o n Hoff zu dem richtigen Schluß, daß man den bituminösen Mergelschiefer „eher für den Bodensatz eines alten ausgedehnten Meeres, als für den verhärteten Schlamm von Landgewässern zu halten" habe. 2 „Der deutschen Trias bleibt der Ruhm", bemerkt L e p s i u s , 3 »unter ihren Genossinnen auf das genaueste studiert und untersucht worden zu sein, ja im Verein mit der deutschen Dyas am meisten beigetragen zu haben zum ersten Aufschwünge der geologischen Wissenschaft in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts; daher denn auch die deutschen, ursprünglich bergmännischen Bezeichnungen der Dyas- und Triasabteilungen, die Namen Rotliegendes, Zechstein, Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper allgemeinen Eingang in die Wissenschaft gefunden haben und in allen Sprachen genannt werden, auch die deutsche Einteilung ihrer Schichtenstufen maßgebend geblieben ist, selbst für die außerdeutsche Ausbildung der permischen und triadischen Schichtensysteme." In der Geschichte der Geologie aber nimmt die thüringische Trias unter der deutschen die erste Stelle ein. Schon F ü c h s e l 4 unterschied 1761 das „Sandgebürge" von dem „Kalchgebürge" im Hangenden, dem „Muschelkalch". W e r n e r führte dann für dieses „Sandgebürge" den heutigen Namen „Buntsandstein" ein. 5 Als v o n Hoff seine geologischen Studien begann, war die Zweiteilung die herrschende, aber schon in den ersten Jahren seiner Forschertätigkeit war er auf dem besten Wege, die dem Muschelkalke aufliegende Keuperformation zu erkennen. In einer Mono1
v o n H o f f an L e o n h a r d , Gotha im Nov. 1810 u. L e o n h a r d s Tasch., V. Jg., 1811, S. 376. 2 L e o n h a r d , V. Jg., 1810, S. 130. 3 R. L e p s i u s , Geologie von Deutschland, 2. Heft, Stuttgart 1889, S. 420. 4 G. C. F ü c h s e l , Historia terrae et maris, e historia Thuringiae per montium descriptionem eruta. 5 E. K ü s t e r , Die deutschen Buntsandsteingebiete etc. (Forschungen zur deutschen Landes- u. Volkskunde V, 4. Heft, S. 171.
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graphie über den Seeberg bei Gotha 1 kommt v o n Hoff nach einer mustergültigen Beschreibung 2 des Muschelkalkes zu einer Betrachtung des Seebergsandsteines. Eine den Seeberg von NW nach SO durchziehende Verwerfungsspalte trennt orographisch den großen vom kleinen Seeberg. Auf dem großen lagert Seeberger Sandstein, die Keuperformation. An der Grenze nun streicht das Gipsflöz des Muschelkalkes unter diesen Sandstein. Diese Erscheinung führte den Forscher zu der Ansicht, den Sandstein für jünger zu erachten. Er schreibt darüber: „Über das Verhalten des Sandsteins zu dem Gipse aber wird man durch einige Umstände auf den ersten Blick etwas zweifelhaft. Das Niedergehen des Gipses in die Tiefe an der Stelle, wo der Sandstein in großen Massen hervortritt, die abweichende Lagerung dieser beiden Gebirgsarten, die große Mächtigkeit des Gipsflözes, die Höhe, zu welcher der Sandstein sich emporhebt, die abweichende Beschaffenheit dieses Sandsteines von dem Flözsandstein des Thüringer Waldes u. s. w. haben mich eine Zeitlang in der Ungewißheit gelassen, ob ich nicht den Gips des Seebergs für die ältere, unter dem Sandstein vorkommende Gipsformation, oder den Sandstein für eine noch neuere über dem jüngern Gipse liegende Formation halten sollte?" 3 Leider aber ließ sich v o n H o f f durch die Autorität W e r n e r s bestimmen, die Richtigkeit seiner Beobachtungen aufzugeben und den Sandstein des Seebergs der Buntsandformation zuzuschreiben. 1 Es ist das erste, aber glücklicherweise auch das einzige Mal, daß er, der immer nur die Natur zur Richtschnur seiner Untersuchungen genommen, seine Überzeugung einer Schulmeinung opferte. Spätere Untersuchungen führten ihn doch zur richtigen Ansicht wieder zurück, 3 und 1817 beschäftigte ihn ganz besonders der Keupersandstein zwischen Gotha und Sundhausen, „ein merkwürdiges Gebilde der jüngsten Flözformation, denn er bedeckt 1 v o n H o f f , Mineralogische Beschreibung des Seebergs bei Gotha, L e o n h . Taschenb., 1. Jg., 1807, S. 125—160. — Wir besitzen in dieser Monographie die erste vom Seeberg. 2 H e s s , Übersicht d. geognost. Beschaffenheit d. Umgeb. v. Gotha, L e o n h . Taschenb. 1820, S. 144. 3 v o n H o f f , Mineralog. Beschreib, d. Seeberges, S. 158f. 4 Annalen 1801. 6 L e o n h a r d s Taschenb., 14. Jg., 1820, S. 121.
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Lager von Mergelkalk und Ton mit fossilen See- und Flußmuscheln, und enthält selbst Kräuterabdrücke". 1 Die eingehenden Studien, welche man besonders im zweiten Dezennium des neunzehnten Jahrhunderts dem Muschelkalk widmete, führten allmählich zu der Preiteilung dieser Formationsreihe. Die Notwendigkeit ihrer Gliederung hatte der Qothaer Forscher schon 1811 erkannt: „Die große Masse des neueren Flözkalksteins besteht unfehlbar aus mehreren Unterabteilungen, deren jede einer besonderen Bildungsperiode zugehören mag. Diese zu entwickeln, diese zu bestimmen, sollten die Geognosten eifrig bemüht sein, und es ist wahrscheinlich, daß die mannigfaltigen, oft familienweise geordneten Arten der Überbleibsel organischer Körper, welche diese Flözgebirgsart einschließt, die Hilfsmittel zur Unterscheidung an die Hand geben werden." 2 v o n A l b e r t i hatte 1826 in den Gebirgen des Königreichs Württemberg sehr eingehende Studien über den Muschelkalk angestellt und den Wellenkalk von dem Friedrichshaller Kalk und dem dazwischen liegenden Gips mit Steinsalz, Stinkkalk u. s. w. g e s c h i e d e n . D i e mittlere Gruppe wurde in Thüringen 1827 zuerst erkannt bei Bohrversuchen auf Steinsalz zu Buffleben, nördlich von Gotha. Die Beobachtungen darüber veröffentlichte v o n H o f f in L e o n h a r d s Zeitschrift. 1 Sie gewährten „einen interessanten Aufschluß über die Verhältnisse der Flözlagen in Thüringen und über die des sekundären Gebirges überhaupt." Nur geringfügig ist die Verbreitung des Jura in Thüringen. Deshalb liegt die Vermutung nahe, daß Thüringen bei Beginn der Jurazeit Festland gewesen ist. Einzelne kleine Vorkommnisse von Liasgesteinen haben aber bei Beurteilung dieser Frage eine bedeutende Rolle gespielt. 5 Trotz ihrer Geringfügigkeit haben die Schollen — als solche nur sind sie uns in Verwerfungsspalten erhalten geblieben — im Norden des Thüringer Waldes für die geologische Geschichte Thüringens ein hohes Interesse und lassen uns jetzt die frühere Verbreitung der Liasformation mit großer Wahrscheinlichkeit rekonstruieren. 1 2 3 4 5
v o n H o f f , Brief an Bergrat L e n z in Jena vom 26. Juli 1817. v o n H o f f , Physisches Gemälde von Thüringen, S. 32. P r ö s c h o l d t , Gesch. d. Geol. in Thür., S. 29. Jg. 1828, S. 829ff. Joh. W a l t h e r , Geologische Heimatskunde v. Thüringen, S. 85.
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Das Verdienst aber, in Thüringen zuerst das Vorhandensein von Lias nachgewiesen zu haben, gebührt v o n H o f f . In einer Bruchspalte am Südostabhange des großen Seeberges ist eine Liasscholle erhalten geblieben. Dieselbe hatte der Forscher in ihrer Eigenart erkannt. Ihre Zugehörigkeit zum Jura wurde ihm mit Sicherheit klar, als er geologische Studien in der Umgegend von Coburg trieb. 1828 weilte er dort längere Zeit mit dem herzoglichen Hofe, dem er als Geheimer Konferenzrat gefolgt war. Die mächtigen Juraablagerungen Süddeutschlands, welche schon östlich von Coburg in einigen vorgeschobenen Posten erscheinen und dann südlich von Lichtenfels auf den Nordausläufern des Frankenjura bei Kloster Banz, Vierzehnheiligen-Staffelstein u. s. w., erscheinen, erweckten das lebhafte Interesse unseres unermüdlichen Forschers. Aus seinen Untersuchungen aber ergab sich für ihn die Identität des Seeberger Lias mit dem süddeutschen, besonders des Liassandsteines: „An dem oberen Berge von Banz wird dieser Sandstein feinkörnig und dicht." „Hier ist er von dem, zu derselben Formation gehörenden Sandsteine des Seeberges bei Gotha nicht zu unterscheiden. Daß er der Quadersandstein mehrerer deutscher Geognosten oder der Liassandstein der Engländer ist, scheint mir keinem Zweifel unterworfen zu sein." 1 Das „aufgeschwemmte Land", welches v o n H o f f an das jüngere Flözgebirge anschließt, umfaßt die heutige känozoische Formationsgruppe. In den ersten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts war dieselbe fast immer noch eine „terra incognita". A m i B o u e 2 hatte 1822 auf Tertiärablagerungen in Deutschland zuerst hingewiesen, doch hatte man seine Beobachtungen nicht weiter verfolgt. K e f e r s t e i n s Tabellen der vergleichenden Geognosie vom Jahre 1825 enthalten die ersten Äußerungen über Diluvial- und Alluvialablagerungen. Eine Beschreibung des aufgeschwemmten Landes in Thüringen finden wir bei von H o f f zuerst 1811 im „Physischen Gemälde". Das Studium desselben aber beschäftigte ihn noch im letzten Lebensjahre, seine Aufmerksamkeit richtete er besonders auf die Diluvialablagerungen, „eine der merkwürdigsten Erscheinungen für die alte Geschichte L e o n h a r d s Zeitschrift, Jg. 1829, 1. Bd., S. 19f. A m i B u é , Memoire géologique sur l'Allemagne (Journal de physique), tome XCIV, 1822, pag. 297—333. 1 2
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der Oberfläche Thüringens und für die unserer Erdfläche überhaupt." 1 Am berühmtesten sind durch ihre Fossilreste die Kalktufflager nördlich von Gotha zwischen Gräfentonna und Burgtonna, aus ihnen wurden schon 1695 einige Mammutknochen zutage gefördert. 2 Friedrich v o n S c h l o t h e i m , der diese Gegend, als Wohnsitz seiner Eltern, sehr genau kannte, hatte zuerst 1791 eine Beschreibung dieses Kalktufflagers gegeben. 1818 folgte im Taschenbuch für Mineralogie eine zweite. 3 Als v o n S c h l o t h e i m 1832 starb, setzte v o n H o f f die Arbeiten seines Freundes fort. Die nähere Veranlassung gaben neuere Funde, „Überreste von Elefanten." 4 S c h l o t h e i m s Darstellung war inzwischen ganz veraltet. Absicht des Freundes war es nun „selbst eine dem jetzigen Stande der Geognosie angemessene Schilderung dieser Gegend und insbesondere des dort befindlichen Lagers von Kalktuff, das die fossilen Knochen enthält, zu entwerfen," — „und zwar in einem etwas größeren Umkreise, um das Verhältnis des sehr verbreiteten Lagers von Kalktuff zu benachbarten, auch auf- und unterliegenden Felsarten näher zu betrachten." 5 Über das Ergebnis seiner Untersuchungen berichtete v o n H o f f auf der Naturforscherversammlung zu Jena 1836. Seine Darstellung gab zu einer lebhaften Diskussion Veranlassung, indem er nicht allein die Verhältnisse der Oberfläche, sondern auch die Aufeinanderfolge der einzelnen Flözgebirgsschichten erläuterte. Interessante Muschelversteinerungen des Keupers, Pflanzenversteinerungen aus derselben Formation, sowie die Überreste eines großen Reptils aus den zunächst über den Pflanzenabdrücken befindlichen Schichten ließen es zweifelhaft erscheinen, ob man sie als Produkt des Meer- oder Süßwassers zu betrachten habe. Graf M ü n s t e r hatte bei Bayreuth ähnliche Lagerungsverhältnisse gefunden und Professor P l i e n i n g e r legte ein ähnliches Gestein mit gleichartigen v o n H o f f , Physisches Gemälde, S. 47. - v o n H o f f , Höhenmessungen 1833, Einl. S. 3. 3 v o n S c h l o t h e i m , Beschreibungd. Tonnaischen Gegend. — C . W . V o i g t s Mineralogische u. bergmännische Abhandlungen. Weimar 1791, S. 182—200. — v o n S c h l o t h e i m , Der Kalktuff als Glied der aufgeschwemmten Gebirgsformation. L e o n h a r d s Jahrb. f. Min. 1818, XII. Jg. 1
Rentamtmann A. L e h m a n n an v o n H o f f , Tonna, den 30. Mai 1834. v o n Hoff, Brief an den Rentamtmann A. L e h m a n n in Tonna. Gotha, den 4. Juni 1834. 4
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von Hoffs wissenschaftliche Verdienste
Knochenresten aus dem Keuper Württembergs vor, wodurch die Identität des nord- und süddeutschen Keupers bewiesen wurde. Über die diluvialen Funde selbst aber wurde kein abschließendes Urteil erzielt. 1 Bedürfte es noch eines besonderen Beweises dafür, daß v o n Hoff bei seinem Forschen durchaus selbständig und original, ohne sich um vorhandene Schulmeinungen zu kümmern, vorging, so brauchte man nur seine Stellung zur Paläontologie zu betrachten. Während die W e r n e r s e h e Schule das Studium der Versteinerungen, welches heute als eines der wichtigsten Hilfsmittel für die unmittelbare Altersbestimmung der geschichteten und mittelbare der ungeschichten Formationen gilt, völlig hinansetzte, hatte der Oothaer Forscher mit richtigem Oefühl schon bei seinen ersten Untersuchungen die Aufmerksamkeit auf die organischen Reste gerichtet, denn „der Vorrat von Versteinerungen in unseren Gebirgen ist eine der merkwürdigsten Urkunden, aus welchen sich data über die Bildung der Erdrinde, über ihre verschiedenen Epochen und besonders über die Bevölkerungszeit derselben mit organischen Geschöpfen ziehen lassen." 2 Ansichten, welche jetzt Allgemeingut der Wissenschaften geworden sind, sprach er 1801 bereits aus. Sein Verdienst liegt darin, daß er mit großem Scharfblick erkannte, wie diese Fossilien zur Bestimmung des relativen Alters der Sedimente, in denen wir sie eingebettet finden, dienen können. „Aber um diese Urkunden der entferntesten Vorzeit zu verstehen und zu deuten, muß erst die Versteinerungslehre aus der Kindheit, in welcher sie jetzt noch liegt, hervorgezogen werden. Wir müssen erst für die versteinerte Tierwelt eine solche charakterisierende Naturgeschichte erhalten, wie wir sie für die lebende besitzen." 8 Was v o n Hoff als Notwendigkeit forderte, ist heute größtenteils erfüllt. Durch die unermüdlichen Arbeiten Z i t t e l s bildet sich mehr und mehr eine selbständige Faunenund Florenlehre der untergegangenen Lebewelt aus. Die Versteinerungen geben uns aber nicht nur Aufschluss über das geologische Alter der sie führenden Schichten, sie lassen uns, wenn auch lückenhaft, die allmähliche Entwicklung der 1
Amtlicher Bericht über die Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte zu Jena im September 1836. Weimar 1837, S. 122. 2 v o n H o f f , Magazin I, S. 283f. 3 v o n H o f f , Physisches Gemälde, S. 32.
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organischen Welt sicher erkennen. Diese Überzeugung hatte bereits der seiner Zeit weit vorauseilende v o n Hoff. Von wahrhaft prophetischem Geiste erfüllt, gab er ihr beredten Ausdruck: „Man muß in ihnen die Andeutung einer im Laufe der Zeit fortgeschrittenen Umwandelung der Beschaffenheit der Erdoberfläche erkennen, und mit dieser zugleich eine Umwandelung der Natur der organischen Wesen, die der jedesmaligen Beschaffenheit der Oberfläche, auf welcher sie entstanden, wuchsen und gediehen, angemessen sein mußte." 1 Hier offenbart sich ein tiefer Blick in die Bedeutung der Versteinerungen. Die ausgesprochenen Ansichten sind jetzt zum Allgemeingut der geologischen Wissenschaft geworden und zeugen dafür, welche Stellung der Oothaer Gelehrte in der Geschichte der Geologie einzunehmen berechtigt ist. Es würde uns zu weit führen, wollten wir alle neuen und interessanten Einzelheiten berücksichtigen, welche aus seinen Arbeiten über Thüringen hervorgehoben zu werden verdienen. Die petrographischen Beschreibungen der verschiedenen Formationen, die Mitteilungen über die darin enthaltenen Erzlagerstätten und fremdartigen Einlagerungen der mannigfaltigsten Art, die Angabe über die örtliche Verbreitung der Gesteine, enthalten eine Fülle davon. Es muß noch besonders erwähnt werden, daß v o n Hoff einen großen Wert auf geologische Karten legte, jeder seiner Arbeiten fügte er ein solch „illuminiertes petrographisches Kärtchen" bei; das erste in seiner Monographie über den Seeberg. Als von H o f f 1837 starb, war in Thüringen die Kenntnis der Flözformationen und der Verbreitung der Massengesteine in der Hauptsache vollendet. Das Schwergewicht seiner Verdienste um die Geologie Thüringens fällt in jene Zeit des Werdens der geologischen Anschauungen, seine Arbeiten gewinnen dadurch noch ganz besonders an Wert. Ein in der ersten Zeit seiner Studien zu strenges Festhalten an den Ideen W e r n e r s konnte nicht verfehlen, zunächst auf die Entwickelung seiner eigenen Ansichten über den Gebirgsbau Thüringens beengend und hemmend einzuwirken, hatte er doch gleichzeitig mit einer anderen, von jenen Ideen unabhängigen Schwierigkeit zu kämpfen, nämlich mit der noch mangelhaften Kenntnis der geschichteten Formationen. Viele 1
v o n H o f f , Erinnerung an B l u m e n b a c h s Seite 6 f.
Verdienste.
Gotha 1826,
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von Hoffs wissenschaftliche Verdienste
Formationsunterscheidungen, welche jetzt zu den wesentlichsten und durchgreifendsten gerechnet werden, waren noch nicht eingeführt, die eingeführten konnten nicht überall durchgeführt werden. Unter dem Titel des Flözkalkes wurden oft Gesteine vom Permschen System aufwärts bis zur Kreide vereinigt. Wir brauchen nur an den älteren und neueren Sandstein zu erinnern, um die Schwierigkeiten zu zeigen, die damaligen Forschungen entgegenstanden. Je lebhafter man sich diese Erschwerungen und Hemmnisse vergegenwärtigt, desto höher wird man die Leistungen anschlagen, welche v o n H o f f s Arbeiten über Thüringen darbieten. Dieselben bezeichnen nicht allein einen wesentlichen Fortschritt in der Kenntnis dieses Landes, sie haben nicht allein den weiteren geognostischen Untersuchungen und demselben eine wichtige Grundlage gegeben, sondern sie waren, indem sie ein Muster tiefeindringender Forschung aufstellten, für die Wissenschaft überhaupt und ihre Behandlungsart von bleibendem Werte.
°2. Um die Geographie Thüringens. Im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts hat A d o l f S t i e l e r in Gotha eine weitberühmte kartographische Schule begründet. Die von hier ausgegangenen Anregungen haben auch auf K a r l v o n H o f f fördernd eingewirkt und ihn veranlaßt, Thüringen einer sorgfältigen geographischen Bearbeitung zu unterziehen. Den »Thüringer Wald" hat er mit seinem von gleichem Eifer beseelten Freunde W i l h e l m J a c o b s — man kann wohl mit Recht sagen — erst entdeckt, „da er bei dem fast gänzlichen Mangel jeden Straßennetzes — der Eisenbahnen selbstverständlich zu geschweigen — nur von Einheimischen gekannt und besucht, Ferneren aber nur wie jedes andere Gebirge soweit bekannt war, als es der Schulunterricht für gut befand, seiner zu erwähnen." 1 Um die Kenntnis dieses schönen Gebirges haben sich diese beiden Männer durch ihre vortrefflichen Schilderungen unstreitig die größten Verdienste erworben, v o n H o f f aber gab zu dem Reisehandbuch, das lange Zeit als die beste Quelle benutzt wurde, die erste Originalkarte über den ganzen Umfang des Thüringer Waldes, welche auf „Beobachtungen, Messungen und lokalen
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C . V o g e l , Zur Geschichte der Kartographie des Thüringerwaldgeb. S. 2.
um die Geographie Thüringens
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Forschungen" beruhte, heraus. 1 Durch seinen Vetter S t i e l er im Kartenzeichnen geübt und von L i n d e n a u , dem Direktor der Sternwarte, in jeglicher Weise gefördert, hatte v o n Hoff schon frühzeitig eine kartographische Aufnahme des Thüringer Waldes und seiner nächsten Umgebung beabsichtigt. Mit kritischem Auge Selbstbeobachtetes aufzeichnend und von gelehrten Freunden in der Wanderung wie in der Sichtung der Resultate unterstützt, ward mit dem Reisehandbuch auch die Karte verwirklicht. Trotz der mannigfachen Zerrissenheit der verschiedenen Landesgrenzen Thüringens, die ein Deutschland im Kleinen darstellten, waren gewisse Bedingungen zur Herstellung von Oberflächenkarten vorhanden, denn die fortwährenden Teilungen der fürstlichen Häuser gaben öfters Anlaß zur Anfertigung von »Menzelblättern." Aber diese waren bei dem damaligen Mangel jeder spezielleren Vermessung ungenügend und voller Fehler. Die vorhandenen Hilfsmittel und eigene Messungen führten zunächst zu einer kartographischen Bearbeitung der Westhälfte des Gebirges. Bei dem Entwerfen seiner »ganz neu darüber gelieferten" Zeichnung hatte v o n Hoff die geographische Lage einiger Orte und Punkte durch Pulversignale nach Angabe des Freiherrn v o n Z a c h ermittelt. 2 Bei der 1812 erschienenen Osthälfte des Thüringer Waldes waren eine Anzahl astronomischer Höhenbestimmungen, desgleichen Kartenmaterial und ähnliche Unterlagen aus dem Besitz der Regenten der in Betracht kommenden Länder zu Hilfe gezogen worden. Wo solches Material fehlte, mußte, wie bei der Westhälfte, das Nötige hineinorientiert werden, was bei den damaligen Flächenkarten nicht anders möglich war. In dieser ist die von früher überkommene zeichnerische Behandlung noch beibehalten, während bei der zweiten Karte sich eine sehr beachtenswerte Vervollkommnung zeigt, besonders in der Darstellung der tiefen Taleinschnitte des Frankenwaldes nach Süden zu. v o n H o f f s Arbeiten waren für spätere grundlegend, so benutzt die 1852 bei J u s t u s P e r t h e s erschienene Baersche Karte des Thüringer Waldes überall die vorhandenen Ortsbestimmungen und weicht nur kaum merklich im Maßstabe ab, hilft sich aber bei dem Widerstreit in den beiden Hälften der Spezialkarten hinsichtlich der Berge durch Punktierung. Erst die neueste Zeit ist 1 2
C . V o g e l , Zur Geschichte der Kartogr. des Thüringerwaldgebirges, S. 1. Z a c h , Monatl. Korresp., Bd. 10, S. 319.
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von Hoffs wissenschaftliche Verdienste
durch ihren lichteren Braundruck der Berge zur Bezeichnung der größeren Steilheit der durch die zweite Karte gegebenen Anregung völlig gerecht geworden. Was die Kartographie Thüringens v o n H o f f verdankt, hat C a r l V o g e l sehr treffend gekennzeichnet: »Sie ist mit einer Ausführlichkeit und Gediegenheit eingeleitet, welche noch heute an ihrem Werte nichts verloren hat, die so gar vielen Späteren und ganz neuerdings erschienenen Arbeiten bedeutend zu gute gekommen ist." 1 Die zur Karte benutzten eigenen Messungen suchte der Oothaer Forscher zu ergänzen. Kein neueres Meßwerkzeug wußte er aber wirksamer zu gebrauchen als das Barometer. Auf allen seinen Wanderungen ließ er sich keine Gelegenheit zu einer Höhenmessung entschlüpfen. Nach T o r r i c e i i i s Nachweis über die Luftschwere befinden wir uns am Boden eines atmosphärischen Ozeans, in welchem der Druck nach oben hin stetig abnimmt. P a s c a l s Scharfsinn entdeckte im Barometer eine Luftwage und P e r r i e r hatte 1648 zuerst damit Höhen gemessen, wozu sich später bequeme Berechnungstafeln gesellten. Als v o n H o f f seine Beobachtungen begann, hatte J e a n de L u c mit viel Scharfsinn und Ausdauer die Schwierigkeiten beseitigt und so eine wertvolle Anwendung des Barometers zur Höhenbestimmung ermöglicht. Die erste Nachricht von Höhenmessungen in Thüringen bringt C h a r p e n t i er in seiner « Mineralogischen Geographie der kursächsischen Lande" (Leipzig 1778). 2 V o i g t s mineralogische Reisen durch das Herzogtum Weimar und Eisenach enthalten die zweite. 3 Am 6. September 1790 hatte v o n Z a c h den Inselberg barometrisch gemessen. Kurze Zeit darauf fallen die Höhenmessungen, welche in v o n H o f f s und J a c o b s Thüringer Wald veröffentlicht sind. 4 Der Wunsch, „etwas Gewisses über die bis dahin verschieden angegebene Höhe des Inselberges zu ermitteln", veranlaßte v o n H o f f und B e r n h a r d v o n L i n d e n a u an einem Wintertage im Jahre 1807 auf diesem Berge barometrische Beob-
1
C . V o g e l , Zur Geschichte der Kartographie des Thüringerwaldgebirges,
Seite 1. v o n H o f f , Höhenmessungen in und um Thüringen, 1833, S. 8. J. K. W. V o i g t , Mineralogische Reisen durch das Herzogtum Weimar und Eisenach, II. Teil, 1782, S. 49. 1 v o n H o f f u. J a c o b s , Thüringerwald, I. Vorrede, S. XI u. S. 18f. 2
3
um die Geographie Thüringens
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achtungen anzustellen, während gleichzeitig zu Kabarz am Fuße des Berges und zu Gotha verglichene Barometer beobachtet wurden. In der „Monatlichen Korrespondenz" 1 wurden die Resultate veröffentlicht. 1810 suchte v o n H o f f seine Messungen auf den ganzen Thüringer Wald und die angrenzenden Gebiete auszudehnen. Seeberg, Gotha, Inselsberg, Kreuzberg und Rudolstadt waren zu den Punkten gewählt worden, wo die mit den Reisebeobachtungen korrespondierenden Untersuchungen angestellt werden sollten. Zur Ausführung aber kam trotz der nicht geringen Voranstalten nur ein kleiner Teil. 2 Das einmal gesteckte Ziel beharrlich im Auge, sehen wir v o n H o f f in regem Briefwechsel mit H e i n r i c h B e r g h a u s in Potsdam, E n c k e und G a u ß in Göttingen, die seine Bestrebungen in jeder Weise unterstützten. Sein barometrisches Nivellement war durch die Sternwarte auf dem Seeberg, durch den Inselsberg, Brocken und die Station des Hohen-Hagen mit den trigonometrischen Messungen von G a u ß und E n c k e verbunden worden. Durch seinen Aufenthalt in Coburg war es dem Forscher möglich gewesen, seine Beobachtungen auch bis dorthin auszudehnen. 1828 hatte v o n H o f f seine bisherigen Resultate zusammengefaßt in der Schrift ,, Höhenmessungen einiger Orte und Berge zwischen Gotha und Coburg". Diese schickte er an H u m b o l d t und widmete sie der Naturforscherversammlung zu Berlin. Sie enthält die Höhenbestimmung von 42 Punkten, die auf drei verschiedenen Straßen von Coburg nach Gotha liegen und ist von einer Steindrucktafel begleitet, welche die dadurch ermittelten drei Durchschnitte durch den Thüringer Wald mit farbiger Angabe der Felsarten darstellt. Inzwischen war durch die G a u ß sehe Festlegung der Höhe vom Seeberg eine Berichtigung der bisherigen Bestimmungen notwendig, sie folgte 1830 in einer Zusammenstellung von 63 gemessenen Punkten. 3 v o n H o f f s Höhenmessungen hatten allgemeines Interesse erweckt, eine reiche Sammlung von dergleichen Messungen vieler durch ganz Thüringen verteilten Punkte gingen ihm zu. Darüber erfreut, faßte er den Plan, ;r das ganze Material von Höhenbestimmungen in Thüringen aus älterer und neuerer Zeit, gedruckt und 1 8 3
Z a c h , Monatl. Korr. Gotha 1808, Bd. 17, S. 418. Ebenda, Bd. 25, S. 255 f. K a s t n e r , Archiv f. d. ges. Naturlehre, Bd. 18, 1830, S. 401 f.
R e i c h , v. Hoff.
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von Hoffs wissenschaftliche Verdienste
ungedruckt, zu sammeln, zu ordnen und zu versuchen, ob sich daraus ein einigermaßen genügendes Bild der Bodengestalt des Landes entnehmen ließe." 1 Aus dieser Absicht heraus entstanden „Die Höhenmessungen in und um Thüringen". (Gotha 1833.) Eine trockene Aufzählung von Höhenangaben wird wohl eine müßige Neugierde nach Zifferngrößen befriedigen, niemals aber wissenschaftlich wertvoll sein. In dieser Erkenntnis suchte v o n Hoff aus seinen Zahlen Sinn und Belehrung zu schöpfen für den Bau der Oberflächengestalt seiner Heimat. Diesen behandelt er im dritten Abschnitt seines Werkes: Lage und Bodenbeschaffenheit Thüringens. Kurz vor dem Erscheinen der Höhenmessungen hatte F r i e d r i c h H o f f m a n n eine Darstellung dieses Gebietes gegeben, 2 das er als „Thüringische Hochfläche" bezeichnet. 3 In vielfacher Hinsicht aber behandelt v o n Hoff viel genauer die in dem sonst grundlegenden Werke H o f f m a n n s nur andeutungsweise behandelten Höhenzüge Thüringens. Er unterscheidet fünf Höhenzüge und sechs Längstäler, „deren Streichen der Kette des Thüringer Waldes und dem Abfall des südlichen Fußes des Harzes gleichlaufend ist."4 Das Gebiet zwischen Thüringer Wald und Harz zeigt also vorwiegend ein herzynisches Streichen, so daß die ganze Anordnung der Erhebungen und Vertiefungen in erster Linie durch dasselbe bedingt erscheint. Wenn v o n Hoff diese in die Augen springende Gesetzmäßigkeit auch zu einseitig betont, — erzgebirgisches Streichen macht, besonders nach dem Vogtländischen Bergland zu, sich schon einigermaßen geltend, — so zeigt sich bei ihm doch eine bereits klare Anschauung vom Bodenrelief Thüringens. „Der Begriff einer Hochebene tritt bei ihm zurück hinter dem einer „Mulde" oder eines „Beckens" mit aufgebogenen Rändern nach den beiden Randgebirgen in S. und N., welche aber selbst wieder durch eine Anzahl von Erhebungen in kleinere Abteilungen, gleichsam in Mulden oder Wannen zweiter Ordnung, zerlegt wird". 5 1
v o n H o f f , Brief an Gauß v. 25. Nov. 1833. Fr. H o f f m a n n , Übersicht d. orograph. u. geognost. Verhältnisse vom nordwestl. Deutschland. Leipzig 1830, S. 98ff. 3 Ebenda, S. 103. 4 v o n H o f f , Höhenm., 1833, S. 122. 5 R e g e l , Thüringen I, S. 57. 2
um die Geographie Thüringens
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Um die hypsometrischen Verhältnisse Thüringens in einem Gemälde zu versinnlichen, bediente er sich der senkrechten Querschnitte oder Profile. Sechs große Tafeln erläutern die Bodengestalt Thüringens. Aus diesen lassen sich mit Sicherheit erkennen, 1 daß die Mulden oder Niederungen ein verschiedenes Niveau aufweisen, daß vor allem sämtliche Einsenkungen nach der Mitte zu höher liegen als die breite Niederung am Südrand des Harzes. 2 v o n H o f f s Schilderung der Oberflächengestalt Thüringens ist häufig benutzt worden. Jahrzehntelang hat die Mulden- oder Beckenvorstellung eine herrschende Stellung behauptet. H e i n r i c h C r e d n e r gibt in seinen geognostischen Verhältnissen Thüringens und des Harzes 3 eine eingehende Gliederung der „Thüringer Mulde", während Bernhard v o n C o t t a das „Thüringer Becken" in Deutschlands Boden darzustellen versucht. 4 Heute tritt die Vorstellung einer „Thüringer Hochebene" wieder mehr in den Vordergrund, was sich aus den Arbeiten P e n c k s , dem neuesten Darsteller der Bodengestalt Thüringens, erkennen läßt. 6 v o n Hoff ist unter den Thüringer Geographen derjenige, welcher überall die allgemeinen Züge des Reliefs über den Einzelheiten nicht vernachlässigt. Gerade durch seine Erfassung des Ganzen sind seine klaren Ausführungen noch heute wertvoll. Schon H u m b o l d t war tief durchdrungen von dem hohen Werte seiner wissenschaftlichen Ansichten und Arbeiten. Mit der Herausgabe von Länderprofilen beschäftigt, hatte er „diesen vortrefflichen Beobachter" aufgefordert, die Bestimmung der mittleren Höhe des durchforschten Landes zu versuchen. 6 Dieser Aufforderung nachkommend, bestimmte der Gothaer Forscher für Thüringen eine mittlere Höhe von 166 Toisen (996 Fuß), 7 sich wohl bewußt der Mängel einer solchen Berechnung, denn „die wirkliche mittlere Meereshöhe zu finden, würde eine sehr ins Einzelne gehende Untersuchung und eine 1
v o n H o f f , Höhenm., S. 125. R e g e l , Thüringen I, S. 57. n Gotha 1843. 4 C o t t a , Deutschlands Boden I, S. 123. 5 A. P e n c k , Das Deutsche Reich, in K i r c h h o f f s Länderkunde von Europa, Bd. I, S. 326. 6 A l e x , v o n H u m b o l d t , Kleinere Schriften, I. Bd. Geognost. u. physikal. Erinnerungen. Stuttgart u. Tübingen 1853, S. 410. 7 v o n H o f f , Höhenmessungen 1833, S. 118. 2
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von Hoffs wissenschaftliche Verdienste
sehr zusammengesetzte Rechnung erfordern. Zu einer solchen sind die vorhandenen Angaben nicht ausreichend; sie gestatten höchstens eine Schätzung." 1 Dieser Einwand hat seine Berechtigung. Die Zeit war noch nicht reif für diese Art der Messungen und alle mittleren Werte werden erschüttert, so oft eine neue Größe zu den bisherigen Größen tritt. Immerhin ist es von historischem Interesse, daß A l e x , v o n H u m b o l d t mit der „sehr im einzelnen durchforschten Gegend Thüringens" seine Arbeiten über die mittlere Höhe der Kontinente begann und dadurch die Grundlage zu einer neuen Hilfswissenschaft gelegt hat, die er selbst stereometrische Geognosie nannte. 2
3. Um die dynamische Geologie und physikalische Geographie. Hie Wasser! Hie Feuer! war die Losung der streitenden Geologen am Ende des achtzehnten und in den ersten Dezennien des neunzehnten Jahrhunderts. In diesem heftigen Kampfe ist K a r l v o n H o f f der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht, indem er uns in der Geschichte der natürlichen Veränderungen die Erdoberfläche unter der fortdauernden Einwirkung kleiner Umgestaltungen zeigt, weder die Wirkungen des Wassers, noch die des Feuers einseitig betont, sondern allen erdumbildenden Faktoren in gleicher Weise gerecht wird. Dadurch hat er zuerst das richtige Verständnis für die naturgegebene Erdoberfläche geweckt, das Studium der Massenänderungen bildet heute eine der wichtigsten Aufgabe der modernen Geologie und Geographie. „Die langsamen, Tröpfchen zu Tröpfchen und Körnchen auf Körnchen häufenden Wirkungen des Wassers", 3 die Mosaikarbeit in der Entwicklungsgeschichte der Erde konnte nur verständlich werden durch das Studium der Erosionsvorgänge, die sich vor unseren Augen abspielen. In der richtigen Erkenntnis von der Bedeutung dieser kleinen Faktoren widmet v o n H o f f ausschließlich den ersten Band seines Werkes den aufbauenden und zerstörenden Wirkungen des Wassers, deren Wert für die Erklärung 1 2 8
von Hoff, Höhenmessungen 1833, S. 117. B r u h n s , Humboldt-Biographie. Leipzig 1872, 3. Bd., S. 197. R a t z e l , Die Erde u. d. Leben, I, S. 559.
um die dynamische Geologie und physikalische Geographie
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erdgeschichtlicher Erscheinungen von der herrschenden heroischen Zeitrichtung in der Geologie ganz in den Hintergrund gedrängt worden war. Die Darstellung ist ihm vorzüglich gelungen. Darüber schreibt Z i t t e l : „Für die mechanische Einwirkung des Meeres auf die Küsten durch Gezeiten, Strömungen, Wellenschlag, Brandung und Sturmfluten hat v o n H o f f , soweit es sich um Ereignisse historischer Zeit handelt, einen kaum zu übertreffenden Bericht geliefert." 1 Schon die Sammlung dieser zahlreichen Fakta gaben den Wirkungen des Wassers eine ganz neue Ansicht." Der Forscher zeigt, daß in der relativen Ausdehnung des Landes und des Wassers auf der Oberfläche, beinahe an allen Orten, immerwährende Veränderungen vor sich gehen und daß dieselben, selbst in der Gestalt der festen Teile unserer Erde, die man bisher nur für seltene Ausnahmen gehalten hatte, in der Tat zur Regel, ja zu einer ganz allgemeinen Regel gehören. Eine längere Beschäftigung mit den alltäglichen Wirkungen des Wassers wird jeden aufmerksamen Geologen bald zu gleichen Ergebnissen führen, die v o n Hoff durch seine eingehenden historischen Untersuchungen gewonnen hat. Eine lange Reihe von Beobachtungen und Forschungen ist notwendig, um die Vorgänge an der Erdoberfläche bis auf ihre letzten fundamentalen Prinzipien zu analysieren und sie in ihrer Bedeutung für die Entwicklungsgeschichte der Erde zu erfassen. Wenn v o n Hoff in seiner Geschichte durch die umfassenden Literaturstudien glänzt, so ist er aber nicht minder ein durchweg exakter Beobachter der ihn umgebenden Natur. Schon bei Beginn seiner naturwissenschaftlichen Studien richtete er seine Aufmerksamkeit auf diejenigen Objekte, die er aus persönlicher Anschauung kannte. Hierbei zieht er die schwierigsten Probleme in den Kreis seiner Betrachtungen. Eine der allerwichtigsten Aufgaben der Geomorphologie ist nach allseitiger Übereinstimmung die Erforschung der Ursachen, welche bei der Bildung der Täler die entscheidende Rolle gespielt haben. Ihr widmete..von Hoff schon frühzeitig seine ganze Aufmerksamkeit, und zwar in einer Zeit, in welcher die Beobachtung des Alltäglichen wertlos und kleinlich erschien. Es hat lange gedauert, bis die jetzt herrschenden Ansichten zum 1
Z i t t e l , Geschichte der Geologie, S. 318.
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von Hoffs wissenschaftliche Verdienste
Durchbruch gekommen sind, eine sorgfältige und umfassende Beschreibung der Tatsachen ermöglichte, daß die erodierende Tätigkeit der fließenden Gewässer als Ursache der Talbildung heute in den Vordergrund gestellt wird. In der Entwicklung der Talbildungsansichten spielen die Thüringer Geologen eine hervorragende Rolle. „Es war ein großer Fortschritt, als der gesunde Verstand J. L. H e i m s endlich die talbildende Kraft der Meeresströmungen zurückwies." 1 Der Zeitgeiz, welcher den vollen Aufschwung dieses starken Geistes verhinderte, war von seinem Zeitgenossen, dem leider so wenig beachteten und doch weitschauenden Geologen J. C. W . V o i g t bereits überwunden.' 2 v o n H o f f hat die fortschrittlichen Ansichten seiner Landsleute erweitert und vertieft durch eingehende Forschungen in der Heimat. Bereits 1801 betonte er gegen die einseitigen Ansichten Delucs, :i welcher alle Täler bis zu den kleinsten Verästelungen durch Umstürze der Obenflächenschichten der Erde erklärte, die Homologie aller Thalrinnen, „die so auffallende und ganz unbezweifelte Erscheinung, daß bei größeren sowohl als kleineren Tälern aus- und einspringende Winkel an den gegenüberstehenden Wänden miteinander korrespondieren." 4 Für Illusion erklärte der bibelgläubige D e l u c diese natürliche Erscheinung, weil ihm die Auffassung für die zur Entstehung notwendige Zeit fehlte. Ihm entgegnete v o n H o f f : „Freilich möchten die Delucs unsere Urgebirge gern in sieben Tagen fertig 1
R a t z e l , Die Erde u. d. Leben, I, S. 618.
- Voigt,
Bergrat in Ilmenau.
die Entstehung der Schluchten:
Vortrefflich sind seine Bemerkungen über
„Manchem scheinen sie zu tief im Verhältnisse
mit der geringen und langsam wirkenden Kraft, die sie hervorbrachte, rechnen zu wenig auf Zeit und Umstände.
aber sie
In tiefen Tälern, durch welche nur
schwache Bäche herabrinnen, taten es gerade diese Bäche allein nicht, aber sie gaben doch Gelegenheit hierzu.
Einmal war der tiefste Punkt ihr Lauf,
und
dieser zeigte allen nachkommenden Wassern den Weg, den sie zu ihrem Abzüge nehmen sollten.
Es kamen Regengüsse, die herabgefallenen Wasser eilten von
beiden abschüssigen Seiten dem kleinen Bache zu, alle benachbarten Schluchten schickten ihm die ihrigen, und der unbedeutende Bach wurde auf eine Zeitlang ein reißender Strom.
N u r dreißig Regentage in
Reihe von Jahrtausenden hindurch die Gründe,
einem Jahr und durch
eine
wem würden bei einer solchen Rechnung
Täler und Schluchten nicht noch zu flach scheinen,
wenn
man
nicht zugleich auch darauf rechnen müßte, daß dabei die Berge auch immer von ihrer Höhe abnahmen."
Praktische Gebirgskunde, W e i m a r 1797, S. 32.
ü
R a t z e l , Die Erde u. d. Leben I, S. 617.
4
v o n H o f f , Magazin f. d. ges. Mineralogie.
Leipzig 1801, S. 370.
um die dynamische Geologie und physikalische Geographie
71
gemacht wissen, und wenn dieses möglich ist, so kann man ihnen leicht zugeben, daß die Sündflut in vierzig Tagen alles übrige getan hat, um die Erdoberfläche so wie sie noch bis auf den heutigen Tag dasteht, herzustellen." 1 Im ersten Band seiner Geschichte der natürlichen Veränderungen gibt uns v o n Hoff eine musterhafte Beschreibung der erodierenden Tätigkeit des fließenden Wassers und seiner talbildenden Ansichten: „Jedes rinnende Wasser gräbt sich seine Rinne selbst durch langsameres oder schnelleres Wegschwemmen von Teilen des Bodens, auf dem es läuft; es vertieft und erweitert auch wohl nach Befinden diese Rinne. So wird selbst Felsengrund allmählich vom rinnenden Wasser eingeschnitten. Die abgeschwemmten Teile werden allmählich fortgeschoben, was natürlicherweise langsam erfolgt bei größeren und schwereren Teilen, schneller bei feinen, die sich wenigstens mechanisch mit dem Wasser mengen, es trüben und sehr weit von ihm fortgeführt werden, so weit, bis das Wasser zum Langsamfließen oder Stillestehen kommt, wo denn auch diese als Bodensatz niederfallen. So haben sich allmählich alle Flußbetten gebildet, und unstreitig ein großer Teil der Täler selbst, von denen nur die allerfrühesten Anfänge in der ursprünglichen Struktur der Gebirge oder in gewaltsamen Spaltungen ihren Grund gehabt haben mögen, wodurch den Stromrinnen zuerst ihre Wege gezeigt worden sind. Die äußeren Formen und Umrisse, welche uns heutzutage Gebirge und Täler zeigen — wenige ausgenommen, wo Vulkane, Erdbeben, Bergstürze und dergleichen gewirkt haben — sind das Werk des strömenden Wassers." 2 Diese Auffassung vom Ursprung der Täler stand im Gegensatz zur herrschenden heroischen Zeitrichtung, welche die tagtäglich vor unseren Augen sich abspielenden Vorgänge als Ursache für die Talbildung verneinte und nur außerordentlich gesteigerte Kräfte zu Hilfe nahm „weil man zuviel Zeit nötig glaubte, um sie durch dieses einfache Mittel zustande zu bringen." 3 Wie ernst es v o n Hoff war, seiner auf Naturbeobachtung gegründeten Auffassung Gewicht zu verleihen, zeigt die Zurechtweisung H u m b o l d t s , welcher die Flüsse für unfähig hielt, Täler in kristallinischem Gestein 1 2 3
v o n H o f f , Magazin f. d. ges. Mineralogie, S. 369f. v o n H o f f , Geschichte I, S. 214f. Ebenda, S. 215.
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von Hoffs wissenschaftliche Verdienste
auszuhöhlen. Alle großen Talbildungen und Zerreißungen der Gebirgsketten glaubte der Kostnograph größeren Erdrevolutionen zuschreiben zu müssen. Ihm, dem Weitgereisten, der viel gesehen, was andere nicht gesehen haben, mußte der im engen Kreis tätige Forscher den trivialen Vers des römischen Dichters: gutta cavat lapidem non vi sed saepe cadendo, wieder ins Gedächtnis zurückrufen. 1 Für die ganz im Banne der Katastrophentheorie stehende Zeit, welche durch die sorglose Oberflächlichkeit der Forschung die einfachsten Tatsachen übersah, mußte der scharf beobachtende v o n Hoff die Ausgleichung des Gefälles bei der.Talbildung auch wieder entdecken. 2 Im Gegensatz zu der irrigen Annahme, daß die oberen Gebirge durch das Abfließen der Gewässer immer steiler würden, zeigt er, daß das Gegenteil stattfindet durch den starken Fall, das heftige Einschneiden der Gebirgsgewässer und die Anhäufung des Gerölles; „dadurch werden solche einspringenden Winkel der Bodenflächen allmählich abgestumpft, der Lauf der Flüsse wird in seinen Neigungswinkeln nach und nach ausgeglichen, und zwar so, daß die steileren Abhänge allmählich sanfter, d. i. weniger geneigt werden, und die Wirkung des Einschneidens gleichförmiger erfolgt." 3 Seine Talbildungsansichten krönte der Forscher durch ein klassisches Beispiel in der Beschreibung des Nadelöhrs, einer prächtigen Erosionserscheinung des oberen Werratales. 4 Bei dem Dorfe H e n f s t ä t t in der Nähe von Themar sah er, wie ein altes, noch deutlich sichtbares und mit Gerollen belegtes Flußbett sich in großer Schlangenlinie um den sogenannten „Burgwall", einen von der linken Talwand auslaufenden „Sporn" oder „Felsendamm" herumwindet, während das neue Flußbett ohne Krümmung direkt auf den Felsendamm gerichtet ist und ihn in der Mitte durchschneidet. Die Werra fließt hier ungefähr 80 bis 100 Schritte weit zwischen seinen senkrechten Felswänden und erreicht so auf dem kürzesten Wege das jenseitige alte Flußbett wieder. 5 Diesen Werradurchbruch führte v o n Hoff auf tektonische und errosive 1
v o n H o f f , Geschichte I, S. 216. R a t z e l , Die Erde u. d. Leben I, S. 617. - v o n H o f f , Geschichte I, Seite 218. 3 v o n H o f f , Geschichte I, S. 218. 4 v o n H o f f , Das Nadelöhr im Tale der Werra und einiges über Talbildung. Jahrb. f. Min. 1830, S. 421 - 4 4 2 . 5 Ebenda, S. 423. 2
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Wirkungen zurück. Nachdem er mit dieser Erscheinung auch die übrigen Täler seiner Heimat vergleicht, kommt er zu einem hochwichtigen Resultat: „Wenn man alle hier angeführten Verhältnisse Thüringens und des Werratals betrachtet, denen noch eine Menge von Beispielen ähnlicher Verhältnisse an Nebentälern beigefügt werden könnte, so wird man die Wirkungen der Erosion auf das Tal der Werra und auf die Quertäler Thüringens nicht verkennen. Man wird sich durch den Augenschein überzeugen, daß die Erosion durch fließendes Wasser diese Täler nicht bloß ausgefeilt und abgeglättet, sondern vom oberen Rande bis in den Boden der Flüsse ganz hervorgebracht hat, und daß nur einige Längentäler, die man für älter annehmen kann als ihre Flüsse, wie auch einige Depressionen an den Flußquellen im höheren Gebirge, so wie an einzelnen zerstreuten Stellen des Flußlaufs, durch andere Kräfte entstanden sind, und daß diese nur mit dazu beigetragen haben, die Richtung des Flußlaufs an einzelnen Punkten zu bestimmen, nicht aber sein ganzes Tal zu bilden." 1 Das ist dasselbe Programm, nach dem man gegenwärtig die Talbildung zu erklären versucht. Der hervorragende Forscher zeigt auch in dieser Arbeit, wie weit seine Anschauungen denen seiner Zeit vorausgeeilt sind, viele Teile derselben lesen sich, als wären sie in der Gegenwart geschrieben. Unsere bisherige Darlegung beweist, daß v o n H o f f in der Geschichte der Entwicklung der Talbildungsansichten eine hervorragende Stellung einnimmt; die nur auf genaue Beobachtungen gegründeten Schlußfolgerungen, und die immer und immer wieder betonte Forderung großer Zeiträume für das Verständnis dieser Vorgänge stellt den Forscher weit über seine Zeitgenossen. Das großartige Phänomen der Vulkane und die mit ihm aus gemeinsamer Quelle entspringenden Vorgänge stehen mit der Bildungs- und Entwicklungsgeschichte unserer Erde in vielseitiger und inniger Beziehung. Man muß sich deshalb wundern, daß der erbitterte Kampf zwischen Neptunisten und Vulkanisten in den beiden ersten Dezennien des neunzehnten Jahrhunderts ihr Studium ganz in den Hintergrund drängen konnte. Mit dem Zusammenbruch des extremen Neptunismus übernahmen A l e x , v o n H u m b o l d t und L e o p . v o n B u c h in Deutschland die Füh1
v o n H o f f , Das Nadelöhr.
Jahrb. f. Min. 1830, S. 4 3 8 f .
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rung auf diesem Gebiete. Was die Heroen draußen in der Natur zu beobachten Gelegenheit hatten, das suchte v o n H o f f , dem es leider nicht vergönnt war „an Ort und Stelle zu prüfen", durch umfangreiche Literaturstudien zu gewinnen, die er in seiner „Geschichte der Vulkane und Erdbeben" niedergelegt hat. Theoretische Spekulationen über die Ursachen des Vulkanismus sucht er darin möglichst zu vermeiden, die tatsächlichen Erscheinungen aber werden um so eingehender behandelt, sie sind „eine meisterhafte Zusammenstellung aller bis dahin bekannten tätigen Vulkane, sowie eine Aufzählung der durch Vulkane und Erdbeben in historischer Zeit hervorgebrachten Veränderungen an der Erdoberfläche." 1 Mit einer bewundernswerten Gelehrsamkeit führt uns v o n Hoff über die ganze bekannte Erde und zeigt in ausführlicher Weise, welche Gebiete den Erdbeben vorzüglich unterworfen sind und welche Züge die erloschenen und die noch tätigen Vulkane bilden. Durch die Sammlung der zahlreichen Belege für die Annahme eines engeren Zusammenhanges der Vulkane und der wechselseitigen Beeinflussung der Eruptionen gelangte der Forscher zu einer allgemeinen tellurischen Auffassung des vulkanischen Phänomens. 2 Die innere Unruhe der Erde, die nach A l e x a n d e r v o n H u m b o l d t als eine konstante bezeichnet werden muß und an dem oder anderen Orte ununterbrochen sich geltend macht, 3 hat in historischer Zeit stets die Geister beschäftigt. Bereits aus dem Altertum und dem Mittelalter besitzen wir Erdbebenberichte; diese Schilderungen aber entbehren des wissenschaftlichen Wertes. Ein eigentliches Studium der Erdbeben beginnt erst im 18. Jahrhundert. Seit v o n H u m b o l d t s Schilderung des Erdbebens von Cumana häufte sich das Beobachtungsmaterial so, daß v o n Hoff im zweiten Bande seiner Geschichte bereits zu einer monographischen Bearbeitung der Erderschütterungen schreiten konnte. 1 Bei der ausführlichen Darstellung der einzelnen Schüttergebiete, besonders des mittelmeerischen, versuchte er einen inneren Zusammenhang der Erdbeben darzulegen. Nur durch Sammlung von Tatsachen und kritisch-historische Prüfung war es am Anfang des 19. Jahrhunderts möglich, über 1 2 3 4
Z i t t e l , Geschichte d. Geologie 1899, S. 385. S t u d e r , Lehrbuch d. physikal. Geographie, II. Bd., 1847, S. 93. Kosmos I, S. 218. Z i t t e l , Geschichte d. Geologie, S. 418.
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das Phänomen der Erdbeben und Vulkane generelle Gesichtspunkte zu erhalten. Somit wurde die Katalogisierung dieser Erscheinungen ein wichtiges Hilfsmittel der seismologischen Forschung, v o n H o f f s unermüdliche und sehr gründliche Arbeiten, die er in der „Chronik der Erdbeben und Vulkanausbrüche" ergänzte, genießen noch heute besonderes Vertrauen und werden deshalb von Spezialforschern mit Vorliebe zu Rate gezogen, sie bilden „ein sehr wertvolles und fast unschätzbares Repertorium, welches zumal mit den nicht so sorgfältig gearbeiteten P e r r e y schen Verzeichnissen von Vorteil ist." 1 Aus dem Zweck der Geschichte der natürlichen Veränderungen geht hervor, daß v o n Hoff theoretische Erörterungen möglichst vermeidet und Erklärungen nur auf ein reiches Beobachtungsmaterial gegründet wissen will. Um aber sein Streben und Schaffen recht würdigen zu können, müssen wir auch seine Stellung zu den wichtigsten geologischen Theorien seiner Zeit in unsere Betrachtung ziehen. Mit der Hebungstheorie konnte er sich anfangs ganz und gar nicht befreunden. Das lag an der einseitigen Ausbildung, die sie durch E l i e d e B e a u m o n t erfahren hatte. In eingehendster Weise suchte dieser den Nachweis zu liefern, daß parallel streichende Gebirge gleichaltrig seien. Nach ihm fällt die Entstehung der Gebirge meist mit den Formationsgrenzen, also auch mit den von C u v i e r angenommenen Revolutionen in der Entwicklung der organischen Schöpfung zusammen, die verschiedenen Erhebungssysteme sollten sich katastrophenartig gefolgt sein. 2 Das widersprach ganz der Ansicht H o f f s von dem langsamen stetigen Schaffen der Natur. Ohne den Anteil der Vulkane am Aufbau der Erdoberfläche zu leugnen, i! mußte die Ansicht der extremen Vulkanisten, daß ganze Gebirgsketten durch das im Erdinnern wütende Zentralfeuer plötzlich emporgehoben worden sein sollten, seiner nüchternen Auffassungsweise ungeheuerlich erscheinen. Erst als gegenteilige Meinungen durchbrachen, die ein allmähliches Erheben des Landes annahmen, neigte auch er der Hebungstheorie zu: „Diese Ansicht erhält bei den neueren Erweiterungen, welche die 1 2
H ö r n e s , Erdbebenkunde.
Leipzig 1893, S. 29.
P o g g e n d o r f f , Annalen, Bd. 18, 1829, S. 19 Brief an A l e x a n d e r v o n Humboldt. 3 v o n H o f f , Geschichte II, S. 552.
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Erhebungstheorie bekommen hat, immer mehr Wahrscheinlichkeit und Bestätigung, insbesondere, wenn man nicht mehr — wie in den ersten Zeiten, da diese Theorie aufgestellt wurde — bloß plötzliche, mit Erdbeben oder vulkanischen Ausbrüchen verbundene Erhebungen annimmt, sondern zugibt, daß solche Erhebungen teils absatzweise durch in geringem Qrade fast unmerklich erfolgende Stöße, teils in immerwährendem, ohne Bewegungen erfolgenden Aufsteigen stattfinden können." 1 Mit Recht vermißte der Forscher an der Erhebungstheorie die so notwendige Begründung, zu der nur zahlreiche Beobachtungen führen können. Er, der immer und immer wieder die Wahrnehmung und die Sammlung von Tatsachen in den Vordergrund stellte, mußte eine unbegründete Hypothese verwerfen. Dadurch, daß er an dem Dogma der vulkanistischen Theorie rüttelte, erwarb er sich indirekte Verdienste. Aus v o n H o f f s Naturauffassung erklärt sich auch, daß er der Lehre von den säkularen Hebungen und Senkungen erst nach genügender Begründung zuneigte. So betrachtet er die B u c h sehe Erklärung, „daß ganz Schweden sich langsam in die Höhe erhebe", für „ein desparates Mittel", weil „die Tatsache, welche erklärt werden soll, nicht über alle Zweifel erhaben und konstatiert ist."2 Die Erklärung der Küstenschwankungen auf natürliche Ursachen unter Ausschluß der Erdrevolutionen zu begründen, machte v o n Hoff überhaupt viel zu schaffen. So schreibt er mit Beziehung auf den Serapistempel an G o e t h e : „Das Phänomen der benagten Tempeltrümmer hat mich immer zur Verzweiflung gebracht. Zur Erklärung eines an sich so kleinen Phänomens große, ans Unbegreifliche grenzende und durch sonst nichts nachgewiesene Naturerscheinungen zu Hilfe nehmen, schien mir immer zum mindesten verwegen; und kleine lokale Phänomen, die es auf eine erträgliche Weise erklären, konnte ich — das muß ich bekennen — nicht finden." 3 In der Widerlegung der C e l s i u s s c h e n Senkungstheorie bespricht v o n Hoff auch dies interessante Phänomen 4 und stellt mit gewohnter Akribie die ihm zugänglichen Tatsachen zusammen, lehnt aber die unbegründeten Vermutungen, mit denen 1 2 3 4
von von von von
Hoff, Hoff, Hoff, Hoff,
Geschichte, III, S. 318. Geschichte I, S. 447. Brief an G o e t h e v. 4. März 1823. Geschichte I, S. 455.
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man die merkwürdige Erscheinung als eine Folge des sinkenden Meeresspiegels erklären wollte, ab. In der Verneinung einer eigenen Erklärung bekennt er freimütig sein „Ignoramus". 1 G o e t h e hatte, durch die Geschichte der Veränderungen veranlaßt, 2 seine Beobachtungen über den Serapistempel in dem Aufsatze „Architektonisch-naturhistorisches Problem" niedergelegt, v o n Hoff war nicht nur über die Widmung der Schrift hoch erfreut, sondern auch, weil sie, aus direkten Beobachtungen geschlossen, für ihn ein Lichtstrahl in der Erklärung der rätselhaften Veränderung war. Deshalb antwortet er im Dankschreiben: „Sie geben mir die Aussicht zur möglichen Heilung einer sehr wunden Stelle in meiner Arbeit." 3 G o e t h e s Ansicht, daß sich hier ein Salz- oder Brackwassertümpel, umgeben von Schutt und vulkanischer Asche gebildet, in welchem die Bohrmuscheln gelebt haben, erscheint im zweiten Band der Geschichte der natürlichen Veränderungen als eine naturgemäße Erklärung des Phänomens. Heute gilt der Serapistempel als ein Beweis für abwechselnde Hebungen und Senkungen. Im dritten Bande seiner Geschichte ist v o n Hoff zu dieser Ansicht geneigt durch die vielen an Ort und Stelle gemachten Beobachtungen, und weil „alle diese Ansichten zu Erklärung der Erscheinungen in der Gegend von Pozzuoli sehr viel für sich haben, und vorerst alle Träumereien über ein absolutes Steigen und Fallen des Meeres selbst beseitigen." 4 Der Forscher befand sich hier in demselben Verhältnis wie zur Erhebungstheorie, die Wandlung seiner Ansichten verdient sogar Anerkennung, weil sie durch die Zeitverhältnisse gerechtfertigt erscheint. Abgesehen von der schwedischen Küste, waren damals genaue und längere Zeit hindurch fortgesetzte Niveaumessungen wenig vorhanden, auf Grund deren positive oder negative Küstenschwankungen mit Sicherheit hätten festgestellt werden können. Die extreme Ausbildung des Vulkanismus erklärt auch, daß v o n Hoff zuerst einer neptunischen Erklärung der Entstehung des Basaltes zugeneigt war. In einer Abhandlung über den Basaltstreit, der die Gemüter seinerzeit heftig erregte, schreibt er selbst: „Wir haben zu der Zeit, als wir den Stand dieses 1 2 3 4
v o n H o f f , Geschichte I, S. 458. G o e t h e , Brief an v o n H o f f v. 9. Febr. 1823. v o n H o f f , Brief an G o e t h e v. 4. März 1823. v o n H o f f , Geschichte III, S. 334.
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Streites nur aus den Schriften der Parteien kannten, das Übergewicht der Neptunisten in der Darstellung lebhaft empfunden und uns damals für dasselbe ausgesprochen." 1 Es wäre aber verfehlt, v o n Hoff schlechtweg als einen Neptunisten zu bezeichnen, schon deshalb, weil ihm das entscheidende Moment, die eigene Beobachtung fehlte, auf welche er immer so großes Gewicht legte. Dafür bürgt auch ein Schreiben, das er 1808 an G o e t h e richtete: „Noch nie habe ich Gelegenheit gehabt, einen von den Bergen zu sehen, welche Kennzeichen ehemaliger Vulkanität an sich tragen — den Basaltberg Dolmar bei Meiningen allein ausgenommen. Ich bin daher ein sehr wenig oder gar nicht kompetenter Urteiler über Gegenstände dieser Art." 2 Die Fortsetzung des Briefes, ein Dankschreiben für den dedizierten „Kammerberg" bei Eger, den G o e t h e für vulkanisch erklärte, läßt uns zugleich erkennen, daß v o n H o f f s neptunische Anschauungen in Umwandlung begriffen waren: „Doch scheint es allerdings nach mehreren neuen genauen Beobachtungen, zu welchen der wichtige Beitrag von Ew. Exzellenz auch gehört, daß es der ausgelöschten Vulkane genug hie und da gibt, und daß die Neptunisten ihr Feld wenigstens zum Teil den Gegnern werden räumen müssen, da sogar ihre festeste Stellung — die auf den Basaltbergen — durch H u m b o l d t s Angriff von der Seite des Mexikanischen Jorullo mit seinen 2000— 2060 Feuerschlünden von Basalt, nicht wenig erschüttert worden ist." 3 „Durch eigene Wahrnehmungen in der Natur" sah sich v o n Hoff 1810 gezwungen, seine früher gefaßte und „nur durch die speziösen Gründe der W e r n e r s e h e n wässerigen Schule befestigte Meinung gänzlich zu ändern". 4 Der Besuch der hessischen Basaltberge, besonders die gründlichen Studien an der „Blauen Kuppe" bei Eschwege führten zur gegenteiligen Ansicht; „hier fand er auf einmal Licht und Aufschluß über die Bildung des Basaltes und die W e r n ersehe Wassertheorie war nun für immer verworfen". 5 Im Magazin der Gesellschaft naturforschender Freunde 1
v o n H o f f , Geschichte II, S. 63 u. V o i g t , Magazin f. d. neuesten Zustand d. Naturkunde, Bd. XI, S. 3 u. 369. 2 v o n H o f f , Brief an G o e t h e v. 27. N o v . 1808. 3 Ebenda. 4 v o n H o f f , Geschichte II, S. 66. 5 Annalen 1810.
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zu Berlin legte er seine Ansichten nieder und bewies in dem Aufsatze „Beobachtungen über die Verhältnisse des Basaltes an einigen Bergen von Hessen und Thüringen" 1 dessen Vulkanität. Der Forscher zeigt darin, daß der Basalt den Buntsandstein gangartig durchsetzt und dabei das Nebengestein kontakt-metamorphisch verändert. Die Form des Ganges, der sich nach unten keilförmig zuspitzt, und die von ihm ausgehenden Haken, Apophysen, beweisen die Unmöglichkeit einer Ausfüllung von oben.v o n H o f f s Beobachtungen waren so treffend und seine Beweisgründe so scharfsinnig, daß im Basaltstreit seine Arbeit über die „Blaue Kuppe bei Eschwege berühmt wurde". 3 Dieser Erfolg ist zugleich ein gewichtiges Zeugnis für die geistige Unbefangenheit und den scharfen Blick, mit dem der Gothaer Gelehrte die Gegenstände seiner Forschung prüfte und erkannte. Das erstemal, daß er in dieser brennenden Frage in seinem räumlich beschränkten Forschungsgebiete eigene Beobachtungen anstellen konnte. Für jeden, der für Naturanschauungen gesunde Augen mitbringt und die Dinge sieht, wie sie sind, mußten Steinbruchsaufschlüsse den unzweideutigsten Beweis für die vulkanische Natur des Basaltes liefern, v o n H o f f s Folgerung hat ihre Wirkung nicht verfehlt, „sie regte den Basaltstreit von neuem auf und half den Vulkanisten den Sieg über die Neptunisten erringen". 4 Mit der Erkenntnis der Natur des Basaltes hatte sich v o n H o f f entgültig von der W e r n e r s e h e n Schule losgesagt, deren Einseitigkeit und Unzulänglichkeit er schon früher während seiner geologischen Einzelstudien bemerkt hatte. Nun wurde er aber keineswegs ein extremer Vulkanist, sondern ging seinen eigenen Weg, unbeirrt durch Lehrmeinungen, von wem sie auch ausgehen mochten. Seine Belehrung entnahm er, soviel als möglich, der Natur selbst. Das zeigt sich besonders bei seinen Studien über die heißen Quellen. Seit dem Jahre 1803 hatte er viermal Karlsbad aus Gesundheitsrücksichten besucht und „keine der im Karlsbade verlebten Kurzeiten ganz vorübergehen lassen, ohne etwas von den Eigentümlichkeiten dieses Bodens aus eigener 1
Magazin d. naturforsch. Freunde.
2
Ebenda, S. 3 5 0 ff.
3
K e f e r s t e i n , Beiträge zur Geschichte u. Kenntnis des Basaltes. Halle 1819,
Seite 214. 4
Annalen
1811.
Berlin 1811, V. Jg., S. 3 4 7 - 3 6 2 .
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Ansicht kennen zu lernen." 1 Als Ergänzung zu seinen Äußerungen über warme Quellen im zweiten Band der Geschichte ließ er 1825 die „Geognostischen Bemerkungen über Karlsbad" erscheinen. In Kürze gibt ein Brief an L e o n h a r d das Resultat der Untersuchungen wieder. Darüber schreibt v o n H o f f : „Was Karlsbad und seine warmen Quellen betrifft, so befestigt sich bei mir die Überzeugung immer mehr, daß diese Quellen durch den großen und allgemeinen vulkanischen Prozeß im Innern der Erde erhitzt, und mit mineralischen Bestandteilen und Gasarten geschwängert werden. Ferner, daß der Bezirk, in dem sie entspringen, eine sehr tiefe vulkanische Spalte in der Masse des Granites ist, in welcher Bruchstücke dieser Gebirgsart von aller Größe — sowohl von der Größe einer Nuß, als der eines Hauses oder gar eines Hügels — die da übereinander gestürzt sind, den alten vulkanischen Schlund geschlossen haben. Ferner, daß die zum Teil vielleicht beträchtlich großen Höhlungen, die zwischen den großen und größten Blöcken geblieben sind, die Reservoirs für die Quellwasser bilden, die darin von dem innern vulkanischen Prozesse ihre merkwürdigen Eigenschaften erhalten; daß diese Reservoirs durch die große Masse von Sinter, welche sich in ihnen absetzt, allmählich verengt und kleiner werden, und daß daher das Wasser unter dem Drucke seiner eigenen Dämpfe sich von Zeit zu Zeit neue Ausbrüche bahnen muß; wie sich denn in dem letzten Jahrhunderte nach und nach mehrere heiße Quellen dort Auswege gebahnt haben, die auch noch immer fort fließen. Dieses kann noch lange so fortdauern. Aber es kann auch eine Zeit kommen, in der, durch die zunehmende Anhäufung des Sinters, die Höhlen endlich so enge und so verstopft werden, daß vielleicht einst noch größere Explosionen im Karlsbade erfolgen, als die gewesen ist, welche im Jahre 1809 einer neuen Quelle den Ausweg bahnte. Die seit Jahrhunderten bestehende, und sich nicht vermindernde Temperatur dieser merkwürdigen Quellen macht es mir auch schwer, der von B e r z e l i u s aufgestellten Meinung beizutreten, daß bloß die von einem längst erloschenen Vulkan übrig gebliebene und nur sehr langsam abnehmende Wärme im stände sei, das Phänomen dieser Quellen Jahrhunderte lang un1 v o n H o f f , Geognostische Bemerkungen über Karlsbad. Seite III.
Gotha 1825,
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geschwächt hervorzubringen; und ich kann nicht anders glauben, als daß nur ein im Innern fortdauernder vulkanischer Prozeß dies zu bewirken fähig ist." 1 v o n H o f f hat die Karlsbader Verwerfungsspalte zuerst richtig beobachtet. Sie entspricht einer sehr tief reichenden Querklüftung gegen den Oebirgsbruchrand und ist eine tektonische Begleiterscheinung des Grabenbruches, ein fast senkrecht zur Verwerfung streichender Randriß des Karlsbader Gebirges. Die Richtung der Thermalzone folgt dem „herzynischen Streichen" und wurde seit dem Jahre 1825 als „ H o f f s c h e Quellenlinie" bezeichnet. 2 Die Erklärung des Sprudels stimmt mit der heute geltenden Ansicht vollkommen überein, welche die heißen Quellen auf vulkanischen Ursprung und die Temperatur der Thermen auf die große Tiefe, aus der sie aufsteigen, zurückführt. Ohne Erfolg hat man versucht, diese Ansichten durch ändere zu ersetzen, und erst in neuester Zeit wurde vom Ingenieur K n e t t , dem Karlsbader Stadtgeologen, ein Profil durch das Tepltal beim Sprudel entworfen, das sich wieder der Höfischen Auffassung der Talbildung nähert. 3 Erkannte der Gothaer Gelehrte in seiner Geschichte der natürlichen Veränderungen die große Bedeutung der atmosphärischen Verhältnisse für die Umgestaltung der Erdoberfläche an, so war er auch mit größtem Eifer für ihre Erforschung tätig. Den Launen der Witterung nachzuspüren, das Gesetzliche darin aufzusuchen, war für ihn ebenso sehr eine häusliche Angelegenheit als eine Sache des Verstandes. In der richtigen Erkenntnis, daß in den Schwankungen des Barometers eine der wichtigsten Manifestationen der Zustandsänderungen der Atmosphäre liege und diese sich darin am treuesten abspiegeln, wich jenes Instrument kaum von seiner Seite. Er sagt selbst darüber: „Die freie Lage eines Gartenhauses, 4 das ich seit einer Reihe von Jahren im Sommer bewohne, hat mich veranlaßt, regelmäßig Barometer und Thermometer zu beobachten, und diese Beobachtungen, so wie alles, was mir sonst in dem Zustande der Atmosphäre Merkwürdiges auffällt, aufzuBrief an L e o n h a r d v. 5. Sept. 1824, Jahrb. Bd. I, S. 68f. A u g u s t R o s i w a l , Franzensbad, Marienbad, Karlsbad. Geologische Exkursionen gelegentlich des Internationalen Geologenkongresses in Wien 1903, S. 57 u. 55. 3 Ebenda, S. 61. 4 An der Landstraße nach Erfurt, »Hoffburg" genannt. 1
2
R e i c h , V. Hoff.
6
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zeichnen." 1 v o n H o f f s nüchterner Forschungsweise widersprach es, von dem Phänomen unmittelbar zur Erklärung zu schreiten, ein allgemeiner Fehler, der noch heute begangen wird. Ihm lag weit mehr daran, in dem Wirrsal der widersprechendsten Erscheinungen einen festen Ausgangspunkt zu gewinnen: „Indessen eile man nicht zu sehr mit Erklärungen; man beobachte vielmehr noch recht sorgfältig alle der Begebenheit vorhergegangenen Erscheinungen, alle Umstände, die sie begleitet haben und ihre Folgen!" 2 Offenbar gibt es kein besseres Mittel, der Natur auch in dem Walten des Elementes, auf dessen Grunde wir leben, ihre Gesetze abzulauschen, als die Vermehrung der Beobachtungsörter und damit der Beobachtungen selbst. Mit großem Eifer warb er in seinem Bekanntenkreise neue Anhänger, um ein ausgedehnteres Material zu gewinnen und veranlaßte F r i e d r i c h K r i e s , v o n L i n d e n a u und Andere zu vergleichenden Arbeiten. Allen Erscheinungen wurde die größte Aufmerksamkeit zugewendet, mit oft günstigem Erfolge. In einem ganz besonderen Fall schreibt v o n H o f f darüber an F r i e d r i c h G a u ß in Göttingen: „Ich darf den glücklichen Zufall nicht unbenutzt lassen, der mir in einem Zeitraum von sieben Jahren die Erscheinung von Halos und sogenannten Nebensonnen viermal auf eine sehr ausgezeichnete und vollständige Weise vor die Augen geführt hat, und zwar auf eine Weise, welche gestattete, eine auffallende Übereinstimmung unter den jedesmaligen Umständen und Maßverhältnissen wahrzunehmen. Vielmehr halte ich für Pflicht, von meinen Wahrnehmungen — ungeachtet ihrer Mängel — so genaue Rechenschaft abzulegen, als ich nach den mir zu Gebot stehenden Kräften und Hilfsmitteln vermag." 3 Trotz vielseitiger Beschäftigung kam der Gothaer Forscher einer von Edinburg ausgegangenen Anregung nach zu stündlichen meteorologischen Beobachtungen 24 Stunden lang an zwei Tagen des Jahres im Januar und Juni. 4 Sie hatten den Zweck, genauere mittlere Werte aufzustellen. W i e unermüdlich v o n H o f f tätig war, beweisen vier starke Bände seiner atmosphärischen Studien aus den Jahren 1 8 0 7 - 1 8 3 6 , welche heute noch das Gothaer Gymnasium in Handschrift bewahrt. Wert1 2 3 4
K a s t n e r , Archiv f. d. Naturlehre, Bd. VIII, 1826, S. 352. v o n H o f f , Magazin der naturforsch. Freunde z. Berlin, 1. Jg., S. 233ff. v o n H o f f an G a u ß v. 21. Mai 1829. Annalen 1826.
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voll sind diese nur, wenn sie ununterbrochen ausgeführt sind. Dem Vielbeschäftigten war das nicht möglich, immerhin sind diese Arbeiten ein glänzendes Zeugnis seines maßloßen Fleißes. Im letzten Jahrzehnt seines Lebens gelang es ihm, seine Beobachtungen fünf Jahre lang ohne Unterbrechungen durchzuführen. Das war in gewissem Sinne ein Ereignis, weil früher für Gotha noch keine Reihe anhaltend und gleichförmig zu mehreren bestimmten Tagesstunden angestellter und auf gleiche Wärme des Quecksilbers zurückgebrachter Barometerbeobachtungen durch eine zusammenhängende Folge von mehreren Jahren vorhanden war. Sie gaben somit zum erstenmal ein übersichtliches Bild vom Gang der Witterung zu Gotha, worüber v o n H o f f in K a s t n e r s Archiv berichtete. 1 In dieser Weise wirkte er in dem freilich geographisch eng begrenzten Ländchen fördernd und anspornend für die junge Wissenschaft der Meteorologie. Seine Aufmerksamkeit wandte unser Forscher auch kosmischen Erscheinungen zu, angeregt durch C h l a d n i , welcher 1824 Vorträge in Gotha hielt. 2 Mit F r i e d r i c h K r i e s beschrieb er einen selbst beobachteten Meteor, 3 setzte C h l a d n i s Meteoritenverzeichnisse fort, verteidigte dessen Priorität gegen B e r z e l i u s 4 und versuchte den weiteren Ausbau der Hypothese vom kosmischen Ursprung der Meteoriten. Seine Ansichten faßte v o n H o f f zusammen in folgendem Satze: „Ich halte nach den bis jetzt vorliegenden Wahrnehmungen nur die Hypothese für einigermaßen genügend die meisten dieser Erscheinungen gut oder ziemlich gut zu erklären, nach welcher die Meteormassen nicht ursprünglich feste und nur von ihrer Lagerstätte losgerissene und weggeschleuderte Bruchstücke sind, sondern Körper, die in dem Augenblicke der meteorischen Erscheinungen, des Lichtes und der Explosion durch einen großen physisch-chemischen Prozeß aus lockeren, vielleicht gasförmigen Stoffen neu gebildet und fest werden, und, wenn dieser für unsere Kenntnis allerdings noch rätselhafte Prozeß in dem Bereiche der Anziehung der Erde erfolgt, auf dieselbe herab-
1 K a s t n e r , Archiv f. d. Naturlehre 1828, S. 4 0 1 - 4 2 8 ; 1830, S. 129—175; 3 2 1 - 3 6 6 ; 1832, S. 1 - 2 4 . 2 Annalen 1824. 3 K a s t n e r , Archiv f. d. Naturlehre 1824, S. 209—218. 4 Poggendorff, Annalen d. Physik, Bd. 33, S. 1 u. 113.
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fallen." 1 Diese hier geäußerte Anschauung wird neuerdings von N. L o c k y e r vertreten. 2 Daß sich der Gothaer Forscher besonders während seiner letzten Lebensjahre dem Meteoritenstudium zuwendete, beweist die Vielseitigkeit dieses unermüdlich tätigen Gelehrten, der selbst Fundamentalfragen des Weltalls in den Kreis seiner Betrachtungen zieht, sich aber, seinem Forschungsprinzipe entsprechend, von unbegründeteten Spekulationen fernhält. Mit einer Bescheidenheit, die stets die Begleiterin großer Verdienste ist, nennt v o n Hoff sein Lebenswerk, die Geschichte der natürlichen Veränderungen der Erdoberfläche, einen Versuch. Sie ist aber in Wirklichkeit viel mehr! Indem er den Satz des römischen Dichters „gutta cavat lapidem non vi sed saepe cadendo" zum Leitmotiv seiner geologischen Betrachtungsweise erhob und die Kräfte prüfte, welche in historischer Zeit an der Oberflächengestaltung unseres Planeten tätig gewesen sind und auch jetzt immer noch fortwirken, gelangte er zum Begriff der dynamischen Geologie, welche sich insbesondere mit dem Studium der Erdoberflächenveränderungen beschäftigt. Zwar finden sich schon im Altertum und auch später Versuche einer Darstellung derselben, aber ohne greifbaren wissenschaftlichen Erfolg. 3 Erst v o n Hoff gebührt das Verdienst, die dynamische Geologie, heute ein Hauptzweig der geologischen Wissenschaft und die Grundlage ihrer methodischen Forschung, begründet zu haben. Seine Geschichte der durch Überlieferung nachgewiesenen natürlichen Veränderungen der Erdoberfläche ist das erste Werk, welches mit minutiöser Genauigkeit die Erdoberflächenveränderungen in ihrer Gesamtheit umfaßt. Mit dem Erscheinen desselben beginnt ein konsequentes und systematisches Studium der alltäglichen Vorgänge an der Erdoberfläche, eine Hauptaufgabe des Geologen als auch des Geographen. Es ist das Gebiet, das beiden gemeinsam ist und wo sie sich am innigsten berühren. In mehrfacher Beziehung aber überwiegt bei v o n Hoff das geographische Element, das lag sowohl in der Anlage seines Werkes als auch in seiner wissenschaftlichen Entwicklung. In der ersten Hälfte seiner Lebensarbeit ist er vor1
P o g g e n d o r f f , Annalen, Bd. 36, 1835, S. 183f. L o c k y e r , Norm., The Meteoritic Hypothesis, London 1890. 8 Eine zusammenfassende Darstellung der Erdoberflächenveränderungen versuchte der belgische Mathematiker S i m o n S t e v i n (1548-1620). - Z i t t e l , Geschichte der Geologie, S. 284. 2
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wiegend Geolog, der mit weitschauendem Blick aber auch die Geographie in den Kreis seiner Betrachtungen zieht. Wir erinnern nur an seine meteorologischen und barometrischen Beobachtungen, seine kartographischen und geographischen Arbeiten über den Thüringer Wald. Die historisch-kritischen Untersuchungen und die Höhenmessungen ließen ihn in der zweiten Hälfte seines wissenschaftlichen Strebens mehr der Geographie zuneigen. Hier ist er wie A l e x a n d e r v o n H u m b o l d t und L e o p o l d v o n B u c h bereits ein Vertreter derjenigen Richtung der physikalischen Geographie, die durch F e r d i n a n d v o n R i c h t h o f e n und seine Schule ein ganz besonderer Wissenszweig zu werden beginnt, der G e o morphologie. Die Betonung des geographischen Elementes tritt bei v o n Hoff ganz besonders hervor in den musterhaften Beschreibungen der aufbauenden und zerstörenden Wirkungen des Wassers, der Küstenveränderungen, der Alluvionen und ähnlicher Vorgänge. Ebenso in den kritischen Berichten über die Veränderungen der Vulkane und Erdbeben und ihrer geographischen Verbreitung. Durch ihre umfassende Gründlichkeit ist die Geschichte der natürlichen Veränderungen eines der wichtigsten Quellenwerke der Geologie und Geographie, es wird von „keinem ungefragt bleiben, der sich die Aufgabe vorlegt, zu ermitteln, welche Physiognomie irgend ein Landstrich vor so und so langer Zeit gehabt hat." 1 Sie ist nie wieder in dieser Ausdehnung auch nur versucht worden, so daß das Werk trotz seines Alters bis heute noch nichts an seinem universellen Werte verloren hat. Zuerst eine Materialsammlung ist v o n H o f f s „kritische, von einem tiefen Verständnis der Erderscheinungen getragene, gedankenreiche Arbeit" 2 zu einem Meisterwerk geworden durch die erfolgreiche Durchführung der Ansicht, daß die geologischen Erscheinungen der Vergangenheit ohne Annahme großer Erdrevolutionen aus den heute um uns sich abspielenden Vorgängen sich unter Annahme großer Zeiträume erklären lassen. Dadurch erwarb er sich den Ruhm eines Bahnbrechers der modernen Geologie. Die Würdigung dieser Verdienste soll im nächsten Abschnitte in eingehender Darstellung versucht werden. 1
G ü n t h e r , Geschichte d. anorgan. Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert. Berlin 1901, S. 311. 2 R a t z e l , Allg. Deutsche Biographie, Bd. XII, S. 564.
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von
Hoffs wissenschaftliche
Verdienste
4. Um die Begründung der modernen Geologie. Motto:
„Nie war Natur und ihr lebendges Fließen Auf T a g und Nacht und Stunden hingewiesen; Sie bildet regelnd jegliche Gestalt, Und selbst im Grössen ist es nicht G e w a l t . " Goethe
Zu allen Zeiten und bei allen Völkern — selbst bei kulturlich noch sehr tief stehenden — ist die Frage nach der Entstehung und Entwicklung der Erde diejenige, welche von allen naturwissenschaftlichen Problemen am frühesten auftaucht, weil sie sich dem Menschen im Zusammenhang mit der Frage nach der Entstehung des Weltalls überhaupt am unmittelbarsten aufdrängt. Auffallenderweise ist ihre Beantwortung zumeist eine durchaus unzureichende gewesen. Trotzdem daß, oder vielleicht gerade weil der Naturmensch — im Gegensatz zum Kulturmenschen der heutigen Zeit — mit den Vorgängen in der ihn umgebenden Natur auf das genaueste vertraut war, gelangte er doch nicht dazu, in ihnen die Erklärung zu suchen für die Fülle von Naturerscheinungen, die ihm zumeist überhaupt unerklärlich erschien und die dem Wirken einer überirdischen Kraft, einer Gottheit oder einem mächtigen Fabelwesen zuzuschreiben, er alsbald nur zu geneigt war. Zwar sieht er recht gut die Trübung der Bäche und Flüsse nach Regenwetter und weiß genau, daß fortgeschwemmte Erde die Ursache der Trübung ist; er weiß auch aus eigener Erfahrung sehr wohl, daß die Flüsse bei Hochwasser große Rollsteine mit sich führen und später bei Eintreten von Niedrigwasser wieder absetzen; er kennt die wandernden Kies- und Sandbänke, die ihm die Schiffahrt erschweren, er kennt auch die Arbeit der Brandungswellen und ihre Wirkungen aus eigener Anschauung, aber all diese Phänomene erscheinen ihm im Vergleich zu der Masse des Erdbodens verschwindend gering. Daß sich indessen selbst diese geringen Wirkungen zu einer g a n z g e w a l t i g e n Gesamtwirkung summieren können, die ihren kleinen Ursachen kaum mehr äquivalent erscheint, daran denkt er nicht und kann nicht daran denken, weil ihm, um die Kette dieses Gedankenganges zu schließen, noch ein wesentlicher Begriff fehlt, die u n e n d l i c h e L ä n g e d e r Z e i t r ä u m e , durch die hindurch diese kleinen, eben flüchtig geschilderten Wirkungen sich betätigt haben. Erst in der Jetztzeit hat
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sich diese Ansicht volle Geltung verschafft, ihr die Bahn gebrochen zu haben, ist v o n H o f f s unsterbliches Verdienst. Wie alle großen Gedanken in der Wissenschaft, ist indessen auch dieser weder plötzlich noch völlig unabhängig entstanden, vielmehr hat auch er seine Geschichte. Ein Rückblick auf dieselbe wird uns am besten zeigen, welche hervorragende Stellung der Gothaer Forscher in der Entwicklung der gegenwärtigen geologischen Anschauungen einzunehmen berechtigt ist. Um den geschichtlichen Werdegang zu verstehen, richten wir unseren Blick zunächst auf das Altertum. Die wissenschaftlichen Leistungen dieser Zeit sind für den Gegenstand unserer Betrachtung bescheiden genug. Klare und wissenschaftlich begründete Vorstellungen über die Entstehung und Entwicklung der Erde waren den alten Kulturvölkern ebenso fremd wie dem wilden Naturmenschen der Gegenwart. In ihren Weltanschauungen ist deshalb ein richtiges Verständnis für die lange Zeitdauer, die zur Umwandlung des „Weltstoffes" unbedingt erforderlich war, auch noch nicht klar zu erkennen. So lehrt die indische Schöpfungsgeschichte nur, daß die Welt in ewiger Abwechslung erschaffen und zerstört werde, was in den hochpoetischen U p a n i s h a d s folgendermaßen zum Ausdruck kommt: „Er, der eine Gott, ist in allen Wesen verborgen, der Erfüller des Alls, aller Wesen innere Seele; er schafft alles, weiß alles, entstanden durch sich selbst, in der Zeit zeitlos, alle Eigenschaften spendend allen Wesen, der Herr der Natur und jeder Einzelseele, der Urheber der Auflösung und des Bestehens der Welt". 1 Hier finden wir noch keine Andeutung einer bestimmten Anschauung von der Zeitdauer der Weltbildung, immerhin wird aber schon von einem ewigen, einzig-einen, geistigen höchsten Wesen gesprochen, das „in d e r Z e i t z e i t l o s " ist. Im Grunde dieselbe Lehre, sofern es sich um periodische Weltschöpfungen und Weltzerstörungen handelt, begegnet uns bei den C h a l d ä e r n . Nach B e r o s u s , der seinen Schriften die priesterlichen Aufzeichnungen im Tempel des Bei zugrunde legte, sollte 1
In dem sechsten A d h y ä y a - U p a n i s h a d in A. W e b e r s „ I n d i s c h e n Studien" I, S. 438, 439; in der A n u v a k a - U p a n i s h a d in A. W e b e r s „Indischen Studien" II, S. 98; in dem V r i h a d - U p a n i s h a d II, 5, lff.; in der Poleyschen Übersetzung S. 167ff. und in der B h a g a v a d g i t a VII, 6ff.; IX, 16ff. und X, 20 ff.
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W e l t v e r b r e n n u n g erfolgen, wenn die jetzt in verschiedenen Bahnen wandelnden Gestirne alle im Sternbilde des K r e b s e s bei S o m m e r a n f a n g zusammenträfen, eine W e l t ü b e r s c h w e m m u n g hingegen, wenn dies bei W i n t e r b e g i n n im Sternbilde des S t e i n b o c k e s der Fall wäre. 1 Danach haben die Chaldäer schon Weltperioden von einer b e s t i m m t e n Zeitdauer angenommen, und zwar von 7777 oder — nach einer anderen Nachricht — von 9077 Jahren. Diesen Weltperioden von bestimmter Zeitdauer werden wir von jetzt ab häufig begegnen; sie beherrschen auf Jahrtausende hin den Oedankenkreis der Kulturvölker, soweit dabei die Frage nach der Entstehung des Weltalls berührt wird. Nicht immer ist allerdings diese Periodizität so deutlich ausgesprochen; nach den religiösen Anschauungen der Perser soll nur die gesamte Welt in sechs Göttertagen oder 6000 Jahren erschaffen worden sein. 2 „Alle Zeit vollendet sich in zwölf Jahrtausenden, von denen sechs vom Beginne der Wesen bis zur Schöpfung der Erde, die sechs anderen während der Dauer der Erde verfliegen." Von einer Neuschöpfung ist dann fernerhin aber nichts gesagt. Im einzelnen ist ihrer Meinung nach zuerst der Himmel mit der Sonne in der Weltmitte, mit den Fixsternen, Planeten und Kometen „während des ersten Zeitraumes von 3000 Jahren oder drei Göttertagen" 3 entstanden, darauf in einer zweiten Periode von abermals „3000 Jahren oder drei Göttertagen" die Erde. Äußerlich der vorigen ziemlich ähnlich, ihrem inneren Gehalt nach aber bereits wesentlich höher stehend, stellt sich die Lehre der Ä g y p t e r dar, wonach die allmähliche Ausbildung der Welt in acht l a n g e n , aufeinander folgenden Perioden vor sich gegangen sein soll. — Infolge frühzeitig gemachter geologischer 1
„Berosus,
qui B e l u m
interpretatus est, ai't cursu ista siderum fieri, et
adeo quidem id affirmat, ut conflagrationi atque diluvio tempus assignet: arsura enim terrena contendit, quando omnia sidera, quae nunc diversos agunt cursus, in Cancrum convenerint, sic sub eodem posita vestigio, ut recta linea exire per orbes omnium possit; inundationem futuram cum eodem siderum turba in Capricornum convenerit.
Illic solstitium, hic bruma conficitur."*
" S e n e c a , Questiones Naturales III, 29. 2
T h e o p o m p o s Fr. 72 bei P l u t a r c h u s Mor., S. 370, B.
3
Kraft,
Die
Stuttgart 1848, S. 83.
Religionen
aller Völker
in
philosophischer
Darstellung.
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Beobachtungen über Schwemmlandbildung, die sich den Ägyptern bei den alljährlichen Überschwemmungen des Nils förmlich aufdrängten, finden wir bei ihnen schon eine leise Ahnung aufdämmern, daß die Bildung der Erde relativ größere Zeiträume erforderte, als man bisher anzunehmen pflegte. Es steht mit diesen Beobachtungen in vollem Einklang, wenn von ihnen für die Vollendung des Kreislaufs einer Seelenwanderung bis zu 3000 Jahre in Anspruch genommen werden. Auch die G r i e c h e n hatten bereits „geologische" Erscheinungen beobachtet. Deshalb sind ihnen lange Zeiträume ein durchaus vertrauter Begriff. Ganz allgemein findet sich bei den griechischen Philosophen die Anschauung von periodisch abwechselnden Weltbildungen und Weltzerstörungen wieder, die sogenannte Lehre von der aitox.ix.roLcrix.aic. So spricht H e r a k l e i t o s , der tiefsinnigste aller vorsokratischen Denker, von einem großen Weltjahre, das einträte, wenn die Gestirne wieder in die Stellung zurückkehren würden, die sie bei ihrer Entstehung zueinander eingenommen hätten, was nach einem Zeiträume von je 10800 oder — einer anderen Lesart zufolge — 18000 gewöhnlichen Sonnenjahren erfolge. 1 Spätere Berechnungen dieses „Weltjahres" führten zu anderen, zumeist erheblich voneinander abweichenden Zahlen. 2 So sollte seine Dauer nach A r i s t a r c h o s nur 2284 Jahre, nach A r e t e s aus Dyrrhachium 5552, nach einer anderen (von M. T. C i c e r o mitgeteilten und bei T a c i t u s erwähnten) Angabe 12954 Jahre betragen. Als weitere Zahlen seien, nur um die beträchtlichen Unterschiede zu zeigen, die sich bei dem Mangel einer exakten Grundlage notwendigerweise ergeben mußten, noch erwähnt M a k r o b i o s (15000), O r p h e u s (120000), K a s s a n d r o s aus Salamis (2600000) und schließlich N i k e t a s C h o n i a t a , der sogar 17503200 Sonnenjahre berechnete. Ein hervorragender Platz in unserer geschichtlichen Betrachtung gebührt dem griechischen Naturphilosophen A r i s t o t e l e s . Er betont immer und immer wieder den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen, der sich auf allen Gebieten, in himmlischen, irdischen und menschlichen Dingen deutlich erkennen lasse. 1 E r n s t v o n L a s a u l x , Die Geologie der Griechen und Römer. Ein Beitrag zur Philosophie der Geschichte. (Aus den Abhandlungen der Kgl. bayr. Akademie d. W. I. Cl., VI. Bd., III. Abt.) München 1851, S. 29. 2 E r n s t v o n L a s a u l x , Die Geologie der Griechen und Römer, S. 47.
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Bei ihm findet sich z u m e r s t e n M a l e der Gedanke ausgesprochen, daß in der Erdgeschichte alles im Vergleich zum menschlichen Leben in sehr langen Zeiträumen vor sich gehe: 1 „Da aber alles natürliche Entstehen in Hinsicht auf die Erde allmählich und, im Verhältnisse zu unserem Leben, in sehr langen Zeiträumen erfolgt, so bleibt dieses Entstehen unbemerkt; und eher gehen ganze Völker unter und verderben, ehe von der Umwandlung des Entstandenen vom Anfang bis zum Ende eine Erinnerung stattfindet." Über die Unermeßlichkeit der Zeit selbst hatte er auch bereits richtige Vorstellungen, denn er sagt: „Es ist also, da die Zeit nicht aufhört und das All ewig ist, offenbar, daß weder der Tana'isfluß noch der Nil immer floß, sondern der Ort, von wo sie fließen, einst trocken war. Denn ihr Wirken hat ein Ziel, die Zeit aber nicht." 2 Ganz in denselben Bahnen wie A r i s t o t e l e s wandelt P o l y b i o s aus Megalopolis in Arkadien (202 — 120 vor Chr.). Dieser gewissenhafte Geschichtsschreiber, dem wir unter anderem auch eine vorzügliche Beschreibung des Donaudeltas zu verdanken haben, erkannte bereits die große Wirkung, welche die an und für sich schwachen Alluvionskräfte der Ströme in großen Zeiträumen ausüben können. 3 Wie hoch er diese Kräfte einschätzt, mag man daraus ersehen, daß er später einmal, in u n e r m e ß l i c h f e r n e r Z e i t , 4 eine Ausfüllung des schwarzen Meeres durch dieselben für möglich hielt. Sonach finden wir bei A r i s t o t e l e s und bei P o l y b i o s schon eine ziemlich richtige Anschauung von der Länge „irdischer", d. h. geologischer Zeiträume. Wenn dieselbe auch noch der wissenschaftlichen Grundlagen entbehrt, so läßt sie doch in ihrer, man möchte sagen „modernen" Fassung eine „gewisse Zeitperspektive 1
A r i s t o t e l e s , Meteorologicorum Liber I, Kap. XIV, § 7 : „ 'AXXa oia xo y£v£a-i>at jiäaav xr,v «puatx^v x^v rap\ yrtv yivtaiv i/. nposaytoyr; xa\ iv ypo'voi; rap.[irjxaat rpo; xr,v »¡[/.CTepav £IO7)V, Xav&avEi xaGxa -ftvo|j.sva, xat 7ipoxspov oX'jjv ziSv ¿H-vöjv ytvovTat xai cp0"opa\ Jtplv ¡j.vr)(jLOveu0rlvai xr,v xou'xtov [J.£xaßoXijv £?; X E X O ; . " • 2
A r i s t o t e l e s , Meteorologicorum Liber I, Kap. XIV, § 3 1 :
„•{•avspov xoivouv, eitet o xe yp ovo; oCy ÖTroXeirat xat xa oAov afSiov, ort OUTE o Tavat; rcoxa(j.os ouxc ö NsiXo; ae\ i'ppst, ¿XX' rtv izoxk ?r)po; o xo'^o;, ofrsv S E ' O V O I : xo fdcp epyov eyet auxtoü ropa;, o os ypovos oux iyei." 3 P o l y b i o s , Lib. IV; 40, 41. — E d . E r n e s t i 1764, S. 491. 4 „oxav f a p o ¡jikv ypdvo; äraipos iy
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keineswegs verkennen, die zwar noch unmögliche Verkürzungen zeigte, aber doch schon ein raumhaftes Sehen gestattete." 1 Aber diese von den griechischen Qeistesheroen gewiesenen Pfade wurden leider verlassen und blieben lange, lange Zeiten hindurch unbeschritten. Der Grund hierfür ist in der Ausbreitung des Christentums zu suchen. Als dasselbe in schnellem Fluge von Kleinasien nach Europa übergriff, kamen die jüdischen Ansichten von der Weltschöpfung allein zur Geltung, sie wurden zum Dogma erhoben und die von den Alten glücklich gewonnene Erkenntnis von der notwendigen Größe der irdischen Erdperioden ging völlig verloren. Es hat langer und schwerer Arbeit seitens unserer bedeutendsten Geistesheroen bedurft, um allein das Verlorene wieder zu gewinnen, in dessen unbestrittenem Besitz sich ein glückliches Altertum befand. Zum Verständnis dieser Zeit, die reicher an Rückschritten als an Fortschritten ist, werfen wir zunächst einen Blick auf die jüdische Schöpfungslehre. Ursprünglich war unter den Israeliten die wörtliche Lehre M o s i s herrschend, nach der ja die gesamte Welt von einem persönlichen Gotte in sechs Tagen erschaffen sein sollte. Aber allmählich waren mehrere jüdische Denker zu der Anschauung gekommen, daß diese wenigen Tage zur Ausbildung der Welt nicht genügen könnten. Man begann daher, jene Worte der heiligen Schrift in anderem Sinne zu deuten. So schrieb der jüdische Philosoph P h i l o n aus Alexandria, der zur Zeit C h r i s t i lebte (f 41 nach Chr.), den sechs Schöpfungstagen und ebenso dem siebenten Ruhetage einen allegorisch-symbolischen, nicht aber einen real-geschichtlichen Wert zu, denn „es ist ganz einfältig, zu glauben, daß die Welt in sechs Tagen oder überhaupt in einer Zeit erschaffen worden sei". 2 Eine andere Auslegung finden wir in dem „ T a l m u d " oder „ G e m a r a " betitelten hebräischen Werke, einer Sammlung von Aussprüchen jüdischer Philosophen, von Rechtsprechungen, Verhandlungen und Erläuterungen über den Sinn der überlieferten Lehren. Dort wird im Einklang mit den sechs Schöpfungstagen und dem Worte des Psalmisten: „Denn tausend Jahre sind vor Dir wie der Tag, der gestern vergangen 1 2
K. S a p p e r , Weltall u. Menschheit I, S. 378. «Allegorien des Gesetzes." Lib. I, Kap. 2.
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ist, und wie eine Nachtwache" 1 für die Ausbildung der Welt ein Zeitraum von 6000 Jahren angenommen. Ferner wurde gelehrt, die Weltdauer würde ebenfalls 6000 Jahre betragen (und zwar 2 0 0 0 Jahre v o r dem Gesetze, weitere 2000 u n t e r dem Gesetze und endlich die letzten 2 0 0 0 Jahre u n t e r d e m M e s s i a s , nach dem siebenten Jahrtausende aber würde die Erneuerung der Welt erfolgen. 2 W i r finden hierin also eine ziemlich weitgehende Übereinstimmung mit der Religion der Perser, die sich sogar bis auf die Identität in der für die Schöpfung beanspruchten Anzahl der Jahre erstreckt. Diesen jüdischen Anschauungen von der Weltausbildung begegnen wir in den Schriften der christlichen Kirchenväter wieder, zum Teil unter fast wörtlicher Wiederholung der talmudischen Ausdrücke. Gar viele sehen in den sechs Tagen die wirkliche Dauer der Weltschöpfung, nur sehr wenige bekennen sich zu der Auffassung P h i l o n s . So nehmen die Alexandriner C l e m e n s und O r i g e n e s , desgleichen später A u g u s t i n u s , den Philonischen Gedanken von der Zeitlosigkeit der Schöpfung wieder auf und lehren die Welt wäre in einem einzigen Augenblicke erschaffen worden. Nach O r i g e n e s würde auch in der heiligen Schrift selbst das ganze sechstägige Schöpfungswerk mit den Worten: „Also ist Himmel und Erde geworden, da sie geschaffen sind, an d e m T a g e , 8 da Gott der Herr Himmel und Erde machte", 4 zusammenfassend erwähnt. Auch der sicilische Astrolog J u l i u s F i r m i c u s M a t e r n u s der Jüngere, der noch an der Lehre von einer lange dauernden otTToxaTacTaci? festhält, redet (um 340 nach Chr.) der Ansicht P h i l o n s das W o r t : 5 „Die Welt hat keinen bestimmten Tag gehabt, an dem sie geschaffen wurde, und ebensowenig hat es einen solchen in der Zeit gegeben, als sie von dem vorausschauenden Geiste Gottes gebildet wurde. Auch vermochte die Erkenntniskraft der menschlichen Gebrechlichkeit nicht sich soweit zu erheben, um Psalm 90, 4. In der B a b y l o n i s c h e n Q e m a r a zum Traktat S a n h e d r i n , C h e l e k fol. 97, A. 1
2
In L u t h e r s Übersetzung: „Zu d e r Z e i t " . Das erste Buch Mose, Kap. II, 4. 5 J. Firmici Materni Junioris Matheseos Lib. III, 1. Bd., Basii. 1551. nach der Münchener Handschrift Cod. Latin. 49, S. 45.
Abschnitt
3
4
Emend.
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den Anfang der Welt mit der Vernunft erfassen oder erklären zu können, zumal, da die große a^oxaTasTaai;, d. i. die Wiedererneuerung durch den Weltbrand oder die Weltüberschwemmung von 3 0 0 0 0 0 Jahren vollendet wird." 1 Die bei weitem größte Verbreitung fand indessen doch die talmudische Anschauung von der in 6000 Jahren erfolgten Ausbildung der gesamten Welt. Sie begegnet uns bei B a r n a b a s 2 , bei I r e n ä u s 8 , bei C y p r i a n u s 1 und bei L a c t a n t i u s . 5 Auch während des ganzen Mittelalters, das jede freie Meinungsäußerung hinderte und somit eine ungehemmte geistige Entwicklung von vornherein unmöglich machte, herrschte diese kindlich-naive Anschauung von den 6000 Jahren, ja sie hat sich sogar noch bis in die neueste Zeit hinein erhalten. Es ist darum schließlich nicht weiter verwunderlich, daß selbst ein M a r t i n L u t h e r sich von dem völlig unzureichenden Zeitbegriffe der mosaischen Schöpfungslehre nicht hat emanizipieren können. Der große Reformator nimmt in seinem Genesis-Kommentare die sechs Schöpfungstage als „natürliche Tage" an, schreibt ihnen also wie unseren gegenwärtigen Tagen eine Länge von 24 Stunden zu. 6 Des weiteren äußert er sich in derselben Schrift: „Wir wissen aus M o s e , daß die Welt vor 6000 Jahren noch nicht bestand," 7 1 „Mundus certum diem ortus sui non habuit, nec aliquis interfuit eo tempore, quo mundus divinae mentis ac providi numinis ratione formatus est nec eo usque se intentio potuit humanae fragilitatis extendere, ut originem mundi facili possit ratione concipere aut explicare, praesertim cum trecentorum millium annorum maior arcozaTaaraai; h. e. redintegratio per ixxiipwaiv aut per xaxaxXuajxov spatio perficiatur." - ,,°OTL (juvxeXst o zupio; ev l^axioyiXioi; Etsai xa -avxa." Barnabas, Epist. 15. 8 „"Ouai; rj|J.epa;$ iyivtzo o xoajio;, Toaaüxai; ytXtovuaat auvTsXeitai /.axa TOV Xo'yov.« Irenäus ad Haeres. V. 28, 3, S. 327. 4 „Sex milia annorum iam pene complentur, ex quo hominem diabolus impugnat." C y p r i a n u s , Epist. ad Fortunatum, S. 262. Und wenige Seiten später heißt es: „Primi in dispensatione divina Septem dies annorum Septem milia continentes." C y p r i a n u s , Epist. ad Fortunatum, S. 169. 6 «Ego arbitror ex epistola quae nomine Petri Apostoli inscribitur, mille annos pro una die solitos appellari: ut quia mundus in sex diebus fabricatus est, sex millibus annorum tantum credatur subsistere et postea venire septenarium numerum et octonarium in quo verus exercetur sabbatismus." L a c t a n t i u s VII 14, S. 837, ed. W a l c h ; H y r o n i m u s , Geist. 140, 8, col. 1056 ed.sec. V a l l a r a i , Venetiis 1766. 6 L u t h e r in Genes. Tom. I (Erlanger Ausgabe), S. 87. 7 Ebenda, S. 8.
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womit er sich also unzweideutig für ein recht jugendliches Alter unserer Erde bekennt. Auch die ganze nachreformatorische Zeit konnte sich vom Bibelbuchstaben nicht losreißen. Seit Ende des 16. Jahrhunderts gelangte überall die strengste Orthodoxie zur Herrschaft. Der Geist dogmatischer Starrheit verursachte ein üppiges Aufwuchern scholastischer Formen und eine heftige Polemik gegen alles von der Norm striktester Rechtgläubigkeit irgendwie Abweichende. 1 Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein hat dieser einseitige Dogmatismus seine Herrschaft behauptet. Dieser lange Zeitraum bedeutet aber auch zugleich einen Stillstand empirischer Forscher- und Entdeckertätigkeit. In den meisten Bereichen der Naturforschung überwiegt deduktives Lehrverfahren ganz und gar über das induktive Forschen trotz der epochemachenden Erfindungen und Entdeckungen auf dem Gebiete der Astronomie und Physik. Fernrohr und Mikroskop haben in jener Zeit das geistige Sehen nicht erweitert. Es fehlte an schöpferischen Geistern zur Vervollkommnung der gegebenen Experimentiermittel und Erkenntnismethoden. Natürlich war auch in der Erdbildungslehre und der Erdentwicklungsgeschichte eine freie und originelle Behandlung der Probleme unmöglich. Die Geologie wird vielmehr zum Tummelplatz der unglaublichsten Spekulationen über die Entstehung und das Alter der Erde. Die biblische Sintflut findet dabei ausführlichste Erörterung. Auf dem seit dem 16. Jahrhundert bereiteten Boden baut die lange Reihe der Diluvianer ihre Hypothesen auf, eine stattliche Schar von mehr oder minder kühnen, teilweise genialen Vertretern biblischer Überlieferung. Die Neigung, die Entstehung der Erde genau aus den Worten der mosaischen Schöpfungsgeschichte erklären zu wollen, hatte sich aller Köpfe, welche sich Forschungen dieser Art zuwendeten, in so hohem Grade bemächtigt, daß es ihnen unmöglich wurde, Tatsachen zu begreifen und zu deuten, welche nach den beschränktesten Vorstellungen und ohne Einsicht in die Sachen mit den Darstellungen der Bibel in irgend welchem Widerspruch zu stehen schienen. So geschah es, daß man oft zu den wunderlichsten und phantastischsten Hilfsmitteln und Hypothesen seine Zuflucht 1
Z o e c k l e r , Geschichte der Beziehungen zwischen Theologie und Naturwissenschaft. Gütersloh 1879, II. Bd., S. 32.
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zu nehmen genötigt war. Unter dem Einflüsse solcher Vorurteile vergingen drei Jahrhunderte, ohne daß ein wesentlicher Fortschritt in der geschichtlichen Entwicklung der Geologie zu verzeichnen gewesen wäre. 1 Immerhin hat es nicht an Männern gefehlt, welche den Versuch machten, unsere Wissenschaft auf einem Wege zu fördern, den die neuere Zeit glücklich wieder eingeschlagen hat. Bereits R e n é D e s c a r t e s (1596 — 1650) versuchte, sich vom Bibelbuchstaben loszureißen und wieder in die Bahnen griechischer Denker einzulenken. Der Vater der neueren Philosophie verwarf die mosaische Schöpfungstheorie mit ihrer kurzen Zeitspanne und suchte die Ausbildung der Welt lediglich auf naturwissenschaftlichphilosophische Weise zu erklären. Er ließ die Erde aus einem glühenden, feurig-flüssigen Balle allmählich erkalten und deutete damit zugleich die zur Entwicklung unseres Planeten erforderliche große Zeitdauer an. 2 Natürlich hat es diesem mutigen Neuerer nicht an Gegnern gefehlt. Selbst T h o m a s B u r n e t , obwohl er sich im allgemeinen als Anhänger der Descartesschen Kosmogonie bekennt, erwiderte, C a r t e s i u s werde ihn „niemals bereden, daß der Erdenkreis so viel hundert Jahre müßiglich in der Luft umgefahren sei." 3 Die außerordentlich schnelle Erdentstehung, wie die Bibel sie lehrte, mußte den Widerspruch denkender Geister herausfordern, welche sich besonders mit geologischen Beobachtungen beschäftigten. Den Reigen eröffnen zwei bedeutende Männer, B e r n h a r d V a r e n i u s (1622-1650) und N i k o l a u s S t e n o (1638-1686). Dieser der Begründer der Geognosie, jener der physikalischen Geographie. Der Verfasser der Biographie des V a r e n i u s in K n i g h t s „Cyclopedia of Biography" (1858) rühmt mit Recht, daß 1
L y e l l - H a r t m a n n , Grundsätze der Geologie. Weimar 1842, I. Bd., S. 56 C a r t e s i i Principia Philosophiae. 1685. J. H. K i r c h m a n n , René Desc. philosoph. Werke. Berlin 1870„ S-192 f., 280, 283f. — Z o e c k l e r , Die Beziehungen zwischen Theologie und Naturwissenschaft. Gütersloh 1877, Bd. I, S. 540f. — D a u b r é e , G. D e s c a r t e s Tun des createurs de la Cosmologie et de la Géologie. Paris 1880. — Z i t t e l , Gesch. d. Geologie, S. 36. 3 T h o m a s B u r n e t , Theoria sacra telluris. Nach der Londoner latein. Ausgabe ins Hochdeutsche übersetzt durch M. Joh. Jac. Z i m m e r m a n n . 1698, S. 182. 8
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er weitere und wissenschaftlichere Ideen über die Naturgeschichte der Erde ausgesprochen habe, als das ganze Jahrhundert nach ihm. 1 Seine Auffassung der tellurischen Erscheinungen in ihrer Gesamtheit und Allgemeinheit lassen uns nicht im Zweifel darüber, daß er für die Erde ein recht langes Bestehen annimmt. 2 S t e n o , von Geburt ein Däne, war viele Jahre hindurch in P a d u a als Arzt und Anatomielehrer, sowie in F l o r e n z als Leibarzt tätig. Dort reizten die vielen auf der Oberfläche des Landes zerstreuten Reste von Meerestieren seine Aufmerksamkeit. Er stellte eingehende geologische Untersuchungen an und legte diese in dem Werke „De solido intra solidum naturaliter contento" (Florenz 1669), nieder. Darin behauptet er, daß Toskana n a c h und n a c h sechs verschiedene Gestaltungen erlitten habe, indem es zweimal von Wasser bedeckt, zweimal in einer Ebene und zweimal mit einer unebenen Oberfläche trockengelegt worden sei. 3 Diese Hebungsvorgänge mußten S t e n o notwendigerweise zur Zeitforderung hindrängen, wenn er sie auch nicht wörtlich ausgesprochen hat. Die Notwendigkeit, nichts der Bibel Widersprechendes vorzutragen, hat ihn sichtlich in der Entwicklung seiner Vorstellungen beeinflußt. Immerhin ist er doch der erste Forscher, welcher geologische Probleme auf induktivem Wege zu lösen versuchte. 4 In der neueren wissenschaftlichen Entwicklung, die mit den großen Begründern der modernen Mathematik und Physik anhebt, ragen zwei Forscher in der zeitlichen Folge unserer geschichtlichen Untersuchung noch bedeutend hervor, N e w t o n (1642—1727) und L e i b n i z (1646—1716). Stehen N e w t o n s „Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie" 5 auch nicht im direkten Zusammenhang mit der Erdentwicklungsgeschichte, so führen sie doch in der weiteren Begründung der heliozentrischen Weltanschauung zur notwendigen Forderung großer Zeiträume. Immerhin ein erhebliches Verdienst in jener Zeit des strengsten Orthodoxismus. 1
R a t z e l , Die Erde und das Leben I, S. 43. Bernhardi Vareni Med. D. Geographia generalis, cap. VI. 3 Sex itaque distinctas Etruriae facies agnoscimus, dum bis fluida, bis plana et sicca, bis aspera fuerit etc. — Citiert nach U y e l l , Grundsätze der Geologie (übersetzt v. C. H a r t m a n n ) , I. Bd., Weimar 1842, S. 53. 4 Z i t t e l , Geschichte der Geologie, S. 35. 5 Philosophiae naturalis principia mathematica 1687. 2
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Ihm ebenbürtig zur Seite steht L e i b n i z . Er hat in mehrfacher Beziehung wissenschaftlich fördernd gewirkt. Da, wo er das Feld der Geologie berührt, zeigt sich sein genialer Scharfblick für eine Reihe von Erkenntnissen der Neuzeit. O s k a r P e s c h e l 1 rühmt mit Recht den prophetischen Geist des großen Philosophen, der „den neuesten Entwicklungsgang der Geologie antizipiert habe." 2 Seine umfassende Weltansicht zeigt bereits einen der N e w tonschen ähnlichen Fortschritt, aber immerhin noch begrenztes perspektivisches Sehen unter dem Druck der zeitlichen Verhältnisse. 8 Nach dem Auftreten N e w t o n s , der mit K e p l e r und dessen Vorläufer K o p e r n i k u s die Harmonie des gesammten Weltalls, zugleich aber auch die geringe Größe und Bedeutung der Erde diesem gegenüber erkannte, mußte die Forderung großer Zeiträume eigentlich als eine folgerichtige Notwendigkeit erscheinen. Mehr oder minder bekannte sich denn auch jeder bedeutendere Forscher zu der Unmöglichkeit, der Erde nur eine geringe Entwicklungsdauer zuzuschreiben. Aber die Kirche und ihre berufenen oder unberufenen Vertreter sahen es als unchristlich, als eine Auflehnung gegen die Schöpfermacht des allmächtigen Gottes an, über die Entwicklung der Erde anders zu lehren oder nur zu denken als das jüdische alte Testament es tat. Daß auf solche Weise eine freie Entfaltung der in Frage stehenden Gedanken gehemmt wurde, ist ohne weiteres klar und wurde bereits erwähnt. Sie konnten indessen wohl zeitweilig aufgehalten, aber nicht endgültig gehindert werden. Das immer mehr sich häufende Beobachtungsmaterial, die vielen Funde organischer Reste, waren der Entwicklung der Erdgeschichte als eigentlicher Wissenschaft sogar günstig, indem sie sich immer mehr als selbständiger Zweig der allgemeinen Erdkunde herausbildete. Um die Wende des 17. Jahrhunderts war man über die ersten Anfänge, die geologische Kindheit, hinaus. Versteinerungen wurden allgemein als das angesehen, was sie in Wirklichkeit waren, und
P e s c h e l , Gesch. d. Erdkunde, S. 615. G. L e i b n i t i i Protogaea sive de prima facie telluris et antiquissemae historiae vestigiis in ipsis naturae monumentis dissertatio. Ex schedis mss. viri ill. in lucem edita a Chr. Ludw. Scheidio (Opp. ed. Dutens), II. 2, S. 181 - 2 4 0 . 3 Z i t t e l , Aus der Urzeit I, S. 19. 1
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wenn dabei auch später noch manchmal bedenkliche und ergötzliche Irrtümer unterliefen, wie die B e r i n g e r s c h e n Lügensteine oder der bekannte homo Diluvii testis des A n d r e a s S c h e u c h z e r , so konnten sie doch der richtigen Auffassung der Fossilien als Reste einer vorzeitlichen Tier- und Pflanzenwelt keinen Abbruch mehr tun. In Beziehung auf die Entstehung dieser Fossilien ging die allgemeine Meinung zunächst dahin, daß, wie die Bibel es schildert, tatsächlich eine große Überflutung der ganzen Erdoberfläche einmal stattgefunden und all diese und noch eine Reihe anderer Erscheinungen veranlaßt habe. Die Zahl der Anhänger dieser Lehre war sehr groß. Für die Geschichte der Zeitforderung kommen sie so gut wie gar nicht in Betracht, sei es weil sie, in enger Anlehnung an den mosaischen Schöpfungsbericht, ein höheres Alter der Erde überhaupt bestreiten, oder sei es, weil sie über die schwierige Zeitfrage ohne eine Andeutung zu machen hinwegschreiten. Zu den Kritikern der extremen Sintfluttheorie gehört zunächst Karl v o n L i n n é (1707—1778). Seine 1743 gehaltene akademische Rede „vom Wachsen des bewohnbaren Landes" verwirft die Annahme einer allgemeinen Sintflut und läßt nur den in der heißen Zone gelegenen Ursitz der Menschen, Tiere und Pflanzen, und zwar zu einer Zeit, wo noch keine bedeutendere Verbreitung der Organismen über diese ihre paradiesische Urheimat hinaus stattgefunden hatte, von einer kurzen Überschwemmung zur Zeit N o a h s betroffen werden. Erst seit dieser Katastrophe habe sowohl das bewohnbare Land überhaupt, als die es bewohnende Organismenwelt eine allmähliche Ausbreitung bis zur gegenwärtigen Konfiguration der Erdteile und Inseln erfahren. 1 Auch betont der große Systematiker, daß er „überall sich die Länder aus dem Meeer erheben sah" und spricht dabei von „lauter Gesteinen eines lange dauernden, ganz allmählich verflossenen Zeitalters". 2 Aus seinen Äußerungen heraus läßt sich mit Sicher1
Car. Linnaei Oratio de Telluris habitabilis incremento in seinen Amoenitates academicae, volum. II. (Holmiae 1751) S. 430 - 459. 2 „ . . . finisse h u m o r e m verum initium aquamque terrae primordium e quo surrexere omnia, teste Mose, Thalete, Seneca, manifestatur dum chaoticum nucleum inundans mare genitum in se factum lente enititur in Continentem, quam, exhalando continue Rorem, in nebulas elevandum, imbribus aethereis
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heit schließen, daß er das Alter der Erde viel höher schätzt, als die herkömmliche biblische Überlieferung. Auch K a n t s naturphilosophische Schriften gehören zu den kritischen Kundgebungen gegen den einseitigen Diluvialismus. Die mechanische Erdbildungstheorie, welche er in seiner genialen „Naturgeschichte des Himmels" 1755 entwickelte, führte ihn, wenn auch durch philosophische Erwägungen, zur notwendigen Zeitforderung, denn „die Schöpfung ist nicht das Werk von einem Augenblicke..." „Es werden Millionen und ganze Gebirge von Millionen Jahrhunderten verfließen, binnen welcher immer neue Welten und Weltordnungen nacheinander in den entfernten Weiten von dem Mittelpunkte der Natur sich bilden und zur Vollkommenheit gelangen werden." 1 Auf die Sintflut als geschichtliches Ereignis wird hier gar keine Rücksicht genommen, ebenso wenig an die Schöpfungstage der Genesis angeknüpft. Viel radikaler noch als diese den Wasserwirkungen immer noch viel zu viel Spielraum lassenden Entgegnungen wirkte der in Entwicklung begriffene Plutonismus, der seinen Ursprung hauptsächlich in Italien genommen hat. In der Gebirgsbildungstheorie L a z z a r o M o r o s spielen die durch unterirdische Feuerkräfte bewirkten Hebungsprozesse geradezu eine Hauptrolle. Größtenteils aus selbsterlebten Fällen heraus hatte M o r o den Antrieb zu seiner Lehre gewonnen und „neue Untersuchungen der Veränderungen des Erdbodens, nach Anleitung der Spuren von Meertieren und Meergewächsen, die auf Bergen und in trockener Erde gefunden werden," angestellt. 2 Aber erst durch G e n e r e 11 i wurde sie weiteren Kreisen zugänglich gemacht; 3 er hatte es unternommen, „mit M o r o s rectificatis deciduis quotannis lactat. C a t a c l y s m i universalis certo rudera ego nondum attigi quousque penetravi; minus etiam veram terram adamiticam, sed ubique vidi factas ex aequore Terras, et in his mera Rudera longinqui sensim praeterlapsi aevi." Zitiert nach einem Manuskript allg. Inhaltes aus dem Nachlasse Fr. v. S c h l o t h e i m s . 1 D i e t r i c h , Kant und Newton, S. 176 und 178 f. 2 De' crostacei e degli altri marini corpi che si trovano su' monti, libri due di A n t o n L a z z a r o M o r o . Venezia 1740. - Deutsche Übersetzung: Leipzig 1751, 2. Auflage 1755. - Beurteilungen der Moroschen Theorie: s. J. F. K r ü g e r , Gesch. d. Urwelt I, 1822, S. 280ff.; - L y e l l - H a r t m a n n I, S. 77ff. u. v o n H o f f , Geschichte III, S. 318 ff. 3 Der Karmelitermönch C i r i l l o G e n e r e l l i gab vor der Akademie zu Cremonia im J. 1749 einen Kommentar über und zur Verteidigung von M o r o s Theorie. von H o f f , Geschichte III, S. 319. 7*
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Beistande zu erklären, wie diese Meeresgeschöpfe durch natürliche Ursachen auf die Berge gekommen sind." 1 Die beiden Italiener beschritten wieder den so oft verlassenen Weg der Induktion und es gehörte in jener Zeit ein hochzuschätzender wissenschaftlicher Mut dazu, zu behaupten, daß die Gesetze, nach welchen die Natur wirkt, immer dieselben bleiben und daß in den ältesten Zeiten alle Naturbegebenheiten ebenso erfolgt sind, wie wir sie heuzutage erfolgen sehen. 2 Die kurze Zeitspanne der mosaischen Schöpfungslehre konnte die dem Auge sich darbietenden Erdveränderungen nicht auf natürliche Weise erklären. In Ablehnung überirdischer Kräfte war deshalb die Forderung großer Zeiträume eine notwendige Schlußfolgerung der Morosehen Theorie. Auf dem Plutonismus der beiden Italiener baute der geistreiche B u f f o n seine Kosmogonie, 8 unbekümmert um die biblischen Aussagen und wurde zum Vorläufer der modernen geologischen Chronologen. Seine Schöpfungstheorie erörterte er bereits 1743 in einem öffentlichen Vortrage, ließ sie aber erst im Jahre 1778 im Druck erscheinen. Der gelehrte Franzose suchte — und das ist geschichtlich besonders beachtenswert — seine Ansichten durch das Experiment zu erhärten, ist somit der erste, der dasselbe zur Erklärung geologischer Prozesse heranzieht. Nach Berechnungen, denen er Versuche mit glühenden eisernen Kugeln, die er sich langsam abkühlen ließ, zugrunde legte, beträgt das Alter unserer Erde von ihrem Schmelzflußzustande bis zur Gegenwart rund 75000 Jahre. 4 Mit dieser für die damalige Zeit unerhört großen Zahl trat B u f f o n in ausdrücklichen Widerspruch zu der herrschenden theologischen Zeitrechnung und stellte zum erstenmal das historische Element mit prägnanter Schärfe in den Vordergrund. Freilich bewegen sich seine Berechnungen über die Zeitdauer der einzelnen Erdepochen auf ganz unsicherem Boden, die ermittelten Zahlen beruhen auf willkürlichen Annahmen und kommen der Wirklichkeit nur um ein ganz Geringes näher, „aber die mit größtem Nachdruck be1
L y e l l - H a r t m a n n I, S. 82. Ant. Lazz. M o r o , De' crostacei etc. S. 213 »È già cosa certa che niuno vorrà contendere, che tutte queste cose ne' tempi antichi non sieno succedute nella stessa guisa, che oggidì succeder la veggiamo". - Zit. nach v o n H o f f , Gesch. III, S. 319, Anm. 1. 3 Les époques de la Nature. Paris 1778. 4 Z i t t e l , Geschichte der Geologie, S. 65 ff. 2
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tonte Notwendigkeit, in der Erdgeschichte mit langen Perioden zu rechnen, bedeutet einen der wichtigsten Fortschritte für die Entwicklung unserer Wissenschaft." 1 In ähnlicher Weise wie B u f f o n , suchte 1787 der Italiener J o s e p h R e c u p e r o , Kanonikus zu Catania, das Alter der Erde zu bestimmen. Durch den großen Ausbruch des Ätna 1755 veranlaßt, studierte er eifrig die geognostischen Verhältnisse dieses Vulkanes, besonders der miteinander abwechselnden Lava- und Dammerdeschichten. Aus diesen Untersuchungen heraus, deren gesamte Ergebnisse er in seiner „Naturgeschichte des Ätna'" 2 veröffentlichte, berechnete er, daß dem Ätna als Vulkan und auch unserer Erde ein Alter von wenigstens 14000 Jahren zugeschrieben werden müsse. Trotz der bisher geschilderten Angriffe behauptete die Diluvialtheorie ihre Herrschaft weiter. Durch die siegreich vordringenden Plutonisten und das sich immer mehr häufende Beobachtungsmaterial in die Enge getrieben, mußten sich doch die Diluvianer zu einigen Zugeständnissen bequemen, wenn auch die mosaische Schöpfungsgeschichte immer noch die Erklärungsquelle für sämtliche Phänomene abgab. Ihr Hauptvertreter am Ende des 18. Jahrhunderts, J e a n A n d r é de L u c ( 1 7 2 7 — 1 8 1 7 ) , suchte die biblische Schöpfungslehre mit den gegnerischen Ansichten in Einklang zu bringen. 3 Er sah in den sechs Schöpfungstagen längere Perioden, jedoch nicht von gleicher, sondern von allmählich immer kürzerer Zeitdauer. Ferner nahm er mehrere gewaltige Katastrophen von hauptsächlich vulkanischer Natur an und hielt die „Sintflut" für eine besondere Episode der großen, im sechsten Zeitraum erfolgten „Revolution". Nach ihm sind seit dieser Katastrophe nicht mehr als 4000 Jahre verflossen. 4 D e l u c s Vorgehen ist für seine Zeit charakteristisch. Auf der einen Seite kann er die sich allmählich durchbrechende Zeitforderung nicht unbedingt abweisen, sieht sich aber anderseits durch seine Bibelfreundlichkeit gezwungen, in rückschrittliche Bahnen einzulenken. So erklärt sich seine Annahme von dem geringen Z i t t e l , Geschichte der Geologie, S. 69 f. Histoire Naturelle de l'Etna 1778. 3 Zoeckler, Gesch. d. Bezieh, zw. Theol. und Naturw. II, S. 186. 4 J. A. D e l u c , Lettres physiques et morales sur l'histoire de la terre et de l'homme, 1779 und lettres géologiques sur l'histoire de la terre, 1799. 1
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Alter der jetzigen Erdoberfläche. D e l u c ist einer der letzten Geologen, welche die Lehre von der Sintflut wissenschaftlich vertreten. Mit ihm gleichzeitig dringt allmählich die Erkenntnis durch, daß eine einmalige Überflutung, wie die strenggläubigen Diluvianer annahmen, nicht die Veränderungen der Erdoberfläche bewirkt haben könne. Folgerichtig nahm man daher zunächst mehrere Überschwemmungen an, diese sollten dann auch die Entstehung der Flözgebirge und der sie bildenden Gesteinsschichten veranlaßt haben. Aus den Vertretern dieser Ansicht ging die Schule der „Neptunisten" hervor, als deren Haupt wir den Professor an der Bergakademie zu Freiberg, G. A. W e r n e r (1750 — 1817), zu betrachten haben. So einseitig seine Lehre vom Neptunismus in ihrer Überschätzung der Rolle des Wassers bei der Erdoberflächenbildung war, so lag doch in der Annahme periodisch wiederkehrender Überflutungen und dem damit verbundenen Losreißen von der wörtlichen Auslegung der Bibel ein bemerkenswerter Fortschritt. Zur Zeitfrage selbst hat sich W e r n e r gar nicht geäußert. Die neptunistische Erdbildungstheorie hat in Deutschland ihre Hauptverbreitung gefunden, während sich der im Auslande entwickelnde Plutonismus erst im 19. Jahrhundert Eingang verschaffte. Aus diesem Grunde haben wir bis jetzt hauptsächlich ausländische Vertreter in Verfolg unserer Untersuchung in Berücksichtigung gezogen. Wenden wir uns nun zu Deutschland. Zum Ruhme unseres Vaterlandes mag es gesagt sein, daß sich auch hier die deutsche Gründlichkeit bewährt hat. Die Beobachtung und Sammlung von Tatsachen steht bei den deutschen Geologen im Vordergrund. Diese der Wissenschaft so heilbringende Art der Forschung, welche den Verstand mehr als die Phantasie zu beschäftigen geeignet ist, nährte ganz besonders der in Deutschland sehr gepflegte Bergbau. Das Studium der einzelnen Gebirgslager, selbst unter Berücksichtigung ihres Nutzens, schärfte die Beobachtungsgabe und führte zu Schlußfolgerungen, welche die geologische Wissenschaft ganz bedeutend gefördert haben. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts ragen unter den Deutschen zwei bedeutende Männer hervor, L e h m a n n (f 1767) und F ü c h s e l (1722 — 1773). L e h m a n n s Forschungsstandpunkt kennzeichnet die Vorrede zu seinem 1756 erschienenen „Versuch einer Geschichte
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von Flözgebirgen": „Die Grundsätze hat die Natur in den Erdboden gelegt, ein fleißiger Forscher findet solche, sobald er der Natur nachgehet und ihre Werkstätten beschauet. Erfahrung, und zwar eine lange Erfahrung macht endlich Gewißheiten, aus welchen man Grundsätze zusammenbringt." 1 Auf Grund seiner Erfahrungen, die er als praktischer Bergmann im Harzgebiete gesammelt hatte, stellte L e h m a n n die „Ganggebirge", also die ältesten Bergarten, den „Flözgebirgen", den durch Zusammenschwemmungen entstandenen jüngeren gegenüber. Weiter suchte er zu beweisen, daß die Entstehung der Flözgebirge nicht durch eine einmalige Wasserüberschwemmung, die biblische Sintflut, bewirkt worden sein könne, sondern sich vielmehr „in den nachfolgenden Zeiten noch viele dergleichen Veränderungen zugetragen haben müssen". 2 Während L e h m a n n immer noch unter dem Einfluß der biblischen Erdbildungslehre steht, enthält sich der Thüringer Arzt G. Ch. F ü c h s e l aller Spekulationen über die Entstehung der Erde, beschäftigt sich eingehend mit dem Studium der Flözformationen seiner Heimat und sucht deren Entstehung durch Kräfte zu erklären, welche auch heute noch ähnliche Wirkungen hervorbringen. Er vertritt bereits mit Nachdruck den Grundsatz: „Modus vero, quo natura hodierno adhuc tempore agit et corpora p r o d u c i t . . . pro norma assumendus est, alium non novimus," 3 den die spätere aktualistische Schule zu ihrem Leitmotiv erhoben hat. F ü c h s e l hat zuerst die unter gleichen Verhältnissen nacheinander gebildeten Erdschichten unter dem Begriffe „Formationen" zusammengefaßt und als je „eine Epoche der Geschichte der Erde'' bezeichnet. Aus ihrem Studium heraus erkannte der Thüringer Geolog ungezwungen, daß die Erde sehr viel älter sein müsse als die Bibel angibt und die Notwendigkeit, daß man bei der Erdentwicklungsgeschichte mit großen Zeiträumen zu rechnen habe. Dies erörtert er ganz besonders an einem Beispiel seiner fleißig durchforschten Heimat, am Thüringer Muschelkalk: 1 J. G. L e h m a n n , Versuch einer Geschichte von Flözgebirgen, Berlin 1756, Vorrede S. 2. 2 T o u l a , Lehrbuch der Geologie, Wien 1900, S. 4. L e h m a n n , Versuch ein. Gesch. v. Flözgeb. S. 11, 12, 20, 28, 51 u. 60. a G. C h r . F ü c h s e l , Historia terrae et maris ex historia Thuringiae per montium descriptionem eruta, § 43a, S. 82.
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„Wer die ganze Höhe, Zahl und verschiedene Stärke seiner Schichten, den Gehalt der Muscheln nach ihrem Alter und ordentlich verteilten Geschlechtsarten nebst dem Bestände der Kalkerde oder ehemaligen Meerschlamm nur ungefähr zu schätzen sucht, wird den Zeitraum, innerhalb dem dieses alte Meer eine so große Menge Schlamm absetzte, soviel Seetiere großzog und dabei erst jeder Schicht vom Schlamme die Härte, wodurch sie sich von der andern absondern läßt, geben konnte, unmöglich durch ein paar hundert Sonnenjahre bestimmen wollen. Zumal, wenn er des Meeres ruhige Beschaffenheit, welche solange unverändert dergleichen Kalkschlamm gab, damit verbinden will. Unsere Nachkommen, denen das Wachstum und Alter dieser Seetiere zu erforschen vielleicht aufgehoben sein wird, mögen künftig die Jahre genauer bestimmen, für jetzt ist es genug, den Zeitlauf des Muschelkalkes überhaupt als eine lange Zeit ansetzen zu dürfen." 1 Die seiner Zeit weit vorauseilenden Ansichten F ü c h s e i s sind leider nicht in weite Kreise gedrungen. Die Ursache lag in der geringen Verbreitung, die seine Schriften gefunden haben. Die Thüringer Geologen spielen in unserer geschichtlichen Untersuchung eine ganz hervorragende Rolle. Dafür noch einige Beispiele. 1785 erschien eine bemerkenswerte Abhandlung des Jenenser Professors der Physik und Mathematik J o h . H e i n r . V o i g t : «Über einige physikalische Merkwürdigkeiten der Gegend von Burgtonna im Herzogtum G o t h a , nebst einigen zufälligen Gedanken über die Veränderungen unserer Erdoberfläche."-' In dieser tritt uns zum ersten Male wieder die organische Auffassung des Erdganzen entgegen, wie sie bereits von den Griechen gelehrt wurde. Nachdem V o i g t seine Ansichten über die „Aufbrausungen auf dem Meeresgrunde" und über die Entstehung der Gebirge auseinandergesetzt hat, kommt er zum Schlüsse seiner Betrachtung zur Forderung großer Zeiträume für das Verständnis der Erdoberflächenveränderungen: „Die Wände und Decken, welche diese Höhlungen (nämlich in den neu entstandenen Bergen) einschließen, haben aber keine ewige Dauer, sondern sie verwittern allmählich wieder, und nach Jahrtausenden senkt sich alles, was vorher 1
F ü c h s e l , Entwurf zu der älteren Erd- und Menschengeschichte, Frankfurt u. Leipzig 1773, S. 27 f. 2 L i c h t e n b e r g , Magaz. a. d. Physik u. Naturgeschichte, Gotha 1785, 3. Bd., 4. Stck., S. 14—19.
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emporgehoben war, wieder in die Tiefe . . . Die ganze Gegend qualifiziert sich also nach und nach wieder zu einem neuen Bassin, wo das Meerwasser nach vollendeter erster Periode, nach Myriaden von Jahrhunderten, zum zweiten Male Platz nehmen kann, und da sind denn freilich im eigentlichen Verstände 1000 Jahre wie der Tag, der gestern vergangen ist. Auf dem neuen Meeresgrunde entstehen nun Vulkane und Berge, so lange bis der Platz wieder zu eng wird, da dann die Reise noch weiter fortgeht; und so bedeckt vielleicht alle 100000 Jahre einmal alles Wasser alle Teile der trockenen Erde, und alle mit Wasser bedeckten werden hinwiederum in dieser Zeit wieder einmal trockenes Land." 1 War V o i g t hauptsächlich durch philosophische Erwägungen zur Zeitforderung geführt worden, so leitete sein Namensvetter und Zeitgenosse, der Ilmenauer Bergrat Joh. C. W. V o i g t , diese ausschließlich aus direkten Beobachtungen ab. Er erweist sich als ein überaus fleißiger und scharf denkender Forscher, der die in der Bergbaupraxis gesammelten Erfahrungen auch in wissenschaftlicher Weise zu verwerten versteht. Wer sein 1792 erschienenes Handbuch der praktischen Gebirgskunde, das erste selbständige Lehrbuch der G e o g n o s i e , l i e s t , wird erstaunt sein, wie weit V o i g t gleich seinem Landsmanne F ü c h s e l seiner Zeit voraus eilt. Für die geringen Fortschritte in der Erderkenntnis macht er die Herrschaft der Diluvialtheorie verantwortlich und betont besonders bei Besprechung der Ursachen, welche die Täler gebildet haben, mit Nachdruck die zum Verständnis dieser Vorgänge notwendige Zeit. Was wir über F ü c h s e l gesagt, das bezieht sich in gleichem Maße auch auf V o i g t , was jener aus der Lagerung der Gebirgsschichten fordert, das wendet dieser auch auf dynamische Vorgänge an. Dafür gibt er ein treffendes Beispiel in seiner Besprechung der Entstehung der Schluchten: „Manchem scheinen sie zu tief im Verhältnisse mit der geringen und langsam wirkenden Kraft, die sie hervorbrachte, aber sie rechnen zu wenig auf Zeit und Umstände." Und an anderer Stelle mit Beziehung auf den weitverbreiteten San,d sagt er: „Es ist augenscheinlich, 1 L i c h t e n b e r g , Magaz. a. d. Physik u. Naturgeschichte, 3. Bd., 4. Stck., Seite 16. 2 T o u l a , Lehrbuch der Geologie, Wien 1900, S. 5. 3 V o i g t , Handbuch der praktischen Gebirgskunde, Weimar 1797, 2. Aufl., Seite 5.
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daß er aus verwitterten Steinen sein Dasein erhalten hat, wovon die mehrsten noch deutlich zu erkennen sind. Da hierzu aber Zeit erforderlich ist, so dürfen wir mit Jahrhunderten nicht sparsam sein, um uns sein Dasein und seine Menge zu erklären." 1 Wenn die Thüringer Geologen in ihren Forderungen auch meist unbeachtet blieben, so sind sie doch bereits die ersten Vertreter eines neuen Zeitalters in der Geschichte der Geologie, das beginnt mit dem Bruche jener Richtung, welche die Entstehung und Entwicklung der Erde auf dem Wege der Spekulation, ungebunden durch Naturgesetze und empirische Erfahrung, zu erklären vermeinte. Der erste nach außen hin erfolgreiche Schritt mit besonderer Beziehung auf unsere geschichtliche Untersuchung geschah durch das Erscheinen eines epochemachenden Werkes: Huttons Theory of the Earth, 2 das mit den biblischen Anschauungen definitiv brach und sich gleichzeitig in scharfen, aber bewußten und gewollten Gegensatz zu den Neptunisten stellte, indem es auf die gesteinebildende, aber die Erdoberfläche gewaltsam verändernde Tätigkeit des unterirdischen Feuers hinwies und im weiteren Verlauf eine neue Lehre veranlaßte, die Theorie des Vulkanismus. Der schottische Geologe J a m e s H u t t o n (1726—1797) erklärte das abwechselnde Versinken und Emporsteigen der Kontinente als Wirkung unterirdischer Feuerkräfte und nahm als Zeitdauer dieser kontinentalen Bewegungen Millionen von Jahren an. Nach seiner Vorstellung ist die Erde ein äußerst zweckmäßig organisierter Mechanismus, der einer ewigen, zeitlich unbegrenzten Veränderung und Umgestaltung unterworfen ist: »Die Zeit, die jede Vorstellung in uns abmißt, und von der wir für so manchen von unseren Entwürfen zu wenig haben, ist für sie wie Nichts . . . Und da der natürliche Lauf der Zeit, der uns endlos zu sein scheint, durch keinen endlichen Prozeß begrenzt werden kann, kann auch der Fortschritt der Dinge auf dieser Kugel oder der Lauf der Natur nicht begrenzt sein in einer Zeit, die in einer stetigen Folge fortschreitet." 8 1
V o i g t , Handbuch der praktischen Gebirgskunde, S. 208. J a m e s H u t t o n , Theory of the Earth, with prooss and illustrations, London 1795. - Sie wurde zuerst als Abhandlung 1788 im 1. Band der Transactions of the Royal Society of Edinbourgh veröffentlicht. 3 Ebenda S. 215. 2
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H u t t o n 1 war es also, der zuerst wirklich unermeßlich große Zeiträume forderte; er konnte, wenn er die Vergangenheit und Zukunft der Erde an seinem geistigen Auge vorüberziehen ließ, »keine Spur eines Anfangs, keine Anzeichen eines Endes", 2 überhaupt keine zeitlichen Schranken wahrnehmen. Zum ersten Male finden wir hier die allein richtige Perspektive verwirklicht, die bei einer Aufzeichnung und Wiedergabe irdischer Entwicklungsvorgänge angewandt werden muß. Der Blick in die Unendlichkeit, in die unermeßlichen Räume des Weltalls, deren Erschließung und Zugänglichmachen wir der Astonomie verdanken, liefert uns. auch diese Fernsicht in die Urzeiten der Erde. Indessen fand diese Lehre H u t t o n s von den unermeßlichen Zeiträumen zunächst nicht die verdiente allgemeine Anerkennung, obwohl sich ihr manche Geologen anschlössen. B l u m e n b a c h sprach sich schon im Jahre 1790 sehr günstig über die neue Theorie aus und betonte dabei, daß der Jenenser Professor V o i g t , dessen wir oben gedacht, bereits vor H u t t o n ähnliche Gedanken veröffentlicht habe. 3 Besonders aber traten die Schotten J o h n P l a y f a i r (1748—1819) und J a m e s H a l l (1761 — 1852) für die Anschauungen ihres Landsmannes in die Schranken. Sie suchten diese weiter zu entwickeln, zu begründen und zu verbreiten. H u t t o n s Freund, P l a y f a i r , verstand es in seinen n Illustrations of the Huttonian Theory" (1802), die H u t t o n s c h e Lehre zu popularisieren, während sie gleichzeitig der Physiker H a l l auf experimentellem Wege durch Schmelzversuche zu begründen versuchte, 1 da sie doch eben nur eine Theorie war. Beide haben ferner auch die Lehre von der Summierung kleiner Wirkungen, welche H u t t o n nur andeutungsweise behandelte, mit Erfolg in das Gebiet der Geologie zu über-
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S. G ü n t h e r , Geophysik, 1897—99., II. Bd., S. 563. „That we find no v e s t i g e of b e g i n n i n g , no p r o s p e k t of an end." 3 . . . . „Da Dr. H u t t o n s Theorie in vielen Stücken so glücklich mit den kosmogonischen Ideen zusammentrifft, die Herr Prof. V o i g t schon vor vier Jahren in diesem Magazin geäußert hat" . . . . und »Dr. H u t t o n sagt von unserer Erde: „ . . . . may it not be also considered as an organised body?" Und Herr Prof. V o i g t a a. O.: »Wie nun, wenn man den Erdball als ein großes in seiner Art, wiewohl sehr grob, organisiertes Geschöpf ansähe?" - L i c h t e n b e r g - V o i g t , Magazin f. d. Neueste a. d. Physik und Naturgesch., Gotha 1790, 6. Bd., S. 18 f. 4 Transactions of the Royal Society of Edinbourgh, 1808. 2
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tragen gesucht. — Sehr treffend drückt P l a y f a i r die bedeutende Wirkung kleiner Ursachen bei großer Zeitdauer mit folgenden Worten Die Zeit integriert die infinitesimalen Teile der Wirkungen, sie sammelt sie in eine Summe". 1 Das Wesentliche der H u t t o n sehen Anschauungen, worauf allerdings den Hauptwert weniger er selber als seine späteren Anhänger legten, war freilich nicht die Länge der Zeit, sondern ein ganz anderes Moment. — »Die Ruinen einer älteren Welt", sagte der schottische Gelehrte, »sind in der gegenwärtigen Struktur unseres Planeten sichtbar; und die Schichten, welche jetzt unsere Kontinente zusammensetzen, lagen meist unter dem Spiegel des Meeres. Die nämlichen Kräfte zerstören noch heute teils auf mechanischem, teils auf chemischem Wege selbst die härtesten Gesteine und schaffen das Material nach dem Meere, wo es ausgestreut wird und ähnliche Schichten bildet, wie die aus älterer Zeit herrührenden. Diese Schichten, anfänglich als lockere Massen auf dem Boden des Ozeans abgesetzt, werden später verändert und erhärtet durch vulkanische Hitze, dann aufgerichtet, zerbrochen und gebogen." 2 In diesem letzten Satze liegt, wie Z i t t e l 3 sehr richtig hervorhebt, der Kernpunkt der Huttonschen Theorie und hiervon gingen die späteren Anschauungen aus, die sich zur Lehre vom Vulkanismus und schließlich der Katastrophen ausbilden sollten. H u t t o n s Untersuchungen über die Basalte und sonstigen kristallinischen Gesteine Schottlands hatten ihn zu der Überzeugung geführt, daß es außer den auf wässerigem Wege gebildeten Gebirgsarten noch andere gäbe, deren Ursprung nur durch vulkanische Tätigkeit erklärt werden könne. Der gewaltsame Einfluß dieser »plutonischen Gebilde" auf die versteinerungsführenden Nachbargesteine mußte notwendig zur Annahme von Katastrophen führen. Die weitere Ausbildung der H u t t o n s c h e n Lehre und namentlich der Vulkankunde durch die zwei größten Schüler W e r n e r s , Alex, v o n H u m b o l d t und L e o p . v o n B u c h , verschaffte ihr bald eine fast unbedingte Herrschaft. Damit wurde aber zugleich der Gedanke an Erdrevolutionen mehr und mehr 1 2 3
The Works of J o h n P l a y f a i r . 1822, Vol. I, S. 128. Zitiert nach Z i t t e l , Handbuch der Paläontologie, I. Bd., S. 36. Ebenda S. 36.
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geläufig. Wodurch sich diese einseitige Ausbildung einer vulkanischen Katastrophentheorie überhaupt ermöglichte, ist leicht einzusehen. Denn fand auch die von philosophischen Spekulationen keineswegs freie plutonische Theorie H u t t o n s gar viele und begeisterte Anhänger, vor seinen unermeßlich langen Zeiträumen schreckten doch noch die meisten Geologen und Naturforscher zurück. Viel eher und lieber wurde meist angenommen, und zwar ziemlich allgemein, es hätten sich gerade die bedeutendsten Veränderungen der Erde als Katastrophen, als Vorgänge von allerkürzester Zeitdauer und ganz ungeheurer, plötzlicher Kraftentfaltung abgespielt. Danach wäre dann die eigentliche Ausbildung unseres Planeten nicht in großen Zeiträumen erfolgt, sondern in diesen relativ kurzen Katastrophen, und nur den Intervallen, den Ruhepausen zwischen diesen einzelnen Revolutionen, sei eine lange Zeitdauer zuzuschreiben. So hat die Lehre H u t t o n s trotz ihrer Annahme unendlich langer Zeiträume in Wirklichkeit die Katastrophentheorie gefördert. Besonders waren es C u v i e r und seine deutschen Zeitgenossen L e o p o l d v o n B u c h und A l e x a n d e r v o n H u m b o l d t , welche die Lehre von den Erdrevolutionen ausbildeten und verbreiteten. Man wollte gleichsam ein Abbild der damaligen, politisch so bewegten Zeit haben. Wie in der Menschheitsgeschichte, so sollten Revolutionen auch in der Erdgeschichte wieder zu erkennen sein, und so mußten denn ungeheure Vulkane in gewaltigen Eruptionen die Gebirge plötzlich aufwerfen, mußten dabei alles lebende, organische Dasein von Grund aus vernichten, um — wenigstens nach der Anschauung C u v i e r s — durch den Willen des allmächtigen Schöpfers in der darauf folgenden Ruheperiode neu erschaffen und neu gebildet zu werden. Hierbei, so wurde gelehrt, sei ein allgemeines Prinzip erkennbar, wonach die jedesmal neu erschaffene Lebewelt auf einer höheren Stufe stehe als die zuvor untergegangene. Dadurch wurde die Erde in den alten Zeiten einerseits zum Schauplatz ganz gewaltiger geologischer Ereignisse gestempelt, die in ihrem P^troxismus förmlich ihre Existenz zu bedrohen geeignet erscheinen mußten, um andererseits wieder, gleichsam in der Erschöpfung nach einer solchen Katastrophe mit der Stille des Friedhofs Raum und Ruhe für eine neue Flora und Fauna zu gewähren. Natürlich war der menschlichen Phantasie bei der Ausmalung dieser Katastrophen ein weiter Spielraum
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gelassen, sie konnte sich dabei in Spekulationen aller Art nach Herzenslust ergehen. Leicht einzusehen ist darum, daß die Katastrophisten mit großen Zeiträumen nicht viel anzufangen wußten. Sie bedurften ihrer auch gar nicht; gewaltig, wie die bis heute erkennbaren Wirkungen irdischer Kräfte sich dem menschlichen Auge darbieten, so sollten auch seinerzeit die Ursachen gewesen sein. Da C u v i e r s Erdumwälzungen der Sintflut eine gewisse wissenschaftliche Berechtigung verliehen, so erklärt sich ganz natürlich, daß das Alter der Erde wieder auf die biblischen 6000 Jahre zurückgeführt wurde. Noch einmal wird die Geologie der Tummelplatz phantastischer Spekulationen und der Weg streng induktiver Forschung vollständig verlassen. Bis weit in das 19. Jahrhundert hat die Katastrophentheorie unter Führung der Heroen der Geologie ihre Herrschaft behauptet. Für die Zeitgenossen hatte C u v i e r s Methode im Bunde mit ihrer wundervollen Sachbeherrschung und durch die rücksichtslose Entschiedenheit seines Naturells, etwas geradezu Berauschendes. Kein Wunder, wenn seine Natur — die aber auch ein Tyrann in ihren Irrtümern wurde und im Bewußtsein, nirgendwo der faulen Konvention, sondern stets dem individuellsten Selbstdenken zu folgen — solche Irrtümer mit der ganzen Blindheit des verirrten Genies zu verfechten und beinahe die ganze europäische Wissenschaft in Banden zu schlagen verstand. W ä h r e n d b e i n a h e g a n z E u r o p a sich d e r L e h r e v o n d e n K a t a s t r o p h e n e n t s c h i e d e n z u n e i g t e , 1 u n t e r n a h m es Karl von Hoff, den Kampf g e g e n d i e s e l b e a u f z u n e h m e n . Schon durch seine ersten geologischen Studien war er zu ganz entgegengesetzten Ansichten gekommen, so hatte ihn bereits 1801 die Anordnung der Versteinerungen in ihren jetzigen Lagerstätten zu den wichtigsten Schlüssen geführt. Er schreibt darüber: „Alle unter Last schwerer Felsmassen begrabenen Versteinerungen, deren Originale aus dünnen Kalkschalen, aus zerbrechlichen Ästen bestanden, sind größtenteils so unversehrt in ihrer natürlichen Gestalt erhalten, als wenn der vorsichtigste Sammler sie mit Sorgfalt eingepackt hätte, um sie der Nachwelt aufzubewahren. Viele Abdrücke 1
Whewell, 3. Bd., S. 690.
Geschichte der induktiven Wissenschaften, Stuttgart 1841,
um die Begründung der modernen Geologie
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der zartesten Kräuter, der weichsten Schilfe finden sich in den Steinkohlengebirgen deutlich und in ihrer natürlichen Lage. D i e s e U m s t ä n d e f ü h r e n s e h r u n g e z w u n g e n auf d e n G e d a n k e n , d a ß d i e S t e i n m a s s e n , in w e l c h e n e i n e s o l c h e A n o r d n u n g d e r V e r s t e i n e r u n g e n s t a t t f i n d e t , auf e i n e W e i s e g e b i l d e t w o r d e n sein m u ß t e n , welche die G e s c h ö p f e nicht zerstörte, folglich ohne heftige B e w e g u n g e n oder Revol u t i o n e n u n d a l l m ä h l i c h in g r o ß e n Z e i t r ä u m e n . " 1 Zum erstenmal war dieses Moment in den Kreis der Betrachtungen gezogen worden und damit zugleich ein gewichtiger Beweis gegen die Unnatürlichkeit der Erdumwälzungen erbracht. Ein weiterer erfolgte 1814. Auf ihn kam v o n Hoff durch seine eingehenden geologischen Studien in der Thüringer Heimat. Während die meisten seiner Zeitgenossen die Entstehung der Trümmergesteine, die Bildung der Konglomerate und Ablagerungen des Totliegenden auf verheerende Wasserfluten zurückführten, erkannte der Gothaer Geolog aus der Lagerung dieser Felsarten und ihrer äußeren Kennzeichen die entgegengesetzte Entstehungsweise: »Um d i e B i l d u n g d e s T o t l i e g e n d e n u n d d i e E i n m e n g u n g d e r T r ü m m e r u n d d e r g r o ß e n G e s c h i e b e in d a s s e l b e zu e r k l ä r e n , d ü r f t e m a n w e n i g e r zu g r o ß e n K r ä f t e n , als zu g r o ß e n Z e i t r ä u m e n s e i n e Z u f l u c h t zu n e h m e n h a b e n . Mit den Z e i t r ä u m e n hat man d u r c h a u s nicht nötig haush ä l t e r i s c h u m z u g e h e n , in d e r G e s c h i c h t e d e s E r d b a l l s a b e r w o h l mit d e n K r ä f t e n . D i e Z e i t h i n t e r u n s ist so e n d l o s als d i e v o r u n s , a b e r d i e g r ö ß t e n N a t u r k r ä f t e s i n d d o c h in R e g e l n u n d G e s e t z e g e z w ä n g t . G e w i ß g i l t in d e r G e o l o g i e g a r s e h r d a s „ g u t t a c a v a t l a p i d e m n o n vi sed saepe c a d e n d o " . 2 Das war eine Absage an die Katastrophisten, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ! Haushälterisch mit den Kräften umzugehen, verlangte v o n Hoff von Leuten, deren schrankenlose Phantasie sich in der Vorstellung gewaltiger und zerstörender Erschütterungen, des Erdballs durch unermeßliche Kräfte nicht genug tun konnte. Tatsächlich stand die hier aus1
v o n H o f f , Magazin f. d. ges. Mineral., S. 285. v o n H o f f , Beschreibung des Trümmergebirges, L e o n h . Taschenb. f. Min. Jg. 1814, S. 339 f. 2
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gesprochene Anschauung in völligem Gegensatz zum geologischen Heroismus C u v i e r s , und der beiden Deutschen H u m b o l d t und Buch. Die immer mehr zur Herrschaft gelangende Katastrophentheorie 1 zeigte aber v o n H o f f , daß die bisher gegen dieselbe geäußerten Gründe — trotz exaktester Naturbeobachtung — nicht genügten, um sie aus dem Felde zu schlagen. Erst mußte ihr der Boden entzogen und die Grundlage geschaffen werden, auf der sich sicher und fest die Lehre von einer allmählichen Umwandlung der Erdoberfläche aufbauen konnte. Während seine Zeitgenossen zur Erklärung der geologischen Tatsachen hypothetische Kräfte zu Hilfe nahmen, diesen Wirkungen beilegten, die in der Jetzzeit ihresgleichen nicht mehr haben, stellte sich der Gothaer Forscher die Aufgabe, „vor allen Dingen zu untersuchen, ob die jetzt vor den Augen des Menschengeschlechtes wirkenden Naturkräfte und insbesondere die Art, wie sie wirken, nicht schon allein und nur mit Ausdehnung ihrer Wirksamkeit durch große — sehr große Zeiträume hinreichend gewesen sein möchten, die äußeren Formen der Erdoberfläche und einen bedeutenden Teil der die oberste Rinde bildenden Massen so hervorzubringen und auszubilden, wie man sie jetzt findet? — oder ob es wirklich notwendig ist, außerdem noch plötzliche, weitverbreitete und außerordentliche Revolutionen von einer Art, von welcher in der geschichtlichen Überlieferung keine Spuren mehr vorkommen, anzunehmen, um darauf nach der Weise der meisten Geologen Systeme der Erdbildung zu gründen? — Systeme, bei welchen man gewöhnlich Sparsamkeit nur übt an den ohne Maß zu Gebote stehenden Zeiträumen der Vergangenheit, und dagegen die überall in der Natur nach strengen Gesetzen gemessenen und gewogenen Kräfte und ihre nicht minder gemessenen Wirkungen mit verwegenen Händen zu steigern bemüht ist und sie ohne Maß vergeudet." 2 1 C u v i e r s Ansichten über die Entstehung und Veränderungen der Erde wurden bereits 1808 in einem Bericht an den Kaiser Napoleon angedeutet und 1812 zum erstenmal veröffentlicht in den vier Bänden der Recherches sur les ossements fossiles als Discours préliminaire. In der zweiten Auflage der Recherches