Justizreform und Rechtsstaatlichkeit: Forschungssymposium anläßlich des 100. Geburtstages von Carl Hermann Ule (26.2.1907 - 16.5.1999) [1 ed.] 9783428527229, 9783428127221

Anläßlich des 100. Geburtstages (am 26. Februar 2007) des 1999 verstorbenen bedeutenden Öffentlichrechtlers Carl Hermann

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Justizreform und Rechtsstaatlichkeit: Forschungssymposium anläßlich des 100. Geburtstages von Carl Hermann Ule (26.2.1907 - 16.5.1999) [1 ed.]
 9783428527229, 9783428127221

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Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 197

Justizreform und Rechtsstaatlichkeit Forschungssymposium anläßlich des 100. Geburtstages von Carl Hermann Ule (26. 2. 1907–16. 5. 1999)

Herausgegeben von

Detlef Merten

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

DETLEF MERTEN (Hrsg.)

Justizreform und Rechtsstaatlichkeit

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 197

Justizreform und Rechtsstaatlichkeit Forschungssymposium anläßlich des 100. Geburtstages von Carl Hermann Ule (26. 2. 1907–16. 5. 1999)

Herausgegeben von

Detlef Merten

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 978-3-428-12722-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Am 26. Februar 2007 wäre Carl Hermann Ule einhundert Jahre alt geworden. Dieser Termin war für Kollegen und Weggefährten, Freunde und Schüler Anlass, zusammen mit der Familie des am 16. Mai 1999 verstorbenen Gelehrten, der von 1955 bis 1972 den Lehrstuhl für öffentliches Recht, insbesondere allgemeines und besonderes Verwaltungsrecht an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer innehatte und deren Ruf im Inland und Ausland maßgeblich geprägt hat, in einem Forschungssymposium des Forschungsinstituts zu gedenken. Die Referate dieser Tagung, die unter dem Titel „Justizreform und Rechtsstaatlichkeit“ in der Zeit vom 28. Februar bis 1. März 2007 stattfand und deren Eröffnung der Justizminister des Landes Rheinland-Pfalz, Herr Staatsminister Dr. Bamberger, liebenswürdigerweise mit einem Fachreferat übernommen hatte, werden im Folgenden abgedruckt. Dabei wird auch die Rede veröffentlicht, die Herr Rechtsanwalt Dr. Bahls, langjähriger Sozius und früherer Assistent des Zentenars, am Abend des Forschungssymposiums gehalten hatte. Das Schlusswort des Herausgebers war bedauerlicherweise nicht mehr zu rekonstruieren. Speyer, im Dezember 2008

Detlef Merten

Inhaltsverzeichnis Zur Vereinheitlichung der Fachgerichtsbarkeiten Von Heinz Georg Bamberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Eine vergessene Episode in Carl Hermann Ules Richterleben: sein Eintreten für die Filmkunstfreiheit Von Klaus Stern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ein Prozessualist – Erinnerungen an Carl Hermann Ule Von Klaus König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abschied von der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle von Bebauungsplänen? Ein Drama in mehreren Akten Von Jan Ziekow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zur Aktualität einer einheitlichen Verwaltungsprozessordnung Von Jens Meyer-Ladewig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zur Reform des Beamtenrechts Von Hans-Werner Laubinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Drei Reisen in die ehemalige DDR und in die neuen Bundesländer mit Professor Ule in den Jahren 1990 und 1991 Von Dietrich Bahls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Verzeichnis der Referenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

Zur Vereinheitlichung der Fachgerichtsbarkeiten Von Heinz Georg Bamberger I. Einleitung Der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer und insbesondere Herrn Professor Merten danke ich für die freundliche Einladung zu diesem Symposium, das zum 100. Geburtstag des großen Verwaltungswissenschaftlers und Juristen Carl Hermann Ule hier in Speyer stattfindet. Mein Thema ist die „Vereinheitlichung der Fachgerichtsbarkeiten“. Es spielt seit einigen Jahren eine Rolle und wird unter dem größeren Thema „Große Justizreform“ diskutiert. Die Thematik betrifft zwei Bereiche: Einmal geht es um die Frage der eher äußeren Organisation, also der Zusammenlegung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten (Verwaltungsgerichtsbarkeit, Sozialgerichtsbarkeit, Finanzgerichtsbarkeit). Sodann ist mit dem Thema aber auch die – gleichsam innere, substanzielle – Angleichung der Gerichtsverfassungen und der Verfahrensordnungen dieser (und anderer) Gerichtsbarkeiten verbunden. Ich möchte im folgenden zunächst über die Frage der Zusammenlegung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten sprechen. In einem zweiten Abschnitt darf ich kurz auf die Frage der Eingliederung der Arbeitsgerichtsbarkeit (als einer privatrechtlichen Fachgerichtsbarkeit) in die ordentliche Gerichtsbarkeit eingehen. Im dritten und letzten Abschnitte möchte ich – anhand einiger Beispiele – auf die Probleme und Schwierigkeiten der Angleichungen der Gerichtsverfassungen und Verfahrensordnungen zu sprechen kommen. II. Zusammenlegung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten Der Bundesrat hat mit den Stimmen des Landes Rheinland-Pfalz die Einbringung zweier Gesetzentwürfe beschlossen, die den Ländern die Zusammenlegung der öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten ermöglichen sollen. Der Gesetzesentwurf sieht sowohl die Bildung einer einheitlichen öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeit unter Einbeziehung der Finanzge-

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richte als auch die Beschränkung auf eine Fusion der Verwaltungsgerichte und der Sozialgerichte vor. Ein größerer Teil der Bundesländer, darunter die neuen Länder, aber auch Rheinland-Pfalz sowie Niedersachsen, würde eine Zusammenlegung dieser Gerichtsbarkeiten in der einen oder auch anderen Form begrüßen. Dabei geht es weniger um eine unmittelbare Verbesserung des Rechtsschutzes als darum, die bestehenden personellen und anderen Ressourcen durch Bildung größerer Einheiten insgesamt besser nutzbar machen zu können. 1. Zusammenlegung der Verwaltungs- und der Sozialgerichtsbarkeit Die Belastung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Sozialgerichtsbarkeit war im letzten Jahr sehr unterschiedlich. Hatte noch in den neunziger Jahren die Verwaltungsgerichtsbarkeit vor allem wegen der Asylverfahren eine hohe Arbeitslast zu tragen, so kehrte sich dies nach der Änderung des Asylrechts, aber auch aus anderen Gründen um. Die Belastung der Sozialgerichtsbarkeit war insbesondere in den Jahren 2002 bis 2004 recht hoch, zunächst durch eine Vielzahl anfallender Verfahren im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung, später dann auch, weil sie die Sozialhilfesachen von der Verwaltungsgerichtsbarkeit übernahm. Sie ist auch gegenwärtig wegen der zahlreichen Verfahren im Zusammenhang mit der Hartz IV-Regelung erheblich. Demgegenüber sinken die Verfahrenszahlen bei den Verwaltungsgerichten stark, und zwar ohne dass dies im richterlichen Personal ausgeglichen werden könnte. Bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit gibt es zur Zeit so gut wie ausschließlich Richter auf Lebenszeit, die nur mit ihrer Zustimmung abgeordnet und versetzt werden könnten. Durch einen den unterschiedlichen Belastungen besser angepassten, flexibleren Einsatz der Richter ließe sich die Gesamtsituation nicht unerheblich verbessern. Auch zukünftig könnte einer Änderung der Zuweisung von Sachen zu einer der beiden Gerichtsbarkeiten oder aber auch entstehenden Belastungsspitzen mittels einer zusammengeführten Gerichtsbarkeit leichter begegnet werden, als es derzeit durch personalwirtschaftliche Mittel wie Abordnung oder Versetzung möglich ist. Weitere Synergieeffekte ergäben sich bei der Behördenleitung und in der Gerichtsverwaltung wie auch im Bereich des unterstützenden Personals. In Rheinland-Pfalz würde eine Zusammenlegung der Verwaltungs- und der Sozialgerichte dadurch begünstigt, dass die Gerichtsorte bei den erstinstanzlichen Gerichten in drei von vier Fällen (Koblenz, Mainz und Trier) identisch

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sind. Lediglich in der Pfalz sind Verwaltungs- und Sozialgericht mit Neustadt an der Weinstraße und Speyer in verschiedenen Städten ansässig. Nach einer Zusammenlegung gäbe es größere, dennoch noch überschaubare, in jedem Fall aber effizientere Einheiten. Den zusammengelegten Gerichten würden zwischen zwanzig und fünfunddreißig Richterinnen und Richter angehören. Das wäre gerade eine richtige, gut handhabbare Größe sowohl was den wirtschaftlichen Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch die Sicherstellung der sachlichen Ressourcen angeht. 2. Öffentlich-rechtliche Fachgerichtsbarkeit unter Einbeziehung des Finanzgerichts Auch die Schaffung einer öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeit, welche die Finanzgerichte einbezieht, wäre wegen auch dann eintretender durchaus beachtlicher Synergieeffekte sinnvoll, ohne das der Rechtsschutz darunter leiden müsste. In seinem jüngst veröffentlichten Jahresbericht zu dieser Frage einer Einbeziehung des Finanzgerichtes kommt der Rechnungshof Rheinland-Pfalz zu dem Ergebnis, dass sich bereits ohne räumliche Zusammenführung der Gerichte ein erhebliches Einsparpotential ergeben würde. Allein im Bereich der Gerichtsverwaltung und des richterlichen Dienstes wären bei Bildung eines gemeinsamen Obergerichtes und von vier erstinstanzlichen Fachgerichten nahezu vierunddreißig Stellen verzichtbar, womit sich die Personalausgaben um etwa zwei Millionen Euro jährlich verringern würden. 3. Kritik Die gegenwärtig bestehende Struktur von insgesamt fünf eigenständigen Gerichtsbarkeiten ist durch Art. 95 Abs. 1 GG festgeschrieben. Der Bundesrat hat deshalb flankierend zu dem Zusammenlegungsgesetz einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Durch eine Ergänzung des Art. 92 GG soll dabei klargestellt werden, dass Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit durch Fachgerichte der Länder einheitlich ausgeübt werden können. Damit wäre die in Art. 95 GG festgeschriebene Ausgestaltung der obersten Gerichtshöfe des Bundes kein Hindernis für eine Öffnungsklausel, die den Ländern für ihren Bereich eine andere Struktur ermöglicht. Hier setzt dann auch die Kritik aus Politik und Verbänden an. Mit Einführung einer Länderöffnungsklausel ginge die bisher einheitliche Struktur der öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeit in Deutschland verloren. Da-

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runter leidet die Übersichtlichkeit der Gerichtsorganisation in Deutschland. Das kann man so sehen. Andererseits haben wir einen föderalen Staatsaufbau. Eine Länderöffnungsklausel hätte den Vorteil, dass jedes Bundesland die gerichtliche Organisation der Fachgerichtsbarkeiten seinen Verhältnissen und Bedürfnissen angleichen könnte. Standortfragen sind immer lösbar. In Rheinland-Pfalz etwa würde sich als Problem ergeben, dass das Oberverwaltungsgericht in Koblenz, das Landessozialgericht in Mainz seinen Sitz hat. Diese Frage ist lösbar. Ähnliche Probleme gibt es in der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Dort werden sie zum Beispiel mit der Einrichtung auswärtiger Senate gelöst. Für andere Bundesländer wird sich die Frage stellen, ob die gerichtlichen Einheiten nicht bei einer Zusammenlegung zu groß werden. Das gilt beispielsweise für Nordrhein-Westfalen. Probleme können sich auch dann ergeben, wenn Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit unterschiedlichen Ministerien zugeordnet sind, wie beispielsweise in Bayern. Ich meine aber, all dies ist lösbar. Die Länderöffnungsklausel lässt zudem die Möglichkeit, es bei der Trennung der Gerichtsbarkeiten zu belassen. Die Sozialverbände, also der Sozialverband Deutschland und der Sozialverband VdK, sowie die Gewerkschaften stehen einer Zusammenlegung kritisch gegenüber. Sie meinen, die Sozialgerichtsbarkeit habe sich als eigenständiger Gerichtszweig bewährt. Sie befürchten, dass die hohe Akzeptanz der Sozialgerichte bei den Versicherten, ihr eigenständiges Profil und ihre Fachkompetenz bei einer Zusammenlegung mit der Verwaltungsgerichtsbarkeit verloren gehe. Sie argumentieren, dass es im sozialgerichtlichen Verfahren um die Wahrung der vielfach durch Beitragszahlungen erworbenen Ansprüche der Versicherten gegenüber den Versicherungsträgern gehe. Demgegenüber sei das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten durch das Verhältnis Bürger-Staat geprägt. Das hoheitliche Über- und Unterordnungsverhältnis stehe hier im Vordergrund. Nach meiner Auffassung würde eine Zusammenlegung weder die Qualität der Rechtsprechung im sozialrechtlichen Bereich noch die der Verwaltungsgerichte berühren. Für beide Gerichtsbarkeiten gelten vergleichbare prozessuale Grundsätze. Auch das vorausgehende Verwaltungsverfahren orientiert sich weitgehend an einheitlichen Kriterien. So kennt auch das sozialbehördliche Verfahren den Begriff des Verwaltungsaktes und definiert ihn nach gleichen Kriterien, wie sie für das allgemeine Verwaltungsverfahren gelten. Auch die Sozialgerichte entscheiden über Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen, in denen ein Über- und Unterordnungsverhältnis zum Ausdruck kommt. Ich befürchte keinen Verlust richterlicher Fachkompetenz und richterlicher Erfahrung, wenn bislang bei den Verwaltungsgerichten tätige Richte-

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rinnen und Richter den Vorsitz sozialgerichtlicher Kammern übernehmen. Die Erfahrung in Rheinland-Pfalz wie in anderen Bundesländern hat gezeigt, dass es den Sozialgerichten gelungen ist, sich in kürzester Zeit mit den neuen Rechtsgebieten der Grundsicherung für Arbeitsuchende, der Sozialhilfe und der Leistungen für Asylbewerber vertraut zu machen, früher zum Teil den Verwaltungsgerichten zugewiesene Verfahren. Gleichzeitig haben sich vom Verwaltungsgericht zum Sozialgericht gewechselte Richterinnen und Richter ohne nennenswerte Reibungsverluste in ihnen bislang unbekannte Gebiete des Sozialrechtes eingearbeitet. Schließlich ist auch nicht daran gedacht, sachlich gerechtfertigte Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens aufzugeben, etwa die Besetzung mit einem Berufsrichter und zwei paritätisch berufenen ehrenamtlichen Richtern. 4. Chancen der Verwirklichung Gute Argumente besserer Effizienz, geringerer Kosten beider Gerichtsbarkeiten sprechen also für eine Zusammenlegung, ohne dass darunter der Rechtsschutz leiden würde. Im Gegenteil dürften sich auch für die Rechtsschutzgewähr bei einer Zusammenlegung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten eher Vorteile ergeben. Gleichwohl sind die Erfolgsaussichten der Gesetzentwürfe im Bundestag derzeit – jedenfalls bis zum Ende der Legislaturperiode des Bundes – eher zurückhaltend zu beurteilen. Sowohl die Einbeziehung der Finanzgerichtsbarkeit in eine einheitliche öffentliche Gerichtsbarkeit als auch die beabsichtigte Länderöffnungsklausel für eine Zusammenlegung der Verwaltungs- und Sozialgerichte stoßen im Bund auf Widerstand. Dort scheint keine Bereitschaft zu bestehen, über den Stand der Föderalismusreform I hinaus weitere Bereiche für eine gesetzliche Regelung durch die Länder zu öffnen. Ursprünglich hatte es die Absicht gegeben, dieses Vorhaben in den Koalitionsvertrag aufzunehmen. Das ist dann nicht geschehen. Inzwischen haben sich hochrangige Politiker der SPD für diese laufende Legislaturperiode gegen ein Weiterbetreiben des Gesetzentwurfes ausgesprochen, so dass wir damit leider nicht mehr rechnen können. Ich denke aber, später wird das Vorhaben wieder aufgegriffen werden. Einstweilen behelfen sich die Bundesländer, wie man sieht, anders. Niedersachsen versucht seine Verwaltungsgerichte dadurch besser auszulasten, dass es das Widerspruchsverfahren abschafft. Andere Bundesländer räumen dem Betroffenen ein Wahlrecht ein. Er kann also wählen, ob er zunächst das Widerspruchsverfahren in Anspruch nehmen will oder sofort zum Verwaltungsgericht klagt.

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III. Zusammenlegung der Arbeits- und Zivilgerichte Vor Jahren gingen Überlegungen auch dahin, die Arbeitsgerichtsbarkeit mit der Zivilgerichtsbarkeit zusammenzulegen. Rheinland-Pfalz hat das stets abgelehnt – insofern im Einklang mit den überwiegenden Stimmen der Praxis und der Verbände auf Arbeitgeber- und auf Arbeitnehmerseite. Anlass für die insbesondere auf einen Vorstoß Niedersachsens zurückgehenden Überlegungen waren vor allem wirtschaftliche Erwägungen. Man erhoffte sich von der Zusammenführung der Arbeits- und Zivilgerichtsbarkeit Synergieeffekte, die langfristig zu Kosteneinsparungen und einer Effektivitätssteigerung führen sollten. Gedacht war etwa an die gemeinsame Nutzung von Gerichtsgebäuden sowie einen flexibleren Personaleinsatz. Heute steht die Eigenständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht mehr zur Diskussion. Zu Recht, wie ich meine. Vor allem die verfahrensspezifischen Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, die eine doch recht starke Spezialisierung der Richterinnen und Richter erfordern, sprechen gegen die Zusammenlegung dieser beiden Gerichtsbarkeiten. Auch die im Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit bestehende kurze Verfahrensdauer, die nicht zuletzt auch auf die Möglichkeit der mediativen Verfahrenserledigung zurückzuführen ist, steht einer solchen Änderung entgegen. IV. Angleichung der Gerichtsverfassungen und der Verfahrensordnungen Die Justizministerkonferenz hat sich für eine allgemeine Neuordnung des Gerichtsverfassungs- und Prozessrechts ausgesprochen und festgelegt, dass sich diese Überlegungen (zunächst) nur auf das Verfahren erster Instanz beziehen sollen. Hier geht es in der Tat um die Qualität des Rechtsschutzes im engeren Sinne. Geprüft wird, ob Regelungen, die gegenwärtig für die einzelnen Gerichtsbarkeiten unterschiedlich sind, vereinheitlicht werden können. Die Justizministerinnen und Justizminister haben einen ganzen Katalog von Themen, Problemen und Sachfragen, bezogen auf die einzelnen Gerichtsverfassungen und Prozessordnungen, aufgestellt. Das Justizministerium Rheinland-Pfalz hat in diesem Rahmen die Bearbeitung der nicht ganz unwichtigen und durchaus auch komplexen Themen „Richter“ und „Beteiligte/Parteien“ übernommen. Nach den inhaltlichen Vorgaben der Justizministerkonferenz soll es dabei vorrangiges Ziel sein, für alle Gerichtsbarkeiten eine möglichst einheitliche Besetzung der Richterbank zu schaffen.

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1. Ausgangsüberlegung Ausgangsüberlegung ist dabei, dass in der ersten Instanz grundsätzlich der Einzelrichter entscheiden sollte, nur im Ausnahmefall ein Kollegium. Hier gibt es zur Zeit noch, was die Spruchkörper bei den Landgerichten angeht – die ich einmal einbeziehen will –, bei den Verwaltungsgerichten und den Sozialgerichten nicht unerhebliche Unterschiede. Die zentrale Frage ist, ob diese Unterschiede sachlich gerechtfertigt sind. Hierbei ist es oftmals erforderlich, einen Schritt zurückzutreten und Strukturen, die man lange und gut kennt, die sozusagen „eingefahren“ sind, zu hinterfragen. Uns sind dabei zwei Muster aufgefallen: Einmal gibt es Unterschiede, bei denen eine Vereinheitlichung auf den ersten Blick nahe liegt, für die sich bei genauerem Hinsehen jedoch sachliche Gründe finden. Andererseits gibt es Bereiche, für die eine bestimmte, je unterschiedliche Regelung scheinbar spezifisch auf die jeweilige Verfahrensordnung zugeschnitten ist, ohne dass sich ein überzeugender Grund gegen eine einheitliche Regelung finden lässt. 2. Sachlich legitimierte Unterschiede Zur ersten Gruppe – sachlich gerechtfertigte Unterschiede – gehört beispielsweise die unterschiedliche Besetzung der ersten Instanz: Im Zivilprozess entscheidet grundsätzlich der so genannte originäre Einzelrichter. Das heißt, beim Landgericht fällt die „normale“ Zivilsache gar nicht erst bei der Kammer an, sondern unmittelbar beim Einzelrichter, der sie unter bestimmten Umständen (besondere Schwierigkeit, grundsätzliche Bedeutung) der Kammer zur Übernahme vorlegen kann. Nur für bestimmte, tendenziell schwierige spezielle Sachgebiete und bei Einsatz eines Proberichters im ersten Jahr ist zunächst ein Tätigwerden der Kammer vorgesehen. Diese ist aber auch dann zur Übertragung auf den Einzelrichter befugt, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten aufweist oder keine grundsätzliche Bedeutung hat. Anders ist dies in der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dort sind die Kammern grundsätzlich mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzt; der Prozess fällt bei der Kammer an. Warum sollte die im Zivilprozess geltende Regelung nicht auch auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren Anwendung finden können? Diese Frage stellt sich umso mehr, als auch in der verwandten Sozialgerichtsbarkeit erstinstanzlich nur ein Berufsrichter tätig ist, der zusammen mit zwei ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

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Bei näherem Zusehen erweist sich, dass das verwaltungsgerichtliche Verfahren Besonderheiten hat, die eine solche Vereinheitlichung problematisch erscheinen lassen. Im Zivilprozess geht es in der ersten Instanz in vielen Fällen zunächst einmal um die Aufklärung und Festlegung des Sachverhalts. Demgegenüber entscheiden Verwaltungsgerichte in erster Instanz – bei zumeist feststehendem Sachverhalt – über durchweg neue und schwierigere Fragen zu speziellen Rechtsgebieten (Beamtenrecht, Polizeirecht, Öffentliches Baurecht, Planungsrecht usw.). Vor allem scheint mir die Breitenwirkung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen größer zu sein. Die Verwaltungsbehörden des Gerichtsbezirks und darüber hinaus orientieren ihre Verwaltungspraxis an Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, die sie für grundlegend halten. Dies setzt aber voraus, dass die Rechtsprechung als einheitlich wahrgenommen wird. Die mit der Vereinheitlichung der Verfahrensordnungen betraute Arbeitsgruppe des Ministeriums der Justiz hat daher vorgeschlagen, im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen und des finanzgerichtlichen Verfahrens lediglich eine verpflichtende Übertragung auf den Einzelrichter bei solchen Verfahren vorzusehen, die keine besonderen Schwierigkeiten aufweisen und keine grundsätzliche Bedeutung haben. Ein nur vermeintlich leicht zu bestellendes Feld für eine Vereinheitlichung stellen auch die Regelungen über die ehrenamtlichen Richter dar. Auch hier zeigt sich, dass es für durchaus differierende Regelungen sachliche Gründe gibt. Juristische Laien kommen in allen Gerichtsbarkeiten in einer Reihe von Spruchkörperbesetzungen zum Einsatz. So sind die Kammern für Handelssachen bei den Landgerichten mit zwei ehrenamtlichen Handelsrichtern besetzt. In Strafverfahren wirken bei den Schöffengerichten und den Strafkammern ehrenamtliche Richter mit. Die Arbeits- und Sozialgerichte entscheiden in der Besetzung mit einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern. Bei den Verwaltungsgerichten und den Finanzgerichten bestehen die Spruchkörper aus drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern. Warum – so sollte man vermuten – lassen sich diese Strukturen nicht vereinheitlichen? Betrachtet man die Funktion und Auswahl der ehrenamtlichen Richter in den einzelnen Verfahrensordnungen genauer, so ergeben sich gravierende Unterschiede. Bei den Kammern für Handelssachen sowie im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren sollen die ehrenamtlichen Richter gewährleisten, dass externer Sachverstand in die Entscheidungsfindung einfließt. Zudem achten die Verfahrensordnungen hinsichtlich der Arbeits- und Sozialgerichte auf eine paritätische Besetzung der Richterbank. Bei den Arbeits-

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gerichten entstammt ein ehrenamtlicher Richter dem Kreis der Arbeitnehmer, der andere gehört zur Arbeitgeberseite. Bei den Sozialgerichten sind die Regelungen nach einzelnen Rechtsgebieten weiter ausdifferenziert. So gehört bei den Kammern in Angelegenheiten der Sozialversicherung ein ehrenamtlicher Richter dem Kreis der Versicherten an, der andere dem Kreis der Arbeitgeber. Die Beteiligung von Schöffen im Strafverfahren soll verhindern, dass die dort zu beurteilenden Sachverhalte allein aus juristischer Sicht gesehen werden. Hier soll sozusagen das Volk, in dessen Namen Recht gesprochen wird, mitentscheiden und auch eine gewisse interne Kontrolle ausüben können. Demgegenüber kommt der Beteiligung ehrenamtlicher Richter im verwaltungs- und im finanzgerichtlichen Verfahren lediglich die Bedeutung zu, dass sie ihre Lebenserfahrung in die Entscheidungsfindung einbringen. Die Berufsrichter sollen zudem durch die Beteiligung der Laien gehalten sein, ihre Entscheidungen in einer besser verständlichen Weise zu begründen. Der Einsatz ehrenamtlicher Richter ist hiernach in den einzelnen Fachgerichtsbarkeiten von unterschiedlicher Bedeutung. Hieraus folgt, dass es weiterhin bei spezifischen Regelungen für Auswahl und Heranziehung der ehrenamtlichen Richter in den jeweiligen Bereichen bleiben muss. 3. Unterschiedliche Regelungen ohne sachlichen Grund Nun zu der zweiten Gruppe, in der eine bestimmte, sich von der vergleichbaren Regelung unterscheidende Normierung auf die jeweilige Verfahrensordnung zugeschnitten scheint, sich letztlich aber kein überzeugender Grund gegen eine einheitliche Regelung finden lässt. So sieht die Finanzgerichtsordnung singulär die Möglichkeit vor, Gerichtspersonen abzulehnen, wenn von ihrer Mitwirkung die Verletzung eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses oder Schaden für die geschäftliche Tätigkeit eines Beteiligten zu erwarten ist. Diese Regelung ist wichtig, da im finanzgerichtlichen Verfahren das Steuergeheimnis zu wahren ist und gleichzeitig die Untersuchungsmaxime gilt. Es soll verhindert werden, dass ein in Konkurrenz zu dem Beteiligten stehender ehrenamtlicher Richter Einblick in geheime Geschäftsunterlagen erhält, aus denen er für seine geschäftliche Tätigkeit nützliche Schlussfolgerungen ziehen kann. Selbst wenn der Hauptanwendungsfall der Vorschrift im finanzgerichtlichen Verfahren liegt, so ist vorstellbar, dass die von ihr erfasste Konfliktsituation auch in anderen öffentlich-rechtlichen Verfahren, in Verfahren vor der Kammer für Handelssachen, vor dem Arbeitsgericht oder in Steuer-

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oder Wirtschaftsstrafverfahren auftreten kann. Die Arbeitsgruppe beim Ministerium der Justiz hat deshalb vorgeschlagen, einen entsprechenden Ablehnungsgrund für alle Gerichtsbarkeiten vorzusehen. Ein weiteres Beispiel für Regelungen, die spezifisch ausgestaltet sind, für deren Unterschiedlichkeit sich aber letztlich keine zwingende Erklärung finden lässt, zeigt sich bei der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch. Hierzu soll exemplarisch auf die Arbeits- und Sozialgerichte abgestellt werden, die in erster Instanz gleich besetzt sind, und zwar mit einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern. Bei den Arbeitsgerichten entscheidet über die Ablehnung eines Richters die Kammer in ihrer vollen Besetzung, also unter Einbeziehung der ehrenamtlichen Richter. Im sozialgerichtlichen Verfahren dagegen entscheidet über ein Ablehnungsgesuch das Landessozialgericht und damit die zweite Instanz. Der Vergleich beider Verfahren zeigt, dass sich die abweichende Regelung allein aus einem Unterschied in der Schwerpunktsetzung ergibt: Während im arbeitsgerichtlichen Verfahren der Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung im Vordergrund steht, soll im sozialgerichtlichen Verfahren sichergestellt werden, dass ein mit Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht über das Ablehnungsgesuch entscheidet, womit qualitative Aspekte betont werden. Diese Differenzierung ist aber nicht zwingend und steht einer Vereinheitlichung nicht im Wege. Der Entwurf der Arbeitsgruppe des Ministeriums sieht daher eine einheitliche Regelung vor, nach der über das Ablehnungsgesuch grundsätzlich dasjenige Gericht entscheidet, dem der Betroffene angehört. V. Schluss Sie sehen, wie durchaus schwierig und auch umfangreich gen sind, die Gerichtsbarkeiten in ihren Verfassungen und nungen zu vereinheitlichen. Dies alles muss noch kontrovers diskutiert werden. Wir hoffen auf eine profunde Begleitung schaft und Praxis.

die BestrebunVerfahrensordund eingehend durch Wissen-

Den Namen Carl Hermann Ule, an dessen einhundertsten Geburtstag heute erinnert wird, habe ich zum ersten Mal vor rund vierzig Jahren als junger Student in einem Seminar bei Otto Bachof in Tübingen gehört. In einem 1965 erschienen Buch, das ich mir damals kaufte – es heißt „Verwaltung, eine einführende Darstellung“, und wurde herausgegeben von Fritz Morstein Marx – findet sich auch ein Aufsatz von Ule; dort schreibt er über den Verwaltungsjuristen und andere Fachleute. Ich darf kurz zitieren:

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„Diese schon erwähnten Fachleute stellen zur Erfüllung der ihnen gestellten Verwaltungsaufgaben ihr spezifisches Fachwissen, die intime Kenntnis der Sachfragen und ihrer Probleme zur Verfügung. Doch neigen solche Fachleute dazu, die Sachfragen ihres Fachgebietes zu verabsolutieren. Für sie hat die fachlich beste Lösung einer bestimmten Sachfrage oft den Vorrang vor anderen Überlegungen. Setzt das geltende Recht einer solchen Lösung Schranken, so wird das von dem Fachmann als lästig empfunden. Der ‚lästige Jurist‘ (ein Ausdruck von Ernst Forsthoff) ist das Kind einer Entwicklung, die den Juristen in der Verwaltung zurückdrängt und den Fachmann an seine Stelle gesetzt hat“.

Diese Entwicklung geht weiter. Dabei stehen seit geraumer Zeit, auch für die Justiz, die Sachfragen der Wirtschaftlichkeit, der Effizienz, der Kosten recht stark im Vordergrund. Wenn es um die wichtige Frage der Qualität des Rechtsschutzes geht, dann brauchen wir deshalb heute mehr als je, glaube ich, „lästige Juristen“.

Eine vergessene Episode in Carl Hermann Ules Richterleben: sein Eintreten für die Filmkunstfreiheit Von Klaus Stern Wenn ich heute bei diesem Forschungssymposion anläßlich des 100. Geburtstags des großen „Speyerers“ Carl Hermann Ule wieder vor einem erlauchten Zuhörerkreis rede, so will ich nicht an den Wissenschaftler Ule erinnern, sondern an eine weitgehend vergessene Episode aus seinem Richterleben, das ihn über die Stationen Kiel, München und Bonn 1949 zum Oberverwaltungsgericht für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein führte, ehe er die Berufung an die Hochschule für Verwaltungswissenschaften nach Speyer annahm. Dort, in Lüneburg, kam es 1952 zu einem Gerichtsverfahren, das heute eher Schmunzeln auslösen würde, damals aber ob seines Sachverhalts die Gemüter leidenschaftlich bewegte und mehrere Landesverwaltungsgerichte – wie damals die Verwaltungsgerichte erster Instanz hießen – beschäftigte. Jedem Öffentlichrechtler ist sicher das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts über den Film „Die Sünderin“ bekannt. Ich lasse es dabei dahingestellt, ob dieser Bekanntheitsgrad vom Film und seinem Sujet herrührt oder von den Rechtsproblemen. Zugunsten aller Anwesenden nehme ich natürlich an: von letzteren. Trotzdem vermute ich, daß sich kaum jemand erinnern wird, daß es schon das Oberverwaltungsgericht Lüneburg unter Federführung von dessen Vizepräsidenten Carl Hermann Ule und der später nicht minder berühmt gewordenen Oberverwaltungsgerichtsräte Martin Baring und Fritz Werner war, welches das Aufführungsverbot des Films durch die Ordnungsverwaltung von Lingen im Emsland aufhob und damit den Film für Niedersachsen freigab. Ich weiß nicht, wie viele Menschen den Film und die drei Sekunden der Silhouette von Hildegard Knef im Evaskostüm genossen haben. Wohl aber weiß ich um die daraus resultierende Rechtsentwicklung für die Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG. Dazu aber erst ein wenig später. Zunächst wollen wir noch bei Ules und seiner Mitstreiter richterlichem Diktum bleiben. Carl Hermann Ule war leidenschaftlicher Richter. Seine Selbstzeugnisse bekunden es mehrfach; Detlef Merten hat es bei der Feier zu seinem Ge-

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dächtnis vor sieben Jahren ebenfalls betont. In manch persönlichem Gespräch kam er auch mir gegenüber darauf zu sprechen, auch noch lange nach dem Ende seiner Richterkarriere, die meist über seinen wissenschaftlichen Lorbeeren in Vergessenheit geraten ist. Heute bei diesem Forschungssymposion anläßlich seines 100. Geburtstags ist es angebracht, aus seiner Zeit als Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein sich eines maßgeblich von ihm beeinflußten Rechtsfindungsaktes zu erinnern, der bahnbrechend gewesen ist für die Filmfreiheit. Das Urteil war zugleich eine Leitentscheidung dafür, wie die neugeschaffene Verwaltungsgerichtsbarkeit der Nachkriegszeit die Einwirkung der Grundrechte auf das Verwaltungsrecht zu behandeln gedachte. Das gilt auch, wenn man in Rechnung stellt, daß sich das Gericht unrichtigerweise mit der Filmfreiheit und der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG auseinandersetzte und nicht die Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG in den Mittelpunkt seiner Argumentation rückte. Entscheidend war, daß es polizeiliche Verbote von Filmen im Lichte der Grundrechte überprüfte und der künstlerischen Freiheit eine Gasse bahnte. Es war also nicht ein literarisches Werk wie später etwa die Romane „Mephisto“ oder „Mutzenbacher“, das erstmals die Kunstfreiheitsgarantie testete, sondern ein Film. „Die Sünderin“ war in den fünfziger Jahren unserer Republik das, was man als einen Kassenschlager oder, ein wenig salopper ausgedrückt, als einen Knüller bezeichnete. Stolz trugen die Kläger während des Gerichtsverfahrens den Besuch von 7,5 Millionen Menschen als Zuschauer vor. Manchem Anwesenden, nicht nur meines Jahrgangs, ist wohl auch heute noch die Hauptdarstellerin Hildegard Knef gegenwärtig. Der Filminhalt und die besagte Nacktszene führten dazu, daß der Fall in die verwaltungsrechtliche, besonders polizeirechtliche Rechtsgeschichte einging ebenso wie in die Grundrechtsgeschichte des Artikels 5. Kenner des Artikels 5 Absatz 3 werden jetzt natürlich sofort an eine der ersten Entscheidungen des neu in Berlin errichteten Bundesverwaltungsgerichts erinnert, dessen Errichtungs- und Verfahrensgesetz Carl Hermann Ule zugleich gehaltvoll kommentierte. Diese Entscheidung war damals durchaus revolutionär, was die Durchsetzung der Kunstfreiheitsgarantie betrifft. Doch gemach: Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg, die Berufungsinstanz also, war es bereits, die der Freiheit der künstlerischen Produktion schon mit wichtigen Argumenten zum Durchbruch verhalf, was die Vorinstanz sowie andere Landesverwaltungsgerichte in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen nicht taten, die ein Rezensent der Urteile als „Kunstsittenrichter urbi et orbi“ bezeichnete1. 1

H. K. J. Ridder, JZ 1953, S. 249 (250).

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Da die Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG damals noch eine „terra incognita“ des Verfassungsrechts war, ging das Oberverwaltungsgericht den Weg – wie gesagt – über die Film- und Meinungsfreiheit des Artikels 5 Absatz 1, was in der Sache wenig änderte. Was war also das Neue in Carl Hermann Ules Dictum? Dazu zunächst einige Bemerkungen, ehe ich zur Kunstfreiheitsgarantie komme. Zu überprüfen war eine ordnungsrechtliche Verfügung einer emsländischen Stadt, die den Film verbot, weil er, wie der Tatbestand auswies, „polizeiwidrig“ sei. Das Verwaltungsgericht bestätigte den Verwaltungsakt. Die Berufungsinstanz hielt dies für falsch und konnte sich dabei auf ein Gutachten unseres Kollegen Friedrich Giese, weiland ordentlicher Professor an der Universität Frankfurt/Main, stützen. Das Oberverwaltungsgericht stellte sich die Frage „Welche Grenzen sind einem Vorgehen der Polizei gegen einen Film seines Inhalts wegen gesetzt? Erfährt insbesondere die Zuständigkeit der Polizei keine Beschränkung deshalb, weil der Film eine Form der Meinungsfreiheit ist?“ Das Gericht beantwortete die Fragen juristisch dahingehend, daß es darum gehe, die Schranken zu finden, die der Polizei im Rechtsstaat gegenüber „geistigen Gütern“ – richtigerweise bei Filmen eher künstlerischen Gütern – gezogen sind. Dazu sei es erforderlich, sich auf die Aufgaben der Polizei zu besinnen. Bei dieser Besinnung hätte das Verwaltungsgericht verkannt, daß der Film weder die öffentliche Sicherheit noch die öffentliche Ordnung verletze und daher nicht hätte verboten werden dürfen – so das Oberverwaltungsgericht Lüneburg. Im Hinblick auf einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit sei klar, daß kein Straftatbestand erfüllt sei; es lägen weder Gotteslästerung nach § 166 StGB noch eine unzüchtige Darstellung nach § 184 StGB oder Beleidigungsdelikte nach § 185 ff. StGB vor. Ausführlicher mußte sich das Gericht mit der öffentlichen Ordnung auseinandersetzen. Bei dieser Bewertung schlug das Gericht für die damalige Zeit überaus moderne Töne an, die einen liberalen Geist widerspiegelten, der das gängige Meinungsbild des Jahres 1952 über die Bundesrepublik Deutschland der Adenauer-Ära korrigierte. Das Gericht nahm zunächst mit der herrschenden Meinung an, daß die öffentliche Ordnung im Sinne des Polizeirechts auch dann gestört sei, wenn „Werte verletzt werden, die zu den Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens gehören und die von dem Staat durch seine Rechtsordnung, insbesondere durch die Verfassung, in seine Obhut genommen sind“. Dazu zählte das Gericht vor allem die in den Grundrechten verkörperten Wertentscheidungen. Alsdann wird das Gericht deutlicher: „Es ist im Rechtsstaat [jedoch] nicht Aufgabe [der Polizei], den Stand der öffentlichen Moral zu heben oder doch zur Festigung von Sittlichkeit und Religion beizutragen;

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die Polizei muß sich vielmehr darauf beschränken, ein Minimum an Werten zu schützen . . .“ Das klingt fast ein wenig nach dem berühmten KreuzbergUrteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, das die Wohlfahrtspflege der Polizei einzudämmen sich anschickte. Das Gericht setzte sich dann auch mit den Auffassungen in der Weimarer Republik auseinander, vor allem dem Verbot von Kleists „Hermannsschlacht“. Aber es ging seine eigenen Wege in puncto Kunst versus Polizei und bemerkte: „Eine Verletzung jener Werte, die der verfassungsmäßigen Ordnung zugrunde liegen, ist nicht schon dann gegeben, wenn der Film sich nicht ausdrücklich zu ihnen bekennt. Ein Film, der als wertneutral, als desinteressiert zu bezeichnen wäre, verstößt nicht schon deshalb gegen die öffentliche Ordnung, weil er jenen Werten bewußt oder unbewußt nicht dient. Aber auch durch einen solchen Film wird die öffentliche Ordnung nicht verletzt, der sich darauf beschränkt, lediglich eine Wirklichkeit darzustellen, die an den Grundsätzen der Verfassung gemessen als wertlos zu bezeichnen wäre: Ein Film, der im Zeichen des Naturalismus das darstellt, was er für die Wirklichkeit hält – die sicherlich in vieler Hinsicht tatsächlich von den Wertungen der Verfassung abweicht –, nimmt weder für noch gegen den Wert oder Unwert dieser Wirklichkeit Stellung und kann deshalb bei solcher Beschränkung die wahren Werte nicht verletzen. Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung liegt schließlich selbst dann nicht vor, wenn ein Film eine neue Wertewelt heraufzuführen versucht, welche die unter der Obhut der Verfassung gestellten Werte ersetzen soll, sofern das in künstlerisch und sittlich verantwortungsbewußter Weise geschieht. Eine Verletzung jener Werte kommt demnach ausschließlich dann in Betracht, wenn ein Film eine unwerthafte Wirklichkeit darstellt und sich zu ihr in einer künstlerisch und sittlich verantwortungslosen Weise bekennt“. Nach einigen Ausführungen über das Verhältnis der Freiwilligen Selbstkontrolle von Filmen zu polizeilichen Verboten erklärte das Gericht das Einschreiten der Polizei im konkreten Fall des Films „Die Sünderin“ für nicht zulässig, weil keine Verletzung der öffentlichen Ordnung vorlag. Es sah sich noch veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß dies „allein ein rechtliches Urteil“, „kein moralisches oder ästhetisches Urteil“ sei. Zu letzterem seien weder die Polizeibehörden noch die Verwaltungsgerichte berufen; denn – so wörtlich –: „Ihnen steht das Amt des Sittenrichters, des Volkserziehers und des Zensors nicht zu“. Realistischerweise hielt es der Polizei in Anbetracht der heraufziehenden Marketing- und Werbestrategien auch vor, mit ihrem Verbot dem Film „anderwärts zu einer Beachtung in der Öffentlichkeit verholfen (zu haben), die er sonst sicher nicht gefunden hätte“. Diese Lehre scheinen die Behörden später verinnerlicht zu haben.

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Die Rechtsgeschichte des Films fand ihre Fortsetzung beim Bundesverwaltungsgericht in Berlin. Dort wurde nach etwas mehr als zwei Jahren das Oberverwaltungsgericht bestätigt2. Das Bundesverwaltungsgericht stellte die Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 GG in den Mittelpunkt seiner Argumentation, weil es in dem Film „Die Sünderin“ einen Spielfilm mit erdachter Handlung sah. Soweit ersichtlich, war dies die erste größere Behandlung der Kunstfreiheit nach Inkrafttreten des Grundgesetzes. Bekanntlich unterließ es das Handbuch der Grundrechte, herausgegeben von Karl August Bettermann, Hans Carl Nipperdey und Ulrich Scheuner, im Gegensatz zum Grundrechtshandbuch der Weimarer Zeit, die Kunstfreiheitsgarantie getrennt von der Wissenschaftsfreiheit eigenständig zu untersuchen. Man hielt sie offenbar für belanglos. Die Zukunft belehrte eines Besseren, wie eben auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zeigt. Literarisch mußte dieses Gericht bei seiner Revisionsentscheidung darum überwiegend auf das zu Art. 142 WRV ergangene Schrifttum mit trefflichen Zitaten zurückgreifen. Zu Art. 5 Abs. 3 GG gab das Bundesverwaltungsgericht dann erstmals einige richtungweisende Äußerungen ab, die das Schrifttum später mit Verve aufgriff. Zum ersten stellte es fest, daß die Freiheit der Kunst „nicht den Schranken der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG, besonders nicht der polizeilichen Generalermächtigung, unterliegt“. Zum zweiten erkannte das Gericht, daß gleichwohl die Kunstfreiheit nicht schrankenlos gewährt sei. Zum dritten wiederholte das Gericht seine These, daß „ein Grundrecht nicht in Anspruch genommen werden [darf], wenn dadurch ein anderes Grundrecht verletzt wird oder Güter, die für den Bestand der staatlichen Gemeinschaft notwenig sind, gefährdet werden“. Nach dem heutigen Erkenntnisstand der Grundrechtedogmatik haben sich die beiden erstgenannten Thesen durchgesetzt. Die dritte These jedoch hat beim Bundesverfassungsgericht keine Gnade gefunden. Seit 1970 gilt in vielfach bestätigter Rechtsprechung unter weitgehender Zustimmung der Lehre, daß vorbehaltlos gewährte Grundrechte zwar begrenzt sind, aber nur durch kollidierende Grundrechte Dritter oder sonstige Verfassungsrechtsgüter eingeschränkt werden dürfen. Für die ohne Grundrechtsvorbehalt gewährte Kunstfreiheit bedeutet dies, daß für die Schrankenziehung stets nach anderen Verfassungsrechtsgütern Ausschau gehalten werden muß, will man ihr Schranken ziehen. Dieser aus den Gedanken der Einheit der Verfassung gewonnene Ansatz ist zutreffend. Kunst darf nicht alles. „Werk- und Wirkbereich der Kunst“ – Begriffe, die das Bundesverfassungsgericht später in nahezu allen Entscheidungen zur Kunstfreiheitsgarantie verwendet, ohne seinen Erfinder Friedrich 2

BVerwGE 1, 303.

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Müller zu zitieren, können auf Rechtspositionen anderer oder auf Gemeinschaftsgüter stoßen, so daß es erforderlich ist, den Konflikt zu bereinigen. Gerade diese Aufgabe ist aber besonders schwierig. Die Suche nach der „kunstgerechten Kollisionslösung“ (E. Denninger) ist angesichts der Vielfältigkeit der Kunst eine eminent schwierige Aufgabe, besonders wenn es darum gehen soll, allgemeine Maßstäbe für alle Kunstgattungen zu finden. Hören wir nochmals das Bundesverfassungsgericht: „[. . .] ein im Rahmen der Kunstfreiheitsgarantie zu berücksichtigender Konflikt [ist] nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems durch Verfassungsauslegung zu lösen. Als Teil des grundrechtlichen Wertsystems ist die Kunstfreiheit insbesondere der in Art. 1 GG garantierten Würde des Menschen zugeordnet, die als oberster Wert das ganze grundrechtliche Wertsystem beherrscht“3. Daraus folgt für das Gericht, daß auch „die Kunstfreiheit Grenzen unmittelbar in anderen Bestimmungen der Verfassung finden (kann), die ein in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes wesentliches Rechtsgut schützen“. Wegen der Bedeutung der Kunstfreiheit muß daher eine schwerwiegende „Beeinträchtigung“ der kollidierenden Verfassungsrechtsgüter vorliegen4. Dabei stellt das Gericht auf die schon zu Art. 5 Abs. 1 GG betonte sog. Wechselwirkungstheorie ab und bemerkt: „Schranken müssen (. . .) ihrerseits wieder im Lichte des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 ausgelegt werden, damit ein den Wertvorstellungen des Grundgesetzes entsprechender Ausgleich der widerstreitenden verfassungsrechtlich geschützten Interessen gefunden werden kann (BVerfGE 77, 240 [253])“. Für den Ausgleich der widerstreitenden Verfassungsgüter verlangt das Gericht die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit dem Ziel einer Optimierung der Verfassungsrechtsgüter. In einzelfallbezogener Abwägung „müssen anhand einzelner Grundgesetzbestimmungen diejenigen verfassungsrechtlich geschützten Güter konkret herausgearbeitet werden, die bei realistischer Einschätzung der Tatumstände mit der Wahrnehmung des Rechts aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG kollidieren“5. Auch wenn die Lehre des Bundesverfassungsgerichts, die es erstmals 1970 präsentiert hat6 und allgemein für alle vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte angewendet wissen will, grundsätzlich akzeptiert ist7, ist sie 3

BVerfGE 30, 173 (193). BVerfGE 67, 213 (228). 5 BVerfGE 81, 278 (293). 6 Vgl. BVerfGE 28, 243 (261). 7 Ablehnend aber E. W. Böckenförde, Der Staat 42 (2003), S. 165 (170); ders., EuGRZ 2004, S. 598 (601 f.); S. Lenz/Ph. Leydecker, DÖV 2005, S. 841 ff.; jüngst S. Lenz, Vorbehaltslose Freiheitsrechte, 2006. 4

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im Detail mit einigen Problemen behaftet. Das Gericht hat darum auch seine Formel mehrfach nachgebessert und die Begründungselemente erweitert. War es anfänglich vor allem die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte Wertordnung, die als Begründung für die Einschränkbarkeit auch vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte dienten, so trat später auch das dem Grundgesetz zugrundeliegende „Menschenbild“ hinzu, das dasjenige eines sozial gebundenen Individuums ist8. Aber gerade in der Werthöhe dieser Begründungsbasen liegen die Schwierigkeiten, wenn es darum geht, im Einzelfall die Kollision zu lösen. Das gilt in besonderem Maße für introvertierte Grundrechte, wie sie die Kunstfreiheit gleichermaßen wie die Gewissens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit darstellen. Die in der Rechtsprechung aufgetretenen Fälle der Einschränkung der Kunstfreiheit haben diesen Konflikt hinreichend deutlich gemacht. Sie ließen sich vielfach vermehren9 und haben jüngst zum Eklat zwischen dem Regisseur der Oper „Idomeneo“, Hans Neuenfels, an der Deutschen Oper Berlin und der diese Inszenierung absetzenden Intendantin Kirsten Harms geführt, wobei auch noch andere Implikationen in Rede standen. Die Bewertungen der mit der Kunstfreiheit konfligierenden Rechtsgüter könnten in einigen Situationen auch anders ausfallen als sie gerichtlich entschieden wurden. Über Urteile zur Kunstfreiheitsgarantie läßt sich bekanntlich trefflich streiten. Die Suche nach „kunstgerechten“ Kollisionslösungen ist denn auch offensichtlich objektiv schwierig und niemals frei von Subjektivismen. In Anbetracht der Vielfalt der Kunst bleibt die Abwägung im Einzelfall das Kernproblem der Konfliktsituation. Erschwert wird eine Lösung insbesondere auch dadurch, daß die Konfliktsituationen nicht auf widerstreitende Positionen zwischen Gemeinwohlgütern einschließlich Staatsinteressen beschränkt sind, sondern häufiger zwischen Kunstfreiheitsgarantie und anderen grundrechtlich geschützten Individualrechtspositionen, darunter auch Berechtigten der Kunstfreiheit selbst. Wer erinnert sich nicht an Konflikte an Kunsthochschulen oder Streitigkeiten zwischen Regisseuren und Sängern oder Schauspielern über die „richtige“ Interpretation des Werkes. Patentlösungen stehen jedenfalls nicht parat. Dominant dürfte eine Lösung sein, welche die Umstände des Einzelfalles berücksichtigt und danach die Abwägung vornimmt10. Der Grundansatz des Bundesverfassungsgerichts verdient Zustimmung; zumindest ist bislang kein besserer Lösungsweg gefunden oder erfunden 8

Vgl. BVerfGE 32, 98 (107 f.). Vgl. etwa die von K. Korinek, Staat und Kunst, 2006, S. 38 ff. aufgezeigten Fälle. 10 Vgl. BVerfGE 77, 240 (253). 9

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worden. Sein Ergebnis, mit dem Ziel der Optimierung der involvierten Verfassungsrechtsgüter zu deren angemessenen Ausgleich zu kommen, wie der berühmte Mutzenbacher-Beschluß11 formuliert, klingt gut; aber hart im Raume stoßen sich die Güter. Der Begriff „Angemessenheit“ läßt deutlich werden, daß es grundsätzlich keinen absoluten Vorrang weder der Kunstfreiheit noch des kollidierenden Verfassungsrechtsgutes geben kann – mit einer Ausnahme: Ist die Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG verletzt, so ist dies niemals durch die Kunstfreiheit gedeckt. Davon abgesehen fällt es außerordentlich schwer, Maßstäbe für die Gewichtung der sonstigen kollidierenden Verfassungsrechtsgüter zu finden. Theoretisch kommen alle Rechtsnormen des grundrechtlichen und organisatorischen Teils der Verfassung in Frage. Soweit das Bundesverfassungsgericht die Kunstfreiheit zu gewichten hatte, argumentierte es durchaus „kunstgerecht“. Das wird besonders deutlich im Mutzenbacher-Beschluß. Dort bemerkte es: „Für die Gewichtung der Kunstfreiheit kann von Bedeutung sein, in welchem Maße [den Kinderund Jugendschutz] gefährdende Schilderungen in ein künstlerisches Konzept eingebunden“ sind. Ähnlich wurde schon früher auf eine „Gesamtschau des [Kunst-] Werks“ abgestellt12. „Die vom Künstler selbst gewählte Darstellungsart (. . .) wird um so eher Vorrang beanspruchen können, je mehr die die Jugendlichen gefährdenden Darstellungen künstlerisch gestaltet und in die Gesamtkonzeption eines Kunstwerks eingebunden sind“. Eine Rolle spielen auch die „werkgerechte Interpretation“ und das „Ansehen, das ein Werk beim Publikum genießt“ sowie „Echo und Wertschätzung, die es in Kritik und Wissenschaft gefunden hat“. Hinsichtlich der Wirkungen eines Kunstwerks ist das Gericht „unter Umständen“ auch „zu einer sachverständig-gutachterlichen Ermittlung“ bereit, um sich eine Meinung zu bilden13. Beim sog. „Anachronistischen Zug“ hat es das Gericht allerdings abgelehnt, auf den „flüchtigen, naiven Beobachter“ abzustellen14. Damit sind Kriterien herausgearbeitet, anhand derer die Kunstfreiheitsgarantie im Verhältnis zu anderen Verfassungsrechtsgütern im Abwägungsprozeß gewichtet werden kann. Daß dies die einzigen Faktoren sein müssen, ist nicht gesagt. Je nach Kunstwerk können weitere Aspekte eine Rolle spielen. Tendenziell ist jedoch die Richtung für eine kunstgerechte Abwägung vorgezeichnet, die auch im Schrifttum im wesentlichen Zustimmung findet. 11 12 13 14

BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE

83, 67, 83, 67,

139 213 130 213

(143). (228). (147 f.). (230).

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Diese Grundsätze beherzigt, lassen sich für die typischen Kollisionssituationen der Kunstfreiheit mit Persönlichkeitsrechten Dritter einschließlich des Schutzes der Ehre (Art. 2 Abs. 1 GG), mit Grundrechten wie Religion und Weltanschauung einschließlich kirchlicher Positionen (Art. 4 Abs. 1 und Art. 140 GG), mit körperlicher Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) oder mit Eigentum (Art. 14 GG) durchaus Lösungen finden. Nichts anderes gilt für den Jugendschutz, der über Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich verankert ist, sowie für den Staat und seine Symbole (Art. 22 GG). Neuerdings läßt sich auch die Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG ins Feld führen, die etwa bei der Baukunst eine Rolle spielen kann. Die Rechtsprechungspraxis hat bereits eine Fülle mehr oder weniger kluger Auflösungen der jeweiligen Konfliktsituationen geboten. Nicht immer haben sie allerdings den Beifall des Schrifttums gefunden. Darüber zu sprechen, würde Anlaß und Rahmen dieses Symposions sprengen. Mir ging es darum, in großen Linien den mehr als fünfzigjährigen Weg aufzeigen, den die Kunstfreiheit und ihre Begrenzung seit dem Film „Die Sünderin“ genommen haben. Waren es seiner Zeit große Richterpersönlichkeiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit wie Carl Hermann Ule, Martin Baring und Fritz Werner in Lüneburg oder Präsident Hans Egidi im I. Senat des Bundesverwaltungsgerichts, die den Ton bestimmten, so ist es heute vorwiegend das Bundesverfassungsgericht, das der Kunstfreiheit das Gepräge gibt – ein Wandel, der für unsere stark verfassungsrechtlich imprägnierte Rechtsordnung charakteristisch ist. Es bleibt Spekulation herauszufinden, wie unser Jubilar heute darüber gedacht hätte.

Ein Prozessualist – Erinnerungen an Carl Hermann Ule Von Klaus König I. Wer in den heute schon klassischen Texten zum Aufbau des Rechtsstaates nach den dunklen Jahren Deutschlands liest, wird alsbald auf den Namen Carl Hermann Ules stoßen, dem dieses Symposium anlässlich seines 100. Geburtstages gewidmet ist. 1958 verhandelten die Staatsrechtslehrer des deutschsprachigen Raums in Wien das Thema des Verwaltungsverfahrens. Ule stellte sich hier in der Aussprache gegen die in der Bundesrepublik damals verbreitete Meinung, die eine Positivierung des Verwaltungsverfahrensrechts in einem allgemeinen Gesetz ablehnte. Im Grundsätzlichen berief er sich dabei darauf, dass der Rechtsstaatsgedanke eine Regelung des Verwaltungsverfahrensrechts zwingend fordere. Der Einzelne sei im Rechtsstaat kein passives Objekt, sondern Subjekt, als welches er auch im Verwaltungsverfahren beteiligt werden müsse. Diese Grundlinie hat Ule in seinem rechtsdogmatischen wie rechtspolitischen Werk immer wieder vertieft. In seinen grundlegenden Ausführungen zu „Rechtsstaat und Verwaltung“ im Verwaltungsarchiv 1985 konnte er darauf verweisen, dass das Bundesverfassungsgericht wie das Bundesverwaltungsgericht die Geltung der Grundsätze des rechtlichen Gehörs und des Begründungszwanges mit allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien begründet haben. Weiter erinnerte er an den Zusammenhang des Verwaltungsverfahrens mit einem wirksamen Grundrechtsschutz. In all diesen Positionen stand Ule der österreichischen Verwaltungsrechtswissenschaft nahe, wie sie in den Verhandlungen zum Verwaltungsverfahren von 1958 durch Erwin Melichar vertreten wurde. In Österreich kann man sich auf eine frühe Rechtsentwicklung beziehen, welche „die wesentlichen Formen des Administrativverfahrens“ zum Maßstab der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gemacht hatte. Entsprechend hat die Verwaltungsrechtslehre frühzeitig darauf hingewiesen, „daß nicht nur die Kontrolltätigkeit der Verwaltungsgerichte und administrativen Berufungsbehörden (repressives System), sondern auch das Verfahren, welches dem Erlass des Verwaltungsaktes vorausgeht (präventives System) für die Verwirklichung des Rechtsstaates von größter Bedeutung ist“.

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Auch in Österreich herrschte bis 1925 das Prinzip der verfahrensrechtlichen Sonderregelungen für die Verwaltung. Aber die Rechtsstaatsidee war diesen Regelungen vorausgedacht. So mag das allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz von 1925 die Zwecke eines Gesetzes zur Vereinfachung der Verwaltung verfolgt haben. In der Verwaltungsrechtslehre wurde dieses Kodifikat indessen als „letzter Schritt zum Rechtsstaat“ begriffen. In der Bundesrepublik Deutschland fielen demgegenüber noch über Jahre zuerst die zahlreichen die Verwaltung betreffenden Gesetze auf, die Verfahrensfragen speziell in Bezug auf die sachlich gestellten administrativen Aufgaben regelten. Eine Behandlungsweise rücke in den Vordergrund, welche das Prozesselement unmittelbar in den Zusammenhang mit dem jeweiligen materiellen Verwaltungsrecht stellte, indem es beide in demselben Gesetz vereinte. Die rechtliche Ausgestaltung reichte alsdann von der Aufnahme eines Verfahrensdetails bis zur Abhebung ganzer Gesetzesabschnitte. Angesichts dieser Rechtslage war es für österreichische Verwaltungsrechtslehre schwer nachzuvollziehen, dass man die deutschen Kollegen so wenig vom Nutzen eines allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes überzeugen konnte. Ule teilte diese Kritik, insbesondere wegen der Zurückhaltung, die zur Bedeutung des Verwaltungsverfahrensrechts für den Rechtsstaatsgedanken bestand. Carl Hermann Ule habe ich über mein Studiensemester in Speyer hinaus näher kennen gelernt, als ich ihn als Forschungsstipendiat an der Universität Wien 1965 aufsuchte. Erwin Melichar hatte mich eingeladen, mich dort mit einer rechtsvergleichenden Untersuchung insbesondere zum österreichischen Verwaltungsverfahren zu befassen. Angesichts dieses Gegenstandes war Ule die erste Adresse für ein Fachgespräch in der Bundesrepublik. Nach Sachdiskussionen bot er mir an, meine wissenschaftlichen Interessen auf eine breitere Grundlage zu stellen und an einem Vergleich mitzuwirken, der viele europäische Länder – auch Osteuropas – und dann die Europäische Gemeinschaft, weiter Israel und die Vereinigten Staaten von Amerika umfasste. Im kollegialen Einvernehmen mit meinem Wiener Betreuer vollzog sich so der Wechsel zu dem damals aufkommenden Forschungsinstitut der Hochschule Speyer. Es folgten Jahre als Forschungsreferent, die ich – nun emeritierter Professor – zu den wissenschaftlich befriedigendsten meines Berufslebens zähle. Die Ergebnisse dieses von Ule geleiteten und von mir mit Unterstützung von Franz Becker bearbeiteten Vorhabens liegt mit dem Titel „Verwaltungsverfahrensgesetze des Auslandes“ in den Bänden 31 I und II in der Schriftenreihe der Hochschule Speyer vor.

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II. Will man sich von der Attraktivität Carl Hermann Ules als Wissenschaftler Rechenschaft geben, genügt es schon, die Autoren der Landesberichte zum Verwaltungsverfahrensrecht zu bezeichnen. Ihre Namen zählen zu den herausragenden nicht nur in ihrem Lande, sondern auch in der damaligen internationalen Gemeinschaft der Verwaltungsrechtler. Meine Kommunikation mit diesen Gelehrten in meiner Aufgabe als Lektor und Redakteur brachte mich früh zu der Überzeugung, dass, ausgewiesener Prozessualist zu sein, mit der eigenen Intelligenz dieses Rechtsstoffes zu tun hat. Prozessrecht ist eine spezifische Emanation des juristischen Denkens. Es reicht tief in die Kultur der Rechtsgemeinschaft hinein. Und so schien es mir kein Zufall, dass man unter den Prozessualisten nicht wenige der scharfsinnigsten Wissenschaftler und – wie ich später lernte – auch Praktiker des Rechts findet. Ules Anziehungskraft bewährte sich auch in der Gewinnung wissenschaftlicher Mitarbeiter. Er war zwar profilierter Rechtsdogmatiker, aber eben auch gegenüber der Rechtsvergleichung offen. Die pragmatische Absicht, die Rechtsstaatsidee über die Gedanklichkeit der Weimarer Republik hinaus im positiven Recht des Bundesgebietes auszubauen und zu sichern, ließ ihn indessen Rechtswissenschaft zudem als Rechtspolitik begreifen. Das ließ ihn nach wissenschaftlichen Assistenten und Forschungsreferenten Ausschau halten, die Sinn für Rechtsanwendung wie Rechtsgestaltung zeigten. Ule konnte sich bei seinem anhaltenden Engagement für die Kodifizierung eines allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes auf einen kompetenten Mitarbeiterkreis stützen. Zu nennen sind noch Klaus-Albrecht Sellmann und vor allem Hans-Werner Laubinger, der ihm in seinem wissenschaftlichen Werk am nächsten geblieben ist. Die Verhandlungen des Jahres 1958 hatten so scharfe Leitsätze hervorgebracht wie: „Materielles Verwaltungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht lassen sich nicht abgrenzen a) wie materielles Recht und Prozeßrecht nach der unterschiedlichen Funktion einer Norm als Verhaltens- oder Beurteilungsmaßstab; b) nach den Kriterien von Form und Inhalt“. Ule konnte dem entgegenhalten, dass es schon damals nicht darum ging, ungeregelte Bereiche normativ zu erfassen, sondern darum, dass verfahrensrechtliche Fragen zu einem großen Teil bereits geregelt waren, freilich als Sonderrecht in zahlreichen Gesetzen. Man hätte den genannten Leitsatz auch theoretisch widerlegen können, und zwar durchaus aus dem Kreis des von Ule betreuten wissenschaftlichen Nachwuchses. In dieser Beziehung hatte er eine großzügige Hand. Frido Wageners Arbeit zum „Neubau der Verwaltung“ mochte methodologisch

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außerhalb seiner Interessen liegen. Das hinderte ihn nicht daran, diese in die universitäre Fächerbildung schwer passende Leistung als habilitationswürdig anzuerkennen und entsprechend in Speyer zu fördern. Noch bemerkenswerter war, dass er seine Hand über Niklas Luhmann hielt, der sich in jenen Tagen auf Pfaden ausserhalb jeder akademischen Karriereplanung bewegte. In Gesprächen mit Luhmann konnte man spüren, dass seine wissenschaftlichen Ambitionen jenseits des Speyerer Forschungsinstituts lagen, nämlich in dem, was er in einem großen Lebenswerk eingelöst hat: eine Theorie sozialer Systeme zu verfassen. Da er aber nun einmal an einer Hochschule für Verwaltungswissenschaften vorläufig Heimstatt gefunden hatte und bei einem Prozessualisten seine erste Bezugsperson fand, erprobte er seinen systemtheoretischen Ansatz auch an den Gegenständen von Verwaltung und Verfahren. Zwei theoretische Nachweise finden sich in seinem Werk, zum einen, dass das Verfahren eine eigene strukturelle Größe des Verwaltungshandelns ist, zum anderen, dass dieser strukturellen Größe eine eigene Funktion zukommt. Luhmann hat seine Überlegungen auf weitere Bereiche wie Gerichtsbarkeit und Gesetzgebung ausgedehnt und von der „Legitimation durch Verfahren“ gesprochen. Das schließt für ihn die Dimension von Recht und Rechtsetzung mit ein. Hans-Werner Laubinger hat sich im Gedächtnis an Carl Hermann Ule mit den möglichen Funktionen des Verwaltungsverfahrens auseinandergesetzt. Er nennt Entscheidungsfunktion, Steuerungsfunktion, Informationsfunktion, Rechtsschutzfunktion, Funktion für Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Bürgernähe, für Verwirklichung des materiellen Rechts. Angemessen erscheint ihm die Formulierung, dass die Funktion des Verwaltungsverfahrens darin bestehe, die Aufgaben der Verwaltung zu erfüllen. Ich nähere mich diesem Thema als Verwaltungswissenschaftler, der die Grundfunktion der öffentlichen Verwaltung darin sieht, an Entscheidungen über die Allokation öffentlicher Güter und Dienste mitzuwirken, sei es, dass sie programmierende Entscheidungen vorbereitet, gegebenenfalls auch trifft, sei es, dass sie programmierte Entscheidungen konkretisiert. In der okzidentalen Kultur steht dieses Entscheidungsgeschehen unter der Prämisse der Rationalität. Rationalität lässt sich nicht wie viele Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler meinen, auf finale Formen reduzieren. Ich halte es vielmehr mit Max Weber, der sinngemäß gesagt hat, dass der Verwaltungsmann seine Entscheidungen in zweifacher Weise rationalisieren kann, nämlich indem er Mittel zu Zwecken kombiniert oder Sachverhalte unter Normen subsumiert. Letztere Rationalitätsform steht freilich wiederum unter der Prämisse des Vernunftrechts. In der Moderne haben sich jeweilige Präferenzen für eine mehr finale oder mehr konditionale Rationalität herausgebildet. Die historische Entwicklung lässt sich idealtypisch in der managerialistischen

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Verwaltung des anglo-amerikanischen Raums und der legalistischen Verwaltung des europäischen Kontinents erfassen. Beschränken wir uns im Kontext des Verwaltungsverfahrensrechts auf die legalistische Verwaltung, dann muss man festhalten, dass die Subsumtion als Syllogismus der Rechtsfolgenbestimmung nicht mehr als ein Grundzug der Entscheidungsstruktur sein kann. Obersatz wie Untersatz pflegen eine Fülle von Problemen aufzuwerfen, welche die jeweilige Komplexität der Entscheidungssituation reflektieren. Nur im Falle geschlossener Konditionierung, die den Verwaltungsbeamten zum „Subsumtionsautomaten“ macht und heute zur Bescheidung im Wege elektronischer Datenverarbeitung führt, genügt das Wenn-Dann-Schema. Regelmäßig lässt sich der Rationalitätsanspruch an die öffentliche Verwaltung jedoch erst über eine ausgefeilte Methodik einlösen, die von der Interpretation der Normen bis zu Relevanzkriterien der Sachverhaltsermittlung reicht. Carl Hermann Ule hat sich auf diesem Gebiet insbesondere mit der Problematik unbestimmter Rechtsbegriffe befasst. Er ist mit einer Vertretbarkeitslehre hervorgetreten, mit der er der Mehrdeutigkeit unbestimmter normativer Begriffe Rechnung tragen wollte. Ähnliche methodologische Ansätze sind als „Beurteilungsspielraum“ oder „Einschätzungsprärogative“ bekannt. Wenn sich solche Ansätze zur Flexibilisierung administrativer Entscheidungsspielräume auch nur begrenzt durchgesetzt haben, so signalisiert die Diskussion zu unbestimmten Rechtsbegriffen und stärker noch zum Ermessen, dass die legalistische Verwaltung breite Tore zur Berücksichtigung finaler Rationalität bei der Verwaltungsentscheidung offen lässt. Das mag einer der Gründe dafür sein, dass sich unsere Verwaltung in einer schnell veränderlichen Welt ihre Leistungsfähigkeit erhalten hat. Eine Verwaltung, die primär auf eine Kombination von Mitteln zu Zwecken aufbaut, muss methodologisch relativ früh die Grenzen solcher Rationalisierungen erkennen, wie es die Lehre von der „bounded rationality“ verdeutlicht hat. Greift man nochmals auf den Leitsatz von der Unabgrenzbarkeit von materiellem Verwaltungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht zurück, dann regt dieser Satz zu einer These von der Zusammengehörigkeit des materiellen Rechts und der Methodik bei der administrativen Entscheidungsfindung an. Dies wirft die weitere Frage auf, wie nun Rechtsmethodik und Verwaltungsverfahren zueinander stehen. Dieses Verhältnis lässt sich am Abwägungsgebot exemplifizieren, dahin, ob es nämlich materiell-rechtliches Prinzip oder Verfahrensgrundsatz ist. Abwägungsgebote durchziehen das Verwaltungsrecht und sind Maßstab für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungshandeln. Sie stehen im Kontext des Rechtsstaatsprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Heute führt die europäische

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Integration mit der Verfahrensbetonung gemeinschaftsrechtlicher Richtlinien dazu, dass das Abwägungsgebot in die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Planung gerät. Ich will hier nicht darauf eingehen, welche rechtsdogmatischen Probleme sich aus einer solchen Verschränkung ergeben. Aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht sind indessen methodische und prozessuale Fragen der Entscheidungsfindung auseinander zu halten. Die methodischen Probleme sind handlungsrational vorzuklären, während die prozessualen Probleme in den Bereich der Systemrationalität fallen. Die Anforderungen an die Abwägung sind aber typisch methodische: Es muss überhaupt eine sachgerechte Abwägung durchgeführt werden und die Behörde darf sich nicht irrtümlich für gebunden halten; es müssen alle nach Lage des Falles relevanten Gesichtspunkte ermittelt und in die Abwägung mit einbezogen werden; es müssen die Bedeutung und Gewichtung der betroffenen Belange zutreffend erkannt werden; und es muss der Ausgleich zwischen den betroffenen Belangen in einer Weise vorgenommen werden, die nicht außerhalb ihrer objektiven Gewichtung steht. Man kann nicht ausschließen, dass es im Rahmen der Europäischen Union Mitgliedstaaten gibt, deren Verwaltungen im Umweg über verfahrensrechtliche Positivierungen auf eine methodisch korrekte Entscheidungsfindung hingewiesen werden müssen. Ob Deutschland dazu gehört, mag man bezweifeln. Diese aktuelle Spannungslage von methodischem Prinzip und Verfahrensrecht gibt mir Gelegenheit, eine Grundposition von Carl Hermann Ule zu verdeutlichen. Er war nicht Prozessualist, weil er die materielle Richtigkeit von vornherein unter einen Generalvorbehalt stellte. Dazu gaben ihm auch die beamtete Verwaltung und die fachliche Verwaltungsgerichtsbarkeit mit einer berechenbaren Berücksichtigung von Laienelementen in Deutschland keinen Anlass. Anders als in Rechtskulturen mit ausgeprägten Jury-Systemen musste man nicht auf hochkompensatorische Leistungen des Prozeduralen setzen. Vielmehr war Ule der Überzeugung, dass die Einrichtung verfahrensrechtlicher Regeln und deren Einhaltung die Chancen für die Verwirklichung der materiellen Richtigkeit verbessern. Denn das, was andernorts in der Verwaltungswissenschaft breit ausgearbeitet ist, dass nämlich Verwaltung wie Gerichte unter Bedingungen der Unsicherheit, der Risiken und Ungewissheiten zu entscheiden haben, gehörte bei ihm zum Vorverständnis seiner wissenschaftlichen wie praktischen Tätigkeit. Von gegenläufigen Vorurteilen im Alltag der Geschäfte schützte ihn sein lebendiges Interesse an der klassischen Literatur und an den großen schriftstellerischen und dichterischen Werken des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, wie sie den Menschen in seinen Unzulänglichkeiten vorstellen.

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Kurzum: Es gibt gute Gründe, auch die methodisch abwägende Entscheidungsfindung durch Verwaltungsverfahrensrecht zu stützen. Aus der Sicht der Verwaltungswissenschaft bringt dieses Systemrationalität in den Entscheidungsprozess, genau so wie ein strukturell sachkundiger Verwaltungsdienst oder eine sachgerechte Aufbauorganisation. Insofern stehe ich auch Laubinger nahe, der auf die Aufgabenerfüllung abhebt. Allerdings würde ich Funktionalität nicht eindimensional betrachten, obwohl man sagen könnte, dass der Bürger im rationalen Staat von der Verwaltung nicht mehr verlangen kann als eine rationale Entscheidung einschließlich Rechtswahrung. Einsichten in die „bounded rationality“ legen indessen nahe, sich der alten österreichischen Lehre anzuschließen, dass der Rechtsstaat nicht nur Rechtsschutz durch unabhängige Verwaltungsgerichte fordere, sondern auch schon ein an seinen Grundsätzen ausgerichtetes Verwaltungsverfahren, das dem Betroffenen die Möglichkeit gibt, als Beteiligter mit selbständigen Befugnissen auf die Herbeiführung einer sachlich und rechtlich zutreffenden Entscheidung hinzuwirken. Insofern erfüllt das Verwaltungsverfahren neben seiner Kernfunktion der Sicherung einer rationalen Entscheidung einschließlich der Rechtswahrung eine präventive Rechtsschutzfunktion. III. Das ändert nichts daran, dass der Rechtsschutz des Bürgers gegenüber der Verwaltung primär den Gerichten anvertraut ist. Und entsprechend war Carl Hermann Ule ein gleichermaßen hervorragender Rechtsdogmatiker des Verwaltungsgerichtsprozesses wie des Verwaltungsverfahrens. Der bloße Hinweis auf sein 1960 in erster und 1987 in neunter Auflage erschienenes Studienbuch „Verwaltungsprozessrecht“ ersetzt hier alle Begründungen. Es ist ein Meisterstück der Umsetzung von Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung wie der praktischen Erfahrung in die akademische Lehre. So ist es auch heute noch erhellend, wenn man beispielsweise seine Ausführungen zu den Verfahrensgrundsätzen liest. Meine Zusammenarbeit mit Ule lag indessen nicht auf dem Gebiet der Rechtsdogmatik, sondern der Rechtspolitik. Zusammen mit Arno Steidel und Jörg Rüggeberg, Hans-Werner Laubinger und Klaus-Albrecht Sellmann wirkte ich an einem legalistischen Vorhaben zum Gegenstand mit, die drei öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten in einer nächsten Kodifikationsstufe nach Verwaltungsgerichtsordnung, Finanzgerichtsordnung, Sozialgerichtsgesetz in einem einheitlichen Verwaltungsgerichtsgesetz zu regeln. Die überwölbende Frage der Vereinheitlichung der Fachgerichtsbarkeiten sowie die Aktualität einer einheitlichen Verwaltungsprozessordnung stehen auf dem Programm dieses Forschungssymposiums. Die Sachprobleme sol-

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cher rechtspolitischer Vorhaben sind in diesem Zusammenhang zu erörtern. Um aber den Prozessualisten Carl Hermann Ule zu würdigen, ist ein Wort zu seinem Engagement auf diesem Feld angebracht. Ule war früh im Nachkriegsdeutschland mit Regelungsvorhaben zur Verwaltungsgerichtsbarkeit befasst, so 1948 während seiner Tätigkeit im Zentralen Justizamt für die Britische Zone, als es um das einschlägige Besatzungsrecht ging. Im Jahr 1950 – nunmehr Senatspräsident und dann Oberverwaltungsgerichtsvizepräsident in Lüneburg – wurde er in einen Arbeitsausschuss der Präsidenten der Verwaltungsgerichte berufen, der die Vereinheitlichung des Verwaltungsprozessrechts im Bundesgebiet behandelte. Ein einschlägiger Entwurf des Ausschusses war der erste Baustein zur Verwaltungsgerichtsordnung von 1960. Von dieser entstehungsgeschichtlich bedingten Vereinheitlichung ist der Gedanke zu unterscheiden, das Prozessrecht der drei öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Ule hat auch diese Idee über längere Zeit verfolgt, wie er die Rechtseinheit – nunmehr in seinen Lehrveranstaltungen als Professor in Speyer – als ein hohes Gut darstellte. Seine langjährigen wissenschaftlichen Mitarbeiter in dieser Zeit – ich nenne Gerhard Siegmund-Schulze und Dierk Fittschen – werden das bestätigen. Die Einrichtung des Forschungsinstituts der Hochschule mit Stellen für Referenten und die Verstärkung durch Assistenten am Lehrstuhl ermöglichten ihm, dieses Projekt anzugehen. 1969 wurde dann der „Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes zur Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und des Sozialgerichtsgesetzes“ – kurz „Speyerer Entwurf“ genannt – vorgelegt und in der Schriftenreihe der Hochschule als Band 40 veröffentlicht. Die Mitarbeiter dieses Projekts werden insbesondere die Verhandlungen der Forschergruppe als eine gute Zeit ihres Berufslebens in Erinnerung haben. Carl Hermann Ule war ein gebildeter Jurist von fachlicher wie persönlicher Prominenz. Seine Sache war das öffentliche Recht. Auf diesem Felde verfolgte er vielfältige praktische und wissenschaftliche Interessen, nicht nur auf dem Gebiet des Prozessrechts, sondern auch im Verfassungsrecht und Grundrechtsschutz, in Materien des allgemeinen Verwaltungsrechts, im Polizeirecht, im Beamtenrecht und anderes mehr. Seine Karriere hatte ihn in die verschiedenen juristischen Berufe geführt. Er war Verwaltungsjurist, Richter, Rechtsprofessor und Rechtsanwalt: eine schon für sich außergewöhnliche Lebensleistung. Wenn man sich fragt, welche dieser Rollen seine Persönlichkeit am meisten geprägt haben, so neige ich dazu zu sagen, dass ihm das Bild vom „Vorsitzenden Richter an einem Obergericht“ am nächsten kam. Jedenfalls verliefen die Beratungen der Forschergruppe zu einem vereinheitlichten Verwaltungsgerichtsgesetz auf solche Weise. Ule war der Präsident, der we-

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gen seiner Sachkompetenz und seiner persönlichen Autorität sich eine großzügige Verhandlungsführung leisten konnte, ohne befürchten zu müssen, dass die Sache zerredet oder die Zeit vergeudet werden würde. Von dem Berichterstatter zum jeweiligen Beratungsgegenstand erwartete er eine profunde Vorbereitung, von den weiteren Beisitzern wohlüberlegte Interventionen. Da seine Mitarbeiter solche Erwartungen einzulösen pflegten, stellte sich alsbald eine freundliche Verhandlungsatmosphäre ein. Das letzte Wort in Form und Inhalt behielt freilich der Vorsitzende. Im Jahr 1971 setzte der Bundesjustizminister einen „Koordinierungsausschuss zur Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und des Sozialgerichtsgesetzes“ ein. Mitglieder des Ausschusses waren prominente Vertreter der Gerichtsbarkeit, der Rechtsanwaltschaft, der Ministerialverwaltung. Ule war der einzige Hochschullehrer in diesem Gremium. Grundlage der Verhandlungen in der Kommission war der Speyerer Entwurf. Ule war so in seiner Sachkompetenz als Primus inter pares anerkannt und doch zugleich kritisch befragter ständiger Berichterstatter. Das mag der Grund dafür gewesen sein, dass er mich bat, ausgestattet mit allerlei Materialien ihn zu den Kommissionssitzungen zu begleiten. Unter den Kommissionsmitgliedern möchte ich eine Persönlichkeit nennen, die Ule besonders verbunden war: Gerhard Meyer-Hentschel, der damals Präsident des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz und zugleich Honorarprofessor der Hochschule Speyer war, während Ule sich als Richter im Nebenamt in Koblenz betätigte. Beide Persönlichkeiten waren auch von landsmannschaftlich bedingten Mentalitätsunterschieden geprägt und achteten sich gegenseitig doch außerordentlich, wobei Ule in diesem Falle wegen seiner Sachkompetenz respektiert wurde, während Meyer-Hentschel durch seine besonderen Führungsqualifikationen hervortrat. Ich habe später, als ich Ule gleichsam als Richter im Nebenamt nachfolgte, das Verhandlungsgeschick von Meyer-Hentschel kennengelernt. Es beruhte auf einer Beherrschung des Prozessrechts auf der einen Seite und auf einem fürsorglichen Stil der Prozessführung gegenüber den Verfahrensbeteiligten andererseits. Dazu könnte man Anekdoten erzählen. Im Jahr 1976 legte der Koordinierungsausschuss seinen Entwurf dem Bundesminister der Justiz vor. Ich hatte den Verhandlungsstil des Ausschusses trotz vieler Meinungsverschiedenheiten als sachorientiert und kollegial empfunden. Nach meinen späteren Erfahrungen würde ich mir freilich die Frage vorlegen, ob das Konfliktniveau hoch genug war, um wirklich einen Interessenausgleich herbeizuführen. Der Entwurf fand bei einigen kritischen Stimmen Anerkennung in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis. Politische Fortune war ihm nicht beschieden. Ule sprach 1991 vom „Abgesang auf eine einheitliche Verwaltungsprozessordnung“. Über die rechtspolitische

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Geschichte und die weiteren Perspektiven kann Jens Meyer-Ladewig besser berichten. Carl Hermann Ule blieben die großen Verdienste, die er in Forschung und Lehre zum Verwaltungsverfahren und zum Verwaltungsgerichtsprozess erworben hatte. Als Professor konnte er Befriedigung in der Reputation finden, die ihm seine einschlägigen Publikationen in Wissenschaft und Praxis gebracht hatten. IV. Aus dem Kreise der wissenschaftlichen Mitarbeiter Ules sind Professoren, Richter, Rechtsanwälte, Verwaltungsjuristen hervorgegangen, mithin Berufstätigkeiten, die er selbst ausgeübt hat, nach der Emeritierung noch den Rechtsanwaltsberuf in Zusammenarbeit mit seinem letzten Assistenten, Dietrich Bahls. Seine früheren Mitarbeiter sind ihm in bemerkenswerter Weise verbunden geblieben und haben sein wissenschaftliches Gedankengut auch in ihrer jeweiligen Berufstätigkeit gepflegt. Ich möchte deswegen abschließend zwei Grundlinien seines Denkens zu meinem Thema des Prozessualen und zu unserem Generalthema der Rechtstaatlichkeit auf heutige Problemlagen beziehen. Ule hat sich für das externe Verwaltungsverfahren interessiert, wie es das Verhältnis zum Bürger bestimmt und wie es zur materiellen Richtigkeit der Verwaltungsentscheidung beiträgt. Das binnenorganisatorische Handeln der Verwaltung im Verhältnis innerhalb und zwischen Behörden lässt sich ebenfalls allein durch die methodische Ausarbeitung der Entscheidung nicht auf ein zufriedenstellendes Niveau der Rationalität heben. Es kommt wiederum auf die Systemrationalität der Prozessstrukturen an, also auf ein internes Verfahren. Und hier stellt der Konformitätsdruck, der heute von einer im internationalen Wettbewerb erzwungenen Binnenrationalisierung von Wirtschaftsunternehmen auf den öffentlichen Sektor übergreift, eine Herausforderung für den Verfahrensgedanken dar. Die deutsche Verwaltung ist eine primär durch Gesetz und Recht geprägte Verwaltung. Bei den Ressourcen, insbesondere bei den finanziellen Mitteln, die sie für ihre Aufgaben braucht, richtet sie sich vor allem an der Einnahmenseite aus. Sie ist also regel- und inputorientiert. Dem steht eine internationale Modernisierungsbewegung des New Public Management, des Reinventing Government, des Neuen Steuerungsmodells gegenüber, die eine ökonomisch-managerialistische Steuerung der Verwaltung mit Effizienz- und Ergebnisorientierung propagiert. Ich habe mich nachdrücklich gegen einen Paradigmenwechsel in der deutschen Verwaltung durch Modelldenken gewandt. Das ist unhistorisch und verkennt die Leistungsfähigkeit der deutschen Verwaltung. In ihren

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Leistungen kann sie den internationalen Vergleich aushalten. Es gibt sogar gute Gründe dafür, dass die „rule driven“-Verwaltung der managerialistischen Verwaltung in ihrer Systemrationalität überlegen ist. Dazu kommen andere Argumente, etwa supranational, dass sich die Europäische Union stärker als Rechtsgemeinschaft denn als demokratische Organisation oder als wirtschaftliches Erfolgsunternehmen legitimieren muss, und national, dass der Rechtsstaat in Deutschland so tief verankert ist, dass er nur systemkonforme Veränderungen zulässt. Das bedeutet nicht, dass Effizienz und Effektivität, Ergebnis- und Wirkungsorientierung hier nicht gestärkt werden müssen. Die Schwäche der legalistischen Verwaltung ist ihre betriebswirtschaftliche Leitung. Auf allen Ebenen von Bund, Ländern und Gemeinden sind demgemäß betriebswirtschaftliche Instrumente in die Verwaltung eingeführt worden: Doppik, Globalbudgets, Produktkataloge usw. Aus diesen neuen Instrumenten erwächst eine Spannungslage zu den tradierten Orientierungsmustern. Es liegt nahe, dass man zunächst nach Methoden der Kosten- und Leistungsrechnung, des Controlling, der Evaluation usw. sucht, die zum einen dem öffentlichen Interesse, zum anderen unserer Verwaltungstradition angemessen sind. Man muss aber auch hier erkennen, dass ein zufriedenstellendes Rationalitätsniveau von Entscheidungen nicht ohne adäquate interne Verfahren zu erreichen ist. Wenn man zum Beispiel Evaluationen im öffentlichen Wissenschaftsbereich beobachten kann, die schlicht an Regeln der Befangenheit der Akteure und des Gehörs der Betroffenen vorbeigehen, wird man auch an der Sachrichtigkeit der Bewertung zweifeln. Zur Verdeutlichung sei auf die Qualitätssicherung von Verwaltungsleistungen verwiesen. Methodisch kommt es auf die Anwendung von Qualitätsstandards an, die aus vielfältigen Formen der Normierung – von den Rechtsnormen bis zu den technischen Normen – hervorgehen. Eine Behörde, die in ihrem Handeln nicht nur an den Stand der Technik, also das Bewährte, sondern an den Stand der Wissenschaft, also das Dynamische, gebunden ist, hat es insoweit mit schwierigen Methodenproblemen zu tun. Wenn weiterhin eine solche Behörde ein Aufgabenspektrum des Strahlenschutzes wahrzunehmen hat, dass vom Strahlenschutz in der Medizin bis zu dem in der natürlichen Umwelt, von der Beförderung und Lagerung von Kernbrennstoffen bis zu Stilllegung kerntechnischer Einrichtungen reicht, dann lassen sich Methodenfragen allenfalls in bestimmten Fachbereichen klären. Auf der gesamtbehördlichen Ebene bleibt, durch Verfahren die für den Strahlenschutz unabdingbare Qualitätssicherung zu gewährleisten. Entsprechend spricht man von einem qualitätssichernden Prozessmanagement. Nimmt man die für eine solche Behörde maßgeblichen Steuerungsmechanismen zusammen, so mag sich folgendes Bild ergeben: Steuerung zur Siche-

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rung der Rechtmäßigkeit – bei technischen Behörden durch eigene Justiziariate –, Haushaltsüberwachung und Innenrevision, Kosten- und Leistungsrechnung, Produktkataloge und Produktplanung, Zielvereinbarungen, Controlling, Qualitätsmanagement, Personalplanung und weiteres mehr bis hin zur strategischen Planung und politischen Steuerung. Hier stoßen relative Richtigkeiten des Verwaltungshandelns und ihre jeweiligen sachlichen, rechtlichen, politischen, finanziellen Präferenzen aufeinander. Dafür ist wohl noch keine zufriedenstellende prozessuale Lösung der Koordination gefunden worden – es sei denn, man zieht sich einfach auf tradierte Verhaltensmuster zurück. Ule hat sich in den Verhandlungen von 1958 zutreffend gegen eine Regelung des externen Verfahrens durch Verwaltungsvorschriften gewandt. Das interne Verfahren ist neben dem Verwaltungsrecht durch Normen unterschiedlicher Qualität geregelt. In diesem Zusammenhang scheint für die deutsche Verwaltung ein tieferes Verständnis im Umgang mit Regulativen weicherer Verbindlichkeit – „soft law“ – erforderlich. Man trifft Verwaltungsleute, die insoweit in binären Codes zu denken scheinen, also „verbindlich“ oder „unverbindlich“, was komplexen Entscheidungssituationen nicht Rechnung trägt. Dies lässt sich an einem Beispiel aus dem Regierungsbereich verdeutlichen. Nach dem Grundgesetz entscheidet das Kabinett über Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesministern. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung sieht vor, dass, bevor solche Konflikte in das Kabinett kommen, Gespräche der betroffenen Minister stattzufinden haben. Hier kann man die Erfahrung machen, dass Verwaltungsmitarbeiter auf die Frage nach dem Gespräch der dissidierenden Ressortchefs antworten, dass diese nicht miteinander sprächen und im Kabinett einer der Minister schon rechtzeitig einen Rückzieher machen würde. Das verkennt Sinn und Zweck dieser Vorschrift. Denn es geht nicht nur um den Einzelfall, sondern darum, Konflikte aus dem Kabinett fernzuhalten und überdies Konfliktneigungen zu begrenzen. Meinungsverschiedenheiten im Kabinett führen zu schwer kalkulierbaren politischen Risiken der Regierung. Bei Koalitionsregierungen signalisieren sie deren Ende. Umgekehrt ermöglicht es dann der weiche Charakter der Geschäftsordnung, in Streitfragen, die Minister betreffen, die gleichzeitig Sprecher von Koalitionsparteien sind, anders zu verfahren. Solche Konflikte können Koalitionsgremien überantwortet werden oder, wenn sie im engeren Bereich der Regierungsgeschäfte bleiben, durch Ausweitung des Streitstoffes über mehrere Ressorts, durch Entpersonalisierung und Verflachung der Konfrontation entzogen werden. Funktionen und Folgen weicher Regulative für das interne Verwaltungsverfahren sind so für die legalistische Verwaltung weiter zu überdenken.

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Eine heute in der Verwaltung präferierte Prozessorientierung führt dazu, dass standardisierbare interne Verwaltungsleistungen immer mehr durch innerbehördliche und zwischenbehördliche Aufbauorganisationen hindurch vernetzt werden. So genannte „shared services“ werden durch die elektronische Datenverarbeitung vielfach technisch ermöglicht. Der Bürger muss freilich nach wie vor die Verwaltungsinstanz identifizieren können, die für seine Sache zuständig ist und Verantwortung trägt. Damit sind wir beim Rechtsstaatsprinzip. Der Rechtsstaat auf deutschem Boden hat vordemokratische Wurzeln. So hat man uns aus angelsächsischer Sicht vorgehalten, die Deutschen meinten, sie könnten den Rechtsstaat ohne Demokratie bekommen. In England entwickelte sich die Rule of law eben mit dem Parlamentarismus und wurde dann zu einer Regel der Bindung des Parlaments in seiner demokratischen Suprematie. Sie ist in das Demokratieprinzip integriert. Im Nachkriegsdeutschland wurden Demokratieprinzip und Rechtsstaatsprinzip konstitutionell zusammengebaut. Die Wesentlichkeitstheorie, wonach alle wesentlichen öffentlichen Angelegenheiten durch den Gesetzgeber zu regeln sind, stellt gleichsam den Schlussstein der Entwicklung dar. Freilich weist das Werk Ules darauf hin, dass das Rechtsstaatsprinzip auch heute noch für den Bürger und seine Grundrechte einen Eigenwert hat. In der europäischen Integration sucht man trotz unterschiedlicher historischer Ausgangspunkte, durch Rechtsetzung und Rechtsprechung einen eigenen rechtsstaatlichen Standard für alle Mitgliedstaaten zu finden. Schwieriger ist die internationale Lage. Zwar weisen Menschenrechtskonventionen darauf hin, dass die internationale Gemeinschaft einen eigenen Rechtsraum des Individuums in der Gesellschaft von vornherein anerkennt, und zwar gegenüber jeder, auch der demokratisch legitimierten Macht. Oft wirkt indessen in der internationalen Kooperation das Verständnis der Rule of law als ein der Demokratie beigeordnetes Prinzip nach. Deutlich wird das in der Werteformel „Markt und Demokratie“, wie sie von anglo-amerikanischer Seite den Transformationsländern nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus vorgehalten wurde. Dabei wäre es sicher ein Fortschritt, wenn Herrscher und Beherrschte sich gleichermaßen an die Gesetze halten, auch demokratisch weniger legitimierte Herrscher die eigenen Regeln respektieren würden. Das würde das Recht vom Schutz der Menschenrechte bis zum Schutz ausländischer Investitionen verlässlicher machen. Die Situation vieler Entwicklungsländer hat internationale Organisationen mit stark anglo-amerikanisch geprägter Intelligenz wie die Weltbank veranlasst, explizit rechtsstaatliche Elemente in ihr „Good Governance“-Konzept einzuführen, also Menschenrechte, verlässliche Rechtsordnung, Unabhängigkeit der Gerichte, Absicherung von Eigentumsrechten, Transparenz

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des Rechts, feste Zuständigkeitsordnung, Kontrolle öffentlicher Verwaltung usw. Der globale Diskurs hat sich insoweit über die alten Länder als Träger von Rechtsstaatlichkeit und Rule of law hinaus ausgeweitet. Deutschland ist nach seinen schlechten und guten historischen Erfahrungen ein geeigneter Partner in diesem Dialog, der bis nach China reicht. Ule würde betonen, dass „die Postulate der Rechtsstaatsidee“ sich im Ausbau des positiven Rechts manifestieren müssen. Es würde seinen Respekt finden, dass die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer und das Deutsche Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung anerkannte Partner der Institutionenbildung gerade von Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsgerichtsprozessrecht in der internationalen Kooperation geworden sind. Carl Hermann Ule war ein Prozessualist auf rechtstaatlichem Fundament. Es stiftet auch heute Nutzen, sich seiner Lehren zu erinnern.

Literatur Bundesamt für Strahlenschutz, Modernisierung des Bundesamtes für Strahlenschutz, Salzgitter 2007. König, Klaus/Merten, Detlef (Hrsg.), Verfahrensrecht in Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, Symposium zum Gedächtnis von Carl Hermann Ule, Berlin 2000, darin: Detlef Merten, Würdigung (S. 9 ff.); Klaus Stern, Die Bedeutung Carl Hermann Ules für das Verwaltungsprozess- und das Verwaltungsverfahrensrecht (S. 29 ff.); Hans-Werner Laubinger, Der Verfahrensgedanke im Verwaltungsrecht (S. 47 ff.); Jan Ziekow, Modernisierung des Verfahrensrechts (S. 69 ff.). König, Klaus, Verwaltungsstaat im Übergang. Transformation, Entwicklung, Modernisierung, Baden-Baden 1999. Luhmann, Niklas, Legitimation durch Verfahren, Neuwied am Rhein/Berlin 1969. Ule, Carl Hermann, Verwaltungsprozeßrecht, 1. Aufl. München 1960, 9. Aufl. München 1987. – Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Gesammelte Abhandlungen und Vorträge 1949–1979, Köln u. a. 1979. – mit Hans-Werner Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 1. Aufl. Köln 1977, 4. Aufl. Köln 1995. – mit Franz Becker und Klaus König (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetze des Auslandes, Berlin 1967. – mit Arno Steidel, Jörg Rüggeberg, Klaus König, Klaus-Albrecht Sellmann, HansWerner Laubinger, Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes zur Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und des Sozialgerichtsgesetzes, Berlin 1969.

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Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien im modernen Staat – Das Verwaltungsverfahren, Heft 17, Berlin 1959. Wichel, Martin/Bieback, Karin, Das Abwägungsgebot – Materiell-rechtliches Prinzip oder Verfahrensgrundsatz, in: Die Verwaltung 2006, S. 571 ff.

Abschied von der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle von Bebauungsplänen? Ein Drama in mehreren Akten Von Jan Ziekow Das Werk Carl Hermann Ules war so breit gefächert, dass man ihm sicher Unrecht tun würde, wollte man ihn auf sein verfahrensrechtsbezogenes Schaffen reduzieren. Gleichwohl kam Ule im Bereich des Verfahrensrechts, und zwar sowohl des Verwaltungsverfahrens- wie des Verwaltungsprozessrechts, eine exponierte Stellung zu. Sicherlich auch geprägt durch seine Erfahrungen in der Praxis, hat er durch seine Arbeiten das Verfahrensrecht in einer Zeit wissenschaftlich am Leben gehalten, in der es viel Neues im Bereich des Verwaltungsrechts zu entdecken gab und das Verfahrensrecht vielen zum langweiligen „Diener“ des wahren Rechts wurde. Dieser Einsatz Ules hat sich unzweifelhaft gelohnt, erlebt doch das Verfahrensrecht seit einiger Zeit eine bemerkenswerte Renaissance. Die Wissenschaft und auch die Politik haben die beträchtliche Steuerungskraft des Verfahrensrechts (wieder-)entdeckt1. Die Einflüsse unterschiedlicher Steuerungsimpulse, die vom Verfahrensrecht ausgehen können, lassen sich prägnant an der Entwicklung der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle verdeutlichen. Zu diesem Zweck soll im Folgenden zunächst ein Blick auf das Konzept geworfen werden, das der Einführung der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle ursprünglich zugrunde lag. Anschließend werden dann an diesem Konzept dessen schrittweise Durchbrechungen gemessen, um zum Abschluss die Frage beantworten zu können: Ist von der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle von Bebauungsplänen noch so viel übrig gelassen worden, dass eine Aufrechterhaltung dieses Instituts lohnt?

1 Dazu aus der neueren Literatur Hoffmann-Riem, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 9 ff.; Ziekow, Von der Reanimation des Verfahrensrechts, NVwZ 2005, S. 263 ff.

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I. Das Konzept der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle nach § 47 VwGO Für eine Beschäftigung mit der Normenkontrolle grundlegend ist zunächst die Unterscheidung zwischen inzidenter und prinzipaler sowie abstrakter und konkreter Normenkontrolle: Die Unterscheidung zwischen prinzipaler und inzidenter Normenkontrolle knüpft an die Art der Entscheidung über die Norm an: Erfolgt eine ausdrückliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit oder Gültigkeit einer Norm, gleichsam in der Hauptsache, so liegt eine prinzipale Normenkontrolle vor. Wird die Frage nach der Rechtmäßigkeit oder Gültigkeit einer Norm nicht ausdrücklich, sondern nur als Vorfrage zur Lösung eines anderen Problems beantwortet, so handelt es sich um eine inzidente Normenkontrolle. Anknüpfungspunkt für die Differenzierung in abstrakte und konkrete Normenkontrolle als Varianten der prinzipalen Normenkontrolle ist der Anlass des Verfahrens: Bei der konkreten Normenkontrolle wird eine zunächst nur als Vorfrage für die Entscheidung eines einzelnen Rechtsstreits erforderliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Norm aus dem konkreten Verfahren herausgelöst und zu einer prinzipalen Normenkontrolle verselbständigt. Die abstrakte Normenkontrolle führt ohne Bezug auf einen Rechtsanwendungsfall unmittelbar zur ausdrücklichen Entscheidung über Rechtmäßigkeit bzw. Gültigkeit einer Norm. Danach enthält § 47 VwGO einen Fall der prinzipalen abstrakten Normenkontrolle. Wesentlich für das Verständnis der abstrakten prinzipalen Normenkontrolle nach § 47 VwGO ist, dass eine inzidente Normenkontrolle nicht gesperrt wird. Wer einen Bebauungsplan nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zur Normenkontrolle durch das Oberverwaltungsgericht stellt, kann daneben z. B. auch Anfechtungsklage gegen eine auf der Grundlage der Festsetzungen dieses Bebauungsplans erlassene Baugenehmigung erheben. Um genauer zu sein: Geht es dem Kläger im Kern darum, das Bauvorhaben auf dem Grundstück seines Nachbarn zu verhindern, so muss er in jedem Fall gegen die Baugenehmigung mit Widerspruch und Anfechtungsklage vorgehen, um die Bestandskraft der Baugenehmigung zu verhindern. Wenn der Nachbar aber gegen die Baugenehmigung ohnehin klagen muss, welchen Sinn hat dann die Möglichkeit zur Erhebung einer parallelen Normenkontrolle? Denn im Verfahren der Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung wird ja auch der Bebauungsplan im Wege der inzidenten Normenkontrolle überprüft. Hinter der zusätzlichen Möglichkeit der abstrakten Normenkontrolle nach § 47 VwGO steht das Schreckbild, dass sich eine Vielzahl von Normbetroffenen über dieselbe Rechtsvorschrift ärgert und deshalb zahlreiche Einzelklagen erhoben werden, die alle zu inzidenten Normenkontrollen derselben

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Norm führen. Dies potenziert nicht nur den Arbeitsaufwand der Gerichte, sondern wirft – bei der Zuständigkeit verschiedener Spruchkörper – das Risiko voneinander abweichender Entscheidungen über dieselbe Frage auf. Hier setzt die sog. Bündelungsfunktion der Normenkontrolle an: Nach der von der ständigen Rechtsprechung aufgegriffenen Zwecksetzung des Gesetzgebers soll die Normenkontrolle Einzelklagen bündeln, um durch die frühzeitige und allgemeinverbindliche Feststellung der Unwirksamkeit eine mögliche Rechtsunsicherheit durch divergierende Inzidententscheidungen zu vermeiden und durch die ökonomische Verfahrensgestaltung die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu entlasten2. Damit die Normenkontrolle dieser Zwecksetzung gerecht werden konnte, bedurfte sie einer spezifischen Konstruktion. Kennzeichnend ist vor allem das Auseinanderfallen von Sachentscheidungs- und Begründetheitsvoraussetzungen. Bei der Anfechtungsklage ist in Gestalt des Erfordernisses der Geltendmachung einer Rechtsverletzung nach § 42 Abs. 2 VwGO ein Element der Begründetheitsprüfung zur Zulässigkeitsvoraussetzung erklärt worden. Dem korrespondiert die Begründetheitsprüfung nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, in deren Rahmen das tatsächliche Bestehen der in Anspruch genommenen Rechtsposition und das Vorliegen einer Verletzung dieser Position dann festgestellt werden muss. Anders bei der Normenkontrolle: Hier hat die Sachentscheidungsvoraussetzung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nur die Funktion, Popularanträge auszuschließen und den Kreis der zum Anstoß des Verfahrens in Betracht kommenden Antragsteller sachgerecht zu bestimmen3. Die subjektive Betroffenheit des Antragstellers ist für die materielle Normprüfung ohne Bedeutung, die allein am Maßstab des höherrangigen Rechts erfolgt. Die Unwirksamerklärung der Norm erfolgt unabhängig von einer subjektiven Betroffenheit des Antragstellers4. Die Aufgabe des Verfahrensgesetzgebers bestand mithin darin, zum einen dem Bündelungszweck der Normenkontrolle, der auf eine großzügige Fassung der Sachentscheidungsvoraussetzungen drängt, gerecht zu werden, zum anderen aber keine Popularklage zuzulassen. Die vom Erlass der Verwaltungsgerichtsordnung im Jahre 1960 bis zum 6. VwGO-Änderungsgesetz von 19965 geltende Fassung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO löste diesen Spannungsbogen dadurch auf, dass der Normenkontrollantrag unbefristet 2 Vgl. BT-Drucks. 3/55, Anl. zu § 46; BT-Drucks. 3/1094 zu § 46; BVerwGE 56, 172 (178); 80, 355 (363); 81, 128 (137); BVerwG NVwZ 1988, S. 1119 (1120). 3 Ziekow, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 22006, § 47 Rn. 38 m. N. 4 BVerwGE 82, 225 (233); BVerwG DVBl. 1992, S. 37 (39); OVG Berlin NVwZ 1982, S. 442 (443); OVG Koblenz AS 18, S. 274 (277). 5 Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 1.11.1996 (BGBl. I S. 1626).

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dann zulässig war, wenn der Antragsteller geltend machen konnte, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung einen Nachteil erlitten oder in absehbarer Zeit zu erwarten zu haben. Zumindest nach der vom Bundesverwaltungsgericht zur Ausfüllung dieses Kriteriums entwickelten Formel war der Kreis der relevanten Interessen nicht auf subjektive Rechte beschränkt – wenngleich der überschießende Bereich vernachlässigenswert klein war6. Seit Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts geriet diese recht ausgewogene Konstruktion in den Strudel der Diskussion um die Sicherung des „Standortes Deutschland“ und die daraus für die Gestaltung des Verfahrensrechts abzuleitenden Folgerungen7. Über zehn Jahre trat dann für die Ausgestaltung der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle wieder eine gewisse Beruhigung ein, bevor im Jahr 2006 neue Regelungen die Struktur des Normenkontrollverfahrens betrafen. II. Die Parallelisierung von Antrags- und Klagebefugnis und die Befristung des Normenkontrollantrags Obwohl der § 47 VwGO schon vorher mehrfach geändert worden war8, begann der systematische „Sündenfall“ mit dem erwähnten 6. VwGO-Änderungsgesetz von 1996. Es ersetzte das Nachteilserfordernis in § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO alter Fassung durch die Voraussetzung der Geltendmachung einer Rechtsverletzung und führte die zweijährige Antragsfrist ein. Die Parallelisierung der Antrags- mit der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO wurde – recht lapidar – damit begründet, dass die mit der weitergehenden Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a. F. verbundenen Nachteile zu groß gewesen seien9. Was immer der Gesetzgeber mit dieser Andeutung gemeint haben mochte – die Struktur des Normenkontrollverfah6

Im Einzelnen Ziekow (Fn. 3), § 47 Rn. 145 ff. mit Nachweis der Rspr. Aus der Diskussion Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren für eilbedürftige Vorhaben, 1991; Eckert, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren 1997; Guckelberger, Maßnahmen zur Beschleunigung von Planungsund Genehmigungsverfahren, in: Ziekow (Hrsg.), Beschleunigung von Planungsund Genehmigungsverfahren, 1998, S. 17 ff.; Püttner/Guckelberger, Beschleunigung von Verwaltungsverfahren, JuS 2001, S. 218 ff.; Rombach, Der Faktor Zeit in umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren, 1994; Schlichter, Investitionsförderung durch flexible Genehmigungsverfahren, DVBl. 1995, S. 173 ff.; Ziekow, Zügige Verwaltungsverfahren, in: Ziekow (Hrsg.), a. a. O., S. 51 ff. Zur Zielrichtung des 6. VwGO-Änderungsgesetzes als Ergänzung der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren BT-Drucks. 13/3993, S. 9. 8 Überblick bei Ziekow (Fn. 3), § 47 Rn. 3. 9 BT-Drucks. 13/3993, S. 10. 7

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rens war ihm offenbar verborgen geblieben. In der Sache wird es ihm wohl darum gegangen sein, nur solchen Personen den Zugang zur abstrakten Normenkontrolle zu eröffnen, die auch die Klagebefugnis für eine Einzelklage besitzen. Die Zielrichtung dürfte also in Richtung einer „Norm-Anfechtungsklage“ gegangen sein. Dass der Gesetzgeber zur Verfolgung dieses Ziels ein untaugliches Mittel gewählt hat, ist ihm von der Rechtsprechung unmissverständlich deutlich gemacht worden. Die Ermittlung einer durch einen Einzelakt herbeigeführten Rechtsbetroffenheit ist eben etwas anderes als die Möglichkeit einer durch eine Rechtsnorm verursachten Rechtsverletzung. Auf die Geltendmachung einer Rechtsverletzung durch eine Norm kann das zu § 42 Abs. 2 VwGO entwickelte Ableitungsprogramm nicht ohne weiteres übertragen werden. Als abstrakt-genereller Rechtsakt wird die Norm nicht in Konkretisierung eines zwischen Antragsteller und Antragsgegner bestehenden Rechtsverhältnisses erlassen, sondern gestaltet das Rechtsverhältnis vielmehr meist erst selbst. Anders als bei der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO kommt mithin bei der Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch der angegriffene Akt selbst als Grundlage berücksichtigungsfähiger Rechtspositionen in Betracht. Schon deshalb ist die für § 42 Abs. 2 VwGO maßgebende Vorher-/Nachher-Betrachtung („Hat der Erlass der fraglichen Maßnahme die Rechtsposition verschlechtert?“) bei der Ermittlung der Antragsbefugnis nur bei bestimmten Normtypen möglich. Völlig zu Recht greift die Rechtsprechung deshalb auch weiterhin auf die zum früheren Nachteilsbegriff entwickelten Grundsätze zurück10. Das gleichzeitig in den § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO eingefügte Fristerfordernis, wonach bislang der Normenkontrollantrag innerhalb von zwei Jahren nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift zu stellen war, war bereits im Verfahren zum Erlass des 6. VwGO-Änderungsgesetzes umstritten. Der Bundesrat, der eine wesentlich längere Antragsfrist von fünf Jahren favorisierte, wies völlig zu Recht darauf hin, dass in so kurzer Zeit die Auswirkungen der Norm von den Betroffenen nicht übersehen werden können, die Bündelungswirkung der Normenkontrolle deshalb entfalle und dadurch die Gefahr einer Vielzahl divergierender Inzidententscheidungen entstehe11. Dem ist nichts hinzuzufügen. Da die Möglichkeit zur Herbeiführung einer Inzidentkontrolle, beispielsweise in Form einer Anfechtungsklage gegen eine Baugenehmigung, auch nach Ablauf der Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO unberührt bleibt, können nach diesem Zeitpunkt die Probleme, die durch die Bündelungsfunktion der abstrakten Normenkontrolle eigentlich gerade verhindert werden sollen, unvermindert auftreten. Dies ist insbeson10 11

Ziekow (Fn. 3), § 47 Rn. 157 ff. mit Nachweisen. BT-Drucks. 13/3993, Anl. 2, S. 16 f.

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dere für die Normenkontrolle von Bebauungsplänen von Bedeutung, vergeht doch zwischen dem Erlass eines Bebauungsplans und der Verwirklichung seiner Festlegungen oftmals eine beträchtliche Zeit. Die mit der Planung verbundenen Probleme werden daher häufig erst dann den Planbetroffenen bewusst und führen erst zu diesem Zeitpunkt zu einer Häufung von Klagen. Eine der Prozessökonomie verpflichtete Befriedung durch die Einleitung eines Normenkontrollverfahrens ist dann aber nicht mehr möglich. III. Subjektivierung eines objektiven Beanstandungsverfahrens Teil I: Die Normenkontrolle als Anfechtungsklage gegen Festsetzungen eines Bebauungsplans Die durch die Einführung der Antragsfrist schon teilweise entwertete verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle ist im Dezember 2006 wieder in das Visier des Gesetzgebers geraten. Den Auftakt machte das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (URG) vom 7. Dezember 200612, das die die sog. Århus-Konvention13 in Gemeinschaftsrecht transformierende Richtlinie 2003/35/EG14 12

Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG v. 7.12.2006 (BGBl. I S. 2816). Dazu Ewer, Das neue Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2007, S. 267 ff.; Schlacke, Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NuR 2007, S. 8 ff.; Ziekow, Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz im System des deutschen Rechtsschutzes, NVwZ 2007, S. 259 ff. 13 Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom Juni 1998 (BGBl. 2006 II S. 1252). Dazu Epiney, Zu den Anforderungen der Aarhus-Konvention an das europäische Gemeinschaftsrecht, ZUR 2003, S. 176 ff.; dies./Scheyli, Die Aarhus-Konvention, 2000; Butt, Die Ausweitung des Rechts auf Umweltinformation durch die Aarhus-Konvention, 2001; Jeder, Neue Entwicklungen im Umweltrecht vor dem Hintergrund der Aarhus-Konvention, UTR 62 (2002), S. 145 ff.; Scheyli, Aarhus-Konvention über Informationszugang, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz in Umweltbelangen, AVR 38 (2000), S. 217 ff.; Schink, Die Aarhus-Konvention und das deutsche Umweltrecht, EurUP 2003, S. 27 ff.; Walter, Beteiligungsrechte im Verwaltungsverfahren und Zugang zu Gerichten, in: Durner/Walter (Hrsg.), Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Århus-Konvention, 2005, S. 7 ff.; Ziekow, Strategien zur Umsetzung der Århus-Konvention in Deutschland, a. a. O., S. 39 ff.; Zschiesche, Die Aarhus-Konvention – mehr Bürgerbeteiligung durch umweltrechtliche Standards?, ZUR 2001, S. 177 ff. 14 RL 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.5.2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, ABl.EG Nr. L 156/17 v. 25.6.2003. Dazu Bunge, Rechtsschutz bei der UVP nach der Richtlinie 2003/35/EG, ZUR 2004, S. 141 ff.; Durner, Rechtspolitische Spielräume im Bereich der dritten Säule, in: Durner/Walter (Hrsg.), Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Århus-Konvention, 2005,

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in deutsches Recht umsetzt. Neben weiteren Durchbrechungen der Systematik des deutschen Verwaltungsprozessrechts15 enthält das UmweltRechtsbehelfsgesetz auch eine Regelung zur Normenkontrolle von bestimmten Bebauungsplänen auf Antrag von Umweltschutzvereinigungen (§ 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2, § 1 Abs. 1 Nr. 1 URG in Verbindung mit § 2 Abs. 3 Nr. 3 UVPG). Nach § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 URG sind Rechtsbehelfe von Umweltschutzvereinigungen „in Bezug auf Bebauungspläne“ nur begründet, soweit die Festsetzungen des Bebauungsplans, die die Zulässigkeit eines UVPpflichtigen Vorhabens begründen, gegen Rechtsvorschriften verstoßen, die dem Umweltschutz dienen und Rechte Einzelner begründen, und der Verstoß Belange des Umweltschutzes berührt, die zu den von der Vereinigung nach ihrer Satzung zu fördernden Zielen gehören. Im Verhältnis zu den allgemeinen Regelungen zur Normenkontrolle nach § 47 VwGO ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag nach § 2 URG in weiterem Umfang zulässig ist, als die Begründetheitsprüfung reicht. Die Zulässigkeitsanforderungen nach § 2 Abs. 1 URG beziehen sich auf Entscheidungen im Sinne von § 1 Abs. 1 URG, worunter ausweislich des in Bezug genommenen § 2 Abs. 3 Nr. 3 UVPG der gesamte Bebauungsplan zu verstehen ist. Die Begründetheitsprüfung erstreckt sich hingegen nach § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 URG nur auf die Festsetzungen des Bebauungsplans, die die Zulässigkeit eines UVP-pflichtigen Vorhabens begründen. Zwar ergibt sich aus den Regeln zur Teilnichtigkeit, dass der Normenkontrollantrag auch insoweit begründet ist, wie die Festsetzung, die die Zulässigkeit eines UVP-pflichtigen Vorhabens begründet, mit anderen Teilen des Bebauungsplans in einem untrennbaren Regelungszusammenhang steht16. Dies ändert jedoch nichts daran, dass vom Gericht nicht der gesamte Bebauungsplan auf Verstöße gegen Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen etc., überprüft wird, sondern sich die Prüfung auf die genannten Festsetzungen beschränkt. Lösen lässt sich dieses Problem der überschießenden Zulässigkeit dadurch, dass für einen Angriff auf andere Festsetzungen das Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen ist. Systematisch ist an der Regelung des § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 URG bemerkenswert, dass man sie in diesem Regelungszusammenhang nicht verS. 64 ff.; Ekardt/Pöhlmann, Die Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft für den Rechtsschutz, EurUP 2004, S. 128 ff.; Ziekow, Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, in: Ziekow (Hrsg.), Aktuelle Fragen des Luftverkehrs-, Fachplanungs- und Naturschutzrechts, 2006, S. 109 ff. 15 Im Einzelnen Ziekow (Fn. 12). 16 Vgl. BVerwG DVBl. 1992, S. 37 (39); NuR 2003, S. 352 (353); VGH München BayVBl. 1993, S. 656 (658).

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mutet. Wie erwähnt, ist dem Bündelungszweck der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle gerade immanent, eine möglichst große Zahl von potenziellen Einzelklagen durch eine vollumfängliche objektive Rechtskontrolle gleichsam zu antizipieren. Interessanterweise schreibt die Begründung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes eine solche Bündelungsfunktion auch der Vereinsklage zu17. Die Gleichung heißt also offenbar: Bündelung plus Bündelung gleich reduzierte Erfolgschancen. Wer sich als einzelner Antragsteller hier durch den Normenkontrollantrag einer Umweltschutzvereinigung „bündeln“ lassen soll, wenn er allein doch wesentlich mehr Kontrolle bekommen kann, ist nicht so recht einsichtig. Die Regelung des UmweltRechtsbehelfsgesetzes zwingt die Vereine eher dazu, möglichst viele Einzelantragsteller zu mobilisieren, um eine möglichst umfängliche Kontrolle zu erreichen. § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 URG-E führt mithin zu einer – wenngleich bereichsspezifischen – massiven Zurückdrängung der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle, indem er die Überprüfung der Vorschrift – vorbehaltlich der Unteilbarkeit des Plans – auf einzelne Festsetzungen beschränkt und eine doppelte Subjektivierung der Begründetheitsprüfung einführt. Denn zum einen müssen die berührten Umweltschutzbelange gerade zu den von der Vereinigung nach ihrer Satzung zu fördernden Zielen gehören, und zum anderen muss die Rechtsvorschrift, gegen die die betreffende Festsetzung verstößt, Rechte Einzelner begründen. Ohne die bekannte Diskussion um den Rechtscharakter von Bebauungsplänen wieder führen zu wollen18, handelt es sich im Ergebnis nicht einmal mehr um eine amputierte Normenkontrolle, sondern um eine Anfechtungsklage gegen einzelne Festsetzungen eines Bebauungsplans. IV. Subjektivierung eines objektiven Beanstandungsverfahrens Teil II: Die Beschränkung der Antragsbefugnis auf „aktive“ Antragsteller Beschränkt sich die Zurückdrängung der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz noch auf Normenkontrollanträge von Umweltschutzvereinigungen gegen Bebauungspläne, durch die die Zulässigkeit von UVP-pflichtigen Vorhaben begründet werden soll oder die Planfeststellungsbeschlüsse ersetzen, so greift das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte vom 21. Dezember 200619 unmittelbar in den bisherigen Normbestand des § 47 17

BT-Drucks. 16/2495, S. 9 f. Dazu etwa Peine, Öffentliches Baurecht, 42003, Rn. 521 ff.: „Summe von Verwaltungsakten“. 18

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VwGO ein. Durch Artikel 3 Ziffer 1 des genannten Gesetzes wird zum einen die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO von zwei Jahren auf ein Jahr verkürzt. Zum anderen wird ein den Normenkontrollantrag von natürlichen oder juristischen Personen gegen Bebauungspläne, Entwicklungssatzungen (§ 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB), Ergänzungssatzungen (§ 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB) und Außenbereichssatzungen (§ 35 Abs. 6 BauGB) betreffender Absatz 2 a in den § 47 eingefügt. Nach dieser Vorschrift ist ein Normenkontrollantrag gegen eine der genannten Satzungen unzulässig, wenn die den Antrag stellende Person nur Einwendungen geltend macht, die sie im Rahmen der öffentlichen Auslegung (§ 3 Abs. 2 BauGB) oder im Rahmen der Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit (§ 13 Abs. 2 Nr. 2, § 13 a Abs. 2 Nr. 1 BauGB) nicht oder verspätet geltend gemacht hat, aber hätte rechtzeitig geltend machen können. Dies gilt allerdings nur, wenn auf diese Rechtsfolge im Rahmen der Beteiligung hingewiesen worden ist. Eine entsprechende Hinweispflicht statuiert § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB neuer Fassung. 1. Verkürzung der Antragsfrist Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien stehen dahinter folgende Überlegungen: In Anbetracht „der drängenden Herausforderungen, die die wirtschaftliche und demografische Entwicklung in allen Bereichen“ verursache, sei „eine zügige Herstellung von Rechtssicherheit“ und deshalb die Verkürzung der Antragsfrist auf ein Jahr geboten20. Die Überbewertung einer nachgerade zerstörerischen Kraft, die der prinzipalen Normenkontrolle offenbar zugemessen wird, ist sehr schön deutlich geworden in dem „Praxistest“, dem die geplante Novelle in Form einer prospektiven Gesetzesfolgenabschätzung durch das Deutsche Institut für Urbanistik unterzogen worden ist21. Von den an dem Praxistest teilnehmenden Städten wurde die Verkürzung der Antragsfrist positiv bewertet, „weil die frühzeitige Rechts19 BGBl. I S. 3316. Battis/Krautzberger/Löhr, Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte („BauGB 2007“), NVwZ 2007, S. 12 ff.; Büssemaker, Novellierung des Baugesetzbuches, BTR 2006, S. 158 ff.; Krautzberger, Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte („BauGB 2007“), UPR 2006, S. 405 ff.; ders., Die BauGB-Novelle 2007 ist in Kraft getreten – Zum Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte –, UPR 2007, S. 53 ff.; Krautzberger/Stüer, BauGB 2007: Stärkung der Innenentwicklung, DVBl. 2007, S. 160 ff.; Scheidler, Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte nach dem jüngsten BauGB-Entwurf, ZfBR 2006, S. 752 ff. 20 Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte, BR-Drucks. 558/06, S. 37. 21 Bunzel, BauGB-Novelle 2006 im Praxistest, 2006.

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gültigkeit eines Bebauungsplans für viele Entscheidungen . . . von großer Bedeutung sei“22. Hier liegt offenbar eine Verkennung der Wirkungen sowohl der Antragsfrist als auch der Bindungswirkung von Normenkontrollentscheidungen vor: Ist die Antragsfrist abgelaufen, ohne dass ein Normenkontrollantrag gestellt worden ist, so steht die Rechtsgültigkeit des Bebauungsplans damit nicht fest, sondern es wird lediglich die Bündelungswirkung der Normenkontrolle untergraben. Denn – wie schon ausgeführt – die Möglichkeit der Herbeiführung einer inzidenten Normenkontrolle bleibt unberührt23. Ist innerhalb der Antragsfrist ein Normenkontrollantrag gestellt und als unbegründet zurückgewiesen worden, so entfaltet diese Entscheidung Bindungswirkung nur zwischen den Beteiligten und ihren Rechtsnachfolgern24. Die Gültigkeit der Norm ist damit hingegen nicht allgemein verbindlich festgestellt25. Vielmehr kann die Norm durch einen anderen Antragsteller erneut einer prinzipalen oder inzidenten Überprüfung zugeführt werden26. 2. Präklusionsregelung Auch die Überlegungen, die zur Einführung der Präklusionsregelung des § 47 Abs. 2 a VwGO geführt haben, überzeugen nicht so recht. Die Begründung des Regierungsentwurfs bezeichnet die Regelung als „Konkretisierung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses“, die „dem Umstand Rechnung (trage), dass bereits im Aufstellungsverfahren Mitwirkungsbefugnisse bestehen, die dem Ziel dienen, die jeweiligen Interessen rechtzeitig dem Abwägungsmaterial zuzufügen. Dem und der grundsätzlichen Aufgabenverteilung zwischen Plangeber und Verwaltungsgerichten würde es widersprechen, wenn sachliche Einwendungen ohne Not erst im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht würden“27. Die in dem genannten Praxistest befragten Städte versprechen sich offenbar viel von diesen Überlegungen, werde doch „das Verschieben der Auseinandersetzung mit Problemen, die bereits während der Planaufstellung erkennbar waren, auf das gerichtliche Verfahren bewusst erschwert“. Die eingeführte „Zulässigkeitshürde . . . (werde) sich . . . auch entscheidend auf die Erfolgsaussichten eines Antrages“ auswirken28. 22

Bunzel (Fn. 21), S. 81. Oben I. 24 BVerwGE 68, 306 (307); BVerwG NVwZ-RR 1991, S. 54; 1994, S. 236; OVG Koblenz AS 18, S. 274 (275 f.). 25 VGH Mannheim VBlBW 1980, S. 23; Ziekow (Fn. 3), § 47 Rn. 367. 26 BVerwGE 65, 131 (137); VGH München NuR 2001, S. 402 (404). 27 Regierungsentwurf (Fn. 20), S. 37. 28 Bunzel (Fn. 21), S. 82. 23

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Das Feld von hinten aufgerollt: Die letztgenannte Hoffnung eines Durchschlagens des Zulässigkeitskriteriums des § 47 Abs. 2 a VwGO auf die Begründetheitsprüfung dürfte sich nicht erfüllen. Allerdings hatte die ursprüngliche Fassung des Regierungsentwurfs in der Tat eine weitgehende Versubjektivierung der Normenkontrolle vorgesehen. Indem der Normenkontrollantrag unzulässig sein sollte, soweit der Antragsteller Einwendungen geltend macht, die er bereits im Rahmen der Auslegung oder der Öffentlichkeitsbeteiligung hätte geltend machen können, wäre die Begründetheitsprüfung des nur im Übrigen zulässigen Antrags entsprechend beschränkt gewesen. Diese Auflösung ihrer inneren Struktur über den Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes29 hinaus ist der Normenkontrolle erspart geblieben. Denn nach der zitierten, Gesetz gewordenen Fassung ist der Normenkontrollantrag unzulässig, wenn nur präkludierte Einwendungen geltend gemacht werden. Wird der Normenkontrollantrag aber zusätzlich zu präkludierten auch auf andere Einwendungen gestützt, die dem Antragsteller die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO verleihen, so ist der Antrag in vollem Umfang zulässig und führt zu der objektiven Rechtskontrolle im bisherigen Umfang. Die Präklusionsregelung des § 47 Abs. 2 a VwGO als Ausprägung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses anzusehen, ist recht gewagt. Zwar ist es zutreffend, dass das allgemeine Rechtsschutzinteresse auch beim verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren vorliegen muss30. Jedoch fehlt nach der von Bundesverwaltungsgericht und ganz herrschender Meinung gebrauchten Formel einem Antrag dann „das Rechtsschutzinteresse, wenn der Antragsteller seine [subjektive] Rechtsstellung mit der begehrten gerichtlichen Entscheidung nicht verbessern kann und die Inanspruchnahme des Gerichts deshalb für ihn nutzlos erscheint. Das ist der Fall, wenn der Antrag, selbst wenn er [im Übrigen] zulässig und begründet wäre, dem Antragsteller keinen Nutzen bringen könnte . . . [oder] wenn es einen anderen, einfacheren Weg zu dem erstrebten Ziel gibt“31. Dass einem Normenkontrollantrag nicht deshalb das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, weil der Antragsteller nicht innerhalb der Auslegungs- oder der Öffentlichkeitsbeteiligungsfrist eine Stellungnahme abgegeben hat, ergibt sich aus den Grundsätzen, nach denen das Abwägungsmaterial in der Bauleitplanung zusammenzustellen ist. Seit dem grundlegenden Urteil des 29

Oben III. BVerwGE 64, 77 (80); 78, 85 (91); 82, 225 (231); BVerwG NVwZ 1989, S. 653; BauR 1992, S. 187 (188); UPR 1999, S. 306; Ziekow (Fn. 3), § 47 Rn. 128 m. w. N. 31 BVerwG BauR 1992, S. 187 (188); ebenso BVerwGE 78, 85 (91); 82, 225 (231); BVerwG BauR 2002, S. 1524 (1525); OVG Münster NWVBl. 2004, S. 98 (99). 30

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Bundesverwaltungsgerichts vom 9. November 1979 ist unangefochtene Maßgabe, dass – abgesehen von den objektiv geringwertigen oder nicht schutzwürdigen Interessen – all die Belange in die Abwägung einzustellen sind, die für die Gemeinde erkennbar sind. Dabei ist ein Belang zum einen dann erkennbar, wenn er sich der Gemeinde aufdrängen musste, zum anderen dann, wenn er von dem Betroffenen vorgetragen wurde32. Daraus ergibt sich zweierlei: Erstens sind alle Belange abwägungsbeachtlich, die im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung vorgetragen wurden. Zweitens ist ein Belang nicht schon deshalb nicht in die Abwägung einzustellen, weil er nicht im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung eingebracht worden ist. Vielmehr hat die Gemeinde den Belang auch in dieser Konstellation einzubeziehen, wenn sich ihr die Betroffenheit dieses Belangs aufdrängen musste. Eine Präklusionswirkung ist auch durch das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben etc. nicht in den § 3 BauGB aufgenommen worden. Festzuhalten bleibt also zunächst, dass mangels materieller Präklusion betroffene Individualbelange die Klagebefugnis für eine die Inzidentkontrolle eines Bebauungsplans herbeiführende Anfechtungsklage auch dann begründen können, wenn sie nicht im Rahmen der Auslegung oder der Öffentlichkeitsbeteiligung vorgebracht worden sind33. Ob dieser Belang für die Gemeinde erkennbar und daher von ihr von Amts wegen zu beachten war, ist eine Frage der Begründetheit der Klage. Für die Antragsbefugnis für die Normenkontrolle von Bebauungsplänen verhielt es sich schon nach bisherigem Recht im Wesentlichen ebenso: Besteht der in Rede stehende Individualbelang nicht in einem subjektiven öffentlichen Recht, so kann die Antragsbefugnis nur auf eine Verletzung des Rechts auf gerechte Abwägung gestützt werden34. Das Recht auf gerechte Abwägung umgreift alle Interessen, die zu dem bei der Planaufstellung zu berücksichtigenden notwendigen Abwägungsmaterial gehören, also alle privaten Belange, die nach Lage der Dinge in die Abwägung eingestellt werden müssen35. Die Nichtberücksichtigung eines nicht vorgebrachten, der Gemeinde aber erkennbaren Belangs verleiht danach die Antragsbefugnis. Hier und nicht beim allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis setzt der neue § 47 Abs. 2 a VwGO an, während das Fachplanungsrecht bekanntlich auf das wesentlich schärfere Schwert der materiellen Präklusion setzt (§ 73 32

BVerwGE 59, 87 (103 f.). Krautzberger/Stüer (Fn. 19), S. 168. 34 Dazu BVerwGE 107, 215 (220 ff.); BVerwG BauR 2000, S. 690 (691); 2000, S. 848 (851); NVwZ 2000, S. 197; 2000, S. 1413 (1414); 2004, S. 1120; OVG Lüneburg BauR 2004, S. 57; OVG Münster BauR 2001, S. 85. 35 Ziekow (Fn. 3), § 47 Rn. 171. 33

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Abs. 4 Satz 2 VwVfG)36. Wegen des Charakters der Bauleitplanung als Gesamtplanung gibt es sehr gute Gründe dafür, dass dieses Schwert hier nicht gezogen worden ist. Demgegenüber ist die Klinge des § 47 Abs. 2 a VwGO recht stumpf: Von vornherein nicht erfasst werden all diejenigen, die erst nach Abschluss der Auslegung ein Grundstück im Geltungsbereich des Bebauungsplans erworben haben, konnten sie ihre Einwendungen doch nicht während der Auslegungsfrist geltend machen. Auch für alle anderen Antragsteller wird sich das Ziel, zu verhindern, dass Einwendungen „ohne Not“ statt während der Planaufstellung erst im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden, kaum erreichen lassen. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum notwendigen Abwägungsmaterial kann es solche „ohne Not“ zurückgehaltenen Einwendungen eigentlich nicht geben: War der Belang für die Gemeinde erkennbar, so muss er ohnehin einbezogen werden und ist für das Recht auf gerechte Abwägung erheblich. War der Belang nicht erkennbar und wurde für das Normenkontrollverfahren „aufgespart“, so gibt er für ein Recht des Antragstellers auf gerechte Abwägung nichts her. Ganz im Gegenteil zwingt § 47 Abs. 2 a VwGO die Planbetroffenen dazu, während der Planauslegung „ohne Not“ überflüssige Einwendungen zu erheben. Denn auf Individualbelange, deren Berührung so offensichtlich ist, dass ihnen die pflichtige Berücksichtigung geradezu „auf der Stirn“ geschrieben steht, oder von hundert anderen Bürgern vorgetragene und deshalb ebenfalls in der Abwägung zu berücksichtigende Belange kann sich ein Planbetroffener zur Geltendmachung seines Rechts auf gerechte Abwägung nun nicht mehr stützen37. Zur Wahrung seiner Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren ist er vielmehr gezwungen, die Gemeinde auf jene Selbstverständlichkeiten hinzuweisen oder die einhundertunderste wortidentische Einwendung zu erheben. Nur insofern hat § 47 Abs. 2 a VwGO also eine Änderung erbracht. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 47 Abs. 2 a VwGO reicht es aus, wenn der Antragsteller eine einzige solche bereits im Auslegungsverfahren erhobene Einwendung geltend macht, sofern die Antragsbefugnis darauf gestützt werden kann38. In diesem Fall werden auch alle Einwendungen, die nicht rechtzeitig geltend gemacht wurden, in die Begründetheitsprüfung einbezogen. Dies ergibt sich aus der bereits dargestellten Ersetzung des Wortes „soweit“ durch die Worte „wenn“ und „nur“. Was aber gilt für die Konstellation, dass während der Auslegung ein Belang geltend gemacht worden ist, 36 Dazu etwa Rieder, Fachplanung und materielle Präklusion, 2004; Solveen, Zur materiellen Präklusion im Fernstraßenplanungsrecht, DVBl. 1997, S. 803 ff.; Stüer/ Rieder, Präklusion im Fernstraßenrecht, DÖV 2003, S. 473 ff. 37 Im Ergebnis ebenso Battis/Krautzberger/Löhr (Fn. 19), S. 128. 38 Ebenso Battis/Krautzberger/Löhr (Fn. 19), S. 128.

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es sich aber um ein ausschließlich öffentliches Interesse handelt, das für ein Recht des Antragstellers auf gerechte Abwägung nichts hergibt? In dieser Gestaltung besteht kein Zusammenhang zwischen der Geltendmachung der Einwendung während der Auslegung und der nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erforderlichen Antragsbefugnis. Kann sich der Antragsteller dann für die Geltendmachung einer Rechtsverletzung auf Einwendungen berufen, die er während der Auslegung nicht geltend gemacht hat, die aber als privates Interesse zum notwendigen Abwägungsmaterial gehören? In den Gesetzesmaterialien wird diese Konstellation nicht ausdrücklich angesprochen. Die Wortlautauslegung führt insoweit zu einem recht eindeutigen Ergebnis: Der Antrag ist unzulässig, wenn der Antragsteller nur Einwendungen geltend macht, die er nicht im Rahmen der Auslegung erhoben hat. Macht er hingegen neben diesen Einwendungen auch solche geltend, die er während der Auslegung vorgebracht hat, so ist der Antrag zulässig – und zwar in seiner Gesamtheit. Hätte man dies anders regeln wollen, so hätte man es bei der von der Bundesregierung ursprünglich vorgeschlagenen „soweit“-Fassung belassen müssen. Dann nämlich wären die nicht rechtzeitig geltend gemachten Belange, auf die sich die Antragsbefugnis stützen ließe, durch § 47 Abs. 2 a VwGO ausgeschlossen worden. Der verbliebene, in der Auslegung geltend gemachte Belang wiederum gäbe für die Antragsbefugnis nichts her, so dass der Antrag insoweit bereits nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO unzulässig wäre. Mit der Auflösung dieser Differenzierung durch die schließlich verabschiedete Fassung des § 47 Abs. 2 a VwGO kann sich der Antragsteller zur Geltendmachung einer Rechtsverletzung auch auf nicht rechtzeitig geltend gemachte Einwendungen berufen39. Kurz zusammengefasst bestehen die Wirkungen der Änderung des § 47 VwGO durch das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben also in Folgendem: Neben der Verkürzung der Antragsfrist von zwei Jahren auf ein Jahr muss der Planbetroffene zur Erhaltung einer Möglichkeit, einen Normenkontrollantrag zu stellen, während der Planauslegung eine Einwendung erheben, selbst wenn der betroffene Belang ohnehin zum notwendigen Abwägungsmaterial gehören sollte. Auf die Geltendmachung dieses Belangs kann sich der Antragsteller bei seinem Normenkontrollantrag berufen, auch wenn sich die Antragsbefugnis aus einem nicht während der Auslegung geltend gemachten Interesse ergibt. Antragsteller, die das Grundstück im Plangebiet erst nach Planaufstellung erworben haben, sind durch § 47 Abs. 2 a VwGO ohnehin nicht betroffen. Zurückhaltend formuliert dürften die Auswirkungen auf die gerichtliche Praxis marginal sein.

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Anderer Meinung Krautzberger/Stüer (Fn. 19), S. 168.

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V. Schlussbetrachtung Was hat diese kurze Tour d’horizon durch die Entwicklung der abstrakten Normenkontrolle nach § 47 VwGO ergeben? Offenbar misstraut der Gesetzgeber seiner eigenen Schöpfung nach wie vor und unternimmt deshalb in regelmäßigen Abständen den Versuch, ihren Anwendungsbereich zu verengen. Warum diese Versuche mehrfach recht hilflos waren, bleibt im Dunkeln. Sowohl die Angleichung der Antrags- an die Klagebefugnis als auch die Einfügung des § 47 Abs. 2 a VwGO sind für die Praxis weitgehend ohne Wirkung. Einschneidendere Auswirkungen auf die Bündelungsfunktion der Normenkontrolle hat hingegen die nunmehr auf ein Jahr verkürzte Antragsfrist. Berücksichtigt man, dass es dem vor Gericht ziehenden Planbetroffenen in der Regel darum geht, eine konkrete Beeinträchtigung einer individuellen Rechtsposition abzuwehren, so wird ihm der Mehrwert des Verfahrens nach § 47 VwGO gegenüber einer Inzidentkontrolle des Bebauungsplans häufig als nicht groß genug erscheinen. Wirkliche Systemverschiebungen hat bislang nur die Sonderregelung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes für Normenkontrollanträge von Umweltschutzvereinigungen gebracht. Hier ist die Normenkontrolle wirkungsvoll entfunktionalisiert worden. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber diesen Ansatz in das allgemeine Verwaltungsprozessrecht übertragen und die abstrakte Normenkontrolle von Bebauungsplänen damit faktisch obsolet machen wird. Solange er dies nicht getan hat, ist die Normenkontrolle als prozessuales Institut zwar angekratzt, aber nicht ernsthaft beschädigt worden.

Zur Aktualität einer einheitlichen Verwaltungsprozessordnung Von Jens Meyer-Ladewig Ich freue mich, dass ich heute über dieses Thema sprechen kann, war es doch ganz sicher ein Schwerpunkt der Interessen von Carl Hermann Ule. Und es war auch dieses Thema, dass uns, Ule und mich, zusammengeführt hat. Wir haben uns im Koordinierungsausschuss zur Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und des Sozialgerichtsgesetzes kennengelernt. Carl Hermann Ule war Mitglied des Ausschusses, ich war der zuständige Referatsleiter im federführenden Bundesministerium der Justiz. Fünf Jahre hat der Koordinierungsausschuss beraten. Zu seinen Mitgliedern gehörten hervorragende Kenner der Verwaltungsgerichtsbarkeit, nämlich außer Ule Jan Albers aus Hamburg, Hugo Kellner vom Bundesverwaltungsgericht, Gerhart Meyer-Hentschel, damals Präsident des Oberverwaltungsgerichts Koblenz, und Konrad Redeker. Carl Hermann Ule hatte eine zentrale Rolle, hatte er sich doch schon früh für die Vereinheitlichung des öffentlich-rechtlichen Prozessrechts eingesetzt, nämlich in seinem Referat auf dem 42. Deutschen Juristentag 1957 in Düsseldorf1 und auf der gemeinsamen Tagung der Verwaltungsgerichts- und Landessozialgerichtspräsidenten in Bremen 19582. Vor allem aber hatte er seit 1966 die Arbeiten der Hochschule Speyer an dem Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes (VGG) wissenschaftlich geleitet. Dieser Entwurf, der Speyerer Entwurf genannt, hatte allgemeine Anerkennung gefunden und lag den Beratungen des Koordinierungsausschusses zugrunde. Carl Hermann Ule focht brillant und leidenschaftlich im Ausschuss, was durchaus zur Belebung der Diskussion beitrug. Damals fand die Idee der Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und des Sozialgerichtsgesetzes breite Zustimmung, und zwar im politischen Bereich, im Bundestag und im Bundesrat, aber auch bei den Richtern der drei betroffenen Gerichtszweige und bei den rechts- und steuerberatenden Berufen. Trotz der mit großem Aufwand betriebenen Vorarbeiten ist es dann, wie Sie wissen, zu einer einheitlichen 1 2

Bd. II E S. 3 ff. DVBl. 1958, S. 691.

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Verwaltungsprozessordnung nicht gekommen. Und jetzt sehen wir, wie eine alte Idee, die von Carl Hermann Ule, wieder aufersteht. Ich fühle mich von meiner eigenen beruflichen Vergangenheit eingeholt; es gibt Themen, die nicht sterben, sondern immer wiederkommen. Ein Grund dafür ist sicher, dass unser Gerichtssystem so kompliziert ist und nach Vereinfachung schreit. So ist die Idee der Vereinheitlichung grundsätzlich richtig und überzeugend. Wir können sagen: Carl Hermann Ule hatte doch Recht. Oder doch nicht? Ist die Vereinheitlichungsidee nur theoretisch gut, praktisch aber nicht zu machen? Es gibt Unterschiede zwischen der damaligen und der heutigen Diskussion. Vielleicht kann man das Problem besser verstehen, wenn man die damalige Entwicklung berücksichtigt. Diesmal fing es interessanterweise mit der Idee an, Gerichtszweige zusammenzulegen. Vor dreißig Jahren ging es nur um die Vereinheitlichung des Prozessrechts, die Selbständigkeit der Gerichtszweige wurde nicht in Frage gestellt. Heute geht der Angriff in zwei Richtungen, nämlich auf die Zusammenlegung von Gerichtszweigen und auf die Vereinheitlichung des Prozessrechts. Es sind die Justizminister der Länder, die diese Ziele propagieren, wobei man die Stichworte verbesserte Effizienz, personalwirtschaftliche Zwänge und auch Kostengründe hört. Es begann mit dem Beschluss der 74. Justizministerkonferenz in Berlin im November 2003, die eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat zur Ausarbeitung von Vorschlägen für eine einheitliche öffentlich-rechtliche Fachgerichtsbarkeit. Es folgte die 75. Justizministerkonferenz von Juni 2004 in Bremerhaven, die sich für eine bundesrechtliche Öffnungsklausel aussprach, die es den Ländern ermöglichen würde, Fachgerichtsbarkeiten zusammenzulegen. Durch das 7. SGG-Änderungsgesetz vom 9. Dezember 20043 ist eine solche Öffnungsklausel dann für begrenzte Zuständigkeitsbereiche der Sozialgerichtsbarkeit Gesetz geworden4, und das nur zeitlich befristet, nämlich bis 31. Dezember 2008. Die zuvor eingebrachten Bundesratsentwürfe eines GG-Änderungsgesetzes5 und eines Zusammenlegungsgesetzes6 sehen weitergehende Lösungen vor: Den Ländern soll ermöglicht werden zu bestimmen, dass anstelle der Gerichte in den öffentlich-rechtlichen Gerichtszweigen – oder auch nur der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Sozialgerichtsbarkeit – einheitliche Fachgerichte entscheiden. Zur Begründung werden vorrangig Kostengesichtspunkte und die Verbesserung der Steuerung des Personaleinsatzes genannt. Diese Entwürfe sind in der vorigen Legislaturperiode der Diskontinuität verfallen. Sie sind wieder eingebracht worden. 3 4 5 6

BGBl. I S. 3302. §§ 50 a–50 d SGG. BT-Drs. 15/4108 v. 3.11.2004. BT-Drs. 15/4109.

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Die Diskussion über eine Zusammenlegung von Gerichtszweigen hat ihren Ursprung darin, dass sich die Belastung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Sozialgerichtsbarkeit sehr unterschiedlich entwickelt hat. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit hat verhältnismäßig ruhige Zeiten, die Sozialgerichtsbarkeit ist durch Harz IV überlastet. Und die Richter der Verwaltungsgerichtsbarkeit haben wenig Lust, in die Sozialgerichtsbarkeit überzuwechseln. Da schien einigen Ländern der beste Weg, die Gerichtszweige zusammenzulegen, um diesem Missstand abzuhelfen. Die Möglichkeiten des erwähnten 7. SGG-Änderungsgesetzes haben sie aber nur wenig genutzt. Nur Bremen hat davon Gebrauch gemacht. So fragt man sich, ob der Drang und politische Wille wirklich so groß sind, Gerichtszweige zusammenzulegen. Diese Frage scheint um so mehr berechtigt, als beide Gesetzentwürfe des Bundesrats, die das ermöglichen sollen, der des Zusammenlegungsgesetzes und der des GG-Änderungsgesetzes, zwar in der laufenden Legislaturperiode wieder eingebracht worden sind7, nun aber im Bundestag schlummern. Es hat noch nicht einmal eine erste Lesung stattgefunden. Die Bundesregierung hält sich bedeckt und hat nur Prüfung zugesagt. Vielleicht gibt es auch dort keine einheitliche Meinung. Ich könnte mir jedenfalls vorstellen, dass der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung angesichts des Widerstands der Gewerkschaften und der Richter in der Sozialgerichtsbarkeit zögert, seine Zustimmung zu geben. Die Neigung der Sozialgerichtsbarkeit, sich vereinnahmen zu lassen, hält sich nämlich in Grenzen. Die Entwürfe sind auch sonst nicht mit Begeisterung aufgenommen worden, weder bei den Anwälten, noch bei den Richtern. Die Durchsetzungschancen einer Öffnungsklausel sind deswegen wohl eher schlecht. Und das ist auch gut so, meine ich, denn ein Flickenteppich in den deutschen Ländern in einer nicht ganz unwichtigen gerichtsorganisatorischen Frage ist nicht wünschenswert. Der andere Punkt und Teil der geplanten Großen Justizreform ist die Vereinheitlichung des Prozessrechts. Auch die Diskussion darüber ist weitgehend von den Ländern angestoßen worden. Die 76. Justizministerkonferenz im Juni 2005 in Dortmund hat weitgreifende Beschlüsse gefasst: Die gerichtsverfassungsrechtlichen Regelungen und die Prozessordnungen sollen in einem einheitlichen Gerichtsverfassungs- und Prozessgesetz zusammengefasst werden. Es geht also nicht nur um die öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten, sondern auch um die ordentliche einschließlich der Strafgerichtsbarkeit und die Arbeitsgerichtsbarkeit. Das einheitliche Gesetz soll zum Verfahrensrecht aus einem allgemeinen Teil und einem besonderen Teil mit Sondervorschriften für die einzelnen Gerichtszweige, unter ande7 ZusammenlegungsG: BR-Drs 47/06, BT-Drs. 16/1040; GG-ÄnderungsG: BRDrs. 46/06, BT-Drs. 16/1034.

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rem für die öffentlich-rechtlichen bestehen. Die Justizministerkonferenz ist dabei durchaus in Einzelheiten gegangen. Die Vorarbeiten sind zunächst mit großem Elan und straffen Zeitplänen angegangen worden. Die Justizministerkonferenz hat sich wiederholt damit befasst und das Vorhaben begrüßt. Sie hat Staatssekretärsgremien eingesetzt, es wurden Berichte über die Machbarkeit erstellt und – wie damals – eine Synopse. Dabei standen zunächst die Vorschriften für die erste Instanz im Vordergrund. Themen wurden verteilt und Analysen über die Vorschriften zum ersten Rechtszug gemacht. Wie es scheint, liegt dem federführenden Bundesjustizministerium viel Material vor, das ausgewertet werden muss. Ein Zwischenbericht sollte schon für die Justizministerkonferenz im Frühjahr dieses Jahres vorgelegt werden, die Praxis sollte beteiligt werden. Daraus ist nichts geworden. Der Bundesjustizminister hat erklärt, er könne die Sache nicht weiter federführend betreiben, ihm fehle das dafür erforderliche Personal. Die Länder haben sich erboten, auch mit Personal zu helfen. Und nun wird überlegt, wie es weitergehen soll. Was sollen wir in dieser Situation raten? Ist ein einheitliches Gerichtsverfassungsgesetz und Verfahrensgesetz machbar? Was die sog. öffentlichrechtlichen Gerichtszweige angeht, haben Carl Hermann Ule und die weiteren auf dem Speyerer Entwurf beruhenden Arbeiten gezeigt, dass eine Verwaltungsprozessordnung machbar ist. Es liegt auf der Hand, dass dort viele Gemeinsamkeiten festzustellen sind. Es geht im Wesentlichen um die Durchsetzung der Rechte einzelner Bürger gegen die Verwaltung, wie auch immer die Behörde organisiert und strukturiert ist. Es geht um Art. 19 Abs. 4 GG, um den Schutz gegen die öffentliche Gewalt. Der Begriff des Verwaltungsakts ist in allen drei Bereichen von wesentlicher Bedeutung; mit Recht hat man die früher befürwortete Idee nicht verwirklicht, ihn im Sozialrecht nicht „Verwaltungsakt“, sondern „Sozialakt“ zu nennen8. So sind die Prinzipien der drei Gerichtszweige grundsätzlich gleich. In allen gilt die Dispositionsmaxime, von Amts wegen wird das Gericht nicht tätig. In allen gilt das Amtsprinzip; es ist das Gericht, welches das Verfahren betreibt. Und in allen gilt der Untersuchungsgrundsatz; das Gericht ermittelt von Amts wegen. Aber auch Mitwirkungspflichten der Beteiligten gibt es überall. Ich weiß, dass man jeder dieser Feststellungen ein „aber“ anfügen kann, natürlich gibt es Besonderheiten. Immerhin ist deutlich, dass die Grundstrukturen dieselben sind, weshalb denn auch das Prozessrecht über weite Strekken gleich ist oder doch gleich sein könnte. Richter, die von der Verwaltungs- in die Sozialgerichtsbarkeit gewechselt sind, berichten, in der Praxis gebe es keine großen Unterschiede. Unstreitig ist, dass bei einer Vereinheit8

Vgl. Mutz/Stoew, DAngVers 2004, S. 89 (94).

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lichung des Prozessrechts besondere Regelungen für einzelne Gerichtszweige erhalten bleiben müssen, soweit das notwendig ist. Die Frage ist, was notwendig in diesem Sinne ist. Der Entwurf der einheitlichen Verwaltungsprozessordnung hat z. B. etwa zwanzig Sonderregelungen für die Sozialgerichtsbarkeit für notwendig gehalten. Es war damals ein beliebter Sport, sie zu zählen, natürlich auch die für die Finanzgerichtsbarkeit, und jeder zählte anders, je nachdem, ob er die Vereinheitlichung wollte oder nicht. Wenn man nach den Gründen für das damalige Scheitern forscht, war einer sicher der Streit über die Notwendigkeit von Sondervorschriften für einzelne Gerichtszweige. Insgesamt wird man konstatieren können, dass der Entwurf damals nicht an der Sozialgerichtsbarkeit gescheitert ist, sondern an der Finanzgerichtsbarkeit und an der Finanzverwaltung. Sie wissen ja, wenn es ums Geld geht, hört der Spaß auf. Damals wurden zunächst immer mehr Sonderregelungen durchgesetzt und dann behauptet, es seien zu viele, das Ganze lohne sich nicht. Es wird aber damals nicht viel anders gewesen sein als heute: Hinter der skeptischen Beurteilung lag jedenfalls seitens der Richter und wohl auch der Gewerkschaften die Befürchtung, als Gerichtszweig eingemeindet, krasser gesagt, geschluckt zu werden, mit nicht recht absehbaren Konsequenzen. Es kommt hinzu, dass Richter im Grunde ihres Herzens konservativ sind und Änderungen erst einmal verabscheuen, besonders wenn sie so wesentliche Eingriffe enthalten. Ich verstehe das gut, Richter möchten, dass man sie ihre Arbeit tun, also richten lässt, und sie tun das ja auch auf eine bemerkenswert gute Art und Weise. Es ist ja richtig, dass die deutsche Justiz im internationalen Vergleich hervorragend dasteht. Bei meinen Besuchen in Ländern des früheren Ostblocks höre ich das immer wieder, und jedes Mal, wenn ich zurückkomme, bin ich froh darüber, dass wir auch insoweit auf einer Insel der Seligen leben und dass es bei uns insbesondere eine Kultur des Respekts und des Vertrauens in die Unabhängigkeit der Justiz gibt. Der Schluss, den wir aus diesen Überlegungen ziehen, ist, dass es für grundlegende Änderungen gute Gründe geben muss. Und es gibt gute Gründe für eine Vereinheitlichung: Verbesserung des Rechtsschutzes durch Beseitigung nicht gebotener Unterschiede, bessere Übersichtlichkeit und Praktikabilität, Verminderung der Zahl der geltenden Vorschriften, Erleichterung, sich in allen Gerichtszweigen zurechtzufinden. Es kann die beste Vorschrift allgemein übernommen und Verfahren können so vereinfacht und beschleunigt werden. Einheitlichkeit bietet Vorteile auch bei der Dokumentation und trägt damit zur Entlastung bei. Alles nur Theorie? Es kommt auf den politischen Willen an und auf die Beharrlichkeit, an der Umsetzung lange zu arbeiten. Wenn ein politischer Wille vorhanden ist und beständig bleibt, kann man das Vorhaben verwirklichen. Kurzfristige politische Erfolge kann man damit nicht gewinnen,

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auch die nächste Wahl nicht. An der Beharrlichkeit des politischen Willens hat es damals gefehlt, er wurde immer schwächer, bis er gar nicht mehr wahrnehmbar war. Ist das jetzt grundsätzlich anders? Man könnte zweifeln, wenn man sich die bisherige Entwicklung ansieht. Vorübergehende Unterschiede in der Belastung der Gerichtszweige reichen als Motor jedenfalls nicht aus; damit kann man den notwendigen erheblichen Vorbereitungsaufwand nicht rechtfertigen. Dieser war damals schon erheblich, obwohl man sich für die kleine Lösung der Vereinheitlichung nur der öffentlich-rechtlichen Gerichtszweige entschieden hatte. Der Aufwand für die Vorbereitung einer großen Lösung wäre wesentlich größer, wenn man also die ordentliche Gerichtsbarkeit einschließlich der Strafsachen, die Arbeitsgerichtsbarkeit und die Freiwillige Gerichtsbarkeit mit einbezieht. Welch eine Vision! Wenn man den Vorbereitungsaufwand abschätzen will, ist ein Blick auf die damalige Entwicklung nützlich9. Der politische Wille war damals, wie schon erwähnt, zunächst sehr stark – es war weit verbreitete Auffassung, dass ein einheitliches Prozessrecht anzustreben sei. Die Diskussion darüber fing schon bei den Erörterungen über die Entwürfe der Verwaltungsgerichtsordnung, des Sozialgerichtsgesetzes und der Finanzgerichtsordnung an. Der Bundesrat hat schon in seiner Stellungnahme zum Entwurf der Verwaltungsgerichtsordnung10 auf die Notwendigkeit einer Vereinheitlichung hingewiesen. In den Bundestags-Beratungen wurde die Gefahr einer Rechtszersplitterung beschworen und eine Vereinheitlichung gefordert. Carl Hermann Ule äußerte sich früh dazu11. Die Forderung nach Vereinheitlichung war verbreitet, sie wurde von politischen Parteien12, von der Anwaltschaft13 und dem Deutschen Richterbund14 getragen. Der Deutsche Anwaltstag forderte 1955 in Mannheim, für alle Gerichte ein einheitliches Gerichtsverfassungsgesetz zu schaffen und die gemeinsamen Grundzüge aller Verfahrenszweige in einer Verfahrensordnung zusammenzufassen, die zugleich die Besonderheiten der Zivilrechtspflege und der Verwaltungsrechtspflege berücksichtigen sollte15. 1956 folgte dann ein Beschluss des Deutschen Bundestages16, der die Bundesregierung aufforderte, den Entwurf einer einheitlichen Prozessordnung für die ordentliche Gerichtsbarkeit, Arbeitsgerichtsbarkeit, Verwaltungs-, Sozial- und Fi9

Zur Vorgeschichte der VwPO: BT-Drs. 9/1851, S. 63. BT-Drs. II/1462, S. 53 und III/55, S. 65. 11 DVBl. 1954, S. 354, 491. 12 Anfrage der FDP-Fraktion, BT-Drs. III/611. 13 Stellungnahme des DAV zum Regierungsentwurf einer VwGO und der FGO, DRiZ 1954, S. 100. 14 Insbesondere auf dem Deutschen Richtertag 1956 in Heidelberg. 15 NJW 1955, S. 987. 16 Drs. 2435; Stenografische Berichte II S. 9632. 10

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nanzgerichtsbarkeit unter Wahrung der Besonderheiten der einzelnen Verfahrensarten vorzulegen. Nur das Strafverfahren und die Freiwillige Gerichtsbarkeit sollten außen vor bleiben. Später setzte sich die „Kleine Lösung“ durch, die Vereinheitlichung der öffentlich-rechtlichen Verfahrensordnungen, die C. H. Ule dann mit seinem Speyerer Entwurf aufgriff. Der Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes war eine sorgfältige Arbeit und ein überzeugender Wurf, eine gute Grundlage für die weiteren Arbeiten. Ule hat es anfangs bedauert, dass nicht einfach der Speyerer Entwurf als Regierungsentwurf eingebracht worden ist. Das wäre vielleicht auch besser gewesen, hätte es doch den Erosionsprozess vermieden, der bei den weiteren Beratungen unvermeidbar war. Aber das war politisch natürlich nicht machbar, und so gab es weitere außerordentlich aufwändige Beratungen, zunächst in einer Neuner-Kommission aus je drei Richtern der betroffenen Gerichtszweige, die 1970 Änderungsvorschläge zum Speyerer Entwurf vorlegte. Der dann folgende Koordinierungsausschuss zur Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und des Sozialgerichtsgesetzes ist durch Kabinettbeschluss vom 11. November 1968 zunächst als interministerieller Ausschuss aus Angehörigen der Bundesministerien des Innern, der Justiz, für Arbeit und Sozialordnung sowie der Finanzen gegründet worden. Im Jahr 1970 hat der zuständig gewordene Bundesminister der Justiz den Ausschuss mit Angehörigen der Richterschaft aus allen Instanzen der betroffenen Gerichtszweige, der Anwaltschaft, der steuerberatenden Berufe, der Gewerkschaften, der Richterverbände und der Wissenschaft erweitert. Sein Auftrag lautete nunmehr, den Entwurf einer Verwaltungsprozessordnung vorzulegen. Das tat er 197817. C. H. Ule hat die weiteren Erörterungen wissenschaftlich begleitet, auch auf dem Gebiet der Rechtstatsachenforschung; er hat im Auftrag des Bundesjustizministers die Gründe für die Verfahrensdauer in einem Gutachten erläutert18. Der Entwurf einer Verwaltungsprozessordnung ist von der Bundesregierung überarbeitet und zweimal eingebracht worden, 1982 in der 9. Legislaturperiode19 und dann wieder in der zehnten.20 Die Stellungnahme des Bundesrats umfasste 73 Punkte. Verabschiedet worden ist der Entwurf – wie Sie wissen – nie. Die Akzeptanz war zunächst noch gut. Es wurden wissenschaftliche Veranstaltungen dazu durchgeführt, auch in Speyer, und zwar unter der Leitung von Detlef Mer17

Entwurf einer VwPO, hrsg. vom BMJ, Köln 1978. Ule, Rechtstatsachen zur Dauer des Verwaltungs(Finanz)prozesses, 1977. Für die Sozialgerichtsbarkeit hat Rohwer-Kahlmann eine entsprechende Untersuchung im Auftrag des BMA gemacht. 19 BT-Drs 9/1851 v. 14.7.1982. 20 BT-Drs. 10/3437 v. 31.5.1985. 18

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ten im Jahr 1979. Doch dann wurde es stiller, der Bundestag ließ den Entwurf liegen. Dann blieb es lange still um die Vereinheitlichung. Der Entwurf der Verwaltungsprozessordnung wurde als Steinbruch für viele Änderungsgesetze der einzelnen Verfahrensordnungen ausgebeutet. Dabei wurden neue unterschiedliche Verfahrensvorschriften erlassen; der Vorsatz, das Verfahrensrecht unter Beibehaltung der drei Verfahrensordnungen zu vereinheitlichen, hielt nicht lange. Besonders deutlich ist das im Rechtsmittelrecht, in dem eine Vereinheitlichung eigentlich besonders nahe liegt. Das Berufungsrecht der Verwaltungsgerichtsordnung und des Sozialgerichtsgesetzes ging eigene und sehr unterschiedliche Wege, auch in der Zivilprozessordnung wurden immer wieder neue und abweichende Ideen Gesetz. Und dann kam die Renaissance, die Idee der Vereinheitlichung, für die sich C. H. Ule besonders eingesetzt hatte, erwachte zu neuem Leben. Hat sie jetzt bessere Chancen? Bei der Zusammenlegung der Gerichtszweige sieht es nicht gut aus – es war der Sache wenig dienlich, mit dieser Frage anzufangen. Die Widerstände formierten sich sofort, was man insbesondere wegen der Sozialgerichtsbarkeit nicht überraschend finden kann. Für die Arbeitsgerichtsbarkeit gilt das noch mehr. Und nun verbreitet sich Misstrauen auch gegenüber der Vereinheitlichung des Verfahrensrechts, weil man befürchtet, das sei ja nur der erste Schritt, das trojanische Pferd, mit dem die Zusammenlegung eingeschmuggelt werden soll. Wenn Richter einheitliches Verfahrensrecht anwenden, warum dann in getrennten Gerichtszweigen? So fragt man. Und umgekehrt gilt ja auch: wenn zusammengelegte Gerichtszweige, warum dann unterschiedliches Verfahrensrecht? Dass der Schwerpunkt zu Beginn bei der Zusammenlegung lag, mindert die Durchsetzungschancen. In dieser Legislaturperiode wird es also wohl nichts mit der Zusammenlegung werden. Auf die nächste zu hoffen, ist auch nicht realistisch, die Hürden einer Grundgesetzänderung sind hoch. Und die Belastung in den Gerichtszweigen kann sich bis dahin schon völlig geändert haben. Bei der Vereinheitlichung war man nicht gut beraten, als man die große Lösung, also die Einbeziehung aller Verfahren, propagierte. Eine schöne Vision, aber doch wohl Traumtänzerei. Wie in absehbarer Zeit so weitreichende Ziele erreicht werden sollen, ist mir rätselhaft. Wir haben ja gesehen, welche Schwierigkeiten schon eine auf die öffentlich-rechtlichen Gerichtszweige beschränkte Vereinheitlichung gemacht hat. In der Begründung zum Regierungsentwurf der Verwaltungsprozessordnung von 1982 steht über die große Lösung zu lesen21: 21

BT-Drs. 9/1851, S. 61.

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„Eine so umfassende Vereinheitlichung wäre, wenn sie überhaupt durchführbar ist, in angemessener Zeit nicht zu realisieren. Gleichlautende Vorschriften auch für die ZPO und das ArbGG zu schaffen, stößt wegen der grundsätzlichen Unterschiede der Verfahren auf erhebliche Schwierigkeiten. Dort muss insbesondere den Parteien ein erheblich größerer Einfluss auf das Verfahren eingeräumt werden. Auch der Strafprozessordnung liegt in wesentlichen Teilen eine andere Konzeption zugrunde. Ein einheitlich geltendes Gesetz hätte in so erheblichem Ausmaß Sondervorschriften treffen müssen, dass damit eine Verbesserung der Übersichtlichkeit schwerlich hätte erreicht werden können“.

Klingt das nicht überzeugend? Mein Ratschlag ist also, an Ules Konzeption einer Verwaltungsprozessordnung festzuhalten. Auch wenn man dem folgt bleibt ein erheblicher Vorbereitungsaufwand – da soll man sich keinen Illusionen hingeben. Die Gesetzeslage hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren erheblich geändert, auch die Zielvorstellungen werden nicht mehr dieselben sein. Eine Vereinheitlichung ist nicht im Galopp zu haben, sie bedarf erneut genauer Vorbereitung. Und deswegen bleibt auch bei einer realistischen kleinen Lösung – aus alter Erfahrung genährt – eine Portion Skepsis. Wird der politische Wille diesmal konstanter sein? Ich sehe dafür kaum Anzeichen. Wird es nicht auch diesmal so sein, dass sich Politiker fragen, ob es sich lohnt, den erheblichen Vorbereitungsaufwand zu erbringen, ohne greifbaren politischen Nutzen davon zu haben? Wahlen kann man mit dem Vorhaben nicht gewinnen, schon gar nicht die nächste, denn dann wird es noch keinen Regierungsentwurf geben. Gibt es diesmal einen langen Atem? Ist man bereit, Sonderwünschen zu widerstehen oder fragt man sich wie damals, ob es sich lohnt, Gruppen und Organisationen, z. B. den DGB, wegen dieser Sache zu verprellen, wo man sie doch für viel wichtigere Aufgaben braucht? So würde es mich nicht wundern, wenn es wieder bei den Lippenbekenntnissen bliebe, dass man die Regelungen unter Fortbestand der einzelnen Verfahrensordnungen vereinheitlichen werde. Das hat damals nicht funktioniert, und das wird es auch jetzt nicht. Man wird sehen, was geschieht. Carl Hermann Ules Idee einer Vereinheitlichung des Prozessrechts jedenfalls lebt.

Zur Reform des Beamtenrechts Von Hans-Werner Laubinger Man wird ohne Übertreibung sagen können, daß Carl Hermann Ules besondere Liebe dem Recht des öffentlichen Dienstes galt, insbesondere dem Beamtenrecht. Nicht ohne Grund trägt die Festschrift zu seinem 70. Geburtstag am 26. Februar 1977 den Titel „Öffentlicher Dienst“. Sie enthält auf den Seiten 587 bis 596 eine Zusammenstellung der Schriften Ules für die Zeit von 1948 bis 1976. Und danach ist noch manches hinzugekommen. Ule hat sich nicht nur um die Dogmatik des Beamtenrechts verdient gemacht, sondern sich auch immer wieder mit Fragen seiner Reform auseinandergesetzt. Das rechtfertigt die Annahme, daß er – weilte er heute unter uns – es begrüßen würde, daß ich Ihnen ein paar Gedanken zur Reform des Beamtenrechts vortrage. Um Enttäuschungen vorzubeugen, schicke ich vorauf, daß ich kein eigenes Reformmodell vorstellen werde. Zur Entwicklung eines solchen Modells bin ich gar nicht in der Lage. Statt dessen werde ich einige derzeit auf dem Markt befindliche Reformvorschläge so weit skizzieren, wie es die zur Verfügung stehende Zeit gestattet, und daran ein paar zustimmende oder kritische Bemerkungen anknüpfen. I. Zum Begriff der Reform Bevor ich das tue, möchte ich ganz kurz auf die Frage eingehen, was denn unter Reform zu verstehen ist. Dieser Begriff wird heutzutage geradezu inflationär verwendet. Allenthalben werden Reformen geplant: Gesundheitsreform, Verwaltungsreform, Justizreform, Reform des Umweltrechts, Rechtschreibreform, Finanzverfassungsreform, Föderalismusreform usw. usw. Was aber meint „Reform“? Eine Legaldefinition gibt es nicht; der juristische Sprachgebrauch und ebenso die Umgangsprache bedienen sich dieses Terminus recht unspezifisch. Schaut man in dem 1977 erschienenen Band 19 von Meyers Enzyklopädischem Lexikon1 unter diesem Stichwort 1

Mannheim/Wien/Zürich 91977, S. 701.

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nach, so wird man abgespeist mit zwei Wörtern: „Umgestaltung, Neuordnung“. Etwas eingehender äußerte sich der Meyer in seiner 6. Auflage aus dem Jahre 19092, wo man liest: „planmäßige Umgestaltung, Veränderung, namentlich auf dem Gebiete der Gesetzgebung und der Staatsverfassung, (. . .). Im Gegensatz zur Revolution (. . .) versteht man unter Reform die planmäßige Veränderung der Staatsverfassung auf gesetzlichem Wege“. Noch ein knappes Jahrzehnt früher erschien Band 13 der 14. Auflage von Brockhaus’ Konversations-Lexikon3. Dort wird Reform erläutert als „planmäßige Umgestaltung bestehender Einrichtungen mit Abstellung der sich zeigenden Übelstände“. Als letztes möchte ich das Fremdwörterbuch4 des Großen Duden zitieren. Danach ist Reform die „Umgestaltung, Neuordnung, Verbesserung des Bestehenden“. Zieht man aus diesen lexikalischen Umschreibungen die Quersumme, wird man sagen können, daß der allgemeine Sprachgebrauch unter Reform die planvolle Umgestaltung eines Zustandes mit dem Ziel versteht, Mißstände abzustellen und Verbesserungen zu bewirken. Der Begriff hat also eine positive Konnotation: Wer eine Reform plant oder durchführen will, will Gutes bewirken. Und umgekehrt: Wer sich gegen eine Reform sträubt, möchte eine Verbesserung der Verhältnisse verhindern. Hieraus erklärt sich, weshalb Politiker so gern Reformen ankündigen und weshalb Reformgegner so leicht in Gefahr geraten, als Verteidiger von Mißständen angeprangert zu werden. Von der Reform zu unterscheiden ist – darauf hat bereits der gute alte Meyer hingewiesen – die Revolution. Das bringt auch ein modernes Wörterbuch der deutschen Sprache5 zum Ausdruck, indem es Reform definiert als „Bekämpfung (sozialer) Mißstände durch die Umstände verbessernde Maßnahmen ohne vollkommene Ablehnung der bestehenden sozialen, politischen, rechtlichen u. ä. Grundideen“. Die Grenzen zwischen Reform und Revolution sind fließend. Das ist unschädlich, weil diese Grenze rechtlich bedeutungslos ist. Auf der anderen Seite verdient nicht jede geringfügige Änderung des Bestehenden die Bezeichnung Reform. Auch hier ist die Scheidelinie fließend6. Meyers Großes Konversations-Lexikon, Leipzig/Wien 61909, Bd. 16, S. 687. Berlin/Wien, S. 689. 4 Mannheim/Zürich 21966, S. 603. 5 Deutsches Wörterbuch, hrsg. von der Arbeitsgruppe für Sprachberatung und Lexikographie der Universität Essen, Bergisch Gladbach 1996, S. 950. 6 So kann man etwa darüber streiten, ob das Gesetz zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts v. 9.7.2001 (BGBl. I S. 1510) (noch) bloßes Änderungs- oder (schon) Reformgesetz war. Wegen der sehr schwerwiegenden Änderungen wird man wohl letztes anzunehmen haben. Rechtlich ist das ohne Belang. 2 3

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Wendet man diese sprachkritischen Überlegungen auf unser Thema an, so ergibt sich: Einerseits sollte nicht jede Änderung des Bundesbeamtengesetzes, des Bundesbesoldungsgesetzes oder der Bundesnebentätigkeitsverordnung als Beamtenrechtsreform hochgejubelt werden. Und andererseits ist eine Änderung des Beamtenrechts, die den Beamtenstatus de facto beseitigt, keine Reform mehr, sondern ein revolutionärer Vorgang, womit über seine Zulässigkeit, insbesondere über seine Verfassungsmäßigkeit, allerdings noch nichts Endgültiges gesagt ist. II. Darstellung neuerer Reforminitiativen Nachdem auf diese Weise das Feld abgesteckt ist, wende ich mich den Bemühungen um eine Reform des Beamtenrechts zu, die in den letzten Jahrzehnten, vor allem aber in den letzten Jahren, in der Bundesrepublik unternommen worden sind. 1. Die Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts (1973) Nur kurz hinweisen möchte ich auf die Arbeit der Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts und der Personen, die ihr zugearbeitet haben. Unter diesen befand sich an prominenter Stelle Carl Hermann Ule. Er verfaßte ein 1973 publiziertes umfangreiches Rechtsgutachten über die verfassungsrechtlichen Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienstrechts7, gab – gemeinsam mit Joseph H. Kaiser und Franz Mayer – vier Bände mit rechtsvergleichenden Gutachten heraus und veranstaltete – unterstützt von seinem damaligen Wissenschaftlichen Assistenten Dr. Dietrich Bahls – ein rechtsvergleichendes Symposium. Der Bericht der Kommission8 wurde begleitet von elf Anlagebänden, die reichhaltiges Material zum Recht und zur Rechtswirklichkeit des öffentlichen Dienstes enthalten. Besondere Erwähnung verdienen meines Erachtens die empirische Untersuchung „Personal im öffentlichen Dienst – Eintritt und Karrieren“ von Niklas Luhmann und Renate Mayntz9 und das Gutachten „Funktion und allgemeine Rechtsstellung – Analyse der Funktionen des öffentlichen Dienstes“10 7 In: Forsthoff/von Münch/Schick/Thieme/Ule/Mayer, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Reform des öffentlichen Dienstrechts, Baden-Baden 1973, S. 441–555. 8 Baden-Baden 1973. 9 Baden-Baden 1973. 10 Anlagebd. 8, Baden-Baden 1973.

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von Heinrich Siedentopf. Nur wenige Vorschläge der Studienkommission sind umgesetzt worden. Ob das zu begrüßen oder zu bedauern ist, will und muß ich hier offenlassen. Zu bedauern ist auf jeden Fall, daß das wertvolle Material, das seinerzeit zusammengetragen worden ist, in der neueren Reformdiskussion kaum noch zur Kenntnis genommen wird. Keiner der späteren Reformvorschläge ist auch nur annähernd so gründlich vorbereitet worden wie der der Studienkommission. 2. Das Dienstrechtsreformgesetz 1997 und der Entwurf eines Gesetzes zur Fortsetzung der Dienstrechtsreform a) Gesetz zur Reform des öffentlichen Dienstrechts vom 24. Februar 1997 Ein paar Vorschläge der Studienkommission wurden aufgegriffen von dem Gesetz zur Reform des öffentlichen Dienstrechts vom 24. Februar 199711, das am 1. Juli 1997 in Kraft trat12. – Erstmals wurden Führungsfunktionen auf Probe und auf Zeit eingeführt13. – Die Möglichkeit, Beamte auch gegen ihren Willen zu versetzen und abzuordnen, wurde erleichtert. – Die Möglichkeit für Teilzeitbeschäftigung und langzeitige Beurlaubung wurde vergrößert. – Die Bundesregierung und die Landesregierungen wurden ermächtigt, zur Abgeltung von herausragenden besonderen Leistungen durch Rechtsverordnung die Gewährung von Leistungsprämien (Einmalzahlungen) und Leistungszulagen an Beamte in Besoldungsgruppen der Besoldungsordnung A zu regeln (§ 42 a BBesG)14. – Erstmals wurden in die Besoldung Leistungsstufen eingeführt15. Darüber, wie diese Vorschriften in den Verwaltungen des Bundes und der Länder in den ersten drei Jahren umgesetzt wurden, unterrichtet ein Erfah11

BGBl I S. 322 ff. Siehe dazu Edwin Czerwick, Die Reform des öffentlichen Dienstrechts: Ökonomisierung durch Politisierung, ZBR 2005, S. 24 ff., m. w. N. in Fn. 8; Karsten Diers, Die Umsetzung des Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts in den neuen Bundesländern, LKV 2000, S. 225 ff.; Jürgen Lorse, Was leistet das Reformgesetz?, RiA 1998, S. 1 ff. 13 Näheres dazu unten sub III. 5. 14 Näheres dazu unten sub III. 6. a). 15 Näheres dazu unten sub III. 6. b). 12

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rungsbericht des Bundesministers des Innern vom 19. Juni 200116, der – soweit ich sehe – in der neueren Reformdiskussion keine Rolle spielt, obwohl er durchaus bemerkenswerte empirische Erkenntnisse enthält. b) Entwurf eines Gesetzes zur Fortsetzung der Dienstrechtsreform Im Jahre 2000 beschloß der Bundesrat den „Entwurf eines Gesetzes zur Fortsetzung der Dienstrechtsreform“17 – gemeint war die Fortsetzung der Minireform von 1997. Dem Bundesrat ging es vor allem darum, den Kreis der Führungspositionen, die auf Probe oder auf Zeit vergeben werden dürfen, zu erweitern. Der Gesetzentwurf wurde vom Bundestag in der 2. Beratung am 21. März 2002 auf einstimmige Empfehlung aller Ausschüsse18 abgelehnt. 3. Der „Entwurf eines Neuen Beamtengesetzes für Bund und Länder“ von ver.di (2001/02) Sehr weit vom gegenwärtigen Rechtszustand entfernt hat sich der „Entwurf eines Neuen Beamtengesetzes für Bund und Länder“, den die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft im Jahre 2001 oder 200219 veröffentlichte. Ob aber ver.di noch an dem Entwurf festhält, ist unklar. Dagegen könnte sprechen, daß ver.di-Chef Frank Bsirske gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Deutschen Beamtenbundes Peter Heesen und dem damaligen Bundesinnenminister Otto Schily am 4. Oktober 2004 das sog. Eckpunktepapier mit dem Titel „Neue Wege im öffentlichen Dienst“20 vereinbart hat, das andere Wege einschlägt als der ver.di-Entwurf. Zugunsten eines Festhaltens an diesem Gesetzentwurf spricht andererseits der Umstand, daß er nach wie vor (im Dezember 2007) im Internet abgerufen werden kann21. Der Entwurf hält an der Unterscheidung von Beamten und Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes zwar fest, gestaltet das Beamtenverhältnis jedoch grundstürzend um. Dieses wird nicht mehr als „öffentlich-rechtliches Dienst- und Treuverhältnis“, sondern als „öffentlich-rechtliches Arbeitsver16 Der Erfahrungsbericht zur Dienstrechtsreform kann im Internet abgerufen werden unter der Adresse www.staat-modern.de/Anlage/original_549104/Erfahrungs bericht-zur-Dienstrechtsreform.pdf. Zu ihm siehe Czerwick (Fn. 12), S. 28 f. 17 BT-Drs. 14/3458 v. 26.5.2000. 18 BT-Drs. 14/8623 v. 20.3.2002. 19 Der Entwurf trägt kein Datum. Er verweist aber auf eine EG-Richtlinie v. 12.3.2001 (§ 19 Abs. 3 Satz 1) und sieht das Inkrafttreten zum 1.1.2003 (§ 35 Abs. 1 Satz 1) vor. 20 Siehe dazu unten sub 5. 21 http://www.verdi.de/beamte/infos_material/data/neues_bundesbeamteng.pdf.

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hältnis“ charakterisiert (§ 2). Die nähere Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses will ver.di sogenannten Gesamtvereinbarungen überlassen (§ 1 Absatz 1 Satz 2), nämlich öffentlich-rechtlichen Tarifverträgen und Dienstvereinbarungen (§§ 27 ff.). Das Wort Streik wird weder in dem Gesetzestext noch in der Begründung auch nur erwähnt; da ein Tarifvertragssystem ohne das Streikrecht jedoch kaum vorstellbar ist, legalisiert der Entwurf durch die Hintertür den Beamtenstreik. Ob der Entwurf an dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 Absatz 4 GG festhalten will, bleibt im Dunkeln. In § 2 wird diese Vorschrift zwar erwähnt; dort heißt es: „Beamtinnen und Beamte stehen in einem öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis, kraft dessen sie im öffentlichen Interesse zur Wahrnehmung hoheitsrechtlicher Befugnisse und Aufgaben (Art. 39 Abs. 4 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. 33 Abs. 4 des Grundgesetzes) verpflichtet und berechtigt sind (Beamtenverhältnis)“.

Ein Vorbehalt im Sinne von Art. 33 Absatz 4 GG kann hieraus aber schwerlich herausgelesen werden. Ebensowenig wie einen Funktionsvorbehalt enthält der ver.di-Entwurf eine Schranke gegen die Verbeamtung des gesamten öffentlichen Dienstes, wie sie sich in allen derzeit geltenden Beamtengesetzen findet, z. B. in § 4 BBG und § 2 Absatz 2 BRRG. Danach ist die Berufung in das Beamtenverhältnis zulässig nur zur Wahrnehmung hoheitsrechtlicher und solcher Aufgaben, die aus Gründen der Sicherung des Staates oder des öffentlichen Lebens nicht ausschließlich solchen Personen übertragen werden dürfen, die in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis stehen. Das Fehlen einer derartigen Verbeamtungssperre auf der einen Seite und des Funktionsvorbehaltes auf der anderen stellt es weithin in das Belieben der Dienstherren – aus denen ver.di konsequenterweise „Arbeitgeber“ machen will – ob sie mit der Wahrnehmung von Aufgaben Beamte oder Arbeitnehmer betrauen wollen. Grundstürzend umgestaltet wird von dem Gesetzentwurf auch die Rechtsstellung des einzelnen Beamten. An die Stelle der Ernennung tritt der Vertrag. So bestimmt § 4 Absatz 1 Satz 1: „Ein Beamtenverhältnis kann wirksam nur durch einen schriftlichen Einstellungsvertrag begründet werden“.

Und § 4 Absatz 2 besagt: „Sollen die wesentlichen Beschäftigungsbedingungen geändert werden, bedarf es eines schriftlichen Änderungsvertrages, soweit nicht eine einseitige Regelung durch den Arbeitgeber zulässig ist oder die Änderung unmittelbar durch Gesamtvereinbarung erfolgt“.

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Den Begriff der Beförderung sucht man in dem Gesetzentwurf vergebens. Aus der Begründung erfährt man, daß sie durch die Höhergruppierung ersetzt wird22, die wohl durch Änderungsvertrag bewirkt werden soll. Verabschiedet werden soll ferner der Begriff des statusrechtlichen Amtes – einer der Zentralbegriffe des Beamtenrechts seit dem Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794. Der Terminus Laufbahn taucht in dem Gesetzestext nicht ein einziges Mal auf. In der Begründung zu § 6, der die Anforderungen an die persönliche und fachliche Qualifikation statuiert, findet sich dann jedoch der folgende Satz: „Am Prinzip einer auf das jeweilige Berufsfeld ausgerichteten erfolgreichen Ausbildung wird festgehalten. Zugleich wird die Gewinnung von Personen erleichtert, die sich persönlich und fachlich auf andere Weise qualifiziert haben. Damit wird der wesentliche Inhalt des Laufbahnprinzips im Gesetz selbst wiederholt, während die weitere Gestaltung in Gesamtvereinbarungen erfolgt. Die Beibehaltung des bisherigen relativ starren Systems von Laufbahngruppen ist im Gesetz nicht mehr vorgesehen, so dass insoweit die Gestaltungsspielräume deutlich erweitert werden, um den sich verändernden Gegebenheiten am Arbeitsmarkt Rechnung tragen zu können“.

Die Behauptung, der wesentliche Inhalt des Laufbahnprinzips werde im Gesetz selbst wiederholt, trifft nicht zu. Der Gesetzentwurf will nicht nur dem Laufbahngruppenprinzip, sondern auch dem Laufbahnprinzip den Abschied geben. Auch die Beamten würden demzufolge nicht mehr für eine Laufbahn eingestellt, sondern für eine bestimmte Position, wie dies seit jeher bei Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes geschieht. Dies ergibt sich unabweislich unter anderem aus § 10, der mit viel Liebe zum Detail den notwendigen Inhalt des Einstellungsvertrages festlegt. Das Beamtenverhältnis findet nach den Vorstellungen von ver.di sein Ende durch Kündigung seitens des Arbeitgebers oder des Beamten (§§ 12 und 13), die an die Stelle der Entlassung durch Verwaltungsakt tritt, ferner durch strafgerichtliche Verurteilung (§ 14), durch Eintritt in den Ruhestand (§ 17) oder durch verwaltungsgerichtliches Gestaltungsurteil (§ 16). Diese soll die im heutigen Disziplinarrecht (z. B. in § 10 BDG) vorgesehene Entfernung aus dem Dienst ersetzen. Ein Disziplinarverfahren – das bekanntlich kein Repressionsinstrument ist, sondern ein Bollwerk gegen willkürliche Maßregelung – ist nicht mehr vorgesehen. Das gegenwärtige Diszipli22 In der Begründung zu § 11 heißt es, einer vorherigen Erprobung bedürfe es auch, „wenn eine erstmalige dauernde Eingruppierung (vergleichbar der bisherigen Anstellung) oder eine Höhergruppierung (vergleichbar der bisherigen Beförderung) erfolgen sollen“.

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narrecht ist zusammengeschrumpft auf einen Paragraphen (§ 16), der nicht einmal eine ganze Seite füllt. Dies wird lapidar wie folgt begründet: „Die Regelung enthält die insbesondere im Beamtenverhältnis notwendigen Vorschriften zur Gestaltung von Sanktionen bei Pflichtverletzungen. Die vielfältigen Verfahrensregelungen in der BDO werden nicht übernommen. Statt dessen beschränkt sich der Entwurf darauf, die möglichen Sanktionen wie ihre Voraussetzungen zu bestimmen, für wesentliche Eingriffe in ein bestehendes Beamtenverhältnis die Gestaltungsklage des Arbeitgebers vorzuschreiben und nur geringere Eingriffe durch einseitige Arbeitgeberentscheidung zuzulassen. Streitigkeiten um Sanktionen stellen normale beamtenrechtliche Streitigkeiten dar, auf Sonderregelungen zur gerichtlichen Zuständigkeit oder Zusammensetzung der Spruchkörper wird verzichtet“.

Überflüssig sind nach dem Reformkonzept von ver.di nicht nur die Disziplinargesetze, sondern auch die Besoldungsgesetze, denn die dem Beamten zustehende „Vergütung“ – so sollen die Dienstbezüge künftig heißen – wird nicht mehr durch Gesetz, sondern durch öffentlich-rechtlichen Tarifvertrag festgelegt. Diese Zusammenstellung mag ausreichen, um zu belegen, daß der von ver.di vorgelegte Gesetzentwurf nicht eine Reform des Beamtenrechts darstellt, sondern eine Revolution im eingangs umrissenen Sinne. Er verstößt eklatant gegen eine ganze Reihe hergebrachter Grundsätze des Beamtenrechts, wie sie von Carl Hermann Ule in Übereinstimmung mit der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts mehrfach23 herausgearbeitet worden sind. Angesichts dessen fragt man sich: Ist es Naivität oder Chuzpe, wenn es im zweiten Satz der Begründung24 heißt, der Entwurf gehe „vom Fortbestand des Art. 33 GG in seiner bisherigen Fassung“ aus. In Hinblick auf dessen Absatz 5 schreiben die Autoren wenig später, der Parlamentarische Rat habe bewußt keine strikte Bindung an die hergebrachten Grundsätze vorgesehen, sondern „durch die – abgeschwächte – Formel einer Berücksichtigung Gestaltungsspielräume für die Zukunft offen halten“ wollen. Bei einer Verwirklichung des ver.di-Entwurfs würden die hergebrachten Grundsätze jedoch nicht berücksichtigt, sondern beseitigt.

23 Vor allem in dem Beitrag „Öffentlicher Dienst“ in dem von Bettermann und Nipperdey herausgegebenen Handbuch „Die Grundrechte“, Bd. IV 2. Halbbd., Berlin 1962, S. 537 ff., insb. S. 562 ff., und in dem Rechtsgutachten für die Studienkommission (Fn. 7). 24 Ver.di-Entwurf (Fn. 19), S. 24.

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4. Das Reformkonzept der Bull-Kommission (2003) Ähnlich weit – zum Teil sogar noch darüber hinaus – ist die nach ihrem Vorsitzenden Hans Peter Bull25 benannte Kommission gegangen. Sie wurde im Frühjahr 2001 von der rot-grünen Landesregierung Nordrhein-Westfalens eingesetzt und erstattete knapp zwei Jahre später – im Januar 2003 – ihren Bericht mit dem Titel „Zukunft des öffentlichen Dienstes – öffentlicher Dienst der Zukunft“, der 200 Seiten umfaßt und ergänzt wird durch einen Anlageband mit 138 Seiten26. Die Kommission setzte sich zusammen aus 23 Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung. Die Kommission schlägt vor, die Zweispurigkeit des öffentlichen Dienstrechts – also die Unterscheidung von Beamten und Arbeitnehmern – aufzugeben zugunsten eines einheitlichen Beschäftigungsstatus’. Die Rechtsverhältnisse der sog. „Beschäftigten des öffentlichen Dienstes“ soll teils durch Gesetz, teils durch Tarifverträge geregelt werden („Gesetz-Tarif-Modell“). Gesetzlich zu regeln sind der sog. Grundstatus, nämlich die Begründung des Arbeitsverhältnisses (Ausschreibung, Einstellungsvoraussetzungen, Einstellungsverfahren, Probezeit), die Pflichten, Versetzung und Abordnung, die Zulässigkeit von Nebentätigkeiten sowie die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Durch Tarifvertrag sollen festgelegt werden die Elemente der Gegenleistung, die den Beschäftigten zustehen sollen, nämlich die Vergütung, der Urlaub, die tägliche Arbeitszeit und eine eventuelle Zusatzversorgung. Arbeitskämpfe sollen grundsätzlich zulässig sein, jedoch in genau definierten Bereichen der Hoheitsverwaltung und der Daseinsvorsorge gesetzlich eingeschränkt werden. Alle Beschäftigten werden durch arbeitsrechtlichen Vertrag eingestellt. Über Streitigkeiten entscheiden die Arbeitsgerichte. Beendet wird das Arbeitsverhältnis durch Kündigung. Die objektiv festgestellte, dauerhafte und unverschuldete Leistungsminderung müsse – ebenso wie im allgemeinen Arbeitsrecht – auch im öffentlichen Arbeitsrecht ein Kündigungsgrund sein, soweit nicht die Versetzung des Arbeitnehmers möglich ist. 25 Über seine Reformvorstellungen informieren auch sein Beitrag „Die politische und rechtliche Ausgangslage und der internationale Vergleich“ in: Personalrecht und Personalwirtschaft als Handlungsfelder der Verwaltungsreform, hrsg. von Hans Peter Bull/Volker Bonorden, Baden-Baden 2001, S. 17 ff., sowie seine Aufsätze „Das öffentliche Dienstrecht in der Diskussion“, DÖV 2004, S. 155 ff.; „Bürokratieabbau und Dienstrechtsreform“, DÖV 2006, S. 241 ff. Siehe ferner seine Stellungnahme für die Angehörigen des Innenausschusses des Bundestages am 1.3.2004 – Innenausschuss A – Drs. 15(4)84. 26 Zum Bericht der Bull-Kommission siehe Klaus Schönenbroicher, Zerschlagung des Berufsbeamtentums – sinnvoll und geboten?, DÖD 2003, S. 149 ff.

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Das neue Bezahlungssystem sollte sich an Funktion und Leistungen der Beschäftigten und an den Marktverhältnissen orientieren. Dies bedeutet zugleich eine Abkehr von bisherigen Leitgedanken wie dem an die Ausbildung anknüpfenden Laufbahnprinzip, der Verknüpfung der Bezahlung mit den Elementen Alter, Familienstand und Kinderzahl und der Irreversibilität erworbener Besitzstände. Aus der grundsätzlich neuen Orientierung folgen die Kernelemente eines neuen Konzeptes: Grundsätzlich soll das Einkommen aus einer Basisvergütung und einer variablen Leistungsvergütung bestehen. Die Basisvergütung wird auf der Grundlage detaillierter Funktionsbewertungen und mit Sicht auf den allgemeinen Arbeitsmarkt festgelegt, und zwar mit fixen Basisvergütungen für den tariflichen Bereich und mit „Gehaltsbändern“ für Fach- und Führungskräfte im außertariflichen Bereich. Die variable Vergütung soll mit steigender Bedeutung der Funktion einen immer größeren Teil der Gesamtvergütung ausmachen. Als Richtschnur für die Festlegung der beiden Vergütungselemente wird ein angemessenes „Zieleinkommen“ in jeder Funktionsgruppe angestrebt. Es besteht aus der Summe des festen Basiseinkommens und dem sich bei normaler Leistung ergebenden variablen Vergütungsanteil. Mehrleistungen führen nach diesem Modell zu Mehreinkommen bis zu einem ebenfalls festzulegenden Höchstwert des leistungsabhängigen Vergütungsanteils; Minderleistungen führen zu Mindereinkommen, bis der leistungsabhängige Vergütungsanteil auf Null zusammenschmilzt. Nach Auffassung der Kommission wird dies allerdings nur dann funktionieren, wenn das Vergütungssystem in weiten Bereichen durch Ziel- und Leistungsvereinbarungen als Führungsinstrumente unterstützt wird. Die Kommission fordert denn auch die Einführung von Zielvereinbarungen27 sowie – unabhängig davon – ein Beurteilungssystem für alle Beschäftigten28. Die Bull-Kommission will den Beamtenstatus abschaffen. Zugleich kreiert sie jedoch den Typus eines „Beamten im neuen Sinne“. Dieser hat mit dem hergebrachten Beamten nichts oder jedenfalls kaum noch etwas zu tun, sondern ist ein gewissermaßen veredelter Beschäftigter, dessen Position stärker abgesichert ist als diejenige anderer Beschäftigter. Ihn soll es geben in solchen Bereichen des öffentlichen Dienstes, in denen echte Hoheitsaufgaben wahrgenommen werden. Dies seien Diplomatischer Dienst, Finanzund Zollverwaltung, innere und äußere Sicherheit einschließlich Katastrophenschutz und Feuerwehr, Justiz und Leitungsfunktionen in den obersten 27 28

Bull-Kommission (vgl. Fn. 25), S. 110 ff. Bull-Kommission a. a. O., S. 118.

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Bundes- und Landesbehörden. Es sei weder gerechtfertigt noch erforderlich, in der Kommunalverwaltung sowie in den Schulen und Hochschulen den Beamtenstatus zu begründen. Und auch in den zuvor genannten Bereichen sollen nur solche Beschäftigten, die über echte Entscheidungsbefugnisse verfügen, zu „Beamten im neuen Sinne“ gemacht werden. Während die „normalen“ Beschäftigen nach Ablauf der Probezeit einen „Arbeitsvertrag auf unbestimmte Dauer“ erhalten, sollen die „Beamten im neuen Sinne“ „auf Lebenszeit“ angestellt werden – wohlverstanden: auf arbeitsrechtlicher, also privatrechtlicher Basis durch Abschluß eines Arbeitsvertrages. Als Korrelat zur weitreichenden Treuepflicht der „Beamten im neuen Sinne“ soll ihre betriebsbedingte Kündigung ausgeschlossen sein. Möglich ist daher nur die Kündigung aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen. Diese soll aber erst dann wirksam werden, wenn ein – nicht notwendigerweise rechtskräftiges – (arbeitsgerichtliches) Urteil die Rechtmäßigkeit der Entlassung festgestellt hat. Für diese Beschäftigtengruppe müsse die Absicherung für den Fall der schuldlosen Dienstunfähigkeit durch eine dauerhafte Versorgung gewährleistet werden. Zur Finanzierung der Versorgung dieser „Beamten im neuen Sinne“ sei der Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung durch den Arbeitgeber vorgesehen. Radikal umgestellt werden soll auch die Altersversorgung. Sie besteht aus zwei Komponenten, nämlich zum einen aus Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und zum anderen aus Leistungen aus einer neu gestalteten Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes. Die Bull-Kommission räumt – im Gegensatz zu ver.di – unumwunden ein, daß viele dieser Vorschläge mit den Absätzen 4 und 5 des Art. 33 GG nicht zu vereinbaren sind. Sie fordert deshalb, Absatz 5 ganz aufzuheben und Absatz 4 folgende Fassung zu geben: „Die Rechtsverhältnisse aller Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung sind im Rahmen eines einheitlichen Arbeitsrechts zu gestalten. Soweit die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben dies erfordert, ist durch Gesetz zu gewährleisten, dass die damit betrauten Personen diese Aufgaben wirksam und unparteiisch erfüllen können“.

Darf man daraus im Wege des Gegenschlusses ableiten, daß die wirksame und unparteiische Aufgabenerfüllung der anderen Beschäftigten nicht gewährleistet zu sein braucht? Von der Kommission erwogen, aber nicht empfohlen wird, den Absatz 2 des Art 33 GG wie folgt zu fassen: „Einstellungen und Beförderungen in der öffentlichen Verwaltung erfolgen nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung“.

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Damit würde – so führte die Kommission aus – zum einen verdeutlicht, dass der Zugang zum deutschen öffentlichen Dienst nach Art. 39 EG-Vertrag nicht mehr auf Deutsche beschränkt bleiben kann. Zum anderen entfalle mit einer solchen Verfassungsänderung der subjektive Zugangsanspruch bei Einstellungen und Beförderungen, der in der Praxis vielfach durch Konkurrentenklagen geltend gemacht werde und dabei notwendige Personalmaßnahmen in oft kaum vertretbarer Weise behindere. Die Diskriminierung von Arbeitnehmern könne auch nach allgemeinem Arbeitsrecht gerichtlich abgewehrt werden. Die Kommission habe aber von einem entsprechenden Änderungsvorschlag abgesehen, um nicht den falschen Eindruck zu erwecken, als wolle sie durch Beseitigung des Konkurrentenschutzes zugleich den Schutz der Allgemeinheit vor Ämterpatronage behindern. Dabei scheint übersehen worden zu sein, daß sich inzwischen auch im Recht der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes die Konkurrentenklage fest etabliert hat29. Diese sehr unvollständige Skizze dürfte hinreichend belegen, daß der öffentliche Dienst ein völlig anderes Gesicht bekäme, würden die Vorschläge der Bull-Kommission verwirklicht. Daß dies in absehbarer Zeit geschehen könnte, ist nicht zu erwarten, weil sich für die Aufhebung des Art. 33 Absatz 5 GG keine parlamentarische Mehrheit finden wird. 5. Das „Eckpunkte-Papier“ (2004) Am 4. Oktober 2004 legten der damalige Bundesinnenminister Otto Schily, der Vorsitzende von ver.di Frank Bsirske und der Bundesvorsitzende des Deutschen Beamtenbundes Peter Heesen der Öffentlichkeit ein sog. Eckpunktepapier mit dem Titel „Neue Wege im öffentliche Dienst“ und dem Untertitel „Eckpunkte für eine Reform des Beamtenrechts“ vor30. Es hält ausdrücklich an Artikel 33 Absätze 4 und 5 fest, fordert aber ein „offenes Verständnis“31 dieser Vorschriften. Die Modernisierung des Beamten29 Siehe etwa BAG, Urt. v. 2.12.1997, NZA 1998, S. 884 ff.; Urt. v. 5.11.2002, RiA 2004, S. 30 ff.; Urt. v. 21.1.2003, a. a. O., S. 32 ff.; Stefan Seitz, Die arbeitsrechtliche Konkurrentenklage und das Rangfolgenproblem im öffentlichen Dienst, RdA 1996, S. 40 ff.; Frank Lansnicker/Thomas Schwirtzek, Die Konkurrentenklage im Arbeitsrecht, NJW 2003, S. 2481 ff. 30 Dazu (und zum Entwurf des Strukturreformgesetzes) siehe Jürgen Lorse, Dienstrecht im Umbruch – Das Eckpunktepapier „Neue Wege im öffentlichen Dienst“ und begleitende gesetzliche Reformüberlegungen, VBlBW 2006, S. 81 ff.; Karl Heinz Gasser (Thüringer Innenminister), Ist das Eckwertepapier „Neue Wege im öffentlichen Dienst“ eine Perspektive für die Länder? – Erwartungen an ein modernes Dienstrecht, Rede auf der 46. Gewerkschaftspolitischen Arbeitstagung des Deutschen Beamtenbundes am 10.1.2005 in Bad Kissingen. 31 Eckpunktepapier, S. 6.

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rechts soll vor allem durch die Einführung eines neuen leistungsbezogenen Laufbahn- und Bezahlungssystems bewirkt werden. Durch eine stärkere funktionale Ausrichtung der Bezahlung soll eine moderne Laufbahnstruktur entstehen. Das neue Bezahlungssystem soll sich an der individuellen Leistung und der tatsächlich wahrgenommenen Funktion orientieren. Die Leistung oder die Übernahme einer höherwertigen Funktion sollen die wesentliche Grundlage für Einkommensverbesserungen darstellen, während Alter und Familienstand (Verheiratetenzuschlag) künftig keine maßgeblichen Größen mehr sein sollen. Die zusätzlichen finanziellen Leistungen für Kinder sollen jedoch in Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erhalten bleiben. Die berufliche Entwicklung soll sich nicht mehr – anders als bisher – in Ämtern, sondern in Funktionen vollziehen32. Diese sollen nach Anforderung, Aufgabenzuschnitt, Verantwortung und Qualifikation durch den Dienstherrn deutlich voneinander abgegrenzt und bewertet werden. Die Beförderung setzt in der Regel die Übernahme einer höherwertigen Tätigkeit oder eine gesteigerte berufliche Verantwortung voraus. Das Einkommen soll aus einem Basisgehalt und einem variablen leistungsbezogenen Anteil (Leistungsstufen) bestehen. Das Basisgehalt beruht auf den Anforderungen der Funktion. Die bisherigen zahlreichen Dienstaltersstufen sollen entfallen und ersetzt werden durch wenige Erfahrungsstufen. Das Basisgehalt steigt mit den Erfahrungsstufen, in denen die wachsende berufliche Erfahrung Berücksichtigung findet. Dabei werden Teilzeit oder Beurlaubung wegen Kindererziehung mitberücksichtigt. Die Erfahrungsstufe wird – anders als die nächste Dienstalterstufe des heute geltenden Rechts – nur dann erreicht, wenn der Beamte in seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit die zu erwartende Normalleistung erbracht hat. Die Zeiträume für das Aufrücken in den Erfahrungsstufen werden bundeseinheitlich festgelegt. Bei den festen Gehältern gibt es – wie schon bisher bei der B-Besoldung – keine Erfahrungsstufen. Neben Erfahrungsstufen sieht das Eckpunktepapier Leistungsstufen vor. Sie setzen als variabler Gehaltsanteil an der individuellen Leistung an. Die Vergabe der Leistungsstufen erfolgt auf der Grundlage von Leistungsbewertungen. Entsprechend dieser Bewertung sind Veränderungen in beiden Richtungen möglich, d.h. Herabstufung bei Leistungsabfall und Höherstufung bei Leistungssteigerung. Wird eine geringere Leistungsstufe festgestellt, erfolgt der Ausgleich nicht durch Reduzierung des Gehalts, sondern durch Abschmelzen bei den allgemeinen Einkommensanpassungen. 32

Kritisch dazu Gasser (Fn. 30), S. 5 f.

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Der Rahmen der variablen Bezahlung soll zwischen 90 v. H. und 110 v. H. erreichen. Anders formuliert: Ein Beamter mit schwachen Leistungen erhält nur 90 v. H. des normalen Satzes, der besonders leistungsstarke Beamte hingegen 110 v. H. Das bisherige Instrument der Leistungsprämie soll daneben erhalten bleiben. Herausragende Einzelleistungen, auch im Team erbrachte, könnten damit unabhängig von Leistungsstufen anerkannt werden. Grundlage der Leistungsbezahlung ist die Leistungsfeststellung und Leistungsbewertung. Diese müßten – betont das Eckpunktepapier – nachvollziehbar, transparent und zeitnah erfolgen, um die notwendige Akzeptanz unter den Beteiligten zu erreichen. Hierfür faßt das Eckpunktepapier unterschiedliche Methoden ins Auge, insbesondere Zielvereinbarungen und strukturierte Bewertungsverfahren. Leistungsfeststellung und Leistungsbewertungen sollen regelmäßig, spätestens alle zwei Jahre erfolgen. Sie lösen das heutige Beurteilungssystem ab. Notwendig sei die Festlegung eines Verfahrens für die Leistungsfeststellung und -bewertung, das mit geringem Zeit- und Verwaltungsaufwand verbunden ist. Meinungsverschiedenheiten sollen im Dialogverfahren gelöst werden. Dazu solle ein internes Schlichtungsverfahren unter Beteiligung der Beschäftigten eingeführt werden. Leistung solle sich auch auf die Versorgung der Beamten auswirken. Der Umfang der variablen Leistungsbezahlung solle daher bei der Versorgung berücksichtigt werden. Zur Förderung der Mobilität zwischen privatem und öffentlichem Bereich soll sichergestellt werden, daß die durch Arbeitszeiten im Beamtenverhältnis erworbenen Versorgungsansprüche bei Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis ungeschmälert mitgenommen werden können. Statt der Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung werden die bis dahin erworbenen Versorgungsansprüche mit Erreichen der für Beamtinnen und Beamte geltenden gesetzlichen Altersgrenze gewährt. 6. Der Entwurf des Strukturreformgesetzes (2005) Auf das Eckpunktepapier stützt sich ausdrücklich der Entwurf des Gesetzes zur Reform der Struktur des öffentlichen Dienstrechts (Strukturreformgesetz)33, den die rot-grüne Bundesregierung am 12. August 200534 kurz 33

Zu diesem Gesetzentwurf Edwin Czerwick, Der Gesetzentwurf zur Reform der Strukturen des öffentlichen Dienstrechts (Strukturreformgesetz – StruktRefG) vom 15. Juni 2005, DÖD 2006, S. 45 ff., sowie Jürgen Lorse (Fn. 30); Ulrich Battis, Zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Strukturen des öffentlichen Dienstrechts, ZBR 2005, S. 325 ff.; Günter Bochmann, Die rahmenrechtliche Neuordnung

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vor ihrem Ende im Bundesrat einbrachte35. Er sah unter anderem Änderungen des Beamtenrechtsrahmengesetzes (BRRG), des Bundesbeamtengesetzes (BBG), des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) und des Beamtenversorgungsgesetzes sowie ein neues „Gesetz über die Bezahlungsstrukturen bei Bund und Ländern – Bezahlungsstrukturgesetz“ vor. Die Novellierung des Beamtenrechtsrahmengesetzes (Artikel 1) und des Bundesbeamtengesetzes (Artikel 2) sollten die Voraussetzungen für eine Flexibilisierung des Laufbahnprinzips, die Stärkung der Mobilität, die verstärkte Nutzung personeller Ressourcen und den Abbau bürokratischer Hemmnisse schaffen. Die Länder sollen größere Handlungsspielräume vor allem im Laufbahnrecht, im Nebentätigkeits- und Personalaktenrecht erhalten. Die Möglichkeiten familien- und arbeitsmarktpolitischer Beurlaubungen ohne Dienstbezüge sollen erweitert werden. Eine Vielzahl von Regelungen soll nur noch in der Grundstruktur vorgegeben und für Länderregelungen geöffnet werden. Im Mittelpunkt der Neuordnung sollte die Einführung eines leistungsund anforderungsbezogenen Bezahlungssystems stehen, das durch das neue Bezahlungsstrukturgesetz (Art. 3 des Strukturreformgesetzes) eingeführt werden sollte. Dieses Bezahlungssystem erinnert stark an das EckpunktePapier, aber auch an die Vorschläge der Bull-Kommission. Man wird kaum fehlgehen in der Prognose, daß die dort niedergelegten Gedanken in hohem Maße die künftige Diskussion um die Neuordnung der Besoldung in Bund und Ländern bestimmen werden. Das bisherige an Alter und Familienstand orientierte Bezahlungssystem mit den bundeseinheitlichen, festen Strukturen solle durch ein differenziertes Bezahlungssystem abgelöst werden. Die Bezahlung wird vorrangig an der individuellen Leistung und der tatsächlich wahrgenommenen Funktion ausgerichtet. Aus dieser grundsätzlichen Neuausrichtung folgen die Kernelemente des neuen Bezahlungssystems: Die Bezahlung setzt sich grundsätzlich aus einer Basisbezahlung und einer individuellen zeitlich befristeten Leistungsvariablen zusammen. Die Basisbezahlung wird auf der Grundlage des verliehenen Amtes und der Bewertung der tatsächlich wahrgenommenen Funktion nach Anforderungs- und Aufgabenprofil des Dienstpostens festgelegt. Die Leistungsvariable ergänzt das Basisgehalt und knüpft ausschließlich an die individuelle Leistung an36. des Laufbahnwesens im Entwurf für das Gesetz zur Reform der Strukturen des öffentlichen Dienstrechts, ZBR 2006, S. 69 ff. 34 Zu diesem Zeitpunkt hatte der Bundestag bereits die von Bundeskanzler Gerhard Schröder gestellte Vertrauensfrage wunschgemäß negativ beantwortet (1.7.2005). Kurz darauf (18.9.2005) fanden Neuwahlen statt. Am 22.11.2005 wurde Angela Merkel zur Bundeskanzlerin gewählt. 35 BR-Drs. 615/05.

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Für die Vergabe der Leistungsvariablen ist ein jährliches Finanzvolumen vorzusehen. Dieses wird an der Leistungsstufe zwei und der Summe aller Bezahlungsempfänger bemessen. Das Finanzierungsbudget ist gesetzlich verankert und abgesichert; es darf nicht zur Auffüllung von Haushaltslükken verwendet werden. Soweit weitere Mittel durch strukturelle Maßnahmen im System eingespart werden, fließen diese ebenfalls dem Budget der Leistungsbezahlung zu. Insgesamt wird das Budget für die Leistungsvariable durch Umschichtungen und Umwidmungen aufgebracht und ist von Anfang an im beamtenrechtlichen Bezahlungssystem gegenfinanziert. Dieses neue Bezahlungssystem sollte für die öffentlichen Haushalte zu keinen dauerhaften Mehrkosten gegenüber dem bisherigen Bezahlungssystem führen. Der Gesetzentwurf sollte das in den Eckpunkten vom 4. Oktober 2004 bestimmte Leitziel der kostenneutralen Einführung und Systemumstellung für die öffentlichen Haushalte verwirklichen. Es gäbe also Gewinner und Verlierer. Im Extremfall könnte ein leistungsbezogener Einkommensunterschied zwischen zwei Beamten mit ansonsten vergleichbarem Basisgehalt und Erfahrungsstufen von 20 v. H. entstehen, weil der eine nur 90 v. H. und der andere 110 v. H. erhält37. Die Bundesregierung betonte, die konzeptionelle Neuausrichtung des öffentlichen Dienstrechts erfolge auf der Grundlage des geltenden Verfassungsrechts. Das Grundgesetz stehe einer Flexibilisierung des öffentlichen Dienstrechts nicht entgegen. Vielmehr folge aus Art. 33 Absatz 5 GG der Auftrag an den Gesetzgeber, das öffentliche Dienstrecht unter Beachtung der hergebrachten Grundsätze stetig dem Wandel der Verhältnisse und Erfordernisse anzupassen. Das Leistungsprinzip gehöre zu den elementaren hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Es sei Ausdruck des umfassenden Gebots der Effektivität des öffentlichen Dienstes und erfordere eine leistungsbezogene Vergütung. Die Neuregelung des Besoldungsrechts soll sich auch auf das Beamtenversorgungsrecht auswirken. Die ruhegehaltfähige Bezahlung wird künftig neben dem Basisgehalt auch die variablen Leistungselemente mit umfassen. Sowohl der Deutsche Beamtenbund als auch ver.di begrüßten den Gesetzentwurf, an dessen Ausgestaltung sie über das in § 94 BBG vorgeschriebene Maß hinaus beteiligt worden waren38. Der Gesetzentwurf fiel dem Grundsatz der Diskontinuität zum Opfer, als der Bundestag auf Wunsch von Bundeskanzler Schröder vorzeitig aufgelöst 36

Siehe dazu auch unten III. 6. b). Lorse (Fn. 30), VBlBW 2006, S. 81 (83). 38 Über die Stellungnahmen der Gewerkschaften informiert die Begründung zu dem Gesetzentwurf (BR-Drs. 615/05, S. 317). 37

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wurde. Zu jener Zeit steckte der Gesetzentwurf noch in den Ausschüssen des Bundesrates im ersten Durchgang. Eine Stellungnahme des Bundesrates liegt demzufolge nicht vor. 7. Die Föderalismusreform: Koalitionsvertrag vom 11.11.2005 und Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.8.2006 Seither hat sich die Situation durch die Bildung der Großen Koalition erheblich geändert. Schon in dem am 11. November 2005 abgeschlossenen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD wurden wichtige Vorentscheidungen dadurch getroffen, daß Ergebnisse der Koalitionsarbeitsgruppe zur Föderalismusreform rezipiert wurden, z. B. die Änderung der Gesetzgebungskompetenzen auf dem Gebiete des Beamtenrechts und die Änderung des Art. 33 Absatz 5 GG. Diese politischen Vorentscheidungen wurden alsdann durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 und durch den Entwurf des Beamtenstatusgesetzes umgesetzt. a) Die Änderung des Art. 33 Absatz 5 GG Das Grundgesetzänderungsgesetz39 änderte Art. 33 Absatz 5 GG dadurch, daß es am Ende der Regelung die Wörter „und fortzuentwickeln“ einfügte40. Das Beamtenrecht ist demzufolge unter Berücksichtung der hergebrachten Grundsätze nicht mehr nur zu regeln, sondern auch fortzuentwikkeln. Auf die strittige Frage, ob diese „Fortentwicklungsklausel“ rechtliche Bedeutung hat41, kann ich hier nicht eingehen42.

39 BGBl. I S. 2034. Der volle Titel lautet: „Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c)“. Zu diesem Gesetz siehe Günter Bochmann, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Reföderalisierung des öffentlichen Dienstrechts und der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz – BeamtStG), ZBR 2007, S. 1 ff. 40 Siehe dazu Helmut Lecheler, Die Auswirkungen der Föderalismusreform auf die Statusrechte der Beamten, ZBR 2007, S. 18 ff. 41 Das verneinte schon im Vorfeld der Verfassungsänderung Ulrich Battis in seiner schriftlichen Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages sowie des Bundesrates zum Thema „Föderalismusreform – Inneres“ am 17.5.2006: „Die Erweiterung des Art. 33 Abs. 5 GG um eine Fortentwicklungsklausel ist überflüssig und schädlich. Sie ist überflüssig, weil durch sie den Gesetzgebern nicht mehr Kompetenzen eingeräumt werden als sie Art. 33 Abs. 5 GG jetzt schon gibt“. 42 Siehe dazu etwa Lecheler (Fn. 40), S. 20 f.

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b) Die Änderung der Gesetzgebungskompetenzen Das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes änderte darüber hinaus die Aufteilung der Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern: Art. 74a, der dem Bund die konkurrierende Gesetzgebung für die Besoldung und Versorgung der Landes- und Kommunalbeamten einräumte, wurde ersatzlos aufgehoben. Dasselbe Schicksal ereilte Artikel 75, dem zufolge der Bund Rahmenvorschriften über die Rechtsverhältnisse der Landesund Kommunalbeamten erlassen konnte. Dieser Aderlaß der Gesetzgebungskompetenz des Bundes ist durch die neue Nr. 27 des Art. 74 Absatz 1 GG teilweise kompensiert worden. Danach erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung auf „die Statusrechte und -pflichten der Beamten der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie der Richter in den Ländern mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung“.

Was unter „Statusrechten und -pflichten“ zu verstehen ist, wird in der amtlichen Begründung43 unter Bezugnahme auf den Koalitionsvertrag wie folgt umschrieben: „Statusrechte und -pflichten“ sind: – Wesen, Voraussetzungen, Rechtsform der Begründung, Arten, Dauer sowie Nichtigkeits- und Rücknahmegründe des Dienstverhältnisses, – Abordnungen und Versetzungen der Beamten zwischen den Ländern und zwischen Bund und Ländern oder entsprechende Veränderungen des Richterdienstverhältnisses, – Voraussetzungen und Formen der Beendigung des Dienstverhältnisses (vor allem Tod, Entlassung, Verlust der Beamten- und Richterrechte, Entfernung aus dem Dienst nach dem Disziplinarrecht), – statusprägende Pflichten und Folgen der Nichterfüllung, – wesentliche Rechte, – Bestimmung der Dienstherrenfähigkeit, – Spannungs- und Verteidigungsfall und – Verwendungen im Ausland“. Diese bundeseinheitlichen Statusregelungen dienten – so heißt es in der Begründung weiter – insbesondere der Sicherung der länderübergreifenden Mobilität der Bediensteten. Nicht erfaßt seien Regelungsbereiche, die bereits bisher in der Kompetenz der Länder liegen, und auch nicht lediglich 43

BT-Drs. 16/813, S. 14.

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statusberührende dienstrechtliche Gebiete oder aus dem Beamten- oder Richterdienstverhältnis abgeleitete Rechte. Ausdrücklich ausgenommen von der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz würden Besoldung, Versorgung und die Laufbahnen der Beamten und die entsprechenden Regelungen für die Richter. Zum Laufbahnrecht der Beamten gehöre auch die Regelung des Zugangs zur Laufbahn. Die Konsequenz dieser Neuregelung ist, daß die Befugnis zur Regelung des Laufbahn-, des Besoldungs- und des Versorgungsrechts für die Landesund Kommunalbeamten nunmehr ausschließlich den Ländern zusteht. Man wird wohl daran zweifeln dürfen, daß diese „Rolle rückwärts“ – den dadurch geschaffenen Rechtszustand hatten wir bereits einmal – ein Fortschritt ist. Die Zersplitterung des Laufbahn-, des Besoldungs- und Versorgungsrecht ist der in der Reformdiskussion immer wieder geforderten Mobilität der Beamten sicherlich nicht förderlich44. 8. Der Entwurf des Beamtenstatusgesetzes (2006) Gestützt auf diese Ermächtigung hat die Bundesregierung Ende vorigen Jahres den bereits erwähnten Entwurf zu einem Beamtenstatusgesetz45 beim Bundesrat eingebracht46, der inzwischen den Bundestag47 erreicht hat und gegenwärtig dessen Ausschüsse48 beschäftigt49. Dieses Gesetz wird das Beamtenrechtsrahmengesetz ersetzen; das schmerzt mich auch persönlich; denn der einzige Kommentar zum BRRG stammt von Carl Hermann Ule50, und ich hatte die Ehre, an der Entstehung dieses Werks mitzuwirken.

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In der Begründung zum Entwurf des Strukturreformgesetzes (S. 17) hieß es denn auch noch: „Nur ein bundeseinheitliches Versorgungsrecht bietet zudem die Möglichkeit und Gewähr, dass aus demografischen Gründen notwendige Anpassungen der bundeseinheitlichen gesetzlichen Rentenversicherung wirkungsgleich auf die Beamtenversorgung übertragen werden“. 45 Der volle Titel lautet: Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern. 46 BR-Drs. 780/06. 47 BT-Drs. 16/4027 v. 12.1.2007. 48 Der BT hat in seiner Sitzung am 18.1.2007 den Entwurf ohne Debatte dem Innenausschuß (federführend) und drei weiteren Ausschüssen überwiesen (Plenarprotokoll 16/76, S. 7578 f.). 49 Zu diesem Gesetzentwurf siehe Bochmann (Fn. 39). 50 Beamtenrecht, Köln/Berlin/Bonn/München 1970.

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a) Geltungsbereich des Beamtenstatusgesetzes Das Beamtenstatusgesetz wird nur für die Landes- und Kommunalbeamten gelten, und zwar unmittelbar, also ohne daß es einer Umsetzung durch Landesgesetze bedarf. Das Gesetz beansprucht also keine Geltung für die Bundesbeamten; die Bundesregierung hat jedoch in der Begründung zu dem Gesetz angekündigt, das Bundesbeamtengesetz werde die Regelungen zum Statusrecht unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Bundes übernehmen51. b) Inhalt des Regierungsentwurfs Der Entwurf des Beamtenstatusgesetzes enthält keine wirklich dramatischen, aber doch einige bemerkenswerten Abweichungen vom heute geltenden Recht. – So gestattet es § 7 Absatz 1, außer Deutschen und Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch Staatsangehörige eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum in das Beamtenverhältnis zu berufen. Das sind Island, Liechtenstein und Norwegen, die nicht der Europäischen Union angehören, wohl aber als Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums gleichbehandelt werden. Räumen Deutschland und die Europäische Union einem Drittstaat, wie z. B. der Schweiz, Ansprüche auf Anerkennung der Berufsqualifikationen ein, die denen der Staatsangehörigen der Europäischen Union entsprechen, können diese Personen ebenfalls in das Beamtenverhältnis berufen werden. Die Deutscheneigenschaft als Voraussetzung für die Ernennung zum Beamten wird also noch weiter zurückgedrängt. Das erscheint zumindest rechtspolitisch bedenklich. – Die Ernennung zur ersten Verleihung eines Amts (vgl. § 5 Absatz 1 Nr. 3 BRRG) ist in § 8 nicht mehr vorgesehen, da in Absatz 3 gesetzlich bestimmt wird, dass mit der Begründung eines Beamtenverhältnisses auf Probe, auf Lebenszeit und auf Zeit ein Amt verliehen wird. Einer gesonderten Ernennung bei der Verleihung des ersten Amtes bedarf es dementsprechend bei einem Probezeitbeamtenverhältnis nicht mehr. Das Rechtsinstitut der Anstellung (erste Verleihung eines Amtes) soll entfallen. – § 9 erweitert den Katalog der unzulässigen Kriterien für die Ernennung in Anlehnung an das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom 14.8.2006 um Behinderung und sexuelle Identität. 51

BT-Drs. 16/813, S. 3.

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– § 36, der die herkömmliche Weisungsgebundenheit des Beamten normiert, soll klarstellen, dass eine „Folgepflicht“ nur für solche Anordnungen von Vorgesetzten besteht, die den Dienst, die Dienstausübung und das Dienstverhältnis betreffen. Damit werde dem Umstand Rechnung getragen, daß durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das frühere Verständnis des Beamtenverhältnisses als „besonderes Gewaltverhältnis“ weitgehend gegenstandslos geworden sei. Anordnungen, die den Beamten in der persönlichen Rechtsstellung im Rahmen des Beamtenverhältnisses betreffen, könnten nicht mehr wie früher allein auf das Weisungsrecht gestützt werden, sondern bedürften einer ausreichenden mittelbaren oder unmittelbaren gesetzlichen Grundlage. – Eine begrüßenswerte Klarstellung enthält § 43 Absatz 2. Danach ist der Beamte verpflichtet, seinem Dienstherrn dasjenige herauszugeben, was er unter Verstoß gegen das Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken erhalten hat, soweit nicht der Verfall angeordnet worden ist oder das Erlangte auf andere Weise auf den Staat übergegangen ist. – § 52 stellt klar, daß die Bildung von Personalvertretungen zu gewährleisten ist und daß, soweit zum Personal Beamtinnen und Beamte gehören, diese dabei einzubeziehen sind. Zu den grundlegenden Statusrechten gehören auch die personalvertretungsrechtliche Teilhabe der Beamten und ihre Einbeziehung in die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Behördenleitung. Daher ist zu gewährleisten, dass die Beamten in die Personalvertretung einbezogen werden. Ob dadurch das sog. Gruppenprinzip hinreichend abgesichert ist, erscheint nicht ganz zweifelsfrei. – Die Begründung zu § 54, der die Beteiligung der Beamtenorganisationen regelt, hebt hervor, daß diese Beteiligung das Surrogat für die fehlende Tarifautonomie und das fehlende Streikrecht der Beamten darstellt und daß das Streikverbot ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums ist. c) Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung Der Bundesrat hat im ersten Durchgang eine Reihe von Änderungswünschen geäußert; ihnen hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung vom 16. Januar 200752 großenteils zugestimmt. Darauf braucht hier nicht eingegangen zu werden, weil es sich dabei nicht um Grundsatzfragen handelt. Bundesregierung und Bundesrat gehen davon aus, daß das Beamtenstatusgesetz am 1. Oktober 2008 in Kraft treten wird und die Länder ihre 52

BT-Drs. 16/4038.

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Beamtengesetze bis zum 1. Januar 2009 der neuen Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen anpassen werden. Darüber hinaus müssen die Länder ohne bundesgesetzliche Vorgaben ihr Laufbahn-, Besoldungs- und Beamtenversorgungsrecht neu ordnen. Man darf gespannt sein, was dabei herauskommt. 9. Die Reformvorstellungen Bundesinnenminister Schäubles Den vom Beamtenstatusgesetz für die Länder vorgezeichneten Weg wird auch der Bund beschreiten müssen. Dazu bedarf es einer Novellierung des Bundesbeamtengesetzes. Außerdem soll das Besoldungsrecht für die Bundesbeamten und Soldaten neu geregelt werden. Innenminister Schäuble hat angekündigt, ein „Dienstrechtsneuordnungsgesetz“ werde in diesem Frühjahr (2007) vorgelegt werden53. Wie die Vorstellungen der Bundesregierung für eine Reform des Bundesbeamtenrechts aussehen, ist bisher nur bruchstückhaft an die Öffentlichkeit gedrungen. Bundesinnenminister Schäuble hat dazu ein paar Kostproben in seiner Rede zur Eröffnung der gewerkschaftspolitischen Arbeitstagung des Deutschen Beamtenbundes am 8. Januar 2007 in Köln verabreicht54. Das kann ich wegen der beschränkten Zeit nicht im einzelnen referieren. Auf einige wenige seiner Ankündigungen werde ich später zurückkommen. III. Schwerpunkte der Reformdiskussion 1. Aufhebung oder Änderung von Art. 33 Absätze 4 und 5 GG Nach der Ergänzung des Art. 33 Absatz 5 GG scheint gegenwärtig niemand ernsthaft den Plan zu verfolgen, Art. 33 Absätze 4 und 5 GG zu ändern oder gar aufzuheben. Man sollte sich aber keinen Illusionen hingeben: Für immer begraben ist dieser Gedanke keineswegs. So brachte die rotgrüne Landesregierung von Schleswig-Holstein am 24. April 1996 beim Bundesrat den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Art. 33 GG ein55. Sie schlug vor, Art. 33 Absatz 5 GG wie folgt zu fassen: „Die Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die dem Funktionsvorbehalt des Absatzes 4 unterfallen, sind nach Erfüllung der erforderlichen Voraussetzungen in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit oder auf Zeit zu berufen. Rechte und 53

Pressemitteilung des BMI v. 8.1.2007. Die Bundesregierung hat am 17. Oktober 2007 den Entwurf eines Dienstrechtsneuordnungsgesetzes beschlossen. 54 Die Rede ist im Wortlaut abrufbar von den Homepages des BMI und des Deutschen Beamtenbundes. Eine knappe Zusammenfassung enthält die Pressemitteilung des BMI v. 8.1.2007. 55 BR-Drucksache 298/96.

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Pflichten der Beamten, ihre Besoldung sowie ihre Versorgung sind gesetzlich zu regeln“.

Mit dieser Verfassungsänderung sollten – so hieß es zur Begründung – die Voraussetzungen für ein modernes Beamtenrecht geschaffen werden, das flexibel ist und den aktuellen Anforderungen an den öffentlichen Dienst gerecht wird; dies beziehe sich insbesondere auf die Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen und die Umgestaltung des Versorgungssystems ohne Rücksicht auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums. Der Gesetzentwurf wurde zwar in den Bundesrat eingebracht. Eine Ausschussberatung soll (nach Aufruf durch Schleswig-Holstein) jedoch erst dann erfolgen, wenn sich eine Mehrheit für die Unterstützung des Entwurfs findet56. Auch der umstürzlerischer Umtriebe unverdächtige Deutsche Städtetag hat in seinem Positionspapier zur Dienstrechtsreform vom 4. Februar 200357 dazu aufgefordert, Laufbahnprinzip, Amtsprinzip, Lebenszeitprinzip und Versorgungsprinzip zu überdenken. Erinnert sei ferner daran, daß die Hessische Verfassung von 1947 bis zum heutigen Tage gebietet, für alle Angestellten, Arbeiter und Beamten ein einheitliches Arbeitsrecht zu schaffen (Art. 29 Absatz 1). Dabei sollen die Rechtsverhältnisse aller Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes nach den Erfordernissen der Verwaltung gestaltet werden (Art. 135). Zugleich wird der von einer Gewerkschaft ausgerufene Streik für statthaft und die Aussperrung für rechtswidrig erklärt (Art. 29 Absätze 4 und 5). Angesichts dessen stellt sich die Frage, ob die Absätze 4 und 5 des Art. 33 GG überhaupt geändert oder gar aufgehoben werden dürfen. Carl Hermann Ule hat das in seinem großen Gutachten für die Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts verneint58. Diese Ansicht hat allerdings keine Gefolgschaft gefunden59 – und das, wie ich meine, zu 56 Bericht der Landesregierung zur Zukunft des öffentlichen Dienstes, LT-Drs. 15/2830 v. 12.8.2003, S. 6. 57 Kommunale Anforderungen an das öffentliche Dienstrecht, Positionspapier des Deutschen Städtetages (Stand: 4.2.2003), S. 2. Im Internet abrufbar unter www. komba.de/binarydata/download/DST_Dienstrecht.pdf. 58 S. 449 f. 59 Nahe kommt ihr Detlef Merten, Das Berufsbeamtentum als Element deutscher Rechtsstaatlichkeit, in: Staat und Verwaltung – Fünfzig Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1997, S. 145 ff., der auf S. 167 zusammenfassend schreibt: Art. 20 GG enthalte eine Kerngarantie, welche die unerläßlichen institutionellen und verfahrensrechtlichen Sicherungen zur Aufrechterhaltung fundamentaler Verfassungsprinzipien gegen Änderung und Abschaffung schirme. Damit werde freilich nicht Art 33 Abs. 4 und 5 GG in toto, wohl aber der elementare Kern des Berufsbeamtentums erfaßt, soweit er unerläßlich für Gesetzmäßigkeit und Gewaltentrennung sei. Hierzu gehörten insbesondere die persönliche und (gegenüber anderen Staatsgewalten) sachliche Unabhängigkeit der Organwalter, deren hinrei-

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Recht. Denn die beiden Vorschriften fallen nicht unter die sog. Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Absatz 3 GG. Diese verbietet zwar solche Änderungen des Grundgesetzes, durch der Rechtsstaatsgrundsatz berührt wird. Und es läßt sich auch nicht leugnen, daß der Beamtenstatus ein Stabilisator der Rechtsstaatlichkeit ist. Aber es geht zu weit, daraus die Schlußfolgerung abzuleiten, die Beseitigung des Funktionsvorbehalts oder der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums gefährde die rechtsstaatliche Ordnung. 2. Einheitsdienstrecht statt Zweispurigkeit des öffentlichen Dienstes Solange der Art. 33 Absatz 4 GG zu Buche steht, ist nicht daran zu denken, die überkommene Zweispurigkeit des öffentlichen Dienstes durch ein Einheitsdienstrecht auf privatrechtlicher Grundlage à la Bull-Kommission zu ersetzen. 3. Tarifverträge, Streikrecht Auch künftig wird das Beamtenrecht nicht durch Tarifverträge, sondern durch Gesetze und Rechtsverordnungen ausgestaltet werden. Demzufolge wird den Beamten auch fürderhin das Arbeitskampfmittel des Streiks nicht zu Gebote stehen. 4. Ausgestaltung des Laufbahnrechts Das Laufbahnprinzip und das Laufbahngruppenprinzip sind hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums, die bei der demnächst vorzunehmenden Ausgestaltung des Laufbahnrechts sowohl vom Bundesgesetzgeber als auch von den Landesgesetzgebern zu berücksichtigen sein werden. Was dabei herauskommen wird, ist noch ungewiß. Man wird wohl daran festhalten, – daß Beamte auch künftig nicht für einen bestimmten Dienstposten, sondern für eine Laufbahn eingestellt werden, – daß jede Laufbahn aus mehreren hierarchisch angeordneten statusrechtlichen Ämtern besteht und der Beamte im Wege der Beförderung in dieser Ämterhierarchie aufsteigen kann. Die Laufbahnvoraussetzungen werden jedoch wohl elastischer formuliert werden, so daß die Zahl der Laufbahnen reduziert wird. chende Eignung und Ausbildung, (partei-)politische Neutralität und Streikverbot, rechtsstaatliche Gesinnung sowie persönliche Verantwortlichkeit, so daß sich letztlich der Kern der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums jeder Verfassungsänderung entziehe.

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Unklar ist, was mit dem Laufbahngruppenprinzip geschehen wird, demzufolge jede Laufbahn einer Laufbahngruppe (einfacher, mittlerer, gehobener oder höherer Dienst) zuzuordnen ist. 5. Spitzenpositionen auf Zeit und auf Probe Wie bereits dargelegt60, haben Bund und Länder schon seit 1997 die Möglichkeit, Spitzenpositionen zunächst für die Dauer von zwei Jahren auf Zeit oder auf Probe zu besetzen. Der Bund und die Länder haben bei der Nutzung dieser Möglichkeit teilweise unterschiedliche Wege beschritten. a) Spitzenpositionen auf Zeit Der Bund hat dieses Institut für sich selbst wiederholt abgelehnt. In ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des Dienstrechtsreformgesetzes 1997 lehnte die damalige Bundesregierung die Institution der Führungsposition auf Zeit mit drei Argumenten ab61: – Es sei schwierig, einen nicht erneut in die Führungsposition berufenen Beamten angemessen weiter zu beschäftigen. – Sachfremden Einflüssen, denen vor allem Beamte in Spitzenfunktionen ausgesetzt sein können, könne bei einer Vergabe auf Zeit nur schwer entgegengewirkt werden. Die sachliche und persönliche Unabhängigkeit der Beamten sei aber Grundlage der Stabilität der öffentlichen Verwaltung. – Die Herabstufung nach einer erheblichen Zeit werde der Betroffene persönlich als Degradierung empfinden, auch wenn er in eine andere Organisationseinheit umgesetzt wird. Erhebliche Einbußen an dienstlichem Ansehen und Durchsetzungskraft seien unvermeidbar. Insoweit falle auch der Vergleich zum Disziplinarrecht ins Gewicht: Die Versetzung in ein Amt mit niedrigerem Endgrundgehalt sei die zweitschwerste Disziplinarstrafe. Personalwirtschaftlich werde es Schwierigkeiten bereiten, den bisherigen Spitzenbeamten in einer anderen, also einer niedrigeren Funktion weiterzuverwenden. Die schon seit langem in der Literatur geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieses Rechtsinstituts hat neue Nahrung erhalten durch die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 26. Oktober 200462, in der das Gericht festgestellt hat, die Regelung des Art. 32 a des 60

Siehe oben II 2. BT-Drs. 13/3994, S. 79. 62 ZBR 2005, S. 32 ff., mit zustimmender Anm. Günter Bochmann, S. 126 ff. Mit Urteil vom 27.9.2007 hat nunmehr auch das Bundesverwaltungsgericht (E 129, 61

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Bayerischen Beamtengesetzes, dem zufolge Ämter mit leitender Funktion zunächst nur im Beamtenverhältnis auf Zeit übertragen werden, verstoße gegen das durch Art. 95 Absatz 1 Satz 2 der Bayerischen Verfassung gewährleistete Prinzip der Übertragung eines Amtes auf Lebenszeit. b) Spitzenpositionen auf Probe Dieses Rechtsinstitut haben der Bund und eine Reihe von Ländern eingeführt. Bei der Befragung der Bundesressorts und der Länder durch das Bundesministerium des Innern im Jahre 2001 ergab sich, daß von den Beamten, denen eine Führungsposition zunächst auf Probe übertragen worden war, sich fast alle in der Probezeit bewährten, so daß ihnen die Führungsposition anschließend auf Dauer übertragen wurde. So wurde von 267 Bundesbeamten nur einem einzigen die Übertragung der Führungsposition auf Dauer verweigert. In den Landesverwaltungen war das Ergebnis ähnlich. Angesichts dessen fragt man sich, ob es gerechtfertigt ist, dieses verfassungsrechtlich bedenkliche Instrument weiterzuschleppen, wie es der Entwurf des Statusgesetzes vorsieht. Gegen die befristete Übertragung von Spitzenpositionen hat sich Carl Hermann Ule – in Übereinstimmung mit der wohl herrschenden, aber keineswegs einhelligen Auffassung der Literatur63 – mehrfach mit großem Nachdruck gewandt64. Ungeachtet dessen verkündete Wolfgang Schäuble auf der Arbeitstagung des Deutschen Beamtenbundes im Januar 2007, Führungsämter sollten künftig schon ab der Besoldungsgruppe A 16 zunächst auf die Dauer von zwei Jahren auf Probe vergeben werden. 6. Besoldung nach Leistung a) Leistungsprämien und Leistungszulagen Ebenfalls schon seit 1997 kennt das Beamtenrecht Leistungsprämien und Leistungszulagen. Die Leistungsprämie ist eine Einmalzahlung und kann bis zur Höhe des Anfangsgrundgehalts gewährt werden. Leistungszulagen können im Falle einer positiven Leistungsprognose für begrenzte Zeit monatlich in Höhe von bis zu 7 v. H. des Anfangsgrundgehalts gezahlt wer272) festgestellt, die Vergabe von Führungspositionen auf Zeit sei wegen Verstoßes gegen das Lebenszeitprinzip verfassungswidrig. Zu demselben Ergebnis ist das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 28.5.2008, DVBl. 2008, S. 974 ff., gelangt. 63 Aus neuerer Zeit siehe etwa Diers (Fn. 12), LKV 2000, S. 225 (226 f.). 64 Ule, Übertragung von Spitzenpositionen auf Zeit, DVBl. 1986, S. 1030 ff.; ders., Befristete Übertragung von Führungspositionen in der staatlichen Verwaltung?, ZBR 1987, S. 1 ff.

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den. Leistungsprämien und Leistungszulagen können insgesamt an bis zu 15 v. H. der Beamten in der Besoldungsordnung A vergeben werden; ursprünglich war die Quote auf 10 v. H. der Beamten begrenzt. Darüber, wie diese Vorschriften in den Verwaltungen des Bundes und der Länder in den ersten drei Jahren umgesetzt wurden, unterrichtet der Erfahrungsbericht des Bundesinnenministeriums vom 19. Juni 200165. Die Erhebung des Innenministeriums ergab, die Einführung von Leistungselementen in die Besoldung sei in der Bundesverwaltung auf positive Resonanz gestoßen. Die Vergabe von Leistungsprämien sei überwiegend positiv aufgenommen worden. Auch hier erschwere die Höchstquote von (damals) 10 v. H. einen „vernünftigen Einsatz“. Praktische Schwierigkeiten bereiteten die verbindliche Definition von transparenten Leistungskriterien und die Meßbarkeit herausragender Leistungen im Einzelfall. Das Bundesinnenministerium verließ sich nicht ausschließlich auf eigene Erhebungen, sondern beauftragte eine Unternehmensberatungsgesellschaft, die mehr als 3000 Fragebögen an Beamte von vier Bundesbehörden verschickte, von denen etwa ein Drittel antwortete. Die Unternehmensberatungsgesellschaft glaubte den Antworten entnehmen zu können, die leistungsgezogenen Bezahlungsinstrumente stießen bei den Beschäftigten auf eine bemerkenswert hohe Akzeptanz. Denn fast 40 v. H. hätten deren Einführung überaus oder sehr begrüßt und weitere fast 40 v. H. hätten den Leistungselementen jedenfalls bedingt zugestimmt. Stutzig macht allerdings die Mitteilung, rund drei Viertel der Beschäftigten hätten angegeben, von ihrer Behörde kaum oder gar nicht über die Leistungselemente – insbesondere über die Voraussetzungen und Modalitäten der Vergabe – informiert worden zu sein. Ebenfalls drei Viertel der Bediensteten kritisierten, daß keine verbindlichen Leistungsmerkmale vorab festgelegt wurden. Sie befürchteten, daß persönliche Sympathie und Willkür mangels konkret definierter Vorgaben bei Vergabeentscheidungen eine Rolle spielen; es bestehe deshalb Ungewißheit, ob sich ein besonderer Arbeitseinsatz auch tatsächlich lohnt. Viele Bedienstete wollten sich aber am System der Leistungselemente aktiv beteiligen. Nach Mitteilung von Ministerialrat Daniel Christians, Leiter der Arbeitsgruppe Besoldung im Bundesinnenministerium, sind im September 2006 in der Bundesverwaltung 15 v. H. der Beamten Empfänger von Leistungselementen, wobei die Leistungsprämie mit 85 v. H. den größten Anteil ausmacht66. 65

Siehe Fn. 16. Norbert Fattler, Der öffentliche Dienst im Umbruch – auf dem Weg zur leistungsorientierten Bezahlung (Bericht über das 1. Bonner Dienstrechtssymposion am 5. September 2006 in Bonn), RiA 2006, S. 219 (220). 66

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§ 28 des Entwurfs eines Bezahlungsstrukturgesetzes (Art. 3 des Strukturreformgesetzentwurfes) sah Leistungsprämien vor67, nicht aber die Gewährung von Leistungszulagen. In seiner Rede zur Eröffnung der Arbeitstagung des Deutschen Beamtenbundes am 8. Januar 2007 erklärte Bundesinnenminister Schäuble, nach den Erfahrungen der letzten Jahre werde man sich auf die Leistungsprämie konzentrieren, die sowohl für besondere individuelle als auch für Teamleistungen vergeben werden könne. Von der Leistungszulage ist nicht mehr die Rede; sie wird es künftig wohl nicht mehr geben. b) Leistungsstufen und Erfahrungsstufen Leistungsstufen wurden erstmals durch das Dienstrechtsreformgesetz von 1997 eingeführt, und zwar durch die Neufassung des § 27 BBesG, der seither folgendes bestimmt: Das Grundgehalt wird grundsätzlich nach Stufen bemessen (Absatz 1 Satz 1). Das Aufsteigen in den Stufen bestimmt sich nach Besoldungsalter und der Leistung (Absatz 1 Satz 2). Das Grundgehalt steigt bis zur 5. Stufe im Abstand von zwei Jahren, bis zur 9. Stufe im Abstand von drei Jahren und darüber hinaus im Abstand von vier Jahren (Absatz 2). Das ist der gewissermaßen normale Ablauf. Der Absatz 3 des § 27 BBesG sieht nun aber vor, daß leistungsstarke Beamte früher auf die nächste Stufe vorrücken können und daß sich das Vorrücken leistungsschwacher Beamte verzögert: Bei dauerhaft herausragenden Leistungen kann für Beamte der Besoldungsordnung A die nächsthöhere Stufe als Grundgehalt vorweg festgesetzt werden (Leistungsstufe). Wird hingegen festgestellt, daß die Leistung des Beamten nicht den mit dem Amt verbundenen durchschnittlichen Anforderungen entspricht, verbleibt er in seiner bisherigen Stufe, bis seine Leistungen ein Aufsteigen in die nächsthöhere Stufe rechtfertigen. In der Terminologie des heute geltenden Rechts ist eine „Leistungsstufe“ also eine höhere Stufe, die wegen herausragender Leistungen schon vor Ablauf der normalen Wartezeit gewährt wird. Die Erhebung des Bundesinnenministeriums, die sich in dem Erfahrungsbericht zur Dienstrechtsreform68 niederschlug, ergab, das Verfahren zur Vergabe der 1997 eingeführten Leistungsstufen verursache hohen organisatorischen Aufwand. Infolge der Beschränkung auf (damals) 10 v. H. der Beamten hätten viele Leistungsträger nicht berücksichtigt werden können. 67 § 28 Bezahlungsstrukturgesetz (Leistungsprämien): „Zur Honorierung von herausragenden besonderen Einzel- und Gruppenleistungen können Leistungsprämien als Einmalzahlungen vorgesehen werden“. 68 Siehe Text zu Fn. 65.

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Bei der vom Bundesinnenministerium veranlaßten Befragung von mehr als 3 000 Bundesbeamten durch eine Unternehmensberatungsgesellschaft wurde die Leistungsstufe wegen ihrer restriktiven Zugangsvoraussetzungen und deswegen kritisiert, weil der finanzielle Vorteil für den Beamten unbeeinflußbar vom Vergabeberechtigten und von der Leistung des Bediensteten zufällig höher oder niedriger ausfalle. Häufig berichteten die Betroffenen, die wahren Leistungsträger hätten wegen der starken Begrenzung des potentiellen Empfängerkreises nicht berücksichtigt werden können. Leistungsstufen sieht auch der Entwurf des Bezahlungsstrukturgesetzes in seinem § 15 (Leistungsvariablen) vor: „(1) 1Die Leistungsvariablen sind in vier Leistungsstufen bemessen. 2Bei Leistungen, die den durchschnittlichen Anforderungen entsprechen, ist die Leistungsstufe 2 festzusetzen. 3Für davon abweichende Leistungen sind entsprechend höhere oder niedrigere Leistungsstufen festzusetzen. 4Wird keine anforderungsgerechte Leistung erbracht, ist keine Leistungsvariable zu vergeben. (2) 1Die Festsetzung der Leistungsstufe setzt eine Leistungsbewertung aufgrund von Zielvereinbarungen oder strukturierten Bewertungsverfahren im Rahmen des § 16 voraus. 2Die Leistungsbewertung ist regelmäßig, spätestens alle zwei Jahre, durchzuführen. 3Kann aufgrund von Zeiten nach § 14 Abs. 2 keine Leistungsbewertung vorgenommen werden, ist die zuletzt festgesetzte Leistungsstufe maßgeblich. (3) 1Die Leistungsbewertung muss diskriminierungsfrei erfolgen. 2Elternzeiten, Grundwehrdienst- oder Zivildienstzeiten, sonstige Zeiten der Beurlaubung, die besonderen Situationen von Teilzeitbeschäftigten, schwerbehinderten Menschen sowie aus besonderen Gründen freigestellten Personen sind angemessen zu berücksichtigen“.

Der Terminus „Leistungsstufe“ hat hier ersichtlich eine andere Bedeutung als im heute geltenden Bundesbesoldungsgesetz. Die Leistungsstufen im Sinne des Bezahlungsstrukturgesetzes sollen Bedeutung für den leistungsabhängigen Anteil der Besoldung haben, die sog. Leistungsvariablen. § 13 des Bezahlungsstrukturgesetzes sieht unter der Überschrift „Grundbezahlung“ folgendes vor: „(1) Die Grundbezahlung setzt sich zusammen aus einem Basisgehalt und einer Leistungsvariablen. (2) Die Beträge des Basisgehalts und der Leistungsvariablen sind in der Anlage II ausgewiesen. Sie gelten unmittelbar für die entsprechenden Bezahlungsordnungen F des Bundes und der Länder; abweichende Beträge sind nur im Rahmen des § 10 zulässig“.

Die Höhe der Leistungsvariablen differiert nach der Bezahlungsebene, die in etwa der heutigen Besoldungsgruppe entspricht (BesGr. A 13 entspricht der Bezahlungsebene F 13; BesGr. B 10 entspricht der Bezahlungs-

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ebene F 26). Ein Beamter der Bezahlungsebene F 13 (Regierungsrat) soll zusätzlich zu seinem Basisgehalt monatlich eine Leistungsvariable von – 79 e in Leistungsstufe 1, – 158 e in Leistungsstufe 2, – 237 e in Leistungsstufe 3 oder – 316 e in Leistungsstufe 4 erhalten. Die Leistungsvariable steigt also von Stufe zu Stufe um monatlich 79 e und jährlich 948 e. Sind die Leistungen des Beamten unzureichend, wird ihm keine Leistungsstufe zuerkannt werden. Die individuelle Leistung des Beamten spielt aber nicht nur für die Leistungsvariable eine Rolle, sondern auch für die Höhe des Basisgehalts, soweit es um die aufsteigenden Gehälter (Bezahlungsebenen F 2 bis F 16, heute BesGr. A 2 bis A 16) geht. Das ergibt sich aus § 14 des Bezahlungsstrukturgesetzes69. Nach dessen Absatz 1 Satz 1 wird das Basisgehalt in den Bezahlungsebenen F 2 bis F 16 nach Stufen bemessen. Auf jeder dieser 15 Bezahlungsebenen gibt es eine Eingangsstufe und drei Erfahrungsstufen, denen unterschiedlich hohe Gehälter zugeordnet sind. Ein Beamter der Bezahlungsebene F 13 (Regierungsrat) erhält danach als Basisgehalt monatlich – 3.022,73 e in der Eingangsstufe (Anfangsbasisgehalt), – 3.269,74 e in der 1. Erfahrungsstufe, – 3.516,75 e in der 2. Erfahrungsstufe und – 3.763,76 e in der 3. Erfahrungsstufe (Endbasisgehalt). Das Basisgehalt steigt also von Stufe zu Stufe um 247,01 e im Monat bzw. um 2.964,12 e im Jahr. 69 § 14 Bezahlungsstrukturgesetz (Basisgehalt in den Bezahlungsebenen F 2 bis F 16) sieht vor: „(1) 1In den Bezahlungsebenen F 2 bis F 16 wird das Basisgehalt nach Stufen bemessen. 2Es wird mindestens das Basisgehalt der Eingangsstufe (Anfangsbasisgehalt) gezahlt. 3Die erste und zweite Erfahrungsstufe werden im Abstand von jeweils fünf Jahren, die dritte Erfahrungsstufe (Endbasisgehalt) wird nach weiteren zehn Jahren erreicht. 4Das Erreichen der Erfahrungsstufen ist von der Voraussetzung abhängig, dass im berücksichtigungsfähigen Zeitraum zwischen den jeweiligen Stufen überwiegend eine Leistungsstufe festgesetzt wurde. (2) 1Das Erreichen der Erfahrungsstufen wird durch Zeiten nach § 28 Abs. 3 des Bundesbesoldungsgesetzes, Grundwehrdienst- oder Zivildienstzeiten sowie aufgrund einer Freistellung aus besonderen dienstlichen Gründen nicht verzögert. 2Bei der Prüfung der Voraussetzung nach Absatz 1 Satz 4 bleiben diese Zeiten unberücksichtigt. (3) Die erstmalige Festsetzung einer Stufe sowie das Nichtvorliegen der Voraussetzung für das Erreichen der Erfahrungsstufe sind schriftlich mitzuteilen“.

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Der frischgebackene Beamte beginnt in der Eingangsstufe. Die 1. Erfahrungsstufe erreicht er nach fünf Jahren, die 2. Erfahrungsstufe nach nochmals fünf Jahren und die 3. Erfahrungsstufe nach weiteren zehn Jahren, insgesamt (fünf plus fünf plus zehn) also nach zwanzig Jahren (§ 14 Absatz 1 Satz 3 des Bezahlungsstrukturgesetzes). Der Leistungsfaktor drückt sich nun darin aus, daß der Beamte nur dann die nächste Erfahrungsstufe erreicht, wenn „im berücksichtigungsfähigen Zeitraum zwischen den jeweiligen Stufen überwiegend eine Leistungsstufe festgesetzt wurde“ (§ 14 Absatz 1 Satz 4). Der Beamte erklimmt die nächste Erfahrungsstufe also nur dann, wenn er in den fünf Jahren zwischen Eingangs- und 1. Erfahrungsstufe bzw. in den fünf Jahren zwischen 1. und 2. Erfahrungsstufe bzw. in den zehn Jahren zwischen 2. und 3. Erfahrungsstufe ausreichende Leistungen erbracht hat. Um das soeben Dargelegte zusammenzufassen: Nach dem Bezahlungsstrukturgesetz ist die individuelle Leistung des Beamten (unter Umständen auch einer Gruppe) Maßstab für – Leistungsprämien, – das Basisgehalt und – die Leistungsvariable. Ob die Besoldungsgesetzgeber des Bundes und der Länder dieses Instrumentarium übernehmen werden, ist derzeit ungewiß. Bundesinnenminister Schäuble hat sich in seiner Rede auf der Arbeitstagung des Deutschen Beamtenbundes am 8. Januar 2007 sehr zwiespältig geäußert. Einerseits sagte er: Geplant sei eine Abkehr vom automatischen Aufsteigen nach dem Lebensalter. Die Besoldung solle künftig, wenn noch keine beruflichen Erfahrungen vorliegen, aus der Anfangsstufe erfolgen. Das weitere Aufsteigen in den Stufen des Grundgehaltes solle sich nach Leistung und nach Erfahrungszeiten vollziehen. Eine Stärkung des Leistungsprinzips müsse aber in beide Richtungen erfolgen. Bei Schlechtleistungen, d.h. bei Leistungen, die erheblich unter dem Durchschnitt liegen, werde der Stufenaufstieg gehemmt. Durch die Abkehr vom Besoldungsdienstalter werde die Hemmung zukünftig Dauerwirkung entfalten. Bei einer erheblichen positiven Leistungsentwicklung sollen die Betroffenen aber wieder zu der Stufe aufschließen können, die ohne die Stufenhemmung erreicht worden wäre. Wer sich anstrenge, könne also ein vorübergehendes Leistungstief wieder ausgleichen. Andererseits betonte Schäuble mehrfach, die Dienstrechtsreform müsse aufkommensneutral sein. Das mache den Spielraum für die Dienstrechtsreform geringer als die Erwartungen, die mit dem Eckpunktepapier verbunden gewesen seien. Theoretisch könne man ein stärker leistungsbezogenes System mit Leistungsabschlägen und Leistungszuschlägen aufkommensneutral

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gestalten, aber es in der Praxis umzusetzen, sei doch erheblich schwieriger. Deswegen habe man die Entscheidung getroffen, das nicht zu tun. „Denn wenn wir mit Abschlägen arbeiten würden, würde dies dann auch eine Zwangsläufigkeit bedeuten, und am Ende würde ein zu großer Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes mit Beurteilungen, Streitigkeiten und dergleichen beschäftigt sein“.

Das scheint mir nicht frei von Widersprüchen zu sein. Aber es ist müßig, darüber zu spekulieren, wohin die Reise gehen wird. c) Verfassungsmäßigkeit der Berücksichtigung der individuellen Leistung für die Besoldung Nur kurz eingehen kann ich auf die Frage, ob die „Bezahlung nach Leistung“ verfassungsgemäß ist. Prüfungsmaßstab ist insoweit – zumindest in erster Linie – der Alimentationsgrundsatz. Er gebietet dem Dienstherrn, seinen Beamten, dessen unterhaltsberechtigten Angehörigen und Hinterbliebenen einen Unterhalt zu gewähren, der es ihnen ermöglicht, ein Leben zu führen, das dem (zuletzt) innegehabten statusrechtlichen Amt entspricht. Für die Höhe dieses Unterhalts spielt traditionell die Leistung des Beamten keine Rolle. Der fleißige A 13-Beamte bekommt ein ebenso hohes Gehalt wie sein fauler Kollege. Das unterschiedliche Maß an Einsatzbereitschaft und Leistung spielte bisher lediglich eine Rolle bei Beförderungen. Auf diesem Gedanken beruht Art. 33 Absatz 2 GG. Die Beförderung aufgrund der Leistung ist nun aber mit einem Pferdefuß behaftet: Häufig stellt der Beförderungsdienstposten ganz andere Anforderungen als der zuvor innegehabte. Beförderungen wegen der Leistung können deshalb leicht zu Fehlbesetzungen führen: Ein großartiger Pädagoge kann ein miserabler Schulleiter, ein exzellenter Beisitzer ein völlig überforderter Vorsitzender sein. Dieses Phänomen hat unter dem Stichwort PeterPrinzip70 vor Jahren einige Popularität erlangt. 70 Siehe dazu Laurence J. Peter/Raymond Hull, Das Peter-Prinzip oder Die Hierarchie der Unfähigen, Reinbek bei Hamburg 1972, insb. S. 19: „In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen“. Das ist satirisch überspitzt, enthält jedoch einen zutreffenden Kern. Ähnliches gilt übrigens für Parkinsons Gesetz: C. Northcote Parkinson, Parkinsons Gesetz und andere Untersuchungen über die Verwaltung, Reinbek bei Hamburg 1966, S. 14: „1. ‚Jeder Beamte oder Angestellte wünscht die Zahl seiner Untergebenen, nicht aber die Zahl seiner Rivalen zu vergrößern‘ und 2. ‚Beamte oder Angestellte schaffen sich gegenseitig Arbeit‘ “. Mit diesen Thesen hat sich Carl Hermann Ule eingehend auseinandergesetzt in seinem am 4.3.1960 vor der Berliner Juristischen Gesellschaft gehaltenen Vortrag „Parkinsons Gesetz und die deutsche Verwaltung“, veröffentlicht als Heft 5 der Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft Berlin, Berlin 1960.

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Mit gutem Grund mißt § 1 der Bundeslaufbahnverordnung der Leistung deshalb eine nur untergeordnete Bedeutung für Personalmaßnahmen bei. Entscheidend für Beförderungen ist weniger die Leistung als vielmehr die menschlichen Eigenschaften und fachlichen Fähigkeiten, die der Beamte möglicherweise erst in einem Beförderungsamt voll zur Geltung bringen kann. Daraus folgt weiter, daß überdurchschnittliche Leistungen nicht stets im Wege der Beförderung belohnt werden können. Es liegt deshalb nahe, derartige Leistungen durch Zahlung von Geld zu honorieren. Im Ergebnis meine ich, daß es mit dem Alimentationsprinzip vereinbar ist, über- und unterdurchschnittliche Leistungen bei der Bemessung der Dienstbezüge zu berücksichtigen, sofern eine amtsangemessene Lebensführung gewährleistet ist71. d) Praktikabilität der Berücksichtigung der individuellen Leistung für die Besoldung Die „Bezahlung nach Leistung“ provoziert aber noch weitere Fragen, vor allem die nach ihrer Praktikabilität. Durch Leistungselemente sollen nicht nur erbrachte Leistungen honoriert werden, sondern die Inaussichtstellung von Leistungselementen soll vor allem dazu anreizen, künftig (noch) mehr zu leisten. Dies ist nur dann der Fall, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, von denen hier lediglich die wichtigsten genannt seien: – Das Ausloben finanzieller Belohnungen wirkt als Leistungsanreiz nur auf solche Bediensteten, die nach derartigen Belohnungen streben und bereit sind, dafür gewisse „Opfer“ zu bringen, etwa in Gestalt von größeren Anstrengungen, Übernahme von Verantwortung oder Einbuße an Freizeit. – Die Bediensteten müssen davon überzeugt sein, daß zwischen Leistung und Bezahlung ein Zusammenhang besteht, daß nämlich (nur) derjenige finanziell belohnt wird, der Besonderes leistet. Das setzt voraus: – Es müssen Leistungsstandards festgelegt werden, die von den Bediensteten als gerecht empfunden werden, und – die Feststellung der Leistung der einzelnen Bediensteten muß von ihnen als gerecht angesehen werden. Erhebliche Schwierigkeiten bereitet dabei erfahrungsgemäß die Festsetzung von Leistungsstandards und die Leistungsfeststellung. 71 So auch Herbert Landau/Martin Steinkühler, Zur Zukunft des Berufsbeamtentums in Deutschland, DVBl. 2007, S. 133 (142).

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Man darf auch nicht die Augen davor verschließen, daß Leistungsanreize auch negative Effekte auslösen können. Sie können beispielsweise zu Neid und unproduktivem Konkurrenzverhalten führen, die das Betriebsklima vergiften und die Gesamtleistung vermindern. Diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn nur ein bestimmter Prozentsatz der Bediensteten in den Genuß von Belohnungen kommen kann, wie dies bei Leistungsprämien, Leistungszulagen und Leistungsstufen derzeit der Fall ist. Insbesondere die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleituntersuchung zum Zulagensystem bei der Post, bei der über 3 000 Mitarbeiter der Deutschen Post befragt wurden, bestätigen dies72. 70 v. H. der Befragten gaben an, daß sich die Einführung von Leistungszulagen negativ auf die Kollegialität und das Betriebsklima ausgewirkt haben; 48 v. H. der Befragten sahen negative Auswirkungen auf das Konkurrenzverhalten. Von den Bediensteten, die bereits in den Genuß von Prämien gekommen waren (ca. 25 v. H. der Befragten), wollten 62 v. H. ihre Leistungsbereitschaft beibehalten und 36 v. H. sogar steigern. Auf die Personen, die keine Leistungszulagen erhalten hatten, wirkten sich die Anreize stark demotivierend aus. Knapp ein Viertel dieses Personenkreises wollte eher seine Leistungsbereitschaft zurücknehmen. Wenn man beide Gruppen zusammen betrachtet, ergibt sich für die Deutsche Post eine eher negative Bilanz: Insgesamt wollten als Reaktion auf die Leistungsprämien 15 v. H. aller Befragten ihre Leistungsbereitschaft erhöhen, aber 18 v. H. ihr Engagement einschränken. Diese Untersuchungsergebnisse werden bestätigt durch eine Befragung von 139 Praktikern aus dem Personalbereich, die im März 2006 von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen durchgeführt wurde73. Dabei ergab sich unter anderem, daß nach Einschätzung von 80 v. H. der Befragten leistungsbezogene Elemente in der Bezahlung zu Neid, Mißtrauen und Konkurrenzdenken innerhalb der Belegschaft führen können74. Mir selbst hat eine Lehrerin kürzlich folgendes berichtet: Vor einigen Jahren seien den Schulen Mittel für Leistungsprämien zur Verfügung gestellt worden, die von den Schulleitern für besondere Leistungen vergeben werden sollten. Dies habe bei der ersten Vergabe zu einer derartigen Un72

Zitiert nach Erika Mezger, Was leisten Leistungsanreize? – Ergebnisse einer Recherche zu Leistungsanreizen in der öffentlichen Verwaltung in Deutschland, abrufbar im Internet unter www.regierungskommission.nrw.de/imnrw/pdf/la151101. pdf, S. 8. 73 Die Befragung wurde geleitet von Andreas Gourmelon, der über sie berichtet in: Konsequenzen des TVöD: Einschätzung von Praktikern aus dem Personalbereich, DÖD 2006, S. 141 ff. 74 Gourmelon (Fn. 73), S. 144.

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ruhe im Lehrerkollegium geführt, daß in den folgenden Jahren die zur Verfügung stehenden Mittel schön gleichmäßig auf alle Kollegen verteilt worden seien. 7. Berücksichtigung des Familienstandes bei der Besoldung Nach geltendem Recht gehört zur Beamtenbesoldung ein Familienzuschlag (§ 1 Absatz 2 Nr. 3 BBesG). Seine Höhe richtet sich nach der Besoldungsgruppe und der Stufe, die den Familienverhältnissen des Beamten entspricht (§ 39 Absatz 1 Satz 2 BBesG). Der Verheiratetenanteil des Familienzuschlags soll wegfallen, wenn es nach dem Entwurf des Strukturreformgesetzes geht. In der amtlichen Begründung liest man dazu unter anderem: „Zur Gegenfinanzierung [der Bezahlung nach Leistung] fällt der bisherige Verheiratetenanteil im Familienzuschlag künftig ersatzlos weg. Dieser Verheiratetenzuschlag beträgt gegenwärtig in den Besoldungsgruppen A 2 bis A 8 rd. 100 Euro/ Monat und in den übrigen Besoldungsgruppen rd. 105 Euro/Monat“.

Man muß sich die Frage stellen, ob diese Maßnahme mit dem Alimentationsgrundsatz vereinbar ist. Denn dieser gebietet nicht nur den amtsangemessenen Unterhalt des Beamten, sondern auch den seiner Familienangehörigen, also auch seiner Ehefrau. 8. Ruhegehalt, Beihilfe in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen Der Bull-Kommission schwebte vor, die Beamten in die Sozialversicherung zu überführen, so daß die Beihilfe und das Ruhegehalt entfielen. Hierzu nahm der Ministerialdirigent im nordrhein-westfälischen Finanzministerium Wolfgang Steller in einer Veranstaltung der GRÜNEN-Fraktion im Landtag von NRW am 12. Februar 200375 wie folgt Stellung: „Wenn alle bestehenden Beamtenverhältnisse in die Sozialversicherung überführt werden sollten, würden die Kosten hierfür über 50 Mrd. Euro alleine für die Nachversicherung in der Rentenversicherung betragen. Ich sehe nicht, wie solche Beträge in NRW aufgebracht werden könnten. Hinzu käme eine jährliche Mehrausgabe von rund 34 % der bisherigen Besoldungsaufwendungen für die laufende Einzahlung in die Sozialversicherungssysteme; für NRW hieße das über 3 Mrd. Euro jährlich. Wie sollen diese Mehrausgaben refinanziert werden: allein vom Arbeitgeber, allein von den Arbeitnehmern oder gemeinsam (und wenn ja, inwieweit)? 75 DIE GRÜNEN im Landtag NRW (Hrsg.), Die Reform des öffentlichen Dienstrechts – Dokumentation einer Veranstaltung v. 12. Februar 2003, S. 9 (11). Die pdfDatei kann im Internet abgerufen werden unter www.gruene.landtag.nrw.de/Webalt/aktuell/pm03/pm10-03.htm - 9k.

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Wenn das neue Dienstrecht nur für neu begründete Beschäftigungsverhältnisse gelten soll, dann würde auch das in 10 Jahren schon rund 700 Mio. Euro jährlich mehr kosten als heute, in dem vom Gutachten genannten Zeithorizont von 20 Jahren 1,4 Mrd. Euro mehr (in Preisen von heute). Der unbestreitbare Vorteil dabei wäre, dass die Altersversorgung kein Problem mehr darstellen würde. Aber die Politik muss sagen, ob und wie sie den Rahmen hierfür zur Verfügung stellen will. Aus Sicht des Finanzministers sollte noch einmal die Gründung eines eigenen „Versorgungswerkes“ geprüft werden. Die Studie merkt hierzu an, dass ein solches Versorgungswerk sowohl für Bedienstete (unter Renditegesichtspunkten) als auch aus Sicht des Dienstherrn finanziell günstiger wäre. Allerdings wird sie letztendlich u. a. mit der Begründung abgelehnt, dass sie der gesetzlichen Rentenversicherung in erheblichem Umfang Beitragszahler entziehen und so dieses System schwächen würde. Hierzu muss gefragt werden, weshalb den Ländern zugemutet werden sollte, mit Landesgeld zur Sanierung der Sozialkassen beizutragen und ob das überhaupt verkraftbar wäre. Dieselbe kritische Anmerkung gilt auch hinsichtlich der Ausführungen zur Beihilfe, wenn die Kommission feststellt, dass das derzeitige System der Beihilfe zwar günstiger sei, aus Systemgründen aber gleichzeitig die Abschaffung der Beihilfe und ihre Überführung in die gesetzliche Krankenversicherung empfiehlt. Der Finanzminister muss grundsätzlich darauf achten, dass die wirtschaftlichste und kostengünstigste Lösung gewählt wird“.

Abgesehen von diesen ökonomischen Erwägungen wäre eine Beseitigung des heutigen Beamtenversorgungssystems nicht ohne Änderung des Art. 33 Absatz 5 GG zulässig, da die lebenslange Alimentation zu den hergebrachten Grundsätzen zählt76. Dagegen ist die Beihilfe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts77 nicht durch einen hergebrachten Grundsatz geschützt. Bundesinnenminister Schäuble hat auf der mehrfach erwähnten Tagung des Deutschen Beamtenbundes im Januar betont, die Beamtenversorgung solle als eigenständiges Altersicherungssystem gestärkt und langfristig gesichert werden. Sowohl die Pension als auch die Beihilfe werden uns also erhalten bleiben. Dies schließt freilich nicht aus, daß die Leistungen aus diesen Töpfen künftig noch weiter eingeschränkt werden, als dies in den letzten Jahren bereits geschehen ist.

76 Dazu grundlegend Carl Hermann Ule, Die Bedeutung des Beamtenversorgungsrechts für die Erhaltung des Berufsbeamtentums, Köln/Berlin/Bonn/München 1973. Der Deutsche Städtetag äußert in seinem Positionspapier „Kommunale Anforderungen an das öffentliche Dienstrecht“ (Stand: 4.2.2003, S. 2) die Meinung, bei der Versorgung der Beamten sei eine Abkehr von der herkömmlichen, am Grundsatz lebenslanger Alimentation orientierten Versorgung vorstellbar. Die Versorgung könne sich stärker an Strukturen der gesetzlichen Rentenversicherung anlehnen, wobei das für die Zusatzversorgung im Angestelltenbereich jüngst zwischen den Tarifpartnern verabredete Punktemodell Vorbild sein könne. 77 Beschluß v. 23.6.1981, BVerfGE 58, 68 (77).

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Außerdem ist davon auszugehen, daß sich die Einführung der „Bezahlung nach Leistung“ auch auf das Ruhegehalt auswirken wird. Das sieht der Entwurf des Strukturreformgesetzes ausdrücklich vor (§ 5 BBesG in der Fassung des Strukturreformgesetzes). IV. Schlußbemerkungen Schon infolge der Neuverteilung der Gesetzgebungskompetenzen werden der Bund und die Länder in den nächsten Jahren ihr Beamtenrecht von Grund auf überarbeiten müssen. Was dabei herauskommen wird, läßt sich nur in Teilen einigermaßen verläßlich abschätzen. Das Wort, das den Politikern am häufigsten über die Lippen kommt, wenn sie über die Reform des Beamtenrechts reden, ist Kostenneutralität – will sagen: Reformen ja, aber es darf nichts kosten. Im Gegenteil: Nach Möglichkeit soll es künftig weniger kosten als bisher. Das Motto lautet offenbar: „Mehr und bessere Verwaltungsakte zu geringeren Kosten“. Wie sagte doch Minister Schäuble auf der mehrfach erwähnten Tagung des Deutschen Beamtenbundes am 8. Januar 2007 so schön: „Wer das Ziel hat, ein möglichst hohes Einkommen zu erzielen, der sollte nicht in den öffentlichen Dienst gehen“. Durch derartige Sprüche, die zwar in der Öffentlichkeit gut ankommen, von den Betroffenen jedoch als zynisch empfunden werden, demotiviert man auch gutwillige und leistungsbereite Beamte.

Drei Reisen in die ehemalige DDR und in die neuen Bundesländer mit Professor Ule in den Jahren 1990 und 1991 Von Dietrich Bahls Bei allen Feiern der „runden“ und „halbrunden“ Geburtstage nach der Emeritierung Carl Hermann Ules hatte ich stets die „Nachtischrede“ gehalten, mal zum Thema Speyer und Heidelberg, mal zur sog. Defizientenliste, mal über den 90. Geburtstag von Ernst Moritz Arndt. Da setzt es etwas wie eine kleine Tradition fort, wenn ich bei dem Essen am Abend des Forschungssymposiums über „Justizreform und Rechtsstaatlichkeit“ erneut beim letzten Gang des Essens das Wort ergreife. Vorneweg eine kleine Begriffsbestimmung. Das Symposium findet „anläßlich des 100. Geburtstages von Carl Hermann Ule“ statt, der diesen Tag nicht erlebt hat. Man kann daher von ihm nicht als dem Jubilar sprechen, wie es bei allen vorangegangenen und befeierten Geburtstagen der Fall gewesen war. Ich will daher von ihm als dem „Zentenar“ sprechen. Nachdem in Berlin die Mauer gefallen war und das Reisen in die DDR von nahezu sämtlichen Drangsalen und Beschwernissen befreit war, kam bei dem Zentenar schnell der Gedanke auf, ob nicht eine Reise in die bis dahin überwiegend verschlossenen, früher heimatlichen Gefilde unternommen werden könnte. Auf die dahingehende an mich gerichtete Frage hatte ich gern zugesagt, zumal ich familiär von Rügen stamme und durch die Kirchengemeinde, der ich in Heidelberg angehöre, während der DDR-Zeit einige Male bei der Partnergemeinde (Glienicke-Nordbahn) und im Zusammenhang damit bei der weiteren Familie in Stralsund gewesen war. Die erste Reise sollte den Spuren Theodor Fontanes folgen und dessen „Wanderungen“ zur Grundlage haben. Die Reiseroute hatte der Zentenar festgelegt. Der Gedanke war, daß Berlin, von dem man damals noch „WestBerlin“ sagte, der Stützpunkt sein sollte und alle Ziele von dieser Stadt aus angefahren werden sollten. Obwohl die Reise noch gar nicht viele Jahre zurückliegt, bedeutete die Ausarbeitung einer Reiseroute damals eine viel umständlichere Beschäftigung als heute. Jetzt würde man im Internet recherchieren oder dem Automobilclub den Auftrag erteilen, Tagesreisen zu bestimmten Zielen und Zwischenzielen von nicht mehr als einer bestimmten

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Kilometerzahl herauszusuchen und wenige Augenblicke später hätte man das Resultat in den Händen. 1990 und in Bezug auf die damalige DDR mußten die Strecken aus den Straßenkarten und die Entfernungen aus den Angaben auf diesen Karten ermittelt werden. Aufbruch zur ersten Reise war im August 1990. Die beiden ersten Tage verliefen, was die vorgestellten Ziele anbetrifft, erfolgreich. Von Berlin aus sollte die erste Station die frühere Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR sein. Der Rektor der zwischenzeitlich zur Hochschule für Recht und Verwaltung umfirmierten Institution sowie die Prorektorin empfingen den Zentenar und mich sehr liebenswürdig und „eckenlos“. Das war im Ergebnis natürlich nicht die Stimmung, die der Besucher gesucht hatte. Bei dem Rundgang durch die Bibliothek ging er gezielt auf den Katalog zu und prüfte vorab, was aus seinem Œuvre präsent war. Das Ergebnis war zufriedenstellend. Ule war mit seinen Publikationen fast vollständig vertreten. Es ergab sich aber auch, daß verzeichnet war, wer wann welches Werk entnommen hatte. Auf dem Wege nach Potsdam waren wir im Grunewald an der Gedenkplakette für Walther Rathenau vorbeigekommen. Ich schreibe diesen Text zwei Tage vor der 85. Wiederkehr des Mordtages, dem 24. Juni 1922. Bei der Rückfahrt dieser Reise waren der Zentenar und ich unter anderem über Bad Kösen gefahren. Ich konnte aus einer Beschäftigung mit den Burgen Saaleck und Rudelsburg in Bad Kösen berichten, wie sich die Mörder Erwin Kern und Hermann Fischer, nachdem sie nicht über die Ostsee hatten entkommen können, in der Burg Saaleck verschanzt und dort ihren Tod gefunden hatten, Kern durch eine Polizeikugel, Fischer von eigener Hand. Gespräche dieser Art über dramatische oder kleine Episoden der Geschichte und der Gegenwart hatte ich in den vielen Jahren der anwaltlichen Zusammenarbeit und auf den Fahrten zu den diversen Gerichtsterminen mit dem Zentenar häufig und gern geführt. So ist mir noch das gewisse Erstaunen erinnerlich, das sich ausdrückte, als ich einmal bei der Fahrt von Heilbronn nach Heidelberg bei Sinsheim davon berichtete, daß sich in einem Ortsteil dieser Stadt der Stall befinde, von dem aus der preußische Kronprinz Friedrich seinem Vater durch Flucht hatte entkommen wollen. Ich war darauf durch Erzählungen in der Familie meiner Frau, die in der Nachbarschaft zu Sinsheim ansässig ist, aufmerksam gemacht worden. Noch zu Beginn dieses Jahres hatte ich gesehen, daß die Stadt Bonn damit wirbt, daß sich dieses herausragende Geschehen auf dem Wege der damaligen Reisegesellschaft von dort (nach dem Besuch beim Kurfürsten) auf dem Wege nach Wesel ereignet hätte. Zutreffend ist allein der Ort Steinsfurt bei Sinsheim.

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Zurück zum Ende des Besuches in Potsdam-Babelsberg in dem früheren Gebäude der Hauptverwaltung des Deutschen Roten Kreuzes, dessen Foyer Anfang der achtziger Jahre die Filmkulisse für den Geburtstagsempfang des Preußischen Ministerpräsidenten in dem Film „Mephisto“ mit Karl Maria Brandauer abgegeben hatte. Der Nachmittag des Tages war für Paretz vorgesehen, wo der spätere König Friedrich Wilhelm III. mit seiner Ehefrau Luise als Kronprinz gelebt hatte. In ergreifenden Worten schildert Fontane in seiner Beschreibung von Paretz, wie nach dem Tod der späteren Königin an der Stelle, an der sie zuletzt in dem dortigen Park gegangen war, ein schmiedeeisernes Tor zur Erinnerung an die letzten Schritte in der neuen preußischen Heimat errichtet wurde. Dieses Eisentor war auch bei unserem Besuch in dem Dorf noch vorhanden. Auf der Empore der dortigen Kirche findet sich das nach Christian Daniel Rauch geschaffene, aus Ton gebrannte Epithaph der Königin. Auch der nächste Tag war mit Neuruppin, dem Stechlin-See und Rheinsberg Theodor Fontane gewidmet. Auf dem sich anschließenden Wege nach Neustrelitz und Neubrandenburg kamen der Zentenar und ich an dem kleinen Ort Gransee vorbei, in den meine Mutter mit meinen Geschwistern und mir von Berlin aus während des Krieges evakuiert worden war. Es ist die kleine Stadt, in der der Sarg der Königin Luise auf dem Weg von dem Sterbeort Schloß Hohenzieritz nach Charlottenburg über Nacht gelagert worden war, woran ein von Karl Friedrich Schinkel geschaffenes Denkmal auf dem Schinkelplatz erinnert. Der Nachbarort Fürstenberg mit der Gedenkstätte an das Konzentrationslager Ravensbrück war damals wegen einer SupermarktAffäre in vieler Menschen Munde. In dem vom Zentenar verfaßten Reisebericht gibt es Bemerkungen zu dem Erscheinungsbild der jeweiligen Orte, an die er sich noch von einer Fahrradtour im Jahre 1925 erinnern konnte, im Vergleich zur Situation des Jahres 1990. Welche Veränderungen hatten diese 65 Jahre hier und fast überall in Deutschland gebracht! Das Erlebnis, die Begegnung eines anderen mit Eindrücken aus dessen Jugend zu beobachten, war nahegehend. Meine Erinnerungen an Rheinsberg und die weiteren Orte aus der Kindheit, zu denen wir kamen und in denen ich als Kind und später vereinzelt während der Zeit der DDR gewesen bin, waren nur punktuell und daher verschwommen. Was Neustrelitz und Neubrandenburg anbetraf, kannte ich beide Orte von den Fahrten von der Partnergemeinde nach Stralsund; Neustrelitz besonders deshalb, weil ich bei einer dieser Reisen nicht sofort erkannt hatte, um wen es sich bei der Benennung des dortigen Theaters mit „Friedrich-Wolf-Theater“ gehandelt hatte und dafür von einem dort lebenden Herrn, den ich angesprochen hatte, einen kulturbezogen abstrafenden Blick erhalten hatte. Ich hatte auf den Hinweis, daß Friedrich Wolf der

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zweitbekannteste deutsche Emigrant gewesen sei, mit der angedeuteten Gegenfrage reagiert: „Noch vor Bert Brecht?“ – „Nicht USA, Moskau!“ lautete die Belehrung. Erst in dem Moment war mir der Zusammenhang wieder klar. Ganz anders der Zentenar und voller Empörung, als wir sahen, daß auch in Eisenhüttenstadt, durch das wir auf der zweiten Reise gekommen waren, das Theater nach wie vor den Namen Friedrich Wolfs trug. Diesen Umstand fand er ein Jahr nach der Wende unerhört und nicht vertretbar. Der dritte und letzte Tag dieser ersten Reise war insofern ergreifend, als der Zentenar bei Küstrin, in dessen Nähe wir auf deutscher Seite waren, nach fast fünfzig Jahren erstmalig seine heimatliche Oder wiedergesehen hatte. Die Stimmung war schon etwas angespannt, denn in Bad Freienwalde, wo übrigens Rathenau das Schloß erworben und bewohnt hatte, hatte in dem dort eingerichteten Café die junge Bedienung nicht gewußt oder nicht wissen wollen, nach welcher Straße wir fragten, als wir nach dem Weg nach „Küstrin“ fragten. Erst auf die Aussprache „Kostrzyn“ reagierte sie. Das hatte den Zentenar doch erheblich verärgert, zumal nicht zu ermitteln war, ob die junge Frau in ihrer Schulausbildung bewußt unwissend gehalten worden war oder ob sie nicht anders antworten wollte. Wir wären gern nach Küstrin gefahren. Es gab in Höhe dieser Stadt durchaus eine Brücke über die Oder. Sie diente aber als Zufahrt zu einer sowjetischen Kaserne und war daher gesperrt. Auf der Weiterfahrt hatte ich von der Brauerei in Neuzelle südlich von Eisenhüttenstadt meinem damaligen Nachbarn und Juristenkollegen Theodor Schweißfurth, später Professor an der Viadrina-Universität in Frankfurt/ Oder, einen Kasten Bier mitgebracht. Die Brauerei hatte seinem Vater gehört, der enteignet worden war. Alle damaligen und späteren Bemühungen, dieses Unternehmen wieder übernehmen zu können, sind im Falle von Professor Schweißfurth fehlgeschlagen. Im Zeitpunkt der Reise hatte durchaus noch Hoffnung auf mögliche Lösungen bestanden. Um wenigstens schmekken zu können, was eventuell errungen werden könnte, sollten die einigen Flaschen herhalten. Der Nachbar war sichtlich gerührt, als ich ihm den Kasten überbrachte. Im Zusammenhang mit Küstrin stellte sich für mich heraus, daß ich nur eine „bereinigte“ Fassung der Wanderungen von Fontane gelesen hatte. Mir hatte dieses Werk vor Jahren eine in Stralsund lebende Tante geschenkt. Ich hatte angenommen, daß es inhaltlich dasselbe Exemplar sei, das der Zentenar gelesen hatte, denn von „gekürzt“ oder „Teilausgabe“ war in meinen Bänden nichts zu lesen. Als ich indessen nicht wußte, was Fontane zu Küstrin geschrieben hatte, stellte sich heraus, daß ich mich mit einer „amputierten“ Fassung auf die Reise vorbereitet hatte.

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Berichtenswert ist vielleicht noch das gemeinsame Erlebnis in dem Ort Schiffmühle, in dem der Vater Fontanes seine letzten Lebensjahre verbracht hatte. Der Sohn hat des Vaters Gestalt liebevoll in seinem Buch „Meine Kinderjahre“ beschrieben, das für den Autor Fontane eine von seinem Arzt empfohlene Therapie zur Überwindung einer Depression gewesen war. Der Vater erscheint als Bonvivant und „Bruder Leichtfuß“, aber voller Menschlichkeit und Wärme. Sein Leben war der Abstieg von der Löwenapotheke in Neuruppin über Swinemünde (Apotheker Gieshübler in „Effi Briest“) bis zuletzt zu einer Existenz in Schiffmühle an der Oder gewesen. Ein Schild macht an einem der dort stehenden Deputathäuser darauf aufmerksam, daß Henri Louis Fontane dort gewohnt hatte. Weil der Sohn in einem Gedicht über seine Gräber auch das Grab des Vaters erwähnt hatte, sind der Zentenar und ich auf den Friedhof gegangen, um es zu suchen. Wie Heinrich Schliemann haben er und ich mit dem Vers aus dem Gedicht den Kirchhof durchstreift und nach intensivem Suchen schließlich die etwas verwahrloste Grabplatte so vorgefunden, wie das Gedicht die Stelle beschreibt. Die Worte aus dem Reim und die Wirklichkeit stimmten vollständig überein. Und ein anderer Platz, dem verbunden ich bin, Berglehnen, die Oder fließt dran hin, Zieht vorüber in müdem Lauf, Gelbe Mummeln schwimmen drauf. Am Ufer Werft und Schilf und Rohr Und am Abhange schimmern Kreuze hervor, Auf eines fällt heller Sonnenschein, Da hat mein Vater seinen Stein.

Von der zweiten und dritten Reise ganz kursorisch: Sie soll im Weinhaus Uhle in Schwerin beginnen. Wir waren dort auf 13.30 Uhr zum Essen angesagt, Um 13.31 Uhr trafen wir in dem noblen Restaurant ein, in dem wir Aal bestellten. Ule im Weinhaus Uhle – das hatte schon von der Tischreservierung an etwas Besonderes! Der vornehme Charakter des Restaurants aus der Vorkriegszeit war nach wie vor vorhanden. Man sagt ja, daß nach Mecklenburg alles fünfundzwanzig Jahre später kommt. Für das Weinhaus Uhle hatte diese Erfahrung für die Zeit der DDR nur gute Wirkung gehabt. Auf der Weiterfahrt kamen der Zentenar und ich unter anderem in Heiligendamm vorbei, das durch den kürzlichen G 8-Gipfel weltweite Beachtung gefunden hat. Weitere Ziele auf dieser Reise waren Muskau, Görlitz, Bautzen und Dresden. Auf der Fahrt durch das Oderbruch machen wir Pause in einem Gasthaus, das zur Freude des Zentenars den Namen „Zum Alten Fritz“ trug. Er erwarb eine Postkarte von dem Lokal mit der Namensinschrift, die er an Roman Schnur nach Tübingen mit der Bemerkung in dem Reisebericht, daß dieser „für solche Reminiszenzen Sinn“ habe, schickte. Im Nachbardorf fanden wir das lebensgroße Denkmal des Königs, der, wie

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es in dem Bericht heißt, aus dem unfruchtbaren Oderbruch „mitten im Frieden eine blühende Provinz“ gemacht hatte. Ein kleiner Junge, den wir auf das Denkmal ansprachen, wußte zu berichten, daß es während der DDRZeit in einer Scheune versteckt gewesen war und sofort nach der Wende wieder aufgestellt wurde. Er verdiente sich mit seinen Erläuterungen ein großes Eis, als er befragt wurde, ob man denn in dem Ort Eis kaufen könne und wo das sei. Die ausführliche Erläuterung war ganz von der Vorstellung geprägt, daß die beiden Reisenden das Eis kaufen wollten. Totale Sprachlosigkeit im Gesicht des Jungen, als er die benötigte Münze für das Eis in die Hand gedrückt bekam. Höhepunkt dieser zweiten Reise war der Aufenthalt in Weimar mit Quartier im Russischen Hof. Der damalige Oberbürgermeister der Stadt, mit dem ich bekannt war, hatte für den Zentenar und mich die Zimmer in diesem eindrucksvollen Haus mit viel internationalem Publikum reserviert. Die dritte Reise ein Jahr später Ende August 1991 hatte als Teilziele das Gebiet der Sachsenkaiser um den Harz herum, ferner Stralsund und Greifswald und schließlich Bad Frankenhausen mit dem Kyffhäuser vorgesehen. Mit Stralsund, dem Wohnort meiner mütterlichen Großeltern, und Greifswald, dem Geburtsort meines Vaters, war der „Ostsee-Tag“ zugleich eine Reise zurück in die eigene Familiengeschichte, mit dem Kyffhäuser das Erlebnis der unmittelbaren Inaugenscheinnahme dieses gewaltigen Denkmals, das ich bis dahin nur von Flügen nach Berlin als deutliches Landschaftsmarkzeichen aus der Luft kannte. Den Zentenar erinnerte der Anfang dieser Reise am Harz an gelegentliche Sitzungen seines Senats aus Lüneburg bei Ortsterminen in Osterode und Clausthal-Zellerfeld, die Weiterfahrt nach Greifswald an seine dortige Zeit in den Jahren 1931/32 mit dem möblierten Zimmer am Hohenzollernplatz 9. In Bad Frankenhausen sollte das Bauernkriegs-Panorama besichtigt werden. Das mußte ausfallen, weil wir fünf Minuten zu spät zur stündlichen Führung eingetroffen waren. Auch auf dieser Reise hatten der Zentenar und ich während der Autofahrten die schon oben angesprochenen „Dispute“ über Beiläufigkeiten. Zum Beispiel diskutierten wir zu unserem Unterkunfts-Standort Berlin eingehend, ob es nicht richtiger wäre, wenn die Reitrichtung des Denkmals von Friedrich dem Großen Unter den Linden, wie ich es meine, nach Westen statt in Richtung auf das (nicht mehr vorhandene) Schloß ausgerichtet wäre. Solche Diskussionen bis hin zu der auffälligen Hausnumerierung in den Berliner Straßen, die fortlaufend ist und mit der höchsten Hausnummer gegenüber der ersten Hausnummer endet, füllten neben ernsthafteren Gesprächen die Stunden der gemeinsamen Autofahrten. Schon zwei Jahre später erlitt der Zentenar jenen Schlaganfall, der alle Erwägungen einer Wiederholung der Reisen oder Teilen von ihnen zunichte

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machte. Wir haben bei den anschließenden zahlreichen Begegnungen so häufig über die Erlebnisse auf den Reisen gesprochen, daß ich später mit meiner Frau nahezu sämtliche Teile dieser Fahrten unter Einschluß auch der von dem Zentenar und mir besuchten Berliner Friedhöfe abgefahren bin. Reiseberichte anderer sind sicher aufschlußreich. Ein Bericht über Reisen, an denen man teilgenommen hat, verfügt gegenüber den Reiseberichten anderer über den Vorzug viel größeren Erlebnisgehalts. Wann immer ich die beiden Berichte des Zentenars über die drei Reisen in die frühere DDR und die neuen Bundesländer in die Hand nehme, stehen die Bilder dieser insgesamt sicher fünfzehn Tage ungetrübt vor mir auf. Daß ich diese Hinterlassenschaft besitze, stimmt mich dankbar.

Verzeichnis der Referenten Bahls, Dietrich, Dr., Rechtsanwalt, Heidelberg Bamberger, Heinz Georg, Dr., Staatsminister, Justizminister des Landes Rheinland-Pfalz, Mainz König, Klaus, Dr. Dr., em. Univ.-Prof., Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Laubinger, Hans-Werner, Dr., em. Univ.-Prof., Johannes Gutenberg-Universität Mainz Meyer-Ladewig, Jens, Dr., Ministerialdirigent a. D., Wachtberg-Leissen Stern, Klaus, Dr. Dr. h.c. mult., em. Univ.-Prof., Universität zu Köln Ziekow, Jan, Dr., Univ.-Prof., Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Direktor des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung, Speyer