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German Pages 619 [620] Year 2011
Brunner/Dölling Jugendgerichtsgesetz de Gruyter Kommentar
Brunner/Dölling
Jugendgerichtsgesetz Kommentar 12., neu bearbeitete Auflage
von Rudolf Brunner (†) Dieter Dölling
De Gruyter
Dr. Rudolf Brunner (†), Leitender Oberstaatsanwalt beim Landgericht Nürnberg-Fürth a. D. Professor Dr. Dieter Dölling, ordentlicher Professor und Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität Heidelberg
Zitiervorschlag: z. B. Brunner/Dölling § 17 Rn 7
ISBN 978-3-89949-423-5 e-ISBN 978-3-89949-656-7 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Datenkonvertierung: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort Vorwort Vorwort In den letzten Jahren hat das JGG erhebliche Veränderungen erfahren. Das gilt insbesondere für die Einführung der Sicherungsverwahrung gegen Jugendliche und Heranwachsende, die im Zuge der Föderalismusreform erfolgte Streichung der Vorschriften des JGG über den Jugendstrafvollzug und die Einfügung des neuen § 2 I JGG, in dem das spezialpräventive Ziel des JGG und seine erzieherische Ausrichtung nun ausdrücklich festgelegt ist. In der vorliegenden Auflage des Kommentars sind die Gesetzesänderungen sowie Rechtsprechung und Literatur bis Ende 2010 und teilweise darüber hinaus eingearbeitet. Der Kommentar wird damit auf den neuesten Stand gebracht. Am 18. 10. 2003 ist Rudolf Brunner verstorben. Er war 1969 Mitbearbeiter des von Gerhard Grethlein 1959 begründeten Kommentars geworden. Die 3. Auflage 1969 bearbeitete Rudolf Brunner gemeinsam mit Gerhard Grethlein, ab der 4. Auflage 1975 übernahm Rudolf Brunner die alleinige Bearbeitung und führte den Kommentar bis zur 11. Auflage 2002 fort. Die vorliegende Auflage weiß sich den Anliegen von Rudolf Brunner verbunden. Der Kommentar verfolgt weiterhin das Ziel, die Praxis der Jugendstrafrechtspflege zu unterstützen und die Zusammenarbeit zwischen den Verfahrensbeteiligten zu fördern. Er möchte dazu beitragen, dass durch ein erzieherisch ausgestaltetes und rechtsstaatliches Jugendstrafrecht weitere Rechtsbrüche von Jugendlichen und Heranwachsenden verhindert werden und die Integration junger Menschen in die Gesellschaft gefördert wird. Heidelberg, im Juli 2011
Dieter Dölling
V
VI
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V XIII
Einführung I. Jugendkriminologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundgedanken und Erziehungsauftrag des JGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 30
Übersicht über die bisherigen Änderungen des JGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
Erläuterungen Erster Teil. Anwendungsbereich §1 §2
Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . Ziel des Jugendstrafrechts; Anwendung des allgemeinen Strafrechts . . . . . . .
54 60
Zweiter Teil. Jugendliche Erstes Hauptstück. Verfehlungen Jugendlicher und ihre Folgen Erster Abschnitt. Allgemeine Vorschriften §3 §4 §5 §6 §7 §8
Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . Rechtliche Einordnung der Taten Jugendlicher Die Folgen der Jugendstraftat . . . . . . . . . Nebenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maßregeln der Besserung und Sicherung . . . Verbindung von Maßnahmen und Jugendstrafe
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66 74 74 78 79 86
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88 90
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111 114
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117 118 120 125
Zweiter Abschnitt. Erziehungsmaßregeln §9 § 10 § 11 § 12
Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laufzeit und nachträgliche Änderung von Weisungen; Folgen der Zuwiderhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hilfe zur Erziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dritter Abschnitt. Zuchtmittel § 13 § 14 § 15 § 16
Arten und Anwendung Verwarnung . . . . . . Auflagen . . . . . . . Jugendarrest . . . . . .
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VII
Inhaltsverzeichnis
Vierter Abschnitt. Die Jugendstrafe § 17 § 18 § 19
Form und Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dauer der Jugendstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aufgehoben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
133 152 163
Fünfter Abschnitt. Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung § 20 § 21 § 22 § 23 § 24 § 25 § 26 § 26 a
(weggefallen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strafaussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . Bewährungszeit . . . . . . . . . . . . . . . . Weisungen und Auflagen . . . . . . . . . . . . Bewährungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . Bestellung und Pflichten des Bewährungshelfers Widerruf der Strafaussetzung . . . . . . . . . . Erlaß der Jugendstrafe . . . . . . . . . . . . .
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163 163 171 172 175 175 182 182
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189 194 195 195
Mehrere Straftaten eines Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrere Straftaten in verschiedenen Alters- und Reifestufen . . . . . . . . . .
199 209
Sechster Abschnitt. Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe § 27 § 28 § 29 § 30
Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewährungszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewährungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhängung der Jugendstrafe; Tilgung des Schuldspruchs
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Siebenter Abschnitt. Mehrere Straftaten § 31 § 32
Zweites Hauptstück. Jugendgerichtsverfassung und Jugendstrafverfahren Erster Abschnitt. Jugendgerichtsverfassung Vor § 33 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 33 Jugendgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 33 a Besetzung des Jugendschöffengerichts . . . . . . . § 33 b Besetzung der Jugendkammer . . . . . . . . . . . § 34 Aufgaben des Jugendrichters . . . . . . . . . . . . § 35 Jugendschöffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 36 Jugendstaatsanwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . § 37 Auswahl der Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte § 38 Jugendgerichtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . .
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215 215 215 216 222 224 226 229 236
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254 254 254 266
Umfang der Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
271
Zweiter Abschnitt. Zuständigkeit § 39 § 40 § 41 § 42
Sachliche Zuständigkeit des Jugendrichters . . . . . Sachliche Zuständigkeit des Jugendschöffengerichts Sachliche Zuständigkeit der Jugendkammer . . . . Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . .
Dritter Abschnitt. Jugendstrafverfahren Erster Unterabschnitt. Das Vorverfahren § 43
VIII
Inhaltsverzeichnis
§ 44 § 45 § 46
Vernehmung des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absehen von der Verfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
279 280 299
Zweiter Unterabschnitt. Das Hauptverfahren § 47 § 47 a § 48 § 49 § 50 § 51 § 52 § 52 a § 53 § 54
Einstellung des Verfahrens durch den Richter . . . . . . . Vorrang der Jugendgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . Nichtöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aufgehoben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwesenheit in der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . Zeitweilige Ausschließung von Beteiligten . . . . . . . . Berücksichtigung von Untersuchungshaft bei Jugendarrest Anrechnung von Untersuchungshaft bei Jugendstrafe . . . Überweisung an das Familiengericht . . . . . . . . . . . Urteilsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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301 306 308 315 315 319 324 324 328 330
Anfechtung von Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teilvollstreckung einer Einheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
335 355
Dritter Unterabschnitt. Rechtsmittelverfahren § 55 § 56
Vierter Unterabschnitt. Verfahren bei Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung § 57 § 58 § 59 § 60 § 61
Entscheidung über die Aussetzung . . . . . . . . . Weitere Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewährungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . (weggefallen) (Sicherungshaftbefehl nach § 453 c StPO)
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357 360 364 368 370
Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewährungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
374 375 376
Fünfter Unterabschnitt. Verfahren bei Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe § 62 § 63 § 64
Sechster Unterabschnitt. Ergänzende Entscheidungen § 65 § 66
Nachträgliche Entscheidungen über Weisungen und Auflagen . . . . . . . . . Ergänzung rechtskräftiger Entscheidungen bei mehrfacher Verurteilung . . . .
376 378
Siebenter Unterabschnitt. Gemeinsame Verfahrensvorschriften § 67 § 68 § 69 § 70 § 71 § 72 § 72 a § 72 b § 73 § 74
Stellung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters . . . . . . Notwendige Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beistand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorläufige Anordnungen über die Erziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heranziehung der Jugendgerichtshilfe in Haftsachen . . . . . . . . . . . . . . Verkehr mit Vertretern der Jugendgerichtshilfe, dem Betreuungshelfer und dem Erziehungsbeistand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterbringung zur Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten und Auslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
380 387 398 400 402 406 413 414 415 418
IX
Inhaltsverzeichnis
Achter Unterabschnitt. Vereinfachtes Jugendverfahren § 75 § 76 § 77 § 78
(weggefallen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen des vereinfachten Jugendverfahrens Ablehnung des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahren und Entscheidung . . . . . . . . . . . . .
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426 426 426 427
Neunter Unterabschnitt. Ausschluss von Vorschriften des allgemeinen Verfahrensrechts § 79 § 80 § 81
Strafbefehl und beschleunigtes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Privatklage und Nebenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entschädigung des Verletzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
433 434 438
Zehnter Unterabschnitt. Anordnung der Sicherungsverwahrung § 81 a
Verfahren und Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
438
Drittes Hauptstück. Vollstreckung und Vollzug Erster Abschnitt. Vollstreckung Erster Unterabschnitt. Verfassung der Vollstreckung und Zuständigkeit Vor § 82 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 82 Vollstreckungsleiter . . . . . . . . . . . . § 83 Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren § 84 Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . § 85 Abgabe und Übergang der Vollstreckung . .
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439 442 447 449 450
Umwandlung des Freizeitarrestes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vollstreckung des Jugendarrestes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
460 461
Zweiter Unterabschnitt. Jugendarrest § 86 § 87
Dritter Unterabschnitt. Jugendstrafe Vor § 88 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 88 Aussetzung des Restes der Jugendstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 89 (aufgehoben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 89 a Unterbrechung und Vollstreckung der Jugendstrafe neben Freiheitsstrafe § 89 b Ausnahme vom Jugendstrafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 89 c Vollstreckung der Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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464 464 471 471 476 478
Vor § 90 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
479
Vierter Unterabschnitt. Untersuchungshaft
Zweiter Abschnitt. Vollzug § 90 § 91 § 92
§ 93 § 93 a
X
Jugendarrest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aufgehoben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsbehelfe im Vollzug des Jugendarrestes, der Jugendstrafe und der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aufgehoben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterbringung in einer Entziehungsanstalt . . . . . . . . . . . . . . . . .
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480 483
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483 486 486
Inhaltsverzeichnis
Viertes Hauptstück. Beseitigung des Strafmakels § 94 bis § 96 (weggefallen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor § 97 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 97 Beseitigung des Strafmakels durch Richterspruch . . . . . . . . . . . . § 98 Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 99 Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 100 Beseitigung des Strafmakels nach Erlaß einer Strafe oder eines Strafrestes § 101 Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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489 489 495 497 498 499 500
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501 502 503 511
Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende . . . . . . . . . . . . . Milderung des allgemeinen Strafrechts für Heranwachsende; Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
514
Fünftes Hauptstück. Jugendliche vor Gerichten, die für allgemeine Strafsachen zuständig sind Vor § 102 . . . . . . . . . . . . . . . . § 102 Zuständigkeit . . . . . . . . . . § 103 Verbindung mehrerer Strafsachen § 104 Verfahren gegen Jugendliche . .
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Dritter Teil. Heranwachsende Erster Abschnitt. Anwendung des sachlichen Strafrechts § 105 § 106
529
Zweiter Abschnitt. Gerichtsverfassung und Verfahren § 107 § 108 § 109
Gerichtsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
535 535 537
Dritter Abschnitt. Vollstreckung, Vollzug und Beseitigung des Strafmakels § 110 § 111
Vollstreckung und Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beseitigung des Strafmakels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
543 544
Vierter Abschnitt. Heranwachsende vor Gerichten, die für allgemeine Strafsachen zuständig sind § 112
Entsprechende Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
544
Vierter Teil. Sondervorschriften für Soldaten der Bundeswehr Vor § 112 a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 112 a Anwendung des Jugendstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 112 b (aufgehoben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 112 c Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 112 d Anhörung des Disziplinarvorgesetzten . . . . . . . . . . . . . . . . § 112 e Verfahren vor Gerichten, die für allgemeine Strafsachen zuständig sind
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546 547 548 549 549 551
XI
Inhaltsverzeichnis
Fünfter Teil. Schluss- und Übergangsvorschriften § 113 Bewährungshelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 114 Vollzug von Freiheitsstrafe in der Einrichtung für den Vollzug der Jugendstrafe § 115 (aufgehoben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 116 Zeitlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 117 (aufgehoben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 118 (aufgehoben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 119 (aufgehoben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 120 (aufgehoben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 121 Übergangsvorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 122 (aufgehoben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 123 (aufgehoben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 124 (aufgehoben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 125 Inkrafttreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang nach § 125: Jugendschutzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
552 552 554 554 554 554 554 554 554 555 555 555 555 555
Fundstellenverzeichnis der in der Amtlichen Sammlung veröffentlichten Entscheidungen des Bundesgerichtshofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
569
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
577
XII
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis
Teil I Die in den jeweils im Anschluss an den Gesetzestext abgedruckten Hinweisen verwendeten Abkürzungen bedeuten: 1. Hw. Die Vorschrift gilt auch für Heranwachsende. Hw-J Die Vorschrift gilt für Hw., wenn die Voraussetzungen des § 105 I (Anwendung des materiellen JRechts) gegeben sind. Hw-JRecht Die Vorschrift gilt für Hw., auf die im Urteil gem. § 105 I materielles JRecht angewendet worden ist. [Hw.] Die Vorschrift gilt für Hw. nie. 2. ErwG Diese Vorschrift muss auch das ErwGericht beachten, wenn es (auch) gegen einen J verhandelt. [ErwG] Diese Vorschrift darf das ErwG nicht anwenden. Zu 1 und 2 Die Kombination von 1 und 2 zeigt, ob diese Vorschrift vor dem ErwGericht gilt, wenn es (auch) gegen einen Hw. verhandelt, ohne dass ein J beteiligt ist. z. B. Hw . . . ErwG . . . Die Vorschrift muss auch das ErwGericht beachten, wenn es gegen Hw. allein oder neben Erw. verhandelt. z. B. [Hw.] . . . ErwG Die Vorschrift gilt nicht, wenn das ErwGericht nur gegen Hw. oder gegen Hw. und Erw. verhandelt. Die angegebene Fundstelle sagt Näheres. 3. Sold. Die Vorschrift ist nicht oder nur mit Einschränkungen oder Abwandlungen anzuwenden, wenn der Täter Soldat ist. Die angegebene Fundstelle sagt Näheres.
Teil II Zitierweise und Abkürzungen 1. Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind solche des JGG; Absätze oder Richtlinien ohne Paragraphenangabe beziehen sich auf den eben erläuterten Paragraphen. Absätze eines Paragraphen werden durch römische Zahlen, Sätze durch arabische Ziffern bezeichnet (z. B. § 87 II 1); bei Paragraphen ohne Absätze oder isoliert zitiert, werden Sätze mit einem vorangestellten S. (z. B. S. 2) bezeichnet. Randnummern ohne vorangestellte Paragraphenbezeichnung im Text bezeichnen Randnummern des eben erläuterten Paragraphen; bei Hinweisen auf einen anderen Paragraphen werden diesem die Randnummern mit einem Komma beigeordnet; einer Randnummer folgende und zu beachtende Randnummern werden nicht besonders angegeben. Andere Kommentare werden gleicherweise mit Randnummern, bei deren Fehlen mit Anmerkungen zitiert. Gesetzesblätter, Zeitschriften und Entscheidungssammlungen werden grundsätzlich nach Jahrgang und Seite zitiert; dies gilt nur dann nicht, wenn eine andere Zitierweise allgemein üblich ist (z. B. BGH). 2. Im Schrifttum zitierte Autoren werden, soweit Verwechslungen ausgeschlossen sind, im Text nur mit Namen, Jahreszahl und Seite zitiert, bei Zeitschriften wird im Text auf Überschriften verzichtet.
XIII
Abkürzungsverzeichnis
aA aaO abl. Abs. aE aF AG Albrecht allg. ÄndG Anm. AO Art. Aufl. BA BAG BAnz BayGVBl. BayJMBl. BayObLG ber. bes. Bew. BewH BGB BGBl. BGH BGH B BGH H BGHR BKA BMJ Böhm/Feuerhelm BT-Drs. BtMG Burscheidt BVerfG BVerfGE BZRG BZRVwV Dallinger/Lackner DAR dh DIV DJ
XIV
anderer Ansicht am angegebenen Ort ablehnend Absatz am Ende alte Fassung Amtsgericht Peter-Alexis Albrecht, Jugendstrafrecht. Ein Studienbuch, 3. Aufl. 2000 allgemein Änderungsgesetz Anmerkung Abgabenordnung Artikel Auflage Zeitschrift „Blutalkohol“ Bundesarbeitsgemeinschaft Bundesanzeiger Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Bayerisches Justizministerialblatt Bayerisches Oberstes Landesgericht; auch Entscheidungssammlung des BayObLG in Strafsachen berichtigt besonders Bewährung, auch in Zusammensetzungen, z. B. BewHelfer Bewährungshilfe. Fachzeitschrift für Bewährungs-, Gerichts- und Straffälligenhilfe Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof; auch Entscheidungen des BGH in Strafsachen BGH bei Böhm BGH bei Holtz BGH-Rechtsprechung in Strafsachen, hrsg. von den Richtern des BGH Bundeskriminalamt Bundesministerium der Justiz Einführung in das Jugendstrafrecht, 4. Aufl. 2004 Bundestagsdrucksache Betäubungsmittelgesetz, idF d. Bekanntmachung v. 1. 3. 1994 (BGBl. I 358), letztes ÄndG v. 22. 12. 2006 (BGBl. I 3416) Das Verbot der Schlechterstellung Jugendlicher und Heranwachsender gegenüber Erwachsenen in vergleichbarer Verfahrenslage, 2000 Bundesverfassungsgericht Entscheidungssammlung des BVerfG Bundeszentralregistergesetz, idF d. Bekanntmachung v. 21. 9. 1984 (BGBl. I 1229, ber. 1985 I 195), letztes ÄndG v. 21. 8. 2007 (BGBl. I 2118) Erste allg. Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Bundeszentralregistergesetzes (1. BZRVwV) v. 24. 5. 1985 (BAnz Nr. 99) Jugendgerichtsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 1965 Zeitschrift „Deutsches Autorecht“ das heißt Deutsches Institut für Vormundschaftswesen Deutsche Justiz
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DJGT DJZ DR DRiG DRiZ DSS DtZ DVJJ DVJJ-J DVJJ-BW EA EGGVG EGStGB Einf. Eisenberg EJF Erw. Erz., erz. EuAlÜbk EzSt FamFG FamRZ Fischer ff FN FPKK FS FuR G GA Ganske GG ggf. GKG Göhler Göppinger grds. Grethlein
Deutscher Jugendgerichtstag Deutsche Juristenzeitung Deutsches Recht Deutsches Richtergesetz, idF d. Bekanntmachung v. 19. 4. 1972 (BGBl. I 713), letztes ÄndG v. 5. 2. 2009 (BGBl. I 160) Deutsche Richterzeitung Diemer/Schoreit/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz. Kommentar, 5. Aufl. 2008 Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e. V. DVJJ-Journal DVJJ-Landesgruppe Baden-Württemberg Einstiegsarrest Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz v. 27. 1. 1877 (RGBl. 77), letztes ÄndG v. 17. 12. 2008 (BGBl. I 2586) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch v. 2. 3. 1974 (BGBl. I 469), letztes ÄndG v. 23. 11. 2007 (BGBl. I 2614) Einführung Jugendgerichtsgesetz mit Erläuterungen, 14. Aufl. 2010 Entscheidungen aus dem Jugend- und Familienrecht, Loseblattsammlung (bis 1961) Erwachsener, auch in Zusammensetzungen, z. B. ErwRecht Erziehung, erzieherisch, auch in Zusammensetzungen, z. B. ErzBerechtigter Europäisches Auslieferungsübereinkommen v. 13. 12. 1957 (BGBl. 1964 II 1371; 1976 II 1778) Entscheidungssammlung zum Straf- u. Ordnungswidrigkeitenrecht Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit v. 17. 12. 2008 (BGBl. I 2586) Zeitschrift „Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht“ Strafgesetzbuch u. Nebengesetze, 57. Aufl. 2010 folgende Fußnote Zeitschrift „Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie“ Festschrift für; Forum Strafvollzug Zeitschrift „Familie und Recht“ Gesetz Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Der Begriff des Nachteils bei den strafprozessualen Verschärfungsverboten, 1960 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v. 25. 5. 1949 (BGBl. 1), letztes ÄndG v. 19. 3. 2009 (BGBl. I 606) gegebenenfalls Gerichtskostengesetz v. 5. 5. 2004 (BGBl. I 718), letztes ÄndG v. 17. 12. 2008 (BGBl. I 2586) Kommentar zum Ordnungswidrigkeitengesetz, 15. Aufl. 2009 Kriminologie. Begründet von Hans Göppinger, hrsg. von Michael Bock, 6. Aufl. 2008 grundsätzlich Problematik des Verschlechterungsverbotes im Hinblick auf die besonderen Maßnahmen des Jugendrechts, 1963
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GS GVBl. GVG
Gedächtnisschrift für Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz v. 27. 1. 1877 idF v. 9. 5. 1975 (BGBl. I 1077), letztes ÄndG v. 30. 10. 2008 (BGBl. I 2122) H Heft Handb. d. For. Kröber/Dölling/Leygraf/Saß (Hrsg.), Handbuch der Forensischen PsychiPsychiatrie atrie Bd. 1 2007, Bd. 2 2010, Bd. 3 2006, Bd. 4 u. 5 2009 HESt. Höchstrichterliche Entscheidungen, Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der obersten Gerichte in Strafsachen HK-GS Dölling/Duttge/Rössner (Hrsg.), Gesamtes Strafrecht. StGB/StPO/ Nebengesetze. Handkommentar, 2. Aufl. 2011 hM herrschende Meinung HRR Höchstrichterliche Rechtsprechung Hrsg. Herausgeber HS Halbsatz Hw. Heranwachsender Hw-J Heranwachsender, auf den gem. § 105 materielles Jugendrecht anzuwenden ist Hw-JRecht Heranwachsender, auf den gem. § 105 materielles Jugendrecht angewendet wurde idF in der Fassung idR in der Regel Internat. Handb. d. H. J. Schneider (Hrsg.), Internationales Handbuch der Kriminologie Bd. 1 Kriminologie 2007 IRG Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen idF d. Bekanntmachung v. 27. 6. 1994 (BGBl. I 1537), letztes ÄndG v. 18. 10. 2010 (BGBl. I 1408) isd im Sinne des Itzel Die Abgrenzung der Weisungen von den Auflagen nach dem JGG, 1987 iVm in Verbindung mit J Jugend, Jugendliche(r), auch in Zusammensetzungen, z. B. JGericht j. jugend(lich), auch in Zusammensetzungen, z. B. jgemäß JA Jugendarrest JAVollzO Jugendarrestvollzugsordnung idF d. Bekanntmachung v. 30. 11. 1976 (BGBl. I 3270), zuletzt geändert durch G v. 8. 12. 2010 (BGBl. I 1864) JGG Jugendgerichtsgesetz JGGÄndG Jugendgerichts-Änderungsgesetz (Erstes –) v. 30. 8. 1990 (BGBl. I 1853), (Zweites –) v. 13. 12. 2007 (BGBl. I 2984) JGH Jugendgerichtshilfe JMBl. Justizministerialblatt (z. B. NRW = für Nordrhein-Westfalen) JME Justizministerial-Erlass Joachimski/Haumer Betäubungsmittelgesetz, 7. Aufl. 2002 JR Juristische Rundschau JStA Jugendstaatsanwalt JStrafrecht an der Dölling (Hrsg.) Das Jugendstrafrecht an der Wende zum 21. Jahrhundert. Wende Symposium zum 80. Geburtstag von Dr. Rudolf Brunner, 2001 JuMiG Justizmitteilungsgesetz u. Gesetz zur Änderung kostenrechtlicher Vorschriften u. anderer Gesetze v. 18. 6. 1997 (BGBl. I 1430) JuS Juristische Schulung Justiz Die Justiz. Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg
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JW JWG JWohl JZ Kaiser Kaiser/Kerner/Sack/ Schellhoss Kaiser/Schöch KG KindRG KJHG KK KMR Körner KostO KrimJ krit. Lackner/Kühl LAG LBN LG LK LM Löwe/Rosenberg Mann Maurach/Zipf Maurach/Gössel/ Zipf Meyer-Goßner MDR MK MiStra MKrim. MRK MRS mwN NdsRpfl.
Juristische Wochenschrift Jugendwohlfahrtsgesetz (außer Kraft ab 1. 1. 1991 durch Art. 24 KJHG v. 26. 6. 1990) Zeitschrift „Jugendwohl“ Juristenzeitung Kriminologie. Eine Einführung in die Grundlagen, 10. Aufl. 1997 Kleines Kriminologisches Wörterbuch, 3. Aufl. 1993 Juristischer Studienkurs Kriminologie Jugendstrafrecht Strafvollzug, 7. Aufl. 2010 Kammergericht Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts (Kindschaftsreformgesetz) v. 16. 12. 1997 (BGBl. I 2942) Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts (Kinder- und Jugendhilfegesetz) v. 26. 6. 1990 (BGBl. I 1163) Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG, EGGVG u. EMRK, 6. Aufl. 2008 Kommentar zur StPO, begr. v. Kleinknecht/Müller/Reitberger, hrsg. von Heintschel-Heinegg/Stöckel Betäubungsmittelgesetz. Arzneimittelgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2007 Kostenordnung idF v. 26. 7. 1957 (BGBl. I 960), letztes ÄndG v. 17. 12. 2008 (BGBl. I 2586) Kriminologisches Journal kritisch Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 27. Aufl. 2011 Landesarbeitsgericht Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, 2. Aufl. 2010 Landgericht Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (Hrsg.), Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar. Großkommentar, 12. Aufl. 2007 ff Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes, hrsg. von LindenmaierMöhring Erb ua (Hrsg.), Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz. Großkommentar, 26. Aufl. 2006 ff Beschleunigungspotential im Jugendstrafverfahren, 2004 Strafrecht Allgemeiner Teil Teilband 1, 8. Aufl. 1992 Strafrecht Allgemeiner Teil Teilband 2, 7. Aufl. 1989 Strafprozessordnung. Gerichtsverfassungsgesetz, Nebengesetze und ergänzende Bestimmungen, 53. Aufl. 2010 Monatsschrift für Deutsches Recht Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2003 ff Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen idF v. 19. 5. 2008 (BAnz Nr. 126 a S. 1) Monatsschrift f. Kriminologie und Strafrechtsreform (= Menschenrechtskonvention) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 4. 11. 1950 (BGBl. 1952 II 685) Meier/Rössner/Schöch, Jugendstrafrecht, 2. Aufl. 2007 mit weiteren Nachweisen Niedersächsische Rechtspflege
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Nix NJ NJW NK Nothacker NRW NStE NStZ NStZ-RR oJ OLG OLGSt
OrgStA Ostendorf OWiG PDV Pohlmann/Jabel/ Wolf Potrykus RdJ RE RegE RG RGBl. RiStBV RJGG RL Rn Roxin/Schünemann Rpfl. RpflEntlG RpflG s. Schaffstein/Beulke SchlHA Schönke/Schröder Schwind SGB VIII SjE SLGH sog.
XVIII
Nix (Hrsg.), Kurzkommentar zum JGG, 1994 Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Zeitschrift „Neue Kriminalpolitik“ „Erziehungsvorrang“ und Gesetzesauslegung im JGG, 1985 Nordrhein-Westfalen Rebmann/Dahs/Miebach (Hrsg.), Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-Rechtsprechungs-Report Strafrecht ohne Jahr Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht, Neuauflage: Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Straf-, Ordnungswidrigkeiten- und Ehrengerichtssachen Anordnung über Organisation u. Dienstbetrieb der Staatsanwaltschaften JGG. Kommentar, 8. Aufl. 2009 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten idF v. 19. 2. 1987 (BGBl. I 602), letztes ÄndG v. 7. 8. 2007 (BGBl. I 1786) Polizeidienstvorschrift Kommentar zur Strafvollstreckungsordnung, 8. Aufl. 2001 Kommentar zum Jugendgerichtsgesetz, 4. Aufl. 1955 Zeitschrift „Recht der Jugend und des Bildungswesens“ Referentenentwurf Regierungsentwurf Reichsgericht; auch Entscheidungen des RG in Strafsachen Reichsgesetzblatt Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren v. 1. 1. 1977 i. d. ab 1. 2. 1997 geltenden Fassung Reichsjugendgerichtsgesetz von 1943; mit Zusatz „23“: Reichsjugendgerichtsgesetz von 1923 Richtlinien zum Jugendgerichtsgesetz i. d. ab 1. 8. 1994 geltenden Fassung Randnummer Strafverfahrensrecht. Ein Studienbuch, 26. Aufl. 2009 Der Deutsche Rechtspfleger Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege v. 11. 1. 1993 (BGBl. I 50) Rechtspflegergesetz idF v. 5. 11. 1969 (BGBl. I 2065), letztes ÄndG v. 17. 12. 2008 (BGBl. I 2586) siehe Jugendstrafrecht. Eine systematische Darstellung, 14. Aufl. 2002 Schleswig-Holsteinische Anzeigen Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010 Kriminologie, 20. Aufl. 2010 Sozialgesetzbuch (SGB) Achtes Buch (VIII) Kinder- und Jugendhilfe idF v. 14. 12. 2006 (BGBl. I 3134), letztes ÄndG v. 17. 12. 2008 (BGBl. I 2586) Sammlung jugendrechtlicher Entscheidungen Schomberg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006 sogenannt
Abkürzungsverzeichnis
SoldG StA Stat. BA StGB StPO StrEG Streng StrFrG StV StVÄG StVollstrO StVollzG u. ua UHaft UJ uU UVollzO VG VGH vgl. VO Vorb. VRS WDO Wolf WpflG WStG z. B. Zbl. ZfStrVo ZJJ ZPO ZRP ZStW zust. zw.
Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz) idF v. 30. 5. 2005 (BGBl. I 160), letztes ÄndG v. 5. 2. 2009 (BGBl. I 160) Staatsanwalt oder Staatsanwaltschaft Statistisches Bundesamt. Soweit kein zusätzlicher Quellennachweis erfolgt: Strafverfolgung 2009 Strafgesetzbuch idF v. 13. 11. 1998 (BGBl. I 3322), letztes ÄndG v. 31. 10. 2008 (BGBl. I 2149) Strafprozessordnung idF v. 7. 4. 1987 (BGBl. I 1074, ber. 1319), letztes ÄndG v. 31. 10. 2008 (BGBl. I 2149) Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen v. 8. 3. 1971 (BGBl. I 157), letztes ÄndG v. 30. 7. 2009 (BGBl. I 2478) Jugendstrafrecht, 2. Aufl. 2008 Straffreiheitsgesetz Zeitschrift „Strafverteidiger“ Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 v. 5. 10. 1978 (BGBl. I 1654) Strafvollstreckungsordnung v. 1. 4. 2001 (BAnz Nr. 87 S. 9157) Strafvollzugsgesetz v. 16. 3. 1976 (BGBl. I 581, ber. 2088 u. 1977 I 436), letztes ÄndG v. 17. 6. 2008 (BGBl. I 1010) und unter anderem oder und andere Untersuchungshaft Zeitschrift „Unsere Jugend“ unter Umständen Untersuchungshaftvollzugsordnung v. 12. 2. 1953 i. d. ab 1. 1. 1977 geltenden Fassung Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung Vorbemerkung Verkehrsrechtssammlung Wehrdienstdisziplinarordnung idF v. 16. 8. 2001 (BGBl. I 2093), letztes ÄndG v. 17. 12. 2008 (BGBl. I 2586) Strafe und Erziehung nach dem JGG, 1984 Wehrpflichtgesetz idF v. 16. 9. 2008 (BGBl. I 1886), letztes ÄndG v. 14. 6. 2009 (BGBl. I 1229) Wehrstrafgesetz idF v. 24. 5. 1974 (BGBl. I 1213), letztes ÄndG v. 22. 4. 2005 (BGBl. I 1106) zum Beispiel Zentralblatt für Jugendrecht Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zustimmend zweifelhaft oder zweifelnd
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Einf I
I. Jugendkriminologische Aspekte
Jugendgerichtsgesetz (JGG) In der Fassung der Bekanntmachung vom 12. 1. 1974 (BGBl. I 3427), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. 12. 2010 (BGBl. I 2300)
Einführung Einführung
I. Jugendkriminologische Aspekte I. Jugendkriminologische Aspekte Einf I Schrifttum: Boers Delinquenz im Lebensverlauf, Handb. d. For. Psychiatrie Bd. 4, 2009 S. 134; Dölling Kinderund JDelinquenz. Intern. Handb. d. Kriminologie Bd. 1, 2007 S. 469; Walter JKriminalität, 3. Aufl. 2005. Übersicht 1. JKriminalrechtspflege und Kriminologie . . 2. Entstehung der Kriminalität . . . . . . . . . 3. Bereiche der Kriminologie . . . . . . . . . . . Dunkelfeldforschung . . . . . . . . . . . . . . Etikettierungsansatz . . . . . . . . . . . . . . Rechtstatsachenforschung . . . . . . . . . . . 4. JKriminalität in der Statistik . . . . . . . . . . 5. Entwicklung der JKriminalität . . . . . . . . 6. Mehrfachtäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Deutsch-Deutscher JKriminalitätsvergleich 8. Junge Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Kriminalität u. Verwahrlosung . . . . . . . . 10. Frühkindliche Schäden . . . . . . . . . . . . . 11. Kinderdelinquenz . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Pubertät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Familie u. Erziehung . . . . . . . . . . . . . . 14. Rollenfixierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Beruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Freizeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18. Massenmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19. Gruppenkriminalität . . . . . . . . . . . . . . Straftaten aus „politischem“ Hintergrund . „Fußballfans“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20. Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewalt in der Schule . . . . . . . . . . . . . . . Vandalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21. Wohlstand u. Arbeitslosigkeit . . . . . . . . . 22. Alkohol u. Drogen . . . . . . . . . . . . . . . . 23. Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24. JGerichtsverhandlung . . . . . . . . . . . . . Gespräch am runden Tisch . . . . . . . . . . . 25. Kriminalprävention . . . . . . . . . . . . . . .
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Rn 1 3 4 5 6 8 9 11 13 16 17 24 25 26 28 29 32 33 34 35 36 37 40 41 42 44 45 46 48 52 53 54 55
1
Einf I 1.
Einführung
JKriminalrechtspflege und Kriminologie
1 Diese jkriminologischen Aspekte wollen weder eine „Einführung“ in die Kriminologie ersetzen, noch die Richtungen der gegenwärtigen kriminologischen Forschung erschöpfen und werten. Es geht vielmehr darum, den in der JKriminalrechtspflege Tätigen Hilfen und Anregungen für eigene Weiterarbeit und dem täterbezogenen Ausgangspunkt und den Zielvorstellungen des JGG den notwendigen Hintergrund zu geben. Wie wichtig es gerade für diesen Personenkreis ist, den Umgang mit Informationen aus der Kriminologie, aus den Sozial- und Erfahrungswissenschaften zu erlernen, ist nicht erst bei H. J. Schneider (Kriminologie, 1987 S. 155) nachzulesen, schon Nietzsche hat in seiner Sammlung 1883 (Böse Weisheit, Sprüche u. Sprichwörtliches, Pfeile) gesagt: „Bevor man den Menschen sucht, muss man die Laterne gefunden haben“ (Nr. 62) und „Über Gut und Böse glaubt sich Jedermann Kenner und irrt sich“ (Nr. 143). 2 Mittelpunkt des JStrafverfahrens ist der noch in der Entwicklung stehende, also prägbare junge Mensch, der von uns die rechte Maßnahme zur rechten Zeit fordert. Die schwere Entscheidung des JRichters, ob die Tat nur Episode oder schon Symptom ist (Exner Kriminologie, 1949 S. 27), muss dazu führen, bei vorwiegend entwicklungsbedingten, also zumeist episodischen Tätern nicht durch überschießende Maßnahmen sekundäre Sozialabweichung und Stigmatisierung (H. J. Schneider MKrim. 70, 16) zu riskieren, aber auch die erheblich Gefährdeten frühzeitig zu erkennen, um zu versuchen, sie mit gezielten Maßnahmen rechtzeitig erz. nachhaltig zu beeinflussen und von weiteren Straftaten abzuhalten. Diese verantwortungsvolle Aufgabe erhellt die Bedeutung des JStrafverfahrens, aber auch die Notwendigkeit fördernder und schützender Maßnahmen im präjustiziellen Raum. Der Großteil der JKriminalität ist vorübergehende Gelegenheitsdelinquenz und nicht die ErwKriminalität von morgen (Heinz in Rabe, Hrsg., Jugend, 1984 S. 86). Andererseits kann erhebliche frühe Kriminalität einen Indikator für einen möglichen Weg in die Intensivtäterschaft darstellen (Schaffstein/Beulke S. 6 ff mwN). 2.
Entstehung der Kriminalität
3 Zu den Ursachen der Kriminalität sind zahlreiche Theorien aufgestellt worden, ohne dass es bisher gelungen ist, eine empirisch gut bestätigte und überzeugende Theorie zu entwickeln, die den Gesamtbereich der Kriminalität abdeckt (vgl. die Übersichten über die Kriminalitätstheorien bei Bock in Göppinger S. 119 ff; Hermann Handb. d. For. Psychiatrie Bd. 4, 2009 S. 286 ff; H. J. Schneider Kriminologie, 1987 S. 359 ff; Schöch in Kaiser/Schöch S. 4 ff). Zu den Entstehungsbedingungen der JKriminalität vorzustoßen (zusammenfassend dazu Lösel in Neuhaus, Hrsg., Sicherheit in der Gesellschaft heute, 2000 S. 51 ff), hilft ein auf einer vergleichenden Untersuchung der persönlichen und sozialen Merkmale von registrierten Delinquenten und von Probanden aus der „Normalbevölkerung“ beruhender Mehrfaktorenansatz (Dölling Zbl. 89, 315 unter Hinweis auf Göppinger Der Täter in seinen sozialen Bezügen, 1983). Will der Richter nicht nur vordergründig die Tat sehen, sondern den jungen Täter erkennen und ihm mit der richterlichen Reaktion zugleich helfen, ist es daher notwendig, in einer Längsschnittbetrachtung sorgsam seine Entwicklung, seinen Lebenslauf und seine Persönlichkeit in ihren spezifischen Merkmalen sowie in ihrer Prägung durch die Umwelt kennen zu lernen, aber auch die Tat selbst näher als besonderes Ereignis im Verlauf des menschlichen Lebens zu berücksichtigen. So wird bei jungen Tätern ein höchst kompliziertes Zusammenspiel von Anlagen, Einflüssen der Herkunftsfamilie, des sonstigen persönlichen Umfeldes, von übergreifenden wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnissen sowie von speziellen Erlebnissen und Erfahrungen und der individuellen Auseinandersetzung mit diesen Einflüssen und Erfahrungen wirksam sein (Schüler-Springorum MKrim. 69, 10; Paasch Kriminalistik 01, 373, 447). Aus diesem Mosaik der Wirkungszusammenhänge lässt sich nur schwer eine einzelne „Ursache“ als die entscheidende herauslösen.
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I. Jugendkriminologische Aspekte
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Bereiche der Kriminologie
Die Kriminologie befasst sich als empirische Wissenschaft von der Kriminalität und dem Um- 4 gang mit Kriminalität mit den in Wechselbeziehungen zueinander stehenden Bereichen Verbrechen, Verbrecher, Opfer und Verbrechenskontrolle (zu Begriff, Aufgaben u. Rolle der Kriminologie vgl. Kaiser S. 1 ff). Für das Verständnis der und den Umgang mit JKriminalität sind insbes. die Befunde der Kriminologie über die JDelinquenz sowie die Resultate der Sanktions- und der Rechtstatsachenforschung von Bedeutung. Für die Erfassung von Umfang und Struktur der JKriminalität kommt neben der Auswertung 5 der Kriminalstatistiken der Dunkelfeldforschung erhebliches Gewicht zu. Registriert werden nur die durch eigene Wahrnehmung der Polizei oder durch Anzeige bekannt gewordenen Straftaten, wobei im Bereich der „klassischen“, gegen die Person sowie gegen Eigentum und Vermögen gerichteten Kriminalität die registrierten Taten zu etwa 90% durch Anzeige bekannt werden. Der größte Teil der Straftaten bleibt jedoch im Dunkelfeld, also der Polizei und der Justiz verborgen. So betrug bei der Göttinger Opferbefragung 1973/74 das Verhältnis zwischen registrierter und nicht registrierter Kriminalität 1 : 10 (vgl. Schwind ua Dunkelfeldforschung in Göttingen, 1973/74, 1976 S. 122). Das erhebliche, von Delikt zu Delikt unterschiedliche Dunkelfeld wird durch schwankendes Anzeigeverhalten beeinflusst und verbirgt vermutlich eher Erw. als J. Die Kriminologie versucht, mittels in anonymisierter Form durchgeführter Täter-, Opfer- und 5 a Informantenbefragungen das Dunkelfeld aufzuhellen. Jede dieser Befragungen bietet eine Reihe methodischer Schwierigkeiten und stößt an Grenzen des Aussagewertes (zu den methodischen Problemen der Dunkelfeldforschung vgl. Kreuzer NStZ 94, 10, 164). Die Täterbefragungen haben jedoch übereinstimmend die „Normalität“ und „Ubiquität“ der JKriminalität in dem Sinne ergeben, dass es kaum einen männlichen J gibt, der nicht irgendwann einmal gegen die Normen des StGB verstoßen hat (Kerner in JStrafrecht an der Wende S. 99). Zumeist handelt es sich allerdings um gelegentliche relativ leichte Delikte wie Schwarzfahren, kleinere Diebstähle oder Sachbeschädigung (Heinz Handb. d. For. Psychiatrie Bd. 4, 2009 S. 24, 26; Kaiser S. 171 f; Schaffstein/Beulke S. 11; Dölling in Rössner, Hrsg., Toleranz – Erziehung – Strafe, 1989 S. 7 f). Mädchen sind weniger belastet als Jungen (Walter Rn 186; zusammenf. zur Mädchendelinquenz Bruhns/Wittmann RdJ 99, 355; zu gewaltbereiten Mädchen Bruhns/Wittmann ZJJ 03, 133). Diese JDelinquenz bleibt überwiegend Episode und klingt im Rahmen des Reifungsprozesses ab (Heinz BewH 88, 271; Kaiser in JStrafrecht an der Wende S. 15). Daneben steht die relativ kleine Gruppe der Mehrfachtäter (dazu Rn 13–15 a), auf die ein großer Teil der JKriminalität entfällt (Dölling Zbl. 89, 314 mwN). Des Dunkelfeldes halber unterscheidet Heinz (BewH 88, 270) nicht zwischen „Kriminellen“ und „Nichtkriminellen“, sondern zwischen „Nicht- und Niedrigbelasteten“ einerseits und „Hochbelasteten“ andererseits (ähnlich Kürzinger FS Jescheck, 1985 S. 1070). Zur Entwicklung der Delinquenz im Lebenslauf s. Boers in DVJJ (Hrsg.) Fördern Fordern Fallenlassen, 2008 S. 340 ff u. die Beiträge in MKrim 09, 97 ff. Nach diesen Befunden lässt sich JKriminalität überwiegend aus den Schwierigkeiten der kon- 5 b fliktreichen Reifungs- und Sozialisierungsvorgänge herleiten und bleibt dann zumeist episodenhaft, kann aber auch nach der Qualität der Taten und der Persönlichkeitsstruktur der Täter bereits Symptom für ernste Gefährdung sein (vgl. Hamacher Kriminalistik 1982, 388). Gerade das macht jrichterliche Entscheidungen so schwer und gewichtig in ihren Wirkungen. JKriminalität beschränkt sich nicht auf die Unterschicht, andererseits ist deren Anteil unter 6 Tatverdächtigen und Verurteilten überproportional. Hieraus vor allem leitet der kriminalsoziologische Etikettierungsansatz (Definitionsansatz, labeling approach) her, dass die vom Mehrfaktorenansatz ermittelten kriminogenen Merkmale lediglich Selektionskriterien der Strafverfolgungsorgane seien, abweichendes Verhalten also Ergebnis gesellschaftlicher Zu-
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schreibungsprozesse sei und die Selektion bestimmter Personen die hierarchische Struktur der Gesellschaft widerspiegele. Dies wird teilweise dahin zugespitzt, dass die Instanzen der Sozialkontrolle, insbes. Polizei und Justiz, durch selektive Sanktionierung die Unterschichten diskriminierten und kriminalisierten (vgl. die Nachweise bei H. J. Schneider JZ 73, 573, 578). Nach der sozialpsychologischen Variante des labeling approach führt die Etikettierung einer Person als „kriminell“ dazu, dass diese das an sie herangetragene Fremdbild, ein „Krimineller“ zu sein, in ihr Selbstbild übernimmt und entsprechend handelt, sodass die Strafverfolgung Delinquenz in Form „sekundärer Abweichung“ und verfestigte „kriminelle Karrieren“ produziert (s. Rn 32 u. die Darstellung bei Bock in Göppinger S. 158 ff). Der labeling-Ansatz weist zutreffend auf die mit Stigmatisierungsprozessen verbundenen Gefahren hin und hat als Tendenz zur „Entkriminalisierung“ die jstrafrechtliche Theorie und Praxis sowie die Kriminalpolitik erheblich beeinflusst (Schaffstein Neue Entwicklungen des deutschen JStrafrechts, Coimbra 1987/88 S. 6 ff). Eine ausreichende empirische Bestätigung der Thesen des Etikettierungsansatzes steht aber noch aus (kritisch daher Schöch in Kaiser/Schöch S. 18; Grunewald NStZ 02, 454). Die Problematik der Kriminalität erschöpft sich zudem nicht in Definitionsprozessen (s. die Kritik von H. Schneider MKrim 99, 202 an der deutschen Rezeption des labeling approach). Kriminelle Handlungen können gravierende materielle und immaterielle Schäden verursachen. Delinquenz hängt ua mit defizitären Lebenssituationen und psychischen Belastungen, aber auch mit der Art und Weise zusammen, mit der sich Menschen mit den auf sie einwirkenden Einflüssen und den zu bewältigenden Aufgaben und Konflikten auseinandersetzen. Kriminalität hat daher auch eine menschlich-ethische Dimension. Gerade auch der junge Täter sollte nicht nur als „Opfer der Verhältnisse“ angesehen werden, sondern auch als „Träger seiner Tat“ (Hellmer JZ 81, 154). Außerdem ist es nicht verantwortbar, die Augen vor Fehlentwicklungen junger Menschen und der Notwendigkeit des Gegensteuerns zu verschließen (Bock FS Hanack, 1999 S. 634). Der labeling approach vermag daher die „traditionelle“ Kriminologie nicht zu ersetzen, kann sie aber in wichtigen Punkten ergänzen. 7 Die Sanktionsforschung versucht mit empirischen Erfolgskontrollen der Wirkungen strafrechtlicher Rechtsfolgen dem Richter Entscheidungshilfen und der Rechtspolitik Material zu geben. Die Messung von Sanktionswirkungen wirft freilich erhebliche methodische Probleme auf (Dölling RdJ 93, 373 f). Nach den vorliegenden Befunden ist die durchschnittliche Rückfallhäufigkeit nach ambulanten Maßnahmen geringer als nach stationären Sanktionen (Berckhauer/Hasenpusch MKrim. 82, 319; Jehle/H.-J. Albrecht/Hohmann-Fricke/Tetal Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen, 2010 S. 61). Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass dies zu einem erheblichen Teil auf Auswahlprozesse zurückzuführen ist, die der Sanktionsentscheidung zugrunde liegen und dazu führen, dass Täter mit günstiger Prognose eher ambulante und solche mit ungünstiger Prognose stationäre Sanktionen erhalten. Werden Verurteilte mit ähnlichen Merkmalen miteinander verglichen, nähern sich die Rückfallraten an, so dass von „Austauschbarkeit“ der Sanktionen gesprochen wird (Streng Strafrechtliche Sanktionen, 2. Aufl. 2002 Rn 278 f). Sachgerecht wird die Wirkung von Sanktionen nur abzuschätzen sein, wenn auch die spezifische Problematik der Personen berücksichtigt wird, auf welche die Sanktionen angewendet werden (vgl. Grunewald NStZ 02, 455: „Maßnahmen wirken auf unterschiedliche Täter unterschiedlich“). Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand kann der Beurteilung von Böhm/Feuerhelm (S. 25) gefolgt werden, es spreche „einiges dafür, dass Verurteilungen und Maßnahmen des JStrafrechts mitunter nützlich sind, manchmal aber auch schaden und sicher oft gar keine nachweisbare Auswirkungen auf das künftige Verhalten des Verurteilten haben“. Liegen aber keine Befunde dafür vor, dass die intensiver eingreifende Sanktion spezialpräventiv wirksamer ist als die weniger belastende, ist nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip die geringer belastende Maßnahme zu wählen und insbes. einer ambulanten Reaktion der Vorrang vor einer stationären Sanktion zu geben (Heinz MKrim. 87, 148). Insgesamt sprechen die empirischen Befunde somit für eine behutsame und zurückhaltende Anwendung der jstrafrechtlichen Handlungsmöglichkeiten (Böhm/Feuerhelm S. 26).
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I. Jugendkriminologische Aspekte
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Die Rechtstatsachenforschung gibt JStAen und JRichtern Kenntnis von verschiedenen Hand- 8 lungs- und Entscheidungsmustern der JStrafrechtspflege und regional unterschiedlichen Erledigungsstrukturen und lässt die bundesweite Wandlung der Sanktionspraxis (vgl. bes. § 45, 5) nachvollziehen. Sie postuliert die notwendige Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis bis hin zu interdisziplinär zusammengesetzten Forscherteams (vgl. Heinz, Hrsg., Rechtstatsachenforschung heute, 1986). Entsprechend angelegte Forschungsprojekte eröffnen die Chance, auf Praxis und Gesetzgebung einzuwirken, wobei freilich die Wissenschaft ihre Unabhängigkeit von Praxis und Rechtspolitik bewahren muss. 4.
JKriminalität in der Statistik
Die registrierte JKriminalität unterliegt den gleichen Einwirkungen wie die allg. Kriminalsta- 9 tistik, also ua statistikimmanenten Fehlerquellen und schwankendem Anzeigeverhalten (Brunner Beiträge zur Konfliktforschung, Vierteljahresheft 3, 1985 S. 63 ff; Kaiser S. 162 ff; Heinz Handb. d. For. Psychiatrie Bd. 4, 2009 S. 4 ff), und kann sich insbes. „erhöhen“ durch verbesserte Ermittlungstechniken der Polizei und verfeinerte Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen. Denn diese versprechen gerade bei J verstärkten Erfolg, weil diese noch weniger raffiniert und eher unsicher sind, weil die „kriminell gleichsam noch Übenden“ (Herold Kriminalistik 76, 340) aussage- und geständnisfreudiger und häufiger geneigt sind, reinen Tisch zu machen. Das Verhalten junger Tatverdächtiger ist oft einfacher strukturiert und leichter sichtbar. Da bei J und Hw. Gruppenkriminalität (Rn 37–41) eine erhebliche Rolle spielt, ergeben sich auch daraus bessere Ansatzpunkte zu Ermittlungserfolgen der Polizei. Zu bedenken bleibt stets, dass die Statistik nicht ein wirklichkeitsgetreues Bild der Gesamtkriminalität, sondern nur eine, auch je nach Deliktsart verschiedene, mehr oder weniger starke Annäherung an die Wirklichkeit der Kriminalität zu geben vermag (vgl. Heinz in Eser/Kaiser, Hrsg., Drittes deutsch-sowjetisches Kolloquium über Strafrecht u. Kriminologie, 1987 S. 195). Der „künstliche Zählverlust“ von den polizeilich registrierten Tatverdächtigen zu den Verur- 10 teilten wird wesentlich verursacht durch die vorgegebene Kluft zwischen dem Tatverdacht, welcher der Polizei zur Registrierung ausreicht, dem genügenden Anlass zur Anklage für die StA (§ 170 I StPO) und dem hinreichenden Tatverdacht für die Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Gericht (§ 203 StPO; BGH 23, 304, 306), welche die Zahlen der tatsächlich rechtskräftig Verurteilten ebenso absinken lässt wie das für eine Verurteilung notwendige Maß an Sicherheit, demgegenüber unter Berücksichtigung der Unschuldsvermutung vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen dürfen, und die Erfahrung, dass sich in der Hauptverhandlung das Beweisergebnis aus mannigfachen Gründen ganz anders darstellen kann als im Ermittlungsverfahren. Der Schwund zwischen polizeilicher Registrierung und Verurteilung gilt insbes. für die JKriminalität, wo mit stetig wachsenden Diversionsstrategien (vgl. § 45, 5) Urteil und stationärer Eingriff möglichst vermieden werden sollen. Gerade die von der StA entsprechend dem Opportunitätsprinzip nach § 45 JGG und nach 10 a §§ 153, 153 a, 154 StPO eingestellten und deshalb in der Strafverfolgungsstatistik nicht registrierten und die vom Richter eingestellten Verfahren, die in der Verurteiltenziffer nicht erscheinen, sind zahlreich und verursachen ua insbes. bei J und Hw. den „Kriminalitätsschwund“ von der polizeilichen zur justiziellen Statistik (Brunner aaO). Strafe und Strafmakel möglichst vermeidend, wird so das ErzZiel des JGG angestrebt und es sind keineswegs nur Bagatellen, die deshalb nicht in der Strafverfolgungsstatistik registriert werden, obwohl der von der Polizei angenommene Tatverdacht bestätigt ist. Im Jahr 2006 wurde bei 68% der eines Vergehens oder Verbrechens verdächtigten J oder Hw. das Verfahren nach §§ 45, 47 eingestellt (Streng S. 101).
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Entwicklung der JKriminalität
11 Wie in den meisten großen Industriestaaten ist auch in Deutschland die registrierte JKriminalität von den fünfziger Jahren bis in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts erheblich angestiegen. Während sich die Kriminalitätsbelastungszahlen Mitte der achtziger Jahre auf dem erreichten relativ hohen Niveau einpendelten, war seit Ende der achtziger Jahre bis zum Ende der neunziger Jahre wieder ein Anstieg der registrierten JKriminalität festzustellen (vgl. zur Entwicklung der JKriminalität Walter in JStrafrecht an der Wende S. 37 ff; Schulz Die Entwicklung der Delinquenz von Kindern, Jugendlichen u. Heranwachsenden in Deutschland, 2007; H.-J. Albrecht MKrim. 98, 387 f). Seitdem sind Stabilisierungs- und Rückgangstendenzen zu verzeichnen (BKA, Hrsg., Polizeiliche Kriminalstatistik 1999 ff; Kerner in DVJJ, Hrsg., Fördern, Fordern, Fallenlassen, 2008 S. 35 ff). In den Phasen des Anstiegs der JKriminalität waren bei Gewaltdelikten wie Körperverletzung und Raub überproportionale Steigerungsraten zu verzeichnen (Neubacher ZRP 98, 433). Diese beruhten freilich auf geringen Basiszahlen (P.-A. Albrecht S. 4 ff); schwere Gewaltkriminalität im JAlter ist weiterhin eine Ausnahmeerscheinung (H.-J. Albrecht MKrim. 98, 393). In den letzten Jahren sind die Raubdelikte zurückgegangen (Kerner aaO, S. 35). Der Anstieg bei den registrierten Körperverletzungsdelikten dürfte nach den Befunden der Dunkelfeldforschung zu einem erheblichen Teil nicht auf einer tatsächlichen Zunahme der Delikte, sondern auf einer erhöhten Anzeigequote beruhen (Oberwittler/Köllisch NK 04, 144; Neubacher ZRP 08, 192; Baier/ Pfeiffer/Rabold Kriminalistik 09, 331 f; Heinz Handb. d. For. Psychiatrie Bd. 4, 2009 S 52). 12 Inwieweit aus den Zahlen der Kriminalstatistik auf tatsächliche Veränderungen der JKriminalität geschlossen werden kann und wie diese ggf. kriminalpolitisch zu bewerten sind, ist umstritten (zur Aussagekraft der kriminalstatistischen Daten Walter in JStrafrecht an der Wende S. 52 ff). Quensel (MKrim. 88, 413–415, 418) bezeichnet es ua unter Berufung auf Albrecht/Lamnek JKriminalität im Zerrbild der Statistik, 1979, als „wesentliche Aufgabe einer kritischen Kriminologie“, ansteigende JKriminalität als „verdummende Märchen und Mythen aufzudecken“. Mit verstärktem Verfolgungsdruck allein dürften sich die kriminalstatistischen Daten freilich kaum erklären lassen (Kaiser 9. Aufl. S. 344 f; zur bisher nicht ausreichend geklärten Kriminalitätsentwicklung im Dunkelfeld s. Lösel/Bliesener/Averbeck DVJJ-J 98, 115; Mansel/Hurrelmann Kölner Zeitschrift für Soziologie u. Sozialpsychologie 98, 78; Boers/Walburg/Reinecke MKrim. 06, 63). Richtig ist jedoch, dass es sich bei der JKriminalität ganz überwiegend um leichtere Delikte handelt (P.-A. Albrecht S. 8; Dölling in BMJ, Hrsg., Grundfragen des JKriminalrechts u. seiner Neuregelung, 1992 S. 53 f; Kaiser in JStrafrecht an der Wende S. 14). Wann eine Straftat als Bagatelldelikt einzustufen ist, kann freilich zweifelhaft sein. Wenn z. B. Delikten wie Raub und Diebstahl im bes. schweren Fall unter Berufung auf eine häufig geringe Schadenshöhe Bagatellcharakter zugesprochen wird, ist darauf hinzuweisen, dass die Höhe des Schadens kaum ein allein ausreichendes Kriterium für die Schwere der Tat abgibt. Es lehrt die Praxis, dass bei Raub das eklatante Missverhältnis zwischen der zu erwartenden Beute, dem Maß an Gewalt und dem Risiko der Tat häufig geradezu typisch ist. Diebstahl im bes. schweren Fall, bei dem übrigens vielfach gerade bei J der nicht zur Registrierung kommende Sachschaden den registrierten eigentlichen Stehlschaden weit überwiegt (z. B. Zerstörung eines Automaten bei geringer Beute), fordert idR einen erheblichen Aufwand krimineller Energie. Dürfte somit geringer Schaden solche Straftaten nicht als Bagatellen kennzeichnen, so kann doch gerade bei einem J eine schwere Straftat ein vorübergehendes Ereignis bleiben, während eine leichte Tat durchaus Gefährdung zu signalisieren vermag, sodass es immer auf den Einzelfall ankommt. Festzuhalten ist aber, dass JKriminalität ganz überwiegend episodenhaft bleibt. Dies zeigt die Alterskurve der Verurteilten, deren Gipfel bei Hw. und Jungerw. erreicht wird und dann stark abfällt; dies ergeben die Dunkelfeldforschung und die Analyse der Rückfälligkeit polizeilich registrierter Ersttäter, wonach Mehrfachtäter (dazu Rn 13–15 a) selten sind, und dies geht auch aus der Untersuchung der justiziellen Registrierung einzelner Geburtsjahrgänge hervor (Heinz/Spieß/Storz in Kaiser/Kury/H.-J. Albrecht, Hrsg., Kriminologische Forschung in den 80er Jahren, 1988 S. 631 ff). Die altersspezifischen Verurteiltenziffern mit der enormen
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I. Jugendkriminologische Aspekte
Einf I
Kluft zwischen J- und ErwKriminalität weisen auch auf das Positivum hin (was neuere Kohortenstudien bestätigen), dass „JKriminalität von heute in der Regel nicht ErwKriminalität von morgen ist“ (Heinz in Rabe, Hrsg., Jugend, 1984 S. 86). Zur Episodenhaftigkeit u. zur Häufung der Kriminalität in einem eng begrenzten Lebensintervall – u. zu Folgerungen daraus – auch Kerner BewH 89, 205 sowie Rn 5 a u. 13. Eingehend zur JKriminalität Bundesministerium des Innern/ Bundesministerium der Justiz (Hrsg.) Erster Periodischer Sicherheitsbericht, 2001 S. 475 ff; Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht, 2006 S. 354 ff.
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Mehrfachtäter
Auf die relativ kleine Gruppe der Mehrfachtäter („Mehrfachauffällige, Intensivtäter“) entfällt 13 ein großer Teil der JDelinquenz (Rn 5; Dölling Zbl. 89, 313, 314; Kaiser in JStrafrecht an der Wende S. 14 f; Kerner ebd. S. 111 ff; Steffen BewH 04, 62; Naplava BewH 06, 260; krit. zum Begriff des Intensivtäters Walter RdJ 03, 272 ff). Im Dunkel- wie im Hellfeld begeht nur ein kleiner Teil der befragten bzw. erfassten Täter sowohl schwere als auch häufige Straftaten. Delinquenz ist überwiegend episodenhaft (vgl. Rn 5, 12 aE). Bei 73% der registrierten männlichen J des Geburtsjahrganges 1967 blieb es bei einer Eintragung während des JAlters; 90% wiesen nur eine oder zwei Registrierungen auf; 10% hatten 3 und mehr Eintragungen, nur knapp 2% fünf und mehr (Heinz/Spieß/Storz in Kaiser/Kury/H.-J. Albrecht, Hrsg., Kriminologische Forschung in den 80er Jahren, 1988 S. 650). In NRW begingen 1983 5% der j. „Intensivtäter“ 30% aller Straftaten und 5% Hw. 32% (Kerner Kriminologische Gegenwartsfragen 17, 1986 S. 118 ff). In München waren 10% der J, die 1991 im Alter von 14 oder 15 Jahren als Tatverdächtige erfasst wurden, für 52% der Straftaten verantwortlich, die von dieser Kohorte bis 1996 begangen wurden (Elsner/Steffen/Stern Kinder u. JKriminalität in München, 1998 S. 187). Die Struktur der Delikte der Mehrfachtäter entspricht etwa der ihrer Altersgruppe (Kerner aaO, S. 122; näher zur Deliktsstruktur Traulsen DVJJ-J 99, 311). Eine ständige Steigerung der Deliktsschwere oder eine Spezialisierung konnte nicht festgestellt werden (Dölling Zbl. 89, 315). Auch bei Mehrfachtätern läuft die kriminelle Karriere idR im Zuge des Älterwerdens aus (Dölling, Internat. Handb. d. Kriminologie Bd. 1, 2007 S. 485, vgl. auch die Beiträge zu j. Mehrfachtätern in DVJJ-BW, JKriminalität u. Reform des JStrafrechts, 2003 S. 1 ff; ZJJ 03, 152 ff sowie Stelly/Thomas ZJJ 06, 45). Nach dem Mehrfaktorenansatz (vgl. Rn 3) wurden bei Mehrfachtätern ermittelt (zusammenfas- 14 send Dölling Zbl. 89, 315; Meier RdJ 08, 424 ff): Defizite und Belastungsmerkmale in der Herkunftsfamilie bei richtungsloser Erz. (dazu Rn 30, 31), häufiger Wechsel der ErzPersonen und Heimaufenthalte; unzulängliche Schul- und Berufsausbildung (Rn 33, 34), häufiger Wechsel der Arbeitsstelle (Rn 34) sowie ausgedehnte und außerhalb der Familie planlos verbrachte Freizeit (Rn 35). Die aktuelle Lebenssituation ist häufig gekennzeichnet durch Arbeitslosigkeit (Rn 47), Verschuldung, ungesicherten Lebensunterhalt, Alkoholismus und Drogengefährdung (Rn 48– 51 b). An Persönlichkeitsmerkmalen wurden festgestellt emotionale Labilität, Impulsivität, Risikoneigung, Aggressivität (Rn 42), Depressivität und ungünstiges Selbstbild (Rn 28). S. auch Lay/Ihle/Esser/Schmidt MKrim. 01, 119; Matt/Rother MKrim. 01, 472. Göppinger (Der Täter in seinen sozialen Bezügen, 1983 S. 198 ff) schreibt Mehrfachtätern überwiegend eine „kontinuierliche Hinentwicklung zur Kriminalität mit Beginn in der frühen Jugend“ zu. S. auch Posiege/ Steinschulte-Leidig Intensivtäter, 1999; Kunkat Junge Mehrfachauffällige u. Mehrfachtäter in Mecklenburg-Vorpommern, 2002; Ohder ZJJ 07, 56 zu Berlin; Block/Brettfeld/Wetzels ZJJ 09, 129 zu Hamburg; Koch-Arzberger/Bott/Kerner/Reich/Vester Mehrfach- u. Intensivtäter in Hessen – Abschlussbericht –, 2010, sowie Rn 27 zur „Kinderkriminalität“. Zur Zentralisierung polizeilicher Ermittlungen gegen j. Mehrfachtäter Wolke Kriminalistik 03, 500; zu Fallkonferenzen MüllerRakow ZJJ 08, 275; zu Gefährderansprachen Meyn Kriminalistik 08, 672; Gloss RdJ 10, 323; zur Beschleunigung von Verfahren gegen Mehrfachtäter Khostevan Zügiges Strafverfahren bei j. Mehrfach- u. Intensivtätern, 2008.
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Einf I
Einführung
15 Bei den Sanktionen gegen Mehrfachtäter sind, wie stets, zu berücksichtigen die Persönlichkeit des Täters und das Primat der Erz. (Einf. II 4–10), aber auch das Gewicht der Taten (Einf. II 12) und das Maß der Schuld (Einf. II 14–17). Bei jungen Mehrfachtätern ohne kriminelle Gefährdung, deren Straftaten sich „eben nur . . . als Realisierung eines allgemeinen Entwicklungsrisikos darstellen“, will Breymann (Zbl. 88, 450) höchstens positiv bestärken und auf „Spontanremissionen“ vertrauen, äußerstenfalls Schadenswiedergutmachung oder ähnliche Maßnahmen unter weitgehender Vermeidung von Justizkontakten vereinbaren. Man wird jedoch auf den Einzelfall abstellen und berücksichtigen müssen, dass auch geringere Taten je nach Persönlichkeitsstruktur bereits ernste Gefährdung anzeigen können (dazu Rn 6 mwN) und Verzicht auf jegliche Reaktion dann auch Schaden bringen kann. Gefährdeten Mehrfachtätern mit erheblichen kriminellen Serientaten muss nicht nur im Interesse des Rechtsgüterschutzes deutlich entgegengetreten werden, sondern gerade auch im Interesse des J, um zu versuchen, die kriminelle Karriere abzubrechen, weil sie die soziale Situation (vgl. Rn 14) des Täters zunehmend verschlechtert und, auch bei der Hoffnung auf spätere Abflachung, seine Entfaltungschancen beeinträchtigt (vgl. Dölling Zbl. 89, 318). 15 a Teilweise wird angeregt, auch bei Mehrfachtätern im Wege der Diversion zu reagieren, weil mit der Zahl der Auffälligkeiten nicht notwendig auch die Gefährlichkeit wachse (Walter in ders., Hrsg., Diversion als Leitgedanke – Über den Umgang mit jungen Mehrfachtätern, 1986 S. 23). Es gehe darum, die jungen Täter aus den Anstalten herauszuhalten. Dies kann bei sorgfältiger Persönlichkeitsermittlung ein Erfolg versprechender Weg sein. Die von Heinz/Hügel (Erz. Maßnahmen im deutschen JStrafrecht, 1987 S. 63) ermittelte Rückfallquote von über 65% bei den vorbelasteten Tätern auch nach informeller Erledigung legt allerdings weitere Überlegungen nahe. Keineswegs ist immer ein extensiver Gebrauch von Diversionsmöglichkeiten angemessen (Löhr ZRP 97, 286; Grunewald NStZ 02, 454: „Verfahrenseinstellung kontraindiziert“). Angezeigt ist insbes. ein verstärkter Ausbau ambulanter Maßnahmen auch und gerade für Mehrfachtäter (Dölling Zbl. 89, 319; Löhr aaO). Die auch von Ludwig (in Schüler-Springorum, Hrsg., Mehrfach auffällig, 1982 S. 121) gerügte ansteigende Härte jstrafrechtlicher Sanktionen lässt sich nach Heinz (in DVJJ-BW, Jugendliche Wiederholungstäter, 1989 S. 30) aus empirischer Sicht spezialpräventiv nicht begründen. Es darf daher nicht zu einer Automatik der Sanktionssteigerung kommen (Löhr aaO, 285). Für solche Mehrfachtäter, bei denen Freiheitsentzug letztlich unvermeidbar ist, muss ein erz. gestalteter Vollzug (Dölling aaO) versuchen, die ultima ratio zur Hilfe zu wenden (zum Umgang mit Mehrfachtätern s. auch die Debatte zwischen Reusch ZJJ 07, 295 u. Ostendorf ZJJ 07, 300). 7.
Deutsch-Deutscher JKriminalitätsvergleich
16 Die JKriminalität in der Bundesrepublik und in der ehemaligen DDR zu vergleichen ist ungemein schwierig. Abgesehen davon, dass die DDR kein Hw.-Recht kannte, JKriminalität dort also nur die J bis 18 Jahre meinte, wurden dort Kriminalstatistiken nur auszugsweise veröffentlicht und wurde eine quellenkritische Analyse dadurch erschwert, dass über das Zustandekommen der Zahlen kaum informiert wurde (Heinz in Eser/Kaiser, Hrsg., Drittes deutsch-sowjetisches Kolloquium über Strafrecht u. Kriminologie, 1987 S. 192 mwN). Freiburg (in Helwig, Hrsg., JKriminalität in beiden deutschen Staaten, 1985, S. 75) spricht von Geheimniskrämerei bei Statistiken. Ein Vergleich wird weiter dadurch erschwert, dass über die Hälfte aller JStrafsachen nicht an die ordentlichen Gerichte – und in die Justizstatistik – kam, weil sie von „gesellschaftlichen Gerichten“ (§ 77 DDR StPO) verhandelt wurden (näher dazu Luther MKrim. 87, 16; kritisch Brunner NStZ 90, 473). Dunkelfelduntersuchungen gab es in der ehemaligen DDR kaum. 16 a Wegen der ungesicherten Datenlage kann nur vermutet werden, dass die Kriminalität in der ehemaligen DDR niedriger war als in der Bundesrepublik, wenn auch nicht in dem von offizieller Seite der DDR verlautbarten Ausmaß (so Kreuzer ua JDelinquenz in Ost u. West, 1993 S. 45).
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I. Jugendkriminologische Aspekte
Einf I
Dies lässt sich auch für die JKriminalität annehmen (zur Entwicklung der registrierten JKriminalität in der DDR vgl. Ewald, DVJJ-J 91, 229; zu deliktsspezifischen Selektionsprozessen bei der Verfolgung J im Ost-West-Vergleich Walter/Fischer MKrim. 91, 146). Eine Befragung der Studienanfänger an den Universitäten Gießen, Jena und Potsdam um die Jahreswende 1990/91 ergab bei der erfragten leichteren Delinquenz bei deliktsspezifischen Unterschieden eine im wesentlichen gleich hohe Gesamtdelinquenzbelastung in Ost und West, wobei die Autoren jedoch annehmen, dass schwere Kriminalität in der DDR weniger verbreitet war als in der Bundesrepublik (Kreuzer ua aaO, S. 273, 282). Mit der Wiedervereinigung und nach dem Auslaufen der Umbruchsituation dürfte sich die JKriminalität in den neuen Bundesländern der Situation in den alten Bundesländern annähern (zur JKriminalität in Sachsen vgl. Traulsen Kriminalistik 95, 47).
8.
Junge Ausländer
Die Aussagen zur Kriminalitätsbelastung junger Ausländer sind unterschiedlich (Walter BewH 17 87, 60). Weder die Polizeiliche Kriminalstatistik noch die Verurteiltenstatistik der Justiz bringen unanfechtbare Ergebnisse. Vielmehr sind zahlreiche Verzerrungsfaktoren zu berücksichtigen (Villmow in Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss S. 39), z. B. möglicherweise unterschiedliches Anzeigeverhalten; der Umstand, dass Mitglieder der Stationierungsstreitkräfte und deren Angehörige, Touristen und Ausländer, die sich illegal in der Bundesrepublik aufhalten, zwar bei den polizeilich registrierten Tatverdächtigen, nicht aber bei der Wohnbevölkerung erfasst werden, so dass Tatverdächtigenbelastungszahlen (Zahl der Tatverdächtigen pro 100 000 einer Bevölkerungsgruppe) bei den Ausländern überhöht sind; der Umstand, dass Ausländer überwiegend in den bes. kriminalitätsbelasteten Großstädten wohnen, oder das Absetzen ins Heimatland vor Verurteilung. Dies macht Aussagen über die Kriminalität von Ausländern schwierig, die zudem keine homogene Einheit bilden, sondern sich aus unterschiedlichen Gruppen zusammensetzen (Schwind S. 491). Nach der Polizeilichen Kriminalstatistik weisen junge Ausländer eine höhere Delinquenzbelastung auf als die entsprechenden deutschen Altersgruppen (Kaiser S. 351, 360; Schwind S. 493; Villmow aaO, S. 43). Nach Traulsen (MKrim. 88, 28) würde die Höherbelastung der jungen Ausländer allerdings weitgehend reduziert, wenn man ihnen eine ihren sozialen und geographischen Verhältnissen entsprechende deutsche Vergleichsgruppe gegenüberstellen könnte. Außerdem ist nach der Polizeilichen Kriminalstatistik in den letzten Jahren die Entwicklung bei den j. Ausländern eher günstiger als bei ihren deutschen Altersgenossen verlaufen. In der Verurteiltenstatistik fiel die Höherbelastung der Ausländer lange Zeit geringer aus 18 (Schöch/Gebauer Ausländerkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, 1991 S. 54). Als Gründe hierfür wurden erörtert: häufigere Erledigung nach §§ 45, 47, wobei teilweise angenommen wurde, dass gegen junge Ausländer öfter Verfahren wegen Bagatelldelikten eingeleitet werden, die dann zu einer Einstellung durch die Staatsanwaltschaft führen (Mansel in Kaiser/Kury/H.-J. Albrecht, Hrsg., Kriminologische Forschung in den 80er Jahren, 1988 S. 1077; anders Mansel/Sucharek/Albrecht KrimJ 01, 295); Verfahrenseinstellung mangels Beweisbarkeit der Tat ua wegen geringerer Geständnisbereitschaft und Sprachbarrieren (Schwind S. 498 f), Absetzen ins Heimatland oder Ausweisung vor Verurteilung (Schöch/Gebauer aaO, S. 40). Inzwischen hat sich allerdings das Verurteilungsrisiko von nichtdeutschen und deutschen Tatverdächtigen angeglichen (Rebmann Ausländerkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, 1998 S. 214 ff). Werden einzelne Deliktskategorien betrachtet, sind ausländische J und Hw. nach der Polizeilichen Kriminalstatistik bei gefährlicher und schwerer Körperverletzung, Raub, Vergewaltigung/sexueller Nötigung und Leistungserschleichung überrepräsentiert (Schöch/Gebauer aaO, S. 39; Steffen ua Ausländerkriminalität in Bayern, 1992 S. 152 ff; zur Beteiligung Minderjähriger an der Straßenkriminalität in Frankfurt/Main Bauer DVJJ-J 93, 360 f). Für den Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte wird davon ausgegangen, dass junge Ausländer eher Bagatellde-
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Einf I
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likte begehen (Traulsen MKrim. 88, 40; Villmow aaO, S. 44). Nach Kaiser/Schöch S. 184) sollte die Kriminalitätsbelastung ausländischer junger Menschen mit Aufmerksamkeit, aber ohne Dramatisierung betrachtet werden. Heinz (in Eser/Kaiser, Hrsg., Drittes deutsch-sowjetisches Kolloquium über Strafrecht u. Kriminologie, 1987 S. 211) führt gegen die These von der „sozialen Zeitbombe“ der zweiten Ausländergeneration den Rückgang der Kriminalitätsbelastung ab der Altersgruppe der 25-jährigen an. Zusammenfassend zu den Befunden über die Kriminalität j. Ausländer Heinz FS Miyazawa, 1995 S. 105 ff; Traulsen DVJJ-J 00, 398 ff; Walburg NK 07, 142; Haug/Rühl/v. Gostornski BewH 08, 211; Geissler-Frank/Sutterer in DVJJ ,Hrsg., Fördern Fordern Fallenlassen, 2008 S. 524; s. auch die Beiträge in ZJJ 04, 359 ff. 19 Zur Erklärung der Kriminalitätsbelastung der jungen Ausländer werden angeführt: der Kulturkonflikt zwischen der hergebrachten elterlichen Lebensweise und den Verhaltenserwartungen und Wertvorstellungen des Gastlandes, den die J nicht zu verarbeiten vermögen und der ihre Selbstfindung erschwert (Schneider Kriminologie, 1987 S. 307 f); abnehmende Sozialisationsund Kontrollkapazität der Elternfamilie (Schwind S. 494 f); sozialstrukturelle Benachteiligung durch Schlechterstellung hinsichtlich Schul- und Berufsausbildung, Arbeitslosigkeit und ghettoähnliche Wohnsituation (Hartmann Handb. d. For. Psychiatrie Bd. 4, 2009 S. 202); Ablehnung durch die deutsche Majoritätsgruppe und verschärfte Kontrolle (Hamburger/Seus/Wolter Zur Delinquenz ausländischer J, 1981). Kritisch zu Kulturkonfliktstheorie, Ghetto-Vorstellungen und Anomietheorie Schüler-Springorum NStZ 83, 529. Große Bedeutung kommt der Integration der jungen Ausländer zu (Villmow aaO, S. 46 f). Gelingt diese nicht, machen soziale Randständigkeit und die damit verbundenen negativen Erfahrungen durch Reaktionen der Umwelt es wahrscheinlich, dass sich ausländische J verstärkt zu Gruppen zusammenschließen, die auch kriminell agieren (Kube/Koch MKrim. 90, 14, 24). Zur Kriminalität junger Ausländer u. dem Umgang damit vgl. auch die Beiträge von Pilgram ua DVJJ-J 93, 342 ff; Kiehl DVJJ-J 96, 19; zur Delinquenz j. Türken s. Pfeiffer/Wetzels DVJJ-J 00, 106; Toprak DVJJ-J 00, 174, 364). 20 Zum Vorverfahren: Das JGG gilt für Straftaten ausländischer J und Hw. in der Bundesrepublik Deutschland, auch für Touristen (vgl. § 3 StGB; BGH StV 82, 337). Zur Auslieferung von ausländischen J und Hw. § 1, 5 a. Aufgrund von Befragungen ausländischer J wird teilweise diskriminierendes Verhalten der Polizei angenommen (Bielefeld/Kreissl/Münster Junge Ausländer im Konflikt, 1982 S. 168; Hamburger/Seus/Wolter aaO, S. 147). Es muss jedoch vor vorschnellen Verallgemeinerungen gewarnt werden (vgl. zum Verhältnis der Polizei zu Ausländern Stock/Klein MKrim. 94, 286). Zur U-Haft differenziert Staudinger U-Haft bei jungen Ausländern, 2001. 20 a Die Hilfe der JGH ist gerade für j. Ausländer, auch für Touristen, und zugleich natürlich für JStA und JRichter, bes. wichtig (BGH aaO; BGH JWohl 82, 496; Molketin JWohl 82, 491; Schmitz DVJJ-J 93, 375), auch zur Vorbereitung informeller Erledigung. Wird die JGH nicht herangezogen, liegt ein Verfahrensverstoß vor (BGH StV 82, 336); die Aufklärungspflicht des Gerichts ist verletzt, wenn der JGHelfer (bei einem 17-jährigen Türken, der seinen Vater besucht) zwar am ersten Sitzungstag teilnimmt, dann aber krankheitshalber fernbleibt (vgl. § 38, 8, 8 a). Sprach- und Verständnisschwierigkeiten lassen oftmals schwer Kontakt finden, Abwehrhaltung und Misstrauen des J, der Familie und anderer Bezugspersonen sind häufig schwer zu durchbrechen, sodass die Familiensituation undurchsichtig bleibt (Hubert BewH 85, 338). Wenn möglich, sollten Sozialarbeiter der betreffenden Länder zugezogen werden (Hubert BewH 98, 378). Es kann schon schwierig sein, das Geburtsdatum festzustellen, und das nicht nur, wenn Papiere fehlen. Türkische JGHelfer berichten z. B., dass in der Türkei wegen weiter Entfernungen zwar oftmals das erste Kind angemeldet, dessen Tod (bei hoher Kindersterblichkeit) aber nicht gemeldet wird und dann das nachgeborene Kind unter den Daten des verstorbenen lebt. Hier können röntgenologische Untersuchungen der Skelettreifung der Hand helfen. Die Situation in der Herkunftsfamilie und die Entwicklung j. Ausländer können sehr unterschiedlich sein (Hubert BewH 98, 379 ff) und müssen daher von der JGH möglichst differenziert erfasst werden.
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I. Jugendkriminologische Aspekte
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Ausländische J dürften häufiger mangels Reife nicht verantwortlich (§ 3) sein als deutsche. 20 b Dies muss stets bes. sorgfältig geprüft werden (Eisenberg § 3, 30; Ostendorf § 3, 7; Böhm/Feuerhelm S. 39). So kann die Steuerungsfähigkeit durch kulturell bedingte Abhängigkeiten innerhalb eines Familienverbandes eingeschränkt sein (Günter in Venzlaff/Foerster Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl. 2009 S. 713). Die Reifeentscheidung nach § 105 I ist für JGH und JRichter häufig sehr schwer zu treffen, wobei oft auch Mentalität, Erscheinungsbild und Gestik zu Fehlschlüssen verleiten können (vgl. BGH H MDR 90, 888 zur sozialen Entwurzelung als entscheidungsrelevantem Gesichtspunkt). Zur Begutachtung von Ausländern Horn MKrim. 95, 382; Schepker/Toker/Eggers MKrim. 95, 121; Toker DVJJ-J 99, 41. In der Hauptverhandlung ist oft nur schwer zu erfassen, ob der J die deutsche Sprache, auch in 21 den Feinheiten, so beherrscht, dass er alles verstehen und auch artikulieren kann. Andererseits lehrt die Erfahrung, dass manche Angeklagte recht gerne über einen Dolmetscher jede Frage zweimal vor ihrer Erwiderung hören. Im Zweifel wird man einen Dolmetscher beiziehen. Art. 6 III e MRK räumt dem der Gerichtssprache nicht kundigen Beschuldigten unabhängig von seiner finanziellen Lage für das gesamte Strafverfahren einen Anspruch auf unentgeltliche Zuziehung eines Dolmetschers ein, auch wenn kein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt (BGH 46, 178). Zur Auferlegung der Auslagen für einen Dolmetscher auf den Beschuldigten durch das Gericht § 464 c StPO u. Nr. 9005 des Kostenverzeichnisses zum GKG. Der Anspruch aus Art. 6 III e MRK besteht auch für vorbereitende Gespräche mit einem Verteidiger (BGH aaO; KG NStZ 90, 402). Die Anklageschrift ist mit einer Übersetzung in einer dem Angeklagten verständlichen Sprache vor der Hauptverhandlung bekannt zu geben; die mündliche Übersetzung in der Verhandlung genügt nicht (OLG Düsseldorf Zbl. 01, 237). Wegen des Anspruchs aus Art. 6 III e MRK ist einem Angeklagten nicht allein deswegen ein Pflichtverteidiger beizuordnen, weil er die deutsche Sprache nicht beherrscht und die Kosten für einen Dolmetscher nicht aufbringen kann (BGH aaO; weitergehend LG Freiburg StV 89, 296, wonach schon die Notwendigkeit, einen Dolmetscher beizuziehen, für die Bestellung eines Pflichtverteidigers spricht). Bei Ausländern, die noch nicht in unser Gesellschafts- und Justizsystem integriert sind, wird freilich häufig ein Pflichtverteidiger (§ 140 II StPO) zu bestellen sein, auch wenn ein Dolmetscher eingeschaltet ist (BVerfG 64, 150; OLG Köln StV 86, 238; LG Heilbronn u. LG Osnabrück StV 84, 506). Nach OLG Hamm (NStZ 90, 143) gegen OLG Zweibrücken (StV 88, 379) und LG Köln (StV 90, 59) ist aber Nichtbeherrschung der deutschen Sprache allein kein Grund, unabhängig von der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage und der Bedeutung des Strafvorwurfs einen Verteidiger beizuordnen. Es kommt vielmehr auf die Besonderheiten des Einzelfalls an (OLG Stuttgart VRS Bd 99 [00], 75). Sind sämtliche für den J auftretenden Schwierigkeiten mit Hilfe eines Dolmetschers zu beseitigen, bedarf es keines Pflichtverteidigers (OLG Stuttgart aaO). Dazu auch BayObLG StV 90, 103 sowie BGH StV 90, 101 u. OLG Hamm StV 90, 101 (Übersetzung der schriftlichen Urteilsbegründung). Vgl. auch § 68, 21, 22. Für einen Rechtsmittelverzicht ist die Fürsorge des JRichters bes. gefordert (OLG Hamm NJW 83, 530; allg. BGH StV 83, 268). Nach OLG Karlsruhe (Justiz 89, 202) ist einem der deutschen Sprache nicht mächtigen (erw.) Ausländer zuzumuten, sich nach Abklingen der Aufregung über das verkündete Urteil zu vergewissern, ob er die ihm mit Hilfe des Dolmetschers erteilte Rechtsmittelbelehrung richtig verstanden hat. In Befragungen haben betroffene J über Fehlbewertungen durch den JRichter aufgrund Ausländerfeindlichkeit geklagt (Bielefeld/Kreissl/Münster aaO, S. 173; Hamburger/Seus/Wolter aaO, S. 149). Beobachtungen von Hauptverhandlungen haben dagegen keine Ungleichbehandlung gegenüber deutschen J ergeben (Autorengruppe Ausländerforschung Untersuchung von Straftaten Teil 3, 1980 S. 66); hierbei ist nach Eisenberg (§ 50, 13) allerdings zu berücksichtigen, inwieweit es sich um verdeckte oder offene Beobachtungen handelte. Sanktionen: Kaum der Erwähnung bedarf, dass die „Ausländereigenschaft“ nicht zu einer 22 Strafverschärfung führen darf (Art. 3 III GG), vgl. BGH StV 87, 20 zur Zumessungsbegründung „obwohl er erst knapp ein Jahr in Europa war“ und BGH StV 93, 358 zur strafschärfen-
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Einf I
Einführung
den Erwägung, der Angeklagte habe „das Gastrecht der Bundesrepublik Deutschland“ missbraucht. 22 a Gegen ausländische J und Hw. sollen – bei regionalen Unterschieden – seltener ErzMaßregeln angewendet werden (Eisenberg § 9, 11; Albrecht/Pfeiffer Die Kriminalisierung junger Ausländer, 1979 S. 83 für 1978/79). Bei Betreuungsweisungen muss der geeignete Helfer bes. sorgfältig ausgesucht werden, wenn ein erz. Erfolg erzielt werden soll. Die einem ausländischen Hw. erteilte Weisung, für 2 Jahre nicht in die Bundesrepublik einzureisen, wurde zu Recht aufgehoben, weil sie nicht die Erz. fördern, sondern nur die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten des Hw. schützen sollte (LG Freiburg JR 88, 523 mit Anm. Eisenberg; vgl. § 9, 3 u. 5). Das OLG Koblenz (NStZ 87, 24 zum ErwRecht) hat eine mit einer Strafrestaussetzung zur Bew. verbundene Weisung (§ 57 III iVm §§ 56 a–56 g StGB), die Bundesrepublik zu verlassen, als unzulässig aufgehoben, weil eine solche Weisung nicht künftigen Straftaten des Verurteilten durch geeignete Beeinflussung seiner Lebensführung entgegentritt und das Gericht auch nicht zu einer Ausweisungsverfügung an Stelle der Ausländerbehörde befugt ist. M.-K. Meyer fügt in ihrer Anm. (aaO, S. 26) hinzu, dass eine solche Weisung auch unzulässig wäre, wenn sie die Einhaltung eines verwaltungsrechtlich begründeten Verbots der Wiedereinreise erzwingen sollte. Zur Gruppenarbeit mit jungen Ausländern s. Lorenz BewH 95, 200. Bei den Zuchtmitteln sind die Voraussetzungen für Geldauflagen (dazu § 15, 10 f) bes. sorgfältig zu prüfen. 22 b Gegen ausländische J und Hw. wird nach Savelsberg (in DVJJ, Hrsg., Und wenn es künftig weniger werden, 1987 S. 371) vergleichsweise häufiger JA verhängt. Befragungen der JGH zur Sanktionspraxis der JGerichte haben ergeben, dass entweder keine Unterschiede zwischen Ausländern und Deutschen festzustellen seien oder dass im „unteren“ Bereich der Kriminalität eher härter, im „oberen“ eher milder als gegen Deutsche reagiert werde (Albrecht/Pfeiffer aaO, S. 78). Das LG Hamburg (StV 84, 31) hat unter Berücksichtigung der in Rn 19 ausgeführten Umstände wegen des „Kulturkonflikts“ bei einem ausländischen Hw. bes. Umstände iSd § 21 II aF angenommen und eine JStrafe zwischen 1 und 2 Jahren zur Bew. ausgesetzt. Zur BewHilfe für Ausländer s. Shehadeh/Fischer BewH 95, 205. Zusammenfassend zu j. Ausländern im JStrafverfahren Henninger Nichtdeutsche Beschuldigte im JStrafverfahren, 2003. 22 c Mitteilungen bei Ausländern ordnet Nr. 42 MiStra an. Nach Maeck (MDR 81, 187) und Ostendorf (DRiZ 86, 257) soll diese Vorschrift gegen § 57 – jetzt § 61 – BZRG verstoßen; Eisenberg (§ 70, 21 iVm 10) nimmt Rechtswidrigkeit auch aufgrund abschließender Regelung in § 70 sowie aus Gründen des Gesetzesvorbehalts an. Dagegen spricht jedoch die Ablehnung der Erstreckung des BZRG auf Auskunftserteilungen aus Akten bei den Gesetzesberatungen (BT-Drs. 6/1550, S. 24); außerdem verpflichtet § 87 IV AufenthG zur Mitteilung der Verfahrenseinleitung und -erledigung an die Ausländerbehörde (vgl. jetzt auch §§ 474 II Nr. 2 u. 480 StPO). 23 Der JStrafvollzug belastet die ausländischen J und Hw. bes., diese wiederum stellen an den Vollzug wegen ihrer oft andersartigen Mentalität, Sprachschwierigkeiten und der gebotenen speziellen Betreuung bes. Anforderungen. Der Anteil der Ausländer und Staatenlosen im JStrafvollzug betrug am 31. 3. 2010 21% (Stat. BA, Fachserie 10 Rechtspflege Reihe 4.1 Strafvollzug – Demogr. u. kriminolog. Merkmale der Strafgefangenen zum Stichtag 31. 3. 2010 S. 14 f). In einer Reihe von Anstalten liegen die Anteile der Nicht-deutschen erheblich höher (Streng Rn 529). Zur Situation der Ausländer in der UHaft Steinke BewH 95, 170. Albrecht/Pfeiffer (aaO, S. 87) berichten von Diskriminierung durch die deutschen Mitgefangenen und andererseits von weitgehender Anpassung der j. Ausländer an die Erwartungen der Anstaltsleitung. Nach Eisenberg (§ 92, 16) kann jedoch nicht (mehr) einheitlich von Benachteiligungen gegenüber Deutschen ausgegangen werden. Die Situation der j. Ausländer im Strafvollzug muss vielmehr differenziert betrachtet werden (näher Mey/Wirth FS Böhm, 1999 S. 611 ff). Zur Situation türkischer Insassen vgl. Bukowski ZfStrVo 96, 225. Zu erwartende Ausweisungen führen jedoch aufgrund der einschlägigen Verwaltungsvorschriften zur restriktiven Handhabung von Vollzugslockerungen (J. Walter
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I. Jugendkriminologische Aspekte
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DVJJ-J 93, 247, 248). Die Betreuung durch ehrenamtliche Helfer ist schwierig. Martens (JAmt der Stadt Nürnberg u. DVJJ-Regionalgruppe Nordbayern, Arbeitshilfen Nr. 2 für den Umgang mit Türken in Deutschland, 1987 S. 32) hat in der JVA Hamburg-Vierlande nicht feststellen können, dass Anstaltsbedienstete ausländische J und Hw. schlechter als deutsche behandeln. Es würden eher junge, selbstsicher auftretende Türken für sie negative Entscheidungen mit Ausländerdiskriminierung in Zusammenhang bringen. Dort stünde unauffälligen jungen Türken mit stabilen sozialen Beziehungen und eher günstiger Sozialprognose eine kleine Gruppe wegen schwerer Gewalttaten verurteilter Türken gegenüber, die Funktionsposten (Hausarbeiter) anstrebten, um Macht auszuüben; sie hätten den „anstaltsinternen“ Drogenmarkt in Händen und spielten auch in ihren Familien eine beherrschende Rolle, sodass auch von dort aus keine Verhaltensänderung bewirkt werden könne. Sollen die jungen Ausländer nicht nur „sitzen“, so müssen sie in der JVA sprachlich und durch – möglicherweise nachholende – Schul- und Berufsausbildung und sorgfältige Entlassungsvorbereitungen (vgl. dazu die Betreuungsweisung des AG Berlin Tiergarten § 17, 22 aE) bes. betreut werden, was erhöhten zeitlichen Aufwand, gezielte Schulung der Bediensteten und möglichst Einschaltung von Sozialarbeitern gleicher Herkunft fordert (zu Betreuungsprogrammen für Ausländer s. Heitmann/Korn/Mücke BewH 08, 238 u. Matt/Bührs BewH 08, 260). Bes. ist darauf zu achten, dass durch die Anstaltsverhältnisse nicht rechtsextreme Einstellungen bei den deutschen Insassen gefördert werden (J. Walter aaO, 248). Auch beim Umgang mit der Delinquenz j. Spätaussiedler kommt angesichts der bestehenden 23 a Integrationsprobleme den Bemühungen um soziale Integration (ua Sprachförderung u. Förderung der schulischen u. beruflichen Ausbildung) große Bedeutung zu (zur „Aussiedlerkriminalität“ Luff Kriminalität von Aussiedlern, 2000 u. Kriminalistik 01, 29; Grundies MKrim. 00, 290; Kleespies Kriminalität von Spätaussiedlern, 2006; Bals/Bannenberg ZJJ 07, 180; Ostendorf, Hrsg. Kriminalität der Spätaussiedler – Bedrohung oder Mythos?, 2007; zur Herkunft u. Lebenssituation j. Spätaussiedler Heuer/Ortland DVJJ-J 96, 54; Bodenburg DVJJ-J 99, 73; Jeschawitz in DVJJ-BW, (Hrsg.), Deeskalation, 1998 S. 9; Giest-Warsewa in DVJJ-BW, (Hrsg.), Integrieren statt Ausgrenzen, 1999 S. 9; Strasser/Zdun ZJJ 03, 266; Osterloh ZJJ 04, 149; zur Prävention, zu j. Aussiedlern im Strafvollzug u. vor dem JGericht s. die Beiträge von Müller, Walter/Grübl u. Helmken in DVJJ-BW, (Hrsg.), Integrieren, aaO, S. 25 ff; s. auch die Beiträge in DVJJ-Regionalgruppe Nordbayern, Gefährdete Jugend zwischen Konflikt u. Integration, 2000 S. 79 ff; zusammenfassend zu den Integrationsproblemen j. Aussiedler Reich/Weitekamp/Kerner BewH 99, 335; Reich Integrations- und Desintegrationsprozesse j. männlicher Aussiedler aus der GUS, 2005; zur Subkultur inhaftierter Ausländer s. Otto/Pawlik-Mierzwa DVJJ-J 01, 124; Hosser/Taefi MKrim. 08, 131). 9.
Kriminalität und Verwahrlosung
Der enge Zusammenhang zwischen Kriminalität und Verwahrlosung als zwei Erscheinungs- 24 formen der Dissozialität junger Menschen ist empirisch bestätigt (z. B. Künzel JKriminalität u. Verwahrlosung, 1971). Gerade die Delinquenz aber gibt zumeist der Entwicklung einen bes. Stellenwert, die schwerere Straftat kennzeichnet symptomatisch das Maß der Entwicklungsstörung des Täters und dessen soziale Gefährdung (Schaffstein GA 71, 129). Neben der in Sozialisationsstörungen wurzelnden JKriminalität gibt es in nicht geringem Umfang aber auch JKriminalität der Normalentwickelten. So ist JKriminalität überwiegend nicht Ausdruck einer Fehlentwicklung oder einer abnormen sozialen Gefährdung, sondern eine nicht pathologische und keineswegs außergewöhnliche Erscheinungsform eines bestimmten Entwicklungsstadiums, das jeder normale Mensch im Jugendalter zu durchlaufen hat (Schaffstein aaO). Die Praxis trägt dem durch Verfahrenseinstellung gem. §§ 45, 47 Rechnung.
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Einf I 10.
Einführung
Frühkindliche Schäden
25 Teilweise werden frühkindliche Hirnschädigungen, die sich ua in emotionaler Labilität, mangelnder affektiver Steuerung, Impulsivität, mangelnder Konzentrationsfähigkeit und Lernschwierigkeiten äußern können, als wichtiger kriminogener Faktor in der Reifezeit angesehen (Lempp Kriminalbiolog. Gegenwartsfragen 58, 100 u. NJW 59, 798). Die Befunde sind jedoch mit Vorsicht zu beurteilen, da sie an nicht repräsentativen Stichproben, nämlich von JPsychiatern untersuchten Kindern und J, gewonnen wurden (Schneider Kriminologie, 1987 S. 378). Die Prognose wird als günstig angesehen, da die J mit fortschreitendem Alter in der Lage seien, ihre Schwächen unter Kontrolle zu bringen (Lempp aaO, 103 ff). Zur neueren Kritik am Konzept der frühkindlichen Hirnschädigungen s. Kröber/Wendt in Göppinger S. 95 f mwN. Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) erhöhen das Risiko dissozialen Verhaltens (Vloet ua FPPK 08, 180). Frühkindliche Erlebnisse sind deshalb bes. bedeutsam, weil das Kind auf die angebotenen Lernerfahrungen angewiesen und von den Einflüssen seiner Umwelt abhängig ist. Mangelnde Liebe und Zuwendung sowie missgeleitete Erz. durch die Eltern kann schwere Störungen in der Persönlichkeitsentwicklung zur Folge haben (Gareis/Wiesnet Frühkindheit u. JKriminalität, 1974). Aus psychoanalytischer Sicht wird angenommen, dass sich Ich und ÜberIch schwer zurückgesetzter Kinder nicht angemessen zu entwickeln vermögen, da der Aufbau dieser Fähigkeiten ua über Prozesse der Identifikation erfolgt und das Kind sich nur mit einer Person identifizieren kann, zu der es freundliche Gefühle hegt (Schneider Kriminologie, 1987 S. 492). Die Zusammenhänge zwischen Kriminalität und Verwahrlosung (Rn 24) werden hier deutlich. 11.
Kinderdelinquenz
26 Bei der Kinderdelinquenz ist die Dunkelziffer bes. groß. Nach den Verhandlungen des 13. DJGT 1965 (s. DVJJ, Hrsg., Erstkriminalität u. Frühkriminalität, 1966) sollte mehr getan werden, um dieses Dunkelfeld aufzuhellen, die Ursachen kriminellen Fehlverhaltens von Kindern zu erforschen und geeignete institutionelle ErzMaßnahmen und konkrete ErzZiele zur Verfügung zu stellen. Den Hauptanteil aller angezeigten Delikte von Kindern machen Diebstahl und Sachbeschädigung aus (Feest in Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss S. 211). Eine andere Verteilung der Delikte im Dunkelfeld lässt darauf schließen, dass Kinder bevorzugt bei Verletzung von Eigentum angezeigt werden (Walter/Remschmidt/Höhner FS Stutte, 1979 S. 127, 138). Rechtsbrüche von Kindern dürfen nicht einheitlich unter dem Begriff kriminellen Handelns gesehen werden. Ein Großteil der Kinderdelinquenz entspricht vielmehr ganz normalem kindlichen Verhalten wie Sport, Spiel und Abenteuer (Kaiser S. 267). Brandstiftung durch Kinder kann auf Symboltaten hindeuten (vgl. Rn 28). Seelische Not kann Kinder zu Straftaten – vor allem zu Diebstählen – führen, um die Eltern auf sich aufmerksam zu machen. Kinder können sich in erhebliche Kriminalität verstricken, weil Erw. sie dazu missbrauchen und regelrecht anlernen, um, wie sie glauben, deren Schuldunfähigkeit zu nützen (dazu § 1, 16). Die polizeilich registrierte Delinquenz von Kindern ist vom Ende der achtziger Jahre bis 1998 gestiegen und dann wieder zurückgegangen (BKA, Hrsg., Polizeiliche Kriminalstatistik 2009 S. 75; zur eingeschränkten Aussagekraft der Statistik Neubacher ZRP 98, 122). Es handelt sich nach wie vor ganz überwiegend um episodenhafte leichte Delikte aus den Bereichen Diebstahl und Sachbeschädigung (Elsner/Steffen/Stern Kinder- u. JKriminalität in München, 1998 S. 180); Gewaltdelikte sind selten (Traulsen DVJJ-J 97, 48). Zu Delinquenz von Kindern an Grundschulen s. Pongratz Zum Umgang mit kindlichen Auffälligkeiten, 2000. 27 Der größte Teil der mit einem Delikt auffällig werdenden Kinder wird nur einmal polizeilich registriert; nur wenige begehen eine große Zahl von Delikten (Kaiser S. 267; Thomas ZRP 98, 193 f; zu kindlichen Mehrfachtätern s. Deutsches Jugendinstitut, Hrsg., Der Mythos der Monsterkids, 1999). Ein genereller Zusammenhang zwischen Kinderdelinquenz und Straffälligkeit
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im JAlter besteht nicht (Walter/Remschmidt/Höhner aaO, S. 139; Pongratz/Jürgensen Kinderdelinquenz u. kriminelle Karrieren, 1990 S. 175; Traulsen Delinquente Kinder u. ihre Legalbew., 1976). Massive Delinquenz im Kindesalter kann jedoch kriminalprognostisch bedenklich sein (Traulsen NJW 74, 598 f), insbes. wenn sie mit weiteren sozialen Belastungsmerkmalen zusammentrifft. Kerner (BewH 89, 203) weist darauf hin, dass gerade (spätere) Mehrfachtäter schon zwischen 8 und 11 Jahren mitunter hohe Delinquenzwerte zeigen, prognostisch bedeutsam scheine aber allenfalls die Kombination von Häufigkeit und Schwere sowie das Anhängigwerden bei mehreren Behörden zu sein. Vgl. auch Rn 13 ff. Zur Prävention von Kinderdelinquenz s. Thomas aaO, 194 ff; Schäfer DVJJ-J 00, 134. Allg. zur Kinderkriminalität Müller/Peter, Hrsg., Kinderkriminalität, 1998. S. auch die Beiträge zur Kinderdelinquenz in DVJJ-J 02, 143 ff; zu einem ambulanten Hilfsangebot für strafunmündige Mehrfachtäter s. Burgthaler DVJJ-J 02, 454. 12.
Pubertät
Die Pubertätszeit ist für den J eine Phase innerer Umwälzungen mit erheblichen seelischen Kon- 28 flikten. Dazu bringt die sich ständig wandelnde Gesellschaft für den jungen Menschen eine gefährliche Statusunsicherheit mit sich; er lebt in einer Übergangsphase zwischen Kindheit und Erwachsensein, in der er zahlreiche Entwicklungsaufgaben zu bewältigen hat. Bei der überwiegenden Mehrzahl der jungen Delinquenten handelt es sich um Entwicklungstäter, deren „Kriminalität im Rahmen der Persönlichkeitsreifung“ (Bock in Göppinger S. 309 ff) mit dem Auslaufen der schwierigen und konfliktreichen Lebensphase der Jugend abklingt. Einzelne Delikte können auf spezifischen psychischen Konflikten beruhen. So können schwelende Selbstwertkonflikte aufgrund wirklicher oder eingebildeter körperlicher Missbildungen oder Unterbegabung (Stutte MKrim. 57, 71) sich in dieser schwierigen Lebensphase in kriminellen Handlungen entladen. Der Konflikt zwischen dem Drang nach Selbstentfaltung und den Begrenzungen durch die Umwelt erzeugt mannigfache Symptome der Unsicherheit und Überkompensation; als Reaktion auf mangelnde Beachtung, soziale Kränkung, Unterdrückung oder fehlende Anerkennung kann es zu Symboltaten, z. B. in Form von Diebstählen oder Brandstiftungen, kommen (Zulliger Über symbolische Diebstähle von Kindern u. J, 1960). Die Auseinandersetzung des jungen Menschen mit seiner Sexualität kann sich in Delikten niederschlagen. Überstark einsetzender Geschlechtstrieb kann zu entsprechenden Straftaten führen. Zum Sozialisationsprozess gehört auch die Bildung von Gewissen und Werthaltungen (Gilen Das Gewissen bei Fünfzehnjährigen, 1965; Hupperschwiller Gewissen u. Gewissensbildung in jkriminologischer Sicht, 1970; Rauchfleisch Praxis der Kinderpsychologie u. Kinderpsychiatrie 80, 271; Wiesnet/Gareis Schuld u. Gewissen bei j Rechtsbrechern, 1976). Wertorientierungen und Delinquenz stehen in einem engen Zusammenhang (Hermann Werte und Kriminalität, 2003). In einer Zeit, in der viele Menschen ein Höchstmaß an Selbstbestimmung und Selbstentwicklung beanspruchen und überkommene handlungsbegrenzende Normen als weniger selbstverständlich empfunden werden, ist es für junge Menschen nicht einfach, Verhaltensstile zu entwickeln, in denen sich Autonomie und Konformität in sozial akzeptabler Weise miteinander verbinden. Sich abschwächende Bindungen an Familie und Nachbarschaft und Anonymität und Mobilität des modernen Lebensstils dürften als integrationsgefährdende Faktoren hinzukommen (Dölling in Rössner, Hrsg., Toleranz – Erziehung – Strafe, 1989 S. 15 f mwN). 13.
Familie u. Erziehung
Die Familie, die sich im Zeitalter der Industrialisierung von der Groß- zur Kleinfamilie entwi- 29 ckelt hat, nimmt im Sozialisationsprozess eine Schlüsselstellung ein. Sie prägt grundlegend die Einstellungen und Verhaltensweisen der Kinder. Mit Störungen belastete Familien können zu einer Hauptquelle sozial abweichenden Verhaltens J werden (eingehend zur Familie als primärer Sozialisationsinstanz Schwind S. 193 ff). Überwiegend wachsen die Kinder und J in Deutschland
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jedoch in verhältnismäßig stabilen Familien auf (s. Bruhns in DVJJ-BW, Hrsg., Entwicklungen u. Perspektiven der JStrafrechtspflege, 2000 S. 7 ff; Nave-Herz in Beinroth, Hrsg., Familie u. JHilfe, 1998 S. 15 ff; vgl. auch Bohrhardt Ist wirklich die Familie schuld?, 1999). 30 ErzFehler der Eltern beeinträchtigen den Sozialisationsprozess und können mit verursachen, dass J später das Grundvertrauen abgeht und sie sich zu einem Leben in sozialer Verantwortung unfähig erweisen. Als erz. ungünstig und delinquenzfördernd werden insbes. angesehen mangelnde Zuwendung und Vernachlässigung, ein überstrenger autoritärer ErzStil, eine gleichgültige Laissez-faire-Haltung, ein übermäßig behütender ErzStil und inkonsistentes ErzVerhalten (Schwind S. 213 ff; Raithel NK 02, 62). Es kommt darauf an, in liebevoller Zuwendung die richtige Mischung zwischen Verstehen und Entgegnen zu finden. Unterforderung ist dabei nicht besser als Überforderung, auch Mut zu „unbequemer Erz.“ (Schwind ZRP 81, 279) ist gefordert. 31 Ungünstig können sich auch Straffälligkeit sowie Alkohol- und Drogenmissbrauch der Eltern, verwahrloste häusliche Verhältnisse, ständige Konflikte zwischen Vater und Mutter und Vernachlässigung der Arbeit und sonstiger sozialer Pflichten durch die Eltern auswirken. Junge Mehrfachauffällige kommen häufig aus Multiproblemfamilien, in denen sich derartige Belastungsmerkmale häufen (Bock in Göppinger S. 342 f). Zu familiärer Gewalt als Auslöser von J- u. ErwGewalt H.-J. Albrecht RdJ 08, 126. 14.
Rollenfixierung
32 Zu Recht hebt Schüler-Springorum (MKrim. 69, 7) die überragende Bedeutung der sozialen Rolle für die Entwicklung des Kindes und J sowie die Rollenverteilung innerhalb der Familie und anderer Bezugsgruppen hervor. Gerade J neigen dazu, eine rasch bis zur Stigmatisierung fortschreitende Rollenerwartung zu erfüllen. Im Umgang mit jungen Tätern muss deshalb sorgfältig darauf geachtet werden, dass nicht die Übernahme delinquenter Rollen durch die J gefördert wird. Versteht sich der Täter als „Krimineller“, kann dies zur Rückkehr ins kriminogene Milieu und zur Verfestigung der Kriminalität trotz aller Hilfen beitragen (SchülerSpringorum aaO). Alle, die mit J arbeiten, sollten sich der Gefahren einer Stigmatisierung, auf die der labeling approach (Rn 6) hingewiesen hat, bewusst sein und diesen Gefahren entgegenwirken. – Nach Herz (KrimJ 94, 307) werden durch das JStrafrecht traditionelle geschlechtsspezifische Rollenklischees gefestigt. 15.
Schule
33 Die Schule, das Zwischenmilieu des Übergangs von der Familie zum Beruf, ist eine neue Umweltsphäre, mit der sich der junge Mensch auseinandersetzen muss und der für seine weitere Entwicklung erhebliche Bedeutung zukommt. Bei Rückfalltätern sind wesentlich häufiger als im Bevölkerungsdurchschnitt Störungen im schulischen Bereich wie Schwänzen, schlechte Leistungen, Sitzenbleiben und vorzeitiger Abgang von der Schule festgestellt worden (Schöch in Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss S. 458; zum Zusammenhang zwischen Schulabsentismus u. Delinquenz Mau/Messer/vom Schemm NK 07, 122). Erhebliche Defizite im Schulablauf können daher als Indikator für eine kriminelle Gefährdung angesehen werden, dürfen aber nicht einfach als Delinquenzursache interpretiert werden, sondern stellen meist Symptome eines umfassenden Fehlanpassungs-Syndroms dar, das zu einem erheblichen Teil in Defiziten in der Herkunftsfamilie wurzelt (Schöch aaO, S. 459). Auf nicht diagnostizierte oder nicht richtig therapierte Legasthenie als mögliche Mitursache für kriminelle Verhaltensweisen hat Weinschenk (MKrim. 67, 308; 70, 13 u. 382) hingewiesen. Auf schulische Misserfolge darf nicht in herabsetzender Weise reagiert werden, denn hierdurch würden die im Leistungsbereich bestehenden Probleme des J verschärft. Vielmehr bedarf es stützender und fördernder Maßnahmen, um den Weg zu schulischen Erfolgen zu eröffnen und damit auch einen Beitrag zur Delinquenzprophylaxe zu leisten. Zur
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Zusammenarbeit zwischen Schule u. JHilfe s. die Beiträge in ZJJ 05, 120 ff. Zu Gewalt in der Schule u. Vandalismus Rn 44, 45. Zu gegenseitigen Mitteilungspflichten zwischen Schule, JStA u. JRichter § 70, 1, 5, 7 u. 8; § 109, 1; zur Beurteilung von Kindern u. J durch Lehrer im JSchutzverfahren Anh. § 125, 9 a. Zur Verletzung der Schulpflicht durch die ErzBerechtigten als Straftat oder Ordnungswidrigkeit Rinio Zbl. 01, 221. 16.
Beruf
Zu den wichtigsten Aufgaben der Jugendphase gehört das Erlernen eines Berufs und das Hin- 34 einwachsen in das Berufsleben. Der Beruf sichert nicht nur die materielle Existenz, sondern schafft auch Bindungen an konventionelle Aktivitäten, die sich delinquenzhemmend auswirken können (vgl. zu den Bindungstheorien Hermann Handb. d. For. Psychiatrie Bd. 4, 2009 S. 303 ff). Die Konfrontation mit der Erwachsenenwelt des Berufslebens ist für junge Menschen freilich häufig nicht einfach zu bewältigen. Nichtantritt oder Abbruch einer Lehre, häufiger Arbeitsstellenwechsel, Ausübung von Berufen mit niedrigem sozialen Status, berufliches Desinteresse und Arbeitslosigkeit werden bei Rückfalltätern häufiger festgestellt als bei Vergleichspersonen und stellen daher ebenso wie schulische Defizite (Rn 33) einen Indikator für kriminelle Gefährdung dar (Bock in Göppinger S. 274 ff). Aus kriminalpräventiver Sicht ist daher die Förderung von Ausbildung und beruflicher Tätigkeit angezeigt, wobei auch Belastbarkeit und Frustrationstoleranz gestärkt werden müssen, um den jungen Menschen in die Lage zu versetzen, die im Arbeitsleben unvermeidlich auftretenden Schwierigkeiten zu bewältigen. 17.
Freizeit
Wie der junge Mensch seine Freizeit personell (Familie, Freunde, wechselnde Bekannte), institu- 35 tionell (Vereine, Verbände), örtlich (Wohnung, Lokale) und sachlich (Sport, Lesen, Internet, Film, Hobby) gestaltet, kann wichtige kriminologische Aufschlüsse geben (Wüstendörfer/Toman/ Lösel MKrim. 76, 133). Die Freizeit ist ein Frühwarnbereich für eine beginnende Hinentwicklung zur Kriminalität. Nach den Befunden Göppingers dehnten die Straffälligen die Freizeit zunächst auf Kosten des Schlafs und dann auf Kosten des Leistungsbereichs aus. Ihre Freizeittätigkeiten waren durch inhaltlich nicht vorhersehbare völlig offene Abläufe gekennzeichnet, oft verbunden mit einer Bereitschaft zu exzessiven Handlungen wie übermäßigem Alkoholkonsum, unkontrollierten Geldausgaben oder auch gewalttätigen Auseinandersetzungen (Bock in Göppinger S. 278 f). Bei J, die nur während einer Entwicklungsphase vorübergehend delinquent waren, zeigten sich zwar auch Auffälligkeiten in der Freizeitgestaltung, die Freizeit wurde jedoch zumeist nicht zu Lasten des Leistungsbereichs ausgeweitet (aaO, S. 310). Angesichts der Verlockungen eines umfangreichen konsumorientierten Freizeitangebots, dessen Wahrnehmung erhebliche Geldmittel erfordert, der Suche nach immer mehr Aufregung und Spannung in der Freizeit, die zu äußerst riskanten und illegalen Aktivitäten führen kann („S-BahnSurfing“, „Joy-riding“) und der Möglichkeit, dass Langeweile in deliktisches Handeln umschlägt, kommt es darauf an, bedürfnisgerechte Freizeitangebote für J zu entwickeln und sie zur „sinnvollen“ Freizeitgestaltung zu motivieren und zu befähigen (Schwind S. 286 ff). 18.
Massenmedien
Die Inanspruchnahme insbes. audiovisueller Massenmedien (Rundfunk, Fernsehen, Videofilme, 36 Kino, Internet) spielt im Leben Jugendlicher eine große Rolle. Es wird bereits über das Fernsehen als „dritter Elternteil“ diskutiert (Schwind S. 301). Ob die zahlreichen massenmedialen Gewaltdarstellungen Aggressivität und Kriminalität fördern, ist umstritten. Nach der KatharsisHypothese hat die Betrachtung von Gewaltdarstellungen eine Ersatz- und Ventilfunktion, die sich aggressionsmindernd auswirkt; nach der Inhibitionshypothese löst das Ansehen gewaltsa-
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mer Handlungen Aggressionsangst aus und hemmt auf diese Weise aggressives Verhalten. Demgegenüber regen nach der Stimulationshypothese Gewaltdarstellungen zur Nachahmung an und führen sie nach der Habitualisierungshypothese zu Abstumpfung und Gewöhnung (Kaiser S. 379). Die empirischen Befunde sind nicht einheitlich. Die Medienwirkung darf nicht isoliert betrachtet werden, sondern hängt von Persönlichkeit und Umfeld des Konsumenten und den sonstigen auf ihn einwirkenden Faktoren ab. Bei J kommt dem ErzVerhalten der Eltern und den Möglichkeiten zur Verarbeitung des Gesehenen wesentliche Bedeutung zu. Der gegenwärtige Forschungsstand deutet darauf hin, dass massenmediale Gewaltdarstellungen wahrscheinlich langfristig Einstellungen prägen und unter bestimmten Randbedingungen prädisponierte Personen kurzfristig zu Nachahmungskriminalität reizen können (vgl. Kaiser/Schöch S. 39; Groebel DVJJ-J 98, 46; Raithel MKrim. 03, 287; die Beiträge in UJ 03, 145 ff; Mößle/Kleimann/Rehbein/Pfeiffer ZJJ 06, 295; Streng ZJJ 07, 198). Insgesamt dazu Brunner JR 97, 120 ff. Wegen des Einflusses der Massenmedien auf den Sozialisationsprozess hat neben der Medienkontrolle (dazu Schwind S. 309 ff) die Erz. der J zu einem kritischen Umgang mit den Medien zentrale Bedeutung. Zum Einfluss des suchtartigen Konsums von Horrorvideos auf Strafmündigkeit u. Schuldfähigkeit LG Passau NJW 97, 1165 = JR 97, 118 mit Anm. Brunner sowie § 3, 11 c. 19.
Gruppenkriminalität
37 J und auch Hw begehen Straftaten häufig gemeinschaftlich. Überwiegend handelt es sich allerdings um lockere Zusammenschlüsse, die Zweierverbindung steht im Vordergrund (Kaiser/Schöch S. 159). Gruppenprozesse sind in mehrfacher Hinsicht kriminologisch relevant. In der Gemeinschaft mit anderen riskiert der einzelne mehr, werden Hemmungen geschwächt und fühlt er sich weniger verantwortlich (Kaiser S. 283). Für die Entwicklung junger Menschen spielt die Gruppe der Gleichaltrigen eine wichtige Rolle (Hartmann Handb. d. For. Psychiatrie Bd. 4, 2009 S. 213). So werden sich J mit Problemen in der Familie, in der Schule oder im Arbeitsleben um den Anschluss an Gruppen von Altersgenossen bemühen, die häufig ähnliche Schwierigkeiten haben, und kann sich das Bemühen um Anerkennung und Selbstbestätigung dann in durch die Gruppendynamik gefördertem delinquenten Verhalten niederschlagen. 38 Die Formen des Zusammenschlusses bei j. Gemeinschaftsdelinquenz sind mannigfach und in den Übergängen fließend. Spontangruppen können aus bestimmten Situationen (z. B. Musikfestival) entstehen und sich in Aggressionsdelikten entladen. Bei Gelegenheitsgruppen, die keinen anhaltenden Bestand haben, sollen Eigentumsdelikte im Vordergrund stehen (Göppinger Kriminologie, 4. Aufl. 1980 S. 557). Dies wird auch für halborganisierte Gruppen angenommen, die sich zusammengehörig fühlen, aber nicht über eine bestimmte Funktionsverteilung verfügen (Göppinger aaO). Bei den JBanden handelt es sich demgegenüber um auf gewisse Dauer angelegte Verbindungen, die stärker organisiert sind und zu deren Zielen die Begehung von Straftaten gehört (Kaiser S. 284). – Spiel- und Straßengruppen ohne deliktisches Verhalten können eine Übergangsphase zu differenzierteren Zusammenschlüssen darstellen, in denen es zu Straftaten kommt. 39 JBanden treten in Deutschland insbes. in Großstädten in Erscheinung. Die Aktivitäten einiger Banden sind auf die Verschaffung von Vermögensvorteilen gerichtet, vor allem durch Diebstähle, teilweise auch durch Raubtaten (Middendorf in BKA, Hrsg., Bekämpfung von Diebstahl, Einbruch, Raub, 1988 S. 153). Weiterhin wird von „Streetgangs“ berichtet, die versuchen, mit deliktischen Mitteln das von ihnen beanspruchte „Revier“ zu beherrschen (Schwind S. 614 f). Rocker, Punks und Skins gehören zu den Gruppierungen, die durch ihr Erscheinungsbild ihre Zusammengehörigkeit und zugleich Distanz von „der Gesellschaft“ demonstrieren und im deliktischen Bereich vor allem durch Gewalttaten auffallen. Den Gruppen gehören ganz überwiegend männliche J an. Während bei den Rockern Motorradfahren das Gefühl von Freiheit und Abenteuer vermitteln soll, wird das Verhalten der Punks als Protest gegen die traditionellen bürgerlichen Normen interpretiert und werden die Gewalttätigkeiten der Skins als Ausdruck von Per-
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spektiv- und Orientierungslosigkeit gesehen (Hartmann aaO, S. 216, 221 ff; Schwind S. 603 ff). Es wird angenommen, dass in einer durch Individualisierung und Durchsetzungswillen gekennzeichneten Gesellschaft soziale Desorganisation durch Auflösung der Beziehungen zu anderen Personen, insbes. zu den Eltern, Ausdünnung gemeinsamer Norm- und Wertvorstellungen und abnehmende Teilnahme an gesellschaftlichen Institutionen zur Bildung gewaltbereiter Gruppierungen junger Menschen führt, in denen Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Wir-Gefühl und Selbstbestätigung befriedigt werden können (Heitmeyer DVJJ-J 92, 76). In der Gruppe können Selbstwertkonflikte durch Kraftakte und provozierendes Verhalten kompensiert werden, Alkohol und das Scheinwerferlicht der Medien können als Verstärker wirken. Nach Kersten (DVJJ-J 93, 23, 25) geht es in gewaltorientierten JBanden um die Darstellung von Männlichkeit. Zu Gruppenkulturen von J s. Eckert/Reis/Wetzstein „Ich will halt anders sein wie die anderen!“ 2000. Zusammenfassend Förtig JBanden, 2002. Das OLG Zweibrücken (NStZ 87, 89 mit Anm. Molketin) hat zur Verurteilung eines Skinheads zutreffend ausgeführt, dass die Hinwendung zu einer Gruppe Gleichgesinnter, verbunden mit Unterordnung und Preisgabe individueller Freiräume, aber dem Gefühl solidarischer Geborgenheit, Ausdruck mangelnder Reife sein kann. Die Anwendung von Gewalt und rowdyhaftes Benehmen könne als JVerfehlung (§ 105 II Nr. 2) Vorstellungen von „Heldenhaftigkeit, Mutbeweis und Imponiergehabe“ entsprechen und sich aus Mangel an Mitgefühl, Selbstsicherheit und Hemmungskraft erklären. Zur Strafbarkeit wegen Körperverletzung bei einem Aufnahmeritual in eine JBande s. BayObLG NJW 99, 372 = JR 99, 122 mit Anm. Otto = NStZ 99, 458 mit Anm. Amelung. Auch und gerade bei Straftaten mit und aus „politischem“ Hintergrund laufen Gruppenprozes- 40 se ab und sind häufig Entwicklungsdefizite festzustellen. Das gilt auch für die ausländerfeindlichen Straftaten, an denen überwiegend J und Hw. beteiligt sind. Die Täter haben idR keine festgefügte politische Einstellung oder Weltanschauung. Dies zeigt sich z. B. daran, dass Wechsel in eine Gruppe mit entgegengesetzter politischer Orientierung vorkommen (Frehsee KrimJ 93, 266). Hinter den ausländerfeindlichen Delikten können Zukunftsangst und das Gefühl stehen, zu kurz zu kommen und nicht hinreichend beachtet zu werden, wobei „die Ausländer“ als Sündenböcke fungieren (Ostendorf NK 93, 26). Eine Rolle spielen können auch – wie bei anderen Gewaltdelikten j. Gruppierungen – die Suche nach einer Gemeinschaft Gleichgesinnter und Erlebnishunger (zum „fun“-Aspekt der Gewalt Koch in DVJJ-BW, Hrsg., Gegen-Gewalt, 1994 S. 16, 21). Es kann auch um Provokation der etablierten Ordnung durch Tabuverletzungen gehen (Baumgarten/Breymann DVJJ-J 94, 69; Kersten DVJJ-J 93, 23). Die Gewalttaten werden häufig spontan unter Alkoholeinfluss begangen (Best DVJJ-J 94, 56 f). Nach Kubink Fremdenfeindliche Straftaten, 1997 S. 249 sind die Tatumstände häufig für herkömmliche JKriminalität typisch. Zu Delikten J mit „politischem“ Hintergrund s. auch Bela BewH 88, 328; Kube BewH 93, 287; die Beiträge von Erb ua in Lamnek, Hrsg., Jugend u. Gewalt, 1995 S. 39 ff; Mentzel Rechtsextremistische Gewalttaten von J und Hw. in den neuen Bundesländern, 1998; Dünkel/Geng, Hrsg., Rechtsextremismus u. Fremdenfeindlichkeit, 1999; die Beiträge in DVJJ-J 01, 4 ff, RdJ 02, 6 ff u. ZJJ 10, 116 ff; Günter ZJJ 04, 15; zu „Hassdelikten“ Schneider BewH 03, 115; zum soziobiografischen Hintergrund rechtsextremistischer Gewalttäter Marneros/Steil/Galvao MKrim. 03, 364; zur Schuldfähigkeit Marneros/Steil/Galvao ZJJ 05, 434; zu Radikalisierung u. Gewalttaten junger Muslime H.-J. Albrecht RdJ 10, 70. Vgl. auch BMJ, Hrsg., Hasskriminalität–Vorurteilskriminalität. Projekt Primäre Prävention von Gewalt gegen Gruppenangehörige – insb.: junge Menschen, 2006. Als Reaktionen auf diese Delikte sind einerseits eine konsequente und schnelle Strafverfolgung 40 a und andererseits Integrationshilfen für die jungen Täter geboten (Ostendorf aaO; Viehmann ZRP 93, 81; Günter ZJJ 04, 19). Durch die Strafverfolgung sind Unantastbarkeit und Wert der angegriffenen Rechtsgüter und die Verbindlichkeit der sie schützenden Normen zu verdeutlichen. Hierbei dürfen von einem rechtsstaatlichen und fairen Strafverfahren keine Abstriche gemacht werden (Hamm NJW 94, 3180). Die Strafzumessungspraxis der JGerichte ist nach Neubacher Fremdenfeindliche Brandanschläge, 1998 u. MKrim 99, 1 maßvoll und dem ErzGedanken ver-
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pflichtet. Bei den Integrationshilfen geht es darum, Gewaltbereitschaft abzubauen und Handlungsmöglichkeiten für eine gewaltfreie sinnerfüllte Lebensgestaltung aufzuzeigen (zur sozialpädagogischen Arbeit mit jungen Tätern von Gewaltdelikten s. die Beiträge von Seitz, Walpuski, Hosmann u. Peterich in DVJJ-BW aaO, S. 23 ff; Geretshauser/Lenfert/Weidner DVJJ-J 93, 33). Unter präventiven Gesichtspunkten eröffnen Straßensozialarbeit, niedrigschwellige offene JArbeit und Gemeinwesenarbeit im Sinne eines abgestimmten Vorgehens der vor Ort mit gewaltbereiten J befassten Personen und Einrichtungen Chancen für Deeskalation von Gewalt (Koch aaO, S. 17 ff; zu Möglichkeiten kommunaler Gewaltprävention Best aaO, 57; Trenz in DVJJ-BW aaO, S. 73 ff; s. auch die Projektbeispiele bei Klose/Rademacher/Hafeneger/Jansen Gewalt u. Fremdenfeindlichkeit – pädagogische Auswege, 2000, die Beiträge in UJ 01, 505 ff u. in UJ 09, 50 ff, Hafeneger UJ 04, 338, UJ 06, 171 u. zur Gedenkstättenpädagogik Nickolai DVJJ-J 00, 147; Nickolai/Lehmann Hrsg., Grenzen der Gedenkstättenpädagogik mit rechten Jugendlichen, 2002; Mensing ZJJ 10, 315). 40 b In der JGerichtsverhandlung wird es darauf ankommen, die Täter mit gelassener Entschiedenheit zu behandeln (vgl. Rn 53). Gemeinsame Verhandlung mit erw. Mittätern (dazu auch § 103, 8 u. 8 a) kann ebenso schädlich sein wie öffentliche Verhandlung und Sensationsberichterstattung durch die Medien (vgl. § 48, 3); politische Parolen können bei jungen Menschen ein die Erw. provozierendes Gehabe sein, für das durch die Berichterstattung der Medien ein Gewicht erreicht wird, das die J sonst für sich nicht realisieren könnten (vgl. Seidel Zbl. 87, 207). Zu Gruppenzwang und falsch verstandener Solidarität BGH StV 86, 305 u. BGH B NStZ 88, 491 bei § 17, 11 a. Zum Wohlwollensgebot nach BVerfG gegenüber Gewissenstätern im Bereich der Strafzumessung u. Strafaussetzung zur Bew. OLG Stuttgart MDR 88, 1080; OLG Bremen StV 89, 395 (Dienstflucht, hw. Totalverweigerer) u. OLG Zweibrücken StV 89, 379 (Zeuge Jehovas), zur Strafaussetzung zur Bew. bei politischen Überzeugungstätern § 21, 6 b. Vgl. auch § 105, 6 d. Zum Umgang mit gewalttätigen rechtsorientierten J im Strafvollzug s. Nickolai/Walter ZfStrVo 94, 69; Heitmann/Korn ZJJ 06, 38. 41 Gruppierungen von J und Hw. werden auch bei Gewalttaten anlässlich von Sportveranstaltungen, insbes. bei Fußballspielen, auffällig (vgl. Brunner Zbl. 84, 224). Neben Gewalttätigkeiten gegenüber anderen Zuschauern, vor allem „Fans“ der „gegnerischen“ Mannschaft, und Sachbeschädigungen in Stadien kommt es ua zu Beschädigungen öffentlicher Verkehrsmittel auf der An- und Abreise. Für die Ausschreitungen werden unterschiedliche Gründe angenommen, ua das Abreagieren von „Arbeitsfrust“ und das Bedürfnis sich auszutoben (Schwind S. 611 f) und die Kompensation einer Lebensperspektive ohne große Erwartungen durch Gewalttätigkeiten (Schwind/Baumann, Hrsg., Ursachen, Prävention u. Kontrolle von Gewalt. Analysen u. Vorschläge der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung u. Bekämpfung von Gewalt. Gewaltkommission, Bd. I, 1990 S. 257). Nach Pilz (DVJJ-J 92, 89) handelt es sich bei Ausschreitungen J oft um einen „Hilferuf an die Gesellschaft“, ernst genommen zu werden und Sinn- und Zukunftsperspektiven eröffnet zu bekommen. Als Faktoren, die sich im Sinne einer Erhöhung der Gewaltbereitschaft auswirken, sind ua in Betracht zu ziehen: das Anschauen von Gewalt unter Spielern, die Identifikation mit Spielern und Mannschaft, die Belastung des Spiels mit Symbolen und Feindbildern, die Fixierung auf den Sieg, die Kommerzialisierung des Sports, die Dramatik des Spiels, der Alkoholkonsum und die Entindividualisierung, die der Zuschauer in der Masse erlebt (Schwind/Baumann aaO, S. 257; vgl. auch die Beiträge in MKrim. 06, 158 ff). Detaillierte Vorschläge zur Prävention und Kontrolle von Gewalt anlässlich Sportveranstaltungen hat die „Gewaltkommission“ der Bundesregierung unterbreitet (Schwind/Baumann aaO, S. 277 f; zur Umsetzung Schwind DVJJ-J 94, 117). 20.
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42 Über den Begriff der Gewaltkriminalität besteht keine Einigkeit. Teilweise wird er auf aggressive Delikte beschränkt, die sich – wenigstens mittelbar – gegen eine Person richten (Kürzinger in
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Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss S. 171), teilweise wird zu Recht auch Gewalt gegen Sachen einbezogen (Schneider Kriminologie der Gewalt, 1994 S. 13 f). Nach beiden Definitionen sind J und Hw. bei Gewaltdelikten überrepräsentiert (Schneider aaO, S. 29). Andererseits werden junge Menschen überproportional häufig Opfer von Gewalttaten (BKA, Hrsg., Polizeiliche Kriminalstatistik 2009 S. 58). Zu jugendlichen Opfern u. Tätern von Gewaltdelikten s. Mansel Angst vor Gewalt, 2001. Gewaltdelikte werden im Vergleich zu Eigentums- und Vermögensdelikten seltener begangen, können aber im Einzelfall bes. gravierende Folgen haben und werden von der Bevölkerung als bes. bedrohlich empfunden (Kaiser S. 367). Die Erscheinungsformen der Gewaltkriminalität sind vielfältig. Bei J und Hw. spielen vor allem 43 Körperverletzung und Straßenraub eine Rolle. Zur Erklärung für Gewaltdelikte werden heute gegenüber psychoanalytisch oder verhaltensbiologisch begründeten Theorien von einem angeborenen Aggressionstrieb Lerntheorien bevorzugt, die aggressives Verhalten auf Lernprozesse ua in der Familie zurückführen (zu den Entstehungsbedingungen von Gewalt s. Biedermann/ Plaum Aggressive Jugendliche, 1999 S. 9 ff; Schubarth Gewaltprävention in Schule u. JHilfe, 2000 S. 13 ff; zur Psychologie j. Gewalttäter Füllgrabe Kriminalistik 04, 243; zur Biografie von Gewalttätern u. dem Erleben von Gewalt in der Herkunftsfamilie s. Böttger Gewalt u. Biographie, 1998; ders. DVJJ-J 98, 224; Bannenberg/Rössner DVJJ-J 00, 121; zum Zusammenhang zwischen Erfahrungen der Missachtung und Gewaltdelinquenz Sitzer Jugendliche Gewalttäter, 2009). Als Teilstück einer multikausalen Aggressionstheorie auf lerntheoretischer Basis wird auch die FrustationsAggressions-Hypothese angesehen, die einen Zusammenhang zwischen Enttäuschungserlebnissen und gewalttätigem Verhalten annimmt (Kaiser S. 374). Zur Bedeutung von Gleichaltrigengruppen Wetzels/Enzmann DVJJ-J 99, 116; zur Wirkung der Massenmedien Rn 36. Eine Theorie, die alle Gewaltphänomene befriedigend erklärt, ist nicht ersichtlich. Bei Erklärungsversuchen wird daher nach den verschiedenen Erscheinungsformen der Gewaltdelinquenz zu differenzieren sein (Kaiser S. 375). Die registrierte Gewaltkriminalität ist in der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten gestiegen, was vor allem auf der starken Zunahme bei gefährlicher und schwerer Körperverletzung beruht (Heinz Handb. d. For. Psychiatrie Bd. 4, 2009 S. 45 f). Schwere Gewalttaten j. Menschen sind aber weiterhin ein Ausnahmetatbestand (H.-J. Albrecht MKrim 98, 393; Skepenat J u. Hw. als Tatverdächtige u. Opfer von Gewalt, 2000 S. 282). Die Zunahme der registrierten Gewaltkriminalität dürfte zu einem erheblich Teil auf eine gestiegene Anzeigebereitschaft zurückzuführen sein (Rn 11). Außerdem wird darauf hingewiesen, dass einschneidende soziale Wandlungsprozesse ua in Familie und Arbeitswelt zu Belastungssituationen geführt haben, die teilweise nicht konflikfrei verarbeitet werden konnten, sondern sich in Frustration und Orientierungslosigkeit niedergeschlagen und damit die Wahrscheinlichkeit von Gewaltdelinquenz erhöht haben (Kaiser S. 376 f; Schneider aaO). Zu Amokläufen s. Bannenberg Amok, 2010; vgl. auch Lempp Nebenrealitäten, 2009. Zu Gewaltdelikten von Mädchen s. Neumaier Die Ursachen des Anstiegs der Gewaltkriminalität von Mädchen, 2011. Erhebliche Aufmerksamkeit hat der Bereich der Gewalt in der Schule gefunden. Nach vorlie- 44 genden Untersuchungen, die einer sorgfältigen Interpretation bedürfen (vgl. die methodologische Kritik bei H.-J. Albrecht MKrim. 98, 394 ff) sind Gewalttätigkeiten zwischen Schülern nicht auf breiter Front, sondern in bestimmten Schulen zu verzeichnen, insbes. in großen Schulen mit „schlechtem“ Schulklima und in bestimmten Hauptschulen, wobei wahrscheinlich problembelastete Einzugsgebiete eine Rolle spielen (vgl. Biedermann/Plaum [Rn 43] S. 59 ff; Schubarth [Rn 43] S. 66 ff; ders. RdJ 99, 372; Schwind S. 237 ff; Funk, Hrsg., Nürnberger Schüler Studie 1994: Gewalt an Schulen, 1995; Schwind/Roitsch/Ahlborn/Gielen Gewalt in der Schule, 1995; die Beiträge von Schwind ua in Lamnek, Hrsg., Jugend u. Gewalt, 1995 S. 99 ff; Böttger DVJJ-J 96, 126; Traulsen ZJJ 03, 250). Der „harte Kern“ gewaltorientierter Schüler wird auf 3–10% der Schüler veranschlagt; bei ihm werden in erhöhtem Maße Schulleistungsprobleme festgestellt (Schwind S. 243). Nach einer in Bochum durchgeführten Befragung sind verbale Aggressionen in fast allen Schulen weit verbreitet und fürchten sich über 30% der Schüler auf dem Schulweg oder Pausenhof (Schwind
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Einführung
S. 240, 241). Entstehungsbedingungen für Gewalt in der Schule werden ua in ErzProblemen in der Herkunftsfamilie und deren sozialen Belastungen (z. B. durch Arbeitslosigkeit und beengte Wohnsituation), in großen und unübersichtlichen Schuleinheiten und in fehlendem Gemeinschaftsgefühl in der Schule gesehen (Schneider Kriminologie der Gewalt, 1994 S. 117 f; Schwind S. 243 ff; Schwind/Baumann, zit. in Rn 41 S. 255 f). Die Vorschläge der Gewaltkommission zur Prävention von Gewalt in der Schule (Schwind/Baumann aaO, S. 270 ff) sind anscheinend bisher nur in geringem Maß umgesetzt worden (Schwind DVJJ-J 94, 116). Zur Eindämmung von Schülergewalt durch Maßnahmen der Schule Mühlig Die Kontrolle von Schülergewalt durch die Institution Schule, 2004. Zur Gewaltprävention s. auch Gropper/Zimmermann (Hrsg.) Raus aus Gewaltkreisläufen, 2000; Hücker DVJJ-J 00, 73; Klees/Marz/Moning-Konter (Hrsg.) Gewaltprävention. Praxismodell aus JHilfe u. Schule, 2003; Wolke/Walter RdJ 06, 493; Bannenberg/Rössner/ Kempfer ZJJ 04, 159 (zum Präventionskonzept von Olweus); Hermann/Dölling ZJJ 10, 398 (zu Gewaltprävention durch Schulsozialarbeit). 45 Vandalismus im Sinn einer als sinn- und zwecklos erscheinenden Zerstörung oder Beschädigung von Sachen ist sowohl innerhalb als auch außerhalb der Schule festzustellen. Die Taten werden meistens von jungen Tätern in Gruppen begangen (Schneider Kriminologie der Gewalt, 1994 S. 144). Als Tatobjekte kommen ua neben Einrichtungsgegenständen und Lehrmaterialien von Schulen Telefonzellen, Verkehrszeichen, Straßenlaternen, Bänke und Parkanlagen, also vor allem Gemeinschaftseinrichtungen, in Betracht. Die Gesamtheit der durch Vandalismus verursachten Schäden wird als sehr hoch veranschlagt (Kube/Schuster Vandalismus, 2. Aufl. 1983 S. 7, 15). Bes. gefährdet sind ungepflegte und verwahrloste Gebäude, Objekte mit nicht beseitigten Vorbeschädigungen und weniger überwachte und schlecht einsehbare Einrichtungen (Kube/Schuster aaO, S. 23; Schneider aaO, S. 145). Vandalismus von J und Hw. wird mit Erhöhung des Selbstwertgefühls und Kompensation von Defiziten in anderen Bereichen durch Gewaltanwendung, Suche nach Abwechslung, Spannung und Vermeidung von Langeweile, Statusgewinn in der Gleichaltrigengruppe und Festigung des Gruppenzusammenhalts in Zusammenhang gebracht (Kube/ Schuster aaO, S. 26 ff; Schneider aaO, S. 144 f; Schwind/Baumann aaO, S. 259 f). Zu rechnen ist auch mit Nachahmungstätern. Das gilt auch für Graffiti-Sprüher, die zum Teil stolz ihr Kennzeichen beifügen, wobei Presseberichte, die nur Kunst, aber nicht den Schaden sehen, als Verstärker wirken können. Zu den Vorschlägen der Gewaltkommission zur Eindämmung von Vandalismus u. deren Verwirklichung vgl. Schwind/Baumann aaO, S. 275 ff; Schwind DVJJ-J 94, 117).
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Wohlstand u. Arbeitslosigkeit
46 Der Anstieg der Eigentumskriminalität nach dem Zweiten Weltkrieg trotz lang dauernden wirtschaftlichen Aufschwungs hat zum Begriff der Wohlstandskriminalität geführt (Schneider Kriminologie, 1987 S. 253). Junge Täter sind an der gestiegenen Eigentumskriminalität in einem hohen Maß beteiligt. Als Gründe für die Wohlstandskriminalität werden genannt: Zunahme der Tatgelegenheiten infolge massenweise vorhandener und verhältnismäßig leicht zugänglicher Güter, geringere Wertschätzung des Eigentums angesichts der Vielzahl und Ersetzbarkeit der Güter, Steigerung der Ansprüche, die mit legalen Mitteln nicht erfüllt werden können, eine materialistische Einstellung der Gesellschaft, die den zwischenmenschlichen Zusammenhalt schwächt, und die Verstädterung, die zu einem Absinken der informellen Sozialkontrolle führt (Kaiser S. 226 ff; Schneider aaO, S. 254 f). Gerade auf junge Menschen dürften raffinierte Werbemethoden einen nicht unerheblichen Einfluss ausüben und dürfte es wegen der geringer als bei Erw. ausgeprägten Selbstkontrolle schneller zur Wegnahme von Gütern kommen, auf die insbes. in Warenhäusern unmittelbar zugegriffen werden kann. Hinzu kommt, dass Diebstahlshandlungen für junge Täter auch mit Abenteuerlust, Selbstbestätigung und Status in der Gleichaltrigengruppe verbunden sind. Außerdem kann die Beobachtung, dass vielfach Straftaten im Wirtschafts- und Geschäftsleben von Erw. als „Kavaliersdelikte“ (Helfer MKrim. 67, 175)
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I. Jugendkriminologische Aspekte
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heruntergespielt werden, Jugendlichen die Relativierung ihrer Taten durch Neutralisierungstechniken (Egg/Sponsel MKrim. 78, 38) erleichtern. Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass es in einer materialistisch orientierten Gesellschaft an Möglichkeiten für die J zur Selbsterfahrung, Bewährung und Übernahme von Verantwortung fehlt (Hellmer MKrim. 63, 109; Schaffstein MKrim. 65, 66; Schaffstein/Beulke S. 18). Der bes. Aufmerksamkeit bedürfen die J, die sozialökonomisch randständige Positionen einnehmen und bei denen sich die Frage nach der Notkriminalität in der Wohlstandsgesellschaft stellt. Pfeiffer/Ohlemacher (in Lamnek, Hrsg., Jugend u. Gewalt 1995 S. 259) nehmen einen Zusammenhang zwischen Zahl der Sozialhilfeempfänger und Kriminalität an (kritisch zu einem Zusammenhang zwischen Armut und Kriminalität jedoch Kaiser S. 225). Die Beziehung zwischen JArbeitslosigkeit und JKriminalität muss differenziert beurteilt wer- 47 den (vgl. Dessecker, Hrsg., JArbeitslosigkeit u. Kriminalität, 2006). Während Exner (Kriminologie, 3. Aufl. 1949 S. 88 f) bezogen auf die Zeit von 1926 bis 1938 von einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Diebstahlskriminalität gesprochen hat, lässt sich ein genereller Zusammenhang zwischen Arbeitslosenquote und Kriminalitätsrate für die neuere Zeit nicht mehr sichern (Kaiser S. 225 f). Dies kann an den sozialen Sicherungssystemen liegen, die Notkriminalität auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit weniger wahrscheinlich machen. Außerdem könnten solche Situationen kriminalitätsreduzierend wirken, weil in wirtschaftlichen Rezessionen eine Straftat den Arbeitsplatz eher gefährdet und vorbestrafte Arbeitslose schwerer einen neuen Arbeitsplatz finden dürften (Steinhilper/Wilhelm-Reiss in Schwind/Berckhauer/Steinhilper, Hrsg., Präventive Kriminalpolitik, 1980 S. 349). Andererseits sind insbes. unter den j. und hw. polizeilich registrierten Tatverdächtigen und Verurteilten Arbeitslose überrepräsentiert (Spieß in Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss S. 35 f). Arbeitslosigkeit trifft häufig mit anderen Integrationsmängeln zusammen, sodass schwierig zu beurteilen ist, ob Arbeitslosigkeit zu Kriminalität führt oder Kriminalität zu Arbeitslosigkeit oder ob beide durch Sozialisationsmängel verursacht werden (Kaiser S. 226). Auf einen Wechselwirkungszusammenhang weist H.-J. Albrecht (BewH 88, 133 u. KrimJ 84, 218) hin: Arbeitslosigkeit sei zwar nicht direkt ursächlich an der Kriminalitätsentstehung beteiligt, verstärke aber vorhandene Defizite im sozialen Bereich und erhöhe damit das schon vor der Arbeitslosigkeit vorhandene Risiko einer Straftat. Umgekehrt trage kriminelle Auffälligkeit zu einer Verstärkung der sonstigen sozialen Defizite und Probleme, darunter auch der Arbeitslosigkeit bei. Arbeitslosigkeit verhindere aber idR den Ausreifungsprozess nicht. Die Bedeutung von Arbeitslosigkeit dürfte daher nicht in einer unmittelbaren Verursachung von Straffälligkeit, sondern in der Verstärkung von Integrationsdefiziten zu sehen sein, die mit einem erhöhten Delinquenzrisiko verbunden sind (Spieß aaO, S. 37). Als kriminalitätsgefährdend wird insbes. früh einsetzende und längerfristige Arbeitslosigkeit angesehen, vor allem bei arbeitslosen Schulabgängern (Spieß aaO, S. 36). Die Blockade der Integration in die durch das Berufsleben geprägte Erwachsenenwelt, ein Gefühl, von der Gesellschaft nicht gebraucht zu werden, mit zunehmender Perspektivlosigkeit sinkende Leistungsmotivation oder auch Langeweile könnten die Wahrscheinlichkeit von Delinquenz erhöhen. In der Untersuchung von Schumann (MKrim 04, 222) ergab sich kein Zusammenhang zwischen Arbeitsbiografie und Delinquenz. Berufsschulen und Arbeitsämter bieten arbeitslosen J Maßnahmen zur Verbesserung von schu- 47 a lischer und beruflicher Qualifikation, damit auch zur Erhöhung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt, an. Solche Maßnahmen müssen aber mit sozialpädagogischen Programmen kombiniert werden, um auch die J zu erreichen, die mit vermindertem Selbstbewusstsein, sozialer Isolation und Resignation belastet oder auch in die Drogenszene, in Verwahrlosung und Kriminalität abgeglitten sind (Steinhilper/Wilhelm-Reiss aaO, S. 357 ff). Diese Möglichkeiten müssen im Rahmen von ambulanten Sanktionen, BewHilfe und Vollzug genutzt werden. Soweit junge Täter in Ausbildung und Beruf integriert sind, sollte dies durch die jstrafrechtlichen Reaktionen möglichst nicht gefährdet werden.
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Alkohol u. Drogen
48 Alkohol spielt bei Straftaten, insbes. bei Rückfälligkeit, eine erhebliche Rolle (zusammenfassend Dölling in Kiesel, Hrsg., Rausch, 1999 S. 152). Zahlreiche Straftaten J werden unter Alkoholeinfluss begangen (Dölling in Rössner, Hrsg., Toleranz – Erziehung – Strafe, 1989 S. 13 mwN), und es wird davon ausgegangen, dass zu den Erscheinungen der „Wohlstandskriminalität“ auch der erhebliche Anteil der unter Alkoholeinfluss begangenen JDelikte gerechnet werden muss (Schaffstein/Beulke S. 22). Eine Reihenuntersuchung in Hamburg hat für 1968 und 1969 ergeben, dass nahezu jeder zweite j. und hw. Täter unter Alkoholeinfluss stand (Struck JDelinquenz u. Alkohol, Diss. Hamburg 1970 S. 109). Alkoholkonsum ist insbes. bedeutsam für Straßenverkehrsdelikte und die Schwere der hierdurch verursachten Unfallfolgen sowie bei allg. Kriminalität für Körperverletzungsdelikte (Eisenberg § 5, 43). Mit wachsender Vorstrafenbelastung steigt der Anteil der chronischen Alkoholkonsumenten unter den Tätern (Kerner in Kaiser/Kerner/Sack/ Schellhoss S. 7), der Anteil der Alkoholiker ist jedoch bei verurteilten J und Hw. geringer als bei Erw. Es wird allerdings angenommen, dass bei einem erheblichen Anteil der j. Täter gerade bei Trunkenheitsdelikten im Straßenverkehr das Suchtproblem Alkohol verschleiert bleibt (Bußmann/Gerhardt Blutalkohol 84, 199; zu jungen Verkehrstätern s. Jehle/Hohmann/Fricke ZJJ 06, 286). Daldrup ua (Blutalkohol 87, 144) weisen darauf hin, dass von Unfallbeteiligten mit einer BAK zwischen 0,7 und 1,3 Promille 11% und bei den unter 25-jährigen jeder fünfte Cannabis konsumiert hatte. Alkohol kann zu illegalen Drogen führen (Kreuzer BewH 86, 398) und wird von Abhängigen häufig neben illegalen Drogen konsumiert. Vgl. auch die Beiträge in DVJJ-Regionalgruppe Nordbayern, Ursachen u. Sanktionierung von JKriminalität, 2009 S. 7 ff. 49 Im Bereich der Drogen ist die Arbeit des Richters gekennzeichnet und erschwert durch die Vielfalt und den ständigen Wechsel der Drogenszene und der ihr innewohnenden und folgenden Kriminalität, nicht weniger aber auch durch die bes. Situation und die psychischen Probleme der Drogentäter (zu den komplexen Zusammenhängen zwischen Drogenkonsum und Delinquenz s. Kreuzer Handb. d. For. Psychiatrie Bd. 4, 2009 S. 500 ff; König BewH 03, 182; zur Drogendelinquenz Jugendlicher vgl. auch die Beiträge in ZJJ 05, 232 ff). Das Herausfallen aus sozialen Bezügen, Erlahmen jeder regelmäßigen Tätigkeit, steigende finanzielle Belastung, die mit fortschreitendem körperlichen Verfall und zunehmender Leistungsschwäche, aber auch enormen Ansprüchen, Fehlerwartungen und Ungeduld korrespondieren, hängen eng mit krimineller Verstrickung zusammen. Dies alles lässt sich nicht einheitlich für jede Droge und für jeden Täter beantworten. Zur Beschaffungskriminalität s. Kreuzer/Römer-Klees/Schneider Beschaffungskriminalität Drogenabhängiger, 1991. Aggressionsdelikte Drogenabhängiger spielen sich zumeist innerhalb der „Szene“ ab, so dass hier ein erhebliches Dunkelfeld zu vermuten ist (Kreuzer in Kreuzer/Wille Drogen – Kriminologie u. Therapie, 1988 S. 57 ff). 50 Der Richter muss sich um Erforschung der Persönlichkeit des Drogenabhängigen, Ermittlung des Stellenwerts der Tat und Feststellung von Ansatzpunkten für therapeutische Maßnahmen bemühen. Erschwert werden können diese Bemühungen dadurch, dass Angeklagten in depravationsbedingter Gleichgültigkeit ihr Schicksal und erst recht der Ausgang der Hauptverhandlung völlig uninteressant ist; auch deshalb, weil manche ihre Situation positiv interpretieren, ja ideologisieren, weil andere sich in vage formulierter Protesthaltung sperren und manche gar nicht wissen, welcher Droge, welcher Zusammensetzung und Dosierung sie ihre Gesundheit anvertrauen. Allg. Redewendungen und Augenblicksbeteuerungen wird kein Erfahrener echter Motivation gleichsetzen wollen. Entscheidend sind deshalb Verhandlungsstil, Fragetechnik und Fachkenntnisse der Entscheidenden (Brunner Zbl. 71, 243; 80, 415 jeweils mwN). Vgl. hierzu auch Rn 53. 50 a Es werden deshalb interessieren (nach Kleiner MKrim. 71, 51 u. Zbl. 79, 51): die inneren und äußeren Faktoren, die zum Drogenmissbrauch geführt haben; Art und Umfang des Drogenmissbrauchs (dazu Schneider Suchtgefahren 84, 229) und die daraus folgende Entwicklung nebst Grad
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I. Jugendkriminologische Aspekte
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der Identifikation mit der Subkultur und Motivation zur Überwindung der Abhängigkeit; die psychosoziale Depravation (dazu Stutte MKrim. 72, 137) und die kriminelle Verflechtung (s. auch Brunner aaO). Erschwert werden können Feststellungen im Einzelfall zusätzlich dadurch, dass Drogenabhängige nur das einräumen, was nach dem Ergebnis der Ermittlungen einfach nicht mehr abgeleugnet werden kann, und ihre Aussagen taktisch so einzurichten versuchen, dass sie zwar in den schützenden Bereich der verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB, nicht aber zur Unterbringung nach § 64 StGB führen (§ 3, 11). Deshalb sind eingehende Ermittlungen bereits beim ersten Zugriff geboten, um spätere Behauptungen überprüfen zu können (dazu Brunner aaO). Unter therapeutischen Gesichtspunkten wünschenswert sind Einsicht in die Krankheit und in 50 b die Bedeutung von Eigeninitiative und Eigenverantwortung für die Heilung (Stosberg Monatskurse f. ärztliche Fortbildung 1978 H 4, 5). In der Praxis aber wird der Richter sich zumeist mit der risikobeladenen Erkenntnis begnügen müssen, dass die Therapie vielleicht tatsächlich freiwillig, aber jedenfalls nur unter dem Druck einer drohenden Strafe begonnen werden kann, und es notfalls dem Therapeuten überlassen müssen, während der Therapie, wenn auch mit Hilfe gerichtlicher Reaktionen, den inneren Leidensdruck zu wecken und zu erhalten, um zu einem wirklich freiwillig bejahten Drogenverzicht zu kommen (Brunner aaO). Staatsanwalt und Richter müssen die auszuwählenden Therapiestellen kennen (vgl. § 17, 23 ff zum 7. Abschnitt des BtMG). Erforderlich sind Einrichtungen mit einem Personal, das über die erforderlichen ärztlichen, psychologischen und sozialarbeiterischen Kompetenzen verfügt. Auch Selbsthilfegruppen können wichtige Beiträge zur Überwindung von Drogenabhängigkeit leisten. Zu Therapieeinrichtungen nach § 35 I 2 BtMG haben die Länder Anerkennungsverfahren entwickelt und entsprechende Listen veröffentlicht (dazu Körner § 35 BtMG 126 f). Zur Therapie von Suchtstörungen s. Schmidt/Gastpar/Falkai/Gaebel Hrsg., Evidenzbasierte Suchtmedizin, 2006; Thomasius/Schulte-Markwort/Küstner/Riedesser Hrsg., Suchtstörungen im Kindes- u. JAlter, 2009 S. 211 ff. Die Drogenproblematik hat sich in den letzten Jahrzehnten verschärft. Kreuzer (BewH 86, 395; 51 NStZ 98, 217) hat Grundpositionen einer Drogenpolitik entwickelt, die zu Kurskorrekturen führen, zu Selbstbescheidung in den Zielsetzungen und zu Modifikationen in der Wahl der Mittel anregen sollen, aber nicht einer Resignation das Wort reden. Als Wegbereiter harter Drogen bezeichnet er Rauchen, Alkoholmissbrauch, frühzeitigen Medikamentenumgang und Schnüffeln, die in aller Regel der ersten Haschischerfahrung vorausgingen (BewH 86, 398). Bei Besitz und Erwerb von Cannabis in kleineren Mengen, die auf Eigengebrauch schließen ließen, regt er Abstufung der Ahndung (Ordnungswidrigkeit) an, aber nicht Freigabe. Diese berge schwer abschätzbare Risiken in sich, beispielsweise für den Straßenverkehr und bei Kombination mit Medikamenten und Alkohol. Auch würden Marktmechanismen freigesetzt, vor allem Werbung, so dass eine Konsumausweitung nicht auszuschließen wäre. Eine Legalisierung stoße daher auf grds. Bedenken (NStZ 98, 221). Kreuzer spricht sich bei Kleinkonsumenten, Erst- und Bagatelltätern sowie bei selbst drogenabhängigen Tätern für eine extensive Ausnutzung von Diversionsmöglichkeiten und sozialpädagogisch-therapeutischen Chancen aus; strafjustizieller und therapeutischer Ansatz dürften sich nicht gegenseitig behindern (BewH 86, 401, 402). Erforderlich sei weiterhin eine „Politik der kleinen Schritte“ zur Minderung der mit dem Drogenmissbrauch verbundenen Schäden (NStZ 98, 219). Schließlich bedürfe es verstärkter Prävention im gesamten Suchtmittelbereich (Kreuzer DVJJ-Rundbrief März 1990 S. 6 f). Zu den organmedizinischen, psychischen und psychosozialen Risiken des Cannabiskonsums s. Petersen/Thomasius Auswirkungen von Cannabiskonsum und -missbrauch, 2007, die ua auf die besonderen Gefahren eines Konsums vor dem 16. Lebensjahr hinweisen, aaO, S. 53. Es erscheint sachgerecht, Bemühungen um Eindämmung des Drogenmissbrauchs auf die Säu- 51 a len Prävention, Therapie und Strafrecht zu stützen (näher Dölling Eindämmung des Drogen-
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mißbrauchs zwischen Repression u. Prävention, 1995). Grundlegende Bedeutung kommt der Vorbeugung als gesamtgesellschaftlicher Aufgabe zu. Eltern, Erzieher, Lehrer, Ausbilder, JArbeit, Vereine und möglichst alle gesellschaftlichen Gruppen sollten sich in Kooperation um die Förderung der Lebenskompetenz junger Menschen und die Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegenüber Drogenmissbrauch bemühen. Mit steigender Fähigkeit zur Problembewältigung sinkt die Wahrscheinlichkeit des Ausweichens in Drogenmissbrauch (zur Präventionsforschung s. Künzel-Böhmer/Bühringer/Janik-Konecny Expertise zur Primärprävention des Substanzmißbrauchs, 1993). Therapie von Drogenabhängigkeit ist schwierig, aber nicht aussichtslos. Die Chancen können durch Schaffung eines Verbundsystems von niedrigschwelligen Hilfs- und Beratungsangeboten, ambulanten, teilstationären und stationären Therapieeinrichtungen sowie Nachsorgeeinrichtungen verbessert werden (vgl. Heckmann in ders., Hrsg., Drogentherapie in der Praxis, 1991 S. 71 f). Schadensminderung ist notwendig, sollte aber das Ziel der Abstinenz nicht ersetzen. Abgestützt werden sollten diese Bemühungen durch ein Drogenstrafrecht, das auf die verschiedenen Erscheinungsformen der Drogenkriminalität in abgestufter Form reagiert (zur Verfassungsmäßigkeit des Drogenstrafrechts BVerfGE 90, 145). Zu strafrechtlichen Rechtsfolgen u. Therapie als Gesamtkonzeption für Drogenabhängige Brunner Zbl. 80, 415. Zur Kooperation von Drogenhilfe u. Justiz Baudis BewH 00, 436; ders. in DVJJ-BW, Hrsg., Neue Wege im Umgang mit JKriminalität, 2004 S. 39; zu Drogenkonsumräumen § 10 a BtMG u. Katholnigg NJW 00, 1217; Ullmann Kriminalistik 00, 578. Zusammenfassend Paul Drogenkonsumenten im JStrafverfahren, 2005. Vgl. auch die Beiträge in ZJJ 09, 292 ff. 51 b Spezielle Ausführungen im Zusammenhang mit Drogen finden sich zur Frage der Schuldfähigkeit (auch Alkohol) in § 3, 11; zu Weisungen § 10, 19 a, 23, 24; zur Entziehungskur § 10, 18 ff; zu Therapieeinrichtungen Rn 50 aE; zur Drogenhilfe durch das JAmt § 38, 4 c; zur Urinkontrolle § 10, 14 a, 19 a aE, 23; § 21, 16; zu Methadon § 10, 19 b; zu Auflagen § 15, 17; zu Ungehorsamsarrest § 11, 11; zu JA § 16, 22 u. 23; zu schädlichen Neigungen § 17, 13; zu Schwere der Schuld § 17, 22 b, auch Rn 25 u. 28; zu Strafaussetzung zur Bew. § 21, 16; zum Verhältnis des § 21 zum BtMG § 17, 26; zum Widerruf § 26 a, 16 mit 5 aE; zur Aussetzung des Strafrestes § 88, 14; zum Verhältnis § 88 zu § 36 I 3 BtMG § 88, 2 b; zum Strafvollzug § 17, 24 u. 25; § 91, 20; zur Einschränkung der Tätigkeit des Rechtspflegers beim BtMG § 17, 23; § 82, 9 aE; zur UHaft § 93, 13; zur Entziehungsanstalt § 93 a, 1 ff; zu HIV-Infizierten u. Aids § 25, 4 a; § 91, 21; zur Anwendung von JStrafrecht § 105, 31; zum Absehen von Strafe nach § 29 V BtMG u. § 55 I § 55, 10; zur Zurückstellung der Strafvollstreckung nach §§ 38, 35, 36 BtMG § 17, 23 ff; zum Absehen von der Anklage nach §§ 31 a, 38 II, 37 BtMG § 45, 43 ff; zu Mitteilungen an die u. Verhalten der Schule § 70, 5. 23.
Prognose
52 Der Kriminalprognose kommt in der JStrafrechtspflege erhebliche Bedeutung zu. Um die treffende, weiterführende Maßnahme zu finden, um z. B. über informelle Erledigung, ambulante Sanktionen, Strafaussetzung zur Bew. oder bedingte Entlassung aus dem JStrafvollzug zu entscheiden, muss der Diagnose die Prognose folgen, welche den Versuch enthält, das künftige Legalverhalten des jungen Täters vorauszusagen. Da sich menschliches Verhalten nicht mit Sicherheit vorausberechnen lässt, sind Kriminalprognosen mit einem erheblichen Fehlerrisiko behaftet. Umso wichtiger ist es, sich um möglichst tragfähige Grundlagen der Prognoseerstellung zu bemühen. Hierzu wurden verschiedene Prognosemethoden entwickelt (Darstellung der Methoden bei Brettel in Göppinger S. 230 ff; Dahle Handb. d. For. Psych. Bd. 3, 2006 S. 25 ff; Schöch Intern. Handb. d. Kriminologie Bd. 1, S. 371 ff). 52 a In der Praxis wird ganz überwiegend mit intuitiven Prognosen gearbeitet. Richter und Staatsanwälte versuchen dabei, idR ohne spezifische Fachausbildung, insbes. aufgrund der Ermittlungen der JGH und aus dem Gesamteindruck der Hauptverhandlung die Persönlichkeit des J
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I. Jugendkriminologische Aspekte
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zu erfassen und seine weitere Entwicklung sowie Notwendigkeit und Wirkung von Sanktionen einzuschätzen, wobei sie sich auf ihre Menschenkenntnis und berufliche Erfahrung stützen. Bei den intuitiven Prognosen handelt es sich um „geronnene“ Erfahrung. Da die Erfahrungswerte des Praktikers jedoch begrenzt sind und nicht systematisch erhoben, ausgewertet und überprüft werden, können die Prognosen durch empirisch nicht fundierte individuelle Einstellungen und Werthaltungen beeinflusst sein und deshalb zu Fehleinschätzungen führen (Kaiser S. 411). Die klinische Prognose erstellen Psychologen und Psychiater mit kriminologischer Erfahrung, 52 b indem sie umfassend explorieren, psychodiagnostische und andere klinische Untersuchungen zugrunde legen und die erhobenen Befunde zum kriminologischen Wissensstand in Beziehung setzen (zum kriminalprognostischen Gutachten s. Kröber Handb. d. For. Psychiatrie Bd. 3, 2006 S. 69 ff). Die klinische Prognose ermöglicht es in bes. Maße, kriminologischen Sachverstand für die Praxis nutzbar zu machen; sie steht und fällt freilich mit der Qualität des Sachverständigen. Wegen des zeitlichen und finanziellen Aufwandes und der begrenzten Zahl der zur Verfügung stehenden kriminologisch erfahrenen Sachverständigen kommt sie nur in Einzelfällen in Betracht. Die statistische Prognose stellt Faktoren, die in einem statistischen Zusammenhang mit Rück- 52 c fälligkeit stehen, in Prognosetafeln zusammen. Für Personen mit gleicher Faktorenzahl wird der Anteil der Rückfälligen ermittelt. Dieser Prozentsatz gibt die Rückfallwahrscheinlichkeit für alle Täter an, bei denen die entsprechende Zahl von Faktoren festgestellt wird. Eine Weiterentwicklung stellen die Strukturprognosetafeln dar, die für bestimmte Merkmalskombinationen unterschiedliche Rückfallwahrscheinlichkeiten angeben (Schöch in Kaiser/Schöch S. 93). Prognosetafeln sind verhältnismäßig leicht handhabbar. Ihre mechanische Anwendung birgt jedoch erhebliche Gefahren. Manche Faktoren, die in Prognosetafeln als Schlechtpunkte verwertet werden, haben sich als nicht bedeutsam erwiesen (Schaffstein ZStW 67, 209). Die Tafeln sind anhand bestimmter Tätergruppen konstruiert worden, außerdem können sich die Lebensverhältnisse schnell ändern. Je abhängiger eine Prognose von Umweltfaktoren ist, desto unsicherer wird sie durch deren Variabilität. Für die Vielzahl der Täter mit mittleren Punktzahlen ist die Aussagekraft der Prognosetafeln unsicher (Kaiser S. 413). Besonderheiten des Einzelfalles bleiben bei statistischen Prognosen, die nur gruppenbezogene Wahrscheinlichkeiten angeben (Schöch aaO, S. 92), unbeachtet. Die Bedeutung der statistischen Prognose liegt deshalb vor allem darin, dass sie bei Extremgruppen mit bes. hoher bzw. niedriger Punktzahl Hinweise für eine günstige bzw. ungünstige Prognose zu geben vermag. Sachgerecht ist es, den Weg einer strukturierten Einzelfallprognose auf der Grundlage krimi- 52 d nologischen Erfahrungswissens zu gehen (Wulf MKrim. 05, 290). Wesentliche Grundlagen hierfür hat Göppinger erarbeitet (Kriminologie, 4. Aufl. 1980 S. 166 ff; Angewandte Kriminologie, 1985; vgl. auch Bock in Dölling, Hrsg., Die Täter-Individualprognose, 1995 S. 1 ff). Danach sind als für das Legalverhalten des Täters relevante Bereiche zu analysieren: die Herkunftsfamilie, die Persönlichkeit des Täters, der Aufenthalts-, Leistungs- und Freizeitbereich, die Kontakte und Bindungen sowie die eigene Familie, die Problembereiche Alkohol, Nikotin und Drogen, Schwierigkeiten im Vorfeld von Delinquenz, frühere Straftaten und die letzte Straftat, das Verhalten nach der Tat und die Zukunftsüberlegungen des Täters. Auf der Basis dieser Erhebungen kann im Wege der idealtypisch-vergleichenden Einzelfallanalyse eine Beurteilung des Täters im Hinblick auf die Stellung der Tat im Lebenslängsschnitt (z. B. kontinuierliche Hinentwicklung zur Kriminalität oder Kriminalität im Rahmen der Persönlichkeitsreifung), das Vorhandensein kriminalitätsbegünstigender oder -hemmender Konstellationen im aktuellen Lebensquerschnitt und die Relevanzbezüge und Wertvorstellungen des Täters erfolgen. Diese Beurteilung ermöglicht eine Voraussage der künftigen Entwicklung des Täters und seiner Beeinflussbarkeit durch die verschiedenen jstrafrechtlichen Reaktionsformen. Zur Anwendung dieser Methode in der Praxis der JStrafrechtspflege s. Schallert DVJJ-J 98, 17; Koch DVJJ-J 98, 23; Wulf ZJJ 06, 147;
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Einführung
Bock ZJJ 06, 282; Oetting NK 08, 124; für eine Anwendung der Methode in gewichtigen Fällen Herre Die Prognoseklauseln der §§ 56 StGB u. 21 JGG, 1997 S. 119; kritisch Graebsch/Burkhardt ZJJ 06, 140. 52 e Hilfreich ist auch der Blick auf die von Rasch/Konrad (Forensische Psychiatrie, 3. Aufl. 2004 S. 396) herausgearbeiteten prognostisch relevanten Dimensionen: die bekannte Kriminalität in ihrer Beziehung zur Persönlichkeit des Täters und zu situativen Umständen, der Persönlichkeitsquerschnitt des Täters, der Verlauf seit Begehung der Tat und die Perspektiven des Täters. In ähnlicher Weise unterscheidet Nedopil (Forensische Psychiatrie, 3. Aufl. 2007 S. 294) die folgenden (noch in Unterpunkte aufgegliederten) Hauptbereiche, auf die bei einer Prognosestellung einzugehen ist: das Ausgangsdelikt, anamnestische Daten, die postdeliktische Persönlichkeitsentwicklung und den sozialen Empfangsraum. Wird gefragt, woher der Täter kommt, wie er sich im Verlauf seines Lebens mit den auf ihn einwirkenden Einflüssen auseinandergesetzt hat, welche Faktoren bei der Tat wirksam waren, welche Stellung die Tat im Leben des Täters einnimmt und wie er sich mit ihr auseinandersetzt, welche Schwächen und welche Stärken der Täter hat und welche Stützungsmöglichkeiten und Zukunftsperspektiven erkennbar sind, und werden die Befunde entsprechend dem kriminologischen Erfahrungswissen sorgfältig gewichtet, kann eine Prognose in verantwortbarer Weise erstellt werden. Dies ist idR auch dem kriminologisch geschulten Juristen möglich. Kommen dagegen psychische Störungen des Täters in Betracht oder lässt sich aus sonstigen Gründen keine Klarheit gewinnen, muss ein Sachverständiger zur Erstellung einer klinischen Prognose herangezogen werden. Bei der Prognoseerstellung sind stigmatisierende Formulierungen zu vermeiden, damit nicht eine negative Prognose zu ihrer eigenen Erfüllung beiträgt (vgl. Rn 6). Die zu ermittelnden prognostisch relevanten Dimensionen sollten sich aus dem Sachverhalt des Urteils herauslesen lassen (s. § 54, 11). Zur Prognose im JStrafrecht s. auch die Beiträge in ZJJ 06, 120 ff sowie ZJJ 10, 236 ff, KaranedialkovaKrohn/Fegert ZJJ 07, 285 u. Maschke in DVJJ-BW, Hrsg., Gutachten im JStrafverfahren, 2008 S. 85.
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JGerichtsverhandlung
53 Die erste Verhandlung kann für den jungen Menschen in ihrer Gestaltung erhebliche Bedeutung gewinnen (s. Brunner FS Böhm, 1999 S. 800 ff). Mit oft geradezu abenteuerlichen Vorstellungen über Gericht und Verhandlung wird diese häufig nur schablonenhaft erlebt (Böhm/ Feuerhelm S. 70 f). Die Kürze der Hauptverhandlung und die Dramatik der Situation (SchülerSpringorum MKrim. 69, 13) verhindern leicht die Chance, die Hauptverhandlung als Lernfeld zu nutzen. Der JRichter sollte beim Angeklagten in Panik und Trotz die Angstgefühle erkennen und dem jungen Menschen helfen, sie zu überwinden, aber auch eine Selbsterhöhung des sich oft erstmals im Mittelpunkt des Interesses Fühlenden (vgl. auch Rn 40; § 48, 3) zurechtrücken, was nichts damit zu tun hat, dass der J für JStA und JRichter natürlich Mittelpunkt des Verfahrens ist. Zulässiges Verteidigungsverhalten darf nicht strafschärfend berücksichtigt werden (§ 18, 8 a aE). Dem J wird man in Wertung seiner Unerfahrenheit, seiner Angst oder auch seines Trotzverhaltens mehr nachsehen müssen als Erw. Wann eine leichte Hand und wann „Strenge“ angebracht sind, sollte erkannt und genützt werden. Was der J in der ersten Verhandlung zugibt, wie er reagiert und sich verhält, ist weithin vom Richter und den anderen Verfahrensbeteiligten (zur Verteidigung § 68, 8 ff) abhängig und kann entscheidend für das spätere Verhalten des J sein. Der junge Mensch soll in der Verhandlung das Bemühen des JRichters und der anderen Verfahrensbeteiligten um ein gerechtes Urteil erleben und sich dabei ernst genommen und angenommen fühlen. Kritisch zur Rechtswirklichkeit Ludwig-Mayerhofer Das Strafrecht u. seine administrative Rationalisierung, 1998 S. 248, nach dem die Hauptverhandlungen überwiegend einem Routineprogramm folgen und Kommunikation zumeist nur in fiktiver Form zulassen. Schüler-Springorum (FS Dünnebier, 1982 S. 652) hält Beziehungen zwischen einem verbesserten Kontakt des verhandelnden JRichters zum Angeklagten und dessen späterer Bew. für möglich,
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wenn das stärker auf Verstehen und Verständigung abzielende Prozessverhalten des JRichters nicht der Gefahr erliegt, dem J eine dem folgenden Urteil widersprechende Atmosphäre vorzuspiegeln. Wie Ostendorf (Grdl. zu §§ 48–51 Rn 4) ausgeführt hat, sollte der JRichter den J weder duzen noch den hoheitlichen Verhandlungsführer „spielen“. Er muss den ehrlichen Mittelweg finden und darf, auch in Anbetracht des am Ende stehenden Urteils, nicht missbrauchbare Güte vorspiegeln. Es geht um die schwierige Balance zwischen Nähe und Distanz, um gelassene Entschiedenheit (Rn 40 b). Ein eindringliches „Verhandlungsgespräch“ kann bei jungen Menschen, die aus Neugier an Drogen geraten sind oder über die Droge Pseudokonfliktlösungen versuchen, helfen (Brunner Zbl. 71, 243; JR 73, 89 u. Zbl. 80, 415). Zu jungen Ausländern, zu Dolmetschern und Rechtsmittelbelehrung Rn 21; zu j Straftätern mit oder aus politischem Hintergrund Rn 40 a, 40 b. Dem Urteil folgende Belehrungen über die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung aus dem Strafvollzug werden leicht missverstanden und können zu erz. Schwierigkeiten in der Vollzugsanstalt führen. Allg. zu Rechtsgespräch und Verständigung im Strafprozess Schäfer DRiZ 89, 294. Mit dem Versuch, die Hauptverhandlung durch Gespräche am „Runden Tisch“ möglichst un- 54 ter Verzicht auf die Robe zu entformalisieren (vgl. Schreiber/Schöch/Bönitz Die JGerichtsverhandlung am „Runden Tisch“, 1981; Schüler-Springorum FS Dünnebier, 1982 S. 649, 652) sollen die Verständigungsmöglichkeiten in der Hauptverhandlung verbessert werden; es soll dem J erleichtert werden, seine Sichtweise in die Verhandlung einzubringen; hierdurch sollen die Chancen für eine Akzeptanz der Entscheidung durch den J und damit für eine erz. Einwirkung verbessert werden (für eine Verhandlung am runden Tisch nach einem Schuldinterlokut Ostendorf Grdl. zu §§ 48–51, 7; ablehnend Tröndle DRiZ 70, 218). Diese Bemühungen müssen allerdings von der Gefahr einer Irreführung freigehalten werden, die besteht, wenn am Ende eines nahezu unverbindlich wirkenden freundlichen Gesprächs der eine „Partner“ eine Strafe ausspricht (vgl. auch Schaffstein in Immenga, Hrsg., Rechtswissenschaft u. Rechtsentwicklung, 1980 S. 257 f). Bei geringer Alltagskriminalität wird vielfach ein Vorgehen nach §§ 45, 47 ausreichen. Im vereinfachten JVerfahren kann formfrei, soweit dies den Rechtsschutz des J nicht beeinträchtigt, im Richterzimmer und ohne Robe verhandelt werden. Schließlich kann der kundige JRichter auch eine „förmliche“ Hauptverhandlung im Rahmen der StPO verständlich und kommunikationsfreundlich gestalten.
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Kriminalprävention
In den letzten Jahren hat die Kriminalprävention zu Recht starke Beachtung gefunden (vgl. Mei- 55 er S. 270 ff). Die strafrechtliche Reaktion auf Kriminalität ist unverzichtbar, aber in ihren Wirkungen begrenzt. Es bedarf daher umfassender Anstrengungen zur Vorbeugung von Kriminalität. Dies gilt insbes. auch für die JKriminalität (näher Kerner in JStrafrecht an der Wende S. 99 ff). Förderung der Erz. in der Familie, Schaffung gedeihlicher Sozialisationsbedingungen, Eröffnung von Perspektiven in Schule und Beruf, Angebote sinnvoller Freizeitgestaltung, Förderung von sozialer Handlungskompetenz und Verantwortungsbereitschaft sowie Abbau von delinquenzfördernden Faktoren und Tatgelegenheiten gehören zu den Aufgaben der Kriminalprävention (Beispiele von Präventionsprojekten in Bendit/Erler/Nieberg/Schäfer, Hrsg., Kinder- u. JKriminalität, 2000; s. auch die Beiträge in DVJJ-Regionalgruppe Nordbayern, Hrsg., Kriminalprävention, 2002; DVJJ-BW, Neue Wege im Umgang mit JKriminalität, 2004 S. 7 ff u. in DVJJBW, Hrsg., Prävention von JKriminalität, 2005 S. 7 ff sowie Füllgrabe Kriminalistik 00, 181 u. Bannenberg/Rössner ZJJ 03, 111 zu Ergebnissen des in den USA über Präventionsmaßnahmen erstellten Sherman-Reports). Die Erfüllung dieser Aufgaben ist nicht nur Sache des Staates, erforderlich ist vielmehr die Mitarbeit möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger und gesellschaftlicher Gruppen. Bes. wichtig ist die Kriminalprävention „vor Ort“ in den Gemeinden. Im Rahmen der Kommunalen Kriminalprävention (s. dazu Schwind S. 369 ff) sollte in gemeinsamen Gre-
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mien ermittelt werden, welche Kriminalitätsprobleme bestehen, und sollten Lösungen entwickelt und verwirklicht werden (s. dazu DVJJ-BW,(Hrsg.) Kriminalprävention auf kommunaler Ebene, 1997; Dölling/Feltes/Heinz/Kury, Hrsg., Kommunale Kriminalprävention – Analysen und Perspektiven, 2003; Feltes, Hrsg., Kommunale Kriminalprävention in Baden-Württemberg, 1995; Görgens BewH 00, 169; Heinz DVJJ-J 97, 61, 155; Kury, Hrsg., Konzepte Kommunaler Kriminalprävention, 1997; Trenczek/H. Pfeiffer, Hrsg., Kommunale Kriminalprävention, 1996). Auch die JGH sollte an Maßnahmen zur Prävention von JKriminalität mitwirken (Weyel DVJJ-J 96, 249; Beispiele bei Jetter-Schröder in DVJJ-BW, Hrsg., Entwicklungen u. Perspektiven der JStrafrechtspflege, 2000 S. 27 ff; Tiedeken DVJJ-J 02, 331; zur Kriminalprävention in der Kinderu. JHilfe s. auch Gabriel/Holthusen/Schäfer RdJ 99, 346; Lüders Zbl. 00, 1) und auch die Mitarbeit der Staatsanwaltschaften in Präventionsgremien kann sinnvoll sein (Schaefer NJW 96, 1324). Zu Jugendrechtshäusern als Beratungsstellen und rechtspädagogischen Bildungseinrichtungen s. von Hasseln DVJJ-J 01, 150 u. NK 02, 50 sowie krit. Höynck NK 02, 28.
II. Grundgedanken und Erziehungsauftrag des JGG II. Grundgedanken und Erziehungsauftrag des JGG Einf II Übersicht 1. Altersgrenzen des JGG . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eigenständigkeit des JRechts . . . . . . . . . . . 3. Erziehung im JGG . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erziehung der Heranwachsenden . . . . . . . . 5. Die Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Subsidiaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . 8. Reaktionsbeweglichkeit bei den Maßnahmen . 9. Täterpersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Reaktionsbeweglichkeit des Verfahrens . . . . 11. Weitere Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . 12. Jugendhilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Diskussion um Strafmündigkeit . . . . . . . . . 14. Die Heranwachsenden . . . . . . . . . . . . . . . 15. Internationale Regelwerke . . . . . . . . . . . . 16. Die Entwicklung des JGG seit 1990 . . . . . . . 17. Jugendstrafrecht in Europa . . . . . . . . . . . .
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Rn 1 3 4 11 12 14 18 22 23 24 27 32 34 37 42 43 51
Altersgrenzen des JGG
1 „Die Jugendlichen“ und „die Heranwachsenden“ sind keine einheitlichen Gruppen, die für alle Zeiten gleich bleiben. Es gibt keine festen, klar erkennbaren Entwicklungsetappen, sondern nur eine alles andere als gleichmäßig fortlaufende Entwicklung jedes einzelnen Menschen. Heute vollzieht sich im allg. vor allem die körperliche, aber auch die intellektuelle Entwicklung schneller als früher (Akzeleration), während die sittlich-charakterliche Entwicklung zurückbleiben kann (Dissoziation der Reife). Gleichzeitig ist aber auch die Streuungsbreite bei der Entwicklung wesentlich größer als früher, auch bei der körperlichen Entwicklung. Den Entwicklungsabschnitt JAlter bestimmen also nicht feste Altersgrenzen (s. auch BGH 36, 37 = BGH JR 89, 519 mit zust. Anm. Brunner; Günter in Venzlaff/Foerster Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl. 2009 S. 698). 2 Deshalb hat das JGG zwar, wie die praktischen Bedürfnisse unabweisbar fordern, feste Altersgrenzen zwischen strafunmündigen Kindern, J, Hw. und Erwachsenen gezogen (§ 1; zur Diskussion um die Strafmündigkeit Rn 34–36). Doch ist diesen Grenzen dadurch die Starrheit ge-
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II. Grundgedanken und Erziehungsauftrag des JGG
Einf II
nommen, dass in ihrer Entwicklung zurückgebliebene J strafrechtlich nicht verantwortlich sein können (§ 3) und dass gegen – noch nicht zu weitgehend selbständigen Persönlichkeiten ausgereifte – Hw. die gleichen auf die Entwicklung abgestimmten Maßnahmen verhängt werden können, wie sie für J vorgesehen sind (§ 105). Die Vorschriften der §§ 3, 105 rufen den Richter allerdings zur Beantwortung von Fragen auf, die er auch mit Hilfe von Sachverständigen oftmals nicht befriedigend zu lösen vermag, was in der Praxis zu Rechtsunsicherheit und Rechtsungleichheit führen kann. Umgekehrt bietet das JRecht eine so reiche Auswahl verschiedenster Reaktionsmittel, dass aus ihnen sowohl für den noch etwas zurückgebliebenen J wie für den sich dem Abschluss seiner Reifeentwicklung nähernden Hw. das jeweils Passende gefunden werden kann. 2.
Eigenständigkeit des JRechts
Die JKriminalität ist nach Täterpersönlichkeit und Tat anders als die allg. Kriminalität, was – 3 ungeachtet der gleichen Straftatbestände – zur Eigenständigkeit des JRechts führt (§ 2; Nothacker S. 143). Die Bestrafung von J mit den Strafen des ErwRechts wäre nicht nur nicht gerechtfertigt, sondern meist auch für deren weitere Entwicklung gefährlich. J, die Straftaten begangen haben, müssen mit den ihrer Persönlichkeit und ihrer Entwicklung angemessenen Maßnahmen wieder in die Gemeinschaft eingegliedert werden. Das Plädoyer von Kusch NStZ 05, 65 für die Abschaffung des JStrafrechts ist daher verfehlt (vgl. Ostendorf NStZ 06, 320). Die Eigenständigkeit des JStrafrechts ist geboten, gekennzeichnet und in ihren Wirkungen insbes. sichtbar durch das Primat der Erz. 3.
Erziehung im JGG
Schrifttum: H.-J. Albrecht Ist das deutsche JStafrecht noch zeitgemäß?, Gutachten D zum 64. DJT, 2002; Bietz Erz. statt Strafe, ZRP 81, 212; Bohnert Strafe u. Erz. im JStrafrecht, JZ 83, 517; Breymann Zur inneren Reform des JStrafverfahrens, Zbl. 88, 448; Busch/Müller-Dietz/Wetzstein Hrsg., Zwischen Erz. u. Strafe, FS Härringer, 1995; Dölling Erz. im JKriminalrecht u. Legalbewährung nach jstrafrechtlichen Sanktionen, RdJ 93, 370; ders. Täterbehandlung: Ende oder Wende? Eine Bilanz, in Jehle Hrsg., Täterbehandlungen u. neue Sanktionsformen, 2000 S. 21; Eckert Zur Technik strafrechtl. Verhaltenssteuerung, Zbl. 82, 135; Eisenberg Zur Verantwortung vor dem ErzGedanken im JStrafrecht, JR 74, 485; Foerster Schuld u. Sühne. Grundfragen des Verbrecherproblems u. der JFürsorge, 4. Aufl. 1961; ders. Strafe u. Erz. – Sühne u. Besserung, in Schaffstein/Miehe Hrsg., Weg u. Aufgabe des JStrafrechts, 1968; Götte Die Bedeutung des Strafbedürfnisses u. der Strafprovokation für das erz. Handeln 1965; Grunewald Der Individualisierungsauftrag des JStrafrechts, NStZ 02, 452; ders. Die DeIndividualisierung des ErzGedankens im JStrafrecht, 2003; Häußling/Reindl Hrsg., Sozialpädagogik u. Strafrechtspflege, GS Busch, 1995; Hellmer Schuld u. Gefährlichkeit im JStrafrecht, 1964; ders. Erz. u. Strafe, 1957; Heinz Neue ambulante Maßnahmen nach dem JGG, MKrim. 87, 129; Heinz/Hügel Erz. Maßnahmen im deutschen JStrafrecht 1986; Justizministerium Baden-Württemberg Hrsg., Verantwortung j. Menschen im Recht, 2000; Kaiser Strafen statt Erziehen?, ZRP 97, 451; ders. Internationale Tendenzen der JKriminalität u. des JKriminalrechts, in JStrafrecht an der Wende S. 1; Kupfer Erz. als Strafform, KrimJ 74, 249; Loofs Erz. u. Strafe, JWohl 66, 146; M.-K. Meyer JStrafe wegen „Schwere der Schuld“, Zbl. 84, 446; Mörke JStrafe – ein ErzMittel, SchlHA 65, 153; Nothacker ErzVorrang u. Gesetzesauslegung im JGG, 1985; ders. Das sozialisationstheoretische Konzept des JKriminalrechts 1986; Ostendorf Maßloses ErzStrafrecht oder gebändigtes Präventionsrecht, in Walter Hrsg., Beiträge zur Erz. im JKriminalrecht, 1989 S. 91 ff; ders. Das deutsche JStrafrecht – zwischen Erz. u. Repression, StV 98, 297; Pieplow Erz als Chiffre, in Walter 1989 S. 5 ff; Philipp Zur Weiterentwicklung des ErzGedankens Zbl. 83, 596; v. Schlotheim Zur ErzAufgabe des JStrafrechts, RdJ 68, 321; Schlüchter De nihilo nihil oder Der ErzGedanke im JStrafrecht, GA 88, 110; dies. Der ErzGedanke als Leitbild der Verteidigung im JStrafverfahren, in BMJ Hrsg., Verteidigung in JStrafsachen. Kölner Symposium, 1987 S. 29 ff; dies. Plädoyer für den ErzGedanken, 1994; Schüler-Springorum Zur aktuellen Diskussion über Strafe u. Erz. in der deutschen JGerichtsbarkeit, FS Dünnebier, 1982 S. 649; Streng Der ErzGedanke im JStrafrecht, ZStW 94, 60; Thomae Bewußtsein, Persönlichkeit u. Schuld, MKrim. 61, 114; Trede Hat die Erz. ausgedient? in DVJJ Hrsg., Verantwortung für Jugend, 2006 S. 128; Viehmann Anmerkungen zum ErzGedanken im JStrafrecht aus rechtsschaffender Sicht, in Walter 1989 S. 111 ff; Walter Einführung, Über die Bedeutung des ErzGedankens, in ders., Hrsg., Beiträge zur Erz. im JKriminalrecht, 1989 S. 1 u. S. 59 ff ; Wolf Strafe u. Erz. nach dem JGG, 1984; v. Wolffersdorff Wir werden euch helfen! Die vielen Gesichter des ErzGedankens in JFürsorge u. Justiz, ZJJ 09, 96.
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Einf II
Einführung
4 Das Gesetz fordert vom JRichter Entscheidungen, die tief in die weitere Entwicklung des J eingreifen können, im positiven Sinne auch sollen (vgl. § 5, 11). Deshalb betont der BGH in ständiger Rechtsprechung das „Primat der Erz.“, die er als die „Basis aller Regelungen des JStrafrechts“ erkennt (z. B. BGH 36, 42 = JR 89, 519 mit zust. Anm. Brunner; BGH NJW 02, 76 = NStZ 02, 204 mit Anm. Walter). In dem 2007 in das JGG eingefügten § 2 I hat der Gesetzgeber in S. 2 ausdrücklich festgelegt, dass Rechtsfolgen und Verfahren mit dem Ziel der Rückfallverhinderung vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten sind. Der Grundsatz der Erz. ist so vorrangig (BGH StV 82, 173 = JR 82, 432 mit zust. Anm. Brunner), dass bereits der Versuch des Täters, sein Leben in geordnete Bahnen zu lenken, und Ansätze positiver Entwicklung eingehende Darlegungen dahin verlangen, ob und inwieweit eine längere JStrafe oder ein Strafrest von 4 Monaten zur weiteren Förderung und Festigung durch Nacherz. geboten ist; das Tatunrecht ist gegen die Folgen der Straftat für die weitere Entwicklung des J (z. B. Behinderung einer begonnenen Ausbildung oder deren Beendigung) abzuwägen (BGH B NStZ 89, 522 in § 18, 7 b; auch BGH StV 89, 478 in § 18, 8 a). Werden erz. Gründe überhaupt nicht geprüft, hat das Urteil keinen Bestand (BGH B NStZ 86, 446 u. BGH NStZ 87, 442). 4 a In der Diskussion wird allerdings teilweise die Streichung des ErzGedankens aus dem JGG gefordert und besteht auch unter den Befürwortern des ErzGedankens keine Einigkeit über den Inhalt des ErzBegriffs. Wie Beulke (in Rössner, Hrsg., Toleranz – Erz. – Strafe, 1989 S. 80) dargelegt hat, hat die Ernüchterung auf die Erziehungseuphorie der 70er Jahre eine Reihe von Autoren den ErzGedanken im JStrafrecht schlechthin ablehnen und an Stelle der Erz. verfahrensrechtliche Garantien und möglichst geringe Sanktionierung für J und Hw. fordern lassen (Ludwig Zbl. 86, 333, 338; Müller/Otto in Damit Erz. nicht zur Strafe wird, 1986 XV; Voß J ohne Rechte, 1986 S. 214; Feltes ZStW 88, 158, 173). Gerken/Schumann (Ein trojanisches Pferd im Rechtsstaat, zit. bei Pieplow S. 29) bezeichnen Erz. als die verschleiernde Schimäre, die in Wirklichkeit Strafe etikettiert, und nach Ludwig (Zbl. 86, 338) lässt sich leichter einsperren, wenn man vorgebe zu erziehen. Gerken/Berlitz (zit. bei Pieplow aaO, S. 52) meinen, „wer es mit der Erz. ernst meint, muss bereit sein das gesamte JStrafsystem aufzugeben“. Nach Zach (DVJJ-J 96, 253) soll der ErzGedanke aus dem JGG gestrichen werden, weil er mit einem „autoritären Zwangsmaßregelungskonzept von Erz.“ verbunden ist und bleibt. Nach Eisenberg (Einl. 6) erweist sich das am ErzGedanken orientierte JStrafrecht „unbeschadet der Intention von Schutz, Förderung und Integration als geeignet, sozialer Ungleichheit und Repression nicht nur zu entsprechen, sondern diese auch noch zu mehren“. Er erkennt aber ein erhöhtes Bedürfnis J nach ErzAngeboten an (aaO). H.-J. Albrecht (Gutachten zum 64. DJT, D 97 ff) kritisiert den ErzGedanken als unbestimmt und Erz. im JStrafrecht als ineffizient und fordert die Aufgabe des ErzPrinzips als Grundlage des JStrafrechts. Auch Nix (Einl. 12) spricht sich dafür aus, vom ErzGedanken im Strafrecht gänzlich Abschied zu nehmen. 5 Der Begriff jstrafrechtlicher Erz. wird als unscharf (Nothacker S. 59, 64, 378; Pieplow 1989 S. 16), mit Unsicherheiten verbunden (Walter 1989 S. 1) und seine Verwendung als inflationär (Pfeiffer Kriminalprävention im JGerichtsverfahren, 1983 S. 91, 112) bezeichnet. In der Tat wird der ErzGedanke unterschiedlich verstanden. Pieplow (1989 S. 56) bezeichnet „Erz. statt Strafe“ als historischen Kern des JStrafrechts und hält am ErzBegriff jedenfalls wegen seiner Transportfunktion für kriminalpolitische Fortschritte fest (S. 16, 57). Er sieht Erz. als ein „Synonym für Entkriminalisierung, für ein Subsidiär-Machen-Wollen“ von Bestrafung (S. 15). Walter (1989 S. 75) hält einen spezifisch kriminalpolitisch ausgerichteten ErzBegriff für notwendig, der sowohl gegenüber pädagogischer Wissenschaft als auch gegenüber allgemeinen Inhalten des Strafund Strafprozessrechts eigenständig und unabhängig ist. Der ErzGedanke verliere aber jegliche innovative Kraft, wenn Strafe als Form der Erz. angesehen werde (Walter in Kaiser/Kury/H.-J. Albrecht, Hrsg., Kriminologische Forschung in den 80er Jahren, 1988 S. 802). Der Begriff der Erz. stehe für ein JRecht, das bei einer Minimierung staatlicher Eingriffe kompensatorische Formen der Tatbewältigung sucht (Walter 1989 S. 89). Heinz (in Wolff/Marek, Hrsg., Erz. u. Stra-
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II. Grundgedanken und Erziehungsauftrag des JGG
Einf II
fe, 1990 S. 41) hält es für geboten, den ErzGedanken von überzogenen Erwartungen an die spezialpräventive Wirksamkeit von justiziellen Sanktionen zu entschlacken, sieht ihn jedoch in seiner Begrenzungsfunktion für Normsetzung und Normanwendung als Eckpfeiler des JStrafrechts an. Nothacker (S. 83) deutet den ErzBegriff als Sozialisationsbegriff mit dem Ziel, Legalbew. in der notwendigen Differenzierung anzustreben, und fordert (Das sozialisationstheoretische Konzept des JKriminalrechts, 1986 S. 116) den aus soziologischer Sicht obsoleten ErzBegriff durch den Sozialisationsbegriff zu ersetzen (S. 110). Ostendorf beklagt ein „veraltetes, autoritäres ErzVerständnis“ (NStZ 89, 195). Ziel strafrechtlicher Einflussnahme dürfe nur Verhinderung des Rückfalls sein (in Walter 1989 S. 103). Auch Balbier (DRiZ 89, 404) sieht im ErzGedanken ein spezialpräventives Anliegen. Schaffstein/Beulke (S. 1 ff) bezeichnen als Ziel der Erz. ebenfalls die Verhütung des Rückfalls, fügen aber hinzu, Erz. müsse den J positiv beeinflussen und festigen, weil Rückfallgefahr meist in der Persönlichkeit des J wurzele. Durch den Vollzug der Sanktionen soll (Beulke 1989 S. 71, 76) „ein Leben in sozialer Verantwortung erreicht werden“. Auch Streng (ZStW 94, 83 ff) beschränkt das strafrechtliche ErzAnliegen auf Rückfallprophylaxe, sieht die Bedeutung der Erz. im JStrafrecht hauptsächlich in der Vermeidung von schädlichen Eingriffen sowie der Rücksichtnahme auf Entwicklungsvorgänge und anderweitig zu leistende Erz. und betrachtet außerdem spezialpräventive Normbekräftigung als erz. Aufgabe des JStrafrechts. Bohnert (JZ 83, 517) fordert „Entmischung in ein reines Erz.- und ein reines Strafverfahren“ (S. 523) und sieht darin einen Gewinn an Rechtsklarheit innerhalb des Verfahrens und an Überzeugungskraft gegenüber dem J. Nach Wolf (S. 4) ist das Verhältnis Strafe-Erz. das – ungelöste – Problem des JStrafrechts; er meint, als ErzMaßnahmen kämen nur Handlungen und Unterlassungen in Betracht, die objektiv geeignet seien, die angestrebte Persönlichkeitsentwicklung des „Zöglings“ zu fördern oder zu sichern (S. 177), und unterscheidet zwischen „reinen Bestrafungen“, „reinen ErzMaßnahmen“ und „ErzStrafen“ (S. 181 ff). Schließlich: Der Vorrang des ErzGedankens gegenüber dem Schuldprinzip sei nichts anderes als die Subsidiarität der JStrafe wegen Schwere der Schuld gegenüber den übrigen jgerichtlichen Strafen und Maßnahmen (S. 362). Nach Miehe (in Mußgnug, Hrsg., Rechtsentwicklung unter dem Bonner GG, 1990 S. 249, 268) muss Erz. im JStrafrecht als Komponente der strafrechtlichen Sozialkontrolle – BVerfGE 74, 102, 122; BVerfG NStZ 88, 34: „staatliches Wächteramt“ – gerechtfertigt werden, wofür auch die historische Entwicklung des modernen JStrafrechts spreche. Nach Böhm/Feuerhelm (S. 3) sind erz. Hilfen in den jstrafrechtlichen Maßnahmen integriert, um den J organisch an seine Verantwortlichkeit als Erw. heranzuführen. Nach Grunewald Die De-Individualisierung des ErzGedankens im JStrafrecht, 2003, S. 22, 266, geht es beim ErzGedanken um die Behandlung individueller Defizitlagen bei den jungen Tätern. Aus der Diskussion ist das Fazit zu ziehen, dass am ErzGedanken als Grundlage des JStrafrechts 6 festzuhalten ist (Walter NStZ 87, 481; NJW 89, 1023; Kaiser ZRP 97, 457 f; ders. in JStrafrecht an der Wende, S. 32, 33; Dölling ebd. S. 183; Bindzus/Musset Grundzüge des JRechts, 1999 S. 294; Streng S. 12; Beschlüsse des 64. DJT, NJW 02, 3077). Die Ausrichtung des JStrafrechts am ErzGedanken entspricht dem entwicklungsbedingten Charakter der JKriminalität. Der weite Spielraum bei der Sanktionsauswahl macht die jrichterlichen Maßnahmen als ErzMittel geeignet (vgl. Beulke GS Karlheinz Meyer, 1990 S. 682, der als Gebot der Stunde nicht die Ersetzung des ErzGedankens, sondern dessen stetigen Ausbau bezeichnet, aaO, S. 696). Eine Demontage des ErzGedankens würde die Fortführung der JStrafrechtsreform gefährden (aaO, S. 695). Auch
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Einf II
Einführung
Heinz (in Wolff/Marek, Hrsg., Erz. u. Strafe, 1990 S. 42) lehnt eine Aufgabe des ErzGedankens zugunsten eines „Hilfe-“ oder „Rechtsstaatlichkeitsmodells“ ab. Der ErzGedanke lässt sich ausreichend konkretisieren. Bei der Erz. iSd JGG geht es um das Bemühen, weitere Delikte des jungen Täters zu verhindern. Hierbei müssen die Reaktionen auf den Entwicklungsstand des Täters abgestimmt werden. Erz. iSd JGG ist also jugendgemäße Spezialprävention (Dölling RdJ 93, 370; zust. LBN/Laubenthal S. 3; Burscheidt S. 32; auch Grunewald NStZ 02, 452: „individualisierende, jugendadäquate Intervention“). Legalverhalten vollzieht sich nicht losgelöst von der Person des Handelnden. Es hat bestimmte innere Voraussetzungen. Die erz. Bemühungen müssen daher darauf gerichtet sein, die J und Hw. bei der Entwicklung der Fähigkeit und des Willens zu unterstützen, ihr Leben ohne Straftaten zu gestalten (Bock FS Hanack, 1999 S. 637 f). Das setzt die Herausbildung sozialer Handlungskompetenz voraus, verlangt aber auch die Förderung einer verantwortungsbewussten, die Rechtsgüter anderer Personen und der Gemeinschaft achtenden Einstellung und damit die Verinnerlichung von Werten (Schlüchter GA 88, 125; dies. Plädoyer für den ErzGedanken 1994 S. 41 f, 94). Normverinnerlichung ist nach den Befunden der Kriminologie ein wesentlicher Faktor für konformes Verhalten (Dölling aaO, 377 mwN). Unterstützung der jungen Täter bei der Bewältigung ihrer mit der Delinquenz zusammenhängenden Probleme und Normverdeutlichung sind daher die Aufgaben eines erz. gestalteten JKriminalrechts (Weyel DVJJ-J 94, 30). Wie im Einzelnen auf JDelinquenz zu reagieren ist, hängt von den jeweiligen Problemlagen und dem Erkenntnisstand von Kriminologie und Sozialpädagogik ab. Es ist daher Nothacker (S. 59, 60) und Walter (1989 S. 71) zuzustimmen, die dartun, dass „Bestrebungen, zu einem zeitlos gültigen ErzBegriff zu gelangen“, an der Bedeutung der Erz. für das JKriminalrecht vorbeigehen, sowie der Auffassung von M.-K. Meyer (Zbl. 84, 446), dass der ErzBegriff allg. eine spezialpräventive Orientierung umschreibt, ohne es allerdings dabei genügen zu lassen. Die neuere kriminologische Forschung zeigt, dass theoretisch fundierte, klar strukturierte Behandlungsprogramme, die auf die Vermittlung von sozialen Fertigkeiten und die Veränderung kriminalitätsfördernder Einstellungen abzielen, Rückfälligkeit in einem zwar begrenzten, aber doch ins Gewicht fallenden Ausmaß vermindern können (zusammenfassend Dölling in Jehle, Hrsg., Täterbehandlung u. neue Sanktionsformen, 2000 S. 35 ff u. Dünkel in Jehle, aaO, S. 379 ff). 6 a Im Wandel der Reaktionen auf JKriminalität seit Ende der 70er Jahre erkennt Heinz (MKrim. 87, 129, 135) die Tendenz einer (Rück)Besinnung auf den Grundgedanken des JStrafrechts, nämlich auf den Vorrang der Erz. und die jstrafrechtlich-kriminologische Devise „im Zweifel weniger“ (Heinz MKrim. 87, 153). Der „Weg der inneren Reformen“ durch eine „Kriminalpolitik von unten“ (Heinz MKrim. 87, 135 mwN) hat die in den §§ 45, 47 normierte Subsidiarität des Strafverfahrens (dazu Rn 18 ff) zu einem bedeutsamen Ausdruck des ErzGedankens werden lassen (Heinz in Eser/Kaiser/Weigend, Hrsg., Drittes deutsch-polnisches Kolloquium über Strafrecht u. Kriminologie, 1988 S. 391). Der Begriff Erz. erinnert JStAe und JRichter an wohlwollende Grundhaltung und Zuwendung (vgl. Einf I 53) und hat zu vermehrten informellen Erledigungen im Wege der Diversion geführt; 2006 standen 68% informellen Sanktionen nur 32% Verurteilungen im Bundesgebiet gegenüber (Streng S. 101). Dies wird unterstützt durch Zurückdrängung stationärer Maßnahmen, großzügigere Strafaussetzung zur Bew., erweiterte ambulante Betreuung, Erprobung und Praktizierung neuer ambulanter Maßnahmen (vgl. BMJ, Hrsg., Neue ambulante Maßnahmen nach dem JGG, 1986; Dünkel/Geng/Kirstein Soziale Trainingskurse u. andere neue ambulante Maßnahmen nach dem JGG in Deutschland, 1998). Es geht, wie in der Hauptverhandlung, um die schwierige Balance zwischen Nähe und Distanz, zwischen Zuwendung und Konsequenz. Erz. so gesehen kann nach Viehmann (bei Walter 1989 S. 126) „Weg und Brücke aus dem Strafrecht hinaus, Rechtfertigung und Fundament für eine anders geartete Behandlung“ sein. Viehmann fordert Vertrauen auf Selbstregulierung, auf die Episodenhaftigkeit straffälligen Verhaltens im überwiegenden Bereich der JKriminalität, Toleranz und Gelassenheit gegenüber Ärgernissen dieser Phase und empfiehlt Hilfen und Normverdeutlichung. Das
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II. Grundgedanken und Erziehungsauftrag des JGG
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Vertrauen auf „Selbstregulierung“ hat freilich seine Grenzen. Beulke (1989 S. 90) weist zu Recht darauf hin, dass mehr als völlige Untätigkeit fordern muss, wer ernst genommen werden will. Gefährdete oder bereits geschädigte J und Hw. bedürfen der Hilfe. Erz heißt im JStrafrecht nicht 7 allein „weniger“ tun, sondern auch die Lebensführung regeln (ähnlich Breymann Zbl. 88, 450), Legalbew. fördern durch „Verinnerlichung der allgemeinen Werte der Gesellschaft“ (Bindzus/Musset aaO, S. 291) und „geistig-charakterliche Formung auf die Gesellschaft hin“ (Schlüchter GA 88, 117, 125, 126), damit J und Hw. „als selbstverantwortliche Personen innerhalb der menschlichen Gemeinschaft ihr Leben führen können“ (BVerfG NStZ 87, 275; vgl. auch BVerfGE 7, 205; 52, 168). ErzZiel im JStrafrecht ist ganz gewiss nicht Pestalozzis „Reinheit der inneren Anschauung“ (zit. bei Hellmer Erz. u. Strafe 1957 S. 110; Tenckhoff JR 77, 485, 487), aber doch die „Weckung der Einsicht in die sozialethischen Grundwerte und der Fähigkeit, ihnen entsprechend zu handeln“ (Miehe Die Bedeutung der Tat im JStrafrecht, 1964 S. 23; Tenckhoff aaO; Grunewald NStZ 02, 457; Putzke Beschleunigtes Verfahren bei Hw., 2004 S. 52; Buckolt Die Zumessung der JStrafe, 2009 S. 391 f). Zwischen Wertorientierungen und Kriminalität besteht ein enger Zusammenhang (s. Hermann Werte und Kriminalität, 2003). Die J sollen befähigt werden, Konflikte sozialadäquat auszutragen. Künftige Straffreiheit wird sich oftmals nur über eine positive Veränderung der Persönlichkeit des Straftäters erreichen lassen (Nothacker S. 79 ff.; Tenckhoff JR 77, 485, 487; Beulke 1989 S. 72). Warum sollte dem Richter, der das unter dem Primat der Erz. stehende JStrafrecht (Rn 4) anzuwenden hat und durch Berücksichtigung erz. Bedürfnisse Missgriffe vermeiden soll (BGH 36, 37 = JR 89, 519 mit zust. Anm. Brunner), der Blick hierauf verwehrt werden (vgl. Rn 9 aE)? Es ist aber Erz. im JGG nicht mit Pädagogik gleichzusetzen (Pieplow S, 16, 46); eine solche Gleichsetzung kann gefährlich sein, weil rechtliche Maßstäbe und Sicherungen vernachlässigt werden könnten (Walter 1989 S. 80, 82). Geboten ist es, die Legalbewährung über die Förderung sozialer Handlungskompetenz und die Verinnerlichung von Werten anzustreben. Eine „totale Pädagogisierung“ des JStrafrechts würde jedoch zu unnötiger Dramatisierung von auch geringer Delinquenz fern von ErzDefiziten (dazu Einf. I Rn 32), zu unverhältnismäßigem Eindringen in die Persönlichkeitssphäre des J und zu Überbetreuung bei gelegentlicher Delinquenz führen (Dölling Zbl. 89, 318). Der JRichter ist nicht Erzieher, auch nicht Richter und Erzieher zugleich (Wolf S. 361) und darf sich nicht zu letztlich schädlichen Husarenritten in die Pädagogik verleiten lassen (vgl. § 10, 3). Schlüchter betont zu Recht (GA 88, 108; Plädoyer für den ErzGedanken, S. 110), dass auf eine Tat 8 dann deutlich reagiert werden muss, wenn sie sich als Symptom für eine kriminelle Entwicklung darstellt, dass aber eine Episode nicht zum Symptom umgestaltet werden darf (dazu Einf. I 2). Der J muss die Erfahrung machen, dass die Gesellschaft auf Verstöße gegen die gesetzliche Ordnung reagiert – wenn auch nur mit maßvoller Normverdeutlichung. Der J muss erkennen, dass er sein Tun zu verantworten hat, dass er sein Verhältnis zur Umgebung selbst gestaltet (vgl. § 17, 1 aE; Breymann Zbl. 88, 450; Hellmer Erz. u. Strafe S. 124). Letztlich muss der J Normbefolgung erlernen (Bottke Generalprävention u. JStrafrecht aus kriminologischer u. dogmatischer Sicht, 1984 S. 15); er muss die Fähigkeit zur Selbstkontrolle lernen, es geht auch um Zwang gegen sich selbst (Schlüchter GA 88, 127). Das JStrafrecht hat daher die Aufgabe, Normenlernen durch „konstruktive Grenzziehung“ (Rössner in Justizministerium Baden-Württemberg, 2000 S. 71) zu fördern (näher zum Normenlernen MRS/Rössner S. 2 ff). Die Schwierigkeit und Gefahr bleibt, dass nur „richtige“ Maßnahmen der Erz. dienen, falsche aber schaden, uU auch ein ungerechtfertigter Freispruch (Schlüchter in BMJ, Hrsg., Verteidigung in JStrafsachen 1987 S. 31). „Erz. durch Strafe“ erweist sich als ein zu undifferenziertes Schlagwort, wenn man berücksich- 9 tigt, dass Erz. nicht das alleinige Steuerungselement jrichterlicher Entscheidung ist (Pieplow 1989 S. 42) und dass viele Straftaten keineswegs einem ErzDefizit entspringen. Es hilft aber auch nichts darüber hinweg, dass letztlich allen jstrafrechtlichen Sanktionen Eingriffscharakter zukommt (vgl. Schlüchter GA 88, 123); so wird nicht nur der Betroffene meist empfinden; der
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Einf II
Einführung
Zwang ist schließlich ein Hauptwesenszug des Rechts, und selbst das Zivilrecht ist zwangsläufig „repressiv“ (dazu auch § 9, 5 mwN). Beulke (StV 87, 458) bezeichnet das JGG als Kompromiss zwischen Erz. und Strafe. Ihm (1989 S. 73) erscheint zu Recht eine Erz. utopisch, die „gerade bei straffällig gewordenen J und Hw. . . . vollkommen ohne das Zwangsmittel der Strafe auskommt“. Im Spannungsverhältnis zwischen Schuld- bzw. Tatstrafrecht und Erz.- bzw. Täterstrafrecht ist danach die JStrafe auch ein Mittel der Erz. (aaO, S. 76). Dem ist zuzustimmen, auch die JStrafe macht – allerdings als ultima ratio – wie jede andere Sanktion den J für sein Tun verantwortlich. 10 Wir haben mit unbestimmten Rechtsbegriffen leben gelernt, sie sind so unentbehrlich, wie sie allerdings auch missbrauchbar sind, indem sie zu einer Verzerrung des ErzGedankens führen können. Die hier vorgenommene Festlegung erscheint hilfreich für den J und erträglich nach allen Seiten, wenn man Extreme fernhält. Vgl. § 37, 3 a. Es ist das Essentiale des jstrafrechtlichen ErzBegriffes, dass Reaktionsformen, welche die Entwicklung des J fördern können, den vergeltenden vorgehen (vgl. § 5, 1–2, 4–6; Walter 1989 S. 88). Erz. darf ebenso wenig Strafe als wohlmeinende Zuwendung etikettieren (Walter aaO, S. 85), wie sie auch nicht dazu führen darf, J in unangemessener Weise schlechter zu stellen als Erw. Deshalb können „Gründe der Erz.“ niemals zu einer JStrafe führen, welche das Maß der Tatschuld, die gerade bei J oftmals geringer wiegt, überschreitet (näher § 18, 10; BGH StV 90, 389 bei § 18, 12 aE; BGH B NStZ 95, 536), zumal das gerade dem ErzGedanken entgegenstünde, der die Überschreitung „rechtfertigen“ sollte (näher § 18, 13). Deshalb darf auch die JStrafe nie die Höchststrafe des ErwStrafrechts überschreiten (näher § 18, 15), wohl aber – zumeist – niedriger bleiben. Die berechenbare Reaktionsbegrenzung durch die Tatschuld wahrt – auch im JStrafrecht – Menschenwürde und Humanität besser als ein bloßes Behandlungskonzept (vgl. Bertram BewH 85, 10, 16, 17) oder die alleinige Berufung auf ein unergründliches ErzBedürfnis (vgl. Weitl Die dogmatischen Grundlagen des geltenden JStrafrechts, Diss. München 1967 S. 192). Tat und Schuld sind also ein notwendiges und letztlich auch erz. wirkendes Regulativ, die Tat ist der Anlass zum Verfahren und zu den Sanktionen und zugleich äußerste Begrenzung. Es geht beim ErzGedanken nicht um „wilhelminische Kadettenpädagogik“ (so aber Müller/Otto Damit Erz. nicht zur Strafe wird, 1986), sondern „um eine sinnvolle, auf die Besonderheit des Entwicklungsstandes der J oder Hw. abgestimmte Reaktion“ (Beulke GS Karlheinz Meyer, 1990 S. 697). Die „bescheidene Forderung, den J gegenüber Erw. jedenfalls nicht zu benachteiligen“ (Walter in Wolff/Marek, Hrsg., Erz. u. Strafe, 1990 S. 51 ff) ist Ausgangs-, aber nicht Begrenzungslinie. 10 a Ausführungen zum ErzGedanken finden sich insbes. bei ErzMaßregeln § 5, 3 u. 5 u. 11; bei Zuchtmitteln § 13, 2; bei JA § 16, 6 aE, 7 b u. 8; § 87, 1–3; § 90, 1–4, 8 u. 9; bei JStrafe § 17, 1–7 u. 9; § 18, 7 a u. 8, 10–16; § 91, 1–4, 7–18 u. 22; bei Nichteinbeziehung nach § 31 III § 31, 24 u. 24 a; bei UHaft § 121, 2; bei Verteidigung § 68, 1, 8–13; bei Kosten § 74, 7 aE. Dazu wird auf Erz. und Schuld hingewiesen bei Rn 15–17; § 18, 10–14; auf die Bedeutung der Tat bei Rn 12 u. 13; auf den Subsidiaritätsgrundsatz bei Rn 18–21. 10 b In das elterliche ErzRecht nach Art. 6 II GG darf der Staat im Rahmen seines Wächteramts gem. Art. 6 II 2 GG und zur Erfüllung der Verfassungsaufgabe der Durchsetzung des Strafrechts eingreifen. Hierbei tritt das Elternrecht nicht zwangsläufig zurück; Konflikte zwischen Elternrecht und strafrechtlichem Rechtsgüterschutz sind durch Abwägung zu lösen (BVerfGE 107, 104 = NJW 03, 2004 mit Bespr. Grunewald NJW 03, 1995). Zum Elternrecht gehört auch die Befugnis, die Rechte des Kindes dem Staat gegenüber zu schützen. Den Eltern muss daher im JStrafverfahren die Möglichkeit einer frühzeitigen Beteiligung und der Geltendmachung ihrer Vorstellungen über die Reaktion auf den Tatvorwurf eingeräumt werden (BVerfGE 107, 104, 121 f.). Eingriffe in das Elternrecht bedürfen einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage (BVerfGE 107, 104).
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II. Grundgedanken und Erziehungsauftrag des JGG
4.
Einf II
Erziehung der Heranwachsenden
Auch auf die volljährigen Hw. darf und muss der Staat kriminalitätsvorbeugend einwirken (zur 11 Kriminalität der Hw. s. Elsner/Molnar Kriminalität Hw. u. Jungerwachsener in München, 2001). Zum strafrechtlichen „Schutz der Allgemeinheit“ und zum „Schutze des Betroffenen“, nicht jedoch zu seiner „Besserung“, sind nach BVerfGE 22, 180 = NJW 67, 1795 auch gegen Erw. Eingriffe in das bes. hohe Rechtsgut der Freiheit der Person (Art. 2 II 2 GG) verfassungsrechtlich zulässig, solange sie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren. Darüber hinaus ist nach BVerfGE 74, 102 = NStZ 87, 275 (dazu Brunner Zbl. 87, 257; Ostendorf EzSt Nr. 1 zu § 10) auch gegenüber Hw. der subsidiäre ErzAuftrag des Staates gerechtfertigt (ebenso KG NStZ 03, 207 f). Wenngleich der J die Volljährigkeit mit 18 Jahren erreicht und damit das elterliche ErzRecht er- 11 a lischt, durfte nach BVerfG der Gesetzgeber davon ausgehen, dass das staatliche ErzRecht zeitlich begrenzt bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres fortdauert in der schon vor dem G v. 31. 7. 1974 (BGBl. I 1713) vom GG gebilligten Annahme, dass junge Menschen bis zu diesem Zeitpunkt erzfähig und -bedürftig sind. Schaffstein (NStZ 87, 502, 503) hat diese Entscheidung des BVerfG „unter pragmatischen Gesichtspunkten“ begrüßt. Das GG verwehrt es deshalb nicht, iSd §§ 1 II, 105, also in auch gegenständlich begrenztem Umfang, die ErzHilfe des Staates fortwirken zu lassen. Während das Volljährigkeitsalter generell einheitlich festgelegt werden musste, entspricht es der Lebenserfahrung, dass der Reifegrad der J unter strafrechtlichen Gesichtspunkten unterschiedlich sein kann (vgl. Rn 1, 37 ff). Auch bei der Bemessung einer JStrafe gegen einen Hw. sind erz. Gesichtspunkte vorrangig (BVerfGE NJW 03, 2228; BGH StV 88, 307). Davon abgesehen, ist jede Weisung daraufhin zu prüfen, ob sie für einen – volljährigen – Hw. angemessen ist (näher § 10, 4; § 105, 20 u. 21). Die §§ 108–110 regeln, welche Verfahrensvorschriften des JGG auf Hw. anzuwenden sind. Auch wenn der Angeklagte bei seiner Verurteilung das 21. Lebensjahr vollendet hat, kann bei der Rechtsfolgenentscheidung auf erz. Gründe abgehoben werden (BGH NJW 02, 76 = NStZ 02, 204 mit Anm. Walter).
5.
Die Tat
Die Tat behält aber auch im JRecht ihr Gewicht (Blau Zbl. 59, 117 u. MDR 58, 731; Miehe Die Be- 12 deutung der Tat im JStrafrecht, 1964; Hermann/Wild MKrim. 89, 13). Dazu § 5, 3 bes. aE; auch Rn 10. Ihretwegen wird der J verantwortlich gemacht. Sie allein macht das Eingreifen des Strafrichters erforderlich. Daher muss die gerichtliche Reaktion auch in Beziehung zur Tat stehen, jene darf nicht außer Verhältnis zu dieser sein (Ostendorf § 5, 2; Böhm/Feuerhelm S. 154). Bei einem Missverhältnis wäre auch erz. nichts gewonnen: Der zu hart angefasste J müsste sich ungerecht behandelt fühlen und mit Trotz reagieren; überdies sind die Möglichkeiten erz. Beeinflussung durchaus beschränkt. Der zu mild Behandelte verkennt leicht das Gewicht seiner Tat, die offensichtlich nicht ernst genommen wurde. Auch der BGH fordert eine differenzierte Berücksichtigung der Tat, allerdings nur „in zweiter Linie“ neben dem vorrangig zu berücksichtigenden ErzGedanken (BGH StV 81, 27; 130; StV 82, 78; 173; BGH B NStZ 83, 448; Hermann/Wild MKrim. 89, 14). Bei Einbeziehung einer früheren Verurteilung in eine EinheitsJStrafe ist deshalb neben der Würdigung des Täters auch eine Gesamtwürdigung aller der Einbeziehung zugrunde liegenden Taten geboten (§ 31, 11, 12). Damit ist aber nicht einem Strafen um der Sühne – also um des Strafens – willen das Wort gere- 13 det. Das lassen schon die Ursachen der JKriminalität und der alle Bestimmungen des JGG berührende ErzGedanke nicht zu. Deshalb wird auf jede Unrechtsreaktion verzichtet, wenn das Eingreifen des Strafgerichts nicht – oder wegen inzwischen angeordneter erz. Maßnahmen nicht mehr – notwendig ist (§§ 5 III, 45, 47). Grds. wird auch nicht härter eingegriffen, als es zur erz. Beeinflussung dieses Täters erforderlich ist (zu Kapitalverbrechen gem. § 17 II 2. Alternative vgl. § 17, 14 ff). So kann und muss die vom Gericht verhängte Maßnahme für eine gleiche Tat bei ver-
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Einf II
Einführung
schieden gearteten J unterschiedlich sein. Nicht jede JStraftat ist nur puberale Entgleisung oder Ergebnis behebbarer Umwelteinflüsse, sie kann auch Frühsymptom einer tiefer in der Persönlichkeit verwurzelten Verbrechensbereitschaft sein (Schaffstein/Beulke S. 6 f), was der Tat einen ganz anderen Stellenwert gibt und andere richterliche Reaktion fordert. Zur gerichtlichen Sanktionspraxis s. § 37, 3 a.
6.
Die Schuld
14 Auch im JStrafrecht begrenzt die Tatschuld die Höhe der Strafe nach oben (für die JStrafe § 18, 10; Hermann/Wild MKrim. 89, 16; Burscheidt S. 92; allg. zum Schuldprinzip im JGG Weber Die Bedeutung des Schuldprinzips im JStrafrecht, 2011). Denn „Strafe setzt Schuld voraus, Schuld ist Vorwerfbarkeit“ (BGH 2, 200). An dieser Begrenzung muss um so mehr festgehalten werden, als JStraf- und JArrestvollzug in der Praxis trotz aller Bemühung mit Mängeln behaftet sind und wohl auch bleiben werden, weil man es nicht mit berechenbaren Größen, sondern mit Menschen zu tun hat. Auch bei den ambulanten Maßnahmen wird wegen der weithin bestehenden Überlastung von JÄmtern und BewHelfern oft Erreichbares nicht erreicht. Bei den ErzMaßregeln, die ja nur aus Anlass der Tat angeordnet werden (§ 5), wird man es niemals zu einem Missverhältnis zwischen Tat und Maßnahme kommen lassen dürfen (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Böhm/Feuerhelm S. 154; abl. Weinschenk UJ 90, 151). 15 Dagegen setzt die in der Tat hervorgetretene Schuld keine Grenze nach unten. Schließlich ermöglicht § 45 I, II bei jeder Tat den Verzicht auf eine strafrechtliche Reaktion. Mit Lackner (JR 65, 30) kann man auch dann von Vergeltung absehen, wenn ErzMaßregeln ausreichen, die oft auch eine sühnende Wirkung haben, obgleich sie das weder sollen noch müssen (vgl. Rn 9). Doch setzt das JGG hier selbst Grenzen, einmal, indem § 13 I die Verhängung von Zuchtmitteln vorschreibt, wenn dem J eindringlich zum Bewusstsein gebracht werden muss, dass er für Unrecht einzustehen hat (dazu Rn 8), zum andern, indem § 17 II in der zweiten Alternative die Verhängung von JStrafe gebietet, wenn das wegen der Schwere der Schuld erforderlich ist. Gerade im Interesse der Erz. ist oft die nachdrückliche Konfrontierung mit Tat und Schuld notwendig (Rn 8 u. 9). Das will bedacht sein, bevor von der Verfolgung ganz abgesehen (§ 45) oder nur ErzMaßregeln ohne jede repressive Wirkung angeordnet werden. 16 Praktiker stellen immer wieder fest, dass gerade die jungen Menschen ein starkes Gefühl für die Tat und ihre Folgen, für die Angemessenheit der Reaktion haben. Die Verletzung dieses Gefühls durch eine nicht angemessene richterliche Maßnahme könnte leicht zu einem Misserfolg des erz. Bemühens führen. Denn wirkliche Erz., dh eine positive Beeinflussung der Einstellung des Täters zum Leben und zu den Werten unserer Kultur (Rn 7 u. Einf. I 28), setzt die personale Beziehung zwischen Erzieher und dem jungen Menschen voraus; diese kommt aber gerade dann nicht – oder für längere Zeit nicht – zustande, wenn der J die Maßnahme des Gerichts als unangemessen hart empfindet und sich unverstanden fühlt (dazu Rn 8). 17 Im JRecht darf also nicht ohne Rücksicht auf erz. Notwendigkeiten nur um des Schuldausgleichs (Sühne) willen gestraft, aber auch nicht nur um der Erz. willen ohne Bezug zur Tat erzogen werden (Knögel NJW 58, 609; Lackner JZ 54, 134); die Tat muss vielmehr auch um der Erziehung willen (vgl. Rn 8) geahndet oder auch nicht geahndet werden. Die in den §§ 45, 47 normierte Subsidiarität des Strafverfahrens ist bedeutsamer Ausdruck und die Folge des das gesamte JStrafrecht durchziehenden ErzGedankens (dazu Rn 4–11, insbes. 6 u. Rn 18 aE). Deshalb müssen die Maßnahmen sowohl dem Schuldgehalt der Tat wie den erz. Notwendigkeiten entsprechen. Erz. Maßnahmen über die durch das Gewicht der Tat gezogenen Grenzen hinaus sind im JStrafrecht nicht möglich; allein auf das Gewicht der Schuld kann nur bei schwerster Kriminalität abgestellt werden (§ 17, 9). Insgesamt geht es um die Frage, wie dieser Täter durch eine seiner Tat angemessene Reaktion von künftigen Straftaten abgehalten werden kann. Im Mittelpunkt der Über-
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II. Grundgedanken und Erziehungsauftrag des JGG
Einf II
legungen steht nicht die Tat, sondern der Täter. Dabei können rechtsstaatliche Erfordernisse in Widerstreit mit dem ErzZiel des JGG geraten (§ 2, 16). 7.
Subsidiaritätsprinzip
Das Gesetz stellt entsprechend den erheblichen Unterschieden in Entwicklung, Umwelt und 18 Tatgewicht eine reiche Auswahl verschiedenster Reaktionsmittel, nämlich ErzMaßregeln (§§ 9– 12), Zuchtmittel (§§ 13–16) und JStrafe (§§ 17–30) zur Verfügung, die meist auch nebeneinander verhängt werden können (§ 8). Aus der Erkenntnis, dass der Täter noch in der Entwicklung steht, also noch beeinflussbar ist, ergibt sich bei der Abkehr vom bloßen Vergeltungsstrafrecht von selbst die Folgerung, dass bei dieser Auswahl erz. Bemühungen den Vorrang haben müssen (§ 5), zumal die Schuld der j. Täter oft nicht allzu schwer wiegt. Das Gesetz bestimmt deshalb in § 5 II, dass weder JStrafe (§§ 17 ff) noch Zuchtmittel (§§ 13 ff), nämlich Verwarnung, Auflagen und JA, verhängt werden dürfen, wenn ErzMaßregeln (§§ 9 ff), nämlich Weisungen oder die Verpflichtung zur Inanspruchnahme von Hilfe zur Erz. iSd § 12 ausreichen (Subsidiarität, welche Nothacker, S. 156, als Variante des Verhältnismäßigkeitsprinzips bezeichnet; vgl. auch § 5, 2). Den vielgestaltigen Weisungen (§ 10) kommt dabei bes. Bedeutung zu. – Die JStrafe ist das letzte Mittel, wenn weder ErzMaßregeln noch Zuchtmittel ausreichen. Der J soll nur im äußersten Notfall der Obhut seiner Eltern entzogen werden. Also: keine stationäre Behandlung, wo ambulante genügt! Keine JStrafe, wo eine ErzMaßregel oder ein Zuchtmittel ausreicht. Keine Hilfe nach § 12 Nr. 2, wo die ErzBeistandschaft oder eine Weisung zum Ziele führt. Kein JA, wo eine Ermahnung, Verwarnung oder eine Auflage genügt. Der JRichter weiß um vergebliche ErzVersuche und ErzFehler im präjustiziellen Raum und muss in Kauf nehmen, dass auch sein Eingriff nur ein Versuch mit Aussicht auf Erfolg sein kann (vgl. Schüler-Springorum FS Dünnebier, 1982 S. 656). Die aus solcher Einsicht folgende Verminderung der stationären Sanktionen (aaO, S. 654) enthebt den JRichter gleichwohl nicht von der Pflicht, im gegebenen Falle auf solche zurückzugreifen; je mehr Eingriffsmöglichkeiten jeglicher Art das Gesetz aber bereitstellt, desto größer ist – neben der Gefahr des Fehlgriffs – auch die Chance für J und JRichter, dass die „richtige“ Sanktion – jenseits von Strenge und Milde – gefunden wird. Informelles Eingreifen gewinnt immer mehr Raum (Diversion § 45, 4 ff). 2006 wurde bei 68% der nach JStrafrecht verfolgten J und Hw. das Verfahren nach §§ 45, 47 eingestellt (Streng S. 101). Ein Vergleich der Geburtskohorten 1967 und 1961 zeigt, dass die erste Sanktionserfahrung im JAlter in 2 von 3 Fällen informeller Art war und dass 85% der erstmalig informell Sanktionierten über das JAlter ohne formelle Verurteilung bleiben (Heinz/Spieß/Storz in Kaiser/Kury/H.-J. Albrecht, Hrsg., Kriminologische Forschung in den 80er Jahren, 1988 S. 656). Zu Mehrfachtätern Einf. I 15. Das Subsidiaritätsprinzip darf jedoch nicht dazu führen, mildere Maßnahmen zu verhängen, 19 wenn sie zur Erz. und Besserung nicht ausreichen. Die Praxis zeigt, dass „Milde“ am falschen Platz, bes. die wiederholte Verhängung von JA gegen kriminelle oder verwahrloste J, zur Verschärfung „krimineller Karrieren“ führen kann. Der erz. Eingriff des JRichters setzt nicht nur ein gutes Einfühlungsvermögen voraus, sondern fordert in gleicher Weise die Bereitschaft, möglichst nur helfend einzugreifen, wo dies noch ausreichend, wenn auch riskant erscheint, aber auch Entschlossenheit zu schwerwiegenden Entscheidungen, wo die Persönlichkeit des J dies gebietet. Die Chancen für den Erfolg der Maßnahmen des JRichters sind umso größer, je weniger die Fehlhaltung verfestigt ist, je kürzere Zeit sie besteht. Halbe Maßnahmen bewirken, dass später die kriminelle Entwicklung eingefahren ist und Diagnose und Therapie um ein Vielfaches schwieriger und aufwendiger, wenn nicht vergeblich sein werden (Weinschenk MKrim. 84, 18). Bei der Auswahl der Maßnahmen ist der Richter weder an den Strafrahmen (aber § 18, 15) noch 20 an die Zweiteilung in Verbrechen und Vergehen (§ 12 StGB) des ErwRechts gebunden. Allein aus Tat und Sühnegedanken bestimmte Straftaxen sind dem JStrafrecht fremd. Entscheidend ist die Frage, wie der Täter gebessert werden kann. Aus Anlass eines Verbrechens können z. B. Erz-
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Maßregeln angeordnet werden, wobei es nicht einmal zu einem Strafverfahren kommen muss (§ 45, 18, 21). Umgekehrt kann aber ein geringes Vergehen (z. B. nach § 248 a StGB) nicht mit einer JStrafe geahndet werden, weil hier die Folge außer Verhältnis zur Tat läge (§ 17, 9 u. 11 a). Das Gewicht der Schuld begrenzt also die Maßnahmen des JRichters nur nach oben; dagegen kann, wo erz. keine oder nur geringe Maßnahmen geboten sind, die Reaktion des JRichters unter dem der Schuld entsprechenden Maß bleiben (vgl. jedoch §§ 13–16 u. § 17, 9). Mehrere Taten führen grds. nur zu einer einheitlichen Unrechtsreaktion (§ 31); denn der Täter steht im Vordergrund, nicht die Tat. 21 Auch sonst lassen sich keine festen Einteilungen finden (zust. Itzel S. 112 mwN in FN 634), man kann nicht ErzMaßregeln für die kleine, Zuchtmittel für die mittlere und JStrafe für die schwere Kriminalität reservieren (so Hellmer Erz. u. Strafe 1957) oder unterscheiden in „reine Bestrafungen“, „reine ErzMaßnahmen“ und „ErzStrafen“ (so Wolf S. 362) oder das Verfahren in ein reines Erz- und ein reines Strafverfahren entmischen (so Bohnert JZ 83, 517). Dazu § 5, 5. Nur Elastizität ermöglicht im Einzelfall eine Verbindung von Straf- und ErzZweck; eine generell befriedigende Lösung ist noch nicht gefunden (Hellmer NJW 64, 117, 178 u. RdJ 67, 225) und wird sich auch kaum finden lassen. Wegen der groben Abgrenzung, die nur ungenau sein kann, ohne damit fehlerhaft zu werden (so aber Wolf S. 104), s. § 5, 5. Für eine jrichterliche Fortbildung der Sanktionen fordern Walter/Pieplow (NStZ 88, 167) „eine wie auch immer zu konkretisierende Bedürfnislage“ und warnen – zu Recht – vor unkontrollierten Wucherungen. 8.
Reaktionsbeweglichkeit bei den Maßnahmen
22 Bei den getroffenen Maßnahmen kann es nicht ein für allemal sein Bewenden haben. Denn die Erz. muss mit der fortschreitenden Entwicklung Schritt halten. Dazu müssen alle erz. Maßnahmen abgeändert werden können, soweit sie nicht für nur kurze Zeitdauer getroffen werden. Deshalb können Weisungen ausgetauscht und verändert werden (§ 11 II; § 10, 1). Auch die JStrafe ist, jedenfalls bei längerer Dauer, hinsichtlich der Vollstreckungsdauer unbestimmt; denn die Entlassung kann schon nach Teilverbüßung erfolgen (§ 88). Nicht nur die Vollstreckung (§§ 21 ff), auch die Verhängung (§§ 27 ff) einer JStrafe kann zur Bewährung ausgesetzt werden; wie die BewZeit genutzt wird, kann im Einzelfall recht unterschiedlich sein (§ 22–25, 28 ff, bes. §§ 22 II 2, 23 I 3, 24, 28 II 2). Für die Ausgestaltung des Vollzugs der JStrafe wie des JA (§ 90), der Unterbringung in der Entziehungsanstalt (§ 93 a II) und der Hilfe zur Erz nach § 12 Nr. 2 bleibt ein weiter Raum. Gleiches gilt für die Durchführung der ErzBeistandschaft. In diesen Regelungen ist der erz. Gedanke der Reaktionsbeweglichkeit im JGG, einer erhöhten Variabilität der Rechtsfolgen, deren Kombination und der Verfahrensformen (Nothacker S. 203), verwirklicht. Das darf aber nie zu einer Loslösung der Maßnahme von Tat und Schuld führen (zur Abwägung zwischen Flexibilität u. Rechtsstaatlichkeit s. Ostendorf GA 06, 515). Maßregeln der Besserung und Sicherung sowie Nebenstrafen und Nebenfolgen sind nur in beschränktem Umfang zulässig (§§ 6, 7). 9.
Täterpersönlichkeit
23 Es muss die Persönlichkeit des jungen Täters im Rahmen des Verhältnismäßigen gründlich erforscht und versucht werden, ihn zu erkennen und richtig zu beurteilen, um die rechte Maßnahme zur rechten Zeit zu treffen. Sein bisheriges Legalverhalten, seine soziale Einbindung und seine Beziehungen zur Tat sind dabei beachtenswerte, aber letztlich nur äußere Merkzeichen, die zur Beurteilung eines in der Entwicklung befindlichen Menschen keinesfalls ausreichen. Bes. JGerichte (§ 33) mit bes. örtlicher und sachlicher Zuständigkeit (§§ 39–42) und die sorgsame Auswahl der JRichter, -schöffen und -staatsanwälte (§§ 35–37; BGH 8, 354) sind damit ebenso unumgänglich wie die gesetzlich normierte und maßgebliche Mithilfe der JGerichtshilfe zu
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II. Grundgedanken und Erziehungsauftrag des JGG
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den Ermittlungen zur Täterpersönlichkeit (§ 38), wobei der JGH zur Erfüllung ihrer Aufgaben bedeutsame Rechte im Verfahren eingeräumt sind (§§ 50 III, 93 III). Dem dient auch eine Spezialisierung der Polizei (zu Entwicklung polizeilicher JSachbearbeitung Folberth DVJJ-J 94, 327; zu den Aufgaben der Polizei im JStrafverfahren Ostendorf DVJJ-J 95, 103; zur polizeilichen Bearbeitung von JSachen Polizeidienstvorschrift 382, abgedruckt in DVJJ-J 97, 5; Hübner ua DVJJ-J 97, 26; H. Pfeiffer DVJJ-J 99, 188; Meffert/Hegemann DVJJ-J 03, 40; zur Notwendigkeit spezieller polizeilicher JDienststellen Bartmann DVJJ-J 96, 386; Piencka DVJJ-J 98, 16). Nähere Hinweise finden sich bei Lauton Jugend u. Polizei, 1983 und Clages/Nisse Bearbeitung von Jugendsachen. Lehrund Studienbriefe Kriminalistik Nr. 27, 2001. Wegen der großen Bedeutung des polizeilichen Umgangs mit jungen Beschuldigten sind bei der Aus- und Fortbildung von Polizeibeamten für die Bearbeitung von JSachen erhebliche Anstrengungen erforderlich (Wieben DVJJ-J 92, 65). Zur Zusammenarbeit von Polizei u. Sozialarbeit § 38, 20, 21. Zur polizeilichen Vernehmung von J u. Anwesenheit der Eltern § 67, 19, 20.
10.
Reaktionsbeweglichkeit des Verfahrens
Um die Persönlichkeit des j. Täters anzusprechen, muss auch das Verfahren bes. elastisch sein 24 und viele Möglichkeiten bieten. Neben dem förmlichen stehen das vereinfachte JStrafverfahren (§§ 76 ff) und das formlose ErzVerfahren (§§ 45, 47), die beide durch die Befreiung von Förmlichkeiten einen weitgehenden Einfluss erz. Gedanken ermöglichen. Zu Hauptverhandlung und Gespräch am runden Tisch vgl. Einf. I 53 u. 54. Zur „Diversion“ § 45, 1 ff. Ggf. können dem Familiengericht Anordnung und Auswahl von ErzMaßregeln überlassen werden (§ 53). – Auch der Verfolgungszwang (Legalitätsprinzip des § 152 II StPO) ist erheblich eingeschränkt. Das JGerichtsverfahren ist auch wesentlich anders gestaltet als das allg. Strafverfahren. Im In- 25 teresse der Erz. bedarf es bes. Beschleunigung (§§ 72 IV, 78 III, 56; § 55 RL 1 S. 1; BGH NStZ 03, 364; NStZ-RR 04, 139, 140; BGH NStZ 10, 94, 95; OLG Stuttgart Justiz 04, 169; ZJJ 09, 156), die jedoch nicht auf Kosten der Persönlichkeitserforschung (§§ 43 f, 73) gehen darf, weshalb das beschleunigte Verfahren der StPO für J (nicht für Hw.) ausgeschlossen ist (§ 79 I). Der Beschleunigung dient auch die Beschränkung der Rechtsmittel (§ 55). Zu Möglichkeiten der Beschleunigung vgl. Thesen des AK 7 des 34. DJGT in DVJJ Hrsg., Kinder u. J als Opfer u. Täter, 1999 S. 779 ff; Ostendorff DVJJ-J 98, 240; Stahlmann-Liebelt DVJJ-J 00, 176; Mann S. 37 ff; Khostevan Zügiges Strafverfahren bei j. Mehrfach- u. Intensivtätern, 2008. Zu Möglichkeiten für ein schnelles Tätigwerden der JHilfe s. Arbeitsstelle Kinder- u. JKriminalitätsprävention Hrsg., Schnelle Reaktion, 2001. Zu den Grenzen des Beschleunigungsgrundsatzes s. Mann S. 25 ff; Mertens Schnell oder gut? Die Bedeutung des Beschleunigungsgrundsatzes im JStrafverfahren, 2003; Mertens/Murges-Kemper ZJJ 08, 356. Nach OLG Hamm StV 02, 404 ist ausnahmsweise eine längere Aussetzung der Hauptverhandlung zulässig, um die Grundlagen für die Rechtsfolgenentscheidung weiter zu ermitteln. Im Interesse der Erz. soll grds. in Anwesenheit des J verhandelt werden (§§ 50 ff); dabei soll er mit erw. Angeklagten möglichst nicht in Berührung kommen (vgl. aber auch § 103, 8). Außer in den Fällen der §§ 45, 47 ist jedes summarische schriftliche Verfahren ausgeschlossen, damit auch der Erlass eines Strafbefehls untersagt (§ 79 I; gegen Hw. zulässig, wenn ErwRecht angewendet wird; § 109, 12). Aus erz. Gründen soll die UHaft soweit wie möglich durch vorläufige erz. Anordnungen ersetzt werden (§§ 71 ff; dazu § 72, 2 u. 3); bei der Nichtanrechnung stehen erz. Gesichtspunkte im Vordergrund (§ 52 a). Auch Anklage und Urteil müssen auf die Belange der Erz. ausgerichtet sein (§§ 46, 54). Bes. betont ist die Stellung des ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreters (§§ 50 II, 67). In bestimmten Fällen ist die Anhörung des Disziplinarvorgesetzten von Soldaten vorgesehen (§ 112 d). Verteidigung und Beistandschaft (§§ 68 ff) sind ebenso wie Kosten und Auslagen (§ 74) und die Mitteilungspflichten (§ 70) bes. geregelt. Interessen der Verletzten und der Allgemeinheit müssen, soweit möglich, hinter den Forderungen der Erz. zurücktreten; das Verfahren gegen J ist nicht öffentlich (§ 48);
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es gibt bei J keine Privatklage – wohl aber Widerklage – (§ 80 I, II); die Nebenklage gegen J ist nur eingeschränkt zulässig (§ 80 III); die Zubilligung einer Entschädigung des Verletzten im Strafverfahren ist nicht möglich (§ 81). – Das Verfahren für die Entscheidungen, die nach den §§ 21– 31 (Strafaussetzung zur Bew., Aussetzen der Verhängung der JStrafe u. nachträgliche Bildung einer Einheits-“Strafe“) und § 11 II (Abänderung von Weisungen); § 15 III 1 (Änderung von Auflagen); §§ 11 III, 15 III 2 (Verhängung von JA bei Verstoß gegen Weisungen oder Auflagen) zu treffen sind, wird in den §§ 57–66 geregelt. 26 Insgesamt kann das JStrafverfahren nicht als bloße Abart des allg. Strafverfahrens angesehen werden; es ist vielmehr nach Zielrichtung, Aufbau und Durchführung ein eigenständiges Verfahren (BGH 8, 349, 354) – Schaffstein hat zu Recht das JStrafrecht „als Pionier der allg. Strafrechtsreform“ bezeichnet (in Immenga, Hrsg., Rechtswissenschaft u. Rechtsentwicklung 1980 S. 247). Inzwischen allerdings hat das ErwStrafrecht entschieden aufgeholt, inspiriert gewiss durch das JStrafrecht. Bedeutung und Einfluss auf die Rechtspolitik aber hat die jstrafrechtliche „Reform durch die Praxis“ gewonnen (vgl. dazu § 45, 5). 26 a Aus der Eigenständigkeit des JStrafverfahrens gegenüber dem allg. Strafverfahren folgt, dass es einen allg. Grundsatz, wonach ein J oder Hw. in vergleichbarer Verfahrenslage nicht schlechter gestellt werden dürfe als ein Erw. (Schlechterstellungsverbot), nicht gibt (Schaffstein/Beulke S. 180, 222; Streng S. 8; Böhm FS Spendel, 1992 S. 779; Bindzus/Musset Grundzüge des JRechts, 1999 S. 293; Scheffler NStZ 92, 492; Miehe in JStrafrecht an der Wende S. 157 f; Mann S. 140; Buckolt Die Zumessung der JStrafe, 2009 S. 308; Fahl NStZ 09, 615; Hornbacher JurArbl. 09, 892; aA Albrecht S. 82; Eisenberg § 45, 9; LBN/Laubenthal/Nestler S. 4, 113 f; Nothacker S. 306). Wie gegenüber J und Hw. zu verfahren ist, das ist den speziellen Vorschriften und den Grundgedanken des JGG zu entnehmen und nicht einem formal-quantitativen Vergleich mit dem ErwRecht. Dieses Vorgehen rechtfertigt sich aus dem Bemühen des JGG, den Besonderheiten der Jugenddelinquenz gerecht zu werden, und ist daher mit Art. 3 GG vereinbar (vgl. Schaffstein/Beulke S. 149). Zu Recht führt Böhm (aaO, S. 780) aus, dass der J nach geltendem JStrafrecht „nicht besser, sondern anders gestellt“ wird als der Erw. und „die Schablone ,besser‘ – ,schlechter‘ . . . auf zwei Rechtsordnungen nicht angewendet werden kann, die der Gesetzgeber gerade nicht nach diesem Prinzip . . ., sondern nach anderen, von ihm als erz. verstandenen Vorstellungen organisiert hat.“ Ebenso Bock in FS Hanack, 1999 S. 630; Geisler NStZ 02, 452; Grunewald NStZ 02, 456. Nach Burscheidt S. 169 folgt aus dem allg. Gleichheitssatz nicht, dass j. gegenüber erw. Delinquenten nicht schlechter gestellt werden dürfen; eine Schlechterstellung ist vielmehr zulässig, wenn sie auf nachvollziehbaren jspezifischen Gründen beruht und im Verhältnis zum ErzZweck angemessen ist. 11.
Weitere Besonderheiten
27 Auch die Vollstreckung (§§ 82 ff), der Vollzug (§ 90) und die Vorschriften des BZRG hinsichtlich der jstrafrechtlichen Entscheidungen (Vor § 97) wurden den Besonderheiten des JAlters angepasst. Hervorzuheben ist, dass der JRichter auch die Vollstreckung leitet und einige bes. wesentliche Entscheidungen in richterlicher Unabhängigkeit trifft. 28 Auch im (Schul-)Disziplinarrecht (dazu Niehues/Rux Schul- u. Prüfungsrecht Bd. 1, 4. Aufl. 2006 S. 98 ff) sind die Grundsätze des JGG zu beachten. Eine Entlassung aus allen Schulen des Landes ist nicht gerechtfertigt wegen einer Tat, deretwegen das JGericht nur JA verhängt hat (VGH Baden-Württemberg JZ 64, 627 mit im Wesentlichen zust. Anm. Baumann JZ 64, 612). Zur Problematik der Mitteilungen an die Schulen § 70, 5. 29 Die Regelungen des JGG gelten mit einigen Abweichungen auch für j. oder hw. Soldaten (§§ 112 ff). Sie gelten weitgehend auch, wenn ausnahmsweise eine Strafsache gegen einen J oder Hw. vor einem ErwGericht verhandelt wird (§§ 102–104, 112, 112 e).
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II. Grundgedanken und Erziehungsauftrag des JGG
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Hinsichtlich der Zuständigkeit der JGerichte gilt das Vorrangprinzip, welches, um die Sach- 30 kunde bes. erfahrener oder bes. ausgewählter (§ 37) Richter besser nutzen zu können, die JGerichte gegenüber den gerichtsverfassungsgemäß gleichrangigen ErwGerichten als Gerichte höherer Ordnung (§ 209 a Nr. 2 a, b StPO) gelten lässt. Die JGerichte bestimmen somit selbst über ihre Zuständigkeit hinsichtlich der in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Spezialaufgaben (näher § 33, 4 ff; § 41, 19 ff; § 103, 3 ff) Die JGerichte sind in JSchutzverfahren auch wahlweise neben den ErwGerichten zuständig (s. 31 Anhang nach § 125). 12.
Jugendhilferecht
Die JRechtskommission der Arbeiterwohlfahrt hat 1970 vorgeschlagen, die Zweispurigkeit von 32 JWohlfahrts- und JKriminalrecht durch ein einheitliches „JHilferecht“ oder „JKonfliktsrecht“ zu ersetzen (Arbeiterwohlfahrt, Vorschläge für ein erweitertes JHilferecht, 3. Aufl. 1970; vgl. schon Peters MKrim. 66, 49; kritisch Schaffstein GA 71, 129). Die nachfolgenden gesetzgeberischen Vorarbeiten einer im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit eingesetzten Sachverständigenkommission haben im Diskussionsentwurf eines JHilferechts 1973 die Schwierigkeiten und Nachteile einer solchen Konzeption aufgezeigt (vgl. Schaffstein aaO; Böhm ZfStrVo 74, 29; Müller-Dietz Zbl. 73, 453; Thiesmeyer RdJ 72, 339 u. Zbl. 78, 7; Walter Zbl. 74, 41). Unter weitgehender Eliminierung des JStrafrechts waren die vorgeschlagenen personalintensiven ErzHilfen einseitig auf den entwicklungsgestörten, sozial gefährdeten J abgestellt. Es wurde übersehen, dass es auch eine weit gestreute JKriminalität der Normalentwickelten gibt, auf die im Interesse der Rechtsordnung und auch der Entwicklung des J nicht mit hier eher gefährlichen sozialpädagogischen oder psychotherapeutischen Maßnahmen, sondern schlicht und angemessen mit den vorhandenen und ausbaufähigen Sanktionen des JGG reagiert werden muss (Schaffstein GA 71, 129 u. MKrim. 73, 326). Insbes. blieb auch unbeachtet, dass Taten einigen Gewichts und einschneidende ErzMaßnahmen ein rechtsstaatlich gesichertes, strafprozessuales Verfahren fordern (Heinz BewH 88, 267). Ein Referentenentwurf 1974 des BMJ hat versucht, zwischen JHilfen und JKriminalrecht zu vermitteln. Den weiteren Referentenentwürfen des BMJ (Stand Oktober und Dezember 1977) folgte ein von der Bundesregierung am 23. 5. 1980 eingebrachter Entwurf eines Sozialgesetzbuches, welches das JWG ablösen sollte und „Hilfen zur Erz.“ nicht mehr als Eingriff in die Individualsphäre des Betroffenen, sondern als „Leistungsangebote“ aufgrund eines Rechtsanspruches des J normierte. Dieser Entwurf hätte das JGG einbezogen, soweit es schon bisher mit dem JWG verzahnt war (Gesetzestext u. nähere wertende Ausführungen in der 6. Aufl. dieses Kommentars). Der Bundesrat hat diesem Entwurf eines JHilfeG nicht zugestimmt. Gegen ein reines JHilferecht bestehen über das bereits zum Entwurf 1973 oben Gesagte hinaus 33 erhebliche Bedenken. Dazu auch § 5, 11; § 17, 1, 5, 6, 7. Die mit den Reformvorschlägen angebotenen „Hilfen“ sind letztlich nichts anderes als dubiose Ersatzbegriffe (vgl. Schüler-Springorum FS Dünnebier 1982, 658; Heinz BewH 88, 267 „Etikettenschwindel“) und die Etikettierung eines möglicherweise mehrjährigen Freiheitsentzugs als „spezielles Leistungsangebot“ ist eine leicht durchschaubare Worthülse und deshalb erzwidrig. Im Übrigen hätte das geplante JHilfeG auch die von Nr. 7. 1 der Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die JGerichtsbarkeit (BeijingGrundsätze, ZStW 87, 253, 263, näher Rn 42) geforderten grundlegenden Verfahrensgarantien nicht gewahrt. Der Weg von den „schlechten“ kriminalrechtlichen zu den „guten“ jhilferechtlichen Maßnahmen hat sich damit als eine Sackgasse erwiesen. Kriminalrechtliche Wandlungen im jrechtlichen Bereich fordern eine Zusammenarbeit mit der JHilfe (Walter Zbl. 86, 430). Die Lösung dürfte in kleinen, wissenschaftlich durchdachten, aber praxisnahen Schritten im Rahmen der Grundstruktur unseres JStrafrechts zu suchen sein, wie dies vom 1. JGGÄndG begonnen worden ist, das an der Grundstruktur unseres JGG festhält und versucht, die „Reformen
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durch die Praxis“ unter weiteren Einfügungen zu stabilisieren. Zum Kinder- und JHilfeG v. 26. 6. 1990 Rn 45. 13.
Diskussion um Strafmündigkeit
34 Die Diskussion um die „richtige“ Altersgrenze spiegelt das Spannungsverhältnis zwischen JStrafrecht und JHilferecht wider. Nach dem Diskussionsentwurf eines JHilferechts 1973 der vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit eingesetzten Sachverständigenkommission sollte der JRichter nur noch bei Straftaten J nach Vollendung des 16. Lebensjahres zuständig sein. Bereits der Referentenentwurf des BMJ 1974 ließ die Strafmündigkeitsgrenze unberührt. 35 Den Beschluss der Konferenz der Jugend-Minister und -Senatoren vom 28. 11. 1980, die Frage der Heraufsetzung der Strafmündigkeit und der „Bestrafungsmündigkeit“ auf die Vollendung des 16. Lebensjahres zu prüfen, hat die Konferenz der Justizminister und -senatoren vom 29. 9. bis 2. 10. 1981 zur Kenntnis genommen und mit einstimmigem Beschluss eine Heraufsetzung des Strafmündigkeitsalters abgelehnt. Ostendorf (Grdl. zu §§ 1 u. 2 Rn 9 mwN) fordert dagegen Anhebung der Strafmündigkeitsgrenze unter Einsatz eines reformierten JHilferechts. Auch Frehsee (FS Schüler-Springorum, 1993 S. 395) spricht sich für eine Heraufsetzung der Strafmündigkeit auf jedenfalls 16 Jahre aus. Dies ist jedoch bei schweren Delikten (s. dazu Brunner FS Böhm, 1999 S. 813 f) weder im Hinblick auf das Opfer und die Gesellschaft noch hinsichtlich des jungen Täters eine angemessene Lösung (Schaffstein FS Schüler-Springorum, 1993 S. 374; für eine Heraufsetzung auf 16 Jahre bei leichten, nicht aber bei mittelschweren u. schweren Delikten Fischer Strafmündigkeit u. Strafwürdigkeit im JStrafrecht, 2000 S. 202). Auch bei anderen Delikten wird eine pauschale Heraufsetzung der Strafmündigkeit trotz komplizierter Umweltverhältnisse dem Entwicklungsstand junger Menschen nicht gerecht (zur Diskussion um das Strafmündigkeitsalter vgl. auch Berckhauer/Steinhilper ZRP 81, 265; Dietz ZRP 81, 212; Schaffstein MKrim. 73, 326; Schüler-Springorum FS Jescheck, 1985 S. 1131; Thiesmeyer Zbl. 78, 7; Voß Neue Praxis 81, 215). Auch eine Herabsetzung der Strafmündigkeit ist nicht angezeigt (Wolfslast FS Bemmann, 1997 S. 283; Neubacher ZRP 98, 123; Thomas ZRP 99, 194; Hefendehl JZ 00, 606; Momsen ZJJ 05, 184; Roesler Die Diskussion über die Herabsetzung der Strafmündigkeitsgrenze u. den Umgang mit Kinderdelinquenz, Diss. Köln 2008 S. 236 ff; Ackermann Die Altersgrenze der Strafbarkeit in Deutschland, Österreich u. der Schweiz, 2009 S. 74; für Herabsetzung auf 12 Jahre Klosinski DVJJ-J 97, 406; Hinz ZRP 00, 113; Heinke ZRP 04, 23; für eine vorsichtige Öffnung des JStrafrechts für Kinder ab 12 Jahren Paul ZRP 03, 204; dagegen Lütkes/Rose ZRP 03, 472). Werden die Möglichkeiten der Einwirkung auf delinquente Kinder nicht für ausreichend gehalten, sollte vielmehr über Ergänzungen des Familienrechts und des SGB VIII nachgedacht werden (dazu näher Brunner JR 97, 492; Thomas ZRP 99, 196; Hinz ZRP 00, 112 f). Nach Lösel/Bliesener (DVJJ-J 97, 393) besteht auch aus entwicklungspsychologischer Sicht keine Bedarf für eine Änderung der Altersgrenze. Die Befunde von Hommers/Lewand MKrim. 01, 425 u. MKrim. 05, 61 stützen diese Auffassung. Die Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die JGerichtsbarkeit (Beijinger Grundsätze, v. 29. 11. 1985, ZStW 87, 253) haben zu keinem Konsens über ein Mindestalter geführt. 36 Im internationalen Vergleich finden sich sehr unterschiedliche Grenzen für das Strafmündigkeitsalter. Nach Dünkel (NK 08, 106) beginnt die Strafmündigkeit in Schottland mit 8 Jahren, in England und Wales, Nordirland, Frankreich und der Schweiz mit 10 Jahren, in Irland, den Niederlanden und der Türkei mit 12 Jahren, in Italien, Spanien, Österreich, Russland, Ungarn, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien mit 14 Jahren, in Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden und Tschechien mit 15 Jahren, in Schottland und Portugal mit 16 Jahren und in Belgien grds. mit 18 Jahren. In den meisten Bundesstaaten der USA liegt das Strafmündigkeitsalter etwa bei 7 Jahren, in Kanada bei 12 Jahren (Klosinski DVJJ-J 97, 404). Zur Entwicklung in England vgl.
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II. Grundgedanken und Erziehungsauftrag des JGG
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näher Crofts ZStW 99, 728; Horsfield NK 06, 42. Zur Rechtshilfe für einen Staat mit niedrigerer Strafmündigkeitsgrenze als in Deutschland § 1, 5 a. Zu JStrafe u. UHaft bei 14–15-jährigen § 17, 4 u. § 89 c. Zur zivilrechtlichen Haftung Minderjähriger s. § 828 BGB.
14.
Die Heranwachsenden
Die Einbeziehung der Hw. in die JGerichtsbarkeit hat sich aus den unter Rn 1 dargelegten 37 Gründen als richtig erwiesen, was von Praxis und Wissenschaft weitgehend einmütig anerkannt wird (vgl. BGH NJW 89, 1491; Kaiser in JStrafrecht an der Wende S. 9; Pruin Die Heranwachsendenregelung im deutschen JStrafrecht, 2007; Dölling FS Kreuzer, 2. Aufl. 2009 S. 119). Heute wird in der Praxis – gestützt durch die Ergebnisse der Forschung – überwiegend JStrafrecht auf Hw. angewendet (näher § 105, 1; für grds. Anwendung des allg. Strafrechts auf Hw. aber mehrere Gesetzentwürfe des Bundesrates, etwa v. 23. 3. 2006, BT-Drs. 16/1027; für generelle Anwendung des allg. Strafrechts mit obligatorischer Strafmilderung Gehb/Drange ZJJ 04, 264; dazu Riehe ZJJ 04, 429; s. auch Böttcher in DVJJ-Regionalgruppe Nordbayern, Hrsg., Praxis u. Reform des JStrafrechts, 2004 S. 85). Welch problematische Fragen § 105 dem JRichter – und kaum weniger ggf. dem Sachverständi- 38 gen – zu lösen aufgibt, wie leicht durch schwankende Bewertungen eine gewisse Rechtsunsicherheit und Rechtsungleichheit (vgl. das Gefälle Stadt-Land bei solchen Entscheidungen) gefördert werden kann, ist unbestritten (z. B. Janssen Hw. im JStrafverfahren, 1980 S. 79, 219). Die Denkschrift 1977 der DVJJ (vgl. Rn 40) sieht die „Fragwürdigkeit“ vor allem darin, dass der „normale“ J und der „normale“ Erw. rein fiktive Größen sind, die in der Realität mit ihren zahllosen Abstufungen und Nuancen keine Entsprechungen finden (S. 3; vgl. Thomae Das Problem der „sozialen Reife“ von 14- bis 20-jährigen, 1973). Die sog. Marburger Richtlinien (MKrim. 55, 60) geben dem Richter entscheidungserleichternde Anhaltspunkte, die allerdings wiederum einzeln und in ihrem Zusammenhang gewertet werden müssen. Die Rechtsprechung leistet Beistand, indem der BGH (Bd. 12, 116 und BGH H MDR 82, 104) aus dem Grundsatz „in dubio pro reo“ im Zweifel die Anwendung von JStrafrecht ableitet (näher § 105, 17) und (Bd. 8, 90) eine Verfehlung schon dann als jugendtümlich ansieht, wenn sie „Antriebskräften der Entwicklung“ entsprang. Die Problematik des § 105 entschärfen auch § 106, der bei Anwendung von ErwStrafrecht auf Hw. dessen Milderung zulässt (vgl. insbes. BGH 31, 189 mit zust. Anm. Brunner NStZ 83, 218; näher § 106, 1) und § 114, wonach an geeigneten Verurteilten bis zu 24 Jahren Freiheitsstrafen auch in der JStrafanstalt vollzogen werden dürfen. Nicht nur hierdurch wird § 105 praktikabel und erträglich. Schulung, Verständnis und eigenes Engagement der JStaatsanwälte und JRichter tragen wesentlich dazu bei. Zur Fortwirkung des subsidiären ErzAuftrags des Staates bei den volljährigen Hw., auch zu den 39 zeitlichen u. gegenständlichen Grenzen: Rn 11. Es wird seit langem von Teilen der Wissenschaft und Praxis gefordert, die Hw. voll in das 40 JStrafrecht zu integrieren. Die DVJJ hat deshalb in ihrer Denkschrift 1977 über die kriminalrechtliche Behandlung junger Volljähriger vorgeschlagen, die Hw. unter Verzicht auf den eine „vergangenheitsbezogene Persönlichkeitsanalyse“ fordernden § 105 voll in das JStrafrecht einzubeziehen (zust. Schöch in JStrafrecht an der Wende S. 132 f). Zu diesem Vorschlag führte die gesicherte Erkenntnis, dass die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen zwar unterschiedlich verläuft, gerade die Ausbildung sozialer Verhaltensweisen aber bis weit in das dritte Lebensjahrzehnt hineinreicht (vgl. die Literaturanalyse bei Thomae Rn 38; Bericht vom 10. internationalen Richterkongreß 1966 in Paris, MKrim. 68, 80). Bei den Hw. kann idR von einer den J vergleichbaren persönlichen Prägbarkeit und spezialpräventiven Ansprechbarkeit ausgegangen und diese können mit den kriminalpädagogischen Reaktionsmitteln des JGG genützt werden.
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Einf II
Einführung
40 a Der Eintritt der Volljährigkeit mit Abschluss des 18. Lebensjahres verschafft den jungen Erw. zwar – oft als Danaergeschenk – die volle Teilhabe am Rechtsleben, fordert aber zugleich und insbes. im Kriminalrecht flankierende Maßnahmen (Becker Zbl. 72, 380; Stutte/Remschmidt Die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters im Urteil der Betroffenen, 1973 S. 82; Thiesmeyer RdJ 70, 33; Thomae Rn 38, S. 68). Gerade junge Straftäter weisen typischerweise Sozialisationsmängel auf (Bertram Zbl. 70, 33). Die fließenden Übergänge vom J- zum ErwStatus erschweren die von § 105 geforderte Abgrenzung erheblich (Jädke Zbl. 96, 126 f). Für die generelle Einbeziehung der Hw. in das JStrafrecht hat sich auch die 2. JStrafrechtsreformkommission der DVJJ (Vorschläge für eine Reform des JSrafrechts, 2002 S. 6) ausgesprochen. Jedenfalls ist eine generelle Zurückdrängung des JStrafrechts zugunsten des allg. Strafrechts nicht angezeigt. Werden die Hw. nicht generell dem JStrafrecht unterstellt, sollte § 105 JGG bestehen bleiben (Dölling Rn 37 S. 129). 41 Werden die Hw. voll in das JStrafrecht einbezogen, kann es nicht genügen, das jrechtliche Instrumentarium einfach auf die dann stets betroffene Gruppe der Hw. mit ihren altersmäßigen Besonderheiten und dem gerade hier schon vielgestaltigen und oftmals bedrohlicheren Erscheinungsbild ihrer Kriminalität auszudehnen. Die DVJJ-Denkschrift hat deshalb ua ein neues Verfahren der „Bewährung in Freiheit“ und neue Regelungen insbes. bei JA (vgl. näher § 16, 7), Bew. und JStrafe vorgeschlagen. Gegenwärtig fehlen geeignete Sanktionen, mit denen auch die mit bedrohlicheren Formen der Kriminalität belasteten Hw. (Denkschrift S. 7 u. 9) nachhaltig beeindruckt werden können, noch weitgehend im JStrafrecht, bedürfen zumindest weiterer eingehender Erprobung. Insbes. müsste ein dem Strafbefehlsverfahren ähnliches Verfahren geschaffen werden, um der Massenkriminalität der Hw. angemessen entgegentreten zu können. Die Denkschrift (S. 60) hat hierzu einen „jrichterlichen Bescheid“ vorgeschlagen und festgestellt, dass dieses vorgeschlagene Verfahren den JRichter für seine eigentlichen Aufgaben freistellen und den Hw. von den zwangsläufigen Nebenfolgen einer Hauptverhandlung befreien würde. Zu der durch extremistische Gewalttaten ausgelösten Diskussion über eine verstärkte Anwendung des ErwStrafrechts auf Hw. vgl. die Beiträge in DVJJ-J 93, 103 ff u. 00, 328 ff.
15.
Internationale Regelwerke
42 Misst man die prozessualen und materiellen Vorschriften des JGG an den „Mindestgrundsätzen“, welche die Vereinten Nationen für die JGerichtsbarkeit aufgestellt haben (Beijinger Grundsätze v. 29. 11. 1985, ZStW 87, 253 ff), so steht das JGG recht gut da (vgl. aber auch SchülerSpringorum ZStW 87, 834 ff). Dazu auch Rn 33; 35 aE; § 1, 5 a aE. Zu den Richtlinien der Vereinten Nationen für die Prävention von JKriminalität vgl. Schüler-Springorum ZStW 92, 169. Das UNÜbereinkommen über die Rechte des Kindes v. 20. 12. 1989 ist in Deutschland am 5. 4. 1992 in Kraft getreten (BGBl. II 121, 990). Es gilt für Kinder und J, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit die Volljährigkeit nicht früher eintritt. Das Übereinkommen betont ua die erz. Aspekte bei der Reaktion auf Delinquenz, bezeichnet Freiheitsentzug als letztes Mittel und führt völkerrechtlich anerkannte Mindestgarantien in Strafverfahren an (s. Gerstein DVJJ-J 96, 13). 2008 hat der Europarat eine Empfehlung für inhaftierte und ambulant sanktionierte jugendliche Straftäter verabschiedet (Rec [2008] 11; dazu Dünkel RdJ 08, 375 u. in DVJJ, Hrsg., Fördern Fordern Fallenlassen, 2008 S. 55). Zu den internationalen Regelungen über die JGerichtsbarkeit s. auch BMJ Hrsg., Internationale Menschenrechtsstandards u. das JKriminalrecht, 2001; Kiessl Die Regelwerke der Vereinten Nationen zum JStrafrecht in Theorie u. Praxis, 2001; Bochmann Entwicklung eines europäischen JStrafrechts, 2009 S. 21 ff.
16.
Die Entwicklung des JGG seit 1990
43 Das 1. JGGÄndG v. 30. 8. 1990 (BGBl. I 1853; dazu Böhm NJW 91, 534; Böttcher/Weber NStZ 90, 561; 91, 7; Heinz ZRP 91, 183; Trenczek NJ 91, 195, 245, 288; Viehmann FuR 91, 256.) hält an der
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II. Grundgedanken und Erziehungsauftrag des JGG
Einf II
Grundstruktur des JGG fest und versucht die „Reformen durch die Praxis“ (dazu § 45, 5 ff) unter weiteren Einfügungen zu stabilisieren und die Rechtsgleichheit zu fördern. Den ErzGedanken will das 1. JGGÄndG vor allem dadurch verstärken, dass es weitere erzieherisch wirkende Rechtsfolgen in den Katalog der ErzMaßregeln und Zuchtmittel einfügt, die JStrafe von unbestimmter Dauer abschafft, die Strafaussetzung zur Bew. vorsichtig erweitert, den erz. Aspekt beim JA stärker betont sowie die informellen Erledigungsmöglichkeiten, die Funktion der JGH und die Regelung der einstweiligen Unterbringung in einem ErzHeim zu verbessern sucht. Schließlich will es die Möglichkeit der Verhängung von UHaft wegen Fluchtgefahr gegen J, die noch nicht 16 Jahre alt sind, deutlich einschränken und den J, die sich in UHaft befinden, einen Verteidiger zur Seite stellen (BT-Drs. 11/5829 S. 11). Das 1. JGGÄndG bestätigt mit Augenmaß den durch Praxis und Wissenschaft eingeleiteten Trend zur weitgehenden Ablösung der stationären Maßnahmen durch ambulante und umschreibt damit zugleich auch für die weitere Entwicklung Möglichkeiten und Grenzen. Wenn zu starke Zurückhaltung des Gesetzgebers vielerseits beklagt wurde, so muss bedacht werden, dass Rechtsreformen des gesellschaftlichen Konsenses bedürfen. Erst wenn Rechtsreformen vom überwiegenden Teil der Bevölkerung akzeptiert sind, können sie ohne Verlust in das Vertrauen auf den Rechtsstaat verwirklicht werden. Rechtsreformen sollten möglichst auch die überwiegende Zustimmung der Richter haben, weil diese mit den neuen Gesetzen arbeiten, sie auslegen und mit Leben erfüllen müssen. Deshalb sollten sie auch die gebotene Zeit zu Stellungnahmen zu den neuen Gesetzesnovellen bekommen, damit der Einleitungssatz „nach Anhörung der Praxis“ nicht nur eine Floskel bleibt. Dies behindert die weitere Rechtsentwicklung nicht, sondern stabilisiert sie. Der Deutsche Bundestag hat am 20. Juni 1990 zu dem von ihm verabschiedeten 1. JGGÄndG – 44 BT-Drs. 11/5829 und 11/7421 – die folgende Entschließung in BT-Drs. 11/7421 – Buchstabe c der Beschlussempfehlung – angenommen: „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, bis zum 1. Oktober 1992 den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes vorzulegen, der den weiteren Reformbedarf aufgreift und Lösungsvorschläge insbes. zu folgenden Problembereichen enthält: – Die strafrechtliche Behandlung Heranwachsender, – das Verhältnis zwischen Erziehungsmaßregeln und Zuchtmitteln, – die Voraussetzungen für die Verhängung von Jugendstrafe, – die vermehrte Mitwirkung von Verteidigern im Jugendstrafverfahren, – die Gefahr der Überbetreuung Jugendlicher (Erziehungsgedanke/Grundsatz der Verhältnismäßigkeit), – Straftaxendenken und Aufschaukelungstendenzen in der Sanktionspraxis der Jugendgerichtsbarkeit, – die Stellung und die Aufgaben der Jugendgerichtshilfe im Jugendstrafverfahren, – das Ermittlungs- und das Rechtsmittelverfahren, – die Aus- und Fortbildung von Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten in Bezug auf jugendstrafrechtliche Besonderheiten, – die verstärkt notwendige Berücksichtigung von Belangen junger Mädchen und Frauen in der Anordnung und Durchführung jugendlicher Sanktionen, – Aufwertung des Täter-Opfer-Ausgleichs.“ Ein 2. JGGÄndG wurde zunächst nicht erlassen. Stattdessen erfolgten einzelne Änderungen 45 des JGG. Änderungen der JGerichtsverfassung hat das G zur Entlastung der Rechtspflege v. 11. 1. 1993 (BGBl. I 50) gebracht (s. §§ 33–33 b, 9). Das VerbrechensbekämpfungsG v. 28. 10. 1994 (BGBl. I 3186) hat das JGG nur in § 109 geändert (dazu § 109, 11). Für das JStrafverfahren ist aber auch das durch dieses G eingeführte länderübergreifende staatsanwaltliche Verfahrensregister von Bedeutung (Vor § 97, 31 a). Einige Änderungen und Ergänzungen haben das
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Einf II
Einführung
JuMiG vom 18. 6. 1997 (BGBl. I 1430), das KindRG v. 16. 12. 1997 (BGBl. I 2942), das G zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten v. 26. 1. 1998 (BGBl. I 160), das 1. JuMoG v. 24. 8. 2004 (BGBl. I 2198), das AnhörungsrügenG v. 1. 12. 2004 (BGBl. I 3220), das G zur Vereinfachung u. Vereinheitlichung der Verfahrensvorschriften zur Wahl u. Berufung ehrenamtlicher Richter v. 21. 12. 2004 (BGBl. I 3599) und das 2. JuMoG v. 22. 12. 2006 (BGBl. I 3426; insbes. Zulassung der Nebenklage gegen J, dazu Stuppe ZJJ 07, 18; Höynck ZJJ 07, 76) gebracht. Zum Einigungsvertrag § 1, 6 a–6 g. 46 Durch das G zur Änd. der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung v. 27. 12. 2003 (BGBl. I 2007) wurde die vorbehaltene und durch das G zur Einf. der nachträglichen Sicherungsverwahrung v. 23. 7. 2004 (BGBl. I 1838) die nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen Hw., auf die allgemeines Strafrecht angewendet wird, eingeführt. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch gegen J brachte das G zur Einf. der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach JStrafrecht v. 8. 7. 2008 (BGBl. I 1212). Änderungen erfolgten durch das G zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen v. 22. 12. 2010 (BGBl. I 2300). Die kriminalpolitische Tendenz zu einer Verstärkung des Sicherheitsgedankens hat sich somit auch auf das JStrafrecht ausgewirkt. Die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung sind jedoch von BVerfG NJW 11, 1931 für verfassungswidrig erklärt worden und dürfen nur noch bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber längstens bis zum 31. 5. 2013 angewendet werden (vgl. § 7, 14, 17, 21; § 106, 9, 12, 20). 47 Nachdem 2006 das BVerfG dem Gesetzgeber aufgegeben hatte, bis Ende 2007 eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende gesetzliche Grundlage für den JStrafvollzug zu schaffen (BVerfGE 116, 69), und mit der Föderalismusreform in demselben Jahr die Gesetzgebungszuständigkeit für den Strafvollzug auf die Länder übergegangen war, erließen die Länder JStrafvollzugsgesetze. Das 2. JGGÄndG v. 13. 12. 2007 (BGBl. I 2894; dazu Goerdeler ZJJ 08, 137) hat daraufhin die bisherigen Vorschriften des JGG über die Gestaltung des JStrafvollzugs gestrichen und in § 92 JGG die Rechtsbehelfe in JVollzugssachen geregelt. Außerdem hat das Gesetz in dem neuen § 2 I JGG die Spezialprävention als primäres Ziel des JStrafrechts und die Erziehung als vorrangiges Mittel zur Erreichung dieses Ziels festgelegt. Die Föderalismusreform hat zu einer problematischen Aufspaltung der Gesetzgebungszuständigkeiten in der JStrafrechtspflege geführt. Zur Erreichung der Ziele des JStrafrechts ist es erforderlich, dass Bund und Länder von ihren Gesetzgebungszuständigkeiten in aufeinander abgestimmter Weise Gebrauch machen. Zur Situation der deutschen JStrafrechtspflege s. die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, JStrafrecht im 21. Jahrhundert, BT-Drs. 16/13142 v. 26. 5. 2009, u. dazu Sonnen ZJJ 09, 214 sowie die Beiträge in ZJJ 09, 346 ff. 48 Für die JStrafrechtspflege ist auch das JHilferecht von Bedeutung. Das Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts (KJHG) v. 26. 6. 1990 (BGBl. I 1163) hat das JGG zum Teil abgeändert (z. B. § 12), das JWohlfahrtsG durch das 8. Buch des SGB Kinder- und JHilfe (SGB VIII) ersetzt und wirkt in verschiedenen Bereichen auf das JGG ein. Durch das 1. G zur Änderung des 8. Buches SGB v. 16. 12. 1993 (BGBl. I 239) sind die das JGG betreffenden Regelungen des SGB VIII teilweise abgeändert worden (vgl. dazu Maas Zbl. 94, 68; Kiehl NJW 93, 1052 f u. Zbl. 93, 226). Wichtige Änderungen und Ergänzungen des SGB VIII haben das TagesbetreuungsausbauG (TAG) v. 27. 12. 2004 (BGBl. I 3853), das Kinder- und JHilfeweiterentwicklungsG (KICK) v. 8. 9. 2005 (BGBl. I 2403) und das KinderförderungsG (KiföG) v. 10. 12. 2008 (BGBl. I 2403) gebracht. Für JStrafrecht hat das KICK erhebliche Bedeutung (s. Wiesner/Schindler/Schmid Das neue Kinder- und JHilferecht, 2006). 49 Zur Reform des JStrafrechts sind eine Reihe von Vorschlägen vorgelegt worden, vgl. die Vorschläge der DVJJ-Kommission zur Reform des JKriminalrechts, DVJJ-J 92, 4; 2. JStrafrechtsreform-Kommission der DVJJ, Vorschläge für eine Reform des JStrafrechts, 2002; Diskussionspapier der Kommission JHilfe und JKriminalrecht der Arbeiterwohlfahrt, Jugend ohne Zukunft? –
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II. Grundgedanken und Erziehungsauftrag des JGG
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Befähigen statt Strafen, 1993; Beschlüsse der Abteilung Strafrecht des 64. DJT zum Thema „Ist das deutsche JStrafrecht noch zeitgemäß?“, NJW 02, 3077, sowie die Gutachten, Referate und Diskussionen der Abteilung Strafrecht in Verhandlungen des 64. DJT, 2002; dazu Schöch RdJ 03, 299 ff. Zur Reform des JGG s. auch Fritschka BewH 91, 282; Heinz JuS 91, 896; Jung JuS 92, 186; Viehmann in BMJ Hrsg., Grundfragen des JKriminalrechts u. seiner Neuregelung, 1992 S. 436; Walter NStZ 92, 470; die Beiträge in DVJJ-J 00, 328 ff; Hinz JR 01, 50 u. ZRP 01, 106; Höynck/Sonnen ZRP 01, 245; Brunner Kriminalistik 02, 418; Dünkel NK 02, 90; Geisler NStZ 02, 449; Goerdeler/Sonnen ZRP 02, 347; Heinz ZStW 02, 519; Kornprobst JR 02, 309; Kreuzer NJW 02, 2345; Laubenthal JZ 02, 807; Walter GA 02, 431; Scheffler NJ 02, 449; Sonnen DVJJ-J 02, 115; ZRP 03, 473; Hotter/H.-J. Albrecht RdJ 03, 282; H. Böhm DRiZ 03, 218; Ostendorf NK 03, 16; Wernigk-Hertweck/ Rebmann ZRP 03, 225; Viehmann ZRP 03, 377; Lütkes/Rose ZRP 03, 472; Hinz ZRP 04, 90; Sieveking/Eisenberg/Heid ZRP 05, 188; Merk ZRP 08, 71; Frank ZRP 08, 71; Köhne ZRP 08, 266; JR 08, 369; Ostendorf StV 08, 148; Hoffmann Reformkonzepte im deutschen JStrafrecht, 2008; Brehm Fragen der Weiterentwicklung des jkriminalrechtlichen Rechtsfolgensystems, 2009; Gebauer FS Schöch, 2010 S. 204 ff. Angezeigt scheint eher eine kontinuierliche Weiterentwicklung des JGG als seine fundamentale Veränderung (zust. Kaiser in JStrafrecht an der Wende S. 35). Die Landesjustizverwaltungen haben 1955 Richtlinien zum JGG vereinbart und gleich lautend 50 erlassen. Die RL binden als Verwaltungsvorschriften des StA, nicht aber den Richter. Die RL wurden 1994 überarbeitet und gelten in der vom Strafrechtsausschuss der Justizministerkonferenz vom 14./15. 4. 1994 gebilligten Fassung seit 1. 8. 1994 (zu früheren Änderungen der RL von 1955 vgl. die Zusammenstellung in der 9. Aufl. S. 70; zur rechtlichen Tragweite u. zur Neufassung § 2, 8 a, b). Im Folgenden sind die RL dem jeweils betroffenen Gesetzestext nachgesetzt. 17. Jugendstrafrecht in Europa In Österreich hat das am 1. 1. 1989 in Kraft getretene JGG eine grundsätzliche Neuordnung der 51 JGerichtsbarkeit gebracht und insbes. die Voraussetzungen dafür neu gestaltet, dass die StA von der Verfolgung absieht oder das Gericht ein Strafverfahren einstellt und bes. die Bereitschaft des Verdächtigen zu außergerichtlichem Tatausgleich berücksichtigt. Durch die JGG-Novelle 2001 wurde entsprechend dem herabgesetzten Volljährigkeitsalter die Altersgrenze für J, die 1988 auf 19 Jahre angehoben worden war, auf 18 Jahre herabgesetzt und wurden Sonderbestimmungen für junge Erwachsene (bis 21. Lebensjahr) geschaffen (s. zum österreichischen JStrafrecht Jesionek ZJJ 07, 120; Birklbauer in DVJJ Hrsg., Fördern Fordern Fallenlassen, 2008 S: 486; Maleczky Österreichisches JStrafrecht, 4. Aufl. 2008). In der Schweiz ist am 1. 1. 2007 ein neues JStrafrecht (JStG) in Kraft getreten. Es hat das Strafmündigkeitsalter von 7 auf 10 Jahre angehoben und kennt als Rechtsfolgen Schutzmaßnahmen und Strafen (vgl. zum neuen schweizerischen JStrafrecht Hebeisen ZJJ 07, 135; Aebersold Schweizerisches JStrafrecht, 2007; Bürgin in DVJJ aaO, S. 478). Zum niederländischen JStrafrecht Sagel-Grande Zbl. 96, 48; DVJJ-J 00, 9; van der Laan DVJJ-J 96, 119; Emig DVJJ-J 98, 49; Kowalzyck DVJJ-J 02, 378; zu England und Wales Graham DVJJ-J 98, 317; Horsfield NK 06, 42; zum französischen JStrafrecht Steindorff-Classen ZJJ 03, 241; Kasten ZJJ 03, 382; zum spanischen JStrafrecht Cano ZJJ 04, 275, 406; zu Schweden u. Finnland Haverkamp RdJ 07, 167; zum dänischen „JVertrag“ Weiler/Matzke Zbl. 96, 171; zu Tschechien Válková/Sima in DVJJ Hrsg., Verantwortung für Jugend, 2006 S. 482; zu Ungarn Ligeti RdJ 07, 190; allg. zur Entwicklung des JStrafrechts in Europa Dünkel/van Kalmthout/SchülerSpringorum Hrsg., Entwicklungstendenzen u. Reformstrategien im JStrafrecht im europäischen Vergleich, 1997; H.-J. Albrecht/Kilchling Hrsg., JStrafrecht in Europa, 2002; Kilchling DVJJ-J 02, 371; Dünkel/Grzywa/Horsfield/Pruin Hrsg., Juvenile Justice Systems in Europe, 2010; s auch die Beiträge in ZJJ 11, 120 ff; für ein vereinheitlichtes europäisches JStrafrecht Bochmann Entwicklung eines europäischen JStrafrechts, 2009; zu Japan Kuzuno NK 04, 106; Takeuchi BewH 05, 370.
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Übersicht über die bisherigen Änderungen des JGG
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Übersicht über die bisherigen Änderungen des JGG Übersicht über die bisherigen Änderungen des JGG Übersicht über die bisherigen Änderungen des JGG 1. EinfG z. WehrstrafG v. 30. 3. 1957 (BGBl. I 306): eingefügt §§ 112 a-112 e, 115 III. 2. G z. Änderung u. Ergänzung d. RJWG v. 11. 8. 1961 (BGBl. I 1193): weggefallen § 38 II 6, geändert §§ 8 II, 3, 9, 12, 34 III, 48 II, 76 I, 82 II, 93 III, 112 a. 3. 2. G z. Sicherung d. Straßenverkehrs v. 26. 11. 1964 (BGBl. I 921): geändert §§ 39 I, 75 I, 76 I. 4. StPÄG v. 19. 12. 1964 (BGBl. I 1067): eingefügt §§ 39 I 2, 40 I 2, aufgehoben § 68 Nr. 1, geändert §§ 34 III, 61 II, 69 III, 71 II. 5. EGOWiG v. 24. 5. 1968 (BGBl. I 503): aufgehoben § 75 I 2, geändert § 42 I. 6. 1. StrRG v. 25. 6. 1969 (BGBl. I 645): eingefügt §§ 10 I 2, 15 I 2, 23 II, 26 a, 57 III, aufgehoben § 20, geändert §§ 6, 18 I, 21, 22, 24, 25, 26, 28, 30 I, 58 I, 60 I, 87 III, 88 I und V, 89 I, 92 II, 94 I, 96 II, 106, 108 III, 112 a, 114. 7. G z. allg. Einf. eines 2. Rechtszuges in Staatsschutzstrafsachen v. 8. 9. 1969 (BGBl. I 1582): eingefügt § 102 S. 2. 8. BZRG v. 18. 3. 1971 (BGBl. I 243): aufgehoben §§ 94–96, 100, geändert §§ 13 III, 97, 101, 111. 9. BtMG v. 22. 12. 1971 (BGBl. I 2092): eingefügt § 93 a, geändert §§ 5 III, 7, 10 II, 110 I. 10. G z. Neuordnung d. WehrdisziplinarR v. 21. 8. 1972 (BGBl. I 1481): aufgehoben § 112 c IV. 11. Bekanntmachung d. Neufassung d. JGG v. 1. 3. 1974 (BGBl. I 149): aufgehoben §§ 117 I 2, 3, 118, 121, Zweiter Abschnitt d. 4. Hauptstücks mit Überschrift. geändert (z. T. nur redaktionell) §§ 34 I und III, 59 III und IV, 72 V, 88 IV, 109, 119; die Überschriften § 77 und des Vierten Hauptstückes. 12. EGStGB v. 2. 3. 1974 (BGBl. I 469): eingefügt §§ 52 a, 55 III, 83 II, 100, 105 II, 109 II 2, 123, aufgehoben §§ 1 III, 8 II 2, 13 III 2, 22 III, 38 III 3, 52 II und III, 75, 76 II, 80 III 2, 90 III und IV, 97 I, 119 II, geändert § 4 (mit Überschrift), 5 III, 6 I und II, 7 (mit Überschr.), 8 II, 10 I, 11 I, II und III (mit Überschr.), 13 II und III, 15 I und III (mit Überschr.), 19 III, 21 I, 23 I und II (mit Überschr.), 24 II (mit Überschr.), 25 S. 4, 26 I, II und III, 29 S. 1 (mit Überschr.), 38 II, 39 II, 45 I, 48 II, 50 II, 52 (mit Überschr.), 57 III und IV, 59 II, 60 I und III, 62 I, 64 S. 2, 65 I (mit Überschr.), Überschr. d. 8. Unterabschnitts, 76 I, 78 I, 81, 83 S. 1, 88 I-V (mit Überschr.), 89 I–IV (mit
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Überschr.), 93 III, 93 a I (mit Überschr.), Überschr. d. 4. Hauptstücks, 97 II und III (mit Überschr.), 105 III, 106 II, 109 II, Abschnittsüberschr. Vor § 110, 111, 112 a, 112 d, je die Bezifferung der §§ 123, 124. Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters v. 31. 7. 1974 (BGBl. I 1713): geändert §§ 105 I, 107, 109 I, II, 110 I. 1. StVRG v. 9. 12. 1974 (BGBl. I 3393): eingefügt §§ 82 I 2, 112 S. 3, aufgehoben § 61, geändert §§ 33 II, IV, 34 I, 35 I 1, 39 I 1, 40 III, 69 III 2, 83, 104 I Nr. 5, 108 II, 112 S. 1. Bekanntmachung der Neufassung des JGG v. 11. 12. 1974 (BGBl. I 3427): Redaktionell geändert §§ 83 III, 88 V, 109 I. Art. 326 V Nr. 5 G v. 2. 3. 1974 (BGBl. I 469) ab 1. 1. 1978: § 106 II 1 entfällt; Satz 2 redaktionell angeglichen. Strafverfahrensänderungsgesetz v. 5. 10. 1978 (BGBl. I 1645): eingefügt § 39 I 2; S. 3 (vormals S. 2) redaktionell angeglichen; § 40 I 2 redaktionell angeglichen; § 41 I Nr. 1 und 2 geändert, Nr. 3 eingefügt; eingefügt § 47 a; § 58 II; bisheriger Abs. II wird Abs. III, § 62 IV redaktionell angeglichen; § 102 S. 1 geändert; S. 3 entfällt; § 103 II geändert; § 109 I 1 redaktionell angeglichen. Zwanzigstes Strafrechtsänderungsgesetz v. 8. 12. 1981 (BGBl. I 1329): geändert § 26 II. G zur Änderung des StrafvollzugsG v. 20. 12. 1985 (BGBl. I 1645): durch Änderung angeglichen hinsichtlich der Verweisungen § 7; § 106 II 2. G zur Neuordnung des Kinder- u. JHilferechts (KJHG) v. 26. 6. 1990 (BGBl. I 1163, 1190): aufgehoben § 34 III Nr. 3; § 43 II; § 71 I 2; § 90 II 3, geändert § 8 I 2 (redaktionell); § 9; § 12 (mit Überschr.); § 34 III Nr. 2 (redaktionell); § 55 I 2; § 71 S. 1; § 76 S. 1, § 77 I 1; § 78 I 2; § 82 II; § 112 a Nr. 1. JGGÄndG v. 30. 8. 1990 (BGBl. I 1853): aufgehoben § 16 III 3; § 30 I 2; § 52 a II; § 89; § 90 II 3; § 116 III, eingefügt § 10 I Nr. 4, Nr. 5–7; § 24 II; § 26 I 2; § 38 II 7, III 3 HS 2; § 50 IV, § 68 Nr. 4; § 72 I 2, 3, II, III 1; § 72 a (mit Überschrift); § 85 II, III, IV, VI, VII; § 89 a (mit Überschrift); § 96 I 2, 3, geändert § 10 I Nr. 3, 9; § 11 I 2; § 15 III 1; § 16 II; § 21 I, II; § 24 I 1, III 5; § 25 S. 2 (redaktionell); § 26 II; § 29; § 34 II 2, III Nr. 1, 2 (redaktionell); § 38 II; § 39 II (redaktionell); § 43 I 2, 3, II, III 2; § 45; § 47 I, II 1; § 48 II; § 58 I; § 59 II; § 60 I 2, 3; § 62 IV; § 64 S. 2 (redaktionell); § 65 I 2, 3, 4; § 68 Nr. 2, 3; § 71 II; § 72 IV 1 (redaktionell); § 73 I 1; § 76 S. 1; § 83 I (redaktionell); § 87 III; § 88 I, II 1, VI; § 89 III (redaktionell); § 91 II 3 (redaktionell); § 93 I, III; § 109 I 1, II 1, § 110 II; § 121 (auch § 98 OWiG – III eingefügt; II IV geändert). G zur Entlastung der Rechtspflege v. 11. 1. 1993 (BGBl. I 50): aufgehoben § 33 III (bisheriger IV wird III), eingefügt §§ 33 a, b; § 109 III, geändert § 107 (redaktionell); § 108 III 1. 1. G zur Änderung des 8. Buches Sozialgesetzbuch v. 16. 2. 1993 (BGBl. I 239): geändert § 9 Nr. 2 (redaktionell); § 12; § 35 I 1, II 1, III 1 IV (redaktionell); § 55 I 2 (redaktionell). G zur Änderung des StGB, der StPO und anderer Gesetze (VerbrechensbekämpfungsG) v. 28. 10. 1994 (BGBl. I 3186): eingefügt § 109 II S. 3. JustizmitteilungsG und G zur Änderung kostenrechtlicher Vorschriften und anderer G (JuMiG) v. 16. 12. 1997 (BGBl. I 1430): eingefügt § 70 S. 3. G zur Reform des Kindschaftsrechts (KindschaftsreformG – KindRG) v. 16. 12. 1997 (BGBl. I 2942):
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Übersicht über die bisherigen Änderungen des JGG
geändert § 3 S. 2; § 34 II S. 1 (neu) III; § 42 I Nr. 1, II; § 53 (mit Überschrift); § 54 I S. 1; § 55 I S. 1; § 70 S. 3; § 84 II S. 1; § 98 Abs. 1 S. 1; § 104 IV 1, eingefügt § 84 Abs. 2 S. 2, aufgehoben § 34 II S. 1 (bisherige S. 2 und 3 werden S. 1 und 2). G zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten v. 26. 1. 1998 (BGBl. I 160):geändert § 88 I, III S. 2, eingefügt § 97 I S. 3; § 180 S. 2. G zur Verlängerung der Besetzungsreduktion bei Strafkammern v. 19. 12. 2000 (BGBl. I 1756): eingefügt § 33 b II S. 2. G zur Veränderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften v. 27. 12. 2003 (BGBl. I 3007): geändert § 106 I und II (Satz 1) neu, eingefügt § 106 III und IV, aufgehoben § 106 II 1 (bisheriger § 106 II Satz 2 wird Satz 1). G zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung v. 23. 7. 2004 (BGBl. I 1838): geändert § 106 Überschrift; § 108 III, eingefügt § 106 V und VI. Erstes G zur Modernisierung der Justiz (1. JustizmodernisierungsG) v. 24. 8. 2004 (BGBl. I 2198): geändert Inhaltsübersicht, aufgehoben § 49. G über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) v. 9. 12. 2004 (BGBl. I 3220): angefügt § 55 IV. G zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Verfahrensvorschriften zur Wahl und Berufung ehrenamtlicher Richter v. 21. 12. 2004 (BGL. I 3599). geändert § 35 I 1, II 1. Zweites G zur Modernisierung der Justiz (2. JustizmodernisierungsG) v. 22. 12. 2006 (BGBl. I 3416): geändert § 41 I Nr. 2 und 3; § 48 II 1; § 51 II; § 80 III; § 109 I 1, II 2, eingefügt § 41 I Nr. 4; § 51 III bis V; § 68 Nr. 3; § 78 III 3; § 109 II 4; bisherige § 68 Nr. 3 und 4 werden Nr. 4 und 5. G zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung v. 13. 4. 2007 (BGBl. I 513): eingefügt § 106 V 2. Zweites G zur Änderung des JGG und anderer G v. 13. 12. 2007 (BGBl. I 2894): geändert § 2 (Überschrift); § 17 I; § 83 I; § 85 II 1, III Satz 1 bis 3; § 91; § 92; § 112 b II 2; § 114 samt Überschrift; § 121, eingefügt § 2 I, aufgehoben § 115 I und II; bisheriger § 2 wird § 2 II; § 115 III wird § 115. G zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht v. 8. 7. 2008 (BGBl. I 1212): geändert § 41 I Nr. 3 und 4; § 7 II bis IV; § 41 I Nr. 5; § 82 III, eingefügt § 106 VII; bisheriger § 7 wird § 7 I. G zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGG-RG) v. 17. 12. 2008 (BGBl. I 2586): geändert § 2 S. 2; § 34 II 1, III; § 42 I Nr. 1, II; § 53 Überschrift, S. 1 u. 2; § 54 I 1; § 55 1; § 67 IV 3; § 70 S. 1 u. 3; § 84 II 1 u. 2; § 98 I 1; § 104 IV 1. G zur Änderung des Untersuchungshaftrechts v. 29. 7. 2009 (BGBl. I 2274): geändert § 83 I; § 92 VI 1; § 109 I 1; 110 II, eingefügt § 72 b; § 89 b; § 89 c; § 121 II,
Übersicht über die bisherigen Änderungen des JGG
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aufgehoben § 91, 93. 40. G zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren (2. Opferschutzreformgesetz) v. 29. 7. 2009 (BGBl. I 2280): geändert § 80 III 2. 41. G über die weitere Bereinigung von Bundesrecht v. 8. 12. 2010 (BGBl. I 1864): geändert § 35 III 2; § 112 d; § 112 e; § 116 I, eingefügt § 35 VI, aufgehoben § 112 a Nr. 2; § 112 b; § 112 c I; § 115; §§ 117 bis 120; §§ 122 bis 124; bisheriger § 112 c II wird I, § 112 c III wird II und neu gefasst. 42. G zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen v. 22. 12. 2010 (BGBl. I 2300): geändert § 7 III Satz 1 Nr. 2; § 104 I; § 106 I; § 106 III S. 3, VI Satz 1 Nr. 1; § 109 Abs. 1 Satz 1, eingefügt § 81 a, aufgehoben: § 106 Abs. 7.
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§1
1. Teil. Anwendungsbereich
Erläuterungen 1. Teil. Anwendungsbereich § 1 Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich
Erster Teil Anwendungsbereich § 1 Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich (1) Dieses Gesetz gilt, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist. (2) Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist. 1. Hw.: Rn 7. – 2. ErwG: § 104, 1. Richtlinien zu § 1: 1. Auf Handlungen, für die Ordnungs- oder Zwangsmittel vorgesehen sind, findet das Jugendgerichtsgesetz keine Anwendung. Für das Bußgeldverfahren gelten die Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes sinngemäß, soweit das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten nichts anderes bestimmt (§ 46 Abs. 1 OWiG). 2. Stellt die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Schuldunfähigkeit (vgl. § 19 StGB) ein, so prüft sie, wer zu benachrichtigen ist (vgl. insbesondere § 70 Satz 1, § 109 Abs. 1 Satz 2) und ob gegen Aufsichtspflichtige einzuschreiten ist. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ordnungs- und Zwangsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internationales Strafrecht, Auslieferung und Vollstreckung . Geltung des JGG in den neuen Bundesländern . . . . . . . . . Altersgrenzen, Bestimmung und Folgen . . . . . . . . . . . . Straftaten von Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Sachlicher Anwendungsbereich
1 Das allg. Strafrecht (§ 2, 10) einschließlich des Nebenstrafrechts bestimmt, ob eine Verfehlung (rechtswidrige Tat iSd § 12 StGB) gegen eine Strafvorschrift vorliegt. 2 Das JGG gilt sinngemäß für das OWiG-Verfahren nach den Vorschriften des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG), soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt (§ 46 I OWiG; RL 1 S. 2), und zwar für Verwaltungsbehörde und Gericht (§ 2, 15). § 12 I OWiG bestimmt, dass ein Kind nicht, ein J nur unter den Voraussetzungen des § 3 S. 1 vorwerfbar handelt. Im gerichtlichen Verfahren ist gem. § 68 II OWiG der JRichter zuständig. Außerhalb der Vollstreckung (§ 98 OWiG; § 82, 11) sind im OWiG-Verfahren gegen J und Hw. ErzMaßregeln und Zuchtmittel als Ahndung ausgeschlossen (BayObLG NJW 72, 837; OLG Köln VRS Bd. 60 [81], 454). Solche Aufgaben wären für die Verwaltungsbehörde wesensfremd und die grds. Einschaltung des JRichters
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Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich
§1
unangemessen (Göhler/Gürtler § 12 OWiG 8). Das Einheitsprinzip des § 31 gilt im Ordnungswidrigkeitsverfahren nicht. Nach Bohnert (Ordnungswidrigkeiten u. JRecht, 1989) verlieren die Regeln des JGG „gleichsam im fremden Rechtskreis eingebürgert, ihre anderweitigen übergreifenden Sinnbedeutungen“, was tief greifende erz. Eingriffe verbiete. Zur örtlichen Zuständigkeit für die Einspruchs-Verhandlung bestehen Verordnungen der Länder. Zur Vollstreckungszuständigkeit des JGerichts § 82, 8 ff. 2.
Ordnungs- und Zwangsmittel
Das JGG gilt nicht für Ordnungsmaßnahmen (RL 1 S. 1; §§ 178 GVG, 51, 70 StPO, 380, 390 3 ZPO, 89 FamFG ua). Auch gegen J wird Ordnungsgeld oder Ordnungshaft verhängt; diese kann aber in einer JA-Anstalt verbüßt werden. Bei J muss die Altersreife nach § 3 S. 1 vorliegen (LAG Nürnberg MDR 99, 1342; Eisenberg 22). Gegen schuldunfähige Kinder können entsprechend § 19 StGB Ordnungsmaßnahmen nicht 4 verhängt werden (BVerfGE 20, 331 zu § 890 ZPO; LG Bremen NJW 70, 1429; Meyer/Goßner § 51 StPO 15; Skupin MDR 65, 865); Vorführung ist grds. zulässig (OLG Düsseldorf FamRZ 73, 547; HK-GS/Trüg § 51 StPO 4; aA Skupin aaO), kann aber unverhältnismäßig sein. Mangels gesetzlicher Regelung sind auch gegen Eltern, die ihre Kinder nicht als Zeugen vor Gericht stellen, keine Ordnungsmaßnahmen zulässig (OLG Hamm NJW 65, 1613; Meyer-Goßner § 51 StPO 1; Skupin aaO). Dazu auch Anhang nach § 125 Rn 17. Hier kann nur das Familiengericht nach § 1666 BGB helfen. Anders aber bei § 50 II. 3.
Internationales Strafrecht, Auslieferung und Vollstreckung
Das JGG gilt nach Maßgabe der §§ 3–7 StGB auch für Ausländer und für Auslandstaten deut- 5 scher J und Hw. (§ 2 II). Zur Kriminalität u. zur jrechtlichen Behandlung ausländischer J u. Hw. Einf. I 17–23. Die Internationale Rechtshilfe richte sich nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) und völkerrechtlichen Abkommen. Das IRG enthält hinsichtlich der Staaten der EU in den §§ 78 ff Spezialregelungen, im Übrigen gelten die §§ 1 ff IRG. Die Auslieferung eines zur Tatzeit nach § 19 StGB strafunmündigen Kindes ist unzulässig 5 a (§§ 83 I Nr. 2, 73 IRG; OLG Hamm StrafFo 07, 160). Jugendliche und Hw. (vgl. § 40 II Nr. 3 IRG) dürfen grds. ausgeliefert werden, die Auslieferung kann aber im Einzelfall wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach § 73 IRG unzulässig sein (OLG Stuttgart Justiz 04, 362; 364; StraFo 06, 416; OLG Schleswig SchlHA 03, 217; Eisenberg 30 a). Nach § 9 Nr. 1 IRG ist die Auslieferung dann nicht zulässig, wenn für die Tat konkurrierend die deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist und ein deutsches Gericht oder eine Behörde wegen der gleichen Tat gegen den Verfolgten ein Urteil oder eine Entscheidung mit entsprechender Rechtswirkung erlassen hat. Gleiches gilt, wenn eine Entscheidung nach §§ 204, 174 StPO getroffen, ein Verfahren nach § 153 a StPO eingestellt oder nach JStrafrecht von der Verfolgung abgesehen (also auch durch den JStA nach § 45 I, II = Behörde) oder das Verfahren eingestellt wurde (§ 153 StPO; §§ 45, 47). Die StA bei dem OLG bereitet die Entscheidung über die Auslieferung vor und führt die bewilligte Auslieferung durch (§ 13 II IRG), das OLG erlässt die gerichtlichen Entscheidungen (§ 13 I IRG). Bei der Auslieferungshaft sind die §§ 25 II, 27 I IRG zu beachten. Zur sonstigen Rechtshilfe hat das OLG Stuttgart (NJW 85, 573) in der Feststellung der Strafmündigkeit eines zur Tatzeit 13-Jährigen nach türkischem Recht durch fachärztliches Zeugnis keinen Verstoß gegen den ordre public gesehen und hat das OLG Schleswig (NJW 89, 2207) entschieden, dass es nicht dem ordre public widerspricht, einen nach Art. 54 Türk. StGB strafmündigen Elfjährigen dem Strafrecht zu unterstellen und als Beschuldigten richterlich nach dem zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei geltenden Europäischen Überein-
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§1
1. Teil. Anwendungsbereich
kommen über Rechtshilfe in Strafsachen v. 20. 4. 1959 zu vernehmen. Nach Walter (Anm. zu OLG Schleswig NStZ 89, 537) steht kein Völkerrechtsgrundsatz dieser erbetenen Rechtshilfe entgegen; die Regelungen des IRG berühren diesen Fall nicht, denn das Europäische Rechtshilfeübereinkommen geht diesen vor (§ 1 III IRG; BVerfG Beschl. v. 30. 9. 1987 – BvR 510/85; BGH 33, 26). Die Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die JGerichtsbarkeit („Beijinger Regeln“ ZStW 87, 253) Nr. 4 lassen die Frage des Mindestalters offen, denn darüber war ein Konsens nicht zu erzielen (Schüler-Springorum ZStW 87, 809, 821). Dazu Einf. II 42. Vgl. auch BVerfG NJW 82, 1214 u. Einf. I 20; Einf. II 36. 5 b Rechtshilfe durch Vollstreckung rechtskräftiger ausländischer Erkenntnisse ist unter den Voraussetzungen des § 49 IRG zulässig. Sie ist gegen Kinder unzulässig und gegen J und Hw. nicht zulässig, wenn nach deutschem Recht wegen dieser Tat eine Sanktion nicht hätte getroffen werden können (§ 49 I Nr. 3 IRG) oder das JGG Sanktionen, die der im ausländischen Recht verhängten Sanktion ihrer Art nach entsprechen, überhaupt nicht enthält (§ 49 III IRG). Gleiches gilt, wenn bereits eine Entscheidung der in § 9 Nr. 1 IRG genannten Art (s. Rn 5 a) ergangen ist. 5 c Wird das ausländische Erkenntnis für vollstreckbar erklärt, so ist die von diesem verhängte Sanktion für J und Hw. zugleich in die ihr nach den hierbei entsprechend anzuwendenden Vorschriften des JGG am meisten entsprechende jrechtliche Rechtsfolge umzuwandeln (§ 54 I, III IRG). Wurde ein Hw. im Ausland nach ErwStrafrecht verurteilt, ist § 105 I zu prüfen (Eisenberg 30 d). Über die Vollstreckbarkeit entscheidet das LG (§ 50 IRG), zuständig ist die JKammer (Eisenberg 30 e; Ostendorf 17; aA KG NStZ 99, 196 mit abl. Anm. Eisenberg/Goeckenjan NStZ 99, 536; SLGH/Schomburg/Hackner § 71 IRG 9: die Strafvollstreckungskammer), denn in JSachen werden die Aufgaben der Strafvollstreckungskammer von den JGerichten wahrgenommen (§§ 82 ff, 110), denen nach der gesetzlichen Wertung die hierfür erforderliche bes. jstrafrechtliche Bedeutung zukommt. Für die Vollstreckung der umgewandelten Sanktion gelten die Vorschriften des JGG entsprechend (§ 57 IV IRG). Vgl. allg. Wilkitzki JR 83, 227. 5 d Ein Absehen von der Vollstreckung bei Auslieferung oder Ausweisung nach § 456 a StPO ist über § 2 II auch bei JStrafe möglich (Eisenberg 30 h). 5 e Auslieferungs- und Zulieferungshaft werden als UHaft angerechnet (näher § 52 a, 1). Die Besonderheiten der Vollstreckung einer JStrafe werden es idR nicht erlauben, eine Vollstreckung im Ausland im Rahmen der Vollstreckungshilfe nach § 71 IV IRG für zulässig zu erklären (vgl. für das ErwRecht OLG Düsseldorf NStZ 90, 188).
4.
Geltung des JGG in den neuen Bundesländern
6 Mit der Wiedervereinigung stellte sich auch für die JKriminalrechtspflege die Problematik der Rechtsvereinheitlichung. Die DDR hatte am 23. 5. 1952 ein JGG erlassen und dieses mit dem StGB und der StPO v. 12. 1. 1968 wieder aufgehoben. Besonderheiten waren danach nur für J im Allg. Teil 4. Kapitel des StGB, in § 41 des 3. Strafrechtsänderungsgesetzes von 1979 und im 2. Kapitel 5. Abschnitt der StPO normiert. Als Reaktionen auf Straftaten J kamen danach neben dem Absehen von der Strafverfolgung bei Vergehen eine Entscheidung durch ein gesellschaftliches Gericht, die Auferlegung bes. Pflichten (z. B. Schadenswiedergutmachung), Strafen ohne Freiheitsentzug (Verurteilung auf Bewährung, Geldstrafe u. öffentlicher Tadel), JHaft und Freiheitsstrafe in Betracht. Den §§ 105 ff entsprechende Vorschriften für Hw. fehlten. 6 a Der Einigungsvertrag v. 31. 8. 1990 mit Einigungsvertragsgesetz v. 23. 9. 1990 (BGBl. II 885, 889) hat das JStrafrecht der Bundesrepublik mit Wirksamwerden des Beitritts der DDR am 3. 10. 1990 mit gewissen Modifikationen auf das Beitrittsgebiet erstreckt. Die das JKriminalrecht betreffenden Gesetze der DDR sind damit im Wesentlichen außer Kraft getreten (zum deutsch-deutschen Rechtsvergleich auf dem Gebiet der JKriminalrechtspflege, insbes. zu den
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Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich
§1
gesellschaftlichen Gerichten der DDR, vgl. 9. Aufl. Rn 6 ff u. Brunner NStZ 90, 473 ff; zur Rechtsvereinheitlichung s. Lilie NStZ 90, 153; Roggemann JZ 90, 363; Wassermann ZRP 90, 259. Nach Kapitel III Art. 8 des Einigungsvertrags tritt in dem in Kapitel II Art. 3 umschriebenen Ge- 6 b biet der ehemaligen DDR Bundesrecht in Kraft, soweit es nicht in seinem Geltungsbereich auf bestimmte Länder oder Landesteile der Bundesrepublik Deutschland beschränkt ist und soweit durch den Einigungsvertrag und dessen Anlage I nichts anderes bestimmt ist. Diese Anlage I regelt die Rechtsangleichung systematisch und nach Sachgebieten. Es wird bestimmt, welche Teile des Bundesrechts in der DDR nicht gelten, welche geändert werden müssen und welche nur mit bestimmten Maßgaben gelten. Anlage II regelt, welche Rechtsnormen der DDR fortgelten und inwieweit sie zum Teil aufgehoben, ergänzt oder geändert werden. Nach Anlage I Kapitel III (Geschäftsbereich des BMJ) Sachgebiet C (Strafrecht und Ordnungs- 6 c widrigkeitenrecht) Abschnitt III Nr. 3 trat das JGG mit einer Reihe von Maßgaben in Kraft (s. im Einzelnen 11. Aufl. Rn 6 c, 6 d). So waren die §§ 116 bis 125 nicht anzuwenden, traten in der Überschrift vor § 3 sowie in §§ 1 I, 15 II Nr. 1, 33 I, 39 I, 40 I, 67 IV, 80 I, 164 I Nr. 1, 105 I und 108 jeweils an die Stelle des Wortes „Verfehlung“ bzw. „Verfehlungen“ die Worte „rechtswidrige Tat“ bzw. „rechtswidrige Taten“, traten in der Überschrift vor § 13 und in §§ 5 II, III, 8 I, III, 13 I, III, 17 II, 31, 39 I, 54 I, 55 I, 66 I und 76 jeweils an die Stelle des Wortes „Zuchtmittel“ bzw. „Zuchtmitteln“ die Worte „Verwarnung, Erteilung von Auflagen und JArrest“, war § 13 II nicht und § 34 III in modifizierter Fassung anzuwenden und galten einige Sonderregelungen über die zeitliche Geltung des JGG, Freiheitsstrafen und JHaft, Teilvollstreckung einer Einheitsstrafe, Amnestiefälle und Verweisungen. Diese Maßgaben sind nach Art. 109 Nr. 2 des G über die weitere Bereinigung von Bundesrecht v. 6 d 8. 12. 2010 (BGBl. I 1864) bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr anzuwenden. Die Ausnahmen bestehen darin, dass nach Abschnitt III Nr. 3 a) weiterhin § 116 nicht anzuwenden ist und der in Abschnitt III Nr. 3 f) enthaltene § 1 II beibehalten wurde. Nach dieser Vorschrift wird das JGG auch auf rechtswidrige Taten angewandt, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts begangen worden sind. Die Geltung des JGG für Alttaten bedeutet nicht, dass ergänzend zum JGG stets die Vorschriften des StGB gelten sollen. Vielmehr bleibt es insoweit bei der allg. Übergangsvorschrift des § 2 StGB. Dies kann dazu führen, dass das JGG iVm dem Angeklagten günstigeren alten Regelungen des StGB der DDR anzuwenden ist (BGH NStZ 91, 331). Bei einem nach dem Strafrecht der DDR zu Freiheitsstrafe und Schadensersatz verurteilten Hw. wurde durch den BGH der Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, um dem Tatgericht eine dem JGG entsprechende Entscheidung, insbes. Prüfung des § 105 JGG, zu ermöglichen (BGH NStZ 91, 235 = JR 1991, 347 mit zust. Anm. Eisenberg). Bei Anwendung von JStrafrecht kam wegen § 109 iVm § 81 eine Verurteilung zu Schadensersatz nicht in Betracht (BGH, aaO). Die vor dem 3. 10. 1990 nach DDR-Recht erfolgte Verurteilung eines zur Tatzeit Jugendlichen wegen Mordes und Kindesmissbrauchs zur Freiheitsstrafe von 13 Jahren war vom BGH im Strafausspruch aufzuheben, damit die Sanktion nach dem JGG verhängt werden konnte (BGH B NStZ 91, 525). Zu Strafverfahren gegen DDR-Grenzsoldaten aus der Sicht der JHilfe Reinecke NJ 95, 184. Im Sachgebiet C Abschnitt II 3 b) wurde dem StVollzG ein § 202 („Freiheitsstrafe und JHaft der DDR“) eingefügt, wonach gem. Abs. I für den Vollzug einer nach dem StGB der DDR erkannten Freiheitsstrafe gegen J und Hw. die Vorschriften für den Vollzug von JStrafe sowie für den Vollzug von JHaft die Vorschriften über den Vollzug von JA gelten. Zur Aufhebung rechtsstaatswidriger Entscheidungen von DDR-Strafgerichten kamen zu- 6 e nächst das Kassationsverfahren gem. §§ 311 ff DDR-StPO und das Rehabilitationsgesetz v. 6. 9. 1990 in Betracht, die nach der Wiedervereinigung mit Änderungen weitergalten. Diese Vorschriften wurden 1992 durch das Strafrechtliche Rehabilitationsgesetz (Art. 1 des Ersten SEDUnrechtsbereinigungsgesetzes, BGBl. I 1814) als einheitliche Rechtsgrundlage für die Rehabilitierung von Opfern rechtsstaatswidriger strafrechtlicher Maßnahmen ersetzt.
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§1
1. Teil. Anwendungsbereich
6 f Zum Aufbau einer dem GVG entsprechenden Strafgerichtsbarkeit in den neuen Bundesländern und der Besetzung der Richter- und StA-Stellen s. 11. Aufl. Rn 6 f, 6 g. 6 g Wesentlich ist, dass § 105 voll übernommen, die Gruppe der Hw. also sachlich und prozessual nach JGG behandelt wird.
5.
Altersgrenzen, Bestimmung und Folgen
7 Das JGG schafft im Interesse der Rechtssicherheit feste Altersgrenzen. Für Täter ab 21 Jahre gilt stets das allg. Strafrecht; die nicht 14-jährigen werden als Strafunmündige (Rn 13) ausgeklammert. Für die übrigen – J (14–17 Jahre) und Hw. (18–20 Jahre) – gilt das JGG. Es gilt auch für j. und hw. Soldaten (§§ 112 a ff). Zur Diskussion über die „richtige“ Altersgrenze Einf. II 34–36. 8 Die Einteilung richtet sich nach dem Alter zZ der Tat, dh im Zeitpunkt des eigenen strafrechtlich erheblichen Verhaltens ohne Rücksicht auf den Eintritt des Erfolges (§ 8 StGB). Dauern mehrere eine rechtliche Bewertungseinheit bildende Betätigungen (zur grds. aufgegebenen fortgesetzten Handlung vgl. BGH 40, 138), der rechtswidrige Zustand eines Dauerdelikts oder die Handlungspflicht beim Unterlassungsdelikt über das 14. Lebensjahr hinaus, ist der Täter strafbar; das Verhalten im strafunmündigen Alter bleibt aber außer Betracht, hinsichtlich des späteren Verhaltens sind die Voraussetzungen des § 3 bes. zu prüfen. Wegen anderer Altersgrenzen vgl. § 32, 1. Sind mehrere an einer Tat beteiligt, kommt es auf die für den Tatbeitrag entscheidende Willensbetätigung des Einzelnen an: Ein Tun im strafunmündigen Alter kann nicht dadurch strafbar werden, dass die Tatbeiträge der Mittäter später geleistet werden (Dallinger/Lackner 7; Eisenberg 10; Ostendorf 8; vgl. § 29 StGB, offen bei BGH JR 54, 271 für Altersgrenze JHw.). – Auch wenn der Vorsatz des nur im strafunmündigen Alter tätig gewordenen Gehilfen schon alle Handlungen der Täter umfasst, die erst nach Vollendung seines 14. Lebensjahres ausgeführt werden sollen, kann er strafrechtlich nicht verantwortlich gemacht werden (Eisenberg 10; Ostendorf 9). Die Grundsätze, welche die Rechtsprechung für die Verjährung entwickelt hat (BGH 20, 227), können nicht übertragen werden. Denn bei der Verjährung geht es um die Frage, wann die Handlung beendet ist, hier dagegen kommt es darauf an, ob der Täter für sein Handeln strafrechtlich verantwortlich gemacht werden kann. 9 Das Alter zZ der Aburteilung ist für die Einordnung der Tat ohne Belang, bei der Auswahl der Maßnahmen aber oft von großer Bedeutung. Gegen einen inzwischen 22-jährigen z. B. sind viele Weisungen nicht mehr geeignet (§ 10, 4), auch Verwarnung oder JA meist nicht mehr angebracht (§ 14, 4; § 16, 14). Dagegen können Auflagen regelmäßig noch auferlegt werden (§ 15, 2). Für die JStrafe gelten an sich keine Besonderheiten, doch wird sie bei J von 14 und 15 Jahren nur in Ausnahmefällen gewählt werden (vgl. § 17, 4). Bei fortgeschrittenem Alter sind die erz. Voraussetzungen für die Aussetzung der Verhängung der JStrafe idR nicht mehr gegeben (§ 27, 7). Nach Budelmann JStrafrecht für Erw.?, 2005 S. 93, 155 ist die Anordnung erzieherischer jstrafrechtlicher Maßnahmen gegen im Verfahrenszeitpunkt Erw. verfassungswidrig und allein die Verhängung einer JStrafe wegen Schwere der Schuld mit dem GG vereinbar. Zur ErzAufgabe des JGG bei den volljährigen Hw. Einf. II 11. 10 Das Alter ist nach allg. Grundsätzen zu berechnen. Der am 1. 7. 1940 Geborene ist am 30. 6. 1958, 24.00 Uhr, J, am 1. 7. 1958, 0.00 Uhr, Hw. (§§ 186, 187 II BGB entsprechend; BayObLG NStZ-RR 02, 305). Der am 29. 2. 1940 Geborene ist am 1. 3. 1958, nicht am 28. 2. 1958 Hw. und volljährig (§ 188 III BGB entsprechend). Zu den medizinischen Grundlagen der Altersschätzung s. Schmeling ua NJW 00, 2720; Rötzscher/Grundmann Kriminalistik 04, 337; zur Beweiswürdigung bei einem odotologisch-röntgendiagnostischen Gutachten OLG Hamburg StV 05, 206. 11 Zweifel über das Alter sind zugunsten des Täters zu lösen (BGH 5, 366; 47, 311, 313 = NStZ 03 mit zust. Anm. Rieß; Eisenberg 12). Bei der 14-Jahres-Grenze bleibt der Täter straffrei. Bei der 18-
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Jahres-Grenze kann die Altersreife (§ 3) fehlen. Sonst ist JRecht anzuwenden, wenn die Voraussetzungen des § 105 gegeben sind. Auch in sonstigen nicht behebbaren Zweifelsfällen ist JRecht anzuwenden (Böhm/Feuerhelm S. 63; für Vergleich der Rechtsfolgen nach JStrafrecht u. allg. Recht im Einzelfall Eisenberg 15). Die Sanktion nach JRecht ist hierbei so zu wählen, dass sie nicht schwerer in die Rechtsstellung des Betroffenen eingreift als die Unrechtsfolge, die nach ErwRecht angemessen wäre (vgl. § 105, 17). Ein Vermischen der verschiedenen Unrechtsfolgen – etwa die Verhängung einer JStrafe von 4 (!) Monaten, wenn entweder 10 Monate JStrafe oder 4 Monate Freiheitsstrafe verwirkt wären (so Schnitzerling NJW 56, 1384) – ist unzulässig, weil eine solche Strafe weder nach J- noch nach ErwRecht verwirkt ist (Dallinger/Lackner 13; Lackner GA 55, 34; Potrykus NJW 54, 1349). Welche Maßnahme im Vergleich zwischen JRecht und ErwRecht im Einzelfall die mildere ist, wird beim Verschlechterungsverbot (§ 55, 38) dargestellt. Das dort Gesagte gilt auch hier. Bei der 21-Jahres-Grenze ist unter Berücksichtigung des § 106 ErwRecht anzuwenden, wenn die Voraussetzungen des § 105 nicht gegeben sind. Andernfalls ist auch hier im Zweifel JRecht anzuwenden (BGH 47, 311, 313; BGH NStZ-RR 96, 250). – Bei Zweifeln über die Altersgrenze ist das JGericht zuständig (§ 33, 1 aE, 12; Ostendorf 11). Jedes Urteil ist anfechtbar, das auf der Einreihung in eine falsche Altersgruppe beruht. Ein 12 rechtskräftiges Urteil ist aber aus diesem Grunde nur ausnahmsweise nichtig (Luther ZStW 58, 87), nämlich allg. Grundsätzen entsprechend nur, wo der Bestand des Urteils für die Rechtsgemeinschaft unerträglich wäre und wo ein solches Urteil offensichtlich nicht hätte ergehen dürfen, also schon aus sich heraus unrichtig ist (BVerfG NJW 85, 125; BGH 33, 127; HK-GS/Dölling Vor § 1 StPO 58). Das ist nicht der Fall, wenn die falsche Einstufung auf falschen Tatsachenfeststellungen beruht; hier ist meist die Wiederaufnahme des Verfahrens (§§ 359, 362 StPO) möglich (OLG Hamburg NJW 52, 1150; Dallinger/Lackner 20; Lackner GA 55, 38 f; aA Potrykus B 4 u. NJW 53, 93; Ostendorf 13). Die Verurteilung eines Erw. nach JRecht und eines J nach ErwRecht bewirkt keine Nichtigkeit (BGH Dallinger MDR 54, 400 u. Herlan GA 54, 309; im Wesentlichen übereinstimmend Dallinger/Lackner 21; Lackner GA 55, 39; Eisenberg 34, 35; aA Potrykus aaO). Die Verurteilung eines Strafunmündigen aber führt zur Nichtigkeit. Ein nichtiges Urteil darf nicht beachtet werden; die Nichtigkeit wird nach § 458 StPO festgestellt; außerdem sind Rechtsmittel möglich (Ostendorf 14; Roxin/Schünemann S. 403). Ist ein Urteil nichtig, so kann das Verfahren vor dem zuständigen Gericht erneuert bzw. von dem Verfahrensstand vor Ergehen des nichtigen Urteils fortgesetzt und neu entschieden werden (vgl. Eisenberg 36). – Zum unzuständigen Richter § 33, 17. Zum Strafbefehl gegen J: § 79, 3. 6.
Straftaten von Kindern
Tatbestandsmäßige und rechtswidrige Gesetzesverstöße von Kindern (Einf. I 26, 27) sind nie 13 schuldhaft; diesen fehlt die Schuldfähigkeit (§ 19 StGB). Vgl. dazu Weinschenk MKrim. 84, 15 u. bei § 3, 3. Auch Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen gegen Kinder nicht verhängt werden; zulässig ist jedoch die Sicherungseinziehung nach §§ 74 II Nr. 2, III, 74 d iVm 76 a II Nr. 2 StGB (LK-Schöch § 19 StGB 4; Schönke/Schröder/Perron § 19 StGB 4). Bei Taten von Kindern obliegt dem JStA die Prüfung, wer zu benachrichtigen ist (dazu bes. § 70 S. 1, § 109 I 2), ggf. auch die Einleitung eines Verfahrens gegen den Aufsichtspflichtigen (RL 2). Eingreifen kann nur das Familiengericht. Ggf. wird es, wenn die Kinder in eine polizeiliche Untersuchung einbezogen werden, um einen pädagogischen Abschluss des Verfahrens den Kindern gegenüber bemüht sein müssen. Ob die Eingriffsbefugnisse der StPO gegen Kinder gegeben sind, ist durch Auslegung der jewei- 13 a ligen Norm zu ermitteln. Kinder dürfen vorläufig festgenommen werden (§ 127 StPO; Fischer Vor § 32 StGB 7; Verrel NStZ 01, 287; aA OLG Bamberg NStZ 89, 40 mit Anm. Wassmuth; Ostendorf 2, 3), um ihre Identität und die Personalien ihrer gesetzlichen Vertreter und deren eventuelle Straftaten zu klären (KG JR 71, 30), zumal in der Situation des § 127 StPO das Alter des Verdäch-
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1. Teil. Anwendungsbereich
tigen häufig zweifelhaft sein wird (Verrel aaO, 286 f). Für Anwendbarkeit des § 81 b 2. Alt. StPO gegen Kinder VG Freiburg NJW 80, 901; Hussels DVJJ-J 96, 74; Verrel aaO, 286; aA Meyer-Goßner § 81 b StPO 7; Walter-Freise DVJJ-J 95, 315; Apel/Eisenhardt StV 02, 491. § 111 b StPO kann wegen der Zulässigkeit der Sicherungseinziehung auch bei Kindern eingreifen (näher zur Problematik Verrel aaO, 285 f; aA Ostendorf 4). Zwangsmaßnahmen nach § 163 b I StPO sind zulässig, wenn zweifelhaft ist, ob der Verdächtige noch ein Kind ist (Hussels aaO; Verrel aaO, 285). Generell für Anwendbarkeit der gegen Beschuldigte gerichteten Normen der StPO gegen Kinder Schoene DRiZ 99, 321; dagegen Walter DRiZ 99, 325; gegen die Anwendbarkeit der an die Beschuldigteneigenschaft anknüpfenden Normen auch Frehsee ZStW 88, 301; Mayer GA 90, 509. Zulässig ist die Vernehmung von Kindern als Zeugen. Erkennungsdienstliche Maßnahmen nach Polizeirecht dürfen unter den dort geregelten Voraussetzungen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch gegen Kinder vorgenommen werden (OVG Münster NJW 99, 2689). Zu Ordnungs- u. Zwangsmitteln gegen Kinder Rn 4. Informationen der Polizei und des JAmtes über kindliche Delinquenz dürfen in einem späteren Strafverfahren gegen den dann J nach Maßgabe der §§ 38 II, 43 JGG, 69 I Nr. 1 SGB X, 62 II Nr. 2 c, 64, 65 SGB VIII verwertet werden (näher Verrel aaO, 288 f). 14 Dass der Täter zZ der Tat 14 Jahre alt war, ist darüber hinaus eine Prozessvoraussetzung, die zur Verfahrenseinstellung, nicht zum Freispruch zwingt (Dallinger/Lackner 39; Eisenberg 31; Lackner/Kühl § 19 StGB 2). Das gilt auch dann, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass der Täter zZ der Tat noch nicht 14 Jahre alt war (BGH 18, 274 u. OLG Stuttgart NJW 62, 1272 entsprechend). Auch hier ist RL 2 zu beachten. Stellt der Staatsanwalt das Verfahren ein, weil der Täter noch nicht 14 Jahre alt war, ist ein Klageerzwingungsverfahren gem. § 172 II StPO nur möglich, wenn Zweifel bestehen, ob der Täter zZ der Tat schon 14 Jahre alt war. Sonst ist sicher, dass eine Strafverfolgung nicht stattfinden kann; wie bei unbekannten Tätern (Meyer-Goßner § 171 StPO 9) ist auch hier der verletzte Anzeigeerstatter nur formlos von der Einstellung zu benachrichtigen. Nur im ersten Fall ist Zustellung mit Rechtsmittelbelehrung geboten. 15 Gegen rechtswidrige Angriffe von Kindern darf mit Einschränkungen (dazu Schönke/Schröder/ Perron § 32 StGB 52) Notwehr geübt werden. Es ist umstritten, ob eine Aufrechnung (Kompensation nach § 199 StGB) möglich ist, wenn der Gegner ein Kind war (Ja: Schönke/Schröder/ Lenckner/Eisele § 199 StGB 6; nein: KG GA 74, 214; Fischer § 199 StGB 3; Eisenberg 2). Vgl. BGH 10, 374; BayObLG 58, 244 u. OLG Hamburg NJW 65, 1611 (auch Schwarz NJW 58, 10) zum vergleichbaren Fall der Ehrennotwehr, wonach der Beleidigte schon durch die Beleidigung hinreichend bestraft sei. Dies und der Wortlaut des § 199 StGB zwingt nicht zu der engen, Kinder ausschließenden Auslegung. 16 Die Strafbarkeit von Mittätern und Teilnehmern bleibt bestehen. Auch kann ein Kind Vortäter der Hehlerei sein (BGH 1, 47), im Zusammenwirken mit einem schuldfähigen Täter die Körperverletzung für diesen zu einer gefährlichen qualifizieren (BGH 23, 122, da der natürliche Tatwille genügt) oder sachlich begünstigt werden. Dagegen ist die persönliche Begünstigung (Strafvereitelung) eines Kindes ausgeschlossen, weil es schuldunfähig ist und deshalb der Bestrafung nicht entzogen werden kann. Es kann jedoch ein strafbarer untauglicher Versuch vorliegen.
§ 2 Ziel des Jugendstrafrechts; Anwendung des allgemeinen Strafrechts § 2 Ziel des Jugendstrafrechts; Anwendung des allgemeinen Strafrechts (1) Die Anwendung des Jugendstrafrechts soll vor allem erneuten Straftaten eines Jugendlichen oder Heranwachsenden entgegenwirken. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Rechtsfolgen und unter Beachtung des elterlichen Erziehungsrechts auch das Verfahren vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten.
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§2
Ziel des Jugendstrafrechts; Anwendung des allgemeinen Strafrechts
(2) Die allgemeinen Vorschriften gelten nur, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist. 1. Hw.: § 1. – 2. ErwG: § 104, 1. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6.
1.
Ziel des JStrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . JGG als Sondervorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsstaatliche Erfordernisse und Erziehungsaufgabe
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Rn 1 5 10 12 15 16
Ziel des JStrafrechts
In dem durch das 2. JGGÄndG v. 13. 12. 2007 in § 2 eingefügten Abs. I hat der Gesetzgeber 1 erstmals das Ziel und die erzieherische Ausrichtung des JGG, die sich bisher aus der Zusammenschau der Einzelvorschriften ergaben, ausdrücklich im Gesetz festgeschrieben. Abs. I gibt eine Orientierungshilfe für die Auslegung und Anwendung der Einzelvorschriften und trägt zur Bestimmung der Eigenart der jugendstrafrechtlichen Sanktionen bei (RegE, BT-Drs. 16/6293, S. 8, 9). Ziel des Jugendstrafrechts ist nach Abs. I 1 die Spezialprävention: Weitere Straftaten des J oder Hw. sollen verhindert werden. Aus der Formulierung „vor allem“ geht hervor, dass nachrangig auch andere Sanktionszwecke berücksichtigt werden dürfen. Hierbei handelt es sich um den Schuldausgleich. Eine JStrafe verhängt der Richter nach § 17 II auch, wenn wegen Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist (dazu § 17, 14 ff) und das Schuldprinzip kann als Zumessungsprinzip für die JStrafe eine Strafhöhe gebieten, die über das spezialpräventiv Erforderliche hinausgeht (§ 18, 8). Unzulässig ist es dagegen, die jstrafrechtliche Sanktionszumessung an der Generalprävention auszurichten (§ 18, 9). Generalprävention wird von dem spezialpräventiv ausgerichteten JStrafrecht nicht unmittelbar bezweckt, kann aber mittelbare Folge der Anwendung des JStrafrechts sein (RegE aaO S. 10; für die positive Generalprävention als ergänzendem Zweck des JStrafrechts Kaspar FS Schöch, 2010 S. 211, 224 f). Nach Abs. I 2 ist das vorrangige Mittel zur Erreichung des spezialpräventiven Ziels des 2 JStrafrechts die erzieherische Einwirkung auf den J o. Hw. Die Vorschrift verankert damit den Erziehungsgedanken als Leitprinzip des JGG (RegE aaO S. 9). Bei der Erziehung geht es darum, die Fähigkeiten, Verhaltensweisen und Einstellungen des jungen Täters in der Weise positiv zu beeinflussen, dass künftiges straffreies Verhalten gefördert wird (zu Begriff u. Methoden der Erziehung s. auch Eisenberg 5 ff). Erziehung ist somit positive Spezialprävention und – da sie auf die Eigenart junger Menschen abgestellt sein muss – jugendspezifische Spezialprävention (Dölling RdJ 93, 370). Wie sich aus dem Zusatz „vorrangig“ ergibt, kommen neben der Erziehung iS von Hilfe und Förderung auch andere Formen der Einwirkung zur Erreichung des spezialpräventiven Ziels in Betracht. So kann es angezeigt sein, durch Zuchtmittel iS einer Normverdeutlichung und Individualabschreckung auf den jungen Täter einzuwirken (§ 13, 2) oder durch eine längere Jugendstrafe oder Maßregeln der Besserung und Sicherung Sicherungsinteressen Rechnung zu tragen. Gegenüber dieser negativen Spezialprävention (Individualabschreckung und Sicherung) hat jedoch die positive Spezialprävention den Vorrang. Es ist zunächst zu prüfen, ob erzieherische Maßnahmen erforderlich und ausreichend sind. Ist dies der Fall, bedarf es unter spezialpräventiven Aspekten keiner weiteren Sanktion. Maßnahmen der negativen Spezialprävention kommen nur in Betracht, wenn erzieherische Maßnahmen zur Rückfallverhinderung nicht ausreichen oder wenn ein Bedarf für eine erzieherische Intervention nicht besteht, aber eine Sanktion mit Appell- und Denkzettelwirkung angezeigt ist.
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§2
1. Teil. Anwendungsbereich
3 Damit JRichter und JStaatsanwälte der ihnen in Abs. I übertragenen Aufgabe der am Erziehungsgedanken ausgerichteten Spezialprävention gerecht werden können, müssen sie die empirischen Befunde über Jugenddelinquenz und die Wirkungen jugendstrafrechtlicher Maßnahmen berücksichtigen und die Erkenntnisse der Kriminologie, Psychologie, Pädagogik und anderer mit jungen Menschen befassten Wissenschaften beachten. Abs. I steht daher in engem Zusammenhang mit § 37, nach dem die JRichter und JStaatsanwälte erzieherisch befähigt und in der JErziehung erfahren sein sollten (RegE aaO S. 10). Die erzieherische Ausrichtung des JStrafrechts wird durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Schuldprinzip begrenzt. Erzieherische Maßnahmen sind nur im Rahmen des Erforderlichen und der Rückfallgefahr Angemessenem zulässig und die Dauer der JStrafe darf nicht aus erzieherischen Gründen die durch den Grundsatz schuldangemessenen Strafens gezogene Obergrenze überschreiten (§ 18, 10 ff). Außerdem ist Erziehung im JStrafrecht an das Ziel der Rückfallverhinderung gebunden. Es geht nicht um eine umfassende Erziehung junger Menschen, sondern Erziehung ist das Mittel, um ein künftiges straffreies Leben des J oder Hw. zu erreichen. 4 Die in Abs. I festgelegte Ausrichtung auf den Erziehungsgedanken bezieht sich sowohl auf die Rechtsfolgenauswahl als auch auf das Verfahren. Bei der Festsetzung der Rechtsfolgen ist zu prüfen, ob zur Rückfallverhinderung ein erzieherischer Bedarf besteht und – wenn dies der Fall ist – die erzieherisch am besten geeignete Rechtsfolge zu wählen. Aus dem Gebot der erzieherischen Ausrichtung des Verfahrens folgt, dass dieses für den jungen Beschuldigten verständlich, beschleunigt und fair zu führen ist, und ein erzieherisch schädliches Vorgehen zu vermeiden ist. Bei strafprozessualen Eingriffen sind im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit die Auswirkungen der Maßnahmen auf die Entwicklung des J zu berücksichtigen (VG Göttingen ZJJ 10, 71 mit krit. Anm. Bezjak/Sommerfeld). Dies hat unter Beachtung des elterlichen Erziehungsrechts zu erfolgen. Damit trägt das Gesetz der Entscheidung BVerfGE 107, 104 Rechnung, nach der während eines noch nicht abgeschlossenen Strafverfahrens für eine allein mit erzieherischen Zielen begründete Zurückdrängung des Elternrechts verfassungsrechtlich kein Raum ist. Die schließt aber erzieherisch begründete Maßnahmen vor einer rechtskräftigen Verurteilung nicht aus, wenn sie keinen Zwangscharakter haben oder für den jugendlichen Beschuldigten lediglich vorteilhaft sind – z. B. vorläufige Anordnungen über die Erziehung statt UHaft – oder die erzieherische Wirkung etwaiger im Urteil zu treffender Anordnungen sichern (RegE aaO, S. 9). Nach rechtskräftiger Verurteilung sind dann in größerem Umfang Eingriffe in das elterliche Erziehungsrecht zum Zweck der Rückfallverhütung zulässig (aaO). 2.
JGG als Sondervorschrift
5 Das JGG enthält zur Erfüllung seiner spezialpräventiven Zielsetzung für J und Hw. Sondervorschriften, die nach Abs. II als leges speciales den Normen des allg. Rechts vorgehen. § 10 StGB stellt ausdrücklich klar, dass das StGB für J und Hw. nur gilt, soweit im JGG nichts anderes bestimmt ist. 6 Das JGG schließt dabei das allg. Recht nicht nur dort aus, wo es eine ausdrückliche Regelung trifft, sondern schon dort, wo das allg. Recht den Grundsätzen des JGG widerspricht (Dallinger/Lackner 7; Grethlein NJW 57, 1370) oder wo es zu einem nicht jgemäßen Ergebnis führen würde (Potrykus B 2). Vgl. dazu OLG Stuttgart (MDR 87, 340) zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (s. auch Rn 9; § 55, 47 a). Zum Widerstreit mit rechtsstaatlichen Erfordernissen s. aber Rn 10. 7 Sonst kommen die ohne Rücksicht auf das Alter geltenden Vorschriften des allg. Rechts ergänzend zur Anwendung (Vor § 33). 8 Die Abgrenzung kann nicht formalistisch erfolgen. Gleiche Begriffe können unterschiedlich gebraucht werden. So ist nach dem JGG die JStrafe die einzige Strafe (§ 13 III); im allg. Recht dagegen wird der Strafbegriff häufig in einem weiteren Sinn gebraucht, z. B. in § 60 StGB (BayObLG NJW 92, 1521 = JR 92, 387 mit zust. Anm. Brunner; dazu § 5, 8), in § 466 StPO (KG JR 62,
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Ziel des Jugendstrafrechts; Anwendung des allgemeinen Strafrechts
§2
271), beim Verschlechterungsverbot (§ 55, 21) und im BZRG. In diesen Fällen sind die ErzMaßregeln und Zuchtmittel – unbeschadet der gegenteiligen Abgrenzung des JGG – Strafen im weiten Sinn der entsprechenden Bestimmungen des allg. Rechts. Nach OVG Münster (NJW 72, 1965) ist Ahndung mit einem Zuchtmittel eine Verurteilung iSd § 10 I Nr. 2 des damaligen AusländerG, das nicht auf Bestrafung, sondern auf Verurteilung abstelle. Die öffentliche Zustellung (§ 40 StPO) widerspricht so sehr einem tragenden Grundsatz des 9 JGG – nämlich der Nicht-Öffentlichkeit – (vgl. § 48; § 6, 5), dass sie gegen J unzulässig ist (OLG Stuttgart StV 87, 309; Eisenberg 6; Ostendorf § 48, 7; Nothacker S. 279; Meyer-Goßner § 40 StPO 2); sie kann auch das Verfahren gegen einen J nicht fördern, denn sie wird ihn nicht erreichen; in seiner Abwesenheit soll aber grds. nicht verhandelt werden (§ 50 I). Das gilt auch für die Berufungsverhandlung (OLG Stuttgart aaO, das einem inzwischen längst Volljährigen deshalb Wiedereinsetzung gewährte; Meyer-Goßner § 329 StPO 9; Schäfer NStZ 98, 330; aA KG NStZ-RR 06, 120 = JR 06, 302 mit abl. Anm. Eisenberg/Haeseler; LG Zweibrücken MDR 91, 985; Nowak JR 08, 234, 238. Zur öffentlichen Zustellung des Sicherungshaftbefehls § 61, 8. 3.
Allgemeine Vorschriften
„Allg. Vorschriften“ enthalten neben StGB, StPO und GVG das gesamte Nebenstrafrecht (AO, 10 BtMG, Wehrstrafgesetz s. Vor § 112 a, 4), das Landesstrafrecht, das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (dazu Eisenberg GA 04, 385) und die Straffreiheitsgesetze. Welches Verhalten strafbar ist, bestimmt stets das allg. Recht. Auch dessen Auslegung erfolgt 11 nach allg. Grundsätzen. Nur die Folgen des Unrechts sind nach JGG andere. Für eine bes. „jgemäße Auslegung“ bietet das Gesetz keine Grundlage. Sie ist auch nicht notwendig, weil – nach Bejahung des Straftatbestandes und nach Überprüfung aller Möglichkeiten, das Verfahren einzustellen (§§ 45, 47 JGG; §§ 153 ff StPO) – alle Schwierigkeiten bei richtiger Anwendung des § 3 und richtiger Auswahl der Unrechtsreaktion (§ 5) vermieden werden. Bei wertausfüllungsbedürftigen Begriffen kann allerdings gleiches Tun bei einem J anders zu beurteilen sein als bei einem Erw. (vgl. böswillig: kindlich-gefühllos; rücksichtslos: kindlich-unbedacht) (Dallinger/Lackner 5; s. auch AG Saalfeld ZJJ 04, 206: Verneinung des Tatbestandes der Bedrohung gem. § 241 StGB bei prahlerischen Redensarten aus jtümlicher Groß- u. Wichtigtuerei). Zum Tatbestandsirrtum § 3, 12. Wulf (Informationsdienst der DVJJ-BW 1983, 97) weist darauf hin, dass es einem J, der eine mit einem Fan-Club-Emblem versehenen Jeansjacke als Siegestrophäe für den Clubraum unter Drohungen herauspresst, nur um den idealen Wert gehe; eine solche atypische Tat werde deshalb jgemäß(!) richtiger als Nötigung und nicht als räuberische Erpressung behandelt, was auch Folgen für Verfahrensverlauf und Registrierung habe. Auch das vermag jedoch eine „jspezifische Tatbestandsauslegung“ nicht zu rechtfertigen, da so die Sicherheit und Berechenbarkeit des Rechts wie auch dessen gleichmäßige Anwendung gefährdet erscheinen. Im Übrigen kann auch entsprechend der hM ein jgemäßes Ergebnis erzielt werden. § 244 a StGB gilt auch für JBanden (BGH NStZ-RR 00, 344; NStZ 08, 625 mit abl. Besprechung Möller StraFo 09, 92). Märker (Vorsatz u. Fahrlässigkeit bei jugendlichen Straftätern, 1995 S. 280) will Zurechnung jugendlichen Verhaltens zum Vorsatz ausschließen, wenn der J lediglich mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat und als Rechtsfolge ErzMaßregeln oder Zuchtmittel in Betracht kämen; Fahrlässigkeitshaftung soll bei unbewusster Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein. Aus dem geltenden Recht lässt sich dies jedoch nicht ableiten. Bei der Anwendung der Vorschriften der StPO sind die Besonderheiten des JAlters zu beachten. So sind bei Entscheidungen nach § 81 g StPO bei jugendlichen Ersttätern im pubertären Alter bei der Abwägung auch die Erkenntnisse der Kriminologie über jtypische Delikte, die in der Jugendlichkeit des Täters begründeten Umstände der Tat, das Verhalten nach der Tat sowie die möglichen Auswirkungen einer Erfassung und Speicherung von Genmerkmalen auf die weitere Entwicklung des J zu berücksichtigen (BVerfG NJW 08, 231). Zum Verhältnis von JGG u. StPO s. auch Eisenberg NStZ 99, 281.
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§2 4.
1. Teil. Anwendungsbereich
Verwaltungsvorschriften
12 § 2 gilt auch für Verwaltungsvorschriften wie GnadenO (§ 13, 7; Vor § 82, 7), Mitteilungen in Strafsachen und RiStBV (die z. B. nur ergänzend nach den RL zum JGG [dazu Rn 8 a] anwendbar sind); Eisenberg 12; Nothacker Zbl. 85, 107; aA Ostendorf 7. Werden in diesen Vorschriften allg. Begriffe verwendet, die für das JRecht bes. bestimmt sind, wirkt das JGG auf diese Vorschriften ein. Wenn z. B. in einer Gnadenordnung der Vollstreckungsbehörde Rechte eingeräumt oder Pflichten auferlegt sind, wird der nach §§ 82 ff zuständige Vollstreckungsleiter tätig. Zur Einwirkung von Grundsätzen des JGG in Verwaltungsentscheidungen vgl. § 17, 4 aE u. Einf. II 21. 13 Die RL zum JGG wurden 1994 von den Landesjustizverwaltungen bundeseinheitlich erneuert (Einf. II 46 a). Die Einführung ist nur sprachlich neu gefasst. Sie besagt vor allem, dass die RL das Gericht nicht binden, sondern nur Hinweise und Empfehlungen geben, die zu berücksichtigen „dem Gericht überlassen“ bleibt, soweit sie nicht „die Art der Ausführung eines Amtsgeschäfts“ betreffen. Der (weisungsgebundenen) StA, an die sich die RL vornehmlich wenden, geben sie „für den Regelfall Anleitungen und Orientierungshilfen, von denen wegen der Besonderheit des Einzelfalles abgewichen werden kann“. Soweit die RL nichts Besonderes bestimmen, gelten ergänzend die RiStBV. 14 Die RL sind gestrafft, zum Teil aber wiederholen sie nur Regelungen des JGG und des BZRG. Einige Weglassungen von Bestimmungen der RL von 1955 sind geeignet, zu Fehlinterpretation und Irritationen und damit zugleich zu vermeidbaren Schwierigkeiten unter den Verfahrensbeteiligten zu führen (vgl. dazu §§ 24, 25, 2; § 43, 16 u. § 38, 4; auch § 38, 7, § 50, 12). Zum Teil bringen die neuen RL nur marginale oder sprachliche Änderungen, teils auch unter Auswechslung der Nummerierung. Ostendorf (DVJJ-J 94, 191 f) übt herbe Kritik an den neuen RL. Die Einführung vernebele „ihren Geltungsbereich mehr als sie ihn verdeutliche“; die als „hilfreiche, überflüssige, anmaßende oder kontraproduktive“ katalogisierten Hinweise der RL (aaO, 192) nähmen nach Berichten aus der Praxis „. . . zum Teil gesetzesersetzende Funktion“ ein und gäben nur eine bestimmte Sichtweise, nicht unabhängig von exekutiv-administrativen Wünschen wieder (aaO, 191). 5.
OWiG
15 Begeht ein J oder Hw. eine Ordnungswidrigkeit nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten – nach Bundes- oder Landesrecht (§ 2 OWiG) –, so gelten für das Verfahren sinngemäß die Vorschriften des JGG, soweit das OWiG nichts anderes bestimmt (§ 46 I OWiG). Gegen J und Hw. kann somit von Verwaltungsbehörde und Gericht bei Ordnungswidrigkeiten nur auf Geldbuße oder Fahrverbot erkannt werden (§ 1, 13 OWiG; BayObLG NJW 72, 837; OLG Köln Verkehrsrechtl. Mitt. 76, 36 u. VRS Bd. 60 [81], 454; OLG Stuttgart HESt. zu § 9 JGG 3). Dazu auch § 50, 6 u. § 67, 17. 15 a Der JRichter kann allerdings zugleich mit der Festsetzung der Geldbuße im Urteil oder Beschluss bestimmen, dass der J oder Hw. unter den Voraussetzungen des § 98 I OWiG an Stelle der Geldbuße eine bestimmte oder mehrere Anordnungen dieser Vorschrift zu befolgen hat (§ 82, 14; OLG Köln aaO). Auf die sonstigen Folgen einer JStraftat (§ 5) darf nicht erkannt werden. Wegen der Möglichkeiten in der Vollstreckung § 11, 10; § 82, 6 u. 11. 6.
Rechtsstaatliche Erfordernisse und Erziehungsaufgabe
16 Allg. rechtsstaatl. Erfordernisse können mit dem ErzAuftrag des JStrafrechts in Widerstreit geraten (vgl. auch Einf. I 53). So ist z. B. der J nicht verpflichtet, bei der Vernehmung vor Polizei, StA oder Richter zur Sache auszusagen, und muss darüber belehrt werden (§§ 136, 163 a StPO). Der J kann mit dieser Entscheidung, auszusagen oder zu schweigen, überfordert sein und
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Ziel des Jugendstrafrechts; Anwendung des allgemeinen Strafrechts
§2
schweigt uU aus Trotz oder Angst entgegen seinem inneren Drang, sich zu offenbaren und reinen Tisch zu machen. Damit kann er sich die ihm günstigen Verfahrensmöglichkeiten gem. §§ 45, 47 I Nr. 1 bis 3 verbauen, die nach einem Geständnis ohne überschießenden Aufwand sinnvollere erz. Einwirkung erlauben. Da das JGG hierzu keine Sondervorschriften enthält, der Hinweis auf die zwei Verteidigungsmöglichkeiten aber dem Art. 1 GG zu entnehmenden Grundsatz entspricht, dass niemand gegen sich selbst auszusagen braucht (Meyer-Goßner § 136 StPO 7), kann diese Vorschrift nicht aus dem Sinngehalt des JGG (Rn 7) unbeachtet bleiben. Als Lösung wird es darauf ankommen, den J bei dieser möglicherweise auch für seine künftige Haltung und Entwicklung bedeutsamen Entscheidung nicht allein zu lassen und ihn mit aller Offenheit verständlich und vorsichtig zu belehren (Einf. I 53; vgl. dazu auch Nothacker S. 149 u. S. 272), um den Sinngehalt des JGG zu erfüllen. Vgl. Kaiser NJW 68, 777; Bertram MKrim. 68, 286. Solche Überlegungen dürfen aber nie dazu führen, dass die bes. Mentalität des J unfair ausgenützt, dass versucht wird, ihn zu überreden, und er sich „hereingelegt“ fühlen könnte. Vgl. dazu Einf. II 10. Nach BGH MDR 90, 68 führt es zu keinem Verwertungsverbot, wenn ein Polizeibeamter ein spontan vor der Beschuldigtenbelehrung abgelegtes Geständnis entgegennimmt, solange dies ohne sein Zutun geschehen ist.
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§3
2. Teil. Jugendliche
2. Teil. Jugendliche
Zweiter Teil Jugendliche Erstes Hauptstück Verfehlungen Jugendlicher und ihre Folgen Erster Abschnitt Allgemeine Vorschriften § 3 Verantwortlichkeit § 3 Verantwortlichkeit Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Zur Erziehung eines Jugendlichen, der mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist, kann der Richter dieselben Maßnahmen anordnen wie das Familiengericht. 1. [Hw.]: § 105 I, RL 1 zu § 105. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1. Richtlinien zu § 3: 1. Verbleiben nach Ausschöpfung anderer Ermittlungsmöglichkeiten ernsthafte Zweifel an der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, ist zu prüfen, ob ein Sachverständigengutachten einzuholen ist (vgl. auch die §§ 38, 43, 73 und die Richtlinien dazu). Dabei ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. 2. Ergibt die Prüfung, dass der Jugendliche mangels Reife nicht verantwortlich ist oder kann die Verantwortlichkeit nicht sicher festgestellt werden, so stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein (§ 170 Abs. 2 StPO); ist die Anklage bereits eingereicht, so regt die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens an (§ 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4). Schrifttum: Bauer/Remschmidt Forensisch-Psychiatrische Begutachtung von Kindern und Jugendlichen, in Handb. d. For. Psychiatrie Bd. 1, 2007 S. 464; Bauer/Thoss Die Schuldunfähigkeit des Straftäters als interdisziplinäres Problem, NJW 83, 305; Beckmann Die Bestimmung der strafrechtl. Verantwortlichkeit nach § 3, Diss. Kiel 1969; Bohnert Strafmündigkeit u. Normkenntnis, NStZ 88, 249; Bresser JZurechnungsfähigkeit oder Strafmündigkeit?, ZStW 62, 579; ders. Psychologie u. Psychopathologie der J, in Göppinger/Witter Hrsg., Hdb. der Forensischen Psychiatrie, 1972; Freisleder Rechtsfragen bei Kindern, J u. Hw., in Nedopil Forensische Psychiatrie, 3. Aufl. 2007 S. 75; Gabber Das Verhältnis von § 3 JGG zu den §§ 20, 21 StGB, ZJJ 07, 167; Günter Strafrechtliche Begutachtung von J u. Hw., in Venzlaff/Foerster Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl. 2009 S. 697; Günter/Karle Das Gutachten zu Strafmündigkeit und Entwicklungsstand, in Handb. d. For. Psychiatrie Bd. 2, 2010 S. 561; Haddenbrock Medizinisch-psychiatrisches oder (und) psychologisches Kriterium der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit, Psychologische Rundschau 66, 1; Kaufmann/Pirsch Das Verhältnis von § 3 JGG zu § 51 StGB, JZ 69, 358; Keller Die Entsch. nach § 3, med. Diss. Tübingen 1974; Keller/Kuhn/Lempp Untersuchungen über die Entscheidungen gem. §§ 3 u. 105 an süddeutschen Amtsgerichten, MKrim. 75, 153; Klosinski Zu den Voraussetzungen des § 3 JGG aus jpsychiatrischer Sicht, FPPK 08, 162; Lemm Die strafrechtliche Verantwortlichkeit jugendlicher Rechtsbrecher, 2000; Lempp JPsychiatrisch-psychologische Beurteilung der Strafmündigkeit gem. § 3 JGG, 1967; ders. Das Problem der Strafmündigkeit aus kinder- u. jugendpsychiatrischer Sicht, RdJ 72, 326; ders. Gerichtliche Kinder- u. JPsychiatrie, 1983; Miehe Zur Anordnung von Hilfen zur Erz. nach §§ 27 bis 35 SGB VIII durch Vormundschafts- u. JRichter, FS Fenge, 1996 S. 429 = DVJJ-J 97, 260; Oehler Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit Jugendlicher, Münchener mediz. Wochenschrift 65, 174; Ostendorf Die Prüfung der strafrechtl. Verantwortlichkeit nach § 3, JZ 86, 664; Ottinger Die bedingte strafrechtliche Reife (§§ 3, 105 JGG), in Blau/Müller-Luckmann Hrsg., Gerichtliche Psychologie, 1962 S. 192; Peters Die Beurteilung der Verantwortungsreife, in Undeutsch Hrsg., Forensische Psychologie. Handbuch der Psychologie Bd. 11,
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Verantwortlichkeit
1967 S. 260; Rasch/Konrad Forensische Psychiatrie, 3. Aufl. 2004; Schaffstein Die JZurechnungsfähigkeit in ihrem Verhältnis zur allg. Zurechnungsfähigkeit, ZStW 65, 191; Schilling Begutachtung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit u. Schuldfähigkeit aus der Sicht des JPsychologen, NStZ 97, 261; Schmidt Die Frage der psychologischen Kriterien für die Beurteilung der Schuldfähigkeit, Psychologische Rundschau 66, 80; Schmitz Die Problematik der Altersgrenzen gem. § 3 u. § 105, RdJ 74, 163; Schütze/Schmitz Strafrechtliche Verantwortlichkeit, Strafreife u. schädliche Neigungen, in Lempp/Schütze/Köhnken Hrsg., Forensische Psychiatrie u. Psychologie des Kindes- u. JAlters, 1999 S. 127; Streng Die Einsichts- u. Handlungsreife als Voraussetzung strafrechtlicher Verantwortlichkeit DVJJ-J 97, 379; Strunk § 3 des JGG u. der medizinische Sachverständige, MKrim. 65, 217; Uslar Vorl. Mitteilung über d. Anwendung von Sozialtests bei d. Reifebeurteilung, MKrim. 71, 136; Walter/Kubink § 3 JGG – § 17 StGB: gleiche Tatbestandsstruktur?, GA 95, 51. Vgl. auch die Beiträge von Schütze ua in DVJJ-J 97, 366 ff. Übersicht Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strafmündigkeit und deren Prüfung . . . . 2. Teilbarkeit der Strafmündigkeit . . . . . . 3. Strafmündigkeit als Schuldvoraussetzung 4. Verhältnis zu §§ 20, 21 StGB . . . . . . . . . 5. Alkohol und Drogen . . . . . . . . . . . . . 6. Tatbestandsirrtum . . . . . . . . . . . . . . 7. Verbotsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Eidesmündigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 9. Familiengerichtliche Maßnahmen . . . . . 10. Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rn 1 4 6 7 10 11 12 13 14 15 19
Vorbemerkungen § 3 regelt die strafrechtliche Verantwortlichkeit. Bei der kriminalpolitischen Beurteilung ist zu 1 berücksichtigen, dass die ErzMaßregeln des JGG geradezu für die angemessene Behandlung strafunmündiger, aber erzmündiger Täter geschaffen sind. Die Frage müsste also eher nach der ErzMündigkeit gestellt werden. Diese ist aber schon bei normalen Schulkindern gegeben; Ausnahmen gibt es eigentlich nur bei geistig oder seelisch kranken J, denen man gem. §§ 20, 21 StGB gerecht werden kann. Umgekehrt kann die Exkulpierung J erz. gefährlich sein; denn die Ausbildung ethischer Normen bei einem jungen Menschen kann empfindlich gestört werden, wenn er für Straftaten nicht zur Rechenschaft gezogen wird; sie kann als Freibrief für weitere strafbare Handlungen verstanden werden (Einf. II 8; Merguet MKrim. 58, 102 schon für Kinder; Bauer/Remschmidt S. 471). Andererseits kann die Verneinung der Verantwortungsreife für den J stigmatisierende Konsequenzen haben und das Selbstwertgefühl beeinträchtigen (Schöch in JStrafrecht an der Wende S. 138; Bauer/Remschmidt aaO). Vgl. dazu aber auch Eisenberg 14, der sich darauf beruft, dass es durchaus umstritten sei, ob und inwieweit das JStrafverfahren geeignet sei, den ErzAnspruch des J einzulösen. Aus all diesen Gründen hält Bresser (ZStW 62, 579; zust. Hellmer NJW 64, 179) den § 3 für ein his- 2 torisches Überbleibsel; denn die ihm entsprechende Vorschrift des alten Rechts (§ 56 StGB aF) sei geschaffen worden, als schon die 12-jährigen bestraft wurden, und zwar mit den Strafen des ErwStrafrechts. Die Bedenken gegen § 3 beruhten auch darauf, dass eine wirklich begründete Entscheidung nicht getroffen werden könne, weshalb die Ergebnisse zwischen den einzelnen Gerichten und Gutachtern weit auseinander gingen. Vgl. dazu auch Bohnert in Rn 4 u. Miehe in JStrafrecht an der Wende S. 143, 160, der § 3 als gescheitert bezeichnet u. für ersatzlosen Wegfall plädiert. Andererseits wird § 3 als eine Grundlage dafür angesehen, die Anwendung des Strafrechts auf J zurückzudrängen und durch eine extensive Interpretation der Vorschrift eine Entkriminalisierung zu erreichen (Ostendorf JZ 86, 664 u. in BMJ, Hrsg., Grundfragen des JKriminalrechts u. seiner Neuregelung, 1992 S. 200; Walter NStZ 92, 473).
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§3
2. Teil. Jugendliche
3 Die Strafmündigkeit gem. § 3 ist in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen und im Urteil darzulegen. Maßgeblich ist nicht der Entwicklungsstand in seiner Allgemeinheit, sondern speziell für die Unrechtseinsicht und die entsprechende Handlungskompetenz (OLG Hamm NStZ-RR 07, 123; Ostendorf 5). Nach empirischen Befunden wird § 3 jedoch in vielen Urteilen nicht erwähnt oder nur knapp und formelhaft behandelt (Ostendorf Grdl. zu § 3, 4; Frehsee FS SchülerSpringorum, 1993 S. 383 f, jeweils mwN). Ostendorf (aaO) hält der Justiz daher vor, § 3 nicht ernst zu nehmen, Albrecht (S. 99), ihn tendenziell nicht zu beachten. Viele Delikte Jugendlicher sind allerdings so einfach strukturiert, dass eine Exkulpierung wegen Strafunmündigkeit die Ausnahme sein wird (Freisleder 2007 S. 77; Lempp 1983 S. 206; Miehe JStrafrecht. Kurseinheit 1, 1994 S. 13; Rasch 1999 S. 78 f, 368; Schöch in JStrafrecht an der Wende S. 138; vgl. auch Weinschenk MKrim. 84, 15). Dass oft JStrafe nicht in Betracht kommt, ändert daran nichts, da § 5 in solchen Fällen den Richter veranlasst, nur auf ErzMaßregeln zu erkennen; das entspricht auch der Praxis, die JStrafe nur in Ausnahmefällen gegen unter 16 Jahre alte Angeklagte verhängt (näher § 17, 4). Zur JStrafe wegen Schwere der Schuld § 17, 14. Der einheitliche StrafmündigkeitsBegriff bleibt also unangetastet. – Der Sachverständige wird, falls er den J nur für strafmündig für ErzMaßregeln hält, das in seinem Gutachten bes. hervorheben müssen (vgl. dazu Schaffstein ZStW 63, 207; Miehe Zbl. 82, 89; aA Ostendorf Grdl. zu § 3 Rn 6). Zur jpsychologischen Begutachtung der Strafmündigkeit Schilling NStZ 97, 261. Allg. zum Sachverständigen im JStrafverfahren § 43, 15 ff.
1.
Strafmündigkeit und deren Prüfung
4 Kinder sind stets schuldunfähig (§ 19 StGB), Hw. wie Erw. immer strafmündig (§ 105 nennt § 3 nicht). J sind nur bedingt strafmündig, nämlich nur, wenn bei ihnen Verstandesreife, ethische Reife und Widerstandsfähigkeit (auch: Willensbildungsfähigkeit) gegeben sind. Der J muss nicht nur Recht und Unrecht allg. auseinander halten, sondern auch im Einzelfall verstehen können, dass die Rechtsordnung dieses Verhalten nicht erlaubt. Ob er das Unrecht tatsächlich eingesehen hat oder einsieht, ist nur als Anzeichen für die Einsichtsfähigkeit von Bedeutung. Das Abstellen auf die Einsichtsfähigkeit bedeutet entgegen Walter/Kubink (GA 95, 58) nicht die Einführung eines Verschuldens für Reifemängel. Vielmehr kommt es auf die Persönlichkeit des J zum Zeitpunkt der Tat an und kann ein Entwicklungsrückstand gerade zur Verneinung der Einsichtsfähigkeit führen. Die Strafbarkeit braucht der J nicht erkennen zu können (RG DR 44, 659; Eisenberg 16; Ostendorf 7); andererseits genügt die Erkenntnis des Sittenwidrigen oder Unmoralischen nicht (Dallinger/Lackner 4; BGH 10, 41 für den Verbotsirrtum). Der J muss nach seinem Entwicklungsstand zu der Erkenntnis befähigt sein, dass seine Handlung mit einem geordneten und friedlichen Zusammenleben der Menschen unvereinbar ist und deshalb von der Rechtsordnung nicht geduldet werden kann (LG Passau NJW 97, 1166; Schaffstein/Beulke S. 64); er muss das Verbot als sittlichen Wert erleben und seine Handlung rechtlich als beanstandenswert empfinden können (BGH EJF C I Nr. 3; Dallinger/Lackner 5). Kritisch dazu Bohnert (NStZ 88, 250): Es würde damit zu Beurteilungsleistungen erstaunlicher Art aufgerufen, was häufig zu Freisprüchen und Einstellungen führen müsste; die geforderten Explorationen seien beim mitwirkungswilligen J wenig aussichtsreich, beim inaktiven fast erfolglos. Vgl. aber zum Vorgehen des jpsychologischen Sachverständigen Schilling NStZ 97, 261. 4 a Geistig und sittlich reif, das Unrecht einzusehen iSd § 3 ist jedenfalls, wem bewusst ist, dass er etwas Verbotenes tut (BGH Herlan GA 59, 47). Nur bei außergewöhnlichem ErzNotstand und bei ganz bes. schlechten Vorbildern in Elternhaus und Umwelt wird diese Voraussetzung bei den üblicherweise vorkommenden Delikten – abgesehen von erheblichen geistigen Entwicklungsrückständen – einmal nicht gegeben sein (Rasch/Konrad S. 79, 386); meist wird dann aber eine sittliche Verwahrlosung vorliegen, die ein Eingreifen des Familiengerichts erfordert. Anhaltspunkte Eisenbergs (16) dafür, dass (Kinder und) J mitunter z. B. ein Verbot „Spielen auf dem
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Verantwortlichkeit
§3
Hof“ ebenso werten wie ein Verbot für das Stehlen, sind instruktiv, und das Beispiel bei Böhm/ Feuerhelm (S. 38 f) kann aufmerken lassen, dass wohl jedes Kind weiß, dass man ein fremdes Fahrrad nicht stehlen darf, dass aber manche J sich nicht vorstellen können, dass dessen Verkauf an einen Gutgläubigen den Tatbestand des Betrugs erfüllt. Dazu auch Rn 5. Der J muss schließlich nach der geistigen Einsicht und dem sittlichen Empfinden handeln, also 4 b den Verlockungen zur Tat widerstehen können, und zwar kraft schützender Gegenvorstellungen, bes. kraft der Einsicht in seine Rechtspflichten (Beispiele v. Schlotheim UJ 56, 152). Bes. Abhängigkeiten von älteren Personen oder Gleichaltrigengruppen sowie Geschlechts- und Besitztrieb können bei J trotz richtiger Einsicht und Wertung alle Hemmungen überwinden (Lempp 1983 S. 207 ff; Bauer/Remschmidt S. 471). Dies gilt insbes., wenn Autoritätspersonen an der Tat beteiligt sind (OLG Hamm NStZ-RR 07, 123; Eisenberg 24). Gerade dann ist erz. die Entwicklung von Hemmungsvorstellungen notwendig, weshalb familiengerichtliche Maßnahmen (§ 3 S. 2), mindestens eine eindringliche Ermahnung, nie unterbleiben sollten (vgl. Lempp 1983 S. 206, nach dem in jedem Fall ein klärendes Gespräch zu führen ist). Verstandesreife, ethische Reife und Willensbildungsfähigkeit müssen bei diesem Täter zZ der 4 c Tat für die spezielle Tat vorhanden sein. Die Strafmündigkeit muss also für jede Tat gesondert geprüft und eigens beantwortet werden (BGH Herlan GA 61, 358; Schaffstein ZStW 65, 202; Bohnert NStZ 88, 249). Vgl. auch Rn 6. – Wegen der Bedeutung einer krankheitsbedingten Entwicklungsstörung für die Strafmündigkeit Rn 10. Zu ausländischen J Einf. I 20 b. Die notwendigen Feststellungen können nur aufgrund einer eingehenden individuellen Prü- 5 fung getroffen werden, da die Gruppe der J ganz verschiedenartige Persönlichkeiten umfasst. J weisen große Schwankungen im Reifeprozess auf (Einf. II 1). Auch „normale“ J bis 16 Jahre sind oft noch in der kindlichen ich-bezogenen Vorstellungswelt befangen, weshalb ihnen das Verständnis für die Belange anderer abgeht. Die 16- und 17-jährigen leben häufig im „Sturm und Drang“; sie können oft nicht genügend Widerstandskraft aufbringen, zumal ihrem Selbständigkeitsdrang häufig nur unentwickelte ethische Vorstellungen entgegenstehen; doch fehlt die Altersreife nur dort, wo der Drang übermächtig ist (Potrykus B 2 c). Nach Maurach/Zipf (S. 511) darf diese den J eigentümliche seelische Unausgeglichenheit als solche nicht mit dem Fehlen von Einsichts- und Steuerungsvermögen gleichgesetzt werden, könne aber als übermächtiger Antrieb trotz Einsichtsfähigkeit zu einem Versagen des Direktionsvermögens führen. – Bes. sorgfältig ist zu prüfen, wenn es um Tatbestände geht, die ein bes. Verantwortungsbewusstsein (Amtsdelikte, Untreue, Berufsgeheimnis, Aufsichtspflicht) oder tiefere Einsichten in die Sozialordnung (Warenhausdiebstahl, Betrug zum Nachteil einer öffentl.-rechtl. Körperschaft) voraussetzen oder die in der Umgebung des J als „Kavaliersdelikte“ (Helfer MKrim. 67, 175; Brunner Zbl. 74, 378; Egg/Sponsel MKrim. 78, 38) angesehen werden (Schmuggel, Wilderei, einfache Karten-Glücksspiele) oder die nur die Fortsetzung eines im strafunmündigen Alter begonnenen Verhaltens sind. „Raufen wird ab 14 Jahren Körperverletzung“ (Ostendorf 9). Zur Prüfung der Altersreife bei Ordnungswidrigkeiten durch die Polizei Vor § 76, 3.
2.
Teilbarkeit der Strafmündigkeit
Die Strafmündigkeit ist teilbar, weil strafrechtliche Rechtsfolgen stets nur an bestimmte, in den 6 Tatbeständen umrissene Verhaltensweisen geknüpft werden (BGH 10, 38). Sie kann für einige von mehreren tatmehrheitlich oder tateinheitlich zusammentreffenden (unabhängig von der zeitlichen Reihenfolge, BGH Herlan GA 61, 358) oder im Verhältnis der Gesetzeseinheit stehenden Tatbeständen gegeben sein, für andere nicht (RG 47, 387), und zwar auch im Verhältnis des Grundtatbestandes zur Qualifikation (BGH ZJJ 05, 205 mit Anm. Ostendorf; Dallinger/Lackner 19; Eisenberg 5–7; Ostendorf 8; Lange JZ 49, 399). Es kann immer nur soweit verurteilt werden, als die Unrechtseinsicht und die Willensbildungsfähigkeit reicht.
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§3 3.
2. Teil. Jugendliche
Strafmündigkeit als Schuldvoraussetzung
7 Die Strafmündigkeit ist Schuldvoraussetzung (BGH 9, 382; Dallinger/Lackner 18). Fehlt sie oder kann sie nicht sicher festgestellt werden, stellt der StA das Verfahren nach § 170 II StPO mangels ausreichenden Tatverdachts ein; der Richter lehnt die Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 204 StPO ab, nach Eröffnung des Hauptverfahrens spricht er bei Entscheidung durch Urteil frei oder stellt das Verfahren außerhalb oder in der Hauptverhandlung nach § 47 I Nr. 4 ein (RL 2; Eisenberg § 47, 12; DSS/Diemer § 3, 30–33; Bohnert NStZ 88, 255). Wo ein erz. meist ungünstiger Freispruch unvermeidlich ist, muss idR wenigstens der äußere Tatbestand festgestellt werden, denn das Fehlen der Altersreife kann nur im Hinblick auf einen bestimmten Geschehensablauf beurteilt werden. Auch wird der J durch die Eintragung der Entscheidung in das ErzRegister (§ 60 I Nr. 6 BZRG) beschwert, was nur bei Nachweis der Erfüllung eines Straftatbestandes gerechtfertigt ist (DSS/Diemer 34). Ausnahmen kommen nur nach sorgfältiger Einzelfallabwägung in Betracht (vgl. AG Kiel NJW 52, 1429, um die Vernehmung eines Kindes als Zeugen zu vermeiden; dazu kritisch Potrykus NJW 53, 276). Ist der Angeklagte strafunmündig, können sich Maßnahmen nach § 3 S. 2 empfehlen (Rn 15 ff; vgl. aber auch Dallinger/Lackner 46, nach denen die Verhängung von ErzMaßnahmen dem Familiengericht überlassen werden sollte). 8 Eine Verurteilung setzt voraus, dass die Altersreife positiv festgestellt ist (OLG Hamm ZJJ 05, 447; § 54, 14). Die schwierigen Feststellungen sind grds. unter Einschaltung der JGH (vgl. Momberg Die Ermittlungstätigkeit der JGH u. ihr Einfluss auf die Entscheidung des JRichters, Diss. Göttingen 1982 S. 133), bei verbleibenden Zweifeln unter Zuziehung eines Sachverständigen sorgfältig zu treffen (§ 43; OLG Hamm NStZ-RR 07, 123); dabei ist es zweckmäßig, wenn sich der Sachverständige auch über die aus dem Entwicklungsstand zu ziehenden Folgerungen äußert. Beurteilt die JGH den Entwicklungsstand des J anders als der JRichter, zwingt das noch nicht zur Einholung eines Sachverständigengutachtens (OLG Hamm NStZ-RR 07, 123, 124). Bei nicht behebbaren Zweifeln ist zugunsten des J Strafunmündigkeit anzunehmen (BGH ZJJ 05, 205 mit Anm. Ostendorf; OLG Jena NStZ-RR 07, 217, 218; s. auch Rn 10 a). Nach dem auch hier zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (RL 1 S. 2) darf ein Sachverständigengutachten bei Bagatelldelikten nicht eingeholt werden, wenn bei Berücksichtigung aller Umstände, insbes. auch der zu erwartenden Sanktion, der J dadurch unnötigen Belastungen ausgesetzt würde. 9 Für andere an der Straftat Beteiligte und für die Anwendung des § 199 StGB gilt bei fehlender Altersreife iSv § 3 dasselbe wie bei Kindern (§ 1, 15 f). Bei nach § 3 Strafmündigen kann unter den Voraussetzungen des § 81 g StPO eine Identitätsfeststellung im Hinblick auf künftige Strafverfahren vorgenommen werden (Senge NJW 99, 254). Dazu § 2, 11 aE.
4.
Verhältnis zu §§ 20, 21 StGB
10 Die §§ 20, 21 StGB betreffen von der Entwicklung unabhängige, überwiegend bleibende Störungen, § 3 aber Reifemängel im normalen, regelwidrigen oder krankhaften biologischen Entwicklungsprozess von vorübergehender Natur (BayObLG 58, 264; Dallinger/Lackner 27; aA Stutte MKrim. 55, 58: nur bei normal verlaufender, wenn auch verzögerter Entwicklung). § 3 setzt voraus, dass eine Nachreifung noch möglich ist (Schütze/Schmitz S. 130). Überschneidungen sind möglich, bes. bei Persönlichkeitsstörungen (zur Zuordnung s. OLG Hamm NJW 77, 1498). Beide Vorschriften stehen unabhängig nebeneinander; mangelnde Reife kann niemals der Schuldunfähigkeit gleichgestellt werden (BayObLG 58, 263). Der nur mangels Altersreife nicht verantwortliche J kann nicht nach § 7, § 63 StGB untergebracht werden (Fischer § 63 StGB 2; Schaffstein/Beulke S. 67). Andererseits ist z. B. bei jungen Debilen, die oft nur den Entwicklungsstand eines Kindes erreichen, die Unterbringung angebracht, eine erz. Maßnahme aber nicht veranlasst. Liegen aber bei einem nach § 3 strafunmündigen J zugleich die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB vor, so ist die Unterbringung statthaft (BGH 26, 67 = JR 76, 116 mit zust. Anm.
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Verantwortlichkeit
§3
Brunner; OLG Jena NStZ-RR 07, 217; DSS/Diemer 28; Maurach/Zipf S. 512 f; Nothacker S. 177; Streng S. 34; Gabber ZJJ 07, 172). Diese Entscheidung sollte den Gesetzgeber veranlassen, § 3 zur Klarstellung in diesem Sinne zu ergänzen (so schon Sauer NJW 49, 291). Es muss also grds. zuerst geprüft werden, ob bei dem J die §§ 20, 21 StGB vorliegen und eine Reaktion verlangen (Maurach/Zipf S. 513; Potrykus 3; Dallinger/Lackner 28: sachliche Gleichberechtigung unter Vorrang der Prüfung des § 20 StGB). Ist bei einem nach § 3 strafunmündigen J, bei dem daneben Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB vorliegt, die mögliche Unterbringung nicht notwendig, so können ErzMaßnahmen nach § 3 S. 2 angeordnet werden. Nach aA geht § 3 vor, wenn dessen Voraussetzungen und zugleich die der §§ 20, 21, 63 StGB vorliegen (OLG Karlsruhe NStZ 00, 485; Eisenberg 36, 39; LBN/Baier S. 40; für Wahlrecht zwischen den Rechtsfolgen Schaffstein/Beulke S. 68; MRS/ Meier S. 97). § 3 betrifft jedoch nur entwicklungsbedingte Störungen und sagt nichts darüber aus, wie zu verfahren ist, wenn zugleich pathologisch bedingte Störungen vorliegen (BGH 26, 68 f). Für solche Störungen hat das Gesetz vielmehr in § 7 entschieden, dass zum Schutz der Allgemeinheit und im Behandlungsinteresse des J die Unterbringung nach § 63 StGB zulässig ist (BGH 26, 70). § 3 ist daher keine den § 7 verdrängende Spezialvorschrift. Kann nicht aufgeklärt werden, ob die Schuldunfähigkeit nur entwicklungsbedingt iSv § 3 ist 10 a oder (zugleich) auf einem vom Reifungsvorgang unabhängigen pathologischen Zustand beruht (§ 20 StGB), so ist nur § 3 anzuwenden (Eisenberg 40; Ostendorf 3; Kaufmann/Pirsch JZ 69, 358; Peters Forens. Psychologie 1967 S. 279; Schaffstein ZStW 77, 191; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron § 20 StGB 44). Vgl. Rn 8. Verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) als fakultativer Schuldminderungsgrund erfordert stets noch die Prüfung nach § 3. Die Altersreife kann auch bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit gegeben sein (BGH 5, 367; BGH GA 54, 303; NStZ 85, 447; LG Passau NJW 97, 1166; Ostendorf 4). Wo strafrechtliche Verantwortlichkeit besteht, wird die Schuldminderung meist durch erhöhte ErzBedürftigkeit ausgeglichen (Dallinger/Lackner 34; Potrykus 5). Zur Einwirkung verminderter Schuldfähigkeit auf die Schwere der Schuld BayObLG Rüth DAR 85, 243 bei § 17, 11. Die Strafmilderung des § 21 StGB wirkt sich auch auf JStrafe aus (BGH NJW 72, 963; MDR 77, 107; StV 82, 437; 84, 254). 5.
Alkohol und Drogen
Eine Einschränkung der Schuldfähigkeit durch Alkoholgenuss kann grds. nicht allein aus be- 11 stimmten BAK-Werten gefolgert werden; es ist vielmehr durch sorgfältige Analyse des Einzelfalls zu ermitteln, ob zur Tatzeit eine relevante psychische Beeinträchtigung durch Alkoholkonsum vorgelegen hat (BGH 43, 66 gegen BGH 37, 231; BGH NStZ 98, 457; Dölling in Kiesel, Hrsg., Rausch, 1999 S. 170; Kröber NStZ 96, 569). Trotz verminderter Schuldfähigkeit im Tatzeitpunkt ist eine Strafmilderung nach § 21 StGB idR zu versagen, wenn sich aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant infolge der Alkoholisierung erhöht hat. Das ist der Fall, wenn der Täter entweder aufgrund vergleichbarer Vorerfahrungen die ungünstigen Wirkungen von Alkohol auf sein Verhalten kennt oder kenne muss oder wenn er in einer gefahrträchtigen Lage Alkohol konsumiert bzw. sich betrunken in eine gefahrträchtige Situation begibt (BGH 49, 239; BGH NStZ 06, 274; strenger BGH NJW 03, 2394, wonach bei selbstverschuldeter Trunkenheit eine Strafrahmenschiebung grds. zu versagen ist). Bei jungen Tätern ist aber sorgfältig zu prüfen, ob für sie die risikoerhöhenden Wirkungen des Alkoholkonsums voraussehbar waren. Eine bloße Drogenabhängigkeit ohne weitere Auffälligkeiten oder sonstige bes. Umstände gibt 11 a nach dem BGH noch keinen Anlass, einen medizinischen Sachverständigen zur Frage einer etwaigen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit heranzuziehen (BGH Spiegel DAR 77, 175; vgl. auch OLG Köln Zbl. 78, 487). Will das Gericht jedoch verminderte Schuldfähigkeit bei Heroinabhängigkeit im Zusammenhang mit schweren Auffälligkeiten in der Persönlichkeit im Einzelfall positiv feststellen, so bedarf es idR eines weiterreichenden medizinisch-psychiatrischen
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§3
2. Teil. Jugendliche
Fachwissens, über das nur ein in Drogensachen erfahrener ärztlicher Sachverständiger verfügt; andernfalls muss das Gericht die eigene erforderliche Sachkunde in den Urteilsgründen ausweisen (OLG Köln Zbl. 81, 278 mwN). Eine langjährige Drogenkarriere mit erfolglosen Entziehungskuren und drogenbedingten Vorstrafen macht es unerlässlich, einen Sachverständigen zur Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit anzuhören (BGH 3, 169 u. BGH H MDR 78, 109 zu § 21 StGB; OLG Köln NJW 76, 1801 zu §§ 20, 21 StGB; OLG Köln MDR 81, 598 zu § 21 StGB; vgl. Brunner Zbl. 71, 243, 250; JR 73, 89 u. Zbl. 80, 415; Kleiner MKrim. 71, 151; Mechler bei Chilian MKrim. 74, 42; Täschner/Wanke MKrim. 74, 151; s. auch Einf. I 49 ff). Treffen Aufputschmittel mit einem hirnorganischen Anfallleiden zusammen, muss nach BGH StV 86, 45 das Hemmungsvermögen ein Sachverständiger beurteilen. 11 b Bei Drogenbeschaffungsdelikten kommt ein Ausschluss der Schuldfähigkeit nur bei schwersten Persönlichkeitsveränderungen oder unwiderstehlichem Drang (Rauschhunger), der anderes Handeln ausschließt, in Betracht (BGH H MDR 77, 982). Eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit liegt regelmäßig nur vor bei schweren Persönlichkeitsveränderungen aufgrund langjährigen Betäubungsmittelgebrauchs oder akuten körperlichen Entzugserscheinungen (Heroin) zur Tatzeit (BGH NJW 99, 501), Angst vor schon als äußerst unangenehm erlebten Entzugserscheinungen (BGH NJW 89, 2336) oder Tatbegehung in einem akuten Rauschzustand (zusammenfassend BGH NStZ 99, 448; 01, 82, 83, 85; BayObLG NJW 99, 1795; Theune NStZ 97, 57). Zu verminderter Schuldfähigkeit bei Haschischkonsum BGH StV 89, 103, 386; allg. zur Schuldfähigkeit bei Drogenkonsumenten, zu den spezifischen Motivationen für Beschaffungsdelikte u. zu § 64 StGB Täschner NJW 84, 638, 639. Zu hw. Drogentätern § 105, 31. Zu Drogenkonsum u. Fahrtüchtigkeit BVerfG NJW 05, 349; BGH 44, 219 mit Besprechung L. H. Schreiber NJW 99, 1770; VGH Baden-Württemberg DAR 88, 430; 90, 35; Harbort NJW 98, 348. Zu Alkohol u. Drogen auch Einf. I 48–51. Vgl. auch KG StV 90, 298 bei § 68, 20 aE. 11 c Zu den Auswirkungen suchtartigen Konsums gewaltdarstellender Horror-Videos bei gleichzeitigem schweren ErzVersagen der Familie auf Strafmündigkeit und Schuldfähigkeit s. LG Passau NJW 97, 1165 = JR 97, 118 mit Anm. Brunner, mit Besprechungen Eisenberg NJW 97, 1136, Laue Jura 99 634 sowie Günter u. Lamnek DVJJ-J 97, 200 u. 201, das im konkreten Fall § 21 StGB wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bejaht hat. Zur Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit bei „Glücksspielsucht“ s. AG München NStZ 96, 334 mit Anm. Kellermann u. LG München NStZ 97, 282 mit Anm. Stoll. 6.
Tatbestandsirrtum
12 Ein Tatbestandsirrtum (§ 16 StGB) ist unabhängig von der Altersreife (Bruns JZ 64, 473). Jugendliches Alter und Unreife des Täters können gegen eine Vorsatztat sprechen (BGH bei Altvater NStZ 06, 87). Führt ein solcher Irrtum zur Annahme einer fahrlässigen Tat, ist bei den „vorschnellen“ J die Altersreife bes. zu prüfen. Auch Unwissenheit und Unerfahrenheit können einen Irrtum veranlassen. – Zur Abgrenzung von Tatbestandsirrtum und Strafunmündigkeit Bruns (JZ 64, 473 ff): Der natürliche Vorsatz muss alle positiven Merkmale des Tatbestandes umfassen. Nur wenn allein die Schuldfähigkeit fehlt, ist der Täter schuldunfähig. Fehlt es schon am natürlichen Vorsatz, liegt gar keine strafbare Handlung vor (aus BGH 18, 235 erweiternd). 7.
Verbotsirrtum
13 Verbotsirrtum (§ 17 StGB) und mangelnde Altersreife sind voneinander unabhängig. Doch ist jener grds. dort zu entschuldigen, wo die Altersreife fehlt. Liegt sie vor, so ist er regelmäßig nicht entschuldbar, weil feststeht, dass der J das Unrecht seines Tuns hätte einsehen können. Deshalb ist § 3 vor dem Verbotsirrtum zu prüfen (Dallinger/Lackner 36; Eisenberg 32; Böhm/Feuerhelm S. 39; aA Ostendorf 2). Die Möglichkeit, die Strafe bei verschuldetem Verbotsirrtum zu mil-
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Verantwortlichkeit
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dern, ist im JRecht wegen des eigenständigen Strafrahmens praktisch ohne Bedeutung, aber doch wohl zu berücksichtigen. Bohnert (NStZ 88, 252) hingegen ist der Ansicht, dass § 3 S. 1 Alt. 1 neben § 17 StGB keinen eigenen nachweisungspflichtigen Inhalt hat. 8.
Die Eidesmündigkeit
ist keine selbständige Schuldvoraussetzung. Nach der Änderung des § 60 Nr. 1 StPO durch das 2. 14 OpferrechtsreformG v. 29. 7. 2009 ist bei Personen unter 18 Jahren von der Vereidigung abzusehen. 9.
Familiengerichtliche Maßnahmen
Familiengerichtliche ErzMaßnahmen können auch dort vom JRichter angeordnet werden, wo 15 die Altersreife fehlt (§ 3 S. 2) oder das Fehlen der Altersreife zugunsten des Täters unterstellt werden muss, weil diese Maßnahmen gegen Strafmündige ebenso wie gegen Strafunmündige ergriffen werden können. Vor Anordnung muss der JRichter aber freisprechen oder das Verfahren einstellen (Dallinger/Lackner 46). Dem JRichter stehen hier die Maßnahmen des BGB zur Verfügung, nicht aber ErzMaßregeln 16 nach § 9 JGG, denn das Familiengericht ist für deren Anordnung nicht zuständig (DSS/Diemer 37; Eisenberg 54; Ostendorf 19). Die Voraussetzungen der Vorschriften des BGB müssen gegeben sein, sie hat der JRichter ebenso zu prüfen, wie dies auch das Familiengericht hätte tun müssen (Dallinger/Lackner 44; Eisenberg 42; Ostendorf 19; Wolf S. 302 m. FN 38), denn § 3 S. 2 enthält nur eine „bedingte Kompetenzzuweisung von Befugnissen und keine eigenen materiellen Anlässe“ (Bohnert NStZ 88, 255). Hilfen zur Erziehung nach §§ 27 ff SGB VIII darf der JRichter zwar nicht für das JAmt bindend anordnen (eingehend Miehe FS Fenge, 1996 S. 439 ff = DVJJ-J 97, 262 ff), er kann aber den Eltern und dem J die Inanspruchnahme solcher Hilfen aufgeben (DSS/Diemer 36). Dies entspricht § 1666 II Nr. 1 BGB, wonach zu den gerichtlichen Maßnahmen nach § 1666 I BGB insbes. Gebote gehören, öffentliche Hilfe wie z. B. Leistungen der Kinder- und JHilfe in Anspruch zu nehmen. Ggf. darf der JRichter einen Pfleger bestellen, der einen Anspruch auf ErzHilfe gegenüber dem JAmt geltend machen kann (für eine Anordnungskompetenz des JRichters Eisenberg 42; Ostendorf 19). – Grds. sollte der Richter diese Maßnahmen dem Familiengericht überlassen; eine Ausnahme aus erz. Gründen kann dort geboten sein, wo es bereits zur Hauptverhandlung gekommen ist, um zu einem pädagogischen Abschluss zu kommen. Ordnet der JRichter Maßnahmen nach S. 2 an, so gelten für die Anfechtung die Vorschriften des JGG und daneben die der StPO (Eisenberg 59; Roestel UJ 64, 23). Bohnert (NStZ 88, 255) lässt ausnahmslos nur die Rechtsbehelfe zu, wie sie auch gegen die Entscheidungen des Familiengerichts gegeben sind; es sei nicht sinnvoll, die bürgerlich-rechtlichen Voraussetzungen von Strafgerichten nachprüfen zu lassen. – Die Fahrerlaubnis kann bei fehlender Altersreife entzogen werden (§ 7, 13). Spätere Änderungen der getroffenen Maßnahmen kann nur das Familiengericht vornehmen 17 (Eisenberg 54; aA DSS/Diemer 37). Die Verhängung von JA nach § 11 II ist ausgeschlossen. Greift bereits im Ermittlungsverfahren § 3 S. 1 ein, so stellt der StA das Verfahren nach § 170 II StPO ein (Eisenberg 58; Nothacker S. 238; Bohnert NStZ 88, 255). Freispruch und Einstellung des Verfahrens wegen mangelnder Reife (§ 3 S. 1) führen zur Kos- 18 tenregelung des § 467 StPO, sie werden nach § 60 I Nr. 6 BZRG, Anordnung von Maßnahmen nach § 3 S. 2 gem. § 60 I Nr. 1 BZRG in das ErzRegister eingetragen. § 47 I Nr. 4 gibt dem Richter eine bes. Einstellungsmöglichkeit, wenn § 3 eingreift.
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§5 10.
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Anfechtung
19 Eine Beschwer und damit eine Anfechtungsmöglichkeit nach Freispruch ist nicht gegeben (BGH 16, 374; BayObLG NJW 61, 576; OLG Saarbrücken NJW 60, 2069). Anders ist es nur, wenn der JRichter durch gesonderten Beschluss familiengerichtliche Maßnahmen (§ 3 S. 2) angeordnet oder die Fahrerlaubnis (§ 7, 13) entzogen hat; denn diese Maßnahmen beschweren. Dazu Rn 16. Auch die Einstellung nach § 47 I Nr. 4 ist einer Anfechtung entzogen (§ 47 II 3).
§ 4 Rechtliche Einordnung der Taten Jugendlicher Rechtliche Einordnung der Taten Jugendlicher Ob die rechtswidrige Tat eines Jugendlichen als Verbrechen oder Vergehen anzusehen ist und wann sie verjährt, richtet sich nach den Vorschriften des allgemeinen Strafrechts. 1. Hw.: Rn 2. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1. 1 Die Einteilung erfolgt nach der abstrakten (BGH 8, 79) Strafdrohung des allg. Rechts gem. § 12 StGB. Das ist ua bedeutsam für Versuch (§§ 22, 23 StGB) und Strafverfolgungsverjährung (§§ 78 ff StGB; ebenso Eisenberg 3 f). Die Verjährung wird nur durch die in § 78 a StGB aufgeführten Handlungen unterbrochen. Eine entsprechende Anwendung von § 78 c I Nr. 1, 7, 8 StGB auf Maßnahmen des JRichters nach §§ 45 III, 47 und des JStA gem.§ 45 I, II ist nicht möglich (DSS/ Diemer 3; Ostendorf 3; aA Eisenberg 4 für Maßnahmen des Richters). Die Vorschriften über die Verjährungsunterbrechung sind als Ausnahmeregelungen mit weitreichenden Folgen eng auszulegen und einer analogen Anwendung nicht zugänglich (BGH 22, 383; LG Kaiserslautern NStZ 81, 439 f mit Anm. Lilie; LK/Schmid § 78 c StGB 2). Die Beauftragung eines Sachverständigen zur Untersuchung nach § 43 (§ 43, 15) unterbricht unter den Voraussetzungen des § 78 c I Nr. 3 StGB (vgl. hierzu BGH 27, 78, aber auch BGH 28, 381). 2 Die Einteilung gilt auch für Hw., und zwar entweder über § 105 oder nach allg. Recht unmittelbar. 3 Die Vollstreckungsverjährung ist im JGG nicht geregelt. Die Vollstreckung von JStrafe verjährt wie die von Freiheitsstrafe (§§ 79 ff StGB). Die Verjährung ruht während der BewZeit (§ 79 a Nr. 2 b StGB; § 22, 5). Eine Unterbrechung der Verfolgungsverjährung ist nicht mehr vorgesehen; zum seltenen Fall der gerichtlichen Verlängerung § 79 b StGB. Zust. Eisenberg 8, jedoch mit Bedenken gegenüber einer sinngemäßen Anwendung der §§ 79 ff StGB bei JStrafe wegen schädlicher Neigungen. 4 Sonst gibt es im JRecht keine Vollstreckungsverjährung. Vgl. jedoch für JA § 87 IV (§ 87, 2), für Geldbußen nach dem OWiG § 34 OWiG. Bei Weisungen und Auflagen, die bei zu später Vollstreckung ihr Ziel verfehlen, sogar schädlich sein können, vermag und muss letztlich die Möglichkeit helfen, sie abzuändern oder teilweise oder ganz von ihnen zu befreien (§§ 11 II, 15 III). Dem sollte bes. Aufmerksamkeit gewidmet werden. 5 Für Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 7) gilt § 79 IV StGB unmittelbar.
§ 5 Die Folgen der Jugendstraftat § 5 Die Folgen der Jugendstraftat (1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.
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Die Folgen der Jugendstraftat
§5
(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen. (3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht. 1. Hw.-J: § 105 I. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1. Richtlinie zu § 5: Ergibt sich in der Hauptverhandlung, dass bereits eine erzieherische Maßnahme durchgeführt oder eingeleitet worden ist, und hält die Staatsanwaltschaft deshalb eine Ahndung für entbehrlich, so regt sie die Einstellung des Verfahrens an (§ 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2). Schrifttum: Lenz Das Rechtsfolgensystem im Jugendgerichtsgesetz (JGG), 2007; Petersen Sanktionsmaßstäbe im JStrafrecht, 2008.
Genügt es nicht, auf die Straftat (rechtswidriger, schuldhafter Verstoß gegen einen Straftatbe- 1 stand des allg. Rechts) eines J nur durch Einstellung des Verfahrens als folgenlose Normverdeutlichung oder durch eine informelle Maßnahme (§§ 45, 47) zu reagieren, so ist zunächst zu prüfen, ob ErzMängel vorliegen und es genügt, hierauf mit ErzMaßregeln zu reagieren (Abs. I). Nur wenn ErzMaßregeln keinesfalls ausreichen und die gesetzlichen Voraussetzungen für Zuchtmittel (§ 13 I) oder JStrafe (§§ 17 II) erfüllt sind, ist auf solche zu erkennen (Abs. II; Erforderlichkeitsprinzip). Hieraus folgt auch, dass der JStA in der Hauptverhandlung die Einstellung des Verfahrens nach § 47 I Nr. 2 anregt, wenn sich ergibt, dass eine notwendige und ausreichende erz. Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet ist (RL). Hinzu kommt, dass ErzMaßregeln nur in dem Umfang angeordnet werden dürfen, in dem auch eine ErzBedürftigkeit besteht (§ 9, 3). So werden zwar „ausreichende“, aber zu harte ErzMaßregeln aus der Betrachtung ausgeschlossen (zust. Itzel 1987 S. 27, 28; abl. Wolf S. 44). Liegen keine ErzMängel vor, kommen ErzMaßregeln nicht in Betracht und wird Abs. II nicht relevant. Es ist dann gem. §§ 13 ff zu prüfen, ob Zuchtmittel zu verhängen sind oder nach § 17 II 2. Alt. eine JStrafe wegen Schwere der Schuld erforderlich ist (Dölling ZJJ 06, 311). Nach Abs. III muss der JRichter bei verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) von JStrafe und 2 Zuchtmitteln absehen, wenn die – unabweisbare – Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt eine darüber hinausgehende Ahndung entbehrlich macht. Damit sichert Abs. III eine „einheitliche Reaktion (auch) innerhalb mehrerer Rechtsfolgekategorien“ (Nothacker S. 238) und wahrt die sog. Einspurigkeit freiheitsentziehender Maßnahmen im JStrafrecht (BGH 39, 92, 95; BGH NStZ-RR 02, 182; BGH NJW 09, 2694, 2695 mit Bespr. Rose ZJJ 10, 196), schlicht das „So wenig wie möglich“ und das „So viel wie nötig“, indem die jstrafrechtliche Maßnahme ausnahmsweise hinter die nach ErwRecht (§§ 21, 63, 64 StGB) zurücktritt (näher Brunner JR 90, 210). Dass diese Maßregeln der Besserung und Sicherung den jstrafrechtlichen Sanktionen vorgehen, soll den J „bessern“, ihn so wenig wie möglich belasten, also falls auf Unterbringung schon nicht verzichtet werden kann, ihm durch rasch einsetzende stationäre fachärztliche Betreuung helfen und auch dem Schutz der Allgemeinheit gerecht werden. Bei Verurteilung zu JStrafe und Anordnung der Unterbringung nach § 63 oder § 64 StGB muss 2 a das Urteil erkennen lassen, dass die JKammer geprüft hat, ob gem. § 5 III von JStrafe abgesehen werden kann (BGH StV 93, 534; BGH B NStZ 94, 528; BGH NStZ-RR 97, 281; StV 98, 341; NStZRR 02, 182; 03, 186; NStZ 04, 296; BGH bei Miebach/Feilcke NStZ 07, 573; BGH NStZ-RR 09, 354; NStZ 10, 93). Die Entscheidung ist unter Berücksichtigung der erz. und therapeutischen Belange einerseits und der Gefährlichkeit des J andererseits zu treffen (BGH NStZ-RR 98, 190). Fehlt
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§5
2. Teil. Jugendliche
die Prüfung des § 5 III, ist regelmäßig die Verhängung der Jugendstrafe und wegen des engen Sachzusammenhangs auch der Maßregelausspruch aufzuheben (BGH B NStZ-RR 00, 321; BGH NStZ-RR 02, 182, 183; 03, 186; BGH NStZ 10, 93, 94). Berücksichtigt der JRichter, dass die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sich auf die weitere Entwicklung des J bes. nachteilig auswirken kann (näher § 7, 2), und prüft er die Notwendigkeit der Unterbringung mit der gebotenen Sorgfalt und Zurückhaltung (vgl. die Nachweise in § 7, 1 aE) bei sachverständiger Beratung, so wird daneben nahezu stets auf jrechtliche Maßnahmen verzichtet werden können (BGH StV 93, 534). Zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt s. § 7, 3 ff, insbes. 6 u. § 93 a, 2 ff. Abs. III geht in seinen Voraussetzungen und Wirkungen weiter als die durch ihren Abs. II modifizierte Vorschrift des § 67 I StGB. Werden aber im Urteil die Voraussetzungen des § 5 III verkannt, kann später immer noch § 67 I StGB helfen. 2 b Abs. III macht die Entscheidungen über die Unterbringung und über die jstrafrechtlichen Sanktionen derart voneinander abhängig, dass eine JStrafe nicht vorweg in Rechtskraft erwachsen darf, wenn über die Unterbringung noch nicht abschließend entschieden ist. Wurde ein J zu einer JStrafe verurteilt, kann deshalb der StA seine Revision nicht wirksam auf die Nichtanordnung der Unterbringung beschränken (BayObLG 89, 48 = JR 90, 210 mit zust. Anm. Brunner; § 55, 6 d). Die möglicherweise zu Unrecht abgelehnte Unterbringung kann insbes. im Hinblick auf § 5 III die Aufhebung des gesamten Rechtsfolgeausspruchs einschließlich der JStrafe zur Folge haben (BGH B NStZ 97, 481). Damit soll dem Tatrichter die ihm nach § 5 III obliegende Entscheidung erhalten bleiben. Vgl. zum Verhältnis von JStrafe u. Maßregel auch § 18, 7 a aE. Zum Verhältnis des § 5 III zu § 35 BtMG § 17, 27 d; zur JStrafe bei Drogenabhängigen § 17, 13, 17 a, 23 ff; § 10, 18–19 b; zum Vorwegvollzug der JStrafe § 93 a, 6. 3 ErzMaßregeln werden aus Anlass der Straftat angeordnet (Abs. I; vgl. Einf. II 12, 13); sie betonen den ErzGedanken, sind jedoch, da im Strafverfahren angeordnet, nicht ohne Sühnefunktion, wenn sie auch nicht als Sühne für die Tat (Tatschuldvergeltung) angeordnet werden dürfen (Einf. II 13 u. § 9, 5; Heublein Zbl. 94, 466; Schaffstein/Beulke S. 105 f); oft greifen sie hart ein und werden schon deshalb als Sühne empfunden (z. B. Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2, Arbeitsweisung). Eingriffscharakter jedweder jrechtlichen Sanktion – wenn auch nur subjektiv – ist trotz präventiver Ausrichtung unvermeidlich (näher Einf. II 9; Schlüchter GA 88, 123). Art und Umfang der ErzMaßregeln werden deshalb nicht allein durch die ErzBedürftigkeit bestimmt (so aber Dallinger/Lackner 12), sie dürfen auch nicht außer Verhältnis zur Tat stehen (Einf. II 12, § 9, 5). Das wird bei Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 oft nicht gegeben sein (s. § 12, 5). Die Tat muss Symptom der ErzBedürftigkeit sein. Sie hat bei allen jrechtlichen Sanktionen – nach den erz. Gesichtspunkten – eine sehr bedeutsame Funktion (Einf. 10 II u. 12; Hermann/Wild MKrim. 89, 16), und zwar fern des viel zitierten „Taxendenkens“. A A Wolf (S. 269): Grund zur Verhängung von ErzMaßregeln seien nicht ein Verhalten des J, sondern Umstände, welche die Person des ErzBerechtigten oder die Bedingungen der Erz. durch ihn betreffen. Zu den Hilfen zur Erz. nach dem SGB VIII insbes. § 10, 14 b; § 12; § 38, 4 d; § 45, 19 b. 4 Nur wenn ErzMaßregeln oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt nicht angebracht sind oder wenn deren Anordnung allein nicht ausreicht, wird die Tat mit Zuchtmitteln oder JStrafe geahndet. Den Zuchtmitteln kommt eine Denkzettelfunktion zu, und bei der JStrafe werden neben den Belangen der Erz. auch das Sühnebedürfnis und das Schutzbedürfnis der Allgemeinheit berücksichtigt. – JStrafe (auch mit Strafaussetzung) darf nur verhängt werden, wenn die vorliegenden schädlichen Neigungen anders (durch ErzMaßregeln oder Zuchtmittel) nicht mehr wirksam bekämpft werden können (§ 17 II). Bei unlösbaren Zweifeln ist die Schuld festzustellen und die Verhängung der JStrafe zur Bew. auszusetzen (§ 27). Auch bei bes. schwerer Schuld ist auf JStrafe zu erkennen (§ 17 II). Der ErzGedanke bestimmt auch bei der JStrafe das Strafmaß (§ 18 II) und den Vollzug. Für JA vgl.
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Die Folgen der Jugendstraftat
§5
§ 90 I. Auf den Vollzug der JStrafe kann ganz (§§ 21 ff) oder wenigstens zum Teil (§ 88) verzichtet werden, wenn das erz. sinnvoll und zweckmäßig ist. Zur Abgrenzung der 3 Gruppen der Unrechtsreaktionen des JGG lässt sich – ganz grob ge- 5 rastert – Folgendes sagen: Die Zuchtmittel, bes. Verwarnung, Geldauflage und JA, sind der erhobene Zeigefinger (§ 13, 2); durch sie können nur junge Menschen beeindruckt werden, die geistig und seelisch genügend ansprechbar sind. Sind ErzMängel – gleich welchen Grades – erkennbar und beruht die Tat auf ihnen (§ 9, 3), sind idR ErzMaßregeln angebracht. Zusätzliche Zuchtmittel sind nur zu verhängen, wenn sie zur Verdeutlichung von Unrecht und Verantwortlichkeit erforderlich sind (Dölling ZJJ 06, 310). JStrafe ist nur verwirkt, wenn erhebliche Anlageoder ErzMängel zu einer kriminell geprägten Fehlhaltung geführt haben oder wenn ein besonders schweres Verbrechen geahndet werden muss (§ 17, 9 u. 11). Bei der Abgrenzung von Weisungen, Auflagen, ErzBeistandschaft nach § 12 Nr. 1 und Verwar- 6 nung entstehen in der Praxis keine bes. Schwierigkeiten; handelt es sich doch um ähnliche, nicht allzu schwerwiegende Eingriffe (Grethlein S. 111), die zudem noch nebeneinander angeordnet werden können (§ 8 I). Es kann insoweit auf die Erläuterungen bei den einzelnen Vorschriften (§§ 10, 12, 14, 15) Bezug genommen werden. – Zu diesen Maßnahmen und untereinander stehen dagegen Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2, JA und JStrafe (§§ 12, 16, 17) sowie die Aussetzung der Verhängung der JStrafe (§ 27) oft im Verhältnis des Entweder-oder; wegen ihrer Abgrenzung wird auf § 16, 1, § 17, 14 und § 21, 7 verwiesen. Die Praxis greift teilweise schematisch zu JA und Geldauflagen. In vielen Fällen wäre eine genau 7 auf den Täter abgestimmte Weisung besser. Immer wieder wird auch JA verhängt, wo bereits JStrafe angebracht wäre, und damit, wie nur zu oft die spätere Entwicklung deutlich macht, eine erz. Chance verschenkt. Jeder JRichter sollte vor der Verhängung von JA oder von Geldauflagen gründlich überlegen, ob nicht andere, vielfach auch geringer eingreifende Maßnahmen besser geeignet sind. Unter den Begriff „Strafe“ in Vorschriften des allg. Rechts können auch ErzMaßregeln und 8 Zuchtmittel fallen (vgl. § 2, 4). Ein Absehen von Strafe gem. § 60 StGB ist auch im JStrafrecht möglich (BayObLG NJW 92, 1520 = JR 92, 387 mit zust. Anm. Brunner = NStZ 91, 584 mit Anm. Scheffler NStZ 92, 491; AG Osterode NdsRpfl. 71, 262; Eisenberg 11; Ostendorf 21). Ob eine Sanktion offensichtlich verfehlt ist, ist im JStrafrecht nach dessen Grundgedanken zu entscheiden; unter den Voraussetzungen des § 60 StGB ist auch von ErzMaßregeln und Zuchtmitteln abzusehen (BayObLG NJW 92, 1521; gegen die Anwendbarkeit des § 60 StGB auf Erziehungsmaßregeln Bringewat NStZ 92, 318; gegen Anwendbarkeit im JStrafrecht überhaupt Terdenge JA 78, 95). Gleiches gilt für § 46 a StGB (Eisenberg 11; Dölling ua Täter-Opfer-Ausgleich in Deutschland, 1998 S. 489). Wegen der Geldbußen nach dem OWiG § 2, 15, 15 a.
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Über die Koppelung mehrerer Maßnahmen § 8; zur Urteilsfassung vgl. § 54, 3, 15. – Wegen der 10 Nebenstrafen und Nebenfolgen und Maßregeln der Besserung u. Sicherung vgl. §§ 6 ff. In dem Spannungsfeld der „Erz. zur Freiheit in Unfreiheit“ und der unabweisbaren Notwen- 11 digkeit, JStrafe als ultima ratio einzusetzen (dazu § 17, 2), mit dem Nebeneinander also von auch schuldvergeltender JStrafe (vgl. § 18, 13) und Sozialisationsfunktionen aller Sanktionen des JStrafrechts muss der Praktiker leben. Näher Einf. I 7, 8; II 4–10; § 17, 6, 8 a. Zum Einigungsvertrag: § 1, 6 c, 6 d.
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§6
2. Teil. Jugendliche
§ 6 Nebenfolgen § 6 Nebenfolgen (1) Auf Unfähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen oder in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen, darf nicht erkannt werden. Die Bekanntgabe der Verurteilung darf nicht angeordnet werden. (2) Der Verlust der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen (§ 45 Abs. 1 des Strafgesetzbuches), tritt nicht ein. 1. Hw.-J: § 105; sonstige Hw. § 106 II. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1. Richtlinie zu § 6: Soweit eine in § 6 nicht genannte Nebenstrafe oder Nebenfolge nicht zwingend vorgeschrieben ist, beantragt der Staatsanwalt sie nur, wenn sie erzieherisch notwendig erscheint. Schrifttum: Bareis Nebenstrafen u. Nebenfolgen jstrafrechtlicher Verurteilungen, ZJJ 06, 272.
1 Nebenstrafen und Nebenfolgen, die nach allg. Recht nur neben einer Hauptstrafe verhängt werden dürfen, können auch neben ErzMaßregeln und Zuchtmitteln verhängt werden (§ 8 III). Es ist jedoch Zurückhaltung geboten (RL); solche anzuordnen, kann über § 6 hinaus im Einzelfall unzulässig sein, wo dies den Grundsätzen des JGG zuwiderliefe (§ 2, 6). Eine Nebenstrafe oder -folge, deren Ausspruch nach allg. Recht zwingend und die nach JRecht zulässig ist, muss jedoch auch gegen J oder Hw. angeordnet werden (BayObLG zu § 123 Branntwein-MonopolGes. Dallinger/Lackner Rechtsprechung JGG S. 3 zu § 6). 2 Die im allg. Strafrecht gem. § 45 I StGB bei einer Verurteilung wegen eines Verbrechens zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zwingende Nebenfolge des Verlustes der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, tritt bei Anwendung von JRecht nicht ein (Abs. II). Auf diese Nebenfolgen darf auch nicht gem. § 45 II StGB erkannt werden, ebenso wenig darf gem. § 45 V StGB das Recht aberkannt werden, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen (Abs. I 1). 3 Darüber hinaus ist die Einziehung des Wertersatzes (§ 74 c StGB) in Form eines Geldbetrages ausgeschlossen, weil das JGG Geldstrafen nicht kennt (BGH 6, 259; Potrykus B 3; NJW 54, 244). Hat der J aber den Wertersatz noch in Besitz, so hindern jrechtliche Überlegungen eine Einziehung nicht (ebenso Ostendorf 3; aA Eisenberg 7); vgl. § 15 I Nr. 4, II Nr. 2 u. die Geldbußen nach dem OWiG. 4 Abs. I 2 verbietet, die Bekanntgabe der Verurteilung (§§ 165, 00 StGB) anzuordnen. 5 Zulässig sind: Einziehung (§§ 74 ff StGB, § 76 S. 1 JGG; BGH 6, 259) und Unbrauchbarmachung (§ 74 d StGB), Verfallserklärung (§§ 73 ff StGB, § 76 S. 1 JGG; Verfall des Wertersatzes nach § 73 a StGB auch dann, wenn der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des J vorhanden ist (BGH 55, 174 = NStZ 11, 270 mit zust. Anm. Altenhain = StV 10, 578 mit abl. Anmerkung Eisenberg), Abführung des Mehrerlöses (§§ 8 ff WiStG), Einziehung des Jagdscheines (§ 40 Bundesjagdgesetz), Fahrverbot (Kfz-) gem. § 44 StGB; vgl. § 76 S. 1 JGG (Eisenberg 5; Ostendorf 2; aA Halecker Der „Denkzettel“ Fahrverbot, 2009 S. 195). 6 Tatgewinn und Entgelt der Tat können nach § 15 II Nr. 2 erfasst werden. Wegen Nebenstrafen und -folgen nach der AO s. Goetzeler NJW 60, 1656. Auch landesrechtliche Nebenstrafen und folgen sind möglich.
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Maßregeln der Besserung und Sicherung
§7
§ 7 Maßregeln der Besserung und Sicherung § 7 Maßregeln der Besserung und Sicherung (1) Als Maßregeln der Besserung und Sicherung im Sinne des allgemeinen Strafrechts können die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt, die Führungsaufsicht oder die Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet werden (§ 61 Nr. 1, 2, 4 und 5 des Strafgesetzbuches). (2) Sind nach einer Verurteilung zu einer Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren wegen oder auch wegen eines Verbrechens 1. gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder 2. nach § 251 des Strafgesetzbuches, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255 des Strafgesetzbuches, durch welches das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist, vor Ende des Vollzugs dieser Jugendstrafe Tatsachen erkennbar, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen, so kann das Gericht nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Vollzugs der Jugendstrafe ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der vorbezeichneten Art begehen wird. (3) Ist die wegen einer Tat der in Absatz 2 bezeichneten Art angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67 d Abs. 6 dieses Strafgesetzbuches für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnen, wenn 1. die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 des Strafgesetzbuches wegen mehrerer solcher Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 des Strafgesetzbuches führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und 2. die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der in Absatz 2 bezeichneten Art begehen wird. (4) Die regelmäßige Frist zur Prüfung, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen ist (§ 67 e des Strafgesetzbuches), beträgt in den Fällen der Absätze 2 und 3 ein Jahr. 1. Hw.-J: § 105 I; sonstige Hw.: § 106 II. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1. Schrifttum: Brettel Der Vollzug der Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 JGG, ZJJ 09, 331; ders. Gesetzeslücken bei Sicherungsverwahrung nach Verurteilung zu JStrafe, ZRP 10, 121; Bruhn Die Sicherungsverwahrung im JStrafrecht, 2010; Bruns Zur Problematik rausch-, krankheits- u. jugendbedingter Willensmängel des schuldunfähigen Täters im Straf-, Sicherungs- u. Schadensersatzrecht, JZ 64, 473; Eisenberg Nachträgliche Sicherungsverwahrung bei zur Tatzeit J bzw. Hw.? JZ 07, 1143; Graebsch Sicherungsverwahrung im JStrafrecht, ZJJ 08, 284; Kinzig Entwicklung, Stand u. Perspektiven einer Sicherungsverwahrung für J u. Hw., RdJ 07, 155; ders. Die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung für J, ZJJ 08, 245; ders. Das Recht der Sicherungsverwahrung nach dem Urteil des EGMR in Sachen M gegen Deutschland, NStZ 10, 233; Koll-Bernards Die Unterbringung Minderjähriger gemäß § 42 b StGB, Soziale Arbeit 64, 249; Kreuzer Sicherungsverwahrung nach JStrafrecht angesichts divergierender Urteile des BGH u. EGMR, NStZ 10, 473; Laue Die Sicherungsverwahrung auf dem europäischen Prüfstand, JR 10, 198; ders. Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für
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§7
2. Teil. Jugendliche
Menschenrechte zur Sicherungsverwahrung, FPPK 10, 147; ders. Konsequenzen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Sicherungsverwahrung, FPPK 10, 283; Müller Die Sicherungsverwahrung, das Grundgesetz und die europäische Menschenrechtskonvention, StV 10, 207; Nestler/Wolf Sicherungsverwahrung gem. § 7 II JGG u. der Präventionsgedanke im Strafrecht – kritische Betrachtung eines legislativen Kunstgriffs, NK 08, 1253; Ostendorf/Bochmann Nachträgliche Sicherungsverwahrung bei jungen Menschen auf dem internationalen und verfassungsrechtlichen Prüfstand, ZRP 07, 146; Radtke Konventionswidrigkeit des Vollzugs erstmaliger Sicherungsverwahrung nach Ablauf der früheren Höchstfrist? NStZ 10, 537; Schmitz Die Unterbringung minderjähriger Rechtsbrecher nach § 42 b StGB, MKrim. 64, 152; Sommerfeld Führungsaufsicht nach vollständiger Vollstreckung einer EinheitsJStrafe, NStZ 09, 247; Ullenbruch Das „Gesetz zur nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach JStrafrecht“ – ein Unding? NJW 08, 2609; Wille Ambulante psychiatrische Hilfen bei Störungen im Kindes- u. Jugendalter, Zbl. 89, 337; Wüstenhagen Sicherungsverwahrung gegen Hw. u. J, 2008. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Maßregeln . . . . . . . . . . . . Psychiatrisches Krankenhaus . Entziehungsanstalt . . . . . . . Führungsaufsicht . . . . . . . . Entziehung der Fahrerlaubnis Sicherungsverwahrung . . . . .
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Rn 1 2 3 8 13 14
Maßregeln
1 Maßregeln der Besserung und Sicherung sind in § 61 StGB abschließend aufgezählt. Wo materielles JStrafrecht angewendet wird, können Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, in einer Entziehungsanstalt, die Führungsaufsicht, Entziehung der Fahrerlaubnis oder unter den Voraussetzungen von Abs. II, III nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden, nicht aber ein Berufsverbot. Die Maßregeln sind – abgesehen von der Sonderregelung für die Sicherungsverwahrung – zu verhängen, wenn die Voraussetzungen des allg. Strafrechts vorliegen, ohne dass dem JRichter ein zusätzliches Ermessen zusteht (BGH 37, 374 mit Anm. Walter NStZ 92, 100; 39, 95 = JR 93, 513 mit zust. Anm. Brunner = JZ 93, 529 mit Anm. Eisenberg/Sieveking; DSS/Diemer 2; Ostendorf 3; aA LG Oldenburg bei Böhm NStZ 85, 447 u. 88, 491). Das JStrafrecht fordert jedoch eine bes. sorgfältige, jgerechte, einzelfallorientierte und eingehend zu begründende Prüfung (BGH 37, 373; 39, 95; BGH StV 81, 543; OLG Zweibrücken StV 89, 314; OLG Jena NStZ-RR 07, 217; Bedenken wegen mangelnder Vereinbarkeit der Maßregeln mit dem ErzGedanken, auch hinsichtlich Führungsaufsicht u. Entziehung der Fahrerlaubnis, bei Eisenberg 3–5). Vgl. dazu auch Rn 13 aE. 2.
Psychiatrisches Krankenhaus
2 Bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist bes. sorgfältig zu prüfen, ob die Maßregel erforderlich ist oder eine weniger einschneidende Maßnahme (§ 10 II, ErzBeistandschaft, anderweitige Unterbringung) ausreicht, da eine Unterbringung sich in der Entwicklung bes. nachteilig auswirken kann (BGH 37, 374; 39, 95; BGH NJW 51, 450; OLG Schleswig SchlHA 57, 61). Das gilt auch bei Hw., die nach ihrer Reife Jugendlichen gleichstehen (BGH DVJJ-J 02, 464). Eine Unterbringung nach § 63 wird nur in bes. Ausnahmefällen als ultima ratio gerechtfertigt sein (BGH B NStZ 93, 527; BGH NStZ 98, 87; 00, 470; OLG Jena NStZ-RR 07, 217, 219). Bei Kleinkriminalität (z. B. Schwarzfahren, Kleindiebstähle) kommt Unterbringung nicht in Betracht (BGH NJW 89, 2959 ErwRecht). Auch bei J genügt die Feststellung, dass die Gesamtwürdigung des J und seiner Tat, auch früherer Taten, ergibt, dass von ihm zufolge seines Zustandes (Kausalität) weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (BGH 37, 374; 39, 95). Bei der Gefährlichkeitsprognose
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Maßregeln der Besserung und Sicherung
§7
kommt es allein auf die Verhältnisse zZ der Hauptverhandlung an (BGH NStZ 88, 498). Eine verbindliche Voraussage, dass der J auch nach Strafverbüßung die Rechtsordnung unmittelbar bedrohen werde, ist nicht gefordert; doch bedarf auch die erforderliche Wahrscheinlichkeitsfeststellung bei J sorgfältiger Prüfung (BGH Herlan GA 59, 339; BGH StV 86, 163; vgl. auch BayObLG 58, 263). Nach BGH 37, 375; BGH B NStZ 93, 527 kann § 63 entgegenstehen, dass ein Erziehungsdefizit bereits durch normgerechten Vollzug der JStrafe ausgeglichen werden kann. UU kann auch eine Unterbringung nach § 64 StGB als weniger beschwerende Maßregel ausreichen (BGH B NStZ 93, 527). Von der Beweiserhebung über das Verhalten des J kann nicht mit der Begründung abgesehen werden, dass ein bestimmtes Verhalten als wahr unterstellt wird (OLG Schleswig SchlHA 57, 161). Die Maßregel darf nicht außer Verhältnis zu den zu erwartenden Taten und dem Grad der vom Täter ausgehenden Gefahr stehen (§ 62 StGB), was bei J bes. zu beachten ist. Der nur mangels Altersreife strafunmündige J kann nicht nach § 7, § 63 StGB untergebracht werden (näher § 3, 10). Zur Vollstreckung § 85, 8–11. Der Vollzug der Unterbringung richtet sich weitgehend nach Landesrecht. Zur Vollzugspraxis Stöver/Weissbeck/Wendt FPPK 08, 255; Weissbeck JMaßregelvollzug in Deutschland, 2009. Der Rechtsschutz gegen Vollzugsmaßnahmen obliegt gem. § 92 der JKammer, in deren Bezirk das Krankenhaus seinen Sitz hat. Gegen die Ablehnung des Antrags der StA auf Widerruf einer zur Bewährung ausgesetzten Unterbringung ist – anders als gegen die Ablehnung des Widerrufs der Aussetzung der JStrafe (§ 59, 5) – nach §§ 463 V, 462 III StPO sofortige Beschwerde statthaft (OLG Nürnberg NStZ-RR 98, 242). Bei verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) schließen Strafe und Unterbringung einander 2 a auch im JStrafrecht grds. nicht aus (BVerfG NStZ-RR 07, 198). Der JRichter muss jedoch von Zuchtmitteln und JStrafe nach § 5 III absehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (oder in einer Entziehungsanstalt) eine darüber hinausgehende Ahndung entbehrlich macht (näher § 5, 2). Wird aber ausnahmsweise zugleich auf JStrafe erkannt, so kann abweichend von der gesetzlichen Reihenfolge nach § 67 II StGB die JStrafe vor der Unterbringung vollzogen werden. Dies bedarf sorgfältiger Prüfung der Persönlichkeit des J, der Länge der Strafzeit und der Art der notwendigen Behandlung. „Leidensdruck“ allein rechtfertigt dies nicht (BGH B NStZ 88, 493). Eine Umkehr der Reihenfolge ist nur zulässig, wenn dadurch der Zweck der Maßregel leichter erreicht wird (BGH NStZ 86, 331; vgl. auch OLG Hamm B NStZ 85, 447). Fehlende Begründung führt zur Aufhebung (OLG Hamm aaO). Vgl. auch § 93 a, 6. JStrafe und Unterbringung stehen selbständig nebeneinander (näher § 5, 2; § 18, 6 c aE). Mit dem Wesen der JStrafe ist es nicht vereinbar, ihre Höhe von der voraussichtlichen Heilungsdauer (einer krankhaften seelischen Störung) abhängig zu machen (BGH StV 88, 307). 3.
Entziehungsanstalt
Mit der Einbeziehung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (dazu Dessecker/Egg, 3 Hrsg., Die strafrechtliche Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, 1995), ist einem dringenden Anliegen unserer Zeit, insbes. der Eindämmung der Drogenszene, Rechnung getragen. Die umfangreiche Literatur über die angemessene medizinische Behandlung der Drogenabhängigkeit lässt sich dahin zusammenfassen, dass physische Drogenabhängigkeit idR stationärer Behandlung bedarf, dass aber auch bei den psychopathologischen Auswirkungen sowohl von Halluzinogenen (LSD, Meskalin) als auch von Cannabis (Haschisch/Marihuana) eine initiale klinische Behandlung erforderlich sein kann (näher Schalast in Handb. d. For. Psych. Bd. 3, 2006 S. 326 ff). Die Voraussetzungen für die Unterbringung ergeben sich aus § 64 StGB (vgl. Einf. I 48–51; § 3, 4 11; § 93 a, 1–5). Liegen diese Voraussetzungen vor, muss die Unterbringung auch dann angeordnet werden, wenn es an geeigneten Anstalten fehlt (BGH 28, 327; OLG Hamm MDR 81, 70; vgl. auch § 93 a, 5 und 6; Mösl NStZ 81, 427; aA LG Dortmund – ErwRecht – StV 82, 371 mit zust. Anm. Budde). BGH 28, 329 weist nachdrücklich darauf hin, dass ein Gericht gegen das Gesetz handelt, wenn es bei der Urteilsfindung einem eindeutigen Gesetzesbefehl deshalb die Gefolg-
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schaft versagt, weil die Exekutive nicht die zu seiner Durchführung erforderlichen Mittel bereithält. Allein die Gefahr der Selbstgefährdung des Drogenabhängigen führt nicht zur Unterbringung nach § 64 StGB (OLG Hamm NJW 74, 614 zum insoweit gleich lautenden § 42 b StGB), es greifen nur die landesrechtl. Unterbringungsgesetze ein. Werden die Verhängung von JStrafe und die Anordnung nach § 64 StGB miteinander verbunden, gilt für die Reihenfolge der Vollstreckung § 67 StGB einschließlich § 67 II 2 StGB (BGH NJW 09, 2694 mit Bespr. Rose ZJJ 10, 196). Die Unterbringung darf nach § 64 S. 2 StGB nur angeordnet werden, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Süchtigen zu heilen oder doch über eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren. Sie muss nach § 67 d V StGB für erledigt erklärt werden, wenn entgegen einer anfänglichen positiven Prognose keine hinreichend konkrete Aussicht mehr auf einen solchen Behandlungserfolg besteht (zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen dieser Regelungen BVerfGE 91, 1 = NStZ 94, 578; dazu kritisch Müller-Dietz JR 95, 353). Die konkrete Aussicht darf nicht wegen fehlender Therapiemotivation verneint werden, wenn nicht geprüft und festgestellt worden ist, dass ein ausreichender Therapiewille auch nicht durch positive Beeinflussung des Angeklagten im Zuge der Behandlung zu erreichen ist (BGH NStZ-RR 09, 277). Wenn eine Weisung, sich einer Entziehungskur zu unterziehen, ausreicht, um den Täter an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen (vgl. aber Rn 3 u. insbes. § 10, 18), ist die Unterbringung nicht zulässig. Notwendig ist es, für J und Hw. ausreichend geeignete Institutionen zu schaffen (§ 93 a). 5 Die stationäre Therapie Drogenabhängiger gliedert sich in die Phasen des Entzugs (Entgiftung), der Entwöhnung und der Nachsorge (vgl. Täschner Therapie der Drogenabhängigkeit, 1983; Heckmann, Hrsg., Drogentherapie in der Praxis, 1991). In der Nachsorgephase sollten sozialpädagogische, gruppentherapeutische und allg. helfende Bemühungen erfolgen, die das Erreichte sichern und auf Stärkung der Persönlichkeit hinarbeiten. Vgl. § 10, 19, insbes. § 93 a, 3. 6 Wird die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet, kann nach § 5 III von Zuchtmitteln und JStrafe abgesehen werden (näher § 5, 2). Die Ahndung durch Zuchtmittel ist hier regelmäßig nicht nur entbehrlich, sondern schlechthin ungeeignet und wäre im Fall des JA für andere Arrestanten gefährlich. Bei JStrafe kommt es auf sorgfältige Abwägung im Einzelfall an; hier kann Ahndung und weitere erz. Einwirkung notwendig sein. 7 Die Anordnung nach § 64 StGB geht der Vollstreckungslösung der §§ 35 ff BtMG vor; daran hat sich durch die Änderung des § 64 StGB durch das Gesetz v. 16. 7. 2007 nichts geändert (BGH NStZ-RR 96, 228, 257; 97, 344; 03, 12; BGH D NStZ 05, 148; 06, 150; 07, 209, 632; StV 08, 405; 09, 353; NStZ 09, 441). Auf Unterbringung in einer Entziehungsanstalt kann im vereinfachten Jugendverfahren nicht erkannt werden (§ 78 I 2). Zu Drogentätern in JStrafanstalten § 17, 25; § 91, 20; zum Fehlen eines Therapieplatzes § 93 a, 7; zum Abbruch § 93 a, 8; zu Vollzugsentscheidungen § 93 a, 10 u. 11. Zur Zurückstellung der Strafvollstreckung bei betäubungsmittelabhängigen J u. Hw. nach §§ 38, 35, 36 BtMG § 17, 23 ff. Zum Absehen von der Anklageerhebung nach §§ 38 II, 37 BtMG § 45, 43.
4.
Führungsaufsicht
8 Die Führungsaufsicht soll gefährliche oder gefährdete Täter in ihrer Lebensführung in der Freiheit über gewisse Zeiträume hinweg unterstützen und überwachen, um sie vor weiteren Straftaten abzuhalten (Schönke/Schröder/Stree/Kinzig § 68 StGB 3). Von dieser Doppelfunktion der Sozialisierungshilfe und des Schutzes der Allgemeinheit ist im JRecht vor allem erstere von Bedeutung. Bei J und Hw. kommt die Führungsaufsicht in Betracht nach § 68 I StGB und im Bereich des § 68 II StGB nach §§ 63, 64 iVm. §§ 67 b, 67 c, 67 d II, V StGB sowie nach § 68 f StGB. Die Führungsaufsicht selbst und die Weisungen, welche die Führungsaufsicht konkret ausgestalten und auf den Einzelfall abstellen, verstoßen nach BVerfGE 55, 28 = NStZ 81, 21 weder gegen
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das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 III GG) noch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Führungsaufsicht nach § 68 I StGB kann angeordnet werden, wenn JStrafe, die nach hM der 9 Freiheitsstrafe gleichsteht (Fischer Vor § 68 StGB 4), wegen einer Straftat verwirkt ist, bei der das Gesetz ausdrücklich Führungsaufsicht vorsieht (vgl. §§ 129 a, 181 b, 218, 228, 239 c, 245, 256, 262, 263, 263 a, 321 StGB, § 34 BtMG). Das Gericht wird von dieser Kann-Vorschrift nicht Gebrauch machen, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten beseitigen können oder die Rückfallwahrscheinlichkeit nicht sehr groß ist und die Taten voraussichtlich unter der mittleren Kriminalität bleiben. Berücksichtigt man hierzu jkriminologische Erkenntnisse (Einf. I), die bes. Prägbarkeit und spezialpräventive Ansprechbarkeit junger Menschen sowie die weit gespannten Einwirkungsmöglichkeiten nach dem JGG, so wird im JRecht die fakultative Führungsaufsicht nur in bes. Ausnahmefällen anzuordnen sein. Wurden mindestens 2 Jahre JStrafe wegen vorsätzlicher Straftaten oder 1 Jahr JStrafe wegen in 10 § 181 b StGB genannten Straftaten vollständig vollstreckt (Anrechnung von UHaft steht der Annahme vollständiger Vollstreckung nicht entgegen; Lackner/Kühl § 68 f StGB 1), so tritt mit der Entlassung Führungsaufsicht kraft Gesetzes ein (§ 68 f I StGB). Das AG Mönchengladbach (Beschl. v. 7. 8. 81–7 Ls/10 Js 631/76 jug.) lehnt dies ab, weil JStrafe gegenüber der Freiheitsstrafe eigenständig sei; dies ist unbestritten, rechtfertigt aber die abweichende Meinung nicht (zust. Füllkrug BewH 89, 145). Die Auslegung, dass § 7 auch auf den Normen des StGB, nach denen Führungsaufsicht kraft Gesetzes eintritt, verweist, ist auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht v. 14. 4. 2007 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG NStZ-RR 08, 217). Die Ansicht des AG Hameln ZJJ 08, 83 (ebenso Pollähne ZJJ 08, 4; vgl. auch Fiebrandt ZJJ 08, 278), nach dem diese Auslegung nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, überzeugt nicht. Vgl. auch Sommerfeld NStZ 09, 250, der den Eintritt der Führungsaufsicht kraft Gesetzes auf § 2 II iVm § 68 f I 1 StGB stützt. Führungsaufsicht tritt kraft Gesetzes auch dann ein, wenn das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bew. aussetzt (§ 67 d II StGB). Bei positiver Sozialprognose ordnet das Gericht an, dass die Maßregel entfällt (§ 68 f II StGB). In den seltenen Fällen, in denen sich die Aussetzung des Strafrestes gerade aus erz. Gründen nicht empfiehlt, ist die Führungsaufsicht eine wertvolle erz. Weiterhilfe (vgl. auch § 85, 3 aE). Bei ihrer Ausgestaltung ist der ErzGedanke zu berücksichtigen (vgl. LG Berlin NStZ 10, 286 zur Dauer der Führungsaufsicht). Schließt sich an eine Vollverbüßung die Vollstreckung von Strafhaft in anderer Sache an, beginnt die Führungsaufsicht erst mit endgültiger Entlassung in die Freiheit (OLG Düsseldorf NStZ-RR 02, 190 = JR 03, 168 mit zust. Anm. Dölling). Ist die Anschlussvollstreckung in anderer Sache dagegen nach § 35 I BtMG zurückgestellt, hindert dies den Eintritt der Führungsaufsicht nicht (KG NStZ 06, 580). Aus dem durch das Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht geänderten Wortlaut des § 68 f I 1 11 StGB, nach dem Führungsaufsicht kraft Gesetzes auch dann eintritt, wenn eine Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens 2 Jahren – bei Straftaten der in § 181 b StGB genannten Art von mindestens 1 Jahr – wegen vorsätzlicher Straftaten vollständig vollstreckt worden ist, ist zu folgern, dass Führungsaufsicht kraft Gesetzes auch dann eintritt, wenn eine wegen vorsätzlicher Straftaten verhängte mindestens zweijährige EinheitsJStrafe vollständig vollstreckt worden ist; es ist nicht erforderlich, dass wegen einer zugrunde liegenden Straftat mindestens 2 Jahre (bzw. 1 Jahr) JStrafe verwirkt sind (LG Berlin NStZ 09, 46; LG Hannover [JKammer II] ZJJ 08, 82; aA LG Hannover [JKammer I] ZJJ 08, 82; Eisenberg 38: weiterhin 2 Jahre wegen einer vorsätzlichen Einzeltat erforderlich; zum Streitstand vor der Gesetzesänderung Voraufl.). Wurde die EinheitsJStrafe wegen vorsätzlicher und fahrlässiger Straftaten verhängt, muss erkennbar sein, dass mindestens 2 Jahre bzw. 1 Jahr auf die Vorsatztaten entfallen.
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12 Wie das Institut der Führungsaufsicht sich in der Praxis bewährt, hängt von der Arbeit der häufig überlasteten BewHelfer und der Aufsichtsstellen ab (Literaturnachweise bei Fischer Vor § 68 StGB 1 a). Zuständig für die Vollstreckungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Führungsaufsicht ist der Vollstreckungsleiter nach § 82 I (vgl. RL VII 2 zu § 85; § 54 a StVollstrO; OLG Koblenz GA 75, 285; § 82, 1). 5.
Entziehung der Fahrerlaubnis
13 Bei der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) ist nicht milder als gegen Erw. zu verfahren, da das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit hier im Vordergrund steht. Das LG Oldenburg (bei Böhm NStZ 85, 447) meint zwar, die Regelvermutung des § 69 II StGB widerspreche dem ErzGedanken des JGG. Aber gerade im Straßenverkehr gefährden J und Hw. aus jspezifischen Gründen (vgl. § 105, 6) sich und andere, sodass die Entziehung aus erz. Gründen und spezialpräventiv geboten sein kann. Zur Begründung reicht allerdings „mangelnde praktische Erfahrung“ allein nicht aus (OLG Hamm VRS Bd. 13 [57], 32). Vgl. auch AG Saalfeld DVJJ-J 01, 426: keine Anordnung trotz Indiztat nach § 69 II StGB bei einmaliger durch bes. Umstände bedingter Entgleisung, deren Wiederholung nicht wahrscheinlich ist; ZJJ 05, 211, 213: besondere Zurückhaltung mit Entziehung der Fahrerlaubnis bei J und Hw., keine Entziehung, wenn ein Fahrverbot gem. § 44 StGB hinreicht. Zur Dauer der Sperre BGH 15, 393; LG Oldenburg BA 85, 186; Bußmann/Gerhardt BA 84, 210 zum JStrafrecht. Die Entziehung der Fahrerlaubnis kann auch neben ErzMaßregeln und Zuchtmitteln verhängt werden und kommt auch neben einer Strafaussetzung zur Bew. in Betracht (OLG Düsseldorf NJW 97, 2765 zum ErwRecht für die Benutzung eines Kfz zur Einfuhr von Betäubungsmitteln). Über die Zulässigkeit von Weisungen, die in ihrer Auswirkung ähnlich sind, u. die Unterschiede zu solchen Weisungen § 10, 14. Die Fahrerlaubnis kann auch bei fehlender Altersreife (§ 3) entzogen werden (BGH 6, 397; BayObLG 58, 263; OLG Hamm DAR 64, 137). Hebt das Revisionsgericht ein Urteil wegen Anwendung von ErwRecht auf, so muss es wegen der geforderten jspezifischen Prüfung (dazu Rn 1 aE) auch die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Sperrfrist aufheben (OLG Zweibrücken StV 89, 314). 13 a Über die bes. Zuständigkeit im JRecht § 41, 12, 13 a, 16. 6.
Sicherungsverwahrung
14 Die durch Gesetz v. 8. 7. 2008 angefügten Abs. II–IV (Änderungen durch G vom 22. 12. 2010, Übergangsvorschrift: Art. 316 e EGStGB) lassen erstmals gegen J und gegen nach JStrafrecht verurteilte Hw. die Sicherungsverwahrung in Form der nachträglichen Sicherungsverwahrung zu (der Regelung zust. Hinz ZRP 07, 276; abl. Kinzig ZJJ 08, 245; Nestler/Wolf NK 08, 153; Ullenbruch NJW 08, 2609). Unmittelbar durch das erkennende Urteil angeordnete oder vorbehaltene Sicherungsverwahrung ist bei Anwendung von JStrafrecht weiterhin unzulässig. Gegen nach allg. Recht verurteilte Hw. ist vorbehaltene und nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 106 III-VII zulässig (§ 106, 8 ff). Für Sicherungsverwahrung gegen Erw. reicht es aus, dass der Täter wenigstens eine der Symptomtaten als Erw. begangen hat (BGH bei Detter NStZ 02, 420). Nach dem EGMR (NJW 10, 2495 = NStZ 10, 263 mit Bespr. Kinzig NStZ 10, 233, Laue JR 10, 198 und Müller StV 10, 207) unterliegt die Sicherungsverwahrung als Strafe dem Rückwirkungsverbot des Art. 7 MRK und muss Freiheitsentziehung gemäß Art. 5 I a MRK durch die Entscheidung angeordnet werden, durch die der Täter verurteilt wird. Danach ist nachträgliche Sicherungsverwahrung nur unter den Voraussetzungen des Art. 5 I e MRK, der eine psychische Störung des Untergebrachten verlangt, mit der MRK vereinbar. Das BVerfG hat in seinem Urteil zur Verfassungswidrigkeit der jetzigen Regelung der Sicherungsverwahrung (NJW 11, 1931) § 7 II für mit Art. 2 II 2 iVm Art. 104 I und Art. 20 III GG unvereinbar erklärt; die Vorschrift ist
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aber noch bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. 5. 2013, nach den Maßgaben des BVerfG (Rn 17, 21) anzuwenden. In diesem Rahmen darf die Vorschrift mit BGH NJW 10, 1539 = NStZ 10, 381 mit Bespr. Kreuzer NStZ 10, 473 u. Anm. Renzikowski NStZ 10, 506 = JR 10, 307 mit Anm. Eisenberg = StV 10, 515 mit Anm. Bartsch; vgl. auch BVerfG NJW 11, 1931, 1945 zu § 2 VI StGB) auch auf Täter angewendet werden, die ihre Anlasstat vor Inkrafttreten der Norm begangen haben. Die Anordnung von Sicherungsverwahrung gegen J oder ihnen gleichgestellte Hw. ist wegen der sich aus der kurzen Lebensgeschichte und Legalbiografie sowie der noch nicht abgeschlossenen Entwicklung ergebenden Unsicherheit der Kriminalprognose und des bes. schweren Eingriffs sehr problematisch. Sie kommt nur nach bes. sorgfältiger Prüfung in äußersten Ausnahmefällen (RegE Begr. BT-Drs. 16/6562, S. 1; BGH NJW 10, 1539, 1541; LG Berlin NStZ 10, 96, 97) in Betracht. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach Abs. II setzt zunächst eine Verurteilung wegen 15 eines der folgenden Verbrechen voraus: – Verbrechen gegen das Leben nach dem 16. Abschnitt des Besonderen Teils des StGB; das sind die §§ 211, 212 (auch iVm § 213) und 221 II, III, – Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit nach dem 17. Abschnitt: §§ 225 III, 226, 227 StGB, – Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach dem 13. Abschnitt (zur Maßgeblichkeit der jeweiligen Abschnitte des StGB s. BGH 51, 25 zu § 66 b I StGB aF): §§ 176 a, 176 b, 177, 178, 179 V, VII StGB, oder – Raub mit Todesfolge nach § 251 StGB, auch iVm § 252 oder § 255 StGB. Durch das Verbrechen muss das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen – konkreten – Gefahr ausgesetzt worden sein. Der Täter muss jedenfalls auch wegen dieses Verbrechens zu einer JStrafe von mindestens 7 Jah- 16 ren verurteilt worden sein. Hierfür reicht eine Einheitsstrafe nach § 31 in dieser Höhe aus, wenn ihr neben anderen Straftaten auch eines der angeführten Verbrechen zugrunde liegt. Es genügt eine Verurteilung; Abs. II kommt also auch bei Ersttätern in Betracht. Weiterhin müssen vor Ende des Vollzugs der JStrafe Tatsachen erkennbar werden, die auf eine 17 erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Hierbei muss es sich nicht um neue Tatsachen handeln, es genügen Tatsachen, die bereits im Zeitpunkt der Anlassverurteilung bekannt oder erkennbar waren (BGH NJW 10, 1540; LG Regensburg ZJJ 09, 383). Der Gesetzgeber wollte wegen der Unsicherheit einer Prognose im Urteilszeitpunkt und möglichen positiven Veränderungen im JStrafvollzug auch diese Fälle mit dem Institut der nachträglichen Sicherungsverwahrung erfassen (RegE Beg. BT-Drs. 16/6562 S. 9). Ist nach der Anlassverurteilung zu JStrafe eine Verurteilung nach allg. Strafrecht erfolgt, bei der die Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66 III StGB möglich gewesen wäre, darf nach LG Berlin NStZ 10, 96, 97 nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 7 II nicht zur späteren Korrektur einer als möglicherweise falsch erkannten rechtskräftigen Entscheidung angeordnet werden. Die Tatsachen müssen schon für sich Gewicht haben und ungeachtet der notwendigen Gesamtwürdigung auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten hindeuten (BGH 50, 284; BGH StV 07, 29, 30 jeweils zu § 66 b StGB aF). Sie müssen in einem prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen (BGH 50, 275, 276; 51, 191, 197 f jeweils zu § 66 b StGB aF). Eine Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Vollzugs der JStrafe muss eine äußerst ungünstige Kriminalprognose ergeben: Es müssen Straftaten der in Abs. II bezeichneten Art zu befürchten sein; die Gefahr weniger schwerer Taten reicht nicht. Und die Gesamtwürdigung muss die hohe Wahrscheinlichkeit erneuter Straftaten dieser Art ergeben. Nach BVerfG NJW 11, 1931, 1933 darf die Unterbringung nur noch angeordnet werden, wenn eine hochgradige Gefahr
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schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung iSv § 1 I Nr. 1 des Therapieunterbringungsgesetzes (ThUG) vom 22. 12. 2010 (BGBl. I 2300, 2305) leidet. Damit werden hohe Anforderungen an die Rückfallprognose gestellt. Es reicht nicht aus, wenn nur überwiegende Umstände auf eine künftige Delinquenz des Verurteilten hindeuten (BGH NJW 10, 1541; BVerfG NJW 06, 3483 zu § 66 b StGB aF). Ein Rückfall muss vielmehr deutlich wahrscheinlicher sein als eine Legalbewährung (LK/Rissing-van Saan/Peglau § 66 b StGB 140), sodass der Rückfall in hohem Maße zu befürchten ist. Erforderlich ist eine konkrete, auf den Einzelfall bezogene hohe Wahrscheinlichkeit; eine bloß abstrakte, auf statistische Wahrscheinlichkeiten gestützte Prognoseentscheidung reicht nicht aus (BVerfG NJW 06, 3483). Von dem Betroffenen muss eine gegenwärtige Gefahr ausgehen (BVerfG aaO). Das Vorliegen eines Hanges verlangt das Gesetz nicht (BGH NJW 10, 1540; LG Regensburg ZJJ 09, 383; aA LG Berlin NStZ 10, 97; Ullenbruch NJW 08, 2614). Erforderlich ist aber nach dem BVerfG eine psychische Störung iSd ThUG. Diese muss nach BGH NStZ 11, 453, 454 nicht zu einer Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit nach §§ 20, 21 StGB führen und kann in einer Persönlichkeitsstörung liegen. 18 Liegen die genannten Voraussetzungen vor, steht die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts („kann“). Insoweit kann die Überlegung eine Rolle spielen, ob mildere Mittel wie Führungsaufsicht und Entlassungshilfe zur Eindämmung der Rückfallgefahr ausreichen (LG Regensburg ZJJ 09, 383; Lackner/Kühl § 66 b StGB 14). 19 Nach Abs. III kann Sicherungsverwahrung angeordnet werden, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67 d VI StGB wegen Nichtbestehens des die Schuldfähigkeit ausschließenden oder vermindernden Zustandes für erledigt erklärt worden ist (zu § 67 d VI StGB s. Fischer § 67 d StGB 23 ff; HK-GS/Braasch § 67 d StGB 15 ff). Voraussetzung ist nach Abs. III Nr. 1, dass der Betroffene wegen mehrerer Taten iSv Abs. II nach § 63 StGB untergebracht wurde oder dass die Unterbringung wegen einer solchen Tat erfolgte und der Betroffene wegen einer oder mehrer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer JStrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder nach § 63 StGB untergebracht wurde. Außerdem muss nach Abs. III Nr. 2 eine ungünstige Prognose iSv Abs. II vorliegen. Auch die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach Abs. II ist eine Ermessensentscheidung. 20 Die gerichtliche Zuständigkeit für die Entscheidung nach Abs. II und III und das Verfahren sind in § 81 a geregelt. 21 Abs. IV sieht eine Frist von einem Jahr zur regelmäßigen Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vor. Das BVerfG (NJW 11, 1931, 1934) hat diese Frist auf 6 Monate festgelegt. Die Fortdauer der Unterbringung darf nur unter den Voraussetzungen der Rn 17 angeordnet werden. 22 Nach § 82 III richten sich die Vollstreckung der Unterbringung und die Zuständigkeit hierfür nach den Vorschriften der StPO, wenn der Betroffene das 21. Lebensjahr vollendet hat.
§ 8 Verbindung von Maßnahmen und Jugendstrafe § 8 Verbindung von Maßnahmen und Jugendstrafe (1) Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel, ebenso mehrere Erziehungsmaßregeln oder mehrere Zuchtmittel können nebeneinander angeordnet werden. Mit der Anordnung von Hilfe zur Erziehung nach § 12 Nr. 2 darf Jugendarrest nicht verbunden werden. (2) Der Richter kann neben Jugendstrafe nur Weisungen und Auflagen erteilen und die Erziehungsbeistandschaft anordnen. Steht der Jugendliche unter Bewährungsaufsicht, so
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ruht eine gleichzeitig bestehende Erziehungsbeistandschaft bis zum Ablauf der Bewährungszeit. (3) Der Richter kann neben Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln und Jugendstrafe auf die nach diesem Gesetz zulässigen Nebenstrafen und Nebenfolgen erkennen. 1. Hw.-J: § 105 I; Rn 7 aE. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1; § 9, 7. – 3. Sold. ErzHilfe § 112 b, 2.
Regel ist, dass die verschiedenen Reaktionsmittel des JGG nebeneinander verhängt werden 1 können (Abs. I 1, II, III). Erst dadurch kann oft der erz. beste Erfolg erzielt werden, bes. wenn sühnende und rein erz., zur Ordnung rufende mit länger erz. einwirkenden Maßnahmen gekoppelt werden. Auch kann eine Maßnahme erst die Voraussetzung schaffen und den Boden bereiten für eine andere, die allein keine Aussicht auf Erfolg bieten würde (Grethlein NJW 57, 1462). Allerdings darf der J nicht überfordert werden und gilt nicht der Grundsatz „umso mehr Reaktionsmittel, desto besser“ (krit. zur Koppelung von Sanktionen Eisenberg 3; für einen restriktiven Gebrauch von Kombinationsmöglichkeiten Ostendorf 7). Zur „Vorbewährung“ § 57, 4. Einige Kombinationen sind wegen unvereinbarer Zielsetzungen verboten, und zwar auch 2 dann, wenn in einem Verfahren mehrere Taten abgeurteilt werden (§ 31 I 2): ErzBeistandschaft und Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2; – Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 und JA (Abs. I 2); Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 und JStrafe (Abs. II); – JStrafe und JA (Abs. II); – JStrafe und Verwarnung (Abs. II) dürfen nicht gleichzeitig verhängt werden (OLG Schleswig bei Döllel/Dreeßen SchlHA 04, 261). Dieses Koppelungsverbot gilt nur für die gleichzeitige Verhängung. Der JRichter kann aber 2 a alle diese Maßnahmen nebeneinander bestehen lassen, wenn in verschiedenen Verfahren auf sie erkannt worden und das Nebeneinander erz. zweckmäßig ist (§§ 31 II, III, 66 I; vgl. § 31, 21), weil nicht verbunden werden muss (BGH 10, 101). Der JRichter kann auch auf JA (nicht auf JStrafe; vgl. § 53; der ErwRichter kann auch das: § 104 IV, § 53 RL 3) erkennen und dem Familiengericht daneben die Verhängung erz. Maßnahmen gem. § 53 überlassen, der dann auch Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 anordnen darf, wenn das Verfahren gem. § 53 nicht nur der Umgehung des Koppelungsverbotes dient (Potrykus B 2). Denn die Übertragung nach § 53 entspricht der Anordnung von Weisungen (abl. Ostendorf 6: „Trick“; DSS/Diemer 4; Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit bei Eisenberg 16). Die Gewährung von Hilfe zur Erz. nach § 34 SGB VIII oder Maßnahmen des Familiengerichts hindern die Anwendung aller Reaktionsmittel des JStrafrechts nicht (Potrykus B 2 letzter Abs.; Roestel Zbl. 67, 10; aA Heinen BewH 55/56, 233, wenn Fürsorgeerziehung [aF] allein oder ua wegen der gleichen Tat angeordnet ist; ohne Grundlage im Gesetz). Zum Koppelungsverbot bei der Aussetzung der Verhängung der JStrafe nach § 27 und zum Ein- 3 stiegs- oder Warnschussarrest s. dort Rn 12–16. Über das gesetzliche Verbot hinaus ist die Kombination in folgenden Fällen meist unzweckmä- 4 ßig: Weisungen und Auflagen neben Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2, da diese die umfassendere Maßnahme ist; – Verwarnung neben JA, da dieser die in der Verwarnung liegende Missbilligung in viel schärferer Form enthält; – ErzMaßregeln und Zuchtmittel neben vollstreckbarer JStrafe, da grds. erst deren Erfolg abgewartet werden sollte. Doch kann z. B. die Verpflichtung, den Schaden gutzumachen, neben JStrafe von 6 Monaten angebracht sein (abl. Böhm JR 89, 298). Der JRichter soll sich im gesetzlichen Rahmen von jedem Schematismus freihalten und nur dar- 5 auf achten, was im Einzelfall geboten ist; er wird dabei immer wieder von allg. Grundsätzen abweichen müssen. Dies gilt bes. bei JStrafe, deren Vollstreckung ausgesetzt ist; zwar ist diese ech-
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te JStrafe (§ 21, 2), doch unterscheidet sie sich von dieser nicht unbeträchtlich nach Anordnung, Bedeutung und Wirkung (Jagusch JZ 53, 688; Grethlein NJW 57, 1463). 6 Die gem. Abs. II 2 ruhende ErzBeistandschaft lebt nach dem Ende der BewZeit wieder voll auf, wenn sie nicht inzwischen aufgehoben worden oder erloschen ist. 7 Während die Verbindungsmöglichkeit bei Nebenstrafen und Nebenfolgen unbeschränkt ist (Abs. III), erwähnt das JGG die Koppelung der Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht. Sie ist in § 72 StGB geregelt. Bei den volljährigen Hw. können von den ErzMaßregeln nur Weisungen angeordnet werden.
Zweiter Abschnitt Erziehungsmaßregeln § 9 Arten § 9 Arten Erziehungsmaßregeln sind 1. die Erteilung von Weisungen, 2. die Anordnung, Hilfe zur Erziehung im Sinne des § 12 in Anspruch zu nehmen. 1. Hw.-J: hinsichtlich Nr. 1: § 105 I. – 2. [Hw.]: hinsichtlich Nr. 2, 3: § 105 I. – 3. ErwG: Rn 8; § 104 I Nr. 1, IV. – 4. Sold. § 112 a Nr. 1, 2; Rn 7. Richtlinie zu § 9: Wegen der Eintragung in das Zentralregister und das Erziehungsregister wird auf § 5 Abs. 2 und § 60 Abs. 1 Nr. 2 BZRG hingewiesen.
1 StAe und JRichter haben bis 1990 – auch außerhalb der informellen Maßnahmen der §§ 45, 47 – deutlich vermehrt auf ErzMaßregeln erkannt. Sie verwirklichen den das JGG durchziehenden ErzGedanken auch damit, dass sie ambulante Maßnahmen, wo auch immer zu verantworten, vorziehen. So waren 1955 ErzMaßregeln bei 1126 = 2% der nach JRecht Verurteilten die schwerste Maßnahme (Heinz MKrim. 87, 140) und 1990 bei 14. 978 = 19% (berechnet nach Stat. BA 1990 S. 40 f). Der Rückgang auf 8.787 = 8% im Jahr 2009 (berechnet nach Stat. BA S. 88 f einschließlich neue Bundesländer) beruht darauf, dass aufgrund des 1. JGGÄndG seit 1991 Arbeitsleistungen auch als Auflage verhängt werden können. 2009 standen bei den Verurteilungen 24% stationären Sanktionierungen 76% ambulante Rechtsfolgen gegenüber (berechnet nach Stat. BA S. 278 ff). 1 a Die ErzMaßregeln führt § 9 abschließend auf. Bei Hw. sind hiervon nur Weisungen (Nr. 1) zulässig (§ 105 I), da sie volljährig sind. Auch das Familiengericht ist, wenn es nach § 53 tätig wird, an diesen Katalog gebunden (§ 53, 7), sonst dagegen nicht (§ 53, 10). – Den ErzMaßregeln sehr ähnlich ist die Ermahnung (§ 45 III). Andere Maßnahmen zur Erz. kann der JRichter nur nach § 3 S. 2 (Maßnahmen des Familiengerichts) oder im Rahmen der §§ 45, 47 („erz. Maßnahmen“) anordnen. – Zu Abgrenzungsfragen Rn 3 u. § 5, 3, 6. Wegen des Verhältnisses der ErzMaßregeln zu den familiengerichtlichen Maßnahmen des bürgerlichen Rechts s. § 53, 10. 2 Die Anordnung von ErzMaßregeln setzt Schuldfähigkeit iSd der §§ 3 und 20 StGB voraus (Eisenberg 8; Ostendorf 5). Dies ergibt sich aus § 3 S. 1 im Vergleich mit S. 2, der von Maßnahmen des
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Familiengerichts, nicht von ErzMaßregeln spricht, und aus § 5 I im Gegensatz zu „Verfehlung“ in § 1 I (§ 5, 3; § 1, 1; Dallinger/Lackner 12; Streng S. 168; aA Potrykus B 5). ErzMaßregeln werden aus Anlass der Straftat eines J angeordnet (§ 5 I). Daraus folgt: Sie dienen 3 der Erziehung. Deshalb müssen ErzBedürftigkeit und ErzFähigkeit für die ErzMaßregeln des JGG bestehen. Wolf (S. 45) betrachtet zu Unrecht beide nur als je ein anderes Wort „für das Ausreichen bzw. Nichtausreichen“ der ErzMaßregel. – Ein einmaliger Streich eines sonst integrierten J kann ErzMaßregeln idR nicht rechtfertigen, weil er der Erz. nicht bedürftig ist. – Die ErzMaßregeln des JGG müssen gerade bei diesem Täter Erfolg versprechen, sie müssen „ausreichen“ (§ 5 II); so kann ein verwahrloster straffälliger J im Hinblick auf ErzMaßregeln nicht erzfähig, wohl aber erzbedürftig sein (vgl. § 17, 21). Die in Betracht kommende ErzMaßregel muss sowohl der ErzBedürftigkeit als auch der ErzFähigkeit dieses Täters entsprechen. ErzMaßregeln sind also nicht anzuordnen, wenn ErzBedürftigkeit nur für Weisungen oder ErzBeistandschaft gegeben ist, diese aber nicht ausreichen (also insoweit die ErzFähigkeit fehlt), oder wenn eine ErzFähigkeit hinsichtlich Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 vorhanden wäre, diese jedoch nicht erforderlich ist (also insoweit die ErzBedürftigkeit fehlt). Ist eine erz. Einflussnahme wegen erkennbaren Widerstands des J nicht möglich, so darf eine ErzMaßregel nicht angeordnet werden (vgl. § 10, 16 aE; zust. Ostendorf 6; Eisenberg § 5, 13 zählt ErzWilligkeit zu den Voraussetzungen). – Auch wenn JStrafe wegen der Schwere der Schuld verhängt werden muss (§ 17 II), scheiden ErzMaßregeln meist aus (vgl. § 8 II S. 2). Die Erziehungsmängel müssen in der Straftat ihren Ausdruck gefunden haben („aus Anlass 4 der Straftat“). Denn der JRichter erzieht nicht um der Erz. willen (Einf. II 10). Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 kann deshalb in JStrafverfahren weder gegen ein sexuell verwahrlostes Mädchen nach einer mit der Verwahrlosung nicht in Zusammenhang stehenden Fahrlässigkeitstat noch gegen einen desintegrierten J aus Anlass einer einfachen Verkehrsübertretung angeordnet werden (Eisenberg 9; Blau MDR 58, 731 u. Zbl. 59, 117). Diese ErzMängel müssen mit ihnen angemessenen Mitteln bekämpft werden. Die ErzMaßregeln dienen nicht der Schuldvergeltung oder Sühne („aus Anlass der Straftat“), 5 sondern der Erz. (BVerfG NStZ 87, 275). Es ist deshalb unzulässig, ErzMaßregeln anzuordnen, um so die Tat zu sühnen. Das bedeutete aber nicht, dass die ErzMaßregeln keine sühnende Wirkung haben dürften (ebenso Blau Zbl. 59, 121; Böhm/Feuerhelm S. 178, 179 f.; Eckert Zur systematischen Zuordnung jrechtlicher Interventionen, Diss. Köln 1978 S. 137; Miehe Die Bedeutung der Tat, 1964 S. 45; auch Itzel S. 68 mwN FN 308, 317); das verkennen Goebel NJW 54, 15; Ostendorf 6 u. Eisenberg JR 87, 487. Denn bei der Erz. kann die Tat, die für alle Rechtsfolgen des JGG eine bedeutsame Funktion hat (Hermann/Wild MKrim. 89, 16), nicht außer Acht gelassen werden, in der ja auch die ErzMängel zum Ausdruck gekommen sind. Es ist ein erz. Anliegen, dem Täter klarzumachen, was er angerichtet hat, und sein Verantwortungsgefühl zu schärfen (Einf. II 8; vgl. zur Arbeitsweisung § 10, 9 b). Der Täter selbst wird die ErzMaßregel idR als Reaktion auf sein Fehlverhalten begreifen; denn nur um seiner Tat willen steht er vor Gericht und wird schuldig gesprochen. So tragen alle in § 10 I genannten Weisungen auch repressiven Charakter (Einf. II 9), weil immer dem Täter unter Bezug auf die Tat Beschränkungen auferlegt werden. Schließlich räumt auch Eisenberg (§ 10, 6) ein, dass „jede im Anschluss an ein erfasstes Verhalten verhängte jstrafrechtliche Rechtsfolge . . . als negative Sanktion empfunden wird und damit möglicherweise insgesamt aversiv erlebt wird“. Sein Rat allerdings (aaO) „zusätzl. negativ sanktionierende Inhalte zu vermeiden“, kommt den von Pfeiffer (Kriminalprävention im JGerichtsverfahren, 1983 S. 79, 82) gerügten „sprachlichen Beschönigungsversuchen“ recht nahe. Auch Itzel (S. 87, 88) hält nichts davon, auf einen „postulierten (straffreien) Charakter der Weisungen“ abzustellen. Vgl. auch § 23, 1. Solange der ErzGedanke der vorherrschende ist, die Auswahl um der Erz. willen und nicht um der Sühne willen erfolgt, steht eine mittelbare Sühnewirkung der Verhängung nicht im Wege, solange die angeordnete ErzMaßregel nicht außer
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Verhältnis zur geahndeten Tat steht (vgl. Einf. II 10; Blau Zbl. 59, 116 ff; Itzel S. 60 mwN FN 256, 257). Der zusätzliche Strafcharakter der Weisungen kann nicht geleugnet werden (Bietz ZRP 81, 213; Dallinger/Lackner 2; Potrykus B 1; § 10 B 1; Schaffstein/Beulke S. 106; Vins UJ 55, 97). Die Beachtung des Sühnegedankens wird aus erz. Gründen auch bei den ErzMaßregeln sogar gefordert werden müssen (Einf. II 10). – Wie es allerdings erz. vertretbar, ja geboten sein kann, von der Strafverfolgung überhaupt abzusehen (§§ 45, 47), können auch ErzMaßregeln ohne jeden repressiven Charakter angebracht sein, etwa die heilerz. Behandlung (§ 10 II; § 10, 15). Bei solchen Weisungen wird aber auch zu überlegen sein, ob nicht dem Gedanken der Schuldvergeltung im Interesse der Erz. durch die zusätzliche Verhängung von Zuchtmitteln Rechnung getragen werden sollte. 6 Die Voraussetzungen, ErzMaßregeln anzuordnen, sind öfter gegeben als die Praxis annimmt. Sie können wegen ihrer reichen Auswahl den Erfordernissen des Einzelfalles schon bei der Anordnung am besten angepasst und später bei veränderten erz. Situationen abgeändert werden (§ 11 II; § 10, 1). 7 Bei Hw. sind von den ErzMaßregeln nur die Weisungen anwendbar; § 105 I, näher Einf. II 11 zu BVerfGE 22, 180; § 12, 8; § 53, 1; § 105, 20; § 109, 4. 8 Das ErwGericht kann die erforderlichen (§§ 5, 104 I Nr. 1) ErzMaßregeln nicht selbst anordnen, sondern muss Auswahl und Anordnung dem Familiengericht überlassen (§ 104 IV; § 53 RL 3 S. 1). Hält das ErwGericht jedoch gegen einen Hw. Weisungen für erforderlich, so muss es deren Anordnung und Auswahl dem JRichter überlassen, in dessen Bezirk sich der Hw. aufhält (§ 112 S. 1 u. 3; § 104, 9). 9 Wegen der Urteilsformel § 54, 4; wegen des ErzRegisters § 60 I Nr. 2 BZRG. 10 Zu den Hilfen zur Erz. nach dem SGB VIII insbes. § 10, 14 b; § 12; § 38, 4 d u. 19 b; § 45, 19 a.
§ 10 Weisungen § 10 Weisungen (1) Weisungen sind Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. Der Richter kann dem Jugendlichen insbesondere auferlegen, 1. Weisungen zu befolgen, die sich auf den Aufenthaltsort beziehen, 2. bei einer Familie oder in einem Heim zu wohnen, 3. eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle anzunehmen, 4. Arbeitsleistungen zu erbringen, 5. sich der Betreuung und Aufsicht einer bestimmten Person (Betreuungshelfer) zu unterstellen, 6. an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen, 7. sich zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-OpferAusgleich), 8. den Verkehr mit bestimmten Personen oder den Besuch von Gast- oder Vergnügungsstätten zu unterlassen oder 9. an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen. (2) Der Richter kann dem Jugendlichen auch mit Zustimmung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters auferlegen, sich einer heilerzieherischen Behandlung durch einen Sachverständigen oder einer Entziehungskur zu unterziehen. Hat der Jugend-
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liche das sechzehnte Lebensjahr vollendet, so soll dies nur mit seinem Einverständnis geschehen. 1. Hw.-J: Rn 4; § 105 I. – 2. ErwG: §§ 104 I Nr. 1, IV; 112, S. 1, 3; § 9, 8. – 3. Sold. Rn 5; § 112 a Nr. 3 S. 1; § 112 b, 11; § 9, 7. Richtlinien zu § 10: 1. Die Lebensführung gestaltende Gebote sind Verboten im Allgemeinen vorzuziehen. Eine Weisung wird in der Regel besonders wirksam sein, wenn das auferlegte Verfahren in einem inneren Zusammenhang mit der Tat steht. 2. Die Weisung, sich einem Betreuungshelfer zu unterstellen (§ 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5) wird auch im Hinblick auf die damit für den Jugendlichen verbundenen Belastungen und den personellen und zeitlichen Aufwand im Bereich der Jugendgerichtshilfe bei geringfügigen Verfehlungen* nicht in Betracht kommen. Gegenüber Jugendlichen wird die Maßnahme nur sinnvoll sein, wenn die Erziehungsberechtigten zustimmen. Kommt eine Anordnung der Maßnahme in Betracht, so empfiehlt es sich, frühzeitig mit der Jugendgerichtshilfe Verbindung aufzunehmen. Auf § 38 Abs. 2 Satz 7 und § 38 Abs. 3 Satz 2 sowie die Richtlinien dazu wird hingewiesen. Die Person des Betreuungshelfers ist möglichst genau zu bezeichnen. Im Verfahren nach § 45 ist die Weisung nicht zulässig (vgl. § 45 Abs. 3 Satz 1). 3. Auch bei der Weisung, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen (§ 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6), handelt es sich um eine verhältnismäßig aufwendige Maßnahme, die für den Jugendlichen je nach struktureller und zeitlicher Gestaltung der Kurse mit nicht unerheblichen Belastungen verbunden sein kann. Nr. 2 Satz 1, 3 und 6 gilt entsprechend. Die Weisung, an anderen Formen sozialer Gruppenarbeit teilzunehmen, wird durch § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 nicht ausgeschlossen. 4. Der Täter-Opfer-Ausgleich (§ 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7) verdient im gesamten Verfahren Beachtung (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 2, § 45 Abs. 3 Satz 1, auch in Verbindung mit § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3, § 23 Abs. 1 Satz 1, § 29 Satz 2 und § 88 Abs. 6 Satz 1). Besondere Bedeutung kommt ihm in Verbindung mit dem Verfahren nach § 45 Abs. 2 zu. Nr. 2 Satz 3 gilt entsprechend. Er zielt darauf ab, bei dem Verletzten den immateriellen und materiellen Schaden auszugleichen und bei dem Jugendlichen einen Lernprozess einzuleiten. 5. Hinsichtlich des Versicherungsschutzes bei Arbeitsleistungen wird auf § 540 RVO hingewiesen. 6. Ist die Befolgung einer Weisung mit Kosten verbunden, sollte die Staatsanwaltschaft darauf hinwirken, dass vor Erteilung der Weisung geklärt wird, wer die Kosten trägt. Wenn der Jugendliche oder die Unterhaltspflichtigen die Kosten nicht aufbringen können, kann der Träger der Sozialhilfe oder eine andere Stelle als Kostenträger in Betracht kommen. Eine Verpflichtung dritter Stellen, die Kosten für die Durchführung einer Weisung nach § 10 Abs. 2 zu übernehmen, kann sich aus dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (§§ 91, 92 SGB VIII) und dem Bundessozialhilfegesetz (subsidiäre Krankenhilfe nach § 37 BSHG, Eingliederungshilfe nach § 39 BSHG nebst Eingliederungshilfe-VO, Gefährdetenhilfe nach § 72 BSHG) ergeben. Bei Zuständigkeitsüberschneidungen kann durch das Zusammenwirken der in Betracht kommenden Kostenträger sichergestellt werden, dass keine Lücken in der Kostenträgerschaft entstehen (z. B. bei kombinierten Behandlungsmethoden). 7. Vor der Erteilung von Weisungen sind die Vertreter der Jugendgerichtshilfe zu hören (§ 38 Abs. 3 Satz 3). 8. Die Staatsanwaltschaft wirkt darauf hin, dass das Gericht den Jugendlichen über die Bedeutung der Weisungen und Folgen schuldhafter Zuwiderhandlung (§ 11 Abs. 3 Satz 1) belehrt und diese Belehrung in der Niederschrift über die Hauptverhandlung vermerkt oder sonst aktenkundig gemacht wird. 9. Bevor Jugendlichen die Weisung erteilt wird, sich einer heilerzieherischen Behandlung oder einer Entziehungskur zu unterziehen, wird es in der Regel notwendig sein, einen Sachverständigen gutachterlich zu hören. Schrifttum: Zu Weisungen allg.: Bareis Verstößt § 36 a I SGB VIII gegen die richterliche Unabhängigkeit?, ZJJ 06, 11; Beulke § 36 a SGB VIII u. seine Auswirkungen auf die Sanktionspraxis der JGerichte, FS Kreuzer, 2. Aufl. 2009, S. 62; Brakhage/Drewniak „Sonst wäre ich im Knast gelandet . . .“ Die ambulanten Maßnahmen aus der Perspektive der betroffenen J, 1999; Brandt Zukunft ambulanter jstrafrechtlicher Maßnahmen vor dem Hintergrund von § 36 a SGB VIII, NStZ 97, 190; Breiholt Zulässigkeitsgrenzen strafrechtl. BewAuflagen, Diss. Hamburg 1966; Bruns Rechtsgrundlage u. Zulässigkeitsgrenzen strafrichterlicher Auflagen u. Weisungen, GA 59, 191; ders. Zur rechtsdogmatischen Problematik strafrichterlicher Auflagen, NJW 59, 1391; Bundesarbeitsgemeinschaft für ambulante Maßnahmen nach dem JRecht in der DVJJ Hrsg., Neue Ambulante Maßnahmen.
* Vgl. Anhang [= Abdruck von Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt III 3 b) und c) der Anlage 1 zum Einigungsvertrag; siehe dazu § 1, 6 c].
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Grundlagen – Hintergründe – Praxis, 2000; BMJ Hrsg., JStrafrechtsreform durch die Praxis. Konstanzer Symposium, 1989; Ça lar Neue ambulante Maßnahmen in der Reform, 2005; DVJJ-BW, Hrsg, Auffällig Kinder u. J im Spannungsfeld zwischen Erlebnispädagogik, geschlossener Unterbringung u. Therapie, 2000; Drewniak Ambulante Maßnahmen für j Straffällige, 1996; dies. Wirkungsorientierte JHilfe: Konzeptionelle Anforderungen an die ambulanten Maßnahmen für junge – so genannte – Intensivtäter, ZJJ 07, 273; dies. Ambulante Maßnahmen im JStrafrecht – Bestandsaufnahme u. Perspektiven, in DVJJ-BW, Hrsg., Ambulante Maßnahmen u. BewHilfe im JKriminalrecht, 2010 S. 21; Dünkel/Geng/Kirstein Soziale Trainingskurse u. andere ambulante Maßnahmen nach dem JGG in Deutschland, 1998; Gleumes Die Praxis der „Erz. in Freiheit“, 1961; Göbel Grenzen jgerichtlicher Weisungen, NJW 54, 15; Goerdeler Der Bundesrat verabschiedet das G zur Weiterentwicklung der Kinder- und JHilfe (KICK), JZZ 05, 315; ders. The never ending story: das Verhältnis von JHilfe u. Justiz im JStrafrecht, ZJJ 06, 4; Grasnick Die verfassungsmäßigen Schranken der Auflagen nach § 24 StGB, NJW 59, 1999; Hofbauer Die jstrafrechtlichen Weisungen u. ihre verfassungsrechtlichen Zulässigkeitsgrenzen, Diss. Würzburg 1966; Holzschuh Auflagen u. Weisungen im JStrRecht, JWohl 52, 157; Hoops/Permien Die Ambulante Intensive Begleitung (AIB) – Kurzzeit-Krisenintervention mit Dauererfolg? ZJJ 03, 145; dies. Evaluation des Pilotprojekts Ambulante Intensive Begleitung (AIB), 2003; Knögel Jugend, JRichter u. JKriminalität, NJW 58, 609; Körner Wirksamkeit ambulanter Arbeit mit delinquenten Jugendlichen, ZJJ 06, 267; dazu ZJJ 06, 275, 307; ZJJ 07, 78; Körner/Jaletzke/Jokschies „Denkzeit“. Ein sozialkognitives Einzeltraining mit delinquenten Jugendlichen, DVJJ-J 02, 60; Kremer Der Einfluß des Elternrechts auf die Maßnahmen des JGG, Diss. Mainz 1985; Kunkel Steuerungsverantwortung des JAmtes – § 36 a SGB VIII – u. eventuelle Auswirkungen auf das JStrafverfahren, ZJJ 06, 311; Maelicke Ambulante Alternativen zum JA u. JStrafvollzug, 1988; Miehe Verfassungsrechtliche Grenzen jrichterlicher Weisungen, in Schöch Hrsg., Wiedergutmachung u. Strafrecht, 1987 S. 112; Meißner Vom Aufbau zum Rückbau – ambulante sozialpädagogische Maßnahmen u. ihr Stellenwert in der JKriminalrechtspflege, ZJJ 04, 124; Mollik Jenseits von Arbeitsstunden – phantasievolle Überlegungen über „sinnvolle erz. Maßnahmen“, ZJJ 06, 71; ders. „Lesen statt Fragen“ – Der „Dresdner-Bücher-Kanon“, ZJJ 07, 301; Mrozynski Zur Problematik strafrechtlicher Weisungen, JR 83, 397; ders. Kinder- u. jhilferechtliche Fragen jstrafrechtlicher ErzMaßregeln, Zbl. 92, 445; Musiol/Nalbach Naikan u. Kunsttherapie in den Neuen Ambulanten Maßnahmen der Brücke Dachau e. V. ZJJ 10, 312; Niedersächsischer Minister der Justiz Hrsg.,, Neue ambulante Maßnahmen nach § 10 JGG in Niedersachsen, 2. Aufl. 1986; Ostendorf JHilfe und Justiz. Organisationsbedingungen einer Gesamtverantwortung, ZJJ 06, 155; Pätzold § 36 a SGB VIII und die Folgen, ZJJ 09, 238; Pfeiffer Weisungen nach § 10 – erweiterte Möglichkeiten der Hilfe im Vorfeld der JStrafe, BewH 80, 58; Potrykus Theorie und Praxis der Erz. in Freiheit, UJ 54, 437 (vgl. auch NJW 58, 821); Prelinger/Pentz Bewährungsauflagen u. Grundgesetz, JR 61, 496 u. 62, 99; Rebbe Die Möglichkeiten der Ausgestaltung jrichterlicher Weisungen, Zbl. 83, 347; Scheunemann Die Bedeutung freier Träger für ambulante Maßnahmen in der JStrafrechtspflege, 1998; Schnitzerling Die jrichterl. Weisungen gegenüber Verkehrsdelinquenten, DAR 56, 124; ders. Jugendrichterliche Weisungen u. Zuchtmittel in der Rechtsprechung, Zbl. 66, 66; Scholz Was kann, was darf die Justiz von Ambulanten Maßnahmen erwarten?, in DVJJ Hrsg., Verantwortung für Jugend, 2006 S. 267; Schwer Die Stellung der ErzBerechtigten u. gesetzlichen Vertreter im JStrafverfahren, 2004; Sommerfeld Finanzierungsnotstand der ambulanten Maßnahmen mit der Folge vermehrten Freiheitsentzugs? ZJJ 05, 295; ders. Wer steuert, wer zahlt, wer ist verantwortlich? – Kooperation JHilfe u. Justiz, in DVJJ Hrsg., Fördern Fordern Fallenlassen, 2008 S. 195; Strafrechtsausschuss der Justizministerkonferenz, Auswirkungen des § 36 a SGB VIII auf die jstrafrechtliche Sanktionspraxis, ZJJ 07, 439; Stree Deliktsfolgen u. GG, 1960; Synowiec Wirkung u. Effizienz der ambulanten Maßnahmen des JStrafrechts, 1999; Trenczek Strafe, Erz. oder Hilfe? 1996; ders. JGH: Aufgaben u. Steuerungsverantwortung, ZJJ 07, 31; ders. Steuerungsverantwortung für Leistungen der JHilfe im JStrafverfahren, in DVJJ Hrsg., Fördern Fordern Fallenlassen, 2008 S: 174; Trenczek/Drewniak Qualitätsstandards in den Neuen Ambulanten Maßnahmen, ZJJ 03, 189; Vins Weisungen u. Pflichten; von den Grenzen der jrichterl. Freiheit u. Verantwortung, UJ 55, 97; Wedler Weisungen nach § 10 I JGG u. elterliches ErzRecht, 2011; Winter Verfassungsrechtliche Grenzen jrichterl. ErzMaßregeln u. Zuchtmittel, Diss. Hamburg 1966. Arbeitsweisung: Brunner Bemerkungen zur Entscheidung des BVerfG v. 13. 1. 1987, Zbl. 87, 257; Feuerhelm Stellung u. Ausgestaltung der gemeinnützigen Arbeit im Strafrecht, 1997; Hönicke Arbeitszwang als Kriminalrechtsreaktion, 1999; Kremerskothen Arbeitsweisungen u. Arbeitsauflagen im JStrafrecht, 2001; Preis Verfassungsmäßigkeit strafrechtlicher Arbeitsauflagen, BewH 90, 159; Ruf Gemeinnützige Arbeit als Sanktion im JStrafrecht DVJJ-J 01, 63; Trenczek JStrafrechtliche Arbeitsleistungen – Grenzen der Zulässigkeit u. Beteiligung der JHilfe, ZJJ 04, 57. Betreuungsweisung: Gerhardt/Vögele Die Betreuungsweisung nach § 10 JGG, Zbl. 79, 371; Matenaer Betreuungsweisung nach § 10, Zbl. 84, 281; Schaar Die Bedeutung der Betreuungsanweisung gem. § 10, Zbl. 87, 18. Sozialer Trainingskurs: Behn/Bindel-Kögel Von der Mode zur Methode? Kritische Überlegungen zur Qualität von Anti-Gewalt-Trainings, UJ 08, 356; Bizer Kostentragungspflicht für die jrichterliche Weisung, einen Sozia-
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len Trainingskurs zu besuchen, Zbl. 92, 616; dazu Mayer Zbl. 93, 188; Busch/Hartmann/Mehlich Soziale Trainingskurse im Rahmen des JGG, 3. Aufl. 1986; Cosmai/Hein Anti-Aggressivitäts-Training mit j. Gewalttätern, BewH 06, 396; Deis-Redecker/Dölker/Mangelsdorf Gruppenprozess u. ästhetische Bildung – Herausforderung an delinquente Jugendliche, ZJJ 07, 202; Dünkel/Geng/Kirstein Soziale Trainingskurse u. andere ambulante Maßnahmen nach dem JGG in Deutschland, 1998; Frey ua Jugendarbeit mit Straffälligen. Theorie u. Praxis des sozialen Trainings, 1997; Fröhlich-Gildhoff/Beuter Anti-Gewalt-Trainings mit Mädchen – Erfahrungen mit einem geschlechtsspezifischen Angebot, UJ 08, 361; Gehring-Decker/Pfleger/Steingen Erfahrungsbericht des ersten AntiAggressivitätstrainings mit Mädchen bei der JGH der AWO Köln, ZJJ 06, 57; Hein Rechtliche Grenzen von Anti-Aggressivitäts-Training, 2007; Höynck/Ohlemacher/Sögding/Ethé/Welte Anti-Aggressivitäts-Training und Legalbewährung, RdJ 04, 540; Kraus/Rolinski Rückfall nach Sozialem Training, MKrim. 92, 32; Marx/Marx AntiGewalt-Training des Sozialen Dienstes der Justiz u. der JVA Magdeburg, BewH 06, 386; Matt Anti-GewaltTraining für Mädchen u. junge Frauen, ZJJ 09, 246; Mücke/Korn/Heitmann Gewalt verlernen – ohne Demütigung: Das Antigewalt- u. Kompetenztraining (AKT), UJ 08, 389; Palloks Cool sein auf Kommando? Konfrontative Pädagogik in der Praxis, UJ 06, 158; Piel/Schmitt Anti-Aggressionstraining der JGH des JAmtes Düsseldorf, Zbl. 01, 291; Plank Übungs- u. Erfahrungskurse in der JGH, Kriminalpäd. Praxis 83, 23; Plewig Neue deutsche Härte – Die „Konfrontative Pädagogik“ auf dem Prüfstand, ZJJ 07, 363, ZJJ 08, 52; dazu Heyder ZJJ 08, 183; Reinecke/Fuchs „ErzKurse“ RdJ 83, 359; Rempe Erfahrungsbericht über „Soziale Gruppenarbeit“ der JGH Düsseldorf, Zbl. 95, 366; Roggmann/Ebel Arbeits- u. Begegnungscamp in Russland, ZJJ 03, 277; Röskens Tatkonfrontation: Keine neue deutsche Härte, sondern sozialpädagogische Notwendigkeit – Zum „heißen Stuhl“, ZJJ 08, 279; Rzepka Anti-Aggressivitäts-Training – Anmerkungen aus verfassungsrechtlicher u. kriminologischer Sicht, UJ 04, 126; Schanzenbächer Anti-Aggressivitätstraining für Gewalttäter, 1993; Schawohl Konfrontation provoziert prosoziales Verhalten, ZJJ 03, 271; ders. Sprich mit ihnen – von Mensch zu Mensch! UJ 04, 99; Sellinger/Stiels-Glenn/Witt Konfrontative Trainings zur Gewaltprävention unwirksam, aber erfolgreich? BewH 08, 288; dies. Konfrontative Trainings zur Gewaltprävention, BewH 09, 58; Streib-Brzic/Schäfer Gender inklusive – der geschlechtsbewusste Ansatz im TESYA – Trainingskonzept zum Umgang mit Aggressionen, UJ 08, 382; Toprak Der heiße Stuhl – eine konfrontative Methode im Aufwind? Erfahrungswerte mit männlichen J aus dem türkischen Kulturkreis, DVJJ-J 02, 67; van Rennings Begleitforschungsprojekt zu sozialen Trainingskursen für j. Gewalttäter in Hamburg, DVJJ-J 03, 46; Weidner Anti-Aggressivitätstraining für Gewalttäter, 1993; Wellhöfer Soziale Trainingskurse u. JA. Versuch einer vergleichenden Erfolgskontrolle, MKrim. 95, 42. Täter-Opfer-Ausgleich: Bannenberg Wiedergutmachung in der Strafrechtspraxis, 1993; Böttcher Täter-OpferAusgleich, BewH 94, 45; Bunar Täter-Opfer-Ausgleich im JStrafrecht der Bundesrepublik Deutschland – Ein Überblick, DVJJ-J 96, 372; BMJ Hrsg., Täter-Opfer-Ausgleich. Bonner Symposium, 1991; DVJJ-BW, Hrsg., Täter-Opfer-Ausgleich u. JStrafrechtspflege, 1993; Dölling Der Täter-Opfer-Ausgleich, JZ 92, 493; ders. TäterOpfer-Ausgleich im JStrafverfahren – Ein Überblick über den Stand der Forschung, in DVJJ-Regionalgruppe Nordbayern, 25 Jahre DVJJ Nordbayern – Opferorientierung im JStrafrecht – Resozialisierung in Zeiten von Arbeitslosigkeit u. Sozialabbau, 2007 S. 33; Dölling ua Täter-Opfer-Ausgleich in Deutschland, 1998; Dölling/Hartmann/Traulsen Legalbewährung nach Täter-Opfer-Ausgleich im JStrafrecht, MKrim. 02, 185; Driebold Täter-Opfer-Ausgleich – eine Alternative? BewH 95, 82; Hartmann A. Schlichten oder Richten, 1995; v. Hasseln Vom Fremdenhass zur Toleranz – Interkultureller Täter-Opfer-Ausgleich, NJ 02, 182; Helmken Plädoyer für die flächendeckende Einrichtung von Opferfonds, ZJJ 09, 50; Kerner ua Täter-Opfer-Ausgleich im JStrafrecht, BewH 90, 169; Kerner ua (Hrsg.) Täter-Opfer-Ausgleich – auf dem Weg zur bundesweiten Anwendung? 1994; Kerner/Eikens/Hartmann Täter-Opfer-Ausgleich in Deutschland, 2011; Keudel Die Effizienz des Täter-OpferAusgleichs, 2000; Kuhn ua „Tat-Sachen“ als Konflikt, 1989; Matt Mediation statt Strafrecht? DVJJ-J 99, 44; Meier Der Täter-Opfer-Ausgleich vor dem Aus? ZJJ 06, 261; Müller-Dietz Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) in der Bundesrepublik Deutschland, BewH 92, 153; Netzig/Wandrey „Was ist drin, wenn TOA draufsteht?“ DVJJ-J 96, 6; Schimmel Täter-Opfer-Ausgleich als Alternative? 2000; Schöch Täter-Opfer-Ausgleich im JRecht, RdJ 99, 278; Schreckling Täter-Opfer-Ausgleich nach JStraftaten in Köln, 2. Aufl. 1991; Schreckling ua Bestandsaufnahme zur Praxis des Täter-Opfer-Ausgleichs in der Bundesrepublik Deutschland, 1991; Taubner Entsteht Einsicht im Täter-Opfer-Ausgleich?, MKrim. 08, 281; Wölfl Mediation im JStrafrecht, Zbl. 03, 266. Verkehrsunterricht: Bußmann/Gerhardt Die Nachschulung alkoholauffälliger Kraftfahrer als Weisung nach dem JRecht, BA 84, 117; dies. Der Alkoholverkehrstäter in der jrichterlichen Praxis, BA 84, 199 ; dies. Legalbew. junger Alkoholverkehrstäter, BA 84, 21; Thomson Verkehrserziehungskurse im Rahmen der JGH, DVJJ-J 99, 425. Heilerzieherische Behandlung: Aichhorn Verwahrloste Jugend, 1965; Bittner Psychotherapie für Kriminelle, BewH 60, 274; Demski Psychotherapeutische Behandlung als BewAuflage, NJW 59, 2100; Dührsen Psychotherapie bei Rechtsbrechern aus der Sicht des Psychiaters, NJW 61, 245; Engstler Die heilerz. Behandlung gem. § 10 II JGG in der jstrafrechtlichen Praxis, Diss. Göttingen 1985; u. MKrim. 88, 1; Hartmann Heilpädagogische
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Psychiatrie in Stichworten, 1986; Krüger Die psychotherapeutische Behandlung als Auflage im Deutschen Strafrecht, Diss. Freiburg 1964; Künzel JKriminalität u. Verwahrlosung, 5. Aufl. 1976; Minzel PraxisKinderpsychologie 1973, 131 ff; Mückenberger Die heilerz. Behandlung nach § 10 II JGG, Diss. Hamburg 1970; ders. Die Praxis der heilerz. Behandlung nach § 10 II JGG, MKrim. 71, 292; Pfeiffer Erfahrungsbericht über richterlich angeordnete heilerz. Behandlung iSd § 10 II JGG, MKrim. 60, 162; Pielmaier Verhaltenstherapie bei delinquenten J, 1979; Seeger Therapeutischer u. pädagogischer Umgang mit dissozialen J, in Deutsche Akademie für medizinische Forschung Kassel Hrsg., JKriminalität u. Resozialisierung, 1975 S. 67; Strasser Strafe u. Psychotherapie, BewH 60, 91; Stutte Indikation u. Möglichkeiten heilerz. Behandlung bei jungen Straffälligen, RdJ 59, 37; ders. Zur Frage der heilerz. Behandlung iSv § 10 II des JGG, MKrim. 56, 103; Thomann Psychotherapeutische Behandlung von Straffälligen, BewH 61, 330; Wendt Die Möglichkeiten u. Grenzen psychotherapeutischer Behandlung von erw. u. j. Rechtsbrechern, MKrim. 57, 193. Entziehungskur: Ladewig/Graw Entwicklungstendenzen Drogenabhängiger 1985; Täschner/Bloching/Bühringer/ Wiesbeck Therapie der Drogenabhängigkeit, 2. Aufl. 2010; Waldmann ua Therapeutische Prinzipien bei j. Drogenabhängigen, in Waldmann/Zander Zur Therapie der Drogenabhängigkeit, 1975 S. 36. Übersicht Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen, Gestaltung und Auswahl . . . . . 2. Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beispiele und Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betreuungsweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trainingskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Täter-Opfer-Ausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Heilerzieherische Behandlung . . . . . . . . . . . . . 5. Entziehungskur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ungehorsamsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Versicherungsschutz und Kosten der Durchführung 9. Weisungen bei Drogentätern . . . . . . . . . . . . . .
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Vorbemerkungen 1 Das Gesetz spricht zwar immer von bestimmten Weisungen, die angeordnet werden. Da aber jede Weisung aus Gründen der Erz. nachträglich geändert und durch eine andere ersetzt werden kann (§ 11 II), bedeutet die Anordnung einer Weisung nichts Endgültiges. Vielmehr wird nur ausgesprochen, dass der J durch Weisungen allg. erz. gefördert werden soll, wobei dieses Ziel zunächst durch die im Urteil ausgesprochene Weisung angestrebt wird. Erweist sich später eine andere Weisung als erz. günstiger, wird sie an Stelle jener angeordnet. Der Richter behält also freie Hand, wenn er auf Weisungen erkennt. Es kann zweckmäßig sein, das bereits im Urteilsspruch zum Ausdruck zu bringen, etwa durch folgende Fassung „. . . Zu seiner Erz. werden Weisungen angeordnet. Zunächst wird ihm die Weisung erteilt . . .“ (Grethlein S. 168). Über die Grenzen der Abänderbarkeit § 11, 2. 1.
Voraussetzungen, Gestaltung und Auswahl
2 Im Gegensatz zu den anderen Unrechtsreaktionen des JGG, die gesetzlich genau festgelegt und ausgestaltet sind, ist die Art und Ausgestaltung der Weisungen dem JRichter überlassen, der dabei im Rahmen des § 10 frei ist. Gebote und Verbote im JGerichtsurteil, die nicht in anderen Bestimmungen des JGG aufgeführt sind, sind immer zulässig, wenn sie die Voraussetzungen und Grenzen des § 10 einhalten. 2 a Ambulante Maßnahmen haben nach starkem Anwachsen in den letzten Jahren in Deutschland eine weite Verbreitung gefunden (vgl. Dünkel/Geng/Kirstein Soziale Trainingskurse u. andere
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Weisungen
§ 10
neue ambulante Maßnahmen nach dem JGG in Deutschland, 1998; dies. DVJJ-J 99, 170). In einem beträchtlichen Teil der JAmtsbezirke fehlt allerdings noch ein hinreichend differenziertes, sorgfältig konzipiertes, institutionell und finanziell abgesichertes kontinuierliches Angebot (Dünkel/Geng/Kirstein aaO). Um das erforderliche breite Angebot zu gewährleisten, kann sich der Zusammenschluss benachbarter JGerichtshilfen zu einer Arbeitsgemeinschaft empfehlen (Brings DVJJ-J 98, 55). Notwendig ist weiterhin die Entwicklung und Verwirklichung von Qualitätsstandards für ambulante Maßnahmen (vgl. dazu die „Mindeststandards“ in BAG für ambulante Maßnahmen nach dem JRecht, Hrsg., Neue Ambulante Maßnahmen, 2000 S. 407 ff; Göppner DVJJ-J 00, 277; Kessel DVJJ-J 00, 373). Wandel und Bedeutung der Weisungen zeigen sich ua darin, dass 1955 von den nach JGG Verurteilten 475 (= 1% aller Verurteilten) eine Weisung erhielten und die entsprechende Zahl 1985 22. 42 (= 19% aller Verurteilten) betrug (Heinz MKrim 87, 140). 2009 wurden bei 32. 183 Verurteilten (= 28% aller Verurteilten) Weisungen erteilt (Stat.BA S. 306 f, einschließlich neue Bundesländer). Das waren 99% aller ErzMaßregeln. Weisungen können angeordnet werden, wenn der Täter schuldfähig, erzbedürftig und erz- 3 fähig ist (§ 9, 3). Sie müssen dazu bestimmt und geeignet sein, die Lebensführung allg. oder in einzelnen Bereichen zu regeln, dadurch die Erz. zu fördern und dürfen nicht nur der Wiedergutmachung oder Sühne dienen (näher § 9, 5, auch Einf. II 10). Die Weisung muss geeignet sein (also nicht gegen den Widerstand des J, vgl. § 9, 3; Eisenberg 10), notwendig sein, dh geringfügigere Eingriffe dürfen nicht ausreichen, und schließlich muss sie angemessen sein, dh ambulante (sozialpädagogische) Maßnahmen dürfen dem J nicht die Selbständigkeit nehmen und nicht in Überbetreuung ausarten (vgl. dazu Ostendorf 7). Die Einflussnahme braucht jedoch nicht bes. gewichtig oder von längerer Dauer zu sein (vgl. Arbeitsleistungen, Verkehrsunterricht). – Die Weisungen müssen mit den Kräften des Täters ausgeführt werden können und in einem angemessenen Verhältnis zur Tat stehen (§ 9, 5), sinnvoll und einleuchtend sein und das Ehrgefühl des J schonen. Weisungen sind kein Bewährungsfeld für filmnahe Husarenritte in die Pädagogik oder Psychologie (vgl. Einf. II 8 aE). Sie sollen die Persönlichkeit des J berücksichtigen und, soweit dies zwanglos möglich ist, eine ungekünstelte Beziehung zur Tat herstellen (vgl. RL 1 S. 2, dazu aber auch die Warnung Rn 3 a). Nur dann nimmt sie der J mit der für den erz. Erfolg notwendigen Bereitschaft auf sich. Die Weisungen müssen auf die Lösung der spezifischen Probleme ausgerichtet sein, die mit der Delinquenz des J im Zusammenhang stehen. – Sie müssen klar und bestimmt (BGH B NStZ-RR 01, 321; Rn 9 c, § 11, 6), durchführbar und vor allem zu überwachen sein. Deshalb wurde zur Recht das problematische Verbot, geistige Getränke zu genießen oder zu rauchen, gestrichen (alte Nr. 6; zum Alkoholgenuss vgl. auch Rn 7). Gerade die Möglichkeit der Überwachung ist wichtig. Es leuchtet daher nicht ein, dass bei der Neufassung der RL 1994 der in der früheren RL 2 enthaltene Hinweis hierauf nicht übernommen wurde. Ebenso bedenklich sind generelle Weisungen, etwa, den Anforderungen der JGH oder anderer Personen nachzukommen, denn der JRichter darf das ihm vom Gesetzgeber überantwortete Recht, Weisungen zu erteilen, nicht übertragen. Zur wichtigen Betreuungsweisung Rn 10. Zur Dauer der Weisung § 11, 1. „Altväterliche“ Weisungen, wie der Besinnungsaufsatz ua kommen bei J nicht an (ebenso Ostendorf 22). Eisenberg 36 empfiehlt eher einen Erfahrungsbericht über die Erlebnisse der Strafverfolgung (vgl. auch Rn 7). Komplizierte oder psychologisch ungeschickte oder die Tat stupide oder nahezu hämisch ab- 3 a spiegelnde Weisungen sind bedenklich; gesuchte Originalität findet bei J kein Verständnis (Rn 11). Die Ausgestaltung der Weisungen und die – vom Richter ggf. initiierte oder überwachte – Durchführung der Weisung können und sollen den ErzEffekt wahren, vielleicht auch steigern. Bei vielen Weisungen hat es sich in der Praxis bewährt, dem J zusätzlich ins Einzelne gehende Anweisungen schriftlich in die Hand zu geben, denen zugleich die Belehrung über den Ungehorsamsarrest beigefügt wird (zust. Nothacker S. 196; vgl. zB Rn 8 a u. § 15, 12; § 11, 6). Zu Wei-
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sungen gegen junge Ausländer Einf. I 22 mit OLG Koblenz NStZ 87, 24 u. LG Freiburg JR 88, 523 mit Anm. Eisenberg. 3 b Weisungen greifen in das ErzRecht der Eltern nach Art. 6 II 1 GG ein. Eine Zustimung der Eltern zu den Weisungen ist aber nicht erforderlich, denn die Verhängung von Weisungen ist durch das staatliche Wächteramt nach Art. 6 II 2 GG und die verfassungsrechtliche Aufgabe des Staates, eine wirksame Strafrechtspflege zu gewährleisten, gerechtfertigt (BVerfGE 74, 102, 124 f; 107, 104, 115, 117, 118 ff; DSS/Diemer 12; Ostendorf 5; Streng S. 171; Walter/Wilms NStZ 04, 606; aA H. Mayer Strafrecht Allg. Teil, 1953 S. 393: Weisungen ohne elterliche Zustimmung verstoßen gegen Art. 6 GG; Böhm/Feuerhelm S. 182 f; Kremer S. 82 ff; Schwer S. 209 ff: Weisungen von größerem Gewicht bedürfen der Zustimmung der Eltern; ähnlich Eisenberg 12, 17). Das elterliche ErzRecht und die Überlegung, dass gegen den Willen der Eltern verhängte Weisungen häufig keinen Erfolg versprechen werden, gebieten es jedoch, Weisungen möglichst im Einverständnis mit den Eltern zu verhängen (Rn 20). Ist eine Weisung jedoch zur Rückfallverhinderung geboten, darf sie notfalls auch gegen den Willen der Eltern verhängt werden (nach Wedler S. 92 ff, 192 ff ist dies nur bei ErzUnfähigkeit und -unwilligkeit der Eltern zulässig). 4 Für die Auswahl spielen eine große Rolle das Alter und der Entwicklungsstand zZ der Aburteilung. Ist der Täter inzwischen erw. (s. § 105, 20), sind Weisungen, die vorwiegend die Erz. des noch in der Entwicklung stehenden J im Auge haben, bes. auf ihre Brauchbarkeit zu prüfen. Die volljährigen Hw. (Einf. II 11) dürfen nicht zum Objekt kindlicher Erziehung gemacht werden. Ein „Besinnungsaufsatz“ etwa würde wirkungslos bleiben, da ihn der Hw. als „Kinderei“ empfindet, darüber hinaus wegen der Volljährigkeit auch rechtlich unzulässig sein (Schaffstein/Beulke S. 112). Eisenberg (§ 105, 37 a) nimmt bei offensichtlich ungeeigneten Weisungen Ermessensmissbrauch des Richters an. Es wird sehr auf den Einzelfall ankommen. Bejaht man Ermessensmissbrauch, so würde die Rechtsmittelbeschränkung ausgeschaltet sein (vgl. § 55, 11; Itzel S. 12; Mrozynski JR 83, 379). Es kommen hier vor allem Maßnahmen in Betracht, wie sie gegen Erw. als BewWeisungen verhängt werden (§ 56 c II StGB); zB Beschränkungen hinsichtlich des Aufenthalts, der Benutzung eines Kfz und der Verwendung des Einkommens; Erfüllung der Unterhaltspflicht, Übernahme einer ständigen Arbeit, Unterstellung unter einen Betreuungshelfer (Rn 10), Teilnahme an einem Verkehrsunterricht. Es muss vermieden werden, dass Hw. durch Weisungen, die sie als unangemessen, als nicht mehr altersentsprechenden Eingriff empfinden, in Opposition getrieben werden. 5 Bei Soldaten sind die Besonderheiten des Wehrdienstes zu berücksichtigen (§ 112 a Nr. 3 S. 1). Anordnungen, die mit den militärischen Notwendigkeiten schlechthin unvereinbar sind, verstoßen gegen das Gesetz und sind ohne Beschränkung durch § 55 I anfechtbar (Dallinger/Lackner § 112 a, 21). So sind Weisungen, die sich auf den Aufenthaltsort beziehen (Abs. I Nr. 1, 2), die Annahme einer Ausbildungs- oder Arbeitsstelle (Abs. I Nr. 3), Arbeitsleistungen (Abs. I Nr. 4) oder Verkehrsunterricht, der nicht mehr nur ein polizeilicher zu sein braucht (Abs. I Nr. 9) oder eine heilerz. Behandlung (Abs. II) anordnen, nicht oder nur selten angebracht (Potrykus NJW 57, 815). Auch sonst ist die Auswahl bei Soldaten nach Art und Umfang durch die zwingend vorgeschriebene Berücksichtigung des Wehrdienstes sehr beschränkt (Potrykus aaO). Betreuungshelfer nach Abs. I Nr. 5 sollten grds. Soldaten sein (§ 112 a Nr. 4 entsprechend). – Vor der Anordnung von Weisungen soll der nächste Disziplinarvorgesetzte gehört werden (§ 112 d, 1). Vgl. auch § 112 a, 3. 2.
Grenzen
6 Weisungen sind unzulässig, wenn sie die Grenzen überschreiten, die der staatlichen Strafgewalt durch die Verfassung gezogen sind: Insbes. kommen hier in Betracht die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG), die freie Meinungsäußerung (Art. 5 GG), die Koalitionsfreiheit (Art. 9
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§ 10
GG; dazu Rn 10) und die freie Berufswahl (Art. 12 GG, der auch die Ausbildungsstätte einbezieht; dazu Rn 10; OLG Hamm NStZ 85, 310; LG Hannover RdJ 62, 13; BVerfG NStZ 81, 21 zu § 68 b StGB). Weisungen sind aber auch unzulässig, wenn sie gegen das Sittengesetz verstoßen. Danach ist zB unzulässig die Weisung, einem bestimmten Verein beizutreten (nicht aber: irgendeiner JGruppe beizutreten oder aus einem die Erz. gefährdenden Verein auszutreten, was 1 durch unmittelbare Gefährdung des J begründet sein kann). Auch eine Weisung, für 1 /2 Jahre die Oberschule zu verlassen, ist abzulehnen (LG Hannover SjE F 2 S. 81; Dallinger/Lackner 24; Potrykus B 3). Stets muss sich der JRichter hüten, die seinem Richteramt gezogenen Grenzen zu überschreiten; er darf nicht vergessen, dass „er kein Kindergärtner ist“ (Maurach/Gössel/Zipf S. 712; vgl. Einf. II 10; s. auch BVerfG bei § 7, 8 aE). Weisungen sind schließlich auch unzulässig, wenn sie in ihrer Wirkung bes. Einschränkungen einer anderen gesetzlichen Vorschrift umgingen, zB den Ausschluss des Berufsverbots (§ 70 StGB) in § 7 durch die Weisung, einen bestimmten Beruf aufzugeben (vgl. Schaffstein/Beulke S. 110). Um Fehlentwicklungen zu steuern, darf die Weisung jedoch in Persönlichkeitsrechte eingreifen (vgl. OLG Zweibrücken JR 90, 122 in Rn 14 a aE). Abs. I 2 normiert, dass Weisungen an die Lebensführung des J keine unzumutbaren Anforde- 7 rungen stellen dürfen (vgl. dazu Rn 22 a). Weisungen dürfen insbes. nicht gegen uneinschränkbare Grundrechte verstoßen, nicht einen so einschneidenden Eingriff in die Lebensführung enthalten, dass sie nicht zumutbar sind. Der Einzelne muss stets nur die Schranken seiner Handlungsfreiheit auf sich nehmen, welche der Gesetzgeber zur Förderung des sozialen Zusammenlebens zieht (BVerfGE 4, 16; Mrozynski JR 83, 398). Unzumutbar sind schon Weisungen, welche die körperlichen (zB Arbeit) oder geistigen Kräfte (zB Besinnungsaufsatz; dazu auch Rn 4 aE) überbeanspruchen (Schaffstein/Beulke S. 110). Das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 20. 3. 1984 – 3 Ws 68 u. 159/84) hat die Weisung an einen Erw., sich jeglichen Alkoholgenusses zu enthalten, als zumutbar bezeichnet; der Hebel müsse an der Stelle angesetzt werden, wo die kriminogenen Faktoren sitzen. Wie aber soll dies kontrolliert werden? Vgl. Rn 3. Der das JGG beherrschende ErzGedanke unterstreicht die Forderung der Zumutbarkeit, welche §§ 56 b I 2, 56 c I 2 StGB auch für die Auflagen und Weisungen an den erw. Verurteilten normieren. Dieser Grundsatz ist damit zugleich für die BewAuflagen gem. § 23 JGG festgelegt, da diese in den Formen der §§ 10, 15 erteilt werden (§ 23, 2). 3.
Beispiele und Einzelheiten
Abs. I 3 bringt Beispiele, die dem JRichter bewährte Weisungen vor Augen stellen, ihn aber 8 nicht hindern, in den in Rn 3–7 aufgezeigten Grenzen und unter Beachtung von Rn 3 a andere erz. Weisungen zu „erfinden“. Die in Nr. 1 und 2 genannten Weisungen, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten oder ihn zu meiden oder bei einer Familie oder in einem Heim zu wohnen, bedürfen nicht unbedingt der Zustimmung der Eltern (Rn 3 b). Die Kostenübernahme sollte geklärt sein (vgl. RL 6; Rn 22 a). Die Weisung der Heimunterbringung ist unbeschadet einer Heranziehung zu den Kosten nach §§ 91 ff SGB VIII nicht unzumutbar, wenn dem J Eingliederungshilfe nach SGB VIII gewährt wird (OLG Hamm NStZ-RR 04, 151). Die Koppelung mit Weisung nach Nr. 3 kann sich empfehlen. Die Anordnung eines elektronisch überwachten Hausarrestes kommt allenfalls iVm einer Strafaussetzung zur Bew. in Betracht (§ 23, 2; für Unzulässigkeit einer solchen Weisung im Rahmen des § 10 Ostendorf ZRP 97, 475; Hudy DVJJ-J 98, 154). Die Weisung Nr. 3, eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle anzunehmen, wird von Art. 12 GG 8 a eingegrenzt und darf deshalb den J gegen seinen Willen nur anweisen, irgendeine, also nicht eine bestimmte Arbeitsstelle anzutreten oder beizubehalten (Rn 6; LG Würzburg NJW 83, 463). Die Weisung, eine sozialversicherungspflichtige Arbeit anzunehmen, ist zulässig (BVerfG NStZ 81, 21); vgl. § 23, 2 aE. Das BVerfG (NJW 83, 442) hat keine Verletzung der Grundrechte oder
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ihnen gleichgestellter Rechte darin gesehen, dass das LG Würzburg (NJW 83, 463) eine hw. Schwangere im Wege einer BewWeisung angewiesen hat, sich nach der Entbindung um eine versicherungspflichtige Tätigkeit zu bemühen. Bei Arbeitslosigkeit (Einf. I 47) hat es sich bewährt, den J mit der Weisung, eine versicherungspflichtige Arbeit aufzunehmen, zusätzlich schriftlich anzuweisen, sich beim zuständigen Arbeitsamt (genau bezeichnet) zu melden, die dort gegebenen Meldetermine einzuhalten, seine Bemühungen dem Gericht nach 4 Wochen auf einem beigefügten Kontrollblatt (Abstempelung durch Arbeitsamt) nachzuweisen und die Aufnahme der Arbeit mitzuteilen. Dem sollte die Belehrung über den Ungehorsamsarrest hinzugefügt werden (§ 11, 6). Die Weisung, den Arbeitsplatz und die Wohnung nicht ohne Zustimmung des Gerichts oder eines Helfers zu wechseln, verstößt nicht gegen die Grundrechte der Berufsfreiheit und der Freizügigkeit (BVerfG NStZ 81, 22 für ErwRecht), da das Interesse der Allgemeinheit an der Resozialisierung des Täters ein überragendes Gemeinschaftsgut ist, das gesetzliche Einschränkungen dieser Grundrechte rechtfertigt (ebenso OLG Hamm MDR 85, 692). 9 Die Weisung, (gemeinnützige; vgl. Rn 9 b aE) Arbeitsleistungen zu erbringen (Nr. 4), dient der Praxis insbes. in Verwirklichung des ErzGedankens als problemorientierte präventiv wirksame Hilfsmaßnahme der Verlagerung von stationären auf ambulante Sanktionen (vgl. Heinz MKrim. 87, 137; Pfeiffer BewH 89, 196). Sie hat sich bewährt. Die zahlreichen Diversionsmodelle (vgl. BMJ, Hrsg., „Diversion“ im deutschen JStrafrecht, 1989) lassen durchaus über „erz. Wildwuchs“ (Heinz in ders., Hrsg., Rechtstatsachenforschung heute, 1986 S. 76) nachdenken, aber sie bieten doch weithin die erforderlichen Hilfen zur Durchführung der Arbeitsweisung (s. M. Steinhilper in Nds. Minister der Justiz, 1986 S. 13 ff). 9 a Mit der Arbeitsweisung können delinquenzfördernde Schwächen des J im Arbeitsbereich angegangen werden. Er kann seine Fähigkeiten und Grenzen kennen lernen, Durchhaltevermögen erwerben und es können etwa durch ein Bewerbungstraining die Chancen auf einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz erhöht werden (Meißner DVJJ-J 96, 371). Insoweit ist die sozialpädagogische Begleitung der Arbeitsleistung angezeigt (Meißner aaO; Lehnhoff/Wunsch DVJJ-J 99, 70). Teilweise wird die Arbeitsweisung nur für zulässig gehalten, wenn durch sie die Einstellung zur Arbeit beeinflußt werden soll (BGH H MDR 76, 634; KG JR 65, 29; BayObLG StV 84, 354; OLG Karlsruhe Justiz 88, 488; Dallinger/Lackner 9; Lackner JR 65, 30; Eisenberg 10, 20; Ostendorf 12). Mit Böhm/Feuerhelm S. 185; Arloth StV 84, 255 und Winter Verfassungsrechtliche Grenzen jrechtlicher ErzMaßregeln, 1966 S. 153 ist jedoch an der Meinung festzuhalten, dass mit der Arbeitsweisung J und Hw. auch allg. erz. beeinflusst werden dürfen und können. Nach dem BVerfG ist diese Ansicht „aus verfassungsrechtlicher Sicht jedenfalls nicht unvertretbar“ (BVerfGE 74, 102 = NStZ 87, 502 [LS] mit zust. Anm. Schaffstein u. Bosch FamRZ 87, 566; zust. Brunner Zbl. 87, 257; krit. Anm. Ostendorf EzSt Nr. 1 zu § 10 Arbeitsleistungen). Das BVerfG hat überzeugend begründet, dass die Arbeitsweisung nicht gegen das Verbot von Arbeitszwang und Zwangsarbeit (Art. 12 II, III GG) verstößt, dass sie hinreichend bestimmt ist (Art. 103 II GG) und im Einklang mit dem Grundrecht auf allg. Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) und dem Elternrecht (Art. 6 II, III GG) steht. Im Rahmen seiner Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde hat der Präsident des BGH mitgeteilt, dass der 4. Senat im Gegensatz zum 1. Senat die Zulässigkeit der Arbeitsweisung für unverzichtbar halte, ihr Anwendungsbereich solle im Hinblick auf den das JStrafrecht beherrschenden ErzGedanken soweit wie möglich ausgedehnt werden (BVerfG aaO). Miehe (in Mußgnug, Hrsg., Rechtsentwicklung unter dem Bonner GG, 1990 S. 249, 268) entnimmt dieser Entscheidung des BVerfG die Rechtfertigung der erz. aufgefassten Arbeitsweisung aus dem Wächteramt des Staates. Für Verfassungswidrigkeit der Arbeitsweisung aber Hönicke 1999 S. 344. 9 b Die Meinung, dass über die zu enge Eingrenzung hinaus durch die Arbeitsweisung die Lebensführung des J und Hw. beeinflusst werden kann, indem ihm sein Fehlverhalten bewusst ge-
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macht und sein Verantwortungsgefühl geschärft wird, und auch dadurch, dass er den Wert der Rechtsgüter Dritter schätzen lernt und ein gewisses Erfolgs-, ein Gemeinschafts- und oft weiterführendes Kontakterlebnis bekommt, hat das BVerfG ausdrücklich bestätigt und hinzugefügt, dass hierdurch sozialfestigende Wirkungen erzielt werden können, welche die Gefahr erneuter Straftaten vermindern. Eisenberg (JR 87, 489) hält eine Arbeitsweisung, wie sie das BVerfG gebilligt hat, für gesetzeswidrig und befürchtet, der J könne nur strafende Zwangsarbeit empfinden. Ostendorf meint, die Arbeitsweisung könne wohl eingesetzt werden, um Sozialisationsdefizite auszugleichen, es werde aber nicht nur die regelmäßige Praxis verkannt, sondern auch die Arbeit einseitig und heroisierend betrachtet (EzSt aaO, S. 30). Hier wird übersehen, dass es sich um gemeinnützige Arbeiten (vgl. § 56 b II Nr. 3 StGB) handelt. Gewiss aber müssen gerade bei der Arbeitsweisung die Grenzen der Verhältnismäßigkeit und 9 c der Zumutbarkeit sorgfältig gewahrt werden (vgl. Schaffstein FS Jescheck, 1985 S. 952). Nach § 7 III des österreichischen JGG idF von 1999 darf die Erbringung gemeinnütziger Leistungen höchstens für die Dauer von täglich 6 Stunden, wöchentlich 20 Stunden und insgesamt 120 Stunden angeordnet werden. Diese Regelung könnte auch den deutschen JRichtern als Richtschnur dienen (vgl. Schaffstein/Beulke S. 107 zu § 20 II des österreichischen JGG 1988). Das der Arbeitsweisung innewohnende „repressive“ Element (dazu § 9, 5; Einf. II 9) verfälscht weder deren Sinn, noch die erz. Zielsetzung, solange sie nicht zur bloßen Ahndung eingesetzt wird (vgl. Dölling in BMJ, Hrsg., JStrafrechtsreform durch die Praxis, 1989 S. 259). Arbeitsweisungen müssen hinreichend bestimmt sein. Nach OLG Hamm StV 04, 657 und OLG Dresden StV 09, 531 – jeweils zu Bewährungsauflagen – hat das Gericht neben dem Umfang der gemeinnützigen Leistungen auch die Zeit, innerhalb derer die Leistungen zu erbringen sind, die Art und nach Möglichkeit auch den Ort der Arbeitsleistung und die Institution, bei der sie abzuleisten ist, zu bestimmen (ebenso LG Kaiserslautern ZJJ 10, 431 für die Auferlegung von Arbeitsleistungen nach § 98 I S. 1 Nr. 1 OWiG). Das JArbeitsschutzG ist bei den Arbeitsweisungen sinngemäß zu beachten (Art. 293 II 2, III 9 d EGStGB; ähnlich Eisenberg 21; Ostendorf 14). Zur Haftpflichtfrage Rn 22. Durch die Arbeitsleistung wird kein Beschäftigungsverhältnis iSd Arbeitslosenversicherung begründet (Art. 293 II 1, III EGStGB) und die Verfügbarkeit iSd SGB III nicht ausgeschlossen (§ 120 I SGB III), sodass die Streichung von Arbeitslosengeld nicht zu befürchten ist. Zur Hilfe der JGH § 38, 4 b ff. Seit dem 1. JGGÄndG ist neben der Arbeitsweisung auch eine Arbeitsauflage nach § 15 I Nr. 3 9 e zulässig, um die mit der Leistung gemeinnütziger Arbeit verbundene Chance sozialen Lernens und die Notwendigkeit, für begangenes Unrecht einzustehen, bewusst zu machen. Ebenso wie die Arbeitsweisung ist auch die Arbeitsauflage verfassungsgemäß (vgl. BVerfGE 83, 119, wonach die Auflage gemeinnütziger Leistungen nach § 56 b II Nr. 3 StGB nicht den Schutzbereich des Art. 12 II und III GG berührt). Bedenken wegen verschwimmender Grenzen zwischen ErzMaßregeln und Zuchtmitteln haben sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchgesetzt, wobei eine Rolle gespielt haben mag, dass die Trennung zwischen diesen „Sanktionsarten“ für den Gesetzgeber ohnehin auf dem Prüfstand steht (Böttcher/Weber NStZ 90, 565; vgl. auch Einf. II 44). Außerdem sind auch Auflagen erz. geprägt und begrenzt. Nach einer auf einen Landkreis bezogenen Untersuchung von Kremerskothen (2001 S. 144 ff, 202 ff) bestehen in der Justizpraxis allerdings keine klaren Kriterien für die Unterscheidung von Arbeitsweisung und Arbeitsauflage im Einzelfall. Arbeitsleistungen können auch nach § 98 I 1 Nr. 1 OWiG aufgegeben werden. Die Weisung, sich der Betreuung und Aufsicht einer bestimmten Person, einem Betreuungs- 10 helfer, zu unterstellen (Nr. 5), soll die Erz. fördern und sichern (Abs. I). Sie ermöglicht es, den J durch eine bestimmte, möglichst genau bezeichnete (RL 2 S. 5) Bezugsperson zeitlich begrenzt und gezielt zu betreuen und ihn bei der Lösung kriminalitätsfördernder persönlicher und sozialer Probleme zu unterstützen. Die Verhältnismäßigkeit zwischen der Schwere der Straftat und den mit dieser Weisung verbundenen Belastungen für den J sowie ggf. auch dem zeitlichen und
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personellen Aufwand für die JGH muss austariert werden (vgl. RL 2 S. 1), wobei im Vordergrund zu bleiben hat, ob solche Hilfe für den J geeignet und möglich ist. Die Betreuungsweisung ist nicht für Bagatellfälle bestimmt (Böttcher/Weber NStZ 90, 564). Die Begründung des RegE eines 1. JGGÄndG nennt als Anwendungsfälle der Praxis die wiederholte Begehung leichter bis mittelschwerer Delikte (BT-Drs. 11/5829 S. 15 f). Die Betreuungsweisung kann daher auch bei erheblicher krimineller Gefährdung die geeignete erz. Reaktion sein (Böhm NJW 91, 535). Aufgaben des Betreuungshelfers sind kontinuierliche Zuwendung für den J, Hilfe bei lebenspraktischen Problemen, Förderung der sozialen Handlungskompetenz, Vermittlung gesellschaftlicher Anforderungen und Aufzeigen von Grenzen (Fröhlich-Gildhoff DVJJ-J 97, 232). Wesentlich ist es, einen geeigneten und bereiten Helfer zu finden, der die Mitte zwischen der Betreuung und dem Freiraum findet, dessen der Betreute bedarf, um selbständig zu werden. Die JGH ist kraft Gesetzes berufen, den JRichter hierbei zu unterstützen (§ 38 III 3 HS 2; § 38, 4 c). Denn sie kennt die Persönlichkeit des J und seine Bedürfnisse am besten und auch als Betreuungshelfer geeignete und bereite Personen. Die Betreuungsweisung gewinnt gerade für Hw. als Ausgleich für den Wegfall der ErzBeistandschaft (§ 12, 2) erhöhte Bedeutung (§ 105 RL 3). Bei J wird eine solche Weisung nur dann Erfolg versprechen, wenn die Einwilligung der ErzBerechtigten gesichert oder unterstellt werden kann (RL 2 S. 2). Im Gegensatz zu § 24 I 1 ist beim Betreuungshelfer nicht von „Leitung“ die Rede, aber doch von „Aufsicht“, wie die BT-Drs. 11/5829 S. 42 allerdings meint, nur „nachrangig“. Verbindliche Anordnungen, die letztlich zu Ungehorsamsarrest führen könnten, darf der Helfer nicht treffen; denn dieses Recht hat der Gesetzgeber nur dem Richter zuerkannt und dieser kann es nicht wieder in Form einer Weisung delegieren. Befolgt der J die Ratschläge des Helfers nicht, so kann dieser notfalls beim Richter gezielte Weisungen anregen, die dann die Folgen des § 11 III 1 haben können. Schon die Erfahrungen mit Weisungen nach RL 3 alter Fassung waren gut (Pfeffer UJ 64, 174). Die Betreuungsweisung kann isoliert oder in Verbindung mit anderen Weisungen erteilt werden; sie eignet sich als vorläufige ErzMaßnahme nach § 71 I, als Auflage zur Verschonung mit UHaft und iVm § 57. Sie bietet dem J Hilfe und Vermittlung bei Schwierigkeiten (vgl. bes. § 15, 8). Zum Projekt einer ambulanten intensiven Begleitung, in dem ein Team von Sozialpädagogen ein Netzwerk von Institutionen und Bezugspersonen aufbaut, in das der J zur Entwicklung eines stabilen sozialen Umfeldes integriert werden soll, vgl. Möbius DVJJ-J 00, 389; Hoops/Permien Evaluation des Pilotprojekts Ambulante Intensive Begleitung (AIB), 2003. Zu beachten ist, dass die Laufzeit der Betreuungsweisung 1 Jahr nicht überschreiten soll (§ 11 I 2); das entspricht dem intensiven Eingriff und begrenzt ihn. Vgl. dazu Rn 9 c. 10 a Schaffstein/Beulke (S. 117 f) regen an, in der Weisung den Bereich zu bezeichnen, auf den sich die Betreuung (im Besonderen) beziehen soll. Im Übrigen ermöglicht es gerade diese Weisung, den Bedürfnissen und Gefährdungen des Betreuten rasch und gezielt zu folgen. Es ist Aufgabe der JGH, dem Richter ggf. rechtzeitig einen geeigneten Helfer zu benennen, stets eine natürliche Person, nicht eine Behörde mit wechselnden Sachbearbeitern (§ 38 III 3 HS 2). Kommt eine Betreuungsweisung in Betracht, wird der Richter frühzeitig Verbindung mit der JGH aufnehmen (vgl. § 38 III 2; RL 2 S. 3). Weil der Richter nicht immer in der Hauptverhandlung einen Helfer benennen kann, übernimmt dann zwingend kraft Gesetzes ein – bestimmter – JGerichtshelfer die Betreuung (§ 38 II 7). Überlässt der JRichter der JGH die Benennung eines Betreuungshelfers, so fordern Böttcher/Weber (NStZ 90, 564) zu Recht, dass er die „Entscheidung in den Umrissen selbst trifft“. Der Betreuungshelfer kann und soll an einer Hauptverhandlung gegen den Betreuten teilnehmen (§ 48 II 1) und zu dessen Entwicklung gehört werden (§ 50 IV). Er wird auch bei nachträglichen Entscheidungen über Weisungen und Auflagen gehört (§ 65 I 2). Vgl. außerdem § 72 b. Zu 3 Jahren Praxiserprobung der Betreuungsweisung Schaar Zbl. 87, 18. Zu einer Betreuungsweisung bei vollstreckbarer JStrafe § 17, 22 a. Die Betreuungsweisung ist wegen ihrer Eingriffsintensität vom Katalog des § 45 ausgenommen (§ 45, 32). Vgl. auch Frehsee MKrim. 88, 281. Bei Strafaussetzung zur Bew. wird die Betreuungsweisung durch die BewHilfe selbst ausgeschaltet. Vgl. dazu § 38 II 7.
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Die Weisung, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen (Nr. 6) umfasst zahlreiche For- 11 men erz. Gruppenarbeit (Erz.-, Übungs- und Erfahrungskurse) bis hin zur Einzelbetreuung durch die für die Gruppe verantwortlichen Personen. Im Übrigen kann der JRichter auch zur Teilnahme an Gruppen anweisen, die nicht in das Schema der sozialen Trainingskurse passen (RL 3 S. 3; Rn 2). Er muss aber diese Gruppe kennen. Diese Weisung will die soziale Handlungskompetenz sowie die persönliche und soziale Verantwortlichkeit fördern, mittels eines sozialpädagogischen Konzepts zur sozialadäquaten Lösung von Konflikten befähigen, aber auch sinnvolle Möglichkeiten der Nutzung der Freizeit (vgl. Einf. I 35) anbieten (zu den Zielen vgl. Kraus DVJJ-J 97, 309 f) Die eingesetzten Methoden sind vielfältig. Busch (Neue ambulante Maßnahmen nach dem JGG, 1986 S. 8 ff) beschreibt etwa 400 Projekte; danach kommen ua in Betracht (S. 16 ff): Kurse an einem oder mehreren Wochenenden (dazu Rn 11 a), Blockkurse über mehrere Tage oder Wochen, erlebnisorientierte Gebirgswanderungen (vgl. Rn 11 a), Dauerkurse über mehrere Monate an Wochenenden, kombinierte Kurse zur Aufarbeitung von Arbeitsweisungen, Kurse in JA- oder JStrafanstalt, auch Drogenseminare (Schaar Zbl. 85, 118). Gerade handlungs- und erlebnisorientierte Kurse werden gut angenommen, gehen von den Bedürfnissen der J aus, vermitteln Erfolgserlebnisse und handwerkliche Fähigkeiten (vgl. auch Böhm NJW 91, 535, nach welchem der soziale Trainingskurs sich bewährt hat). Zur Erlebnispädagogik s. Heckner in DVJJ-BW Hrsg., Auffällige Kinder u. J, 2000 S. 11 ff. Bes. Programme vor Ort in kleineren Gruppen können viel erreichen und möglicherweise auch nicht straffälligen J offen sein (Breymann Zbl. 88, 448; Dölling Zbl. 89, 319), wobei allerdings die dabei auftretenden bes. Probleme gesehen werden müssen. Häufig bedarf es der ergänzenden Einzelfallhilfe (Roggemann/Schröter/Ebel DVJJ-J 96, 193). Bei Gewalttätern kann ein Anti-Gewalt-Training angezeigt sein, das den J mit der Tat konfrontiert, Rechtfertigungsstrategien abbaut und Unrechtseinsicht fördert, die Opferperspektive vermittelt sowie Handlungsalternativen aufzeigt und einübt (vgl. dazu Schanzenbächer 2003; Hein 2007; Kohaus/Cladder-Micus DVJJ-J 95, 347; Hansen/Römhild DVJJ-J 98, 383; Brand/Saasmann DVJJ-J 99, 419; Kilb/Weidner DVJJ-J 99, 379; Piel/Schmitt Zbl. 01, 291). Es wird aber auch Kritik and den sozialen Trainingskursen geübt wegen Bevorzugung ohnehin weniger belasteter Probanden und wegen „Unerwünschtheit“ des Gruppenwesens seitens der Betroffenen, auch wegen vorheriger Fremdbestimmung des Ablaufs (Eisenberg 33 mwN). Bezüglich der Literatur vgl. die Auswahlbibliographie in BMJ, Hrsg., „Diversion“ im deutschen JStrafrecht, 1989 S. 69 ff, auch Bericht Viehmann BewH 89, 355. Die JGH kann und soll aufgrund umfassender Persönlichkeitsforschung dem JRichter auf früh- 11 a zeitige Anfrage hin (RL 3 S. 2 iVm RL 2 S. 3) mitteilen, ob ihr Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs sinnvoll erscheint (vgl. § 38 III) und auf geeignete Kurse hinweisen. Der JRichter entscheidet über Anordnung, Umfang und Beendigung des Trainingskurses. Voraussetzung ist eine Straftat, die auf einen ErzMangel hinweist, maßgeblich sind die psychische Verfassung des J, sein persönliches und soziales Umfeld (vgl. Dölling in BMJ, Hrsg., JStrafrechtsreform durch die Praxis 1989, S. 261; BMJ, Hrsg., „Diversion“ im deutschen JStrafrecht, 1989, S. 23). Die Belastungen, welche die aufwendige Maßnahme allseits birgt, fordern stets Beachtung (vgl. RL 3 S. 1). Der soziale Trainingskurs eignet sich nicht für Bagatellfälle (Böttcher/Weber NStZ 90, 564). In geeigneten Fällen stellt er eine vorzugswürdige Alternative zu JA oder kürzerer JStrafe dar (Böhm NJW 91, 535; vgl. auch Wellhöfer MKrim. 95, 42, der nach sozialen Trainingskursen geringere Rückfallquoten ermittelte als nach Dauerarrest). Betreuungszeiten zwischen 3 und 6 Monaten haben sich bewährt, einmalige Wochenendveranstaltungen weniger („Diversion“ S. 25), Kombination mit JA kann in Ausnahmefällen erwogen werden (vgl. Einf. II 41; „Diversion“ S. 24). Der JRichter überwacht den Trainingskurs, damit die Rechte der J gewahrt werden. Diese Gesamteinschaltung des JRichters läßt geäußerte rechtliche Bedenken (Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, Umgehung rechtsstaatlicher Garantien) zurücktreten (Dölling aaO, S. 261). Es ist selbstverständlich, dass der JRichter den Veranstaltern den Gestaltungsspielraum belässt, den eine eigenverantwortliche Arbeit nach pädagogischen Grundsätzen benötigt. Zwischen JRichtern und Veranstaltern
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sind regelmäßiger Gedankenaustausch und Zusammenarbeit notwendig. Sind solche Kurse als Alternative zum JA geeignet, so muss im Übrigen auch die Gefahr der „Überbetreuung“ gesehen werden. Die Laufzeit dieser Weisung ist grds. auf 6 Monate begrenzt (§ 11 I 2), was den gebotenen raschen Beginn fördert und die erforderliche Intensität verlangt und zugleich begrenzt. 11 b Wegen ihres Eingriffcharakters sollte die Weisung möglichst entsprechend § 10 II nur mit Zustimmung des ErzBerechtigten und des gesetzlichen Vertreters oder mit Einverständnis des J, wenn dieser das 16. Lebensjahr vollendet hat, verhängt werden („Diversion“ S. 25). Zur Anhörung des Kursleiters in der Hauptverhandlung s. § 50 IV, zu seiner Anhörung vor nachträglichen Entscheidungen über Auflagen u. Weisungen § 65 I 2. Vom Katalog des § 45 ist diese Weisung wegen ihres Eingriffcharakters ausgeschlossen (§ 45, 32). 12 Die Weisung, sich zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-OpferAusgleich, Nr. 7) hat das Ziel, den j. Täter mit dem Verletzungscharakter seiner Tat, der Geltung strafrechtlicher Normen und der Bedeutung der Rechtsordnung für ein gedeihliches Zusammenleben zu konfrontieren und ihn zu motivieren, sich durch aktive Beteiligung an der Wiedergutmachung seiner Verantwortung zu stellen (vgl. Begründung des RegE eines 1. JGGÄndG, BT-Drs. 11/5829 S. 17). Fremdwertbegriffe werden angelernt und durch die Anbahnung der Versöhnung mit dem Opfer der Sozialisationsprozess gefördert. Der Täter soll durch konstruktive Tatverarbeitung Verantwortlichkeit und Normtreue erlernen (Rössner/Klaus in Dölling ua 1998 S. 116). Diesen erz. und sozialpädagogischen Wirkungen auf den Täter steht gegenüber, dass beim Opfer Ängste und seelische Belastungen abgebaut, das Vertrauen in die Rechtsordnung wiederhergestellt oder gestärkt und Täter und Opfer die Chance gegeben werden soll, den Konflikt aufzuarbeiten. Das alles ist leichter postuliert als erreicht und fordert Sorgfalt und Sensibilität bei Auswahl und Durchführung (dazu Rn 12 c). In der „Wiederentdeckung des Opfers“ treffen sich in „überraschender Konvergenz“ (Schöch NStZ 84, 385) Anhänger der Generalprävention und Resozialisierungstheoretiker, Befürworter des Vergeltungsgedankens und prinzipielle Kritiker des Strafrechts (vgl. auch Seelmann NJW 89, 670). Der TäterOpfer-Ausgleich (TOA) wird begrüßt als „hoffnungsvollste Alternative zum übelzufügenden Sanktionskatalog des Strafrechts“ (Schreckling/Pieplow ZRP 89, 10), als „derzeit hoffnungsvollste Perspektive der Kriminalpolitik“ (Schöch RdJ 99, 290) und als „ein Programm, fast eine Vision zur Ablösung strafrechtlichen Denkens“ (Viehmann in BMJ, Hrsg., JStrafrechtsreform durch die Praxis, 1989 S. 350 unter Hinweis auf Walter). Schaffstein (in Schöch, Hrsg., Wiedergutmachung u. Strafe, 1987 S. 163) hat davor gewarnt, den TOA als Allheilmittel anzusehen, ihn jedoch als eine Bereicherung der Möglichkeiten der JStrafrechtspflege bewertet. 12 a Die Entwicklung des TOA ist dadurch gekennzeichnet, dass die Zahl der im Wege des TOA erledigten Fälle in den neunziger Jahren erheblich zugenommen hat, das vorhandene Fallpotential aber weiterhin nicht ausgeschöpft wird (Wandrey/Weitekamp in Dölling ua 1998 S. 130 ff, 142 f). Die feste Etablierung des TOA an einer Reihe von Orten spricht gegen die Befürchtung, die zunächst ins Leben gerufenen Modellprojekte könnten eine Modeerscheinung sein (Schünemann NStZ 96, 194; Kerner in Jansen/Kerner, Hrsg., Verbrechensopfer, Sozialarbeit u. Justiz, 1985 S. 495, 497). Gegenwärtig wird der TOA vor allem bei Körperverletzungsdelikten, Diebstahl und Betrug sowie Sachbeschädigung praktiziert; er findet aber auch in Fällen von Raub und Erpressung Anwendung (Hartmann/Stroezel in Dölling ua 1998 S. 165). Täter und Opfer sind ganz überwiegend zur Beteiligung am TOA bereit, der idR mit einer Augleichsvereinbarung endet, die insbes. Verpflichtungen des Täters zu Entschuldigung, Schmerzensgeld und Schadensersatz enthält (Hartmann/Stroezel aaO, S. 173 ff). Die bisherigen positiven Erfahrungen sprechen für einen weiteren Ausbau des TOA. Nach dem BGH wird der TOA im JStrafrecht erfolgreich angewandt (BGH 48, 134, 137). Mit Recht gibt daher der 1999 in Kraft getretene § 155 a StPO der StA und dem Richter auf, in jedem Stadium des Verfahrens die Möglichkeiten eines TOA zu prüfen und in geeigneten Fällen darauf hinzuwirken.
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Die rechtsstaatlichen Grundsätze eines fairen Verfahrens müssen gerade beim Täter-Opfer- 12 b Ausgleich exakt eingehalten werden. Der Beschuldigte muss geständig und die Tat nachgewiesen sein (vgl. auch Schöch RdJ 99, 287, nach dem ein Geständnis nicht unbedingt erforderlich ist, auf einen TOA-Versuch jedoch verzichtet werden sollte, wenn vernünftige Zweifel an der Täterschaft des Beschuldigten bestehen). Er muss belehrt werden, dass er sich frei entscheiden kann, ob er sich auf den Ausgleich einlassen will (vgl. Dölling in BMJ, Hrsg., JStrafrechtsreform durch die Praxis 1989 S. 263). Hier will die Gefahr bedacht sein, dass der J uU unter dem Druck des Verfahrens und in der Hoffnung auf eine ihm günstige Entscheidung „gestehen“ und seine Möglichkeiten überschätzen könnte (Brunner Zbl. 76, 276; auch § 23, 8). Zu weit geht aber die Ansicht von Kondziela (MKrim. 89, 177), wonach der TOA erst durchgeführt werden soll, nachdem der Richter das Geständnis überprüft und sich von der Schuld überzeugt hat. Der Verletzte darf ebenso wenig im Übereifer als „pädagogisches Instrument“ missbraucht werden, wie seine Weigerung mitzuwirken den J nicht benachteiligen darf. Nach § 155 S. 3 StPO darf gegen den ausdrücklichen Willen des Verletzten die Eignung eines Falles für den TOA nicht angenommen werden. Mit Schöch (RdJ 99, 290) ist darauf zu achten, dass nicht unangemessener Versöhnungsdruck, sondern die Entscheidungsfreiheit der Betroffenen das Verhandlungsklima prägt. Es sollte auch der finanzielle Aspekt nicht derart beherrschend im Mittelpunkt stehen, dass der erzwidrige Eindruck entstehen könnte, mit Geld sei alles abzumachen (Brunner Zbl. 76, 276; auch Rn 12 f). Probleme können auch aus der zivilrechtlichen Verflechtung einer strafrechtlichen Wiedergutmachung entstehen (dazu § 15, 4–6; Brunner Zbl. 76, 270; Frehsee NJW 81, 1253; Jakobs/Molketin JWohl 83, 159). Da zu den tragenden Prinzipien des TOA die Anerkennung eines autonomen Beitrags des Täters 12 c zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens gehört, empfiehlt es sich idR, den TOA nicht durch eine Weisung anzuordnen, sondern ihn im Rahmen der Diversion nach §§ 45, 47 durchzuführen oder – wenn auf eine Verurteilung nicht verzichtet werden kann – der Hauptverhandlung vorzulagern (Dölling in JStrafrecht an der Wende S. 190; Rössner/Klaus in Dölling ua 1998 S. 117; Schöch RdJ 99, 280; ders. in JStrafrecht an der Wende S. 126; Bedenken gegen einen verordneten TOA auch bei Kerner/Marks/Rössner/Schreckling BewH 90, 169). Wird der Weg der Diversion beschritten, muss sich der StA darauf verlassen können, dass der J auch ernstlich geständig und schuldig ist – ggf. das nachprüfen –, aber auch, dass die Bemühungen um einen Ausgleich die Beweislage nicht verschlechtern (BMJ, Hrsg., „Diversion im deutschen JStrafrecht, 1989 S. 21). Unter solchen Voraussetzungen kann der JStA einen erfolgten TOA als getroffene erz. Maßnahme und damit als Grundlage für eine Einstellung nach § 45 II werten. Der StA kann aber auch den Ausgleich selbst herbeiführen und so die bereits durchgeführte oder eingeleitete erz. Maßnahme erst schaffen (§ 45 II). S. weiter § 45, 19 u. § 47, 8. Teilweise wird allerdings für eine stärkere Beteiligung des Richters am TOA plädiert (Schöch in ders. Hrsg., Wiedergutmachung u. Strafrecht 1987, S. 148 ff, 154: Termin vor einem bes. „Restitutionsrichter“; Miehe in Schöch aaO, S. 159). Der TOA ist keineswegs nur auf Bagatellfälle oder auf Erstauffällige beschränkt (Walter in Kaiser/Kury/Albrecht, Hrsg., Kriminologische Forschung in den 80er Jahren, 1988 S. 813), er kann auch bei Verbrechen eingesetzt werden. Die Begründung des RegE eines 1. JGGÄndG (BT-Drs. 11/5829 S. 17) scheidet idR Straftaten jenseits der leichten, mittleren und mittelschweren Kriminalität aus. Die Grenzen hinsichtlich Tatschwere und Opferschäden sind aber noch nicht ausgelotet, es kommt entscheidend auf den Einzelfall und auf Täter und Opfer an. Das breite Spektrum der Delikte, das in der Praxis des TOA erfolgreich bearbeitet worden ist (vgl. dazu Hartmann/Stroezel in Dölling ua 1998 S. 160 ff) zeigt, dass eine Beschränkung des TOA auf bestimmte Delikte nicht sinnvoll ist (Schöch RdJ 99, 286). Ist eine Sanktionierung durch Urteil angezeigt, kann der TOA zugunsten des Täters berücksichtigt werden bei der Entscheidung, ob und ggf. welche ErzMaßregeln oder Zuchtmittel geboten sind bzw. ausreichen, ob JStrafe geboten und in welcher Höhe sie angemessen ist und ob Strafaussetzung zur Bew. verantwortet wer-
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den kann. Unter den Voraussetzungen des § 46 a StGB ist auch ein Schuldspruch mit Absehen von Strafe möglich (Dölling ua 1998 S. 489: Schöch RdJ 99, 281). 12 d Die Bemühungen um den Ausgleich und die Überwachung der Abwicklung sind personal- und zeitaufwendig und fordern die Entwicklung neuer Arbeitsmethoden. JGH, StA und Richter müssen in der Lage sein, die „geeigneten“ J und Fälle zu erspüren. Einschätzungen der Polizei können hierfür hilfreich sein. Die Vermittlungsperson muss unparteilich sein, sollte nicht gleichzeitig Betreuer des Täters oder des Opfers sein und muss für die schwierige Aufgabe der Vermittlung ausreichend qualifiziert sein (zu den Standards für die Umsetzung des TOA vgl. Wandrey/Weitekamp in Dölling ua 1998 S. 122 ff). Die Vermittlungsperson muss viel Einfühlungsvermögen zeigen, wenn Begegnungen zwischen Täter und Opfer echte Annäherung und Konfliktbereinigung bringen sollen. Die Abwicklung der Wiedergutmachungsvereinbarungen (Ratenzahlungen, Abarbeiten; zur Zumutbarkeit der Naturalrestitution für den Verletzten Brunner Zbl. 76, 272, 275) verlangt ebenfalls ein sachkundiges Vorgehen. Es hat sich erwiesen, dass die Mitwirkungsbereitschaft bei Täter und Opfer sehr hoch ist (Rn 12 a). Die Rechtsgrundlage für die Datenweitergabe zwischen Justiz und Vermittlungsstelle im Rahmen des TOA enthält § 155 b StPO. Zur Finanzierung des TOA Rn 22 a, b u. Törnig DVJJ-J 00, 281. Zur Einrichtung von Opferfonds, die es dem J ermöglichen, sich den für den Schadensersatz notwendigen Betrag durch gemeinnützige Arbeit zu erarbeiten, Helmken ZJJ 09, 50. 12 e Zur Schadenswiedergutmachung vgl. § 15, 3 ff. Zu Ungehorsamsarrest bei Zahlung durch Dritte § 15, 12 b. Vgl. auch § 45, 8 u. 19; Schreckling Zbl. 90, 626. Zu den Erfahrungen in Österreich nach der JGG-Reform zu Konfliktregelung und Tatausgleich Jesionek in Frank/Harrer Hrsg., Drogendelinquenz – JStrafrechtsreform, Forensia-Jahrbuch 2, 1991 S. 213. Zur Akteneinsicht (JGHBericht) des Vertreters des Verletzten § 38, 13. 12 f Das OpferschutzG v. 18. 12. 1986, das ZeugenschutzG v. 13. 4. 1998, das OpferrechtsreformG v. 24. 6. 2004 und das 2. OpferrechtsreformG v. 29. 7. 2009 wollen die Stellung des Verletzten im Strafverfahren verbessern. Sie enthalten keine Einschränkung hinsichtlich des JGG. Die erz. Eignung und die sozialpädagogische Einwirkung würden aber bereits im Ansatz zunichte gemacht, wenn die Genugtuung des Verletzten allzu beherrschend in den Vordergrund geschoben wird und dadurch dessen Belange nahezu zum Hauptinhalt des JGerichtsverfahrens werden (vgl. Brunner ZBl. 76, 269 zur Wiedergutmachungsauflage) und möglicherweise das Verfahren zu Lasten des J beeinflussen könnten. Diese Überlegungen und das ErzZiel des JGG sind dadurch rechtlich abgesichert, dass die allg. Vorschriften, also auch die in die StPO eingegangenen Bestimmungen der genannten Gesetze, nur gelten, soweit das JGG nichts anderes bestimmt, und auch schon dort nicht eingreifen, wo sie den Grundsätzen des JGG widersprechen (vgl. § 2, 6). In diesem Sinne muss jede einzelne Bestimmung auf ihre Anwendbarkeit im JGerichtsverfahren überprüft werden. Dazu Stock MKrim. 87, 352 ff; Rössner in JStrafrecht an der Wende S. 165 ff. Soweit veranlasst, wird bei den einzelnen §§ des JGG hierauf hingewiesen (Zusammenstellung der Fundstellen im Kommentar in § 80, 9). Zur Einstellungsverfügung des StA bei Körperverletzungsdelikten vor dem Hintergrund des OpferentschädigungsG v. 7. 1. 1985 Steyer DRiZ 89, 201. 13 Die Weisung, den Verkehr mit bestimmten Personen oder den Besuch von Gast- oder Vergnügungsstätten zu unterlassen (Nr. 8), kann dazu dienen, J und Hw. aus sie gefährdenden Gruppierungen herauszunehmen (vgl. OLG Hamburg NJW 64, 1814; zust. Heinitz JR 65, 65; Becker Zbl. 85, 161). Wird der Besuch von bestimmten Gast- oder Vergnügungsstätten untersagt, muss eine wirksame Kontrolle sichergestellt werden (vgl. Rn 3). Über Nr. 8 hinaus kann auch der Umgang mit bestimmten Gruppierungen verboten werden (vgl. BGH H MDR 78, 623). Ähnliche Ziele können auch zeitliche Ausgangsbeschränkungen verfolgen. Dazu ist Maß, bes. bei Hw., und Überwachung geboten.
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Weisungen
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Die Weisung, an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen (Nr. 9), ist nicht die einzige Wei- 14 sung, die Verfehlungen im Straßenverkehr folgen kann, noch fordert sie als auslösende Tat eine Verkehrsverfehlung; sie kann auch sonst erz. sinnvoll sein. Dies erweitert ihre Möglichkeiten. Der Verkehrsunterricht sollte sich nicht in Belehrungen erschöpfen, sondern handlungsorientiert ausgestattet sein (Thomson DVJJ-J 99, 426). Die zulässige Weisung, bestimmte Gegenstände für eine gewisse Zeit nicht zu gebrauchen oder abzuliefern, gilt auch für Kraftfahrzeuge, wenn die Weisung – die auch in der Form ergehen kann, den Führerschein für eine bestimmte Zeit zu den Akten zu reichen – nicht ganz oder vorwiegend der Ahndung eines Verkehrsverstoßes oder der Sicherung des Straßenverkehrs dienen soll (dann wäre sie als Umgehung der §§ 44, 69 StGB gesetzeswidrig, OLG Düsseldorf, NJW 68, 2156 mit Anm. van Els, der die Weisung auch zu erz. Zweck als gefährlich leichten Weg bezeichnet). Nach dem OLG Braunschweig NdsRpfl. 69, 235 ist für eine derartige Weisung dann kein Raum, wenn die Fahrerlaubnis gem. § 69 StGB zu entziehen oder sonst ein Fahrverbot auszusprechen ist. Zulässig ist eine derartige Weisung nur, wenn sie vorwiegend erz. auf die Lebensführung des Täters einwirken soll, zB auf einen j. Motorradfahrer, der durch seine Motorradleidenschaft in Schulden geraten ist und gestohlen oder betrogen hat (zust. Eisenberg 32; aA DSS/Diener 19; Halacker Der „Denkzettel“ Fahrverbot, 2009 S. 175 f). – Auch die Weisung, gerichtet an einen rücksichtslosen Radfahrer oder undisziplinierten Fußgänger, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, fällt noch in diesen Rahmen, weil sie das Verantwortungsbewusstsein fördern kann (Schnitzerling DAR 56, 125). Bei wiederholtem Fahren ohne Fahrerlaubnis kommt auch die Weisung in Betracht, eine Fahrerlaubnis in einer bestimmten Zeit zu erwerben, wenn die Kosten dafür zumutbar sind (LG Oldenburg B NStZ 85, 447; AG Saalfeld StV 05, 65; Seiler DAR 74, 260 u., insbes. auch zur Frage der Nichterfüllung, Händel DAR 77, 309). Zur Ausbildung von Kursleitern für Verkehrserziehungskurse Thomson DVJJ-J 99, 425. Die erprobte Nachschulung alkoholauffälliger Kraftfahrer bietet sich als Weisung für J und Hw. an, um neben dem Entzug der Fahrerlaubnis oder zur isolierten Sperre Hilfe zur Bewältigung der Problematik „Trinken und Fahren“ zu geben (dazu Bußmann/Gerhardt Blutalkohol 80, 117 u. 84, 199, 214). Innerhalb der bei Rn 6 und 7 aufgezeigten Grenzen kann der JRichter über den Beispielskatalog 14 a der Nr. 1–9 hinaus weitere geeignete Weisungen erteilen. Von Bedeutung, auch bei den volljährigen Hw., sind Weisungen über Verwendung und Nachweis des Einkommens und Verbote, Kredit- oder Ratenzahlungsverträge abzuschließen, was natürlich nicht in völlige Reglementierung ausarten darf. Es kann auch die Erfüllung bestehender Pflichten (Schule, Ausbildung, Arbeit, Unterhalt) durch Weisungen, welche die Pflichten einzeln bezeichnen müssen, gefördert werden. Schließlich ist es auch zulässig und notwendig, bei einer Entziehungskur (Rn 18 ff), den J anzuweisen, an einem Urinkontrollprogramm teilzunehmen (für Erw. OLG Stuttgart Justiz 87, 234); näher § 21, 17. Diese in das Persönlichkeitsrecht eingreifende Weisung ist nicht gesetzeswidrig, denn sie soll gerade vor Fehlentwicklungen bewahren (zur Zulässigkeit von Urinkontrollen als BewWeisung BVerfG NStZ 93, 482; OLG Zweibrücken JR 90, 121 mit zust. Anm. Stree; Verrel Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001 S. 59 ff, 284 f; aA Hoferer NStZ 97, 174). Der JRichter kann über § 10 auch geeignete Hilfen aus dem SGB VIII (dazu § 45, 19 a) nach 14 b Rücksprache mit dem JAmt als Weisungen erteilen. Zur Erforderlichkeit der Zustimmung des JAmts Rn 22 b. Die Hilfen nach §§ 30, 34 SGB VIII aber können nicht im Wege einer Weisung auferlegt werden, weil sie in § 12 Nr. 1 und 2 für das JStrafrecht abschließend geregelt sind und so § 12 umgangen würde (vgl. § 12, 9; auch § 45, 19 a). Ob neben JA Weisungen über das Verhalten im JA gegeben werden können, ist strittig (Dallin- 14 c ger/Lackner 23: nein, da keine Weisung iSd § 10; OLG München [NStZ 85, 411] lehnt Weisungen nach § 56 c StGB, sich in Strafhaft gut zu führen, mangels Rechtsgrundlage ab). Es ist dies auch nicht notwendig, möglicherweise nicht einmal bes. förderlich. Hingegen ist bei Verurteilung
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§ 10
2. Teil. Jugendliche
zu JA die zusätzliche Weisung zu empfehlen „den Arrest zu dem in der Ladung genannten Termin pünktlich unter Vorlage eines Ausweispapiers anzutreten“ (zust. Eisenberg 34; aA Ostendorf 18). Eine derartige Weisung vermeidet Vorführungen, die zu erheblichen Kosten und Schwierigkeiten führen; sie ist zulässig, da sie durchaus ErzKomponenten aufweist und mindestens ebenso auf die Lebensführung einwirkt wie die Weisung, eine Arbeitsleistung zu erbringen oder an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen (§ 10 I Nr. 4 u. 9). Mit einer derartigen Weisung wurden beste Erfahrungen gemacht.
4.
Heilerzieherische Behandlung
15 Die Weisung, sich einer heilerz. Behandlung (Abs. II, RL 9) zu unterziehen, führt in der jstrafrechtlichen Praxis ein unverdientes Kümmerdasein. Der Grund hierfür mag in Unsicherheit um die Möglichkeiten und Grenzen der heilerz. Behandlung, in dem Mangel an geeigneten Sachverständigen und Behandlungseinrichtungen, schließlich auch in Bedenken hinsichtlich 1 der Kostenregelung liegen. So auch Engstler (1985 S. 93), nach dessen Umfrage nur /3 der JÄmter erklärt haben, dass überhaupt eine solche Weisung vorgekommen ist (S. 75). Der Anteil der heilerz. Weisungen an der Gesamtzahl der Weisungen im Jahre 1975 betrug nach Engstler MKrim. 88, 4 nur etwa 0,3%. Engstler rät in diesem Zusammenhang, das Prinzip der Freiwilligkeit zu versachlichen und die Beziehungen zwischen Freiwilligkeit und Motivation herauszuarbeiten (1988 S. 5). Die heilerz. Behandlung ist in allen ihren Formen eine längerfristige, auf die Einzelperson zugeschnittene Lenkung und Betreuung, die sich in geeigneten Fällen als das optimale ErzMittel erweisen kann und bei jungen Menschen bis zu 20 Jahren vom Lebensalter her den günstigsten Ansatzpunkt findet. Die Behandlung empfiehlt sich bei ambulant therapierbaren psychischen Störungen, die zur Delinquenz des J geführt haben. Teilweise wird angenommen, sie sei insbes. bei erworbenen seelischen Störungen angezeigt, wenn ursprünglich leistungsfähige Anlagen der Persönlichkeit durch Ungunst der Lebensumstände an ihrer natürlichen Entfaltung gehindert wurden (Wendt MKrim. 57, 211), sie werde aber bei anlagebedingten Persönlichkeitsmängeln häufig versagen (Mückenberger 1970). Die Behandlung verspricht gegen leugnende, nur durch Indizien überführte Täter kaum Erfolg. 15 a Aufgabe der Behandlung ist vor allem, den Grund der Gesetzesverletzungen aufzudecken, ihn dem J bewußtzumachen, ihm dabei einen Weg aufzuzeigen und Hilfen zur Lebensbewältigung zu geben. Anlasstaten können vor allem Aggressionstaten „aus nichtigem Grund“, Sexualdelikte, Brandstiftungen, aber auch andere Delikte sein (Engstler 1985 S. 236; Kaiser NStZ 82, 105). Die heilerz. Behandlung umfasst Heilpädagogik (vgl. zur Legasthenie Einf. I 33), Gesprächs- und Verhaltenstherapie, aufdeckende Behandlungsformen (zB analytische Psychotherapie ua), je in Gruppen- oder Einzeltherapie (vgl. Eisenberg 44). Die Bereitschaft des J kann bes. geweckt werden, wenn der Therapeut zunächst konkrete Hilfe (in Familie, Schule, Beruf) anbietet (Minsel Praxis-Kinderpsychologie 1973 S. 131 ff). 16 Die Behandlung sollte nur nach vorheriger Anhörung des für ihre Durchführung in Betracht kommenden Sachverständigen im Einvernehmen mit dem J und seinen Eltern angeordnet werden (RL 9; Pfeiffer MKrim. 60, 162). Da § 10 II 2 im Gegensatz zu § 57 III 2 das Einverständnis des J nicht zwingend fordert, könnte sie in Ausnahmefällen auch gegen dessen Willen angeordnet werden (Thiesmeyer RdJ 70, 33), dies brächte aber eine denkbar schlechte Startposition. Es wird auch notwendig sein, den Eltern klarzumachen, warum eine derartige Behandlung notwendig ist und dass sie ohne deren Förderung kaum Erfolg verspricht (Mückenberger 1970). Beim Hw. entfällt die Zustimmung des ErzBerechtigten und des gesetzlichen Vertreters; umso wichtiger wird deshalb das Einverständnis – und damit die Mitwirkung – des Hw, denn Widerstand verhindert eine erz. Einwirkung (vgl. § 9, 3 aE). Das Vorliegen der nach Abs. II erforderlichen
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Weisungen
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Erklärungen ist in den Urteilsgründen mitzuteilen (BGH B NStZ-RR 01, 321). Gefährliche Methoden sind idR unzumutbar (§ 10 I 2; Fischer § 56 c StGB 11). Zur Zurücknahme der Einwilligung BGH 36, 97 in § 26 a, 4. Zu den Kosten RL 6. Engstler (MKrim. 88, 7) verweist auf § 43 SGB I (vorläufige Leistungserbrin- 17 gung durch Sozialleistungsträger). Nach Mückenberger 1970 wäre es förderlich, eine gesetzliche Vorleistungspflicht des sachlich am ehesten zuständigen JAmtes oder der Justizbehörden „im Rahmen der Vollstreckungskosten“ zu normieren. Dazu aber u. allg. zu den Kosten der Durchführung einer Weisung Rn 22 a.
5.
Entziehungskur
Die Weisung, sich einer Entziehungskur zu unterziehen, ist nicht erzwingbar und darf nicht 18 dazu dienen, die schärfer umrissenen Gesetzesbestimmungen zur zwangsweisen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 7) zu umgehen. Auch hier sollte die Mithilfebereitschaft der Eltern erreicht werden. Zur Behandlung der Drogenabhängigkeit s. § 7, 3 u. Einf. I 48–51. Die ambulanten Beratungs- und Therapiemöglichkeiten bei Minderjährigen mit chronischem Drogenkonsum sind begrenzt und versprechen nur Erfolg bei „solchen Jugendlichen, die zwar bereits Drogenerfahrung haben, bei denen jedoch aufgrund der speziellen Gegebenheiten ihrer Drogenkarriere, ihrer sozialen und pädagogischen Situation und ihrer Charakterstruktur Aussicht auf Distanzierung von ihren Vorerfahrungen unter psychotherapeutischer Hilfe besteht“ (Stutte MKrim. 71, 9). Dies beleuchtet die Schwierigkeit der Entscheidung. Inwieweit eine Entziehungskur helfen 19 kann, hängt von der Motivation, dem Persönlichkeitsbild (Depravation?), von Art und Umfang des Drogengebrauchs (dazu Schneider Suchtgefahren 1984 S. 229), der kriminellen Verflechtung und den vorhandenen speziellen personellen und sächlichen Hilfsmitteln ab. Sorgfältige Persönlichkeitsermittlung und gutachtliche Äußerung eines Sachverständigen müssen der Entscheidung vorangehen (näher Einf. I 49–51). Es gilt auch das bei Rn 16 Gesagte. Da Drogenabhängige sich häufig nicht krank fühlen, ihre Situation sogar positiv interpretieren und ideologisieren oder in depravationsbedingter Gleichgültigkeit dahinleben, bedarf diese Weisung bes. auch psychologisch unterbauter Hilfen, wenn möglich unter Einbeziehung des Umfeldes, und Überwachung. Die über § 10 II angeordnete Entziehungskur könnte darüber hinaus ein wirksames Instrument zur Nachbehandlung nach stationärer Entgiftung und Entwöhnung werden (§ 7, 5; § 93 a, 4), soweit der Stufenaufbau der Drogenkliniken dies einbezieht. Sie kommt auch als Bewährungsauflage in Frage, sowohl bei Strafaussetzung wie auch bei bedingtem Erlass der Reststrafe. Wie belastet die Entscheidung ist, wird deutlich, wenn man berücksichtigt, wie schwer es für den Richter ist, den Therapiewillen festzustellen und zu fördern (Einf. I 49; Brunner Zbl. 80, 415). Mit Rückfällen muss man rechnen; idR führen nur langfristige Bemühungen aus der Drogenabhängigkeit hinaus. Zur Zurücknahme der Einwilligung BGH 36, 97 in § 26 a, 4. Therapeutische Gemeinschaften auf freiwilliger Grundlage versuchen, die psychische Abhän- 19 a gigkeit zu beseitigen (vgl. Brömer/Weinrich Kriminalpädagog. Praxis 86, 16). Kontrolle durch die Gruppe ist medizinisch geboten und therapeutisches Prinzip; bei Verstoß gegen die Grundregel „keine Drogen, kein Alkohol, keine Gewalt“ droht sofortiger Ausschluss. Die Behandlungsdauer sollte mindestens 1 Jahr betragen (vgl. insgesamt Eisenberg 65, 66). Der JRichter sollte aber die Einrichtungen gut kennen, bevor er sie auswählt (näher Brunner Zbl. 80, 417 unter Hinweis auf Täschner JWohl 78, 410); zu Drogenseminaren Rn 11; zur Urinkontrolle Rn 14 a; § 21, 17; zur Verweigerung einer Urinprobe LG Kleve NStZ 89, 48; zu Weisungen bei Drogentätern allg. Rn 23; zu Therapieeinrichtungen auch Einf. I 51. Zu den Kosten Rn 17, 22 a; zum Einverständnis des ErzBerechtigten u. des J Rn 16, 20; zum BtMG § 45, 43 ff u. § 17, 23 ff. S. auch § 93 a; HIV (Aids) § 25, 4 a.
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19 b Die Substitution mit Methadon/Polamidon (zu den Rechtsgrundlagen vgl. insbes. § 13 BtMG u. § 5 BtM-VerschreibungsVO sowie Katholnigg NJW 00, 1225) kann im Einzelfall hilfreich sein. Erforderlich sind jedoch ua eine sorgfältige Indikationsstellung und begleitende soziale und therapeutische Maßnahmen. Nach vorliegenden Erfahrungen führen Methadon-Programme zu einer gesundheitlichen und einer gewissen sozialen Stabilisierung, die Überwindung der Drogenabhängigkeit gelingt aber bisher anscheinend nur in wenigen Fällen (vgl Raschke Substitutionstherapie, 1994; Täschner Drogen, Rausch u. Sucht, 1994; Bühringer/Künzel/Spies MethadonExpertise, 1995; Hellebrand Methadon – Chance oder Illusion? 2. Aufl. 1989 u. ZRP 89, 161). Quensel (Mit Drogen leben, 1985 S. 127) und Grimm (Die Lösung des Drogenproblems, 1985) stehen positiv zu Methadon. Butzko (BewH 87, 306) meint, Methadon werde das Drogenproblem nicht lösen, leiste aber einen humanitären Beitrag. Demgegenüber hat das Berliner MethadonColloquium (1984) Methadon-Programme abgelehnt (BewH 87, 320; vgl. auch Kühne ZRP 89, 1 u. Heckmann BewH 89, 80). Ostendorf (Grdl. zu § 93 a Rn 6) schlägt ein Verbundsystem von Abstinenz- und Ersatzmitteltherapie vor, räumt aber ein, dass bloßes Verschreiben von Ersatzdrogen lebensgefährdend sein kann, wie die Todesrate solcher Patienten beweise. Methadon-Programme können eine abstinenzorientierte Therapie nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Sie dürfen diese daher nicht verdrängen, sondern kommen dann in Betracht, wenn abstinenzorientierte Programme nicht greifen und Substitution zur Verhinderung schwerer Schäden angezeigt ist (Dölling Eindämmung des Drogenmissbrauchs zwischen Repression u. Prävention, 1995 S. 24: s. auch Laufs NJW 99, 1769, nach dem die ärztlich verordnete Substitution höchste Vorsicht verlangt u. für den Arzt die abstinenzorientierte Therapie im Vordergrund stehen muss, u. Servais Kriminalistik 99, 124 zu den Risiken von Methadon). Zur strafrechtlichen Haftung des verschreibenden Arztes vgl. BGH 37, 383; BGH JR 79, 429 mit krit. Anm. Hirsch; BayObLG NJW 95, 797. Allg. zum Umgang mit Drogendelinquenz Einf. I, 49 ff.
6.
Ungehorsamsfolgen
20 Die Befolgung der Weisungen kann nicht erzwungen, sondern nur die Nichtbefolgung mit JA geahndet werden (§ 11 III). Darüber soll der J belehrt werden (RL 8: aktenkundig!); darauf hat der JStA hinzuwirken (RL 8). Verbieten die ErzBerechtigten die Befolgung der Weisung (z. B. den Heimaufenthalt), so handelt der J nicht schuldhaft und kann nur durch Änderung der Weisung geholfen werden (§ 11, 3). Weisungen sollten deshalb möglichst nicht gegen den Willen der ErzBerechtigten erteilt werden (Rn 3 b; Schaffstein/Beulke S. 109; Middendorff RdJ 55, 141). Zur Zurücknahme der Einwilligung § 11, 6 und BGH 36, 97 in § 26 a, 4.
7.
Überwachung
21 Die Durchführung der Weisungen und deren Überwachung obliegt der JGH (§ 38 II 3); deshalb muss sie vor der Anordnung gem. § 38 III 3 gehört werden (RL 7; näher § 45, 40). Vollstreckungsleiter ist der JRichter (§ 82 I 2). Da die JGH nur als Helfer des JRichters überwacht, darf auch dieser selbst die Einhaltung der Weisungen kontrollieren. Neben der JGH kann auch ein bes. Helfer zur Überwachung herangezogen werden (zust. Eisenberg 73; Privatpersonen lehnt Ostendorf 28 ab). Die amtl. BewHelfer haben Weisungen nur zu überwachen, wenn diese im Rahmen einer Strafaussetzung zur Bewährung erteilt sind (Dallinger/Lackner 41). Die Überwachung der Weisungen ist wesentlich. Sie hilft dem J, macht erhebliche Verstöße dem Richter bekannt und ermöglicht bei Änderung der Umstände, nicht mehr wirksame oder gar schädlich gewordene Weisungen abzuändern oder zu ersetzen (Brunner Zbl. 73, 58; Kellner Zbl. 68, 65).
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Weisungen
8.
§ 10
Versicherungsschutz und Kosten der Durchführung
Fragen des Versicherungsschutzes treten zum einen auf, wenn der J bei der Erfüllung von Wei- 22 sungen einen Unfall erleidet. Bei Weisungen nach Abs. I 3 Nr. 3 besteht gesetzlicher Unfallversicherungsschutz nach § 2 Abs. I Nr. 1 SGB VII, bei Arbeitsweisungen gem. Abs. I 3 Nr. 4 und Arbeitsauflagen gem. § 15 I Nr. 3 nach § 2 Abs. 2 SGB VII. Dieser Schutz greift auch ein, wenn die Arbeitsleistung aufgrund staatsanwaltlicher oder jbehördlicher Anordnung erfolgt (Brandt NStZ 07, 194). Er kommt auch in Betracht, wenn im Rahmen eines TOA oder einer Schadenswiedergutmachung nach § 15 I Nr. 1 Arbeitsleistungen erbracht werden (Wimmer DVJJ-J 98, 37; Höynck DVJJ-J 00, 286). Im Übrigen greift die jeweilige Krankenversicherung des J. Bei Schädigung anderer durch den J haftet dieser nach den allg. gesetzlichen Vorschriften, ggf. unterstützt durch eine private Haftpflichtversicherung. Trifft der Schaden nicht die Arbeits-Einsatzstelle, sondern Dritte, kann er durch eine kommunale Haftpflichtversicherung oder eine Betriebshaftpflichtversicherung abgedeckt sein (Wimmer aaO, 36; Höynck aaO, 286). Lücken im Versicherungsschutz, die insbes. bei der Verursachung von Schäden der Ableistungsstelle bestehen können, sollten gesehen und regional übergreifend gelöst werden (Brandt aaO 195). Die zur Durchführung der Weisung erforderlichen Kosten gehören nicht zu den Kosten und 22 a Auslagen des § 74, weil die Weisung nicht erzwingbar ist (Rn 20), es sich also nicht um Kosten 25 der Vollstreckung handelt (§ 74, 9; Eisenberg 81; Löwe/Rosenberg/Hilger § 465 StPO 11). Wo die Kosten für die Durchführung der Weisung dem J oder den Eltern zur Last fallen, kann die Weisung unzumutbar sein (Rn 7). Bei ausreichenden Eigenmitteln des J oder insbes. Hw. aber kann die Übernahme zumutbar und erz. sein. Dagegen will Ostendorf (29 u. ZRP 88, 432) die Kosten ambulanter Maßnahmen als notwendige Auslagen des J definieren und nach § 74 der Staatskasse aufbürden, um ein Hindernis für ambulante Maßnahmen zu beseitigen. Wenn es sich bei der vom JRichter angeordneten Weisung um eine Hilfe zur Erz. iSd §§ 27 ff 22 b SGB VIII handelt, greift der am 1. 10. 2005 aufgrund des G zur Weiterentwicklung der Kinderund JHilfe (KICK) in Kraft getretene § 36 a SGB VIII ein, der an der früheren Rechtslage substantiell nichts geändert hat (Meier ZJJ 06, 261; Trenczek ZJJ 07, 37). Danach kann das Urteil des JRichters das JAmt – abgesehen von der Betreuungsweisung – nicht im Einzelfall zur Durchführung der Weisung verpflichten (Goerdeler ZJJ 05, 315, 316; Meier ZJJ 06, 264; Strafrechtsausschuss der Justizministerkonferenz ZJJ 07, 439; Miehe DVJJ-J 97, 266; H. Pfeiffer DVJJ-J 96, 137; aA Ostendorf § 38, 19, 19 a u. – vor Inkrafttreten des § 36 a SGB VIII – Bizer Zbl. 92, 619; Hohendorf BewH 94, 92). Führt das JAmt die Weisung durch, hat es die Kosten der Maßnahme zu tragen (Meier ZJJ 06, 262, 264; Strafrechtsausschuss ZJJ 07, 440; Miehe aaO; H. Pfeiffer DVJJ-J 06, 135; aA – vor Inkrafttreten des § 36 a SGB VIII – Mayer DVJJ-J 93, 64). Der soziale Trainingskurs fällt unter die soziale Gruppenarbeit iSv § 29 SGB VIII, der Betreuungshelfer ist in § 30 SGB VIII aufgeführt (vgl. auch § 38 I 7 JGG). Auch andere jrichterliche Weisungen, wie zB der Täter-Opfer-Ausgleich, können Hilfen zur Erz. iSd SGB VIII zum Gegenstand haben, denn der Katalog der §§ 28 bis 35 SGB VIII ist nicht abschließend (vgl. § 27 II 1 SGB VIII „insbesondere“). Ob die Maßnahmen durchgeführt werden, richtet sich nach der Beurteilung des erz. Bedarfs durch das JAmt (§ 27 II 2 SGB VIII). Der JRichter sollte daher Weisungen, die eine Hilfe zur Erz. iSd SGB VIII betreffen, nur verhängen, nachdem er zuvor mit der JGH die Durchführung der Maßnahmen abgeklärt hat (s. auch § 38 III 3 JGG). Aus dem Zusammenspiel von JGG und SGB VIII (§§ 9 ff JGG, §§ 27 ff, 52 II SGB VIII) ergibt sich allerdings eine allg. Verpflichtung des JAmts, in angemessenem Umfang Hilfen zur Erz. für junge Straffällige anzubieten. JRichter und JAmt müssen bei ihren Entscheidungen die wechselseitigen Auffassungen jeweils angemessen berücksichtigen. Auch bei dieser Frage kommt der vertrauensvollen Zusammenarbeit entscheidende Bedeutung zu. Teilweise wird angenommen, § 36 a SGB VIII verstoße gegen den verfassungsrechtlichen Richtervorbehalt gemäß Art. 92 GG bzw. die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 97 GG (Ostendorf § 38, 19 a u. ZJJ 06, 160 f; Bareis ZJJ 06, 11; für Verfassungsmäßigkeit Goerdeler ZJJ 06, 7 ff; Trenczek ZJJ 07, 36;
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Brandt NStZ 07, 192). Einen auf die Verletzung von Art. 92 GG gestützten Vorlagebeschluss des AG Eilenburg (ZJJ 06, 85) hat das BVerfG (ZJJ 07, 213) als unzulässig angesehen (dazu Franzen ZJJ 08, 17). Zur Kostenerhebung bei dem J u. seinen Eltern nach dem SGB VIII s. Spiehl DVJJ-J 91, 263. S. auch § 12, 7. Zu Vollstreckungsanordnungen im Bußgeldverfahren vgl. § 2, 9 u. § 82, 14.
9.
Weisungen bei Drogentätern
23 Der Erfolg von Weisungen bei Drogentätern bleibt stets problematisch (Rn 18 f); der JRichter darf und soll aber auch ein Risiko des Misslingens auf sich nehmen, zumal ja Weisungen stets den Erfordernissen ihrer Wirkung angepasst werden können (§ 11 II). 23 a Bei Drogenabhängigen bieten sich Weisungen nur dann an, wenn der Abhängige körperlich bereits entzogen ist und nach gründlicher Erforschung der Persönlichkeit ausreichende Aussicht auf Erfüllung besteht. Denn für den Weigerungsfall sind sie mit bis zu 4 Wochen JA als Ungehorsamsstrafe bewehrt und es geraten dann auf solchem Umwege doch wieder arrestuntaugliche Abhängige in den JA (§ 16, 23). Bei noch bestehender physischer Drogenabhängigkeit sind Weisungen aussichtslos und schlechthin ungeeignet (ähnlich Kreuzer, Grundlagen der Kriminalistik Bd. 9, 1972 S. 282 f). Die Weisung nach § 10 II, sich einer Entziehungskur zu unterziehen (Rn 18), kann unterstützt werden durch Weisungen, die sich auf Aufenthalt und Wohnung beziehen (§ 10 I Nr. 1, 2; Rn 8), und durch die Weisung, Arbeitsleistungen zu erbringen (§ 10 I Nr. 4; Rn 9), insbes. aber an einem Urinkontrollprogramm teilzunehmen (näher Rn 14 a, 19 a aE; § 21, 17). Die Unterstellung unter einen Betreuungshelfer nach Abs. I Nr. 5 (näher Rn 10) empfiehlt sich dabei regelmäßig. Die Weisung, eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle anzunehmen (Nr. 3), dürfte für viele Drogenabhängige verfrüht und, als von vornherein aussichtslos, auch erz. abträglich sein. Die Weisungen, den Verkehr mit bestimmten Personen oder den Besuch von Drogenlokalen zu unterlassen (Abs. I Nr. 8), erscheinen nur vordergründig bes. geeignet, denn sie können nicht so klar und gezielt erteilt werden, wie es geboten, und ihre Einhaltung kann nicht so zuverlässig überwacht werden, wie es unerlässlich ist, um nicht als nur papierene Drohung eher das Gegenteil zu bewirken. Die erz. gebotene Überwachung (§ 38, 21) dient zugleich der Auslotung und Anregung eventuell notwendig werdender Änderungen der Weisungen (§ 11, 2, 3). Der JRichter könnte, soweit gesetzlich zulässig (Rn 2, 3, 14 a), geeignete weitere Weisungen „erfinden“, es muss aber vor filmnahen, psychologisierenden Spielereien gewarnt werden (Rn 3 aE, 11). Vgl. insgesamt Brunner Zbl. 80, 415, 419. Zur Therapie von Suchtstörungen Einf. I 50 b. 24 Bei noch nicht drogenabhängigen Tätern, auch bei Anfangs-Kleindealern, verspricht der Einsatz bloßer Weisungen eher Erfolg, auch die Möglichkeiten, geeignete auf die Person des Täters zugeschnittene Weisungen einzusetzen, sind erheblich erweitert. Die Weisung, eine Drogenberatungsstelle aufzusuchen, kann hier helfen, denn auch der erzwungene Beginn kann zu freiwilliger und fruchtbarer Mitarbeit führen; ein solcher Versuch ist dem Täter zuzumuten und aller Mühe wert. Zur Weisung, an einem Drogenseminar teilzunehmen, Schaar Zbl. 85, 118. Weisungen können bei geeigneten Tätern uU durch vorgehenden JA eingeleitet und gestützt werden (§ 16, 19). Zum Widerruf § 26 a, 16. Zu Auflagen § 15, 17; allg. zu Drogentätern: Einf. I 49–51.
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Laufzeit und nachträgliche Änderung von Weisungen
§ 11
§ 11 Laufzeit und nachträgliche Änderung von Weisungen; Folgen der Zuwiderhandlung § 11 Laufzeit und nachträgliche Änderung von Weisungen (1) Der Richter bestimmt die Laufzeit der Weisungen. Die Laufzeit darf zwei Jahre nicht überschreiten; sie soll bei einer Weisung nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 nicht mehr als ein Jahr, bei einer Weisung nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 nicht mehr als sechs Monate betragen. (2) Der Richter kann Weisungen ändern, von ihnen befreien oder ihre Laufzeit vor Ablauf bis auf drei Jahre verlängern, wenn dies aus Gründen der Erziehung geboten ist. (3) Kommt der Jugendliche Weisungen schuldhaft nicht nach, so kann Jugendarrest verhängt werden, wenn eine Belehrung über die Folgen schuldhafter Zuwiderhandlung erfolgt war. Hiernach verhängter Jugendarrest darf bei einer Verurteilung insgesamt die Dauer von vier Wochen nicht überschreiten. Der Richter sieht von der Vollstreckung des Jugendarrestes ab, wenn der Jugendliche nach Verhängung des Arrestes der Weisung nachkommt. 1. Hw.-J: § 105 I. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1, IV; § 65, 4. – 3. Sold. Rn 3, § 112 a Nr. 3. Richtlinien zu § 11: 1. Bei Weisungen, denen der Jugendliche längere Zeit hindurch nachzukommen hat, empfiehlt es sich, in angemessenen Zeitabständen zu prüfen, ob es aus Gründen der Erziehung geboten ist, die Weisung oder ihre Laufzeit zu ändern oder die Weisung aufzuheben. Zur Anhörung der Jugendgerichtshilfe, eines bestellten Betreuungshelfers und des Leiters eines sozialen Trainingskurses wird auf § 65 Abs. 1 Satz 2 hingewiesen. 2. Unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit soll die Staatsanwaltschaft darauf hinwirken, dass bei Zuwiderhandlungen gegen Weisungen Jugendarrest nur verhängt wird, wenn mildere Maßnahmen, z. B. eine formlose Ermahnung, nicht ausreichen. Ist Jugendarrest nach § 11 Abs. 3 Satz 1 zu verhängen, so regt die Staatsanwaltschaft an, ein solches Maß festzusetzen, das im Wiederholungsfall gesteigert werden kann, falls sich dies aus erzieherischen Gründen als notwendig erweist. 3. Vor der Verhängung von Jugendarrest ist dem Jugendlichen Gelegenheit zur mündlichen Äußerung zu geben (§ 65 Abs. 1 Satz 3).
Der Richter bestimmt im Urteil für jede Weisung deren Laufzeit, die 2 Jahre ab Rechtskraft 1 nicht überschreiten darf. Diese in Abs. I getroffene Regelung folgt der Erfahrung, dass eine längere Dauer durch die zunehmende Entfernung von der die Weisung auslösenden Tat, durch Abstumpfung und Gewöhnung gerade bei jungen Menschen der gewünschten erz. Wirkung entgegenstünde. Nach Abs. I 2 HS 2 aber beträgt grds. die Laufzeit bei der Betreuungsweisung höchstens 1 Jahr (näher § 10, 10 aE) und bei der Weisung, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen, höchstens 6 Monate (näher § 10, 11 a aE). Der Vergleich der Abs. I 2 HS 2 und II ergibt, dass eine nachträgliche Verlängerung nach Abs. II bei diesen beiden Weisungen kaum in Betracht kommt. Bei den übrigen Weisungen aber kann der JRichter in bes. Fällen die Laufzeit um höchstens 1 Jahr, also auf insgesamt 3 Jahre, aus Gründen der Erz. verlängern (Abs. II). Der „Einbruch in die Rechtskraft“ durch Änderung einer Weisung gemäß Abs. II nach dem 2 Grundsatz der Reaktionsbeweglichkeit ist nicht nur möglich, wenn sich die Tatsachen geändert haben (Änderung der persönl. Verhältnisse, der Entwicklung, Erreichen des erstrebten erz. Erfolges, Wehrdienst: § 112 a Nr. 3 S. 2), sondern auch dann, wenn die Situation anders beurteilt wird (J ist schwerer oder leichter erziehbar, die neue Umgebung oder Aufsichtsperson erweist sich als ungeeignet, die Weisung kann nicht überwacht werden); Verschulden ist nicht erforderlich. Denn das Gesetz verlangt nur allg., dass Gründe der Erz. eine Änderung gebieten. Die Ach-
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§ 11
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tung vor der Rechtskraft kann einer Abänderung nicht entgegenstehen, weil im Hinblick auf § 11 II nicht die angeordnete Weisung in Rechtskraft erwächst, sondern nur die Anordnung, dass dieser J durch Weisungen in der jeweils angemessenen Form erzogen werden soll (Grethlein S. 98 f, 168; § 10, 1). Wegen der Grenzen Rn 3. – Wenn eine Änderung notwendig ist, muss sie vorgenommen werden; das ist für den Wehrdienst in § 112 a Nr. 3 S. 2 ausdrücklich ausgesprochen, gilt aber allg. Länger währende Weisungen sind deshalb von Zeit zu Zeit zu überprüfen, ob sie noch den Verhältnissen entsprechen (RL 1). Das alles gilt auch für Auflagen (§ 15 III 1; § 15, 13). 2 a Bei nachträglichen Entscheidungen über Weisungen nach Abs. II und III (oder über Auflagen § 15 III 1) soll der JRichter den Vertreter der JGH, den Betreuungshelfer (vgl. § 10, 10) oder den Leiter des sozialen Trainingskurses (vgl. § 10, 11) anhören (§ 65 I S. 2; RL 1 S. 2). Dies ist insbes. dann geboten, wenn diese die Weisung (oder Auflage) zu überwachen hatten. Der Richter entscheidet nach seinem pflichtgemäßem Ermessen („falls erforderlich“); idR wird sich mündliche Anhörung empfehlen. 3 Die neuen Weisungen dürfen auch härter und anders geartet sein (Dallinger/Lackner 1; DSS/ Diemer 8; aA Ostendorf 4 „Vertrauensprinzip“; vgl. auch § 23, 5 für BewAuflagen). Es sind die allg. Grenzen zu beachten, die den Weisungen gesetzt sind. Bes. wichtig ist, dass auch die neuen Weisungen nicht von der Tat losgelöst werden dürfen; sie müssen also auch zu ihr in Beziehung stehen und angemessen sein (§ 9, 3 u. Einf. II 12, 13). – Auch eine bloße Ergänzung durch eine weitere Weisung ist möglich, wenn schon eine Weisung erteilt war. Ebenso können alle Weisungen aufgehoben werden, zB wenn der Erfolg erreicht ist oder mit Weisungen nicht zu erreichen ist. Aufhebung kann bes. bei Beginn von Wehrdienst angebracht sein (§ 112 a Nr. 3 S. 2; Potrykus NJW 57, 815). Eine Umwandlung von Weisungen in Auflagen ist nicht zulässig. Auflagen haben eine andere Funktion als Weisungen. Sie können nicht im Nachhinein angeordnet werden, ohne dass ihre Voraussetzungen in der Hauptverhandlung festgestellt worden sind (DSS/Diemer 6; Eisenberg 8; Ostendorf 4; aA Böttcher/Weber NStZ 90, 560 u. 91, 8 mit FN 69). Das gilt auch bei Soldaten, denn § 112 a Nr. 3 S. 2 hebt die Funktionsunterschiede zwischen den beiden Rechtsfolgenarten nicht auf (DSS/Diemer aaO u. § 112 a, 11; aA Ostendorf aaO). 4 Der vorsätzliche oder fahrlässige Verstoß gegen eine Weisung (oder gegen eine Auflage oder BewAuflage – §§ 15 III 2, 23 I 4) ist ein spezifisch jstrafrechtl. Tatbestand des Ungehorsams (Dallinger/Lackner 7; Böhm/Feuerhelm S. 193; Schaffstein/Beulke S. 114; Itzel S. 37; Miehe Die Bedeutung der Tat, 1964 S. 43; Bedenken Eisenberg 12 wegen des Tatbestands des Ungehorsams; aA auch Potrykus B 4 u. Schnitzerling JZ 56, 274) und kann mit JA geahndet werden. Das ist unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur bei erhebl. Verstößen angebracht (RL 2; s. § 38 II 3, 4); oft genügt eine Ermahnung oder eine Änderung der Weisung. Doch ist auch eine zu große Geduld des JRichters erz. gefährlich (für konsequente Anwendung des Ungehorsamsarrestes Kropp NJ 03, 240; gegen den Ungehorsamsarrest Hinrichs DVJJ-J 96, 59). 4 a Bevor der JRichter Ungehorsamsarrest verhängt, muss er dem J Gelegenheit zur mündlichen Äußerung geben (RL 3; näher § 58, 4 u. § 65, 6). Denn es wäre zu befürchten, dass Trotz und Gleichgültigkeit leicht schriftliche Mitteilungen vergeblich sein lassen. Eine mündliche Anhörung aber gibt dem J Gelegenheit, sich zu eröffnen und Missverständnisse zu klären, der Richter kann das Verhalten des J besser einschätzen. Aber nicht „mündliche Anhörung“ ist gefordert, es muss dem J nur – zwingend – Gelegenheit dazu gegeben werden. Vereitelt der J die Anhörung, aus welchem Grund auch immer, kann sein Erscheinen nicht erzwungen werden (vgl. § 60, 7 u. § 65, 7). Der J kann aber dann aus der Nichtanhörung keine Rechte herleiten. Auch die Androhung des Arrestes kann schon Wirkung zeigen, in Einzelfällen, die erkannt werden wollen, auch ein ruhiges Anhörungsgespräch.
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Laufzeit und nachträgliche Änderung von Weisungen
§ 11
Die Verhängung von JA wegen Ungehorsams gegen Weisungen und Auflagen kann auch gem. 5 §§ 154 StPO, 47 JGG unterbleiben, zB wenn der J inzwischen zu einer vollstreckbaren JStrafe verurteilt worden ist; eine solche Einstellung ist auch noch möglich, wenn schon JA verhängt, der Beschluss aber noch nicht rechtskräftig ist (Eisenberg 23; aA DSS/Diemer 20). JA kann nur verhängt werden, wenn der Täter belehrt war (wohl Bedingung der Strafbarkeit; 6 vgl. Hinweise zur Belehrung § 10, 3 a; § 15, 13), auch sonst schuldhaft gehandelt hat, und wenn die Zuwiderhandlung nachgewiesen ist. Ist die Befolgung der Weisung zB wegen eines entgegenstehenden Gebotes des ErzBerechtigten nicht zumutbar, fehlt die Schuld. Bei einem Konflikt mit militärischen Pflichten gehen diese vor (§ 10, 5). Die Zuwiderhandlungen gegen die Weisungen und Auflagen sind für den Soldaten dann nicht rechtswidrig (Dallinger/Lackner § 112 a, 22). Befolgt ein mindestens 16 Jahre alter J eine mit seiner Zustimmung erteilte Therapieweisung nach § 10 II nicht, darf nach LG Marburg NStZ-RR 06, 122 kein JA verhängt werden, weil in der Nichtbefolgung eine Rücknahme der Zustimmung liegt (s. auch § 26 a, 4 aE). – Die Ermittlung des objektiven Tatbestandes ist schwierig, wenn die Weisung nicht bestimmt ist. Vgl. dazu KG JR 87, 124 zu § 145 a StGB mit Anm. Grothe JR 88, 258, wo die Weisung, sich bei der Führungsaufsichtsstelle und dem BewH zu den von diesen zu bestimmenden Zeitpunkten zu melden, als zu unbestimmt bezeichnet worden ist und auf § 68 b I 2 StGB hingewiesen wird, und LG Bielefeld StV 01, 175: Unzulässigkeit von JA, wenn bei der Weisung, Kontakt zur Drogenberatung zu halten, keine Laufzeit bestimmt und keine nähere Ausgestaltung der Kontaktaufnahme zur Drogenberatung erfolgt ist. Der Nachweis des subjektiven Tatbestandes fällt schwer, wenn die Weisung nicht klar und verständlich ist. Weiter muss eine Weisung verletzt sein, die im Urteil, nach § 11 II, als BewAuflage (§ 23 I) oder nach § 53 vom Familiengericht erteilt wurde. Da Ungehorsamsarrest einen Schuldspruch durch Urteil voraussetzt, genügt es nicht, wenn die Weisung nach §§ 45, 47 ergangen ist (OLG Düsseldorf MDR 94, 505) oder vom Familiengericht in eigener Zuständigkeit ausgesprochen worden ist. Kann die Weisung wegen Ablaufs der Laufzeit nicht mehr befolgt werden, darf JA nicht verhängt werden, denn er kann nicht mehr der Durchsetzung der Weisung dienen (LG Landau StV 03, 461). Dass der inzwischen ältere Täter bei einer strafbaren Handlung zum gleichen Zeitpunkt nicht mehr nach materiellem JRecht abzuurteilen wäre, steht der Verhängung von JA hier nicht entgegen (Böhm Einf. in das JStrafrecht, 3. Aufl. 1996 S. 178; Potrykus 7; aA Ostendorf 14). Es kann wegen des einzelnen Verstoßes JA bis zum Höchstmaß, insgesamt aber bei einer Verur- 7 teilung nicht über die Dauer von 4 Wochen hinaus verhängt werden (Abs. III 2). Dies gilt auch, wenn die Weisung, deren Nichterfüllung geahndet wird, neben JA ausgesprochen worden ist; das Höchstmaß gilt aber unabhängig für beide Arten des JA. Das ergibt sich auch aus BVerfG NJW 89, 2529; dazu auch Rn 8 aE; aA Ostendorf Zbl. 83, 563, 576 u. Rn 15. Für das Höchstmaß ist die Verhängung, nicht die Vollstreckung maßgeblich. Ein Absehen von der Vollstreckung nach Abs. III 3 ist danach für die Berechnung unerheblich (OLG Zweibrücken StV 91, 425 = NStZ 92, 84 mit Anm. Ostendorf; DSS/Diemer 14; Eisenberg 21). Bei wiederholter Verhängung von JA (§ 16, 11) ist Vorsicht geboten (vgl. dazu RL 2); in diesen Fällen wird oft die Weisung den Verhältnissen nicht gerecht (vgl. LG Hannover NdsRpfl. 69, 191 zur Frage der Verhältnismäßigkeit bei wiederholter Anordnung von Ungehorsamsarrest). Der Ungehorsamsarrest kann nicht mit Sanktionen des JGerichts zu einer einheitlichen Entscheidung nach § 31 zusammengefasst werden (näher § 31, 27; ebenso Eisenberg Zbl. 89, 17, 18). Von der Vollstreckung des Ungehorsamsarrestes muss der Richter absehen, wenn der J nach 8 Verhängung des JA der Weisung nachkommt (Abs. III 3). Diese Regelung engt allerdings den JRichter sehr ein und nimmt ihm eine Reaktionsmöglichkeit, denn gerade erz. Gründe können gleichwohl die Vollstreckung fordern (vgl. aE), auch in dem gewiss seltenen Fall, dass der J es mehrfach darauf ankommen lassen will. Das gilt auch für das OWiGVerfahren, § 82, 15, 16. Das
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Absehen von der Vollstreckung des Ungehorsamsarrestes nach §§ 11 III 3, 15 III 2 oder § 98 II, III OWiG obliegt dem Richter des ersten Rechtszuges (§ 65 I, § 104 I OWiG). Dies gilt auch, wenn die Vollstreckung bereits an den Vollstreckungsleiter der JAAnstalt abgegeben worden ist (BGH 48, 1 mit Besprechung Landmann Rpfl. 03, 483 = JR 03, 215 mit zust. Anm. Eisenberg; DSS/Diemer 19; LBN/Baier S. 279; Ostendorf § 65 Rn 2; Streng S. 184; aA Voraufl., Böttcher/Weber NStZ 91, 8). Die Weisung oder Auflage bleibt unabhängig von Verhängung und Vollzug des JA bestehen (übereinstimmend DSS/Diemer 18), es sei denn, der Richter befreit ausdrücklich von ihr, was nur in ganz bes. Fällen sinnvoll sein wird. Es könnte sich sonst in der Praxis ein nicht vorgesehenes Wahlrecht des J zwischen Erfüllung der Weisung oder Ungehorsamsarrest einspielen. Der Ungehorsamsarrest ist nicht eine „Ersatzfreiheitsstrafe“, sondern er soll die künftige Befolgung der Weisung oder Auflage sichern (Böttcher/Weber NStZ 91, 8), es stünde ohne ihn die Sanktion erzwidrig nur auf dem Papier (aA Ostendorf 12, nach dem mit der Verbüßung eines „Zwangsarrestes“ von den zuvor angeordneten Weisungen zu befreien ist; nach Eisenberg 24 ist eine Befreiung angezeigt, wenn die Erforderlichkeit des JA auf fehlende Geeignetheit der Weisung hindeutet). Nach Landmann (Rpfl. 99, 251) muss der JRichter nach Verhängung des JA dem J eine Frist zur nachträglichen Erfüllung der Weisung setzen und darf der Richter die Vollstreckung erst einleiten, wenn der J die Nachfrist ungenutzt verstreichen lässt. Nach dem Gesetz hat der J jedoch vor Verhängung des JA Gelegenheit, die Weisung zu erfüllen oder eine Entscheidung nach Abs. II zu erreichen (vgl. § 65 I 3), sodass es einer Nachfristsetzung nicht bedarf. Die Auffassung von Landmann (aaO, 256; Rpfl. 03, 484, 489), nach Einleitung der Vollstreckung dürfe von dieser wegen nachträglicher Erfüllung der Weisung nicht mehr abgesehen werden, ist mit Abs. III 3 nicht vereinbar. 8 a Der Ungehorsamsarrest ist eine spezifische Maßnahme der gebotenen Überwachung der Weisung (oder BewAufsicht) und daher von ihr selbst völlig unabhängig (vgl. BVerfG NJW 89, 2529), was Dörig (DRiZ 87, 277) übersieht, der von der Vollstreckung des Ungehorsamsarrestes absehen will, wenn die Weisung gegenstandslos geworden ist. Bestenfalls könnte aus III S. 3 ein dahingehendes Ermessen hergeleitet werden. Nach Eisenhardt (Gutachten über den JA, 1989 S. 145) ist der Ungehorsamsarrest bei einer wachsenden Gruppe von Probanden geeignet, die Erfüllung von Weisungen und Auflagen zu erzwingen, wobei diese allerdings denen gleichen, die als größere Gruppen für den JA grds. nicht geeignet erscheinen. 9 Dies alles gilt entsprechend beim Verstoß gegen eine Auflage (§ 15 III), gegen eine BewAuflage (§ 23 I 3) und in den Fällen des § 98 II, III OWiG (§ 82, 11). 10 Zuständigkeit (Rn 8), Verfahren u. Anfechtung § 65; § 53, 7; Einheitsprinzip § 31, 27; der Ungehorsamsarrest wird nach § 60 I Nr. 2 BZRG eingetragen, was im Falle des § 98 II OWiG nicht gilt (vgl. Götz GA 73, 195). 11 Bei Drogenabhängigen ist JA schlechthin ungeeignet (näher § 16, 23). Dies wird aus den dort ausgeführten Gründen auch für den Ungehorsamsarrest gelten müssen, was zu Schwierigkeiten führen kann. Vgl. Brunner Zbl. 80, 415, 419; Kreuzer Zbl. 74, 214.
§ 12 Hilfe zur Erziehung § 12 Hilfe zur Erziehung Der Richter kann dem Jugendlichen nach Anhörung des Jugendamts auch auferlegen, unter den im Achten Buch Sozialgesetzbuch genannten Voraussetzungen Hilfe zur Erziehung 1. in Form der Erziehungsbeistandschaft im Sinne des § 30 des Achten Buches Sozialgesetzbuch oder
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Hilfe zur Erziehung
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2. in einer Einrichtung über Tag und Nacht oder in einer sonstigen betreuten Wohnform im Sinne des § 34 des Achten Buches Sozialgesetzbuch in Anspruch zu nehmen. 1. [Hw.]: – Rn 2; § 105 I. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1, IV; § 9, 8. –3. Sold. Rn 8; § 112 a Nr. 1. Richtlinie zu § 12: Auf die Richtlinie Nr. 2 zu § 105 wird hingewiesen.
Den Hilfen zur Erz. kommt in der jstrafrechtlichen Praxis nur noch geringe Bedeutung zu. 1 2009 wurde lediglich bei 187 J ErzBeistandschaft und bei 54 Heimerz. angeordnet (Stat. BA S. 306 f). Das sind 0,6 bzw. 0,2% aller ErzMaßregeln. Die ErzBeistandschaft iSd § 30 SGB VIII und die Unterbringung in einer Einrichtung über Tag 2 und Nacht oder in einer sonstigen betreuten Wohnform iSd § 34 SGB VIII sind Hilfen, welche auf Antrag durch das JAmt angeordnet werden können und Zustimmung des Personensorgeberechtigten, des Kindes, des J oder des „jungen Volljährigen“ (Rn 8) voraussetzen. Denn das SGB VIII versteht sich als reines „Leistungsgesetz“, was darin Ausdruck findet, dass Hilfen des SGB VIII nur auf Antrag der oa Zustimmungsberechtigten und nicht zwangsweise erfolgen dürfen. Ist sonach eine Hilfe nach dem SGB VIII geboten und wird von der zustimmungsberechtigten Person nicht zugestimmt, müssen die Hilfen also zwangsweise angeordnet werden, so ist der Weg über das Familiengericht (§§ 1666, 1837 BGB) oder den JRichter vorgesehen, soweit Hilfen nach dem SGB VIII im JGG als ErzMaßregeln (§ 9 Nr. 2 iVm § 12) angeordnet werden können (vgl. auch § 10, 14 b). Der JRichter kann also, wenn Weisungen nach §§ 9 Nr. 1, 10 oder Auflagen nach § 15 nicht mehr 3 ausreichen oder erz. unangebracht sind, nach Anhörung des JAmts (Rn 6) dem J auferlegen, unter im SGB VIII genannten Voraussetzungen, die in Nr. 1 u. 2 des § 12 umschriebenen Hilfen in Anspruch zu nehmen. Die durch das SGB VIII in das JGG aufgenommene Formulierung „verpflichten, . . . Hilfe . . . in Anspruch zu nehmen“ hat das 1. G zur Änderung des SGB VIII in Anlehnung an die Terminologie des § 10 JGG (BT-Drs. 12/3711, S. 47) durch die Formulierung ersetzt, dass der Richter dem Jugendlichen „auferlegen“ kann, die Hilfe in Anspruch zu nehmen. Schwenkel/Omar (Zbl. 90, 493, 494) befürchten, dass durch Gleichsetzung der Sanktionen nach dem JGG und der Hilfen zur Erz. nach dem SGB VIII Unterschiede verwischt würden; denn nach dem SGB VIII finde Erz., mit Ausnahme der schulischen, im „staatsfernen Raum“ statt. Dagegen spricht sich Lempp (Zbl. 94, 369) dafür aus, § 12 JGG auf alle Maßnahmen der JHilfe zu erweitern. Die ErzBeistandschaft ist bei straffälligen J selten ein geeignetes Mittel und durch die vorver- 4 legte Volljährigkeit noch weiter eingeschränkt. Der JRichter erteilt in den entsprechenden Fällen besser eine unmittelbar an den J sich wendende Betreuungsweisung (§ 10, 10), da der J durch § 11 III wenigstens mittelbar gezwungen ist, den Weisungen des Helfers nachzukommen. Die Hilfe zur Erz. nach Nr. 2 ist ein sehr schwerwiegender Eingriff (dazu Rn 9), der sorgsam zu 5 prüfen fordert, ob nicht ambulante Maßnahmen genügen (Subsidiarität, Einf. II 18) und ob nicht diese Maßnahmen außer Verhältnis zur Tat stehen (§ 5, 6), was bei der unbestimmten langen Dauer des Freiheitsentzuges nicht selten der Fall sein wird. Zur Diskussion über eine geschlossene Unterbringung vgl. die Beiträge von Remschmidt ua in DVJJ-J 94, 269 ff; von Wolffersdorff RdJ 99, 319; Gerlich in DVJJ-BW Hrsg., Auffällige Kinder u. J im Spannungsfeld zwischen Erlebnispädagogik, geschlossener Unterbringung u. Therapie, 2000 S. 27 ff. Wie für die frühere Fürsorgeerziehung (vgl. Potrykus UJ 56, 253), lässt sich auch hier die Meinung vertreten, dass der JRichter die Anordnung der Maßnahme nach Nr. 2 besser dem Familiengericht nach § 53 oder § 1666 BGB überlassen sollte. Dieses ist freier, nicht an die Tat gebunden und es geht allein um die Erz. Hierfür spricht neben der Befürchtung, dass allzu häufige Anordnung durch das
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J(Straf)gericht diesem Institut schaden könnte, vor allem, dass das JGerichtsverfahren durch die notwendigen diffizilen Ermittlungen in seinem Ablauf behindert wird. Anders stellt sich die Lage aber dar, wenn sich die Notwendigkeit, zu einer solchen Hilfe zu greifen, erst in der Hauptverhandlung ergibt und die erforderlichen Feststellungen vorliegen oder unschwer getroffen werden können. 6 In der durch das KJHG geschaffenen Fassung hatte § 12 für die Anordnung von Hilfen zur Erz. das Einvernehmen mit dem JAmt verlangt. Dieses unter dem Aspekt der richterlichen Unabhängigkeit gem. Art. 92, 97 GG verfassungsrechtlich bedenkliche Erfordernis (DSS/Diemer 7) ist durch das 1. G zur Änderung des SGB VIII 1993 zu Recht durch die sinnvolle Voraussetzung der Anhörung des JAmts ersetzt worden (zustimmend auch Eisenberg 5; Maas Zbl. 94, 70; aA Mrozynski Zbl. 92, 446; für Bindung der Entscheidung des JRichters an ein „Votum einer ErzKonferenz“ Schwenkel/Omar Zbl. 90, 493, 494). Vgl. aber Rn 7. 7 Der JRichter ordnet die – unbefristeten (OLG Düsseldorf Zbl. 84, 437 zur Fürsorgeerz.) – Hilfen zur Erz. nach § 12 Nr. 1 und 2 an. Ihre Durchführung und Aufhebung obliegt dem JAmt und richtet sich nach den Vorschriften des SGB VIII (§ 82 II). Mit Rechtskraft des Urteils gilt der nach SGB VIII erforderliche Antrag auf Gewährung der ErzHilfe als gestellt und wird der J zur Mitwirkung am weiteren Verfahren verpflichtet (Possin Heimerz. gemäß §§ 27, 34 SGB VIII als jstrafrechtliche Intervention, 1995 S. 74). Einer Zustimmung der Eltern bedarf es nicht (Possin aaO, S. 91). Rechtliche Möglichkeiten, die Mitwirkungspflicht gegenüber dem J durchzusetzen, hat der JRichter jedoch nicht (Possin aaO, S. 82, 121). Das JAmt trägt nach dem am 1. 10. 2005 in Kraft getretenen § 36 a I SGB VIII (§ 10, 22 b) die Kosten der Hilfe grds. nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans erbracht wird, wobei dies auch dann gilt, wenn der J durch den JRichter zur Inanspruchnahme der Hilfe verpflichtet worden ist. Nach dem Inkrafttreten dieser Vorschrift kann nicht mehr von einer Verpflichtung des JAmtes zur Gewährung der Hilfe ausgegangen werden (so schon für die frühere Rechtslage Miehe DVJJ-J 97, 263 ff; aA Ostendorf 11; Beulke FS Kreuzer, 2. Aufl. 2009 S. 74; Möller/Schütz ZKJ 07, 180). Der JRichter sollte daher die Hilfe nur anordnen, wenn er zuvor mit dem JAmt dessen Bereitschaft zur Durchführung der Maßnahme abgeklärt hat. Führt die JHilfe die Hilfe durch, fallen die Kosten bei ihr an. Der J und seine Eltern werden zu den Kosten der Unterbringung in einem Heim oder einer sonstigen betreuten Wohnform nach Maßgabe der §§ 91 ff SGB VIII herangezogen (vgl. auch § 10, 22, 22 a). 8 Gegen Hw. kann der JRichter weder ErzBeistandschaft nach Nr. 1 noch Hilfe zur Erz. nach Nr. 2 in einer Einrichtung über Tag und Nacht oder in einer sonstigen betreuten Wohnform anordnen. Stattdessen kommt insbes. eine Betreuungsweisung nach § 10 I 3 Nr. 5 in Betracht (RL zu § 12 iVm RL 2 zu § 105). Zwar erklärt § 41 SGB VIII diese beiden Hilfen zur Erz. ua nicht nur für Hw., sondern sogar für „junge Volljährige bis zu 27 Jahren“ (§ 7 Nr. 3 SGB VIII) als zulässig. Da aber § 105 I nicht auf die §§ 9 Nr. 2 und 12 verweist, darf der JRichter auch bei Anwendung von JStrafrecht diese beiden Maßnahmen nicht gegen Hw. anordnen, wenn auch sonst erz. Maßnahmen noch gegen Hw. zulässig sind (Einf. II 11). 9 § 12 darf nicht dadurch umgangen werden, dass die dort genannten ErzHilfen als bloße Weisungen erteilt werden, weil sie in Nr. 1 und 2 für das JStrafrecht abschließend geregelt sind (dazu auch § 10, 14 b; § 45, 19 a). Die Hilfe nach § 12 Nr. 2 ist – wie vordem die Fürsorgeerz. – die härteste ErzMaßregel, die für die Frage des Verschlechterungsverbots nur unterhalb vollstreckbarer JStrafe bleibt; zwar kann diese Hilfe nach § 34 SGB VIII in verhältnismäßig freien Formen durchgeführt werden, sie ist aber gleichwohl eine auf Dauer angelegte Freiheitsentziehung (§ 55, 23). 10 Hilfen zur Erz. nach Nr. 1 und 2 können auch bei fehlender Altersreife als familiengerichtliche Maßnahmen nach § 3 S. 2 durch den JRichter angeordnet werden (§ 3, 15).
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Arten und Anwendung
§ 13
Die vom JRichter angeordnete Hilfe zur Erz. darf erst nach Rechtskraft durchgeführt werden. 11 Vor Rechtskraft kommen Anordnungen nach § 71 in Betracht. Gegen Soldaten darf weder Hilfe zur Erz. nach Nr. 2 noch Erzbeistandschaft nach Nr. 1 ange- 12 ordnet werden (§ 112 a Nr. 1). Neben der Entscheidung nach § 27 darf Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 nicht angeordnet werden 13 (näher BGH NStZ 88, 364 – zur Fürsorgeerz. – in § 27, 16). Eine analoge Anwendung des § 12 in dem Sinne, dass der JRichter der JGH die Durchführung einer erz. Maßnahme überlässt und sich aus der Vollstreckung ganz zurückzieht, ist nicht zulässig (aA Scholz DVJJ-J 94, 168). Für andere als die in § 12 genannten erz. Hilfen kommt nur eine Weisung gem. §§ 10, 11 in Betracht.
Dritter Abschnitt Zuchtmittel § 13 Arten und Anwendung § 13 Arten und Anwendung (1) Der Richter ahndet die Straftat mit Zuchtmitteln, wenn Jugendstrafe nicht geboten ist, dem Jugendlichen aber eindringlich zum Bewußtsein gebracht werden muß, daß er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat. (2) Zuchtmittel sind 1. die Verwarnung, 2. die Erteilung von Auflagen, 3. der Jugendarrest. (3) Zuchtmittel haben nicht die Rechtswirkungen einer Strafe. 1. Hw.-J: § 105 I. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1. Richtlinie zu § 13: Wegen der Eintragung in das Zentralregister oder in das Erziehungsregister wird auf § 5 Abs. 2 und § 60 Abs. 1 Nr. 2 BZRG hingewiesen.
Zur Abgrenzung gegen ErzMaßregeln u. JStrafe § 5, 4 ff. Die Definition des BGH 18, 209 über 1 den JA (§ 16, 1 f) trifft auf die Zuchtmittel schlechthin zu. Auch der Anwendungsbereich hinsichtlich der Täterpersönlichkeit stimmt weithin mit dem für den JA erarbeiteten überein (§ 16, 2). Das Zuchtmittel ist ein eindringlicher tatbezogener Mahn- und Ordnungsruf (Abs. I) ohne die 2 Fernwirkungen der Strafe (Abs. III). Es hat Übelscharakter und dient der Ahndung und Sühne (BVerfG NJW 05, 2141; Eisenberg 8; Heublein Zbl. 94, 466; abl. Ostendorf Grdl. zu §§ 13–16 Rn 4), soll aber damit die Entwicklung des Täters erz. günstig beeinflussen und dadurch weitere Straftaten verhindern. Dem Täter soll es die Autorität der Rechtsordnung zum Bewusstsein bringen und ihn erkennen lassen, dass er für sein Tun einzustehen hat und dass sich Unrecht nicht lohnt (vgl. Einf. II 8; BGH 18, 209). Im Gegensatz zu ErzMaßregeln und zur JStrafe ist das Zuchtmittel nicht auf Dauerwirkung angelegt; deshalb sind Verbindungen (§ 8) oft angezeigt (§ 23 u. Grethlein NJW 57, 1462 für BewZeit). Wichtig ist, dass irgendwelche Nachwirkungen auch in Schule und Beruf vermieden werden (vgl. § 70, 7).
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§ 14
2. Teil. Jugendliche
3 Zuchtmittel dürfen nach BGH 18, 207 nur gegen strafrechtlich verantwortliche (§ 3 S. 1; Rn 7), im Grunde „gutgeartete“, erz. ansprechbare J verhängt werden. Ostendorf aaO bezeichnet diese Formulierung nicht zu Unrecht als „überholte Charakterisierung“; davon abgesehen aber bleibt, dass die J erz. ansprechbar sein sollen (woran der Wegfall der alten RL 1 S. 3 nichts ändert), weshalb bei kriminellen, verwahrlosten, schwer gefährdeten oder geistig erhebl. zurückgebliebenen J Zuchtmittel ausscheiden. Bei üblichen JFlegeleien sind Zuchtmittel wegen ihres ernsten Charakters nicht angebracht (§ 45), bei bes. schwerer Schuld nicht ausreichend (§ 17 II). Vgl. auch § 5, 3; § 16, 7. Nach Ostendorf wird der Anwendungsbereich durch Rückfallprognose und das Verhältnismäßigkeitsprinzip bestimmt. Dazu auch § 10, 12 c aE. 4 Zuchtmittel kann der JRichter durch Urteil, Auflagen auch als BewAuflagen (§ 23) und im Rahmen der §§ 45, 47, JA gem. § 11 III durch Beschluss verhängen. Der JStA kann im Rahmen des § 45 II unter bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen dem J die Erfüllung von Auflagen zur Vermeidung weiterer Strafverfolgung anbieten (näher § 45, 17 ff). Die Bedeutung der Zuchtmittel in der Praxis ist erheblich. 2009 waren 72% der nach JStrafrecht verhängten formellen Sanktionen Zuchtmittel (berechnet nach Stat. BA S. 278 ff). 5 Zuchtmittel sind keine Strafe (Abs. III), doch kann neben ihnen die Fahrerlaubnis entzogen werden (§ 7, 13). Auch rechtfertigt die Gefahr der Verhängung von Zuchtmitteln die Verweigerung der Aussage (BGH 9, 34 für § 55 StPO u. JA). 6 Wegen der Urteilsformel § 54, 4; wegen der Eintragung in das ErzReg. § 60 I Nr. 2 BZRG. 7 Auch Zuchtmittel sind der Begnadigung nicht entzogen, es kommt hier aber selten ein Gnadenakt in Betracht (vgl. Bay. GnadenO v. 29. 5. 2006 § 4 III). Bei JA darf die Vollstreckung nur in bes. Ausnahmefällen und nur kurzfristig unterbrochen werden (Bay. GnadenO § 29). 8 Zum Einigungsvertrag: § 1, 6 c, 6 d.
§ 14 Verwarnung § 14 Verwarnung Durch die Verwarnung soll dem Jugendlichen das Unrecht der Tat eindringlich vorgehalten werden. 1. Hw.-J: Rn 4; § 105 I. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1. – 3. Sold. Rn 4. Richtlinie zu § 14: Wegen des Ausspruchs der rechtskräftig angeordneten Verwarnung (Vollstreckung) wird auf Abschnitt IV Nr. 1 der Richtlinien zu §§ 82 bis 85 hingewiesen.
1 Die Verwarnung weist den Täter zurecht und hält ihm das Unrecht seiner Tat vor. Durch sie wird er auf die Schwere des Schuldvorwurfs und auf die Folgen für den Verletzten und die Allgemeinheit hingewiesen; zugleich wird er vor weiteren Verfehlungen im eigenen Interesse gewarnt, seine Ehre und sein Gewissen angerufen und er zur Rücksicht gegen die Mitmenschen ermahnt. Unterschied zur Ermahnung des § 45: Rn 5 aE. 2 Eine solche Zurechtweisung ist an sich jeder Verurteilung eigen. Die Verwarnung zeichnet sich darüber hinaus durch die bes. Form aus, in der auf sie erkannt wird (Urteilssatz) und bes. in der sie vollzogen wird (Heinen UJ 52, 29 u. 120). Dadurch erhält sie Sühnefunktion und wird zum Zuchtmittel. Sie ist deshalb neben JStrafe oder JA nicht mehr (§ 8, 4), in leichtesten Fällen aber überhaupt nicht notwendig, weil hier eine formlose Ermahnung genügt.
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Verwarnung
§ 14
Wenn auch davon ausgegangen wird (Ostendorf 3 mwN), dass weniger Art und Höhe der Strafe, 3 als die strafrechtliche Verfolgung, die Sanktionswahrscheinlichkeit und die außergerichtlichen Konsequenzen beeindrucken, so wird doch eine isoliert ausgesprochene Verwarnung nur selten Erfolg versprechen. Als einzige Reaktion des Richters wird sie zumeist nicht ernst genommen und als Bestätigung dafür angesehen, dass doch nichts passiert (vgl. auch Böhm/Feuerhelm S. 197). Glaubt der Richter, dass eine Verwarnung allein genügen kann, so ist es häufig sinnvoller, gleich nach § 45 zu verfahren und eine Ermahnung genügen zu lassen, zumal dann auch die Schwierigkeiten der Vollstreckung (Rn 5, 6) vermieden werden. Dabei ist es aber immer möglich, dass es sich in der Hauptverhandlung herausstellt, dass im Einzelfall eine Verwarnung ausreichend und wirksam sein kann. Im Übrigen sollte die Verwarnung mit Weisungen oder Auflagen verbunden werden, wenn das in der Tat enthaltene Unrecht bes. betont werden soll (Böhm/Feuerhelm S. 197; aA Eisenberg 7). Die Verwarnung muss dann aber, um eine pädagogische Eigenwirkung zu entfalten, individuell und nachdrücklich ausgesprochen werden (Schaffstein/Beulke S. 137). Eine Verwarnung verspricht gegen Hw. oder J, die zZ des Urteils schon über 18 Jahre alt sind, 4 nur unter bes. günstigen Umständen Erfolg, weil sie auf die Mentalität der J abgestimmt ist (Dallinger/Lackner 63; Potrykus B 6 je zu § 105). Ähnliches gilt bei Soldaten. In der Praxis wurden aber 2008 immerhin 27% aller Zuchtmittel in Form einer Verwarnung erteilt (berechnet nach Stat. BA S. 308 f). Der Ausspruch ist nur die Verhängung und bedarf des Vollzugs, der erst nach Rechtskraft 5 möglich ist. Bei allseitigem Rechtsmittelverzicht ist die Verwarnung grds. im Anschluss an die Verhandlung zu erteilen. Dabei kann die Anwesenheit der ErzBerechtigten hilfreich sein, der JRichter kann darauf aber auch verzichten (vgl. RL IV 1 zu §§ 82–85). Wenn die ErzBerechtigten schon die Hauptverhandlung nicht wahrnehmen, wird häufig auch beim Ausspruch der Verwarnung auf sie verzichtet werden können. Oft wird aber das Urteil erst später rechtskräftig, da auf Verwarnung meist im vereinfachten JVerfahren in Abwesenheit des JStA erkannt wird (§ 78, 21). Dann ist eine nachdrückliche Zurechtweisung am Ende der Sitzung und eine entsprechend gefasste schriftliche Verwarnung unter Bezug auf die Zurechtweisung in entsprechender äußerer Form noch das Beste. Denn das ist erz. wirksamer als der bes. Verwarnungstermin, zu dem der J wegen derselben Tat zum 2. Mal ggf. von weit außerhalb unter Verlust an Arbeitszeit vor Gericht erscheinen muss. Der Grundsatz, dass die Verwarnung nur mündlich erteilt werden soll (Dallinger/Lackner 9; Potrykus B 5), muss hier zurücktreten, zumal das Gesetz die schriftliche Verwarnung nicht ausschließt. Es ist aber zu befürchten, dass sie, weil zu unpersönlich, wenig beeindruckt (vgl. Rn 3 aE). Es kann auch ein anderer JRichter im Wege der Amtshilfe um Erteilung der mündlichen Verwarnung ersucht werden (OLG Hamm Zbl. 70, 56 gegen frühere Entscheidungen – Rechtshilfe – GA 69, 251), da Maßnahmen des Vollstreckungsleiters, soweit nicht gem. § 83 jrichterliche Entscheidungen, Akte der Justizverwaltung (§ 83, 1) sind (zust. Ostendorf 7, der vorschlägt, die Verwarnung unter Vorbehalt der Rechtskraft nach dem Urteil auszusprechen). Aber auch hier dürften Nachdruck und Entschiedenheit fehlen. Die Ermahnung nach § 45 III hingegen wird ohne Trennung zwischen Anordnung und Vollziehung erteilt. Die Frage, ob der säumige J zum Verwarnungstermin vorgeführt werden darf, ist entsprechend 6 den in § 58, 4; § 60, 10 dargelegten Gründen zu verneinen (Dallinger/Lackner 7; DSS/Diemer 7; Eisenberg 10; Ostendorf 7; Böhm/Feuerhelm S. 198). Zur Urteilsfassung § 54, 4; zur Eintragung RL zu § 13.
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§ 15
2. Teil. Jugendliche
§ 15 Auflagen § 15 Auflagen (1) Der Richter kann dem Jugendlichen auferlegen, 1. nach Kräften den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, 2. sich persönlich bei dem Verletzten zu entschuldigen, 3. Arbeitsleistungen zu erbringen oder 4. einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zu zahlen. Dabei dürfen an den Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. (2) Der Richter soll die Zahlung eines Geldbetrages nur anordnen, wenn 1. der Jugendliche eine leichte Verfehlung begangen hat und anzunehmen ist, daß er den Geldbetrag aus Mitteln zahlt, über die er selbständig verfügen darf, oder 2. dem Jugendlichen der Gewinn, den er aus der Tat erlangt, oder das Entgelt, das er für sie erhalten hat, entzogen werden soll. (3) Der Richter kann nachträglich Auflagen ändern oder von ihrer Erfüllung ganz oder zum Teil befreien, wenn dies aus Gründen der Erziehung geboten ist. Bei schuldhafter Nichterfüllung von Auflagen gilt § 11 Abs. 3 entsprechend. Ist Jugendarrest vollstreckt worden, so kann der Richter die Auflagen ganz oder zum Teil für erledigt erklären. 1. Hw.-J: Rn 2; § 105 I. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1. – 3. Sold. Rn 15 u. 16; § 113 a Nr. 3. Richtlinien zu § 15: 1. Die Wiedergutmachung des Schadens kann auch in Arbeitsleistungen für den Geschädigten bestehen (vgl. hierzu die Richtlinie Nr. 5 zu § 10). 2. Im Hinblick auf eine Wiedergutmachung des Schadens oder eine Entschuldigung bei dem Verletzten wird auf die Richtlinie Nr. 4 zu § 10 hingewiesen. 3. Zur Auflage, Arbeitsleistungen zu erbringen, wird auf § 540 RVO hingewiesen. 4. Wegen der Kosten der Durchführung von Auflagen wird auf die Richtlinie Nr. 6 zu § 10 hingewiesen. 5. Die Staatsanwaltschaft wirkt darauf hin, dass das Gericht den Jugendlichen über die Bedeutung der Weisungen und Folgen schuldhafter Zuwiderhandlung (§ 11 Abs. 3 Satz 1) belehrt und diese Belehrung in der Niederschrift über die Hauptverhandlung vermerkt oder sonst aktenkundig gemacht wird. 6. Wegen der Folgen schuldhafter Nichterfüllung von Auflagen wird auf die Richtlinien Nrn. 2 und 3 zu § 11 hingewiesen. Geldleistungen, die nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 auferlegt worden sind, können nicht zwangsweise beigetrieben werden.
Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schadenswiedergutmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entschuldigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geldauflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abänderung und Befreiung von Auflagen, Nichterfüllung Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soldaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auflagen bei Drogentätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.
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Rn 1 3 8c 9 10 13 14 15 17
Allgemeines
1 Es gibt nur die vier in Abs. I genannten Auflagen. Sie fördern die Erz. durch echte, tatbezogene Sühneleistungen. Die auferlegten Leistungen sollen dem J sein Unrecht und die auf ihn selbst zurückfallenden Folgen deutlich machen (Schaffstein/Beulke S. 137), sie sollen deshalb auch stets den Bezug zur Tat wahren. Ähnliche Auflagen sind oft als Weisungen möglich, wenn sie die bes.
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Auflagen
§ 15
Voraussetzungen des § 10 erfüllen. Die begrifflich scharfe Grenze zwischen Auflagen und Weisungen ist in der Praxis flüssig (Schaffstein/Beulke S. 137 f); vgl. dazu § 10, 9. Schadenswiedergutmachung und Geldauflage sind ohne Rücksicht auf das Alter zZ des Urteils, 2 also auch und gerade bei Hw. (§ 105) angebracht, zumal diese meist schon erheblichere Mittel zu ihrer Verfügung haben. Die Entschuldigung dagegen ist bei dieser Gruppe meist verfehlt. Bei der Arbeitsauflage kommt es auf den Einzelfall an. 2.
Schadenswiedergutmachung
Schrifttum: Baur Die BewAuflage der Schadenswiedergutmachung u. das Zivilrecht, GA 57, 338; Brunner Die Auflage der Schadenswiedergutmachung im JStrafrecht, Zbl. 76, 269; Dilcher Die BewAuflage der Schadenswiedergutmachung im Verhältnis zur zivilrechtlichen Haftung, NJW 56, 1346; Dölling ua Täter-OpferAusgleich in Deutschland, 1998; Frehsee Wiedergutmachungsauflage u. Zivilrecht, NJW 81, 1253; ders. Wiedergutmachung statt Strafe, KrimJ 82, 126; Hellmer Identitätsbewußtsein u. Wiedergutmachung, JZ 79, 41; Jakob/Molketin, Aufl. d. Schadenswiedergutmachung u. Zivilrecht, JWohl 83, 159; Maiwald Die Beteiligung des Verletzten am Strafverfahren, GA 70, 33; Pentz Nochmals: Die BewAuflage der Schadenswiedergutmachung, NJW 56, 1867; Schnitzerling Die Schadenswiedergutmachung im Strafrecht, DAR 59, 201; Schöch Hrsg., Wiedergutmachung u. Strafrecht 1987; Theißen Die kriminalrechtliche Auflage der Schadenswiedergutmachung, Zbl. 84, 543; Wulf Opferausgleich u. Strafverfahren, DRiZ 80, 205 (s. auch das Schrifttum zu § 10).
Die Schadenswiedergutmachung ist in ihrer Verknüpfung mit der Tatverursachung und ihrem 3 sozialpädagogischen Bezug auf J und Hw. erz. bes. geeignet. Die Person des Täters muss aber stets Mittelpunkt des Verfahrens bleiben, dann können gerade mit der Schadenswiedergutmachung Fremdwertbegriffe fühlbar angelernt und der Überbewertung des Materiellen entgegengewirkt werden. Das abstractum der allg. Rechtsgüter-Schutzfunktion der Strafrechtsordnung gewinnt beziehungsvolles Leben, die erzwungene personale Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigten führt zu ausgleichendem eigenen Handeln und kann echtes Bemühen auslösen. Die Schadenswiedergutmachung vermag als wichtiger Aspekt den Sozialisationsprozess zu fördern und sollte häufig eingesetzt werden. Dieses sollte primär im Verfahren nach § 45 angestrebt werden, vgl. zum Täter-Opfer-Ausgleich § 10, 12 ff. Eine Auflage ist jedoch angezeigt, wenn der J zur freiwilligen Schadenswiedergutmachung nicht bereit ist und ihm deshalb verdeutlicht werden muss, dass er für die Folgen von ihm verschuldeten Unrechts einstehen muss (Rössner/Klaus in Dölling ua 1998 S. 116; Rössner in JStrafrecht an der Wende S. 177). Die Auflage setzt voraus, dass der Täter zivilrechtlich verpflichtet ist, aus welchem Rechts- 4 grund auch immer, Wiedergutmachung zu leisten (Dallinger/Lackner 2; DSS/Diemer 6; Eisenberg 6; Itzel S. 133 FN 69); sie ist deshalb gesetzeswidrig (Rechtsmittel trotz § 55 I), wenn die mit ihr verbundene Belastung keine Grundlage im bürgerlichen Recht hat (OLG Stuttgart MDR 71, 1025 u. NJW 80, 1114). Überschreitet die auferlegte Wiedergutmachung den angerichteten Schaden, so entspricht sie nicht mehr dem Gesetz und kann vom Rechtsmittelgericht abgeändert werden (OLG Hamburg MDR 80, 246). Zur Ratenauferlegung § 22, 4 aE. Eine völlige oder teilweise Abweisung einer gegen den Verurteilten gerichteten zivilrechtlichen Schadensersatzklage kann deshalb die Abänderung der Weisung erzwingen (OLG Hamburg MDR 82, 340). Die Höhe des zivilrechtlichen Anspruchs des Verletzten umschreibt zugleich die uU mögliche, 5 aber nicht notwendig auszufüllende Höchstgrenze der Auflage. „Nach Kräften“ besagt, dass der J durch den Richterspruch, hinter dem der Zwang des Ungehorsamsarrestes steht, nicht überbeansprucht und mutlos gemacht, aber doch zur Anspannung seiner Kräfte angehalten wird. Der mögliche Einwand der Verjährung hindert die Auflage nicht (OLG Stuttgart aaO; OLG Hamm NJW 76, 527; Schall NJW 77, 1046). Die Mehrspurigkeit strafrichterlicher Auflage und zivilrechtlichen Anspruchs muss bedacht 6 werden. Die Auflage lässt den Zivilrechtsweg für Verurteilten und Verletzten offen; darüber hinaus kann es zu Schwierigkeiten wegen der zivilrechtlichen Wirkung der Erfüllung (vgl.
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§ 15
2. Teil. Jugendliche
§§ 362 ff, 366 BGB), wegen Verzichts des Verletzten, wegen Erfüllung durch Dritte, bei gesamtschuldnerischer Haftung oder einer Mehrheit von Gläubigern und wegen der Zumutbarkeit der Naturalrestitution für den Geschädigten kommen (vgl. § 10, 12; näher Brunner Zbl. 76, 269). Nach Ostendorf (10) wird die Schadenswiedergutmachung nicht gegenstandslos, wenn ein Dritter bezahlt oder das Opfer verzichtet; aA Brunner Zbl. 76, 272 mwN. Schöch (1987 S. 145) weist auf die Schwierigkeit hin, strafprozessuale Beweisanforderungen und Würdigungen mit den zivilrechtlichen Beweisregeln (prima-facie-Beweis, freie Schadensschätzung, differenzierte Mitverschuldensabwägungen) zusammenzubringen. Die Lösung dürfte in der Formulierung „nach Kräften“ zu finden sein (vgl. Rn 5). 6 a In zivilrechtlich streitige Fragen sollte die Auflage nicht hineinstoßen (zust. Eisenberg 7), um rechtliche Komplikationen zu vermeiden, welche den pädagogischen Sinn der Auflage in sein Gegenteil verkehren können (näher Brunner Zbl. 76, 269 ff). Da aber der Schaden weder voll ausgeschöpft werden muss, noch idR unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Täters und der pädagogischen Wirksamkeit der Auflage überhaupt ausgeschöpft werden kann, bleibt für die Auflage ein weiter Raum. Es ist aber geboten, mit der Auflage genau Art (zB Schmerzensgeld, LG Bremen NJW 71, 153) und Höhe der Wiedergutmachung festzusetzen (zust. Ostendorf 9). Dies dient der notwendigen Klarstellung für alle Betroffenen, vermeidet nachfolgende Schwierigkeiten, erleichtert die Überwachung und ist Fixpunkt für evtl. Verhängung des Ungehorsamsarrestes oder Widerruf der Strafaussetzung. 6 b Zur Schadenswiedergutmachung durch Arbeitsleistung für den Geschädigten RL 1 zu § 10 u. § 10, 22; zur Zumutbarkeit für den Geschädigten Brunner Zbl. 76, 269. Zu Opferfonds § 10, 12 d. 7 Die Auflage, die Verfahrenskosten zu bezahlen, ist nicht zulässig (Dallinger/Lackner 3; Böhm/ Feuerhelm S. 201; DSS/Diemer 7; Eisenberg 9; Ostendorf 8; Schaffstein/Beulke S. 138; aA Meyer NJW 57, 371; Potrykus UJ 57, 355). Zwar kann in einem weiteren Sinn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Tat und den der Allgemeinheit zur Last fallenden Verfahrenskosten angenommen werden, insbes. wenn mutwillig eine umfangreiche Beweisaufnahme oder eine kostenträchtige Verzögerung des Verfahrens herbeigeführt worden ist. Dieser Zusammenhang ist jedoch für den J weniger einsichtig als bei den Schäden, die das Opfer durch die Tat erlitten hat. Die Bezahlung der Verfahrenskosten wird daher dem Sinngehalt der Auflage der Schadenswiedergutmachung, dem J die Unrechtsfolgen plastisch vor Augen zu führen, nicht gerecht. Außerdem enthält § 74 für die Verfahrenskosten eine bes. Regelung (Schaffstein/Beulke aaO; zur Unzulässigkeit der Auflage, die Verfahrenskosten zu bezahlen, im ErwRecht BGH 9, 365; OLG Hamm NJW 56, 1887). 8 Wiedergutmachung sollte in geeigneten Fällen in Verbindung mit anderen Maßnahmen (§ 8) angeordnet werden (Brunner Zbl. 76, 269; abl. Eisenberg 12; Hellmer JZ 76, 47; Kaiser NStZ 82, 105; Theißen Zbl. 84, 540; Ostendorf 3, der aber einräumt, dass eine Betreuungsweisung, etwa bei Ratenzahlungsverpflichtungen, dienlich sein kann). Gerade die Betreuungsweisung (vgl. § 10, 10) ergänzt sinnvoll und lässt den J bei seinen Verpflichtungen nicht allein, kann auch der Vermittlung bei auftretenden Schwierigkeiten dienen. 8 a Zum Täter-Opfer-Ausgleich § 10, 12 ff; zum OpferschutzG § 10, 12 f; § 80, 8 mit weiteren Hinweisen in § 80, 9. 8 b In den USA versucht man seit Mitte der siebziger Jahre im Wege der sog. „Restitution“, j. Rechtsbrecher für ihr Handeln verantwortlich zu machen, indem sie durch eine Leistung dem Tatopfer Genugtuung leisten sollen (insgesamt Herz BewH 84, 240; Janssen BewH 82, 141). Solche Leistungen können finanzielle Schadenswiedergutmachung, Naturalrestitution oder als indirektes Opfer auch Sozialdienste an der Allgemeinheit sein. Unter den Sanktionen des JGG ermöglichen die Auflage der Schadenswiedergutmachung (§ 15 I Nr. 1) und der Täter-OpferAusgleich (§ 10, 12 ff) ein derartiges sozialpädagogisches Vorgehen.
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Auflagen
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§ 15
Arbeitsleistungen
Die durch das 1. JGGÄndG eingeführte Auflage „Arbeitsleistungen zu erbringen“ ist identisch 8 c mit dem Wortlaut der Weisung des § 10 I Nr. 4; es wird insgesamt auf die Ausführungen § 10, 9– 9 e verwiesen. Der Gesetzgeber hat die Erbringung von Arbeitsleistungen auch als Auflage zugelassen, „um eine flexible Handhabung dieser Maßnahme in jedem Einzelfall zu gewährleisten“ (Begründung des RegE eines 1. JGGÄndG, BT-Drs. 11/5829 S. 18). Er will damit dem Bedürfnis der jrichterlichen Praxis Rechnung tragen, „Verpflichtungen zur Leistung gemeinnütziger Arbeit nicht nur als reine ErzMaßregel, sondern auch dann auferlegen zu können, wenn damit dem J zudem eindringlich zum Bewußtsein gebracht werden soll, dass er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat (§ 13 I JGG)“ (aaO). Zur Verfassungsmäßigkeit der Arbeitsauflage vgl. § 10, 9 a. Zum Versicherungsschutz nach dem SGB VII s. § 10, 22. § 540 RVO, auf die RL 3 verweist, ist aufgehoben worden. 4.
Entschuldigung
Die Entschuldigung kommt nur in Betracht, wenn der J dazu bereit ist, sie kann ihrer Natur 9 entsprechend nicht erzwungen werden (Eisenberg 13; Ostendorf 12). Eine Weigerung lässt oft wichtige Schlüsse zu. Es sollte aber auch gesichert sein, dass der Verletzte die Entschuldigung entgegenzunehmen bereit ist (Schaffstein/Beulke S. 138). Bei Hw. ist diese Auflage seltener angebracht (§ 105, 21; ähnlich Eisenberg 13). Nach Wolf (S. 310) kann die Entschuldigung als Auflage gerade dann angebracht sein, wenn der J nicht dazu bereit ist. Die Auflage sei auch erfüllt, wenn der Verletzte die Entschuldigung nicht annehme, was gewiss richtig ist. Deshalb aber sollte der JRichter gleichwohl bedenken, dass beides idR pädagogisch schädlich sein wird. Zu den Folgen auch § 11, 3. 5.
Geldauflage
Geldauflagen (Abs. I 1 Nr. 4) als Buße (Maurach/Gössel/Zipf S. 718 „eine Rechtsschmälerung mit 10 Übelscharakter“) haben nur Sinn, wenn der J sie aus eigenen Mitteln (Lohn, Taschengeld; Abs. II Nr. 1; anders im OWiG-Verfahren: § 45, 38) unter Opfern aufbringt und wenn er sie als echte Sühne anerkennt. Der Eindruck, mit Geld sei alles gutzumachen, muss vermieden werden (ebenso Maurach/Gössel/Zipf aaO; Eisenberg 15; aA Böhm/Feuerhelm S. 202: „idealistische, pädagogische Vorstellungen, die den heutigen tatsächlichen Verhältnissen nicht mehr entsprechen“). Nach Einführung der Arbeitsleistung als Auflage ist der Anteil der Geldbußen an den Auflagen in der Praxis von 93% 1990 auf 23% 2009 zurückgegangen (berechnet nach Stat. BA 1990 S. 60 f u. 2009 S. 306 f). Diese Auflage ist grds. nur zur Ahndung kleinerer Delikte geeignet (Abs. II Nr. 1), weil sie keine erz. Hilfen anbietet, sie gewinnt aber bei den Verkehrsdelikten Hw. und deren oft relativ hohem Einkommen erheblich an Bedeutung (§ 105, 21). Der zu zahlende Geldbetrag soll den wirtschaftlichen Verhältnissen des J angepasst sein und die Wiedergutmachung nicht gefährden. Zur Bemessung bei Trunkenheitsdelikten im Straßenverkehr Bußmann/Gerhardt BA 84, 207. Mit der Geldauflage dürfen an den J keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden 11 (Abs. I 2). Die Geldbuße ist dann unzumutbar, wenn sie in einem offenbaren Missverhältnis zu Tatschuld oder Einkommen (evtl. auch Vermögen) des J steht (OLG Hamm Zbl. 72, 357). Eisenberg (16) macht auf die Gefahr der „Abwälzung der Leistungserbringung“ (z. B. Familie) und auch auf Straftaten zur Aufbringung der Geldauflage aufmerksam. Vgl. Rn 17. Die Geldauflage kann auch Verfallswirkung haben (Abs. II Nr. 2). Wo der Täter noch Vorteile aus der Tat hat und diese nicht an einen Geschädigten abgeführt werden können, sollte die Geldauflage stets ohne Rücksicht auf die sonstigen Vermögensverhältnisse des Täters neben anderen Maßnahmen angeordnet werden. Zur Einziehung des Wertersatzes § 6, 3.
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§ 15
2. Teil. Jugendliche
12 Im Urteil muss nicht nur der Betrag, sondern auch die Einrichtung genau bezeichnet werden (OLG Düsseldorf JMBl. NRW 60, 220). Gemeinnützig sind nur solche Einrichtungen, durch deren Tätigkeit ausschließlich und unmittelbar die Allgemeinheit gefördert wird (OLG Düsseldorf JMBl. NRW 62, 191). Die Einrichtung muss weder formell durch das Finanzamt anerkannt, noch in die beim OLG geführte Liste aufgenommen sein. Zahlungen an die Staatskasse dürfen nicht auferlegt werden (BGH B NStZ-RR 00, 321; OLG Zweibrücken StV 91, 425 = NStZ 92, 84 mit Anm. Ostendorf; OLG Nürnberg NStZ-RR 08, 128 mit Anm. Ebner ZJJ 08, 385), denn J ist eine finanzielle Einbuße eher verständlich zu machen, wenn sie einer gemeinnützigen Einrichtung zu Gute kommt (BGH aaO). Analog § 42 StGB kann Ratenzahlung gewährt werden. 12 a Es empfiehlt sich, zur Auflage dem Verpflichteten zusätzlich ein Schriftstück auszuhändigen, wonach er selbst die Zahlungsbelege dem Gericht vorzulegen und bei Zahlungsschwierigkeiten das Gericht rechtzeitig unter Angabe von Gründen zu unterrichten hat. Dem sollte die Belehrung über den Ungehorsamsarrest beigefügt werden (s. dazu § 10, 3 a u. 10; § 11, 6). Vgl. auch § 112 a, 8 aE; für Drogentäter Rn 17. 12 b Es kommt auf den Einzelfall an, ob Zahlung der Geldauflage durch einen Dritten als Nichterfüllung gewertet werden und zu Ungehorsamsarrest führen kann. 6.
Abänderung und Befreiung von Auflagen, Nichterfüllung
13 Auflagen können nachträglich abgeändert werden (Abs. III 1), der Richter kann aber auch nachträglich aus erz. Gründen von Auflagen ganz oder zum Teil befreien (Abs. III 1). Diese Regelung erspart dem Richter den erz. abträglichen Ausweg, überholte Auflagen durch Nichtstun gegenstandslos zu machen. Ein Austausch von Auflagen gegen Weisungen ist ebenso wenig zulässig wie die Umwandlung von Weisungen in Auflagen (§ 11, 3). Bei schuldhafter Nichterfüllung der Auflage kann JA gem. § 11 III verhängt werden (Abs. III 2), was für die Entschuldigung aber wohl nur gelten könnte, wenn sie freiwillig zuvor zugesichert war, aber auch dann höchst bedenklich bleibt. § 11 III ist in vollem Umfange entsprechend anwendbar (RL 6; RL 2 u. 3 zu § 11 u. § 11, 4 ff). Geldleistungen, die nach § 15 I Nr. 1 und 4 auferlegt worden sind, können nicht zwangsweise beigetrieben werden (RL 6). Nach Vollstreckung des JA kann der Richter die Auflagen ganz oder zum Teil für erledigt erklären. Dies sollte nicht unbesehen und grds. geschehen (vgl. hierzu § 11, 8). Auch die als BewAuflagen erteilten Auflagen sind nach § 23 I 3 abänderbar. 7.
Überwachung
14 Die Überwachung erfolgt wie bei einer Weisung grds. durch die JGH (§ 10, 21). Die JGH sollte deshalb auch hier gehört werden (Potrykus B 7), was ja auch schon zu Art und ggf. Gestaltung der Auflage geboten ist. 8.
Soldaten
15 Bei Soldaten soll vor der Anordnung von Auflagen der nächste Disziplinar-Vorgesetzte gehört werden (§ 112 d), weil die Besonderheiten des Wehrdienstes berücksichtigt werden sollen (§ 112 a Nr. 3 S. 1). Grds. werden gegen Soldaten nur Geldauflagen zur Wiedergutmachung, Buße und – ausnahmsweise (Rn 2, 9) – die Entschuldigung in Betracht kommen. Doch müssen die Zahlungsauflagen dem Wehrsold angepasst sein (Potrykus NJW 57, 815). Wiedergutmachung durch Arbeit ist für Soldaten kaum möglich. 16 § 112 a Nr. 3 S. 2 sieht die Anpassung bereits auferlegter Auflagen an den Wehrdienst vor (vgl. Rn 13).
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Jugendarrest
9.
§ 16
Auflagen bei Drogentätern
Bei Drogentätern käme nur die Auflage, einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen 17 Einrichtung zu bezahlen (§ 15 I Nr. 4), in Betracht und auch diese ist höchstens in bes., leichten Fällen sinnvoll, kann dann aber den mit Dealen gezogenen Gewinn entziehen (§ 15 II Nr. 2). Jedoch gegen einen aus den sozialen Bezügen mehr oder weniger ausgetretenen Drogenabhängigen, den seine Sucht finanziell überfordert und in Beschaffungskriminalität treibt, wäre eine Geldbuße eher gefährdend als nützlich und nicht durchsetzbar, damit auch erzieherisch verfehlt. Vgl. Rn 11. Allg.: Einf. I 49–51. Vgl. auch Brunner Zbl. 80, 415, 417.
§ 16 Jugendarrest § 16 Jugendarrest (1) Der Jugendarrest ist Freizeitarrest, Kurzarrest oder Dauerarrest. (2) Der Freizeitarrest wird für die wöchentliche Freizeit des Jugendlichen verhängt und auf eine oder zwei Freizeiten bemessen. (3) Der Kurzarrest wird statt des Freizeitarrestes verhängt, wenn der zusammenhängende Vollzug aus Gründen der Erziehung zweckmäßig erscheint und weder die Ausbildung noch die Arbeit des Jugendlichen beeinträchtigt werden. Dabei stehen zwei Tage Kurzarrest einer Freizeit gleich. (4) Der Dauerarrest beträgt mindestens eine Woche und höchstens vier Wochen. Er wird nach vollen Tagen oder Wochen bemessen. 1. Hw.-J: Rn 11; § 105 I. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1. – 3. Sold. § 112 a, 5. Richtlinien zu § 16: 1. Wöchentliche Freizeit ist die Zeit von der Beendigung der Arbeit am Ende der Woche bis zum Beginn der Arbeit in der nächsten Woche. Bei Jugendlichen, die an Sonntagen beschäftigt werden, tritt an die Stelle dieser Freizeit die entsprechende Freizeit während der Woche. Der Freizeitarrest kann auch an einem Feiertag vollstreckt werden, jedoch nicht über die regelmäßige Dauer der wöchentlichen Freizeit hinaus. Hinsichtlich der Arrestdauer wird auf § 25 JAVollzO und § 5 BwVollzO verwiesen. 2. Wegen der Berücksichtigung von Untersuchungshaft bei Jugendarrest wird auf § 52 und die Richtlinien dazu verwiesen. Schrifttum: Arndt Krimonologische Untersuchungen zum JA, Diss. Göttingen 1970; Becker JA u. Erzkurs, MDR 74, 106; Berckhauer Soll der Freizeitarrest abgeschafft werden?, ZRP 82, 145; Bihs/Walkenhorst JA als Jugendbildungsstätte, ZJJ 09, 11; Boldt Um den JA, ZStW 53, 336; Brunner Kurzmaßnahmen im JRecht?, JR 70, 91; Bruns Jugendliche im Freizeitarrest, 1984; Burkert JA – sofort vollziehbar, Zbl. 78, 310; DVJJ-Landesgruppe B-W, Hrsg, Hat der JA noch eine Zukunft?, 1991; Dünkel Freiheitsentzug für j. Rechtsbrecher, 1990; ders. Was bringt uns der JA?, Zbl. 90, 423; Eisenhardt Der ErzAuftrag des JGG u. seine Durchführung in UHaft u. JA, Zbl. 71, 240; ders. Gutachten über die kriminalpolitische u. kriminalpädagogische Zweckmäßigkeit u. Wirksamkeit des JA, 1974; ders. Die Wirkungen der kurzen Haft auf J, 2. Aufl. 1980; ders. Gutachten über den JA, 1989; ders. Der JA. Eine Chance der Kriminalprävention, 2010; Eisenhardt/Naumann Neue Aspekte in der Durchführung des JA unter Berücksichtigung obj. Kriterien zur „subj. Wirksamkeit“ des JA, RdJ 71, 198; Feltes Der JA, NStZ 93, 105; Findeisen Der Einstiegs- bzw. Warnschussarrest – ein Thema in der Diskussion, ZJJ 07, 25; Fluck Der JA als Mittel z. Bekämpfung d. JKriminalität, Diss. Saarbrücken 1969; Gramlich Handhabung u. Bew. des JA, Diss. Freiburg 1961; Hartenstein Die Vollstreckungszeiten im JA, MKrim. 64, 271; ders. Zur Wirksamkeit des JAVollzugs, MKrim. 66, 314; Hartwig/Krieg/Rathke Vom „Zuchtmittel“ zum Hilfsangebot, Neue Kriminalpolitik 1989 H. 3, 40; Heinz JA im Aufwind? FS 11, 71; Hilpert Der JAVollzug an 615 J und Hw der JA Anstalt Radolfszell, Diss. Freiburg 1961; Hinrichs Auswertung einer Befragung der JAAnstalten in der Bundesrepublik Deutschland 1999, DVJJ-J 99, 267; ders. Die Vollstreckung des JA seit dem 1. JGGÄndG, DVJJ-J 02, 441; Jung Der JA im j(straf)rechtlichen Sanktionensystem, JZ 78, 621; Kaiser Zum Stand der Behandlungs- u. Sanktionsforschung in der JKriminologie, dargestellt am Beispiel des JA, Zbl. 69, 16; Klosterkemper Erfolg u. Mißerfolg ambulanter
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Maßnahmen u. des Dauerarrestes, Diss. Gießen 1971; Kobes/Pohlmann JS – zeitgemäßes Zuchtmittel? ZJJ 03, 370; Koepsel JA – Eine zeitgemäße Sanktionsform des JStrafrechts?, FS Böhm, 1999 S. 619; Laue JA in Deutschland, DVJJ-J 95, 91; Leu Erzieherische Ausgestaltung des JA, 2007; Meyer-Höger Der JA. Entstehung u. Weiterentwicklung einer Sanktion, 1998; Miehe Rückfall u. Bewährung nach JStraf- u. Arrestvollzug, RdJ 69, 81; Nolte Die Rückfälligkeit J u. Hw. nach der Verbüßung von JA, Diss. Göttingen 1987; Ostendorf Hrsg., Abschlußbericht der Arbeitsgruppe „Reform des JA in Schleswig-Holstein“, 1994; Patzschke Pädagog. JA Vollzug, in Schaffstein/Miehe Hrsg., Weg u. Aufgabe des JStrafrechts, 1968 S. 277; Peters Die JA-VO, ZStW 60, 551; Pfeiffer JA – für wen eigentlich? MKrim. 81, 28; Plewig Zur Reform des JA, MKrim. 80, 20; Rangol Der JA. Anordnung u. Vollzug, ZfStrVo 66, 288; Reuther Elternrecht bei Trennung aufgrund stationärer jstrafrechtlicher Sanktionen, 2008; Riechert-Rother JA u. ambulante Maßnahmen, 2008; Rinio Zur Frage der Zulässigkeit einer polizeilichen Zuführung zum Antritt des JA, Zbl. 00, 300; Roestel Hat Freizeitarrest einen erz. Wert?, Zbl. 69, 223; Schäffer JA – eine kritische Betrachtung, DVJJ-J 02, 43; Schaffstein Zur Problematik des JA, ZStW 70, 853; ders. Zum Funktionswechsel des JA, FS Hilde Kaufmann, 1986 S. 393; Schneemann Beobachtungen zum JAVollzug u. die Bewährung entlassener Dauerarrestanten, Diss. Göttingen 1970; Schumann, Hrsg., JA und/oder Betreuungsweisung, 1985; ders. Der Arrest (Zucht) Mittel zu jedem Zweck, Zbl. 86, 353; Schwarz JKriminalität u. JA, Diss. Bonn 1963; Schwegler Dauerarrest als ErzMittel für j. Straftäter, 1999; Sieverts Die ErzAufgabe des JA, in Schaffstein/Miehe (Hrsg.) Weg u. Aufgabe des JStrafrechts, 1968 S. 255; Süssenguth JA in Bayern, Diss. Saarbrücken 1973; Trips Die Rückfälligkeit der Bruchsaler JA Arrestanten des Vollzugsjahres 1958, MKrim. 63, 228; Ullrich JA der „moderne Hexenhammer“, UJ 67, 30; ders. Zuviel JA, RdJ 67, 244; Voss Der JA, SchlHA 59, 135; Wehner Die pädagogische Aufgabe des JA, Zbl. 66, 180; Witteck Aktuelle Entwicklungen im JA am Beispiel der JAA Friedberg, FS 09, 137. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Sinn und Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zielgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschichte, Kritik und Weiterentwicklung Tat- und Tätervoraussetzungen . . . . . . . Ungehorsamsarrest . . . . . . . . . . . . . . Arrestformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Koppelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arrestladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jugendarrest bei Drogentätern . . . . . . .
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Rn 1 2 4 10 15 16 19 21 22
Sinn und Ziel
1 Der JA ist ein kurzfristiger, rasch eingesetzter Freiheitsentzug mit sühnendem (BVerfG NJW 05, 2141; BGH 18, 209) und erz. (§ 90 I) Charakter, aber keine Strafe. Er soll ohne Neben- und Fernwirkungen einer Strafe (BZRG: vgl. auch Rn 4) als tatbezogener Ordnungsruf den J zur Selbstbesinnung führen, ihm eindringlich zum Bewusstsein bringen, dass er für begangenes Unrecht einzustehen hat, und künftigen Verfehlungen durch sozialpädagogische Hilfen vorbeugen. Der JA muss als schärfstes Zuchtmittel rasch und erzwirksam eingesetzt werden und darf deshalb ausnahmslos nicht zur Bewährung ausgesetzt werden (§ 87, 3), weil das seinem Wesen zuwiderliefe. 2.
Zielgruppe
2 Nach seiner Entstehungsgeschichte und den ihr zugrunde liegenden kriminalpädagogischen Vorstellungen war der JA vor allem gedacht „für Verfehlungen aus Unachtsamkeit, j. Kraftgefühl oder Übermut, aus typisch j. Neigungen und j. Vorwärtsstreben, j. Trotzhaltung, j. Abenteuerlust, mangelnder Selbständigkeit, sowie bei Gelegenheits- und Augenblicksverfehlungen, die sich aus einer plötzlich auftretenden Situation ergeben, ohne dass der Täter sonst zu kriminellem Verhalten neigt“ (BGH 18, 209). So sollte der JA also im Grunde „gut geartete“, also kriminell nicht gefährdete J mit Ehrgefühl treffen, die keiner länger dauernden erz. Einwirkung, wohl aber eines energischen Hinweises auf die Verbindlichkeit der Rechtsordnung und eines fühlbaren Anrufs zur Selbstbesinnung bedürfen (Begr. z. RE einer VO z. Änderung d. JAVollzO
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Jugendarrest
§ 16
v. 1. 10. 1975 S. 11). Deshalb hatte die JAVollzO v. 1. 9. 1966 neben erz. Hilfen (§ 10 I) vor allem eine strenge Behandlung betont, welche bei dieser Zielgruppe des JA ausreichend erschien, den ErzAuftrag des JGG zu erfüllen (vgl. Begr. RE S. 12). Gleichwohl wurden in der Praxis und werden voraussichtlich weiterhin dem JA J und Hw. zuge- 3 führt, welche zwar nicht arrestuntauglich sind, aber nicht in die oben beschriebene Zielgruppe passen und geeigneter, wenn auch zwangsläufig kurzfristiger, aber auch nachgehender Hilfen bedürfen. Durch Kindheit und Umwelt belastete, kriminell bereits gefährdete und durch frühere Verfehlungen rückfalllabile J treffen mit den unter Rn 2 geschilderten Arrestanten und mit den wieder andersgearteten J zusammen, die mit Ungehorsamsarrest belegt wurden. Dazu auch Rn 7 b. Die JAVollzO idF v. 18. 8. 1976 (BGBl. I 2349) hat sich deshalb die Aufgabe gestellt, „rechtliche Grundlagen dafür einzuführen, dass der JA den erz. Auftrag d. JStrafrechtspflege auch denjenigen J gegenüber besser erfüllen kann, für die der JA nach seiner ursprünglichen Konzeption nicht vorgesehen war“ (Begr. RE S. 16). Dies enthebt den Richter nicht von der Verpflichtung, die Arresttauglichkeit (Rn 12) des J sorgfältig zu prüfen. Zum Wandel des JA auch Rn 8. 3.
Geschichte, Kritik und Weiterentwicklung
Die beginnende JGerichtsbewegung hatte eine kurze, aber harte ErzStrafe, verbunden mit 4 ernsthafter Arbeitstherapie, gefordert, die nicht rückfallbegründend sein und nicht ins Strafregister eingetragen werden sollte. In solchem Sinne hat Schaffstein 1936 erneut einen „JA“ ohne Strafmakelstigmatisierung und zur Vermeidung krimineller Ansteckung gefordert. Mit einer VO wurde dann 1940 ein JA zur Zurückdrängung kurzfristiger Gefängnisstrafen (zusammen mit Erw.), aber auch – zeitentsprechend – zu harter Disziplinierung („Arbeitsbummelei“) mit einem Höchstmaß von 4 Wochen eingeführt und 1943 im damaligen JGG normiert. Die DDR hatte 1952 den JA als „nazistische Erfindung“ abgeschafft, im Jahre 1968 aber unter der Bezeichnung „JHaft“ eine kurze Freiheitsentziehung (1–6 Wochen; später 1 Woche bis 3 Monate nach § 74 DDR-StGB) wieder eingeführt. Auch in anderen europäischen Staaten (zB Großbritannien, Niederlande, Schweiz) wurden nach 1945 ähnliche Einrichtungen geschaffen (vgl. Schaffstein MKrim. 69, 2). Der JA ist heute ein Ahndungsmittel eigener Art mit erz. Charakter für noch prägbare junge 4 a Menschen, aber auch als kurzfristiger Freiheitsentzug das schärfste der Zuchtmittel. Ohne die Neben- und Fernwirkungen einer Strafe (Rn 1) wird der JA durch die bewusst angelegte „Lücke“ von höchstens 4 Wochen (§ 16 IV) bis 6 Monate (§ 18 I 1) deutlich von der JStrafe geschieden, was dem JRichter warnend den Übergang zu einer Kriminalstrafe signalisiert. Die Gründe, welche zur Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafen im ErwStrafrecht geführt haben, stellen den JA als eigenständige, kurzfristig disziplinierende Sanktion für J und Hw. nicht in Frage. Die Kritik an der Institution des JA (für viele H.-J. Albrecht Gutachten zum 64. DJT, 2002 D 148; 5 Bietz ZRP 81, 216; Eisenhardt UJ 74, 413; Möller ZfStrVo 72, 45; Pfeiffer MKrim. 81, 33 u. Schumann 1985, der wegen der hohen Rückfallquote – dazu Rn 9 – und erz. Unwirksamkeit ganz auf ihn verzichten will), ist notwendig, in weiten Teilen berechtigt und hat Wesentliches bewirkt. Eisenberg (§ 13, 9) hält nach derzeitiger erzpsychologischer Auffassung den JA für erz. ungeeignet und meint, es fehle dabei vielfach selbst an einer partiellen Effizienz, wie sie autoritären ErzMaßnahmen im allg. zukomme, räumt (§ 13, 13) allerdings ein, dass nach allg. Erkenntnissen der Effektivitätsmessung innerhalb der Sanktions- und Behandlungsforschung ggf. auch ein kurzfristiges Bemühen eine langfristige erz. Auswirkung haben kann. In Bremen lief 1983/84 als Alternative zum JA ein praxisverbundenes Modellprojekt („Probe“) 5 a mit Betreuungsweisungen. In der über die Begleitforschung entstandenen Studie (Schumann 1985) wird als Ergebnis festgestellt, dass diese Sanktionsalternative bei gleichem Personenkreis wirksamer als JA gewesen sei (S. 174) und eine beachtliche Senkung der Rückfallquote erlaubt
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habe (S. 139). 1989 hat man im Land Bremen die JAAnstalt Bremen-Lesum geschlossen, weil „der sozialen Problemlage der Betroffenen . . . durch jegliche Arrestreform nicht wirksam begegnet werden“ kann (Hartwig/Krieg/Rathke NK 1989 H 3, 40). Es wurden von freien Trägern der Straffälligenhilfe „Beratungsstellen zur Arrestvermeidung“ eingerichtet, die Hilfsangebote erschließen sollen. Beim AG Bremen wurde ein Koordinator eingesetzt, der im Rahmen der JGH in Fällen drohenden Ungehorsamsarrestes frühzeitig sozialarbeiterisch intervenieren soll, „damit der JRichter von der Verhängung des Arrestes absehen kann“. Die Zahl der vollstreckten Arreste lag im ersten Jahr nach der Schließung der JA Anstalt Bremen-Lesum deutlich niedriger als im Jahr davor (Hartwig DVJJ-J 91, 50; vgl. auch Emig in DVJJ-BW 91 S. 57 f). 6 Ob allerdings auf JA völlig verzichtet werden kann, erscheint zweifelhaft. Bei aller berechtigten Kritik sollte man heute nicht mehr pauschal das Schemen einer längst in die Rechtsgeschichte eingegangenen Arrestideologie „short – sharp – shock“ beschwören. Denn es darf bei unbestrittener Problematik nicht verkannt werden, dass heute Arrestanten nicht mehr nur ihrer „Selbstbesinnung“ und einer „säkularisierten Fastenzeit“ (Patzschke in Schaffstein/Miehe Hrsg., Weg u. Aufgabe des JStrafrechts, 1986 S. 286) überlassen werden, sondern dass in einer Reihe von JAAnstalten ErzArbeit geleistet wird, die nicht selten von den J auch angenommen wird (zu den unterschiedlichen Verhältnissen in den Anstalten s. Hinrichs DVJJ-J 99, 266 ff; Kobes/Pohlmann ZJJ 03, 371). Auch bei Beachtung des Grundsatzes „keine stationäre Behandlung, wo ambulante genügt“ (Einf. II 18–21) kann es J und Taten geben, für die JA geeignet und in der Lage sein könnte, härtere Maßnahmen zu vermeiden (zu Möglichkeiten des JA vgl. Müller in DVJJ-BW 1991 S. 83 ff; Bihs/Walkenhorst ZJJ 09, 11). Teilweise werden allerdings die Möglichkeiten des JA durch zu geringe personelle Ausstattung der Anstalten und bauliche Mängel stark beeinträchtigt (Hinrichs DVJJ-J 99, 267). Nach Koepsel (FS Böhm, 1999 S. 622 f) ist die Situation in etlichen JAAnstalten „so unbefriedigend, dass der Negativeffekt des bloßen Einsperrens die mögliche erz. Wirkung des JA verdrängt“. Schaffsteins Ausführungen (GA 71, 129, 130) verdienen nach wie vor Beachtung, dass „JKriminalität keineswegs immer oder auch nur meistens Ausdruck einer Fehlentwicklung oder einer abnormen sozialen Gefährdung“ ist, sondern dass es auch heute in großem Umfang eine JKriminalität der „Normalentwickelten“ gibt, für welche die Zuchtmittel einschließlich des JA „ein einstweilen unentbehrliches Mittel der Sozialisation“ sind. Zur Diskussion um den JA vgl. auch die Beiträge von Dünkel ua DVJJ-J 91, 23 ff sowie von Herrlinger DVJJ-J 91, 156. 7 Während Vorschläge der Arbeiterwohlfahrt 1970 für ein erweitertes JHilferecht und ein Diskussionsentwurf eines JHilferechts des BM für Jugend, Familie und Gesundheit 1973 (vgl. näher Einf. II 32, 33) noch meinten, auf den JA verzichten zu können, haben die folgenden RE des BMJ (1977, 1983, 1987 u. RegE 1989) zu einem 1. JGGÄndG die Sanktion des JA aufrechterhalten, aber bes. auf die erz. Gestaltung des Vollzugs in einer der kurzen Vollzugszeit angemessenen Weise hingewiesen. – Die DVJJ hielt in ihrer Denkschrift 1977 über die kriminalrechtliche Behandlung junger Volljähriger an einem behandlungsorientierten JA fest. Während die DVJJKommission zur Reform des JKriminalrechts die Abschaffung des JA forderte (DVJJ-J 92, 33 f), befürwortete die 2. JStrafrechtsreformkommission der DVJJ die Beibehaltung des Dauerarrestes (Vorschläge für eine Reform des JStrafrechts, 2002 S. 81). 7 a Eisenhardt hat im Auftrag des BMJ ein Gutachten über die kriminalpolitische und kriminalpädagogische Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit des JA erstellt (1974). Aufgrund umfangreicher, kritischer Untersuchungen hat er letztlich gleichwohl derzeit keinen ausreichenden Ersatz für den JA gefunden, aber als Behandlungsmodell vorgeschlagen, zunächst einen Freizeitarrest anzuordnen, um das Schockerlebnis zu nutzen, und bei erneuter Straffälligkeit einen Dauerarrest von 4 Wochen zu verhängen, der mit einer Diagnosephase von einer Woche beginnen und dem ein dreiwöchiger Sozialisationskurs folgen soll, um durch Gruppentraining Einstellungsänderungen zu bewirken; in geeigneten Fällen soll sich eine Nachbetreuung von einem Jahr anschließen (für Kurzzeitbehandlungsprogramme mit Nachbetreuung auch Böhm/Feuerhelm S. 216).
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Jugendarrest
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In seinem – ergänzenden – Gutachten über den JA (1989) hat Eisenhardt zusammenfassend fest- 7 b gestellt (S. 145 ff): Der JA sei prinzipiell für J und jüngere Hw. als Reaktion auf Fehlverhalten geeignet; unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen und bei den Problemen der im JA Befindlichen aber könne lediglich der Freizeitarrest für eine kleine Gruppe „gut gearteter Täter“ als geeignete erz. Reaktion gelten. Mit der derzeitigen Vollzugsstruktur aber würden die Probleme der Probanden nicht gelöst. Nur ein konsequent sozialtherapeutisch ausgestalteter Vollzug erscheine sinnvoll. Eisenhardt empfiehlt als Vollzugsformen: 1. Freizeitarrest mit maximal 2 Freizeiten (dem entspricht nun § 16 II nach dem 1. JGGÄndG) einschließlich einer Betreuungsweisung im Regelfall. 2. Unter Umständen ein kurzer Dauerarrest von einer Woche, mit einer Betreuungsweisung verbunden. 3. Dauerarrest in einer neuen Form von 3–4 Wochen oder bis zu 3 Monaten, möglichst mit einer Nachbetreuung verbunden. In einer Veröffentlichung von 2010 empfiehlt Eisenhardt, die kriminalpräventiven Chancen des JA durch sorgfältige Diagnose, strukturierte Behandlungsprogramme und Nachsorge zu nutzen (S. 99 ff). Vgl. auch Eisenhardt in § 90, 1. Nach den Befunden von Eisenhardt und von anderen löst die Einsperrung bei den Tätern einen Schock aus, der im Lauf des Freiheitsentzugs nachlässt (Eisenhardt 1974 S. 566; 1989 S. 141, 156; 2010, S. 94; Bruns S. 130; Schwegler S. 110). Schwegler S. 273 ff ermittelte bei Befragungen von 86 Dauerarrestanten einer JAAnstalt, dass sich die Mehrheit vom Vollzug beeindruckt zeigte, sich jedoch die „moralische Urteilsfähigkeit“ und die „Einstellung zum Recht“ nicht signifikant veränderten. Zum Ungehorsamsarrest vgl. § 11, 8 a. Die Praxis hat in den letzten Jahrzehnten in steigendem Maß an Stelle von JA ambulante Sank- 8 tionen verhängt. Der Anteil des JA an den Verurteilungen ist von 42% 1955 über 21% 1980 auf 16% 1991 zurückgegangen (Ostendorf 94, 8) und lag 2009 bei 18% (berechnet nach Stat. BA S. 306 f). Hinsichtlich des Anstiegs der JA-Anteile an den Verurteilungen in den letzten Jahren ist die steigende Diversionsrate zu berücksichtigen; bezogen auf die Gesamtheit der formell oder informell Sanktionierten ist keine Zunahme festzustellen (Heinz FS 11, 73 f). Die Zahl der J und Hw., die zu JA verurteilt werden, ist aber weiterhin erheblich. Sie betrug 2009 21. 458 (Stat. BA aaO). Zu dem begrüßenswerten Rückgang des JA haben geführt „in einer Wechselbeziehung von Ursache und Wirkung“ (Schaffstein in GS Hilde Kaufmann, 1986 S. 397) der Ausbau geeigneter ambulanter Alternativen (dazu § 10, 10–12) und die steigende Zahl informeller Erledigungen im Wege der Diversion nach §§ 45, 47. Das hat bei den Arrestanten und der kriminalpolitischen Zielsetzung des JA zu einem Wandel geführt. Die „Gutgearteten“ (vgl. Rn 2) werden nun überwiegend ambulanten Maßnahmen zugeführt, während in den JA eher bes. gefährdete J gelangen (vgl. Rn 3; Eisenhardt 1989 S. 125; Pfeiffer MKrim. 81, 28). Diese mischen sich mit den wegen Ungehorsams Arrestierten (vgl. Rn 3). Es ist im Ergebnis Schaffstein (aaO S. 393, 394) zuzustimmen: „Eine weitere Zurückdrängung des JA durch ambulante Maßnahmen ist wünschenswert, eine völlige Beseitigung ist weder erwünscht noch ohne Schaffung einer kaum zu schließenden Lücke in unserem jkriminalrechtlichen Rechtsfolgensystem möglich.“ Dies setzt allerdings eine stärkere sozialpädagogische Ausgestaltung des JA voraus (Laue DVJJ-J 95, 95; Koepsel FS Böhm, 1999 S. 631: Ausgestaltung als „pädagogischer Intensivkurs“). Die Rückfälligkeit nach JA betrug nach einer für Deutschland mit dem Bezugsjahr 1994 und ei- 9 nem Zeitraum von 4 Jahren nach der Entlassung durchgeführten Untersuchung 70%; gegen 25% der Entlassenen erging eine stationäre Folgeentscheidung (Jehle/Heinz/Sutterer Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen, 2003 S 57). Nach einer weiteren Untersuchung mit dem Bezugsjahr 2004 und einem Überprüfungszeitraum von 3 Jahren nach der Entlassung belief sich die Rückfallquote auf 64%, bei 20% der Entlassenen kam es zu einer stationären Folgeentscheidung (Jehle/H.-J. Albrecht/Hohmann-Fricke/Tetal Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen. Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2004 bis 2007 S. 61). Untersuchungen der fünfziger bis siebziger Jahre zum Dauerarrest führten zu dem Ergebnis, dass etwa zwei Drittel der Arrestanten rückfällig wurden, aber nur bei einem Drittel schwerere Maßnahmen als JA verhängt wurden; nach Abzug von 30–35% „Arrestungeeigneter“ wurden Rückfallquoten von 53% für
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alle Rückfälle und von 19% für erhebliche Rückfälle ermittelt (Schaffstein/Beulke S. 149). Zusammenfassend zu den älteren Befunden Dölling RdJ 93, 372; Ostendorf 1994 S. 4). 4.
Tat- und Tätervoraussetzungen
10 Als Tatahndung ist der JA für leichte Verfehlungen nicht erforderlich, für schwere zumeist nicht ausreichend. Eine gewisse Orientierungshilfe mag die sog. Jungsche Formel geben, wonach es sich um Taten handeln soll, die es notwendig machen, dem Entstehen von Entwicklungsschäden entgegenzuwirken, andererseits der JA geeignet (ausreichend) sein soll, auf den J iS einer Änderung seines Verhaltens einzuwirken. 11 JA darf nicht schematisch verhängt werden, wenn der Täter erstmals vor Gericht steht. Es ist auch selten gerechtfertigt, JA – insbes. Dauerarrest – mehrmals in kurzer Zeit zu wiederholen, hier ist meist ein anderes Ahndungsmittel angebracht, was schon daraus folgt, dass die Rückfallquote selbst der einfachen Arrestwiederholer den allg. Rückfallsatz um 10–11% übersteigt (Schaffstein ZStW 70, 853, 869). 12 Entscheidend ist die Persönlichkeit des Täters. Der JA ist kein Allheilmittel. JA bei sog. Arrestuntauglichen (für Drogentäter vgl. Rn 22, 23), insbes. bei schon kriminell verhärteten Tätern (vgl. dazu Rn 8), bei bereits verwahrlosten und geistig erheblich zurückgebliebenen J, ist sinnlos und belastet die mögliche ErzArbeit im Vollzug. Gleiches gilt idR, wenn der Täter bereits in einer Einrichtung oder Wohnform nach § 12 Nr. 2, im J- oder gar ErwVollzug war. Zur Bedeutung der Tätervoraussetzungen § 90, 1 u. 2; zu bes. schwierigen Fällen LG Hamburg bei Böhm NStZ 89, 524 u. § 87, 7 a. 13 Bleibt es zweifelhaft, ob der Täter durch JA ansprechbar ist und reichen ambulante Maßnahmen keinesfalls aus, so lassen die JAVollzO mit erweiterten ErzMöglichkeiten seine Anordnung und die weithin im JA angebotenen Hilfsangebote sowie die tatsächliche Ausgestaltung (soziale Einzelfallhilfe, Gruppenarbeit, Unterricht, Freizeitgestaltung), soweit eben die Kürze der Zeit solche Ansätze zulässt, den Einsatz von JA verantworten. 14 Gerade bei geeigneten Hw. kann JA wirksam sein, es wird aber Persönlichkeit und Ansprechbarkeit sorgfältig geprüft werden müssen. Bedenklich ist es, wenn ein Hw. gegen Ende der Altersgrenze nach seiner Entwicklung JA als unangemessen empfinden muss; dann bieten sich andere Zuchtmittel an. Wegen JA gegen Soldaten § 112 a, 6. Zum JA gegen ausländische J u. Hw. Einf. I 22 b. 5.
Ungehorsamsarrest
15 Bei Ungehorsam gegen erz. Anordnungen, nämlich Weisungen (§ 10), Auflagen (§ 15), auch bei Strafaussetzung (§ 23 I 4) und Maßnahmen gem. § 98 OWiG (§ 82, 16) sieht der Gesetzgeber JA vor (§ 11 III 1). Näheres § 11, 4–8. Auch neben JA, der in der gleichen Entscheidung verhängt worden ist, kann für den Ungehorsamsarrest das Höchstmaß von 4 Wochen ausgeschöpft werden (s. § 11, 7; § 31, 27). Vgl. auch § 11, 8 a. 6.
Arrestformen
16 Im Jahre 2009 wurden 8.955 J und Hw. zu Freizeitarrest, 1.824 zu Kurzarrest und 10.679 zu Dauerarrest verurteilt (Stat. BA S. 306 f). Freizeitarrest (Abs. II) dauert im Regelfall (§ 25 III JAVollzO) von Samstag 8 Uhr oder 15 Uhr bis Montag 7 Uhr. Das G erlaubt zu Recht nur noch, 1 oder 2 Freizeiten bei einer Verurteilung zu verhängen (OLG Celle StV 01, 181). Bei mehr als 2 Freizeiten müsste erz. abträgliche Gewöhnung befürchtet werden. Gegen die Effizienz des Freizeitarrestes werden Bedenken erhoben (Schaffstein ZStW 70, 838; Roestel Zbl. 69, 233 u. Sieverts in
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Jugendarrest
§ 16
Schaffstein/Miehe, Hrsg., Weg u. Aufgabe d. JStrafrechts, 1968 S. 272, der meint, die Großstadtjugend schüttle den Freizeitarrest heute eher wie Wasser ab und sähe ihn als günstige Gelegenheit zum Ausschlafen an). Nach Koepsel (FS Böhm, 1999 S. 623) werden junge Menschen vielfach ohne jede Betreuung für zwei Tage in Einzelzellen untergebracht. Freizeitarrest nimmt weder Arbeits- noch Schulzeit in Anspruch und wird damit auch nicht bekannt. Berckhauer (ZRP 82, 145) stimmt neueren Initiativen zur Beseitigung des Freizeitarrestes zwar zu, hält aber gleichwohl ersatzlosen Wegfall wegen weitgehenden Fehlens sozialpädagogischer ambulanter Alternativen für unzweckmäßig. Auch Maurach/Gössel/Zipf (S. 719 f) befürworten eine kriminalpädagogische Verbesserung des Freizeitarrests und nicht einen Verzicht auf diese Sanktion. Bedienstete der JAAnstalten und Freizeitarresträume nicht nur eines Landes halten Freizeitarrest, der etwa bei arbeitslosen J auch während der Woche vollzogen werden kann (Abs. II, § 25 IV JAVollzO), bei sonst eingegliederten J für unverzichtbar und effizient. Wenn auch die Kürze der Zeit im Freizeitarrest idR nicht viel mehr erlaubt, als über eine „Denkzettelwirkung“ (BT-Drs. 11/5829 S. 19) zu versuchen, das Verhalten nicht oder kaum belasteter J und Hw. zu ändern, so suchen doch gleichwohl engagierte JStAe, JRichter und Sozialarbeiter erz. Einwirkungen (vgl. Rn 13) damit zu verbinden und nicht nur „Schlafmöglichkeit“ (Ostendorf 10) zu bieten. § 87 III ermöglicht selbst hier dem Vollzugsleiter, den JA auf das erz. Notwendige und Gebotene einzuschränken. Hinsichtlich der Arrestdauer s. RL 1 S. 3; § 25 JAVollZO; § 5 BwVollzO. Der Kurzarrest (Abs. III) tritt nur an die Stelle des Freizeitarrestes und beträgt deshalb mindes- 17 tens 2 Tage, und wegen der Beschränkung des Freizeitarrestes auf höchstens 2 Freizeiten nicht mehr als 4 Tage. Die Umwandlung ist zu begründen und ermöglicht es, Urlaub, Ferien und Zeiten der Arbeitslosigkeit zu nützen. Eine Änderung der Verhältnisse erlaubt nachträgliche Umwandlung (§ 86), aber nicht deren Rückgängigmachung. Kritik am Vollzug des Kurzarrestes bei Koepsel (Rn 16 S. 625). Das Höchstmaß des Dauerarrestes (Abs. IV) beträgt 4 Wochen (nicht 1 Monat!). Auch hier sollte, 18 um Abstumpfung und Gewöhnung zu vermeiden, nur in bes. Fällen das Höchstmaß verhängt werden (Schaffstein/Beulke S. 143; für Anhebung auf 3 Monate mit der Chance vorzeitiger BewEntlassung Koepsel aaO S. 626, 631). Bei der Bemessung des Dauerarrestes wird der JRichter auch mit berücksichtigen, was das erz. Programm in der zuständigen JAAnstalt bietet. Der Vollstreckungsleiter kann gem. § 87 III von der Vollstreckung des Restes, unter bestimmten Voraussetzungen von der Vollstreckung auch ganz absehen (§ 87, 6).
7.
Koppelung
Über Koppelung § 8. Durch Koppelung mit Weisungen und Auflagen kann der JA mit weiter- 19 führender ErzArbeit verknüpft und eine gewisse Langzeitwirkung erzielt werden (Bedenken hiergegen bei Eisenberg § 13, 14). Eine mit der Verhängung des JA erteilte entsprechende Weisung kann die gebotene Nachbetreuung sichern und erleichtern. Eisenhardt und die Denkschrift der DVJJ 1977 regen eine derartige Nachbetreuung an (Rn 7–7 b). Die verschiedenen Formen des JA (Abs. II-IV) sind grds. nicht zu koppeln; niemals dürfen in einem Urteil insgesamt mehr als 28 Tage JA verhängt werden. Zum Ungehorsamsarrest aber Rn 15. Zum Einstiegs- oder Warnschussarrest § 27, 12 ff. Über Vollstreckung u. Vollzug §§ 86 ff, 90; wegen der Urteilsfassung § 54, 4, 15; wegen UHaft 20 § 52 a, 8; wegen Begnadigung § 13, 7.
8.
Arrestladung
Es empfiehlt sich, dass der Vollzugsleiter (§ 90 II 2) den JRichtern des Einzugsbereichs seiner 21 JAAnstalt gem. RL V Nr. 1 S. 2 zu §§ 82–85 die allg. Zustimmung erteilt, den rechtskräftig Ver-
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§ 16
2. Teil. Jugendliche
urteilten unmittelbar (möglichst nach Besprechung mit dem J im Anschluss an die Verurteilung) zum Arrestantritt zu laden (vgl. auch Eisenberg 37). Vgl. dazu auch RL V Nr. 4 S. 2 zu §§ 82–85. Dies ist in der Praxis technisch unschwer zu lösen und führt zur gebotenen raschen Vollstreckung. Nach der Ladung durch den Rechtspfleger gibt der JRichter die Akte an den Vollzugsleiter ab, wobei zunächst eine beglaubigte Abschrift des erkennenden Teils mit Rechtskraftbescheinigung genügt (Vor § 82, 4). 21 a Dies vermag Vorführungen, welche J und Polizei gleichermaßen unnötig belasten, zu vermindern. Wird das Urteil nicht sofort rechtskräftig, weil in der Hauptverhandlung der gesetzliche Vertreter des J nicht anwesend war, so kann diesem ein (Formblatt-)Schreiben mitgegeben werden, welches das Urteil, den vorgesehenen Ladungstermin und die Bitte enthält, der gesetzliche Vertreter möge mitteilen, ob er mit der Entscheidung einverstanden ist. Auch das hat sich in der Praxis bewährt. Es ist dies eine Möglichkeit, erz. zweifelhafte polizeiliche Vorführungen zu vermeiden. Solche Vorführungen sind allerdings zulässig (RL V 7 zu §§ 82–85; DSS/Diemer § 90, 8; Ostendorf § 85, 3; Rinio Zbl. 00, 302; aA Hinrichs StV 90, 380; DSS/Sonnen 27 u. § 85, 2). Zwar kann gegen eine analoge Anwendung des § 457 StPO das zwischen JStrafe und JA bestehende Gefälle in der Eingriffsintensität angeführt werden (Ostendorf, DSS/Diemer u. Rinio aaO). Durch den Justizverwaltungsakt der Ladung wird der Verurteilte jedoch zum Antritt des JA verpflichtet. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, kann sich der Vollstreckungsleiter der Amtshilfe der Polizei zur Durchsetzung des Verwaltungsaktes bedienen. Die Polizei ist zur Anwendung unmittelbaren Zwangs nach Maßgabe des Landesverwaltungsvollstreckungsrechts befugt (Rinio aaO). Vgl. auch DSS/Diemer aaO (Befugnis der Polizei zur Anwendung unmittelbaren Zwangs im Rahmen ihrer allg. Aufgabe zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit u. Ordnung) und Ostendorf aaO (zwangsweise Vollstreckung nach den Landesverwaltungsgesetzen bzw. den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen der Länder). Auch bei erz. Ausgestaltung des JA ist die zwangsweise Zuführung zum Arrest nicht völlig zu entbehren (Rinio aaO, 303; aA Hinrichs StV 90, 381; DSS/Sonnen § 85, 2). 21 b Zur arrestbewehrten Weisung, den JA pünktlich anzutreten, § 10, 14 c. 9.
Jugendarrest bei Drogentätern
22 Bei noch nicht drogenabhängigen Tätern, wohl auch noch bei Klein-Dealern für Eigenbedarf, kann nach bes. gründlicher Persönlichkeitserforschung, die insbes. klären muss, ob der J (Hw.) durch JA überhaupt noch ansprechbar erscheint, JA geeignet sein, zumal heute auch im Arrestvollzug wertvolle ErzArbeit geleistet wird. Ein Dauerarrest etwa von 4 Wochen führt daneben auch zu einer zwangsläufigen Entziehung des gefährdenden Milieus. Zugleich mit dem JA wird es sich häufig empfehlen, zusätzlich Weisungen (§ 10, 23, 24) als Langzeithilfe (§ 8, 1) einzusetzen. 23 Bei wirklich Drogenabhängigen aber scheidet JA schlechthin aus, weil diese infolge ihrer Passivität, Lethargie und allg. Ablehnungshaltung schlechterdings arrestuntauglich sind, der JA nach Anlage und ErzZiel für sie ungeeignet ist und die Arrestanstalten ohne Nutzen mit schwierigen, andere sogar gefährdenden Arrestanten belastet werden. JAAnstalten lehnen es meist ab, Drogenabhängige aufzunehmen (Eisenberg § 10, 40). Sie tun es wegen der Kürze der Zeit und fehlender personeller und sächlicher Einrichtung zu Recht. Vgl. auch Brunner Zbl. 80, 415, 419; Kreuzer Zbl. 74, 214. Zum Ungehorsamsarrest § 11, 11. 23 a Allg. zu Drogentätern: Einf. I 49–51 b; § 10, 18 ff; § 93 a.
132
Form und Voraussetzungen
§ 17
Vierter Abschnitt Die Jugendstrafe § 17 Form und Voraussetzungen § 17 Form und Voraussetzungen (1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung. (2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen der Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist. 1. Hw.-J: Rn 5; § 105 I. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1; § 112 S. 1, 2 – 3. Sold: § 112 a, 6. Richtlinien zu § 17: 1. Jugendstrafe darf nur verhängt werden, wenn andere Rechtsfolgen des Jugendgerichtsgesetzes nicht ausreichen. Sie soll in erster Linie der Erziehung dienen und darf deshalb mit der Freiheitsstrafe nicht gleichgesetzt werden. 2. Wenn Jugendliche und Erwachsene gemeinsam abgeurteilt werden (§ 103), wird es sich in der Regel empfehlen, in der mündlichen Urteilsbegründung das Wesen der Jugendstrafe und ihre Verschiedenheit von der Freiheitsstrafe darzulegen. Schrifttum: Balzer Der strafrechtl. Begriff der schädlichen Neigungen, Diss. Kiel 1965; Baumann Der Begriff der schädl. Neigungen, BewH 67, 177; Belloni Anwendungsbereich u. Wirksamkeit der bestimmten JStrafe, 1965; Bergmann Zur Legitimationskrise der JStrafe, ZRP 91, 44; Böhm Rückfall u. Bew. nach verbüßter JStrafe, Fliedner-Verein Rockenberg 1973; Bottke Generalprävention u. JStrafrecht aus kriminologischer u. dogmatischer Sicht, 1984; Bringewat Verurteilung zu JStrafe – rückfallbegründende Verurteilung zu Strafe iSd § 48 StGB? JZ 82, 11; Bruns Zur Antinomie der Strafzwecke im JStrafrecht, StV 82, 5; Deichsel Was JRichter/innen beim Richten ausrichten u. anrichten! Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff der „Schädlichen Neigungen“, ZJJ 04, 266; Dünkel Situation u. Reform von JStrafe, in JStrafe u. JStrafvollzug, 1985 S. 45; Frey Möglichkeiten u. Grenzen der Therapie bei Frühkriminellen, in Bittner Hrsg., Heilen statt Strafen, 1957 S. 309; Heinen Abgrenzung von JStrafe u. Fürsorgeerziehung, UJ 58, 460; Hellmer Erz. u. Strafe, 1957 S. 252 ff; Herrmann Erz. im JStrafvollzug, in Schaffstein/Miehe Hrsg., Weg u. Aufgabe des JStrafrechts, 1968; Hinz Soziales Gebot oder „Lebenslüge“? – Der ErzGedanke bei der JStrafe, ZRP 05, 192; JM Baden-Württemberg Hrsg., JVollzug – Hilfe oder Strafe? 1986; Kaiser Der erz. Sinn der JStrafe u. seine Verwirklichung, Diss. Heidelberg 1971; H. Kaufmann/Marquardt ua. JStraftäter u. ihr Verfahren, 1975; Lange Rückfälligkeit nach JStrafe, Diss. Göttingen 1973; Matzke Der Leistungsbereich bei JStrafgefangenen, Diss. Berlin 1982; M.-K. Meyer JStrafe wegen Schwere der Schuld – ErzStrafe und/oder Schuldausgleich? Zbl. 84, 445; Meyer-Odewald Die Verhängung u. Zumessung der JStrafe, 1993; Miehe Zur Anordnung der Fürsorgeerziehung bei Unerziehbaren, RdJ 66, 5, 34, 64; Mörke JStrafe ein ErzMittel? SchlHA 65, 153; Mösl Verhängung u. Bemessung von JStrafe, NStZ 81, 428; Nolting Freigänger im JStrafvollzug, Diss. Göttingen 1985; Pedal Die Voraussetzungen der JStrafe, JuS 08, 414; Reuther Elternrecht bei Trennung aufgrund stationärer jstrafrechtlicher Sanktionen, 2008; Schaffstein Die Dauer der Freiheitsstrafe bei jungen Straffälligen, FS Würtenberger, 1977 S. 449; v. Schlotheim Zum Problem d. schädlichen Neigungen, RdJ 59, 150, 168, 181; ders. Die Höchstdauer der JStrafe, MKrim. 61, 107; Streng Die JStrafe wegen schädlicher Neigungen (§ 17 II 1. Alt.) – Ein Beitrag zu den Grundlagen u. zum System der JStrafe –, GA 84, 147; Tenckhoff JStrafe wegen Schwere der Schuld, JR 77, 485; Trenczek Hrsg., Freiheitsentzug bei jungen Straffälligen, 1993; Wachter Untersuchungen über Erfolg u. Mißerfolg der Erz. durch die JStrafe, Diss. Heidelberg 1966; Walter/Wilms Künftige Voraussetzungen für die Verhängung der JStrafe: Was kommt nach dem Wegfall der „schädlichen Neigungen“?, NStZ 07, 1; Weber Die Anwendung der JStrafe, 1990; Werner JStrafe u. Fürsorgeerziehung, RdJ 64, 114 u. 134; Wiesbrock Probleme des offenen Strafvollzugs u. seine Bew, Diss. Göttingen 1971. Übersicht 1. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendung und Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rn 1 2
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§ 17
2. Teil. Jugendliche
3. Vollzug in der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Voraussetzungen und Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Schädliche Neigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schwere der Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Fahrlässigkeitstaten und weitere Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Abgrenzung von anderen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Schädliche Neigungen und Strafaussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Zurückstellung der Strafvollstreckung bei betäubungsmittelabhängigen J und Hw. nach §§ 38 I, 35 I, 36 BtMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.
8 9 11 14 16 19 22 23
Rechtsnatur
1 JStrafe ist die einzige Rechtsfolge des JGG mit dem Charakter einer Kriminalstrafe, gleichwohl eher notwendiges als strafendes Übel (Schaffstein FS Heinitz, 1971 S. 461). Sie ist sowohl nach den Voraussetzungen (§ 17) wie nach den Vollzugsvorschriften auf die bes. Lage junger Menschen zugeschnitten und gegenüber den Strafen des allg. Rechts eigenständig (aliud; RL 1; BGH 10, 103). Sie enthält alle Elemente des allg. Strafbegriffes (Schuldausgleich, Abschreckung, Besserung, Schutz der Allgemeinheit, BGH 18, 209; BGH StV 82, 173 = JR 82, 432 mit zust. Anm. Brunner; OLG Frankfurt NStZ 84, 383; M.-K. Meyer Zbl. 84, 446; Nothacker S. 113, 144; Wolf S. 97; vgl. § 18, 8). Der BGH hat nicht beanstandet, dass eine JKammer 10 Jahre JStrafe wegen Mordes für erforderlich gehalten hat, „um über die erz. notwendige Einwirkung hinaus dem auch im JStrafrecht geltenden Grundsatz der tatvergeltenden Sühne und Abschreckung zu genügen“ (BGH B NStZ 87, 442; zur Abschreckung § 18, 9). Der vorrangige Grundsatz der Erz. und die Elemente des allg. Strafbegriffs treffen sich darin, dass die JStrafe, wie jede Sanktion, den J für sein Handeln verantwortlich machen soll. Dies ist eine der stärksten pädagogischen Kräfte, denn der junge Mensch soll frühzeitig lernen, dass nichts ihn von der Verantwortung für sein Tun und Lassen freistellt und dass er selbst entscheidend sein Verhältnis zu seiner Umgebung gestaltet (vgl. Hellmer in JM Baden-Württemberg, 1986 S. 40, 41). Dazu auch Einf. II 8 u. insbes. § 18, 8 u. 9 a. Stets aber bleibt der ErzGedanke so vorrangig, dass bereits der Versuch des Täters, sein Leben in geordnete Bahnen zu lenken, und Ansätze zu positiver Entwicklung eingehende Darlegungen dazu verlangen, ob diesem „nur durch Verbüßung einer lang dauernden Haftstrafe, die noch dazu die begonnene Lehre unterbrechen und womöglich beenden würde, hinreichend Rechnung getragen werden kann“ (BGH StV 88, 307; BGH StV 89, 478 bei § 18, 8 b; Brunner JR 90, 305). Es treten die allg. Strafzwecke (dazu RL 2 zu § 18) zurück hinter das ErzZiel aller jrechtlichen Maßnahmen und gerade auch der JStrafe wegen schädlicher Neigungen (wegen Schwere der Schuld aber Rn 14) und ihres Vollzugs: den Täter zu bessern, dh vor allem ihn zu befähigen, sein Leben eigenverantwortlich zu gestalten und künftig keine Straftaten mehr zu begehen. Denn es sollen – und es können auch – junge, in der Entwicklung befindliche, noch prägbare Täter beeinflusst werden, was Sühne weithin zurückdrängt und Generalprävention (§ 18, 9) ausschließt. Nach Nothacker (S. 60) könne und dürfe Aufgabe des JStrafrechts nur sein, „weiterer strafrechtlicher Erfassung des Verhaltens einzelner Personen dadurch entgegenzuwirken, dass die Voraussetzungen für ihre Legalbew. geschaffen werden“, und er fügt hinzu, dass dies im Besonderen heiße, „Bedingungen zu schaffen, unter denen eventuelle Mängellagen bei J und Hw. durch Selbsthilfe und Angebote von ErzPersonen reduziert werden könnten“. Dies entspreche auch dem Sozialisationsbegriff im JStrafrecht (S. 83). Anstelle des unsystematischen „Vorranges des ErzGedankens“ sollten die angezeigten jstrafrechtlichen Anwendungsprinzipien der Entscheidung zugrunde gelegt werden (S. 383). Ludwig (Zbl. 86, 338) meint kritisch, es lasse sich „eben leichter einsperren, wenn dies geschieht, um jemand zu erziehen“. Zum ErzBegriff bes. Rn 5 ff, auch Einf. II 4–10, § 18, 7, insbes. 7 a; auch § 18, 10. 1 a Durch das 2. JGGÄndG vom 13. 12. 2007 wurde in § 17 I das Wort „Jugendstrafanstalt“ durch die Wörter „für ihren Vollzug vorgesehene Einrichtung“ ersetzt. Hierdurch hat der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung getragen, dass JStrafe heute nicht mehr ausschließlich in JStra-
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Form und Voraussetzungen
§ 17
fanstalten vollzogen wird, sondern im Rahmen des Vollzugs in freien Formen auch in Einrichtungen freier Träger (Begründung des RegEntwurfs BT-Drs. 16/6293, S. 10). So zeigen die Erfahrungen mit dem Projekt Chance in Baden-Württemberg, dass es bei geeigneten Gefangenen möglich ist, die JStrafe in Einrichtungen der JHilfe zu vollziehen (vgl. zu dem Projekt Goll/Wulf Zbl. 03, 219; Biendl JStrafvollzug in freier Form am Beispiel des „Projekt Chance“, 2005; Dölling in Schöch/Jehle, Hrsg., Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit u. Sicherheit, 2004 S. 99 ff; Dölling/Stelly/Thomas in DVJJ, Hrsg., Fördern Fordern Fallenlassen, 2008 S. 118 ff; Dreßel „Projekt Chance“. Eine Alternative zu herkömmlichen JStrafanstalten, 2007). 2.
Anwendung und Diskussion
Die JStrafe ist als „ultima ratio“ des JStrafrechts konzipiert (RL 1 S. 1), spielt aber in der Praxis 2 weiterhin eine beträchtliche Rolle. 1980 erhielten 17.982 Verurteilte eine JStrafe (14% aller nach JStrafrecht Verurteilten), 1991 waren es 12.938 (18% der Verurteilten bei zurückgegangenem Anteil der Verurteilungen an den Verfahrenserledigungen) und 2009 – in allen Bundesländern – 18.684 (16%), vgl. Heinz in Trenczek 1993 S. 78 u. Stat. BA S. 278. Eine JStrafe ohne Bew. wurde 1980 gegen 6790 Verurteilte verhängt (5% aller nach JStrafrecht Verurteilten), 1991 gegen 4812 Personen (7%) und 2009 gegen 6674 (6%, berechnet jeweils nach Stat. BA). Der Anteil der zu JStrafe Verurteilten an allen formell oder informell (gem. §§ 45, 47) nach JStrafrecht Sanktionierten betrug 1981 8% (für JStrafe ohne Bew. 3%), 1991 7% (für JStrafe ohne Bew. 2,5%) und 2006 5% (für JStrafe ohne Bew. 2%), s. Heinz aaO, S. 80 u. in Handb. d. For. Psychiatrie Bd. 4, 2009 S. 108. Nach empirischen Befunden wurden in bestimmten Konstellationen (zB Verurteilung wegen einfachen Diebstahls oder Unterschlagung bei Vorliegen von Vorbelastungen) J und Hw. häufiger zu einer Jugendstrafe ohne Bew. verurteilt als Erw. zu einer Freiheitsstrafe ohne Bew. (Pfeiffer DVJJ-J 91, 114 ff) und erhielten Hw. bei Verurteilung nach JStrafrecht häufiger eine JStrafe ohne Bew. als bei Verurteilung nach allg. Strafrecht eine Freiheitsstrafe ohne Bew. (Dünkel Freiheitsentzug für junge Rechtsbrecher, 1990 S. 124 ff). Insgesamt lässt sich jedoch nicht belegen, dass die nach JStrafrecht Verurteilten allg. oder auch nur mehrheitlich schlechter gestellt werden als die Erw. (s. Böhm/Feuerhelm S. 13 ff; Streng FS Böttcher, 2007 S. 447 ff). Die JStrafe ist verfassungsgemäß (BVerfGE 116, 69 = NJW 06, 2093 mit Bespr. Ostendorf NJW 06, 3 2073; Goerdeler/Pollähne ZJJ 06, 250; Sachs JuS 06, 924; OLG Schleswig NStZ 85, 475 mit Anm. Schüler-Springorum = StV 85, 420 mit Anm. Streng; Schaffstein/Beulke S. 292; Weber S. 58). Bedenken, die JStrafe sei „per se erzfeindlich“ und der vom Gesetzgeber mit ihr vorgegebene ErzGedanke werde in der Praxis generell nicht realisiert (so ua Streng GA 84, 163; Frehsee 1984 zit. NStZ 85, 475; Kaiser NStZ 82, 102; Schüler-Springorum FS Dünnebier 82, 656; Hellmer JKriminalität 4. Aufl. 78, 107) sind ernst zu nehmen, greifen aber im Ergebnis nicht durch. Wird die JStrafe nach den Vorgaben des BVerfG aaO, vollzogen, werden die Grundrechte der jungen Gefangenen nicht verletzt, wenn das angestrebte ErzZiel nur mehr oder weniger gut erreicht wird; einzelne Verstöße gegen Grundrechte führen nicht zur Verfassungswidrigkeit des strafrechtlichen Gesetzesbefehls und der hieraus abgeleiteten strafgerichtlichen Erkenntnisse, sondern zum Rechtsweg nach § 92. Kritisch Eisenberg (JR 87, 488) und Schüler-Springorum (NStZ 85, 478), der dem Urteil des OLG Schleswig für JStrafe die Leitlinie entnimmt, dass wegen „Schwere der Schuld“ äußerste Zurückhaltung geboten sei, und wegen „schädlicher Neigungen“ die Einsicht den Vorzug verdiene, „dass außerhalb der JVA besser erzogen werden kann“. Dies entspricht Bestrebungen der Praxis, soweit irgend angängig ErzMaßregeln und Auflagen den Vorzug zu geben und in steigendem Maße mit Hilfe von Diversionsprogrammen zu Einstellungen mit Auflagen nach §§ 45, 47 zu kommen. Die Praxis folgt der Erkenntnis, dass JStrafe gegen 14- und 15-jährige, auch noch gegen 16- 4 jährige, nur in ganz bes. Fällen zu verantworten und damit wirklich unentbehrlich ist (LG Gera StV 99, 661). So befanden sich am 31. 3. 2010 insgesamt 6184 Gefangene, darunter 640 J und da-
135
§ 17
2. Teil. Jugendliche
von 34 14–15-jährige im JStrafvollzug (Stat. BA, Strafvollzug Merkmale der Strafgefangenen 2010 S. 16). Dies zeigt, wie vorsichtig die JGerichte mit der Verhängung und Vollstreckung von JStrafen gegen J, insbes. gegen 14- bis 15-jährige J, sind. Bereits die Denkschrift der DVJJ von 1977 über die kriminalrechtliche Behandlung junger Volljähriger (S. 7) hat festgestellt, dass das JStrafrecht seinen Schwerpunkt deutlich auf die Gruppe der Hw. hin verlagert hat und dass im JStrafvollzug die unter 18-jährigen die Ausnahme, die jungen Volljährigen aber die Regel sind (Zahlen bei Mey/Wirth FS Böhm, 1999 S. 607). Hieraus schließen Schaffstein/Beulke (S. 299) zu Recht, dass die Frage, ob die JStrafe gegen 14- bis 15-jährige ausgeschlossen oder in Heimen der JHilfe vollzogen werden sollte, nur geringe praktische Bedeutung hat und dass der JStrafvollzug insbes. auf die älteren über 18 Jahre alten Jahrgänge ausgerichtet sein muss. Auch Matzke (1982 S. 33) stellt entsprechend der Altersstruktur seiner Untersuchungspopulation fest, dass es sich beim Vollzug der JStrafe im Wesentlichen um einen „Hw.-Vollzug“ handelt (ebenso Eisenberg § 92, 14; Ostendorf Grdl. zu §§ 91, 92 Rn 4). Nur bei schwersten Straftaten ist vollziehbare JStrafe auch bei 14- bis 15-jährigen unverzichtbar. J werden zur besseren Betreuung meist in einer bes. Anstalt zusammengefasst, so in Bayern in der weitgehend offenen JStrafanstalt Laufen-Lebenau. Ein Teil der Akten dieser J lässt erkennen, dass kein ErzHeim mehr bereit war, diese 14- bis 15jährigen aufzunehmen und so zu verwahren, dass die oftmals schon wiederholten Fluchtversuche vereitelt werden könnten. 5 Die JStrafe ist als stationäre Maßnahme für eine verbleibende kleine Gruppe (Rn 2) von nur wenigen J und überwiegend Hw. (Rn 4), auch bei „konfliktorientiertem Verständnis“ (Eisenberg § 92, 36), unverzichtbar. Gerade die in diese Gruppe fallenden jungen Menschen erweisen sich als in Freiheit kaum erreichbar, so dass auf den Versuch einer stationären Behandlung nicht verzichtet werden kann (dazu Rn 7 aE). Die ambulanten Maßnahmen leben auch davon, dass nach ihnen ein stationärer Vollzug möglich ist, und werden von manchen auch nur deshalb angenommen (Böhm in JM Baden-Württemberg, 1986 S. 50). Ein Nebeneinander von JStrafe und ambulanten, sozialisationsfördernden Sanktionen ist unabweisbar. Hierbei ist jedoch ein quantitativer und qualitativer Ausbau der ambulanten Maßnahmen gerade für kriminell gefährdete Täter notwendig, um die JStrafe soweit wie möglich zurückdrängen zu können. Dazu kommt, dass die Hw. zum Teil mit durchaus gewichtiger Kriminalität belastet sind. Auch um des Rechtsfriedens willen kann eine JStrafe unverzichtbar sein (M.-K. Meyer Zbl. 84, 453), wie etwa bei der Tat eines zum Verhandlungszeitpunkt erwachsenen und inzwischen sozial angepassten Täters, der als 19-jähriger (§ 105) als Bewacher eines KZ-Lagers einen Mord begangen hat (vgl. Böhm/ Feuerhelm S. 226; Strunk MKrim. 68, 135). 6 Teilweise wird versucht, die JStrafe zu „entschärfen“. Streng (GA 84, 149) geht zB davon aus, JStrafe wegen schädlicher Neigungen solle vor allem die Gesellschaft vor weiteren Straftaten des J schützen (S. 151; dagegen Weber S. 60). Um „der hochproblematischen Vermengung von Wohlfahrtsdenken und repressivem Strafen“ zu entgehen, schlägt er vor (S. 165), de lege lata die sog. „ErzStrafe“ zu meiden und auf ErzMaßregeln auszuweichen, die keinen Strafersatz darstellen. De lege ferenda solle die JStrafe wegen schädlicher Neigungen nur noch bei einem gegenwärtigen, schwerwiegenden Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft zulässig sein. Vgl. aber auch Einf. I 15 aE. 7 Die Meinungen, welche im pädagogischen, aber zum Teil auch im jstrafrechtlichen Sinn von einer unauflöslichen Antinomie von Erz. und Strafe (vgl. näher Rn 1 ff; Einf. II 8 u. bes. 9; § 18, 8 u. 9 a, 10) ausgehen, kommen über die These, Repression und Zwang seien einer pädagogischen „ErzStrafe“ schlechthin wesensfremd, Strafe setze zumindest einen im Wesentlichen abgeschlossenen ErzProzess voraus, ehe sie überhaupt zu rechtfertigen sei, bis zur letzten Konsequenz: Strafe als pädagogischer Akt sei deshalb völlig ausgeschlossen, weil damit lediglich das äußere künftige (Wohl-)Verhalten des Betroffenen manipuliert werde (Nachweise bei Nothacker S. 361, 362, 363). Dem Vorschlag, aus ähnlichen Gründen auf JStrafe völlig zu verzichten (für
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Form und Voraussetzungen
§ 17
Abschaffung des geschlossenen JStrafvollzugs Cornel UJ 09, 402; dazu Heisig UJ 09, 416 u. Frede UJ 09, 419), ist nicht zu folgen, denn im Hinblick auf die komplexe Erz.- und Schutzaufgabe des JKriminalrechts kann auf stationären Vollzug nicht verzichtet werden. Die JStrafe durch eine stationäre Maßnahme anderer Art zu ersetzen, bliebe bei der durch die fortschreitende Zurückdrängung der JStrafe zumeist verbleibenden bes. problematischen Gruppe zwangsläufig nur ein Wechsel des Etiketts. 3.
Vollzug in der Diskussion
Der JStrafvollzug erfüllt trotz erheblicher Bemühungen und nicht zu übersehender Fortschritte 8 heute noch nicht alle Anforderungen, die an ihn als ErzStrafvollzug gestellt werden. Das BVerfG (Bd. 116, 85 ff) hat wichtige Vorgaben für den JStrafvollzug aufgestellt. Die Forderung nach einer – realitätsbezogenen – Erz. im JStrafvollzug, zugleich aber auch deren Grenzen, werden deutlich, wenn man in der Praxis die schwierigen Persönlichkeitsstrukturen vieler Gefangener erlebt hat (vgl. Schüler-Springorum FS Würtenberger, 1977 S. 438; Thiesmeyer Zbl. 78, 14). Die Wissenschaft ist aufgerufen, dem JStrafvollzug durch in der Praxis umsetzbare Erkenntnisse zu helfen, die in enger Zusammenarbeit zwischen interdisziplinären Wissenschaften und Praxis erarbeitet werden. Kerner (in Feltes, Hrsg., Kriminologie u. Praxisforschung, 1988 S. 21) weist treffend darauf hin, dass „zahlreiche Innovationen im Bereich des Strafvollzugs in langem hartnäckigem Kampf von engagierten Praktikern entwickelt worden (sind), lange bevor sie die Weihe der theoretischen Beachtung durch die Wissenschaft gefunden haben“. Dazu auch Rn 4–6. Ein JRichter aber, der wegen der unbestreitbar noch vorhandenen Mängel des Vollzugs „ein Zei- 8 a chen setzen will“ und von der Verhängung der JStrafe absieht, wo das Gesetz sie fordert, handelt gesetzeswidrig. Denn es ist „nicht Sache des Gerichts, einem eindeutigen Gesetzesbefehl deshalb die Gefolgschaft zu versagen, weil die Exekutive nicht die zu seiner Durchführung erforderlichen Mittel bereithält“ (BGH 28, 329; zust. Eisenberg § 37, 5; abl. Ostendorf § 37, 4 unter Hinweis auf die Sanktionsrealität). Zu Drogentätern Rn 24, 25. 4.
Voraussetzungen und Wirkungen
Weil die JStrafe nach dem Willen des Gesetzgebers in erster Linie ErzStrafe (RL 1 S. 2) ist, darf sie 9 grds. nicht verhängt werden, wenn sie zu schweren Schäden in der Entwicklung des jungen Menschen führen müsste, was bes. bei langen Freiheitsstrafen der Fall sein kann (§ 18, 3). Da sie aber nur bei entsprechender Tatschuld zu rechtfertigen ist, muss sich Notwendigkeit und Berechtigung der JStrafe auch aus der Schuld ableiten lassen (Dallinger/Lackner 5). Auch im JRecht wird die Prüfung der Schuld nicht durch den Nachweis einer Verwahrlosung überflüssig, da die JStrafe keine bloße ErzMaßregel ist (LG Frankfurt Zbl. 60, 218). Die JStrafe darf auch – und gerade – aus erz. Gründen das Maß der Schuld nicht überschreiten; näher § 18, 10. Verurteilung und Verbüßung von JStrafe entspricht deshalb der Verurteilung und Verbüßung 10 von Freiheitsstrafe, wie sie § 66 StGB für die Anordnung der Sicherungsverwahrung fordert (BGH 26, 155; BGH H MDR 80, 628; BGH NStZ-RR 02, 183; Fischer § 66 StGB 7; Ostendorf § 31, 25; abl. Eisenberg 37; Nothacker S. 141, 142, 317). Näher § 31, 18. Vollzogene JStrafe gilt auch als „Freiheitsstrafe“ bei den Voraussetzungen für Führungsaufsicht (§ 7, 8–12) und bei den Voraussetzungen zur Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe nach § 57 II Nr. 1 StGB und verhindert hier die Erstverbüßerregelung (OLG Hamm JMBl. NRW 87, 7; OLG Karlsruhe Justiz 87, 319 u. NStZ 89, 323; OLG Oldenburg NStZ 87, 174; OLG Stuttgart JZ 87, 1085 u. MDR 88, 250; Fischer § 57 StGB 23; Dölling NJW 87, 1043; aA Eisenberg 36 a u. NStZ 87, 169). Es erscheint zweifelhaft, ob JStrafe dort der Freiheitsstrafe gleichgesetzt werden darf, wo im Be- 10 a amtenrecht die Entlassung aus dem Dienst an ein Jahr Freiheitsstrafe geknüpft wird. Der VGH
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Baden-Württemberg hat entschieden (JZ 64, 627), dass auch im (Schul-)Disziplinarrecht die Grundsätze des JGG zu beachten sind (Einf. II 28). Es wird nicht verkannt, dass nach gefestigter Rechtsprechung die Resozialisierung eines beamteten erw. Straftäters nicht Aufgabe des Disziplinarrechts sein kann und er nur dann im Dienst belassen werden darf, wenn er für den Dienstherrn und die Öffentlichkeit noch tragbar ist (zB Bay. VGH Urteil v. 28. 9. 83, Nr. 16 B 83 A 14. 83; Urteile des BVerwG v. 7. 7. 81, 1 D 27. 80 u. v. 25. 10. 83, 1 D 37. 83, je mwN). Solche Härte wird als nicht unbillig bezeichnet, weil sie im Risikobereich eines für sein Handeln verantwortlichen Beamten liege, der mit der Tat bewusst seine berufliche Existenz aufs Spiel setze (Bay. VGH aaO, S. 7 mwN). Dies könnte bei den relativ seltenen Fällen eines zu JStrafe verurteilten Beamten eine – zulässige – Prüfung nahe legen, ob die Entfernung aus dem Dienst sich entsprechend dem Sinne des JGG wegen erzfeindlicher Spätfolgen und sekundärer Sozialabweichung verbietet, zumal der jüngere noch prägbar ist. 10 b JStrafe kann nur (BGH JR 54, 149) unter den bes. Voraussetzungen des Abs. II, nämlich beim Vorliegen schädlicher Neigungen oder bei (bes.) schwerer Schuld verhängt werden. Außerdem dürfen andere Maßnahmen des JGG nicht ausreichen (§§ 5 II, 13 I, 27). Dann aber muss JStrafe verhängt werden, auch wenn der Täter inzwischen erwachsen ist; für Hw. (§ 105) gelten hinsichtlich der Voraussetzungen keine Besonderheiten (BGH Herlan GA 59, 339). Dazu auch § 10, 12 c aE. 5.
Schädliche Neigungen
11 Der Begriff der schädlichen Neigungen ist in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Anlehnung an das österreichische Recht in das Gesetz gekommen (Schaffstein/Beulke S. 154). Der Begriff ist der Kritik ausgesetzt. Nach Eisenberg (18) ist er inhaltlich disponibel und geeignet, den J als „Defekt-Persönlichkeit“ zu beurteilen; nach Ostendorf (3) ist er provozierend, kränkend und stigmatisierend; nach Walter/Wilms NStZ 07, 6 ist er empirischer Erfassung nicht zugänglich und nicht ausreichend bestimmt (zur Auseinandersetzung mit der Kritik vgl. Weber S. 32 ff). Der Sache nach geht es dem Gesetz um die Erfassung von Tätern, bei denen die Gefahr erheblicher Rückfälligkeit besteht. Schädliche Neigungen sind danach Anlage- oder ErzMängel, die ohne längere Gesamterz. des Täters die Gefahr von Störungen der Gemeinschaftsordnung durch weitere Straftaten begründen (BGH 11, 169; BGH NStZ 81, 250; StV 82, 335; NStZ 02, 89; OLG Hamm StV 05, 69, 70; 07, 2; ZJJ 08, 78, 80; OLG Karlsruhe StV 07, 3, 4; vgl. auch BGH B NStZ 86, 446 bei Rn 14); die Gefahr nur sittlich anstößigen Verhaltens genügt nicht (BGH EJF C I 22). Die Anlage- oder Entwicklungsschäden müssen so schwer sein, dass deren Beseitigung sinnvoll nur in einem länger dauernden Strafvollzug versucht werden kann (BGH 18, 210). Der Täter muss sich bereits „daran gewöhnt haben, aus einer in seiner Persönlichkeit wurzelnden falschen Trieb- oder Willensrichtung zu handeln“ (Dallinger/Lackner 10); ein Hang iSd Haltung des Gewohnheitsverbrechers wird aber nicht gefordert (Seibert MDR 62, 171; Mrozynski MKrim. 85, 14: „im Vorfeld des Hanges angesiedelt“). Gelegenheits-, Konflikts- und Notkriminalität scheiden aus (BGH 11, 169; 16, 261; Seibert aaO), ebenso Neigungen als Ausfluss normaler Entwicklungserscheinungen, auch wenn sie im Augenblick als schädlich erscheinen (Brückner Die JKriminalität, 2. Aufl. 1961 S. 254). 11 a Wie ein erheblicher Tatvorwurf – stärkere Verletzungen durch Messerstiche (BGH StV 82, 335), schwerer Raub (BGH StV 84, 253), Totschlagsversuch (BGH StV 85, 155), Erwerb harter Drogen (BGH StV 89, 313; vgl. dazu auch OLG Zweibrücken JR 90, 304 mit zust. Anm. Brunner u. Rn 13) – nicht zwingend „schädliche Neigungen“ oder Mängel in der Charakterbildung anzeigt, so können sich auch in einer leichteren Straftat oder bei Eingreifen des § 21 StGB schädliche Neigungen zeigen, wenn frühere gleichartige Straftaten bereits auf schädlichen Neigungen beruhten; denn diese sind dann noch nicht überwunden. Doch dürfte in solchen Fällen meist das geringere Gewicht der Tat, also der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer Verhängung der
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JStrafe entgegenstehen (OLG Hamm NStZ-RR 04, 152; § 18, 10 insbes. 13; ebenso Schaffstein/Beulke S. 154 mwN; Mrozynski MKrim. 85, 14). Es muss eine Rückfallgefahr für erhebliche Straftaten und nicht nur für Bagatelldelikte bestehen (BGH NStZ 02, 89; OLG Hamm StV 01, 177; NStZ 07, 45; KG StV 03, 456, 457; LG Gera StV 99, 660). Häufig wiederholtes „Schwarzfahren“ genügt nicht, ebenso wenig ständig wiederholtes Fahren ohne Fahrerlaubnis eines 15jährigen (LG Gera aaO), auch nicht kleinere Ladendiebstähle, die gemeinlästig sein mögen, aber doch keine schädlichen Neigungen anzeigen (aA LG Hamburg MDR 59, 511). Die schädlichen Neigungen müssen in der Tat hervorgetreten und anders nicht zu bekämpfen 11 b sein. Dies fordert idR den Nachweis, dass erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch verborgen, angelegt waren (BGH B NStZ 83, 448 u. 84, 445; BGH NStZ 84, 413; StV 84, 253; GA 86, 370; BGH B NStZ 88, 491; BGH StV 92, 431; NStZ 10, 280; NStZ-RR 10, 387; KG StV 03, 456, 457; OLG Hamm StV 07, 2). Solches kann gefolgert und muss eingehend begründet werden ua aus dem Lebensweg und der Lebensperspektive (BGH B NStZ 88, 491, vgl. auch Rn 13), zumal zumeist Störungen im Familienbereich Kriminalität mit verursachen (Einf. I 29–30; BGH StV 88, 367; BGH B NStZ 89, 522: Drogenbereich; OLG Zweibrücken JR 90, 304 mit Anm. Brunner). Das Vorliegen schädlicher Neigungen versteht sich auch angesichts festgestellter Verhaltensauffälligkeiten seit der 6. Klasse und dem Umstand, dass es seit mehreren Jahren zu Straftaten gekommen ist, nicht von selbst (BGH B NStZ 93, 528). Die Defizite müssen nicht nur auf entwicklungsbedingten Reifeverzögerungen beruhen, sondern auf erheblichen, schon verfestigten Persönlichkeitsmängeln (BGH NStZ-RR 10, 387, 388; OLG Karlsruhe StV 07, 3). Für schädliche Neigungen können sprechen: wiederholtes, vom Täter zu verantwortendes Scheitern beruflicher Integrationsmaßnahmen, Verweigerung gemeinnütziger Arbeit bei Gewährung von Sozialhilfe, umgehende Fortsetzung von Straftaten nach vorübergehender Inhaftierung und Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe, auch nicht einschlägige Vorverurteilungen, zeitnah nach der zu verhandelnden Tat begangene weitere Delikte (BGH B NStZ-RR 01, 322). Auch die Tatsituation kann bedeutsam sein, es genügt aber nicht festzustellen, der Täter habe „aus falsch verstandener Kameradschaft“ oder aus „krimineller Abenteuerlust“ trotz stabiler Familienverhältnisse gehandelt (BGH H MDR 84, 796). Gerade ein gewisser Gruppenzwang, falsch verstandene Solidarität und der Einfluss von Mittätern können gegen schädliche Neigungen sprechen (BGH StV 86, 305; BGH B NStZ 88, 491; BGH NStZ 10, 280, 281), ebenso dass die Tat eine Reaktion auf eine Demütigung ist (BGH NStZ 10, 280, 281). Zu Straftaten mit politischem Hintergrund Einf. I 40. Die Grundlagen für die Wertung, bei dem J habe sich eine erhöhte Neigung zu aggressivem Verhalten bereits so manifestiert, dass die Tat nicht als einmaliges situationsbedingtes Versagen angesehen werden könne, müssen im Urteil mitgeteilt werden (BGH B NStZ 91, 522). Weitere Straftaten eines J lassen sich nicht schon deshalb befürchten, weil er sich zur Selbstverteidigung ein Messer gekauft, es fast ständig bei sich geführt und bei seiner ersten Tat bedenkenlos gebraucht hat (BGH StV 85, 155). Bei Berücksichtigung von Verurteilungen durch ein Gericht der DDR bedarf es einer näheren Klärung des der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhaltes (BGH B NStZ 93, 528). Die schädlichen Neigungen können erst im Verlauf der zur Aburteilung stehenden mehreren 12 Taten durch Verführung und/oder Gewöhnung geweckt worden sein (BGH 11, 169). Schon in der ersten Straftat können sich schädliche Neigungen ausgewirkt haben (BGH Mösl NStZ 81, 428; BGH B NStZ 81, 250; BGH NStZ 84, 413; BGH NStZ-RR 97, 21; BGH NStZ 02, 89; LG Passau NJW 97, 1165). Die Annahme eines solchen Falles bedarf jedoch eingehender Begründung und sorgfältiger Darlegung, warum es sich nicht um eine Gelegenheitstat gehandelt hat (BGH StV 98, 331; OLG Köln StV 01, 178; OLG Hamm StV 05, 69, 70; 07, 2 f). Es genügt nach BGH (NStZ 88, 498; StV 91, 423) nicht, wenn ein bisher nicht in Erscheinung getretener Täter dem Einfluss anderer erlegen ist (falls nicht gerade wegen allzu leichter Beeinflussbarkeit weitere Straftaten befürchtet werden müssen), denn um schädliche Neigungen feststellen zu können, müssen schon vor der Tat entwickelte Persönlichkeitsmängel (= anlagen-, erz- oder umweltbe-
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dingte Mängel der Charakterbildung) nachgewiesen werden, die auf die Tat Einfluss hatten, im Zeitpunkt der Entscheidung noch bestehen und weitere Straftaten befürchten lassen (vgl. BGH 16, 261; BGH Martin DAR 72, 113; BGH StV 84, 30; BGH B NStZ 85, 47; BGH StV 84, 253; BGH B NStZ 86, 446; BGH GA 86, 370; StV 92, 431; B NStZ 97, 481; BGH NStZ 10, 280, 281; NStZ-RR 10, 387; KG StV 03, 456, 457; OLG Stuttgart Justiz 04, 169; OLG Hamm StV 07, 2, 3; Ostendorf 3; Nothacker Zbl. 85, 335); ein Urteil, welches diese Feststellungen nicht enthält, verfällt der Revision (BGH H MDR 80, 986 u. MDR 82, 448; BGH StV 92, 431). 12 a Vorverurteilungen müssen inhaltlich so dargestellt werden, dass eine Beurteilung, ob es sich um erhebliche Straftaten handelte, aus denen auf schädliche Neigungen geschlossen werden kann, möglich ist (BGH NStZ 10, 281). Nach BGH NStZ 02, 89 wird der Täter eines vorsätzlichen Tötungsdelikts idR erhebliche Persönlichkeitsmängel aufweisen, die weitere gravierende Straftaten befürchten lassen. Für die Annahme schädlicher Neigungen bei einem nicht vorbestraften J genügt es jedoch nicht, dass dieser sich vor der Tat tagsüber meistens in einer „Clique“ aufhielt und nachts in einem Asylantenheim schlief (BGH B NStZ-RR 98, 289). Die Feststellung von schon vor der Tat angelegten Persönlichkeitsmängeln ist auch dann erforderlich, wenn zwar Vortaten vorliegen, diese aber so geringfügig waren (zB Anwendung der §§ 45, 47), dass sie für die Annahme schädlicher Neigungen nicht herangezogen werden können (OLG Köln StV 93, 531). Bei einer Augenblickstat, zu welcher der J sich durch erheblichen Alkoholgenuss und die eingetretene Ermüdung hat hinreißen lassen, wiegen Bedenken gegen die Bejahung schädlicher Neigungen stärker (BGH H MDR 82, 448). Gegen schädliche Neigungen spricht, dass die Tat als einmaliges situationsbedingtes Versagen anzusehen sein kann, bei dem der Angeklagte zudem dem Einfluss seiner Mittäter erlegen ist, alkoholbedingt leicht enthemmt war, das Tatgeschehen für ihn überraschend kam und sein Tatbeitrag vergleichsweise gering war (BGH StV 93, 531). Der Erwerb „harter Drogen“ begründet noch keine schädlichen Neigungen (OLG Zweibrücken StV 89, 313). Auch beim wiederholten Verkauf „harter Drogen“ durch einen nicht vorbelasteten J müssen sie nicht vorliegen (OLG Hamm StV 05, 69). Bei ordentlichem Leben vor und nach der Tat bedürfen schädliche Neigungen bes. Begründung (BGH GA 86, 370). Da es auf den Urteilszeitpunkt ankommt, ist auch die Entwicklung und das Verhalten des J nach der Tat, zB die Lösung aus einer Bande oder die Stabilisierung der persönlichen Verhältnisse, zu berücksichtigen (BGH StV 98, 331; OLG Hamm StV 99, 660 NStZ-RR 05, 58, 59). Der Tatrichter muss wesentliche gegenläufige Feststellungen erwägen, die Zweifel an der Fortdauer schädlicher Neigungen oder die Annahme von deren Überwindung hätten begründen können, zB Leistung eines frühen Aufklärungsbeitrags oder Entschuldigung beim Opfer (BGH NStZ-RR 10, 397). Auch die Auswirkungen von Untersuchungshaft können zur Verneinung schädlicher Neigungen führen (OLG Köln StV 03, 457; OLG Hamm StV 05, 69, 70; 07, 2, 3). Spielt die Begehung neuer Taten für das Vorliegen schädlicher Neigungen eine Rolle (s. LG Berlin NStZ 07, 46, 47), müssen die neuen Taten feststehen (OLG Hamm StV 01, 177). Liegt die Tat (Vergewaltigung) vier Jahre zurück, ist der Täter, abgesehen von einem Fahren ohne Fahrerlaubnis, nicht mehr straffällig geworden, hat er eine Familie gegründet und regelmäßig gearbeitet, ist die Besorgnis fern liegend, dass zum Urteilszeitpunkt weitere Straftaten zu befürchten sind (BGH B NStZ 92, 528). 12 b Die Fehlentwicklung braucht nicht verschuldet zu sein; sie kann auf ererbter Anlage, neurotischer Fehlentwicklung, ErzFehlern, Verführung oder sonstigen Umwelteinflüssen beruhen (BGH 11, 169; BGH StV 98, 334; Ostendorf 3; Schaffstein/Beulke S. 155; Tenckhoff JR 77, 485; Bedenken bei Eisenberg 18). Bei unverschuldeter Fehlentwicklung kann Prüfung gem. § 3, auch Eingreifen des Familiengerichts statt des JRichters geboten sein. Zur Unterscheidung von Verwahrlosung Rn 21. Der Charakter interessiert nur bei der Feststellung der schädlichen Neigungen, im Übrigen ist die Schuld des § 17 „Einzeltatschuld“ (Schaffstein/Beulke S. 156). Liegen schädliche Neigungen vor und reichen weniger einschneidende Maßnahmen zu ihrer Verringerung nicht aus, ist nach OLG Zweibrücken NStZ-RR 98, 118 (mit abl. Anm. Ostendorf NStZ 99, 515) JStrafe, ggf. mit Aussetzung zur Bew., auch dann zu verhängen, wenn anzunehmen ist,
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dass der einem J gleichstehende Hw. mit Mitteln des JStrafrechts überhaupt nicht mehr zu beeinflussen ist. Die Tat muss Ausfluss der schädlichen Neigungen sein, so ein Bettelbetrug des Landstreichers, 12 c nicht der gelegentliche Warenhausdiebstahl des Strichjungen (§ 9, 4). Dass andere Maßnahmen des JGG nicht ausreichen, um die auf kriminelle Taten gerichteten 12 d Neigungen erfolgreich zu bekämpfen, kann nur nach eingehender Persönlichkeitsforschung (§ 43) – idR aus eigener Sachkunde (vgl. § 43, 15 u. 15 a; AG Winsen/Luhe NStZ 87, 448) – entschieden und bei entsprechendem Gewicht der Tat begründet werden (Dallinger/Lackner 13; Einf. II 23). Rechtfertigt das Gewicht der Tat JStrafe nur von einer Dauer, die die erforderliche erz. Einwirkung nicht ermöglicht, ist die Verhängung von JStrafe sinnlos (vgl. § 18 II; § 18, 7); hier kommt ggf. Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 in Betracht. Über die anderen Maßnahmen Rn 19. 12 e
Wegen unbehebbarer Zweifel über das Vorliegen dieser Voraussetzungen §§ 27–30.
Bei J und Hw., die im Drogenbereich straffällig werden, insbes. aber bei Betäubungsmittelab- 13 hängigen, sind bei der Prüfung, ob „schädliche Neigungen“ vorliegen, die von BGH 11, 169; 16, 261; BGH H MDR 82, 448 herausgearbeiteten Grundsätze (Rn 12; 12 a) zu beachten und reichen zu Abgrenzung und Eingriff aus. Eine im ErzRegister vermerkte richterliche Ermahnung wegen verbotener Einfuhr von Drogen allein weist nicht auf vorhandene Persönlichkeitsmängel hin (BGH B NStZ 88, 491). Auch bei Vorverurteilung wegen eines Drogendelikts zu JA können wegen Besonderheiten der Entstehungszusammenhänge der Delinquenz schädliche Neigungen zu verneinen sein (AG Bremen-Blumenthal StV 94, 600: 16-jähriger kurdischer Asylbewerber, der unter dem Einfluss Drogenhandel betreibender Landsleute stand). Neben schädlichen Neigungen können auch Krankheit oder Hang (Drogen) gegeben sein (vgl. Mrozynski MKrim. 85, 16). Mit dem schlagwortartigen Begriff „toxische Verwahrlosung“ wird das Vorliegen schädlicher Neigungen nicht ausgeschlossen; andererseits zeigt Erwerb harter Drogen nicht zwingend schädliche Neigungen an (OLG Zweibrücken StV 89, 313; Rn 12 a). Bei drogenabhängigen Straftätern bedarf es einer sorgfältigen Abstimmung von therapeutischen und strafrechtlichen Maßnahmen (vgl. Einf. I 49–51, auch Rn 24 ff zum BtM-Recht). Zu „Schwere der Schuld“ im Drogenbereich Rn 17 a. Vgl. Brunner Zbl. 80, 415, 420 ff. Zum Vollzug bei betäubungsmittelabhängigen J u. Hw. Rn 25; zur Zurückstellung der Strafvollstreckung Rn 26 ff. Insgesamt näher OLG Zweibrücken JR 90, 304 mit Anm. Brunner. 6.
Schwere der Schuld
Die Schwere der Schuld allein kann die JStrafe fordern (BayObLG StV 85, 156 „Schuldaus- 14 gleich“ mit zust. Anm. Böhm). Sie ermisst der Richter aus dem Gewicht der Tat und der persönlichkeitsbegründeten Beziehung des J zu seiner Tat (BGH 15, 224; BGH B NStZ 89, 522; StV 05, 66; OLG Zweibrücken JR 90, 304 mit zust. Anm. Brunner; KG StV 09, 11). Entscheidend ist die innere Tatseite, dh inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des J in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben (BGH NStZ 10, 281). Der äußere Hergang der Tat, wie auch deren Einstufung im StGB, hat nur Bedeutung für Rückschlüsse von der Beziehung des Täters zu ihr auf das Maß seiner Schuld und Haltung (BGH NStZ-RR 01, 216; BayObLG StV 85, 155 mit zust. Anm. Böhm u. ders. in NStZ 85, 477; OLG Köln StV 91, 426; 99, 667; OLG Zweibrücken StV 94, 599, 600, OLG Hamm StV 01, 175; NStZ-RR 05, 245). Schwere der Schuld kann nur angenommen werden, wenn der Verzicht auf die JStrafe für das Rechtsempfinden schlechthin unverständlich wäre (OLG Schleswig bei Döllel/Dreeßen SchlHA 04, 261; Ostendorf 7). Für Zurückführung der JStrafe wegen Schwere der Schuld auf die positive Generalprävention Ostendorf 5; Streng S. 210 f; Kaspar FS Schöch, 2010 S. 222. Schwere der Schuld zeigen auch die stärkeren Hemmungen an, die der Täter bei Begehung 14 a schwerer Taten überwinden muss (Böhm/Feuerhelm S. 223; Schaffstein FS Heinitz, 1972 S. 467). Bei
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geringfügigen Aktivitäten des Mittäters fordert dessen Schwere der Schuld bes. Begründung (BGH B NStZ 86, 446). Schwere der Schuld kann jedoch vorliegen, wenn der Mittäter einer schweren Brandstiftung sich bes. aktiv beteiligt und die Tat schon tagelang vorher in sein Vorhaben aufgenommen hat (BGH B NStZ 94, 528). Erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit ist zugunsten des Angeklagten in die Betrachtung einzubeziehen (OLG Zweibrücken StV 94, 599). Das Ausmaß der Schuld – bei sexueller Nötigung eines Kindes – kann durch nicht vorwerfbare Wesenszüge des Täters so verringert sein, dass statt Schwere der Schuld schädliche Neigungen zu prüfen sind (BGH StV 86, 305). Neben den in der Praxis allerdings häufig überbewerteten verschuldeten schweren Folgen der Tat (hierzu zu Recht ablehnend BGH 15, 224; vgl. Rn 11 u. 16) sind alle für das Maß der Schuld bedeutsamen Gesichtspunkte, insbes. auch die Tatmotive zu berücksichtigen; Schuld iSd § 17 ist „Einzeltatschuld“, nicht „Charakterschuld“ (M.-K. Meyer Zbl. 84, 447). Das objektive Gewicht der Tat ergibt nur die Schwere des Unrechts, nicht der Schuld (Schaffstein FS Heinitz, 1972 S. 467; Meyer aaO). Schwere der Schuld kann daher nicht mit dem bloßen Hinweis auf die Tatanzahl und die große Menge Rauschgift begründet werden (OLG Hamm StV 01, 175). Allerdings stellt der BGH auch zu Recht fest, dass die Schwere der Schuld nicht abstrakt messbar, sondern nur in Beziehung zu dem Gewicht einer Tat zu erfassen ist (BGH StV 82, 335; StV 05, 66; Meyer aaO). Hierbei sind auch die Strafdrohungen des ErwStrafrechts zu berücksichtigen (BGH NStZ-RR 01, 216; StV 05, 66). S. Rn 15 b. Die Schwere der Schuld ist freilich nicht abstrakt nach dem verwirklichten Tatbestand messbar, sondern jeweils nur in Beziehung zu einer bestimmten Tat zu erfassen (BGH NStZ 09, 450). Stets will aber bedacht sein, dass die Tat eines J nicht die eines Erwachsenen ist. Gerade bei J ist unter Berücksichtigung des Entwicklungsstandes und des gesamten Persönlichkeitsbildes bes. zu prüfen, inwieweit sie sich bereits frei und selbstverantwortlich gegen das Recht und für das Unrecht entschieden haben (BGH NStZ 82, 332; StV 94, 598; OLG Köln StV 99, 667; auch BGH 2, 200 zum inneren Grund der Vorwerfbarkeit im ErwRecht); eine solcherart bestimmte schuldangemessene Strafe wird nach BGH NStZ 82, 332 regelmäßig auch dem ErzGedanken nicht widersprechen. Kritisch Wolf (S. 237), der rügt, dass jedes Merkmal dafür fehle, welche Schwere der Schuld JStrafe erfordere. Zur Schwere der Schuld bei psychischer Beihilfe zu § 125 StGB: OLG Naumburg NJW 01, 2034. JStrafe wegen Schwere der Schuld darf nicht damit begründet werden, der leugnende Angeklagte habe in der Hauptverhandlung kein Wort der Entschuldigung geäußert, denn mit einer Entschuldigung würde sich der Angeklagte in Widerspruch zu seinem zulässigen Verteidigungsverhalten setzen (BGH StV 99, 657). 14 b Der BGH (15, 224; 16, 261; StV 93, 531; 94, 602; NStZ-RR 01, 216; ebenso OLG Brandenburg StV 99, 658; OLG Hamm ZJJ 05, 447, 448; KG StV 09, 91, 92) will die JStrafe wegen der Schwere der Schuld nur zulassen, „wenn diese aus erz. Gründen zum Wohle des J erforderlich ist“. Diese Entscheidungen vermengen jedoch die beiden Alternativen des § 17, widersprechen dem Wortlaut, dem Sinn und der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift (Schaffstein/Beulke S. 157) und verkürzen die Doppelaufgabe der JStrafe auf eine „Wohltat“ für den Angeklagten (näher Tenckhoff JR 77, 488; ebenso Bringewat JZ 82, 14). Mit § 17 II 2. Alt. stellt das Gesetz allein auf das Schuldprinzip ab. Die amtliche Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des RJGG (BT-Drs. – 1. Wahlperiode – Nr. 3264 S. 40 ff) weist ausdrücklich darauf hin, dass auf die „Schuldstrafe“ nicht verzichtet werden könne, „da sonst die Möglichkeit einer Bestrafung Jugendlicher, die zwar schuldhaft gehandelt haben, aber nicht erzbedürftig oder erzfähig sind, ganz ausgeschlossen werde“. Mit §§ 18 I 2, 105 II hat das JGG auch sonst den Sühnegedanken bei schwerster Kriminalität über das erznotwendige Maß hinaus berücksichtigt, denn eine Strafe über 5 Jahre ist rein erzmäßig nicht zu rechtfertigen, mehr noch: sie gefährdet die Persönlichkeitsentwicklung (§ 18, 3; Schaffstein Zbl. 67, 135). Da nach BGH (15. 6. 68; 4 StR 89/68) auch die JStrafe wegen schädlicher Neigungen unter Vorrang des ErzZieles Schuld vergelten und Sühne ermöglichen soll, wird mit diesen Entscheidungen der Voraussetzung „Schwere der Schuld“ gegenüber der Voraussetzung der „schädlichen Neigungen“ jede selbständige Bedeutung ge-
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nommen (insoweit stimmt auch Ostendorf 4 zu). Was soll nach der Rechtsprechung des BGH zur Schuldalternative der JRichter mit Tätern machen, die durch die Schwere der Schuld ihre Gefährlichkeit erwiesen haben, denen aber die Voraussetzungen für eine Verarbeitung der erziehenden Strafe fehlen, oder die zwischenzeitlich sozial eingegliedert sind und zZ der Verurteilung offensichtlich keiner Erziehung mehr bedürfen (vgl. Tenckhoff aaO), bei denen aber in solchen bes. Fällen Schuldvergeltung unabweisbar JStrafe fordert? Aus all diesen Gründen stößt die Auffassung des BGH auf weitgehende Ablehnung in der Literatur (Böhm NJW 77, 2200; S. 208 f; Böhm/Feuerhelm S. 226; Grethlein NJW 61, 697; Hellmer Schuld u. Gefährlichkeit im JStrafrecht, 1962 S. 43, 57; ders. NJW 64, 179; LBN/Baier S. 324; Maurach/Gössel/Zipf S. 722 f; Miehe Die Bedeutung der Tat im JStrafrecht, 1964 S. 60; Schaffstein FS Heinitz, 1972 S. 461; Schaffstein/Beulke S. 157; M.-K. Meyer RdJ 85, 452; Schmidhäuser Strafrecht Allg. Teil, 2. Aufl. 1975 S. 851 FN 11; Weber S. 110; Westphal Die Aussetzung der JStrafe zur Bew., 1995 S. 90 f; Streng S. 210 f u. GA 84, 149, 150; Strunk MKrim. 68, 136; Tenckhoff JR 77, 487; im Grunde auch ablehnend Dallinger/Lackner 19. Hellmer (NJW 64, 179) bezeichnet diese Entscheidungen als nicht recht verständlich und Tenckhoff (JR 77, 488) kommt zum Schluss, dass „eine Harmonisierung der in § 17 II angelegten Friktionen durch Aufhebung der Eigenständigkeit der Schuldalternative“ nicht möglich ist. Wolf sieht „infolge ungenauer Formulierung des BGH“ zwischen dessen und der abl. Meinung des Schrifttums nur Unterschiede gradueller, nicht prinzipieller Natur (S. 29, 30) und nach MRS/Schöch S. 227 geht es dem BGH darum, in Grenzfällen den Begriff der Schwere der Schuld im Hinblick auf den ErzGedanken eng auszulegen. Eisenberg (34) hält der Auffassung des BGH die allg. Grundsätze des JStrafrechts zugute (dem BGH zustimmend Bender JGG, 1965 § 17, 14; Riedel JGG 1965 § 17, 3 c; Buckolt Die Zumessung der JStrafe, 2009 S. 47). Nach OLG Hamm NStZ-RR 05, 58 und OLG Düsseldorf StraFo 07, 475 kann die Verhängung von JStrafe bei Kapitaldelikten und sonstigen Fällen schwerster Kriminalität ausschließlich auf den Gedanken der Sühne und des Schuldausgleichs gestützt werden; im Übrigen müsse die JStrafe wegen Schwere der Schuld auch erz. erforderlich sein. Der BGH hält im Grunde an seiner Rechtsprechung fest, will aber doch die gesetzliche Bewer- 15 tung der Schwere des in einer Straftat hervorgetretenen Unrechts beachtet wissen (BGH bei Beyer DRiZ 73, 161; BGH H MDR 81, 101). Der BGH (MDR 82, 332 = JR 82, 4321 mit Anm. Brunner) tritt aber ausdrücklich einer Fehlinterpretation seiner Meinung entgegen, der ErzZweck könne bei Schwere der Schuld das ausschlaggebende Kriterium sein und allein die Obergrenze der JStrafe bestimmen, und lässt Sühne und Abschreckung über die erz. Einwirkung hinaus zu (BGH B NStZ 84, 442, näher dazu Rn 1). Nach BGH (B NStZ 83, 448) kann auch bei vorrangiger Berücksichtigung des ErzGedankens (BGH NStZ 84, 508) der Schwere der Schuld eigenständige Bedeutung beigemessen werden; welches Gewicht solchen Erwägungen zukomme, sei Sache des Einzelfalles und hänge von den Umständen der Tat und der Persönlichkeit des Täters ab. Ob JStrafe wegen Schwere der Schuld auch erz. notwendig ist, sei nach dem Persönlichkeitsbild, der charakterlichen Haltung und der zu erstellenden Sozialprognose zu entscheiden (BGH StV 88, 307). Wenn der BGH (StV 89, 545) bei 4 Jahren JStrafe und bestimmter Situation des Angeklagten eine eingehende Erörterung fordert, inwieweit eine längere Strafe – oder nach evtl. Widerruf der Bew. ein Rest von nur 4 Monaten (BGHR § 18 II Tatumstände 2) – zur weiteren Förderung und Festigung durch Nacherz. geboten ist, so entspricht die weitere Forderung, „das Tatunrecht gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Angeklagten“ abzuwägen, dem allg. und stets zu beachtenden Täterstrafrecht (vgl. auch BGH StV 88, 307 bei § 18, 7). Eine gewisse Annäherung der Rechtsprechung des BGH an die hM der Lehre wird man feststellen dürfen (zust. M.-K. Meyer Zbl. 84, 453). Vgl. auch Böhm (NStZ 84, 445) zu den Beschlüssen des BGH v. 23. 11. 1983 u. 9. 5. 1984, insbes. aber Meyer aaO, welche die Zeit gekommen sieht, dass der BGH hier allein auf die schuldangemessene Strafe abstellt und damit JStrafe wegen Schwere der Schuld auch ermöglicht, wenn der J weder erzfähig noch -bedürftig ist.
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15 a Mordet ein noch so gut beleumundeter J, so sind 4 Wochen JA mit dem Gedanken gerechter Schuldvergeltung unvereinbar (BGH 10, 223; H MDR 78, 280). Die Gerechtigkeit fordert bei schwerster Kriminalität eine Kriminalstrafe; der sühnebereite J erwartet sie, der uneinsichtige legt den Verzicht auf Strafe als Schwäche und Aufmunterung zu neuen Straftaten aus (Dallinger/Lackner 19). Dem J muss das Gewicht seiner Tat nachdrücklich vor Augen geführt werden, damit er in dieser Projektion die Schwere der Schuld erkennt, sich mit der Tat auseinandersetzen und sie schließlich überwinden kann (Potrykus B 3). Dagegen ist die Schuld eines charakterschwachen J, der ein ungewichtiges Vergehen gewissenlos begeht, nie eine schwere; das Gewicht der Tat ist zu gering (BGH NStZ-RR 98, 318; Grethlein NJW 61, 687). Dazu auch § 21, 11 a aE. 15 b Neben Kapitalverbrechen können auch andere bes. schwere Taten allein wegen der Schwere der Schuld JStrafe fordern (BGH VRS Bd. 13 [57], 125; BGH StV 05, 66; LG Berlin NStZ 07, 46: brutaler Raubüberfall; Dallinger/Lackner 19; aA Ostendorf 7: nur wenn das Leben bedroht ist; Potrykus B 4 b). Ein Vergehen mit vergleichsweise geringem Gewicht, zB unterlassene Hilfeleistung, kann die Schwere der Schuld nicht begründen, selbst wenn es äußerst niederträchtig und bedenkenlos begangen wurde (BGH StV 05, 66; OLG Frankfurt StV 09, 92 für Handeltreiben mit 1,27 g Kokainhydrochlorid). Auch eine einfache Körperverletzung gemäß § 223 StGB reicht idR nicht aus (OLG Hamm ZJJ 05, 447). Gründe, welche nach § 21 StGB die Schuldfähigkeit vermindern, können bei vorsätzlich verursachten schweren Tatfolgen die Schwere der Schuld ausschließen, zumindest mindern; gleiches gilt für J an der unteren Grenze der Altersreife (§ 3). Bestimmte Wesenszüge des Täters, die ihm nicht vorgeworfen werden dürfen, können seine Schuld verringern (BGH StV 86, 305; dazu Rn 18 aE), wie auch die in der konkreten Situation zur Tat drängenden und von ihr abhaltenden Motive (ohne Rückschluss auf den Charakter; vgl. Rn 11, 12 aE) zu berücksichtigen sind (Schaffstein/Beulke S. 156).
7.
Fahrlässigkeitstaten und weitere Besonderheiten
16 Fahrlässigkeitstaten scheiden idR aus (entgegen der hM fordert Ostendorf 6 bei Schwere der Schuld stets Vorsatz). Bei der Schwere der Schuld kommt es auf das äußere Tatgeschehen nur soweit an, als es auf das Maß der persönlichen Schuld, insbes. die charakterliche Haltung des Täters, Schlüsse zulässt. Gerade bei Verkehrsdelikten überwiegt der schwere Erfolg häufig weit die Schwere der Schuld (innere Tatseite) und darf nicht zu Fehlschlüssen verleiten (BayObLG StV 85, 155 mit zust. Anm. Böhm; OLG Karlsruhe NStZ 97, 241 mit zust. Anm. Böhm). Bei wiederholten persönlichkeitstypischen Fahrlässigkeitstaten (wohl nur im Straßenverkehr denkbar) und bei bes. grober Leichtfertigkeit kann jedoch nach eingehender Persönlichkeitsermittlung im Einzelfall Schwere der Schuld bejaht werden (BayObLG u. OLG Karlsruhe aaO; OLG Hamm NJW 68, 462; OLG Celle NdsRpfl. 69, 95 = VRS Bd. 36 [69], 415; OLG Braunschweig NZV 02, 195 = NJW 02, 2334 (LS) mit zust. Anm. Molketin NZV 02, 416; AG Dillenburg NStZ 87, 409 mit zust. Anm. Böhm; LBN/Baier S. 322 f; MRS/Schöch S. 229; Schaffstein/Beulke S. 156 f; Schaffstein FS Heinitz, 1972 S. 467, 468: bes. grobe Leichtfertigkeit bei fahrlässiger Tötung, JA befriedige Sühnebedürfnis nicht; Streng S. 210; Maurach/Gössel/Zipf S. 723; Nix/Teschner 7; Eisenberg 32 einengend; aA Tenckhoff JR 77, 492, der „Schwere der Schuld“ in „Schwere des Unrechts“ umdeutet; völlig abl. Ostendorf 6). Schaffstein/Beulke S. 156 weisen zu Recht darauf hin, dass schuldhafter handelt, wer grob leichtfertig das Leben eines Menschen vernichtet, als der, welcher vorsätzlich fremdes Eigentum beschädigt. Fahrlässigkeitstaten begründen danach Schwere der Schuld, wenn in ihnen eine bes. gesteigerte Fehlhaltung des Täters iS einer gesteigerten Gleichgültigkeit gegenüber dem Anspruch Dritter auf körperliche Unversehrtheit zum Ausdruck kommt (OLG Karlsruhe NStZ 97, 242). Es muss sich um einen „bes. verwerflichen Grad von leichtsinniger oder rücksichtsloser Gefährdung fremden Lebens und fremder Gesundheit“ handeln (Böhm NStZ 97, 242). Das kann insbes. bei Wiederholungstaten oder einer Mehrzahl von gravierenden Pflichtverstößen der Fall sein (Böhm NStZ 97, 242 f). Vgl. dazu aber auch OLG Hamm § 18, 8 aE. – War der J vermindert
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schuldfähig, als er seine Fahruntüchtigkeit erkannte und gleichwohl fuhr, so ist dies für die Beurteilung der Schwere der Schuld beachtlich (BayObLG Rüth DAR 85, 243). Zur Generalprävention § 18, 9. Es scheiden ggf. auch Taten eines nicht erziehbaren, der sofortigen Behandlung bedürftigen 17 Geisteskranken (BGH Herlan GA 55, 364) oder Taten an der Grenze der Altersreife aus. Überhaupt spielt das Alter auch hier eine Rolle, weil mit zunehmendem Alter die Schuld anders zu würdigen ist, das Sühnebedürfnis gewichtiger wird (s. § 105 II; § 18, 4, 18). JStrafe wegen Schwere der Schuld ist bei Drogendealern angebracht, auch wenn sie – was bei 17 a größeren Dealern meist nicht der Fall ist – selbst drogenabhängig sind (kritisch Eisenberg 27, 28); sorgfältige Prüfung des Einzelfalles ist selbstverständlich (dazu OLG Zweibrücken JR 90, 304 mit zust. Anm. Brunner). Der Vollzug dient zwangsweiser Entgiftung, entzieht das gewohnte Milieu als Verstärker des Fehlverhaltens und eröffnet Möglichkeiten psychischer Einwirkung und Hilfe (dazu näher Rn 25 u. 28). Wenn aber die notwendige Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 7, 3 ff) die JStrafe (und Zuchtmittel) entbehrlich macht, muss der Richter nach § 5 III von ihrer Verhängung absehen (näher § 5, 2; BayObLG 89, 48 = JR 90, 209 mit zust. Anm. Brunner). Zu schädlichen Neigungen im Drogenbereich Rn 13. Allg. Einf. I 49–51. In der Praxis treten neben die Schwere der Schuld häufig schädliche Neigungen des Täters 18 (LG Berlin NStZ 07, 46; zust. Böhm/Feuerhelm S. 226; Ostendorf 9: nur ausnahmsweise). Werden in der Revisionsinstanz die neben der Schwere der Schuld festgestellten schädlichen Neigungen verneint, so kann dies wegen des Einflusses auf die Höhe der erkannten JStrafe zur Aufhebung des Urteils führen (BGH 16, 261; BGH B NStZ 81, 251; 82, 414; 83, 448; 84, 446; 88, 491; BGH StV 92, 431; 93, 531; 96, 268; 98, 331, 391; BGH B NStZ-RR 99, 290). Verringern bestimmte Wesenszüge die Schuld des Täters (dazu Rn 15 b aE), so muss neben der Schwere der Schuld auch das Bestehen schädlicher Neigungen geprüft werden (BGH StV 86, 305). Wegen der Folgen im Zentralregister Vor § 97, 15.
8.
Abgrenzung von anderen Maßnahmen
Die Abgrenzung zwischen JStrafe und anderen Maßnahmen des JGG ist relativ einfach, wenn 19 JStrafe wegen der Schwere der Schuld in Betracht kommt. Hier muss das Bedürfnis nach Ahndung so stark sein, dass die nur aus Anlass der Tat anzuordnenden ErzMaßregeln unangemessen erscheinen und die Zuchtmittel wegen des Missverhältnisses zwischen ihrem und dem Gewicht der Tat dem J nicht mehr zum Bewusstsein brächten, dass er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat (§ 13 I JGG; Einf. II 8, 9). – Aussetzung der Verhängung der JStrafe kommt hier nach dem klaren Wortlaut des § 27 nicht in Betracht. Dagegen kann und muss die nur wegen der Schwere der Schuld ausgesprochene JStrafe zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 21) gegeben sind, was oft der Fall sein wird, bes. wenn der Vollzug der JStrafe für den integrierten J eine Gefahr für seine Entwicklung werden könnte (Rn 2). Überschneidungen der JStrafe wegen schädlicher Neigungen mit Zuchtmitteln, Weisungen 20 und ErzBeistandschaft sind selten. Alle genannten Maßnahmen setzen einen Täter voraus, der keine erheblichen Erz.- und Anlagemängel aufweist, idR seine Tat einsieht, zu Sühne und Mitarbeit bereit ist und auch keine allzu schwerwiegende Tat begangen hat (§ 10; § 12, 4; § 13, 3; § 16, 2). Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 hat im JStrafrecht ganz wesentlich an Bedeutung verloren (näher 21 § 12, 1). Sie von JStrafe abzugrenzen, kann Schwierigkeiten bereiten. Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 wird überwiegend außerhalb des JStrafrechts angeordnet, wenn ein Minderjähriger verwahrlost ist oder zu verwahrlosen droht (vgl. auch § 3, 15 ff). Sie ist eine Art öffentlicher Ersat-
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zerz. gefährdeter Minderjähriger anstelle der primär ErzBerechtigten (Schaffstein/Beulke S. 115 f). Aus solchem Grund anlässlich einer Straftat vom JRichter angeordnet (oder über § 53), ist sie eine reine ErzMaßregel, während JStrafe, wenn auch vorwiegend der Erz. dienend, sich aus der Schuld ableitet (näher Rn 1 u. 5; § 18, 10 ff sowie Weber S. 30, 39) und auf Täter zielt, von denen die Gefahr weiterer Störungen der Gemeinschaftsordnung ausgeht (BGH 11, 169). „Schädliche Neigungen“ sind gegenüber der „Verwahrlosung“ der engere Begriff. Schädliche Neigungen, die in der JVerfehlung (§ 1, 1) ihren Ausdruck finden, zeigen idR zugleich Verwahrlosung an. Verwahrlosung hingegen kann ohne schädliche, also kriminelle Neigungen vorliegen, zB Prostitution. Bei kriminellen Taten am Ende des JAlters ist Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 kaum jemals angebracht; Hilfe zur Erz. nach § 34 SGB VIII als Maßnahme der JHilfe neben Vollzug der JStrafe kommt kaum in Betracht (OLG Hamm Zbl. 74, 115 zur Fürsorgeerz.). 9.
Schädliche Neigungen und Strafaussetzung
22 Die rechtlichen Voraussetzungen der JStrafe wegen schädlicher Neigungen stehen nicht notwendig einer Strafaussetzung zur Bew. entgegen. Die Prognose kann bei sorgfältiger Berücksichtigung von Persönlichkeit und Lebensverhältnissen ergeben, dass die erforderliche längere Gesamterziehung (BGH 11, 169) durch die Wirkung der Verhängung von JStrafe und die mit der Aussetzung verbundene BewHilfe, die Weisungen und Auflagen, schließlich auch durch die ständige Drohung des Widerrufs erreicht werden kann. Ein ähnliches Spannungsverhältnis ergibt sich bei § 47 StGB: Nach BGH 24, 165 wird die für die Aussetzung erforderliche günstige Prognose nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter 6 Monaten zur Einwirkung auf den Täter erforderlich erscheint (ebenso Dünnebier JR 70, 241, 246). Ist ungewiss, ob schädliche Neigungen in einem Ausmaß vorliegen, dass JStrafe erforderlich ist, so sind nur die Voraussetzungen für den Schuldspruch nach § 27 gegeben, der für solche Fälle eine erz. bessere Lösung gibt (Grethlein JR 64, 88; Seibert MDR 62, 171; Sieverts UJ 52, 292; Potrykus Zbl. 51, 280 u. 52, 104). JStrafe wegen der Schwere der Schuld ist als scharfe Missbilligung der Tat auch dann erforderlich, wenn eine günstige Prognose Strafaussetzung zur Bew. erlaubt (Dallinger/Lackner § 20, 10; Bruns GA 56, 196). 22 a Das AG Berlin-Tiergarten (NStZ 88, 428 mit zust. Anm. Matzke) hat neben einer EinheitsJStrafe von 2 Jahren 10 Monaten eine Betreuungsweisung (dazu § 10, 10 u. 10 a) erteilt und damit praktisch den Hw. sogleich und für die Entlassungsvorbereitung einem BewHelfer unterstellt, weil Entlassung zur Bew. nicht mehr in Frage komme. Das ist zulässig und bringt eine intensivierte Hilfestellung für den Verurteilten im Vollzug und danach. 10.
Zurückstellung der Strafvollstreckung bei betäubungsmittelabhängigen J und Hw. nach §§ 38 I, 35 I, 36 BtMG
23 Das BtMG eröffnet in §§ 35 f Möglichkeiten der Zurückstellung der Strafvollstreckung gegen betäubungsmittelabhängige Straftäter zugunsten einer Therapie (Rspr.-Übersichten Katholnigg NStZ 84, 496; Weichert NJW 99, 827; vgl. auch Körner NStZ 98, 227). Diese Vorschriften gelten nach § 38 I BtMG bei Verurteilung zu JStrafe sinngemäß. 24 Das BtMG will in seinem 7. Abschnitt dem Betäubungsmittelabhängigen eine Therapie „außerhalb des Straf- und Maßregelvollzugs auch in den Fällen ermöglichen, in denen für die ersten Monate der Behandlung eine gute Prognose noch nicht gestellt werden kann“ (BT-Drs. 8/483 S. 7). § 35 BtMG bringt damit eine Sonderregelung für betäubungsmittelabhängige Täter (Slotty BewH 82, 223). Zugleich hoffte der Gesetzgeber mit solchen Regelungen die Therapiebereitschaft drogenabhängiger Täter erheblich steigern zu können (Körner NJW 82, 676). Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die Therapieresistenz vieler Drogenabhängiger „nicht primär Ausdruck bösen Willens, sondern ein Charakteristikum der Drogenabhängigkeit überhaupt, ein
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Symptom der Krankheit“ ist (Tröndle MDR 82, 5 unter Hinweis auf Coignerai-Weber/Hege MKrim. 81, 144). Es kommt deshalb darauf an, niedrigschwellige Hilfs- und Beratungsangebote, Plätze für den körperlichen Entzug, ambulante, teilstationäre und stationäre Therapieeinrichtungen und Nachsorgeeinrichtungen zu einem Verbundsystem zu verknüpfen, das wirksame Hilfe zu leisten und den Weg aus der Abhängigkeit zu fördern vermag (vgl. Dölling Eindämmung des Drogenmißbrauchs zwischen Repression u. Prävention, 1995 S. 21, 23; Heckmann in ders., Hrsg., Drogentherapie in der Praxis, 1991 S. 71 f). Trotz vielfältiger Bemühungen bestehen im Angebot noch erhebliche Defizite. Es gelangen daher zahlreiche j. Straftäter mit Drogenproblemen in den JStrafvollzug. Deshalb sind Bemühungen gerade dort gefordert, zumal J und Hw. im Drogenbereich stärker gefährdet und relativ stärker beteiligt sind als Erw. und Besonderheiten der altersmäßigen Entwicklung auch in der Therapie beachtet werden müssen (ähnlich Eisenberg § 45, 29 a; Körner NJW 82, 673). Vgl. Brunner Zbl. 80, 415 ff. Der allg. Behandlungsauftrag an den Vollzug bezieht auch und gerade die drogenabhängi- 25 gen Verurteilten in der JStrafanstalt ein (vgl. OLG Hamm MDR 81, 70 bei § 93 a, 6). Ansatzpunkte für die Behandlung könnten darin liegen, dass die Absperrung eine Entgiftung bringen und das gewohnte Milieu als Verstärker des Fehlverhaltens entziehen kann. Gründliche Prüfung bei Lockerung des Vollzugs und bei Urlaub wirken der Einschleusung von Drogen entgegen. Kindermann (MKrim. 79, 218) schlägt vor, die Drogenabhängigen von den anderen Gefangenen zu trennen, was aus vielerlei Gründen wohl besser sein mag. Es könnte sich sogar empfehlen, annähernd motivierte von nicht motivierten Drogenverurteilten zu trennen; eine derartige Handhabung nützt die oft übersehene Unterscheidung zwischen zwangsweiser Unterbringung und zwangsweiser Therapie. JStrafanstalten haben mit ihrem ärztlichen und ErzPersonal Möglichkeiten zu Entziehung und Entwöhnung aufgebaut und versuchen mit Hilfe neuer Bezugsgruppen, mit Gruppen-, Verhaltens- und Beschäftigungstherapie das gestörte Verhältnis zur Realität und zu sozialen Bezügen neu zu ordnen. Vgl. zur Drogenarbeit im Vollzug auch Borkenstein BewH 94, 80. Zur Entlassungsvorbereitung u. Nachsorge § 88, 14. Entscheidend für die Bewährung der Vorschriften über die Zurückstellung der Strafvollstre- 25 a ckung nach §§ 38 I, 35 BtMG sind sorgfältige Erforschung der Persönlichkeit in der JStrafanstalt, Motivationshilfen und enge Zusammenarbeit zwischen Vollzug und Vollstreckungsleiter (vgl. Rn 27, 28). Durch Teilvollstreckung, die kein bloßes „Absitzen“ ist, können möglicherweise die Therapieaussichten iSd § 35 BtMG gebessert werden (Rn 26, insbes. Rn 33). Die bisherigen Erfahrungen deuten darauf hin, dass der Gesetzgeber mit den §§ 35 f, 38 BtMG einen richtigen Weg gegangen ist. Die strafjustiziell in die Therapie übergeleiteten Drogenabhängigen scheinen nach einer Untersuchung der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden im Vergleich mit Klienten, die freiwillig eine Therapie beginnen, zumindest nicht schlechter abzuschneiden. 90% der Verurteilten traten die Therapie an und knapp die Hälfte beendete die Behandlung regulär (Kurze Strafrechtspraxis und Drogentherapie, 1993 S. 267). Die Wiedereinweisungsquote in den Vollzug innerhalb eines dreijährigen Zeitraums nach Entlassung scheint nicht höher zu sein als in den vorliegenden Untersuchungen zum Rückfall nach Strafvollzug allgemein (aaO, S. 239; zu dieser Untersuchung vgl. auch Egg BewH 93, 26; Kurze NStZ 96, 178). Zur Umsetzung der §§ 35 ff BtMG s. auch Schulte BewH 93, 38; Jehle in Handb. d. For. Psychiatrie Bd. 1, 2007 S. 365 ff. Die Möglichkeit der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG enthebt den erken- 26 nenden JRichter nicht der Verpflichtung, auch bei betäubungsmittelabhängigen J und Hw. die Voraussetzungen der Strafaussetzung zur Bew. nach § 21 sorgfältig zu prüfen und vorrangig darüber zu entscheiden (BT-Drs. 8/4283 S. 7; Joachimski/Haumer § 35 BtMG 43; Körner NJW 82, 677; Slotty NStZ 81, 327; Tröndle MDR 82, 2; zu den entsprechenden BewAuflagen § 21, 16 f; vgl. auch § 26 a, 16 aE). Denn § 35 BtMG tritt erst nach Versagung der Strafaussetzung zur Bew. wegen schlechter Sozialprognose nach Rechtskraft des Urteils ein (die nachträgliche Entscheidung
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nach § 57 verliert hier an Bedeutung), wenn erst nach Rechtskraft des Urteils die Voraussetzungen des § 35 I BtMG hervortreten, sich nach Teilvollstreckung die Therapieaussichten entscheidend bessern (Rn 25) oder erst dann die Betäubungsmittelabhängigkeit bekannt wird (§ 35 I 1 BtMG „oder steht sonst fest“). Letztere Möglichkeit könnte manchen in Versuchung führen, sich mit nachträglichen Schutzbehauptungen über § 35 I 1 BtMG die versagte Strafaussetzung zur Bew. zu erschleichen (vgl. dazu BT-Drs. 4407 S. 8; Joachimski/Haumer § 35 BtMG 8). Solches wird gerade der erkennende JRichter bei Prüfung der erforderlichen Zustimmung zu erwägen haben. Zum Verhältnis zu § 64 StGB s. § 7, 7. 26 a Grundsatz ist, dass mit der Zurückstellung der Vollstreckung dem Verurteilten die Therapie außerhalb des Strafvollzugs ermöglicht werden soll. Dies kann nur erreicht werden, wenn die Therapie nicht durch die Vollstreckung einer anderen Strafe gestört wird (OLG Karlsruhe JR 83, 433; vgl. dazu Rn 27 b, 31). 27 Bei betäubungsmittelabhängigen J oder nach JStrafrecht verurteilten Hw. kann der je nach Stand des Vollstreckungsverfahrens ursprüngliche (§§ 82 I, 84) oder nachfolgende Vollstreckungsleiter (§ 85 II) zuständig sein. Er holt die Zustimmung (oder Stellungnahme, wenn Ablehnung beabsichtigt ist) des Gerichts des ersten Rechtszuges ein (OLG Karlsruhe StV 81, 257). Das gilt auch dann, wenn Vollstreckungsleiter und Gericht des ersten Rechtszuges in einer Person zusammentreffen (§§ 38, 35 I BtMG; OLG Stuttgart NStZ 86, 141; OLG Hamm StV 88, 112; Reisinger NStZ 90, 57), denn die Zustimmung und deren Versagung sind richterliche Entscheidungen, der Vollstreckungsleiter aber entscheidet als weisungsgebundene Verwaltungsbehörde (LG Offenburg NStZ-RR 02, 347; § 83, 1) nach seinem pflichtgebundenen Ermessen (OLG Karlsruhe NStZ 08, 576; Katholnigg NJW 81, 418; Körner/Sagebiel NStZ 92, 216). Beschwerde Rn 28 a. Der Vollstreckungsleiter stellt die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (vgl. § 5, 2) für längstens 2 Jahre zurück, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: 27 a Rechtskräftige Verurteilung wegen einer aufgrund Betäubungsmittelabhängigkeit begangenen Tat, was sich aus den Urteilsgründen ergeben oder „sonst feststehen“ muss. Hinsichtlich des Vorliegens einer für die Tat kausalen Betäubungsmittelabhängigkeit (dazu KG bei Kotz/Rahlf NStZ-RR 00, 78; KG NStZ-RR 08, 185; OLG Hamm NStZ-RR 08, 185) ist die Vollstreckungsbehörde nicht an die Feststellungen des Urteils gebunden, sondern kann sie eigenständige Feststellungen treffen (OLG Hamm MDR 8476; KG StV 88, 213; OLG Saarbrücken NStZ-RR 96, 246; OLG Stuttgart NStZ 99, 626; OLG Oldenburg StV 01, 467; OLG Brandenburg NStZ-RR 03, 376; OLG Dresden StV 06, 585, 586). Eine über die Urteilsfeststellungen hinausgehende Aufklärung ist aber nur geboten, wenn ausreichender Anlass für die Annahme besteht, die Tat könne doch auf einer Betäubungsmittelabhängigkeit beruhen (OLG Hamm NStZ 83, 25; OLG Frankfurt NStZ-RR 98, 314). Die Abhängigkeit muss auch im Zeitpunkt der Bewilligung der Zurückstellung gegeben sein (OLG Frankfurt NStZ 09, 214). Alkoholabhängigkeit genügt nicht (OLG Karlsruhe Justiz 98, 639; kritisch zur gesetzlichen Regelung Tröndle MDR 82, 5); Polytoxikomanie (Drogen- und Alkoholabhängigkeit) kann ausreichen (OLG Dresden StV 06, 585). 27 b Entweder Verurteilung zu Strafe von nicht mehr als 2 Jahren oder eine höhere Strafe, bei welcher der nach Teilverbüßung (vgl. Körner JR 83, 434) noch zu vollstreckende Rest zwei Jahre nicht übersteigen darf (vgl. OLG Koblenz StV 85, 379; § 35 II Nr. 2 BtMG). Hier ist die Anrechnung von UHaft zu beachten (Körner § 35 BtMG 108). Die Zurückstellung wird von bestehender und noch vollstreckbarer J- und Freiheitsstrafe, die zusammen 2 Jahre überschreiten, nicht ausgeschlossen, weil eine Zusammenrechnung nicht vorgenommen werden braucht (BGH 33, 14 = NStZ 85, 126 mit zust. Anm. Katholnigg). Die Zurückstellung kann jedoch – wie sich aus § 35 VI Nr. 2 BtMG ergibt – nicht erfolgen, wenn eine weitere, nicht zurückstellungsfähige Strafe zu vollstrecken ist (OLG Karlsruhe MDR 85, 698; OLG Celle NdsRpfl. 98, 155; OLG Hamm NStZ 00, 557).
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Der Verurteilte muss sich wegen seiner Abhängigkeit bereits in einer seiner Rehabilitation 27 c dienenden Behandlung befinden oder er muss zusagen, sich einer solchen zu unterziehen (schriftlich oder zu Protokoll und bedingungslos) und der Beginn muss gewährleistet sein (Zusage seitens der Institution, Klärung der Kostenfrage). Die der Rehabilitation dienende Behandlung kann stationär, aber auch ambulant erfolgen (OLG Zweibrücken StV 83, 249; 84, 124; OLG Karlsruhe StV 00, 631; OLG Oldenburg StV 05, 284; Körner § 35 BtMG 123). Es kann sich auch um eine ambulante Substitutionstherapie handeln, sofern diese psychosozial betreut wird (OLG Frankfurt NJW 95, 1626; OLG Hamburg StV 03, 290). Stets muss die Behandlung aber auf die Befreiung von der Drogenabhängigkeit gerichtet sein (OLG Oldenburg NStZ 94, 347 f; NStZ-RR 96, 49; OLG Köln StV 95, 649). Nach KG bei Kotz/Rahlf NStZ-RR 00, 78 kommt eine ambulante Substitutionstherapie nur als letztes Mittel nach mehreren gescheiterten Langzeittherapien in Betracht. Zu den Therapieeinrichtungen Einf. I 50. Einer Zusage des J muss der ErzBerechtigte und der gesetzliche Vertreter zustimmen (§ 38 I 2 BtMG). Wird die Einwilligung grundlos und gegen das Interesse des J versagt, kann sie durch das Familiengericht ersetzt werden (§ 1666 BGB; zust. Eisenberg § 82, 5 c; Ostendorf § 82, 11). Nach OLG Hamm MDR 82, 1044; OLG Karlsruhe StV 83, 112; Justiz 99, 329 ff; KG NStZ-RR 08, 257 (ebenso Eisenberg u. Ostendorf aaO) dürfen die Anforderungen an Therapiewilligkeit und -fähigkeit nicht übersteigert werden. Therapiebereitschaft ist zu bejahen, wenn der Verurteilte ernsthaft gewillt ist, eine bestimmte Therapie anzutreten und durchzustehen (OLG Karlsruhe StV 07, 308). Vgl. auch Rn 28. Droht einem ausländischen Verurteilten die Abschiebung, kann eine Zurückstellung ua wegen der Gefahr des „Untertauchens“ versagt werden (OLG Hamm NStZ 99, 591; OLG Frankfurt NStZ-RR 00, 152). Anders ist es, wenn trotz Ausweisung keine Abschiebung droht (OLG Stuttgart StV 98, 672). Vgl. aber auch OLG Düsseldorf StV 99, 444, nach dem sich im Hinblick auf den Vorrang des staatlichen Strafanspruchs eine Abschiebung regelmäßig verbietet, wenn nicht von der weiteren Strafvollstreckung gem. § 456 a StPO abgesehen wurde. § 35 BtMG setzt eine rechtskräftig verhängte JStrafe voraus, während § 5 III den JRichter anhält, 27 d von JStrafe gerade dann abzusehen, wenn die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt die Ahndung entbehrlich macht (vgl. § 5, 2 u. 4). Das muss nicht zwingend zu einer Spannung zwischen beiden Vorschriften führen. Auf JStrafe zu erkennen, um die Anwendung der §§ 35, 36 BtMG zu ermöglichen (vgl. Meyer MDR 82, 178), dürfte aber kaum einen Ausweg bieten. Adams/Eberth (NStZ 83, 194) raten dem Richter, in den Urteilsgründen sich zum Scheitern der Bew. und zu eventueller Therapie nach Rechtskraft zu äußern. Dies kann allerdings Schwierigkeiten heraufbeschwören (vgl. Einf. I 53). Der JGH und dem ErzPersonal der JStrafanstalt (vgl. Rn 22 b, 23, 25) fallen hier wichtige Aufga- 28 ben zu, denn gerade Drogenabhängige weisen eine schwierige, häufig schwer durchschaubare Persönlichkeitsstruktur auf (Einf. I 50) und bedürfen bes. Betreuung. Diese Helfer müssen die unter 27 c dargestellten Voraussetzungen vorbereiten, überprüfen, aus ihrer Sphäre – möglichst objektiv – werten und dem Verurteilten und ggf. auch dessen gesetzlichem Vertreter Motivationshilfen geben. Mit seiner nach § 35 I 1 BtMG notwendigen Zustimmung zur Zurückstellung bestimmt der JRichter des ersten Rechtszugs zugleich, ob und inwieweit nach § 36 I 1 BtMG die Zeit des Aufenthalts in der Therapieeinrichtung auf die Strafe angerechnet wird (§ 36 I 2 BtMG). Auch dies soll die Motivierung verstärken. Nach OLG Karlsruhe Justiz 83, 128 müssen die Tatsachen und Erwägungen, aus denen der Vollstreckungsleiter auf ungünstige Therapieaussichten schließt, im Ablehnungsbeschluss mitgeteilt werden, um die nach § 28 III EGGVG gebotene Prüfung zu ermöglichen. Dabei sollen bei § 35 das Ausmaß der Tatschuld nicht berücksichtigt und Zweifel an der Therapiebereitschaft nicht allein daraus hergeleitet werden dürfen, dass der Verurteilte bisher keine freiwillige Therapie versucht hat (OLG Karlsruhe aaO) oder mehrere Therapieversuche gescheitert sind (OLG Karlsruhe StV 02, 263; NStZ-RR 05, 57; StV 07, 308). Nach OLG Hamburg StV 98, 390, OLG Koblenz StV 03, 288, OLG Karlsruhe NStZ-RR 09, 122 u. StA beim OLG Frankfurt StV 03, 289 ist grds. von einer Prüfung der Rehabilitationsprog-
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nose abzusehen, da gerade Risikopatienten eine Therapie ermöglicht werden soll und idR zahlreiche Therapieversuche für einen Therapieerfolg notwendig sind. Nach OLG Celle NdsRpfl. 98, 155 u. OLG Koblenz (StV 06, 588 mit Anm. Rühlmann) darf eine Ablehnung der Zurückstellung nicht darauf gestützt werden, dass keine günstige Erfolgsprognose besteht (vgl. auch OLG Saarbrücken NStZ-RR 96, 50: keine Ablehnung der Zurückstellung, weil der Verurteilte trotz früherer Therapien erneut straffällig geworden ist oder Therapiechancen nicht genutzt hat, OLG Zweibrücken StV 00, 158 zur nur eingeschränkt möglichen Überprüfung der Therapiemotivation; OLG Frankfurt NStZ-RR 03, 246: kein Schluss auf fehlenden Therapiewillen allein aus Verweigerung von Urinkontrollen im Strafvollzug u. OLG Schleswig bei Döllel/Dreeßen SchlHA 07, 318: keine Ablehnung der Zurückstellung allein wegen drogenbedingter erneuter Straffälligkeit während laufender Bewährungszeit; anders, wenn die Therapie von vornherein aussichtslos erscheint: OLG Karlsruhe NStZ-RR 09, 122). Ob die Vollstreckungsbehörde die Stellungnahme des Gerichts auch dann einholen muss, wenn sie beabsichtigt, die Zurückstellung abzulehnen, ist umstritten (dafür OLG Karlsruhe NStZ 86, 288; KG StV 88, 24; dagegen OLG Frankfurt StV 89, 439; OLG Hamm NStZ-RR 98, 315). Weitere Rechtsprechung bei Katholnigg NStZ 84, 497. S. auch Rn 27 c. 28 a Gegen die Weigerung des Gerichts erster Instanz, der Zurückstellung nach § 35 I BtMG zuzustimmen, steht gemäß § 35 II 1 BtMG der Vollstreckungsbehörde Beschwerde nach § 304 StPO zu. Der Verurteilte kann die Verweigerung der Zustimmung nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde nach §§ 23 ff EGGVG anfechten (§ 35 II 2 BtMG). Diese Regelung findet gem. § 38 I 1 BtMG auch in JStrafverfahren Anwendung. Das Beschwerderecht nach § 35 II 1 steht im JStrafverfahren der Staatsanwaltschaft bei dem OLG zu. Da der als Vollstreckungsbehörde tätige JRichter nicht selbst Beschwerdeführer sein kann, muss das Beschwerderecht von der vorgesetzten Behörde wahrgenommen werden (OLG München NStZ 93, 456 = JR 94, 296 mit Anm. Katholnigg). Beabsichtigt die StA die Zurückstellung, muss sie nach OLG Celle NStZ 96, 304 mit abl. Anm. Katholnigg NStZ 96, 615, Beschwerde gegen die Weigerung des Gerichts einlegen, vor deren Erledigung ein Antrag des Verurteilten nach §§ 23 ff EGGVG nicht zur Entscheidung reif ist. Ein gegen die Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde gerichteter Antrag des Verurteilten gemäß §§ 23 ff EGGVG ist erst zulässig, wenn das Vorschaltverfahren nach §§ 24 II EGGVG, 21 StVollstrO durchgeführt worden ist (OLG München NStZ 93, 455; OLG Stuttgart MDR 94, 297; OLG Oldenburg StV 00, 325 unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung; Körner § 35 BtMG 320 ff). Das Vorschaltverfahren ist nach OLG Zweibrücken NStZ-RR 99, 59 auch durchzuführen, wenn der Zurückstellung die Versagung der gerichtlichen Zustimmung entgegensteht (aA KG bei Kotz/Rahlf NStZ-RR 00, 78); die Beschwerdeinstanz legt dann ggf. die Sache dem Gericht erneut zur Entscheidung über die Zustimmung vor. Bei der Entscheidung nach § 23 EGGVG kann das OLG auch die Versagung der richterlichen Zustimmung auf Ermessensfehlgebrauch prüfen und ggf. die Zurückstellung selbst vornehmen (OLG Dresden StV 06, 585). 28 b Nach Zurückstellung der Vollstreckung kann der Vollstreckungsleiter aus wichtigem Grund (§ 85 V) die Vollstreckung an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückgeben, denn die §§ 35 ff BtMG gehen als Sonderbestimmungen den Vorschriften über die Strafvollstreckung vor und übertragen alle wesentlichen Entscheidungen dem Gericht des ersten Rechtszuges; dem entspricht die Zurückgabe der Vollstreckung (BGH 32, 58). 29 § 35 IV BtMG erlegt den behandelnden Personen oder Therapiestellen die Rechtspflicht (vgl. BTDrs. 8/4283 S. 8; Katholnigg NStZ 81, 419) auf, dem Vollstreckungsleiter einen Abbruch der Behandlung mitzuteilen (zu Definition des Abbruchs, Zeitpunkt und Form der Mitteilung Adams/Eberth NStZ 83, 197; Körner § 35 BtMG 398). Dies haben manche Einrichtungen strikt verweigert. Das BtMG sieht für den Fall der Verweigerung keine Sanktion vor; ob solche der StPO entsprechend anwendbar wären, ist zweifelhaft. Bei beharrlichem Entgegenstellen aber wird die
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Behandlung durch solche Personen oder Therapiestellen nicht mehr als genügende Voraussetzung nach § 35 I 1 BtMG anzusehen (vgl. Rn 27) und die staatliche Anerkennung (dazu Einf. I 50 aE; § 10, 19 a) zurückzunehmen sein (Katholnigg aaO). Die Verletzung der sich aus § 35 IV BtMG ergebenden Rechtspflicht, den Abbruch mitzuteilen, kann bei behandelnden Personen und Verantwortlichen der Therapieeinrichtung den Tatbestand der Vollstreckungsvereitelung erfüllen. Der Nichtantritt muss nicht gemeldet werden. Bei freiwillig übernommener Meldepflicht kann aber Vollstreckungsvereitelung in Betracht kommen (BayObLG NStZ 90, 85). Dies macht zugleich deutlich, wie wesentlich es ist, dass Therapie und Strafjustiz sich gegenseitig anerkennen und im Interesse der Betäubungsmittelabhängigen vertrauensvoll zusammenarbeiten. Der Vollstreckungsleiter kann den Verurteilten – unterstützend und zugleich prüfend – auch 29 a anweisen, Aufnahme und Fortführung der Therapie selbst nachzuweisen und Ärzte und Therapeuten für Stellungnahmen über Verlauf und Ergebnis der Therapie von der Schweigepflicht zu entbinden (OLG Hamm NStZ 86, 333 mit abl. Anm. Kreuzer; Körner § 35 BtMG 390). Weisungen und Auflagen, mit denen der Vollstreckungsleiter die Zurückstellung nach § 35 BtMG verbindet, können im Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG auf ihre Gesetzmäßigkeit überprüft werden (OLG Hamm aaO). Der Vollstreckungsleiter widerruft nach § 35 V BtMG die Zurückstellung, wenn der Verurteilte 30 die Behandlung gar nicht erst beginnt oder sie nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, dass der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt (dazu OLG Koblenz NStZ 95, 294; NStZ 09, 395; OLG Karlsruhe NStZ-RR 03, 311; OLG Nürnberg StV 04, 385; LG Köln StV 87, 210; AG Karlsruhe StV 85, 247; Körner § 35 BtMG 420 ff). Zu widerrufen ist auch, wenn der Verurteilte die ihm vom Vollstreckungsleiter nach § 35 IV BtMG auferlegten Nachweise nicht erbringt. § 35 V 3 BtMG gibt die Chance des „zweiten Anlaufs“. Teilvollstreckung kann oft erst Therapiebereitschaft wecken; vgl. Rn 26 a. Straftaten vor der Zurückstellung stellen keinen Widerrufsgrund dar, auch wenn sie zu UHaft nach der Zurückstellung führen (LG Offenburg StV 07, 309). Begeht der Täter aufgrund Drogenabhängigkeit eine neue Straftat und wird diese in eine Ein- 31 heitsJStrafe einbezogen und deren Vollstreckung nach § 35 I u. III BtMG zurückgestellt, so muss nicht nach § 35 VI Nr. 1 BtMG widerrufen werden. Das gilt auch, wenn die EinheitsJStrafe die Voraussetzungen einer Gesamtstrafe des ErwRechts nicht erfüllt, denn mangels einer zu vollstreckenden Strafe ist weder für einen Widerruf nach Nr. 1 noch nach Nr. 2 von § 35 VI BtMG Raum (vgl. auch Eisenberg § 82, 5 k; Ostendorf § 82, 11). Stehen mehrere JStrafen nebeneinander, ist zu berücksichtigten, dass der Gesetzgeber die Zurückstellung der Vollstreckung mehrerer zu vollstreckender Strafen nicht ausschließt, denn es weist nicht auf gesteigerte Schuld oder geringere Therapiechancen hin, wenn gegen einen Mehrfachtäter aus Rechtsgründen statt auf eine EinheitsJStrafe auf mehrere JStrafen oder auf J- und Freiheitsstrafe erkannt werden muss (OLG Karlsruhe JR 83, 432 mit Anm. Körner); vgl. Rn 26 a. Wird aber bei einer neuerlichen Verurteilung zu JStrafe oder zu einer freiheitsentziehenden Maßregel die Vollstreckung nicht zurückgestellt, so ist nach § 35 VI Nr. 2 BtMG zu widerrufen (KG StV 83, 291; OLG Saarbrücken StV 83, 468). Gegen den Widerruf kann die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges herbeigeführt 31 a werden, was den Fortgang der Vollstreckung aber nicht hemmt (§ 35 VII 2, 3 BtMG). War der Vollstreckungsleiter erkennender Richter (vgl. Rn 27), so entscheidet an seiner Stelle die JKammer (§ 83, 2; zust. Eisenberg § 82, 5 c; Ostendorf § 82, 11). Die Ablehnung des Widerrufs kann von der StA nicht angefochten werden (LG Offenburg NStZ-RR 02, 347). Zur Abgabe bei Zurückstellung § 85, 19. § 36 BtMG regelt die Anrechnung der Therapiezeit (dazu Körner § 36 BtMG 1 ff; Maatz MDR 85, 32 11) und die Strafaussetzung zur Bew. nach durchgeführter Therapie. Die nach Zurückstellung in einer staatlich anerkannten Therapieeinrichtung verbrachte Zeit ist auch bei destruktivem Ver-
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halten des Verurteilten und eigenmächtigem Abbruch der Behandlung anzurechnen (OLG Düsseldorf NStZ-RR 97, 248; Körner § 36 BtMG 15). Bei lediglich stundenweisen therapeutischen Sitzungen im Rahmen einer ambulanten Maßnahme sind nur diejenigen Tage anrechenbar, an denen die Behandlung tatsächlich stattfindet (KG NStZ-RR 09, 321). Zum Verhältnis des § 36 I 3 BtMG zu § 88: § 88, 2 a. Die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes nach § 36 I 3 BtMG setzt nicht voraus, dass der Verurteilte ein Mindestmaß der Strafe durch die Anrechnung des Therapieaufenthaltes verbüßt hat (OLG Düsseldorf JR 90, 349 mit krit. Anm. Katholnigg; zum fehlenden Erfordernis eines Mindestverbüßungszeitraums auch OLG Stuttgart StV 98, 672; LG Bückeburg StV 04, 386). § 36 I 3 BtMG ist daher auch dann anzuwenden, wenn eine Anrechnung der Therapiezeit auf die Strafe deshalb nicht in Betracht kommt, weil schon vor der Zurückstellung zwei Drittel der Strafe verbüßt sind (BGH 48, 275; LG Offenburg StV 96, 218); zuständig für die Entscheidung über die Strafaussetzung und die damit verbundenen Nebenentscheidungen ist nach § 36 V 1 das Gericht des ersten Rechtszugs (BGH 48, 252 = JR 04, 81 mit zust. Anm. Immel; BGH 48, 275; BGH NStZ 08, 472; OLG Stuttgart Justiz 09, 272). Zur Anrechnung nach § 36 III BtMG u. zur Aussetzung nach § 36 II BtMG s. OLG Köln StV 00, 324; OLG Schleswig bei Döllel/Dreeßen SchlHA 03, 215; LG Bochum StV 97, 316; LG Görlitz NStZ-RR 04, 283; LG Berlin NStZRR 04, 348. Für J und nach JStrafrecht verurteilte Hw. sind abweichend von § 36 IV BtMG (§§ 56 a–56 g StGB) die §§ 22–26 a entsprechend anzuwenden (§ 38 I 4 BtMG), insbes. beträgt also die BewZeit höchstens 3 Jahre und kann auf 4 Jahre verlängert werden (§ 22 I, II 2); die Beiordnung eines BewHelfers ist obligatorisch (§ 24 I 1) und muss nicht mit dem Zeitraum der Bew. übereinstimmen (§ 24 I 1). Bei Entscheidungen nach § 36 I 3 und II BtMG gelten neben § 454 StPO die bes. jrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften des § 58, die Anfechtungsvorschriften des § 59 II–IV und die Bestimmungen über den BewPlan nach § 60 (§ 38 I 5 BtMG). Erfolgt kein Widerruf, so wird die Verurteilung nicht in das Führungszeugnis aufgenommen (§ 32 II Nr. 6 BZRG). Zum Absehen von der Anklageerhebung nach §§ 38 II, 37 BtMG § 45, 21. Allg. zur Drogenkriminalität Einf. I 49–51; Hinweise auf spezielle Ausführungen im Zusammenhang mit Drogen: Einf. I 51 a. 33 Zu den Erfahrungen mit §§ 35 ff BtMG s. Rn 25.
§ 18 Dauer der Jugendstrafe § 18 Dauer der Jugendstrafe (1) Das Mindestmaß der Jugendstrafe beträgt sechs Monate, das Höchstmaß fünf Jahre. Handelt es sich bei der Tat um ein Verbrechen, für das nach dem allgemeinen Strafrecht eine Höchststrafe von mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe angedroht ist, so ist das Höchstmaß zehn Jahre. Die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts gelten nicht. (2) Die Jugendstrafe ist so zu bemessen, daß die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist. 1. Hw.-J: Rn 4; § 105 I, II, § 105, 19. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1. Richtlinien zu § 18: 1. Der Umstand, daß Jugendstrafe von weniger als sechs Monaten nicht ausgesprochen werden kann, darf nicht dazu führen, daß Jugendarrest in Fällen verhängt wird, in denen dieser nicht angebracht ist. Ist weder Jugendstrafe noch Jugendarrest gerechtfertigt, so kann das Gericht mehrere Maßnahmen miteinander verbinden (§ 8) und vor allem Weisungen erteilen, die eine länger dauernde erzieherische Einwirkung ermöglichen (vgl. § 10 und die Richtlinien dazu). 2. Die vom Gesetz angeordnete vorrangige Berücksichtigung des Erziehungsgedankens bedeutet nicht, daß Belange des Schuldausgleichs ausgeschlossen wären. Sie darf nicht dazu führen, daß die obere Grenze schuldangemessenen Strafens überschritten wird.
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3. Wegen der Anrechnung von Untersuchungshaft auf Jugendstrafe wird auf § 52 a und die Richtlinien dazu hingewiesen. Schrifttum: Benske Die Bedeutung des Erzgedankens für die Bemessung der JStrafe, Diss. Kiel 1966; Buckolt Die Zumessung der JStrafe, 2009; Dölling Über die Höhenbemessung bei der Freiheits- und der JStrafe, FS Schreiber, 2003 S. 55; Hellmer Sozialisation, Personalisation u. Kriminalität, 1968; Kurzberg JStrafe aufgrund schwerer Kriminalität, 2009; ders. Der ErzGedanke bei schweren Straftaten, ZJJ 11, 181; Mörke JStrafe – ein ErzMittel, SchlHA 65, 153; Müller Egon Zum ErzErfolg der JStrafe, 1969; Müller Ines Die Mindeststrafe im JStrafrecht im Vergleich zum allg. Strafrecht, FS Eisenberg, 2009 S. 415; Pankiewicz Absprachen im JStrafrecht, 2008; Schaffstein Die Bemessung der JStrafe, Zbl. 67, 135; ders. Die Dauer der Freiheitsstrafe bei jungen Straffälligen, FS Würtenberger, 1977 S. 449; Schulz Die Höchststrafe im JStrafrecht (10 Jahre) – eine Analyse der Urteile von 1987–1996, 2000; ders. Die Höchststrafe im JStrafrecht (10 Jahre) – eine Urteilsanalyse, MKrim. 01, 310; Schumann/Berlitz/Kaulitzki JKriminalität u. die Grenze der Generalprävention, 1987; Streng Sanktionswahl u. Strafzumessung im JStrafrecht – Ergebnisse einer empirischen Studie, FS Böttcher, 2007 S. 431; Weitl Die dogmatischen Grundlagen des geltenden JStrafrechts, Diss. München 1965; Zipf Die Strafmaßrevision, 1969 S. 449. Vgl. auch das Schrifttum zu § 17. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
1.
Mindestmaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . Höchstmaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strafrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strafbemessung und Erziehungsgedanke Schuldvergeltung . . . . . . . . . . . . . . . Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . Erziehungsgedanke und Schuld . . . . . . Die Höchststrafe des allgemeinen Rechts .
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Rn 1 3 6 7 8 9 10 15
Mindestmaß
Das Mindestmaß der JStrafe von 6 Monaten soll erz. Einwirkung ermöglichen (Rn 6), anderer- 1 seits aber auch den JRichter dazu zwingen, JStrafe nur als letztes Mittel (§§ 5 II, 17 II) zu verhängen, sonst aber möglichst durch länger wirksame Weisungen und andere Maßnahmen den erz. Erfolg zu erstreben (RL 1 S. 2; Rn 10; § 17, 14). Nach Heinz (BewH 87, 16) wird durch die Hintertür der UHaft eine kurze JStrafe wieder eingeführt. Eine sehr kurze Strafe aber hat alle Nachteile einer Strafe ohne deren erz. Chance. Das Mindestmaß darf nur zur Befolgung des Verschlechterungsverbotes (vgl. § 55, 39) unter- 2 schritten werden (aA Ostendorf 3, der hier auf eine mildere Sanktion ausweichen will). Minder schwere Fälle, Versuch, Beihilfe uä berechtigen dagegen nicht zur Unterschreitung des Mindestmaßes (Potrykus NJW 56, 656). 2.
Höchstmaß
Das Höchstmaß ist ebenso absolut, beträgt 5 Jahre und beruht auf der Erkenntnis, dass Anstalt- 3 serz. nur bis 5 Jahre Erfolg verspricht (Böhm StV 86, 71; Stenger in DVJJ, Hrsg., JGerichtsverfahren u. Kriminalprävention, 1984 S. 463; Bruns StV 82, 593; Mollenhauer MKrim. 61, 162; Frh. v. Schlotheim MKrim. 61, 107; Hombrecher JurArbl. 08, 456). Graßberger (Österreichische Juristenzeitung 61, 173) und ihm folgend Noll (Die ethische Begründung der Strafe, 1962 S. 23 FN 48) hal1 ten einen erfolgreichen ErzVollzug nur für die Dauer eines Jahres, höchstens von 1 /2 Jahren, für möglich. Dem widersprechen allerdings teilweise Rückfalluntersuchungen und Beobachtungen von Einzelfällen in der Praxis, wonach bei längeren JStrafen günstigere Erfolge festgestellt wurden (Böhm StV 86, 71 mwN). Mit Ostendorf (Rn 10) kann bei dem jetzigen Stand der Sanktionsforschung nicht festgestellt werden, ob ein längerer oder kürzerer Strafvollzug mehr Aussicht auf (Re)Sozialisierung verspricht. Spätestens nach 5 Jahren überwiegen aber die entso-
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zialisierenden Wirkungen. Eine JStrafe zwischen 5 und 10 Jahren lässt sich daher idR erz. nicht begründen (BGH NStZ 96, 232; 97, 29; StV 98, 344; NStZ 07, 522 mit Anm. Eisenberg/Schmitz NStZ 08, 95). Allerdings ergibt sich nach BGH NStZ 96, 496 (mit Anm. Dölling NStZ 98, 39 u. Streng StV 98, 336) aus § 18 I 2 und II, dass eine JStrafe von mehr als 5 Jahren dem ErzGedanken nicht zuwiderlaufen muss (ebenso BGH NStZ-RR 97, 281; 98, 285). Für die pädagogischtherapeutische Einwirkung auf junge Täter bedarf es jedoch in aller Regel keines Freiheitsentzuges über 5 Jahre hinaus; allenfalls aus Gesichtspunkten der Tatverarbeitung (Vermittlung der Unrechtsschwere und der persönlichen Verantwortlichkeit) kommen bei schwerster Kriminalität unter erz. Aspekten Jugendstrafen von mehr als 5 Jahren in Betracht (Dölling aaO; vgl. auch BGH B NStZ 97, 482, wonach die Straferwartung auch im Rahmen der Erz. eine große Rolle spielt; s. auch Rn 4). 4 Das Höchstmaß ist erhöht auf 10 Jahre bei Hw. wegen des größeren Gewichts des Sühnegedankens (§ 105 II) und bei den durch Abs. I 2 umschriebenen Fällen schwerster Kriminalität J wegen der dann zumeist vorliegenden Schwere der Schuld (§ 17, 9). Es kommt hier auf die Strafrahmen des allg. Rechts an; die Höchststrafe von mehr als 10 Jahren Freiheitsstrafe ist dem allg. Strafrahmen ohne Rücksicht auf minderschwere Fälle zu entnehmen (BGH 8, 79). Verkennung des Strafrahmens führt idR zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs (BGH B NStZ-RR 98, 290; anders jedoch im Fall BGH B NStZ-RR 99, 289 f). 10 Jahre JStrafe wegen Mordes können neben dem pauschalen Hinweis auf die Schwere der Schuld nicht allein damit begründet werden, dass diesem Angeklagten nur die Höchststrafe erz. gerecht werde (BGH B NStZ 97, 481). Die Höchststrafe wird selten und im Wesentlichen nur bei Tötungsdelikten verhängt (Schulz 2000 S. 95, 97, 104). 5 Der JRichter als Einzelrichter darf JStrafe nur bis zu 1 Jahr verhängen (§ 39 II).
3.
Strafrahmen
6 Mindest- und Höchstmaß bestimmen den Strafrahmen der JVerfehlung. Die Strafrahmen des allg. Rechts dürfen die im JStrafrecht maßgeblichen Strafrahmen des § 18 I nicht relativieren. Auch die im allg. Recht für bes. schwere Fälle mit Regelbeispielen vorgesehenen Strafrahmen, zB § 243 StGB, finden im JStrafrecht keine Anwendung (OLG Düsseldorf NStZ-RR 99, 310 für § 29 III Nr. 1 BtMG). Die Konkurrenzregeln des allg. Rechts gelten aber auch im JStrafrecht. Bei einem Einbruchsdiebstahl ist der J daher nach § 242 StGB schuldig zu sprechen und tritt eine gleichzeitig begangene Sachbeschädigung hinter § 242 StGB zurück, sodass § 303 StGB nicht im Tenor erscheint (BGH NStZ 99, 205; zu Tateinheit neigend BGH NJW 02, 150). Es ist unzulässig, in Orientierung an der Strafdrohung des verletzten Gesetzes nicht nur die Schwere der Tat auszuloten, sondern auf solche Weise „eine grobe Unverhältnismäßigkeit zwischen Tat und jstrafrechtlicher Reaktion vermeiden“ zu wollen (BGH StV 87, 306-LS = B NStZ 87, 442). Aus der Verwirklichung eines bestimmten Tatbestandes darf bei J nicht ohne weiteres auf eine dem Tatunrecht entsprechende Schuldschwere geschlossen werden (BGH B NStZ 88, 491). Die Strafrahmen des StGB wirken nur im Rahmen des Abs. I 2 ein; nur deshalb muss das Revisionsgericht wegen der höheren Strafandrohung des StGB den Rechtsfolgenausspruch aufheben, wenn es eine Tat nicht mehr als Vergehen, sondern als Verbrechen mit einer Höchststrafe von mehr als 10 Jahren bewertet (BGB B NStZ 84, 446). Bei der legitimen Berücksichtigung von Art und Erfolg der Tat aber darf auch eine Beziehung zur Strafandrohung des ErwRechts, zu dessen gesetzlicher Bewertung des Tatunrechts, hergestellt werden, wenn nur § 18 für die Festsetzung der JStrafe maßgebend bleibt (BGH NJW 72, 693; BGH H MDR 80, 814; 82, 104; 82, 625 u. 972; BGH NStZ 81, 251; 82, 466; 89, 119; 00, 195; B NStZ 97, 481; B NStZ-RR 00, 322 mit Anm. Eisenberg NStZ 01, 334). 6 a Weil aber darüber hinaus die Strafrahmen des StGB ohne Bedeutung sind (vgl. aber Rn 10), gehört in den Urteilstenor nicht der Ausspruch, dass es sich um einen minder schweren Fall
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Dauer der Jugendstrafe
§ 18
(§§ 250 II, 213 StGB) oder um einen bes. schweren Fall handelt, weil dies nur Strafzumessungsvorschriften sind (BGH Herlan GA 59, 340; BGH MDR 76, 769; BGH B NStZ 88, 491; 91, 523; BGH NStZ 00, 194). Der minder schwere Fall nach ErwRecht umfasst alle Umstände, die für die Bewertung von Tat und Täter von Bedeutung sind (BGH 26, 97), es ist also von Gewicht, ob der Täter J, Hw. oder Erw. ist; denn dies ist in vergleichender Parallelwertung für die Bemessung der JStrafe wesentlich (BGH StV 86, 304). Alle Umstände, die für Erw. die Anwendung eines erschwerten oder gemilderten Strafrahmens begründet hätten, bleiben bei den nach § 18 gebotenen Strafzumessungserwägungen bedeutsam (BGH StV 92, 432). So bei minder schweren Fällen § 177 V StGB (BGH B NStZ 87, 442; BGH StV 87, 306; GA 86, 177; BGHR § 18, I 3, minder schwerer Fall), bei Körperverletzung mit Todesfolge § 227 II StGB (BGH B NStZ 87, 442), bei schwerem Raub § 250 III StGB (BGH B NStZ 85, 447; BGH StV 87, 306; BGH DVJJ-J 02, 464, 465); zur Strafmilderung bei Beihilfe BGH StV 84, 254 u. BGH B NStZ 86, 44. Das JGericht muss daher prüfen, ob im Falle der Anwendung von Erwachsenenstrafrecht ein minder schwerer Fall vorliegt (BGH B NStZ-RR 99, 290; OLG Zweibrücken StV 94, 599, 600; OLG Köln u. OLG Hamm StV 01, 178). Mangelnde Feststellungen insoweit lassen befürchten, dass sich Fehler bei dieser Prüfung bei der Bemessung der Höhe der JStrafe zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben (BGH StV 93, 532). Die Erörterung eines minder schweren Falles ist jedoch entbehrlich, wenn seine Annahme nach den Feststellungen zu Tat und Täter fern liegt (BGH B NStZ 94, 529). Die Bejahung eines minder schweren Falles im JStrafrecht ist kein Umstand iSd § 267 III 2 StPO (BGH aaO). Der unterschiedliche Unrechtsgehalt von Beihilfe und Täterschaft bleibt für die Bemessung der JStrafe so bedeutsam, dass der fehlende förmliche Hinweis nach § 265 I StPO (ev. Beihilfe) in der Revision zur Aufhebung in den Rechtsfolgen führt (BGH MDR 77, 63; vgl. BGH StV 84, 254). Die mögliche Strafmilderung wegen Versuchs (§§ 23 II, 49 I StGB) wirkt auch auf die erz. Bemessung der JStrafe ein (BGH B NStZ 83, 448; 84, 446; BGH StV 93, 532; vgl. allg. BGH JZ 89, 1018). Da im JRecht die Anwendung des § 49 I StGB und damit eine Verschiebung des Strafrahmens 6 b ausscheidet, muss die Verminderung der Schuldfähigkeit iSd § 21 StGB mit ihrem vollen Gewicht bei der eigentlichen Strafzumessung berücksichtigt werden (BGH StV 89, 545); vgl. BGH StV 82, 27; BGH H MDR 82, 972; BGH NStZ 84, 75; OLG Zweibrücken StV 94, 599 f; die zweimalige Milderungsmöglichkeit aus § 213 StGB und § 21 StGB fordert zur Höhe der JStrafe eine abwägende nähere Begründung (BGH B NStZ 84, 446; aber auch BGH NStZ 86, 71). Das gilt auch bei Beihilfe und § 21 StGB (BGH B NStZ 84, 446) und bei einem unechten Unterlassungsdelikt und § 21 StGB (BGH StV 92, 432). Tatunrecht, das seine Ursache gerade in den Tätermerkmalen hat, die § 21 StGB begründen, kann dem Täter nicht uneingeschränkt zum Vorwurf gemacht werden (BGH StV 98, 333). Doch muss die verminderte Schuldfähigkeit auch im JStrafrecht nicht zu einer Strafmilderung führen, zB bei übermäßigem Alkoholgenuss (BGH MDR 60, 938; NStZ 88, 449; OLG Zweibrücken StV 94, 600; vgl. § 3, 11). Andererseits hat der BGH bestätigt, dass die Schuldfähigkeit j. und hw. Täter schon bei einem BAK0 Wert unter 2 /00 erheblich vermindert sein kann, wobei mangelnde Alkoholgewöhnung und Reifedefizite die enthemmende Wirkung des Alkohols noch vergrößern können (BGH NStZ 84, 75; BGH B NStZ 88, 491; BGH StV 92, 432; 97, 348) und allein aus dem Leistungsverhalten des Täters nicht auf uneingeschränkte Schuldfähigkeit geschlossen werden darf (BGH StV 97, 348; NStZ-RR 97, 65). Eine fehlerhafte Blutalkoholberechnung kann sich bei der Bemessung der JStrafe zum Nachteil des Angekl. auswirken, auch wenn die alkoholische Enthemmung bei der Strafzumessung berücksichtigt ist (anders im Fall BGH B NStZ-RR 01, 323). Da bei J und Hw. Reifegrad und Alkoholgewöhnung für die Wirkung des Alkohols von Bedeutung sein können, empfiehlt sich die Heranziehung eines Sachverständigen (BGH B NStZ 93, 528). Es ist zulässig, die Verleitung zu einem Rauschgiftgeschäft durch einen verdeckten Ermittler 6 c nur allg. strafmildernd zu berücksichtigen und gleichwohl wegen der Menge des Rauschgifts
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einen bes. schwerwiegenden Fall anzunehmen (BGH B NStZ 92, 528). Hat die Gesamtmenge der Betäubungsmittel nicht das 75fache, sondern lediglich das 60fache der nicht geringen Menge betragen, ist das Tatgericht bei der Bemessung der JStrafe von einem zu großen Schuldumfang ausgegangen (BGH B NStZ 93, 528). Wegen der Abweichungen in der Zumessung sollten Sinn und Zweck der JStrafe bei der mündlichen Urteilsbegründung stets bes. erläutert werden (§ 17 RL 2; vgl. § 54, 15). Niemals reichen für die Bemessung der JStrafe allg. Strafzumessungserwägungen aus (BGH B NStZ 81, 250 f). Der Strafmilderungsgrund des § 31 BtMG ist auch bei der Bemessung einer JStrafe zu beachten (BGH NStZ 98, 90); auch wenn seine Voraussetzungen nicht vorliegen, sind bei der Strafzumessung die Aufklärungsbemühungen des J zu berücksichtigen (BGH aaO). Mit dem Wesen der JStrafe ist es unvereinbar, deren Höhe von der voraussichtlichen Heilungsdauer einer krankhaften seelischen Störung (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB) abhängig zu machen, denn JStrafe und die Maßregel der Unterbringung (§ 7) stehen selbständig nebeneinander (BGH B NStZ 87, 442). Eine Vermischung von JStrafe und Maßregel dadurch, dass Gründe, die zur Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus herangezogen werden, zur Erhöhung der JStrafe verwendet werden, ist unzulässig (BGH NStZ 98, 86). Führt eine behandlungsbedürftige Störung zur Unterbringung, ist zur Beseitigung der Störung allein die Maßregel die zulässige Reaktion (BGHR JGG § 18 II Erziehung 1). Zum Absehen von JStrafe bei Unterbringung § 5, 2. 6 d Eine Verfahrensverzögerung, für die der J nicht verantwortlich ist – eine nicht angemessene Frist nach Art. 6 I 1 MRK – muss, auch entsprechend dem allg. Beschleunigungsgrundsatz des JGG, bei der Strafzumessung zugunsten des J berücksichtigt werden (BVerfG NJW 03, 2225; BGH NStZ 87, 232; 97, 29 mit zust. Anm. Scheffler; OLG Stuttgart Justiz 04, 169). Ob die Verfahrensdauer noch angemessen ist, muss nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden (BVerfG aaO). Bei überlanger Verfahrensdauer kann Einstellung nach § 47 I geboten sein (Kreisgericht Saalfeld StV 93, 535). Vgl. auch BGH NJW 90, 1000: Einstellung nach § 153 II StPO; seit der Tat (Beihilfe zur Untreue in 4 Fällen, Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren 6 Monaten) waren mehr als 16 Jahre, seit Anklageerhebung mehr als 12 Jahre vergangen (UHaft 1 Jahr 4 Monate); BGH NJW 95, 737: Einstellung nach § 153 II StPO nach mehr als zehnjähriger Verfahrensdauer. Das Gericht muss Art und Ausmaß der Verzögerung feststellen und das Maß der Kompensation ausdrücklich und konkret bestimmen (BVerfG NStZ 97, 591; BGH NStZ 99, 181). Nach neuerer Rechtsprechung erfolgt die Kompensation nicht durch eine Strafmilderung, sondern durch den Ausspruch, dass ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt (für das all. Strafrecht BGH 52, 124; für das JStrafrecht BGH NStZ 10, 94; ZJJ 10, 326, 330 mit Anm. Eisenberg). Es ist zu berücksichtigen, dass dem Beschleunigungsgebot im JStrafverfahren aus erz. Gründen eine erhöhte Bedeutung zukommt (BGH StV 99, 661). Allerdings soll nach BGH NStZ 03, 364 = JR 03, 509 mit abl. Anm. Scheffler = StV 03, 388 mit abl. Anm. Ostendorf u. NStZ-RR 07, 61 = StV 08, 113 mit abl. Anm. Ostendorf u. mit abl. Anm. Rose ZJJ 07, 217 eine Kompensation zumindest in den Fällen ausscheiden, in denen schädliche Neigungen eine JStrafe erforderlich machen u. erz. Überlegungen die Höhe der Strafe ausschlaggebend bestimmen; der Ausgleich dürfe nicht zur Unterschreitung der erz. erforderlichen Dauer der JStrafe führe. Er könne nur insoweit zur Strafmilderung führen, als Gedanken des Schuldausgleichs in die Strafzumessung einflössen (BGH NStZ 03, 365; zust. Volkmer NStZ 08, 609). Der Ausgleich einer pflichtwidrigen Verfahrensverzögerung ist jedoch ein Gebot der Gerechtigkeit, das auch bei der JStrafe wegen schädlicher Neigungen – wenn auch unter Abwägung mit dem ErzZiel – Geltung verlangt. Das BVerfG hat die von ihm für die Berücksichtigung einer Verfahrensverzögerung entwickelten Grundsätze auch auf die JStrafe angewendet (BVerfG NJW 03, 2225). Darüber hinaus sind – als gegenüber einer Verletzung des Beschleunigungsgebots eigenständige Strafmilderungsgründe – eine lange Verfahrensdauer (Fischer § 46 StGB 61) und ein langes Zurückliegen der Tat zu berücksichtigen (BGH B NStZ 92, 528; B NStZ-RR 98, 290; vgl. näher LK/Theune § 46 StGB 239 ff). In außerge-
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wöhnlichen Einzelfällen kann eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, die im Rahmen einer Sachentscheidung nicht mehr angemessen berücksichtigt werden kann, zu einem Verfahrenshindernis führen (BGH NJW 01, 1146). Die von der Rechtsprechung (vgl. insbes. BGH 43, 195; 50, 40) schon bisher grds. unter be- 6 e stimmten Voraussetzungen als zulässig angesehenen Absprachen sind durch Gesetz v. 28. 5. 2009 ausdrücklich in der StPO geregelt worden, vgl. insbes. § 257 c StPO. Diese Regelungen können jedoch im JStrafverfahren gem. § 2 II JGG nur insoweit Anwendung finden, als nicht dessen Regelungen und Grundgedanken entgegenstehen. Dies führt dazu, dass Absprachen im JStrafverfahren nur ausnahmsweise zulässig sind (Begr. d. RegE. BT-Drs. 16/12310, S. 10; Knauer ZJJ 10, 19). Nach § 2 I ist grds. die Sanktion zu verhängen, die am besten zur Rückfallverhinderung beiträgt. Diese Sanktion kann nicht ausgehandelt werden, sondern ist nach sorgfältiger Persönlichkeitsforschung festzusetzen. Ein Aushandeln der Sanktion kann sich zudem erz. nachteilig auswirken (Begr. d. RegEntwurfs aaO). Der BGH hat vor Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung entschieden, dass die Anwendung von JStrafrecht auf einen Hw. nicht Gegenstand einer Absprache sein kann, weil diese Frage in § 105 zwingend geregelt ist (BGH NJW 01, 2642 = NStZ 01, 555 mit Anm. Eisenberg = StV 01, 555 mit Bespr. Noak StV 02, 445). Dies gilt auch nach Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung (aA Meyer-Goßner § 257 c StPO 7). Eine Absprache kommt ausnahmsweise über die Höhe einer JStrafe wegen Schwere der Schuld in Betracht, weil hier eine Parallele zum ErwStrafrecht besteht (BGH 52, 165, 169, 175 = NStZ 08, 416 mit Anm. Eisenberg NStZ 08, 698 u. Bespr. Fahl NStZ 09, 613 = JZ 08, 1056 mit Anm. Fezer = JR 09, 79 mit Anm. Lindemann; Pankiewicz S. 386 f; vgl. auch Nowak JR 10, 256: Zulässigkeit von Absprachen nur über die Höhe, nicht über die Voraussetzung einer Sanktion). Die Strafzumessungspraxis ist dadurch gekennzeichnet, dass überwiegend JStrafen bis zu ei- 6 f nem Jahr verhängt werden, der Anteil längerer JStrafen aber gestiegen ist. 2009 erhielten 52% der zu JStrafe Verurteilten eine JStrafe bis zu 1 Jahr, 35% JStrafen von mehr als 1 bis 2 Jahren und 13% eine JStrafe von mehr als 2 Jahren (berechnet nach Stat. BA S. 278 f). Der Anteil der JStrafen bis 1 Jahr ist von 82% 1960 über 72% 1980 auf 52% 2009 gesunken, die Quote der JStrafen von mehr als 1 bis 2 Jahren von 14% über 20% auf 35% gestiegen; bei den JStrafen von mehr als 2 J erhöhte sich der Anteil von 4% 1960 auf 7% 1980 und 13% 2009 (Ostendorf Grdl. zu § 17–18, 5; Stat. BA S. 278 f). Es ist somit eine Tendenz zu längeren JStrafen erkennbar, die der kritischen Analyse bedarf. Zu den Strafzumessungskriterien der jrichterlichen Praxis s. Buckolt S. 236 ff u. Kurzberg S. 206 ff.
4.
Strafbemessung und Erziehungsgedanke
Bei der Strafbemessung hat der ErzZweck Vorrang (Abs. II; RL 2 S. 1; BGH B NStZ 91, 522; BGH 7 StV 93, 532; NStZ-RR 97, 281; 10, 290, 291). Das gilt auch, wenn eine JStrafe ausschließlich wegen Schwere der Schuld verhängt wird (BGH StV 94, 599; BGH B NStZ 94, 529; BGH StV 96, 269; NStZ-RR 98, 285; StV 03, 458; NJW 05, 767; NStZ-RR 05, 27; 08, 258; OLG Köln StV 99, 667; OLG Hamm NStZ 05, 645) und bei der Bemessung von JStrafe gegen Hw. (Einf. II, 11). Gleichwohl besteht darüber Einigkeit, dass nicht nur bei JStrafe wegen schwerer Schuld, sondern auch bei JStrafe wegen schädlicher Neigungen die Strafdauer neben erz. Bedürfnissen auch von der Schwere der schuldhaften Tat bestimmt wird (BGH B NStZ 92, 528; NStZ-RR 10, 290, 291; OLG Frankfurt NStZ 84, 383; Blau MDR 58, 731 u. Zbl. 59, 117; Miehe Die Bedeutung der Tat im JStrafrecht, 1964 S. 118 ff; Schaffstein FS Würtenberger, 1977 S. 450). Bei der Zumessung der JStrafe ist daher vorrangig zu prüfen, welche Strafdauer erz. geboten ist; diese Straflänge ist mit dem Grundsatz des gerechten Schuldausgleichs auszutarieren (Dölling S. 60 ff). Gehört zum Wesen der JStrafe der gerechte Schuldausgleich (Rn 10, 13, 15; RL 2 S. 1), so muss sie bei schädlichen Neigungen unabdingbar die zur Erz. und Resozialisierung erforderliche Zeit umfassen. Auf-
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grund von Erfahrungen der Vollzugspraxis wird angenommen, dass bei echten schädlichen Neigungen Erfolge erst bei einer Strafdauer von mindestens einem Jahr erzielt werden können, wobei noch die wegen der nachfolgenden BewHilfen gebotene vorzeitige Entlassung zu berücksichtigen ist (Schaffstein aaO S. 456). Dies schließt JStrafen wegen Bagatellvergehen schlechthin aus (§ 17, 9). Die zur Erz. erforderliche Zeit genau zu bestimmen, ist nicht möglich. Die weit gespannten Möglichkeiten, den Rest einer JStrafe zur Bew. auszusetzen, lassen die nachträgliche sichere Anpassung an die Stelle der oft unsicheren Prognose treten. Dies ist keine Abkehr von dem Sühnegedanken, der die JStrafe durchdringt (§ 17, 1). Denn auch das Verhalten in der Strafanstalt kann mehr oder weniger intensive Sühne sein, kürzere oder längere Zeit erfordern. Zur Diskussion über die erz. nutzbare Länge der Strafzeit Rn 3. Die Anstalt muss den Täter so weit bringen, dass er von der Tat sich abkehrt, sie überwindet; die weitere Erz. erfolgt dann besser in Freiheit. 7 a Der in der Bemessung der JStrafe einzubringende ErzGedanke (Einf. II 4–10, bes. 9, für Hw. 11) fordert – wie § 21 (näher § 21, 6) – eine Gesamtwürdigung des J (BGH NStZ-RR 10, 290, 291), die nicht damit dargetan ist, dass im Urteil nur „die Lebensverhältnisse und ein Wesenszug“ erwähnt werden (BGH StV 86, 69). Es ist zu prüfen, welche Straflänge erforderlich ist, um auf den J erz. einzuwirken und ihm den Unrechtsgehalt seiner Tat zu verdeutlichen (Dölling S. 61). Die Strafe soll möglichst so bemessen werden, dass gewichtige Nachteile für die persönliche Entwicklung des Täters vermieden werden; die Möglichkeit eines Neubeginns soll ihm nicht versperrt werden (BGH 43, 81; BGH StV 93, 27). Ggf. muss dargetan werden, warum trotz erkennbarer Ansätze zu positiver Entwicklung dem vorrangigen ErzGedanken nur die Verbüßung einer langdauernden JStrafe dient, noch dazu, wenn sie eine Berufsausbildung oder ein Studium unterbricht, womöglich beendet (BGH StV 88, 307; 98, 335). Es kann auch eingehende Erörterung geboten sein, inwieweit eine längere JStrafe (BGH B NStZ 89, 522; OLG Köln StV 91, 427) oder ein bei ev. Widerruf der Bew. zu verbüßender Rest von nur 4 Monaten (BGHR § 18 II Tatumstände 2 = B NStZ 89, 522) zur „weiteren Förderung und Festigung durch Nacherz.“ geboten ist. Werden die erz. Gründe überhaupt nicht geprüft (vgl. aber § 17, 14 a u. 15), hat das Urteil keinen Bestand (BGH B NStZ 86, 446 u. NStZ 87, 442; BGH NStZ-RR 98, 86). Auch eine nur formelhafte Erwähnung des ErzGedankens ist rechtsfehlerhaft (BGH StV 98, 335; BGH B NStZ-RR 01, 323; BGH NStZ 10, 281; vgl. aber auch BGH NStZ-RR 10, 88, wonach eine floskelhafte Formulierung in besonderen Fällen ausreichen kann). Zumessungserwägungen, die auch bei einem erw. Täter zu beachten wären, reichen nicht aus (OLG Köln StV 99, 667 f; OLG Hamm NStZ 05, 646). Zu Hw. s. § 105, 21. Die Entwicklung seit der ersten Hauptverhandlung ist zu berücksichtigen (BGH NStZ 86, 71). Bei JStrafe wegen Schwere der Schuld ist das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für den J abzuwägen (BGH StV 93, 532; 96, 269; 98, 334; 335; 03, 458; OLG Hamm NStZ 05, 645; NStZ-RR 05, 245, 246). 7 b Bei der Bemessung der JStrafe zu prüfende Umstände, die für eine weniger lange Strafe sprechen, können sein: bisher problemlose Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten, Ausnahmecharakter der Tat, Alkoholisierung, Einfluss älterer Mittäter, Auflösung der Gruppe, mit der der J die Straftaten begangen hat, Loslösung von den Mittätern nach der Tat, Einwirkung der Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung, Wiederaufnahme in das intakte Elternhaus nach Haftentlassung, Rückkehr zu einer geordneten Lebensführung, insbes. bei langem Zurückliegen der Tat eines inzwischen in vollem Umfang sozial integrierten, strafrechtlich nicht nennenswert in Erscheinung getretenen Angeklagten (BVerfG NJW 03, 2228; BGH StV 82, 173; NStZ 84, 508; StV 86, 68; 90, 505; 91, 423; 93, 532; 96, 269; 98, 335; NStZ 07, 43; 08, 258, 259). Hält der Tatrichter eine nachhaltige erz. Einwirkung in Form von JStrafe über einen längeren Zeitraum für erforderlich, muss er sich mit gewichtigen Veränderungen in der Einstellung und in den Lebensumständen des Angeklagten auseinandersetzen (BGH StV 91, 423). Dazu auch § 10, 12 c aE. Erwägungen zur Strafzumessung dürfen mit solchen zur Strafaussetzung zur Bewährung nicht vermischt werden (BGH NStZ 08, 693).
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Dauer der Jugendstrafe
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Der BGH (StV 87, 306) lässt es zu, bei der Dauer der JStrafe zu berücksichtigen, dass dem J ein 7 c Schulabschluss ermöglicht werden soll, fordert aber, dass die Urteilsgründe erkennen lassen, ob dafür während des Vollzugs eine reale Chance besteht. Dem ist zuzustimmen (ebenso Buckolt S. 287). Die Zusammenhänge zwischen Schul- und Berufsausbildung im Vollzug und Legalbewährung sind noch nicht hinreichend geklärt (Geissler Ausbildung u. Arbeit im JStrafvollzug, 1991 mwN). Eine Berücksichtigung der voraussichtlichen Ausbildungszeit bei der Bemessung der JStrafe kommt daher nur nach sehr sorgfältiger Prüfung im Einzelfall in Betracht (generell ablehnend Ostendorf 11). Zur Berücksichtigung einer laufenden Ausbildungszeit Rn 7 a. Wegen der jrechtlichen Abweichungen in der Bemessung der Strafe ist deren Sinn und Zweck bei der mündlichen Urteilsbegründung bes. zu erläutern (§ 17 RL 2; vgl. § 54, 15). 5.
Schuldvergeltung
Der Gedanke des gerechten Schuldausgleichs (RL 2 S. 1), der dem J hilft, das Strafübel auf sich zu 8 nehmen und zu verarbeiten, ist im JStrafrecht oft ganz anders zu berücksichtigen als im ErwStrafrecht, da sich die Schuld sich entwickelnder J anders darstellt als die Erw. bei gleichen Taten. Bei einem J ist daher bes. sorgfältig zu prüfen, in welchem Ausmaß er sich bereits frei und selbstverantwortlich gegen das Recht und für das Unrecht entschieden hat (BGH StV 94, 598), wobei neben jugendlicher Unreife auch eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit zu berücksichtigen ist (BGH aaO, 599). Für die Bewertung der Schuld als Strafzumessungsgesichtspunkt sind in erste Linie die charakterliche Haltung und das Persönlichkeitsbild, wie sie in der Tat zum Ausdruck gekommen sind, von Bedeutung. Dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat kommt nur insofern Bedeutung zu, als aus ihm Schlüsse auf die Täterpersönlichkeit und die Schuldhöhe gezogen werden können (BGH 15, 226; 16, 263; BGH NStZ 96, 496; StV 96, 269; OLG Köln StV 99, 667). Zu Schuldausgleich, Sühne u. Vergeltung im ErwStrafrecht BVerfGE 28, 278; 32, 109; 45, 254, 259; 64, 271; BVerfG NJW 95, 713; Fischer § 46 StGB 2, 4; im JStrafrecht BGH StV 81, 26; JR 82, 432 mit zust. Anm. Brunner; BGH StV 94, 598, 599; sowie Rn 9 u. § 17, 1. BGH B NStZ 87, 442 lässt bei JStrafe tatvergeltende Sühne und Individualabschreckung ausdrücklich zu. Eine JStrafe darf nicht so gering bemessen werden, dass das Maß der Schuld unangemessen verniedlicht wird und damit zugleich erz. Zwecke verfehlt werden (BGH NStZ 94, 125; NStZ-RR 96, 120). Namentlich bei Kapitalverbrechen ist das Erfordernis des gerechten Schuldausgleichs zu beachten (BGH NJW 92, 380; NStZ-RR 96, 120; NStZ 07, 522 mit Anm. Eisenberg/Schmitz NStZ 08, 95; NStZ-RR 10, 290, 291). Im JRecht dürfen im Gegensatz zum ErwRecht unter Beachtung der oben stehenden Erwägun- 8 a gen auch Tatbestandsmerkmale strafschärfend berücksichtigt werden, zB dass ein Mensch getötet wurde, weil diese Tatbestandsmerkmale im eigenständigen Strafrahmen des JGG noch nicht straferhöhend wirken (BGH Herlan GA 56, 346; BGH H MDR 80, 814; BGH Mösl NStZ 81, 428; BGH NStZ-RR 97, 22; NStZ 07, 522; Eisenberg 15; Ostendorf 4). Das OLG Hamm (B NStZ 85, 447) berücksichtigt bei der Bemessung der JStrafe auch außertatbestandsmäßige Folgen (anhaltende Angstzustände einer Überfallenen), die der Täter in den Einzelheiten nicht voraussehen konnte. Das ist nicht unbedenklich; vgl. die Grundsätze bei § 17, 16. BGH B NStZ 91, 523 hat bei einer von einem Hw. und einem Erw. in Mittäterschaft begangenen Strafttat zur Höhe der Strafe gegen den Erw. ausgeführt, dass gegen Mittäter verhängte Strafen auch in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen sollten. Diese Erwägung des BGH darf jedoch nicht zu einer Verwischung der Unterschiede in der Bemessung von Jugendstrafe und Freiheitsstrafe führen (kritisch zu der Entscheidung Böhm NStZ 91, 523). Zum „Wohlwollensgebot“ bei „Gewissenstätern“ nach BVerfG im Bereich der Strafzumessung Einf. I 40 aE. Die Erwägung, dass eine länger dauernde JStrafe einen bisher ausreichend sozial eingeordneten 8 b J oder Hw. aus der sozialen Ordnung herausreißen könnte, darf und soll im Rahmen der Schuld zu einer Strafmilderung führen. Denn eine Strafe, die mit Gewissheit zunächst entsozia-
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§ 18
2. Teil. Jugendliche
lisiert und für den Zeitpunkt der Entlassung eine schlechtere Situation wahrscheinlicher sein lässt, als sie vorher bestand, verhindert von vornherein den erz. Ansatz und wird neben diesem offensichtlichen Schaden auch noch die weitere Persönlichkeitsentwicklung gefährden. Das vertritt der BGH ähnlich im ErwRecht (BGH StV 89, 478) in einem Fall, bei dem der Verlust einer in Aussicht gestellten Arbeit drohte. Der Gesichtspunkt des gerechten Schuldausgleichs tritt um so weiter zurück, je mehr der ErzGedanke durch Sanktionen konterkariert werden könnte (OLG Koblenz NStZ-RR 08, 323, 324). Solche Erwägungen werden insbes. auch in die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bew. einfließen müssen (§ 21, 10). Auch aufenthaltsrechtliche Folgen wie die bei einer bestimmten Strafhöhe zwingende Ausweisung sind zu berücksichtigen (OLG Frankfurt StV 03, 459). Man wird allerdings gerade bei solcher Entscheidung auch im JStrafrecht das Regulativ der Schuld (Einf. II 14 ff; § 17, 1) beachten müssen. Allg. zu solchen nicht gewollten Nebenwirkungen der Strafe BGH StV 88, 307 u. Brunner JR 90, 305. Zulässiges Verteidigungsverhalten darf nicht strafschärfend berücksichtigt werden (BGH NStZ-RR 10, 88; für Erw. BGH StV 90, 403; vgl. auch Einf. I 53; § 17, 14 aE). Zur Berücksichtigung sonstigen Prozessverhaltens BGH StV 90, 404. 8 c Bei Verhängung einer verhältnismäßig hohen JStrafe muss das Urteil erkennen lassen, dass alle iSd § 267 III StPO bestimmenden strafmildernden Umstände geprüft wurden, auch wenn deren Vorliegen oder Auswirkungen auf die Strafhöhe im Ergebnis zu verneinen sind (BGH StV 93, 531). Diese Umstände sind schon bei der Bemessung der JStrafe und nicht erst im Zusammenhang mit der Frage einer Strafaussetzung zur Bewährung zu erörtern (BGH StV 93, 532). Eine JStrafe, die zu Recht wegen Schwere der Schuld und fehlerhaft auch wegen schädlicher Neigungen verhängt worden ist, muss idR neu bemessen werden, weil sich die fehlerhafte Annahme schädlicher Neigungen zuungunsten des Angeklagten ausgewirkt haben kann (vgl. die Nachweise in § 17, 18). 6.
Generalprävention
9 Nach ständiger Rechtsprechung des BGH und hM darf bei der Verhängung und Bemessung der JStrafe der Gesichtspunkt der Generalprävention keine Rolle spielen, soweit solches nicht schon aus jeder gerichtlichen Ahndung folgt (BGH 15, 224; 16, 261; JR 54, 149; BGH Herlan GA 56, 346; BGH H MDR 79, 281; BGH B NStZ 81, 251; BGH H MDR 81, 454; BGH NStZ 82, 332; JR 82, 432; BGH Theune NStZ 86, 160; BGH StV 90, 505; NStZ 94, 125; BGH B NStZ 94, 529; BayObLG NJW 80, 2424; BayObLG StV 85, 155 mit zust. Anm. Böhm). Ebenso schlechthin ablehnend für die Abschreckung Böhm/Feuerhelm S. 233; Bruns FS von Weber, 1963 S. 74; DSS/Sonnen 16; Hellmer Schuld u. Gefährlichkeit im JStrafrecht, 1962 S. 189; Schöch in DVJJ (Hrsg.) JGerichtsverfahren u. Kriminalprävention, 1984 S. 273; Buckolt S. 329; Ostendorf (Grdl. zu §§ 17–18 Rn 3), der aber JStrafe – ausnahmsweise – unter Beachtung des Schädigungsverbotes zulassen will, um dem Strafbedürfnis der Allgemeinheit Rechnung zu tragen (§ 17, 11). Unentschieden Eisenberg § 17, 5. Demgegenüber hält ein Teil der Literatur die Berücksichtigung der positiven Generalprävention, also der Stärkung der allg. Rechtstreue, für zulässig (Dallinger/Lackner 10; Maurach/Gössel/ Zipf S. 725; M.-K. Meyer Zbl. 84, 445 ff; Kaspar FS Schöch, 2010 S. 223). Krumme (Anm. zu BGH 15, 224 in LM § 17 II Nr. 4) lässt für die Bemessung der JStrafe generalpräventive Überlegungen dann zu, wenn sich der J der ansteckenden Wirkung seiner Tat oder der durch sie hervorgerufenen Unsicherheit bei ihrer Begehung bewusst gewesen ist. 9 a Trotz gewichtiger Gründe für die Gegenauffassung (s. Brunner JR 82, 432) erscheint es sachgerecht, mit dem BGH auf die Berücksichtigung der Generalprävention zu verzichten. § 18 nennt als Strafzumessungsgesichtspunkt lediglich den ErzGedanken. Anders als der gerechte Schuldausgleich gehört die generalpräventive Strafbemessung nicht zum „Wesen“ der Strafe. Den Begriff der Verteidigung der Rechtsordnung, der Elemente der Generalprävention enthält, hat das JGG im Gegensatz zum StGB nicht aufgenommen (Ostendorf, Grdl. zu §§ 17–18, 3). Be-
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Dauer der Jugendstrafe
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dürfnissen der Stärkung der Rechtstreue der Bevölkerung auch bei Taten J wird durch den Strafzumessungsgrundsatz des gerechten Schuldausgleichs (Rn 8) hinreichend Rechnung getragen. Darüber hinausgehender Strafschärfungen bedarf es nicht (andere Konzeption bei MeyerOdewald Die Verhängung u. Zumessung der JStrafe, 1993 S. 86 f, 180, der eine Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe für zulässig hält und aus der positiven Generalprävention eine Untergrenze für die Strafe ableiten will). 7.
Erziehungsgedanke und Schuld
Erziehungsgedanke und Schuld in ein angemessenes Verhältnis zu bringen, ist schwer und 10 bleibt problematisch; viele sehen darin einen unlösbaren Widerspruch; versuchte Lösungen allerdings führen zu neuen, anderen Widersprüchen und Schwierigkeiten. Dazu u. zum ErzBegriff allg. Einf. II 4–11, insbes. 8 u. 9; § 17, 1–8 a; 15 a. Die ungleichen Paarungen Strafe und Hilfe zur Resozialisierung, Sühne und Erziehung erlegen dem Richter bei der Strafzumessung und bei der Ermessensentscheidung über die Aussetzung des Restes einer bestimmten JStrafe (§ 88, 8; Böhm NJW 77, 2198) schwerwiegende, in die weitere Entwicklung des J eingreifende Entscheidungen auf. Nach BGH NStZ-RR 10, 290 stehen ErzGedanke und Schuldausgleich allerdings zumeist miteinander im Einklang, namentlich wenn die charaktlerliche Haltung und das Persönlichkeitsbild, wie sie in der Tat zum Ausdruck gekommen sind, nicht nur für das ErzBedürfnis, sondern auch für die Bewertung der Schuld von Bedeutung sind. Zwar gibt § 18 II dem ErzGedanken den Vorrang; die JStrafe ist aber echte Strafe. Deshalb ist auch im JRecht eine Strafe unzulässig, die aus erz. Gründen das Maß der Tatschuld überschreitet (Einf. II 10; RL 2 S. 2; BGH B NStZ 95, 536; NStZ 97, 481; LBN/Baier S. 329; Heublein Zbl. 94, 467; Momberg Die Ermittlungstätigkeit der JGH, Diss. Göttingen 1982 S. 29; Hermann/Wild MKrim. 89, 16; Burscheidt S. 92). Das folgt aus Art. 1 GG (eine das Maß der Schuld übersteigende Strafe „entpersönlicht“ den Täter zum Erziehungsobjekt und verletzt die Menschenwürde; Miehe Die Bedeutung der Tat im JStrafrecht, 1964 S. 96 ff), und Art. 3 MRK (dazu BGH NJW 64, 176; Schaffstein/Beulke S. 163; Schaffstein Zbl. 67, 129; FS Würtenberger, 1977 S. 449; FS Heinitz, 1972 S. 470; Streng StV 85, 424; vgl. auch BGH MDR 82, 155 u. 339). Das Prinzip nulla poena sine culpa hat den Rang eines Verfassungsgrundsatzes (BVerfG NJW 67, 11 195). Wie Strafe ohne Schuld rechtsstaatswidrig, so ist auch eine über das Maß der Schuld hinausgehende Strafe im Erw.- wie im JRecht eine mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbare Vergeltung über das hinaus, was der Betroffene zu verantworten hat (ebenso Eisenberg 18; Nix/ Teschner 6; Ostendorf 6, der aber auch auf die Wiederholungsgefahr abstellt; Schaffstein/Beulke S. 163; Miehe aaO, S. 33 u. ZStW 81, 593; Streng GA 84, 163; Hermann/Wild MKrim. 89, 10; aA Bruns StV 82, 595). Verfassungsrang hat auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (zB BVerfG NJW 68, 979). Es wird bei der Abwägung von Täterschuld (Einf. II 14) und ErzNotwendigkeit BGH MDR 76, 941 beachtet werden müssen, wonach im ErwRecht eine Strafzumessung, die sich vom gerechten Schuldausgleich löst, das Gesetz verletzt, denn das wirkt sich zugunsten des J aus. Ein solches Merkzeichen hindert den JRichter nicht, die Dauer des Freiheitsentzuges nach der Wirkung auf den Täter zu bestimmen und führt auch nicht zu einem schädlichen Mittelweg (Schaffstein JStrafrecht 6. Aufl. S. 98); denn wo die Täterschuld die erzieherisch zu nützende Zeit allzu sehr verkürzen könnte, erhebt sich die Frage, ob JStrafe überhaupt angebracht war. Wie der Gesichtspunkt der Generalprävention im ErwRecht nicht dazu führen darf, dass die obere Grenze der schuldangemessenen Strafe überschritten wird (BGH Urt v. 22. 8. 1978 – 1 StR 139/78 –), so darf dies im JStrafrecht auch der ErzGedanke nicht, der dadurch pervertiert würde (vgl. Einf. II 10; RL 2 S. 2). Verfassungsgrundsätze gelten für jede Verhängung von Strafe, im JRecht führt das zu einer Be- 12 grenzung des ErzGedankens (vgl. Einf. II 10). Das JStrafrecht muss die ihm durch die Verfassung gesetzten Schranken einhalten, mag dies auch einen Verzicht auf ungehinderte Einwir-
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§ 18
2. Teil. Jugendliche
kung nach pädagogischen Gesichtspunkten bedeuten (Hellmer aaO, S. 217; Tenckhoff JR 77, 491; Miehe aaO, S. 70, 118). Der BGH (StV 90, 389) hat ein Urteil aufgehoben, bei dem eine JStrafe von 6 Jahren 6 Monaten damit begründet war, es übersteige „das Maß der erz. notwendigen Strafe dasjenige seiner Schuld“, weil der Gesamtzusammenhang der Strafzumessungserwägung nahe lege, der Tatrichter habe geglaubt, aus Gründen der Erz. und der Spezialprävention die obere Grenze schuldangemessenen Strafens überschreiten zu dürfen (vgl. auch BGH NStZ 86, 71; BGH B NStZ 95, 536; BVerfGE 50, 205; 214, 215). 13 Zudem steht eine das Maß der Schuld überschreitende Strafe gerade dem ErzGedanken entgegen, der die Überschreitung rechtfertigen soll. Denn nur die gerechte und als gerecht empfundene Strafe hat pädagogischen Wert; der junge Mensch hat ein bes. ausgeprägtes und empfindliches Gefühl für die Gerechtigkeit, wenn auch oft nicht bereits in der bes. Situation der Verurteilung. Gerecht erscheint dem sühnebereiten, aber auch dem „abwartenden“ J die Strafe nur, wenn sie nach der Schwere der Schuld (und Tat – vgl. OLG Frankfurt NStZ 84, 383), nicht über diese hinaus nach einem unergründlichen ErzBedürfnis bemessen wird (Weitl S. 192). Verletztes Gerechtigkeitsgefühl und Trotzhaltung vereiteln dann die ErzBemühungen und belasten die JStrafanstalten (Noll Die ethische Begründung der Strafe, 1962 S. 22; Graßberger, Österreichische Juristenzeitung 1961, 173). Schon aus diesem Grunde allein wäre beispielsweise eine JStrafe wegen wiederholter Schulversäumnisse (im Jahre 1978 nach dem damals noch geltenden Hessischen Schulpflichtgesetz erkannt und danach möglich) nicht zu rechtfertigen (vgl. insgesamt dazu Rehbein Zbl. 79, 99). 14 Kommt man somit zum Ergebnis, dass auch bei evidenter ErzBedürftigkeit und ErzFähigkeit des Täters die Erz. nur im Rahmen gerechter Schuldvergeltung angestrebt werden darf (Miehe aaO), so bleibt im Rahmen der Schuld für Anwendung und Auswirkung des ErzGedankens genügend Raum. Wo man ErzMaßnahmen über das Maß der Schuld hinaus für notwendig hält, muss das Familiengericht eingreifen. Will man schlechterdings den Vorrang der Erz., muss man das Jugend-Straf-Gericht abschaffen. Es sind Hilfen und Maßnahmen im präjustiziellen Raum gefordert.
8.
Die Höchststrafe des allgemeinen Rechts
15 Der BGH hat es zugelassen, dass die JStrafe in Ausnahmefällen die im ErwStrafrecht normierten Höchststrafen überschreitet (BGH 8, 78; BGH MDR 55, 372; StV 82, 27; NJW 96, 2665). Dem ist nicht zu folgen. Weil JStrafe nie höher sein darf, als es die Tatschuld rechtfertigt (dazu Rn 10 ff), und weil die Berufung auf den ErzGedanken zur Begründung einer höheren Strafe, als sie für Erw. für die entsprechende Straftat vorgesehen ist, nicht zulässig sein kann (Rn 11 aE; Einf. II 10 u. 14), darf eine JStrafe niemals höher sein als die entsprechende Höchststrafe des ErwRechts (so entgegen BGH OLG Köln GA 84, 519; Eisenberg 11; Nix/Teschner 7; Ostendorf § 5, 4; Schaffstein/Beulke S. 163; Schaffstein FS Würtenberger, 1977 S. 457; Beulke in Rössner, Hrsg., Toleranz – Erz. – Strafe, 1989 S. 78; Streng GA 84, 149, 163; Miehe ZStW 85, 998; Nothacker Zbl. 85, 11; Weber Die Anwendung der JStrafe, 1990 S. 121; Burscheidt S. 95, 98). Beachte aber auch § 31, 23– 24 a mit BGH 36, 37 = JR 89, 519 mit zust. Anm. Brunner. Denn die Höchststrafe des allg. Rechts bezeichnet das Maß der Strafe, das der Gesetzgeber in extrem schweren Fällen als dem Gewicht dieser Art von Straftaten entsprechend ansieht, wenn also ein kriminell verfestigter Erw. die Tat in der schwersten Ausführungsart begeht. Ein solches Gewicht wird die Tat eines Jugendlichen nie haben können; damit aber kann eine höhere JStrafe mit dem Sühnegedanken nicht mehr in Einklang gebracht werden, denn der J darf gegenüber einem Erw. nicht entgegen dem Schuldprinzip benachteiligt werden. 16 Dagegen kann die gerechte Schuldvergeltung eine höhere Strafe erfordern als für die Erz. notwendig (BGH NStZ 96, 232 f; StV 98, 335); das folgt aus §§ 18 I 2, 105 II (näher Rn 8, 9 a, 10;
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Strafaussetzung
§ 21
vgl. auch § 17, 15 a; Heublein Zbl. 94, 468), kann allerdings nur für Fälle bes. schweren Verschuldens oder allerschwerster Folgen gelten, da in allen anderen Fällen dem Sühnebedürfnis schon durch die Verhängung der JStrafe Genüge getan ist (Grethlein NJW 61, 687). Bestätigt durch Urteil des BGH v. 14. 9. 1971, 1 StR 305/71. Allein nach den Grundsätzen des allg. Strafrechts als reine Schuldstrafe ist auch die JStrafe zu 17 bemessen, wenn ausnahmsweise feststeht, dass der Täter unerziehbar ist. Ähnliches gilt für eine JStrafe von mehr als 5 Jahren, weil auch hier das erz. Moment zurücktritt, der Sühnegedanke (vgl. Rn 8, 9 a, 10) überwiegt (§ 105, 19). Mit zunehmendem Alter und entsprechender Reife ist die Schuld schwerer zu bewerten, das 18 Sühnebedürfnis wird größer. Entsprechend tritt der ErzGedanke mehr zurück (BGH B NStZ-RR 98, 290; BGH NStZ 06, 587, 588; OLG Hamm NStZ-RR 05, 58, 59; 245, 246; Heublein Zbl. 94, 468; Rn 4; § 17, 18; kritisch Eisenberg 21). Bei einem im Urteilszeitpunkt 36-jährigen Angeklagten kann dem ErzGedanken eine nur untergeordnete Bedeutung zukommen (BGH NStZ 06, 588). Allg. zu beachten ist, dass Freiheitsentzug J wegen ihres größeren Freiheitsdranges meist härter 19 trifft als Erw. (Potrykus B 8).
§ 19 (aufgehoben)
Fünfter Abschnitt Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung § 20 (weggefallen)
§ 21 Strafaussetzung § 21 Strafaussetzung (1) Bei der Verurteilung zu einer Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt der Richter die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Jugendliche sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs unter der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit künftig einen rechtschaffenen Lebenswandel führen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Jugendlichen, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. (2) Der Richter setzt unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Jugendstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aus, wenn nicht die Vollstreckung im Hinblick auf die Entwicklung des Jugendlichen geboten ist.
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§ 21
2. Teil. Jugendliche
(3) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Jugendstrafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen. 1. Hw.-J: § 105 I. – 2. ErwG: § 104 Nr. 1 u. Rn 13 aE. Richtlinien zu § 21: 1. Die Entscheidung darüber, ob eine Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, setzt – auch bei Erstbestraften – eine sorgfältige Erforschung der Persönlichkeit und der Lebensverhältnisse des Jugendlichen voraus. Bei günstiger Prognose ist eine Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr auszusetzen. Bei Jugendstrafe von mehr als einem Jahr bis zu zwei Jahren bedarf es jedoch zusätzlich der Prüfung, ob besondere Umstände in der bisherigen und absehbaren Entwicklung des Jugendlichen die Vollstreckung gebieten. 2. Für den Erfolg der Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung ist es von Bedeutung, ob der Jugendliche fähig und willens ist, sich zu bessern. Sein Einverständnis mit der Maßnahme ist zwar nicht vorgeschrieben; eine Aussetzung ohne dieses Einverständnis ist aber nur sinnvoll, wenn erwartet werden kann, daß der Jugendliche in der Bewährungszeit zu einer bejahenden Einstellung kommt. 3. Aus erzieherischen Gründen empfiehlt es sich, dem Jugendlichen bewußt zu machen, daß die Jugendstrafe im Vertrauen auf seine Fähigkeit und seinen Willen, sich zu bewähren, ausgesetzt wird und daß ihm daraus eine besondere Verpflichtung erwächst. 4. Die Verurteilung zu einer Jugendstrafe von nicht mehr als zwei Jahren wird nicht in das Führungszeugnis aufgenommen, wenn Strafaussetzung zur Bewährung bewilligt und diese Entscheidung nicht widerrufen worden ist (vgl. § 32 Abs. 2 Nr. 3 BZRG). Schrifttum: Bindzus Die Strafaussetzung zur Bew. bei J u. Hw., Diss. Göttingen 1966; Bockwoldt BewHilfe u. Wissenschaft, GA 83, 546; Dölling Die Verlängerung der BewZeit nach § 56 StGB, NStZ 89, 345; Feltes Strafaussetzung zur Bew. bei Strafen von mehr als einem Jahr, 1982; Hausen Die Strafaussetzung zur Bew. bei Strafen von über 1 Jahr bis zu 2 Jahren gem. § 23 II StGB u. § 21 II JGG, 1980; Heinz Straf(rest)aussetzung, BewHilfe u. Rückfall, BewH 77, 296; Hellmer Die Strafaussetzung im JStrafrecht, 1959; ders. Wesen u. Widersprüche der Strafaussetzung zur Bew. nach §§ 20 ff JGG, RdJ 59, 209; ders. Die subjektiven Voraussetzungen der Aussetzung nach §§ 20 ff JGG, RdJ 59, 244; Hermanns Sozialisationsbiographie u. gerichtliche Entscheidung, 1983; Herre Die Prognoseklauseln der §§ 56 StGB u. 21 JGG, 1997; Lenartz Strafaussetzung zur Bew. . . . trotz Risikos, BewH 64, 137; Meyer K. Strafaussetzung, Bew. u. BewHilfe, Diss. Münster 1963; Meyer K.-P. Rückfall bei . . . Strafaussetzung zur Bew., MKrim. 82, 281; Nerlich Die kriminalpolitischen Auswirkungen der Strafaussetzung zur Bew. nach § 20 JGG, Diss. Heidelberg 1966; Peters Grundprobleme der Kriminalpädagogik, 1960 S. 314 ff; Pieth Bedingte Freiheit, 2001; Prelinger u. Pentz BewAuflagen u. Grundgesetz, JR 61, 496 u. JR 62, 99; Schaffstein Erfolg, Mißerfolg u. Rückfallprognose bei jungen Straffälligen, ZStW 67, 209; Schünemann BewHilfe bei J u. Hw., 1971; Spieß Wie bewährt sich die Strafaussetzung? MKrim. 81, 308; ders. Strafaussetzung u. BewHilfe, in Dünkel/Spieß, Hrsg., Alternativen zur Freiheitsstrafe, 1983 S. 23; ders. BewHilfe als Alternative zum Vollzug der JStrafe: Erfahrungen u. Kriterien, KrimPäd 89 H 29 S. 9 ff; Sydow Erfolg u. Mißerfolg der Strafaussetzung zur Bew., 1963; Tenckhoff Die Kriminalprognose bei Strafaussetzung zur Bew., DRiZ 82, 95; Terhorst BewPrognosen u. der Grundsatz „in dubio pro reo“, MDR 78, 973; Ulmschneider Durchführung, Erfolg u. rechtliche Grenzen der BewAuflage bei J, Diss. Kiel 1966; Vogt Strafaussetzung zur Bew. u. BewHilfe bei J u. Hw., Diss. Göttingen 1972; Walter Strafaussetzung z. Bew., in Sieverts/Schneider, Hrsg., Handwörterbuch d. Kriminologie 2. Aufl. Band 5, 1983 S. 151; Weigelt Bewähren sich Bewährungsstrafen? 2009; Westphal Die Aussetzung der JStrafe zur Bew. gemäß § 21 JGG, 1995. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Einordnung und Rechtsnatur . . Voraussetzungen . . . . . . . . . Aussetzungszwang . . . . . . . . JStrafe zwischen 1 und 2 Jahren . Weitere Einzelheiten . . . . . . . Strafaussetzung für Drogentäter
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Einordnung und Rechtsnatur
1 Das geltende Recht bietet drei Möglichkeiten, die Verhängung oder den Vollzug einer Strafe durch erz. Behandlung in Freiheit abzuwenden, nämlich gem. §§ 45, 47 durch eine Art formlos
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Strafaussetzung
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angeordneter „BewZeit“, nach deren Erfolg das Verfahren eingestellt wird (§ 45, 20, 35; § 47, 11, 13), gem. §§ 27 ff durch einen Schuldspruch iVm der Aussetzung der Verhängung einer JStrafe zur Bewährung und nach §§ 21 ff durch Ausspruch einer Strafe unter gleichzeitiger Aussetzung der Vollstreckung zur Bew. Alle Maßnahmen wollen den Täter vor den oft unguten Wirkungen bes. kürzerer Strafe bewahren, wenn seine Resozialisierung in der Freiheit erwartet werden kann. Durch die Bew. zeigt der Täter, dass seine schädlichen Neigungen kleiner als befürchtet waren, mindestens dass sie ohne Strafvollzug beseitigt werden konnten. Zugleich verdient er sich durch gute Führung den Straferlass, sühnt also auch seine Tat durch seine Bemühungen und gute Führung. Die Probanden dürfen aber nicht sich selbst überlassen bleiben (vgl. Rn 6 a). Der Richter muss vielmehr mit Hilfe von Weisungen, Auflagen und BewHelfer den Täter bei der Resozialisierung unterstützen, da das „Damoklesschwert“ der drohenden Strafe allein gerade bei den neuen Eindrücken leicht zugänglichen J nicht genügt. Trotz Strafaussetzung bleibt die verhängte JStrafe echte JStrafe; ein Unterschied besteht nur in 2 der Vollstreckung, die von einem späteren Widerruf abhängig ist. Deshalb ist das Strafmaß festzusetzen und erst dann die Frage der Strafaussetzung zur Bew. zu prüfen (BGH NJW 54, 39; BGH NJW 55, 1485; BGH 32, 65 zum ErwRecht; BGH NStZ 08, 693; Eisenberg 4; aA Ostendorf Grdl. zu §§ 21–26 a, 3, der bei Festsetzung der JStrafe die BewMöglichkeit zu bedenken fordert, u. Westphal S. 163, nach dem bei JStrafe wegen schädlicher Neigungen zuerst zu fragen ist, ob eine zur Bew. ausgesetzte Strafe ausreicht, u. erst danach die konkrete Strafhöhe festzulegen ist). Gleichwohl führt diese im ErwRecht und JRecht übereinstimmende Konstruktion des Gesetzes zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten, weil eine zur Bew. ausgesetzte Strafe nach ihrem Wesen und ihrem Ziel etwas anderes ist als die zu vollstreckende Strafe. Auch die ausgesetzte Strafe ist eine Maßnahme im Strafensystem, keine Gnade (BGH NJW 54, 40). Nach Ablehnung der Strafaussetzung zur Bew. durch das Gericht kann die Gnadenbehörde einen entsprechenden Gnadenerweis gewähren, sollte dies aber nur in ganz bes. Fällen. Zum Spannungsverhältnis zwischen den Voraussetzungen der JStrafe und der für die Ausset- 3 zung notwendigen günstigen Prognose § 17, 22. Die Strafaussetzung ist ein geeignetes Mittel, erz. unerwünschte Folgen des JStrafvollzugs an jungen Menschen zu vermeiden, wenn die Prognose (Einf. I 52) einem ErzVersuch in Freiheit hinreichende Aussicht auf Erfolg gibt. Hierbei sollte der Richter aus erz. Gründen von vornherein zum Scheitern verurteilte Experimente vermeiden, aber auch Mut zum Risiko haben, wenn eine echte Erfolgschance besteht (Rn 6; Bindzus/Musset Grundzüge des JRechts, 1999 S. 344). Die JStrafrechtspraxis hat seit Inkrafttreten des JGG von 1953 zunehmend von der Möglichkeit 3 a der Strafaussetzung Gebrauch gemacht. Der Anteil der zur Bewährung ausgesetzten JStrafen ist seit den 50er Jahren von einem Drittel auf zwei Drittel gestiegen (Heinz in BAG für ambulante Maßnahmen nach dem JRecht, Hrsg., Neue ambulante Maßnahmen, 2000 S. 186). 2009 wurden 64% der JStrafen zur Bewährung ausgesetzt (berechnet nach Stat. BA S. 278). Die Widerrufsquote ist in den letzten Jahrzehnten gesunken. Weigelt (S. 231) ermittelte auf der Grundlage der bundesweiten Rückfallstatistik für Verurteilungen des Jahres 1994 eine Widerrufsquote von 16%. Das spricht für die Richtigkeit des von den Gerichten eingeschlagenen Weges. 2.
Voraussetzungen
Voraussetzungen für Strafaussetzung sind eine JStrafe bis zu 1 Jahr (Abs. I) oder eine höhere 4 Strafe, die 2 Jahre nicht übersteigt, wenn nicht die Vollstreckung im Hinblick auf die Entwicklung des J geboten ist (Abs. II; Rn 10–11 c), und in beiden Fällen eine günstige Prognose für den Täter. Ob JStrafe von höchstens 1 Jahr oder 2 Jahren verhängt ist, wird nach der Höhe der erkannten 5 Strafe beurteilt; die Höhe des – zB nach Anrechnung von UHaft – zu verbüßenden Teiles ist
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ohne Bedeutung (BGH 5, 377; anders bei § 35 BtMG: § 17, 27 b); nur muss noch ein Strafrest übrig sein, die Strafe darf also durch Anrechnung von UHaft noch nicht voll verbüßt sein, weil dann kein Raum mehr für die Aussetzung der Vollstreckung bleibt (BGH NJW 61, 1220 u. 82, 1768). Ohne Einfluss ist es auch, wenn eine früher verhängte JStrafe noch nicht erledigt ist (§ 31, 21). Wird eine JStrafe zur Bew. ausgesetzt, obwohl sie im Zeitpunkt des Urteils durch erlittene UHaft bereits verbüßt war, ist der Angeklagte beschwert (BGH 31, 25; BGH NJW 61, 1220; BGH NStE Nr. 6 zu § 21). Bei JA gibt es keine Strafaussetzung zur Bew. 6 Ob eine günstige Prognose (Schnitzerling RdJ 57, 353) gerechtfertigt ist, kann nur eine umfassende Persönlichkeitserforschung (§ 43; BGH GA 83, 472) ergeben (RL 1). Näher zur Erstellung der Prognose Einf. I, 52 ff. Für die Prognose kommt es auf den Zeitpunkt der Verurteilung und nicht auf den Tatzeitpunkt an (BGH StV 91, 424). Die bei beiden Alternativen (Abs. I u. II) maßgebliche „erschöpfende Gesamtwürdigung“ der Persönlichkeit des Täters und seiner Beziehung zur Tat (BGH StV 86, 69; 93, 533; vgl. § 18, 7 a), welche Aufgabe des Tatrichters ist, muss daher auch Umstände einbeziehen, die erst nach der Tat eingetreten sind, und berücksichtigen, dass seit der Tat eine nicht unerhebliche Zeit vergangen ist (BGH StV 87, 306; 91, 424; BGH NStZ 92, 528). Es sind das Vorleben (nicht nur die Vorstrafen) und – als Indiz für die Stellung des Täters zur Tat – die Umstände der und das Verhalten nach der Tat (Form der Tatbeteiligung, Geständnis, Reue, Wiedergutmachung, Änderung bisheriger Gewohnheiten, weitere Entwicklung der Persönlichkeit des J, zB Verbesserung des Lern- und Sozialverhaltens in der Schule, Wirkung von UHaft, BGH NStZ-RR 07, 61, Behandlungen, denen sich der J freiwillig unterzogen hat, BGH StV 91, 424) zu würdigen. Bei der Bewertung des Verhaltens nach der Tat, insbes. des Prozessverhaltens, ist gerade beim J Vorsicht geboten, um nicht Angst und Hilflosigkeit mit Gleichgültigkeit oder Trotz zu verwechseln. Fehlende Wiedergutmachung allein rechtfertigt die Ablehnung der Strafaussetzung bei einem 15-jährigen Moped-Dieb nicht; es kann von ihm nicht verlangt werden, sich bei der Polizei nach dem Geschädigten zu erkundigen und sich diesem gegenüber zur Wiedergutmachung zu verpflichten (BGH Herlan GA 61, 358). Bestreitet der Angekl. die Tat, dürfen fehlende Reue und Schuldeinsicht nicht als Argumente gegen eine günstige Prognose herangezogen werden (BGH StV 93, 533). Auch die Umweltverhältnisse, unter denen der Täter sich bewähren soll (Elternhaus, Freunde, JVerbände, Arbeit, BewHelfer), oder Krankheiten sind zu beachten (BGH 10, 287). Wichtig ist, ob der J aus der ungünstigen Umgebung herausgekommen ist, welche die Tat ausgelöst hat (vgl. BGH StV 86, 68, näher bei § 18, 7 a), was auch bes. für positive Veränderungen in der Lebensführung (Ausbildung, Arbeit) und Bindung an positiv bewertete Bezugspersonen gilt (BGH B NStZ 86, 447; BGH StV 96, 270 f; Hermanns S. 170 ff). Günstige Veränderungen können auch durch BewAuflagen erst vom Gericht oder anderweitig herbeigeführt werden (BGH 8, 185). Es dürfen nicht bestimmte Tätergruppen von vornherein ausgegrenzt werden (BGH 6, 298 ErwRecht). Böhm/Feuerhelm (S. 238) warnen davor, schuldlos sozial Gefährdete und Geschädigte durch globales Absprechen von BewChancen zusätzlich zu entmutigen und zu stigmatisieren. Dazu § 10, 12 c aE, auch § 10, 10 a aE. 6 a Beachtung verdienen die Untersuchungen von Spieß (KrimPäd. 89 H 29 S. 9 ff). Er stellt zur Vorstrafenbelastung fest, dass der Anteil der Probanden ohne Vorstrafe bei der Strafaussetzung zur Bew. im Jahre 1987 gegenüber 1963 auf weniger als die Hälfte des ursprünglichen Anteils gesunken ist, dass die bereits zum wiederholten Male verurteilten Probanden mit 80% bereits den Regelfall darstellen und dass sich der Anteil der schon zum wiederholten Male der Bew. unterstellten Probanden verdreifacht hat. Dem stehen allerdings bei einer Untersuchungsgruppe von 170 Probanden gegenüber: nur 22% Widerrufe der Bew. bei Probanden ohne Vorstrafe, 41% Widerrufe bei Probanden mit „Vorstrafen“ unterhalb der JStrafe und 59% Widerrufe bei Probanden, die bereits mehrfach zu JStrafe verurteilt waren. Dies muss freilich im Zusammenhang mit den in der BewZeit festgestellten Belastungen gesehen werden, welche das Widerrufsrisiko erhöhen. Solche Belastungsmerkmale waren bei der oa Gruppe: Arbeitslosigkeit; hohe Schuldenbelastung; noch keine Vereinbarung zur Schuldenregulierung oder Stundung; kein regel-
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mäßiges Einkommen; akuter Drogen- oder Alkoholmissbrauch; keine feste Partnerbindung; Unselbständigkeit, namentlich im Umgang mit Behörden (S. 13–15). Insgesamt folgert Spieß hieraus, dass nicht aus der Vorstrafenbelastung allein ein überdurchschnittliches Bew.-Rückfallrisiko angenommen werden darf, denn dies entscheide sich erst in der BewZeit nach den günstigen oder ungünstigen Bedingungen für eine soziale Reintegration. Dies umreißt die ebenso wichtige wie schwierige Aufgabe des BewHelfers und fordert schon in einem möglichst frühen Stadium der BewZeit existenzsichernde Maßnahmen. Der BGH sucht dem Stereotyp entgegenzuwirken, dass frühere Verurteilungen und ein Versagen in der BewZeit einer (erneuten) Strafaussetzung gänzlich entgegenstünden oder eine erneute Strafaussetzung von speziellen, eng definierten Voraussetzungen abhängig sei (BGH bei Horstkotte BewH 89, 382; BGH StV 96, 270). Der BGH hat bei einem Alkoholiker bei mehrfach wiederholter einschlägiger Straffälligkeit und wiederholtem Widerruf die erneute Strafaussetzung gebilligt (BGH NStZ 88, 451). Die Erwartung (nicht bloß die Hoffnung) künftig rechtschaffenen Lebenswandels muss gegeben 6 b sein. Das bedeutet aber nicht sichere Gewähr künftig straffreien Lebens, sondern eine hinreichende Wahrscheinlichkeit hierfür (BGH NStZ 88, 452). Die Wahrscheinlichkeit künftigen Verhaltens muss größer sein als diejenige neuer Straftaten (BGH NStZ 97, 594; NStZ-RR 05, 38; vgl. auch BGH NStZ 86, 27; BGH Theune NStZ 89, 217: Die Begehung weiterer Straftaten darf nicht wahrscheinlich sein; Westphal S. 205: Es ist grds. auszusetzen, es sei denn, es lässt sich ausnahmsweise eine begründbare Schlechtprognose stellen; auch Rn 6 a aE für Vorbelastungen). Allerdings genügt die bloße Möglichkeit, der Täter werde keine neuen Straftaten begehen, nicht. Nach Herre S. 138 ist diejenige Wahrscheinlichkeit künftiger Straffreiheit erforderlich, die es unter Abwägung der Interessen von Täter und Allgemeinheit vertretbar erscheinen lässt, die Vollstreckung auszusetzen. Eine ausreichende Erwartung kann zB auch bei ungefestigten J begründet sein, wenn die Tat überwiegend auf ungünstigen Umwelteinflüssen (Not, schlechtes Beispiel, Verführung) beruht, bei Pubertätstaten (aus Trotz, Protest gegen die Gesellschaft, Streben nach Geltung, plötzlich hervorbrechendem Geschlechtstrieb, sexueller Neugier; Einf. I 12, 37–41) oder bei persönlichkeitsfremden Kurzschlusshandlungen aus starken, außergewöhnlichen Reizeinflüssen selbst bei krimineller Gefährdung und fortgeschrittener Verwahrlosung, wenn die Fehlentwicklung überwiegend auf ungünstigen Umwelteinflüssen beruht, nun aber günstige Verhältnisse bestehen (vgl. BGH StV 90, 304; Eisenberg 23). Auch bei Vorstrafen ist eine positive Sozialprognose möglich (vgl. OLG Koblenz OLGSt zu § 56 StGB S. 45; OLG Frankfurt NJW 77, 2175; Rn 6 a). Die Wirkung der UHaft kann zu einer günstigen Prognose führen (OLG Hamm StV 05, 69, 70). Andererseits kann aber auch bei Ersttätern die Prognose ungünstig sein (zust. Eisenberg 23; für regelmäßige Aussetzung bei Ersttätern Ostendorf 10). Nach BVerfGE 23, 127, 134 gilt gegenüber Gewissenstätern im Bereich der Strafzumessung und der Strafaussetzung zur Bew. ein „Wohlwollensgebot“ (OLG Stuttgart MDR 88, 1080; OLG Bremen StV 89, 395 – je hw. Totalverweigerer, Dienstflucht; OLG Zweibrücken StV 89, 397 – Zeuge Jehovas). Bei politischen Überzeugungstätern führt das Festhalten an einer politischen Überzeugung allein noch nicht zu einer ungünstigen Prognose; äußert sich die politische Gesinnung jedoch in einer strafbaren Handlung und besteht die Gefahr eines weiteren Abgleitens in Straftaten, müssen für eine günstige Prognose gewichtige Tatsachen vorliegen (BGH NJW 95, 341; OLG Karlsruhe Justiz 96, 94, beide zu § 56 StGB). Zu Ausländern Einf. I 22 mit LG Freiburg JR 88, 523 u. OLG Koblenz NStZ 87, 24 ErwRecht. Das Gesetz fordert, dass ein rechtschaffener Lebenswandel zu erwarten sei. Dieser Begriff ist 6 c umstritten. Nach Dallinger/Lackner (2) reicht anders als im ErwRecht die äußere Anpassung aus Opportunität an die innerlich abgelehnte Rechtsordnung nicht aus; vorausgesetzt wird vielmehr die Anerkennung wenigstens der Grundwerte, die für das Zusammenleben in der Rechtsgemeinschaft konstituierend sind (vgl. auch OLG Koblenz GA 78, 83; aA Streng GA 84, 152). Ostendorf (6) will demgegenüber nur die Gefahr neuer Straftaten prüfen, weil die Gesinnung frei sei und mit Rücksicht auf die Menschenwürde nur eine Verhaltensänderung angestrebt werden dürfe (für ein
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Abstellen auf ein Leben ohne Straftaten auch DSS/Sonnen 9). Eisenberg (§ 5, 4) rügt unzureichende Bestimmtheit des Begriffs „rechtschaffener Lebenswandel“, setzt seine Relevanz für künftige Legelbewährung in Zweifel und bemängelt, dass dieser Begriff „einen vergleichsweise breiten Spielraum zur Durchsetzung solcher von der Majorität der ErwGesellschaft erwünschter Ziele (biete), die mit Bedürfnissen und Interessen der Verurteilten nichts gemein haben müssen“. In der Tat darf der Begriff nicht dazu dienen, mit den Mitteln des Strafrechts Moralvorstellungen einzelner gesellschaftlicher Gruppen durchzusetzen. Dies ist aber auch nicht die Intention des § 21. Vielmehr ist Gegenstand der Prognose entsprechend der allg. spezialpräventiven Zielsetzung des JGG letztlich die Legalbewährung. Mit dem Begriff des rechtschaffenen Lebenswandels weist das Gesetz aber zum einen darauf hin, dass dieses Ziel bei jungen Menschen praktisch nur über eine innere Bejahung der Rechtsordnung und nicht über einen äußeren „Dressurakt“ erreicht werden kann (vgl. bereits Dallinger/Lackner 2). Erz. junger Menschen zur Rechtstreue verstößt nicht gegen die Menschenwürde, sondern ist unabdingbare Voraussetzung für die Existenz einer freiheitlichen Rechtsordnung (vgl. weiter Einf. II 6). Außerdem zeigt der Begriff des rechtschaffenen Lebenswandels, dass die Möglichkeit von Gelegenheitstaten mit Bagatellcharakter, die sich auch bei rechtstreuen Bürgern kaum völlig ausschließen lassen, einer Strafaussetzung nicht entgegensteht. Es wird daher die Kraft zur Selbsterziehung in Freiheit mit Hilfe der obligatorischen BewHilfe und von Weisungen und Auflagen (§ 23 I) zu verlangen sein (OLG Koblenz GA 78, 83). Neben der geistig-charakterlichen Formung auf die Gesellschaft hin (Schlüchter GA 88, 125) ist entscheidend, ob die Erz. besser durch Aussetzung zur Bew. oder durch Vollstreckung der Strafe erreicht wird (BGH 10, 233, 234). Der Richter wird dem J auf geeignete Weise eindringlich bewusst machen, dass die Aussetzung der Vollstreckung darauf vertraut, dass er fähig und willens ist, sich zu bewähren, und dies ihm eine bes. Verpflichtung auferlegt (RL 3). – Insgesamt wird der Richter hierbei auch ein Risiko – und Enttäuschungen – auf sich nehmen müssen. Im Einzelfall kann es genügen, dass der J zZ der Urteilsfindung fähig und ernstlich gewillt erscheint, ein rechtschaffenes Leben aufzunehmen (RL 2; OLG Celle GA 70, 27; OLG Koblenz aaO; Nix/Schendler 8). Dabei dürfen und müssen auch Umstände berücksichtigt werden, die eine positive Wirkung erst erwarten lassen (BGH NJW 78, 559). 7 JStrafe sollte nach Möglichkeit zur Bew. ausgesetzt werden, wenn der Vollzug der JStrafe eine bereits angeordnete erfolgversprechende ErzMaßregel gefährden würde, falls nicht überhaupt von der Verhängung einer JStrafe abgesehen werden kann oder eine einheitliche Sanktionierung möglich ist (§ 31 II). 8 Vollstreckung trotz günstiger Prognose aus Gründen der Verteidigung der Rechtsordnung, einem Teilaspekt der Generalprävention, ist im Gegensatz zum ErwRecht nicht zulässig, weil § 21 anders als § 56 StGB die Verteidigung der Rechtsordnung nicht erwähnt und der ErzZweck entgegensteht (BGH B NStZ 94, 530). 3.
Aussetzungszwang
9 Liegen die Voraussetzungen der Strafaussetzung vor, so muss der Richter bei Abs. I u. II die Strafe zur Bew. aussetzen. Diese neue Regelung ist die Konsequenz aus dem Rn 11 Gesagten und sichert die Gleichbehandlung. 4.
JStrafe zwischen 1 und 2 Jahren
10 Während nach der früheren Fassung des Abs. II „bes. Umstände in der Tat und in der Person des J“ für die Aussetzung erforderlich waren, ist seit der Neufassung des Abs. II durch das 1. JGGÄndG vom 30. 8. 1990 ist nicht mehr die Bew., sondern deren Versagung der Ausnahmefall. Bei JStrafe zwischen 1 und bis zu 2 Jahren muss also bei Vorliegen der auch hier geforderten Voraussetzungen des Abs. I (Rn 4–8) Bew. bewilligt werden, falls nicht ausnahmsweise die
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Vollstreckung im Hinblick auf die Entwicklung des J geboten ist (BGH StV 91, 423). Dies folgt der Erkenntnis und Erfahrung (RegE zum EGStGB, BT-Drs. VI/3250 S. 314 f; RegE eines 1. JGGÄndG, BT-Drs. 11/5829 S. 20), dass „mit der obligatorischen BewHilfe im JStrafrecht eine Behandlungsart zur Verfügung steht, die bei günstigen Voraussetzungen ebenso gut oder sogar besser geeignet ist, das angestrebte Ziel zu erreichen, als dies bei einer stationären Behandlung in einer JStrafanstalt der Fall ist“. Damit ermöglicht es das Gesetz auch bei schwereren Taten oder erheblicherer Belastung des J, dem Subsidiaritätsgrundsatz (Einf. II 18–21) folgend ambulante Maßnahmen den stationären vorzuziehen. Was der BGH (StV 89, 478) zu Zumessungserwägungen über die entsozialisierenden Wirkungen einer längeren Freiheitsstrafe für Erw. ausgeführt hat (dazu näher § 18, 8 b), gilt für J in erhöhtem Maße. Nach der Neufassung von Abs. II ist es fehlerhaft, die Strafaussetzung abzulehnen, weil die Taten keinerlei bes. Umstände aufweisen, die es rechtfertigen könnten, die JStrafe nicht zu vollstrecken (BGH StV 91, 424). Die obligatorische Aussetzung zur Bew. wird bei Abs. II nur durchbrochen, wenn die Vollstre- 11 ckung im Hinblick auf die Entwicklung des J geboten ist. Diese Einschränkung ist bewusst (BT-Drs. 11/5829 S. 20) und deutlich von Abs. I abgesetzt, wo Gründe der Erz., die auch bei der Strafbemessung entscheidendes Gewicht haben (§§ 17 II, 18 II), in die Sozialprognose hineinwirken. Bei Abs. II dürfen also erz. Gründe nicht nochmals eine – und hier dem J nachteilige (vgl. dazu Einf. II 10) – Wirkung entfalten. Der Begriff „Entwicklung“ schließt auch klar eine Einschränkung aus Gründen der Verteidigung der Rechtsordnung, einem Teilaspekt der Generalprävention, aus (vgl. Rn 8). Trotz günstiger Prognose kann im Einzelfall die – insbes. auch absehbare – Entwicklung des J oder Hw. aus weiteren Gründen gegen die Aussetzung der JStrafe sprechen. Das trifft insbes. JStrafen wegen Schwere der Schuld (dazu näher § 17, 15 a), auch bei gut eingeordneten J, bei Konflikttaten und bei Verführung. Denn es kann sowohl eine JStrafe von mehr als 2 Jahren als auch Strafaussetzung bei der geringeren Strafe unangemessen sein und auch vom J so empfunden werden (vgl. Böttcher/Weber NStZ 91, 8). Böhm (NJW 91, 537) kann sich bei guter Prognose einen Grund zur Vollstreckung in der Entwicklung des J nicht vorstellen. Auch nach Westphal (S. 249) hat Abs. II keinerlei eigenständige Bedeutung. Bestimmte Delikte dürfen nicht grds. eine Strafaussetzung zur Bew. verhindern (schon BGH 6, 300). Für die Anwendung des Abs. II ist eine Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit er- 11 a forderlich (BGH StV 96, 270). Auch bei der Frage, ob die Strafvollstreckung im Hinblick auf die Entwicklung des J geboten ist, wird wiederum der Subsidiaritätsgrundsatz (vgl. Rn 10 aE) entscheidend. Denn auch drohenden Entwicklungsschäden kann mit geeigneten therapeutischen oder sonstigen ambulanten Maßnahmen entgegengetreten werden (§§ 23, 10, 15). Erz. Erwägungen, die allerdings nur bei der Prüfung der Voraussetzungen des Abs. I eine wesentliche Rolle spielen, fordern und rechtfertigen es, auch ein Risiko zu übernehmen; dieser das gesamte JStrafrecht beherrschende Grundgedanke darf und soll bei der Prüfung der Frage, ob die Entwicklung des J die Vollstreckung fordert, zu dessen Gunsten ins Gewicht fallen. Ist die negative Entwicklung noch nicht zu eingefahren, können sorgsam gewählte Auflagen im Zusammenwirken mit der drohenden Vollstreckung möglicherweise die weitere Entwicklung günstig beeinflussen. Die Aussetzung nach Abs. II kann auch bei Tatbegehung während einer laufenden BewZeit gerechtfertigt sein, wenn der durch UHaft beeindruckte Täter sich bemüht, sein bisheriges Leben zu verändern, in einem festen Arbeitsverhältnis steht, wieder bei seinen Eltern wohnt und versucht, seine Alkoholprobleme in den Griff zu bekommen (BGH StV 96, 271). Die schwierige und entscheidend eingreifende Ausnahmeentscheidung nach Abs. II setzt eine eingehende Persönlichkeitserforschung und die prognostische Beurteilung (vgl. Einf. I 52) des Entwicklungsganges voraus, was zu bes. Vorsicht mahnt. In der BT-Drs. 11/5829 S. 20 wird sogar darauf hingewiesen, dass auf Beratung durch einen Sachverständigen (§ 43 II) meist nicht verzichtet werden könne, wenn ein solcher Ausnahmefall nahe liege.
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11 b Abs. II entspricht mit der Erleichterung der Strafaussetzung dem Bedürfnis und Wunsch der Praxis, was sich auch in den Zahlen der BewHilfestatistik zeigt. Es ist nun der Weg frei, für die J und Hw. „die Möglichkeiten des modernen Strafrechts möglichst individualisierend und iSd kontrollierten Risikos der Resozialisierung anzuwenden“ (Kerner in Nörr, Hrsg., 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland 40 Jahre Rechtsentwicklung, 1990 S. 371). Zugleich führt auch hier das stets zu beachtende Grundprinzip der Erz. zu dem J günstigen Lösungen.
5.
Weitere Einzelheiten
12 Es kann immer nur die ganze Strafe ausgesetzt werden (Abs. III 1). Doch hindert die Anrechnung von UHaft (BGH 6, 391) oder vorher verbüßter JA oder JStrafe im Falle des § 31 II die Strafaussetzung nicht (Abs. III 2; Rn 5). Nach Vollstreckung eines Teils ist Aussetzung des Strafrestes gem. § 88 möglich. 13 Strafaussetzung zur Bew. wird im Anschluss an die Verhandlung durch Urteil oder nachträglich durch Beschluss angeordnet (§ 57). Zur Ablehnung der Bew. im Tenor u. Ankündigung einer Überprüfung im Beschluss § 57, 1; s. auch § 57, 9 u. Vor § 82, 4 aE; zur Abstimmung § 57, 11. Das Erw.-Gericht muss die Folge-Entscheidungen (§§ 22–26 a) dem JRichter übertragen, in dessen Bezirk sich der J oder Hw. aufhält (§ 104 V 1). Zum Verhältnis der „schädlichen Neigungen“ zu § 21 vgl. § 17, 22. 14 Mit der Anordnung der Strafaussetzung sollen helfende und spürbare Weisungen und Auflagen angeordnet werden (§ 23); gleichzeitig muss ein Bew-Helfer bestellt werden (§ 24; vgl. § 23, 3). Zur Bew. ausgesetzte JStrafe bis zu 2 Jahren wird nicht in das Führungszeugnis aufgenommen (§ 32 II Nr. 3 BZRG; Vor § 97, 21). Urteilsfassung § 54; Urteilsbegründung RL 3, § 54, 15; Rechtsmittel § 59, 1 f. 15 Schweigen die Urteilsgründe zu einer Strafaussetzung, obwohl nach den Feststellungen eine solche Erörterung nicht fern liegt, so liegt darin ein sachlich-rechtlicher Mangel (BGH Beschlüsse v. 31. 7. 1978 – 4 StR 378/78 – u. v. 7. 9. 1978 – 4 StR 456/78 –). Vgl. aber § 57, 2.
6.
Strafaussetzung für Drogentäter
16 Die dem Vollstreckungsleiter eingeräumte Möglichkeit, bei Betäubungsmittelabhängigen nach § 35 BtMG die Strafvollstreckung zurückzustellen, enthebt den erkennenden JRichter nicht der Verpflichtung, auch hier die Voraussetzungen nach § 21 zu prüfen und vorrangig hierüber zu entscheiden (näher § 17, 26; insgesamt § 17, 23 ff). 17 Bei JStrafe (zu den Voraussetzungen „Schwere der Schuld“ u. „schädliche Neigungen“ bei Drogenabhängigen s. § 17, 13, 17 a, 25; Brunner JR 73, 89 ff u. Zbl. 80, 415 ff) kann der Therapiewille des Drogenabhängigen unter Annahme günstiger, hier notwendig bes. risikobelasteter Sozialprognose (Rn 6) durch Strafaussetzung berücksichtigt werden, wobei der das JStrafrecht beherrschende ErzGedanke zu weitergehenden Entscheidungen als bei Erw. führen kann (BGH Spiegel DAR 79, 184; OLG Düsseldorf StV 83, 373; Rn 10). Entscheidend ist es, durch bes. auf die Täterpersönlichkeit abgestimmte BewWeisungen nach §§ 23 I, 10 (Entziehungskur, § 10, 18 ff; Aufenthalt, Arbeit, Herausnahme aus gefährdenden Gruppierungen § 10, 8, 8 a, 9, 13; allg. zu Weisungen u. Auflagen an Drogentäter § 10, 19 a, 23, 24; § 15, 17) die Entscheidung zu stützen, den Probanden zu leiten und zu motivieren (Einf. I 49–51) und eine therapeutische Kette zur Beseitigung der psychischen Abhängigkeit aufzubauen. Bei noch bestehender physischer Abhängigkeit verspricht eine ambulante Behandlung kaum Erfolg. Unmittelbar vor der Hauptverhandlung erlittene UHaft kann im Einzelfall das Risiko der Prognose vermindern und für den Abhängigen eine wertvolle Motivationshilfe sein. Der BGH (B NStZ 89, 522) hat bei einer
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Bewährungszeit
§ 22
Konsumentin von Heroin und Kokain eine für Bew. günstige Sozialprognose gebilligt, weil sie nach der Inhaftierung drogenfrei geblieben war, freiwillig und konstruktiv an einer ambulanten Drogentherapie teilgenommen und ihr Verhältnis zu den Eltern verbessert hatte. Zu Vorstrafen Rn 6 a. Die an sich möglichen freiwilligen Zusagen (§ 23 II; näher § 23, 8) sollte man bei Drogenabhängigen schon deshalb nicht genügen lassen, weil sie ohne Hilfe außerstande sind, solche einzuhalten, weil der unmittelbare Motivationsdruck der drohenden Strafe fehlt und weil bei ernstlichem Versagen nicht prompt Widerruf der Bewährung folgen kann, sondern erst mit therapiefeindlicher Verzögerung erstmals eine entsprechende BewAuflage erteilt werden muss. Eine verständnisvolle, aber auch sorgfältige Führung und Überwachung durch BewHelfer ist 17 a für den Erfolg entscheidend (zu praktischen Erfahrungen des Sozialarbeiters im Umgang mit Drogenabhängigen s. Butzko BewH 82, 245), denn es fehlt zumeist das gesicherte Umfeld und auf Vorsätze und Ausdauer des Abhängigen kann man kaum bauen. Der BewHelfer muss die Weisungen überwachen und soll Verbindung zu geeigneten Einrichtungen haben, um dem Probanden wirklich helfen und ihm auch das verführerische Scheinargument nehmen zu können, er sei besten Willens, aber außerstande, bei einer solchen Einrichtung anzukommen. So wird auch die notwendige Effizienzkontrolle (Barth Die medizinische Welt 1973 Nr. 3) gewährleistet, der auch Urinkontrollen (zur Zulässigkeit § 10, 14 a) dienen; zur Verweigerung einer Urinprobe LG Kleve NStZ 89, 48. Über eine Abnahme positiver Befunde bei Urinkontrollen als BewWeisung berichten Leber/Friedrich/Weigend BewH 93, 186; dazu kritisch Faller BewH 93, 357. Urinkontrollen können nur als Weisung und nicht als Auflage aufgegeben werden (LG Detmold StV 99, 662). Die Weisung, die Kosten für die Untersuchung der abgegebenen Urinprobe zu tragen, ist nach LG Baden-Baden NStZ-RR 01, 277 nicht zulässig. Es zeigt die Praxis, dass bei allen Enttäuschungen, die Helfer im Drogensektor auf sich nehmen müssen, eine gezielte Betreuung durch einen BewHelfer unter Strafdruck – zugleich unter intensiver ambulanter Bemühung und Führung – die Strafaussetzung für Drogenabhängige davor bewahren kann, eine „Entlassung in den Rückfall“ (so aber Körner ZRP 80, 57) zu werden. Es bleiben aber Fälle, bei denen der bindende Gesetzesauftrag, insbes. bei krimineller Verflechtung, dem Richter auch und gerade bei Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit nur auf JStrafe ohne Bewährung zu erkennen erlaubt (vgl. dazu aber auch § 17, 23). Zum Widerruf der Strafaussetzung bei Drogentätern § 26 a, 16; zur Aussetzung des Restes einer JStrafe § 88, 22. Zur Entziehungskur § 10, 18 ff. Zu Therapieeinrichtungen Einf. I 51 u. § 10, 19 a. Zur Entziehung der Fahrerlaubnis § 7, 13. Allg. Einf. I 49– 51. Weitere Hinweise Einf. I 51 aE.
§ 22 Bewährungszeit § 22 Bewährungszeit (1) Der Richter bestimmt die Dauer der Bewährungszeit. Sie darf drei Jahre nicht überschreiten und zwei Jahre nicht unterschreiten. (2) Die Bewährungszeit beginnt mit der Rechtskraft der Entscheidung über die Aussetzung der Jugendstrafe. Sie kann nachträglich bis auf ein Jahr verkürzt oder vor ihrem Ablauf bis auf vier Jahre verlängert werden. In den Fällen des § 21 Abs. 2 darf die Bewährungszeit jedoch nur bis auf zwei Jahre verkürzt werden. 1. Hw.-J: § 105 I. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1, V 1; § 21, 13 aE, § 58, 8. Das Gesetz kennt nur eine bestimmte BewZeit zwischen 2 und 3 Jahren. Wegen der Unsicher- 1 heit aller Voraussagen ist streitig, ob sich der Richter am Mindestmaß (so tendenziell Eisenberg 3; Ostendorf 2 u. StV 87, 320) oder am Höchstmaß orientieren soll. Es kommt auf den Einzelfall an.
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Die BewZeit sollte danach bemessen werden, wie lange der Verurteilte voraussichtlich benötigt, um vollständig in ein straffreies Leben integriert zu werden (KG DVJJ-J 02, 467, 468). Im Übrigen ist Verkürzung oder Verlängerung (Rn 3 u. 4) möglich. 2 Die BewZeit beginnt mit der Rechtskraft des Urteils oder Beschlusses, welche die Strafaussetzung anordnen (§ 57). Der Endtermin wird am besten durch ein Datum festgelegt (zust. Eisenberg 4; aA Ostendorf 3 u. StV 87, 321). Andernfalls ist das Ende nach § 188 BGB zu berechnen. In der BewZeit erlittener Freiheitsentzug verlängert jene nicht (Dreher Anm. zu OLG Braunschweig NJW 64, 1581, das nach der Länge der Zeit differenziert; zust. Ostendorf 6; Eisenberg 10). Für die Dauer der BewZeit ist dem BewH als Person ein Amt übertragen (Neupert BewH 82, 313). 3 Verkürzung auf ein Jahr ist nach pflichtgemäßem Ermessen möglich, etwa bei unerwartet günstiger Entwicklung und rascher Resozialisierung. Wurde jedoch eine JStrafe von mehr als 1 Jahr zur Bew. ausgesetzt (§ 21 II), darf die BewZeit nur bis auf 2 Jahre verkürzt werden (§ 22 II 3). 4 Eine Verlängerung der BewZeit ist auf längstens 4 Jahre möglich. Anstelle eines sonst gebotenen Widerrufs kann die Verlängerung der BewZeit auch nach deren Ablauf erfolgen (OLG Stuttgart MDR 81, 69; OLG Koblenz NJW 81, 1971; OLG Karlsruhe Justiz 82, 437; OLG Düsseldorf MDR 85, 516; OLG Köln StV 96, 218 jeweils zu § 56 f StGB; Eisenberg 9; Ostendorf 4; DSS/Sonnen § 26, 16; aA OLG Hamm MDR 80, 1036 u. NJW 81, 697; OLG München MDR 82, 689 jeweils zu § 56 f StGB aF; Hein NStZ 83, 252). Kann die Bew. auch nach Ablauf der BewZeit widerrufen werden, darf die Möglichkeit der Widerrufsvermeidung durch Verlängerung der BewZeit nicht genommen werden (Eisenberg § 26 a, 11). Die nachträgliche Verlängerung schließt sich unmittelbar, also rückwirkend, an die ursprüngliche BewZeit an; eine Straftat zwischen dem Ende der ursprünglichen BewZeit und dem Verlängerungsbeschluss darf aber nicht zum Widerruf führen, weil der Verurteilte zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, ob die BewZeit weiterläuft (OLG Schleswig NStZ 86, 363; SchlHA 98, 116; OLG Stuttgart Justiz 98, 131, jeweils zu § 56 f StGB; Dölling NStZ 89, 348; Ostendorf § 26, 12). Die BewZeit darf bis zum Höchstmaß verlängert werden, wenn die bisher festgesetzte BewZeit bei den dem Verurteilten möglichen Ratenzahlungen die auferlegte Schadenswiedergutmachung sonst nicht erreicht (OLG Hamburg MDR 80, 246; aA Ostendorf 5, weil damit der Tatbezug nicht beachtet werde). 4 a Wegen der prozessualen Fragen §§ 58, 59 II. 5 Die Vollstreckungsverjährungsfrist verlängert sich um die tatsächliche BewZeit (§§ 79 a Nr. 2 b StGB, 2 JGG).
§ 23 Weisungen und Auflagen § 23 Weisungen und Auflagen (1) Der Richter soll für die Dauer der Bewährungszeit die Lebensführung des Jugendlichen durch Weisungen erzieherisch beeinflussen. Er kann dem Jugendlichen auch Auflagen erteilen. Diese Anordnungen kann er auch nachträglich treffen, ändern oder aufheben. Die §§ 10, 11 Abs. 3 und § 15 Abs. 1, 2, 3 Satz 2 gelten entsprechend. (2) Macht der Jugendliche Zusagen für seine künftige Lebensführung oder erbietet er sich zu angemessenen Leistungen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen, so sieht der Richter in der Regel von entsprechenden Weisungen oder Auflagen vorläufig ab, wenn die Erfüllung der Zusage oder des Anerbietens zu erwarten ist. 1. Hw.-J: § 105 I; § 10, 4 und § 15, 2. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1, V 1; § 21, 13 aE, § 58, 8. – 3. Sold. Rn 3.
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Richtlinien zu § 23: 1. Wegen des Inhalts von Weisungen und Auflagen im Rahmen der Bewährung wird auf die Richtlinie Nr. 1 zu § 10 und die Richtlinien Nrn. 1 bis 3 zu § 15, wegen der Kosten ihrer Durchführung auf die Richtlinie Nr. 6 zu § 10 hingewiesen. 2. Für die nachträgliche Änderung von Weisungen oder Auflagen gilt die Richtlinie Nr. 1 zu § 11 entsprechend. 3. Die Weisungen oder Auflagen werden in einem Bewährungsplan zusammengestellt, der dem Jugendlichen auszuhändigen ist (§ 60). 4. Für die Befragung, ob der Jugendliche Zusagen machen oder sich zu Leistungen erbieten will, gilt § 57 Abs. 3 Satz 1.
Der J soll in der BewZeit intensiv erzogen und muss deshalb – bis auf ganz wenige Ausnahmen – 1 einschneidenden („die Lebensführung beeinflussenden“) Weisungen oder (und) Auflagen unterworfen werden, die seiner Persönlichkeit und seinen Lebensverhältnissen entsprechen. Sie haben neben der Erz.- auch Ahndungsfunktion (Itzel 1987 S. 39; Miehe Die Bedeutung der Tat, 1964 S. 56 ff; Ulmschneider Durchführung, Erfolg u. rechtl. Grenzen der BewAuflage bei J, Diss. Kiel 1966 S. 195; aA Eisenberg 5). Die Strafaussetzung zur Bew. sollte in ihrer Wirkung regelmäßig nicht wesentlich hinter dem Strafvollzug zurückbleiben (Potrykus B 1), denn während der BewZeit steht der J nach Hellmer (Die Strafaussetzung im JStrafrecht, 1959 S. 56) „in einer vom Staat abgeleiteten und zweckgebundenen Freiheit“. Als BewAuflage sind nur Weisungen (§ 10) und Auflagen (§ 15) vorgesehen. Grds. gilt das dort 2 Gesagte, bes. die Warnung vor jedem Schema und das in §§ 10 I 2, 15 I Nr. 3 S. 2 normierte Verbot, unzumutbare Anforderungen zu stellen (§ 10, 7; § 15, 11). Weisungen müssen klar, bestimmt und in ihrer Einhaltung überprüfbar sein (OLG Frankfurt ZJJ 03, 414; § 10, 9 c; § 11, 6). Die Anordnung, sich einer ambulanten Drogentherapie zu unterziehen, reicht nicht, vielmehr müssen Festlegungen über die Einrichtung sowie die Art und Häufigkeit der wahrzunehmenden Termine getroffen werden (OLG Frankfurt aaO). Zur Arbeitsweisung § 10, 9 c. Zur unzulässigen Weisung „allen Weisungen des BewHelfers Folge zu leisten“: Rn 3; zur Unzulässigkeit der in § 15 nicht vorgesehenen Auflage, Geldzahlungen an die Landeskasse zu leisten, OLG Zweibrücken NStZ 92, 84 mit Anm. Ostendorf. Die Maßnahmen haben jedoch als BewAuflagen durch die Drohung des Widerrufs ein größeres Gewicht und noch dort Erfolgsaussichten, wo Weisungen und Auflagen ohne den Druck der Strafaussetzung nicht mehr am Platze wären. Oft sind Weisungen angezeigt, die die Durchführung der BewAufsicht erleichtern, ja eine sinnvolle Betreuung häufig erst ermöglichen, etwa die Verpflichtung, den Vorladungen des BewHelfers zur Sprechstunde Folge zu leisten. Der JRichter darf den J anweisen, sich um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bemühen (vgl. BVerfG NJW 83, 463; näher 10, 8 a u. 6) und Wohnung sowie Arbeitsplatz nur mit Genehmigung des BewHelfers zu wechseln (BVerfG NStZ 81, 21; vgl. § 7, 8 u. insbes. § 10, 6 je aE; zum Teil zweifelnd Eisenberg 16). Die Anordnung einer „elektronischen Fessel“ kommt – mit Einwilligung des J – allenfalls dann in Betracht, wenn andernfalls eine Strafaussetzung nicht verantwortet werden könnte (vgl. LG Frankfurt NJW 01, 697 zu § 56 c StGB; für Notwendigkeit einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung Ostendorf ZRP 97, 475; Walter ZfStrVo. 99, 291). Zur Arbeitssuche s. § 10, 8 a. Die Auflagen sind auf die obligatorische Mitwirkung des BewHelfers (§ 24) abzustellen, wobei 3 beachtet werden muss, dass BewZeit und Zeitraum der Unterstellung unter den BewHelfer auseinander fallen können und zumeist auch werden (näher § 25, 1 u. 1 a). Sie flexibel zu gestalten, empfiehlt Müller-Engelmann BewH 82, 335. Zu spezielle Auflagen würden die Tätigkeit des Bewährungshelfers ungünstig einengen (Dallinger/Lackner § 24, 33). Oft genügt die Weisung, sich der Aufsicht und Leitung des BewHelfers generell oder im Hinblick auf ein bestimmtes Gebiet (Arbeit, Freizeit, Geld) zu unterstellen. Fügt sich der J nicht und verweigert er den Gehorsam bes. gegenüber Ratschlägen, deren Nichtbefolgung den Erfolg der Bew. in Frage stellt, kann der JRichter gem. § 23 I 3 entsprechende Weisungen erteilen (Berndt BewH 63, 229). Dem Bew-
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Helfer kann dieses staatliche Hoheitsrecht nicht übertragen werden (Pentz NJW 58, 1768; Berndt BewH 63, 229; näher § 10, 10). Bei Soldaten soll der Richter die Besonderheiten des Wehrdienstes berücksichtigen und erteilte Weisungen und Auflagen diesen Besonderheiten anpassen (§ 112 a, 4; § 11, 3; § 15, 15). Nach § 112 d soll vorher der nächste Disziplinarvorgesetzte gehört werden. 4 Die Auflagen im Einzelnen können nur für die BewZeit getroffen werden, sich innerhalb dieser aber auch auf einen kürzeren Zeitraum erstrecken oder sich in einem einmaligen Tun erschöpfen. 5 Die Auflagen im Bereich des BewVerfahrens können auch erst nachträglich getroffen, aufgehoben oder – sogar zuungunsten (näher § 55, 32) – geändert, auch durch andere ersetzt werden, wenn neue tatsächliche Umstände eingetreten oder schon früher vorhandene Tatsachen nachträglich bekannt geworden sind (BGH NJW 82, 1544 = JR 82, 338 mit zust. Anm. Meyer, dazu näher § 55, 32; OLG Nürnberg GA 62, 91; OLG Hamm NJW 76, 527 u. 78, 1596; Fischer § 56 e StGB Rn 2; LK/Hubrach § 56 e StGB 3). Eine bloße Änderung der Bewertungsmaßstäbe reicht jedoch nicht aus (Fischer aaO). Die Entscheidungen über BewAuflagen enthalten keine endgültigen Anordnungen (§ 23 I 3), was es ermöglicht, den Behandlungsplan der weiteren Entwicklung des J, seinen Fortschritten und Rückschlägen oder einer einschneidenden Veränderung seiner Lebensverhältnisse anzupassen (RL 2 iVm RL 1 zu § 11). Zust. Ostendorf 11; einschränkend gegen hM Eisenberg 8, 9. 6 Die BewAuflagen können sogar erst nachträglich getroffen werden, was dann zweckmäßig ist, wenn noch Ermittlungen über die günstigste Möglichkeit der Beeinflussung geführt werden müssen. Sinnvolle Auflagen sind häufig erst nach dem Erstbericht des BewHelfers über Persönlichkeit und Umwelt des Verurteilten möglich; im Hinblick auf die Abänderbarkeit können zur Überbrückung der Zwischenzeit vorläufige Auflagen angeordnet werden. Ostendorf 10 hingegen sieht hierin eine etappenweise Sanktionierung mit unangemessener Härte. 7 Kommt der Proband den als BewAuflagen erteilten Weisungen oder Auflagen schuldhaft nicht nach, so kann JA verhängt werden, wenn eine Belehrung über die Folgen schuldhafter Zuwiderhandlung – zweckmäßigerweise bei der Belehrung über die Strafaussetzung und (oder) mit dem Bewährungsplan (§ 60, 9) – erfolgt war (§§ 23 I 4, 11 III, 15 III 2). Es gelten die in § 11, 4 dargelegten Grundsätze. Rasch verhängter JA kann den Widerruf vermeiden helfen. Wegen Nichtbefolgung der unzulässigen Auflage, einen Geldbetrag an die Landeskasse zu zahlen, darf JA nicht verhängt werden (OLG Zweibrücken NStZ 92, 84 mit Anm. Ostendorf). 8 Abs. II ermöglicht es, bei Zusagen und Anerbieten angemessener Leistungen vorläufig von Auflagen abzusehen und dem J selbst die Initiative für eine Genugtuungsleistung zu überlassen. Dies kann ein wirksamer Appell an den guten Willen und das Ehrgefühl des J sein. In der Ausnahmesituation der Hauptverhandlung (Einf. I 53) jedoch wird der J idR mit einer solchen Entscheidung überfordert, selbst wenn er vorher von Eltern und JGH oder Verteidiger beraten wurde und der Richter zu ruhigem Gespräch die nötige Zeit findet. Das Ob und Wie der Fragestellung fordern pädagogisches Einfühlungsvermögen. Nur der Gutwillige wird hierdurch angesprochen werden und nicht nur eine augenblickliche Ausflucht suchen; häufig dagegen wird der J nur die Alternative Freiheit oder Strafe sehen und die Last seiner Anerbieten unter-, seine Möglichkeiten aber überschätzen. Auf in dieser Situation nahe liegende Versprechungen, die zum Inhalt eines BewVerfahrens zu machen nichts helfen würde, darf der Richter nicht eingehen (§ 23 II „idR“). Es bietet sich das nachträgliche – hier notwendig mündliche – Beschlussverfahren gem. § 57 I an (RL 4; § 57, 5); dies auch deshalb, weil eine positive Beantwortung des J mit dem Verteidigungsvorbringen uU unvereinbar sein könnte (Thiesmeyer RdJ 70, 33). Ostendorf (7) empfiehlt, in der Hauptverhandlung auf Zusagen und Anerbieten erst einzugehen, wenn die Frage nach den Straftatvoraussetzungen informell beantwortet ist (informelles Schuldinterlo-
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kut). – Hält der J seine Zusagen nicht ein, so ist dies kein Widerrufsgrund (s. § 26 a, 6), sondern Anlass, einen entsprechenden Auflagenbeschluss zu erlassen, der dann allerdings mit Ungehorsamsarrest bewehrt ist. Die Überwachung obliegt nicht der JGH, sondern dem BewHelfer (§ 24 I). Durchsuchungen und 9 Beschlagnahmungen zur Überwachung der Lebensführung während der BewZeit sind nicht zulässig (KG NJW 99, 2979). Zu prozessualen Fragen u. BewPlan RL 3 u. §§ 58–60, insbes. § 26 a, 15; zur Anfechtung § 59, 6; 10 zum Verschlechterungsverbot § 55, 31, 47. Zur Bestellung eines Betreuungshelfers (§ 10) bei vollziehbarer JStrafe § 17, 22 a.
§ 24 Bewährungshilfe (1) Der Richter unterstellt den Jugendlichen in der Bewährungszeit für höchstens zwei Jahre der Aufsicht und Leitung eines hauptamtlichen Bewährungshelfers. Er kann ihn auch einem ehrenamtlichen Bewährungshelfer unterstellen, wenn dies aus Gründen der Erziehung zweckmäßig erscheint. § 22 Abs. 2 Satz 1 gilt entsprechend. (2) Der Richter kann eine nach Absatz 1 getroffene Entscheidung vor Ablauf der Unterstellungszeit ändern oder aufheben; er kann auch die Unterstellung des Jugendlichen in der Bewährungszeit erneut anordnen. Dabei kann das in Absatz 1 Satz 1 bestimmte Höchstmaß überschritten werden. (3) Der Bewährungshelfer steht dem Jugendlichen helfend und betreuend zur Seite. Er überwacht im Einvernehmen mit dem Richter die Erfüllung der Weisungen, Auflagen, Zusagen und Anerbieten. Der Bewährungshelfer soll die Erziehung des Jugendlichen fördern und möglichst mit dem Erziehungsberechtigten und dem gesetzlichen Vertreter vertrauensvoll zusammenwirken. Er hat bei der Ausübung seines Amtes das Recht auf Zutritt zu dem Jugendlichen. Er kann von dem Erziehungsberechtigten, dem gesetzlichen Vertreter, der Schule, dem Ausbildenden Auskunft über die Lebensführung des Jugendlichen verlangen. 1. Hw.-J: § 105 I. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1, V 1; § 21, 13 aE, § 58, 8. – 3. Sold. Rn 13 Anmerkungen und Richtlinien hierzu nach § 25.
§ 25 Bestellung und Pflichten des Bewährungshelfers § 25 Bestellung und Pflichten des Bewährungshelfers Der Bewährungshelfer wird vom Richter bestellt. Der Richter kann ihm für seine Tätigkeit nach § 24 Abs. 3 Anweisungen erteilen. Der Bewährungshelfer berichtet über die Lebensführung des Jugendlichen in Zeitabständen, die der Richter bestimmt. Gröbliche oder beharrliche Verstöße gegen Weisungen, Auflagen, Zusagen oder Anerbieten teilt er dem Richter mit. 1. Hw.-J: § 105 I. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1. – 3. Sold. Rn 13. Richtlinien zu §§ 24 und 25: 1. Da der Bewährungshelfer seine Überwachungsaufgaben im Einvernehmen mit dem Gericht erfüllt und das Gericht ihm auch für seine betreuende Tätigkeit Anweisungen erteilen kann, ist eine enge persönliche Zusammenarbeit zwischen Gericht und Bewährungshelfer unerläßlich. Es empfiehlt sich jedoch, die
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Selbständigkeit des Bewährungshelfers bei der Betreuung des Jugendlichen möglichst nicht einzuschränken. Das Gericht unterstützt den Bewährungshelfer in dem Bemühen, ein persönliches, auf Vertrauen beruhendes Verhältnis zu dem Jugendlichen zu gewinnen. Um die Entwicklung des Jugendlichen während der Bewährungszeit beobachten zu können, empfiehlt es sich, dem Bewährungshelfer zur Pflicht zu machen, in anfangs kürzeren, später längeren Zeitabständen über seine Tätigkeit und über die Führung des Jugendlichen zu berichten (§ 25 Satz 3). Ferner empfiehlt es sich, darauf hinzuwirken, daß der Bewährungshelfer nicht nur gröbliche und beharrliche Verstöße des Jugendlichen gegen Weisungen, Auflagen, Zusagen oder Anerbieten (§ 25 Satz 4), sondern auch alles Wesentliche mitteilt, was ihm über die Entwicklung des Jugendlichen, seine Lebensverhältnisse und sein Verhalten bekannt wird. Besondere Vorfälle teilt der Bewährungshelfer dem Gericht sofort mit. Für den Schlußbericht des Bewährungshelfers wird auf die Richtlinie Nr. 1 zu §§ 26, 26 a hingewiesen. Gegenüber anderen Personen und Stellen wird der Bewährungshelfer Verschwiegenheit wahren, um insbesondere auch das für die Erziehungsarbeit notwendige Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Jugendlichen nicht zu beeinträchtigen. Dies gilt nicht im Verhältnis zu den dienstaufsichtsführenden Stellen. Vor Bestellung eines ehrenamtlichen Bewährungshelfers soll seine Eignung für die Betreuung des Jugendlichen sorgfältig geprüft und seine Einwilligung eingeholt werden. Soweit in den Ländern für die Tätigkeit der Bewährungshilfe, auch im Rahmen der Führungsaufsicht (§§ 68 a ff. StGB), spezielle Verwaltungsvorschriften ergangen sind, wird auf diese hingewiesen.
Schrifttum: Ayass RegE zur Änderung des JGG, BewH 90, 117; Becher Beiträge zur rechtlichen Stellung des BewHelfers, Diss. Hamburg 1966; Becker Bew. u. BewHilfe, Diss. Münster 1961; Block Rechtliche Strukturen der Sozialen Dienste in der Justiz, 2. Aufl. 1997; Brause Datenschutz in der Bew- u. Gerichtshilfe unter Berücksichtigung Thüringens, BewH 96, 221; Bruns Die Schweigepflicht der Sozialen Dienste der Justiz, 1996; Butzko Praktische Erfahrungen des Sozialarbeiters im Umgang mit Drogenabhängigen, BewH 82, 245; Cornel Rechtl. Aspekte der Wahrnehmung der Dienst- u. Fachaufsicht im Bereich der BewHilfe, GA 90, 55; ders. Probanden der BewHilfe für J u. Hw. in Berlin, BewH 00, 302; Cyrus Ehrenamtliche Laienhelfer . . . in der BewH, BewH 82, 357; Damian Geheimnisschutz u. Offenbarungspflichten in der BewHilfe, BewH 92, 325; Foth Grenzen der Berichtspflicht des BewHelfers, BewH 87, 194; Friedrichs Stellung, Aufgabe u. Arbeitsweise des BewHelfers, Sozialpädagogik u. ihre Theorie, 1968 S. 310; Fünfsinn BewHilfe u. Datenschutz im Strafverfahren, BewH 93, 117; Gräber Die Stellung des BewHelfers in Strafrechtspflege u. Justizverwaltung, BewH 82, 302; Helgerth Das Verhältnis BewH u. Proband – Rechtliche Aspekte, BewH 81, 248; Hellmer Die rechtl. Stellung des BewHelfers, RdJ 57, 383; Hesener Die Arbeitsbeziehung BewHelfer – Proband, 1986; Kawamura-Reindl/Stancu Die Beziehungsqualität zwischen BewHelfern u. ihren j. u. hw. Probanden, BewH 10, 133; Kerner Strukturen von „Erfolg“ u. „Mißerfolg“ der BewHilfe, BewH 77, 285; Matt Berufshilfe u. JBewHilfe, BewH 03, 319; Middendorff/Schnitzerling/Jung Praktische BewHilfe, 1957; Mutz Berichte u. Mitteilungen des BewHelfers, BewH 07, 140; Naß BewHilfe, 1968; H. Peters/Cremer-Schäfer Die sanften Kontrolleure, 1975; Posch Die Beziehungsarbeit der BewHelfer, DVJJ-J 99, 366; Posser 20 Jahre BewHilfe in Nordrhein-Westfalen, 1973; Potrykus JRecht in den Strafrechtsreformgesetzen, Zbl. 70, 5; Schaper „Das war besser als Chemie“ oder Erlebnispädagogik in der BewHilfe, BewH 04, 389; Schmitt Verschwiegenheitspflicht – Recht auf informationelle Selbstbestimmung: Neue Wege der BewHilfe, BewH 92, 359; Schünemann BewHilfe bei J u. Hw., Diss. Göttingen 1971; Schwarz Profis u. Ehrenamtliche, BewH 90, 50; Sindlinger Zur Berichtspflicht des BewHelfers, insbes. bei neuen Straftaten, BewH 92, 365; Stein/Krämer Intensivhilfe Köln. Neue Wege in der BewHilfe?, BewH 01, 193; Stiels-Glenn Haben Opferperspektiven in der Arbeit der BewHilfe Platz?, BewH 97, 164; Thiesmeyer JGG u. Strafrechtsreform, RdJ 70, 33; Vogt Strafaussetzung zur Bew. u. BewHilfe bei J u. Hw., Diss. Göttingen 1972; Wahl BewHilfe nach dem Ersten u. Zweiten Strafrechtsreformgesetz, BewH 69, 271; Walter Einige grds. Bemerkungen zum Standort der BewHilfe, BewH 77, 1; Wecker Rechtl. Aspekte der unterlassenen Bestellung eines BewHelfers, BewH 97, 321; Witha u. Gerd Winter BewHelfer im Rollenkonflikt, 1974. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Bewährungs- und Unterstellungszeit . . . . . . Verhältnis des BewHelfers zum Richter . . . . . Berichtstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis des BewHelfers zum Probanden . . . Verhältnis des BewHelfers zu Dritten . . . . . . Zutritt zum Jugendlichen und Auskunftsrecht Anforderungen an die Bewährungshilfe . . . . . BewHilfe bei Soldaten . . . . . . . . . . . . . . .
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Rn 1 1b 2 3 7 10 11 13
Bestellung und Pflichten des Bewährungshelfers
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Bewährungs- und Unterstellungszeit
BewZeit und Zeitraum der Unterstellung unter einen BewHelfer fallen auseinander (§§ 22 I, 24 1 I 1), beginnen aber beide stets mit der Rechtskraft der Entscheidung über die Strafaussetzung (§ 24 I 2 iVm § 22 II 1). Es ist Aufgabe des Richters, eine sinnvolle Beziehung zwischen der Bew.und der Unterstellungszeit für den jeweiligen Probanden herzustellen (dazu Rn 1 a), was dadurch erleichtert wird, dass bei gebotenem Anlass diese Zeiten nachträglich abgeändert werden können. Als Regel sieht § 24 I 1 innerhalb der BewZeit eine Unterstellungszeit bis zu höchstens 2 Jahren vor. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass der Proband im Regelfall der Hilfe in der Anfangsphase am dringlichsten bedarf (Böhm NJW 91, 537) und er sich nach einer Zeit des Übergangs entweder gefangen hat oder hierzu auch mit Hilfe des BewHelfers nicht imstande ist. Dafür spricht nach BT-Drs. 11/5829 S. 20 die Tatsache, dass der weitaus überwiegende Teil der jrechtlichen Widerrufsentscheidungen innerhalb von 2 Jahren nach Strafaussetzung ergeht. Eine Betreuung über die erfolgversprechende Zeit hinaus könnte höchstens die Statistik über die Belastung des BewHelfers „verbessern“, wobei selbst „Karteileichen“ zwar nicht viel, aber doch unnötige Arbeit bringen. – Die Bestellung eines BewHelfers ist obligatorisch; unterbleibt sie, ist sie durch Beschluss nach § 58 I 1 nachzuholen (Wecker BewH 97, 324). Die gerade im JStrafrecht zu fordernde Reaktionsbeweglichkeit (Einf. II 22 u. 24–26) wird da- 1 a durch gewahrt, dass der Richter nach § 24 II 1 HS 1 seine Entscheidung über die Zeit der Unterstellung vor deren Ablauf ändern oder aufheben und sogar – innerhalb der BewZeit, die er auch verkürzen oder verlängern kann (§ 22 II 2) – nach § 24 II 1 HS 2 erneut die Unterstellung bis auf insgesamt 4 Jahre anordnen kann (§ 24 II 2 iVm § 22 II 2), was als Extrem aber eine ganz bes. Fallgestaltung voraussetzen dürfte. Das bedeutet für den Richter, dass es idR sinnvoll sein wird, die BewZeit über die Unterstellungszeit hinausreichen zu lassen, um Reaktionsmöglichkeiten zu behalten, zumal er sie stets vorzeitig beenden kann. Der BewHelfer aber wird beim Richter die Abkürzung oder Aufhebung der Unterstellung anregen, wenn sich herausstellt, dass seine Hilfe nicht mehr erforderlich ist oder – mit sehr viel Vorsicht – vergeblich bleibt; ggf. aber kann er auch umgekehrt – während der Unterstellungszeit – deren Verlängerung auf höchstens 4 Jahre vorschlagen. In beiden Fällen wird seine Begründung dem Richter die Nachprüfung ermöglichen müssen. Diese Bestimmungen erlauben es dem Richter und dem BewHelfer, der Entwicklung des Probanden zu folgen und rasch entsprechend zu reagieren. Es werden dadurch Proband und BewHelfer nur belastet, solange und soweit dies sinnvoll ist, und es kann bei entsprechender Beurteilung auch ein neuer Anlauf versucht werden (§ 24 II 1 HS 2). Ayass (BewH 90, 117, 120) hält es nach den bisherigen Erfahrungen für konsequent, die BewZeiten kürzer zu halten, den Verurteilten aber idR für die gesamte BewZeit einem BewHelfer zu unterstellen, und hat grds. Bedenken, die Dauer der Bestellung von der BewZeit zu lösen (S. 119). 2.
Verhältnis des BewHelfers zum Richter
Mit der Anordnung der Strafaussetzung zur Bew. gibt der Richter durch sinnvolle und gezielte 1 b Weisungen und Auflagen (§ 23, 3) der im JStrafrecht zwingend vorgeschriebenen Tätigkeit des BewHelfers die Richtung. Er entscheidet damit, wie sein Versuch durchgeführt und ob er ggf. abgebrochen wird. Den BewHelfer namentlich im Unterstellungsbeschluss zu benennen, kann die personale Beziehung zwischen BewHelfer und Proband fördern (vgl. Helgerth BewH 81, 249). §§ 24, 25 lockern zu Recht das Unterstellungsverhältnis des BewHelfers zum Richter. Er steht nicht mehr „unter Aufsicht des Richters“ (§ 24 I aF; die Dienstaufsicht liegt bei der Anstellungsbehörde, § 113), sondern überwacht im Einvernehmen mit dem Richter die Erfüllung der Weisungen, Auflagen, Zusagen und Anerbieten (§ 24 III 2; RL 2). Dies gibt dem BewHelfer den für eine hilfreiche Arbeit erforderlichen größeren Spielraum und wahrt im gegebenen Rahmen den Grundsatz der Entscheidungsnähe. Der Richter kann dem BewHelfer für seine Tätigkeit Anweisungen erteilen (§ 25 S. 2). Er sollte jedoch grds. den BewHelfer möglichst frei arbeiten lassen
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§ 25
2. Teil. Jugendliche
(RL 1 S. 2; § 23, 3). – Nur ein enges, unbürokratisches Vertrauensverhältnis kann zum Erfolg führen; ständiger persönlicher Kontakt durch offene Gespräche ist unentbehrlich (RL 1 S. 1, 2; R. Böhm BewH 95, 308). Der Richter muss (§ 58 I 2) den BewHelfer vor der Erteilung und Abänderung von Auflagen, vor Verlängerung und Verkürzung der Bew.- oder Unterstellungszeit und vor der Abschlussentscheidung hören, er soll ihn bei seiner ganzen Tätigkeit unterstützen (RL 2). Ein Vertrauensverhältnis zum J hält Ostendorf 6 entgegen RL 2 für tendenziell falsch, weil damit die Kontrollfunktion verdeckt werde. Der BewHelfer soll den Richter möglichst eingehend unterrichten (Rn 2). Auch Rn 8. 3.
Berichtstätigkeit
2 Durch Berichte (§ 25 S. 3, 4; RL 3) des BewHelfers wird der Richter stets auf dem Laufenden gehalten und von gröblichen und beharrlichen Verstößen gegen Weisungen, Auflagen, Zusagen oder Anerbieten (§ 25 S. 4) sofort unterrichtet. In der neuen RL 3 S. 1 ist zwar im Gegensatz zu RL 5 (alt) nicht mehr davon die Rede, dass der JRichter den BewHelfer verpflichten kann, schriftlich zu berichten. Häufig wird aber ein schriftlicher Bericht auch bei der Belastung der BewHelfer aus vielerlei Gründen sinnvoll und sicherer sein. Das Hauptgewicht liegt bei der Mitteilung der Tatsachen (Familienverhältnisse, Arbeit, Schule, Freundschaften, Freizeitgestaltung, Verhältnis zur Tat, wirtschaftliche Verhältnisse, Pläne, Verhältnis des J zum BewHelfer ua); daneben ist eine daraus abgeleitete Beurteilung des Täters und seiner Situation zu geben; weiter müssen die Folgerungen, die der BewHelfer daraus zieht, und seine Absichten angegeben werden. – Soweit der Richter das Ermittlungsergebnis für seine Entscheidung benutzen will, darf dies nur nach den Vorschriften der StPO geschehen; der BewHelfer wird deshalb im Bericht zweckmäßig Beweismittel angeben. Der erste Bericht muss umfassend sein; spätere können sich auf die Mitteilung von Änderungen beschränken. Der Schlussbericht (§ 26 RL 1) muss so rechtzeitig vorgelegt werden, dass erforderlichenfalls die Bew.- oder Unterstellungszeit noch verlängert werden kann (§§ 26 II, 22 II 2; RL 1 zu §§ 26, 26 a), und sich zur Frage des Straferlasses oder des Widerrufes äußern. 2 a Gröbliche oder beharrliche Verstöße (§ 26) müssen umgehend dem Richter mitgeteilt werden (§ 25 S. 4), andere Verstöße teilt der BewHelfer dem Richter nach pflichtgemäßem Ermessen mit oder bereinigt sie selbst (vgl. dazu Rn 4 a aE). Diese freiere Regelung stärkt das Vertrauen des Probanden zum BewHelfer. Mitteilungen an andere Stellen über Umstände, welche den Probanden belasten, oder Anzeige an die Strafverfolgungsbehörden sind (außerhalb des Bereichs des § 138 StGB) nie Sache des BewHelfers (Gräber BewH 82, 304; aber uU Dienstvergehen). Straftaten hat der BewHelfer dem Richter mitzuteilen (so auch Ostendorf 4), nicht ausgesprochene Bagatellen, aber auch nicht nur erhebliche (so aber Schaffstein/Beulke S. 190). Er muss – gerade auch in Zweifelsfällen – den Richter informieren und es ihm hierdurch ermöglichen, entsprechend einzugreifen (vgl. RL 3 S. 2, 3; Ostendorf 4; Helgerth BewH 81, 252; Gräber BewH 82, 304). Diese Berichtspflicht besteht unabhängig von einer Zustimmung des Probanden (Bruns BewH 97, 8). Eisenberg 17 rät dagegen dem BewHelfer „im Interesse vertrauensbildenden Verhaltens . . . die Mitteilungspflicht restriktiv zu handhaben“. Das Vertrauensverhältnis wird aber nicht berührt, wenn der BewHelfer den Probanden auf die Berichtspflicht hingewiesen hat (Ostendorf 4). Der Richter muss sich auf die Berichte des BewHelfers, auf ihre Objektivität und Vollständigkeit verlassen können (Kästner BewH 97, 28) und darf nicht fürchten müssen, dass der BewHelfer nur „restriktiv“ nach seinem Ermessen mitteilt (so aber Eisenberg 17). Es ist zweckmäßig, wenn das JAmt einen Durchschlag des Berichtes erhält (Ziethen BewH 61, 128). Der Richter wird nicht nur Berichte über Verstöße nach § 25 S. 4 einfordern, sondern auch über alles Wesentliche im Hinblick auf die Entwicklung des J, seine Lebensverhältnisse und sein Verhalten (RL 3 S. 2), um ggf. nach § 24 II reagieren zu können. Bes. Vorfälle muss der Richter sofort erfahren (RL 3 S. 3).
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Bestellung und Pflichten des Bewährungshelfers
4.
§ 25
Verhältnis des BewHelfers zum Probanden
Es soll menschlich, unbürokratisch und muss auf Vertrauen und Achtung aufgebaut sein (RL 3 2); Verschwiegenheit des BewHelfers gegen Dritte (Rn 9) ist eine wesentliche Voraussetzung. Bes. in der Anfangszeit hat die Einzelbetreuung Vorrang vor der Gruppenarbeit (günstige Befunde über die Arbeitsbeziehungen zwischen J und BewHelfern bei Kawamura-Reindl/Stancu BewH 10, 133). Eine wirksame Hilfe (§ 24 III) ist nur möglich, wenn der BewHelfer sich eingehend mit der Per- 4 son des J vertraut gemacht hat, also weiß, was not tut (zur Bedeutung jpsychiatrisch-forensischer Gutachten für die BewHilfe Fendel/Klosinski DVJJ-J 97, 149). Seine Tätigkeit darf sich nicht auf die sehr wichtige Arbeitsvermittlung und existenzsichernde Hilfen beschränken (dazu § 21, 6 a); er soll vor allem auch den J in schwierigen Fragen beraten, ihn zur Fortbildung und Weiterentwicklung anregen und so an der Gestaltung des Lebens des J mitwirken. Zur Beziehungsarbeit in der BewHilfe Posch DVJJ-J 99, 366. Vgl. auch § 38, 16. Zur BewHilfe gehört auch eine Auseinandersetzung mit der Tat, der Tatverantwortung und Rückfallgefahren; zur Einbeziehung der Opferperspektive Stiels-Glenn BewH 97, 164; zur Arbeit mit Sexualstraftätern in der BewHilfe instruktiv Stiels-Glenn/Willing BewH 96, 54. Der Betreuung von HIV-infizierten und an Aids erkrankten Probanden kommt auch für die 4 a BewHilfe (und JGH) erhebliche Bedeutung zu (zur Gesamtproblematik Franck Strafverfahren gegen HIV-Infizierte, 2001). Ein gutes Vertrauensverhältnis zum BewHelfer gibt Ansatzpunkte zu persönlicher Beratung, auch zu Aids-Prävention. Klingmann (BewH 87, 138) weist auf Einzelfallhilfe und Gruppenarbeit hin, um die HIV-Infizierten aus ihrer Isolation zu holen, Fritschka (BewH 87, 112) empfiehlt Zurückhaltung und Einfühlungsvermögen beim Thema Sexualität. Zur Vorbereitung einer angemessenen Rechtsfolgenentscheidung sollten Mitarbeiter von Aids-Hilfen und Drogenberater in das Strafverfahren einbezogen werden (Franck aaO, S. 99 f, 119, 133 ff). Schwierig wird die Situation für den BewHelfer, wenn ein HIV-infizierter Proband erkrankt und er die einzige verlässliche Bezugs- und Vertrauensperson ist. Nicht nur wegen solcher extremer Entwicklungen sind gezielte Fortbildungsveranstaltungen für BewHelfer, JGHelfer und alle gefordert, deren Entscheidungen hier nötig werden können. Vgl. insgesamt zur Betreuung von HIV-Infizierten durch die Bewährungshilfe Heckmann BewH 87, 147; Kleiber BewH 90, 201; Klingmann BewH 89, 91; Bruns BewH 89, 18; Heide BewH 89, 58; Baumgartner/Büttner/Spannagl BewH 89, 157; B.-D. Meier MKrim. 89, 207; Frankenberg ZRP 89, 412. Zur Berücksichtigung einer HIV-Infektion bei der Rechtsfolgenentscheidung Franck aaO, S. 81 ff. In kritische Konflikte gerät der BewHelfer, wenn er von ungeschützten Sexualkontakten erfährt. Es wird sich empfehlen, dass er diese Problematik mit dem Probanden in aller Offenheit bespricht. Vgl. BayObLG (NJW 90, 131 = JR 90, 473 mit zust. Anm. Dölling) zur Straflosigkeit einverständlichen Geschlechtsverkehrs mit HIV-Träger; auch Schünemann/Pfeiffer Hrsg., Rechtsprobleme von Aids, 1988 (darin Bottke u. Eberbach zu strafrechtl. Problemen S. 174–247); Gramm NJW 89, 2917. Zu Mitteilungen an den Richter Rn 2; zum Zeugnisverweigerungsrecht für Aidsberater § 38, 14 aE. Vgl. allg. auch 2; BVerfG NJW 87, 2278; BGH NJW 89, 42 u. 781. Neben Hilfen hat der BewHelfer den J zu beaufsichtigen (§ 24 III; § 23, 3, 9), um entsprechend 5 berichten zu können. Ob im Rahmen der Betreuung Aufsicht oder Hilfe überwiegt, richtet sich nach der Persönlichkeit des J, seinen Lebensverhältnissen und deren Entwicklung. Über die vom Richter erteilten Weisungen und Auflagen hinaus hat der Proband zumindest solche Anordnungen des BewHelfers zu befolgen, die dieser ihm zur Gewährleistung seiner Hilfs- und Aufsichtsfunktion erteilt (zB Sprechstundenbesuch, Mitteilung eines Aufenthaltswechsels ua). Dagegen ist die Weisung „allen Weisungen des BewHelfers Folge zu leisten“ unzulässig, da der Richter sein Weisungsrecht nicht delegieren darf (vgl. § 10, 10) und die Weisung selbst zu unbestimmt und weit gefasst ist.
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§ 25
2. Teil. Jugendliche
6 Zum Verteidiger kann der BewHelfer nicht bestellt werden, selbst wenn er die erste juristische Staatsprüfung abgelegt hat (BGH 20, 95). Die Bestellung zum Beistand (§ 69) wird besser zur Vermeidung erz. Nachteile unterbleiben. Beides könnte den BewHelfer in gefährliche Rollenkonflikte bringen. Soweit der BewHelfer sonst im Rahmen seines Aufgabenkreises den Probanden rechtlich berät und betreut, wird er von § 8 I Nr. 1 des Rechtsdienstleistungsgesetzes gedeckt. 5.
Verhältnis des BewHelfers zu Dritten
7 Ein gutes Verhältnis zu ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertretern ist wünschenswert (vgl. § 24 III 3, 4, 5), da die Erz. einheitlich sein soll; der BewHelfer muss sich darum bemühen. Eisenberg (24) allerdings sieht hinter einheitlicher Erz. die Gefahr einer „Kumulierung von Machtausübung gegenüber dem Verurteilten“. Bei unverständigen ErzBerechtigten wird eine Zusammenarbeit manchmal nicht möglich sein; dann kann es notwendig werden, den J aus seiner häuslichen Umgebung zu entfernen. 8 Ebenso notwendig ist eine gute Zusammenarbeit mit Behörden, JAmt, Arbeitsamt, Wohnungsamt, Vollzugsanstalt und Vollzugsanstaltssozialarbeit, die zur Amtshilfe verpflichtet sind (Art. 35 GG), mit Wohlfahrts-Organisationen, Heimen, aufgeschlossenen Firmen ua, da nur dann die Möglichkeit gegeben ist, dem J zu helfen (Rn 4). 9 Doch soll der BewHelfer möglichst unauffällig auftreten und allen Dritten gegenüber schweigen, um das Vertrauen des J nicht zu enttäuschen (RL 4 S. 1; vgl. auch § 203 I Nr. 5, II StGB u. § 38, 19). Das gilt auch gegenüber den Eltern; doch wird der BewHelfer hier ggf. versuchen, den J selbst zur Mitteilung an seine Eltern zu bewegen. Vorstrafen des zur Bew. entlassenen Probanden darf und braucht er dem künftigen Arbeitgeber nicht mitzuteilen (LG Stuttgart Justiz 76, 469 zu § 839 BGB). Gegenüber höheren Rechtsgütern muss allerdings die Schweigepflicht zurücktreten (dazu Helgerth BewH 81, 253). Der BewHelfer hat deshalb auch kein Zeugnisverweigerungsrecht (dazu § 38, 14; BVerfG NJW 72, 2214; Eisenberg 18; Ostendorf 12; Foth BewH 87, 199), bedarf jedoch der Aussagegenehmigung nach den beamtenrechtlichen Vorschriften (Gräber BewH 82, 304, 305; v. Schenk BewH 60, 35). Soweit irgend möglich, wird der verständige Richter den BewHelfer nicht als Zeugen gegen den Probanden beiziehen; die von Ziethen (BewH 60, 36) geforderte Vernehmung als Sachverständiger ist allerdings nicht möglich. Zur Anhörung des BewHelfers nach § 50 IV u. zur prozessualen Verwertung seiner Angaben s. § 50, 14 iVm § 38, 14. Angaben des BewHelfers außerhalb einer förmlichen Vernehmung können bei Bestätigung durch den J auf diesem Weg in das Verfahren eingeführt werden. Als solche sind die formlosen Angaben prozessual nicht verwertbar; formlose „Vernehmung“ des BewHelfers führt zur Aufhebung des Urteils, wenn die Möglichkeit besteht, dass es auf diesem Fehler beruht (OLG Oldenburg MDR 77, 775). Gegenüber dienstaufsichtsführenden Stellen hat der BewHelfer kein Schweigerecht (RL 4 S. 2; Brause BewH 96, 228; näher zur Frage einer innerorganisatorischen Schweigepflicht Bruns Die Schweigepflicht der Sozialen Dienste der Justiz, 1996 S. 84 ff). Zu den bes. Aufgaben bei der Betreuung nach Aussetzung einer JStrafe § 88, 13 u. 16. Die Vorschriften des JGG über die BewHilfe enthalten bereichsspezifische Datenschutzregelungen, die den Datenschutzgesetzen vorgehen (Brause BewH 96, 222 f; zum Datenschutz in der BewHilfe s. auch die Beiträge von Lübbemeier ua in BewH 97, 3 ff). 6.
Zutritt zum Jugendlichen und Auskunftsrecht
10 Zutritt zum J kann sich der BewHelfer jedem Dritten gegenüber mit polizeilicher Hilfe erzwingen (§ 24 III 4; Dallinger/Lackner § 24, 27; Dorsch BewH 64, 209; Potrykus § 24 B 6; Eisenberg 26), sollte es aber grds. nicht (zust. Rappenecker BewH 73, 236). Ist der J in UHaft, darf der BewHelfer ihn wie der Verteidiger besuchen (§ 72 b). Weiter hat er gegenüber Erziehern und Ausbildern ein
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Bestellung und Pflichten des Bewährungshelfers
§ 25
Auskunftsrecht über die Lebensführung (§ 24 III 5), das aber nur dadurch erzwungen werden kann, dass der Richter bei Auskunftsverweigerung selbst vernimmt (Dallinger/Lackner § 24, 28; aA Potrykus § 24 B 6, der § 33 FGG [jetzt § 35 FamG] anwenden will; völlig abl. Ostendorf 8). – Beide Rechte darf der BewHelfer nur ausüben, soweit die BewHilfe das erfordert.
7.
Anforderungen an die Bewährungshilfe
Die schwierige Aufgabe eines BewHelfers können auch gut ausgebildete und erfahrene Sozial- 11 arbeiter mit hoher Einsatzbereitschaft, Festigkeit und Geduld nur dann lösen, wenn sie nicht überlastet sind. Der BewHelfer darf nicht bürokratisch arbeiten; sein Büro ist besser nicht in Dienstgebäuden. Seine Zuständigkeit richtet sich grds. nach der Geschäftsverteilung. Doch kann der Richter entgegen der Geschäftsverteilung auch einen anderen BewHelfer (zB Frau statt Mann) bestellen; er könnte den zuständigen amtlichen BewHelfer ja auch durch einen ehrenamtlichen ausschalten (§ 24 I 2). Versagt der BewHelfer, führt die Strafaussetzung oft zum Misserfolg. Wegen dieser Bedeutung des BewHelfers und der hohen persönlichen Voraussetzungen sollte 12 ein ehrenamtlicher BewHelfer (§ 24 I S. 2; RL 5) nur bestellt werden, wenn erzbefähigte, gefestigte Persönlichkeiten vorhanden sind, die den J gut kennen, auf ihn Einfluss haben (Verwandte) und auch bereit sind, tätig zu werden (RL 5). Auch wo der amtliche BewHelfer zu bekannt ist und sein Einsatz den J ins Gerede bringen könnte, kann der Einsatz eines ehrenamtlichen BewHelfers erwogen werden. Der ehrenamtliche BewHelfer hat alle Rechte und Pflichten eines BewHelfers. Eine Verpflichtung zur Übernahme dieses Amtes besteht nicht. Die bei manchen Bewerbern auffallende „Sozialromantik“ reicht meist nicht weit und kann gefährlich werden. Ähnlich Cyrus BewH 82, 363; Gerlicher Laienhelfer in der ErzBeratung, 1979. Zu den rechtlichen Strukturen der ehrenamtlichen BewHilfe Block BewH 98, 121.
8.
BewHilfe bei Soldaten
Bei Soldaten hat der BewHelfer, der nicht Soldat ist, gem. § 112 a Nr. 5 nur geringe Befugnisse. 13 Er muss sich praktisch auf die zivilen Maßnahmen (Täter-Opfer-Ausgleich, Schadenswiedergutmachung, Vorbereitung für die Zeit nach dem Wehrdienst) beschränken, kann aber kaum Einfluss auf Haltung und Lebensführung des Soldaten nehmen (Potrykus NJW 57, 814). Auch unzulässige Maßnahmen des Disziplinarvorgesetzten haben nach § 112 a Nr. 5 letzter Satz Vorrang; BewHelfer und Richter können dagegen bei dessen militärischem Vorgesetzten Beschwerde einlegen (Dallinger/Lackner § 112 a, 39). BewHelfer kann jeder Soldat sein, auch der Disziplinarvorgesetzte. Er sollte jedoch eine in der 14 Sozialarbeit erfahrene, ausgeglichene Persönlichkeit und älter als der Verurteilte sein. Ist ein Vorgesetzter BewHelfer, besteht die Gefahr, dass es nicht zu dem erforderlichen menschlichen Kontakt kommt. Vor der Bestellung eines Soldaten muss der nächste Vorgesetzte des J (oder Hw.) gehört werden (§ 112 d). Die Auswahl muss bes. sorgsam erfolgen, weil der Richter keine Anweisungen geben kann (§ 112 a Nr. 4 S. 2). Auch der militärische BewHelfer muss dem Richter berichten; doch darf der Richter ihm keine bestimmten Anweisungen erteilen, um militärische Interessen nicht zu gefährden (§ 112 a Nr. 4 S. 2). Bei nicht behebbaren Schwierigkeiten kann der Richter auch den militärischen BewHelfer entlassen (Dallinger/Lackner § 112 a, 38). – Als Soldat ist der BewHelfer Befehlen Vorgesetzter nur im Rahmen des Dienstverhältnisses unterworfen; Anordnungen ohne Bezug auf den Dienst trifft er selbständig (Dallinger/Lackner § 112 a, 37). Ob der JRichter den amtlichen BewHelfer (oder einen anderen Zivilisten – vgl. § 24 I S. 2 –) 15 oder einen Soldaten zum BewHelfer bestellt, liegt in seinem Ermessen. Wo, wie meist, zivile
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§ 26 a
2. Teil. Jugendliche
Verhältnisse der Regelung bedürfen, verdient – bes. bei Taten ohne Bezug auf den Wehrdienst – der zivile BewHelfer den Vorzug, zumal die allg. Sorgepflicht des militärischen Vorgesetzten besteht (§ 10 II, III SoldG). Bei Taten aus der Zivilzeit sollte die BewHilfe bei Wehrpflichtigen grds. am Heimatort weitergeführt werden (BGH NJW 59, 1503 mit Anm. Grethlein; OLG Köln SjE F 3 S. 291; zust. Ostendorf 5). Roestel (UJ 59, 200) und Potrykus (NJW 57, 814, 817) geben dem ehrenamtlichen militärischen BewHelfer den Vorzug; das ist für Taten mit Bezug zum Wehrdienst richtig. 16 Die militärischen Interessen sind zum Schaden einer wirksamen BewHilfe und -Aufsicht überbetont. Ein gewisser Ausgleich liegt in der Pflicht der militärischen Vorgesetzten gem. § 10 II, III SoldG, sich dafür einzusetzen, dass ein unter BewAufsicht stehender Soldat das Ziel der Bew. auch erreicht, und in der meist guten Zusammenarbeit zwischen Truppe und zivilem BewHelfer. 17 Spezielle Verwaltungsvorschriften der Länder für Bewährungshelfer, auch im Rahmen der Führungsaufsicht (§§ 68 a ff StGB), sind zu beachten (RL 6). Zu BewHelfern näher § 113, 2.
§ 26 Widerruf der Strafaussetzung Widerruf der Strafaussetzung (1) Der Richter widerruft die Aussetzung der Jugendstrafe, wenn der Jugendliche 1. in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, daß die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat, 2. gegen Weisungen gröblich oder beharrlich verstößt oder sich der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers beharrlich entzieht und dadurch Anlaß zu der Besorgnis gibt, daß er erneut Straftaten begehen wird, oder 3. gegen Auflagen gröblich oder beharrlich verstößt. Satz 1 Nr. 1 gilt entsprechend, wenn die Tat in der Zeit zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung und deren Rechtskraft begangen worden ist. (2) Der Richter sieht jedoch von dem Widerruf ab, wenn es ausreicht 1. weitere Weisungen oder Auflagen zu erteilen, 2. die Bewährungs- oder Unterstellungszeit bis zu einem Höchstmaß von vier Jahren zu verlängern oder 3. den Jugendlichen vor Ablauf der Bewährungszeit erneut einem Bewährungshelfer zu unterstellen. (3) Leistungen, die der Jugendliche zur Erfüllung von Weisungen, Auflagen, Zusagen oder Anerbieten (§ 23) erbracht hat, werden nicht erstattet. Der Richter kann jedoch, wenn er die Strafaussetzung widerruft, Leistungen, die der Jugendliche zur Erfüllung von Auflagen oder entsprechenden Anerbieten erbracht hat, auf die Jugendstrafe anrechnen. 1. Hw.-J: § 105 I. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1, V 1; § 21, 13 aE, § 58, 8. Anmerkungen und Richtlinien hierzu s. nach § 26 a.
§ 26 a Erlaß der Jugendstrafe § 26 a Erlaß der Jugendstrafe Widerruft der Richter die Strafaussetzung nicht, so erläßt er die Jugendstrafe nach Ablauf der Bewährungszeit. § 26 Abs. 3 Satz 1 ist anzuwenden. 1. Hw.-J: § 105 I. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1, V 1; § 21, 13 aE, § 58, 8.
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§ 26 a
Erlaß der Jugendstrafe
Richtlinien zu §§ 26 und 26 a: 1. Vor Ablauf der Unterstellungszeit legt der Bewährungshelfer dem Gericht einen Schlußbericht so rechtzeitig vor, daß Maßnahmen nach § 26 Abs. 2 in der gebotenen Zeit getroffen werden können, namentlich die Bewährungs- oder Unterstellungszeit noch verlängert werden kann (§ 26 Abs. 2 Nr. 2, § 22 Abs. 2 Satz 2, § 24 Abs. 2 Satz 1). Der Bewährungshelfer ergänzt diesen Schlußbericht bis zum Ablauf der Unterstellungszeit, falls ihm Umstände bekannt werden, die für die Entscheidung über den Erlaß der Jugendstrafe oder den Widerruf der Strafaussetzung von Bedeutung sein können. 2. Kommt eine Entscheidung nach § 26 in Betracht, ist dem Jugendlichen Gelegenheit zur mündlichen Äußerung zu geben (§ 58 Abs. 1 Satz 3); auf § 58 Abs. 1 Satz 2 wird hingewiesen. 3. Wegen der Beseitigung des Strafmakels nach Erlaß einer Strafe oder eines Strafrestes wird auf § 100 hingewiesen. 4. Falls der Widerruf der Aussetzung in Betracht kommt, kann das Gericht vorläufige Maßnahmen treffen, um sich der Person des Jugendlichen zu versichern (§ 58 Abs. 2 JGG i. V. m. § 453 c StPO). Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
1.
Zeitpunkt des Widerrufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerrufsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Subsidiarität des Widerrufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sicherungshaftbefehl und Gelegenheit zur mündlichen Äußerung Rückerstattung und Anrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerruf der Bewährung bei Drogentätern . . . . . . . . . . . . . .
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Rn 1 2 7 9 11 13 14 16
Zeitpunkt des Widerrufs
Der Widerruf ist bis zum Erlass der JStrafe (Rn 14) bei Vorliegen der Voraussetzungen (Rn 2) je- 1 derzeit, auch nach Ablauf der BewZeit möglich. Wenn auch aus rechtsstaatlichen Gründen baldmöglichst zu entscheiden ist (OLG Hamburg NJW 70, 64), so ist doch nach hM der Widerruf nur bei ganz außergewöhnlichen Verzögerungen unzulässig (OLG Hamm NJW 74, 1520; OLG Karlsruhe Justiz 76, 436; OLG Koblenz MDR 77, 513; OLG Stuttgart MDR 82, 949; Justiz 82, 273, 336; OLG Hamm JMBl. NRW 82, 166: zulässig auch 3 Jahre nach Ablauf der BewZeit; OLG Düsseldorf GA 83, 87: nach 2 Jahren bzw. unbefristet widerruflich, falls nicht im Einzelfall der Vertrauensschutz entgegensteht; BGH NStZ 93, 235; OLG Düsseldorf VRS Bd 89 [95], 35: unzulässig, wenn die Entscheidung ungebührlich lang hinausgezögert worden ist u. der Verurteilte mit ihr nicht mehr zu rechnen braucht). OLG Bremen (StV 86, 165) hat einem in der BewZeit 1 rechtskräftig Verurteilten Vertrauensschutz zugebilligt, falls binnen 1 /2 Jahren kein Widerruf erfolgt ist. Nach KG NJW 03, 2468 kann der Widerruf auch vor Ablauf der BewFrist ausnahmsweise aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ausgeschlossen sein; nach LG München I StV 02, 434 ist ein Zeitabstand von 10 Monaten zwischen erneutem Urteil und Widerruf zu lang. Jedenfalls sollen die Ermittlungen schon im Hinblick auf § 22 II 2 (vgl. RL 1 S. 1) frühzeitig eingeleitet werden; auch muss die Entscheidung über Widerruf oder Erlass im ErzInteresse bald ergehen (Schrader NJW 73, 1832; zust. Eisenberg 18). Eine Verzögerung der Entscheidung ist nicht zulässig, wenn keine begründete Aussicht besteht, dass weitere Erkenntnisse über die Lebensführung des Verurteilten zu gewinnen sind (KG JR 67, 307). Zur notwendigen Ergänzung des Schlussberichts RL 1 S. 2. 2.
Widerrufsvoraussetzungen
Die Widerrufsvoraussetzungen sind in § 26 I Nr. 1–3 abschließend und rechtsstaatlichem Erfor- 2 dernis entsprechend möglichst bestimmt geregelt. Die Gründe, welche zum Widerruf führen können, sind zeitlich verschieden eingegrenzt. Als BewZeit wird der Zeitraum zwischen der Rechtskraft des auf Strafaussetzung erkennenden Urteils und dem Ablauf der darin festgesetz-
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ten oder darüber hinaus der nachträglich nach § 22 II geänderten BewZeit bezeichnet. Das Vertrauen eines Verurteilten, der in der verlängerten BewZeit eine Straftat begeht, auf Nichtverlängerung der BewZeit ist jedenfalls dann nicht schutzwürdig, wenn er den Zugang des Verlängerungsbeschlusses durch bewwidriges Verhalten, zB Nichterreichbarkeit für das Gericht, schuldhaft vereitelt hat (OLG München NStZ 99, 638 zum allg. Strafrecht). 2 a Widerruf nach Nr. 1 setzt eine Straftat in der Rn 2 bezeichneten BewZeit oder in der Zeit nach der letzten tatrichterlichen Verhandlung, aber noch vor Rechtskraft der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bew., voraus (§ 26 I 2 iVm Abs. I Nr. 1; ebenso § 56 f I 2 StGB). Es müssen alle Straftatvoraussetzungen einschließlich der Schuldfähigkeit gegeben sein (KG JR 83, 424; OLG Karlsruhe Justiz 98, 569). Bei zu einer rechtlichen Bewertungseinheit zusammengefassten Handlungen oder einem Dauerdelikt genügt es, dass ein Teilakt in die BewZeit fällt. Nach bislang herrschender Rechtsprechung und Lehre musste wegen der neuen Straftat noch kein rechtskräftiges Urteil ergangen sein, die schuldhafte Tatbegehung musste jedoch, insbes. aufgrund glaubhaften Geständnisses, zur Überzeugung des über den Widerruf entscheidenden Gerichts feststehen (OLG Stuttgart Justiz 72, 319; NJW 76, 200; Justiz 90, 303; 91, 403; OLG Hamm NJW 73, 911; JMBl. NRW 92, 46; OLG Karlsruhe GA 74, 156; Justiz 98, 533; OLG Bremen StV 84, 125; 86, 165; OLG Zweibrücken StV 85, 465; OLG Düsseldorf StV 86, 346; JMBl. NRW 1991, 235; NJW 92, 1183; StV 93, 35; OLG Köln NJW 91, 505; OLG Hamburg NStZ 92, 130; LG Osnabrück NStZ 91, 533 mit zust. Anm. Brunner; LG Hamburg MDR 94, 1140; Schaffstein/Beulke S. 179; Stree NStZ 92, 153). Das BVerfG (NStZ 88, 21; 91, 30) hat hierin keinen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung gesehen. Der EGMR (NJW 04, 43 = StV 03, 82 mit Anm. Pauly; Bespr. Neubacher GA 04, 402; Peglau NStZ 04, 248; Seher ZStW 118 [06] 101, 119) hat jedoch entschieden, dass ein Gericht gegen die Unschuldsvermutung des Art. 6 II EMRK verstößt, wenn es Aussagen zur Schuld einer Person trifft, die noch nicht verurteilt ist und noch kein Geständnis abgelegt hat (dazu Kraus Der Bewährungswiderruf gem. § 56 f I 1 Nr. 1 StGB u. die Unschuldsvermutung, 2007). Aufgrund dieses Urteils halten neuere Entscheidungen einen Widerruf nur noch für zulässig, wenn wegen der neuen Tat eine rechtskräftige Verurteilung oder ein glaubhaftes Geständnis vorliegt (OLG Jena StV 03, 574, 575; OLG Celle StV 03, 575; OLG Düsseldorf NJW 04, 790; OLG Nürnberg NJW 04, 2032; OLG Stuttgart NJW 05, 83; LG Saarbrücken ZJJ 05, 449 mit zust. Anm. Möller; vgl. auch OLG Hamm StV 04, 83); für das Erfordernis einer rechtskräftigen Verurteilung schon bisher OLG Celle StV 90, 504 gegen NJW 71, 1665; OLG Schleswig NStZ 86, 363, einschränkend jedoch StV 92, 327; OLG München StV 91, 174; Ostendorf 7; DSS/Sonnen 7). Für das glaubhafte Geständnis wird teilweise verlangt, dass es im Beisein eines Verteidigers und vor einem Richter abgegeben wird und kein begründeter Widerruf vorliegt (Ostendorf 7). Der bloße Bezug auf eine Anklage oder die Zustimmung des Beschuldigten zu einer Einstellung nach § 153 a StPO reicht zum Widerruf nicht aus (BVerfG StV 96, 163). Ein Freispruch oder eine rechtskräftige Verurteilung darf nach OLG Hamm (GA 57, 57) nicht nachgeprüft werden. Das OLG Düsseldorf (NStZ 90, 541) tritt dieser Entscheidung entgegen und fordert, dass das Gericht sich selbst die Überzeugung verschafft, dass der Verurteilte die erneute Tat begangen hat, ein rechtskräftiger Freispruch oder eine rechtskräftige Verurteilung binde es nicht. Nach KG NStZ-RR 05, 94 kann eine rechtskräftige Verurteilung nicht Grundlage eines Widerrufs sein, wenn sie auf materiellrechtlich ersichtlich unzutreffender Rechtsanwendung beruht, der Widerruf könne indessen ausgesprochen werden, wenn in dem Urteil sämtliche Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite getroffen seien, die Tat jedoch rechtlich fehlerhaft gewürdigt sei. 3 Ob eine neue Straftat den Widerruf fordert, hängt von ihrer Art, dem Umfang und dem Motiv, wesentlich von der Beziehung des J zu seiner Tat ab. Hieraus kann geschlossen werden, ob der J durch diese Tat zeigt, dass die der Strafaussetzung zur Bew. zugrunde liegende günstige Prognose sich nicht erfüllt hat. Eine Straftat iSv Nr. 1 verbietet eine weitere günstige Prognose nicht schlechthin (BGH StV 83, 364). Eine neuerliche günstige Sozialprognose setzt freilich bes. Um-
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stände voraus (OLG Saarbrücken NJW 75, 2215 f. ErwRecht; LG Marburg B NStZ 82, 415), die aber gerade im JRecht häufiger gegeben sein dürften (zust. Molketin Zbl. 81, 266), etwa Änderung der Lebensbedingungen oder eine neue, feste Beziehung (vgl. Ostendorf 6). Eine fahrlässige Straftat wird nur in Ausnahmefällen für den Widerruf genügen können, wenn der J hierdurch zu erkennen gegeben hat, dass er nicht ernstlich gewillt ist, sich Straffreiheit zu verdienen (OLG Hamm MDR 71, 942; zust. Ostendorf 5; Molketin aaO). Verschuldensform und Intensität der neuen Straftat müssen die ursprüngliche günstige Prognose widerlegen (Fischer § 56 f StGB 8 a; Frank MDR 82, 355). Wird die wegen der neuen Straftat verhängte Freiheitsstrafe wiederum zur Bew. ausgesetzt, wird dies idR ein Absehen vom Widerruf rechtfertigen (BVerfG NJW 85, 357; OLG Köln StV 93, 429; OLG Düsseldorf StV 94, 198; OLG Schleswig bei Lorenzen/Schiemann SchlHA 97, 146; 98, 165). Dies gilt jedoch nicht, wenn die der erneuten Aussetzung zugrunde liegende Prognoseentscheidung von unzutreffenden Voraussetzungen ausgeht oder nicht nachvollziehbar bzw. nicht überzeugend ist (BVerfG NStZ 87, 118; OLG Köln, aaO; OLG Düsseldorf, aaO u. VRS Bd. 89, 34; vgl. auch OLG Schleswig bei Lorenzen/Thamm SchlHA 96, 85). Nr. 2 gilt innerhalb der BewZeit (Rn 2) und setzt voraus, dass der J gröblich oder beharrlich ge- 4 gen Weisungen verstößt oder im Zeitraum der rechtskräftigen Unterstellung unter einen Bewährungshelfer sich der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers beharrlich entzieht. Zuwiderhandlungen gegen unzulässige, zB nicht hinreichend bestimmte Weisungen rechtfertigen einen Widerruf nicht (OLG München NStZ 85, 411; OLG Frankfurt ZJJ 03, 414; LG Saarbrücken ZJJ 05, 449, 450 mit zust. Anm. Möller; LK/Hubrach § 56 f StGB 18). Gegen Weisungen oder Auflagen verstößt der Jugendliche dann gröblich, wenn sein Verhalten eindeutig zeigt, dass er sich Straffreiheit nicht verdienen will, weil er bei gutem Willen, wenn auch mit Anstrengung, in der Lage gewesen wäre, den Weisungen nachzukommen oder die Auflagen zu erfüllen. Wichtig sind also neben einem nicht unwesentlichen Verstoß (vgl. Frank MDR 82, 354) vor allem die Gründe, welche zu solchem Verhalten geführt haben. Beharrlich handelt der Proband, wenn er mindestens schon einmal zuwidergehandelt hat (BGH 23, 172) und aus Missachtung oder Gleichgültigkeit dies immer wieder tut oder zu tun bereit ist (Dreher JR 74, 43, 53; Eisenberg 8; OLG Hamm ZJJ 08, 387, 388: wenn er „immer wieder oder auf längere Zeit“ zuwiderhandelt; Ostendorf 8 verlangt zusätzlich eine „Abmahnung“). Ein einzelner weisungswidrig nicht mitgeteilter Wohnungswechsel reicht nicht (LG Saarbrücken ZJJ 05, 449). Das Gesamtverhalten muss befürchten lassen, dass der J erneut Straftaten begehen wird (für Streichung dieses Erfordernisses Schoene NJW 00, 713), und die Auflehnung des Verurteilten gegen erteilte Weisungen und Auflagen dartun (Frank MDR 82, 355 mwN). Dies setzt im Rahmen einer Gesamtwürdigung nicht die Überzeugung des Gerichts von der Begehung einer erneuten Straftat, aber konkrete und objektivierbare Verdachtsmomente für künftige Straftaten voraus (LG Bückeburg NStZ 05, 168; für ErwRecht OLG Karlsruhe Justiz 75, 350; OLG Hamm MDR 76, 505; LG Hamburg MDR 76, 946; auch § 88, 19). Ein beharrlicher Verstoß muss nicht zugleich gröblich sein. Insgesamt vgl. Kratzsch JR 80, 369. Gerade bei gröblichen oder beharrlichen Verstößen gegen Weisungen und Auflagen genügt oftmals ein rasch verhängter Ungehorsamsarrest (Rn 8; ebenso Molketin Zbl. 81, 266). Der Proband entzieht sich der Aufsicht und Leitung des BewHelfers, wenn er sich für ihn unerreichbar macht, zB durch Wohnungswechsel ohne Benachrichtigung des BewHelfers. Ein bloßes Nichteinhalten von Terminen genügt nach Ostendorf 8 nicht. Doch ist auch da eine Fallgestaltung denkbar, die ausreicht; im Übrigen kann er durch richterliche Weisung dazu angehalten werden. Nach BGH (36, 97 = JR 90, 71 mit abl. Anm. Terhorst) liegt nicht ohne weiteres ein gröblicher oder beharrlicher Verstoß (nach § 56 c I StGB) gegen die erteilte Weisung vor, wenn der Verurteilte seine (notwendige) Einwilligung in eine angeordnete Heilbehandlung oder Entziehungskur oder in einen angeordneten Aufenthalt in einem Heim oder einer Anstalt zurücknimmt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn er aus seiner Sicht die Einwilligung nachträglich aus verständlichen Gründen für verfehlt hält und er sich die Strafaussetzung nicht unter Vortäuschung seines Einverständnisses von vornherein erschlichen hat.
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5 Nr. 3 gilt während der BewZeit (Rn 2) und ist dann erfüllt, wenn der J gröblich oder beharrlich (Rn 4) gegen Auflagen verstößt. Bei solcherart qualifizierten Verstößen gegen Auflagen (§§ 15, 23 I 2) setzt der Widerruf weder voraus, dass der J die Erwartungen nicht erfüllt hat, welche der Strafaussetzung zugrunde lagen, noch dass sich aus ihnen besorgen lässt, dass der J erneut Straftaten begehen wird. Denn gerade die Auflagen sollten eine gewisse notwendige Genugtuung erzwingen und sind unlösbar mit der Bewährungsentscheidung verknüpft. Zugleich aber ist das unter Rn 7 Gesagte zu berücksichtigen, was der Entscheidung des Richters die erz. gebotene Reaktionsbeweglichkeit erhält. Einschränkend Eisenberg 9; Ostendorf 9 fordert zusätzlich eine negative Prognose; dagegen Walter in Sieverts/Schneider, Hrsg., Handwörterbuch der Kriminologie 2. Aufl. Bd. 5 S. 164. Nur ein Verstoß gegen eine zulässige Auflage rechtfertigt den Widerruf (OLG Schleswig SchlHA 95, 16; LK/Hubrach § 56 f StGB 24). 6 Erfüllt der Jugendliche Zusagen oder Anerbieten nach § 23 II nicht, so ist das kein Widerrufsgrund (§ 23, 8) und kann nur zur Erteilung von Weisungen und Auflagen nach § 23 I, evtl. unter Verlängerung der BewZeit (§ 22 II 2), führen. Verstöße gegen Zusagen können aber andere Widerrufsgründe unterstützen. 3.
Subsidiarität des Widerrufs
7 Alle Widerrufsgründe (Rn 3–5) führen nur dann zum Widerruf, wenn nicht ein milderes Eingreifen des Richters dem J noch helfen kann, sich zu bewähren. Hierfür ist der Widerrufsgrund nach Gewicht und Ursache an dem Persönlichkeitsbild des J zu messen. Es können zugunsten des J Ansätze zu positiver Entwicklung, günstige Veränderungen jeglicher Art, auch verminderte Schuldfähigkeit oder entwicklungsbedingte Schwierigkeiten (vgl. AG Krefeld StV 83, 250) berücksichtigt werden. Es gelten die Grundsätze des § 5; damit wird jeder schematische Zwang vermieden und eine jgemäße Entscheidung gewährleistet. So kann und muss der JRichter, wo ein Erfolg möglicherweise riskant, aber doch möglich erscheint, es versuchen, die Verbüßung der Strafe zu vermeiden, indem er weitere oder andere, speziell abgestimmte, auch intensiver eingreifende Weisungen oder Auflagen erteilt, die Bew.- oder Unterstellungszeit verlängert (§ 26 II), uU auch unter Auswechslung des BewHelfers, bis zu einem Höchstmaß von 4 Jahren (insgesamt), oder auch, indem der Richter den J vor Ablauf der BewZeit zugleich mit deren Verlängerung erneut einem BewHelfer unterstellt (vgl. § 22 II 2; § 22, 4). Beschwerde § 59 II (dazu § 59, 6). Die Verlängerung der Bewährungszeit kann auch nach deren Ablauf erfolgen (§ 22, 4). Nach OLG Celle (NdsRpfl. 89, 257) ist die Strafe zu erlassen, wenn der Widerruf durch Verlängerung der BewZeit vermieden werden könnte, dies aber wegen Erreichung des Höchstmaßes nicht möglich ist. Es wird dabei auf den Einzelfall ankommen. 8 Widerruf kann – wohlüberlegt und in geeigneten Fällen – auch vermieden werden durch Verhängung eines Ungehorsamsarrestes, den § 23 I 4 bei als BewAuflagen erteilten Weisungen und Auflagen zulässt. Rasch gehandelt – und vollstreckt – ist dies eine angemessene, wirksame Maßnahme, dem J Bedenklichkeit und Folgen seines Fehlverhaltens in der BewZeit vor Augen zu halten und den schwerwiegenden Widerruf zu vermeiden (vgl. § 23, 7 u. Kratzsch JR 72, 374, der eine ähnliche Regelung sogar für das ErwRecht vorschlägt). Eisenberg (§ 26 a, 13) jedoch hält Ungehorsamsarrest eher ausnahmsweise für geeignet, das LG Münster – allerdings vor Änderung des § 23 I 4 – für schlechthin ungeeignet (NJW 70, 2259). Vgl. zu § 26 II Molketin Zbl. 81, 265. Ostendorf 13 hält hier den Ungehorsamsarrest jedenfalls für ein geringeres Übel als die Strafverbüßung, deren resozialisierenden Wert er als noch zweifelhafter bezeichnet. 4.
Sicherungshaftbefehl und Gelegenheit zur mündlichen Äußerung
9 Ist Widerruf zu erwarten, kann sich der Richter durch Sicherungshaftbefehl (RL 4; § 58 II iVm § 453 c StPO) der Person des J versichern. Näher bei § 61. Wenn Eisenberg 14 darauf hinweist, dass
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es nicht angehe, die Sicherungshaft durch bewusst verspäteten Anhörungstermin als „Denkzettel“ anzulegen, so wird dem niemand widersprechen; allerdings ist in der Praxis noch kein Fall bekannt geworden, der Anlass gegeben hätte, solches zu argwöhnen. Vor Entscheidung über den Widerruf – oder Erlass der JStrafe – sind der Staatsanwalt, der J und 10 der BewHelfer zu hören (§ 58 I 2). Vor einem Widerruf ist dem J Gelegenheit zur mündlichen Äußerung vor dem Richter zu geben (RL 2; § 58 I 3). Diese Vorschrift muss sehr ernst genommen werden. So kann rechtzeitig manches Missverständnis ausgeräumt und Zuwiderhandeln aus bloßer Hilflosigkeit erkannt werden. Vgl. im Übrigen § 58. 5.
Rückerstattung und Anrechnung
Nach Widerruf werden Leistungen, die der J in Erfüllung von Weisungen, Auflagen, Zusagen 11 oder Anerbieten (§ 23) erbracht hat, nicht zurückerstattet (§ 26 III 1). Der Richter kann jedoch solche Leistungen auf die JStrafe anrechnen, soweit sie nicht in der Erfüllung von Weisungen (§§ 10, 23 I 1) bestanden (§ 26 III 2). Ostendorf 15 will diese Ermessensentscheidung in eine Verpflichtung umdeuten und zweifelt die Ausgrenzung der Weisungen an. Diese Anrechnung gilt aber nicht als verbüßte Strafe iSd § 88 I (näher § 88, 1; aA Eisenberg 24). Leistungen aufgrund von Weisungen oder entsprechenden Zusagen können deshalb nicht angerechnet werden, weil sie die Lebensführung beeinflussen sollen, eine Anrechnung des hierfür Geleisteten sich deshalb verbietet (LG Offenburg NStZ-RR 04, 58, nach dem aber Therapiezeiten nach §§ 36 III, 38 I BtMG angerechnet werden können). Nach § 23 I 4 verbüßter JA kann nach später doch erfolgtem Widerruf nicht auf die JStrafe ange- 12 rechnet werden, da er nur die Reaktion auf den Ungehorsam ist. Deshalb lässt § 26 III eine solche Möglichkeit auch zu Recht unerwähnt. Ostendorf 15 will den Ungehorsamsarrest gegen die hM anrechnen, weil er Weisungen und Auflagen ersetze; gerade dies trifft aber nicht zu. 6.
Rechtsmittel
Die sofortige Beschwerde gegen den Widerruf (§ 59 III) hat nach dem Wortlaut des § 307 StPO 13 keine aufschiebende Wirkung. Der Widerrufsbeschluss gehört aber zu den urteilsvertretenden Beschlüssen, die zu ihrer Vollstreckbarkeit der Rechtskraft bedürfen (Meyer-Goßner § 307 StPO 1; Molketin Zbl. 81, 266). Dies verbietet bei sofortiger Beschwerde die Einleitung der Vollstreckung, wofür schon spricht, dass § 58 II iVm § 453 c StPO bis zur Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses einen Sicherungshaftbefehl zulässt (Eisenberg § 59, 28; Ostendorf § 59, 16). Zur Wiederaufnahme § 55, 49. Der StA hat gegen die Ablehnung seines Antrags auf Widerruf kein Rechtsmittel (§ 59, 5). Zur Aufhebung eines rechtskräftigen, auf der irrtümlichen Annahme beruhenden Widerrufsbeschlusses, eine Auflage sei nicht erfüllt, LG Bremen StV 90, 311: § 359 Nr. 5 StPO entsprechend. 7.
Erlass
Wo nicht widerrufen wird und kein Grund zur Verlängerung der BewZeit besteht, ist nach den 14 Abschlussermittlungen (RL 1) die Strafe unanfechtbar (§ 59 IV) und konstitutiv zu erlassen; der Strafmakel muss als beseitigt erklärt werden (§ 100; RL 3). Vor Straferlass muss sich das Gericht Gewissheit über das endgültige Fehlen der Widerrufsvoraussetzungen schaffen (BGH NStZ 93, 235; OLG Düsseldorf VRS Bd 89 [95], 365). Die Ermittlungen sollen rechtzeitig einsetzen, der Erlass jedoch kann jederzeit, auch noch nach Ablauf der BewZeit (Rn 2) ergehen und tritt mit Verkündung oder Zustellung ein. Im Rahmen der BewAuflage oder durch Anerbieten oder Zusagen (§ 23 I, II) erbrachte Leistungen werden nach Straferlass nicht zurückerstattet (§ 26 a S. 2 iVm § 26 III 1). Der Erlass ist nicht widerrufbar (BGH StV 92, 432; OLG Stuttgart StV 96, 271).
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Der im ErwRecht gem. § 56 g II StGB unter bestimmten Voraussetzungen mögliche Widerruf des Straferlasses wurde in das JGG nicht übernommen. 15 Verfahren: § 58; Anfechtung: § 59 III, IV. Zum Widerruf nach Aussetzung des Restes einer JStrafe durch den Vollstreckungsleiter § 88, 11. Die Gnadenentscheidung eines Justizministeriums eröffnet nicht die Möglichkeit zu gerichtlichen Entscheidungen nach §§ 22, 23, 26, 26 a (BGH Beschl. v. 6. 4. 1984 – 2 ARs 88/84). Zur Übertragung nach § 58 in diesem Falle § 58, 19. Widerruf und Erlass werden in das Zentralregister eingetragen. 8.
Widerruf der Bewährung bei Drogentätern
16 Nimmt der Proband weiter Drogen oder entzieht er sich der Therapie, so wird häufig bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen (§ 61, 5) rasche Sicherungshaft nach § 453 c StPO geboten sein, um hierdurch weitere Gefährdung zu vermeiden und durch umgehenden Widerruf der Bewährung für die Zukunft eine „operante Konditionierung gegen den Drogengebrauch“ zu setzen (Rubner Ärztl. Praxis 1978 Nr. 11, 12, 13; Wanke/Täschner Zs. f. Rechtsmedizin 1979, 209) und dem Fehlverhalten eine prompte „Bestrafung“ auch in lernpsychologischer Hinsicht folgen zu lassen. Versuche, den Widerruf zu vermeiden, dürften durch rasch verhängten Ungehorsamsarrest (Rn 8 und insbes. § 16, 19) kaum je, durch Verlängerung der BewZeit unter entsprechender Änderung oder Ergänzung der Auflagen aber in bestimmten Fällen nach gründlicher Überprüfung angebracht und erfolgversprechend sein, so wenn eine wesentliche Änderung der Lebensführung (Antritt einer Langzeittherapie oder Substitution mit Methadon bis zum Beginn einer Langzeittherapie) nunmehr Straffreiheit erwarten lässt (OLG Köln StV 96, 218; OLG Düsseldorf StV 98, 215). Der JRichter wird in seine Entscheidung einbeziehen und ggf. gerade auch nach Sicherungshaft berücksichtigen müssen, dass bei Drogenabhängigen Rückfall fast zur Regel wird und in bes. Fällen Rückfall als Motivationsanstoß für neuerliche BewAuflagen Erfolg versprechen kann. Oftmals kann ein Überwechseln in andere Hilfsstellen erforderlich und erfolgbringend sein. 17 Verstoßen psychisch Drogenabhängige gegen Weisungen, so ist eine Gesamtabwägung des widerrufsbegründenden Verhaltens, der Täterpersönlichkeit und der Befürchtung weiteren weisungsfeindlichen Verhaltens entscheidend (vgl. OLG Karlsruhe Justiz 81, 238 bei Unterbringung eines Erw.; s. auch Rn 7 mit AG Krefeld StV 83, 250). Zum Widerruf der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 IV BtMG: § 17, 30. Diese Grundsätze (auch § 17, 31) werden idR auch bei Widerruf nach § 26 entsprechend zu berücksichtigen sein. Steht Widerruf der Strafaussetzung in Frage und ist beim gleichen Täter bereits eine Strafvollstreckung nach § 35 I BtMG zurückgestellt, so kann es angezeigt sein, mit der Entscheidung bis zum Abschluss der Therapie zuzuwarten, wenn im Falle des Erfolgs der Therapie andere Maßnahmen nach § 26 II (vgl. Rn 8) ausreichen (OLG Zweibrücken MDR 83, 150; OLG Düsseldorf StV 89, 159 mit Anm. Hellebrand; StV 98, 215; OLG Celle StV 98, 216; jeweils für ErwRecht; Körner JR 83, 434). Auch beim Antritt einer Alkoholtherapie durch einen Täter, der seine Taten unter Alkoholeinfluss begangen hat, kann ein Aufschub der Entscheidung über den Widerruf geboten sein (OLG Schleswig bei Lorenzen/Schiemann SchlHA 98, 165). Maßregelvollzug in anderer Sache darf nach OLG Hamburg NStZ-RR 05, 221 222 nicht zur Aussetzung der Widerrufsentscheidung führen, wenn nach den voll aufgeklärten Prognoseumständen die Widerrufsvoraussetzungen vorliegen. Nimmt der J seine Einwilligung mit einer angeordneten Heilbehandlung zurück, so ist dies nach dem BGH (Rn 4) nicht ohne weiteres ein gröblicher oder beharrlicher Verstoß gegen eine entsprechende Weisung. Zu Drogenkriminalität allg. Einf. I 49–51; Hinweise auf spezielle Ausführungen zur Drogenproblematik bei anderen §§: Einf. I 51 a.
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§ 27
Voraussetzungen
Sechster Abschnitt Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe § 27 Voraussetzungen § 27 Voraussetzungen Kann nach Erschöpfung der Ermittlungsmöglichkeiten nicht mit Sicherheit beurteilt werden, ob in der Straftat eines Jugendlichen schädliche Neigungen von einem Umfang hervorgetreten sind, daß eine Jugendstrafe erforderlich ist, so kann der Richter die Schuld des Jugendlichen feststellen, die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe aber für eine von ihm zu bestimmende Bewährungszeit aussetzen. 1. Hw.-J: Rn 3, 7; § 105 I. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1. Richtlinie zu § 27: Der Schuldspruch nach § 27 wird nicht in das Führungszeugnis aufgenommen (vgl. § 32 Abs. 2 Nr. 2 BZRG). Schrifttum: Bandemer Der Weg vom „ob“ zum „als ob“: Die Zulässigkeit des Ausspruchs nach § 27 JGG bei Zweifeln über das Vorliegen schädlicher Neigungen, Zbl. 91, 368; Götting Überlegungen zur Einführung eines Warnschussarrests aus statistischer Sicht, FS Schöch, 2010 S. 254; Heublein § 27 JGG – eine ungeliebte Vorschrift?, Zbl. 95, 436; Kreischer Die Aussetzung der Verhängung der JStrafe (§ 27) in ihrer praktischen Bedeutung, Diss. Heidelberg 1971; Lorbeer Die Problematik der Aussetzung der Verhängung der JStrafe nach § 27, Diss. Marburg 1980; Memmler Schuldspruch gem. § 27 JGG – u. was dann?, RdJ 66, 225; Meyer K. P. Möglichkeiten des Absehens von JStrafe u. die Effizienz solcher Maßnahmen, Zbl. 81, 365; Müller-Piepenkötter/Kubink „Warn(schuss)arrest“ als neue Sanktion – rationale Perspektiven für eine ewige Kontroverse, ZRP 08, 176; Ostendorf Bew. ohne Freiheitsstrafe – eine Falltür im JStrafrecht, NJW 81, 378; Potrykus Über die bedingte Verurteilung nach §§ 27 ff JGG, MDR 54, 456; Radtke Der sogenannte Warnschussarrest im JStrafrecht – Verfassungsrechtliche Vorgaben u. dogmatisch-systematische Einordnung, ZStW 121 (09), 416; Schumann Der Einstiegsarrest – Renaissance der kurzen Freiheitsstrafe, ZRP 84, 319; Streng Das Aussetzungsverbot des § 30 I 2, JR 83, 485; Verrel/Käufl „Warnschussarrest“ – Kriminalpolitik wider besseres Wissen?, NStZ 08, 177; Vietze Der Einstiegsarrest – eine zeitgemäße Sanktion? 2004. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
1.
Sinn, Praxis und Rechtsnatur . . . . . . . . Umfang der Rechtskraft . . . . . . . . . . . Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbindung mit anderen Maßnahmen . . Maßregeln der Besserung und Sicherung .
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Rn 1 3 5 9 11 12 17
Sinn, Praxis und Rechtsnatur
Die bedingte Verurteilung (§ 21, 1) erspart dem Täter jeden Strafmakel und soll ein bes. Anlass 1 zu guter Führung sein, der bei weiterem Versagen angedrohten Folgen halber und mit Hilfe der BewAuflagen. Sie kann der Strafaussetzung zur Bew. nicht gleichgestellt werden, da bei ihr gerade keine JStrafe verhängt wird (BGH 9, 160). Sie ist keine Verurteilung iSd § 44 StGB (Feiertag DAR 02, 153). Die JStrafrechtspraxis wendet die bedingte Verurteilung nach § 27 nur sehr zurückhaltend an. 1 a 2009 wurde lediglich bei 2% der durch Urteil nach JStrafrecht Sanktionierten nach § 27 entschieden (berechnet nach Stat. BA S. 56 f). Dabei empfiehlt sich die bedingte Verurteilung durch manchen Erfolg, auch wenn sich die §§ 27, 21 wegen der unterschiedlichen Probanden nicht ohne weiteres vergleichen lassen (zu den nur bedingt vergleichbaren empirischen Befunden s.
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§ 27
2. Teil. Jugendliche
Eisenberg § 30, 21; Ostendorf Grdl. zu §§ 27–30, 4; Streng S. 263). Schaffstein/Beulke (S. 182 FN 3) warnen aber zu Recht davor, die Persönlichkeitsermittlung im Vorverfahren zu vernachlässigen und aus Unentschlossenheit nach § 27 zu entscheiden. 2 Die Rechtsnatur der bedingten Verurteilung ist umstritten. Potrykus (JR 61, 407) betrachtet die Entscheidung nach § 27 als reinen, von anderen Erwägungen isolierten Schuldspruch und leugnet jede Ahndungsmöglichkeit. Diese Ansicht kann schon deshalb nicht richtig sein, weil sie den erheblich gefährdeten J sich selbst überlässt, den JRichter in die Rolle des passiven Beobachters verweist, der nur abwartet, wie der J sich weiterentwickelt. Die Entscheidung über die Verhängung der JStrafe wird nicht zur Beobachtung, sondern zur Bewährung ausgesetzt. Die §§ 28 ff treffen alle Voraussetzungen, dass dem J geholfen werden kann. Solange ungeklärt ist, ob nichts anderes als JStrafvollzug zur erzgünstigen Beeinflussung ausreicht (Rn 5, 7), stellt der JRichter die Entscheidung über die Verhängung der JStrafe zurück, verharrt aber nicht untätig, sondern versucht, durch andere Maßnahmen (gem. §§ 29, 23, 24 Weisungen, Auflagen, Hilfe eines BewHelfers oder durch Verbindung mit weiteren Maßnahmen) den J so zu beeinflussen, dass JStrafe überflüssig wird. Es kann deshalb nicht von einer Zweiteilung des Verfahrens in Schuld- und Straffrage nach angelsächsischem Vorbild (so aber Schaffstein/Beulke S. 181: entsprechend der englischen Probation) gesprochen werden, zumal keineswegs immer eine neue (zweite) Hauptverhandlung stattfindet (vgl. § 30 II). § 27 unterscheidet sich auch von der „Verwarnung mit Strafvorbehalt“ nach § 59 StGB, weil diese – neben der Verwarnung – eine auflösend bedingte Verurteilung zu einer Geldstrafe ist, welche bereits mit dem Urteil bestimmt wird, also eher eine „Geldstrafe mit Bew.“ (Ostendorf NJW 81, 379). Die Entscheidung nach § 27 ist vielmehr eine echte Strafentscheidung (schon im Schuldspruch liegt eine schuldvergeltende Missbilligung), in der die schuldhafte Straftat festgestellt und das zur Erz. Erforderliche und möglicherweise Ausreichende sofort getan wird, jedoch im Interesse der Erz. auch die aus Gründen der Schuldvergeltung allein nicht gebotene, aber mögliche Verhängung von JStrafe für den Fall vorbehalten bleibt, dass anders eine Beeinflussung des Täters nicht erreicht werden kann (ebenso Böhm/Feuerhelm S. 272). Ostendorf NJW 81, 378 beschreibt, im Grunde kaum abweichend, die Entscheidung nach § 27 als missbilligende Unrechtszuschreibung, die gleichzeitig mit der Warnungs- und Hilfefunktion ein eigenständiges, wenn auch vorbehaltliches Sanktionsinstitut darstellt. 2.
Umfang der Rechtskraft
3 Die Rechtskraft umfasst nur den Schuldspruch selbst und die ihn unmittelbar tragenden Feststellungen, bei Hw. auch die Entscheidung nach § 105 (§ 30, 2, 3). An alle weiteren Feststellungen besteht keine Bindung im Nachverfahren, weil diese ja nur die Voraussetzungen des § 27, also die bestehende Unsicherheit, dartun sollen. Eine Bindung an sie widerspräche der materiellen Gerechtigkeit und wäre auch deshalb nicht tragbar, weil der J keine Möglichkeit hat, diese den Schuldspruch nicht tragenden Feststellungen anzugreifen (Dallinger/Lackner § 30, 14). Ob die Straffrage ganz offen bleibt und nachträglich noch jede Maßnahme des JGG angeordnet werden kann, oder ob auch hier jedenfalls insoweit eine Bindung besteht, als nur noch auf JStrafe erkannt werden kann, ist bestritten (§ 30, 3). 4 Die neben dem Schuldspruch getroffenen Maßnahmen können in Rechtskraft erwachsen, soweit sie deren fähig sind. Das ist für die BewAuflagen und für die BewZeit wegen der Abänderbarkeit (§§ 28 S. 2; 29, 23 I 3) nicht der Fall. Wegen anderer Verbindungen Rn 12. 3.
Voraussetzungen
5 Die Entscheidung nach § 27 mit dem Vorbehalt der nachträglichen Verhängung der JStrafe ist nur unter den folgenden Voraussetzungen möglich, nämlich:
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Voraussetzungen
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a) dass der Täter schuldig ist; b) dass eingehende Persönlichkeitsermittlungen im allg. vorgeschriebenen Umfang geführt sind (deshalb kann im vereinfachten JVerfahren keine bedingte Verurteilung nach § 27 ausgesprochen werden, § 78, 3; BayObLG 70, 216; Eisenberg 10; aA Ostendorf § 62, 1); c) dass dennoch nicht geklärt werden konnte, ob schädliche Neigungen überhaupt vorliegen oder deren Umfang schon zur Verhängung einer JStrafe zwingt (OLG Düsseldorf MDR 90, 466; für Beschränkung auf Fälle, in denen nur der Umfang von schädlichen Neigungen zweifelhaft ist, OLG Oldenburg ZJJ 11, 91; vgl. auch BGH 35, 288). Verschiedenes muss für JStrafe sprechen, anderes für andere Maßnahmen des JGG; es muss also Art oder Umfang der schädlichen Neigungen oder die erz. Ansprechbarkeit des Täters fraglich sein; d) dass JStrafe bei Art der Tat und der Schwere der Schuld mit dem Gedanken der Schuldvergeltung vereinbar, aber nicht geboten ist (§ 17, 9); letzteres ergibt sich aus dem Wortlaut des § 27, der nur auf schädliche Neigungen abstellt (Eisenberg 9). Diese Voraussetzungen sind bes. im Hinblick auf die doch begrenzten erz. Möglichkeiten unse- 6 rer JStrafanstalten öfter gegeben, als in der Praxis angenommen wird, weil es sich bei der Frage, ob schädliche Neigungen iSd § 17 vorliegen, um die grundlegende „Entweder-oder“-Entscheidung des JStrafrechts handelt, wie auch die Spanne zwischen 4 Wochen JA und 6 Monaten JStrafe zeigt. Die erforderliche Klarheit wird bei nur schwer durchschaubaren J häufig nicht gewonnen werden können, auch nicht bei bisher unauffälligen Tätern, die nun wegen mehrerer nicht unerheblicher, aus der bisherigen Entwicklung nicht ableitbarer Taten vor Gericht stehen (Heublein Zbl. 95, 439). Erfolgreich wird die Entscheidung nach § 27 bes. dann sein, wenn die Möglichkeit besteht, den J aus seiner ungünstigen Umgebung zu bringen. Es muss im Urteil dargelegt werden, welche Umstände für und gegen das Vorhandensein schädlicher Neigungen sprechen und warum die Frage nicht geklärt werden konnte (OLG Schleswig bei Döllel/Dreeßen SchlHA 03, 208). Die bedingte Verurteilung scheidet also aus, wenn schon die Schwere der Schuld eine JStrafe er- 7 fordert, bei Bagatelldelikten, welche die Verhängung einer JStrafe nie rechtfertigen (§ 17, 6), bei anderen als den bei Rn 5 genannten Unklarheiten; hier sind Zweifel zugunsten des Täters zu beheben. Ist der Täter zZ der Aburteilung schon über 24 Jahre alt, sind die Voraussetzungen grds. nicht mehr gegeben, weil dann die Entwicklung meist zu einem gewissen Abschluss gekommen ist. Auch wo von einer BewZeit keine günstige Beeinflussung erwartet werden kann (darüber § 21, 1), kommt eine Entscheidung nach § 27 als erz. sinnlos nicht in Betracht; falls es nicht noch andere Möglichkeiten der Beeinflussung gibt, bleibt nur die JStrafe, weil alle anderen Maßnahmen nicht zur Behebung der schädlichen Neigungen ausreichen. Ob eine Amnestie der Anwendung des § 27 entgegensteht (so BGH 9, 104 zum StrFrG 1954), ist 8 zweifelhaft; die Ansicht des BGH zwingt den Richter zu einer Feststellung, die er an sich nicht treffen kann. 4.
Folgerungen
Nur wenn die festumrissenen Voraussetzungen vorliegen, kann die Aussetzung, darf jedenfalls 9 keine JStrafe angeordnet werden (ebenso Eisenberg 13). Andere, zB erz. Gründe berechtigen dazu nicht (BayOblG 71, 864). Wegen dieser festumrissenen Voraussetzungen kann von einem Ausnahmecharakter der Vorschrift nicht die Rede sein (Dallinger/Lackner 12). Die Gegenmeinung (Potrykus B 2; Schaffstein/Beulke S. 182) verkennt die Schwierigkeiten, denen die gewissenhafte Feststellung begegnet, schädliche Neigungen von so großem Umfang lägen vor, dass nur noch JStrafe hilft (§ 17, 11). Der Schuldspruch wird nicht in das Führungszeugnis aufgenommen (§ 32 II 2 BZRG; RL; Vor 10 § 97, 18). Anrechnung von UHaft ist nur im Nachverfahren (§ 30) möglich, wenn JStrafe ver-
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hängt wird (LG Offenburg NStZ-RR 03, 351, 352). Es empfiehlt sich daher, in den Gründen des Urteils gem. § 27 darauf hinzuweisen, daß die Entscheidung über die Anrechnung von UHaft dem Nachverfahren vorbehalten bleibt (Dallinger/Lackner 17; Potrykus NJW 56, 654). Auch eine positive Entscheidung über die Gewährung von Haftentschädigung kann erst im Nachverfahren erfolgen (LG Offenburg aaO).
5.
Zuständigkeit
11 Die nach dem Schuldspruch erforderlich werdenden Entscheidungen obliegen dem erkennenden Richter (§ 62, 6). Der J(Einzel)Richter sollte deshalb den Schuldspruch nur aussprechen, wenn sich ausnahmsweise sicher voraussehen lässt, dass bei einem Nachverfahren höchstens JStrafe nicht über 1 Jahr verhängt wird; andernfalls ist Vorlage an das JSchöffengericht geboten (§ 41, 21, 26, 29), um zu vermeiden, dass ein anderes Gericht die Entscheidung nach § 30 trifft (§ 62, 6; Potrykus NJW 56, 655; Eisenberg 4; aA Ostendorf 2).
6.
Verbindung mit anderen Maßnahmen
12 Ob neben der Entscheidung nach § 27 außer den dort vorgesehenen Anordnungen für die BewZeit noch andere Maßnahmen ergriffen werden dürfen, ist sehr umstritten. Klar ist, dass daneben Weisungen und Auflagen als BewAuflagen (§§ 29, 23, 10, 15) verhängt werden können. Eine Verwarnung (§ 14) ist neben dem Gewicht der Entscheidung nach § 27 nicht am Platze, ebenso wenig die Anordnung der Erziehungsbeistandschaft (§ 12), weil durch die BewHilfe das gleiche Ziel besser, vor allem mit mehr Nachdruck angestrebt werden kann. Die Frage tritt also praktisch nur im Verhältnis zu Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 und JA auf und hat bei letzterem eine lebhafte Diskussion ausgelöst. 13 JA ist neben der Entscheidung nach § 27 nicht zulässig. Den sog. „Einstiegsarrest“ (EA) lehnen ab: BGH 18, 207; BayObLG 97, 19 = NStZ-RR 97, 216; NStZ-RR 98, 377; OLG Düsseldorf NJW 62, 1640; OLG Celle NStZ 88, 315 mit zust. Anm. Bietz = JR 89, 214 mit abl. Anm. Brunner; DSS/Diemer § 8, 6; Eisenberg § 8, 11; Ostendorf 10; Dallinger/Lackner 19; Schaffstein/Beulke S. 184; Böhm/Feuerhelm S. 272 f; Albrecht S. 275; Schöch JR 78, 75; Nothacker S. 172 FN 360 b; Wolf S. 324 FN 4; Hügel BewH 87, 50; Hinrichs BewH 87, 56; Eisenhardt Gutachten über den JA, 1989 S. 158; Maurach/Gössel/Zipf S. 732; Lösch JR 61, 1151; Potrykus JR 61, 407; Voß NJW 62, 1095; von Beckerath JStrafrechtliche Reaktionen bei Mehrfachtäterschaft, Diss. Tübingen 1997 S. 34; Vietze S. 86. Nach dem BVerfG (NJW 05, 2140; zust. Baier JurArbbl. 05, 688) verstößt die Anordnung von JA neben einer Entscheidung nach § 27 gegen das Verbot analoger Rechtsanwendung zum Nachteil des Betroffenen im Strafrecht (Art. 103 III GG). Danach ist jede Rechtsanwendung, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht, unzulässig. Nach § 13 I dürfen Zuchtmittel nur angeordnet werden, wenn JStrafe nicht geboten ist. Diese Voraussetzung kann bei einer Entscheidung nach § 27 nicht sicher festgestellt werden. In der Rspr der Strafgerichte und in der Literatur wird gegen die Koppelung angeführt, dass durch das Verbot der gleichzeitigen Verhängung von JStrafe und JA (§ 8 II 1) der Grundsatz der Einspurigkeit des Freiheitsentzuges verwirklicht werde und dieser Grundsatz bei den verschiedenen Aufgaben und Anwendungsbereichen von JStrafe und JA auch dann zu beachten sei, wenn die Verhängung nicht gleichzeitig erfolge, da wegen einer Tat gegen den Täter nicht beide unterschiedliche Maßnahmen verhängt werden dürften; zudem dürfe JA schlechthin nicht verhängt werden, wenn schädliche Neigungen iSd § 17 nicht ausgeschlossen werden könnten. Weiter wird die Koppelung abgelehnt, weil jede Verbindung eine das Verfahren abschließende Entscheidung voraussetze, was bei § 27 gerade nicht der Fall sei; weil eine Doppelbestrafung vorliege, wenn im Nachverfahren auf JStrafe erkannt würde; weil JA nicht verhängt werden dürfe, wenn seine Voraussetzungen und damit sein Erfolg zweifelhaft seien. Auch von Gegnern wird allerdings teilweise angenommen, dass die
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Verbindung des Ausspruches nach § 27 mit der Anordnung von JA nach den praktischen Erfahrungen zu erz. guten Ergebnissen geführt und bei Gruppendelikten unbefriedigende Ergebnisse vermieden habe (so Martin LM § 8 JGG A 2; Dorsch BewH 60, 48; Thiesmeyer Zbl. 78, 26; Schaffstein/Beulke S. 184 f; Schaffstein ZStW 70, 886 u. Anm. NStZ 86, 510; Bietz Anm. NStZ 82, 121; für Tatgemeinschaften zust. Ostendorf Grdl. z. §§ 27–30 Rn 5). Die Verhängung von JA neben der Entscheidung nach § 27 als EA halten für zulässig: KG NJW 14 61, 1175 u. JR 61, 190; OLG Schleswig SchlHA 62, 108; AG Winsen/Luhe NStZ 82, 120 mit abl. Anm. Bietz, vgl. auch Neumann NStZ 82, 446; LG Augsburg NStZ 86, 507 mit zust. Anm. Brunner, abl. Anm. Schaffstein sowie abl. Anm. Herrlinger/Eisenberg NStZ 87, 177; AG Meppen NStZ 05, 171 = ZJJ 04, 200 mit abl. Anm. Spahn; Grethlein NJW 57, 1461; 62, 1606; JR 62, 161; 63, 304; Thiesmeyer Zbl. 78, 26; Schlüchter GA 88, 127; Bandemer Zbl. 90, 421; Reichenbach NStZ 05, 136). Trotz gewichtiger Gründe für eine Koppelung muss diese jedoch nicht nur wegen der Entscheidung des BVerfG (NJW 05, 2140), sondern auch aus jstrafrechtlichen Erwägungen als unzulässig angesehen werden. Zwar ist die Herleitung des Koppelungsverbots aus § 13 I zweifelhaft und lässt sich entgegen OLG Celle NStZ 88, 315 und Potrykus JR 61, 407 aus dem Gesetz nicht ableiten, dass der Schuldspruch nach § 27 (zunächst) jegliche weitere Ahndung dieser Schuld ausschließe. Der Hinweis des OLG Celle, es könne der Grundsatz „ne bis in idem“ verletzt sein, trägt nicht. Art. 103 III GG verbietet mehrere Strafverfahren wegen einer Tat, nicht aber, mit mehreren Sanktionsmitteln auf eine Tat zu reagieren. Das Verfahren ist mit der Schuldfeststellung nicht abgeschlossen, sondern bedarf nach erz. Hilfen der Beendigung nach § 30 durch Verhängung der JStrafe oder durch Tilgung des Schuldspruchs (ebenso LG Augsburg NStZ 86, 508). Weiterhin könnte für den EA angeführt werden, er könne helfen, einen J ggf. rasch aus unguter Umgebung zu nehmen, mache ihm den Ernst der Situation deutlicher, sichere dem BewHelfer (§ 29) ersten Kontakt und leite damit insgesamt die BewZeit gezielt ein. Nach Schlüchter (GA 88, 127) bietet sich der EA auch deshalb an, weil viele J das gewohnte Leben ohne Zwang (der fühlbar ist) nicht ändern. Diese Gesichtspunkte würden jedoch auch bei der Strafaussetzung nach § 21 zutreffen, mit der JA nach dem eindeutigen Wortlaut des § 8 II nicht verbunden werden kann. § 27 ist dem § 21 „vorgelagert“ und ebenso wie dieser als ambulantes Reaktionsprogramm konzipiert (vgl. auch Ostendorf 10). Hiermit ist die Verhängung von JA nicht vereinbar. Die Unzulässigkeit der Kombination ergibt sich auch daraus, dass die bisherigen Gesetzesvorschläge zur Einführung des EA (Rn 15) nicht verwirklicht wurden (BayObLG 97, 20 f = NStZ-RR 97, 216): Im ArbE 1982 und im RefE 1983 des BMJ wurde § 8 II durch einen S. 2 ergänzt, der bei § 27 – 15 und bei § 21 – die Anordnung eines EA als „vielfach erz. sinnvolle Koppelung“ (Begr. ArbE S. 23; RefE S. 24) zuließ (näher Brunner JR 89, 215). Der RefE vom Juli 1987 – und folgend auch der RegE 1989 BT-Drs. 11/5829 v. 27. 11. 1989 – haben dann für § 27 (u. § 21) den „für die Kostenfrage bes. bedeutsamen“ (Begr. RefE 1983 S. 29) EA fallen gelassen. Stellungnahmen der Praxis, der meisten Landesministerien und des Deutschen Richterbundes (Information 2/1983, Beilage zur DRiZ 2/1983, I 19) haben die Zulassung eines EA begrüßt. Die DVJJ hat in ihrer Stellungnahme vom Dezember 1982 (S. 14, 15) zum ArbE 1982 „angesichts dieser sich die Waage haltenden Argumente pro und contra“ vorgeschlagen, zunächst EA nur bei § 27 zuzulassen, aber auch „gewichtige Argumente“ für Zulassung des EA bei § 21 nicht verneint (S. 14). Während die DVJJ auch mit ihrer Stellungnahme 1984 zum RefE 1983 bei § 27 nur Beschränkungen des EA vorgeschlagen hatte, hat sie mit ihrer Stellungnahme v. 1. 2. 1988 zum RefE 1987 die Streichung jeden EA begrüßt, die ihr „1984 (noch) nicht durchsetzbar erschienen sei“ (S. 2). Der Deutsche Richterbund hingegen hat ausdrücklich bedauert, dass auf die ursprünglich vorgesehene Einführung des EA nun im RefE 1987 „vor allem aus Kostengründen“ verzichtet worden ist (DRiZ 88, 113). Den EA befürwortend Vietze S. 190; ablehnend Breymann/Sonnen NStZ 05, 669; WernerEschenbach JStrafrecht. Ein Experimentierfeld für neue Rechtsinstitute, 2005 S. 220; für Einführung der Möglichkeit eines Teilvollzugs der JStrafe Radtke ZStW 121 (09), 416, 447 ff. Neuere Ge-
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setzesinitiativen verschiedener Länder zur Einführung des EA (BT-Drs. 14/3189 v. 12. 4. 2000; BT-Drs. 15/3422 v. 24. 6. 2004; BT-Drs. 16/1027 v. 23. 3. 2006) führten nicht zu einem Gesetzesbeschluss. Der Koalitionsvertrag für die 17. Legislaturperiode sieht die Einführung eines sog. Warnschussarrestes vor. 16 Mit BGH 35, 288 (= JR 89, 297 mit zust. Anm. Böhm) ist es als unzulässig anzusehen, neben der Aussetzung nach § 27 Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 anzuordnen (ebenso OLG Frankfurt NJW 55, 603; OLG Hamm Zbl. 75, 407; LG Münster MDR 74, 602; Ostendorf 11; Eisenberg § 8, 10 verweist auf BGH, legt sich aber nicht fest; Potrykus NJW 55, 245; vgl. auch Bietz NStZ 88, 316 jeweils mit zum Teil unterschiedlichen Begründungen). Der BGH überzeugt mit dem Einwand, der JRichter werde durch eine gleichzeitige Anordnung von Fürsorgeerz. (Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2) im Nachverfahren unzulässig eingeschränkt, weil er diese nicht selbst aufheben kann. Überdies erscheint es nicht sinnvoll, Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 anzuordnen, da dies dem Sinn des Instituts des § 27 widerspricht, was auch die §§ 28, 29 zeigen.
7.
Maßregeln der Besserung und Sicherung
17 Neben der Entscheidung nach § 27 können, wenn die Voraussetzungen vorliegen, die im JRecht zulässigen Maßregeln der Besserung und Sicherung, Nebenstrafen und Nebenfolgen ausgesprochen werden (Eisenberg 19, 20). Denn die Entscheidung nach § 27 ist eine ebenso spezifisch jrechtliche Unrechtsreaktion, wie ErzMaßregeln und Zuchtmittel, neben denen diese Entscheidungen zulässig sind (§ 8 III für Nebenstrafen und Nebenfolgen, § 5 III für Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt, BGH 6, 394 für Entziehung der Fahrerlaubnis); doch wird bei der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus regelmäßig eine Entscheidung gem. § 27 nach § 5 III entbehrlich sein, anders bei der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 7, 6). Ob neben dem Schuldspruch auf ein Fahrverbot erkannt werden darf, ist streitig (vgl. Böhm JR 89, 298 mwN). 18 Nachträgliche Entscheidung über die Verhängung von JStrafe § 30; Verfahren § 62; Urteilsfassung u. Begründung § 54, 6; Kosten § 74, 5, 9; Rechtsmittel § 55, 11, 27; Wiederaufnahme gegen Entscheidungen nach § 27: § 55, 48; BZRG Vor § 97, 18.
§ 28 Bewährungszeit § 28 Bewährungszeit (1) Die Bewährungszeit darf zwei Jahre nicht überschreiten und ein Jahr nicht unterschreiten. (2) Die Bewährungszeit beginnt mit der Rechtskraft des Urteils, in dem die Schuld des Jugendlichen festgestellt wird. Sie kann nachträglich bis auf ein Jahr verkürzt oder vor ihrem Ablauf bis auf zwei Jahre verlängert werden. 1. Hw.-J: § 105 I. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1, § 62, 6. 1 Die BewZeit muss hier immer zwischen 1 und 2 Jahren liegen. Die Dauer richtet sich nach der Zeit, die voraussichtlich zur Erkenntnis des Täters (§ 27, 2, 5) notwendig ist. Solange Unklarheit besteht, kann eine kürzere BewZeit vor ihrem Ablauf ohne weitere Gründe bis zur Höchstgrenze von 2 Jahren verlängert werden. Im Übrigen gilt das bei § 22 Gesagte (bes. 2, 4) entsprechend. Die Strafverfolgungsverjährung ruht in der BewZeit (§ 78 b I Nr. 2 StGB). Zur Unterstellungszeit § 29, 1.
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Wegen verfahrensrechtlicher Fragen §§ 62 IV; 63 II; 58 I, II 1; 59 II, V. Eine Übertragung nach- 2 träglicher Entscheidungen oder gar des Verfahrens als Ganzes ist also nicht möglich (§ 62, 6).
§ 29 Bewährungshilfe Der Jugendliche wird für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt. Die §§ 23, 24 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 und 3 und die §§ 25, 28 Abs. 2 Satz 1 sind entsprechend anzuwenden. 1. Hw.-J: § 105 I; § 10, 4 und § 15, 2. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1, V 2; § 62, 6. – 3. Sold. § 23, 3; § 25, 13. Auch hier fallen Bew- und Unterstellungszeit auseinander; wie bei der Strafaussetzung zur 1 Bew. wird der J für die Dauer oder auch nur einen Teil der BewZeit – obligatorisch – der Aufsicht und Leitung eines BewHelfers unterstellt (Abs. I). Nach S. 2 sind die §§ 23, 24 I 1 u. 2, Abs. II u. III und die §§ 25, 28 II 1 entsprechend anzuwenden. Es gilt also insbes. das § 24, 1 u. 1 a Ausgeführte mit dem Abmaß des § 28 II 2. Die Bew.- und die Betreuungszeit beginnt mit der Rechtskraft des Urteils, in welchem die Schuld des J festgestellt wird (§ 28 II 1). Der Unterschied zur Strafaussetzung zur Bew. aber liegt darin, dass Auflagen und BewHilfe 2 auch darauf zugeschnitten werden müssen, den Täter zu erkennen (§ 28, 1). Daneben darf aber nichts unversucht bleiben, den Täter günstig zu beeinflussen und zu einem rechtschaffenen Leben zu erziehen (ähnlich wie bei der Strafaussetzung zur Bew.). Die Folgen eines Verstoßes gegen Auflagen sind an sich die gleichen wie bei der Strafausset- 3 zung (§ 26 a, 8), also Ungehorsamsarrest nach § 23 I 4; doch berechtigt gröblicher und beharrlicher Ungehorsam allein im Gegensatz zu § 26 I nicht zur Verhängung von JStrafe (§ 30, 8). Im Übrigen gilt das bei den §§ 23, 24, 25 Gesagte entsprechend. Wegen der verfahrensrechtlichen Fragen § 28, 2 u. § 64.
§ 30 Verhängung der Jugendstrafe; Tilgung des Schuldspruchs § 30 Verhängung der Jugendstrafe; Tilgung des Schuldspruchs (1) Stellt sich vor allem durch schlechte Führung des Jugendlichen während der Bewährungszeit heraus, daß die in dem Schuldspruch mißbilligte Tat auf schädliche Neigungen von einem Umfang zurückzuführen ist, daß eine Jugendstrafe erforderlich ist, so erkennt der Richter auf die Strafe, die er im Zeitpunkt des Schuldspruchs bei sicherer Beurteilung der schädlichen Neigungen des Jugendlichen ausgesprochen hätte. (2) Liegen die Voraussetzungen des Absatzes 1 nach Ablauf der Bewährungszeit nicht vor, so wird der Schuldspruch getilgt. Hw.-J: Rn 3; § 105 I. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1, V 2. Übersicht 1. 2. 3. 4.
Bindung an den Schuldspruch . . Unrechtsreaktion nur JStrafe . . . Ungehorsam gegen BewAuflagen Weitere Aussetzung . . . . . . . .
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5. Tilgung des Schuldspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zeitpunkt und Voraussetzungen für JStrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Straftaten während der BewZeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.
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Bindung an den Schuldspruch
1 Im Nachverfahren sind nur 3 Entscheidungen möglich: Weitere Aussetzung der Verhängung (Rn 5), Tilgung des Schuldspruchs (Rn 6) und Verhängung der JStrafe (Rn 7). 2 Gegenstand der Entscheidung ist die Tat, deretwegen der J nach § 27 schuldig gesprochen wurde. Eine Bindung an das Urteil nach § 27 besteht nur hinsichtlich des Schuldspruchs und der ihn unmittelbar tragenden Feststellungen (§ 27, 3). Im Nachverfahren darf hier ebenso wenig eine Nachprüfung einsetzen wie im Verfahren über eine auf das Strafmaß beschränkte Berufung. Eine Bindung fehlt nur dort, wo die im Schuldspruch bezeichnete Rechtsnorm keine strafrechtlichen Folgen haben kann, Prozessvoraussetzungen fehlen oder Prozesshindernisse gegeben sind (Verjährung, Strafantrag, ne bis in idem, Fehlen der JG-Zuständigkeit). Das Verfahren ist dann einzustellen (§§ 260 III, 206 a StPO). Das Persönlichkeitsbild des J ist dagegen selbständig und ohne jede Bindung zu beurteilen (vgl. auch Rn 10).
2.
Unrechtsreaktion nur JStrafe
3 Als Unrechtsreaktion kann aufgrund des Schuldspruchs nur JStrafe verhängt werden, weil nur deren Verhängung im Urteil nach § 27 vorbehalten ist. Bei Hw. findet deshalb im Nachverfahren keine Prüfung nach § 105 mehr statt (Dallinger/Lackner § 106, 69; Potrykus B 2; NJW 56, 655 gegen NJW 55, 246). Aus dem gleichen Grund ist es auch nicht möglich, zugleich mit der Anordnung der Tilgung ErzMaßregeln oder Zuchtmittel zu verhängen (BGH 18, 211; Dallinger/Lackner 8; Ostendorf 10; Schaffstein/Beulke S. 184; aA OLG Schleswig NJW 58, 34; Potrykus B 1 c u. NJW 55, 246). Die Tat ist – ähnlich wie bei Strafaussetzung auf Bew. – mit dem erfolgreichen Abschluss der BewZeit gesühnt (§ 29, 2). Die gebotenen erz. Einwirkungen sind während der BewZeit vorzunehmen, die höchstens 2 Jahre betragen darf (§ 28). Zur JStrafe im Nachverfahren nach § 30 I, 9 u. 9 a.
3.
Ungehorsam gegen BewAuflagen
4 Wegen Ungehorsams gegen Weisungen und Auflagen, die als Bewährungsauflagen gem. § 29 angeordnet wurden, kann gem. §§ 11 III, 15 III JA verhängt werden (§ 23 I 4). Solches Eingreifen ist oft bei erheblicheren Verstößen geboten, wenn die Verhängung der vorbehaltenen Jugendstrafe nicht angezeigt ist (Rn 8). Eine Anrechnung dieses JA auf eine später verhängte JStrafe (Rn 12) ist nicht möglich, da er nur die Reaktion auf den Ungehorsam, nicht auf die abgeurteilte Tat ist. Dazu auch Rn 12 aE.
4.
Weitere Aussetzung
5 Ergibt eine zur Festsetzung der JStrafe in der BewZeit anberaumte Verhandlung nicht die Voraussetzungen für die Verhängung von JStrafe (Rn 7, 8), so muss die Entscheidung über die Verhängung weiterhin ausgesetzt bleiben (§ 62 III), falls nicht die BewZeit inzwischen – uU durch Verkürzung – abgelaufen ist. Die Tilgung des Schuldspruchs vor Ablauf der BewZeit (aA Eisenberg § 62, 13; Nothacker S. 200) oder die Anordnung von ErzMaßregeln oder Zuchtmittel nach deren Ablauf (Rn 3) ist nicht möglich. Konnte der Täter nämlich trotz eingehender Persönlichkeitsforschung in der Verhandlung nach § 27 nicht erkannt werden, ist eine Beobachtung während
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Verhängung der Jugendstrafe; Tilgung des Schuldspruchs
§ 30
der BewZeit, also mindestens 1 Jahr lang (eine längere BewZeit kann verkürzt werden; § 28 S. 2) erforderlich, um zu sicheren Ergebnissen zu kommen und Trugschlüsse zu vermeiden. Das hat das Gesetz in §§ 30 II, 62 III hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht (Dallinger/ Lackner 17, § 62, 19; aA OLG Schleswig NJW 58, 34; Potrykus B 1 c).
5.
Tilgung des Schuldspruchs
Ist während der BewZeit keine Strafe ausgesprochen worden und ergibt sich auch bei den 6 Schlussermittlungen und aufgrund der in der ganzen BewZeit gesammelten Erfahrungen keine Notwendigkeit für die Verhängung von JStrafe (Rn 7 ff), so muss der Schuldspruch getilgt werden (durch Urteil oder Beschluss: § 62 I, II). Die Entscheidung soll möglichst rasch ergehen (vgl. auch Rn 3).
6.
Zeitpunkt und Voraussetzungen der JStrafe
Auf JStrafe kann im Nachverfahren durch Urteil (§ 62 I S. 1; § 62, 3) erkannt werden, sobald 7 der Schuldspruch rechtskräftig ist und sich herausstellt, dass zZ der Entscheidung nach § 27 schädliche Neigungen in einem die Verhängung von JStrafe erfordernden Umfang vorgelegen haben. Dies ist während der ganzen BewZeit bis zur Tilgung des Schuldspruchs (§ 26 a, 1) möglich. Der JRichter kann auf schädliche Neigungen zZ der Entscheidung nach § 27 aus Feststellungen 7 a schließen, die ein Verhalten während der BewZeit betreffen, aber auch aus nun erst bekannt gewordenen Tatsachen aus der Zeit vor der Entscheidung nach § 27 oder aus erst nachträglich ermittelten Umständen bei der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Tat, soweit sie nicht den Feststellungen widersprechen, welche den Schuldspruch unmittelbar tragen und damit rechtskräftig sind (vgl. Dallinger/Lackner 4, 14; Eisenberg 4, 5). Der Verstoß gegen BewAuflagen genügt ebenso wenig wie allg. schlechte Führung oder neue 8 strafbare Handlungen für sich allein (Rn 13; BGH 9, 160, 162). Solche Vorkommnisse können vielmehr nur als Indiz dafür gewertet werden, dass bereits bei der ersten Entscheidung schon erhebliche schädliche Neigungen vorgelegen haben. In gleicher Richtung können auch andere Umstände gewertet werden, auch wenn sie schon vor der Entscheidung nach § 27 lagen und zwischenzeitlich bekannt geworden sind. Alle ermittelten Umstände dürfen also nur herangezogen werden, um die Täterpersönlichkeit, bes. den Umfang der schädlichen Neigungen und die Möglichkeit der erz. Beeinflussung, zu erkennen. Deshalb ist auch die JStrafe so zu bemessen, wie sie bei der Entscheidung nach § 27 bei sicherer Erkenntnis der Täterpersönlichkeit bemessen worden wäre. Das Verhalten in der BewZeit kann deshalb nie zur Strafschärfung führen, sondern nur zur Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit des J mit herangezogen werden (Dallinger/Lackner 8; Eisenberg 8; aA Ostendorf 5, weil auch bei einer einheitlichen Entscheidung das Verhalten nach einer Tat für die Prognose zu berücksichtigen und eine Nichtbeachtung praktisch unmöglich sei). Die Streichung des Abs. I 2 durch das 1. JGGÄndG vom 30. 8. 1990 erlaubt es, eine im Nachver- 9 fahren nach Abs. I 1 zu verhängende JStrafe zur Bew. auszusetzen. Dieses Ergebnis ist kriminalpolitisch zu begrüßen, es fügt sich harmonisch in das System des JGG ein, entspricht dessen Sinn und Ziel und erlaubt dem JRichter flexibel und unter Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes zu reagieren. Es ist eine wichtige Möglichkeit mehr, die stationären Maßnahmen, wo angängig, zurückzudrängen. Die Begründung der BT-Drs. 11/5829 S. 21 gibt der Vermutung Raum, dass die JRichter früher die Entscheidung nach § 27 vor allem deshalb gemieden haben, um sich nicht einem in manchen Fällen unguten Zwang auszusetzen, im Nachverfahren für die JStrafe in keinem Falle Bew. bewilligen zu können.
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§ 30
2. Teil. Jugendliche
9 a Der Wegfall des Verbotes, die im Nachverfahren nach § 30 I erkannte JStrafe zur Bew. auszusetzen, wirkt noch weiter. Die früher in Rechtsprechung und Literatur heftig umstrittene Frage, ob bei Einbeziehung eines Schuldspruchs nach § 27 wegen einer neuerlichen Straftat gem. § 31 II zu einer einheitlichen JStrafe Bew. bewilligt werden darf, hat durch Wegfall des Abs. I 2 ihre Grundlage verloren. Denn es besteht nicht mehr die Gefahr, dass ein J durch neue Straftaten in der nach §§ 28, 29 laufenden BewZeit sich besser stellt, als der, welchem nach früherer Regelung nach strafrechtlich „neutralen“ BewVerstößen im Nachverfahren eine Bew. kraft Gesetzes versagt werden musste. Der JRichter kann nun in beiden Fällen frei nach Beurteilung der Persönlichkeit des J und dessen Tatverstrickung unter dem Vorrang des ErzGedankens eine gezielte Entscheidung treffen. Vgl. dazu aber auch § 31, 13. 10 Stellt sich erst im Nachverfahren heraus, dass der Täter schuldunfähig (§ 20 StGB) oder nach § 3 nicht verantwortlich ist, kann bei noch so negativer Persönlichkeitsbeurteilung keine JStrafe verhängt werden, weil die grundlegende Voraussetzung für die Verhängung einer Strafe fehlt und weil diese auch kein geeignetes Mittel gegen diesen Täter ist (zust. Eisenberg 19). Wird ein Prozesshindernis festgestellt, ist das Verfahren trotz des rechtskräftigen Schuldspruchs einzustellen (§§ 260 III, 206 a StPO; ebenso Eisenberg 16). – War der Schuldspruch sonst offensichtlich unrichtig und ist keine Strafvorschrift verletzt, wird man ebenfalls die Verhängung einer JStrafe ablehnen müssen (zust. Eisenberg 20; Ostendorf 3). Hierzu auch Rn 2. 11 Es kann nur JStrafe, jedoch in jedem Umfang und auch mit Strafaussetzung zur Bew. (Rn 9) verhängt werden (Rn 3). Auch bei der im Nachverfahren festgesetzten JStrafe dürfen das Gewicht der Tat und die Schwere der Schuld (§ 18, 10) nicht unbeachtet bleiben. 12 Vor dem Schuldspruch (§ 27) erlittene UHaft ist nach Maßgabe des § 52 a anzurechnen (Potrykus NJW 56, 655), ebenso in der BewZeit erlittene UHaft (§ 62, 4). Ungehorsamsarrest ist nicht anzurechnen (Rn 4). 7.
Straftaten während der BewZeit
13 Neue Straftaten während der BewZeit können verschieden behandelt werden: 13 a Genügt es zur Ahndung, die im BewVerfahren gegebenen Möglichkeiten auszuschöpfen, so kann unter Verständigung des die BewAufsicht führenden Richters das neue Verfahren gem. § 45 JGG (§ 154 StPO) eingestellt werden. 14 Ist dies nicht der Fall und werden ErzMaßregeln oder Zuchtmittel erforderlich, ist eine Beendigung der BewHilfe aber erz. unerwünscht, so wird von einer Einbeziehung der Entscheidung gem. § 27 abzusehen (§ 31, 23) und allein über die neue Tat zu entscheiden sein. Das weiterlaufende BewVerfahren wird dann ggf. auf die neue Lage abgestimmt. 15 Wird im neuen Verfahren eine JStrafe erforderlich, so ist gem. § 31 II auf eine Einheitsstrafe zu erkennen, welche die frühere Aussetzung der Verhängung der JStrafe hinfällig werden lässt (dazu auch Rn 9 a). Es kann auch hier erneut nach § 27 mit neu beginnender Bew- und Unterstellungszeit entschieden werden. 16 Verfahrensrechtliche Fragen § 62; Anfechtung § 63; Urteilsfassung § 54, 6, 15; BZRG Vor. § 97, 18.
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§ 31
Mehrere Straftaten eines Jugendlichen
Siebenter Abschnitt Mehrere Straftaten § 31 Mehrere Straftaten eines Jugendlichen § 31 Mehrere Straftaten eines Jugendlichen (1) Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt der Richter nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Soweit es dieses Gesetz zuläßt (§ 8), können ungleichartige Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel nebeneinander angeordnet oder Maßnahmen mit der Strafe verbunden werden. Die gesetzlichen Höchstgrenzen des Jugendarrestes und der Jugendstrafe dürfen nicht überschritten werden. (2) Ist gegen den Jugendlichen wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig die Schuld festgestellt oder eine Erziehungsmaßregel, ein Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe festgesetzt worden, aber noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt, so wird unter Einbeziehung des Urteils in gleicher Weise nur einheitlich auf Maßnahmen oder Jugendstrafe erkannt. Die Anrechnung bereits verbüßten Jugendarrestes steht im Ermessen des Richters, wenn er auf Jugendstrafe erkennt. (3) Ist es aus erzieherischen Gründen zweckmäßig, so kann der Richter davon absehen, schon abgeurteilte Straftaten in die neue Entscheidung einzubeziehen. Dabei kann er Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel für erledigt erklären, wenn er auf Jugendstrafe erkennt. 1. Hw.-J: § 105, I, II. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1. Richtlinien zu § 31: 1. Ein rechtskräftiges Urteil wird im Gegensatz zu § 55 StGB auch einbezogen, wenn die weitere Straftat nach seiner Verkündung begangen worden ist. 2. Ist durch das frühere Urteil Jugendstrafe verhängt und die Vollstreckung nach § 21 zur Bewährung ausgesetzt worden, so bedarf es zur Einbeziehung nicht des Widerrufs der Aussetzung. Das gleiche gilt, wenn nach §§ 88, 89 während der Vollstreckung einer Jugendstrafe Aussetzung zur Bewährung angeordnet worden ist. Ist in dem früheren Urteil nach § 27 lediglich die Schuld festgestellt worden, so wird durch die Einbeziehung dieses Urteils auch das ihm zugrundeliegende Verfahren erledigt. 3. Bei der neuen Entscheidung ist von den tatsächlichen Feststellungen und dem Schuldspruch des einzubeziehenden rechtskräftigen Urteils auszugehen. Es wird jedoch insoweit erneut Beweis zu erheben sein, als dies für die Gesamtbeurteilung des Angeklagten, insbesondere im Hinblick auf die Festsetzung einer neuen Maßnahme oder Jugendstrafe, erforderlich ist. 4. Ist wegen der neuen Straftat eine Verschärfung des früheren Urteils nicht angemessen, so verfährt die Staatsanwaltschaft in der Regel nach § 154 StPO. Dies gilt auch, wenn es ausreicht, die Aussetzung einer Jugendstrafe oder eines Strafrestes zur Bewährung zu widerrufen (§§ 26, 88, 89) oder ein nach Schuldspruch ausgesetztes Verfahren fortzusetzen (§ 30). 5. Über die Anrechnung oder Berücksichtigung von Untersuchungshaft, die im Zusammenhang mit einem einbezogenen Urteil vollzogen worden ist, wird neu zu entscheiden sein. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Einheit der Unrechtsfolgen . . . . . . . . . . . . Einbeziehung in einem Verfahren . . . . . . . . Einbeziehung rechtskräftiger Entscheidungen Art der Einbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung der Einbeziehung . . . . . . . . . . . . Unterlassen der Einbeziehung . . . . . . . . . . Absehen von Einbeziehung . . . . . . . . . . . . Einbeziehung von Strafen nach ErwRecht . . .
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Rn 1 3 5 11 17 19 21 25
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§ 31 1.
2. Teil. Jugendliche
Einheit der Unrechtsfolgen
1 § 31 regelt nur die bes. Folgen der Tatmehrheit im JRecht. Ob Tatmehrheit oder Tateinheit, ob eine natürliche Handlungseinheit oder ein Dauerdelikt vorliegt, bestimmt das allg. Recht. Eine fortgesetzte Handlung kommt nach dem Beschluss des Großen Senats für Strafsachen des BGH v. 3. 5. 1994 (BGH 40, 138) in aller Regel nicht mehr in Betracht. Trotz gleicher materieller Folgen (Rn 2, 3) muss die Frage der Konkurrenz, bes. aus verfahrensrechtlichen Gründen (§ 55, 6, 7), auch im JRecht beantwortet werden. 2 Wo eine Handlung vorliegt (Tateinheit, natürliche Handlungseinheit, Dauerdelikt, rechtliche Bewertungseinheit), ist auf nur eine Unrechtsfolge zu erkennen, die allerdings gem. § 8 aus mehreren Maßnahmen bestehen kann. Über den Strafrahmen Rn 3.
2.
Einbeziehung in einem Verfahren
3 Auch bei mehreren Handlungen kennt das JRecht nur eine Unrechtsfolge, gleich wie wenn nur eine Handlung vorläge. Das gilt ausnahmslos, wenn alle Taten in einem Verfahren abgeurteilt werden. Als Täter- und ErzStrafrecht will das JRecht weniger die Ahndung der mehreren Taten als die erz. Beeinflussung des einen Täters; diese aber kann nur einheitlich sein (Grundsatz der Wirkungseinheit, Einheitsprinzip). Es stehen alle Maßnahmen (§§ 6, 7; 9–30) und alle Verbindungsmöglichkeiten (§ 8) des JGG zur Verfügung. – Der Strafrahmen ist der gleiche wie bei einer Tat; auch die Höchstgrenzen der einzelnen Maßnahmen (zB 4 Wochen bei JA) sind zu beachten; gilt für eine der mehreren Taten der erhöhte Strafrahmen der §§ 18 I 2, 105 II, so ist dieser für alle einheitlich zu ahndenden Taten maßgebend. – Wegen der Auswirkungen Rn 18. 4 In eine Einheitsstrafe einbezogen werden können freilich nur solche Taten, die von einem deutschen Gericht verfolgt werden können. So hat der Grundsatz der Spezialität des Auslieferungsrechts den Vorrang; soweit hiernach eine Strafverfolgung ausgeschlossen ist, kann kein Schuldspruch und damit keine Einbeziehung erfolgen. Auch das bedeutsame Konzentrationsgebot des § 31 rechtfertigt es nicht, Grundsätze des Auslieferungsrechts, die im Interesse des internationalen Rechtsverkehrs bestehen, außer Acht zu lassen (BGH H MDR 82, 104); das Verfahren wegen solcher Taten muss vorläufig eingestellt werden. Werden auch solche Taten einbezogen, ist das Urteil anfechtbar, aber nicht nichtig (Grethlein NJW 63, 945 mwN, bes. BGH 15, 125); vgl. IRG u. Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten; Rn 22 i, 29 u. § 1, 5.
3.
Einbeziehung rechtskräftiger Entscheidungen
5 Das erz. gebotene Prinzip der Einheitsstrafe (besser: einheitliche Maßnahme) gilt grds. (Ausnahme: Rn 21) auch, wenn mehrere Taten eines J in verschiedenen Verfahren abgeurteilt werden. Auch wenn die Voraussetzungen des ErwRechts für die Bildung einer Gesamtstrafe nicht vorliegen (RL 1), wird die frühere Entscheidung in das neue Urteil einbezogen, wenn die folgenden vier Voraussetzungen vorliegen: 6 Die frühere Entscheidung muss rechtskräftig sein (sonst nach eingetretener Rechtskraft § 66; dort Rn 2, 3). Eine rechtskräftige Verurteilung darf aber zur Vermeidung von Doppelbestrafungen nicht einbezogen werden, wenn sie bereits in ein anderes – noch nicht rechtskräftiges – Urteil einbezogen worden war (BGH NJW 03, 2036). 7 Die Maßnahmen – nicht nach §§ 45, 47 angeordnete – der früheren Entscheidung dürfen noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder erledigt sein; die Einbeziehung ist zB nicht möglich, wenn Gebote oder Auflagen erfüllt sind, wenn die Zeit abgelaufen ist, für die ein Verbot ausgesprochen ist, wenn eine Weisung oder eine Auflage nicht mehr erfüllt werden kann (Tod
200
Mehrere Straftaten eines Jugendlichen
§ 31
des Beleidigten vor Entschuldigung, Kinderlähmung des Verurteilten vor Erfüllung der Arbeitsauflage), wenn die Verwarnung vollzogen ist (§ 14, 5), wenn die Hilfe nach § 12 Nr. 2 oder ErzBeistandschaft beendet ist, wenn JA restlos verbüßt ist, von seiner Vollstreckung abgesehen wird (§ 87 III) oder wenn 1 Jahr seit Rechtskraft seiner Verhängung abgelaufen ist (§ 87 IV), wenn bei Aussetzung der Verhängung der JStrafe der Schuldspruch nach § 30 getilgt ist, wenn eine zur Bewährung ausgesetzte JStrafe erlassen ist (BGH StV 92, 432), wenn eine JStrafe ganz verbüßt ist oder wenn Vollstreckungsverjährung (§ 4, 3), Gnadenerweis oder Amnestie der Vollstreckung entgegensteht, wenn bei Entziehung der Fahrerlaubnis die Sperrfrist abgelaufen ist (BGH 42, 299 = NStZ 98, 355 mit zust. Anm. Dölling). – Ist ein Teil der Maßnahmen erledigt, werden nur die übrigen einbezogen. Es empfiehlt sich, im Tenor des neuen Urteils klarzustellen, dass das frühere Urteil bezüglich der vollstreckten Rechtsfolge erledigt ist (BGH 42, 299). Bei der Festsetzung der neuen Rechtsfolge ist eine mögliche erz. Wirkung der ausgeführten oder verbüßten Sanktion zu berücksichtigen und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hinsichtlich der Gesamtheit der erledigten und neu zu verhängenden Rechtsfolgen zu beachten (BGH NStZ-RR 10, 257, 259; Dölling NStZ 98, 355 f; Ostendorf 23). Die Nichteinbeziehung der Vorverurteilung wegen Vollverbüßung stellt für den J einen Nachteil dar, der namentlich bei Verhängung von JStrafe wegen Schwere der Schuld zu seinen Gunsten zu berücksichtigen ist (BGH aaO). Vgl. weiter Rn 11 u. 14. Nach Aufhebung eines Urteils in der Revision und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung hat jedoch das nun zuständige Gericht eine im Zeitpunkt der neuen Hauptverhandlung bereits erledigte frühere Verurteilung nach § 31 zu berücksichtigen, wenn sie zZ der Hauptverhandlung, die dem aufgehobenen Urteil zugrunde lag, noch nicht vollständig erledigt war (BGH StV 92, 433; 01, 179). Aus dem früheren Urteil müssen nach dem Gesetzestext noch ErzMaßregeln, Zuchtmittel, 8 JStrafe oder die Aussetzung der Verhängung der JStrafe übrig geblieben und solche Maßnahmen müssen auch wegen der neuen Tat zu verhängen sein. Ein früheres Urteil kann auch dann einbezogen werden, wenn es nach § 5 III von der Verhängung von Jugendstrafe oder Zuchtmitteln abgesehen hat, denn Entscheidungen nach § 5 III setzen einen Schuldspruch voraus und es entspricht dem gesetzgeberischen Willen, alle schuldhaft begangenen Straftaten in das Einheitsprinzip des § 31 einzubeziehen (BGH 39, 92, 93 f = JR 93, 513 mit zust. Anm. Brunner = JZ 93, 529 mit Anm. Eisenberg/Sieveking, nach denen eine analoge Anwendung des § 31 II möglich ist). Darüber hinaus ist die Einbeziehung auch dann zulässig, wenn nur noch Nebenstrafen, Nebenfolgen oder Maßregeln der Besserung und Sicherung aus dem alten Urteil übrig oder im neuen Verfahren nur solche zu treffen sind. Diese Rechtsfolgen haben ebenso wie die spezifisch jstrafrechtlichen Sanktionen eine präventive Funktion. Ihre Einbeziehung entspricht dem Gesetzeszweck, eine auf die Täterpersönlichkeit abgestimmte einheitliche Rechtsfolgenentscheidung zu ermöglichen, die auf aktueller Diagnose und Prognose beruht (Ostendorf 7; DSS/Schoreit 14; Nix/Nicolai 12 ff; in der Tendenz auch Eisenberg 16; aA Dallinger/Lackner 10). Die Einbeziehung setzt bei der Aussetzung der Verhängung der JStrafe (§ 27) nicht ein formelles Nachverfahren nach §§ 30 I, 62 I voraus (BGH 31, 255; Brunner JR 81, 262). Dazu auch Rn 15 u. § 41, 41. – Wegen Einbeziehung von ErwStrafen Rn 25, aber auch § 32, 5. 9
Die Einbeziehung darf nicht erz. unzweckmäßig sein (Rn 22).
Liegen diese Voraussetzungen vor, muss die frühere Strafe einbezogen werden. Schwierigkeiten 10 hinsichtlich der Höchstgrenze der JStrafe berechtigen nicht dazu, von der Einbeziehung abzusehen, falls nicht dadurch erz. Bedenken gegen die Einbeziehung begründet werden (Rn 23; Frisch NJW 59, 1669; Dallinger/Lackner 42; wohl auch Nothacker S. 253; aA Potrykus NJW 59, 1064 unter Missachtung des Wesens der Einheitsstrafe). Vgl. aber auch Rn 24. Die Möglichkeit des § 66 vermag das Fehlen der Prüfung nach § 31 II nicht zu heilen (BGH B NStZ 94, 530).
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§ 31 4.
2. Teil. Jugendliche
Art der Einbeziehung
11 Bei der Einbeziehung müssen der Gesamtkomplex einheitlich bewertet und Unrechtsfolgen wie bei gleichzeitiger Aburteilung ausgesprochen werden. Einbezogen werden also nicht nur die Maßnahmen des früheren Urteils, sondern dieses selbst mit seinem Schuldspruch (BGH Detter NStZ 91, 276; OLG Schleswig EJF C I 46; Potrykus NJW 59, 1064; Urteilsformel: § 54, 8). Alle einbezogenen Entscheidungen sind im Urteilstenor zu kennzeichnen (BGH B NStZ 97, 482), bei Einbeziehung einer früheren Entscheidung, die bereits ein anderes Urteil einbezogen hatte, auch dieses Urteil (BGH StV 89, 308; NJW 98, 467; BGH B NStZ-RR 00, 322; 01, 323; BGH NStZ-RR 06, 12, 13). Es muss der Sachverhalt aller einbezogenen früheren Verurteilungen einschließlich der Strafzumessungsgründe dargestellt werden, um Art und Schwere der früheren Straftaten erkenn- und nachprüfbar zu machen (BGH B NStZ 89, 522; BGH StV 89, 307 iVm StV 89, 546; BGH StV 89, 308; 99, 661; NStZ-RR 96, 120; BGH B NStZ-RR 01, 323; BGH NStZ 09, 43; OLG Celle StV 01, 180; OLG Hamm StV 02, 404, 405; ZJJ 08, 78, 79; OLG Koblenz ZJJ 11, 90), auch soweit sie bereits selbst in eine der einbezogenen früheren Entscheidungen einbezogen waren (BGH StV 89, 308; 545; 93, 533). Denn es sind nicht nur die früheren Strafen, sondern die früheren Urteile einzubeziehen (BGH H MDR 92, 321 f). Für die Darstellung der früheren Tat reicht die Angabe, es handele sich um einen der jetzt abzuurteilenden Tat vergleichbaren Sachverhalt, nicht aus (BGH B NStZ 95, 537). Zum Tenor aber auch Rn 12 aE. Neben der Würdigung des Täters ist auch eine Gesamtwürdigung aller der Einbeziehung zugrunde liegenden Taten, also auch der bereits abgeurteilten (BGH NStZ 87, 443; StV 92, 432; 93, 533), geboten (BGH 16, 135 u. NStZ 82, 466; BayObLG Rüth DAR 82, 251; OLG Koblenz NStZ-RR 08, 323), lediglich rechnerische Einbeziehung wäre rechtsfehlerhaft (BGH B NStZ 83, 449; BGH NStZ 88, 492; BGH H MDR 88, 278; BGH B NStZ 97, 482). 12 Der Schuldspruch des einbezogenen Urteils und die ihn tragenden Feststellungen sind bindend (BGH GA 53, 83; NStZ 09, 400); es gilt das § 30, 2 Ausgeführte. Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs besteht dagegen keine Bindung (BGH 41, 99; Rn 13, 14). Die dazu getroffenen Feststellungen unterliegen der freien Beweiswürdigung, eine Wiederholung der früheren Beweisaufnahme ist jedoch ausgeschlossen, denn die alten Taten werden nicht neu abgeurteilt (zust. Ostendorf 57, aber aA, wenn Widersprüche oder Zweifel aufzulösen seien). Unter zusammenfassender Würdigung der rechtskräftig erkannten und der neuen Taten (BGH StV 89, 308) ist auf diejenige einheitliche Rechtsfolge zu erkennen, die das Gericht nach etwaiger besserer Erkenntnis der Täterpersönlichkeit (RL 3) für alle Straftaten selbständig und losgelöst vom früheren Strafausspruch als angemessen ansieht (BGH 16, 335; 49, 91 f; BGH Martin DAR 75, 118; BGH Spiegel DAR 79, 184; BGH Detter NStZ 91, 276; BGH H MDR 92, 322; BGH B NStZ 92, 529; BGH StV 93, 533; 98, 382; 99, 661; NStZ-RR 06, 12, 13; NStZ 09, 400 f; OLG Koblenz ZJJ 11, 90). Im Tenor sind nur die Einbeziehung der früheren Urteile und die neu begangenen Straftaten, nicht aber die den einbezogenen Urteilen zugrunde liegenden Taten aufzuführen, weil sie sonst zweimal erwähnt würden (BGH B NStZ 88, 492; vgl. auch § 54, 8). 13 Die neue Sanktion kann milder ausfallen als die Rechtsfolge der früheren Verurteilung. Die Gegenmeinung, nach der die Einbeziehung nicht der Korrektur des einbezogenen Urteils dient, berücksichtigt nicht hinreichend, dass mit der Einbeziehung das frühere Urteil im Rechtsfolgenausspruch seine Wirkung verliert und nunmehr eine einheitliche Sanktion selbständig und losgelöst von dem früheren Strafausspruch zu bestimmen ist (BGHSt 37, 39 f; 42, 300; 49, 92; BGH StV 92, 432; OLG Koblenz NStZ-RR 08, 323; LG Mannheim NStZ 97, 388; LG Gera DVJJ-J 98, 281; AG Bernau ZJJ 07, 418 mit zust. Anm. Wapler; Eisenberg 41 f; Ostendorf 21; von Beckerath JStrafrechtliche Reaktionen bei Mehrfachtäterschaft, Diss. Tübingen 1997 S. 116 ff; aA OLG Karlsruhe MDR 79, 781; 81, 519; Dallinger/Lackner 26; Meyer JR 80, 261; Seiser NStZ 97, 374). Nach den Grundgedanken des JGG ist die Rechtsfolge zu verhängen, die nach dem aktuellen Erkenntnisstand angemessen ist. Hierbei ist die Überlegung Seisers (aaO, 376) zu beachten, dass
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Mehrere Straftaten eines Jugendlichen
§ 31
eine Nichterhöhung der Sanktion vom J nicht als Freispruch missverstanden werden darf. Zur Teilvollstreckung § 56, 2 aE u. 5. JStrafe oder JA des früheren Urteils werden ganz einbezogen, auch wenn schon ein Teil ver- 14 büßt ist (BGH StV 86, 70; BGH 16, 335 u. BGH Herlan GA 63, 105; BGH H MDR 79, 457). Die verbüßten Teile der einbezogenen JStrafen sind nach § 51 II StGB iVm § 2 II zwingend auf die neue EinheitsJStrafe anzurechnen. Das gehört nicht in den Urteilssatz (BGH 41, 315 = NStZ 96, 279 mit zust. Anm. Brunner gegen die bisherige hM), weil das Gericht insoweit gar keine Entscheidungsmacht hat und diese Anrechnung dem Vollstreckungsleiter obliegt (§§ 82, 84, 85). Dazu § 54, 8; 66, 5. Eine Einfügung in den Urteilstenor wäre unschädlich (§ 260 IV 5 StPO), aber überflüssig. In der mündlichen Urteilsbegründung aber muss die Anrechnung dem Verurteilten mitgeteilt werden, in der schriftlichen muss sie als Merkposten erscheinen (näher Anm. Brunner aaO.; vgl. § 54, 18). Zur Pflichtverteidigung OLG Köln StV 91, 151 in § 68, 20. Da stets der Rechtsfolgenausspruch des einbezogenen Urteils seine Wirkung verliert und durch den davon losgelösten und selbständigen einheitlichen „Strafausspruch“ ersetzt wird, muss die dazugehörige Frage der Anrechnung der UHaft in dem einbezogenen Verfahren nun erneut entschieden werden (RL 5; zust. Eisenberg 62; Ostendorf 22), auch wenn dort die Anrechnung abgelehnt worden war (BGH 25, 355; BGH NStZ 96, 233). Bleibt es bei der Anrechnung der UHaft kraft Gesetzes (§ 52 a S. 1), muss dies nicht in den Urteilssatz aufgenommen werden, eine Aufnahme kann sich aber bei der EinheitsJStrafe zum Zweck der Klarstellung empfehlen. Die Anordnung nach § 52 a S. 2 gehört stets in den Tenor. Ein zum Teil verbüßter JA aus dem früheren Urteil kann angerechnet werden, wenn auf JStrafe erkannt wird (Abs. II 2). Soll das geschehen, ist es in den Urteilstenor aufzunehmen, weil Abs. II 2 es dem Richter überlässt, ob und inwieweit verbüßter JA angerechnet werden soll, also eine eigenständige Entscheidung des Spruchrichters vorliegt, die nur er treffen kann. Dazu § 54, 8 aE. Die Anordnung der Strafaussetzung zur Bew. (§ 21), der Aussetzung der Verhängung der JStra- 15 fe (§ 27; dazu Rn 8 u. § 41, 41) und der Entlassung zur Bew. werden dabei hinfällig (RL 2). Die Einbeziehung einer ausgesetzten JStrafe eröffnet auch dann weder Berufung, noch Revision, noch sofortige Beschwerde nach § 59 I, III, wenn die neue EinheitsJStrafe nicht ausgesetzt wurde (§ 55, 16; OLG Stuttgart MDR 76, 1043; vgl. auch Rn 19 u. § 55, 6; zust. Eisenberg 69; Ostendorf 31). Entfällt die Strafaussetzung zur Bew., ist nach BGH 49, 90 (= JR 04, 392 mit abl. Anm. H. E. Müller = JZ 04, 687 mit abl. Anm. Eisenberg) für einen die Strafvollstreckung verkürzenden Ausspruch über die Anrechnung von Bewährungsleistungen kein Raum (ebenso OLG Koblenz NStZ-RR 08, 323, 324). Die erbrachten Leistungen sind nach dem BGH vielmehr bei der Neubestimmung der Strafe zu berücksichtigen. Die Vergleichbarkeit der Situation mit § 26 III 2 und § 58 II 2 StGB und Gesichtspunkte der erz. Klarheit und Konsequenz, der Gerechtigkeit und Rechtssicherheit (Eisenberg JZ 04, 688) sprechen jedoch für die Anrechnungslösung (dafür OLG Köln NStZ-RR 01, 151; Eisenberg 51; LBN/Baier S. 219; Ostendorf 23; nach DSS/Schoreit 36 ist es wünschenswert, wenn in der Entscheidung nach § 31 II die positive Berücksichtigung erbrachter Leistungen dokumentiert wird). Eine Anrechnung der früheren BewZeit auf die neue BewZeit ist ausgeschlossen (Potrykus NJW 59, 1065; Eisenberg 51; aA Ostendorf 23). – Zur Strafzeitberechnung nach Einbeziehung einer JStrafe gem. § 31 vgl. Krauss NJW 65, 1167. Bei Einbeziehung läuft der Strafvollzug weiter. War der Verurteilte nach Teilvollzug aus dem einbezogenen Urteil bis zu dem einbeziehenden Urteil in Freiheit, liegt eine Strafunterbrechung vor; es gilt § 40 StVollstrO. Zur Teilvollstreckung § 56, 2 aE. Früher angeordnete Maßregeln der Besserung und Sicherung, Nebenstrafen und -folgen 16 müssen nach erneuter Prüfung (BGH H MDR 88, 278; BGH bei Nehm DAR 94, 184) in den Einheitsstrafausspruch ebenfalls aufgenommen werden, wenn sie noch nicht vollständig erledigt sind (Rn 7). Es genügt nicht, die zuvor angeordnete Maßregel lediglich aufrechtzuerhalten; vielmehr ist die Maßregel aufgrund eigener Sachprüfung ggf. erneut anzuordnen (BGH
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NStZ 97, 101 mit zust. Anm. Brunner). Zur Höchstdauer der Sperrfrist bei erneuter Entziehung der Fahrerlaubnis Dölling NStZ 98, 356. Kosten: § 74 RL 2 S. 2, 3; 3 S. 2; § 41 I 2 GKG. Wird entgegen § 74 RL 2 S. 2, 3 in dem neuen Urteil § 74 voll angewandt, während im ersten Urteil dem Angeklagten Kosten aufgebürdet waren, sind schon bezahlte Kosten zurückzuvergüten, weil nur noch das 2. Urteil besteht (Rn 17) und deshalb die Staatskasse ungerechtfertigt bereichert ist (BGH 15, 529; AG Frankfurt B NStZ 91, 523 in § 74, 5 aE; Eisenberg 46; Ostendorf 23). Wegen der sich aus dem Auslieferungsrecht ergebenden Schwierigkeiten u. ihrer Behebung Rn 4 u. 20; Grethlein NJW 63, 945.
5.
Wirkung der Einbeziehung
17 Mit der Einbeziehung fallen die Rechtsfolgen der einbezogenen Entscheidung weg, als wäre diese Entscheidung nicht ergangen; das gilt selbst für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (vgl. BGH H MDR 88, 278; BGH NStZ 97, 101 mit zust. Anm. Brunner). Es gilt nur noch die neue Entscheidung. Die nicht ausdrücklich aufrechterhaltenen ErzMaßregeln und Zuchtmittel des früheren Urteils werden gegenstandslos, ob sie verbüßt sind oder nicht (BGH 14, 381). Vgl. auch Rn 16. Da das einbezogene Urteil durch die Einbeziehung gegenstandslos wird, kann es später nicht isoliert in eine weitere Entscheidung einbezogen werden. Vielmehr kann nur die früher nach § 31 ergangene Entscheidung insgesamt zur Bildung einer EinheitsJStrafe herangezogen werden (BGH B NStZ 93, 528). Wird die neue wie die alte JStrafe zur Bew. ausgesetzt, müssen eine neue BewZeit ohne Anrechnung der alten (Rn 15) festgesetzt, neue Weisungen und Auflagen erteilt und ein neuer BewPlan aufgestellt werden, da die auf die Bew. bezogenen früheren Anordnungen mit dem Wegfall der Strafaussetzung der früheren Entscheidung, auf die sie allein gegründet waren, ebenfalls gegenstandslos geworden sind. Zur Teilvollstreckung § 56, 2; zur Anrechnung erbrachter Auflagen Rn 15; zur Kostenentscheidung Rn 16; § 74, 5. 18 Weitergehende Folgen als die der Vereinheitlichung aller gegen diesen Täter getroffenen Maßnahmen hat die Bildung einer Einheitsstrafe nicht. Die Einheitsstrafe gilt deshalb als eine Verurteilung iSd § 66 I Nr. 2 StGB (Sicherungsverwahrung) nur dann, wenn sie den engeren Voraussetzungen der Gesamtstrafe des allg. Rechts entspricht, also erkennen lässt, dass bei einer der ihr zugrunde liegenden Straftaten eine JStrafe von mindestens einem Jahr verwirkt wäre (BGH 26, 152; BGH H MDR 80, 628; BGH NJW 85, 2840; MDR 87, 799; StV 91, 63; BGH Detter NStZ 93, 477; BGH B NStZ 94, 530; BGH NStZ 96, 331; StV 98, 343; NJW 99, 3723; BGH B NStZRR 00, 322; BGH NStZ 02, 29; BGH NStZ-RR 07, 171). Für die zweite erforderliche Verurteilung reicht es aus, wenn die Taten nicht gesamtstrafenfähig sind (§ 66 IV 1 StGB) und nach Abzug der weggefallenen Strafe von mindestens einem Jahr noch mindestens ein Strafrest von einem Jahr verbleibt (ebenso Böhm/Feuerhelm S. 162; Ostendorf 26, 27; Bedenken bei Eisenberg 53; Nothacker S. 317). Der über die Anordnung der Sicherungsverwahrung entscheidende Richter darf sich aber nicht durch eigene Strafzumessung bei der rechtskräftig abgeurteilten Tat an die Stelle des Tatrichters im Vorverfahren setzen, sondern nur feststellen, wie jener die einzelnen Taten bewertet hat (BGH H MDR 80, 628; 87, 799). Das ist schwierig; gelingt es nicht, was wohl häufig der Fall sein wird, so erfüllt die EinheitsJStrafe nicht die Voraussetzungen des § 66 I Nr. 2 StGB (BGH aaO). Dann muss auch die Verbüßung dieser JStrafe bei der Prüfung der Voraussetzungen der Nr. 3 des § 66 I StGB außer Betracht bleiben (BGH NStZ 96, 332). Zur Führungsaufsicht kraft Gesetzes nach § 68 f I StGB s. § 7, 11. Die Einheitsstrafe des § 31 will aus erz. Gründen verschiedene Maßnahmen zusammenfassen und gestattet deshalb, im Gegensatz zu § 55 StGB, ein rechtskräftiges Urteil auch dann einzubeziehen, wenn die weitere Straftat nach dessen Verkündung begangen worden ist (Rn 5; RL 1; BGH 7, 300; OLG Hamm NJW 71, 1664). Zu § 35 BtMG § 17, 31. – Weiter hindert die EinheitsJStrafe auch nicht die Teilanfechtung des Schuldspruchs (§ 55, 6); sie ändert auch nichts daran, dass Verfahrensverstöße vom Revisionsgericht nur auf
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ausdrückliche Rüge beachtet werden (§ 55, 7). Der Wegfall der Verurteilung in einem von mehreren zu einer EinheitsJStrafe führenden Fällen hat in aller Regel deren Aufhebung durch das Revisionsgericht zur Folge, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die weggefallene Verurteilung auf die Bemessung der JStrafe ausgewirkt hat (BGH B NStZ 91, 522 f). Das gleiche gilt – selbst bei sehr mildem Strafausspruch – wenn eine JStrafe unter nicht zulässiger Einbeziehung einer früheren Verurteilung gebildet worden ist (BGH StV 92, 432). – Die einheitliche Ahndung betrifft nur die Straffrage und beeinflusst nicht den Prozessgegenstand (Dallinger/Lackner 15–22 Vor § 55). – Bei der Prüfung der Frage, ob eine Amnestie der Höhe nach bei bestimmten Einzeltaten eingreift, ist bei der EinheitsJStrafe für jede einzelne Tat nachträglich eine – gedachte – Einsatzstrafe festzusetzen, da § 31 durch die Vereinheitlichung der getroffenen Maßnahmen eine mögliche Amnestierung für die Einzeltat nicht verhindern will und kann (BayObLG 70, 186 für das StFG 1970).
6.
Unterlassen der Einbeziehung
Das unberechtigte (Rn 21) Unterlassen der Einbeziehung ist ein Anfechtungsgrund, der der 19 Beschränkung des § 55 I nicht unterliegt (§ 55, 11), wohl aber der Beschränkung des § 55 II. Die Anfechtung eines Urteils kann nicht darauf beschränkt werden, dass eine nicht verbüßte JStrafe nicht einbezogen wurde; denn die sich aus § 31 II, III ergebenden Fragen können nicht von den übrigen Strafzumessungserwägungen getrennt werden (BGH 16, 335 u. BGH Herlan GA 63, 105). Wird der Strafausspruch wegen Nichteinbeziehung einer noch nicht vollständig erledigten früheren Entscheidung aufgehoben, steht das Verschlechterungsverbot einer auf der Einbeziehung des bisher nicht einbezogenen Urteils beruhenden Erhöhung der in dem angefochtenen Urteil verhängten Jugendstrafe nicht entgegen (BGH B NStZ 93, 528). Das Verschlechterungsverbot hindert auch nicht eine Erhöhung einer EinheitsJStrafe um den bereits verbüßten Teil der einbezogenen JStrafe eines früheren Urteils, wenn in dem aufgehobenen Urteil rechtsirrig nur der noch nicht verbüßte Teil der JStrafe aus dem früheren Urteil einbezogen war (BGH 16, 335). Vgl. auch Rn 15; § 55, 6 u. 29. Aufgrund der übergeordneten Normen des Auslieferungsrechts kann es noch im Vollstre- 20 ckungsverfahren zu einer Ausgliederung eines Teiles der Taten kommen (Grethlein NJW 63, 945). Näher Rn 4.
7.
Absehen von Einbeziehung
Die Bildung der Einheitsstrafe kann unterbleiben, wenn dies erz. zweckmäßig ist und die Taten 21 Gegenstand mehrerer Verfahren sind (Abs. III, kein Zwang zur Verbindung: BGH 10, 101). Dazu auch Brunner JR 81, 260 u. § 30, 14, auch § 31 RL 4. Macht ein Gericht von der Ausnahmevorschrift des Abs. III Gebrauch, bedürfen die hierfür maßgeblichen Erwägungen einer ausdrücklichen Darlegung (BGH B NStZ 93, 528). Eine formelhafte Begründung genügt nicht (BGH B NStZ 96, 479). Die Entscheidung hat sich ausschließlich am ErzZweck zu orientieren (BGH 22, 23; BGH NStZ 97, 388; OLG Brandenburg NStZ-RR 08, 388, 389). Für ein Absehen müssen Gründe vorliegen, die unter dem Gesichtspunkt der Erz. von ganz bes. Gewicht sind und zur Verfolgung dieses Zwecks über die üblichen Strafzumessungsgesichtspunkte hinaus das Nebeneinander zweier Jugendstrafen notwendig erscheinen lassen (BGH 36, 43 f; BGH NStZ 97, 387; NJW 02, 77 = NStZ 02, 204 mit Anm. Walter; OLG Brandenburg aaO; OLG Koblenz NStZ-RR 08, 323). Solche Gründe liegen nicht vor, wenn nach allg. Recht eine Gesamtstrafe zu bilden wäre und die Taten einschlägig sind (BGH NStZ-RR 96, 120). Der Umstand, dass die neue Tat nach Art und Schwere weit über die frühere Tat hinausgeht, ist für sich allein noch kein Grund, von einer Einbeziehung abzusehen. Wird eine Entscheidung einbezogen, in die bereits weitere frühere Entscheidungen einbezogen waren, ist insoweit für die Anwendung von § 31 III kein Raum
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mehr (BGH B NStZ 97, 482). Auch die Überlegung, der J werde durch eine EinheitsJStrafe ungerechtfertigt begünstigt, begründet ein Absehen nicht (BGH bei Theune NStZ 86, 160), da allein erz. Gründe dies rechtfertigen. Die Anwendung von Abs. III kommt jedoch in Betracht, wenn es nach einem ersten Urteil unter Missachtung der davon ausgehenden Warnfunktion erneut zu Straftaten kommt (BGH NStZ 00, 263 mit krit. Anm. Eisenberg NStZ 00, 484). Eisenberg 28 und der Arbeitskreis XI des 19. DJGT (in DVJJ, Hrsg., JGerichtsverfahren u. Kriminalprävention, 1984 S. 508) warnen JRichter und JStAe davor, zur Verbesserung der Statistik von einer Einbeziehung abzusehen. Obwohl aus der Praxis eine derartige gesetzeswidrige Anwendung des Abs. III 1 nicht bekannt ist, ist der Warnung beizutreten. Zum Zusammentreffen mehrerer JStrafen infolge Absehens von der Einbeziehung § 89 a, 3. 22 Eine Einheitsstrafe sollte zB in folgenden Fällen nicht gebildet werden: 22 a wenn die übrig gebliebenen Maßnahmen der früheren Urteile gegenüber der Reaktion des neuen Urteils ohne Bedeutung sind; dies ist näher dazugelegen (BGH B NStZ 96, 479); die früheren Maßnahmen können für erledigt erklärt werden (Rn 24 c); 22 b wenn die neuen Taten keine wesentliche selbständige Bedeutung haben. Hier ist Einstellung nach § 154 StPO zu erwägen, ggf. mit Widerruf einer Strafaussetzung zur Bew. (Eisenberg 30; Ostendorf 17 fordern hier Einbeziehung) oder einer Entlassung zur Bew. (§ 88 V) oder unter Fortsetzung eines nach Schuldspruch ausgesetzten Verfahrens nach § 30 (RL 4); auch die Abänderung von BewAuflagen kommt in Betracht oder die Verlängerung der BewZeit; 22 c wenn die neue Tat eine auf einer ganz anderen Ebene liegende Gelegenheitstat (Verkehrsstraftat des „Diebes“) oder ein aus einer bes. Situation entsprungener Rückfall in die an sich schon überwundene frühere Haltung ist. Hier ist der Ausspruch einer neuen Maßnahme zu empfehlen, die neben die alte tritt, aber auf sie abzustimmen ist (Potrykus NJW 56, 654; Grethlein NJW 57, 1462); 22 d wenn die Einbeziehung zu einer unverhältnismäßig langen JStrafe zwingen würde. Hier sollte ggf. eine neue selbständige Strafe neben einen Strafrest treten; 22 e wenn die neue Maßnahme den Vollzug der früheren nicht hindert, bes. wenn eine Bew. uU nach anfänglichen Schwierigkeiten erfolgreich abgelaufen ist; 22 f wenn eine Ergänzung der früheren Maßnahmen geboten ist, die im Wege des § 31 II wegen des Koppelungsverbotes (§ 8) nicht möglich ist (aA Ostendorf 14; zweifelnd Eisenberg § 8, 13). Das AG Kiel (Zbl. 65, 55) ließ eine neue JStrafe mit Strafaussetzung neben eine bereits bestehende bei einer neuen gleichartigen, aber leichten Tat treten; 22 g wenn eine Einheitsstrafe wegen der Höhe nicht mehr zur Bew. ausgesetzt werden könnte, obwohl Strafaussetzung zur Bew. aus bes. Gründen noch zu vertreten ist (OLG Brandenburg NStZ-RR 08, 388; OLG Koblenz NStZ-RR 08, 323). Erfolgt keine Einbeziehung, kann nämlich die neue JStrafe ebenfalls zur Bew. ausgesetzt werden, auch wenn die Summe beider JStrafen 1 Jahr (bzw. 2 Jahre – § 21 II) übersteigt, da § 21 nur für jede Strafe einzeln gilt (Potrykus NJW 56, 654; 59, 1064). Um die Strafaussetzung zur Bew. zu ermöglichen, darf aber nach OLG Düsseldorf (MDR 83, 956) von der Einbeziehung nur abgesehen werden, wenn bes. erz. Gründe eine Strafaussetzung anzeigen. Diese Ermessensentscheidung muss auf den Einzelfall bezogen sein; 22 h wenn im früheren Urteil Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 angeordnet und noch nicht erledigt ist (Potrykus NJW 59, 1066 zur Fürsorgeerz. aF). 22 i Einer Einbeziehung von Vorverurteilten kann das Verfahrenshindernis der Spezialität nach Art. 14 EuAlÜbk entgegenstehen (BGH StV 98, 324).
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In Ausnahmefällen darf von der Einbeziehung nach Abs. III abgesehen werden, auch wenn dies 23 dazu führt, dass die gesetzlichen Höchstgrenzen der JStrafe (§§ 18 I, 105 III) überschritten werden (BGH 36, 37 = JR 89, 519 mit grds. zust. Anm. Brunner = NStZ 89, 574 mit krit. Anm. Walter/Pieplow; BGH NStZ 95, 596; 00, 263; NJW 02, 76 = NStZ 02, 204 mit Anm. Walter; KG JR 81, 306 – kein Freibrief für Gefangenenmeuterei; Dallinger/Lackner 42; Ostendorf 15: bei neuen schwersten Verbrechen; LBN/Baier S. 223; MRS/Schöch S. 365; Potrykus NJW 59, 1064; Schaffstein/Beulke S. 101; Streng S. 136; aA Eisenberg 33 f; Böhm/Feuerhelm S. 159 ff; Böhm StV 86, 70; Frisch NJW 59, 1671; von Beckerath JStrafrechtliche Reaktionen bei Mehrfachtäterschaft, Diss. Tübingen 1997 S. 145; Nothacker S. 253 mit der Begründung, eine angemessene Vermittlung der Rechtsfolge könne effektiver sein als ihre repressive Aufstockung unter den Aspekten eines fremden Taxendenkens). BGH 36, 37 hat zur Begründung dafür, dass ausnahmsweise die Höchst-JStrafe von 10 Jahren 24 neben einer weiteren JStrafe bestehen bleiben darf, zutreffend ausgeführt, dass beim Widerstreit zweier gesetzlicher Prinzipien des JGG, nämlich der Begrenzung der Höhe der JStrafe und dem Absehen von der üblichen EinheitsJStrafe aus erz. Gründen, nicht eine dieser Maximen generell Vorrang vor der anderen hat, sondern im Vordergrund der ErzGedanke als Basis aller Regelungen des JStrafrechts steht, und zwar für den jeweiligen Einzelfall (BGH 22, 21; dazu Einf. II 4–11, auch 12–21). Liegt ein einbeziehbares Urteil vor, hat der JRichter nach Abs. II unter Beachtung der Höchstgrenzen (§§ 18 I, 31 I 3, 105 III) einheitlich über alle Straftaten zu entscheiden, es sei denn, erz. Gründe nach Abs. III rechtfertigen es, das frühere Urteil auszuklammern. Dass die in Abs. I 3 trotz der Regelungen in §§ 18 I 1, 105 III wiederholte ausdrückliche Bindung an die Höchstgrenzen des JA und der JStrafe in Abs. III nicht wiederkehrt, führt mit dem BGH zu dem Schluss, dass hier die Höchstgrenzen nicht gelten sollen, was auch sinnvoll ist, weil bei dem oft geringen oder ganz fehlenden Spielraum zwischen der früheren Strafe und der Höchstgrenze im Einzelfall eine angemessene Reaktion auf die neue Tat nicht mehr möglich wäre. Der BGH hat zu Recht diesen Weg eröffnet, zugleich aber betont, dass für eine solche Über- 24 a schreitung der Höchstgrenzen allg. Strafzumessungsgründe für das durch rationale Erwägungen gebundene Ermessen des JRichters (vgl. BGH NStZ 85, 410) keinesfalls ausreichen (so schon BGH 22, 21), sondern erz. Gründe ganz bes. Gewichts vorliegen müssen (ebenso BGH NStZ 95, 596; NJW 02, 77). Dafür lässt der BGH im zu entscheidenden Falle eine bislang nur kurzfristige Strafverbüßung ebenso wenig genügen wie die Tatsache, dass die neue Tat innerhalb einer BewZeit begangen wurde. Hinzu kam aber, dass das LG dem Hw. durch Unterlassen der Einbeziehung des früheren Urteils das Gewicht des Mordes, „der in seiner Furchtbarkeit kaum seinesgleichen findet“, vor Augen stellen wollte. Das LG sei davon ausgegangen, dass nur die Höchststrafe allein wegen Mordes dem Hw. die Bedeutung der Mordtat ausreichend bewusst machen könne, zumal er bereits in der Hauptverhandlung trotz Geständnisses zur Verharmlosung geneigt habe. Walter/Pieplow (NStZ 89, 576) bedauern, dass in einer „Rechtsprechungswende“ die strikten An- 24 b forderungen an eine Nichteinbeziehung gem. Abs. III entscheidend abgesenkt worden seien. Der BGH habe das Konzept des Erstgerichts „Erz. durch Beeindruckung“ mit ungeschmälerter Höchststrafe und die „Freibrief-Sorge-Argumentation“, also eine „schlichte Vergeltungsphilosophie“, bestätigt und den ErzGedanken verzerrt. „Dammbruchängste“ aber seien gleichwohl unbegründet, da bei einem in der JStrafanstalt einsitzenden Hw. Anlässe, zu weiteren Freiheitsstrafen greifen zu müssen, ohnehin begrenzt seien. Es geht bei der Erz. straffällig gewordener J und Hw. aber auch um Normverdeutlichung und deutliche Reaktion (Schlüchter GA 88, 108). Erz. kann und muss sich auch der Sühne bedienen dürfen (Itzel S. 29, bes. 30; vgl. dazu Einf. II 8– 10). Man sollte auch nicht fürchten, dieses Urteil könnte als falsches Signal missverstanden werden. Bei JA wird ein Überschreiten der Höchstgrenze regelmäßig abzulehnen sein. Ein Absehen
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von der Einbeziehung aus erz. Gründen kommt auch bei Angeklagten in Betracht, die bei der Verurteilung das 21. Lebensjahr vollendet haben (BGH NJW 02, 76). 24 c Der Anwendung von § 31 III 1 steht nicht entgegen, dass eine Aburteilung der Taten in einem Verfahren möglich gewesen wäre (BGH NStZ 95, 596). In diesem Fall muss das Gericht jedoch bedenken, dass bei einer Beurteilung nach ErwStrafrecht eine Gesamtfreiheitsstrafe mit der Folge, dass die Höchststrafe des § 38 StGB nicht überschritten werden dürfte, zwingend wäre (BGH aaO). Wird § 31 III 1 angewendet, darf nur noch die JStrafe verhängt werden, die zusammen mit der ersten Strafe erforderlich ist, um auf den J erz. einzuwirken. Bei der Strafbemessung muss der ErzGedanke ganz im Vordergrund stehen, der Schuldausgleich muss weitgehend in den Hintergrund treten (BGH aaO). Wird auf JStrafe erkannt, können nach Abs. III 2 ErzMaßregeln und Zuchtmittel aus dem ersten Urteil für erledigt erklärt werden. Zulässig ist nur die Erklärung für erledigt, nicht die Umwandlung in eine mildere Sanktion (OLG Celle StV 01, 179). 8.
Einbeziehung von Strafen nach ErwRecht
25 Bei Anwendung von JStrafrecht gegen Hw. kann mit bereits rechtskräftigen Verurteilungen nach allg. Strafrecht – auch nachträglich (§§ 109 II 2, 66) – eine einheitliche Maßnahme oder EinheitsJStrafe gebildet (§§ 105 II, 31 II 1; BGH B NStZ 81, 251; 97, 483; B NStZ-RR 01, 323), aber auch aus erz. Gründen davon abgesehen werden (§§ 105 II, 31 III). Die Verhängung einer EinheitsJStrafe erfordert eine Neubewertung der früheren Taten hinsichtlich der Frage, ob aufgrund neuer Erkenntnisse für sie JStrafrecht anwendbar ist (BGHSt 37, 35, 37; BGH NStZ 09, 43). Hierfür ist eine Gesamtbewertung der bereits abgeurteilten und der neuen Taten erforderlich (BGH aaO). Hier gewinnen für die zu bildende EinheitsJStrafe wegen schädlicher Neigungen erz. Gesichtspunkte bes. Bedeutung. Über die im einbezogenen ErwVerfahren nach § 51 StGB angerechnete UHaft wird nun nach § 52 a erneut entschieden (Rn 14; BGH 25, 355). Durch § 105 II wird insbes. in solchen Fällen die ungute Vollstreckung wesensverschiedener Strafarten nacheinander vermieden. Weitere Einzelheiten § 105, 25; auch § 66, 12; § 109, 13. Beachte insbes. § 32, 5–12 mit BGH 37, 34 u. BGH 36, 270 in § 32, 9. 26 Das Einheitsprinzip gilt für Urteile, aber nicht für Maßnahmen nach §§ 45, 47 (Eisenberg 5 „mit Bedenken“; Ostendorf 2). 27 Das Einheitsprinzip gilt nicht im Verhältnis von Zuwiderhandlungen gegen Weisungen und Auflagen (Ungehorsamsarrest nach §§ 11 III 1, 15 III 2, 23 I 3) zu Straftaten. Der wegen Ungehorsams verhängte JA kann also nicht zu einer einheitlichen Entscheidung mit Maßnahmen des JGerichts wegen Straftaten zusammengefasst werden (vgl. § 11, 7; Potrykus § 11 A 8 u. NJW 67, 187; aA Eisenberg 7 u. Zbl. 89, 17, 18; Ostendorf 2, 7 u. Zbl. 83, 563, 575). Abl. Dörig DRiZ 87, 277, nach welchem mit der Einbeziehung eines Urteils mit den anderen nicht aufrechterhaltenen Rechtsfolgen auch ein im einbezogenen Verfahren verhängter Ungehorsamsarrest gegenstandslos werde; ebenso die Beschwerdeentscheidung des gegen die Ablehnung der Vollstreckung des Arrestes angerufenen Generalstaatsanwalts (aaO S. 278 FN 13). § 31 gilt auch nicht für Geldbußen im OWiG-Verfahren (Eisenberg 8; Göhler § 20 OWiG 5). 28 Die Einheitsstrafe kann auch nachträglich gebildet werden (§ 66). 29 Urteilsfassung: § 54, 8; Bedeutung im Rechtsmittel- u. Wiederaufnahmeverf.: § 55, 6, 7, 47; Zuständigkeit: § 41, 41; Taten in verschiedenen Altersstufen: § 32, 1; zum Verschlechterungsverbot § 55, 29, 33; Gerichtskosten: § 41 I GKG; BZRG: Vor § 97, 16.
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Mehrere Straftaten in verschiedenen Alters- und Reifestufen
§ 32 Mehrere Straftaten in verschiedenen Alters- und Reifestufen § 32 Mehrere Straftaten in verschiedenen Alters- und Reifestufen Für mehrere Straftaten, die gleichzeitig abgeurteilt werden und auf die teils Jugendstrafrecht und teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, gilt einheitlich das Jugendstrafrecht, wenn das Schwergewicht bei den Straftaten liegt, die nach Jugendstrafrecht zu beurteilen wären. Ist dies nicht der Fall, so ist einheitlich das allgemeine Strafrecht anzuwenden. 1. Hw.-J: § 105 I. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 1. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6.
1.
Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einheitlich Jugend- oder ErwRecht . . . . . . . . . . . . . . Schwergewichtsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . EinheitsJStrafe durch Einbeziehung einer ErwStraftat . . „Gesamtfreiheitsstrafe“ durch Einbeziehung einer JStrafe Dauerdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rn 1 2 3 5 8 14
Anwendungsbereich
§ 32 gilt bei Tatmehrheit und entsprechend für Dauerdelikte und mehrere Vorgänge, die kraft 1 Bewertungseinheit eine Tat im Rechtssinne bilden (BGH 6, 7; BGH NStZ 88, 492; BGH StV 89, 308; NStZ-RR 96, 250; NStZ 05, 650; NStZ-RR 07, 282; OLG Düsseldorf JR 83, 479 mit zust. Anm. Brunner). Die Vorschrift wird erst angewendet, wenn feststeht, dass bei gleichzeitiger Aburteilung ein Teil der Taten nach JRecht, ein anderer nach ErwRecht abzuurteilen wäre. Das ist nicht der Fall, wenn die Taten mit 17 und 19 Jahren begangen wurden, für die späteren Taten aber die Voraussetzungen des § 105 I vorliegen, oder wenn die Taten mit 20 und 22 Jahren begangen wurden, § 105 I aber auf die früheren Taten nicht anwendbar ist. Im ersten Fall sind alle Taten nach JRecht, im zweiten alle nach ErwRecht abzuurteilen. § 32 setzt voraus, dass der Angeklagte für jede der Taten schuldig gesprochen werden kann; so scheidet von im JAlter begangenen Taten jede aus, für welche die Altersreife gem. § 3 fehlt, andererseits aber auch Taten, die im Zustande der Schuldunfähigkeit begangen wurden. Bei Zweifeln über das Alter § 1, 10. Für entsprechende Anwendung des § 32, wenn das Verfahren wegen der nach JRecht abzuurteilenden Taten nach § 154 StPO eingestellt wird, Drees NStZ 95, 481. Vgl. auch Vor § 102, 2. 2.
Einheitlich Jugend- oder ErwRecht
Treffen Taten zusammen, die getrennt teils nach JRecht und teils nach ErwRecht abzuurteilen 2 wären, so wird für alle Taten bei gleichzeitiger Aburteilung einheitlich entweder JRecht oder ErwRecht angewendet. Liegt das Schwergewicht bei den nach dem 21. Lebensjahr begangenen Teilakten, so ist einheitlich und insgesamt ErwRecht anzuwenden. Denn § 32 schließt es aus, in einem Urteil auf eine EinheitsJStrafe und eine Freiheitsstrafe zu erkennen (BGH NJW 79, 2572; NStZ 00, 484). Kommt JRecht zur Anwendung, ist eine Einheitsstrafe (§ 31) zu bilden. Andernfalls sind für alle Taten – also auch für die vor Vollendung des 18. Lebensjahres begangenen – Einzelstrafen des ErwRechts auszuwerfen und ist im Rahmen der §§ 53 ff StGB ggf. eine Gesamtstrafe zu bilden (BGH Herlan GA 54, 309). Die Lage ist so, als wären im ersten Fall alle Taten JTaten, im zweiten Fall nur ErwTaten. Jedoch ist bei der Straffrage im ersten Fall zu berücksichtigen, dass die Persönlichkeitsentwicklung bereits fortgeschritten ist (vgl. § 1, 9); im zweiten Fall ist das j. Alter bei den früheren Taten zu beachten.
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§ 32
2. Teil. Jugendliche
2 a § 32 betrifft nur den Rechtsfolgenausspruch. Einheitlich nach J- oder ErwRecht wird deshalb auch dann erkannt, wenn ein Berufungsgericht zu einem bei ihm anhängigen Verfahren mit rechtskräftigem Schuldspruch ein erstinstanzliches Verfahren verbindet (BGH 29, 67 = JR 80, 262 mit Anm. Brunner); vgl. auch Rn 7. Erwächst infolge Beschränkung des Rechtsmittels eine Tat in Teilrechtskraft und wird die andere Tat erst vom Rechtsmittelgericht oder nach Zurückverweisung abgeurteilt, so ist § 32 entsprechend anzuwenden (BGH LM Nr. 4 zu § 32; Eisenberg 6; Ostendorf 5; aA BGH 10, 100; vgl. auch § 55, 6 a). Vgl. auch Nothacker S. 129. 3.
Schwergewichtsentscheidung
3 Ob ErwRecht oder JRecht anzuwenden ist, entscheidet das Schwergewicht der Taten, wobei bei Zweifeln nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes ErwRecht gilt (BGH 12, 134; BGH B NStZ 97, 483; B NStZ-RR 98, 291; 00, 323; BGH NStZ 05, 644, 645; BGH NStZ-RR 08, 324; Dallinger/Lackner 12; Schaffstein/Beulke S. 82; aA Potrykus B 4). Die schwierige und uU in die Entwicklung des Beschuldigten stark eingreifende Entscheidung, einheitlich J- oder ErwStrafrecht anzuwenden, verlangt in einer Gesamtbetrachtung aller wesentlichen Gesichtspunkte (BGH NStZ 03, 493) vorsichtig abzuwägen, wie sich die einzelnen Taten als bes. Ereignisse in den Lebenslauf, in die Entwicklungsphase des Angeklagten und in die stete Wechselwirkung persönlicher und sozialer Faktoren einfügen. Hartmann-Hilter (Notwendige Verteidigung 1989, S. 84–86) fordert ua deshalb hierfür die Bestellung eines Pflichtverteidigers. Die Zahl der Straftaten und deren äußere Schwere sind lediglich Anzeichen und Hinweise verschiedenen Gewichts (BGH StV 86, 305), auch wenn sie einen gewissen Schluss auf das Maß des rechtsbrecherischen Willens zu erlauben scheinen (BGH NJW 86, 1504; BGH JR 54, 271). Den Tatwurzeln und der Persönlichkeitsentwicklung nachgehend (BGH 6, 7; BGH NJW 86, 1504) kann oftmals eher der Weg zur Straftat als deren Fortsetzung (vgl. OLG Bremen MDR 51, 569; OLG Düsseldorf StV 83, 378; LG Berlin StV 84, 520; B NStZ 85, 448) das Schwergewicht anzeigen. Vgl. aber auch BGH NStZ 03, 495. Häufig werden sich auch Taten im ErwAlter als Fortsetzung des in der Adoleszenz gesetzten prägenden Beginns erweisen (BGH H MDR 93, 9; Miehe Zbl. 82, 83). Stellt sich eine nach dem 21. Lebensjahr begangene Straftat als Folge und Ausfluss der früheren Taten dar, so kann daraus geschlossen werden, dass das Schwergewicht bei diesen liegt, denn wesentlich sind vor allem die Persönlichkeitsentwicklung und die Tatwurzeln (BGH NJW 86, 1504; BGH B NStZ-RR 00, 323). Anders verhält es sich, wenn zwischen 4 Taten als Hw. und 8 Taten als Erw. die Verbüßung einer aus anderem Grund verhängten JStrafe und ein Intervall von 3 Jahren liegen (BGH B NStZ-RR 99, 290). Es kann im komplizierten Zusammenspiel der zur Tat führenden Faktoren und folgend den wechselnden inneren und äußeren Tatsituationen (ua Verführung, Gruppentat – Einzeltat, Gelegenheit, Planung, Intensität, Motivation) gerade auch den in einen späteren Altersund Entwicklungsabschnitt fallenden Tat-Teilen das Schwergewicht zukommen. Es können die Straftaten eine Entwicklung eingeleitet haben, aber auch das Ergebnis einer inzwischen abgeschlossenen Altersentwicklung sein, sie können persönlichkeitsentsprechend oder -fremd sein. Dies macht es unerlässlich, für die Gesamtheit der Taten die Persönlichkeitsentwicklung sowie den Tathintergrund aufzuhellen und die kriminalpolitischen Zielvorstellungen des JGG einzubeziehen. Bei Mordtaten hält es der BGH (NJW 86, 1504) für denkbar, nach § 32 ErwRecht anzuwenden, wenn für den als Erw. begangenen vierten Mord bei getrennter Aburteilung lebenslange Freiheitsstrafe verwirkt wäre. 3 a Die Zuständigkeit des Gerichts wird von der Schwergewichtsentscheidung des § 32 nicht berührt. Bei fortgesetzter Tat als Hw. und Erw. (vgl. aber BGH 40, 138) ist stets das JGericht zuständig (OLG Hamburg StV 85, 158). Zu § 103 I, II 1 Rn 9. 4 Es kommt auf das Schwergewicht im Zeitpunkt der Verhandlung, nicht der Tat, an (Dallinger/Lackner 10; Eisenberg 8; aA OLG Bremen MDR 51, 569; Potrykus 4; Ostendorf 13), da nur so der Entwicklung gefolgt und gezielt reagiert werden kann. Die Abwägung des Schwergewichtes un-
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Mehrere Straftaten in verschiedenen Alters- und Reifestufen
§ 32
terliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters und ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht grds. verschlossen (BGH NJW 86, 1504; BGH B NStZ 87, 492; BGH StV 89, 308; NJW 92, 2104; BGH H MDR 93, 9). Liegt aber ein Ermessensfehler vor oder erörtert das Urteil die Anwendung von J- oder ErwRecht überhaupt nicht, so verfällt es im Strafausspruch der Revision (OLG Düsseldorf JR 83, 479 mit zust. Anm. Brunner). Die Revision kann innerhalb der Straffrage nicht auf die fehlerhafte Zuordnung gem. §§ 105, 32 beschränkt werden; eine fehlerhafte Zuordnung betrifft die Straffrage insgesamt (BGH Herlan GA 64, 135; vgl. § 105, 29). Die Schwergewichtsentscheidung nach § 32 setzt gleichzeitige Aburteilung voraus (BGH JR 80, 4 a 262 mit Anm. Brunner; BGH NStZ 87, 24; vgl. Rn 2 a). Bei Anwendung von JRecht auf Hw. (§ 105 I) kann darüber hinaus auch mit rechtskräftigen Verurteilungen nach ErwStrafrecht – auch nachträglich – eine einheitliche Maßnahme oder Einheitsjugendstrafe gebildet werden (näher § 31, 25; auch § 105, 25; § 66, 12; § 109, 13). 4.
EinheitsJStrafe durch Einbeziehung einer ErwStraftat
Zu einer EinheitsJStrafe kann es nach § 105 II iVm § 31 II auch dann kommen, wenn das einzu- 5 beziehende auf Freiheitsstrafe lautende Urteil gegen einen Erw. wegen einer ErwStraftat ergangen ist, weil eng verbundene sich wechselseitig erklärende Taten aus Adoleszenz und ErwAlter nicht mit unterschiedlichen Sanktionen des J- und des ErwRechts belegt werden dürfen (BGH 37, 34 = NStZ 91, 184 mit Anm. Ostendorf; BGH StV 98, 345; Brunner JR 80, 262; Böhm/ Feuerhelm S. 68; Streng S. 140 f; Knüllig-Dingeldey NStZ 87, 226; Lackner GA 55, 33, 40; Ostendorf 9; Schoreit NStZ 89, 461). Der BGH hat zur Begründung ua ausgeführt, wenn bereits der „genaueren Persönlichkeitserforschung“ des später entscheidenden JRichters nach § 105 II der Vorrang eingeräumt werde, so müsse dies erst recht gelten, wenn ein ErwGericht vorher über eine einzelne ErwTat entschieden habe, ohne die zur Anwendung von JStrafrecht führenden Gesichtspunkte überhaupt berücksichtigen zu können, obgleich die abgeurteilte ErwTat lediglich Teil einer Reihe von Taten ist, die nach JStrafrecht zu beurteilen sind. BGH 37, 34 hat deshalb die von einer JKammer ausgesprochene EinheitsJStrafe bestätigt, welche 6 teils Hw.-, teils ErwStraftaten zusammengefasst und eine rechtskräftige Verurteilung zu Freiheitsstrafe wegen einer einzelnen schon als Erw. begangenen Straftat einbezogen hat. Denn die Gesamtbetrachtung dieser mit Freiheitsstrafe belegten ErwTat mit den teils als Hw. und teils als Erw. begangenen Straftaten habe nach den Grundsätzen des § 32 die Anwendung von JStrafrecht geboten. Mit der Entscheidung nach §§ 105 II, 31 II verliert der einbezogene auf Freiheitsstrafe lautende 7 Strafausspruch seine Wirkung, sodass die einheitliche JStrafe selbständig und losgelöst davon zu bestimmen ist (BGH 25, 356; 37, 34; BGH StV 98, 345). Die neue EinheitsJStrafe kann die einbezogene Freiheitsstrafe unterschreiten, denn es kommt zu einer völligen Neubewertung der Taten und zu einer vorrangig an erz. Gesichtspunkten orientierten neuen Bemessung der Rechtsfolgen (BGH 37, 39 f; § 31, 13). Allerdings hat die Anwendung des § 105 II auf rechtskräftige Verurteilungen wegen ErwStraftaten nicht zur Folge, dass auf alle Taten automatisch einheitlich JStrafrecht anzuwenden ist. Vielmehr hat eine Gesamtbewertung der Taten nach dem Maßstab des § 32 S. 1 zu erfolgen (BGH 40, 1; BGH StV 98, 345; Streng S. 141). Liegt das Schwergewicht nicht bei den nach JStrafrecht zu beurteilenden Taten, findet – vorbehaltlich einer Entscheidung iSd § 31 III 1 mit § 105 II – auf alle Taten das allg. Strafrecht Anwendung (BGH aaO; vgl auch DSS/Schoreit § 31, 53).
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§ 32 5.
2. Teil. Jugendliche
„Gesamtfreiheitsstrafe“ durch Einbeziehung einer JStrafe
8 Ist aber im anhängigen Verfahren eine ErwStraftat abzuurteilen, so lehnt der BGH in gefestigter Rechtsprechung die nachträgliche Bildung einer Gesamt-Freiheitsstrafe nach § 55 StGB ebenso ab wie eine EinheitsJStrafe (BGH 10, 100; 14, 287; 27, 295; 36, 270 = NStZ 91, 130 mit abl. Anm. Böhm/Büch-Schmitz; BGH 36, 295; 41, 312; BGH H MDR 79, 106; BGH MDR 79, 281; BGHR § 32 Aburteilung getrennte 2; BGH B NStZ 96, 479 auch für den Fall, dass irrtümlich, aber rechtskräftig JStrafrecht angewendet worden ist; BGH NStZ-RR 98, 151; 08, 388). 9 Zur Begründung hat BGH 36, 270, die bisherige Rechtsprechung zusammenfassend, ausgeführt: Es könne dahinstehen, ob J- und Freiheitsstrafe „ihrem Wesen nach völlig verschiedene Strafübel“ sind. Eine analoge Anwendung des § 32 käme nur in Betracht, wenn insoweit eine „planmäßige Unvollständigkeit“ des Gesetzes festgestellt werden könne; dies sei aber nicht der Fall, weil der Gesetzgeber des JGG 1953 eine Verbindung von J- und ErwStrafe sogar ausdrücklich abgelehnt habe. Dies würde auch nicht durch die Einfügung des § 105 II korrigiert (EGStGB v. 2. 3. 1974). § 105 II erlaube nur eine Änderung der ursprünglichen Entscheidung, wenn eine neue Verhandlung ergeben habe, dass der Angeklagte entgegen der Annahme im zuerst ergangenen Urteil auf Freiheitsstrafe doch noch einem J gleichzusetzen sei (BGH NStZ 87, 24). Im Entscheidungsfalle aber sei der Angeklagte einmal zutreffend als Hw. nach JStrafrecht und einmal als Erw. nach ErwStrafrecht verurteilt worden. Nur wegen der noch nicht (vollständig) erledigten Verurteilung zu JStrafe dürfe er gegenüber anderen Erw. nicht derart begünstigt werden, dass wegen einer ErwStraftat nachträglich eine jstrafrechtliche Sanktion verhängt werden könne. Davon abgesehen griffe hier die Zulassung der Bildung einer einheitlichen Strafe aus J- und Freiheitsstrafe so sehr in die Gesetzessystematik ein, dass richterliche Rechtsfortbildung nicht angehe. Die Einbeziehung einer rechtskräftig erkannten JStrafe in eine nach § 55 StGB gebildete Gesamtstrafe erscheine schlechthin ausgeschlossen, weil infolge des Verschlechterungsverbotes eine EinheitsJStrafe nicht einfach in eine gleich hohe Freiheitsstrafe umgewandelt werden könne (BGH 29, 269), andererseits für die der EinheitsJStrafe zugrunde liegenden Straftaten nicht nachträglich Einzelstrafen nach ErwStrafrecht verhängt werden könnten, weil dies die Befugnisse des zweiten Richters überschreiten und auch zu einer Verschlechterung führen würde. Auch die §§ 88 II und 89 b ließen es nicht zu, statt der JStrafe eine Freiheitsstrafe verbüßen zu lassen (vgl. BGH H MDR 79, 106); auch eine Umwandlung der JStrafe in eine entsprechende niedrigere Freiheitsstrafe sei im Verfahren nach § 55 StGB ausgeschlossen. Es bedürfe also einer ins Einzelne gehenden gesetzlichen Regelung. Es sei mit § 32 nicht vereinbar, die Zusammenfassung nur zuzulassen, wenn das Ergebnis eine einheitliche JStrafe sei, um solche Schwierigkeiten zu vermeiden. Entgegen § 103 II 1 – vom Ausnahmefall des § 103 II 2 abgesehen – würde hier ein ErwGericht JStrafe verhängen, obwohl es nur ein gegen einen Erw. gerichtetes Strafverfahren durchführe. Eine Entscheidung des Gesetzgebers sei deshalb unverzichtbar. 9 a Der unverkürzte Vollzug einer J- und einer ErwStrafe nacheinander, nur weil eine gleichzeitige Aburteilung nach § 32 nicht stattgefunden hat, stellt jedoch nach dem BGH eine durch die Schwere der Straftaten nicht gerechtfertigte Härte dar (BGH 14, 287; 36. 275; 41, 312; BGH H MDR 79, 106). Um dies auszugleichen, hält der BGH im Einzelfall einen Härteausgleich nicht erst bei der Gesamtstrafe, sondern schon bei den Einzelstrafen für geboten, wenn nur das die Benachteiligung ausgleichen kann (BGHSt 36, 270; 41, 312; BGH NStZ-RR 98, 152; vgl. Mindestgesamtstrafe nach §§ 53 I, 54 I 2 StGB; BGH 31, 102). 10 Diese Begründung steht der Entscheidung BGH 37, 34 (Rn 5 ff) nicht entgegen, weil, wie dort ausgeführt wird, § 105 II eine solche Entscheidung ausdrücklich gestattet, eine Zusammenfassung von J- und Freiheitsstrafe nicht stattfindet und flexible, sowohl den ErzGedanken als auch das Schuldausgleichsprinzip beachtende Entscheidungen möglich sind. Wenn der BGH in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass § 31 III es erlaubt, Freiheits- neben JStrafe bestehen
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Mehrere Straftaten in verschiedenen Alters- und Reifestufen
§ 32
zu lassen, so wird doch betont, dass hierfür ganz außerordentliche, schwerwiegende erz. Gründe vorliegen müssen (dazu § 31, 24). Dieser Rechtsprechung, wonach die Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 StGB aus J- und Frei- 11 heitsstrafe bei getrennter Aburteilung unzulässig ist, kann im Ergebnis nicht zugestimmt werden (wie der BGH aber DSS/Schoreit 13; Ostendorf 7; Bringewat JuS 91, 24). Es dürfen die Folgen einer Straftat nicht vom Zufall gemeinsamer oder getrennter Verhandlung ohne Bezug auf Persönlichkeit und Schuld des Täters abhängen. Deshalb sollen die §§ 31 II, 66 und §§ 55 StGB, 460 StPO verhindern, dass sich dies nachteilig auswirkt. Es führen aber die §§ 105 II, 31 II 1 nur zu einer einheitlichen JSanktion und § 55 StGB erfasst allein erw. Täter. Da es aber Sinn und Ziel des JGG widerspricht, dass J- und ErwStrafen nacheinander vollstreckt werden (vgl. Begr. zum Entw. eines EGStGB BT-Drs. VII/550 S. 332) und hier die notwendige Brücke zwischen J- und ErwStrafrecht fehlt, um alle möglichen Fälle zu erfassen, sollte man entgegen BGH davon ausgehen, dass hier eine „planwidrige Regelungslücke“ die analoge Anwendung des § 32 gestattet (Dallinger/Lackner 5; Eisenberg 9; Schaffstein/Beulke S. 84; Streng S. 143; Burscheidt S. 102 FN 349; aA von Beckerath JStrafrechtliche Reaktionen bei Mehrfachtäterschaft, Diss. Tübingen 1997 S. 181 f). Mit Dingeldey (Zbl. 81, 153 u. NStZ 81, 355), Knülling/Dingeldey (NStZ 82, 226) und Böhm/Büch-Schmitz (NStZ 91, 131) wird man annehmen dürfen, dass weder „der Wille des historischen Gesetzgebers“, noch der Einwand der Unterschiedlichkeit der Straftaten und auch nicht die Forderungen der §§ 88 II und 89 b eine analoge Anwendung des § 32 ausschließen. Der Eingriff des Verschlechterungsverbotes lässt sich vermeiden, die Regelungen der §§ 88 II und 89 b lassen sich unschwer beachten; denn in ausreichender, eher formaler Wertung, wird nicht mehr an jrechtlichem Erfahrungsschatz vorausgesetzt, als es der vom BGH geforderte Härteausgleich auch tut (vgl. BGH NStZ 90, 436). Schließlich greift eine analoge Anwendung des § 32 auch nicht so bedenklich in die Gesetzessystematik ein, wie der BGH fürchtet; denn das ErwGericht verhandelt und beurteilt eine Tat im ErwAlter und bindet die rechtskräftige JStrafe nur ein, sodass nicht davon ausgegangen werden muss, dadurch trete neben den Ausnahmefall des § 103 II 2 ein weiterer. Wenn der BGH hier eine Änderung seiner Rechtsprechung offensichtlich ausschließt, sollte die 12 Gesamtdiskussion den Gesetzgeber eingreifen lassen. Schoreit (ZRP 90, 175 ff, ähnlich schon NStZ 89, 461) fordert, die Einbeziehung an sich gesamtstrafenfähiger JStrafen in eine Gesamtstrafe entsprechend § 55 StGB zuzulassen. Die bei Freiheitsstrafe eintretende Schlechterstellung bei vorzeitiger Entlassung zur Bew. (vgl. § 55, 39) könnten die Gerichte unschwer berücksichtigen und vermeiden (vgl. oben); es könne auch die maximale Anrechenbarkeit nur eines Teiles der JStrafe festgelegt werden. § 32 ist auf die Fälle tatsächlich gleichzeitiger Aburteilung beschränkt (Rn 2, 4 a), ohne dass ein 12 a Zwang zur Verbindung besteht (aber Rn 13). Deshalb haben BGH 36, 294 = JR 90, 523 mit Anm. Brunner = StV 91, 4 mit Anm. Walter/Pieplow), gestützt auf BGH 36, 37 (§ 31, 24 ff) und BGH 36, 270 (Rn 9 ff) es für rechtens erklärt, dass ein Täter, der bereits zur HöchstJStrafe verurteilt ist, danach wegen Taten, die er vor dieser Verurteilung als Erw. begangen hat, zusätzlich zu Freiheitsstrafe verurteilt werden kann. Grds. zust. Brunner JR 90, 523; krit. Walter/Pieplow StV 91, 5. Bei verbundenen Sachen gegen J und (oder) Hw. mit Erw. sind (mit der Ausnahmeregel des § 103 13 II 2 u. 3) stets JGerichte zur Entscheidung berufen (§§ 103 I, II 1, 112 S. 1). Vgl. näher Vor § 102, 2. Ob vor und nach dem 21. Lebensjahr begangene Straftaten ein und desselben Täters diesen vor den JRichter führen, hängt deshalb allein davon ab, welche Anforderungen an Verbindung und Trennung gestellt werden (vgl. Miehe FS Stutte, 1979 S. 241). Es muss deshalb der JStA von vornherein durch gemeinsame Anklage von in verschiedenen Altersstufen begangenen Taten oder durch den Antrag, derartige anhängige Verfahren zu verbinden, dem JRichter die notwendige Gesamtschau und die Möglichkeit für eine Entscheidung nach § 32 geben (Brunner JR 83, 479; Ostendorf 17). Denn nachträglich darf aus einer JStrafe und einer Freiheitsstrafe bei getrennter Aburteilung nach bisheriger ständiger Rechtsprechung keine Gesamtstrafe gebildet werden
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§ 32
2. Teil. Jugendliche
(Rn 5 ff, insb. 8 ff). § 105 II JGG erweitert zwar sinnvoll die erzieherischen Eingriffsmöglichkeiten des JRichters und ermöglicht es, nachträglich in eng umgrenzten Fällen Fehlentscheidungen aus besserer rückblickender Sicht auszugleichen, dieser Weg ist aber häufig aus Rechtsgründen versperrt (vgl. Rn 5 u. die Fallgestaltungen in BGH 27, 297; BGH H MDR 79, 106 u. H MDR 79, 281). Jede Verbindung weist nun mit der HwTat auch die ErwTat zwangsläufig dem JRichter zu; für den Hw. wird damit neben der Strafdrohung des allg. Strafrechts auch das gesamte Instrumentarium der jstrafrechtlichen Reaktionsmittel eröffnet. Der Meinung, dass wegen des unzweckmäßigen, schädlichen Nebeneinanders von Rechtsfolgen des J- und des allg. Strafrechts und der nur beschränkten Möglichkeit nachträglicher Zusammenfassung regelmäßig von vornherein verbunden werden solle, wenn nicht gewichtige Gründe für getrennte Verhandlung sprechen, stehen nur noch die Warnungen Peters vor einer zu umfangreichen Befassung der JGerichte mit ErwSachen (NJW 56, 492) gegenüber. Letzteres aber erscheint als Argument nicht tragend und als Ermessenserwägung zur Frage der Verbindung oder Trennung ungeeignet. Der Auffassung, dass das Auseinanderreißen von durch jtypische entwicklungsbedingte Tatverstrickung eng verbundenen Taten aus Adoleszenz und ErwAlter ermessensmissbräuchlich sein kann (Brunner JR 74, 429) nähert sich Miehe (aaO, S. 244, 245) mit seiner Meinung an, dass bei innerem Zusammenhang der Taten (vgl. BGH 8, 352), bei der zumeist vorliegenden Vermutung, dass nicht zu weit auseinander liegende Erw- und HwTaten sich wechselseitig erklären, die Verbindung nicht nur zulässig, sondern geboten ist. Das ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (vgl. Vor § 102, 2; § 103, 1 u. 19). Dazu bes. Rn 12 a. Vgl. auch von Beckerath JStrafrechtliche Reaktionen bei Mehrfachtäterschaft, Diss. Tübingen 1987 S. 224, nach dem eine grds. Verpflichtung zur Verbindung besteht. Zu den Folgerungen für die Verbindung mit Erw. vgl. § 103, 8. Zur Verbindung zweier Verfahren wegen Taten eines Erw. teils als Hw. und teils als Erw. in der Berufungsinstanz Rn 3 a. 6.
Dauerdelikt
14 Bei Dauerdelikten und einheitlichen Taten kraft Bewertungseinheit kommt bei der Prüfung, wo das Schwergewicht liegt, dem Umstand, dass der (Gesamt-) Vorsatz noch im Geltungsbereich des JRechts gefasst worden ist, oft bes. Bedeutung zu (näher Rn 3). Die einzelnen Tat-Teile laufen zwar letztlich zur gedachten rechtlichen Einheit zusammen, erfüllen aber gleichwohl im Zeitpunkt der Begehung den äußeren und inneren Tatbestand der Straftat (BayObLG 57, 1). Deshalb darf und kann ein ErwGericht, bei dem eine fortgesetzte Handlung (vgl. aber BGH 40, 138) angeklagt ist, deren Einzelhandlungen der Täter teils als J oder Hw., teils als Erw. begangen hat, seine Zuständigkeit nicht dadurch begründen, dass es die vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangenen Einzelhandlungen gem. § 154 a StPO ausscheidet, denn der entscheidende Tatentschluss, der die Handlungen zur fortgesetzten Tat zusammenfasst, ist in solchen Fällen meist vor Vollendung des 21. Lebensjahres gefasst (BayObLG 66, 119; von Beckerath, Rn 13, S. 235). – BGH MDR 74, 54 hat für den Fall der Realkonkurrenz zugelassen, dass ein Schwurgericht bei einem Angeklagten (vers. Mord im Alter von 16 Jahren und 3 Morde nach dem 25. Lebensjahr) die JStraftat abgetrennt und an die JKammer verwiesen hat. Dagegen bestanden im gegebenen Fall keine Bedenken. Der BGH ging aber im Anschluss an BGH 10, 102 davon aus, dass das JGG die Vorschriften über Verbindung und Trennung stets unberührt lasse. Zur Frage, ob bei einer Tötungstat kurz vor und einer kurz nach dem 21. Lebensjahr nicht doch die in solchem Falle sich aufdrängende Frage der Prüfung und Entscheidung des Schwergewichts nach § 32 – schon wegen der unterschiedlichen Androhung der Höchststrafe im JStrafrecht und ErwStrafrecht – einer Trennung im Weg stünde, Brunner JR 74, 429 mit weiteren Gründen (dazu auch BGHR § 32 Schwergewicht 2). Wird bei einer fortgesetzten Tat die Strafverfolgung auf den Tatzeitraum ab Vollendung des 21. Lebensjahres beschränkt, so muss im Rahmen der Strafzumessung gleichwohl auch die Entwicklung des Angeklagten im Zeitraum vor dem 21. Lebensjahr berücksichtigt werden (OLG Zweibrücken StV 87, 308). Vgl. dazu auch § 106, 1.
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Besetzung der Jugendgerichte
§§ 33–33 b
Zweites Hauptstück Jugendgerichtsverfassung und Jugendstrafverfahren Vor § 33 Auch für das Gerichtsverfassungs- und Verfahrensrecht kommt es auf das Alter zZ der Tat an 1 (§ 33, 7; die Stellung des ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreters allerdings richtet sich nach dem Alter des Angeklagten zZ der Verhandlung § 67, 18). 2
Das allg. Recht gilt nur ergänzend. Es kommt in Betracht
für Verbindung (§§ 2 ff, 13, 237 StPO, 17 RiStBV; vgl. §§ 31 ff; 103, 109, 112), für die Zuständig- 3 keit im Eröffnungsverfahren und damit auch für die Anfechtung des Eröffnungsbeschlusses (§§ 209, 209 a StPO), für Zuständigkeitsverschiebung nach Eröffnung des Hauptverfahrens (§§ 225 a, 270 StPO; § 74 e GVG; im Einzelnen § 41, 20 ff), 4
für den Ausschluss des Richters wegen Befangenheit,
für den Begriff des gesetzlichen Richters (nicht nur Spruchkörper, sondern auch der im Einzel- 5 fall berufene Richter) entsprechend BVerfGE 17, 294 und 18, 344, für die Ordnung in der Verhandlung (Sitzungspolizei, §§ 176 ff GVG). Keine Ungebühr iSd § 178 6 GVG stellt es dar, wenn der Angeklagte mit einer nicht üblichen Haartracht vor Gericht erscheint (OLG München NJW 66, 1935); denn eine solche Frisur zu tragen, ist sein Recht. Anders wäre es, wenn der Angeklagte durch Aufsetzen einer Perücke gerade für die Sitzung das Gericht bewusst provozierte (KG JR 66, 73). Dazu auch OLG Düsseldorf JMBl. NRW 81, 215 zu salopper Freizeitkleidung u. bewusster Provokation. Anders für den Strafvollzug OLG Frankfurt JR 64, 393.
Erster Abschnitt Jugendgerichtsverfassung § 33 Jugendgerichte (1) Über Verfehlungen Jugendlicher entscheiden die Jugendgerichte. (2) Jugendgerichte sind der Strafrichter als Jugendrichter, das Schöffengericht (Jugendschöffengericht) und die Strafkammer (Jugendkammer). (3) Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu regeln, dass ein Richter bei einem Amtsgericht zum Jugendrichter für den Bezirk mehrerer Amtsgerichte (Bezirksjugendrichter) bestellt und dass bei einem Amtsgericht ein gemeinsames Jugendschöffengericht für den Bezirk mehrerer Amtsgerichte eingerichtet wird. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.
§ 33 a Besetzung des Jugendschöffengerichts §§ 33–33 b Besetzung der Jugendgerichte (1) Das Jugendschöffengericht besteht aus dem Jugendrichter als Vorsitzenden und zwei Jugendschöffen. Als Jugendschöffen sollen zu jeder Hauptverhandlung ein Mann und eine Frau herangezogen werden.
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§§ 33–33 b
2. Teil. Jugendliche
(2) Bei Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung wirken die Jugendschöffen nicht mit.
§ 33 b Besetzung der Jugendkammer §§ 33–33 b Besetzung der Jugendgerichte (1) Die Jugendkammer ist mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Jugendschöffen (große Jugendkammer), in Verfahren über Berufungen gegen Urteile des Jugendrichters mit dem Vorsitzenden und zwei Jugendschöffen (kleine Jugendkammer) besetzt. (2) Bei Eröffnung des Hauptverfahrens beschließt die große Jugendkammer, daß sie in der Hauptverhandlung mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Jugendschöffen besetzt ist, wenn nicht die Sache nach den allgemeinen Vorschriften einschließlich der Regelung des § 74 e des Gerichtsverfassungsgesetzes zur Zuständigkeit des Schwurgerichts gehört oder nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten Richters notwendig erscheint. Ist eine Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen worden, kann die nunmehr zuständige Jugendkammer erneut nach Satz 1 über ihre Besetzung beschließen. (3) § 33 a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 gilt entsprechend. 1. Hw.: Rn 11; § 107. – 2. [ErwG:] § 104, 2. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Einordnung der JGerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besetzung der JGerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . BezirksJGericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsbereich der JGerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entscheidung eines örtlich oder sachlich unzuständigen Gerichtes Sicherungs- und objektives Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verwaltungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.
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Rn 1 9 10 12 17 24 25
Einordnung der JGerichte
1 Die JGerichte sind Teile der ordentlichen Gerichtsbarkeit (§ 33 II) und nach hM lediglich Abteilungen des Gerichts mit einem eigenen Geschäftsbereich (BGH 18, 79, 173; 22, 48; BayObLG 74, 135; OLG Karlsruhe Justiz 99, 142; Dallinger/Lackner 4; Meyer-Goßner Vor § 1 StPO 10). Die JGerichte haben aber ihrer bes. Aufgabe entsprechend einen bes. Aufbau (Rn 9, 10), bes. Zuständigkeit (§§ 39 ff) und ein in vielen und entscheidenden Punkten eigenständiges Verfahren (Einf. II 25). Die Vorschriften des JGG sollen den J und Hw. die Mitwirkung bes. ausgewählter, geschulter, jkriminologisch zumindest interessierter, erfahrener und, wie die Praxis zeigt, auch wirklich engagierter JRichter (§§ 34, 37; Brunner JR 78, 499), ebensolcher JStaatsanwälte (§ 36) sowie durch den JHilfeausschuss benannter und in der JErziehung erfahrener JSchöffen (§ 35) sichern. Mit der Einrichtung der JGH und deren Tätigwerden in allen Verfahrensabschnitten wird bei den JGerichten die für die Beurteilung junger Menschen und für eine jgemäße Entscheidung unentbehrliche umfassende Persönlichkeitserforschung (§§ 38, 43) ermöglicht. Dies alles dient einer möglichst treffenden Beurteilung und einer aus dem abgestuften Sanktionskatalog fließenden, gezielten und zugleich helfenden richterlichen Entscheidung; so sollen und nur so können – ohne zufällige Ausnahmen – die bes. Prägbarkeit und Ansprechbarkeit junger Täter zu Sozialisationserfolgen genützt werden. Bei Zweifeln über Alter oder Tatzeit ist deshalb
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Besetzung der Jugendgerichte
§§ 33–33 b
zugunsten des Beschuldigten stets das JGericht zuständig (BGH 5, 370; 7, 26 = MDR 55, 180 mit Anm. Dallinger; vgl. auch § 1, 10). Wegen dieser bes. Ausstattung und Bedeutung der JGerichte und um deren Sonderzuständig- 2 keit zu betonen und deren Durchsetzung zu sichern, hatte der BGH bis 1962 die JGerichte für J und Hw. als Gerichte für bes. Sachgebiete (Art. 101 II GG) behandelt. Mit der einhelligen Meinung der Lehre hatten die obersten Gerichte (BGH 7, 26; 8, 349; 9, 399; BayObLG 55, 530; 57, 1; 61, 89; 64, 91; NJW 67, 216; OLG Frankfurt NJW 56, 1211; KG NJW 64, 2473; OLG Saarbrücken NJW 66, 1041) in der Überschreitung der Aufgabengrenze zwischen J- und ErwGerichten jedenfalls dann einen von Amts wegen zu beachtenden Verstoß gesehen, wenn dadurch ein J oder Hw. der JGerichtsbarkeit entzogen wurde. Dies hatte ua dazu geführt, dass das Revisionsgericht diesen Mangel von Amts wegen beachten und das Verfahren an das zuständige JGericht verweisen musste. Seit 1962 berührt nach der geänderten Rechtsprechung des BGH unter weitgehender Zustim- 3 mung der Lehre die unberechtigte Entscheidung eines JGerichts gegen Erw., aber auch eines ErwGerichts gegen J oder Hw. nicht mehr die sachliche Zuständigkeit. Es geht nur um eine Überschreitung des Geschäftskreises, die vom Revisionsgericht zwar auf Rüge, aber nicht mehr von Amts wegen zu beachten ist (OLG Karlsruhe Justiz 99, 142). Diese Rechtsprechungsänderung gefährdete zunächst den Grundsatz, dass J und Hw. stets an für sie bes. geeignete JGerichte kommen und diese und die JStaatsanwaltschaft von der Justizverwaltung wie geboten besetzt und durch stete Fortbildungsangebote betreut werden (Brunner JR 75, 202) Mit dem StVÄG 1979 (BGBl. 1978 I S. 1645) wurde aber wieder eine Einordnung der JGerichte erreicht, die eine solide Grundlage für eine möglichst wirksame JGerichtsbarkeit bildet. Denn der durch das StVÄG 1979 normierte höhere Ordnungsrang der JGerichte tritt an die Stelle der zuvor als maßgebend angesehenen höheren Strafgewalt und ist als bes. Merkmal einer Zuständigkeit nach § 6 StPO eine zwingende Zuständigkeitsregel (für § 103 II 1 BGH H MDR 80, 456; allg. OLG Oldenburg NJW 81, 1384). Bei den JGerichten, auch den JSchutzgerichten, hat der Gesetzgeber unter Verzicht auf eine ge- 4 wisse Flexibilität (Katholnigg NJW 78, 2375) den Grundsatz der Spezialität normiert, weil „die JGerichte gegenüber den ErwGerichten . . . bes. sachliche Geschäftskreise einnehmen“ und „um die Sachkunde bes. erfahrener oder bes. ausgewählter (§ 37) Richter besser nutzen zu können“ (BT-Drs. 8/976 S. 20). Im Verhältnis zu gleichrangigen ErwGerichten gelten die JGerichte als Gerichte höherer Ordnung (§ 209 a Nr. 2 StPO). Durch die Regelung in § 209 I und II StPO bestimmen sie selbst über ihre Zuständigkeit hinsichtlich der in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Spezialaufgaben (Kompetenz-Kompetenz), weil „für die von ihnen zu behandelnden Sachen bes. Spezialkenntnisse oder Spezialerfahrungen notwendig sind. Dem entspricht es auch, dass der Spezialspruchkörper darüber entscheidet, ob das Hauptverfahren wegen solcher Sachen zu eröffnen ist“ (BT-Drs. 8/976 S. 44). Insgesamt näher § 41, 14 ff. Für den Fall der Verbindung von Erw.- zu JSachen ist in § 103 II 1 „wegen der bes. Aufgaben der 5 JGerichtsbarkeit grds. der Vorrang der Jugendgerichte“ (BT-Drs. 8/976 S. 70) auch hier hergestellt. Bei Verbindung ist somit stets das JGericht für das gesamte Verfahren zuständig (Ausnahme vom Erw. her § 103 II 2, 3); es hat die Kompetenz-Kompetenz für den Verbindungsbeschluss. Wenn Erw. nicht mit angeklagt sind, geht auch die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer der der JGerichte nicht mehr vor (§ 102 S. 1). Insgesamt näher § 103, 6, auch § 32, 6. Das Verhältnis gleichrangiger Gerichte der JGerichtsbarkeit und der ErwGerichtsbarkeit wurde 6 nicht nach § 6 a StPO, sondern nach § 6 StPO geregelt. Es muss also der Vorrang der JGerichte (insoweit Gerichte höherer Ordnung) in jeder Lage des Verfahrens, also nicht wie bei Erw. lediglich bis zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses (§ 6 a StPO), von Amts wegen geprüft und berücksichtigt werden (§ 270 I 1, 2. HS StPO, § 47 a; BGH 47, 311, 313 = NStZ 03, 47 mit
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§§ 33–33 b
2. Teil. Jugendliche
zust. Anm. Rieß; BGH H MDR 81, 269; BGH StV 03, 454; OLG Oldenburg NJW 81, 1384; Rn 20 a). Denn, so begründet die BT-Drs. 8/976 S. 33 ausdrücklich: „Das Verhältnis der JGerichte zu den ErwGerichten ist mit dem gleichrangiger Strafkammern nach den §§ 74, 74 a, 74 c GVG nicht vergleichbar. Zwar ist auch hier die Strafgewalt in beiden Fällen gleich und sind die jeweiligen Spruchkörper mit der gleichen Zahl von Richtern besetzt. Für die Richter der JGerichtsbarkeit gelten aber bes. Auswahlkriterien (vgl. §§ 35, 37), vor allem gelten aber für das Verfahren vor den JGerichten bes. Verfahrensvorschriften, die auf die bes. Bedürfnisse jgemäßer Verhandlung zugeschnitten sind. Dieser bes. Rechtsposition würde ein J verlustig gehen, wenn er entgegen dem grds. unbedingten Vorrang der JGerichtsbarkeit, den das Gesetz mit § 103 II 1 bestimmt, vor einem ErwGericht abgeurteilt würde.“ 7 Der Erw. wird nicht benachteiligt, wenn er statt von einem ErwGericht von einem mit gleicher Zuständigkeit ausgestatteten JGericht verurteilt wird und die Voraussetzungen des § 103 I, II 1 vorlagen. Deshalb bleiben in verbundenen Strafsachen gegen J (Hw.) und Erw. die JGerichte (mit Ausnahme der Fälle des § 103 II 2, 3) auch dann zuständig, wenn sich erst nach Eröffnung des Verfahrens herausstellt, dass für den hierzu verbundenen Erw. eigentlich ein ErwGericht gleicher oder niedrigerer Ordnung zuständig wäre (§ 47 a; vgl. näher dort). Der Erw. ist nur im gegenteiligen Fall durch eine Entscheidung des JGerichts beschwert, nämlich, wenn dieses JGericht nach seiner Besetzung einem ErwGericht entspricht, dessen Zuständigkeit zur Aburteilung dieser Tat nicht ausreicht (§ 103, 5; OLG Oldenburg NJW 57, 1329; Ostendorf 9). Deshalb weist § 41 Nr. 3 die verbundene Sache dann der JKammer zu, wenn für den Erw. eine große ErwStrafkammer zuständig wäre (§ 41, 12). Der Erw. ist auch dann beschwert, wenn eine Wirtschaftsstrafkammer oder eine Kammer nach § 74 a GVG zuständig gewesen wäre (§ 103 II 2) und dies rechtzeitig nach § 6 a StPO gerügt worden ist. 8 Die JGerichte haben damit eine ihrer Aufgabe und Bedeutung entsprechende Heraushebung und eine Vorrangstellung erhalten, die in der Tatsacheninstanz in jedem Verfahrensabschnitt den J (Hw.) die Verhandlung vor dem JGericht sichert. Dies ist dadurch gewährleistet, dass jedes Tatsachengericht die Frage der Zuständigkeit eines JGerichts ohne Einschränkung in jeder Phase des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen und ggf. nach §§ 209, 209 a, 225 a, 270 StPO, § 103 II die Entscheidung eines JGerichts zu ermöglichen hat. Das Berufungsgericht darf die Berufung des nicht erschienenen Angeklagten nicht nach § 329 I StPO verwerfen, wenn in erster Instanz statt des ErwGerichts das JGericht zuständig war. Die Sache ist vielmehr gem. § 328 II StPO an das zuständige JGericht zu verweisen (OLG Celle NStZ 94, 298; aA Meyer-Goßner in der Anm. NStZ 94, 402 f.). Erlässt ein ErwGericht ein Urteil in einer Sache, welche nach den Vorschriften des JGG vor ein JGericht gehört, so kann hierauf der J (Hw.), ohne dass es eines vorausgegangenen Einwands der Unzuständigkeit des ErwGerichts bedarf, die Revisionsrüge stützen (BGH 30, 260; BGH StraFo 10, 466; Löwe/Rosenberg/Stuckenberg § 209 a StPO 48). Diese auf §§ 338 Nr. 4, 344 II 2 StPO gestützte Revisionsrüge (BGH 8, 335; 10, 75; OLG Karlsruhe Justiz 99, 142; zust. Eisenberg 41; Ostendorf 8) wird durchdringen; dass in der Revisionsinstanz die Unzuständigkeit des JGerichts nicht ohne Rüge überprüft wird (BGH NStZ-RR 96, 250; Meyer-Goßner § 338 StPO 34), kann in Anbetracht der sonstigen Regelungen, welche insgesamt dem J (Hw.) die Verhandlung vor dem zuständigen JGericht sicherstellen, hingenommen werden (vgl. auch Rn 20 a).
2.
Besetzung der JGerichte
9 JGerichte werden nur am Amts- und Landgericht gebildet. Das Revisionsgericht ist also auch in JSachen ein allg. Gericht, wenngleich gerade hier, da Leitlinien gegeben werden, im JRecht erfahrene Richter entscheiden sollen. Auch Dallinger/Lackner 5, Eisenberg 12 und Ostendorf Grdl. zu §§ 32–38 Rn 9; § 37, 11 fordern für BGH und OLG spezielle JGerichte. Über das Verhältnis des
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Besetzung der Jugendgerichte
§§ 33–33 b
JGerichts zu OLG und Staatsschutzkammern als erstinstanzliche Gerichte s. bei §§ 39–41. Es gibt den JRichter als Einzelrichter, das JSchöffengericht und die – seit dem RpflEntlG große und kleine – JKammer. Ein erweitertes Schöffengericht oder ein Schwurgericht gibt es bei den JGerichten – auch gegen Hw. – nicht, auch nicht in JSchutzverfahren (dort Rn 4). – §§ 33 a I, 33 b regeln die Besetzung in der Hauptverhandlung, außerhalb entscheiden beim AG der JRichter, bei der kleinen JKammer der Vorsitzende und bei der großen JKammer die drei Berufsrichter (§§ 33 a II, 33 b III). Unter den Voraussetzungen des gem. Art. 15 II RpflEntlG in der Fassung des G v. 7. 12. 2008 (BGBl. I 2348) bis 31. 12. 2011 befristeten § 33 b II entscheidet die große JKammer in der Hauptverhandlung mit nur zwei Berufsrichtern. Das gilt in erstinstanzlichen Sachen auch in den Fällen der §§ 225 a, 270 StPO (BGH 44, 362). Über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheidet die JKammer stets in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung, also mit drei Berufsrichtern unter Ausschluss der JSchöffen (BGH 50, 267, 269). Das gilt auch, wenn eine zunächst unterbliebener Eröffnungsbeschluss in der Hauptverhandlung nachgeholt wird (BGH 50, 267 = NStZ 06, 298 mit Anm. Rieß; BGH NStZ-RR 10, 187). Ob § 33 b II auch gilt, wenn die große JKammer über Berufungen gegen Urteile des JSchöffengerichts zu entscheiden hat, war umstritten (dafür BGHR § 33 b II Besetzungsentscheidung 1; BGH 44, 362; BayObLG 97, 130 = NStZ 98, 102; OLG Düsseldorf StV 01, 160 mit abl. Anm. Rzepka; dagegen 10. Aufl.; Eisenberg 16; Ostendorf 11; Böttcher/Mayer NStZ 93, 158; Schmidt NStZ 95, 217). Nachdem Gesetzesentwürfe eine ausdrückliche Einführung der Möglichkeit zur Besetzungsreduktion für Berufungssachen vorgesehen hatten, hat der Gesetzgeber von einer solchen Bestimmung abgesehen, weil er sie wegen der Entscheidung des BGH nicht für erforderlich hielt (BT-Drs. 14/3831 S. 5). Nach dieser Entscheidung des Gesetzgebers ist die Vorschrift auch in Berufungssachen anwendbar. Über die Besetzung in der Berufungshauptverhandlung ist bei der Terminierung der Berufungssache zu entscheiden (BGH u. BayObLG aaO; OLG Koblenz StV 08, 117). Erforderlich ist ein förmlicher Beschluss der großen JKammer; eine Verfügung des Vorsitzenden genügt nicht (OLG Brandenburg NStZ 09, 43). Nach § 33 b II 2 kann nach Zurückweisung durch das Revisionsgericht die nunmehr zuständige JKammer erneut nach S. 1 über ihre Besetzung beschließen. Das alles gilt auch im JSchutzverfahren (Anh § 125, 4 a). Die mit der Eröffnung getroffene Entscheidung über die Besetzungsreduktion ist grds. unabänderlich. Dieser Grundsatz kann durchbrochen werden, wenn sich durch Verbindung erstinstanzlicher Verfahren Umfang und/oder Schwierigkeit der Sache erheblich erhöhen (BGH 53, 169 mit Bespr. Freuding NStZ 09, 611). Soll die Besetzungsreduktion beibehalten werden, bedarf es keiner neuen Beschlussfassung (BGH aaO). Bei der Entscheidung über die Besetzung steht der JKammer kein Ermessen, aber ein weiter Beurteilungsspielraum zu, dessen Überschreiten in unvertretbarer Weise die Revision begründen kann (BGH 44, 328; BayObLG 00, 110). Die Revision kann auf die fehlerhafte Besetzung mit 2 statt mit 3 Berufsrichtern in der ersten Instanz nur gestützt werden, wenn dieser Einwand in der Hauptverhandlung nach §§ 222 a, 223 b StPO gelten gemacht worden ist (BGH 44, 361). Als Schöffen können 2 Männer, 2 Frauen oder 1 Mann und 1 Frau mitwirken. Letzteres ist das 9 a vom Gesetz mit Recht Gewünschte und wird in der Praxis auch eingehalten. Um das zu verwirklichen, werden die Haupt- und Hilfsschöffen getrennt nach Geschlecht ausgelost und müssen die Listen getrennt geführt werden (§ 35 V). Zur Wahl § 35, 3. – Die ordentlichen Sitzungstage müssen für das ganze Geschäftsjahr von vornherein festgesetzt und hierfür die JSchöffen ausgelost werden (§§ 45, 77 GVG). Es ist unzulässig, gemeinsame Sitzungstage für J- und ErwStrafkammer festzusetzen und es dem Vorsitzenden zu überlassen, an welchen dieser Sitzungstage die JKammer tagt (BGH 15, 107). Zu außerordentlichen Sitzungen u. zur Verwendung von Hilfsschöffen §§ 47, 49 GVG u. BGH NJW 96, 267. Zur Gewährung von Akteneinsicht für Schöffen BGH 43, 36.
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§§ 33–33 b 3.
2. Teil. Jugendliche
BezirksJGericht
10 BezirksJRichter (§ 33 III) sind nur in Großstädten mit mehreren Gerichten wünschenswert. Bei kleineren Gerichten, insbes. in Flächenstaaten und in überwiegend ländlichen Bezirken, sollte wegen des Grundsatzes der Entscheidungsnähe (vgl. Nothacker S. 262) jedes seinen JRichter haben, zumal dieser in bes. Maße ErzRichter ist (Dallinger/Lackner 38; Eisenberg 23). Insgesamt ist Zurückhaltung geboten. Die Bildung von Haftgerichten nach § 58 I GVG gilt für J und Hw. nur, wenn dies ausdrücklich klargestellt ist. Der BezirksJRichter ist mangels ausdrücklicher Beschränkung JRichter für den ganzen Bezirk im Umfang des § 34 (§ 34, 1), also auch im Vorverfahren (Bach, Potrykus je DRiZ 54, 190). Dagegen ist die Bildung von BezirksJSchöffengerichten wünschenswert und vertretbar, da sie über Taten von größerem Gewicht entscheiden müssen und die örtlichen Gegebenheiten meist eine weniger bedeutsame Rolle spielen (ebenso Dallinger/Lackner 40; aA Eisenberg 26; Ostendorf 13). Es gilt § 58 II, III GVG. Die Konzentration ist hier wie sonst nur eine Änderung der örtlichen Zuständigkeit. BezirksJRichter und BezirksJSchöffengericht für mehrere Amtsgerichtsbezirke sind den ErwStrafrichtern und ErwSchöffengerichten ihres erweiterten Bezirks gegenüber Gerichte gleicher Ordnung. Umgekehrt sind auch das JSchöffengericht und das erweiterte Schöffengericht des ErwRechts Gerichte gleicher Ordnung, wobei in beiden Fällen allerdings das JGericht dem gleichgeordneten ErwGericht gegenüber für Zuständigkeitsregelungen als Gericht höherer Ordnung gilt (Rn 4; § 41, 23). 11 Die JGerichte sind gegen Hw. im gleichen Umfang wie gegen J zuständig. Wenn auch eine Geschäftsverteilung zwischen den verschiedenen Kammern oder Referaten (auch JStA) durch Aufteilung nach J und Hw. nicht unzulässig sein dürfte (so aber Becker JR 53, 413), so widerspräche sie doch dem Sinn des Gesetzes (zust. Nothacker S. 256) und wäre überaus unzweckmäßig, weil der JRichter und der JStaatsanwalt genügend Erfahrungen für die Reife-Beurteilungen beider Altersgruppen nur gewinnen kann, wenn er für J und Hw. zugleich zuständig ist. Gleiches gilt für die BezirksJRichter und die BezirksJSchöffengerichte. 4.
Geschäftsbereich der JGerichte
12 Das JGericht entscheidet (§ 33 I) über alle Verfehlungen (§ 1, 1), bei denen der Täter zZ der Tat schon 14, aber noch nicht 21 Jahre alt war (BGH 6, 354 für Hw.), oder wenn darüber Zweifel bestehen (BGH 5, 370; vgl. § 1, 10 aE). Wegen mehrerer Taten, rechtlicher Bewertungseinheit oder Dauerdelikt aus der Zeit vor u. nach Vollendung des 21. Lebensjahres Vor § 102, 2. 13 Ausnahmen sind nach §§ 103 II 2, 112 ggf. bei Verbindung mit Erw. (§ 41, 16; § 103, 6 u. 11) gegeben. § 102 ist, seit der Eingriff der Zuständigkeit der Staatsschutzkammer in das JGG entfallen ist, keine Ausnahmevorschrift; im Übrigen ergibt sich aus § 33 II, dass JGerichte nur auf der Ebene der AG und LG gebildet werden. Über das anzuwendende Recht §§ 104, 112 S. 2. 14 JGerichte sind gegen Erw. auch als JSchutzgerichte (§§ 26, 74 b GVG) und ggf. bei Verbindung (§ 103) zuständig. Dazu Anh § 125, 4 u. 4 a. 15 Sind im Geschäftsverteilungsplan eines mit mehreren Richtern besetzten Gerichts die JGerichtssachen nicht erwähnt, müssen diese als nicht verteilt angesehen werden. Es besteht also an diesem Gericht kein JGericht, weshalb ein hier abgeurteilter J seinem gesetzlichen Richter entzogen ist (OLG Saarbrücken NJW 66, 1041; Eisenberg 40; Ostendorf 9). – Wegen der Folgen Rn 17, 19, 20 a. Die auswärtige Strafkammer eines LG ist auch für J und Hw. aus ihrem örtlichen Bezirk zuständig (OLG Karlsruhe Beschluss v. 2. 8. 78 – 1 Ws 257/78 – iVm BGH 18, 173, 175; 21, 70). 16 Im OWiG-Verfahren gelten die §§ 33–37, soweit sie sich nicht auf das JSchöffengericht beziehen. Die Vorschrift über die JKammer ist nur für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung (§ 1, 2). Wegen der örtlichen Zuständigkeit § 42, 13.
220
Besetzung der Jugendgerichte
5.
§§ 33–33 b
Die Entscheidung eines örtlich oder sachlich unzuständigen Gerichtes
Urteile eines örtlich oder sachlich unzuständigen Gerichts sind wirksam und der Rechtskraft 17 fähig (RG 71, 378; Meyer-Goßner § 6 StPO 2). Die rechtskräftige Entscheidung eines nicht zuständigen Gerichts ist nicht nichtig (vgl. BGH bei Herlan GA 54, 308; OLG Hamburg NJW 52, 1150; BGH 27, 331 für den örtlich unzuständigen JRichter). Eine andere Frage ist, inwieweit solche Urteile durch Rechtsmittel angegriffen werden können. Das örtlich unzuständige Gericht erklärt sich im Eröffnungsverfahren durch Beschluss für un- 18 zuständig (Meyer-Goßner § 16 StPO 4; vgl. § 42, 8). Abgabe an ein anderes Gericht ist nicht möglich. Im Hauptverfahren darf das Gericht seine örtliche Unzuständigkeit nicht mehr aussprechen, muss aber auf rechtzeitigen Einwand des Angeklagten (§ 16 S. 2, 3 StPO) bei Bejahung der örtlichen Unzuständigkeit das Verfahren nach § 206 a StPO oder 260 III StPO einstellen (OLG Karlsruhe GA 77, 58). Die örtliche Unzuständigkeit kann der Angeklagte nur dann mit der Revision nach § 338 Nr. 4 StPO rügen, wenn sein entsprechender rechtzeitiger Einwand nach Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 16 S. 2, 3 StPO) als unbegründet verworfen worden ist (Meyer-Goßner § 16 StPO 7). Hat ein Gericht niederer Ordnung unter Überschreitung seines Strafbannes entschieden, wo ein 19 Gericht höherer Ordnung zuständig gewesen wäre, z. B. der JRichter, wo ein JSchöffengericht zuständig gewesen wäre, so stand dem Urteil ein Verfahrenshindernis entgegen, das von Amts wegen zu prüfen (§ 6 StPO) und vom Revisionsgericht ohne Rüge nach § 338 Nr. 4 StPO zu berücksichtigen ist (BGH 18, 83; Eisenberg 37; Ostendorf § 39, 10). Vgl. auch § 41, 36. Zur Unzuständigkeit nach dem Geschäftsverteilungsplan (§ 338 Nr. 1 StPO) vgl. BayObLG VRS Bd 59 (80), 24. Jede andere Art der Unzuständigkeit (vgl. aber § 47 a, 3) wird vom Revisionsgericht nur auf 20 Rüge (§ 344 II 2 StPO) beachtet, z. B. die örtliche Unzuständigkeit (Rn 18). Hat ein ErwGericht eine Sache entschieden, für welche ein JGericht zuständig gewesen wäre, 20 a so hat das Berufungsgericht die Sache an das zuständige JGericht zurückzuverweisen, da es sich um ein Merkmal der (sachlichen oder bes. funktionellen) Zuständigkeit iSd § 328 II StPO handelt (OLG Oldenburg NJW 81, 1384; OLG Karlsruhe Justiz 99, 142; LG Rostock StraFo 08, 211). Zum Ausbleiben des Angeklagten in der Berufungsverhandlung s. Rn 8. Das Berufungsgericht kann nicht nach § 260 III StPO einstellen, weil die Verteilung der Aufgaben zwischen J- und ErwRichter gem. § 209 a StPO eine Frage der Zuständigkeit iSd § 328 II StPO ist (OLG Oldenburg aaO; OLG Koblenz VRS 71 [1986], 462). In solchem Falle verweist das Revisionsgericht nicht nach § 354 II StPO, sondern prozessökonomisch nach § 355 StPO direkt an das JGericht zurück (OLG Koblenz aaO). Vgl. zum Fall des „übrig gebliebenen“ Erw. § 47 a, 7. Die Unzuständigkeit des ErwGerichts kann uneingeschränkt mit der Revision geltend gemacht werden, und zwar mit und nur auf die Rüge, dass nach Eröffnung des Hauptverfahrens die in jeder Lage des Verfahrens zu prüfende Zuständigkeit eines JGerichtes pflichtwidrig nicht beachtet worden ist (BGH NStZRR 07, 282; Meyer-Goßner § 338 StPO 34; Löwe/Rosenberg/Stuckenberg § 209 a StPO 48; eher für Berücksichtigung von Amts wegen Eisenberg 39). Eines vorausgegangenen Einwandes des Angeklagten, das ErwGericht sei unzuständig, bedarf es nicht (vgl. Rn 8). Zu berücksichtigen ist jedoch, dass es sich bei dem Alter des Angeklagten um eine doppelrelevante Tatsache handelt, die nicht nur die gerichtliche Zuständigkeit, sondern wegen der nach Altersstufe unterschiedlichen Rechtsfolgen auch das materielle Recht betrifft. Das Revisionsgericht ist daher an entsprechende Feststellungen gebunden, soweit sie rechtsfehlerfrei getroffen sind (BGH NStZ 00, 388). Hat das unzuständige ErwGericht JStrafrecht nicht angewendet bzw. bei Hw. dessen Anwendbarkeit nicht geprüft, ist das Urteil auf die Sachbeschwerde jedenfalls für die Rechtsfolgenentscheidung an das zuständige JGericht zurückzuverweisen (BGH NStZ-RR 96, 250; OLG Karlsruhe Justiz 99, 142). Zur Frage, ob das ErwGericht durch Einstellungen nach §§ 154, 154 a StPO seine Zuständigkeit begründen kann, s. Vor § 102, 2. Auch für den Erw. bestimmt § 103 I, II 1 den gesetzli-
221
§ 34
2. Teil. Jugendliche
chen Richter, sodass der zu einem Verfahren mit J oder Hw. verbundene Erw. die Unzuständigkeit des in solcher Sache tätig gewordenen ErwGerichts rügen kann, obwohl dieses ErwGericht ohne solche Verbindung für ihn zuständig gewesen wäre (BGH H MDR 80, 456 u. MDR 81, 269; Meyer-Goßner § 338 StPO 34. Vgl. § 47 a, 1 a–5; § 103, 17; auch Hilger NStZ 83, 340. 20 b Zu den Entscheidungen über Revisionen eines Erw., über den ein JGericht entschieden hat § 47 a, 1 a, 3, 5. 20 c Bei negativem sachlichen Kompetenzkonflikt, der durch die Neuregelung nahezu ausgeschlossen ist, gelten die §§ 14, 19 StPO entsprechend (BGH 18, 381), falls sich keine andere Möglichkeit des Verfahrensfortganges mehr bietet (OLG Hamm NJW 72, 1909; OLG Karlsruhe NStZ 87, 375 zur Abtrennung eines Hw. aus verbundener Sache vor der Wirtschaftsstrafkammer an die JKammer nach §§ 209 a, 4 II StPO; § 103 II, III). Sind die Voraussetzungen für eine Verbindung nach §§ 112 S. 1, 103 I, § 3 StPO gegeben, lehnt die ersuchte gleichrangige JKammer aber die Übernahme ab, so ist für eine Verbindung der Sachen durch das gemeinsame übergeordnete Gericht nur dann Raum, wenn andernfalls die Gefahr eines Verfahrensstillstandes besteht (OLG Düsseldorf MDR 80, 1042). Vgl. § 103, 12. Beim örtlichen Kompetenzkonflikt gilt der Grundsatz der Eröffnungspriorität nach § 12 StPO (vgl. Meyer-Goßner § 12 StPO 1), notfalls die Bestimmung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts nach §§ 14, 19 StPO. Vgl. aber auch § 103, 12 a u. 16. 21 Untersuchungshandlungen des unzuständigen Richters sind voll gültig (§ 20 StPO entsprechend). 22 Über die Folgen der Anwendung des materiellen JRechts auf Erw. u. umgekehrt § 1, 11. 23 Über die bes. Frage der Zuständigkeit nach Verbindung § 103, 3 ff. 6.
Sicherungs- und objektives Verfahren
24 Im Sicherungsverfahren (§§ 413 ff StPO) gegen J (Hw.) entscheidet grds. das JSchöffengericht oder im Fall des § 41 I Nr. 5 die JKammer (§ 41, 16). 24 a Wenn in Verfahren, in denen Sachen gegen J (Hw.) und Erw. verbunden sind, bei dem Erw. die Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus zu erwarten ist, so wird für den Erw. die JKammer zuständig, was dann zwangsläufig auch für die zum gleichen Verfahren verbundenen J (Hw.) gilt (§ 41, 16 u. 12). Weitere Ausnahme § 41, 13 a. 7.
Verwaltungsbehörden
25 Verwaltungsbehörden können wegen Verfehlungen von J und Hw. tätig werden, wenn und soweit dies in den einzelnen Vorschriften für zulässig erklärt ist und es sich nicht um die Verhängung von Kriminalsanktionen handelt. Wegen der Bußgeldbescheide nach dem OWiG näher § 1, 2. 26 In der ehemaligen DDR gab es seit 12. 1. 1968 kein JGericht mehr. Zur Rechtslage nach der Wiedervereinigung s. Vorauflage § 1, 6 f, 6 g.
§ 34 Aufgaben des Jugendrichters § 34 Aufgaben des Jugendrichters (1) Dem Jugendrichter obliegen alle Aufgaben, die ein Richter beim Amtsgericht im Strafverfahren hat. (2) Dem Jugendrichter sollen für die Jugendlichen die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben übertragen werden. Aus besonderen Gründen, namentlich wenn der Jugendrichter für den Bezirk mehrerer Amtsgerichte bestellt ist, kann hiervon abgewichen werden.
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Aufgaben des Jugendrichters
§ 34
(3) Familiengerichtliche Erziehungsaufgaben sind 1. die Unterstützung der Eltern, des Vormundes und des Pflegers durch geeignete Maßnahmen (§ 1631 Abs. 3, §§ 1800, 1915 des Bürgerlichen Gesetzbuches), 2. die Maßnahmen zur Abwendung einer Gefährdung des Jugendlichen (§§ 1666, 1666 a, 1837 Abs. 4, § 1915 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Abs. I: 1. Hw.: § 107. – 2. [ErwG]: § 104, 2. Abs. II und III: 1. (Hw.): § 107. – 2. [ErwG]: § 104, 2. Richtlinien zu § 34: 1. Zu den Aufgaben des Jugendrichters gehören nach § 34 Abs. 1 auch die richterlichen Handlungen im Ermittlungsverfahren sowie die Erledigung der Rechtshilfeersuchen in Jugendsachen. Es empfiehlt sich, ihm bei der Geschäftsverteilung auch die Erledigung der Rechtshilfe in sonstigen Strafsachen zu übertragen, wenn um Vernehmung von Minderjährigen ersucht wird. 2. Wird der Richter beim Amtsgericht als Jugendrichter oder Vollstreckungsleiter mit Jugendlichen oder Heranwachsenden befasst, für die ein anderes Amtsgericht als Vormundschaftsgericht zuständig ist, so kann es angebracht sein, dass das Gericht des Jugendrichters oder Vollstreckungsleiters gemäß § 46 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Aufgaben des Vormundschaftsgerichts übernimmt. Die übernommenen vormundschaftsrichterlichen Aufgaben kann der Jugendrichter nach der gleichen Vorschrift wieder abgeben. 3. Werden nach Einleitung eines Strafverfahrens vormundschaftsrichterliche Maßnahmen für Jugendliche oder Heranwachsende erforderlich, gegen die Anklage vor einem anderen Gericht erhoben ist oder erhoben werden soll, so sollte das Vormundschaftsgericht prüfen, ob sich die Abgabe der vormundschaftsrichterlichen Aufgaben an das Jugendgericht empfiehlt, das bereits mit ihnen befasst ist oder demnächst befasst werden wird. Schrifttum: Hartmann Die Anordnung von U-Haft, Diss. Mainz 1988; Otto Der Grundsatz der Ämtereinheit des J- u. Vormundschaftsrichters, Diss. Hamburg 1977.
Durch das KindRG von 1997 wurde wegen der Verlagerung verschiedener Aufgaben des Vor- 1 mundschaftsgerichts auf das Familiengericht der Begriff der vormundschaftsrichterlichen ErzAufgaben in Abs. II und III durch denjenigen der familien- und vormundschaftsrichterlichen ErzAufgaben ersetzt. Da eine Übertragung sämtlicher vormundschafts- und familienrichterlicher Aufgaben auf den JRichter zu einer Überlastung geführt hätte, wurde die zuvor in Abs. II 1 enthaltene Richtlinie, nach welcher der JRichter zugleich auch Vormundschaftsrichter sein sollte, gestrichen (BT-Drs. 13/4899 S. 143) und Abs. II 1 auf die Maßgabe beschränkt, dass dem JRichter für die J die familien- und vormundschaftsrichterlichen ErzAufgaben übertragen werden sollen (kritisch zur Rechtsentwicklung Miehe in JStrafrecht an der Wende S. 147 ff, der von einer Demontage des Bildes des ErzRichters spricht). Durch das FGG-Reformgesetz v. 17. 12. 2008 wurde wegen der Konzentration auch der vormundschaftsrichterlichen Aufgaben beim Familiengericht der Begriff der familien- und vormundschaftsrichterlichen Erziehungsaufgaben durch denjenigen der familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben ersetzt. Die Vorschrift gilt nur für das AG (über LG: Rn 4).
2
Abs. I bindet das Präsidium bei der Geschäftsverteilung (LG Göttingen NdsRpfl. 77, 218; VG 2 a Schleswig DRiZ 91, 98). Der JRichter ist Einzelrichter (§§ 33 II, 39) und Vorsitzender des JSchöffengerichts (§§ 33 III, 40). Er trifft wie der Richter beim AG im allg. Strafverfahren alle außerhalb der Hauptverhandlung anfallenden Entscheidungen (§ 30 II GVG), einschließlich der des Vollstreckungsleiters (§ 82 I), nimmt die richterlichen Handlungen im vorbereitenden Verfahren vor (§§ 162, 165 StPO) und ist im JVerfahren Rechtshilferichter (RL 1 S. 1, § 157 GVG). Da nach dem Sinn des § 34 I das gesamte JGerichtsverfahren und nicht nur die Hauptverhandlung bei einem Richter mit bes. Sachkunde und Erfahrung zu konzentrieren ist, ist es unzulässig, die Ermittlungssachen auf dem Gebiet des JStrafverfahrens einem Richter zuzuweisen, der im Übrigen nicht als JRichter eingesetzt ist (VG Schleswig DRiZ 91, 98; DSS/Schoreit 3; Eisenberg 6; Ostendorf 2;
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aA LG Berlin NStZ 06, 525; Reichenbach NStZ 05, 617). Das gleiche gilt für einzelne, die J und Hw. betreffende Rechtsgebiete (z. B. Rechtshilfe). Derartige Mängel in einem Geschäftsverteilungsplan sind nicht durch die Regelung des § 22 d GVG heilbar, denn diese Vorschrift betrifft ein Abweichen vom Geschäftsverteilungsplan im Einzelfall und setzt einen gesetzmäßigen Geschäftsverteilungsplan voraus (LG Göttingen NdsRpfl. 77, 219). Der JRichter entscheidet auch in Haftsachen vor Anklageerhebung (§ 125 StPO; über die bes. Haftgerichte § 33, 10). Nach BVerfG NStZ 05, 643 verstößt allerdings die Einrichtung spezieller „JErmittlungsrichter“ nicht gegen Art. 101 I 2 GG. Das alles gilt auch für JSchutzverfahren, sobald das JGericht vor sich eröffnet hat (Anh § 125, 5). Wegen des OWiG-Verfahrens § 1, 2 u. § 33, 16. 3 Abs. II enthält für die Geschäftsverteilung eine weitere – nicht bindende, aber beherzigenswerte (also nicht gesetzeswidrig besetzt: OLG Köln Zbl. 81, 34 mit Anm. Molketin Zbl. 81, 220; aA Ostendorf 3: bindend, aber nicht erzwingbar) – RL, welche Hw. wegen deren Volljährigkeit nicht betrifft. Danach sollen dem JRichter für die J die familiengerichtlichen ErzAufgaben übertragen werden. Das entspricht seiner Aufgabe als ErzRichter, die er vor allem als Einzelrichter hat, und dient der Einheitlichkeit der Erz. Was familiengerichtliche ErzAufgaben sind, ist in Abs. III geregelt. §§ 152, 4 FamFG geben Gelegenheit, alle anhängigen Verfahren auch örtlich in eine Hand zu bringen (vgl. auch RL 2, 3; Mitteilungspflichten: § 70 JGG, Nr. 31 MiStra.). Auch der BezirksJRichter und der JRichter als Vorsitzender des BezirksJSchöffengerichts sollte in seinem AG-Bezirk die familiengerichtlichen ErzAufgaben wahrnehmen. Auch die Vernehmung Jugendlicher bei Rechtshilfe in allg. Strafsachen sollte dem JRichter übertragen werden (RL 1 S. 2). Wegen der zwischen Täter- und Tatstrafrecht, J- und ErwRecht bestehenden Unterschiede sollte der JRichter möglichst nicht zugleich ErwStrafrichter sein; ebenso ist eine Referatsteilung durch die Trennung J-Hw. zu vermeiden (§ 33, 11). Doch hindert der mit der Einrichtung von JGerichten verfolgte Zweck der Förderung des ErzGedankens nicht, bei der Geschäftsverteilung (bes. an kleinen Gerichten) JStrafsachen und allg. Strafsachen einer Kammer (BGH NJW 66, 1037) oder einem JRichter zuzuweisen. 4 Die Verbindung JGericht-Familiengericht scheidet bei Hw., da sie volljährig sind, aus (§ 107).
§ 35 Jugendschöffen § 35 Jugendschöffen (1) Die Schöffen der Jugendgerichte (Jugendschöffen) werden auf Vorschlag des Jugendhilfeausschusses für die Dauer von vier Geschäftsjahren von dem in § 40 des Gerichtsverfassungsgesetzes vorgesehenen Ausschuss gewählt. Dieser soll eine gleiche Anzahl von Männern und Frauen wählen. (2) Der Jugendhilfeausschuß soll ebenso viele Männer wie Frauen und muß mindestens die doppelte Anzahl von Personen vorschlagen, die als Jugendschöffen und -hilfsschöffen benötigt werden. Die Vorgeschlagenen sollen erzieherisch befähigt und in der Jugenderziehung erfahren sein. (3) Die Vorschlagsliste des Jugendhilfeausschusses gilt als Vorschlagsliste im Sinne des § 36 des Gerichtsverfassungsgesetzes. Für die Aufnahme in die Liste ist die Zustimmung von zwei Dritteln der anwesenden stimmberechtigten Mitglieder, mindestens jedoch der Hälfte aller stimmberechtigten Mitglieder des Jugendhilfeausschusses erforderlich. Die Vorschlagsliste ist im Jugendamt eine Woche lang zu jedermanns Einsicht aufzulegen. Der Zeitpunkt der Auflegung ist vorher öffentlich bekanntzumachen. (4) Bei der Entscheidung über Einsprüche gegen die Vorschlagsliste des Jugendhilfeausschusses und bei der Wahl der Jugendschöffen und -hilfsschöffen führt der Jugendrichter den Vorsitz in dem Schöffenwahlausschuß.
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Jugendschöffen
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(5) Die Jugendschöffen werden in besondere für Männer und Frauen getrennt zu führende Schöffenlisten aufgenommen. (6) Die Wahl der Jugendschöffen erfolgt gleichzeitig mit der Wahl der Schöffen für die Schöffengerichte und die Strafkammern. 1. Hw.: § 107. – 2. [ErwG]: § 104, 2. Schrifttum: Delitzsch Empfiehlt es sich, den JSchöffen durch einen ehrenamtlich tätigen JFachrichter zu ersetzen? MKrim. 79, 21; DVJJ, Hrsg., Leitfaden für JSchöffen, 5. Aufl. 2008; Gerstein Die Aufgabe von JSchöffen im Strafprozeß, ZBl. 97, 47; Grotenbeck Reflexionen zur Funktion des JWohlfahrtsausschusses, Zbl. 83, 604; Haegert Einschaltung der Jugend in JGerichtsbarkeit u. JBehörden, NJW 68, 927; Hauber Ist die Laienbeteiligung im JStrafverfahren noch vertretbar?, Zbl. 78, 329; Heinen Auswahl u. Aufgaben der JSchöffen, Zbl. 54, 163; Klausa Zur Typologie der ehrenamtl. Richter, Diss. Berlin 1970; von Schönfeld Leitfaden für JSchöffen, 1977; Schorn Rechtsfragen bei der Berufung von Schöffen u. Geschworenen, DRiZ 66, 115; Ullrich Minderjährige JSchöffen, RdJ 69, 305; Villmer/ter Veen/Walkowiak/Gerken Die Mitwirkung von Laien in der (J)Strafgerichtsbarkeit, in FS Pongratz, 1986 S. 306; Wagner Die Rechtsstellung der JSchöffen, Zbl. 82, 325; Weil/Wilde Der JSchöffe im JStrafverfahren, JWohl 83, 303.
Die JSchöffen üben während der Hauptverhandlung das Richteramt in vollem Umfang und mit 1 gleichem Stimmrecht wie die Richter aus (§ 30 I GVG). Sie sollten insbes. dazu beitragen, dass die Verhandlung auch für den Angeklagten verständlich abläuft, und Kenntnisse und Erfahrungen aus ihren Lebensbereichen beisteuern (Gerstein Zbl. 97, 51 f). 2
Für das Amt und die Wahl der JSchöffen gilt grds. das GVG (§§ 30 bis 57, 77 GVG).
Für die Wahl gelten die in § 35 geregelten Besonderheiten. Erzbefähigte und in der JErz. erfah- 3 rene Personen (Abs. II 2) sind in allen Bevölkerungskreisen zu finden (Eltern, Ausbilder, freie Mitarbeiter der Wohlfahrtsorganisationen usw.). In entsprechender Anwendung des § 33 Nr. 3 GVG genügt es, wenn die JSchöffen 1 Jahr im Bezirk des JHilfeausschusses und zZ der Aufstellung der Vorschlagsliste (Eisenberg 6) im Bezirk des zu besetzenden AG wohnen. Der JHilfeausschuss ist bei der Wahl nicht weisungsgebunden (krit. zur Praxis der Wahlen Gerstein Zbl. 97, 49). Das Gesetz über die weitere Bereinigung von Bundesrecht v. 8. 12. 2010 hat Abs. III S. 2 neu gefasst und zur Erleichterung für die Praxis das Zustimmungserfordernis für die Aufnahme in die Vorschlagsliste der Regelung für die allgemeine Schöffenliste in § 36 I 2 GVG angepasst. Der ebenfalls durch dieses Gesetz angefügte Abs. VI übernimmt den nicht gegenstandslos gewordenen Inhalt des aufgehobenen § 117. Sind für einen AGBezirk mehrere JÄmter zuständig, gelten die §§ 43 I, 58 II GVG entsprechend (Dallinger/Lackner 8). Der BezirksJRichter führt, falls seine Zuständigkeit nicht beschränkt ist (§ 33, 10), in allen Wahlausschüssen seines Bezirkes den Vorsitz (Dallinger/Lackner 16; aA Heinen Zbl. 54, 165), da nur er für diesen Bezirk JRichter ist. Bei der Einreichung der Vorschlagsliste (Abs. II) hat der Leiter der zuständigen Verwaltungsbehörde die Art der öffentlichen Bekanntmachung (Abs. III 4), die Tage, in denen die Liste öffentlich aufgelegen hat (Abs. III 3) und die Tatsache der Zweidrittelmehrheit (Abs. III 2) zu bescheinigen. Es sind 4 JSchöffenlisten zu führen (Abs. V), nämlich die Haupt- und Hilfsschöffenlisten, je getrennt für Männer und Frauen; entsprechend erfolgt die Auslosung. Für die Auslosung der JSchöffen für ordentliche und außerordentliche Sitzungen und für die Ersetzung eines weggefallenen Hauptschöffen gelten die §§ 45, 47, 48, 49 GVG mit der Maßgabe, dass diese Vorschriften jeweils nur entweder für die Männer-Haupt-und-Hilfsliste oder für die Frauen-Haupt-undHilfsliste gelten (Abs. V). Wirken nicht ein männlicher und ein weiblicher JSchöffe mit, so begründet dies nicht eine 4 Revision (§ 338 Nr. 1 StPO), weil § 35 insoweit nur und nicht zwingend die Art der Auslosung regelt (§§ 45, 77 GVG; zust. Eisenberg § 33, 43). Werden aber JSchöffen gewählt, die nicht vom JHilfeausschuss vorgeschlagen wurden, ist die Wahl ungültig. Sie dürfen wie JSchöffen, wel-
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§ 36
2. Teil. Jugendliche
che die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllen, nicht in der Sitzung mitwirken. Jede Mitwirkung ist ein absoluter Revisionsgrund gem. § 338 Nr. 1 StPO (BGH 26, 391); die gesetzeswidrige Ernennung ist während des Geschäftsjahres zu ändern (BGH 12, 206). Zur Auslosung zu ordentlichen u. außerordentlichen Sitzungen § 33, 9 a. Der Landgerichtspräsident muss wegen des Zwecks möglichst breitgestreuter Laienbeteiligung die für die JKammern erforderlichen JSchöffen möglichst gleichmäßig aus allen zugehörigen AG-Bezirken nehmen. Geschieht dies nicht, wird im Regelfall nur ein error in procedendo, nicht eine die Revision begründende (objektive) Willkür vorliegen (OLG Celle MDR 80, 426). Vgl. insgesamt § 33, 9. Kritisch gegen die Beschränkung auf Deutsche nach § 31 GVG Eisenberg 11; Ostendorf 3. 5 Zum Einigungsvertrag § 1, 6 c, 6 d.
§ 36 Jugendstaatsanwalt § 36 Jugendstaatsanwalt Für Verfahren, die zur Zuständigkeit der Jugendgerichte gehören, werden Jugendstaatsanwälte bestellt. 1. Hw.: § 107; vgl. § 36 RL 2 S. 2. – 2. [ErwG]: Rn 5; § 104, 2. Richtlinie zu § 36: Der zuständige Jugendstaatsanwalt soll nach Möglichkeit die Anklage auch in der Hauptverhandlung vertreten, sofern er nicht im vereinfachten Jugendverfahren von der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung absieht (§ 78 Abs. 2). Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Ordnungsvorschrift . . . . . . . . . . . Spezialreferate . . . . . . . . . . . . . . Weichenstellung . . . . . . . . . . . . . Amtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . Referendare . . . . . . . . . . . . . . . . Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . Sachliche und örtliche Zuständigkeit Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rn 1 1a 2 3 3a 4 5 7
Ordnungsvorschrift
1 Nach BGH (Herlan GA 61, 358) ist diese Vorschrift eine bloße Ordnungsvorschrift, deren Verletzung keine Folgen hat, da die „Staatsanwaltschaft“ vertreten war (§ 338 Nr. 5 StPO) und kein Anhalt dafür besteht, dass die Entscheidung des Gerichts anders ergangen wäre, wenn ein anderer (nämlich der J-)Staatsanwalt mitgewirkt hätte (§ 337 StPO; BGH aaO; OLG Karlsruhe NStZ 88, 241; OLG Hamm JMBl. NRW 94, 23; zweifelnd Eisenberg 13; aA Ostendorf 8). Dies aber bedeutet nicht, dass § 36 einfach unbeachtet bleiben kann, nur weil seine Verletzung die Revision nicht begründet (vgl. Zuberbier DRiZ 88, 336). Zur Unzulässigkeit der Bestellung sämtlicher allg. Dezernenten auch zu Jugenddezernenten Eisenberg GA 02, 579. Zu Bedenken bei Spezialreferaten Rn 1 a. Zur Kooperation mit der Polizei u. zur Diversion § 45, 17 ff. 2.
Spezialreferate
1 a Bedenken erweckt allerdings die steigende Zahl von Spezialreferaten bei der StA, denen durch Geschäftsverteilung die Zuständigkeit in Erw.- und zugleich in JSachen zugesprochen wird. Das ist zwar vom Spezialgebiet her gesehen nahe liegend und verständlich; es kann aber bei weiterer
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Jugendstaatsanwalt
§ 36
Häufung § 36 tangiert werden, auch wenn er nur als Ordnungs- und folgenlose Sollvorschrift angesehen wird. Vgl. Rn 1. Zuberbier (DRiZ 88, 336) fordert, dass in Spezialreferaten die j. und hw. Beschuldigten von ausgewählten JStAen bearbeitet werden. Es könnte letztlich der ErzAuftrag des JGG gefährdet werden, was insbes. die freiere Stellung des StA im Rahmen des § 45 deutlich macht (entschieden gegen Spezialreferate, die den JStA verdrängen, Eisenberg NStZ 94, 67). Vgl. auch Rn 5. Zum Gerichtsstand bei Spezialreferaten § 42, 2 aE. Ostendorf 8 bezeichnet die Herabstufung einer Gesetzesbestimmung zur Ordnungsvorschrift (mit Grünwald JZ 68, 752) als Zauberformel, die nicht wirke. Vgl. auch § 37, 5 u. zu den Anforderungen § 37, 3. 3.
Weichenstellung
Die bes. Bedeutung des StA in JVerfahren liegt darin, dass er nicht nur die bes. Persönlichkeits- 2 forschung (§ 43) leiten (BGH 6, 328) und sich dazu häufig persönlich in die Ermittlungen einschalten muss (vgl. §§ 43, 44), sondern auch entscheidenden Einfluss auf das Verfahren selbst dadurch nimmt, dass er – von der Anklagepflicht weithin befreit – zu entscheiden hat, ob es überhaupt zu einem Hauptverfahren kommt; vgl. § 45, 17 ff.; § 47, 12 u. insbes. das in der Praxis sich ausweitende direkte erz. förderliche Eingreifen des JStA: § 45, 21 ff. Bei Anklageerhebung (vgl. auch § 41, 7 u. § 108, 1) gibt er dem Verfahren durch die Wahl der Verfahrensart (Einf. II 24) eine bestimmte Richtung. Weiter hat er bei der Wahl des örtlich zuständigen Gerichts die verfahrenswichtige, zugleich jgemäße Auswahl unter den Möglichkeiten örtlicher Zuständigkeit nach § 42 (dort Rn 7) zu treffen und bei Hw. die sinnvolle Anwendung der RL zu § 108 (dortige Rn 5) zu verantworten. Diese Entscheidungen erfordern viel Fingerspitzengefühl. Zur Hauptverhandlung Rn 4, 4 a. Zu den Verpflichtungen des JStA bei Strafanzeigen gegen Kinder § 1, 13. – Durch seinen Überblick über die JKriminalität im ganzen LG-Bezirk weiß der JStA am besten, was Not tut; er kann durch seine Anträge und Anregungen, in entscheidenden Fällen – zurückhaltend (§ 55 RL 1 S. 2) – durch Rechtsmittel die Rechtsprechung bes. weniger erfahrener JRichter an kleinen Gerichten günstig beeinflussen. Er ist, wie im allg. Recht, stets zu hören (§ 33 StPO). Dem JStA obliegt es im Falle der UHaft eines J sorgfältig zu prüfen, ob deren Zweck nicht durch andere Maßnahmen auch erreicht werden kann (§ 72, 2; aber auch 2 a). Er hat bei UHaft für bes. Beschleunigung zu sorgen und ggf. das Verfahren gegen den J abzutrennen (§ 72 RL 1). Bei Verhaftung an einem anderen Ort ordnet er idR unverzüglich Einzeltransport an und beantragt zugleich die Übertragung der Aufgaben des bisherigen Haftrichters auf den nach § 42 I Nr. 1 zuständigen Richter (§ 72 RL 2). Der JStA wird auch bei Straftaten eines Hw., die in das ErwAlter hineinreichen, das Ermitt- 2 a lungsverfahren zusammenfassend führen; dazu ist er bes. aufgrund seiner Erfahrung und – hoffentlich – seiner interdisziplinären Weiterbildung zur gebotenen kriminologischen Ganzheitsbetrachtung (vgl. § 43, 5) besser geeignet als der allg. StA (vgl. Rn 5 a; Bandemer Zbl. 89, 319, 322). Durch Verbindung, ggf. Unterlassung von Trennung, verschafft er dem JRichter gerade in solchen Fällen die Zuständigkeit und Möglichkeit zur Entscheidung nach § 32 (vgl. § 32, 6; § 103, 19). Zum Ermessen vor § 102, 2, § 103, 1 u. 19 a, § 32, 4, aber auch folgende Rn 5. Damit werden die in § 32, 5 und 6 abgehandelten Schwierigkeiten vermieden und auch berücksichtigt, dass es in JSachen nicht angeht, kleinere Vergehen iSd allg. Rechts schlechthin als Bagatellsachen zu behandeln, da sie ein durchaus beachtenswertes Symptom beginnender Kriminalität sein können und nur eine einheitliche Bearbeitung die gebotene erz. Erfahrung gibt und sichert. 4.
Amtsanwälte
Die Landesjustizverwaltungen können die Geschäfte des JStA im amtsgerichtlichen Bereich 3 auf Amtsanwälte (Rechtspfleger) übertragen (§§ 142 I Nr. 3, II; 145 II GVG). Das ist zulässig, weil § 36 sich als bloße Ordnungsvorschrift nur an die Justizverwaltungen richtet (BVerfG NJW 81, 1033; OLG Hamm RPfl. 61, 182 = Zbl. 62, 143; OLG Karlsruhe NStZ 88, 241; Dallinger/Lackner 13;
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2. Teil. Jugendliche
Eisenberg 11; Potrykus NJW 54, 1349; Nothacker S. 257; aA Ostendorf 6). Den Zuständigkeitsbereich der Amtsanwälte (sogar Verbrechen) bestimmt das Landesrecht (OrgStA). Das alles gilt entsprechend auch für örtliche Sitzungsvertreter im Bereich des JRichters (OLG Karlsruhe aaO). Selbst wenn ein Amtsanwalt entgegen der revisionsrechtlich bedeutungslosen OrgStA die Anklage vor dem JSchöffengericht vertritt, begründet dies die Revision weder nach § 338 Nr. 5 StPO, weil die Anklage ordnungsgemäß vertreten war, noch nach § 337 StPO, weil § 36 nur als bloße Ordnungsvorschrift angesehen wird (BGH GA 61, 358; OLG Karlsruhe NStZ 88, 241). Bei den bes. Anforderungen an den JStA bleibt dies aber bedenklich. 5.
Referendare
3 a Nach Landesrecht können auch Rechtsreferendare zu Amtsanwälten (das wohl selten, da Ausbildungszeit bei StA zu kurz) und/oder Sitzungsvertretern bestellt werden (vgl. § 142 III GVG; OLG Düsseldorf JMBl. NRW 65, 103; Eisenberg 14). Wird der Sitzungsdienst in einer Hauptverhandlung vor dem JRichter durch einen Rechtsreferendar wahrgenommen, ist die StA ordnungsgemäß vertreten (OLG Hamm JMBl. NRW 94, 23). Selbständiges, alleiniges Auftreten aber kann mangels Erfahrung und wegen des notwendigerweise eingeschränkten Handlungsspielraums, bes. auch wegen nicht ausreichenden Einblicks in die Besonderheiten des JStrafrechts, kaum verantwortet werden (für grds. Unzulässigkeit der Sitzungsvertretung durch Referendare Eisenberg 14; Helmken ZJJ 09, 147; kritisch auch Middelhof Zbl. 87, 66 aus der Sicht der JGH). Unter Anleitung und Aufsicht eines durchgehend anwesenden JStA aber kann ein wertvoller, praxisnaher Beitrag zur Ausbildung geleistet werden. Ostendorf 7 will bei ausreichender Vorbereitung Alleinvertretung zulassen. Zur Bestellung von Referendaren zu Verteidigern § 68, 2 a, 5. 6.
Hauptverhandlung
4 Der zuständige JStA soll nach Möglichkeit die Anklage auch in der Hauptverhandlung vertreten (RL; Ausnahme § 78 II). Der JStA hat als „Wächter“ insbes. in der Hauptverhandlung durch Hinweise, Anregungen und Anträge dafür zu sorgen, dass Sinn und ErzZiel des JGG vor allem auch prozessual gewahrt bleiben (vgl. dazu RL zu § 5; RL 2 zu § 11; RL 5 zu § 15; RL 6, 7 zu § 43; auch § 43 Rn 5 u. 17; RL 2 zu § 72). 4 a Es ist in jeder Hinsicht ungut, wenn empfohlen wird (Dallinger/Lackner 8; Potrykus B 3), dass der JStA in der Sitzung keine bestimmten Anträge stellt. Zumindest bei der Frage der Auswahl der angemessenen Reaktion oder der Strafbemessung soll der JStA seine Meinung äußern (zust. Eisenberg 5 a), zumal er JKriminalität und Rechtsprechung im LGBezirk besser als das JGericht übersieht; ob dies in Form eines Vorschlages oder eines Antrages geschieht, ist erz. wohl ohne Bedeutung. Bei entsprechend enger und längerer Zusammenarbeit zwischen JRichter und JStA ergeben sich aus der Stellung eines bestimmten Antrags erfahrungsgemäß keine Schwierigkeiten. – Aber auch zur Schuldfrage muss sich der JStA äußern; das ist nicht nur konsequent, sondern wird vom J erwartet. Einen Schlussvortrag muss der StA halten (OLG Zweibrücken StV 86, 51). Es gilt § 46, der die Fassung der Anklageschrift behandelt, entsprechend (zust. Nothacker S. 149), es sollen also nachteilige Wirkungen für den J möglichst vermieden werden. Oft wird es sich empfehlen, ihn direkt anzusprechen. S. auch die Anleitung für Sitzungsvertreter der StA von Ostendorf ZJJ 10, 183. 7.
Sachliche und örtliche Zuständigkeit
5 Der JStA wird in allen Verfahren tätig, für die das JGericht zuständig ist; er bearbeitet die JSchutzsachen (dazu Anh § 125, 4 a u. 6 a), wenn Anklage zum JGericht in Betracht kommt (vgl. Wortlaut des § 36). Der JStA ist auch zuständig für die Verbindung von Strafsachen gegen J (Hw.) mit solchen gegen Erw., da dem JGericht die Kompetenz-Kompetenz zukommt (dazu
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Auswahl der Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte
§ 37
Rn 2 a; § 103, 4). Hierbei trifft der JStA eine wichtige Entscheidung, weil einmal Erw. bei Verbindung grds. vor JGerichte kommen (§ 103, 3) und diese hierdurch überlastet und ihren eigentlichen Aufgaben entzogen werden können (§ 103, 8; für das Revisionsgericht aber § 41, 35); auch weil eine an sich gebotene Trennung nach Eröffnung des Verfahrens vor dem JGericht nur mehr in Ausnahmefällen möglich ist (§ 103, 13, 14) und zudem auch noch die JKammer als Berufungsgericht mit Sachen gegen Erw. unnötig belastet wird (§ 41, 36). Der JStA wird im Revisionsverfahren nicht tätig, weil dort keine JGerichte bestehen (zust. Eisenberg 8; aA Ostendorf 2). Bei Straftaten ein und desselben Täters vor und nach dem 21. Lebensjahr weist der JStA 5 a durch gemeinsame Anklage dieser Sachen oder Antrag auf Verbindung bereits rechtshängiger Sachen dem JRichter das Gesamtverfahren zu und verschafft ihm die notwendige Gesamtschau und die Möglichkeit für eine Entscheidung nach § 32 (näher § 32, 5, 6 u. Brunner JR 80, 262). Zum zuständigen StA, wenn ein Erw. die mit seinem Verfahren verbundenen J (Hw.) vor die 5 b Staatsschutz- oder die Wirtschaftsstrafkammer zieht, § 102, 4. Sind nur J (Hw.) wegen Wirtschaftsstraftaten oder Delikten nach § 74 a GVG Beschuldigte, bleibt die Zuständigkeit des JStA unberührt, weil insoweit die Zuständigkeit der JGerichte vorgeht. Zum Strafbefehlsverfahren § 109, 12. Neben den JVerfahren können dem JStA auch noch andere Geschäfte zugewiesen werden (vgl. § 34, 3). Für die örtliche Zuständigkeit des JStA gilt § 42 (vgl. § 108, 5; § 42, 7; § 143 GVG; Dallin- 6 ger/Lackner § 42, 1; Grethlein UJ 55, 307). Über die örtliche Zuständigkeit muss also möglichst frühzeitig entschieden werden. Wird im Wege der Abgabe oder bei der Vollstreckung (dazu § 85, 22) ein anderes Gericht zuständig, ändert sich damit auch die Zuständigkeit des JStA (§ 143 GVG; zust. Eisenberg 9), wodurch Beschleunigung und Vollstreckungsnähe gewährleistet sind. Denn die Zuständigkeit der StA richtet sich nach der jeweiligen Gerichtszuständigkeit (Dallinger/Lackner § 42, 1; § 83, 5; Löwe/Rosenberg/Wendisch § 13 StPO 10; aA LG Kiel SchlHA 56, 274; Voß SchlHA 67, 139). Zur Anklageerhebung gegen Hw. RL zu § 108 u. § 108, 5. Dateien der StA Vor § 97, 28–31 a; Akteneinsicht u. Auskunftserteilung Vor § 97, 27–27 f, 29. Fehlerhaftes Verhalten des StA stellt den Strafanspruch nicht zur Disposition. 8.
Reform
Nach dem RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs 7 (StORMG) vom 15. 4. 2011 (BR-Drs. 213/11) soll der bisherige Wortlaut Abs. I werden und folgender Satz eingefügt werden: „Richter auf Probe und Beamte auf Probe dürfen im ersten Jahr nach ihrer Ernennung nicht zum JStA bestellt werden; sie dürfen in dieser Zeit die Sitzungsvertretung in Verfahren vor den JGerichten nur unter Aufsicht eines JStA wahrnehmen.“ Folgender Abs. II soll angefügt werden: „ JStaatsanwaltliche Aufgaben dürfen Amtsanwälten nur übertragen werden, wenn diese die besonderen Anforderungen erfüllen, die für die Wahrnehmung jstaatsanwaltlicher Aufgaben an Staatsanwälte gestellt werden. Referendaren kann im Einzelfall die Wahrnehmung jstaatsanwaltlicher Aufgaben unter Aufsicht eines JStA übertragen werden. Die Sitzungsvertretung in Verfahren vor den JGerichten dürfen Referendare nur unter Aufsicht und im Beisein eines JStA wahrnehmen“ (ablehnend der Rechtsausschuss des BR, BR-Drs. 213/1/11).
§ 37 Auswahl der Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte § 37 Auswahl der Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte Die Richter bei den Jugendgerichten und die Jugendstaatsanwälte sollen erzieherisch befähigt und in der Jugenderziehung erfahren sein. 1. Hw.: § 107. – 2. [ErwG]: § 104, 2.
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§ 37
2. Teil. Jugendliche
Richtlinien zu § 37: 1. Bei der Besetzung der Jugendgerichte und bei der Auswahl der Jugendstaatsanwälte sollte in besonderem Maße auf Eignung und Neigung Rücksicht genommen werden. Die Jugendkammer soll nach Möglichkeit mit erfahrenen früheren Jugend- und Vormundschaftsrichtern besetzt werden. 2. In der Jugendstrafrechtspflege sind besondere Erfahrungen notwendig, die regelmäßig erst im Laufe längerer Zeit erworben werden können. Ein häufiger Wechsel der Richter bei den Jugendgerichten und der Jugendstaatsanwälte muss daher nach Möglichkeit vermieden werden. 3. Für die Tätigkeit der Richter bei den Jugendgerichten und der Jugendstaatsanwälte sind Kenntnisse auf den Gebieten der Pädagogik, der Jugendpsychologie, der Jugendpsychiatrie, der Kriminologie und der Soziologie von besonderem Nutzen. Eine entsprechende Fortbildung sollte ermöglicht werden. 4. Den Richtern bei den Jugendgerichten und den Jugendstaatsanwälten wird empfohlen mit Vereinigungen und Einrichtungen, die der Jugendhilfe dienen, Fühlung zu halten. Schrifttum: Adam/Albrecht/Pfeiffer JRichter u. StAe in der Bundesrepublik Dtschl., 1986; Breymann Jugendakademie – Zu den Grundlagen der Weiterbildung für JRichter u. JStaatsanwälte, ZJJ 05, 185, 279; Brunner JRichter, Anspruch u. Möglichkeit, JR 78, 499; ders. Weder Memoiren noch JGG-Kommentierung, sondern Ernte aus den Feldern der Praxis, FS Böhm, 1999 S. 791; Cornel 100 Jahre JGerichte – Die Zeit war reif, ZJJ 08, 232; DVJJ, Hrsg., Die JKriminalrechtspflege als Personenfrage u. als Aufgabe der Zusammenarbeit, Bericht über den 11. JGT 1959, 1962; Dick Erwachsenenbildung, Arbeitsforschung, Professionsentwicklung. Ein Ansatz zur Förderung jrichterlicher Kompetenz, ZJJ 05, 290; Dick/Breymann Mehr als nur Wissenszuwachs: Professionelle Entwicklung in der JGerichtsbarkeit durch das Netzwerk JAkademie, DRiZ 09, 72; Döppner Geheimwissenschaft Pensenschlüssel u. Geschäftsverteilung, DVJJ-J 03, 5; Drews Die Aus- und Fortbildungssituation von JRichtern u. JStaatsanwälten in der Bundesrepublik Deutschland – Anspruch u. Wirklichkeit von § 37 JGG, 2005; dies. Anspruch u. Wirklichkeit von § 37 JGG, ZJJ 05, 409; Eilsberger Die Hauptverhandlung aus der Sicht j. u. hw. Angeklagter, MKrim. 69, 304; Grotenbeck Überlegungen zu gemeinsamen Fortbildungsmaßnahmen für JRichter u. JGerichtshelfer, Zbl. 77, 252; Hauber Das Bild vom JRichter in der Entwicklung des JKriminalrechts, Zbl. 77, 315; ders. Spezialisierung als Legitimation jrichterlichen Handelns, Zbl. 77, 372; Hauser Der JRichter – Idee u. Wirklichkeit, MKrim. 80, 1; Hellmer Zur Frage der Vor- u. Ausbildung der JRichter, RdJ 55, 366; Helmken Der JStA: Anspruch u. Wirklichkeit – Sitzungsvertretung durch Rechtsreferendare, ZJJ 09, 147; Hermann/Wild Die Bedeutung der Tat bei jrichterlicher Rechtsfolgenbestimmung, MKrim. 89, 13; Hupfeld Zur Bedeutung des ErzGedankens u. des richterlichen Spezialisierungsgrades in der JStrafrechtspraxis, DVJJ-J 93, 11; ders. JRichter u. ihre Handlungsmöglichkeiten, DVJJ-J 93, 146; ders. Richter- u. gerichtsbezogene Sanktionsdisparitäten in der deutschen JStrafrechtspraxis, MKrim. 99, 342; Jung JRichter. Eine Momentaufnahme zum Hundertjährigen, GA 08, 599; Krauß Die strafrechtliche Problematik kriminologischer Ziele u. Methoden 1972; Kreuzer Aus- u. Fortbildung von JRichtern u. JStAen, ZRP 87, 235; ders. Ursprünge, Gegenwart u. Entwicklungen des deutschen JStrafrechts, ZJJ 08, 122; Lignitz Die Ausbildung des französischen JRichters im Centre de Vaucresson, 1976; Ludwig-Mayerhofer/Rzepka Diversion u. Täterorientierung im JStrafrecht, MKrim 98, 17; Melder Pädagogische Aspekte im JStrafrecht, Diss. Frankfurt 1969; Müller Aufgabe, Persönlichkeit u. Stellung des JRichters, RdJ 1955; Ostendorf Reform u. Gegenreform durch Organisation, DVJJ-J 03, 3; Pommerening Pädagogisch relevante Dimensionen des Selbstbildes von JRichtern, 1982; dies. Das Selbstbild der deutschen JRichter, MKrim. 82, 193; Potrykus Der JRichter u. die Anforderungen an seine Vorbildung, RdJ 55, 361; Sach JRichterausbildung, RdJ 69, 298; Schaffstein Zur Situation des JRichters NStZ 81, 286; Scholz Realität der u. Erwartungen an die JGerichtsbarkeit in Deutschland, DVJJ-J 99, 232; Schropp Zur Kommunikation am JGericht, Zbl. 86, 340; Simon Der JRichter im Zentrum der JGerichtsbarkeit, 2003; Stettner Um ein echtes JGericht, RdJ 54, 297; Vaupel Zum Selbstverständnis jrichterlicher Tätigkeit, UJ 80, 391; Vins Die Begegnung des Jugendlichen mit seinem Richter, UJ 53, 437; Walter JGerichte u. JGerichtshilfen als Wegbereiter einer fortdauernden Kriminalrechtsreform, ZJJ 08, 224; Weil/Wild Der JRichter im JStrafverfahren, Zbl. 83, 497. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Freiheit und Grenzen . . . . . . . . . . . . Zu den Eigenschaften des JRichters . . . Die Rechtsfolgenbestimmung . . . . . . . Aus- und Fortbildung . . . . . . . . . . . . Nur Ordnungsvorschrift . . . . . . . . . . Auswahl, Studium, Vorbereitungsdienst Geburtenschwache Jahrgänge . . . . . . . Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rn 1 3 3a 4 5 8 13 14
Auswahl der Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte
1.
§ 37
Freiheit und Grenzen
Der JRichter hat von allen Spruchrichtern wohl den größten Spielraum in der Auswahl der zu er- 1 greifenden Maßnahmen (Einf. II 22) und in der Gestaltung des Verfahrens (Einf. II 24, 25). So kann jeder Täter in der ihm gemäßen Art angesprochen werden. Mit der Größe des Spielraums wächst aber auch die Gefahr, daneben zu greifen. Die Verantwortung des JRichters wird noch dadurch erhöht, dass er mit Hilfe der JGH (ggf. § 43) und in der Kürze der Hauptverhandlung versuchen muss, die Persönlichkeit des Täters zu erkennen, um mit gezieltem Rechtsfolgenausspruch im Rahmen seines ErzAuftrags die weitere Erz. des J bei Durchführung der Maßnahmen nicht zu gefährden, sondern zu fördern. Er muss bedenken, dass seine Maßnahmen einen noch weithin prägbaren Täter treffen und damit – oft entscheidenden – Einfluss auf dessen weiteres Leben nehmen (vgl. BGH 8, 354; 9, 402). – Gleiches gilt für den JStA (§ 36, 2); vgl. insbes. § 45, 17. Karl Almenröder hat auf dem 1. JGT 1909 in Berlin gesagt: „Wir fühlen uns am meisten in den Lü- 2 cken des Gesetzes wohl und richten uns dort zugunsten unserer J ein.“ Wenn, diesem frühen Wort grds. zustimmend, gleichwohl sehr ernst auf die Grenzen hingewiesen wird, so richtet sich das nicht gegen die dem JRichter eröffneten Beurteilungs- und Handlungsfreiräume (vgl. Walter Beiträge zur Erz., 1989 S. 69) aus denen die sog. „Reform durch die Praxis“ erwachsen ist (dazu § 45, 5). Gerade die Praxis ist ein BewFeld für behutsame Rechtsfortbildung. Kerner (in Feltes, Hrsg., Kriminologie u. Praxisforschung, 1988, S. 21) hat treffend darauf hingewiesen, dass „zahlreiche Innovationen im Bereich des Strafvollzugs in langem, hartnäckigem Kampf von engagierten Praktikern entwickelt worden (sind), bevor sie die Weihe der theoretischen Beachtung durch die Wissenschaft gefunden haben“. Wenn Eisenberg (5) vom JRichter eine gewisse Fähigkeit zu „normativer Distanz“ fordert, „welche 2 a (allerdings) auf dem Hintergrund sonstiger Prinzipien strafverfolgender und richterlicher Tätigkeit . . . als erwartungswidrig und abweichend beurteilt und innerbehördlich entsprechend sanktioniert werden bzw. sich negativ auf die berufliche Wertschätzung auswirken“ mag, so ist dies durch den Hinweis auf „Ausfüllung nicht abschließend geregelter Rechtsfolgeninhalte“ und durch ausdrücklichen Abstand von dem Beispiel § 17, 8 a hinnehmbar. Wie Rn 2 betont, soll der JRichter wohl engagiert die vielseitigen, einem beliebten Schlagwort gemäß auch die „noch nicht ausgereizten“ Möglichkeiten des JGG ausschöpfen, er darf sich aber der Grenze nicht nähern, welche den dem Gesetz verpflichteten StA und Richter von dem „Sozialingenieur“ unüberbrückbar trennt. JGerichtsbarkeit ist nicht bloße Sozialarbeit (Schaffstein/Beulke S. 193). Zu Recht weist Miehe (ZStW 85, 566) auf die kritische Problematik hin, wenn an Stelle methodisch-exakter Auslegung eine eher politisch-soziologische Berücksichtigung der Rechtslage tritt, und Schaffstein warnt (ZStW 86, 119) vor übergesetzlichem Wildwuchs, der in zunehmendem Maße die Grenzen des noch allenfalls Vertretbaren erreicht oder schon überschritten hat (vgl. Einf. II 21 aE). Dies ist sehr ernst zu nehmen. Die kriminalpolitischen Debatten strahlen unbestreitbar auf die Normanwendung aus (Walter/ 2 b Pieplow Anm. NStZ 89, 577). Es kann aber jeder Einzelfall und der jeweilige kriminologische Erkenntnisstand nur im weitgesteckten Rahmen der vom Gesetz zur Verfügung gestellten Sanktionen berücksichtigt werden. Die Ebenen des geltenden anzuwendenden Rechts und die kriminologisch-rechtspolitisch begründeten Ebenen zu vermengen (Walter/Pieplow aaO, S. 576), dient dem Rechtsschutzinteresse der J nicht, es darf nicht einfach auf rechtspolitische Forderungen durchgegriffen werden (Walter/Pieplow aaO). Es ist dem Richter auch versagt, seine Urteilsgründe mit rechtspolitischen Forderungen für eine künftige Ausgestaltung des JStrafrechts „anzureichern“. Der BGH (NStZ 89, 1491) musste darauf hinweisen, dass solche Darlegungen nicht ins Urteil gehören und das Revisionsgericht besorgen lassen können, der JRichter wolle gar nicht geltendes Recht anwenden. Vgl. auch BGH 28, 327 in § 17, 8 a. Der BGH (32, 357 = NStZ 86, 27 mit zust. Anm. Fezer) hat anlässlich eines Extremfalles (Verurteilung eines JStA wegen Rechtsbeugung; Fallschilderung 8. Aufl. § 37, 2 a) im Urteil ausgeführt, der JRichter
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§ 37
2. Teil. Jugendliche
und JStA, der sein Handeln als Organ des Staates an seinen eigenen Maßstäben anstelle der vom Gesetzgeber statuierten ausrichte, könne sich nicht darauf berufen, er habe den Geist des JStrafrechts nicht verletzen und das erz. Richtige tun wollen. Selbst wenn ein von vornherein gegebener Vorsatz, als Amtsträger bei Leitung einer Rechtssache zu handeln, nicht feststellbar sein sollte, könne schon allein die Einstellung des Verfahrens strafbare Rechtsbeugung sein, denn es genüge auch, zugunsten der J oder Hw. den Anspruch des Staates auf eine dem JGG entsprechende Rechtsfolge zu verletzen. Der BGH hat aber auch ausdrücklich hervorgehoben – und damit das Subsidiaritätsprinzip des JStrafrechts bewahrt –, dass ein „Amtsträger“ im JStrafrecht auch dann „gerecht“ sein kann, „wenn er aus sachbezogenen Erwägungen mit der Intention zur Gerechtigkeit auf letzte Konsequenz dieses Straf-(Rechtsfolgen-)anspruches nicht besteht“ (vgl. § 45, 1 ff). Denn § 336 StGB wolle den Rechtsbruch erfassen, nicht aber beim Entscheidungsträger ein Gefühl der Rechtsunsicherheit erzeugen. 2.
Zu den Eigenschaften des JRichters
3 Nur die besten Richter und StAe werden diesen Anforderungen gewachsen sein (Dallinger/Lackner 3; Weinkauff DRiZ 51, 85; vgl. RL 1–3). Der Versuch einen „besten“ JRichter oder JStA zu beschreiben, ist ebenso oft unternommen worden, wie das Ergebnis aus mannigfachen Gründen abgelehnt worden ist. Will man die vielfältigen Anforderungen an den Jugendrichter unter Anlegung eines groben Rasters bewusst überspitzt und plakativ formulieren, so ergibt sich Folgendes (s. Brunner FS Böhm, 1999 S. 791): Er soll erfahren sein, ohne Erfahrungen erst sammeln zu können; sich eine wertende Gesamtschau der weit gestreuten einschlägigen Forschung verschaffen, aber auch der fordernden Praxis des Richteralltags gerecht werden; sich nicht zu erziehungsschädlichen, psychologisierenden Husarenritten in die Pädagogik verleiten lassen, aber auch nicht in eingefahrener Routine erstarren; weder in sozialer Romantik schwelgen, noch in tatbezogenes Taxendenken verfallen; bereit zu Milde, aber auch entschlossen zu notwendigem Zugriff sein; in der Hauptverhandlung die Sprachbarriere überwinden, sich aber nicht kumpelhaft anbiedern; auf den Jugendlichen eingehen, aber nicht den allezeit Verständigen vortäuschen, der am Ende doch die Zuchtrute hervorholt; sich Zeit nehmen, die er kaum hat; dem Fortschritt aufgeschlossen, aber kein ideologischer Eiferer sein; Ausgeglichenheit, die nicht persönliche Probleme ins Spiel bringt; eine Haltung, die junge Menschen anspricht; Zurückhaltung und Bescheidenheit, die den JRichter und JStaatsanwalt manches Scheitern seiner Bemühungen lehrt; Weiterbildung und Fortbildung mit dem überlasteten Schreibtisch im Hintergrund. Das sind Annäherungen, die versuchen, das zu sagen, was man nicht allg. fordern, aber doch wünschen kann. Bescheidenheit also auch insoweit. Die Auswahl ist für das JRecht von entscheidender Bedeutung (Dallinger/Lackner 1; BGH 9, 402). Die Meinung des BGH (8, 354), dass diese Gedanken Gemeingut seien, findet in der Praxis teilweise Bestätigung. Nach Adam ua (S. 32) sind 43% der befragten JRichter und 31% der JStAe aufgrund eigener Bemühung in das JReferat gekommen; nach Simon (S. 166) war dies bei knapp der Hälfte der befragten JRichter der Fall, nach Drews (S. 91) bei 54% der JRichter und 44% der JStA. Bohnert (JZ 83, 522) meint, das „duale System“ zwinge, zwischen ErzMaßnahmen und Strafe zu wählen; es gebe damit aber dem selbstherrlichen Richter keine Schranke, dem ängstlichen keine Stütze und dem sorgfältigen kein festes Maß. Das umschreibt neben anderem Verantwortung und Last des JRichters. 3.
Die Rechtsfolgenbestimmung
3 a Bei der schwierigen und entscheidenden Frage der Rechtsfolgenbestimmung, die durch die subjektiven Entscheidungen der Diagnose und Prognose gefährdet ist, sind dem JRichter Extrempositionen keine Hilfe. Er muss den Weg zwischen dem Vorrang der Erziehung und den übrigen, auch im JStrafrecht geltenden Strafzwecken (§ 18, 7 u. 8) finden und versuchen, gerade dem J, der vor ihm steht, gerecht zu werden. Hermann/Wild (MKrim. 89, 13) kamen bei ihren Untersuchun-
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Auswahl der Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte
§ 37
gen zum Ergebnis, die Praxis der jrichterlichen Rechtsfolgenbestimmung habe starke tatstrafrechtliche Züge getragen. Nach der Untersuchung von Ludwig-Mayerhofer/Rzepka (MKrim. 98, 17) steigt mit der Stärke sozialbiographischer Anfälligkeiten des J die Härte der jrichterlichen Sanktionen; auch nach dieser Untersuchung haben aber Merkmale der Tatschwere den größten Einfluss auf die Sanktionsentscheidung. Vgl. auch Ludwig-Mayerhofer Das Strafrecht u. seine administrative Rationalisierung, 1998 S. 248, nach dem die Sanktionsentscheidungen weitgehend einem Routineprogramm folgen. Pommering (1982 S. 38, 75, 231) bezweifelt das Ergebnis ihrer Befragung von 142 JRichtern, wonach diese sich nicht vorwiegend strafrechtlich orientieren, und beruft sich dazu auf Hauser MKrim. 80, 1. Nach der Untersuchung von Hupfeld (MKrim. 99, 342) bestehen in der jstrafrechtlichen Sanktionspraxis gerichts- und richterbezogene Unterschiede. Breymann (DVJJ Rundbrief März 1990 S. 8) stellt ein „neugeordnetes Gesamtkonzept der JStraf- 3 b rechtspflege“ vor. Danach hätten der JRichter und der JStaatsanwalt das Amt des Wächters des Rechtsstaates inne, während die JGH die pädagogische Kompetenz vertrete. Zwar bleibe der JGHelfer der Entscheidungsgewalt des Richters nachgeordnet, er sei aber gleichzeitig Partner im Entscheidungsprozess und JRichter und JStaatsanwalt seien darauf angewiesen, Übereinstimmung zu erzielen. Die nach Breymann mit diesem „Gleichgewicht zwischen Erz. und Strafe“ verbundenen Risiken und die „gegenseitige Blockade im Extremfall“ sind unschwer vorstellbar. Mehr noch: Das geltende JGG und das Grundgesetz (Art. 92) lassen ein solches Konzept schlechthin nicht zu, was mit der unentbehrlichen Hilfe durch die JGH nichts zu tun hat (vgl. § 38, 1). Zur Befürchtung zu „erhöhter Anpassung iS behördeninterner Handlungsnormen“ Rn 8 aE. Zu 3 c hoffentlich abstrusen Warnungen, den J nicht der Statistik wegen zu benachteiligen § 31, 21 aE. Zu den Folgerungen aus einem Rückgang des Bevölkerungsanteils junger Menschen Rn 13, auch § 68, 14. 4.
Aus- und Fortbildung
Daneben müssen JStAe und JRichter mit der JArbeit verbunden bleiben (RL 4) und ständig an ih- 4 rer Fortbildung arbeiten und sich über jkriminologische Erkenntnisse und Forschungen (Einf. I) unterrichten (dazu auch Rn 3). Die Justizverwaltung soll durch Kurse, Tagungen – auch mit interdisziplinärer Beteiligung – und Büchereimittel ihrerseits die Gelegenheit zur Fortbildung geben (näher: Rn 12 u. RL 3 S. 2), wie sie auch durch entsprechende Pensenberechnung nicht nur die Fortbildung, sondern auch eine unbürokratische, menschlich aufgeschlossene Behandlung der „kleinen Fälle“ (vgl. dazu § 36, 3) ermöglichen soll. Aber: „Menschenkenntnis ist kein Lehrfach“ (Vins UJ 53, 439). Middendorff (Kriminelle Jugend in Europa, 1953 S. 93) bezeichnete die JRichterstellen als „Aschenputtelstellen der Justiz für weniger Tüchtige oder ganz junge Beamte, die zudem häufig wechseln“ (dazu: Rn 8). Hier hat sich einiges gebessert, dies Wort behält aber als Warnung für die Präsidien der Gerichte Bedeutung. Das alles gilt auch für die Mitglieder der JKammer (RL 1 S. 2; näher Rn 12). 5.
Nur Ordnungsvorschrift
§ 37 ist trotz seiner großen Bedeutung bloße Ordnungsvorschrift (dazu auch Rn 11); seine Ver- 5 letzung begründet die Revision nicht (BGH MDR 58, 356); gleichwohl wird in dieser Entscheidung aber betont, dass ein Verstoß gegen § 37 die Rüge begründen könne, das Gericht hätte mangels ausreichender eigener Erfahrung einen Sachverständigen auf dem Gebiet der JErziehung beiziehen müssen (Aufklärungsrüge; dazu Brunner JR 78, 175). Vgl. § 36, 1 u. 1 a. Gleichwohl darf § 37 nicht einfach unbeachtet bleiben, nur weil seine Verletzung eine Revision nicht begründet (vgl. Zuberbier DRiZ 88, 336; Drews S. 40). Wenn die seit 1994 geltenden RL in RL 1 formulieren, auf Eignung und Neigung „sollte“ Rück- 5 a sicht genommen werden (RL 1 alt: „ist . . . zu nehmen“) und in RL 3 S. 2, eine entsprechende
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§ 37
2. Teil. Jugendliche
Fortbildung „sollte“ ermöglicht werden, so sind diese zurückhaltenden Anweisungen wohl von Sachzwängen diktiert, werden aber den Gesetzesanliegen nur sehr unvollkommen gerecht und reichen nicht aus, um den Gesetzeszweck zu gewährleisten. Immerhin ist in den Text der Richtlinien nun erstmals aufgenommen worden, dass eine entsprechende Fortbildung ermöglicht werden soll. Aber auch anspruchsvolle Forderungen stoßen ins Leere, wenn nicht allseits Einsicht und guter Wille helfen. 6 Zur Verbindung des Amtes des JRichters und JStA mit anderen Referaten § 34, 3 u. § 36, 5. Zum Sachverständigengutachten § 43, 15–15 b. 7 JSchöffen § 35; Verteidiger § 68; 2; JAmt § 72 SGB VIII. 6.
Auswahl, Studium, Vorbereitungsdienst
8 Das gezielt böse Wort Middendorffs (Rn 4) trifft heute die Praxis – Ausnahmen mögen die Regel bestätigen – nicht mehr. Dabei wird nicht übersehen, dass gleichwohl die Auswahlkriterien in der Justizpraxis uneinheitlich und keinesfalls immer genügend sind (vgl. Hauber Zbl. 77, 372; Schaffstein/Beulke S. 197; Vaupel UJ 80, 391). Vgl. dazu Rn 9. Die meisten JRichter erkennen und tragen die bes. Last ihrer Aufgabe, und viele widmen ihr unter persönlichen Opfern ein ernstes Engagement, das nicht immer gesehen wird. Zu den Grenzen des Engagements Rn 2 u. 2 a. Die Befürchtung Eisenbergs 11 zu „erhöhter Anpassung iS behördeninterner Handlungsnormen“ einzelner „besorgter“ JRichter und JStaatsanwälte vermag nicht verifiziert zu werden. 9 Es sollten aber in Studium (nur Schwerpunktbereich) und Vorbereitungsdienst Ausgangspunkt, Möglichkeiten und ErzZiel des JGG und die bes. Kenntnisse aus übergreifenden Wissensgebieten (RL 3) breiter vermittelt werden, um den angehenden Richter und Staatsanwalt „Eignung“ selbst erkennen zu lassen und Ansatzpunkte zu schaffen, sie zu messen. Vgl. § 36, 3 a aE; auch Kreuzer ZRP 87, 236. Eine kriminalwissenschaftliche Schwerpunktsetzung bei der Ausbildung könnte ein Kriterium für die Auswahl der JRichter sein (Simon S. 186). 10 Ein mancherseits geforderter bes. Befähigungsnachweis für das JRichteramt (für Umwandlung des § 37 in eine Muss-Vorschrift Drews S. 176 f) steht allerdings in einem Spannungsverhältnis zu unserer Gerichtsverfassung, nach welcher der Richter – trotz notwendiger Spezialisierung im einzelnen – innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit die Befähigung zu jedem Richteramt haben muss (ebenso Dallinger/Lackner 8 mwN; Schaffstein/Beulke S. 197; Simon S. 183; aA Hauber Zbl. 77, 327; unbestimmt Eisenberg 8). Zudem bliebe die Frage, ob eine bindende persönliche Festlegung dem Jugendrichteramt stets dienlicher wäre als eine gelegentliche Blutauffrischung. Forderungen an jrichterliche Erfahrung streben an, dass einem Richter auf Probe im Bereich der JGerichtsbarkeit nur die Kammer als gezielte Vorbereitung auf eine spätere Aufgabe als JRichter offenstehen soll (vgl. Rn 12 aE zur JKammer). Das Prinzip der Bestenauslese gem. Art. 33 II GG gilt nach VGH Mannheim NJW 06, 2424 und BVerfG NJW 09, 909 für die Auswahl unter mehreren Richtern bei der Übertragung richterlicher Dienstgeschäfte (im Fall: Vorsitzender des JSchöffengerichts) durch das Präsidium nicht; § 37 beschränkt aber den Ermessensspielraum des Präsidiums. Zur jrichterlichen Fortbildung der Sanktionen, auch zu unkontrollierten Wucherungen Rn 2 u. Einf. II 21; § 45, 5 ff. 11 Wird auch der Wortlaut des § 37 als „unverbindlich und nichtssagend“ kritisiert (zB Peters Strafprozeß, 4. Aufl. 1985 S. 594), so ist es fraglich, ob es überhaupt möglich ist, die Anforderungen an den JRichter gesetzlich zu fixieren und darüber hinaus, ob dies zu wünschen und letztlich hilfreich wäre (dazu Rn 3; aA Hauber Zbl. 77, 377). Dazu auch Rn 5 a, bes. aE. 12 JRichter möglichst lange in einem Referat zu belassen (RL 2 S. 2) empfiehlt sich wegen der zu fordernden und notwendigen „Investitionen“ sogar fiskalischem Denken. Frankreich unterhält in Vaucresson ein eigenes Institut für Ausbildung und Fortbildung der JRichter. Dies
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Auswahl der Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte
§ 37
scheint allerdings auch dort die Probleme nur wenig zu verringern (Lignitz 1976; Schaffstein/ Beulke S. 197 f). Bedürfte ein solcher Versuch also noch näherer Überprüfung, so könnte doch sofort mehr für die JRichter getan werden. Da es nicht dem Zufall oder der überdurchschnittlichen Eigeninitiative einzelner Richter überlassen bleiben sollte, ob und wann neue Einsichten oder Methoden in die Praxis Eingang finden (Kreckl in DVJJ, Hrsg., Möglichkeiten u. Methoden der Behandlung in der JKriminalrechtspflege, Bericht über den 15. JGT 1971, 1972 S. 61), sollten ländereinheitlich Möglichkeiten für eine qualifizierte kontinuierliche Fortbildung der JRichter verstärkt geschaffen werden. Diese sollten den JRichtern eine wertende Gesamtschau der weit verstreuten einschlägigen Forschung ermöglichen und ihnen – möglichst interdisziplinär – Gelegenheit geben, sich mit der „strafrichterlichen Problematik kriminologischer Ziele und Methoden“ (Krauß S. 96) auseinanderzusetzen. Wissenschaftliche Vertreter einschlägiger Wissensgebiete sollten häufiger als zZ ihre Forschungsergebnisse vortragen und den Widerhall der Praxis erleben; manche beiderseitigen Missverständnisse könnten zum Wohle der Sache ausgeräumt werden (vgl. Rn 5 a u. RL 3). Zur Aus- u. Fortbildung eingehend Kreuzer (ZRP 87, 237), der eher Verwertung von Aktenmaterial und nicht Lehrbuchkriminalität, eben die Wirklichkeit des Lebens in Lehrveranstaltungen fordert. Für die Schaffung einer JAkademie als Ausund Fortbildungsstätte die Abteilung Strafrecht des 64. DJT, NJW 02, 3079; Simon S. 188; zu entsprechenden Bestrebungen Breymann ZJJ 05, 185, 279; Dick/Breymann DRiZ 09, 72. Bei sonst guter Besetzung kann die JKammer (dazu auch RL 1 S. 2) durchaus einen „jungen“ Richter verkraften und so zu einer beachtlichen Ausbildungsstätte werden (zust. Ostendorf 3; Simon S. 187). Revisionsgerichte sind zwar keine JGerichte im Wortsinne, doch sollten auch hier Richter mit spezieller Erfahrung mitwirken, weil etwa die Aufklärungsrüge im JRecht eine eigenständige Dimension gewinnt, insbes. aber, weil Revisionsgerichte Leitlinien geben. Zur Verpflichtung, Robe zu tragen § 78, 18; zur JGerichtsverhandlung Einf. I 53; Akteneinsicht, 12 a Auskunftserteilung u. Datenschutz Vor § 97, 27 ff. 7.
Geburtenschwache Jahrgänge
Die Diskussion über die Auswirkungen geburtenschwacher Jahrgänge auf die JStrafrechts- 13 pflege könnte angesichts der absehbaren demographischen Entwicklung wieder an Bedeutung gewinnen. Ein Rückgang des Bevölkerungsanteils junger Menschen würde eine Chance für die Entzerrung der durchwegs zu stark belasteten JReferate bei StA und Gericht eröffnen, kann ruhigere und intensivere Beschäftigung mit dem Einzelfall ermöglichen und auch der Fortbildung zugutekommen. Man sollte nicht (zum Teil unter Hinweis auf einen nicht vergleichbaren, gelenkten Polizeieinsatz) von einem derart negativen Bild des JStA und des JRichters ausgehen, dass man befürchtet, eine Verringerung der Arbeitslast werde sie rigoros J und Hw. verfolgen lassen, um ihre bedrohte Existenzberechtigung nachzuweisen. Eher noch wäre angesichts der Gesamtbelastung der Justiz zu gewärtigen, dass dies als Anlass zu entsprechender Verkleinerung der JReferate und JAbteilungen geben könnte. Die im Hinblick auf die demographischen Veränderungen so anschauliche Warnung vor dem „Sog der leeren Zellen“ scheint einem ähnlichen Richterbild zu entspringen. Vgl. auch Einf. I 11; § 45, 6 u. § 68, 14. 8.
Reform
Der RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG) 14 vom 15. 4. 2011 (BR-Drs. 213/11) sieht vor, dass der bisherige Wortlaut Abs. I wird und folgende Sätze angefügt werden: „Sie sollen über Kenntnisse auf den Gebieten der Kriminologie, Pädagogik und Sozialpädagogik sowie der JPsychologie verfügen. Einen Richter oder StA, dessen Kenntnisse auf diesen Gebieten nicht belegt sind, sollen die Aufgaben eines JRichters oder JStA erstmals nur zugewiesen werden, wenn der Erwerb der Kenntnisse durch die Wahrnehmung von einschlägigen Fortbildungsangeboten oder eine anderweitige einschlägige Weiterqualifi-
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zierung alsbald zu erwarten ist“. Folgende Abs. II und III sollen angefügt werden: „(II) Von den Anforderungen des Absatzes 1 kann bei Richtern und Staatsanwälten, die nur im Bereitschaftsdienst zur Wahrnehmung jrichterlicher oder jstaatsanwaltlicher Aufgaben eingesetzt werden, abgewichen werden, wenn andernfalls ein ordnungsgemäßer und den betroffenen Richtern und Staatsanwälten zumutbarer Betrieb des Bereitschaftsdiensts nicht gewährleistet wäre. (III) Als JRichter beim Amtsgericht oder als Vorsitzender einer JKammer sollen nach Möglichkeit Personen eingesetzt werden, die bereits über Erfahrungen aus früherer Wahrnehmung jgerichtlicher oder jstaatsanwaltlicher Aufgaben verfügen. Davon kann bei Richtern, die nur im Bereitschaftsdienst Geschäfte des JRichters wahrnehmen, abgewichen werden. Ein Richter auf Probe darf im ersten Jahr nach seiner Ernennung Geschäfte des JRichters nicht wahrnehmen“ (ablehnend der Rechtsausschuss des BR, BR-Drs. 213/1/11).
§ 38 Jugendgerichtshilfe § 38 Jugendgerichtshilfe (1) Die Jugendgerichtshilfe wird von den Jugendämtern im Zusammenwirken mit den Vereinigungen für Jugendhilfe ausgeübt. (2) Die Vertreter der Jugendgerichtshilfe bringen die erzieherischen, sozialen und fürsorgerischen Gesichtspunkte im Verfahren vor den Jugendgerichten zur Geltung. Sie unterstützen zu diesem Zweck die beteiligten Behörden durch Erforschung der Persönlichkeit, der Entwicklung und der Umwelt des Beschuldigten und äußern sich zu den Maßnahmen, die zu ergreifen sind. In Haftsachen berichten sie beschleunigt über das Ergebnis ihrer Nachforschungen. In die Hauptverhandlung soll der Vertreter der Jugendgerichtshilfe entsandt werden, der die Nachforschungen angestellt hat. Soweit nicht ein Bewährungshelfer dazu berufen ist, wachen sie darüber, dass der Jugendliche Weisungen und Auflagen nachkommt. Erhebliche Zuwiderhandlungen teilen sie dem Richter mit. Im Fall der Unterstellung nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 üben sie die Betreuung und Aufsicht aus, wenn der Richter nicht eine andere Person damit betraut. Während der Bewährungszeit arbeiten sie eng mit dem Bewährungshelfer zusammen. Während des Vollzugs bleiben sie mit dem Jugendlichen in Verbindung und nehmen sich seiner Wiedereingliederung in die Gemeinschaft an. (3) Im gesamten Verfahren gegen einen Jugendlichen ist die Jugendgerichtshilfe heranzuziehen. Dies soll so früh wie möglich geschehen. Vor der Erteilung von Weisungen (§ 10) sind die Vertreter der Jugendgerichtshilfe stets zu hören; kommt eine Betreuungsweisung in Betracht, sollen sie sich auch dazu äußern, wer als Betreuungshelfer bestellt werden soll. 1. Hw.: Rn 17, 19; § 107. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 2, III; § 104, 5. – 3. Sold. Rn 17. Richtlinien zu § 38: 1. Die Staatsanwaltschaft und das Gericht wirken darauf hin, dass der Bericht, in dem die Jugendgerichtshilfe ihre Erhebungen niederlegt, unter Verzicht auf Ausführungen zur Schuldfrage ein Bild von der Persönlichkeit, der Entwicklung und der Umwelt der beschuldigten Person ergibt. Der Bericht soll angeben, auf welchen Informationen er beruht. Werden im Bericht nicht alle vorliegenden Informationen verarbeitet, so soll dies zum Ausdruck gebracht werden. Es ist anzugeben, ob Leistungen der Jugendhilfe in Betracht kommen (§ 52 Abs. 2 SGB VIII). 2. Berichte der Jugendgerichtshilfe sind von der Akteneinsicht nach Nr. 185 Abs. 3 und 4 RiStBV grundsätzlich auszuschließen. Schrifttum: Arbeitsgruppe JGH in der DVJJ JGH – Standort u. Wandel, Zbl. 90, 554; Arbeitsstelle Kinder- u. JKriminalitätsprävention, Hrsg., Schnelle Reaktion, 2001; dies., Hrsg., Das JGHB@rometer, 2011; BAG JGH in der DVJJ, Standards für den Fachdienst JGH, 2. Aufl. 2001; Becker JGH als Institution sozialer Kontrolle, KrimJ 80, 108; Bex Beschlagnahme von Akten der JGerichts- u. JHilfe, DVJJ-J 00, 409; Bindel-Kögel „Also irgendwas Cooles sollte der machen . . .“ Handeln von Polizei u. JHilfe aus der Sicht delinquenter J., BewH 03, 358; Bottke Das JAmt
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als ermittelnde JGerichtshilfe – ein Unding?, Zbl. 80, 12; Brachold Der Beitrag der JGH zur strafprozessualen Sachvorbehaltsermittlung u. -bewertung, 1999; Breymann JGH „90“ Neuorientierung, DVJJ Rundbrief März 1990, 8; Brunner Spezialisierte JGH? Ein Beitrag aus richterlicher Sicht, Zbl. 72, 321; ders. JRichter u. JGHelfer nach 20 Jahren JGG, Zbl. 73, 53; ders. Die Eltern des volljährigen Hw. im Gerichtsverfahren, insbes. bei der Persönlichkeitserforschung durch den JGHelfer im Bereich der Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB), Zbl. 77, 366; ders. Justiz u. JGH in Praxis u. Wissenschaft – Partner oder zerstrittene Geschwister, in Stadt Essen – JAmt, Hrsg., Dokumentation des Fachforums JGH 2001; Bucher Ist das JGG in bezug auf die JGH reformbedürftig? Zbl. 87, 104; ders. JGH im Dilemma, Zbl. 87, 331; Bukowski Mehrfachtäter können identifiziert werden – Neue Möglichkeiten für die JGH-Statistik, BewH 01, 399; ders. Ein möglicher Indikator für die Qualität der JPflege. JDelinquenzdaten aus der Abteilung JGH, UJ 03, 383; BMJ, Hrsg., JGH – Quo vadis? 1991; Busch Zusammenarbeit JGH u. Justiz, Zbl. 85, 393; Dölling Datenschutz u. JGH-Bericht, BewH 93, 128; ders. JGH im reformierten JStrafverfahren, in DVJJ, Hrsg., J im sozialen Rechtsstaat, 1996 S. 417; Drewniak/Kreichelt/Enzmann/Mandel Selbstevaluation in der JGH: Vorstellung eines Evaluationsinstruments, ZJJ 10, 172; Dyck Erfahrungen mit der Spezialisierung der JGH, Zbl. 75, 425; Eisenberg Beschlagnahme von Akten der JGH durch das JGericht, NStZ 86, 308; Eisenberg/Singelnstein Die jgerichtliche Rezeption von Stellungnahmen der JGH, ZJJ 03, 354; Emig „JHilfe im Strafverfahren“: „Neuer Wein in alten Schläuchen?“ DVJJ-J 01, 51; Feldmann Sozialdatenschutz in der JGH, ZJJ 08, 21; Füllkrug Der JGHelfer als Zeuge vor Gericht, BewH 88, 249; Goerdeler JGerichtshilfe durch freie Träger, ZJJ 05, 422; Goerdeler/BAG JHilfe im Strafverfahren in der DVJJ, Hrsg., JHilfe im Strafverfahren, 2009; Grotenbeck Überlegungen zu gemeinsamen Fortbildungsmaßnahmen f. JRichter u. JGHelfer, Zbl. 77, 252; ders. Unterliegen Bericht u. Ahndungsvorschlag der JGH einer verwaltungsgerichtl. Nachprüfung?, Zbl. 81, 302; Harnach Psychosoziale Diagnostik in der JHilfe, 5. Aufl. 2007; Hauber Der JGerichtshelfer als „Sozialanwalt“ des j. Straftäters, Zbl. 80, 509; ders. Der Kompetenzstreit zwischen Psychiater u. Psychologen im JStrafverfahren, Zbl. 82, 157; Heck/Quirin Praxis nachgehender Betreuung in der JGH, Zbl. 89, 414; Heinz JGH in den 90er Jahren, BewH 88, 261; Heinz/Hügel Der Einfluß der JGH auf Sanktionsentscheidungen, BewH 88, 319; Hellmer Der JGHelfer im Spannungsfeld seiner Funktionen, RdJ 67, 309; Hoffmann Datenerhebung durch die JGH, ZJJ 05, 59; Hügel Es geht auch ohne JGH, BewH 88, 308; Jens Handbuch für die JGH, 1968; John Was nützt das Rollenkonzept für die Reform der JGH?, Zbl. 82, 10; Kiehl Zum pragmatischen Vordergrund u. den konzeptionellen Hintergründen von Problemen mit der örtlichen Zuständigkeit der JGH, DVJJ-J 97, 39; Klier/Brehmer/Zinke JHilfe in Strafverfahren – JGH, 1995; Kreutz Zwischen Scylla und Charybdis. JGerichtshilfe u. Zeugenschaft, UJ 01, 16; v. Kullwitz Berufsbild u. Tätigkeitsmerkmal des JGHelfers, Zbl. 75, 421; Kunkel Der Datenschutz in der JHilfe nach der Änderung des SGB, ZBl. 95, 354; ders. Hat der JGerichtshelfer ein Zeugnisverweigerungsrecht im Strafprozess?, ZJJ 04, 425; Laubenthal JGH im Strafverfahren, 1993; Lindemann Fürsorge für strafentlassene J, JWohl 63, 406; ders. Nachgehende Fürsorge der JGH, Kriminalistik 65, 38; Lux Die Schuldfrage als Brücke zur Persönlichkeitserforschung u. Vorschlag zum Strafmaß als Problem der JGH, Zbl. 78, 340; dies. Computer ante portas – JGH, was nun?, Zbl. 89, 414; dies. JGH-Statistik, 1993; Matenaer Die Beteiligung der JGH bei der Unterbringung von J u. Hw. in UHaft, Zbl. 83, 21; Mollik Elternarbeit in der JGH, ZJJ 08, 371; ders. Das Projekt „Neuanfang“: Durchgehende Betreuung im JStrafverfahren Dresden, ZJJ 09, 143; ders. Übergangsmanagement im JStrafverfahren, FS 10, 272; Momberg Die Ermittlungstätigkeit der JGH u. ihr Einfluß auf die Entsch. des JRichters, Diss. Göttingen 1982; ders. Der Einfluß der JGH auf die Entsch. des JRichters, MKrim. 82, 65; Müller-Dietz JGerichtsbarkeit u. Sozialarbeit, MKrim. 75, 1; Neuland/Berg Wie sieht der j. Strafgefangene das JAmt?, RdJ 64, 97; Nicolas JGH als JHilfe für straffällige J u. junge Volljährige, Zbl. 94, 159; Ostendorf Rückzug der JHilfe aus dem JStrafverfahren? NK 04, 101; Pfeiffer JGH als Brücke zwischen JHilfe u. JGerichtsbarkeit, Zbl. 80, 403; Philipp Betreuung durch die JGH, Zbl. 77, 393; Projahn Die psychologisch-pädagogische Diagnostik im Rahmen des JStrafverfahrens, ZJJ 03, 350; Reineke 100 Jahre JGH in Berlin, ZJJ 08, 229; Riekenbrauk Haus des Jugendrechts u. Sozialdatenschutz, ZJJ 11, 74; Schaffstein Aufgabe u. verfahrensrechtl. Stellung der JGH, FS Dünnebier 1982 S. 661; Schenker Die Zusammenarbeit JGH u. Polizei, Zbl. 77, 247; v. Schlotheim/Ullrich/Meng Praktische JGH, 1961; Scherr JGH als professionelle Praxis – Anforderungen und Konflikte, ZJJ 11, 175; Schrapper Sozialpädagogische Diagnostik – Anforderungen, Konzepte, Bausteine, ZJJ 03, 336; Seidel Die JGH in ihrer Ermittlungsfunktion u. ihr Einfluß auf richterliche Entscheidungen in JStrafverfahren gegen weibliche Jugendliche, 1988; Sontag Die prozessuale Stellung des Gerichtshelfers, NJW 76, 1436; Trede/Wesche J(gerichts)hilfen zwischen fachlichen Herausforderungen u. begrenzten finanziellen Ressourcen – am Beispiel Böblingen, ZJJ 04, 120; Trenczek Die JGH – das (un)bekannte Wesen im Kriminalverfahren, DVJJ-J 99, 151; ders. Was tut die JGH im Strafverfahren, DVJJ-J 99, 375; 00, 44; ders. JHilfe u. Strafjustiz, MKrim. 00, 259; ders. Stellungnahme der JHilfe im Strafverfahren, DVJJ-J 03, 35; ders. Die JGH ist im Umbruch – die Bewertung ihrer Praxis ist ambivalent, ZJJ 03, 141; ders. JGH: Aufgaben u. Steuerungsverantwortung, ZJJ 07, 31; Trenczek/Mörsberger JGH – Quo vadis?, Zbl. 90, 566; Ullrich Die nachgehende Fürsorge bei strafentlassenen J, RdJ 56, 75; ders. Sinn u. Aufgabe der JGH, Zbl. 70, 97; ders. Fünfzig Jahre JGH sind kein Grund zum Jubilieren, Zbl. 73, 60; ders. Der JGHelfer – Entwurf eines Berufsbildes, Zbl. 71, 253; ders. Wider den Gerichtsgeher, UJ 71, 412; ders. Nochmals: Wer unterschreibt den Ermittlungsbericht?, Zbl. 72, 125; ders. Das ist keine JGH, Zbl. 77, 337; ders. Delegierung – ungelöstes Problem der JGH, Zbl. 80, 216; ders. JGH bei jungen Ausländern, Zbl. 79, 244; ders. Arbeitsanleitung für JGHelfer, 1982; Viet Der Täter-Opfer-Ausgleich als eine Aufgabe der JGH, Zbl.
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88, 17; Vieten/Gross Die Anforderungen der Justiz an die JGH, Zbl. 97, 170; Wagner Die Stellung der JGH im JStrafverfahren, JWohl 80, 97; Walter Die ermittelnden, berichtenden u. beratenden Aufgaben der JGH, Zbl. 73, 485; ders. Organisation des Jugendamtes: JGH, 1976; Webers Datenschutz in der öffentlichen Jugendgerichtshilfe, 2005; Werner Die Persönlichkeitserforschung im JStrafverfahren, 1967; Weyel Der Einfluß der JGH auf Sanktionsentscheidungen, BewH 88, 313; ders. Haftentscheidungshilfe durch die JGH, Zbl. 92, 29; ders. Das einsame Siechtum der JGH in Deutschland, DVJJ-J 96, 246; ders. Qualität in der JGH u. die Möglichkeit der Selbstevaluation, Zbl. 00, 46; Wilbrand/Unbehend Praxisleitfaden für die JGH, 1995; Wild JGH in der Praxis, 1989; Zach JHilfe u. Strafjustiz – Streitthema ohne Ende?, DVJJ-J 96, 251. Übersicht 1. Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Träger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mitwirkung im Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 a) Betreuung und Hilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hilfe nach dem SGB VIII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 b) Unterrichtung vom Haftbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. In der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Persönlichkeitserforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Verwertung des Berichts in der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . 8. Kein Zeugnisverweigerungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Überwachende Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Nachgehende Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Die Heranwachsenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . JGH u. die Eltern des Hw. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Der Datenschutz des SGB VIII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Arbeit der Polizei und der Sozialarbeiter im Vorfeld; Krisenintervention
1.
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Rn 1 2 4 4b 4d 5b 6 11 12 13 14 15 16 17 19 19 b 20
Aufgabe
1 Ohne gute JGH könnten die JGerichte ihre Aufgaben nicht erfüllen. Durch Aufklärung und Vortrag der erz., sozialen und fürsorgerischen Gesichtspunkte (Rn 11) schafft die JGH die Voraussetzungen für gezielte Anwendung des JGG als Täterstrafrecht (Einf. I 3, 11, 12; Einf. II 23; § 43, 3; Momberg 1982 S. 40). Weiter hilft die JGH dem J (Rn 4 b–d, 16) und bereitet durch Unterstützung und Betreuung, Beratung und Leitung des J, aber auch durch seine Überwachung und durch Zusammenarbeit mit der BewHilfe (Rn 15) den Boden für den Erfolg der vom JGericht getroffenen Maßnahmen. Somit hilft die JGH gleichzeitig dem Gericht und dem Täter (BGH NJW 05, 766; OLG Frankfurt NStZ-RR 96, 251; Dallinger/Lackner 5; Wilbrand/Unbehend S. 6). Die JGH ist aber weder Gehilfe der Polizei oder des JStA noch Verteidiger oder Vertreter des J oder dessen ErzBerechtigter (Dirnaichner Der nordamerikanische Diversionsansatz, 1990 S. 176). Vgl. auch § 45, 13 aE. 1 a In der neueren Diskussion um die JGH wird diese verstärkt als Organ der JHilfe gesehen und deren Abgrenzung von der Justiz gefordert (vgl. zu den verschiedenen Standpunkten Arbeitsgruppe JGH in der DVJJ: JGH – Standort u. Wandel, Zbl. 90, 554; BMJ, Hrsg., JGH – Quo vadis?, 1991; Dokumentationen der Bundeskongresse JGH, DVJJ-J 91, 327; 95, 7; 97, 224; 00, 213). Die Aufgaben der JGH werden in der Unterstützung der j. Beschuldigten, dem Angebot von Leistungen der JHilfe und dem Hinwirken auf eine aus der Sicht von Sozialpädagogik und JHilfe sachgerechte Erledigung des JStrafverfahrens gesehen, nicht in „Dienstleistungen“ für die Justiz (vgl. Klier/Brehmer/Zinke S. 15 ff). Nach DSS/Sonnen 14 geht es im JStrafverfahren dann um eine Kooperation durch fachliche Konfrontation, wobei die JGH die sozialarbeiterische/sozialpädagogische Gegenmacht zur Justiz mit ihrer strafrechtlichen Orientierung vertrete. Nach Zach (DVJJ-J 96, 251) soll sich die JGH als „eine Sozialanwaltschaft bzw. auch als ein Systemfehler in der Bannmeile der JStrafjustiz“ verstehen. – Im geltenden Recht kommt der Auftrag der JGH zur JHilfe vor allem dadurch zum Ausdruck, dass sie Leistungen der JHilfe für die j. Beschuldigten prüft und ggf. in die Wege leitet (§ 52 II SGB VIII) und die Gesichtspunkte der Sozialpädago-
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gik und JHilfe in das JStrafverfahren einbringt, ua durch Betreuung der J und Hw. und durch den Reaktionsvorschlag (§ 38 II 1, 2). Die JGH hat aber auch durch sorgfältige und möglichst objektive Ermittlung und Berichterstattung zur Persönlichkeit des jungen Beschuldigten die justizielle Entscheidung vorzubereiten (§ 38 II 2, 3; Brachold S. 10, 26; Miehe in Jugendstrafrecht an der Wende S. 150) und außerdem an deren Umsetzung mitzuwirken (§ 38 II 5–9). Insoweit ist die JGH in die Aufgaben der JStrafrechtspflege eingebunden. Es ist zweifelhaft, ob ein Wegfall dieser Einbindung de lege ferenda für die J und Hw. von Vorteil wäre (Dölling in DVJJ, Hrsg., J im sozialen Rechtsstaat, 1996 S. 425 ff). Für diese derart umschriebene, wichtige und neutrale Aufgabe ist die JGH als bes. Institution ge- 1 b schaffen (Rn 2), die als Prozessorgan eigener Art (BGH NJW 05, 766; OLG Frankfurt NStZ-RR 96, 251) eine bedeutsame Rechtsstellung im Verfahren gegen J und Hw. hat (Rn 5); auf ihre Mitwirkung kann nur in den in Rn 9 aufgeführten Fällen verzichtet werden (s. auch § 104, 5). Dieser bedeutsamen Stellung der JGH entspricht ihre Konzeption als eigenständige, selbstverständlich auch gegenüber der Justiz selbständige, spezialisierte JGH (dazu Brunner Zbl. 72, 321; Ullrich Arbeitsanleitung, 1982 S. 21; Momberg 1982 S. 317; Ostendorf DVJJ-J 97, 242; Weyel DVJJ-J 96, 259; Wild 1989 S. 49, 50, 206). Zur Mitwirkung der JGH bei Straftaten von Hw. Rn 17; bei jungen Ausländern Einf. I 20 a. Die seit 1994 geltenden RL zu § 50 haben zwar die Formulierung der alten RL 5 zu § 50 nicht übernommen, wonach der Vertreter der JGH „in der Hauptverhandlung weder als Gehilfe der StA noch als Verteidiger oder Vertreter des J oder seines ErzBerechtigten“ auftritt. Hierdurch sollte jedoch nicht an der neutralen Stellung und Aufgabe der JGH (Brachold S. 26) gerüttelt werden. 2.
Träger
Die JGH ist Pflichtaufgabe des JAmtes, sollte dort aber eigenständig und weithin selbstverant- 2 wortlich arbeiten können. Das JAmt wirkt mit den Vereinigungen der (freien, privaten) JHilfe zusammen (Abs. I). Diese haben damit ein Recht auf Beteiligung und Mitwirkung. Das JAmt kann im Rahmen des JGG die Geschäfte der JGH auf die freien Vereinigungen widerruflich übertragen, behält aber auch dann die Verantwortung für eine sachgemäße Erledigung; eine Pflicht zur Übertragung einzelner Aufgaben besteht nicht. Bei schwerer Kriminalität und wenn Widerstand zu erwarten ist, sollte nicht übertragen werden, weil die JGH hoheitliche Befugnisse und auch die größere Autorität hat. Die örtliche Zuständigkeit des JAmts richtet sich nach § 87 b iVm §§ 86 I bis IV und 86 a I und III 3 SGB VIII. Danach ist grds. bei J der gewöhnliche Aufenthalt der Eltern und bei Hw. deren gewöhnlicher Aufenthalt maßgeblich (Eisenberg 51; Ostendorf 5; Kiehl DVJJ-J 97, 39; Laubenthal 1993 S. 43; für Zuständigkeit des JAmts des Gerichtsbezirks in entsprechender Anwendung von § 143 GVG nach altem Recht Becker NJW 54, 337; Dallinger/Lackner 17). Andere JÄmter können im Wege der Amtshilfe gehört werden (Eisenberg 51; Kiehl aaO, 42). Bei Geburt im Ausland und fehlendem Aufenthalt im Inland ist nach § 88 I 2 SGB VIII das Land Berlin zuständig (Sommerfeld ZJJ 10, 404). 3.
Mitwirkung im Verfahren
Die JGH muss immer (Ausnahme: Rn 9) so früh wie möglich (dazu Rn 4 d) und für das ganze 4 Verfahren eingeschaltet werden (Abs. III 1, 2; § 43 RL 6; BGH 27, 250), auch und bes. bei jungen Ausländern (Einf. I 20 a; BGH H MDR 80, 456; BGH StV 82, 337) und bei Hw., auch wenn sie zwischenzeitlich erw. sind (Rn 17–19 b). Deshalb sollte bereits die Polizei die JGH verständigen (HK-GS/Hartmann § 160 StPO 20; Bedenken bei Hügel BewH 88, 309), sobald der Stand der Ermittlungen dies erlaubt und anzeigt, und zwar bei länger dauernden Ermittlungen schon vor Abgabe der Ermittlungen an die JStA, in Zweifelsfällen mit deren Einverständnis. Zwar vermeidet die jetzige RL 6 zu § 43 im Gegensatz zu RL 5 (alt) den Hinweis auf die Polizei. Diese ist aber zwangsläufig mit eingeschlossen, denn was sollte es sonst besagen, dass die StA auf die Verstän-
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digung des JAmtes hinwirkt, sobald der Stand der Ermittlungen dies erlaubt. Wenn das Verfahren bereits bei ihr ist, „wirkt“ sie nicht „darauf hin“, sondern verständigt sie das JAmt. Die StA sollte von der Polizei die gleiche Mitteilung erhalten, um eine klare Lage zu schaffen. Nach Nr. 3. 2. 7 der bundeseinheitlichen Polizeidienstvorschrift PDV 382 (abgedruckt in DVJJ-J 97, 5) unterrichtet die Polizei das JAmt unverzüglich, wenn erkennbar wird, dass Leistungen der JHilfe in Frage kommen. Nach empirischen Untersuchungen (Heinz BewH 88, 280 mwN; Trenczek MKrim. 00, 271) wird die JGH überwiegend erst von der JStA durch Übersendung eines Durchschlags der Anklage oder des Antrags auf Entscheidung im Vereinfachten JVerfahren informiert. Dass die JGH möglichst frühzeitig informiert werden soll, ist unbestritten. Es will aber bedacht sein, dass ein in Verdacht geratener Unschuldiger vor voreiligen Eingriffen in seine Privatsphäre bewahrt werden muss (vgl. näher § 43, 16; Wild 1989 S. 59 mwN). In solchen Fällen muss abgewogen werden. Verspätete Einschaltung der JGH wiederum kann die Aufklärungsrüge begründen (BGH StV 82, 336). Bei Haftbefehlen wird die gebotene frühzeitige Verständigung der JGH durch § 72 III 4 sichergestellt (dazu Rn 5 b). Vgl. § 43, 16. 4 a Zentrale Aufgaben der JGH sind die Erforschung von Persönlichkeit, Entwicklung und Umwelt des Beschuldigten (BGH NJW 05, 766; Rn 11), der schriftliche Bericht über deren Ergebnis (Rn 12) und Mitwirkung und Vortrag in der Hauptverhandlung (Rn 6–9, bes. 6 a). Weitere wesentliche Aufgaben sind: Beratung des Gerichts bei Weisungen und Auflagen (Abs. II 2 u. III 3; vgl. Rn 4 d); Äußerung insbes. bei der Auswahl des Betreuungshelfers (Abs. III 3 HS 2; § 10, 10); falls der Richter nicht eine andere Person als Betreuungshelfer bestellt hat, Übernahme von Betreuung und Aufsicht (Abs. II 7); Überwachung der Weisungen und Auflagen, falls nicht ein BewHelfer die Erfüllung überwacht (Rn 15); beschleunigte Nachforschungen in Haftsachen und Informierung des JRichters (dazu Rn 5 a u. b); Vorbereitung und Hilfe bei möglicher informeller Erledigung (Diversion; §§ 45, 47; vgl. Einf. II 11 aE; § 45, 11 u. bes. 19 a), bei Absehen von der Anklageerhebung in BtM-Sachen (vgl. § 45, 43) und der Zurückstellung der Strafvollstreckung in BtM-Sachen (vgl. § 17, 23). Im Übrigen soll die JGH möglichst weitgehend herangezogen werden, auch wenn das nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist (zB bei der Änderung von Weisungen, § 11 RL 1). Dabei müssen JGH, JGericht und JStA möglichst eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Nur so kann die JGH ihre wichtige Aufgabe voll erfüllen, ohne dass das Verfahren über Gebühr verzögert wird (§ 43, 16). Die erwünschten mündlichen Besprechungen zwischen JGH, JStA und JRichter dürfen natürlich nicht dazu dienen, schon vor der Hauptverhandlung eine bestimmte Meinung zu erarbeiten (Roestel Zbl. 65, 5), also offene, auch gegensätzliche Aussprache, aber keine Mauschelei.
3 a)
Betreuung und Hilfe
4 b Gleichrangig neben der Mitwirkung im Verfahren und den Aufgaben der JStA und dem JGericht gegenüber stehen die Betreuung und Hilfe für in Straftaten verwickelte junge Menschen (BGH NJW 05, 766; Schaffstein FS Dünnebier, 1982 S. 666), wobei allerdings die in diesem Zusammenhang häufig gewählte Bezeichnung „Klient“ eine etwas emotionale Gewichtung und unnötige Dramatisierung von Rollenkonflikten befürchten lässt (dazu John Zbl. 82, 10; Walter Zbl. 73, 485; Eisenberg 37, der auf die Antinomie zwischen Strafverfolgung als [idR] einem [reaktiven] Angriff auf den J und der Hilfe als Ausdruck von „Schutz und Förderung“ hinweist; dazu Rn 4 c). Offenheit, Klarheit und Wahrheit von der ersten Begegnung an kann, wie vielfache Erfahrung zeigt, gerade das Vertrauensverhältnis aufbauen, welches Hilfe möglich und fruchtbar macht (vgl. Rn 5 a, 14). Der junge Mensch, auf den ein Strafverfahren zukommt, ist in einer außerordentlichen Situation, die Hilfe fordert und sozialpädagogischen Erfolg verspricht (vgl. Bucher Zbl. 87, 333). Der JGHelfer kann und muss auf die aktuelle Lebenssituation, auch auf das soziale Umfeld eingehen. Hierzu gehören das ruhige Gespräch, das seine Zeit fordert, vor allem aber die Erhaltung oder Wiederherstellung des Kontaktes zu Eltern, ErzBerechtigten oder anderen Be-
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zugspersonen, Vermittlung von Wohnung, anderweitige Unterbringung, Mitsorge für Ausbildung, Arbeit und Schuldenregelung. Dazu kommen Hilfen, die einen drohenden Haftbefehl vermeidbar machen können. Neben der Verpflichtung, in Haftsachen beschleunigt zu berichten (Abs. II 3; dazu Rn 5 b u. c), sind gerade für junge UHäftlinge Hilfen durch den JGHelfer (Besuche § 72 b iVm § 148 StPO) notwendig und bes. erfolgreich. Ganz wichtig ist die Vorbereitung auf die Hauptverhandlung (dazu Einf. I 53; RL 3 S. 1 zu § 50; Berg RdJ 64, 103; Brunner FS Böhm, 1999 S. 801) und auf zu erwartende Rechtsfolgen (Peters JWohl 51, 275). Zur Mitarbeit von Psychologen in der JGH s. Altner DVJJ-J 00, 302). Viele Hilfen sind eng verflochten mit den Pflichtaufgaben der Justiz gegenüber; das sollte 4 c man auch sehen und nicht nur Konflikte in den Vordergrund drängen. Diese Hilfsfunktion wird auch dadurch deutlich, dass der JGHelfer von Amts wegen die Betreuung und Aufsicht bei Unterstellung unter einen Betreuungshelfer ausübt, falls nicht der JRichter, wiederum unter Mithilfe des JGHelfers (Abs. III 3 HS 2), eine andere Person damit betraut (Abs. II 7). Stets berät er den JRichter kraft Gesetzes bei der Auswahl (Abs. III 3 HS 2; näher § 10, 10). Diese Verflechtung wird auch sichtbar bei dem Versuch, die Eltern oder ErzBerechtigten zu erz. Maßnahmen anzuregen, die dem JStA die Einstellung des Verfahrens erlauben (§ 45 II; für den Richter § 47 I Nr. 2). Auf der gleichen Linie liegt die Vorbereitung des J auf eine informelle Erledigung des Verfahrens (§ 45, 19 a, 22; Einf. II 23) und die Unterrichtung des JStA über individuell geeignete faktische Möglichkeiten für Auflagen. Das gilt ganz allg. auch für den Nachweis geeigneter Stellen für Arbeitsweisungen (§ 10, 9), für Hilfe bei Entziehungskuren (§ 10, 18) und heilerz. Behandlung (§ 10, 15). Dazu gehört auch die Auslotung und Anbahnung eines Täter-Opfer-Ausgleichs (§ 10, 12; § 45, 8 aE), um dem Beschuldigten hierdurch günstige Möglichkeiten zu eröffnen (vgl. Viet Zbl. 88, 17). Hilfen für ein Absehen von der Anklageerhebung in BtM-Sachen (§ 45, 44) und für eine Zurückstellung der Strafvollstreckung in BtM-Sachen (§ 17, 18), etwa durch Besorgung eines Therapieplatzes, durch Erzeugung oder Stärkung der Motivierung und Beistand beim Durchhalten und bei den notwendigen Nachweisen sind ebenfalls zu nennen (zur Drogenhilfe als Aufgabe des JAmtes Hubert Zbl. 96, 502; Ziegler Zbl. 97, 177; zur Zusammenarbeit zwischen Straffälligenhilfe u. Drogenhilfe Meyer BewH 97, 168). Selbst die Überwachung kann zugleich Hilfe sein (näher Rn 15). Zu Hilfen für junge Ausländer Einf. I 19 ff. Bei Hw., auch noch bei inzwischen Erw. (BGH StV 82, 336 mit zust. Anm. Gatzweiler), gehen die erz. Hilfen der JGH mehr in Sozialisationshilfen über (dazu Rn 17 aE). Zur Problematik der Betreuung von HIV-Positiven u. Aidskranken § 24, 4 a. Zur nachgehenden Betreuung (Rn 16) ist der Übergang fließend. Zur umstrittenen Zusammenarbeit mit der Polizei u. Hilfen vor Ort Rn 20–22. Auch § 52 I SGB VIII verpflichtet das JAmt, den JGHelfer also, nach Maßgabe der §§ 38, 50 III 2 4 d JGG im Verfahren nach dem JGG mitzuwirken. Der Mitarbeiter des JAmtes oder eines anerkannten Trägers der freien JHilfe, der nach § 38 II 2 JGG tätig wird, ist nach § 52 III SGB VIII gehalten, den J oder den Hw. während des gesamten Verfahrens zu betreuen. Dieser Auftrag zur Hilfe (Rn 4 b u. c) verpflichtet den JGerichtshelfer, frühzeitig zu prüfen, ob für den J oder Hw. Leistungen der JHilfe nach dem SGB VIII in Betracht kommen (§ 52 II 1 SGB VIII). Dem JAmt stehen dazu die gesamten Hilfen des SGB VIII nach dessen Voraussetzungen und Begrenzungen zur Verfügung. Zu diesen Hilfen für J u. Hw. im Einzelnen § 45, 19 a. Dies setzt voraus, dass die JGH so früh wie möglich von Ermittlungen gegen einen J oder Hw. unterrichtet wird (Rn 4). Kommen Leistungen der JHilfe in Betracht oder ist eine geeignete Leistung bereits eingeleitet oder gewährt worden, hat der JGHelfer nach § 52 II 2 SGB VIII den StA oder den Richter umgehend davon zu unterrichten, damit geprüft werden kann, ob ein Vorgehen nach §§ 45, 47 möglich ist (vgl. dazu § 45, 19 a ff). Frühzeitige Prüfung der Möglichkeit, Hilfen nach dem SGB VIII einzusetzen, und Unterrichtung des StA oder Richters kann auch der Wahl des gerichtlichen Verfahrens (§§ 76 ff) und der Vermeidung von UHaft dienen (vgl. Rn 5 c). Um die Mitwirkung der JGH sicherzustellen, hat sie bestimmte Verfahrensrechte. Die JGH darf 5 mit Verhafteten mündlich und schriftlich verkehren (§§ 72 b JGG, 148 StPO; vgl. Rn 5 b u. c),
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kann in der nicht öffentlichen Hauptverhandlung, deren Zeit und Ort ihr mitzuteilen sind (§ 50 III 1; Rn 6; § 50, 12), anwesend sein (§ 48 II) und das Wort ergreifen (§ 50 III 2; dazu Rn 7; § 50, 13). Zur Ausschließung des J und von Angehörigen von der Hauptverhandlung im Interesse der Arbeit der JGH: Rn 14 b u. § 51, 2 u. 6. Sie soll möglichst schnell von der Tat unterrichtet werden (§ 43 RL 6 S. 2; Rn 4). Von der Vollstreckung eines Haftbefehls muss sie unverzüglich unterrichtet werden (§ 72 a 1 HS 1; Rn 5 b), schon der Erlass eines Haftbefehls soll möglichst mitgeteilt werden (§ 72 a 1 HS 2; Rn 5 b); vor der Erteilung von Weisungen ist sie zu hören (Abs. III 3 HS 1; vgl. Rn 4 c), und auch zur Person des Betreuungshelfers soll sie sich äußern (Abs. III 3 HS 2). Im Übrigen hat sie das Recht auf laufende Mitteilungen (§ 70 JGG, Nr. 32 MiStra). Dazu auch Rn 12 aE. Es sollte im Interesse des J und der abschließenden Entscheidung lieber eine Mitteilung – beiderseits – zu viel, lieber eine nicht vorgeschriebene Anhörung mehr erfolgen, als eine Möglichkeit, das Richtige zu treffen, zu verspielen. 5 a Die Betreuung und Hilfe für den J hat große Bedeutung (Rn 4 b-d). Wenn aber Hauber (Zbl. 80, 517) de lege ferenda eine gewisse Annäherung der JGH an die Stellung des Beistandes (§ 69) befürwortet und sich davon erweiterten Rechtsschutz, verbesserten ErzProzess und Aufwertung der Stellung des JGHelfers verspricht, so kann dem nicht gefolgt werden; ebenso Schaffstein (FS Dünnebier, 1982 S. 666), der die JGH als „Sozialanwalt“ oder eine Art von Beistand auch de lege ferenda nicht für wünschenswert hält. Man sollte dem JRichter nicht Sorge wegen „Kompetenzbeschneidung“ (Hauber aaO, S. 518) unterstellen und meinen, er betrachte den JGerichtshelfer als „willfährigen Ermittlungshelfer“ (Hauber aaO), wenn er die Mitwirkung der JGH für unverzichtbar, aber zugleich entsprechend der klaren gesetzlichen Definition als Prozessorgan eigener Art (Rn 1 b) und der Bewährung solcher „neutralen“ Hilfe in der Praxis, deren freie Stellung im Interesse gerade des J und des Gelingens erz. Einwirkung bewahrt wissen will. Es muss bezweifelt werden, ob eine derartige Wendung die Wirksamkeit der JGH im Verfahren, auch die notwendige Persönlichkeitsaufklärung, fördern und damit letztlich dem J nutzen könnte (vgl. Rn 1 a). 3 b)
Unterrichtung vom Haftbefehl
5 b Die JGH ist unverzüglich von der Vollstreckung eines Haftbefehls zu unterrichten (§ 72 a HS 1 u. RL; vgl. auch Nr. 32 MiStra). Diese zwingende Vorschrift gewährleistet die möglichst frühzeitige Einschaltung der JGH (Rn 4) und soll deren rasche Hilfe sichern, um mit möglichst vollständigen Erkenntnissen über die Persönlichkeit des Beschuldigten und seine Umwelt die UHaft iSd Subsidiaritätsgrundsatzes (Einf. II 18–21) aufzuheben oder wenigstens abkürzen zu können oder Möglichkeiten der Haftverschonung aufzutun (§ 72, 4 u. 8; auch 2). Zugleich wird die JGH als Hilfe für den Beschuldigten eingeschaltet (dazu Rn 4 b; § 93, 7). 5 c Der JGH soll bereits der Erlass eines Haftbefehls mitgeteilt werden (§ 72 a 1 HS 2 u. RL). Bei Vorführung vor den Ermittlungsrichter fallen Erlass und Vollzug idR zusammen. Bei Erlass eines Haftbefehls und gleichzeitiger Außervollzugsetzung wird stets diese Mitteilung zu machen sein. Wo eine Mitteilung bereits bei Erlass eines Haftbefehls gemacht wird, können rasche und gründliche Nachforschungen der JGH uU noch vor dessen Vollzug zur Aufhebung oder zumindest zur Außervollzugsetzung führen und den J vor UHaft bewahren. Dazu § 72, 2 u. 7. 5 d Bereits von der vorläufigen Festnahme eines J ist die JGH zu unterrichten, wenn nach dem Stande der Ermittlungen zu erwarten ist, dass der J gem. § 128 StPO dem Richter vorgeführt wird (§ 72 a 2 u. RL). Diese Mitteilung ist zwingend, um der JGH rasche Einschaltung zu ermöglichen (vgl. oben zum Erlass); erwarten ist mehr, als damit rechnen müssen. 5 e Dies alles wird man auch für den Sicherungshaftbefehl nach § 453 c StPO gelten lassen müssen, vor allem, wenn die Unterstellung unter einen BewHelfer abgelaufen ist (§ 24 I 1; vgl. auch § 61, 4). Gerade in diesem Bereich können gründliche Ermittlungen Leerlauf vermeiden und den J entlasten.
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Diese Mitteilungen wird der StA oder der JRichter anordnen, der den Haftbefehl erlässt (RL zu 5 f § 72 a). Der Sicherstellung der Ausführung wird ein – vorgedruckter – Vermerk auf dem Haftbefehlsformular dienen. Für den Fall der vorläufigen Festnahme werden Regelungen getroffen werden müssen. Es bietet sich an, die Polizei zu verpflichten, den StA zu verständigen, der dann ggf. die JGH informiert. Diesem Recht auf Mitteilung (Rn 5 b) und dem Recht, mit dem Inhaftierten mündlich und 5 g schriftlich zu verkehren (§ 72 b; § 148 StPO), steht die Verpflichtung der JGH gegenüber, beschleunigt über ihre Nachforschungen zu berichten (Abs. II 3), sie natürlich auch bevorzugt und gründlich durchzuführen (vgl. Heinz BewH 87, 5; Matenaer Zbl. 83, 21; 85, 158 u. BewH 87, 41; Reinicke BewH 87, 35; Dünkel ZfStrVo 85, 340). Insbes. sollen Alternativen zur Vermeidung von UHaft dargetan werden, wie etwa zuverlässige Hilfe durch die Eltern, ausreichende Meldepflichten, helfende Verbindung zu Vertrauenspersonen, geeignete und ausreichende Weisungen und Auflagen, wie Aufenthaltsbeschränkungen, Weisungen, einen bestimmten Aufenthalt zu nehmen, Abgabe der Fahrerlaubnis, der Personalpapiere oder geeignete Heimunterbringung (insges. zu Rn 5 b–g vgl. § 72 a, 1–4). Zur Ausstattung der JGH insbes. im Hinblick auf die Haftentscheidungshilfen § 72 a, 1 aE. Zu Möglichkeiten für ein schnelles Reagieren der JHilfe s. Arbeitsstelle Kinder- u. JKriminalitätsprävention, Hrsg., Schnelle Reaktion, 2001. 4.
In der Hauptverhandlung
In die Hauptverhandlung soll der Vertreter der JGH entsandt werden, der die Nachforschun- 6 gen angestellt hat (Abs. II 4). Denn dieser kennt den Angeklagten, ihm vertraut dieser, und nur der ermittelnde JGHelfer ist in der Lage, auch über jüngste, uU wesentliche Entwicklungen zu unterrichten. Es handelt sich zwar nur um eine Sollvorschrift, ihre Nichtbeachtung kann aber die Aufklärungspflicht verletzen (vgl. allg. Rn 8). Deshalb muss nach § 50 III 1 der JGH Ort und Zeit der Hauptverhandlung rechtzeitig mitgeteilt werden (näher § 50, 12). Ist diese Mitteilung unterblieben und ohne Vertreter der JGH verhandelt worden, verfällt das Urteil der Revision (BGH NStZ 82, 257; zu mehrtägigen Sitzungen § 50, 12; Ausnahmen Rn 9). Das gilt auch, wenn sich der für den Mitangeklagten erschienene JGHelfer kurz äußert, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass der zuständige JGHelfer durch seinen Vortrag die Bemessung der Strafe zugunsten des Angeklagten hätte beeinflussen können (BGH StV 89, 308). Einen Vertreter des JGHelfers, der ermittelt hat, wird man dann akzeptieren können, wenn er sich angemessen mit dem Fall vertraut gemacht, vor der Hauptverhandlung zumindest das Notwendigste mit dem Angeklagten besprochen hat und auch über letzte Entwicklungen orientiert ist (Brunner Zbl. 72, 321, 323; Wild 1989 S. 174); gerade in einfacher gelagerten und nach der Persönlichkeit „klaren“ Fällen kann der Beschleunigungsgrundsatz eine solche Lösung empfehlen und rechtfertigen. Der viel beredete „installierte Gerichtsgeher“ aber kann keinesfalls toleriert werden. In der öffentlichen Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Bundestages am 16. 2. 1990 hat Klier Abs. II 4 als Schritt in die richtige Richtung bezeichnet, aber hinzugefügt, die Stellung des JGHelfers bleibe marginal, solange das Gesetz nicht von der Vertreterformel abrücke (DVJJ Rundbrief März 1990 S. 13). Es kann aber das sog. Regionalprinzip entschärfen, nämlich die vereinbarte Zuständigkeit des JRichters, des JStA, der JGH und des BewHelfers für den gleichen Bezirk, wo dies machbar ist. Auch § 52 III SGB VIII versucht, den „Gerichtsgeher“ auszuschließen. Die JGH hat nach §§ 38, 50 III ein Recht zur Mitwirkung in der Hauptverhandlung. Über die 6 a Ausübung dieses Rechts hat sie nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die Entscheidung hat sich an den Aufgaben der JGH nach § 38 JGG und § 52 SGB VIII zu orientieren. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Hauptverhandlungen angesichts der hohen Diversionsquote (§ 45, 5) idR Fälle von Gewicht zum Gegenstand haben werden, dann, wenn sich der Fall als Bagatelle herausstellt, eine Beschränkung der Sanktion geboten ist und das Erscheinen vor Gericht für J regelmäßig eine schwierige Ausnahmesituation darstellt, in der eine Abstützung durch die JGH
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geboten sein kann (Vieten-Gross Zbl. 97, 173 f). Das Mitwirkungsrecht verdichtet sich zur Mitwirkungspflicht, wenn das Gericht in Erfüllung seiner Aufklärungspflicht die Mitwirkung der JGH für erforderlich hält (OLG Karlsruhe NStZ 92, 251 mit insoweit zust. Anm. Schaffstein; OLG Brandenburg DVJJ-J 02, 351, 352 mit insoweit abl. Anm. Trenczek; LG Trier NStZ-RR 00, 249 = Zbl. 00, 398 mit abl. Anm. Eisenberg = DVJJ-J 00, 186 mit abl. Anm. Sonnen u. Krahmer DVJJ-J 00, 314 u. krit. Besprechung Bex DVJJ-J 00, 409; Laubenthal 1993 S. 191; aA Nix Zbl. 05, 326). Nach LG Bremen NJW 03, 3647 hat die JGH regelmäßig an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Vgl. auch Brunner JR 78, 175. Zu den kostenrechtlichen Folgen des Ausbleibens der JGH s. § 50, 12. 7 Die JGH hat in der Hauptverhandlung nicht das Recht, Fragen oder Beweisanträge zu stellen (OLG Frankfurt NStZ-RR 96, 251; Eisenberg 28; Ostendorf § 50, 14) und Rechtsmittel einzulegen (OLG Frankfurt aaO; Eisenberg 31). Der Wegfall des in der alten RL 5 S. 2 zu § 50 enthaltenen Hinweises, dass die JGH nicht das Recht hat, an die Prozessbeteiligten Fragen zu stellen (§ 240 StPO), in den jetzigen RL ändert am Nichtbestehen eines förmlichen Fragerechts nichts. Natürlich kann die JGH Anregungen geben, und der Richter kann ihr im Einzelfall auch gestatten, den Angeklagten direkt zu befragen. Akteneinsicht der JGH kommt nach § 478 II, III StPO in Betracht. Es ist auch nicht Sache der JGH, j. Zeugen über die Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts zu belehren (BGH 9, 197), wenn sich auch der Vorsitzende durch sie unterstützen lassen darf (Potrykus NJW 57, 1137). 8 Wird die JGH nicht herangezogen, obgleich ihre Mitwirkung vorgeschrieben ist (Abs. III 1), liegt allein darin ein Verfahrensverstoß (§§ 38 III, 50 III), auf dem das Urteil idR beruht (BGH 6, 356; 27, 250; BGH Dallinger MDR 56, 146; BGH Herlan GA 61, 358; BGH H MDR 80, 456; BGH StV 82, 27; 336; 93, 536; 01, 172; BayObLG Rüth DAR 71, 207; OLG Hamburg GA 58, 57; OLG Saarbrücken NStZ-RR 99, 284; Dallinger/Lackner 54; Eisenberg 52; Schaffstein/Beulke S. 225, 226). Zu einem Ausnahmefall, in dem das Beruhen ausgeschlossen war, BGH B NStZ-RR 00, 323. Zumeist wird mit §§ 38 III und 50 III zugleich die Aufklärungspflicht (§ 43, § 244 II StPO) verletzt (dazu auch Rn 6 a; § 43, 4; § 50, 12): BGH EJF C I 1; BGH 27, 250 = JR 78, 175 mit zust. Anm. Brunner; BGH StV 89, 308; BayObLG bei Rüth DAR 71, 207; OLG Stuttgart OLGSt § 50 S. 3; OLG Karlsruhe MDR 75, 422; LG Bonn NStZ 86, 40. Für Hw. § 50, 12 aE; für j. Ausländer Einf. I 20. 8 a Wegen der bes. Bedeutung folgende Einzelfälle aus der Rechtsprechung: Selbst wenn der Bericht des JGHelfers über den Sachverständigen verwertet und auf den Hw. JStrafrecht angewendet wird, rechtfertigt es die Revision, wenn dem Vertreter der JGH Ort und Zeit der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt wurden und er deshalb in der Hauptverhandlung nicht anwesend war; denn es könnte dadurch die Entscheidung über die Strafhöhe beeinflusst sein (BGH VRS Bd 53 [77], 126 gegen BGH Urt. v. 28. 8. 1962 – 5 StR 314/62, das noch die Verwertung des Berichts genügen ließ). Nimmt der JGHelfer am 1. Sitzungstag frei und wird dann die Verhandlung wegen dessen Erkrankung ohne JGH zu Ende geführt, steht dies unterbliebener Ladung gleich (BGH StV 89, 308). Ein Verfahrensverstoß liegt auch vor, wenn statt der JGH die Gerichtshilfe unterrichtet wird (BGH StV 01, 172). Auch ein ausdrücklicher Verzicht des Verteidigers auf die Anwesenheit der JGH ist unbehelflich (BGH StV 82, 27; OLG Karlsruhe MDR 75, 422), denn der Umfang der sich aus § 244 II StPO ergebenden Aufklärungspflicht ist der Disposition des Angeklagten entzogen. Ein solcher Verstoß gegen die Aufklärungspflicht kann auch in der Nichtanhörung in der Sitzung liegen, selbst wenn die JGH nicht um das Wort gebeten hat (BGH RdJ 61, 313). Doch besagt § 38 III 1 nicht, dass es ohne schriftlichen oder mündlichen Bericht der JGH überhaupt nicht geht; denn es sind Fälle denkbar, in denen ein entsprechender Bericht nicht erstattet werden kann (BGH Herlan GA 59, 340). Nach OLG Koblenz (MDR 73, 873) bedarf es im Berufungsverfahren nicht immer einer nochmaligen Anhörung des JGHelfers; dies dürfte aber nur in Ausnahmefällen zutreffen und wird auch von Eisenberg 55 als zu weitgehend bezeichnet. In jedem Fall wird ein solcher Verstoß grds. nur den Straf-, nicht den Schuldspruch berühren (BGH H MDR 80, 456; OLG Karlsruhe MDR 75, 422).
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Nimmt die JGH die Hauptverhandlung nicht wahr, obwohl ihr Ort und Zeit ordnungsgemäß 8 b mitgeteilt worden ist, so hat das Gericht „lediglich“ nach allg. Grundsätzen zu prüfen, ob von der JGH weitere Aufklärung zur Frage der Anwendung von JStrafrecht (§ 105 I) oder zur Wahl der Rechtsfolgen und Bemessung der Strafe zu erwarten ist (BGH 27, 250 = JR 78, 175 mit Anm. Brunner; BGH NStZ-RR 03, 344; BGH StV 85, 153; BayObLG bei Rüth DAR 82, 251; OLG Köln NStZ 86, 570; hierzu näher § 50, 12, 13). Die strenge Auffassung des BGH (VRS Bd. 53 [77], 126) wird auch in Anforderungen an die Aufklärungspflicht des Gerichts im JStrafverfahren nach § 244 II StPO einfließen müssen (näher Brunner aaO). Eine Verletzung der Aufklärungspflicht ist jedoch nur bei konkreten, greifbaren Anhaltspunkten dafür gegeben, dass die JGH von Berichterstattung oder Hauptverhandlungsteilnahme abgesehen hat, obgleich sie Erkenntnisse hatte oder gewinnen konnte, die für den Rechtsfolgenausspruch von Bedeutung gewesen wären (BayObLG 04, 169 = Zbl. 95, 280; OLG Brandenburg DVJJ-J 02, 351 mit Anm. Trenczek). Solche Anhaltspunkte müssen in der Revisionsrüge dargetan werden (BayObLG aaO). Wird die JGH nicht beteiligt, so kann der hierin liegende Verfahrensverstoß auch dann zur 8 c Aufhebung des Urteils in der Revision führen, wenn der Hw. zZ der Hauptverhandlung bereits erwachsen ist, wenn die Anwendung von ErwStrafrecht nahe liegt (BGH StV 01, 172) und uU selbst dann, wenn mangelnder fester Wohnsitz wenig Ergebnis verspricht (BGH NStZ 82, 257; vgl. auch BGH 27, 251). – Zahlen zur unterschiedlichen Beteiligung der JGH an der Hauptverhandlung bei Momberg (MKrim. 82, 70) u. Trenczek (MKrim. 00, 272). Ist eine Mitwirkung der JGH nicht zu erreichen, so kommt eine Einstellung des Verfahrens nach § 260 III StPO nicht in Betracht; das Gericht hat sich dann die notwendigen Kenntnisse auf andere Weise zu beschaffen (dazu Rn 19 a u. b; OLG Köln NStZ 86, 570), da sonst ein sich verweigernder J die Verfahrenseinstellung erzwingen könnte. In Ausnahmefällen kann auf die Einschaltung der JGH verzichtet werden, zB wegen faktischer 9 Unmöglichkeit zu berichten (BGH Herlan GA 59, 350), bei ausgesprochenen Bagatellen und bei einem krassen Missverhältnis zwischen Aufklärungsinteresse, -möglichkeit und Belastung des J (HK-GS/Hartmann § 160 StPO 37). Wild (1989 S. 80) weist allerdings darauf hin, dass der Verzicht auf Persönlichkeitserforschung aus einem „Ex-Ante-Urteil auf schmaler Basis“ folgt. Ergänzend Rn 43, 9; vgl. auch den Sonderfall des § 104, 5. Die JGH muss dann nicht eingeschaltet werden, wenn nur eine Ordnungswidrigkeit vorliegt und die Mitwirkung der JGH entbehrlich ist (§ 46 VI OWiG). Bei Vollstreckungsmaßnahmen nach § 98 OWiG (§ 82, 11) allerdings wird es sich häufig empfehlen, die JGH einzuschalten (vgl. Schenker Zbl. 83, 524). Sonst aber braucht die JGH auch nicht vom Verhandlungstermin nach § 50 III benachrichtigt zu werden, weil § 46 VI OWiG für das gesamte Verfahren gilt (vgl. Göhler/Seitz § 46 OWiG 34; § 71 OWiG 64). Für Erwägung und schließlich erzwirksame Durchführung des Diversionsverfahrens kann enge 10 und zeitsparende Zusammenarbeit der JStA mit der JGH von wesentlicher Bedeutung sein. Auch im vereinfachten JVerfahren sollte die JGH gehört werden (§ 78, 18; § 43, 17). Ggf. empfiehlt sich der Eilbedürftigkeit halber fernmündlicher Informationsaustausch. 5.
Persönlichkeitserforschung
Als Ermittlungshilfe (Abs. II 2) wirkt die JGH entscheidend bei der durch § 43 gebotenen Erfor- 11 schung der Persönlichkeit, der Entwicklung und der Umwelt des Täters mit (zur sozialpädagogischen Diagnostik s. die Beiträge von Schrapper ua in ZJJ 03, 336 ff). In bes. Einzelfällen werden auch Verfehlungen als Kind (so RL 1 alt) von Bedeutung sein können, wenn auch die RL 1 S. 1 auf diesen Hinweis verzichtet. Die JGH hat dabei die Wahrheit ohne Rücksicht auf die Folgen für den Täter zu ermitteln und die ermittelten Tatsachen streng objektiv vorzutragen (vgl. LG Bonn NStZ 86, 40; HK-GS/Hartmann § 160 StPO 21; Rn 12). JRichter und StA sind dadurch nicht gehindert, auch eigene Ermittlungen zur Persönlichkeitserforschung durchzuführen (§ 43, 12). Im Gegensatz zur Polizei, die durch die Aufklärung der Tat die Grundlagen für den Schuldspruch
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legt, schafft die JGH durch die Erforschung der Täterpersönlichkeit die Voraussetzungen für die Wahl der richtigen Unrechtsreaktion. Die Aufklärung der Tat ist also nicht Sache der JGH, sondern der Polizei. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass ein Blick auch auf die Tat entscheidende Anhaltspunkte für die Auswahl der zu berichtenden Fakten geben kann (Wild 1989 S. 129) und gerade die Verknüpfung von Tat und Persönlichkeit sehr wesentlich sein kann. Die JGH ist keine Strafverfolgungsbehörde und nicht über den allg. Rahmen (§ 138 StGB) hinaus zu Strafanzeigen verpflichtet. Sie ist auch nicht Verteidiger des J. Sie muss sich möglichst jeder Äußerung zur Schuldfrage enthalten (RL 1 S. 1; Dirnaichner Der nordamerikanische Diversionsansatz, 1990 S. 276). Nur im Rahmen der Folgerungen aus den zur Person ermittelten Tatsachen kann sie vorsichtig Stellung nehmen, ob die Tat in das allg. Persönlichkeitsbild des Täters passt. Die JGH hat den Beschuldigten vor dessen Befragung entsprechend § 136 I 2, 163 a III 2 und IV 2 StPO über seine Aussagefreiheit und die Befugnis, einen Verteidiger zu befragen, zu belehren (BGH NJW 05, 766; Eisenberg 43; Ostendorf 9 a). Gerade während der UHaft ist Persönlichkeitserforschung wichtig und durch § 38 II 3 angeordnet (dazu Rn 5 b, bes. c). Damit zugleich wird hier oft notwendige Hilfe gewährt werden können (Rn 4 b). Die Gefahr sachlich unzutreffender Selbstbelastung in der Drucksituation der Haft (so Eisenberg 13; § 93, 16) muss berücksichtigt werden. Zu den Aufgaben u. Schwierigkeiten bei j. Ausländern Einf. I 20. 6.
Bericht
12 Der Bericht der JGH hat unter Verzicht auf Äußerungen zur Schuldfrage (RL 1 S. 1) alle ermittelten Tatsachen streng objektiv aufzuführen (vgl. LG Bonn NStZ 86, 40), wobei die Verhältnismäßigkeit zwischen dem Umfang – zugleich dem Eingriff – von Ermittlungen sowie Bericht und deren Bedeutung für Person und Tat nicht außer Acht gelassen werden darf (Rn 9; § 43, 9; Wild 1989 S. 119 mwN). Umstände, die nach der Prognoseforschung bedeutsam sind, sollten möglichst aufgeklärt und in den Bericht aufgenommen werden (§ 43, 6; Einf. I 52). Wild (1989 S. 161) hat bei seiner Untersuchung von JGH-Berichten festgestellt, dass stets nach der intuitiven, nie nach der statistischen Methode prognostiziert worden ist. Dem Bericht kann ein Formblatt („JFragebogen“) zugrunde gelegt werden, das davor bewahrt, wichtige Punkte zu vergessen. Dabei muss der Berichtende auf alle Fragen des Bogens eingehen, sich aber von Schematismus freihalten und ggf. Ergänzungen vornehmen, Schwerpunkte setzen oder ganz frei berichten (vgl. Hinrichsen UJ 54, 494; Nesselmüller UJ 55, 187; Potrykus UJ 63, 80; Momberg MKrim. 82, 66; gegen die Verwendung von Formblättern Roestel UJ 65, 543; Ullrich Zbl. 69, 185; Bedenken wegen der Vorprägung der Auswahl der erhobenen Informationen durch Formblätter bei Eisenberg 45; gegen Formblätter, aber für eine möglichst einheitliche Strukturierung der Berichte Ostendorf 18). 12 a Auf die Gefahr der Verfälschung durch Weglassungen, Betonungen und Gebrauch (meist moralisierender) Stereotypen sowie durch das Bestreben, Widersprüchlichkeiten „stimmig“ zu machen, weist Walter (Zbl. 73, 489) zu Recht hin. Wild (1989 S. 141 ff) hat bei seinen Untersuchungen negativlastige Berichte nur ausnahmsweise vorgefunden, in der Masse wurde ein positives oder indifferentes Täterbild vermittelt. Eine wohlwollende Haltung der Verfasser war überwiegend unverkennbar, was zB Erklärungen mit Entschuldigungstendenz deutlich gemacht haben. Gerade Aussparungen können das Persönlichkeitsbild verfälschen. Wild (1989 S. 125) hat bei seinen Untersuchungen eine „eigenartige Scheu“ festgestellt, Suchtprobleme, auch bei unübersehbaren Hinweisen, zu erwähnen. Es bleibt ein Fall im Gedächtnis, bei welchem im Bericht als Tätigkeit der Hw. Schneiderin angegeben war und das Gericht in der Hauptverhandlung erst auf Nachfrage (wegen der gerichtsbekannten Straße und Hausnummer) vom JGHelfer erfuhr, dass sie der Prostitution nachging. Werden im Bericht nicht alle vorliegenden Informationen verarbeitet, soll dies nach RL 1 S. 3 zum Ausdruck gebracht werden. Die Warnung Eisenbergs (46), es dominierten häufig Eindrücke und subjektive Bewertungen, worunter sich nicht selten kompetenzüberschreitende Äußerungen bezüglich fachpsychologischer oder psychiatrischer Kategorien fänden, kann nicht ernst genug genommen werden.
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Im Bericht sind die Beweismittel zu bezeichnen, ggf. ist anzugeben, dass der JGH Beweismittel 12 b (z. B. „zwei gut beleumundete Zeugen“, „ein Brief“) bekannt sind (Rn 13). Auch sind Umstände zu benennen, die für die Glaubwürdigkeit von Bedeutung sind (Verwandtschaft, Freundschaft, Feindschaft uä). Sehr kritisch zum „positiven Beitrag“ der Berichte Eisenberg 47, 50. RL 1 S. 2 fordert anzugeben, auf welchen Informationen der Bericht beruht. JStA und JRichter wirken auf die Ergänzung des Berichtes hin, wenn er Lücken enthält und kein klares Bild des Täters gibt. In der Hauptverhandlung muss der Vertreter der JGH in der Lage sein, den Bericht auf den letzten Stand zu ergänzen. – Die JGH regt psychiatrische oder psychologische Untersuchungen (auch nach § 73) an, wenn sie auf Tatsachen gestoßen ist, die Zweifel über Reife (§ 3), Entwicklung (§ 105), Umfang der schädlichen Neigungen (§ 17 II) oder über die allg. strafrechtliche Verantwortlichkeit (§§ 20, 21 StGB) begründen (§ 43, 15). Maßnahmen nach §§ 45, 47 oder 71 kann die JGH anregen, zur Frage der Zweckmäßigkeit be- 12 c stimmter Weisungen (§ 10) oder Auflagen (§ 15) Stellung nehmen oder sich zur Frage äußern, ob Hilfe zur Erz. nach § 12 oder JStrafe (mit oder ohne Strafaussetzung zur Bew.) geboten ist. Weiterhin sollte die JGH angeben, ob Leistungen der JHilfe in Betracht kommen (RL 1 S. 4; § 52 II SGB VIII). Wie weit die JGH ihren Reaktionsvorschlag konkretisieren sollte, wird vom Einzelfall abhängen (vgl. auch Momberg Diss. 1982 S. 157; für einen möglichst konkreten Vorschlag Ostendorf 17). Wild (1989 S. 161) hat bei seiner Untersuchung nur konkrete Vorschläge gefunden. Der Befund von Heinz/Hügel (Erz. Maßnahmen im deutschen JStrafrecht, 3. Aufl. 1987 S. 49), „die Sanktionierungsvorschläge der JGH (seien) eingriffsintensiver und schwerer“ gewesen als die gerichtliche Entscheidung, wurde von Weyel (BewH 88, 313) heftig angegriffen. Heinz/Hügel haben diese Kritik zurückgewiesen (BewH 88, 320). Die Untersuchungen von Heinz/Hügel haben bei positiven oder negativen Wertungen der JGH keinen messbaren Zusammenhang mit dem Verfahrensausgang ergeben (BewH 88, 321). Eine Gegenüberstellung von Berichts- und Urteilsinhalt allg. findet sich bei Momberg aaO S. 217, 219 u. MKrim. 82, 74. Es steht der JGH frei, aus den ermittelten Tatsachen Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters zu 12 d ziehen. Gerade aber bes. bemühte „gutachtenähnliche“ Berichte sind nach den Untersuchungen Wilds (1989 S. 206) der Gefahr unterlegen, den Tatsachenvortrag zu vernachlässigen. Es sollten solche Ausführungen schon äußerlich getrennt werden von den Tatsachenfeststellungen, die das Kernstück des Berichts sind und bleiben müssen (ebenso Momberg aaO, S. 12). Die JGH sollte dabei Zurückhaltung üben, da sie hier auf das Gebiet des JRichters übergreift, der aus dem „Tatsachenmaterial“ eigenverantwortlich werten muss. In diesem Rahmen und mit Bedacht abgegebene Anregungen und Schlussfolgerungen aber sind für den Richter hilfreich. Dazu sollte die JGH Grundbegriffe des JStraf- und Verfahrensrechts kennen und beachten und nicht „aus der besseren Kenntnis des Täters . . . Vorschläge unterbreiten, ohne auf juristische Gesichtspunkte Rücksicht zu nehmen“ (so aber Bucher Zbl. 87, 105). Tatsachenbehauptungen in JGH-Berichten (Vater spricht Alkohol zu) sind verwaltungsgerichtlich nicht überprüfbar (VGH Baden-Württemberg bei Böhm NStZ 83, 449). Nach OVG Koblenz (NJW 83, 2957) überwiegt das private Interesse am Namen eines Informanten des JAmtes (zwecks Durchführung eines erneuten familiengerichtlichen Verfahrens) angesichts der dem JAmt obliegenden umfassenden Sachaufklärung das öffentliche Interesse an der Wahrung der zugesicherten Vertraulichkeit nicht. Das gilt erst recht für die JGH. – Die Berichtspflicht wird durch allg. Mitteilungspflichten ergänzt (§§ 70 S. 2, 109 I 3; § 109, 1; Rn 5 aE; Rn 5 b u. c; zum Schülerbogen § 43, 14). 7.
Verwertung des Berichts in der Hauptverhandlung
Der Ermittlungsbericht der JGH ist Bestandteil der Akten und damit dem Verteidiger zugäng- 13 lich (Lüttger NJW 51, 744). Der Hinweis in RL 2 auf Nr. 185 III und IV RiStBV betrifft nicht den Verteidiger. Bei Akteneinsicht des Vertreters des Verletzten nach § 406 e I StPO kann ggf. der JGH-Bericht ausgenommen werden (§ 406 e II StPO; näher Vor § 97 Rn 27 f). Zur Akteneinsicht
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sonstiger Privatpersonen s. § 475 StPO. – Im Urteil darf nur verwertet werden, was Gegenstand der Verhandlung war (§ 261 StPO; Art. 103 I GG; OLG Hamm Zbl. 05, 324 mit Anm. Nix; Schnitzerling JWohl 57, 187). Der Tatsachenteil des JGH-Berichts kann nur auf eine prozessrechtlich zulässige Weise in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Dies geschieht durch die Bekundung des Angeklagten selbst (auch auf Vorhalt des Vorsitzenden hin) oder durch förmliche Vernehmung des Vertreters der JGH als Zeuge (Dallinger/Lackner § 38, 33; Eisenberg 49; Schaffstein/Beulke S. 229 f; eingehend zur Verwertung des Berichts Brachold 1999 S. 53 ff). Der Richter dürfte den Bericht der JGH nur dann verlesen, wenn einer Vernehmung des Vertreters unüberwindliche tatsächliche Hindernisse iSd § 251 I Nr. 2 StPO entgegenstünden, um in solchem Falle Beweisverlust zu vermeiden und die zügige Durchführung des Strafverfahrens zu ermöglichen (BGH 10, 186, 189). Ostendorf 8 meint allerdings, der Bericht dürfe ohne weiteres vom Richter verlesen werden, weil es widersinnig wäre, ansonsten gänzlich auf die Information verzichten zu wollen. Es gibt aber, wie ausgeführt, ausreichende Möglichkeiten, den Bericht unangefochten in die Hauptverhandlung einzuführen. Auf § 256 StPO kann die Verlesung nicht gestützt werden (Eisenberg § 50, 32). 13 a Auch eine Verlesung des Berichts durch den JGHelfer genügt für die Einführung des Tatsachenstoffs in die Hauptverhandlung nicht (Miehe JStrafrecht. Kurseinheit 3, 1994 S. 45). Nach BGH (NStZ 84, 467 mit abl. Anm. Brunner; Anm. Eisenberg NStZ 85, 84) soll der Vertreter der JGH den Bericht zwar ebenso wie ein Sachverständiger das Gutachten in der Hauptverhandlung verlesen können. Hierbei wird jedoch nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Vertreter der JGH an der Hauptverhandlung nicht als Beweismittel, sondern als Prozessorgan teilnimmt (eingehend gegen den BGH Brachold 1999 S. 81 ff). Zudem wäre der Vertreter der JGH ohne die einschränkende Vorschrift des § 251 I StPO freier gestellt als der Richter (ebenso Laubenthal 1993 S. 119 f). Soll der Inhalt des Berichts durch den Vertreter der JGH in die Hauptverhandlung eingeführt werden, so muss dieser also unter Wahrung der prozessualen Vorschriften als Zeuge vernommen werden. Nur, wenn er ordnungsgemäß als Zeuge (wohl kaum als Sachverständiger) vernommen wird, darf er daneben seinen Bericht teilweise oder ganz verlesen (BGH 1, 4; 20, 260; AKStPO/Dölling § 250 StPO 11; Meyer-Goßner § 250 StPO 12). Der Vertreter der JGH kann auch als „Zeuge vom Hörensagen“ über die Angaben von Gewährspersonen vernommen werden. Urkunden wie Schülerbogen, Zeugnisse uä (nicht aber Leumundzeugnisse) können verlesen werden (vgl. §§ 249 ff, 256 I StPO); doch kann die Aufklärungspflicht zu einer Vernehmung des Ausstellers zwingen. 13 b Das Revisionsgericht darf im Zweifel immer davon ausgehen, dass der Bericht der JGH im Wege statthaften Vorhaltes in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist, wenn weder die Sitzungsniederschrift noch die Urteilsgründe erkennen lassen, auf welche Weise das Gericht Kenntnis vom Inhalt des Berichts erhalten hat (BGH NJW 1958, 559 u. BGH Urteil v. 18. 6. 1959 – 2 StR 215/59; OLG Koblenz OLGSt zu § 338 StPO S. 20; Dallinger/Lackner 33). Nach den Erfahrungen der Praxis können in aller Regel in abgewogenem Zwiegespräch zwischen Vorsitzendem und Angeklagten – also nicht etwa durch Vortrag des Vorsitzenden unter dem Anschein eines Vorhalts und auch nicht durch drängendes Hineinreden – anhand der tatsächlichen Informationen aus dem Bericht die Entwicklung der Persönlichkeit des J und dessen Beziehungen zur Umwelt in die Hauptverhandlung eingeführt werden. So kann eine meist ungute förmliche Zeugenvernehmung des Vertreters der JGH und damit eine mögliche Erschwerung seiner Arbeit vermieden werden, sodass er nur noch formlos – wertend und beratend – tätig zu werden braucht (vgl. Rn 14 a). 8.
Kein Zeugnisverweigerungsrecht
14 Der JGerichtshelfer hat kein Zeugnisverweigerungsrecht (Eisenberg NStZ 86, 309 unter Hinweis auf Ausnahmefälle nach Art. 2 iVm Art. 1 I GG; Dallinger/Lackner 38; Schaffstein/Beulke S. 230;
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Streng S. 61; Walter Zbl. 73, 495; Kreutz UJ 01, 20). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 33, 367 = NJW 72, 2214) hat ein allg. Zeugnisverweigerungsrecht des Sozialarbeiters und damit auch des JGHelfers verneint (vgl. auch BVerfGE 44, 353; zustimmend Foth JR 76, 7 angesichts des Postulats der Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Strafrechtspflege). Ein Zeugnisverweigerungsrecht widerspräche der bes. verantwortungsvollen Aufgabe der JGHelfer und deren Einbau in das JGG, da die JGHelfer neben der erz. und nachgehenden Betreuung ein objektives, vollständiges und zutreffendes Persönlichkeitsbild zu ermitteln und weiterzugeben haben, um dem Richter eine kriminologische Diagnose zu ermöglichen (Füllkrug BewH 88, 249). Ein Zeugnisverweigerungsrecht widerspräche auch dem gesetzlichen und dienstlichen Auftrag des JGHelfers und würde zum Nachteil des J die Erkenntnismöglichkeiten der Persönlichkeitserforschung erheblich erschweren. Mit ausgewähltem Teilvortrag aber wäre weder der Sache noch dem Richter gedient. Ebenso Brachold 1999 S. 95; Kaiser JRecht u. JKriminalität, 1973 S. 183; Momberg Diss. 1982 S. 323; Ullrich Arbeitsanleitung S. 25; aA Hauber Zbl. 80, 515; vgl. hierzu auch Rn 5 aE. Auch der Vorschlag, wegen eines Zeugnisverweigerungsrechts betreuende und ermittelnde Tätigkeit zu trennen (2 Personen erforderlich!), bringt deutliche Nachteile (näher Momberg aaO S. 324). Eine Verweigerung der Aussagegenehmigung nach § 54 StPO kommt nur in eng begrenzten 14 a Ausnahmesituationen in Betracht, denn durch eine generelle Nichterteilung der Genehmigung würde die gesetzliche Entscheidung gegen ein Zeugnisverweigerungsrecht umgangen (HKGS/Hartmann § 160 StPO 34; Laubenthal 1993 S. 132; vgl. auch Brachold 1999 S. 105 f; Füllkrug BewH 88, 325; weitergehend Ostendorf 10, nach dem die Aussagegenehmigung zu verweigern ist, wenn nur im Vertrauen auf den Geheimnisschutz Tatsachen mitgeteilt wurden). Vgl. auch Rn 14 a. Hierbei ist auch zu bedenken, dass das Strafgericht faktisch an eine derartige Behördenentscheidung gebunden ist, denn Rechtsschutz gegen die Verweigerung der Aussagegenehmigung gewährt nur das Verwaltungsgericht (Ziegler DRiZ 89, 11). Dem Lösungsversuch Steins (BewH 82, 174 u. 87, 153) über das Sozialgeheimnis (§ 35 SGB I) stehen §§ 52 SGB VIII, 38 JGG entgegen. Der Versuch, den Rollenkonflikt des JGHelfers durch ein Zeugnisverweigerungsrecht zu beseitigen, würde zudem durch den dadurch letztlich verursachten Wegfall der Ermittlungsfunktion zu teuer erkauft (vgl. Schaffstein FS Dünnebier, 1982 S. 667). Füllkrug (BewH 88, 327) sieht de lege ferenda gewichtige Argumente für ein Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich von Umständen, die nicht Gegenstand des Ermittlungsberichtes sind. Ein Zeugnisverweigerungsrecht für Suchtberater ist seit 1992 in § 53 I Nr. 3 b StPO verankert. Für ein Zeugnisverweigerungsrecht für Aidsberater de lege ferenda Franck Strafverfahren gegen HIV-Infizierte, 2001 S. 156 ff. Das VG Schleswig-Holstein (Zbl. 87, 539) hat es zugelassen, einem JGHelfer die Aussagegeneh- 14 b migung zu versagen, weil er als Zeuge zu einer ihm vom Angeklagten vertraulich gemachten Angabe gehört werden sollte, die einen Mitangeklagten, der sich ihm ebenfalls anvertraut hatte, belasten würde. In eine solche Situation zu geraten, sollte der JGHelfer möglichst vermeiden. Das VG hat darauf hingewiesen, dass im Einzelfall bes. Umstände auch gegen eine derartige Versagung sprechen könnten. Ist es unumgänglich (Rn 13, 13 a), den JGHelfer als Zeugen (Aussagegenehmigung beachten) zu 14 c vernehmen, so sollte dies mit Takt und Verständnis für seine Arbeit geschehen. Der Angeklagte kann während der Zeugenvernehmung – oder auch des Vortrags – im Interesse der Arbeit des JGHelfers nur dann ausgeschlossen werden, wenn sonst Nachteile für seine Erziehung entstehen könnten (§ 51, 2). Eine solche Ausschließung kann der JGHelfer auch anregen. Der gesetzliche Vertreter oder Angehörige können im Interesse der JGH nach § 51 II Nr. 1 ausgeschlossen werden (§ 51, 8). Es sollte aber stets abgewogen werden, ob nicht gerade eine solche Ausschließung zu Misstrauen Anlass gibt, das Gericht belastet und die weitere Arbeit der JGH erst recht erschwert. Der Vorschlag, den JGHelfer als Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen zu hören, würde die Problematik nicht entschärfen; im Übrigen ist er kein „Sachverständiger“ (dazu § 43, 15 ff).
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Überwachende Tätigkeit
15 Die JGH überwacht die Befolgung der Weisungen und der Auflagen (Abs. II 5, vgl. § 10, 21; § 15, 14; § 45, 36; Brunner Zbl. 73, 58), auch wenn sie vor der Erteilung nicht gehört wurde; denn ein solcher Verfahrensverstoß kann die rechtskräftige gerichtliche Anordnung nicht unbeachtlich machen (Dallinger/Lackner 43, 44; aA Potrykus B 8). Die JGH muss ihre Verpflichtung nach Abs. II 5 auch dann erfüllen, wenn sie die Sanktion pädagogisch nicht für sinnvoll hält (DIV-Gutachten v. 16. 3. 1993, Zbl. 93, 257), kann aber in diesem Fall eine Änderung der Maßnahme anregen. Die JGH muss dem JRichter nur von schweren Verstößen des J berichten (Abs. II 6) und kann bei leichteren selbst ermahnen. Die Überwachung soll dem J helfen und dient nicht nur dazu, erhebliche Verstöße dem Richter mitzuteilen, sondern ermöglicht es bei geänderten Umständen auch, die Änderung oder Ersetzung von nicht mehr wirksamen oder gar schädlich gewordenen Weisungen anzuregen. – Die JGH tritt jedoch hinter die BewHilfe zurück, wenn eine solche besteht (Abs. II 5). Die Aufgaben nach Abs. II 1, 2 verbleiben aber der JGH, auch bei laufender BewHilfe (Abs. II 5 „soweit“), was insbes. für den Bericht gilt. Während der BewZeit unterstützt sie den BewHelfer auf allen Gebieten nach besten Kräften (Abs. II 8; § 25, 8). Auch wenn die BewHilfe dem JAmt übertragen ist, sollten JGHilfe und BewHilfe doch von verschiedenen Personen durchgeführt werden (zust. Eisenberg 18). Wird die BewHilfe der JGH übertragen, steht ihr dagegen keine Beschwerde zu; sie kann nur Gegenvorstellung erheben oder bei der StA die Beschwerdeeinlegung anregen (OLG Frankfurt NStZ-RR 96, 251). Im Falle der Unterstellung unter einen Betreuungshelfer (§ 10 I Nr. 5) betreut und beaufsichtigt stets die JGH, falls nicht der Richter eine andere Person damit betraut (Abs. II 7; § 10, 10 a). 10.
Nachgehende Betreuung
16 Schließlich geht Hilfe und Betreuung von Anfang an (Rn 4 b u. c) in die sog. nachgehende Betreuung über, um dem Täter die Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu erleichtern und ihm notwendigen Beistand zu leisten (Brunner Zbl. 73, 58; Lindemann Kriminalistik 65, 38). Hierzu gehört auch die Belehrung über das registerliche Verschweigungsrecht (Vor § 97, 11, 26). Der Kontakt sollte möglichst auch während der Zeit der Strafverbüßung aufrechterhalten werden (Abs. II 9; Lindemann JWohl 63, 406; Ullrich RdJ 56, 76; Wehner Zs. f. d. Fürsorgewesen 63, 229). – Nach Nr. 27 der ländereinheitl. erlassenen Vollzugsgeschäftsordnung v. 1. 7. 1976 (zB BayJMBl. 76, 339) ist von JStrafanstalt und ErwVollzugsanstalt die Aufnahme und die Änderung der Strafzeit mitzuteilen, wenn deren Ende vor Vollendung des 21. Lebensjahres liegt. Im Übrigen gilt das § 25, 4 für die BewHilfe Gesagte hier entsprechend. Auch nach Beendigung der Vollstreckung kann der JGHelfer den J weiterhin betreuen. 11.
Die Heranwachsenden
17 Die JGH wirkt in gleicher Weise auch in Verfahren gegen Hw. mit (§§ 107, 109 I; BGH 27, 251; BGH NJW 05, 766; OLG Köln NStZ 86, 570), falls es nicht nur um Ordnungswidrigkeiten geht (Rn 9). Dabei ist unerheblich, ob der Hw. zwischenzeitlich erw. geworden ist (BGH 6, 354; BGH Martin DAR 65, 59; BGH StV 82, 336) oder es bei einem Teilakt einer einheitlichen Handlung bereits war (Dallinger/Lackner 14; Eisenberg 13 je bei § 107). Lehnt die JGH bei Weigerung eines Hw. ein Tätigwerden ab, so handelt sie rechtswidrig (OLG Köln aaO; Rn 19 a u. b). Wesentlich erscheint die rechtzeitige Einschaltung (ev. fernmündlich) und Äußerung der JGH, wenn gegen Hw. eine informelle Erledigung nach §§ 45, 47 in Frage kommt (§ 109, 5). § 109 I 2 erlegt es der Justiz auf, die JGH von Einleitung und Ausgang eines Verfahrens gegen einen Hw. zu unterrichten, da § 70 nur bei J Anwendung findet (§ 109 I 1). Dies entspricht der Gesamteinschaltung der JGH auch in Verfahren gegen Hw. Ebenso liegt die in § 109 I 3 normierte Pflicht der JGH, den StA von weiteren ihr bekannt gewordenen Verfahren gegen einen be-
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schuldigten Hw. zu unterrichten, bereits in ihrem Aufgabenbereich (§ 38), um die erwünschte erz. Gesamtbereinigung zu fördern. – Auch im Verfahren gegen hw. Soldaten wirkt die JGH mit (OLG Schleswig EJF C I 47). Auch gegen Hw. besteht der subsidiäre ErzAuftrag des Staates fort (BVerfGE 74, 125; dazu Brunner Zbl. 87, 257; Ostendorf EzSt JGG 10 Nr. 1; Einf. II 11). Die Hilfen der JGH gehen aber von den erz. mehr zu den Sozialisationshilfen über; bei Anwendung von ErwStrafrecht beschränken sie sich auf letztere. Zu den Leistungen der JHilfe an junge Erw. vgl. § 41 SGB VIII. Der JGHelfer muss bei Hw. über Persönlichkeit, Entwicklung und Umwelt auch dann ermitteln 18 (Rn 11), wenn voraussichtlich allg. Recht angewendet wird. Denn die nach § 105 zu treffende Entscheidung kann – von seltenen Ausnahmen abgesehen (BGH 6, 329; § 105, 15) – nur nach eingehenden, grds. der JGH übertragenen Ermittlungen getroffen werden. Auch bei Anwendung allg. Rechts kann der Bericht der JGH für die Ermessensentscheidungen nach § 106 große Bedeutung haben (vgl. § 106; 5; § 107, 1 aE), sonst für die allg. Strafzumessung. Der JGHelfer ist berechtigt und verpflichtet, auch die Eltern des volljährigen Hw. zu hören, denn 19 § 109 I 1 erstreckt das Gebot des § 43 ausdrücklich auch auf diese Gruppe und die §§ 107, 38 III verlangen die Heranziehung der JGH auch bei Hw. (BGH 27, 250). Manche Hw. werden sich gegen die Anhörung ihrer Eltern sperren, sei es mehr vordergründig im Zuge des Ablösungsprozesses, sei es aus anderen Gründen. Ein ruhiges klärendes Wort wird hier oftmals weiterhelfen können. Im Vordergrund steht aber nicht der durchaus legitime Schutz der Privatsphäre des Hw., sondern dessen objektivierbares Interesse. An die Zustimmung des Hw. darf und kann deshalb die Anhörung seiner Eltern gerade in seinem wohlverstandenen Interesse und um ihm die im JGG verankerten Hilfen zu sichern, nicht gebunden werden (vgl. dazu LG Bonn NStZ 86, 40). Ohne eine gewisse Information über den Tatverdacht werden die Eltern oftmals nicht bereit sein, sich zu äußern, zumindest wird es schwierig sein, über Allgemeines hinaus gerade das Wesentliche zu erfahren. Den Grund der Anhörung zu verschweigen, wäre unfair den Eltern gegenüber und uU nicht unbedenklich im Interesse der Sache und des Hw. Teilt der JGHelfer den Eltern den Tatverdacht mit, so macht er sich als staatlich anerkannter Sozialarbeiter (§ 203 I Nr. 5 StGB), als Amtsträger beim Jugendamt (Abs. II Nr. 1) oder als Praktikant (Abs. III 1) nicht wegen Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 StGB strafbar, solange er nicht verbotene Mittel anwendet oder zulässige missbraucht (näher Brunner Zbl. 77, 366; ebenso Janssen Hw. im JStrafverfahren, 1980 S. 65 ff, insbes. 68). Entziehen sich die Eltern gleichwohl einer Anhörung, bleibt die Heranziehung von Akten und die Anhörung anderer Personen aus dem persönlichen Nahraum des Hw. Letztlich kann der Richter jederzeit die Eltern als Zeugen vernehmen, aber auch an ihrem Zeugnisverweigerungsrecht scheitern. Bei Hw., auf die JRecht nicht angewandt wurde, wird die erz. oft durch eine fürsorgerische Betreuung ersetzt werden müssen. Lehnt die JGH ein Tätigwerden entgegen ihrem Gesetzesauftrag ab, so handelt sie rechtswid- 19 a rig, und das Gericht hat dem zB durch Beschlagnahme von Unterlagen, Ladung des JGHelfers als Zeugen oder Dienstaufsichtsbeschwerde entgegenzuwirken (OLG Köln NStZ 86, 570; LG Trier NStZ-RR 00, 250 in Rn 19 b). Zunächst sollte aber das Gespräch mit der JGH gesucht werden. Eine Einstellung des Verfahrens nach § 260 III StPO, welche der Angeklagte sonst jederzeit herbeiführen könnte, kommt nicht in Betracht. Dazu Rn 8 aE.
12.
Der Datenschutz des SGB VIII
StA und JRichter können ihre Aufgaben iSd ErzAuftrags des JGG (Einf. II 4–11, bes. 10) nur 19 b dann erfüllen, die Rechtsfolgen nur dann gezielt und abgewogen auf den einzelnen J und Hw. abstellen, wenn sie über die nötigen Informationen, die vorwiegend sensible und schutzwürdige Daten sind, verfügen. Diese – im wohlverstandenen Interesse des J – beizubringen, ist Aufgabe vor allem der JGH, die andererseits durch deren Weitergabe das gewünschte Vertrauens-
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verhältnis, das erst Hilfe ermöglicht, stören und gefährden kann. Mit dem Inkrafttreten des SGB VIII am 1. 1. 1991 wurde streitig, ob die Datenschutzvorschriften der §§ 61 ff SGB VIII die JHG bei der Erhebung und Übermittlung personenbezogener Daten an den Willen des J binden (dazu 9. Aufl. u. die Beiträge von Dölling u. Mörsberger in BMJ 1991). Das am 1. 4. 1993 in Kraft getretene 1. G zur Änderung des SGB VIII hat durch Einfügung eines neuen Abs. III in § 61 SGB VIII klargestellt, dass der JGHelfer Daten auch ohne Einwilligung des J oder Hw. bei anderen Personen erheben und an StA und JRichter weitergeben darf. § 61 III SGB VIII hat für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten durch das JAmt bei der Mitwirkung im JStrafverfahren auf die Vorschriften des JGG verwiesen. § 61 III SGB VIII wurde durch das am 1. 10. 2005 in Kraft getretene Kinder- u. Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) durch eine Ergänzung des § 62 III Nr. 2 c SGB VIII ersetzt, ohne dass damit eine sachliche Änderung verbunden ist. Nach dieser Vorschrift dürfen ohne Mitwirkung des Betroffenen Sozialdaten erhoben werden, wenn ihre Erhebung beim Betroffenen nicht möglich ist oder die jeweilige Aufgabe ihrer Art nach eine Erhebung bei anderen erfordert, die Kenntnis der Daten aber für die Wahrnehmung einer Aufgabe nach § 52 SGB VIII, also für die Mitwirkung der JGH im Verfahren nach dem JGG nach Maßgabe der §§ 38, 50 III 2, erforderlich ist. Danach (vgl. Dölling BewH 93, 128; Feldmann ZJJ 08, 23; kritisch Kiehl NJW 93, 1052 f) hat die JGH gem. § 38 II unter Vermeidung unverhältnismäßiger Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des J, aber ohne Bindung an dessen Willen, die Daten zu erheben, die nach fachkundigem Urteil für die Berichterstattung erforderlich sind. §§ 62 I Nr. 2 c, 52 SGB VIII iVm §§ 38, 50 III JGG bilden eine verfassungsrechtlich ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung personenbezogener Daten ohne Einsatz von Zwangsmitteln. Daten, die das JAmt auf anderen Gebieten der JHilfe zusammengetragen hat, dürfen für die Berichtstätigkeit der JGH nur unter den Voraussetzungen der §§ 69 I Nr. 1 SGB X, 64, 65 SGB VIII verwendet werden (Bex DVJJ-J 00, 412; Feldmann ZJJ 08, 24). 19 c Datenspeicherung ist in den Grenzen des Erforderlichen zulässig; für die Zusammenführung mit auf anderen Gebieten der JHilfe erhobenen Daten gilt § 63 Abs. 2 SGB VIII. Die Datenübermittlung von der JGH an StA und JRichter findet ihre Grundlage in §§ 64, 52 SGB VIII, 38 II. Die JGH hat danach alle Umstände mitzuteilen, die nach fachlicher Beurteilung für die justizielle Entscheidung von Bedeutung sind. Sie ist hierbei nicht an den Willen des J gebunden (§ 65 SGB VIII findet insoweit keine Anwendung, LG Trier NStZ-RR 00, 250 = Zbl. 00, 398 mit abl. Anm. Eisenberg = DVJJ-J 00, 186 mit abl. Anm. Sonnen u. Krahmer DVJJ-J 00, 314 u. krit. Besprechung Bex DVJJ-J 00, 413), hat ihn aber vor der Datenerhebung über ihre Aufgaben aufzuklären, sodass der J in voller Kenntnis der Rechtslage entscheiden kann, ob er der JGH Informationen geben will. Kommt die JGH ihrer Verpflichtung zur Datenübermittlung nicht nach, kann sich die Justiz die Daten notfalls unter Beachtung der §§ 54, 96 StPO und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch strafprozessuale Zwangsmaßnahmen verschaffen (vgl. LG Trier aaO; s. auch LG Bonn NStZ 86, 40 mit abl. Anm. Eisenberg NStZ 86, 307 u. OLG Köln NStZ 86, 570, die – allerdings vor Inkrafttreten des SGB VIII – angenommen haben, § 35 SGB I finde auf das Verhältnis JGH-JGericht keine Anwendung; dagegen LG Hamburg NStZ 93, 401 mit zust. Anm. Dölling). Die Beschlagnahme eines im Rahmen der JHilfeaufgaben des JAmts zur JAmtsakte gelangten ärztlichen Krankenberichts ist nach §§ 61 I SGB VIII, 35 SGB I, 69 I Nr. 1, 76 I SGB X unzulässig, wenn nicht der Arzt selbst offenbarungsbefugt wäre (LG Hamburg aaO). In den Grenzen des Erforderlichen darf die JGH Daten an freie Träger weitergeben, die auf der Grundlage von § 38 I Aufgaben der JGH wahrnehmen oder an der Verwirklichung jstrafrechtlicher Rechtsfolgen (zB Täter-Opfer-Ausgleich) mitwirken. An BewHilfe und Vollzug darf die JGH nach §§ 64, 52 SGB VIII, 38 II 8 und 9 für die Wiedereingliederungsbemühungen bedeutsame Daten übermitteln.
252
Jugendgerichtshilfe
13.
§ 38
Arbeit der Polizei und der Sozialarbeiter im Vorfeld; Krisenintervention
Wesentliche – allerdings umstrittene (Rn 21) – Hilfen, nicht nur allg. im präjustiziellen Bereich, 20 sondern gezielt im Vorfeld polizeilichen Eingreifens, können durch JBeamte der Polizei und Sozialarbeiter erfolgen. Die Polizeibehörden leisten an manchen Orten nicht ohne Erfolg Präventionsarbeit. Die rechtlichen Voraussetzungen gestatten sinnvolles Eingreifen (Schreiber in Schwind/Berckhauer/Steinhilper, Hrsg., Präventive Kriminalpolitik, 1980 S. 380; Dietsch/Gloss Handbuch der polizeilichen JArbeit, 2005; Gloss ZJJ 07, 278). JBeamte, polizeiliche Sachbearbeiter in JFragen, nehmen teilweise im polizeilichen „Voreingriffsbereich“ Kontakt zu J, insbes. zu j. Randgruppen, auf und leisten in enger Zusammenarbeit mit Streetworkern und Freizeitheimen des JAmtes präventive Hilfe. Der Beamte muss sich hierbei im Rahmen der rechtlichen Bindungen eines Polizeivollzugsbeamten und einer Ermittlungsperson der StA, insbes. des Legalitätsprinzips, halten. In einem Modellversuch in Hannover „Präventionsprogramm Polizei/Sozialarbeit (PPS)“ wur- 21 den ab August 1979 Sozialarbeiter im Handlungsfeld der Polizei eingesetzt. Sechs Sozialarbeiter, die nahezu rund um die Uhr bei einem Polizeirevier und bei der Kriminalpolizei arbeiten, haben die Aufgabe, tatnahe und auf die Problemsituation ausgerichtete psychosoziale Hilfe zu leisten (Krisenintervention), Gefährdungsmomente zu erkennen, zu prüfen, ob weitere Betreuung geboten ist, und ggf. geeignete soziale Dienste zu vermitteln. Schwerpunkte der Arbeit liegen bei Kindern und J, Alkohol- und Drogengefährdeten, Familienstreitigkeiten und Suizidproblemen (vgl. die Projektbeschreibung von Wilhelm-Reiss in Schwind/Berckhauer/Steinhilper aaO, S. 405; Steinhilper Kriminalistik 83, 105). Nach Folberth (DVJJ-J 94, 333) hat sich die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Sozialarbeit soweit bewährt, dass die „Kontaktstelle PPS“ in Hannover zur Dauereinrichtung geworden ist. Zu den in Sachsen-Anhalt bei der Polizei eingerichteten sozialpädagogischen JBeratungsstellen mit positiver Beurteilung Enke DVJJ-J 98, 24; zur Zusammenarbeit von Polizei u. JHilfe in Nürnberg Gref ZJJ 05, 193, Heusinger/Steinkirchner/ Lenkner UJ 09, 254, in Berlin Fritsch/Schendel/von Walter ZJJ 06, 51. Ostendorf (§ 43, 8) hält zwar ein wechselseitiges Verständnis von Polizei und Sozialarbeit für 21 a wünschenswert, spricht sich aber dagegen aus, die grds. Aufgabentrennung von Polizei und JGH im Wege einer institutionellen Zusammenarbeit zu überbrücken. In der Tat müssen die jeweiligen Aufgaben von Polizei und Sozialarbeit möglichst klar bestimmt sein und darf es nicht zu Aufgabenverwischungen kommen. Die vielfältigen mit JKriminalität verbundenen Probleme stehen jedoch miteinander im Zusammenhang. Es ist deshalb sinnvoll, wenn die unter verschiedenen Aspekten mit JDelinquenz befassten Institutionen bei klarer Aufgabentrennung vor Ort miteinander kooperieren und sich abstimmen (Dölling in DVJJ, Hrsg., Sozialer Wandel u. JKriminalität, 1997 S. 325). Zu einem Vertrauensverlust bei den Klienten der Sozialarbeit muss dies insbes. dann nicht führen, wenn diese Problematik gesehen und berücksichtigt wird. Zum Verhältnis zwischen Polizei u. Sozialarbeit vgl. auch Krafeld ua DVJJ-J 98, 342; Haunstein/Schendel DVJJ-J 98, 345; Arbeitsstelle Kinder- u. JKriminalitätsprävention (Hrsg.) Schnelle Reaktion, 2001; die Beiträge in DVJJ-Regionalgruppe Nordbayern, Entwicklungen im JStrafrecht. PolizeiStrafvollzug, 2005 S. 7 ff; Lukas/Hunold RdJ 10, 339. In der ehemaligen DDR ist eine JHilfe für gefährdete Kinder und J mit hauptamtlichen JFür- 22 sorgern, überwiegend JFürsorgerinnen tätig geworden. Diese JHilfe wurde aber nur im Einzelfall auf ausdrückliches Ersuchen der Untersuchungsorgane am JGerichtsverfahren beteiligt. In diesem bes. Falle entsprachen ihre Aufgaben annähernd denen der JGH (näher Ertelsberger/ Reinecke DVJJ-Rundbrief 1990 Nr. 131 S. 50, 52, 53). Nunmehr gelten auch in den neuen Ländern die §§ 38, 43.
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§§ 39–41
2. Teil. Jugendliche
Zweiter Abschnitt Zuständigkeit § 39 Sachliche Zuständigkeit des Jugendrichters §§ 39–41 Sachliche Zuständigkeit des Jugendrichters (1) Der Jugendrichter ist zuständig für Verfehlungen Jugendlicher, wenn nur Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel, nach diesem Gesetz zulässige Nebenstrafen und Nebenfolgen oder die Entziehung der Fahrerlaubnis zu erwarten sind und der Staatsanwalt Anklage beim Strafrichter erhebt. Der Jugendrichter ist nicht zuständig in Sachen, die nach § 103 gegen Jugendliche und Erwachsene verbunden sind, wenn für die Erwachsenen nach allgemeinen Vorschriften der Richter beim Amtsgericht nicht zuständig wäre. § 209 Abs. 2 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend. (2) Der Jugendrichter darf auf Jugendstrafe von mehr als einem Jahr nicht erkennen; die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf er nicht anordnen. 1. Hw.-J: § 108 I; sonstige Hw. § 108 II; – 2. [ErwG]: § 41, 5. Anmerkungen und Richtlinie hierzu siehe nach § 41.
§ 40 Sachliche Zuständigkeit des Jugendschöffengerichts §§ 39–41 Sachliche Zuständigkeit des Jugendschöffengerichts (1) Das Jugendschöffengericht ist zuständig für alle Verfehlungen, die nicht zur Zuständigkeit eines anderen Jugendgerichts gehören. § 209 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend. (2) Das Jugendschöffengericht kann bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen die Entscheidung der Jugendkammer darüber herbeiführen, ob sie eine Sache wegen ihres besonderen Umfangs übernehmen will. (3) Vor Erlaß des Übernahmebeschlusses fordert der Vorsitzende der Jugendkammer den Angeschuldigten auf, sich innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu erklären, ob er die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Hauptverhandlung beantragen will. (4) Der Beschluß, durch den die Jugendkammer die Sache übernimmt oder die Übernahme ablehnt, ist nicht anfechtbar. Der Übernahmebeschluß ist mit dem Eröffnungsbeschluß zu verbinden. 1. Hw.-J: § 108 I; § 108, 1, 2; sonstige Hw. § 108 I-III; [ErwG]: § 41, 5. Anmerkungen und Richtlinie hierzu siehe nach § 41.
§ 41 Sachliche Zuständigkeit der Jugendkammer §§ 39–41 Sachliche Zuständigkeit der Jugendgerichte (1) Die Jugendkammer ist als erkennendes Gericht des ersten Rechtszuges zuständig in Sachen, 1. die nach den allgemeinen Vorschriften einschließlich der Regelung des § 74 e des Gerichtsverfassungsgesetzes zur Zuständigkeit des Schwurgerichts gehören, 2. die sie nach Vorlage durch das Jugendschöffengericht wegen ihres besonderen Umfangs übernimmt (§ 40 Abs. 2),
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Sachliche Zuständigkeit der Jugendgerichte
§§ 39–41
3. die nach § 103 gegen Jugendliche und Erwachsene verbunden sind, wenn für die Erwachsenen nach allgemeinen Vorschriften eine große Strafkammer zuständig wäre, 4. bei denen die Staatsanwaltschaft wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit von Verletzten der Straftat, die als Zeugen in Betracht kommen, Anklage bei der Jugendkammer erhebt, 5. bei denen dem Beschuldigten eine Tat der in § 7 Abs. 2 bezeichneten Art vorgeworfen wird und eine höhere Strafe als fünf Jahre Jugendstrafe oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist. (2) Die Jugendkammer ist außerdem zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung gegen die Urteile des Jugendrichters und des Jugendschöffengerichts. Sie trifft auch die in § 73 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes bezeichneten Entscheidungen. 1. Hw.-J: § 108 I; sonstige Hw. § 41 RL 3; § 108 III; – 2. [ErwG]: § 41, 5. Richtlinie zu §§ 39 bis 41: Die Entscheidung der Jugendkammer nach § 40 Abs. 2 kann nicht die Staatsanwaltschaft oder der Angeschuldigte, sondern nur der Vorsitzende des Jugendschöffengerichts herbeiführen. Für die Übernahme werden namentlich Strafsachen in Betracht kommen, die wegen der großen Anzahl von Beschuldigten oder Zeugen von einem Berufsrichter allein nicht sachgemäß erledigt werden können. Übersicht Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachliche und funktionelle Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anklage zum JRichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anklage zur JKammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anklage zum Oberlandesgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anklage zum JSchöffengericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Strafbann des JRichters nach Eröffnung des Hauptverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Das sachlich unzuständige J- oder ErwGericht vor Eröffnung des Hauptverfahrens . . . . . . . . . . . 8. Das sachlich unzuständige J- oder ErwGericht nach Eröffnung des Hauptverfahrens, aber außerhalb der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Das sachlich unzuständige J- oder ErwGericht in der Haupt-verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Besondere Übertragungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. JKammer als Berufungs- und Beschwerdegericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Zuständigkeit zur Einheitsstrafenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rn 1 4 7 10 14 15 18 19 26 29 34 36 41
Vorbemerkungen Auf die §§ 209, 209 a, 225 a, 270 StPO, § 74 e GVG wird hingewiesen.
1
§§ 33, 107 setzen JGerichte für Verfahren gegen J und Hw. ein. Die Frage, wann ein allg. Strafge- 1 a richt gegen J und Hw. tätig werden kann, ist in den §§ 102, 103, 112, der umgekehrte Fall in §§ 103, 112 und §§ 209 a, 225 a, 270 StPO, §§ 26, 74 b GVG behandelt. Die Folgen einer Überschreitung dieser Abgrenzung zwischen J- und ErwGericht werden bei § 33, 20 a und § 47 a, 1, 3, 5 erörtert. Ob das allg. Strafgericht oder das JGericht zur Entscheidung berufen ist, muss neben und unabhängig von der sachlichen (§§ 39–41, 108), örtlichen (§§ 42, 108) und allg. funktionellen (Rn 14) Zuständigkeit geprüft werden. Die Schwergewichtsentscheidung des § 32 berührt die Zuständigkeit der JGerichte nicht (§ 32, 3 a). Wie im allg. Recht ist auch im JRecht das höhere Gericht zuständig, wenn „ein nicht allzu fern 2 liegender Verdacht einer Tat“ besteht, für welche die Zuständigkeit dieses Gerichts gegeben ist (BGH GA 62, 149); entsprechend ist die Zuständigkeit des höheren Gerichts auch dann gegeben,
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§§ 39–41
2. Teil. Jugendliche
wenn eine nicht allzu fern liegende Möglichkeit besteht, dass Strafen oder andere Maßnahmen verhängt werden, über deren Anordnung das höhere Gericht befinden soll (Rn 7). 3 Auch im JRecht ist durch den nicht angefochtenen Beschluss, das Gericht sei sachlich oder örtlich nicht zuständig (= Unzuständigkeitserklärung), nur dieses Gericht gebunden. Anklage zu einem Gericht gleichen Ranges an einem anderen Ort bleibt zulässig (BGH 18, 1). 1.
Sachliche und funktionelle Zuständigkeit
4 Die JGerichte haben in Verfahren gegen J eine andere sachliche Zuständigkeit als die ErwGerichte. Diese bes. Zuständigkeit besteht auch für Verfahren gegen Hw., auf die JRecht anzuwenden ist. Dagegen gilt für die sachliche Zuständigkeit auch bei Hw. allg. Recht, wenn sie nach ErwRecht abzuurteilen sind (§ 108, 1), die Zuständigkeit der JGerichte an sich bleibt aber unberührt (OLG Karlsruhe GA 75, 27). Bei zu einem Verfahren gegen J und Hw. verbundenen Erw. aber ist die Zuständigkeit der JGerichte nach §§ 39 I 2 und 41 I Nr. 3 modifiziert, weil sich die Zuständigkeitsbereiche von JRichter und ErwRichter auf der Ebene des AG nicht decken (Rn 8 u. 12). Auch im JSchutzverfahren gilt die sachliche Zuständigkeit des allg. Rechts (Anhang § 125 Rn 4 a). 5 Die §§ 39 und 40 I sind für das ErwGericht von geringer Bedeutung, weil nach §§ 102, 103 II 2, 112 S. 1 für J und Hw. nur noch die Wirtschaftsstraf- oder die Staatsschutzkammer unter ganz bestimmten Voraussetzungen zuständig sein können (§ 103, 6; § 112, 1). Zu einem Ausnahmefall vgl. § 80, 7. Die Schwurgerichts-Strafkammer hat nie die Schwurgerichtszuständigkeit der JKammer (Rn 10). Die §§ 41 I Nr. 2, II, 40 II-IV gelten nur für das Verfahren vor JGerichten (vgl. Dallinger/Lackner § 104, 6 u. 34). Die Zuständigkeit der OLG als Gerichte 1. Instanz bestimmt sich nur nach allg. Recht (§§ 102 S. 1, 33 II). Im OWiG-Verfahren gilt § 68 II OWiG; dazu Rn 9; im JSchutzverfahren §§ 26 I 2, 74 b S. 2 GVG. 6 Die funktionelle Zuständigkeit ist im JRecht – mangels abweichender Regelung – die gleiche wie im allg. Recht (§ 2; zust. Eisenberg § 39, 6), so der Instanzenzug (Rn 39), die Zuständigkeiten im Vorverfahren und für Rechtshilfe (§ 34, 2). § 41 II ist an sich überflüssig (Dallinger/Lackner § 41, 12), ebenso insoweit § 34 I. 2.
Anklage zum JRichter
7 Die Anklage wird zum JRichter (§ 39 I) erhoben, wenn nur ErzMaßregeln (§ 9), Zuchtmittel (§ 13), nach § 6 zulässige Nebenstrafen und -folgen oder Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 69 ff StGB) zu erwarten sind; also nicht, wenn JStrafe (mit oder ohne Aussetzung zur Bew.), die Aussetzung der Verhängung der JStrafe oder Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Rn 15, 16) in Betracht kommt. Für die Frage der Zuständigkeit des J(Einzel)Richters gilt § 39 I, nicht § 39 II; schon bei Zweifeln ist der JRichter nicht zuständig (vgl. auch § 108, 1; Dallinger/Lackner § 39, 4, 5; Eisenberg § 39, 8; Potrykus NJW 57, 1135; Roestel NJW 66, 334; konkrete Betrachtungsweise). De lege ferenda für Erweiterung der Zuständigkeit des JRichters auf Verfehlungen, für die JStrafe bis zu 2 Jahren zu erwarten ist, Strewe ZRP 09, 287 f; dagegen Kuba ZRP 04, 28; Kropp ZRP 04, 57. Ist an sich die Zuständigkeit des JRichters gegeben, liegt es doch noch im Ermessen des JStA, ob das Verfahren vor den JRichter oder vor das JSchöffengericht kommt. Bei Taten von größerem Gewicht (fahrlässiger Tötung) oder größerem Umfang oder Aufsehen in der Öffentlichkeit sollte stets zum JSchöffengericht angeklagt werden. Sonst aber – und zwar auch bei Verbrechen – verdient das schnellere Verfahren vor dem JRichter auch deshalb den Vorzug, weil hier die Einheit JRichter – Familiengericht (§ 34, 3) häufig gewahrt ist. Aus dem Grundsatz der Einheitsstrafenbildung ergibt sich, dass Taten, für die an sich der J(Einzel)Richter zuständig wäre, zum JSchöffengericht anzuklagen sind, wenn dort schon ein Verfahren anhängig ist oder wird (Rn 41; falls nicht Einstellung gem. §§ 45, 47 JGG, 153, 154 StPO oä in Betracht kommt).
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Sachliche Zuständigkeit der Jugendgerichte
§§ 39–41
Nach § 103 II 1 kommen Verfahren, bei denen Sachen gegen J (oder Hw.: § 112) mit solchen ge- 8 gen Erw. verbunden sind, stets vor die JGerichte, wenn nicht die in § 103 II 2, 3 statuierten Ausnahmen eingreifen. Da der Erw. aber Anspruch darauf hat, vor ein JGericht zu kommen, das der funktionellen Ordnung des ErwGerichts entspricht (vgl. § 33, 5; § 103, 5), darf der J(Einzel)Richter nicht entscheiden, wenn für den zum Verfahren verbundenen Erw. nach den allg. Vorschriften die Zuständigkeit des ErwRichters beim AG überschritten wäre (§ 39 I 2). Die Regelung des § 39 I 2 ist deshalb erforderlich, weil sich die Zuständigkeitsbereiche von JRichter und ErwRichter beim AG nicht decken, und entspricht auf der Ebene des Einzelrichters der Vorschrift des § 41 I Nr. 3 für den Zuständigkeitsbereich der JKammer. In solchem Fall führt die für den Erw. geltende Zuständigkeitsregelung auch den verbundenen J (Hw.) mit vor das JSchöffengericht oder die JKammer, was im Einzelfall die Prüfung anregen wird, ob die Verbindung wirklich notwendig und erz. sinnvoll ist (§ 103 I; näher § 103, 8). Zum Strafbann nach Eröffnung des Hauptverfahrens Rn 18. Für Erw. vgl. § 47 a, 4 u. 5. Im OWiG-Verfahren sind die §§ 39, 40 nicht anwendbar, da § 68 OWiG die sachliche und örtli- 9 che Zuständigkeit des Gerichts in Bußgeldsachen abschließend bestimmt (Göhler/Seitz Vor § 67 OWiG 24; BGH 23, 79 für örtliche Zuständigkeit), auch für J und Hw. § 41 ist nur für das Beschwerdeverfahren in Bußgeldsachen von Bedeutung (§ 41 II 2, § 73 I GVG iVm § 46 VII OWiG; näher Rn 40). Die Zuständigkeitsregelung des § 42 jedoch bleibt unberührt (§ 42, 13).
3.
Anklage zur JKammer
Zur JKammer kann in 6 Fällen angeklagt werden: 10 Gegen J und Hw. wegen Schwurgerichtssachen, die nach den allg. Vorschriften für Erw. zur Zuständigkeit der Schwurgerichtskammer gehören (§ 41 I Nr. 1; § 74 II GVG; zum Sicherungsverfahren Rn 13 a). Dies gilt schon dann, wenn insoweit ein nicht allzu fern liegender Verdacht besteht (BGH GA 62, 149; Rn 2; Eisenberg 5; enger Ostendorf 3 je zu § 41) und selbst, wenn bei Hw. voraussichtlich ErwStrafrecht zur Anwendung kommen und uU auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen sein wird. Sind Verfahren gegen J (Hw.) mit solchen gegen Erw. verbunden und würde die Strafsache des Erw. vor das allg. Schwurgericht gehören, so geht die Zuständigkeit der JKammer vor. Dieser Vorrang der Schwurgerichtszuständigkeit der JKammer nach § 41 I Nr. 1 bleibt auch erhalten, wenn beim Erw. die Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer oder der Staatsschutzkammer durch die ebenfalls bestehende des ErwSchwurgerichts nach § 74 e GVG verdrängt wird (Katholnigg NJW 78, 2376; Eisenberg 7; Ostendorf 3 je zu § 41). Denn die Bezugnahme auf die Regelung des § 74 e GVG in § 41 I Nr. 1 stellt klar, dass in Verfahren, bei denen auch Erw. angeklagt sind, die sonst nach § 103 II 2 vorgehende Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer und der Staatsschutzkammer (§ 103, 6) hinter die Schwurgerichtszuständigkeit der JKammer nach § 41 I Nr. 1 zurücktritt. Auch der Erw. kann sich im Falle des § 103 II auf die Unzuständigkeit der Schwurgerichtskammer berufen (gesetzlicher Richter; BGH H MDR 80, 456). Zur JKammer ist auch dann anzuklagen, wenn bei Hw. voraussichtlich ErwStrafrecht zur An- 11 wendung kommen wird, falls nach konkreter Betrachtung eine Freiheitsstrafe von mehr als 4 Jahren oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung zu erwarten ist (§ 108 III 2; OLG Hamm JMBl. NRW 54, 181; OLG Karlsruhe GA 75, 27). Anklage zur JKammer ist auch dann zu erheben, wenn bei nach § 103 II verbundenen Verfah- 12 ren gegen J (Hw.) und Erw. die Strafsache des Erw. nach den allg. Vorschriften in die Zuständigkeit einer großen Strafkammer fallen würde (§ 41 I Nr. 3). Der Erw. führt in derart verbundenen Verfahren die J (Hw.) dann in erster Instanz mit sich vor die JKammer, wenn ihm Verbrechen zur Last liegen, die nicht zur Zuständigkeit des AG oder des OLG gehören oder wenn ihm Straftaten angelastet werden, bei denen eine höhere Strafe als 4 Jahre Freiheitsstrafe oder
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§§ 39–41
2. Teil. Jugendliche
die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (s. Rn 13 a) oder Sicherungsverwahrung zu erwarten ist (§ 74 I GVG). Bei der Straferwartung ist die unter den konkreten Umständen den oberen Rand der Straferwartung bildende Strafe maßgeblich, damit ausreichender Spielraum für die Rechtsfolgenbemessung besteht und Verweisungen nach § 270 I StPO vermieden werden (OLG Köln NStZ-RR 00, 314). Wenn der StA bei einem Erw. wegen der bes. Bedeutung des Falles hinsichtlich des Erw. Anklage beim LG erheben will (§§ 24 I Nr. 3, 74 I GVG), sieht er, wie auch bei drohender Unterbringung, schon aus erz. Gründen dem jungen Mitangeklagten gegenüber besser von einer Verbindung ab (Ostendorf § 41, 5). 12 a Wenn aber in verbundenen Sachen für die Tat des Erw. die Wirtschaftsstrafkammer oder die Staatsschutzkammer zuständig ist, tritt die JKammer zurück und der Erw. zieht die mit ihm in einem Verfahren verbundenen J (Hw.) vor diese ErwStrafkammern mit ihrer bes. Zuständigkeitskonzentration (§ 103 II S. 3, 2. HS; § 209 a StPO, § 74 e GVG; näher § 103, 6). Die JKammer wird aber in solchen Fällen dann wieder zuständig, wenn eine Schwurgerichtssache die Zuständigkeit der ErwKammern nach §§ 74 c, 74 a GVG verdrängt (§ 41 I Nr. 1 iVm § 74 e GVG; Eisenberg § 41, 7). Dies wird im Einzelfall zur Prüfung der Frage anregen, ob die Verbindung denn tatsächlich notwendig und erz. sinnvoll ist (§ 103 I; näher § 103, 8). 12 b Nach § 41 I Nr. 4 ist die Zuständigkeit der JKammern begründet, wenn die StA wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit von Verletzten der Straftat, die als Zeugen in Betracht kommen, Anklage bei der JKammer erhebt. Die dem § 24 I Nr. 3 GVG nachgebildete Vorschrift will Opferzeugen die 2. Tatsacheninstanz ersparen (Beschlussempfehlung RA, BT-Drs. 16/3038, S. 74; krit. im Hinblick auf Art. 101 GG Eisenberg 7 a; Heghmann DRiZ 05, 291). Erforderlich ist, dass bei einer weiteren Vernehmung in der 2. Tatsacheninstanz gravierende psychische Auswirkungen auf den Opferzeugen zu befürchten sind; dabei kommt es auf die individuelle Schutzbedürftigkeit des Zeugen im konkreten Strafverfahren an (Stellungnahme des BR, BT-Drucks. 16/3038, S. 74; LG Hechingen NStZ-RR 06, 51 zu § 24 I Nr. 3 GVG). Die Vorschrift kommt insbes. bei kindlichen und jugendlichen Opfern von Sexualdelikten in Betracht. Die Umstände, die die besondere Schutzbedürftigkeit des Opferzeugen begründen, sind in der Anklage anzugeben, sofern sie nicht offensichtlich sind (Stellungnahme des BR aaO; OLG Hamburg NStZ 05, 654 zu § 24 I Nr. 3 GVG). Die Entscheidung der StA unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung (Stellungnahme des BR aaO; BVerfGE 9, 223; OLG Hamburg aaO; Meyer-Goßner § 24 GVG 9; aA OLG Schleswig NStZ 1985, 74). 12 c Weiterhin erhebt die StA nach § 41 I Nr. 5 Anklage vor der JKammer, wenn dem Beschuldigten eine Tat der in § 7 II bezeichneten Art (dazu § 7, 15) vorgeworfen wird und eine höhere Strafe als 5 Jahre JStrafe oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist. Durch diese durch Gesetz v. 8. 7. 2008 eingefügte Vorschrift soll erreicht werden, dass die JKammer stets bereits als erkennendes Tatgericht zuständig ist, wenn eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung in Betracht kommt (RegE Begr. BT-Drs. 16/6562, S. 10). Die Zuständigkeit der JKammer ist allerdings nicht an die Voraussetzung geknüpft, dass die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu erwarten ist. Von dieser unsicheren Prognose wollte der Gesetzgeber die Zuständigkeit nicht abhängig machen (RegE aaO). Er hat deshalb allein auf die „äußeren Voraussetzungen“ der nachträglichen Sicherungsverwahrung abgestellt, wobei er die Grenze für die JStrafe wegen der nicht präzise zu treffenden Sanktionsprognose schon bei 5 Jahren gezogen hat (RegE aaO). 13 Letztlich kann die JKammer sich selbst dadurch zuständig machen, dass sie eine Sache nach Vorlage durch das JSchöffengericht wegen des bes. Umfangs übernimmt (§ 41 I Nr. 2; näher Rn 34). 13 a Liegt einem Hw. ein Verbrechen zur Last, für welches die Zuständigkeit der JKammer nach § 41 I Nr. 1 gegeben ist, so entscheidet im Sicherungsverfahren über die Unterbringung in einem
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psychiatrischen Krankenhaus die JKammer ausschließlich (OLG Saarbrücken NStZ 85, 93; OLG Düsseldorf JMBl. NRW 92, 69). 4.
Anklage zum OLG
Das OLG ist für alle in § 120 GVG aufgezählten Delikte zuständig und allen JGerichten gegen- 14 über Gericht höherer Ordnung. Es genügt ein nicht allzu fern liegender Verdacht (Rn 2). Einheitsstrafenbildung Rn 41. Die Staatsschutzkammer bei dem LG nach § 74 a GVG ist eine „bes. Strafkammer“ mit gesetzlich bestimmter Geschäftsaufgabe, die für J und Hw. nicht zuständig ist, es sei denn zu dem Verfahren gegen J (Hw.) sind auch Erw. verbunden, deren Taten in die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer fallen (Rn 12 u. 25). Zur Zuständigkeit der OLG als gemeinschaftliche obere Gerichte iSd § 4 II 2 StPO: § 103, 12 a. 5.
Anklage zum JSchöffengericht
Zum JSchöffengericht (§ 40 I) ist die Anklage in allen übrigen Verfahren zu erheben, also wenn 15 kein Delikt nach § 108 III 2, § 120 GVG vorliegt, die Verhängung einer JStrafe gleich welcher Höhe oder die Aussetzung der Verhängung einer JStrafe – auch bei bestehenden Zweifeln – in Betracht kommt, sowie immer dann, wenn der JStA nicht vor dem JRichter anklagt. Das JSchöffengericht kann alle nach dem JGG zulässigen Sanktionen sowie Maßregeln (außer Sicherungsverwahrung) bis zum Höchstmaß aussprechen, Freiheitsstrafe aber nur bis zu 4 Jahren (§ 108 III 1; dazu Rn 11 u. 12). J und Hw. sind grds. zum JSchöffengericht auch dann anzuklagen, wenn die Unterbringung in ei- 16 nem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG NJW 86, 771). Denn die §§ 39–41 ersetzen in JSachen die nur für das ErwStrafverfahren geltende Vorschrift des § 24 I Nr. 2, II GVG, welche für den Erw. insoweit die große Strafkammer vorsieht (§ 2 II; LG Bonn NJW 76, 2312; zust. Eisenberg § 40, 7); es folgt auch aus § 108. Andernfalls hätte sich in Anbetracht des § 24 I Nr. 2, II GVG die Einfügung des § 39 II HS 2 erübrigt. Der J(Einzel)Richter darf die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht anordnen (§ 39 II). In diesem Fall ist also das JSchöffengericht in erster Instanz im Rahmen seiner allg. Auffangzuständigkeit zur Entscheidung berufen, es sei denn, die JKammer ist wegen des angeklagten Verbrechens nach § 41 I Nr. 1 oder 5 zuständig (OLG Saarbrücken NStZ 85, 93; OLG Stuttgart MDR 88, 433) oder sie hat das Verfahren nach §§ 40 II, 41 I Nr. 2 übernommen. Gegen einen Hw. darf das JSchöffengericht bei Anwendung von allg. Recht die Unterbringung 16 a nicht anordnen; hierfür ist nach § 108 III 2 die JKammer zuständig. Ist zu einem Verfahren gegen J (Hw.) ein Erw. verbunden und für diesen die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten, so ist für den Erw. die JKammer in erster Instanz zuständig (§ 41 I Nr. 3; § 24 I Nr. 2, II GVG), was dann zwangsläufig auch für die zum gleichen Verfahren verbundenen J (Hw.) gilt (Eisenberg § 108, 12 u. NJW 86, 2410; abl. Ostendorf § 40, 5). In der Praxis wird sich eine derartige Verbindung wegen der unnötigen Zuständigkeitsverschiebung und der möglichen unguten Wirkung des Verfahrens auf die J nicht empfehlen (vgl. § 103, 8). Dies alles gilt auch für die Durchführung des Sicherungsverfahrens nach §§ 413 ff StPO (OLG Stuttgart MDR 88, 433; abl. Eisenberg § 40, 7; dazu aber Rn 13 a). Die abschließende Regelung der sachlichen Zuständigkeit durch das JGG ist auch für das Sicherungsverfahren sinnvoll, da der JRichter als Vorsitzender des JSchöffengerichts eine bes. Erfahrung in der Auswahl von Maßnahmen hat, die zur Abwendung der bes. bei J unerwünschten (§ 7, 2) Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ausreichen können (OLG Oldenburg NJW 58, 1200; OLG Karlsruhe JZ 57, 31; LG Bonn NJW 76, 2312; Dallinger/Lackner § 40, 4; Eisenberg § 40, 7). Wenn es nur um die Entziehung der Fahrerlaubnis geht, wird auch der JRichter zuständig sein können (vgl. Löwe/Rosenberg/Gössel § 414 StPO 14). Durch Sachzusammenhang (§ 3 StPO) kann auch ein höheres Gericht zuständig werden.
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Strafbann des JRichters nach Eröffnung des Hauptverfahrens
18 Ist das Hauptverfahren vor dem JRichter eröffnet, so braucht er nicht mehr zu prüfen, ob ev. eine JStrafe zu erwarten ist (BGH GA 81, 321 mit Anm. Rieß; BayObLG 85, 33 zu § 25 Nr. 3 GVG aF). Er darf dann auch aus prozessökonomischen Gründen JStrafe bis zu einem Jahr verhängen (zur Einheitsstrafenbildung Rn 41), eine Entscheidung nach § 27 (aber § 27, 11) treffen (§ 39 II) und Maßregeln der Besserung und Sicherung (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, Führungsaufsicht) anordnen (zust. Eisenberg § 39, 12), nicht aber die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 39 II). Reicht der durch § 39 II erweiterte Strafbann nicht aus, so verweist der JRichter Verfahren gegen J und Hw. an das JSchöffengericht (Rn 30), was auch ohne diese Voraussetzung zum Zwecke der Verbindung mit einem beim JSchöffengericht anhängigen Verfahren geschehen kann (vgl. § 31 I). 7.
Das sachlich unzuständige J- oder ErwGericht vor Eröffnung des Hauptverfahrens
19 Der Inhalt der Anklage bestimmt die Zuständigkeit des Gerichts (§§ 170 I, 206 StPO): Verneint ein Gericht höherer Ordnung den hinreichenden Tatverdacht für eine Straftat, die seine Zuständigkeit begründen würde, oder beschränkt es die Verfolgung nach § 154 a StPO insoweit, so eröffnet es das Hauptverfahren vor dem zuständigen nachgeordneten Gericht (BGH 29, 341; Meyer-Goßner § 209 StPO 2). Dazu aber auch § 32, 7. Hält das mit der Anklage angegangene J- oder ErwGericht sich für sachlich nicht zuständig, so bietet sich als einfachster Weg an, dem JStA diese Bedenken formlos mitzuteilen. Teilt der JStA die Bedenken des Gerichts hinsichtlich seiner Zuständigkeit – was zumeist unschwer zu klären ist – so nimmt er seine Anklage zurück (§ 156 StPO) und erhebt sie erneut vor dem zuständigen Gericht, ggf. nach Einfügen des nunmehr erforderlichen wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen (§ 200 II StPO). Gelingt eine solche rasche und einfache Klärung nicht, so ist zu unterscheiden: 20 Gleichrangige JGerichte des gleichen Gerichts geben ohne bindende Wirkung (OLG Hamm NJW 72, 1909) formlos aneinander ab (BGH 26, 200). Die Sache wird beim anderen Richter erst dann anhängig, wenn dieser sich zur Übernahme bereit erklärt (KG NJW 64, 237). Lehnt dieser die Übernahme ab, so entscheidet diesen Streit über die Anwendung des Geschäftsverteilungsplanes – es geht nicht um eine gesetzliche Aufgabenregelung – das Präsidium des Gerichts nach § 21 e GVG durch revisionsgerichtlich nur auf Ermessensmissbrauch überprüfbaren (BGH MDR 75, 770) Beschluss (BGH 25, 244; 26, 200; OLG Schleswig SchlHA 77, 29), in Eilfällen der Präsident (BGH H MDR 77, 416). 21 Hält ein rangniedrigeres JGericht ein ranghöheres JGericht seines Bezirks für zuständig, so legt es diesem die Sache nach § 39 I 3, § 209 II StPO durch Vermittlung des JStA nach Durchführung des Verfahrens gem. § 201 StPO, idR bei Entscheidungsreife, zur Übernahme vor (Löwe/Rosenberg/Stuckenberg § 209 StPO 33), also: der JRichter dem JSchöffengericht, der JKammer oder dem OLG (kein JGericht); das JSchöffengericht der JKammer oder dem OLG; die JKammer dem OLG. Beschwerde gegen den Vorlegungsbeschluss nach § 209 II StPO ist nicht zulässig (Meyer-Goßner § 209 StPO 9). Die Vorlage muss immer durch Vermittlung des JStA erfolgen (Löwe/Rosenberg/Stuckenberg § 209 StPO 43), auch wenn der JRichter dem JSchöffenrichter beim gleichen Gericht vorlegt (LG Lübeck SchlHA 66, 47), schon um dem JStA nach § 33 II StPO Gelegenheit zur Äußerung zu geben (vgl. aber auch Rn 18). Der JStA kann die Anklage bis zur Entscheidung des ranghöheren JGerichts zurücknehmen (§ 156 StPO) oder vor Weiterleitung der Akten Stellung nehmen und ggf. das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen beifügen (§ 200 II StPO). Für die Zuständigkeitsprüfung in diesem Zwischenverfahren ist nur Abs. I, nicht Abs. II des § 39 in Betracht zu ziehen (Dallinger/Lackner § 39, 7); dies gilt auch für die Rn 22. Das vorgelegte Verfahren wird bei dem ranghöheren Gericht erst dann anhängig, wenn es durch Beschluss
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oder zumindest unmissverständliche Stellungnahme des Spruchkörpers in seiner Gesamtheit (LG Bonn NJW 76, 2312) das Verfahren übernimmt. Anders als bei § 270 StPO wird hier das ranghöhere Gericht durch die Vorlage der Akten nicht gebunden, da eine derartige Vorlage einer Anklageerhebung entspricht. Es muss das Gericht also das Hauptverfahren vor sich selbst, nach § 209 I StPO vor einem Gericht niedrigerer Ordnung (auch dem vorlegenden) eröffnen oder auch seinerseits wieder nach § 209 II StPO vorlegen (vgl. Rieß NJW 79, 1536). Hält ein ranghöheres ein rangniedrigeres JGericht seines Bezirks für zuständig, so eröffnet 22 es, falls Rückverweisung nach § 270 StPO praktisch auszuschließen ist (OLG Karlsruhe Justiz 86, 50), nach § 209 I StPO vor diesem das Hauptverfahren, also das JSchöffengericht vor dem JRichter, die JKammer vor dem JSchöffengericht und dem JRichter. Mit Eingang des Eröffnungsbeschlusses wird das Verfahren vor dem rangniedrigeren JGericht rechtshängig. Dieses ist gebunden; es kann nicht mehr nach §§ 209 II, 225 a I StPO an ein Gericht höherer Ordnung vorlegen, wohl aber in der Hauptverhandlung nach § 270 StPO dorthin verweisen (KMR/Seidl § 209 StPO 15). Das OLG kann das Verfahren vor jedem nachgeordneten Gericht eröffnen, wenn es den hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich der seine Zuständigkeit begründenden Straftat verneint oder insoweit nach § 154 a StPO verfährt (BGH 29, 341). Das Verhältnis der JGerichte zu den ErwGerichten wurde hinsichtlich der Verbindung und 23 Trennung rechtshängiger Sachen und hinsichtlich der Zuständigkeit im Eröffnungsverfahren durch das StVÄG 1979 grundlegend geändert. Allg. dazu § 33, 4–8. Die ErwGerichte haben die Spezialzuständigkeit der JGerichte in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen, weil insoweit § 6 StPO, nicht § 6 a StPO gilt (Rieß NJW 78, 2267). Zu JSchutzsachen Anh § 125, 4 a, 6 ff. Zwischen rangverschiedenen J- und ErwGerichten gilt vor Eröffnung des Hauptverfahrens bei 24 Zuständigkeitskonkurrenz nur § 209 StPO, weil die Sondervorschrift des § 209 a StPO Gerichte „gleicher Ordnung“ voraussetzt und bei diesen Zuständigkeitsstreit vermeiden will. Kommt ein JGericht zur Auffassung, dass ein bei ihm angeschuldigter J oder Hw. zur Tatzeit 24 a schon erwachsen war, so legt das rangniedrigere JGericht dem ranghöheren ErwGericht das Verfahren, in Form und Wirkung wie Rn 21 ausgeführt, zur Übernahme vor (§ 209 II StPO), also: der JRichter dem ErwSchöffengericht oder – wie auch das JSchöffengericht – der ErwStrafkammer (auch Schwurgerichts-, Wirtschaftsstraf- oder Staatsschutzkammer) und dem OLG. Das ranghöhere JGericht eröffnet, in Form und Wirkung wie Rn 22 ausgeführt, vor dem rangniedrigeren ErwGericht (§ 209 I StPO), also: das JSchöffengericht vor dem ErwStrafrichter; die JKammer vor diesem und dem ErwSchöffengericht. Kommt ein ErwGericht zur Auffassung, auch nur einer der Angeschuldigten sei zur Tatzeit J 24 b oder Hw. gewesen, so legt das rangniedrigere ErwGericht dem ranghöheren JGericht zur Übernahme vor (§ 209 II StPO), also: der ErwStrafrichter dem JSchöffengericht und der JKammer; das ErwSchöffengericht der JKammer. Das ranghöhere ErwGericht eröffnet vor dem rangniedrigeren JGericht (§ 209 I StPO), also: 24 c das OLG vor JKammer, JSchöffengericht und JRichter; die ErwStrafkammer vor JSchöffengericht und JRichter; das ErwSchöffengericht vor dem JRichter. Bei gleichrangigen J- und ErwGerichten stellt § 209 a StPO die JGerichte den ErwGerichten 25 gegenüber Gerichten höherer Ordnung gleich, wenn zu entscheiden ist, ob ein Verfahren nach den Vorschriften des JGG vor ein JGericht gehört. Ist aber in einer Sache zu J (Hw.) ein Erw. zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden und wäre für die Strafsache des Erw. die Wirtschaftsstraf- oder die Staatsschutzkammer zuständig, so geht deren Zuständigkeit auch für J (Hw.) vor (§ 103 II 2, 3; näher § 103, 6). Es eröffnet also: der JRichter oder BezirksJRichter vor dem ErwStrafrichter; das JSchöffengericht oder BezJSchöffengericht vor ErwSchöffengericht und erweitertem ErwSchöffengericht; die JKammer vor großen ErwStrafkammern in
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der Rangfolge des § 74 e GVG, nicht aber in verbundenen JSachen mit einer zur Kompetenz der Wirtschaftsstraf- oder Staatsschutzkammer gehörenden ErwSache (§ 103 II 2, 3; oben). Wegen dieser Ausnahme muss in solchen Sachen die JKammer der Wirtschaftsstraf- und der Staatsschutzkammer das gesamte verbundene Verfahren zur Übernahme vorlegen, da diese Spezialgerichte in diesem Falle auch über die jrechtlichen Voraussetzungen der Verbindung (§ 103 I) entscheiden (§§ 103, 6 u. 8). Nach § 209 a StPO haben also zur Übernahme vorzulegen: der ErwStrafrichter an den JRichter oder BezirksJRichter; das ErwSchöffengericht und das erweiterte ErwSchöffengericht an das JSchöffengericht oder das BezirksJSchöffengericht; die ErwStrafkammer – auch die Schwurgerichtskammer – stets und die Wirtschaftsstraf- und Staatsschutzkammer (falls nicht die Ausnahme § 103 II 2, 3 eingreift) der JKammer. 8.
Das sachlich unzuständige J- oder ErwGericht nach Eröffnung des Hauptverfahrens, aber außerhalb der Hauptverhandlung
26 Nach Eröffnung des Hauptverfahrens gestattet § 225 a StPO die Vorlage des Verfahrens durch begründeten, unanfechtbaren Beschluss über den JStA an das zuständige Gericht höherer Ordnung zur Übernahme vor der Hauptverhandlung und auch wieder nach dieser, wenn die Hauptverhandlung das Verfahren nicht für die Instanz beendet hat (Löwe/Rosenberg/Jäger § 225 a StPO 5). Im Berufungsverfahren ist § 225 a StPO nicht anwendbar (§ 323 I 1 StPO), auch nicht im JSchutzverfahren (Anh § 125, 6). 26 a An ein Gericht niederer oder gleicher Ordnung kann nach Eröffnung des Hauptverfahrens nicht mehr verwiesen werden (§ 269 StPO; § 47 a). Eine Ausnahme gilt für das JGericht nur für den Fall des § 103 II 2, 3 (näher § 47 a, 2). Die Rechtsfolgenerwartung nach § 39 I 1 und andere normative Zuständigkeitsmerkmale sind nach der Eröffnung des Hauptverfahrens nicht mehr zu prüfen und rechtfertigen es nicht, das Verfahren nach § 225 a StPO dem Gericht höherer Ordnung vorzulegen oder es nach § 270 StPO dorthin zu verweisen (Rieß NJW 78, 2267; Meyer-Goßner § 225 a StPO 5, § 270 StPO 5). Die Missachtung normativer Zuständigkeitsmerkmale ist deshalb auch irreversibel. 27 Hält ein ErwGericht ein JGericht für zuständig, so kann es nicht nur jedem ranghöheren Gericht, sondern, weil § 225 a I 1 StPO auf § 209 a Nr. 2 a StPO verweist, auch jedem gerichtsverfassungsgemäß an sich gleichgeordneten JGericht das Verfahren zur Übernahme vorlegen. Die gleichrangigen JGerichte haben deshalb auch die Prüfungskompetenz der Gerichte höherer Ordnung (Löwe/Rosenberg/Jäger § 225 a StPO 19). 27 a Es legen deshalb vor: ErwStrafrichter an JRichter; ErwSchöffengericht an JSchöffengericht; ErwStrafkammer und Schwurgerichtskammer an JKammer; JKammer an OLG und im Falle des § 103 II 2, 3 auf Rüge (§ 6 a StPO) an Wirtschaftsstraf- und Staatsschutzkammer (§ 225 a IV StPO). 28 Zu Form und Wirkung der Vorlage Rn 21. Das übernehmende Gericht kann zwar den hinreichenden Tatverdacht nicht mehr verneinen, es kann aber im unanfechtbaren Übernahmebeschluss den Eröffnungsbeschluss in der rechtlichen Würdigung abändern (§ 207 II Nr. 3 StPO entsprechend) oder die Verfolgung nach § 207 II Nr. 2, 4 StPO beschränken oder erweitern (Löwe/Rosenberg/Jäger § 225 a StPO 22). Nach § 154 a StPO darf es erst nach Übernahme beschränken, also nicht dadurch die Ablehnung herbeiführen. – Der zu begründende Ablehnungsbeschluss berührt die Rechtshängigkeit nicht, die Akten werden stets nur an das vorlegende Gericht zurückgeleitet (Meyer-Goßner § 225 a StPO 19). 28 a Das höherrangige Gericht kann mehrfache Rechtshängigkeit der gleichen prozessualen Tat durch Verbindungsbeschluss beseitigen (BGH 36, 175).
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Sachliche Zuständigkeit der Jugendgerichte
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§§ 39–41
Das sachlich unzuständige J- oder ErwGericht in der Hauptverhandlung
Die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ist ausgeschlossen (§ 47 a; § 269 StPO). Die 29 sachliche Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten (§ 6 StPO; Ausnahme § 6 a StPO für die bes. ErwStrafkammern). Für JGerichte untereinander findet die Gesetzesanweisung des § 270 StPO Anwendung. Es 30 verweist etwa der JRichter an das JSchöffengericht, wenn sein Strafbann nach § 39 II nicht ausreicht (Rn 18). Die Rechtsfolgenerwartung nach § 39 I 1 aber rechtfertigt eine Verweisung nach § 270 in diesem Verfahrensstadium nicht mehr (Rn 26 a). Das ErwGericht kann, da § 270 I StPO auf § 209 a Nr. 2 a StPO Bezug nimmt, nicht nur an ein 31 JGericht höherer Ordnung, sondern auch an ein JGericht gerichtsverfassungsgemäß gleicher Ordnung verweisen, weil JGerichte insoweit als Gerichte höherer Ordnung gelten. Zur Verweisungsfolge, auch für JGerichte zu ErwGerichten, Rn 27. Die Zuständigkeit der JGerichte ist nach § 6 StPO in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten, § 6 a StPO gilt insoweit nicht (§ 33, 6; BGH 47, 311 = NStZ 03, 47 mit zust. Anm. Rieß). Ergibt sich in der Hauptverhandlung vor der Strafkammer die Zuständigkeit der JKammer, ist die Sache auch dann nach § 270 I StPO an die JKammer zu verweisen, wenn diese das bei ihr angeklagte Verfahren gem. § 209 I iVm § 209 a Nr. 2 a StPO vor der Strafkammer eröffnet hatte (BGH aaO). Das Gericht, an welches nach § 270 StPO verwiesen wurde, darf das Verfahren nicht mehr an das 32 verweisende Gericht zurückverweisen; die Verweisung nach § 270 StPO bindet auch nachrangige wie im Range vorgehende Spezialkammern (Löwe/Rosenberg/Gollwitzer § 270 StPO 35). Eine Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ist ausgeschlossen (Rn 29), eine Verweisung aber an ein Gericht höherer Ordnung oder an ein JGericht gerichtsverfassungsmäßig gleicher Ordnung ist stets möglich (Löwe/Rosenberg/Gollwitzer § 270 StPO 7). Es wird deshalb nach § 270 StPO an andere Gerichte in der Reihenfolge verwiesen, wie in Rn 27 für die Vorlage nach § 225 a StPO im Einzelnen aufgeführt ist. Ein fehlerhafter Verweisungsbeschluss nach § 270 StPO bindet nur dann nicht, wenn er auf Willkür beruht (BGH 29, 216; OLG Karlsruhe Justiz 80, 278; OLG Stuttgart NStZ 86, 74) oder die Verweisung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerfGE 29, 49; BGH NJW 80, 1586; OLG Düsseldorf NStZ 86, 426; vgl. auch Hilger NStZ 83, 340); das ist auch dann der Fall, wenn das Gesetz keine Verweisungen vorsieht, weil eindeutige Zuständigkeitsregeln einen Kompetenzkonflikt gar nicht zulassen, und gleichwohl verwiesen wird (OLG Schleswig NStZ 81, 491). Nach Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung gilt wieder § 225 a StPO (Rn 26). Zur Trennung verbundener Verfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens § 103, 13 ff. Die Unzuständigkeit des ErwGerichts in Sachen, die nach dem JGG vor JGerichte gehören, kann 33 uneingeschränkt mit der Revision geltend gemacht werden (Löwe/Rosenberg/Stuckenberg § 209 a StPO 48; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer § 225 a StPO 71). Zur Revisibilität einzelner Verstöße gegen Zuständigkeitsvorschriften s. § 33, 18, 19 u. 20; § 47 a, 2, 3, 5. Vgl. auch OLG Koblenz VRS Bd. 71 (86), 462. 10.
Besondere Übertragungsmöglichkeiten
Daneben sieht das Gesetz noch verschiedene bes. Übertragungsmöglichkeiten vor.
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Vom JSchöffengericht zur JKammer wegen des bes. Umfangs der Sache (§§ 40 II, 41 I Nr. 2), so 34 a etwa bei 18 Angeklagten (BGH B NStZ 83, 450). Nicht aber kann gebilligt werden, eine Übernahme wegen des Umfangs dadurch herbeizuführen, dass ein Verfahren mit relativ geringem Tatvorwurf über den Sachzusammenhang mit einem Verfahren mit einer Vielzahl von Beschuldigten und zum Teil schwerwiegenden Straftaten verbunden wird (Eisenberg § 40, 11). Ob der JRichter als Vor-
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§§ 39–41
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sitzender des JSchöffengerichts vorlegt (RL S. 1) und ob die Kammer übernimmt, liegt in ihrem sachlich nicht nachprüfbaren Ermessen (§ 40 IV 1; OLG Karlsruhe MDR 80, 427). Weil der die Übernahme ablehnende Beschluss der JKammer nicht anfechtbar ist (§ 40 IV 1) und weil es kein erweitertes JSchöffengericht gibt, fordert Simon (DRiZ 80, 455) mehr Übernahmebereitschaft der JKammern. Nach Nothacker (S. 318, 319) und Burscheidt (S. 40) darf jedoch wegen des mit der Übernahme verbundenen Verlustes einer Tatsacheninstanz die Übernahme nur erfolgen, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine den J ggf. erhöht belastende Verfahrensdauer bei Verfahrensdurchführung vor dem JSchöffengericht bestehen. Die Vorlage ist erst nach Einreichung der Anklageschrift an das JSchöffengericht und nur bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens möglich. Der BGH (NJW 60, 2203) hat aber ein Verfahren, in dem das Urteil der Strafkammer aufgehoben wurde, weil das Verfahren vor ein JGericht gehört hätte, an die JKammer statt an das zuständige JSchöffengericht verwiesen, weil die Sache für das JSchöffengericht zu umfangreich und durch die unrichtige Ausschaltung des JGerichts im bisherigen Verfahren die Übertragung gem. §§ 40 II, 41 I Nr. 2 nicht möglich war. Der Übernahmebeschluss muss mit dem Eröffnungsbeschluss verbunden werden (§ 40 IV 2), er ersetzt den Eröffnungsbeschluss nicht (BGH NStZ-RR 03, 95). Nach LG Frankfurt NStZ-RR 96, 251 kann die JKammer die Sache zunächst übernehmen und bei Reduzierung des im Eröffnungsbeschluss zuzulassenden Anklageumfangs das Hauptverfahren vor dem JSchöffengericht eröffnen (zust. Eisenberg § 40, 13). Dies ist jedoch mit § 40 IV 2 nicht vereinbar (ebenso DSS/Schoreit § 40, 8). Abgabegrund ist nur der bes. Umfang des Verfahrens, der die Kraft eines Richters übersteigt (zB Banden), nicht aber rechtliche Schwierigkeiten oder das bes. Aufsehen, das die Tat erregt hat (RL S. 2; zust. Eisenberg § 40, 11). Eine bes. Bedeutung des Falles (wie § 24 I Nr. 3 GVG für Erw.) kennt das JGG nicht (OLG Karlsruhe GA 75, 27). § 40 III gibt dem Angeschuldigten dabei bes. Schutz als Ausgleich für den Verlust einer Tatsacheninstanz. Darüber hinaus steht dem Vorsitzenden der JKammer bereits im Übernahmeverfahren Beweissicherung offen (OLG Schleswig SchlHA 68, 290). Zum Vorschlag, hier einen Fall notwendiger Verteidigung anzunehmen (§ 68 Nr. 1, § 140 II StPO), Molketin Zbl. 81, 378. Verbindet die JKammer das übernommene Verfahren wegen Sachzusammenhangs mit einem anderen, so kann eine Revisionsrüge allenfalls auf „willkürliche Verfahrensweise“ (§ 338 Nr. 4 StPO) gestützt werden (BGH bei Hilger NStZ 83, 340). Vgl. Rn 32 aE. Die §§ 40 II, 41 I Nr. 2 gelten im JSchutzverfahren nicht (Anh § 125, 4). 35 Das Revisionsgericht verweist eine Sache nach § 354 II StPO an ein anderes JGericht gleicher Ordnung zurück, auch an eine vorsorglich eingerichtete „Ersatz“JKammer, uU auch nach § 354 III StPO an ein JGericht niederer Ordnung, wenn die noch in Frage kommende Straftat zu dessen Zuständigkeit gehört. Wenn sich aber bei verbundenen Verfahren das weitere nur noch gegen einen Erw. richtet, kann das Revisionsgericht statt an die JKammer an eine allg. Strafkammer zurückverweisen (BGH 35, 267). Es überzeugt die Begründung des BGH, dass § 47 a S. 1 zwar das JGericht nach Eröffnung des Verfahrens bindet, dies aber für die Revisionsentscheidung nichts besagt, weil es in der Revisionsinstanz kein JGericht gibt. Insoweit hat das Revisionsgericht also nicht nach Vorschriften des JGG, sondern nach § 354 II und III StPO zu entscheiden. Gegenüber der allg. Strafkammer ist die JKammer kein höheres Gericht, sondern nach § 209 a StPO nur iSd §§ 4, 209, 210 II StPO einem solchen gleichgestellt. Dieser Entscheidung ist zuzustimmen, zumal hierdurch die JGerichte sinnvoll und ohne Schaden entlastet werden. Wenn dies sachlich geboten ist, kann das Revisionsgericht allerdings auch das sich nur noch gegen einen Erw. richtende Verfahren an eine JKammer zurückverweisen (BGH StV 94, 415 mit abl. Anm. Schneider; vgl. auch § 47 a, 7). Im umgekehrten Fall, nämlich nach Beendigung des Verfahrens gegen den Erw. und Weiterführung gegen den J, hat der BGH zu Recht eine Sache von der allg. Strafkammer an die JKammer zurückverwiesen, BGH 21, 291. Zur Zurückverweisung durch die JKammer Rn 36.
264
Sachliche Zuständigkeit der Jugendgerichte
11.
§§ 39–41
Jugendkammer als Berufungs- und Beschwerdegericht
Die JKammern treten als Berufungs- und Beschwerdeinstanz (§ 73 I GVG, auch gegen bestimmte 36 Entscheidungen des StA nach § 161 a III StPO) an die Stelle der Strafkammern des allg. Rechts. Nach dem durch das RpflEntlG vom 11. 1. 1993 eingefügten § 33 b entscheidet die JKammer über Berufungen gegen Urteile des JSchöffengerichts mit drei – ggf. zwei (§ 33, 9) – Berufsrichtern und zwei JSchöffen (große JKammer) und über Berufungen gegen Urteile des JRichters mit einem Berufsrichter und zwei JSchöffen (kleine JKammer). Über Beschwerden entscheiden drei Berufsrichter. Die JKammer hat stets zu entscheiden, auch wenn das angefochtene Urteil gegen einen Hw. ErwRecht angewendet hat (KG VRS Bd 23 [62], 301). Die JKammer ist für die Berufung eines Erw. gegen das Urteil eines JGerichts, auch wenn dieser allein Berufung eingelegt hat, zuständig, weil es für den Rechtsmittelzug nur darauf ankommt, welches Gericht in der vorgehenden Instanz entschieden hat (BGH 22, 48 gegen BGH 13, 157; ebenso BayObLG Urt. v. 1. 2. 1972 – RRg. 2 St 139/71; OLG Nürnberg, Beschl. v. 12. 7. 1978 – Ws 440/78). Zur Zurückverweisung durch ein ErwGericht § 47 a, 7; § 103, 17; zur Zurückverweisung durch das Revisionsgericht Rn 35. War das Erstgericht sachlich nicht zuständig, verweist die JKammer unter Aufhebung des Urteils an das zuständige Gericht (Rn 35; Eisenberg § 41, 10). Als Berufungsgericht ist die JKammer an sich an den Strafbann des Erstgerichts gebunden, also 36 a zB an § 39, wenn das Urteil eines JRichters angefochten ist, oder an die Grenze von 4 Jahren Freiheitsstrafe für das AG allg. (§ 108 III). Dies hat das Revisionsgericht ohne Rüge zu beachten (§ 33, 19; BGH NJW 70, 155). Das Berufungsurteil einer JKammer, mit dem sie die Strafgewalt des JSchöffengerichts – möglicherweise auch versehentlich – überschritten hat, kann jedoch in ein erstinstanzliches (ohne die Beschränkung des § 55 II mit Revision zum BGH anfechtbares) Urteil umgedeutet werden, wenn die JKammer die für das erstinstanzliche Verfahren geltenden zwingenden Verfahrensvorschriften eingehalten hat (BGH 21, 229; 23, 283; BGH GA 68, 340; BGH B NStZ 96, 480; BGH NStZ 10, 94; Pentz GA 58, 299; DSS/Schoreit § 41, 9; aA Ostendorf 11). Dies gilt aber nicht, wenn die JKammer das Verschlechterungsverbot verletzt hat. Es ist dann das OLG zuständiges Revisionsgericht (BGH 31, 63 u. NJW 70, 155 für ErwGericht im Anschluss an BGH 23, 283). Auch eine Verbindung von Verfahren 1. und 2. Instanz wird man danach zulassen können, wenn sie sich in der gleichen Verfahrenslage befinden (BGH 23, 283; 25, 51; BGH NJW 76, 720; Ostendorf § 41, 11; Faber JZ 78, 117; gegen eine Verbindung nach § 4 StPO wegen Eingriffs in den Rechtsmittelzug u. für Vorgehen nach § 237 StPO Meyer-Goßner NStZ 04, 358). Zur Umdeutung von Berufungs- in erstinstanzliche Verfahren vgl. auch BGH bei Miebach NStZ 90, 29. Zur Frage der Verbindung erstinstanzlicher mit Berufungsverfahren auch BGH 36, 348; BGH MDR 90, 448; StV 90, 385 u. 386. Wird auf Revision eine Sache der JKammer „an eine andere Strafkammer des Landgerichts“ zu- 37 rückverwiesen (dazu Rn 35) und besteht dort keine zweite JKammer, so kann entweder der Geschäftsverteilungsplan für den Rest des Geschäftsjahres nachträglich ergänzt (BGH Beschl. v. 25. 8. 1970 – 1 StR 49/70; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 76, 169) oder nach § 15 StPO das zuständige Gericht bestimmt werden (BGH Beschl. v. 10. 10. 1972 – 1 StR 358/71; zust. Ostendorf § 41, 12; vgl. auch BGH H MDR 77, 810). Die JKammer trifft alle Entscheidungen gegen Anordnungen des Vollstreckungsleiters, 38 wenn dieser in gleicher Sache als erkennender Richter tätig geworden ist oder in Wahrnehmung der Aufgaben der Strafvollstreckungskammer über seine eigene Anordnung zu entscheiden hätte (§ 83 II; RL II Nr. 5 zu §§ 82–85; § 83, 2, 5). Der sonstige Instanzenzug ist wie im ErwRecht, doch beschränkt durch § 55 II.
39
Die JKammer entscheidet im OWiG-Verfahren als Rechtsmittelgericht nach §§ 70 II, 100 II 2, 40 104 III 1, 108 I 2 HS 2, 110 II 2 OWiG. Vgl. auch Rn 9. Weitere Beschwerde ist nicht gegeben (§ 46 I OWiG iVm § 310 II StPO). Wird nach Eröffnung des Hauptverfahrens wegen einer Straftat der
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§ 42
2. Teil. Jugendliche
Angeklagte lediglich wegen einer Ordnungswidrigkeit verurteilt, so verbleibt es für die Anfechtung dieses Urteils bei den strafprozessualen Rechtsmitteln; die Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft (OLG Hamm NJW 69, 1500). Vgl. aber auch BayObLG 73, 190. 12.
Zuständigkeit zur Einheitsstrafenbildung
41 Zur Einheitsstrafenbildung (§ 31) ist jedes Gericht im Rahmen seines Strafbannes (der JRichter also auch bei Einbeziehung früherer Verurteilungen nur bis zu einem Jahr: OLG Celle GA 60, 86; OLG Schleswig bei Lorenzen/Thamm SchlHA 96, 119; vgl. auch Rn 7; Eisenberg § 39, 13, § 40, 6) berufen, auch wenn die früheren Verfahren vor dem OLG wegen in § 120 GVG aufgeführter Delikte anhängig waren. Denn diese Sonderzuständigkeit betrifft nur die Aburteilung der Taten selbst; diese ist aber bei der Einbeziehung schon erfolgt. Etwas anderes gilt nur, wenn ein Schuldspruch (§ 27) einbezogen wird; denn hier wird insoweit die Tat hinsichtlich der Straffrage abgeurteilt (ebenso Dallinger/Lackner § 40, 2; Eisenberg § 40, 6; § 102, 3; aA Ostendorf § 31, 9).
§ 42 Örtliche Zuständigkeit § 42 Örtliche Zuständigkeit (1) Neben dem Richter, der nach dem allgemeinen Verfahrensrecht oder nach besonderen Vorschriften zuständig ist, sind zuständig 1. der Richter, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben für den Beschuldigten obliegen, 2. der Richter, in dessen Bezirk sich der auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte zur Zeit der Erhebung der Anklage aufhält, 3. solange der Beschuldigte eine Jugendstrafe noch nicht vollständig verbüßt hat, der Richter, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen. (2) Der Staatsanwalt soll die Anklage nach Möglichkeit vor dem Richter erheben, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben obliegen, solange aber der Beschuldigte eine Jugendstrafe noch nicht vollständig verbüßt hat, vor dem Richter, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen. (3) Wechselt der Angeklagte seinen Aufenthalt, so kann der Richter das Verfahren mit Zustimmung des Staatsanwalts an den Richter abgeben, in dessen Bezirk sich der Angeklagte aufhält. Hat der Richter, an den das Verfahren abgegeben worden ist, gegen die Übernahme Bedenken, so entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht. 1. Hw.: § 108 I; – 2. [ErwG]: § 104, 2. Abs. 1 Nr. 1: 1. [Hw.]: Rn 4–2. [ErwG]: § 104, 2. Richtlinien zu § 42: 1. Bei Verfehlungen* von geringem Unrechtsgehalt, bei denen vormundschaftsrichterliche Maßnahmen nicht erforderlich sind, stellt die Staatsanwaltschaft den Antrag in der Regel bei dem Jugendgericht, in dessen Bezirk sich die auf freiem Fuß befindliche beschuldigte Person zur Zeit der Erhebung der Anklage aufhält (§ 42 Abs. 1 Nr. 2) oder in dessen Bezirk diese Person ergriffen worden ist (§ 9 StPO). 2. Wird die Anklage im Falle des § 42 Abs. 1 Nr. 3 nicht vor dem danach zuständigen Gericht erhoben, so übersendet die Staatsanwaltschaft dem Vollstreckungsleiter eine Abschrift der Anklage und teilt ihm den Ausgang des Verfahrens mit. * Vgl. Anhang (= Abdruck von Kap. III Sachgebiet C Abschnitt III 3. b) und c) der Anlage 1 zum Einigungsvertrag; siehe dazu § 1, 6 c).
266
§ 42
Örtliche Zuständigkeit Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
1.
Gerichtsstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtsstand der familiengerichtlichen Zuständigkeit Gerichtsstand des freiwilligen Aufenthalts . . . . . . . . Gerichtsstand des Vollstreckungsleiters . . . . . . . . . Auswahl durch StAnwalt, Eröffnung durch Gericht . . Abgabe des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Übertragungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . .
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Rn 1 4 5 6 7 10 15
Gerichtsstände
Auch für das JGericht gelten die allg. Gerichtsstände (§§ 7 ff StPO). Daneben treten im Verfah- 1 ren vor dem JGericht (nicht vor dem ErwGericht: §§ 104, 112) noch die drei bes. Gerichtsstände des Abs. I, die deshalb von bes. Bedeutung sind, weil sie die persönlichen Bindungen des Täters berücksichtigen und damit die Belange des JRechts als Täterstrafrecht wahren (Grethlein NJW 57, 1370). Die bes. Gerichtsstände haben grds. Vorrang vor den allg. (Abs. II; RL 1; LG Verden StV 08, 118; Eisenberg 6; s. aber auch Rn. 7). Sie gelten auch für JSchöffengericht und JKammer 1. Instanz, weil die für sie maßgeblichen Gesichtspunkte – wenn auch etwas eingeschränkt – für alle Gerichte zutreffen, in deren Bezirk der Täter sich aufhält oder die familiengerichtlichen ErzAufgaben und die Aufgaben des Vollstreckungsleiters wahrzunehmen sind (Dallinger/Lackner 3; Grethlein UJ 55, 303; Eisenberg 7; Ostendorf 2; BGH 18, 1 für die dem Vollstreckungsleiter übergeordnete JKammer auch gegen Hw.; aA Potrykus B 5 u. NJW 54, 823). § 42 JGG enthält eine Sondervorschrift der örtlichen Zuständigkeit im JGerichtsverfahren, in 2 der die erz. wichtigen Belange der Entscheidungsnähe und der Einheit der Erz. ihren Niederschlag gefunden haben. Durch die Einführung der Wörter „oder nach bes. Vorschriften“ in § 42 I ist ein langer Streit vom Gesetzgeber erledigt worden. § 42 JGG hat nun den ihm zukommenden Vorrang auch vor den bes. Konzentrationsvorschriften für bestimmte Verfahren und Delikte (zu diesen Vorschriften Meyer-Goßner § 58 GVG 2). Wenn JRichter und Spezialreferat nicht zusammenfallen, geht die JNähe vor (Eisenberg 5; Ostendorf 4). Kritisch zu Spezialreferaten bei der StA § 36, 1 a. Entsprechend seinen Grundgedanken gilt § 42 auch im Ermittlungsverfahren und wird die Vorschrift durch § 126 I StPO nicht ausgeschlossen (AG Kiel ZJJ 08, 392; Eisenberg 7; aA LG Köln ZJJ 08, 390; eine gesetzliche Klarstellung der Geltung des § 42 fordern Bezjak/Sommerfeld ZJJ 08, 251). In Binnenschiffahrtssachen gilt § 42 nicht. Nach § 3 III des BinnschVerfG ist (falls nicht nach 2 a § 4 eine andere landesrechtliche Regelung gilt) das Tatort-Gericht auch für J und Hw. ausschließlich zuständig. Denn das JGG hat diese Zuständigkeitsvorschrift vorgefunden und nicht eingegriffen (BGH 11, 116). Die bes. Gerichtsstände gelten gem. § 143 GVG auch für den JStaatsanwalt (Dallinger/Lackner 1; 3 Grethlein UJ 55, 307). 2.
Gerichtsstand der familiengerichtlichen Zuständigkeit
Der Gerichtsstand der familiengerichtlichen Zuständigkeit (§ 34) besteht ohne Rücksicht darauf, 4 ob beim Familiengericht schon ein Verfahren anhängig war oder ist, ob dem JRichter die familiengerichtliche ErzAufgaben übertragen sind oder ob er in Familiensachen überhaupt nicht tätig war (Eisenberg 8; Ostendorf 5). Dieser Gerichtsstand besteht nicht mehr, wenn der Täter zZ der Anklageerhebung schon volljährig ist (§ 108, 5), also niemals bei Hw. (näher zu Hw. Rn 7): – Die Zuständigkeit des Familiengerichts ergibt sich aus § 152 I bis III FamFG; die Tätigkeit eines an sich nicht zuständigen Familiengerichts zur Behebung eines augenblicklichen Notstandes (§ 152 IV FamFG) begründet keine JGG-Zuständigkeit.
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§ 42 3.
2. Teil. Jugendliche
Gerichtsstand des freiwilligen Aufenthalts
5 Der Gerichtsstand des freiwilligen Aufenthaltes setzt nicht einen gewöhnlichen Aufenthalt oder einen Aufenthalt von langer Dauer voraus. Es genügt die Mitteilung des Angeklagten, dass er in einem bestimmten Ort auf der Straße lebt und postalisch über seine Mutter erreichbar ist (BGH ZJJ 07, 82). Jedoch ist bei ganz kurzem Aufenthalt eine Anklage zum Gericht des Aufenthaltsortes unzweckmäßig (zust. DSS/Schoreit 6). Nur auf freiem Fuß muss sich der Beschuldigte befinden. Das ist nicht der Fall bei Strafgefangenen, JArrestanten, UHäftlingen, vorläufig Festgenommenen (§ 127 StPO), zur Beobachtung Untergebrachten (§ 73, § 81 StPO), einstweilig Untergebrachten (§§ 71 II, 72 III 1, § 126 a StPO), im Maßregelvollzug (§ 7, §§ 63, 64 StGB) oder in Sicherungshaft Befindlichen (§ 453 c StPO) und bei allen, denen die Freiheit aufgrund von Vorschriften des Straf- und Strafverfahrensrechts, auch der Länder, entzogen worden ist. Nicht auf freiem Fuß sind nach der Rechtsprechung des BGH alle, auch nur vorläufig, aufgrund richterlicher Anordnung in einem ErzHeim Untergebrachten. BGH 13, 209: „Auf freiem Fuß befindet sich somit nur, wer in keiner Weise durch eine behördliche Anordnung in seiner Freiheit und in der Wahl seines Aufenthaltsortes beschränkt ist“. Ebenso BGH NJW 54, 1775 beiläufig; OLG Celle NJW 58, 1835; OLG Schleswig SchlHA 60, 179; Dallinger/Lackner 10; Eisenberg 11; Potrykus B 3 u. NJW 54, 823; Schnitzerling DRiZ 58, 316; vgl. auch Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer § 35 StPO 24, wonach nicht auf freiem Fuß jeder von einer Freiheitsentziehung iSd Art. 104 GG Betroffene ist; aA OLG Hamm NJW 59, 1095; Grethlein DRiZ 55, 111 u. EJF C I 51; Becker NJW 54, 336; Dünnhaupt NJW 54, 1775 u. 58, 1835; Hinrichsen RdJ 55, 100. Die Rechtsprechung des BGH führt zu wenig praktikablen Ergebnissen, was die Staatsanwaltschaften immer wieder veranlasst, sich über diese Rechtsprechung hinweg auf einen auch zulässigen, praktikablen örtlichen Gerichtsstand zu einigen. So hätte im Jahre 1980 bei der StA Nürnberg-Fürth ein J über 780 km einfache Fahrt auf sich nehmen müssen, wenn die StAe dem BGH gefolgt wären. Die Rechtsprechung hat weiterhin eine erz. bedenkliche Unterbrechung der Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 und eine unterschiedliche Behandlung der Insassen eines Heimes zur Folge. Zudem begründet § 42 I Nr. 3 sogar eine Zuständigkeit bei der JStrafanstalt. Entscheidend kann nur sein, ob die Strafverfolgungsbehörde Einfluss auf den Gerichtsstand nehmen kann; das ist bei nach § 12 Nr. 2 Untergebrachten ebenso wie bei Soldaten und Beamten nicht der Fall. Die aufgrund sonstiger Hilfen nach dem SGB VIII Untergebrachten befinden sich nach zutreffender hM auf freiem Fuß (Eisenberg 11; Prahl NJW 64, 530), ebenso die aufgrund einer Weisung des JRichters in einem Heim Untergebrachten oder sonst in ihrem Aufenthalt nach § 10 I 3 Nr. 1 u. 2 Beschränkten (Dallinger/Lackner 9; Eisenberg 11; Grethlein DRiZ 55, 112, FN 12; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieser Auffassung Burscheidt S. 43 f; aA Ostendorf 7) und die Soldaten in der Kaserne (OLG Karlsruhe Justiz 63, 244; aA Potrykus Anm. 4) 4.
Gerichtsstand des Vollstreckungsleiters
6 Der Gerichtsstand des Vollstreckungsleiters besteht nur bei JStrafe, die entweder gerade verbüßt wird oder für deren Rest Entlassung zur Bew. angeordnet ist, wenn die Bew. noch läuft; nicht genügt JAVollzug oder Strafaussetzung zur Bew. für eine JStrafe, auch nicht Vollstreckung einer früheren Freiheitsstrafe. Ist die Vollstreckung gem. § 85 V widerruflich abgegeben, ist die Zuständigkeit bei dem abgebenden (zweifelhaft) und dem übernehmenden Gericht gegeben (Dallinger/Lackner 14; Eisenberg 14; aA DSS/Schoreit 12; Ostendorf 8). – Diese Zuständigkeit endet mit der vollständigen Verbüßung oder dem Erlass der JStrafe (§§ 88 VI iVm §§ 26 a, 59 IV). 5.
Auswahl durch StA, Eröffnung durch Gericht
7 Die Auswahl trifft der StA, ohne dass Gericht oder J einen Einfluss haben (Dallinger/Lackner 18, 22; Eisenberg 16). Dass der StA eine entsprechende Anregung des J in seine Erwägungen einbe-
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Örtliche Zuständigkeit
§ 42
zieht (Ostendorf 9 „beachten“), steht außer Frage. Der StA soll dem Gerichtsstand des Vollstreckungsleiters den Vorrang geben (ErzRichter; keine unnötigen Transporte des Gefangenen), sonst dem der familiengerichtlichen Zuständigkeit (Abs. II), welcher aber bei Hw. ausscheidet (§ 108, 5; insbes. auch hinsichtlich des auf freiem Fuß befindlichen Hw.). Es können aber überwiegende Interessen entgegenstehen, so dass bei kleiner Kriminalität, die es nicht rechtfertigt, den Täter aus seiner Umgebung herauszureißen, der Gerichtsstand des Aufenthalts (RL 1; vgl. BGH 13, 190), bei größeren Verkehrsdelikten mit zu erwartendem Augenschein und vielen Zeugen der Gerichtsstand des Tatorts vorzuziehen ist (Dallinger/Lackner 18, 21; Ostendorf 9; Grethlein UJ 55, 307; Potrykus NJW 56, 656). Abs. II enthält lediglich eine Richtlinie für das Auswahlermessen der StA und begründet keinen Zuständigkeitsvorgang eines bestimmten Gerichts (BGH NStZ 08, 695). Die Ermessensentscheidung der StA ist grds. nicht überprüfbar (BGH aaO; für Überprüfung auf Ermessensfehler LG Verden StV 08, 118). Für Hw. vgl. § 36, 2 a; RL zu § 108 u. dortige Rn 5. Das Gericht lehnt die Eröffnung ab, wenn bei ihm keiner der vielen Gerichtsstände für nur 8 eine der im Verfahren verbundenen Taten gegeben ist und Abs. III nicht eingreift. § 209 StPO gilt hier nicht. Eine Verweisung ist nicht vorgesehen (OLG Braunschweig JZ 62, 420; NdsRpfl. 61, 284; OLG Hamm NJW 61, 232); doch soll eine Verweisung unschädlich sein, wenn der StA einverstanden war und das angegangene Gericht ausdrücklich noch einmal über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden hat (OLG Braunschweig aaO; vgl. aber auch BGH 23, 82; OLG Karlsruhe GA 77, 58). – Nach Eröffnung des Hauptverfahrens kann die örtliche Unzuständigkeit nur auf Rüge des Angeklagten noch beachtet werden (§ 16 StPO); auf begründete Rüge ist gem. §§ 206 a, 260 III StPO einzustellen; wird sie nicht beachtet, ist der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 4 StPO gegeben (Eisenberg 26), vgl. auch Rn 14. Kommt das Verfahren nicht zum Gericht der familiengerichtlichen ErzAufgaben, kann Abgabe 9 des familiengerichtlichen Verfahrens angezeigt sein (§ 4 FamFG u. § 34 RL 2). – Wegen der Mitteilungspflichten RL 2, § 70 u. MiStra 31. 6.
Abgabe des Verfahrens
Vor Erhebung der Anklage kann der JStA das Ermittlungsverfahren entsprechend Abs. III 10 formlos an den JStA, nach Eröffnung des Hauptverfahrens stets das JGericht das Verfahren an das Gericht des neuen Aufenthaltsortes abgeben (BGH 10, 325; 10, 391; 13, 209; BGH B NStZRR 99, 290; OLG München NJW 58, 1056), wenn der Angeklagte seinen Aufenthalt nach Erhebung der Anklage geändert hat (BGH 13, 209; BGH B NStZ 82, 415; BGH Kusch NStZ 94, 26; BGH B NStZ-RR 00, 324; BGH StraFo 10, 159; OLG München NJW 58, 1056; OLG Stuttgart Justiz 91, 94 = MDR 91, 787; Eisenberg 22; Ostendorf 11). Die Abgabe ist auch zulässig, wenn ein erster Aufenthaltswechsel vor Anklageerhebung beim Tatortgericht und ein zweiter danach erfolgt ist, denn es ist nicht erforderlich, dass der J sich im Zeitpunkt der Anklageerhebung noch im Bezirk des abgebenden Gerichts aufgehalten hat (BGH 10, 325; BGH B NStZ-RR 00, 324). Voraussetzung für die Abgabe durch den JRichter ist die Eröffnung des Hauptverfahrens (BGH B NStZ-RR 99, 290); eine nur teilweise Eröffnung – Zulassung einer von mehreren Anklagen zur Hauptverhandlung – reicht nicht (BGH NStZ-RR 97, 380). Die Abgabe ist auch bei unfreiwilliger Aufenthaltsänderung zulässig (BGH NJW 54, 1775; BGH 13, 214; je für Fürsorgeerz.; BGH bei Herlan GA 63, 106, Unterbringung in ErzHeim auf richterl. Anordnung; OLG Celle Zbl. 58, 273; OLG Schleswig SchlHA 60, 179; offen gelassen durch OLG Karlsruhe Justiz 63, 244, wonach jedenfalls auch derjenige freiwillig handelt, der – wie ein versetzter Soldat oder Beamter – zu dem Aufenthaltswechsel aufgrund allg. Regelung rechtlich verpflichtet ist). Vgl. insgesamt zur Abgabe des Verfahrens Lackner GA 56, 379; Schnitzerling DRiZ 58, 315. Bei mehrfachem Aufenthaltswechsel kann mehrfach abgegeben werden (BGH 13, 286; Eisenberg 23; Ostendorf 11). Das Verfahren wird voll und unwiderruflich abgegeben, das neue Gericht ist allein und unbe-
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schränkt zuständig. Anders ist die Lage bei der Übertragung der Entscheidungen im Anschluss an Aussetzung oder Entlassung zur Bew. (§§ 58, 88 V) oder bei Abgabe der Vollstreckung (§ 85 V). Im ersten Fall ist auch eine teilweise Übertragung möglich, im letzten Fall nur eine widerrufliche Übertragung zulässig. In beiden Fällen müsste jede Weiterübertragung zu einer Zersplitterung und zu Unklarheiten und Schwierigkeiten führen. Im Fall des § 42 III ist dagegen kein Grund ersichtlich, warum für den neuen Richter die Abgabemöglichkeit nicht mehr bestehen sollte. 10 a Auch bei kurzfristigem Aufenthalt ist Abgabe möglich, doch selten zweckmäßig; das Verfahren darf durch die Abgabe nicht verzögert werden (BGH B NStZ-RR 01, 324; OLG Köln NStZ-RR 09, 117, 119; Kohlhaas EJF C 160), weshalb zB bei kleineren Verkehrsverstößen eine Abgabe nur selten angebracht ist (BGH 13, 190). Das OLG Düsseldorf (B NStZ 84, 447; B NStZ 92, 529; NJW 93, 1150; NStZ-RR 96, 348) hält deshalb eine Abgabe nicht für sachgerecht, wenn beide Gerichte räumlich nahe beieinander liegen oder mit wiederholtem Aufenthaltswechsel zu rechnen ist und die Abgabe zu einer unvertretbaren Verfahrensverzögerung führt. Es wird abzuwägen sein zwischen wesentlichen Interessen an der Durchführung des Verfahrens (Zeugen, Augenschein) und der bes. Bedeutung der persönlichen Bindungen, die bei einem inzwischen erwachsen gewordenen Angeklagten jedenfalls eher zurücktreten (vgl. BGH B NStZ 82, 415). Die Abgabe kann zweckmäßig sein, wenn der Angeklagte geständig ist, sodass eine Beweisaufnahme nicht erforderlich ist (BGH B NStZ-RR 99, 290 f), insbes. wenn weitere Verfahren am neuen Aufenthaltsort anhängig sind (BGH B NStZ-RR 00, 324). Die Abgabe kann auch im Hinblick auf die am Verfahren zu beteiligende JGH des neues Wohnortes zweckmäßig sein (BGH StraFo 10, 150). Unzweckmäßig ist die Abgabe, wenn der neue Wohnort des Angeklagten von beiden Gerichtsorten annähernd gleich weit entfernt ist, die zwei von der Anklage benannten Zeugen im Bezirk des abgebenden Gerichts wohnen und die Sache nur für einen Tag terminiert ist (BGH bei Kusch NStZ 94, 230) oder wenn zahlreiche Zeugen im Bereich des abgebenden Gerichts wohnen (BGH StraFo 05, 79; 06, 415). Die Abgabevoraussetzungen sind nicht gegeben, wenn der J sich nur gelegentlich in dem anderen Ort aufhält und im Übrigen sein Aufenthalt unbekannt ist (BGH bei Kusch NStZ-RR 98, 266). Der Grundsatz, dass gegen Hw. vor dem für ihren Aufenthalt zuständigen Gericht verhandelt werden soll, darf nur durchbrochen werden, wenn dies erheblich erschwert ist (BGH B NStZ 87, 443; BGH StraFo 06, 415; OLG Celle NdsRpfl. 08, 194). Die Abgabe an das Gericht des Aufenthaltsortes hat BGH bei Kusch NStZ 93, 31 in einem Fall für unzweckmäßig gehalten, in dem der Angeklagte zur Tatzeit fast volljährig war, das abgebende Gericht ihn bereits einmal hatte vorführen lassen und mit der Sache vertraut war und die Zeugen entweder im dortigen Bezirk oder im Umkreis wohnten. Auch bei einem inzwischen 21 Jahre alten Angeklagten, der nach Ableistung seines Ersatzdienstes an seinen früheren Wohnort zurückgekehrt ist, kann die Abgabe jedoch sachgerecht sein, zumal wenn er die Tat nicht bestreitet und Zeugen vermutlich nicht benötigt werden (OLG Stuttgart Justiz 91, 95). Lebt der Angeklagte seit 15 Monaten am neuen Aufenthaltsort und hat er dort wegen der notwendigen Zukunftsplanung mit der JGH dauernd Kontakt, ist die Abgabe auch dann zweckmäßig, wenn Zeugen vernommen werden müssen, die im Bereich des abgebenden Gerichts leben (BGH B NStZ 94, 531). – Die Abgabe ist an die Zustimmung des StA und die Bereitschaft des Gerichts am neuen Aufenthaltsort zur Übernahme gebunden; lehnt dieses die Übernahme ab, kann das gemeinschaftliche obere Gericht (JKammer, OLG, BGH; BGH 16, 84) angerufen werden. Erst mit der Übernahme oder der die Übernahme anordnenden Entscheidung des oberen Gerichts wird das Verfahren beim übernehmenden Gericht anhängig. Später auftauchende Bedenken können nicht berücksichtigt werden (BGH 13, 284). 11 Eine Abgabe gem. § 42 III ist im vereinfachten JVerfahren nicht zulässig (BGH 12, 180; Eisenberg 20; aA Ostendorf 11; differenzierend Schnitzerling DRiZ 58, 316), weil hier niemals die zur Abgabe erforderliche Bindung des Gerichts eintritt, da das Gericht bis zur Entscheidung dieses Verfahrens ablehnen kann (§ 77 I). Ein Ablehnungsgrund ist, dass ein Aufenthaltswechsel vorliegt, der im Regelverfahren zur Abgabe nach § 42 III führen würde (BGH 12, 182). Aus denselben Gründen ist
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eine Abgabe im beschleunigten Verfahren gegen Hw. nach §§ 417 ff StPO nicht möglich (BGH NJW 61, 789, vgl. §§ 419 I, II StPO; 77 I JGG). – Im Strafbefehlsverfahren ist Abgabe nach § 42 III und Übertragung nach § 12 II StPO erst nach Beginn der auf rechtzeitigen Einspruch hin anberaumten Hauptverhandlung möglich, idR aber nicht mehr zweckmäßig (vgl. § 109, 12; BGH 13, 188; ebenso im OWiG-Verfahren: Rn 13). Insgesamt ebenso Eisenberg 20, Ostendorf 12. Die Abgabe ist nur bis zum Erlass eines Urteils möglich, weil § 42 III nicht in den Instanzen- 12 zug eingreifen kann (BGH 10, 177; 18, 261; 19, 179). Deshalb kann auch das Rechtsmittelgericht oder das Erstgericht nach Zurückverweisung nicht mehr nach dieser Vorschrift abgeben (BGH 10, 177; 18, 261), auch nicht im Nachverfahren gem. § 30 (§ 62, 6). In OWiG-Sachen ist bei J und Hw. (zur Einschränkung bei letzteren Rn 4) die Zuständigkeitsre- 13 gelung des § 42 JGG neben der örtlichen Zuständigkeitsbestimmung des § 68 OWiG gleichberechtigt anwendbar (§ 46 I OWiG; Göhler/Seitz § 68 OWiG 6); dies gilt auch für ggf. von § 68 I OWiG abweichende landesrechtliche Vorschriften gem. § 68 III OWiG. Mit § 68 II OWiG ist die Zuständigkeitsregelung des § 42 übernommen worden (BGH 23, 79 u. BGH NJW 74, 708; § 41, 7). Sieht die nach § 68 III OWiG erlassene Verordnung die Zuständigkeit des Amtsgerichts vor, in dessen Bezirk die Ordnungswidrigkeit begangen wurde, gilt diese neben § 42 bestehende Zuständigkeit auch für J und Hw (LG Cottbus NStZ-RR 98, 285). Eine Abgabe nach § 42 III 1 ist aber erst nach Beginn der auf den rechtzeitigen Einspruch anberaumten Hauptverhandlung zulässig (BGH NJW 74, 708; Rn 11). Bei Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr sprechen nach OLG Hamm (JMBl. NRW 74, 119) überwiegende Gesichtspunkte für die Entscheidung durch den Richter am Sitz der Verwaltungsbehörde. Eine fehlerhafte Abgabe ist Revisionsgrund gem. § 338 Nr. 4 StPO (aber Heilung nach § 16 StPO), 14 weil ein unzuständiges Gericht entschieden hat (dazu Rn 8 aE; Eisenberg 26; Ostendorf 14); etwas anderes gilt nur, wenn auch bei diesem Gericht ein Gerichtsstand begründet, wenn die StA einverstanden war und das Verfahren bei dem angegangenen Gericht ordnungsgemäß eröffnet wurde. 7.
Weitere Übertragungsmöglichkeiten
Die allg. Vorschrift des § 12 II StPO ermöglicht eine Änderung des Gerichtsstandes durch Be- 15 schluss des gemeinsamen oberen Gerichts auch dann, wenn der Aufenthalt schon vor der Erhebung der Anklage gewechselt wurde, setzt aber voraus, dass bei Anklageerhebung auch bei dem anderen Gericht eine Zuständigkeit bestand (BGH 13, 209; OLG Hamm NJW 59, 1095; Dallinger/Lackner 26; Eisenberg 25); in späteren Verfahrensabschnitten: §§ 58 III 2, 3; 88 V 3; § 65 I 2, 3; bei UHaft: § 72 V.
Dritter Abschnitt Jugendstrafverfahren Erster Unterabschnitt Das Vorverfahren § 43 Umfang der Ermittlungen § 43 Umfang der Ermittlungen (1) Nach Einleitung des Verfahrens sollen so bald wie möglich die Lebens- und Familienverhältnisse, der Werdegang, das bisherige Verhalten des Beschuldigten und alle übrigen Umstände ermittelt werden, die zur Beurteilung seiner seelischen, geistigen und charak-
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terlichen Eigenart dienen können. Der Erziehungsberechtigte und der gesetzliche Vertreter, die Schule und der Ausbildende sollen, soweit möglich, gehört werden. Die Anhörung der Schule oder des Ausbildenden unterbleibt, wenn der Jugendliche davon unerwünschte Nachteile, namentlich den Verlust seines Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes, zu besorgen hätte. § 38 Abs. 3 ist zu beachten. (2) Soweit erforderlich, ist eine Untersuchung des Beschuldigten, namentlich zur Feststellung seines Entwicklungsstandes oder anderer für das Verfahren wesentlicher Eigenschaften, herbeizuführen. Nach Möglichkeit soll ein zur Untersuchung von Jugendlichen befähigter Sachverständiger mit der Durchführung der Anordnung beauftragt werden. 1. Hw.: Rn 2, 13; RL 9; § 109 I 1. – 2. ErwG: RL 9; § 104 I Nr. 3, III; § 109 I 1. – 3. Sold. Rn 12; § 112 d, 6. Richtlinien zu § 43: 1. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft haben auch die Aufgabe, eine sachgerechte Entscheidung über die Rechtsfolgen der Tat zu ermöglichen. Nr. 17 RiStBV gilt entsprechend. 2. Zur Persönlichkeitserforschung sollen Akten über Vorstrafen und vormundschaftsrichterliche Akten beigezogen werden. Wichtige Aufschlüsse über die Persönlichkeit des Jugendlichen können Akten von Vollzugsanstalten, Berichte von Heimen der Jugendhilfe sowie Aufzeichnungen der Schule geben. 3. Befindet sich der Jugendliche in Untersuchungshaft, so fordert die Staatsanwaltschaft oder das Gericht in der Regel von der Vollzugsanstalt einen Bericht über die von ihr vorgenommene Persönlichkeitserforschung, über das Verhalten des Jugendlichen in der Anstalt und über seine besonderen Eigenarten an (Nr. 79 UVollzO). Ebenso ist zu verfahren, wenn der Jugendliche sich in Strafhaft befindet. Ist die einstweilige Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe (§ 71 Abs. 2, § 72 Abs. 4) erfolgt, so soll die Heimleitung gehört werden. 4. Wird dem Beschuldigten Hilfe zur Erziehung in einem Heim oder einer vergleichbaren Einrichtung gewährt, so soll außer dem Jugendamt auch die Leitung der Einrichtung unmittelbar um Äußerung ersucht werden. 5. Untersteht der Beschuldigte der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers oder ist für ihn ein Erziehungsbeistand bestellt, so soll auch dieser gehört werden. Dies gilt entsprechend, wenn der Beschuldigte einem Betreuungshelfer unterstellt ist oder an einem sozialen Trainingskurs teilnimmt. 6. Die Maßnahmen und Strafen des Jugendstrafrechts sind regelmäßig dann am wirksamsten, wenn sie der Tat auf dem Fuße folgen. Die Staatsanwaltschaft wirkt darauf hin, dass das Jugendamt verständigt wird, sobald der Stand der Ermittlungen dies erlaubt, und dass das Jugendamt seine Erhebungen mit größter Beschleunigung durchführt. In geeigneten Fällen kann ein mündlicher oder fernmündlicher Bericht – dem schriftlichen Bericht vorausgehend oder statt eines solchen – angefordert werden, dessen Inhalt die Staatsanwaltschaft oder das Gericht in den Akten vermerkt. 7. Die Staatsanwaltschaft teilt dem Jugendamt so bald wie möglich – in der Regel fernmündlich – mit, ob und bei welchem Gericht sie Anklage erheben oder Antrag im vereinfachten Jugendverfahren (§ 76) stellen wird. Soll das Verfahren durchgeführt werden, so wird das Jugendamt im allgemeinen dem Gericht unmittelbar berichten und der Staatsanwaltschaft eine Abschrift des Berichts übersenden. Dies sollte so rechtzeitig erfolgen, dass das Erforderliche noch vor Durchführung der Hauptverhandlung veranlaßt werden kann. Erwägt die Staatsanwaltschaft, nach § 45 von der Verfolgung abzusehen, hält sie aber noch eine Äußerung des Jugendamtes für erforderlich, so ersucht sie das Jugendamt, ihr zu berichten. In anderen geeigneten Fällen, namentlich wenn die Staatsanwaltschaft wegen nicht erwiesener Schuld das Verfahren einstellen will, benachrichtigt sie das Jugendamt, dass und weshalb sich der Bericht erübrigt. 8. Die Untersuchung des Jugendlichen durch einen Sachverständigen kann insbesondere veranlaßt sein, a) wenn Grund zu der Annahme besteht, dass die Verfehlung* mit einer psychischen Krankheit des Jugendlichen zusammenhängt, b) wenn der Jugendliche durch seelische, geistige oder körperliche Besonderheiten auffällt oder c) wenn der Jugendliche ohne erkennbare Ursachen erheblich verwahrlost ist. 9. § 43 gilt auch im Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten und im Verfahren gegen Heranwachsende (§ 104 Abs. 1 Nr. 3, § 109 Abs. 1 Satz 1; vgl. jedoch § 104 Abs. 3, § 112). * Vgl. Anhang (= Abdruck von Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt III 3]. b) und c) der Anlage 1 zum Einigungsvertrag; siehe dazu § 1, 6 c).
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§ 43
Umfang der Ermittlungen
Schrifttum: Bauer/Remschmidt Forensisch-psychiatrische Begutachtung von Kindern und J, in Hdb. d. For. Psychiatrie Bd. 1, 2007 S. 464; Blau Der psychologische Sachverständige im Prozeß, in Müller/Luckmann, Hrsg., Gerichtliche Psychologie, 1962; Bresser Grundlagen u. Grenzen der Begutachtung j. Rechtsbrecher, 1965; Detter Der Sachverständige im Strafverfahren, NStZ 98, 57; DVJJ-Landesgruppe B-W Gutachten im JStrafverfahren, 2009; Ell Der Psychologe als Helfer des Richters, Zbl. 80, 531; Focken/Pfeiffer Thesen zur Zusammenarbeit des JRichters mit dem psychiatrisch-psychologischen Sachverständigen, Zbl. 79, 378; Freisleder Rechtsfragen bei Kindern, J u. Hw., in Nedopil Forensische Psychiatrie, 3. Aufl. 2007 S. 75; Gerchow Beurteilung der J u. Hw., in Ponsold, Hrsg., Lehrbuch der gerichtl. Medizin, 1967; Günter Strafrechtliche Begutachtung von J u. Hw., in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl. 2009 S. 697; Günter/Karle Begutachtung des Entwicklungsstandes nach § 43 Abs. 2 JGG, in Handb. d. For. Psychiatrie Bd. 2, 2010 S 592; Hauber Die Funktionsverteilung zw. Richter u. Sachverständigen im dtsch. JGerichtsverfahren, Diss. Freiburg 1976; ders. Der Sachverständige im JStrafverfahren, Zbl. 81, 92; ders. Der Kompetenzstreit zwischen Psychiater u. Psychologen im JStrafverfahren, Zbl. 82, 157; Heim JStrafverfahren: Psychiatrisch-psychologische Begutachtung am Beispiel von Aggressionstätern, StV 88, 318; Jessnitzer Der gerichtl. Sachverständige, 1966; IllchmannChrist Gerichtsärztl. Probleme des neuen JGG, Zbl. 55, 69; Lempp Gerichtliche Kinder- u. JPsychiatrie, 1983; Lempp ua, Hrsg., Forensische Psychiatrie u. Psychologie des Kindes- u. JAlters, 1999; Naß Erforschung der Täterpersönlichkeit im Ermittlungsverfahren, 1958; Nedopil Verständnisschwierigkeiten zwischen dem Juristen u. dem psychiatrischen Sachverständigen, NStZ 99, 433; Potrykus Sachverständigenaufgaben im neuen JGG, Jahrbuch f. JPsychiatrie Bd. III S. 135; Rasch Forensische Psychiatrie, 2. Aufl. 1999; Roestel Ist die Persönlichkeitserforschung in der Hauptverhandlung gegen J nur begrenzt zulässig?, RdJ 67, 239; Schneider Probleme der Erforschung der Täterpersönlichkeit im Strafverfahren, Neue Polizei 62, 34; Schüler-Springorum Sachverständiger u. Verhältnismäßigkeit, FS Stutte, 1979 S. 307; Specht Angeborene u. früherworbene Beeinträchtigungen der geistigen Entwicklung, in Venzlaff/Foerster, Hrsg., Psychiatrische Begutachtung, 2. Aufl. 1994 S. 257; Thomae Beobachtungen u. Beurteilung von Kindern u. J, 1963; Warnke/Trott/Remschmidt, Hrsg., Forensische Kinder- u. JPsychiatrie, 1997; Werner Die Persönlichkeitserforschung im JStrafverfahren, 1967; Thesen des Marburger Symposions vom Dez. 1978, DRiZ 80, 20.
Übersicht 1. 2. 3. 4. 5.
1.
Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenstand der Ermittlungen . . . . . . . . . . Umfang und Schwergewicht der Ermittlungen Wer ermittelt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eilbedürftigkeit und Sorgfalt . . . . . . . . . . .
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Rn 1 5 9 12 16
Bedeutung
Die Vorschrift befasst sich nur mit den Ermittlungen zur Persönlichkeit des Täters (Rn 5) und 1 wird durch § 44 ergänzt. Die übrigen Ermittlungen zum Tathergang richten sich nach den allg. Vorschriften (§ 2 II). Bes. zu beachten sind die RiStBV 4–6, 15, 17, 19. Die Ermittlungen sind immer, auch bei Hw., vom JStA und der JGH zu führen. Doch auch die Polizei kann wertvolle Beiträge leisten. Nur wenn die Persönlichkeit nach Anlage, Entwicklung und allg. wie tatauslösenden Umwelt- 2 einflüssen eingehend erforscht ist, kann in einem vorwiegend nach erz. Gesichtspunkten ausgerichteten Täterstrafrecht, wie es das JGG ist, das rechte ErzMittel, die richtige Sanktion bestimmt (Einf. I 52; II 23; § 105, 15) und kann auch das Verfahren den bes. Erfordernissen dieses Täters und dieser Tat angepasst werden (vgl. bereits BGH NJW 51, 770 für das noch vorwiegend tatbezogene ErwRecht). Deshalb ist diese Persönlichkeitserforschung neben der Aufklärung des Sachverhalts eine bes. Verfahrensaufgabe von überragender Bedeutung, da es im JRecht weniger auf das Geschehene ankommt als darauf, wie dieser Täter in seiner weiteren Entwicklung beeinflusst werden kann. Deshalb gilt § 43 auch bei Hw. (§ 109 I 1; RL 9) und grds. auch in den Verfahren der ErwGerichte gegen J oder Hw. (RL 9 u. § 104, 5). Die Persönlichkeitserforschung ist Sache der JGH (BGH NJW 05, 766; Rn 12; § 38 II u. III; 3 § 38, 11), deren Überwachung und ev. Ergänzung Aufgabe des JStA (BGH 6, 328; RL 1, 6 u. 7); er
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§ 43
2. Teil. Jugendliche
lässt sich von der JGH, soweit erforderlich, unterrichten. Nur eine reibungslose, vorurteilsfreie Zusammenarbeit zwischen JStA, Polizei und JGH (so auch Eisenberg 17) gewährleistet die verfahrensentscheidende Persönlichkeitserforschung. Nach Ostendorf 7 aber soll der JStA nur „formell“ nach § 160 StPO Untersuchungsführer sein; er habe deshalb weder Leitungs- noch Überwachungsfunktion, weil die JGH nicht sein Gehilfe sei. 4 § 43 ist eine Soll-Vorschrift; sie bezieht sich zunächst auf das Vorverfahren. Ein Verstoß ist an sich kein Revisionsgrund (BGH 6, 326, 328). Doch verletzt das Gericht seine Aufklärungspflicht (§ 244 II StPO), wenn es ein Urteil ohne gründliche Persönlichkeitserforschung spricht, bes. also wenn es nicht prüft, ob die in § 43 vorgesehenen Maßnahmen nicht eine bessere Aufklärung des Persönlichkeitsbildes ermöglichen und damit für eine gerechte Urteilsfindung auch notwendig sind (Umfang Rn 5–11; näher zu § 244 II StPO Brunner JR 78, 175; zust. Eisenberg 61; Ostendorf 19). Nur in der Verletzung der Aufklärungspflicht liegt ein Revisionsgrund (BGH 6, 329). Damit das Gericht dieser Pflicht genügen kann, müssen JGH und JStA (Rn 12) im Vorverfahren gem. § 43 ermitteln (BGH MDR 54, 694). 2.
Gegenstand der Ermittlungen
5 Der JStA muss die Umstände ermitteln, die ihm und dem Gericht eine sachgerechte Entscheidung über die Rechtsfolgen der Tat ermöglichen (RL 1 S. 1). Dazu hat er auch festzustellen, ob gegen den J noch weitere Strafverfahren anhängig sind, ob er eine frühere Sanktion noch nicht voll verbüßt hat und ob mehrere Verfahren zu verbinden oder die Ergebnisse des einen Verfahrens in dem anderen zu berücksichtigen sind (RL 1 S. 2 iVm Nr. 17 RiStBV). Zu ermitteln sind – so bald wie möglich (§ 43 I 1) – alle Umstände, welche die seelische, geistige und charakterliche Eigenart des J erkennen lassen (Abs. I 1), bes. auch Entwicklungsstand und Reife. Dies soll ermöglichen, die Tat sowie die innere und äußere Lage, der sie entsprungen ist, in ihren wesentlichen Zügen darzustellen und aus den seelischen Zuständen und Beweggründen zu erklären. Das ist eine kriminologische Aufgabe. Um die Persönlichkeit und ihre Umwelt als Ganzes zu erfassen, müssen alle Zweige der Kriminologie zusammenwirken; über der Ermittlung einzelner Umstände darf die Ganzheitsbetrachtung nicht vergessen werden, die die erhobenen Befunde zueinander in Beziehung setzt. 6 Um Art und Maß richterlichen Eingreifens zu bestimmen, können in wechselndem Zusammenspiel (vgl. Einf. I 3) von – unterschiedlicher – Bedeutung sein: Herkunftsfamilie, Persönlichkeit des J einschließlich Krankheiten und psychischen Auffälligkeiten, Verlauf der Erz., Schul- und Ausbildungsbereich, Freizeitverhalten, Kontakte und Bindungen zu Bezugspersonen und gruppen, Umgang mit Alkohol, Nikotin und Drogen, Auffälligkeiten im Vorfeld von Kriminalität, frühere Straftaten und jetzige Delinquenz und die Auseinandersetzung mit dieser (Göppinger Kriminolog. Gegenwartsfragen 76, 61). Außerdem sind die Norm- und Wertvorstellungen des J von Interesse; weiterhin, wie er sich selbst einschätzt und ob und ggf. wie er seine Zukunft plant. Zur Berücksichtigung von kindlicher Delinquenz s. § 1, 13. 7 Da die Entscheidung über die jstrafrechtliche Reaktion eine Prognose über die weitere Entwicklung des Täters voraussetzt, sind alle von der Prognoseforschung (dazu Einf. I 52–52 d) als bedeutsam herausgearbeiteten Umstände für die Ermittlungen nach § 43 relevant. Die einzelnen Punkte dürfen hierbei nicht isoliert gesehen, sondern müssen zu einer vorsichtig abwägenden Gesamtschau herangezogen werden. Hierbei können auch Feststellungen nicht unberücksichtigt bleiben, welche der Strafbemessung bei Erw. dienen (zB strafrechtliche Vorbelastung), sie müssen aber in ihrer spezifischen Bedeutung für die Entwicklung junger Menschen gewertet werden. 8 Dienen die Ermittlungen nach § 43 nicht der Aufklärung des Tatgeschehens selbst, so sollen sie doch den Stellenwert der Tat im Lebenszusammenhang des J herausschälen (zust. Burscheidt
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Umfang der Ermittlungen
§ 43
S. 59). Das bedeutet, die Tatsituation zu klären von der Vorgeschichte der Tat über den Tatentschluss und die Art und Weise der Durchführung mit ihren möglichen vielfachen Verästelungen der Täter-Opfer-Beziehung bis zum Verhalten nach der Tat und der jetzigen Einstellung des J zur Tat (vgl. auch Rn 11). 3.
Umfang und Schwergewicht der Ermittlungen
Der Umfang der Ermittlungen wird von der Aufklärungspflicht (§ 244 II StPO; Rn 4) bestimmt; 9 er ist auch von der Bedeutung der Sache abhängig (§ 73 RL 1; § 73, 3). Vgl. dazu § 38, 9; Ostendorf (7) spricht von einem aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 III GG abgeleiteten Verhältnismäßigkeitsprinzip. Der bloße Eindruck in der Verhandlung, der nur die körperliche, höchstens auch die geistige, nicht aber die ethische Entwicklung erkennen lässt, genügt niemals (BayObLG DAR 56, 19 für § 105). Die Anhörungen nach Abs. I S. 2, 3 und RL 3–5 (näher Rn 12) sind grds. vorzunehmen. In Bagatellfällen (zB leichte Straßenverkehrsdelikte) genügen polizeiliche Ermittlungen, sonst in einfach gelagerten Fällen Ermittlungen der JGH (Rn 12) allein; bei größeren Schwierigkeiten ist ein Sachverständiger (Rn 15) zuzuziehen; in dem dazwischen liegenden Bereich kann die Einschaltung des JStA oder JRichters (Rn 14) die erforderliche Aufklärung bringen. – Das alles gilt auch für Hw. (s. aber Rn 10), also auch für die Ermittlungen zu § 105 I (Kohlhaas EJF C I 36). Liegt die Tat längere Zeit zurück, müssen ggf. Zeugen über den Stand der Entwicklung zur Zeit der Tat gehört werden (BGH 12, 120 für Hw.). Handelt es sich eindeutig um leichte Gelegenheitskriminalität, genügt es, wenn das Bild des Tä- 10 ters skizziert wird. Wo aber schwerere Taten vorliegen, die in der Persönlichkeit verwurzelt oder auch persönlichkeitsfremd sind, hilft nur eine eingehende Ermittlung. Nur so können die Voraussetzungen für Leistungen der JHilfe (§ 52 II SGB VIII), ErzMaßregeln, Zuchtmittel oder JStrafe dargetan oder abgelehnt oder die Voraussetzungen für Strafaussetzung zur Bew. festgestellt werden (RL 1). Bes. sorgfältig muss ermittelt werden, wenn die Tat nicht zur bisherigen Lebensführung des J passt oder wenn der J ohne ersichtlichen Grund verwahrlost ist (Einf. I 24); hier finden sich oft tiefer liegende, bisher nicht erkannte Ursachen. – Wo genügend Anhaltspunkte (also nicht nur der Eindruck) dafür vorliegen, dass die Tat eines Hw. nach ErwRecht abzuurteilen ist und dabei § 106 nicht in Betracht kommt, können die Ermittlungen nach § 43 ganz unterbleiben (BGH 6, 329: Taten mit 19 u. 20 Jahren, seit 3 Jahren verheiratet, ordentliche Ehe, gesicherte Lebensgrundlage, 1 Kind, als Unrecht leicht erkennbare Taten); doch werden so klar liegende Fälle seltene Ausnahme sein. Das Schwergewicht der Ermittlungen liegt bei der Gesamtheit der Feststellungen, welche dem 11 JRichter ein nach Art und Maß gezieltes Eingreifen ermöglichen. Die hierfür maßgeblichen Ausführungen Rn 6–8 sind beispielhafte Anregungen, die weder vollständig sein können, noch dies auch nur versuchen. Denn es sollen junge Menschen beurteilt werden, die sich formaler Einordnung entziehen, zumeist dem breiten Mittelfeld der sog. Prognosetafeln angehören und nicht in ein „Gut- und Schlecht-Punkte-System“ eingespannt werden dürfen (Einf. I 52 c). 4.
Wer ermittelt?
Die Ermittlungen betreibt grds. die JGH (Rn 3). Diese hört den J und seine Umgebung. Abs. I 3 12 gilt entsprechend; beachte § 38, 19 b. Zu hören sind vor allem die ErzBerechtigten und die gesetzlichen Vertreter. Mag letzteres auch nur eine Sollvorschrift sein (Abs. I 2), so ist ein Verzicht darauf doch nur in bes. Ausnahmefällen denkbar, etwa, wenn sie sich sperren. Das Persönlichkeitsbild wird abgerundet durch die Anhörung der Schule und des Ausbildenden; dies unterbleibt aber dann, wenn dem J hieraus Nachteile oder der Verlust des Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes drohen könnten (Abs. I 3; vgl. § 70, 7). Schließlich gibt die JGH, ggf. der StA oder der Richter, je nach Situation dem Leiter einer UHaft-Vollzugsanstalt, einer JVA, eines Heims der
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2. Teil. Jugendliche
JHilfe nach §§ 71 II, 72 IV (RL 3), dem Leiter eines Heims oder einer vergleichbaren Einrichtung, in welcher dem J Hilfe zur Erz. gewährt wird (RL 4), auch dem ErzBeistand sowie dem Betreuungs- und BewHelfer (RL 5) Gelegenheit zur Äußerung. Dies alles bedürfte eigentlich keines Hinweises im Gesetz oder in den RL, denn es gehört zwingend zur Persönlichkeitserforschung. Bei Soldaten ist meist der nächste Disziplinarvorgesetzte zu hören (§ 112 d, 6). Zur Persönlichkeitsermittlung während der UHaft § 38, 11. – Daneben greift die JGH auf frühere Feststellungen, auf Beobachtungen auch aus früheren Verfahren und aus Verfahren gegen andere Täter zurück. Bei der Verwertung früherer Erkenntnisse darf jedoch in Akten Fixiertes nicht unkritisch fortgeschrieben werden. – Die JGH sollte ihren Bericht beim JStA einreichen (bestritten), da dieser die ersten wichtigen Entscheidungen zu treffen hat (§ 36, 2). Näheres über den Bericht u. die Verwertung der Ermittlungen der JGH § 38, 12. Ermittler sollten nur notfalls als Zeugen vernommen werden (§ 38, 14). – Die Aufgabe zu ermitteln berechtigt die JGH nicht, den befragten Stellen Mitteilungen über das Verfahren zu machen; § 70 und Nr. 33 III MiStra behalten zB die Anordnung einer Mitteilung an die Schule allein dem JRichter oder JStA vor. Das gilt nicht uneingeschränkt gegenüber den Eltern (Rn 13; § 38, 19). 13 Der JGHelfer ist idR auch berechtigt und verpflichtet, die Eltern des volljährigen Hw. anzuhören. Zu Begründung, Schwierigkeiten u. über mögliche Mitteilung des Tatverdachtes § 38, 19. 14 Aber auch der JStA, ggf. auch der JRichter, können Berichte der in Rn 12 genannten Personen oder Institutionen sowie Vorstrafen- oder Familiengerichtsakten, Akten von Vollzugsanstalten, Berichte von Heimen der JHilfe, Schulzeugnisse, Schulakten, -aufzeichnungen uä einholen (RL 2). Die Schulen sind grds. gehalten, den Schülerbogen auf Verlangen herauszugeben (§ 95 I StPO); dies kann durch Beschlagnahme, Ordnungs- und Zwangsmittel erzwungen werden (§§ 94 II, 95 II StPO), da der Ausnahmefall des § 96 StPO in solchen Fällen nicht vorliegen wird. In der Praxis dürfte es zu keinen Schwierigkeiten kommen, vgl. § 70, 5 f. – An Hand des Erz.und Zentralregisters erholt der JStA frühere Akten und zieht auch die Akten des Familiengerichts, der Vollzugsanstalten und ErzHeime bei (vgl. RL 2), weiter erholt er den Bericht der UHaft-Anstalt, eines Heimes oä, wenn der J dort untergebracht ist (RL 3). Von wesentlicher Bedeutung kann auch die Vernehmung des J durch den JStA oder JRichter sein (§ 44), welche auch der Entscheidung dienen kann, ob die Untersuchung des J nach Abs. II oder § 73 I angezeigt ist (§ 44 RL 1 S. 3). 15 Ist dadurch keine genügende Klärung zu erzielen, so ordnet der JRichter oder der JStA eine Untersuchung durch einen fachspezifisch befähigten und im Einzelfall geeigneten Sachverständigen an (Abs. II). Anlass dazu geben insbes. die Annahme, dass die Tat mit einer psychischen Krankheit zusammenhängt, dass bei dem J seelische, geistige oder körperliche Besonderheiten vorliegen oder der J ohne erkennbare Ursachen erheblich verwahrlost ist (RL 8). Die in das Ermessen gestellte Auswahl des Sachverständigen wird durch kontroverse wissenschaftliche Diskussionen erschwert und fordert vom Richter gründliche Beschäftigung mit dieser Materie. Der BGH (NJW 59, 2315) hat keinen Unterschied zwischen Psychiatern und Psychologen als Sachverständigen in Fällen ohne Krankheitsgehalt gemacht, das Gericht, das vom Gutachten des beigezogenen Psychiaters abweichen und der von diesem unterbreiteten Ansicht eines Psychologen folgen will, aber verpflichtet, auch noch einen Psychologen hinzuzuziehen. Bei auch nur entfernten Anhaltspunkten für psychische Störungen oder abnorme Veranlagung ist nach dem BGH (Urt. v. 23. 2. 1966 – 2 StR 15/66, insoweit in BGH 21, 62 nicht enthalten) jedoch Anlass gegeben, einen JPsychiater zusätzlich oder anstelle eines Psychologen zu hören. Nach BGH 23, 15 ist zur Frage, ob das Vorliegen krankhafter Erlebnis- und Verhaltensformen ausgeschlossen werden kann, ein JPsychiater beizuziehen, wenn der Psychologe keine klinische Erfahrung hat. Da es zur Feststellung der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) nicht auf psychologisches, sondern auf medizinisches Wissen ankomme, hat der BGH (RdJ 61, 313) die Heranziehung eines JPsychologen für einen solchen Fall als nicht geboten erachtet. Das OLG Karlsruhe (Justiz 74, 94)
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Umfang der Ermittlungen
§ 43
weist gegen den Anspruch von Fachpsychologen die Beurteilung psychischer Extremsituationen iS von Bewusstseinsstörungen oder hochgradiger bewusstseinseinengender Affekte vorrangig der klinischen Psychiatrie zu. Vgl. auch Anh § 125, 8 f. Nach dem überwiegenden Schrifttum soll im medizinischen Sinne krankhafte Verhaltensweisen und körperliche Befunde der Psychiater, allg. psychologische Fragen hingegen der Psychologe beurteilen, wobei alle Sachverständigen über spezielle Fachkunde in der Beurteilung von J verfügen sollen (Eisenberg 42 mwN). Ostendorf (16) gibt dem Richter bei §§ 20, 21 StGB ein Auswahlermessen zwischen JPsychiater und JPsychologen, fordert aber mit der Rechtsprechung einen Sachverständigen mit klinischer Erfahrung, soweit eine Krankheit zu diagnostizieren ist. Zur Reifebeurteilung nach § 3 wird ein (Entwicklungs-)Psychologe vorgeschlagen (Eisenberg 43), zur Prognose nach § 7, §§ 63, 64 StGB wird ein JPsychiater heranzuziehen sein (Eisenberg 46, 47). Für Beurteilungen bezüglich Rückfall- und Sanktionsprognose kommen nach Ostendorf (16) Erz.- und Sozialpsychologen, Psychotherapeuten, Kriminalsoziologen und kriminologisch geschulte Sozialpädagogen und Sozialarbeiter in Betracht. Insoweit ist allerdings fraglich, wer sich hinter nicht geschützten Begriffen verbirgt. Wesentlich ist, dass JRichter und JStaatsanwälte sich sachkundig machen, damit sie Sachverständigen nicht kritiklos gegenüberstehen. Der JGHelfer ist – nicht als „Sachverständiger“ (§ 38, 14 aE) – ein wertvoller Mithelfer. Zum Verhältnis Sachverständiger – Richter Detter NStZ 98, 57 u. Nedopil NStZ 99, 433, zur Beurteilung durch die Schule Anh § 125, 9 a; ergänzend § 70, 7. Zur interdisziplinären Zusammenarbeit Bauer/Thoss NJW 83, 305. Vor der Entscheidung über die Beauftragung eines Sachverständigen wird zwischen dem An- 15 a lass und den zu erwartenden Rechtsfolgen abzuwägen sein. Eine Bagatellverfehlung oder eine Tat, die voraussichtlich nur Entscheidungen nach §§ 45, 47 auslösen wird, kann idR eine derartige Untersuchung nicht rechtfertigen; die Untersuchung durch einen Sachverständigen muss in jedem Fall durch andere Mittel der Persönlichkeitserforschung nicht ersetzbar sein (zust. Nothacker S. 161), zumal auch die Zahl der geeigneten Sachverständigen begrenzt ist (vgl. Eisenberg 28 ff). Dem steht nicht entgegen, dass, wie stets im JStrafrecht, die Schwere der Verfehlung allein nicht Maßstab für Reaktionen sein darf. Zur Unterbrechung der Verjährung § 4, 1. Zur Abgrenzung von (verwertbarer) eigener richterlicher Sachkunde u. (unerlaubter) Vorwegnahme des Gutachtenergebnisses OLG Köln Zbl. 79, 116 u. § 105, 15. Ein erfahrener JRichter wird einen Sachverständigen weniger oft heranziehen müssen (vgl. dazu 15 b AG Winsen/Luhe NStE Nr. 1 zu § 43) als ein JRichter, der sich noch einarbeiten muss oder ein ErwGericht. Zur Frage, wann ein psychologischer Sachverständiger zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines missbrauchten Mädchens beigezogen werden muss, Anh § 125, 7. Zur Frage des Entwicklungsstandes nach § 105 I Nr. 1 BGH NStZ 84, 467 mit zust. Anm. Brunner u. bei § 105, 15 a. Außer in den in RL 8 sowie § 10 RL 9 genannten Fällen ist uU ein Sachverständiger einzuschalten, wenn noch zu klären ist, ob die Verfehlung noch Episode (Pubertät, Gelegenheitsdelikt) oder schon Symptom für eine Hinentwicklung zur Kriminalität ist, auch wohl, wenn die Tat nach dem bisherigen Verhalten nicht verständlich ist. Wie im allg. Recht sind auch diese Sachverständigen nur Gehilfen des Richters, der die Verantwortung trägt und sich selbst eine Meinung bilden muss (BGH 7, 238). Auskünfte, die der Sachverständige von dritter Seite erhalten hat, können durch ihn nicht in den Prozess eingeführt werden. Bestreitet der Angeklagte, ist über solche Tatsachen bes. Beweis zu erheben, falls sie für das Urteil bedeutsam sind (BGH 9, 292; näher Anh § 125, 16). Die Untersuchung soll vorrangig ambulant erfolgen. Sucht der J auf schriftliche Ladung des 15 c JStA oder JRichters den Sachverständigen nicht auf, so ist eine Vorführung in entsprechender Anwendung der §§ 133 II, 163 a III StPO nicht zulässig, denn der Sachverständige ist anders als Richter und StA zu Vernehmungen nicht befugt (Ostendorf 17; zw. Eisenberg 37). Der JStA oder JRichter kann zu sich vorladen und nach § 80 II StPO verfahren. In § 81 a StPO hat das OLG Celle (NdsRpfl. 89, 79) keine gesetzliche Grundlage zur Vorführung vor den Sachverständigen gese-
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hen. Ist die ambulante Untersuchung vom erkennenden Gericht gem. § 43 II angeordnet, gibt es dagegen keine Beschwerde; denn mit der Ausführung ist weder ein Freiheitsentzug noch ein körperlicher Eingriff verbunden (OLG Düsseldorf NJW 64, 2217 für Begutachtung ohne körperlichen Eingriff durch Nervenfacharzt gem. § 81 a StPO zur Frage des § 20 StGB). Wo ambulante Untersuchung nicht genügt, muss die Unterbringung zur Beobachtung (§ 73; s. dort) angeordnet werden, falls nicht die Untersuchung gelegentlich einer aus anderen Gründen angeordneten UHaft oder einstweiligen Unterbringung in einem ErzHeim möglich wird. – Die Anordnung nach § 43 II umfasst nicht die Befugnis, körperliche Untersuchungen vorzunehmen (Eisenberg 39), anders § 81 a, b StPO. – Unabhängig davon gilt § 246 a StPO, wenn mit Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt zu rechnen ist. 15 d Hält der Sachverständige seine Anwesenheit bei der Beweisaufnahme des Gerichts für geboten, um Unterlagen für sein Gutachten zu gewinnen, verstößt das Verhandeln in seiner Abwesenheit gegen die Aufklärungspflicht (BGH 19, 367). Der nach § 43 II beauftragte Gutachter hat kein Zeugnisverweigerungsrecht (Anh § 125, 17). Freiwillige Tat-Geständnisse anlässlich der Begutachtung hat der Sachverständige dem Gericht vorzutragen (BGH 13, 1; Eisenberg 52), wenn der J insoweit von ihm über sein Aussageverweigerungsrecht ausdrücklich belehrt worden ist. Zu Angehörigen vgl. Anh § 125, 16 aE. Wird ein Erkenntnismittel – Gutachten – vor der Entscheidung nicht zugänglich gemacht und konnte der Betroffene nicht Stellung nehmen, liegt ein Verstoß gegen Art. 103 I GG vor, von dem nicht ausgeschlossen werden kann, dass er für die Entscheidung ursächlich war (BVerfG Zbl. 83, 93). Zur Information des Beschuldigten über das psychiatrisch-psychologische Gutachten Tzschaschel NJW 90, 749. 15 e Will der Richter von einem Gutachten abweichen, so ist er nicht gezwungen, einen weiteren Sachverständigen zu hören. Er muss sich aber mit dem erstatteten Gutachten auseinandersetzen, die Anknüpfungstatsachen mitteilen und seine abweichende Ansicht begründen (BGH NStZ 83, 377; NJW 89, 1491; NStZ 94, 503; 00, 551). Die Begründung kann ua sein, dass der Sachverständige sich bei der Begutachtung unsicher gezeigt hat und von einem rechtlichen Verständnis ausgeht (hier §§ 1 II, 105 I Nr. 1), das von der Rechtsprechung und einem Großteil der Literatur nicht geteilt wird (BGH NJW 89, 1491). Vgl. auch BGH NStZ 84, 467 mit zust. Anm. Brunner; Anm. Eisenberg NStZ 85, 85. Zur Beurteilung der Frage, ob die Sachkunde eines Gutachtens zweifelhaft ist, auch BGH Urt. 15. 3. 1988 – 1 StR 8/88 zum ErwRecht. Vgl. auch Rn 15. Zur Bestellung eines weiteren Sachverständigen bei umstrittener medizinischer Auffassung BGH StV 87, 434; 88, 58; Miebach NStZ 90, 27; Anh § 125, 9. Zur Aufklärungspflicht bei widersprechenden Sachverständigengutachten BGH StV 90, 339. Gegenüber einem Gutachten zur Reifebeurteilung kann mit der Sachrüge nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, dass ein am Verfahren nicht beteiligter Sachverständiger eine abweichende Auffassung vertritt (BGH NJW 98, 3654). 5.
Eilbedürftigkeit und Sorgfalt
16 Diese weitgehende Ermittlungspflicht könnte zu einer Verzögerung des Verfahrens führen. Das muss aber aus erz. Gründen vermieden werden. Bes. bei der kleineren und mittleren Kriminalität ist auch die beste Maßnahme erz. weniger wirksam, wenn sie der Tat nicht auf dem Fuße folgt (RL 6 S. 1). Das JVerfahren kann jedoch in angemessener Zeit durchgeführt werden, wenn die Tatbestandsermittlung schnell betrieben (RiStBV 5) und möglichst gleichzeitig (Abs. I; § 38 III 2) die Persönlichkeitserforschung rasch durchgeführt wird. Deshalb veranlasst der StA die Verständigung der JGH, sobald der Stand der Ermittlungen es erlaubt, wirkt auf größte Beschleunigung der Ermittlungen des JAmtes hin, regt vorausgehenden mündlichen oder fernmündlichen Bericht an (RL 6) und teilt der JGH sobald wie möglich mit, bei welchem Gericht er anklagen oder Antrag nach § 76 stellen will oder dass er nach § 45 vorgehen oder nach § 170 II StPO das Verfahren einstellen will (RL 7). Vielfach wird sich bei hinreichendem Tatverdacht eine Verständigung
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Vernehmung des Beschuldigten
§ 44
der JGH schon durch die Polizei empfehlen. Zwar hat die jetzige RL 6 den Hinweis auf die Polizei in der früheren RL 5 S. 3 nicht übernommen. Das verbietet aber eine frühzeitige Information der JGH durch die Polizei nicht (vgl. § 38, 4). Um die Nachteile unnötiger Bloßstellung (RiStBV 4 a) zu vermeiden, kann das JAmt zunächst nur im Rahmen seiner allg. Tätigkeit (§ 38, 4 b) auftreten (ähnlich Eisenberg 16 a). Kann der Schuldnachweis nicht geführt werden, muss die JGH sofort unterrichtet werden, dass und weshalb sich der Bericht erübrigt (RL 7 S. 5). Unter der notwendigen Beschleunigung darf aber die Sorgfalt des Verfahrens nicht leiden 17 (Rn 2). Denn eine richtige Maßnahme nach etwas längerer Zeit ist besser als eine schnelle, aber falsche Maßnahme. Schon die Entscheidung des JStA, welche Verfahrensart zu wählen und zu welchem Gericht anzuklagen ist (§ 36, 2), ja ob überhaupt ein Verfahren durchzuführen ist (§§ 3, 45), hängt von dem Ergebnis der Persönlichkeitserforschung ab, also davon, ob der J die Altersreife hat (§ 3), ob der Hw. altersgemäß entwickelt ist (§ 105), ob die Tat anlage- oder gelegenheitsbedingt ist, ob sie auf Verwahrlosung oder schädlichen Neigungen beruht ua. Vielfach wird sich jedoch schon aus den polizeilichen Ermittlungen ein Anhalt ergeben, welches Gewicht dem Verfahren zukommt. Altersunreife wird nur bei wenigen Taten bes. junger Täter anzunehmen sein (§ 3, 1); auch hier kann das gerichtliche Verfahren noch erz. einwandfrei abgeschlossen werden (§§ 3 S. 2, 47 I Nr. 4). Ein Antrag auf ein vereinfachtes JVerfahren kann bis zur Verhandlung zurückgenommen werden (§ 78, 9); ein Strafbefehl gegen Hw. kommt außerhalb üblicher Verkehrsdelinquenz nur selten in Betracht (vgl. § 109, 12); nach förmlicher Anklage kann das Verfahren den Bedürfnissen auch nachträglich angepasst werden. Oft kann deshalb der JStA zur Beschleunigung den Abschluss der Ermittlungen vermerken (§ 169 a StPO; § 46, 1) und anklagen, der JRichter eröffnen, bevor die Ermittlungen zur Persönlichkeit voll abgeschlossen sind, auch wenn diese Aufgabe der StA, nicht des Gerichts sind (BGH 6, 328). Nur wo es darauf ankommt, muss der Bericht des JAmts – ggf. nur ein mündlicher oder fernmündlicher Zwischenbericht gem. RL 6 S. 3 – abgewartet werden. Eine untragbare Verzögerung braucht auch dann nicht einzutreten, wenn die Ermittlungen nur im notwendigen Umfang (Rn 9) geführt werden, JGH, Polizei und JStA rasch und konzentriert arbeiten und der Richter kurzfristig die Termine anberaumt. Die frühere RL 8 S. 3, wonach der Richter die JGH ggf. darauf hinweist, dass die Hauptverhandlung ohne vorherigen Bericht nicht stattfinden kann, ist von den jetzigen RL nicht übernommen worden. Gleichwohl kann dieser Hinweis sinnvoll sein, denn er hält die JGH zur Berichterstattung an, sichert damit die Einbringung des Sachverstandes der JGH in das Verfahren und vermeidet Verlust wertvoller Zeit und Kosten (vgl. weiter § 50, 12).
§ 44 Vernehmung des Beschuldigten § 44 Vernehmung des Beschuldigten Ist Jugendstrafe zu erwarten, so soll der Staatsanwalt oder der Vorsitzende des Jugendgerichts den Beschuldigten vernehmen, ehe die Anklage erhoben wird. 1. [Hw.]: § 109 II; aber § 44 RL 1 S. 2 HS 2; Rn 6. – 2. ErwG: RL 1 S. 2 HS 1; § 104 II; Rn 6. Richtlinien zu § 44: 1. Die Vernehmung dient vor allem dem Zweck, vor der Hauptverhandlung, in der der Jugendliche sich vielfach nicht unbefangen gibt, ein persönliches Bild von ihm zu erhalten und dadurch auch die Prüfung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit (§ 3) zu erleichtern. Eine solche Vernehmung kann auch im Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten angezeigt sein, obwohl sie dort nicht vorgeschrieben ist (§ 104); das gleiche gilt im Hinblick auf § 105 auch im Verfahren gegen Heranwachsende (§ 109). Die Vernehmung kann die Grundlage für die Entschließung bilden, ob die Untersuchung des Jugendlichen nach § 43 Abs. 2 oder § 73 Abs. 1 angezeigt ist. Dies gilt auch für die Entscheidung über eine Verteidigerbestellung gemäß § 68. 2. Bei der Vernehmung sind die in Nr. 19 RiStBV dargelegten Grundsätze und, wenn Schulkinder vernommen werden, etwa hierfür ergangene Bestimmungen zu beachten.
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1 Die „Vernehmung“ dient der Persönlichkeitserforschung durch den persönlichen Eindruck (RL 1 S. 1, 3). Sie ist am besten zwanglos und ohne Protokollführer und bei richterlicher Vernehmung ohne StA durchzuführen (Ostendorf 5), weil sich der J so am besten aufschließt; jedoch sind die §§ 136 I und 163 a III StPO (Hinweis auf das Recht, nicht zur Sache auszusagen und vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen) auch bei dieser – ersten – Vernehmung von Richter oder StA zu beachten, so sehr dies in einem Spannungsverhältnis zum ErzZweck stehen mag; vgl. § 2, 16; das Ergebnis sollte der Vernehmende anschließend in einer Aktenfeststellung niederlegen. Es ist Ostendorf zuzustimmen, dass die frühzeitige „Personifizierung der Akte“ dem J zugute kommt (Grdl. zu §§ 43, 44 Rn 3). 2 Die Vernehmung kann zugleich der Ermittlung des Sachverhalts dienen und dabei die polizeiliche Vernehmung ersetzen (was oft wünschenswert ist; vgl. RL 2 iVm RiStBV 19) oder ergänzen. Für die richterliche Vernehmung gelten dann die §§ 133 ff, 162, 166, 168, 169 I StPO; 34 I JGG; hier muss ein Protokollführer zugezogen werden (vgl. auch RiStBV 45). Es sind die in RiStBV 19 zur Vernehmung von Kindern und J normierten Grundsätze zu beachten, bei Schulkindern auch etwa hierfür ergangene Bestimmungen (RL 2). Wo der Sachverhalt bereits ermittelt ist, sollte die Vernehmung nur der Persönlichkeitserforschung dienen. Die Vernehmung kann auch den Entschließungen nach §§ 43 II, 73 I und der Entscheidung über eine Verteidigerbestellung nach § 68 dienen (RL 1 S. 3 u. 4). 3 Über die Rechte des ErzBerechtigten und des gesetzlichen Vertreters § 67, 9. 4 Ob der JStA oder JRichter vernimmt, hängt vom Einzelfall ab (Eisenberg 7). Eine Regel, dass grds. der JRichter vernehmen sollte (Potrykus B 3), besteht nicht. Der JStA ist Herr des Vorverfahrens; ein persönlicher Eindruck kann für seine Entscheidung (§ 36, 2; § 43, 17) oft wesentlich sein. Andererseits unterbricht die richterliche Vernehmung die Verjährung (§ 163 a StPO, § 78 c I Nr. 1 u. 2 StGB). 5 Einen Antrag des JStA auf Vernehmung nach § 44 kann der JRichter nicht ablehnen (§§ 162 StPO, 158 GVG; Dallinger/Lackner 5; zweifelnd Eisenberg 9; abl. Ostendorf 4). Zuständig ist der Vorsitzende des Gerichts, zu dem Anklage erhoben werden soll. 6 § 44 ist eine Sollvorschrift. Da der Zugang zum J oft zeitraubend ist, bleibt § 44 bei der Überbelastung der JRichter und JStAe leider zumeist unbeachtet. Das aber kann wegen ungenügender Persönlichkeitserforschung (§§ 244 II StPO, 43 JGG) zur Aufhebung des Urteils führen, wenn weitere ähnliche Mängel in der Hauptverhandlung hinzutreten (Dallinger/Lackner 3; Eisenberg 14; Ostendorf 7). § 44 gilt auch vor dem ErwGericht nach dessen Ermessen (RL 1 S. 2 HS 1; § 104, 3). Bei Hw. gilt § 44 an sich nicht (§ 109 II), ist aber mit Anwendung von JStrafrecht zu rechnen, so ist eine Vernehmung iSd § 44 möglich und im Einzelfall zu empfehlen (vgl. RL Nr. 1 S. 2 HS 2).
§ 45 Absehen von der Verfolgung § 45 Absehen von der Verfolgung (1) Der Staatsanwalt kann ohne Zustimmung des Richters von der Verfolgung absehen, wenn die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen. (2) Der Staatsanwalt sieht von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet ist und er weder eine Beteiligung des Richters nach Absatz 3 noch die Erhebung der Anklage für erforderlich hält. Einer erzieherischen Maßnahme steht das Bemühen des Jugendlichen gleich, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen. (3) Der Staatsanwalt regt die Erteilung einer Ermahnung, von Weisungen nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, 7 und 9 oder von Auflagen durch den Jugendrichter an, wenn der Beschuldig-
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te geständig ist und der Staatsanwalt die Anordnung einer solchen richterlichen Maßnahme für erforderlich, die Erhebung der Anklage aber nicht für geboten hält. Entspricht der Jugendrichter der Anregung, so sieht der Staatsanwalt von der Verfolgung ab, bei Erteilung von Weisungen oder Auflagen jedoch nur, nachdem der Jugendliche ihnen nachgekommen ist. § 11 Abs. 3 und § 15 Abs. 3 Satz 2 sind nicht anzuwenden. § 47 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung. 1. Hw.-J: § 109 II 1. – 2. ErwG: RL 5; § 104 I Nr. 4. Richtlinien zu § 45: 1. Bei kleineren bis mittelschweren Verfehlungen* ist stets zu prüfen, ob auf eine jugendstrafrechtliche Sanktion durch Urteil verzichtet werden kann. 2. Eine Anwendung von § 45 Abs. 1 ist insbesondere bei Taten erstmals auffälliger Jugendlicher zu prüfen, wenn es sich um jugendtypisches Fehlverhalten mit geringem Schuldgehalt und geringen Auswirkungen handelt, das über die bereits von der Entdeckung der Tat und dem Ermittlungsverfahren ausgehenden Wirkungen hinaus keine erzieherischen Maßnahmen erfordert. 3. Erzieherische Maßnahmen im Sinne von § 45 Abs. 2 sollen geeignet sein, die Einsicht des Jugendlichen in das Unrecht der Tat und deren Folgen zu fördern. Sie können von den Erziehungsberechtigten, aber z. B. auch vom Jugendamt, der Schule oder dem Ausbilder ausgehen. Ist noch keine angemessene erzieherische Reaktion erfolgt, so prüft die Staatsanwaltschaft, ob sie selbst die Voraussetzungen für die Einstellung des Verfahrens herbeiführen kann (z. B. indem sie ein erzieherisches Gespräch mit dem Jugendlichen führt oder ihn ermahnt oder eine Schadenswiedergutmachung im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs anregt). Erforderlich hierfür ist, dass der Beschuldigte den Tatvorwurf nicht ernstlich bestreitet, das Anerbieten der Staatsanwaltschaft annimmt und die Erziehungsberechtigten und die gesetzlichen Vertreter nicht widersprechen. 4. Erwägt die Staatsanwaltschaft eine Anregung nach § 45 Abs. 3, so unterrichtet sie die Jugendgerichtshilfe unter Mitteilung des Tatvorwurfs, sofern sie diese nicht schon zur Vorbereitung dieser Entscheidung gehört hat. 5. § 45 gilt auch im Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten (§ 104 Abs. 1 Nr. 4), im Verfahren gegen Heranwachsende nur, wenn Jugendstrafrecht zur Anwendung kommt (§ 109 Abs. 2). Schrifttum: Albrecht, P.-A., Hrsg. Informalisierung des Rechts, 1990; Aulinger Rechtsgleichheit u. Rechtswirklichkeit bei der Strafverfolgung von Drogenkonsumenten, 1997; Beckmann Möglichkeiten zur Diversion im JStrafverfahren in der Praxis der JGH, Zbl. 83, 210; Bietz Zur „Diversion“ u. Funktion der JGH im Rahmen des § 45 JGG, Zbl. 83, 321; Blau/Franke Diversion u. Schlichtung, ZStW 84, 485; Böhm Zur sog. Staatsanwaltschaftsdiversion im JStrafverfahren, FS Spendel, 1992 S. 777; Bohnert Die Reichweite der staatsanwaltlichen Einstellung im JStrafrecht, NJW 80, 1927; Breymann Diversion – für wen eigentlich?, Zbl. 85, 14; BMJ, Hrsg. „Diversion“ im deutschen JStrafrecht, 1989; BMJ, Hrsg. JStrafrechtsreform durch die Praxis, 1989; Deichsel Überlegungen anläßlich des Hamburger Diversionsmodells, MKrim. 91, 224; DVJJ B-W: Diversion in der Alltagspraxis der JStrafrechtspflege, 1990; Dirnaichner Der nordamerikanische Diversionsansatz u. rechtliche Grenzen seiner Rezeption, 1990; ders. Grenzen der Diversionsbefugnisse des JStA gem. § 45 II S. 1 JGG, Zbl. 91, 12; Dölling Artikel „Diversion“, in Sieverts/Schneider, Hrsg., Handwörterbuch der Kriminologie, 2. Aufl. Bd. 5 Nachtrags- u. Registerband, 1991 S. 275; Fasoula Rückfall nach Diversionsentscheidungen im JStrafrecht u. im allg. Strfrecht, 2003; Feigen Staatsanwaltschaftliche Diversion in Theorie u. Praxis, ZJJ 08, 349; Frank Diversion im JStrafverfarehn, in DVJJ-BW, Hrsg., Prävention von JKriminalität, 2005 S. 65; Goeckenjan Neuere Tendenzen in der Diversion. Exemplarisch dargestellt anhand des Berliner Diversionsmodells – Zurückdrängung staatsanwaltlicher Entscheidungskompetenz?, 2005; Gréus Das Absehen von der Verfolgung, Diss. Heidelberg 1978; Grote Diversion im JStrafrecht, 2006; Heinz Diversion im JStrafverfahren, ZRP 90, 7 u. ZStW 92, 591; ders. Neues zur Diversion im JStrafverfahren, MKrim. 93, 355; ders. Diversion im JStrafrecht u. im Allg. Strafrecht, DVJJ-J 98, 245; 99, 11, 131, 261; ders. Zahlt sich Milch aus?, Diversion und ihre Bedeutung für die Sanktionspraxis, ZJJ 05, 166, 302; Heinz/Hügel Erz. Maßnahmen im deutschen JStrafrecht, 1987; Heinz/Storz Diversion im JStrafverfahren der Bundesrepublik Deutschland, 1992; Herbert Wer kommt vor Gericht?, 1992; Hering/Sessar Praktizierte Diversion, 1990; Hock-Leydecker Die Praxis der Verfahrenseinstellung im JStrafverfahren, 1994; Jesionek Diversion in der Praxis der österreichischen JStrafrechtspflege, BewH 92, 77; Jung, Hrsg., Alternativen * Vgl. Anhang (= Abdruck von Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt III 3. b) und c) der Anlage 1 zum Einigungsvertrag; siehe dazu § 1, 6 c).
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§ 45
2. Teil. Jugendliche
zur Strafjustiz u. die Garantie individueller Rechte der Betroffenen, 1989; Kalpers-Schwaderlapp Diversion to nothing, Diss. Mainz 1989; Kerner, Hrsg., Diversion statt Strafe?, 1983; Kuhlen Diversion im JStrafverfahren, 1988; Lehmann Das formlose ErzVerfahren u. seine rechtlichen Grenzen, Diss. Gießen 1991; Linke Diversionsrichtlinien im JStrafverfahren – Bundeseinheitliche Einstellungspraxis durch Verwaltungsvorschriften der Länder? NStZ 10, 609; Löhr Diversion in der Praxis der JStrafrechtspflege, BewH 92, 77; Löhr-Müller Diversion durch den JRichter, 2001; Ludwig Diversion: Strafe im neuen Gewand, 1989; Marks Es geht auch ohne Anklage, Zbl. 82, 25; Matheis Intervenierende Diversion, Diss. Mainz 1991; Messmer Sozialarbeiter u. Proband im Verfahren jamtlicher Diversion, MKrim. 91, 90; Mohren Die Veranlassung erz. Maßnahmen durch den StA nach § 45 JGG, 1998; Müller-Piepenkötter/Kubink „Gelbe Karte“ für junge Straftäter – Ein Projekt der rationalen Kriminalpolitik, ZRP 07, 61; Nothacker Das Absehen von der Verfolgung im JStrafverfahren (§ 45 JGG), JZ 82, 57; Pfohl JRichterliche Ermahnungen, 1973; Plewig Diversion statt Strafe?, KrimJ 85, 59; Pohl-Laukamp Legalitätsprinzip u. Diversion, Kriminalistik 83, 131; Rautenberg Eintragung in das ErzRegister beim Absehen von der Verfolgung nach § 45 Abs. 2 Nr. 2 JGG? Zbl. 84, 507; Riehe Diversionstage, Teen Courts & Co: Kriminalpolitik mit, ohne oder gegen das JGG, in DVJJ, Hrsg., Fördern Fordern Fallenlassen, 2008 S. 502; Rosenkötter Die Sperrwirkung des jrichterlichen Beschlusses nach § 45 Abs. 1 S. 1 JGG, 1970; Schaffstein Überlegungen zur Diversion, FS Jescheck, 1985 S. 937; Schweckendieck Die „Einstellung zur Bewährung“ nach den §§ 45, 47 JGG, ZRP 88, 276; Staeter Diversion zwischen Theorie u. Praxis, Zbl. 84, 498; Theißen Die informelle Verfahrenserledigung nach §§ 45, 47 JGG, Zbl. 85, 285; Tönnies Legitimation durch Verfahren im JStrafrecht, ZRP 93, 462; van den Woldenberg Diversion im Spannungsfeld zwischen „Betreuungsjustiz“ u. Rechtsstaatlichkeit, 1993; Verrel § 45 JGG – Quo vadis?, in FS Schöch, 2010 S. 227; Walter Wandlungen in der Reaktion auf Kriminalität, ZStW 83, 32; Walter, Hrsg., Diversion als Leitgedanke, 1986; Walter/Koop, Hrsg., Die Einstellung des Strafverfahrens im JRecht, 1984; Winterfeld Das formlose jrichterliche ErzVerfahren – Förderung sanktionslosen Ungehorsams?, MDR 82, 273; Wölffel Diversion im Hamburger JStrafverfahren, 1993. Übersicht 1. Einstellung durch StA nach allgemeinem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Diversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Strafrechtsreform durch die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anregungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bedenken für Justizbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Möglichkeit und Grenzen von Diversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Rechtsfragen zur Diversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Das 1. JGG-Änderungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Absehen von der Verfolgung durch den StA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 a) Hilfe der JGH (SGB VIII) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Aktives Eingreifen des StA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Mit Einschaltung des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Geltung im Ordnungswidrigkeitsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Anhörungen und Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Kosten der Maßnahmen ua . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Absehen von der Anklageerhebung bei betäubungsmittelabhängigen J. und Hw. nach §§ 31 a, 38 II, 37 BtMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.
Rn 1 4 5 6 8 9 10 11 16 17 19 b 21 29 38 39 40 41 43
Einstellung durch StA nach allgemeinem Recht
1 Wie im allg. Recht stellt der StA das Verfahren ein, wenn die Tat nicht strafbar oder nicht nachzuweisen ist oder wenn eine Prozessvoraussetzung fehlt (§ 170 II StPO). Gleiches gilt, wenn die Altersreife fehlt (§ 3) oder nicht nachweisbar ist (§ 3, 7). Die Einstellung nach § 170 II StPO hat Vorrang vor der Anwendung von § 45 (Eisenberg 8; Ostendorf 4). 2 Bei Einstellung gem. § 170 II StPO ist das Klageerzwingungsverfahren für den Verletzten auch im JStrafverfahren zulässig (OLG Braunschweig NJW 60, 1214; OLG Hamm NJW 60, 1968; Dallinger/Lackner 4; Eisenberg 41; Nix/Rzepka 8; Ostendorf 23; Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer § 172 StPO 30; aA OLG Frankfurt MDR 59, 415; Potrykus 2). Zwar könnte mit einem Ausschluss des Klageerzwingungsverfahrens vermieden werden, dass der J sich einem Übermaß an Verfolgung,
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Absehen von der Verfolgung
§ 45
uU Racheaktionen des Anzeigeerstatters ausgesetzt fühlt, und wären die Beeinträchtigungen der berechtigten Interessen der Verletzten begrenzt, weil J weniger und meist nicht sehr geschickt leugnen und die Entscheidung des StA auf Beschwerde der Nachprüfung durch den vorgesetzten Beamten unterliegt. Die Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahrens ergibt sich jedoch aus dessen Funktion, die gerichtliche Kontrolle des Legalitätsprinzips zu ermöglichen (OLG Celle NdsRpfl. 63, 258), und der Geltung des Legalitätsprinzips auch im JStrafverfahren außerhalb des Anwendungsbereichs von Opportunitätsentscheidungen und damit insbes. für die Entscheidung nach § 170 II StPO. Weiter kann der StA wie im allg. Recht unter den bes. Voraussetzungen der §§ 153–154 e, 376 3 StPO bei sonst auch im JStrafrecht geltendem Legalitätsprinzip (vgl. Nachweise bei Nothacker JZ 82, 60 FN 59) von der Verfolgung absehen (Opportunitätsprinzip). Die §§ 153 (dazu Rn 17), 153 a und 376 StPO sind allerdings für das JRecht durch die §§ 45, 47, 80 I 2 abgewandelt, insbes. ersetzen die speziellen jrechtlichen Vorschriften bei Anwendung von JRecht die §§ 153, 153 a StPO (LG Aachen NStZ 91, 450 mit abl. Anm. Eisenberg; Böhm FS Spendel, 1992 S. 783; DSS/Diemer 9; Dölling in BMJ, Hrsg., JStrafrechtsreform durch die Praxis, 1989 S. 255 f; Löwe/ Rosenberg/Beulke § 153 StPO 14; KK/Schoreit § 153 a StPO 8; Burscheidt S. 82; Beck/Kreißig NStZ 07, 309; Fahl NStZ 09, 615; Hombrecher JurArbl. 09, 892; Mann S. 142; Mohren S. 17; Putzke Beschleunigtes Verfahren bei Hw., 2004 S. 75; Wolf S. 331). Demgegenüber befürworten LG Itzehoe StV 93, 537 mit zust. Anm. Ostendorf; Ostendorf 5; Nix/Rzepka 59; Bohnert NJW 80, 1931; Bottke ZStW 83, 93 einen Vorrang des § 153 StPO gegenüber § 45, der zu einer Eintragung ins ErzRegister führt (§ 60 I Nr. 7 BZRG), und sprechen sich Eisenberg (10) und Nothacker JZ 82, 61 dafür aus, nach § 153 I StPO einzustellen, wenn die Zustimmung des Gerichts vorliegt. Nach Eisenberg 12, Bohnert, Bottke und Nothacker aaO soll § 153 a StPO bei J dann angewendet werden, wenn mangels Geständnisses die §§ 45, 47 nicht eingreifen oder die mit der Entscheidung nach § 45 III verknüpfte Eintragung in das ErzReg. vermieden werden soll, um die J nicht gegenüber den Erw. zu benachteiligen. Ostendorf (6) bezeichnet es zu Recht als unzulässig, die Voraussetzung eines Geständnisses über § 153 a StPO zu umgehen, will aber doch § 153 a StPO anwenden, wenn die Maßnahmen des § 45 III nicht „passen“. Walter (in ders., Hrsg., Beiträge zur Erz., 1989 S. 81) befürchtet, dass die mit der Entscheidung nach § 45 III verbundene Registrierung eine ungute Aufschaukelung der Sanktionen vorzeichnen könnte. Dem nachfolgenden Richter ist die Bedeutung des Verfahrens nach § 45 bekannt, so dass dem J 3 a kein Nachteil erwachsen muss (zust. Burscheidt S. 72). Die §§ 45, 47 enthalten ein abgestuftes, am ErzGedanken orientiertes System von Möglichkeiten der Verfahrensbeendigung ohne Urteil, das durch die Eintragung in das ErzRegister nach § 60 I Nr. 7 BZRG ergänzt wird und nicht durch die Anwendung der §§ 153, 153 a StPO ausgehebelt werden darf. Weiterhin hat Böhm (aaO, S. 780 f, 783) zutreffend darauf hingewiesen, dass die Befürworter einer Anwendbarkeit der §§ 153, 153 a StPO im JStrafrecht bisher keine klaren und überzeugenden Kriterien für die Abgrenzung zwischen diesen Vorschriften und §§ 45, 47 entwickelt haben. § 153 a StPO ist daher auch dann nicht anwendbar, wenn man zugunsten des J auf ein Geständnis verzichten und die Registrierung vermeiden will. Nach der Neufassung des § 153 a StPO durch G v. 24. 4. 98 sind StA und Gericht nicht mehr an einem enumerativen Katalog von Auflagen und Weisungen gebunden, sondern können neue Auflagen und Weisungen „erfinden“. Die Anwendung dieser Vorschrift im JStrafverfahren würde daher das System der §§ 45, 47 JGG vollends durcheinander bringen (Dölling in JStrafrecht an der Wende S. 184). Dazu, dass die unterschiedliche registerrechtliche Behandlung J gegenüber Erw. u. die in § 45 III anders als in § 153 a StPO festgelegte Geständnisvoraussetzung mit Art. 3 I GG vereinbar sind u. deshalb den §§ 153, 153 a StPO nicht aus Gründen des Gleichheitssatzes der Vorrang einzuräumen ist, eingehend Burscheidt S. 64 ff. Die übrigen StPO-Vorschriften aber werden durch § 45 nicht ausgeschaltet. Es gibt immer wie- 3 b der Fälle, bei denen die Voraussetzungen des § 45 nicht vorliegen oder wenigstens zweifelhaft
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§ 45
2. Teil. Jugendliche
sind, während eine Einstellungsmöglichkeit der StPO unzweideutig gegeben ist. Da § 45 den Verfolgungszwang weiter auflockert, kann aus ihm keine Einschränkung der allg. Einstellungsmöglichkeiten abgeleitet werden. Neben §§ 45, 47 stehen also die Einstellungsmöglichkeiten nach § 153 b I (vgl. BayObLG 61, 174), §§ 153 c I, II, IV; 153 d I; 153 e I und insbes. §§ 154 I; 154 a I, 154 b und 154 c StPO, die jgemäß der Beschleunigung dienen, zur Verfügung (ebenso Eisenberg 13–15; Ostendorf 7). Spezielle Vorschriften für das Absehen von der Verfolgung mit Vorrang vor § 45 enthalten die §§ 31 a, 38 II, 37 I BtMG (Ostendorf 8; MRS/Meier S. 163; Streng S. 100). Zwar hat die Anwendung von § 31 a BtMG die Nichteintragung im ErzRegister zur Folge (deshalb für Vorrang des § 45 I Aulinger S. 60 f); da jedoch § 38 II BtMG den § 37 BtMG ausdrücklich für auf J. anwendbar erklärt, kann für § 31 a BtMG nichts anderes gelten. Zu § 31 BtMG s. AG Saalfeld StV 07, 16, nach dem diese Vorschrift im JStrafverfahren grds. nicht angewendet werden sollte. Im Bereich der genannten Opportunitätsvorschriften ist das Klageerzwingungsverfahren (vgl. auch Rn 2) durch § 172 II 3 StPO ausgeschlossen. 2.
Diversion
4 Die §§ 45, 47 bieten die Möglichkeit zur Diversion, dh zur Beendigung der Strafverfolgung ohne förmliche, durch Strafurteil erfolgende Sanktionierung des Täters. Diversionsprogramme wurden in den sechziger Jahren vor allem in den USA nachhaltig gefördert. Sie sollten unverhältnismäßige strafrechtliche Sanktionen vermeiden, die Möglichkeit zu schnellen, flexiblen und resozialisierungsfreundlichen informellen Reaktionen eröffnen und die Justiz entlasten (zusammenfassend Dölling 1991 S. 277 ff). Obwohl Diversion heute in den USA zurückhaltender beurteilt wird, haben die Bestrebungen nach Diversion auch auf die deutsche JStrafrechtspflege weittragende Auswirkungen gehabt. Im deutschen JStrafrecht erwächst Diversion aus dem ErzGedanken (Einf. II 4–10) und dem Grundsatz der Subsidiarität (Einf. II 18–22). Sie vermeidet Stigmatisierung und folgt der kriminologischen Erkenntnis, dass das Ausprobieren von Grenzen Teil der (normalen) Entwicklung zum Erwachsenwerden ist und geringfügige Normverletzungen auch ohne einschneidende Reaktion idR vorübergehend bleiben. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass die JKriminalität von heute nicht die ErwKriminalität von morgen ist (Heinz in Rabe, Hrsg., Jugend, 1984 S. 86), sondern meist Episode bleibt (Einf. I 11). Mit steigenden Diversions-“Erledigungen“ leisten JStAe und JRichter ein Stück „Entdramatisierung“ (Heinz BewH 88, 276), indem sie „auf erste Auffälligkeiten zurückhaltend und lediglich normverdeutlichend reagieren“ (Walter in ders., Hrsg., Diversion als Leitgedanke, 1986 S. 23) und die notwendige, aber zugleich geringstmögliche prozessuale und materiellrechtliche Rechtsfolge wählen. Die Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die JGerichtsbarkeit (Beijing-Grundsätze, näher Einf. II 42) wie auch der Ministerrat des Europarates (2 Empfehlungen; Heinz ZRP 90, 7 mwN) haben sich für einen weiteren Ausbau von Diversion in der JGerichtsbarkeit ausgesprochen. Der Förderung der Diversion dienen auch die Empfehlungen der Ad-hoc-Kommission „Diversion“ der deutschen Jugend- und Justizministerkonferenzen v. 5. 2. 1988 (abgedruckt im BMJ, Hrsg., „Diversion“ im deutschen JStrafrecht, 1989 S. 11) und die in zahlreichen Bundesländern erlassenen Diversions-Richtlinien (Zusammenstellung der Richtlinien bei DSS/Diemer 5; Ostendorf Grdl. zu §§ 45 u. 47, 8; Heinz DVJJ-J 99, 142 f; Linke NStZ 10, 611 ff). 3.
Strafrechtsreform durch die Praxis
5 Im Wege einer „JStrafrechtsreform durch die Praxis“ haben die JStA und JRichter in den letzten Jahrzehnten verstärkt von den Möglichkeiten der §§ 45, 47 Gebrauch gemacht. Während diese Vorschriften 1981 auf 43% der nach JStrafrecht verfolgten Beschuldigten angewendet wurden, waren es 2006 68% (Streng S. 101). Damit kommt es heute nur bei etwa einem Drittel der verfolgten J und Hw. zu förmlicher Verhandlung und Strafurteil. Diese Entwicklung kann als (Rück-)Besinnung auf den Grundgedanken des JStrafrechts, nämlich den Vorrang der Erz., interpretiert
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Absehen von der Verfolgung
§ 45
werden und folgt den kriminologischen Befunden zur Ubiquität und Episodenhaftigkeit der JKriminalität (Heinz in BMJ, Hrsg., JStrafrechtsreform durch die Praxis, 1989 S. 16–18). Allerdings hat sich eine nicht nur regional, sondern teilweise sogar von Gericht zu Gericht unterschiedliche Bereitschaft herausgebildet, ein JStrafverfahren einzustellen (dazu Rn 7 a). 4.
Kritik
Die Diversion stieß von Anbeginn an auf heftigste Kritik aus Teilen der Kriminologie (Heinz 6 MKrim. 87, 131 mit Nachweis der Autoren in FN 14). Die hauptsächlichen Befürchtungen waren: Diversion führe zu einer Ausweitung des „Netzes sozialer Kontrolle“; die mit Diversion verbundenen „neuen ambulanten Maßnahmen“ dienten nicht dem Abbau der stationären Sanktionen, sondern dem Abbau der Überbelegung sowie einer Verbesserung der Trennschärfe der strafjustiziellen Maßnahmen und seien deshalb Teil einer „Doppelstrategie“ der Instanzen strafrechtlicher Sozialkontrolle; Diversion sei eine Folge von Kapazitätsengpässen der Justiz, eine Trendwende sei mit Strafmündigkeit der geburtenschwachen Jahrgänge zu erwarten. Walter (in Jung, Hrsg., Alternativen zur Strafjustiz u. Garantie individueller Rechte der Betroffenen, 1989 S. 137) macht auf folgende Gefahren aufmerksam: „Kurzer Prozess“ ohne Verringerung der Sanktionsintensität; großer Aufwand an Resozialisierungsversuchen bei Bagatellen; neue Sanktionen in einem unkontrollierten rechtsfreien Raum; zersplitterte Reaktionsvielfalt; Wandel vom Rechtsschutz gewährenden Strafverfahren zur nötigenden Bedrohung. Entgegen den Befürchtungen der Kritiker bestehen gegenwärtig keine empirisch begründeten 7 Anhaltspunkte für eine Ausdehnung des Netzes sozialer Kontrolle in dem Sinne, dass die vermehrte Anwendung der §§ 45, 47 zu einem Rückgang der Einstellungen nach § 170 II StPO und der Freisprüche geführt hat (Heinz/Storz 1992 S. 93 mwN). Noch nicht hinreichend empirisch geklärt ist die Frage, ob Diversion dadurch zu einer Verstärkung sozialer Kontrolle geführt hat, dass informelle erz. Maßnahmen in Fällen ergriffen werden, die sonst „folgenlos“ wegen Geringfügigkeit eingestellt worden wären (Heinz/Storz aaO, S. 93 f). Aufgrund einer schriftlichen Befragung der JÄmter der Bundesrepublik im Jahr 1984 ist Heinz (MKrim. 87, 145) zum Ergebnis eines nahezu beliebigen Nebeneinanders von Organisationsformen, Inhalten und Methoden, Zielvorstellungen und Zielgruppen sowie einer „institutionalisierten Undurchsichtigkeit“ bezüglich der Selektion der Klientel und ihrer Betreuung gekommen. Infolge Konzentration auf eine aus jstrafrechtlich-kriminologischer Sicht eher unproblematische Klientel bestehe die konkrete Gefahr der aus kriminologischer Sicht schädlichen und aus jstrafrechtsdogmatischer Sicht falschen Überbetreuung (aaO, S. 146). Die Formlosigkeit der Erledigung lässt somit bes. Schutzbedürfnisse entstehen. Bei der Anwendung der §§ 45, 47 bestehen erhebliche regionale Unterschiede. Die Diversions- 7 a rate (Anteil der Einstellungen gemäß §§ 45, 47 bezogen auf alle informell oder formell nach JStrafrecht Sanktionierten) schwankte 1998 zwischen 60% in Bayern und 91% in Hamburg (Heinz in JStrafrecht an der Wende S. 74). Diese Diskrepanzen dürften nicht auf Unterschiede in Tat- und Tätermerkmalen zurückzuführen sein. Beim Geburtsjahrgang 1961 variierten die Anteile informeller Rechtsfolgen bei erstmaliger Sanktionierung im JAlter für einfachen Diebstahl zwischen 43% in Rheinland-Pfalz und 91% in Hamburg und für Fahren ohne Fahrerlaubnis zwischen 45% in Baden-Württemberg und 96% in Hamburg (Heinz/Storz aaO, S. 155). Auch zwischen Landgerichtsbezirken eines Landes und sogar innerhalb derselben Behörde wurden erhebliche Unterschiede festgestellt (Heinz/Storz aaO, S. 46 mwN). Diese Diskrepanzen dürften mit Heinz/Storz (aaO, S. 47) auf unterschiedliche Strafpräferenzen zurückzuführen sein. Auch die Diversionsrichtlinien der Bundesländer weichen erheblich voneinander ab (Linke NStZ 10, 611 ff).
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§ 45 5.
2. Teil. Jugendliche
Anregungen
8 Um Bedenken auszuräumen, regt Heinz (MKrim. 87, 133) an, die ambulanten Maßnahmen zu Lasten der stationären weiter auszubauen, verstärkt theoretisch zu begründen und empirisch abzusichern, sie auf die richtige Zielgruppe zu beschränken und die Anordnungspraxis zu vereinheitlichen. Die jstrafrechtlich-kriminologische Devise „im Zweifel weniger“ (Kerner in DVJJ, Hrsg., JGerichtsverfahren u. Generalprävention, 1984 S. 30; vgl. dazu Einf. II 18 zur Subsidiarität) müsse auch für die neuen ambulanten Maßnahmen gelten (Heinz MKrim. 87, 153). Der Forderung von Heinz (in ders., Hrsg., Rechtstatsachenforschung heute, 1986 S. 76), die mit Diversionsentscheidungen verbundenen ambulanten Maßnahmen durch einen (Minimal-)Kriterienkatalog zu strukturieren, ist zuzustimmen. Darüber hinaus fordert Heinz (ZRP 90, 11) Ausbau des Täter-Opfer-Ausgleichs und Erwerb entsprechender zusätzlicher sozialarbeiterischer Kompetenz durch die JGH, Förderung von Schuldentilgung und Opferentschädigung (mit entsprechender zusätzlicher Kompetenz der JGH sowie Aufbau von Entschädigungsfonds), Aus- und Fortbildung sämtlicher im Bereich der JGerichtsbarkeit tätiger Berufsgruppen, Beseitigung bürokratischer Hemmnisse in der Justiz und Verbesserung der Informationsgrundlage des JStA durch organisatorische Maßnahmen der Polizei (dazu auch Rn 22) sowie (Heinz DVJJ-J 99, 142, 265 f) Kommunikation und Information über die Handhabung der §§ 45, 47 sowie die empirischen Befunde der Wirkungsforschung und verstärkte Zusammenarbeit der Verfahrensbeteiligten, um die ambulanten Angebote abzustimmen und einem etwaigen, durch praxisbegleitende Forschung festzustellenden Fehlgebrauch derartiger Angebote gegensteuern zu können.
6.
Bedenken für den Justizbereich
9 Beachtung verdienen die kritischen Ausführungen von Schaffstein (FS Jescheck, 1985 S. 948– 953): Die Diversion erweitere die Richtermacht bei Sanktionswahl und -bemessung außerordentlich, der Verzicht auf die rechtsstaatlichen Garantien des Anklageprozesses bringe Gefahren gerade für einen jungen, im Umgang mit Polizei und Justiz ungeschickten Beschuldigten, auch wenn die „Umlenkung“ nur mit Einverständnis und zugunsten des J erfolgen könne; der gewollte Entlastungs- und Beschleunigungseffekt lasse für eine einigermaßen genaue Persönlichkeitsermittlung wenig Raum. Es müsse auch die Gefahr gesehen werden, dass über die jrechtliche Diversion das gewaltenverteilende System aus den Angeln gehoben werden könne. Der Gesetzeswortlaut erlaube zwar, dass der JStA nach § 45 zunehmend selbst eingreife, er biete auch die gleiche fachliche Kompetenz wie der Richter; in zweifelhaften Fällen aber, vor allem bei schweren Taten, solle er auf dessen Mitwirkung nicht verzichten. Rechtsstaatliche Bedenken gegen die Diversion erhebt auch Müller (DRiZ 96, 443; dazu Breymann DRiZ 97, 82; krit. zur Diversion auch Putzke [Rn 3] S. 74 ff). Breymann (in BMJ, Hrsg., JStrafrechtsreform durch die Praxis, 1989 S. 101) hält, bei aller Zunahme der Diversionsentscheidungen, den (meisten) StA vor, sie akzeptierten nur Bagatellfälle und die Auswahlkriterien seien überwiegend tat-, kaum täterbezogen. Die deutliche Divergenz der informellen Erledigungen zwischen einzelnen StA und Landgerichtsbezirken ist wegen der Ungleichheit der Behandlung in der Tat bedenklich. Viehmann (in BMJ, Hrsg., Verteidigung in JStrafsachen, 1987 S. 108, 110) fordert deshalb eine stärkere Beteiligung der Verteidiger. Das 1. JGGÄndG vom 30. 8. 1990 hat versucht, ein Signal zu gleichmäßigerer Anwendung informeller Erledigungen zu geben (vgl. Rn 16; Überlegungen zu einer weiteren gesetzlichen Konkretisierung bei Linke NStZ 10, 614). Zu Bedenken wegen der Personalbedarfsberechnung der Justiz hinsichtlich §§ 45, 47 Heinz ZRP 90, 11.
7.
Möglichkeiten und Grenzen von Diversion
10 Nach den bisherigen Erfahrungen hat sich die vermehrte Anwendung der §§ 45, 47 grds. bewährt. Sie hat zu einem Abbau unnötiger, weil erz. nicht erforderlicher förmlicher Sanktionie-
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Absehen von der Verfolgung
§ 45
rungen geführt. Bei vergleichbaren Tat- und Tätergruppen ist nach den vorliegenden Untersuchungen die Rückfallquote nach Verfahrenseinstellung nicht höher als nach einer Verurteilung (Heinz DVJJ-J 99, 13; Fasoula S. 128). Von den J des Geburtsjahrganges 1961, die erstmals sanktioniert wurden und deren Sanktionierung einen einfachen Diebstahl betraf, wurden innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Verfahrenseinstellung 27% und nach förmlicher Verurteilung 36% erneut registriert. Bei einer erneuten Registrierung kam es bei den im ersten Verfahren informell sanktionierten J häufiger zu einer informellen Reaktion auch wegen der Rückfalltat und eher zu einer ambulanten statt zu einer stationären Sanktion (Heinz aaO; Heinz/Storz 1992 S. 58 f, 159 ff). Allerdings ist Diversion kein Allheilmittel. So wurden bei vorbelasteten Tätern sowohl nach Verurteilung als auch nach Verfahrenseinstellung hohe Rückfallquoten festgestellt (Heinz/Hügel 1987 S. 63). Außerdem muss die Gefahr gesehen werden, dass eine schematische Abwicklung von Diversion langfristig zu einer Beeinträchtigung der normbekräftigenden Wirkung staatlicher Reaktionen führen könnte (Schöch in JStrafrecht an der Wende S. 130; Bock FS Hanack 1999 S. 625, 635). Es wird daher darauf ankommen, sich mit Augenmaß um eine Weiterentwicklung der Diversion 10 a zu bemühen, die zu mehr Gleichmäßigkeit in der Rechtsanwendung und zur Auswahl zwischen den verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten nach theoretisch und empirisch möglichst gut fundierten Maßstäben führt. Hierbei gilt es, das rechte Verhältnis zwischen sozialpädagogischer Betreuung und Normverdeutlichung zu finden. Das JGG will mit der Stufenfolge seiner Sanktionen, beginnend durch „Nichtintervention“, wo dies angeht, die J vor allem fördern, sie erziehen und ihnen helfen, nicht nur in die anerkannten gesellschaftlichen Wertvorstellungen und Verhaltensweisen hineinzuwachsen, sondern auch die Verbindlichkeit und Unverbrüchlichkeit unserer Rechtsordnung anzuerkennen und sich ihr einzufügen. Die dissozialen J müssen zeitig wenigstens mit einer pädagogisch gefärbten Mischform des Strafrechts konfrontiert (Schüler-Springorum FS Dünnebier, 1981 S. 658) und dürfen nicht zur Meinung verführt werden, es gebe weder Schuld noch Verantwortung und jedwede Straftat lasse nur verstärkte Betreuung erwarten. Vgl. Einf. II 8. Es muss den J auch durch unterschiedliche, auf Persönlichkeit und Tat abgestimmte Maßnahmen zum Bewusstsein gebracht werden, dass sie für begangenes Unrecht einzustehen haben (zust. Schöch aaO). Sonst kann die Ausbildung ethischer Normen gestört werden. Stationäre Sanktionen sind weit möglichst zurückzudrängen. Da manche J anscheinend ambulant nicht erreichbar sind, kann freilich auf stationäre Maßnahmen nicht ganz verzichtet werden, sondern ist geduldiges pädagogisches Bemühen in diesem Rahmen erforderlich (Schlüchter GA 88, 127 f). Nach RL 1 ist bei kleineren bis mittelschweren Verfehlungen stets zu prüfen, ob auf eine 10 b jstrafrechtliche Sanktion durch Urteil verzichtet werden kann. Diese Prüfung darf nicht formalisiert erfolgen. Auch eine Tat, die formal als Verbrechen zu qualifizieren ist, kann als „mittelschwere Verfehlung“ zu werten sein, zB ein im Verlauf von kindlichem Spielverhalten begangener Raub eines J.
8.
Rechtsfragen zur Diversion
Das Rechtsprechungsmonopol des Art. 92 GG, die Unschuldsvermutung und die Grundsätze ei- 11 nes fairen, rechtsstaatlichen Strafverfahrens erlauben dem JStaatsanwalt gem. § 45 I u. II nach den Prinzipien der Subsidiarität und Opportunität von der Verfolgung ohne Zustimmung des Richters abzusehen, unter bestimmten Voraussetzungen und Beschränkungen sogar aktiv einzugreifen, um das Verfahren einstellen zu können (näher unter Einbeziehung der Rechtsprechung des BVerfG Dölling in BMJ, Hrsg., JStrafrechtsreform durch die Praxis, 1989 S. 245 ff). Hingegen ist der Polizei aufgrund ihrer strikten Bindung an das Legalitätsprinzip eine di- 12 versionsähnliche Nichtintervention versagt (Ostendorf 16; Schaffstein FS Jescheck, 1985 S. 953; Schaffstein/Beulke S. 240). Ist „polizeiliche Diversion“ also gesetzeswidrig, so darf die Polizei doch
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präventiv-polizeiliche Maßnahmen treffen, etwa einem J aufgeben, sein Moped in ordnungsgemäßem Zustand vorzuführen (Mann S. 113). Im OWiG-Verfahren kann die Verwaltungsbehörde das Verfahren einstellen, solange es bei ihr anhängig ist (näher zum OWiG-Verfahren Rn 38; §§ 35 I, II, 47 I 2 OWiG; BVerfGE 27, 18). Zur Zusammenarbeit von Polizei u. Sozialarbeit § 38, 20 u. 21. Es spricht auch nichts dagegen, dass der JStaatsanwalt eine aus den Akten ersichtliche polizeiliche „Ermahnung“ oder Belehrung über § 45 II nützt (Rn 18). Die Polizei sollte sich bemühen, ihren Umgang mit den jungen Beschuldigten, insbes. die Vernehmung, jgemäß unter Beachtung der Erkenntnisse von JKriminologie und Sozialpädagogik zu gestalten. Gelingt dies, kann die polizeiliche Vernehmung in vielen Fällen eine Grundlage für die Verfahrenseinstellung durch den JStA sein. Die Polizei kann aufgrund ihrer Kenntnisse über die Tat und den Beschuldigten und des Eindrucks, den sie von dem Beschuldigten gewonnen hat, auch Vorschläge für eine Erledigung des Falles im Wege der Diversion unterbreiten. Zu den Aufgaben der Polizei im jstrafrechtlichen Vorverfahren Wieben DVJJ-J 92, 65; Ostendorf DVJJ-J 95, 106; zum „Bielefelder Informationsmodell“ mit Reaktionsvorschlägen der Polizei Rzepka/Voss BewH 89, 227; zum „Hammer Modell“ mit polizeilicher Beurteilung der erz. Wirkung des bisherigen Verfahrens Schröer DVJJ-J 91, 310. 12 a In einigen DiversionsRL ist vorgesehen, dass die Polizei erz. Maßnahmen nach telefonischer Zustimmung des StA selbst gegenüber dem J anregen und überwachen kann (so die schleswigholsteinischen DiversionsRL v. 24. 6. 1998, abgedr. in DVJJ-J 98, 260) oder nach telefonischer Abklärung mit dem StA einen Diversionsmittler einschalten kann, der dann erz. Maßnahmen anregen und ggf. auch selbst durchführen kann (so die Berliner DiversionsRL vom 22. 3. 1999, abgedr. in DVJJ-J 99, 201; dazu Haustein/Nithammer DVJJ-J 99, 427; Goeckenjan S. 67 ff, 82 ff). Bei diesem Vorgehen besteht die Gefahr, dass die Zuständigkeit für die Entscheidung über Diversionsmaßnahmen entgegen dem JGG faktisch von der StA auf die Polizei übergeht (Dölling in JStrafrecht an der Wende S. 185). Dieser Weg bedarf daher sorgfältiger Prüfung (ablehnend Engel DVJJ-J 98, 257; Heinz DVJJ-J 99, 137, 141; Herrlinger DVJJ-J 99, 148; Schöch in JStrafrecht an der Wende S. 132; Miehe ebd. S. 156; Mann S. 107; Goeckenjan S. 128 ff; Grote S. 344 ff; positive Beurteilung durch das Justizministerium Schleswig-Holstein DVJJ-J 00, 78). Eine Verfahrensbeschleunigung lässt sich auch auf andere Weise durch eine enge Zusammenarbeit von Polizei und StA erreichen (vgl. zB zum Stuttgarter Haus des JRechts Feuerhelm DVJJ-J 00, 139; ders. in DVJJ-BW, JKriminalität u. Reform des JStrafrechts, 2003 S. 57; Schairer/Kühner Kriminalistik 01, 101). In dem an das Modell des Diversionstages (dazu Achenbach DVJJ-J 00, 384) anschließenden Projekt „Gelbe Karte“ in Nordrhein-Westfalen (dazu Müller-Piepenkötter/Kubink ZRP 07, 61) werden an einem Tag bis zu 30 j. Beschuldigte mit ihren Eltern zu mehrstufigen Anhörungen und Vernehmungen vorgeladen, an denen Polizeibeamte, Vertreter des JAmtes und ggf. der JStA teilnehmen. Der JStA entscheidet in enger Abstimmung mit JAmt und Polizei über das weitere Vorgehen (Anregung erz. Maßnahmen oder Anklageerhebung). Dieses Vorgehen führte in begrenztem Umfang zu einer Verfahrensbeschleunigung. Die Rückfallquoten waren jedoch nicht niedriger als bei der herkömmlichen Diversion (Verrel FS Schöch, 2010 S. 231 ff; krit. zu dem Projekt Riehe in DVJJ, Hrsg., Fördern Fordern Fallenlassen, 2008 S. 502). Vgl. zur Polizei auch Rn 22; Einf. II 23; § 67, 19, 20. 13 Ebenso wenig darf die JGH selbständig tätig werden, indem sie etwa, das Einverständnis des JStA unterstellend, selbst sanktionierend eingreift. Nur der StA ist zur Einstellung befugt und muss den Überblick über seinen Zuständigkeitsbezirk behalten und die Gleichbehandlung sichern. Deshalb bestehen gegen das sog. „Marler Modell“ (dazu Beckmann Zbl. 83, 210) mit seiner „Sanktionskompetenz“ der JGH im Rahmen des § 45 ganz erhebliche Bedenken (Ostendorf 15; Bietz Zbl. 83, 329); Dirnaichner (1990 S. 271 ff, 397 ff) betont, dass die streng objektiviert zu realisierende Hilfefunktion der JGH für Gericht und Betroffenen (dazu § 38, 1) nicht in die Aufgabenbereiche der Strafverfolgungsorgane und der jstrafrechtlichen Entscheidungsinstanzen übergreifen darf.
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Absehen von der Verfolgung
§ 45
Eine „JStrafrechtsreform durch die Praxis“ (dazu auch Rn 5) war und ist auch künftig einge- 14 grenzt durch die Beachtung geltenden Rechts. Die ernsten Warnungen Miehes und Schaffsteins (ZStW 85, 566; 86, 119) vor einer eher politisch-soziologischen Berücksichtigung der Rechtslage anstelle exakter Auslegung und Rechtsfortbildung und vor der Problematik übergesetzlichen Wildwuchses haben Gewicht. Die bisher praktizierten Diversionsstrategien der Justiz sind jedoch mit den geltenden Regelungen des JGG vereinbar (näher Dölling in BMJ, Hrsg., JStrafrechtsreform durch die Praxis, 1989 S. 243 ff). Außerdem können wissenschaftlich begleitete, räumlich und zeitlich begrenzte Feldexperimente für Praxis und Gesetzgeber Alternativen zur Zurückdrängung stationärer Maßnahmen aufzeigen. Der BGH (32, 357 = NStZ 86, 27 mit zust. Anm. Fezer) hat herausgestellt, dass ein Richter auch 15 „gerecht“ sein kann, „wenn er aus sachbezogenen Erwägungen mit der Intention der Gerechtigkeit auf letzte Konsequenz des Rechtsfolgenausspruchs nicht besteht“. Notwendig für das Gelingen von Diversion ist das Bemühen um Aussprache und Verständigung unter den Verfahrensbeteiligten, ohne dass hierbei die unterschiedlichen Aufgaben und Rollen verwischt und das Recht des Angeklagten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren beeinträchtigt wird (zu Möglichkeiten u. Grenzen der Verständigung im Strafprozess § 18, 6 e).
9.
Das 1. JGG-Änderungsgesetz
Angesichts der Entwicklung durch die „Strafrechtsreform von unten“ haben die Änderungen 16 der §§ 45, 47 durch das 1. JGGÄndG Klarstellungen gebracht und versucht, ein „Signal zu gleichmäßiger Anwendung informeller Erledigungen“ zu geben (Begründung des RegE, BTDrs. 11/5829 S. 23). Die neue Reihenfolge der Absätze des § 45 spiegelt das systematische Stufenverhältnis wider und folgt dem Verfahrensgang. Es entspricht auch dem Grundsatz der Subsidiarität, dass das Absehen von der Verfolgung durch den StA als die eingriffsschwächste Maßnahme nun vor die Beteiligung des Richters gestellt ist. Dabei ist klargestellt, dass der StA nach den Abs. I und II verfahren muss, wenn deren Voraussetzungen vorliegen (Begründung des RegE aaO, S. 24; Böttcher/Weber NStZ 90, 563). Seit Jahren geht die Zahl der Einstellungen nach Abs. III zurück, während die nach Abs. I u. II kontinuierlich ansteigt (Streng S. 101). Ganz offensichtlich will das JGGÄndG auch die häufigere Anwendung des Abs. I erreichen (vgl. auch die Empfehlungen der Ad-hoc-Kommission „Diversion“ in BMJ, Hrsg., „Diversion“ im deutschen JStrafrecht, 1989 S. 11 ff).
10.
Absehen von der Verfolgung durch den StA
Abs. I gibt dem JStA die Möglichkeit, von der Verfolgung unter den Voraussetzungen des § 153 17 StPO abzusehen, wenn also bei Vergehen geringe Schuld vorliegt und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Wegen der bei Anwendung des § 45 obligatorischen Eintragung in das ErzRegister ist die Schuldfrage sorgfältig zu prüfen. Auch bei § 45 I geht deshalb eine mögliche Einstellung nach § 170 II StPO (oder der Eingriff eines Amnestiegesetzes) vor (Eisenberg 8; Ostendorf 4). Bei Einstellung nach Abs. I ist im Gegensatz zu § 153 StPO die Zustimmung des Richters nicht erforderlich (Dallinger/Lackner 11; Ostendorf 10). Nach der Begründung des RegE zum 1. JGGÄndG (BT-Drs. 11/5829 S. 23) ist die Anwendung von Abs. I sachgerecht, wenn es sich um eine jtypische Verfehlung mit geringerem Schuldgehalt und geringen Auswirkungen der Tat handelt; nach RL 2 ist unter diesen Voraussetzungen Abs. I insbes. bei Taten erstmals auffälliger J zu prüfen. Abs. I kommt aber zB auch bei erheblichen Vergehen aus einer Konfliktsituation heraus oder bei einer Tat in Betracht, die so lange zurückliegt, dass der Täter keine Beziehung mehr zu ihr hat. Auch mehrfache Auffälligkeit muss nicht stets hinderlich sein (vgl. aber zur Differenzierung Einf. I 15). Die Begründung zum RegE (aaO) weist zu Recht darauf hin, dass (uU) schon die Wirkung der Tatentdeckung und das Ermittlungsverfahren mitsamt den
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2. Teil. Jugendliche
dadurch ausgelösten Reaktionen der Bezugspersonen weitere erz. Maßnahmen entbehrlich machen können (vgl. auch RL 2). Die jgemäße Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe der geringen Schuld und des fehlenden öffentlichen Interesses ermöglicht es dem JStA, eine dem Einzelfall und dem jeweiligen kriminologischen Erkenntnisstand entsprechende Entscheidung zu treffen (Dölling in BMJ, Hrsg., JStrafrechtsreform durch die Praxis, 1989 S. 246). Vgl. auch Rn 16 aE. 17 a Es muss auch das Verfahren selbst erz. sinnvoll gestaltet werden. Entscheidend kann gerade im Verfahren nach § 45 die persönliche Begegnung werden, bes. bei folgenloser Einstellung. So werden stets die Wirkungen zu bedenken sein, die eine lediglich schriftliche Mitteilung der Einstellung an den J ohne vorheriges persönliches Gespräch haben kann. Im Einzelfall kann es sich empfehlen, solcher Wirkungen halber den JRichter einzuschalten (vgl. Rn 27 u. 29; Empfehlungen der Ad-hoc-Kommission „Diversion“ in BMJ, Hrsg., „Diversion“ im deutschen JStrafrecht, 1989 S. 13). 18 Der JStA sieht nach Abs. II 1 auch dann von der Verfolgung ab, wenn eine erz. Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet ist und er weder eine Beteiligung des Richters nach Abs. III noch die Erhebung der Anklage für erforderlich hält. Das gilt auch für Straftaten, die das StGB als Verbrechen einstuft. Der JStA muss nach Abs. II 1 verfahren (sieht . . . ab), wenn er der Meinung ist, dass der J durch eine anderweitige erst eingeleitete oder bereits durchgeführte erz. Maßnahme so gefördert werden kann oder bereits ist, dass auf eine jrichterliche Entscheidung verzichtet werden kann. Andererseits ist es allein der StA, der entscheidet, ob eine erz. Maßnahme von anderer Seite ausreichend ist (Begründung des RegE eines 1. JGGÄndG, BT-Drs. 11/5829 S. 24). RL 3 S. 1 stellt auf die Eignung der Maßnahmen ab, die Einsicht des J in das Unrecht der Tat und deren Folgen zu fördern. Es kommen Maßnahmen der Eltern in Betracht, deren ErzRecht, soweit angängig, im Vordergrund bleiben soll (Art. 6 II GG), oder von der Schule, vom Ausbildenden, vom BewHelfer, JGHelfer (dazu aber Rn 13), vom ErzBeistand, Familiengericht oder anderen – nahen – Bezugspersonen. In der Begründung zum RegE (aaO) wird darauf hingewiesen, dass tatnahe erz. Maßnahmen aus dem sozialen Umfeld des J nachdrücklicher empfunden werden und bes. geeignet sind, Schuldeinsicht zu fördern und sein Verhalten zu ändern. 18 a Die Persönlichkeit des J, aber auch das persönlichkeitsbegründete Tatbild werden die Ausfüllung des Beurteilungsspielraums des StA bestimmen, ob eine solcherart bereits getroffene, uU auch recht geringe Maßnahme als ausreichend angesehen werden kann. Schon Abmahnungen oder Belehrungen durch die Polizei (aber Rn 12, 12 a) oder durch die JGH (aber Rn 13) im Laufe des Ermittlungsverfahrens können ggf. genügen, falls sie den J offensichtlich beeindruckt haben. Derartige, bereits außerhalb des Justizbereichs getroffene Maßnahmen, auch beachtliche Verhaltensänderungen des J, muss die JGH ermitteln, nach der Persönlichkeit des J werten und schnell dem JStA bekannt geben. Auch erlittene UHaft kann und soll der JStA als Maßnahme ansehen, die eine Ahndung durch den JRichter uU entbehrlich macht. Auch aus Niederschriften oder Vermerken der Polizei, die bei ihrer Vernehmung auch auf die persönliche und soziale Situation des J eingehen darf und soll, kann der StA sich Kenntnis über getroffene Maßnahmen von anderen Trägern der Sozialkontrolle verschaffen. Nach Altemann Medienöffentliche Vorverurteilung – strafjustizielle Folgerungen für das Erw.- u. für das JStrafverfahren?, 2009 S. 254, 268 kann auch eine medienöffentliche Vorverurteilung eine erz. Maßnahme iSv Abs. II 1 sein. 19 Insbes. ist das Bemühen des J um einen Ausgleich mit dem Verletzten (Täter-Opfer-Ausgleich) (vgl. näher § 10, 12 ff) als „hoffnungsvollste Alternative“ (Schreckling/Pieplow ZRP 89, 19) geeignet, den StA von der Verfolgung absehen zu lassen (Abs. II 2). Gerade bei Körperverletzungsdelikten und auch bei Sachbeschädigung und Diebstahl ist Ausgleichsbedarf offensichtlich (Schreckling in BMJ, Hrsg., JStrafrechtsreform durch die Praxis, 1989 S. 222; Schreckling/Pieplow aaO). Es können aber auch vielfältige andere Delikte für einen Ausgleich geeignet sein (§ 10, 12 c). Neben dem persönlichen Gespräch kommen als Leistungen des Täters an das Opfer in Betracht: verschiede-
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Absehen von der Verfolgung
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ne Formen der Entschuldigung, Geschenke, symbolische Gesten, Arbeitsleistungen, gemeinsame Aktivitäten und nicht zuletzt finanzieller Schadensersatz und Schmerzensgeldleistungen (Schreckling aaO, S. 223). Zur Wiedergutmachung bei Graffiti-Delikten s. Höffler Graffiti – Prävention durch Wiedergutmachung, 2008 u. dies. ZJJ 10, 33. Auch die Vergütung für gemeinnützige Leistungen des J kann zu Schadensersatzleistungen an den Geschädigten dienen (Dölling in BMJ aaO, S. 250), sodass auch Unbemittelten diese Möglichkeit nicht verbaut ist. Vgl. auch Rn 8 aE, § 15, 3 ff u. Brunner Zbl. 76, 269 mwN. In den kriminalpädagogischen Schülerprojekten, die mit einem Modellprojekt in Aschaffen- 19 a burg begonnen haben, vereinbart ein Schülergremium mit dem Täter eine Maßnahme, nach deren Erfüllung der StA das Verfahren idR gem. § 45 II 1 einstellt (s. dazu Schöch/Traulsen DVJJ-J 02, 54; FS Böttcher, 2007 S. 379; GA 09, 19; Sabaß Schülergremien in der JStrafrechtspfelge, 2004; Löffelmann ZJJ 04, 171; Englmann Kriminalpädagogische Schülerprojekte in Bayern, 2009; ders. ZJJ 09, 216; zu Schülerverfahren als kriminalpräventives Angebot der JHilfe Traulsen FS Schöch, 2010 S. 267; kritisch Rautenberg NJW 06, 2749; Breymann ZJJ 07, 4; Plewig JZZ 08, 237; Riehe in DVJJ, Hrsg., Fördern Fordern Fallenlassen, 2008 S. 508; Stephan Justizia in Jugendhand?, 2009; vgl. auch Block/Kohlberg ZJJ 06, 8). 10 a) Hilfe der JGH (SGB VIII) Bei den ambulanten Maßnahmen im Rahmen des § 45 (und § 47) ist die Mithilfe der JGH bes. 19 b wichtig. Nach § 52 Abs. II SGB VIII hat sie frühzeitig zu prüfen, ob für den J oder Hw. Leistungen der JHilfe in Betracht kommen, und, soweit dies der Fall ist oder eine geeignete Leistung bereits eingeleitet oder gewährt worden ist, den StA oder Richter umgehend davon zu unterrichten, damit eine Verfahrensbeendigung nach §§ 45, 47 geprüft werden kann. Soweit erz. Bedarf besteht und im Rahmen des Möglichen hat die JGH also erz. Maßnahmen nach dem SGB VIII in die Wege zu leiten, die dem StA ein Absehen von der Verfolgung nach Abs. II ermöglichen. In Betracht kommen insbes. die Hilfen zur Erz. nach §§ 27 ff SGB VIII, so ErzBeratung (§ 28), soziale Gruppenarbeit (§ 29), ErzBeistand, Betreuungshelfer (§ 30), Vollzeitpflege (§ 33), Heimerz. oder sonstige betreute Wohnform (§ 34), intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung (§ 35) und bei J (nach § 41 II nicht bei Hw.) sozialpädagogische Familienhilfe (§ 31). Werden ErzBeistandschaft und Heimerz. auf Antrag als Leistung der JHilfe gewährt, wird in ihrer Vermittlung durch die JGH keine Umgehung von § 12 zu sehen sein (vgl. Possin Heimerz. gem. §§ 27, 34 SGB VIII als jstrafrechtliche Intervention, 1995 S. 34); als Leistungen der JHilfe kommen diese ErzHilfen auch für Hw. in Betracht, auch wenn sie durch den JRichter nicht gegen Hw. verhängt werden dürfen (§ 105 I). Der JStA kann und braucht nicht zuzuwarten, bis eine uU längerfristig angelegte erz. Maß- 20 nahme (zB Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses) abgeschlossen ist (Böttcher/Weber NStZ 90, 563). Bricht der J die Maßnahme ab oder ist bis zu einem sonstigen Abschluss kein nennenswerter erz. Erfolg eingetreten und kommt auch keine andere Diversionsmaßnahme in Betracht, so nimmt der StA das bereits eingestellte Ermittlungsverfahren wieder auf, denn die Entscheidung nach Abs. II setzt nicht die Erfüllung einer konkreten Weisung voraus (Dallinger/Lackner 21; Eisenberg 31; Begründung zum RegE, BT-Drs. 11/5829 S. 24) Neue Tatsachen oder Beweismittel brauchen nicht vorzuliegen, § 47 III gilt auch nicht entsprechend (ebenso Böttcher/Weber NStZ 90, 563). Nach Ostendorf 20 gilt es, „im Hinblick auf das Vertrauensprinzip die Selbstbindung der staatsanwaltschaftlichen Ermessensentscheidung zu beachten“. Eine „grundlose“ Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens wäre in der Tat erz. schädlich. Warum aber soll sich derjenige J auf Vertrauensschutz berufen dürfen, der die erz. Maßnahmen, die zur Verfahrenseinstellung geführt haben, nicht auf sich nimmt oder der die Verfahrenseinstellung durch – erlaubtes – Verschweigen anderer Straftaten erreicht hat. Die Einstellungsverfügung erwächst nicht in Rechtskraft und ist nur im Wege der Dienstaufsicht anfechtbar.
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Aktives Eingreifen des StA
21 Ist keine erz. Maßnahme von anderer Seite getroffen, so erlaubt Abs. II dem JStA auch, selbst die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verfolgung zu schaffen. Das wird er auch dann können, wenn er eine bereits eingeleitete oder abgeschlossene erz. Maßnahme von anderen Trägern der Sozialkontrolle nicht für ausreichend hält. Solches aktives Eingreifen bedeutet für den StA nicht anordnen, sondern anregen (Dallinger/Lackner 15; Eisenberg 20, 21; Ostendorf 13). Der RegE zum 1. JGGÄndG (BT-Drs. 11/5829 S. 24) stellt ausdrücklich fest: „Der StA kann auch selbst die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verfolgung nach § 45 II schaffen, falls noch keine angemessene erz. Reaktion erfolgt ist“ (ebenso RL 3 S. 3). Entgegen Dirnaichner (1990 S. 341 ff, 400 ff), der unter Berufung auf das Richtermonopol des Art. 92 GG, auf das Legalitätsprinzip und auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV GG ein aktives Eingreifen des StA explizit ablehnt, wird man davon ausgehen dürfen, dass die Schwere des Eingriffs „der nichtrichterlichen Stelle“ (StA; vgl. Rn 26, 27) einer Kriminalstrafe nicht gleichkommt (vgl. BVerfGE 22, 49 zur Herabstufung als Ordnungswidrigkeit) und deshalb im Einklang mit der Verfassung steht. Der J, welcher das Angebot der StA annimmt, durch eine Leistung die Einstellung des Verfahrens zu erreichen, wird zudem dazu motiviert, aus eigener Kraft zur Beendigung des durch die Straftat ausgelösten Konflikts beizutragen (Dölling in BMJ, Hrsg., JStrafrechtsreform durch die Praxis, 1989 S. 248). 22 Um zu erkennen, ob solch eigenes Eingreifen nicht etwa zu viel oder zu wenig ist, um Umfang und möglichen Erfolg anzuregender erz. Maßnahmen abschätzen zu können, muss der JStA die Entwicklung des J, die persönlichkeitsbedingte Tatverstrickung und seine Einlassung bei der Polizei (vgl. Rn 8 aE; 23) werten. Das setzt eine funktionierende Zusammenarbeit des JStA mit Polizei und JGH voraus. Diese vertrauensvolle und unbürokratische Kooperation mit der JGH, anderen Institutionen, Vereinigungen und Personen muss dem JStA darüber hinaus ein Reservoir an erz. Einwirkungsmöglichkeiten schaffen. Rechtzeitige und sachangemessene Persönlichkeitsermittlung sichert erzwirksames Handeln. Ob und inwieweit die JGH im weiteren Verfahren eingeschaltet wird, hängt im Einzelfall vom J, den Gegebenheiten und der Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen StA und JGH ab. Hügel (BewH 88, 312) hält nach ihren Untersuchungsergebnissen eine Beteiligung der JGH im Bereich der leichten und mittleren Delinquenz im Regelfall für entbehrlich. Von Modellversuchen abgesehen, haben die Untersuchungen von Heinz/Hügel (1987 S. 48) ergeben, dass die JGH bei Verfahren nach § 45 nur selten eingeschaltet worden ist (Hügel BewH 88, 310). Die sinnvolle Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen und Personen im einzelnen Fall setzt voraus, dass bereits zuvor durch Kommunikation und Kooperation vor Ort die Grundlagen für ein abgestimmtes Vorgehen geschaffen worden sind (zum vernetzten Denken u. Handeln in der JKriminalrechtspflege Bruns DVJJ-J 94, 172; Supèr DVJJ-J 94, 175; Dölling in DVJJ, Hrsg., Sozialer Wandel u. JKriminalität, 1997 S. 325 f). Von der JGH und Kaufhäusern getragene Informationsgespräche oder Präventionskurse bei Ladendiebstählen (dazu Schmitt BewH 00, 64; Mayer BewH 00, 70 sowie Orgatzki-Rojahn, Messing u. JGH Stuttgart DVJJ-J 00, 300 ff; ablehnend Bregmann/Fischer DVJJ-J 00, 291 u. – einseitig – Bettinger DVJJ-J 98, 275) kommen im Rahmen des Abs. II bei Wiederholungstätern oder rückfallgefährdeten J in Betracht (s. die differenzierte Beurteilung bei Bussmann BewH 00, 34). Bei Ersttätern ohne erkennbares Rückfallrisiko werden häufig eine angemessen durchgeführte polizeiliche Vernehmung und Reaktionen des sozialen Umfeldes des J präventiv ausreichend sein (allg. zu Reaktionen auf Ladendiebstahl Otendorf DVJJ-J 99, 354). 23 Das eigene Tätigwerden des JStA ist aber an ganz bestimmte Voraussetzungen gebunden. Es müssen die Ermittlungen die Schuld des J ergeben, das Ermittlungsverfahren also faktisch bis zur Anklagereife geführt sein, aus erz. Gründen rasch und vertretbar konzentriert. Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum schließt Schuld und Strafbarkeit aus. 24 Der J muss Tat und Schuld glaubhaft eingestehen (Empfehlungen der Ad-hoc-Kommission „Diversion“ in BMJ, Hrsg., „Diversion“ im deutschen JStrafrecht, 1989 S. 14; Breymann Zbl. 85,
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Absehen von der Verfolgung
§ 45
16; Dölling aaO, S. 251; Schaffstein FS Jescheck, 1985 S. 951 FN 25; Miehe in JStrafrecht an der Wende S. 158; aA Eisenberg 18; Ostendorf 14; DSS/Diemer 17; Bohnert NJW 80, 1931; Heinz DVJJ-J 99, 133; Mann S. 131; nach RL 3 S. 4 genügt, dass der J den Tatvorwurf nicht ernstlich bestreitet). Bei der Schaffung des § 45 in der Fassung des JGG 1953 hat der Rechtsausschuss des Bundestages Wert darauf gelegt, „dass formlose Maßnahmen, die ein Absehen von der Verfolgung rechtfertigen, nur dann getroffen werden können, wenn der Beschuldigte geständig ist“ (Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen u. Verfassungsrecht, BT-Drs. I/4437 S. 8). Es ist schwer einzusehen, weshalb der StA ein Geständnis nicht benötigen, der Richter aber nach Abs. III darauf angewiesen sein soll (vgl. Schaffstein aaO; Böhm FS Spendel, 1992 S. 793, nach dem es sich als „ziemlich unsinniger Wertungswiderspruch“ darstellen würde, wenn der J dem StA die Einstellung ohne Zugeständnis der Schuld „abkaufen“ könnte, dem JRichter gemäß Abs. III aber nicht). Man sollte dem StA auch nicht zumuten, von einem J, der nicht gesteht, aber zu erkennen gibt, dass er des gewollten Effekts halber als „Unschuldiger“ gleichwohl eine angeregte Leistung erbringen will, Leistungszusagen entgegenzunehmen; das erscheint auch erz. kaum vertretbar (näher zur erz. Bedeutung des Geständnisses Burscheidt S. 78). Die Problematik des Geständnisses junger Menschen (dazu Eisenberg 24–24 b, Ostendorf 14, jeweils mwN) ist zu berücksichtigen, verliert aber im Zusammenhang mit Abs. II (und III) entscheidend an Brisanz, weil das Geständnis in den umstrittenen Fällen erst nach einem zu einer Anklage ausreichenden Schuldnachweis (Rn 23) zusätzlich in Betracht kommt. Verhindert aber Trotz ein Geständnis, können Motivierung und Erfolgsaussicht zweifelhaft sein (s. auch Böhm aaO, S. 784, der es als nicht unplausibel bezeichnet, dass eine Hauptverhandlung gegen einen leugnenden J pädagogischer ist als das „Abkaufen der Verfolgung“). Die Vorstellung, sich strafbar gemacht zu haben (anders der unvermeidbare Verbotsirrtum Rn 23), ist nicht Voraussetzung der Strafbarkeit und braucht deshalb vom Geständnis nicht umfasst zu sein. Der J (Hw.) muss sein Einverständnis mit den vom JStA angeregten und im einzelnen dargelegten 25 Maßnahmen erklären, der ErzBerechtigte und gesetzliche Vertreter des J zustimmen (Dölling aaO, S. 251; Mohren S. 121, 125 f; nach Eisenberg 20 ist die Zustimmung der ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreter „ggf.“ einzuholen, nach Ostendorf 13 ist diese formal nicht notwendig, ein Einverständnis aber anzustreben). Hierfür reicht es aus, wenn sie der Maßnahme nicht widersprechen (RL 3 S. 4; Heinz DVJJ-J 99, 136). Denn in der Praxis stellt sich die entscheidende Frage, wie Einverständnis und Zustimmung rechtsstaatlich ausreichend gesichert und in allseitigem Interesse möglichst rasch beigebracht werden können, ohne dass der J durch Trotzreaktion oder auch nur Nachlässigkeit sich selbst schadet und sich diesen günstigeren und jgemäß rascheren Weg verbaut. Es wird deshalb genügen, wenn leicht verständlich und klar Gelegenheit zur Ablehnung eines solchen Verfahrens gegeben wird (Mann S. 135; Mohren S. 121 FN 4); dies entspricht dem Bedürfnis nach rascher Erledigung, der Praktikabilität sowie dem Gewicht und den Folgen dieser Entscheidung. Ein solcher Weg ist vertretbar, weil der ErzBerechtigte und der J oder Hw. eine andere Meinung immer noch rechtzeitig dadurch wirksam dokumentieren können, dass Weisung oder Auflage nicht erfüllt werden. Sind mehrere erzberechtigt, so darf und muss bei Zustimmung durch nur einen der ErzBerechtigten davon ausgegangen werden, dass er insoweit den anderen vertritt (vgl. § 67, 1 a). In einem mündlichen Erörterungstermin (besser ohne Robe; vgl. § 78, 18) oder schriftlich teilt der JStA mit, welcher Straftat er den J für hinreichend verdächtig, welche erz. Maßnahme (Weisungen, Auflagen außer JA) er deshalb für geboten hält, und belehrt ihn, dass das Verfahren seinen Fortgang nimmt, wenn er seine Zusagen nicht erfüllt. Dieser Weg ist geboten, weil nur der Richter Sanktionen anordnen darf. Liegen diese Voraussetzungen vor, so kann der JStA Anregungen zu Leistungen in dem Maße 26 geben, wie der JRichter nach Abs. III im Vorverfahren Sanktionen auferlegen kann (dazu Rn 30); Dölling aaO, S. 249 ff; Heinz in Speck/Martin, Hrsg., Sonderpädagogik und Sozialarbeit, 1990 S. 493; ZStW 92, 630 u. DVJJ-J 99, 137; LBN/Laubenthal/Nestler S. 125; Schaffstein/Beulke S. 249 f; Streng S. 93). Darüber hinaus geht seine Kompetenz auf keinen Fall. Die Gegenansicht
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will dem JStA nur die Anregung von Maßnahmen unterhalb der Eingriffsintensität des JRichters nach Abs. III (Rn 30) zugestehen, die „nicht einer Sanktionierung gleichkommen“ (Eisenberg 21 u. NStZ 87, 561; Ostendorf 13; DSS/Diemer 14; Böhm FS Spendel, 1992 S. 790; Böttcher DVJJ 87, 78; Löhr DVJJ 87, 106; MRS/Meier S. 156; Tilmann-Reinking DVJJ 87, 88; Walter ZStW 83, 61). Gewiss kann der JStA – und er wird es tun, wo dies verantwortbar ist – im Rahmen des Abs. II den J durch ein „Ermahnungsgespräch“ zu beeinflussen versuchen und erkennbare positive Ansätze stützen, gewiss kann er bei Eltern und anderen Bezugspersonen erz. Maßnahmen anregen. Beschränkt man aber den JStA auf Maßnahmen unterhalb des Katalogs des Abs. III, so sind seine Möglichkeiten so eingriffsschwach, dass es um so häufiger zur von keiner Seite gewollten Steigerung kommen muss, eben zum eingriffsintensiveren Antrag nach Abs. III (Heinz DVJJ-J 99, 137). Warum soll der StA nicht gemeinnützige Arbeit anregen dürfen, um auch dem Unbemittelten Gelegenheit zu geben, vom Entgelt Wiedergutmachung zu leisten; warum soll er einen pädagogisch Erfolg versprechenden Kontakt mit dem J zunächst abbrechen müssen, um den Richter nach Abs. III einzuschalten, wenn der J eine Leistung zur Wiedergutmachung erbringen will? Durch die Beschränkung des StA, wie manche sie für richtig halten, wird dem J eher eine Chance verbaut, als ihm geholfen. Dem J steht es frei, die Mitwirkung abzulehnen, wenn auch zumindest mit der Konsequenz des Abs. III. Die Kompetenz des StA zur Anregung auch von Maßnahmen iSv Abs. III entspricht dem Grundgedanken der §§ 45, 47, die nächste Verfahrensstufe erst dann zu beschreiten, wenn Maßnahmen auf der vorherigen Stufe nicht ausreichen (Heinz ZStW 92, 630). Diese Auffassung dürfte auch der Neufassung des § 45 durch das 1. JGGÄndG zugrunde liegen (Heinz aaO). Nach der Begründung zum RegE ist wichtigstes Unterscheidungskriterium zwischen den neuen Absätzen II und III „die Antwort auf die Frage, ob der StA eine Entscheidung/Anklage durch den Richter für entbehrlich oder aber für erforderlich hält“ (BT-Drs. 11/5829 S. 25). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Auffassung bestehen nicht (Dölling aaO, S. 251). Sie ermöglicht außerdem eine rasche erz. Einwirkung nach der Tat, intensivere Kommunikation des StA mit dem J und spart personellen und verfahrensmäßigen Aufwand. 27 Der JStA wird den Weg eigenen aktiven Helfens zur Verfahrenseinstellung durch Anregung von Leistungen richtigerweise nur dann wählen, wenn er sich auf weniger schwerwiegende Leistungen beschränken kann. Hält er hingegen Leistungen erheblichen Gewichts für erz. notwendig, wird er dies dem Richter überlassen (Schaffstein/Beulke S. 249 f). 28 Ungehorsamsarrest ist auch hier ausgeschlossen, die zugesagte Leistung kann nicht erzwungen werden. Zur unmittelbaren Einstellung nach Zusage der Leistung u. Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens gilt das Rn 20 Gesagte. Die Nichterbringung von im Wege der Diversion auferlegten Leistungen darf nicht strafschärfend berücksichtig werden (OLG Hamm NStZ-RR 07, 123 = ZJJ 06, 76 mit Anm. Goerdeler).
12.
Mit Einschaltung des Richters
29 Hält der JStA aus erz. oder anderen Gründen (vgl. Rn 27) die Einschaltung des JRichters, nicht aber das vereinfachte JVerfahren (§ 76 I) oder eine Anklage für erforderlich, so muss er bei dem JRichter nach Abs. III entsprechende erz. Maßnahmen, also das sog. (formlose) richterliche ErzVerfahren anregen. Auch hier wird der StA die JGH einschalten (RL 4), die Wesentliches beitragen kann. Auch Abs. III ist „Diversion“ und ermöglicht in einer dem förmlichen richterlichen Verfahren vorgelagerten Verfahrensform dem J, durch Erfüllung der jrichterlichen Anordnungen bereits im Vorverfahren ein Absehen von der Strafverfolgung (Rn 34) zu erreichen. Das Verfahren ist rasch, persönlich und belastet den J nur wenig (vgl. Rn 17 a). Voraussetzung sind auch hier Schuldnachweis (näher Rn 23) und Geständnis (näher Rn 24). 30 Entsprechend der Formlosigkeit des Verfahrens (vgl. Rn 7) sind die Maßnahmen, die der Richter treffen kann, beschränkt. Es kommen in Betracht, allein oder in bes. Fällen nebeneinander:
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Absehen von der Verfolgung
§ 45
die Ermahnung (dazu Rn 31); Erbringung von Arbeitsleistungen (§ 10, 9); Bemühungen im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs (Rn 19; § 10, 12); Teilnahme an einem Verkehrsunterricht (§ 10, 14) und die Auflagen Schadenswiedergutmachung (§ 15, 3 ff), persönliche Entschuldigung (§ 15, 9), Erbringung von Arbeitsleistungen (§ 15, 8 c) und Bezahlung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Einrichtung (§ 15, 10). Die Ermahnung ist im Unterschied zur Verwarnung (§ 14, 5) formlos und bedarf keiner Voll- 31 streckung; sie sollte möglichst mündlich ausgesprochen werden (ebenso Eisenberg 26; Ostendorf 17), weil sie dann erz. mehr Gewicht erhalten kann. Die Umstände können aber auch dazu zwingen, sie durch den Amtshilferichter (OLG Hamm Zbl. 70, 56) oder schriftlich, sorgsam abgefasst, zu erteilen. Ostendorf 17 hält in entsprechender Anwendung des § 42 I Nr. 2 den Richter des jeweiligen Aufenthaltsortes für zuständig. Die Praxis macht von der Ermahnung recht häufig Gebrauch. Die Weisungen und Auflagen können aus erz. Gründen nachträglich geändert, auch ganz oder zum Teil aufgehoben werden (§ 11 I; § 15 III 1). Sie sind aber nicht erzwingbar, Ungehorsamsarrest ist ausgeschlossen (Abs. III iVm § 11 III u. § 15 III 2). Der Gesetzgeber hat die Betreuungsweisung (§ 10, 10) und die Weisung, an einem sozialen Trai- 32 ningskurs (§ 10, 11) teilzunehmen (§ 10 I 3 Nr. 5 u. 6), nicht in den abschließenden Katalog des Abs. III aufgenommen, weil diese Weisungen mit ihrer bes. Eingriffsintensität und dem benötigten längeren Zeitraum sich den Zwecken der informellen Erledigung, bes. rascher Reaktion bei geringerer Belastung, nicht einfügen (Begründung zum RegE eines 1. JGGÄndG, BT-Drs. 11/5829 S. 25). Es ist auch die bei diesen Weisungen vorgeschriebene (§ 38 III 3) und bes. wichtige Beteiligung der JGH über die bloße Information hinaus in Anbetracht der gebotenen beschleunigten Erledigung schwerlich sicherzustellen. Zur Frage der Diversion bei Mehrfachtätern Einf. I 15. Der Richter ist in seiner Entscheidung frei; er kann dem Vorschlag des StA entsprechen oder 33 er kann ihn ablehnen. Er kann auch eine andere zulässige Maßnahme treffen. Solche Abweichungen sollten grds. im Einvernehmen mit dem StA erfolgen; durch seine Zustimmung ändert der StA seinen Antrag, so dass der Richter mit der Anordnung dem – geänderten – Vorschlag entspricht. Der Richter kann aber auch ohne Zustimmung des StA, ja gegen dessen Willen eine andere zulässige Maßnahme treffen (Dallinger/Lackner 28; DSS/Diemer 24; Eisenberg 29; LBN/Laubenthal/Nestler S. 127; Pentz NJW 54, 1352; aA Potrykus B 6; Ostendorf 18, der nur gänzliche Ablehnung des Verfahrens für zulässig hält). In diesem Fall kann der StA Anklage erheben, da keine Bindungswirkung nach Abs. III 2 besteht (Dallinger/Lackner 33; MRS/Meier S. 160; Schaffstein/ Beulke S. 252). Eine solche Situation sollte in der Praxis vermieden werden. Entspricht der Richter dem Vorschlag des StA und erfüllt der J die Anordnung, muss der StA 34 von der Verfolgung absehen (Abs. III 2). Es liegt ein echtes Verfahrenshindernis vor. Denn der Hinweis auf entsprechende Anwendung des § 47 III in Abs. III 4 stellt klar, dass der JStA in diesem Falle nur dann das Ermittlungsverfahren erneut aufnehmen darf, wenn neue Tatsachen und Beweismittel vorliegen (anders BGH 10, 104 zur alten Rechtslage gegen die hM der Lehre). Es gelten hier in vollem Umfang die Ausführungen § 47, 15. Eine Anklage oder einen Antrag nach § 76 müsste das Gericht deshalb auch dann zurückweisen (§ 204 StPO), wenn der StA zwar zunächst eingestellt, das Verfahren später aber wiederaufgenommen hätte, ohne dass ein rechtfertigender Grund (§ 47 III entsprechend) gegeben wäre. Deshalb bleibt der an sich zulässigen Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Einstellung regelmäßig der Erfolg versagt, wenn nicht die Voraussetzungen des § 47 III vorliegen. Auch ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO ist deshalb nur gegeben, wo die Voraussetzungen des § 47 III vorliegen. Allerdings ist der JStA nicht gehalten, unmittelbar nach Erteilung der Maßnahmen durch den 35 JRichter das Verfahren einzustellen. Bei der richterlichen Erteilung von Weisungen und Auflagen sieht der JStA vielmehr nach Abs. III 2 erst von der Verfolgung ab, nachdem der J ihnen
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§ 45
2. Teil. Jugendliche
nachgekommen ist. Bis zur endgültigen Einstellung kann der JStA das Verfahren fortsetzen und Anklage erheben, wenn der J die Weisungen oder Auflagen nicht erfüllt (Schaffstein/Beulke S. 252). Insoweit wird sich vielfach eine Absprache mit dem Richter empfehlen. Ebenso kann der JStA schon vor dem Antrag nach Abs. III mit dem Verfahren innehalten, wenn noch Erkenntnisse darüber zu erwarten sind, ob nach Abs. II oder nach Abs. III oder nach § 76 I zu verfahren ist. Immer aber wird er auch dabei den in jeder Lage des Verfahrens zu beachtenden Grundsatz der Beschleunigung berücksichtigen müssen (Begründung zum RegE aaO, S. 25). 36 Es kann sich empfehlen, dass die nach Abs. III 1 erteilten Maßnahmen der Ortsnähe wegen besser der Richter mit Hilfe der JGH überwacht. Der JStA wird dies übernehmen, wenn er schon persönliche Kontakte zum J hatte, aus den Rn 3 genannten oder aus anderen bes. Gründen (vgl. Begründung zum RegE aaO). Erzwingbar sind auch die vom Richter erteilten Maßnahmen nicht, Ungehorsamsarrest ist ausgeschlossen (Abs. III 3). 37 Entspricht der Richter dem Vorschlag des StA nicht, d. h. trifft er keine oder eine vom StA nicht beantragte Maßnahme, oder erfüllt der J die im Einvernehmen mit dem StA vom Richter erlassene Anordnung nicht, ist der StA frei (Dallinger/Lackner 32, 36; Eisenberg 32; Ostendorf 18; Potrykus B 6; Dölling in BMJ, Hrsg., JStrafrechtsreform durch die Praxis, 1989 S. 254; Pentz NJW 54, 1352). Einschränkungen der Zustimmung des StA sind nach LG Zweibrücken (NJW 90, 1247 zu § 153 a II StPO) nur hinsichtlich Art und Umfang der Geldbuße, aber nicht zur Frage der empfangenden Einrichtung beachtlich. Der StA kann also anklagen, wenn die Voraussetzungen (noch) gegeben sind, oder aus einem anderen Grunde das Verfahren einstellen. Bereits erbrachte Leistungen sind in einem späteren Urteil zu berücksichtigen (Dallinger/Lackner 37; Eisenberg 32), soweit sie nicht zurückerstattet werden können (Ostendorf 21; Potrykus B 6). 13.
Geltung im Ordnungswidrigkeitsverfahren
38 Eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen J und Hw. ist dem StA vorbehalten. Im OWiGVerfahren jedoch kann auch die Verwaltungsbehörde als Verfolgungsbehörde (§ 35 I, II OWiG) das Verfahren einstellen, solange es bei ihr anhängig ist (§ 47 I OWiG; BVerfGE 27, 18), zumal die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten in ihrem pflichtgemäßen Ermessen liegt. Als Maßnahme kann aber nur eine Geldbuße in Betracht kommen; sie ist im OWiG-Verfahren anders als nach § 15 II Nr. 1 JGG auch dann möglich, wenn der J oder Hw. mittellos ist (Göhler/Seitz § 47 OWiG 21; Bedenken bei Eisenberg 3 wegen „Leistungsabwälzbarkeit“), weil in der Vollstreckung anstelle der Geldbuße Weisungen und Auflagen auferlegt werden können (§ 98 OWiG; § 82, 11). Im Übrigen ist „Polizei-Diversion“ ausgeschlossen (näher Rn 12, 12 a); lediglich präventiv-polizeiliche Maßnahmen, wie etwa die Vorführung des in Ordnung gebrachten Mopeds, sind zulässig (ebenso Ostendorf 16). Das Klageerzwingungsverfahren ist gem. § 46 III 3 OWiG ausgeschlossen. Zur Einstellung durch das Gericht § 47, 6. Rechtsgrundlage für die Einstellung im Ordnungswidrigkeitsverfahren ist allein § 47 OWiG, der als anderweitige Bestimmung iSv § 46 I OWiG die Anwendbarkeit der §§ 45, 47 JGG ausschließt (Eisenberg 3; Ostendorf 3; DSS/Diemer 10). 14.
Mitteilungen
39 Mitteilungen sind erforderlich an Beschuldigten (entsprechend § 170 II 2 StPO, Nr. 88, 91 I RiStBV), an ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreter (§ 67 II), an Antragsteller (§ 171 StPO, Nr. 89, 91 II RiStBV) und allg. gem. §§ 70 S. 1, 109 I 2 (zu Besonderheiten von Mitteilungen an die Schule § 70, 5), an ErzRegister nach §§ 59, 20, 60 I Nr. 7, Abs. II BZRG. Der Wegfall der Eintragung in das ErzRegister wird de lege ferenda vielerseits befürwortet. Man wird auch bei J den StA und Richter für verpflichtet halten dürfen, dem Verletzten in den Fällen der §§ 45, 47 den Verfahrensausgang nach §§ 171, 406 d I StPO mitzuteilen; häufig kommt sowieso ein TäterOpfer-Ausgleich in Betracht.
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Absehen von der Verfolgung
§ 45
Nach RiStBV 90 muss der StA interessierte Behörden vor der Einstellung des Ermittlungsver- 39 a fahrens hören. Ob dies auch gilt, wenn ein formloses ErzVerfahren gem. § 45 beabsichtigt wird, ist umstritten, doch zu verneinen (zust. Eisenberg 38). Denn § 45 eröffnet ein bes. jgemäßes Verfahren, keine bloße Verfahrenseinstellung; ob es erz. geeignet ist, können Verwaltungsbehörden nicht beurteilen. Ist durch Justiz-Verwaltungsvorschriften allerdings die Geltung RiStBV 90 auch für § 45 I bejaht, liegt darin eine verbindliche Weisung für die StA.
15.
Anhörungen und Rechtsbehelfe
Vor der Entscheidung nach § 45 hört der JStA bei J den ErzBerechtigten und den gesetzlichen 40 Vertreter und setzt sich mit der JGH in Verbindung. Bei bes. Eilbedürftigkeit – oft auch gerade hier dem Gewicht der Tat und der Persönlichkeit des Beschuldigten angemessen – kann fernmündlicher Informationsaustausch genügen. Bei der Arbeitsweisung (§ 10, 9) und beim TäterOpfer-Ausgleich (Rn 19; § 10, 12) wird die gebotene enge Zusammenarbeit mit der JGH evident und für die Frage der Angemessenheit, der möglichen Einwirkungen und wegen der Modalitäten der Durchführung unentbehrlich (vgl. Rn 22 u. 36; § 38, 4 b u. 15). Ein Mitwirken des Richters ist nur im Falle des Abs. III vorgeschrieben; doch sollte seine Stellungnahme in Zweifelsfällen eingeholt werden. – Die Entscheidung des StA nach Abs. I und II ist nur mit Dienstaufsichtsbeschwerde, nicht im Klageerzwingungsverfahren anzufechten (OLG Braunschweig NJW 60, 1214; Eisenberg 44 u. § 172 II 3 StPO; wegen des Klageerzwingungsverfahrens sonst: Rn 1, 2), es sei denn, der StA hat die ihm durch § 45 gesetzten Grenzen überschritten (Pentz NJW 58, 819). Beim Absehen nach Abs. III versagt regelmäßig auch diese Beschwerde. Der Rechtsweg nach §§ 23 ff EGGVG ist stets ausgeschlossen (OLG Hamm MDR 83, 255 mwN; aA Mohren S. 142).
16.
Kosten für die Maßnahmen ua
Zu den Kosten für die Maßnahmen nach §§ 45, 47 vgl. § 10, 22, 22 a u. § 74, 9. Eine nach § 45 getrof- 41 fene Maßnahme kann nicht zu einer Einheitsstrafe einbezogen werden (§ 31, 26). § 45 gilt auch im Verfahren gegen J vor den für allg. Strafsachen zuständigen Gerichten (§ 104 I Nr. 4), im Verfahren gegen Hw. nur, wenn JStrafrecht zur Anwendung kommt (§ 109 II, RL 5; näher § 109, 5). Auch in den neuen Bundesländern gelten die §§ 45, 47 ungeschmälert. Die §§ 40 bis 45 des Ge- 42 setzes der ehemaligen DDR über die Schiedsstellen in den Gemeinden v. 13. 9. 1990, nach denen der JStA unter bestimmten Voraussetzungen ein Verfahren an eine Schiedsstelle übergeben konnte (dazu Weber DVJJ-J Dez. 1990, 23), von denen aber wegen des komplizierten Verfahrens in der Praxis kaum Gebrauch gemacht wurde, sind durch das G zur strafverfahrensrechtlichen Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs v. 20. 12. 1999 (BGBl. I 2491) aufgehoben worden.
17.
Absehen von der Anklageerhebung bei betäubungsmittelabhängigen J und Hw. nach §§ 31 a, 38 II, 37 BtMG
Dem § 45 vorgehende Spezialregelungen (Rn 3) enthalten die §§ 31 a, 38 II, 37 BtMG. Nach 43 § 31 a I BtMG kann der JStA von der Verfolgung absehen, wenn (1.) das Verfahren ein Vergehen nach § 29 I, II oder IV BtMG zum Gegenstand hat; (2.) die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre, was vor allem bei Probierern in Betracht kommt, aber Wiederholungstäter nicht ausschließt (Körner § 31 a BtMG 22); (3.) kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht;
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§ 45
2. Teil. Jugendliche
(4.) der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt. Die Anwendung von § 31 a I BtMG kommt bei J insbes. in Betracht, wenn es sich um abgeschlossene episodenhafte Vorgänge handelt oder der J die tatauslösende Problematik aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer bewältigt hat (Körner § 31 a BtMG 44). Die Erfüllung der von BVerfG NJW 94, 1583 auferlegten Pflicht, für eine im Wesentlichen einheitliche Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften zu sorgen, fällt den Ländern, die unterschiedliche Verwaltungsvorschriften erlassen haben, schwer (dazu eingehend Aulinger S. 163 ff). Nach Anklageerhebung kann das Gericht nach § 31 a II BtMG unter den genannten Voraussetzungen das Verfahren mit Zustimmung der StA und des Angeschuldigten einstellen. Hält das Gericht entgegen der Auffassung der StA die Voraussetzungen des § 31 a BtMG für gegeben, darf es die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht ablehnen (LG Oldenburg NStZ-RR 02, 119 = JR 02, 302 mit zust. Anm. Aulinger). Es besteht für das Gericht unter den Voraussetzungen des § 29 V BtMG die Möglichkeit des Absehens von Strafe. Stellt das Gericht die Voraussetzungen der §§ 29 V, 31 a BtMG fest, muss das Urteil erkennen lassen, dass sich das Gericht seiner Verpflichtung, entsprechend BVerfG NJW 94, 1583 regelmäßig von Strafe abzusehen, bewusst war, und es muss die Gründe, die im Einzelfall zur Abweichung von dieser grds. Verpflichtung veranlasst haben, eingehend darlegen (OLG Koblenz NStZ 98, 260). Zu § 29 V BtMG u. § 55 I vgl. LG Mainz NStZ 84, 121 bei § 55, 10. 43 a Der JStA kann (nach pflichtgemäßem Ermessen) gem. §§ 38 II, 37 I 1 BtMG mit Zustimmung des nach § 42 I zuständigen JRichters vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen, wenn (1.) der J oder Hw. verdächtig ist, eine Straftat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen zu haben; erforderlich ist hinreichender Tatverdacht iSd §§ 170 I, 203 StPO (Joachimski/Haumer § 37 BtMG 2); (2.) konkret im Einzelfall eine JStrafe von nicht mehr als 2 Jahren zu erwarten ist; (3.) der Beschuldigte nachweist, dass er sich wegen seiner Abhängigkeit einer in § 35 I BtMG bezeichneten Behandlung unterzieht und seine Resozialisierung zu erwarten ist. 44 Die JGH kann und soll den J motivieren, Möglichkeiten und Pflichten mit ihm durchsprechen sowie ihm dann behilflich sein, sich der notwendigen Behandlung rechtzeitig zu unterziehen, sie durchzuhalten und den ihm obliegenden Nachweis zu erbringen. Der JStA wird sich entsprechend der dem § 38 I 2 BtMG gleichenden Interessenlage bei J um die Einwilligung und zugleich Hilfe des ErzBerechtigten und des gesetzlichen Vertreters bemühen (vgl. § 17, 27 c; Eisenberg 29 a) und eng mit der JGH zusammenarbeiten. Der JStA sollte vor der Entscheidung den J oder Hw. anhören, um sich auch selbst ein Bild zu machen und ihn eingehend belehren, um so der Entscheidung mehr Erfolgsaussicht zu sichern. Der JStA darf erst dann von der Verfolgung absehen, wenn der Fall ausermittelt und anklagereif ist (vgl. Katholnigg NStZ 81, 420), was auch dem JRichter die Prüfung der Zustimmung erleichtert. Mit der vorläufigen Einstellung setzt der JStA die – keinesfalls zu weiträumigen – Zeitpunkte fest, zu denen der Beschuldigte die Fortdauer der Behandlung nachzuweisen hat (§ 37 I 2 BtMG). Zu den Anforderungen an Therapiewilligkeit u. -fähigkeit OLG Hamm MDR 82, 1044. 45 Die vorläufige Einstellung des Verfahrens bewirkt ein beschränkt wirksames Verfolgungshindernis (vgl. § 37 I Nr. 4 BtMG); 2 Jahre nach Zugang der entsprechenden Verfügung oder des Beschlusses (Rn 47) an den Beschuldigten (Katholnigg NStZ 81, 420) wird sie zu einem endgültigen, das keine Fortsetzung des Verfahrens mehr gestattet (§ 37 I 5 u. II 3 BtMG). Dass eine so weitreichende Entscheidung nicht registrierpflichtig ist, erweckt Bedenken (ebenso Joachimski/Haumer
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Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen
§ 46
§ 37 BtMG 1). Denn dies erschwert die gerade im Drogenbereich bes. schwierige Persönlichkeitserforschung und kann zu erz. unguten Fehlentscheidungen führen. Nichtaufnahme in das Führungszeugnis würde den Beschuldigten ausreichend schützen, ohne zu den vorerwähnten Nachteilen zu führen. Der JStA führt das Ermittlungsverfahren weiter, wenn einer der in § 37 I 3 Nr. 1 bis 4 BtMG 46 abschließend aufgezählten Fortsetzungsgründe eintritt; Ausnahme § 37 I 4 BtMG. In der ersten und in der Berufungsinstanz – auch bei Beschränkung der Berufung auf das 47 Strafmaß und nach Zurückverweisung durch das Revisionsgericht (Joachimski/Haumer § 37 BtMG 14) – kann das Gericht mit Zustimmung des JStA das Verfahren nach § 37 II BtMG durch unanfechtbaren Beschluss vorläufig einstellen. Im Übrigen gilt hier das zu § 37 I BtMG Gesagte entsprechend. Entscheidet das Gericht ohne Zustimmung des JStA, so kann dieser nach § 304 Beschwerde einlegen (vgl. OLG Stuttgart MDR 80, 250). Das Verfahren wird formlos oder durch nicht anfechtbaren Beschluss fortgesetzt. Die §§ 38 II, 37 I BtMG gehen als leges speciales dem § 45 an sich vor. Tatsächlich dürfte eine 48 Konkurrenz dieser Vorschriften aber schon deshalb kaum praktisch werden, weil der JStA § 45 dann anwendet, wenn er die danach möglichen Sanktionen für ausreichend hält, § 37 BtMG aber, wenn er im Zeitpunkt der Entscheidungsreife konkret eine JStrafe bis zu 2 Jahren für geboten erachtet. Die versagte richterliche Zustimmung nach § 37 I BtMG durch eine Verfügung nach § 45 II 1 (oder gar § 45 I) zu „ersetzen“, ist nicht zulässig (Ostendorf 8; aA Nothacker JZ 82, 62), weil die Ausgangslage zu unterschiedlich ist und keiner der Verfahrensbeteiligten meinen sollte, er allein beurteile die Sachlage richtig und müsse dies unter Umgehung von wohlüberlegten Bestimmungen des Spezialgesetzes durchsetzen. Zudem könnten das Absehen von der Verfolgung nach § 45 I und die Einstellung wegen Gering- 49 fügigkeit nach § 153 StPO gerade bei drogenabhängigen J und Hw. als Freispruchssurrogat oder halbherzige Tolerierung missverstanden werden. Zu geringe richterliche Reaktionen könnten als Erfolgserlebnisse Verstärkerfunktion haben (Rubner Ärztl. Praxis 1978, Nr. 11, 12, 13; dazu aber Einf. I 51). Insbes. aber fehlen die bei Betäubungsmittelabhängigen bes. gebotenen Einwirkungsmöglichkeiten und Hilfen; denn das Absehen von der Verfolgung nach § 45 III (wie die Einstellung nach Erfüllung von Auflagen nach § 153 a StPO) lässt zwar Auflagen und bestimmte Weisungen (zB Arbeitsleistungen zu erbringen) zu, führt aber nicht zur Weisung, sich einer Entziehungskur zu unterziehen, und erlaubt es nicht, einen BewHelfer zu bestellen. § 45 greift bei wirklich Abhängigen kaum und ist auch deshalb gerade dann bedenklich, wenn die spezielle betäubungsrechtliche (dem § 153 a StPO rechtsähnliche) Lösung, aus welchen Gründen auch immer, nicht eingesetzt werden kann. Zur Zurückstellung der Vollstreckung nach §§ 38 I, 35 BtMG: § 17, 23 ff. Verhältnis des § 36 50 I 3 zu § 88: § 88, 2 b. Hinweis auf die Fundstellen zu Drogenfragen allg. im Kommentar Einf. I 51 a. Zur Anwendung des § 45 in den neuen Bundesländern: Rn 42.
51
§ 46 Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen § 46 Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen Der Staatsanwalt soll das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen in der Anklageschrift (§ 200 Abs. 2 der Strafprozeßordnung) so darstellen, daß die Kenntnisnahme durch den Beschuldigten möglichst keine Nachteile für seine Erziehung verursacht. 1. [Hw.]: § 109 RL 6; aber § 46 RL 2. – 2. [ErwG]: § 104; aber § 46 RL 2.
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§ 46
2. Teil. Jugendliche
Richtlinien zu § 46: 1. Auf eine für den Beschuldigten verständliche Fassung der Anklageschrift hat die Staatsanwaltschaft besonderes Gewicht zu legen. Einzelheiten über Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder kriminelle Methoden und ähnliche Angaben sind nur insoweit aufzunehmen, als dies unerläßlich ist. Ausführungen über eine mangelhafte Erziehung des Jugendlichen durch die Eltern sollen unterbleiben. 2. Wenn auch § 46 im Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten und im Verfahren gegen Heranwachsende nicht unmittelbar gilt (§§ 104, 109), so wird doch sein Grundgedanke auch dort zu beachten sein.
1 Nur die StA klagt an (§ 36). Wenn Anklage erhoben wird (auch im vereinfachten JVerfahren gem. § 76; nicht beim formlosen Erziehungsverfahren gem. § 45), muss der Abschluss der Ermittlungen festgestellt werden (§ 169 a StPO). Das kann schon geschehen, wenn die Ermittlungen des JAmtes oder die Auskunft aus Zentral- und Erziehungsregister noch nicht bei den Akten sind (§ 43, 17); sie müssen nur angefordert sein. 2 Die Anklageschrift hat die Tat unter Hervorhebung ihrer gesetzlichen Merkmale nicht nur durch Angabe des Gesetzeswortlautes und des Ortes und der Zeit der Tat, sondern auch durch Angabe konkreter Tatumstände individualisierend zu schildern (§ 200 I StPO; BGH NJW 54, 360; vgl. auch BGH 5, 227 u. 10, 139). Einschränkungen hierzu enthält RL 1 S. 2. Hierbei ist jedoch die Erwägung Ostendorfs (4) zu berücksichtigen, dass nur ein detaillierter Schuldvorwurf eine detaillierte Verteidigung erlaubt. Sorgfältige Abwägung ist geboten. Es darf nicht durch Gedankenlosigkeit Schaden angerichtet und es muss die Anklage so abgefasst werden, dass sie der J ohne weiteres versteht (RL 1 S. 1); stigmatisierende und moralisierende Wendungen sind so überflüssig, wie sie schädlich sein können. 3 Unter den Strafgesetzen ist bei J stets § 3 als Schuldvoraussetzung zu nennen; bei Hw., gegen die JRecht zur Anwendung kommen wird, § 105; die näheren Einzelheiten der Begründung gehören in das wesentliche Ermittlungsergebnis (zust. Eisenberg § 109, 8). 4 Es muss auch der Name des Verteidigers aufgenommen werden (§ 200 I 2 StPO). 5 Das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen braucht nur (vgl. aber RiStBV 112) bei Anklagen zum JSchöffengericht und zu höheren Gerichten aufgenommen zu werden (§§ 200 II 2 StPO, 33 II, 39 JGG). Es dient dem rechtsstaatlichen Schutz des Angeklagten, indem es die wesentlichen Einzelheiten des Beweisstoffes aufdeckt, der im „geheimen“ Vorverfahren gesammelt wurde, ihm dadurch erst die Möglichkeit zu Anträgen nach § 201 StPO gibt und eine wirksam vorbereitete (§ 219 StPO) Verteidigung gestattet. Wird nach Anklage zum J(Einzel)richter das Verfahren vor dem JSchöffengericht eröffnet, sollte der StA die Anklage durch Einfügung des „wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen“ ergänzen. Eine Pflicht dazu besteht jedoch nicht (Roestel NJW 66, 334; § 41, 14). 6 Deshalb hat das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen seinen festen Platz auch im JRecht. Bei Fassung der Anklageschrift entsprechend RL 1 werden sich aus der Mitteilung an den J (Rn 8) regelmäßig keine erz. Nachteile ergeben. Bei unlösbarem Konflikt aber geht der rechtsstaatliche Schutz (Rn 5) erz. Bedenken vor (Eisenberg 8, 10; Ostendorf 4). Bei erheblichen ErzDefiziten genügt regelmäßig ein knapper Hinweis auf die familiäre Problematik und die Entwicklungsschwierigkeiten des J; detaillierte Angaben sind insbes. zu vermeiden, wenn die Anklage einem Mitangeschuldigten zuzustellen ist (LG Berlin DVJJ-J 00, 86). 7 Gerade im JVerfahren muss die Anklageschrift klar und verständlich sein (RL 1 S. 1; 110 I RiStBV). Zur Auswahl der Beweismittel RiStBV 111. 8 Die Anklageschrift ist dem J, seinem ErzBerechtigten und seinem gesetzlichen Vertreter in vollem Umfang zuzustellen (§§ 201 StPO, 67 II JGG) und dem Verteidiger in Abschrift zuzusenden. Die MiStra sieht Mitteilung der Anklageschrift an verschiedene Behörden und Stellen vor.
300
Einstellung des Verfahrens durch den Richter
§ 47
Auch im JVerfahren ist die Nachtragsanklage (§ 266 StPO) zulässig. Der Grundsatz der Ein- 9 heitsstrafe (§ 31 I), verwirklicht durch die gemeinsame Verhandlung aller bekannten Taten, und die Beschleunigungsmaxime machen die schriftliche oder mündliche Nachtragsanklage im JRecht häufig notwendig. Nachteile ergeben sich in der Praxis nicht; die Nachtragsanklage muss natürlich in einer dem Verständnis des J angepassten Weise erhoben und zugelassen werden (Eisenberg 2; Ostendorf 2, der sorgfältige Prüfung der Handlungskompetenz des J anmahnt; aA Roestel NJW 66, 334). Im Verfahren gegen J vor den ErwGerichten und bei Hw. gilt § 46 zwar nicht unmittel- 10 bar (§§ 104, 109), es ist aber dessen Grundgedanke zu berücksichtigen (RL 2; Eisenberg 1; Ostendorf 1).
Zweiter Unterabschnitt Das Hauptverfahren § 47 Einstellung des Verfahrens durch den Richter § 47 Einstellung des Verfahrens durch den Richter (1) Ist die Anklage eingereicht, so kann der Richter das Verfahren einstellen, wenn 1. die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen, 2. eine erzieherische Maßnahme im Sinne des § 45 Abs. 2, die eine Entscheidung durch Urteil entbehrlich macht, bereits durchgeführt oder eingeleitet ist, 3. der Richter eine Entscheidung durch Urteil für entbehrlich hält und gegen den geständigen Jugendlichen eine in § 45 Abs. 3 Satz 1 bezeichnete Maßnahme anordnet oder 4. der Angeklagte mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist. In den Fällen von Satz 1 Nr. 2 und 3 kann der Richter mit Zustimmung des Staatsanwalts das Verfahren vorläufig einstellen und dem Jugendlichen eine Frist von höchstens sechs Monaten setzen, binnen der er den Auflagen, Weisungen oder erzieherischen Maßnahmen nachzukommen hat. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar. Kommt der Jugendliche den Auflagen, Weisungen oder erzieherischen Maßnahmen nach, so stellt der Richter das Verfahren ein. § 11 Abs. 3 und § 15 Abs. 3 Satz 2 sind nicht anzuwenden. (2) Die Einstellung bedarf der Zustimmung des Staatsanwalts, soweit er nicht bereits der vorläufigen Einstellung zugestimmt hat. Der Einstellungsbeschluß kann auch in der Hauptverhandlung ergehen. Er wird mit Gründen versehen und ist nicht anfechtbar. Die Gründe werden dem Angeklagten nicht mitgeteilt, soweit davon Nachteile für die Erziehung zu befürchten sind. (3) Wegen derselben Tat kann nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel von neuem Anklage erhoben werden. 1. Hw.-J: § 105 I; § 109 II 1. – 2. ErwG: RL 3; § 104 I Nr. 4. Richtlinien zu § 47: 1. Das Gericht kann in jedem Verfahrensstadium – auch schon vor Eröffnung des Hauptverfahrens – prüfen, ob die Durchführung oder Fortsetzung einer Hauptverhandlung erforderlich ist oder mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft nach § 47 i. V. m. § 45 verfahren werden kann. Dies wird insbesondere in Betracht kommen, wenn inzwischen angemessene erzieherische Reaktionen im sozialen Umfeld des Jugendlichen erfolgt sind oder sich auf Grund der Einschaltung der Jugendgerichtshilfe entsprechende Möglichkeiten eröffnen.
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§ 47
2. Teil. Jugendliche
2. Im vereinfachten Jugendverfahren bedarf es der Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu der Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 in der mündlichen Verhandlung nicht, wenn die Staatsanwaltschaft an dieser nicht teilnimmt (§ 78 Abs. 2 Satz 2). 3. § 47 gilt auch im Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten (§ 104 Abs. 1 Nr. 4), jedoch nicht im Verfahren gegen Heranwachsende (§ 109 Abs. 1). Wendet das Gericht Jugendstrafrecht an, so gilt § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 3, Abs. 2 und 3 entsprechend (§ 109 Abs. 2). Schrifttum: s. zu § 45. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Einstellung nach Einreichung der Anklage Einstellungen nach § 47 I 1 Nr. 1–4 . . . . Vorläufige Einstellung . . . . . . . . . . . . Zustimmung des StA . . . . . . . . . . . . . Die Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . Form der Entscheidung und Beschwerde . Eingeschränkte Rechtskraft . . . . . . . . .
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Rn 1 7 11 12 13 14 16
Einstellung nach Einreichung der Anklage
1 § 47 legt die Möglichkeiten des § 45, Diversion also, nach Einreichung der Anklage in die Hand des JRichters und erlaubt aus Gründen der jgemäßen Beschleunigung, auch der Verfahrensökonomie, das Verfahren möglichst früh zu beenden, nämlich vom Eingang der Anklage an in jeder Lage des Verfahrens und selbst noch in der Revisionsinstanz (Rn 5). Die Reihenfolge der Regelungen folgt der des § 45. 2 Ist die Anklage gegen einen J oder Hw. (Rn 17) erhoben oder gegen einen J Entscheidung im vereinfachten JVerfahren beantragt (§ 76 S. 2), gilt – solange nicht die Klage zulässig zurückgenommen (§ 156 StPO) ist – Folgendes: 3 Wie im allg. Recht ist zunächst zu prüfen, ob „der Angeschuldigte einer strafbaren Handlung hinreichend verdächtig“ erscheint (§ 203 StPO). Das Hauptverfahren wird nicht eröffnet, wenn eine Verurteilung nicht zu erwarten ist; es gilt dasselbe wie für die Einstellung des Vorverfahrens durch den StA (§ 45, 1). 4 Daneben kann das Gericht das Verfahren wie im ErwStrafrecht nach den §§ 153 b II, 153 c III, 153 d II, 153 e II, 154 II, 154 a II, 154 b IV 1, 154 e II StPO einstellen (Opportunitätsprinzip). Es gilt das § 45, 3 Ausgeführte entsprechend. Es sind aber die §§ 153 II und 153 a II StPO in § 47 völlig aufgegangen (ebenso LG Frankfurt SjE F 3, 243 für § 153 III StPO aF; LG Aachen NStZ 91, 450, nach dem § 153 a StPO nur ausnahmsweise Anwendung finden kann; dagegen Eisenberg NStZ 91, 450 f). § 383 II StPO ist durch § 80 I gegenstandslos. Die §§ 31 a II, 38 II, 37 II BtMG sind anwendbar (§ 45, 48). 5 Das erz. bedingte Subsidiaritätsprinzip führt dazu, dass jedes Gericht (RL 3) das Verfahren bis zur Rechtskraft wie in Rn 4 ausgeführt oder nach § 47 (Rn 7 ff) einstellt, wo das genügt. Diese Einstellung ist also noch im Revisionsverfahren und auch dann möglich, wenn kein die Anfechtung rechtfertigender Grund zur Abänderung der Entscheidung zwingt (Dallinger/Lackner 9; Eisenberg 6; Ostendorf 3). 6 Im OWiG-Verfahren kann der JRichter das Verfahren nach § 47 II OWiG in jeder Lage (auch noch im Rechtsbeschwerdeverfahren) mit Zustimmung der StA – wenn sie an der Hauptverhandlung teilnimmt (§ 75 II OWiG) – durch nicht anfechtbaren Beschluss einstellen oder beschränken. § 47 II OWiG geht als spezielle Einstellungsregelung § 46 I OWiG iVm § 47 JGG vor (Eisenberg 8; Ostendorf 4). Ergeht die Einstellung zugleich mit einer Sachentscheidung in Form des Urteils, kann einheitlich in Urteilsform entschieden werden (Göhler/Seitz § 47 OWiG 42).
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Einstellung des Verfahrens durch den Richter
2.
§ 47
Einstellungen nach § 47 I 1 Nr. 1–4
Der Richter kann das Verfahren gem. Abs. I 1 Nr. 1 nach § 153 StPO ohne Maßnahmen ein- 7 stellen. Im Regelfall werden sich jtypische Verfehlungen geringeren Schuldgehalts und mit geringen Auswirkungen anbieten. Es gelten die Ausführungen § 45, 17 entsprechend. Nach Abs. I 1 Nr. 2 kann auch der Richter das Verfahren einstellen, wenn erst nach Einreichung 8 der Anklage festgestellt wird, dass eine ausreichende erz. Maßnahme iSd § 45 II (§ 45, 18 u. 19) bereits durchgeführt oder eingeleitet wurde. Dabei ist es unerheblich, ob dies vor oder nach Anklageerhebung geschehen ist. Der Richter kann auch nach Abs. I 1 Nr. 2 verfahren, wenn der StA im Vorverfahren eine solche Maßnahme von dritter Seite für nicht ausreichend angesehen hat, um von der Verfolgung nach § 45 II (dazu § 45, 18) abzusehen. Es können sich zwischenzeitlich der J oder auch die Situation positiv verändert haben. Im Übrigen ist zur Einstellung des Richters nach § 47 stets die Zustimmung des StA erforderlich (Rn 11 a). Auch der Richter kann selbst bei einer der in § 45, 18 bezeichneten Personen eine solche erz. Maßnahme anregen, die es ihm erlaubt, nach Abs. I 1 Nr. 2 das Verfahren einzustellen (Begründung zum RegE des 1. JGGÄndG, BT-Drs. 11/5829 S. 26). Zur vorläufigen Einstellung Rn 11. Auch beim JRichter kann die JGH die Voraussetzungen für eine Einstellung des Verfahrens nach 8 a Abs. I 1 Nr. 2 dadurch herbeiführen, dass sie dem J oder Hw. (§ 41 SGB VIII; näher § 12, 8) mit Zustimmung des Richters und des StA Hilfen nach dem SGB VIII gewährt (§ 52 II SGB VIII). Es gilt hier das in § 45, 19 a Ausgeführte. Ist der J geständig (dazu § 45, 24) und hält der Richter eine Entscheidung durch Urteil für 9 entbehrlich, so kann er das Verfahren nach Abs. III 1 Nr. 3 einstellen und eine der in § 45 III 1 bezeichneten Weisungen oder Auflagen (§ 45, 30–32) anordnen. Bei Berücksichtigung des Geständnisses mag hilfreich sein, dass der StA mit der Anklageerhebung den hinreichenden Tatverdacht bereits seinerseits bejaht und der Richter selbst den hinreichenden Tatverdacht bestätigt hat (§ 203 StPO). Zur vorläufigen Einstellung Rn 11. Zum Rüsselsheimer Modell, in dem der durch die Polizei informierte JRichter ggf. bereits vor Eingang des Antrags nach § 76 S. 2 Maßnahmen anordnet, s. Löhr-Müller Diversion durch den JRichter, 2001. Der Richter stellt das Verfahren nach Abs. I 1 Nr. 4 ein, wenn sich inzwischen herausgestellt hat, 10 dass die Altersreife (§ 3 – nicht die Schuldfähigkeit nach § 20 StGB) fehlt oder nicht nachweisbar ist. Das erspart dem J ein unnötiges weiteres Verfahren und vermeidet Freisprüche wegen mangelnder Altersreife, die sich uU erz. ungünstig auswirken können (Schaffstein/Beulke S. 67; kritisch zu letzterem Eisenberg 12; Ostendorf 10 u. § 3, 16). Grds. sollte hier aber die Tat als solche festgestellt (§ 3, 7) und nach § 3 S. 2 verfahren werden, bes. wenn die Einstellung erst in der Verhandlung erfolgt (§ 3, 16; Eisenberg 12); wegen der Begründung § 54, 14.
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Vorläufige Einstellung
Der JRichter kann in den Fällen des Abs. I 1 Nr. 2 u. 3 (Rn 8–9) das Verfahren vorläufig einstellen 11 (Abs. I 2). Das erleichtert ihm – mit Hilfe der JGH – die Kontrolle, ob und inwieweit der J den von anderer Seite eingeleiteten erz. Maßnahmen und den vom Richter angeordneten Weisungen und Auflagen (Rn 9 iVm § 45, 30–32) nachzukommen willens ist. Denn diese eingeleiteten bzw. angeordneten erz. Maßnahmen sind allesamt nicht erzwingbar, Ungehorsamsarrest (§ 16, 15) ist hier nicht zulässig (Abs. I 6 iVm § 11 III u. § 15 III 2). Winterfeld (MDR 82, 273) befürchtet damit eine „Förderung sanktionslosen Ungehorsams“. Es kann zuweilen auch erst die weitere Entwicklung klären, ob das Verfahren überhaupt eingestellt werden kann, das künftige Verhalten des J ist oftmals nicht absehbar. Es kann der J in vorgefasster Absicht die vorgesehenen Maßnahmen nicht mehr erfüllen oder auch einfach deshalb, weil sie ihm lästig werden. Im Laufe dieser Art „Vorbewährung“ kann die JGH auch einen J wieder zurechtrücken und ihm die Einstel-
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§ 47
2. Teil. Jugendliche
lung bewahren. Diese ausdrückliche Normierung der vorläufigen Einstellung kann den Richter in bes. Fällen auch den Versuch wagen lassen, einem aus Trotz widerspenstigen J mit ein wenig Hoffnung auf Erfolg doch eine Chance einzuräumen. 11 a Der Rechtsklarheit halber muss der Richter die vorläufige Einstellung durch einen förmlichen, nicht anfechtbaren Beschluss (Abs. I 3 u. 4) manifestieren (vgl. Rn 14). Dieser Beschluss bedarf der Zustimmung des StA (Abs. I 2), der sich darüber klar sein muss, dass er diese Zustimmung zugleich für die möglicherweise folgende „endgültige“ Verfahrenseinstellung gibt (näher zur Zustimmung des StA u. zu seinem Beschwerderecht in bes. Falle Rn 13 u. 14). Der J braucht nicht zuzustimmen (Rn 12 aE). Mit dem Beschluss setzt der Richter dem J eine Frist von höchstens 6 Monaten, binnen derer er von anderer Seite eingeleiteten erz. Maßnahmen oder den vom Richter angeordneten Weisungen und Auflagen nachzukommen hat. Diese Frist – eine Art „Vorbew.“ – lässt das Verfahren nicht erzwidrig lange in der Schwebe (kritisch aber Ostendorf 12) und gibt außerdem andererseits der Erfüllung ausreichend Zeit, was ggf. bei den Weisungen und Auflagen berücksichtigt werden muss. Es zwingen auch nicht alle erz. Maßnahmen dazu, diese Frist auszuschöpfen. Kommt der J den Weisungen und Auflagen (Rn 9) oder den erz. Maßnahmen (Rn 8) nach, so stellt der Richter das Verfahren „endgültig“ ein. Es wird hierbei nicht in jedem Fall erforderlich sein, die vollständige Erfüllung voll abzuwarten, wobei es an der JGH sein kann, entsprechende Anregungen zu geben. 4.
Zustimmung des StA
12 Die Zustimmung des StA ist zu jedweder Einstellung des Verfahrens gem. § 47 erforderlich (Abs. II 1 HS 1), als Prozesshandlung unwiderruflich und bedingungsfeindlich. Hat der StA bereits der vorläufigen Einstellung (Rn 11) zugestimmt, so umfasst dies auch die endgültige Einstellung (Abs. II 1 HS 2). Jedoch ist es zulässig, dass der StA seine Zustimmung auf vom Gericht angekündigte Maßnahmen beschränkt, die Zustimmung für davon abweichende Maßnahmen also fehlt und dem StA insoweit ein Beschwerderecht gegen die Einstellung eröffnet ist (Rn 14; OLG Hamm MDR 77, 949; Eisenberg 19). Wo die Zustimmung nicht erteilt wird, muss im förmlichen Verfahren so entschieden werden, als gäbe es § 47 nicht. Die Zustimmung des JStA ist jedoch in der Verhandlung des vereinfachten JVerfahrens nicht erforderlich, wenn der JStA an der Verhandlung nicht teilnimmt (RL 2; § 78 II 2); hier kann also jederzeit und ohne Zustimmung des JStA eingestellt werden. Nach LG Aachen (NStZ 91, 450 mit abl. Anm. Eisenberg) betrifft § 78 II 2 nur die Einstellungen nach §§ 45, 47 JGG und ist für im JStrafrecht nur ausnahmsweise zulässige Einstellungen nach §§ 153 II, 153 a II StPO auch im vereinfachten JVerfahren die Zustimmung des JStA erforderlich. Hält man aber §§ 153 f StPO im JStrafverfahren überhaupt für anwendbar (dazu § 45, 3; § 47, 4), muss § 78 II 2 auch für Einstellungen nach diesen Vorschriften gelten. Eine Zustimmung des J zu Maßnahmen nach § 47 ist nicht erforderlich (BVerfG v. 27. 1. 1983 – 2 BvR 92/83; Eisenberg 18). Zur Einschränkung der Zustimmung des StA LG Zweibrücken NJW 90, 1247 zu § 153 a StPO. 12 a Die Verhängung eines Ungehorsamsarrestes bei Nichterfüllung von Weisungen, Auflagen oder erz. Maßnahmen erlaubt § 47 ebenso wenig wie § 45 (Abs. I 6 iVm § 11 III u. § 15 III 2). 5.
Die Einstellung
13 Zu den Einstellungen nach Abs. I 1 Nr. 1 u. 4 vgl. Rn 7 u. 10. In den Fällen des Abs. I 1 Nr. 2 u. 3 (Rn 8 u. 9) muss der Richter nach Abs. I 5 das Verfahren dann „endgültig“ einstellen, wenn der J den bereits eingeleiteten Maßnahmen (Abs. I 1 Nr. 2) oder den angeordneten Weisungen und/oder Auflagen (Abs. I 1 Nr. 3) nachgekommen ist. Dies beurteilt der Richter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen, das auch den StA bindet. Im Übrigen vgl. Rn 14 u. 15.
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Einstellung des Verfahrens durch den Richter
6.
§ 47
Form der Entscheidung und Beschwerde
Die Entscheidung ergeht auch in der Verhandlung durch Beschluss. Dieser muss zur Feststel- 14 lung des Umfangs der Rechtskraft (Rn 16) begründet werden (Abs. II 3). Die Gründe werden aber dem J nicht mitgeteilt, wenn zu befürchten ist (dh die nicht zu entfernt liegende Möglichkeit besteht; enger Eisenberg 23 „konkrete Anhaltspunkte“; Ostendorf 13 „ausnahmsweise“), dass dies für die Erz. nachteilig ist (Abs. II 4). Für den Hw. gilt das nicht (vgl. Eisenberg 2 u. 23). Der Beschluss ist nicht anfechtbar (Abs. II 3), auch nicht die nach § 74 getroffene Kostenentscheidung (OLG Zweibrücken OLGSt § 47 Bl. 3; LG Hamburg NStZ-RR 96, 217). Das BVerfG hat 1983 (2 BvR 92/83) die eindeutige Ausschließung der Anfechtung (§ 47 II 3) für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet. Auch die Auffassung, eine Einstellung nach § 47 bedürfe nicht der Zustimmung des Angeklagten, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Doch ist Beschwerde (§ 304 StPO) zulässig, wenn Maßnahmen verhängt sind, die nicht in § 45 III 1 genannt sind; denn das wäre ein unerlaubter – weil in dieser Form vom Gesetz nicht zugelassener – Eingriff. Beschwerde des StA ist dann zulässig, wenn entgegen Abs. II 1 ohne seine Zustimmung eingestellt oder diese nicht wirksam erteilt wurde (zust. Eisenberg 27; Ostendorf 16; vgl. OLG Hamm MDR 77, 949 zu § 153 a II StPO; OLG Köln NJW 52, 1029 zu § 153 III aF) oder eine prozessuale Einstellungsvoraussetzung fehlte (LG Krefeld NJW 76, 815) oder bei Abs. I 1 Nr. 1 ein Verbrechen vorliegt (vgl. OLG Celle NdsRpfl. 66, 178 zu § 153 III StPO aF). Für ein Wiederaufnahmeverfahren gegen eine Einstellung nach § 47 ist kein Raum; Unzuträglichkeiten aufgrund Eintragung in das ErzRegister kann durch § 63 IIII BZRG abgeholfen werden (LG Baden-Baden NStZ 04, 513). Jeder Beschluss nach § 47 muss eine Kostenentscheidung enthalten, auch wenn Gerichtsgebüh- 14 a ren nicht anfallen (§ 464 I StPO; Potrykus NJW 57, 1136; Eisenberg 22). Nach § 467 I StPO sind die Kosten idR der Staatskasse aufzuerlegen. Gem. § 467 IV StPO kann jedoch davon abgesehen werden, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen; vgl. auch die Regelung des § 467 V StPO zu § 153 a StPO. Maßgeblich für die Entscheidung sind die Grundsätze des § 74 (Eisenberg 22). S. auch Ostendorf 13, wonach von § 467 IV StPO nur ganz ausnahmsweise Gebrauch zu machen ist. Nach BVerfG (NJW 90, 2741 = NStZ 90, 598 mit krit. Anm. Paulus) verstößt es gegen die Unschuldsvermutung, eine Entscheidung nach § 467 IV StPO damit zu begründen, dass nach den bisherigen Feststellungen eine schuldhafte Begehung einer Straftat vorliege. Bei Einstellungen gem. Abs. I 1 Nr. 4 ist Abs. IV des § 467 StPO nicht anwendbar, weil hier die Einstellung zwar im Ermessen des Gerichts liegt, aber doch nur an Stelle eines erz. unerwünschten Freispruchs tritt, bei welchem § 467 IV StPO nicht angewendet werden kann. Vgl. aber § 74, 7. Bei Einstellungen nach Abs. I Nr. 2 ist § 6 II StrEG anwendbar (KG NStZ 10, 284). Mitteilungen: Es gilt das § 45, 39 Ausgeführte entsprechend.
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Eingeschränkte Rechtskraft
Der Beschluss ist der beschränkten Rechtskraft fähig wie der Beschluss, durch den die Eröffnung 16 des Verfahrens abgelehnt wird (Abs. III; § 211 StPO): Die neuen Tatsachen und Beweismittel müssen gegenüber den Gründen des Einstellungsbeschlusses erheblich sein (zust. Nothacker S. 323); es genügt aber, wenn sie nur für das Gericht neu sind (BGH 7, 66 für § 211 StPO). Der neu ermittelte Sachverhalt muss einen neuen rechtlichen Gesichtspunkt ergeben; ein stärker zu wertender Schuldgehalt bei gleicher rechtlicher Beurteilung genügt nicht (zust. Eisenberg 24; Ostendorf 14; vgl. BGH 18, 225 zu § 211 StPO). – Allg. schlechte Führung nach der Tat ist keine solche Tatsache, auch nicht die Nichterfüllung der auferlegten Weisungen oder Auflagen (Dallinger/Lackner 25; Eisenberg 24; Ostendorf 14; Pentz NJW 54, 1352; Winterfeld MDR 82, 275; aA Potrykus B 5), weil dadurch das Bild der Tat an sich nicht verändert wird. Nur darauf, nicht auf die Einschätzung des Täters kommt es aber hier an, wie der Vergleich mit § 211 StPO zeigt. Unzu-
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2. Teil. Jugendliche
träglichkeiten entstehen nicht, wenn nach Rn 11 (vorläufige Einstellung) verfahren wird. Nach BGH 48, 331, 336 liegt es allerdings auf der Hand, dass nach dem das JStrafrecht prägenden ErzGedanken in Bezug auf die Tat später bekannt werdende Tatsachen bei dem Jugendlichen einen besondern ErzBedarf auslösen können und aufgrund der sich rückwirkend anders darstellenden Entwicklung eine jrichterliche Sanktion aus erz. Gründen notwendig werden könnte. Liegen die Voraussetzungen des Abs. III vor, kann das schon eingestellte Verfahren nicht fortgesetzt werden; es muss vielmehr erneut angeklagt werden. – Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Kommentare zu StPO bei § 211 verwiesen werden. 17 Zu den Kosten für die Maßnahmen nach §§ 47 u. 45 vgl. § 10, 22, 22 a u. § 74, 9. Eine nach § 47 getroffene Maßnahme kann nicht in eine Einheitsstrafe einbezogen werden (§ 31, 26). § 47 ist auch bei Hw. anwendbar, wenn auf sie JStrafrecht angewendet wird (§ 109 II 1; RL 3; § 109, 3). Dies gilt nicht für Abs. I Nr. 4 und Abs. II 4 (Eisenberg 2). 18 Zur Anwendung des § 47 in den neuen Bundesländern: § 45, 42.
§ 47 a Vorrang der Jugendgerichte § 47 a Vorrang der Jugendgerichte Ein Jugendgericht darf sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens nicht für unzuständig erklären, weil die Sache vor ein für allgemeine Strafsachen zuständiges Gericht gleicher oder niedrigerer Ordnung gehöre. § 103 Abs. 2 Satz 2, 3 bleibt unberührt. 1. Hw.-J: § 109 I 1. – 2. ErwG: ./. 1 Da ein Erw. nicht benachteiligt wird, wenn seine Sache statt von einem allg. von einem JGericht zumindest gleicher Ordnung verhandelt wird (§ 33, 7; vgl. Begründung des RegE eines StrafverfahrensÄndG – StVÄG 1979 – BT-Drs. 8/976 S. 69; Grethlein NJW 61, 2144; Hanack JZ 70, 90; Miehe FS Stutte, 1979 S. 243), übernimmt § 47 a im Interesse zügiger Erledigung anhängiger Verfahren den Rechtsgedanken des § 269 StPO ins JRecht. Es wird in § 47 a S. 1 das Verhältnis zwischen den JGerichten und gleichrangigen Gerichten der ErwGerichtsbarkeit über die sonstigen Zuständigkeitsvorschriften hinaus dahin geklärt, dass das JGericht dann zuständig bleibt, wenn sich erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens ergibt (vorher §§ 209 I, 209 a Nr. 2 a StPO), dass für diese Sache eigentlich ein ErwGericht gleicher oder niedrigerer Ordnung zuständig wäre. Hierdurch werden die Verweisungen rechtshängiger Sachen vermindert und unnötige Kompetenzkonflikte verhindert, der Rechtsgang also insgesamt beschleunigt. Es kann ein JGericht nach Eröffnung des Hauptverfahrens nur einem ErwGericht höherer Ordnung zur Übernahme vorlegen, also das JSchöffengericht der als zuständig erkannten ErwStrafkammer, der JRichter dieser und dem ErwSchöffengericht. Das JSchöffengericht ist dem erweiterten ErwSchöffengericht gleichgeordnet. Zu JSchutzsachen s. Anh § 125, 4 a u. 6. 2 Hat ein JGericht das Verfahren eröffnet, greift also § 47 a S. 1 ein (Rn 1), so muss das Revisionsgericht ein auf mangelnde Zuständigkeit gestütztes Rechtsmittel (zB Urteil gegen einen Erw., obwohl für dessen Sache ein ErwGericht zuständig gewesen wäre) als unbegründet verwerfen, auch wenn die Rüge insoweit in der Sache zutreffend wäre (dazu auch Rn 3). Denn das JGericht war nach Eröffnung (§ 47 a S. 1) gehalten, trotz mangelnder Zuständigkeit das Hauptverfahren fortzuführen (BayObLG 80, 46; Eisenberg 5; Meyer-Goßner § 355 StPO 8; Löwe/Rosenberg/Stuckenberg § 209 a StPO 48; Rieß NJW 78, 2267). Hier bindet § 47 a S. 1 auch das Revisionsgericht, weil das Rechtsmittel, ohne dass es auf die Sache selbst ankommt, der Aufhebung verfällt. Anders aber bei der Fallgestaltung Rn 7 mit BGH 35, 267, anders auch bei der Fallgestaltung Rn 5 und falls eine willkürliche Zuständigkeitsbestimmung dargetan werden könnte (BGH GA 70, 240).
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Vorrang der Jugendgerichte
§ 47 a
Hat ein JGericht hingegen nach Eröffnung des Hauptverfahrens entgegen § 47 a an ein ErwGe- 3 richt niedrigerer Ordnung verwiesen, liegt ein Verfahrenshindernis vor, welches nach § 6 StPO in jeder Lage des Verfahrens zu beachten ist (Meyer-Goßner § 338 StPO 32). Das Rechtsmittel gegen das Urteil eines ErwGerichts gleicher Ordnung, an welches das JGericht entgegen § 47 a verwiesen hat, bedarf der Revisionsrüge nach § 338 Nr. 4 StPO (vgl. BGH 18, 83; ebenso Eisenberg 9, 10), denn § 209 a Nr. 2 StPO greift hier nicht ein. Vgl. auch § 33, 20 ff. Ist aber zu einem Verfahren gegen J (Hw.) ein Erw. verbunden und für diesen die Wirtschafts- 4 strafkammer oder die Staatsschutzkammer zuständig, so ist die JKammer nach §§ 47 a S. 2, 103 II 2, 3 auch nach Eröffnung des Verfahrens befugt, sich für unzuständig zu erklären und das gesamte verbundene Verfahren (Erw., J, Hw.) einer dieser Spezialkammern zur Übernahme vorzulegen. Da aber nur die Zuständigkeit der JGerichte in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen und zu beachten ist, kommt eine solche Vorlage nur in Betracht, wenn der erw. Angeklagte nach Eröffnung des Hauptverfahrens diesen Einwand der Unzuständigkeit bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache in der Hauptverhandlung erhoben hat (§ 6 a S. 2, 3 StPO; zust. Ostendorf 4). Nach diesem Zeitpunkt ist dieser Einwand der Unzuständigkeit unzulässig und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung dieser Ausschlussfrist ausgeschlossen (Löwe/Rosenberg/Erb § 6 a StPO 14). Vgl. dazu § 103, 6 a u. 13 a. Im Falle des § 47 a S. 2 (Rn 4) wird man dem Erw. die Revisionsrüge des § 338 Nr. 4 StPO nur 5 dann zubilligen können, wenn die JKammer seinen nach Eröffnung des Hauptverfahrens rechtzeitig erhobenen Einwand der Unzuständigkeit des JGerichts nicht verbeschieden oder als unbegründet verworfen hat (vgl. Löwe/Rosenberg/Erb § 6 a StPO 26). Ein revisibler Zuständigkeitsverstoß ist nur bei dem Angeklagten zu beachten, der davon betroffen ist (BGH 10, 119; BGH NJW 62, 261). Hat der Erw. die Unzuständigkeit des JGerichts nicht rechtzeitig gerügt (Rn 4), so entscheidet das Revisionsgericht wie Rn 2 ausführt. Eine nach Eröffnung des Hauptverfahrens abgetrennte und nur noch Erw. betreffende Sache 6 kann das JGericht – entgegen dem Wortlaut des § 103 III – nicht an ein ErwGericht gleicher oder niedrigerer Ordnung abgeben, weil § 47 a vorgeht und § 103 II 1 für alle verbundenen J- und ErwSachen zwingend die Zuständigkeit der JGerichte bestimmt, soweit nicht nach § 103 II 2 u. 3 eine Wirtschafts- oder Staatsschutzkammer zuständig ist (BGH 30, 260; 47, 116, 119; BayObLG 80, 46; KG StV 85, 408; vgl. auch § 103, 13 u. 14; Eisenberg 8; Ostendorf 5). Eine solche Verweisung bindet nicht (OLG Koblenz OLGSt zu § 47 a S. 3). § 47 a S. 1 lässt es idR auch nicht zu, dass bei Verfahren, in denen Sachen gegen J (Hw.) mit solchen gegen Erw. verbunden sind, nach Rechtskraft des Urteils nur hinsichtlich der J (Hw.) oder auch nach Ausscheiden der J (Hw.) vor Rechtskraft, das JGericht nunmehr die noch nicht abgeurteilten Erw. einem ErwGericht zuführt (OLG Koblenz VRS 71 [86] 462, Ostendorf 5). Vgl. aber auch Rn 7. Diese Wirkung des § 47 a gebietet dem JStA, eine Verbindung mit Erw. bes. sorgfältig zu prüfen und sehr zurückhaltend zu beurteilen (§ 36, 5; zust. Fahl NStZ 83, 309). Zur Trennung verbundener Verfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens auch § 103, 13 ff. Wird in einer gegen J und Erw. nach § 103 I 1 vor einem JGericht verbundenen Sache die gegen 7 die J ergangene Entscheidung rechtskräftig oder sind die J nach Eröffnung des Hauptverfahrens ausgeschieden, richtet sich das Verfahren also nur noch gegen einen Erw., so kann das Revisionsgericht statt an das JGericht (zumeist handelt es sich um die JKammer) die Sache nach Aufhebung an ein ErwGericht gleicher Ordnung zurückverweisen (BGH 35, 267 gegen BGH NJW 82, 1238; vgl. auch BGH B NStZ 91, 524). Die übrigen Strafsenate des BGH haben zu BGH 35, 267 erklärt, dass sie an entgegenstehenden Entscheidungen nicht mehr festhalten. Die Zurückverweisung richtet sich nach § 354 II u. III StPO, wobei zu beachten ist, dass die JGerichte gegenüber den ErwGerichten nicht höhere Gerichte, sondern nach § 209 a StPO nur iSd §§ 4, 209, 210 II StPO solchen gleichgestellt sind (BGH aaO u. BGH 18, 79). Der BGH führt in seinem Urteil (35, 267) aus, dass § 47 a S. 1 zwar das JGericht nach Eröffnung des Verfahrens bindet, dies aber
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§ 48
2. Teil. Jugendliche
für die Revisionsentscheidung nichts besagt (anders noch KG StV 85, 409), weil es in der Revisionsinstanz keine JGerichte gibt und es für die Entscheidungsbefugnis des Revisionsgerichts nicht auf die vergangene, sondern auf die gegenwärtige Rechtslage im Blick auf das weitere Verfahren ankommt (so auch BGH H MDR 77, 810 u. MDR 84, 444). Die Revisionsentscheidung im Falle der Zurückverweisung richtet sich deshalb nicht nach JGG, sondern nach der StPO (dazu auch § 41, 35). Diese Entscheidung überzeugt und entlastet zudem die JGerichte sinnvoll von Aufgaben, für die sie nicht bestimmt sind. Das Revisionsgericht ist allerdings auch dann, wenn sich das weitere Verfahren nur gegen einen Erw. richtet, nicht an einer Zurückverweisung an eine JKammer gehindert, wenn dies sachlich geboten ist, zB weil jspezifische Umstände der Tat berücksichtigt werden müssen (BGH StV 94, 415 mit abl. Anm. Schneider). 8 Da es auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Revisionsentscheidung ankommt, bleibt es auch dabei, dass das Revisionsgericht im umgekehrten Fall, nämlich bei Beendigung des Verfahrens gegen den Erw. und Weiterführung gegen den J die Sache von der ErwStrafkammer an die JKammer zurückverweist. Gleiches gilt, wenn auch noch nach der Zurückverweisung ein J oder Hw. am Verfahren beteiligt ist (Beschl. des BGH v. 22. 1. 1980 – 5 StR 12/80, zit. in BGH 35, 267). Auch auf begründete Rüge, dass die Sache vor der Erw.-, statt – wie nach § 103 II geboten – vor der JKammer verhandelt worden ist, verweist das Revisionsgericht an die JKammer zurück (so schon BGH 30, 260). Bereits vor BGH 35, 267 hat der BGH (StV 85, 356) auf Rüge zweier Erw., die gemeinsam mit einer Hw., welche das Urteil nicht angefochten hatte, von einer Schwurgerichtskammer und nicht nach § 112 iVm § 103 II 1 von einer JKammer verurteilt worden sind, das Urteil aufgehoben und die Sache an eine andere Schwurgerichtskammer zurückverwiesen, weil bisher ein JGericht mit dieser Sache nicht befasst war und deshalb § 47 a S. 1 unberührt blieb und bleibt.
§ 48 Nichtöffentlichkeit § 48 Nichtöffentlichkeit (1) Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Entscheidungen ist nicht öffentlich. (2) Neben den am Verfahren Beteiligten ist dem Verletzten, seinem Erziehungsberechtigten und seinem gesetzlichen Vertreter und, falls der Angeklagte der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers oder der Betreuung und Aufsicht eines Betreuungshelfers untersteht oder für ihn ein Erziehungsbeistand bestellt ist, dem Helfer und dem Erziehungsbeistand die Anwesenheit gestattet. Das gleiche gilt in den Fällen, in denen dem Jugendlichen Hilfe zur Erziehung in einem Heim oder einer vergleichbaren Einrichtung gewährt wird, für den Leiter der Einrichtung. Andere Personen kann der Vorsitzende aus besonderen Gründen, namentlich zu Ausbildungszwecken, zulassen. (3) Sind in dem Verfahren auch Heranwachsende oder Erwachsene angeklagt, so ist die Verhandlung öffentlich. Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Erziehung jugendlicher Angeklagter geboten ist. 1. [Hw.]: § 109 I 4; RL 2. – 2. [ErwG]: Rn 3; § 104 II. Richtlinie zu § 48: Personen, die sich im juristischen Studium oder Vorbereitungsdienst befinden, sowie Personen, die in Ausbildung bei der Polizei oder für soziale Dienste stehen, kann die Anwesenheit im allgemeinen gestattet werden. Aus erzieherischen Gründen empfiehlt es sich nicht, Schulklassen oder anderen größeren Personengruppen die Teilnahme an der Verhandlung zu erlauben. Dies gilt auch für die Presse; entschließt sich der Vorsitzende dennoch, die Presse in der Hauptverhandlung zuzulassen, so sollte er darauf hinwirken, dass in den Pressebe-
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§ 48
Nichtöffentlichkeit
richten der Name des Jugendlichen nicht genannt, sein Lichtbild nicht veröffentlicht und auch jede andere Angabe vermieden wird, die auf die Person des Jugendlichen hindeutet. Nr. 131 Abs. 2 Satz 3 RiStBV gilt sinngemäß. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
1.
Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausschluss aus jugendrechtlichen Gründen (Hw.) . . . . . Ausschluss bei Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwesenheitsberechtigte, Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . Opfer- und Zeugenschutzgesetze . . . . . . . . . . . . . . . Zulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Form und Wirkungen des Ausschlusses der Öffentlichkeit Ausschluss nach allgemeinem Recht . . . . . . . . . . . . .
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Rn 1 3 10 12 14 21 22 24
Grundsätze
Der bedeutsame Grundsatz der Öffentlichkeit von Verhandlung und Urteilsverkündung 1 (§§ 169, 173 GVG), dessen Verletzung absoluter Revisionsgrund ist (§ 338 Nr. 6 StPO; BGH GA 63, 106 für Hw.) gilt im Interesse der Erz. nicht, wo nur J (Alter zZ der Tat) vor JGerichten abgeurteilt werden (§ 48 I). Die Vorschrift will neben dem Schutz der Persönlichkeitsrechte des J aus erz. Gründen und zur Wahrheitsfindung eine jugendgerechte Kommunikationsatmosphäre schaffen (BVerfG NJW 10, 1739). Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Ausgestaltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes durch den Gesetzgeber s. auch BVerfG NJW 01, 1633. Zum OWiG-Verfahren Rn 8. De lege ferenda für Öffentlichkeit der erstinstanzlichen Verhandlungen vor der JKammer Hinz ZRP 05, 195; für Ausschluss der Öffentlichkeit nur in Ausnahmefällen Pelster MKrim. 06, 420. Die allg. Grundsätze über die Öffentlichkeit gelten jedoch auch vor dem JGericht, wenn nur ge- 2 gen Erw. (z. B. im JSchutzverfahren vgl. BGH MDR 55, 246; BGH 23, 82) oder gegen Hw. und Erw. zugleich verhandelt wird (Abs. III 1). 2.
Ausschluss aus jugendrechtlichen Gründen (Hw.)
Soweit nicht Abs. I eingreift, kann die Öffentlichkeit über die Möglichkeit des allg. Rechts hin- 3 aus nach dem Ermessen des Gerichts – auch des ErwGerichts (dazu Rn 4 u. 6) – aus bes. jrechtlichen Gesichtspunkten heraus ausgeschlossen werden (§§ 48 III 2; 109 I 4), um die Verhandlung und Verurteilung des J oder Hw. nicht über ein unvermeidliches Maß hinaus bekannt werden zu lassen, also um ihn zu schützen und spätere berufliche und soziale Schwierigkeiten zu vermeiden (BGH 42, 296; 44, 44). Es soll eine Bloßstellung vermieden werden, zumal die persönliche Entwicklung eingehend erörtert werden muss (KG NStZ-RR 06, 120, 121 = JR 06, 301, 303 mit Anm. Eisenberg/Haeseler). Auch sollen die Hemmungen eines durch Zuhörer eingeschüchterten J oder Hw. nicht noch mehr verstärkt und ein offenes und freies Gespräch mit dem JRichter (dazu Einf. I 53) ermöglicht werden. Andererseits soll auch verhindert werden, dass ein geltungssüchtiger, sich erstmals im Mittelpunkt fühlender J oder Hw. den ihm bekannten oder fremden Zuhörern imponieren und sie – möglicherweise zu seinem Schaden – unterhalten will (KG aaO). All das kann die Wahrheitsfindung ernstlich gefährden (Einf. I 53; Brunner Zbl. 73, 337; Graupner DRiZ 85, 389; Schaffstein/Beulke S. 255). Ostendorf (§ 109, 3) will nicht den Eindruck entstehen lassen, dem Hw. solle durch Ausschluss seiner Freunde eine psychische Unterstützung genommen werden. So kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden,
4
wenn ein J durch das ErwGericht abgeurteilt wird (§§ 104 II, 48 I),
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2. Teil. Jugendliche
5 wenn gegen Hw. (nach dem Alter zZ der Tat; BGH GA 63, 106) vor dem JGericht verhandelt wird (§ 109 I 4), 6 wenn gegen J und Hw., gegen J und Erw. oder gegen J, Hw. und Erw. verhandelt wird (Abs. III 2), gleichgültig ob vor dem J- oder ErwGericht (§ 104 II). Hier kann sowohl – und in erster Linie – das Interesse der Erz. des mitangeklagten J (Abs. III 2) als auch das Interesse des mitangeklagten Hw. (§ 109 I 4) die Ausschließung gebieten. Vgl. aber Rn 9. 7 Die Möglichkeit der Rn 6 besteht nur so lange, als ein J am Verfahren beteiligt ist, also zB nicht im Rechtsmittelverfahren eines Erw. oder von Hw. und Erw., wenn gegen alle J rechtskräftig entschieden ist; sind nur noch Hw. vorhanden, gilt Rn 5. – In den Fällen Rn 5 und Rn 6 aE verlangt das Gesetz, dass der im Ermessen des Gerichts liegende („kann“) Ausschluss der Öffentlichkeit im Interesse des Hw. geboten ist. Die Änderung des Gesetzes (früher „im Interesse der Erziehung“) erlaubt es gleichwohl, dabei auch erz. Gesichtspunkte des JStrafverfahrens zu berücksichtigen, die zumeist mit den Interessen des Hw. identisch sein werden. Eine einschränkende Auslegung wäre verfehlt. Das persönliche Interesse des Hw. erlaubt und fordert aber gleichwohl eine bes. Abwägung mit dem gegenlaufenden und je nach Alter der Hw. immer gewichtiger zu wertenden Grundsatz der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung (vgl. dazu Einf. I 53 u. 40 a). – Wenn Hw. oder Erw. neben einem J angeklagt sind, können insbes. die in Rn 3 genannten Gründe einen Ausschluss der Öffentlichkeit gem. Abs. III 2 geboten erscheinen lassen. 8 Im OWiG-Verfahren gelten für J und Hw. die §§ 48, 109 I 4 sinngemäß (§ 46 I OWiG). 9 Hat der Angeklagte seine Straftaten teils als Hw., teils als Erw. begangen, gelten die Ausführungen zu § 109, 14. Im Verfahren gegen Erw. vor JGerichten (§ 103 I, II 1) und in JSchutzverfahren gilt § 48 nicht (Rn 2; Eisenberg 5; Ostendorf 5). Beachte aber Rn 6. 3.
Ausschluss bei Jugendlichen
10 Ist die Öffentlichkeit kraft Gesetzes ausgeschlossen (Abs. 1), sind die §§ 169–174 GVG (über § 175 GVG Rn 12 und 25) nicht anwendbar. Es gilt Folgendes: 11 Die Öffentlichkeit ist für Verhandlung und Urteilsverkündung in allen Rechtszügen ausgeschlossen, und zwar auch dann, wenn der J inzwischen 18 oder auch 21 Jahre alt geworden ist. Es kommt also nur auf den Tatzeitpunkt an (BGH 22, 24 f). Dies gilt gleicherweise, wenn einem Angeklagten zur Last liegt, eine Tat oder einen Teilakt einer Tat als J und die übrigen als Hw. begangen zu haben (BGH 22, 21; BGH 23, 178; Eisenberg 3). Eine entsprechende Anwendung des § 32 (Schwergewicht) scheidet hier aus, weil die Ausgangslage anders ist (BGH 22, 25). Die Hauptverhandlung findet auch dann noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, wenn in ihrem Verlauf das Verfahren wegen als J begangener Taten nach § 154 II StPO eingestellt wird und nur noch wegen als Hw. begangener Taten verhandelt wird (BGH 44, 43 = JR 99, 171 mit abl. Anm. Wölfl), weil die Einstellung noch während der Hauptverhandlung rückgängig gemacht werden kann und die ausgeschiedenen Tatvorwürfe für Entscheidungen nach § 105 I und über die Rechtsfolgen ihre Bedeutung behalten (BGH 44, 44 f). Ein Verstoß ist nur ein relativer Revisionsgrund nach § 337 StPO (BGH 23, 176: § 338 Nr. 6 StPO gilt nur bei unberechtigtem Ausschluss der Öffentlichkeit; aA Roxin/Schünemann S. 377), der zur Aufhebung des Urteils führt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil auf diesem Verstoß beruht, etwa weil der J durch die vielen Zuhörer eingeschüchtert wurde (Böhm/Feuerhelm S. 74 f; Ostendorf 20 mwN). Auch außerhalb der Hauptverhandlung selbst, zB vor dem Sitzungssaal, sollten auf dem Terminzettel nicht Tat und Namen des J und bei Zeugenladungen die dem J vorgeworfene Tat nicht bezeichnet werden.
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Nichtöffentlichkeit
4.
§ 48
Anwesenheitsberechtigte, Zeugen
Zur Anwesenheit berechtigt (Abs. II 1) sind alle am Verfahren Beteiligten, also ErzBerechtigter 12 und gesetzlicher Vertreter, JGHelfer, Verteidiger, Pfleger (§ 67 IV), Beistand (§ 69). Darüber hinaus ist die Anwesenheit gestattet (Abs. II 1) dem Verletzten, der in seinen durch die verletzte Strafvorschrift rechtlich geschützten Interessen beeinträchtigt ist, auch den Angehörigen eines durch die Straftat Getöteten (vgl. § 395 II Nr. 1 StPO; Meyer-Goßner § 172 StPO 11), den Gefährdeten (vgl. BGH 10, 372 für § 61 Nr. 2 StPO aF; so auch Dallinger/Lackner 9; Eisenberg 16; für Gefährdeten abl. Ostendorf 12) und deren Rechtsbeistände (dazu Rn 15 u. 17). Ein Anwesenheitsrecht haben auch die ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreter des Verletzten. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass minderjährige Tatopfer besonderen Schutz und Beistand in der Hauptverhandlung benötigen (RegE 2. JuMoG, BT-Drs. 16/3038, S. 59). Abs. II 1 berechtigt zur Anwesenheit auch den Betreuungshelfer (§ 10, 10), den BewHelfer und den ErzBeistand, solange das Betreuungsverhältnis besteht. Auch danach kann die Anwesenheit dieser Personen dienlich sein, der Richter ihnen nach Abs. II 3 die Anwesenheit gestatten (vgl. § 50, 14). Die Anwesenheit ist nach Abs. II 2 auch gestattet, idR wird sie sogar geboten sein, dem Leiter eines Heimes oder einer Einrichtung, in der dem J Hilfe zur Erz. gewährt wird. Aus der Reihe der Anwesenheitsberechtigten ist der Beamte der Kriminalpolizei gestrichen worden; in bes. Fällen aber kann ihm die Anwesenheit nach Abs. II 3 gestattet werden. Zur Anwesenheit ist schließlich nach § 175 III GVG berechtigt der die Dienstaufsicht führende Richter oder Beamte der Justizverwaltung. Nicht zur Anwesenheit berechtigt sind die geschiedene Mutter, wenn dem Vater allein das Sorgerecht zusteht (Zulassung aber möglich), und der Ehemann (s. aber § 149 StPO). Zeugen haben kein Anwesenheitsrecht nach Abs. II 1. Zwar sind sie bis zum Abschluss ihrer 13 Vernehmung verfahrensbeteiligt, müssen aber nach §§ 58 I, 243 II StPO bis zu ihrer Vernehmung außerhalb des Sitzungssaales warten. Nach ihrer Vernehmung sind sie deshalb ehest möglich zu entlassen (Kühling UJ 60, 320). Anwesenheitsberechtigte Zeugen (Abs. II 1, 2; Rn 12) können bis zu ihrer Vernehmung gleichwohl aus dem Sitzungssaal entfernt werden, um die Wahrheitserforschung zu sichern (BGH Zbl. 56, 87; Ausnahme: § 406 g I S. 2 StPO); das kann ihnen in einem ruhigen Gespräch einsichtig gemacht werden. Es kann ihnen aber auch vor ihrer Vernehmung die Anwesenheit gestattet werden, weil die §§ 58 I und 243 II nur Ordnungsvorschriften sind. Gerade der Verletzte sollte aber möglichst als erster vernommen werden (OpferschutzG; BGH 4, 206 für Angehörige). Zum Ausschluss Rn 27; § 51, 17.
5.
Opfer- und Zeugenschutzgesetze
Der Verletzte ist kraft Gesetzes in der nichtöffentlichen JGerichtsverhandlung anwesenheitsbe- 14 rechtigt (Rn 12). Insoweit bringen die durch die Opfer- und Zeugenschutzgesetze (allg. § 80, 8– 10) in die StPO eingefügten Bestimmungen, welche der besseren Information und dem Schutz des Verletzten dienen sollen, nichts Neues. Den gewiss nicht unberechtigten Bedenken (näher § 10, 12 f) steht gegenüber der Schutz legitimer, rechtsstaatlicher Belange des Verletzten, die durch seine Kontroll- und Schutzrechte gesichert werden (so auch Schaal/Eisenberg NStZ 87, 51). Darüber hinaus kann die Anwesenheit des Verletzten auch der Anbahnung des Täter-OpferAusgleichs und der Einleitung von Wiedergutmachungsleistungen dienen und im Ergebnis dem J nützen. Dazu auch § 50, 14 aE. sowie die Beiträge in ZJJ 05, 4 ff. Das Recht des Rechtsanwalts als Beistand des Verletzten in der Hauptverhandlung punktuell 15 bei dessen Zeugenvernehmung anwesend zu sein (§ 406 f I StPO) ist, wie jede dieser Bestimmungen, daraufhin zu prüfen, ob sie den Grundsätzen des JGG entspricht und anwendbar ist (§ 2, 6; bes. § 10, 12 f). Dies trifft für diese Bestimmung nach Abwägung der beiderseitigen Interessenlage jedenfalls für die nichtöffentliche JGerichtsverhandlung zu (OLG Stuttgart NJW 01, 1589; Dölling in Weisser Ring, Hrsg., Täterrechte – Opferrechte, 1996 S. 76; Ostendorf 12; Schaffstein/
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2. Teil. Jugendliche
Beulke S. 275; Rössner in JStrafrecht an der Wende S. 171; Löwe/Rosenberg/Hilger Vor § 406 d StPO 6). Man wird das auch für die Vernehmung durch den StA (nicht durch die Polizei; vgl. Meyer-Goßner § 406 f StPO 2) zulassen können. Den grds. Erwägungen § 10, 12 f ist anzufügen, dass es dem JRichter oder StA leicht fällt, jfremde Einflüsse fernzuhalten, zumal der Rechtsanwalt als Beistand des Verletzten keine Frage-, Beweisantrags- oder sonstige Aktivrechte hat (Stock MKrim. 87, 358), sondern nur Schutzrechte für den Verletzten geltend machen kann. Für den Zeitraum der Vernehmung des Verletzten wird man dessen Rechtsanwalt als anwesenheitsberechtigten Verfahrensbeteiligten anzusehen haben. Die Anwesenheit des Rechtsanwalts ist auch zeitlich umgrenzt, denn vor und nach der Vernehmung des Verletzten hat er als bloßer Zeugenbeistand kein Anwesenheitsrecht. Im Übrigen wären Belange des Zeugenschutzes zumindest ein bes. Grund zur Zulassung des Rechtsanwalts iSd Abs. II 3 (Rn 21; ebenso Eisenberg 16 aE). Eisenberg aaO und Schaffstein/Beulke aaO fordern bei Anwesenheit des Rechtsanwalts die Bestellung eines Pflichtverteidigers für den J. Das geht jedoch zu weit, zumal jener nur während der Zeugenvernehmung anwesend sein darf; dies entspricht auch nicht dem Ungleichgewicht zwischen einem J oder Hw. und dem anwaltlichen Nebenklagevertreter (LG Essen NStZ 87, 184; vgl. § 68, 21). 16 Bei der Vernehmung des Verletzten als Zeugen ist nach § 406 f II StPO auf seinen Antrag einer Person seines Vertrauens die Anwesenheit zu gestatten, wenn hierdurch nicht der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte. Diese Vorschrift ist auch im JRecht anwendbar, wobei in jgemäßer Auslegung eine Gefährdung des Untersuchungszwecks im JStrafverfahren auch bei Gefährdung des ErzZwecks des JGG angenommen werden kann. 17 Dem nebenklageberechtigten Verletzten, der seinen Anschluss (noch) nicht erklärt hat, gibt § 406 g StPO bes. Rechte, die an die Zulässigkeit der Nebenklage geknüpft sind und die deshalb im JRecht nur gelten, wenn der Verletzte nach § 80 III nebenklagebefugt ist. Im Übrigen ist § 406 g StPO nicht anwendbar (BGH StraFo 03, 58; OLG Stuttgart NJW 01, 1588; NStZ-RR 03, 29; KG NStZ-RR 07, 28; NStZ 07, 44 f; OLG Zweibrücken NStZ 02, 496 mit abl. Anm. Sack; OLG Düsseldorf NStZ 03, 496; LG Baden-Baden NStZ-RR 00, 53; Dölling o. Rn 15, S. 75; Eisenberg § 80, 13; Schaal/Eisenberg NStZ 88, 51 f; DSS/Schoreit § 80, 12; Schaffstein/Beulke S. 275; Kaster MDR 94, 1076; Kondziela Opferrechte im JStrafverfahren, 1991 S. 152; Löwe/Rosenberg/Hilger Vor § 406 d StPO 6; aA OLG Koblenz NJW 00, 2436; OLG München NJW 03, 1543; Stock MKrim. 87, 359; Rössner in JStrafrecht an der Wende S. 171; Böhm NStZ-RR 01, 326 FN 57; Wölfl Zbl. 02, 95; Koudmani Zbl. 03, 12; Rohde Die Rechte u. Befugnisse des Verletzten in Strafverfahren gegen J, 2009 S. 92 ff). Zwar gehen die Befugnisse des § 406 g StPO weniger weit als diejenigen des Nebenklägers und seines Anwalts, sodass die Gefahren für den Erziehungszweck des JGG geringer sind als bei der nur in den Fällen des § 80 III zugelassenen Nebenklage. Die StPO knüpft die Rechte nach § 406 g StPO aber ausdrücklich an die Befugnis zur Erhebung der Nebenklage an, und diese Berechtigung besteht in Verfahren gegen J nur in den Fällen des § 80 III. § 406 g StPO steht in einem engen Zusammenhang mit der Nebenklage (OLG Stuttgart aaO, 1589; OLG Düsseldorf aaO). Die §§ 406 d ff StPO sprechen über die allg. Verletztenrechte hinausgehende Befugnisse nur den Opfern zu, die Nebenklage erheben können. Durch die Anwendung der §§ 406 d ff StPO im JStrafverfahren kann nicht entgegen dieser Systematik eine dritte Kategorie von Verletzten geschaffen werden, die zwar nicht zur Nebenklage befugt sind, aber über Rechte verfügen, die über die allg. Verletztenbefugnisse hinausgehen. Für die Anwendung des § 406 g StPO mögen sich kriminalpolitische Gründe anführen lassen, diesen könnte aber nur durch eine Gesetzesänderung Rechnung getragen werden. Gegen die Nichtanwendung des § 406 g StPO in Strafverfahren gegen J bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG NJW 02, 1487). Zur Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand des mutmaßlich Verletzten im Vorverfahren LG Oldenburg ZJJ 11, 92 mit Anm. Sommerfeld. 18 Im Falle der Nichtanwendbarkeit des § 406 g StPO kommt eine Anwesenheit des anwaltlichen Beistands des Verletzten außerhalb der Vernehmung des Opfers in der nicht öffentlichen Hauptverhandlung daher nur nach § 48 II 3 in Betracht. Einen Anspruch auf Anwesenheit bei
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Nichtöffentlichkeit
§ 48
richterlichen Vernehmungen außerhalb der Hauptverhandlung und Einnahme eines Augenscheins hat der Verletztenanwalt in Verfahren gegen J nicht. Die erweiterten Vorschriften für den Zeugenschutz (§§ 68 a, 247 StPO) sind im JGerichtsverfah- 19 ren anwendbar (ebenso Schaal/Eisenberg NStZ 88, 53; Rössner in Rn 17; vgl. dazu auch Böttcher JR 87, 133). Das gilt auch für den anwaltlichen Zeugenbeistand nach § 68 b StPO (OLG Stuttgart NJW 01, 1589). Zum Zeugenschutz nach § 241 a StPO u. § 172 Nr. 4 GVG u. zum Einsatz der Videotechnologie näher Anh § 125, 5 a. Die Hinweispflicht nach § 406 h StPO auf die Befugnisse nach §§ 406 d bis 406 g StPO fordert in 20 JStrafsachen zusätzlich die Belehrung, dass bei J Nebenklage nur in den Fällen des § 80 III zulässig und in diesen Fällen und bei Hw. mit einem Kostenrisiko belastet ist, weil der J oder der Hw. bei Anwendung von JStrafrecht von der Tragung der Nebenklagekosten nach § 74 freigestellt werden kann und Ansprüche gegen die Staatskasse nach hM nicht bestehen (§ 74, 8). Das ist nicht unproblematisch. Denn der Polizei kann nur ein recht allg. Hinweis zugemutet werden (vgl. Böttcher JR 87, 135). Für diese zusätzliche Belehrung bietet sich die erste Vernehmung des Verletzten durch StA oder Richter an oder eine (nicht geforderte) schriftliche Belehrung (Formblatt). Letztlich sollte man dies auch vom angegangenen Rechtsanwalt beim Eingangsgespräch erwarten dürfen. Bei Antrag auf Prozesskostenhilfe (§§ 406 g III, 397 a StPO) ergibt sich zwanglos die entsprechende Belehrung. 6.
Zulassung
Daneben kann anderen Personen die Anwesenheit gestattet (Abs. II 3) werden, wenn ein bes. 21 Grund vorliegt, wie zB bei erw. Angehörigen, Jura-Studenten, Referendaren, Sozialarbeitern, Polizeibeamten in der Ausbildung (RL S. 1); doch sollte es sich stets nur um Einzelgenehmigungen handeln (RL S. 2). Für Presse und Rundfunk gelten RL S. 2, 3 und RiStBV 129, 131 II. Größere Personengruppen (RL S. 2) und ohnehin nur außerhalb der Hauptverhandlung in Betracht kommende Fernsehaufnahmen sollten aus den in Rn 3 erörterten Gründen nicht zugelassen werden. Werden Pressekorrespondenten zugelassen, kann deren Zahl beschränkt werden (BVerfG NJW 10, 1739). Eine identifizierende Berichterstattung über jugendliche oder heranwachsende Angeklagte durch die Medien ist grundsätzlich unzulässig (J. Eisenberg StraFo 06, 16). Bei Schulklassen (RL S. 2) gilt es abzuwägen; auf jeden Fall muss die Entwicklung im Sitzungssaal sorgsam beobachtet und ggf. rasch reagiert werden. Es empfiehlt sich, die Klasse vorher zu belehren und auch nach der Verhandlung den Fall zu besprechen und falsche Eindrücke zu korrigieren (vgl. Brunner u. Graupner in Rn 3). – Bei der Entscheidung über die Zulassung sind auch die Gesichtspunkte zu beachten, die in den Ausschließungsgründen des allg. Rechts (§§ 171 a, 171 b, 172 GVG) ihren Niederschlag gefunden haben (Brunner Zbl. 73, 337; Ostendorf 20). Die Zuhörerzahl sollte stets begrenzt bleiben. – Über die Zulassung entscheidet der Vorsitzende widerruflich, ohne dass es einer Anhörung der Verfahrensbeteiligten bedarf (§ 175 II 3 GVG; zust. Eisenberg 18; Ostendorf 20). Die Anregung Ostendorfs 17, den J, um dessen Interesseneinbußen es geht, anzuhören, ist aber beherzigenswert. Vgl. auch Rn 16 aE. Der nach Abs. II 1, 2 oder einer anderen Vorschrift zur Anwesenheit Berechtigte kann sich gegen 21 a die Nicht-Zulassung beschweren (§ 304 StPO; KG NStZ-RR 07, 28; Dallinger/Lackner 14; Eisenberg 17; Ostendorf 20; aA DSS/Schoreit 19); die grundlose (Rn 11, 12) Verweigerung des Zutritts kann als relativer Revisionsgrund dann erfolgreich geltend gemacht werden, wenn dadurch Sachdienliches unerörtert geblieben ist (vgl. BGH 23, 176; zust. Eisenberg 23). – Alle übrigen Personen (Abs. II 3) haben kein Recht auf Anwesenheit und deshalb auch keinen Rechtsbehelf, auch nicht Anrufung des Gerichts gem. § 238 II StPO, wenn sie nicht zugelassen werden oder eine Zulassung widerrufen wird (Ostendorf 20). Gegen die Zulassung gibt es kein Rechtsmittel. Vgl. ergänzend § 50, 14. Zum Ausschluss der in Rn 12–13 genannten Personen aus der Hauptverhandlung § 51, 17.
313
§ 48 7.
2. Teil. Jugendliche
Form und Wirkungen des Ausschlusses der Öffentlichkeit
22 Wird die Öffentlichkeit aus jrechtlichen Gründen (Rn 3) ausgeschlossen, gilt Folgendes: Die Ausschließung erfolgt nach § 174 I GVG (OLG Hamm StraFo 00, 195 zu § 48 III 2); bes. müssen alle Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung erhalten haben (BGH 10, 120), auch ist der Ausschließungsbeschluss gem. § 174 I 3 GVG zu begründen (vgl. BGH 27, 117 zu § 172 Nr. 4 GVG u. BGH 27, 187 zu § 172 Nr. 2 GVG) und stets öffentlich zu verkünden (BGH 4 StR 304/76, 1 StR 167/76, 1 StR 335/76, H MDR 76, 988 alle für ErwRecht; zust. Eisenberg 14, 22; Ostendorf 19). 23 Die Wirkungen der Ausschließung sind die gleichen wie bei der gesetzlichen Ausschließung nach § 48 I (Ostendorf 18 „Persönlichkeits- und Präventionsinteressen“). Das Rn 11 ff Gesagte gilt auch hier. Denn die Ausschließung erfolgt in beiden Fällen, um den J oder Hw. zu schützen. Die Anwendung der auf einer ganz anderen Interessenlage beruhenden Vorschriften des GVG wäre verfehlt (OLG Oldenburg NJW 59, 1506). Die Öffentlichkeit kann auch nur für einen Teil des Verfahrens ausgeschlossen werden (BGH B NStZ-RR 01, 325; BGH NJW 03, 2037: Ausschluss für Erörterung der persönlichen Lebensverhältnisse des J), weil die Ausschließung nur im Einzelfall erfolgt und erz. Gesichtspunkte zB der öffentlichen Urteilsverkündung nicht immer entgegenstehen müssen. Auch hier kann aber die Öffentlichkeit von der Urteilsverkündung ausgeschlossen werden (OLG Oldenburg aaO; OLG Düsseldorf NJW 61, 1547). Der Ausschluss der Öffentlichkeit schlechthin nach §§ 48 III 2 und 109 I 4 umfasst auch die Urteilsverkündung (BGH 42, 294, 296 = NStZ 98, 53 mit abl. Anm. Eisenberg; OLG Düsseldorf aaO; DSS/Schoreit 25; aA Eisenberg 22). Dies ergibt sich aus dem Zweck der §§ 48 III 2, 109 I 4, den J oder Hw. zu schützen; diese Spezialregelungen schließen nach § 2 den § 173 Abs. 1 GVG aus (BGH 42, 295). Der Ausschluss gilt nur für die jeweilige Instanz, weil jede Instanz selbständig ist und Bindungen nur dort bestehen, wo sie im Gesetz ausdrücklich festgelegt sind. 23 a Der Ausschluss der Öffentlichkeit ohne nähere Prüfung und ohne Verhandlung darüber oder die nicht öffentliche Verhandlung ohne Ausschließungsbeschluss beschwert nur die mitangeklagten Hw. und Erw. (für diese absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 6 StPO; OLG Koblenz GA 77, 374; OLG Hamm VRS Bd. 99 [00], 72); der J kann deshalb auf diese Verstöße keine Revision gründen (BGH 10, 119; BGH NJW 03, 2037; NStZ-RR 07, 55 = JR 06, 389, 390 mit zust. Anm. Humberg; zust. Eisenberg 24; Ostendorf 21). Es genügt für das Revisionsgericht, wenn die Entscheidung über den Ausschluss der Öffentlichkeit bei Beginn der Hauptverhandlung vertretbar war.
8.
Ausschluss nach allgemeinem Recht
24 Die Möglichkeit, die Öffentlichkeit nach dem JGG auszuschließen (§§ 48 III 2, 109 I 4, 104 II), hindert den Ausschluss der Öffentlichkeit nach allg. Recht (§§ 171 a, 172 b, 172 GVG) nicht. In diesen Fällen haben von den in § 48 II genannten Anwesenheitsberechtigten nur die Prozessbeteiligten das Recht auf Anwesenheit, weil § 48 hier gar nicht zur Anwendung kommt (weitere Gründe Rn 12 aE). Gründe der Staatssicherheit können vor dem ErwGericht sogar zum Ausschluss Prozessbeteiligter führen (§ 104 III). 25 § 175 I GVG, mehr ein Teil der Sitzungspolizei, gilt im JVerfahren entsprechend. Danach können die Anwesenheitsberechtigten (Rn 7), soweit sie nicht Prozessbeteiligte sind (Dallinger/ Lackner 13), von der Teilnahme an der Verhandlung ausgeschlossen werden (zust. Eisenberg 13). Gleiches gilt, wenn die Voraussetzungen der §§ 171 a, 171 b, 172 GVG gegeben sind; denn § 48 ist zwar Sondervorschrift, dient aber nur der Einschränkung des Grundsatzes der Öffentlichkeit und kann deshalb nicht zu einer Erweiterung der Öffentlichkeit gegenüber dem allg. Recht führen (Dallinger/Lackner 13; Eisenberg 13; Ostendorf 9). 26 Prozessbeteiligte können nur nach §§ 176 ff GVG, 51 JGG oder nach § 104 III ausgeschlossen werden.
314
Anwesenheit in der Hauptverhandlung
§ 50
Diese wie alle anderen Anwesenheitsberechtigten können auch ausgeschlossen werden, wenn sie 27 als Zeugen in Betracht kommen (§§ 58 I, 243 II StPO).
§ 49 Vereidigung von Zeugen und Sachverständigen Die Vorschrift wurde durch das 1. JuMoG v. 24. 8. 4 aufgehoben. Es gilt seitdem der neu gefasste § 59 StPO, der dem bisherigen § 49 JGG weitgehend entspricht.
§ 50 Anwesenheit in der Hauptverhandlung § 50 Anwesenheit in der Hauptverhandlung (1) Die Hauptverhandlung kann nur dann ohne den Angeklagten stattfinden, wenn dies im allgemeinen Verfahren zulässig wäre, besondere Gründe dafür vorliegen und der Staatsanwalt zustimmt. (2) Der Vorsitzende soll auch die Ladung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters anordnen. Die Vorschriften über die Ladung, die Folgen des Ausbleibens und die Entschädigung von Zeugen gelten entsprechend. (3) Dem Vertreter der Jugendgerichtshilfe sind Ort und Zeit der Hauptverhandlung mitzuteilen. Er erhält auf Verlangen das Wort. (4) Nimmt ein bestellter Bewährungshelfer an der Hauptverhandlung teil, so soll er zu der Entwicklung des Jugendlichen in der Bewährungszeit gehört werden. Satz 1 gilt für einen bestellten Betreuungshelfer und den Leiter eines sozialen Trainingskurses, an dem der Jugendliche teilnimmt, entsprechend. Abs. 1: 1. [Hw.]: Rn 4; § 109 I 1. – 2. ErwG: Rn 5; § 104 II. Abs. 2: 1. [Hw.]: Rn 10; § 109 I 1; aber § 104 III. – 2. ErwG: RL 5; § 104 I Nr. 9, III; § 104, 5. Abs. 3 u. 4: Hw.: Rn 14; § 109 I 1. – 2. ErwG: Rn 14; § 104 I Nr. 2, III; aber § 104 III; § 104, 5. Richtlinien zu § 50: 1. Im Jugendstrafverfahren ist der persönliche Eindruck, den das Gericht von dem Jugendlichen erhält, von entscheidender Bedeutung. Eine Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten sollte deshalb nur in Erwägung gezogen werden, wenn es sich um eine geringfügige Verfehlung* handelt, auf Grund des Berichts der Jugendgerichtshilfe ein klares Persönlichkeitsbild vorliegt und das Erscheinen des Jugendlichen wegen weiter Entfernung mit großen Schwierigkeiten verbunden ist oder wenn gegebenenfalls eine Abtrennung des Verfahrens gegen den abwesenden Jugendlichen mit Rücksicht auf eine umfangreiche Beweisaufnahme unangebracht ist. 2. Nimmt die Staatsanwaltschaft im vereinfachten Jugendverfahren an der mündlichen Verhandlung nicht teil, so bedarf es ihrer Zustimmung zur Durchführung der Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten nicht (§ 78 Abs. 2 Satz 2). 3. § 50 Abs. 2 trägt der Tatsache Rechnung, dass die Hauptverhandlung ein bedeutsames Ereignis im Leben und für die Erziehung von Jugendlichen ist. Deshalb ist die Anwesenheit von Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertretern regelmäßig wichtig. Ihre Teilnahme an der Hauptverhandlung kann auch dazu beitragen, dass das Verfahren alsbald rechtskräftig abgeschlossen wird. Auf § 67 Abs. 5 wird hingewiesen. 4. Schon vor der Hauptverhandlung sollte geprüft werden, ob es im Interesse des Angeklagten angezeigt ist, den in § 50 Abs. 4 Satz 2 und § 48 Abs. 2 genannten Helfern und Betreuungspersonen im Hinblick auf die Betreuung Nachricht vom Hauptverhandlungstermin auch dann zu geben, wenn ihre Ladung nicht aus anderen Gründen erforderlich ist. * Vgl. Anhang (= Abdruck von Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt III 3. b) und c) der Anlage 1 zum Einigungsvertrag; siehe dazu § 1, 6 c).
315
§ 50
2. Teil. Jugendliche
5. § 50 Abs. 2 gilt auch im Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten (§ 104 Abs. 1 Nr. 9; vgl. jedoch Ausnahme in § 104 Abs. 3), nicht jedoch im Verfahren gegen Heranwachsende (§ 109 Abs. 1, 112).
Übersicht 1. 2. 3. 4.
Anwesenheit des J . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ladung und Anwesenheit der Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertreter Terminsmitteilung an die JGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewährungshelfer und sonstige Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.
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Rn 1 7 12 14
Anwesenheit des J
1 Der angeklagte J sollte immer anwesend sein, weil sich das Gericht nur so ein genügendes Bild von ihm machen kann (RL 1 S. 1; § 43); zugleich wird der J prozessual geschützt. Bes. Schwierigkeiten stehen dem bei richtiger Handhabung der Zuständigkeitsvorschriften (§ 42) nicht entgegen; überdies kommt es bei leichten Verfehlungen gar nicht zur Verhandlung (§ 45). 2 Deshalb müssen bei einer Verhandlung ohne den J nicht nur die Voraussetzungen des allg. Rechts (§§ 231, 231 a, 231 b, 231 c, 232, 233 StPO) gegeben sein, sondern darüber hinaus bes. Gründe (RL 1 S. 2) und die Zustimmung des JStA (Ausnahme beim vereinfachten JVerfahren; RL 2) vorliegen (Abs. I). Die Verhängung von Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 und JStrafe sowie die Aussetzung der Verhängung der JStrafe (§ 78, 3) sind dann nicht zulässig (§§ 232 I, 233 I StPO, 78 I 2 JGG entsprechend; Eisenberg 17: nur sachlich nicht vertretbar; Ostendorf 10: auch unzulässig, wenn JA zu erwarten ist). Alle Einschränkungen entfallen, wenn der Angeklagte sich unerlaubt aus der Verhandlung entfernt (§ 231 StPO, Dallinger/Lackner 2, 5; § 51, 1), seine Verhandlungsunfähigkeit vorsätzlich herbeigeführt hat (§ 231 a StPO) oder wegen ordnungswidrigen Benehmens entfernt werden muss (§ 231 b StPO). Verfährt der Richter im JStrafverfahren gem. §§ 232 I, 233 I StPO iVm § 50 I JGG, so treten an Stelle von Geld- und Freiheitsstrafe die Erziehungsmaßregeln (außer Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2) und Zuchtmittel (Dallinger/Lackner 4; Eisenberg 17). Nach Dallinger/Lackner 5 soll bei Entbindung vom Erscheinen (§ 233 StPO) JStrafe möglich sein, aber doch vermieden werden. Dies lässt sich daraus, dass § 233 I StPO Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten zulässt, nicht herleiten (zust. Eisenberg 17); erweckt es schon Bedenken, dass gerade und nur die Mindeststrafe zulässig sein soll (§ 18 I), so widerspricht es dem Sinn des JGG, wenn es dem Richter gestattet sein sollte, die schwierige Entscheidung über „schädliche Neigungen“ und „Schwere der Schuld“ in Abwesenheit des Angeklagten zu treffen. Nicht vergleichbar ist der Fall der §§ 231 a, 231 b StPO; diese Vorschriften enthalten keine Strafbegrenzung und ermöglichen eine Verurteilung nur, wenn die weitere Anwesenheit des Angeklagten nicht erforderlich, dh auch die Aufklärung zur Person vollständig ist. Ein Urteil, das gegen den abwesenden Angeklagten ergeht, ohne dass alle Voraussetzungen vorliegen, verfällt der Revision (§ 338 Nr. 5 StPO; Eisenberg 29; Ostendorf 16; vgl. auch ders. 10, der letztlich wegen § 42 die §§ 232, 233 StPO für entbehrlich hält). 3 Der Angeklagte kann jedoch zeitweilig gem. § 51 I von der Verhandlung ausgeschlossen werden (§ 51, 3–5). 4 Abs. I gilt nur für J vor JGerichten, nicht für Hw. (§ 109). Doch sollte das Gericht den Grundgedanken des Abs. I selbst bei der Anwendung des allg. Rechts bei der Ausübung seines Ermessens gebührend berücksichtigen (zust. Eisenberg 2). Wegen der schwierigen und wichtigen Entscheidung über die Altersreife (§ 105) ist eine Hauptverhandlung gegen einen nicht anwesenden Hw. nur möglich, wenn ausnahmsweise auch ohne ihn ausreichend geprüft werden kann, ob J- oder ErwRecht anzuwenden ist (§ 105, 15; OLG Hamburg NJW 63, 67). Bei Taten desselben Angeklagten als J u. als Hw. vgl. § 109, 14.
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Anwesenheit in der Hauptverhandlung
§ 50
In Verfahren gegen J vor ErwGerichten kann und sollte stets Abs. I entsprechend angewendet 5 werden (§ 104, 3; Dallinger/Lackner 30; Eisenberg 1; Ostendorf 1; aA Potrykus B 3 je zu § 104). Im OWiG-Verfahren gilt § 73 OWiG. Danach ist der Betroffene zum Erscheinen verpflichtet, 6 kann aber unter den Voraussetzungen des § 73 II von dieser Verpflichtung entbunden werden. Erfolgt keine Entbindung des J, sollten die ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreter nach § 50 Abs. 2 geladen werden (DSS/Schoreit 7; Eisenberg 10; Ostendorf 8). Bei Entbindung des J von der Erscheinenspflicht genügt der Hinweis an ErzBerechtigte und gesetzliche Vertreter, dass ihnen das Erscheinen zur Hauptverhandlung frei steht (Eisenberg 10). Von der Benachrichtigung der JGH gem. § 50 III kann in OWiG-Verfahren abgesehen werden, wenn ihre Mitwirkung für die sachgemäße Durchführung des Verfahrens entbehrlich ist (§ 46 V OWiG). Vgl. auch § 2, 15 u. zur Mitteilung des Bußgeldbescheids an die ErzBerechtigten § 67, 17. 2.
Ladung und Anwesenheit der Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertreter
Abs. II ist eine einfach-rechtliche Ausgestaltung des Elternrechts nach Art. 6 II GG (BVerfGE 107, 7 104, 122). ErzBerechtigte und gesetzliche Vertreter (nur bei J; Rn 10) haben ein Recht auf Anwesenheit (§ 67, 9) und sind wie Zeugen zu laden und zu entschädigen; bleiben sie aus, können sie nach den Zeugenvorschriften sanktioniert und vorgeführt werden (§§ 48, 51, 71 StPO). Es steht also nicht in ihrem Belieben, ob sie zur Verhandlung – auch im vereinfachten JVerfahren (§ 78 III 2) – kommen. Denn ihre Anwesenheit ist für die Persönlichkeitserforschung, für die Auswahl der zu treffenden Maßnahmen wichtig, unterstreicht die Bedeutung der Verhandlung und kann zu dem erwünschten beschleunigten Eintritt der Rechtskraft führen (RL 3). Für sie gilt nach Bohnert (Zbl. 89, 234) das gesamte Zeugenrecht. Über Vernehmung des gesetzlichen Vertreters als Zeuge § 48, 13; über zeitweilige Ausschließung § 51, 6 ff. Für Einschränkung der Kostenerstattung an ErzBerechtigte u. gesetzliche Vertreter de lege ferenda Kropp NJ 07, 299. Üblich ist die formlose Ladung, die ja auch gegenüber Zeugen zulässig ist (§ 48 StPO; Meyer- 8 Goßner § 48 StPO 1). Der förmlichen Zustellung bedarf es nicht (OLG Hamm NStZ 09, 44, 45). Es genügt, wenn einer von mehreren ErzBerechtigten geladen wird (§ 67 V 3). Ihre Ladung kann nur aus wichtigen Gründen (§ 51, § 67 IV) unterbleiben („soll“). Ein Verstoß 9 kann zugleich gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 244 II StPO; Persönlichkeitserforschung) gerichtet sein oder die Verteidigung behindern und dann auf Revision zur Aufhebung des Urteils führen (Eisenberg 30; Ostendorf 16); daneben kann ein Verstoß gegen Abs. II einen Wiedereinsetzungsgrund gegen die Versäumung der Rechtsmittelfrist bilden (§ 67, 10). Abs. II gilt nach Eintritt der Volljährigkeit, also allg. für Hw., nicht mehr, weil der Volljährige 10 weder einen ErzBerechtigten noch einen gesetzlichen Vertreter hat (§ 109 I 1). Bei Taten desselben Angeklagten als J u. als Hw. vgl. § 109, 14. Ausnahmen aus Gründen der Staatssicherheit: § 104 III; allg. für das ErwGericht § 104, 5. 3.
11
Terminsmitteilung an die JGH
Dem Vertreter der JGH (Zuständigkeit § 38, 3) muss bei J und Hw. Ort und Zeit der Hauptver- 12 handlung rechtzeitig mitgeteilt werden (Ausnahme § 38, 9). Fernmündliche Mitteilung kurz vor Beginn der Hauptverhandlung genügt nicht (BGH StV 82, 336). Folgen § 38, 8. Mit der Terminsmitteilung kann der Richter ggf. darauf hinweisen, dass die Hauptverhandlung ohne vorherigen Bericht oder ohne Anwesenheit des JGHelfers, der die Ermittlungen angestellt hat, oder eines informierten Vertreters (falls dieser ausreicht) nicht stattfinden kann (zum Wegfall der Bezugnahme auf einen solchen Hinweis in den RL zu § 43 s. § 43, 17 aE). Wird auf solchen Hinweis der Bericht nicht rechtzeitig zu den Akten gebracht oder erscheint der angesprochene JGHelfer
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§ 50
2. Teil. Jugendliche
nicht in der Hauptverhandlung, so kann der Richter der Dienstbehörde der JGH die Kosten der deshalb unterbrochenen oder ausgesetzten Hauptverhandlung entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht nicht entsprechend §§ 51, 77, 145 IV, 467 II StPO, 56 GVG auferlegen (OLG Karlsruhe NStZ 92, 251 mit insoweit abl. Anm. Schaffstein; LG Frankfurt Zbl. 74, 74; NStZ 85, 42 mit zust. Anm. Eisenberg = StV 85, 185 mit zust. Anm. Albrecht = Zbl. 84, 435 mit abl. Anm. Rosenthal; Eisenberg 26; Ostendorf 13; Böhm/Feuerhelm S. 128; Stein BewH 85, 87; Körner Die Kostentragung im JStrafverfahren, 2004 S. 78; aA OLG Köln NStZ 86, 569; Schaffstein FS Dünnebier, 1982 S. 675; Schaffstein/Beulke S. 226 f; Northoff DRiZ 84, 405). Gegen diese Möglichkeit spricht das Fehlen eindeutiger gesetzlicher Regelungen über die Mitwirkungspflicht der JGH und einer an die Verletzung dieser Pflicht anknüpfenden Kostenüberwälzung. Deshalb sollte die revisible jrichterliche Aufklärungspflicht durch eine in das Gesetz aufzunehmende Verpflichtung der JGH unterstützt werden, auf richterliche Anordnung im Einzelfall an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Das sollte dann zu der von der Praxis vermissten (Vieten-Gross Zbl. 97, 173) Kostenfolge führen, die hier nach geltendem Recht abgelehnt werden musste. Nur das erspart dem J die Belastung durch eine neuerliche Hauptverhandlung und entspricht der Bedeutung der JGH für das Verfahren. 12 a Die Verpflichtung zur Information der JGH vom Hauptverhandlungstermin besteht grds. auch im vereinfachten JVerfahren (§ 78 RL u. § 78, 18; Ostendorf 7), jedoch nicht vor dem Revisionsgericht, das nur in rechtlicher Hinsicht nachzuprüfen hat (Dallinger/Lackner 32; Eisenberg 7, 6; Ostendorf 6; aA Potrykus B 4). Bei mehrtägigen Sitzungen genügt es, wenn der JGH Zeit und Ort des ersten Sitzungstages mitgeteilt sind; Nachrichten von den weiteren Terminen sind nicht notwendig (BGH bei Martin DAR 1964, 100). Beachte dazu aber auch BGH StV 89, 308 bei § 38, 8. Teilt der Richter im Verfahren gegen Hw. der JGH Ort und Zeit der Hauptverhandlung nicht mit, kann das Urteil auf einer Verletzung der Aufklärungspflicht insbes. dann beruhen, wenn die Voraussetzungen des § 105 I 1 verneint werden (BayObLG bei Rüth DAR 71, 207). Wegen der Rechte der JGH in der Hauptverhandlung: Rn 13 u. § 38, 5, 7. Wird in Abwesenheit des JGHelfers verhandelt, waren ihm aber Ort und Zeit der Hauptverhandlung mitgeteilt, so ist nicht § 50 III, möglicherweise aber die allg. Aufklärungspflicht nach § 244 II StPO verletzt (BayObLG bei Rüth DAR 82, 251; vgl. auch BGH NStZ 85, 448 bei § 38, 8). 13 Wie oft und wann (am besten nach der Beweisaufnahme) der JGH das Wort erteilt wird, ist eine Frage der Verhandlungsleitung (§ 238 I, II StPO; für Äußerung nach Ende der Beweisaufnahme, aber vor dem Schlussvortrag der StA auch Brachold Der Beitrag der JGH zur strafprozessualen Sachverhaltsermittlung u. -bewertung, 1998 S. 117). Der Vertreter der JGH braucht in der Hauptverhandlung zwar nicht gehört zu werden, wenn er dies nicht verlangt (Dallinger/Lackner 28); doch wird zumeist die Aufklärungspflicht dies gebieten (s. § 38, 8), zumal es dem JGHelfer obliegt, den J während des ganzen Verfahrens zu betreuen (§ 52 II, III SGB VIII) und er im Rahmen seiner Mitwirkung nach den §§ 38 u. 50 III 2 gehalten ist, dem Gericht mitzuteilen, welche Hilfen zur Erz. nach seiner Beurteilung in Betracht kommen (§ 52 II SGB VIII). Vgl. auch § 38, 12 a. Über die Stellung der JGH in der Hauptverhandlung § 38, 7. Über die Folgen, wenn die JGH nicht eingeschaltet wird, s. § 38, 8. 4.
Bewährungshelfer und sonstige Personen
14 Dem bestellten BewHelfer und dem Betreuungshelfer (§ 10, 10) ist die Anwesenheit in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung ausdrücklich gestattet (§ 48 II 1, § 48, 12). Zur Problematik ihrer Vernehmung als Zeugen § 25, 9; § 48, 13. Zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung sind sie an sich nicht verpflichtet. Nehmen sie jedoch an der Hauptverhandlung teil, so soll sie der Richter hören (Abs. IV 1 u. 2). Denn sie kennen aus ihrer Betreuung den J gut und sind über die Persönlichkeitsentwicklung und die neuesten Vorgänge im sozialen Umfeld orientiert. Das wird dem Richter oftmals nahelegen, sie ausdrücklich zu laden (RL 4); die Praxis hat gezeigt, dass sie meist selbst die Initiative ergreifen. Gleiches gilt für den auch anwesenheitsberechtigten
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Zeitweilige Ausschließung von Beteiligten
§ 51
ErzBeistand und für den Leiter eines sozialen Trainingskurses (§ 10, 11), der zwar nicht kraft Gesetzes anwesenheitsberechtigt ist, aber zugelassen werden kann (§ 48, 12) und sinnvollerweise auch wird. Diese können ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit dem J dem Richter übermitteln (Abs. IV 2). Es kann ähnliches auch für andere zugelassene Personen (§ 48, 12) gelten, wenn sie imstande und willens sind, zur Persönlichkeitserforschung beizutragen. Zur prozessualen Verwertung ihrer mündlichen und schriftlichen Berichte in der Hauptverhandlung § 38, 13. Das alles gilt auch für den anwesenheitsberechtigten Verletzten (§ 48, 12 u. 14). Es ist gut, ihn zu hören, soweit er sich nicht von Rachegefühlen hinreißen lässt (vgl. Brunner Zbl. 76, 269). Das entspricht den Intentionen des OpferschutzG (§ 80, 8–10, § 48, 14–20) und kann zum Täter-OpferAusgleich beitragen (§ 10, 12). Abs. III und IV gelten auch gegenüber Hw. (§ 109 I) und vor dem ErwGericht (§ 104 I Nr. 2; BGH 15 Herlan GA 64, 106); Ausnahmen aus Gründen der Staatssicherheit: § 104 III u. dort Rn 5. Für OWiG-Verfahren Rn 6. Zu ausländischen J u. Hw. in der Hauptverhandlung Einf. I 21.
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§ 51 Zeitweilige Ausschließung von Beteiligten § 51 Zeitweilige Ausschließung von Beteiligten (1) Der Vorsitzende soll den Angeklagten für die Dauer solcher Erörterungen von der Verhandlung ausschließen, aus denen Nachteile für die Erziehung entstehen können. Er hat ihn von dem, was in seiner Abwesenheit verhandelt worden ist, zu unterrichten, soweit es für seine Verteidigung erforderlich ist. (2) Der Vorsitzende kann auch Erziehungsberechtigte und gesetzliche Vertreter des Angeklagten von der Verhandlung ausschließen, soweit 1. erhebliche erzieherische Nachteile drohen, weil zu befürchten ist, dass durch die Erörterung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten in ihrer Gegenwart eine erforderliche künftige Zusammenarbeit zwischen den genannten Personen und der Jugendgerichtshilfe bei der Umsetzung zu erwartender jugendgerichtlicher Sanktionen in erheblichem Maße erschwert wird, 2. sie verdächtig sind, an der Verfehlung des Angeklagten beteiligt zu sein, oder soweit sie wegen einer Beteiligung verurteilt sind, 3. eine Gefährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit des Angeklagten, eines Zeugen oder einer anderen Person oder eine sonstige erhebliche Beeinträchtigung des Wohls des Angeklagten zu besorgen ist, 4. zu befürchten ist, dass durch ihre Anwesenheit die Ermittlung der Wahrheit beeinträchtigt wird, oder 5. Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Verfahrensbeteiligten, Zeugen oder durch eine rechtswidrige Tat Verletzten zur Sprache kommen, deren Erörterung in ihrer Anwesenheit schutzwürdige Interessen verletzen würde, es sei denn, das Interesse der Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertreter an der Erörterung dieser Umstände in ihrer Gegenwart überwiegt. Der Vorsitzende kann in den Fällen des Satzes 1 Nr. 3 bis 5 auch Erziehungsberechtigte und gesetzliche Vertreter des Verletzten von der Verhandlung ausschließen, im Fall der Nummer 3 auch dann, wenn eine sonstige erhebliche Beeinträchtigung des Wohls des Verletzten zu besorgen ist. Erziehungsberechtigte und gesetzliche Vertreter sind auszuschließen, wenn die Voraussetzungen des Satzes 1 Nr. 5 vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird. Satz 1 Nr. 5 gilt nicht, soweit die Personen, deren Lebensbereiche betroffen sind, in der Hauptverhandlung dem Ausschluss widersprechen.
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§ 51
2. Teil. Jugendliche
(3) § 177 des Gerichtsverfassungsgesetzes gilt entsprechend. (4) In den Fällen des Absatzes 2 ist vor einem Ausschluss auf ein einvernehmliches Verlassen des Sitzungssaales hinzuwirken. Der Vorsitzende hat die Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertreter des Angeklagten, sobald diese wieder anwesend sind, in geeigneter Weise von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während ihrer Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist. (5) Der Ausschluss von Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertretern nach den Absätzen 2 und 3 ist auch zulässig, wenn sie zum Beistand (§ 69) bestellt sind. 1. [Hw.]: RL S. 2; § 109 RL 6. – 2. ErwG: RL S. 1; § 104 II. Richtlinie zu § 51: Im Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten kann § 51 nach dem Ermessen des Gerichts angewendet werden (§ 104 Abs. 2). Im Verfahren gegen Heranwachsende gilt die Vorschrift nicht (§ 109); hier kann das Gericht den Angeklagten nur nach den allgemeinen Verfahrensvorschriften von der Verhandlung ausschließen (vgl. insbesondere § 247 StPO). Übersicht 1. Ausschließung des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausschließung von ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertretern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausschluss anderer Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.
Rn 1 6 17
Ausschließung des Angeklagten
1 Der Angeklagte hat das Recht und die Pflicht (§ 231 StPO), während der ganzen Verhandlung anwesend zu sein. Das Gericht darf grds. (Ausnahme Rn 2) nicht anordnen oder dulden, dass der Angeklagte sich entfernt; grds. kann also weder das Gericht den Angeklagten für einen Teil der Verhandlung beurlauben (§ 231 c StPO greift hier idR nicht ein), noch kann dieser auf seine Anwesenheit verzichten (zust. Böhm/Feuerhelm S. 73; Ostendorf 8). § 231 II StPO (§ 50, 2) trifft nur den Fall, dass sich der Angeklagte gegen den Willen des Gerichts („dennoch“) entfernt. Deshalb gilt § 51 auch, wenn sich der J auf einen entsprechenden Hinweis des Vorsitzenden „freiwillig“ entfernt (aA Dallinger/Lackner 25; Potrykus B 3; vgl. aber BGH 3, 385; NJW 63, 166). 2 Ausnahmen nach allg. Recht sind in §§ 247 StPO, 177 GVG iVm § 231 b StPO enthalten. § 51 I JGG tritt neben diese Vorschriften (BGH NStZ 02, 216 mit Anm. Eisenberg NStZ 02, 331) und erlaubt, J – nicht Hw. – nicht nur für die Beweisaufnahme, sondern für alle dem J uU ErzNachteile bringenden Ausführungen in der Sitzung einschließlich der Schlussvorträge auszuschließen (BGH NStZ 02, 217); dagegen ist Urteilsverkündung und -begründung keine Erörterung iSd § 51 I 1 (Dallinger/Lackner 4; Eisenberg 7; Ostendorf 5; aA Potrykus B 2). § 51 I steht neben § 247 StPO und umfasst auch die Verhandlung über die Vereidigung und Entlassung eines Zeugen (BGH NStZ 02, 216). Es kommt nicht nur auf das Thema der Erörterungen an, sondern auch auf den J selbst; ist er schon selbständig und einsichtig, wird seine Ausschließung selten in Frage kommen. Überhaupt ist bei der Ausschließung Zurückhaltung geboten, da sie in grundlegende Rechte eingreift und Misstrauen gegen das Gericht begründen kann. Ausschließung im Interesse der Arbeit der JGH ist nur möglich, wenn sonst Nachteile für die Erz. dieses Angeklagten entstehen könnten (Dallinger/Lackner 7; Ostendorf 6; Schaffstein/Beulke S. 256; generell gegen einen Ausschluss in dieser Konstellation Eisenberg 9). Näher § 38, 14. Bottke (ZStW 83, 91) lehnt Ausschließungen nach Abs. I 1 als „Winkelzüge“ von Pädagogen ab, „deren ErzVerständnis . . . nur zur Pseudolegitimierung unbeschränkter Machtausübung taugt“, und Albrecht (S. 370) meint, wenn einem J zugemutet werde, einen Gefängnisaufenthalt zu ertragen, könne er auch die Gründe erfahren, die ihn dorthin bringen. Auch Pollähne (in Rössner, Hrsg., Toleranz – Erz. –
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Zeitweilige Ausschließung von Beteiligten
§ 51
Strafe, 1989 S. 115) meint, man solle die §§ 51 I 1 und 54 II äußerst restriktiv, möglichst überhaupt nicht anwenden. Der Ausschluss nach § 51 I erfolgt durch den Vorsitzenden (sonst durch das Gericht; § 247 I 3 StPO, BGH 4, 364), ggf. auf Anregung. Die Anordnung ist in allen Fällen (JGG, StPO) nach Anhörung der Prozessbeteiligten zu verkünden, zu begründen und in der Niederschrift zu vermerken (BGH 4, 364; 15, 194). Die Maßnahme des Vorsitzenden nach § 51 I 1 kann beim Gericht nur mit der Begründung an- 4 gefochten werden, sie sei gesetzlich unzulässig (§ 238 II StPO). Wegen der Bedeutung der Anwesenheit kann der Angeklagte seinen vom Vorsitzenden verfügten Ausschluss auch dann mit Revision anfechten (absoluter Revisionsgrund: § 338 Nr. 5 StPO), wenn er die Entscheidung des Gerichts nicht angerufen hat (Dallinger/Lackner 12; Eisenberg 22; Ostendorf 13; vgl. BGH 3, 370; BGH 15, 196). Nach der Wiederzulassung muss der Vorsitzende unverzüglich (BGH 3, 386) den nach § 51 aus- 5 geschlossenen Angeklagten in einer dem Zweck der Ausschließungsvorschrift angepassten, für die Verteidigung genügenden (Art. 103 I GG) Weise unterrichten (Abs. I 2), also bes. alle belastenden Umstände darlegen (Tröndle Zbl. 53, 194), aber auch über entlastende Umstände informieren (DSS/Schoreit 10; Eisenberg 12; Ostendorf 7). Hartmann-Hilter (Notwendige Verteidigung . . . im JStrafverfahren, 1989 S. 82–84) fordert hier wegen der Selektionsbefugnis des Vorsitzenden und um das Fragerecht zu gewährleisten die Bestellung eines Pflichtverteidigers. Bei Ausschluss nach allg. Recht ist „sofort“ (BGH StV 90, 52) alles Wesentliche mitzuteilen. Die Unterrichtung ist in der Niederschrift zu vermerken. Unterlassung ist Revisionsgrund (§ 338 Nr. 8 StPO, BGH 1, 350), und zwar auch im JVerfahren, wenngleich die Anrufung des Gerichts nach § 238 II StPO möglich ist (Dallinger/Lackner 15; Potrykus B 5). Über Ausnahmen bei fortgesetztem ungebührlichen Verhalten u. bei Mitwirkung eines Verteidigers: BGH NJW 57, 1326.
2.
Ausschließung von ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertretern
Abs. II sah ursprünglich vor, dass der Vorsitzende auch Angehörige, den ErzBerechtigten und 6 den gesetzlichen Vertreter des Angeklagten von der Verhandlung ausschließen soll, soweit gegen ihre Anwesenheit Bedenken bestehen. Diese Regelung hat das BVerfG mangels hinreichender Bestimmtheit für mit Art. 6 II GG unvereinbar und nichtig erklärt, soweit die Vorschrift die Ausschließung von Personen erlaubt, die elterliche Verantwortung iSv Art. 6 II GG tragen (BVerfGE 107, 104 = DVJJ-J 03, 68 mit Anm. Ostendorf; Bspr. Eisenberg/Zötsch GA 03, 226; Grunewald NJW 03, 1995). Das 2. JuMoG v. 22. 12. 2006 hat darauf in einem neuen § 51 II die Ausschließung von ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertretern des Angeklagten detailliert geregelt. Abs. II regelt den Ausschluss von ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertretern des Angeklag- 7 ten. Diese können nach Abs. V auch dann ausgeschlossen werden, wenn sie gemäß § 69 zum Beistand bestellt worden sind. Dann ist zu prüfen, ob ein anderer Beistand zu bestellen ist. Zum Ausschluss von ErzBrechtigten und gesetzlichen Vertretern des Verletzten s. Rn. 13, zum Ausschluss von anderen Personen vgl. Rn. 17 ff. Abs. II 1 enthält 5 Ausschlussgründe: Nr. 1 setzt die Befürchtung voraus, dass durch die Erörterung der persönlichen Verhältnisse 8 des Angeklagten in Gegenwart der ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreter deren erforderliche künftige Zusammenarbeit mit der JGH bei der Sanktionsumsetzung in erheblichem Maß erschwert wird und deshalb erhebliche erzieherische Nachteile drohen. Gedacht ist an Fälle, in denen die Erörterung der persönlichen Verhältnisse von den Eltern in hohem Maße als verletzend empfunden wird, sie sich als Versager „vorgeführt“ vorkämen, und deshalb das Verhältnis zwischen den Eltern und der den familiären Hintergrund darlegenden JGH derart gestört wird,
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§ 51
2. Teil. Jugendliche
dass eine gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr zu erwarten ist (RegE Begr. BT-Drs. 16/3038, S. 61). Durch den Ausschluss soll die erzieherische Wirkung im Urteil zu treffender Anordnungen gesichert werden (aaO, S. 60). Die Befürchtung hinsichtlich der erheblichen Erschwerung der Zusammenarbeit erfordert wie in § 67 IV 2 (dort Rn. 14) eine nahe liegende und ernsthafte, durch tatsächliche Anhaltspunkte begründete Gefahr. Das Drohen erheblicher erzieherischer Nachteile setzt eine konkrete Gefahr voraus (RegE Begr. aaO, S. 60). Allein die Wahrnehmung von Verfahrensrechten oder abweichende erzieherische Vorstellungen der Eltern rechtfertigen einen Ausschluss nicht (BVerfGE 107, 104, 121 f). 9 Nach Nr. 2 kommt ein Ausschluss beim Verdacht der Beteiligung an der Verfehlung des Angeklagten oder bei einer entsprechenden Verurteilung in Betracht. Wie bei § 67 IV 1 (dort Rn. 13) reicht der einfache Tatverdacht aus. Dieser kann sich auch erst während der Hauptverhandlung ergeben. Tatverdacht oder Verurteilung rechtfertigen einen Ausschluss nur, wenn sie zu einer nicht unerheblichen Gefährdung des Kindeswohls oder einer wirksamen Strafverfolgung führen (RegE Begr. aaO, S. 61; Eisenberg 16). 10 Nr. 3 lässt in der 1. Alt. den Ausschluss zu, wenn eine Gefährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit des Angeklagten, eines Zeugen oder einer anderen Person zu besorgen ist. In Betracht kommen die Gefahr körperlicher Übergriffe gegen den Angeklagten wegen der im Einzelnen bekannt gewordenen Tatbegehung oder von ihm dargestellter familiärer Verhältnisse oder die Befürchtung von Racheakten gegen Zeugen (RegE Begr. aaO, S. 61). Besorgnis ist wie in § 172 Nr. 1 a GVG die begründete Möglichkeit, die sich auch aus kriminalistischer Erfahrung er25 geben kann (vgl. Löwe/Rosenberg/Wickern § 172 GVG 13). Nach der 2. Alt. muss eine sonstige erhebliche Beeinträchtigung des Wohls des Angeklagten zu besorgen sein. Das ist der Fall, wenn ein Missbrauch des Sorgerechts durch die Eltern oder eine nachhaltige Beeinträchtigung des Verhältnisses zwischen dem Angeklagten und seinen Eltern droht (RegE Begr. aaO, S. 61). 11 Nach Nr. 4 kann ein Ausschluss erfolgen, soweit zu befürchten ist, dass durch die Anwesenheit der ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreter die Ermittlung der Wahrheit beeinträchtigt wird. Dies kommt in Betracht, wenn die Eltern Einfluss auf das Aussageverhalten des Angeklagten nehmen wollen oder wenn dieser es nicht wagt, in Anwesenheit der Eltern seinen Tatbeitrag, sein Tatmotiv oder sein Verhältnis zu den Eltern zu schildern (RegE Begr. aaO, S. 62). Prozessordnungsgemäßes Verhalten der Eltern kann allein den Ausschluss nicht rechtfertigen (Eisenberg 18). Wünscht der Angeklagte, dass sich die Eltern entfernen, gibt das dem Richter Anlass zur näheren Prüfung (RegE Begr. aaO). Nr. 4 kann auch eingreifen, wenn aufgrund der Anwesenheit der ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreter eine Beeinflussung ihrer späteren Zeugenaussage zu befürchten ist. In diesen Fällen ist nach BVerfGE 107, 104, 125 und BGH LM § 67 JGG Nr. 1 = NJW 56, 520 (LS) ein Ausschluss auch nach §§ 58 I, 243 II 1 StPO möglich. Der Begriff des Befürchtens ist in Nr. 4 ebenso zu verstehen wie in Nr. 1 (dazu Rn 8). 12 Nr. 5 lässt den Ausschluss zu, wenn Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Verfahrensbeteiligten, Zeugen oder Verletzten zur Sprache kommen, deren Erörterung in Anwesenheit der ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreter schutzwürdige Interessen verletzen würde, es sei denn, das Anwesenheitsinteresse der ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreter überwiegt. Eine Verletzung schutzwürdiger Interessen kommt insbes. bei der Erörterung von Tatsachen aus der Intimsphäre in Betracht (Eisenberg 19). Bei mehreren Angeklagten kann ein Ausschluss der Eltern der Mitangeklagten geboten sein (RegE Begr. aaO, S. 63). Stets muss eine Abwägung mit dem Anwesenheitsinteresse der ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreter vorgenommen werden. Nach der Gesetzesbegründung besteht ein Regel-Ausnahme-Verhältnis: Das Anwesenheitsinteresse kann ausnahmsweise überwiegen (RegE Begr. aaO). Ist das nicht der Fall, wird der Ausschluss regelmäßig angezeigt sein, kann aber unterbleiben, wenn etwa die Sachaufklärung die Erörterung der persönlichen Umstände in Anwesenheit der Eltern gebietet (aaO). Liegen die Voraussetzungen der Nr. 5 vor und stellt die Person, deren Lebensbereich be-
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Zeitweilige Ausschließung von Beteiligten
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troffen ist, den Antrag auf Ausschluss, hat dieser nach S. 3 zu erfolgen. Andererseits darf nicht ausgeschlossen werden, wenn die Person, deren Lebensbereich betroffen ist, in der Hauptverhandlung dem Ausschluss widerspricht (S. 4). Nach S. 2 können unter den Voraussetzungen von S. 1 Nr. 3 bis 5 auch ErzBerechtigte und 13 gesetzliche Vertreter des Verletzten ausgeschlossen werden. Dies ist in den Fällen der Nr. 3 auch dann möglich, wenn eine erhebliche Beeinträchtigung des Wohls des Verletzten zu besorgen ist. Wie das Wort „soweit“ in Abs. II S. 1 zeigt, ist ein Ausschluss regelmäßig nur zeitweilig, be- 14 schränkt auf einen genau zu bezeichnenden Verhandlungsteil, zulässig. Ein Ausschluss für die gesamte Verhandlungsdauer kommt nur ausnahmsweise in Betracht (RegE Begr. aaO, S. 60). Die Ausschluss-Regelung ist als Kann-Bestimmung ausgestaltet. Das Vorliegen der Voraussetzungen der Nr. 1 bis 5 führt daher nicht zwingend zum Ausschluss. Der Vorsitzende muss daher in jedem Einzelfall die durch die Ausschlussgründe geschützten Interessen mit dem Elternrecht abwägen (aaO). Nach Abs. III gilt § 177 GVG entsprechend. Bei schweren Ordnungsstörungen können daher 15 auch ErzBerechtigte und gesetzliche Vertreter aus dem Sitzungssaal entfernt werden. Die Entziehung von über das Anwesenheitsrecht hinausgehenden Verfahrensrechten ist nur nach § 67 IV möglich. Für Verfahren und Form des Ausschlusses gilt Folgendes: Vor einem Ausschluss hat der Vorsit- 16 zende nach Abs. IV 1 auf ein einvernehmliches Verlassen des Sitzungssaals hinzuwirken. Nur wenn eine gütliche Einigung nicht gelingt, kommt als ultima ratio der Ausschluss in Frage (RegE. Begr. aaO, S. 64). Der Ausschluss der ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreter erfolgt wie der des Angeklagten (Rn 3, 4) und ist, wenn er zu Unrecht erfolgt, (relativer) Revisionsgrund. Sind die ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreter des Angeklagten wieder im Sitzungssaal anwesend, hat der Vorsitzende sie nach S. 2 über den wesentlichen Inhalt des in ihrer Abwesenheit Ausgesagten oder sonst Verhandelten zu unterrichten. Wesentlich ist, was zur wirksamen Wahrnehmung der Verteidigungsrechte erforderlich ist (Eisenberg 24). Die Unterrichtung hat „in geeigneter Weise“ zu erfolgen, darf also den Grund für den Ausschluss nicht nachträglich konterkarieren (RegE Begr. aaO). Reicht die nachträgliche Unterrichtung zur Wahrnehmung der Verteidigungsrechte nicht aus, ist nach § 68 Nr. 3 ein Pflichtverteidiger zu bestellen (§ 68, 23 a). 3.
Ausschluss anderer Personen
Bewährungshelfer, Betreuungshelfer, Erziehungsbeistand und Heimleiter, die nach § 48 II 1, 2 17 ein Anwesenheitsrecht haben, können entsprechend § 51 II von der Hauptverhandlung (dazu aber auch § 48, 12) ausgeschlossen werden, weil deren Anwesenheitsrecht nicht stärker sein kann als das der in § 51 II genannten Personen (Dallinger/Lackner 18; Eisenberg 20; Ostendorf 10). Dies gilt auch für den Verletzten, soweit dieser nicht nach § 80 III zur Nebenklage befugt ist. Angehörige, die nicht ErzBerechtigte und gesetzliche Vertreter sind, sowie andere Personen, denen die Anwesenheit gem. § 48 II 3 gestattet wurde, können durch Widerruf der Zulassung (§ 48, 21) entfernt werden. – Zum Ausschluss von Zeugen § 48, 13. StA, Verteidiger und Vertreter der JGH dürfen nicht entfernt werden.
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§ 51 kann und soll auch das ErwGericht nach seinem Ermessen anwenden (RL S. 1; RL 1 zu 19 § 104; § 104, 3). Die Vorschrift gilt entsprechend für das Anwesenheitsrecht bei Untersuchungshandlungen außerhalb der Hauptverhandlung (Dallinger/Lackner 27; Eisenberg 3; Bedenken Nothacker S. 325 FN 247, da § 51 I eng auszulegen sei; abl. Ostendorf 2).
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§§ 52, 52 a
2. Teil. Jugendliche
§ 52 Berücksichtigung von Untersuchungshaft bei Jugendarrest §§ 52, 52 a Berücksichtigung von Untersuchungshaft bei Jugendarrest Wird auf Jugendarrest erkannt und ist dessen Zweck durch Untersuchungshaft oder eine andere wegen der Tat erlittene Freiheitsentziehung ganz oder teilweise erreicht, so kann der Richter im Urteil aussprechen, dass oder wieweit der Jugendarrest nicht vollstreckt wird. 1. Hw.-J: RL 2 HS. 2; § 109 II 1; § 112 S. 1, 2. – 2. ErwG: RL 2 HS 1; § 104 I Nr. 5. Anmerkungen und Richtlinien nach § 52 a.
§ 52 a Anrechnung von Untersuchungshaft bei Jugendstrafe §§ 52, 52 a Untersuchungshaft bei Jugendarrest/Jugendstrafe Hat der Angeklagte aus Anlaß einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so wird sie auf die Jugendstrafe angerechnet. Der Richter kann jedoch anordnen, dass die Anrechnung ganz oder zum Teil unterbleibt, wenn sie im Hinblick auf das Verhalten des Angeklagten nach der Tat oder aus erzieherischen Gründen nicht gerechtfertigt ist. Erzieherische Gründe liegen namentlich vor, wenn bei Anrechnung der Freiheitsentziehung die noch erforderliche erzieherische Einwirkung auf den Angeklagten nicht gewährleistet ist. 1. Hw.-J: RL 2 HS. 2; § 109 II; § 112 S. 1, 2. – 2. ErwG: RL 2 HS 1; § 104 I Nr. 5. Richtlinien zu §§ 52 und 52 a: 1. Als eine andere wegen der Tat erlittene Freiheitsentziehung im Sinne von §§ 52, 52 a Abs. 1 Satz 1 ist namentlich die Unterbringung in einem Heim oder einer Anstalt nach § 71 Abs. 2, § 72 Abs. 4 und § 73 anzusehen. 2. Die §§ 52, 52 a gelten auch im Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten (§ 104 Abs. 1 Nr. 5), im Verfahren gegen Heranwachsende nur, wenn das Gericht Jugendstrafrecht anwendet (§ 109 Abs. 2). Schrifttum: Wenzel Die Anrechnung vorläufiger Freiheitsentziehungen auf strafrechtliche Rechtsfolgen, 2004. Übersicht 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anrechnung bei JA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anrechnung bei JStrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.
Rn 1 8 12
Allgemeines
1 Die Vorschriften dienen dem Ziel, überzogene, weil mit dem ErzZweck unvereinbare, Sanktionen zu verhindern, und sind Ausdruck der Idee der Gerechtigkeit, nach der im Zuge des Verfahrens erlittene Freiheitseinbußen grds. nicht unberücksichtigt bleiben dürfen (BVerfG NStZ 99, 570; 00, 278; Ostendorf Grdl. zu §§ 52–52 a, 4). Bei ihrer Auslegung ist die Bedeutung des Grundrechts der Freiheit der Person nach Art. 2 II 2 GG zu berücksichtigen (BVerfG NStZ 99, 125; 570; 00, 278). Berücksichtigt kann nicht nur UHaft werden, sondern auch jede andere wegen der Tat erlittene Freiheitsentziehung (§ 39 I, III StVollstrO); zB Unterbringung in einem Heim oder einer Anstalt (RL 1; §§ 71 II, 72 IV, 73; § 39 I, III Nr. 3 StVollstrO; BGH NStZ 07, 43; offen gelassen vom OLG Brandenburg NStZ-RR 03, 344 für Unterbringung in offener Einrichtung), Unterbringung zur Beobachtung (§ 81 StPO, BGH 4, 326, auch wenn freiwillig unterzogen), einstweilige Unterbringung (§ 126 a StPO), vorläufige Festnahme (§ 127 StPO), Vorführungshaft (§ 230 II StPO), Abschie-
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Untersuchungshaft bei Jugendarrest/Jugendstrafe
§§ 52, 52 a
behaft vor Rechtskraft der Entscheidung (OLG Frankfurt NJW 80, 537), Auslieferungs- und Zulieferungshaft (vgl. § 1, 5 e; LG Stuttgart NStZ 86, 362) und Festhaltung durch den Entsendestaat nach Art. VII Abs. 5 des Nato-Truppenstatuts (OLG Frankfurt NJW 73, 2218; OLG Hamm JMBl. NRW 74, 166; OLG Koblenz NJW 74, 2193; OLG Zweibrücken MDR 76, 68; Marenbach NJW 74, 394), wenn der Gewahrsamsvollzug mit einer der UHaft vergleichbaren Freiheitsentziehung verbunden war (nicht bei bloßer Ausgangssperre – „restriction“ – OLG Zweibrücken NJW 75, 209), gleich ob ein förmlicher deutscher Haftbefehl bestanden hat (BGH Urt. v. 13. 6. 1978 – 1 StR 108/78). Zum Disziplinar-Arrest bei Soldaten § 39 I, III Nr. 4 StVollstrO; § 112 a, 9. Ebenso insgesamt Eisenberg 8; Ostendorf 5 u. 6 je zu § 52. Freiheitsentziehung ist auch gegeben, wenn der Betroffene am Verlassen eines bestimmten Ortes durch psychischen Zwang gehindert wird, zB bei einer mit einem außer Vollzug gesetzten Beschluss nach § 126 a StPO verbundenen Auflage an den Betroffenen, sich in einer psychiatrischen Klinik aufzuhalten, wobei der Unterbringungsbeschluss bei Verstoß gegen die Auflage wieder in Vollzug gesetzt werden soll (BVerfG NStZ 99, 570). Festhaltung jeglicher Art kann nur insoweit angerechnet werden, als sie bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils erfolgt ist (OLG Düsseldorf JMBl. NRW 90, 42 für UHaft). Die Haft muss aus Anlass einer Tat erlitten sein, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewe- 2 sen ist (Verfahrenseinheit; vgl. OLG Celle NJW 89, 1817); dass aber die Strafe allein oder jedenfalls mit wegen der Tat verhängt worden ist, deretwegen UHaft angeordnet war, ist nicht notwendig (BVerfG NStZ 00, 277; BGH 28, 29; BGH B NStZ 84, 447); es genügt also Verurteilung im gleichen Verfahren, auch wenn die Tat erst nach Verbüßung der UHaft begangen war (BGH 28, 29 = JR 79, 73 mit zust. Anm. Tröndle; LG Offenburg NStZ-RR 03, 351, 352; Eisenberg 9, Ostendorf 7 je zu § 52; aA DSS/Schoreit § 52, 9). Zur Anrechnung bedarf es nicht notwendigerweise einer förmlichen Verfahrensverbindung; ausreichend ist eine funktionale Verfahrenseinheit, die bei einem irgendwie gearteten sachlichen Bezug zwischen den Verfahren gegeben ist, insbes. wenn sich die vorläufige Freiheitsentziehung in dem einen Verfahren auf den Gang oder den Abschluss des anderen Verfahrens konkret ausgewirkt hat (BVerfG NStZ 00, 278; BGH 43, 116, 119 = NStZ 98, 134 mit Anm. Stree; OLG Karlsruhe MDR 93, 66), zB bei Einstellung des Verfahrens mit UHaft nach § 154 II StPO im Hinblick auf das Verfahren mit der Verurteilung (BVerfG aaO; OLG Nürnberg NStZ 90, 406) oder bei Überhaftnotierung in dem Verfahren mit Verurteilung wegen Vollstreckung eines Haftbefehls aus einem anderen Verfahren (BGH 43, 120). Ein Verfahrenszusammenhang liegt auch vor, wenn ein J wegen einer Tat, die im Falle ihres Erwiesenseins zu einer einheitlichen Rechtsfolge nach § 31 II geführt hätte, UHaft verbüßt hat und dann freigesprochen wird (BVerfG aaO). Die Berücksichtigung der UHaft in der Tatsacheninstanz geschieht nur gem. §§ 52, 52 a. Die 3 Tatsache, dass UHaft verbüßt wurde, darf bei der Festsetzung des JA und der JStrafe nicht berücksichtigt werden, denn an sich bestünde zB kein Anlass, überhaupt JA zu verhängen, wenn sein Zweck schon erreicht ist (Rn 9; Einf. II 18; BGH 7, 216). Die Anrechnung von UHaft oder anderer Freiheitsentziehung (vgl. § 39 III StVollstrO) auf JA setzt 4 die ausdrückliche Anrechnung durch den erkennenden Richter voraus. Die Anrechnung auf JStrafe erfolgt dagegen kraft Gesetzes, soweit keine abweichende richterliche Anordnung nach § 52 a 2 ergeht. Zum Tenor § 54, 9. Auch die in § 51 III StGB vorgesehene und auch im JStrafrecht nach § 10 StGB anwendbare Anrechnung von im Ausland erlittener Freiheitsentziehung erfolgt von Gesetzes wegen, soweit es nicht in Ausnahmefällen der Klarstellung der Anrechenbarkeit bedarf (BGH StV 85, 503; DSS/Schoreit 10, 11; Eisenberg 9; Ostendorf 9; aA OLG Oldenburg NJW 82, 2741). Festlegen muss das Gericht allerdings nach § 51 IV 2 StGB den Anrechnungsmaßstab (DSS/Schoreit 11); vgl. LG Zweibrücken NStZ-RR 97, 206; LG Berlin StV 98, 347: Anrechnung in Kenia bzw. Bulgarien erlittener Haft auf JStrafe jeweils im Verhältnis 1 : 3. §§ 52, 52 a beziehen sich auf Freiheitsentziehungen, die bis zur Verkündung des die Tatsachen- 5 instanz abschließenden Urteils erlitten wurden (vgl. Rn 1 aE), im Revisionsverfahren gilt nur
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§§ 52, 52 a
2. Teil. Jugendliche
§ 52 a S. 1 (entsprechend § 51 StGB), ohne dass es eines bes. Urteilsausspruches hierüber bedarf (BGH NJW 72, 730; Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer § 450 StPO 24). Er gilt auch für die Zeit zwischen Urteil und Rechtsmittelzurücknahme (OLG Frankfurt NJW 70, 1140; OLG München NJW 70, 1141 u. NJW 71, 2275) und bei Verwerfung der Revision nach § 346 StPO (LG Osnabrück Rpfl. 71, 184 mit teilw. abl. Anm. Pohlmann). 6 Nach dem letzten Tatsachenurteil erlittene UHaft ist somit grds. anzurechnen, selbst wenn die bis zum Urteil erlittene UHaft nicht angerechnet worden ist (Eisenberg § 52, 3). Das Revisionsgericht kann die Entscheidungen nach §§ 52 und 52 a S. 2, 3 grds. nicht treffen (DSS/Schoreit § 52, 2; § 52 a, 2; Ostendorf § 52, 3 verweist auf § 52 iVm § 458 StPO). 7 Ist das Urteil für den Angeklagten unanfechtbar geworden, wird die UHaft nach § 450 I StPO angerechnet. Dies gilt auch, wenn nur der gesetzliche Vertreter oder ErzBerechtigte das Urteil angefochten hat; übernimmt allerdings der volljährige Hw. das Rechtsmittel, so ist § 450 I StPO nicht mehr anwendbar (LG Bamberg NJW 67, 68 mit zust. Anm. Kaiser). 2.
Anrechnung bei JA
8 Auf JA wird die UHaft dadurch angerechnet, dass er ohne Rücksicht auf die UHaft verhängt, aber angeordnet wird, dass der JA ganz oder zum Teil nicht vollstreckt wird. Zur Urteilsfassung § 54, 9; zur Anwendung des § 450 StPO: § 87, 5. Vgl. auch Rn 10. 9 Voraussetzung ist, dass der Zweck des JA (§ 16, 1) durch die UHaft ganz oder zum Teil erreicht ist; es kommt auf die Persönlichkeit des J, Dauer und Art (auch örtliche Vollzugsverhältnisse) der UHaft sowie die Wirkung hinsichtlich des künftigen Verhaltens an. Einen wichtigen Hinweis gibt der Bericht der UHaftanstalt oder die Vernehmung des betreffenden Beamten, falls der J den Inhalt des Berichts auf Vorhalt nicht anerkennt (§§ 250, 256 StPO). 10 Bei Beachtung des Subsidiaritätsprinzips (Einf. II, 18) und des in § 52 a 1 normierten Prinzips grds. Anrechnung ist der erlittene Freiheitsentzug grds. zu berücksichtigen (Dallinger/Lackner 6; Eisenberg 10; Ostendorf 9 je zu § 52). Von der Vollstreckung des JA kann auch dann ganz abgesehen werden, wenn dessen Dauer den Zeitraum der UHaft übersteigt (OLG Hamburg NStZ 83, 78 u. 93 mit Anm. Walter NStZ 83, 367 = JR 83, 170 mit Anm. Eisenberg; DSS/Schoreit 10; Eisenberg 11; Ostendorf 11 je zu § 52; Stein BewH 84, 83). Es kommt bei § 52 nicht auf eine formale Verrechnung, sondern auf die materielle Prüfung an, ob der Zweck des JA erreicht ist. Das kann auch bei einer in der Dauer kürzeren UHaft der Fall sein. 11 Eine Anfechtung des auf JA lautenden Urteils wegen der Nichtberücksichtigung der UHaft ist nicht möglich, weil die Frage der Anrechnung der UHaft nur die Frage betrifft, in welchem Umfang JA angeordnet ist, diese Frage aber der Anfechtung durch § 55 I entzogen ist (OLG Hamburg JR 83, 171 mit zust. Anm. Walter NStZ 83, 367; LG Tübingen MDR 61, 170; Dallinger/Lackner § 52, 9; Burscheidt S. 122 f; aA Eisenberg JR 83, 172 u. 13; Nothacker S. 327). Wird aber geltend gemacht, die Anordnung sei gesetzeswidrig, ist ein Rechtsmittel zulässig (§ 55, 11; OLG Hamburg aaO). Es soll auch gesetzeswidrig sein, wenn weder im Tenor noch in den Gründen des Urteils zur Anwendung des § 52 etwas gesagt wird (Ostendorf 12 mwN). Wird aber ein JA zusammen mit einer nicht § 55 I 1 unterfallenden Sanktion angeordnet, so wird wegen der gebotenen Gesamtwürdigung auch das Absehen der Anrechnung nach § 52 anfechtbar (BGH B NStZ 84, 447; Ostendorf aaO). 3.
Anrechnung bei JStrafe
12 Bei JStrafe wird die UHaft grds. angerechnet (§ 52 a 1; OLG Stuttgart StV 87, 308). Dies entspricht der Erfahrung, dass eine erz. Gestaltung der UHaft sich in der Praxis als schwer durch-
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Untersuchungshaft bei Jugendarrest/Jugendstrafe
§§ 52, 52 a
führbar erweist (Zirbeck Die UHaft bei J u. Hw., Diss. Göttingen 1973; Ostendorf § 52, 8 „nur negative Individualprävention“). Meist erschöpft sich die erz. Einwirkung im Schock der – ersten – Einsperrung und führt selten zu echter Selbstbesinnung. Der Richter erfährt im Wesentlichen nur von bes. Verstößen der Häftlinge in der UHaft, die unter Berücksichtigung der Persönlichkeit und des psychischen Hintergrundes allg. Beurteilung dienen können (vgl. Rn 13 a). Die bei J an sich vorzuziehende einstweilige Unterbringung in einem ErzHeim nach §§ 71 II, 72 IV scheiterte bisher in der Praxis häufig an dem Mangel an Heimplätzen und ist bei Hw. ausgeschlossen (§ 109 I). Dies alles darf nicht zu Lasten des J und Hw. gehen. Andererseits entspricht es dem bes. ErzAuftrag des JStrafrechts, dass die Anrechnung der UHaft, wie sich aus § 52 a 2, 3 ergibt, vom Richter unter der Leitlinie des S. 1 faktisch doch angeordnet werden muss und er in jedem Einzelfall die Entscheidung sorgfältig zu prüfen und zu begründen hat (zust. Eisenberg § 52 a, 5: „Anrechnung Regelfall“). Es entspricht dem Primat der Erz. im JStrafrecht, dass auch der Vollzug der UHaft erz. zu gestal- 13 ten ist, wenn sie schon nicht vermieden werden kann. Gleichwohl aber ist es auch im JStrafrecht der alleinige Zweck einer derart erz. gestalteten UHaft, die Durchführung des Verfahrens zu sichern. Entsprechend dieser Prämisse ist zu prüfen, ob nach S. 2 das Verhalten des J nach der Tat oder erz. Gründe es gebieten, die erlittene UHaft ganz oder zum Teil ausnahmsweise nicht anzurechnen. Entscheidend ist, was unter „Verhalten nach der Tat“ im Einzelnen zu verstehen ist. Nach der Begründung des RegE zum EGStGB, BT-Drs. 7/550 S. 330 ist § 52 a 2 bewusst dem § 51 I 2 StGB nachgebildet, sodass die Rechtsprechung zu letzterer Vorschrift auch zur Bestimmung des „Verhaltens nach der Tat“ im JStrafrecht heranzuziehen ist (BGH 37, 77; LG Freiburg StV 82, 338). Es ist deshalb BGH 37, 77 (mit zust. Anm. Walter/Pieplow NStZ 91, 332) zu folgen, wonach die 13 a Nichtanrechnung von UHaft nur durch ein Verhalten nach der Tat gerechtfertigt ist, das nicht der Verteidigung des J dient, sondern darauf abzielt, die UHaft zu verlängern, um sich durch deren spätere Anrechnung ungerechtfertigte Vorteile bei der Strafvollstreckung zu sichern oder das Verfahren böswillig zu verschleppen (vgl. auch BGH 23, 307 zu § 60 I 2 StGB aF; BGHR § 51 I 2 Prozessverhalten 1 u. BGH NStZ 99, 347 zu § 51 I 2 StGB). Dem J darf nicht angelastet werden, dass er keine das Verfahren fördernden Handlungen vorgenommen oder keine Bereitschaft gezeigt hat, zu den Hintergründen der eingestandenen Tat Auskunft zu erteilen (OLG Hamm StV 07, 2). Auch das Leugnen der Tat rechtfertigt die Nichtanwendung regelmäßig nicht (OLG Hamm aaO, 3). Widerstand des J gegen erz. Maßnahmen im Vollzug der UHaft, wie auch notwendige Disziplinarmaßnahmen, genügen ebenfalls nicht. Die beiden Gründe für die Nichtanrechnung der UHaft in Abs. I 2 dürfen nicht vermengt, der ErzGedanke für das „Verhalten nach der Tat“ nicht herangezogen werden (BGH 37, 77). Erz. Gründe rechtfertigen die Nichtanrechnung der UHaft also grds. nur dann (Rn 13 a aE; 14 BGHSt 37, 77; BGH StV 94, 598, 599; NStZ 96, 233; NStZ 07, 43; BayObL Bär DAR 93, 372), wenn bei Anrechnung der UHaft die verbleibende Dauer der JStrafe für die noch erforderliche erz. Einwirkung nicht mehr ausreicht (§ 18, 7; ebenso Schaffstein/Beulke S. 272; Miehe in JStrafrecht an der Wende S. 159; dem hält Ostendorf 7 entgegen, dass die Rückfallquote bei kürzerer Verbüßung nicht höher sei als bei längerer). Dies erfordert die nach § 18 II vorgeschriebene Bemessung der JStrafe und wird bes. deutlich, wenn die Mindestjugendstrafe von 6 Monaten in Betracht kommt. Hierdurch wird der J zugleich hinsichtlich des Maßes der JStrafe mit uU ungünstigeren registerlichen Folgen entlastet. Gerade in der Berufungsinstanz kann der Zeitablauf in Einzelfällen den der Erz. in der JStrafanstalt verbleibenden Zeitraum unter das notwendige Maß herabsinken lassen. Eisenberg § 52 a, 8 wendet ein, dass eine im allg. positiv zu beurteilende Einwirkung des JStrafvollzugs kaum angenommen werden könne; ähnlich Ostendorf 7. Dem kann in solcher Generalisierung nicht zugestimmt werden. Der Nichtanrechnung der UHaft unter dem Gesichtspunkt zu kurzer Reststrafzeit können jedoch eine positive erzieherische Wirkung der UHaft und eine günstige Prognose entgegenstehen (BGH StV 94, 603 für eine zur Bewährung
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§ 53
2. Teil. Jugendliche
ausgesetzte JStrafe u. BGH B NStZ 97, 484 sowie OLG Hamm StV 07, 2 für einschneidende Auswirkungen der UHaft). Insbes. bei sehr guter Prognose muss näher dargelegt werden, warum die bei Anrechnung der UHaft verbleibende Zeit zur erz. Einwirkung nicht ausreicht (BGH NStZ 99, 34 mit krit. Anm. Brunner). Das Ausbleiben einer erz. Wirkung einer freiheitsentziehenden Maßnahme darf nicht zur Nichtanrechnung der Freiheitsentziehung führen. Vielmehr ist die JStrafe so zu bemessen, dass sie auch bei Anrechnung ihre erz. Wirkung noch entfalten kann (BGH NStZ 07, 43). 15 Schweigt das Urteil völlig über die Frage der Anrechnung der UHaft (Rn 4), ist davon auszugehen, dass sie nach § 52 a 1 angerechnet sein soll (vgl. OLG Köln NJW 53, 796; Eisenberg; Ostendorf je 9; Nothacker S. 325). 16 Eine gegen Art. 6 I MRK (vgl. näher § 18, 6 d) verstoßende überlange Verfahrensdauer stellt zwar grds. kein Verfahrenshindernis dar, führt aber zur Aufhebung des Haftbefehls (OLG Köln NJW 89, 2830; vgl. auch BGH NJW 90, 1000 in § 18, 6 a). 17 Wegen der UHaft bei Einheitsstrafe s. § 31, 14. Wegen der Urteilsfassung § 54, 9; wegen der Berechnung bei Anrechnung der UHaft (Berücksichtigung des Tages der Urteilsfindung) Krauss NJW 65, 1166. Verbleibende Meinungsverschiedenheiten können durch gerichtliche Entscheidung nach §§ 458 I, 462 I StPO behoben werden (BGH NJW 72, 731).
§ 53 Überweisung an das Familiengericht § 53 Überweisung an das Familiengericht Der Richter kann dem Familiengericht im Urteil die Auswahl und Anordnung von Erziehungsmaßregeln überlassen, wenn er nicht auf Jugendstrafe erkennt. Das Familiengericht muß dann eine Erziehungsmaßregel anordnen, soweit sich nicht die Umstände, die für das Urteil maßgebend waren, verändert haben. 1. [Hw.]: Rn 1, 2; § 109 II. – 2. [ErwG]: RL; § 104 IV; § 112 S. 3. – 3. Sold. Rn 9. Richtlinie zu § 53: Hält das Gericht im Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten Erziehungsmaßregeln für erforderlich, so hat es deren Auswahl und Anordnung dem Vormundschaftsgericht zu überlassen, selbst wenn es zugleich auf Jugendstrafe erkennt (§ 104 Abs. 4).
1 Das JGericht kann nach seinem Ermessen notwendige ErzMaßregeln selbst anordnen (§§ 5, 8– 10, 12) oder bei J, nicht bei Hw. (da diese volljährig sind und damit eine Zuständigkeit des Familiengerichts nicht mehr in Betracht kommt; vgl. aber Einf. II 11), Auswahl und Anordnung von ErzMaßregeln dem Familiengericht überlassen (anders ErwGericht: muss überlassen; RL; vgl. § 104, 8). Das JGericht wird im Ausnahmefall überlassen, wenn eine über den Einzelfall hinausgehende Verwahrlosung festgestellt wird, auch, wenn noch weitere Ermittlungen darüber notwendig sind, welche Maßnahme angemessen ist, den größten Erfolg verspricht oder wie sie im Einzelnen ausgestaltet werden soll (ebenso Dallinger/Lackner 3; Eisenberg 7; Ostendorf 5 lehnt wegen fehlender Entscheidungsreife ab). Auch dann, wenn die Mitglieder eines Kollegialgerichts (JSchöffengericht, JKammer) uneinig sind, welche ErzMaßregel die richtige ist, kann § 53 helfen (Eisenberg 8; abl. Ostendorf 5). Es spricht viel dafür, die Anordnung von Hilfen zur Erz. nach § 12 dem Familiengericht zu überlassen (ebenso Dallinger/Lackner 3; Bedenken bei Eisenberg 8 u. Ostendorf 5: darf nicht Umweg zu diesen Sanktionen sein); Weisungen wird dagegen der JRichter anordnen. 2 Die Überlassung ist nur nicht möglich, wenn der JRichter zugleich auf JStrafe erkennt (anders vor ErwGericht: RL); sie ist unzweckmäßig – doch im Hinblick auf Weisungen zulässig –, wenn
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Überweisung an das Familiengericht
§ 53
der J bald Hw., also volljährig wird. Sie setzt voraus, dass eine Verfehlung nachgewiesen ist, für die der J strafrechtlich verantwortlich ist. Der Richter darf dem Familiengericht nicht vorschreiben, welche Maßnahme er anzuordnen 3 hat, sondern muss ihm die Auswahl überlassen. Anregungen, auch in den Urteilsgründen, sind möglich, jedoch ist Zurückhaltung angebracht. Eine Bindung hinsichtlich der Auswahl tritt nie ein. 4
Urteilsfassung § 54, 5, 15. Anfechtung § 55, 9.
Entscheidet der JRichter nur nach § 53, so ist das Urteil nach § 55 I 1 unanfechtbar (§ 55, 9; Eisen- 5 berg 16 u. § 55, 41). Mit der Rechtskraft des Urteils ist das JStrafverfahren zu Ende. Einem neuen Strafverfahren wegen dieser Tat steht die Rechtskraft entgegen (ne bis in idem; Art. 103 III GG; Potrykus B 5). Die Auswahl und Anordnung der ErzMaßregeln erfolgt durch das Familiengericht im Verfah- 6 ren nach dem FamFG. Dieses gilt für die Zuständigkeit (vgl. § 34 II, III), für die Beweisaufnahme und für die Anfechtung der Entscheidung, für die also die Beschränkungen des § 55 nicht gelten (Dallinger/Lackner 19; Potrykus B 5). Das Familiengericht muss ErzMaßregeln des JGG nach §§ 9–12 anordnen (Eisenberg 10; Roestel 7 Zbl. 68, 61). Ordnet es keine ErzMaßregeln an, so haben das JAmt und der JRichter das Recht der Beschwerde nach § 55 FamFG (Dallinger/Lackner 20; Potrykus B 6; Eisenberg 17; Ostendorf 11; dazu ergänzend Rn 11). Nur wenn sich die Verhältnisse (Familie, Beruf) seit Erlass des Urteils (Dallinger/Lackner 17; Eisenberg 10; Ostendorf 8; aA Potrykus B 8: seit Rechtskraft) wesentlich geändert haben oder wenn neue – auch die Schuldfrage betreffende – wesentliche Tatsachen bekannt werden, die dem JGericht bei Erlass des Urteils nicht bekannt waren (§ 57, 5; Dallinger/Lackner 18; ähnlich Potrykus B 6), kann das Familiengericht – grds. im Einvernehmen mit dem JRichter – von der Anordnung von ErzMaßregeln absehen; das kann – ausnahmsweise – auch der Fall sein, wenn schon Verfahren und Urteil den J hinreichend beeindruckt haben (OLG Stuttgart Justiz 02, 515, 516). Auch die Anordnung familiengerichtlicher ErzMaßnahmen des Bürgerlichen Rechts oder von Hilfen nach dem SGB VIII kann zum Absehen berechtigen (vgl. § 45 II 1: Subsidiaritätsprinzip; Eisenberg 10; aA Dallinger/Lackner 14). Das Familiengericht kann auch die von ihm getroffenen ErzMaßregeln nach § 11 I abändern, 8 denn auch die Änderung ist ein Teil der Auswahl, die der JRichter ihm überlassen hat (Dallinger/Lackner 22). Dagegen hat der überlassende JRichter (anders als beim ErwGericht § 65, 4; § 104, 8) bei Ungehorsam gem. § 11 III JA zu verhängen (§ 65), weil damit ein bes. Unrecht geahndet wird (§ 11, 4) und das Familiengericht nicht zur Ahndung und Verhängung von Zuchtmitteln befugt ist (Dallinger/Lackner 23; Potrykus § 11 B 4; Eisenberg 13; Ostendorf 10). Für ErwGericht § 65, 4. Das Familiengericht hat stets die Möglichkeit, neben den vom JRichter oder von ihm selbst gem. 9 § 53 angeordneten jrichterlichen ErzMaßregeln noch familiengerichtliche Maßnahmen des Bürgerlichen Rechts zu treffen, wie es diese auch anordnen kann, wenn das JGericht keine ErzMaßregeln für notwendig gehalten hat. ErzMaßregeln (§§ 9–12) stehen ihm dann nicht zur Verfügung (Dallinger/Lackner 15; Eisenberg 6; aA Potrykus B 7 für Weisungen). Widersprechende Maßnahmen müssen unbedingt vermieden werden. Sind Maßnahmen zweckmäßig, die nur das Familiengericht verhängen kann, sollte der JRichter solche anregen oder – wenn er zugleich als Familiengericht zuständig ist – solche selbst verhängen und nach deren Anordnung gem. § 47 I Nr. 2 verfahren. Zu § 55 I 1 s. dort Rn 9. Ordnet das Familiengericht (Rn 8) nach Rechtskraft des Urteils JA an, so ist sofortige Beschwerde 10 nach § 65 II 2 zulässig. Bei nachträglicher Änderung von Weisungen – nach Ostendorf 11 auch bei Ablehnung des Antrags, eine Weisung zu ändern – ist Beschwerde nach § 58 FamFG gegeben (Ei-
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§ 54
2. Teil. Jugendliche
senberg 18; Ostendorf 11), denn in diesem Falle schließt § 65 II 1 die Beschwerde nicht aus. Zur „Untätigkeit des Familiengerichts“ Rn 7.
§ 54 Urteilsgründe § 54 Urteilsgründe (1) Wird der Angeklagte schuldig gesprochen, so wird in den Urteilsgründen auch ausgeführt, welche Umstände für seine Bestrafung, für die angeordneten Maßnahmen, für die Überlassung ihrer Auswahl und Anordnung an das Familiengericht oder für das Absehen von Zuchtmitteln und Strafe bestimmend waren. Dabei soll namentlich die seelische, geistige und körperliche Eigenart des Angeklagten berücksichtigt werden. (2) Die Urteilsgründe werden dem Angeklagten nicht mitgeteilt, soweit davon Nachteile für die Erziehung zu befürchten sind. Abs. I 1. Hw.-J: Rn 15, 16; § 109 II 1. – 2. ErwG: RL 4; § 104 I Nr. 6. Abs. II 1. [Hw.-J]: Rn 19; § 109 II 1. – 2. ErwG: RL 4; § 104 I Nr. 6; § 112 S. 1, 2. Richtlinien zu § 54 1. Für die Entscheidung im Jugendstrafverfahren ist die Persönlichkeit des Jugendlichen von ausschlaggebender Bedeutung. Dies sollte sich auch in den Urteilsgründen widerspiegeln, zumal sie eine wertvolle Grundlage für die Erziehungsarbeit im Vollzug und andere spätere Maßnahmen bilden. Der Vorschrift, dass in den Gründen des schuldigsprechenden Urteils die seelische, geistige und körperliche Eigenart des Jugendlichen berücksichtigt werden soll, wird durch eine bloße Schilderung des Lebenslaufes nicht genügt. Das gilt namentlich für Urteile, in denen für Jugendliche eine Betreuungsweisung (§ 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5) erteilt, Hilfe zur Erziehung (§ 12) angeordnet, Jugendstrafe verhängt (§ 17 Abs. 2), die Schuld des Angeklagten festgestellt (§ 27) oder in einem der genannten Fälle gegen Heranwachsende Jugendstrafrecht wegen mangelnder Reife (§ 105 Abs. 1 Nr. 1) angewendet wird. 2. Die Verkündung des Urteils ist für die Erziehung von besonderer Bedeutung. Die mündliche Eröffnung der Urteilsgründe soll dem Wesen und dem Verständnis der Jugendlichen angepaßt sein. Alle nicht unbedingt gebotenen rechtlichen Ausführungen können unterbleiben. Erörterungen, die für die Erziehung der Jugendlichen nachteilig sein können, sollten vermieden werden. 3. Soll der Jugendliche eine Ausfertigung oder eine Abschrift des Urteils mit Gründen erhalten (etwa nach § 35 Abs. 1 Satz 2, § 316 Abs. 2, § 343 Abs. 2 StPO), so bestimmt der Vorsitzende, inwieweit ihm die schriftlichen Urteilsgründe mitgeteilt werden. Erhält der Jugendliche nur einen Auszug der Gründe, so wird dies auf der Ausfertigung oder der Abschrift vermerkt, die für ihn bestimmt ist. 4. § 54 gilt auch im Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten (§ 104 Abs. 1 Nr. 6), im Verfahren gegen Heranwachsende gilt nur § 54 Abs. 1, wenn das Gericht Jugendstrafrecht anwendet (§ 109 Abs. 2). Schrifttum: Rösch Handbuch für den JRichter, 2001. Übersicht 1. § 267 StPO und § 54 JGG . . . . . . . . . . . . . 2. Urteilstenor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel . . . . 4. Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe 5. Kostenausspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Einheitsjugendstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . 7. UHaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Urteilsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Abgekürzte Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Urteilsverkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Mitteilung der schriftlichen Urteilsgründe . .
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Rn 1 3 4 6 7 8 9 11 15 17 18 19
Urteilsgründe
1.
§ 54
§ 267 StPO und § 54 JGG
Auch im JRecht gilt § 267 StPO, der durch § 54 I ergänzt wird (OLG Jena NStZ-RR 98, 119; OLG 1 Hamm StV 01, 177; KG NStZ 07, 223). Die jrechtlichen Besonderheiten ergeben sich zwingend daraus, dass das JRecht ein Erz.- und Täterstrafrecht ist, bei dem ein Urteilsspruch nur bei Beachtung des § 54 wirklich begründet ist (OLG Jena aaO). Nur das Rubrum richtet sich allein nach allg. Recht. Eisenberg (9–12) regt an, das Wort „verur- 2 teilt“ in der „Urteils“-Formel zu vermeiden. Das ergibt sich für ErzMaßregeln und Zuchtmittel zwanglos (vgl. Rn 4) und gut begründbar, bei der JStrafe allerdings ist „verurteilt“ trotz der Formulierung „verhängt“ in § 17 II nicht nur unschädlich, sondern ehrlicher. 2.
Urteilstenor
Die Tat wird wie im allg. Recht mit der gesetzlichen Überschrift bezeichnet (§ 260 IV 1, 2 3 StPO), nach der Urteilsformel werden die angewendeten Vorschriften nach Paragraph, Absatz, Nummer und Buchstabe und mit der Bezeichnung des Gesetzes aufgeführt (§ 260 V StPO; vgl. dazu BGH NJW 78, 230; BayObLG NJW 72, 1149). Der Ausspruch, dass es sich um einen bes. schweren Fall handelt (zB § 243 StGB), unterbleibt bei Anwendung von JStrafrecht, da § 243 StGB Strafzumessungsvorschrift ist (BGH MDR 76, 769; BGH H MDR 82, 625; OLG Köln Zbl. 78, 45). Allg. zum Tenor BGH 41, 315 = NStZ 96, 279 mit zust. Anm. Brunner; BGH NJW 78, 229. Freispruch, Verhängung von Maßregeln der Besserung und Sicherung, Anordnung von Nebenstrafen und -folgen sowie Verurteilung zur JStrafe einschließlich einer Strafaussetzung zur Bew. erfolgen wie im allg. Recht. Dabei kann es sich empfehlen zu formulieren . . . „ist schuldig“ . . . und dann erst „. . . wird deshalb verurteilt“ . . . Bei Freispruch wegen Strafunmündigkeit kann zugleich im Urteilssatz eine Maßnahme nach § 3 S. 2 angeordnet werden. 3.
Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel
Bei Anordnung von ErzMaßregeln und Zuchtmitteln lautet der Urteilsspruch: „Der Angeklagte 4 ist eines . . . schuldig. Ihm wird die Weisung erteilt, . . .“ oder noch zutreffender: „Zu seiner Erz. werden Weisungen angeordnet; zunächst wird er angewiesen . . .“ (§ 10, 1); die Laufzeit der Weisung ist anzugeben (§ 11 I), denn es sollen klare Verhältnisse geschaffen werden (BGH B NStZ-RR 01, 321). – „Es wird ErzBeistandschaft oder Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 angeordnet, oder: Für ihn wird NN zum ErzBeistand bestellt. – Er ist zu verwarnen. – Ihm wird auferlegt . . . (§ 15). – Es wird auf . . . JA erkannt“. – Wichtig ist, Weisungen und Auflagen sehr genau zu fassen (§ 10, 9 c; § 11, 6; § 23, 2). Zur Wiedergutmachungsauflage § 15, 6. Die Verwarnung darf nicht im Urteilssatz erteilt werden (§ 14, 5). Bei ErzMaßregeln ist nicht anzuführen, dass von Zuchtmitteln und JStrafe abgesehen wurde; denn dies ist vom Gesetz vorgeschrieben, wenn ErzMaßregeln ausreichen. Zu JA u. EinheitsJStrafe Rn 8. Wird Auswahl und Anordnung der ErzMaßregeln dem Familiengericht überlassen, ergeht 5 folgendes Urteil: „Der Angeklagte ist eines . . . schuldig. Es soll bei ErzMaßregeln sein Bewenden haben. Ihre Auswahl und Anordnung wird dem Familiengericht überlassen.“ 4.
Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe
Bei der Aussetzung der Verhängung der JStrafe (§ 27) lautet das Urteil: „Der Angeklagte ist ei- 6 nes . . . schuldig. Die Entscheidung über die Verhängung einer JStrafe wird zur Bew. ausgesetzt.“ Die BewZeit wird in einem bes. Beschluss festgesetzt (§§ 62 IV, 58 I). Im Nachverfahren (§ 30) lautet die Entscheidung entweder: „Der im Urteil vom . . . gegen den Angeklagten getrof-
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§ 54
2. Teil. Jugendliche
fene Schuldspruch ist zu tilgen“; oder: „Aufgrund (Eisenberg 16; Ostendorf 8 schlägt vor „in Ergänzung“) des Urteils . . . wird der Angeklagte zu . . . JStrafe verurteilt.“ Anrechnung erlittener UHaft ist erst im Nachtragsverfahren (§ 30) möglich, eine Entscheidung hierüber dort aber auch notwendig (§ 27, 10; § 30, 12). 5.
Kostenausspruch
7 Der Kostenausspruch erfolgt wie im allg. Recht (Eisenberg 23; Ostendorf 5; für Ausnahmen aus erz. Gründen Dallinger/Lackner § 74, 15). Bei Anwendung des § 74 kann entweder der Kostenausspruch im Urteilssatz lauten: „Die Kosten trägt die Staatskasse“ oder „von der Auferlegung von Kosten wird abgesehen“. Unterbleibt der Kostenausspruch im Urteilssatz ganz, erhält die Staatskasse keinen Kostenschuldner, was dann in den Gründen darzulegen ist (OLG Schleswig SchlHA 56, 299), aber § 464 I StPO verletzt. Die Anfechtbarkeit der Kostenentscheidung bleibt dadurch unberührt (OLG Schleswig aaO). Zur Begründung der Kostenentscheidung hat BGH Herlan GA 59, 47 die Feststellung der JKammer genügen lassen, „die Kostenentscheidung rechtfertigt sich nach den §§ 465, 467 StPO“, weil darin zum Ausdruck komme, dass das Gericht den § 74 nicht anwenden wolle. In BGH 16, 261 dagegen wird eine ausführliche Erörterung der Auferlegung der Kosten jedenfalls dann verlangt, wenn mehrere J mit unterschiedlichen finanziellen Verhältnissen in gleicher Weise zu den Kosten verurteilt werden. – Wegen der bes. Lage, wenn ein Nebenkläger beteiligt ist, § 74, 8. 6.
Einheitsjugendstrafe
8 Die Einbeziehung nach § 31 erfolgt so: „Der Angeklagte wird unter Einbeziehung des Urteils . . . wegen der dort genannten Taten (dazu BGH B NStZ 88, 492 in § 31, 12 aE) und wegen . . . zu . . . JStrafe verurteilt“ (§ 31, 12; oder bei ErzMaßregeln u. Zuchtmitteln die entsprechende Fassung). Die aufgrund des einbezogenen Urteils schon verbüßte JStrafe ist zwingend auf die neue EinheitsJStrafe anzurechnen; das gehört nicht in die Urteilsformel (BGH 41, 315 = NStZ 96, 279 mit zust. Anm. Brunner; näher § 31, 14). Soll hingegen verbüßter JA angerechnet werden, so ist das in den Urteilstenor aufzunehmen (näher § 31, 14), der lauten kann: „Auf diese Strafe wird der aufgrund des Urteils vom . . . verbüßte JA in Höhe von . . . angerechnet.“ Zur Anrechnung erlittener UHaft vgl. § 31, 14. 7.
UHaft
9 Wird UHaft bei JA berücksichtigt, so ist der JA ohne Rücksicht darauf auszusprechen (Rn 4), aber anzufügen: „Dieser JA wird mit Rücksicht auf die vom Angeklagten erlittene UHaft nicht (oder: nur noch in Höhe von . . .) vollstreckt.“ – Die Anrechnung von UHaft auf JStrafe erfolgt nach § 52 a S. 1 kraft Gesetzes und muss daher nicht in den Tenor aufgenommen werden (BGH 24, 30; 27, 288 zu § 51 I 1 StGB; BGH B NStZ 97, 484). Die Anordnung nach § 52 a S. 2 ist dagegen im Tenor auszusprechen (BGH 24, 30). Dies erfolgt etwa so: „Die Anrechnung von 2 Monaten der erlittenen UHaft unterbleibt.“ Über vor dem Schuldspruch nach § 27 erlittene UHaft wird erst im Nachverfahren entschieden (§ 30, 12). Zur EinheitsJStrafe § 31, 14. 10 Wo Hw. nach allg. Recht abgeurteilt werden, gilt nichts Besonderes; es ist aber § 106, 7 zu beachten. 8.
Urteilsbegründung
11 Neben § 267 StPO ist folgendes zu beachten: Zuerst ist der Sachverhalt nach der äußeren und inneren Tatseite zu schildern. Zu dieser Tatschilderung gehört im JRecht als Erz.- und Täter-
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Urteilsgründe
§ 54
strafrecht eine Schilderung des Täters, seiner Familie, Entwicklung und Umwelt mit Lebenslauf sowie seiner Eigenarten, also das Ergebnis der Persönlichkeitserforschung (RL 1; § 43). Diese Schilderung ist ein Teil der vom Gericht zu treffenden Feststellungen, die auch bei Erw. nicht fehlen darf (BGH bei Miebach NStZ 89, 15); sie gehört an den Anfang, vor die Darstellung der Tat (Dallinger/Lackner 14; Eisenberg 28; aA Ostendorf 14: erst bei Begründung der Sanktion), denn diese soll sich ja gerade aus den Feststellungen zur Person erklären lassen und die Darstellung soll zeigen, ob die Tat eher episodisch (Einf. I 12 u. 15 aE), tiefer verwurzelt oder nur aus bes. äußeren Umständen entsprungen ist. Die bloße Schilderung des Lebenslaufs wäre ungenügend; das gilt bes. für Rechtsfolgen nach § 10 I S. 3 Nr. 5, § 12, § 17 II, § 27 oder bei § 105 I Nr. 1 (RL 1 S. 3 u. 4). Aus dem Sachverhalt sollten sich insbes. auch die prognostisch relevanten Dimensionen herauslesen lassen (vgl. Einf. I 52 ff, bes. 52 e). Eine eingehende Persönlichkeitsschilderung dient der ErzArbeit im Vollzug und hilft, spätere Maßnahmen wirkungsvoller zu treffen (RL 1 S. 1 u. 2). Vgl. auch Rn 15 u. § 43, 5. – Es darf nur aufgenommen werden, was zur Überzeugung des Gerichts entsprechend den Prozessgrundsätzen festgestellt wurde (§ 38, 13); doch kann das im Rahmen der Persönlichkeitsermittlung Festgestellte auch berücksichtigt werden, soweit es nicht Gegenstand der Anklage war (vgl. BGH NJW 51, 770). Hierauf ist das Vorbringen des Angeklagten möglichst zusammenhängend darzustellen. Dann 12 sind unter Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Angeklagten und den Beweismitteln die für die richterliche Überzeugung maßgebenden Gründe darzutun. Es folgt die rechtliche Würdigung. Bei mehreren Gesetzesverletzungen ist ihr Verhältnis dar- 13 zulegen (§ 31, 1). Anschließend muss festgestellt werden, dass der Täter J oder Hw. ist, und – nur bei J, nicht bei 14 Hw. – die Frage der Strafmündigkeit erörtert werden. Bestehen keine Zweifel, genügt die kurze Feststellung, das Gericht habe nach der Entwicklung und dem Auftreten des J in der Verhandlung sowie nach seiner Einlassung und Verteidigung die Überzeugung gewonnen, dass er zZ der Tat die Einsichtsfähigkeit in geistiger und sittlicher (BGH EJF C I 3) Hinsicht, auch Hemmungsvermögen besessen habe und für seine Tat verantwortlich sei. Das Fehlen dieser Feststellung begründet die Revision wegen eines sachlich-rechtlichen Mangels oder wegen ungenügender Sachaufklärung (§ 244 II StPO; Momberg Die Ermittlungstätigkeit der JGH u. ihr Einfluss auf die Entscheidung des JRichters, Diss. Göttingen 1982 S. 130). Bestehen Zweifel, ob Verstandesreife, Erkenntnisfähigkeit und Hemmungsvermögen vorliegen, oder soll die Verantwortlichkeit verneint werden, ist eine eingehende Begründung erforderlich. Auch im letztgenannten Fall können die bis hierher geforderten Ausführungen grds. nicht unterbleiben oder gekürzt werden (§ 3, 7). Doch ist Einstellung durch Beschluss möglich (§ 47 I 1 Nr. 4; § 47, 10), für den das oben Gesagte auch gilt.
9.
Strafzumessung
Insbes. ist die Strafzumessung sorgfältig zu begründen (vgl. § 18, 7 ff). Bei Hw. muss zunächst 15 eingehend erörtert werden, warum J- oder ErwRecht angewendet wird (BGH MDR 54, 694; OLG Hamm MDR 69, 601; StV 01, 182; Schaffstein NJW 55, 1578; vgl. auch Rn 16). Ist ein Antrag auf Anwendung des JRechts gestellt, ist dieser entsprechend § 267 II StPO in den Gründen zu verbescheiden (BGH Herlan GA 56, 347). – Bei Anwendung von ErwRecht gelten für die weiteren Ausführungen die allg. Grundsätze. – Bei Anwendung von JRecht enthält § 54 I eine gegenüber § 267 III 1 StPO erweiterte Begründungspflicht, die eine sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Lebenslauf und der Tat des Angeklagten, eine Darstellung der für die Rechtsfolgenzumessung wesentlichen Umstände und eine Begründung der Erforderlichkeit der verhängten Rechtsfolgen verlangt (OLG Hamm StV 02, 404, 405; ZJJ 08, 78, 79; KG NStZ 07, 223, 224). Die Anforderungen an die Begründung steigen mit der Schwere der verhängten Rechtsfolge (OLG
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§ 54
2. Teil. Jugendliche
Frankfurt StV 03, 459; KG aaO; Eisenberg 24). Es ist stets darzulegen, ob, ggf. warum nicht ErzMaßregeln ausreichen. Bei Zuchtmitteln ist anzugeben, dass und warum JStrafe nicht geboten ist; bei JStrafe auch, warum Zuchtmittel nicht ausreichen. Bei der Verhängung von JStrafe ist eine bes. sorgfältige Sanktionsbegründung erforderlich (OLG Jena NStZ-RR 98, 119; OLG Celle StV 01, 180). Insbes. muss das Vorliegen schädlicher Neigungen eingehend – und nicht nur formelhaft – begründet und angegeben werden, welcher Art diese sind (OLG Hamm StV 01, 177). Zu früheren Straftaten, mit denen schädliche Neigungen begründet werden, müssen konkrete tatsächliche Feststellungen getroffen werden und der Richter muss sich damit auseinandersetzen, warum gerade die abgeurteilte Tat die Verhängung einer JStrafe erfordert (OLG Hamm StV 99, 658). Wegen der Strafhöhe § 18, 6, 7. Bei JA muss auch die gewählte Form begründet werden. – Ebenfalls begründet werden muss das Absehen von Zuchtmitteln und JStrafe nach § 5 III und dargelegt werden müssen die Gründe für die Überlassung der Auswahl und Anordnung von ErzMaßregeln an das Familiengericht und die Gründe für die Aussetzung der Verhängung von JStrafe zur Bew. (hier bes., worin die Ungewissheit besteht und welche Maßnahmen vergeblich zu ihrer Beseitigung getroffen wurden). – Die Beziehungen zur Entwicklung des J bei § 21 II sind sorgfältig darzustellen (§ 21, 11). – Wie im allg. Recht sind nicht alle, sondern nur die für die Entscheidung des Gerichts bestimmenden Umstände anzuführen. Hinsichtlich der Begründung einer Strafaussetzung zur Bew. und der Wertung des Prozessverhaltens des Angeklagten gelten die Grundsätze des allg. Rechts; wegen des Vorbehalts der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung § 57, 2. – Im Einzelfall kann es sinnvoll sein, aufgrund der in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse Hinweise für die Vollzugsgestaltung – mit der gebotenen Zurückhaltung (dazu Rn 18 aE u. Einf. I 53 aE) – in das Urteil aufzunehmen (Meyer Richterliche Erwägungen bei der Verhängung von JStrafe u. deren Berücksichtigung durch Vollzug u. BewHilfe, Diss. Köln 1994 S. 25). Nach den Befunden von Meyer (aaO, S. 78, 80 f, 89, 90) setzen sich Vollzug u. BewHilfe jedoch häufig nicht mit den im Urteil enthaltenen Aussagen auseinander. Zur Verwirklichung des „durchgängigen ErzAuftrags“ des JGG (Meyer aaO, S. 37) bedarf es daher einer verbesserten Zusammenarbeit von Gericht, Vollzug u. BewHilfe. 16 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt ist bes. eingehend zu begründen (§ 7, 2, 3). Enthält ein Urteil (Unterbringung) zur Frage, ob JRecht oder ErwRecht angewendet wurde, nichts, so ist wegen des Begründungszwangs zu § 105 von der Anwendung von ErwRecht auszugehen (OLG Celle MDR 75, 953; vgl. dazu § 85, 9 aE). 10.
Abgekürzte Urteile
17 Abgekürzte Urteile nach § 267 IV StPO sind zwar zulässig (ebenso Dallinger/Lackner 23; Eisenberg 26), jedoch gilt auch für sie § 54. Bei Rechtskrafteintritt nach § 55 II gilt § 267 IV StPO nicht; die fehlende Darstellung der Beweiswürdigung in den abgekürzten Urteilsgründen verletzt das Willkürverbot (BVerfG StV 05, 64). Wesentliche Verkürzungen sind auch im Übrigen nicht möglich und sollten auch deshalb vermieden werden, weil nur eingehende Darlegungen im JGerichtsurteil für Vollzug und bei späteren Straftaten eine zuverlässige, der Bedeutung entsprechende Grundlage schaffen können (RL 1; ähnlich Dallinger/Lackner u. Eisenberg aaO; Ostendorf 13; Momberg [Rn 14] S. 28). Über das Urteil im vereinfachten JVerfahren § 78, 21. 11.
Urteilsverkündung
18 Das Urteil ist wie im allg. Recht zu verkünden; dabei dürfen aber Umstände nicht erörtert werden, die für die Erz. des J von Nachteil sein können (RL 2 S. 4), da der J nicht entfernt werden darf (§ 51), Abs. II aber auch für die mündliche Begründung gilt (vgl. Hauber/Mayer-Rose Zbl. 83, 484). Eine eindrucksvolle Urteilsverkündung, die dem Wesen und Verständnis des J angepasst ist,
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Anfechtung von Entscheidungen
§ 55
kann großen erz. Wert haben (RL 2 S. 1, 2, 4; s. Einf. I 53). Dabei ist für den J viel wichtiger, warum er verurteilt wurde und was die Folgen sind, als aus welchem Rechtsgrund sich das herleitet (RL 2 S. 3). – Daran hat sich die Rechtsmittelbelehrung (bei Ausländern Einf. I 21) anzuschließen, wenn nicht auf Rechtsmittel verzichtet wird (§ 35 a StPO); diese Belehrung erfordert bes. Takt. Was ungeschickte Rechtsmittelbelehrung anzurichten vermag, erhellt daraus, dass Middendorff (JKriminologie, 1956 S. 190) die Rechtsmittelbelehrung im JStrafverfahren aus erz. Gründen entfallen lassen will (zust. Hauber/Mayer-Rose Zbl. 83, 493; abl. Eisenberg 44; Ostendorf Grdl. zu §§ 56, 54). Es stehen in der Tat rechtsstaatliche Gründe dagegen. Hinweise auf vorzeitige Entlassung aus dem Vollzug sollten unterbleiben, weil sie leicht missverstanden werden und dort die ErzArbeit erschweren könnten.
12.
Mitteilung der schriftlichen Urteilsgründe
Dem Hw. sind die schriftlichen Urteilsgründe voll mitzuteilen, da § 109 II 1 bei dem volljähri- 19 gen Hw. im Falle der Anwendung von JStrafrecht nur § 54 I für entsprechend anwendbar erklärt (RL 4). Bei J gilt nach Abs. II Folgendes: Von den schriftlichen Urteilsgründen, die alles enthalten müssen, dürfen dem j. Angeklagten solche Teile nicht mitgeteilt werden, die Nachteile für seine Erz. befürchten lassen. Soweit möglich sollte hier – bes. bei inzwischen volljährigen Tätern – Zurückhaltung geübt werden und das Urteil möglichst so gefasst werden, dass auch der Angeklagte es ganz lesen kann. Die Entscheidung trifft der Vorsitzende (RL 3; Dallinger/Lackner 26; Eisenberg 45; Potrykus B 4). Die Tatsache, dass es sich nur um einen Auszug handelt, ist auf der Ausfertigung zu vermerken. – Die Erteilung nur eines Auszuges der Urteilsgründe auch an ErzBerechtigte und gesetzliche Vertreter ist mangels entsprechender Bestimmung nicht möglich (Dallinger/Lackner 27; Eisenberg 46; Ostendorf 23; Nothacker S. 346 mit FN 360; aA Potrykus B 4, wenn ein erz. ungünstiger Missbrauch zu befürchten ist). 20
Wegen BewHilfe, BewZeit u. BewAuflagen sowie Kosten §§ 58, 62 IV, 60, 64 u. 74.
Dritter Unterabschnitt Rechtsmittelverfahren § 55 Anfechtung von Entscheidungen § 55 Anfechtung von Entscheidungen (1) Eine Entscheidung, in der lediglich Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel angeordnet oder die Auswahl und Anordnung von Erziehungsmaßregeln dem Familiengericht überlassen sind, kann nicht wegen des Umfangs der Maßnahmen und nicht deshalb angefochten werden, weil andere oder weitere Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel hätten angeordnet werden sollen oder weil die Auswahl und Anordnung der Erziehungsmaßregeln dem Familiengericht überlassen worden sind. Diese Vorschrift gilt nicht, wenn der Richter angeordnet hat, Hilfe zur Erziehung nach § 12 Nr. 2 in Anspruch zu nehmen. (2) Wer eine zulässige Berufung eingelegt hat, kann gegen das Berufungsurteil nicht mehr Revision einlegen. Hat der Angeklagte, der Erziehungsberechtigte oder der gesetzliche Vertreter eine zulässige Berufung eingelegt, so steht gegen das Berufungsurteil keinem von ihnen das Rechtsmittel der Revision zu. (3) Der Erziehungsberechtigte oder der gesetzliche Vertreter kann das von ihm eingelegte Rechtsmittel nur mit Zustimmung des Angeklagten zurücknehmen.
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§ 55
2. Teil. Jugendliche
(4) Soweit ein Beteiligter nach Absatz 1 Satz 1 an der Anfechtung einer Entscheidung gehindert ist oder nach Absatz 2 kein Rechtsmittel gegen die Berufungsentscheidung einlegen kann, gilt § 356 a der Strafprozessordnung entsprechend. 1. Hw.-J: Rn 18; RL 3; § 109 II 1, § 112 S. 1, 2. – 2. ErwG: RL 3; § 104 I Nr. 7. Richtlinien zu § 55: 1. Aus erzieherischen Gründen ist es regelmäßig erwünscht, dass das Jugendstrafverfahren möglichst schnell zum Abschluß gebracht wird. Bei der Einlegung von Rechtsmitteln zuungunsten des Angeklagten ist daher besondere Zurückhaltung geboten (vgl. im übrigen Nr. 147 ff RiStBV). 2. Die Anfechtung der im Verfahren bei Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung oder bei Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe ergehenden Entscheidungen ist in den §§ 59 und 63 geregelt. Für die Anfechtung nachträglicher Entscheidungen über Weisungen wird auf § 65 Abs. 2 hingewiesen. Wegen der Anfechtung von Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren wird auf § 83 Abs. 3 Satz 1 hingewiesen. 3. § 55 gilt auch im Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten (§ 104 Abs. 1 Nr. 7), im Verfahren gegen Heranwachsende nur, wenn das Gericht Jugendstrafrecht anwendet (§ 109 Abs. 2). Schrifttum: Baumann L. A. Das strafprozessuale Verbot der reformatio in peius u. seine Besonderheiten im JStrafrecht, 1999; Block Fehlerquellen im JStrafprozess – Eine Untersuchung der Fehlerquellen im JStrafrecht anhand von Revisionsverfahren, 2005; Bode Das Wahlrechtsmittel im Strafverfahren, 2000; Ganske Der Begriff des Nachteils bei strafprozessualen Verschärfungsverboten, 1960; Kretschmann Das Verbot der reformatio in peius im JStrafrecht, Diss. Saarbrücken 1968; Kretschmer Das strafprozessuale Verbot der reformatio in peius u. die Maßregeln der Besserung und Sicherung, 1999; Momsen Die Rechtsmitel in JStrafsachen – Beschränkung oder Vereinheitlichung?, ZJJ 04, 49; Röhling Übertragbarkeit der Rechtsmittelbeschränkung des § 55 II JGG auf das ErwStrafrecht?, ZRP 09, 17; Schaumann Die Rechtsmittelbeschränkung des § 55 JGG, 2001. Übersicht 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anfechtungsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirkung für den Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausbleiben bei Berufung des gesetzlichen Vertreters 5. Verzicht, Teilanfechtung, Rücknahme . . . . . . . . . 6. Beschränkung des Rechtsmittels . . . . . . . . . . . . . 7. Rechtsmittel bei ErzMaßregeln und Zuchtmitteln . . 8. Nur ein Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Mehrere Anfechtungsberechtigte . . . . . . . . . . . . 11. Unzulässiges Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Verschlechterungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. ErzMaßregeln und Zuchtmittel . . . . . . . . . . . . . 14. JStrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. UHaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Strafaussetzung zur Bewährung . . . . . . . . . . . . . 17. BewAuflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18. Sanktionen nebeneinander . . . . . . . . . . . . . . . . 19. Maßregeln der Besserung und Sicherung . . . . . . . 20. Nebenstrafen, Nebenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . 21. Kostenentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22. JRecht – ErwRecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23. JStrafe – Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24. Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 und JA . . . . . . . . . . 25. Geldstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26. Bei besonderen Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . 27. Bei Beschlüssen und Rechtsbeschwerden . . . . . . . 28. Sanktionen ohne Verschlechterungsverbot . . . . . . 29. Wiedereinsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30. Im Wiederaufnahmeverfahren . . . . . . . . . . . . . .
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Rn 1 2 3 4 5 6 8 13 17 19 20 21 22 26 30 31 32 33 34 36 37 38 39 42 43 44 45 47 47 a 48
Anfechtung von Entscheidungen
1.
§ 55
Allgemeines
Auch im JRecht gelten grds. die Vorschriften des allg. Rechts über Rechtsmittel (nicht aber die- 1 jenigen über die Annahmeberufung, DSS/Schoreit 2; Ebert JR 98, 271; Schäfer NStZ 98, 334; aA OLG Stuttgart ZJJ 09, 156). § 55 beschränkt jedoch die Rechtsmittel nicht unerheblich (Rn 8, 13), um das Strafverfahren möglichst rasch abzuschließen, wie es erz. geboten ist (RL 1 S. 1; § 43 RL 6 S. 1; BVerfG NStZ-RR 07, 385, 386; BayObLG 04, 139; die Vorschrift grds. befürwortend Schaumann S. 198 f; Mann S. 227). Eisenberg 35; Nothacker GA 82, 453; Bottke ZStW 83, 102 halten gegen BVerfG NStZ 88, 34, BayObLG 54, 28; NJW 56, 1488; NJW 64, 1084 und Dallinger/Lackner § 2, 7; Böhm/Feuerhelm S. 95; Schaffstein/Beulke S. 261; einschränkend Ostendorf Grdl. zu §§ 55, 56 Rn 4, diese hM schon im Hinblick auf den ohnehin bestehenden Zeitraum zwischen Tatbegehung und rechtskräftiger Verurteilung für wenig überzeugend. Den Beschleunigungsgrundsatz selbst hält Eisenberg allerdings für legitimiert (Rn 37). Das BVerfG (NStZ 88, 34) hat erkannt, dass die Einschränkung der Anfechtbarkeit jgerichtlicher Urteile nach Abs. II auf sachlich einleuchtenden Gründen beruht und mithin nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 I GG verstößt; ebenso BayObLG 56, 163, OLG Oldenburg NStZ 09, 451 u. Burscheidt S. 127, 154. Für rechtsstaatliche Unbedenklichkeit der Rechtsmittelbeschränkungen auch Miehe JStrafrecht. Kurseinheit 3, 1994 S. 58 u. in JStrafrecht an der Wende S. 158; für Verfassungswidrigkeit des Abs. II im Falle der Verhängung von JStrafe Bode S. 142. Nach Schäfer NStZ 98, 335 hat sich Abs. II bewährt (aA Bode, S. 157; Meyer-Goßner FS Eisenberg, 2009 S. 408). Auch § 59 I, der bei einer auf die Strafaussetzung zur Bew. beschränkten Anfechtung statt Berufung oder Revision sofortige Beschwerde zulässt, ist eine Rechtsmittelbeschränkung. Über diese gesetzlichen Beschränkungen hinaus übt der JStA im Interesse des raschen Abschlus- 1 a ses des Verfahrens bes. Zurückhaltung bei der Einlegung von Rechtsmitteln (RL 1 S. 2). – Weitere Regelungen über Rechtsmittel (vgl. RL 2) enthalten die §§ 47 II 3, 59, 63, 65 II, 66 II 3, 71 II 2, 73 II, 77 I 3, 83 III 1, 88 VI 3, 99 III. Zu beachten ist, dass die Rechtsmittelfrist im vereinfachten JVerfahren für den StA, der nicht in der Sitzung war, erst von der Zustellung des Urteils ab läuft (§ 78, 18, 21; OLG Neustadt NJW 63, 1074). Nothacker (GA 82, 451) kommt zusammenfassend (S. 468) allerdings zum Ergebnis, dass die ausschließliche Legitimation der bes. Rechtsmittelbeschränkung des § 55 bei der Auslegung der Vorschrift weithin ohne Berücksichtigung bleibe, was eine rechtlich bedenkliche extensive Anwendung unter allg. prozesswirtschaftlichen Gesichtspunkten begünstige. – Zur Zahl der Rechtsmittel im JStrafrecht, die erheblich geringer ist als im ErwStrafrecht, vgl. Ostendorf NJ 95, 65.
2.
Anfechtungsberechtigte
Der J ist ohne Rücksicht auf Geschäftsfähigkeit (vgl. OLG Frankfurt JR 64, 393), Alter und ohne 2 Bindung an die Maßnahmen der gesetzlichen Vertreter oder ErzBerechtigten berechtigt, selbständig Rechtsmittel einzulegen, zu beschränken, zurückzunehmen oder zu verzichten, soweit er nur verhandlungsfähig ist (dazu näher Rn 5 a). Das ist einhellige Meinung (Eisenberg 5; Ostendorf 3). Ist der J anwaltlich nicht vertreten, wird der Richter ihn vor einer Rechtsmittelbeschränkung oder -rücknahme sorgsam und verständlich beraten, um Rechtsnachteile zu vermeiden. Zu den Rechtsfragen bei Übergang zur Volljährigkeit Rn 2 a. Anfechtungsberechtigt sind außerdem: Der Verteidiger, jedoch nicht gegen den ausdrücklichen 2 a Willen des Angeklagten (§ 297 StPO). Diese Beschränkung gilt nicht bei ausdrücklichem Auftrag der gesetzlichen Vertreter und der ErzBerechtigten; er wird dann als deren Beauftragter tätig (Eisenberg 6). Haben J und Verteidiger wirksame Rechtsmittel eingelegt, so gilt das zuerst bei Gericht eingegangene. Bei gleichzeitiger Einlegung von Berufung und (Sprung)Revision aber hat die Berufung als das umfassendere Rechtsmittel Vorrang (BayObLG VRS Bd 53 [77], 362; OLG Hamm VRS Bd 77 [89], 68). Bei J (nicht bei den – volljährigen – Hw. § 109 I 1) haben der gesetz-
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§ 55
2. Teil. Jugendliche
liche Vertreter (§ 298 I StPO; § 67, 1) und der ErzBerechtigte (§ 67 III; zur Kostenhaftung für das Rechtsmittel § 74, 12) bis zur Volljährigkeit (§ 67, 18) des J ein selbständiges Anfechtungsrecht zugunsten des Angeklagten, auch gegen dessen Willen. Ein von ihnen vor der Volljährigkeit eingelegtes Rechtsmittel wirkt nach Volljährigkeit des Angeklagten für diesen weiter, selbst wenn er vorher auf ein eigenes Rechtsmittel verzichtet hat (BGH 10, 174; Löwe/ 25 Rosenberg/Gollwitzer § 298 StPO 12; Pentz GA 58, 303; Pohlmann Rpfl. 63, 368). Die nach Volljährigkeit anfallende Revisionsbegründung obliegt dem Angeklagten, auch wenn der ErzBerechtigte oder gesetzliche Vertreter Revision eingelegt hat (RG 42, 342; BGH 10, 174; Dallinger/Lack25 ner § 67, 26; Eisenberg 5; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer § 298 StPO 12; Pentz u. Pohlmann aaO; Potrykus NJW 57, 1936; aA Ostendorf 4). Nach Volljährigkeit können diese weder ein Rechtsmittel einlegen noch zulässig begründen. – Das Anfechtungsrecht besteht nur innerhalb der für den Angeklagten laufenden Fristen, allerdings ggf. mit dem Recht der Wiedereinsetzung (§ 67, 10). Weil der J selbständig Rechtsmittel einlegen darf (Rn 2), kann ein minderjähriger Gefangener auch Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 92 gegen Anordnungen der Vollzugsbeamten stellen (OLG Frankfurt JR 64, 393). Zur Zurücknahme u. Beschränkung Rn 5. 2 b Nicht anfechtungsberechtigt sind der Beistand, da er die Rechte des Verteidigers nur in der Hauptverhandlung hat (§ 69 III 2; Dallinger/Lackner Vorb. 3 vor § 55; Eisenberg 8; Ostendorf 5; Potrykus unterschiedlich B 2 u. § 69 B 4), auch wenn es der Ehegatte des Angeklagten ist (vgl. BGH H MDR 78, 625; Eisenberg 8), der ErzBeistand nach § 12 Nr. 1 (OLG Hamburg NJW 64, 605), auch nicht die JGH (§ 38, 5) und die für Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 zuständige Stelle. Anders Ostendorf 4 u. § 67, 4.
3.
Wirkung für den Angeklagten
3 Das Rechtsmittel wirkt, gleich, wer es eingelegt hat, immer für den Angeklagten; er ist – auch nach eigenem Rechtsmittelverzicht – Verfahrensbeteiligter und deshalb zB zu selbständiger Anfechtung berechtigt, wenn das Gericht ein vom gesetzlichen Vertreter eingelegtes Rechtsmittel zu Unrecht als unzulässig verworfen hat (OLG Celle NJW 64, 417; OLG Hamm NJW 73, 1850). Vgl. dazu Rn 12 a.
4.
Ausbleiben bei Berufung des gesetzlichen Vertreters
4 Hat der J keine, der gesetzliche Vertreter (oder ErzBerechtigte) aber Berufung eingelegt, so gilt für die Berufungsverhandlung Folgendes: Erscheinen der J und der gesetzliche Vertreter ohne genügende Entschuldigung nicht, so ist die Berufung wie im ErwRecht unter den Voraussetzungen des § 329 I StPO sofort zu verwerfen (§ 330 II 2 StPO). – Erscheint nur der gesetzliche Vertreter oder dessen bevollmächtigter Rechtsanwalt (OLG Bremen NJW 60, 1171), so kann, wie beim Rechtsmittel des Staatsanwalts, verhandelt werden (§§ 330 II 2, 329 II 1 StPO) – bei J stets bedenklich (vgl. § 50 I sowie Eisenberg 21; Ostendorf 10 u. Schäfer NStZ 98, 334) – oder gem. § 330 I StPO Vorführung des J angeordnet werden. Dagegen kann die Berufung nicht gem. § 329 StPO verworfen werden (OLG Bremen aaO; hM), da es sich um ein selbständiges Rechtsmittel handelt, das der gesetzliche Vertreter nicht ohne Zustimmung des Angeklagten zurücknehmen kann (§ 55 III). Aus gleichem Grund darf auch kein Haftbefehl gegen den nicht erschienenen J gem. 25 § 230 II StPO ergehen (Eisenberg 21; Ostendorf 10; Meyer-Goßner 2; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer 5 je zu § 330 StPO). – Erscheint der J, jedoch nicht der gesetzliche Vertreter, so ist ohne diesen zu verhandeln (§ 330 II 1 StPO). Wegen der Kosten bei Berufung des gesetzlichen Vertreters § 74, 12.
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Anfechtung von Entscheidungen
5.
§ 55
Verzicht, Teilanfechtung, Rücknahme
Für Rechtsmittelverzicht, Teilanfechtung und Rücknahme eines Rechtsmittels gilt allg. Recht. 5 Der gesetzliche Vertreter und der ErzBerechtigte können jedoch das von ihnen eingelegte Rechtsmittel nach § 55 III nur mit Zustimmung des Angeklagten zurücknehmen, was auch für nachträgliche Rechtsmittelbeschränkung gilt (OLG Düsseldorf NJW 57, 840; Eisenberg 11; Ostendorf 4). Hat der StA zugunsten des J Rechtsmittel eingelegt, bedarf er gem. § 302 I 2 StPO zur Zurücknahme der Zustimmung des J. Zum J Rn 2. Ein Anlass zur Einschaltung der gesetzlichen Vertreter beim J besteht nicht, da diese ein selbständiges Anfechtungsrecht haben (§ 298 StPO). Ein Vertrauensschutz wie im umgekehrten Fall (§ 55 III) ist nicht nötig, da ja der gesetzliche Vertreter seine Rechte zum Schutz des noch Minderjährigen hat, auf dessen Entschlüsse noch nicht uneingeschränkt gebaut werden kann. – Das alles gilt entsprechend sowohl für Handlungen des Verteidigers im Auftrag des Angeklagten als auch für Rechtsmittelverzicht, -beschränkung und Teilanfechtung (§ 302 II StPO). In der nachträglichen Revisionsbeschränkung durch den Verteidiger liegt jedoch nach BGH 38, 4 gegen die frühere Rechtsprechung keine Teilrücknahme, die der ausdrücklichen Ermächtigung durch den Angeklagten bedarf. Ist die Vollmacht für den Verteidiger nur vom gesetzlichen Vertreter unterschrieben, wirkt die darin befindliche Ermächtigung nicht gegen den J (OLG Hamm Zbl. 73, 159). Im Anschluss an BGH 10, 245 enthält nach BayObLG 74, 57 die Rücknahme eines Rechtsmittels idR zugleich den Verzicht auf erneute Rechtsmitteleinlegung innerhalb der noch laufenden Frist. Zu einem ausnahmsweise unwirksamen Rechtsmittelverzicht eines Hw. § 68, 7. Zu einem Fall der Umdeutung zugunsten des J OLG Düsseldorf JMBl. NRW 87, 71. Zum Rechtsmittelverzicht bei Ausländern Einf. I 21. Ausnahmen vom unbeschränkten Recht des J, ein Urteil selbständig anzufechten, die Anfech- 5 a tung zurückzunehmen oder auf Anfechtung zu verzichten, gelten nur, wenn dem J offensichtlich die genügende Einsichtsfähigkeit für diese Prozesshandlung fehlt (vgl. Meyer-Goßner StPO Einl. Rn 97) und das Gericht nicht ausreichend belehrt hat (OLG Düsseldorf MDR 86, 75). Für die Einsichtsfähigkeit kommt es auf die prozessuale Fähigkeit des J an, sich sachgerecht zu verteidigen und die Bedeutung und Wirkung einer Prozesshandlung zu erfassen (BGH NStZ-RR 98, 60 für die Rechtsmittelrücknahme; d’Alquen/Daxhammer/Kudlich StV 02, 220). Nach Rücknahme ist auch im JRecht die isolierte Kostenbeschwerde unzulässig (OLG Düsseldorf NStZ 85, 522).
6.
Beschränkung des Rechtsmittels
Die Bildung einer Einheitsstrafe hindert bei Tatmehrheit (§ 31, 1) die auf eine Tat beschränkte 6 Anfechtung des Schuldspruchs nicht (BGH GA 53, 85; Dallinger/Lackner Vorb. 15–19; Eisenberg 15; aA Potrykus § 56 1 a; s. auch § 56; § 31, 10). Doch wird stets der gesamte Strafausspruch von der Anfechtung erfasst; eine Bindung an die rechtskräftigen Teile des Schuldspruches besteht nur hinsichtlich der Schuldfrage; hinsichtlich aller anderen Feststellungen bes. zur Straffrage ist das Gericht frei. Deshalb kann auch die Straffrage nur als Ganzes angegriffen werden. Die Revision kann auch nicht darauf beschränkt werden, dass eine noch nicht verbüßte JStrafe nicht einbezogen wurde, weil die Entscheidung darüber (§ 31 II oder III; vgl. § 31, 15 u. 19) nicht von den übrigen Strafzumessungserwägungen getrennt werden kann (BGH Herlan GA 63, 105; zust. Eisenberg 16; Ostendorf § 31, 30). Bei Tateinheit ist Teilanfechtung ausgeschlossen, weil Straf- und Schuldausspruch unteilbar sind (BGH GA 53, 85). Zum Verschlechterungsverbot nach Aufhebung einer EinheitsJStrafe Rn 29. Auch § 32 hindert nicht die Teilanfechtung nur der in einer bestimmten Altersstufe begangenen 6 a Taten. War gem. § 32 eine Einheitsstrafe gebildet, so ist von der Anfechtung notwendig die Straffrage ganz umfasst, weil hier für die einzelnen Taten nicht gesonderte Strafen ausgeworfen
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sind; es gilt das für § 31 Gesagte. War dagegen gem. § 32 allg. Recht angewendet worden, so kann sowohl die Tat als auch der Rechtsfolgenausspruch isoliert angefochten werden. Lässt aber die Beschränkung des Rechtsmittels die Verurteilung wegen einer Tat (teil)rechtskräftig werden, und werden die übrig gebliebenen Taten erst in der Rechtsmittelinstanz oder nach Zurückverweisung abgeurteilt, so wird trotz getrennter Verhandlung und Aburteilung § 32 entsprechend anzuwenden sein (dazu auch § 32, 2 a; BGH 29, 67; Eisenberg 19; aA BGH 10, 100). Sind mehrere Straftaten entgegen § 32 teils nach JStrafrecht und teils nach allg. Strafrecht abgeurteilt worden, erfasst nach BGH NStZ 00, 483 eine beschränkte Anfechtung des Schuldspruchs regelmäßig den gesamten Strafausspruch, weil nach § 32 über die Anwendung von JStrafrecht oder allg. Strafrecht nur einheitlich entschieden werden kann. 6 b Zur Anfechtung u. Aufhebung der Entscheidung, ob J- oder ErwStrafrecht angewendet wird (§ 105 I): § 105, 29. 6 c Selbständig anfechtbar sind grds. Maßregeln der Besserung und Sicherung (vgl. BGH Dallinger MDR 54, 16; BGH 6, 183; 10, 379; BGH NJW 63, 1414; OLG Schleswig MDR 77, 1039), die Einziehung nach § 74 II Nr. 1 StGB (OLG Düsseldorf GA 77, 21) und die Anrechnung der UHaft (BGH 7, 214 mwN; KG DAR 54, 189; aA OLG Oldenburg JZ 52, 753). Insgesamt ebenso Eisenberg 17. 6 d Für das JStrafrecht besteht aber eine ganz wesentliche Ausnahme. Wurde nämlich ein vermindert schuldfähiger J zu JStrafe verurteilt, so kann die StA ihr Rechtsmittel nicht wirksam auf die Nichtanordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (oder in einer Entziehungsanstalt) beschränken, weil die JStrafe nicht in Rechtskraft erwachsen darf, bevor nicht auch über die Unterbringung rechtskräftig entschieden ist. Denn damit würde dem Tatrichter die ihm nach § 5 III obliegende Beurteilung und Entscheidung, ob die Unterbringung die Ahndung durch eine JStrafe (oder die Anordnung eines Zuchtmittels) entbehrlich macht, nicht mehr möglich sein (BayObLG 89, 48 = JR 90, 210 mit zust. Anm. Brunner); vgl. dazu auch § 5, 2; 7, 2 u. 6. Gleiches wird für das Rechtsmittel eines vermindert schuldfähigen J gegen die isoliert ausgesprochene Anordnung der Unterbringung gelten müssen, weil § 5 III die Entscheidungen über jstrafrechtliche Rechtsfolgen und Unterbringung voneinander abhängig macht. Die Regelung des § 5 III spricht auch dagegen, dass die Nichtanordnung der Unterbringung der Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht dadurch entzogen werden kann, dass nur der Strafausspruch angegriffen wird und das Absehen von der Unterbringung vom Rechtsmittelangriff ausgenommen wird (BGH NStZ-RR 98, 188). 6 e Zur Anfechtung der Entscheidung über die Frage der Strafaussetzung zur Bew. allein § 59, 2. Ist nach Abs. II die Revision ausgeschlossen, so ist auch die sofortige Beschwerde nach § 59 I unzulässig (OLG Düsseldorf MDR 90, 178). Rechtsmittelbeschränkung ist Teilverzicht; es gilt das zu Rn 5 Gesagte entsprechend (OLG Celle NJW 64, 147). 7 Das Revisionsgericht prüft auch bei Einheitsstrafe (§§ 31 ff) nur im Rahmen der vorgetragenen Rügen (§§ 352, 344 StPO; BGH GA 53, 83; Dallinger/Lackner Vorb. 21; aA Potrykus § 56 B 1 b). Bei Zurückverweisung gilt Rn 6 entsprechend. 7.
Rechtsmittel bei ErzMaßregeln und Zuchtmitteln
8 Abs. I gilt für jede Entscheidung (Urteil, Beschluss), jede Instanz, jedes Rechtsmittel (Berufung, Revision, Beschwerde, Wiederaufnahme [Rn 48]) und jeden Rechtsbehelf (Dallinger/Lackner 5, 7; Eisenberg 39, 40, 28; Ostendorf 26). 9 Voraussetzung ist, dass nur ErzMaßregeln (aber nicht Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2) oder Zuchtmittel (einschließlich Dauerarrest) ausgesprochen sind oder gem. § 53 die Auswahl und Anordnung der ErzMaßregeln, hier einschließlich Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 (§ 53, 5; Dallin-
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Anfechtung von Entscheidungen
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ger/Lackner 20, 21; Eisenberg 41 u. § 53, 16), dem Familiengericht übertragen sind. Vgl. auch § 53, 6. – Abs. I beschränkt also die Rechtsmittel nicht, wenn neben diesen Maßnahmen oder allein Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 oder JStrafe verhängt, die Verhängung einer JStrafe zur Bew. ausgesetzt ist oder Maßregeln der Besserung und Sicherung (BGH B NStZ 84, 447; OLG Hamm JMBl. NRW 57, 36; Potrykus NJW 54, 1350; 55, 246; zB isolierte Sperre nach § 69 a I 3 StGB – OLG Zweibrücken MDR 83, 1046), Nebenstrafen oder Nebenfolgen ausgesprochen sind; solche Entscheidungen können in jedem Umfang und mit jeder Begründung angefochten werden (Rn 11; ebenso Dallinger/Lackner 11; Eisenberg 50; Ostendorf 27; aA Potrykus NJW 54, 1349). Schon deshalb gilt die Beschränkung des Abs. I nicht für die in § 59 geregelte Anfechtung der nachträglichen Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bew. (Potrykus NJW 60, 1216). Auch dann ist die Anfechtung nur unzulässig, wenn sie mit bestimmter Begründung erfolgt, 10 nämlich wenn Umfang oder Auswahl der Maßnahmen (einschließlich § 53) angegriffen wird. Dazu aber § 53, 6. Man wird dem LG Mainz (NStZ 84, 121 mit krit. Anm. Eisenberg; bestätigt durch Beschluss des OLG Koblenz v. 14. 9. 1983–1 Ws 588/83) dahin folgen müssen, dass der Begriff des Umfangs in seiner weitestgehenden Form auch die Frage des „Ob oder ob nicht“ berühren kann (ebenso OLG Celle NStZ-RR 01, 121; OLG Stuttgart Justiz 02, 515), sodass mit Beschränkung auf den Rechtsfolgeausspruch nicht angefochten werden kann, wenn nicht nach § 29 V BtMG von der Bestrafung nach Abs. I, II, IV abgesehen worden ist. Solange das Rechtsmittel nicht begründet wird (Dallinger/Lackner 29) oder die Begründung sich nicht nur auf die ausgeschlossenen „Straf“maß-Rügen beschränkt, kann das Rechtsmittel nicht nach § 55 I unzulässig sein (OLG Celle NJW 64, 417; OLG Köln Zbl. 81, 34; OLG Nürnberg Beschl. v. 9. 8. 1984 – Ws 524/84). Eine Verwerfung als unzulässig, wenn nur in Abs. I 1 genannte Maßnahmen angeordnet sind, der Angeklagte in 1. Instanz im Umfang des Schuldspruchs geständig war, der Schuldspruch keinen Rechtsirrtum und die Berufungsschrift keinerlei Hinweis auf zulässige Rügen enthält (so Hellmer JR 55, 92, 93; ähnl. Potrykus B 5 A II b), ist nach geltendem Recht nicht möglich (Dallinger/Lackner 24; Eisenberg 52); denn jedes Rechtsmittel, das nicht näher begründet ist, richtet sich gegen die Entscheidung als Ganzes (§ 318 S. 2 StPO), also auch gegen den Schuldspruch. Vgl. zur Auslegung einer solchen Berufung BayObLG 73, 220. Das ist ein in der Praxis missliches, aber nicht vermeidbares Ergebnis. Eine Aufklärung dadurch, dass das Gericht den Angeklagten befragt, was er mit seiner Beru- 10 a fung erstrebe, kann nur dann zu einer Verwerfung des Rechtsmittels durch das Berufungsgericht als unzulässig führen, wenn das Rechtsmittel in der Form einer teilweisen Zurücknahme auf die durch Abs. I ausgeschlossenen Beschwer-Punkte beschränkt wird (OLG Celle NJW 64, 417; Dallinger/Lackner 29; Ostendorf 31; Schäfer NStZ 98, 331); der Erklärende muss sich der Tragweite bewusst sein, was bes. im Hinblick auf die Möglichkeiten der §§ 47, 45 oft zweifelhaft sein wird (OLG Celle aaO; vgl. dazu Rn 5 a). Bei Erklärungen des Verteidigers, aber auch des gesetzlichen Vertreters oder des ErzBerechtigten, dürfen § 55 III (s. Rn 5) und § 302 II StPO (s. Rn 5) nicht übersehen werden (Schäfer aaO). Beschränkt der Verteidiger trotz Belehrung sein Rechtsmittel auf den Umfang der Maßnahmen, so hat er gegen die Verwerfung seiner Berufung kein Rechtsmittel mehr (OLG Karlsruhe Justiz 86, 28 gegen BayObLG 73, 220), weil hier die Möglichkeit einer neuen Sachentscheidung eröffnet war. Bei der Unzulässigkeit der vom Verteidiger auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung verbleibt es auch dann, wenn nach Ablauf der Berufungsfrist der Angeklagte die Ermächtigung seines Verteidigers zur Berufungsbeschränkung widerruft und erklärt, die Berufung solle unbeschränkt durchgeführt werden (OLG Oldenburg NStZ 09, 450). Zur Revision s. BGH B NStZ-RR 99, 291: Unzulässigkeit, wenn im angegriffenen Urteil JA verhängt wurde und die unbeschränkt eingelegte Revision allein mit einem Angriff gegen die Strafzumessung begründet wird; OLG Celle NStZ-RR 01, 121: Unzulässigkeit, wenn sich der Begründung der Revisionsanträge nicht eindeutig entnehmen lässt, dass ein nach § 55 I zulässiges Ziel verfolgt wird; BVerfG NStZ-RR 07, 385: Verfassungsmäßigkeit dieser Anforderungen an die Revision.
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11 Der Schuldspruch kann stets angefochten werden, ebenso der Freispruch (auch wegen Strafunmündigkeit) durch den StA (zust. Eisenberg 46, 47). Auch der Einwand der Gesetzeswidrigkeit einer Maßnahme ist immer möglich (BVerfG NStZ-RR 07, 385, 386; OLG Celle NStZ-RR 01,121; Eisenberg 48), so, wenn die Bildung einer Einheitsstrafe aus rechtsirrigen Erwägungen abgelehnt wurde (OLG Schleswig SchlHA 58, 180), wenn das ErwGericht ErzMaßregeln angeordnet hat (§ 104 IV), wenn durch Weisungen die der staatlichen Strafgewalt gezogenen Grenzen überschritten werden (§ 10, 6) oder der Richter sein Ermessen offensichtlich überschritten hat (näher § 10, 4; Itzel S. 12) oder wenn JA zur Bew. ausgesetzt wurde (OLG Düsseldorf NJW 61, 891; OLG Frankfurt NJW 63, 969; § 87, 3) oder wenn disziplinarischer Arrest (§ 22 WDO) nicht angerechnet wurde (Ostendorf 29). Vgl. dazu § 112 a, 9. Zur Überschreitung des Strafbannes des § 76 vgl. § 78, 22 a. Es kann die Verhängung von JA durch das Berufungsgericht statt der vom Erstrichter verhängten, zur Bew. ausgesetzten Freiheitsstrafe mit der Begründung angefochten werden, das Berufungsurteil sei wegen Verstoßes gegen das Verschlechterungsverbot gesetzeswidrig (OLG Oldenburg Zbl. 67, 343; OLG Düsseldorf NJW 61, 891; OLG Frankfurt NJW 63, 67; dazu aber Rn 26). Dagegen ist eine Anfechtung eines auf JA lautenden Urteils nicht deshalb möglich, weil die UHaft nicht gem. § 52 berücksichtigt wurde; denn das gehört zum Umfang der Anordnung des JA, der der Anfechtung entzogen ist (vgl. näher § 52 a, 11). 11 a Der J kann weiter die Verneinung der Strafmündigkeit (§ 3 S. 1) angreifen, um die Grundlage für nach § 3 S. 2 angeordnete Maßnahmen zu beseitigen; er kann zu diesem Zweck auch geltend machen, dass er keine strafbare Handlung begangen habe oder dass Maßnahmen nach § 3 S. 2 nicht erforderlich seien (Dallinger/Lackner 12; ähnlich wie bei Freispruch nach § 20 StGB u. Unterbringung nach § 63 StGB). – Der Hw. kann stets mit der Begründung anfechten, es sei die falsche Rechtsordnung angewandt (s. aber Rn 6). – Die StA hat auch dann ein Rechtsmittel, wenn sie JStrafe (oder mindestens Schuldspruch nach § 27), eine Nebenstrafe oder Nebenfolge oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung allein oder neben den getroffenen Maßnahmen für notwendig hält (OLG Zweibrücken NStZ-RR 98, 118), nicht aber Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2, denn Abs. I 2 dient nur dem Schutz des J (Dallinger/Lackner 18; Eisenberg 49; aA DSS/Schoreit 9); Anregung an das Familiengericht ist aber möglich: § 53, 10. Bei Nichtgewährung rechtlichen Gehörs kann nach Abs. IV iVm § 356 a StPO Nachholung beantragt werden. 12 Ein danach zulässiges Rechtsmittel ergreift das Urteil in vollem Umfang. In ihm können auch Rügen enthalten sein, die allein nicht zulässig waren (BGH 10, 198; BayObLG NJW 92, 1520 = JR 92, 387 mit zust. Anm. Brunner; KG DAR 54, 189; OLG Stuttgart NJW 56, 33; OLG Hamm NJW 56, 1736; Dallinger/Lackner 25; Eisenberg 50, 53; Ostendorf 25; Böhm/Feuerhelm S. 94; LBN/Laubenthal/ Nestler S. 170; Streng S. 275 f; aA OLG Frankfurt NJW 56, 32 mit zust. Anm. Schnitzerling; Schaffstein/Beulke S. 263 – dazu auch aE –; Arthur Kaufmann JZ 58, 9; Potrykus B 5 A II b aE; 5 B II; NJW 55, 929; Schaumann S. 143). Wird die erstrebte jgemäße Beschleunigung schon durch zulässige Anfechtung verhindert, so soll das Urteil auch voll überprüft werden. Das Rechtsmittelgericht kann, wenn das Urteil zulässig angefochten ist, auch ErzMaßregeln, Zuchtmittel oder die Überweisung nach § 53 aufheben und abändern, weil § 55 I nur die Zulässigkeit des Rechtsmittels betrifft, aber keine Bindung des Rechtsmittelgerichts bewirkt (BGH 10, 198 u. Nachweise wie oben). Es kann aber auf Rechtsmittel des J nicht verschlechtern. So kann auf Berufung des Angeklagten, der seinen Freispruch erstrebt, in 2. Instanz an Stelle eines Dauerarrestes des Ersturteils Freizeitarrest oder eine andere ErzMaßregel (außer Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2) oder ein anderes Zuchtmittel (Rn 22) angeordnet werden (BGH 10, 200). Das kann notwendig sein, wenn aufgrund neu bekannt gewordener Tatsachen eine Änderung geboten ist; es wäre sinnlos und erz. gefährlich, hier nur auf das Abänderungsverfahren des Erstrichters zu verweisen. Das Rechtsmittelgericht sollte aber gerade in diesem Punkt äußerste Zurückhaltung üben und bedenken, dass es sich vorwiegend um erz. Maßnahmen handelt, deren Notwendigkeit und Umfang vom Erstgericht meist besser beurteilt werden kann als von dem später entscheidenden, mit den örtlichen und persönlichen Verhältnissen weniger vertrauten Rechtsmittelgericht (BGH
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Anfechtung von Entscheidungen
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NJW 52, 436). Bes. Vorsicht ist hier auch deshalb geboten, weil sonst die in der Praxis gar nicht seltenen Berufungen gefördert werden, welche durch vorgeschobene Beschwerdegründe die Rechtsmittelbeschränkung zu umgehen versuchen; deshalb insbes. lehnen Schaffstein/Beulke S. 263 die hier vertretene Auffassung ab. Das Berufungsgericht verwirft als unzulässig nach Abs. I durch nicht anfechtbares Urteil (§ 55 12 a II) oder durch Beschluss, der nach § 322 II StPO mit sofortiger Beschwerde angefochten werden kann. Wird die Berufung des ges. Vertreters als unzulässig verworfen, so steht dem J, auch wenn er auf Rechtsmittel verzichtet hatte, die Beschwerde offen (OLG Celle NJW 64, 417; OLG Hamm NJW 73, 1850; Dallinger/Lackner 23; Eisenberg 51; Ostendorf 30).
8.
Nur ein Rechtsmittel
Abs. II (idR nur ein Rechtsmittel) gilt nur für Urteile.
13
Deren Anfechtung richtet sich grds. nach allg. Recht. Zu beachten ist, dass die JKammer auch 14 über die Berufung gegen Urteile des JRichters als Einzelrichter entscheidet (§ 41 II 1; zur Besetzung § 33 b). Die Anfechtung der BewEntscheidung nach § 59 I und § 464 III StPO (Kostenbeschwerde; näher § 74, 13) geben nur dem die sofortige Beschwerde, dem an sich nach Abs. II noch ein Rechtsmittel zusteht. Denn diese Vorschriften begründen kein zusätzliches Rechtsmittel, sondern treten unter bestimmten Voraussetzungen an die Stelle einer Berufung oder Revision, sodass für den Ausschluss der Anfechtung nichts anderes gelten kann als für diese Rechtsmittel (OLG Düsseldorf NStZ 94, 198 f; OLG Hamm VRS 113 [07], 383; Dallinger/Lackner § 59, 12). Ist daher Revision ausgeschlossen, gilt dies auch für die sofortige Beschwerde nach § 59 I (OLG Hamm JMBl. NRW 55, 10; VRS 113 [07], 383; OLG Stuttgart Justiz 64, 172; OLG Düsseldorf MDR 90, 178; NStZ 94, 198; OLG Frankfurt NStZ-RR 03, 27; Dallinger/Lackner 61; Burscheidt S. 154; Schaumann S. 188; Bedenken bei Eisenberg 71; aA DSS/Schoreit 50 u. § 59, 3; Ostendorf 33 u. § 59, 2; Bode S. 135). Vgl. auch § 59, 2, 3. Auf die einfache Beschwerde gemäß § 59 II ist § 55 II jedoch nicht anwendbar (§ 59, 9 aE). Zu § 59 III s. § 59, 5. Nach Berufung verbietet § 55 II auch eine Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts (OLG Stuttgart Justiz 70, 190; 72, 42 = OLGSt S. 1 zu § 74; OLG Frankfurt Zbl. 76, 131; B NStZ 82, 416; OLG Koblenz MDR 78, 595; OLG Hamm JMBl. NRW 83, 65; StV 99, 667; NStZ-RR 99, 54; OLG Düsseldorf NStZ 85, 522 mit abl. Anm. Eisenberg/von Wedel; OLG Oldenburg NStZ-RR 06, 191; Bode aaO, S. 131; Burscheidt S. 154; Schaumann S. 190; aA Eisenberg 72; Ostendorf 33; Bedenken Nothacker S. 134, 135). Zur Frage, wann eine Revision zugleich als sofortige Kostenbeschwerde zu behandeln ist, BayObLG 72, 7; 73, 74, 146; OLG Frankfurt NJW 74, 202. Auch wenn der J seine Berufung zurückgenommen hat, ist ihm eine Beschwerde gegen den Kostenbeschluss der JKammer versagt (OLG Hamm JMBl. NRW 83, 65). Ebenso zur sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsantrages OLG Köln Zbl. 76, 308 u. Burscheidt S. 151 f, 154 (abl. Eisenberg 72 a; Ostendorf 33). Nach OLG Hamm (StV 86, 306) steht jedoch der Beschwerde gegen eine vor der Berufungsverhandlung getroffene Entscheidung des Vorsitzenden im Zusammenhang mit Bestellung oder Abberufung eines Pflichtverteidigers Abs. II nicht entgegen (zust. Eisenberg 72 a). Gem. Abs. II 1 hat also jeder Anfechtungsberechtigte (Rn 2, 19) nur ein Rechtsmittel, Berufung 15 oder Revision. Haben die nach Abs. II 1 Anfechtungsberechtigten teils Berufung, teils Revision eingelegt, gilt das Rechtsmittel einheitlich als Berufung, solange diese nicht zurückgenommen oder als unzulässig verworfen worden ist (vgl. Rn 19; § 335 III 1 StPO; Eisenberg 67; Ostendorf 32). Die Revision gegen das Ersturteil ist im JRecht nicht Sprung-, sondern Wahlrevision. Ungeachtet dieser Abweichung gelten schon mit Rücksicht auf die Bedeutung dieser Wahl und deshalb, weil diese erst nach Kenntnis der schriftlichen Urteilsgründe sinnvoll ausgeübt werden kann, auch hier die Grundsätze des allg. Rechts über die Ausübung des Wahlrechts bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist (Rn 17) und über die Behandlung der Anfechtung als Berufung,
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2. Teil. Jugendliche
wenn keine oder keine genügende (§§ 344, 337 StPO) Begründung gegeben wird. Der Anfechtende ist aber an die Wahl gebunden, sobald er sie getroffen hat und sinnvoll treffen konnte. Letzteres ist erst der Fall, wenn ihm das schriftliche Urteil zugestellt ist; auch dann schadet es nicht, wenn das Rechtsmittel irrtümlich falsch bezeichnet ist (§ 300 StPO). Ein vorher eingelegtes Rechtsmittel ist ungeachtet seiner Bezeichnung und Begründung nur eine Anfechtung schlechthin und wird als Berufung behandelt (BGH 2, 70; Dallinger/Lackner 35, 36; Eisenberg 60; Ostendorf 35), kann aber innerhalb der Revisionsbegründungsfrist als Revision bezeichnet werden. Die endgültige Wahl des Rechtsmittels muss in der für die Einlegung dieses Rechtsmittels vorgeschriebenen Form und gegenüber dem Gericht erklärt werden, dessen Urteil angefochten wird (BayObLG NStZ-RR 98, 51). Bei wirksamem Übergang von der Berufung auf die Revision steht § 55 II der Zulässigkeit der Revision nicht entgegen, weil über die Berufung nicht zu entscheiden ist (BayObLG aaO, 52). Bei Zweifeln über die Art des eingelegten Rechtsmittels kann das Revisionsgericht bindend das Berufungsgericht entsprechend § 348 StPO als zuständig bezeichnen (BGH JZ 83, 154). Insgesamt wird auf die Kommentare zur StPO verwiesen. – Wegen des Übergangs zur sofortigen Beschwerde gem. § 59 I s. Rn 14. Auch eine beschränkt eingelegte Berufung führt zur vollen Rechtsmittelbeschränkung (Ostendorf 36). 16 Jeder hat nur ein Rechtsmittel, auch wenn das auf seine oder eines anderen Anfechtungsberechtigten und des Gegners Berufung ergangene Urteil ihm nachteiliger ist als das Ersturteil (OLG Hamm NJW 55, 1609; BayObLG DRiZ 55 Nr. 282; BayObLG 88, 120 = NStZ 89, 194 mit abl. Anm. Ostendorf; BayObLG 04, 139; OLG Düsseldorf B NStZ 90, 530; KG NStZ-RR 07, 216, 217; Dallinger/Lackner 46; Eisenberg 63; Ausnahmen Rn 17), selbst wenn er seine Berufung auf einzelne Punkte beschränkt (BayObLG NJW 64, 1084; für Hinweispflicht des Richters bzw. Pflichtverteidigerbestellung in diesen Fällen Ostendorf 36; Burscheidt S. 132), nur gegen die Maßnahme der Einziehung gerichtet (Dallinger/Lackner 47) oder zurückgenommen hatte (OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 84, 89; KG NStZ-RR 07, 216, 217; Burscheidt S. 136). Auch ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot durch das Berufungsgericht gibt hier dem Angeklagten kein 2. Rechtsmittel (BayObLG NStZ 89, 194 mit abl. Anm. Ostendorf; Schäfer NStZ 98, 335; aA Schaumann S. 173; nach Bode S. 140 soll in diesem Fall u. bei anderen groben Gerechtigkeitsverstößen eine außerordentliche Revision zulässig sein). Hier kann und muss aber der StA, wenn er noch ein Rechtsmittel hat, zugunsten des Angeklagten Revision einlegen. Wird eine rechtskräftig ausgesetzte JStrafe auf Berufung des J in eine neue JStrafe einbezogen, so hat der J weder Revision noch sofortige Beschwerde nach § 59 I (OLG Oldenburg NStZ 09, 451). Die Beschwerde wird auch nicht dadurch eröffnet, dass die neue JStrafe nicht zur Bew. ausgesetzt wurde (OLG Stuttgart MDR 76, 1043; Burscheidt S. 147 f; Schäfer aaO; für Revisionsbefugnis nur hinsichtlich Bildung u. Umfang der einheitlichen Maßnahme Schweckendieck NStZ 05, 142)). 16 a Wird die Berufung eines J oder Hw., der nach JStrafrecht abgeurteilt wurde, wegen unentschuldigten Ausbleibens in der Berufungshauptverhandlung nach § 329 I StPO sofort verworfen, so hat dieser kein Rechtsmittel mehr (BGH 30, 98 mit zust. Anm. Brunner JR 82, 123; BayObLG Urt. v. 26. 11. 68 RReg. 3 b St. 193/68; OLG Hamm MDR 81, 340 [Vorlagebeschluss gegen OLG Celle JR 80, 37 mit abl. Anm. Brunner]; StV 99, 657; OLG Celle NJW 68, 1297; OLG Saarbrücken MDR 74, 161; OLG Düsseldorf MDR 88, 343; JMBl. NRW 91, 183 [auch wenn mit absolutem Revisionsgrund behaftetes erstinstanzliches Urteil Rechtskraft erlangt]; MDR 94, 1141; OLG Zweibrücken B NStZ 91, 529; OLG Dresden NStZ-RR 10, 186; Eisenberg § 109, 38; Ostendorf 32; Nothacker S. 136). Die vom BGH (30, 98) verworfene aA des OLG Celle JR 80, 37 (unter Aufgabe von NJW 68, 1297), das einem im 1. Rechtszug nach JStrafrecht verurteilten Hw. nach Verwerfung seiner Berufung gemäß § 329 I StPO ein 2. Rechtsmittel gewährt hat (weil nicht JStrafrecht angewendet worden sei), ist nicht haltbar. Die Entscheidung, dass auf den Hw. JStrafrecht anzuwenden ist, wurde bereits in 1. Instanz getroffen. Zu weiteren Gegenargumenten Brunner JR 80, 39. Etwas anderes gilt nur, wenn auf Berufung der StA der in 1. Instanz freigesprochene Hw. erneut freigesprochen wird. Hier hat die StA ein 2. Rechtsmittel, weil über die Anwendung von JStrafrecht
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Anfechtung von Entscheidungen
§ 55
überhaupt nicht entschieden, weil materielles JStrafrecht nicht angewendet worden ist (BayObLG Urt. v. 10. 10. 80 RReg. 2 St. 249/80) und im Übrigen bei Schweigen eines nicht nur formellen Urteils von der Anwendung von ErwStrafrecht auszugehen wäre, weil § 105 ausdrückliche Feststellung erfordert (OLG Frankfurt NStZ-RR 03, 327; OLG Celle NJW 75, 2254 zum Fall der Unterbringung). Wurde der Angeklagte zur Berufungsverhandlung jedoch nicht geladen, so ist Wiedereinsetzung entsprechend § 44 StPO angebracht (OLG Düsseldorf MDR 88, 519). Ein 2. Rechtsmittel (Revision nach erfolgloser Berufung) hat auch der Nebenkläger, wenn der Hw. in 1. und 2. Instanz freigesprochen worden ist, weil auch hier nicht festgestellt werden kann, ob JRecht angewendet worden ist (OLG Düsseldorf VRS Bd 75 [88], 474). Hat ein nach JRecht Verurteilter gegen ein Urteil des JGerichts Revision eingelegt, kann er nach Aufhebung und Zurückweisung für die Anfechtung des neuen Urteils nach § 55 II 1 die Berufung wählen (OLG Celle MDR 92, 286; Eisenberg 57). Bei erfolgreicher Revision eines Mitangeklagten gegen das Berufungsurteil ist nach dem BGH § 357 StPO nicht auf den nach JRecht Verurteilten anwendbar, der Berufung eingelegt hat und selbst wegen § 55 II keine Revision hätte einlegen können (BGH 51, 34 = JR 06, 523 mit abl. Bespr. Mohr JR 06, 499 = StV 07, 6 mit abl. Bespr. Prittwitz StV 07, 52; ebenso OLG Oldenburg NJW 57, 1450; DSS/Schoreit 49, u. – jeweils zu § 357 StPO – KK/Kuckein 12; LR/Hanack 11; Meyer/Goßner 7; SK/Wohlers 29). Der BGH führt ua an, dass § 357 StPO als eine die Rechtskraft durchbrechende Ausnahmeregelung eng auszulegen sei und § 55 II im Interesse der Beschleunigung fehlerhafte Verurteilungen in Kauf nehme. Für die Erstreckung des Revisionsurteils auf den Mitangeklagten spricht jedoch, dass der Gesichtspunkt der Beschleunigung aus Gründen der Erz. und Gerechtigkeit gegenüber einem erwiesenermaßen falschen Urteil zurücktreten sollte (so OLG Karlsruhe ZJJ 06, 74 – Vorlagebeschluss; Altenhain NStZ 07, 283; Dallinger MDR 63, 539; Eisenberg 70; LBN/Laubenthal/Nestler S. 168 f; Ostendorf 41; Satzger FS Böttcher S. 181 ff; Streng S. 273 f). Hat der Mitangeklagte keine Berufung eingelegt, greift § 357 StPO ein (OLG Koblenz StV 09, 90). Dagegen erstreckt sich die Aufhebung gem. § 354 a StPO wegen zwischenzeitlicher Gesetzesänderung nicht auf die Mitangeklagten, die keine Revision eingelegt haben. Das folgt aus dem Gesetzeswortlaut (§§ 357, 354 a StPO; BGH 20, 78; BayObLG 64, 127). Zu Hw. Rn 18.
9.
Ausnahmen
Das schließt jedoch nicht aus, dass auch in JSachen gegen Berufungsurteile Revision eingelegt 17 wird. So kann jeder Verfahrensbeteiligte Revision gegen ein Berufungsurteil einlegen, das nur auf Berufung eines anderen Verfahrensbeteiligten (s. aber Rn 19) ergangen ist, auch wenn er selbst in anderer Eigenschaft Berufung eingelegt hatte (zB Berufung als Nebenkläger, Revision als Angeklagter; OLG Hamm JMBl. NRW 55, 59; Dallinger/Lackner 53, Eisenberg 65 a; Ostendorf 38). Ein 2. Rechtsmittel kann auch eingelegt werden, wenn – wegen Freispruchs – nicht festgestellt werden kann, ob in der Berufungsinstanz JStrafrecht angewendet worden ist (Rn 16); vgl. zum Nebenkläger OLG Düsseldorf VRS Bd 75 (88), 474. Revision ist auch zulässig, wenn und soweit über die Berufung ausweislich der Urteilsformel nicht mitentschieden wurde (Dallinger/Lackner 52; Eisenberg 65); wird die übergangene Berufung nicht mit der Revision weiterverfolgt, wird sie gegenstandslos (BayObLG 51, 593; 59, 168). Der J kann gegen das auf Berufung der StA ergangene Urteil auch dann Revision einlegen, wenn er die von ihm gegen die erstinstanzliche Entscheidung eingelegte „Berufung“ vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist gegen dieses Urteil zurückgenommen hatte (BGH 25, 321; BayObLG 04, 139, 140). Die ursprünglich gewählte Bezeichnung des Rechtsmittels hindert zumindest idR nicht, vor Ablauf der Frist des § 345 I StPO endgültig zu Berufung oder Revision überzugehen (BGH 5, 338; 13, 388; 17, 44; BayObLG 71, 72); anders aber, wenn die Wahl bereits ausgeübt war (OLG Schleswig SchlHA 80, 74). Die Übergangserklärung und die Revisionsbegründung sind beim Amtsgericht anzubringen (BGH 40, 395 = JR 96, 37 mit Anm. Fezer). Die Revision ist auch dem Berufungsführer selbst möglich, der vom Berufungsgericht aufgrund 17 a einer gleichzeitigen Berufung der StA oder des Nebenklägers wegen Taten verurteilt wurde,
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§ 55
2. Teil. Jugendliche
hinsichtlich derer er in 1. Instanz freigesprochen wurde (BayObLG 72, 274; 04, 139, 140; OLG Karlsruhe Justiz 74, 137; KG NStZ-RR 07, 216; Eisenberg 64). Bezieht das Berufungsgericht aber lediglich ein Tatgeschehen, hinsichtlich dessen der J vom Erstgericht freigesprochen war, in eine vom Erstgericht angenommene fortgesetzte Handlung ein, ist kein weiteres Rechtsmittel gegeben (BayObLG 77, 16; Eisenberg 64; Ostendorf 37). Auch wenn der Angeklagte gegen ein Urteil und die StA gegen ein anderes Urteil des JRichters jeweils auf das Strafmaß beschränkt Berufung eingelegt haben und die JKammer gem. § 31 JGG nach Verbindung der Verfahren eine Einheitsstrafe gebildet hat, kann der Angeklagte – ebenso wie die StA – dagegen Revision einlegen (OLG Hamm Zbl. 64, 306; Dallinger/Lackner 48; Eisenberg 62 a). Das gilt auch bei unbeschränkten Berufungen des J und des StA gegen je ein anderes Urteil, wenn das Berufungsgericht nach Verbindung dieser Verfahren eine EinheitsJStrafe gebildet hat (OLG Hamm NStZ 90, 140 mit zust. Anm. Neuhaus; BayObLG 04, 139, 140; OLG Brandenburg NStZ-RR 05, 49, 50), denn sonst hätte der J gegen eines der Urteile überhaupt kein Rechtsmittel. 17 b Wer Revision gewählt hatte, behält sein Revisionsrecht, wenn sein Rechtsmittel als Berufung behandelt wurde, weil ein anderer Verfahrensbeteiligter Berufung eingelegt hat (§ 335 III StPO); er kann es gegen das Berufungsurteil ausüben oder auch darauf verzichten (BayObLG 00, 109; 04, 139, 140; OLG Stuttgart Justiz 69, 228; OLG Celle MDR 64, 527; OLG Koblenz NStZ-RR 08, 218; Dallinger/Lackner 57; Eisenberg 67). Revision ist auch dann zulässig, wenn die JKammer auf Berufung eine Strafe oder Maßnahme verhängt hat, die die Strafgewalt des Gerichts übersteigt, dessen Urteil angefochten ist (zB mehr als 4 Jahre Freiheitsstrafe; mehr als 1 Jahr JStrafe oder Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, wenn der J(Einzel)Richter entschieden hatte); denn hier hat die JKammer als Gericht 1. Instanz entschieden (§ 41, 32), die Einlegung der Berufung darf also nicht beachtet werden (Pentz GA 58, 302; zust. Eisenberg 65 b). 18 Ein Hw. kann Revision gegen ein das allg. Recht anwendendes Berufungsurteil einlegen, auch wenn er in 1. Instanz nach JRecht verurteilt wurde und selbst zulässige Berufung eingelegt hat; denn § 55 II JGG gilt nur, wenn im konkreten Fall materielles JStrafrecht angewendet wurde (BayObLG Urteil 10. 10. 1980 – RReg. 2 St. 249/80; OLG Neustadt MDR 56, 504; OLG Celle NdsRpfl. 62, 88; OLG Köln NJW 63, 1073; Ostendorf 32; Eisenberg § 109, 34). Umgekehrt hat der Angeklagte, der bereits Berufung eingelegt hatte, auch dann keine Revision gegen das JRecht anwendende Berufungsurteil, wenn er in 1. Instanz nach allg. Recht abgeurteilt wurde (BayObLG 61, 258 u. Rüth DAR 74, 180; OLG Celle NJW 56, 521; OLG Oldenburg VRS Bd 21 [61], 450; OLG Karlsruhe Justiz 72, 325; StV 01, 173 mit abl. Anm. Kutschera; OLG Schleswig SchlHA 80, 74; OLG Düsseldorf MDR 86, 257; OLG Zweibrücken B NStZ 91, 523; Ostendorf 32; Eisenberg § 109, 35). Das gilt auch dann, wenn die Berufungshauptverhandlung gem. § 231 II StPO in Abwesenheit des Angeklagten zu Ende geführt wurde (BayObLG 95, 3). Zum Freispruch in der Berufungsinstanz Rn 17. Beschränkt die StA ihre Berufung gegen einen nach ErwStrafrecht verurteilten Hw. auf die Strafaussetzung zur Bew., darf die JKammer nicht auf JStrafrecht übergehen (OLG Frankfurt NJW 56, 233 mit zust. Anm. Schnitzerling). Wird gegen einen Hw. JStrafrecht angewendet, gelten gemäß § 109 II 3 im beschleunigten Verfahren § 55 I und II nicht (§ 109, 11). § 55 schließt die Revision des erw. Einziehungsbeteiligten (§ 433 StPO) nach vorangegangenem Berufungsverfahren nicht aus (OLG Oldenburg VRS 90 [95], 285). 18 a Bei Nichtgewährung rechtlichen Gehörs gilt nach Abs. IV § 356 a StPO entsprechend.
10.
Mehrere Anfechtungsberechtigte
19 Wenn ein Angeklagter, ErzBerechtigter, gesetzlicher Vertreter oder Verteidiger Berufung eingelegt hat, kann ein anderer der Genannten nicht mehr Revision einlegen und umgekehrt (Abs. II 2). Der Verteidiger übt die Rechte des Mandanten aus; legen beide verschiedene Rechtsmittel ein, gilt das zuerst eingelegte (aber § 297 StPO), weil damit die Wahlmöglichkeit verbraucht ist
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Anfechtung von Entscheidungen
§ 55
(Dallinger/Lackner 54; Eisenberg 6, 7). Die in Unkenntnis der Lage erfolgte Rücknahme des wirksamen Rechtsmittels ist aber unwirksam. Hinsichtlich der übrigen hier Genannten gilt in einem solchen Fall § 335 III StPO, alle Rechtsmittel werden als Berufung behandelt (dazu auch Rn 15); doch hat der Revisionsführer wegen Abs. II 2 gegen das Berufungsurteil nicht mehr die Revision. 11.
Unzulässige Rechtsmittel
Ein gem. § 55 II unzulässiges Rechtsmittel ist nicht von dem Gericht, dessen Urteil angefochten 20 wird, gem. § 346 I StPO, sondern vom Revisionsgericht gem. § 349 I StPO zu verwerfen (BGH MDR 59, 507; BayObLG 62, 207). Eine zu Unrecht gem. § 346 I StPO erlassene Entscheidung wird aber wirksam, wenn sie nicht gem. § 346 II StPO angefochten wird (BayObLG 62, 207). Die sonst ordnungsgemäße Revision hemmt den Eintritt der Rechtskraft eines Berufungsurteils auch dann, wenn der Beschwerdeführer nach § 55 II 1 ein solches Rechtsmittel nicht mehr hatte (OLG Stuttgart MDR 80, 518). Nach BayObLG 73, 220 ist gegen jedes Urteil der JKammer, das eine Berufung – zu Recht oder zu Unrecht – als unzulässig verwirft, Revision zulässig. Vgl. dazu aber OLG Karlsruhe Justiz 86, 28 in Rn 10 aE; Brunner JR 74, 523. Anders auch für die sofortige Verwerfung der Berufung nach § 329 I StPO (Rn 16). 12.
Verschlechterungsverbot
Auch in JSachen gilt das Verschlechterungsverbot des allg. Rechts, das sich nur auf die Rechts- 21 folgen der Tat (§§ 331 I, 358 II StPO), nicht auf die Schuldfrage, auch nicht auf die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt (§§ 331 II, 358 II StPO) bezieht. Das Verschlechterungsverbot steht auch einer Verschärfung des früheren Urteils nicht entgegen, wenn bei einer fortgesetzten Handlung ein Teil der Handlungsglieder nach dem ersten Urteil begangen ist (BGH 9, 330; BayObLG 57, 83; 62, 1 u. bei Rüth DAR 83, 254; OLG Braunschweig NJW 64, 1237; Grethlein S. 31); auch kann die alte Maßnahme unverändert aufrechterhalten werden, wenn die Verurteilung wegen mehrerer Taten hinsichtlich einiger Taten keinen Bestand hat (BGH 7, 86) oder eine Tat rechtlich anders qualifiziert wird (OLG Frankfurt NJW 69, 1915); ersteres wird im JRecht, bei dem es mehr um die Person des Täters und dessen Beeinflussung geht, häufig gerechtfertigt sein (vgl. aber § 56 RL 1). Das Verschlechterungsverbot soll dem Angeklagten die Besorgnis nehmen, sein Rechtsmittel könne ihm den Nachteil härterer Bestrafung bringen (BGH 27, 178). Die Gesamtschau der verhängten Ahndungsmaßnahmen darf keine Veränderung zum Nachteil des alleinigen Berufungsführers erkennen lassen (BGH 24, 14; OLG Celle StV 01, 180; OLG Brandenburg NStZ-RR 08, 388). Legt zugleich die StA Berufung ein, dürfen die Ahndungsmittel nur soweit verschlechtert werden, wie die zuungunsten des Angeklagten eingelegte Berufung des StA reicht (OLG Celle NJW 68, 69 – die StA hatte ihre Berufung auf Nichtanordnung der Unterbringung beschränkt). Zur Anordnung der Unterbringung auf eine Berufung des Angeklagten, die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist, BayObLG StV 95, 181 = JR 96, 79 mit Anm. Loos. Ein Verstoß der Berufungskammer gegen das Verschlechterungsverbot rechtfertigt kein 2. Rechtsmittel (BayObLG NStZ 89, 194 mit abl. Anm. Ostendorf; Rn 16). 13.
ErzMaßregeln und Zuchtmittel
Auch für ErzMaßregeln und Zuchtmittel gilt das Verschlechterungsverbot, und zwar nicht nur 22 in ihrem Verhältnis untereinander, sondern auch in ihrem Verhältnis zu den Rechtsfolgen nach ErwRecht. Es müssen die einzelnen Reaktionsmittel (Strafen, ErzMaßregeln, Zuchtmittel, Maßregeln) in ihrer jeweils konkreten Gestaltung miteinander verglichen werden. Bei der notwendigen vergleichenden „Gesamtschau“ (BGH 24, 14) kommt es „darauf an, ob das im konkreten Fall in Frage stehende Zuchtmittel oder die nach ErwStrafrecht auszusprechende Strafe
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schwerer in die Rechtssphäre des Angeklagten eingreift“ (BayObLG 70, 161). Zuchtmittel können wesentlich schärfer auf den Täter einwirken, ihm ein erheblich schwereres Übel als eine Strafe nach ErwStrafrecht zufügen und von ihm auch als solches schwerere Übel empfunden werden (BayObLG aaO). Es ist also von der konkreten Belastung auszugehen, die das jeweilige Reaktionsmittel bei vernünftiger objektiver Würdigung der Interessenlage des Verurteilten für 25 diesen bedeutet (Löwe/Rosenberg/Gollwitzer § 331 StPO 34). Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach dem Wertmaßstab unserer Rechtsordnung Freiheitsentzug am schwersten wiegt und dass im Übrigen die Maßnahmen härter sind, die einen größeren Eingriff in die Bewegungsund Entschlussfreiheit enthalten (Grethlein S. 99, 107, 111). Ein Festhalten an Gruppeneinteilungen (etwa Strafe – andere Maßnahmen oder ErzMaßregeln – Zuchtmittel) führt in die Irre, da es beim Verschlechterungsverbot allein auf die konkrete Belastung ankommt und sonst ein Zuchtmittel stets milder als eine Strafe nach ErwRecht wäre (BayObLG aaO). 23 Am leichtesten ist die Verwarnung, da sie den Verurteilten zu bloßem Anhören einer richterlichen Ermahnung verpflichtet, wie sie wohl mit jeder Verurteilung verbunden ist (Dallinger/ Lackner Vorb. 26; Grethlein S. 106, 111, 112). Es folgt die Erziehungsbeistandschaft, da der Verurteilte zu keinem eigenen Handeln verpflichtet wird, doch eine Überwachung dulden muss (Grethlein S. 99, 111, 112). Schwerer sind Weisungen und Auflagen. Weisungen sind untereinander gleichwertig, weil sie abänderbar, jederzeit durch eine „schwerere“ ersetzbar und gegenseitig austauschbar sind (§ 11 II; Grethlein S. 98; Kretschmann S. 114; Dallinger/Lackner § 11, 1; Eisenberg 75; DSS/Schoreit 20; aA Ostendorf 15, der nach Eingriffsintensität im Einzelfall unterscheidet). Auflagen sind wegen ihrer Abänderbarkeit und Austauschbarkeit nach § 15 III 1 als untereinander gleichwertig anzusehen (für Gleichwertigkeit Potrykus § 66, 4; für Abstellen auf den Einzelfall Eisenberg 78; DSS/Schoreit 24; Schaffstein/Beulke S. 265; für eine Schwereabstufung in der Reihenfolge Entschuldigung, Wiedergutmachung u. Geldauflage Grethlein S. 63, 106 f., 109, 112). Für das Verhältnis von Weisungen und Auflagen, die untereinander nicht austauschbar sind, kommt es auf den Einzelfall an (Ostendorf 15; Schaffstein/Beulke S. 265; aA Eisenberg 75, DSS/Schoreit 20: Weisungen in der Regel härter als Auflagen). JA als Freiheitsentzug belastet mehr als alle bisher genannten Maßnahmen, die einen zwangsweisen Eingriff in die freie Aufenthaltsbestimmung nicht kennen (Grethlein S. 103, 109, 112; zust. Eisenberg 79 b; Ostendorf 15 u. NStZ 89, 196). JA an 1 oder 2 Freizeiten ist fraglos milder als Dauerarrest. Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 ist im Vergleich zu den genannten die härteste Maßnahme, da sie ein auf die Dauer angelegter Freiheitsentzug ist (Dallinger/Lackner Vorb. 26; Grethlein S. 99, 110, 112; Petersen NJW 61, 349; Potrykus § 66 B 4), auch wenn sie nun weitgehend freiere Formen zulässt; sie bleibt nur unterhalb JStrafe, vgl. Rn 26. Zust. Nothacker S. 180, 181; Schäfer NStZ 98, 331. 24 Die durch das 1. JGGÄndG neu in das Gesetz aufgenommenen Weisungen erschweren den Versuch noch mehr, eine allgemeingültige Reihenfolge der Schwere (Eingriffsintensität) nach zu finden, worauf es indessen für das Verhältnis der Weisungen untereinander nicht ankommt (Rn 23). Schon die Betreuungsweisung nach § 10 I 3 Nr. 5 kann recht unterschiedlich einwirken. Der Täter-Opfer-Ausgleich kann je nach Ausgestaltung die Wiedergutmachungsauflage nicht unerheblich übertreffen. Die Weisung, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen (§ 10 I 3 Nr. 6), kann an Intensität andere Weisungen sowie Auflagen übertreffen. 25 Die Überweisung an das Familiengericht (§ 53) entspricht nach der Schwere den Weisungen; denn den übrigen ErzMaßregeln (Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2, ErzBeistandschaft) vergleichbare Maßnahmen kann das Familiengericht auch ohne die Überweisung anordnen und wird es auch tun, da es vom Strafurteil und dem ihm zugrunde liegenden Sachverhalt gem. § 70 S. 1 Nr. 31 MiStra Kenntnis erhält und da der gleiche Richter die gleiche Sachlage gleich beurteilen wird.
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Anfechtung von Entscheidungen
14.
§ 55
Jstrafe
ErzMaßregeln und Zuchtmittel sind milder als JStrafe. Wegen des Gewichts der mit einer Straf- 26 aussetzung verknüpften Belastungen einschließlich des potentiellen Freiheitsentzugs darf auch eine zur Bewährung ausgesetzte JStrafe durch JA ersetzt werden (OLG Düsseldorf NJW 61, 891; OLG Hamburg NJW 63, 67; OLG Oldenburg Zbl. 67, 343; OLG Hamm NJW 71, 1666 = JR 72, 73 mit abl. Anm. Brunner; Dallinger/Lackner 23; Eisenberg 79 b; Ostendorf 16; DSS/Schoreit 25; Schaffstein/Beulke S. 264 f; aA LG Nürnberg-Fürth NJW 68, 120 unter Aufgabe von NJW 62, 326; Grethlein S. 120; Kretschmann S. 126). Auch Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 ist gegenüber JStrafe mit Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung nicht als Verschlechterung anzusehen, wenn die ErzHilfe nicht in einem geschlossenen Heim durchzuführen ist (Eisenberg 77 b; DSS/Schoreit 22). Die Aussetzung der Verhängung der JStrafe (§ 27) ist schwerer als ErzMaßregeln und Zucht- 27 mittel, weil sie die Verhängung von JStrafe wegen dieser Tat ermöglicht (Grethlein S. 121). Sie ist auch durch JA und Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 ersetzbar (Eisenberg 77 b, 79 b; DSS/Schoreit 22, 25). Die Aussetzung der Verhängung ist milder als JStrafe in jeder Form, weil sie noch offen lässt, ob JStrafe verhängt wird (Grethlein S. 93; zust. Eisenberg 80); anders BGH 9, 106, der die Ersetzung einer Entscheidung nach § 27 durch eine JStrafe mit Aussetzung der Vollstreckung zur Bew. für zulässig gehalten hat. Die Entscheidung dürfte jedoch einzelfallbedingt sein (DSS/ Schoreit 27). Es ist doch ein erheblicher Unterschied, ob noch ungewiss ist, ob überhaupt eine JStrafe verhängt wird, oder ob schon eine JStrafe verhängt und nur deren Vollstreckung ungewiss ist; zudem ist ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bew. eher möglich als die nachträgliche Verhängung von JStrafe (vgl. § 26 I, II 30 I, qualifizierter Verstoß gegen BewAuflage). Eine nachteilige Veränderung der Entscheidung nach § 27 selbst ist nicht möglich, weil sie nur im Schuldspruch besteht, für den das Verschlechterungsverbot nicht gilt (Grethlein S. 92); wegen BewAuflagen u. -zeit Rn 31. – Im Nachverfahren (§ 30) kann die Tilgung mangels Beschwer nicht zugunsten des Angeklagten angefochten werden; für die Verurteilung zu JStrafe gilt nichts anderes, als wenn diese Strafe sofort verhängt worden wäre (Grethlein S. 93). Bei JStrafe kommt es zunächst auf die Höhe an (Grethlein S. 45). Eine Erhöhung – oder Nichtan- 28 rechnung früher angerechneter UHaft – ist nicht möglich, selbst bei gleichzeitiger Gewährung von Strafaussetzung zur Bew. (BGH JZ 56, 101; OLG Oldenburg MDR 55, 436; OLG Hamm JMBl. NRW 58, 203; OLG Düsseldorf NJW 64, 216; OLG Köln MDR 76, 71; OLG Celle StV 01, 180; OLG Brandenburg NStZ-RR 08, 838; Grethlein S. 50; Eisenberg 83, Ostendorf 16; Löwe/Rosen25 berg/Gollwitzer § 331 StPO 61, 76). Zur EinheitsJStrafe § 31, 19. Ist nach Aufhebung einer EinheitsJStrafe die nach § 31 II einbezogene JStrafe inzwischen ver- 29 büßt, sodass keine EinheitsJStrafe mehr gebildet werden kann, so darf die neu zu verhängende JStrafe nicht höher bemessen werden als die aufgehobene EinheitsJStrafe abzüglich der zwischenzeitlich verbüßten (BGH NStZ 86, 483). S. auch Rn 33. 15.
UHaft
Der Wegfall der Anrechnung der UHaft ist auch bei entsprechender Ermäßigung der Strafe ein 30 Nachteil (Grethlein S. 45; Ganske S. 96; Eisenberg 83; Ostendorf 17; aA für das allg. Strafverfahren 25 BGH JZ 52, 754; JZ 56, 101; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer § 331 StPO 61); denn die Entlassung zur Bew. kann erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen, weil das erste Strafdrittel (§ 88) erst später verbüßt ist; es wird also ein größeres Strafübel verhängt. Umgekehrt ist die Verlängerung der Strafzeit bei entsprechend höherer Anrechnung von UHaft zulässig, da die Höchst-Strafzeit gleich bleibt, die Mindest-Strafzeit aber ermäßigt wird. – In beiden Fällen ist auch dem Gedanken Rechnung getragen, dass die UHaft im Hinblick auf § 116 StPO stets ein wesentlich kleineres Übel ist als jede Strafe.
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§ 55 16.
2. Teil. Jugendliche
Strafaussetzung zur Bewährung
31 Der Wegfall der Strafaussetzung zur Bew. verletzt das Verschlechterungsverbot (BGH 7, 182; BayObLG 59, 144 u. 62, 1; Grethlein S. 49; Eisenberg 81; Ostendorf 16; Meyer-Goßner § 331 StPO 17; Schaffstein/Beulke S. 264), und zwar auch dann, wenn die Strafaussetzung zur Bew. nicht ausdrücklich abgelehnt wird, sondern die Entscheidung nach § 57 vorbehalten bleibt, weil Sicherheit mehr als eine bloße Möglichkeit ist (Grethlein S. 58; Dallinger/Lackner § 59, 4; Eisenberg 81; Ostendorf 16). Selbst der Ausspruch einer wesentlich niedrigeren JStrafe – oder zusätzliche Anrechnung von UHaft – kann den Wegfall der Strafaussetzung zur Bew. nicht rechtfertigen (BGH JZ 56, 101; BayObLG NJW 59, 1838; OLG Frankfurt NJW 64, 368; Ganske S. 65; Grethlein S. 49; 25 Dallinger/Lackner § 59, 4; Eisenberg 81; Ostendorf 16; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer § 331 StPO 76), auch wenn sehr einschneidende Auflagen angeordnet waren (BGH NJW 54, 39; 61, 1220; Grethlein S. 49). Eine Versagung der Strafaussetzung zur Bew. verstößt nur dann nicht gegen das Verschlechterungsverbot, wenn der Angeklagte eine fortgesetzte Handlung nach dem Urteil noch fortgesetzt hat (bestritten) oder wenn die gesamte Strafe bereits durch angerechnete UHaft verbüßt ist (BGH NJW 61, 1220; Grethlein S. 49). Ein Wegfall der Strafaussetzung ist auch dann nicht zulässig, wenn dem Berufungsgericht Tatsachen bekannt werden, die den Widerruf recht25 fertigen (Löwe/Rosenberg/Gössel § 331 StPO 82). Nach OLG Hamm NStZ 96, 303 (zu § 56 f StGB) gilt das Verschlechterungsverbot auch für die Anrechnung einer Auflagenerfüllung. – Keine Verschlechterung bedeutet die ausdrückliche Versagung der Strafaussetzung zur Bew., wenn das Erstgericht darüber noch nicht entschieden hat, also noch eine Bewilligung nach § 57 möglich gewesen wäre. Denn hier hat das Erstgericht keine Entscheidung erlassen, der Angeklagte hat noch keine Rechtsposition erlangt; es ist kein Raum für das Verschlechterungsverbot (Dallinger/Lackner § 59, 6; Grethlein S. 58; aA Eisenberg 81; Ostendorf 16).
17.
Bewährungsauflagen
32 Bestätigt das Berufungsgericht die vom Erstgericht bewilligte Strafaussetzung zur Bew., so hat es über die BewAuflagen – wie ein Gericht erster Instanz, also insoweit Beschwerde – neu zu ent25 scheiden (Löwe/Rosenberg/Matt § 305 a StPO 9). Das Verschlechterungsverbot (§§ 331, 358 II, 373 II StPO) ist auf Beschlüsse nur in bes. Ausnahmefällen analog anwendbar (näher Rn 45). Nach hM unterliegen danach Beschlüsse über BewAuflagen nicht dem Verschlechterungsverbot, denn diese Beschlüsse schließen nicht das Verfahren wie ein Urteil ab, sondern werden neben dem Urteil erlassen und enthalten keine endgültigen Anordnungen, was sie ihre kriminalpolitischen Ziele (§ 23, 5) häufig verfehlen lassen würde (BayObLG 56, 233 u. bei Rüth DAR 70, 263; OLG Stuttgart NJW 54, 611; OLG Nürnberg NJW 59, 1452 u. bei Rüth DAR 70, 263; OLG Hamm NJW 78, 1596; OLG Karlsruhe Justiz 79, 211; OLG Hamburg NJW 81, 470 mit Anm. Loos NStZ 81, 363; OLG Koblenz NStZ 81, 154 unter Aufgabe von NJW 77, 1074; OLG Düsseldorf NStZ 94, 25 198; Grethlein S. 54; Fischer § 56 b StGB 10; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer § 305 a StPO 12; KMR/Plöd § 305 a StPO 5; Bedenken bei Eisenberg 82; aA OLG Frankfurt NJW 78, 959; abl. auch Ostendorf 13; § 11, 4; § 23, 11 unter Hinweis auf das Vertrauensprinzip). BewAuflagen stehen unter dem stillschweigenden Vorbehalt der gesetzlich vorgesehenen nachträglichen Abänderbarkeit (Löwe/ 25 Rosenberg/Gollwitzer § 268 a StPO 20, § 305 a StPO 12). Warum sollte dem Rechtsmittelrichter versagt sein, was dem Erstrichter trotz Rechtskraft des Urteils erlaubt ist (§ 23, 5)? Der BGH (NJW 82, 1544 mit zust. Anm. Meyer JR 82, 338) hat entschieden, dass der Richter, welcher die vom Erstrichter zur Bew. ohne Auflage ausgesetzte Strafe nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache erneut aussetzt, eine Auflage jedenfalls dann erteilen kann, wenn seit der früheren Entscheidung neue Umstände hervorgetreten sind, welche die Auflage rechtfertigen. Ebenso BayObLG (bei Rüth DAR 83, 247), nach welchem solche Umstände auch darin gesehen werden können, dass der Angeklagte nach dem Ersturteil sich erneut in gleicher Richtung strafbar gemacht hat. Das Verschlechterungsverbot hindert nach Meyer (JR 82, 339), was der BGH im vorlie-
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Anfechtung von Entscheidungen
§ 55
genden Falle nicht zu entscheiden hatte, aber selbst dann nicht eine Abänderung der BewAuflagen zum Nachteil des Verurteilten, wenn für den Erstrichter die Voraussetzungen hierzu (§ 23, 5) nicht vorliegen würden. Das Verschlechterungsverbot ist daher nicht anwendbar, wenn das Berufungsgericht durch einen neuen Bewährungsbeschluss die vom Vorderrichter getroffenen Anordnungen abändert (OLG Düsseldorf NStZ 94, 198). 18.
Sanktionen nebeneinander
Sind mehrere Maßnahmen nebeneinander angeordnet (§ 8), ist im Wege einer Gesamtschau zu 33 prüfen, ob die Gesamtheit der neu verhängten Sanktionen für den J nachteiliger ist als die Gesamtheit der im ersten Urteil ausgesprochenen Rechtsfolgen (BGH 24, 14; 29, 270; Ostendorf 14; DSS/Schoreit 18). Darüber, inwieweit der Wegfall oder die Verringerung einer Sanktion die Erhöhung einer anderen auszugleichen vermag, werden sich nur schwer allg. Annahmen aufstellen lassen (Eisenberg 85; vgl. aber auch Grethlein S. 124 ff). Jedenfalls erlaubt die Gesamtschau nicht die erstmalige Verhängung oder Verschärfung stationärer Sanktionen (zB nicht JA anstelle von Weisungen und Auflagen; nicht 7 Monate JStrafe statt 6 Monate JStrafe und Weisungen). Zu berücksichtigen ist auch die Sanktion aus einer Entscheidung, die in 1. Instanz gem. § 31 II 1 einbezogen und von deren Einbeziehung in 2. Instanz gem. § 31 III 1 abgesehen wurde (OLG Celle StV 01, 179). Es liegt daher ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot vor, wenn der Angeklagte in 1. Instanz unter Einbeziehung einer weiteren Verurteilung zu JA zu einer JStrafe verurteilt wurde und auf seine Berufung für die JStrafe Bew. gewährt und von der Einbeziehung der auf JA lautenden Entscheidung abgesehen wird, denn im Fall des Widerrufs der Bew. müsste der Angeklagte zusätzlich zur JStrafe auch JA verbüßen (OLG Celle aaO). 19.
Maßregeln der Besserung und Sicherung
Die Maßregeln der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entzie- 34 hungsanstalt unterliegen dem Verschlechterungsverbot nicht (§§ 331 II, 358 II 2, 373 II 2 StPO). Auch wenn nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, kann das angefochtene Urteil im Rahmen der Sachrüge auch daraufhin überprüft werden, ob von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu Recht abgesehen worden ist (BGH B NStZ 93, 527). Das Verschlechterungsverbot bewahrt den Angeklagten also nicht davor, dass in der Rechtsmittelinstanz oder nach Zurückverweisung nunmehr die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wird (BGH B NStZ 93, 527). Dies gilt nach BGH B NStZ 96, 478 nicht, wenn der Angeklagte die Nichtanwendung der §§ 63, 64 StGB von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen hat. Vgl. dazu jedoch Rn 6 d. Eine Weisung nach § 10, den Führerschein zu hinterlegen, darf nicht durch Entziehung der 35 Fahrerlaubnis, einen belastenderen Eingriff, ersetzt werden (Dallinger/Lackner Vor § 55, 25; Eisenberg 94, Potrykus B 10 u. NJW 55, 931). Im Übrigen kann eine solche Frage nur dann auftreten, wenn mit der Weisung bereits gesetzeswidrig § 69 StGB umgangen worden ist (vgl. § 10, 14). An Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt darf grds. nicht auf JStrafe (BGH 11, 319), wohl aber auf ErzMaßregeln (einschl. Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 bis zur Höchstdauer der Unterbringung) und alle Zuchtmittel erkannt werden (Dallinger/Lackner Vor § 55, 24; Eisenberg 93 unbestimmt). Entsprechend BGH 5, 316; 25, 38 wird man aber JStrafe statt der auch möglichen Unterbringung zulassen können, wenn der Angeklagte aus verständigen Gründen darum bittet (Bruns JZ 54, 730; Dallinger MDR 25 54, 333; Ganske S. 77; Grethlein S. 140; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer § 331 StPO 87; Seibert MDR 54, 331; vgl. Gerhardt Das Verbot der reformatio in peius bei den Nebenstrafen, Nebenfolgen u. Maßregeln der Sicherung u. Besserung, Diss. München 1970; für eine Beurteilung des Nachteilsbegriffs ausschließlich nach generell-objektiven Maßstäben Kretschmer S. 126). Nach Ostendorf 23 ist
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2. Teil. Jugendliche
der Wechsel von der Unterbringung in der Entziehungsanstalt zur JStrafe „ohne Bitte“ zulässig, wenn die Zweijahresdauer nicht überschritten wird. 20.
Nebenstrafen, Nebenfolgen
36 Zu den allg. Auswirkungen des Verschlechterungsverbots auf Nebenstrafen und Nebenfolgen 25 AKStPO/Dölling 37, 38; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer 97–113 je zu § 331 StPO. Zum Verhältnis der Weisung nach § 10, den Führerschein zu hinterlegen, zum Fahrverbot gilt das Rn 35 zur Entziehung der Fahrerlaubnis Gesagte, zumal auch § 44 StGB nicht durch jene Weisung umgangen werden darf. Bei alleiniger Berufung des J darf nicht erstmals ein Fahrverbot ausgesprochen werden, umgekehrt darf es in der Berufungsinstanz bei höherer Sanktionierung entfallen (BGH 24, 11). 21.
Kostenentscheidung
37 Die Kostenentscheidung unterfällt nicht dem Verschlechterungsverbot (BGH 5, 52; OLG Karls25 ruhe Rpfl. 86, 317; Dallinger/Lackner § 74, 17; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer 114; Meyer-Goßner 6 je zu § 331 StPO). Eisenberg 95 stimmt zu, hält aber eine „sinngemäße Anwendung des Verschlechterungsverbotes“ für angezeigt. Wo geholfen werden soll, hilft § 74. 22.
JRecht – ErwRecht
38 Es verstößt im Grundsatz nicht gegen das Verschlechterungsverbot, wenn die Verurteilung nach ErwRecht statt nach JRecht oder umgekehrt erfolgt (OLG Hamburg NJW 63, 67; OLG Köln NJW 64, 1684; Dallinger/Lackner § 105, 51; Eisenberg 74 a; Lackner GA 55, 36; Potrykus § 105 B 6; Schaffstein NJW 55, 1578; Ostendorf 20; aA Petersen NJW 61, 350). Doch darf im Einzelfall keine schwerere Maßnahme getroffen werden, es sind die Rechtsfolgen im Einzelnen zu vergleichen. 23.
JStrafe – Freiheitsstrafe
39 Die JStrafe entspricht in der Schwere der Freiheitsstrafe, beide haben während der Zeit der Vollstreckung die gleichen Auswirkungen (BGH 5, 369; 10, 103; BGH 29, 269 = Zbl. 82, 248 mit Anm. Molketin; OLG Düsseldorf NJW 64, 216; OLG Oldenburg NJW 56, 1730; OLG Hamm JMBl. NRW 58, 203; Grethlein S. 150, Kretschmann S. 133; Dallinger/Lackner § 1, 14), weshalb sie auch im Vollzug ausgewechselt werden können (§§ 89 b, 114). Es darf deshalb eine Freiheitsstrafe nicht durch eine höhere JStrafe ersetzt werden; denn die Belastung durch eine höhere Strafe kann nicht durch die sonstigen kraft Gesetzes eintretenden Vorteile der JStrafe aufgewogen werden, nämlich durch die Möglichkeit früherer Aussetzung der Reststrafe nach § 88, die günstigeren Registerfolgen nach §§ 30, 32, 46 BZRG und die Möglichkeit der Strafmakelbeseitigung vor Ablauf der Tilgungsfristen nach §§ 97 ff. Die Möglichkeit der früheren Aussetzung der RestJStrafe nach § 88 verbietet es aber andererseits, anstelle einer JStrafe auf eine gleich hohe Freiheitsstrafe zu erkennen (BGH 29, 269 = Zbl. 82, 248 mit Anm. Molketin; Grethlein S. 153–155; Kretschmann S. 133; Eisenberg 87; Ostendorf 21). In der Gesamtschau kann die spätere Entlassungsmöglichkeit bei Freiheitsstrafe einen Angeklagten iSd §§ 331 I, 358 II StPO von der Einlegung eines Rechtsmittels abhalten, weil ein zu Strafe Verurteilter regelmäßig bes. Wert darauf legt, diese Strafe nicht vollständig verbüßen zu müssen; es kommt also insoweit nicht auf den Rechtsfolgenausspruch nach Art und Höhe allein an (BGH aaO). Eine Freiheitsstrafe darf an die Stelle einer JStrafe deshalb nur dann treten, wenn sie niedriger ist als die zunächst verhängte JStrafe und so bemessen werden kann, dass der Angeklagte nach § 57 StGB zumindest nach der gleichen Zeit entlassen werden kann, wie es die JStrafe nach § 88 ermöglicht hätte (BGH aaO). Soweit es gesetzlich zulässig ist, muss bei Ersetzung einer JStrafe durch eine geringere Freiheitsstrafe zu-
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Anfechtung von Entscheidungen
§ 55
sätzlich nach § 106 II ausgesprochen werden, dass die weiteren nachteiligen Folgen nicht eintreten, welche eine Verurteilung zu JStrafe nicht gebracht hätte, die eine Freiheitsstrafe aber nach sich zieht (BGH aaO). Kann die Freiheitsstrafe nicht entsprechend den vorzeitigen Entlassungsmöglichkeiten des § 88 bemessen werden, so bleibt es bei der JStrafe. Anstelle einer Freiheitsstrafe darf aber stets eine gleichlange JStrafe treten; dabei kann JStrafe 40 auch in geringerer Höhe als 6 Monate ausgesprochen werden (OLG Oldenburg NJW 56, 1730; OLG Hamm JMBl. NRW 58, 203; OLG Düsseldorf NJW 64, 216; Grethlein S. 151; Dallinger/Lackner § 105, 53; Eisenberg 88) und eine Entlassung gem. § 88 vor Verbüßung von 6 Monaten JStrafe erfolgen (Grethlein S. 152: „bes. wichtiger Grund“ nach § 88 II 1; aA Ostendorf 21, der auf JA oder ambulante Maßnahmen zurückgreifen will). Für die Strafaussetzung und die Anrechnung von UHaft gilt das Rn 26, 30 Entwickelte ent- 41 sprechend. Wegen des Ausgleichs der Verschlechterung, die in der Unterlassung der Gesamtstrafenbildung liegt, wenn § 105 II nicht eingreift, § 32, 5 u. BGH 36, 294 = JR 90, 523 mit zust., aber zur Rechtsentwicklung krit. Anm. Brunner. 24.
Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 und JA
Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 und JA sind milder als JStrafe, damit auch milder als Freiheits- 42 strafe (OLG Oldenburg OLGSt. § 331 StPO S. 1; Grethlein S. 156 für Fürsorgeerz.). Sie können auch statt zur Bew. ausgesetzter Freiheitsstrafe verhängt werden (Rn 26). 25.
Geldstrafe
Geldstrafe ist milder als jeder Freiheitsentzug (BGH Dallinger MDR 75, 541; BayObLG 71, 7), 43 milder als Ersatzfreiheitsstrafe (BayObLG 76, 4), also milder auch als JA (BayObLG 70, 159; Eisenberg 91; aA LG Kassel B NStZ 92, 529) und Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2. Tritt Geldstrafe anstelle von JA, so ist zu beachten, dass die Ersatzfreiheitsstrafe den früheren JA (oder Freiheitsstrafe) nicht überschreiten darf (BayObLG bei Rüth DAR 71, 207; OLG Köln NJW 64, 1684; Grethlein S. 158; Ganske S. 76). Geldstrafe ist auch milder als Weisungen, da sie auf einen Eingriff in das Vermögen beschränkt ist, während Weisungen zu einer größeren Beschränkung der persönlichen Freiheit führen können (bestritten; Grethlein S. 159). Die Geldstrafe entspricht der Auflage der Bußzahlung, da beide ein zusätzliches Vermögensopfer fordern; sie können auch hinsichtlich der Höhe miteinander verglichen werden (bestritten; Grethlein S. 159). Nach Eisenberg 91 entscheidet die Belastung im Einzelfall. Sind mildere jrechtliche Maßnahmen verhängt, nämlich Verwarnung, Erziehungsbeistandschaft, Entschuldigung oder Schadenswiedergutmachung (Rn 23), hat es bei diesen sein Bewenden, auch wenn das Berufungsgericht eine Verurteilung nach allg. Recht für richtiger hält (Grethlein S. 160). 26.
Bei besonderen Verfahrensarten
Das Verschlechterungsverbot gilt auch im vereinfachten JVerfahren (Grethlein S. 130). Im form- 44 losen Erziehungsverfahren (§§ 45, 47) kommt das Verschlechterungsverbot deshalb nicht in Betracht, weil der J zu nichts gezwungen, ein Ungehorsam nicht geahndet wird und eine Anfechtung deshalb ausgeschlossen ist (Grethlein S. 131; zust. Eisenberg 24; Ostendorf 13). 27.
Bei Beschlüssen und Rechtsbeschwerden
Das Verschlechterungsverbot gilt ausnahmsweise auch bei Beschlüssen, welche Rechtsfolgen 45 endgültig festlegen und das Verfahren wie ein Urteil durch eine Sachentscheidung abschließen 25 (Gollwitzer JR 77, 347; Meyer JR 82, 338; KMR/Plöd Vor § 304 StPO 5; Löwe/Rosenberg/Gollwitzer
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Vor § 304 StPO 21; Ostendorf 12). So bei Gesamtstrafenbildung (BGH 8, 203; OLG Nürnberg NJW 59, 1452, OLG Oldenburg NdsRpfl. 79, 428; Maiwald JR 80, 353), bei Ordnungsmittelbeschlüssen nach § 51 StPO (OLG Hamm MDR 60, 946) und bei Beschlüssen über die Anrechnung von Leistungen auf die Strafe nach § 56 f III 2 StGB (OLG München MDR 80, 517). Dies gilt auch, wenn JA wegen Ungehorsams verhängt (§§ 11 III, 15 III, 23 I 4, 65; Grethlein S. 132), die Dauer der BewZeit geändert (§§ 22 II 2, 88 V, 89 III, 59 II; Grethlein S. 132; Eisenberg 82; wohl auch Ostendorf 13; aA OLG Hamburg NJW 81, 470), über die Entlassung zur Bew. entschieden (§§ 88, 89; Grethlein S. 133), nachträglich eine Einheits“strafe“ gebildet (§§ 31, 66; Grethlein S. 126), vorzeitige Entlassung aus dem JA bewilligt (§§ 87 III; Grethlein S. 134) oder bei Ablehnung eines Entlassungsantrages eine Sperrfrist gem. § 88 V festgesetzt ist (Grethlein S. 133). Insgesamt wohl zust. Eisenberg 24; Ostendorf 13. Nicht gilt das Verschlechterungsverbot aber für die Änderung von BewAuflagen (eingehend Meyer JR 82, 338; näher Rn 32). 46 Das Verschlechterungsverbot gilt auch für die Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des JGerichts im OWiG-Verfahren (Urteil oder Beschluss) auf Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde (§ 79 III OWiG iVm § 358 II StPO). Dagegen darf im Verfahren nach Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde das Gericht bei Entscheidung in der Hauptverhandlung (durch Urteil) vom Bußgeldbescheid auch zum Nachteil des Betroffenen abweichen (§ 71 OWiG iVm § 411 IV StPO) und kann sogar zum Strafverfahren übergehen (§ 81 OWiG; Göhler § 71 OWiG 4); entscheidet das Gericht jedoch im schriftlichen Verfahren durch Beschluss, gilt das Verschlechterungsverbot (§ 72 III 2 OWiG; OLG Frankfurt NJW 76, 328; § 78, 24). Der Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot eröffnet die Rechtsbeschwerde in entsprechender Anwendung des § 79 I Nr. 5 OWiG (OLG Karlsruhe VRS Bd. 53 [77], 370). Zur Frage Rechtsmittel nach StPO oder Rechtsbeschwerde BayObLG 73, 190; OLG Hamm NJW 69, 500. 28.
Sanktionen ohne Verschlechterungsverbot
47 Kein Raum für das Verschlechterungsverbot ist dagegen bei Abänderung von Weisungen und Auflagen (Rn 23, auch § 11, 3), der BewAuflagen oder des BewPlanes (Rn 23; §§ 23 I 3, 29, 58, 60, 62, 64; Grethlein S. 132), bei der Anfechtung der Strafaussetzung allein (Grethlein S. 131), bei Straferlass (§§ 26 a, 59 IV, 88 V, 89 III; Grethlein S. 132), Widerruf der Strafaussetzung oder Entlassung zur Bew. (§§ 26 I, 58, 88 V, 89 III; Grethlein S. 132; vgl. aber OLG München MDR 80, 517 in Rn 45), bei der nachträglichen Einheits“strafen“bildung selbst (§§ 31, 66; Grethlein S. 135), im Verfahren zur Beseitigung des Strafmakels (§§ 97 ff; Grethlein S. 128) und bei vorläufigen Anordnungen nach § 71 (Grethlein 63, 135). Das Verschlechterungsverbot gilt auch nicht bei der nachträglichen BewEntscheidung (§ 57). Wurde Strafaussetzung angeordnet, kann mangels Beschwer nicht zugunsten des Angeklagten angefochten werden. Ist Strafaussetzung versagt, bleibt kein Raum für weitere Verschlechterung. Wendet sich der Verurteilte gegen den weiteren Aufschub der Entscheidung über die Strafaussetzung, kann das Verschlechterungsverbot durch keine Entscheidung verletzt werden, da der Verurteilte ja noch keine Rechtsposition erlangt hat. Insgesamt zust. anscheinend Eisenberg 24. 29.
Wiedereinsetzung
47 a Zu jtypischen Fällen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand § 50, 9; § 67, 10, 11; § 59, 4. Sie ist aber auch dort gegeben, wo das allg. Recht deshalb nicht angewendet werden kann, weil es den Grundsätzen des JGG widerspricht oder zu nicht jgemäßen Ergebnissen führen würde, zB bei öffentlicher Zustellung gegen J oder Hw. (OLG Stuttgart MDR 87, 340; vgl. § 2, 5).
354
Teilvollstreckung einer Einheitsstrafe
30.
§ 56
Im Wiederaufnahmeverfahren
Für die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens gelten 48 §§ 359 ff StPO. Eine Verurteilung iSd Vorschriften ist auch die Verhängung von Zuchtmitteln und die Anordnung von ErzMaßregeln sowie die Entscheidung gem. § 27, die ja das rechtskräftige Urteil ist (vgl. § 27, 2; zust. Eisenberg 29). Für das Anfechtungsrecht (§ 365 StPO) gilt Rn 2 bis 5 a, für die Wiederaufnahme gelten neben §§ 359, 363 StPO die bes. jrechtlichen Beschränkungen des § 55 I (Rn 8; Dallinger/Lackner Vor § 55, 29; Eisenberg 28, 40; Ostendorf 26); wegen der Auswirkungen des Grundsatzes der Einheitsstrafe vgl. das Rn 6 Gesagte. Bei Wiederaufnahme nur wegen einzelner Taten kann die Vollstreckung wegen der übrigen Taten in entsprechender Anwendung des § 56 eingeleitet oder fortgesetzt werden. Das Verschlechterungsverbot (§ 373 II StPO) gilt auch hier. Die Wiederaufnahme hat nach JGG eine bes. Bedeutung, wenn das Urteil auf einer Einreihung in eine falsche Altersstufe beruht (§ 1, 11). Auch gegen Beschlüsse, durch die gem. §§ 11 III, 15 III JA verhängt wurde, ist die Wiederauf- 49 nahme zulässig (Eisenberg 30 u. § 65, 20; DSS/Schoreit 39; Nothacker S. 328; aA LG Stuttgart NJW 57, 1686; Dallinger/Lackner Vor § 55, 29 iVm § 65, 13; im allg. Strafverfahren ist die Zulässigkeit der Wiederaufnahme gegen Beschlüsse umstritten, vgl. Meyer-Goßner Vor § 359 StPO 5; 25 Löwe/Rosenberg/Gössel Vor § 359 StPO 46–65 mwN). Es macht für den Betroffenen keinen Unterschied, ob der JA gegen ihn durch Urteil oder Beschluss verhängt ist; nachdem in jedem Fall Unrecht gesühnt wird (§ 11, 4), müssen trotz des Ausnahmecharakters der Wiederaufnahmevorschriften im Interesse der gerade gegenüber J bes. wichtigen materiellen Gerechtigkeit die §§ 359, 373 a StPO, 85 OWiG entsprechend auf diese Beschlüsse angewendet werden (dazu § 65, 25 7). Löwe/Rosenberg/Gollwitzer Vor § 304 StPO 37 wollen die Änderung eines rechtskräftigen Beschlusses zur Korrektur einer fehlerhaften Entscheidung in der Sache zumindest dann zulassen, wenn ein Grund vorliegt, der bei einem Urteil die Wiederaufnahme rechtfertigen würde. Abzulehnen ist die Meinung Hellmanns (MDR 89, 952), der bei Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen Wiederaufnahme mit dem Ziele der Rehabilitierung zulassen will, zumal die Zustimmung aus verfahrenstaktischen Gründen erfolgt sein könne. Gleiches wird für andere urteilsgleiche Beschlüsse zu gelten haben, etwa im Nachverfahren gem. 49 a § 30 (§ 62 II), bei der nachträglichen Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung (§ 57), beim Widerruf der Strafaussetzung (§ 58 I) und bei der nachträglichen Einheitsstrafenbildung (§ 66 II 2). Insgesamt zust. Eisenberg 30 u. § 65, 19, 20; Ostendorf § 59, 2 u. 17; DSS/Schoreit 39; gegen die Zulässigkeit der Wiederaufnahme gegen einen Widerrufsbeschluss OLG Stuttgart Justiz 96, 150 mwN. Nichtigkeit: § 1, 11. Rechtsmittelbelehrung: § 54, 18.
50
§ 56 Teilvollstreckung einer Einheitsstrafe § 56 Teilvollstreckung einer Einheitsstrafe (1) Ist ein Angeklagter wegen mehrerer Straftaten zu einer Einheitsstrafe verurteilt worden, so kann das Rechtsmittelgericht vor der Hauptverhandlung das Urteil für einen Teil der Strafe als vollstreckbar erklären, wenn die Schuldfeststellungen bei einer Straftat oder bei mehreren Straftaten nicht beanstandet worden sind. Die Anordnung ist nur zulässig, wenn sie dem wohlverstandenen Interesse des Angeklagten entspricht. Der Teil der Strafe darf nicht über die Strafe hinausgehen, die einer Verurteilung wegen der Straftaten entspricht, bei denen die Schuldfeststellungen nicht beanstandet worden sind. (2) Gegen den Beschluß ist sofortige Beschwerde zulässig. 1. Hw.-J: RL 2; § 109 II 1. – 2. ErwG: RL 2; § 104 I Nr. 7.
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§ 56
2. Teil. Jugendliche
Richtlinien zu § 56: 1. Von der Möglichkeit, die Teilvollstreckung einer nach § 31 gebildeten Einheitsstrafe anzuordnen, wird nur mit Zurückhaltung Gebrauch gemacht werden können. Es ist vor allem zu bedenken, ob sich bei einem Wegfall einzelner Schuldfeststellungen ein anderes Bild von der Persönlichkeit des Jugendlichen ergeben und damit die Verhängung von Jugendstrafe überhaupt entbehrlich werden könnte. 2. § 56 gilt auch im Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten (§ 104 Abs. 1 Nr. 7), im Verfahren gegen Heranwachsende nur, wenn das Gericht Jugendstrafrecht anwendet (§ 109 Abs. 2).
1 Jede Anfechtung der Einheitsstrafentscheidung erfasst den ganzen Strafausspruch, während der Schuldspruch ganz oder teilweise in Rechtskraft erwachsen kann (§ 55, 6). Eine Teilvollstreckung der JStrafe aus dem nicht rechtskräftigen Strafausspruch ist nur ausnahmsweise (RL 1) entgegen § 449 StPO aus erz. Gründen (Strafe muss der Tat auf dem Fuße folgen, UHaft soll möglichst vermieden werden) möglich, wenn 4 Voraussetzungen (Rn 2–5) vorliegen: 2 Mehrere in Tatmehrheit stehende Taten sind gem. §§ 31, 32, 66 mit einer EinheitsJStrafe geahndet worden (Abs. I 1). Bei Einbeziehung früherer Entscheidungen ist zu beachten, dass in ihnen ausgesprochene JStrafen bis zur Rechtskraft der Einheitsstrafentscheidung vollstreckbar bleiben, so dass § 56 hier meist nicht angewendet werden muss (BVerfG NStZ 01, 447; Dallinger/ Lackner 7; Eisenberg 8; aA Bohlander NStZ 98, 238). Wurde in eine EinheitsJStrafe nach § 31 II 1 eine rechtskräftige JStrafe zur Bew. einbezogen (vgl. § 31, 15), so ist gleichwohl Teilvollstreckung bis zur Höhe der einzubeziehenden BewStrafe möglich (OLG Karlsruhe MDR 81, 519; Eisenberg 8; aA Ostendorf 9; Nothacker MDR 82, 278; von Beckerath JStrafrechtliche Reaktionen bei Mehrfachtäterschaft, Diss. Tübingen 1997 S. 168). 3 Der Schuldspruch ist hinsichtlich einer oder mehrerer (nicht aller) Taten rechtskräftig (Abs. I 1). Ist dagegen der gesamte Schuldspruch rechtskräftig, kann auch bei Teilanfechtung des Strafausspruches keine Teilvollstreckung erfolgen (Dallinger/Lackner 1. Aufl. 11; Bender JGG, 1965 Rn 4; Eisenberg 9; von Beckerath Rn 2, S. 166; aA Dallinger/Lackner 2. Aufl. 5; Potrykus B 3; DSS/Schoreit 6; Ostendorf 4, der hier „erst recht“ Teilvollstreckung zulässt). 4 Die Teilvollstreckung muss im wohlverstandenen Interesse des Täters liegen (Abs. I 2). Das ist grds. nur der Fall, wenn dadurch statt der erz. indifferenten UHaft oä die ErzArbeit der JStrafanstalt mit hinreichender Aussicht auf Dauer begonnen werden kann (dazu auch Rn 5) oder wenn der verwahrloste Täter möglichst schnell aus seiner Umgebung entfernt werden muss. Dem Angeklagten darf aus der Teilvollstreckung – objektiv betrachtet – kein Rechtsnachteil erwachsen (ebenso OLG Karlsruhe MDR 81, 519; Ostendorf 8; krit. Eisenberg 6: Begriff des wohlverstandenen Interesses zu unbestimmt). 5 Die Möglichkeit, dass durch das Rechtsmittelurteil die JStrafe wegfallen könnte (vgl. RL 1, S. 2), darf nur eine theoretische sein (Dallinger/Lackner 4, 10), selbst wenn alle angefochtenen Schuldsprüche aufgehoben werden müssten (Abs. I 3). Vgl. Rn 2 aE. 6 Das Rechtsmittelgericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen. Der zu vollstreckende Teil wird durch die JStrafe bestimmt, die mindestens bleibt, wenn der Schuldspruch im Umfang der Anfechtung wegfällt (Abs. I 3). Die unvermeidliche Unsicherheit (Akten-Entscheidung im Täterstrafrecht) wirkt zugunsten des Täters. 7 Die Anordnung erfolgt durch Beschluss des Rechtsmittelgerichts ggf. mit Rechtsmittelbelehrung (§ 35 a StPO). Der Beschluss der JKammer kann mit sofortiger Beschwerde angefochten werden (Abs. II; § 311 StPO). Gegen Entscheidungen höherer Gerichte gibt es kein Rechtsmittel (§§ 304 IV, 310 II StPO; Dallinger/Lackner 14; aA Potrykus B 6 hinsichtlich der weiteren Beschwerde). 8 Der Beschluss ist entgegen § 307 I StPO erst nach Rechtskraft vollstreckbar (näher: § 26 a, 13; ebenso Dallinger/Lackner 16; Eisenberg 14; Ostendorf 12). Das Beschwerdegericht kann die Vollstre-
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§ 57
Entscheidung über die Aussetzung
ckung zudem aussetzen (§ 307 II StPO). Wegen der urkundlichen Grundlagen der Vollstreckung § 85 RL II 3. Ab Rechtskraft des Beschlusses rechnet jede Freiheitsentziehung in diesem Verfahren (bes. 9 UHaft) als Strafhaft (§ 450 II StPO entsprechend). § 56 gilt im Wiederaufnahmeverfahren entsprechend (§ 55, 48).
Vierter Unterabschnitt Verfahren bei Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung § 57 Entscheidung über die Aussetzung § 57 Entscheidung über die Aussetzung (1) Die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung wird im Urteil oder, solange der Strafvollzug noch nicht begonnen hat, nachträglich durch Beschluß angeordnet. Für den nachträglichen Beschluß ist der Richter zuständig, der in der Sache im ersten Rechtszuge erkannt hat; der Staatsanwalt und der Jugendliche sind zu hören. (2) Hat der Richter die Aussetzung im Urteil abgelehnt, so ist ihre nachträgliche Anordnung nur zulässig, wenn seit Erlaß des Urteils Umstände hervorgetreten sind, die allein oder in Verbindung mit den bereits bekannten Umständen eine Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung rechtfertigen. (3) Kommen Weisungen oder Auflagen (§ 23) in Betracht, so ist der Jugendliche in geeigneten Fällen zu befragen, ob er Zusagen für seine künftige Lebensführung macht oder sich zu Leistungen erbietet, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen. Kommt die Weisung in Betracht, sich einer heilerzieherischen Behandlung oder einer Entziehungskur zu unterziehen, so ist der Jugendliche, der das sechzehnte Lebensjahr vollendet hat, zu befragen, ob er hierzu seine Einwilligung gibt. (4) § 260 Abs. 4 Satz 4 und § 267 Abs. 3 Satz 4 der Strafprozeßordnung gelten entsprechend. 1. Hw.-J: § 109 II 1. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 8. Schrifttum: Flümann Die Vorbewährung nach § 57 JGG, 1983; Sommerfeld Vorbewährung nach § 57 JGG in Dogmatik u. Praxis, 2007. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6.
1.
Zeitpunkt der BewEntscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen der nachträglichen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . Zusagen und Anerbieten, heilerzieherische Behandlung und Entziehungskur Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitpunkt der nachträglichen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zeitpunkt der BewEntscheidung
Wie im allg. Recht wird die Strafaussetzung zur Bew. im Urteilssatz angeordnet, in den Urteils- 1 gründen abgelehnt (Abs. I; §§ 260 IV 4, 267 III 4 StPO). Wird aber die Bew. im Tenor abgelehnt und in einem daneben verkündeten Beschluss die Überprüfung der BewEntscheidung nach Ab-
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§ 57
2. Teil. Jugendliche
lauf von 6 Monaten angekündigt, dann wird das Urteil auch insoweit rechtskräftig, denn maßgebend ist das Urteil nebst Gründen (KG NStZ 88, 182; Eisenberg/Wolski NStZ 86, 220). Die JStrafe kann also erst vollstreckt werden, wenn der nach Abs. I 2 zuständige Richter (Rn 8) die im Beschluss angekündigte Überprüfung vorgenommen hat (BGH NStE Nr. 2 zu § 21; OLG Frankfurt NStZ-RR 97, 250). 2 Im JRecht kann die Entscheidung auch einem nachträglichen Beschlussverfahren überlassen bleiben, und zwar – zweckmäßig – ausdrücklich und begründet (nach Ostendorf 4 wegen Registerklarheit nicht im Tenor) oder dadurch, dass das Urteil über Strafaussetzung zur Bew. schweigt (Rn 5; beachte hierzu aber § 21, 15). Ist Strafaussetzung beantragt, muss – wenigstens in den Urteilsgründen – ausgesprochen werden, dass die Entscheidung dem Beschlussverfahren vorbehalten bleibt (Abs. IV; § 267 III 4 StPO; BGH 14, 74; zust. Eisenberg 9; Ostendorf 4). 3 Ob über die Strafaussetzung im Urteil oder später entschieden wird, bestimmt das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts auch dann, wenn die Strafaussetzung ausdrücklich beantragt ist (BGH 14, 74). Angezeigt ist eine spätere Entscheidung zB, wenn noch weitere Ermittlungen nur zur Frage der Strafaussetzung zur Bew. oder zu den Auflagen notwendig sind (§ 21 RL 1; § 21, 6; die Zulässigkeit auf diesen Fall beschränkend OLG Dresden NStZ-RR 98, 318), dadurch also eine Vertagung vermieden wird, oder wenn die Gefahr besteht, dass der J das Urteil mit Strafaussetzung als „halben Freispruch“ ansieht und deshalb nicht die erforderliche Bereitschaft für die BewZeit aufbringt (Dallinger/Lackner 3; kritisch Eisenberg 4 u. NStZ 86, 220; auch Walter/Pieplow NStZ 88, 167), auch um das Gewicht des Urteils gegenüber JA zu betonen, der gleichzeitig gegen andere Angeklagte verhängt wird. Insbes. eignet sich das nachträgliche Beschlussverfahren, wenn nach Zusagen oder Anerbieten gefragt werden soll (Rn 6). – Doch ist ganz allg. Zurückhaltung geboten, weil die Schöffen im Nachverfahren nicht beteiligt sind, weil das Verfahren mit dem Urteil noch nicht abgeschlossen ist, mitunter auch, weil der Eindruck entstehen kann, das Gericht sei nachträglich weich geworden. IdR sollte Strafaussetzung zur Bew. im Urteil angeordnet werden. 4 Wird die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bew. ausdrücklich zurückgestellt (Rn 2, 5, 9), kann es im Einzelfall erz. fruchtbar sein, neben der JStrafe Weisungen oder Auflagen zu erteilen (§ 8 II 1; § 8, 1) und so durch eine Art „Vorbewährung“ die nachträgliche Entscheidung vorzubereiten, zugleich auch, um dem J eine Chance zu geben (OLG Dresden NStZ-RR 98, 318; Flümann BewH 84, 344; Kübel/Wollentin BewH 70, 215; Neupert BewH 70, 221; Eisenberg 6). Solche VorbewZeit bietet dem Richter die Gelegenheit, durch leitende Beobachtung über die Akteninformation und den JGH-Bericht hinaus sich ein eigenes Bild über die Persönlichkeit des J – unter Einbeziehung der Erfahrungen aus der Hauptverhandlung – und die Auswirkungen der Verurteilung zu machen (Flümann BewH 84, 340, 346; insgesamt auch ders. Die Vorbew. nach § 57 JGG, 1983). Es soll jedoch andererseits das Verfahren nicht zu lange in der Schwebe bleiben, was uU erz. abträglich sein und den Zielvorstellungen des JGG widersprechen kann (OLG Dresden aaO). Vgl. auch Rn 11. 4 a Nach Walter/Pieplow (NStZ 88, 165, 168) hingegen sind Vorbehaltsurteil und „Vorbew.“ weder in §§ 21 ff noch in § 57 vorgesehen und werden auch nicht durch die §§ 57 II und 59 I als zulässig vorausgesetzt, wogegen auch die Analyse des Gesetzestextes und seiner Geschichte spreche (S. 157). Ein begründetes kriminalpolitisches Anliegen aber reiche nicht aus (S. 167, 169). Ebenso abl. Ostendorf 5 u. 6, der (14) im Hauptverfahren den gleichen Erfolg über ein „informelles Schuldinterlokut“ erreichen will, sowie Kruse (ZRP 93, 221) und Sommerfeld S. 199, die eine gesetzliche Regelung der Vorbewährung fordern, und Werner-Eschenbach JStrafrecht. Ein Experimentierfeld für neue Rechtsinstitute, 2005 S. 219, die kein Bedürfnis für ein derartiges Institut sieht. Nach OLG Hamm NStZ-RR 02, 251 ist ausnahmsweise die langfristige Aussetzung der Hauptverhandlung zulässig, um die Grundlagen der Rechtsfolgenentscheidung weiter zu ermitteln.
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Entscheidung über die Aussetzung
2.
§ 57
Voraussetzungen der nachträglichen Entscheidung
Das nachträgliche Beschlussverfahren muss stattfinden (zum Zeitpunkt Rn 9), wenn das Urteil 5 keine Entscheidung zur Strafaussetzung zur Bew. getroffen hat, weil diese Entscheidung nie unterbleiben darf (zust. Eisenberg 12; Ostendorf 10). Es kann auch stattfinden, wenn das Urteil Strafaussetzung zur Bew. abgelehnt hat; dann allerdings müssen für die Anordnung der Strafaussetzung zur Bew. die bes. Voraussetzungen des Abs. II gegeben sein: Nach dem ablehnenden Urteil müssen dem Gericht (BGH 7, 64) Umstände bekannt geworden sein, die dem Gericht (allen Mitgliedern), das letztmals Tatsachen bei der Entscheidung zur Strafaussetzung berücksichtigen durfte, zZ des Urteilserlasses nicht bekannt waren, also bis zur Verkündung in letzter Tatsacheninstanz oder gem. § 354 I StPO. Diese Umstände müssen nunmehr die Strafaussetzung zur Bew. zulassen, also neben früher bekannten Umständen bedeutsam sein und nicht nur den Vorwand zu einer – unzulässigen – Korrektur bilden. Diese Beschränkung gilt auch, wenn die Strafaussetzung vorher schon durch Beschluss abgelehnt wurde (Dallinger/Lackner 22; Eisenberg 24–27; Ostendorf 12; aA Potrykus B 3). – Das Verfahren nach § 57 ist ausgeschlossen, wenn die bereits angeordnete Strafaussetzung gem. § 26 widerrufen wurde (zust. Eisenberg 13; Ostendorf 10); eine erneute Anordnung ist nur im Gnadenweg möglich. – Auch eine Freiheitsstrafe des allg. Rechts kann nachträglich nur im Gnadenweg zur Bew. ausgesetzt werden. 3.
Zusagen und Anerbieten, heilerzieherische Behandlung und Entziehungskur
Abs. III 1 übernimmt die Regelung des § 23 II über Zusagen und Anerbieten zu Recht auch 6 hierher; Rn 3; § 23, 8. Das Beschlussverfahren wird nach mündlicher Anhörung des J und der anzuhörenden Verfahrensbeteiligten (Rn 8) stattfinden müssen. Eisenberg (16) regt weitergehend ganz allg. an, in mündlicher Erörterung die Einwilligung des J zur Aussetzungsentscheidung und Ausgestaltung der BewZeit anzustreben, um sein Verantwortungsgefühl zu fördern. Die Erfahrungen der Praxis lassen aber auch für dieses Verfahrensstadium insoweit warnend auf das § 23, 8 Gesagte hinweisen. Abs. III 2 verpflichtet den JRichter, falls im nachträglichen Verfahren eine heilerz. Behandlung 7 oder eine Entziehungskur angeordnet werden soll, den J, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, zu befragen, ob er hierzu seine Einwilligung gibt. Im Gegensatz zu § 10 II 2 ist hier die Anordnung einer heilerz. Maßnahme oder Entziehungskur gegen den Willen des über 16 Jahre alten J nicht möglich (§ 10, 16, 19 aE; Ostendorf 14). 4.
Zuständigkeit
Zuständig ist das Gericht des ersten Rechtszuges (auch ErwGericht) in der Besetzung außer- 8 halb der Hauptverhandlung. Das gilt auch dann, wenn die Vorbewährung (Rn 4) erst in der Berufungsinstanz angeordnet wird (OLG Frankfurt NStZ-RR 96, 252; OLG Rostock OLGSt JGG § 57 Nr. 3 = NStZ-RR 06, 27 [LS]; OLG Hamburg NStZ 09, 451), oder wenn der in UHaft befindliche Angeklagte nach dem Urteil in Haft verbleibt (OLG Frankfurt NStZ-RR 97, 250). Das Gericht hat die noch notwendigen Beweise zu erheben und JStA, Verurteilten, ErzBerechtigten, gesetzlichen Vertreter und Verteidiger – idR mündlich – zu hören. Der Beschluss ist dann zu verkünden (möglichst mit den BewAuflagen u. dem BewPlan; vgl. §§ 58, 60), sonst zuzustellen (§ 35 StPO); er muss begründet werden (§ 34 StPO) und eine Belehrung über das Recht der sofortigen Beschwerde (59 I) enthalten (§ 35 a StPO). Hat das Berufungsgericht die Vorbewährung angeordnet, ist es auch für die Entscheidungen über deren Ausgestaltung zuständig (OLG Hamburg aaO).
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§ 58 5.
2. Teil. Jugendliche
Zeitpunkt der nachträglichen Entscheidung
9 Der Beschluss kann nur zwischen Rechtskraft des Urteils und dem Beginn der Strafvollstreckung (Aufnahme in die zuständige JStrafanstalt, Eisenberg 22; aA Ostendorf 9: auch vor Rechtskraft) ergehen, er muss also rasch erfolgen. Wo im Urteil keine Entscheidung getroffen ist, darf die Strafvollstreckung erst nach Entscheidung im Beschlussverfahren erfolgen (KG NStZ 88, 182; aA OLG Stuttgart NStZ 86, 219); näher Vor § 82, 4. Erfolgt die Versagung der Vollstreckungsaussetzung nicht innerhalb des vom Gericht festgesetzten Entscheidungszeitraums, sondern erst nach Jahren, handelt es sich nach OLG Dresden NStZ-RR 98, 318 um einen BewWiderruf. 10 Die bes. prozessuale Situation vor der Entscheidung nach § 57 lässt bei kritischer Entwicklung keinen Haftbefehl nach § 112 StPO, § 72, auch keine vorläufigen Anordnungen nach § 71 zu, weil das Urteil in Straf- und Schuldausspruch bereits rechtskräftig ist und nur die BewEntscheidung noch aussteht. Auch ein Vollstreckungshaftbefehl nach § 457 I StPO ist nicht zulässig, weil über die Durchführung der Vollstreckung noch nicht abschließend entschieden ist. Es ist aber wegen der rechtsähnlichen Lage und zur Ausfüllung einer Gesetzeslücke hier § 453 c StPO analog anwendbar (OLG Karlsruhe JR 83, 517 mit zust. Anm. Brunner; LG Freiburg NStZ 89, 387; Dallinger/Lackner zu § 61, 1; Eisenberg 17; aA Ostendorf 13; nach Walter/Pieplow NStZ 88, 168 FN 30 „ein Fall von Lückenfüllung bei nicht vorhandener Gesetzeslücke“). So ist gerade bei misslungener „Vorbewährung“ (Rn 4) rasches Eingreifen möglich, weil § 453 c StPO auch bei konkreter Gefahr der Begehung weiterer Straftaten anwendbar ist. Die erlittene Sicherungs-Haft ist nach § 453 c II 1 StPO anzurechnen. 11 Sachliche Grundlagen der Anordnung der Strafaussetzung zur Bew. sind die §§ 21 ff. Die Anordnung (Urteil, Beschluss) erfordert nur einfache –, die Ablehnung eine Zweidrittelmehrheit (§ 263 I StPO). Über das Verhältnis zur Gnadenentscheidung § 21, 2. Wird eine in der Vorbewährungszeit (Rn 4) begangene neue Straftat dem Gericht erst nach dem Aussetzungsbeschluss bekannt, kann das Gericht die Strafaussetzung deshalb nicht widerrufen oder aufheben (OLG Stuttgart StV 96, 271). Zum Fortwirken einer Pflichtverteidigerbestellung § 68, 27. 6.
Anfechtung
12 Den Vorbehalt nach Abs. I kann der StA nicht isoliert anfechten (OLG Schleswig SchlHA 78, 90; zust. Eisenberg § 59, 6; Nothacker S. 137; aA Dallinger/Lackner § 59, 10). Dies gilt auch, wenn der Vorbehalt mit der Erklärung verbunden ist, dass der nachfolgende Beschluss nicht vor Ablauf einer bestimmten Frist (bei der anschließend zit. Entscheidung waren es 6 Monate) gefasst werde (OLG Stuttgart MDR 86, 257). Ein isoliertes – volles – Rechtsmittel gibt § 59 Abs. I 2 nur zugunsten des Angeklagten (OLG Stuttgart aaO; Ostendorf § 59, 4; vgl. Eisenberg/Wolski NStZ 86, 211; auch Walter/Pieplow NStZ 88, 1).
§ 58 Weitere Entscheidungen § 58 Weitere Entscheidungen (1) Entscheidungen, die infolge der Aussetzung erforderlich werden (§§ 22, 23, 24, 26, 26 a), trifft der Richter durch Beschluß. Der Staatsanwalt, der Jugendliche und der Bewährungshelfer sind zu hören. Wenn eine Entscheidung nach § 26 oder die Verhängung von Jugendarrest in Betracht kommt, ist dem Jugendlichen Gelegenheit zur mündlichen Äußerung vor dem Richter zu geben. Der Beschluß ist zu begründen. (2) Der Richter leitet auch die Vollstreckung der vorläufigen Maßnahmen nach § 453 c der Strafprozeßordnung.
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§ 58
Weitere Entscheidungen
(3) Zuständig ist der Richter, der die Aussetzung angeordnet hat. Er kann die Entscheidung ganz oder teilweise dem Jugendrichter übertragen, in dessen Bezirk sich der Jugendliche aufhält. § 42 Abs. 3 Satz 2 gilt entsprechend. 1. Hw.-J: § 109 II 1. – 2. ErwG: Rn 8; § 104 I Nr. 8, V 1. – 3. Sold. Rn 6. Übersicht 1. 2. 3. 4.
1.
Art der Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit und Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechte des abgebenden und des übernehmenden Richters Abgabe durch das ErwGericht . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Art der Entscheidungen
Es handelt sich um Festsetzung und nachträgliche Abänderung der BewZeit (§ 22), um Anord- 1 nung und Änderung der von der BewZeit unabhängigen Unterstellung unter den BewHelfer (§ 24 I u. II), um Anordnung, Änderung und Aufhebung von BewAuflagen (§ 23), Widerruf der Strafaussetzung zur Bew. oder Erlass der JStrafe nach Ablauf der BewZeit (§§ 26, 26 a) und um Erlass und Vollstreckung von vorläufigen Maßnahmen und des Sicherungshaftbefehls nach § 453 c StPO (Abs. II; s. § 61, 15). Auch die Bestellung eines ehrenamtlichen BewHelfers fällt unter die Vorschrift (die Zuständigkeit des hauptamtlichen BewHelfers ergibt sich aus der Geschäftsverteilung). Nicht hierher gehört die Einleitung der Vollstreckung im allg.; dafür bleibt das erkennende Gericht auch nach Übertragung gem. Abs. III 2 zuständig, falls nicht die Vollstreckung gem. § 85 V abgegeben wurde (BGH 27, 25; vgl. § 85, 17). § 58 gilt entsprechend für die Zuständigkeit zur Aufstellung des BewPlans (§ 60, 11), weil eine 2 getrennte Zuständigkeit in diesem wichtigen Verfahrensabschnitt nicht tragbar wäre (BGH 19, 173; zust. Eisenberg 5; Nothacker S. 259). Die Entscheidung ergeht durch Beschluss, BewZeit und BewAuflage gehören also auch bei 3 gleichzeitiger Verkündung nicht ins Urteil (BGH NJW 54, 522 für das allg. Recht; Dallinger/ Lackner 3; aA Potrykus B 1, 2). Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Der JStA, der J und der Bew- 4 Helfer sind zu hören, wobei es sich empfiehlt, den J Gelegenheit zur mündlichen Anhörung (Art. 103 GG) zu geben, weil sie häufig sich schriftlich nicht artikulieren können oder dies aus Gleichgültigkeit oder Trotz nicht tun. Darüber hinaus kann auch die Anhörung des ErzBerechtigten, gesetzlichen Vertreters und Verteidigers, möglichst auch der JGH, angebracht sein. Vereitelt der Verurteilte selbst die Anhörung, indem er trotz entsprechender Auflage den Wechsel seiner Anschrift nicht mitteilt, soll er sich nach OLG Köln (NJW 63, 875 für § 453 I 2 StPO) nicht auf das rechtliche Gehör berufen können. Ebenso Potrykus NJW 67, 1790. Kommt Widerruf oder Ungehorsamsarrest (vgl. § 11, 4 a; § 65, 6) in Frage, so muss der Richter nach Abs. I 3 dem J Gelegenheit zur mündlichen Anhörung geben, was uU die Mithilfe der JGH erfordert. Dies betont das Gesetz ausdrücklich, weil der Richter nur so Missverständnisse ausschalten (LG Arnsberg NStZ 06, 525, 526), Grund und Gewicht des Versagens in der BewZeit besser einschätzen und bei dieser Gelegenheit persönlich auf den J einwirken und möglichst den Widerruf vermeiden kann. Die Einräumung einer Gelegenheit zur schriftlichen Äußerung genügt nicht, der J ist vielmehr zu einem anzuberaumenden Termin zu laden (LG Heidelberg StV 08, 119). Der Richter muss allerdings nicht anhören, sondern dem J Gelegenheit dazu geben, denn die Praxis lehrt, dass J oftmals aus bloßer Gleichgültigkeit oder Trotz der Ladung keine Folge leisten. Aber auch dann kann der Richter immer noch bei Vorliegen der Voraussetzungen sich des J gem. § 453 c StPO versichern und nach Anhörung möglicherweise den Widerruf noch vermeiden. Das KG
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§ 58
2. Teil. Jugendliche
(ZJJ 03, 303) neigt dazu, dass ebenso wie im allg. Strafverfahren auch im JStrafverfahren die Bekanntmachung der eine Strafaussetzung betreffenden Entscheidung durch Verkündung unzulässig ist und die Entscheidung nach § 35 II 1 StPO zuzustellen ist. Der Beschluss ist zu begründen, auch wo er nicht angefochten werden kann (Abs. I 4 über § 34 StPO hinaus). Rechtsmittelbelehrung § 35 a StPO u. § 54, 18; Anfechtung § 59 II–IV. Vgl. aber § 27, 4. Zum BZRG Rn 12. 2.
Zuständigkeit und Ermessen
5 Zuständig ist das Gericht, das ausgesetzt hat (Abs. III 1; s. aber Rn 8 für ErwGericht), also auch das Berufungsgericht, wenn es im Gegensatz zum Erstrichter Strafaussetzung zur Bew. angeordnet hat (BGH NStZ 87, 87; OLG Hamm ZJJ 08, 387, 388; OLG Jena NStZ 10, 283, 284), dagegen der Erstrichter, wenn das Berufungsgericht seine Entscheidung nur bestätigt hat (BGH 19, 170; OLG Frankfurt NJW 57, 1486; OLG Zweibrücken NStZ 02, 499; Dallinger/Lackner 8; Eisenberg 35; Ostendorf 3; Nothacker S. 258; aA Potrykus B 2). Der JRichter bleibt auch zuständig, wenn der Verurteilte zwischenzeitlich zu Freiheitsstrafe verurteilt wird und diese ganz oder teilweise verbüßt hat; der Konzentrationsgrundsatz des § 462 a IV StPO erstreckt sich nicht auf die JStrafe (BGH NStZ-RR 07, 190). Überträgt (Abs. III 2) der Erstrichter zu Unrecht, ist dies gleichwohl nicht unwirksam (BGH NStZ 87, 87), es sei denn, die Übertragung beruht auf Willkür und ist deshalb missbräuchlich (OLG Düsseldorf JMBl. NRW 90, 7 zu § 453 StPO). Entscheidend kann danach sein, wo die Auflagen zu kontrollieren sind (zB Wiedergutmachungsauflage). Der JRichter als Vollstreckungsleiter könnte nur aufgrund einer Vorentscheidung gem. § 88 zuständig werden (BGH 19, 173; vgl. dazu § 85, 17). Bei Aussetzung einer Maßregel ist Abs. III 1 entsprechend anzuwenden (OLG Jena NStZ 10, 283). 6 Dieses Gericht kann nach pflichtgemäßem Ermessen die Entscheidung (Rn 1) von Anfang an oder später an den JRichter des AG übertragen, in dessen Bezirk sich der J aufhält (Abs. III 2; Dallinger/Lackner 11; Eisenberg 36). Wann dieser Aufenthalt begründet wurde, ist bedeutungslos (OLG Köln NJW 55, 603). Aufenthalt in einer Einrichtung nach § 12 Nr. 2 genügt (OLG Schleswig SchlHA 57, 106; vgl. § 42, 10). Zur Wirksamkeit der Übertragung Rn 5. Die JKammer kann auch dann übertragen, wenn der J sich in ihrem Bezirk aufhält (OLG Köln NJW 55, 603; OLG Stuttgart NStZ 90, 358 mit grds. zust. Anm. Brunner; OLG Zweibrücken NStZ 02, 498: nur aus wichtigem Grund; OLG Dresden NStZ-RR 05, 219: nur aus beachtlichen Gründen). AA OLG Frankfurt (NStZ 89, 199 mit krit. Anm. Eisenberg/Krauth), dem allerdings insoweit zugestimmt werden kann, als es den JRichter als generell nicht geeigneter als die JKammer bezeichnet; zu Unrecht schließt das OLG aber hieraus, dass die JKammer nicht auf den JRichter übertragen darf, wenn der J sich in ihrem Bezirk aufhält, vgl. Anm. Brunner aaO; es wird auf die Besonderheiten des Einzelfalles ankommen. Die JKammer überträgt jedoch immer an den JRichter, auch wenn das JSchöffengericht Erstgericht war (BGH 19, 170). Dabei kann es sich auch einige Entscheidungen vorbehalten (etwa den Widerruf u. den Straferlass, BGH 7, 321); fehlt ein ausdrücklicher Vorbehalt, ist alles übertragen (Dallinger/Lackner 15; Eisenberg 36). Der Übertragungsbeschluss der JKammer bindet das angegangene Gericht nicht mit der Folge, dass ihm die Anrufung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts nach Abs. III 3 versagt wäre (OLG Stuttgart NStZ 90, 358 mit zust. Anm. Brunner; OLG Dresden NStZ-RR 05, 219). 6 a Für eine Abgabe der weiteren Entscheidungen nach Aussetzung einer JStrafe hat die JKammer abzuwägen zwischen den Vorzügen der Entscheidungsnähe und der Kenntnis der Persönlichkeit des J aus dem Verfahren (OLG Stuttgart u. OLG Dresden aaO; vgl. auch BGH B NStZ-RR 01, 324). Für die Übertragung müssen beachtliche Gründe vorliegen (BGH NJW 58, 560 u. bei Herlan GA 59, 47 für allg. Recht). Hat der Verurteilte seinen Aufenthalt am Sitz der JKammer, so gewinnt die vom OLG Frankfurt (NStZ 89, 199) zu Recht abgelehnte Frage Gewicht, ob etwa der J(Einzel)Richter für die nach § 58 I 1 zu treffenden Entscheidungen generell besser geeignet
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Weitere Entscheidungen
§ 58
sein könnte als die JKammer. Wer sollte sich berufen fühlen, so allgemein Gültiges zu entscheiden (vgl. auch Eisenberg/Krauth NStZ 89, 200)? Man sollte aber über die Verweisung auf den Einzelfall (Eisenberg/Krauth aaO) hinaus zunächst davon ausgehen, dass im Regelfall sich die Waage auf die Seite des J(Einzel)Richters neigt. Dafür sprechen schon sein sachlicher Zuständigkeitsbereich (§ 41, 7 u. 18) und die Wirkung der Rechtsmittelbeschränkung des § 55 I, die ihn in der Praxis häufiger mit der Vollstreckung von Weisungen und Auflagen, mit „BewAuflagen“ also, befassen, als es erfahrungsgemäß die Mitglieder der JKammer und ihr Vorsitzender sind. Die bei ihm konzentrierten Vollstreckungsentscheidungen (§ 82 I) geben dem JRichter Praxis und Erfahrung. Auch die gebotene rasche Anpassung der BewAuflagen an die Entwicklung des Probanden ist beim JRichter mit seinen ständigen, häufig persönlichen Verbindungen zu den für seinen Bereich zuständigen BewHelfern, zur JHilfe und zu freien Trägern in besten Händen. Schließlich sind auch bei ihm Eröffnung des BewPlanes, persönliche Belehrung der Beteiligten und Aushändigung des BewPlanes (§ 60 I 2 u. III 1 u. 2), auch die Wiederholung bei wesentlichen Änderungen (§ 60 I 4), besser angebracht, zumal den Beteiligten der Gang zum JRichter oftmals leichter fällt und von weniger Schwellenangst begleitet ist als der zum „höheren Gericht“. Auch die mündliche Anhörung nach Abs. I 3 (Rn 4) erfolgt besser und mit geringerem Aufwand beim JRichter. Näher Brunner NStZ 90, 358. Vgl. aber auch OLG Zweibrücken NStZ 02, 498, nach dem die nur routinemäßige Vorbefassung des JRichters in einem anderen BewVerfahren noch keinen die Übertragung rechtfertigenden wichtigen Grund bildet, sondern eine „qualifizierte Vorbefassung“ des JRichters erforderlich ist, u. OLG Dresden NStZ-RR 05, 219, nach dem allein eine frühere BewAufsicht durch den JRichter für die Übertragung nicht ausreicht. Die Abgabe nach Abs. III 2 ist zweckmäßig, wenn der Aufenthalt des J in dem anderen Bezirk 6 b nicht nur von kurzer Dauer ist und er Kontakt zum dortigen BewHelfer hält (BGH B NStZ 97, 483) oder eine Anpassung der Auflagen an die Entwicklung des J geboten ist (OLG Frankfurt NStZ-RR 05, 60). Sie ist unzweckmäßig, wenn der Aufenthalt nur vorübergehend sein wird (BGH bei Kusch NStZ 94, 27; BGH NStZ-RR 05, 280) oder wenn nicht sicher ist, ob sich der Verurteilte in dem anderen Ort aufhält (BGH bei Kusch NStZ 96, 327). Bei Wehrpflichtigen kommt eine Übertragung an das Gericht des Garnisonsortes zumeist nicht in Betracht, wenn die Straftaten in der Zivilzeit begangen wurden (BGH NJW 59, 1503; OLG Köln SjE F 3 S. 291; zust. Eisenberg 3); nach Ostendorf 6 reicht ein derart vorübergehender Aufenthalt nie aus; das wird man freilich nicht so generell sagen können. Wegen weiterer Probleme bei Soldaten Grethlein NJW 59, 1503. Da § 58 in Verfahren gegen Hw. nur bei Anwendung des materiellen JStrafrechts gilt (§ 109 II), ist eine Abgabe nach § 58 III 2 bei Verurteilung des Hw. zu einer Freiheitsstrafe nicht zulässig; in Betracht kommt dann eine Abgabe gem. §§ 462 a II 2, 453 StPO (BGH StraFo 07, 87).
3.
Rechte des abgebenden und des übernehmenden Richters
Lehnt der angegangene JRichter die Übernahme des Verfahrens ab, so bleibt bis zur Entschei- 7 dung des übergeordneten Gerichts (§ 58 III 3, § 42 III 2; § 42, 10) das Verfahren beim abgebenden Richter anhängig; nur die Abgabe des ErwGerichts (Rn 8) ist bindend. Das Verfahren wird erst mit der Übernahme oder dem die Übernahme anordnenden Beschluss des übergeordneten Gerichts beim angegangenen Gericht anhängig. – Das abgebende Gericht hat bei gleichbleibenden Verhältnissen kein Widerrufsrecht. Dagegen muss es bei einer Änderung der Verhältnisse seine Entscheidung überprüfen und ggf. – bes. bei Wechsel des Wohn- und Aufenthaltsortes – abändern (BGH MDR 86, 952). Es kann selbst das Verfahren wieder übernehmen oder das Verfahren einem dritten Gericht übertragen; der die erste Übertragung anordnende JRichter bleibt Herr des Verfahrens (BGH 24, 335; zust. Eisenberg 38; abl. Ostendorf 9). Der zunächst übernehmende JRichter kann nur beim abgebenden Gericht eine Änderung anregen, indem er Beden-
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ken aufgrund der veränderten Verhältnisse erhebt; dagegen kann er nicht selbst an ein drittes Gericht übertragen (BGH 11, 332; 19, 170 je zu § 453 II 2 StPO aF, für § 58 offen gelassen; BGH 24, 26 zu §§ 57, 58 II 2 aF; 24, 332 zu § 58 II 2 iVm § 88 V 3 aF; 25, 88 = JR 73, 206 mit Anm. Brunner; 28, 353; BGH MDR 78, 329; 86, 952; OLG Frankfurt NStZ-RR 05, 60; Eisenberg 39; Ostendorf 10; vgl. auch § 85, 17 mit OLG Karlsruhe Justiz 83, 162). Folgt das abgebende Gericht den geltend gemachten Bedenken nicht, so entscheidet wiederum das übergeordnete Gericht (Dallinger/Lackner 17; Eisenberg 41). Eine Rückübertragung vom JRichter des Aufenthaltsorts an den erkennenden Richter mit der Begründung, der Verurteilte sei mit unbekanntem Aufenthalt verzogen, kommt dann nicht in Betracht, wenn der Verurteilte möglicherweise noch, wenn auch mit unbekanntem Aufenthalt, im Bezirk des zunächst übernehmenden Richters wohnt (BGH B NStZ 92, 529). Das übergeordnete Gericht ist zur Entscheidung aber dann nicht berufen, wenn das Gericht, das die Sache abgegeben hat, nicht zuständig zur Übertragungsentscheidung war (BGH NStZ 87, 87). Das Gericht, an das übertragen wurde, muss bei dem zuständigen Gericht die Änderung der Übertragungsentscheidung anregen; erst dessen Ablehnung macht das übergeordnete Gericht zuständig. Die mangelnde Zuständigkeit des übertragenden Gerichts aber macht die Übertragung und die hierauf gegründeten Entscheidungen nicht rechtsunwirksam (BGH aaO). 7 a Die Strafvollstreckung leitet stets der abgebende Richter entsprechend § 84 ein (BGH 27, 25; BGH MDR 86, 952), wenn diese nicht nach § 85 V abgegeben ist; zur Zuständigkeit der StA Rn 10.
4.
Abgabe durch das ErwGericht
8 Hat ein ErwGericht die JStrafe zur Bew. ausgesetzt, muss es die Entscheidung (Rn 1) gem. Rn 6 übertragen, der JRichter des Aufenthaltsortes muss übernehmen (§ 104 I Nr. 8, V 1) und ist für alle weiteren Entscheidungen, auch für deren Weiterübertragung, zuständig (BGH 25, 88 = JR 73, 206 mit Anm. Brunner); die Entscheidung über Strafaussetzung zur Bew. kann hier also nicht mit der Entscheidung über BewZeit, BewAuflagen uä verbunden werden. 9 Das übernehmende Gericht überträgt hier bei Änderung des Aufenthaltsortes des Probanden selbst an das Gericht des neuen Aufenthaltes (BGH aaO). Das ErwGericht ist mit der zwingenden Abgabe nach § 104 V 1 mit Sache und Person nicht mehr befasst. 10 Die wirksame Übertragung bestimmt auch den danach zuständigen JStA (§ 143 I GVG; zust. Eisenberg 40; Ostendorf 7). Wegen des Verschlechterungsverbotes § 55, 45; wegen einer Wiederaufnahme dieses Verfahrens § 55, 49. Wegen Abs. II s. bei § 61, 15. 11 Hat die Gnadenbehörde die Aussetzung der Vollstreckung bewilligt, so kann der JRichter, dem die Gnadenbehörde die Sache zur weiteren Veranlassung übersandt hat, das Verfahren nicht gem. § 58 III 2 einem anderen JRichter übertragen (BGH NStZ 84, 428). Vgl. auch § 88, 13. 12 Die nachträglichen Entscheidungen nach §§ 22 II 2, 26 I, 26 a sind dem Zentralregister mitzuteilen (§ 13 I Nr. 3, 4, 6 BZRG).
§ 59 Anfechtung § 59 Anfechtung (1) Gegen eine Entscheidung, durch welche die Aussetzung der Jugendstrafe angeordnet oder abgelehnt wird, ist, wenn sie für sich allein angefochten wird, sofortige Beschwerde zulässig. Das gleiche gilt, wenn ein Urteil nur deshalb angefochten wird, weil die Strafe nicht ausgesetzt worden ist.
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§ 59
Anfechtung
(2) Gegen eine Entscheidung über die Dauer der Bewährungszeit (§ 22), die Dauer der Unterstellungszeit (§ 24), die erneute Anordnung der Unterstellung in der Bewährungszeit (§ 24 Abs. 2) und über Weisungen oder Auflagen (§ 23) ist Beschwerde zulässig. Sie kann nur darauf gestützt werden, dass die Bewährungs- oder die Unterstellungszeit nachträglich verlängert, die Unterstellung erneut angeordnet worden oder eine getroffene Anordnung gesetzwidrig ist. (3) Gegen den Widerruf der Aussetzung der Jugendstrafe (§ 26 Abs. 1) ist sofortige Beschwerde zulässig. (4) Der Beschluß über den Straferlaß (§ 26 a) ist nicht anfechtbar. (5) Wird gegen ein Urteil eine zulässige Revision und gegen eine Entscheidung, die sich auf eine in dem Urteil angeordnete Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung bezieht, Beschwerde eingelegt, so ist das Revisionsgericht auch zur Entscheidung über die Beschwerde zuständig. 1. Hw.-J: § 109 II 1. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 8. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5.
1.
Anfechtung der BewEntscheidung Sofortige Beschwerde . . . . . . . . Einfache Beschwerde . . . . . . . . . Verschlechterungsverbot . . . . . . Revisionsgericht . . . . . . . . . . .
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Rn 1 3 6 10 11
Anfechtung der BewEntscheidung
Das Urteil wird grds. (Ausnahme Rn 2) mit Berufung oder Revision angefochten. Jede den Straf- 1 ausspruch berührende Anfechtung umfasst die Strafaussetzung zur Bew. als Teil der Strafzumessung. Dabei kann auch das Rechtsmittelgericht die Entscheidung über die Strafaussetzung dem nachträglichen Beschlussverfahren überlassen (§ 57, 2); wegen der Wirkung des Verschlechterungsverbotes insoweit § 55, 31. Wird das Urteil nur hinsichtlich der Strafaussetzung zur Bew. (Anordnung, Ablehnung, 2 Nicht-Entscheidung, anders beim Vorbehalt: § 57, 12) angefochten, ist nur sofortige Beschwerde gegeben (Abs. I), auch dann, wenn diese Entscheidung nach allg. Grundsätzen (BGH Dallinger MDR 55, 394) nicht von den übrigen Straffragen zu trennen wäre (OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 73, 193; OLG Hamm MDR 79, 253; OLG Düsseldorf MDR 90, 178; Eisenberg 5; Schäfer NStZ 98, 332). Eine auf die Frage der Strafaussetzung zur Bew. beschränkte Berufung oder Revision ist nicht zulässig, sondern gem. § 300 StPO als sofortige Beschwerde zu behandeln, über die das unmittelbar übergeordnete Gericht entscheidet (BGH 6, 208). War das Erstgericht ein OLG (§ 120 I, II GVG), entscheidet über die Beschwerde nach § 59 I der BGH (§ 102 S. 2). Auch ein Übergang von Berufung und Revision zur sofortigen Beschwerde ist bei Beschränkung der Anfechtung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bew. innerhalb der Revisionsbegründungsfrist möglich (BGH 6, 207; OLG Koblenz B NStZ 82, 415; Dallinger/Lackner 14; Eisenberg 9; Ostendorf 2). Das Revisionsgericht leitet dann die Sache dem zuständigen Gericht zu. Bei der Entscheidung nach Abs. I darf das Beschwerdegericht nicht nur eigene Feststellungen treffen, sondern – anders als bei Revision – auch eigenes Ermessen ausüben. Es darf also die Frage der Bewilligung oder Verweigerung der Strafaussetzung zur Bew. selbst entscheiden, wenn es auch stets berücksichtigen wird, dass ihm der unmittelbare persönliche Eindruck vom J fehlt (OLG Düsseldorf NStZ 82, 120; OLG Stuttgart ZJJ 09, 156). § 59 bezieht sich nur auf die
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2. Teil. Jugendliche
JStrafe; eine Anwendung auf JA ist nicht möglich, da die Aussetzung des Vollzugs des JA zwingend ausgeschlossen ist (OLG Frankfurt NJW 63, 969; § 87, 3). Befasst sich das Berufungsgericht rechtsirrig nicht nur mit der Frage der Aussetzung, sondern mit dem gesamten Rechtsfolgenausspruch, so ist seine Entscheidung kein Beschluss, sondern ein Urteil (OLG Düsseldorf MDR 90, 178). Ist nach § 55 II Revision ausgeschlossen, so ist auch die sofortige Beschwerde nach Abs. I unzulässig (OLG Düsseldorf MDR 90, 178; NStZ 94, 198; OLG Frankfurt NStZ-RR 03, 27; OLG Hamm VRS 113 [07], 383; näher § 55, 14).
2.
Sofortige Beschwerde
3 Die sofortige Beschwerde tritt nur an Stelle der Berufung oder Revision. Sie erweitert den Rechtsmittelzug aber nicht. Urteile der Revisionsgerichte sind deshalb nicht nach Abs. I anzufechten (§ 55, 15), ebenso nicht Berufungsurteile für den nach § 55 II von der Revision Ausgeschlossenen (§ 55, 14; OLG Hamm JMBl. NRW 55, 10; VRS 113 [07], 383; OLG Stuttgart Justiz 64, 172; OLG Düsseldorf u. OLG Frankfurt bei Rn 2 aE; Dallinger/Lackner 12; Burscheidt S. 154; Bedenken Eisenberg § 55, 71; aA hinsichtlich des Eingreifens des § 55 II Ostendorf 2; Bode Das Wahlrechtsmittel im Strafverfahren, 2000 S. 135). Auch umgekehrt kann der Beschwerdeführer keine weiteren Rechtsmittel einlegen (vgl. § 55, 14). – Umstritten ist, was geschieht, wenn neben der sofortigen Beschwerde nach Abs. I durch einen anderen Verfahrensbeteiligten Berufung oder Revision eingelegt wird. Diese Fragen lösen sich, wenn man auf das Wesen der sofortigen Beschwerde abstellt, also darauf, dass diese eine auf die Strafaussetzung zur Bew. beschränkte, sonst aber umfassende Anfechtung ist, die zur Vereinfachung und Beschleunigung an Stelle der Berufung tritt. Neben einer Berufung ist daher über die sofortige Beschwerde aufgrund der Berufungsverhandlung durch Urteil zu entscheiden (Dallinger/Lackner 16; Eisenberg 15; Ostendorf 5); eine gesonderte Behandlung der sofortigen Beschwerde würde zweckwidrig zu einer Komplizierung führen, ihre Behandlung wie eine Berufung aber gewährleistet die einfachste, volle und erschöpfende Nachprüfung beider Rechtsmittel. Neben der Wahlrevision muss vor der Entscheidung des Revisionsgerichts die Entscheidung des Berufungsgerichts über die sofortige Beschwerde ergehen in Anwendung des Grundgedankens des § 335 III StPO, dass die tatsächliche Nachprüfung den Vorrang hat, doch unter Beachtung des Unterschieds, dass hier das Revisionsurteil nicht durch den Beschluss des Beschwerdeverfahrens ersetzt werden kann (Ostendorf 7; Eisenberg 17 halten eine gesetzgeberische Entscheidung für geboten). Dass die Beschwerdeentscheidung an sich keiner Nachprüfung mehr unterliegt (§ 310 StPO), steht dem nicht entgegen; die Beschwerde vertritt hier ja nur zur Vereinfachung die Berufung, mit der Revision werden aber allg. Berufungsurteile nachgeprüft, und zwar auch hinsichtlich der Frage der Strafaussetzung zur Bew., wenn diese durch die Berufung neben anderen Punkten angegriffen würde. Eine Behandlung der sofortigen Beschwerde durch das Revisionsgericht geht nicht an und findet auch im Gesetz keine Stütze (BGH 6, 208). In dem seltenen Fall, dass gegen das Berufungsurteil gleichzeitig Revision und sofortige Beschwerde eingelegt wird, steht es mangels bes. oder vergleichbarer Vorschrift im Ermessen des auch für die sofortige Beschwerde zuständigen Revisionsgerichts (§ 121 I Nr. 1 b, Nr. 2 GVG), ob es über beide Rechtsmittel getrennt oder gleichzeitig entscheiden will (Dallinger/Lackner 15). Für Anwaltsvertretung nach § 59 I fällt keine bes. Gebühr an (OLG Koblenz MDR 73, 957 zu Recht gegen LG Lübeck NJW 63, 2336, weil dem Gesetzgeber bei Erlass des anwaltlichen Gebührenrechts § 59 I bekannt war). 4 Auch die nachträgliche Beschlussentscheidung nach § 57 I und II über die Strafaussetzung zur Bew. ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar (Abs. I). Es gilt das Rn 2 Gesagte. Behält sich das Gericht die Entscheidung über die Aussetzung vor, ist die StA, nach deren Ansicht die Aussetzung zu versagen ist, beschwert und kann sie gegen die Entscheidung sofortige Beschwerde einlegen (OLG München NStZ-RR 05, 152; aA OLG Stuttgart NStZ 86, 219; Eisenberg 6). Die er-
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Anfechtung
§ 59
folgreiche sofortige Beschwerde des StA gegen die Bewilligung der Strafaussetzung zur Bew. gibt dem Angeklagten aber nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Revisionsfrist, wenn er im Vertrauen auf die Strafaussetzung das Urteil nicht angefochten hat (BayObLG JZ 78, 204). Die Beschwerdeentscheidung unterliegt nicht der weiteren Beschwerde (§ 310 StPO; OLG München aaO). UU greift Nachholung des rechtlichen Gehörs (§ 311 a StPO) ein. Weiter ist gegen den Widerruf der Strafaussetzung zur Bew. sofortige Beschwerde gegeben 5 (Abs. III). § 55 II greift nicht ein (Burscheidt S. 145 FN 511; zu einem Sonderfall OLG Stuttgart MDR 76, 1043). Dagegen kann der Beschluss, durch den ein Antrag auf Widerruf zurückgewiesen wird, im Hinblick auf Abs. IV (Rn 8) nicht angefochten werden (OLG Celle NJW 71, 1665; KG JR 98, 389; LG München NJW 60, 1216 mit zust. Anm. Potrykus; LG Krefeld NJW 74, 1476; LG Potsdam NStZ-RR 96, 285; Dallinger/Lackner 26; Eisenberg 27; Ostendorf 15; aA LG Osnabrück NStZ 91, 533 mit Anm. Brunner; LG Hamburg NStZ 96, 250 mit abl. Anm. Sieveking/Eisenberg; LG Bückeburg NStZ 05, 168 mit Bespr. Heinrich NStZ 06, 417, nach dem Widerrufsablehnungen nach § 26 I anfechtbar u. solche nach § 26 II unanfechtbar sind [aaO, 423]; Schnitzerling Zbl. 60, 115 will Beschwerde dann zulassen, wenn der Richter nicht entscheidet). Zum Widerruf einer zur Bew. ausgesetzten Maßregelunterbringung § 7, 2. – Wegen der Vollstreckbarkeit § 26 a, 13.
3.
Einfache Beschwerde
Mit der einfachen Beschwerde nach Abs. II kann stets die Verlängerung der BewZeit (§ 22 II) 6 angefochten werden, und zwar auch noch nach Rechtskraft des die Strafaussetzung zur Bew. aussprechenden Urteils (OLG Braunschweig GA 69, 530). Da BewZeit und Zeitraum der Unterstellung unter einen BewHelfer auseinander fallen können (§ 24 I 1, II), lässt Abs. II 1 die Beschwerde auch gegen die Dauer der Unterstellung in der BewZeit zu. Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die BewZeit oder die Unterstellungszeit nachträglich verlängert, die Unterstellung erneut angeordnet (§ 24 II 1 HS 2) oder bei der erneuten Anordnung das in § 24 I 1 und II 2 iVm § 22 II 2 bestimmte Höchstmaß überschritten worden ist. Dieses Rechtsmittel ist auch gegen alle anderen Entscheidungen über die BewZeit (Anordnung, Verkürzung), die Unterstellungszeit und über die BewAuflagen (Anordnung, Änderung u. Aufhebung) gegeben, wenn sie gesetzwidrig sind (§ 453 II StPO). Gesetzwidrigkeit liegt vor, wenn vom Gesetz nicht gedeckte oder überhaupt nicht vorgesehene Maßnahmen angeordnet werden oder der dem Gericht vorbehaltene Ermessensspielraum missbräuchlich überschritten wird (OLG Düsseldorf NStZ 94, 198), also zB die gesetzlichen Grenzen der BewZeit nicht beachtet werden oder andere BewAuflagen als zulässige Weisungen (s. § 10) oder Auflagen festgesetzt werden (vgl. auch § 88, 16 aE). Dies gilt auch für die Beschwerde gegen die Art und Weise der Anrechnung einer als BewAuflage geleisteten Zahlung auf die zu verbüßende Strafe (OLG Stuttgart MDR 80, 1037). Auch Teilanfechtung ist möglich, wenn der angefochtene Teil eine in sich selbständige Prüfung und Beurteilung zulässt (BGH 10, 101; M.-K. Meyer NStZ 87, 26). Eine Begründung der Beschwerde ist nicht vorgeschrieben (zust. Eisenberg 26; Ostendorf 13; aA OLG Nürnberg NJW 59, 1451), kann aber ggf. die Beschwerde eingrenzen. Sind die Voraussetzungen nicht gegeben, ist die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen; andernfalls ist die gesamte angefochtene Entscheidung nachzuprüfen, auch auf die Vereinbarkeit der Auflagen mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit (OLG Hamm MDR 75, 1041 zu § 56 b StGB). Die angeordneten Maßnahmen können – grds. nur aus bes. Gründen (vgl. § 55, 12 entsprechend u. § 23 I 3) – durch andere ersetzt werden (§ 309 II StPO; Dallinger/Lackner 25; Eisenberg 26; Ostendorf 14), im Regelfall wird wegen der Entscheidungsnähe zurückverwiesen. Hier kommt es also nicht auf die Begründung (wie bei § 55, 10), sondern auf die tatsächliche Beschwer an (Dallinger/Lackner 25).
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§ 60
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7 Einfache Beschwerde über Abs. II hinaus ist auch gegeben gegen die Person des BewHelfers (§ 304 StPO; Eisenberg 25). 8 Der Straferlass kann nicht angefochten werden (Abs. IV). 9 Ergänzend gelten die §§ 304 ff StPO, so über die Unanfechtbarkeit der Beschlüsse der OLG und des BGH (beachte aber § 102 S. 2), über die Unzulässigkeit der weiteren Beschwerde (§ 310 StPO; beachte aber auch § 311 a StPO); über Form, Frist der Rechtsmittel und Abhilfemöglichkeit durch das erkennende Gericht; zur aufschiebenden Wirkung (§ 307 StPO; § 26 a, 13), sowie über Befugnisse und Entscheidungen des Beschwerdegerichts (Potrykus NJW 60, 1216). Im Ganzen handelt es sich um eine Sonderregelung, neben der § 55 I nicht gilt (Potrykus NJW 60, 1216) und auch § 55 II keine Anwendung findet (OLG Celle NStZ 93, 400 mit Anm. Nix; OLG Düsseldorf NStZ 94, 198; Bode Das Wahlrechtsmittel im Strafverfahren, 2000 S. 130; Burscheidt S. 145 FN 511). 4.
Verschlechterungsverbot
10 Das Verschlechterungsverbot gilt bei sofortiger Beschwerde gegen Urteile, bei Beschlüssen nur, wenn diese materiell-rechtliche Wirkung haben (s. § 55, 45; zust. Ostendorf 8). So könnte das Problem nur bei der Anfechtung der Anordnung oder Veränderung der BewAuflagen auftreten; diese können aber stets auch zum Nachteil abgeändert werden (§ 23, 5) und unterliegen nicht dem Verschlechterungsverbot (§ 55, 31). 5.
Revisionsgericht
11 Abs. V gilt nur für die in den Abs. II-IV genannten Entscheidungen, nicht für die Frage der Anordnung der Strafaussetzung zur Bew. (Abs. I); er entspricht § 305 a II StPO. Dies folgt nicht nur aus dem Wortlaut, sondern auch daraus, dass die im Fall des Abs. I notwendige Nachprüfung in tatsächlicher Hinsicht und die Ausübung des Ermessens mit den Aufgaben des Revisionsgerichts nicht vereinbar wären (BGH 6, 208; Dallinger/Lackner 29; Eisenberg 32). Abs. V dient der Beschleunigung; notwendige Sachprüfung kann aber zur Zurückverweisung an das Erstgericht führen. Vgl. dazu auch Rn 2.
§ 60 Bewährungsplan § 60 Bewährungsplan (1) Der Vorsitzende stellt die erteilten Weisungen und Auflagen in einem Bewährungsplan zusammen. Er händigt ihn dem Jugendlichen aus und belehrt ihn zugleich über die Bedeutung der Aussetzung, die Bewährungs- und Unterstellungszeit, die Weisungen und Auflagen sowie über die Möglichkeit des Widerrufs der Aussetzung. Zugleich ist ihm aufzugeben, jeden Wechsel seines Aufenthalts, Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes während der Bewährungszeit anzuzeigen. Auch bei nachträglichen Änderungen des Bewährungsplans ist der Jugendliche über den wesentlichen Inhalt zu belehren. (2) Der Name des Bewährungshelfers wird in den Bewährungsplan eingetragen. (3) Der Jugendliche soll durch seine Unterschrift bestätigen, dass er den Bewährungsplan gelesen hat, und versprechen, dass er den Weisungen und Auflagen nachkommen will. Auch der Erziehungsberechtigte und der gesetzliche Vertreter sollen den Bewährungsplan unterzeichnen. 1. Hw.-J: Rn 7; § 109 II 1. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 8.
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Bewährungsplan
§ 60
Richtlinie zu § 60: Es empfiehlt sich, die Aushändigung des Bewährungsplans und die Belehrung des Jugendlichen in einem gesonderten Termin in Gegenwart der Erziehungsberechtigten, der gesetzlichen Vertreter und des Bewährungshelfers vorzunehmen.
Der BewPlan ist keine gerichtliche Entscheidung, sondern nur eine möglichst klare, übersichtli- 1 che und allgemeinverständliche Zusammenstellung all dessen, was der J in der BewZeit wissen und beachten muss. Er kann deshalb auch nicht angefochten werden (Dallinger/Lackner 1; Eisenberg 20; Ostendorf 9). Einzutragen sind (Abs. I 1, II): alle Weisungen und Auflagen, soweit sie nicht angefochten 2 sind oder nur für kurze Zeit gelten sollen; Rechtskraft der nur mit einfacher Beschwerde anfechtbaren Auflagen ist nicht notwendig (ebenso Dallinger/Lackner 3; Eisenberg 6; aA hinsichtlich nur für kurze Zeit geltender Weisungen u. Auflagen Ostendorf 3); der Name des BewHelfers. Ein BewPlan, der seinen Zweck erfüllen soll, muss noch enthalten: genaue Anschrift, Fern- 3 sprechanschluss uä des BewHelfers, BewZeit, Pflichten des Abs. I 3, soweit sie nicht als BewAuflagen festgelegt sind. Sind ausnahmsweise keine Weisungen und Auflagen angeordnet (§ 23: „soll“), besteht auch kein 4 Zwang, einen Bewährungsplan aufzustellen (§ 60 I 1); doch wird ein Bewährungsplan immer zweckmäßig sein (Ostendorf 3 „muss“). Der BewPlan wird aufgestellt, sobald Klarheit besteht, welche Maßnahmen endgültig geboten 5 sind (Rn 2; zust. Eisenberg 10; aA Ostendorf 2 „umgehend nach Rechtskraft der Entscheidung“; ihm folgend DSS/Sonnen 3). Das kann erst dann der Fall sein, wenn der BewHelfer den ersten ausführlichen Bericht erstellt hat, was allerdings so bald wie möglich geschehen muss. Für die bis dahin erteilten Weisungen und Auflagen empfiehlt sich wegen ihres vorläufigen Charakters die Aufstellung eines BewPlanes nicht. Bei späteren Änderungen der im BewPlan angegebenen Auflagen oder auch der Umstände 6 muss der BewPlan neu gefasst werden. Nur bei geringfügigen Änderungen ist eine bloße Abänderung oder Ergänzung vertretbar (Klarheit). S. auch Rn 7 aE. Der BewPlan muss dem J durch den Richter persönlich ausgehändigt werden; dieser muss 7 „zugleich“ – also mündlich (Dallinger/Lackner 9; Eisenberg 14; Ostendorf 4; aA Potrykus B 2: nur soll) – gem. Abs. I 2, 3 eingehend und mit Nachdruck belehrt werden (§ 21 RL 3). Dies geschieht wegen der großen Bedeutung am besten in einem bes. Termin, in dem JRichter, BewHelfer, gesetzliche Vertreter, Erziehungsberechtigte und J die Durchführung der Bew. besprechen und Änderungsvorschläge erörtern können (RL). Der J kann aber nicht gezwungen werden, diesen Termin wahrzunehmen (OLG Celle MDR 63, 523 zu § 453 a StPO; Dallinger/Lackner 8; Eisenberg 14; Ostendorf 4), ebenso wenig die gesetzlichen Vertreter und ErzBerechtigten (OLG Celle MDR 63, 523 für ErwRecht; Eisenberg 14); denn die darin liegende Freiheitsbeschränkung ist im Gesetz nicht vorgesehen und daher nicht zulässig. – Der dann gebotene schriftliche „Ausweg“ ist jedoch ein schlechter Beginn. – Das alles gilt auch für nachträgliche Abänderungen; bei geringfügigen Änderungen mag schriftliche Zusendung und Belehrung ausreichen (Abs. I 4; ebenso Dallinger/Lackner 12; Ostendorf 5; zweifelnd Eisenberg 19). Bei den volljährigen Hw. sind gesetzliche Vertreter und ErzBerechtigte nicht beteiligt. Stets gibt der JRichter dem J auf, jeden Wechsel seines Aufenthalts, sowie seines Ausbildungs- 8 oder Arbeitsplatzes während des Laufes der BewZeit anzuzeigen (Abs. I 3). Die Belehrung über die Folgen schuldhafter Zuwiderhandlungen gegen zur Bewährung aufer- 9 legte Weisungen und Auflagen sollte nachweisbar sein (§§ 11 III 1, 15 III 2, 23 I 4).
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§ 453 c StPO
2. Teil. Jugendliche
10 Im Termin soll der J die Erfüllung der Weisungen und Auflagen versprechen (Abs. III 1). Bei Aushändigung des BewPlanes belehrt der JRichter den J über die Bedeutung der Strafaussetzung, über die Bew.- und Unterstellungszeit, über die Weisungen und Auflagen und die Möglichkeit des Widerrufs (Abs. I 2). Weiter sollen der J, der gesetzliche Vertreter und der ErzBerechtigte den BewPlan in dem bei den Akten verbleibenden Exemplar unterschreiben; nach Dallinger/Lackner 13 genügt Unterschrift im Protokoll; Unterschriftsverweigerung hat an sich keine Folgen. § 60 wird in seiner Bedeutung oftmals unterschätzt und unterschiedlich angewendet (vgl. Schüler-Springorum MKrim. 64, 21). 11 Zuständig ist der Vorsitzende des JGerichts, das die BewAufsicht gem. § 58 III führt; die Aufgaben des § 60 können also mit übertragen werden (§ 58, 2). Hält sich der J nicht im Bezirk des zuständigen JRichters auf, kann der zuständige Rechtshilfe-JRichter mit der Durchführung (Rn 7) beauftragt werden. Übertragung auf Rechtspfleger ist unzulässig (Dallinger/Lackner 17; Eisenberg 9; Ostendorf 1). Der durch Übertragung nach § 58 III 2 zuständige Richter erstellt auch den BewPlan.
§ 61 Sicherungshaftbefehl (weggefallen)
Sicherungshaftbefehl nach § 453 c StPO Sicherungshaftbefehl § 453 c StPO (1) Sind hinreichende Gründe für die Annahme vorhanden, dass die Aussetzung widerrufen wird, so kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses, um sich der Person des Verurteilten zu versichern, vorläufige Maßnahmen treffen, notfalls, unter den Voraussetzungen des § 112 Abs. 2 Nr. 1 oder 2, oder, wenn bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, dass der Verurteilte erhebliche Straftaten begehen werde, einen Haftbefehl erlassen. (2) Die auf Grund eines Haftbefehls nach Absatz 1 erlittene Haft wird auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe angerechnet. § 33 Abs. 4 Satz 1 sowie die §§ 114 bis 115 a, 119 und § 119 a gelten entsprechend. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweck im JStrafrecht . . . . . . . . . . . . . Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten des Sicherungshaftbefehls Übergang in Vollstreckungshaft . . . . . . Zuständigkeit und Haftentschädigung . .
1.
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Rn 1 3 7 8 9 10 14 15
Allgemeines
1 Die Vorschrift des § 61 – „Sicherungshaftbefehl“ – konnte entfallen, weil nach § 2 II der dieser jrechtlichen Vorschrift nachgebildete, für Erw. geltende § 453 c StPO auch auf J und Hw. Anwendung findet. 2 Nach § 58 II iVm § 453 c StPO (RL 4 zu §§ 26, 26 a) erlässt der Richter unter den Voraussetzungen des § 112 I Nr. 1 und 2 StPO oder bei Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten bis zur Rechts-
370
Sicherungshaftbefehl
§ 453 c StPO
kraft des Widerrufsbeschlusses notfalls dann Haftbefehl, wenn hinreichende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Strafaussetzung zur Bew. widerrufen wird. Nach Abs. II des § 453 c StPO wird die aufgrund dieses Haftbefehls erlittene UHaft auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet, die §§ 33 IV 1, 114 bis 115 a, 119 StPO gelten entsprechend.
2.
Voraussetzungen
JStrafe mit Strafaussetzung zur Bew.; die Aussetzung der Verhängung der JStrafe (§ 27) er- 3 laubt das Zwangsmittel des § 453 c StPO nicht (§ 62, 4; zust. Eisenberg § 58, 17). Hinreichende Gründe für die Annahme, dass die Strafaussetzung zur Bew. widerrufen wird. 4 Es muss also wahrscheinlich sein, dass die Gründe auch nach Anhörung des J zum Widerruf hinreichen (Meyer-Goßner § 453 c StPO 3). Dies wird idR die Befragung des BewHelfers oder anderer mit dem J in Berührung stehender Personen, vor allem der JGH (§ 38, 4) erfordern. § 453 c StPO gilt auch bei der Aussetzung freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 463 I StPO). Insgesamt zust. Ostendorf § 58, 15. Der J muss bereits flüchtig sein oder sich verborgen halten (§ 112 I Nr. 1 StPO) oder es muss 5 hinreichender Fluchtverdacht bestehen (§ 112 I Nr. 2 StPO). Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass J leichter zur Flucht neigen als Erw. in gleicher Lage und dass mit jugendtümlichen Kurzschlusshandlungen gerechnet werden muss (näher § 72, 7–9). Auch die konkrete Gefahr erheblicher neuer Straftaten (Meyer-Goßner § 453 c StPO 10, § 112 a StPO 14; Rieß NJW 78, 2272) berechtigt zum Erlass des Sicherungshaftbefehls. Dies dient auch dem Schutze des Probanden vor sich selbst. Der Widerruf darf noch nicht rechtskräftig sein (vgl. § 26 a, 13); dann kommt nur noch ein 6 Vollstreckungshaftbefehl in Betracht. Vgl. Rn 9 aE.
3.
Subsidiarität
Der Haftbefehl nach § 453 c StPO ist der schärfste und zuletzt zu erwägende Eingriff („notfalls“). 7 Genügen andere Sicherungsmaßnahmen (zu unterscheiden von den vorläufigen Anordnungen über die Erz. nach § 71), wie etwa Abwendung der Fluchtgefahr durch bes. Überwachung durch BewHelfer, JGHelfer oder zuverlässigen ErzBerechtigten, Meldepflicht, Anordnungen über den Aufenthalt ua, so darf, über die Formulierung des auf Erw. abgestellten § 453 c StPO noch hinaus, nach dem das JRecht ganz allg. beherrschenden Subsidiaritätsgrundsatz ein Haftbefehl nicht erlassen werden (ähnlich Eisenberg § 58, 23). Die Rechtsgrundsätze des § 72 I 1–3 (näher § 72, 5) sind auch hier zu beachten. Solche Anordnungen ergehen ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss, soweit sie den J verpflichten (Dallinger/Lackner § 61, 6; Eisenberg § 58, 24; Ostendorf § 58, 21), unter Anhörung der StA (§ 33 II StPO) und weiterer Beteiligter, soweit dies zeitlich möglich ist und der Zweck des Sicherungshaftbefehls nicht gefährdet wird. Anhörung der JGH (fernmündlich) kann einen Sicherungshaftbefehl oftmals vermeiden helfen. Die Maßnahmen können allerdings nicht erzwungen, müssen ggf. also doch durch Haft ersetzt werden. Zur JGH bes. § 38, 5 b-g; § 72, 4.
4.
Zweck im JStrafrecht
Der Sicherungshaftbefehl dient der Sicherung der Strafvollstreckung. Das OLG Düsseldorf (JR 89, 8 166 mit zust. Anm. Wendisch) hat für das ErwRecht ausdrücklich betont, dass der Sicherungshaftbefehl nicht bezwecke, die mündliche Anhörung des Verurteilten zu erzwingen. Zwar kann diese Entscheidung nicht ohne weiteres auf das JStrafrecht übertragen werden, weil gerade J oftmals
371
§ 453 c StPO
2. Teil. Jugendliche
den Ernst der Lage verkennen, ihnen die Chance des Verzichts auf den Widerruf erhalten werden sollte und dem Sicherungshaftbefehl daher im JStrafrecht auch die Funktion zukommen könnte, dem J wirkliches – und nicht nur „rechtliches“ – Gehör zu geben. Bei § 453 c StPO handelt es sich jedoch um eine Vorschrift des allg. Strafverfahrensrechts, die auch im JStrafverfahren aufgrund von § 2 II gilt, ohne dass sich dem JGG der Wille entnehmen lässt, dem Sicherungshaftbefehl eine zusätzliche Aufgabe zuzuweisen. Nach § 58 I 3 ist dem J lediglich „Gelegenheit zur mündlichen Äußerung vor dem Richter“ zu geben. Es erscheint auch problematisch, zur Gewährleistung des Prozessgrundrechts auf Gehör dem Grundrechtsträger zwangsweise die Freiheit zu entziehen. § 453 c StPO hat daher auch im JStrafrecht ausschließlich Sicherungsfunktion (Ostendorf § 58, 17). Dass damit dem J auch „wirkliches Gehör“ gegeben wird, ist nicht Zweck, sondern faktische Nebenwirkung der Vorschrift und damit wohl auch ein letztes Mittel, um dem sich offensichtlich einer Bew. entziehenden J die Subsidiarität des Widerrufs zu bewahren; vgl. Rn 9 aE. 5.
Beschwerde
9 Der Haftbefehl ergeht ohne mündliche Verhandlung durch begründeten Beschluss; gegen ihn ist einfache Beschwerde gegeben, die keine aufschiebende Wirkung hat (§§ 34, 304, 307 I StPO). Weitere Beschwerde ist nicht zulässig (OLG Düsseldorf NJW 64, 69; NJW 77, 968; MDR 90, 653; OLG Hamburg NJW 64, 605; OLG Stuttgart MDR 75, 951; OLG Bamberg NJW 75, 1526; Dallinger/Lackner 7; aA OLG Braunschweig NStZ 93, 604; Eisenberg 25; Ostendorf 24 je § 58). Da der Widerrufsbeschluss erst mit Rechtskraft vollstreckbar wird (§ 26 a, 13), kann Sicherungshaftbefehl auch zugleich mit dem Widerruf erlassen werden (Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer § 453 c StPO 8). Mit Rechtskraft des Widerrufs wird der Sicherungshaftbefehl hinfällig; er ist auch aufzuheben, wenn feststeht, dass ein Widerruf nicht in Betracht kommt (zust. Eisenberg § 58, 19). Auch ohne Widerruf kann die Sicherungshaft zu einem erz. Erfolg geführt haben, der erst die Fortführung der Bew. sinnvoll, den Widerruf vermeidbar macht (Abel BewH 64, 129). 6.
Besonderheiten des Sicherungshaftbefehls
10 Der Haftbefehl wird wie ein anderer UHaftbefehl vollstreckt (Inhalt, Eröffnung, Benachrichtigung Angehöriger, Beschwerdebelehrung, Ort und Form des Vollzugs), doch wird aus § 453 c II 2 StPO abzuleiten sein, dass nur die dort genannten Vorschriften der UHaft auch hier gelten, denn hier wird UHaft an einem bereits rechtskräftig schuldig Gesprochenen vollzogen (Zuständigkeit Rn 15). Daraus, dass § 453 c II 2 StPO nur die §§ 114–115 a, 119 und 119 a StPO für anwendbar erklärt, folgt, dass die übrigen Vorschriften des Haftrechts nicht gelten, soweit nicht die §§ 114– 115 a, 119 StPO auf sie weiterverweisen, nämlich die §§ 117 I, II; 118 I, II StPO; die §§ 112 I Nr. 1 und 2 StPO gelten bereits über § 453 c I StPO (ebenso Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer § 453 c StPO 14). 11 Es gilt deshalb der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (also darf die Haft nicht länger dauern als die Strafe, um deren Vollstreckung es geht), es gibt Beschwerde (Rn 9) und auch mündliche Verhandlung über den Haftbefehl, jederzeit kann die gerichtliche Haftprüfung beantragt werden (Eisenberg § 58, 30; Ostendorf § 58, 24). Das LG Freiburg (NStZ 89, 378 mit krit. Anm. Fuchs; krit. auch Päffgen NStZ 89, 520; abl. Anm. Fischer NStZ 90, 52) allerdings will gegen die hM die gerichtliche Haftprüfung versagen. Es gelten auch die Vorschriften über die äußere Form des Haftbefehls, die Bekanntmachung, die Benachrichtigung von Angehörigen und über die Vorführung zum Richter samt Vernehmung. Die öffentliche Zustellung des Sicherungshaftbefehls ist im JStrafrecht nicht zulässig (näher § 2, 9). 12 Eindeutig ausgeschlossen sind dagegen die Haftprüfung durch das OLG nach 6 Monaten (§§ 121 ff StPO; ebenso Burmann Der Sicherungshaftbefehl, 1984 S. 125, 126; abl. Ostendorf 25,
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Sicherungshaftbefehl
§ 453 c StPO
zweifelnd Eisenberg § 58, 25), die Anordnung von Ermittlungen durch den Richter (§ 117 III StPO: Das Urteil ist hier ja schon rechtskräftig) und die Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§§ 116, 116 a StPO; dafür gibt es die anderen Maßnahmen nach dem Subsidiaritätsgrundsatz, Rn 7; hier zust. Eisenberg § 58, 31; Ostendorf § 58, 23; vgl. auch LG Flensburg Rpfl. 84, 112). Ergeht Sicherungshaftbefehl gegen einen Untergebrachten (§ 63 StGB), so ist er vorläufig in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen (OLG Hamburg NJW 77, 248). Ob bei gleicher Interessenlage Öffentlichkeitsfahndungen entsprechend § 131 III StPO zuge- 13 lassen werden können, ist bestritten. Die überwiegende Meinung (Dallinger/Lackner 10; Bender JGG, 1965 Rn 10; Eisenberg § 58, 29; Ostendorf § 58, 23; Burmann aaO S. 74 FN 85) lehnt dies ab als zumindest erzwidrig, möglicherweise sogar rechtlich unzulässig; Potrykus B 1; Löwe/Rosenberg/ Graalmann-Scheerer § 453 c StPO 14 halten es für möglich. Dem Sinn des JGG und den Ausführungen Rn 8 aE folgend, wird man darauf verzichten können. 7.
Übergang in Vollstreckungshaft
Der Sicherungshaftbefehl geht mit Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses in Vollstreckungs- 14 haft über (vgl. § 26 a, 13; Meyer-Goßner § 453 c StPO 14; Eisenberg § 58, 33; aA Dallinger/Lackner § 61, 11 – mit Erlass des Beschlusses –). Jede Freiheitsentziehung aufgrund des Haftbefehls ab Ergreifung bis zur Entlassung oder bis zur Rechtskraft des Widerrufs der JStrafe wird voll auf die Strafzeit angerechnet. Das geschieht, wie bei gem. § 450 StPO anzurechnender UHaft, in der Weise, dass der Beginn der Strafzeit auf den Zeitpunkt der Verhaftung vorverlegt wird. 8.
Zuständigkeit und Haftentschädigung
Der JRichter, welcher die Strafaussetzung zur Bew. angeordnet und sie auch zu widerrufen 15 hat (falls diese Zuständigkeit nicht nach § 58 III 2 oder § 104 V 1 an einen anderen JRichter übertragen wurde), ist auch zuständig für Erlass und Vollstreckung des Sicherungshaftbefehls oder der vorläufigen Maßnahme nach § 453 c StPO (§ 58 I, II, III 1; vgl. auch § 85, 17). Dies entspricht der Erlass-Zuständigkeit im ErwStrafrecht (Meyer-Goßner § 453 c StPO 12; Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer § 453 c StPO 16, § 453 b StPO 5) und insbes. der jrechtlich und erzwichtigen Einheitlichkeit des Vorgehens, wie zugleich der gebotenen Klarheit von Zuständigkeitsverteilungen. Der Sinn des § 58 legt eine solche Regelung nahe, die Gesetzesfassung verbietet sie nicht. Es ist sinnvoll und wahrt die Belange der Verurteilten, wenn der JRichter, welcher letztlich über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bew. entscheiden muss, auch die diesem vorgehenden sichernden Entscheidungen trifft oder unter Wertung der bes. Kenntnis der Persönlichkeit des J eben nicht für notwendig hält (im Ergebnis ebenso Eisenberg § 58, Ostendorf § 58, 20). § 58 II erwähnt allerdings nur die Vollstreckung der vorläufigen Maßnahmen nach § 453 c StPO; hierdurch wird die streitig gewordene Frage geklärt, ob im JStrafverfahren zur Vollstreckung dieser vorläufigen Maßnahmen der JRichter oder wie im ErwStrafrecht der StA zuständig ist (Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer § 453 c StPO 17). Wurde ein zunächst vollzogener Sicherungshaftbefehl aufgehoben, weil es im Beschwerdever- 16 fahren nicht zum Widerruf der Strafaussetzung zur Bew. kam, so kann der Verurteilte wegen der erlittenen Haft, die nach § 453 c II 1 StPO auf die verhängte Strafe angerechnet wird, keine Entschädigung aus der Staatskasse verlangen (OLG Karlsruhe MDR 77, 600; OLG Düsseldorf JMBl. NRW 81, 250; Ostendorf 26; Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer 19; Meyer-Goßner 15 je zu § 453 c StPO; aA Eisenberg § 58, 34; DSS/Schoreit § 58, 23).
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§ 62
2. Teil. Jugendliche
Fünfter Unterabschnitt Verfahren bei Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe § 62 Entscheidungen § 62 Entscheidungen (1) Entscheidungen nach den §§ 27 und 30 ergehen auf Grund einer Hauptverhandlung durch Urteil. Für die Entscheidung über die Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe gilt § 267 Abs. 3 Satz 4 der Strafprozeßordnung sinngemäß. (2) Mit Zustimmung des Staatsanwalts kann die Tilgung des Schuldspruchs nach Ablauf der Bewährungszeit auch ohne Hauptverhandlung durch Beschluß angeordnet werden. (3) Ergibt eine während der Bewährungszeit durchgeführte Hauptverhandlung nicht, dass eine Jugendstrafe erforderlich ist (§ 30 Abs. 1), so ergeht der Beschluß, daß die Entscheidung über die Verhängung der Strafe ausgesetzt bleibt. (4) Für die übrigen Entscheidungen, die infolge einer Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe erforderlich werden, gilt § 58 Abs. 1 Satz 1, 2 und 4 und Abs. 3 Satz 1 sinngemäß. 1. Hw.-J: § 109 II 1. – 2. Abs. I-III: ErwG: § 104 I Nr. 8; – Abs. IV: ErwG: Rn 6; § 104 I Nr. 8, V 2. 2
1 Die Entscheidung nach § 27 erfolgt immer durch Urteil. Der Schuldspruch erfordert /3, die Aussetzung der Verhängung der JStrafe einfache Mehrheit (§ 263 I StPO; zust. Eisenberg 4). Urteilsfassung und -gründe § 54, 6, 15; Anfechtung § 63, 1. Vgl. auch § 27, 2 wegen der Rechtsnatur dieser Entscheidung u. der Rechtskraft; § 31, 7 wegen der Einbeziehung. 2 Die Nebenentscheidungen (Anordnung, Verkürzung, Verlängerung der BewZeit; Anordnung, Änderung, Aufhebung der BewAuflagen; auch bezüglich BewHelfer) ergehen durch Beschluss, der zu begründen ist (Abs. IV iVm § 58 I 1 u. 4). Verfahren § 58, 3. Der StA, der J und der BewHelfer sind zu hören (Abs. IV iVm § 58 I 2). Näher § 58, 4. Anfechtung § 63, 4; Zuständigkeit Rn 6. 3 Die Verhängung der JStrafe nach § 30 I ist nur aufgrund einer Hauptverhandlung durch Urteil möglich. Grundlage des Verfahrens ist das rechtskräftige Urteil nach § 27, das deshalb auch in der Hauptverhandlung zu verlesen ist (§§ 243 III, 324 I 2 StPO entsprechend). Gegenstand des Verfahrens sind die Tatsachen, die die Überzeugung vom Vorliegen schädlicher Neigungen und von der Notwendigkeit der Verhängung einer JStrafe begründen sollen; letztere sind deshalb (mit den Beweismitteln) in einem Beschluss anzugeben und dem Angeklagten mitzuteilen (entsprechend dem Eröffnungsbeschluss; zust. Eisenberg 20), da der Angeklagte nicht überrascht werden soll; auch dieser Beschluss ist zu verlesen (§ 243 III StPO entsprechend; zust. Ostendorf 5). Das belastende Material ist regelmäßig vor allem in den Berichten des BewHelfers enthalten; für deren Verwertung gilt dasselbe wie für die Berichte der JGH (s. § 38, 13 ff). 4 Die Verhandlung wird in der BewZeit anberaumt, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die Voraussetzungen des § 30 I gegeben sind (§ 203 StPO entsprechend). Ein Antrag des JStA, die Verhandlung durchzuführen, kann abgelehnt werden; wegen der Anfechtung der Ablehnung § 63, 3. Haftbefehl kann gem. §§ 112 ff StPO, 72 JGG erlassen werden, da noch kein rechtskräftiger Strafausspruch vorliegt (aA Heublein Zbl. 95, 437); § 453 c StPO gilt nicht (§ 61, 3; zust. Eisenberg 58, 11; einschränkend Ostendorf 1). In der Verhandlung kann nur durch Urteil JStrafe angeordnet werden oder durch Beschluss die Aussetzung aufrechterhalten bleiben (§ 30, 1); eine vorzeitige Tilgung (vgl. Rn 5) ist an Stelle dieser Entscheidung nicht zulässig (Dallinger/Lackner 19; § 30, 17; Eisenberg 13 mit erzpsychologischen Bedenken; aA OLG Schleswig NJW 58, 34). Anfechtung: § 63, 1, 3.
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Anfechtung
§ 63
Nach Abschluss der BewZeit muss entweder JStrafe ausgesprochen oder die Tilgung des 5 Schuldspruchs angeordnet werden. Grds. wird durch Urteil aufgrund einer Hauptverhandlung entschieden. Nur wenn sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass schädliche Neigungen vorliegen, kann mit Zustimmung des JStA die Tilgung des Schuldspruchs durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung erfolgen. Eine Begründung ist nicht vorgeschrieben, aber erz. zweckmäßig. Zuständig ist das Gericht, das die Verhängung der JStrafe zur Bew. ausgesetzt hat (s. § 58, 5). Die 6 Nebenentscheidungen können nicht übertragen werden (BGH StV 98, 348; NStZ 99, 361; Eisenberg 9; Heublein Zbl. 95, 438; aA Ostendorf 4). Abs. IV verweist nicht auf § 58 III 2. Das Verfahren kann erst recht nicht im Ganzen nach § 42 III JGG abgegeben werden, wie ein Schluss aus § 104 V 2 ergibt (BGH 8, 346; Dallinger/Lackner 8; Eisenberg 9; Ostendorf 4; aA Lackner GA 56, 381); denn hier ist es der erkennende Richter, der dem J während der Bew. nahe sein soll. Doch muss der JRichter nach § 270 StPO verweisen, wenn sich herausstellt, dass sein Strafbann nicht ausreicht (Potrykus NJW 56, 655; aA Pentz NJW 54, 1353). Hat das ErwGericht entschieden, bleibt es nur für das Nachverfahren (§ 30) zuständig; die Nebenentscheidungen muss es dem JRichter des Aufenthaltsortes des J übertragen (§ 104 I Nr. 8, V 2). Registereinträge Vor § 97, 18.
§ 63 Anfechtung § 63 Anfechtung (1) Ein Beschluß, durch den der Schuldspruch nach Ablauf der Bewährungszeit getilgt wird (§ 62 Abs. 2) oder die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe ausgesetzt bleibt (§ 62 Abs. 3), ist nicht anfechtbar. (2) Im Übrigen gilt § 59 Abs. 2 und 5 sinngemäß. 1. Hw.-J: § 109 II. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 8. Grds. sind auch hier die allg. Rechtsmittel gegeben. Das Urteil nach § 27 ist ebenso wie die nach- 1 trägliche Festsetzung der JStrafe (§ 30) unter der Beschränkung des § 55 II mit Berufung und Revision anfechtbar. Gleiches gilt für das Urteil, das nach Ablauf der BewZeit die Tilgung anordnet. Dagegen ist der Beschluss nicht anfechtbar, durch den nach Ablauf der BewZeit die Tilgung 2 mit Zustimmung des JStA ohne mündliche Verhandlung angeordnet ist (Abs. I); durch ihn ist niemand beschwert. Fehlt dagegen die Zustimmung des JStA, hat dieser die sofortige Beschwerde wegen des Verfahrensverstoßes (Dallinger/Lackner 4). Auch gegen Tilgung vor Ablauf der BewZeit ist sofortige Beschwerde gegeben, weil die gesetzliche Grundlage fehlt (LG Hamburg B NStZ 89, 523). Ebenso unanfechtbar ist der Beschluss, durch den das Gericht nach Verhandlung in der BewZeit 3 die Verhängung der Strafe ausgesetzt lässt (Abs. I). Eine entsprechende Anwendung dieser Ausnahmevorschrift auf die Ablehnung des Antrags des JStA auf Durchführung des Verfahrens nach § 30 I in der BewZeit ist nicht möglich, zumal es hier um die Durchführung der Prüfung, dort aber um die Entscheidung nach Prüfung geht. Es ist einfache Beschwerde gegeben (Dallinger/ Lackner 5; Eisenberg 6; Ostendorf § 62, 4). Die Nebenentscheidungen (BewZeit, -Auflagen, -Helfer) sind wie bei Strafaussetzung zur Bew. 4 anzufechten, § 59, 6. Auch hier ist das Revisionsgericht zur Entscheidung über diese Beschwerde berufen, wenn gegen das Urteil Revision eingelegt ist.
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§ 65
2. Teil. Jugendliche
§ 64 Bewährungsplan § 60 gilt sinngemäß. Der Jugendliche ist über die Bedeutung der Aussetzung, die Bewährungs- und Unterstellungszeit, die Weisungen und Auflagen sowie darüber zu belehren, dass er die Festsetzung einer Jugendstrafe zu erwarten habe, wenn er sich während der Bewährungszeit schlecht führe. 1. Hw.-J: § 109 II 1. – 2. ErwG: § 104 I Nr. 8. 1 Es gilt das bei § 60, 1, 5 Dargelegte. 2 § 60, 7 gilt mit folgenden Abweichungen: Die Belehrung muss dem J vor allem klarmachen, dass es von seinem künftigen Verhalten abhängt, ob er mit JStrafe belegt werden oder ob er ganz straffrei bleiben wird. Die Weigerung, die Erfüllung der Weisungen und Auflagen zu versprechen, rechtfertigt nicht die Verhängung der JStrafe, sondern kann nur als Indiz gewertet werden (zust. Eisenberg 5; Ostendorf 2; Nothacker S. 269). Ob aber die Anregung Eisenbergs aaO, den J auch hierauf hinzuweisen, bes. glücklich ist, mag dahingestellt bleiben. 3 Zuständig ist das Gericht, das die Nebenentscheidungen zu treffen hat (§ 62, 6; vgl. § 60, 11).
Sechster Unterabschnitt Ergänzende Entscheidungen § 65 Nachträgliche Entscheidungen über Weisungen und Auflagen § 65 Nachträgliche Entscheidungen über Weisungen und Auflagen (1) Nachträgliche Entscheidungen, die sich auf Weisungen (§ 11 Abs. 2, 3) oder Auflagen (§ 15 Abs. 3) beziehen, trifft der Richter des ersten Rechtszuges nach Anhören des Staatsanwalts und des Jugendlichen durch Beschluß. Soweit erforderlich, sind der Vertreter der Jugendgerichtshilfe, der nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 bestellte Betreuungshelfer und der nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 tätige Leiter eines sozialen Trainingskurses zu hören. Wenn die Verhängung von Jugendarrest in Betracht kommt, ist dem Jugendlichen Gelegenheit zur mündlichen Äußerung vor dem Richter zu geben. Der Richter kann das Verfahren an den Jugendrichter abgeben, in dessen Bezirk sich der Jugendliche aufhält, wenn dieser seinen Aufenthalt gewechselt hat. § 42 Abs. 3 Satz 2 gilt entsprechend. (2) Hat der Richter die Änderung von Weisungen abgelehnt, so ist der Beschluß nicht anfechtbar. Hat er Jugendarrest verhängt, so ist gegen den Beschluss sofortige Beschwerde zulässig. Diese hat aufschiebende Wirkung. 1. Hw.-JRecht: § 109 II 1. – 2. Abs. I: [ErwG]: Rn 4; § 104 IV; – Abs. II: [ErwG]: Rn 4. 1 § 65 betrifft die Änderung von Weisungen (§ 11, 2) und Auflagen (§ 15, 13) sowie die Verhängung von JA bei schuldhafter Verletzung von Weisungen oder Auflagen (§ 11, 4). 2 Zuständig ist der JRichter des ersten Rechtszuges, nicht der Vollstreckungsleiter nach § 82, der an sich die Befolgung der Weisungen und Auflagen zu überwachen und zu prüfen hat. Für die Abgabe an den JRichter des Aufenthaltsortes (Abs. I 4) gilt § 42, 10 entsprechend. Doch ist hier die Zustimmung des JStA nicht erforderlich (vgl. unterschiedl. Wortlaut hier Abs. I 2 u. § 42 III 1). Die Abgabe kann schon zweckmäßig sein, wenn noch keine nachträgliche Entscheidung an-
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Nachträgliche Entscheidungen über Weisungen und Auflagen
§ 65
steht, sondern zunächst nur die Überwachung der Auflagenerfüllung erforderlich ist (BGH B NStZ 97, 483). Sie ist zweckmäßig, wenn dem J vor Verhängung von JA Gelegenheit zur mündlichen Äußerung zu geben ist (BGH StraFo 09, 437). Das Familiengericht ist im Fall des § 53 nur zur Änderung von Weisungen selbst berufen; JA 3 wegen Ungehorsams kann nur der übertragende JRichter verhängen (§ 53, 8). Beim ErwGericht könnte neben der Änderung von Auflagen nur die Verhängung von JA wegen 4 Ungehorsams in Frage kommen, weil es die Auswahl und Abänderung der ErzMaßregeln dem Familiengericht überlassen muss (§ 104 IV). Das ErwGericht kann jedoch auch keinen JA verhängen, weil das Gesetz § 65 bei den für das ErwGericht anwendbaren Vorschriften nicht aufführt (§ 104 I) und die stets notwendige Zuständigkeitsregelung nicht dem Ermessen (§ 104 II) überlassen bleiben kann (zust. Eisenberg 3 u. § 104, 35). Zur Ahndung dieses spezifisch jrechtlichen Unrechtstatbestandes (§ 11, 4) ist vielmehr mangels einer bes. Vorschrift der gem. § 42 örtlich zuständige JRichter berufen (§ 104, 9; § 112, 5). Das ist sehr bestritten. Eisenberg 2 will § 65 I, II 2, 3 auf das ErwGericht entsprechend anwenden; ebenso Dallinger/Lackner 18 mit Ausnahme des Abs. I 5; Potrykus § 65 Anm. 3 begründet die Anwendung von § 104 II und Ostendorf 1 lässt das ErwGericht des 1. Rechtszuges entscheiden, wobei im Falle des Aufenthaltswechsels an den JRichter abgegeben werden kann. Die nachträglichen Entscheidungen über Weisungen und Auflagen (Abänderung, völlige oder 5 teilweise Befreiung, nicht gegenseitige Auswechslung; näher § 11, 3) trifft der Richter des 1. Rechtszuges (Abs. I 1; Rn 2) durch begründeten Beschluss. Es bestehen Anhörungspflichten. Der Richter hört den StA und den J – diesen grds. mündlich – an (Abs. I 1; näher Rn 7), ggf. auch die gesetzlichen Vertreter und ErzBerechtigten. Ganz wesentlich für die Entscheidung ist es, den Vertreter der JGH, den Betreuungshelfer nach § 10 I 3 Nr. 5 und den Leiter eines sozialen Trainingskurses nach § 10 I 3 Nr. 6 anzuhören. Die Einschränkung des Abs. I 2 „soweit erforderlich“ gibt dem pflichtgemäßen Ermessen des Richters den nötigen Freiraum. Gleichwohl wird nur ausnahmsweise auf diese Anhörungen verzichtet werden können. Darüber hinaus können je nach Fallgestaltung weitere Anhörungen einer gezielten Entscheidung dienen, etwa des ErzBeistandes. Dazu auch § 11, 3; § 58, 4. Kommt die Verhängung eines Ungehorsamsarrestes in Betracht, so muss der Richter dem J Ge- 6 legenheit zur mündlichen Äußerung geben (Abs. I 3). Das ist zwingend. Nur durch eine mündliche Anhörung kann rechtzeitig geklärt werden, ob der J auch tatsächlich schuldhaft gehandelt hat (LG Arnsberg NStZ 06, 525, 526; z. B. Verbot durch die Eltern; vgl. § 10, 20) und ob Ungeschicklichkeit oder blanker Ungehorsam den J Weisungen oder Auflagen hat missachten lassen (Böhm NJW 91, 536). Ein derartiges Gespräch kann JA vermeiden helfen. Die Gelegenheit zur mündlichen Anhörung muss auch bei wiederholter Verhängung eines Ungehorsamsarrestes gegeben werden (LG Arnsberg aaO). Näher § 11, 4 a; § 58, 4. Der J wird „angehört“ (Abs. I 1; Rn 5), es wird ihm „Gelegenheit zur mündlichen Äußerung“ ge- 7 geben (Abs. I 3; Rn 6). Diese Vorschriften sind zwingend, im Gesetzeswortlaut kommt aber auch zum Ausdruck, dass das Erscheinen des J nicht erzwungen werden kann (vgl. § 60, 7); vereitelt er die Anhörung, kann er daraus, dass sie unterbleibt, keine Rechte ableiten (vgl. § 58, 4). Wegen Eröffnung u. Rechtsmittelbelehrung s. §§ 35, 35 a StPO, 67 II JGG. Die nachträgliche Entscheidung muss dem Erziehungsregister mitgeteilt werden (§ 60 I Nr. 2 BZRG; Ostendorf 5; zweifelnd Eisenberg 14); der JGH sind Änderungen mitzuteilen (§ 85 RL III 1 entsprechend; Ostendorf aaO). Änderungen von Weisungen und von Auflagen wie auch die vollständige oder teilweise Befrei- 8 ung von ihnen oder die Ablehnung eines hierauf gerichteten Antrags (nicht jedoch eines Antrags auf Änderung von Weisungen, Abs. II 1) und die Ablehnung, JA zu verhängen, können mit einfacher Beschwerde (§ 304 StPO) angefochten werden (LG Freiburg JR 88, 524 mit Anm. Eisen-
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berg; Eisenberg 16; Ostendorf 7). Zu Recht aber macht Eisenberg (Anm. zu LG Freiburg aaO) Bedenken dagegen geltend, wenn die nachträgliche (!) Beschwerde der StA nicht auf neue Tatsachen gestützt wird, sondern auf die Ansicht, die Weisung sei von Anfang an unzulässig gewesen. Zum Familiengericht § 53, 11. 9 Gegen die Verhängung von JA ist sofortige Beschwerde mit aufschiebender Wirkung, doch nur im Rahmen des § 55 I, gegeben (Abs. II 2, 3; zum Familiengericht § 53, 11). Auch Wiederaufnahme des Verfahrens ist möglich (§ 55, 49; zust. Eisenberg 20; Ostendorf 8; Nothacker S. 327, 328; aA LG Stuttgart NJW 57, 1868; Dallinger/Lackner 13).
§ 66 Ergänzung rechtskräftiger Entscheidungen bei mehrfacher Verurteilung § 66 Ergänzung rechtskräftiger Entscheidungen bei mehrfacher Verurteilung (1) Ist die einheitliche Festsetzung von Maßnahmen oder Jugendstrafe (§ 31) unterblieben und sind die durch die rechtskräftigen Entscheidungen erkannten Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Strafen noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt, so trifft der Richter eine solche Entscheidung nachträglich. Dies gilt nicht, soweit der Richter nach § 31 Abs. 3 von der Einbeziehung rechtskräftig abgeurteilter Straftaten abgesehen hatte. (2) Die Entscheidung ergeht auf Grund einer Hauptverhandlung durch Urteil, wenn der Staatsanwalt es beantragt oder der Vorsitzende es für angemessen hält. Wird keine Hauptverhandlung durchgeführt, so entscheidet der Richter durch Beschluß. Für die Zuständigkeit und das Beschlußverfahren gilt dasselbe wie für die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe nach den allgemeinen Vorschriften. Ist eine Jugendstrafe teilweise verbüßt, so ist der Richter zuständig, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen. 1. Hw.-JRecht: Rn 12; § 109 II 1, 2. – 2. ErwG: Rn 13; § 104 II. Richtlinien zu § 66: 1. Liegen die Voraussetzungen des Absatz 1 vor, ist eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Das Gericht kann von der einheitlichen Festsetzung von Maßnahmen oder Jugendstrafe absehen (§ 31 Abs. 3). 2. Die Staatsanwaltschaft beantragt die Durchführung einer Hauptverhandlung nach Absatz 2 vor allem dann, wenn zu erwarten ist, dass die ergänzende Entscheidung von den früheren Entscheidungen erheblich abweicht.
1 § 66 sichert das Einheitsprinzip als Ausfluss des ErzGedankens (§ 31, 3), indem auch nachträgliche Entscheidungen ermöglicht werden. Hierfür müssen die folgenden Voraussetzungen vorliegen: 2 Mehrere Taten (§ 31, 1). Es müssen Entscheidungen vorliegen, deren Art die Anwendung des § 31 gestattet (§ 31, 8, 26, 27), auch wenn in ihnen schon teilweise einheitliche Maßnahmen getroffen sind; es genügt auch eine Entscheidung wegen mehrerer Taten, wenn sie § 31 nicht beachtet hat (Rn 6). – Rechtskraft dieser Entscheidungen. Auch Zweifel über die Auslegung des Urteils und über Berechnung der JStrafe, des JA uä müssen gem. §§ 458, 462 StPO schon behoben sein (BayObLG NJW 55, 601; Eisenberg 19; Ostendorf 5). Dazu aber auch Rn 4. In allen beteiligten Entscheidungen müssen einbeziehbare Maßnahmen (§ 31, 8) oder JStrafe enthalten sein, die noch nicht vollständig verbüßt sind (§ 31, 7). Nach dem BGH ist eine Schuldfeststellung nach § 27 keine noch nicht vollständig erledigte Entscheidung iSd § 66 I 1 und hat beim Zusammentreffen einer Schuldfeststellung mit einer anderen rechtskräftigen Entscheidung grds. der nach §§ 30, 62 zuständige Richter über den Ausspruch einer JStrafe zu entscheiden (BGH 51, 136 =
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NStZ 08, 693 mit abl. Anm. Dölling; ebenso Dallinger/Lackner 8; Eisenberg 22; LBN/Baier S. 219; Streng S. 138; Potrykus RdJ 56, 200). § 66 bezieht sich jedoch auf § 31, der in Abs. II ausdrücklich die Schuldfeststellung nennt. § 13 II Nr. 2 BZRG setzt voraus, dass Entscheidungen gemäß § 27 nach § 66 einbezogen werden. Außerdem führt § 66 II 3, 4 iVm § 462 a III StPO zu einer sachgerechten Zuständigkeitsregelung für das nachträgliche Verfahren. Dem § 66 unterfallen daher auch Entscheidungen nach § 27 (ebenso DSS/Schoreit 8; Ostendorf 7 u. NJW 81, 378). – Der früher entscheidende Richter darf nicht nach § 31 III von der Einbeziehung abgesehen haben (s. Rn 6); dies gilt jedoch nur, wenn eine Entscheidung ausdrücklich getroffen und auf § 31 III gestützt ist (BGH 51, 136) und nunmehr keine anderen Taten als die dabei berücksichtigten vorliegen. – Die Zusammenfassung darf nicht erz. unzweckmäßig sein (Rn 6). Im Übrigen ist es gleichgültig (Ausnahme Abs. I 2), warum früher die Einbeziehung nicht er- 3 folgt ist, ob also dem Richter weitere Taten unbekannt waren oder er solche übersehen hat oder ob die Einbeziehung wegen noch nicht eingetretener Rechtskraft nicht möglich war. Das gilt sogar dann, wenn der Richter aus unzutreffenden Erwägungen die Einbeziehung abgelehnt hat, weil das Gesetz diesen Fall nicht ausschließt, die Einbeziehung aber auch hier erz. geboten ist und durch die Möglichkeit, eine Hauptverhandlung durchzuführen und durch Urteil zu entscheiden, erschöpfende Aufklärung gewährleistet ist (Dallinger/Lackner 3; Eisenberg 17; Ostendorf 3; Nothacker S. 260). Sobald die Voraussetzungen vorliegen, muss nach § 66 entschieden werden (RL 1 S. 1). Wo 4 dem J keine Rechtsnachteile entstehen, kann auch noch die Rechtskraft einer weiteren Entscheidung abgewartet werden. Auch wenn eine Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist, können aber die übrigen rechtskräftigen nach § 66 zusammengezogen werden (Dallinger/Lackner; Eisenberg 19; Ostendorf 5). Für die Bildung einer einheitlichen Maßnahme gilt hier grds. das gleiche wie bei § 31 (§ 31, 11 ff; 5 § 54, 8). Eine Bindung besteht an die Schuldsprüche, abgeschwächt auch an die Feststellungen zur Straffrage; nur die Wertung ist frei (§ 31, 11). Die Häufung der Taten wird allerdings oft zu einer ungünstigeren Beurteilung der Persönlichkeit und damit zur Verhängung von JStrafe führen, wenn bisher keine JStrafe verhängt war. Das Verschlechterungsverbot gilt nicht (Dallinger/ Lackner 9; zweifelnd Eisenberg 7; abl. Ostendorf 11, weil der J nicht schlechter gestellt werden dürfe als ein Erw.: § 54 II StGB). Die Wirkung ist hier die gleiche wie bei § 31. Auch hier kann der Richter unter den Voraussetzungen des § 31 III (§ 31, 21) davon absehen, 6 eine einheitliche Unrechtsreaktion zu treffen. Er muss das ausdrücklich aussprechen, zumal auch diese Entscheidung nach § 66 I 2 bindet (Dallinger/Lackner 10; Eisenberg 8; Ostendorf 9). Die Entscheidung (Zuständigkeit Rn 10, 11) ergeht aufgrund einer Hauptverhandlung durch Ur- 7 teil, wenn der Vorsitzende das für angemessen hält. Angemessen ist das idR im Fall der RL 2, vor allem also, wenn Häufung, Tatfolge, Tatzeit uä bei der Gesamtschau eine andere Beurteilung der Täterpersönlichkeit nahe legen. Gleiches gilt bei einem entsprechenden Antrag des JStA. Anträge sonstiger Verfahrensbeteiligter haben nur die Bedeutung einer Anregung. Eine Anfechtung der Ermessensentscheidung des Vorsitzenden ist nicht möglich (vgl. § 305 S. 1 StPO; im Ergebnis ebenso LG Zweibrücken MDR 93, 679; Dallinger/Lackner 10, 15; Eisenberg 25; Ostendorf 23); seine Entscheidung ist auch für das Gericht bindend (jede Bindung verneinen Dallinger/Lackner 16; Eisenberg 26; Ostendorf 18, der aber dann zumindest Entscheidung im Beschlusswege fordert). – Das Verfahren richtet sich nach den allg. Vorschriften über die Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung; eines Eröffnungsbeschlusses bedarf es nicht. Das Urteil ist im Rahmen des § 55 mit Berufung oder Revision anfechtbar. Der Nachprüfung des Rechtsmittelgerichts unterliegt nur der neue einheitliche Strafausspruch, die Rechtskraft der zugrunde liegenden Schuldsprüche ist auch im Rechtsmittelverfahren zu beachten (Dallinger/Lackner 15; Eisenberg 31; Ostendorf 21). Gegen den Beschluss (Abs. II 2) ist sofortige Beschwerde (Ausnahme § 304 IV StPO) zulässig (Abs. II 3 iVm § 462 III StPO), die den Beschränkungen des § 55 I unterliegt.
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8 Sonst wird nach Anhörung des J, JStA, ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreters (§ 462 II StPO; § 67 I), sowie der JGH (§ 38 III 1) ohne mündliche Verhandlung durch begründeten Beschluss entschieden. Wegen Eröffnung u. Rechtsmittelbelehrung s. §§ 35, 35 a StPO, 67 II. Zur Anfechtung Rn 7 aE. 9 Kosten § 74 RL 2, 3 S 2; § 41 GKG. Vgl. § 74, 9. 10 Zuständig ist in erster Linie der Vollstreckungsleiter einer nur zum Teil verbüßten JStrafe (Abs. II 4); UHaft oä genügt nicht (ebenso Eisenberg 10; Ostendorf 14). Erlass steht der Vollverbüßung gleich. Die Zuständigkeit liegt bei ihm als JRichter (= Einzelrichter) ohne Rücksicht auf Strafhöhe und Art der Taten; die Zuständigkeit ist ausschließlich, die Begrenzung des § 39 II gilt nicht (Dallinger/Lackner 22–26; Eisenberg 11; Ostendorf 16). Bei Wechsel der örtlichen Vollstreckungsleiter-Zuständigkeit (§§ 85 I bis V; 88 VI 3 iVm 58 III 2) wechselt auch die Zuständigkeit nach § 66; bei nur teilweiser Übertragung der Entscheidung (§ 58 III 2) wird das Verfahren mit Rücksicht auf die Widerruflichkeit der Übertragung (§ 85 V) zweckmäßig vom abgebenden Vollstreckungsleiter eingeleitet (zust. Eisenberg 11; Ostendorf 16). Sind mehrere JStrafen ausgesprochen und teilverbüßt, ist der Vollstreckungsleiter zuständig, der das Verfahren zuerst einleitet (Dallinger/Lackner 22; Eisenberg 11 aE; Ostendorf 16). Zur Abgrenzung der Zuständigkeit des Vollstreckungsleiters, der nach Bildung der Einheitsstrafe nach § 85 VI verfährt, u. der Strafvollstreckungskammer s. § 85, 14. 11 Beim Vollstreckungsleiter des JA ist keine Sonderzuständigkeit begründet (Dallinger/Lackner 20; Eisenberg 12; Ostendorf 13; aA Potrykus B 6). Sonst gilt, außer im Falle des Abs. II 4, § 462 a III StPO, es entscheidet also das erkennende erstinstanzliche Gericht, und zwar in der in § 462 a III StPO festgelegten Reihenfolge (Ostendorf 12). 12 Bei Hw. gilt § 66, wenn JStrafrecht angewendet wird (§ 109 II 1). Weiterhin sind die Vorschriften der §§ 105 II, 109 II 2 zu beachten, die eine einheitliche Entscheidung auch mit rechtskräftigen Verurteilungen nach allg. Strafrecht zulassen (§ 31, 25; § 105, 25; § 109, 13; aber auch § 32, 5). Auch hierbei kann nach § 31 III von einer einheitlichen Entscheidung abgesehen werden (Rn 6). Im Übrigen gilt § 66 entsprechend auch beim Zusammentreffen von Erw.- und J“Strafen“, wenn die Voraussetzungen des § 460 StPO vorliegen (aA Potrykus B 1). 13 Diese Vorschrift gilt auch für das ErwGericht, bei J nach seinem Ermessen (§ 104, 3; Eisenberg 1; Ostendorf § 104, 21), bei Hw. nach Ermessen, wenn es JStrafrecht angewendet hat (§ 112 S. 1, 2; Ostendorf 2). Ob bei mehreren Entscheidungen das Erw.- oder das JGericht zuständig ist, richtet sich nach Abs. II 3, 4 (Rn 10).
Siebenter Unterabschnitt Gemeinsame Verfahrensvorschriften § 67 Stellung der Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters § 67 Stellung der Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters (1) Soweit der Beschuldigte ein Recht darauf hat, gehört zu werden, Fragen und Anträge zu stellen oder bei Untersuchungshandlungen anwesend zu sein, steht dieses Recht auch dem Erziehungsberechtigten und dem gesetzlichen Vertreter zu. (2) Ist eine Mitteilung an den Beschuldigten vorgeschrieben, so soll die entsprechende Mitteilung an den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertreter gerichtet werden.
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(3) Die Rechte des gesetzlichen Vertreters zur Wahl eines Verteidigers und zur Einlegung von Rechtsbehelfen stehen auch dem Erziehungsberechtigten zu. (4) Der Richter kann diese Rechte dem Erziehungsberechtigten und dem gesetzlichen Vertreter entziehen, soweit sie verdächtig sind, an der Verfehlung des Beschuldigten beteiligt zu sein, oder soweit sie wegen einer Beteiligung verurteilt sind. Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 bei dem Erziehungsberechtigten oder dem gesetzlichen Vertreter vor, so kann der Richter die Entziehung gegen beide aussprechen, wenn ein Mißbrauch der Rechte zu befürchten ist. Stehen dem Erziehungsberechtigten und dem gesetzlichen Vertreter ihre Rechte nicht mehr zu, so bestellt das Familiengericht einen Pfleger zur Wahrnehmung der Interessen des Beschuldigten im anhängigen Strafverfahren. Die Hauptverhandlung wird bis zur Bestellung des Pflegers ausgesetzt. (5) Sind mehrere erziehungsberechtigt, so kann jeder von ihnen die in diesem Gesetz bestimmten Rechte des Erziehungsberechtigten ausüben. In der Hauptverhandlung oder in einer sonstigen Verhandlung vor dem Richter wird der abwesende Erziehungsberechtigte als durch den anwesenden vertreten angesehen. Sind Mitteilungen oder Ladungen vorgeschrieben, so genügt es, wenn sie an einen Erziehungsberechtigten gerichtet werden. 1. [Hw.]: RL; Rn 18; § 109 I 1. – 2. ErwG: RL; Rn 17; § 104 I Nr. 9, III; Rn 5. Richtlinie zu § 67: § 67 gilt auch im Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten (§ 104 Abs. 1 Nr. 9), nicht jedoch im Verfahren gegen Heranwachsende (§ 109). Schrifttum: Bohnert Die ErzBerechtigten in der jstrafrechtlichen Hauptverhandlung, Zbl. 89, 232; Brunner Die Eltern des vollj. Hw. im JGerichtsverfahren, Zbl. 77, 366; Kremer Der Einfluss des Elternrechts nach Art. 6 II, III GG auf die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen des JGG, Diss. Mainz 1984; Meyer/Gerhards Die Rechtsstellung des gesetzlichen Vertreters des Beschuldigten nach der StPO, Diss. Hamburg 1967; Müller/Kraus ErzBerechtigte u. Rechtsstaatlichkeit im JStrafverfahren, JurArbbl. 03, 892; Richmann Die Beteiligung des ErzBerechtigten u. des gesetzlichen Vertreters am JStrafverfahren, 2002; Roestel Änderungen im JStrafverfahren Zbl. 75, 326; Schnitzerling Probleme um die Stellung des ErzBer. u. gesetzlichen Vertreters im JStrafrecht, UJ 57, 367; SchulzKnappe Zur Stellung des ErzBerechtigten im deutschen JStrafverfahren, RdJ 67, 5, 37; dazu Ullrich RdJ 67, 240; Schwer Die Stellung der ErzBerechtigten u. gesetzl. Vertreter im JStrafverfahren, 2004. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
ErzBerechtigte und gesetzliche Vertreter . . . . . . . . . . . . Stellung des J im Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechte des ErzBerechtigten und des gesetzlichen Vertreters Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entziehung der Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicht für Heranwachsende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Polizeiliche Vernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rn 1 4 5 11 13 17 18 19
Das BGB bestimmt, wer ErzBerechtigter und (oder) gesetzlicher Vertreter ist. ErzBerechtigter 1 ist demnach, wer – allein oder mit anderen – das Recht und die Pflicht zur Sorge für die Person des J hat. Gesetzliche Vertretung und ErzBerechtigung stimmen zumeist überein, denn die elterliche Sorge umfasst gemäß § 1629 I 1 BGB die Vertretung des Kindes; vgl. aber für ein Auseinanderfallen z. B. § 1673 II BGB. Gesetzlicher Vertreter ist, wer das Recht hat, den J in persönlichen Angelegenheiten zu vertre- 1 a ten. Bei bestehender Ehe sind dies beide Elternteile gemeinsam als Gesamtvertreter (Art. 6 II
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GG; §§ 1626 I, 1629 I BGB; BVerfGE 10, 59; BGH 22, 103; zu den jrechtlichen Folgen Rn 3). Den leiblichen Eltern sind Adoptiveltern gleichgestellt (§ 1754 BGB). Es kann jedoch stets ein Elternteil den anderen formlos ermächtigen, für ihn mitzuhandeln (BGH JZ 57, 67; BayObLG JR 61, 72; Eisenberg 16, unter Bedenken wegen „Ungewissheit hinsichtlich familieninterner Machtverhältnisse u. etwaiger Interessenkonflikte“). Zu den hieraus fließenden Rechten u. Pflichten Rn 3–11. 1 b Auch nach Scheidung oder bei nicht nur vorübergehendem Getrenntleben der Eltern vertreten diese gemeinsam, wenn nicht die elterliche Sorge auf einen Elternteil übertragen worden ist (§§ 1671, 1687 BGB). 1 c Sonst vertritt ein Elternteil allein, wenn das elterliche Sorgerecht des anderen ruht (§§ 1673– 1675 BGB), wenn ein Elternteil tatsächlich verhindert (§ 1678 BGB; vgl. OLG Stuttgart NJW 71, 2237 zu § 77 StGB), gestorben (§ 1680 BGB), für tot erklärt (§ 1677 BGB) oder einem Elternteil die Personensorge entzogen ist (§§ 1666, 1680 BGB). Zur Entziehung der Rechte aus § 67 durch den JRichter Rn 13–16. 1 d Sind die Eltern bei der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet, hat die Mutter die elterliche Sorge und Vertretung, es sei denn, die Eltern erklären die gemeinsame Sorgeübernahme oder heiraten einander (§ 1626 a BGB). 1 e J ohne Eltern oder mit Eltern ohne Vertretungsmacht und Sorgerecht werden vom Vormund (§ 1793 BGB; BGH 21, 288) oder Pfleger (§ 1915 BGB) vertreten, jedoch nie vom Gegenvormund nach § 1792 BGB. 1 f Nicht gesetzliche Vertreter oder ErzBerechtigte sind Pflegeeltern oder Ausbilder, weil sie kraft Vertrags zur Erz. verpflichtet sind (OLG Stuttgart OLGSt S. 3 zu § 67). Auch der ErzBeistand (OLG Hamburg NJW 64, 605) oder sonstige mit der Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 befasste Personen haben keine Rechte nach § 67 (zust. Eisenberg 6). Ostendorf 4 zählt entgegen der hM zu den ErzBerechtigten auch Pflegeeltern, ErzBeistände und ErzEinrichtungen gemäß § 38 SGB VIII. Auch nach Ostendorf scheiden aber Personen aus, denen allein privatrechtlich Erz. übertragen wurde. 2 Über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus mag es, auch bei starker Arbeitsbelastung der JRichter, hin und wieder angezeigt und bes. wertvoll sein, mit den nach § 67 Berechtigten und Verpflichteten vor der Hauptverhandlung zu sprechen. Sie kennen die Persönlichkeitsumstände des J und oft auch die Hintergründe der Tat (Bohnert Zbl. 89, 233). Dies kann zur Persönlichkeit des J wichtige Aufschlüsse geben, Hintergründe der Tat erkennen lassen und bei den ErzBerechtigten Verständnis und Bereitschaft zur Mithilfe wecken, nicht nur ein erzwidriges Gegeneinander vermeiden, sondern sie wirksam mit einbeziehen (vgl Böhm/Feuerhelm S. 121 f; Schaffstein/Beulke S. 214). Es verstärkt das erz. Eingreifen des JRichters, wenn es ihm gelingt, die kraft Familienbindung und Gesetz zur Erz. berufenen Personen mit einzuschalten (BGH 18, 21). Solches fordert darüber hinaus Art. 6 II GG, wonach bei Straffälligkeit das ErzRecht des Staates das elterliche Recht nur ergänzt. 2 a Dies sollte den JRichter anregen, persönliche, erz. wirksame Bindungen zu beachten und zu nützen und auch solche Personen (z. B. Großeltern), die auch von den ErzBerechtigten beauftragt sein können, zur Hauptverhandlung zuzulassen und anzuhören. Diese erhalten dadurch allerdings nicht die in § 67 den gesetzlichen Vertretern und ErzBerechtigten zugesprochenen Rechte. Es können sich die durch § 67 Berechtigten auch nicht iSd Vorschrift wirksam vertreten lassen (BGH GA 61, 358 für gesetzliche Vertreter). Zur Ausschließung der nach § 67 Berechtigten Rn 13–16; zu den Hw. Rn 18. 3 Häufig sind mehrere erzberechtigt (Rn 1 a, 1 b, 1 d). Es hat dann jeder selbständig und unabhängig vom anderen (Abs. V 1) die gleichen Rechte, doch genügt Mitteilung (Rn 11) und Ladung
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(Rn 9) an einen der ErzBerechtigten. Ostendorf 9 verlangt bei verschiedener postalischer Anschrift zwingend Mitteilung an alle. Der Richter hat aber das Recht, beide oder einen bestimmten ErzBerechtigten unter Ausschluss der Vertretung zu laden und das Erscheinen zu erzwingen (Dallinger/Lackner 24; Potrykus B 11). Nach Eisenberg 21 „mag es sich empfehlen, trotz Abs. V 3 Mitteilung und Ladung an alle ergehen zu lassen“; er hält auch Mitteilungen dort für ratsam, wo das Gericht nicht zu Mitteilungen an den abwesenden ErzBerechtigten verpflichtet ist. Das erscheint allerdings kaum ausreichend, um in der Praxis einen vorsorglichen Aufwand zu rechtfertigen, den das Gesetz nicht für veranlasst hält. Eine Mitteilung an beide Elternteile kann aber insbes. bei dauerhaftem Getrenntleben angezeigt sein. Vgl. auch Rn 10. In jeder Verhandlung, also auch noch bei dem nach der Urteilsverkündung abgegebenen Rechtsmittelverzicht, vertritt der Anwesende den Abwesenden (Abs. V 2); dieser ist an die hier abgegebenen Erklärungen gebunden (abl. Ostendorf 9, weil Abs. V 2 dem Beschuldigten nichts nütze, sondern nur der Rechtssicherheit diene). Diese Regelung wird auch durch die Auswirkungen der Gleichberechtigung nicht berührt (OLG Düsseldorf JMBl. NRW 67, 54; Kohlhaas NJW 60, 3 u. 1940). 2.
Stellung des J im Verfahren
Die Stellung des J wird im Verfahren dadurch nicht beeinträchtigt; er hat die gleiche Stellung 4 wie ein Volljähriger (vgl. OLG Schleswig MDR 81, 72). Er kann alle Anträge stellen, seinen Verteidiger selbständig bestellen (näher § 68, 4), auch den Arzt von der Schweigepflicht entbinden (Eisenberg 3), wofür im Übrigen zu Recht nicht die Geschäftsfähigkeit, sondern nur die natürliche Urteilsfähigkeit gefordert wird (Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau § 53 StPO 81 mwN). Der J kann sein Rechtsmittel selbständig einlegen und zurücknehmen (§ 55, 2). Bei einem prozessunerfahrenen, nicht anwaltlich verteidigten J kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass er alle seine prozessualen Rechte kennt und deshalb durch bloßes Schweigen schlüssig auf sie verzichtet (OLG Köln NStZ-RR 97, 366 zum Verzicht auf die Vereidigung nach § 61 Nr. 5 StPO aF). 3.
Rechte des ErzBerechtigten und des gesetzlichen Vertreters
§ 67 ist eine einfach-rechtliche Ausprägung des Elternrechts nach Art. 6 II GG (BVerfGE 107, 5 104, 122) und schützt die ErzInteressen der Eltern (vgl. BGH 18, 25 bei Rn 10; aA Ostendorf 6: es soll ihnen primär geholfen werden, eine drohende Sanktionierung abzuwehren). Neben dem J (maßgeblich ist das Alter zum jeweiligen Verfahrenszeitpunkt, vgl. BGH NStZ-RR 09, 354; OLG Hamm ZJJ 06, 201 zum letzten Wort) hat gem. Abs. I, III jeder ErzBerechtigte und gesetzliche Vertreter selbständig und unabhängig (s. Rn 3; § 55 II 2, III) in gleichem Umfang wie der Beschuldigte folgende Rechte: auf Gehör (Abs. I; dazu Art. 103 I GG u. §§ 33 III, IV, 33 a, 311 a StPO); wo also der Beschuldigte 6 Gelegenheit zur Äußerung erhalten muss, ist diese auch dem ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreter zu geben. Da aus Art. 6 II GG die Notwendigkeit einer frühzeitigen Beteiligung der Eltern am JStrafverfahren folgt (BVerfGE 107, 104, 121), gilt Abs. I auch bei Vernehmungen im Vorverfahren (BbgVerfG NJW 03, 2011). Nach den einzelnen Beweismitteln ist dagegen nur die Befragung des Angeklagten selbst nach § 257 StPO notwendig (BGH bei Spiegel DAR 77, 176; Potrykus Anm. 4 a; Schnitzerling UJ 57, 367; für Einzelfallprüfung Eisenberg 9; abl. Ostendorf 11). Zum Bußgeldbescheid § 2, 15. Neben dem j. Angeklagten ist dessen anwesendem gesetzlichen Vertreter oder ErzBerechtigten stets von Amts wegen das letzte Wort zu erteilen (BGH 21, 288; BGH NStZ 96, 612 = JR 97, 79 mit krit. Anm. Eisenberg/Düffer; BGH NStZ 99, 426; 00, 436; 553 mit Anm. Eisenberg NStZ 01, 334; NStZ-RR 02, 346; ZJJ 03, 200; NStZ-RR 08, 291; BayObLG StV 01, 173; OLG Frankfurt StV 94, 604; OLG Schleswig bei Dölbel/Dreeßen SchlHA 01, 153 f; OLG Zweibrücken StV 03, 455; OLG Hamm ZJJ 05, 446; OLG Köln StV 08, 119; OLG Braunschweig
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§ 67
2. Teil. Jugendliche
StraFo 09, 208). Dies gilt auch dann, wenn er in einem früheren Verfahrensabschnitt als Zeuge gehört worden ist (BGH 21, 288) oder eine Zeugenaussage unter Berufung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht abgelehnt hat (BGH NStZ-RR 08, 291); unterbleibt dies, so ist gem. § 258 II StPO die Revision begründet, wenn und soweit das Urteil auf diesem Fehler beruht (BGH 21, 288; 22, 278; BGH bei Spiegel DAR 77, 176 u. H MDR 77, 639; BGH NStZ 85, 230; 96, 612; 99, 426 f), was jedenfalls hinsichtlich des Strafausspruchs selten auszuschließen sein wird (BGH NJW 69, 473; NStZ 00, 436; 553; NStZ-RR 02, 246; OLG Schleswig SchlHA 70, 199), auch wenn die Eltern im Verlauf der Hauptverhandlung angehört worden sind (BGH B NStZ-RR 01, 325). Hat der J zur Tatzeit das 14. Lebensjahr erst knapp überschritten oder war ein Elternteil an der Tat beteiligt, kann wegen § 3 auch der Schuldspruch berührt sein (BGH NStZ 00, 553; OLG Zweibrücken StV 03, 455; OLG Hamm NStZ-RR 07, 123 f); ebenso, wenn der Angeklagte die Tat durchgehend bestritten hat (OLG Köln StV 08, 119 f) oder den äußeren Ablauf einer Erpressung nicht bestritten, aber behauptet hat, es habe sich nur um einen Spaß gehandelt (BayOblG StV 01, 173). Für den Revisionsantrag genügt die Mitteilung der Nichterteilung des letzten Wortes; es muss nicht angegeben werden, was bei Erteilung des letzten Wortes vorgebracht worden wäre (BGH 21, 288, 290; OLG Schleswig bei Dölbel/Dreeßen SchlHA 01, 153; OLG Zweibrücken StV 03, 455; OLG Hamm NStZ-RR 07, 123). Das letzte Wort des ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreters eines Mitangeklagten entspricht dem letzten Wort eines Mitangeklagten. Insoweit kann der Vorsitzende die Reihenfolge des letzten Wortes bestimmen (BGH NStZ 03, 382). 7 Fragen zu stellen (Abs. I; § 240 II StPO); 8 Anträge zu stellen (Abs. I; z. B. Beweisanträge oder Haftprüfung) und einen Verteidiger zu wählen (Abs. III, § 137 II StPO); 9 in der Hauptverhandlung (§ 50, 7), auch bei vorweggenommenen Teilen (§§ 223, 225, 233 StPO) und bei Untersuchungshandlungen (Abs. I) anwesend zu sein und dazu geladen zu werden (§ 50 II; dortige Rn 7; § 67 II iVm § 224 u. entsprechend § 233 III StPO; zur polizeilichen Vernehmung Rn 19). Ihre Abwesenheit beeinträchtigt jedoch nicht die Wirksamkeit der Prozesshandlungen (zust. Eisenberg 11). Unter den Voraussetzungen des § 51 II können sie von der Hauptverhandlung ausgeschlossen werden (§ 51, 6; s. auch § 67, 13 u. § 48, 13). Gegenüber den ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertretern gilt nach Bohnert (Zbl. 89, 234) das gesamte Zeugenrecht, auch wenn § 50 II 2 nur Teile herausgreift (vgl. § 50, 7); 10 innerhalb der für den J laufenden Fristen (BayObLG 54, 51) und unter den Beschränkungen des § 55 zugunsten des J (OLG Düsseldorf NJW 57, 840; OLG Celle NJW 64, 417) selbständig alle Rechtsbehelfe (nicht nur Rechtsmittel) einzulegen (Abs. III). Über Zurücknahme § 55, 5. Zur Kostenhaftung für das Rechtsmittel § 74, 12. Wiedereinsetzung wegen Versäumung von Rechtsmittelfristen ist nach den allg. Vorschriften nur dann möglich, wenn der gesetzliche Vertreter oder ErzBerechtigte von der Entscheidung weder rechtzeitig Kenntnis hatte noch haben konnte (OLG Düsseldorf HRR 41, Nr. 749); dies ist z. B. bei Urteilen nicht der Fall, wenn zur Hauptverhandlung ordnungsgemäß geladen wurde, weil hier mit dem Erlass eines Urteils zu rechnen und entsprechende Erkundigung geboten war (BGH 18, 23; OLG Hamm NStZ 09, 44; Dallinger/Lackner 19; Eisenberg 23; Potrykus B 5 u. NJW 54, 1836; aA BayObLG 54, 51; OLG Stuttgart NJW 60, 2353; Ostendorf 20: würde überfordern). Das Gericht ist nicht einmal verpflichtet, den Urteilssatz mit Rechtsmittelbelehrung in der Rechtsmittelfrist mitzuteilen, weil die Sollvorschrift des § 67 II nur der erz. gebotenen Unterrichtung, nicht der Erleichterung der Rechtsmitteleinlegung dient und eine Zustellung des Urteilssatzes mit Rechtsmittelbelehrung sinnlos wäre, da die Anfechtung Kenntnis der Urteilsgründe voraussetzt (BGH 18, 25; OLG Hamm NStZ 09, 44, 45; Eisenberg 22 a; aA OLG Stuttgart NJW 60, 2353). Dagegen ist Wiedereinsetzung angebracht, wenn dem Berechtigten weder rechtzeitig Zeit und Ort der Hauptverhandlung mitgeteilt noch das Urteil dem Abwesenden alsbald nach Erlass übermittelt wurde (§ 55, 47 a; OLG Hamm GA 61, 183).
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Stellung der Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters
4.
§ 67
Mitteilungen
Dem gesetzlichen Vertreter und dem ErzBerechtigten sollen gem. Abs. II die gleichen Mittei- 11 lungen in gleicher Form gemacht werden wie dem J. Aus bes. Gründen kann ausnahmsweise die Mitteilung unterbleiben. Unterlassen der Mitteilungen ist kein Revisionsgrund, doch kann ggf. die Aufklärungspflicht verletzt sein (BGH MDR 52, 564; NStZ 96, 612 = JR 97, 79 mit krit. Anm. Eisenberg/Düffer; Dallinger/Lackner 12; DSS/Schoreit 19; aA Ostendorf 19). Kremer (S. 172) hält die Unterrichtung im Bereich des Art. 6 II 1 GG für zwingend; Ostendorf 19 gibt ggf. die Revisionsrüge aus § 338 Nr. 8 StPO. Zum OWiG-Verfahren vgl. Rn 17. Wird eine Entscheidung in Anwesenheit des Angeklagten, aber in Abwesenheit des gesetzlichen Vertreters und der ErzBerechtigten verkündet, die eine Frist in Gang setzt, so ist diesen grds. die Mitteilung zu machen, die dem J zu machen wäre, wenn er bei der Verkündung nicht anwesend gewesen wäre. § 67 gibt aber keine gesonderte Rechtsmittelfrist; deren Lauf hängt also nicht davon ab, ob den ErzBerechtigten das Urteil zugestellt worden ist (OLG Hamm NStZ 09, 44, 45; Rn 10). Mit der Mitteilung ist eine Rechtsmittelbelehrung zu erteilen, die den Hinweis enthalten muss, dass die ErzBerechtigten ihr Anfechtungsrecht nur innerhalb der für den Angeklagten laufenden Frist ausüben können (BayObLG 54, 51; Dallinger/Lackner 13). Ein Verstoß begründet nicht die Revision und nicht stets die Wiedereinsetzung (§ 55, 47 a), da Abs. II eine Soll-Vorschrift ist und in ihrem Bereich die bloß ergänzende Rechtsmittelbelehrungs-Vorschrift (§ 35 a StPO) ihren zwingenden Charakter einbüßt (BGH 18, 21; Dallinger/Lackner 13; Potrykus NJW 54, 1836; ähnlich BayObLG 54, 53 u. OLG Stuttgart NJW 60, 2353; zust. Eisenberg 22 a; aA Ostendorf 8). Näheres über Mitteilungen § 70 u. MiStra Nr. 35. 5.
12
Entziehung der Rechte
Diese Rechte können gem. Abs. IV dem gesetzlichen Vertreter oder ErzBerechtigten ganz oder 13 zum Teil entzogen werden, der verdächtig ist, in strafbarer Weise an der Tat beteiligt zu sein (Täterschaft jeder Form, Anstiftung, Beihilfe, Begünstigung, Strafvereitelung, Hehlerei; vgl. § 60 Nr. 2 StPO) oder deshalb schon verurteilt ist (Dallinger/Lackner 27; Potrykus Anm. 7; Eisenberg 17 leicht einschränkend; aA Ostendorf 15: nur Täterschaft u. Teilnahme). Auch wenn der zZ der Entziehung bestehende Verdacht, der nicht „hinreichend“ oder „dringend“ im prozessualen Sinne zu sein braucht (Eisenberg 17), sich später als unberechtigt erweist, war die Entziehung nicht prozessordnungswidrig. Die Gefahr des Missbrauchs dieser Rechte rechtfertigt ihre Entziehung nur, wenn bei einem 14 anderen Berechtigten die Voraussetzungen der Rn 13 vorliegen. Es muss sich um eine nahe liegende und ernsthafte, durch tatsächliche Anhaltspunkte begründete Gefahr handeln (Dallinger/Lackner 27, 28). Verdunkelungsgefahr reicht nach Eisenberg 18 nicht aus. Zuständig ist hier (anders § 51 II) ab Einreichung der Anklage das Gericht (Dallinger/Lackner 30; 15 Eisenberg 24; Ostendorf 17; aA Potrykus B 7: Vorsitzender), vorher der JRichter. Der Beschluss ist zu begründen und mit einfacher Beschwerde ohne aufschiebende Wirkung anfechtbar (§§ 304, 305 S. 2, 307 StPO); seine Wirkung beschränkt sich auf dieses Verfahren. Sind so alle Berechtigten ausgeschlossen, muss das Familiengericht einen Prozesspfleger bestel- 16 len, der diese Rechte ausübt (§§ 1693, 1909, 1915, 1918, 1919 BGB); zugleich muss ein Verteidiger bestellt werden (§ 68 Nr. 2). Bis dahin muss die Hauptverhandlung ausgesetzt werden. – Die Bestellung eines Prozesspflegers ist auch sonst zweckmäßig, wenn kein Berechtigter vorhanden, zu ermitteln oder zu erreichen ist (Potrykus B 6).
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§ 67 6.
2. Teil. Jugendliche
Geltungsbereich
17 Die Vorschrift gilt auch: vor ErwGerichten (RL; vgl. jedoch § 104, 5), für das vereinfachte JVerfahren (§ 78 III 2) und für das Vollstreckungsverfahren (§ 83 III 3). Im OWiG-Verfahren ist es weder ein Mangel des Verwaltungs- noch des anschließenden gerichtlichen Verfahrens, wenn die Verwaltungsbehörde den Bußgeldbescheid zwar dem J ordnungsgemäß zugestellt, aber nicht nach § 51 II OWiG den gesetzlichen Vertretern mitgeteilt hat (OLG Karlsruhe MDR 74, 955; OLG Düsseldorf NJW 82, 2833). Allerdings beginnt dann die Rechtsmittelfrist nicht zu laufen. Vgl. auch § 2, 9 u. § 50, 6. 7.
Nicht für Heranwachsende
18 Für Hw. (zZ der Tat, aber auch zZ der Entscheidung) gilt § 67 nicht, da sie als Volljährige weder ErzBerechtigte noch gesetzliche Vertreter haben (§ 109 I 1). Vorher getroffene Maßnahmen der ErzBerechtigten oder gesetzlichen Vertreter wirken aber fort; über die Weiterwirkung von Rechtsmitteln, die von diesen für den J eingelegt worden sind, s. § 55, 2. Soweit bei Hw. noch Bindung an die Familie besteht, wird der JRichter dies nützen und auch hier die Bezugspersonen unaufdringlich in das Verfahren einbeziehen, falls sich der Hw. nicht dagegen sperrt. Das Beistandsrecht der Eltern reduziert sich beim Hw. auf die Zulassung des Ehepartners nach § 149 I StPO (Bohnert Zbl. 89, 237; vgl. Brunner Zbl. 77, 366). 8.
Polizeiliche Vernehmung
19 Das BVerfG erachtet es als verfassungsrechtlich zulässig, dass die Polizei einen ordnungsgemäß über seine Rechte belehrten J in Abwesenheit seines Vaters, gegen den als Mitbeschuldigten ermittelt wird, als Beschuldigten vernimmt (BVerfG NJW 88, 1256). Auf das vom GG als sehr bedeutsam eingestufte Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung (z. B. BVerfG NJW 78, 1390 u. NJW 79, 2349) ist in dieser Entscheidung ausdrücklich hingewiesen. Im ErwRecht hat der BGH (NStZ 90, 43) zugestanden, ein spontan vor der Beschuldigtenbelehrung abgelegtes Geständnis entgegenzunehmen, wenn dies ohne Zutun des Polizeibeamten geschehen ist, und hat darin auch kein Verwertungsverbot gesehen. Zur Verwertbarkeit spontaner Äußerungen des Beschuldigten s. auch BayObLG 00, 108, 115 f. 20 Die Polizei hat den J über sein Recht, sich mit einem ErzBerechtigten zu besprechen, zu belehren (OLG Celle StraFo 10, 114: §§ 2, 67 I JGG iVm §§ 136 I 2, 163 a IV StPO entsprechend; Eisenberg 11 b). Auch nach der Polizeidienstvorschrift 382 Nr. 3. 4. 2 in der Fassung von 1995 (abgedruckt in DVJJ-J 97, 5) ist einem j. Beschuldigten vor der Entscheidung darüber, ob er aussagen will, die Möglichkeit einzuräumen, mit einem ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreter zu sprechen, und ist entsprechend zu belehren, wenn nicht Anhaltspunkte vorliegen, dass dadurch die Tataufklärung gefährdet wird. Ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht führt nach OLG Celle (aaO) zu einem Verwertungsverbot. ErzBerechtigte und gesetzliche Vertreter haben nach PDV 382 Nr. 3. 6. 5 ein Recht auf Anwesenheit und Mitwirkung bei der Vernehmung eines j. Beschuldigten und sind hierüber – soweit möglich – zu unterrichten (für eine Benachrichtigungspflicht der Polizei auch DSS/Schoreit 14; Eisenberg 11; Schwer S. 49; für eine entsprechende gesetzliche Regelung Rieke Die polizeiliche u. staatsanwaltliche Vernehmung Minderjähriger, 2003 S. 265). § 67 gibt jedoch den ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertretern kein uneingeschränktes Anwesenheitsrecht bei polizeilichen Vernehmungen. Vielmehr ist § 51 II entsprechend anzuwenden (§ 51, 11; Eisenberg 11 a; aA Schwer S. 56). Gewiss ist die Vernehmung eines J anders zu gestalten und zu beurteilen als die eines Erw. und muss den Besonderheiten eines jungen Menschen und des JStrafverfahrens Rechnung getragen werden. Es ist aber gleichwohl nicht zu verkennen, dass gerade bei der polizeilichen Vernehmung der anwesende ErzBerechtigte den J uU
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Notwendige Verteidigung
§ 68
auch hemmen, ggf. sogar ungut beeinflussen kann, so dass der J sich im Ergebnis selbst schadet und sich günstige Möglichkeiten informeller Erledigung (§ 45) verbaut. In Extremfällen bietet sich Abs. IV an (Rn 13–16). DSS/Schoreit (16) weisen zu Recht darauf hin, dass es gerade bei ersten Ermittlungen häufig Fallgestaltungen gibt, die eine Benachrichtigung und Anwesenheit des ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreters unmöglich machen. Man sollte Einengungen nach allen Seiten vermeiden und durch Schulung von Polizeibeamten sinnvolle, auf den Entwicklungsstand des jeweiligen J abgestimmte Einzelfallbewertung und -behandlung zu erreichen versuchen. Dies ist auch deshalb bes. wichtig, weil der Polizeibeamte meist als erster mit dem delinquenten J in Berührung kommt und dort durchaus auch Weichen gestellt werden können. Vgl. zur Polizei auch Einf. II 23; § 45, 12. Zu vorläufiger Festnahme u. verbotenen Vernehmungsmethoden Nix MKrim. 93, 183.
§ 68 Notwendige Verteidigung § 68 Notwendige Verteidigung Der Vorsitzende bestellt dem Beschuldigten einen Verteidiger, wenn 1. einem Erwachsenen ein Verteidiger zu bestellen wäre, 2. dem Erziehungsberechtigten und dem gesetzlichen Vertreter ihre Rechte nach diesem Gesetz entzogen sind, 3. der Erziehungsberechtigte und der gesetzliche Vertreter nach § 51 Abs. 2 von der Verhandlung ausgeschlossen worden sind und die Beeinträchtigung in der Wahrnehmung ihrer Rechte durch eine nachträgliche Unterrichtung (§ 51 Abs. 4 Satz 2) nicht hinreichend ausgeglichen werden kann, 4. zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Entwicklungsstand des Beschuldigten (§ 73) seine Unterbringung in einer Anstalt in Frage kommt oder 5. gegen ihn Untersuchungshaft oder einstweilige Unterbringung gemäß § 126 a der Strafprozessordnung vollstreckt wird, solange er das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet hat; der Verteidiger wird unverzüglich bestellt. Nr. 1 und 4: 1. Hw.: RL; § 109 I 1. – 2. ErwG: RL; § 104 I Nr. 10. Nr. 2 und Nr. 3: 1. [Hw.]: § 109 I 1. – 2. ErwG: RL; § 104 I Nr. 10. Richtlinie zu § 68: § 68 gilt auch im Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten (§ 104 Abs. 1 Nr. 10). Im Verfahren gegen Heranwachsende gilt nur § 68 Nr. 1 und 3 (§ 109 Abs. 1). Schrifttum: Allgeier JStrafrecht, in: Breyer/Endler/Thurn, AnwaltFormulare Strafrecht, 2. Aufl. 2009 S. 634; Baumhöfener JStrafverteidiger. Eine Untersuchung im Hinblick auf § 74 JGG, 2007; ders. JStrafverteidiger – Eine Untersuchung im Hinblick auf § 74 JGG, ZJJ 07, 267; Beulke Funktionen der Verteidigung im JStrafverfahren StV 87, 458; ders. Die notwendige Verteidigung im JStrafverfahren – Land in Sicht?, FS Böhm, 1999 S. 647; Böttcher/Müller JStrafverfahren, in Widmaier, Hrsg., Münchener AnwaltsHandbuch Strafverteidigung, 2006 S. 1904; BMJ, Hrsg., Verteidigung in JStrafsachen, Kölner Symposium, 1987; Cohnitz Der Verteidiger in Jugendsachen, RdJ 56, 196; ders. Der Verteidiger in JStrafsachen, 1957; Diehl Der Verteidiger in JStrafsachen im Verhältnis zu anderen Verfahrensbeteiligten, ZRP 84, 296; Eisenberg Der Verteidiger im JStrafverfahren, NJW 84, 2913; Fromm Die Auswechslung des Pflichtverteidigers im JStrafverfahren, ZJJ 09, 26; Fuchs Der Verteidiger im JStrafverfahren, 1992; Gau Drohende JStrafe – ein Fall notwendiger Verteidigung?, StraFo 07, 315; Geisler Reformbedarf im JStrafrecht? – Anmerkungen aus der Praxis zur „notwendigen“ Verteidigung im JStrafverfahren bei Verbrechensvorwurf, NStZ 02, 449; Geiter Verteidigung in JStrafsachen, MKrim. 87, 361; Gersch JStrafverteidigung – aus der Sicht von Rechtsanwälten, JGHelfern u. j. Straftätern, Diss. Mainz 1988; Hartmann-Hilter Notwendige Verteidigung u. Pflichtverteidigerbestellung im JStrafverfahren, 1989; ders. Notwendige Verteidigung im jgerichtlichen Vollstreckungsverfahren. § 83 III 2 – eine vergessene Vorschrift, StV 88, 312; Hauber Die Interessenvertretung der J, in Kerner/Galaway/Janssen, Hrsg., JGerichtsbarkeit in Europa u.
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§ 68
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Nordamerika, 1986 S. 63; ders. Das Dilemma der Verteidigung j. Straftäter, RdJ 79, 355; Kahlert Verteidigung in JStrafsachen, 2. Aufl. 1986; Kamann Vollstreckung u. Vollzug der JStrafe. Verteidigung u. Rechtsschutz, 2009; Köpcke-Duttler In welchem Sinn hat der Verteidiger/die Verteidigerin im JStrafverfahren eine erz. Aufgabe?, Zbl. 01, 243; Möller Die Pflichtverteidigerbeiordnung im jrichterlichen Vollstreckungsverfahren, ZJJ 10, 20; Molketin „Pflichtverteidigung“ im JStrafverfahren, Zb. 81, 199; ders. Die Schutzfunktion des § 140 II StPO, 1986, S. 145–149; Müller Brauchen Jugendliche einen Anwalt?, DVJJ-J 91, 222; Ostendorf Pflichtverteidigung im JStrafverfahren, StV 86, 308; Potrykus Die Verteidigerbestellung in JStrafsachen, RdJ 67, 241; Radbruch Zur Reform der Verteidigung in JStrafsachen, StV 93, 553; Reiche Zur notwendigen Verteidigung im JStrafrecht, SchlHA 65, 225; Reisenhofer JStrafrecht in der anwaltlichen Praxis, 2007; Semrau/Kubink/Walter Verteidigung junger Beschuldigter aus der Sicht von Rechtsanwälten, MKrim. 95, 34; Tröndle Die Behandlung der Sozialberichte in den Gerichtsverfahren, Zbl. 53, 190, 233; Walter Stellung u. Bedeutung des Strafverteidigers im jkriminalrechtlichen Verfahren, NStZ 87, 481; ders. Einführung in die „Kölner Richtlinien“ zur notwendigen Verteidigung im JStrafverfahren, NJW 89, 1022; ders., Hrsg., Strafverteidigung für j. Beschuldigte, 1997; Zieger Verteidiger in JStrafsachen, StV 82, 305; ders. Verteidigung in JStrafsachen, 4. Aufl. 2002. Übersicht 1. Verteidigung im JStrafrecht . . . . . . . 2. Wahlverteidiger . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bestellung des Pflichtverteidigers . . . . 4. Verkehr und Akteneinsicht . . . . . . . . 5. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. ErzGedanke und Verteidigung . . . . . . 7. Ausweitung der Verteidigung . . . . . . 8. Verteidigung im Ermittlungsverfahren 9. § 68 Nr. 1 iVm § 140 I Nr. 1 StPO . . . . . 10. § 68 Nr. 1 iVm § 140 I Nr. 2–8 StPO . . . 11. Schwere der Tat . . . . . . . . . . . . . . . 12. Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage 13. § 68 Nr. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. § 68 Nr. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. § 68 Nr. 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. § 68 Nr. 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Vereinfachtes JVerfahren . . . . . . . . . 18. Vollstreckungsverfahren . . . . . . . . . 19. Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.
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Rn 1 2 4 6 7 8 14 15 16 17 20 21 23 23 a 24 25 26 27 28
Verteidigung im Jugendstrafverfahren
1 Für die Verteidigung in JSachen gelten grds. die Vorschriften des allg. Rechts. Problematik und bes. Bedeutung spiegeln sich in der anschwellenden Literatur wider. Die Diskussion kulminiert in der Frage, ob „das jkriminalrechtliche System das gewöhnliche Handlungsspektrum des Verteidigers einengt oder ob umgekehrt das rechtsstaatliche Instrumentarium des Verteidigers den jrechtlichen ErzGedanken mit seinen Besonderheiten begrenzt“ (Walter in BMJ 1987 S. 23). Diese Frage und das Problem, inwieweit man der Persönlichkeit des J mit den hier einzusetzenden Normen des ErwRechts gerecht werden, wie der Verteidiger die bes. Hilflosigkeit des J (Rn 9, 20, 21, 25) ausgleichen kann (Schlüchter in BMJ 1987 S. 33), beherrschen das neuere Schrifttum. Die Lösung kann nicht die „Gleichschaltung“ des J- und des ErwStrafrechts sein (Schlüchter aaO). Die „Kölner Richtlinien“ (Walter NJW 89, 1022) sehen im Verteidiger einen „kompensatorischen Verfahrensbeteiligten“, der möglichst früh (Rn 15), wenn die entscheidenden Weichenstellungen erfolgen, zur Sicherung eines rechtsstaatlichen Verfahrens – auch unter der Prämisse von Erz. – beitragen soll. 1 a In der Praxis der Verteidigung in JSachen bestehen anscheinend noch erhebliche Mängel. Nach einer Befragung der am Amtsgericht Köln zugelassenen Anwälte waren nur wenige in nennenswertem Umfang mit der Verteidigung von J oder Hw. befasst. Beim Verteidigerhandeln spielten
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Notwendige Verteidigung
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bes. erz. Gesichtspunkte oder Aktivitäten keine maßgebliche Rolle. Die Verteidigung junger Beschuldigter wurde vielfach als „wenig geliebte und kaum ertragreiche Anwaltstätigkeit“ angesehen (Semrau/Kubink/Walter MKrim. 95, 34). Vgl. zur Rechtswirklichkeit der Verteidigung in JStrafverfahren auch Bandilla DVJJ-Rundbrief Nr. 131, 1990 S. 27 ff; Ludwig-Mayerhofer/Rzepka u. Barton in Walter 1997 S. 101 ff u. 133 ff. 2.
Wahlverteidiger
Der J kann selbständig einen Verteidiger wählen (§ 67, 4); hinsichtlich der Honorarverpflichtung 2 sind aber die §§ 107 und 108 BGB zu beachten (vgl. OLG Schleswig MDR 81, 72). Für den J können auch die gesetzlichen Vertreter (§ 137 II StPO) und die ErzBerechtigten (§ 67 III) aus eigenem Recht einen Verteidiger beauftragen. Zu Fragen, wenn J und ErzBerechtigte denselben Rechtsanwalt mit verschiedenen Aufträgen bevollmächtigen, Zieger StV 82, 306; Ostendorf StV 86, 309. Der Wahlverteidiger kann mit Zustimmung seines Mandanten einem Referendar, der seit min- 2 a destens 1 Jahr 3 Monate im Justizdienst beschäftigt ist, die Verteidigung übertragen. Das wird man auch im JGerichtsverfahren gelten lassen müssen, obgleich es immer fraglich sein kann, ob der J die Bedeutung der Zustimmung ohne nähere Erläuterung versteht. Hat der ErzBerechtigte den Rechtsanwalt bevollmächtigt, muss jener zustimmen (Meyer-Goßner § 139 StPO 2). Die allg. Ermächtigung im Vollmachtsformular zur Bestellung von Untervertretern reicht nicht (KG JR 72, 206). Zur Pflichtverteidigerbestellung von Referendaren Rn 5. Rechtsbeistände im JStrafverfahren zuzulassen, erscheint sehr bedenklich. Der Richter hat nach 3 pflichtgemäßem Ermessen bei der Genehmigung nach § 138 II StPO abzuwägen das eventuell bestehende bes. Vertrauen des J zu dieser Person und das Erfordernis an Kenntnissen und Erfahrungen im JStrafrecht, das der J nicht beurteilen kann (zum ErwRecht BayObLG 54, 53 = NJW 54, 1212), denn genügende Sachkunde ist die Voraussetzung (OLG Koblenz NStZ 81, 489 [LS] bei Lebensmittelsachen). Zurückhaltend auch Ostendorf 1, 14; Potrykus NJW 57, 1137. Bei der Bestellung eines Rechtsbeistandes zum Beistand (§ 69) kann großzügiger verfahren werden, jedoch muss er erz. befähigt sein. 3.
Bestellung des Pflichtverteidigers
Der Richter wählt den Verteidiger unter Beachtung von § 142 StPO nach pflichtgemäßem Er- 4 messen aus (BGH 43, 154). Fraglos wird und darf er sich bei der Ausübung seines Auswahlermessens nicht einen willfährigen Verhandlungspartner aussuchen (Ostendorf 16), sondern einen engagierten Verteidiger, dessen Spezialkenntnisse und möglichst auch Erfahrung dem J zugute kommen. Jeder Praktiker hat schon erschütternde Gegenbeispiele an mangelnder JGG-Kenntnis erlebt (vgl. dazu § 55, 10). Deshalb sollte dem Vorsitzenden trotz Streichung der früheren RL 1 (was allerdings zu Schwierigkeiten zwischen dem Vorsitzenden und RAen führen kann) gestattet sein, im Interesse der Bestellung eines in JStrafsachen erfahrenen und befähigten Verteidigers vom gegebenen Turnus oder von einer Pflichtverteidigerliste abzuweichen (zust. Dallinger/Lackner 16; Potrykus B 3; Ostendorf 16, der auch eine bes. Verteidigerliste für JStrafsachen billigt; aA Schlickum StV 81, 359; Molketin Zbl. 81, 203; Diehl ZRP 84, 296; Bedenken Eisenberg 10; auch Rieß in BMJ 1987 S. 42 These 6). Das Auswahlermessen beschränkt sich gem. § 142 I 2 StPO auf den vom Beschuldigten bezeichneten Verteidiger, falls nicht wichtige Gründe entgegenstehen (BGH 43, 155; OLG Düsseldorf NJW 90, 527); dies können auch jrechtliche Gründe sein (Spezialkenntnisse, Meyer-Goßner § 142 StPO 13; Brunner FS Böhm, 1999 S. 815 f). Bei der Bestellung eines Pflichtverteidigers hat das Recht des Beschuldigten auf einen Anwalt seines Vertrauens grds. Vorrang (BVerfG NJW 01, 3695). Ein Pflichtverteidiger muss nicht bestellt werden, wenn der gesetzliche Vertreter oder ErzBerechtigte einen Verteidiger beauftragt hat (OLG
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Hamm NJW 58, 641), es sei denn, der J ist aus beachtenswerten Gründen mit diesem nicht einverstanden (Dallinger/Lackner 15; Potrykus B 3; vgl. hierzu allg. OLG Karlsruhe Justiz 78, 239). Die Pflichtverteidigerbestellung gilt grds. für das gesamte Verfahren bis zur Rechtskraft, also auch für das Rechtsmittelverfahren; eine Rücknahme der Bestellung kommt bei wesentlicher Veränderung der Sach- und Rechtslage in Betracht, z. B. wenn beim Beschuldigten keine Verteidigungsbereitschaft mehr besteht (OLG Köln NStZ 06, 352). Die Verwaltungsbehörde hat im OWiG-Verfahren die Rechte nach § 68 Nr. 1 zu beachten, die der Nr. 2 bis 5 hingegen scheiden aus (Göhler/Seitz § 60 OWiG 36; Eisenberg 5; Hartmann-Hilter 1989, S. 143). 5 In JSachen sollten idR nur Rechtsanwälte zu Pflichtverteidigern bestellt werden, nicht Referendare. Letztere können an sich im Rahmen des § 142 II StPO mit der Verteidigung betraut werden, wenn sie amtlich bestellte Vertreter eines Rechtsanwalts sind (BGH StV 89, 465; insoweit zust. BayObLG StV 89, 469), sie werden aber häufig den Anforderungen in JStrafsachen nicht genügen. Einschränkend Eisenberg 10, weil „ein durch die altersmäßig größere Nähe zu dem J erhöhtes Verständnis der Tatumstände eine geringere Erfahrung aufwiegen“ möge. Sind sie nicht mehr als Referendare tätig, sondern z. B. BewHelfer, können sie nicht mehr zu Verteidigern bestellt werden (BGH 20, 95; Eisenberg 10). Die Bestellung (Rn 7) erfolgt gem. §§ 68 JGG, 141 IV StPO durch den Vorsitzenden, der auch die Rücknahme nach § 143 StPO verfügt. 4.
Verkehr und Akteneinsicht
6 Der Verteidiger hat das Recht, mit dem in UHaft oder im JStrafvollzug befindlichen J mündlich und schriftlich zu verkehren (§ 148 StPO), und hat Akteneinsicht (§ 147 StPO). Vgl. dazu Vor § 97, 27 ff, insbes. Rn 31. Beherrscht der J die deutsche Sprache nicht, hat er nach Art. 6 III e MRK einen Anspruch auf unentgeltliche Zuziehung eines Dolmetschers für die Gespräche mit dem Verteidiger (Einf. I, 21). Wie weit der Verteidiger über vertraulich zu behandelnde Aktenbestandteile (z. B. JGH-Berichte) Mitteilung machen darf oder muss, richtet sich in erster Linie nach den Erfordernissen der Verteidigung. Belange der Erz. oder der JGH sind soweit als möglich zu beachten, treten aber im Konfliktsfalle zurück (Dallinger/Lackner 19; Lüttger NJW 51, 744). Nach Eisenberg 13 scheiden Belange der JGH schlechthin aus; warum es allerdings dem Verteidiger versagt sein soll, auch Belange der JGH in seine Überlegungen einzubeziehen, leuchtet nicht recht ein. 5.
Rechtsmittel
7 Die Ablehnung des Antrags auf Bestellung eines Pflichtverteidigers (OLG Zweibrücken StV 84, 193; KG StV 90, 298) und die unerwünschte Bestellung oder Abberufung eines Pflichtverteidigers durch den Vorsitzenden kann der J mit Beschwerde anfechten (§ 304 StPO), auch wenn dies erst während der Hauptverhandlung geschehen ist (OLG München NJW 81, 2208; OLG Celle NStZ 85, 519; OLG Hamm StV 86, 519; KG StV 90, 298; aA zu letzterem OLG Stuttgart MDR 90, 174; OLG Hamm NStZ 90, 143 u. StV 90, 103; insgesamt Meyer-Goßner § 141 StPO 10, 10 a). Dem steht § 55 II nicht entgegen (OLG Hamm StV 86, 519; § 55, 14 aE). Wird entgegen gesetzlichen Gebots kein Pflichtverteidiger bestellt, verstößt dies gegen das rechtsstaatliche Prinzip der Verpflichtung zur fairen Verhandlungsführung (BVerfGE 46, 202). Das Gericht hat in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen, ob der J sich ausreichend verteidigen kann (BGH NJW 53, 116); geschieht dies nicht, kann das Urteil schon deshalb der Revision verfallen (§ 338 Nr. 5 StPO). Der im Anschluss an die Urteilsverkündung erklärte Rechtsmittelverzicht ist unwirksam, wenn entgegen § 140 StPO kein Verteidiger mitgewirkt hat (OLG Stuttgart MDR 85, 344; OLG Köln StV 98, 645; 03, 65; OLG Düsseldorf StV 98, 647; aA OLG Hamburg StV 98, 641 mit Anm. Rogall; OLG Naumburg NJW 01, 2190; OLG Brandenburg bei Müller NStZ-RR 01, 165 f u. für die Rücknahme eines Rechtsmittels OLG Koblenz NStZ 07, 55). Das OLG Hamm (MDR 77, 599) hat
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den Rechtsmittelverzicht eines Hw. für unwirksam erklärt, weil auf die in der Hauptverhandlung erhobene Nachtragsanklage ein Verteidiger hätte bestellt werden müssen. Wegen der Einlegung von Rechtsmitteln u. deren Rücknahme durch den Verteidiger § 55, 2, 5. Zu den Kosten des Verteidigers § 74, 2, 7, 11 u. Zieger StV 90, 282.
6.
ErzGedanke und Verteidigung
Die Verteidigerquote im JStrafverfahren liegt deutlich unter der des ErwVerfahrens (vgl. Geiter 8 MKrim. 87, 362; Barton in Walter 1997 S. 133 f). In die Aufgabe des Verteidigers in JStrafsachen mögen zunächst die Extrempositionen einführen. Einerseits: er müsse die Erzielung eines Freispruchs oder einer milderen Bestrafung den wohlverstandenen erz. Bedürfnissen unterordnen (Potrykus RdJ 56, 202) und sei gleichwohl noch als „pädagogisches Risiko“ anzusehen (Hinrichsen RdJ 56, 201). Andererseits: eine Bindung an erz. Belange würde die eigentliche Aufgabe des Verteidigers als „institutionalisierter Hemmschuh“, als „kollektives Gegengewicht zum Machtmonopol des Staates“ in Frage stellen (Kahlert Verteidigung in Strafsachen 2. Aufl. 1986 Rn 7; vgl. Beulke StV 87, 460 mwN zur „Ablehnungsfront“ FN 18), seine Aufgabe sei „einseitiger, parteilicher Schutz gegenüber dem staatlichen Strafanspruch, und zwar prinzipiell bedingungslos“ (Kahlert 1. Aufl. 1983 Rn 7), er solle aber doch auch plausible Vorschläge vortragen können (Kahlert aaO, Rn 8; vgl. auch Ostendorf 3 mwN). Nach Zieger S. 111 hat der Verteidiger dem staatlichen Strafanspruch auch dann entgegenzutreten, „wenn er sich erzieherisch gebärdet“. Wenn auch der JRichter sich um den verteidigungslosen J fair bemühen soll und dies auch tun 9 wird, so ersetzt er doch nicht den Verteidiger, der dem J – und dessen Eltern – das Gefühl geben kann, gut und ehrlich vertreten und geschützt zu sein (zu entsprechenden Erwartungen j. Beschuldigter s. Barton in Walter 1997 S. 142 f mwN). J sind zur Wahrnehmung ihrer Interessen idR weit weniger in der Lage als Erw. (OLG Saarbrücken NStZ-RR 07, 282; Allgeier S. 635). Die Hilflosigkeit des J zeigt sich ganz bes. in den Schwierigkeiten, die Vorgänge richtig einzuordnen und sich zu artikulieren. Die Hauptverhandlung, in die er häufig mit geradezu abenteuerlichen Vorstellungen geht, erlebt er in der Dramatik der Situation oft nur schablonenhaft (näher Einf. I 53 mwN). In Angst oder Trotz unsicher bei vorgespielter Sicherheit, mit geringer Lebenserfahrung und in den Schwierigkeiten der Entwicklungsphase (Einf. I 28) bedarf er sachkundiger Hilfe (dazu LG Essen NStZ 87, 184 in Rn 20; BGH MDR 52, 564 in Rn 21; auch Rn 25). Andererseits wäre es aber auch ungut, deshalb „bagatellarische Vorfälle . . . durch Einsatz von Verteidigern zum großen Strafverfahren aufzuwerten“ (Schüler-Springorum in BMJ 1987 S. 196; dazu auch Rn 12). Wo nun, zwischen erz. gemeintem Eingriff und parteilicher Interventionsabwehr (Walter in BMJ 10 1987 S. 25) soll der Verteidiger seine Position finden? Einerseits darf eine Überbetonung des ErzGedankens nicht die Rechtsstaatsgarantie gefährden (Hellmer RdJ 56, 198), andererseits soll er doch auch nicht nur als „strafabwehrendes Prozessorgan“ (Ostendorf StV 86, 308) im JStrafverfahren nur einseitiger Interessenvertreter seines Mandanten sein (so aber ua Ostendorf 3; Eisenberg NJW 84, 2215; Bottke ZStW 83, 99). Verteidigung in JSachen ist – bei dem umfangreichen Instrumentarium des JGG – „entgegen geläufigen Formulierungen nicht nur Abwehr im verneinend-negativen Sinne“, auch konstruktive Beiträge zur Sanktionsfindung dienen der Abwehr von Strafkomponenten (Walter in BMJ 1987 S. 28). So kann und soll der Verteidiger helfen – nicht dem StA und nicht dem Richter –, sondern damit das ErzStrafrecht nicht zum Tatstrafrecht reduziert wird (Schlüchter in BMJ 1987 S. 40). Rieß (in BMJ 1987 S. 44) geht davon aus, dass der ErzGedanke dem JVerteidiger zwar keine enge- 11 ren Schranken setze als im ErwStrafrecht, dies aber nicht bedeute, dass er ohne Rücksicht auf die erz. Besonderheiten des JStrafrechts verteidigen dürfe. Der ErzGedanke müsse schon deshalb zugunsten des J voll eingesetzt werden, weil dieser für JStA und JRichter handlungsleitend sein
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„könne“ – und es hoffentlich auch ist. Auch Walter (NStZ 87, 481, 483) hält eine erz. Einbindung des Verteidigers für geboten, woraus allerdings keine Einschränkung der Verteidigerbefugnisse folgen müsse und wobei zu vermeiden sei, dem J eine heile Welt vorzuspiegeln. Für das Hineinwachsen in die ErwWelt bedeute „die Erfahrung von Interessengegensätzen und von legalen Handlungsmöglichkeiten kein Unglück, sondern im Gegenteil ein wichtiges Fernziel“ (Walter aaO, S. 482; ähnlich Ostendorf StV 86, 308). 12 Eine Zwischenlösung bietet Beulke (StV 87, 458) an: Weil das JGG ein Kompromiss zwischen Strafe und Erz. sei, seien auch die Funktionen des JVerteidigers ein Spiegelbild dieser kompromisshaften Rechtsnatur. Bei strafendem Charakter des JGG (JStrafe) bestehe seine Aufgabe in der Abwehr dieses Übels, wenn auch hier ein breites Spektrum für eine Mithilfe an der Erz. des J bleibe. Bei den eher erz. Maßnahmen (dazu Einf. II 9; § 5, 3) solle der JVerteidiger generell nicht das pädagogisch Sinnlose, aber doch das weniger Belastende anstreben. Die erz. Funktionen des JVerteidigers kämen nur dort voll zum Tragen, wo der erz. Charakter des JStrafverfahrens eindeutig überwiege (S. 462). Dies sei ein Appell an die Verteidigervernunft bzw. an sein Gewissen. Hartmann-Hilter (1989 S. 21) gibt dem Verteidiger bei JStrafe keinerlei erz. Funktion, bei den anderen Sanktionen habe er sich für die niedrigste Eingriffsebene stark zu machen (S. 23); hier könne er sich für die Maßnahmen einsetzen, die ihm für den Mandanten am (erz.) sinnvollsten erscheinen (S. 25). Er formuliert die Forderung Schlüchters (in BMJ 1987, S. 35), der Verteidiger dürfe sich nicht auf das momentane Minimum beschränken, sondern müsse zum prognostischen Optimum gelangen, dahin um, dass der Verteidiger nur innerhalb des von ihm anzustrebenden (momentanen) Minimums sich auf das prognostische Optimum konzentrieren dürfe (aaO, S. 25). Nach Reisenhofer (S. 49) kann der Verteidiger innerhalb einer Rechtsfolgenkategorie (z. B. ErzMaßregeln) die erz. sinnvollere vorschlagen. Nach Schmitz-Justen (in Walter 1997 S. 174) hat der Verteidiger im JStrafverfahren keine anderen Aufgaben als im Verfahren gegen erw. Beschuldigte; er hat allenfalls zusätzliche Aufgaben, die aus dem Alter des Mandanten folgen. Gefordert sei „eine kritische Distanz gegenüber den Strafverfolgungsbehörden und die solidarische Distanz gegenüber dem eigenen Mandanten“ (aaO). Auch Baumhöfener lehnt eine erz. Einbindung des JVerteidigers ab (S. 17) und betont besondere Aufgaben des JVerteidigers zur Unterstützung der jugendlichen Mandanten (S. 21 ff). Nach Allgeier (S. 634) hat die Verteidigung im JStrafrecht genauso wie im ErwStrafrecht „unbedingt und uneingeschränkt für ihre Mandanten einzutreten“. Auch nach Böttcher/Müller (S. 1907) unterscheidet sich die Verteidigung in JStrafsachen nicht prinzipiell von derjenigen vor den allgemeinen Strafgerichten. Es gelte „die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens zu wahren, sämtliche Entlastungsgesichtspunkte vorzutragen und dem staatlichen Strafanspruch auch dann entgegenzutreten, wenn er im erz. Gewande auftritt“. 13 Diese Zusammenstellung von Gesichtspunkten soll dem Verteidiger einen verantwortbaren Weg zeigen. Ein Hinweis auf die (auch) erz. Aufgaben des Verteidigers im Interesse des J gleicht zwar nach Beulke (StV 87, 462) der unverbindlichen Forderung des § 37, auch im folgenlosen Ergebnis. In seiner Beziehung zum J sollte freilich auch nach anwaltlichem Selbstverständnis der ErzGedanke zu einer wirksamen Verteidigung gehören (Viehmann/Walter in BMJ 1987 S. 201). Nach Walter (in ders. 1997 S. 14 f) macht ein vernünftig reformulierter ErzGedanke für den Verteidiger durchaus Sinn. Zur Realität der Verteidigung in JSachen vgl. allerdings Rn 1. 7.
Ausweitung der Verteidigung
14 Beim Kölner Symposium 1987 (dazu BMJ 1987) blieben aber auch die Gefahren einer unangemessenen Ausweitung der Verteidigung im JStrafrecht unter Hinweis auf die angesichts geburtenschwacher Jahrgänge (dazu § 37, 13) steigende Zahl der Rechtsanwälte nicht ausgespart: verfahrensverlängernde Aufbauschung (vgl. Rn 9), Dramatisierung und Komplizierung (SchülerSpringorum in BMJ 1987 S. 196) und damit indirekt ungute Aufwertung von Strafverfahren
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(Viehmann/Walter) und letztlich die Erzeugung eines störenden Konfrontationsklimas (SchülerSpringorum). Vgl. auch Bericht Geiter MKrim. 87, 361. Schließlich darf nicht übersehen werden: Nach Verurteilung fallen dem J die Kosten der Pflichtverteidigung zur Last; hier kann § 74 helfen. Der Pflichtverteidiger kann aber auch seine Ansprüche gegen den J nach § 52 RVG geltend machen (OLG Hamm NJW 61, 1640; vgl. § 74, 7, 7 a, 11; Ostendorf StV 86, 311). 8.
Verteidigung im Ermittlungsverfahren
Nach Walter (NJW 89, 1025; auch Viehmann u. Walter in BMJ 1987 S. 104, 205; Ostendorf 8; Bringe- 15 wat ZRP 79, 251; Eisenberg NJW 84, 2916) hat der StA bereits im Ermittlungsverfahren unter den Voraussetzungen des § 68 Nr. 1, § 140 I, II StPO die Bestellung eines Pflichtverteidigers zu beantragen (vgl. § 141 III 2 StPO). Liegen die Voraussetzungen des § 140 I, II StPO vor, so habe das Gericht dem Antrag des StA ohne Handlungsermessen zu folgen, sei aber an die Wertung des StA nicht gebunden (Walter NJW 89, 1025). Ist aber abzusehen, dass es zur Einstellung nach § 170 II StPO oder zu informeller Erledigung (§ 45) kommt oder der StA die Voraussetzungen zum Absehen von der Anklage selbst schaffen kann (§ 45, 21–28), so liegt eine notwendige Verteidigung nicht vor (aaO). Aber auch wenn dem J ein Verbrechen zur Last liegt (§ 140 I Nr. 2 StPO), wird der StA die Bestellung eines Pflichtverteidigers bereits im Vorverfahren jedenfalls dann nicht beantragen müssen, wenn Erledigung im vereinfachten JVerfahren in Betracht kommt (dazu Rn 26). Es wird überhaupt auf den Einzelfall ankommen. Insbes. die Vernehmung nach § 44 kann zu frühzeitiger Verteidigerbestellung führen (RL 1 S. 4 zu § 44). Ist ein Verteidiger im Ermittlungsverfahren eingeschaltet, so kann er bereits im Vorfeld zu interner Konfliktserledigung zwischen Täter und Opfer beitragen durch Vermittlung eines Gesprächs, durch Anregung der Schadenswiedergutmachung uä (vgl. Ostendorf 5), auch informelle Erledigung erleichtern und insbes. den J beraten und vorbereiten. 9.
§ 68 Nr. 1 iVm § 140 I Nr. 1 StPO
Nach Nr. 1 ist auch dem J immer dann ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn auch einem Erw. 16 ein solcher zu bestellen wäre. Das ist nach § 140 I Nr. 1 stets dann der Fall, wenn die Hauptverhandlung nicht vor dem AG stattfindet, auch dann, wenn die JKammer das Verfahren nach §§ 40 II, 41 I Nr. 2 übernimmt (§ 41, 34). Manche fordern die Verteidigerbestellung bereits dann, wenn der JRichter des AG den Übernahmeantrag erst erwägt (Hartmann-Hilter 1989, S. 80, 81 mwN). § 140 I Nr. 1 StPO greift auch dann ein, wenn die JKammer nach § 108 III oder infolge Zusammenhangs (§§ 2 ff StPO) zuständig ist (BGH GA 59, 178). Die weitergehende Zuständigkeit des JSchöffengerichts (§ 41, 15 u. 16) entspricht allerdings nicht dem Verhältnis AGSchöffengericht-Strafkammer des ErwRechts und lässt die „Kölner Richtlinien“ (Walter NJW 89, 1025) Pflichtverteidigung in jeder Schöffensache fordern. Das aber schießt über das Ziel hinaus (ebenso OLG Brandenburg NStZ-RR 02, 184; OLG Karlsruhe StV 07, 3, 4) und es erscheint viel sinnvoller, auf den Einzelfall und die Rn 9, 20, 21, 25 angeführten Schwierigkeiten des J abzustellen, als durch eine derart generelle Forderung in manchen Fällen auch die bei Rn 14 besprochenen Gefahren heraufzubeschwören. 10.
§ 68 Nr. 1 iVm § 140 I Nr. 2–8 StPO
Bei Nr. 2 genügt die bloße Möglichkeit, dass eine Tat als Verbrechen qualifiziert wird (OLG 17 Bremen StV 84, 13). Das Berufsverbot der Nr. 3 kommt bei J nie in Betracht (vgl. § 7, 1; § 10, 6), bei Hw. nur, wenn 18 ErwStrafrecht angewendet wird (vgl. § 7). Bei möglicher Einbeziehung eines Berufsverbotes (§§ 31 I S. 1; 105 II) will Hartmann-Hilter (1989 S. 29) § 140 I Nr. 3 StPO anwenden.
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19 Soweit Nr. 4 UHaft und einstweilige Unterbringung nach § 126 a StPO betrifft, scheidet sie für J faktisch wegen der Nr. 5 des § 68 aus, sodass insoweit nur Hw. interessieren. Die Nr. 5 greift auch bei §§ 38, 35 BtMG (AG Kleve StV 84, 507 zum ErwRecht; Eisenberg 22) und auch bei Aufenthalt in einem ErzHeim ein (§ 71, 9 b aE; LG Braunschweig StV 86, 472; Eisenberg aaO). Bei UHaft ist sogar im OWiG-Verfahren ein Pflichtverteidiger zu bestellen (BayObLG 78, 144).
11.
Schwere der Tat
20 Ein Pflichtverteidiger muss auch bestellt werden bei (bes.) schweren Taten (§ 140 II StPO), die Beulke (in BMJ 1987 S. 176, 177; vgl. auch Molketin AnwBl. 81, 217) für das JStrafrecht als Straftaten definiert, die bereits durch ihre Begehung selbst oder aufgrund der durch sie ausgelösten konkret zu erwartenden Rechtsfolgen, aber auch Neben- und Fernwirkungen für die weitere Entwicklung den J erheblich belasten. Das Merkmal der konkreten Rechtsfolgen (OLG Köln StV 03, 65) korrespondiert mit der Verteidigungsfähigkeit des J (OLG Hamm StV 82, 475; NStZ-RR 97, 78; NJW 04, 1338; OLG Köln StV 91, 152) und ist schwierig zu prognostizieren, also großzügig zu definieren. Da Angel- und Zielpunkt die Persönlichkeit des J in seiner Entwicklung ist, sollen die zitierten Entscheidungen nur Anhaltspunke geben. Es wurde auf notwendige Verteidigung erkannt bei Erwartung von 1 Jahr JStrafe (OLG Frankfurt NStZ 93; 507; OLG Brandenburg NStZ-RR 02, 184; OLG Hamm StV 09, 85, 86; LG Essen NStZ 87, 184; LG Darmstadt StV 90, 60; LG Braunschweig StV 05, 63; auch bei Bildung einer EinheitsJStrafe KG StV 98, 325; OLG Köln StV 03, 65; LG Frankfurt StV 98, 326; LG Saarbrücken ZJJ 10, 427: EinheitsJStrafe von mehr als 1 Jahr); bei einer Straferwartung von mehr als einem Jahr auch in einfach gelagerten Fällen (LG Braunschweig StraFo 05, 80); vgl. auch OLG Hamm StV 82, 475; OLG Naumburg NJW 01, 2190: JStrafe von mehr als 1 Jahr ohne erneute Strafaussetzung); OLG Hamm NJW 04, 1338 = StV 05, 56 mit abl. Anm. Theiß: JStrafe von mindestens 1 Jahr ohne Strafaussetzung, wobei bei einer neu zu verhängenden EinheitsJStrafe die faktischen Auswirkungen auf das Leben des J maßgeblich sind: keine Pflichtverteidigerbestellung, wenn allenfalls noch mit einem weiteren Freiheitsentzug von 6 Monaten zu rechnen ist; OLG Celle VRS Bd. 110 (06), 139: Freiheits- oder JStrafe von 1 Jahr ohne Bew. und drohender Widerruf einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten; OLG Hamm StV 08, 120: JStrafe von weniger als 1 Jahr, wenn ein Urteil mit Schuldfeststellung nach § 27 einzubeziehen ist; bei deutlich mehr als 1 Jahr (KG StV 82, 412; LG Oldenburg StV 83, 236; BayObLG StV 85, 447; OLG Nürnberg StV 87, 191); bei 1 Jahr und 6 Monaten bei einem 16jährigen (OLG Stuttgart Justiz 85, 175; OLG Celle StV 91, 151); das OLG Zweibrücken (NStZ 86, 136) lässt offen, ob eine Straferwartung von 1 Jahr 2 Monaten allein schon Pflichtverteidigung bedingt. Bei 2 Jahren dafür OLG Stuttgart StV 81, 611; OLG Frankfurt StV 83, 497; bei mehr als 2 Jahren Freiheitsstrafe BayObLG NStZ 90, 250; bei EinheitsJStrafe von 2 Jahren u. 3 Monaten OLG Rostock StV 98, 325. Es wird auf den Einzelfall ankommen. Das LG Essen (NStZ 87, 184) legt zu Recht zugrunde, dass im JAlter wesentliche Teile der Persönlichkeitsentwicklung ablaufen, dass dieser Lebensabschnitt von Labilität und Verletzlichkeit bestimmt ist und jeder Eingriff richtungsweisend und gefährdend oder fördernd sein kann (vgl. auch Rn 9). Findet § 31 Anwendung, ist auf die im Hinblick auf die Vorverurteilung zu erwartende EinheitsJStrafe abzustellen (OLG Köln StV 91, 151). Bei weiteren möglicherweise gesamtstrafenfähigen Verfahren gegen einen Hw. ist auf die zu erwartende Dauer der Gesamtstrafe abzustellen (OLG Hamm ZJJ 04, 302). Droht unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung zu JStrafe eine deutlich über 1 Jahr liegende EinheitsJStrafe ohne Strafaussetzung und ist der Angeklagte in seiner Verteidigungsfähigkeit beeinträchtigt, muss bei Nichterscheinen des Wahlverteidigers dessen Erscheinen abgewartet oder sofort ein Pflichtverteidiger bestellt werden (OLG Hamm NStZ-RR 97, 78). 20 a Zum Teil wird Pflichtverteidigung gefordert, wenn überhaupt eine JStrafe droht (z. B. LG Gera StV 99, 654 u. 655; nach OLG Hamm NStZ-RR 06, 26 = StV 05, 57 mit zust. Anm. Theiß = ZJJ 04, 299 mit zust. Anm. Spahn und StV 08, 120 spricht manches für diese Auffassung; Oellrich StV 81,
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Notwendige Verteidigung
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417; Beulke in BMJ 1987 S. 177 mwN Fn 6, der dies auch in Grenzfällen fordert, wenn sich nicht sagen lässt, ob JStrafe oder JA in Betracht kommt; Kölner Richtlinien NJW 89, 1026; Grau StraFo 07, 315); dagegen OLG Hamm NJW 04, 1338. Zu Schwere der Tat bei j. Berufungsführer OLG Hamm B NStZ 81, 253. Bei erstinstanzl. Verurteilung zu einer nicht zur Bew. ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten hat das BayObLG (VRS Bd 78 [90], 214) die Mitwirkung eines Verteidigers idR für geboten erachtet, auch wenn nur der Angeklagte Berufung eingelegt hat; zur notwendigen Verteidigung beim Nachverfahren nach § 62 Roestel NJW 69, 2000. Legt dagegen ein zu 5 Monaten Freiheitsstrafe verurteilter Hw. Berufung ein, macht die Tatsache allein, dass in diese Verurteilung eine rechtskräftig verhängte Freiheitsstrafe von 5 Monaten und Geldstrafen von 60 und 20 Tagessätzen einzubeziehen sind, nach BayObLG 94, 169 (= Zbl. 95, 280) eine Verteidigerbestellung unter dem Gesichtspunkt der Tatschwere nicht erforderlich. Weitere Beispiele bei Lüderssen NJW 86, 2746 u. Beulke aaO. Das KG (StV 90, 298) hält notwendige Verteidigung für angebracht bei möglicher eingeschränkter Schuldfähigkeit wegen Drogenmissbrauchs und 1 Jahr 3 Monaten Freiheitsstrafe. Neben der Strafhöhe sind auch weitere drohende Nachteile wie der Widerruf von Strafaussetzungen und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu berücksichtigen (OLG Karlsruhe StV 07, 3, 4). Nach Beulke (in Walter 1997 S. 43 ff) zeigt sich in der veröffentlichten Rechtsprechung ein begrüßenswerter Trend, der sich von starren Monats- und Jahresgrenzen hin zu einer verstärkten Gesamtbetrachtung bewegt. Bei der Einschätzung der Schwere der Rechtsfolgen sind auch außerstrafrechtliche Auswirkungen, wie z. B. ein drohende Ausweisung, zu berücksichtigen (vgl. mit unterschiedlichen Akzenten AG HamburgStV 98, 326; LG Hamburg StV 98, 327 mit Anm. Sättele). Nach den Kölner Richtlinien (NJW 89, 1025) ist in allen Verfahren vor dem JSchöffengericht ein Verteidiger erforderlich (Rn 16). 12.
Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage
Ein Pflichtverteidiger muss auch bestellt werden bei schwieriger Sach- oder Rechtslage oder 21 wenn ersichtlich ist, dass der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen kann (§ 140 II StPO; eingehend Beulke in BMJ 1987 S. 178, 179 u. in FS Böhm, 1999 S. 653 f). Es kommt auf die geistigen Fähigkeiten des J an, auf sein Auffassungs- und Ausdrucksvermögen, ob er den Tatvorwurf erfassen und sich ausreichend verteidigen kann. Das können J, bes. 14–15-jährige häufig nicht, weil sie unbeholfen, verschüchtert oder trotzig sind (BGH MDR 52, 564), uU sogar nicht ein Hw., dem die notwendige Lebenserfahrung fehlt (OLG Hamm MDR 86, 517; s. auch OLG Frankfurt NStZ 93, 507; auch Rn 9, 20, 21, 25). Im Allg. wird ein Verteidiger umso eher notwendig sein, je jünger der Angeklagte ist (OLG Brandenburg NStZ-RR 02, 184, 185; OLG Saarbrücken NStZ-RR 07, 282). Nach OLG Hamm NStZ-RR 06, 26; StV 08, 120 wird im JRecht wegen der idR geringen Lebenserfahrung der Angeklagten eher die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich sein als im ErwStrafverfahren. Nach OLG Saarbrücken NStZ-RR 07, 282 und OLG Schleswig StV 09, 86 mit Anm. Gubitz ist bei J und Hw. eine extensive und großzügige Auslegung des § 140 II StPO geboten. Notwendige Verteidigung wurde als geboten angesehen, wenn die Sachlage Akteneinsicht erfordert (OLG Celle StV 83, 187; OLG Schleswig SchlHA 97, 153; LG Essen NStZ 87, 184; LG Tübingen DVJJ-J 96, 197; LG Gera StV 99, 656; Mehle NJW 07, 972), wenn schwierige Glaubwürdigkeits- oder Indizienbeweise inmitten liegen (LG Tübingen u. LG Gera aaO), bei zahlreichen Angeklagten und Zeugen (LG Düsseldorf DVJJ-J 97, 440 mit Anm. SchmitzJusten), wenn Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe in Betracht kommen (LG Essen aaO), wenn einem verteidigerlosen J bei verteidigten Mitangeklagten die Verteidigung sichtlich erschwert wird (BGH v. 17. 12. 1954 – 5 StR 413/54 zit. bei Eisenberg 27; OLG Brandenburg NStZ-RR 02, 184, 185; OLG Celle VRS 110 [06], 139; OLG Hamm StV 09, 85; AG Saalfeld NStZ 95, 150; NStZ-RR 02, 119; vgl. auch Bärens NStZ 96, 52, der auf den Einzelfall abstellt), wenn der Nebenkläger anwaltlich vertreten ist (OLG Hamm ZJJ 04, 197; LG Essen aaO; vgl. dazu § 48, 15 aE), wenn in Abwesenheit des Angeklagten bei hoher Straferwartung Zeugen vernommen wer-
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den müssen (OLG Zweibrücken NStZ 87, 89), wenn sich ein 16 Jahre alter Angeklagter mit außerordentlich ungünstiger Kindheitsentwicklung und bis zuletzt andauerndem Fehlverhalten gegen den Vorwurf zahlreicher Diebstähle verteidigen muss (OLG Celle StV 91, 151), wenn ein 16-jähriger Angeklagter justiziell unerfahren ist und sowohl bei der Schulausbildung als auch im Hinblick auf soziale Kompetenzen erhebliche Defizite aufweist (OLG Karlsruhe StV 07, 3, 4). Hartmann-Hilter (1989 S. 82–84) fordert bei Entfernung des J aus dem Verhandlungsraum (§ 51 I) stets Bestellung eines Verteidigers (vgl. § 51, 4 u. 5). Zu § 32 vgl. § 32, 3 mit schwierig zu entscheidenden Fragen. 22 Zur Verteidigerbestellung bei Ausländern wegen nicht ausreichender Kenntnis der deutschen Sprache vgl. OLG Stuttgart StV 87, 8; LG Freiburg StV 89, 296; AG Hamburg StV 98, 326; LG Hamburg StV 98, 327 mit Anm. Sättele; LG Bremen NJW 03, 3646: Verteidigerbestellung für 16jährigen Kurden, wenn JGH angekündigt hat, an der Hauptverhandlung nicht teilzunehmen; s. auch LG Osnabrück StV 84, 506 u. LG Heilbronn StV 84, 506 je zum ErwRecht; Höfer RdJ 79, 368; zu weiteren Fragen, auch zum Dolmetscher, Einf. I 21 mit BGH NJW 01, 309 u. OLG Hamm (NStZ 90, 143) gegen OLG Zweibrücken (StV 88, 379). Vgl. auch BayObLG StV 90, 103. 13.
§ 68 Nr. 2
23 Nach Nr. 2 ist ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn alle gesetzlichen Vertreter oder ErzBerechtigten vollständig oder überwiegend (Dallinger/Lackner 12 mwN) nach § 67 IV von der Vertretung ausgeschlossen sind (§ 67, 16). Das gilt entsprechend, wenn sie aus Gründen der Staatssicherheit nach § 104 III ausgeschlossen werden (Dallinger/Lackner § 104, 20), und – unabhängig von einer Pflegerbestellung – auch, wenn sie aus tatsächlichen Gründen an der Wahrnehmung ihrer Rechte aus § 67 gehindert sind (LG Braunschweig StV 98, 325; LG Lüneburg StV 98, 326; DSS/Diemer 13; Eisenberg 29; aA LG Rottweil NStZ-RR 05, 220: Fall der Nr. 1 iVm § 140 II StPO). 14.
§ 68 Nr. 3
23 a Die durch das 2. JuMoG v. 30. 12. 2006 eingefügte Nr. 3 kompensiert den Ausschluss der ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreter nach § 51 II (dazu § 51, 6 ff) durch die Bestellung eines Pflichtverteidigers, wenn die Beeinträchtigung in der Wahrnehmung der Elternrechte durch die nachträgliche Unterrichtung nach § 51 IV 2 (dazu § 51, 16) nicht hinreichend ausgeglichen werden kann. Im Fall des § 51 III greift die Nr. 3 nicht ein. Dann ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Nr. 1 iVm § 140 II StPO zu prüfen (RegE 2. JuMoG Begr., BT-Drs. 16/3038, S. 65). Auch beim Hinwirken auf ein einvernehmliches Verlassen des Sitzungssaales nach § 51 IV 1 kommt eine Pflichtverteidigerbestellung nach Nr. 1 iVm § 140 II StPO in Betracht (Eisenberg 29 a). 15.
§ 68 Nr. 4
24 Nach Nr. 4 ist ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn Unterbringung in einer Anstalt zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Entwicklungsstand (§ 73; vgl. auch Nr. 1 iVm §§ 81, 140 I Nr. 6 StPO) in Betracht gezogen wird, also bereits, wenn ein ernstlicher Antrag gestellt ist (BGH NJW 52, 797). Ob die Unterbringung dann erfolgt, ist bedeutungslos. Die Verteidigerbestellung wirkt für das ganze Verfahren (BGH aaO). 16.
§ 68 Nr. 5
25 Nach Nr. 5 ist stets ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn gegen einen J („solange er das 18. Lebensjahr nicht vollendet hat“) UHaft oder einstweilige Unterbringung nach § 126 a StPO vollstreckt wird. Es ist also das Alter zu Beginn des Vollzugs maßgebend. Die mangelnde Le-
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benserfahrung des J, die sich gerade auch gegenüber staatlichen Instanzen auswirkt, und seine eingeschränkte sprachliche Ausdrucksfähigkeit (LG Berlin NStZ 07, 47, 48; s. auch Rn 9 u. Rn 20, 21) fordern insbes. beim J die Bestellung eines Verteidigers bereits zu Beginn des Vollzugs, um den ersten Schock und die Auswirkungen der Haft allg. auf den noch ungefestigten J so gering wie möglich zu halten. Der Verteidiger kann und soll auch helfen, die Voraussetzungen für eine Aufhebung oder Außervollzugsetzung des Haftbefehls oder dessen Umwandlung in eine einstweilige Unterbringung in einem Heim der JHilfe zu schaffen (§ 71 II; § 72 IV; § 71, 2, auch 3–4; § 72, 6). Die „unverzügliche“ Bestellung ist auf den Beginn des Vollzugs abgestellt, weil der Haftbefehl oftmals unmittelbar nach Erlass außer Vollzug gesetzt wird (Begründung des RegE des 1. JGGÄndG BT-Drs. 11/5829 S. 28). Im Einzelfall kann auch Verteidigerbestellung bereits mit Erlass des Haftbefehls angebracht sein. Der Verteidiger ist auch für ein anderes Strafverfahren, für das sich der J nicht in UHaft befindet, zu bestellen, da auch insoweit seine Verteidigungsmöglichkeiten durch die Inhaftierung eingeschränkt sind (OLG Frankfurt StV 11, 218; LG Berlin NStZ 07, 47; LG Saarbrücken ZJJ 07, 417 mit zust. Bespr. Möller ZJJ 08, 10). Zu den Haftfolgen für J § 72, 2. Vgl. auch § 72, 5–10. Für Hw. ist nach §§ 140 I Nr. 4, 141 III 4 StPO unverzüglich nach Beginn der Vollstreckung der UHaft oder einstweiligen Unterbringung ein Verteidiger zu bestellen. 17.
Vereinfachtes JVerfahren
Auch wenn § 78 III 2 den § 68 nicht erwähnt, wird man mit der hM davon ausgehen dürfen, dass 26 aus Gründen des rechtsstaatlichen Fairnessgebotes § 68 auch hier anwendbar ist, aber abgestellt auf die Besonderheiten der §§ 76 ff. So muss hier nicht schon deshalb ein Pflichtverteidiger nach § 68 Nr. 1 iVm § 140 I Nr. 2 bestellt werden, weil ein Verbrechen Gegenstand des Verfahrens ist (Grethlein NJW 65, 1365 u. 66, 143; Mann S. 171 f; einschränkend Beulke in BMJ 1987 S. 183; Hartmann-Hilter 1989 S. 104 ff; aA OLG Düsseldorf NStZ 99, 211; DSS/Diemer 3; Bottke ZStW 83, 98; Tamm Diversion u. vereinfachtes Verfahren im JStrafrecht, 2007 S. 68). Die Unterscheidung Verbrechen – Vergehen ist für das JGG irrelevant. Grethlein (NJW 65, 1366) weist auf den 14jährigen hin, der einem anderen Jungen gewaltsam die Wasserpistole wegnimmt und damit den Tatbestand eines „Verbrechens des Raubes“ erfüllt. Nach AG Wanne-Eickel (JMBl. NRW 66, 48) gilt dies jedenfalls dann, wenn kein StA an der Verhandlung teilnimmt (zust. Schaffstein/Beulke S. 276 FN 10; aA Bottke in BMJ 1987 S. 84; Ostendorf 2). Es wird auf den Einzelfall ankommen und es wird zumeist auf den Pflichtverteidiger verzichtet werden können, weil das vereinfachte JVerfahren sich von der Persönlichkeit des J, von den zugrunde liegenden Straftaten, wobei es nicht auf die Einordnung im ErwStrafrecht ankommt, und von den möglichen Sanktionen her (§ 78, 2 u. 3) von den zur Hauptverhandlung gebrachten Verfahren grundlegend unterscheidet (im Ergebnis zust. Beulke in BMJ 1987 S. 183; Hartmann-Hilter 1989 S. 108; ähnlich Ostendorf 2 u. StV 86, 309; aA Bottke in BMJ 1987 S. 84). Ein Wahlverteidiger kann immer auftreten. 18.
Vollstreckungsverfahren
Während der Wahlverteidiger für das gesamte Verfahren gewählt ist, endet die Pflichtverteidi- 27 gung grds. mit der Rechtskraft des letzten tatinstanzlichen Urteils (BVerfGE 46, 202; BGH 19, 258; OLG Düsseldorf AnwBl. 82, 259; Meyer-Goßner § 140 StPO 33; Bedenken bei Hartmann-Hilter StV 88, 312). Sie bleibt jedoch für die nachfolgenden Entscheidungen wirksam, die geeignet sind, den Inhalt der getroffenen Entscheidung zu ändern, und wirkt daher im Verfahren nach § 57 fort (OLG Karlsruhe StV 98, 348). Für das Vollstreckungsverfahren verweist § 83 III 2 auch auf die entsprechende Anwendung des § 68. Das BVerfG (NJW 86, 767) hat in einer Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus das Verfassungsgebot entwickelt, bei schwieriger Fallgestaltung im Vollstreckungsverfahren einen Pflichtverteidiger beizuordnen. In Verfahren wegen der Aussetzung der Unterbringung in ei-
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nem psychiatrischen Krankenhaus zur Bew. ist regelmäßig ein Fall notwendiger Verteidigung gegeben (OLG Köln ZJJ 05, 76). Im Vollzug ist es für den Verurteilten schwierig, für sein Vollstreckungsanliegen Günstiges zusammenzutragen. Im Vollstreckungsverfahren kann notwendige Verteidigung insbes. aus den Gründen des § 68 Nr. 1 iVm § 140 II StPO geboten sein und für § 88, wenn die Reststrafe erheblich ist (Beulke in BMJ 1987 S. 192 u. in FS Böhm, 1999 S. 660; Hartmann-Hilter 1989 S. 130), vor allem wenn das Gericht zur Vorbereitung der Entscheidung ein Sachverständigengutachten einholt (LG Saarbrücken ZJJ 10, 80 mit Bespr. Möller ZJJ 10, 20). Hingegen scheidet § 140 I Nr. 5 StPO aus, weil es nicht erforderlich sein kann, faktisch bei jedem Reststrafengesuch einen Pflichtverteidiger beizuordnen (Beulke aaO). Nach DSS/Sonnen 9 liegt unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat ein Fall notwendiger Verteidigung immer vor, wenn es um den Widerruf einer Aussetzung oder die Aussetzung eines Strafrestes (unabhängig von der Höhe) geht (aA Ostendorf 5, nach dem das Kriterium der Schwere der Tat für das Vollstreckungsverfahren verbraucht ist). Nach den Kölner Richtlinien (NJW 89, 1026) ist beim Widerruf einer Strafaussetzung ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben und ist die Ablehnung eines unter den Voraussetzungen des § 88 II gestellten Antrags auf Rechtsstrafenaussetzung nur vertretbar, wenn ein Verteidiger mitgewirkt hat. Überzogene Forderungen allerdings, wie etwa die Strunks (Zur Lage inhaftierter J u. Hw., 1979 S. 125), jedem inhaftierten J einen „JAnwalt“ zur Verfügung zu stellen, der durch regelmäßigen Kontakt ihn ständig über den Behandlungsverlauf informiert, helfen nicht weiter. 19.
Vollzug
28 Nach der bisher hM fanden die Vorschriften über die notwendige Verteidigung im Strafvollzugsverfahren keine Anwendung (Hartmann-Hilter 1989 S. 133 mwN), sondern waren über § 29 III (jetzt IV) EGGVG für die im Vollzug anfallenden gerichtlichen Entscheidungen nach §§ 23 ff EGGVG die Vorschriften über die Prozesskostenhilfe heranzuziehen. Die seit 2008 geltende Regelung des gerichtlichen Verfahrens in Strafvollzugssachen verweist jedoch in § 92 I 2 nur auf § 120 I StVollzG und nicht auf Abs. II der Vorschrift. Dies spricht dafür, in Strafvollzugssachen nach § 140 II StPO bei Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage einen Fall der notwendigen Verteidigung anzunehmen (Eisenberg 159; Ostendorf 10; Kamann S. 175 f). Daneben kann der – mittellose – J anwaltliche Beratungshilfe zur Wahrnehmung seiner Rechte außerhalb des gerichtlichen Verfahrens nach dem BeratungshilfeG in Anspruch nehmen. Vgl. auch Rotthaus NStZ 90, 165.
§ 69 Beistand § 69 Beistand (1) Der Vorsitzende kann dem Beschuldigten in jeder Lage des Verfahrens einen Beistand bestellen, wenn kein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt. (2) Der Erziehungsberechtigte und der gesetzliche Vertreter dürfen nicht zum Beistand bestellt werden, wenn hierdurch ein Nachteil für die Erziehung zu erwarten wäre. (3) Dem Beistand kann Akteneinsicht gewährt werden. Im Übrigen hat er in der Hauptverhandlung die Rechte eines Verteidigers. 1. [Hw.]: Rn 10; § 109 I 1. – 2. ErwG: § 104 II, RL. 1 Die Beistandschaft dient der Betreuung des J im Verfahren und seiner erz. Lenkung und Leitung nachher (OLG Stuttgart Justiz 76, 278; Eisenberg 3; Hauber Zbl. 82, 217; aA DSS/Diemer 2; Ostendorf
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Beistand
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2; Wollweber NJW 99, 621: keine erz. Aufgaben, nur verfahrensrechtliche Unterstützungsfunktion). Der Beistand hat eine fürsorgerische Stellung und soll dem J mit menschlichem Rat und Zuspruch zur Seite stehen, während der Verteidiger der juristische Berater ist. Ebenso Hauber Zbl. 82, 217, 218. Der Beistand ist ein Verfahrensbeteiligter mit prozessualer Stellung eigener Art (Eisenberg 3; Burscheidt S. 108). Die Beistandschaft hat nur noch geringe praktische Bedeutung, da ihre Aufgaben heute weit- 2 gehend von der JGH, ggf. dem BewHelfer oder dem Betreuungshelfer (§ 10 I Nr. 5) erfüllt werden (aA Eisenberg 4, mangels hinreichenden Vertrauens des J zu diesen und wegen deren Einschränkung durch „behördeninterne Handlungsnormen“). Im Übrigen steht die Stellung des gesetzlichen Vertreters und ErzBerechtigten der eines Beistandes kaum nach und ist die Bestellung eines Beistandes mit dem Eintritt der Volljährigkeit ausgeschlossen (s. Rn 10). Gründe für eine „Neubelebung dieses Prozessorgans“ bei Hauber aaO, S. 223; insoweit zu Recht skeptisch auch Ostendorf Grdl. zu §§ 67–69 Rn 8. Die jrechtliche Beistandschaft ist etwas anderes als die des Ehegatten und gesetzlichen Vertreters 3 nach § 149 StPO (bloße Fürsprecher); beide sind voneinander unabhängig (vgl. Rn 10 aE). Ein Beistand kann nicht gewählt, sondern nur durch den Vorsitzenden (gerichtliche Zustän- 4 digkeit: § 141 IV StPO entsprechend) bestellt werden; das ist in jeder Lage des Verfahrens möglich (s. § 83 III 2). Die Bestellung kann (ggf. muss: Rn 5) zurückgenommen werden. Beistandschaft ist nur zulässig, wo kein Fall der notwendigen Verteidigung (§ 68 I) vorliegt, 5 gleichgültig, ob ein Pflicht- oder Wahlverteidiger auftritt (Dallinger/Lackner 6; Eisenberg 5; aA Potrykus B 3: nur bei Pflichtverteidiger). Im Fall des § 140 II StPO kann aber das Vorhandensein eines Beistandes dazu führen, dass eine Verteidigung nicht mehr notwendig ist. Sonst können Verteidiger und Beistand nebeneinander auftreten. Bestellt werden kann jeder, der die entsprechende erz. Fähigkeit hat und das notwendige Ver- 6 trauen besitzt oder sich erwerben kann (Ausbildungsleiter, älterer Arbeitskollege, JAmtsMitarbeiter), auch ein ErzBerechtigter oder gesetzlicher Vertreter (Rn 2) oder ein Rechtsbeistand (§ 68, 3 aE). Nicht bestellt werden kann, wessen Beteiligung erz. Nachteile erwarten oder Missbrauch oder Pflichtenkollision befürchten lässt (Abs. II über den Wortlaut hinaus). Bestellung und Auswahl sind als prozessleitende Maßnahmen nicht anfechtbar (Eisenberg 10; 7 Ostendorf 10, der aber bei Nichtbestellung Beschwerde gibt). Anders bei notwendiger Verteidigung (Rn 5: § 304 StPO). Ob Akteneinsicht gewährt werden kann, entscheidet im Vorverfahren der StA, sonst der Vorsit- 8 zende nach pflichtgemäßem Ermessen (Eisenberg 7; aA Ostendorf 6; vgl. Vor § 97, 27 a). Gegen Verweigerung ist Beschwerde gegeben (§ 304 StPO; Eisenberg 7; Ostendorf 10). Mündliche Information durch den JRichter ist stets möglich. Die Rechte des Verteidigers hat der Beistand nur in der Hauptverhandlung und deren vor- 9 weggenommenen Teilen (§§ 223, 225, 233 StPO); er ist dazu zu laden. Dagegen kann er keine Rechtsmittel einlegen und hat auch nicht das Verkehrsrecht des § 148 StPO. Der Beistand kann nicht nach § 51 II ausgeschlossen werden, denn dies liefe seiner Beistandsfunktion zuwider (DSS/Diemer 11; LB/Laubenthal Rn 259; Ostendorf 7; aA Eisenberg 8). Auch ein Ausschluss entsprechend § 247 S. 1 StPO, wie er beim Beistand des § 149 StPO zulässig ist (BGH 47, 62), kommt wegen § 69 III 2 nicht in Betracht. Bei Hw. ist § 69 nicht anwendbar (§ 109 I 1), weil die fürsorgerische Stellung des Beistandes dar- 10 auf angelegt ist, den J in und nach dem Verfahren zu betreuen (Rn 1). Dies ist in solcher Art bei dem volljährigen Hw. nicht mehr angebracht und geboten. Mit dem Eintritt der Volljährigkeit endet deshalb auch eine zuvor bestellte Beistandschaft; ist abzusehen, dass der J im Laufe des
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Verfahrens volljährig wird, darf ihm kein Beistand mehr bestellt werden (OLG Stuttgart Justiz 76, 267; Eisenberg 2; Ostendorf 1, für welchen dann eine Verteidigerbestellung nahe liegt). Hingegen findet § 149 I StPO Anwendung (Eisenberg § 109, 8).
§ 70 Mitteilungen § 70 Mitteilungen Die Jugendgerichtshilfe, in geeigneten Fällen auch das Familiengericht und die Schule werden von der Einleitung und dem Ausgang des Verfahrens unterrichtet. Sie benachrichtigen den Staatsanwalt, wenn ihnen bekannt wird, dass gegen den Beschuldigten noch ein anderes Strafverfahren anhängig ist. Das Familiengericht teilt dem Staatsanwalt ferner familiengerichtliche Maßnahmen sowie ihre Änderung und Aufhebung mit, soweit nicht für das Familiengericht erkennbar ist, dass schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder des sonst von der Mitteilung Betroffenen an dem Ausschluss der Übermittlung überwiegen. 1. [Hw.]: § 109 I 2. – 2. ErwG: Rn 6; § 104 I Nr. 11, III. Schrifttum: Kintzi Datenaustausch zwischen Behörden – kooperative Reaktionen auf JKriminalität sowie (datenschutzrechtliche) Berechtigung u. Pflicht der Schule zur Unterrichtung der Polizei, DRiZ 08, 21.
1 § 70 gilt nur für J (§ 109 I 2, 3). Für Hw. erlegt § 109 I 2 es dem StA und dem Richter auf, Einleitung und Ausgang eines Verfahrens der JGH stets und der Schule in geeigneten Fällen (Rn 5) mitzuteilen. Daneben sind die allg. Mitteilungspflichten der MiStra zu beachten (Rn 3). Umgekehrt obliegt es der JGH und der Schule, den StA zu benachrichtigen, wenn ihnen bekannt wird, dass gegen einen beschuldigten Hw. noch ein anderes Strafverfahren anhängig ist. Dies fördert die erwünschte erz. Gesamtbereinigung. 2 Mitteilungspflichtig sind StA, Gericht und Vollstreckungsbehörde (MiStra Nr. 4). Von Gewicht sind die zwingend vorgeschriebenen Mitteilungen nach S. 1 (Nr. 32 MiStra) an die JGH und, wenn dies zum Wohle des J im Einzelfall geboten ist („in geeigneten Fällen“), auch an das Familiengericht und an die Schule (Rn 5) über Einleitung und Ausgang des Verfahrens. Zu den umgekehrten Verpflichtungen nach S. 2 u. 3 Rn 8 u. 9. 3 Besondere jrechtliche Mitteilungspflichten sind außer in § 70 noch in §§ 50 III 1, 67 II, IV 3, V 3 (§ 67, 11), 109 I 2 enthalten. Die Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (Mistra), Stand 19. 5. 2008, wird ergänzt durch § 1 RL 2, § 42 RL 2, § 43 RL 7, § 85 RL III 1, IV 2, V 6, VI 4 sowie Nr. 24–27 Vollzugsgeschäftsordnung (ua Mitt. an JAmt bei Aufnahme in JStrafanstalt) und § 27 JAVollzO mit RL v. 7. 6. 1977 hierzu (§ 90, 6) sowie §§ 35 und 47 StVollstrO. Die nach dem „Volkzählungsurteil“ BVerfGE 65, 1 erforderlichen Rechtsgrundlagen für die Übermittlung der personenbezogenen Daten haben das Justizmitteilungsgesetz (JuMiG) v. 18. 6. 1997 (dazu Wollweber NJW 97, 2488) und das Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 v. 2. 8. 2000 (dazu Brodersen NJW 00, 2536 u. Hilger NStZ 00, 561; 01, 15) geschaffen. Die Datenübermittlung ist danach unter den Voraussetzungen der §§ 474 ff StPO, 12 ff EGGVG zulässig. In diesem Rahmen sind die Mitteilungspflichten nach der Mistra zu erfüllen. Wegen der jetzt vorhandenen gesetzlichen Befugnisse zur Datenübermittlung ist der frühere Streit über die Verfassungsmäßigkeit von Mitteilungen allein aufgrund der Mistra überholt. Zum Erz.- u. Zentralregister vgl. Vor § 97, 1 ff. Darüber hinaus machen Richter oder Staatsanwalt nach Mistra Nr. 1 III im Einzelfall eine Mitteilung, wenn sie rechtlich zulässig und wegen eines bes. öffentlichen Interesses unerlässlich ist, etwa in Fällen des § 17 EGGVG.
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Mitteilungen
§ 70
Die an sich in gleichem Umfang bestehende Mitteilungspflicht der ErwGerichte in Verfahren 4 gegen J und Hw. (§§ 104 I Nr. 11, 112) kann aus Gründen der Staatssicherheit eingeschränkt werden (§ 104 III; s. § 104, 7). Über den Inhalt der Mitteilungen an die JGH enthält MiStra Nr. 32 eine nähere Regelung. Zu 5 Mitteilungen an das Familiengericht vgl. MiStra Nr. 31. Bei Mitteilungen an die Schule ist abzuwägen zwischen dem gerechtfertigten Interesse der Schule an Mitteilungen insbes., um andere Schüler nicht zu gefährden (z. B. Drogen-Dealer, auch Kleindealer, uU auch nur zum Eigenbedarf), und der Gefahr von Überreaktionen seitens der Schule (zu den Rechtspflichten von Lehrern bei Drogenmissbrauch in Schulen s. Sowa der kriminalist 01, 361). StA und Richter sollten deshalb die einschlägigen Schulvorschriften kennen, welche die Disziplinarmaßnahmen gegenüber Schülern regeln, die z. B. durch Abgabe oder Gebrauch von Rauschmitteln gegen die Schulordnung verstoßen haben, vgl. Brunner Zbl. 71, 252. Persönliche Fühlungnahme zwischen JStA, JRichter und Schulleiter vermag manches auszugleichen und zumeist der Schule und dem J gerecht zu werden. Bes. Zurückhaltung ist geboten, wenn das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Vgl. auch VGH Baden-Württemberg JZ 64, 627, wonach eine Entlassung aus allen Schulen des Landes nicht gerechtfertigt ist wegen einer Tat, deretwegen das JGericht nur JA verhängt hat, mit im Wesentlichen zustimmender Anmerkung Baumann JZ 64, 616. Die MiStra bestimmt in Nr. 33, dass Mitteilungen an die Schule nach §§ 70, 109 I nur in geeigneten Fällen zu machen sind, und präzisiert: „Es wird in der Regel genügen, die Schule von dem Ausgang des Verfahrens zu unterrichten. Die Einleitung des Verfahrens oder die Erhebung der öffentlichen Klage wird mitzuteilen sein, wenn aus Gründen der Schulordnung, insbes. zur Wahrung eines geordneten Schulbetriebs oder zum Schutz anderer Schülerinnen oder Schüler, sofortige Maßnahmen geboten sein können. Die Mitteilungen sind an die Leiterin oder den Leiter der Schule oder die Vertretung im Amt zu richten. Die Mitteilung ordnen Richterinnen oder Richter, Staatsanwältinnen oder Staatsanwälte an.“ Im OWiG-Verfahren (Rn 10) wird an Schulen Mitteilung nur in solchen Fällen erfolgen, die eine ernstliche Gefährdung anderer im Schulbereich besorgen lassen (vgl. Göhler/Seitz Vor § 59 OWiG 36). Der StA kann (nach § 161 StPO) von der Schule Auskünfte verlangen und in der Schule Ermitt- 6 lungen selbst vornehmen oder durch die Polizei vornehmen lassen; der Herausgabepflicht unterliegen grds. auch alle amtlichen Schriftstücke, z. B. auch Schülerbogen, Schülerakte. Vor StA und Gericht sind Lehrer, wie andere auch, verpflichtet auszusagen (§§ 161 a, 48 ff StPO). Vor der Polizei besteht keine Aussagepflicht (Ostendorf 4). Zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung durch Lehrer Anh § 125, 9 a. Nach S. 2 haben Familiengericht, JGH und Schule ihrerseits dem StA zum Strafverfahren Mit- 7 teilung zu machen, wenn ihnen andere Strafverfahren (nicht: Straftaten) bekannt sind. Dadurch soll die Verbindung mehrerer Strafverfahren ermöglicht werden. Eine Pflicht zur Anzeige von Straftaten wird dadurch nicht begründet; diese richtet sich nach allg. Vorschriften. Der durch das JuMiG eingefügte S. 3 verpflichtet darüber hinaus das Familiengericht, dem StA 8 familiengerichtliche Maßnahmen sowie ihre Änderung und Aufhebung mitzuteilen. Hierdurch soll im Interesse des ErzGedankens eine Berücksichtigung dieser Maßnahmen im JStrafverfahren und eine Koordinierung der verschiedenen Verfahren erreicht werden (BT-Drs. 13/ 4709 S. 31 f; DSS/Schoreit 8 a; Eisenberg 23). Die Mitteilungspflicht bezieht sich nur auf Jugendliche, die Beschuldigte in einem Strafverfahren sind (DSS/Schoreit 8 a). Sie besteht nicht bei überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten oder des sonst von der Mitteilung Betroffenen. Mit dieser Abwägungsklausel soll dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen werden (DSS/Schoreit 8 a; Eisenberg 23). Bei der Abwägung sind ua die Schwere des Tatvorwurfs, die Bedeutung der Kenntnis von der Maßnahme für die Entscheidung im JStrafverfahren und der Grad des Eingriffs in die Persönlichkeitssphäre durch die Information zu berücksichtigen. Da die Mitteilung eine sinnvolle Entscheidung im JStrafverfahren ermöglicht,
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werden schutzwürdige Interessen des Jugendlichen der Mitteilung nur ausnahmsweise entgegenstehen (DSS/Schoreit 8 a). 9 Nach § 406 d I StPO (zum Opferschutz allg. § 80, 8 u. 9) ist der Verletzte auf seinen Antrag über die Einstellung des Verfahrens und den Ausgang des gerichtlichen Verfahrens zu informieren; über seine Antragsbefugnis ist er zu belehren (§ 406 h StPO). § 406 d StPO ist auch bei J anwendbar, denn dem verletzten Anzeigeerstatter hat schon immer der StA unbestritten die Einstellung des Verfahrens mitzuteilen (§ 171 StPO). Gegenüber seiner Berechtigung, nach § 48 II als Verfahrensbeteiligter in der nichtöffentlichen Verhandlung anwesend zu sein (§ 48, 7), ist § 406 d StPO ein Minus. Schaal/Eisenberg (NStZ 88, 52) halten im Interesse des J anstelle der Entscheidungsformel eine allg. gehaltene Mitteilung über den Verfahrensausgang für ausreichend. Vgl. auch allg. Steyer DRiZ 89, 201 zur Einstellung wegen Körperverletzungsdelikten vor dem Hintergrund der staatlichen Opferentschädigung unter Hinweis auf RiStBV Nr. 86 II u. 90 I, §§ 21, 69 SGB X, § 35 SGB I. 10 Im OWiG-Verfahren kann die Verwaltungsbehörde in JSachen auf Mitteilung an Familiengericht, Schule und JGH verzichten, wenn anzunehmen ist, dass sie für deren Aufgaben ohne Bedeutung ist (§ 70 iVm § 46 I OWiG); idR erfolgt also keine Mitteilung (Göhler/Seitz Vor § 67 OWiG 28). 11 Mitteilungen der Strafverfolgungsbehörden sind nach §§ 23 ff EGGVG als Justizverwaltungsakte angreifbar (OLG Frankfurt NJW 75, 2028; Ostendorf 11). Vgl. auch Vor § 97, 27 a, b.
§ 71 Vorläufige Anordnungen über die Erziehung § 71 Vorläufige Anordnungen über die Erziehung (1) Bis zur Rechtskraft des Urteils kann der Richter vorläufige Anordnungen über die Erziehung des Jugendlichen treffen oder die Gewährung von Leistungen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch anregen. (2) Der Richter kann die einstweilige Unterbringung in einem geeigneten Heim der Jugendhilfe anordnen, wenn dies auch im Hinblick auf die zu erwartenden Maßnahmen geboten ist, um den Jugendlichen vor einer weiteren Gefährdung seiner Entwicklung, insbesondere vor der Begehung neuer Straftaten, zu bewahren. Für die einstweilige Unterbringung gelten die §§ 114 bis 115 a, 117 bis 118 b, 120, 125 und 126 der Strafprozeßordnung sinngemäß. Die Ausführung der einstweiligen Unterbringung richtet sich nach den für das Heim der Jugendhilfe geltenden Regelungen. 1. [Hw.]: RL 5 S. 2; § 109 I 1. – 2. ErwG (nach Ermessen): RL 5 S. 1; § 104 II, RL. Richtlinien zu § 71: 1. Vor Erlass einer vorläufigen Anordnung über die Erziehung sollte das Gericht regelmäßig die Jugendgerichtshilfe und, wenn notwendig, auch die Erziehungsberechtigten sowie die gesetzlichen Vertreter hören. Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Anordnung keinen Aufschub duldet. In diesem Falle kann eine nachträgliche Anhörung angezeigt sein. Der Beschluss über die vorläufige Anordnung ist zu begründen (§ 34 StPO). 2. Der einstweiligen Unterbringung in einem geeigneten Heim der Jugendhilfe kommt besondere Bedeutung zu, wenn die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls gem. §§ 112 ff StPO vorliegen (§ 72 Abs. 4 Satz 1). Ist die Maßnahme durchführbar und reicht sie aus, so darf Untersuchungshaft nicht angeordnet oder vollzogen werden (§ 72 Abs. 1 Satz 1 und 3). Staatsanwaltschaft und Gericht sollten deshalb frühzeitig prüfen, ob ein geeignetes Heim zur Verfügung steht, und gegebenenfalls mit der Leitung der Einrichtung in Verbindung treten. Die Jugendgerichtshilfe ist heranzuziehen. Auf § 72 a und die Richtlinie dazu wird ergänzend hingewiesen.
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Vorläufige Anordnungen über die Erziehung
3. Ist ein Haftbefehl bereits erlassen und stellt sich nachträglich heraus, dass die Unterbringung möglich ist, so kann der Haftbefehl durch einen Unterbringungsbefehl ersetzt werden. 4. Der Unterbringungsbefehl nach § 71 Abs. 2 sollte insbesondere durch einen Haftbefehl ersetzt werden, wenn sich die einstweilige Unterbringung als undurchführbar oder ungeeignet erweist und die Haftvoraussetzungen fortbestehen (§ 72 Abs. 4 Satz 2). 5. Auch im Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten kann eine vorläufige Anordnung über die Erziehung getroffen und die einstweilige Unterbringung in einem Erziehungsheim angeordnet werden (§ 104 Abs. 2). Im Verfahren gegen Heranwachsende sind diese Maßnahmen nicht zulässig. Schrifttum: Becker Festnahme u. Verhaftung von J u. Hw. – Probleme der geschlossenen Heime, Zbl. 81, 355; Bindel-Kögel/Heßler Vermeidung von UHaft bei J im Spannungsfeld zwischen JHilfe u. Justiz, 1999; Buchhierl Einstw. Unterbringung nach §§ 71, 72 JGG, MKrim. 69, 329; Carspeken Problematik der „einstw. Unterbringung“ nach § 71 II, 72 II JGG, Zbl. 76, 284; Czerner Vorläufige Freiheitsentziehung bei delinquenten J zwischen Repression u. Prävention, 2008; Eisenberg Möglichkeiten u. Grenzen der Heimunterbringung nach §§ 71 II, 72 III JGG, Zbl. 87, 325; Giehring Gewährleistungspflicht der öffentl. Träger der JHilfe für geschlossene Einrichtungen als „geeignetes“ ErzHeim iSd §§ 71 II, 72 III JGG, Zbl. 81, 461; Heßler Vermeidung von UHaft bei J, 2001; Heßler/Raabe/Schruth Das „Heim“ als betreutes Wohnangebot der JHilfe zur Vermeidung von UH, Zbl. 97, 35; Lösel/Pomplun JHilfe statt UHaft, 1998; Lüthke Vorläufige Maßnahmen nach §§ 71, 72 JGG, insbes. die Unterbringung in offenen Einrichtungen als Alternative zur UHaft bei J, Zbl. 82, 125; Miehe Formen der Heimerz. als Alternative zur UHaft, in DVJJ, Hrsg., JGGVerfahren u. Kriminalprävention, 1984 S. 242; Philipp § 71 – eine ungenützte Möglichkeit, Zbl. 79, 429; Roestel Untersuchungshaft oder ErzHeim für straffällige Minderjährige, SchlHA 68, 155; Scheunemann J u. Hw. in Sicherungshaft, NJW 61, 644; Schnitzerling J u. Hw. in UHaft, RdJ 57, 81; Smok Vorläufige Anordnungen über die Erz. nach § 71 JGG – Eine vernachlässigte Vorschrift?, 2009; Wehner Die Heimunterbringung im Strafverfahren nach §§ 71–73 JGG, RdJ 63, 381. Übersicht 1. 2. 3. 4.
1.
Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen der Anordnung Verfahren . . . . . . . . . . . . . . .
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Rn 1 2 6 9
Zweck
Der ErzZweck des JVerfahrens könnte nicht erreicht werden, wenn der J bis zur Rechtskraft in 1 einer erz. schädlichen Umgebung gelassen oder – bei erheblicheren Straftaten und entsprechender Straferwartung nach der Persönlichkeit des J – die erz. wenig geeignete UHaft angeordnet werden müsste. Dem hilft bis zur Rechtskraft § 71 ab. Allerdings soll nach BVerfGE 107, 104, 119 f dem ErzGedanken vor Abschluss des Verfahrens keine bes. Bedeutung zukommen und die erz. Einwirkung grds. den justizförmigen Nachweis der durch eine Straftat erkennbar gewordenen ErzBedürftigkeit und die Festsetzung einer entsprechenden Rechtsfolge voraussetzen. Ist jedoch die Entwicklung des J gefährdet und schnelles Handeln geboten, muss mit erz. Anordnungen nicht bis zu einem rechtskräftigen Urteil gewartet werden. Andernfalls könnten irreparable Schäden entstehen und würde die Möglichkeit zu stabilisierenden Maßnahmen verbaut, durch die Urteile mit eingriffsintensiven Sanktionen vermieden werden könnten (Grunewald NJW 03, 1996; zur Verfassungsmäßigkeit des § 71 s. Smok S. 265 ff, 317). Abs. II stellt nicht mehr auf die Erwartung von JStrafe ab, was in diesem Stadium des Verfahrens häufig kaum zu prognostizieren ist. Die Abstufung zwischen Abs. I und Abs. II bleibt aber gewahrt und zeigt sich darin, dass nach dem zugrunde liegenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach Abs. II die Unterbringung im Hinblick auf die zu erwartenden Maßnahmen geboten sein muss, um einer Entwicklungsgefährdung zu begegnen. Für Fortdauer und Beendigung macht Abs. II 2 mit dem Hinweis auf sinngemäße Anwendung des § 120 StPO wiederum den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zur Entscheidungsgrundlage (s. auch Rn 7). Nach dem Subsidiaritätsprinzip kann UHaft nicht angeordnet werden, wenn die Unterbringung in einem geeigneten Heim der JHilfe
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2. Teil. Jugendliche
(Abs. II) genügt (§ 72 I u. IV; RL 2); diese wiederum kann nicht angeordnet werden, wenn andere vorläufige Anordnungen ausreichen (Abs. II: „wenn . . . geboten“). Ein Haftbefehl kann stets durch einen Unterbringungsbefehl ersetzt werden, wenn nachträglich eine Unterbringung möglich erscheint (RL 3).
2.
Einzelheiten
2 Die vorläufigen Anordnungen über die Erz. nach Abs. I entsprechen den Weisungen. Sie sind nicht erzwingbar. Die Verhängung von JA bei Verstößen ist nicht möglich (Eisenberg 5; Ostendorf 6), notfalls muss Unterbringung oder UHaft angeordnet werden (Rn 5). Im Einzelnen kommen in Frage (s. Czerner S. 104 f): Betreuungsweisung (§ 10, 10), Eintritt in ein Heim, Aufnahme in eine Familie oder betreute Wohngemeinschaft, Übernahme oder Wechsel des Arbeitsplatzes oder einer Ausbildungsstelle, Herausnahme aus unguten Gruppierungen, Kfz-Verbot, auch die Gewährung von Leistungen nach dem SGB VIII. Es gilt das § 10, 14 b Gesagte. Stets muss es sich um vorläufige, überbrückende Maßnahmen mit Einfluss auf die Lebensführung handeln. Nie darf damit zwangsweiser Freiheitsentzug wie bei UHaft (§ 72) oder Unterbringung in einem Heim der JHilfe nach § 12 Nr. 2 selbst in freien Formen (Rn 4) verbunden sein. Von den Möglichkeiten des Abs. I wird in der Praxis selten Gebrauch gemacht. Bei einer Befragung von JRichtern aus 4 Bundesländern gaben von 105 Richtern lediglich 9 an, die Vorschrift angewendet zu haben (Smok S. 8). 3 Reicht die getroffene Maßnahme nicht aus oder ist sie undurchführbar, so ist notfalls eine allg. vorläufige Anordnung durch eine Heimunterbringung (Rn 4, 5), letztere aber durch Haftbefehl zu ersetzen, wenn dafür die Voraussetzungen vorliegen (RL 4; § 72, 6). Zur Anrechnung § 52 a, 1. 4 Die Unterbringung in einem Heim der JHilfe (Abs. II) ist echte Freiheitsentziehung, die entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsprinzip im Hinblick auf die zu erwartenden Maßnahmen, auch unterhalb der JStrafe, geboten sein muss, um einer Entwicklungsgefährdung des J, insbes. der Begehung neuerlicher Straftaten, zu begegnen (Rn 6–8). Sie ist wie UHaft anrechenbar (§ 52 a, 1) und erfolgt aufgrund eines dem Haftbefehl entsprechenden Unterbringungsbefehls, der ein bestimmtes Heim benennen muss (dazu Rn 5). Wandelt das Beschwerdegericht einen Haftbefehl in einen Unterbringungsbefehl nach §§ 71 II, 72 um und unterlässt es, das Heim zu bezeichnen, so ist dieser Beschluss fehlerhaft und es verbleibt beim Vollzug der UHaft (OLG Koblenz OLGSt S. 3 zu § 71). Der Unterbringungsbefehl wird wie ein Haftbefehl vollstreckt. Die Unterbringung ist nicht auf ErzHeime im engeren Sinne beschränkt, sondern es kommen alle Heime der JHilfe je nach den Besonderheiten des Einzelfalls in Betracht (OLG Hamm NJW 99, 230). Es muss sich jedoch um ein Heim handeln; andere Einrichtungen der JHilfe hat der Gesetzgeber ua im Hinblick auf die Anrechenbarkeit nach §§ 52, 52 a nicht einbezogen (BT-Drs. 11/5829, S. 30; OLG Hamm NJW 99, 230, das die Glenn Mills Schools in den USA nicht als Heim ansieht; dagegen Eickelkamp DVJJ-J 99, 95; eingehend zum Begriff des Heimes Heßler/Raabe/ Schruth Zbl. 97, 35). 5 Es ist Aufgabe des JRichters, mit Hilfe des JStA und der JGH in Abstimmung mit dem Träger und im Einvernehmen mit der Leitung des Heimes das im Einzelfall nach seiner Einrichtung und personellen Besetzung am besten geeignete und auch dem Alter und Entwicklungsstand des J entsprechende Heim zu bestimmen (Hinweise zur Praxis der Unterbringung in den verschiedenen Bundesländern bei Eisenberg Zbl. 87, 327). Faktisch können sich die Gegebenheiten aber sehr rasch ändern. Durch die jetzige Fassung des Abs. II stellt sich die frühere Streitfrage nicht mehr, ob das Heim fluchtsicher sein muss. Denn Abs. II 1 stellt nicht mehr auf die Erwartung von JStrafe ab und kennzeichnet das ErzHeim nun als Möglichkeit einer vorläufigen ErzMaßnahme, die angeordnet werden kann, „ohne dass die Durchführung des Verfahrens durch
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Vorläufige Anordnungen über die Erziehung
§ 71
Verdunkelungs- oder Fluchtgefahr gefährdet ist“ (Begründung des RegE eines 1. JGGÄndG, BTDrs. 11/5829 S. 30). Eine intensive und pädagogische Betreuung in den Heimen der JHilfe kann das Verfahren sichern helfen, zusätzliche bauliche Sicherung (vgl. BMJ, Hrsg., „Diversion“ im deutschen JStrafrecht, 1989 S. 17; Böttcher/Weber NStZ 91, 10) das Risiko des Scheiterns mindern. Es handelt sich aber auch um eine Form der Krisenintervention, um den J aus gefährdender Umgebung herauszunehmen, um ständig neuer Verführung eines labilen J zu steuern, damit einer Entwicklungsgefährdung entgegengewirkt werden kann, die vor allem durch Begehung neuer Straftaten gekennzeichnet ist (vgl. § 72, 10). Zu empirischen Befunden über die in den Heimen geleistete erfolgreiche Arbeit s. § 72, 5. Eine Heimunterbringung kann auch die Anwendung des § 116 StPO noch möglich machen, wenn schwächere Maßnahmen (iSv Abs. I; vgl. Rn 4) nicht auszureichen scheinen (vgl. Brunner JR 94, 378). Der Richter wird zu berücksichtigen haben, dass sich die Ausführung der einstweiligen Unterbringung des J nach den für das Heim der JHilfe geltenden Regeln richtet (Abs. II 3).
3.
Voraussetzungen der Anordnung
Nach Abs. I: Verdacht einer Straftat, die Maßnahmen des JRichters rechtfertigt, sei es auch nur 6 nach § 3 S. 2. Erforderlich ist hinreichender Tatverdacht iSd §§ 170 I, 203 StPO (Czerner S. 101 ff). – Noch nicht eingetretene Rechtskraft, also schon vor Anklageerhebung und noch nach Urteilsspruch (s. auch Rn 13). – Notwendigkeit sofortigen Eingreifens aus erz. Gründen; es darf also nicht bloß ein „Denkzettel“ erteilt, ein einmaliges Tun angeordnet werden. Nach Abs. II: Es muss erz. geboten sein, den J vor weiterer Gefährdung seiner Entwicklung zu 7 bewahren (dazu Rn 4). Ostendorf 3 will auf die Gefahr weiterer Deliktsbegehung begrenzen. Das darf aber gerade nicht ausreichen, denn die Wiederholungsgefahr als solche ist kein hinreichender Grund für diese erheblich eingreifende Maßnahme (Begründung des RegE eines 1. JGGÄndG, BT-Drs. 11/5829 S. 29), sondern erst die darin ggf. liegende und derart zum Ausdruck gebrachte Entwicklungsgefährdung. Von einer Art Krisenintervention (Rn 5) sprechen auch Böhm (FS Dünnebier, 1982 S. 677) sowie Busch Zbl. 85, 399 und Eisenberg 7. Andere vorläufige Anordnungen über die Erz. dürfen nicht ausreichen (Rn 1). Die Unterbringung muss im Hinblick auf die zu erwartenden Maßnahmen verhältnismäßig sein (vgl. Rn 1). Aus gewichtigen und erz. vorrangigen Gesichtspunkten kann die Unterbringungsdauer im Einzelfall die Höhe der zu erwartenden JStrafe übersteigen (OLG Brandenburg NStZ-RR 03, 344). Die Unterbringung in einem Heim der JHilfe (Abs. II) ist auch zulässig, wenn die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls vorliegen (§ 72 IV) und vorläufige Anordnungen nach Abs. I nicht ausreichen. Die Notwendigkeit einer Untersuchung und Beobachtung hinsichtlich des Entwicklungs- oder 8 Geisteszustandes rechtfertigt eine Anordnung nach § 71 II nicht (Eisenberg 3); es wäre eine Umgehung der §§ 73 JGG, 81 StPO, doch kann eine zulässige Anordnung zugleich der Persönlichkeitserforschung dienen.
4.
Verfahren
Zuständigkeit: wie beim Haftbefehl (§ 125 StPO entsprechend; näheres § 72, 3). Daneben kann 9 der J auch nach § 126 a StPO einstweilen untergebracht werden. § 71 II (und § 73 I) verdrängen die allg. Regelungen der StPO nur, soweit es um eine Anordnung zur Erz. oder um Einholung eines Gutachtens gem. § 73 I geht (OLG Düsseldorf MDR 84, 603). Die §§ 114–115 a, 117–118 b, 120, 125 und 126 StPO sind sinngemäß anwendbar. Aus der Nichterwähnung des § 116 StPO folgt, dass die Unterbringung nicht außer Vollzug gesetzt werden kann (LG Zweibrücken NStZRR 04, 348).
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§ 72
2. Teil. Jugendliche
9 a Anhörung: § 33 StPO, RL 1 S. 1–3. Abstimmung mit den Eltern empfiehlt sich stets. Eisenberg 4 fordert Zustimmung der ErzBerechtigten. Was aber tun, wenn sie nicht zustimmen? 9 b Entscheidung durch begründeten Beschluss (§ 34 StPO; RL 1 S. 4); der Unterbringungsbeschluss entspricht dem Haftbefehl auch hinsichtlich der Vorführung vor den Richter, der Benachrichtigung der Angehörigen, der mündlichen Verhandlung auf Antrag, des Haftprüfungsverfahrens und der Aufhebung (Abs. II 2). – Dagegen findet bei der vorläufigen Unterbringung gem. § 71 II auch nach 6 Monaten keine Nachprüfung durch das OLG statt; das folgt schon daraus, dass die dafür geltenden Vorschriften (§§ 121 ff StPO) in § 71 II 2 nicht aufgeführt sind (OLG Celle NJW 65, 2069; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung Burscheidt S. 49 ff). Ein Haftbefehl kann in einen Unterbringungsbefehl oder dieser in jenen umgewandelt werden (näher § 72, 6). Nach Umwandlung in einen Haftbefehl wird die im ErzHeim verbrachte Zeit nicht in die Sechsmonatsfrist des § 121 I StPO eingerechnet (KG JR 90, 216; OLG Karlsruhe NStZ 97, 452; DSS/Diemer 17; Eisenberg 16; aA Ostendorf 11 bei geschlossener Heimunterbringung; Paeffgen NStZ 91, 424; 96, 74). Dagegen erfolgt eine Einrechnung, wenn die Heimunterbringung nach § 72 IV 1 angeordnet wird und sich unmittelbar an die Unterbringung Untersuchungshaft (72 IV 2) anschließt (OLG Dresden JR 94, 377 mit abl. Anm. Brunner; OLG Karlsruhe NStZ 97, 452; DSS/ Sonnen § 72, 20; Eisenberg § 72, 13; Ostendorf § 72, 14; Meyer-Goßner § 121 StPO 6 a; Paeffgen NStZ 96, 74). Bei einem Hw. ist der Aufenthalt in einer nicht geschlossenen Einrichtung zur Haftvermeidung nicht in die Frist des § 121 I StPO einzurechnen (OLG Köln NStZ-RR 11, 121 = ZJJ 11, 204 mit abl. Anm. Eisenberg). Für die Frage der notwendigen Verteidigung wird man die Unterbringung gem. § 71 II der Untersuchungshaft gleichzustellen haben (dazu § 68, 19; zumindest entsprechend Anwendung; zust. Eisenberg 14, 16; Ostendorf 10). 10 Bekanntmachung § 67 II; §§ 35 I, II 2, 41 StPO; MiStra 32 Abs. I Nr. 6; 35 II b. 11 Rechtsmittel ist die einfache Beschwerde ohne aufschiebende Wirkung (§§ 304, 307 StPO); bei Unterbringung in einem Heim der JHilfe (Abs. II) ist weitere Beschwerde gegeben (§ 310 I StPO entsprechend; OLG Hamburg NJW 63, 1167; NJW 64, 605; Dallinger/Lackner 22; Eisenberg 16; Potrykus B 9). – Es gelten aber auch hier die Rechtsmittelbeschränkungen des § 55 I, soweit es sich nicht um eine Anordnung nach Abs. II handelt. Beschwerdeberechtigte § 55, 2. 12 Die Kosten der Maßnahmen sind Auslagen des Verfahrens (§ 74, 9 a u. dort RL 4; Giehring Zbl. 81, 474; Eisenberg 19). 13 Die Anordnung muss ausdrücklich aufgehoben werden. Mit Rechtskraft des Urteils wird nach dem klaren Wortlaut nur die Anordnung unzulässig; schon getroffene Maßnahmen aber bleiben bis zur Aufhebung bestehen (Dallinger/Lackner 23; Eisenberg 18; aA Potrykus B 5). 14 Die Aufhebung erfolgt, wenn die Anordnung entbehrlich oder unzweckmäßig geworden ist, eine andere Maßnahme angeordnet wird oder wenn sie nach Rechtskraft überflüssig ist. Wo eine Anordnung getroffen wurde, sollte bei Urteilsverkündung auch über ihr Fortbestehen entschieden werden. Doch kann es zweckmäßig sein, die Anordnung noch kurze Zeit über die Rechtskraft hinaus bis zum Anlaufen der endgültigen Maßnahmen aufrechtzuerhalten (z. B. bei § 53; Dallinger/Lackner 23; Eisenberg 18).
§ 72 Untersuchungshaft § 72 Untersuchungshaft (1) Untersuchungshaft darf nur verhängt und vollstreckt werden, wenn ihr Zweck nicht durch eine vorläufige Anordnung über die Erziehung oder durch andere Maßnahmen erreicht werden kann. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit (§ 112 Abs. 1 Satz 2 der Strafprozeßordnung) sind auch die besonderen Belastungen des Vollzuges für Jugendliche
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Untersuchungshaft
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zu berücksichtigen. Wird Untersuchungshaft verhängt, so sind im Haftbefehl die Gründe anzuführen, aus denen sich ergibt, dass andere Maßnahmen, insbesondere die einstweilige Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe, nicht ausreichen und die Untersuchungshaft nicht unverhältnismäßig ist. (2) Solange der Jugendliche das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist die Verhängung von Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr nur zulässig, wenn er 1. sich dem Verfahren bereits entzogen hatte oder Anstalten zur Flucht getroffen hat oder 2. im Geltungsbereich dieses Gesetzes keinen festen Wohnsitz oder Aufenthalt hat. (3) Über die Vollstreckung eines Haftbefehls und über die Maßnahmen zur Abwendung seiner Vollstreckung entscheidet der Richter, der den Haftbefehl erlassen hat, in dringenden Fällen der Jugendrichter, in dessen Bezirk die Untersuchungshaft vollzogen werden müsste. (4) Unter denselben Voraussetzungen, unter denen ein Haftbefehl erlassen werden kann, kann auch die einstweilige Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe (§ 71 Abs. 2) angeordnet werden. In diesem Falle kann der Richter den Unterbringungsbefehl nachträglich durch einen Haftbefehl ersetzen, wenn sich dies als notwendig erweist. (5) Befindet sich ein Jugendlicher in Untersuchungshaft, so ist das Verfahren mit besonderer Beschleunigung durchzuführen. (6) Die richterlichen Entscheidungen, welche Untersuchungshaft betreffen, kann der zuständige Richter aus wichtigen Gründen sämtlich oder zum Teil einem anderen Jugendrichter übertragen. 1. [Hw.]: RL 5; § 109 I 1. – 2. ErwG: RL 5; § 104 I Nr. 5. Zu Abs. 4 vgl. aber auch RL zu § 104. Richtlinien zu § 72: 1. Das Verfahren gegen verhaftete Jugendliche soll durch Ermittlungen gegen Mitbeschuldigte oder durch kommissarische Zeugenvernehmungen nach Möglichkeit nicht verzögert werden. Erforderlichenfalls ist das Verfahren abzutrennen. 2. Werden Jugendliche an einem Ort ergriffen, der weder ihr gewöhnlicher Aufenthaltsort ist noch zum Bezirk des Gerichts gehört, dem die vormundschaftsrichterlichen Erziehungsaufgaben obliegen, so veranlasst die Staatsanwaltschaft in der Regel unverzüglich, dass die Jugendlichen durch Einzeltransport dem Gericht überstellt werden, das für die vormundschaftsrichterlichen Erziehungsaufgaben zuständig ist. Gleichzeitig beantragt sie beim bisherigen Haftrichter, dass dieser seine Aufgaben auf das Gericht überträgt, das die vormundschaftsrichterlichen Erziehungsaufgaben wahrzunehmen hat. 3. Zur einstweiligen Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe wird auf die Richtlinien zu § 71 hingewiesen. 4. Wegen des Vollzugs der Untersuchungshaft wird auf § 93 und die Richtlinie dazu hingewiesen. 5. § 72 gilt auch im Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten (§ 104 Abs. 1 Nr. 5), aber nicht im Verfahren gegen Heranwachsende (§ 109). Schrifttum: Banike Haftvermeidungsprojekte für jugendliche Straftäter als Alternative, ZJJ 04, 290; dies. Möglichkeiten der Haft- u. UHaftvermeidung bei j. u. hw. Straftätern am Beispiel des Kölner Vereins Maßstab e. V., NK 04, 129; Becker UHaft bei J u. Hw., JR 55, 45; Bindel-Kögel/Heßler Vermeidung von UHaft durch JHilfe, DVJJ-J 97, 297; dies. Vermeidung von UHaft in Berlin, DVJJ-J 99, 289; dies. Vermeidung von UHaft bei J im Spannungsfeld von JHilfe u. Justiz, 1999; Blumenberg/Wetzstein ErzHilfe statt UH, 1991; Busch Zusammenarbeit von JGH u. Justiz, Zbl. 85, 393; Cornel UHaft bei J u. Hw., StV 94, 628; ders. Der Beitrag der Sozialarbeit zur Vermeidung von UHaft, BewH 94, 393; Bussmann/England Vermeidung von UH an J u. Hw., ZJJ 04, 270; Czerner Vorläufige Freiheitsentziehung bei delinquenten J zwischen Repression u. Prävention, 2008; Dünkel Die Praxis der UHaft in den 90er Jahren, StV 94, 610; Eisenberg/Toth Über Verhängung u. Vollzug von UHaft bei J u. Hw., GA 93, 293; Eisenhardt Der ErzAuftrag des JGG u. seine Durchführung in der UHaft, Zbl. 81, 240; El Zaher/Friedrich/Klawe/Pleiger Menschen statt Mauern o. J.; Gebauer Die Rechtswirklichkeit der UHaft, 1987; ders.
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2. Teil. Jugendliche
Chancenausgleich u. UHaft-Verkürzung durch frühe Verteidigermitwirkung, StV 94, 622; Großmann Die Persönlichkeitserforschung des inhaftierten Rechtsbrechers, 1972; Heinz Junge Menschen in UHaft, in DVJJ-BW, INFO 1/86; ders. Recht u. Praxis der UHaft, BewH 87, 5; Herold UHaft bei J u. Hw., RdJ 57, 103; Heßler Vermeidung von UH bei J, 2001; Hotter UHVermeidung für J u. Hw. in Baden-Württemberg, 2004; Hubert Handlungsmöglichkeiten, Motive u. Hemmnisse für die Anordnung bzw. Vermeidung von UHaft bei J u. Hw., Zbl. 95, 439; Jehle Voraussetzungen u. Entwicklungstendenzen der UHaft, BewH 94, 373; Kawamura Zur Praxis der Vermeidung von UHaft durch Angebote der Sozialarbeit, BewH 94, 409; Kowalzyck Geschlossene Unterbringung als Alternative der UHVermeidung bei J, DVJJ 02, 300; ders. UH, UHVermeidung u. geschlossene Unterbringung bei J u. Hw. in Mecklenburg-Vorpommern, 2008; Krause Anordnung u. Vollz. der UHaft bei J, Diss. Kiel 1971; Krebs Über die Durchführung der UHaft insbes. an Minderjährigen, MKrim. 66, 301; Kreuzer UHaft bei J u. Hw., RdJ 78, 337; Linck Zulässigkeit u. Grenzen der erz. Gestaltung der UHaft bei J nach Art. 6 GG, ZRP 71, 57; Lösel/Pomplun JHilfe statt UHaft, 1998; Matenaer Die Beteiligung der JGH bei der Unterbringung von J u. Hw. in UHaft, Zbl. 83, 21; von Nerée Die Zulässigkeit der Sicherungshaft gemäß § 112 a StPO, insbes. bei Anwendung von JStrafrecht, StV 93, 212; Peterich Konzept zur Vermeidung der UHaft bei j. u. hw. Straftäterinnen u. Straftätern, DVJJ-J 97, 144; Pfeiffer Die Anordnung der UHaft . . . in den 93 Landgerichtsbezirken (Kurzfassung des 1. Teils einer Expertise zum 8. JBericht 1988); Reinecke Haftentscheidungshilfen durch die JGH, BewH 87, 41; Sauer Strukturelle Reformen zur U-Haft-Vermeidung, DVJJ-J 97, 141; Schäfer Die UHVermeidung in Deutschland, DVJJ-J 02, 313; Schroeder UHVermeidung in Mecklenburg-Vorpommern, DVJJ-J 02, 310; Schütte UHaftvermeidung bei J, 2008; Seiser UHaft als ErzHaft im JStrafrecht?, 1987; Staudinger UHaft bei jungen Ausländern, 2001; M. Steinhilper UHaft bei 14- u. 15-jährigen in Niedersachsen, 1985; Villmow Junge Tatverdächtige in der UH, ZJJ 09, 226; Villmow/Roberts UHVermeidung bei J, 2004; Weber Geschlossene Unterbringung im JStrafverfahren, RdJ 99, 305; Weinknecht Die Situation der UHaft u. der Unterbringung an J u. Hw., 1988; de Wyl Die Wirkungen der UHaft bei J u. Hw., RdJ 58, 305 u. 329; Walter UHaft u. Erz. bei jungen Gefangenen, MKrim. 78, 337; Will UHaftvermeidung in Thüringen, DVJJ-J 99, 49; Zender UHaft an weibl. u. männl. J. u. Hw., Diss. Bonn 1998; Zimmer UHaftvermeidung j. Straftäter, DVJJ-J 97, 321; Zirbeck Die UHaft bei J u. Hw., Diss. Göttingen 1973. S. auch das Schrifttum zu § 71. Übersicht 1. Haftpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnismäßigkeit u. Subsidiarität . . 4. Hilfe der JGH . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Besondere Begründung des Haftbefehls 6. Unterbringungsbefehl, Haftbefehl . . . 7. Fluchtgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Fluchtgefahr bei 14- u. 15-jährigen . . . 9. Weitere Haftgründe . . . . . . . . . . . . 10. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rn 1 2 3 4 5, 9 6 7 9 10 11
Haftpraxis
1 Die Zahl der in U-Haft genommenen J und Hw. ist in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zurückgegangen und in den neunziger Jahren ua aufgrund eines zunehmenden Ausländeranteils angestiegen; seit der Jahrtausendwende ist eine deutliche Abnahme der j und hw. Inhaftierten zu verzeichnen (Streng S. 85). Jeweils zum 1. Januar befanden sich in den alten Bundesländern 1980 649 J und 1990 324 J in UHaft – Hw.: 1.927 und 1.087; 1992 waren es im gesamten Bundesgebiet 523 J, 2000 893 und 2010 (Stichtag 31. 3.) 468 – Hw. 1.803, 2.135 und 1.026 (Streng S. 86; Stat. BA, Bestand der Gefangenen und Verwahrten in den deutschen Justizvollzugsanstalten 2010, S. 7). Für den im Verhältnis zu den Erwachsenen hohen Anteil der UHäftlingen an allen Inhaftierten werden vielfach ungeschriebene („apokryphe“) Haftgründe, z. B. Krisenintervention oder Vorbereitung einer Strafaussetzung durch eine kurze, schockartige Haft, verantwortlich gemacht (Dünkel StV 94, 613 mwN). Nur etwa die Hälfte der verurteilten UHäftlinge erhalten eine zu vollziehende Freiheitsstrafe (Ostendorf Grdl. zu §§ 71–73, 6; Dünkel aaO, 614), was immerhin gegen den Vorwurf spricht, dass versucht werde, die UHaft nachträglich zu „rechtfertigen“. Für inhaftierte junge Ausländer wurde festgestellt, dass sie vor allem bei
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Untersuchungshaft
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Eigentumsdelikten ohne Gewaltanwendung überrepräsentiert sind (Schütze in Trenczek, Hrsg., Freiheitsentzug bei jungen Straffälligen, 1993 S. 139). M. Steinhilper (1985) fand bei ihrer Untersuchung von 14- und 15-jährigen UHäftlingen die verhängten Sanktionen in keinem angemessenen Verhältnis zu den negativen Wirkungen der Inhaftierung. Heinz (BewH 87, 16) warnt davor, über die Hintertür der UHaft kurze J- oder Freiheitsstrafen wieder einzuführen. Untersuchungen ergaben erhebliche regionale Unterschiede in der Verhängung von UHaft (Gebauer 1987 S. 166 ff, 200 ff, 305; Pfeiffer 1988). Es kommt somit darauf an, die UHaft auf die Fälle zu beschränken, in denen sie unumgänglich ist, und sich um eine gleichmäßige Anwendung zu bemühen. 2.
Haftfolgen
Es ist unbestritten, dass für J die Folgen der UHaft in krimineller Ansteckung sowie in Identi- 2 tätsverlusten bis hin zu dauernden Störungen der seelischen Entwicklung bestehen können (Begründung des RegE eines 1. JGGÄndG, BT-Drs. 11/5829 S. 30; vgl. § 68, 25). Je jünger der J ist, desto näher liegt eine ernstliche Gefährdung (vgl. Rn 9), zumal M. Steinhilper (1985 S. 59) bei ihren Untersuchungen in Niedersachsen bei 10% der 14–15-jährigen UHäftlingen geistigseelische Behinderungen festgestellt hat. Zu Beeinträchtigungen im Sozial-, Ausbildungs- u. Arbeitsbereich Spieß in Kury ,Hrsg., Prävention abweichenden Verhaltens, 1982 S. 591. Abs. I 2 weist expressis verbis auf die bes. Belastung der J durch den UHaft-Vollzug hin. Auch dies begründet neben Abs. V die hier gebotene Beschleunigung, die auch in §§ 121, 122 StPO ihren Ausdruck findet (vgl. OLG Zweibrücken B NStZ 90, 530; StV 02, 433, 434; s. weiter Rn 12). 3.
Verhältnismäßigkeit u. Subsidiarität
Es darf deshalb UHaft gegen J (u. Hw.) nur dann verhängt werden, wenn der Richter nach einge- 3 hender Prüfung das Gewicht der Tat und die Rechtsfolgenerwartung bei der Persönlichkeit des J nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für so schwerwiegend hält, dass trotz der Intensität des Eingriffs in die Lebenssphäre des J und der möglichen abträglichen Folgen (Rn 2) UHaft unerlässlich ist und keine andere Maßnahme an ihrer Stelle ausreicht (Abs. I 1; dazu Rn 4 aE), insbes. auch nicht die einstweilige Unterbringung in einem Heim der JHilfe (vgl. Abs. I 3; Rn 5; OLG Köln OLGSt StGB § 226 Nr. 1). Geboten ist eine sorgfältige Einzelfallprüfung, um zu gewährleisten, dass der J bis zur Grenze des Vertretbaren von UHaft mit ihrer bes. Belastung verschont bleibt (OLG Zweibrücken StV 01, 183; StV 02, 433, 434). Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kommt gerade im JStrafrecht bes. Gewicht zu (Abs. I 2; LG Zweibrücken StV 96, 158). Bei einem 16-jährigen Ersttäter, dem zwei Diebstähle mit Beutewerten von 85 bzw. 300 Euro vorgeworfen werden, ist UHaft unverhältnismäßig (LG Zweibrücken StV 99, 161). Als mildere Maßnahme kommt auch die Außervollzugsetzung des Haftbefehls iVm der Anweisung, in einer JArrestanstalt zu wohnen, in Betracht. Zu recht positiven Erfahrungen mit diesem Vorgehen in Hamburg u. Baden-Württemberg Hinrichs DVJJ-J 92, 133; Thalmann DVJJ-J 93, 177; Bühler ZfStrVo 95, 278. Das Subsidiaritätsprinzip beherrscht im JStrafrecht alle Maßnahmen und fordert eingehende Prüfung, ob nicht mildere an Stelle eines Haftbefehls ausreichen (§ 71, 1–3). Bei Zweifeln wird der Richter die mildere Maßnahme wählen, zumal der Unterbringungsbefehl (Abs. IV 1) in einen Haftbefehl umgewandelt werden kann, wenn sich das als unumgänglich erweist (Abs. IV 2; Rn 6). Vgl. auch OLG Hamm StV 96, 275; NJW 99, 230; ZJJ 04, 435, 436: restriktive Auslegung der Haftgründe bei J. IdR kommt ein Haftbefehl nur in Betracht, wenn JStrafe zu erwarten ist (OLG Zweibrücken StV 02, 433, 434; Eisenberg 5; enger Ostendorf 8: nur wenn unbedingte JStrafe zu erwarten ist). Aus generalpräventiven Gründen darf UHaft nicht verhängt werden (LG Hamburg StV 94, 593; LG Zweibrücken StV 99, 161; StV 02, 433, 434; Eisenberg 5; Rzepka StV 94, 593; aA OLG Hamburg StV 94, 590, das einen Haftbefehl auch aus Gründen der positiven Generalprävention auch dann für zulässig hält, wenn keine JStrafe zu erwarten ist, Art
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und Schwere des Vorwurfs sowie die Häufigkeit des Auftretens gleichgelagerter Taten aber die Durchführung des Verfahrens unerlässlich machen). 4.
Hilfe der JGH
4 Die Einschaltung der JGH ist im Regelfall zur Prüfung der jugendspezifischen Haftvoraussetzungen erforderlich (OLG Zweibrücken StV 01, 183). Wenn irgendwie möglich, sollte der Richter schon vor beabsichtigtem Erlass eines Haftbefehls mit der JGH Verbindung aufnehmen (evtl. fernmündlich, wobei es gut ist, wenn man weiß, mit wem man spricht), um verlässliche Informationen über Persönlichkeit und Umwelt des J zu erhalten oder auf den neuesten Stand zu ergänzen und um qualifizierte Angebote zur Vermeidung der Haft zu bekommen. Insoweit ist eine enge Zusammenarbeit von Polizei, StA, JGH und Haftrichtern erforderlich (BindelKögel/Heßler DVJJ-J 97, 298). Matenaer (BewH 87, 35) betont die Aufgabe der JGH, zeitig dem Haftrichter Entscheidungsgrundlagen zu geben, zur Situation des J, zum sozialen Umfeld, zu möglichen individuellen Auswirkungen der UHaft und zu Alternativen (vgl. Abs. I 1–3). Bundesweit bemüht sich die JGH fortschreitend, UHaft-Alternativen bereitzustellen (vgl. den Überblick über Projekte zur Vermeidung der UHaft bei Kawamura BewH 94, 409; BindelKögel/Heßler DVJJ-J 97, 297; zu Berlin Bindel-Kögel/Heßler DVJJ-J 99, 289; zu Thüringen Will DVJJ-J 99, 49; zu Lüneburg Peterich DVJJ-J 97, 144; für Rheinland-Pfalz das ministerielle Rundschreiben v. 1. 7. 1997, abgedruckt in DVJJ-J 97, 432). Die Möglichkeiten einer alternativen Unterbringung dürften noch nicht ausgeschöpft sein (Zimmer DVJJ-J 97, 321). Zu den Haftentscheidungshilfen nach § 72 a: 72 a, 1–4 u. § 38, 5 b–g. 5.
Besondere Begründung des Haftbefehls
5 Während in der schriftlichen Begründung des Haftbefehls im ErwStrafrecht auf die Verhältnismäßigkeit nur eingegangen werden muss, wenn deren Ausschluss naheliegt oder der Beschuldigte sich darauf beruft (§ 112 I 2 iVm § 114 III StPO), muss im JStrafrecht der Richter fallbezogen und konkret darlegen, weshalb andere Maßnahmen, bes. nach § 71 I u. II, nicht ausreichen und dass die UHaft nicht unverhältnismäßig ist (Abs. I 3; dazu Rn 3; OLG Zweibrücken StV 01, 183). Damit soll in Anbetracht des weiten Beurteilungsspielraumes die bes. Verantwortung des Richters wachgehalten und ein Abgleiten in subjektive Befürchtungen und leere formelhafte Wendungen vermieden werden. Vgl. auch Böttcher/Weber NStZ 91, 9 u. § 68, 25. Die Regelung des Abs. I 3 ist zwingend; es handelt sich nicht um eine bloße Ordnungsvorschrift (OLG Hamm NStZ 10, 281). Die einstweilige Unterbringung nach Abs. IV 1 iVm § 71 II muss in einem Heim der JHilfe erfolgen; andere Einrichtungen der JHilfe werden von der Vorschrift nicht erfasst (OLG Hamm NJW 99, 230 u. § 71, 2). Einer Unterbringung in den Glenn Mills Schools in den USA steht nach OLG Hamm (aaO) neben dem fehlenden Heimcharakter entgegen, dass der J dort dem unmittelbaren Zugriff der deutschen Justiz entzogen und damit der Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung nach Abs. V nicht gewahrt ist (dazu kritisch Eickelkamp DVJJ-J 99, 95 f). Die an Stelle von UHaft tretende Anordnung der einstweiligen Unterbringung ist an den für eine Freiheitsentziehung geltenden Garantien zu messen (BbgVerfG NJW 03, 2009). Die einstweilige Unterbringung in einem Heim der JHilfe hat sich als Alternative zur UH bewährt, vgl. die Begleitforschungen von Bindel-Kögel/Heßler, Blumenberg/Wetzstein, Hotter, Kowalzyk, Lösel/Pomplun, Villmow/Robertz und El Zaher/Friedrich/Klawe/Pleiger sowie Weiß in DVJJ-BW, Zwischen Rationalität und Rationalisierung – JStrafrechtspflege u. JHilfe auf neuen Wegen? 2006 S. 11 und Thomsen ZJJ 09, 52, 53. Nach KG NStZ-RR 10, 156 = ZJJ 10, 74 mit abl. Anm. Eisenberg/Huck erfordert die einstweilige Unterbringung bei Fluchtgefahr die Gewissheit des Gerichts, dass es sich auf den J verlassen kann.
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6.
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Unterbringungsbefehl, Haftbefehl
Der nach Abs. IV 1 erlassene Unterbringungsbefehl kann in einen Haftbefehl umgewandelt 6 werden (Abs. IV 2), wenn es sich als unerlässlich erweist. Dallinger/Lackner 12 lässt dazu eine andere Beurteilung der Tatsachen ausreichen; der Vertrauensschutz fordert aber eine Änderung der Tatsachen, eine neue Situation, die neue Beurteilung notwendig macht (so auch Potrykus B 4). Bei Umwandlung müssen seit Einfügung der Abs. I 3 und Abs. IV deren bes. Gründe (Rn 5 u. 9) im Einzelnen dargelegt werden, denn der Unterbringungsbefehl ist gerade deshalb erlassen worden, weil die bes. jrechtlichen Haftgründe als nicht gegeben angesehen worden sind. Im Übrigen müssen sich die Umstände verändert haben. So kommt eine Umwandlung in Betracht, wenn der J aus dem Heim entweicht und neue Straftaten begeht (OLG Hamm NJW 99, 230). Zur Einrechnung in die Sechsmonatsfrist des § 121 I StPO bei Umwandlung eines Unterbringungsbefehls in einen Haftbefehl s. § 71, 9 b. Vgl. auch § 71, 2 u. § 68, 25. 7.
Fluchtgefahr
Mit zusätzlicher Prüfung der Altersreife (§ 3) gelten im JStrafrecht für den Erlass eines Haftbe- 7 fehls die gleichen Voraussetzungen wie für Erw. Folgende Besonderheiten aber sind zu beachten und führen zumeist zu anderen, dem Beschuldigten günstigeren Ergebnissen. Fluchtgefahr mag bei J, die leichter zu Kurzschlusshandlungen neigen, auch bei Taten geringe- 8 ren Gewichts vorliegen; dann aber wird es an der Verhältnismäßigkeit fehlen (Rn 3) und sich § 71 anbieten (§ 71, 1, 2). Im Übrigen dürfte der Trend zu ambulanten Sanktionen gerade hier einem Fluchtanreiz entgegenwirken (vgl. Heinz BewH 87, 16). Zu Recht weist Heinz (aaO, S. 23) auf die frappierende Mehrdeutigkeit der Tatsachen hin, mit der oftmals die Fluchtgefahr begründet werden soll: Reichtum, der die Flucht ermöglicht, Armut, die nicht an die Scholle fesselt. Vgl. auch Rn 9. Liegt bei einem Hw. die Anwendung von JStrafrecht nahe, dürfen Erwägungen zur Fluchtgefahr nicht von einer Straferwartung in Höhe der nach allg. Strafrecht in Betracht kommenden Freiheitsstrafe ausgehen (OLG Köln StraFO 97, 279 mit Anm. Hiebl). Es ist zu beachten, dass UHaft wegen Fluchtgefahr nur auf die Sicherung des Verfahrens zielt, nicht aber auf Krisenintervention. Vgl. auch Rn 9 aE. Zur vorläufigen Festnahme Böttcher/Weber NStZ 91, 10. 8.
Fluchtgefahr bei 14- u. 15-jährigen
In den Jahren 1985/86 waren bundesweit je etwa 250 J von 14–15 Jahren in UHaft (Begründung 9 des RegE eines 1. JGGÄndG, BT-Drs. 11/5829 S. 32). Nach M. Steinhilper (ZfStrVo 85, 140 ff, 165) wurde in den Jahren 1977–1982 im Jahresdurchschnitt gegen 1% der Verurteilten dieser Altersgruppe Haftbefehl erlassen und zumeist nach 5–6 Wochen wieder aufgehoben. Ihre Untersuchungen für Niedersachsen (1985 S. 19) haben ergeben, dass bei etwa 80% dieser Altersgruppe Fluchtgefahr als Haftgrund genannt ist. Gebauer (1987) hat für das Bundesgebiet ermittelt, dass an 1. Stelle UHaft wegen Entlaufens aus Elternhaus oder Heim und an 2. Stelle wegen der zu erwartenden Rechtsfolgen verhängt worden ist, die aber häufig der UHaft und ihren negativen Wirkungen nicht entsprochen hätten. Deshalb und wegen der bes. Gefährdung durch die UHaft (Rn 2) darf nach Abs. II gegen J, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, UHaft wegen Fluchtgefahr nur verhängt werden, wenn sie sich dem Verfahren bereits entzogen oder Anstalten zur Flucht getroffen haben (Nr. 1) oder im Geltungsbereich dieses Gesetzes keinen festen Wohnsitz oder Aufenthalt haben (Nr. 2). Man wird der ratio legis entsprechend hier auf das Alter zurzeit des Erlasses des Haftbefehls abzustellen haben. Von dieser Altersgruppe wird also Haft wegen Fluchtgefahr im Wesentlichen wohnsitz- und bindungslos herumreisende Bandenund Serientäter treffen, die sich auch kaum in Heimen halten lassen. Nächtliches Herumtreiben allein reicht für die Bejahung der Nr. 2 nicht (OLG Hamm StV 96, 275). In Fällen schwerster Kriminalität ist auch bei dieser Altersgruppe UHaft unter gegebenen Voraussetzungen nicht
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ausgeschlossen. Auch für diese Altersgruppe können in der UHaft bes. Maßnahmen zur Minderung der Gefährdung gefunden werden. Liegen die Voraussetzungen für Fluchtgefahr nach Abs. II nicht vor, kommt auch eine Unterbringung nach Abs. IV nicht in Betracht; möglich ist nur eine Unterbringung nach § 71 II, wenn die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind (Böttcher/Weber NStZ 91, 10). 9.
Weitere Haftgründe
10 Verdunkelungsgefahr wird im Wesentlichen nur bei fester strukturierten Gruppen (dazu Einf. I 37–41) oder Banden ernstlich zu befürchten sein und zu UHaft führen können. Die Wiederholungsgefahr wird bei J nur in Ausnahmefällen so schwerwiegend und die Allgemeinheit gefährdend sein können, dass sich deshalb ein Haftbefehl rechtfertigt (OLG Hamm StV 96, 275; ZJJ 04, 435, 436). Entgegen Weber (RdJ 99, 311) ist der Haftgrund der Wiederholungsgefahr durch § 71 II nicht ausgeschlossen (Czerner S. 111, 374 ff). Im Regelfall bietet sich die Einweisung in ein ErzHeim (Abs. IV 1; OLG Hamm NStZ-RR 02, 120) oder in eine andere Einrichtung der JHilfe mit gezielter Therapie als „Krisenintervention“ an, um den J vor sich selbst zu schützen und einer (weiteren) Entwicklungsstörung entgegenzusteuern. Ggf. kann der Wiederholungsgefahr durch Auflagen nach § 116 StPO begegnet werden (OLG Karlsruhe ZJJ 05, 322 mit Anm. Allgeier). Nach § 112 a II Nr. 2 StPO muss für die neu abzuurteilenden Taten auch ohne Einbeziehung nach § 31 II oder von Nichtkatalogtaten eine Jugendstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten sein (OLG Braunschweig StV 09, 84; LG Kiel StV 02, 433; LG Itzehoe StV 07, 587). 10.
Verfahren
11 Das Verfahren einschließlich Haftprüfung und die Anfechtung richten sich nach allg. Recht (§§ 112 ff StPO); doch sind die Rechte des gesetzlichen Vertreters und der ErzBerechtigten (§ 67 I, III) zu beachten. Zur Benachrichtigung Rn 13. Das gilt auch für die Zuständigkeit (§§ 125, 126, 207 IV; 268 b StPO; das Berufungsgericht ist mit Akteneingang zuständig); es nicht das allg., sondern das JGericht zur Entscheidung berufen; auch die bes. örtliche Zuständigkeit des JGerichts (§ 42) ist zu beachten (RL 2 S. 1); wegen bes. Haftgerichte u. des BezirksJRichters § 33, 10. – Oft ist die Übertragung der die UHaft betreffenden Entscheidungen zweckmäßig (Abs. VI), z. B. an den JRichter des Haftortes (RL 2 S. 2). Der Übertragungsbeschluss hat auch hier keine bindende Wirkung; bei Bedenken des angegangenen Richters entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht entsprechend § 42 III 2 (§ 42, 10; OLG Hamm JMBl. NRW 61, 224; Eisenberg 14; Brunner NStZ 90, 358); § 126 I 3 StPO ist hier nicht anwendbar, weil Abs. VI vorgeht (Dallinger/Lackner 20; Eisenberg aaO; aA Ostendorf 12). Doch sollte man sich gerade hier vor einem das Verfahren verzögernden Zuständigkeitsstreit hüten. 12 Die in Abs. V ausgesprochene Pflicht zur Beschleunigung geht über das allg. Beschleunigungsprinzip hinaus (OLG Zweibrücken StV 02, 433, 434; OLG Hamm ZJJ 04, 435, 436); beachtenswert hierfür RL 1. Verzögerte Gutachtenserstattung kann wegen Abs. V zur Aufhebung des Haftbefehls im Verfahren nach §§ 121, 122 StPO führen (OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 81, 93). Die Nachteile gerade für sehr junge J müssen durch alle der Verfahrensbeschleunigung dienenden Maßnahmen (Abtrennung von Verfahren, Mehrfachakten) hintan gehalten werden (OLG Hamburg B NStZ 83, 450; OLG Zweibrücken StV 02, 433, 434; OLG Hamm ZJJ 04, 435, 436). Haftsachen sind vorrangig zu terminieren, Termine in Nichthaftsachen müssen ggf. verlegt werden, denn das bes. Beschleunigungsgebot in Haftsachen hat Vorrang vor dem Anliegen, auch in Nichthaftsachen auf eine möglichst rasche Aburteilung hinzuwirken (OLG Köln NJW 97, 2252). Bei einer 14-jährigen Angeklagten ist eine terminisierungsbedingte Dauer der UHaft von mehr als 6 Monaten seit Anklageerhebung nicht mit dem bes. Beschleunigungsgebot des Abs. IV vereinbar (OLG Hamm ZJJ 04, 435). Bei Verdacht der In-
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Heranziehung der Jugendgerichtshilfe in Haftsachen
§ 72 a
tensivtäterschaft innerhalb bandenähnlicher Strukturen kann die Ermittlung der Verwicklung des Beschuldigten in das Gesamtgeschehen einen wichtigen Grund iSv § 121 I StPO darstellen (KG NStZ 06, 524). Wegen der Anrechnung §§ 52, 52 a. Benachrichtigung der gesetzliche Vertreter u. des ErzBe- 13 rechtigten oder eines Prozesspflegers von der Verhaftung eines J Nr. 34 II MiStra (vgl. § 114 a StPO), der JGH § 72 a, Nr. 32 MiStra. Zu den Kosten § 74, 9 a. Auch die Vollstreckung (nicht nur der Erlass) des Haftbefehls muss nach Abs. I unterbleiben, 14 wenn sein Zweck durch andere Maßnahmen erreicht werden kann (Rn 2; § 116 StPO), wenn in der Zwischenzeit neue, günstige Erkenntnisse das erlauben. Stets ist zugleich zu prüfen, ob der Haftbefehl nicht ganz aufgehoben werden kann. Zuständigkeit für diese Entscheidung, die bei jeder Überprüfung des Haftbefehls zu treffen ist: 15 Abs. III. Nach Einreichung der Anklageschrift ist der nach Rn 11 zuständige Richter berufen. Nicht unter § 72 fallen die Unterbringung nach §§ 71 II, 73 JGG, 81 StPO. In die 6-Monats-Frist 16 bis zur Einschaltung des OLG in die Haftprüfung wird die Zeit einer Unterbringung nach § 73 JGG, § 81 StPO eingerechnet, da auch hier die UHaft weiterbesteht, nämlich über den Untersuchungszweck hinausgehende Maßnahmen zur Verhinderung von Flucht, Verdunkelung oder Wiederholung, die zulässig und meist notwendig sind (zust. Eisenberg 13). Dagegen gilt diese Frist grds. nicht, wenn eine einstweilige Unterbringung gem. § 71 II vorliegt (§ 71, 9 b). Der J, der ErzBerechtigte und der gesetzliche Vertreter können selbständig Haftprüfung (§ 117 17 StPO) sowie mündliche Verhandlung über den Haftbefehl (§ 118 StPO) beantragen oder Haftbeschwerde einlegen. Bei verschiedenen Anträgen macht der Antrag auf Haftprüfung eine daneben eingelegte Haftbeschwerde unzulässig (§ 117 II 1 StPO). Zur OLG-Haftprüfung (§§ 121, 122 StPO) nach Umwandlung § 71, 9 b. Wird der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt (§ 116 StPO), hat der StA Beschwerde (§ 304 StPO; zur Überprüfung OLG Stuttgart NJW 82, 1296), der J bei Ablehnung. Nach OLG Koblenz NStZ 90, 102 (unter Aufgabe bisheriger Auffassung u. gestützt auf BGH NJW 80, 1401) sind alle Entscheidungen, die den Bestand oder Vollzug eines Haftbefehls zum Gegenstand haben, mit der weiteren Beschwerde anfechtbar, auch wenn der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt ist. In letzterem Falle aber halten OLG Düsseldorf MDR 90, 271 u. JMBl. NRW 90, 21 (gestützt auf hM u. OLG Koblenz StV 86, 442) eine weitere Beschwerde für unstatthaft. Die Entscheidung des Haftrichters, UHaft nicht zur Vollstreckung von Strafhaft zu unterbrechen, kann vom Gefangenen mit Beschwerde und weiterer Beschwerde angefochten werden. Die Unterbrechung ist abzulehnen, wenn der bes. starken Verdunkelungsgefahr im Strafvollzug auch nicht durch beschränkende Maßnahmen begegnet werden kann (OLG Hamburg NStZ 92, 206). Der Prüfungsumfang der bes. Haftkontrolle durch das OLG nach §§ 121, 122 StPO umfasst auch die in § 72 I geforderte Subsidiarität der UHaft für J (OLG Zweibrücken StV 01, 182). Eine nach Abs. IV zur Vermeidung von UHaft angeordnete einstweilige Unterbringung ist eine entschädigungspflichtige Strafverfolgungsmaßnahme iSv § 2 II Nr. 1 StrEG (KG NStZ 10, 284).
§ 72 a Heranziehung der Jugendgerichtshilfe in Haftsachen § 72 a Heranziehung der Jugendgerichtshilfe in Haftsachen Die Jugendgerichtshilfe ist unverzüglich von der Vollstreckung eines Haftbefehls zu unterrichten; ihr soll bereits der Erlaß eines Haftbefehls mitgeteilt werden. Von der vorläufigen Festnahme eines Jugendlichen ist die Jugendgerichtshilfe zu unterrichten, wenn nach dem Stand der Ermittlungen zu erwarten ist, dass der Jugendliche gemäß § 128 der Strafprozeßordnung dem Richter vorgeführt wird. Hw.: § 38, 17 u. 19. – [ErwG]: § 104 I Nr. 2.
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§ 72 b
2. Teil. Jugendliche
Richtlinie zu § 72 a: Staatsanwaltschaft und Gericht tragen dafür Sorge, dass die Jugendgerichtshilfe so früh wie möglich, gegebenenfalls durch die Polizei, unterrichtet wird. Ist gemäß § 128 StPO eine Vorführung zu erwarten, so teilen sie der Jugendgerichtshilfe auch Ort und Termin der Vorführung mit.
1 § 72 a regelt gegenüber § 72, der vor allem die materiellrechtlichen Voraussetzungen und die gerichtliche Zuständigkeit bei Anordnung und Vollstreckung der UHaft an J betrifft, die Haftentscheidungshilfe der JGH gesondert. Damit sind die Mithilfe der JGH im Bereich der UHaft und die ihr gegenüber bestehenden Mitteilungspflichten deutlich hervorgehoben. So ist gesichert, dass die JGH rechtzeitig von der Vollstreckung eines Haftbefehls gegen J und Hw. und ggf. bereits vom Erlass eines Haftbefehls und sogar von der vorläufigen Festnahme eines J oder Hw. erfährt, wenn im letzteren Falle eine Vorführung des J nach § 128 StPO vor den Richter zu erwarten ist. StA und Richter sorgen für frühzeitige Unterrichtung der JGH ggf. durch die Polizei (dazu § 38, 6 u. § 43, 12) und geben auch Ort und Termin einer zu erwartenden Vorführung bekannt (RL). Diesen Mitteilungspflichten steht gegenüber (vgl. § 38, 5 g), dass die JGH rasch reagiert und stets erkennbar bleibt, dass sie bei ihren Vorschlägen Persönlichkeit, aber auch die Straftat des J berücksichtigt. Wird die JGH bei den Haftentscheidungshilfen ihrer neutralen Stellung als Prozessorgan eigener Art (§ 38, 1 u. 1 a) gerecht – weder Gehilfe der Polizei oder des StA noch Verteidiger oder Vertreter des J –, so werden StA, Richter und JGH gemeinsam den besten und auch allseits verantwortbaren Weg für den J finden. Die JGH kann die Forderung des § 72 a nur dann wirklich erfüllen, wenn sie personell und sachlich ausreichend ausgestattet wird, wozu der gebotenen Beschleunigung halber auch ein Bereitschaftsdienst, zumindest eine Rufbereitschaft gehört (dazu auch Böttcher/Weber NStZ 91, 9). Auch hier wird deutlich, dass im Sinne der Aufgabe der JGH und des wohlverstandenen Interesses des J Datenschutzbestimmungen nicht hinderlich eingreifen dürfen (dazu § 38, 19 b). 2 Die Mitwirkung der JGH hat schon vor Inkrafttreten des § 72 a geholfen, UHaft bei J nach Möglichkeit zu vermeiden, wo sie aufgrund der allg. Gesetzesanweisung in § 38 II, III aF Beiträge zur Haftentscheidung geleistet hat. Eine vieldimensionale Aufklärung der Persönlichkeit, die, wo dies angeht, auch eine gebotene Nachprüfung ermöglicht und auch das Umfeld mit seinen positiven und auch negativen Einwirkungen berücksichtigt, kann Haftalternativen (§ 71, 2 u. 3; § 72, 3 u. 5) eröffnen und oftmals UHaft vermeiden helfen. 3 Die nähere Kommentierung des § 72 a ist ihres Gewichtes für die JGH entsprechend zu § 38, 5 b–g gezogen. Zur Anordnung der unverzüglichen Unterrichtung der JGH von der Vollstreckung eines Haftbefehls gegen einen J oder Hw.: § 38, 5 b. Zur Sollvorschrift, die nahe legt, bereits den Erlass eines Haftbefehls der JGH mitzuteilen: § 38, 5 c; § 72, 4. Zum Fall der Unterrichtung der JGH schon von einer vorläufigen Festnahme: § 38, 5 d. Zur Frage, wer in diesen Fällen jeweils die Mitteilung an die JGH anordnet: § 38, 5 f. Zur Geltung für den Sicherungshaftbefehl: § 38, 5 e. Es wird aber auch Fälle geben, in denen der Fortgang des Verfahrens eine vorherige Mitteilung nicht erlaubt, woraus nicht auf Misstrauen einer bestimmten Person gegenüber geschlossen werden sollte. 4 Allg. zur Zusammenarbeit Polizei, JGH u. Haftrichter in Verfahren, die Haftsachen werden können: § 72, 4; vgl. auch § 38, 4 b-d, 20–22.
§ 72 b Verkehr mit Vertretern der Jugendgerichtshilfe, dem Betreuungshelfer und dem Erziehungsbeistand § 72 b Verkehr mit Vertretern der Jugendgerichtshilfe Befindet sich ein Jugendlicher in Untersuchungshaft, so ist auch den Vertretern der Jugendgerichtshilfe der Verkehr mit dem Beschuldigten in demselben Umfang wie einem
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§ 73
Unterbringung zur Beobachtung
Verteidiger gestattet. Entsprechendes gilt, wenn der Beschuldigte der Betreuung und Aufsicht eines Betreuungshelfers untersteht oder für ihn ein Erziehungsbeistand bestellt ist, für den Helfer oder den Erziehungsbeistand. 1. Hw.: § 109 I. – 2. ErwG: § 104 III. Mit der Föderalismusreform von 2006 ist die Gesetzgebungszuständigkeit für den UHVollzug 1 auf die Länder übergegangen (s. Art. 74 I Nr. 1 GG). Das Gesetz zur Änderung des UHRechts v. 29. 7. 2009 hat deshalb die Regelungen des JGG über die UH neu gefasst. § 93 JGG wurde aufgehoben. Die bisher in § 93 III enthaltene Regelung wurde in den neuen § 72 b verschoben (vgl. auch §§ 89 c, 110 II und 121 II). S. 1 gewährt den Vertretern der JGH in demselben Umfang wie dem Verteidiger ein Verkehrs- 2 recht mit dem in UH befindlichen J. Das schriftliche und mündliche Verkehrsrecht des Verteidigers ist in §§ 148, 148 a StPO geregelt. Das Verkehrsrecht erleichtert es der JGH insbes., ihrer Pflicht zur beschleunigten Berichterstattung in Haftsachen (§ 38 II 3) nachzukommen. Wenn die UH vom ErwGericht angeordnet wird, ist das Recht der JGH gem. § 104 III beschränkbar. S. 2 gibt dem Betreuungshelfer (§ 10 I 3 Nr. 5) und dem ErzBeistand (§ 12 Nr. 1) ein entsprechendes Verkehrsrecht. Der Bewährungshelfer ist nicht erwähnt, weil sich dessen Verkehrsrecht bereits aus § 119 IV S. 2 Nr. 1 StPO ergibt.
§ 73 Unterbringung zur Beobachtung § 73 Unterbringung zur Beobachtung (1) Zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Entwicklungsstand des Beschuldigten kann der Richter nach Anhören eines Sachverständigen und des Verteidigers anordnen, daß der Beschuldigte in eine zur Untersuchung Jugendlicher geeignete Anstalt gebracht und dort beobachtet wird. Im vorbereitenden Verfahren entscheidet der Richter, der für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständig wäre. (2) Gegen den Beschluß ist sofortige Beschwerde zulässig. Sie hat aufschiebende Wirkung. (3) Die Verwahrung in der Anstalt darf die Dauer von sechs Wochen nicht überschreiten. 1. Hw.: RL 3; § 109 I 1. – 2. ErwG: RL 3; § 104 I Nr. 12. Richtlinien zu § 73: 1. Die Staatsanwaltschaft beantragt die Unterbringung zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Entwicklungsstand von Jugendlichen nur, wenn die Bedeutung der Strafsache diese schwerwiegende Maßnahme rechtfertigt und eine Untersuchung nach § 43 Abs. 2 nicht ausreicht (vgl. die Richtlinie Nr. 8 zu § 43 sowie Nrn. 61 ff, Nr. 52 RiStBV). 2. Dem Beschuldigten, der keinen Verteidiger hat, ist ein solcher zu bestellen (§ 68 Nr. 3). 3. § 73 gilt auch im Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten (§ 104 Abs. 1 Nr. 12) und im Verfahren gegen Heranwachsende (§ 109 Abs. 1). Übersicht 1. 2. 3. 4. 5.
Anlass . . . . . Zweck . . . . . Dauer . . . . . Entscheidung Verfahren . . .
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Rn 1 4 5 6 8
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§ 73 1.
2. Teil. Jugendliche
Anlass
1 Im Verfahren gegen J und Hw. ist der Entwicklungsstand (Gegensatz: psychischer Zustand in § 81 StPO; Rn 4) von großer, oft entscheidender Bedeutung. Von ihm hängt bei J die strafrechtliche Verantwortlichkeit (§ 3), bei Hw. die Anwendung des J- oder ErwRechts (§ 105) ab; er beeinflusst die Auswahl der Maßnahmen und ihren Umfang (§ 43, 2). Die Feststellung des Entwicklungsstandes ist ein Teil der Persönlichkeitserforschung (§ 43). 2 Liegen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass Abweichungen vom normalen Entwicklungsstand bestehen (Ostendorf 3 „ungeklärter Entwicklungsstand“) und reicht eine ambulante Untersuchung zur Klärung nicht aus (§ 43 RL 8, Nr. 61 ff RiStBV), kann die Unterbringung in einer zur Untersuchung J geeigneten Anstalt geboten sein (§ 43, 15). Zur Durchführung einer ambulanten Untersuchung kann der Weg der Vernehmung des J nach § 80 StPO beschritten werden; es kommt auch eine eintägige Anstaltsunterbringung nach § 73 in Betracht (OLG Celle NStZ 91, 598 mit Anm. Wohlers NStZ 92, 347 zu § 81 StPO). 3 Die einschneidende Maßnahme der Anstaltsunterbringung ist gerade bei J nur am Platze bei dringendem Tatverdacht entsprechend §§ 112 StPO (vgl. Rn 6), wenn es sich um eine gewichtige Tat handelt (RL 1). Sie ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur zu vertreten, wenn JStrafe, eine längere Freiheitsstrafe oder Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 zu erwarten ist (Eisenberg 8). Lässt die Unterbringung Schäden erwarten, ist bes. Zurückhaltung geboten. Die Lücke in der Aufklärung muss ggf. hingenommen werden, Zweifel wirken zugunsten des Täters (Eisenberg 8). 2.
Zweck
4 Die Unterbringung nach § 73 dient nur der Klärung des Entwicklungsstandes, nicht der Aufklärung des Tatherganges. Doch muss der Sachverständige dem Gericht z. B. ein Geständnis oder eine andere für den Tathergang wichtige freiwillige Angabe mitteilen (Eisenberg 7; Verwertung: § 43, 15); als vom Gericht Beauftragter hat er kein Zeugnisverweigerungsrecht (BGH JR 61, 111; Anhang nach § 125, 17; Eisenberg 7). – Die Anordnung der Unterbringung berechtigt nicht zu körperlichen Untersuchungen und Eingriffen; für diese gelten §§ 81 a, 81 b StPO. Für die Begutachtung des psychischen Zustandes gilt § 81 StPO. Die Beobachtung des Entwicklungsstandes und Geisteszustandes (§§ 73 JGG, 81 StPO) kann durch die gleiche Unterbringung erfolgen; hier gilt für beide die einmalige Höchstdauer von 6 Wochen. Die gleichen Beobachtungen können aber auch nacheinander je bis zur Höchstdauer von 6 Wochen erfolgen (Potrykus B 6; Burscheidt S. 57 FN 165; zw. Eisenberg 6; aA Ostendorf 4; DSS/Diemer 13 f; Nothacker S. 330). Der J kann daneben auch nach § 126 a StPO untergebracht werden; näher § 71, 9. 3.
Dauer
5 Die Unterbringung darf nur für die Dauer von 6 Wochen (länger nur bei UHaft: RG 34, 308 ff; Ausnahme auch Rn 4 aE) angeordnet werden (Abs. III), was zweckmäßig im Beschluss ausgesprochen wird (beachte RiStBV 62). Setzt das Gericht aus bes. Gründen eine kürzere Frist, ist deren Verlängerung oder die spätere Ergänzung der Untersuchung bis zu 6 Wochen insgesamt möglich (RiStBV 62; Dallinger/Lackner 8; Eisenberg 11; Potrykus B 5; hM auch zu § 81 StPO). Die Untersuchung ist mit allen Mitteln zu beschleunigen; nach Abschluss der notwendigen Untersuchung ist der Untergebrachte sofort zu entlassen. 4.
Entscheidung
6 Die Entscheidung trifft das Gericht (Rn 8) nach pflichtgemäßem Ermessen. Es müssen ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der J die ihm angelastete Tat begangen hat (OLG
416
Unterbringung zur Beobachtung
§ 73
Düsseldorf JMBl. NRW 58, 213), und konkrete Anhaltspunkte für nach dem JGG relevante Abweichungen vom Entwicklungsstand (vgl. Rn 3). Das Gericht muss bei der Anordnung der Unterbringung die Anstalt bezeichnen (Dallinger/ 7 Lackner 17; Ostendorf 9), da es bestimmt, auf welche Weise die Aufklärung erfolgen und welcher Sachverständige die Beobachtung und Untersuchung leiten soll. Als Anstalten kommen bes. psychiatrische Krankenhäuser mit abgetrennter Unterbringung der J in Betracht, welche die Landesjustizverwaltungen bekannt gegeben haben. 5.
Verfahren
Das Verfahren gleicht dem nach § 81 StPO. In der Hauptverhandlung (§ 67 I; § 33 StPO) müs- 8 sen gehört werden: der J, die ErzBerechtigten oder gesetzlichen Vertreter; ein Sachverständiger (§ 43 II 2; dortige Rn 15), der Gelegenheit zur persönlichen Untersuchung gehabt haben muss; der sofort zu bestellende Verteidiger (RL 2; § 68, 24), der erst nach dem Gutachter gehört wird; der StA (§ 33 StPO) und hier grds. auch die JGH (§ 38 III). Auch für § 81 StPO ist umstritten, ob der Sachverständige in „klaren“ Fällen sich auch äußern darf, wenn er nur schriftliche Unterlagen und Akten eingesehen hat. Das KG (JR 65, 69) verlangt (bei Untersuchung nach § 81 StPO), dass der Sachverständige sich einen persönlichen Eindruck verschafft und den Beschuldigten untersucht haben muss; eine frühere Untersuchung in einem anderen Verfahren soll aber genügen. Da die Einschaltung des Sachverständigen einen rechtsstaatlichen Schutz darstellt, wird man auch für § 73 JGG dieser Entscheidung zustimmen; selbst in anscheinend klaren Fällen kann eine Begutachtung nur aufgrund Aktenlage zu falschen Ergebnissen führen. Ebenso Eisenberg 16; Ostendorf 8; Potrykus B 2; aA – mit Vorbehalt – Dallinger/Lackner 11. Zu § 81 StPO vgl. auch OLG Karlsruhe MDR 73, 425. – Es kann außerhalb der Hauptverhandlung auch ohne Anhörung des J und damit auch ohne Anhörung der gesetzlichen Vertreter und der ErzBerechtigten entschieden werden, es ist dies idR aber gleichwohl geboten (Eisenberg 14). Zuständig ist das Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist oder das bei gleichzeitiger Ankla- 9 ge-Erhebung nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständig wäre. Die Entscheidung kann auf Antrag (in der Sitzung je nach Fassung Beweisermittlungs- oder Beweisantrag; BGH LM § 244 III 2 StPO) oder von Amts wegen (ggf. auf Anregung z. B. des Sachverständigen) ergehen. Der Beschluss ist zu begründen (§ 34 StPO) unter Angabe der Frist (Rn 5) und der Anstalt (Rn 7). Der Anordnungsbeschluss ist gem. § 67 II; §§ 35 I, II 1; 41, 35 a StPO mit Rechtsmittelbelehrung zuzustellen, der Ablehnungsbeschluss gem. § 67 II; §§ 35 I, II 2; 41 StPO formlos mitzuteilen. Der Anordnungsbeschluss – entgegen § 305 S. 1 StPO auch, wenn er in der Hauptverhandlung 10 ergangen ist – kann gem. Abs. II (geht § 305 S. 1 StPO vor) mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden, die aufschiebende Wirkung hat (KG JR 65, 69 für § 81 StPO; Dallinger/Lackner 18; Eisenberg 20). Das Beschwerdegericht überprüft die ganze Entscheidung einschließlich der richtigen Ausübung des Ermessens (OLG Schleswig MDR 59, 415; Dallinger/Lackner 19; Eisenberg 23; Ostendorf 12), nach OLG Celle (MDR 66, 949) aber nicht die Auswahl des Sachverständigen (hier aA Ostendorf 12). Weitere Beschwerde ist ausgeschlossen (Eisenberg 24; hM auch für § 81 StPO). Über das Anfechtungsrecht des Verteidigers Rn 11. Der Ablehnungsbeschluss ist unanfechtbar (hM, auch zu § 81 StPO); liegt eine Verletzung der Aufklärungspflicht vor, kann allerdings auch das Revisionsgericht das Urteil deshalb aufheben (BGH RdJ 61, 313). – Die Vollstreckung betreibt der StA; sie kann erst nach Rechtskraft beginnen; es gilt RiStBV 62. Wegen der Kosten § 74, 9 u. dortige RL 4. Wegen der Anrechnung auf Strafe u. JA § 52 a, 1; RL 1; BGH 4, 325. Im Gegensatz zu § 81 StPO darf der Verteidiger nicht gegen den Willen des Beschuldigten (an- 11 ders nur im Auftrage des gesetzlichen Vertreters oder eines ErzBerechtigten) sofortige Beschwerde einlegen (zust. Eisenberg 22). Denn der Beschuldigte ist hier regelmäßig schuldfähig;
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§ 74
2. Teil. Jugendliche
überdies gewährt das Anfechtungsrecht des gesetzlichen Vertreters und der ErzBerechtigten genügend Schutz.
§ 74 Kosten und Auslagen § 74 Kosten und Auslagen Im Verfahren gegen einen Jugendlichen kann davon abgesehen werden, dem Angeklagten Kosten und Auslagen aufzuerlegen. 1. Hw. – J: RL 6; Rn 1; § 109 II 1. – 2. ErwG: RL 6; § 104 I Nr. 13. Richtlinien zu § 74: 1. Kosten und Auslagen werden Jugendlichen nur aufzuerlegen sein, wenn anzunehmen ist, dass sie aus Mitteln bezahlt werden, über die sie selbständig verfügen können, und wenn ihre Auferlegung aus erzieherischen Gründen angebracht erscheint. Reichen die Mittel der Jugendlichen zur Bezahlung sowohl der Kosten als auch der Auslagen nicht aus, so können ihnen entweder nur die Kosten oder nur die Auslagen oder ein Teil davon auferlegt werden. 2. Eine Entscheidung über die Kosten und Auslagen wird auch bei der Ergänzung rechtskräftiger Entscheidungen nach § 66 getroffen. Wenn in einer einbezogenen Entscheidung (§ 31 Abs. 2, § 66) von der Ermächtigung des § 74 kein Gebrauch gemacht worden ist, kann in der neuen Entscheidung ausgesprochen werden, dass es insoweit bei der früheren Kostenentscheidung verbleibt. Das wird sich besonders dann empfehlen, wenn aufgrund der früheren Kostenentscheidung bereits Kosten oder Auslagen eingezogen worden sind. 3. Gerichtsgebühren werden nach § 40 GKG berechnet. Bei der Einbeziehung einer Strafe nach § 31 Abs. 2 oder bei Ergänzung rechtskräftiger Entscheidungen nach § 66 ist bei der Berechnung der Gerichtsgebühren § 41 GKG zu beachten. 4. Zu den Auslagen des Verfahrens gehören auch die Kosten einer einstweiligen Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe (§ 71 Abs. 2, § 72 Abs. 4) und einer Unterbringung zur Beobachtung (§ 73). 5. Die Kosten, die Jugendlichen dadurch entstehen, dass sie einer ihnen erteilten Weisung (§ 10) oder Auflage (§ 15) nachkommen, gehören nicht zu den Kosten und Auslagen im Sinne des § 74. Sie werden von ihnen selbst oder von für sie leistungspflichtigen oder leistungsbereiten Dritten getragen. 6. § 74 gilt auch im Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten (§ 104 Abs. 1 Nr. 13), im Verfahren gegen Heranwachsende nur, wenn der Richter Jugendstrafe anwendet (§ 109 Abs. 2). Schrifttum: Baumhöfener JStrafverteidiger. Eine Untersuchung im Hinblick auf § 74 JGG, 2007; Fromm Nebenklagekosten im JGerichtsverfahren, ZJJ 10, 387; Körner Die Kostentragung im JStrafverfahren, 2004. Übersicht 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Freispruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kosten und Auslagen, Gesamthaftung . . . . . . . . . . . 5. Notwendige Auslagen des Angeklagten bei Verurteilung 6. Auslagen des Nebenklägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Rechtsanwaltsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Kostenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Privat- und Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rn 1 2 3 6 7 8 9 11 12 13 15
Grundsätze
1 § 74 baut auf den Kostenvorschriften des allg. Rechts auf, die auch im JRecht gelten; so tritt z. B. die gesamtschuldnerische Haftung gem. § 466 StPO auch bei Verurteilung zu JA ein (KG JR 62,
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Kosten und Auslagen
§ 74
271). Doch gibt § 74 dem JRichter die Möglichkeit, den J aus erz. Gründen von Kosten und Auslagen ganz oder teilweise (Rn 3) zu entlasten, um ihn von einer zusätzlichen, oftmals schädlichen und uU resozialisationsfeindlichen Belastung freizustellen (OLG Düsseldorf NStZ-RR 96, 24; OLG Koblenz StV 99, 665; OLG Saarbrücken ZJJ 09, 262 u. LG Saarbrücken ZJJ 09, 263 mit zust. Anm. Möller; ZJJ 10, 428; Rn 4). Dies nützt die Praxis zu Recht in weitem Umfang. Kann der J aber die Kosten aus eigenen Mitteln begleichen (RL 1) oder ist es ihm möglich und zumutbar, sie durch Arbeit aufzubringen, so kann es im Einzelfall gerade erz. geboten sein, ihm durch Auferlegung von Kosten auch die finanziellen Folgen seiner Tat vor Augen zu stellen (OLG Düsseldorf aaO; KG NStZ-RR 07, 64; LG Freiburg NStZ-RR 00, 183; Eisenberg 9 „ausnahmsweise“; näher Rn 3 aE). Gerade bei oftmals gut verdienenden Hw. wird dies häufiger zutreffen als bei J (OLG Hamm ZJJ 08, 193, 194). 2.
Freispruch
Bei Freispruch sind wie bei Erw. die Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen des J der 2 Staatskasse aufzuerlegen. Das gilt auch bei Freispruch wegen erwiesener oder möglicher Altersunreife (§ 3 S. 1; zu § 3 S. 2 s. Rn 5). Die Kosten für einen Wahlverteidiger sind auch dann notwendige Auslagen des J, wenn jener allein vom gesetzlichen Vertreter oder ErzBerechtigten ausgewählt und bevollmächtigt wurde (LG Bückeburg NJW 60, 1026), es sei denn, die ErzBerechtigten übernehmen dem Rechtsanwalt gegenüber ausdrücklich die Kosten (Eisenberg 7 u. NJW 84, 2917; aA Ostendorf 5 unter Hinweis auf § 683 BGB). Bei der Vergütungsbemessung darf die Angelegenheit nicht allein deshalb als unterdurchschnittlich bewertet werden, weil eine Verurteilung nach JStrafrecht erfolgte und die Diskrepanz zur Strafandrohung in ErwStrafsachen durch eine Herabsetzung der angemessenen Gebühr auszugleichen wäre (LG Essen StV 08, 375). § 74 gilt auch für 25 die obligatorischen Auslagen-Ausnahmen nach § 467 II 2, III 1, V StPO (Löwe/Rosenberg/Hilger § 465 StPO 8; vgl. aber allg. dazu Rn 7); hier können aber auch die Grundsätze des § 74 gegen eine Freistellung sprechen. Zu den fakultativen Auslagen-Ausnahmen des § 467 III 2 Nr. 1 und 2, IV tritt zusätzlich der Sinngehalt und das Ermessen nach § 74 (Rn 4). 3.
Verurteilung
Da § 74 JGG den starren § 465 I 1 StPO abwandelt, müssen im JRecht dem Verurteilten (Rn 5) die 3 Kosten und Auslagen nicht auferlegt werden (Form: § 54, 7); auch teilweise Auferlegung ist möglich (s. RL 1 S. 2; z. B. nur Gebühren, nur Auslagen, bestimmte Auslagen, eine bestimmte Summe, einen prozentualen Anteil; OLG Hamm NJW 63, 1168); eine komplizierte Aufteilung ist aber abzulehnen. Ist der Angeklagte wegen des schwerwiegenderen Teils des Anklagevorwurfs nicht verurteilt worden, kann die Belastung mit den ganzen Kosten unbillig sein (BGH StV 96, 276; §§ 465 II, 464 d StPO). Auch wenn die Kostenauferlegung erz. angemessen erscheint, ist eine teilweise Entlastung geboten, wenn durch die notwendige Beweisaufnahme bes. hohe Kosten (über 550 Euro) entstanden sind, denen gegenüber die eigentliche Sanktion (20 Stunden gemeinnützige Arbeit) in den Hintergrund treten könnte (LG Freiburg NStZ-RR 00, 183). Mit der bloßen Feststellung, der Angeklagte verdiene, kann die Kostenauferlegung nicht begründet werden, wenn feststeht, dass er wöchentlich nur 5 Euro Taschengeld erhält und erhebliche Kosten angefallen sind (BGH bei Herlan GA 64, 135). Das Gericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen (KG NStZ-RR 99, 121; 07, 64), wobei 4 es die wirtschaftlichen Verhältnisse des J (RL 1; BGH B NStZ 94, 531: Mittellosigkeit des zur Tatzeit 16-jährigen Angeklagten; OLG Saarbrücken ZJJ 09, 262: Angeklagter ist Schüler u. erzielt kein eigenes Einkommen; LG Osnabrück StV 90, 509 = JurBüro 90 Sp. 1031 mit Anm. Mümmler: Angeklagter lebt nur von Sozialhilfe, sodass Auferlegung der Verfahrenskosten ihn in finanzielle Schwierigkeiten bringen würde; LG Saarbrücken ZJJ 09, 263: Angeklagter hat ledig-
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lich Aussicht auf ein geringes Einkommen; ZJJ 10, 428: Angeklagter lebt bei den Eltern, ist ohne Arbeit und ohne eigenes Einkommen), die Art der Tat (OLG Hamm ZJJ 08, 193, 194; kritisch Eisenberg 8; abl. Ostendorf 6 u. Kahlert Verteidigung in JStrafsachen 2. Aufl. 1986 S. 104, weil dann Kosten zur Nebenstrafe würden) und das Verhalten im Verfahren (mutwilliges Erzwingen einer größeren Beweisaufnahme, böswillige Verzögerung des Verfahrens) berücksichtigen muss (KG NStZ-RR 99, 121; Löwe/Rosenberg/Hilger § 465 StPO 9: „Unrechtseinsicht und Besserungswille sowie sonstige zukunfts- und erzorientierte Überlegungen“; Grotenbeck Zbl. 80, 439; Hinrichsen JKriminalrecht 1957 S. 132; aA Eisenberg 8 „keineswegs vorrangig zu berücksichtigen“). Entscheidend sind grds. erz. Gründe (RL 1; OLG Jena NStZ-RR 98, 153; LG Gera StV 99, 666); einerseits muss eine wirtschaftliche Gefährdung des J vermieden (BGH B NStZ-RR 01, 326; OLG Hamm ZJJ 08, 193, 194), ihm nach Strafentlassung der Start erleichtert werden (BGH B NStZ 97, 484), andererseits kann es notwendig sein, dem Angeklagten durch Auferlegung der Kosten zu zeigen, dass er für alle Folgen seiner Taten einzustehen hat (OLG Koblenz OLGSt zu § 74 S. 9; KG NStZ-RR 99, 121; 07, 64; OLG Hamm aaO; vgl. auch Grotenbeck Zbl. 80, 439). Kann die Kostenauferlegung einem Neuanfang des Angeklagten entgegenstehen und dient die Kostenentscheidung auch nicht einer Unterstützung von Strafzwecken, ist daher von einer Auferlegung der Kosten abzusehen (BGH StV 98, 351; NStZ-RR 06, 224). Die Gefahr der Abwälzung der Leistungserbringung ist zu beachten (Eisenberg 8). Die Erwägung, dass der J lernen müsse, alle Konsequenzen seines Fehlverhaltens zu tragen, rechtfertigt die Kostenauferlegung nicht, wenn der J von Sozialhilfe lebt und ihn die Auferlegung in finanzielle Schwierigkeiten bringen würde (LG Osnabrück StV 90, 509) oder wenn nicht abzusehen ist, ob, wann und in welcher Höhe der vermögenslose J über Arbeitseinkommen verfügen wird (BGH B NStZ 91, 524; OLG Jena NStZ-RR 98, 153; LG Gera StV 99, 666). Bei geringem Einkommen des J kann eine Kostenentlastung angezeigt sein, um ihm einen Anreiz zu geben, durch geregelte Tätigkeit seine Einkommensverhältnisse zu verbessern (LG Köln B NStZ 97, 484). Gegen die Anwendung des § 74 sprechen Einkünfte des Angeklagten aus fortgesetzter Erwerbstätigkeit (BGH NStZ-RR 05, 247). Bei einem Hw. kommt eine Belastung mit den Kosten und Auslagen eher in Betracht als bei J (OLG Hamm NJW 63, 1168; KG NStZ-RR 99, 121; 07, 64). Erz. Überlegungen haben nur eine untergeordnete Bedeutung, wenn die zur Tatzeit hw. Angeklagten zZ der Aburteilung seit langem Erw. sind (KG NStZ-RR 99, 121). Für die Anwendung des § 74 besteht bei einem Hw. keine Veranlassung, der eine gut dotierte Arbeitsstelle aufgegeben hat, um seinen Lebensunterhalt durch Bandendiebstähle oder Einzeltaten zu verdienen (OLG Düsseldorf MDR 93, 1113). 5 Eine Verurteilung iSd Kostenrechts liegt auch vor, wenn nur ErzMaßregeln angeordnet oder Zuchtmittel verhängt sind (KG JR 62, 271). Dasselbe gilt, wenn der Angeklagte nach § 20 StGB freigesprochen, ihm aber die Fahrerlaubnis entzogen wird (OLG Oldenburg NJW 64, 2439). Entsprechendes gilt bei Freispruch oder Einstellung gem. § 3, wenn der JRichter Maßnahmen nach § 3 S. 2 anordnet; doch dürfte hier idR von einer Auferlegung der Kosten gem. § 74 abzusehen sein. Auch die Entscheidung nach § 27 enthält eine an sich (§ 465 I StPO) zur Kostentragung verpflichtende Verurteilung (LG Wuppertal EJF C I 35; Dallinger/Lackner 2; Eisenberg 5; Ostendorf 4; Schnitzerling MDR 62, 541; aA Potrykus RdJ 56, 281). Sie kann allerdings im Nachverfahren (§ 30) nachgeholt werden. – Wegen der Einbeziehung in eine Einheits“strafe“ nach § 31: RL 2, 3 S. 2. Zu § 47 dort Rn 14. Ist in dem einbezogenen Urteil von § 74 kein Gebrauch gemacht worden, geschieht dies aber in dem neuen Urteil gem. § 31, sind aufgrund der früheren Verurteilung gezahlte Kosten dem Verurteilten zu erstatten bzw. vorgenommene Aufrechnungen rückgängig zu machen (AG Frankfurt B NStZ 91, 523).
4.
Kosten und Auslagen, Gesamthaftung
6 Unter Kosten und Auslagen fallen die Kosten des Ermittlungsverfahrens, die Gerichtsgebühren, die Gerichtsauslagen, die Vollstreckungskosten sowie die erstattungsfähigen Aufwendungen
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Kosten und Auslagen
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anderer Verfahrensbeteiligter (§ 464 a StPO; näher Rn 7). Werden mehrere Angeklagte wegen derselben Tat verurteilt (§ 466 StPO) und wird bei einem von ihnen nach § 74 von der Auferlegung der Kosten oder Auslagen abgesehen, so bleibt der auf diesen entfallende Kopfteil außer Ansatz, um nicht die Entscheidung nach § 74 durch ev. Rückgriff aus der Gesamthaftung unterlaufen zu lassen. Soweit also bei dem beteiligten J auch von der Auferlegung von Auslagen nach § 74 abgesehen wird, fällt dessen Anteil (z. B. Zeugenentschädigung) der Staatskasse zur Last und tritt bei dem anderen Verurteilten keine Gesamtschuldnerhaftung ein (OLG Koblenz StV 99, 665). Eine unvollständige Kostenentscheidung darf auf sofortige Beschwerde, aber nicht von Amts wegen ergänzt werden (OLG Düsseldorf MDR 86, 76).
5.
Notwendige Auslagen des Angeklagten bei Verurteilung
Unstreitig kann nach § 74 davon abgesehen werden, dem J die erstattungsfähigen, vermögenswer- 7 ten Aufwendungen eines anderen Verfahrensbeteiligten aufzuerlegen. Es darf aber nicht unterstellt werden, dass § 74 mit „Kosten und Auslagen“ lediglich die Vorschrift des § 464 a I 1 StPO wiederholt, welche die Kosten des Verfahrens als Gebühren und Auslagen (eines anderen Beteiligten; vgl. Rn 6) definiert. Da zudem unstreitig § 464 a II StPO mit „Beteiligten“ auch den Angeklagten selbst meint (OLG Frankfurt NStZ 84, 422; Eisenberg 15; Löwe/Rosenberg/Hilger § 464 a StPO 22; Mellinghoff NStZ 82, 407), umfasst die allg. Freistellung nach § 74 („Kosten und Auslagen“) auch die eigenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen des J, insbes. also neben den Gebühren für den Pflichtverteidiger (Schaffstein/Beulke S. 259; Hartmann-Hilter Notwendige Verteidigung 1989 S. 182) auch die Gebühren des Wahlverteidigers (OLG Stuttgart Rpfl. 82, 438; OLG Oldenburg B NStZ 84, 447; LG Nürnberg-Fürth AnwBlatt 77, 263 u. Beschl. v. 21. 4. 1983 – Jug Qs 42/83; LG Regensburg JurBüro 78 Sp. 86 mit abl. Anm. Mümmler; LG Darmstadt MDR 82, 603; LG Münster NStZ 83, 138; LG Heidelberg Zbl. 85, 470; LG Osnabrück StV 90, 509 = JurBüro 90 Sp. 1031 mit abl. Anm. Mümmler; Eisenberg 15 u. NJW 84, 2917; Nix/Nicolai 9; Ostendorf 10; Schaffstein/Beulke S. 259; Albrecht S. 345; Nothacker S. 133; Bottke in BMJ, Hrsg., Verteidigung in JStrafsachen, 1987 S. 89; Herde DAR 84, 309; Mellinghoff NStZ 82, 405 ff; Körner S. 102; Baumhöfener S. 110). Zur Verpflichtung der Staatskasse unten 7 a. Die Gegenmeinung (BGH 36, 27 = NStZ 89, 239 mit abl. Anm. Brunner = StV 89, 309 mit abl. Anm. Ostendorf; BGH B NStZ-RR 01, 326; BGH NStZ-RR 06, 224; OLG Frankfurt GA 94, 286 unter Aufgabe von NStZ 84, 138; KG JR 83, 37; OLG München NStZ 84, 138; OLG Düsseldorf MDR 91, 561; OLG Zweibrücken B NStZ 91, 524; NStZ 92, 530 auch für den Fall einer vom Verteidiger eingelegten, nach § 55 II unzulässigen Revision; OLG Oldenburg NStZ-RR 08, 64; LG Augsburg 84, 263; LG Düsseldorf AnwBl. 85, 151; Mümmler JurBüro 75, 109; KK/Gieg § 465 StPO 4; Meyer-Goßner § 465 StPO 1; HK-GS/Meier § 465 StPO 12; Waldschmidt NStZ 84, 139; Schmidt AnwBl. 84, 263) verkennt, dass der Sinngehalt des § 74 fordert, den J ggf. auch von den zumeist gerade erheblicheren eigenen notwendigen Auslagen freizustellen, weil sonst aus dieser erz.- und resozialisationsfreundlichen Vorschrift ein Kernstück herausgebrochen würde (vgl. allg. dazu OLG Hamm NJW 63, 1168 mwN). Fiskalische Bedenken können eine der erzfremden Geldstrafe ähnliche Belastung des J nicht rechtfertigen (vgl. Mellinghoff S. 408), denn § 74 ordnet sich als „Ausdruck jstrafrechtlicher Flexibilität“ (Nothacker S. 217) dem Primat der Erz. und dem Bestreben ein, mit maßvollem Eingreifen zu (Re)Sozialisierung und künftig straffreiem Leben beizutragen. Auch Ostendorf (ZRP 88, 432) betont, dass Kostentragung das Präventionsziel der eigentlichen Sanktionierung verhindern könne. Vgl. ergänzend Brunner NStZ 89, 239 u. Ostendorf StV 89, 309. Es kann der JRichter allerdings nicht durch bloßes Absehen nach § 74 entgegen § 467 I StPO die 7 a Staatskasse zu einer Leistung zugunsten des J verpflichten (OLG Stuttgart Rpfl. 82, 438; LG Düsseldorf JurBüro 85, 910); will er dies, so muss er diese Auslagen ausdrücklich der Staatskasse überbürden (§ 464 II StPO), weil – außer durch zulässige Billigkeitserwägungen im Falle eines Freispruchs – niemand, auch die Staatskasse nicht, ohne förmlichen Ausspruch des Gerichts zur Erstattung notwendiger Auslagen eines Verfahrensbeteiligten herangezogen werden kann (OLG
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Frankfurt Rpfl. 78, 148; OLG Zweibrücken Rpfl. 79, 110; OLG Frankfurt B NStZ 82, 416; LG Bonn JurBüro 84, 1053; LG Hof JurBüro 85, 908; LG Düsseldorf JurBüro 85, 910; Eisenberg 21; Ostendorf 13; wohl auch Mellinghoff aaO, S. 409; Mümmler, aaO S. 311). Schweigt das Urteil deshalb in der Kostenentscheidung nach § 74 über die notwendigen Auslagen des J, so hat er sie selbst zu tragen (OLG Zweibrücken Rpfl. 79, 110, das offen lässt, ob § 74 es erlaubt, notwendige Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen; OLG Frankfurt Rpfl. 78, 148; Mümmler aaO S. 312; OLG Karlsruhe MDR 76, 513 für allg. Recht; aA – es genüge bloße Wiedergabe des Wortlauts des § 74 – LG Regensburg JurBüro 78, 86 mit abl. Anm. Mümmler; LG Darmstadt MDR 82, 603 „nach Sinn u. Zweck des § 74“; LG Frankfurt StV 83, 69; Baumhöfener S. 113). Häufig wird es aber gerade aus erz. Gründen möglich und geboten sein, den J zumindest seine notwendigen Auslagen tragen zu lassen (vgl. RL 1; BGH bei Herlan GA 64, 135; Mellinghoff aaO, S. 409; abl. Ostendorf 11, der aber den J wenigstens von den Eigenlasten, z. B. Fahrtkosten, nicht freistellen will). 6.
Auslagen des Nebenklägers
8 Bei J ist Nebenklage in den Fällen des § 80 III, bei Hw. stets zulässig. Der Verurteilte hat die Auslagen des Nebenklägers nach § 472 I StPO nur dann zu tragen, wenn sie ihm ausdrücklich auferlegt worden sind (KG JR 96, 216 f mit Anm. Eisenberg/Schimmel; OLG Stuttgart Justiz 88, 170; MeyerGoßner § 472 StPO 10; Fromm ZJJ 10, 387). Der JRichter kann gem. § 74 auch davon absehen, dem Hw. die dem Nebenkläger entstandenen Auslagen aufzuerlegen; er kann ihm auch nur einen ziffernmäßig oder prozentual bestimmten Teil dieser Auslagen aufbürden (BGH B NStZ-RR 01, 326; OLG Hamm NJW 63, 1168; Schnitzerling DAR 66, 40). Doch können gerade erz. Gründe gebieten, den Verurteilten mit den Auslagen des Nebenklägers zu belasten (OLG Hamm NJW 63, 1168). So kann dem Täter eines Tötungsdelikts verdeutlicht werden, dass auch der Nebenkläger zu den Opfern seiner Tat zählt (OLG Hamm ZJJ 08, 193). Es wird bei der Entscheidung die Frage des TäterOpfer-Ausgleichs (vgl. § 10, 12 f) und auch zu berücksichtigen sein, dass durch solche Freistellung allzu leicht die durch die Verurteilung deutlich gemachte Verantwortlichkeit für begangenes Unrecht abgeschwächt und der Eindruck eines Teilsieges erweckt werden kann (KG JR 96, 216 mit abl. Anm. Eisenberg/Schimmel; vgl. auch Eisenberg § 109, 30 a). Zu berücksichtigen wird sein die Verwerflichkeit des Verhaltens gegenüber dem Nebenkläger und ob die Nebenklage bei sachlicher Betrachtung als gerechtfertigt oder mutwillig erscheint (vgl. OLG Hamm NJW 63, 1168, Eisenberg, Schnitzerling je aaO; Mantler EJF C I 2; Roestel SchlHA 56, 300). Unterbleiben solche Erwägungen, liegt regelmäßig ein Rechtsfehler vor (OLG Hamm aaO). Bei Freistellung nach § 74 kann der Nebenkläger seine Auslagen nicht vom Verurteilten fordern, aber auch nicht von der Staatskasse (OLG Hamm NJW 63, 1168; OLG Celle MDR 75, 338; OLG Saarbrücken NJW 73, 1943; OLG Frankfurt JurBüro 78, 78 u. Beschl. v. 22. 4. 81 SjE F I 3; KG JR 96, 217; LG Frankfurt Zbl. 64, 178; LG Heidelberg Justiz 71, 33 für § 153 III StPO aF; Dallinger/Lackner § 109, 19; Eisenberg 30 a; Ostendorf 12; Nothacker S. 134; Löwe/Rosenberg/Hilger § 472 StPO 7; Schmidt SchlHA 64, 85; Schnitzerling RdJ 62, 11 u. DAR 66, 40; Stöber Rpfl. 64, 42; aA OLG Zweibrücken AnwBl. 73, 86; LG Saarbrücken NJW 63, 2334 mit abl. Anm. Tschischgale; LG Darmstadt NJW 64, 1736; NJW 72, 1209 u. NStZ 83, 235; AG GroßGerau NJW 69, 707). Das Kostenrisiko des Nebenklägers ergibt sich aus dem Gesetz. Wegen den Nebenklagekosten bei zugelassener, aber nach § 80 III unzulässiger Nebenklage § 80, 11. Bei Einstellung des Verfahrens nach § 153 II oder § 153 a II StPO darf der Angeklagte nicht mit den notwendigen Auslagen des Nebenklägers belastet werden, auch nicht über eine analoge Anwendung des § 471 III Nr. 2 StPO (LG Frankfurt NStZ 81, 451; aA für § 153 II StPO OLG Stuttgart Justiz 81, 57). Vgl. auch § 48, 20. 7.
Einzelheiten
9 Die Verurteilung zu ErzMaßregeln und Zuchtmitteln, auch die Aussetzung der Verhängung der JStrafe nach § 27 lassen keine Gerichtskosten anfallen (Vorbem. 3.1 zu Kostenverzeichnis
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3110 ff sieht dies nicht vor); hierdurch entstandene gerichtliche Auslagen können aber auferlegt werden (KG JR 62, 271). Die Kosten, welche dem J durch die Befolgung der Weisung oder Auflage entstehen, gehören nicht zu den Kosten und Auslagen des § 74 (RL 5 u. § 10, 17, 22 a). Ostendorf (ZRP 88, 432) allerdings hält es für möglich und angebracht, entgegen der hM diese Kosten als notwendige Auslagen zu definieren und nach § 74 auf die Staatskasse abzuwälzen, was über § 467 I StPO auch für Maßnahmen nach §§ 45, 47 gelten soll. Vgl. dazu § 10, 22 a u. § 45, 41. Haftkosten in JA-Anstalten werden nicht erhoben (insgesamt zust. Eisenberg 10–12; Ostendorf 8). Berechnet werden die Gerichtskosten bei nachträglicher Bildung einer Einheitsstrafe (§§ 31 II, 66) nach Vorbem. 3.1 (5) zu Kostenverzeichnis 3110 ff und bei Maßregeln der Besserung und Sicherung nach Vorbem. 3.1 (4) zu Kostenverzeichnis 3110 ff. Zu den Auslagen zählen die Kosten der UHaft, der einstweiligen Unterbringung in einem 9 a Heim der ErzHilfe (RL 4; §§ 71 II, 72 III; OLG Dresden DVJJ-J 98, 279) und der Unterbringung zur Beobachtung (RL 4; § 73), nicht aber Heimkosten infolge einer mit der Außervollzugsetzung des Haftbefehls verbundenen Weisung, Aufenthalt in einem Heim zu nehmen (OLG Frankfurt NStZ-RR 96, 183; OLG Jena NStZ-RR 97, 320; OLG Koblenz NStZ-RR 09, 160; aA LG Osnabrück NdsRpfl. 01, 23). Hinsichtlich der Auslagen für Vollstreckung und Vollzug der JStrafe gilt, dass nach den JStVollzG der Bundesländer unter bestimmten Voraussetzungen Kostenbeiträge erhoben werden (Ostendorf 9). Für Rechtsmittel fällt nur eine Gebühr an, auch wenn sie Angeklagter und gesetzlicher Vertre- 9 b ter oder ErzBerechtigter eingelegt haben, weil die Gebühr für die Instanz, nicht für das Rechtsmittel gilt (Ostendorf 5). Wird auf Berufung ein Dauerarrest von 4 Wochen durch einen kombinierten Ausspruch von Verwarnung, Geldbuße und Freizeitarrest ersetzt, so ist dies – in der Abstufung der Zuchtmittel – ein nicht unerheblicher Erfolg im kostenrechtlichen Sinne (§ 473 StPO; OLG Karlsruhe Justiz 82, 59). Im OWiG-Verfahren kann auch die Verwaltungsbehörde davon absehen, dem J und Hw. die 10 Kosten des Bußgeldverfahrens sowie Auslagen, die einem anderen Verfahrensbeteiligten (vgl. § 472 b I 2 StPO) entstanden sind, aufzuerlegen (§§ 74, 109 II iVm § 105 I OWiG); auch teilweise Auferlegung ist möglich. Es gelten auch hier die bereits ausgeführten erz. Erwägungen, insbes. soll der J und Hw. nur aus eigenen Mitteln Kosten zahlen. Anders bei der Zumessung der Geldbuße nach dem OWiG (Vor § 76, 3).
8.
Rechtsanwaltsgebühren
Hinsichtlich der Rechtsanwaltsgebühren gelten keine Besonderheiten (§ 2 II 1 RVG iVm 11 Nr. 4100 ff RVG-VV); wegen der Gebühren bei JKammer-Sachen Nr. 4112, 4114, 4118 u. 4120 RVG-VV; vgl. auch OLG Zweibrücken StV 82, 349. Zur Honorarverpflichtung des J § 68, 2 u. 14 aE. Die sofortige Beschwerde gem. § 59 I 2 lässt für den Verteidiger keine bes. Vergütung anfallen (OLG Koblenz MDR 73, 957 gegen LG Lübeck NJW 63, 2336; näher § 59, 3 aE). Wegen der notwendigen Auslagen bei erfolgreicher Beschwerde gegen ablehnende Entscheidungen nach § 88 OLG Hamburg zu § 61 I StGB aF (JR 74, 342 mit kritischer Anm. Meyer). Die Kosten des Pflichtverteidigers fallen nach Verurteilung dem J zur Last (§§ 465, 464 a I StPO), falls nicht nach § 74 von der Auferlegung abgesehen wird. Vgl. § 68, 14 aE. Der Pflichtverteidiger kann auch im JGerichtsverfahren Ansprüche gegen seinen Mandanten gem. § 52 RVG geltend machen (OLG Hamm NJW 61, 1640; Reiche SchlHA 65, 225; Ostendorf § 68, 17 u. StV 86, 311; Baumhöfener S. 117; Bedenken Eisenberg 17 a u. NJW 84, 2917 FN 42). Das LG Heidelberg (Zbl. 85, 470) hat dem Pflichtverteidiger bei kostenfälliger Verurteilung eines mittellosen J den durchgreifenden Anspruch auf Wahlverteidigergebühren versagt und bei Beurteilung der Leistungsfähigkeit nach § 100 II BRAGO (jetzt § 52 II RVG) einen Anspruch nach § 74 gegen die Staatskasse nicht berücksichtigt, weil § 74 den J schützen soll. Hier wird sorgfältig abzuwägen sein. Zu den Gebühren des Wahlver-
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2. Teil. Jugendliche
teidigers auch Rn 2. Die Verfahrenskosten des J gehören nicht zu seinem Unterhaltsanspruch gegen die Eltern (OLG Düsseldorf MDR 82, 342). 9.
Kostenhaftung
12 Für die Kosten haftet stets nur das Vermögen des J oder Hw., da sich die Pflicht zur Kostentragung nach sachlichem Recht richtet und der gesetzliche Vertreter wie der ErzBerechtigte nur das Recht des J wahrt. Wenngleich der mit seinem Rechtsmittel erfolglos gebliebene gesetzliche Vertreter oder ErzBerechtigte nur mit dem seiner Verwaltung unterliegenden Vermögen des von ihm Vertretenen haftet, werden ihm im Urteilstenor die Berufungskosten überbürdet (BGH 8, 346; OLG Hamm bei Dölling NStZ 09, 200; Dallinger/Lackner § 67, 20; Löwe/Rosenberg/Hilger § 473 StPO 10; Schäfer NStZ 98, 333). Die OLG Hamburg MDR 68, 73; Düsseldorf MDR 85, 77 und Schleswig bei Lorenzen/Schiemann SchlHA 98, 196 erlegen dem gesetzlichen Vertreter die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels dann nicht auf, wenn der J von Kosten freigestellt wurde (ebenso Eisenberg 24 u. Ostendorf 5). Fehlt dem Berufungsführer die gesetzliche Vertretungsvollmacht, so haftet er als vollmachtloser Vertreter mit seinem eigenen Vermögen (LG Lüneburg Nds. Rpfl. 66, 274; Löwe/Rosenberg/Hilger § 473 StPO 9; Eisenberg 19). 10.
Rechtsmittel
13 Die Kostenentscheidung unterliegt der sofortigen Beschwerde nach § 464 III 1 StPO, welche aber dem § 55 II unterfällt (§ 55, 14; OLG Hamm JMBl. NRW 83, 65; StV 99, 667; OLG Oldenburg NStZ-RR 06, 191; DSS/Schoreit 20; Bode Das Wahlrechtsmittel im Strafverfahren, 2000 S. 131; krit. Eisenberg § 55, 72; abl. Ostendorf 14). Beanstandet die Revision gegen ein Urteil des JRichters allein die Nichtanwendung des § 74, ist sie als sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung anzusehen, über die nicht das Revisionsgericht, sondern die JKammer zu entscheiden hat (OLG Düsseldorf NStZ-RR 99, 252). Die vom LG nach Revisionsrücknahme gem. § 473 I StPO, § 74 getroffene Kosten- und Auslagenentscheidung ist unanfechtbar (OLG Dresden NStZ-RR 00, 224; KG NStZ-RR 08, 263). Die Ermessensentscheidung des Tatgerichts unterliegt nur einer begrenzten Kontrolle durch das Beschwerdegericht auf fehlerfreie Ermessensausübung (OLG Hamm ZJJ 08, 193; KG NStZ-RR 08, 291). Ergibt das Urteil (Tenor u. Gründe), dass offensichtlich gar nicht geprüft wurde, ob § 74 eingreift, so ist dies ein Ermessensfehlgebrauch und das Urteil auch zugunsten der Mitangeklagten, die kein Rechtsmittel eingelegt haben, aufzuheben (§ 357 StPO; BGH 16, 263; OLG Hamm NJW 63, 1168; OLG Düsseldorf NStZRR 96, 24; Dallinger/Lackner 16; Eisenberg 26; Ostendorf 14). Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist bei einer erfahrenen JKammer jedoch davon auszugehen, dass sie sich der Möglichkeit des § 74 bewusst gewesen ist, auch wenn in den Urteilsgründen Ausführungen hierzu fehlen (OLG Düsseldorf MDR 93, 1113). Die Nichtbegründung einer Kostenentscheidung nach § 74 gefährdet deren Bestand nicht, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt, dass das Gericht sich bewusst war, eine Ermessensentscheidung zu treffen und dass es von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat (BGH NStZ-RR 06, 224). Die Kostenbeschwerde ist nach § 464 III 1 HS 2 StPO unzulässig, wenn die Hauptentscheidung nicht angefochten werden kann. Ausnahmsweise ist die Beschwerde jedoch zur Beseitigung groben prozessualen Unrechts zulässig (BVerfG DVJJ-J 96, 395). 14 Wegen des Ausspruchs im Urteil: § 54, 7. 11.
Privat- und Widerklage
15 § 74 gilt auch sonst. Bei Widerklagen (§ 80 II) gibt er einen Anhalt für die Ausübung des Ermessens bei der Kostenverteilung nach § 471 III StPO. Wegen der bes. Parteistellung kann es hier al-
424
Vorbemerkung
lerdings erz. bedenklich sein, dem unterliegenden J die Kosten nicht aufzuerlegen. – Ob § 74 entsprechend angewendet werden kann, wenn ein J eine unbegründete Anzeige erstattet (§ 469 StPO) oder ein J einen Strafantrag zurückgenommen hat (§ 470 StPO) und ihm nach allg. Recht die Kosten aufzuerlegen wären, ist eher zu verneinen (vgl. OLG Stuttgart MDR 82, 510), zumal § 74 nach seinem klaren Wortlaut („gegen“) nicht für den j. Privatkläger gilt, gegen den keine Widerklage erhoben ist (Löwe/Rosenberg/Hilger § 471 StPO 39; Eisenberg 3). Zu den Auslagen für den Dolmetscher Einf. I 21.
Achter Unterabschnitt Vereinfachtes Jugendverfahren Vorbemerkung Vorbemerkung Für die polizeiliche Verwarnung ohne oder mit Verwarnungsgeld wegen einer Ordnungswid- 1 rigkeit durch die Polizei gilt Folgendes: Die Altersreife bestimmt sich nach den Regeln von § 1 II JGG; § 19 StGB. Ein Kind kann nicht 1 a ordnungswidrig handeln (§ 19 StGB; § 12 I 1 OWiG); es kann deshalb nicht – auch nicht ohne Verwarnungsgeld – verwarnt (§ 56 OWiG) werden; der Polizeibeamte wird es ermahnen, aufklären oder belehren. Bei J kommt es darauf an, ob sie ihrer Entwicklung nach für die Tat voll verantwortlich sind (§ 3 S. 1 JGG; § 12 I 2 OWiG). Ist der J dies, kann er verwarnt, ihm auch ein Verwarnungsgeld auferlegt werden (§ 56 I OWiG); zu den weiteren Voraussetzungen Göhler/Gürtler zu § 56 OWiG. Die Prüfung der Altersreife durch den Polizeibeamten kann bei der gegebenen Situation nur 2 sehr oberflächlich sein; dies hat der Gesetzgeber in Kauf genommen, ernstliche Bedenken bestehen bei Berücksichtigung von Tat und Folgen, auch im Hinblick auf die Überlegungen § 3, 3 nicht. Bei Verkehrsordnungswidrigkeiten – die vor allem Anlass zu Verwarnungen geben – hat der durchschnittlich intelligente J in der Regel aus eigenem Interesse, aus Verkehrsunterricht in den Schulen und der allg. Verkehrsaufklärung die genügende Einsichtsfähigkeit; bei anderen Ordnungswidrigkeiten kann mangelndes Verstehen des Verbotes und ungezügelter Spieltrieb gerade beim J der erforderlichen Einsicht im Wege stehen. Bei Zweifeln sollte der Polizeibeamte den J nur ermahnen, aufklären oder belehren. Bei der Zumessung der Geldbuße sind nach § 17 III OWiG bei geringfügigen Ordnungswidrig- 3 keiten die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Regel nicht zu berücksichtigen. Es gilt dies namentlich für das Verwarnungsgeld, das bei „geringfügigen Ordnungswidrigkeiten“ erhoben wird (§ 56 OWiG; OLG Hamm NJW 69, 1315). Verwarnungsgeld und Geldbuße dürfen auch verhängt werden, wenn der J oder Hw. mittellos ist, weil jgemäße Vollstreckung nach § 98 OWiG möglich ist (Göhler/Seitz § 47 OWiG 21). Dies bleibt zumeist von geringer Bedeutung, denn heute verfügt nachgerade jeder J über Mittel in Höhe des Verwarnungsgeldes; daneben könnte der Polizeibeamte dies bei der gegebenen Situation kaum einigermaßen zuverlässig nachprüfen. Die Beamten des Polizeidienstes sind bei Ordnungswidrigkeiten allg. neben der Verwaltungsbe- 4 hörde befugt, Verwarnungen zu erteilen, soweit sie hierzu ermächtigt sind (§§ 57 II, 58 I OWiG), und zwar nicht nur, wenn sie den Täter auf frischer Tat stellen, sondern auch beim ersten Zugriff. Eine auf frischer Tat erteilte Verwarnung mit Verwarnungsgeld wirkt meist besser, als wenn 5 letztlich JGericht und JStA wegen Nichtigkeiten eingeschaltet werden; überdies werden die Gerichte hierdurch zugunsten ihrer eigentlichen Aufgaben entlastet.
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§§ 75–77
2. Teil. Jugendliche
6 Ist wirksam mit Verwarnungsgeld verwarnt (§ 56 II OWiG), so kann die Tat nicht mehr unter den tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten verfolgt werden, unter denen die Verwarnung erteilt worden ist (§ 56 IV OWiG). 7 Allg. zu Rechtsfragen der Verwarnung Wetekamp DAR 86, 75.
§ 75 (weggefallen)
§ 76 Voraussetzungen des vereinfachten Jugendverfahrens §§ 75–77 Vereinfachtes Jugendverfahren Der Staatsanwalt kann bei dem Jugendrichter schriftlich oder mündlich beantragen, im vereinfachten Jugendverfahren zu entscheiden, wenn zu erwarten ist, dass der Jugendrichter ausschließlich Weisungen erteilen, die Erziehungsbeistandschaft anordnen, Zuchtmittel verhängen, auf ein Fahrverbot erkennen, die Fahrerlaubnis entziehen und eine Sperre von nicht mehr als zwei Jahren festsetzen oder den Verfall oder die Einziehung aussprechen wird. Der Antrag des Staatsanwalts steht der Anklage gleich. 1. [Hw.]: RL 3; § 109 I, II. – 2. [ErwG]: § 104; RL 3. Richtlinien zu § 76: 1. Liegen die Voraussetzungen des § 76 Satz 1 vor und kommt ein Absehen von der Verfolgung nach § 45 nicht in Betracht, so stellt die Staatsanwaltschaft in aller Regel Antrag auf Entscheidung im vereinfachten Jugendverfahren. 2. Die Staatsanwaltschaft wird den Antrag im allgemeinen schriftlich stellen, um dem Jugendrichter eine einwandfreie Grundlage für seine Entscheidung nach § 77 Abs. 1 und für das spätere Urteil zu geben. Ein schriftlicher Antrag ist besonders dann angebracht, wenn die Staatsanwaltschaft an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen will. In dem Antrag werden die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat und das anzuwendende Strafgesetz bezeichnet. 3. Das vereinfachte Jugendverfahren findet weder vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten noch im Verfahren gegen Heranwachsende statt (§§ 104, 109).
§ 77 Ablehnung des Antrags §§ 76–78 Ablehnung des Antrags (1) Der Jugendrichter lehnt die Entscheidung im vereinfachten Jugendverfahren ab, wenn sich die Sache hierzu nicht eignet, namentlich wenn die Anordnung von Hilfe zur Erziehung im Sinne des § 12 Nr. 2 oder die Verhängung von Jugendstrafe wahrscheinlich oder eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich ist. Der Beschluß kann bis zur Verkündung des Urteils ergehen. Er ist nicht anfechtbar. (2) Lehnt der Jugendrichter die Entscheidung im vereinfachten Verfahren ab, so reicht der Staatsanwalt eine Anklageschrift ein. 1. [Hw.]: § 109 I, II, § 76 RL 3. – 2. [ErwG]: § 76 RL 3. Richtlinie zu § 77: Hält der Jugendrichter eine richterliche Ahndung der Tat für entbehrlich, so kann er nach § 47 verfahren. In der mündlichen Verhandlung bedarf es hierzu der Zustimmung der Staatsanwaltschaft nicht, wenn diese an der Verhandlung nicht teilnimmt (§ 78 Abs. 2 Satz 2).
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§ 78
Verfahren und Entscheidung
§ 78 Verfahren und Entscheidung § 78 Verfahren und Entscheidung (1) Der Jugendrichter entscheidet im vereinfachten Jugendverfahren auf Grund einer mündlichen Verhandlung durch Urteil. Er darf auf Hilfe zur Erziehung im Sinne des § 12 Nr. 2, Jugendstrafe oder Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht erkennen. (2) Der Staatsanwalt ist nicht verpflichtet, an der Verhandlung teilzunehmen. Nimmt er nicht teil, so bedarf es seiner Zustimmung zu einer Einstellung des Verfahrens in der Verhandlung oder zur Durchführung der Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten nicht. (3) Zur Vereinfachung, Beschleunigung und jugendgemäßen Gestaltung des Verfahrens darf von Verfahrensvorschriften abgewichen werden, soweit dadurch die Erforschung der Wahrheit nicht beeinträchtigt wird. Die Vorschriften über die Anwesenheit der Angeklagten (§ 50), die Stellung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters (§ 67) und die Mitteilung von Entscheidungen (§ 70) müssen beachtet werden. Bleibt der Beschuldigte der mündlichen Verhandlung fern und ist sein Fernbleiben nicht genügend entschuldigt, so kann die Vorführung angeordnet werden, wenn dies mit der Ladung angedroht worden ist. 1. [Hw.]: § 109 I, II; § 76 RL 3. – [ErwG]: § 76 RL 3. Richtlinie zu § 78: Die schnelle Durchführung des vereinfachten Jugendverfahrens wird mitunter die Mitteilungen, die vor Erlass des Urteils zu machen sind, unmöglich machen. Für die rechtzeitige, notfalls fernmündliche Benachrichtigung der Jugendgerichtshilfe vom Verfahren und vom Verhandlungstermin sollte jedoch stets Sorge getragen werden. Schrifttum: Tamm Diversion u. vereinfachtes Verfahren im JStrafrecht, 2007. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
1.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachliche Voraussetzungen . . . . . . . . Formelle Voraussetzungen . . . . . . . . Zurücknahme des Antrags des StA . . . . Eröffnung des Verfahrens . . . . . . . . . Die mündliche Verhandlung . . . . . . . Verfahren vor dem Rechtsmittelgericht . Ordnungswidrigkeitsverfahren . . . . .
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Rn 1 2 7 9 11 17 22 23
Allgemeines
Das vereinfachte JVerfahren (Heinen UJ 57, 204; Müller RdJ 58, 339; Roestel NJW 66, 1952; Schaff- 1 stein MKrim. 78, 313) steht zwischen dem formlosen ErzVerfahren (§§ 45, 47) und dem förmlichen Verfahren. Von ersterem unterscheidet es sich dadurch, dass nur nach mündlicher Verhandlung durch Urteil entschieden werden kann und ein erweiterter, genau umschriebener Sanktionsbereich eröffnet ist. Im Gegensatz zum förmlichen Verfahren gestattet das vereinfachte JVerfahren ein Abweichen von verschiedenen Vorschriften, die oft einer erz. notwendigen Beschleunigung und der jgemäßen Verfahrensgestaltung entgegenstünden, obgleich die Bedeutung der Sache eine Vereinfachung zuließe (§ 78 III). Für das vereinfachte JVerfahren eignen sich also die nicht ganz unbedeutenden Fälle der kleineren und mittleren Kriminalität, bes. im Anwendungsbereich des JA (Rn 3). Es tritt vielfach an die Stelle des beschleunigten Verfahrens und des Strafbefehlsverfahrens des allg. Rechts (§§ 407 ff, 417 ff StPO), die das JRecht nicht kennt
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§ 78
2. Teil. Jugendliche
(§ 79). Dazu insbes. Rn 4. Der JStA wird bei Vorliegen der Voraussetzungen (Rn 2 ff) dieses Verfahren wählen, wenn Diversionsmöglichkeiten ausscheiden, ein förmliches Hauptverfahren aber (noch) nicht angebracht ist (für stärkere Nutzung des vereinfachten JVerfahrens Mann S. 272). Das vereinfachte JVerfahren ist dem J(Einzel)Richter vorbehalten (vgl. die Fassung der Paragraphen; Rn 22).
2.
Sachliche Voraussetzungen
2 Sachliche Voraussetzung für den Antrag auf Entscheidung im vereinfachten JVerfahren ist, dass sich die Sache für dieses Verfahren eignet. 3 Zunächst kommt es auf die zu erwartenden Maßnahmen an. Die Eignung fehlt bei Maßnahmen, die vom JRichter überhaupt oder im vereinfachten JVerfahren nicht angeordnet werden dürfen, also bei JStrafe, Hilfe zur Erz. iSd § 12 Nr. 2 (§ 12, 1 ff), Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 78 I 2) und bei Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 7; § 63 StGB; § 41, 16). Hierher gehört auch der Schuldspruch nach § 27, weil er ggf. die Grundlage für die Verhängung von JStrafe ist und die Ausschöpfung aller gem. § 43 JGG iVm § 244 II StPO vorgeschriebenen Ermittlungsmöglichkeiten voraussetzt (BayObLG 70, 216; Eisenberg 9; aA Ostendorf 11 u. Grdl. zu §§ 62–64 Rn 1). Sind solche Maßnahmen auch nur zu erwarten (§ 41, 7), ist ein Antrag nach § 76 sinnlos und damit unzulässig (§§ 76 I 1, 77 I 1). – Der Antrag auf Entscheidung im vereinfachten JVerfahren kann dagegen auch gestellt werden, wenn ein Fahrverbot, die Entziehung der Fahrerlaubnis mit Sperre bis zu 2 Jahren, der Verfall und die Einziehung in Betracht kommen (§ 76 I 1). Doch kann auch eine Sperrfrist von mehr als 2 Jahren wirksam im Urteil des vereinfachten JVerfahrens angeordnet werden (§ 78 I 2; vgl. §§ 7, 39 II; Eisenberg 30). – Ähnliches gilt von der Überlassung der Anordnung und Auswahl der ErzMaßregeln an das Familiengericht nach § 53. Ist die Überlassung von vornherein zu erwarten, ist der Antrag nach § 76 nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes nicht zulässig (§§ 76 I 1, 77 I 1); der StA wird hier im Interesse wirksamer Beschleunigung meist die entsprechenden Maßnahmen unmittelbar beim Familiengericht anregen und dann nach § 45 verfahren. Ist aber das Verfahren nach § 76 schon im Gang, kann im Urteil auch auf Überlassung nach § 53 erkannt werden, wenn dies nicht gegen die bes. Beschleunigungspflicht des vereinfachten JVerfahrens verstößt (Dallinger/Lackner § 78, 19). Das Familiengericht ist dann in den Grenzen des § 53 frei. 4 Dem JStA ist der Weg eröffnet, auch leichte bis mittlere Straßenverkehrsdelikte im Wege des vereinfachten JVerfahrens zu verfolgen, weil § 76 S. 1 ihm den entsprechenden Antrag auch erlaubt, wenn zu erwarten ist, dass die Fahrerlaubnis entzogen wird. Damit ist der JStA nicht gezwungen, den J förmlich anzuklagen, wenn die Entziehung der Fahrerlaubnis in Betracht kommt. Der J ist – etwa bei einer folgenlosen Trunkenheitsfahrt – nicht schlechter gestellt als ein Erw. oder Hw., bei denen in vergleichbarer Situation das Strafbefehlsverfahren ausreicht. Andererseits macht die Begrenzung der Sperre auf 2 Jahre deutlich, dass für Straßenverkehrsdelikte mit höherem Unrechts- und Schuldgehalt das vereinfachte JVerfahren nicht mehr geeignet ist, wobei häufig auch schon die in Rn 5 aufgeführten Gründe dieses Verfahren nicht zulassen werden. Im Urteil aber kann auf eine längere Sperrfrist erkannt werden (Rn 3; § 78 I), denn es wäre gegen die Prozessökonomie und würde den J unnötig belasten, deshalb in ein anderes, neues Verfahren übergehen zu müssen. 5 Das vereinfachte JVerfahren eignet sich bei leichter bis mittlerer Kriminalität (aber Rn 6), wobei es vor allem auch auf die Persönlichkeit des J ankommt; es ist bei kompliziertem Sachverhalt nicht angebracht, bes. wenn eine umfangreiche Beweisaufnahme zu erwarten ist (§ 77 I), die Persönlichkeitserforschung bes. Schwierigkeiten macht oder wenn der Eindruck einer förmlichen Hauptverhandlung erz. Vorteile verspricht (Einf. I 53); letzteres kann auch bei hartnäckigem Leugnen der Fall sein.
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Verfahren und Entscheidung
§ 78
Auch für Bagatellen ist das vereinfachte JVerfahren nicht geeignet (Eisenberg 4; Ostendorf Grdl. zu 6 §§ 76–78 Rn 3), da hier eine Verhandlung ein unverhältnismäßig großer, erz. oft bedenklicher Aufwand wäre. In solchen Fällen sollte der StA das formlose ErzVerfahren nach § 45 durchführen, wenn die danach zulässigen Maßnahmen ausreichen. Doch wird auch bei leichten Taten eine Verhandlung geboten sein, wenn etwa die Eltern die Tat gutheißen oder bagatellisieren oder der J bes. leichtfertig ist. – Wegen des Verfahrens nach § 47, wenn in solchen Fällen Antrag nach § 76 gestellt ist, Rn 14. Das alles sind nur Beispiele; weitere Gründe sind im Einzelfall möglich. 3.
Formelle Voraussetzungen
Formelle Voraussetzung ist ein Antrag des JStA (§ 76 I 1; wegen des S. 2 s. Rn 9). Er kommt nur 7 in Betracht, wenn die Sache anklagereif ist (hinreichender Tatverdacht, auch bezüglich der Altersreife; Fehlen von Verfahrenshindernissen; Zuständigkeit). Der JStA muss den Abschluss der Ermittlungen aktenkundig machen, bevor er den Antrag auf Aburteilung im vereinfachten Jugendverfahren stellt (§ 169 a StPO; § 46, 1). Der Antrag ist an keine besondere Form gebunden. Er kann ausnahmsweise, z. B. wenn gegen 8 einen dem JRichter vorgeführten J sofort verhandelt werden kann und soll, auch fernmündlich gestellt werden (§ 76 RL 2). Beabsichtigt der StA, an der Verhandlung nicht teilzunehmen, so empfiehlt sich der Klarheit und Begrenzung halber idR die Schriftform, die stets eine sichere Grundlage für die richterlichen Entscheidungen abgibt (§ 76 RL 2; Eisenberg 11; Ostendorf 2). – Der Antrag muss wenigstens die Tat iSd § 264 StPO (Ort, Zeit, wesentliche Umstände) und den Beschuldigten sowie das Strafgesetz eindeutig bezeichnen, weil sonst gar kein konkreter Antrag vorliegt (S. § 76 RL 2 S. 3). Die Anführung der Beweismittel, ggf. die Anregung einer bestimmten Maßnahme, ist idR zweckmäßig. Der Antrag kann auch in Form einer Anklage gehalten werden mit dem Zusatz, dass im vereinfachten JVerfahren entschieden werden soll. Dieser Zusatzantrag kann auch noch nach Einreichung einer förmlichen Anklage bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens gestellt werden (nicht umgekehrt; Rn 9; Dallinger/Lackner § 76, 12; Eisenberg 12; Ostendorf 2). Zum „Lemgoer Modell“, bei dem bereits die Polizei einen Hauptverhandlungstermin beim JGericht vormerken lassen kann, vgl. Schlie DVJJ-J 99, 335. Zum „Rüsselsheimer Modell“ s. § 47, 9. 4.
Zurücknahme des Antrags des StA
Der Antrag kann bis zur Vernehmung des J zur Sache zurückgenommen werden. Bei der 9 Formungebundenheit des Verfahrens ist dies der einzig zuverlässig zu ermittelnde Zeitpunkt, der eine missbräuchliche Zurücknahme ausschließt (OLG Oldenburg NJW 61, 1127; Dallinger/Lackner § 76, 11; Eisenberg 13; Tamm S. 38; aA Potrykus § 76 B 3). Wo die Eröffnung des Verfahrens fehlt, schlägt Ostendorf 3 als vergleichbaren Zeitpunkt die Terminsanberaumung vor. Das aber führt ohne Not zu Schwierigkeiten, vgl. Rn 17. Mit der Rücknahme ist ebenso wie mit der Ablehnung nach § 77 I das gerichtliche Verfahren beendet (Rn 15). – Eine Überleitung in das förmliche Verfahren ist nicht möglich; es fehlen dafür Anklage und Eröffnungsbeschluss. Ggf. ist nach Rücknahme oder Ablehnung (§ 77 I; Rn 15) des Antrags förmliche Anklage einzureichen (§ 77 II). Der Antrag nach § 76 steht also nur für das vereinfachte JVerfahren der Anklage gleich (§ 76 I 2). Ob der JStA den Antrag nach § 76 stellt oder wieder zurücknimmt, liegt in seinem Ermessen. 10 Sind die sachlichen Voraussetzungen (Rn 2) gegeben und scheidet ein Absehen von der Verfolgung nach § 45 aus, ist der Antrag in aller Regel zu stellen (§ 76 RL 1). Der JRichter kann die Stellung des Antrags höchstens anregen. Dagegen hat er stets nach Antragstellung nachzuprüfen, ob die sachlichen Voraussetzungen für einen solchen Antrag vorliegen (§ 77; Rn 14, 15).
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§ 78 5.
2. Teil. Jugendliche
Eröffnung des Verfahrens
11 Geht ein Antrag (§ 76 I 1, Rn 7) beim JRichter ein, prüft er, ob die allg. Verfahrensvoraussetzungen (Rn 12) und die bes. Voraussetzungen für das vereinfachte JVerfahren (Rn 2, 14, 15) vorliegen. Ob hinreichender Tatverdacht gegeben ist, muss nicht, kann aber und sollte auch geprüft werden (näher Rn 13). Im Rahmen der Prüfung steht es auch hier dem JRichter frei, die Akten dem JStA zur Stellungnahme zu etwaigen Bedenken (ggf. mit Anregungen) oder zu weiteren Ermittlungen des Tathergangs oder der Täterpersönlichkeit zurückzugeben oder selbst zu ermitteln. Je nach dem Ergebnis der Prüfung richtet sich das weitere Verfahren. 12 Fehlt die Zuständigkeit oder bestehen allg. Verfahrenshindernisse (kein Strafantrag, Verjährung oä), lehnt der JRichter ab, das Verfahren zu eröffnen (§ 204 StPO), oder stellt er ggf. das Verfahren nach § 206 a StPO ein; gegen diesen Beschluss hat der JStA die sofortige Beschwerde (§§ 210 II, 206 a II, 311 StPO). 13 Gleiches gilt, wenn der JRichter feststellt, dass eine Verurteilung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht zu erwarten ist (§ 204 StPO). Zwar trifft den JRichter insoweit keine bes. Prüfungspflicht (§ 77); er ist aber dadurch nicht an dieser Entscheidung gehindert und wird gewiss nicht blindlings jeden Antrag übernehmen, eine aA würde den J unnötig belasten und zu erz. unerwünschten Freisprüchen führen (Eisenberg 14; für Prüfungspflicht Tamm S. 43). 14 Hätte nach Ansicht des JRichters der JStA nach § 45 II vorgehen sollen (Rn 6), ist eine Zurückweisung nach § 77 I nicht möglich. Der JRichter kann aber selbst nach § 47 verfahren (RL zu § 77); der StA kann diese Möglichkeit allerdings dadurch ausschalten, dass er die Zustimmung verweigert, auch wenn er schon ausdrücklich auf die Teilnahme an der Sitzung verzichtet hat (Dallinger/Lackner § 78, 18; Potrykus NJW 56, 657). In der Sitzung jedoch, an welcher der JStA nicht teilnimmt (Rn 18), kann der Richter ohne dessen Zustimmung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nach § 47 Verfahren (§ 78 II 2; RL zu § 77 S. 2), selbst wenn der JStA vorher widersprochen hat (Dallinger/Lackner, Potrykus aaO; Eisenberg 18; Ostendorf 12). Auch dann ist diese Entscheidung nicht anfechtbar (§ 47 II 3; Winterfeld MDR 82, 273); zur Einstellung nach § 153 II StPO s. § 47, 12; vgl. auch im Übrigen bei § 47. 15 Hält der JRichter die sachlichen Voraussetzungen wegen Vorgriffs des § 45 I (Bagatelle; Rn 6) nicht für gegeben, lehnt er die Entscheidung im vereinfachten JVerfahren ab (§ 77 I 1). Der Beschluss ist unanfechtbar und kann bis zur Verkündung des Urteils 1. Instanz (wegen der weiteren Instanzen Rn 22) ergehen (§ 77 I 2, 3). Eine Begründung ist nicht vorgeschrieben; doch sollten die Gründe dem JStA wenigstens stichwortartig mitgeteilt werden. – Der Beschluss versetzt das Verfahren wieder in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurück und der JStA ist in seiner Entscheidung völlig frei (Eisenberg 17; Ostendorf 13; Schaffstein MKrim. 78, 317; aA Roestel NJW 66, 1953 „anklagen“). Will der JStA eine Entscheidung des Gerichts, muss er Anklage erheben; wo schon eine Anklage eingereicht wurde (Rn 8), genügt Bezugnahme; ein Antrag nach § 76 ist ausgeschlossen. § 77 II zwingt aber entgegen Roestel den JStA nicht, in jedem Fall anzuklagen. Er kann z. B. nach § 45 verfahren, wenn er das für angebracht hält (etwa wenn abgelehnt wurde, weil Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 geboten ist, u. das Familiengericht inzwischen – ggf. auf Anregung des JStA – diese angeordnet hat). Der JStA kann auch aus sonstigen Gründen das Verfahren einstellen, z. B. wenn kein hinreichender Tatverdacht mehr besteht oder ein Verfahrenshindernis vorliegt (z. B. Rücknahme des Strafantrags). Das gilt auch, wenn das Gericht den Antrag erst zurückgewiesen hat, als der JStA den Antrag nicht mehr hätte zurücknehmen können (Dallinger/Lackner § 77, 9; Eisenberg 17). Der JStA kann das Verfahren auch abgeben (BGH 12, 184). 16 Dagegen ist dem JRichter eine Abgabe des vereinfachten JVerfahrens gem. § 42 III nicht erlaubt (BGH 12, 182; näher § 42, 11; Eisenberg 19; aA Ostendorf 17).
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Verfahren und Entscheidung
6.
§ 78
Die mündliche Verhandlung
Gegen einen ohne genügende Entschuldigung ausbleibenden J ist § 230 II StPO nicht anwend- 17 bar, da zwar eine mündliche Verhandlung, aber keine Hauptverhandlung iSd § 226 StPO stattfindet (Kolbe MDR 78, 800). Der durch das 2. JuMoG v. 30. 12. 2006 angefügte § 78 III 3 eröffnet jedoch die Möglichkeit zur Vorführung des J. Hierdurch soll einem erz. ungünstigen Eindruck des J vorgebeugt werden, er könne eine gerichtliche Ladung unbeachtet lassen, sowie der Verfahrensbeschleunigung gedient werden (Beschlussempfehlung RA, BT-Drs. 16/3640, S. 53). Zulässig ist nur die Anordnung der Vorführung, nicht der Erlass eines Haftbefehls. Nicht genügend entschuldigt ist der J, wenn weder er selbst noch ein anderer eine genügende Entschuldigung vorgebracht hat und auch sonst keine Entschuldigungsgründe bekannt geworden sind (Meyer-Goßner § 230 StPO 16). Maßgeblich ist also nicht, ob der J sich entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist (Eisenberg 21). Die Vorführung darf nur angeordnet werden, wenn dies mit der Ladung angedroht worden ist. Die Anordnung steht im Ermessen des JRichters. Im Einzelfall kann wegen der hinter dem Nichterscheinen des J stehenden Problematik der Übergang in das Normalverfahren angezeigt sein (Beschlussempfehlung aaO). Nur zur Vereinfachung, Beschleunigung und jgemäßen Gestaltung sind Abweichungen von 18 Verfahrensvorschriften zulässig (§ 78 III 1 HS 1). So bedarf es keiner Eröffnung des Verfahrens (BGH 12, 182) und es brauchen Fristen nicht beachtet werden. Auch in der Ausgestaltung der „mündlichen Verhandlung“ (nicht: „Hauptverhandlung“) ist der Richter frei (z. B. ohne Protokollführer, ohne Robe, nicht im Sitzungssaal; Eisenberg 27 unbest.). Für Verhandlung ohne Robe auch Ostendorf (Grdl. zu §§ 48–51 Rn 5). Grds. sind die Richter zum Tragen der Robe in allen zur Verhandlung und zur Verkündung einer Entscheidung bestimmten Sitzungen verpflichtet (BVerwG NJW 83, 2589; Schmidt-Räntsch DRiG, 6. Aufl. 2009, § 46 Rn 44). Nach dem Hessischen Dienstgerichtshof für Richter (NJW 87, 1208) kann der JRichter jedoch aufgrund seiner richterlichen Unabhängigkeit zwar nicht pauschal in allen JStrafsachen, jedoch für bestimmte Verfahrensarten oder im Einzelfall aufgrund konkreter Prüfung des zu befürchtenden nachteiligen Einflusses auf die Entscheidungsfindung vom Tragen der Robe absehen. Die Verhandlung kann in Form einer Aussprache ohne die strenge Ordnung des § 243 StPO geführt werden; doch ist es zweckmäßig, auch hier nach dem Aufruf die Personalien aufzunehmen, den Inhalt des Antrags bekannt zu machen und dann den Angeklagten in Abwesenheit der Zeugen zur Sache zu vernehmen. Wegen des rechtlichen Gehörs u. der Sachaufklärung Rn 20; wegen Öffentlichkeit u. Mitteilungen Rn 19. – Der JStA muss nicht an der Sitzung teilnehmen (§ 78 II 1), was idR mehr dem Wesen des vereinfachten JVerfahrens entspricht. Der JStA verliert dadurch allerdings einige Rechte (§ 78 II 2; Rn 14, 21), nicht jedoch das Recht, das in seiner Abwesenheit ergangene Urteil anzufechten. Das Urteil muss ihm auch zugestellt werden (§§ 35 II 1, 41 StPO; Potrykus NJW 56, 657; Gaberdiel NJW 57, 532), womit für ihn die Rechtsmittelfrist läuft (OLG Neustadt NJW 63, 1074; Tamm S. 62). Der örtliche Sitzungsvertreter vertritt die StA hier ebenso wie im förmlichen Verfahren; § 78 II 2 gilt dann also nicht (aA Potrykus § 78 B 2 ohne Begründung). – Die Einschaltung der JGH darf das Verfahren nicht verzögern. Grds. aber sollte sie mindestens fernmündlich vom Termin verständigt und gehört werden (RL zu § 78), obgleich es hier sogar zulässig ist, die JGH erst nachträglich zu verständigen (Eisenberg 26 „zumindest fernmündlich“; aA Ostendorf 16, der Einverständnis des J fordert). Die JGH darf mit dem verhafteten J auch hier wie ein Verteidiger verkehren (§ 72 b; Rn 20). – Eine Abgabe gem. § 42 III ist nicht zulässig (Rn 16; näher § 42, 11). Dagegen dürfen alle Vorschriften nicht ausgeschaltet werden, die gerade der Vereinfachung, der 19 jgemäßen Gestaltung (z. B. Ausschluss der Öffentlichkeit durch § 48) oder der Beschleunigung dienen. Auch die bes. Mitteilungspflichten (§ 70) gelten unverändert (§ 78 III 2). Ebenso wenig darf die Wahrheitsermittlung beeinträchtigt werden (§ 78 III 1 HS 2; Eisenberg 23; 20 Ostendorf 15; Schaffstein MKrim. 78, 318). Diesem Ziel dient die mündliche Verhandlung (§ 78 I 1) mit der notwendigen mündlichen Erörterung des gesamten Prozessstoffes (§ 261 StPO), der
431
§ 78
2. Teil. Jugendliche
Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§§ 250 ff StPO; § 38, 13) und dem gegenüber dem förmlichen Verfahren nicht eingeschränkten Recht auf Gehör (Art. 103 I GG) einschließlich des letzten Wortes. Nur die bes. Fragepflicht nach § 257 StPO – eine Ordnungsvorschrift – entfällt (vgl. § 67, 6). – Auch hier hat das Gericht den Sachverhalt (Tathergang, Täterpersönlichkeit) von Amts wegen aufzuklären (§ 244 II StPO); es hat alle Beweise zu erheben, deren Benutzung der bekannte Sachverhalt mindestens nahe legt (BGH LM Nr. 1 zu § 244 StPO). Die Aufklärung darf auch nicht zugunsten des Täters unterbleiben, da dies nicht nur den Interessen der Allgemeinheit zuwiderliefe, sondern auch erz. gefährlich wäre. – An sich ist der Richter hier bei Beweisanträgen freier gestellt; die allg. Vorschriften, insbes. § 244 III StPO, gelten nicht. Da diese Vorschriften jedoch weitgehend der Niederschlag der Rechtsprechung zur Aufklärungspflicht sind, wird die Ablehnung eines Beweisantrags über die allg. Regeln hinaus leicht auch die Aufklärungspflicht verletzen (ähnlich Dallinger/Lackner 17; Eisenberg 23; Ostendorf 15). Die Ablehnung eines Beweisantrags ist stets zu begründen (BayObLG 51, 347 zu § 384 StPO); die Begründung, die behauptete Tatsache sei unwahrscheinlich oder erdichtet, der Zeuge werde in bestimmter Weise aussagen oder das Gericht sei schon vom Gegenteil überzeugt, ist unzulässig (Eisenberg 23; Ostendorf 15). Nur deshalb, weil eine Beweiserhebung beantragt oder ein Zeuge mitgebracht ist (§ 245 StPO), muss hier allerdings nicht Beweis erhoben werden. – In Abwesenheit des J kann nur verhandelt werden, wenn dies auch im förmlichen Verfahren möglich wäre (§§ 78 II 2, 50 I); nur die Zustimmung des StA ist hier entbehrlich, wenn er nicht an der Verhandlung teilnimmt (§ 78 II 2). Ebenso wenig kann die Stellung des gesetzlichen Vertreters und der ErzBerechtigten hier eingeschränkt werden (§§ 78 III 2, 50 II, 67; Ostendorf 16). – Wegen der JGH Rn 18. – Auch ein Wahlverteidiger kann unbeschränkt mitwirken (§§ 137 StPO, 2 JGG). Zum Pflichtverteidiger § 68, 26. Wie im allg. Recht (§§ 147 ff StPO) hat der Verteidiger das Recht auf Akteneinsicht (unbeschränkt spätestens ab Abschluss der Ermittlungen) und auf Verkehr mit dem Beschuldigten (vgl. § 68, 6). 21 Es wird durch Urteil entschieden (§ 78 I 1). Wegen der zulässigen Maßnahmen Rn 3; wegen der Fassung § 54; die Begründung kann kürzer sein, muss aber stets eine Persönlichkeitsbeurteilung und Tatschilderung enthalten. Weitere Besonderheiten gelten nicht. – Auch für die Anfechtung gelten keine Besonderheiten. Die Anordnung einer unzulässigen Maßnahme (dazu näher Rn 3 und 22 a) begründet nur die Anfechtung, führt aber nicht zur Nichtigkeit (Dallinger/Lackner § 78, 23; Eisenberg 30; Potrykus § 78 B 1; vgl. § 1, 12). Die Rechtsmittelfrist beginnt für einen bei der Urteilsverkündung nicht anwesenden Verfahrensbeteiligten erst mit der Zustellung des begründeten Urteils; das ist beim JStA in diesem Verfahren oft der Fall (Rn 18). Die Rechtskraft tritt wie im förmlichen Verfahren nach allseitigem Rechtsmittelverzicht oder Ablauf der Rechtsmittelfrist ein.
7.
Verfahren vor dem Rechtsmittelgericht
22 Vor dem Rechtsmittelgericht gelten die allg. Verfahrensvorschriften; das vereinfachte JVerfahren ist dem JRichter vorbehalten (vgl. Wortlaut der §§ 76–78); bei einem Kollegialgericht mit drei Richtern (§ 33 b I) wäre es ein Unding. Doch wird nur das Verfahren und die Entscheidung des vereinfachten JVerfahrens überprüft. Das bedeutet, dass das Fehlen von Anklage und Eröffnungsbeschluss sowie die zulässigen Abweichungen des JRichters von Verfahrensvorschriften nicht schaden, dass auch das Rechtsmittelgericht nur auf die hier zulässigen Maßnahmen (Rn 3) erkennen kann und auch nicht ins förmliche Verfahren übergehen darf, weil dadurch Rechte des Angeklagten verkürzt würden. Meint das Rechtsmittelgericht, die Sache eigne sich nicht für das vereinfachte JVerfahren, muss es das Verfahren einstellen (BayObLG 70, 218), weil eine Prozessvoraussetzung fehlt; diese Einstellung (§ 260 III StPO) versetzt das Verfahren, wie die Ablehnung durch den JRichter nach § 77 I, in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurück (Rn 15; zust. Eisenberg 35); eine Zurückverweisung entsprechend § 328 II StPO (so LG Schwein-
432
Strafbefehl und beschleunigtes Verfahren
§ 79
furt RdJ 59, 351 zur früheren Fassung des § 328 StPO) kommt nicht in Betracht. Einen Beschluss nach § 47 kann auch die JKammer erlassen (§ 47, 5). Hat der Erstrichter den Strafbann des § 78 I überschritten, so braucht das Berufungsgericht 22 a nicht zurückzuverweisen, weil kein nicht behebbares Verfahrenshindernis vorliegt; es kann auf eine Sanktion innerhalb des Rahmens des § 78 I selbst erkennen (BGH 35, 251 = JR 89, 119 zu § 212 b I 2 StPO aF mit zust. Anm. Terhorst). Dieser für das beschleunigte Verfahren des ErwRechts ausgesprochene Grundsatz muss auch für die gleichgelagerte Problematik des § 78 I gelten. 8.
Ordnungswidrigkeitsverfahren
Im OWiG-Verfahren gilt nach zulässigem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid der Verwal- 23 tungsbehörde (§ 71 I OWiG) für das Verfahren vor dem JRichter gegen J stets die Vorschrift des § 78 III JGG (§ 78 III OWiG), ohne dass es auf die Voraussetzungen des § 76 für das vereinfachte JVerfahren ankommt (deshalb war über § 46 I OWiG hinaus § 78 III OWiG erforderlich). Zu Umfang und vereinfachter Art der Beweisaufnahme beachte §§ 77, 77 a, 78 OWiG. Entscheidet der JRichter nach Einspruch durch Urteil, so gilt das Verschlechterungsverbot 24 nicht (§ 71 I OWiG iVm § 411 IV StPO; Göhler/Seitz Vor § 67 OWiG 5); entscheidet er jedoch gem. § 72 I OWiG durch Beschluss, so darf er von der im Bußgeldbescheid getroffenen Entscheidung nicht zum Nachteil des Betroffenen abweichen (§ 72 III 2 OWiG; § 55, 46). Im Rechtsbeschwerdeverfahren (§§ 79 ff OWiG) gilt das Verschlechterungsverbot (§ 79 III OWiG iVm § 358 II StPO); insgesamt ebenso Eisenberg 28, 36.
Neunter Unterabschnitt Ausschluss von Vorschriften des allgemeinen Verfahrensrechts § 79 Strafbefehl und beschleunigtes Verfahren § 79 Strafbefehl und beschleunigtes Verfahren (1) Gegen einen Jugendlichen darf kein Strafbefehl erlassen werden. (2) Das beschleunigte Verfahren des allgemeinen Verfahrensrechts ist unzulässig. 1. Abs. I: Hw.-J: Rn 2; § 109 II. – 2. Abs. II: [Hw.]: Rn 2; § 109 II 1. – 3. ErwG: § 104 I Nr. 14. Richtlinie zu § 79: Wegen des Strafbefehls und des beschleunigten Verfahrens gegen Heranwachsende wird auf die Richtlinien Nrn. 2 und 3 zu § 109 hingewiesen.
Strafbefehl und beschleunigtes Verfahren setzen ein Alter von mindestens 18 Jahren zZ der Tat 1 (§ 1, 7) voraus (Prozessvoraussetzung: Dallinger/Lackner 4); sie werden im Verfahren gegen J und Hw. (bei letzteren alternativ; § 109) durch das formlose ErzVerfahren (auch vor ErwGericht: § 45 RL 5) und für J (nicht auch für Hw.) durch das vereinfachte JVerfahren (nicht vor ErwGericht: § 76 RL 3) ersetzt. Gegen Hw. ist das beschleunigte Verfahren immer (§ 109, 9), das Strafbefehlsverfahren nur dann 2 zulässig, wenn Erwachsenenrecht angewendet wird (§ 109, 9, 12). Wegen Besonderheiten § 109, 11. Der JRichter darf nicht grds. und mehr oder weniger unbesehen Strafbefehle gegen Hw. ab-
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§ 80
2. Teil. Jugendliche
lehnen, weil das Gesetz sie zulässt und verschiedene Wertungen hinsichtlich der Anwendung von ErwRecht durchaus möglich sind. 3 Ein Strafbefehl gegen einen J ist grds. nicht nichtig (vgl. § 1, 11; BayObLG 57, 838; Dallinger/Lackner 5; Eisenberg 6; Löwe/Rosenberg/Gössel Vor § 407 StPO 51). Bei rechtzeitigem Einspruch wird durch Anberaumung der Hauptverhandlung durch das JGericht der Verfahrensmangel geheilt, weil im Strafbefehlsverfahren die Anklage durch den Strafbefehlsantrag und der Eröffnungsbeschluss durch den Strafbefehl ersetzt wird, auch wenn beide irrtümlich entgegen § 79 I gegen einen J ergangen sind (BayObLG aaO; vgl. OLG Düsseldorf NJW 60, 1921; unbest. Eisenberg 7; aA Ostendorf 5). Zur Verhandlung nach verspätetem Einspruch BGH 13, 306. Die versehentliche Nichtbeachtung der Unzulässigkeit des Strafbefehlsverfahrens gegen J begründet keine Wiederaufnahme; bei falscher Feststellung des Alters zur Tatzeit oder der Tatzeit handelt es sich aber bei der richtigen Alterseinreihung um eine neue Tatsache iSv § 359 Nr. 5 StPO (Kreisgericht Saalfeld DVJJ-J 93, 305; LG Landau NStZ-RR 03, 28 mit Bespr. Noak JurArbbl. 05, 539; Eisenberg 6). Das JGG ist milderes Strafgesetz iSd § 359 Nr. 5 StPO (Kreisgericht Saalfeld u. LG Landau aaO; für Abstellen auf den Einzelfall Noak aaO, 543). Näher zum Strafbefehl gegen Hw. § 109, 12. 4 Wegen der Bußgeldbescheide nach dem OWiG § 1, 2; wegen Verwarnungen mit oder ohne Verwarnungsgeld Vor § 76, 1 ff.
§ 80 Privatklage und Nebenklage § 80 Privatklage und Nebenklage (1) Gegen einen Jugendlichen kann Privatklage nicht erhoben werden. Eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften durch Privatklage verfolgt werden kann, verfolgt der Staatsanwalt auch dann, wenn Gründe der Erziehung oder ein berechtigtes Interesse des Verletzten, das dem Erziehungszweck nicht entgegensteht, es erfordern. (2) Gegen einen jugendlichen Privatkläger ist Widerklage zulässig. Auf Jugendstrafe darf nicht erkannt werden. (3) Der erhobenen öffentlichen Klage kann sich als Nebenkläger nur anschließen, wer durch ein Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder nach § 239 Abs. 3, § 239 a oder § 239 b des Strafgesetzbuchs, durch welches das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist, oder durch ein Verbrechen nach § 251 des Strafgesetzbuchs, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255 des Strafgesetzbuchs, verletzt worden ist. Im Übrigen gelten § 395 Absatz 2 Nummer 1, Abs. 4 und 5 und §§ 396 bis 402 der Strafprozessordnung entsprechend. 1. [Hw.]: § 109; Rn 4; RL 3 S. 2, 3; § 109 RL 4; Rn 11. – 2. ErwG: RL 3 S. 1; § 104 I Nr. 14; wegen Widerklage Rn 7; RL 2. Richtlinien zu § 80 1. Gründe der Erziehung können die Verfolgung eines Privatklagedeliktes namentlich dann erfordern, wenn Jugendliche wiederholt oder schwere Straftaten begangen haben und eine Ahndung zur Einwirkung auf sie geboten ist. 2. Für die Widerklage bleibt das mit der Privatklage befasste Gericht zuständig. Gegen den jugendlichen Widerbeklagten kann das für allgemeine Strafsachen zuständige Gericht nur Zuchtmittel* (§ 13) selbst verhängen; hält es Erziehungsmaßregeln für erforderlich, so verfährt es nach § 104 Abs. 4 Satz 1.
* Vgl. Anhang (= Abdruck von Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt III 3. b) und c) der Anlage 1 zum Einigungsvertrag; siehe dazu § 1, 6 c).
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Privatklage und Nebenklage
§ 80
3. Auch vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten kann gegen Jugendliche eine Privat- oder Nebenklage nicht erhoben werden (§ 104 Abs. 1 Nr. 14). Gegen einen Heranwachsenden sind die Privatund Nebenklage zulässig, unabhängig davon, ob die Anwendung des allgemeinen Strafrechts oder des Jugendstrafrechts zu erwarten ist (§ 109). Auch insoweit ist grundsätzlich der Jugendrichter zuständig (§ 108 Abs. 1 und 2 JGG i. V. m. § 25 Nr. 1 GVG). Schrifttum: Hinz Nebenklage u. Adhäsionsantrag im JStrafverfahren, ZRP 02, 475; ders. Nebenklage im Verfahren gegen J, JR 07, 140; Höynck Stärkung der Opferrolle im JStrafverfahren?, ZJJ 05, 34; dies. Zu den Ausweitungen der Opferrechte im JGG durch das 2. JuMoG, ZJJ 07, 76; Noak Nebenklage gegen J und Hw., ZRP 09, 15; Rohde Die Rechte u. Befugnisse des Verletzten im Strafverfahren gegen Jugendliche, 2009. Übersicht 1. Privatklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nebenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige Rechte des Verletzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.
Rn 1 7 15
Privatklage
Für eine Privatklage ist Prozessvoraussetzung, dass der Täter mindestens 18 Jahre zZ der Tat 1 (§ 1, 7; § 33, 1) alt war. (Abs. I 1; Dallinger/Lackner 4). Fehlt sie, ist auch ein Sühneversuch (§ 380 StPO) unzulässig (Eisenberg 3; Potrykus B 1 aE u. NJW 57, 1137); freiwillig soll er zulässig sein (Dallinger/Lackner 6), was wegen der Gefahren eines „Vergleichs“ aber bedenklich sein kann. Ostendorf 1 zieht private Konfliktregelung vor (auch wegen „Einschränkung der Staatsgewalt“ ZRP 83, 302), setzt aber Beistand der gesetzlichen Vertreter voraus. Die gegen einen J erhobene Privatklage ist zurückzuweisen (§ 383 I StPO), das schon eröffnete Verfahren einzustellen (§§ 206 a, 260 III, 389 StPO); Kostenfolge: § 471 II StPO. Das Privatklage-Urteil gegen einen J ist nur anfechtbar, nicht nichtig (vgl. § 1, 11; Eisenberg 4; aA Ostendorf 4, der Nichtigkeit annimmt, wenn wesentliche Teile des JGerichtsverfahrens nicht beachtet wurden). Privatklagedelikte Jugendlicher (§ 374 I StPO) sind, wenn die allg. Voraussetzungen (auch ein 2 erforderlicher Strafantrag) vorliegen, vom JStA im Offizialverfahren (§§ 45, 76 ff, formelles Verfahren) zu verfolgen, wenn eine der folgenden drei – meist zusammentreffenden – Voraussetzungen gegeben ist (Abs. I 2): Öffentl. Interesse an der Strafverfolgung (§ 376 StPO; vgl. RiStBV Nr. 86 II), Gründe der Erz. (RL 1) – zu berücksichtigen sind dabei auch Alter und ErzVerhältnisse (z. B. Billigung der Straftat durch Eltern; Eisenberg 6 befürchtet dabei selektives Vorgehen nach „elternbezogenen Gegebenheiten“) – oder berechtigtes Interesse des Verletzten (§ 48, 12 u. 14); dh ein vernünftiger Anlass (nicht Hass und Rache) für den Wunsch nach Verfolgung und Ahndung der Tat (Eisenberg 7; nach Ostendorf 7 scheiden alle Normen aus, die gemeinschaftliche Rechtsgüter schützen sollen). Dieses Interesse ist jedoch nur dann beachtlich, wenn der ErzZweck nicht entgegensteht; geringe erz. Bedenken können bei stark überwiegenden Interessen des Verletzten hintangestellt werden (Dallinger/Lackner 2; DSS/Schoreit 5; aA Eisenberg 7; Ostendorf 8). Es werden auch Sinn und Ziel der Opferschutzbestimmungen (Rn 8 ff) abzuwägen sein. Der JStA entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen. Anklage und Bejahung des öffentlichen 3 Interesses sind nicht anfechtbar (Eisenberg 9; Ostendorf 10). Bei Ablehnung der Verfolgung aus den Gründen des § 80 ist nur Dienstaufsichtsbeschwerde gegeben, nicht das Klageerzwingungsverfahren, denn § 80 durchbricht das Legalitätsprinzip, das Klageerzwingungsverfahren aber soll nur dieses sichern (§ 172 II 3 StPO; OLG Frankfurt MDR 59, 415; OLG Braunschweig NJW 60, 1214; Eisenberg 8; Ostendorf 10, 11; Meyer-Goßner § 172 StPO 3; Schaffstein/Beulke S. 274; differenziert Dallinger/Lackner 13). Das gilt jedoch nicht bei Einstellung des Verfahrens nach § 170 II StPO, denn insoweit gilt das Legalitätsprinzip und damit auch seine Kontrolle durch das Klageerzwingungsverfahren (OLG Braunschweig NJW 60, 1214; OLG Hamm NJW 60, 1968; OLG Oldenburg MDR 70, 164; OLG Hamburg MDR 71, 596; OLG Stuttgart NStZ 89, 136 mit abl. Anm.
435
§ 80
2. Teil. Jugendliche
Brunner; Eisenberg 8; Ostendorf 11; DSS/Schoreit 7; Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer § 172 StPO 31; Giesler RdJ 61, 87; Kaster MDR 94, 1075; Pentz NJW 58, 819; vgl. auch § 45, 2; aA OLG Frankfurt MDR 59, 415; Schaffstein/Beulke S. 274 FN 3). Der JRichter kann das Vorliegen der Voraussetzungen (Rn 2) nicht nachprüfen (vgl. RiStBV Nr. 86 II); er kann gem. § 47 verfahren. Im förmlichen Verfahren kann er auch JStrafe verhängen (Dallinger/Lackner 21; Ostendorf 10). 4 Gegen Hw. ist Privatklage zulässig, wobei es unbeachtlich ist, ob die Anwendung von J- oder ErwStrafrecht zu erwarten ist (RL 3 S. 2). Hat der Hw. aber die zu verhandelnden Taten teils als J, teils als Hw. begangen, so gilt das zu J Gesagte, denn das Verfahren kann nur einheitlich sein (§ 109, 14). 5 J können wie alle Minderjährigen als Privatkläger auftreten (Abs. II 1, § 374 III StPO; Eisenberg 10 u. GA 98, 32); es gelten die Vorschriften der StPO. Ob das JGericht oder ErwGericht zuständig ist, entscheidet das Alter des Privatbeklagten zZ der Tat. 6 Gegen den j. Privatkläger ist unter den allg. Voraussetzungen (§ 388 StPO) Widerklage zulässig; es bleibt das mit der Privatklage befasste Gericht zuständig (RL 2 S. 1; § 112, 1 aE), also auch das ErwGericht. Vor dem ErwGericht gilt für den j. Widerbeklagten § 104. Gegen ihn ist also immer JRecht anzuwenden; JStrafe kann hier (anders: Rn 3) nicht verhängt werden (Abs. II 2); das ErwGericht darf nur Zuchtmittel verhängen; hält es ErzMaßregeln für erforderlich, so hat es deren Auswahl und Anordnung dem Familiengericht zu überlassen, wobei § 53 S. 2 entsprechend gilt (§ 104 IV; RL 2 S. 2). – Fällt die Privatklage weg, geht das Verfahren an das JGericht über (Eisenberg 11; aA Ostendorf 10; Verfahren einstellen). Dazu kommt es jedoch nur dann, wenn hinsichtlich der Widerklage ein Rechtsmittel eingelegt oder wenigstens schon zur Sache verhandelt, das Verfahren also gerichtshängig geworden ist (Eisenberg 10; Pentz GA 58, 301, der auch noch die Einstellung der Privatklage gem. § 383 II StPO hierher rechnet). In allen anderen Fällen kann die Widerklage nicht weiterverfolgt werden, weil die Widerklage nur gegen einen j. Privatkläger zulässig, ein Privatkläger aber nach Wegfall der Privatklage nicht mehr vorhanden ist. Das Verfahren ist gem. § 206 a StPO einzustellen. – Wegen der Kosten s. § 74, 15.
2.
Nebenklage
7 Nach Abs. III war die Nebenklage gegen J bis 2006 unzulässig. Hierdurch sollte Gefahren für die erz. Ausgestaltung des JStrafverfahrens entgegengewirkt werden. Das 2. JuMoG v. 30. 12. 2006 hat die Nebenklage für bestimmte schwere Verbrechen eröffnet, um es dem Verletzten in diesen Fällen zu ermöglichen, „seine Sicht der Tat und der erlittenen Verletzungen einzubringen und seine Interessen aktiv zu vertreten“ (Beschlussempfehlung des RA, BT-Drs. 16/3640, S. 54; zust. Hinz JR 07, 145 f; krit. Eisenberg 16). Nach der Zulassung der Nebenklage kommt es darauf an, durch die Verhandlungsführung unter Beachtung berechtigter Opferinteressen die erz. Belange des JStrafverfahrens zu wahren (Beschlussempfehlung aaO). Da Abs. III anders als § 395 I StPO nicht vom Anschluss an den Antrag im Sicherungsverfahren spricht, ist Nebenklage in einem Sicherungsverfahren gegen einen J nicht zulässig (Eisenberg 16; DSS/Schoreit 11; aA Rohde S. 133: analoge Anwendung des § 80 III auf das Sicherungsverfahren). 8 S. 1 eröffnet die Nebenklage dem durch eines der folgenden Verbrechen Verletzten, wobei eine Nebenklage des Verletzten teilweise nur bei versuchten Delikten in Betracht kommt: – Verbrechen gegen das Leben. Das sind die §§ 211, 212 (einschließlich § 213), 221 II und III StGB. – Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit: §§ 225 III, 226 und 227 StGB. – Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung: §§ 176 a, 176 b, 177, 178 und 179 V bis VII StGB. – Verbrechen nach §§ 239 III, 239 a und 239 b StGB.
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Privatklage und Nebenklage
§ 80
Hinzukommen muss, dass durch die Tat das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist (Hinz JR 07, 143, 144; für Bezug dieser Voraussetzung nur auf die §§ 239 III, 239 a und 239 b StGB und nicht auf die vorstehenden Delikte Noak ZRP 09, 15). Die Gefahr der Schädigung muss konkret sein (LG Oldenburg ZJJ 11, 92 mit Anm. Sommerfeld; Noak aaO, 16). – Verbrechen nach § 251 StGB, auch iVm § 252 oder § 255 StGB. S. 2 räumt durch Verweis auf § 395 II Nr. 1 StPO die Nebenklagebefugnis auch den Angehöri- 9 gen (Eltern, Kinder, Geschwister, Ehegatte, Lebenspartner) eines durch eine rechtswidrige Tat Getöteten ein. Da nach den Gesetzesmaterialien „die Nebenklage gegen J stets den Vorwurf eines Verbrechens voraussetzen soll“ (Beschlussempfehlung aaO), muss es sich bei dem Tötungsdelikt um ein Verbrechen handeln; bei fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB besteht keine Nebenklagebefugnis (Hinz JR 07, 144; Noak ZRR 09, 16). Durch den Verweis auf die §§ 396 bis 402 StPO stellt S. 2 klar, dass abgesehen von den besonde- 10 ren Voraussetzungen für die Nebenklagebefugnis die übrigen Nebenklagevorschriften der StPO entsprechend Anwendung finden (Beschlussempfehlung aaO). Liegen die Voraussetzungen des Abs. III nicht vor, ist die Nebenklage gegen J unzulässig. Ist in 11 einem solchen Fall der Verletzte der Ansicht, der Angeklagte sei entgegen der Annahme des Urteils zur Tatzeit nicht mehr J gewesen, sind der Anschluss als Nebenkläger und das Rechtsmittel gegen das JRecht anwendende Urteil zulässig (BGH StrafFo 07, 502, 503). Staatliche Behörden (z. B. Finanzamt) können ggf. als Sachverständige gehört werden; Nebenkläger sind sie nie (KG NJW 55, 723 für § 54 WiStG 1952). Wurde eine Berufung des Nebenklägers entgegen § 80 III zugelassen, so können Gerichtsgebühren und –auslagen der erfolglos gebliebenen Berufung von diesem nur insoweit erhoben werden, als sie bei Erledigung der unzulässigen Berufung ohne Urteil angefallen wären (OLG Nürnberg, Beschl. v. 18. 7. 77 – 3 Ws 52/77). Liegen die vorgeworfenen Taten teils vor und teils nach dem 18. Geburtstag des Angeklagten 12 und ist kein Fall des § 80 III gegeben, ist die Nebenklage wegen des Grundsatzes des einheitlichen Verfahrens (§ 109, 14) insgesamt unzulässig (OLG Koblenz StV 03, 455; OLG Hamburg StraFo 06, 117; LG Hamburg B NStZ 89, 523). Zur Nebenklage im verbundenen Verfahren gegen J und Hw. bzw. Erw. s. § 109, 6. Der Verletzte hat ein Anwesenheitsrecht in der JGerichtsverhandlung (§ 48 II 1). Zu den Rechten nach § 406 g StPO vgl. § 48, 17. J können Nebenkläger sein (§ 395 StPO; Eisenberg 21). Es gilt das zu Rn 5 Gesagte.
13
Gegen Hw. ist Nebenklage zulässig. Die Ausführungen zu Rn 4 gelten entsprechend.
14
3.
Sonstige Rechte des Verletzten
Das OpferschutzG v. 18. 12. 1986, das ZeugenschutzG v. 13. 4. 1998, das OpferrechtsreformG v. 15 24. 6. 2004 und das 2. OpferrechtsreformG v. 24. 7. 2009 wollen die Stellung des Verletzten und der Zeugen im Strafverfahren verbessern. Wie in § 10, 12 f ausgeführt, sind die in die StPO eingegangenen Bestimmungen dieser Gesetze im JStrafverfahren nur anwendbar, wenn das JGG nicht ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimmt. In diesem Sinne muss jede Vorschrift im Einzelnen überprüft werden, um das JGerichtsverfahren vor jfremden Einflüssen zu bewahren und doch auch das Gebot fairer Verfahrensgestaltung zugunsten des Verletzten zu wahren (näher zur Position des Verletzten im JStrafverfahren Kondziela Opferrechte im JStrafverfahren, 1991; Rössner in JStrafrecht an der Wende S. 165 ff). Die Bestimmungen zum Schutze des Verletzten werden im Einzelnen auf ihre Anwendbarkeit 16 im JStrafrecht überprüft und kommentiert: bestimmte Mitteilungspflichten an den Verletzten nach § 406 d StPO bei § 70, 9 u. § 45, 39; Akteneinsicht für den Rechtsanwalt des Verletz-
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ten nach § 406 e StPO Vor § 97 Rn 27 f; Rechtsanwalt als Beistand des nicht nebenklageberechtigten Verletzten nach § 406 f I u. II StPO bei § 48, 14 u. 15; Rechtsanwalt als Beistand des nebenklageberechtigten Verletzten nach § 406 g StPO bei § 48, 14, 17 u. 18; Zuziehung einer Person des Vertrauens bei Zeugenvernehmung des Verletzten nach § 406 f III StPO bei § 48, 16; Hinweispflicht nach § 406 h StPO auf die Befugnisse nach §§ 406 d bis 406 g StPO bei § 48, 20; Anwesenheit des Verletzten in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung, auch seines Rechtsanwalts, bei § 48, 14 u. 15; zur Anwesenheit des Verletzten, der als Zeuge vernommen werden soll, Rn 5 u. § 48, 13; erweiterter Zeugenschutz nach § 241 a StPO u. § 172 Nr. 4 GVG Anh § 125, 5 a u. nach §§ 68 a, 68 b u. 247 S. 2 StPO bei § 48, 19; Einsatz der Videotechnologie Anh § 125, 5 a. Zusammenfassend zum Opferschutz im Strafprozessrecht Löffelmann BewH 06, 364.
§ 81 Entschädigung des Verletzten §§ 81–81 a Entschädigung des Verletzten Die Vorschriften der Strafprozessordnung über die Entschädigung des Verletzten (§§ 403 bis 406 c der Strafprozeßordnung) werden im Verfahren gegen einen Jugendlichen nicht angewendet. 1. Hw.-J: § 109 II 1. – 2. ErwG: RL 2 S. 1; § 104 I Nr. 14. Richtlinien zu § 81: 1. Auf die Möglichkeiten des Täter-Opfer-Ausgleichs und der Schadenswiedergutmachung wird hingewiesen. 2. Die Vorschriften der §§ 403 ff StPO sind gegen Jugendliche auch im Verfahren vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten nicht anzuwenden (§ 104 Abs. 1 Nr. 14). Im Verfahren gegen einen Heranwachsenden ist die Anwendung dieser Vorschriften nur ausgeschlossen, wenn Jugendstrafrecht angewandt wird (§ 109 Abs. 2).
1 Nicht nur die Geltendmachung der Ansprüche nach §§ 403 bis 406 c StPO ist ausgeschlossen, sondern die Verfolgung aller zivilrechtlichen Ansprüche im Strafverfahren (§ 6, 3, 4). Soweit es erz. geboten ist, den J zur Wiedergutmachung des Schadens zu veranlassen, stehen dafür der Täter-Opfer-Ausgleich (RL 1; § 10, 12) und die Auflage des § 15 I Nr. 1 (§ 15, 3 ff) zur Verfügung, welche erz. sinnvoll („nach Kräften“) eingesetzt und auch im Wege der Bew. auferlegt werden können (§ 23 I). Interessen des Verletzten müssen hier ggf. hinter den ErzAuftrag des JGG zurücktreten (BGH NStZ 91, 235 = JR 91, 347 mit zust. Anm. Eisenberg). Näher § 15, 3. 2 Gegen Hw. gelten die Vorschriften der StPO über die Entschädigung des Verletzten (Adhäsionsverfahren) nach der Änderung des § 109 II durch das 2. JuMoG v. 22. 12. 2006 auch dann, wenn JStrafrecht angewendet wird. RL 2 S. 2 ist überholt. Zu den Opferschutzgesetzen § 80, 15, 16.
Zehnter Unterabschnitt Anordnung der Sicherungsverwahrung § 81 a Verfahren und Entscheidung § 81 a Verfahren und Entscheidung (1) Für das Verfahren und die Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gelten § 275 a der Strafprozessordnung und die §§ 74 f und 120 a des Gerichtsverfassungsgesetzes sinngemäß.
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(2) Ist über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 7 Absatz 2 zu entscheiden, übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten rechtzeitig an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichts. Prüft die Staatsanwaltschaft, ob eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung in Betracht kommt, teilt sie dies dem Betroffenen mit. Die Staatsanwaltschaft soll den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung spätestens sechs Monate vor dem Zeitpunkt stellen, zu dem der Vollzug der Jugendstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung gegen den Betroffenen endet. Sie übergibt die Akten mit ihrem Antrag unverzüglich dem Vorsitzenden des Gerichts. Die Vorschrift wurde durch das G zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung v. 1 22. 12. 2010 eingefügt. Sie ist an die Stelle des aufgehobenen § 7 IV 1 getreten. Nach Abs. I iVm den §§ 74 f und 120 a GVG liegt die Zuständigkeit für die Entscheidungen über die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 7 II und III grds. beim Tatgericht. Nach § 41 I Nr. 5 soll die JKammer als Tatgericht zuständig sein. Gem. § 74 f I GVG entscheidet sie dann auch über die nachträgliche Sicherungsverwahrung. Hat als Tatgericht des JSchöffengericht entschieden, ist nach § 74 f II GVG für die Entscheidung über die nachträgliche Sicherungsverwahrung die JKammer zuständig. Die JKammer entscheidet mit 3 Berufsrichtern und 2 Schöffen (§ 74 f III 2. HS GVG). Hat im ersten Rechtszug ein Strafsenat des OLG entschieden, ist dieser nach § 120 a GVG für die Entscheidung über die nachträgliche Sicherungsverwahrung zuständig. Für das Verfahren ordnet Abs. I die sinngemäße Geltung des § 275 a StPO an. Die Entscheidung 2 ergeht nach Hauptverhandlung durch Urteil. Die Vorbereitung der Entscheidung durch Vollstreckungsbehörde und StA ist für die Entscheidung nach § 7 II in § 81 a II und für die Entscheidung nach § 7 III in § 81 a iVm § 275 a I 3 bis 5 StPO geregelt. Gem. § 275 a IV 2 StPO müssen Gutachten von zwei Sachverständigen eingeholt werden, die im Rahmen des Strafvollzugs oder der Unterbringung nicht mit der Behandlung des Verurteilten befasst gewesen sein dürfen. § 275 a VI S. 1 StPO ermöglicht bis zur Rechtskraft des Urteils den Erlass eines Unterbringungsbefehls, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, das die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird.
Drittes Hauptstück Vollstreckung und Vollzug Erster Abschnitt Vollstreckung Erster Unterabschnitt Verfassung der Vollstreckung und Zuständigkeit Vor § 82 Vor § 82 Verfassung der Vollstreckung und Zuständigkeit Vollzug ist die eigentliche Verwirklichung der Entscheidung, also das, was in der JStraf- oder JA 1 Anstalt mit dem Verurteilten geschieht, auch der Ausspruch der Verwarnung uä. Vollstreckung ist alles, was zur Verwirklichung der Entscheidung getan wird, also Prüfung der Vollstreckungsvoraussetzungen, Ladung und Einweisung, Anordnung der Überführung, Fahndung, Zwangsgestellung, Berechnung der Zeit und Überwachung der Art und Dauer des Freiheitsentzuges, Entscheidung über die Entlassung zur Bew. uä. An sich ist der Vollzug ein Teil der Vollstre-
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ckung; Vollstreckung ohne Vollzug heißt Betrieb der Vollstreckung; in der Praxis wird dieser Betrieb der Vollstreckung schlechthin als Vollstreckung bezeichnet. – Die Vollstreckung betreibt der Vollstreckungsleiter (§ 82 = Vollstreckungsbehörde des allg. Rechts); für den Vollzug ist der Vollzugsleiter (§ 90 II 2) verantwortlich. 2 Die Vorschriften gelten für alle Urteile und ihnen gleichstehende Entscheidungen (§§ 65, 66), in denen ErzMaßregeln, Zuchtmittel, JStrafe, Nebenstrafen, Nebenfolgen, Maßnahmen der Besserung und Sicherung verhängt sind. Bei einer vom ErwGericht verhängten JStrafe z. B. kommt nur eine Entlassung zur Bew. durch den nach § 85 II zuständigen JRichter als Vollstreckungsleiter (§§ 88 ff) in Betracht, nicht die Aussetzung des Strafrestes (§ 57 StGB) durch das ErwGericht (OLG München MDR 57, 437). Wegen Vollstreckung der einzelnen Maßnahmen u. Anordnungen § 82, 4, 5. Wurde ein Hw. nach ErwRecht verurteilt, gilt die StVollstrO uneingeschränkt, wurde aber ein inzwischen Erw. vom JGericht gem. § 32 nach JRecht verurteilt, so ist der zuständige JRichter Vollstreckungsleiter (Pohlmann/Jabel/Wolf § 1 StVollstrO 3, 4). 3 Das JGG enthält nur Einzelvorschriften (über §§ 82 ff hinaus §§ 57 ff, 62 ff, 56, 65, 66), die durch die §§ 449–463 d StPO ergänzt werden, soweit diese nicht durch das JGG ausgeschlossen sind. Da die Vollstreckung Justizverwaltungsangelegenheit ist (§ 83, 1), sind die RL bindend, ebenso die subsidiär geltende StVollstrO (§ 85 RL II 6 S. 1). Die Vollstreckung bedarf gerade in JSachen bes. Nachdrucks und bes. Beschleunigung; § 85 RL II 1 u. VI 1; vgl. auch § 85 RL IV 1, V 4 u. § 55 RL 1; § 43 RL 6. 4 Die Vollstreckung setzt grds. Rechtskraft voraus (§ 449 StPO); urkundliche Grundlage ist deshalb die Urschrift der Entscheidung (oder eine beglaubigte Abschrift des erkennenden Teils) mit Rechtskraftbescheinigung (StVollstrO § 13; § 85 RL II 2). Haben alle Anfechtungsberechtigten wirksam auf Rechtsmittel verzichtet und legt der Angeklagte dennoch ein unzulässiges Rechtsmittel ein, so bleibt die Rechtskraft des Urteils hierdurch unberührt (OLG München NJW 68, 1001). Behält sich der Tatrichter – und sei es auch nur in den Gründen – vor, die Voraussetzungen der Strafaussetzung zur Bew. vor Einleitung der Vollstreckung erneut zu überprüfen, so ist diese Sachprüfung neben der Rechtskraft Voraussetzung für die Einleitung der Vollstreckung (KG NStZ 88, 182; OLG Frankfurt NStZ-RR 97, 250; aA OLG Stuttgart NStZ 86, 219). Dieser Grundsatz ist bei Teilvollstreckung eines Einheitsstrafurteils durchbrochen (§ 56); wegen der Vollstreckungsunterlage in diesem Fall s. § 85 RL II 3. Bei Widerruf einer Bew. ist noch die Urschrift (oder die beglaubigte Abschrift des erkennenden Teils) des rechtskräftigen Widerrufsbeschlusses notwendig (StVollstrO § 14; § 26 a, 13). Hat der JRichter Hilfe zur Erz. nach § 12 angeordnet, so richtet sich die weitere Zuständigkeit nach den Vorschriften des SGB VIII (§ 82 II). 5 Für die Berechnung der JStrafe gelten §§ 36 ff StVollstrO. Der Vollstreckungsleiter hat die Strafzeitberechnung der Vollzugsanstalt auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (Pohlmann Rpfl. 67, 380; Pohlmann/Jabel/Wolf § 36 StVollstrO 3). Besonderheiten für den JA enthält § 85 RL V 8. Zur Gewährung von Vollstreckungsaufschub nach § 456 StPO aus erz. Gründen s. LG Strafsund ZJJ 10, 81. 6 Wegen der Vollstreckungsverjährung § 4, 3. 7 Soweit die Zuständigkeit in Gnadensachen bei der Vollstreckungsbehörde liegt, ist in JSachen der Vollstreckungsleiter zuständig. Zu beachten ist dabei, dass immer nur der vom Gesetz bezeichnete JRichter (§ 84, § 85 I bis IV) oder der JRichter, an den dieser die Vollstreckung (nicht etwa nur die BewAufsicht) übertragen hat (§ 85 V), Vollstreckungsleiter ist, da eine Weiterübertragung unzulässig ist (§ 85, 13). Die in Gnadenordnungen normierte Zuständigkeit des Generalstaatsanwalts aber gilt auch für J und Hw. 8 § 82 fordert, dass der JRichter als Vollstreckungsleiter die entscheidenden Anordnungen trifft; dies wiederholt § 31 V 1 RpflG. Dem Rechtspfleger sind, abweichend von der Vollstreckung gegen Erw., bei der Vollstreckung im JStrafverfahren nur die Geschäfte übertragen, durch
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die eine richterliche Vollstreckungsanordnung oder eine die Leitung der Vollstreckung nicht betreffende allg. Verwaltungsvorschrift ausgeführt wird (§ 31 V 2 RpflG). Durch RechtsVO können dem Rechtspfleger bestimmte nichtrichterliche Geschäfte übertragen werden, soweit nicht § 82 I berührt oder das Vollstreckungsgeschäft wegen seiner rechtlichen Schwierigkeit, wegen der Bedeutung für den Betroffenen, vor allem aus erz. Gründen, oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung dem Vollstreckungsleiter vorbehalten bleiben muss (§ 31 V 3 RpflG). Bis zum Inkrafttreten einer derartigen RechtsVO gelten Nr. II 6 RL zu §§ 82–85 und die Bekanntmachung der Landesjustizverwaltungen über die Entlastung des JRichters bei den Vollstreckungsgeschäften v. 1. 12. 19621 weiter (§ 33 a RpflG; Pohlmann Rpfl. 70, 274). Stets aber kann der JRichter die Vorlage der dem Rechtspfleger übertragenen Vollstreckungsgeschäfte anordnen (§ 31 V 4 RpflG), behält dadurch jederzeit Einfluss, aber auch die Verantwortung und ein allg. Weisungsrecht (Pohlmann Rpfl. 70, 79; Vogel Rpfl 71, 61). Reiß (Rpfl. 87, 54) fordert baldigen Erlass der in § 31 V S. 3 vorgesehenen RechtsVO und für den Rechtspfleger in der JVollstreckung die gleiche Zuständigkeit wie in der allgemeinen (dazu Rn 9). Wegen der Vollstreckung im OWiG-Verfahren § 82, 6 ff. 1
Bekanntmachung über die Entlastung des Jugendrichters bei den Vollstreckungsgeschäften vom 1. 12. 1962. I. Zur Entlastung des Jugendrichters sind dem Rechtspfleger durch Abschnitt II Nr. 6 der Richtlinien zu den §§ 82 bis 85 des Jugendgerichtsgesetzes in der Fassung vom 1. Dezember 1962 Vollstreckungsgeschäfte in bestimmtem Umfange übertragen worden. Darüber hinaus kann der Rechtspfleger zur Vorbereitung von Vollstreckungsgeschäften, die dem Vollstreckungsleiter vorbehalten sind, herangezogen werden. Dadurch soll es dem Jugendrichter ermöglicht werden, sich in verstärktem Maße den erzieherischen Aufgaben zu widmen, die ihm innerhalb des Jugendstrafverfahrens auch im Rahmen der Vollstreckung obliegen. II. Hierzu wird folgendes bestimmt: 1) Der Jugendrichter kann den Rechtspfleger zur Mitwirkung bei den ihm vorbehaltenen Geschäften der Vollstreckung heranziehen, ihn insbesondere zur Vorbereitung solcher Geschäfte mit der Fertigung von Entwürfen beauftragen. Die Unterzeichnung bleibt dem Jugendrichter vorbehalten. Die Überwachung von Weisungen und Auflagen ist Sache des Jugendrichters (vgl. auch Abschnitt III Nr. 1 der Richtlinien zu den §§ 82 bis 85 JGG). Er kann sich dabei der Mithilfe des Rechtspflegers oder eines anderen Beamten der Vollstreckungsbehörde bedienen. Eine Mitwirkung des Rechtspflegers bei jugendrichterlichen Entscheidungen (§ 83 Satz 1 JGG) kommt nicht in Betracht. 2) a) Zu den Geschäften, die dem Rechtspfleger durch Abschnitt II Nr. 6 der Richtlinien zu den §§ 82 bis 85 JGG übertragen worden sind, gehören vor allem folgende: die Ausführung einer richterlichen Vollstreckungsanordnung (Anordnung der Ladung zum Arrest- oder Strafantritt, Aufnahme- und Überführungsersuchen und Strafzeitberechnung), der Erlass eines Vollstreckungshaft- oder -Vorführungsbefehls und die Zwangszuführung zum Jugendarrest (Abschnitt V Nr. 8 der Richtlinien zu §§ 82;85 JGG) auf richterliche Anordnung sowie die Maßnahmen zu ihrer Vollziehung, die Anordnung über das Anlegen von Vollstreckungsheften, die Ausführung von richterlichen Anordnungen über Fahndungsmaßnahmen, die Rücknahme erledigter Fahndungsmaßnahmen, die Ausführung von richterlichen Anordnungen nach § 61 Abs. 1 Satz 1 StVollstrO, die nach den §§ 56, 59 und 63 bis 86 StVollstrO erforderlichen Maßnahmen der Vollstreckungsbehörde. Die hiernach vorgesehenen richterlichen Anordnungen sind schriftlich zu erteilen. Der Rechtspfleger ist bei der Ausführung der ihm übertragenen Geschäfte an Weisungen des Jugendrichters nach § 10 Abs. 2 StVollstrO gebunden. Vor allem hat er bei Aufnahmeersuchen besondere Vollzugshinweise des Jugendrichters, die über § 30 Abs. 2 StVollstrO hinausgehen, zu beachten. b) Die Wahrnehmung der dem Rechtspfleger durch Abschnitt II Nr. 6 der Richtlinien zu den §§ 82; 85 JGG übertragenen Vollstreckungsgeschäfte obliegt dem Jugendrichter, wenn der Vollstreckungsbehörde hierfür ein Rechtspfleger nicht zur Verfügung steht. III. Die Zuständigkeit von Beamten des gehobenen oder des mittleren Dienstes zur Anordnung und Ausführung von Nachrichten zum Strafregister, zur Erziehungskartei und zum Verkehrszentralregister sowie von Mitteilungen und Zählkarten richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften (vgl. Abschnitt II Nr. 4 der Richtlinien zu den §§ 82; 85 JGG). IV. Diese Verfügung tritt am 1. Januar 1963 in Kraft. Vorschriften, die ihr entgegenstehen, sind vom gleichen Zeitpunkt ab nicht mehr anzuwenden.
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9 So kann der Rechtspfleger bei der Vollstreckung von JStrafe und JA (wegen der übrigen Maßnahmen Rn 12, 13) tätig werden, soweit dabei die beim JRichter liegende Leitung der Vollstreckung nicht beeinträchtigt wird (§ 31 V 2 RpflG; RL II 6 zu § 85). Das Nähere ist in der einheitlichen Bekanntmachung der Landesjustizverwaltungen v. 1. 12. 1962 (FN 1 zu Rn 8), angepasst an die seit 20. 11. 1974 geltende Fassung der StVollstrO, geregelt. Die Vollstreckung der gegen Hw. nach allg. Recht verhängten Rechtsfolgen obliegt gemäß § 31 II 1 RpflG grds. dem Rechtspfleger. Das gilt seit dem 1. JuMoG v. 24. 8. 2004 auch für die Entscheidungen und Maßnahmen hinsichtlich der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach §§ 35 f BtMG. Entscheidungen nach § 114 darf der Rechtspfleger jedoch nach § 31 II 2 RpflG nicht treffen. 10 Dass vollstreckt werden soll, bestimmt der Richter. Der Rechtspfleger wird daraufhin tätig wie im allg. Recht; er muss also noch nachprüfen, ob die angeordneten Maßnahmen zulässig und geboten sind. Beispiele für Maßnahmen, die der Rechtspfleger dann selbständig treffen kann, bringt die Bekanntmachung v. 1. 12. 1962 (FN 1 zu Rn 8). Die Anordnung der Vollstreckung berechtigt den Rechtspfleger nur, die zur Einleitung der Vollstreckung notwendigen Maßnahmen zu treffen. Der Richter sollte deshalb alle für den Vollzug gebotenen, ihm vorbehaltenen Anweisungen zugleich mit der Anordnung geben (vgl. Bekanntmachung II 2 A aE), um Verzögerungen zu vermeiden, also Anordnungen für den Erlass eines Vollstreckungshaft- oder Vorführungsbefehls, für die Zuführung zum JA, uU mit bes. Zusätzen etwa über den Zeitpunkt, vorherige gütliche Versuche uä. Auch Anordnungen über Fahndungsmaßnahmen und ihre Aufhebung vor Erledigung können sogleich getroffen werden, doch kann der Richter seiner Anordnung Beschränkungen beifügen. Für die Vollstreckung in Gegenstände (§ 61 I StVollstrO) bedarf es ebenfalls einer bes. Anordnung, die ggf. ausdrücklich auch die Zwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher erwähnen sollte. Die Schlussverfügung – eine bloße Feststellung, kein Vollstreckungsgeschäft – unterschreibt der JRichter wegen ihrer Bedeutung, da nach ihr nichts mehr geschieht. 11 Wird der Rechtspfleger ohne Übertragung tätig, ist das Vollstreckungsgeschäft unwirksam (Pohlmann/Jabel/Wolf § 1 StVollstrO 16). Der JRichter muss die Vollstreckungshandlung selbständig wiederholen, damit ein wirksames Vollstreckungsgeschäft zustande kommt (Eisenberg 24; Ostendorf 3 aE; DSS/Sonnen 6 je zu § 82). In Zweifelsfällen sollte der JRichter entweder – ggf. nach Vorbereitung durch den Rechtspfleger – selbst tätig werden oder ausdrücklich und grds. schriftlich übertragen. Eine generelle Anordnung kann als Übertragung für alle Einzelfälle umgedeutet werden. 12 Die Sonderregelungen für die Vollstreckung von ErzMaßregeln, Verwarnung und Auflage (RL III, IV zu §§ 82–85) werden nicht beeinträchtigt. Eine Übertragung auf den Rechtspfleger scheidet hier aus; der JRichter kann jedoch den Rechtspfleger wie jeden anderen ihm unterstellten Beamten und Angestellten zur Mitarbeit heranziehen. Die Verantwortung des JRichters wird dadurch nicht eingeschränkt. 13 Die Nebengeschäfte der Vollstreckung (Mitteilungen, Zählkarte uä) werden von den nach allg. Recht zuständigen Beamten oder der von der Landesjustizverwaltung sonst bestimmten Stelle vorgenommen (RL II 4 zu §§ 82–85).
§ 82 Vollstreckungsleiter § 82 Vollstreckungsleiter (1) Vollstreckungsleiter ist der Jugendrichter. Er nimmt auch die Aufgaben wahr, welche die Strafprozeßordnung der Strafvollstreckungskammer zuweist. (2) Soweit der Richter Hilfe zur Erziehung im Sinne des § 12 angeordnet hat, richtet sich die weitere Zuständigkeit nach den Vorschriften des Achten Buches Sozialgesetzbuch.
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Vollstreckungsleiter
(3) In den Fällen des § 7 Abs. 2 und 3 richten sich die Vollstreckung der Unterbringung und die Zuständigkeit hierfür nach den Vorschriften der Strafprozessordnung, wenn der Betroffene das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat. Abs. I: 1. Hw.-JRecht: Rn 1; § 110 I, RL 1; § 85 RL I 3. – 2. ErwG: Rn 1; § 104, 1. Abs. II: [Hw.]: § 110 I. Richtlinien hierzu nach § 85. Schrifttum: Wagner Aufgaben u. Stellung des Vollstreckungsleiters nach dem JGG, Zbl. 91, 334. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6.
1.
JRichter als Vollstreckungsleiter . . . . . . . . . . . . . Vollstreckung von Hilfe zur Erz. nach § 12 . . . . . . . Vollstreckung von Maßnahmen und JStrafe . . . . . . Vollstreckung von Sicherungsverwahrung . . . . . . . Vollstreckung von Entscheidungen nach dem OWiG Vollstreckungsanordnungen nach § 98 OWiG . . . . .
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Rn 1 4 5 5a 6 11
JRichter als Vollstreckungsleiter
Der JRichter ist Vollstreckungsleiter, wo materielles JRecht angewendet wurde (§ 110 I). Hat der 1 Richter Hilfe zur Erz. nach § 12 angeordnet, so ist dies nach Abs. II durchbrochen und richtet sich die weitere Zuständigkeit nach den Vorschriften des SGB VIII (dazu Rn 4). Sonst ist der JRichter Vollstreckungsleiter auch dann, wenn die JKammer oder ein ErwGericht (auch das OLG) entschieden hat (§ 84 II; Grundsatz der Einheitlichkeit der Erz.; §§ 34, 42; Nothacker S. 236), wenn es um eine neben den Sanktionen des JGG verhängte Maßregel der Besserung und Sicherung geht (§ 85, 8) oder eine Entscheidung nach §§ 38, 35 BtMG zu treffen ist (näher § 17, 28 a u. b). Wegen seiner Aufgabe und Stellung § 83, wegen der Zuständigkeit und Abgabe §§ 84 ff. Der JRichter ist jedoch von weniger wichtigen Geschäften entlastet (Vorb. 8). Bei mehreren Verurteilten kann die Vollstreckung in verschiedenen Händen liegen; eine Ver- 2 bindung ist nicht möglich. Das ist z. B. stets der Fall, wenn Mittäter nach JRecht, andere nach allg. Strafrecht verurteilt sind. Auch bei nur einem Verurteilten kann die Vollstreckung getrennt bei der StA und beim JRichter liegen, wenn ein ErwGericht gegen einen Hw. nach allg. Strafrecht auf Strafe und zugleich wegen einer Ordnungswidrigkeit auf eine Geldbuße erkannt hat (Pohlmann Rpfl. 68, 268). Der Vollstreckungsleiter nimmt nach Abs. I 2 auch die Aufgaben wahr, welche die StPO im Erw- 3 Recht den Strafvollstreckungskammern zuweist (§§ 462 a, 463 StPO, 78 a, 78 b GVG; OLG Stuttgart MDR 76, 78). Dies gilt aber nur, wenn nach materiellem JStrafrecht verurteilt wurde und bei Anwendung von ErwStrafrecht die Vollstreckungskammer entscheiden müsste. Hat hingegen die JKammer als erstinstanzliches Gericht zu Freiheitsstrafe verurteilt, so ist sie für weitere, die Strafaussetzung betreffende Entscheidungen zuständig, wenn eine Strafvollstreckungskammer nach Strafaussetzung zur Bew. aus der zugrunde liegenden Strafe und einer weiteren Strafe eine neue Gesamtstrafe nach § 460 StPO gebildet hatte (OLG Schleswig SchlHA 83, 44). Zur Zuständigkeit des Vollstreckungsleiters nach § 85 II anstelle der Strafvollstreckungskammer § 85, 3, 8. Der Vollstreckungsleiter ist auch für Vollstreckungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Führungsaufsicht zuständig (RL VII 2 zu § 85; § 54 a StVollstrO; § 7, 8; OLG Koblenz GA 75, 285), ebenso für die Abkürzung der Sperrfrist nach § 69 a VII StGB (§ 85, 3). Dies entspricht dem Sinngehalt und der Aufgabe der Einrichtung des Vollstreckungsleiters im JRecht, welche schon stets die Vorzüge in sich vereinte, die nun auch den Erw. zugute kommen. Diese Entscheidungen des Vollstreckungsleiters sind jrichterliche Entscheidungen (§ 83 I 1;
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§ 83, 6), und es gilt für sie zugleich die bes. Vorschrift des § 83 II Nr. 2; § 83, 2. Bei Vollzug von Strafarrest nach dem WStG ist die Strafvollstreckungskammer nach § 462 a StPO zuständig (§ 112 a, 11). 3 a Die Strafvollstreckungskammer wird auch nicht dadurch zuständig, dass der Verurteilte zZ des Widerrufs wegen einer als Erw. begangenen Straftat in UHaft oder Strafhaft einsitzt, und auch nicht dadurch, dass er JStrafe im ErwVollzug verbüßt (BGH StV 85, 92). 2.
Vollstreckung von Hilfe zur Erz. nach § 12
4 Die Vollstreckung von Hilfe zur Erz. nach § 12 (nur bei J; § 12, 8; § 110 I) besteht praktisch nur in der Fertigung der vorgeschriebenen Mitteilungen (§ 70 u. MiStra. 31–35, bes. 33 I) und der Übersendung der erforderlichen Unterlagen entsprechend der Zuständigkeitsvorschrift des Abs. II. Die Vollstreckung selbst, Zuständigkeit, Durchführung und Aufhebung richtet sich nach dem SGB VIII (Abs. II; § 12, 7). 3.
Vollstreckung von Maßnahmen und JStrafe
5 Wegen der Vollstreckung von Weisungen § 85 RL III 1; Auflagen § 85 RL IV 2; einer Verwarnung § 85 RL IV 1; § 14, 5; von JA §§ 86 ff; § 85 RL V u. Rn 11, bes. § 16, 18; von JStrafe u. Freiheitsstrafe § 89 a, 1 ff; von Maßregeln der Besserung u. Sicherung Rn 5 a u. § 85, 8 u. 9; zur Reihenfolge § 93 a, 6; von U Haft u. der Maßnahmen zu ihrer Abwendung § 71, 1 ff; § 72, 3; von Sicherungsmaßnahmen § 61, 14. Zur Tätigkeit des Vollstreckungsleiters bei Zurückstellung der Strafvollstreckung bei betäubungsmittelabhängigen J u. Hw. nach §§ 38, 35 I, 36 BtMG s. Rn 1; § 17, 27, 30 u. 31, auch Vor § 82, 9 aE. 4.
Vollstreckung von Sicherungsverwahrung
5 a Nach dem durch Gesetz v. 8. 7. 2008 eingefügten Abs. III richtet sich die Vollstreckung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gem. § 7 II und III nicht nach den §§ 82 ff, sondern nach den Vorschriften der StPO, wenn der Betroffene das 21. Lebensjahr vollendet hat. Ein niedrigeres Alter kommt nur bei Betroffenen nach § 7 III in Betracht und dürfte praktisch äußerst selten sein. 5.
Vollstreckung von Entscheidungen nach dem OWiG
6 Für die Vollstreckung der Bußgeldentscheidung nach dem OWiG gilt Folgendes: 7 Bußgeldentscheidungen der Verwaltungsbehörden werden, auch gegen J und Hw., durch die Verwaltungsbehörden vollstreckt (§ 92 OWiG). Die hierbei notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen (§§ 96, 97 III 2, 98, 99, 102 II, 103 – nicht aber nach § 100 I Nr. 2 OWiG; näher Rn 8) trifft im Verfahren gegen J und Hw. der JRichter, der als Vollstreckungsleiter auch die gerichtlichen Bußgeldentscheidungen zu vollstrecken hat (§ 104 I Nr. 3 OWiG, §§ 82 I, 84, 85 III sinngemäß). Zur örtlichen Zuständigkeit u. zum Übergang der Vollstreckungszuständigkeit Rn 8 aE. 8 Für die Vollstreckung einer gerichtlichen Bußgeldentscheidung – einheitlich Geldbuße für J, Hw. und Erw. (§ 1 I OWiG; BayObLG NJW 72, 837; OLG Köln Zbl. 84, 378) – und der Erzwingungshaft (§ 96 OWiG) ist bei J und Hw. ausschließlich der JRichter als Vollstreckungsleiter (in § 92 OWiG als „Vollstreckungsbehörde“ bezeichnet) sachlich zuständig (§ 82 I iVm §§ 91, 97 I, 104 I Nr. 3 OWiG). Für Hw. ergibt sich aus § 110 nichts Gegenteiliges (BGH NStZ-RR 02, 347). § 83 II – JKammer ggf. anstelle JRichter – gilt auch hier (§ 91 OWiG). Nur Entscheidungen nach § 100 I Nr. 2 OWiG (nachträglich über die Einziehung) fallen in die Zuständigkeit des JRichters des
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Vollstreckungsleiter
§ 82
1. Rechtszuges, weil sie keine Vollstreckungsentscheidungen sind. Erzwingungshaft ist bei J kaum, bei Hw. uU, aber doch wohl selten angebracht (Rn 11); bei J wäre sie in einer JA-Anstalt zu vollziehen. Dass die Erzwingungshaft die Geldbuße bestehen lässt, macht sie nicht zur Doppelbestrafung (BVerfG Rpfl. 77, 53). Das OWiG sieht für J und Hw. eine einheitliche bes. Regelung nur für das Vollstreckungsverfahren vor (§§ 68 II, 91, 97 I, 98 III OWiG). § 98 erfasst jeden Hw., ob er einem J in seiner Entwicklung gleichsteht oder nicht (Göhler/Seitz § 98 OWiG 31). Der JRichter als Vollstreckungsleiter ist auch für die weiteren bei der Vollstreckung notwendig werdenden Entscheidungen zuständig (§ 104 I Nr. 3 OWiG). Als Vollstreckungsleiter in Bußgeldsachen wird der JRichter als Organ der Justizverwaltung tätig und ist deshalb weisungsgebunden (Göhler/Seitz § 91 OWiG 3 b). – Gegen die Anordnung der Erzwingungshaft und die Verhängung von JA ist sofortige Beschwerde gegeben (§ 104 III OWiG), über welche die JKammer entscheidet (§ 41 II 2 iVm § 46 I OWiG). Bei Ablehnung einer solchen Anordnung ist kein Rechtsmittel (§ 104 III OWiG „gegen“), bei Ablehnung nur aus formellen Gründen (z. B. wegen Unzulässigkeit) einfache Beschwerde zulässig (vgl. RG 32, 234). Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich gem. §§ 84, 85 III JGG und RL zu §§ 82–85 I Nr. 1, II. Für die Vollstreckung des JA gem. § 98 II OWiG gilt § 85 I JGG. Zur Zuständigkeit der JA-Anstalt BGH B NStZ 87, 444. In OWiG-Sachen gegen J und Hw. sind dem Rechtspfleger die dem JRichter als Vollstreckungs- 9 leiter obliegenden Vollstreckungsgeschäfte übertragen (§ 31 II 1 RPflG). Dies widerspricht nicht den §§ 31 V und 33 a RPflG, weil diese Vorschriften sich nur mit dem JStrafverfahren befassen und auf die Vollstreckung in Bußgeldsachen nicht anwendbar sind. Dies kann deshalb hingenommen werden, weil der JRichter schon im Erkenntnisverfahren jgemäße Anordnungen treffen (§ 78 IV OWiG) und für die Vollstreckung jederzeit Weisungen erteilen kann (§ 31 VI 2 RPflG). Nach Zurücknahme des Einspruchs oder bei verspäteter Einlegung vollstreckt die Verwaltungs- 10 behörde (Pohlmann/Jabel/Wolf § 87 StVollstrO 27 mwN). 6.
Vollstreckungsanordnungen nach § 98 OWiG
§ 98 OWiG lässt für J und Hw. jgemäße Vollstreckung zu, wenn der Betroffene im Zeitpunkt der 11 Festsetzung der Geldbuße noch J oder Hw. war (OLG Köln Zbl. 84, 378; Göhler/Seitz § 98 OWiG 1, 2; vgl. auch § 78 IV OWiG sowie Rn 12, 14); auf den Tatzeitpunkt kommt es hier (anders als bei Weisungen und Auflagen nach §§ 10, 15) nicht an (Göhler/Seitz § 98 OWiG 2). Der Vollstreckungsleiter kann an Stelle einer Geldbuße (nicht an Stelle einer Nebenfolge, eines Ordnungsgeldes oder der Kosten) erz. Maßnahmen auferlegen und bei Ungehorsam JA anordnen. Diese Vorschrift ermöglicht es, auf die erz. häufig abträglichen Vollstreckungshilfen, wie Zahlungserleichterung (Belastung über längere Zeit), und auf Beitreibung der Geldbuße und Erzwingungshaft zu verzichten, gleichwohl aber gezielt und rasch zu reagieren. Bohnert (Ordnungswidrigkeiten im JRecht, 1989 S. 4 ff) kritisiert die Verlagerung jspezifischer Bedürfnisse auf die Vollstreckungsebene. Zuständig ist der JRichter als Vollstreckungsleiter, wenn eine gerichtliche Bußgeldentschei- 12 dung zu vollstrecken ist, auch wenn die Entscheidung gem. § 98 I OWiG bereits im Erkenntnisverfahren getroffen wurde (§ 78 IV OWiG; Rn 14). § 65 I ist hier nicht anwendbar, weil diese Vorschrift eine Entscheidung in der Sache voraussetzt, während gem. § 78 IV OWiG eine Vollstreckungsanordnung getroffen wird. Wurde der Bußgeldbescheid von der Verwaltungsbehörde erlassen, wird der JRichter als Vollstreckungsleiter auf deren Antrag tätig (Rn 7). Die Anordnung gem. § 98 OWiG setzt voraus, dass der J oder Hw. die Geldbuße nach Ablauf der 13 zweiwöchigen Schonfrist (§ 95 I OWiG) nicht gezahlt hat und die Bewilligung einer Zahlungserleichterung (§ 93 OWiG), die Beitreibung der Geldbuße (§§ 90, 91 OWiG), die Anordnung, dass die Vollstreckung unterbleibt (§ 95 II OWiG), oder die Anordnung der Erzwingungshaft (§ 96 OWiG) nicht möglich oder – was aus erz. Gründen häufig zutreffen wird – nicht angebracht
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sind. So, wenn der J dartut, dass er in absehbarer Zeit die Geldbuße nicht wird zahlen können. Eine Nachprüfung des „Schuldspruchs“ findet nicht statt (Göhler/Seitz § 98 OWiG 4 u. 5). Die Anordnung ergeht, nachdem der Beteiligte und sein gesetzlicher Vertreter oder ErzBerechtigter Gelegenheit hatten, Anträge zu stellen und sie zu begründen, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (§ 104 II OWiG), dessen Begründung sich aus erz. Erwägungen über die Voraussetzungen des § 34 StPO iVm § 46 I OWiG hinaus empfiehlt; die Entscheidung ist bei J auch dem gesetzlichen Vertreter oder ErzBerechtigten bekannt zu machen. Sie ist unanfechtbar (§ 104 III 2 OWiG); der Verpflichtete, sein gesetzlicher Vertreter oder der ErzBerechtigte können aber stets nachträgliche Änderung beantragen. 14 Schon im Erkenntnisverfahren kann gegen J und Hw. im Urteil oder Beschluss zugleich mit der Geldbuße eine Vollstreckungsanordnung gem. § 98 I OWiG getroffen werden (§ 78 IV OWiG), was sich zumeist empfehlen wird, weil hierdurch die Möglichkeit jgemäßer Vollstreckung aus dem Vollstreckungsverfahren in das Erkenntnisverfahren vorgezogen und das Verfahren vereinfacht wird. Getrennte Entscheidungen (zugleich) sind unschädlich. Eine solche Anordnung kann auch das ErwGericht treffen. – Über nachträgliche Änderungen der Maßnahmen und die Anordnung des JA entscheidet bei § 78 IV OWiG stets der Vollstreckungsleiter (Rn 12). 15 Die erz. Anordnungen – in § 98 I OWiG abschließend aufgeführt – sind: Arbeitsleistungen zu erbringen (vgl. § 10, 9 ff; Versicherungsschutz § 10, 22). – Wiedergutmachung des Schadens, was der Auferlegung einer Auflage gem. § 15 I 1 JGG entspricht. Doch scheidet Wiedergutmachung durch Geldauflage aus, weil Wiedergutmachung hier gerade an Stelle einer Geldbuße auferlegt wird und nur angeordnet werden kann, wenn deren Beitreibung nicht möglich oder nicht angebracht ist (Rn 13). Es bleibt also Naturalrestitution oder Arbeitsleistung im Werte des Schadens ggf. zugunsten des Geschädigten (s. § 15, 6). – Teilnahme am Verkehrsunterricht, der nach Art und Dauer festzusetzen ist; es kommt auch eine praktische Fahrstunde in Betracht, wenn dem J oder Hw. die Kosten zuzumuten sind oder die Eltern diese übernehmen. Nur auf solchem Wege kann neben der Geldbuße ein Verkehrsunterricht angeordnet werden (OLG Köln Verkehrsrechtl. Mitt. 76, 36). – Eine bestimmte sonstige Leistung zu erbringen. Hier kommen in Betracht die Weisungen des § 10, ggf. auch die Auflage, sich persönlich beim Verletzten zu entschuldigen, was bei Hw. selten erz. wertvoll sein wird (§ 15, 9), zumal die Auswechslung einer Geldbuße gegen eine Entschuldigung als allzu erfreulich empfunden werden könnte. – Für die Erfüllung einer Maßnahme nach § 98 I OWiG ist dem J eine Frist zu setzen (vgl. § 11 I 1), die nachträglich verlängert werden kann, wenn hierfür ausreichende Gründe vorliegen. Die Frist zeigt dem J, bis wann er die Maßnahme durch Zahlung der Geldbuße abwenden kann, und sichert den Eingriff mit Ungehorsamsarrest (Rn 16). Im Übrigen sind bei all diesen erz. Maßnahmen die bei § 10, 3, 6 und 7 herausgearbeiteten Grenzen und Grundsätze zu beachten, im Rahmen des richterlichen Ermessens auch, dass die Maßnahme nicht außer Verhältnis zur festgesetzten Geldbuße stehen darf. Die Anordnung der erz. Maßnahme ersetzt nicht die Geldbuße (BayObLG NJW 72, 327; OLG Köln Zbl. 84, 379), was auch im Falle des § 78 IV OWiG gilt; es steht dem Verpflichteten weiterhin frei, die Geldbuße zu bezahlen und damit die Anordnung gegenstandslos zu machen (OLG Köln Zbl. 84, 378; Göhler/Seitz § 98 OWiG 15). Die einzelnen Maßnahmen können nebeneinander angeordnet, nachträglich geändert, auch ausgetauscht werden. Eine ersatzlose Befreiung von allen Auflagen ist nicht möglich, da die Maßnahme dem Verpflichteten nur eine zusätzliche Möglichkeit verschafft, die Geldbuße hierdurch zu erledigen, ihn also begünstigt. Hätte der Gesetzgeber eine völlige Befreiung zulassen wollen, so hätte er auf §§ 11 II, 15 III verwiesen (Göhler/Seitz § 98 OWiG 17 a). 16 Die Erfüllung der angeordneten Maßnahmen kann nicht erzwungen werden; wird die Maßnahme jedoch schuldhaft nicht erfüllt und auch die Geldbuße nicht bezahlt, kann der JRichter JA verhängen (§ 98 II 1 OWiG), wenn der J oder Hw. entsprechend belehrt worden ist. Dieser Ungehorsamsarrest darf bei einer Bußgeldentscheidung eine Woche nicht übersteigen (§ 98 II 2
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OWiG) und wegen desselben Betrags nicht wiederholt angeordnet werden (§ 98 III 1 OWiG). Auch hier ist dem J vor Verhängung des Arrestes Gelegenheit zur mündlichen Äußerung zu geben (§ 98 II 3 OWiG); es gilt dazu das bei § 65, 6 Ausgeführte. Insbes. ist zu prüfen, ob – auch in Anbetracht des idR geringeren Gewichts einer Ordnungswidrigkeit – eine Ermahnung ausreicht oder die Umstände eine Abänderung der Anordnung erfordern. Kommt der J nach Verhängung des Arrestes der Anordnung nach oder zahlt er die Geldbuße, so muss der Richter (sieht . . . ab) von der Vollstreckung des Arrestes absehen (§ 98 III 2 OWiG). Ist der Ungehorsamsarrest vollstreckt worden, so kann der Richter die Vollstreckung der Geldbuße ganz oder zum Teil für erledigt erklären (§ 98 III 3 OWiG). Gegen die Verhängung des JA ist sofortige Beschwerde zulässig (§ 104 III 1 OWiG), weitere Beschwerde ist nicht gegeben (Rn 8); unanfechtbar aber sind die Anordnung des JRichters nach § 98 I 1 und 2 OWiG und die Ablehnung eines Antrags, die Geldbuße für erledigt zu erklären (§ 104 III 2 OWiG). Es bleiben nur Gegenvorstellungen. Hat der JRichter nach Vollstreckung des JA die Geldbuße für erledigt erklärt (§ 98 III 3 OWiG), entfällt auch die „an Stelle“ der Geldbuße angeordnete erz. Maßnahme. Der JRichter wird die Geldbuße für erledigt erklären, wenn durch die Vollstreckung des JA der mit der Geldbuße erstrebte Zweck erreicht erscheint und nicht erz. Gründe weitere Vollstreckungsmaßnahmen fordern. § 98 IV OWiG erstreckt diese Regelungen auch auf Hw., wobei es entgegen § 105 I Nr. 1 auf den Entwicklungsstand des Hw. nicht ankommt. In das ErzRegister werden mangels ausdrücklicher Bestimmung weder Maßnahmen nach § 98 I 17 1 OWiG noch der Ungehorsamsarrest nach Abs. II eingetragen, was auch dem geringen Gewicht des Bußgeldverfahrens entspricht (vgl. Göhler/Seitz § 98 OWiG 32; Götz GA 73, 195; Wollny NJW 70, 599). Weitere Begründung Vor § 97, 6.
§ 83 Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren § 83 Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren (1) Die Entscheidungen des Vollstreckungsleiters nach den §§ 86 bis 89 a und 89 b Abs. 2 sowie nach den §§ 462 a und 463 der Strafprozeßordnung sind jugendrichterliche Entscheidungen. (2) Für die bei der Vollstreckung notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen gegen eine vom Vollstreckungsleiter getroffene Anordnung ist die Jugendkammer in den Fällen zuständig, in denen 1. der Vollstreckungsleiter selbst oder unter seinem Vorsitz das Jugendschöffengericht im ersten Rechtszug erkannt hat, 2. der Vollstreckungsleiter in Wahrnehmung der Aufgaben der Strafvollstreckungskammer über seine eigene Anordnung zu entscheiden hätte. (3) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 und 2 können, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit sofortiger Beschwerde angefochten werden. Die §§ 67 bis 69 gelten sinngemäß. 1. Hw.-JRecht: § 110 I; RL 1; § 85 RL I 3. – 2. ErwG: § 104, 1. – 3. Sold. Rn 6; § 112 c III. Richtlinien hierzu nach § 85.
Der Vollstreckungsleiter wird grds. als Organ der Justizverwaltung tätig; er ist dann wei- 1 sungsgebunden und unterliegt der Dienstaufsicht des Generalstaatsanwalts (BVerfG NJW 94, 2750; OLG Hamm NStZ-RR 02, 21; Eisenberg 1; Pohlmann/Jabel/Wolf § 21 StVollstrO 6; Dörig DRiZ 87, 277). Seine Entscheidungen sind Verwaltungsakte (§ 85 RL II 5 S. 1, 2).
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2 War der Vollstreckungsleiter in gleicher Sache als erkennender Richter tätig geworden, so ist die JKammer zuständig für alle bei der Vollstreckung notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen gegen seine als Vollstreckungsleiter getroffenen Anordnungen (Abs. II Nr. 1; Rn 5; § 41, 38; Eisenberg 4). Damit wird ausgeschlossen, dass der erkennende Richter über die Rechtmäßigkeit der von ihm in gleicher Sache als Vollstreckungsleiter getroffenen Entscheidungen selbst entscheidet. Dies gilt auch im OWiG-Verfahren (§ 91 OWiG). Vgl. auch § 17, 31 a. Aus gleichem Grunde ist die JKammer zuständig, wenn der Vollstreckungsleiter in Wahrnehmung der Aufgaben der Strafvollstreckungskammer (§§ 78 a, 78 b GVG) über seine eigene Anordnung zu entscheiden hätte (Abs. II Nr. 2). Dazu aber auch § 17, 28 a. Ist ein J oder Hw. im ersten Rechtszug von einem OLG verurteilt worden, ist das OLG anstelle der JKammer für Entscheidungen über Beschwerden gegen Entscheidungen des JRichters als Vollstreckungsleiter zuständig; die Aufgaben der StA werden in diesem Fall vom GBA wahrgenommen, sofern nicht eine Abgabe an die Landes-StA erfolgt ist (OLG Düsseldorf NStZ 01, 616; s. auch § 84, 4 aE). 2 a Bei jrichterlicher Tätigkeit des Vollstreckungsleiters (Rn 6) ist Dienstaufsichtsbehörde der Amts- oder Landgerichtspräsident (§ 26 DRiG), weil einem StA nicht die Dienstaufsicht über einen Richter übertragen werden darf (§ 151 S. 2 GVG; Dörig DRiZ 87, 177). 3 Über Beschwerden gegen Entscheidungen des Vollstreckungsleiters, die er als Organ der Justizverwaltung trifft (Rn 1), entscheidet der Generalstaatsanwalt beim OLG (§ 21 StVollstrO), dann das Landesministerium (Senat); Art. 19 IV GG eröffnet schließlich in Verbindung mit §§ 23 ff EGGVG den Rechtsweg zum Strafsenat des übergeordneten OLG (GenStA Hamburg NStZ 85, 285; Eisenberg 3). Gegen Maßnahmen beim Vollzug von JA, JStrafe oder Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt ist nach § 92 der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zur JKammer, in deren Bezirk die beteiligte Vollzugsbehörde ihren Sitz hat, gegeben. Nur in den von der StPO besonders bezeichneten Fällen entscheidet über Beschwerden gegen Maßnahmen des Vollstreckungsleiters das Gericht 1. Instanz; § 85 RL II 5 S. 3. Hat der JRichter über einen Antrag auf Vollstreckungsaufschub entschieden, kann dagegen nur Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 462 I StPO gestellt werden, da der JRichter zunächst als Vollstreckungsbehörde tätig war (OLG Hamm SjE F 1 S. 15); s. aber Rn 2. Eine Beschwerde gegen den JRichter als Vollzugsleiter (vgl. Vor § 82, 7) richtet sich an den Landesjustizminister (Präsident des JVollzugsamtes). Zu § 35 BtMG § 17, 28 a. 4 Der Vollstreckungsleiter hat bei Zweifeln über die Auslegung des Urteils (Strafzeit – vgl. Vor § 82, 5 – Anrechnung der UHaft uä) als Vollstreckungsbehörde die Pflicht, eine Entscheidung des erkennenden Gerichts gem. § 458 StPO herbeizuführen. Nach Beginn der Vollstreckung einer JStrafe entscheidet der JRichter in Wahrnehmung der Aufgaben der Strafvollstreckungskammer (Ostendorf 4). Das Beschwerderecht nach § 462 III StPO hat der JRichter nicht (Ostendorf 4; KK/Appl § 462 StPO 4; Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer § 462 StPO 9; aA Krauß NJW 58, 49). 5 Wegen der Einschaltung des Rechtspflegers hier (anders bei jrichterlichen Entscheidungen: Rn 8) Vor § 82, 8 mit FN 1. 6 § 83 und § 112 c II erklären jedoch bes. bedeutsame Entscheidungen des Vollstreckungsleiters als jrichterliche Entscheidungen, nämlich die Umwandlung von Freizeitarrest in Kurzarrest (§ 86), das Absehen von der Vollstreckung von JA nach oder uU auch vor Teilverbüßung (§ 87 III) oder bei Soldaten wegen Besonderheiten des Wehrdienstes (§ 112 c II), die Aussetzung des Restes einer JStrafe zur Bew. (§ 88), einschl. Bew.Zeit, -Auflagen, Widerruf, Straferlass und die Ausnahme vom JStrafvollzug (§ 89 b) sowie die Entscheidungen in Wahrnehmung der Aufgaben der Strafvollstreckungskammer (§ 82 I 2 iVm §§ 462 a, 463 StPO). – Die Berücksichtigung von UHaft bei JA unter den Voraussetzungen des § 450 StPO (§ 87 II) ist keine Entscheidung, sondern eine bindende, einer Entscheidung nicht zugängliche Anweisung für die Berechnung;
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bei Zweifeln und Einwendungen entscheidet das Gericht des ersten Rechtszuges (§ 458 I StPO; Dallinger/Lackner 3; Eisenberg 8; aA Potrykus B 1: jrichterliche Entscheidung). Zur Aufgabe nach § 85 VI s. § 85, 14. Diese bes. jrichterlichen Entscheidungen trifft der Vollstreckungsleiter auf Grund eines ge- 7 richtlichen Verfahrens in richterlicher Unabhängigkeit. Der JStA (Zuständigkeit: § 143 I GVG), der gesetzliche Vertreter und der ErzBerechtigte (§ 83 III 2; § 67, 11) sind beteiligt, ebenso der Verurteilte. Auch ein Verteidiger kann mitwirken (Abs. III 2); zur notwendigen Verteidigung im Vollstreckungsverfahren § 68, 27, in Vollzugssachen § 68, 28. – Das rechtliche Gehör ist zu beachten; teilweise (§§ 87 III, 88 III, 112 d) bestehen bes. Anhörungspflichten. Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung (ggf. jedoch nach mündlicher Anhörung: §§ 88 IV 2; Ostendorf 5 empfiehlt bei kontroversen Stellungnahmen mündliche Verhandlung) durch begründeten (§ 34 StPO) Beschluss, der gem. §§ 35 StPO, 67 II JGG bekannt zu machen ist (Rechtsmittelbelehrung nach § 35 a StPO) und der überwiegend mit der sofortigen Beschwerde ohne aufschiebende Wirkung angefochten werden kann (§ 83 III 1; §§ 88 VI 3 – dazu § 88, 7 d –, 59 II, IV: zum Teil einfache Beschwerde, zum Teil unanfechtbar). Die Ablehnung eines Antrags auf Unterbrechung der Vollstreckung einer JStrafe zur Behandlung in einer „freien“ psychiatrischen Klinik durch den Vollstreckungsleiter ist eine jrichterliche Entscheidung iSv § 83 I, gegen die gem. § 83 III sofortige Beschwerde an die JKammer gegeben ist (OLG Karlsruhe NStZ 93, 104; für Zuständigkeit der JKammer nach § 83 II Nr. 2 Böhm NStZ 93, 529). Ein Fall des § 83 II Nr. 2 liegt auch vor, wenn der JRichter wegen Ausweisung von der weiteren Vollstreckung einer JStrafe absieht und die Nachholung der Vollstreckung bei Rückkehr anordnet (KG B NStZ 97, 484). Die allg. Rechtsmittel-Beschränkungen (§§ 59 II 2, 55 I) gelten. Darüber hinaus empfiehlt sich für das Beschwerdegericht Zurückhaltung bei der die Tat- und Rechtsfrage umfassenden Prüfung, da ihm der unmittelbare Kontakt fehlt. Hier ist eine Übertragung auf den Rechtspfleger nicht möglich (Bekanntmachung Ziff. II 1 8 Abs. 2 in FN 1 zu Vorb. 8 vor § 82). Vgl. auch § 82, 12 aE.
§ 84 Örtliche Zuständigkeit § 84 Örtliche Zuständigkeit (1) Der Jugendrichter leitet die Vollstreckung in allen Verfahren ein, in denen er selbst oder unter seinem Vorsitz das Jugendschöffengericht im ersten Rechtszug erkannt hat. (2) Soweit, abgesehen von den Fällen des Absatzes 1, die Entscheidung eines anderen Richters zu vollstrecken ist, steht die Einleitung der Vollstreckung dem Jugendrichter des Amtsgerichts zu, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben obliegen. Ist in diesen Fällen der Verurteilte volljährig, steht die Einleitung der Vollstreckung dem Jugendrichter des Amtsgerichts zu, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben bei noch fehlender Volljährigkeit oblägen. (3) In den Fällen der Absätze 1 und 2 führt der Jugendrichter die Vollstreckung durch, soweit § 85 nichts anderes bestimmt. 1. Hw.-JRecht: Rn 4; § 110 I, RL 1; § 85 RL I 3. – 2. ErwG: § 104, 1. Richtlinien hierzu nach § 85.
Die ursprüngliche (primäre) örtliche Zuständigkeit (Abs. I, II) kann wechseln (§ 85: nachfolgen- 1 de – sekundäre – Zuständigkeit; § 85 RL I 1, 2) oder erhalten bleiben (Abs. III).
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§ 85
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2 Bei Streit über die Zuständigkeit entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht (§ 14 StPO entspr.; BGH 16, 78; BayObLG NJW 55, 601), also JKammer, OLG oder BGH (§ 42, 10 a aE; Eisenberg 8; Ostendorf 5). 3 Die ursprüngliche Zuständigkeit liegt stets bei dem JRichter, wenn dieser als Einzelrichter oder Vorsitzender des JSchöffengerichts in 1. Instanz tätig war, ohne Rücksicht auf Rechtsmittel und deren Erfolg (§ 85 RL I 1 a) und darauf, ob der zur Tatzeit hw. Verurteilte zwischenzeitlich erwachsen geworden ist (OLG Celle NJW 75, 2254; OLG Karlsruhe Beschluss v. 14. 9. 79; Brunner JR 76, 344); bei Einheitsstrafe ist zuständig, wer diese gebildet hat (§ 66 II 3, 4; § 66, 10; Dallinger/Lackner 4). 4 Hat die JKammer oder ein ErwGericht in erster Instanz entschieden, so liegt die ursprüngliche Zuständigkeit beim JRichter des AG, an dem die familiengerichtlichen ErzAufgaben wahrgenommen werden, oder beim Bezirks-JRichter (nicht beim Vorsitzenden des BezirksJSchöffengerichts), zu dessen Bezirk dieses AG gehört (§ 33 III; § 85 RL I 1 b; OLG Karlsruhe JR 80, 468). Dies gilt über die Ländergrenzen hinweg (§ 85, 5). Bei Verurteilten, die volljährig sind, ist – wie der durch das KindRG eingefügte Abs. II 2 klargestellt hat – der JRichter zuständig, der zuständig wäre, wenn der Verurteilte noch nicht volljährig wäre (so schon für die alte Rechtslage BGH 20, 157). Für die Zuständigkeit stellt § 152 I FamFG auf den gewöhnlichen Aufenthalt ab. Für den Aufenthaltsort ist ohne Bedeutung, ob der Verurteilte ihn frei gewählt hat (BGH NStZ-RR 96, 350). Ist der von der JKammer rechtskräftig zu einer JStrafe Verurteilte, der im Inland weder Wohnsitz noch Aufenthalt hatte, in die zuständige JStrafanstalt verlegt worden, ist nach OLG Zweibrücken B NStZ 91, 524 der JRichter, in dessen Bezirk die JStrafanstalt liegt, für die Einleitung der Vollstreckung zuständig. Auch wenn ein OLG im ersten Rechtszug gegen einen J oder Hw. entschieden hat, ist der JRichter als Vollstreckungsleiter auch für die jrichterlichen Entscheidungen nach § 83 zuständig; § 462 a V StPO findet insoweit keine Anwendung (OLG Düsseldorf NStZ 01, 616; s. auch § 83, 2 aE). 5 Wegen der Zuständigkeit für die Nebengeschäfte der Vollstreckung § 85 RL II 4 u. Vor § 82, 13; wegen Vollstreckung des Bußgeldbescheides s. § 82, 7, 8.
§ 85 Abgabe und Übergang der Vollstreckung § 85 Abgabe und Übergang der Vollstreckung (1) Ist Jugendarrest zu vollstrecken, so gibt der zunächst zuständige Jugendrichter die Vollstreckung an den Jugendrichter ab, der nach § 90 Abs. 2 Satz 2 als Vollzugsleiter zuständig ist. (2) Ist Jugendstrafe zu vollstrecken, so geht nach der Aufnahme des Verurteilten in die Einrichtung für den Vollzug der Jugendstrafe die Vollstreckung auf den Jugendrichter des Amtsgerichts über, in dessen Bezirk die Einrichtung für den Vollzug der Jugendstrafe liegt. Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass die Vollstreckung auf den Jugendrichter eines anderen Amtsgerichts übergeht, wenn dies aus verkehrsmäßigen Gründen günstiger erscheint. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. (3) Unterhält ein Land eine Einrichtung für den Vollzug der Jugendstrafe auf dem Gebiet eines anderen Landes, so können die beteiligten Länder vereinbaren, dass der Jugendrichter eines Amtsgerichts des Landes, das die Einrichtung für den Vollzug der Jugendstrafe unterhält, zuständig sein soll. Wird eine solche Vereinbarung getroffen, so geht die Vollstreckung auf den Jugendrichter des Amtsgerichts über, in dessen Bezirk die für die Einrichtung für den Vollzug der Jugendstrafe zuständige Aufsichtsbehörde ihren Sitz hat. Die
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Abgabe und Übergang der Vollstreckung
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Regierung des Landes, das die Einrichtung für den Vollzug der Jugendstrafe unterhält, wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass der Jugendrichter eines anderen Amtsgerichts zuständig wird, wenn dies aus verkehrsmäßigen Gründen günstiger erscheint. Die Landesregierung kann die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltung übertragen. (4) Absatz 2 gilt entsprechend bei der Vollstreckung einer Maßregel der Besserung und Sicherung nach § 61 Nr. 1 oder 2 des Strafgesetzbuches. (5) Aus wichtigen Gründen kann der Vollstreckungsleiter die Vollstreckung widerruflich an einen sonst nicht oder nicht mehr zuständigen Jugendrichter abgeben. (6) Hat der Verurteilte das vierundzwanzigste Lebensjahr vollendet, so kann der nach den Absätzen 2 bis 4 zuständige Vollstreckungsleiter die Vollstreckung einer nach den Vorschriften des Strafvollzugs für Erwachsene vollzogenen Jugendstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung an die nach den allgemeinen Vorschriften zuständige Vollstreckungsbehörde abgeben, wenn der Straf- oder Maßregelvollzug voraussichtlich noch länger dauern wird und die besonderen Grundgedanken des Jugendstrafrechts unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Verurteilten für die weiteren Entscheidungen nicht mehr maßgebend sind; die Abgabe ist bindend. Mit der Abgabe sind die Vorschriften der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Strafvollstreckung anzuwenden. (7) Für die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft im Vollstreckungsverfahren gilt § 451 Abs. 3 der Strafprozeßordnung entsprechend. 1. Hw.-JRecht: RL I 3; § 110 I, RL 1. – 2. ErwG: § 104, 1. – 3. Sold. Rn 13; § 112 c, 3. Richtlinien zu §§ 82 bis 85: I. 1.
Zuständigkeit zur Vollstreckung Vollstreckungsleiter ist a) der Jugendrichter in allen Verfahren, in denen er selbst oder unter seinem Vorsitz das Jugendschöffengericht im ersten Rechtszug erkannt hat (§ 82 Abs. 1, § 84 Abs. 1), b) in allen anderen Fällen der Jugendrichter des Amtsgerichts, dem die vormundschaftsrichterlichen Erziehungsaufgaben obliegen (§ 84 Abs. 2, § 34 Abs. 3) bzw. der Bezirksjugendrichter, zu dessen Bezirk dieses Amtsgericht gehört (§ 33 Abs. 3). 2. Bei der Vollstreckung von Jugendarrest und Jugendstrafe tritt unter Umständen ein Wechsel der Zuständigkeit ein. An Stelle des zu Nr. 1 genannten Jugendrichters wird Vollstreckungsleiter a) der Jugendrichter am Ort des Vollzugs nach Abgabe bzw. Übergang der Vollstreckung (§ 85 Abs. 1 i. V. m. § 90 Abs. 2 Satz 2 bzw. § 85 Abs. 2 Satz 1), b) der gemäß § 85 Abs. 2 Satz 2 oder gemäß § 85 Abs. 3 bestimmte Jugendrichter nach der Aufnahme von zu Jugendstrafe Verurteilten in die Jugendstrafanstalt. 3. Hat das Gericht wegen der Straftat von Heranwachsenden das allgemeine Strafrecht angewendet, so bestimmt sich die Zuständigkeit nach den Vorschriften der Strafvollstreckungsordnung. II. 1.
2.
Verfahren im allgemeinen Die bei der Strafvollstreckung grundsätzlich erforderliche Beschleunigung ist für die Vollstreckung der für Jugendliche festgesetzten Maßnahmen und Strafen besonders wichtig. Je mehr sich für sie der innere Zusammenhang zwischen Tat, Urteil und Vollstreckung durch Zeitablauf lockert, um so weniger ist damit zu rechnen, dass die Maßnahme oder Strafe die beabsichtigte Wirkung erreicht. Alle beteiligten Stellen müssen daher bestrebt sein, die Vollstreckung nachdrücklich zu fördern. Nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils sind dem in Abschnitt I Nr. 1 genannten Vollstreckungsleiter unverzüglich die Strafakten mit der Bescheinigung der Rechtskraft des Urteils zu übersenden. Falls die Akten noch nicht entbehrlich sind, werden ihm ein Vollstreckungsheft und zwei Ausfertigungen des vollständigen Urteils zugeleitet. Hat ein Mitangeklagter gegen die Verurteilung wegen einer Tat, an der der rechtskräftig Verurteilte nach den Urteilsfeststellungen beteiligt war, Revision eingelegt, so ist dem Vollstreckungsheft eine Abschrift der Revisionsbegründung beizufügen oder nachzusenden. Auf die Beachtung von § 19 der Strafvollstreckungsordnung und § 357 StPO wird hingewiesen.
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§ 85 3.
4.
5.
6.
2. Teil. Jugendliche
Wird die Teilvollstreckung einer Einheitsstrafe nach § 56 angeordnet, so werden dem Vollstreckungsleiter unverzüglich nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses je zwei beglaubigte Abschriften des vollständigen Urteils und des Beschlusses übersandt. Die mit der Rechtskraft des Urteils anfallenden Nebengeschäfte der Vollstreckung (Mitteilungen, Zählkarten usw.) werden von dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Beamten bei dem zunächst als Vollstreckungsleiter berufenen Jugendrichter (vgl. Abschnitt I Nr. 1) oder der von der Landesjustizverwaltung sonst bestimmten Stelle ausgeführt. Soweit die Entscheidungen des Vollstreckungsleiters nicht jugendrichterliche Entscheidungen sind (§ 83 Abs. 1), nimmt der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter Justizverwaltungsaufgaben wahr. Er ist insoweit weisungsgebunden. Über Beschwerden gegen andere als jugendrichterliche Entscheidungen des Vollstreckungsleiters wird im Verwaltungswege entschieden, falls nicht nach §§ 455, 456, § 458 Abs. 2 und § 462 Abs. 1 StPO das Gericht des ersten Rechtszuges oder nach § 83 Abs. 2 Nr. 1 die Jugendkammer zuständig ist. Auf die Vollstreckung finden die Vorschriften der Strafvollstreckungsordnung nur Anwendung, soweit nichts anderes bestimmt ist (§ 1 Abs. 3 StVollstrO). Die Leitung der Vollstreckung obliegt dem Jugendrichter. Dem Rechtspfleger werden die Geschäfte der Vollstreckung übertragen, durch die eine richterliche Vollstreckungsanordnung oder eine die Leitung der Vollstreckung nicht betreffende allgemeine Verwaltungsvorschrift ausgeführt wird. Das Nähere wird durch Anordnung der Landesjustizverwaltung bestimmt.
III. Vollstreckung bei Erziehungsmaßregeln 1. Sind Weisungen erteilt worden, so übersendet der Vollstreckungsleiter der Jugendgerichtshilfe oder in Bewährungsfällen dem Bewährungshelfer eine beglaubigte Abschrift des Urteils mit dem Ersuchen, die Befolgung der Weisungen zu überwachen, erhebliche Zuwiderhandlungen mitzuteilen (§ 38 Abs. 2) und, falls eine Änderung der Weisungen oder ihrer Laufzeit oder die Befreiung von ihnen angebracht erscheint (§ 11 Abs. 2), solche Maßnahmen anzuregen. 2. Ist Hilfe zur Erziehung im Sinne von § 12 angeordnet worden, so übersendet der Vollstreckungsleiter die Strafakten mit der Bescheinigung der Rechtskraft des Urteils dem zuständigen Vormundschaftsrichter (§ 82 Abs. 2; vgl. auch §§ 30 und 34 SGB VIII). IV. Vollstreckung von Verwarnung und Auflagen 1. Die Verwarnung wird erteilt, sobald das Urteil rechtskräftig geworden ist, möglichst unmittelbar im Anschluss an die Hauptverhandlung. Es ist zu prüfen, ob die Anwesenheit von Erziehungsberechtigten angebracht ist. 2. Sind Auflagen erteilt worden, so übersendet der Vollstreckungsleiter der Jugendgerichtshilfe oder in Bewährungsfällen dem Bewährungshelfer eine beglaubigte Abschrift des Urteils mit dem Ersuchen, die Erfüllung der Auflagen zu überwachen und erhebliche Zuwiderhandlungen mitzuteilen (§ 38 Abs. 2). In geeigneten Fällen wird der Vollstreckungsleiter die Erfüllung der Auflagen selbst überwachen. V. 1.
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Vollstreckung des Jugendarrestes Ist der zunächst als Vollstreckungsleiter zuständige Jugendrichter nicht selbst Vollzugsleiter (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 2), so gibt er die Vollstreckung an diesen ab. Mit Zustimmung des Vollzugsleiters kann er zunächst die Ladung zum Antritt des Jugendarrestes veranlassen. Bei Abgabe der Vollstreckung übersendet er dem neuen Vollstreckungsleiter die Strafakten oder, falls diese noch nicht entbehrlich sind, das Vollstreckungsheft. Die Einweisung in die Jugendarrestanstalt oder in die Freizeitarresträume der Landesjustizverwaltung geschieht durch ein Aufnahmeersuchen des Vollstreckungsleiters. Er gibt dabei die in der Ladung zum Antritt des Jugendarrestes vorgeschriebene Zeit oder, falls sich Verurteilte nicht auf freiem Fuße befinden, die Anstalt an, aus der sie übergeführt werden. Nach Möglichkeit teilt er in dem Ersuchen ferner die Umstände mit, die für die Festsetzung der Entlassungszeit von Bedeutung sein können (z. B. Arbeitsoder Schulbeginn). Der Vollstreckungsleiter lädt auf freiem Fuße befindliche Verurteilte durch einfachen Brief unter Verwendung des eingeführten Vordrucks zum Antritt des Jugendarrestes. Die Zeit des Antritts ist nach Tag und Stunde vorzuschreiben, die voraussichtliche Entlassungszeit ist mitzuteilen. Bei der Festsetzung der Antrittszeit sind die Berufsverhältnisse der Verurteilten und die Verkehrsverhältnisse zu berücksichtigen. Falls das Urteil sofort rechtskräftig wird und der Vorsitzende des Gerichts entweder selbst Vollzugsleiter ist oder das Einverständnis des Vollzugsleiters herbeiführen kann, wird die Ladung nach Möglichkeit im Anschluss an die Hauptverhandlung ausgehändigt. In geeigneten Fällen kann im Anschluss an die Hauptverhandlung eine mündliche Ladung zum sofortigen Antritt des Jugendarrestes erfolgen.
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Abgabe und Übergang der Vollstreckung 5. 6.
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§ 85
Hinweise über den Ersatz der Fahrtkosten zur Jugendarrestanstalt oder zu den Freizeitarresträumen können sich aus den Jugendarrestgeschäftsordnungen der Länder ergeben. Zugleich mit der Ladung sind die Erziehungsberechtigten, in Fällen der Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII das Jugendamt von der Ladung zu benachrichtigen und zu ersuchen, für rechtzeitigen Antritt des Jugendarrestes zu sorgen. Auch der Leiter der Berufsausbildung bzw. der Arbeitgeber des Jugendlichen und der Leiter der Schule oder Berufsschule, die der Jugendliche besucht, sollen davon unterrichtet werden, wo und in welcher Zeit der Jugendliche Jugendarrest zu verbüßen hat. Dem Jugendlichen kann auch aufgegeben werden, die Ladung den bezeichneten Personen vorzulegen und von ihnen auf der Ladung die Kenntnisnahme bescheinigen zu lassen. Die Unterrichtung soll unterbleiben, wenn der Arrest in der Freizeit oder während des Urlaubs bzw. der Ferien des Jugendlichen vollzogen wird und ihm aus der Mitteilung unerwünschte Nachteile für sein Fortkommen entstehen könnten. Folgen Verurteilte der Ladung zum Antritt des Jugendarrestes ohne genügende Entschuldigung nicht oder zeigen sie sich bei fristloser Ladung nicht zum Antritt des Jugendarrestes bereit, so veranlasst der Vollstreckungsleiter, dass sie sofort dem Vollzug zugeführt werden. Für die Zwangszuführung kann sich der Vollstreckungsleiter der Hilfe der Polizei oder anderer geeigneter Stellen bedienen. Die Polizei ist darauf hinzuweisen, dass eine Beförderung im Gefangenensammeltransport nicht in Betracht kommt. Für die Berechnung der Arrestzeit wird auf § 25 JAVollzO hingewiesen.
VI. Vollstreckung der Jugendstrafe 1. Der Erziehungserfolg der Jugendstrafe kann durch die Verzögerung der Vollstreckung in starkem Maße gefährdet werden. Sogleich nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils sollen daher auf freiem Fuße befindliche Verurteilte zum Antritt der Jugendstrafe geladen und in Untersuchungshaft befindliche oder einstweilen untergebrachte (§ 71 Abs. 2, § 72 Abs. 4) Verurteilte in die zuständige Vollstreckungsanstalt eingewiesen werden. Der Umstand, dass das Urteil noch nicht mit den Gründen bei den Akten ist, rechtfertigt einen Aufschub der Vollstreckung nicht. In den Fällen, in denen dem Aufnahmeersuchen eine Abschrift des vollständigen Urteils nicht beigefügt werden kann, ist die Abschrift der Vollzugsanstalt nachzureichen, sobald das Urteil abgefasst ist. Auch hierbei ist Beschleunigung geboten, da die Kenntnis des Urteilsinhalts für die wirksame Gestaltung des Vollzugs unentbehrlich ist. 2. Bei über 24 Jahre alten Verurteilten kann die Vollstreckung nach § 85 Abs. 6 abgegeben werden. Für die weiteren Entscheidungen im Rahmen der Vollstreckung ist dann die Strafvollstreckungskammer zuständig. Ihr sind die Vorgänge so rechtzeitig zur Prüfung der Aussetzung des Restes der Jugendstrafe nach § 88 Abs. 1 vorzulegen, dass die Fristen nach § 88 Abs. 2 unter Beachtung von § 88 Abs. 3 eingehalten werden können. 3. Der Vollstreckungsleiter weist den Verurteilten in die zuständige Justizvollzugsanstalt ein und führt die Vollstreckung so lange, bis der Verurteilte in die Jugendstrafanstalt aufgenommen worden ist. Dem Aufnahmeersuchen sind stets drei Abschriften des vollständigen Urteils beizufügen oder nachzusenden. War gegen den Verurteilten früher Hilfe zur Erziehung nach § 12 angeordnet worden, so ist dies der Vollzugsanstalt unter Angabe der mit der Durchführung der Erziehungsmaßregel befassten Behörde mitzuteilen. 4. Zugleich mit der Ladung sind die Erziehungsberechtigten, in Fällen der Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII das Jugendamt von der Ladung zu benachrichtigen und zu ersuchen, für rechtzeitigen Antritt der Jugendstrafe zu sorgen. Auch der Leiter der Berufsausbildung bzw. der Arbeitgeber des Jugendlichen und der Leiter der Schule oder Berufsschule, die der Jugendliche besucht, sollen davon unterrichtet werden, wo und in welcher Zeit der Jugendliche Jugendstrafe zu verbüßen hat. Dem Jugendlichen kann auch aufgegeben werden, die Ladung den bezeichneten Personen vorzulegen und von ihnen auf der Ladung die Kenntnisnahme bescheinigen zu lassen. Die Unterrichtung soll unterbleiben, wenn die Jugendstrafe in der Freizeit oder während des Urlaubs bzw. der Ferien des Jugendlichen vollzogen wird und ihm aus der Mitteilung unerwünschte Nachteile für sein Fortkommen entstehen könnten. 5. Mittellosen Verurteilten, die sich auf freiem Fuße befinden und zum Vollzug einer Jugendstrafe in eine mehr als 10 km von ihrem Wohnort entfernt liegende Jugendstrafanstalt eingewiesen werden, kann der Vollstreckungsleiter für die Fahrt zur Jugendstrafanstalt eine Fahrkarte oder, soweit das Gutscheinverfahren üblich ist, einen Gutschein für die Fahrkarte aushändigen. 6. Sobald der Vollstreckungsleiter Nachricht von der Aufnahme von Verurteilten in die Jugendstrafanstalt erhält (Strafantrittsanzeige), übersendet er die Strafakten oder das Vollstreckungsheft an denjenigen Jugendrichter, auf den die Vollstreckung nach § 85 Abs. 2 oder 3 mit der Aufnahme übergegangen ist. Die Jugendstrafanstalt legt dem neuen Vollzugsleiter unverzüglich eine Durchschrift der Strafantrittsanzeige, das mit der Strafzeitberechnung versehene Zweitstück des Aufnahmeersuchens und zwei der ihm mit dem Aufnahmeersuchen übersandten Urteilsabschriften vor. 7. Der nach § 85 Abs. 2 oder 3 zuständige Vollstreckungsleiter macht sich mit der Wesensart der einzelnen Jugendlichen vertraut und verfolgt deren Entwicklung im Vollzug. Er hält mit der Anstaltsleitung und
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§ 85
8.
2. Teil. Jugendliche
den Vollzugsbediensteten Fühlung und nimmt an Vollzugsangelegenheiten von größerer Bedeutung beratend teil. Im Falle der Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung wird sich die Zurück- oder Weitergabe der Vollstreckung (§ 85 Abs. 5) dann empfehlen, wenn der Vollstreckungsleiter mit Verurteilten oder Bewährungshelfern wegen weiter Entfernung nicht mehr Fühlung halten kann. Wird die Vollstreckung zurückoder weitergegeben, so soll sich der bisher zuständige Vollstreckungsleiter über die Führung des Verurteilten während der Bewährungszeit auf dem laufenden halten, damit er vor einem Widerruf der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung die Vollstreckung wieder an sich ziehen kann. In der Regel wird es zweckmäßig sein, dass sich der Vollstreckungsleiter bei der Abgabe der Vollstreckung ausdrücklich vorbehält, die Vollstreckung wieder zu übernehmen, bevor über den Widerruf der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung entschieden wird.
VII. Vollstreckung von Maßregeln der Besserung und Sicherung 1. Die Zuständigkeit für die Vollstreckung von Maßregeln der Besserung und Sicherung richtet sich nach §§ 84 und 85 Abs. 4 (siehe Abschn. I Nr. 1 und 2). Wird bei Heranwachsenden allgemeines Strafrecht angewendet, richtet sich die Zuständigkeit nach den Vorschriften der Strafvollstreckungsordnung. 2. Wegen der Vollstreckung von Führungsaufsicht wird auf § 54 a der Strafvollstreckungsordnung hingewiesen. Schrifttum: Bauer Nochmals: Die StA als Vollstreckungsorgan in JSachen, Rpfl. 92, 145; Hamann Die StA als Vollstreckungsorgan in JSachen, Rpfl. 91, 406; Kühn Vollstreckung nach Herausnahme aus dem JVollzug, NStZ 91, 526. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Die nachfolgende Vollstreckungszuständigkeit . . . . . . . . Bei JArrest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bei JStrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verlegung auf Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bei Maßregeln der Besserung und Sicherung . . . . . . . . . . Einweisung und Vollzug in einer ErwVollzugsanstalt . . . . Jrechtlicher Vollstreckungsleiter bis zur Abgabe . . . . . . . . Abgabe der Vollstreckung nach dem 24. bzw. 21. Lebensjahr Allgemeine Abgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rn 1 2 3 6 8 12 13 14 18
Die nachfolgende Vollstreckungszuständigkeit
1 § 85 betrifft die nachfolgende (sekundäre) Zuständigkeit (§ 84, 1) des Vollstreckungsleiters, die nur aus der ursprünglichen hervorgehen kann. Wo die ursprüngliche und die nachfolgende Zuständigkeit zusammenfallen, bleibt es für die ganze Vollstreckung bei der ursprünglichen Zuständigkeit; gleiches gilt, wenn kein Fall der nachfolgenden Zuständigkeit vorliegt (§ 84 III). Kraft Gesetzes geht die Vollstreckungszuständigkeit aber nur bei Aufnahme in eine JStrafanstalt (Rn 3) oder bei Vollstreckung einer Maßregel der Besserung und Sicherung, die mit Freiheitsentzug verbunden ist (Rn 8), oder bei dauernder Verlegung in eine andere Anstalt (Rn 6, 10) über. Bei JA muss die Vollstreckung abgegeben werden (Rn 2), was auch sonst aus wichtigen Gründen geschehen kann (Rn 18).
2.
Bei JArrest
2 Soll JA vollstreckt werden, so gibt der ursprünglich zuständige Vollstreckungsleiter nach Abs. I die Vollstreckung an den JRichter ab, der am Ort der JA-Anstalt oder der Freizeitarresträume als Vollzugsleiter tätig ist (§ 90 II 2), es sei denn, es fallen ursprüngliche und nachträgliche Zuständigkeit zusammen (Rn 1; RL V 1 S. 1; Grundsatz der Vollzugsnähe). Die Abgabe erfolgt zweckmäßig ab Rechtskraft (Eisenberg 5) unter gleichzeitiger Übersendung der Unterlagen (RL V 1 S. 3). Die Einweisung und Ladung (RL V 2, 3, 5, 6) nimmt dann der neue Vollstreckungsleiter vor (s. aber RL V 1 S. 2; V 4; auch § 10, 14 c; § 16, 18). Dieser veranlasst grds. auch die Zwangszuführung
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Abgabe und Übergang der Vollstreckung
§ 85
(RL V 7; zur Zulässigkeit der zwangsweisen Zuführung § 16, 21). Zum Arrestantritt ist grds. unter Einhaltung einer angemessenen Frist zu laden. Die sofortige Vollstreckung kann nicht auf einen Verdacht wegen einer anderen Tat gestützt werden, der nicht dringend ist und deshalb keinen Haftbefehl rechtfertigt (LG Oldenburg StV 08, 120). Der neue Vollstreckungsleiter trifft die Entscheidungen nach § 86 und § 87 III. Die Anfechtung gegen Anordnungen, Verfügungen oder sonstige Maßnahmen des Vollzugsleiters richtet sich nach §§ 92, 110 I. Streit zweier JGerichte, wo der JA zu verbüßen sei, ist Justizverwaltungsfrage (BGH Beschl. v. 8. 5. 1981 B NStZ 82, 416), Rechtspflegern und Beamten fehlt die Befugnis zu derartigen gerichtlichen Entscheidungen (BGH Beschl. v. 4. 12. 1981 aaO). Zum Vollzug des JA während des Wehrdienstes § 112 c, 3. Zur Zuständigkeit der StA Rn 22.
3.
Bei JStrafe
Soll JStrafe vollstreckt werden, so geht kraft Gesetzes die Zuständigkeit des ursprünglichen 3 Vollstreckungsleiters mit Aufnahme des Verurteilten in die JStrafanstalt in die nachfolgende Zuständigkeit des Vollstreckungsleiters über, in dessen Bezirk diese JStrafanstalt liegt (Abs. II 1; vgl. Rn 4 u. 5), es sei denn ursprüngliche und nachfolgende Zuständigkeit fallen zusammen (Rn 1). Unterhält die Anstalt Außenstellen, ist für die Zuständigkeit nach Abs. II der Sitz der Hauptanstalt maßgeblich (BGH NStZ 94, 204). Kraft Gesetzes wechselt die Vollstreckungszuständigkeit aber nur bei Aufnahme in eine JStrafanstalt, nicht in eine ErwStrafanstalt (BGHR zu § 85 II, Übergang 1; BGH NStZ 95, 567; auch Rn 12). Der gem. Abs. II eingetretene Zuständigkeitsübergang wird nicht dadurch rückgängig gemacht, dass ein anderes (unzuständiges) Gericht später einen Beschluss nach § 456 a I StPO erlässt (BGH NStZ 05, 167). Zur sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des Vollstreckungsleiters für die Einleitung der Vollstreckung von JStrafe: § 84, 3, 4. Zur dauernden Verlegung in eine andere JStrafanstalt: Rn 6. Alle Maßnahmen (vgl. RL VI 4, 5; II 4) bis zur Aufnahme in die JStrafanstalt trifft der nach § 84 berufene Vollstreckungsleiter, alle späteren der Vollstreckungsleiter nach Abs. II und III (Grundsatz der Vollzugsnähe; RL VI 7). Bes. die Einweisung ist zu beschleunigen (RL VI 1). Wegen der Übersendung der Unterlagen RL VI 6; wegen eines späteren Zuständigkeitswechsels RL VI 8 u. Rn 13. Der nach § 85 II zuständige Vollstreckungsleiter entscheidet über die Entlassung zur Bew., ist für die im Rahmen der Bew. erforderlichen jrichterlichen Aufgaben zuständig (auch dann, wenn nicht er, sondern möglicherweise ein nicht zuständiges Gericht über die Reststrafenaussetzung entschieden hat (BGH B NStZ 91, 524, vgl. auch BGH NStZ 92, 454) und trifft auch etwaige die Führungsaufsicht betreffende Entscheidungen einschließlich der Abgabe der Vollstreckung nach Entlassung gemäß Abs. V an den Wohnort des Verurteilten (BGH B NStZ 82, 415; 97, 483); zust. Ostendorf 11. Er entscheidet auch über die Abkürzung der Sperrfrist bei einer mit der JStrafe verbundenen Entziehung der Fahrerlaubnis (OLG Frankfurt NStZ-RR 96, 285). Die nachfolgende Zuständigkeit gemäß Abs. II 1 ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Zu- 4 gleich werden in Abs. II 2 die Landesregierungen ermächtigt, selbst oder durch die von ihnen wiederum durch RechtsVO ermächtigten Landesjustizverwaltungen (Abs. II 3) im Wege einer RechtsVO auch einen anderen Vollstreckungsleiter – als Amtsträger, nicht als Person (Gottwald DRiZ 54, 118) – zu bestimmen, wenn dies aus verkehrsmäßigen Gründen günstiger erscheint. Diesem bes. Vollstreckungsleiter fällt dann mit der Aufnahme des Verurteilten in die von ihm betreute JStrafanstalt die nachfolgende Zuständigkeit kraft Gesetzes zu. Falls die JStrafanstalt eines Landes auf dem Gebiet eines anderen Landes liegt (z. B. die Ham- 5 burger JVA Hanöfersand), können nach Abs. III die beteiligten Länder die Zuständigkeit eines Vollstreckungsleiters des Landes vereinbaren, das die JStrafanstalt unterhält. Es gelten nach Abs. III 3 u. 4 dann die gleichen Ermächtigungen wie in Rn 4 ausgeführt.
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§ 85 4.
2. Teil. Jugendliche
Verlegung auf Dauer
6 Mit dauernder Verlegung in eine andere JStrafanstalt wechselt kraft Gesetzes nach Abs. II erneut der Vollstreckungsleiter. Denn der Begriff der „Aufnahme“ umfasst auch eine derartige der Erstaufnahme folgende Verlegung (BGH 26, 278 im Anschluss an BGH 26, 162; OLG Düsseldorf MDR 75, 863; OLG Frankfurt NStZ-RR 02, 380, 381; OLG Stuttgart NJW 76, 249 u. NJW 77, 1074 für Strafvollstreckungskammer; Begründung des RegE eines 1. JGGÄndG, BTDrs. 11/5829 S. 34, 35). Es besteht kein Anlass, den Begriff der Aufnahme im JRecht abweichend vom ErwRecht zu interpretieren, zumal gerade der Grundsatz der Vollzugsnähe gewahrt bleibt. Die Verlegung muss dauerhaft sein. Wird ein nach § 89 b aus dem JStrafvollzug Herausgenommener vor Verlegung in die allg. Vollzugsanstalt für wenige Tage in eine andere JStrafanstalt verlegt, bleibt der ursprüngliche Vollstreckungsleiter nach Abs. II weiter zuständig (BGH B NStZ 94, 532). Die Abgrenzung zwischen nur vorübergehender und dauernder Verlegung ist unschwer zu ziehen und gefährdet die notwendig klare Bestimmung der Zuständigkeit nicht. BGH NJW 90, 264 (zu § 462 a I 1 StPO): „abgesehen von vorübergehenden Verschiebungen tatsächlicher Aufenthalt in einer JVA“. Bei Verlegung in den ErwVollzug s. Rn 12. 7 Hat der nach §§ 82, 84 ursprünglich zuständige allg. Vollstreckungsleiter gem. § 85 II seine Zuständigkeit verloren, so lebt diese auch nach Entlassung aus der JStrafanstalt oder dem Maßregelvollzug oder nach Ausnahme aus dem JStrafvollzug nicht wieder auf (BGH NStZ 94, 205; OLG Hamm MDR 84, 166).
5.
Bei Maßregeln der Besserung und Sicherung
8 Abs. IV lässt für die Vollstreckung der Maßregeln nach § 61 Nr. 1 u. 2 StGB mit der Aufnahme des Verurteilten in ein psychiatrisches Krankenhaus oder in eine Entziehungsanstalt kraft Gesetzes die nachfolgende Vollstreckungszuständigkeit wie bei der Vollstreckung von JStrafe (Rn 3–6) auf den Vollstreckungsleiter übergehen, in dessen Bezirk diese Anstalt liegt. Mit der Ortsnähe wird diesem bes. Vollstreckungsleiter der notwendige Kontakt zur besseren Beurteilung der Persönlichkeit und Entwicklung des Untergebrachten und auch zu den Ärzten ermöglicht, die mündliche Anhörung erleichtert und die Einheitlichkeit nachfolgender Entscheidungen unter Beachtung medizinischer Aspekte sichergestellt. Abs. IV, VI bewahren dem Vollstreckungsleiter seine Zuständigkeit bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres des Verurteilten. Dies gibt, soweit hier möglich, jgemäßen Einwirkungs- und Beurteilungskriterien weiteren Raum und nützt Erfahrungen im bisherigen Vollzug. Nach Abschluss einer Maßnahme nach § 67 h StGB bleibt das Gericht, das die Maßregel zur Bewährung ausgesetzt hat, für die Bewährung zuständig (OLG Jena NStZ 10, 283). Zur Unterbringung von Hw. s. § 110, 1. 9 Nach Vollendung des 24. Lebensjahres des Untergebrachten kann (nicht muss) der Vollstreckungsleiter die Vollstreckung der Maßregel gem. Abs. VI an die nach allg. Vorschriften zuständige Vollstreckungsbehörde abgeben, wenn der Maßregelvollzug voraussichtlich noch länger dauern wird und die bes. Grundgedanken des JStrafrechts bei der Persönlichkeit des Untergebrachten nicht mehr maßgebend sein können. Das wahrt einerseits die Entscheidungsfreiheit des Vollstreckungsleiters und berücksichtigt andererseits die hohe durchschnittliche Verweildauer der im psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten – bei Stichtagserhebungen beträgt die durchschnittliche bisherige Unterbringungszeit 4–6 Jahre (Kröber in ders./H.-J. Albrecht, Hrsg., Verminderte Schuldfähigkeit u. psychiatrische Maßregel, 2001 S. 154) –, die zumeist ins ErwAlter führt. Bei den über 24-jährigen sind ErzVersuche idR nicht mehr angebracht, auch kaum mehr erfolgversprechend. Zudem kommt es bei Prüfung der Fortdauer der Unterbringung oder der Entlassung wesentlich auf ärztliche Gutachten an, die auf eingehender Beobachtung des nun Erw. in der Anstalt beruhen. Die Aufgabe des Vollstreckungsleiters wird mehr und mehr atypisch, so dass er mit der Abgabe im Regelfall keine jgemäßen Positionen mehr aufgibt
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Abgabe und Übergang der Vollstreckung
§ 85
(Brunner JR 80, 469). Die Abgabe ist bindend (Abs. VI 1 HS 2). Das weitere Verfahren richtet sich nach den Vorschriften der StPO und des GVG (Abs. VI 2). Wird der Untergebrachte auf Dauer (vgl. Rn 6 aE) in eine andere Anstalt verlegt, so geht die Zu- 10 ständigkeit kraft Gesetzes auf den dann nach Abs. II iVm Abs. IV zuständigen Vollstreckungsleiter über. Einzelne Maßnahmen im Maßregelvollzug unterliegen der gerichtlichen Überprüfung nach 11 §§ 92 I-V, VI, 110 I. Der jrechtliche Vollstreckungsleiter ist lediglich für die Frage sachlich zuständig, ob die neben der JStrafe angeordnete Maßregel vollstreckt werden soll, und für die in diesem Zusammenhang stehenden Folgeentscheidungen (BGH 26, 163; OLG Karlsruhe JR 80, 468 mit Anm. Brunner).
6.
Einweisung und Vollzug in einer ErwVollzugsanstalt
Die Vollstreckungszuständigkeit geht nach Abs. II nur dann über, wenn JStrafe in einer JStra- 12 fanstalt vollzogen wird (Rn 3). Wird der Verurteilte vom JStrafvollzug nach § 89 b ausgenommen, so fällt damit die Vollstreckungszuständigkeit aber nicht kraft Gesetzes an den allg. Vollstreckungsleiter nach § 84 zurück (vgl. Rn 7; BGH 24, 332; 27, 329; 28, 351; BGH NStZ 95, 567; OLG Dresden NStZ-RR 98, 61). Es bleibt vielmehr der für die JStrafanstalt zuständige Vollstreckungsleiter nach § 85 II hiervon in seinen Rechten und Pflichten unberührt (BGH NStZ 97, 255). Er kann aus dem Gesichtspunkt der Vollzugsnähe die Vollstreckung nach § 85 V an den JRichter abgeben, in dessen Bezirk die ErwVollzugsanstalt liegt, in welcher die JStrafe nach § 89 b vollzogen wird (BGH 30, 9; BGH NStZ 85, 92; 95, 567; BGH NStZ-RR 04, 58; OLG Frankfurt NStZ-RR 02, 380, 381; vgl. auch § 89 a, 1). Dieser JRichter ist nicht befugt, seinerseits die Vollstreckung an einen anderen JRichter abzugeben. Für diese Entscheidung bleibt vielmehr der Vollstreckungsleiter nach § 85 II zuständig (Rn 20).
7.
Jrechtlicher Vollstreckungsleiter bis zur Abgabe
Die Vollstreckung der JStrafe bleibt bis zu deren Abschluss (Rn 15) in Händen des jrechtlichen 13 Vollstreckungsleiters nach §§ 84, 85 II. Dazu näher § 89 a, 1–6. Falls der jrichterliche Vollstreckungsleiter nicht selbst nach Vollendung des 21. oder 24. Lebensjahres des Verurteilten unter den in Abs. VI und § 89 a III normierten Voraussetzungen die Vollstreckung an die Vollstreckungsbehörde des allg. Rechts abgibt (Rn 14–16), bleibt die Vollstreckung bei dem JRichter, der den Verurteilten und seine Entwicklung gut kennt und mit seinen bes. Kenntnissen und Erfahrungen den Vollzug erzieherisch gestalten und nicht zuletzt die notwendigen stützenden Maßnahmen bei vorzeitiger Entlassung am besten treffen kann. Diese Gesichtspunkte schwinden mit fortschreitendem Alter mehr und mehr, was zur Regelung des Abs. VI 1 und des § 89 a III geführt hat (Rn 14 u. 15).
8.
Abgabe der Vollstreckung nach dem 24. bzw. 21. Lebensjahr
Hat der Verurteilte sein 24. Lebensjahr vollendet und ist er vom JStrafvollzug nach § 89 b aus- 14 genommen (§ 89 b, 2), so kann (nicht muss) der nach Abs. II und III zuständige (Rn 3–6) Vollstreckungsleiter (nicht der ursprüngliche Vollstreckungsleiter nach § 84 und der JRichter nach Abs. V, Hamann Rpfl. 91, 407; Maaß NStZ 08, 129, 130) nach Abs. VI 1 die Vollstreckung der JStrafe an die nach den allg. Vorschriften zuständige Vollstreckungsbehörde abgeben, wenn der Strafvollzug voraussichtlich noch länger dauern wird und die bes. Grundgedanken des JStrafrechts nicht mehr maßgebend sein können. Das entspricht den Erkenntnissen, dass mit zunehmendem Alter ein Entwicklungsstand eintritt, in welchem der Verurteilte mit den bes.
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§ 85
2. Teil. Jugendliche
Maßnahmen des JStrafvollzugs nicht besser zu fördern ist und es auf die Beachtung jgemäßer Aspekte nicht mehr ankommen kann (OLG Dresden NStZ-RR 98, 60 f; Brunner JR 77, 259 u. JR 80, 464; Ostendorf Grdl. zu §§ 62–85 Rn 7). Die Abgabe ist bindend (Abs. VI 1 HS 2); bei Fehlen der gesetzlichen Voraussetzungen (Alter des Verurteilten, Erwachsenenvollzug) ist die Abgabe jedoch unwirksam und bindet sie nicht (OLG Dresden NStZ-RR 98, 60; OLG Jena NStZ-RR 00, 221; Hamann Rpfl. 91, 407). Das weitere Verfahren richtet sich nach den Vorschriften der StPO und des GVG (Abs. VI 2). Auch § 454 II S. 1 Nr. 2 StPO ist anwendbar (OLG Celle NStZ-RR 08, 355 mit Anm. Rose NStZ 10, 95; OLG Dresden NStZ-RR 10, 156; Immel JR 07, 185; aA OLG Frankfurt NStZ-RR 99, 91). Mit der Abgabe der Vollstreckung an die StA wird für die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung eines Restes der JStrafe die Strafvollstreckungskammer zuständig (OLG Düsseldorf NStZ 92, 606; MDR 92, 1078; MDR 93, 171). Die Strafvollstreckungskammer ist jedoch nur dann zuständig, wenn der Verurteilte sich im Vollzug der JStrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel befindet oder befand; wurde der maßgebliche Straf- und Maßregelausspruch auch nicht teilweise vollstreckt, ist für die BewÜberwachung und die insoweit erforderlichen nachträglichen Entscheidungen grds. das Gericht zuständig, das die bedingte Aussetzung bewilligt hat, entweder das Gericht des 1. Rechtszuges oder im Falles des § 66 II 4 als Vollstreckungsleiter (BGH NStZ 97, 100 mit zust. Anm. Brunner). Vgl. weiter § 89 a 2 ff. Für die Entscheidung über die Strafrestaussetzung ist weiterhin § 88 JGG maßgeblich (RL VI 2 S. 3; OLG Hamm StV 96, 277 = NStZ 96, 405 (Leitsatz); NStZ-RR 00, 92; OLG Zweibrücken B NStZ 96, 481; OLG Frankfurt NStZ-RR 99, 91; OLG Düsseldorf [3. Strafsenat] NStZ-RR 03, 377; OLG Schleswig bei Döllel/Dreeßen SchlHA 04, 262; OLG Dresden ZJJ 06, 322; OLG Karlsruhe NStZ 09, 46; LG Karlsruhe NStZ-RR 11, 155; Bauer Rpfl. 92, 146; Böhm NStZ 96, 481; Kühn NStZ 92, 527; Neubacher GA 06, 737, 746; Immel JR 07, 185; Rose NStZ 10, 95, 96; aA KG DVJJ-J 02, 467; OLG Düsseldorf [1. Strafsenat] JR 97, 212 mit abl. Anm. Böhm = StV 98, 348 mit abl. Anm. Rzepka; OLG Düsseldorf [2. Strafsenat] NStZ-RR 09, 123; OLG München StraFo 09, 125; OLG Nürnberg NStZRR 10, 156; Heinrich NStZ 02, 188; Hamann Rpfl. 91, 407: Geltung von § 57 StGB; von Hamann wohl aufgegeben in Rpfl. 92, 147). Die Abgabe der Vollstreckung ist keine jrichterliche Entscheidung iSv § 83 I, sondern ein Justizverwaltungsakt, sodass dagegen nicht sofortige Beschwerde, sondern nach der Vorschaltbeschwerde gem. § 21 StrVollstrO der Rechtsweg nach §§ 23 ff EGGVG gegeben ist (LG Koblenz NStZ-RR 97, 533; DSS/Sonnen § 85, 16). 15 Ist aber neben JStrafe auch Freiheitsstrafe zu vollstrecken und wird die JStrafe bereits in einer ErwStrafanstalt vollzogen, so kann der auch in diesem Fall zuständige (vgl. Rn 6) jrichterliche Vollstreckungsleiter die Vollstreckung bereits nach Vollendung des 21. Lebensjahres des Verurteilten an die nach den allg. Vorschriften zuständige Vollstreckungsbehörde abgeben (§ 89 a III). Dies kommt einer einheitlichen Vollstreckungsleitung während des weiteren Vollzugs in der ErwStrafanstalt zugute (dazu § 89 a, 2 u. 5). 16 In beiden Fällen (Rn 14 u. 15) kann, aber nicht muss der Vollstreckungsleiter abgeben. Er kann auch aus bes. Gründen davon absehen, wenn gerade eine Verzögerung der Persönlichkeitsentwicklung ihm im Einzelfall Chancen einer jgemäßen Einwirkung nahe legt. Dann kann der Vollstreckungsleiter auch nach Vollendung des 24. bzw. 21. Lebensjahres des Verurteilten die Vollstreckung noch nach Abs. V abgeben, so, wenn die Aussetzung der Vollstreckung bevorsteht und für die weiteren Entscheidungen, also auch für die Vorbereitung der Entlassung, der JRichter am Wohnsitz des Verurteilten sich eher anbietet. Zu den Erwägungen des Vollstreckungsleiters vgl. auch § 89 a, 1 aE, 2, 4, 5 aE, 9 aE u. 10 aE. 17 Zu den gesetzlichen Regelungen für Entscheidungen über die Reihenfolge der Vollstreckung u. Unterbrechung bei Zusammentreffen von J- mit Freiheitsstrafen u. zur Aussetzung der JStrafe neben Freiheitsstrafe § 89 a.
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Abgabe und Übergang der Vollstreckung
9.
§ 85
Allgemeine Abgabe
Jeder Vollstreckungsleiter (der ursprüngliche oder der nachfolgende) kann gem. Abs. V ohne 18 Rücksicht auf die Art der zu vollstreckenden Maßnahme die Vollstreckung ab-, weiter- oder zurückgeben (RL VI 8). Dieses Recht steht aber nur dem Vollstreckungsleiter (§§ 84, 85 I, II) selbst zu, nicht einem anderen, nur gem. Abs. V eingeschalteten Richter (BGH NStZ 83, 139; NStZRR 03, 29; NStZ 05, 644; NStZ-RR 05, 246; StraFo 07, 258; OLG Frankfurt NStZ-RR 96, 88); will letzterer abgeben, muss er beim Vollstreckungsleiter, der nach Abs. V abgegeben hat, eine entspr. Änderung anregen, denn dieser ist weiterhin Herr des Verfahrens (BGH 24, 332 u. 27, 25 unter Aufgabe von BGH Zbl. 63, 624; BGH NStZ 05, 644; NStZ-RR 05, 246; OLG Hamm MDR 84, 166; § 58, 7). Vgl. Rn 21. Nur so wird die gebotene Übersichtlichkeit der Vollstreckung gewahrt. Der Vollstreckungsleiter aber behält das Recht und die Pflicht, bei Änderung der Verhältnisse ggf. die Übertragung rückgängig zu machen und ein anderes Gericht mit den weiteren Aufgaben zu betrauen (BGH 28, 351; BGH NStZ-RR 05, 246; StraFo 07, 258; OLG Düsseldorf JMBl. NRW 89, 275). Der angegangene JRichter ist zur Übernahme nicht verpflichtet. Ggf. entscheidet das gemeinsame obere Gericht (§ 42 III 2 entsprechend; BGH bei Herlan GA 61, 358 u. BGH 24, 332; OLG Frankfurt NStZ-RR 02, 380 f; Dallinger/Lackner 18; Eisenberg 15; aA Ostendorf 14 „Übernahme verpflichtend“); anders aber bei Rn 9 u. 14; nur wenn keine echten jrichterlichen Entscheidungen mehr in Frage kommen, wird auf dem Verwaltungsweg entschieden. Voraussetzung für die Abgabe sind wichtige Gründe, bes. die Rücksicht auf die Vollzugsnähe 19 (BGH B NStZ-RR 05, 294 f; BGH NStZ 05, 167, 644). Nach der Einfügung von Abs. IV ist auch bei der Vollstreckung von Maßregeln der Besserung und Sicherung die Ortsnähe als wichtiger Grund anzusehen (Böhm NStZ 91, 524). Entscheidend ist stets der Einzelfall (OLG Frankfurt NStZ-RR 02, 380). Eine Entfernung von 20 km erschwert nach OLG Düsseldorf (MDR 90, 1937) noch nicht als „wichtiger“ Grund die Kommunikation. Vgl. auch BGH NStZ 94, 205: Unzweckmäßigkeit der Abgabe, wenn der Verurteilte in einer Entfernung von 8 km vom abgebenden Gericht wohnt; OLG Frankfurt aaO: Unzweckmäßigkeit, wenn der Vollstreckungsleiter wichtiges Erfahrungswissen aber das Vollzugsverhalten des Gefangenen hat sammeln können und die Entfernung zur neuen Vollzugsanstalt die Kommunikation nicht wesentlich erschwert. IdR sind die Voraussetzungen bei Entlassung zur Bew. gegeben (RL VI 8; § 88, 9: Abgabe an den JRichter des Aufenthaltsortes; Potrykus B 5), auch für alle weiteren Maßnahmen nach Entlassung aus der Strafanstalt (BGH B NStZ 82, 415). Die Abgabe nach Strafrestaussetzung an den JRichter des Aufenthaltsorts ist insbes. sachgerecht, wenn der Verurteilte in diesem Bezirk mit seiner Familie wohnt und Kontakt zur dortigen BewHilfe unterhält (BGH B NStZ 92, 529). Vgl. auch Brunner JR 81, 481 (Unterbringung), Rn 3 aE (Führungsaufsicht) u. Rn 12 aE (insgesamt zust. Ostendorf 15). Wird die Bew. der RestJStrafe widerrufen und verbüßt der Entlassene nun eine Freiheitsstrafe in einer ErwAnstalt, so gibt der Vollstreckungsleiter nach Abs. V die weitere Vollstreckung der JStrafe zweckmäßigerweise an einen Richter ab, in dessen Bezirk diese ErwAnstalt liegt (OLG Frankfurt B NStZ 87, 444). Ist die Strafvollstreckung nach § 35 BtMG zurückgestellt und sind Entscheidungen nach § 36 I BtMG zu treffen, kann aus wichtigem Grund die Vollstreckung an das Gericht des ersten Rechtszuges abgegeben werden (BGH 32, 58; BGH StraFo 07, 258; vgl. § 17, 32). Kein wichtiger Grund ist das Absehen von weiterer Vollstreckung der RestJStrafe bei Ausweisung gem. § 456 a StPO; für die Vollstreckung der Reststrafe, worauf nach § 456 a StPO nicht verzichtet wird, bleibt der nach § 85 II berufene Vollstreckungsleiter zuständig (OLG Hamm MDR 83, 602; Eisenberg 9; Ostendorf 15). Die Abgabe ist stets (unverzichtbar: BGH 7, 319) widerruflich; deshalb hat der abgebende 20 JRichter Anspruch auf eine angemessene Unterrichtung, jedoch kein Kontrollrecht (BGH 7, 321; Eisenberg 16; Ostendorf 13). Der abgebende JRichter hat das Recht und die Pflicht, bei Änderung der Verhältnisse seine Entscheidung nachzuprüfen und ggf. die Übertragung rückgängig zu
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§ 86
2. Teil. Jugendliche
machen und einen anderen JRichter mit den weiteren Aufgaben zu betrauen (BGH 27, 331; 28, 353; BGH NStZ 05, 644; OLG Zweibrücken B NStZ 89, 524; näher § 58, 7). Der JRichter, an den nach Abs. V abgegeben worden ist, hat nicht die Berechtigung, seinerseits die Vollstreckung an einen anderen JRichter abzugeben (Rn 18). 21 War einem Richter die Vollstreckung nach Abs. V übertragen und wird der Verurteilte vom JStrafvollzug ausgenommen und in eine ErwStrafanstalt eingewiesen, ändert sich an der Zuständigkeit nichts (BGH 27, 25; BGH BGHR § 85 II Übergang 1; OLG Düsseldorf JMBl. NRW 89, 274; vgl. Rn 12). Wurde dem JRichter die Vollstreckung nach Abs. V für einen Verurteilten übertragen, der JStrafe bereits gem. § 89 b im ErwVollzug verbüßt (vgl. Rn 12; OLG Karlsruhe JR 80, 468 mit zust. Anm. Brunner; OLG Karlsruhe Justiz 83, 162 = B NStZ 83, 450), so wird er dadurch für die weiteren Entscheidungen zuständig (BGH 30, 9; Brunner JR 81, 481; OLG Karlsruhe aaO). Setzt er die JStrafe zur Bew. aus, so kann er seine nun infolge der Aussetzung erforderlich werdenden Entscheidungen (§ 88 VI 1, 2) weiter übertragen (erweiterte Zuständigkeit gem. § 88 VI 3, § 58 III 2; BGH 24, 332; BGH Beschl. v. 20. 7. 1982 – 2 ARs 134/82; Ostendorf 13). Diese begrenzte – zusätzliche – Zuständigkeit endet mit dem Widerruf der Strafaussetzung (BGH 27, 25; OLG Karlsruhe aaO). Die nach Abs. V begründete Zuständigkeit bleibt auch nach Wegfall der auf § 88 VI beruhenden Zuständigkeit bestehen (OLG Düsseldorf JMBl. NRW 89, 274). Die noch verbleibende Zuständigkeit nach Abs. V berechtigt ihn zwar, erneut die Vollstreckung der JStrafe einzuleiten (§ 58, 1; BGH 27, 25; OLG Karlsruhe aaO), er kann sie aber nicht selbst weiter übertragen (Rn 20; BGH 28, 351; OLG Karlsruhe aaO u. OLG Düsseldorf je aaO; Eisenberg 13; vgl. auch BGH 24, 26 u. 24, 332 zu § 58 III 2). Zuständigkeit des Vollstreckungsleiters beim Widerruf nach § 88 s. § 88, 11. Zur Vollstreckungshilfe nach § 71 III IRG § 1, 5 d aE. 22 Auch bei Übergang der Zuständigkeit des Vollstreckungsleiters bleibt die der StA bestehen (Abs. VII iVm § 451 III StPO). Das gilt selbst dann, wenn die JStrafanstalt in einem anderen Bundesland liegt (für ErwRecht Meyer-Goßner § 451 StPO 20). Der ursprünglich und weiterhin zuständige StA kann aber seine Zuständigkeit auf die für den amtierenden Vollstreckungsleiter zuständige StA übertragen, wenn dies im Interesse des Verurteilten geboten erscheint und die angegangene StA zustimmt (§ 451 III 2 StPO). Auch bei der Vollstreckung von JA richtet sich die Zuständigkeit der StA nach Abs. VII und nicht nach § 143 GVG (AG Wiesloch NStZ-RR 96, 153; Eisenberg § 87, 8; aA AG Müllheim DVJJ-J 91, 434; DSS/Sonnen 19).
Zweiter Unterabschnitt Jugendarrest § 86 Umwandlung des Freizeitarrestes § 86 Umwandlung des Freizeitarrestes Der Vollstreckungsleiter kann Freizeitarrest in Kurzarrest umwandeln, wenn die Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 nachträglich eingetreten sind. 1. Hw.-JRecht: § 110 I, RL 1; § 85 RL I 3. – 2. ErwG: § 104, 1. 1 Diese jrichterliche Entscheidung (§ 83, 6) ist keine Korrektur des rechtskräftigen Urteils (Beschluss nach §§ 65, 66), sondern die Anpassung an nachträglich veränderte Verhältnisse. Die Verhältnisse müssen sich also zu einem Zeitpunkt geändert haben, in dem ihre Berücksichtigung bei der Entscheidung tatsächlich oder rechtlich (§ 57, 5) nicht mehr möglich war; ob die bes. Verhältnisse dem Gericht damals unbekannt waren, ist ohne Bedeutung (zust. Nothacker S. 217 FN 641; zweifelnd Eisenberg 3). Die rechtskräftige Entscheidung darf nicht geändert wer-
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Vollstreckung des Jugendarrestes
§ 87
den, also 1 Freizeitarrest = 2 Tage Kurzarrest, 2 = 4, jedoch niemals 1 oder 3 Tage (§ 16 III 2; Dallinger/Lackner 8; Eisenberg 4). Auch Teilumwandlung (von vornherein oder nach Teilverbüßung) ist möglich, doch nur ausnahmsweise angebracht (z. B. 2 Freizeiten = 1 Freizeit + 2 Tage). Die Voraussetzungen des § 16 III 1 müssen vorliegen; Gründe des Vollzugs sind unbeachtlich; 2 doch kann eine Verzögerung der Vollstreckung bei Überbelegung des Freizeitarrestes ein erz. Grund sein (Eisenberg 3). Die Umwandlung liegt im pflichtgemäßen Ermessen des – grds. nachträglich zuständigen (§ 85, 12) – Vollstreckungsleiters, darf aber nicht das Ermessen des erkennenden JRichters „ersetzen“ (vgl. Nothacker S. 217 FN 641). Wegen Verfahren, Entscheidung, Anfechtung s. § 83, 7; gem. § 55 I kann mit der sofortigen Be- 3 schwerde nur gerügt werden, dass die Voraussetzungen der Umwandlung nicht vorgelegen hätten (Eisenberg 7). Diese Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (§ 83, 7), die Vollstreckung kann also nach Erlass des Umwandlungsbeschlusses fortgesetzt werden. Mitteilung an Erziehungsregister unterbleibt; § 60 I Nr. 2 BZRG spricht nur von Anordnung; eine Mitteilung der Umwandlung ist auch sachlich unnötig (Eisenberg 6).
§ 87 Vollstreckung des Jugendarrestes § 87 Vollstreckung des Jugendarrestes (1) Die Vollstreckung des Jugendarrestes wird nicht zur Bewährung ausgesetzt. (2) Für die Anrechnung von Untersuchungshaft auf Jugendarrest gilt § 450 der Strafprozeßordnung sinngemäß. (3) Der Vollstreckungsleiter sieht von der Vollstreckung des Jugendarrestes ganz oder, ist Jugendarrest teilweise verbüßt, von der Vollstreckung des Restes ab, wenn seit Erlass des Urteils Umstände hervorgetreten sind, die allein oder in Verbindung mit den bereits bekannten Umständen ein Absehen von der Vollstreckung aus Gründen der Erziehung rechtfertigen. Sind seit Eintritt der Rechtskraft sechs Monate verstrichen, sieht er von der Vollstreckung ganz ab, wenn dies aus Gründen der Erziehung geboten ist. Von der Vollstreckung des Jugendarrestes kann er ganz absehen, wenn zu erwarten ist, dass der Jugendarrest neben einer Strafe, die gegen den Verurteilten wegen einer anderen Tat verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, seinen erzieherischen Zweck nicht mehr erfüllen wird. Vor der Entscheidung hört der Vollstreckungsleiter nach Möglichkeit den erkennenden Richter, den Staatsanwalt und den Vertreter der Jugendgerichtshilfe. (4) Die Vollstreckung des Jugendarrestes ist unzulässig, wenn seit Eintritt der Rechtskraft ein Jahr verstrichen ist. 1. Hw.-JRecht: § 110 I RL 1; § 85 RL I 3. – 2. ErwG: § 104, 1. – 3. Sold. Rn 9; § 112 c II; 112 c, 2. Soll der JA seinen pädagogischen Zweck erreichen, so muss er möglichst rasch nach Rechtskraft 1 des Urteils vollstreckt werden. Gerade bei J verwischt ein längerer Zeitablauf zwischen Urteil und Reaktion den Bezug zwischen Tat und Sanktion und die Chance einer erz. Einwirkung (vgl. auch Rn 2; Hinweise zu Beschleunigungsmöglichkeiten § 10, 14 c; § 16, 21). Die Vollstreckung des JA ist deshalb nicht mehr zulässig, wenn seit Eintritt der Rechtskraft ein Jahr verstrichen ist (Abs. IV). Es kommt für die Jahresfrist auf die formelle Rechtskraft der Anordnung (auch nach §§ 65, 66) an. Die Frist wird nach §§ 186 ff BGB berechnet, dabei jedoch zugunsten des Verurteilten § 79 VI StGB entsprechend angewendet (DSS/Diemer 9; Ostendorf 15). Ein Ruhen der Vollstre-
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ckungsverjährung (§ 79 a StGB) tritt nicht ein; dies würde nur den Zweck vereiteln; überdies können die allg. Vorschriften nicht gelten, weil Abs. IV ein Vollstreckungsverbot enthält, nicht etwa die Vollstreckungsverjährung regelt (Dallinger/Lackner 14; Eisenberg 10). Die Jahresfrist darf der Vollstreckungsleiter nicht bewusst verstreichen lassen, auch wenn er den JA Vollzug nicht mehr für sinnvoll hält; hier kann Abs. III 1 oder 2 (Rn 7 u. 2) eingreifen oder es muss der Gnadenweg beschritten werden (Erlass; § 13, 7; Eisenberg 10). Nach Ablauf der Jahresfrist ist auch ein inzwischen begonnener JAVollzug abzubrechen. 2 Aber auch diese Jahresfrist (Rn 1) kann, gerade bei den Entwicklungssprüngen sehr junger Menschen, zu groß sein, der J, der die Tat begangen hat, kann von dem J, der die Sanktion dafür erleiden muss, schon so weit entfernt sein, dass der JA, statt erz. zu wirken, nur noch schadet. Deshalb sieht der Vollstreckungsleiter von der Vollstreckung des JA auch schon dann ganz ab (Abs. III 2), wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft 6 Monate verstrichen sind und Gründe der Erz. dies gebieten. Im Übrigen gilt das Rn 1 Gesagte entsprechend. Weiterhin sieht der Vollstreckungsleiter von der Vollstreckung des JA ganz oder nach Teilverbüßung von der Vollstreckung des Restes ab, wenn seit Erlass des Urteils Umstände hervorgetreten sind, die dies allein oder iVm den bereits bekannten Umständen aus Gründen der Erz. rechtfertigen (Abs. III 1). 2 a Nach §§ 11 III 3, 15 III 2 sieht der Richter von der Vollstreckung des Ungehorsamsarrestes ab, wenn der J nach dessen Verhängung der Weisung oder Auflage nachgekommen ist. Hat der J erst begonnen, der Weisung oder Auflage nachzukommen, so entscheidet der Richter nach pflichtgemäßem Ermessen, ob er die vollständige Erfüllung abwarten oder die Vollstreckung einleiten will. Leitet er die Vollstreckung ein und kommt der J dann nach Abgabe der Vollstreckung der Weisung oder Auflage vollständig nach, so bleibt § 11 III anwendbar (§ 11, 8; Böttcher/Weber NStZ 91, 8). Zuständig für diese Entscheidung ist auch dann der Richter des ersten Rechtszuges (§ 11, 8 mwN). 3 Aus den Rn 1 und 2 dargelegten Gründen verbietet Abs. I den JA zur Bew. auszusetzen. Dieses Verbot gilt unbedingt, weil es aus dem Wesen des JA abzuleiten ist (§ 16, 1); es entspricht der Forderung, gerade beim JA die Vollstreckung dem Urteil möglichst rasch folgen zu lassen (§ 4 JAVollzO). Das strikte Verbot kann nicht einmal durch das Verschlechterungsverbot beseitigt werden (OLG Düsseldorf NJW 61, 891; OLG Frankfurt NJW 63, 969; OLG Hamburg NJW 63, 67; OLG Hamm NJW 71, 1666 = JR 72, 73 mit Anm. Brunner; LG Nürnberg-Fürth NJW 68, 120; DSS/Diemer 2; Grethlein S. 120; vgl. § 55, 26; aA Potrykus NJW 61, 863; zweifelnd Eisenberg 2). Weil die Aussetzung von JA zur Bewährung ein Rechtsverstoß ist, kann sie ohne die Beschränkung des § 55 I angefochten werden (OLG Düsseldorf NJW 61, 891), und zwar mit Berufung oder Revision, nicht mit der sofortigen Beschwerde des § 59 I (OLG Düsseldorf NJW 61, 891; OLG Frankfurt NJW 63, 669; § 55, 11; § 59, 2). Dieses Verbot der Aussetzung gilt allerdings nicht für die Gnadeninstanz; doch ist hier dem Zweck der Vorschrift und der Entscheidungsferne Rechnung zu tragen und äußerste Zurückhaltung geboten. 4 Letzteres gilt auch für Aufschub und Unterbrechung der Vollstreckung im Verwaltungsweg (vgl. § 5 III JAVollzO, §§ 455, 456 StPO entsprechend) und im Gnadenweg; solche Maßnahmen können aus gesundheitlichen Gründen (so bei fortgeschrittener Schwangerschaft und während der Stillzeit) getroffen werden, evtl. auch bei sozialer Gefährdung (recht weitgehend Eisenberg 3). Die Praxis lehrt, dass bisweilen auch nur das Vollstreckungsverbot des Abs. IV erreicht werden soll. Von der sofortigen Vollstreckung soll nur ausnahmsweise abgesehen werden; Grundsätze hierfür RiJAVollzO zu § 4 JAVollzO. 5 Abs. II bringt den § 450 StPO auch für JA zur Geltung (Löwe/Rosenberg/Graalmann-Scheerer § 450 StPO 25). Die so berücksichtigte UHaft wird fiktiv als JAVollzug („Vollstreckungshaft“) behandelt, so als wäre in dem in § 450 StPO bestimmten Zeitpunkt die formelle Rechtskraft eingetreten (Eisenberg 5; Ostendorf 7). Hierbei handelt es sich nur um eine Frage der Berechnung (§ 83, 6). Wegen Anrechnung der UHaft allg. § 52 a, 8.
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Vollstreckung des Jugendarrestes
§ 87
Das gänzliche Absehen von der Vollstreckung (Abs. III 1, 1. Alt., 2, 3) und vom Rest nach teilweisem 6 Vollzug (Abs. III 1, 2. Alt.) sind jrichterliche Entscheidungen (§ 83, 6). Abs. III 4 bringt eine Einschränkung des Zwanges (§ 33 StPO) zur Anhörung des StA und fordert zusätzlich „nach Möglichkeit“ – doch regelmäßig – die Anhörung des erkennenden JRichters und der JGH. Grds. ist Einvernehmen mit dem erkennenden JRichter anzustreben (Eisenberg 8). Zur zuständigen StA § 85, 22. Im Übrigen gilt für das Verfahren § 83, 7; Mitteilung an das Erziehungsregister erfolgt nicht. Wenn auch der JA möglichst rasch nach Rechtskraft des Urteils vollstreckt werden soll, so kön- 7 nen sich doch gerade bei J Entwicklungen und Situationen sehr rasch ändern (vgl. Rn 1 u. 2). Es können nach Erlass des Urteils Umstände hervortreten, die allein oder iVm den bereits bekannten ein Absehen von der Vollstreckung des JA rechtfertigen, mehr noch: fordern. Denn es kann die Vollstreckung bei Würdigung dieser Umstände unbillig hart und damit erzwidrig wirken oder gar Schaden stiften. So kann sich dem längere Zeit arbeitslosen J eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle, auch ein Umschulungskurs anbieten oder einem J die Möglichkeit sich eröffnen, seine abgebrochene Schulausbildung fortzusetzen. Die wegen bes. Erziehungsschwierigkeiten mühsamer werdende Versorgung zweier Kinder kann einen Umstand darstellen, der nach Abs. III 1 ein Absehen von der Vollstreckung des JA gegen die allein erziehende Mutter rechtfertigen kann (LG Heidelberg DVJJ-J 92, 147). Aus diesen Beispielen geht hervor, dass es sich zumeist nur um Dauerarrest handeln kann. Es darf aber auch nicht verkannt werden, dass eine Arbeitsstelle oder die Möglichkeit, eine Schulausbildung fortzusetzen, nur dann eine Chance sein kann, wenn der J auch willens und imstande ist, diese anzunehmen und sie sich zu erhalten. Dies zu erkennen, ist gerade deshalb so schwierig, weil die J im Dauerarrest heute zumeist recht schwierige, bereits erheblich kriminell gefährdete Persönlichkeiten sind. Sieht der Vollstreckungsleiter bei notwendig großzügiger Beurteilung eine vernünftige Chance, so kann er nach Abs. III 1 von der Vollstreckung ganz oder, wenn ein völliger Verzicht nicht gerechtfertigt erscheint, nach Teilverbüßung von der Vollstreckung des Restes absehen. Das sollte aber nicht zu einer halbherzigen Lösung führen, die ggf. nach Sachlage ähnlichen Schaden anrichten kann wie völlige Verbüßung. Andererseits kann die sog. „Anvollstreckung“ (Begründung des RegE eines 1. JGGÄndG, BT-Drs. 11/5829 S. 35) auch erz. durchaus sinnvoll und notwendig sein und kann uU zeitlich so abgestimmt werden, dass die Chance in der Lebensentwicklung nicht verspielt wird. Absehen von der Restvollstreckung wird insbes. dann in Betracht kommen, wenn die bes. Umstände dem Vollstreckungsleiter erst während des Vollzugs bekannt werden. Es kann auch sein, dass der Vollzug die erstrebte Wirkung (Selbstbesinnung, Besserungswille) schon vor der im Urteil festgesetzten Zeit hat; danach kann dann leicht eine Abstumpfung eintreten. Doch ist die Anordnung grds. nur gerechtfertigt, wenn der Erfolg erreicht oder wenn der Zweck des JA nicht erreichbar ist, was sich erst im Vollzug herausstellen kann. Bei allem ist zu berücksichtigen, dass Eisenhardt (Gutachten über den JA, 1989 S. 125) bei seinen Untersuchungen festgestellt hat, dass die Fiktion der „gutgearteten“ Täter nicht (mehr) der Realität entspricht, weil bei diesen Diversions- und ambulante Maßnahmen eingeleitet werden (vgl. Einf. II 26; § 45, 5). Nach Ergebnissen der Datenanalyse von Eisenhardt (aaO) sind im Dauerarrest zum größten Teil J und Hw., die sich auf dem Weg in eine delinquente Karriere befinden. Das LG Hamburg (B NStZ 89, 524) hat die vorzeitige Entlassung (Abs. III) eines nicht grds. ar- 7 a restungeeigneten J, welcher die Führung einer Ausländergruppe übernommen, die Mitarrestanten unterdrückt und Angst verbreitet hatte, mit der Begründung aufgehoben, die Entlassung komme einer Belohnung für Fehlverhalten gleich. Der JA müsse neben der praktizierten Gruppenerz. auch ein Konzept für J bereithalten, die nicht gruppenfähig seien oder wegen ihrer autoritären Persönlichkeitsstruktur negativen Einfluss auf ihre Mitarrestanten ausüben. Vgl. auch § 90, 2 u. 3; Einf. I 23. Abs. III 3 verlegt eine dem § 154 II StPO vergleichbare Vorschrift in die Vollstreckung, abge- 8 stimmt auf den erz. Zweck des JA. Bei zu erwartenden Strafen ist zu bedenken, dass die Ent-
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§ 88
2. Teil. Jugendliche
scheidung nach Abs. III 3 endgültig ist. Hat der erkennende JRichter gem. § 31 III 1 davon abgesehen, schon abgeurteilte Straftaten in die neue Entscheidung einzubeziehen, und auch von § 31 III 2 nicht Gebrauch gemacht, wird es im Regelfall erz. wenig sinnvoll sein, wenn der Vollstreckungsleiter dann seinerseits von der Vollstreckung absieht; in solchen Fällen ist Verständigung und Einvernehmen mit dem erkennenden JRichter (Abs. III 4) bes. wichtig. Von der Vollstreckung des JA wird insbes. dann ganz abzusehen sein, wenn der Verurteilte wegen neuer Straftaten eine höhere JStrafe oder gar als Hw. nach ErwRecht Freiheitsstrafe zu erwarten hat oder zu dieser verurteilt ist. In solchen Fällen erwies sich JA als erz. sinnlos, solche Arrestanten sind häufig zu schädlichen Fremdkörpern in der JA Anstalt geworden. 9 Wegen des Absehens vom JA Vollzug bei Soldaten mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Wehrdienstes § 112 c, 2. Zur Zuständigkeit der StA bei der Vollstreckung von JA § 85, 22.
Dritter Unterabschnitt Jugendstrafe Vor § 88 § 88 Die Vorschriften regeln nur die vorzeitige Entlassung und die damit zusammenhängenden Fragen. Sie schalten als Sondervorschriften § 57 StGB aus. Sonst gelten die allg. Vorschriften (§ 82 Vorb. 3), bes. aber die §§ 82–85 mit RL, vor allem § 85 RL VI und die VVJug (§ 88 RL).
§ 88 Aussetzung des Restes der Jugendstrafe § 88 Aussetzung des Restes der Jugendstrafe (1) Der Vollstreckungsleiter kann die Vollstreckung des Restes der Jugendstrafe zur Bewährung aussetzen, wenn der Verurteilte einen Teil der Strafe verbüßt hat und dies im Hinblick auf die Entwicklung des Jugendlichen, auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit, verantwortet werden kann. (2) Vor Verbüßung von sechs Monaten darf die Aussetzung der Vollstreckung des Restes nur aus besonders wichtigen Gründen angeordnet werden. Sie ist bei einer Jugendstrafe von mehr als einem Jahr nur zulässig, wenn der Verurteilte mindestens ein Drittel der Strafe verbüßt hat. (3) Der Vollstreckungsleiter soll in den Fällen der Absätze 1 und 2 seine Entscheidung so frühzeitig treffen, dass die erforderlichen Maßnahmen zur Vorbereitung des Verurteilten auf sein Leben nach der Entlassung durchgeführt werden können. Er kann seine Entscheidung bis zur Entlassung des Verurteilten wieder aufheben, wenn die Aussetzung aufgrund neu eingetretener oder bekanntgewordener Tatsachen im Hinblick auf die Entwicklung des Jugendlichen, auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit, nicht mehr verantwortet werden kann. (4) Der Vollstreckungsleiter entscheidet nach Anhören des Staatsanwalts und des Vollzugsleiters. Dem Verurteilten ist Gelegenheit zur mündlichen Äußerung zu geben. (5) Der Vollstreckungsleiter kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag des Verurteilten, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist. (6) Ordnet der Vollstreckungsleiter die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Jugendstrafe an, so gelten § 22 Abs. 1, 2 Satz 1 und 2 sowie die §§ 23 bis 26 a sinngemäß. An
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Aussetzung des Restes der Jugendstrafe
die Stelle des erkennenden Richters tritt der Vollstreckungsleiter. Auf das Verfahren und die Anfechtung von Entscheidungen sind die §§ 58, 59 Abs. 2 bis 4 und § 60 entsprechend anzuwenden. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss, der die Aussetzung des Strafrestes anordnet, hat aufschiebende Wirkung. 1. Hw.-JRecht: § 110 I, RL 1; § 85 RL I 3. – 2. ErwG: § 104, 1; § 82, Vorb. 2. Richtlinie zu §§ 88 und 89: Auf die Verwaltungsvorschriften zum Jugendstrafvollzug (VVJug) und auf die Beseitigung des Strafmakels nach § 100 wird hingewiesen. Schrifttum: Röthel Vorzeitige Entlassung aus dem JStrafvollzug, 2007. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
1.
Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Sperrfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit und Verfahren . . . . . . . . . . Zeitpunkt der Entscheidung . . . . . . . . . . Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nebenentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . Aussetzung des Strafrestes bei Drogentätern
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Rn 1 9 10 13 15 16 22
Voraussetzungen
Voraussetzung ist Teilverbüßung (Abs. II) der JStrafe. Immer muss bei JStrafe über 1 Jahr min- 1 1 destens /3 verbüßt sein (Abs. II 2), diese Grenze zu unterschreiten erlauben auch nicht wichtige Gründe nach Abs. II 1. Die Berechnung erfolgt nach allg. Grundsätzen. Angerechnete UHaft und andere Freiheitsentziehung (§ 52 a, 1) zählt als verbüßte Strafzeit (BGH 6, 215; OLG Köln NJW 54, 205; vgl. § 57 IV StGB). Dies gilt auch bei gnadenweiser Anrechnung von UHaft, nicht aber bei gnadenweiser Anrechnung von Strafunterbrechung (OLG Hamburg MDR 77, 771; Ostendorf 2), weil sie keine Vollstreckung ist. Im Übrigen aber sind hier wegen der beschränkten erz. Möglichkeiten der UHaft die sachlichen Voraussetzungen und die übrigen Gesichtspunkte (Rn 8) bes. sorgfältig zu prüfen. Dies war auch schon die Verpflichtung des erkennenden JRichters nach § 52 a 3; s. § 52 a, 14. Wie sich aus der Neufassung des entsprechend anwendbaren § 57 IV StGB durch das 23. StRÄndG v. 13. 4. 1986 ergibt, gilt auch eine nach § 26 III 2 angerechnete Leistung als verbüßte Strafe iSd § 88 I (Eisenberg 4; Ostendorf 2; DSS/Sonnen 6; LK/Hubrich § 57 StGB 8; Lackner/Kühl § 57 StGB 4; aus der älteren Rechtsprechung für Wertung als Teilverbüßung OLG Hamburg MDR 78, 592; OLG Saarbrücken MDR 79, 609; OLG Zweibrücken MDR 82, 246; dagegen OLG Koblenz MDR 80, 597; OLG Düsseldorf MDR 80, 951; OLG Karlsruhe MDR 82, 770). Wenn infolge Bildung einer Einheitsstrafe (§§ 31, 66) eine bei einer einbezogenen JStrafe bewilligte Strafaussetzung zur Bew. entfällt, muss eine erbrachte Leistung – soweit zulässig (vgl. § 26 a, 11) – angerechnet werden (näher BGH StV 36, 378 bei § 31, 15). Grds. sollen mindestens 6 Monate verbüßt sein (Abs. II 1), weil sonst idR eine wirksame erz. Be- 2 einflussung nicht möglich ist (§ 18 I). Die Sechsmonatsgrenze zu unterschreiten (Abs. II 1) erlauben nur „bes. wichtige Gründe“, die über die sachlichen Voraussetzungen der Aussetzung hinausgehen (Eisenberg 5; Ostendorf 3); möglich z. B. bei außergewöhnlichen Leistungen, schweren Schicksalsschlägen, einmaliger Gelegenheit zur Resozialisierung in Freiheit, schädlichen Einwirkungen des Vollzugs auf die Persönlichkeitsentwicklung uä (dazu OLG Schleswig bei Döllel/Dreeßen SchlHA 04, 262; LG Bonn NJW 77, 2226). Bei der Drittelstrafe des Abs. II 2 gilt diese Ausnahme aber nicht. Gegen eine Entscheidung des LG Bonn (StV 84, 255 mit abl. Anm. Tondorf), das bei JStrafe wegen Schwere der Schuld § 57 StGB entsprechend berücksichtigt wissen
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§ 88
2. Teil. Jugendliche
will, zu Recht OLG Schleswig bei Lorenzen/Schiemann SchlHA 98, 197; OLG Düsseldorf StV 01, 184; Böhm NStZ 84, 447; Eisenberg 9; Ostendorf 3; Stein BewH 85, 88). Zur Auswirkung auf das Verschlechterungsverbot § 55, 39 aE. Da die bes. wichtigen Gründe nicht mehr nur „ausnahmsweise“ eingreifen sollen, ist damit eine großzügige Auslegung geboten. – Beide Voraussetzungen (Abs. II) sind unabhängig voneinander. Bei einer JStrafe von 15 Monaten müssen mindestens 5 Monate verbüßt sein (Abs. II 2), Entlassung im 6. Monat ist dann aus bes. wichtigen Gründen möglich. Bei einer JStrafe von 18 Monaten und mehr ist die allg. Grenze von 6 Monaten gegenstandslos; bei JStrafe bis zu 1 Jahr gilt nur die Sechsmonatsgrenze des Abs. II 1 (Eisenberg 6). 3 Wird eine Maßregel der Besserung und Sicherung vor der JStrafe vollzogen (aber § 5 III; § 5, 2), so werden infolge der Anrechnung (§ 67 IV StGB) für die Berechnung des Teilvollzugs (Rn 1) beide zusammengenommen (OLG Frankfurt GA 81, 40 mwN). Bei umgekehrter Reihenfolge gilt § 67 c StGB. Bei Anrechnung von Drogentherapie auf JStrafe tritt an die Stelle der Voraussetzungen des § 88 die Zweidrittelregelung des § 36 I 3 BtMG. Insgesamt Ostendorf 13 unter Hinweis auf OLG Stuttgart StV 86, 111; OLG Celle StV 83, 113; Kreuzer/Oberheim NStZ 84, 557 gegen LG Nürnberg-Fürth NStZ 84, 175. Vgl. aber auch § 17, 32. 4 Der Verurteilte muss nicht im Strafvollzug sein (z. B. bei Strafunterbrechung oder noch vor Strafantritt bei angerechneter UHaft in entsprechender Höhe; BGH 6, 215; Eisenberg 7; Ostendorf 4). Doch ist hier sorgfältige Prüfung geboten. Vor Strafantritt gilt § 57. 5 Sachliche Voraussetzung der Strafrestaussetzung ist nach der Neufassung des Abs. 1 durch das G zur Bekämpfung von Sexualdelikten u. anderen gefährlichen Straftaten v. 26. 1. 1998, dass die Aussetzung im Hinblick auf die Entwicklung des J, auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit, verantwortet werden kann. Mit der Ersetzung der früheren Formulierung „verantwortet werden kann zu erproben, ob er außerhalb des JStrafvollzugs einen rechtschaffenen Lebenswandel führen wird“ durch die Neufassung ist keine inhaltliche Verschärfung der Anforderungen an die günstige Prognose verbunden (OLG Frankfurt NStZ-RR 99, 91; OLG Düsseldorf ZJJ 03, 306, 307; DSS/Sonnen 14; Dessecker StV 99, 682; Dölling in Egg, Hrsg., Sexueller Mißbrauch von Kindern, 1999 S. 33; Hammerschlag/Schwarz NStZ 98, 323; Schönberger NStZ 99, 103; eine Verschärfung sehen dagegen Schöch NJW 98, 1258 u. Röthel S. 97). Vielmehr hat die Änderung nur klarstellende Bedeutung (BT-Drs. 13/8586, S. 6; 13/9062, S. 5). Weiterhin sind die unter erz. Gesichtspunkten für eine Restaussetzung sprechenden Gesichtspunkte mit den Risiken abzuwägen, die sich aus einer vorzeitigen Entlassung für die Allgemeinheit ergeben können. Die Anforderungen an die günstige Prognose sind hierbei umso höher anzusetzen, je schwerer die in Betracht kommenden Taten sind (OLG Düsseldorf aaO; OLG Karlsruhe StV 07, 12, 13). Die Aussetzung setzt die nahe liegende Chance künftiger Straffreiheit voraus; Gewissheit ist nicht erforderlich (OLG Düsseldorf u. OLG Karlsruhe aaO). 6 Bei der Entscheidung über diese Voraussetzung hat große Bedeutung die Entwicklung im Strafvollzug, was auch bei viel Erfahrung nur mit sehr viel Vorsicht gewertet werden kann (Dallinger/Lackner 16; Eisenberg 8; Ostendorf 6; je mwN). Bedeutsam ist insbes. das Verhalten bei Vollzugslockerungen (OLG Karlsruhe StV 07, 12, 13). Bes. wichtig und im Ergebnis oft entscheidend sind aber die Verhältnisse, in die der Verurteilte nach der Entlassung kommt (Rn 13). Zur Prognoseerstellung Einf. I Rn 52–52 e. Über die Ermittlungen Rn 11. Der JRichter muss sich klar sein, dass das Risiko eines Misserfolges hier größer als bei Aussetzung gem. §§ 21, 27 ist, weil hier regelmäßig schädliche Neigungen erheblicheren Umfangs vorlagen und die Angst vor dem Vollzug möglicherweise nicht mehr so groß ist (Abel BewH 64, 121). Eine zu große Zurückhaltung bei der bedingten Entlassung ist aber deshalb nicht angebracht, weil die zur notwendigen Umprägung der Persönlichkeit erforderlichen psychischen Kräfte zum überwiegenden Teil aus der konkreten Aussicht eines erreichbaren Vorteils bezogen werden. Diese positiven Kräfte können aber in der erforderlichen Dynamik nur innerhalb eines verhältnismäßig kurzen Zeitraums 1 (1, höchstens 1 /2 Jahre) mobilisiert werden (Graßberger Österreichische JZ 61, 173; Noll Die ethi-
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Aussetzung des Restes der Jugendstrafe
§ 88
sche Begründung der Strafe, 1962 S. 23 FN 48). Stand ein Hw. zur Tatzeit noch einem J gleich, kommt der Aufarbeitung der Reifeverzögerung während des Vollzugs besonders Gewicht zu (OLG Karlsruhe StV 07, 12). Der Gesetzgeber hat die Grundsätze des § 57 StGB nicht in § 88 übernommen und damit dem pflichtgebundenen Ermessen des JRichters den im Interesse des J verantwortungsbewusst auszufüllenden Freiraum belassen (vgl. Einf. II 4; Böhm NJW 77, 2198; Eisenberg 9). Gleichwohl wird nicht unbeachtet bleiben dürfen, dass nach § 57 II StGB im ErwRecht dem Verurteilten nunmehr idR nach der Hälfte der Strafe Strafaussetzung zu bewilligen ist, falls die übrigen Voraussetzungen vorliegen (OLG Düsseldorf JR 88, 292 mit zust. Anm. Zipf – Ermessensreduktion aus dem Kontext von Abs. I u. II). Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Prognoseentscheidung s. BVerfG NJW 00, 501, 502 zu § 57 StGB. Dass die Strafe zunächst zur Bewährung ausgesetzt war (§§ 21 ff), aber widerrufen wurde, 7 oder dass schon früher – bes. bei langen Strafen – eine Entlassung zur Bewährung gem. § 88 erfolgt war, diese aber widerrufen wurde, steht einer neuen Entscheidung nicht im Wege. Nur ist in einem solchen Fall bes. sorgfältig zu prüfen, ob eine erneute Entlassung zur Bewährung verantwortet werden kann. Liegen die in Rn 1 bis 7 aufgeführten Voraussetzungen vor, entscheidet der Richter nach pflicht- 8 gemäßem, gebundenen (BGH GA 58, 305) Ermessen. So kann die Entlassung unterbleiben, wenn sie noch nicht genügend vorbereitet ist (Loesch BewH 54/55, 145), was jedoch durch Abs. III 1 (Rn 13) absolute Ausnahme sein sollte. Die Aufhebung der Entscheidung nach Abs. III 2 (Rn 14) rechtfertigt dies aber keinesfalls. Sehr bestritten ist, ob Zurückstellung der Entlassung bei sonst vorliegenden Voraussetzungen zulässig ist aus dem Gedanken des Schuldausgleichs bei Strafen, die wegen der Schwere der Schuld verhängt wurden (vgl. zur Sühnefunktion § 18, 8; LG Bonn NJW 77, 2226; Eisenberg 9). Das kann nur in extremen Fällen bes. schwerer Schuld in Betracht kommen (OLG Schleswig bei Lorenzen/Schiemann SchlHA 98, 196; OLG Düsseldorf StV 01, 183 mit abl. Besprechung Hoffmann StV 02, 449; LG Berlin NStZ 99, 102 mit abl. Anm. Schönberger). Das OLG Bamberg (StV 90, 27 mit krit. Anm. Müller-Dietz) fordert bei Erw. für die Prognose eine Prüfung und Berücksichtigung von Schuldeinsicht und Schuldverarbeitung als Voraussetzung für erfolgreiche Resozialisierung, was für das JRecht aber nicht ohne Einschränkung übernommen werden kann. Aber auch die Notwendigkeit, im objektiven Interesse des Verurteilten eine begonnene Ausbildung oder pädagogische Behandlung zu einem gewissen Abschluss zu führen, kann berücksichtigt werden (vgl. BGH StV 87, 306 in § 18, 7 b; Böhm NJW 77, 2199; aA Ostendorf 7 „keine speziellen Strafziele des JGG“); Eisenberg 9 findet sich mit Zurückstellung der Entlassung ab, wenn „die Überwindung existentieller Probleme nach Entlassung nicht gewährleistet ist“. Zurückhaltung wird jedenfalls geboten sein. Dabei sind die Ziele der Entlassung zur Bew. zu berücksichtigen, insbes. Anreiz für gute Führung nach Entlassung und Erleichterung des Übergangs in die Freiheit durch Aufsicht und Hilfe, die nahezu immer eine vorzeitige Entlassung ratsam sein lassen, aber auch Belohnung für gute Leistungen in der Anstalt und nachträgliche Korrektur des Urteils (§ 18, 7) hinsichtlich der Strafzumessung nach neuem Stand. Da es sich bei der Aussetzungsentscheidung um eine Ermessensentscheidung im Einzelfall handelt, ist auch bei JStrafen wegen Schwere der Schuld eine schematische Bestimmung der erforderlichen Teilverbüßungszeit nach Deliktsgruppen (z. B. zwei Drittel bei Raub und drei Viertel bei Mord) nicht zulässig (OLG Schleswig bei Lorenzen/Schiemann SchlHA 98, 197; OLG Düsseldorf StV 01, 184). 2.
Sperrfrist
Der Vollstreckungsleiter kann – nicht: muss (vgl. auch § 57 VI StGB) – ggf. mehrfach Sperrfris- 9 ten von höchstens 6 Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag des Verurteilten, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist (Abs. V). Die Setzung einer solchen Sperrfrist ist nicht mehr an eine Ablehnung eines Entlassungsantrages gebunden, dies aber wird zumeist der Anlass sein. Die Frist gilt nur für den Verurteilten, nicht für die StA (DSS/Sonnen 23; Eisenberg 18;
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§ 88
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Ostendorf 10). Die Dauer richtet sich nach Höhe des Strafrestes und der Entlassungsreife; die Frist darf nur für die Zeit festgesetzt werden, in der eine günstige Veränderung der Täterprognose nicht zu erwarten ist (OLG Stuttgart Justiz 76, 212; OLG Düsseldorf MDR 83, 247). Die Fristsetzung ist selbständig gem. § 83 I, III mit sofortiger Beschwerde (§ 83, 7) anfechtbar. Ein Antrag des Verurteilten ist zwar während der Sperrfrist unzulässig, kann aber als Anregung zu einem Verfahren von Amts wegen führen, sodass der Vollstreckungsleiter – entgegen Bedenken Nothacker (S. 228, 274, 275) – trotz Sperre auf günstige Sozialisierungsmöglichkeiten jederzeit flexibel reagieren kann. 3.
Zuständigkeit und Verfahren
10 Zuständig ist der zZ der Entscheidung als Vollstreckungsleiter amtierende JRichter (Rn 17; § 84; § 85, 1 ff, insbes. § 85, 21). Zur Zuständigkeit beim Widerruf Rn 19. 11 Es handelt sich um ein jrichterliches Verfahren; wegen der Einzelheiten, auch der Anfechtbarkeit § 83, 7. Wegen der bes. Bedeutung gelten wichtige Anhörungs-Pflichten (Abs. IV): Der Vollzugsleiter muss gehört werden, am besten aufgrund einer Beamtenkonferenz; dieser legt seine Meinung (nicht die der Mehrheit der Konferenz) schriftlich nieder. Der Verurteilte muss mündlich gehört werden, möglichst unter vier Augen (anders beim gesetzlichen Vertreter und ErzBerechtigten; § 67 schreibt nicht die Art der Anhörung vor); er erhält dadurch Gelegenheit zu umfassender Äußerung, der JRichter zur ergänzenden Persönlichkeitserforschung; gegen den Willen des Verurteilten sollte die Entlassung grds. nicht angeordnet werden (im Ergebnis ebenso Eisenberg 15; Ostendorf 10, der aber „mündliche Verhandlung“ in Gegenwart aller Beteiligten vorschlägt). Der Vollstreckungsleiter muss den J selbst anhören; nur ausnahmsweise ist Anhörung durch einen anderen JRichter im Wege der Rechtshilfe vertretbar (Eisenberg 15; Ostendorf 11). Dem Verurteilten, seinen gesetzlichen Vertretern und den ErzBerechtigten müssen alle Tatsachen mitgeteilt werden, die gegen eine Entlassung vom Vollzugsleiter oder vom JStA vorgebracht wurden. Nimmt der StA auch alle vom Vollzug vorgebrachten ungünstigen Umstände ohne Erwähnung der Quelle in seine Stellungnahme auf, wird das rechtliche Gehör ohne Belastung des Vollzugs gewährt. Das BVerfG (NJW 64, 293) erwägt Beschränkungen des rechtlichen Gehörs nur, wenn konkrete Anhaltspunkte einer Gefahr für Leib und Leben des Anstaltspersonals vorliegen oder der Zweck des Freiheitsentzuges vereitelt würde; das Gericht lässt offen, ob die Ablehnung mit der Begründung, es lägen keine auf innere Wandlung hinweisenden Anzeichen vor, auch ohne Mitteilung der entsprechenden Äußerung des Anstaltsleiters möglich ist, wenn der entscheidende Richter den J oder Hw. mündlich gehört hat. Im Ergebnis ebenso Eisenberg 15; Ostendorf 12. Vgl. auch OLG Hamm MDR 60, 424; Schütz u. Heiss NJW 61, 582 u. 1094. Das Ergebnis der Anhörung des J ist jedenfalls durch einen Aktenvermerk oder die Wiedergabe in den Gründen des Beschlusses über die Aussetzung aktenkundig zu machen (OLG Schleswig bei Lorenzen/Schiemann SchlHA 98, 197). Zur Mitwirkung eines Verteidigers s. § 68, 27. – Die notwendige Anhörung des JStA (Zuständigkeit: § 143 I GVG; § 88 VII; § 36, 6; § 85, 22) erfolgt zweckmäßig nach Abschluss der Ermittlungen aufgrund der Akten schriftlich. 12 Der Richter entscheidet nach eingehender weithin selbst vorzunehmender (§ 85 RL VI 7) Persönlichkeitserforschung. Die Pflicht zur Einschaltung eines Gutachters nach § 454 II StPO besteht im Verfahren nach § 88 nicht, weil der dieses Verfahren speziell regelnde § 88 IV nicht um eine entsprechende Regelung ergänzt worden ist (OLG Frankfurt NStZ-RR 99, 91; Dessecker StV 99, 682; Ostendorf NJW 00, 1091 f; Röthel S. 106; aA Erdmann/Degenhardt SchlHA 99, 296; anders ist es gemäß § 83 I iVm § 463 III StPO bei der bedingten Entlassung aus dem Maßregelvollzug, s. Dessecker aaO u. Ostendorf aaO, 1092). Wird ein Gutachten eingeholt, das zu Zweifeln Anlass gibt, ist eine mündliche Anhörung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens erforderlich (LG Zweibrücken StV 02, 434). Die jrichterliche Entscheidung (§ 83) ist nach § 34 StPO zu begründen.
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4.
§ 88
Zeitpunkt der Entscheidung
Wird der Strafrest zur Bew. ausgesetzt (Abs. I u. II), so sind die J und Hw. gerade unmittelbar 13 nach der Entlassung aus dem Vollzug bes. gefährdet und bedürfen der Betreuung, damit die Erprobung nicht gleich von Anfang an scheitert. Ebenso entscheiden häufig über den Erfolg der Bew. die Verhältnisse, unter denen der Entlassene nun leben muss. Dem dienen die Entlassungsvorbereitungen in und außerhalb der Anstalt. Die Bemühungen der Vollstreckungsleiter werden durch das Gesetz ausdrücklich gestützt, indem Abs. III 1 sie nachdrücklich anweist, die Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zur Bew. so frühzeitig zu treffen, dass die erforderlichen Maßnahmen zur Vorbereitung des Verurteilten auf sein Leben nach der Entlassung durchgeführt werden können. Denn nur eine möglichst frühzeitige Entscheidung sichert die notwendige sorgfältige und gezielte Vorbereitung und ermöglicht es dem gleichzeitig bestellten BewHelfer, durch Wohnungs- und Arbeitsbeschaffung die schwierige Anfangsphase zu erleichtern. Eine sinnvolle Zusammenarbeit des bestellten BewHelfers mit den Sozialdiensten in der JStrafanstalt in der Zeit bis zur Entlassung kann leicht, muss aber auch abgesprochen werden, um die Hilfen zu koordinieren. Die Sollvorschrift des Abs. III 1 bindet den Vollstreckungsleiter nicht an eine bestimmte Frist, um ihm eine flexible Handhabung zu ermöglichen, die dem Einzelfall und den verschiedenen Forderungen und Möglichkeiten gerecht werden kann. Für den Zeitpunkt wird auch das Rn 8 u. 11 Gesagte zu berücksichtigen sein, außerdem, dass Bew- und Betreuungszeit durch den BewHelfer auseinander fallen (Rn 16) und bereits mit der Rechtskraft der Aussetzungsentscheidung zu laufen beginnen (§ 22 II 1; OLG Stuttgart NJW 80, 1346). Art. 2 II 2 GG gewährleistet iVm dem Rechtsstaatsprinzip dem Verurteilten einen Anspruch auf angemessene Beschleunigung des Verfahrens (BVerfG NJW 01, 2707). Der Vollstreckungsleiter kann nach Abs. III 2 bis zur tatsächlichen Entlassung seine Entschei- 14 dung wieder aufheben, wenn das Verhalten des Verurteilten in der die Entlassung vorbereitenden Phase ernstlichen Anlass gibt, an einer positiven Sozialprognose zu zweifeln, und die Aussetzung deshalb nicht iSd Abs. I verantwortet werden kann. Diese Phase kann leicht dazu verführen, anstaltsangepasstes Verhalten „verfrüht“ abzulegen. 5.
Beschwerde
Gegen die anordnende und die ablehnende Entscheidung nach § 88 I ist sofortige Beschwerde 15 zulässig (§ 83 III). Die Beschwerde des Staatsanwalts hat nach Abs. VI 4 aufschiebende Wirkung, um zu vermeiden, dass der J zunächst vorzeitig entlassen wird und auf Beschwerde hin wieder in den Strafvollzug kommt. Auch dies wird der Vollstreckungsleiter bei der zeitlichen Einordnung des Beschlusses (Rn 13) zu berücksichtigen haben. 6.
Nebenentscheidungen
Für die Nebenentscheidungen gilt bei Entlassung zur Bew. gem. Abs. VI iVm § 22 I, II und 2 so- 16 wie §§ 23–26 a dasselbe wie bei Strafaussetzung zur Bew. mit der Maßgabe, dass an die Stelle des erkennenden Richters der Vollstreckungsleiter tritt. Die Betreuungszeit wird auf höchstens 2 Jahre festgesetzt (§ 24 I 1), die BewZeit auf höchstens 3 Jahre (§ 22 I). Der Vollstreckungsleiter kann aber in beiden Fällen dem Verlauf der Bew. folgend neue Entscheidungen treffen (§§ 22 II 2, 24 II). Bei der Aufsicht und Leitung durch den BewHelfer überwiegt hier das FürsorgeElement; als Nebenentscheidungen kommen vor allem Weisungen hinsichtlich Aufenthalt (aber kein Wiedereinreiseverbot für Ausländer: OLG Koblenz NStZ 87, 24 mit zust. Anm. M.-K. Meyer), Arbeit, Befolgung der Anordnungen des BewHelfers in Betracht; denn das Unrecht der Tat und das Einstehen dafür sind durch den Strafvollzug schon nachdrücklich vor Augen geführt. Die Weisungen müssen der Resozialisierung des Täters dienen, ihm bei straffreier Lebensführung helfen (OLG Koblenz aaO). Zur Ausgestaltung der Weisungen § 23, 1 ff. Zu Anfechtung (auch
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§ 88
2. Teil. Jugendliche
Teilanfechtung) § 59, 6; Meyer aaO. Zu Weisungen an Ausländer Einf. I 22 a mit OLG Koblenz aaO; LG Freiburg JR 88, 523. 17 Zuständig ist der Vollstreckungsleiter (§ 85 II oder § 84 I, II). Dieser bleibt auch zuständig, wenn die JStrafe nach den Vorschriften des ErwStrafvollzugs vollzogen wird, unabhängig davon, dass der Verurteilte zwischenzeitlich nach ErwStrafrecht zu teilweise bereits vollstreckten Freiheitsstrafen verurteilt worden ist (OLG Hamm JMBl. NRW 82, 138; Grundsätze BGH 28, 351 – dazu § 85, 18). Er kann die Vollstreckung und damit auch die in Abs. VI erwähnten Entscheidungen gem. § 85 V aus wichtigen Gründen widerruflich abgeben; die Entlassung zur Bew. stellt regelmäßig einen wichtigen Grund dar. Demgegenüber hat die Abgabe der BewEntscheidung allein (Abs. VI 3; § 58 II 2, 3) nur geringe praktische Bedeutung. Doch sind die letztgenannten Vorschriften die Grundlage für die weithin geübte und begrüßenswerte Praxis, dass sich der abgebende Vollstreckungsleiter die Entscheidung über den Widerruf der Entlassung zur Bew. und über den endgültigen Erlass der JStrafe vorbehält. Es sollte jedoch nicht übersehen werden, dass der Kontakt des Vollstreckungsleiters zum J mit der Zeit immer schwächer wird; nur der Gesichtspunkt der Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit der für die Aussetzung wesentlichen Maßnahmen rechtfertigt dann noch den Vorbehalt. Diese Vorbehalte kann das übergeordnete Gericht nicht nachprüfen, da es sich um Ermessensentscheidungen handelt (BGH 7, 321). Auch diese TeilÜbertragung kann als Übertragung von Entscheidungen des Vollstreckungsleiters jederzeit widerrufen werden (BGH 7, 318; 24, 332). Der übernehmende JRichter kann seinerseits in keinem Falle weiter- oder zurückübertragen (BGH 24, 332; § 85, 21; § 58, 7). Der abgebende Vollstreckungsleiter bestimmt idR selbst die Bew.- und Betreuungszeit (vgl. Rn 13 u. 16), den BewHelfer und die ersten BewAuflagen, was sich aus Abs. III 1, VI 1 ergibt und sicherstellt, dass die Betreuung mit der Entlassung beginnen kann (Loesch BewH 54/55, 145), der Übernehmende aber stellt dann den endgültigen BewPlan auf. Es kann aber jeder Fall die ihm angemessene Lösung fordern. 18 Zusammenarbeit zwischen dem Vollzugsleiter und den Betreuungsstellen ist geboten. Zur Koordinierung der Arbeit des BewHelfers u. der Sozialdienste der JStrafanstalt in der Zeit zwischen Beschluss u. tatsächlicher Entlassung Rn 13. 19 Zum Widerruf ist der Vollstreckungsleiter auch dann berufen, wenn sich der Verurteilte bei Widerrufsantrag durch die StA in anderer Sache in Strafhaft befindet und insoweit die Strafvollstreckungskammer zuständig geworden ist (OLG Stuttgart MDR 76, 75). Die Widerrufsgründe des § 26 I Nr. 2 setzen für die Besorgnis, der Proband werde neue Straftaten begehen, konkrete und objektivierbare Verdachtsmomente voraus, die sich gerade auf das Verhalten nach der bedingten Entlassung beziehen (OLG Hamburg MDR 76, 946; § 26 a, 4). Hat die Strafvollstreckungskammer anstelle des nach § 88 zuständigen Vollstreckungsleiters eine Strafaussetzung als unzuständiges Gericht (BGH 27, 329; 28, 351) ausgesprochen, so wird sie hierdurch nicht nach § 462 a I 2 StPO für den Widerruf der Strafaussetzung zuständig (OLG Zweibrücken OLGSt zu § 462 a StPO S. 67). 20 Wegen der bes. Anordnungen bei Entlassung zur Bew. u. bei Erlass des Strafrestes RL; § 100, 4; wegen der Mitteilungen an das Zentralregister § 13 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BZRG; wegen sonstiger Mitteilungen MiStra §§ 31–35, bes. 32. Zu Aussetzung u. Vollstreckung von JStrafe neben Freiheitsstrafe u. von mehreren JStrafen § 89 a. 21 Aussetzung des Strafrestes zur Bew. ist auch im Gnadenweg möglich. Doch sollte hier gerichtlichen Entscheidungen weder vorgegriffen noch sollten diese gar in erz. bedenklicher Weise beseitigt werden. Ebenso Eisenberg 10, der diese Möglichkeit empfiehlt, wenn die zeitlichen Schranken des Abs. II ausgeschaltet werden sollen. Aber auch dies kann bedenklich sein. Ostendorf 4 will auf solchem Wege auch Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils begegnen. Bei einem derartigen Eingriff in richterliche Entscheidungen ist jedoch größte Zurückhaltung geboten, zumal die Gnadenbehörde nach Aktenlage entscheidet. Die Gnadenentscheidung eines Justizministeriums
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Unterbrechung und Vollstreckung der Jugendstrafe neben Freiheitsstrafe
§ 89 a
eröffnet nicht die Möglichkeit zu gerichtlichen Entscheidungen nach §§ 22, 23, 26, 26 a (BGH Beschl. v. 6. 4. 1984 – 2 StR 88/84). Zur Übertragung nach § 58 in diesem Falle § 58, 11. 7.
Aussetzung des Strafrestes bei Drogentätern
Mit Drogentätern muss in JStrafanstalten therapeutisch gearbeitet werden (näher § 17, 24, 25), 22 was auch für die Entscheidung der Aussetzung des Strafrestes gilt. Gerade das JGG gestattet eine erwünschte flexible Entlassungspraxis. Dabei wird im Rahmen des gesetzlich Möglichen und des erzieherisch Erforderlichen beachtet werden müssen, dass nach sehr langer Strafzeit kaum mehr Therapiebereitschaft erwartet werden kann. Auch bei Erreichung des Therapieziels während der Strafzeit ist eine Nachsorge nicht entbehrlich, weil der Verurteilte nach der Entlassung erst mit Situationen der Verführung konfrontiert wird (zur Betreuung drogenabhängiger Gefangener nach der Entlassung Burgheim BewH 95, 456). Die gezielte, rechtzeitige Aussetzung des Strafrestes kann nach intensiver Vorbereitung den Drogentäter durchaus motivieren, nun der Droge zu widerstehen. Entsprechende, stützende Auflagen (§ 21, 17; § 10, 23) müssen eine helfende Nachsorgephase sichern. Zur Zurückstellung der Strafvollstreckung bei Betäubungsmittelabhängigen: § 17, 23, bes. 32; 23 allg. Einf. I 48–51.
§ 89 (aufgehoben)
§ 89 a Unterbrechung und Vollstreckung der Jugendstrafe neben Freiheitsstrafe § 89 a Unterbrechung und Vollstreckung der Jugendstrafe neben Freiheitsstrafe (1) Ist gegen den zu Jugendstrafe Verurteilten auch Freiheitsstrafe zu vollstrecken, so wird die Jugendstrafe in der Regel zuerst vollstreckt. Der Vollstreckungsleiter unterbricht die Vollstreckung der Jugendstrafe, wenn die Hälfte, mindestens jedoch sechs Monate, der Jugendstrafe verbüßt sind. Er kann die Vollstreckung zu einem früheren Zeitpunkt unterbrechen, wenn die Aussetzung des Strafrestes in Betracht kommt. Ein Strafrest, der auf Grund des Widerrufs seiner Aussetzung vollstreckt wird, kann unterbrochen werden, wenn die Hälfte, mindestens jedoch sechs Monate, des Strafrestes verbüßt sind und eine erneute Aussetzung in Betracht kommt. § 454 b Abs. 3 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend. (2) Ist gegen einen Verurteilten außer lebenslanger Freiheitsstrafe auch Jugendstrafe zu vollstrecken, so wird, wenn die letzte Verurteilung eine Straftat betrifft, die der Verurteilte vor der früheren Verurteilung begangen hat, nur die lebenslange Freiheitsstrafe vollstreckt; als Verurteilung gilt das Urteil in dem Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten. Wird die Vollstreckung des Restes der lebenslangen Freiheitsstrafe durch das Gericht zur Bewährung ausgesetzt, so erklärt das Gericht die Vollstreckung der Jugendstrafe für erledigt. (3) In den Fällen des Absatzes 1 gilt § 85 Abs. 6 entsprechend mit der Maßgabe, dass der Vollstreckungsleiter die Vollstreckung der Jugendstrafe abgeben kann, wenn der Verurteilte das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat. 1. Hw-JRecht: § 85 RL I 3; § 110 I, RL 1. – 2. Sold. § 85, 13, § 112 c.
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§ 89 a
2. Teil. Jugendliche
Schrifttum: Siehe zu § 85. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Zuständigkeit zur Vollstreckung von JStrafen . . . . . Zuständigkeit zur Vollstreckung von Freiheitsstrafen Mehrere J- oder mehrere Freiheitsstrafen . . . . . . . . Reihenfolge der Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . Unterbrechung der JStrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . JStrafe und lebenslange Freiheitsstrafe . . . . . . . . .
1.
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Rn 1 7 8 10 11 17
Zuständigkeit zur Vollstreckung von JStrafen
1 Für die Vollstreckung (Definition Vor § 82, 1) von JStrafe – damit zugleich für deren Unterbrechung und Aussetzung – ist stets der jrichterliche Vollstreckungsleiter zuständig (§ 85, 13), auch wenn sie im ErwVollzug vollstreckt wird (§ 85, 12; § 92, 5; BGH NStZ 85, 92) und nach Entscheidung des Vollstreckungsleiters sogar über das 21., ggf. auch das 24. Lebensjahr hinaus (Rn 2 u. 3). Das gilt auch, wenn neben J- noch Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist (näher Rn 7 zu letzterer). Diese perpetuierte Zuständigkeit des Vollstreckungsleiters hinsichtlich der JStrafen (OLG Dresden NStZ-RR 98, 60), verbunden auch mit der Möglichkeit, nach seiner Beurteilung die Vollstreckung nach Vollendung des 21. oder 24. Lebensjahres des Verurteilten doch an die Vollstreckungsbehörde des allg. Rechts abzugeben (Rn 2–5; § 85, 14–16), entspricht der Bedeutung und Zielsetzung der JStrafe, der Eigenständigkeit ihrer Vollstreckung (vgl. § 88, 17; auch OLG Hamm JMBl. NRW 82, 138), dem Grundgedanken der Erz. als Basis aller Regelungen des JStrafrechts (BGH 28, 351; BGH 36, 37 = JR 89, 519 mit zust. Anm. Brunner; OLG Karlsruhe MDR 80, 1037) und auch dem Grundsatz der Reaktionsbeweglichkeit (Einf. II 22 u. 24). Weitere Gründe § 85, 13. 2 Der zuständige Vollstreckungsleiter (vgl. § 85, 3 u. 6) kann – nicht muss – aber auch nach Abs. III iVm § 85 VI die Vollstreckung der JStrafe an die nach den allg. Vorschriften zuständige Vollstreckungsbehörde des ErwRechts (Rn 7) abgeben, wenn der Verurteilte das 21. Lebensjahr vollendet hat und zugleich gegen ihn Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist (§ 85, 15, 16). 3 Hat der Verurteilte das 24. Lebensjahr vollendet und ist er nach § 89 b vom JStrafvollzug ausgenommen (§ 89 b, 2), wird die JStrafe also in einer ErwStrafanstalt vollstreckt, so kann – nicht muss (Rn 4 u. 6) – der Vollstreckungsleiter nach § 85 VI die Vollstreckung an die nach den allg. Vorschriften zuständige Vollstreckungsbehörde (Rn 6) bindend (§ 85 VI 1 HS 2) abgeben. Zu den Entscheidungserwägungen des Vollstreckungsleiters § 85, 14 u. 16; auch § 89 b, 2. Nach Abgabe der Vollstreckung nach Vollendung des 21. oder 24. Lebensjahres des Verurteilten an die Vollstreckungsbehörde des ErwRechts gelten für ihn die Verfahrensvorschriften des ErwRechts, und die Zuständigkeit auch für Unterbrechung und Aussetzung der Reststrafe – auch der JStrafe – liegt in einer Hand. 4 Bis zum 21. Lebensjahr des zu JStrafe Verurteilten und weiterhin, wenn der Vollstreckungsleiter davon absieht, die Vollstreckung an die ErwVollstreckungsbehörde abzugeben (Rn 2 u. 3; § 85, 16), gelten für die Vollstreckung der JStrafe die Vorschriften des JGG und für die der Freiheitsstrafe die des allg. Rechts. Für die Vollstreckung der JStrafe (einschließlich Unterbrechung und Aussetzung der RestJStrafe) ist in diesen Fällen der Vollstreckungsleiter (Rn 1) und hinsichtlich der Freiheitsstrafe die Strafvollstreckungskammer zuständig (näher Rn 7). 5 Dies kann zu Schwierigkeiten führen. In den naturgemäß wenigen Fällen, in denen noch vor Vollendung des 21. Lebensjahres des Verurteilten über die Aussetzung der Vollstreckung zur Bew. sowohl der JStrafe wie auch der Freiheitsstrafe unabhängig voneinander zu entscheiden ist, kann und muss deshalb ein formloses Einvernehmen des Vollstreckungsleiters und der
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Unterbrechung und Vollstreckung der Jugendstrafe neben Freiheitsstrafe
§ 89 a
ErwVollstreckungsbehörde erreicht werden. Denn gerade bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres ist der JRichter geeignet und berufen, die bes. Gesichtspunkte der Entwicklungsphasen zu beachten und möglichst in beide Entscheidungen, auch in die nach ErwRecht, einzubringen. Denn der bes. ErzVollzug legt die weitere Entwicklung des Verurteilten offen und gewährt einen größeren Beurteilungsspielraum. Ist neben JStrafe auch Freiheitsstrafe zu vollstrecken, so liegt es im pflichtgemäßen Ermessen 6 des Vollstreckungsleiters, ob er nach Vollendung des 21. Lebensjahres des Verurteilten die weitere Vollstreckung an die nach allg. Vorschriften für die Vollstreckung von Freiheitsstrafe zuständige Vollstreckungsbehörde (Rn 7 u. § 85, 14) nach Abs. III iVm § 85 VI abgibt (§ 85, 15 u. 16) und damit die Entscheidung über die Aussetzung des Restes beider Strafen in eine Hand legt. Dabei wird der Vollstreckungsleiter das Rn 5 aE, 10 aE und § 85, 16 Ausgeführte sorgsam zu erwägen haben. Zur Abgabe nach Vollendung des 24. Lebensjahres Rn 3 u. § 85, 14. 2.
Zuständigkeit zur Vollstreckung von Freiheitsstrafen
Für die gerichtlichen Entscheidungen bei der Vollstreckung von Freiheitsstrafen ist entweder 7 das Gericht des 1. Rechtszuges (§ 462 a II StPO) oder die Strafvollstreckungskammer (§ 462 a I StPO) zuständig. Das gilt auch, wenn Freiheitsstrafe neben JStrafe zu vollstrecken ist (BGH 28, 351 im Anschluss an BGH 27, 329 gegen BGH 26, 375). Dem steht § 462 a IV StPO nicht entgegen; denn der Gesetzgeber hat – auch bei Einführung des § 462 a StPO – davon abgesehen, die Vollstreckung von Freiheits- und JStrafen in einer Hand zu vereinen. Mangels einer solchen Konzentrationsregelung ist für die Vollstreckung der JStrafe der jrichterliche Vollstreckungsleiter (OLG Düsseldorf VRS Bd. 82 [92], 135), für die Freiheitsstrafe die Vollstreckungsbehörde des allg. Rechts zuständig, auch wenn beide zu vollstrecken sind (OLG Frankfurt NStZ-RR 00, 95). 3.
Mehrere J- oder mehrere Freiheitsstrafen
Das Prinzip der Einheitsstrafenbildung lässt ein Zusammentreffen mehrerer JStrafen an sich 8 nicht zu (§§ 31, 66, 105 II). Wird aber aus erz. Gründen nach § 31 III von der Einbeziehung einer JStrafe abgesehen, so können ausnahmsweise mehrere JStrafen nebeneinander zur Vollstreckung anstehen. Das lässt, auch bei Strafnachlass wegen unterbliebener Bildung einer Einheitsstrafe, Nachteile für den Verurteilten befürchten. Diese können und müssen bei Entscheidungen über Aussetzung des Strafrestes zur Bew. gesehen und ausgeglichen werden, denn das Absehen von der Einbeziehung einer JStrafe aus erz. Gründen darf insoweit keinesfalls zusätzlich sich zum Nachteil des J auswirken (vgl. Einf. II 10; Begründung des RegE eines 1. JGGÄndG, BT-Drs. 11/5829 S. 36, 37). In Rechtsanalogie zu Abs. I und § 454 b StPO hat daher bei der zuerst vollstreckten JStrafe eine Unterbrechung zum Zeitpunkt des Abs. I zu erfolgen (Bauer Rpfl. 92, 147; Eisenberg § 82, 19). Für das Zusammentreffen mehrerer Freiheitsstrafen oder von Freiheits- und Ersatzfreiheits- 9 strafen hat der Gesetzgeber mit der Einführung des § 454 b StPO (23. StrÄndG v. 13. 4. 1986) bestimmt, dass die Entscheidung über die Aussetzung eines Strafrestes nach § 57 StGB gleichzeitig über die Reste aller Strafen erfolgen muss. Eine solche Regelung bestand für das Zusammentreffen von J- und Freiheitsstrafen zunächst nicht. Hier greift der durch das 1. JGGÄndG v. 30. 8. 1990 eingefügte § 89 a ein. 4.
Reihenfolge der Vollstreckung
§ 89 a bestimmt, dass die JStrafe bei Zusammentreffen mit einer Freiheitsstrafe idR vorweg zu 10 vollstrecken ist, und stellt mit der Möglichkeit der Unterbrechung (Rn 12) sicher, dass faktisch über die Aussetzung des Restes aller Strafen einheitlich und in einem gewissen zeitlichen Zu-
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§ 89 a
2. Teil. Jugendliche
sammenhang entschieden wird (Rn 16). Der zumeist obligatorische Vorwegvollzug der JStrafe gewährleistet, dass der ErzVollzug frühestmöglich und bei der hier zu erwartenden Altersstruktur gerade noch rechtzeitig und wirksam einsetzen kann. Es wird eine zielgerichtete Planung des ErzVollzugs im Hinblick auf die Unterbrechung und damit auf den späteren Entlassungszeitpunkt ermöglicht und zugleich die mögliche und gegenüber der ErwRegelung der §§ 56, 57 StGB deutlich frühere Aussetzung des JStrafrestes zur Bew. berücksichtigt. Zusätzlich werden dem Vollstreckungsleiter die Entscheidungen nach Abs. I 2–5 (Rn 2 u. 6) oder nach Abs. III iVm § 85 VI (Rn 3; § 85, 14 u. 16) eröffnet. Der bei der Vollstreckung von JStrafe gebotene absolute Vorrang des Vollstreckungsleiters wird gewahrt, ihm aber auch die Möglichkeit gegeben, die JStrafanstalt und sich – zugunsten der übrigen Verurteilten – zu entlasten, wenn der Verurteilte mit Maßnahmen des JVollzugs nicht mehr sonderlich gefördert werden kann (für einen Zuständigkeitswechsel kraft Gesetzes Ostendorf Grdl. zu §§ 82–85, 7). 10 a Die entgegen dem ursprünglichen RegE (BT-Drs. 11/5829 S. 8) vom Bundesrat vorgeschlagene und einverständlich Gesetz gewordene (aaO S. 45, 48) Einschränkung in Abs. I 1 (in der Regel) wahrt die gerade im JKriminalrecht erwünschte Flexibilität, weil in Einzelfällen auch eine andere Lösung besser sein kann. Das vom Bundesrat gegebene Beispiel (aaO S. 45) überzeugt, denn bei Widerruf der Strafaussetzung einer JStrafe während des Vollzugs einer Freiheitsstrafe etwa muss deren obligatorische und sofortige Unterbrechung nicht immer sinnvoll sein. Zu weiteren Ausnahmen Hamann Rpfl. 91, 408.
5.
Unterbrechung der JStrafe
11 Beim Zusammentreffen mehrerer nicht gesamtstrafenfähiger Freiheitsstrafen (auch mit lebenslangen) sind die Voraussetzungen der Aussetzung des Strafrestes zur Bew. nach §§ 57, 57 a StGB für jede dieser Freiheitsstrafen gesondert zu prüfen (OLG Düsseldorf NStZ 82, 467; Meyer-Goßner § 454 b StPO 2). Das gilt auch für das Zusammentreffen von Freiheitsstrafe und JStrafe. 12 Der Vorausvollzug der JStrafe löst aber das Problem der Vollstreckung von J- und Freiheitsstrafe noch nicht. Eine einheitliche (End-)Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes der J- und auch der Freiheitsstrafe kann nur dadurch erreicht werden, dass die Vollstreckung der zuerst zu verbüßenden JStrafe (Rn 10) unterbrochen wird, sobald sie nach den Vorschriften des JGG zur Bew. ausgesetzt werden kann. § 89 a I ermöglicht durch ins Einzelne eingehende Unterbrechungsregelungen die Entscheidung über die Aussetzung des Restes aller Strafen zur Bew. im zeitlichen Zusammenhang. Die Zeitpunkte der Unterbrechung der zuerst zu vollstreckenden JStrafe entsprechen der Regelung des § 88. Eine Unterbrechung der Vollstreckung der JStrafe ist allerdings erst mit Eintritt der Rechtskraft und damit Vollstreckungsfähigkeit der Verurteilung zu Freiheitsstrafe möglich. Wird dem Vollstreckungsleiter der Eintritt der Rechtskraft erst später bekannt, ist die JStrafe rückwirkend an dem Tag des Eintritts der Rechtskraft der Freiheitsstrafe zu unterbrechen (LG Wiesbaden B NStZ 93, 529; LG München I StV 99, 665). Hierauf aufbauend ist fiktiv der Zeitpunkt der Verbüßung der Anschlussstrafe zu berechnen (LG München I aaO). 13 Nach Abs. I 2 unterbricht der Vollstreckungsleiter – bei Abgabe nach Abs. III und § 85 VI die Staatsanwaltschaft (OLG Dresden NStZ-RR 00, 381; OLG Karlsruhe NStZ 09, 46; OLG Schleswig ZJJ 09, 59) – die Vollstreckung der JStrafe im Regelfall spätestens, wenn die Hälfte, mindestens jedoch 6 Monate verbüßt sind. Für eine Unterbrechung erst zu einem späteren Zeitpunkt in Orientierung an § 57 StGB ist kein Raum (OLG Dresden aaO). Wird die Vollstreckung entgegen Abs. I S. 2 nicht nach Verbüßung der Hälfte unterbrochen, so ist es bei guter Prognose ein bes., eine Halbstrafentlassung aus der nach allg. Strafrecht verbüßten Freiheitsstrafe rechtfertigender Umstand, wenn bei rechtzeitiger Unterbrechung der JStrafe bereits zwei Drittel der Freiheitsstrafe verbüßt wären (OLG Zweibrücken B NStZ 94, 532).
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Unterbrechung und Vollstreckung der Jugendstrafe neben Freiheitsstrafe
§ 89 a
Nach Abs. I 3 kann die Vollstreckung „wenn die Aussetzung des Strafrestes in Betracht“ kommt, 14 also entsprechend § 88 II 1, ausnahmsweise (vgl. Begründung zum RefE v. Juli 1987 S. 68) sogar noch vor Verbüßung von 6 Monaten (bei JStrafe von mehr als 1 Jahr nach Verbüßung von mindestens einem Drittel der Strafe, § 88 II 2) unterbrochen werden, wenn bes. wichtige erz. Gründe (§ 88, 2) diese günstige Regelung zulassen (OLG Schleswig bei Döllel/Dreeßen SchlHA 04, 262). Nach Abs. I 4 kann auch ein Strafrest, der aufgrund eines Widerrufs seiner Aussetzung voll- 15 streckt wird, unterbrochen werden, wenn die Hälfte, mindestens aber 6 Monate dieses Strafrestes verbüßt sind und eine erneute Aussetzung aus erz. Gründen in Betracht kommt (dazu § 88, 7). Damit geht das Gesetz über den RefE 1987 hinaus, wonach durch sinngemäße Anwendung des § 454 b II StPO bei Strafresten, deren Vollstreckung bereits nach § 88 ausgesetzt war, eine neuerliche Aussetzung und damit eine Unterbrechung ausgeschlossen sein sollte (S. 67, 68). Da nach Abs. I 4 eine Unterbrechung aber mindestens die Verbüßung von (weiteren) 6 Monaten voraussetzt, kommen auch nach der Neuregelung zu Recht Fälle nicht in Betracht, bei denen nur noch ein kleiner Strafrest zur Vollstreckung ansteht (vgl. Begründung des RegE eines 1. JGGÄndG, BT-Drs. 11/5829 S. 37). Abs. I 4 gilt beim Widerruf einer im Urteil erfolgten Strafaussetzung auch dann nicht, wenn U-Haft anzurechnen ist; vielmehr ist dies ein Fall des Abs. I 2 (OLG Frankfurt NStZ-RR 02, 28). Vollstreckt die StA einen widerrufenen JStrafrest entgegen Abs. I 1 nicht vor, sondern nach weiteren Freiheitsstrafen, findet Abs. I 4 keine Anwendung und richtet sich die Aussatzungsreife nach § 88 (LG Karlsruhe NStZ-RR 11, 155). Abs. I 5 ermöglicht durch sinngemäße Anwendung des § 454 b III StPO, dass über die Ausset- 16 zung des Restes aller Strafen in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang entschieden werden kann (Begründung des RegE aaO, S. 37). Unter den Voraussetzungen von Abs. III und § 85 VI kann die Entscheidung über die Reste aus J- und Freiheitsstrafe in eine Hand gelegt werden. Über die Aussetzung der Strafreste ist somit entweder gleichzeitig oder – bei nicht zustande gekommener Abgabe – in engem zeitlichen Zusammenhang zu entscheiden (Grundsatz der Einheitlichkeit und Gleichzeitigkeit, OLG Karlsruhe Justiz 98, 602). Wird die Freiheitsstrafe zuerst vollstreckt, ist die Vollstreckung der Freiheitsstrafe spätestens zu ihrem Zweidrittelzeitpunkt zu unterbrechen. Eine Entscheidung über die Aussetzung des letzten Drittels kommt aber erst dann in Betracht, wenn entweder gemeinsam über die Aussetzung beider Reste entschieden werden kann oder bei fehlender Aussetzbarkeit des Restes der JStrafe wegen Abs. I 4, wenn der Zeitpunkt der möglichen Entlassung für die Beurteilung der Entlassungssituation nahe genug bevorsteht (OLG Celle NdsRpfl. 92, 95; OLG Karlsruhe aaO; OLG Frankfurt NStZ-RR 00, 95; OLG Jena NStZ 05, 167). Entscheidungen des JRichters über die Unterbrechung der JStrafe sind nach § 83 I jrichterliche 16 a Entscheidungen, die gemäß § 83 III mit sofortiger Beschwerde angefochten werden können. Entscheidet die StA als Vollstreckungsbehörde über die Unterbrechung, kann eine Entscheidung des Gerichts nach § 458 II StPO herbeigeführt werden (OLG Dresden NStZ-RR 00, 381; Kühn NStZ 92, 527).
6.
JStrafe und lebenslange Freiheitsstrafe
Ist außer JStrafe lebenslange Freiheitsstrafe zu vollstrecken, wird nach Abs. II 1 HS 1 nur die le- 17 benslange Freiheitsstrafe vollstreckt, wenn die letzte Verurteilung eine Straftat betrifft, die der Verurteilte vor der früheren Verurteilung begangen hat. Diese Regelung rechtfertigt sich daraus, dass die lebenslange Freiheitsstrafe den Schwerpunkt der Bestrafung bildet und auf diese Weise am ehesten dem Grundgedanken des § 55 I StGB entsprochen werden kann (Begründung des RegE eines 1. JGGÄndG, BT-Drs. 11/5829 S. 37). Dabei gilt nach Abs. II 1 HS 2 als Verurteilung das Urteil in dem Verfahren, in welchem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten, also das Urteil der letzten Tatsacheninstanz. Diese Abwei-
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§ 89 b
2. Teil. Jugendliche
chung von den in Abs. I getroffenen Regelungen berücksichtigt neben dem ausschlaggebenden Gewicht einer Verurteilung zu lebenslanger Strafe auch, dass einem vor Verbüßung von lebenslanger Strafe einsetzenden ErzVollzug keine vernünftige Chance eingeräumt werden kann, zumal entweder ein bereits Erwachsener zu dieser schwersten Strafe verurteilt oder bei einem Hw. auf Anwendung von ErwRecht und trotz Berücksichtigung von § 106 I auf lebenslange Strafe erkannt wurde. Dazu kommt, dass eine mögliche Aussetzung des Strafrestes zur Bew. idR mindestens eine Verbüßung von 15 Jahren Freiheitsstrafe nach § 57 a I StGB voraussetzt. 18 Setzt das Gericht die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bew. aus, so erklärt es zugleich die Vollstreckung der JStrafe für erledigt (Abs. II 2). Das wird an sich schon den Intentionen des aussetzenden Gerichts entsprechen, dies fordern der Zeitablauf, der Sinn des JVollzugs und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Vgl. dazu auch BGH NJW 90, 3281 in § 93 a, 8 a aE. Wurde die Straftat der letzten Verurteilung nach der früheren Verurteilung begangen, gilt Abs. I (Hamann Rpfl. 91, 408).
§ 89 b Ausnahmen vom Jugendstrafvollzug § 89 b Ausnahmen vom Jugendstrafvollzug (1) An einem Verurteilten, der das 18. Lebensjahr vollendet hat und sich nicht für den Jugendstrafvollzug eignet, kann die Jugendstrafe statt nach den Vorschriften für den Jugendstrafvollzug nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene vollzogen werden. Hat der Verurteilte das 24. Lebensjahr vollendet, so soll Jugendstrafe nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene vollzogen werden. (2) Über die Ausnahme vom Jugendstrafvollzug entscheidet der Vollstreckungsleiter. 1. Hw.-JRecht: § 110 I, RL 2. – 2. ErwG: § 104 I Richtlinie zu § 92 aF: Auch wenn zu Jugendstrafe Verurteilte das 18. Lebensjahr bereits vollendet haben, werden sie in der Regel zunächst in die Jugendstrafanstalt eingewiesen. Die Entscheidung über die Eignung von Verurteilten für den Jugendstrafvollzug (§ 92 Abs. 2) wird dann von dem nach § 85 Abs. 2 oder Abs. 3 zuständigen Vollstreckungsleiter getroffen. Lediglich in den Fällen, in denen der Mangel der Eignung für den Jugendstrafvollzug offenkundig ist, werden über 18 Jahre alte Verurteilte sogleich in die zuständige Justizvollzugsanstalt eingewiesen.
1 Grds. ist jede JStrafe (ggf. auch Freiheitsstrafe bei jungen Verurteilten: § 114) in einer JStrafanstalt oder einer sonstigen für den Vollzug der JStrafe vorgesehenen Einrichtung zu vollziehen (§ 17 I). Auch bei Unterbrechung der UHaft ist die Vollstreckung der JStrafe in einer UHaftund Aufnahmeanstalt rechtswidrig (KG NJW 78, 284 mit Anm. Frenzel). Ausnahmen (Rn 2) von diesem Grundsatz kann in allen Fällen nur der Vollstreckungsleiter anordnen (Abs. II; RL S. 2); zu den Aufgaben des Vollzugsleiters gehört das in keinem Fall (vgl. § 85 RL VI 3 u. 6). 2 Ob und in welchem Umfang Ausnahmen möglich sind, richtet sich nach dem Alter zZ der Entscheidung (Abs. I); Berechnung: § 1, 10. Bei J bis 18 Jahren gibt es keine Ausnahme vom JStrafvollzug. Ist der zu JStrafe Verurteilte schon 24 Jahre oder älter, kann er im allg. mit den Methoden des JStrafvollzugs nicht mehr erzogen werden. Hier muss grds. (Ausnahmen in Sonderfällen, etwa bei einem noch kurzen Strafrest, sind möglich) die JStrafe in einer ErwVollzugsanstalt verbüßt werden (dazu § 114, 6); die Vollstreckung kann dann nach § 85 VI abgegeben werden (RL VI 2 S. 1 zu §§ 82–85). Zu JStrafe Verurteilte zwischen 18 und 24 Jahren können ausnahmsweise sogleich in die ErwVollzugsanstalt eingewiesen werden, wenn sie für den JVollzug offenkundig ungeeignet sind (RL S. 3), im Übrigen aus dem JStrafvollzug herausgenommen werden, wenn sie für diesen nicht geeignet sind (RL S. 1, 2), nämlich wenn die erz. Einwirkung
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Ausnahmen vom Jugendstrafvollzug
§ 89 b
bei ihnen keinen Erfolg verspricht (sehr schwere Prognose mit vielen Fehlerquellen; kein Schaden durch Belassen im JStrafvollzug) oder wenn sie den JStrafvollzug aktiv oder passiv so erheblich stören oder voraussichtlich stören werden, dass die Erz. der Mitgefangenen gefährdet wird (LG Berlin StV 03, 462). Weitere Gründe für eine Ausnahme gibt es nicht; auch die genannten Gründe sind eng auszulegen (BGH 29, 33; LG Berlin aaO; Eisenberg 13; Ostendorf 1), da dem J durch die Ausnahme vom JStrafvollzug ein anderes (§ 17, 1) als das gegen ihn verhängte Strafübel auferlegt wird. Bei einer Ausnahme vom JStrafvollzug fällt die Vollstreckungszuständigkeit nicht kraft Gesetzes an den allg. Vollstreckungsleiter (§ 84) zurück (BGH 24, 332; 27, 329; 28, 351). Vgl. § 85, 12. Zur Rückübertragung § 85, 19. Der Vollstreckungsleiter kann nach pflichtgemäßem Ermessen, insbes. aus Gründen der Vollzugsnähe, nach § 85 V die Vollstreckung an den JRichter abgeben, in dessen Bezirk die ErwAnstalt liegt (BGH 30, 9). Die Entscheidung des Vollstreckungsleiters (= JRichters) nach Rn 2 ist eine jrichterliche Ermes- 3 sensentscheidung (§ 83 I), bei der auch die Möglichkeiten der jeweiligen JStrafanstalt zu berücksichtigen sind. Sie erfordert wegen der einschneidenden Bedeutung sorgfältigste Vorbereitung (eingehende Beobachtung in der JStrafanstalt; Gutachten der JStrafanstalt; grds. Anhörung des Verurteilten, des gesetzlichen Vertreters und des ErzBerechtigten, ggf. der JGH); deshalb müssen auch 18–24-jährige zur Verbüßung einer JStrafe grds. zunächst in die JStrafanstalt eingewiesen werden (RL). Die Entscheidung trifft der Vollstreckungsleiter auf Grund eines gerichtlichen Verfahrens in richterlicher Unabhängigkeit. Es gilt, auch hinsichtlich der Anfechtbarkeit, das § 83, 7 Gesagte. Auch die regelmäßige Herausnahme aus dem JVollzug nach Abs. I 2 setzt eine Entscheidung des Vollstreckungsleiters nach Abs. II voraus; solange sie nicht ergangen ist, gelten für den Vollzug die Regeln des JStrafrechts (LG Rottweil StV 01, 185). Mit der Anordnung der Ausnahme weist der Vollstreckungsleiter den Verurteilten in die zuständige ErwVollzugsanstalt ein. Zur Zuständigkeit des Vollstreckungsleiters Rn 2 aE u. § 85, 1 ff. Trifft der Vollstreckungsleiter die Anordnung nach Abs. II, so wirkt sich das nicht nur auf die Art und Weise des Vollzugs, sondern auch auf die Anfechtung der Vollzugsmaßnahmen aus. Über einen Antrag auf gerichtliche Entscheidungen gegen eine Vollzugsmaßnahme entscheidet hier die Strafvollstreckungskammer (§ 92 VI iVm §§ 109 ff StVollzG; BGH 29, 33), da Rechtsregelungen nur der sachgemäßen Arbeitsteilung dienen und so nach Möglichkeit vermieden wird, dass gleichartige Maßnahmen innerhalb einer Vollzugsanstalt nach der Person des Gefangenen unterschiedlich behandelt werden. Tatsächlich wird in der Praxis der JStrafvollzug eher zum „Hw.-Strafvollzug“ (Matzke Der Leis- 4 tungsbereich bei JStrafgefangenen, Diss. Berlin 1982 S. 33; Mey/Wirth FS Böhm, 1999 S. 607). Diese Entwicklung beruht auf verschiedenen Gründen: Die JGerichte erkennen auf JStrafe weniger gegen J als weit überwiegend, damit auch der Kriminalitätsbelastung folgend, gegen Hw. Von der Herausnahme Verurteilter zwischen 18 und 24 Jahren aus dem JStrafvollzug wird zu Recht (Rn 2) – auch individuell und lokal unterschiedlich (vgl. Matzke aaO, S. 36) – sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht. Schließlich wirken sich auch die – an sich leider recht wenigen – Fälle (Matzke aaO, S. 18 ff) aus, in denen nach § 114 an Erw., welche das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und bei denen noch persönlichkeitsfördernde Entwicklungen erwartet und genützt werden können (§ 114, 7), Freiheitsstrafen in der JStrafanstalt vollzogen werden; zumeist geschieht dies allerdings nur bei Anschlussstrafen (§ 114, 1). Wenn die Vorschrift des § 114, welche zwangsläufige Unsicherheiten bei der Reifeentscheidung nach § 105 auszugleichen vermag, wie wünschenswert häufiger angewendet wird, so gerät die Gruppe der J in der JStrafanstalt noch mehr in die Minderheit. Dass weniger J den Strafvollzug erleiden müssen, ist ein weiter zu fördernder Erfolg wissenschaftlicher Forschung und jrichterlicher Bemühung. Die Gesamtheit dieser Feststellungen aber legt nahe, dass der JVollzug insbes. und wirksam auf die über 18 Jahre alten Hw. ausgerichtet sein muss. Auch Ostendorf (Grdl. zu §§ 91, 92 Rn 4) stellt fest, dass nach der Altersstruktur der JStrafvollzug ganz überwiegend zum Volljährigenvollzug geworden ist.
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§ 89 c
2. Teil. Jugendliche
Vierter Unterabschnitt Untersuchungshaft § 89 c Vollstreckung der Untersuchungshaft § 89 c Vollstreckung der Untersuchungshaft Solange zur Tatzeit Jugendliche das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, wird die Untersuchungshaft nach den Vorschriften für den Vollzug der Untersuchungshaft an jungen Gefangenen und nach Möglichkeit in den für junge Gefangene vorgesehenen Einrichtungen vollzogen. Ist die betroffene Person bei Vollstreckung des Haftbefehls 21, aber noch nicht 24 Jahre alt, kann die Untersuchungshaft nach diesen Vorschriften und in diesen Einrichtungen vollzogen werden. Die Entscheidung trifft das Gericht. Die für die Aufnahme vorgesehene Einrichtung ist vor der Entscheidung zu hören. 1. Hw.: § 110 II. – 2. ErwG: § 104, 1. Schrifttum: Friedrich Die Normierung des UHaftvollzugs, 2004; Hinz UHaft u. Erziehung, 2004; Ostendorf Neuregelung des UHaftvollzugsrechts, ZJJ 09, 341; s. auch die Literatur zu § 72.
1 Siehe zunächst § 72 b, 1. Die Vorschrift betrifft Grundlagen des Vollzugs der UHaft an zur Tatzeit J. Die Gesetzgebungszuständigkeit leitet der Bund daraus her, dass sich die Vorschrift nicht auf die von den Ländern zu regelnde konkrete Ausgestaltung des Vollzugs der UHaft bezieht, „sondern auf die übergeordnete Art des Vollzugs der Untersuchungshaft an jungen Gefangenen im Hinblick au die gebotenen jugendgemäße Ausgestaltung des Strafverfahrens“ (Begründ. des RegE eines G zur Änderung des UHaftrechts, BT-Drs. 16/11644, S. 36; zust. JungPätzold/Prien/Jetter-Schröder ZJJ 10, 305: „Grundsatzfrage des Untersuchungshaftrechts, die richtigerweise durch den Bund und nicht durch die Länder geklärt werden muss“; die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes verneinend Egerer FS 10, 35). 2 Nach S. 1 wird die UHaft an zur Tatzeit J, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, zwingend nach den Vorschriften über den Vollzug der UHaft an jungen Gefangenen vollzogen. Diese Vorschriften sind bereits ganz überwiegend landesgesetzlich geregelt, vgl. §§ 69–80 Buch 2 JVollzGB-Baden-Württemberg v. 10. 11. 2009 (GBl. 545), §§ 66–75 UVollzG Berlin v. 3. 12. 2009 (GVBl. 686), §§ 66–75 UHaftVollzG Brandenburg v. 8. 7. 2009 (GVBl. I 271), §§ 66–75 UVollzG Bremen v. 2. 3. 2010 (GBl. 191), §§ 72–83 UVollzG Hamburg v. 15. 12. 2009 (GVBl. 473), §§ 43–53 UVollzG Hessen v. 1. 11. 2010 (GVBl. 185, 208), §§ 66–75 UVollzG MecklenburgVorpommern v. 17. 12. 2009 (GVO Bl. 703), §§ 157–166 Nieds. JVollzG v. 14. 12. 2007 (GVBl. 720), §§ 48–53 UVollzG Nordrhein-Westfalen v. 27. 10. 2009 (GVBl. 540), §§ 66–75 LUVollzG Rheinland-Pfalz v. 15. 9. 2009 (GVBl. 317), §§ 66–75 UVollzG Saarland v. 1. 7. 2009 (Amtsblatt des Saarlands 1219), §§ 66–75 UVollzG Sachsen-Anhalt v. 22. 3. 2010 (GVBl. 157) und §§ 66–75 UVollzG Thüringen v. 8. 7. 2009 (GVBl. 553). Soweit noch keine landesgesetzlichen Regelungen erlassen sind, gilt die Übergangsvorschrift des § 121 II. Außerdem hat der Vollzug nach Möglichkeit in den für junge Gefangene vorgesehen Einrichtungen (bes. JUHaft-Vollzugsanstalten, räumlich getrennte Abteilungen von allg. UHaft-Anstalten oder JStrafanstalten) zu erfolgen. Ausnahmen kommen z. B. in kleineren Ländern ohne bes. Einrichtung, aufgrund geringer Anzahl etwa weiblicher junger Untersuchungshäftlinge, zur „Tätertrennung“ oder zur Förderung des J (bestimmte Bildungsmaßnahme in einer ErwAnstalt) in Betracht (Begründung des RegE in Rn 1). 3 Ist der zur Tatzeit J 21, aber noch nicht 24 Jahre alt, kann die UHaft nach den Vorschriften für den Vollzug der UHaft an jungen Gefangenen und in den für junge Gefangene vorgesehenen Einrichtungen vollzogen werden. Eine entsprechende Ausübung des Ermessens ist insbes. ge-
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Vollstreckung der Untersuchungshaft
Vor § 90
boten, wenn der Häftling durch die Maßnahmen in der JUHaft noch gefördert werden kann. Die Entscheidung trifft nach S. 3 das Gericht, also der Jugendrichter nach §§ 125 f StPO, 34 I. Nach S. 4 ist die für die Aufnahme vorgesehene Einrichtung vor der Entscheidung zu hören. Für Hw. gilt nach § 110 II der § 89 c entsprechend (s. § 110, 1 a). Die Entscheidungen über die Ausgestaltung des UHaftvollzugs obliegen nach den Landesge- 4 setzen der UHaftvollzugsanstalt (krit. Eisenberg 10). Gegen die Entscheidungen kann der Untersuchungsgefangene Beschwerde einlegen (vgl. etwa § 68 Buch 2 JVollzG-BW) und gemäß § 119 a StPO Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen.
Zweiter Abschnitt Vollzug Vor § 90 Vor § 90 Das JGG regelte bis 2007 in § 90 den Vollzug des JA und in § 91 den Vollzug der JStrafe. § 92 1 enthielt den Grundsatz, dass JStrafe in JStrafanstalten vollzogen wird, und regelte Ausnahmen hiervon. Mit dem Vollzug der UHaft und der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt befassten sich die §§ 93 und 93 a. Durch die Föderalismusreform ist mit Wirkung v. 1. 9. 2006 die Gesetzgebungszuständigkeit 2 für den Strafvollzug auf die Länger übergegangen. Das BVerfG hat mit Urteil v. 31. 5. 2006 (BVerfGE 116, 69) entschieden, dass die bisherigen gesetzlichen Regelungen des JStrafvollzugs verfassungsrechtlich nicht ausreichten und dem Gesetzgeber für eine Neuregelung eine Übergangsfrist bis Ende 2007 eingeräumt. Die Länder haben 2007 Gesetze über den JStrafvollzug erlassen, so dass der Vollzug der JStrafe seit 1. 1. 2008 durch Landesgesetze geregelt ist (vgl. Buch 4 JVollzGB-Baden-Württemberg v. 10. 11. 2009, GBl. 545; BayStVollzG v. 10. 12. 2007, GVBl. 866; JStVollzG Brandenburg v. 18. 12. 2007, GVBl. I 348; JStVollzG Bremen v. 27. 3. 2007, GBl. 233; JStVollzG Hessen v. 19. 11. 2007, GVBl. I 280; JStVollzG Mecklenburg-Vorpommern v. 14. 12. 2007, GVBl. 427; Niedersächsisches JustizVollzG v. 14. 12. 2007, GVBl. 720; JStVollzG NRW v. 20. 11. 2007, GVBl. 539; LandesJStVollzG Rheinland-Pfalz v. 3. 12. 2007, GVBl. 252; JStVollzG Saarland v. 30. 10. 2007, Abl. 2370; JStVollzG Sachsen v. 12. 12. 2007, GVBl. 558; JStVollzG Sachsen-Anhalt v. 7. 12. 2007, GVBl. 368; JStVollzG Schleswig-Holstein v. 19. 12. 2007, GVBl. 563; JStVollzG Thüringen v. 20. 12. 2007, GVBl. 221; näher zu den einzelnen Gesetzen Eisenberg NStZ 08, 250; Höynck ua ZJJ 08, 159; Ostendorf, Hrsg., JStrafvollzugsrecht, 2009; Sußner JStrafvollzug u. Gesetzgebung, 2009; Schneider Strafvollzug u. JStrafvollzug im Bayerischen StrafvollzugsG, 2010). Nach dem BVerfG hat für den JStrafvollzug das Ziel der Befähigung des Gefangenen zu einem straffreien Leben in Freiheit besonders hohes Gewicht und ist der Vollzug so auszustatten, wie es zur Verwirklichung des Vollzugsziels erforderlich ist (BVerfGE 116, 69, 85 ff). Der Bund hat durch das 2. JGGÄndG v. 13. 12. 2007 (BGBl. I S. 2894) und das G zur Änderungen des Untersuchungshaftrechts v. 29. 7. 2009 (BGBl. I S. 2274) in Ausübung seiner fortbestehenden Gesetzgebungszuständigkeit für die Strafvollstreckung und das gerichtliche Verfahren (Art. 74 Nr. 1 GG) die Ausnahme vom JVollzug in § 89 b und die Rechtsbehelfe im Vollzug in § 92 geregelt. Die §§ 90 und 93 a gelten weiter, solange sie nicht durch landgesetzliche Regelungen abgelöst werden. Für die UHaft gelten die §§ 72 b, 89 c und § 121 II. Die §§ 91 und 93 wurden aufgehoben.
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§ 90
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§ 90 Jugendarrest § 90 Jugendarrest (1) Der Vollzug des Jugendarrestes soll das Ehrgefühl des Jugendlichen wecken und ihm eindringlich zum Bewußtsein bringen, dass er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat. Der Vollzug des Jugendarrestes soll erzieherisch gestaltet werden. Er soll dem Jugendlichen helfen, die Schwierigkeiten zu bewältigen, die zur Begehung der Straftat beigetragen haben. (2) Der Jugendarrest wird in Jugendarrestanstalten oder Freizeitarresträumen der Landesjustizverwaltung vollzogen. Vollzugsleiter ist der Jugendrichter am Ort des Vollzugs. 1. Hw.-JRecht: § 110 I. – 2. ErwG: § 104, 1. – 3. Sold. Rn 12; § 112 c, 3. Richtlinie zu § 90: Für den Vollzug des Jugendarrestes in Vollzugseinrichtungen der Landesjustizverwaltungen bestimmt die Jugendarrestvollzugsordnung das Nähere. Schrifttum: Arndt Kriminologische Untersuchungen zum JA, Diss. Göttingen 1970; Dünkel Freiheitsentzug für junge Rechtsbrecher, 1990; Eisenhardt Gutachten über die kriminalpolitische u. kriminalpädagogische Zweckmäßigkeit u. Wirksamkeit des JA, 1974; ders. Gutachten über den JA, 1989; ders. Der JA. Eine Chance der Kriminalprävention, 2010; Hinrichs Die Durchführung des JA in den alten Bundesländern, DVJJ-J 93, 58; ders. Praxis des JA, DVJJ-J 95, 96; ders. Auswertung einer Befragung der JA-Anstalten in der Bundesrepublik Deutschland 1999, DVJJ-J 99, 267; Hochleitner Die Rechtsstellung der j. u. hw. Rechtsbrecher beim Vollzug des JA, Diss. Hamburg 1976; Jaath Die VO zur Änderung der JAVollzO, JZ 77, 196; Jaeger Zur Notwendigkeit und Ausgestaltung eines JAVollzugsgesetzes, 2010; Kruse Zum Referentenentwurf einer neuen JAVollzO, JSchutz 76, 41; Ostendorf Mindeststandards zum JAVollzug, ZRP 10, 20; Roestel ErzHilfen im Arrestvollzug, RdJ 76, 99; Schenker Neuordnung d. JAVollz. Zbl. 76, 193; Schneemann Beobachtungen zum JAVollzug u. der Bew. entlassener Dauerarrestanten, Diss. Göttingen 1970; Schwegler Dauerarrest als ErzMittel für j. Straftäter, 1999; Wulf Diskussionsentwurf für ein Gesetz über stationäres soziales Training („JAVollzugsgesetz“), ZJJ 10, 191. Vgl. auch das Schrifttum zu § 16.
1 Eisenhardt hat nach seinem Gutachten von 1974 über den JA 1989 ein weiteres Gutachten erstattet. Dieses hat die bes. Schwierigkeiten bestätigt (1989 S. 123), die sich daraus herleiten, dass in der Arrestanstalt völlig heterogene Gruppen von Arrestanten zusammenkommen: Freizeitund Dauerarrestanten, Arrestanten verschiedenster Vollzugsdauer, Ungehorsamsarrestanten, vorbelastete und nicht vorbelastete Arrestanten (dazu § 16, 3; vgl. auch Schwegler 1999 S. 219 ff, die 1997 einer sehr heterogene Zusammensetzung der Dauerarrestanten in einer JA Anstalt ermittelte). Es hat sich auch bestätigt, dass die Fiktion der „gutgearteten“ Täter nicht der Realität entspricht, denn bei diesen kommen idR Diversions- und ambulante Maßnahmen zur Anwendung (vgl. Einf. II 26; § 45, 5). Nach dem Ergebnis der Datenanalyse (Eisenhardt 1989 S. 125) befinden sich im Dauerarrest zum größten Teil J und Hw., die auf dem Weg in eine delinquente Karriere sind; der Anteil der Ersttäter ist äußerst gering. Nach Schwegler (aaO, S. 220) weisen jedoch 30% der von ihr untersuchten Dauerarrestanten keine Vorbelastung auf. Bei größeren Diskrepanzen unter den Anstalten fand Eisenhardt (1989 S. 123) unter den Freizeitarrestanten ca. 10–20% mehrfach Vorbelastete (meist Weisungen und Auflagen, vereinzelt aber sogar JStrafe), unter den Dauerarrestanten bis ca. 40% mehrfach Vorbelastete (bis zu 10 Verurteilungen) und ca. 15–20% bereits zu JStrafe (vereinzelt sogar zweimal) Verurteilte. Kurze Arreste überwiegen, und auch die Dauerarreste sind im Vergleich zu 1974 kürzer geworden (S. 124). Dünkel (1990 S. 343) stellt für die achtziger Jahre eine Verdoppelung des Anteils von mit stationären Sanktionen vorbelasteten Arrestverbüßern fest. Die Hinwendung der Praxis zu ambulanten Rechtsfolgen für weniger gefährdete Täter hat zu einem erheblichen Belegungsrückgang der Arrestanstalten und zur Schließung einiger Anstalten geführt (Dünkel aaO, S. 336 ff). Die Arrestanstalten haben sich – bei regionalen Unterschieden – in den letzten Jahren zu Recht verstärkt um einen aufgelockerten und sozialpädagogisch ausgerichteten Vollzug bemüht (Dünkel aaO, S. 344 ff; Hinrichs DVJJ-J
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Jugendarrest
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93, 61 f.). Befragungen der JA Anstalten 1993 und 1999 ergaben jedoch noch erhebliche Unterschiede in der Ausgestaltung des JA Vollzugs und erhebliche Mängel in der personellen und sachlichen Ausstattung (Hinrichs DVJJ-J 95, 96; 99, 267). Kritik an der Vollzugspraxis auch bei Koepsel FS Böhm, 1999 S. 622 ff. Weitere Zahlen § 16, 8 u. 16. Diese Feststellungen (Rn 1) müssen die Richter veranlassen, die Tätervoraussetzungen sorgfältig 2 zu beachten (§ 16, 11 u. 12) und im Vollzug die erz. Gesichtspunkte zu verstärken. Dem entspricht auch, dass die S. 2 u. 3 des Abs. I als Sollvorschrift die erz. Ausgestaltung des JA Vollzugs fordern, um dem J zur Bewältigung seiner Schwierigkeiten Hilfen anzubieten (dazu Rn 9) und um das in Abs. I 1 umschriebene Arrestziel zu erreichen. Dazu fordert Eisenhardt (1989 S. 125), auch wegen der deliktischen Belastung eines großen Teils der Arrestanten (Rn 1), den JA-Vollzug „äußerlich wie innerlich“ vom Strafvollzug zu trennen (S. 130), den „Gefängnischarakter“ abzuschwächen, die Arrestantengruppen untereinander zu trennen (S. 133), die Zahl der Mitarbeiter zu verstärken (S. 131) und bes. das ErzPersonal zu erhöhen und fortzubilden (S. 32). Zu bes. schwierigen Fällen LG Hamburg B NStZ 89, 524 in § 87, 7 a. Zu Mindeststandards für den JA Vollzug s. Ostendorf ZRP 10, 20; zur Ausgestaltung eines JAVollzG vgl. Jaeger S. 231 ff u. Wulf ZJJ 10, 191. Eisenhardt (1989) geht davon aus, dass Dauerarrest „strafend“ wirke (S. 156) und die Vollzugssi- 3 tuation insgesamt belaste (S. 155), aber die Einsperrung auch eine Bereitschaft bewirke, neue Inhalte zu akzeptieren, sodass ein inhaltlich sinnvoll genutzter Dauerarrest einen neuen Anfang für die Ausbildung und eine Chance für einen Neubeginn bedeuten könne. Kern eines erz. ausgerichteten Vollzugs müsse die Aufarbeitung und sozialtherapeutische Bearbeitung der Problem- und Konfliktlagen des Arrestanten sein, die zu den Straftaten geführt haben (S. 158). Für strukturierte Behandlungsprogramme im JA Vollzug auch Eisenhardt 2010, S. 99 ff. Das Gesetz folgt in Abs. I 2 u. 3 Erkenntnissen und Forderungen von Praxis und Wissenschaft, 4 setzt damit den Weg fort, der mit der JAVollzO 1976 (Rn 6 ff) begangen wurde, und verstärkt das Postulat der erz. Ausgestaltung des JAVollzugs, indem es diesen Grundsatz in den § 90 hineinnimmt. Das bezieht auch Verhängung und die Praxis der Anordnung des JA mit ein und ist ein unüberhörbarer Appell nicht nur an StAe und Richter, sondern an alle Verantwortlichen, einen inhaltlich effektiven JAVollzug auch dadurch zu stützen, dass die „Raum-, Personal- und Belegungssituation“ (vgl. Rn 3 aE) der Umsetzung des ErzGedankens entsprechend gestaltet wird (Begründung des RegE eines 1. JGGÄndG, BT-Drs. 11/5829 S. 38). Das begrenzte Ziel der Zuchtmittel allg. und die Kürze des Vollzugs aber machen deutlich, dass 5 eine grundlegende Umgestaltung der Persönlichkeit weder erreicht noch erstrebt und eine tief greifende Fehlentwicklung im JAVollzug nicht korrigiert werden kann (Begründung des RegE eines 1. JGGÄndG, aaO). Dies sollte schon der Richter bedenken, um diese J nicht ohne Aussicht auf Erfolg und die JA-Anstalten nicht unnötig zu belasten. Dies definiert und begrenzt zugleich den ErzAuftrag. Hinweise auf Möglichkeiten, die gesetzlich u. erz. gebotene rasche Vollstreckung zu erreichen, § 10, 14 c; § 16, 21. Zum Begriff „Vollzug“ Vor § 82, 1. Die VO zur Änderung der JAVollzO v. 18. 8. 1976 (BGBl. I S. 2349), Bekanntmachung der Neu- 6 fassung v. 30. 11. 1976 (BGBl. I S. 3270), ergänzt durch die von den Landesjustizverwaltungen einheitlich erlassenen Richtlinien zur JAVollzO – RiJAVollzO – (z. B. Bayern Bekanntmachung v. 14. 5. 1979, BayJMBl. 79, 93) vermeidet die noch in der JAVollzO v. 12. 8. 1966 vorherrschende Strenge und versucht, den mehr Gefährdeten Hilfen zu geben; dies umfasst „den verstärkten Einsatz erz. befähigter Mitarbeiter im Hauptamt, nebenamtlich oder auch ehrenamtlich, die Ausrichtung der Anstaltsorganisation auf die zu leistenden ErzHilfen und die Integration der erz. Fachkräfte, die Normalisierung des Lebens in der Anstalt, um institutionsbedingte Hindernisse für die ErzArbeit möglichst gering zu halten“ (Begr. z. RefE 1975 S. 16). Der JRichter trägt als Vollzugsleiter die Gesamtverantwortung für alle Entscheidungen im 7 JAVollzug (§ 90 II 2). Wenn Anordnung, Vollstreckung und Vollzug des JA, wie häufig, nicht in
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einer Hand liegen, werden Schwierigkeiten nur dadurch vermieden, dass der Vollzugsleiter mit den JRichtern des Einzugsbereiches seiner Anstalt kooperiert und diese die Möglichkeit und Grenzen des Vollzugsprogramms kennen und nützen. Hier hat sich ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch in der Vollzugseinrichtung bewährt. Ist die Arresteinrichtung mit einer JVA organisatorisch verbunden, so versteht sich gute Zusammenarbeit mit dem Anstaltsleiter von selbst. Innerdienstlich kann und soll der Vollzugsleiter bestimmte Aufgaben an einzelne oder mehrere Mitarbeiter (Psychologen, Sozialpädagogen, Sozialarbeiter, Lehrer und andere Fachkräfte – § 3 III*) gemeinschaftlich übertragen (§ 2 II), um die Fachkräfte in eigenverantwortlicher Tätigkeit stärker in Entscheidungsprozesse der Anstalt einzubeziehen. Regelmäßige Besprechungen (§ 2 III) sollen Informationsfluss und Zusammenarbeit aller an der Erz. Beteiligten fördern. Jeder Mitarbeiter hat wichtige Wahrnehmungen unverzüglich dem Vollzugsleiter, ggf. auch anderen Mitarbeitern, zu melden (§ 8 III u. RL dazu). Werden ehrenamtliche Kräfte herangezogen, muss ihre Verschwiegenheit gewährleistet sein (RiJAVollzO zu § 3). Dem Vollzugsleiter und allen mit der Erz. befassten Mitarbeitern ist eine alsbaldige differenzierte Persönlichkeitserforschung auferlegt, welche die notwendigen erz. Hilfen ermitteln und die Aufmerksamkeit während der Behandlung schon auf Vorarbeiten für Hilfen nach der Entlassung richten soll (§ 7). Hierfür bedarf es ausreichend haupt-, neben- und ehrenamtlichen Personals und rechtzeitiger Unterrichtung der Stellen, welche nach der Entlassung den J betreuen (vgl. § 27). Der Vorbereitung der ersten Aussprache kann es nach RL zu § 7 dienen, dass der J seinen Lebenslauf niederschreibt und sich schriftlich mit seiner Tat auseinandersetzt. 8 Die ErzArbeit wird gefördert durch die Auflockerung der getrennten Unterbringung von männlichen und weiblichen J (§ 1 III), Erweiterung der Unterrichtspflicht nach der Aufnahme (§ 5 I 3), Einzelunterbringung (mit Ausnahmen) nur noch bei Nacht (§ 6; bei Tage nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen – § 6 II; bei Freizeitarrest und Kurzarrest bis zu 2 Tagen kann aber Einzelunterbringung auch tagsüber angeordnet werden – § 16, 16; § 6 II 2), Wegfall der früheren strengen Behandlungsformen (§ 8 I; §§ 13–15, 23 III aF) und die Erweiterung des Verkehrs mit der Außenwelt (§ 20). Zur Kritik § 16, 5–6. 9 Der Vollzug soll an den J dieselben Anforderungen stellen, die bei wirksamer Erz. in der Freiheit an ihn gestellt werden müssen (§ 8 I), und so gestaltet werden, dass die körperliche, geistige und sittliche Entfaltung des J gefördert wird (§ 10 I). Die Aussprache mit dem Vollzugsleiter, welche Bedeutung sie auch im Einzelfall gewinnen kann, ist aus dem Mittelpunkt der nun interdisziplinären ErzArbeit gerückt (vgl. § 10 II). Entsprechend der Persönlichkeitserforschung (§ 7) sollen soziale Einzelfallhilfe, Gruppenarbeit, Unterricht und andere Behandlungsmethoden (§ 10 II 1) dem einzelnen gezielt helfen, Konflikte zu bewältigen und Handlungsalternativen zu gewinnen. Arbeit (§ 62 JArbSchG) ohne Arbeitsentgelt (§ 11 IV), Unterricht und andere Ausbildungsmaßnahmen stehen gleichrangig nebeneinander (§ 11 I) und können mit Zustimmung des J auch außerhalb der Anstalt stattfinden (§ 11 III). Zu weiteren erz. Möglichkeiten auch am Wochenende § 16, 6. Darüber hinaus sollen Hilfen geleistet werden bei Problemen in der Schule und am Arbeitsplatz, beim Umgang mit Behörden, bei Schuldenregulierung, Freizeitgestaltung und Anknüpfung von Kontakten nach außerhalb (vgl. Rn 8). Um das aber überhaupt zu können, muss erreicht werden, dass der J sich vertrauensvoll eröffnet. 10 Der J hat die notwendigen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene zu unterstützen (§ 12 V) und ist verpflichtet, sich am Sport zu beteiligen (§ 16). Bei allg. Alkoholverbot kann J über 16 Jahren das Rauchen gestattet werden (§ 12 II 2). Um ein verändertes Freizeitverhalten (Einf. I 35) anzuregen, wird der J angeleitet, die Freizeit sinnvoll zu verbringen (§ 18). Mindestverhaltensvorschriften für ein geordnetes Zusammenleben in der JA Anstalt nach § 9 bringen die RL dazu. *
Im Folgenden sind §§ ohne Gesetzesbezeichnung solche der JAVollzO.
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Rechtsbehelfe im Vollzug des Jugendarrestes
§ 92
Bei Ausübung der Disziplinarmaßnahmen ist Einfühlungsvermögen, ggf. aber auch rasches 11 Durchgreifen, geboten. Die möglichen Hausstrafen sind in § 23 III abschließend eingeführt. Die verstärkte erz. Fachbetreuung mit verbesserten diagnostischen Möglichkeiten sollte auch 12 der zumeist sehr wichtigen Fürsorge für die Zeit nach der Entlassung (§ 26; vgl. § 88, 7 a) und dem Schlussbericht (§ 27) zugutekommen, der bei Rückfall bedeutsame Hinweise geben kann. Der JAVollzug ist eine Angelegenheit der Verwaltung. Die Einrichtung der JA-Anstalten und 13 der Freizeitarresträume ist Sache der Länder (§ 90 II 1 JGG). – Vollzugsleiter ist der JRichter am Ort des Vollzugs (§ 90 II 2 JGG), der insoweit Verwaltungsbeamter ist, dem Vorstand einer Strafanstalt vergleichbar. Wo kein JRichter ist oder mehrere JRichter sind, wird ein JRichter von der höheren Vollzugsbehörde zum Vollzugsleiter bestellt (§ 2 I). Dieser JRichter ist auch Vollstreckungsleiter (§ 85 I JGG). Gegen Maßnahmen des Vollzugs kann nach § 92 Antrag auf gerichtliche Entscheidung der JKammer gestellt werden. Während des Vollzugs sind die zu JA Verurteilten Gefangene iSd §§ 120, 121 StGB, 115 OWiG (Dallinger/Lackner 34; Potrykus B 3). Haftkosten fallen aber ebenso wenig an wie Arbeitsentschädigung (§ 11 IV). Die JA-Anstalten sollen nicht weniger als 10 und nicht mehr als 60 J aufnehmen können (§ 1 IV). JA-Anstalten und Freizeitarresträume dürfen nicht in Straf- oder Untersuchungshaftanstalten, auch nicht im Verwaltungsteil dieser Anstalten, eingerichtet werden (§ 1 II 2). JA-Anstalten dürfen nicht, Freizeitarresträume dürfen nicht gleichzeitig dem Vollzug von Strafe oder dem Vollzug an Erwachsenen dienen (§ 1 II 1). Im Vollzug des JA sind männliche und weibliche J zu trennen (§ 1 III 1). Hiervon kann abgesehen werden, um die Teilnahme an religiösen Veranstaltungen und erz. Maßnahmen zu ermöglichen (Rn 8). Zur Zulässigkeit der zwangsweisen Zuführung zum Arrest § 16, 21. Bei Soldaten wird JA auf Ersuchen des Vollstreckungsleiters durch die Behörden der Bundes- 14 wehr wie Strafarrest vollzogen (Art. 5 II EGWStG; näher § 112 c, 3). Zum JA Vollzug durch die Bundeswehr auch § 112 a, 10; zum Strafarrest § 112 a, 11.
§ 91 (aufgehoben) Siehe die Kommentierung zu § 89 b.
§ 92 Rechtsbehelfe im Vollzug des Jugendarrestes, der Jugendstrafe und der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt § 92 Rechtsbehelfe im Vollzug des Jugendarrestes (1) Gegen eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Jugendarrestes, der Jugendstrafe und der Maßregeln der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt (§ 61 Nr. 1 und 2 des Strafgesetzbuches) kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden. Für den Antrag gelten die §§ 109 und 111 bis 120 Abs. 1 des Strafvollzugsgesetzes sowie § 67 Abs. 1 bis 3 und 5 entsprechend; das Landesrecht kann vorsehen, dass der Antrag erst nach einem Verfahren zur gütlichen Streitbeilegung gestellt werden kann. (2) Über den Antrag entscheidet die Jugendkammer, in deren Bezirk die beteiligte Vollzugsbehörde ihren Sitz hat. § 110 Satz 2 des Strafvollzugsgesetzes gilt entsprechend. Unterhält ein Land eine Einrichtung für den Vollzug der Jugendstrafe auf dem Gebiet eines
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§ 92
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anderen Landes, können die beteiligten Länder vereinbaren, dass die Jugendkammer bei dem Landgericht zuständig ist, in dessen Bezirk die für die Einrichtung zuständige Aufsichtsbehörde ihren Sitze hat. (3) Die Jugendkammer entscheidet durch Beschluss. Sie bestimmt nach Ermessen, ob eine mündliche Verhandlung durchgeführt wird. Auf Antrag des Jugendlichen ist dieser vor einer Entscheidung persönlich anzuhören. Hierüber ist der Jugendliche zu belehren. Wird eine mündliche Verhandlung nicht durchgeführt, findet die Anhörung in der Regel in der Vollzugseinrichtung statt. (4) Die Jugendkammer ist bei Entscheidungen über Anträge nach Absatz 1 mit einem Richter besetzt. Ein Richter auf Probe darf dies nur sein, wenn ihm bereits über einen Zeitraum von einem Jahr Rechtsprechungsaufgaben in Strafverfahren übertragen worden sind. Weist die Sache besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art auf oder kommt ihr grundsätzliche Bedeutung zu, legt der Richter die Sache der Jugendkammer zur Entscheidung über eine Übernahme vor. Liegt eine der Voraussetzungen für eine Übernahme vor, übernimmt die Jugendkammer den Antrag. Sie entscheidet hierüber durch Beschluss. Eine Rückübertragung ist ausgeschlossen. (5) Für die Kosten des Verfahrens gilt § 121 des Strafvollzugsgesetzes mit der Maßgabe, dass entsprechend § 74 davon abgesehen werden kann, dem Jugendlichen Kosten und Auslagen aufzuerlegen. (6) Wird eine Jugendstrafe gemäß § 89 b Abs. 1 nach den Vorschriften des Strafvollzugs für Erwachsene vollzogen oder hat der Jugendliche im Vollzug der Maßregel nach § 61 Nr. 1 oder Nr. 2 des Strafgesetzbuches das vierundzwanzigste Lebensjahr vollendet, sind die Absätze 1 bis 5 nicht anzuwenden. Für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gelten die Vorschriften der §§ 109 bis 121 des Strafvollzugsgesetzes. Schrifttum: Kamann Vollstreckung u. Vollzug der JStrafe. Verteidigung u. Rechtsschutz, 2009.
1 Nach BVerfGE 116, 69, 88 f genügte der bisher als Rechtsbehelf gegen Maßnahmen im JA und JStrafvollzug vorgesehene Antrag auf gerichtliche Entscheidung des OLG nach §§ 23 ff EGGVG den Anforderungen des Art. 19 IV GG an einen wirksamen Rechtsschutz nicht. Dem Umstand, dass die im JStrafvollzug Inhaftierten typischerweise im Umgang mit Institutionen und Schriftsprache besonders ungeübt sind, wurde die Verweisung auf ein regelmäßig ortsfernes OLG ohne besondere Vorkehrungen für die Möglichkeit mündlicher Kommunikation nicht gerecht. Durch das 2. JGGÄndG v. 13. 12. 2007 wurde deshalb der gerichtliche Rechtsschutz gegen Vollzugsmaßnahmen neu geregelt. 2 Die Vorschrift betrifft Maßnahmen zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des JA, der JStrafe und der Maßregeln der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt. Rechtsbehelf gegen diese Maßnahmen ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung der JKammer. Dieser Rechtsbehelf ist in den Abs. I–V näher ausgestaltet. Für am 1. 1. 2008 bereits anhängige Verfahren verbleibt es nach § 121 I beim Verfahren nach den §§ 23 ff EGGVG. Wird eine JStrafe gem. § 89 b nach den Vorschriften für Erwachsene vollzogen oder hat der J im Vollzug der genannten Maßregeln das 24. Lebensjahr vollendet, sind nach Abs. VI die Abs. I bis V nicht anzuwenden, sondern gelten für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung die §§ 109 bis 121 StVollzG. Es entscheidet also die Strafvollstreckungskammer. 3 Abs. I eröffnet den Rechtsweg gegen Maßnahmen zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf den dort genannten Gebieten. Dieser Begriff ist wie in § 109 I StVollzG auszulegen. Die angegriffene Handlung muss also Regelungscharakter haben, dh ein Lebensverhältnis rechtlich gestalten (Callies/Müller-Dietz § 109 StVollzG 12). Das kann auch bei einem Realakt, z. B. einer
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Rechtsbehelfe im Vollzug des Jugendarrestes
§ 92
Durchsuchung des Haftraums, der Fall sein (Schwind/Böhm/Jehle/Schuler § 109 StVollzG 18). Die Regelung muss einen Einzelfall betreffen, sodass etwa gegen allgemeine Verwaltungsvorschriften nicht mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vorgegangen werden kann (Callies/ Müller-Dietz § 109 StVollzG 14). Schließlich muss die Regelung im Vollzug des JA, der JStrafe oder der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt ergehen. Nach Abs. I 2 iVm §§ 109 und 115 StVollzG kommen Anträge auf Aufhebung einer Maßnahme 4 oder die Verpflichtung zum Erlass einer abgelehnten oder unterlassenen Maßnahme oder bei Vorliegen eines berechtigten Interesses auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Maßnahme in Betracht. Der Antrag ist nach Abs. I 2 iVm § 109 II StVollzG nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Für diese Antragsbefugnis ist erforderlich und ausreichend, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, welche die Verletzung eines subjektiven Rechts als möglich erscheinen lassen (Callies/Müller-Dietz § 109 StVollzG 15). Nach Abs. I 2 HS 2 kann das Landesrecht vorsehen, dass der Antrag erst nach einem Verfahren zur gütlichen Streitbeilegung gestellt werden kann. Von dieser Möglichkeit hat § 87 IV des saarländischen JStVollzG Gebrauch gemacht. Für Form und Frist gelten die §§ 112 und 113 StVollzG. Der Antrag hat keine aufschiebende Wirkung, das Gericht kann aber nach Abs. I 2 iVm § 114 StVollzG vorläufigen Rechtsschutz gewähren. Zuständig ist nach Abs. II 1 die JKammer, in deren Bezirk die beteiligte Vollzugsbehörde ihren 5 Sitz hat. Durch ein vorausgehendes Verwaltungsverfahren wird die Zuständigkeit nicht berührt (Abs. II 2 iVm § 110 S. 2 StVollzG). Für den Fall, dass ein Land eine Einrichtung für den Vollzug der JStrafe auf dem Gebiet eines anderen Landes unterhält, trifft Abs. II 3 eine dem § 78 a III GVG entsprechende Zuständigkeitsregelung. Die JKammer ist mit einem Richter besetzt (Abs. IV 1), der nur dann Richter auf Probe sein darf, wenn ihm bereits ein Jahr Rechtsprechungsaufgaben in Strafverfahren übertragen worden sind (Abs. IV 2). Sachen mit besonderen Schwierigkeiten rechtlicher Art oder von grundsätzlicher Bedeutung legt der Richter der JKammer vor und übernimmt diese durch Beschluss (Abs. IV 3 bis 5). Eine Rückübertragung ist nach S. 6 ausgeschlossen. Auf Antrag des J ist dieser vor der Entscheidung persönlich anzuhören; hierüber hat der Rich- 6 ter den J zu belehren (Abs. III 3, 4). Ansonsten steht es im Ermessen des Richters, ob eine mündliche Verhandlung durchgeführt wird (Abs. III 2). Er wird mündlich verhandeln, wenn Aufklärungsbedarf auf dem Schriftweg nicht zu decken ist (RegE Begr. BT-Drs. 16/6293 S. 11) oder aus den Schriftsätzen ersichtlich ist, dass der J sich nicht hinreichend schriftlich äußern kann. Die Elternrechte des § 67 I bis III und V gelten gem. Abs. I 2 entsprechend. Nach Abs. I 2 iVm § 120 I StVollzG sind – soweit keine Spezialregelung besteht – die Vorschriften der StPO entsprechend anzuwenden. Es gilt also die Amtsaufklärungspflicht des § 244 II StPO. Zur notwendigen Verteidigung in Strafvollzugssachen s. § 68, 28. Die JKammer entscheidet nach Abs. III 1 durch Beschluss. Gem. Abs. V gilt für die Kosten des 7 Verfahrens § 121 StVollzG mit der Maßgabe, dass entsprechend § 74 davon abgesehen werden kann, dem J Kosten und Auslagen aufzuerlegen. Das kommt namentlich in Betracht, „wenn die Kostenbelastung dem Vollzugsziel widersprechen und die Eingliederung der Gefangenen behindern würde“ (RegE Begr. BT-Drs. 16/6293 S. 11). Gegen den Beschluss der JKammer ist unter den Voraussetzungen der §§ 116 ff StVollzG die Rechtsbeschwerde zum OLG gegeben. Sie ist nach § 116 I StVollzG nur zulässig, wenn die Überprüfung der Entscheidung der JKammer zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist. Neben dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung bestehen weitere Möglichkeiten, Abände- 8 rungen von Vollzugsentscheidungen zu erreichen, z. B. durch Beschwerde beim Anstaltsleiter,
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Eingabe an den Anstaltsbeirat oder die Ombudsperson nach § 97 JStVollzG NRW oder durch eine Petition.
§ 93 (aufgehoben)
§ 93 a Unterbringung in einer Entziehungsanstalt § 93 a Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (1) Die Maßregel nach § 61 Nr. 2 des Strafgesetzbuches wird in einer Einrichtung vollzogen, in der die für die Behandlung suchtkranker Jugendlicher erforderlichen besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen zur Verfügung stehen. (2) Um das angestrebte Behandlungsziel zu erreichen, kann der Vollzug aufgelockert und weitgehend in freien Formen durchgeführt werden. 1. Hw.-JRecht: § 110 I. – 2. ErwG: § 104, 1. Schrifttum: Dessecker/Egg, Hrsg. Die strafrechtliche Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, 1995; Häßler/Keiper/Schläfke Maßregelvollzug für J, ZJJ 04, 24; Heckmann ,Hrsg., Drogentherapie in der Praxis, 1991; Kühne Staatliche Therapie auf dem Prüfstand, 1985; Schalast Suchtkranke Rechtsbrecher, in Hdb. d. For. Psychiatrie Bd. 3, 2006 S. 326; Stöver/Weissbeck/Wendt Wo steht der JMaßregelvollzug in Deutschland aktuell?, FPPK 08, 255; Täschner Therapie der Drogenabhängigkeit, 1983; Tessenow/Ostendorf Maßregelvollzug bei J in Deutschland – erste Einblicke in eine verborgene Praxis, NK 03, 59; Weissbeck JMaßregelvollzug in Deutschland, 2009. Übersicht 1. Probleme der Durchführung . . . . . . . 2. Dynamische Rehabilitation . . . . . . . . 3. Einzelfragen zur Vollstreckung . . . . . . Absehen nach § 5 III und Vorwegvollzug Fehlender Therapieplatz . . . . . . . . . . Maßregelvollzug aussichtslos . . . . . . . 4. HVollzugsentscheidungen . . . . . . . . . Maßnahmen innerhalb des Vollzugs . . . 5. Entziehungsanstalten . . . . . . . . . . .
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Probleme der Durchführung
1 § 93 a versucht der vielschichtigen Problematik rauschmittelabhängiger Täter, insbes. bei Drogensucht, durch eigene Anstalten für J und Hw. mit bes. therapeutischen Mitteln und sozialen Hilfen gerecht zu werden. Allg. zu Drogen (einschl. Alkohol) Einf. I 48–51 a; zu JStrafe u. Entziehungsanstalt § 5, 2; zur Entziehungsanstalt § 7, 3–7; Auflistung der Hinweise auf Drogenproblematik bei den einzelnen Vorschriften Einf. I 51 b; vgl. auch Brunner Zbl. 71, 243; 74, 378, 383; 80, 415; Dessecker/Egg, Hrsg., Die strafrechtliche Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, 1995. 2 Bei Drogenabhängigen können Apathie, Unzuverlässigkeit (Kreuzer Zbl. 74, 214), Kontaktschwäche, Misstrauen, Egozentrik und enge Gruppenbezogenheit, geringe Frustrationstoleranz, starke Stimmungslabilität und fehlende Ausdauer, aber uU auch extrem gesellschaftskriti-
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Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
§ 93 a
sche Einstellung die Therapiebemühungen gefährden. Gleichwohl ist es in nicht wenigen Fällen möglich, Krankheitseinsicht und Heilungswillen zu fördern und hierdurch Möglichkeiten für einen Weg aus der Abhängigkeit zu eröffnen. Dies macht offenbar, dass zu medizinischen Maßnahmen gleichwertig Bemühungen um Stabili- 3 sierung der Persönlichkeit und ihrer sozialen Beziehungen treten müssen. An die Struktur der Station, an Zahl, Ausbildung, Zusammenarbeit und Fortbildung des gesamten Personals sind damit ganz bes. Anforderungen gestellt. Diese Patienten werden viel Zeit, Geduld und guten Willen beanspruchen, bis sie zu dem notwendigen Vertrauensverhältnis zum Behandlungsteam finden. 2.
Dynamische Rehabilitation
In Form einer Therapiekette reihen sich Diagnose, Entgiftung, Gesprächs-, Beschäftigungs-, Ar- 4 beitstherapie, Außenbeschäftigung, Freigang bis zu Entlassungsvorbereitungen und Fortsetzung der Therapie in Übergangsheimen und Selbsthilfeeinrichtungen aneinander (vgl. Kühne Staatliche Therapie auf dem Prüfstand, 1985 S. 125; Heckmann, Hrsg., Drogentherapie in der Praxis, 1991; Täschner Therapie der Drogenabhängigkeit, 1983). Der notwendigen dynamischen Rehabilitationsarbeit, der stufenweisen Behandlungsform in schließlich teilweiser Freiheit oder Übergangsheimen (Behandlungskette), letztlich auch der unbürokratischen Umsetzung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse dient Abs. II. Der Unterbringung sollte sich stets eine ausreichend lange Nachsorge in geeigneter Form anschließen, um das Erreichte zu sichern und die Persönlichkeit zu stärken. Zu Mindestanforderungen an den JMaßregelvollzug s. Weissbeck S. 134. Zur Diskussion über Strafe oder (und) nichtstrafrechtliche Unterbringung Katholnigg GA 90, 193. Die Maßregel nach § 64 StGB dient dem Schutz der öffentlichen Sicherheit durch Besserung 5 des Täters (BVerfGE 91, 1, 28; BGH 28, 327, 332; LK/Schöch § 64 StGB 1 ff). Sie ist weder ein Mittel der bloßen Suchtfürsorge, noch darf die Fürsorge unsachgemäß in den Vordergrund treten (BGH aaO; LK/Schöch § 64 StGB 4). Diese auf Erw. abgestellte Auffassung wird für J (Hw.) modifiziert durch den allg. ErzCharakter des JGG, der vor allem auch den Vollzug einschließt, durch die bes. Persönlichkeitsstruktur der J (Hw.), vor allem aber durch die Vorschrift des § 93 a II, welche ausdrücklich freie Formen – im Rahmen der justiziell und therapeutisch vertretbaren Grenzen – zulässt (Rn 4). Nach §§ 64 S. 2, 67 d V 1 StGB und von Verfassung wegen (BVerfGE 91, 1) sind Anordnung und Vollzug der Maßregel nach § 64 StGB an die Voraussetzung geknüpft, dass eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Süchtigen zu heilen oder doch über eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren (kritisch zu BVerfGE 91, 1 Müller-Dietz JR 95, 353). 3.
Einzelfragen zur Vollstreckung
Das Gericht muss nach § 5 III von der Verhängung jstrafrechtlicher Maßnahmen absehen, 6 wenn die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt dies entbehrlich macht (§ 5, 2; BayObLG 89, 48 = JR 90, 210 mit zust. Anm. Brunner). Erkennt das Gericht aber neben Unterbringung auf JStrafe, so kann es nach § 67 II StGB abweichend von der Regel des Vorwegvollzugs der Maßregel (§ 67 I StGB) die JStrafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vollziehen, wenn bei sorgfältiger Prüfung der Persönlichkeit des J, der Länge der Strafzeit und der Art der notwendigen Behandlung Leidensdruck günstigere Voraussetzungen für die anschließende Entziehung erwarten lässt (BGH H MDR 81, 98; BGH NJW 83, 240; BGH B NStZ 88, 493; vgl. dazu aber auch § 7, 2 a). So kann z. B. die in der UHaft gezeigte Protest- und Verweigerungshaltung den Mangel des Durchhaltewillens für die vorgesehene harte Langzeittherapie dartun, während die Möglichkeit, im Vollzug den Hauptschulabschluss nachzuholen, die Erfolgschancen für die
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§ 93 a
2. Teil. Jugendliche
anschließende Therapie steigert (BGH NStZ 82, 132). Bei einer JStrafe von über 3 Jahren soll nach § 67 II 2, 3 StGB der Vorwegvollzug eines Teils der Strafe angeordnet werden. Der Ansicht, der Vollzug könne die Motivation zur Therapie fördern (z. B. BGH NStZ 90, 52), widerspricht Eisenberg § 7, 15. Dazu auch BGH NStZ 90, 78 u. § 7, 2 a. Richtschnur bei der Entscheidung ist das Rehabilitationsinteresse des Verurteilten (BGH NStZ-RR 01, 93). Die Entscheidung muss zumindest dadurch mitbegründet sein, dass so der Zweck der Maßregel leichter erreicht wird (BayObLG NJW 81, 1522; OLG Schleswig MDR 80, 1038; vgl. auch OLG Hamm in § 7, 2 a aE). Zum Vorwegvollzug der Strafe nach § 67 II StGB auch BGH 33, 285; BGH NStZ 86, 140; BGH GA 86, 119; BGH MDR 90, 96 zum Vorwegvollzug der Strafe bei notwendiger stationärer LangzeitDrogenentwöhnung). Der BGH (NStZ 90, 102) hat teilweisen Vorwegvollzug der Strafe gebilligt, wenn eine Vorgehensweise nach §§ 35, 36 BtMG dem Rehabilitationsinteresse dient oder wenn bei schwerer seelischer Abartigkeit der Entlassung die Behandlung unmittelbar vorausgehen soll (BGH MDR 90, 350). Zu Rechtsmittelfragen § 7, 2 aE. 7 Nach BGH NStZ 81, 492 mit krit. Anm. Scholz; BGH NStZ 82, 132; OLG Dresden NStZ 93, 511; LG Hamburg MDR 81, 778; Ostendorf § 7, 13 darf wegen eines fehlenden Therapieplatzes die JStrafe oder Freiheitsstrafe nicht vorweg vollzogen werden. Das LG Bonn NJW 77, 345 hat dies allerdings getan, weil kein Verurteilter darauf Anspruch habe, dass die Vollstreckung einer Strafe deshalb unterbleibt, weil die gleichzeitig angeordnete Maßregel mangels eines Therapieplatzes nicht vollzogen werden kann, und ist hierin vom BVerfG (JMBl. NRW 77, 22) bestätigt worden. Zum Vorrang der Maßregel auch BGH NJW 83, 240. Allerdings rechtfertigen es nach OLG Hamm MDR 81, 70 Belegungsschwierigkeiten, die Überstellung für eine angemessene Frist zurückzustellen, es sei denn, als weniger einschneidende Maßnahme wird § 67 a StGB angewendet. Das OLG Hamm (MDR 78, 950) hat es zugelassen, mangels eines Platzes in einer Entziehungsanstalt die Entziehung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu vollziehen. Nach OLG Celle (NStZ 95, 255 = JR 96, 81 mit Anm. Bringewat) darf jedoch der Maßregelvollzug in einer Entziehungsanstalt nicht wegen Platzmangels durch die Unterbringung in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses ersetzt werden, wenn dort keine Suchtbehandlung stattfindet. Zur Vollstreckung von Maßregel u. Strafe auch BGH StV 90, 260, 261. 8 Besteht im Maßregelvollzug entgegen einer anfänglich positiven Prognose keine hinreichend konkrete Aussicht mehr auf einen Behandlungserfolg, muss der JRichter (§§ 82, 84, 85 IV, V) nach § 67 d V 1 StGB die Unterbringung beenden. Bei der Prüfung der Behandlungsaussichten sind auch nicht unmittelbar suchtbezogene Umstände in Betracht zu ziehen (BGH NStZ 90, 78). Auch wenn sich nach dem Vollzug der Strafe herausstellt, dass der Verurteilte krankheitsbedingt nicht therapiefähig ist, ist die Unterbringung in der Entziehungsanstalt für erledigt zu erklären (OLG Zweibrücken MDR 89, 179). 8 a Auch auf alleiniges Rechtsmittel des Angeklagten darf das Rechtsmittelgericht erstmals auf Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (oder in einem psychiatrischen Krankenhaus) erkennen, ohne gegen das Verschlechterungsverbot zu verstoßen (näher § 55, 34). Auch neben lebenslanger Freiheitsstrafe ist die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zulässig (BGH NJW 90, 3281). 4.
Vollzugsentscheidungen
9 Die wichtigeren Entscheidungen trifft der Vollstreckungsleiter (§§ 82, 84, 85 IV, V), insbes. zu Beginn, Fortdauer und Aussetzung der Vollstreckung (§ 83 I iVm §§ 462 a, 463 StPO; vgl. BGH 26, 164; Ostendorf 8). 10 Die Ausgestaltung des Vollzugs richtet sich nach Abs. II, § 137 StVollzG und den Maßregelvollzugs- bzw. Unterbringungsgesetzen der Länder (für spezielle gesetzliche Bestimmungen zum Jugendmaßregelvollzug TondorfTondorf ZJJ 09, 54, 56).
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Vor § 97
BZRG
Gegen Vollzugsmaßnahmen in der Entziehungsanstalt ist grds. der Rechtsweg zur JKammer 11 eröffnet (§ 92 I, II, VI). 5.
Entziehungsanstalten
In Bayern arbeitet seit 1980 in Parsberg/Oberpfalz, in Niedersachsen in Brauel seit 1981 eine 12 Entziehungsanstalt nach § 93 a. In den anderen Bundesländern wird die Maßregel des § 64 StGB teilweise in psychiatrischen Krankenhäusern auch bei J und Hw. durchgeführt (Kühne Staatl. Drogentherapie auf dem Prüfstand, 1985 S. 82 zu Parsberg; Stromberg DRiZ 83, 189 zu Brauel; sehr negativ Quensel KrimJ 82, 81). Vgl. auch § 10, 19 a. Weitere Hinweise Rn 1 aE.
Viertes Hauptstück Beseitigung des Strafmakels §§ 94 bis 96 (weggefallen)
Vor § 97 Vor § 97 BZRG Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
1.
BZRG und ErzZiel des JGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ErzRegister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zentralregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dateiregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Länderübergreifendes staatsanwaltliches Verfahrensregister . Datenschutz nach dem SGB VIII . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rn . 1 . 4 . 14 . 27 . 28 . 31 a . 32
BZRG und ErzZiel des JGG
Die begünstigenden Sondervorschriften hinsichtlich der Registrierung jstrafrechtlicher Maß- 1 nahmen enthält ausschließlich das Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister (BundeszentralregisterG – BZRG) v. 18. 3. 1971 in der Neufassung v. 21. 9. 1984. Das BZRG wird ergänzt durch die Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des BZRG v. 24. 5. 1985 (BAnz Nr. 99; 1. BZRVwV). Durch das BZRG wurden die §§ 94–96 JGG aufgehoben, § 100 JGG wurde, durch das EGStGB 2 neu gefasst, wieder eingefügt. Das ErzZiel des JGG, spezialpräventiv auf den jungen Straftäter einzuwirken und ihn in die Ge- 3 sellschaft einzugliedern, kann durch die Registrierung von Tat und Folgen verfehlt werden, wenn der noch ungefestigte junge Mensch durch die Reaktion der über seine Bestrafung unterrichteten Gesellschaft in seinem Fortkommen behindert oder gar in eine sozialisationswidrige und damit letztlich kriminalitätsfördernde Isolation getrieben wird. Andererseits ist die Registrierung zu Zwecken der JHilfe, vor allem aber für die Persönlichkeitserforschung in späteren JStrafverfahren, schließlich auch zur Strafbemessung unerlässlich. Dieser Interessenwiderstreit soll durch günstigere registerliche Behandlung für J und Hw. erträglich gemacht werden.
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Vor § 97 2.
2. Teil. Jugendliche
ErzRegister
4 Dem beim Bundeszentralregister geführten Erziehungsregister werden die in § 60* aufgeführten Entscheidungen mitgeteilt und dort eingetragen. Welche ausländischen Verurteilungen eingetragen werden, wie dabei zu verfahren ist und wie die Eintragungen zu behandeln sind, regeln §§ 54–58. 5 Werden vom JRichter nur ErzMaßregeln, Zuchtmittel, Nebenstrafen und Nebenfolgen ausgesprochen, so werden sie in das ErzRegister eingetragen. Werden sie jedoch mit einem Schuldspruch nach § 27 JGG, einer JStrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung verbunden, so werden sie in das Zentralregister eingetragen (§§ 60 I, 5 II). Damit finden sich in jedem Register vollständige Eintragungen; s. auch Rn 18 aE. 6 Auch der Ungehorsamsarrest nach § 11 III JGG wird in das Erzregister eingetragen (Götz GA 73, 195; Eisenberg § 11, 26; aA Ostendorf § 11, 15 aE; DSS/Diemer § 11, 22). Nicht eingetragen wird hingegen Ungehorsamsarrest nach § 98 II OWiG (Götz aaO; Eisenberg aaO). Mit Götz lässt sich die Nichteintragung damit begründen, dass weder bei J noch bei Erw. eine Zuwiderhandlung gegen Vorschriften des Ordnungsrechts eintragungspflichtig ist und dies auf dem Umweg über § 98 II OWiG dann faktisch doch geschähe (dazu auch § 82, 17). 7 In den Fällen des Absehens von der Verfolgung nach §§ 45 III JGG oder der Einstellung des Verfahrens durch den JRichter nach §§ 47 I 1 Nr. 3 JGG ist auch die getroffene Maßnahme einzutragen (§ 60 II). 8 Einstellung des Verfahrens oder Freispruch wegen fehlender Verantwortlichkeit nach § 3 JGG werden nur in das Erziehungsregister eingetragen (§ 60 I Nr. 6, § 11 II). Bei fehlender Schuldfähigkeit eines J nach § 20 StGB wird in das Zentralregister eingetragen (§ 11 Nr. 1). 9 Die Auskunft aus dem Erziehungsregister regelt § 61 abschließend und nur für genau bezeichnete Zwecke. Bei der Einholung von Auskünften ist § 41 IV zu beachten. Die obersten Landesund Bundesbehörden haben kein Recht auf Auskunft aus dem Erziehungsregister (ausgenommen Dienstaufsichtsbehörden zu diesem Zweck; Götz/Tolzmann BZRG, 4. Aufl. 2000, § 61, 12). Zu Behördenersuchen s. auch MiStra 3 II (§ 70, 3). Der Generalbundesanwalt kann aus dem Erziehungsregister (und dem Zentralregister) unbeschränkte Auskunft für wissenschaftliche Forschungsvorhaben gestatten (§ 42 a iVm § 61 I). Jedem J wird auf Antrag mitgeteilt, welche Eintragungen über ihn im Register sind (§ 42 I S. 1). 10 Eintragungen im Erziehungsregister werden entfernt, sobald der Betroffene das 24. Lebensjahr vollendet hat (§ 63 I). Mit Eintritt der „Entfernungsreife“ darf die Tat gem. §§ 63 I, IV, 51 nicht mehr zum Nachteil des Betroffenen verwertet werden. Die strafschärfende Verwertung früherer Verurteilungen zu ErzMaßregeln oder Zuchtmitteln ist daher unzulässig, wenn der Angeklagte am Tag der Urteilsverkündung das 24. Lebensjahr vollendet hat (BGH B NStZ 95, 538). Ist aber im Zentralregister eine Freiheitsstrafe, Strafarrest, JStrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung eingetragen, so bleiben bis zu deren Tilgungsreife auch die Eintragungen im ErzRegister bestehen (§ 63 II). Die nicht in das Zentralregister einzutragende Verurteilung zu JA entfaltet diese Wirkung nicht (BGH B NStZ 95, 538). Wurde eine Eintragung entgegen § 63 BZRG nicht aus dem ErzRegister entfernt, darf sie in einem späteren Verfahren bei der Strafzumessung nicht verwertet werden. Wertet ein Gericht zum Nachteil des Angeklagten, er sei „bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten“, obwohl diese Einträge im ErzRegister nach § 63 I BZRG zu entfernen gewesen wären, hat der Strafausspruch keinen Bestand (BGH H MDR 84, 445; BGH B NStZ 84, 448; BGH StV 91, 425; NStZ 91, 591 mit Anm. Kalf; BGH B NStZ-RR 01, 327; BayObLG 72, 157). * Im Rahmen dieser Vorbemerkung sind §§ ohne Bezeichnung solche des BZRG. Weitere Hinweise auf Vorschriften des BZRG finden sich bei den einzelnen Anmerkungen zu den entsprechenden JGG-Vorschriften.
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BZRG
Eintragungen aus dem ErzRegister und die ihnen zugrundeliegenden Sachverhalte braucht 11 der Betroffene nur den Gerichten oder Behörden zu offenbaren, die ein Recht auf Auskunft aus dem ErzRegister haben (Rn 9), falls er hierüber belehrt wird (§ 64 I, II). Aus dem unterschiedlichen Wortlaut der §§ 53 I und 64 I wird man nicht schließen dürfen, dass der nur im ErzRegister Vermerkte weniger Rechte als der im Zentralregister haben sollte, zumal Einträge aus dem ErzRegister nicht in ein Führungszeugnis aufzunehmen sind (§§ 32 I, 61), was ua eine Voraussetzung für die Rechte aus § 53 I ist. Es wird sich also auch der nur im ErzRegister Vermerkte als unbestraft bezeichnen dürfen, was bei Nachfragen und bei Einstellungsfragebögen wichtig werden kann. Nach Böhm (Einf. in das JStrafrecht, 3. Aufl. S. 254) soll es sogar erlaubt sein, zur Verdeckung der Strafzeiten für die „weißen Flecken im Lebenslauf“ Beschäftigungen zu erfinden (positive Lebenslüge). Das ist zwar konsequent, aber doch bedenklich. Den J über seine begrenzte Offenbarungspflicht zu belehren, bietet sich als bes. Aufgabe der JGH oder dem BewH an. In das Führungszeugnis werden Einträge aus dem ErzRegister nicht übernommen (§§ 32 I, 61). 12 Driest (StV 89, 458) schlägt vor, das BZRG dahin zu ergänzen, dass auch ausländische Urteile gegen J oder Hw. nicht in das Führungszeugnis aufgenommen werden. Wer im Einzelfall die Mitteilungen an das ErzRegister zu machen hat, regelt § 2 der 13 1. BZRVwV.
3.
Zentralregister
Welche Entscheidungen bei Anwendungen von JStrafrecht dem (Bundes-)Zentralregister mitzu- 14 teilen und dort einzutragen sind, ergeben die §§ 4 I Nr. 1, 2, 4; 5 II; 6; 7 I, III; 8; 13. Wegen § 3 JGG s. Rn 8; wegen mehreren verschieden registerpflichtigen Verurteilungen Rn 5. In das Zentralregister werden JStrafen (§ 17 JGG) und der Schuldspruch nach § 27 JGG einge- 15 tragen (§ 4 I Nr. 1, 4). Die EinheitsJStrafe (§ 31 I JGG) wird nach § 6 eingetragen. Wird eine bereits rechtskräftig ge- 16 wordene JStrafe in eine weitere Verurteilung nach § 31 II JGG einbezogen, so sind beide Urteile einzutragen. Wird nachträglich nach § 66 JGG eine einheitliche Strafe gebildet, so ist die neue einheitliche Strafe zusätzlich zu den bereits eingetragenen Verurteilungen einzutragen. Werden bei der Einbeziehung ErzMaßregeln oder Zuchtmittel aufrechterhalten, so sind sie auch in das Zentralregister einzutragen (§ 5 II). Zum Schuldspruch nach § 27 JGG bei Einbeziehung Rn 18. Wird die Vollstreckung einer JStrafe zur Bew. ausgesetzt, so wird dies im Zentralregister ein- 17 getragen und das Ende der BewZeit vermerkt (§ 7 I). Dies gilt auch, wenn dies nachträglich nach § 57 JGG geschieht (§ 13 I Nr. 1), und in den Fällen des § 88 JGG (§ 13 I Nr. 2). Auch Abkürzung oder Verlängerung der BewZeit (§§ 22 II 2, 28 II 2, 88 V 2 JGG) sowie Erlass und Teilerlass einer JStrafe (§§ 26 a, 88 V 2 JGG) werden eingetragen (§ 13 I Nr. 3, 4), wie auch der Widerruf dieser Entscheidungen und der Beseitigung des Strafmakels nach § 101 JGG (§ 13 I Nr. 6). Mit der Eintragung des Schuldspruchs nach § 27 JGG (§ 4 Nr. 4) wird zugleich das Ende der 18 BewZeit eingetragen (§ 7 III). Wird der Schuldspruch nach § 30 II JGG getilgt, so wird die Eintragung aus dem Zentralregister entfernt (§ 13 II 2 Nr. 1); wird nach § 30 I JGG auf JStrafe erkannt, so wird diese zusätzlich zum Schuldspruch eingetragen (§ 13 II 1); wird der Schuldspruch nach §§ 31 II, 66 JGG in eine Entscheidung einbezogen, die in das ErzRegister einzutragen ist, so wird er aus dem Zentralregister entfernt (§ 13 II 2 Nr. 2) und in das ErzRegister eingetragen (§ 60 I Nr. 3). Wird der Schuldspruch in eine EinheitsJStrafe einbezogen, ist auch diese in das Zentralregister einzutragen. Die Eintragung von Gnadenerweisen und Amnestien regelt § 14.
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20 Die JGerichte haben dem Bundeszentralregister die einzutragenden Entscheidungen, Feststellungen und Tatsachen mitzuteilen (§ 20). Diese Mitteilung obliegt idR dem Beamten beim Vollstreckungsleiter (vgl. RL II Nr. 4 zu §§ 82–85 JGG). – Wer die Mitteilungen an das Zentralregister im Einzelfall zu bewirken hat, bestimmt § 1 der 1. BZRVwV. Über die Hinweispflichten der Registerbehörde an Gerichte u. Behörden s. § 22. 21 In das Führungszeugnis werden Einträge aus dem ErzRegister nicht aufgenommen (§ 61 I). Welche Verurteilungen nach JStrafrecht aus dem Zentralregister nicht in das Führungszeugnis aufgenommen werden, bestimmt § 32 II Nr. 2, 3, 4, 7, 8. Vgl. auch Rn 12. 22 Sind im Zentralregister mehrere Verurteilungen eingetragen, so werden alle in das Führungszeugnis aufgenommen, solange eine von ihnen dort aufzunehmen ist (§ 38 I). Die jstrafrechtlichen Verurteilungen nach § 32 II Nr. 2, 3 und 4 werden aber ebenso wenig mitgezogen (§ 38 II Nr. 2) wie alle Eintragungen aus dem ErzReg. (§§ 32 I, 61). Der Generalbundesanwalt kann unter bestimmten Voraussetzungen die Nichtaufnahme von Verurteilungen in das Führungszeugnis anordnen (§ 39). 23 Welchen Gerichten und Behörden unbeschränkt Auskünfte über Eintragungen aus dem Zentralregister, die in ein Führungszeugnis nicht aufgenommen werden, erteilt werden dürfen und die Voraussetzungen hierzu bestimmt § 41. Wenn bei JStrafe der Strafmakel beseitigt ist, wird sie auch diesen Behörden nicht mitgeteilt (§ 41 III; § 100 JGG, Rn 1). Zu ausdrücklichen Auskunftsersuchen nach § 41 III u. IV auch RiStBV Nr. 16 III u. § 101 JGG, Rn 8. 24 Über Tilgung von Verurteilungen nach JStrafrecht s. § 46; über Feststellung und Berechnung der Fristen § 47 (dazu OLG Hamburg MDR 77, 162); zur Anordnung der Tilgung in bes. Fällen §§ 48, 49. 25 Ist die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder ist sie zu tilgen, dürfen Tat und Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden (§ 51 I; BGH B NStZ 84, 448; BGH StV 90, 348; BGH B NStZ-RR 01, 327), über Ausnahmen § 52. § 51 I verbietet auch die strafschärfende Erwägung, dass der Vollzug der von dem Verwertungsverbot betroffenen Strafe nicht ausreichte, um den Täter von weiteren Straftaten abzuhalten, und erstreckt sich auch auf Umstände, die eng mit der nicht verwertbaren Tat zusammenhängen, z. B. hohe Rückfallgeschwindigkeit (BGH NStZ 06, 587). Zu den Grenzen des Verwertungsverbots OLG Frankfurt NJW 76, 1410; zur indiziellen Verwertung einer getilgten Vortat BGH 27, 108. Zu § 52 OLG Düsseldorf VRS Bd. 54 (78), 50. Vgl. auch Rn 10. 26 Der Verurteilte darf sich als unbestraft bezeichnen und braucht den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht zu offenbaren, wenn die Verurteilung nicht im Register einzutragen, nicht in das Führungszeugnis aufzunehmen oder zu tilgen ist (§ 53 I). Soweit Gerichte und Behörden ein Recht auf unbeschränkte Auskunft haben, kann er aus § 53 I ihnen gegenüber keine Rechte herleiten, falls er hierüber belehrt wird (§ 53 II). Siehe auch Rn 11. 4.
Akteneinsicht
27 Während des Verfahrens haben die Verfolgungsbehörden (unbeschränkt nur die StA) und der Verteidiger des Beschuldigten Akteneinsicht (§ 147 I StPO). Dem Verteidiger kann sie aber vom StA versagt werden, wenn er den Abschluss der Ermittlungen noch nicht in den Akten vermerkt hat (§ 169 a StPO) und der Untersuchungszweck gefährdet sein könnte (§ 147 II StPO; vgl. auch Rn 27 b u. 31). 27 a Diese Grundsätze gelten auch für den Beistand des J (vgl. § 69 JGG, 8). Die Ablehnung der Akteneinsicht ist nicht nach §§ 23 ff EGGVG überprüfbar (Rn 27 b aE). Zum Strafregisterauszug Rn 31.
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Der Beschuldigte (Angeklagte) selbst kann Akteneinsicht nicht beanspruchen (KG JR 65, 69; 27 b Meyer-Goßner § 147 StPO 3). Hat er keinen Verteidiger, sind ihm aber nach § 147 VII 1 StPO auf Antrag Auskünfte und Abschriften aus den Akten zu erteilen, soweit dies zu einer angemessenen Verteidigung erforderlich ist, der Untersuchungszweck, auch in einem anderen Strafverfahren, nicht gefährdet werden kann und nicht überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstehen (vgl. auch BVerfG NJW 57, 513 u. 84, 1451). Spätestens mit Beginn seiner Vernehmung zur Sache müssen dem Beschuldigten die Verdachtsgründe mitgeteilt werden, um ihm Gelegenheit zu geben, sie auszuräumen (BVerfG MDR 84, 284). Der Informationsvorsprung der Staatsanwaltschaft rechtfertigt sich aus den Erfordernissen einer wirksamen und funktionstüchtigen Strafrechtspflege (BVerfG aaO). Dies kann auch bei Abwägung der Gründe für Gewährung von Akteneinsicht durch den Verteidiger (§ 147 II StPO) zu berücksichtigen sein. Gegen die Versagung der Akteneinsicht kann in den Fällen des § 147 V 2 StPO gerichtliche Entscheidung beantragt werden. Im Übrigen ist nach hM die Versagung der Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren eine Prozesshandlung, die im Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG nicht überprüft werden kann (OLG Hamburg MDR 84, 514). Nach OLG Frankfurt (MDR 89, 934) ist die Versagung ein Justizverwaltungsakt, Überprüfung nach §§ 23 ff EGGVG aber gleichwohl unzulässig, weil der durch die StPO gewährte Rechtsschutz ausreicht, es sei denn, die StA habe objektiv willkürlich gehandelt. Werden Auskünfte an den nicht verteidigten Beschuldigten abgelehnt, gilt nach § 147 VII 2 StPO die Vorschrift des § 147 V 2 StPO über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung entsprechend. Vgl. auch § 70 JGG, 11. Rechtsgrundlagen für die Erteilung von Auskünften und die Gewährung von Akteneinsicht an 27 c nicht am Verfahren Beteiligte enthalten die durch das JuMiG und das StrafverfahrensänderungsG 1999 (§ 70 JGG, 3) geschaffenen §§ 474 ff StPO, 12 ff EGGVG. Nach § 475 StPO sind Privatpersonen Auskünfte zu erteilen und ist Rechtsanwälten ggf. Akteneinsicht zu gewähren, soweit sie hierfür ein berechtigtes Interesse darlegen. Nach § 475 I 2 StPO sind Auskünfte zu versagen, wenn der hiervon Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an der Versagung hat. Diese Vorschrift ermöglicht es, bei der Entscheidung über die Datenübermittlung den Persönlichkeitsrechten der J und Hw. und dem Erzgedanken des JGG angemessen Rechnung zu tragen. Gerichte, Staatsanwaltschaften und andere Justizbehörden enthalten nach § 474 I StPO Akten- 27 d einsicht, wenn dies für Zwecke der Rechtspflege erforderlich ist. Die Informationsübermittlung von Amts wegen für Zwecke der Strafverfolgung, der Vollstreckung von Strafen, Maßnahmen, Erziehungsmaßregeln und Zuchtmitteln, den Vollzug von freiheitsentziehenden Maßnahmen und Entscheidungen in Straf-, Bußgeld- und Gnadensachen ist in § 479 StPO geregelt. Für die Übermittlung personenbezogener Daten an andere öffentliche Stellen enthalten die §§ 474 II, 476, 480 ff StPO und 12 ff EGGVG Rechtsgrundlagen. Einschränkungen der Zulässigkeit der Informationsübermittlung, die auch die Berücksichti- 27 e gung der Schutzinteressen J und Hw. ermöglichen, enthalten die §§ 477 II, III StPO und 13 II EGGVG. So darf nach § 477 III StPO in Verfahren mit Freispruch, Ablehnung der Eröffnung, Einstellung oder einer Verurteilung, die nicht in ein Führungszeugnis für Behörden aufgenommen wird (Rn 12) und bei der seit Rechtskraft mehr als 2 Jahre verstrichen sind, Auskunft an nicht öffentliche Stellen nur unter engen Voraussetzungen erteilt werden. Das dem Rechtsanwalt gewährte bes. Akteneinsichtsrecht für den Verletzten nach § 406 e StPO 27 f besteht auch im JStrafverfahren (Dölling in Weisser Ring, Hrsg., Täterrechte – Opferrechte, 1996 S. 76; KMR/Stöckel Vor § 406 d StPO 7; Löwe/Rosenberg/Hilger Vor § 406 d StPO 6; Stock MKrim. 87, 358; Kondziela Opferrecht im JStrafverfahren, 1991 S. 159; aA wohl Eisenberg § 2, 33; Schaffstein/Beulke S. 275). Wenn schutzwürdige Interessen des J entgegenstehen – und das kann in Anbetracht der umfangreichen Persönlichkeitsermittlungen leicht der Fall sein und muss jedenfalls stets vor der Entscheidung sorgfältig geprüft werden –, kann Akteneinsicht nach § 406 e II 1 StPO versagt oder entsprechend eingeschränkt werden. Es können also auch Aktenstücke vor der Ein-
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sichtnahme entfernt werden, insbes. auch die Auskunft aus dem BZRG (vgl. RiStBV 16 II 2). Ob im Einzelfall eine andere Entscheidung geboten sein kann, mag dahingestellt sein, der Sinngehalt des JGG jedenfalls spricht für die J. § 406 e I 2 StPO, nach dem es in den in § 395 StPO genannten Fällen der Darlegung eines berechtigten Interesses für die Akteneinsicht nicht bedarf, ist im Verfahren gegen J nur in den Fällen anwendbar, in denen die Nebenklage nach § 80 III zulässig ist (Löwe/Rosenberg/Hilger aaO). Für den Verteidiger gelten Rn 27 u. 31. Auf Mitnahme der Akten hat der Rechtsanwalt keinen Anspruch (Meyer-Goßner § 406 e StPO 8). Als Bestandteil der Akten ist auch der JGH-Bericht zugänglich (vgl. § 38 JGG, 13), diesen von der Einsicht auszunehmen, liegt aber im Interesse des J und beeinträchtigt die Interessen des Verletzten idR nicht. 5.
Dateiregelungen
28 Nach den durch das StrafverfahrensänderungsG 1999 (§ 70 JGG, 3) eingeführten §§ 483 ff StPO können die Justizbehörden Dateien für Zwecke des Strafverfahrens und der Vorgangsverwaltung, die Strafverfolgungsbehörden auch für Zwecke künftiger Strafverfahren errichten und nutzen. Für am 1. 11. 2000 bestehende Dateien enthält § 9 EGStPO eine Übergangsregelung. Damit ist ua eine Rechtsgrundlage für die EDV-geführten Dateien der örtlichen Staatsanwaltschaft (Zentrale Namenskartei, Js- und UJs-Register, Vorgangsverwaltung in der Hauptregistratur) geschaffen. 29 Die Zentrale Namenskartei und die anderen genannten Register sind ua Hilfsmittel für die Aktenführung. Sie vermitteln lediglich Hinweise, ersetzen nicht die Auskunft aus dem Bundeszentralregister bzw. ErzRegister oder die Einsicht in die einschlägigen Beiakten und dienen nicht als Grundlage für eine Entscheidung. Nach § 487 I StPO dürfen die in den Dateien nach §§ 483 bis 485 StPO (Rn 28) gespeicherten Dateien den zuständigen Stellen übermittelt werden, soweit dies für die in diesen Vorschriften genannten Zwecke, für Zwecke eines Gnadenverfahrens oder der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen erforderlich ist. Die Auskunftserteilung an Dritte richtet sich gem. § 487 II StPO nach den Vorschriften der StPO über Akteneinsicht und Auskunft aus den Akten (Rn 27 c ff). 30 Für die Datenweitergabe nach § 487 I StPO lässt § 488 StPO die automatisierte Datenübermittlung zu. Die Berichtigung, Sperrung und Löschung gespeicherter Daten ist in § 489 StPO geregelt. Zum Auskunftanspruch des Betroffenen vgl. § 491 StPO. 31 Entgegen LG Hildesheim (NStZ 83, 88) hat der Verteidiger das Recht auf Einsicht in den bei den Akten befindlichen Strafregisterauszug (ausdrücklich BVerfG NJW 83, 1046). Dem stehen weder Grundsätze des Datenschutzes entgegen (Schmid abl. Anm. zu LG Hildesheim in NStZ 83, 89) noch die vertrauliche Behandlung der Auskünfte nach § 44 BZRG (BVerfG aaO). Ebenso nach dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit OLG Frankfurt NJW 60, 1731; Löwe/Rosenberg/ Lüderssen/Jahn § 147 StPO 74). 6.
Länderübergreifendes staatsanwaltliches Verfahrensregister
31 a Die Regelungen über das durch das VerbrechensbekämpfungsG von 1994 eingeführte Länderübergreifende staatsanwaltliche Verfahrensregister (dazu Lemke BewH 99, 135) befinden sich nach dem StrafverfahrensänderungsG 1999 in den §§ 492–495 StPO. In das Register sind ua die Personendaten des Beschuldigten, die Einleitung und die Erledigung des Verfahrens einzutragen; Auskünfte dürfen grds. nur Strafverfolgungsbehörden für Zwecke eines Strafverfahrens erteilt werden (§ 492 StPO). Ergibt sich aus dem Bundeszentralregister, dass eine nach § 20 BZRG mitteilungspflichtige Entscheidung ergangen ist, sind die Daten im Verfahrensregister zu löschen (§ 494 II Nr. 2 StPO). Das Verfahrensregister ist also dem Bundeszentralregister vorgelagert. In das Verfahrensregister sind auch Verfahren gegen J und Hw. einzutragen. Zwar mag dies
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Beseitigung des Strafmakels durch Richterspruch
§ 97
in manchen Fällen unverhältnismäßig erscheinen. Die Anwendbarkeit der §§ 474 ff StPO folgt aber aus § 2 II JGG. Landesinterne Register bleiben von den Regelungen über das länderübergreifende Register unberührt (König/Seitz NStZ 95, 5). 7.
Datenschutz nach dem SGB VIII
Zur Problematik des Datenschutzes nach dem SGB VIII, bes. im Verhältnis zu den Aufgaben der 32 JGH, § 38 JGG, 19 b.
§ 97 Beseitigung des Strafmakels durch Richterspruch § 97 Beseitigung des Strafmakels durch Richterspruch (1) Hat der Jugendrichter die Überzeugung erlangt, dass sich ein zu Jugendstrafe verurteilter Jugendlicher durch einwandfreie Führung als rechtschaffener Mensch erwiesen hat, so erklärt er von Amts wegen oder auf Antrag des Verurteilten, des Erziehungsberechtigten oder des gesetzlichen Vertreters den Strafmakel als beseitigt. Dies kann auch auf Antrag des Staatsanwalts oder, wenn der Verurteilte im Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährig ist, auf Antrag des Vertreters der Jugendgerichtshilfe geschehen. Die Erklärung ist unzulässig, wenn es sich um eine Verurteilung nach den §§ 174 bis 180 oder 182 des Strafgesetzbuches handelt. (2) Die Anordnung kann erst zwei Jahre nach Verbüßung oder Erlaß der Strafe ergehen, es sei denn, dass der Verurteilte sich der Beseitigung des Strafmakels besonders würdig gezeigt hat. Während des Vollzugs oder während einer Bewährungszeit ist die Anordnung unzulässig. 1. Hw.-JRecht: § 111. – 2. ErwG: § 104, 1. Richtlinien zu § 97: 1. Wird wegen einer Jugendstrafe eine Vergünstigung nach §§ 39, 49 BZRG erbeten, so ist das Gesuch in der Regel zunächst dem nach § 98 zuständigen Jugendgericht vorzulegen, damit dieses prüfen kann, ob die Beseitigung des Strafmakels durch Richterspruch angebracht ist. Wird der Strafmakel als beseitigt erklärt, so ist dem Verurteilten zu eröffnen, dass sein Gesuch als damit erledigt angesehen wird. 2. Wegen der Eintragung der Entscheidung nach § 97 in das Zentralregister wird auf § 13 Abs. 1 Nr. 5 BZRG hingewiesen.
Nach § 32 II Nr. 2, 3 BZRG werden Eintragungen im Zentralregister über eine Verurteilung nach 1 § 27 und über Verurteilungen zu nicht mehr als 2 Jahren JStrafe, bei der die Vollstreckung der Strafe oder eines Strafrestes zur Bew. ausgesetzt oder nach § 35 BtMG zurückgestellt und diese Entscheidung nicht widerrufen worden ist, nicht in das Führungszeugnis aufgenommen. Dies entspricht den Wirkungen der früheren „Anordnung der beschränkten Auskunft aus dem Strafregister“ und nicht voll den Wirkungen der Beseitigung des Strafmakels (Rn 10–14 u. § 100, 1). Deshalb konnte § 96, I, II aF entfallen, § 96 III 1 aF wurde inhaltlich in § 100 übernommen. Nach § 97 I beseitigt der Richter auch in den von § 100 nicht erfassten Fällen bei J und Hw., die 2 zu JStrafe verurteilt sind, den Strafmakel durch unabhängige jrichterliche Entscheidung (§§ 98 f), wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Über die starren Fristen des BZRG hinaus können so die bes. Situation junger Menschen berücksichtigt, die Rehabilitation erleichtert, die Fernwirkungen der Strafe beseitigt (entwicklungsbedingte Tat, Gefährdung der Berufsausbildung; Vorb. Rn 3 u. Einf. I 28, 34) und ein bes. Anreiz zu einwandfreier Führung gegeben werden. Bei folgenden Voraussetzungen muss (Abs. I: „erklärt . . . als beseitigt“) die Beseitigung des Strafmakels angeordnet werden:
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3 Verurteilung des J oder Hw. (§ 111) auch durch ein ErwGericht (§ 104, 1) zu JStrafe von mehr als 2 Jahren oder zu voll zu verbüßender JStrafe bis zu 2 Jahren (sonst § 100). Neben der JStrafe angeordnete ErzMaßregeln, Zuchtmittel, Nebenstrafen, Nebenfolgen oder Maßregeln der Besserung und Sicherung hindern die Beseitigung des Strafmakels nicht (Dallinger/Lackner 6; Eisenberg 10; DSS/Schoreit 4). Die Erklärung ist jedoch nach dem durch das G zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten v. 26. 1. 1998 eingefügten Abs. I 3 unzulässig, wenn es sich um eine Verurteilung nach den §§ 174 bis 180 oder 182 StGB handelt (krit. dazu Eisenberg 4; Dessecker StV 99, 683; zust. DSS/Schoreit 8). 4 Die Eintragung darf noch nicht getilgt oder tilgungsreif sein, denn die schon eingetretene Wirkung braucht und kann nicht noch einmal herbeigeführt werden. Der Verurteilte muss also noch leben, da Eintragungen über Tote aus dem Zentralregister entfernt werden (§ 24 I BZRG). 5 Die JStrafe muss verbüßt, endgültig erlassen oder amnestiert sein. Läuft noch eine BewZeit (auch im Gnadenweg), ist die Beseitigung des Strafmakels ebenso ausgeschlossen wie während Strafunterbrechung, -aufschub oder gar während des Vollzugs (Abs. II 2). Eine laufende Bew. in anderer Sache hindert nicht die Beseitigung des Strafmakels für eine vorgehende Strafe, deren Bew. abgelaufen ist (AG Höxter B NStZ 88, 493; vgl. auch Hohendorf UJ 88, 132), wird aber zu ernster Prüfung Anlass geben (Rn 7). 6 Grds. müssen 2 Jahre (Abs. II 1) seit vollständiger Verbüßung oder Erlass, also seit Zustellung des Beschlusses nach § 26 a (Dallinger/Lackner 13; Eisenberg 8; aA Ostendorf 5 u. DSS/Schoreit 10 „Zeitpunkt der Beschlussfassung“), Ausspruch des Gnadenerweises, Inkrafttreten des Amnestiegesetzes, abgelaufen sein. Ausnahmen sind bei außergewöhnlichen Leistungen möglich, wenn diese ohne die sonst notwendige längere Beobachtung des J ein Abrücken des Täters von seiner früheren Einstellung deutlich zeigen. 7 Rechtschaffenheit (Dallinger/Lackner 8–10; kritisch dazu Eisenberg 11, § 5, 4), bewiesen durch einwandfreie Führung (Abs. I 1). Straffreies Verhalten genügt nicht (so aber Ostendorf 7); gefordert wird eine positiv betätigte, die Rechtsordnung bejahende Gesinnung (Dallinger/Lackner 8), z. B. Verhalten und Leistungen in Beruf, Familie, Nachbarschaft, bei Unglücksfällen oder für die Allgemeinheit. Für die Bejahung oder Verneinung dieser Voraussetzung müssen bestimmte Tatsachen angeführt werden (Eisenberg 13). 8 Grds. Antrag (Abs. I) des Verurteilten oder des gesetzlichen Vertreters oder ErzBerechtigten eines J. Denn diese können am besten beurteilen, ob der Strafvermerk nachteilig ist; überdies kann das die Vorgänge wieder aufwühlende Verfahren uU mehr schaden als nützen. – JStA und JGH sollten deshalb nur in Ausnahmefällen und nur nach Anhörung des Verurteilten und seiner Angehörigen ihr Antragsrecht ausüben. Gleiches gilt für die Einleitung eines Verfahrens von Amts wegen durch das Gericht (Dallinger/Lackner 17; Potrykus B 3; Eisenberg 5; DSS/Schoreit 5; aA Ostendorf 8). – Gesetzlicher Vertreter, ErzBerechtigter und JGH können den Antrag nur bei noch Minderjährigen stellen (§ 67, 18 u. § 97 I 2). Im Übrigen ist das Alter des Verurteilten im Zeitpunkt des Verfahrens ohne Bedeutung. – Wegen Wiederholung eines abgewiesenen Antrags § 99, 1 aE; wegen Behandlung eines Antrags nach §§ 39, 49 BZRG RL 1. 9 Die Anordnung der Beseitigung des Strafmakels ist dem Zentralregister mitzuteilen (§§ 13 I Nr. 5, 20 BZRG; RL II Nr. 4 zu §§ 82–85). § 22 BZRG ist nicht entsprechend anwendbar (Eisenberg 13; Ostendorf 11). 10 Die Anordnung der Beseitigung des Strafmakels bewirkt: Die Verurteilung bleibt zwar im Zentralregister vermerkt, wird aber nicht mehr in das Führungszeugnis aufgenommen (= beschränkte Auskunft, § 32 II Nr. 4 BZRG). Dies gilt auch, wenn von anderen eingetragenen oder später noch einzutragenden Verurteilungen eine in das Führungszeugnis aufzunehmen ist (§ 38 II Nr. 2 BZRG), sie wird also nicht „mitgezogen“.
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Verfahren
§ 98
Die Verurteilung wird nur noch den Strafgerichten und Staatsanwaltschaften für ein Straf- 11 verfahren gegen den Betroffenen mitgeteilt (§ 41 III BZRG), aber nicht den in § 41 I BZRG aufgezählten Behörden. Um diese Auskunft muss ausdrücklich und mit dem Hinweis, dass es zum Zwecke der Strafverfolgung geschieht, ersucht und sie darf nur für diesen Zweck verwertet werden (§ 41 IV BZRG). Diese Auskunftsbefugnisse sollten zurückhaltend und keinesfalls bei unbedeutenden Strafverfahren ausgeübt werden; vgl. aber Rn 13 u. § 101, 6. Auf Eintragungen, die nicht in ein Führungszeugnis aufzunehmen sind, muss die Registerbehörde bes. hinweisen (§ 41 V BZRG). Der Verurteilte darf sich als unbestraft bezeichnen und braucht den der Verurteilung zugrunde 12 liegenden Sachverhalt nicht mehr zu offenbaren (§ 53 I Nr. 1 BZRG), dies gilt aber nicht gegenüber Staatsanwaltschaften und Gerichten, falls er hierüber belehrt wird (§ 53 II BZRG). Vor § 97, 11 u. 26. Ein in anderer Sache entscheidender Richter ist nicht gehindert, die entsprechende Verurteilung im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen (BGH H MDR 82, 972; Ostendorf 12; Bedenken Eisenberg § 101, 3 aE). Die Tilgungsfrist beträgt 5 Jahre (§ 46 I Nr. 1 f BZRG). Für Feststellung und Berechnung der Frist 13 gelten § 47 I und für deren Ablaufhemmung § 47 II, III BZRG. Die Beseitigung des Strafmakels beschränkt nicht das aus § 47 III 1 BZRG folgende Tilgungsverbot (BGH NStZ-RR 09, 291). Die Beseitigung des Strafmakels kann widerrufen werden (s. § 101).
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§ 98 Verfahren § 98 Verfahren (1) Zuständig ist der Jugendrichter des Amtsgerichts, dem die familiengerichtlichen Erziehungsaufgaben für den Verurteilten obliegen. Ist der Verurteilte volljährig, so ist der Jugendrichter zuständig, in dessen Bezirk der Verurteilte seinen Wohnsitz hat. (2) Der Jugendrichter beauftragt mit den Ermittlungen über die Führung des Verurteilten und dessen Bewährung vorzugsweise die Stelle, die den Verurteilten nach der Verbüßung der Strafe betreut hat. Er kann eigene Ermittlungen anstellen. Er hört den Verurteilten und, wenn dieser minderjährig ist, den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertreter, ferner die Schule und die zuständige Verwaltungsbehörde. (3) Nach Abschluss der Ermittlungen ist der Staatsanwalt zu hören. 1. Hw.-JRecht: Abs. I S. 2; Rn 2; § 111. – 2. ErwG: § 104, 1. Richtlinien zu § 98: 1. In dem Verfahren zur Beseitigung des Strafmakels empfiehlt es sich in der Regel, außer den Strafakten und den Vollstreckungsvorgängen die Personalakten der Vollzugsanstalt heranzuziehen. 2. Bei der Erteilung von Ermittlungsaufträgen empfiehlt es sich, die beauftragte Stelle auf die Notwendigkeit schonender Durchführung der Ermittlungen hinzuweisen. Es muss vermieden werden, dass die Verurteilung Personen bekannt wird, die bisher darüber nicht unterrichtet waren.
Die Verfahrensvorschriften der §§ 98, 99 beziehen sich nur auf die Beseitigung des Strafma- 1 kels durch Richterspruch nach § 97. Dies ergibt sich schon aus der allgemeinen Fassung der Überschrift des Vierten Hauptstückes und daraus, dass der Gesetzgeber die Beseitigung des Strafmakels nach Erlass einer Strafe als § 100 nach diesen Vorschriften eingefügt hat. Da der Richter bei der Entscheidung nach § 100 keinen Ermessensspielraum hat, bedarf es weder bes. Ermittlungen noch der Anfechtbarkeit (§ 100, 5).
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§ 99
2. Teil. Jugendliche
2 Zuständig (Abs. I) ist immer der JRichter. Örtlich zuständig ist für J der JRichter des AG, dem die familiengerichtlichen ErzAufgaben für diesen obliegen (Abs. I 1; § 152 FamFG), für den (volljährigen) Hw. – zZ des Eingangs des Antrags bei Gericht oder der Einleitung des Amtsverfahrens – der JRichter, in dessen Bezirk jener seinen Wohnsitz hat (Abs. I 2; Eisenberg 3; Ostendorf 3). 3 Herr der Ermittlungen ist der JRichter (Abs. II 2). Im Hinblick auf die erforderliche eingehende Aufklärung der persönlichen Verhältnisse (§ 97, 7) sind gründliche Ermittlungen geboten; der JRichter hat aber alles zu tun, um eine schonende Durchführung sicherzustellen (RL 2 u. § 97, 8). 4 Der JRichter wird zunächst durch Aktenbeiziehung (RL 1) und Anhörung des Verurteilten, ggf. der gesetzlichen Vertreter oder ErzBerechtigten, feststellen, wie weit bes. Ermittlungen nötig sind. Sind sie nicht zu vermeiden, ist grds. die JGH (§ 38 II 9) oder der BewHelfer mit der Durchführung unter Hinweis auf bes. schonende Handhabung (RL 2) und regelmäßig mit einem bestimmten Ermittlungsauftrag einzusetzen (Abs. II 1). 5 Weiter sind stets die vom Verurteilten zZ besuchte öffentliche Schule unter Hinweis auf Wesen und Sinn dieses Verfahrens und die nach Landesrecht zuständige untere Verwaltungsbehörde (grds. Landkreis) zu hören; falls noch nicht geschehen, auch der Verurteilte, gesetzliche Vertreter und ErzBerechtigte (Abs. II 3). Auch JGH, Familiengericht, Vollstreckungsleiter, JAmt, Polizei können ggf. gehört werden. Ostendorf 5 regt an, der Schule den Grund der Anfrage nicht mitzuteilen. Gerade das aber fordert falsche Schlüsse heraus. Vorsicht aber bleibt geboten (näher § 70, 7). 6 Das Verfahren kennt keine mündliche Verhandlung. Doch ist zur Aufklärung mündliche Anhörung möglich und beim Verurteilten meist zweckmäßig. 7 Erst nach Abschluss aller Ermittlungen werden die Akten dem für das Gericht zuständigen JStA zur Stellungnahme zugeleitet (Abs. III); dieser stellt einen bestimmten Antrag.
§ 99 Entscheidung § 99 Entscheidung (1) Der Jugendrichter entscheidet durch Beschluß. (2) Hält er die Voraussetzungen für eine Beseitigung des Strafmakels noch nicht für gegeben, so kann er die Entscheidung um höchstens zwei Jahre aufschieben. (3) Gegen den Beschluß ist sofortige Beschwerde zulässig. 1. Hw.-JRecht: § 111. – 2. ErwG: § 104, 1. 1 § 99 gilt nur für die Beseitigung des Strafmakels nach § 97 (näher § 98, 1). Der Beschluss kann einen dreifachen Inhalt haben. Entweder er erklärt (1) den Strafmakel für beseitigt, wenn die Voraussetzungen vorliegen (§ 97, 2), oder (2) er schiebt die Entscheidung gem. Abs. II auf, wenn nur die zeitlichen Voraussetzungen (§ 97, 5, 6) nicht gegeben sind oder wenn für das Urteil „rechtschaffener Mensch“ (§ 97, 7) noch weiterer Beweis erforderlich erscheint. Nach Ablauf der gem. Abs. II gesetzten Frist muss das Verfahren fortgesetzt und durch Beschluss abgeschlossen werden. Eine Einstellung (Rn 2) ist ausgeschlossen (Eisenberg 5; Ostendorf 1, 4; Dallinger/Lackner 6); eine weitere aufschiebende Entscheidung ist nur möglich, wenn der Aufschub insgesamt 2 Jahre nicht übersteigt (Eisenberg 5; Ostendorf 1; aA Dallinger/Lackner 6). Oder (3) der JRichter weist den Antrag als unbegründet (oder ggf. als unzulässig) zurück, wenn eine positive Entscheidung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist. Für einen neuen Antrag müssen neue Tatsachen vorliegen (Rechtskraft; Eisenberg 3; aA Ostendorf 3).
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Beseitigung des Strafmakels
§ 100
Ein von Amts wegen eingeleitetes Verfahren wird bei Zurückweisung des Antrags durch eine 2 Verfügung formlos eingestellt. Zwar ist auch ein feststellender Beschluss dahin möglich, dass die Voraussetzungen nicht vorliegen, doch im Amtsverfahren grds. nicht angebracht (Eisenberg 7; aA Ostendorf 1). Einem Antrag allerdings muss auch ein Beschluss gegenüberstehen. Der Beschluss ist zu begründen (§ 34 StPO) und gem. §§ 35 II, 41 StPO, 67 II JGG mit Rechtsmit- 3 telbelehrung (§ 35 a StPO) zuzustellen. Wegen Mitteilung des rechtskräftigen Beseitigungsbeschlusses an das Zentralregister § 97, 9. 4
Die Einstellungsverfügung (Rn 2) ist nur mitzuteilen (§ 35 II StPO).
Gegen jeden Beschluss ist die sofortige Beschwerde (Abs. III, § 311 StPO) zur JKammer gege- 5 ben, die in vollem Umfang nachprüft. Weitere Beschwerde ist nicht zulässig (§ 310 StPO). Die Einstellungsverfügung kann nicht angefochten werden; sie hindert einen neuerlichen Antrag nach § 97 I nicht. Beschwerdeberechtigt sind der Verurteilte, bei J auch der gesetzliche Vertreter oder ErzBerech- 6 tigte, ggf. ein Verteidiger; der Antragsteller bei Ablehnung der Beseitigung oder Aufschub, der JStA immer, außer wenn auf seinen Antrag die Beseitigung angeordnet wurde (hier keine Beschwerde; hätte Antrag zurücknehmen können). Kosten und Auslagen werden nicht erhoben. Die §§ 464 ff StPO umfassen dieses Verfahren 7 nicht, eine ausdrückliche gesetzliche Kostentragungspflicht fehlt (Eisenberg 11; Ostendorf 5).
§ 100 Beseitigung des Strafmakels nach Erlaß einer Strafe oder eines Strafrestes § 100 Beseitigung des Strafmakels Wird die Strafe oder ein Strafrest bei Verurteilung zu nicht mehr als zwei Jahren Jugendstrafe nach Aussetzung zur Bewährung erlassen, so erklärt der Richter zugleich den Strafmakel als beseitigt. Dies gilt nicht, wenn es sich um eine Verurteilung nach den §§ 174 bis 180 oder 182 des Strafgesetzbuches handelt. 1. Hw.-JRecht: § 111. – 2. ErwG: § 104, 1. Richtlinie zu § 100: Wegen der Eintragung in das Zentralregister wird auf § 13 Abs. 1 Nr. 5 BZRG hingewiesen.
Die Einfügung des § 100 war aus folgenden Gründen erforderlich: In das Führungszeugnis werden 1 zwar gleichermaßen nicht aufgenommen der Schuldspruch nach § 27, Verurteilungen zu JStrafe von nicht mehr als zwei Jahren, wenn die Vollstreckung der Strafe oder eines Strafrestes zur Bew. ausgesetzt und diese Entscheidung nicht widerrufen worden ist, und JStrafe, wenn der Strafmakel beseitigt und die Beseitigung nicht widerrufen ist (§ 32 II Nr. 2–4 BZRG). Von Eintragungen, die in das Führungszeugnis nicht aufgenommen werden, wird aber nach § 41 I Nr. 1–10 BZRG neben Gerichten und StA für Zwecke der Rechtspflege auch weiteren (in Nr. 1–10 aufgeführten) Behörden Kenntnis gegeben. Über Verurteilungen zur JStrafe, bei welcher der Strafmakel beseitigt ist, wird jedoch nur den Strafgerichten und Staatsanwaltschaften für ein Strafverfahren gegen den Betroffenen Auskunft erteilt (§ 41 III BZRG). Dies ist ein weiterer, resozialisationsfördernder Schutz für den Verurteilten, der nur nach Beseitigung des Strafmakels eintritt und lediglich vordringliche Zwecke der JKriminalrechtspflege berücksichtigt. Dazu insbes. § 97, 11. Bei Verurteilung zu nicht mehr als 2 Jahren JStrafe soll der Verurteilte also, wenn diese oder 2 ein Strafrest derselben zur Bew. ausgesetzt war, nach Erlass der Strafe durch Beseitigung des
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§ 101
2. Teil. Jugendliche
Strafmakels besser gestellt sein und ihm, der sich ja schon bewährt hat, weiteres rechtschaffenes Leben erleichtert werden. Der Strafmakel darf jedoch nach den durch das G zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten eingefügten S. 2 nicht als beseitigt erklärt werden, wenn es sich um eine Verurteilung nach den §§ 174 bis 180 oder 182 StGB handelt (krit. Eisenberg 2). 3 Erlässt der Richter diese Strafe oder einen Strafrest derselben, muss (kein Ermessensspielraum) er zugleich den Strafmakel als beseitigt erklären. Diese Erklärung ist eine jrichterliche Entscheidung. 4 Zuständig für die Entscheidung ist das nach §§ 57, 58 III zuständige Gericht, welches die Aussetzung angeordnet hatte, möglicherweise nach Vorentscheidungen gem. § 88 der Vollstreckungsleiter (§ 57, 8; § 58, 5, 6; § 88, 17). Dass die Zuständigkeitsregelung des § 98 I nicht eingreifen kann, ergibt sich aus der allg. Fassung der Überschrift des Vierten Hauptstückes, aus der Einfügung der Regelung des früheren § 96 III als § 100 nach § 98 und schließlich auch daraus, dass mit dem Erlass der Strafe „zugleich“, und zwar im gleichen Beschluss, der Strafmakel zu beseitigen ist. 5 Die Entscheidung ergeht zugleich, also in demselben Beschluss wie der Erlass der Strafe. Die Anhörungspflichten fallen mit den beim Straferlass notwendigen zusammen; bes. Ermittlungen bedarf es im Gegensatz zu § 97 nicht, weil der Richter keinen Ermessensspielraum hat. Die Entscheidung nach § 100 ist nicht anfechtbar (§ 59 IV entsprechend); anders als bei §§ 97, 99 III besteht hier kein Bedürfnis für die Möglichkeit einer Anfechtung, weil zugleich mit dem Straferlass der Strafmakel beseitigt werden muss. 6 Wirkung der Beseitigung des Strafmakels Rn 1, § 97, 10–14; § 13 I Nr. 5 BZRG; Widerruf § 101. Beachte bes. § 97, 13.
§ 101 Widerruf § 101 Widerruf Wird der Verurteilte, dessen Strafmakel als beseitigt erklärt worden ist, vor der Tilgung des Vermerks wegen eines Verbrechens oder vorsätzlichen Vergehens erneut zu Freiheitsstrafe verurteilt, so widerruft der Richter in dem Urteil oder nachträglich durch Beschluß die Beseitigung des Strafmakels. In besonderen Fällen kann er von dem Widerruf absehen. 1. Hw.-JRecht: § 111. – 2 ErwG: § 104, 1. Richtlinie zu § 101: Wegen der Eintragung in das Zentralregister wird auf § 13 Abs. 1 Nr. 6 BZRG hingewiesen.
1 Voraussetzung des Widerrufs ist eine erneute Verurteilung wegen eines Verbrechens oder vorsätzlichen Vergehens zu JStrafe oder Freiheitsstrafe. „Freiheitsstrafe“ iSd § 101 ist nicht nur die des StGB; sondern zugleich die JStrafe als einzige Rechtsfolge des JGG mit dem Charakter einer Kriminalstrafe (DSS/Schoreit 2; Ostendorf 2; Bedenken Eisenberg 2). Wenn erneut auf Freiheitsstrafe oder wegen schädlicher Neigungen oder Schwere der Schuld auf JStrafe erkannt werden musste, ist offenbar, dass die Beseitigung des Strafmakels nicht gerechtfertigt war oder nicht mehr ist und letztlich auch die registerliche Sonderbehandlung ihren Sinn verfehlt. In gleichwohl noch denkbaren bes. Fällen hilft S. 2 (Rn 5). 2 Nicht zum Widerruf führen Verurteilungen zu ErzMaßregeln oder Zuchtmitteln und die Aussetzung der Verhängung der JStrafe nach § 27. Letzteres muss deshalb gelten, weil die
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Zuständigkeit
Vor § 102
Aussetzung der Verhängung nicht der Verhängung einer „Freiheitsstrafe“ gleichgesetzt werden kann und diese „bedingte Verurteilung“ gerade auch den Strafmakel ersparen soll. Mit dieser Einschränkung der Widerrufsgründe ist gewährleistet, dass nur ein kriminell gefährdeter Täter bei schwerwiegenden Straftaten die rehabilitationserleichternde registerliche Hilfe verliert. Ein Widerruf aus anderen als den Rn 1 ausgeführten Gründen ist unzulässig (Eisenberg 2). Die neue Verurteilung muss „erneut“, also nach Anordnung der Beseitigung des Strafma- 3 kels, ausgesprochen sein; wann die zugrunde liegende Tat begangen wurde, ist ohne Bedeutung (Eisenberg 3). Der Widerruf unterbleibt, wenn bereits Tilgungsreife (allg. RG 64, 146, 147) eingetreten ist; die 4 Feststellung der Tilgungsreife trifft die Registerbehörde bindend (RG 56, 75). Auch bei Vorliegen der Widerrufsgründe kann in bes. Fällen vom Widerruf abgesehen werden 5 (S. 2). Fälle einer unbilligen Härte sind auch nach Einschränkung der Widerrufsvoraussetzungen noch denkbar, bedürfen aber sorgfältiger Prüfung und Begründung. Absehen vom Widerruf rechtfertigt sich etwa bei einem bes. leichten und andersgearteten vorsätzlichen Vergehen oder wenn der Widerruf das Fortkommen ungerechtfertigt behindern würde und mit der neuen Tat kein schwerwiegender Strafmakel verbunden ist. Zuständig ist das Gericht (auch ErwGericht) des neuen Strafverfahrens (Eisenberg 6; Dallinger/ 6 Lackner 14, 15; Potrykus B 1). Wegen des Auskunftsersuchens an das Zentralregister Vor § 97, 23; es empfiehlt sich ein ausdrückliches Auskunftsersuchen iSd § 41 III und IV BZRG (16 III RiStBV). Zur Frage der Geltung des § 22 BZRG bei Mitteilungen über die Beseitigung des Strafmakels § 97, 9. Die Entscheidung kann im neuen Urteil – der Widerruf im Tenor – getroffen werden; sie kann 7 dann mit den allg. Rechtsmitteln (Berufung, Revision) angefochten werden, und zwar auch beschränkt auf die Widerrufsentscheidung. Sonst wird nachträglich ohne weitere mündliche Verhandlung durch zu begründenden (§ 34 StPO) und gem. §§ 35 II, 41 StPO; 67 II JGG formlos mitzuteilenden Beschluss entschieden, der mit der einfachen Beschwerde (§ 304 StPO) angefochten werden kann (Dallinger/Lackner 14; Eisenberg 8; Ostendorf 7; aA Potrykus B 2: entspr. § 99 III sofortige Beschwerde). Auch der Widerrufsbeschluss muss vor Tilgungsreife ergehen. Der Beschluss darf auch dann nicht unterbleiben, wenn nicht widerrufen werden soll; denn es muss Klarheit herrschen (Eisenberg 8; aA Ostendorf 5: nicht erforderlich). Der Widerruf ist dem Zentralregister mitzuteilen (§ 13 I Nr. 6 BZRG); es entfallen rückwirkend 8 alle Wirkungen der Beseitigung des Strafmakels (Eisenberg 9; Ostendorf 6). Die Verurteilung wird wieder den in § 41 I Nr. 1–10 BZRG aufgeführten Gerichten, StA und Behörden mitgeteilt, bei der Berechnung der Tilgungsfrist bleibt die widerrufene Beseitigung des Strafmakels unberücksichtigt (§ 46 II BZRG). Zuständigkeit
Fünftes Hauptstück Jugendliche vor Gerichten, die für allgemeine Strafsachen zuständig sind Vor § 102 Vor § 102 Verfehlungen J und Hw. (§ 112 S. 1) können nur in bes. Fällen durch die ErwGerichte abgeur- 1 teilt werden, nämlich durch BGH, OLG (§ 102) sowie durch die Staatsschutzkammer oder die Wirtschaftsstrafkammer bei Verbindung mit Verfahren gegen Erw. (§ 103 II 2, 3) oder bei Widerklage gegen den j. oder hw. Privatkläger (§ 80, 6; § 112, 1).
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§ 102
2. Teil. Jugendliche
2 Weitere Ausnahmen gibt es nicht. Wenn also mehrere Taten oder die Einzelakte eines Dauerdelikts teils vor, teils nach Vollendung des 21. Lebensjahres begangen sind, ist bei gemeinsamer Verhandlung immer das JGericht zuständig, ohne dass es darauf ankommt, ob das Schwergewicht bei Taten liegt, die nach JStrafrecht zu beurteilen wären (§ 103, 19; 19 a mwN; BGH 7, 26; 8, 349; 10, 64; 25, 50; BGH B NStZ 83, 450; BGH bei Kusch NStZ 94, 230; BGH StV 03, 454; BayObLG 57, 1; 66, 119; OLG Karlsruhe Justiz 99, 142; Eisenberg § 103, 28 ff, § 107, 5). Allerdings besteht kein Zwang zu gemeinsamer Verhandlung (BGH 10, 101; 18, 238; vgl. aber § 32, 6 a. E.; § 103, 19 u. 19 a; auch § 36, 2 a); sogar nach Verbindung kann das Verfahren dadurch getrennt werden, dass die Revision auf Taten einer bestimmten Altersstufe beschränkt wird (BGH 10, 101). Jedoch darf und kann ein ErwGericht, bei dem mehrere Taten angeklagt sind, die der Täter teils als J oder Hw., teils als Erw. begangen hat, seine Zuständigkeit nicht dadurch begründen, dass es das Verfahren wegen der vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangenen Taten gem. § 154 StPO einstellt, denn dies verstößt gegen die Kompetenz-Kompetenz des JGerichts nach § 209 a Nr. 2 (Drees NStZ 95, 482; aA BGH NStZ 91, 503 mit abl. Anm. Eisenberg/Sieveking NStZ 92, 295; BGH NStZ 96, 244). Ebenso unzulässig ist eine Zuständigkeitsbegründung des ErwGerichts durch Einstellung von Einzelakten einer fortgesetzten Handlung oder eines Dauerdelikts nach § 154 a StPO (BayObLG 66, 199; aA BGH NStZ 05, 650). – Für die Frage, ob Taten in verschiedenen Altersstufen vorliegen, kommt es zunächst auf die Sachlage nach dem Eröffnungsbeschluss an; doch kann der Angeklagte eine Revision nicht darauf stützen, dass das ErwGericht das Verfahren unter Verletzung der oben dargelegten Grundsätze eröffnet hat, wenn das Gericht im Urteil nur Taten als erwiesen ansieht, die er nach Vollendung des 21. Lebensjahres begangen hat (BGH 10, 64). – Auch wenn ein Teil der Taten nach Vollendung des 21. Lebensjahres begangen wurde, gilt die eigene Regelung der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des JGG gem. §§ 39–42, 108. 3 Das Verfahren des allg. Gerichts gegen J und Hw. ist in §§ 104, 112 S. 2 geregelt. – Welche Folgen es hat, wenn ein allg. Gericht ohne gesetzliche Grundlage gegen J oder Hw. tätig wird, ist in § 33, 20 behandelt. 4 Über den umgekehrten Fall, dass Erw. vor JGerichte kommen, § 47 a, 1, 4, 5, 7; § 103, 3 u. das JSchutzverfahren Anh § 125, 4, 5. Zuständigkeit des JStA oder ErwStA § 36, 5 b.
§ 102 Zuständigkeit § 102 Zuständigkeit Die Zuständigkeit des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichts werden durch die Vorschriften dieses Gesetzes nicht berührt. In den zur Zuständigkeit von Oberlandesgerichten im ersten Rechtszug gehörenden Strafsachen (§ 120 Abs. 1 und 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes) entscheidet der Bundesgerichtshof auch über Beschwerden gegen Entscheidungen dieser Oberlandesgerichte, durch welche die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung angeordnet oder abgelehnt wird (§ 59 Abs. 1). 1. Hw.: Rn 2; § 112 S. 1. – 2. ./. 1 Die OLG sind gegen J und Hw. zuständig, soweit sie als Gerichte erster Instanz berufen sind (§ 120 I u. II GVG). Zur Einbeziehung der Urteile dieser Gerichte in eine Einheitsstrafe durch ein JGericht § 41, 41. Zur eng begrenzten Strafverfolgungskompetenz des Bundes nach § 120 II 1 Nr. 3 a GVG bei Katalogtaten rechts- oder linksextremistischer Gewalttäter s. BGH 46, 238 mit Besprechung Schaefer NJW 01, 1621; BGH NJW 02, 1889. Der Umstand, dass die Angeklagten J oder Hw. sind, ist bei der Prüfung der bes. Bedeutung iSv § 120 II GVG zu berücksichtigten (BGH 46, 256). Eisenberg (NStZ 96, 267) hält § 120 I GVG für verfassungsrechtlich bedenklich und eine bes. Bedeutung nach § 120 II GVG in Verfahren gegen J und Hw. in verfassungskonformer
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Verbindung mehrerer Strafsachen
§ 103
Auslegung nur in Ausnahmefällen für gegeben. Auch wenn dem nicht gefolgt wird (vgl. Schoreit NStZ 97, 69), muss die Gefahr gesehen und ihr entgegengewirkt werden, dass bei Verhandlungen vor Erwachsenengerichten die jstrafrechtlichen Gesichtspunkte beeinträchtigt werden können (s. Lempp MKrim. 98, 125). Der BGH ist als Revisionsgericht gegen J und Hw. gem. § 135 I GVG und als Beschwerdegericht gem. § 135 II GVG und § 102 S. 2 zuständig. Die OLG sind gegen J und Hw. als Revisionsgerichte gem. § 121 I Nr. 1 GVG und als Beschwerdegerichte gem. § 120 III, IV, § 121 I Nr. 2 GVG zuständig. Mit dem StVÄG 1979 ist der absolute Vorrang der Staatsschutzkammer in ihrem Zuständig- 2 keitsbereich (§ 74 a GVG) gegenüber den JGerichten entfallen. Auch in Staatsschutzsachen sind die JGerichte nun in vollem Umfange von Anfang an zuständig, wenn nur J und Hw. beschuldigt sind. Werden gleichwohl J und Hw. allein zur Staatsschutzkammer angeklagt, so hat diese das Verfahren vor JRichter oder JSchöffengericht zu eröffnen oder der JKammer zur Übernahme vorzulegen (s. § 41, 19; näher § 103, 6). Sind zu einem Verfahren gegen J (Hw.) aber auch Erw. verbunden, so ist für den Erw. die Staats- 3 schutzkammer zuständig und der Erw. zieht dann auch die J und Hw. vor diese Kammer (§ 103 II 2, 3); der Erw. verschafft der Staatsschutzkammer für die Prüfung der Zuständigkeit auch die Kompetenzkompetenz (§ 103, 6). Das gilt auch für die Wirtschaftsstrafkammer. Da die Staatsschutzkammer oder Wirtschaftsstrafkammer für J und Hw. zuständig ist, wenn ein 4 Erw. die mit seinem Verfahren verbundenen J (Hw.) vor diese ErwKammer mit bes. Zuständigkeit zieht, kann der für dieses Spezialgebiet im Übrigen zuständige StA auch tätig werden, wenn ausnahmsweise J (Hw.) mit Erw. vor der Staatsschutzkammer oder Wirtschaftsstrafkammer angeklagt werden müssen (Ostendorf § 103, 7). Hierdurch werden die bes. Kenntnisse und Erfahrungen dieses StA genutzt. Zwingend ist seine Zuständigkeit jedoch nicht. Die dies anordnende RL 3 zu § 103 ist entfallen. Die Sachen wird daher je nach Lage des Einzelfalls oder der Besetzung der Abteilungen der JStA oder der ErwStA (mit bes. Fachkompetenz und Erfahrung) bearbeiten. Wo angängig, sollte der Vorrang des JStA gewahrt bleiben, zumal über das GVG hinaus die Spezialabteilungen bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten sich häufen. Vgl. auch § 36, 1 a.
§ 103 Verbindung mehrerer Strafsachen § 103 Verbindung mehrerer Strafsachen (1) Strafsachen gegen Jugendliche und Erwachsene können nach den Vorschriften des allgemeinen Verfahrensrechts verbunden werden, wenn es zur Erforschung der Wahrheit oder aus anderen wichtigen Gründen geboten ist. (2) Zuständig ist das Jugendgericht. Dies gilt nicht, wenn die Strafsache gegen Erwachsene nach den allgemeinen Vorschriften einschließlich der Regelung des § 74 e des Gerichtsverfassungsgesetzes zur Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer oder der Strafkammer nach § 74 a des Gerichtsverfassungsgesetzes gehört; in einem solchen Fall sind diese Strafkammern auch für die Strafsache gegen den Jugendlichen zuständig. Für die Prüfung der Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer und der Strafkammer nach § 74 a des Gerichtsverfassungsgesetzes gelten im Falle des Satzes 2 die §§ 6 a, 225 a Abs. 4, § 270 Abs. 1 Satz 2 der Strafprozeßordnung entsprechend; § 209 a der Strafprozeßordnung ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass diese Strafkammern auch gegenüber der Jugendkammer einem Gericht höherer Ordnung gleichstehen. (3) Beschließt der Richter die Trennung der verbundenen Sachen, so erfolgt zugleich Abgabe der abgetrennten Sache an den Richter, der ohne die Verbindung zuständig gewesen wäre. 1. Hw.: RL 3; § 112 S. 1. – 2. ./.
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§ 103
2. Teil. Jugendliche
Richtlinien zu § 103: 1. Die Verbindung von Strafsachen gegen Jugendliche und Erwachsene ist im Allgemeinen nicht zweckmäßig. Sie ist namentlich dann nicht angebracht, wenn der Jugendliche geständig und der Sachverhalt einfach ist oder wenn es sich bei den Erwachsenen um die Eltern des Jugendlichen handelt. 2. Die Staatsanwaltschaft beantragt die Trennung der verbundenen Sachen, sobald sich die gesonderte Bearbeitung als zweckmäßig erweist (z. B. wenn gegen die erwachsenen Beschuldigten in Abwesenheit des Jugendlichen verhandelt und Urteil erlassen worden ist oder wenn der Durchführung des Verfahrens gegen die erwachsenen Beschuldigten für längere Zeit Hindernisse entgegenstehen). 3. § 103 gilt auch im Verfahren gegen Heranwachsende (§ 112 Satz 1). Übersicht 1. Mehrere Taten eines J . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Taten mehrerer J . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verbindung mit Verfahren gegen Erw . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Jrechtliche Voraussetzungen der Verbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verbindung und Trennung durch (bei) Eröffnung des Hauptverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verbindung nach Eröffnung des Hauptverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Trennung nach Eröffnung des Hauptverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Restverfahren nur mit Erw . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Trennung nur bei J . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Zuständigkeit im Instanzenzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Zurückverweisung durch Rechtsmittelgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Verfahren in den verbundenen Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Verbindung von in verschiedenen Altersstufen begangenen Taten bei ein und demselben Täter 14. Straftat und Ordnungswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.
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Rn 1 2 3 8 9 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Mehrere Taten eines J
1 Wegen mehrerer Taten eines J oder Hw. sollte grds. nur ein Verfahren durchgeführt werden (§§ 2–4, 13, 237 StPO; 25 RiStBV; vgl. § 70 S. 2), weil die Einwirkung auf den einen Täter, nicht die Sühne der mehreren Taten im Vordergrund steht (§ 43, 2; §§ 31 ff). Nur so kann der in § 31 I niedergelegte Grundsatz der Einheitsstrafenbildung verwirklicht werden; die Verbindung erfolgt zum höheren Gericht (§§ 2–4, 13 StPO; vgl. RiStBV Nr. 25). Das gilt im Hinblick auf § 32 (§ 32, 6) bes. bei Taten desselben Täters in mehreren Altersstufen, insbes. auch dann, wenn er bei einem Teil der Taten bereits Erw. war (vgl. Vor § 102, 2; bes. Rn 19; auch § 32, 6; 36, 2 a; Eisenberg 32). Für solche Verfahren ist stets ein JGericht zuständig (Rn 19). Betrifft die Verbindung nicht nur die örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit, kann sie nicht durch Vereinbarung der beteiligten Gerichte nach § 13 II StPO, sondern nur durch Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts (§ 4 II StPO) herbeigeführt werden (BGH NStZ 00, 435). Doch zwingt das Gesetz nie zu einer Verbindung; diese und die Trennung stehen im pflichtgemäßen Ermessen der Gerichte (BGH 10, 101; 18, 238; BGH H MDR 77, 639; vgl. Rn 19; für StA § 36, 2 a; für Gericht § 32, 6 u. Vor § 102, 2). Gegen eine sachgemäße Verbindung kann der Angeklagte nicht einwenden, er werde dadurch seinem gesetzlichen Richter entzogen (OLG Nürnberg OLGSt § 13 StPO Nr. 2 S. 1; so aber Fahl NStZ 83, 309 zur Verbindung von Erw. zu J). Bei der Trennung allerdings können im Einzelfall Bedenken erwachsen (näher § 32, 7). 2.
Taten mehrerer J
2 Bei Beteiligung mehrerer J – und/oder – Hw. ist die Verbindung der Verfahren nach allg. Grundsätzen möglich (§§ 2, 4, 13, 237 StPO, Nr. 25 RiStBV). Eine Verbindung innerhalb der Abteilungen eines Gerichts für die Hauptverhandlung kann schon vor Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgen, wenn nur Anklage erhoben ist (§ 237 StPO; BGH 20, 219; 26, 273). Dabei ist es rechtlich nicht von Bedeutung, ob es sich um ein Verfahren 1. Instanz oder ein zurückverwiesenes Verfahren handelt (§§ 328 II; 354 II StPO; BGH 20, 219; vgl. § 41, 36 aE). Die große JKammer
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Verbindung mehrerer Strafsachen
§ 103
kann auch erstinstanzliche und Berufungssachen verbinden (Meyer-Goßner § 237 StPO 4). Einzelnen Angeklagten eines verbundenen Verfahrens kann gestattet werden, sich während einzelner Teile der Verhandlung zu entfernen, wenn sie von diesen Verhandlungsteilen nicht betroffen sind (§ 231 c StPO; vgl. näher BGH NStZ 83, 34 u. BGH 32, 271). Der beurlaubte Angeklagte kann gleichwohl in dieser Sache nicht Zeuge sein (Meyer-Goßner § 237 StPO 8). Es ist aber stets das § 51, 2 Gesagte zu beachten.
3.
Verbindung mit Verfahren gegen Erw
Die Verbindung von Strafsachen gegen J (Hw.) und Erw. ist nicht, wie früher, nach dem Prinzip 3 des Schwergewichts geregelt, sondern mittels des Grundsatzes der Spezialität. Bei Verbindung von J (Hw.) mit ErwSachen sind zu Recht grds. die JGerichte zuständig (§ 103 II 1), es sei denn, es liegen die in Abs. II 2 normierten Ausnahmen vor (Rn 6). Die JGerichte prüfen neben ihrer Zuständigkeit nach §§ 103 II, 39 I 2, 41 I, III, § 209 a StPO; § 74 e GVG auch das Vorliegen der bes. jrechtlichen Voraussetzungen des Abs. I (Rn 8). Abs. II bestimmt auch für den Erw. den gesetzlichen Richter (Revisionsgrund: BGH H MDR 80, 456). Für eine derartige Verbindung durch Anklage an das für zuständig erachtete Gericht ist der 4 JStA berufen (§ 36, 5), was sich daraus herleitet, dass dem JGericht für die Verbindung die Kompetenz-Kompetenz zukommt. Der JStA richtet die Anklage an das JGericht, welches für den J (Hw.) und zugleich für den Erw. zuständig ist (vgl. § 41, 8, 12 u. 14; § 47 a, 2), und verbindet die Verfahren, indem er sie zusammen anhängig macht, da über § 2 II auch § 2 StPO gilt. Zum zuständigen StA, wenn ein Erw. die mit seinem Verfahren verbundenen J (Hw.) mit vor die Staatsschutz- oder Wirtschaftsstrafkammer (Rn 6) zieht, § 102, 4. Da der Erw. einen Anspruch darauf hat, auch bei Verbindung vor ein JGericht zu kommen, das 5 der funktionellen Ordnung des ErwGerichts entspricht, zieht der Erw. die verbundenen J (Hw.) in solchem Falle mit vor ein JGericht höherer Ordnung (§ 33, 7; § 41, 8, 12 u. 14). Würde das mit Sachen gegen J (Hw.) verbundene Verfahren gegen einen Erw. die ErwSchwurgerichtskammer zuständig machen, so geht nach § 41 I Nr. 1 iVm § 74 e Nr. 1 GVG die JKammer vor (§ 41, 10). Während für J und Hw. allein auch im Verhältnis zu den ErwStrafkammern mit gesetzlicher Zu- 6 ständigkeitskonzentration (§ 74 e GVG) stets die JGerichte wegen ihrer bes. Aufgaben zuständig sind, bleiben für einen zum Verfahren verbundenen Erw., dessen Straftat zur bes. Zuständigkeit der Wirtschafts- oder Staatsschutzkammer gehört, stets diese ErwKammern vorrangig zuständig (§ 103 II 2, 3). Er zieht dann die mit seiner Sache verbundenen J (Hw.) mit zu diesen ErwKammern. Insoweit gelten als einzige Ausnahmen die Wirtschafts- und die Staatsschutzkammer der JKammer gegenüber als Gerichte höherer Ordnung iSd § 209 a StPO, § 74 a GVG, sodass in diesem Umfang Nr. 1 des § 209 a StPO der Nr. 2 a dieser Vorschrift vorgeht (§ 103 II 3 HS 2). Hat in solchem Falle der JStA zur JKammer angeklagt, so muss diese, wenn sie anderer Ansicht ist, das verbundene Verfahren der Wirtschaftsstraf- oder Staatsschutzkammer zur Übernahme vorlegen, die auch über die bes. jrechtlichen Verbindungsvoraussetzungen (Rn 8) zu entscheiden hat. Zu den „bes. Kenntnissen“ des Wirtschaftslebens iSd § 74 c I Nr. 6 GVG OLG München JR 80, 77 mit Anm. Rieß. Verneinen im umgekehrten Falle Wirtschaftsstraf- oder Staatsschutzkammer ihre Zuständigkeitsmerkmale, so eröffnen diese das Verfahren vor der JKammer, der gegenüber sie als Gerichte höherer Ordnung gelten (LG Berlin NStZ 82, 203; Löwe/ Rosenberg/Stuckenberg § 209 a StPO 30). Verdrängt aber die Zuständigkeit der Schwurgerichtskammer den Vorrang der Wirtschafts- oder Staatsschutzkammer (§ 74 e GVG), so wird dadurch die JKammer für das Gesamtverfahren zuständig (§ 41 I Nr. 1; § 41, 10, § 112, 1). Zur Wirkung der Eröffnung vor dem niedrigeren Gericht § 41, 22, zur Wirkung der Vorlage zur Übernahme beim höheren Gericht § 41, 21. Zur Zuständigkeit des StA § 102, 4; § 36, 5 b.
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§ 103
2. Teil. Jugendliche
6 a Es können also im Ergebnis vor der JKammer alle Verfahren verbunden werden, bei denen für den J (Hw.) vor JRichter und JSchöffengericht und für den Erw. vor der allg. Straf- und der Schwurgerichtskammer eine Zuständigkeit begründet ist. Ist für die Strafsache des Erw. die Wirtschaftsstraf- oder Staatsschutzkammer zuständig, so gilt dann für diese ErwKammern die gleiche umfassende Zuständigkeit, welche im Falle der Verbindung auch J und Hw. umfasst. Weil diese bes. Strafkammern ausnahmsweise für Verbindung und Trennung zuständig sind, muss das JGericht vor Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen nach § 209 II StPO und nach Eröffnung sich für unzuständig erklären (vor Beginn der Hauptverhandlung nach § 225 a StPO, nach deren Beginn nach § 270 I StPO), wenn der Erw. bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache in der Hauptverhandlung die Unzuständigkeit rügt (§ 6 a StPO). Für den umgekehrten Fall Rn 13 a. Vgl. dazu § 47 a, 2. 7 Eine Verbindung unter Verletzung der Bestimmungen über die sachliche Zuständigkeit ist nicht zulässig. Dem beugen die §§ 39 I 2, 41 I Nr. 3 ausdrücklich vor (§ 41, 8, 12 u. 14). 4.
Jrechtliche Voraussetzungen der Verbindung
8 Ein Zwang zur Verbindung von Strafsachen besteht nicht (BGH 36, 294 mwN = JR 90, 523 mit zust. Anm. Brunner), obgleich eine Verbindung im JStrafrecht fast immer wegen § 32 (§ 32, 5 u. 5 a) und iSd § 103 zweckmäßig und wünschenswert ist (vgl. Schoreit NStZ 89, 462). Unterbleibt die Verbindung mit den uU hieraus fließenden nachteiligen Folgen, so stellt doch insoweit fehlerhaftes Verhalten der StA allein den Strafanspruch nicht zur Disposition (BGH aaO; Foth NJW 84, 221). Bei Verbindung von Verfahren gegen J (Hw.) mit solchen gegen Erw. müssen über die allg. Voraussetzungen (Rn 2) hinaus zusätzlich die bes. jrechtlichen Voraussetzungen des Abs. I vorliegen, und zwar auch und gerade dann, wenn J (Hw.) dem Erw. ausnahmsweise vor die Wirtschaftsstraf- oder Staatsschutzkammer folgen (Abs. II 2, 3; Rn 6). Notwendig sind wichtige sachliche Gründe, z. B. Wahrheitserforschung (Abs. I), etwa bei auseinander gehenden Aussagen mehrerer Mittäter (BGH 10, 329; BGH H MDR 82, 972; OLG Stuttgart Zbl. 95, 297; OLG Köln NStZ-RR 00, 314) oder Erhebung umfangreicher Beweise (KG NStZ 06, 521, 522 mit abl. Anm. Eisenberg; OLG Celle NdsRpfl. 08, 194; OLG Hamm ZJJ 11, 89). Zwar hat die jetzige RL 1 den sich hierauf beziehenden letzten Satz der früheren RL 1 gestrichen; eine umfangreiche Beweisaufnahme mit jeweiligem Rollentausch von Angeklagten und Zeugen zu wiederholen, wäre aber praxisfremd und würde den J wie auch die Gerichte unnötig belasten und die Gefahr widersprechender Entscheidungen begründen (KG aaO). Abgesehen von den Fällen, in denen eine Verbindung rechtlich nicht zulässig ist (Rn 7), sollte auch sonst Zurückhaltung geübt werden (RL 1 S. 1; ebenso Fahl NStZ 83, 309), bes. wenn der J geständig und der Sachverhalt einfach ist oder es sich bei den Erw. um die Eltern des J handelt (RL 1 S. 2; OLG Stuttgart Zbl. 95, 298; OLG Hamburg Zbl. 04, 431, 434; LG Köln ZJJ 09, 382). Es ist stets sorgfältig zu prüfen, ob eine gemeinsame Verhandlung mit Erw. den J und Hw. nicht Schaden bringen kann (vgl. z. B. Einf. I 40 a). 8 a Reine Zweckmäßigkeitserwägungen (vgl. BGH 10, 329) oder lediglich Gründe der Prozessökonomie rechtfertigen es für sich allein nicht, Verfahren zu verbinden oder einen weiteren Anklagepunkt gegen nur einen der Beschuldigten (Angeklagten) einzubeziehen, gehen aber in die Abwägung mit ein (OLG Hamburg Zbl. 04, 431). Eine weitere Straftat aber, die einem der Beschuldigten zur Last gelegt wird, kann sehr wohl einen persönlichen Zusammenhang iSd § 3 StPO begründen und eine gemeinsame Bewertung und Aburteilung fordern, insbes. wenn gewisse kriminologisch fassbare Zusammenhänge (z. B. Gewaltausübung) das Persönlichkeitsbild des Beschuldigten bes. kennzeichnen und bei der Gesamtbewertung von Taten und Täter im Rahmen der Strafbemessung bedeutsam werden können (OLG Karlsruhe MDR 81, 693). Eine umfassende und einheitliche Verhandlung gegen alle Beschuldigten kann auch die Rolle des Einzelnen im Gesamtgeschehen, die Schuld und deren Maß klären (OLG Koblenz NJW 82,
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Verbindung mehrerer Strafsachen
§ 103
604 = JR 82, 479 mit zust. Anm. Brunner für einen Fall abredegemäßer Strafvereitelung durch gemeinschaftlichen Meineid; OLG Stuttgart Zbl. 95, 297; OLG Hamburg Zbl. 04, 431, 434) und damit wesentlich zur Verhängung schuldangemessener Sanktionen für die einzelnen Beteiligten beitragen (OLG Köln NStZ-RR 00, 314; OLG Hamm ZJJ 11, 89, 90). Auch bei nur teilweise gemeinschaftlicher Tatbegehung kann Verbindung gerechtfertigt sein, da hierdurch der persönliche Eindruck in der Hauptverhandlung eine gerechtere Strafzumessung ermöglicht und eine nachträgliche Einheits- oder Gesamtstrafenbildung mit problematischer Gesamtbewertung vermieden wird (OLG Karlsruhe aaO; vgl. auch für ErwRecht BGH 12, 7 und BGH NJW 75, 126). Gegenargumente können im Einzelfall eine unangemessene Verfahrensverlängerung für den J oder dessen bes. Gefährdung durch den Verfahrensgegenstand oder die Mitbeschuldigten sein (OLG Stuttgart Zbl. 95, 298). Vgl. auch Einf. I 40. Das Verfahren gegen einen J mit relativ geringem Tatvorwurf über einen Sachzusammenhang mit einer schwerwiegenden Straftat und einer Vielzahl von Beschuldigten zu verbinden, um eine Übernahme der JKammer nach §§ 40 II, 41 I Nr. 1 (§ 41, 36) herbeizuführen, kann nicht gebilligt werden (vgl. Eisenberg § 40, 11). Der begrüßenswerte Wegfall der Schwergewichtsprüfung kann andererseits die JGerichte in er- 8 b heblichem Maße mit Verfahren auch gegen Erw. belasten, was sich wegen deren stärkerer Inanspruchnahme von Rechtsmitteln auch auf die Berufungsgerichte auswirkt (Rn 14; § 41, 36; anders aber im Revisionsverfahren § 41, 35) und damit insgesamt die JGerichte mit an sich sachfremden Verfahren überlastet und sie ihren eigentlichen Aufgaben entzieht. Die jrechtlichen Voraussetzungen sind deshalb bes. streng zu prüfen und nicht zuletzt auch die allg. ErzAufgabe des JGG zu erwägen, an der sich die Entscheidungen messen lassen müssen. Wenn der Erw. etwa ein gerissener Krimineller oder bei ihm Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist, sprechen mögliche ungute Wirkungen verschiedener Art auf den J gegen eine Verbindung (vgl. § 41, 8, 12 u. 14). Dazu kommt, dass nach Ausscheiden der J (Hw.) das JGericht für die Erw. idR zuständig bleibt (Rn 13, 14; § 47 a, 4) und mit deren Berufung dann auch die JKammer belastet wird (§ 41, 36). Solches von Anfang an bei einer beabsichtigten Verbindung zu berücksichtigen, ist eine wichtige Aufgabe des JStA (vgl. § 36, 5). 5.
Verbindung und Trennung durch (bei) Eröffnung des Hauptverfahrens
Mit dem Eröffnungsbeschluss entscheidet das JGericht (in dem Ausnahmefall des Abs. II 2, 3 9 die Wirtschaftsstraf- oder Staatsschutzkammer; Rn 6 u. 11), dass die vom JStA durch Anhängigmachen eingeleitete Verbindung für das Hauptverfahren aufrechterhalten bleibt (§§ 4 II 1, 209 a StPO). Das JGericht kann aber auch das Verfahren hinsichtlich der J (Hw.) vor sich eröffnen und hin- 10 sichtlich der Erw. die Trennung beschließen, weil es die bes. Verbindungsvoraussetzungen des Abs. I verneint. Ist für das Restverfahren ein ErwGericht gleicher oder niedrigerer Ordnung zuständig, so eröffnet das JGericht, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen, gem. §§ 209 I, 209 a Nr. 2 StPO bei diesem (OLG Koblenz NJW 82, 604 = JR 82, 479 mit zust. Anm. Brunner; KG StV 85, 408; OLG Düsseldorf NStZ 91, 145). Der dem scheinbar widersprechende Wortlaut des § 103 III steht dem nicht entgegen (Löwe/Rosenberg/Stuckenberg § 209 a StPO 26). Die JGerichte sind vielmehr gehalten, die ihnen nun zuerkannte Eröffnungskompetenz auch voll auszunützen und mit dem Trennungsbeschluss zugleich die abgetrennte ErwSache vor dem für zuständig erachteten ErwGericht niedrigerer Ordnung (§ 209 I StPO) oder vor dem ErwGericht gleicher Ordnung zu eröffnen (§ 209 a Nr. 2 StPO) oder dem ErwGericht höherer Ordnung durch Vermittlung der StA zur Übernahme vorzulegen (§ 209 II StPO; KG StV 85, 408). Gegen die Verfahrenstrennung steht der StA die einfache Beschwerde zu (OLG Köln NStZ-RR 00, 314). Die Eröffnung vor dem ErwGericht kann die StA mit sofortiger Beschwerde anfechten (OLG Stuttgart Zbl. 95, 297). Bei gleichzeitiger Verfahrenstrennung und Eröffnung vor dem ErwGericht ist einheitlich die sofortige Beschwerde gegeben (OLG Hamburg Zbl. 04, 431, 432). Trifft das JGericht hin-
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§ 103
2. Teil. Jugendliche
sichtlich der abgetrennten ErwSache keine der vorerwähnten Entscheidungen, sondern gibt sie nur an ein ErwGericht ab, kann die ausstehende Entscheidung mit der Beschwerde (§ 304 StPO) erzwungen werden, die zur vollen Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung einschließlich der Untersuchung auf Ermessensfehler führt (OLG Koblenz u. OLG Düsseldorf aaO). Werden die Angeklagten vor der Trennung nicht gehört (§ 33 II, III StPO), so kann unter bestimmten Voraussetzungen (BGH bei Pfeiffer NStZ 82, 188) das Urteil der Revision verfallen. 10 a Wäre für das Restverfahren gegen den Erw. ein ErwGericht höherer Ordnung zuständig, müsste das JGericht das Verfahren dorthin abgeben. Die bes. Zuständigkeitsregelungen in §§ 39 I 2, 41 I 3 (§ 41, 8 u. 12) dürften dies nur selten praktisch werden lassen (Löwe/Rosenberg/Stuckenberg § 209 a StPO 27). 11 Im Falle des Abs. II 2, 3 muss jedes JGericht das gesamte verbundene Verfahren der Wirtschaftsstraf- oder Staatsschutzkammer vorlegen (Rn 6), die auch über die Voraussetzungen des Abs. I entscheidet. Hier sollte der JStA sehr sorgfältig arbeiten, um nicht J (Hw.) unnötigerweise vor diese ErwSpezialkammern kommen zu lassen (Rn 8; § 36, 5).
6.
Verbindung nach Eröffnung des Hauptverfahrens
12 Nach Eröffnung des Hauptverfahrens werden zusammenhängende Strafsachen verbunden – oder getrennt (Rn 13) – auf Antrag der StA oder des Angeklagten oder auch von Amts wegen durch gerichtlichen Beschluss (§ 4 I StPO). Für diesen Verbindungsbeschluss ist bei Gerichten gleichen Bezirks das Gericht höherer Ordnung zuständig (§ 4 II 1 StPO). Werden Erw. zu J (Hw.) verbunden, so beschließt stets das JGericht die Verbindung nach § 4 II 1 StPO, soweit nicht die Ausnahmeregelung des § 103 II 2, 3 eingreift (Rn 3, 5, 6), wobei das JGericht gegenüber einem sonstigen ErwGericht gerichtsverfassungsgemäß gleicher Ordnung als das höhere Gericht gilt (vgl. aber LG Berlin NStZ-RR 99, 154: Bei gemeinsamer Anklage gegen einen Erw. u. einen J vor dem ErwGericht kann dieses das Verfahren insgesamt, also auch gegen den Erw., mit bindender Wirkung gem. § 270 I StPO an das JGericht verweisen). Zum negativen Kompetenzkonflikt gleichrangiger Gerichte (JKammer lehnt Übernahme ab) siehe § 33, 20 c. 12 a Sollen Verfahren verbunden werden, die bei Gerichten verschiedener Bezirke anhängig sind, so entscheidet nach § 4 II 2 StPO das gemeinschaftliche obere Gericht, dessen Bezirk alle beteiligten Gerichte angehören. Es ist dies für 2 AG desselben LG-Bezirks das LG, sonst ein OLG – nie ein LG –, sofern alle beteiligten Gerichte seinem Bezirk angehören, sonst (wie im Falle beteiligter OLG) der BGH. Zur unterschiedlichen Wirkung der Verbindung nach § 4 I u. § 237 StPO im ErwRecht vgl. BGH MDR 90, 448 in § 41, 36 aE.
7.
Trennung nach Eröffnung des Hauptverfahrens
13 Will das JGericht nach Eröffnung des Hauptverfahrens das Verfahren, soweit es sich gegen Erw. richtet, abtrennen, so kann es das Verfahren insoweit nicht an ein ErwGericht niedrigerer oder gleicher Ordnung abgeben, weil § 47 a gegenüber § 103 III lex specialis ist (BayObLG 80, 958; Eisenberg 21; Ostendorf 9, 10). Ein gerichtsverfassungsgemäß gleichgeordnetes ErwGericht kann aber die J (Hw.) abtrennen und an das gerichtsverfassungsgemäß gleichgeordnete JGericht zur Übernahme vorlegen, da dieses ihm gegenüber als Gericht höherer Ordnung gilt. 13 a Eine nach § 209 a StPO einem Gericht höherer Ordnung gleichgestellte Spezialstrafkammer kann auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens den zu Erw. verbundenen J oder Hw. abtrennen und das Verfahren insoweit an das JGericht abgeben, das ohne die Verweisung zuständig gewesen wäre (Verweisung in § 103 II 3 HS 2 auf § 209 a StPO; OLG Karlsruhe NStZ 87, 375 für die Wirtschaftsstrafkammer). Eine Vereinbarung beider Gerichte ist für den Übergang der Zustän-
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Verbindung mehrerer Strafsachen
§ 103
digkeit nicht erforderlich (OLG Karlsruhe aaO). Zum negativen Kompetenzkonflikt Rn 16 aE; § 33, 20 c. 8.
Restverfahren nur mit Erw
Scheiden nach Eröffnung des Hauptverfahrens aus einem verbundenen Verfahren alle J und Hw. 14 aus oder wird das Urteil allein gegen die J (Hw.) rechtskräftig, dann bleibt für die noch nicht abgeurteilten Erw. idR das JGericht zuständig (OLG Koblenz VRS Bd. 71 [86], 462). Denn § 47 a S. 1 lässt es nicht zu, dass ein JGericht sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens für unzuständig erklärt, weil die Sache vor ein für ErwStrafsachen zuständiges Gericht gleicher oder niedrigerer Ordnung gehöre (BGH 30, 260; BayObLG 80, 46; § 47 a, 1, 4). Infolge der für die verbundenen Erw. geltenden bes. Zuständigkeitsvorschriften des § 39 I 2 (§ 41, 8) und des § 41 III (§ 41, 12) wird in dieser Phase des Verfahrens für den Erw. kaum ein ErwGericht höherer Ordnung zuständig sein. Auch die Ausnahmevorschrift des § 47 a S. 2 iVm § 103 II 2, 3 (Rn 6 und § 47 a, 2) wird kaum je eine Vorlage des sich nur noch gegen Erw. richtenden Restverfahrens ermöglichen, im Übrigen bedürfte es hierzu auch noch des Unzuständigkeitseinwandes des Erw., der nur bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache in der Hauptverhandlung wirksam erhoben werden kann (§ 6 a StPO). Die Erw. des Restverfahrens werden also zumeist dem JGericht verbleiben, es weiterhin unnötig belasten. Zur Entscheidung des Revisionsgerichts bei verbliebenen Erw. Rn. 17 u. § 47 a, 7. 9.
Trennung nur bei J
Sind nur Verfahren mit J und Hw. verbunden, so kann das JGericht jederzeit (Abs. III) die Ver- 15 fahren trennen, wenn es die Voraussetzungen der Verbindung nicht mehr für gegeben hält. Mit der Trennung wird das abgetrennte Verfahren an das JGericht abgegeben, das ohne Verbindung zuständig gewesen wäre; erneute Verbindung bleibt möglich. Diese Abgabe ist die Vorlage an das allein zuständige Gericht (also anders als bei anderen Abgaben, die eine neue Zuständigkeit begründen, z. B. gem. §§ 42 III 2, 58 II 3, 65 I 3). Durchaus sinnvoll hat das Gesetz hier die Anrufung eines höheren Gerichts nicht vorgesehen (Eisenberg 20; Ostendorf 9). Die ordentliche Abwicklung des Verfahrens kann ja durch Beschwerde gegen die Nichtanberaumung der Hauptverhandlung erzwungen werden. Nur wenn alle zuständigen Gerichte ihre Zuständigkeit in unanfechtbaren Entscheidungen verneint haben, kommt die Anrufung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts in Ausfüllung einer Lücke in Betracht (vgl. BGH 18, 384; LG Kiel NJW 71, 159; Ostendorf 9). Gibt ein JGericht ein Verfahren nach Trennung an ein ErwGericht gleicher oder niedrigerer Ordnung ab, so hat es zugleich über die Eröffnung des Verfahrens zu entscheiden (§§ 207, 209, 209 a Nr. 2 a StPO; OLG Koblenz NJW 82, 604 = JR 82, 479 m. zust. Anm. Brunner; Ostendorf 10). 10.
Zuständigkeit im Instanzenzug
Diese Zuständigkeitsregelungen gelten jedoch nur im Verfahren der ersten Instanz. Bei 16 Rechtsmitteln entscheidet allein der allg. Instanzenzug, da für diesen nur maßgebend ist, welches Gericht in der vorhergehenden Instanz entschieden hat (BGH 22, 48). Legt nur der Erw. gegen das Urteil des JGerichts Berufung ein, so entscheidet darüber die JKammer (vgl. Rn 14). Über die Berufung eines versehentlich vom ErwStrafrichter verurteilten J entscheidet die kleine ErwStrafkammer (BGH 18, 79; BayObLG 71, 35 im Anschluss an BGH 22, 48; anders noch BGH 13, 159) und verweist die Sache unter Aufhebung des angegriffenen Urteils an den zuständigen JRichter zurück. Zum Sonderfall der Wirtschaftsstrafkammer als Berufungsgericht (negativer Kompetenzkonflikt) vgl. OLG München JR 80, 77 mit krit. Anmerkung Rieß. Vgl. allg. zum negativen Kompetenzkonflikt § 33, 20 c.
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§ 103 11.
2. Teil. Jugendliche
Zurückverweisung durch das Rechtsmittelgericht
17 Für das Berufungsgericht gilt nichts Besonderes. Das Revisionsgericht kann das Verfahren des „übrig gebliebenen“ Erw. an ein ErwGericht oder ein JGericht zurückverweisen (näher § 47 a, 7; auch § 41, 35). Hat infolge Verbindung oder Trennung ein unzuständiges Gericht entschieden, so hebt das Revisionsgericht das Urteil von Amts wegen auf (KG StV 85, 408; Eisenberg 24). Zur Entscheidung – auch des Berufungsgerichts –, wenn ein J vom ErwGericht oder ein Erw. vom JGericht verurteilt worden ist, § 33, 20. 17 a Zum Verfahren nach Einspruch gegen einen Strafbefehl § 109, 12. 12.
Verfahren in den verbundenen Sachen
18 Ist gem. Abs. II 2, 3 das ErwGericht mit seiner Spezialzuständigkeit auch zugleich zur Verhandlung gegen J und Hw. berufen, so gelten für diese die §§ 104, 112. Zum zuständigen StA vgl. § 102, 4. Vor den JGerichten werden die Erw. nach allg. materiellen Strafrecht abgeurteilt. Für das Verfahren gilt JRecht, wenn sich nicht aus den Bestimmungen selbst (z. B. §§ 43, 45, 47, 55, 76) das Gegenteil ergibt oder das Gesetz ausdrücklich eine bes. Regelung trifft (§ 48 III). Zur Nebenklage gegen Erw. § 109, 6; zum Adhäsionsverfahren § 109, 11. 13.
Verbindung von in verschiedenen Altersstufen begangenen Taten bei ein und demselben Täter
19 Zur Aburteilung eines Täters, der Teilakte einer Dauerstraftat oder rechtlichen Bewertungseinheit teils als Hw., teils als Erw. begangen hat, ist das JGericht zuständig (Vor § 102, 2; § 32, 6; BGH H MDR 80, 456; BGH B NStZ 83, 450; BGH StV 03, 454; OLG Oldenburg NJW 81, 1384; OLG Düsseldorf JR 83, 479 mit zust. Anm. Brunner; OLG Hamburg StV 85, 158; Eisenberg 33, 10, § 107, 5; Schaffstein/Beulke S. 206 mit zum Teil unterschiedlichen Begründungen). Bandemer (Zbl. 89, 319 mwN) leitet die Zuständigkeit aus dem Grundsatz „in dubio pro reo“ her, weil das JGG auch in diesem Falle den umfangreicheren und sorgsameren Weg zur Entscheidungsfindung (S. 321) weise. Zu den Schwierigkeiten bei Anwendung dieses Grundsatzes gerade im JStrafrecht § 105, 17; Böhm/Feuerhelm S. 63 ff. Ob vor oder nach dem 21. Lebensjahr begangene Straftaten ein und desselben Täters diesen vor den JRichter führen, hängt davon ab, welche Anforderungen an Verbindung und Trennung gestellt werden (Miehe FS Stutte, 1979 S. 241). Vgl. auch Vor § 102, 2; § 32, 6. Die Verbindung ist geboten, um das Gesamtverfahren dem JRichter zuzuweisen und ihm die notwendige Gesamtschau und die Möglichkeit für eine Entscheidung nach § 32 zu geben. Näher Brunner JR 80, 262. 19 a Der JStA ist berufen, dem JRichter durch Verbindung, ggf. durch Unterlassen der Trennung, in solchen Fällen die Zuständigkeit über das Gesamtverfahren und die Möglichkeit für eine Entscheidung nach § 32 zu verschaffen (Rn 4; § 36, 2 a; Brunner JR 80, 262 u. JR 83, 480; vgl. auch § 32, 6). Das Ermessen zur Verbindung (Vor § 102, 2; § 32, 6; BGH 10, 101; 18, 238) verdichtet sich nach Ostendorf (§ 32, 17) entgegen der hM (vgl. nur BGH 36, 294 = JR 90, 523 mit zust. Anm. Brunner) aufgrund des Anliegens einer einheitlichen Entscheidung sogar zu einer Verpflichtung. 14.
Straftat und Ordnungswidrigkeit
20 Verfolgt die StA eine Ordnungswidrigkeit neben einer zusammenhängenden Straftat (§ 42 OWiG), so erstreckt sich die Zuständigkeit des Gerichts für die Straftat auch auf die Ordnungswidrigkeit, bei J oder Hw. also die des JGerichts. Das Gericht kann ggf. die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen der Ordnungswidrigkeit ablehnen (Göhler/Gürtler § 42 OWiG 17, 22), eine Trennung der Straf- und Bußgeldsache ist dem Gericht jedoch versagt, weil eine selbständige gerichtliche Zuständigkeit allein für die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit ohne Vorschalt-
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Verfahren gegen Jugendliche
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verfahren fehlt (Göhler/Seitz § 45 OWiG 4; die §§ 2 II, 13 III StPO scheiden hier nach Eröffnung des Hauptverfahrens aus). Im Einspruchsverfahren gegen einen Bußgeldbescheid darf und muss der Richter ggf. ins Strafverfahren übergehen (BayObLG 76, 117). Zu einer Strafsache gegen einen Erw eine damit zusammenhängende Ordnungswidrigkeit gegen einen J oder Hw. oder umgekehrt zu übernehmen, wird sich idR aus den bes. Voraussetzungen des § 103 I verbieten. Geschieht dies doch, so ist das ErwGericht zuständig, weil eine Zuständigkeit des JGerichts für Ordnungswidrigkeiten nur im Einspruchsverfahren besteht, die §§ 103 II und 112 deshalb nicht eingreifen (Göhler/Seitz § 45 OWiG 5; Eisenberg 3; enger Ostendorf 3). Zur Frage Rechtsmittel nach StPO oder Rechtsbeschwerde BayObLG 73, 190; OLG Hamm NJW 69, 500; zum Verschlechterungsverbot § 55, 46. Zum Verbindungsbeschluss des höherrangigen Gerichts § 41, 28 a.
§ 104 Verfahren gegen Jugendliche § 104 Verfahren gegen Jugendliche (1) In Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten gelten die Vorschriften dieses Gesetzes über 1. Verfehlungen Jugendlicher und ihre Folgen (§§ 3 bis 32), 2. die Heranziehung und die Rechtsstellung der Jugendgerichtshilfe (§§ 38, 50 Abs. 3), 3. den Umfang der Ermittlungen im Vorverfahren (§ 43), 4. das Absehen von der Verfolgung und die Einstellung des Verfahrens durch den Richter (§§ 45, 47), 5. die Untersuchungshaft (§§ 52, 52 a, 72), 6. die Urteilsgründe (§ 54), 7. das Rechtsmittelverfahren (§§ 55, 56), 8. das Verfahren bei Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung und der Verhängung der Jugendstrafe (§§ 57 bis 64), 9. die Beteiligung und die Rechtsstellung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters (§§ 67, 50 Abs. 2), 10. die notwendige Verteidigung (§ 68), 11. Mitteilungen (§ 70), 12. die Unterbringung zur Beobachtung (§ 73), 13. Kosten und Auslagen (§ 74), 14. den Ausschluss von Vorschriften des allgemeinen Verfahrensrechts (§§ 79 bis 81) und 15. Verfahren und Entscheidung bei Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 81 a). (2) Die Anwendung weiterer Verfahrensvorschriften dieses Gesetzes steht im Ermessen des Richters. (3) Soweit es aus Gründen der Staatssicherheit geboten ist, kann der Richter anordnen, dass die Heranziehung der Jugendgerichtshilfe und die Beteiligung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters unterbleiben. (4) Hält der Richter Erziehungsmaßregeln für erforderlich, so hat er deren Auswahl und Anordnung dem Familiengericht zu überlassen. § 53 Satz 2 gilt entsprechend. (5) Entscheidungen, die nach einer Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung erforderlich werden, sind dem Jugendrichter zu übertragen, in dessen Bezirk sich der Jugendliche aufhält. Das gleiche gilt für Entscheidungen nach einer Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe mit Ausnahme der Entscheidungen über die Festsetzung der Strafe und die Tilgung des Schuldspruchs (§ 30). 1. Abs. I-III und V: Hw.: § 112 S. 1, 2; – Abs. IV: [Hw.]: Rn 9; § 112 S. 3 3. Sold. § 112 e.
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Richtlinie zu § 104: Als Verfahrensvorschriften, deren Anwendung nach Absatz 2 im Ermessen des Gerichts steht, kommen z. B. § 51 (zeitweise Ausschließung von Beteiligten), § 69 (Beistand), § 71 (vorläufige Anordnung über die Erziehung) und § 72 Abs. 4 (Unterbringung in einem Heim der JHilfe an Stelle von Untersuchungshaft) in Betracht.
1 Unmittelbar gelten auch vor ErwGerichten: die §§ 1, 2 (vgl. Stellung im Gesetz), die §§ 82–101, 112 c, bei denen es nur darauf ankommt, ob eine Unrechtsfolge des materiellen JRechts angewendet wurde (OLG München MDR 57, 437; Dallinger/Lackner § 82 Vorb. 21; Potrykus § 82 Vorb. 5; s. § 85 RL I 1 b u. § 82 Vorb. 2) und die §§ 102, 103 (vgl. Stellung im Gesetz). Ebenso Eisenberg 28– 30. 2 Über die unmittelbar geltenden Vorschriften (Rn 1) hinaus gelten stets und uneingeschränkt die in Abs. I Nr. 1–15 aufgeführten Vorschriften, sowie nach § 112 e die §§ 112 a und 112 d. 3 Nach Ermessen des ErwGerichts gelten: § 44 (RL 1 S. 2 zu § 44; § 44, 6); § 46 (RL 2 zu § 46; Eisenberg 21 regt an, dass der StA den § 46 gerade bei Anklagen zum ErwGericht beachtet); § 48 I (§ 48, 3 u. 4); § 50 I (§ 50, 5 u. 4); § 51 (RL; RL S. 1 zu § 51; § 51, 12); § 66 (§ 66, 13); § 69 (RL; § 69, 10); § 71 (RL; § 71 RL 5); § 72 IV (RL; vgl. aber Abs. I Nr. 5). Ebenso Eisenberg 20–27. Gegen J kann immer nichtöffentlich verhandelt werden (§ 48, 4; Eisenberg 22). 4 Dagegen gelten niemals, auch nicht entsprechend (Abs. II) oder in abgeänderter Form (Abs. III– V): §§ 33–37; §§ 39–42; §§ 76–78 (BGH 18, 176 zu § 42 III); § 34 I; § 53 (durch Abs. IV ersetzt; Rn 8). Zu Abs. IV u. V Rn 8 u. 9. Ebenso Eisenberg 31–35. Die Geschäftsverteilung kann den JRichter jedoch auch für Vernehmung J zum Rechtshilferichter bestellen, wenn das Verfahren vor dem ErwGericht anhängig ist (§ 34 RL 1 S. 2; Eisenberg 32; Dallinger/Lackner 35; Ostendorf 22 halten sogar in allen Fällen ein Rechtshilfeersuchen an den JRichter für zulässig). Wegen der sachlichen Zuständigkeit § 41, 5. 5 Abs. III gibt dem ErwGericht die Möglichkeit, aus Gründen der Staatssicherheit die Beteiligung der JGH (§§ 38, 50 III, 70, 93 III, auch 43), der ErzBerechtigten und der gesetzlichen Vertreter (§§ 50 II, 67) einzuschränken oder diese ganz von der Teilnahme am Verfahren auszuschließen. Bei der Bedeutung gerade der Einschaltung der JGH, der ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreter in der JGerichtsbarkeit und der meist geringen Erfahrung der ErwGerichte in JSachen sind jedoch solche Beschränkungen nur ausnahmsweise und höchstens für die Hauptverhandlung selbst angebracht; auf die Ermittlungen der JGH zur Persönlichkeit (§§ 38, 43) und auf die Anhörung der ErzBerechtigten und gesetzlichen Vertreter wenigstens außerhalb der Hauptverhandlung sollte nie ganz verzichtet werden. Vgl. § 48, 3–7; § 51, 7; auch oben Rn 3. 6 Wo bei J ErzBerechtigte und gesetzliche Vertreter ausgeschlossen sind, liegt regelmäßig ein Fall der notwendigen Verteidigung vor (§§ 68 Nr. 1, 2; 140 I Nr. 1, II StPO; Dallinger/Lackner 20; Potrykus B 4). 7 Wegen der Voraussetzung „aus Gründen der Staatssicherheit“ vgl. die Kommentare zu § 172 GVG. 8 Bei der Regelung der Abs. IV und V muss zwischen J und Hw. unterschieden werden. 8 a Bei J gilt folgendes: ErzMaßregeln (Weisungen, ErzBeistandschaft, Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2) darf das ErwGericht bei J – auch wenn es gleichzeitig auf JStrafe erkennt – nicht selbst anordnen (§ 53, 1). Es muss (RL zu § 53) insoweit an das Familiengericht abgeben. Denn es schaltet der weitergehende Abs. IV den § 53 aus, dessen S. 2 aber gilt entsprechend (Abs. IV S. 2; § 53, 7–10). Das ErwGericht darf auch keinen Ungehorsamsarrest anordnen (§ 65, 4). Für Hw. aber gilt Rn 9. Auch alle Maßnahmen nach Aussetzung der Verhängung oder Vollstreckung einer JStrafe zur Bewährung – ausgenommen das Nachverfahren gem. § 30 – darf das ErwGericht nicht anordnen. Stattdessen ist das Verfahren bei Strafaussetzung gem. § 58 II 2, 3 abzugeben
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(§ 58, 8); bei der sonst nicht vorgesehenen (§ 62, 6) Abgabe der Bewährungsentscheidungen nach Aussetzung der Verhängung einer JStrafe muss § 58 II 2, 3 entsprechend angewendet werden. Bei Hw. gilt Abs. V in vollem Umfang. Von den in Abs. IV genannten ErzMaßregeln scheiden 9 bei Hw. Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 und ErzBeistandschaft aus, weil diese bei Volljährigen nicht angeordnet werden können (§ 105 I; § 105, 20 u. § 12, 8). Es bleiben nur die Weisungen nach § 10. Aber entsprechend Abs. IV bei Hw., also bei Volljährigen, gleichwohl das Familiengericht einzuschalten, wäre sinnwidrig (vgl. § 109 II 1: bei Hw. § 53 auch nicht entsprechend anwendbar). Hält der ErwRichter Weisungen oder ErzHilfe durch den Disziplinarvorgesetzten für erforderlich, so hat er daher deren Auswahl und Anordnungen nach § 112 S. 3 dem JRichter zu überlassen, in dessen Bezirk der Hw. sich aufhält. Insoweit gibt er das Verfahren entsprechend § 58 II 2, 3 ab. Der zuständige JRichter muss übernehmen und ist für alle weiteren Entscheidungen, auch für eventuelle Weiterübertragung, zuständig (BGH 25, 85 = JR 73, 206 mit zust. Anm. Brunner; aA insoweit Ostendorf 13). Das ErwGericht ist mit Person und Sache nicht mehr befasst (vgl. § 58, 8 und 9). Hat ein ErwGericht entgegen § 104 Verfahrensvorschriften des JGG nicht angewendet, kann das 10 Urteil angefochten werden, wenn diese Vorschrift revisibel ist (Eisenberg 36). Zur Verbindung vor Spezialgerichten § 103, 18.
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3. Teil. Heranwachsende
Dritter Teil Heranwachsende 3. Teil. Heranwachsende
Erster Abschnitt Anwendung des sachlichen Strafrechts § 105 Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende § 105 Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende (1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn 1. die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder 2. es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt. (2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist. (3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. 1. ./. – 2. ErwG: § 112, 6 Richtlinien zu § 105: 1. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit Heranwachsender kann nicht wegen mangelnder Reife nach § 3 ausgeschlossen sein; sie wird nur nach den allgemeinen Vorschriften beurteilt. Gröbere Entwicklungsmängel können Anlass zu der Prüfung geben, ob die Schuldfähigkeit nach §§ 20 bzw. 21 StGB ausgeschlossen oder vermindert ist. 2. Hilfe zur Erziehung (§ 9 Nr. 2, § 12) kann gegen Heranwachsende nicht angeordnet werden. Stattdessen kommt namentlich die Weisung in Betracht, sich einem Betreuungshelfer zu unterstellen (§ 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5). Schrifttum: Bauer/Remschmidt Forensisch-psychiatrische Begutachtung von Kindern u. J, Handb. d. For. Psychiatrie Bd. 1, 2007 S. 464; Blau Zur Frage der partiellen strafrechtlichen Vollreife Hw., MDR 59, 717; ders. Der Hw. im Verkehrsstrafrecht, RdJ 62, 289, 310; Brauneck Die Jugendlichenreife nach § 105 JGG, ZStW 65, 209; Bresser Zur Problematik des § 105 JGG, NJW 60, 1385; ders. Noch immer: Die Problematik des § 105 JGG, FS Schaffstein, 1975 S. 323; Busch Rechtspsychologische Begutachtung delinquenter Heranwachsender, 2006; ders. Evidenzbasierte Entscheidungsalgorithmen zur strafrechtlichen Zuweisung gemäß § 105 JGG, ZJJ 06, 264; Busch/Scholz Neuere Forschung zum § 105 JGG, MKrim 03, 421; dazu Esser/Wyschkon/Schmidt MKrim. 04, 458; Doermer Abgrenzungsprobleme zwischen JStrafrecht u. ErwStrafrecht bei Straftaten Hw., Diss. Hamburg 1963; Dölling Zur strafrechtlichen Behandlung der Hw., FS Kreuzer 2. Aufl. 2009 S. 119; DVJJ, Hrsg., Die Rechtsbrüche der 18- bis 21-jährigen Hw. Bericht über die Verhandlungen des 10. JGerichtstages, 1959; DVJJ, Denkschrift über die kriminalrechtliche Behandlung junger Volljähriger, 1977; Dünkel Hw. im (Jugend)Kriminalrecht, ZStW 93, 137; ders. Hw. im JStrafrecht in Deutschland und im europäischen Vergleich, DVJJ-J 03, 19; Eickmeyer Die strafrechtliche Behandlung der Hw. nach § 105 des JGG, 1963; Esser Sind die Kriterien der sittlichen Reife des § 105 JGG tatsächlich reifungsabhängig? DVJJ-J 99, 37; Esser/Fritz/Schmidt Die Beurteilung der sittlichen Reife Hw. iSd § 105 JGG – Versuch einer Operationalisierung, MKrim. 91, 356; Freisleder Rechts-
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Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende
fragen bei Kindern, J u. Hw., in Nedopil Forensische Psychiatrie, 3. Aufl. 2007, S. 75; Günter Der § 105 JGG: Entwicklungspsychologische Erkenntnisse u. gutachterliche Praxis, FPPK 08, 169; ders. Strafrechtliche Begutachtung von J u. Hw., in Venzlaff/Foerster Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl. 2009 S. 697; Günter/Karle Anwendung des JStrafrechts auf Hw., in Handb. d. For. Psychiatrie Bd 2, 2010 S. 581; Händel Die Reifeprüfung nach § 105 JGG in der Gerichtspraxis, MKrim. 64, 256; Häßler Die Einbeziehung Hw. in das JStrafrecht aus kinder- u. jpsychiatrischer Sicht, DVJJ-J 03, 15; Hinrichs Zur Anordnung von JStrafrecht nach dem § 105 JGG aus der Sicht der Betroffenen, MKrim. 01, 466; Hinrichs/Schütze Der § 105 I JGG aus jpsychiatrischer Sicht, DVJJ 99, 27; Janssen Hw. im JStrafverfahren, 1980; Kühling Zur Kriminologie u. strafrechtlichen Behandlung Hw., MKrim. 59, 157; Kuhn Grundlagen u. Kriterien bei der Beurteilung des Entwicklungsstandes Hw. gem. § 105, med. Diss. Tübingen 1974; Lempp Zur Problematik des § 105 JGG, NJW 60, 1384; ders. Gerichtl. Kinder- u. JPsychiatrie 1983; Lohmar Die strafrechtliche Behandlung der Hw. nach § 105 JGG, 1966; Loesch Die strafrechtliche Behandlung der Hw., Schriften des Fliedner-Vereins Rockenberg H 6; Masche Entwicklungspsychologische Überlegungen zu wesentlichen Stationen u. Kompetenzen während des JAlters DVJJ 99, 30; Miehe Die neue Entwicklung der Altersgruppenfrage im Strafrecht u. Strafprozeßrecht, Zbl. 82, 82; Ottinger Die bedingte strafrechtliche Reife §§ 3, 105 JGG, in Blau/Müller-Luckmann (Hrsg.) Gerichtliche Psychologie, 1962 S. 192; Potrykus/Middendorff Die Rechtsbrüche der Hw., ihre Kriminologie u. ihre Behandlung, RdJ 56, 353; Pruin Die Heranwachsendenregelung im deutschen JStrafrecht, 2007; dies. Gereift in 53 Jahren? Die Reformdebatte über die deutsche Heranwachsendenregelung, ZJJ 06, 257; Rasch/Konrad Forensische Psychiatrie, 3. Aufl. 2004; Sauer Die strafrechtliche Behandlung der Hw. (Strafe oder Maßnahme), 1968; Schaffstein Die Behandlung der Hw. im künftigen Strafrecht, ZStW 62, 1; ders. Zur jstrafrechtlichen Behandlung der Hw., die Problematik des § 105, NJW 55, 1577; Schmidt Die Anwendung des JStrafrechts auf Hw. – Erfahrungen zu § 105 JGG, in Warnke/Trott/Remschmidt ,Hrsg., Forensische Kinder- u. Jugendpsychiatrie, 1997; Schmitz Die kontinuierliche Problematik des § 105, MKrim. 74, 65; Schneider Kriminologie u. Behandlung hw. u. jungerw. Rechtsbrecher, RdJ 63, 1, 24; Schnitzerling § 105 JGG in der höchstrichterlichen Rechtsprechung u. das Verkehrsdelikt als JVerfehlung, UJ 57, 228 (vgl. auch DAR 56, 96 ff; 62, 208, 209 u. 66, 38); Schütze/Schmitz Strafrechtliche Verantwortlichkeit, Strafreife u. schädliche Neigungen, in Lempp/Schütze/Köhnken, Hrsg., Forensische Psychiatrie u. Psychologie des Kindes- u. JAlters, 1999 S. 127; Specht Neurotische Störungen u. Entwicklungskrisen im JAlter, in Venzlaff/Foerster Psychiatrische Begutachtung, 2. Aufl. 1994, S. 379; Suttinger Die Beurteilung des Entwicklungsstandes Hw., in Undeutsch, Hrsg., Forensische Psychologie, Handbuch der Psychologie Bd. 11, 1967 S. 296; Thomae Das Problem der sozialen Reife von 14–20-jährigen, 1973; Toker Die Beurteilung der Reife gem. § 105 JGG in der interkulturellen Begutachtung DVJJ-J 99, 41; Walter Welches Recht für Hw.?, ZJJ 07, 400; ders. Hw. als strafrechtliche Problemgruppe, GA 07, 503; Walter/Eckert Zunehmende Anwendung des JRechts gegenüber Hw, MKrim. 85, 69; Wegener Der „vorzeitige Abschluß der Entwicklung“ bei minderbegabten Straftätern, MKrim. 60, 147.
Übersicht Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen für die Anwendung von JStrafrecht . . 3. Anhaltspunkte für den Entwicklungsstand . . . . . . . . . 4. Anlage-, Entwicklungs- und Verwahrlosungstäter . . . . 5. Jtypische und jfremde Straftatbestände . . . . . . . . . . . 6. Indiz in Zweifelsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit . . . . . . . . 8. Unbehebbare Entwicklungsrückstände . . . . . . . . . . . 9. Die JVerfehlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Die Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Unbehebbare Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Besonderheiten bei Anwendung materiellen JStrafrechts 13. EinheitsJStrafe mit Verurteilungen nach ErwRecht . . . . 14. Abstimmung, Begründung, Anfechtung und Bindung . . 15. Drogentäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rn 1 2 3 5 8 9 10 11 13 14 15 17 18 25 26 31
Vorbemerkungen Wer Hw. ist, sagt § 1 II. Es kommt auf das Alter zZ der Tat an (BGH 6, 354; 22, 24). Auch nach Her- 1 absetzung des Volljährigkeitsalters verwehrt das GG es dem Gesetzgeber nicht, bei Hw. die Erz-
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Hilfe des Staates fortbestehen zu lassen (BVerfG NStZ 87, 275; näher Einf. II 11). Die interdisziplinär erarbeiteten Erkenntnisse der JKriminologie (Einf. I) und die Erfahrungen der Praxis fordern die Anwendung des JRechts auf Hw., wenn nicht ausnahmsweise eindeutig (vgl. aber Rn 17) zu erkennen ist, dass ihre Entwicklung schon weithin abgeschlossen ist. Für eine solche Auslegung spricht, dass auch die Marburger Richtlinien (MKrim. 55, 60) bei sorgsamer Beachtung fast bei allen Hw. die Anwendung des JStrafrechts geboten erscheinen lassen. Der Anteil der nach JStrafrecht verurteilten Hw. stieg von 21% 1954 auf 65% 1988 (Schöch in JStrafrecht an der Wende S. 126) und betrug 2009 ebenfalls 65% (Stat. BA S. 18). Näher zur Anwendungspraxis des § 105 Pruin Die Heranwachsendenregelung S. 55 ff. Zur ungleichmäßigen Anwendung des JStrafrechts auf Hw. Janssen 1980, S. 79, 219; Heinz in JStrafrecht an der Wende S. 79 ff. Zu Kritik u. Weiterentwicklung des § 105 Einf. II 37–41. Zu Zweifeln hinsichtlich des Alters zur Tatzeit § 1, 11. 1.
Abgrenzungsfragen
2 § 105 betrifft nur die Straffrage (BGH 5, 209; BGH NStZ 05, 644; s. auch Rn 29). Ob ein Hw. strafrechtlich verantwortlich ist, richtet sich nach allg. Recht (BGH 12, 116). Eine bes. Schuldvoraussetzung gibt es nicht; § 3 gilt für Hw. nicht (RL 1). Bei erheblichen Reifeverzögerungen kann jedoch Ausschluss oder Verminderung der Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB; RL 1) oder Verbotsirrtum (§ 17 StGB) gegeben sein. – Die Reifegradentscheidung nach § 105 I muss bei allen Verfehlungen (§ 1, 1) Hw. getroffen werden. Im Rahmen des OWiG aber stehen Hw. den Erw. gleich; jgemäße Vollstreckung ist jedoch möglich (§ 98 OWiG). Bei recht erheblichen regionalen Unterschieden, auch zwischen Stadt und Land, wird heute auf Hw. insbes. bei schweren Taten überwiegend JStrafrecht angewendet (vgl. für viele Walter/Pieplow MKrim. 85, 96). Zur „Entschärfung“ der Problematik des § 105 Einf. II 38; BGH StV 87, 307; BayObLG GA 84, 478. Zur Abgrenzung „junger Volljähriger“ des § 41 SGB VIII u. „Hw.“ des JGG vgl. § 12, 8; § 45, 19 b. 2.
Voraussetzungen für die Anwendung von JStrafrecht
3 § 105 will „im Interesse des Hw. alles das dem JStrafrecht . . . unterstellen, was durch jugendliches Verhalten und Erscheinungsbild gekennzeichnet ist“ (BGH 36, 37, 40 = JR 89, 519 mit zust. Anm. Brunner = NStZ 89, 519 mit krit. Anm. Walter/Pieplow). Materielles JRecht ist deshalb auch gegen Hw. anzuwenden bei noch nicht abgeschlossener Entwicklung oder bei einer JVerfehlung, also immer, wenn Täter oder Tat jgemäße, dh entwicklungsbedingte Züge tragen. Eine Vermutung für die Anwendung des J- oder des ErwRechts besteht nicht (aber Rn 17). Doch hat die Praxis ergeben, dass häufig JRecht anzuwenden ist. 4 Die Entscheidung muss jeweils auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalls getroffen werden. So wenig es bestimmte Straftatbestände gibt, die stets eine JVerfehlung darstellen, so wenig gibt es einen bestimmten, fest abgrenzbaren Typ des J, des typischen 14–17-jährigen. Das Leben des Einzelnen verläuft nicht in klar erkennbaren, allgemeingültigen Entwicklungsabschnitten, die durch feste Altersgrenzen bestimmt werden (Einf. II 2 u. 37; BGH 36, 37). Man muss deshalb mit Potrykus (B 2; ähnlich Dallinger/Lackner 15; Schaffstein NJW 55, 1577) unter „J“ hier abweichend von der Legaldefinition (§ 1 II) entsprechend dem materiellen Inhalt den noch ungefestigten, in der Entwicklung stehenden, noch prägbaren Menschen verstehen, bei dem „Entwicklungskräfte noch in größerem Umfang“ wirksam sind (BGH 12, 118; BGH 36, 37; BGH H MDR 90, 888; BGH StV 94, 607, 608; NJW 98, 3655; NStZ-RR 99, 26; 03, 186; NStZ 04, 295; NStZ-RR 11, 218 = ZJJ 11, 201 mit zust. Anm. Eisenberg; OLG Hamm StV 01, 182; StV 05, 71; Eisenberg 8; Böhm/Feuerhelm S. 48; krit. Thomae 1973 S. 19; Ostendorf 6 „ausdehnende Abstrahierung“). Maßgebend ist, ob sich der einzelne J noch in einer für J typischen Entwicklungsphase befindet (BGH 22, 42; BGH 36, 37). Dies bedeutet nicht, dass der Hw. in seiner Entwicklung zurückgeblieben sein (BGH NStZ 08, 696; Brauneck ZStW 65, 209) oder dass er das Bild eines noch nicht 18-jährigen bieten muss (BGH 36, 37).
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Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende
3.
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Anhaltspunkte für den Entwicklungsstand
Anhaltspunkte für die Entscheidung, die nur im Zusammenhang richtig gewürdigt werden 5 können (Rn 11), sind im Folgenden dargestellt. 1955 wurden von der DVJJ und der Deutschen Vereinigung für JPsychiatrie die rechtlich unverbindlichen „Marburger Richtlinien“ erarbeitet (MKrim. 55, 60). Nach Eisenberg (25 mwN) ergeben diese an der Pubertäts- oder Adoleszenztheorie Sprangers (vgl. Remschmidt, Zs. f. Kinder- u. JPsychiatrie 75, 77) orientierten psychosozialen Bezeichnungen wenig Verbindliches für eine gültige Feststellung. Die Bezeichnungen gingen vom Idealbild eines reifen Erwachsenen aus; es liege die Frage nahe, ob es sich möglicherweise weniger um Bezeichnungen für einen jgemäßen Entwicklungsabschnitt als vielmehr für Auffälligkeiten bei registrierten Straftätern handle. Nach Ostendorf 7 stehen die Marburger Richtlinien „nur zum Teil unter richtigem Vorzeichen“. Gegen die Richtlinien wird neben dem weiten Interpretationsspielraum auch ihr teilweise moralisch wertender Charakter sowie der Umstand angeführt, dass die Kriterien teilweise auch für nicht entwicklungsbedingte Persönlichkeitsstörungen zutreffen (Freisleder S. 78; Lempp 1983 S. 219 f; Rasch/Konrad S. 82). Immerhin enthalten die Richtlinien Hinweise, die dem Hilfen geben können, der nicht meint, mit einem oder einigen dieser Anzeichen ohne übergreifende Gesamtwürdigung der Persönlichkeit unter Einbeziehung der Umweltbedingungen (Rn 11 b) bereits diese schwierige, schwankender Beurteilung unterliegende Entscheidung (vgl. Einf. II 38) treffen zu können. Nach den Marburger Richtlinien legt das Fehlen folgender Züge es nahe, einen Hw. einem J 5 a gleichzustellen: eine gewisse Lebensplanung; Fähigkeit zum selbständigen Urteilen und Entscheiden; Fähigkeiten zum zeitlich überschauenden Denken; Fähigkeit, Gefühlsurteile rational zu unterbauen; ernsthafte Einstellung zur Arbeit und eine gewisse Eigenständigkeit zu anderen Menschen. Charakteristisch jtümliche Züge könnten z. B. sein: ungenügende Ausformung der Persönlichkeit; Hilflosigkeit, nicht selten hinter Trotz und Arroganz versteckt; naiv vertrauensseliges Verhalten; Leben im Augenblick; starke Anlehnungsbedürftigkeit; spielerische Einstellung zur Arbeit; Neigung zum Tagtraum; Hang zu abenteuerlichem Handeln; sich Hineinleben in selbsterhöhende Rollen und mangelhafter Anschluss an Altersgenossen. Esser/Fritz/Schmidt (MKrim. 91, 356) haben auf der Grundlage der Marburger Richtlinien empi- 5 b risch 10 Reifekriterien herausgearbeitet, die zur Beurteilung des Einzelfalls herangezogen werden können: realistische Lebensplanung; Eigenständigkeit gegenüber den Eltern; Eigenständigkeit gegenüber Gleichaltrigen und Partner; ernsthafte Einstellung gegenüber Arbeit und Schule; äußerer Eindruck; realistische Alltagsbewältigung; gleichaltrige oder ältere Freunde; Bindungsfähigkeit; Integration von Eros und Sexus und konsistente, berechenbare Stimmungslage. Eine Nachuntersuchung der Probanden nach 7 Jahren ergab bei allen 10 Reifekriterien einen Alterszuwachs (Esser DVJJ-J 99, 37). Dies spricht dafür, dass mit den Kriterien Reife beschrieben werden kann (Bauer/Remschmidt S. 473 f). Auch insoweit ist darauf hinzuweisen, dass kein Abhaken oder Vorrechnen der Kriterien erfolgen darf, sondern eine Gesamtwürdigung erfolgen muss (Schütze/Schmitz 1999 S. 132). Busch (Rechtspsychologische Begutachtung S. 106 ff, 187) entwickelte durch Befragung von Juristen, Medizinern und Psychologen über Unterschiede zwischen J und Erw. 10 Skalen zur Beurteilung des Entwicklungsstands von Hw.: soziale Autonomie und Autonomie in der Lebensführung, Qualifikation und Ziele (bezogen auf Schule und Beruf), Problem- und Konfliktmanagement, Werte und Normen, soziale Beziehungen und Partnerschaft, Kommunikation und Reflexivität, Emotionalität und Impulsivität, Umweltbedingungen, Umstände der Tat und Beweggründe der Tat (vgl. auch Busch/Scholz MKrim 03, 401; Busch ZJJ 06, 264 u. dazu kritisch Esser/Wyschkon/Schmidt MKrim. 04, 458). Auch diese Kriterien können herangezogen werden (BGH NStZ 11, 218, 219 = ZJJ 11, 201 mit zust. Anm. Eisenberg). Lempp (1983 S. 220) stellt insbes. auf die Bewältigung der Pubertät ab. Zeichen einer unreifen, noch in der Entwicklung stehenden Persönlichkeit können – nicht 6 müssen – daher unter Berücksichtigung der Rechtsprechung sein: Vorherrschen des Gefühls-
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und Trieblebens (Besitz-, Geschlechtstrieb, sinnlose Zerstörungswut, Lust am Quälen) mit Launen und allg. Unausgeglichenheit; Ausweichen vor Belastungen, Leben in den Tag hinein und Labilität (BGH StV 94, 607 f). Die Handlungen entspringen der Gelegenheit, nicht der Planung, und sind ohne Verbindung zu tieferen Schichten der Persönlichkeit, weshalb den Verlockungen nicht genügend Widerstand entgegengesetzt werden kann; hierher zählen auch die Primitivreaktionen bes. der geistig Retardierten. 6 a Drang zur Selbständigkeit mit Lösung der familiären Bindungen. Eine Eheschließung kann auf solchen typisch j. Motiven beruhen; sie ist deshalb nicht notwendig ein Zeichen geistiger und sittlicher Reife (OLG Saarbrücken Rspr. 64 Nr. 7). Auch ist zu beachten, dass frühe Selbständigkeit in ungünstiger Umgebung die Entwicklung des mit einem charakterlich problematischen Mann verheirateten Mädchens nicht fördert; das naive Zutrauen einer noch nicht starken und sicheren Persönlichkeit kann eher das Gegenteil bewirken (BGH 12, 120). Nach BayObLG (bei Rüth DAR 75, 205) sprechen Bindung und Einordnung zum Elternhaus für sich noch keineswegs für eine „sittlich-seelische“ Unreife und mangelnde Selbständigkeit, da sie ebenso gut die selbstsichere Reife eines bereits gefestigten Charakters zur Grundlage haben können. Der aus finanziellen Gründen häufig vorkommende Umstand, dass ein Student noch bei seinen Eltern wohnt, lässt für sich allein noch keinen Rückschluss auf eine verzögerte Persönlichkeitsentwicklung zu (OLG Düsseldorf NJW 99, 1200). Nach BGH NStZ 11, 90 spricht es nicht für die Anordnung von JStrafrecht, dass ein beruflich integrierter Hw. noch bei seinen Eltern lebt und keine eigene Familie hat. Dagegen sprechen mehr für Unreife und Entwicklungsstörungen die – oft – vorzeitige Ablösung vom Elternhaus, der Drang, frühzeitig sein „eigener Herr“ sein zu können, die Nichtbeachtung elterlicher Weisungen und das schnelle Aufgeben eines schmalen Verdienstes; Widerstand gegen bisherige positive erz. Einflüsse, ja gegen jede Autorität; Suche nach neuen, meist bedingungslos anerkannten Vorbildern (ungute Freunde; Medien); Wunsch, anerkannt zu werden, bes. nicht als feige zu gelten; Stimmungslabilität (BGH H MDR 77, 283); eine durch Überforderung, Naivität und Vertrauensseligkeit geprägte Tatsituation (BGH NStZ 03, 538). Fehlt im Berufsweg Kontinuität und ernsthafte Lebensplanung (BGH B NStZ 89, 524; OLG Hamm StV 01, 182; vgl. dazu Rn 7 u. 11 c), zeigt sich Durchsetzungsvermögen lediglich in den Straftaten, so ist Reife zu bezweifeln (BGH StV 84, 254; 94, 607). Den Entschluss, „sich praktisch vom Lehrbub zum selbständigen Unternehmer emporzuschwingen“, bezeichnet BGH (B NStZ 89, 523) als jtümlich. Ebenso können für Anwendung von JStrafrecht sprechen problematische Familienverhältnisse in den entscheidenden Entwicklungsjahren, frühe Kontakte mit Kriminellen (BGH StV 83, 378 u. Rn 11 c), Mangel an Schulausbildung und die Tatsache, dass der Hw. als junger Mensch in einen ihm völlig fremden Kulturkreis geraten ist und sich dem Drogenkonsum zugewandt hat (OLG Bremen StV 93, 536). Eine Integration in die Drogenszene ist kein Ausdruck von Reife (OLG Rostock ZJJ 04, 82 mit zust. Anm. Pollähne). Dass der Hw. aufgrund seines Lebensweges keine echte Chance auf eine positive Entwicklung hatte, führt aber noch nicht zur Anwendung von JStrafrecht (BGH NStZ 03, 495). 6 b Hang zum Abenteuer und Phantastischen; Leidenschaft für die Technik (Kfz-Entwendungen zu Spazierfahrten als Ausfluss des starken Reizes der Technik, BGH EJF C I 43); Verkehrsdelikte aus puberaler motorischer Enthemmung, aus Geltungsstreben, Selbstbestätigungs- und Erlebnisdrang oder aus Mangel an Verantwortungsbewusstsein (OLG Hamm NJW 60, 1966; zur Verkehrsdelinquenz Hw. s. Kölbel Zbl. 98, 10); längerer Besitz der Fahrerlaubnis begründet die Anwendung des ErwRechts nie (OLG Saarbrücken Justizblatt des Saarlandes 61, 35; ähnlich OLG Hamm aaO; Blau RdJ 62, 289, 310; Petersen NJW 61, 493); Sucht, in aller Mund zu sein, Angeberei, Kraftmeierei; Raub von Geld, um sich Kleidungsstücke zu kaufen, weil auch die Bekannten „so gut angezogen“ sind (BGH StV 91, 424; s. auch Rn 14). 6 c Unsicherheit gegen die noch nicht verstandene Ordnung der Erw., oft verborgen in Arroganz und Trotz; Auflehnung gegen Bestehendes (BGH StV 94, 608), Anlehnung und Vertrauensse-
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ligkeit gegenüber Fremden, auch Nachahmung und „Herdentrieb“, wobei Überlegenheit auf geistig-sittlichem Gebiet für die Reifeentscheidung ohne Bedeutung ist (BGH EJF C I 43); Mitwirkung bei Banden (zur Differenzierung Einf. I 37–41); verführter Einzeltäter; falsch verstandene Kameradschaft oder „Ritterlichkeit“. Das OLG Zweibrücken (NStZ 87, 86 mit Anm. Molketin) hat zur Verurteilung eines Skinheads zutreffend ausgeführt, dass die Hinwendung zu einer Gruppe Gleichgesinnter, verbunden mit Unterordnung und Preisgabe individueller Freiräume, aber dem Gefühl solidarischer Geborgenheit, Ausdruck mangelnder Reife sein kann (nicht muss). Zur Drogenabhängigkeit Rn 31. Gerade j oder hw. Überzeugungstäter sind oft von Nachahmungs- oder Herdentrieb motiviert; 6 d ihre Taten weisen idR Züge von Schwärmerei, Abenteuerlust und „Romantik“ auf (BGH 8, 90; Molketin MDR 80, 1044). Vgl. auch Einf. I 40. Das OLG Hamburg (MDR 80, 338) hat jedoch wegen der äußerst planvollen Lebensgestaltung einer Hw. gerade im terroristischen Bereich (ua 2 Mordversuche an Polizeibeamten) die Gleichstellung mit einer Jugendlichen (unter Zustimmung von Molketin aaO) verneint. Vgl. hierzu auch BGH 8, 163; BayObLG 76, 73. Eingeschränkte sprachliche Ausdrucksfähigkeit des Hw. kann Folge und Indiz einer retardierten geistigen Entwicklung sein (BGH B NStZ 81, 252). Die Tatsache, dass ein Hw. nach ordnungsgemäßem Schul- und Lehrabschluss einer geregelten Arbeit nachgeht, muss nach BGH H MDR 82, 104 (bei Körperverletzung mit Todesfolge in Trunkenheit, um nach 9 Monaten „eine alte Rechnung zu begleichen“) einer Anwendung des § 105 I Nr. 1 nicht im Wege stehen. Die selbständige Einreise nach Deutschland ist kein aussagekräftiges Indiz für die Reife des Täters (OLG Hamm StV 05, 71, 72). Eine gewisse „Stimmungslabilität“ kann stets darauf hinweisen, dass die Persönlichkeit noch nicht voll ausgereift ist (BGH H MDR 77, 283: Hw. 19 Jahre 4 Monate, Mord; JKammer hatte ErwRecht angewandt). Demgegenüber können – nicht müssen – Zeichen einer weitgehend abgeschlossenen Ent- 7 wicklung sein: gewisse Lebensplanung mit ernsthafter Einstellung zur Arbeit (vgl. aber auch Rn 6 d); Fähigkeit zu selbständigem, rational unterbauten Urteilen und Entscheiden sowie zu zeitlich überschauendem Denken, gewisse Eigenständigkeit gegenüber anderen Menschen (ambivalent, s. BayObLG in Rn 6 a); Leistungsehrgeiz (im Gegensatz zum Geltungsehrgeiz des J); Eheschließung nur, wenn die Ehe in sittlicher Verantwortung eingegangen worden ist (ambivalent, s. OLG Saarbrücken u. BGH in Rn 6 a). – Zu bes. Schwierigkeiten bei der Reifeentscheidung bei jungen Ausländern Einf. I 20 b. 4.
Anlage-, Entwicklungs- und Verwahrlosungstäter
Wird eine Unterscheidung nach Anlage-, Entwicklungs- und Verwahrlosungstätern zugrunde ge- 8 legt (kritisch dazu Ostendorf 7 wegen Gefahr der Diskriminierung und Diffamierung), gilt Folgendes: Hw. Anlagetäter sind regelmäßig schon in ihrer kriminellen Haltung verfestigt; für sie gilt idR allg. Recht (Dallinger/Lackner 29; Eisenberg 26, aber dort auch § 5, 83 ff). – Gegen Entwicklungstäter (Einf. I 12; Tat aus Reifungsvorgängen, ohne feststellbare Anlage- oder Milieu-Schäden) ist grds. JRecht anzuwenden (Dallinger/Lackner, Eisenberg aaO); der einem Erw. gleichstehende Hw. hat dagegen „Sturm und Drang“ im Wesentlichen hinter sich. – Auf Verwahrlosungstäter (schädliche Umwelteinflüsse, dissozialer Lebensstil) ist großzügig JRecht anzuwenden (BGH StV 94, 607; 608), da gerade wegen dieser Gruppe § 105 geschaffen wurde; doch muss ErwRecht gelten, wenn die schon abgeschlossene Entwicklung zu einem negativen Persönlichkeitsbild geführt hat, das unabhängig von den schädlichen Einflüssen in sich gefestigt ist (OLG Karlsruhe GA 80, 151). Zu unbehebbaren Entwicklungsrückständen Rn 13. Eine Minderbegabung allein, selbst iSd § 21 StGB, ist nicht unbedingt ein Zeichen, dass die Entwicklung auf geistigem Gebiet noch nicht abgeschlossen ist (BGH NJW 59, 1500; OLG Karlsruhe aaO); verhindert lediglich eine erhebliche Minderbegabung eine weitere geistige und sittliche Entwicklung zum Erw. hin, so ist § 105 I nicht anwendbar (BGH 22, 42; BGH NJW 59, 1500; OLG Karlsruhe aaO). Es kommt auf die Gesamtwür-
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digung der Täterpersönlichkeit (Rn 11), auf die Reife im Ganzen an. Doch vertreten medizinische Sachverständige häufig die Auffassung, dass auf Debile und Imbezile (Wegener MKrim. 60, 147) und auf Hw. mit frühkindlichen Hirnschäden (Einf. I 25) grds. JRecht anzuwenden sei. Vgl. dazu Rn 13. Der BGH (H MDR 78, 459) hat ein Urteil aufgehoben, weil ein Gehirnschaden und seine möglichen Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit und die geistige und sittliche Entwicklung des Hw. nicht erörtert und vom Gutachten abgewichen wurde (vgl. BGH 26, 67 u. OLG Karlsruhe aaO). 5.
Jtypische und jfremde Straftatbestände
9 Als Taten entsprechen der Vorstellungswelt eines in der Entwicklung stehenden jungen Menschen vor allem Diebstahl (bes. Banden, Warenhaus), Sexualdelikte, Taten aus technischem Interesse (unbefugter Kfz-Gebrauch), Gewaltakte (Sachbeschädigung, Tierquälerei, Brandstiftung; ggf. Raub, Totschlag; vgl. BayObLG VRS Bd 62 [82], 55; s. aber zur Sachbeschädigung OLG Düsseldorf NJW 99, 1200 bei Rn 14 a). Dagegen entsprechen idR nicht Untreue, Hehlerei (bes. gewerbsmäßig), komplizierte Betrügereien (anders z. B. Fahrkartenschwindel), Urkundenfälschungen und Zuhälterei (BGH NStZ 03, 495). Die meisten Taten sind aber selbst einer so groben Eingliederung nicht zugänglich. Gleichförmige Tatausführungen und Wiederholungen nach Freiheitsentzug sind weder ein Indiz für noch gegen die ErwReife (BGH H MDR 82, 972). 6.
Indiz in Zweifelsfällen
10 Ein wichtiges Indiz in Zweifelsfällen, sonst aber eine stets beachtenswerte Kontrolle bietet die Frage, welche Rechtsordnung die für diesen Täter am besten geeignete Maßnahme enthält. Die Rechtsordnung ist stets, gerade aber mit § 105 bestrebt, für jeden Täter die geeignete Maßnahme zur Verfügung zu stellen (Dallinger/Lackner 5; Schaffstein NJW 55, 1578; Schaffstein/Beulke S. 75; Schmitz MKrim. 74, 65; Lempp 1983 S. 223). Bei Eisenberg (33) Bedenken, weil die Frage nach der geeigneten Rechtsfolge als Kontrolle für die Beurteilung die Gefahr in sich berge, dass die Kontrolle auf die noch nicht ausgesprochene Beurteilung einwirke. Die Untersuchungen Janssens (Hw. im JStrafrecht, 1980) haben den entscheidenden Einfluss der relevanten Sanktionsziele für die Wahl des JStrafrechts durch den Richter erwiesen. Bei verbleibenden Zweifeln: Rn 17. 7.
Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit
11 Ob eine verzögerte Entwicklung vorliegt (Abs. I Nr. 1), ist auf Grund einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit – auch der Umweltbedingungen – zu entscheiden, ein einzelner Wesenszug genügt nicht (BGH NJW 98, 3655; NStZ 03, 493; NStZ-RR 11, 218 = ZJJ 11, 201, 202 mit zust. Anm. Eisenberg). Es kommt auf die Reife im Ganzen, nicht nur in Bezug auf die konkrete Tat an (OLG Karlsruhe GA 80, 151; Schaffstein/Beulke S. 72). Der Versuch, eine partielle Vollreife zu konstruieren (Blau MDR 59, 717), widerspricht dem Gesetz. Es muss nachdrücklich davor gewarnt werden, auf das Vorliegen einzelner (bei Rn 6 d und 7) beispielhaft angeführter Umstände allein die Entscheidung zu stützen oder nur auf die Tat und ihre Begleitumstände abzustellen (Schaffstein/Beulke aaO); der Tat entnommene Kriterien (Dreistigkeit, Planung) besagen zum Reifegrad nichts (Munkwitz MKrim. 55, 41). Es geht hier um die Prüfung, wieweit die dritte Reifephase, die Adoleszenz (etwa 18./20. Jahr), abgeschlossen ist, der das „Trotzalter“ (ca. 12./13. Jahr) und die Pubertät (etwa 14./17. Jahr) vorausgegangen sind. Diese Zeiträume verschieben sich zunehmend, sodass Jahreszahlen nur einen groben, nicht immer sicheren Anhaltspunkt ergeben. Nach dem Abbau bisheriger Bindungen und dem allg. Umbruch in der Entwicklung bedeutet die Adoleszenz die Konsolidierung zum Erwachsenen (Einf. I 28). „Der“ Hw. ist also regelmäßig weder ganz reif noch ganz unreif. Die zu entscheidende Frage ist, ob diese Konsolidierung bei diesem Täter so weit erfolgt ist, dass das Gesamtbild nicht mehr dem eines jungen, unreifen Menschen entspricht. Dieser Stand der Entwicklung tritt umso später ein, je differenzierter die soziale Welt ist, in die der Hw. hineinwächst, ein wesentlicher Grund für die zunehmende Verzögerung der Reife
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auf geistig-sittlichem Gebiet (Einf. II 40). Die nur schwach untermauerte Feststellung, ein zur Tatzeit 20 Jahre 7 Monate alter Hw. entspreche „dem Durchschnitt seiner Altersgenossen in vergleichbaren Situationen“, trägt die Anwendung von ErwRecht nicht (BGH StV 83, 378); ebenso wenig genügt bei Schwierigkeiten des Angeklagten in Schule und Berufsleben sowie fortdauernder Abhängigkeit von der Mutter der bloße Hinweis, die Tat sei ein Jahr vor Vollendung des 21. Lebensjahres erfolgt, und die nicht näher begründete Annahme, eine Reifeverzögerung sei nicht festzustellen (BGH B NStZ 94, 532). Vgl. auch Rn 11 c. Zu den bes. Schwierigkeiten bei jungen Ausländern Einf. I 20. Siehe auch BGH H MDR 90, 888 zu sozialer Entwurzelung. Es kommt nur auf die für das soziale Verhalten entscheidende Entwicklung auf geistigem und 11 a sittlichem Gebiet an (Schaffstein/Beulke S. 72). Es genügt aber, wenn die sittliche oder die geistige Entwicklungsreife fehlt (BGH NJW 56, 1408; Dallinger/Lackner 14; Eisenberg 9). Doch ist eine stark verzögerte körperliche Entwicklung idR ein Indiz dafür, dass auch die geistige und sittliche Entwicklung zurückgeblieben ist, nicht umgekehrt (Lempp 1983 S. 225); sexuelle Frühreife verzögert häufig die geistig-sittliche Reifung. Rasche körperliche Entwicklung lässt zumeist die charakterliche Reife zurückbleiben. Fehlt, wie meist, nur die sittliche Reife, doch in erheblichem Umfang, darf auch eine fortgeschrittene geistige (intellektuelle) Entwicklung nicht darüber hinwegtäuschen, dass die gesamte Persönlichkeitsentwicklung noch der eines J entspricht. Für die Persönlichkeitsentwicklung haben die Umwelteinflüsse oft entscheidendes Gewicht 11 b und müssen deshalb eingehend erforscht und bei der Entscheidung berücksichtigt werden. Steht fest, dass die Ursachen der Tat eines Hw. ausschließlich ErzMängel, erz. ungünstige Umwelteinflüsse uä sind, liegt es nahe, dass der Täter mindestens in seiner sittlichen Entwicklung zurückgeblieben ist und grds. nach JRecht abgeurteilt werden muss (BGH MDR 54, 694), ohne dass es noch darauf ankäme, ob diesem Einfluss alle Gleichaltrigen ausgesetzt waren (BGH 8, 91). S. auch OLG Hamm StV 01, 182: mehrfacher Umzug mit den Eltern in Gebiete mit unterschiedlichen sozialen, kulturellen u. rechtsethischen Anschauungen. Jedoch bleiben die Umwelteinflüsse außer Betracht, welche die Persönlichkeitsentwicklung nicht beeinflusst haben (Dallinger/Lackner 33). Es sind dies schwer zu treffende Feststellungen, die häufig zweifelhaft bleiben müssen (Einf. I 3, 52). Wichtige Aufschlüsse geben oft der Lebenslauf, bes. auffällige Änderungen, Schicksalsschläge 11 c oä, auch Mängel geistiger oder körperlicher Art sowie Fehler im Entwicklungsgang (falscher Beruf; Einf. I, 32–35). So bedürfen nach BGH StV 83, 378 bei der Begründung der Reifeentscheidung als Anhaltspunkte für Reifeverzögerung der Erörterung problematische Familienverhältnisse in den entscheidenden Entwicklungsjahren (Einf. I 29), unregelmäßiger Schulbesuch ohne Abschluss (Einf. I 33) und fortdauernde Abhängigkeit von der Mutter (Rn 6 a). Besteht zwischen Fähigkeiten, Neigungen, Interessen und Plänen bes. in der Leitthematik des Lebens weitgehend Harmonie, ist die 3. Reifungsphase abgeschlossen. In der Praxis spielt das bloße Alter eine hin und wieder weit überschätzte und damit nicht unge- 11 d fährliche Rolle, die leicht zu Fehlbeurteilungen führen kann. Geht der Richter davon aus, der Hw. sei zur Tatzeit 19 und 20 Jahre alt gewesen, war dieser aber 17 und 18 Jahre alt, so führt dieser Fehler allein schon zur Aufhebung des Urteils (BGH B NStZ 84, 447). – Bei einer fortgesetzten Tat (vgl. aber BGH 40, 138), bei deren Beginn der Täter kurz vor Vollendung des 18. Lebensjahres stand und bei deren Ende er 18 Jahre alt war, ist bes. sorgfältig zu prüfen, ob die Reife bei den letzten Tatteilen vorlag (BGH EJF C I 43). Dass die Tat über das 21. Lebensjahr hinaus fortgesetzt wurde, schließt die Anwendung des § 105 nicht aus (OLG Hamburg u. OLG Koblenz gegen OLG Frankfurt bei Wagner GA 62, 14; vgl. § 32, 7). Entscheidend ist immer die Reife zZ der Tat; notfalls müssen darüber bes. Ermittlungen ange- 12 stellt werden (Rn 15; BGH 12, 120; OLG Köln Zbl. 79, 116; LG Arnsberg ZJJ 10, 424: Anwendung von JStrafrecht auf einen zur Tatzeit Hw. bei Verurteilung wegen Mordes 23 Jahre nach der Tat). Der Feststellung, ein Hw. sei zur Tatzeit ein in der Entwicklung stehender Mensch gewesen,
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steht das Vorhandensein von Reiferückständen auch noch im Zeitpunkt der Verurteilung des inzwischen 22 Jahre alten Angeklagten nicht entgegen; denn auch eine spätere Nachreifung, wenn sie etwa bis zum 25. Lebensjahr erwartet werden kann, rechtfertigt die Annahme einer Entwicklung, wie sie das JGG im Auge hat (BGH B NStZ 92, 530). Zu Prägbarkeit, persönlicher u. spezialpräventiv zu nützender Ansprechbarkeit Einf. II 37–41. 8.
Unbehebbare Entwicklungsrückstände
13 Unbehebbare Entwicklungsrückstände (Schwachsinn, charakterliche Fehlhaltung), welche den Hw. über den Entwicklungsstand eines J niemals hinauskommen lassen, berechtigen nicht zur Anwendung des JStrafrechts (BGH 22, 41; BGH NJW 59, 1500; 02, 75; OLG Karlsruhe GA 80, 151; OLG Zweibrücken StV 86, 306; AG Kiel NJW 56, 35; abl. Ostendorf 6). Jedoch kann eine solche Prognose – auch vom Sachverständigen – nur in Ausnahmefällen gestellt werden (BGH NJW 02, 76 = NStZ 02, 204 mit Anm. Walter = ZJJ 03, 194 mit Anm. Breymann; Besprechung Kudlich JuS 02, 1164; BGH NStZ-RR 03, 186; NStZ 04, 295 f), denn es findet fast immer eine Nachreifung statt. Deshalb ist eine so negative Prognose praktisch kaum möglich. Dass der Entwicklungsrückstand wahrscheinlich nicht behoben werden kann, steht der Anwendung von JRecht nicht entgegen (Grethlein NJW 59, 542; ähnlich Eisenberg 27), zumal durch jstrafrechtliche Rechtsfolgen zumindest eine gewisse Anpassung erzielt werden kann (Schaffstein/Beulke S. 76). Wird eine Persönlichkeitsstörung durch eine Alkoholproblematik beeinflusst, die keine chronische Erkrankung darstellt, liegt die Möglichkeit einer Nachreifung bei erfolgreicher Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs keineswegs fern. Die Anwendung von JStrafrecht wird wesentlich von den Therapieaussichten bestimmt (BGH B NStZ 93, 530). 9.
Die JVerfehlung
14 Eine Jugendverfehlung ist ein mindestens partieller Rückfall eines altersgemäß entwickelten Hw. in die Verhaltensweise eines J (Dallinger/Lackner 35; Potrykus B 5), wenn sie nicht überhaupt noch dem ganzen Wesen eines in der Entwicklung zurückgebliebenen Hw. entspricht (Rn 6; BGH NStZ 87, 366), eine Tat also, die charakteristisch für einen in der Entwicklung begriffenen jungen Menschen ist, wie er in Rn 4 aE beschrieben ist, die Merkmale jugendlicher Unreife aufweist (BGH NStZ 08, 696). Der BGH (EJF C I 43 mit Anm. Kohlhaas) formuliert: „Eine JVerfehlung liegt ua dann vor, wenn die Tat ihrem äußeren Erscheinungsbild nach kennzeichnend für Verfehlungen ist, wie sie bei J oft vorkommen“, also auch bei „gutgearteten“ J (Kohlhaas aaO). Der BGH würdigt hier eine Kfz-Entwendung allein zur Spazierfahrt unter dem Einfluss unguter Freunde. Es ist nicht auf den individuellen Täter, sondern die Tat abzustellen (BGH aaO; OLG Düsseldorf VRS Bd 30 [66], 175 = Zbl. 67, 91). OLG Hamm MDR 69, 601 lässt ausdrücklich offen, ob OLG Düsseldorf dahin zu folgen ist, dass auf die Tat abzustellen sei. Aber auch die Beweggründe dürfen nicht übersehen werden. Die JVerfehlung muss – entgegen den im Gesetzestext nicht zum Ausdruck gekommenen, also unbeachtlichen Vorstellungen des Gesetzgebers – nicht notwendig eine Tat geringer Bedeutung sein; auch die schwerste Tat kann eine JVerfehlung sein (BGH H MDR 86, 977; vgl. BGH NJW 54, 1775 für Meineid; BGH StV 81, 183; OLG Celle NJW 79, 341 für Vergewaltigung; BayObLG StV 81, 527 für einen schweren Gewaltakt; BGH NStZ 86, 549 für Körperverletzung mit Todesfolge; BGH NStZ 87, 366 für schweren Raub; BGH B NStZ 95, 538 für die Beauftragung eines „Killers“; BGH NStZ 01, 102 für versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung; BGH NStZ 08, 696 für Totschlag; Dallinger/Lackner 36; Eisenberg 35; Schaffstein/Beulke S. 78). Eine typische JVerfehlung wird eine Vergewaltigung aber nur dann sein, wenn sich puberale Schwierigkeiten des Täters direkt ausgewirkt haben (Beulke/Mayerhofer JuS 88, 138). Maßgebend für die Würdigung als JVerfehlung sind die äußeren Tatumstände und die Beweggründe des Täters (BGH 8, 90; BGH StV 87, 307; BayObLG aaO; OLG Zweibrücken StV 89, 314 zu entwicklungsbedingter Unüberlegtheit, Mangel an Besonnenheit). Es kommt darauf an, ob die Motive oder das äußere Erscheinungsbild oder auch
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nur die Begleitumstände der Tat eine Verhaltensweise zeigen, wie sie bei J üblich ist (BGH NStZ 86, 549). Dass solche Straftaten von Tätern aller Altersklassen begangen werden, schließt die Annahme einer JVerfehlung nicht aus (BGH NStZ 01, 102); maßgeblich ist, dass die konkret begangene Tat auf jugendlichen Leichtsinn, Unüberlegtheit oder soziale Unreife zurückzuführen ist (BGH 8, 90; BGH NStZ-RR 99, 26; BGH NStZ 01, 102; BGH ZJJ 07, 415, 416; BayObLG StV 84, 520; LG Gera StV 98, 346; StV 99, 662; AG Saalfeld NStZ 94, 89, 90; StV 05, 65, 66; 07, 15). Rasch/Konrad S. 84 f nennen als Kennzeichen von JKriminalität, dass die Tat Ausdruck einer Krise innerhalb des Bemühens um Verselbständigung ist, der Täter aus einem unsicheren Realitätsbezug heraus handelt oder die Tat am Normensystem der j Subkultur einer Peer-Group orientiert ist. Handelt es sich bei dem gehehlten Gut um ein Fahrrad, das der knapp 20 Jahre alte Angeklagte auf einem Parkgelände hinter einer Schule spontan auf das Angebot eines flüchtigen Bekannten hin angekauft hat, muss die Frage einer JVerfehlung eingehend geprüft werden (OLG Zweibrücken B NStZ 93, 530). Eine Verfehlung ist schon dann jtümlich, wenn sie Antriebskräften der Entwicklung entspringt (BGH 8, 90). Man kann mit Schaffstein/Beulke (S. 77) § 105 I Nr. 1 als „täterbezogen“, § 105 I Nr. 2 als mehr „tatbezogen“ bezeichnen. Raubt ein Hw. Geld, um sich Kleidungsstücke zu kaufen, weil auch seine Bekannten „so gut angezogen“ sind, wird eine j Unreife erkennbar, die sowohl auf einen Entwicklungsrückstand als auch auf eine JVerfehlung hindeuten kann (BGH StV 91, 424). Jtypisches Verhalten ist insbes. gekennzeichnet durch Mangel an Ausgeglichenheit, Besonnen- 14 a heit, Hemmungsvermögen und Beherrschung, auch durch volles Ausleben von Zorn und Wut (BGH NStZ 86, 549; OLG Zweibrücken StV 89, 314; BayObLG VRS Bd 62 [81], 56 für falsch verstandenen Ehrbegriff eines Hw., der eine vorangegangene Beschimpfung seiner Mutter durch das Tatopfer rächen wollte; OLG Hamm StV 01, 182: spontaner Entschluss, in den eskalierenden Streit des Vaters mit einem anderen Mann einzugreifen). Die Anwendung von Gewalt und „rowdyhaftes Benehmen“ kann als JVerfehlung (§ 105 I Nr. 2) Vorstellungen von „Heldenhaftigkeit, Mutbeweis und Imponiergehabe“ entsprechen und sich aus Mangel an Mitgefühl, Selbstsicherheit und Hemmungskraft erklären (OLG Zweibrücken NStZ 87, 89 mit Anm. Molketin, der darauf hinweist, dass gerade bei Aggressionsdelikten die mitunter erschreckend große Unfähigkeit des Täters offenkundig wird, Konflikte mit anderen Mitteln als mit krimineller Gewalt zu lösen). Tatumstände bei einer gefährlichen Körperverletzung wie Alkoholgenuss, Auseinandersetzung zwischen jungen Leuten in einem Festzelt, provozierende Sprüche, Imponiergehabe müssen ebenso wie verbale Auseinandersetzungen zwischen jungen Besuchern einer Diskothek und ein eskalierender Streit in Gegenwart von Freunden und Freundinnen beider Seiten Anlass zu einer sorgfältigen Erörterung des Vorliegens einer JVerfehlung sein (BGH NStZ 01, 102 mit Besprechung Hoffmann StV 01, 196; OLG Zweibrücken B NStZ 91, 524; 93, 530). Nach OLG Düsseldorf (NJW 99, 1200 mit krit. Anm. Behm NStZ 99, 511) haben Sachbeschädi- 14 b gungen allg., aber auch solche in Form des Graffiti-Sprühens nichts JTypischen an sich; auch der Anreiz, etwas Verbotenes zu tun, bestehe nicht nur bei J. Spricht j. Leichtsinn, Unüberlegtheit oder soziale Unreife für eine JVerfehlung (BayObLG StV 84, 520; BGH NStZ 86, 549), so schließt andererseits überlegtes, zweckgerichtetes Handeln den jtypischen Charakter einer Tat nicht grds. aus (BGH StV 83, 377; OLG Hamm StV 05, 71, 72; AG Saalfeld StV 07, 15). Es können lediglich die Beweggründe der Tat und ihre Veranlassung eine JVerfehlung kennzeichnen (BGH H MDR 86, 977; OLG Zweibrücken B NStZ 89, 524; OLG Hamm StV 05, 71, 72; AG Saalfeld StV 07, 15: uneidliche Falschaussage aus falsch verstandener Kameradschaft), aber auch Umstände, die außerhalb des eigentlichen Tatgeschehens auf j. Leichtsinn hindeuten (BGH StV 89, 311). So schließt auch die Absicht, Haschisch gewinnbringend zu verkaufen, Abenteuerlust und jtümliche Beweggründe für eine „Ankaufsreise“ nicht grds. aus (BGH aaO). Ein Verkehrsvergehen scheidet nicht deshalb als JVerfehlung aus, weil derartige Vergehen von 14 c Tätern aller Altersklassen begangen werden (BayObLG VRS Bd. 62 [82], 56; OLG Frankfurt NJW
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3. Teil. Heranwachsende
70, 1958; OLG Saarbrücken NStZ-RR 99, 284; AG Saalfeld VRS 106 [04], 280, 281; 282, 285; ZJJ 05, 211, 212; StV 05, 65, 66; StV 07, 15). Es darf nicht eine vom Gesetz nicht vorgesehene Regelund Ausnahmeprüfung dahin stattfinden, dass bei Verkehrsdelikten idR von ErwStrafrecht ausgegangen wird (LG Gera StV 99, 662; AG Saalfeld NStZ 94, 89, 90; VRS 108 [05], 366, 367). Aus der Innehabung der Fahrerlaubnis allein lässt sich nicht auf das Vorliegen von Erwachsenenreife schließen (AG Saalfeld StV 07, 15, 16; Kühn NK 08, 131). Vielmehr kommt es darauf an, ob die Tat auf j Leichtsinn, Unüberlegtheit oder soziale Unreife zurückzuführen ist, wobei die Beweggründe des Täters von bes. Bedeutung sind (OLG Saarbrücken NStZ-RR 99, 284). Auch eine Trunkenheitsfahrt kann eine JVerfehlung sein (BGH NStZ 87, 366; BayObLG VRS Bd. 62 [82], 55; StV 84, 520; NStZ 88, 122; OLG Zweibrücken StV 89, 314; OLG Hamm NJW 60, 1966; AG Saalfeld NStZ 94, 89; ZJJ 05, 211; Grethlein NJW 67, 838). Wenn das OLG Düsseldorf VRS Bd. 30 0 (66), 175 = Zbl. 67, 91 auf die Trunkenheitsfahrt (1,19 /00) eines Hw. aus Geltungsbedürfnis gegenüber Mädchen ErwRecht mit der Begründung angewandt hat, solches treffe man gleicherweise bei J, Hw. und Erw., so begegnet dies Bedenken (vgl. Rn 14). Ein reifer und verantwortungsbewusster Mann kann und wird das Geltungsbedürfnis auch in angetrunkenem Zustand zügeln. Der Unreife verkennt und missachtet dagegen die Gefahr. Nach der Rechtsprechung kann eine JVerfehlung nicht deshalb abgelehnt werden, weil auch Erw. nicht selten so handeln. Auch beim Fahren ohne Fahrerlaubnis kann eine JVerfehlung vorliegen (AG Saalfeld ZJJ 05, 211, 212). Beim Vollrausch nach § 323 a StGB als JVerfehlung (OLG Zweibrücken OLGSt § 330 a StGB S. 68) muss sich dieser, nicht die im Rausch begangene Tat, als JVerfehlung darstellen, weil jener bestraft wird, während letztere nur Bedingung der Strafbarkeit ist (LG Nürnberg-Fürth MDR 55, 566). Zur Rangfolge der Prüfung von § 105 I Nr. 1 u. 2: Rn 16. Zum „Überzeugungstäter“ Rn 6 d u. Einf. I 40. Die formelhafte Urteilsbegründung, die Tat stelle sich als typische JVerfehlung dar, ist unzureichend (OLG Zweibrücken B NStZ 90, 531).
10.
Die Entscheidung
15 Die schwere Entscheidung nach Abs. I Nr. 1 kann immer (Potrykus NJW 56, 658), die Entscheidung nach Abs. I Nr. 2 jedenfalls nur dann nach eingehender Persönlichkeitserforschung (Rn 26; § 43) getroffen werden, wenn es auf das Tatmotiv ankommt (BayObLG StV 81, 527). Deshalb wird eine Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten – auch bei Verkehrsdelikten – nur selten möglich sein (OLG Hamburg NJW 63, 67; dazu aber auch § 109, 10). Wichtige Aufschlüsse können aus bisherigem Lebensweg und Umwelt gewonnen werden (Einf. I 3). Der Eindruck in der Hauptverhandlung gestattet nur die Feststellung der körperlichen, allenfalls der geistigen Entwicklung, niemals der Entwicklung in sittlicher Hinsicht (BGH MDR 54, 694; BayObLG DAR 56, 19; OLG Hamm MDR 69, 601). Doch wird bei leichten Delikten, die offenbar nicht Ausdruck einer gestörten Persönlichkeit sind, der Eindruck in der Hauptverhandlung genügen können (OLG Hamburg NJW 63, 67). Nur wo schon die äußeren Lebensumstände zeigen, dass der Hw. eine entwickelte, ausgereifte Persönlichkeit ist (vgl. BGH 6, 329), können die in § 43 vorgeschriebenen Ermittlungen unterbleiben (anders ggf. bei § 106). Dies gilt nicht umgekehrt bei klar erkennbar zurückgebliebener Entwicklung, weil in diesem Fall jedenfalls für die Auswahl der Maßnahme Ermittlungen nach § 43 notwendig sind. Zum Strafbefehl s. § 109, 12. Gegenstand einer Absprache kann die Anwendung von JStrafrecht nicht sein (§ 18, 6 e). 15 a Um den Stand der Persönlichkeitsentwicklung zur Tatzeit (Rn 12) feststellen zu können, sind ggf. Zeugen zu vernehmen, die den Angeklagten zu dieser Zeit gut gekannt haben (BGH 12, 120; BGH MDR 54, 694; OLG Köln Zbl. 79, 116 nennen verschiedene Ermittlungsmöglichkeiten). Ggf. können Anhaltspunkte aus früheren Urteilen gewonnen werden (OLG Köln VRS Bd 23 [62], 386). Zur Aufgabe der JGH hierbei § 38, 4, 11, 17–19 b. Der BGH hat seine Rechtsprechung (Urt. v. 11. 10. 1956 – 4 StR 375/56) erhärtet, wonach der JRichter zur Reifeentscheidung nach § 105 I einen Sachverständigen nur dann einschalten muss, wenn er Anlass zu Zweifeln über
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eine normale Reifeentwicklung des Hw. hat, wofür insbes. Auffälligkeiten in der sittlichen und geistigen Entwicklung sprechen können (BGH NStZ 84, 467 mit zust. Anm. Brunner u. Eisenberg NStZ 85, 84; BGH NStZ-RR 99, 26; ebenso OLG Koblenz ZJJ 10, 332 = NStZ-RR 10, 358 [LS]: in der frühen JZeit diagnostizierte ADHS-Erkrankung; aA Ostendorf 22, 7). Nach BGH B NStZ 91, 524 ist die Heranziehung eines Sachverständigen nicht veranlasst, wenn die JGH und die BewHelferin gehört worden sind und der Bericht der UHAnstalt hierfür keinen Anlass gibt. Diese Grundsätze sind auch bei Berücksichtigung schwankender Bewertungen vertretbar, zumal heute überwiegend JStrafrecht auf Hw. angewendet wird (Rn 2 aE; Einf. II 37–39). Diese Leitlinie hilft aber auch eine ausufernde Einschaltung von Sachverständigen einzudämmen, zumal hierdurch der Richter nicht von seiner Verantwortung für die Entscheidung entbunden wird und die gebotene Beschleunigung des JGerichtsverfahrens leiden kann. Dass andererseits der JRichter auf den helfenden Sachverstand eines Fachgutachters nicht leichtfertig verzichten darf und wird, sollten sein interdisziplinäres Engagement und auch die Bescheidenheit garantieren, welche der Erfahrung und der Last der Verantwortung entspringt (zur Notwendigkeit, einen jpsychologischen Sachverständigen zuzuziehen, auch BGH NStZ 85, 184). Hinsichtlich der Auswahl des Sachverständigen ist nach dem BGH davon auszugehen, dass sich die Kompetenzen des allg. Psychiaters und des JPsychiaters überschneiden, das Gericht deshalb bei der Entscheidung über die Fachrichtung des zu bestellenden Gutachters frei ist und der JPsychiater im Verhältnis zum allg. Psychiater ein weiterer Sachverständiger iSd § 244 IV S. 2 StPO ist (BGHR StPO § 244 IV 2 Zweitgutachter 4 im Anschluss an BGH 34, 356 f; 39, 52; aA Eisenberg § 43, 44, der im Übrigen für die Beurteilung des Entwicklungsstandes Hw. einen klinisch u. forensisch erfahrenen [Entwicklungs-]Psychologen empfiehlt; Lempp DVJJ-J 97, 51, der im Verhältnis zum allg. Psychiater für § 105 I ausschließlich den JPsychiater als zuständig ansieht). Allg. zur Auswahl des Sachverständigen § 43, 15; zum Abweichen vom Sachverständigengutachten § 43, 15 b. Zur Abgrenzung von (verwertbarer) eigener richterlicher Sachkunde u. (unerlaubter) Vorwegnahme des Gutachtenergebnisses eines Sachverständigen über den geistigen u. sittlichen Entwicklungsstand OLG Köln Zbl. 79, 116. Abs. I Nr. 1 und 2 sind selbständige Tatbestände, wenn sie sich auch häufig decken (BGH 16 NStZ 01, 102; DSS/Sonnen 23). Es ist zunächst das Vorliegen einer JVerfehlung zu prüfen, weil deren Voraussetzungen enger und daher regelmäßig leichter festzustellen sind als der Stand der vielschichtigen Entwicklung (Ostendorf 23). Ist die Tat schon nach ihren äußeren Umständen, der Art ihrer Begehung oder nach den Beweggründen des Täters als JVerfehlung erkennbar, so ist die schwierige und zeitraubende individuelle Prüfung des Reifegrades des Täters – wie Schaffstein/Beulke (S. 76) zu Recht ausführen – weder erforderlich noch zulässig. Eisenberg (2) und Nothacker (S. 183) schränken ein, empfehlen aber auch, mit der Prüfung des Abs. I Nr. 2 zu beginnen.
11.
Unbehebbare Zweifel
Die Anwendung von J- oder ErwStrafrecht auf Hw. steht nicht in einem Regel-Ausnahme- 17 Verhältnis; § 105 stellt keine Vermutung für die grds. Anwendung des einen oder des anderen Rechts auf (BGH 12, 118; BGH 36, 37 = JR 89, 519 mit zust. Anm. Brunner u. krit. Anm. Walter/Pieplow NStZ 89, 574; BGH NJW 98, 3656; 02, 75 = NStZ 02, 204 mit Anm. Walter; BGH NStZRR 03, 186; NStZ 04, 294). Nur wenn sich nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten trotz eingehender Ermittlungen die Zweifel nicht beseitigen lassen, ist das JRecht anzuwenden (BGH 12, 116; 36, 37; BGH H MDR 82, 104; BGH StV 83, 377; 84, 254; NJW 02, 75; NStZ-RR 03, 186; NStZ 04, 294), das wegen seiner reichen Auswahl und großen Anpassungsfähigkeit den Vorzug verdient, zumal seine ungerechtfertigte Anwendung – im Gegensatz zum umgekehrten Fall – grds. nicht schadet (BGH aaO; Dallinger/Lackner 37; Potrykus B 3, 4; Schnitzerling DAR 63, 208; Schöch in JStrafrecht an der Wende S. 134). Doch darf sich das nicht zum Nachteil des Täters auswirken. Die Rechtsfolge nach JRecht ist daher so auszuwählen, dass sie den Verurteilten nicht härter
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trifft als die Sanktion, die bei Anwendung von ErwRecht gegen ihn zu verhängen wäre (Ostendorf 24). AA Eisenberg 36; Kinzig FS Eisenberg, 2009 S. 396; Schaffstein/Beulke S. 75 f: Je nachdem, welche Rechtsfolge im konkreten Fall leichter ist, ist JRecht oder ErwRecht anzuwenden. Für die Anwendung von JRecht in Zweifelsfällen spricht auch die weniger stigmatisierende Wirkung einer Verurteilung nach JRecht. 12.
Besonderheiten bei der Anwendung materiellen JStrafrechts
18 Wenn die Voraussetzungen des § 105 I Nr. 1 oder 2 vorliegen, muss auch bei Hw. materielles JRecht angewendet werden. Es gelten aber folgende Ausnahmen: 19 Die HöchstJStrafe beträgt bei allen Delikten 10 Jahre (Abs. II; abweichend von § 18 I 1, 2). Eine JStrafe von mehr als 5 Jahren ist aber gegen Hw. entsprechend dem Grundgedanken des § 18 I 2 nur dann gerechtfertigt, wenn auch das allg. Recht eine Strafe in dieser Höhe zuließe; denn eine Strafe über 5 Jahre dient weniger der Erziehung als dem Schuldausgleich und dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit (näher § 18, 6–19; Eisenberg 41; aA BGH MDR 55, 372). Dem erz. Bedürfnis kann hier nur und erst durch Aussetzung des Strafrestes zur Bew. nach Verbüßung von mindestens einem Drittel der Strafe Rechnung getragen werden (§ 88; Schaffstein/Beulke S. 162). 20 Da Hw. volljährig sind, kann Hilfe zur Erz. nach §§ 9 Nr. 2, 12 gegen sie nicht mehr angeordnet werden (Wegfall der §§ 9 Nr. 2, 12 aus der Aufzählung in § 105 I; RL 2). Dies entspricht dem Grundgedanken des Volljährigkeitsalters, weil mit der ErzBerechtigung der Eltern auch die diese ergänzende oder ersetzende des Staates endet (näher zur Frage der Erz. der Hw. Einf. I 11). Ähnliche und dem Entwicklungsstand des Hw. angemessenere Hilfen bietet dem Richter die Betreuungsweisung (RL 2; § 10, 10). Zu ungeeigneten Weisungen § 10, 4; auch § 55, 11. 21 Die §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, 10, 11 und 13 bis 32 sind auch bei Hw. entsprechend anzuwenden (Abs. I); doch ergeben sich schon aus dem höheren Lebensalter, bes. aber infolge der Volljährigkeit der Hw. Besonderheiten, die bei den Einzelvorschriften behandelt sind. Allg. tritt mit fortschreitendem Alter der ErzGedanke mehr zurück, der Gedanke des Schuldausgleichs und zugleich der Schuldbewältigung mehr hervor (BGH StV 98, 334; Dallinger/Lackner 59; nach Eisenberg 37 a soll das mit der Anwendung von JStrafrecht nicht immer vereinbar sein; vgl. dazu aber auch die Ausführungen hier bei § 10, 4). Nach Ostendorf 26 kommt es auf die positive Individualprävention an. Verwarnung ist zumeist nicht mehr angebracht, bei der Auswahl der Weisungen ist Vorsicht geboten (§ 10, 4), die Auflage, sich beim Verletzten zu entschuldigen (§ 15, 9), wird nur selten angebracht und nur in Einzelfällen erz. wirksam sein. Die Auflage, einen Geldbetrag zu zahlen, gewinnt bei Hw. mehr an Bedeutung, zumal sie über mehr Mittel als J verfügen, was insbes. für Straßenverkehrsdelikte gilt (§ 15, 2). JA kann bei geeigneten Hw. noch angebracht sein. Zurückhaltung ist aber ua dann geboten, wenn er im Einzelfall als unangemessen empfunden werden könnte (§ 16, 11). Für JStrafe, Aussetzung der Verhängung der JStrafe und Strafaussetzung zur Bew. gilt im Wesentlichen das gleiche wie bei J. Auch bei einem zur Tatzeit fast 21 Jahre alten Angeklagten muss dem ErzGedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt werden (BGH StV 98, 334). Vgl. auch Rn 20 aE. 22 Wegen Taten in verschiedenen Alters- u. Reifestufen § 32. 23 Wegen der Strafzumessung bei Straftaten unter Alkohol- u. Drogeneinfluss BGH MDR 60, 938 u. Rn 31; § 3, 11. 24 Wo allg. Recht angewendet wird, kann gem. § 106 gemildert werden. Auch sonst kann bei der Strafzumessung der Entwicklungsstand des gerade dem JRecht Entwachsenen und seine bes. Lage berücksichtigt werden. Einem hw. Schüler z. B. darf die Umwandlung einer Freiheits- in eine Geldstrafe nicht allein deshalb versagt werden, weil er mittellos ist und eine Geldstrafe voraussichtlich seinem Vater zur Last fällt; denn einmal könnte der erz. Zweck der Strafe durch das
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Gefühl ungerechter Behandlung vereitelt, zum anderen könnten Berufspläne unberechtigt durch den Makel der Freiheitsstrafe gefährdet werden (BayObLG 64, 106). 13.
EinheitsJStrafe mit Verurteilungen nach ErwRecht
Bei Anwendung von JRecht kann mit bereits rechtskräftigen, noch nicht vollständig erledigten 25 Verurteilungen nach allg. Strafrecht – auch nachträglich (§§ 109 II 2, 66; § 109, 13) – eine einheitliche Maßnahme oder EinheitsJstrafe gebildet (BGH B NStZ 81, 251; 97, 483; B NStZ-RR 01, 323), aber auch aus erz. Gründen davon abgesehen werden (Abs. II; § 31 II 1, III). Zur Anwendung des § 105 II vgl. bes. BGH 37, 34 in § 32, 5, 6 u. 10. Zur Ablehnung einer Gesamtstrafe nach § 55 StGB aus J- u. Freiheitsstrafe BGH 36, 270 in § 32, 8, 9 u. 11. Eine EinheitsJStrafe kann auch dann gebildet werden, wenn eine Geldstrafe nach allg. Strafrecht für eine Tat verhängt worden ist, die der Täter nach der jetzt abzuurteilenden Tat begangen hat (BGH B NStZ 92, 529). Ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens hindert die Einbeziehung nicht (BGH 27, 297; vgl. § 360 I StPO). § 105 II setzt aber voraus, dass der JRichter die Wahlmöglichkeit hat, bei einem Hw. J- oder ErwStrafrecht anzuwenden, und dass trotz vorausgegangener Verurteilung nach ErwStrafrecht auf Grund genauerer Persönlichkeitserforschung nunmehr JStrafrecht zum Zuge kommt, weil dann die Voraussetzungen des § 105 I dem in § 31 bes. verankerten ErzGedanken entsprechen (eingehend § 31, 25; auch § 66, 12; § 109, 13; zur Gesamtfreiheitsstrafe BGH 36, 270). Wird aber nach rechtskräftiger Verurteilung nach ErwStrafrecht nachträglich wegen einer vor dem 18. Lebensjahr begangenen Straftat zwangsläufig JStrafrecht angewendet, liegen nach BGH NJW 78, 348; BGH NStZ 87, 24; BGH NJW 90, 523 (dazu auch § 32, 5) weder die Voraussetzungen des § 32 noch des § 105 II vor. Nach Ostendorf (§ 32, 9; § 105, 28) ist es gleichgültig, ob der zweiten Verurteilung eine J- oder Hw.-Verfehlung zugrunde liegt. § 105 II erweitert sinnvoll die erz. Eingriffsmöglichkeiten des JRichters, verhütet ungute Behelfslösungen und kann vorgehende Fehlentscheidungen ausgleichen, zumal oft erst später und durch neue Straftaten – auch rückblickend – mehr Klarheit gewonnen werden kann. Zum gegenpoligen Fall – rechtskräftige Sanktionen nach JStrafrecht, dann Verurteilung nach ErwStrafrecht – s. § 32, 8 ff, auch Rn 30. 14.
Abstimmung, Begründung, Anfechtung und Bindung
Die Reifegradentscheidung wird nahezu immer auf Grund einer Hauptverhandlung in Anwe- 26 senheit des Angeklagten (Rn 15; OLG Hamburg NJW 63, 67), ggf. bei ganz leichten Delikten auch im summarischen Verfahren (§ 109, 12) getroffen. Über diese Frage ist gesondert abzustimmen. Die Entscheidung erfordert 2/3-Mehrheit (Dallin- 27 ger/Lackner 49; Potrykus B 7; NJW 54, 822; Lackner GA 55, 36). Wird diese nicht erreicht, sind gem. § 196 III GVG die im Einzelfall nach ErwRecht und JRecht verwirkten Maßnahmen festzusetzen und gegeneinander abzuwägen (wegen der Vergleichsmaßstäbe s. § 55, 38); die mildere ist auszusprechen; das JRecht ist nicht generell milder (Rn 17); die Frage, welche Maßnahme milder ist, wird ggf. mit einfacher Mehrheit entschieden (Dallinger/Lackner 49; Lackner GA 55, 36; Eisenberg 45; Ostendorf 24). Die Entscheidung nach § 105 I ist stets eingehend zu begründen (§ 54, 15; auch Rn 14 c aE). 28 Dem Tatrichter ist ein erheblicher Beurteilungsspielraum eingeräumt (BGH 36, 38; BGH StV 91, 424; NJW 92, 2104; BGH B NStZ 93, 530; BGH NStZ-RR 99, 26; NJW 02, 75 = NStZ 02, 204 mit Anm. Walter; BGH NStZ-RR 03, 186, 187, 188; NStZ 04, 295; NStZ 11, 90; NStZ-RR 11, 218 = ZJJ 11, 201 mit zust. Anm. Eisenberg; BayObLG NStZ 05, 645; OLG Koblenz ZJJ 10, 332 = NStZ-RR 10, 358 [LS]); er muss aber die äußeren Tatumstände und die Beweggründe des Täters umfassend würdigen (BGH NStZ 87, 366). Der Tatrichter muss im Einzelnen die tatsächlichen Umstände angeben, aus denen er seine rechtlichen Schlüsse gezogen hat, und die Erwägungen erkennbar machen, die ihn zu seinen Folgerungen geführt haben (BayObLG NStZ 05, 645; OLG
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Hamm StV 01, 182). In jedem Fall sind Angaben, die eine Beurteilung des Entwicklungsstandes auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung der Persönlichkeit ermöglichen, unerlässlich (OLG Zweibrücken B NStZ 91, 524). Der bloße Gesetzeswortlaut genügt auch in Verkehrsstrafsachen nicht (BGH MDR 54, 694; KG VRS Bd. 22 [62], 373; OLG Hamburg NJW 63, 67; OLG Hamm NJW 60, 1966; OLG Zweibrücken OLGSt § 330 a StGB S. 68). Allein der Eindruck in der Verhandlung und etwa die Feststellung, dass der Täter Kfz-Mechaniker im väterlichen Betrieb ist, reicht auch in diesen Fällen nicht (BayObLG DAR 56, 19). Vielmehr müssen auch hier bestimmte Tatsachen und Rechtsfolgerungen angegeben werden, die erkennen lassen, dass alle Möglichkeiten berücksichtigt wurden, die zur Anwendung von JStrafrecht führen können (BGH StV 83, 377; OLG Schleswig SchlHA 57, 211). Die Bemerkung, es seien keine „Anhaltspunkte gegeben, die den Schluss auf irgendwie geartete Reifeverzögerungen des Angeklagten zuließen“, reicht zur Ablehnung des JStrafrechts ebenso wenig (OLG Zweibrücken B NStZ 93, 530; OLG Hamm StV 01, 182) wie die Feststellung, der Angeklagte sei (erstmals) nach ErwStrafrecht zu verurteilen (OLG Saarbrücken NStZ-RR 99, 285). Vielmehr bedarf der Ausschluss des JStrafrechts hinreichender tatsächlicher Feststellungen, die eine Überprüfung durch das Revisionsgericht ermöglichen (OLG Rostock ZJJ 04, 82 mit zust. Anm. Pollähne). Die Ausführungen eines Sachverständigen sind grds. darzulegen (BGH NStZ 04, 295). Das Vorliegen einer JVerfehlung kann nicht mit der Begründung abgelehnt werden, derartige Delikte würden von Tätern aller Altersgruppen begangen, da jede Tat nach den Umständen und Beweggründen eine JVerfehlung sein kann (Rn 14). Schlüsse aus den dargestellten Umständen hat das Revisionsgericht aber hinzunehmen, wenn sie möglich sind (BGH NJW 89, 1490). Wegen der Ermittlungspflicht Rn 11, 15 u. 15 a. 29 Die Anfechtung und Aufhebung des Urteils kann auf die Straffrage, nicht aber auf die Frage des § 105 allein beschränkt werden (BGH bei Herlan GA 64, 135; BGH H MDR 79, 807; Dallinger/ Lackner 34; Schäfer NStZ 98, 331). Die Entscheidung nach § 105 wird auch dann von der Teilrechtskraft erfasst, wenn eine auf abtrennbare Teile der Straffrage beschränkte Berufung (z. B. Bew.) nur solche erfasst, die erst nach der Entscheidung zu § 105 zur Überprüfung anstehen, und auch nur insoweit aufgehoben wird (OLG Frankfurt NJW 56, 233; Eisenberg 48). § 105 ist aber dann zu überprüfen, wenn ein nach ErwStrafrecht verurteilter Hw. seine Berufung auf das Strafmaß oder die Strafaussetzung zur Bew. beschränkt hat, weil das JStrafrecht weitergehende Strafmilderungen erlaubt (BGH B NStZ 84, 447). Zur Sachrüge gegenüber einem Gutachten zur Reifebeurteilung § 43, 15 b. Da die Entscheidung nach § 105 keine Feststellung, sondern das Ergebnis eines Wertungsakts ist, nimmt sie nicht an der innerprozessualen Bindungswirkung nach Aufhebung des Strafausspruchs durch das Revisionsgericht teil (BGH NStZ 05, 644). Wegen der Wirkung des Verschlechterungsverbots bei Aufhebung wegen falscher Anwendung des § 105 u. wegen des Verhältnisses von ErwStrafrecht zu den Maßnahmen des JGG § 55, 38. 30 In späteren Verfahren besteht keine Bindung an die Reifegradentscheidung (§ 105 I) des früheren Verfahrens (BGH NJW 59, 160 = 12, 116; dort ist dieser Teil nicht abgedruckt); OLG Köln VRS Bd 23 (62), 386 hat bei 2 Autodiebstählen innerhalb 12 Wochen Bindung verneint. Dieser wichtigen Entscheidung des JRichters kommt Abs. II entgegen, wonach mit rechtskräftigen Verurteilungen nach ErwRecht Einheitsstrafen gebildet werden können (Rn 25). Die Vorentscheidung ist aber oft ein – wenn auch sehr vorsichtig zu wertendes – Indiz (Rn 15; OLG Köln aaO; Eisenberg 12; Munkwitz MKrim. 55, 56; abl. Ostendorf 18). 15.
Drogentäter
31 Auf hw. Drogentäter ist Anwendung von JStrafrecht durchweg deshalb geboten, weil der chronische Drogenkonsum die Ausreifung der Persönlichkeit und die Sozialisation behindert (OLG Köln MDR 76, 684; Eisenberg 18; Ostendorf 11), uU auch unterbricht, und die vom JGG zur Verfügung gestellten, sich ergänzenden und der Entwicklung folgenden ErzMaßregeln und therapeutischen Hilfen (vgl. § 93 a) sich bes. anbieten (vgl. OLG Köln aaO; zur Notwendigkeit, frühen
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Milderung des allgemeinen Strafrechts für Heranwachsende
§ 106
u. massiven Drogenkonsum in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, s. BGH StV 94, 608). Zur Absicht, Haschisch gewinnbringend zu verkaufen, BGH StV 89, 311 (näher Rn 14 b); auch bei leichten Fällen, neugierigen Erstprobierern, kann eine typische JVerfehlung vorliegen (Rn 14; Ostendorf 18). Vgl. dazu auch Brunner Zbl. 74, 378, 383; Zbl. 71, 342; Zbl. 80, 415, 418. Allg.: Einf. I 49–51.
§ 106 Milderung des allgemeinen Strafrechts für Heranwachsende; Sicherungsverwahrung § 106 Milderung des allgemeinen Strafrechts für Heranwachsende (1) Ist wegen der Straftat eines Heranwachsenden das allgemeine Strafrecht anzuwenden, so kann das Gericht an Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe auf eine Freiheitsstrafe von zehn bis fünfzehn Jahren erkennen. (2) Das Gericht kann anordnen, dass der Verlust der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen (§ 45 Abs. 1 des Strafgesetzbuches), nicht eintritt. (3) Sicherungsverwahrung darf neben der Strafe nicht angeordnet werden. Unter den übrigen Voraussetzungen des § 66 des Strafgesetzbuches kann das Gericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn 1. der Heranwachsende wegen einer Straftat der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art, durch welche das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist, zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt wird, 2. es sich auch bei den nach den allgemeinen Vorschriften maßgeblichen früheren Taten um solche der in Nummer 1 bezeichneten Art handelt und 3. die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu solchen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist. § 66 a Abs. 3 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend. (4) Wird neben der Strafe die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten und hat der Verurteilte das siebenundzwanzigste Lebensjahr noch nicht vollendet, so ordnet das Gericht an, dass bereits die Strafe in einer sozialtherapeutischen Anstalt zu vollziehen ist, es sei denn, dass die Resozialisierung des Täters dadurch nicht besser gefördert werden kann. Diese Anordnung kann auch nachträglich erfolgen. Solang der Vollzug in einer sozialtherapeutischen Anstalt noch nicht angeordnet oder der Gefangene noch nicht in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt worden ist, ist darüber jeweils nach sechs Monaten neu zu entscheiden. Für die nachträgliche Anordnung nach Satz 2 ist die Strafvollstreckungskammer zuständig. (5) Werden nach einer Verurteilung wegen einer Straftat der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 bezeichneten Art zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren vor Ende des Vollzugs dieser Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 bezeichneten Art begehen wird. War keine der Straftaten dieser Art, die der Verurteilung zugrunde lagen, nach dem 1. April 2004 begangen worden und konnte die Sicherungsverwahrung deshalb nicht nach Absatz 3 Satz 2 vorbehalten werden, so berücksichtigt das Gericht als Tatsachen im Sinne des Satzes 1 auch solche, die im Zeitpunkt der Verurteilung bereits erkennbar waren.
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§ 106
3. Teil. Heranwachsende
(6) Ist die wegen einer Tat der in Absatz 3 Satz 3 Nr. 1 bezeichneten Art angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67 d Abs. 6 des Strafgesetzbuches für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn 1. die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 des Strafgesetzbuchs wegen mehrerer solcher Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 des Strafgesetzbuches führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und 2. die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 bezeichneten Art begehen wird. 1. ./. – 2. ErwG: § 112, 6. Schrifttum: Goerdeler Sicherungsverwahrung auch für Heranwachsende?, ZJJ 03, 185; Kinzig Entwicklung, Stand u. Perspektiven einer Sicherungsverwahrung für J u. Hw., RdJ 07, 155; Schulz Sicherungsverwahrung im Wandel, SchlHA 05, 247; Werner-Eschenbach JStrafrecht – Ein Experimentierfeld für neue Rechtsinstitute, 2005; Wüstenhagen Sicherungsverwahrung gegen Hw. u. J, 2008. Übersicht 1. Milderung des allgemeinen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.
Rn 1 8
Milderung des allgemeinen Strafrechts
1 Auch bei altersgemäß entwickelten Hw., die nach allg. Recht abgeurteilt werden müssen, ist idR die Reifeentwicklung noch nicht abgeschlossen (vgl. § 114; Einf. II 37–40); sie können erhebliche Sozialisationsmängel aufweisen, sind aber noch prägbar und spezialpräventiv ansprechbar. Bei ihnen ist häufig nach entsprechenden erz. Bemühungen eine Wiedereingliederung noch zu erwarten, auch wenn sie schwer gefehlt haben. Deshalb ermöglicht Abs. I statt auf lebenslange Freiheitsstrafe auf eine zeitige von 10–15 Jahren zu erkennen (BGH StV 94, 609; NStZ 05, 166). Hierüber ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, wobei Entwicklungsfähigkeit und mögliche Wiedereingliederung des Hw. in die Gesellschaft gegen Sicherungs- und Vergeltungsbelange der Allgemeinheit abzuwägen sind (BVerfG ZJJ 09, 260, 261). BGH 7, 356 hat bereits der Wiedereingliederung des Hw. einen hohen Stellenwert beigemessen; BGH H MDR 77, 283 hat dem leitenden Gesichtspunkt der möglichen Wiedereingliederung den Sühnezweck klar untergeordnet und dabei auf die Persönlichkeit des Täters abgestellt: auf Beweggründe, Ausnahmesituation, Erregung und, auch bei „Ansätzen für eine weit angelegte Lebensplanung“, auf eine gewisse Stimmungslabilität des noch nicht voll Ausgereiften. Diese Rechtsprechung, welche den Zukunftschancen des nach ErwRecht verurteilten Hw. „bes. Gewicht auch bei schwerer Schuld zuweist“, hat der BGH (31, 189; NStZ 83, 218 mit zust. Anm. Brunner; vgl. auch Eisenberg JZ 83, 507; Ostendorf 3) zu Recht präzisierend fortgeführt und es untersagt, den Hw. auf Kriterien zu verweisen, die außerhalb der von der Rechtsprechung erarbeiteten Anwendungsmaßstäbe liegen, zB auf § 57 a StGB, der jedem zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Erw. nach 15 Jahren eine Chance auf Freiheit eröffnet; diese noch unsichere Möglichkeit kann nicht zugleich als die nach § 106 I nur Tätern im HwAlter eröffnete Milderung etikettiert werden. Die Frage der Wiedereingliederung stellt der BGH (NStZ 88, 498;
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Milderung des allgemeinen Strafrechts für Heranwachsende
§ 106
StV 94, 609; NJW 08, 3297, 3298) deshalb in den Vordergrund, weil „auch bei altersgemäß entwickelten Hw. die Altersentwicklung noch nicht so hoffnungslos abgeschlossen ist, dass bei entsprechenden erz. Bemühungen eine spätere Wiedereingliederung nicht mehr möglich wäre“. Daher sind bei der Frage, ob gegen einen Hw. eine lange Freiheitsstrafe zu verhängen ist, gemäß § 46 I S. 2 StGB die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben in der Gesellschaft zu erwarten sind, regelmäßig eingehend zu prüfen (BGH StV 94, 609; NStZ 03, 495). Soll § 106 I nicht angewendet werden, weil eine Wiedereingliederung nicht zu erwarten sei, so bedarf dies sorgfältiger Begründung, insbes. bei einem nicht vorbestraften Hw., bei dem sich zwar nach dem Gutachten des Sachverständigen ungünstige Persönlichkeitsmerkmale verfestigt haben, aber doch entwicklungsbedingte Züge erkennbar sind (BGH B NStZ 83, 451). Von den Milderungsangeboten des § 106 sollte sehr großzügig Gebrauch gemacht werden, weil sie Hw. helfen, auf welche nach einer anerkannt schwierigen, durchaus schwankenden Beurteilungen unterliegenden Entscheidung (vgl. Einf. II 38) ausnahmsweise allg. Strafrecht aus den Strafrahmen für Erw. angewendet wird. Der Sühnezweck darf jedoch nicht völlig außer Betracht bleiben (BGH NJW 08, 3297, 3298). Nach BVerfG ZJJ 09, 260, 261 und MK-Altenhain 6 soll die Strafmilderung Ausnahmecharakter haben. Zu Taten vor und nach Vollendung des 21. Lebensjahres § 32, 7 aE. Ist lebenslange Freiheitsstrafe wegen einer Strafrahmenverschiebung nach allg. Recht nicht 2 verwirkt, kann § 106 I nach BGH NStZ 05, 166 = JR 05, 81 mit abl. Anm. Eisenberg nicht darüber hinaus zu einer Strafrahmenverschiebung führen; der Grundgedanke des § 106 I ist dann bei der Bemessung der zeitigen Freiheitsstrafe zu berücksichtigen (aaO, 167). Für die Möglichkeit einer doppelten Strafrahmenmilderung lässt sich allerdings anführen, dass sonst bei Einschlägigkeit allg. Milderungsgründe Hw. mit Erw. weitgehend gleichgestellt würden (Eisenberg 3; Ostendorf 3). Zur Strafzumessung bei Taten nach Alkohol- oder Drogengenuss § 3, 11. Bei Verurteilung wegen eines Verbrechens zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr kann 3 der Richter anordnen, dass der damit gem. § 45 I StGB verbundene Verlust der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, nicht eintritt (Abs. II). Dies wird im Interesse der Wiedereingliederung idR geboten sein. Vgl. für den Fall des Verschlechterungsverbotes § 55, 39. Hinsichtlich der Kann-Bestimmungen des § 45 II und V StGB erübrigte sich eine Regelung in § 106, weil die bes. Situation des hw. Täters ohnedies berücksichtigt werden kann. Die Anwendung des § 106 liegt – grds. nach Anhörung der JGH (§ 38, 18) – im pflichtgemäßen 4 Ermessen des Gerichts – auch des ErwGerichts (§ 112, 8) –, das diese Frage aber erkennbar prüfen muss. 2
Die ablehnende Entscheidung bedarf stets einer /3-Mehrheit (§ 263 I StPO); die Urteilsgründe 5 müssen jedenfalls in den Fällen, in denen eine Milderung in Betracht kommt, erkennen lassen, dass das Gericht sich seiner Befugnis bewusst war (BGH v. 19. 8. 1958 – 5 StR 262/58). Bei Milderung nach § 106 wird im Tenor nur auf die gemilderte Strafe erkannt (Abs. I) oder die 6 an sich verwirkte Nebenfolge nicht angeordnet (Abs. II). In den Gründen ist auszuführen, welche Strafe oder Maßregel an sich verwirkt wäre (das ist der Ausgangspunkt der Entscheidung nach § 106) und warum das Gericht gemildert hat. § 106 I, II enthalten eine abschließende Regelung (BGH bei Herlan GA 56, 347 zur alten Fas- 7 sung). Sonstige Rechtsfolgen des allg. Strafrechts sind grds. anwendbar (zur Sicherungsverwahrung Rn 8 ff). Inwieweit der Grundgedanke des § 106 bei der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung berücksichtigt werden kann, ist zweifelhaft. Dem OLG Köln (NJW 67, 838 mit Anm. Grethlein), das bei der Trunkenheitsfahrt eines Hw. unter Berücksichtigung des Grundgedankens des § 106 Strafaussetzung gab, wird jedenfalls dahin zuzustimmen sein, dass dem ErzGedanken (Wiedereingliederung) der Vorrang vor der Verteidigung der Rechtsordnung (§ 56
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§ 106
3. Teil. Heranwachsende
III) gebührt, falls nicht ganz gewichtige Gründe dagegen sprechen (ebenso Eisenberg 6; Ostendorf 8). 2.
Sicherungsverwahrung
8 Sicherungsverwahrung darf gegen Hw. (Alter zZ der Tat) auch bei Anwendung von ErwStrafrecht nicht unmittelbar im Urteil angeordnet werden (Abs. III 1). JStrafen aber entsprechen der Verurteilung und Verbüßung von Strafen, wie sie § 66 StGB fordert (BGH 26, 55; Erster Schriftl. Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drs. V/4049, abl. Eisenberg § 17, 37). Dazu § 17, 10; zur Einheitsstrafe § 31, 18. Hat das JGericht über Taten zu entscheiden, die ein Täter teils als J oder Hw., teils als Erw. begangen hat, so ist es nicht gehindert, wegen einer nach Vollendung des 21. Lebensjahres begangenen Tat bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auf Sicherungsverwahrung zu erkennen (BGH 25, 51). 9 Während die Sicherungsverwahrung bis 2003 gegen Hw. überhaupt nicht zulässig war, wurde durch Gesetz v. 27. 12. 2003 der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung (Abs. III 2) und durch Gesetz v. 23. 7. 2004 die nachträgliche Sicherungsverwahrung (Abs. IV, V) gegen nach allg. Strafrecht verurteilte Hw. ermöglicht, um die Allgemeinheit vor besonders gefährlichen Tätern zu schützen (krit. Eisenberg 4 a, 4 e). Änderungen wurden durch Gesetz v. 22. 12. 2010 vorgenommen (Übergangsvorschrift: Art. 316 e EGStGB). Zur nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilung nach JStrafrecht gem. § 7 II s. § 7, 14 ff. Das BVerfG (NJW 11, 1931, 1932) hat § 106 III 2, 3, V und VI für mit Art. 2 II 2 iVm Art. 104 I GG unvereinbar erklärt; die Vorschriften bleiben bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. 5. 2013, anwendbar (s. auch § 7, 14), wobei eine strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen hat (BVerfG aaO, 1946; Rn 12). Die für die einschneidende Maßregel der Sicherungsverwahrung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist bei jungen Tätern sehr schwierig. Ihre Bejahung kommt nur in sehr wenigen Einzelfällen in Betracht. 10 Der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung setzt nach Abs. III 2 voraus: – Der Hw. muss wegen einer Straftat der in § 66 III 1 StGB bezeichneten Art verurteilt werden. Es sind dies alle Verbrechen sowie Straftaten nach §§ 174 bis 174 c, 176, 179 I bis IV, 180, 182, 224, 225 I oder II oder nach § 323 a StGB, wenn die im Rausch begangene Tat ein Verbrechen oder eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist. Durch diese Straftat muss das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen (konkreten) Gefahr ausgesetzt worden sein. Wegen dieser Tat muss der Hw. zu einer Freiheitsstrafe von mindesten 5 Jahren verurteilt werden (Nr. 1). 11 – Es müssen in formeller Hinsicht die übrigen Voraussetzungen der §§ 66 StGB vorliegen, wobei es sich bei allen danach maßgeblichen Taten um solche der in § 106 III 2 Nr. 1 bezeichneten Art handeln muss (Nr. 2). Neben den Fallgruppen des § 66 I und III 1 StGB kommen auch die Fallgruppen nach § 66 II und III 2 StGB in Betracht (BGH 52, 316, 320 f = JR 09, 37 mit zust. Anm. Rau/Zschieschack = ZJJ 08, 379 mit krit. Anm. Eisenberg). Zwar spricht § 106 III 2 Nr. 2 von „früheren Taten“, die Formulierung „Unter den übrigen Voraussetzungen des § 66 StGB“ zeigt jedoch, dass alle Fallgruppen des § 66 StGB in Bezug genommen werden sollen (BGH aaO); § 106 III 2 Nr. 2 will diese Bezugnahme nur im Hinblick auf die Art der Taten einschränken (aA Streng S. 267). 12 – Die Gesamtwürdigung von Täter und Taten muss ergeben, dass er infolge eines Hanges zu solchen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist. Der Hang ist ein eingeschliffener innerer Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt; der Täter ist dauernd zu Straftaten entschlossen oder wird aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet (BGH NStZ 03, 201; 05, 265 zu § 66 StGB; Fischer § 66 StGB 24). Der Hw. ist für die Allgemeinheit gefährlich, wenn eine bestimmte, hohe
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Milderung des allgemeinen Strafrechts für Heranwachsende
§ 106
Wahrscheinlichkeit besteht, dass er durch auf seinem Hang beruhende Taten zukünftig den Rechtsfrieden erheblich stören wird (BGH NStZ-RR 03, 108 f; Lackner/Kühl § 66 StGB 15). Dies ergibt sich vielfach schon aus der Feststellung des Hanges (BGH NStZ 07, 464). Nach BVerfG NJW 11, 1931, 1946 wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz idR nur unter der Voraussetzung gewahrt sein, dass eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist. Während § 66 a I StGB darauf abstellt, dass die Gefährlichkeit nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar ist, muss die Gefährlichkeit nach § 106 III 2 Nr. 3 tatsächlich bestehen (Ostendorf 7). Die abgeurteilten Taten müssen Symptomcharakter für Hang und Gefährlichkeit haben (BGH NStZ 03, 107). Liegen die Voraussetzungen vor, entscheidet die JKammer (§ 108 III 2) über den Vorbehalt der 13 Sicherungsverwahrung nach pflichtgemäßem Ermessen. Kommt der Vorbehalt in Betracht, ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger zu vernehmen (§§ 2 II JGG, 246 a StPO). Sind die nach § 106 III 2 erforderlichen formellen Voraussetzungen gegeben und liegt die Feststellung eines Hanges nahe, muss sich das Gericht mit dem Vorbehalt der Sicherungsverwahrung in den Urteilsgründen auseinandersetzen (BGH 52, 316, 319). Wird neben der Strafe die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, ordnet das Ge- 14 richt bei Verurteilten unter 27 Lebensjahren nach Abs. IV grds. an, dass bereits die Strafe in einer sozialtherapeutischen Anstalt zu vollziehen ist. Die Anordnung unterbleibt, wenn dadurch die Resozialisierung nicht besser gefördert werden kann. Die Anordnung kann auch nachträglich – durch die Strafvollstreckungskammer (S. 4) – erfolgen (S. 2). Solange eine solche Anordnung nicht ergangen oder der Gefangene noch nicht in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt worden ist, ist darüber jeweils nach 6 Monaten neu zu entscheiden. Die Entscheidung über die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung trifft nach 15 §§ 109 I, 81 a I iVm §§ 74 f I und 120 a I GVG der Spruchkörper (JKammer bzw. der Strafsenat des OLG), der die Sicherungsverwahrung vorbehalten hat. Die Entscheidung ist gem. Abs. III 3 iVm § 66 a III 1 StGB bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe zu treffen. Sie soll nach § 81 a I iVm § 275 a V StPO spätestens 6 Monate vor der vollständigen Vollstreckung ergehen. Nach § 81 a I iVm § 275 a IV 1, 3 StPO holt das Gericht das Gutachten eines Sachverständigen ein, der nicht im Rahmen des Vollzugs der Strafe oder Unterbringung mit der Behandlung des Verurteilten befasst war. § 81 a I iVm § 275 a VI 3 ermöglicht den Erlass eines Unterbringungsbefehls bis zur Rechtskraft des Urteils. Den Maßstab für die Anordnung der Sicherungsverwahrung enthält § 106 III 3 iVm § 66 a III 2 16 StGB. Danach müssen aufgrund einer Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sein, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Diese Prognose muss nicht auf neuen Tatsachen beruhen. Vielmehr ist erforderlich und ausreichend, dass die ungünstige Prognose, die dem Ausspruch des Vorbehalts zugrunde lag, fortbesteht und nicht während des Strafvollzugs beseitigt wurde (Streng S. 267 Fn 16; aA DSS/Sonnen 7). Nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen Hw. lassen Abs. V und VI zu (zur verfassungs- 17 und europarechtlichen Problematik der nachträglichen Sicherungsverwahrung s. § 7, 14). Voraussetzungen für die Anordnung nach Abs. V sind: – Der Hw. muss wegen einer Straftat der in Abs. III 2 Nr. 1 bezeichneten Art (Rn 10) verur- 18 teilt worden sein. Der Täter muss wegen dieser Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 5 Jahren verurteilt worden sein. Die Strafe in dieser Höhe muss sich auf die einzelne Straftat beziehen, eine Gesamtstrafe von mindesten fünf Jahren genügt nicht (DSS/Sonnen 11). Die Verurteilung wegen einer Tat kann ausreichen, Abs. V 1 verlangt keine Vorverurteilung und keine Verurteilung wegen mehrerer Taten (RegE Begr. BT-Drs. 15/2887, S. 18 f; aA Kinzig RdJ 07, 164).
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§ 106
3. Teil. Heranwachsende
19 – Vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe (Rn 18) müssen Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Es muss sich um neue Tatsachen in dem Sinne handeln, dass sie erst nach der Anlassverurteilung entstanden oder erst nach dieser Verurteilung erkennbar geworden sind (BGH 50, 379; 51, 187 zu § 66 b StGB aF). Durch dieses Erfordernis wird eine unzulässige Korrektur der rechtskräftigen Anlassverurteilung verhindert (BGH aaO). Ist keine der Straftaten der erforderlichen Art nach dem 1. 4. 2004 begangen worden und konnte deshalb die Sicherungsverwahrung nicht vorbehalten werden, sind nach S. 2 auch bereits im Zeitpunkt der Anlassverurteilung erkennbare Tatsachen zu berücksichtigen. In den neuen Tatsachen muss sich „die bei der Anlasstat hervorgetretene spezifische Gefährlichkeit des Verurteilten widerspiegeln“, die neuen Tatsachen müssen mithin „in einem prognoserelevanten, symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen“ (BGH 50, 279; 51, 197 f zu § 66 b StGB aF; s. auch § 7, 17). 20 – Die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs muss die hohe (nach Ostendorf 10 u. DSS/Sonnen 12 die an Sicherheit grenzende) Wahrscheinlichkeit erneuter Straftaten der in Abs. III 2 Nr. 1 bezeichneten Art ergeben. Bei der Gesamtwürdigung sind die im Zeitpunkt der Anlassverurteilung erkennbaren und die neuen Tatsachen zu berücksichtigen. Erforderlich ist eine gegenwärtige erhebliche Rückfallgefahr, eine abstrakte Wahrscheinlichkeit reicht nicht (BVerfGE NJW 06, 3483; s. auch § 7, 17). Die Maßgaben des BVerfG zu § 7 II (s. § 7, 17, 21) sind auch bei § 106 V anzuwenden (vgl. BVerfG NJW 11, 2711; BGH NJW 11, 2744 zur parallelen Problematik bei § 66 b I u. II StGB aF). Ein Hang wird in Abs. V 1 nicht ausdrücklich verlangt, aber teilweise für erforderlich gehalten (Ostendorf 10 c; DSS/Sonnen 12; MK-Altenhain 27; Streng S. 269; vgl. § 7, 17 aE). 21 Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen steht die Anordnung der Sicherungsverwahrung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. 22 Abs. VI ermöglicht die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung, wenn die wegen einer Tat iSv Abs. III 2 Nr. 1 angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67 d VI StGB für erledigt erklärt worden ist, weil der Zustand nach den §§ 20, 21 StGB, auf dem die Unterbringung beruht, nicht oder nicht mehr bestanden hat. Voraussetzung ist, dass die Unterbringung nach § 63 StGB entweder wegen mehrerer solcher Taten angeordnet wurde oder – bei Unterbringung wegen nur einer solchen Tat – dieser eine oder mehrere andere solche Taten vorausgingen, wegen derer der Betroffene zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren verurteilt oder nach § 63 StGB untergebracht worden war. Hinzukommen muss eine ungünstige Prognose entsprechend Abs. V 1. 23 Für das Verfahren und die Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ordnen §§ 109 I, 81 a I die sinngemäße Anwendung der §§ 275 a StPO und 74 f, 120 a GVG an. Im Fall des Abs. V soll die StA den Antrag spätestens 6 Monate vor dem Zeitpunkt stellen, in dem der Vollzug der Freiheitsstrafe endet (§ 81 a II 3). Die Entscheidung trifft nach § 74 f I, II die JKammer mit 3 Berufsrichtern (§ 74 f III 2. HS GVG) und 2 Schöffen, wenn diese oder – entgegen § 108 III – das Amtsgericht die Ausgangsverurteilung ausgesprochen hat; bei tatrichterlicher Entscheidung durch einen Strafsenat des OLG entscheidet dieser über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 120 a I GVG). Liegen mehrere Anlassverurteilungen vor, gilt § 462 a III 2, 3 StPO entsprechend (§§ 74 f III 1. HS, 120 a II GVG). Erforderlich sind Gutachten von 2 Sachverständigen, die im Rahmen des Vollzugs der Strafe oder der Unterbringung nicht mit der Behandlung des Verurteilten befasst gewesen sein dürfen (§ 275 a IV 2, 3 StPO). Unter den Voraussetzungen des § 275 a VI 1 StPO kann bis zur Rechtskraft des Urteils ein Unterbringungsbefehl erlassen werden.
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Zuständigkeit
§ 108
Zweiter Abschnitt Gerichtsverfassung und Verfahren § 107 Gerichtsverfassung Von den Vorschriften über die Jugendgerichtsverfassung gelten die §§ 33 bis 34 Abs. 1 und §§ 35 bis 38 für Heranwachsende entsprechend. 1. ./. – 2. [ErwG]: nur § 38 gilt; § 112, § 104 I Nr. 2; Rn 2. Unabhängig vom Alter zZ der Aburteilung und unabhängig davon, ob JRecht oder allg. Recht 1 angewendet wird (§ 105) und welche Verfahrensvorschriften gelten (§ 109), kommen Hw. ebenso wie J vor das JGericht (§ 33, 11), auch bei Zweifeln, ob der Täter zZ der Tat noch Hw. war (§ 105, 17; § 1, 11; Eisenberg 4) und bei einheitlicher Tat oder mehreren Taten teils vor und nach dem 21. Lebensjahr (Vor § 102, 2), auch wenn von vornherein die Anwendung des allg. Rechts in Betracht kommt (KG bei Kotz/Rahlf NStZ-RR 02, 132). Es ist nur konsequent, dass auch der JStA mitwirkt, welcher ggf. auch die Möglichkeit der Strafmilderungen nach § 106 einbeziehen wird. Die JGH hat ihren Auftrag auch noch gegenüber inzwischen Erw. zu erfüllen (BGH StV 82, 336 mit zust. Anm. Gatzweiler). Vgl. auch § 38, 17–19 a; § 106, 5. Da die Volljährigkeit der Hw. zugleich mit der elterlichen Erziehungsberechtigung auch die 2 diese ergänzende und ersetzende des Staates beendet, sind ErzMaßnahmen des Familiengerichts, auf die § 34 II, III abhebt, bei Hw. nicht mehr zulässig. Damit verliert die in § 34 II gewünschte Verbindung JRichter–Familiengericht bei Hw. ihren Sinn. Aus gleichem Grunde sind bei Hw. die §§ 12, 53 nicht mehr anwendbar (näher Einf. II 11 zu BVerfGE 22, 180; § 12, 8; § 53, 1; § 105, 20; § 109, 2).
§ 108 Zuständigkeit § 108 Zuständigkeit (1) Die Vorschriften über die Zuständigkeit der Jugendgerichte (§§ 39 bis 42) gelten auch bei Verfehlungen Heranwachsender. (2) Der Jugendrichter ist für Verfehlungen Heranwachsender auch zuständig, wenn die Anwendung des allgemeinen Strafrechts zu erwarten ist und nach § 25 des Gerichtsverfassungsgesetzes der Strafrichter zu entscheiden hätte. (3) Ist wegen der rechtswidrigen Tat eines Heranwachsenden das allgemeine Strafrecht anzuwenden, so gilt § 24 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes. Ist im Einzelfall eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe oder die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus, allein oder neben einer Strafe, oder in der Sicherungsverwahrung (§ 106 Abs. 3, 5, 6) zu erwarten, so ist die Jugendkammer zuständig. 1. ./. – 2. [ErwG]: § 41, 4; § 104, 2; § 112. Richtlinie zu § 108: Die Staatsanwaltschaft erhebt die Anklage gegen den Beschuldigten, der sich auf freiem Fuß befindet, grundsätzlich bei dem Gericht, in dessen Bezirk er sich zur Zeit der Erhebung der Anklage aufhält. Eine Anklageerhebung bei dem für den Tatort zuständigen Gericht wird insbesondere dann in Betracht kommen, wenn – wie z. B. in Verkehrsstrafsachen – eine größere Zahl von am Tatort wohnenden Zeugen zu vernehmen sein wird.
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§ 108
3. Teil. Heranwachsende
1 Für die sachliche Zuständigkeit kommt es darauf an, ob materielles JRecht oder ErwRecht anzuwenden ist (§ 105). Ist die Anwendung materiellen JRechts zu erwarten, gelten die §§ 39 bis 41 uneingeschränkt (Abs. I). Für die Zuständigkeitsprüfung des JStA vor der Anklageerhebung nach Abs. I iVm § 39 ist allein § 39 I, nicht § 39 II maßgeblich (§ 41, 7; Eisenberg 4; aA Ostendorf 2). 2 Wird gegen Hw. voraussichtlich eine Strafe nach allg. Recht verhängt, hat der JRichter dieselbe sachliche Zuständigkeit wie der Einzelrichter des allg. Rechts (Abs. II; § 25 GVG für die Eröffnung; für das Urteil gilt § 24 GVG; BGH 16, 248; BayObLG 51, 452; Eisenberg 9). Die JKammer ist für Schwurgerichtssachen (Abs. I, § 41 I Nr. 1, § 74 II GVG) gegen J und Hw. gleichermaßen ausschließlich zuständig (§ 41, 10), im Wege der Verbindung auch gegen Erw. (§ 41, 10), wobei bei Erw. und bei Hw. der Strafbann auch die lebenslange Freiheitsstrafe einschließt. Die JKammer ist gegen Hw. schließlich auch dann in erster Instanz zuständig, wenn voraussichtlich ErwStrafrecht anzuwenden und auf Freiheitsstrafe von mehr als 4 Jahren oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung zu erkennen sein wird (Abs. III; vgl. OLG Karlsruhe GA 75, 27). Letztlich können Hw. (und auch J) in erster Instanz vor die JKammer kommen, wenn in mit Erw. verbundenen Verfahren für den verbundenen Erw. eine große Strafkammer zuständig wäre (§ 41 I Nr. 3; näher § 41, 12) und der Erw. die verbundenen J und Hw. mit vor das höhere Gericht zieht. In solchen Fällen muss also unmittelbar zur JKammer angeklagt werden oder JRichter und JSchöffengericht müssen dann das Gesamtverfahren der JKammer zur Übernahme vorlegen. 2 a Abgesehen von der eingreifenden Zuständigkeit des J(Einzel)Richters und den oben erwähnten Ausnahmen gehören alle übrigen Verfahren gegen Hw. vor das JSchöffengericht, dessen Strafbann bei Anwendung von ErwStrafrecht allerdings auf Freiheitsstrafe bis zu 4 Jahren beschränkt ist und das nicht auf die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung erkennen darf. Das JSchöffengericht kann auch hier ein Verfahren wegen des Umfangs der JKammer zur Übernahme vorlegen (Abs. I; §§ 40 II, 41 I Nr. 2; § 41, 34). Dadurch werden die Nachteile vermieden, die sich aus dem Fehlen des erweiterten Schöffengerichts ergeben könnten. Die Ablehnung der Übernahme hindert nicht die spätere Verweisung, wenn der Strafbann nicht ausreicht (OLG Celle MDR 57, 117). 3 Lässt sich, wie oft, keine sichere Voraussage über die anzuwendende Rechtsordnung treffen, ist die Zuständigkeit in beiden Richtungen zu prüfen. Sind danach verschiedene Gerichte zuständig, muss zum höheren angeklagt bzw. vor dem höheren eröffnet werden; nur so können unnötige Verweisungen vermieden werden (vgl. BGH 18, 1). 4 Ist das Gericht bei der Eröffnung oder später anderer Ansicht als der StA, so verfährt es, wenn die Bedenken für den Fall der Anwendung des JRechts bestehen, wie § 41, 19 ff dargestellt. Wegen Übernahme vom JSchöffengericht zur JKammer Rn 2 a. Hat statt der zuständigen JKammer die allg. Strafkammer entschieden, ist dies im Revisionsverfahren nur aufgrund einer Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 4 StPO zu beachten (BGH NStZ-RR 07, 282). 5 Die örtliche Zuständigkeit richtet sich auch bei Hw. stets nach § 42 mit der selbstverständlichen Ausnahme, dass die familiengerichtliche Zuständigkeit nach § 42 I Nr. 1 entfällt, weil bei einem Volljährigen keine familiengerichtlichen Maßnahmen zulässig sind (Eisenberg 18; § 42, 2). Dies muss schon der StA für die Anklage beachten (§ 42 II). Nicht aber wird der nach § 84 II zuständige Vollstreckungsleiter hiervon berührt (§ 84, 4). Die örtliche Zuständigkeit beim Vollstreckungsleiter ist nur gegeben, wenn eine frühere JStrafe, nicht wenn eine frühere Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist, und wenn die neue Tat vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangen worden ist (Dallinger/Lackner 17; Eisenberg 20; aA Ostendorf 7). Ist eine Freiheitsstrafe von mehr als 4 Jahren zu erwarten, so ist für den Hw. Vollstreckungsleiter iSd § 42 I Nr. 3 die dem nach § 85 II zuständigen Vollstreckungsleiter übergeordnete JKammer (vgl. auch § 42, 6; BGH 18, 3; Dallinger/Lackner 17; Eisenberg 20; Ostendorf 7; Scheunemann RdJ 56, 296). Im allg. aber wird der JStA die
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Verfahren
§ 109
Anklage vor dem Richter erheben, in dessen Bezirk sich der auf freiem Fuß befindliche Hw. zZ der Erhebung der Anklage aufhält (RL S. 1). Dies erleichtert Persönlichkeitserforschung (letzter Stand) und Verhandlung und belässt den Hw. in seiner Umgebung. Vor dem für den Tatort zuständigen Richter wird der JStA nur dann anklagen (RL S. 2), wenn eine größere Zahl am Tatort wohnender Zeugen zu vernehmen sein wird, dort ein Augenschein erforderlich ist (Verkehrsvergehen) oder ähnliche Gründe dafür sprechen (vgl. § 42, 7). 6
Auch bei Hw. kann das Verfahren nach § 42 III abgegeben werden.
§ 109 Verfahren § 109 Verfahren (1) Von den Vorschriften über das Jugendstrafverfahren (§§ 43 bis 81 a) sind im Verfahren gegen einen Heranwachsenden die §§ 43, 47 a, 50 Abs. 3 und 4, § 68 Nr. 1 und 4 sowie die §§ 72 a bis 73 und § 81 a entsprechend anzuwenden. Die Jugendgerichtshilfe und in geeigneten Fällen auch die Schule werden von der Einleitung und dem Ausgang des Verfahrens unterrichtet. Sie benachrichtigen den Staatsanwalt, wenn ihnen bekannt wird, dass gegen den Beschuldigten noch ein anderes Strafverfahren anhängig ist. Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse des Heranwachsenden geboten ist. (2) Wendet der Richter Jugendstrafrecht an (§ 105), so gelten auch die §§ 45, 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 3, Abs. 2, 3, §§ 52, 52 a, 54 Abs. 1, §§ 55 bis 66, 74 und 79 Abs. 1 entsprechend. § 66 ist auch dann anzuwenden, wenn die einheitliche Festsetzung von Maßnahmen oder Jugendstrafe nach § 105 Abs. 2 unterblieben ist. § 55 Abs. 1 und 2 ist nicht anzuwenden, wenn die Entscheidung im beschleunigten Verfahren des allgemeinen Verfahrensrechts ergangen ist. § 74 ist im Rahmen einer Entscheidung über die Auslagen des Verletzten nach § 472 a der Strafprozessordnung nicht anzuwenden. (3) In einem Verfahren gegen einen Heranwachsenden findet § 407 Abs. 2 Satz 2 der Strafprozeßordnung keine Anwendung. 1. ./. – 2. Abs. I: ErwG: §§ 112, 104 Nr. 2, 3, 9, 10, 11, 12. – Abs. II: ErwG: §§ 112, 104 Nr. 5, 6, 7, 8, 13, 14. Richtlinien zu § 109: 1. Im Gegensatz zum Verfahren gegen Jugendliche ist das Verfahren gegen Heranwachsende grundsätzlich öffentlich. Die Öffentlichkeit kann aber nicht nur aus den in §§ 171 a, 171 b, 172 GVG genannten Gründen, sondern auch im Interesse der Heranwachsenden ausgeschlossen werden (vgl. hierzu die Richtlinie zu § 48). 2. Gegen Heranwachsende darf ein Strafbefehl nur erlassen werden, wenn das allgemeine Strafrecht anzuwenden ist (§ 109 Abs. 2, § 79 Abs. 1). Die Staatsanwaltschaft beantragt deshalb den Erlass eines Strafbefehls gegen Heranwachsende nur, wenn sie Ermittlungen nach § 43 angestellt hat und zu der Auffassung gelangt ist, dass das allgemeine Strafrecht anzuwenden ist. 3. Das vereinfachte Jugendverfahren ist gegen Heranwachsende nicht zulässig, wohl aber das beschleunigte Verfahren nach §§ 212 ff StPO. 4. Privatklage und Nebenklage sind gegen Heranwachsende zulässig, unabhängig davon, ob allgemeines Strafrecht oder Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Auch insoweit ist grundsätzlich das Jugendgericht zuständig. 5. Die Staatsanwaltschaft wendet § 45 bei Heranwachsenden an, wenn sie aufgrund der Ermittlungen nach § 43 zu der Auffassung gelangt ist, dass Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Schrifttum: Bartels Das Strafbefehlsverfahren bei Hw. in Theorie u. Praxis, 2007; Putzke Beschleunigtes Verfahren bei Hw., 2004.
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§ 109
3. Teil. Heranwachsende
Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Verfahrensrecht und materielles JRecht . . . . . . . . Einstellung nach § 47 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formlose ErzVerfahren durch StA . . . . . . . . . . . Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende Die besonderen Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . Strafbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche EinheitsJStrafe . . . . . . . . . . . . . . In verschiedenen Altersstufen begangene Taten . . .
1.
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Rn 1 3 4 5 6 9 12 13 14
Verfahrensrecht und materielles JRecht
1 Für Hw. gilt allg. Verfahrensrecht, wo nicht eine Sonderregelung getroffen ist. Abs. I 1 fasst die jrechtlichen Verfahrensvorschriften zusammen, die bei Hw. stets und unabhängig davon anzuwenden sind, ob letztendlich nach materiellem J- oder ErwRecht erkannt wird. Dies gilt auch vor ErwGerichten (§ 112, 3). Es gelten insbes. die jrechtlichen Sondervorschriften zur Persönlichkeitserforschung (§§ 43; 50 III u. IV, näher dazu § 50, 12 aE u. 14, 15; § 73), die Bestimmung über den Vorrang der JGerichte (§ 47 a) und von den Vorschriften über notwendige Verteidigung § 68 Nr. 1 und 4 auch in Verfahren gegen Hw. immer. Es gelten auch die in § 70 für J vorgesehenen Mitteilungspflichten, mit Ausnahme der Benachrichtigung des Familiengerichts, die wegen der Volljährigkeit der Hw. entfällt (Abs. I 2, 3, die aus Gründen der Übersichtlichkeit unter Verwendung des Textes des § 70 eingefügt sind; § 38, 17; § 70, 7). 2 Die bei Anwendung materiellen JRechts notwendigen Sondervorschriften §§ 45 (Rn 5), 47 (Rn 3), 52, 52 a, 54 I (zu § 54 II Rn 4), 55–66, 74, 79 I, 81 gelten dagegen nach Abs. II nur dann, wenn Hw. nach JRecht verurteilt werden. Schwierigkeiten entstehen nicht, weil diese Vorschriften erst bei der Entscheidung des Gerichts zur Anwendung kommen, also zu einem Zeitpunkt, in welchem auch über die Frage, welche materielle Rechtsordnung anzuwenden ist (§ 105), entschieden werden muss. Alle diese Vorschriften enthalten typisch jrechtliche Reaktionen, die auch bei Hw. zulässig und angebracht sind, wenn nach § 105 I JRecht angewendet wird. Zum staatlichen ErzRecht gegenüber den volljährigen Hw. Einf. II 11. 2 a Im Verfahren gegen Hw. sind nicht anwendbar: § 44: Ist mit Anwendung von JStrafrecht zu rechnen, so kann sich eine Vernehmung nach den allg. Vorschriften empfehlen (RL 1 S. 2 HS 2 zu § 44; Dallinger/Lackner § 44, 13; Eisenberg 8). § 46: Der Grundgedanke ist aber zu berücksichtigen (RL 2 zu § 46; § 46, 3). § 50 I: Dem Grundgedanken ist nach richterlichem Ermessen Rechnung zu tragen (Dallinger/Lackner 24; Eisenberg 8). §§ 50 II, 67: Hat der Hw. die Tat als J begangen, kann es sich empfehlen, die Eltern zu laden entsprechend § 50 II (Eisenberg 8; Röstel Zbl. 75, 326). Es sollte aber das Einverständnis des Hw. gesichert sein. §§ 51, 53, 67. § 69 (dazu § 69, 10). §§ 71, 72, 76–78. § 79 II: Deshalb ist unabhängig davon, ob J- oder ErwStrafrecht angewendet wird, das beschleunigte Verfahren nach §§ 417 ff StPO zulässig (RL 3). § 80: Gegen Hw. ist deshalb Privat- und Nebenklage stets zulässig, gleich ob J- oder ErwStrafrecht angewendet wird (RL 4 S. 1; RL 3 S. 2 zu § 80). Es ist aber stets der JRichter zuständig (Rn 11). Vgl. näher zu §§ 50 I, 53, 69, 54 II, auch Abs. I 4 in Rn 4.
2.
Einstellung nach § 47
3 Die dem JRichter eingeräumte Möglichkeit, mit Zustimmung des StA vor oder in der Hauptverhandlung das Verfahren auch gegen Hw. nach Abs. II 1, § 47 I 1 Nr. 1, 2 und 3 einzustellen, bereichert die Reaktionsmöglichkeiten des JRichters auch gegen Hw. (dazu § 47, 1–3, 5, 7–10). Hingegen sind nach Abs. II 1 die § 47 I 1 Nr. 4 und § 47 II 4 bei Hw. nicht anwendbar, weil
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Verfahren
§ 109
sie nur auf J abzielen (§ 47, 14). Der JRichter wird über § 47 I 1 Nr. 1–3 im Wesentlichen Fälle einer erz. sinnvollen Lösung zuführen, in denen der StA das formlose ErzVerfahren (Rn 5), aus welchen Gründen auch immer, nicht gewählt hat, oder in denen die Hauptverhandlung neue Erkenntnisse über die Täterpersönlichkeit bringt, die ein Vorgehen nach § 47 empfehlen.
3.
Besonderheiten
Infolge der Volljährigkeit ist bei Hw. § 53 nicht entsprechend anwendbar, da auch familienge- 4 richtliche ErzAufgaben iSv § 34 II, III bei Hw. nicht mehr in Betracht kommen (§ 105, 20; § 107, 2). Auch die Bestellung eines Beistands (§ 69) entfällt bei Hw. (näher § 69, 10). Ähnliche und dem Entwicklungsstand des Hw. angemessenere Hilfen bietet dem Richter die Weisung an den Hw., sich einem Betreuungshelfer zu unterstellen (§ 10 I 3 Nr. 5), was eine Art „BewHilfe“ ohne Strafaussetzung eröffnet (näher § 10, 10). Die Urteilsgründe müssen stets voll mitgeteilt werden (keine entsprechende Anwendung des § 54 II in Abs. II 1). – Auch wenn allein gegen Hw. verhandelt wird, kann nach Abs. I 4 die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, soweit dies im Interesse des Hw. geboten ist. Die Gründe hierfür (s. dazu § 48, 3 u. 107; auch Einf. I 40) fordern weite Auslegung (Dallinger/Lackner 3; Eisenberg 43; Ostendorf 3). Das zu berücksichtigende Interesse des Hw. wird praktisch nicht selten mit dem früher maßgeblichen „Interesse der Erziehung des Angeklagten“ (§ 109 I 2 aF) identisch sein. Zum Umfang des Ausschlusses der Öffentlichkeit vgl. § 48, 23. – Eine Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten ist auch bei Hw. nur dann statthaft, wenn auch ohne seine Anwesenheit ausreichend geprüft werden kann, ob Erwachsenen- oder JRecht anzuwenden ist (OLG Hamburg NJW 63, 67; vgl. auch BayObLG bei Rüth DAR 71, 207).
4.
Formloses ErzVerfahren durch StA
Die dem StA eröffnete Möglichkeit, auch bei Hw. im formlosen ErzVerfahren alle Alternativen 5 des § 45 einzusetzen (Abs. II 1), kommt erhebliche Bedeutung zu. Es kann bei geständigen Hw. auf geringfügigere Verfehlungen – insbes. nicht kriminelle Oberflächenverstöße – noch jgemäß reagiert und in einem der Verfehlung angemessenen, schnellen, keinen unnötigen Aufwand bringenden Verfahren ohne Hauptverhandlung vermieden werden, dass aus einem Überschuss äußerlicher Reaktion erz. abträgliche Nebenfolgen erwachsen (Anreise zum Gerichtsort, Arbeitsausfall, häusliche Aufregung, Bekanntwerden des Verfahrens und letztlich geringe Maßnahmen nach förmlichem Verfahren und Urteil). Dem StA und dem Richter fehlt zwar idR vor seiner Entscheidung der persönliche Eindruck vom Hw., diesen kann und muss aber ein sorgfältiger Bericht der JGH ersetzen, der auch zu den Maßnahmen Stellung nehmen sollte. Im Übrigen ist Anwendung von JRecht nie schädlich. Bei den zu treffenden Auflagen (§ 45, 26, 30) sollte beachtet werden, dass es sich bei Hw. schon um volljährige „ältere“ junge Menschen handelt, Ermahnungen kaum mehr angebracht sind und zumeist nur ein Lächeln auslösen würden und Geldbußen zwar zumutbar, aber auch spürbar sein müssen. Eigenes aktives Eingreifen des JStA iS einer Diversion nach § 45 II (§ 45, 21 ff) ist gerade auch bei Hw. empfehlenswert. Durch das Vorgehen nach § 45 auch gegen Hw. werden Strafbefehle (Rn 12) ohne ernstliche Prüfung des Entwicklungsstandes eingedämmt werden können. Doch sollte das gute Instrument des § 45 bei Hw. nicht wahllos und damit im Einzelfall erzschädlich angewandt werden. In Fällen bedenklicherer Kriminalität sollten StA und JRichter unter Mitwirkung der JGH sorgsam erwägen, ob je nach Persönlichkeit und Tatverstrickung das formlose ErzVerfahren nach § 45 angemessen ist und wirksam sein kann.
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§ 109 5.
3. Teil. Heranwachsende
Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende
6 Für Verfahren gegen J und Hw. (Verbindung nach allg. StPO-Grundsätzen; § 103, 2) trifft nur §§ 48 III (Öffentlichkeit) eine Sonderregelung. Sonst gilt für jeden Täter das seiner Altersgruppe entsprechende Verfahrensrecht (Dallinger/Lackner 46; Eisenberg 40); eine Verhandlung gegen J und Hw. zugleich ist also nur im förmlichen Verfahren möglich, nicht etwa im vereinfachten JVerfahren (nicht gegen Hw.) oder im beschleunigten Verfahren (nicht gegen J). In verbundenem Verfahren gegen J und Hw. ist bei Vorliegen einer Anschlussbefugnis bezüglich des Hw., nicht aber des J (vgl. § 80 III) eine Nebenklage gegen den Hw. – ebenso gegen einen erw. Mitangeklagten –, nicht aber gegen den J zulässig (BGH 41, 288 für Nebenklage gegen Erw.; BGH NStZ 97, 97; NJW 03, 152; OLG Düsseldorf NStZ 94, 299 = StV 94, 605 mit abl. Anm. Ostendorf; NJW 95, 343; OLG Saarbrücken ZJJ 06, 324 mit abl. Anm. Möller; LG Duisburg NJW 94, 3305; Dölling in Weisser Ring, Hrsg., Täterrechte – Opferrechte, 1996 S. 73; Mitsch GA 98, 159; Rössner in JStrafrecht an der Wende S. 172; Rohde Die Rechte u Befugnisse des Verletzten im Strafverfahren gegen J, 2009 S. 145; aA OLG Köln NStZ 94, 298; LG Aachen MDR 93, 679; LG Zweibrücken StV 09, 88; Eisenberg § 80, 13 u. NStZ 94, 299 f; DSS/Sonnen 2; Franze StV 96, 293; Graul NStZ 96, 402; Schaffstein/Beulke S. 273; kritisch Kurth NStZ 97, 5 f; für Zulässigkeit der Nebenklage bei Verbindung von Strafverfahren gegen Erw. u. Hw. mit im JVerfahren durchgeführtem Sicherungsverfahren KG JR 95, 259 mit abl. Anm. Eisenberg/Schönberger JR 95, 391). Auch verbundene Strafsachen bleiben in mehrfacher Hinsicht selbständig, ua hinsichtlich der Rechtsstellung Dritter (OLG Düsseldorf NStZ 94, 299; KMR/v. Heintschel-Heinegg § 5 StPO 2). Die differenzierte Regelung des § 109 sieht davon ab, die Einschränkung der Nebenklage auf Hw. zu erstrecken. Die Tragweite dieser Entscheidung des Gesetzes würde erheblich reduziert, wenn sie in den praktisch nicht seltenen verbundenen Verfahren gegen J und Hw. außer Kraft gesetzt würde (Dölling aaO). Eine Vereinheitlichung der Verfahrensvorschriften hat das JGG nur in dem das Verfahren als Ganzes und nicht subjektbezogene Prozessverhältnisse betreffenden §§ 48 III vorgenommen. Die Zulässigkeit der Nebenklage gegen den Hw. sollte nicht von dem oft zufälligen Umstand abhängig gemacht werden, ob gleichzeitig gegen einen J verhandelt wird (LG Duisburg aaO). Da in den Fällen des § 80 III sogar eine Nebenklage gegen den J selbst erhoben werden kann, sind Nebenklagen gegen mitangeklagte Hw. hinnehmbar (Noak ZRP 09, 17). Gefährdungen des Erziehungsziels können Gericht und StA entgegenwirken. Bei gegenläufigen Interessen von Nebenklage und J hat im Zweifel die Position des J den Vorrang (BGH NJW 03, 152). Der Vorschlag von Ostendorf (StV 94, 606), entsprechend § 48 III 2 nach Interessenabwägung im Einzelfall zu entscheiden, schafft unnötig Rechtsunsicherheit. Ist im verbundenen Verfahren gegen J und Hw. bzw. Erw. die Nebenklage gegen den Hw. (Erw.) zugelassen, ist der Nebenkläger auch berechtigt, den von dem j. Angeklagten gem. § 245 StPO präsentierten Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, sofern dieser nicht nur zur Aufklärung von Tatsachen beitragen soll, die ausschließlich den j. Angeklagten betreffen (OLG Düsseldorf NJW 95, 343). – Wegen Verfahren auch gegen Erw. § 103, 3 ff. 7 Wie weit die einzelnen Vorschriften des 2. Teiles des JGG auch für Hw. gelten, ist bei jedem Paragraphen nach dem Gesetzestext vermerkt (Abkürzungsverzeichnis Teil I). – Wegen des Verfahrens gegen Hw. vor ErwGericht § 112. 8 Grds. kommt es auf das Alter zZ der Tat an (BGH 6, 254; 22, 24 u. BGH bei Herlan GA 63, 106 für Abs. I 4 u. § 50 III).
6.
Die besonderen Verfahrensarten
9 Auch bei Anwendung von JStrafrecht kann das vereinfachte JVerfahren (§§ 76–78) gegen Hw. nicht durchgeführt werden (Abs. II 1; RL 3), dagegen sind gegen Hw., gleichgültig, ob J- oder ErwRecht angewendet wird, das beschleunigte Verfahren (§§ 417 ff StPO; RL 3; OLG Stuttgart
540
Verfahren
§ 109
NStZ 05, 471), Privat- und Nebenklage (§§ 374 ff, 395 ff StPO; Rn 11; RL 4 S. 1; BGH 15, 314) und seit der Änderung des § 109 II 1 durch das 2. JuMoG v. 22. 12. 2006 das Adhäsionsverfahren (§§ 403 ff StPO) möglich, ebenso – wie bei J – wegen Ordnungswidrigkeiten die Verwarnung mit Verwarnungsgeld durch die Polizei (Vor § 76, 2). Für eine verstärkte Nutzung des beschleunigten Verfahrens Putzke S. 149. Nur wenn ErwRecht angewendet wird, ist auch das Strafbefehlsverfahren zulässig. Hierbei ist zu beachten, dass bei der Anwendung von JStrafrecht die Möglichkeit des Absehens 10 von der Verfolgung nach § 45 und die Einstellung des Verfahrens durch den Richter nach § 47 (Abs. II 1; Rn 3 u. 5) besteht. Nach dem durch das VerbrechensbekämpfungsG 1994 eingefügten Abs. II 3 gelten im be- 11 schleunigten Verfahren die Rechtsmittelbeschränkungen des § 55 nicht. Der Gesetzgeber hält sie ua wegen der vereinfachten Beweisaufnahme in dieser Verfahrensart für nicht vertretbar (Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU u. FDP zum VerbrechensbekämpfungsG, BT-Drs. 12/6853 S. 40 f; dazu kritisch König/Seitz NStZ 95, 5). Auch für die Privatklage ist grds. der JRichter zuständig (§§ 107, 108 I, II, 33 I, 39, § 25 Nr. 1 GVG, § 109 RL 4 S. 2; anders bei Widerklage; § 80 II, RL 2). Das Gericht prüft wie auch bei der Nebenklage stets nach § 105 und ahndet entsprechend dem Ergebnis die Tat nach J- oder ErwRecht. JStrafe dürfte ausgeschlossen sein (§ 80 II 2 entsprechend: auch hier private Genugtuung). Im Adhäsionsverfahren (§§ 403 ff StPO) ist nach dem durch das 2. JuMoG v. 22. 10. 2006 angefügten Abs. II 4 § 74 auf eine Entscheidung über die Auslagen des Verletzten nach § 472 a StPO nicht anzuwenden. Der Hw. kann also von seiner Kostenlast nach § 472 a I StPO nicht befreit werden. Bei der Ermessensentscheidung nach § 472 a II StPO ist das Anliegen des § 74 jedoch zu berücksichtigen (RegE Begr., BT-Drs. 16/3038, S. 68). 7.
Strafbefehl
Der JStA darf einen Strafbefehl gegen Hw. nur beantragen und der JRichter ihn nur erlassen, 12 wenn aufgrund sorgfältiger Ermittlungen zum Entwicklungsstand feststeht, dass die Voraussetzungen des § 105 I nicht vorliegen und ErwStrafrecht anzuwenden ist. Jedoch darf auch ein JRichter nicht grds. Strafbefehle gegen Hw. ablehnen, weil das Gesetz diese Verfahrensart vorsieht, wenn auch Zurückhaltung geboten ist (Dallinger/Lackner 33; Löwe/Rosenberg/Gössel Vor § 407 StPO 52). Andererseits werden aber auch verfahrensökonomische Zwänge bei kleiner und Massenkriminalität in der Praxis nicht verkannt werden dürfen (zum Strafbefehlsverfahren gegen Hw. in der Praxis Bartels S. 122 ff). Bei Wiederholungstätern (Einf. I 13–15), bei Taten mit erheblichem kriminellen Gehalt oder wo allg. nachteilige Folgen für den Hw. aus dem Verfahren entstehen könnten, ist das summarische Verfahren nicht geeignet. Da der JStA auch bei Hw. nach § 45 verfahren kann (Abs. II 1), zwingt die unbestreitbare Arbeitslast nicht mehr zu Strafbefehlen bei Zweifeln über den Entwicklungsstand (Rn 5). Sonst ist beim Strafbefehlsverfahren zu beachten: Der JStA richtet den Strafbefehlsantrag gegen Hw. an den JRichter (§ 108 II, § 25 GVG). Ein Antrag an das JSchöffengericht scheidet aus; nach § 108 II iVm dem durch das RpflEntlG geänderten § 25 GVG ist der JRichter im Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens stets zuständig (Meyer-Goßner § 408 StPO 5). Ein Strafbefehl durch das JSchöffengericht kommt nur im Fall des § 408 a StPO in Betracht. Eine Abgabe des Verfahrens durch den JRichter an den JRichter des Aufenthaltsortes gem. § 42 III ist erst nach Beginn der auf rechtzeitigen Einspruch anberaumten Hauptverhandlung möglich; denn erst ab diesem Zeitpunkt ist der JStA an die erhobene Anklage gebunden (vgl. näher § 42, 11; auch BGH 13, 186; Löwe/Rosenberg/Gössel Vor § 407 StPO 54). Hat ein ErwStrafrichter einen Strafbefehl gegen einen Hw. erlassen, so kann der JStA den Antrag noch bis zum Beginn der auf Einspruch hin anberaumten Hauptverhandlung zurücknehmen (Meyer-Goßner § 411 StPO 8) – danach mit Zustimmung des Angeklagten bis zur Verkündung des Urteils (§§ 411 III, 303 StPO) – und vor dem zuständigen JRichter neu erheben.
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§ 109
3. Teil. Heranwachsende
Der ErwStrafrichter kann und muss je nach Verfahrensstand die Sache dem JRichter nach §§ 225 a, 270, 209 a Nr. 2 a StPO zur Übernahme vorlegen (§ 41, 27 u. 31). Ein versehentlich gegen einen J ergangener Strafbefehl ist nicht nichtig (näher § 79, 3; BayObLG 57, 59). Abs. III schließt die – seit dem RpflEntlG gegen Erw. mögliche – Verhängung von Freiheitsstrafe gegen Hw. durch Strafbefehl aus (dazu Beschlussempfehlung u. Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf eines RpflEntlG, BT-Drs. 12/3832, S. 45). 8.
Nachträgliche EinheitsJStrafe
13 Wurde bei Anwendung von JStrafrecht auf Hw. versäumt, eine einheitliche Maßnahme oder EinheitsJStrafe mit bereits rechtskräftigen Verurteilungen nach allg. Strafrecht zu bilden, so ist dies im Verfahren nach § 66 nachzuholen (Abs. II 2). § 105, 25; § 31, 25; § 66, 12; bes. BGH 37, 34 u. 36, 270 in § 32, 5–12. 9.
In verschiedenen Altersstufen begangene Taten
14 Taten, die in verschiedenen Altersstufen begangen sind, unterfallen auch unterschiedlichen Verfahrensvorschriften (zust. Eisenberg 39). Wegen der Zuständigkeit Vor § 102, 2. Soweit möglich, sind für jede Tat die für sie geltenden Vorschriften anzuwenden; so bleibt die für J verschärfte Anwesenheitspflicht für die Hauptverhandlung (§ 50 I) bei gleichzeitiger Verhandlung wegen später begangener Taten bestehen, weil für das JStrafrecht der persönliche Eindruck von wesentlicher Bedeutung ist. – Dagegen scheiden alle Verfahrensarten aus, die auch nur hinsichtlich einer der in einem Verfahren verbundenen Taten nicht zulässig wären; denn das Verfahren kann nach Verbindung nur einheitlich sein (dazu LG Hamburg B NStZ 89, 523 bei § 80, 4). Eine entsprechende Anwendung des § 32 in der Weise, dass das Verfahren sich nach der Tat mit dem größten Gewicht richtet, kommt nicht nur deshalb nicht in Betracht, weil es an einer gesetzlichen Grundlage für die Ausschaltung der für die einzelnen Taten geltenden Vorschriften fehlt, sondern auch deshalb, weil das Schwergewicht ja erst im Verfahren festgestellt wird, die Verfahrensart aber vorher zu bestimmen ist. Auch bei Verbindung von Straftaten desselben Angeklagten ist deshalb ein Strafbefehl oder eine Privatklage für vor Vollendung des 18. Lebensjahres begangene Taten, das vereinfachte JVerfahren für nach dem genannten Zeitpunkt liegende Taten nicht möglich; notfalls muss die Verbindung wieder aufgehoben werden (zust. Eisenberg 39; aA Ostendorf 2, der die jrechtlichen Vorschriften voll gelten lassen will, wenn eine Tat im JAlter mitverhandelt wird). Bei Taten teils als J, teils als Hw. oder Erw. ist die Nebenklage abgesehen von den Fällen des § 80 III insgesamt unzulässig (OLG Schleswig bei Döllel/Dreeßen SchlHA 02, 175; OLG Düsseldorf NStZ 03, 496; OLG Hamm ZJJ 05, 446; OLG Oldenburg NStZ 06, 521; OLG Hamburg StraFo 06, 117; KG NStZ 07, 44; aA Mitsch GA 98, 172 ff; für analoge Anwendung von § 32 Rohde [Rn 6] S. 148; ähnlich Brocke NStZ 07, 8, 9). Bei Verbindung von Strafsachen gegen Hw. und J sind für jeden die für ihn geltenden Verfahrensvorschriften anzuwenden (Rn 6). Zur Frage des Ausschlusses der Öffentlichkeit Rn 4; § 48, 2, 10. Die Verfahrensgestaltung kann aber auch im Regelverfahren vor die Frage stellen, welche Verfahrensrechtsordnung gilt, etwa bei der Frage der Öffentlichkeit der Verhandlung. Hier muss abgewogen werden. Da die Interessenlage jener bei der Verbindung der Verfahren gegen mehrere Beschuldigte verschiedener Altersstufen entspricht, ist § 48 III entsprechend anzuwenden. Bei der Ausübung des Ermessens kann auch berücksichtigt werden, ob voraussichtlich die Verurteilung nach allg. oder JRecht erfolgen wird, weil im letzten Fall die publizitätsfeindlichen gesetzlichen Regelungen durch öffentliche Verhandlung weithin gegenstandslos würden. Zum Rechtsmittel vgl. § 48, 23 a. – Wegen der Modifizierung der §§ 232 I, 233 I StPO bei ErzMaßregeln u. Zuchtmitteln § 50, 2.
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Vollstreckung und Vollzug
§ 110
Dritter Abschnitt Vollstreckung, Vollzug und Beseitigung des Strafmakels § 110 Vollstreckung und Vollzug § 110 Vollstreckung und Vollzug (1) Von den Vorschriften über die Vollstreckung und den Vollzug bei Jugendlichen gelten § 82 Abs. 1, §§ 83 bis 93 a für Heranwachsende entsprechend, soweit der Richter Jugendstrafrecht angewendet (§ 105) und nach diesem Gesetz zulässige Maßnahmen oder Jugendstrafe verhängt hat. (2) Für die Vollstreckung von Untersuchungshaft an zur Tatzeit Heranwachsenden gilt § 89 c entsprechend. 1. ./. – 2. ErwG: § 104, 1; § 112. Richtlinien zu § 110: 1. Wird gegen Heranwachsende das allgemeine Strafrecht angewendet, so gelten für die Vollstreckung die allgemeinen Vorschriften. Besuchen solche Heranwachsende eine Schule oder Berufsschule, so soll die Schulleitung von der Vollstreckungsbehörde über den Ort und die Zeit der von ihnen zu verbüßenden Freiheitsstrafe unterrichtet werden. Den Heranwachsenden kann auch aufgegeben werden, die Ladung der Schulleitung vorzulegen und von ihr auf der Ladung die Kenntnisnahme bescheinigen zu lassen. Die Unterrichtung kann unterbleiben, wenn die Freiheitsstrafe in der Freizeit oder während des Urlaubs bzw. der Ferien der Heranwachsenden vollzogen wird und ihnen aus der Mitteilung unerwünschte Nachteile für ihr Fortkommen entstehen könnten. 2. Wegen der Möglichkeit des Vollzugs einer Freiheitsstrafe in der Jugendstrafanstalt wird auf § 114 und die Richtlinien dazu hingewiesen.
Die §§ 82 I, 83–89 a (§ 82 II betrifft Hilfen zur Erz. nach §§ 9 Nr. 2, 12, also nie Hw.) gelten auch 1 für Hw. uneingeschränkt, wenn das Gericht JRecht angewendet und nach JGG zulässige Maßnahmen (auch §§ 6, 7) oder JStrafe verhängt hat (Abs. I). Andernfalls gelten für die Vollstreckung die allg. Vorschriften der StPO und der StVollstrO (RL 1; § 85 RL I 3) selbst dann, wenn eine Freiheitsstrafe nach § 114 in einer JStrafanstalt vollstreckt wird (aA Ostendorf 1). Ist gegen einen Hw. lediglich auf eine Unterbringung erkannt worden, richtet sich die Zuständigkeit für Folgeentscheidungen nach ErwRecht, wenn sich nicht aus dem Urteil ergibt, dass bei einer Schuldfeststellung JRecht anwendbar gewesen wäre (OLG Celle NJW 75, 2254; OLG Hamm v. 20. 3. 08 – 3 [s] SbD I 7/08). Für den Vollzug von UHaft an zur Tatzeit Hw. gilt nach Abs. II § 89 c entsprechend. Danach ist 1 a die UHaft bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres nach den Vorschriften für den Vollzug der UHaft an jungen Gefangenen und nach Möglichkeit in den für junge Gefangene vorgesehenen Einrichtungen zu vollziehen, ohne dass es darauf ankommt, ob auf den Hw. materielles JStrafrecht oder allg. Recht anzuwenden ist. Ist der Hw. im Zeitpunkt der Unterbringung 21, aber noch nicht 24 Jahre alt, kann die UHaft nach diesen Vorschriften und in diesen Einrichtungen vollzogen werden. Hiervon wird insbesondere Gebrauch zu machen sein, wenn die Anwendung von materiellem JStrafrecht nahe liegt und der Reifungsprozess bei dem Hw. noch nicht abgeschlossen ist. Eine hiervon abweichende Regelung enthält § 69 Buch II JVollzGB B-W. Danach gelten die besonderen Vorschriften für junge Untersuchungsgefangene nur für zur Tatzeit Jugendliche (dazu krit. Jung-Pätzold/Pruin/Jetter-Schröder ZJJ 10, 301; Allgeier ZJJ 10, 420). Wird die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die §§ 89 c, 110 II JGG bejaht (s. dazu § 89 c, 1), hat nach Art. 31 GG § 69 Buch II JVollzGB B-W keine Geltung. Wo ein Hw. gem. § 105 nach JRecht abgeurteilt ist, müssen wegen des Fehlens anderer Bestim- 2 mungen für den Vollzug der bes. Maßnahmen des JGG zwangsläufig auch die Sondervorschrif-
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§ 112
3. Teil. Heranwachsende
ten des JGG (§§ 90, 93 a) gelten (Abs. I). Ebenso gelten umgekehrt die allg. Vorschriften, wenn Strafe oder Maßnahmen des allg. Rechts gegen einen Hw. verhängt sind; doch schafft § 114 hier Ausnahmen hinsichtlich der Freiheitsstrafe (RL 2). Ist die Vollstreckungsbehörde zugleich Gnadenbehörde, so wirkt sich die Anwendung von JRecht auch auf deren Zuständigkeit aus (Dallinger/Lackner 4; Eisenberg 3). 3 Bei jeder Vorschrift, die Vollstreckung oder Vollzug betrifft, ist nach dem Gesetzestext auf ihre Geltung gegenüber Hw. hingewiesen (Abkürzungsverzeichnis Teil I).
§ 111 Beseitigung des Strafmakels Die Vorschriften über die Beseitigung des Strafmakels (§§ 97 bis 101) gelten für Heranwachsende entsprechend, soweit der Richter Jugendstrafe verhängt hat. 1. ./. – ErwG: § 104, 1; § 112. 1 Wird auf einen Hw. gem. § 105 materielles JRecht angewendet, gelten folgerichtig auch für ihn die Vorschriften über die Beseitigung des Strafmakels (vgl. auch § 101, 6) und, was § 111 nicht zu erwähnen brauchte, die bes. Registervorschriften des BZRG bei Eintragungen nach JStrafrecht. Die bes. örtliche Zuständigkeit für den Hw. nach § 98 I 2 folgt aus seiner Volljährigkeit, weil für ihn familiengerichtliche ErzAufgaben ausscheiden. 2 Bei Anwendung des ErwRechts gelten die entsprechenden Vorschriften des BZRG. Vgl. insgesamt Vor § 97. 3 Auf die Geltung gegenüber Hw. ist nach dem Gesetzestext in jeder einschlägigen Vorschrift hingewiesen (Abkürzungsverzeichnis Teil I).
Vierter Abschnitt Heranwachsende vor Gerichten, die für allgemeine Strafsachen zuständig sind § 112 Entsprechende Anwendung § 112 Entsprechende Anwendung Die §§ 102, 103, 104 Absatz 1 bis 3 und 5 gelten für Verfahren gegen Heranwachsende entsprechend. Die in § 104 Abs. 1 genannten Vorschriften sind nur insoweit anzuwenden, als sie nach dem für die Heranwachsenden geltenden Recht nicht ausgeschlossen sind. Hält der Richter die Erteilung von Weisungen für erforderlich, so überlässt er die Auswahl und Anordnung dem Jugendrichter, in dessen Bezirk sich der Heranwachsende aufhält. 1. ./. – 2. ./. 1 Verfahren gegen Hw. kommen und bleiben unter denselben Voraussetzungen vor dem ErwGericht wie Verfahren gegen J (S. 1, §§ 102, 103 u. Vor § 102, 1). ErwGerichte sind also in Verfahren gegen Hw. (und J) ausschließlich in drei Fällen zuständig: (1) wenn eine Zuständigkeit des BGH oder OLG begründet ist (§ 102); (2) wenn der zum Verfahren gegen Hw. (und J) verbundene Erw.
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Entsprechende Anwendung
§ 112
die Hw. (und J) vor die Wirtschaftsstraf- oder Staatsschutzkammer zieht (§ 103 II 2) und nicht die Zuständigkeit der Schwurgerichtskammer den Vorrang dieser Spezialkammern verdrängt (§ 74 e GVG), was die JKammer für das Gesamtverfahren zuständig werden lässt (§ 41 I Nr. 1; § 41, 10; § 103, 6); (3) wenn ein Erw. gegen die Privatklage eines Hw. Widerklage erhebt (§ 80 II 1; § 80, 7; § 102 Vorb. 1). Über Verfahren wegen Taten in verschiedenen Altersstufen Vor § 102, 2. Wegen der Verbin- 2 dung von Verfahren gegen J u. Hw. § 103, 2. Grundsatz ist auch (§ 109, 1) hier die Anwendung der Verfahrensvorschriften des allg. Rechts, 3 soweit § 112 nichts anderes besagt. Vorschriften des JRechts gelten nur, wenn sie gem. §§ 105 I, 107, 108 I, 109 I 1, II, 110, 111 im Verfahren gegen Hw. vor dem JGericht anzuwenden wären und wenn das ErwGericht sie im Verfahren gegen J anwenden müsste (S. 2; § 104 I) oder könnte (§ 104 II; Grundgedanke des § 112 2 entsprechend; Dallinger/Lackner 2). Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden (§§ 104 II, 48 I), wenn das im Interesse des Hw. geboten ist (§ 109 I, § 48, 3; § 109, 4). Stets – auch bei Anwendung von ErwStrafrecht – gelten entsprechend die §§ 38; 50 III (Ein- 4 schränkung § 104 III; § 104, 5); § 43 (BGH 6, 326, § 109, 1); § 68 Nr. 1 u. 4; § 73; § 109 I 2 u. 3 (ebenso Eisenberg 5). Bei Anwendung von JStrafrecht gelten nach S. 2 iVm § 104 I die §§ 45, 47 I Nr. 1–3, Abs. II, III; 5 §§ 52, 52 a; §§ 54 I, 55, 56; §§ 57–60; §§ 62–64; § 65 (aber § 65, 4); § 66 (aber § 66, 13); §§ 74, 79 I, 81. Es gelten auch entsprechend §§ 105 II, III; 106 (Rn 8); §§ 110, 111 (ähnlich Eisenberg 3, 6; Ostendorf 3). Das ErwGericht muss die Auswahl und Anordnung von Weisungen wie die Entscheidungen 6 nach Aussetzung zur Bew. (BewZeit, -Auflagen) dem JRichter übertragen, in dessen Bezirk der Hw. sich aufhält (S. 3; § 104 V; § 104, 9; Dallinger/Lackner 112 a, 16; Eisenberg 112 a, 12; aA Ostendorf 3). Der zuständige JRichter muss übernehmen und ist für alle weiteren Entscheidungen, auch für eventuelle Weiterübertragung, zuständig (BGH 25, 68). Das ErwGericht ist mit Person und Sache nicht mehr befasst (vgl. § 58, 8 u. 9). Die Geltung einer JGG-Vorschrift in einem Verfahren gegen einen Hw. vor einem ErwGericht ist 7 insgesamt aus der nach dem Gesetzestext jedes Paragraphen angebrachten Kennzeichnung für die Geltung gegenüber Hw. und vor ErwGericht zu entnehmen (Abkürzungsverzeichnis Teil I). Zum UHaft-Vollzug § 110, 1 a. Soweit das Hw.-Recht Verschärfungen des JRechts (§ 105 II) oder Milderungen des allg. 8 Rechts (§ 106) vorsieht, gelten diese Vorschriften sinngemäß auch vor dem ErwGericht (§ 106, 5; Eisenberg 3). Sie dienen nämlich nur der näheren Ausgestaltung des vom allg. Recht abweichenden materiellen JRechts für Hw. und fallen deshalb unter die durch § 112 gebotene entsprechende Anwendung des § 104 I Nr. 1.
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Vor § 112 a
4. Teil. Sondervorschriften für Soldaten der Bundeswehr
4. Teil. Sondervorschriften für Soldaten der Bundeswehr
Vierter Teil Sondervorschriften für Soldaten der Bundeswehr Schrifttum: Becker Wehrstrafrecht u. Jugend, UJ 58, 54; Krieger Das Verhältnis des Allg. Strafrechts zum Wehrdisziplinar- u. Wehrstrafrecht, Diss. München 1968; Kuhnen Die Anwendung des JStrafrechts bei militärischen Straftaten, Diss. Freiburg 1970; Metz Der Bundeswehrangehörige vor dem JRichter, Zbl. 77, 94; Mrowka Minderjährige Soldaten, Hw. u. ihre militärischen Straftaten, UJ 66, 60; Potrykus Zur Entwicklung des JStrafrechts für Soldaten, RdJ 61, 278; ders. Jugend- u. wehrrechtliche Fragen, RdJ 64, 148; ders. Das Einführungsgesetz zum Wehrstrafgesetz, NJW 57, 814; ders. Das JGG u. die Bundeswehr, Zbl. 57, 229; Schnitzerling Der BewHelfer im militärischen Bereich, BewH 57, 95; Schwalm Das Einführungsgesetz zum Wehrstrafgesetz, JZ 57, 399. Vgl. auch Schölz/Lingens WStG, 4. Aufl. 2000, zu § 1 u. Anmerkungen zu Art. 1 EinfG WStG.
Vor § 112 a Vor § 112 a 1 Das JGG gilt auch für Soldaten (§ 3 II WStG). Die §§ 112 a ff sehen nur geringfügige Veränderungen des materiellen JRechts (§§ 112 a), ein Anhörungsrecht des Disziplinarvorgesetzten in bes. Fällen (§ 112 d) und Besonderheiten in der Vollstreckung (§ 112 c) vor. Zum Vollzug des JA während der Wehrdienstzeit § 112 c, 2. Es kommt darauf an, ob der Täter zZ des Urteils, der Vollstreckung oder des Vollzugs Soldat ist, nicht darauf, ob er zZ der Tat Soldat war. 1 a Soldat ist, wer in einem Wehrdienstverhältnis (§ 1 I 1 SoldG) aufgrund Wehrpflicht (§§ 4 I, 21, 23 I WpflG – Geltung nach § 2 WpflG nur im Spannungs- oder Verteidigungsfall) oder freiwilliger Verpflichtung (§§ 1 II, 37 ff SoldG; §§ 4 III, 54 ff WpflG) steht. Das Wehrdienstverhältnis beginnt bei einem nach § 59 ff SoldG zu Dientsleistungen herangezogenen Soldaten mit dem im Heranziehungsbescheid für den Dienstantritt festgesetzten Zeitpunkt, bei einem Berufssoldaten oder Soldaten auf Zeit mit dem Zeitpunkt der Ernennung und in allen übrigen Fällen mit dem Dienstantritt (§ 2 I SoldG). Das Wehrdienstverhältnis endet mit dem Ablauf des Tages, an dem der Soldat aus der Bundeswehr ausscheidet (§ 2 II SoldG). Ob der Dienst pünktlich angetreten wurde, ist ohne Belang. Zivildienstleistende unterfallen den §§ 112 a-112 e nicht (§ 1 Kriegsdienstverweigerungs-NeuordnungsG). 2 Auf die Abweichungen oder auch nur auf Besonderheiten ist bei den einzelnen Vorschriften durch ein Sold. nach dem Gesetzestext hingewiesen (Abkürzungsverzeichnis Teil I). 3 Soweit gem. § 2 II allg. Recht anzuwenden ist, gilt für Soldaten zunächst das WStG gem. § 3 I WStG. Bei Anwendung von JStrafrecht aber gilt folgende Reihenfolge: JGG gem. §§ 2 II JGG, 3 II WStG – WStG gem. § 3 I WStG – das sonstige allg. Strafrecht. Das JGG geht dem WStG vor und verdrängt es (LG Kassel Neue Zs. f. Wehrrecht 79, 34 mit Anm. Metz); so sind etwa die bes. Regelungen über die Strafaussetzung nach § 14 WStG neben § 21 nicht anwendbar. 4 Es gelten auch bei Anwendung von JStrafrecht nach § 2 II für J und Hw. mangels entgegenstehender Vorschriften des JGG die allg. Vorschriften der §§ 1–7 WStG (z. B. Handeln auf Befehl, aus Furcht, aus selbstverschuldeter Trunkenheit) und die bes. Deliktstatbestände der §§ 15–48 WStG (§ 2, 10). Die Regelungen über bes. Strafarten nach §§ 9–14 a WStG hingegen werden durch die §§ 5, 105, 2 II JGG ausgeschlossen. Bei Anwendung allg. Rechts ist § 106 zu beachten.
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Anwendung des Jugendstrafrechts
§ 112 a
Bes. zusätzliche Mitteilungspflichten an militärische Stellen: MiStra 19, 20; vgl. auch MiStra 21 für Zivildienstleistende. Der Disziplinarvorgesetzte entscheidet gem. § 29 III WDO nach seinem Ermessen, ob er bei Ver- 5 dacht einer Straftat an die StA abgibt. Der Bundesminister der Verteidigung hat zur gleichmäßigen Handhabung entsprechende Richtlinien erlassen.
§ 112 a Anwendung des Jugendstrafrechts § 112 a Anwendung des Jugendstrafrechts Das Jugendstrafrecht (§§ 3 bis 32, 105) gilt für die Dauer des Wehrdienstverhältnisses eines Jugendlichen oder Heranwachsenden mit folgenden Abweichungen: 1. Hilfe zur Erziehung im Sinne des § 12 darf nicht angeordnet werden. 2. (weggefallen) 3. Bei der Erteilung von Weisungen und Auflagen soll der Richter die Besonderheiten des Wehrdienstes berücksichtigen. Weisungen und Auflagen, die bereits erteilt sind, soll er diesen Besonderheiten anpassen. 4. Als ehrenamtlicher Bewährungshelfer kann ein Soldat bestellt werden. Er untersteht bei seiner Tätigkeit (§ 25 Satz 2) nicht den Anweisungen des Richters. 5. Von der Überwachung durch einen Bewährungshelfer, der nicht Soldat ist, sind Angelegenheiten ausgeschlossen, für welche die militärischen Vorgesetzten des Jugendlichen oder Heranwachsenden zu sorgen haben. Maßnahmen des Disziplinarvorgesetzten haben den Vorrang. 1. Hw.-J: § 112 a. – 2. ErwG: § 112 e.
Zum Anwendungsbereich der §§ 112 a ff Vor § 112 a, 1; zum Wehrdienstverhältnis (Soldat) 1 Vorb. 1 a, b; zur Reihenfolge JGG – WStG – StGB Vorb. 3; zu den einzelnen Vorschriften des WStG Vorb. 4. Nur die Anordnung von Hilfen zur Erz. iSd § 12 ist verboten (Nr. 1). Schon bestehende ErzBei- 1 a standschaft oder Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2 sollte nach Einberufung allerdings aufgehoben werden (Potrykus NJW 57, 815), denn der militärische Vorgesetzte hat für den Soldaten entsprechend zu sorgen (Schwalm JZ 57, 399; ähnlich Eisenberg 6). Wegen der Auswahl (§ 10) u. der erforderlichen Anpassung (§ 11) der Weisungen bei Soldaten 2 (Nr. 3) § 10, 5; § 11, 2. Durch Weisungen und Auflagen darf der militärische Dienstbetrieb nicht gestört werden (nä- 3 her § 10, 5 u. § 15, 15 u. 16). Verletzt eine Weisung oder Auflage wehrrechtliche Vorschriften, so ist ohne die Rechtsmittelbeschränkung des § 55 I (soweit sie nicht lediglich im Umfang angefochten wird) das Rechtsmittel gegen die Entscheidung zulässig, in welcher sie getroffen wurde (§§ 55, 59 II, 63 II, 65 II). Der Disziplinarvorgesetzte oder eine sonstige Dienststelle der Bundeswehr können jedoch nicht anfechten, sondern nur beim JStA oder JRichter anregend vorsprechen (Ostendorf 11). Zur Abänderung von Weisungen und Auflagen an Soldaten § 11, 3 u. § 15, 16. Als besondere ErzMaßregel für Soldaten kannte das JGG die ErzHilfe durch den Disziplinar- 3 a vorgesetzten (§§ 112 Nr. 2, 112 b aF). Dieses kaum mehr angewendete Institut ist durch das Gesetz über die weitere Bereinigung von Bundesrecht von 8. 12. 2010 (BGBl. I 1864) gestrichen worden, weil es als nicht mehr zeitgemäß und in der Umsetzung nicht praktikabel angesehen
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§ 112 a
4. Teil. Sondervorschriften für Soldaten der Bundeswehr
wird (Begründung zum RegE, BT-Drs. 17/2279, S. 39, 41). Möglich ist es, den J oder Hw. durch eine Weisung der Betreuung und Aufsicht durch einen Soldaten zu unterstellen. 4 Verwarnungen sind bei Soldaten kaum angebracht (§ 14, 4; Eisenberg 31; aA Ostendorf 8 u. § 14, 4). 5 Wegen der Auswahl der Auflagen (Nr. 3) § 15, 15; sie können abgeändert, von ihnen kann ganz oder zum Teil befreit werden (§ 15 III 1; dortige Rn 13). 6 Auch bei der Frage, ob gegen einen Soldaten JA (§ 16) zu verhängen ist, dürfen die militärischen Belange nicht ganz unbeachtet bleiben (Potrykus NJW 57, 817 entsprechend dem Grundgedanken des § 112 c I; Eisenberg 31). 7 Für die Verhängung von JStrafe (§§ 17, 18) – mit oder ohne Strafaussetzung zur Bew. (§§ 21–25) – und für die Aussetzung der Verhängung der JStrafe (§§ 27 ff.) gelten keine Besonderheiten, auch nicht für Erlass, Widerruf und Nachverfahren (§§ 26 a, 26, 30). Zur Strafbemessung u. Bew. bei Dienstflucht nach § 53 ZDG OLG Stuttgart Justiz 88, 454; auch § 21, 6. 8 Wegen der BewAuflagen (§§ 23, 29) ist § 112 a Nr. 3 zu beachten. Über den BewHelfer u. seine Stellung (§§ 24, 25, 29) gegenüber Soldaten § 23, 3; § 25, 13–16; vgl. auch Schnitzerling BewH 57, 95. 9 Ein wegen der gleichen Tat gegen einen Soldaten durch das Wehrdienstgericht oder idR durch den Disziplinarvorgesetzten mit Zustimmung des Truppendienstrichters verhängter und vollstreckter disziplinärer Arrest nach § 22 WDO ist voll auf die vom Strafgericht verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen (BVerfG NJW 67, 1651; BayObLG 69, 40; OLG Oldenburg Neue Zs. f. Wehrrecht 82, 157; vgl. auch OLG Frankfurt NJW 71, 852). Dabei ist es gleichgültig, welche Entscheidung früher ergangen ist (OLG Frankfurt NZWehrR 73, 194; OLG Hamm NJW 78, 1063; OLG Oldenburg aaO zur Anrechnung auf JA) und ob der Arrest zugleich wegen eines anderen Vorfalls verhängt wurde (OLG Celle NJW 68, 1103). Das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 III GG) ist dadurch nicht berührt (BVerfG NJW 67, 1654). Auf eine Geldstrafe ist eine wegen derselben Tat verhängte Disziplinarbuße vollständig anzurechnen (OLG Hamm NJW 78, 1063). Man wird dies auch bei einem nach § 15 I Nr. 4 auferlegten Geldbetrag zumindest zu berücksichtigen haben (grds. ebenso Eisenberg 32; Ostendorf 6 je zu § 52). Zur disziplinären Ausgangssperre gilt das in § 52 a, 1 Gesagte. Allg. zum Verhältnis Kriminal- u. Disziplinarstrafe BVerfG NJW 70, 507. Zum Rechtsmittel bei Nichtanrechnung § 55, 11. Umgekehrt aber ist auch auf die Disziplinarstrafe eine vorausgegangene strafrechtliche Sanktion anzurechnen (§ 8 WDO). 10 JA wird auf Ersuchen des Vollstreckungsleiters in Einrichtungen der Bundeswehr vollzogen (Art. 5 II EGWStG). Vollzugsregelung: BundeswehrvollzugsO v. 19. 11. 1972 (BGBl. I 2205). Der jrichterliche Vollstreckungsleiter bleibt aber zuständig (§§ 82 I, 110 I). 11 Für den Vollzug von Strafarrest nach dem WStG ist die Strafvollstreckungskammer gemäß § 462 a StPO zuständig, gleich ob der Arrest in der JVA oder bei der Bundeswehr vollstreckt wird (BGH NJW 76, 2356; OLG Stuttgart Justiz 77, 24), denn § 462 a StPO gebraucht den Begriff Freiheitsstrafe in weiterem Sinne als § 38 StGB, umfasst auch JStrafe und Strafarrest. § 462 a StPO tritt bei JStrafe wegen § 82 I JGG zurück, nicht aber im Wehrstrafrecht.
§ 112 b (aufgehoben)
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Anhörung des Disziplinarvorgesetzten
§ 112 d
§ 112 c Vollstreckung (1) Der Vollstreckungsleiter sieht davon ab, Jugendarrest, der wegen einer vor Beginn des Wehrdienstverhältnisses begangenen Tat verhängt ist, gegenüber Soldaten der Bundeswehr zu vollstrecken, wenn die Besonderheiten des Wehrdienstes es erfordern und ihnen nicht durch einen Aufschub der Vollstreckung Rechnung getragen werden kann. (2) Die Entscheidung des Vollstreckungsleiters nach Absatz 1 ist eine jugendrichterliche Entscheidung im Sinne des § 83. 1. Hw.-JRecht: §§ 112 a, 112 c. – ErwG: § 112 e. Nur JA wegen einer vor Beginn des Wehrdienstes begangenen Tat ist ohne Rücksicht auf 1 den Zeitpunkt der Verhängung nicht zu vollstrecken, solange die Besonderheiten des Wehrdienstes es erfordern (z. B. zusammenhängende Grundausbildung). Die Vollstreckung von Freizeitarrest wird meist möglich sein, ggf. wenigstens als Teilvollstreckung. Von der Vollstreckung darf nur dann abgesehen werden, wenn den Besonderheiten des Wehrdienstes nicht durch einen Aufschub der Vollstreckung Rechnung getragen werden kann, etwa weil die Vollstreckung dann unzulässig (§ 87 IV) oder jedenfalls erz. sinnlos (§ 87, 7) würde. – Zur Entscheidung Rn 3. JA – gleich weswegen und wann verhängt – vollziehen während des Wehrdienstes auf Ersuchen 2 des nach § 85 I, RL I 1 zu §§ 82–85 zunächst zuständigen Vollstreckungsleiters oder des Vollzugsleiters als nachträglichem Vollstreckungsleiter (zeitraubender Umweg) die Behörden der Bundeswehr (Art. 5 II EGWStG; vgl. auch § 22 III StrVollstrO). § 90 II bleibt hierdurch ausgeschlossen. Eine Übertragung der Vollstreckungsleiter-Zuständigkeit nach § 85 I findet nicht statt. Die Übersendung der Unterlagen erfolgt an den für die Bundeswehrarrestanstalt zuständigen Offizier. Der JA wird wie Strafarrest, also durch Freiheitsentziehung (§ 9 II WStG), vollzogen (Art. 5 II HS 2 EGWStG). Die Anwendung unmittelbaren Zwanges richtet sich nach den militärischen Vorschriften. Die Bundesregierung hat aufgrund Art. 7 EGWStG mit der Bundeswehrvollzugsordnung v. 29. 11. 72 (BGBl. I 2205, zuletzt geändert durch G v. 16. 3. 76 – BGBl. I S. 581) für den Vollzug von Freiheitsstrafe, Strafarrest, Jugendarrest und Disziplinararrest durch Behörden der Bundeswehr Vorschriften erlassen, die sich auf die Art der Unterbringung, die Behandlung, die Beschäftigung, die Gewährung und den Entzug von Vergünstigungen und den Verkehr mit der Außenwelt beziehen. Nach § 5 der Bundeswehrvollzugsordnung wird JA bei Vollzug durch die Bundeswehrbehörden abweichend von § 25 JAVollzO nach Tagen berechnet. Schon eingeleiteter Vollzug darf bei zwischenzeitlicher Einberufung – unter Beachtung des Abs. I – in der Zivilanstalt, bei zwischenzeitlicher Entlassung in der Bundeswehranstalt zu Ende vollstreckt werden (Dallinger/Lackner 14). Die Entscheidung, ob JA vollstreckt wird, wenn die Tat noch in der Zivil-Zeit begangen ist 3 (Abs. I), ist eine jrichterliche Entscheidung (Abs. II). Sie ergeht in richterlicher Unabhängigkeit und unterliegt der sofortigen Beschwerde, die dem Disziplinarvorgesetzten – nicht verfahrensbeteiligt im prozessualen Sinne – nicht zusteht (vgl. § 112 d, 2; Eisenberg 14). Vgl. § 83, 7. Hier ist auch der nächste Disziplinarvorgesetzte zu hören (§ 112 d).
§ 112 d Anhörung des Disziplinarvorgesetzten § 112 d Anhörung des Disziplinarvorgesetzten Bevor der Richter oder der Vollstreckungsleiter einem Soldaten der Bundeswehr Weisungen oder Auflagen erteilt, von der Vollstreckung des Jugendarrestes nach § 112 c Absatz 1
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§ 112 d
4. Teil. Sondervorschriften für Soldaten der Bundeswehr
absieht oder einen Soldaten als Bewährungshelfer bestellt, soll er den nächsten Disziplinarvorgesetzten des Jugendlichen oder Heranwachsenden hören. 1. Hw.-J und Hw.-JRecht: § 112 a. – ErwG: § 112 e. 1 Um die bes. militärischen Gesichtspunkte berücksichtigen zu können, wenn eine Weisung oder Auflage erteilt (§ 112 a Nr. 3), von der Vollstreckung des JA wegen der Besonderheiten des Wehrdienstes abgesehen (§ 112 c II) oder ein Soldat als BewHelfer bestellt (§ 112 a Nr. 4) werden soll, ist der nächste Disziplinarvorgesetzte des J oder Hw. zu hören. Zur JGH Rn 3. Über die Eignung des Soldaten zum BewHelfer wird der Richter sich am besten auch noch auf andere Weise unterrichten. 2 § 112 d ist nur eine Soll-Vorschrift, ihre Verletzung ist unschädlich, falls nicht ausnahmsweise darin ein Verstoß gegen die allg. Aufklärungspflicht liegt (Eisenberg 7; Ostendorf 4). Nur die Verfahrensbeteiligten können ggf. wegen des Verstoßes anfechten, nicht der Disziplinarvorgesetzte selbst; dieser kann sich nur an den StA wenden (Eisenberg 7; Schwalm JZ 57, 400; Potrykus NJW 57, 815). 3 Die Anhörung des nächsten Disziplinarvorgesetzten macht die Einschaltung der JGH (§§ 38, 43, 109) auch bei hw. Soldaten nicht überflüssig (OLG Schleswig SchlHA 58, 341). 4 Die Form der Anhörung richtet sich nach dem jeweiligen Stand des Verfahrens, also Vernehmung in der Hauptverhandlung als Zeuge, Besprechung mit Aktennotiz oder förmliche Niederschrift (je nach Bedeutung), ausnahmsweise schriftlicher Bericht. Nur die Anhörung wegen eines militärischen BewHelfers, die mit dem Verfahren selbst nichts zu tun hat, wird stets formlos möglich sein. 5 Über diese gesetzliche Verpflichtung hinaus kann die Anhörung auch sonst geboten sein, bes. bei Änderungen bestehender Weisungen und Auflagen (§ 112 a Nr. 3 S. 2; Potrykus NJW 57, 815 hält hier die Anhörung entsprechend dem Gedanken der Vorschrift für stets geboten), vor der Verhängung von JA (§ 112 a, 5), bes. nach §§ 11 III, 15 III (ob Erfüllung dienstlich möglich war) oder bei Unterstellung eines J oder Hw. unter die Betreuung und Aufsicht eines Soldaten (§ 112 a, 3 a). 6 Ganz allg. ist Anhörung des Disziplinarvorgesetzten ein wichtiges Mittel der Persönlichkeitserforschung, weil dieser den Angeklagten im Regelfall aus einer längeren, intensiven Beobachtung kennt und auch genügend Vergleichsmöglichkeiten hat, um wichtige Anhaltspunkte für die Reife-Entscheidung nach § 105 geben zu können. Auch hier kann die Aufklärungspflicht verletzt werden, wenn der Disziplinarvorgesetzte nicht angehört wird. 7 Die Bedeutung der Anhörung liegt darin, dass sie ein erz. gefährliches Neben- oder Gegeneinander richterlicher und militärischer Maßnahmen vermeiden hilft, unter dem regelmäßig der Soldat selbst am meisten zu leiden hätte. 8 Wer nächster Disziplinarvorgesetzter ist, bestimmen §§ 23 ff WDO, grds. also der Kompaniechef, nämlich der unterste Vorgesetzte mit Disziplinargewalt, dem der Soldat unmittelbar unterstellt ist. Bei einer Versetzung ändert sich der Disziplinarvorgesetzte (ebenso Eisenberg § 112 a, 13).
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Verfahren vor Gerichten
§ 112 e
§ 112 e Verfahren vor Gerichten, die für allgemeine Strafsachen zuständig sind § 112 e Verfahren vor Gerichten In Verfahren gegen Jugendliche oder Heranwachsende vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten (§ 104) sind die §§ 112 a und 112 d anzuwenden. 1. Hw.-J: § 112 a. – 2. ./. Alle Sondervorschriften für Soldaten muss auch das ErwGericht beachten. Der in § 112 e nicht 1 genannte § 112 c betrifft nur die Vollstreckung des JA, der dem JRichter obliegt, soweit überhaupt ein Richter eingeschaltet ist; es ist dabei gleichgültig, ob ein JGericht oder ein ErwGericht den JA verhängt hat (§ 104, 1). Die Befugnisse des ErwGerichtes sind auch gegenüber Soldaten nicht erweitert. Dieses Gericht 2 darf keine ErzMaßregeln anordnen (§§ 104 IV, 112 S. 3, 112 a Nr. 2) und bei Strafaussetzung zur Bewährung keine Nebenentscheidungen treffen (§ 104 V); näher § 104, 8, 9; § 112, 4.
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§ 113
5. Teil. Schluss- und Übergangsvorschriften
5. Teil. Schluss- und Übergangsvorschriften
Fünfter Teil Schluss- und Übergangsvorschriften § 113 Bewährungshelfer § 113 Bewährungshelfer Für den Bezirk eines jeden Jugendrichters ist mindestens ein hauptamtlicher Bewährungshelfer anzustellen. Die Anstellung kann für mehrere Bezirke erfolgen oder ganz unterbleiben, wenn wegen des geringen Anfalls von Strafsachen unverhältnismäßig hohe Aufwendungen entstehen würden. Das Nähere über die Tätigkeit des Bewährungshelfers ist durch Landesgesetz zu regeln. 1 Die Vorschrift verpflichtet die Länder, durch Gesetz die Verhältnisse der hauptamtlichen BewHelfer zu regeln. Dabei müssen die Ziele des JGG beachtet werden (§ 25, 11). 2 Die hauptamtlichen BewHelfer sind in den meisten Ländern bei den Justizbehörden angestellt, teilweise (so in Berlin) bei den Jugendbehörden. Teilweise ist die BewHilfe Bestandteil eines einheitlichen Sozialen Dienstes der Justiz. In Baden-Württemberg wurde die Bewährungshilfe der privaten Neustart gGmbH übertragen (dazu Strobel/Schondelmaier in DVJJ-BW, Ambulante Maßnahmen u. BewHilfe im JKriminalrecht, 2010 S. 33). Die BewHelfer haben regelmäßig eine Ausbildung als Sozialarbeiter/Sozialpädagoge (DSS/Sonnen 5). Für die Zuständigkeit ist idR die Geschäftsverteilung maßgeblich (krit. hierzu Eisenberg 6), wobei es zu einzelfallbezogenen Abweichungen kommt. Zu positiven Erfahrungen mit stadtteilorientierter BewHilfe s. Höll BewH 95, 110. Der einzelne BewHelfer hat im Durchschnitt mehr als 60 Probanden zu betreuen, was allg. als zu hoch angesehen wird (DSS/Sonnen 3; Eisenberg 4).
§ 114 Vollzug von Freiheitsstrafe in der Einrichtung für den Vollzug der Jugendstrafe § 114 Vollzug von Freiheitsstrafe in der Einrichtung für den Vollzug der Jugendstrafe In der Einrichtung für den Vollzug der Jugendstrafe dürfen an Verurteilten, die das vierundzwanzigste Lebensjahr noch nicht vollendet haben und sich für den Jugendstrafvollzug eignen, auch Freiheitsstrafen vollzogen werden, die nach allgemeinem Strafrecht verhängt worden sind. Richtlinien zu § 114: 1. Zu Freiheitsstrafe Verurteilte unter 24 Jahre sind für den Jugendstrafvollzug geeignet, wenn die erzieherische Einwirkung in der Jugendstrafanstalt bei ihnen Erfolg verspricht und von ihrer Anwesenheit in der Jugendstrafanstalt Nachteile für die Erziehung der anderen Gefangenen nicht zu befürchten sind. 2. Zu Freiheitsstrafe Verurteilte unter 21 Jahren werden in die Jugendstrafanstalt eingewiesen. Wenn jedoch in der Justizvollzugsanstalt eine besondere Abteilung für junge Gefangene besteht, kann die Einweisung in die Justizvollzugsanstalt erfolgen. 3. Zu Freiheitsstrafe Verurteilte, die das 21., aber noch nicht das 24. Lebensjahr vollendet haben, werden in der Regel in die Justizvollzugsanstalt eingewiesen. 4. Hält die Justizvollzugsanstalt Verurteilte unter 24 Jahren für den Jugendstrafvollzug für geeignet, so überweist sie diese in die Jugendstrafanstalt und benachrichtigt hiervon die Strafvollstreckungsbehörde. 5. Nach Anhörung des Vorsitzenden des Gerichts, das im ersten Rechtszug erkannt hat, und, falls sich der Verurteilte in Haft befindet, der Justizvollzugsanstalt kann die Strafvollstreckungsbehörde den zu Frei-
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Vollzug von Freiheitsstrafe in der Einrichtung für den Vollzug der Jugendstrafe
§ 114
heitsstrafe Verurteilten, der das 21., aber noch nicht das 24. Lebensjahr vollendet hat, ausnahmsweise sogleich in die Jugendstrafanstalt einweisen, wenn seine Eignung für den Jugendstrafvollzug offenkundig ist. Dies gilt auch für Verurteilte unter 21 Jahren, die nach Nr. 2 Satz 2 in die Justizvollzugsanstalt einzuweisen wären. 6. Die Entscheidung darüber, ob zu Freiheitsstrafe Verurteilte unter 24 Jahren in die Jugendstrafanstalt oder in die Justizvollzugsanstalt einzuweisen sind, wird dem Rechtspfleger nicht übertragen. 7. Über die endgültige Übernahme von Verurteilten in den Jugendstrafvollzug und über ihr Verbleiben in der Jugendstrafanstalt entscheidet in allen Fällen die Leitung dieser Anstalt.
Die Vorschrift befasst sich mit dem Vollzug einer ErwStrafe. Sie wendet sich an den Strafrichter 1 (auch JRichter) und StA (nicht an den Rechtspfleger; RL 6; § 25 StVollstrO; § 1 Nr. 3 VO v. 26. 6. 70: Vor § 82, 8 FN 1) als Vollstreckungsbehörde des allg. Rechts. Diese Vorschrift findet in der Hauptsache bei sog. Anschlussstrafen Anwendung; darüber hinaus werden kaum zu Freiheitsstrafen Verurteilte in JStrafanstalten eingewiesen (Böhm/Feuerhelm S. 266; Eisenberg 10, nach welchem sich je am 31. 8. der Jahre 2005–2008 81, 57, 51 und 39 Gefangene gem. § 114 in den JStrafanstalten befanden; vgl. auch Matzke Der Leistungsbereich bei JStrafgefangenen, Diss. Berlin 1982 S. 18, 19). § 114 betrifft nur Freiheitsstrafe und gilt auch für über 21-jährige, die das 24. Lebensjahr noch 2 nicht vollendet haben und durch das ErwGericht zu solcher verurteilt worden sind (Löwe/ Rosenberg/Graalmann-Scheerer § 451 StPO 59), weil auch in dieser Altersgruppe noch Prozesse weiterer Persönlichkeitsentwicklung ablaufen können. Zu sehr hohen Freiheitsstrafen Verurteilte sind nie geeignet (vgl. Ostendorf 3 „negative Dominanz“). Andererseits sind JStrafanstalten auf eine Erz. über eine gewisse Zeit (§ 18 I 1) eingestellt und deshalb zum Vollzug kurzfristiger Freiheitsstrafen nicht geeignet. Deshalb kommen idR auch nur Freiheitsstrafen ab 6 Monaten in Betracht (krit. Eisenberg 5). Ferner scheiden Verurteilte aus, die schon fast 24 Jahre alt sind und deshalb nur wenige Wochen oder Monate im JStrafvollzug verbleiben könnten (Rn 6; Potrykus B 3; Ostendorf 3; unbestimmt Eisenberg 5). Entscheidend ist zunächst das Alter zZ der Vollstreckung.
2a
Noch nicht 21 Jahre alte Verurteilte werden stets in die JStrafanstalt eingewiesen, falls nicht 3 eine bes. Abteilung für junge Männer in einer ErwStrafanstalt zur Verfügung steht (RL 2 S. 2; wegen einer Gegenausnahme RL 5 S. 2). Verurteilte im Alter von 21 bis etwa 23 Jahren (Rn 6) werden in die ErwStrafanstalt eingewie- 4 sen (RL 3), falls nicht ausnahmsweise nach RL 5 S. 1 verfahren wird. Der Leiter der ErwVollzugsanstalt kann einen geeigneten Gefangenen (RL 1) unter Benachrichtigung der Vollstreckungsbehörde direkt in die JStrafanstalt überweisen (RL 4). Ob der nach Rn 3 oder 4 in eine JStrafanstalt Eingewiesene dort verbleibt oder (wieder) in die 5 ErwStrafanstalt kommt, entscheidet der Leiter der JStrafanstalt (RL 7), ein Verwaltungsbeamter, nach Prüfung der Eignung (RL 1; vgl. § 92, 5; Eisenberg 9; aA Ostendorf 9); an die Eignung sind hier jedoch strengere Anforderungen zu stellen als bei zu JStrafe Verurteilten gem. § 89 b (Potrykus B 3; Eisenberg 9; Ostendorf 4). Die Entscheidung kann auch noch getroffen werden, wenn der Verurteilte schon längere Zeit in der JStrafanstalt war (Dallinger/Lackner 6). Die Entscheidung ist eine Verwaltungsentscheidung, die mit der Dienstaufsichtsbeschwerde (Generalstaatsanwalt, Ministerium) angefochten werden kann; gerichtliche Nachprüfung: Art. 19 IV GG; §§ 23 ff. EGGVG (vgl. § 92, 3). Hingegen ist die Ausnahme vom JStrafvollzug für 18–21-jährige (§ 89 b) eine jrichterliche Entscheidung des Vollstreckungsleiters (§ 83 I 1). Sobald der in der JStrafanstalt Einsitzende 24 Jahre alt ist, muss er in eine ErwStrafanstalt 6 überführt werden, falls nicht nur ein unbedeutender Strafrest noch aussteht (Dallinger/Lackner 3; Eisenberg 4; Ostendorf 2). Dies gilt auch, wenn eine in der JStrafanstalt begonnene Berufsaus-
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§ 121
5. Teil. Schluss- und Übergangsvorschriften
bildung vollendet oder etwa das Vertrauensverhältnis zu einem Therapeuten nicht gestört werden soll. Eine Abweichung vom Vollstreckungsplan analog § 8 I 1 StVollzG ist ausgeschlossen, weil diese Vorschrift keinesfalls die Verlegung in eine JStrafanstalt gestattet (Eisenberg 4). Helfen kann nur eine langfristige Vollzugsplanung, welche rechtzeitige Anträge nach § 89 b gestattet. 7 Diese Regelung beseitigt zwar die durch § 105 vorgenommene Differenzierung häufig, wird aber umgekehrt durch die der Entscheidung nach § 105 zwangsläufig anhaftenden Unsicherheiten gerechtfertigt (Brunner NStZ 83, 218). Im Übrigen hat sich erwiesen, dass gerade in der durch § 114 bezeichneten Altersgruppe noch persönlichkeitsfördernde Entwicklungen stattfinden (Einf. II 40; DVJJ, Denkschrift über die kriminalrechtliche Behandlung junger Volljähriger, 1977 S. 59), die durch eine Verlegung in die ErwAnstalt gestört würden, während die fortlaufende Betreuung in der JStrafanstalt eine wesentlich günstigere Ausgangsposition sichert. Von § 114 wurde bisher in der Praxis leider – auch aus sachfremden Erwägungen (Vorschrift nicht bekannt; Abwehr überfüllter JStrafanstalten) – nur wenig Gebrauch gemacht (vgl. Rn 1 mit Zahlen).
§ 115 (aufgehoben)
§ 116 Zeitlicher Geltungsbereich Zeitlicher Geltungsbereich Das Gesetz wird auch auf Verfehlungen angewendet, die vor seinem Inkrafttreten begangen worden sind. 1 Diese Übergangsbestimmung ist weitgehend gegenstandslos (Ausnahme: nicht verjährbare Mordtaten, §§ 78 II, 211 StGB). Zu den Wirkungen einer vor Geltung dieses JGG verhängten Strafe gegen einen Hw. BGH NJW 56, 1408. 2 Die Vorschrift gilt nicht für die neuen Bundesländer. Zu den Übergangsregelungen im Einigungsvertrag für vor dem Beitritt begangene Taten § 1, 6 d.
§ 117 bis § 120 (aufgehoben)
§ 121 Übergangsvorschrift § 121 Übergangsvorschrift (1) Für am 1. Januar 2008 bereits anhängige Verfahren auf gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen im Vollzug der Jugendstrafe, des Jugendarrestes und der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt sind die Vorschriften des Dritten Abschnitts des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz in ihrer bisherigen Fassung weiter anzuwenden.
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Anh § 125
Jugendschutzverfahren
(2) In den Ländern, die bis zum 1. Januar 2010 noch keine landesgesetzlichen Regelungen zum Vollzug der Untersuchungshaft an jungen Gefangenen getroffen haben, gilt bis zum Inkrafttreten solcher Regelungen, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2011, § 93 Abs. 2 in der bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung fort. Abs. I enthält eine Übergangsregelung im Zuge der Neuregelung des Rechtsschutzes gegen 1 Vollzugsmaßnahmen. Für die am 1. 1. 2008 bereits anhängigen Verfahren verbleibt es danach bei der Zuständigkeit der Oberlandesgerichte nach den §§ 23 ff EGGVG. Auch die Neuregelungen im GKG sind nur auf Rechtsbehelfe anzuwenden, die nach diesem Datum anhängig werden. Nach Abs. II gilt in den Ländern, die bis zum 1. 1. 2010 noch keine Regelungen zum UHaft- 2 Vollzug getroffen haben, bis zum Inkrafttreten solcher Regelungen der frühere § 93 II bis zum 31. 12. 2011 fort (vgl. zum Übergang der Gesetzgebungszuständigkeit für den UHaftVollzug auf die Länder § 72 b, 1). Nach § 93 II soll der UHaftVollzug erzieherisch gestaltet werden. Nähere Bestimmungen enthalten die Nr. 1 IV, 13, 22 Abs. IV, 77 bis 85 der UHVollzO. Nr. 80 II UHVollzO sieht aus erz. Gründen eine Arbeitspflicht vor (dazu BVerfG u. OLG Bamberg Jur.Arbbl. 79, 612; für Verfassungswidrigkeit wegen Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung u. Art. 12 GG Eisenberg § 89 c, 84).
§ 122 bis § 124 (aufgehoben)
§ 125 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am 1. Oktober 1953 in Kraft.
Anhang nach § 125 Das Jugendschutzverfahren für Jugendgericht und Jugendkammer Anh § 125 Jugendschutzverfahren Vorbemerkungen Zwar wurde § 121 JGG aF durch die Bekanntmachung der Neufassung des JGG v. 11. 12. 1974 (BGBl. I 3427) als bloße Änderungsvorschrift aufgehoben und hat nun einen neuen Text erhalten. JGerichte und JKammer werden aber in weitem Umfang mit sog. JSchutzsachen befasst, so dass es angebracht erscheint, an dieser Stelle eine zusammenfassende Darstellung der bes. Problematik zu bringen. Auf die §§ 26, 74 b GVG wird hingewiesen. Übersicht 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. JGericht und ErwGericht, JSchutzkammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schutz des Verletzten, bes. Opferschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Glaubwürdigkeit kindlicher und jugendlicher Zeugen; Sachverständige 4. Zeugnisverweigerungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anh § 125 5. 6. 7. 8.
5. Teil. Schluss- und Übergangsvorschriften
Zustimmung der gesetzlichen Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . Körperliche und Glaubwürdigkeitsuntersuchung . . . . . . . . . . . . Auskünfte gegenüber Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nichterscheinen kindlicher Zeugen und Schweigepflicht des Arztes .
1.
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11 14 16 17
Begriff
1 JSchutzsachen sind Verfahren wegen Verstößen gegen Strafvorschriften, die dem JSchutz oder der JErziehung dienen, sowie Verfahren wegen Straftaten, durch die ein Kind (§ 19 StGB, also unter 14 Jahren) oder ein J (§ 1 II entsprechend) – auch mittelbar – verletzt oder – nur unmittelbar – gefährdet worden ist (§ 26 I GVG). Nicht gefordert wird, dass sich der Unrechtsgehalt des Straftatbestandes nur oder in bes. Weise gegen Kinder oder J richtet (Meyer-Goßner § 26 GVG 2). Der Begriff des Verletzten ist weit zu fassen; doch ist es notwendig, dass die durch die verletzte Strafvorschrift geschützten Interessen des Kindes oder J beeinträchtigt werden: also Verletzung seines körperlichen, geistigen oder sittlichen Wohls, z. B. Körperverletzung (insbes. § 225 StGB) oder Abgabe oder Verbreitung von Betäubungsmitteln (§§ 29 a I Nr. 1, 30 I Nr. 2 BtMG), von Gesundheit, Freiheit, Ehre, auch Beeinträchtigung der charakterlichen Entwicklung (Löwe/Rosenberg/Siolek § 26 GVG 4). Hierher gehören auch Verletzungen der Vermögensrechte des Kindes (z. B. Verletzung der Unterhaltspflicht), aber nicht Vermögensdelikte gegen die Eltern des Kindes, die nur mittelbar dessen vermögensrechtliche Interessen beeinträchtigen (Löwe/Rosenberg/Siolek aaO), auch nicht Tötung des Ernährers. Die Tat eines Erwachsenen, durch die ein Kind ums Leben gekommen ist, begründet die Zuständigkeit der JGerichte nicht (OLG Hamm JMBl. NRW 63, 34; OLG Düsseldorf JMBl. NRW 63, 166; Meyer-Goßner § 26 GVG 2), da es dabei zur Beurteilung keiner bes. jrichterlichen Erfahrung bedarf. 2 Täter kann nur ein Erw. sein; J und Hw. kommen schon nach den §§ 33 I, 107 vor das JGericht. 3 Verletzter kann nur ein Kind (§ 19 StGB, also unter 14 Jahren) oder J (§ 1 II entspr.) sein. Straftaten gegen Hw. sind nur JSchutzsachen, wenn eine JSchutzvorschrift auch Hw. schützt. Im Wege der Geschäftsverteilung können den JGerichten alle Verfahren gegen Erwachsene, also auch Verfahren wegen Taten, durch die Hw. verletzt wurden, übertragen werden, weil die JGerichte für den Erw. nur Spruchkörper ihres Gerichts sind; doch wäre eine solche Geschäftsverteilung wenig sinnvoll. 3 a JSchutzsachen sind nach § 26 I GVG auch Vorschriften, die dem JSchutz oder der JErz. dienen, und zwar auch dann, wenn sie sich gegen Hw. richten (BGH 13, 53; Meyer-Goßner § 26 GVG 3). Es sind dies insbes. die §§ 174 ff; 180, 182, 235, 236 StGB, die Vorschriften des JArbeitsSchutzG v. 12. 4. 1976 (BGBl. I 965; ÄndG v. 21. 6. 2005, BGBl. I 1666), das JSchutzG v. 23. 7. 2002 (BGBl. I 27.30; geändert durch G v. 31. 10. 2008, BGBl. I 2149) und die Vorschriften über die Schulpflicht. 2.
JGericht und ErwGericht; JSchutzkammer
4 In JSchutzsachen sind die JGerichte wahlweise neben den ErwGerichten zuständig. Diese Doppelzuständigkeit verstößt nicht gegen Art. 101 I 2 GG (BGH 13, 297; aA Arnold Die Wahlbefugnis der StA bei Anklageerhebung insb. in JSchutzsachen, 2007 S. 211). Gleichwohl darf der StA nur dann zum JGericht anklagen, wenn die Voraussetzungen des § 26 II GVG vorliegen und die bes. Sachkunde und Erfahrung der JGerichte, gerade im Umgang mit jungen Menschen, genützt werden soll (BVerfG NStZ 07, 40; auch Rn 6 a). Nach LG Oldenburg ZJJ 10, 428 mit krit. Anm. Sommerfeld ist die Zuständigkeit des JGerichts bereits gegeben, wenn die Vernehmung eines Kindes nicht völlig ausgeschlossen ist. Auch bei Vorschriften zum Schutze der Jugend und über die Schulpflicht wird nicht unbesehen das JGericht belastet und von seiner eigentlichen Arbeit abgezogen werden dürfen. Der StA kann auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des
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§ 26 II GVG an das ErwGericht anklagen (BGH 13, 300). Das JGericht aber wird durch die Anklage nicht gebunden (näher Rn 6 b–d). Nach dem RegE eines G zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG) vom 15. 4. 2011 (BR-Drs. 213/11) soll der erste Teil des § 26 II GVG in der Weise neu gefasst werden, dass die StA in JSchutzsachen Anklage bei den JGerichten erheben soll, wenn damit die schutzwürdigen Interessen von Kindern oder J, die in dem Verfahren als Zeuge benötigt werden, besser gewahrt werden können. Die Abs. I und II sollen auch für die Beantragung gerichtlicher Untersuchungshandlungen im Ermittlungsverfahren gelten. Die JGerichte entscheiden in ihrer durch das JGG (§§ 33–33 b, 35, 37) vorgeschriebenen Beset- 4 a zung mit JSchöffen; ein zweiter Berufsrichter kann also beim JSchöffengericht auch in JSchutzverfahren nicht zugezogen werden. Auch der JStA wirkt mit (§ 36, 5). Die sachliche (§§ 26 I, 74 b GVG) und örtliche Zuständigkeit richtet sich nach allg. Recht (§§ 24, 25, 73, 74 GVG; 7 ff StPO; Eisenberg § 41, 2). Statt zum (Erw.)Einzelrichter kann also zum JRichter, statt zum (Erw.)Schöffengericht zum JSchöffengericht und statt zur (großen) Strafkammer oder zum Schwurgericht (BGH 42, 39 = JR 96, 390 mit zust. Anm. Brunner = NStZ 96, 346 mit abl. Anm. Katholnigg) zur (großen) JKammer angeklagt werden; die Zuständigkeit der JKammer (vgl. auch BGH JR 55, 190) ist also nicht erweitert; doch ergeben sich gewisse Abweichungen daraus, dass es ein erweitertes JSchöffengericht nicht gibt und die §§ 40 II, 41 I Nr. 2 hier nicht gelten. Eröffnet die JSchutzkammer des LG unter offensichtlichem Verstoß gegen §§ 74 I, 74 b GVG das Hauptverfahren vor sich in einem vor das Amtsgericht gehörenden Fall des § 176 I StGB, in dem die Erheblichkeitsschwelle des § 184 c Nr. 1 StGB nur gerade eben überschritten ist, handelt sie willkürlich und entzieht sie den Angeklagten seinem gesetzlichen Richter (BGH NJW 92, 2104; StV 95, 620). – Auch in JSchutzsachen muss das ErwGericht gegen Erw. stets tätig werden, wenn im allg. Recht weder das AG noch die Strafkammer zuständig sind, sondern Staatsschutzkammer, Wirtschaftsstrafkammer, OLG. Es gelten die allg. Verfahrensvorschriften. Gegen Urteile des JRichters oder des JSchöffengerichts ist die JKammer Berufungs- und Beschwerdegericht. Umgekehrt entscheidet die Strafkammer über Urteile des (Erw.)Einzelrichters und des (Erw.)Schöffengerichts. Über Berufungen gegen Urteile des JRichters entscheidet nach § 33 b I die kleine JKammer. Wegen der Rechtshilfe im JSchutzverfahren § 34, 2. Eine bes. JSchutzkammer neben der JKammer kann in manchen Sachen die JKammer entlasten 5 25 (vgl. Löwe/Rosenberg/Siolek § 74 b GVG 1). Hat aber der JStA gegen einen Erw. gem. § 26 GVG Anklage vor dem JRichter oder dem JSchöffengericht erhoben, ist für die Berufung die JKammer, nicht die JSchutzkammer, zuständig (BGH 22, 48; vgl. Rn 4), was viel der Entlastung wieder zunichte macht. Darüber hinaus werden, auch wenn eine JSchutzkammer arbeitet, weiterhin Anklagen zur JKammer erhoben werden müssen, um bei notwendiger Vernehmung von Kindern oder J als Zeugen die bes. Erfahrung und Sachkenntnis der JKammer, deren Tätigkeit als Berufungsgericht in solchen Verfahren und deren Besetzung mit JSchöffen (§ 35) zu nützen. Die Konzentrierung solcher Verfahren in der JKammer bei erfahrenen Richtern mit bewährter Verhandlungsführung erleichtert die Vernehmung kindlicher und j. Zeugen, die durch eine Sexualstraftat geschädigt wurden, und hilft sekundäre Schädigungen zu vermeiden. Die gesammelte Erfahrung einer JKammer kann oft auch die Beiziehung eines Sachverständigen ersparen (Rn 7; BGH NJW 61, 1636 u. BGH 3, 52). Nach dem OLG Bamberg (NJW 96, 1222) gebietet es in sog. „Kinderschänderprozessen“ das Kindeswohl, dass nur eine JSchutzkammer befasst wird, und können dadurch bedingte Verzögerungen nicht zur Bejahung einer Verletzung des Gebots zur bes. Beschleunigung in Haftsachen führen. Solche Verfahren machen es bes. wichtig, den Verletzten zu schützen (Kreutz UJ 01, 182). We- 5 a gen der bes. Schutzbedürftigkeit von Opfer-Zeugen kann die StA nach § 24 I Nr. 3 GVG Anklage beim LG erheben (dazu OLG Karlsruhe NStZ 11, 479). Der StA hat in jedem Stadium des Verfahrens darauf zu achten, dass die für den Verletzten entstehenden Belastungen möglichst gering
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gehalten werden (RiStBV 4 c), was insbes. für seine Vernehmung als Zeuge (RiStBV 19 a) und für den Umfang der Unterrichtung der Öffentlichkeit gilt (RiStBV 23 S. 3 u. 129 I 3; zur Gestaltung des Ermittlungsverfahrens Gebhardt/Eckhardt/Reckewell FuR 95, 124; zu Sonderdezernaten der StA Jäger Das staatsanwaltliche Sonderdezernat „Gewalt gegen Frauen“, 2000). Bei der Vernehmung eines Zeugen muss der erfahrene Richter (und Staatsanwalt) den schmalen Weg zwischen dem gebotenen Schutz des Zeugen und der Grenze finden, welche eine Behinderung der Verteidigung oder deren nicht auszuschließenden Anschein anzeigt (§ 338 Nr. 8 StPO). Bes. Gewicht hat die Vorschrift des § 241 a StPO, welche die Vernehmung von Zeugen unter 16 Jahren grds. dem Vorsitzenden vorbehält, weil gerade die möglicherweise insistierenden Vorhalte des Verteidigers oder gar Bedrängung durch den Angeklagten zu sekundärem Schaden führen können. Ergänzend gestattet § 172 Nr. 4 GVG bei Vernehmung eines Zeugen unter 18 Jahren die Öffentlichkeit auszuschließen, wobei zur Begründung der bloße Hinweis auf diese Vorschrift genügt (BGH 27, 117 u. 187), und erlaubt § 171 b GVG den Ausschluss der Öffentlichkeit zum Schutz der Privatsphäre eines Prozessbeteiligten, Zeugen oder Verletzten (s. auch RiStBV 131 a). Unter den Voraussetzungen des § 247 StPO kann während der Vernehmung des Zeugen die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal angeordnet werden. Die Anordnung kann jedoch nicht darauf gestützt werden, dass ein gemäß § 1897 BGB bestellter Betreuer der Vernehmung des Betreuten in Anwesenheit des Angeklagten widersprochen hat (BGH NStZ 01, 46). Den Einsatz der Videotechnologie bei Zeugenvernehmungen ermöglichen die durch das ZeugenschutzG eingeführten §§ 58 a, 255 a, 168 e und 247 a StPO (vgl. dazu Dieckerhoff Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opferzeugen sexuellen Missbrauchs im Strafverfahren, 2008; Helmig Anwendbarkeit u. Zweckmäßigkeit der Videotechnik zum Schutz von Zeugen vor Belastungen durch das Strafverfahren, 2000; Scheumer Videovernehmung kindlicher Zeugen, 2007; Schmoll Videovernehmung kindlicher Opfer im Strafprozeß, 1999; Thoma Unmittelbarer Opferzeugenschutz, 2003; Vogel Erfahrungen mit dem ZeugenschutzG, 2003 u. die Übersicht bei Dölling in Egg [Hrsg.] Sexueller Mißbrauch von Kindern, 1999, S. 38 f). Zur Anwendung des § 247 a StPO bei im Ausland befindlichen Zeugen siehe BGH 45, 188. Ist eine unmittelbare mündliche Verständigung mit dem Zeugen nicht möglich (z. B. weil dieser schwer hörgeschädigt und geistig retardiert ist), kann das Gericht eine dem Behinderten vertraute Person als Hilfsperson hinzuziehen; ob diese entsprechend einem Dolmetscher zu verpflichten ist, steht im Ermessen des Gerichts (BGH 43, 62). Zur Zuziehung des JAmtes DIV-Gutachten v. 6. 3. 1990 (ZBl. 90, 311). 5 b Die wichtigen Vorschriften zum Schutze des Verletzten und zur Wahrung seiner Rechte als nun selbständiger Prozessbeteiligter, welche die Opfer- und Zeugenschutzgesetze in die StPO eingefügt haben, werden im übrigen bei den entsprechenden Vorschriften des JGG auf ihre Geltung im JGG-Verfahren überprüft und kommentiert. Die Fundstellen im Kommentar sind bei § 80, 9 gesammelt. 5 c Lempp (NJW 68, 2265 ff) sieht als Belastung nach gewaltfreier sexueller Straftat weniger diese selbst an als vielmehr die nachfolgende Reaktionsweise der Erw., von den vorwurfsvollen Eltern über die misstrauisch erwarteten jpsychiatrischen Untersuchungen hin zu den oft quälenden Befragungen vor Gericht. Krück (MKrim. 89, 313) zeigt jedoch, dass die Wirkungen gewaltloser Sexualdelikte auf minderjährige Opfer sehr unterschiedlich sind und teilweise erhebliche Schädigungen eintreten. Arntzen (Institut für Gerichtspsychologie Bochum; Untersuchungsergebnis v. 15. 10. 69) kommt nach Untersuchungen in über 500 Begutachtungsfällen zu dem Ergebnis, dass entgegen allg. Erwartungen die Vernehmungen dann keine seelischen Schäden herbeiführen, wenn sie ruhig und behutsam vorgenommen werden. Schäden würden aber durch die Begleitumstände herbeigeführt, wenn sexualgeschädigte Kinder und J in der Verhandlung dem Angeklagten (dem vermutlichen Täter) gegenübergestellt werden und sich mit ihm auseinandersetzen müssen, sodass das Kind seinerseits den unmittelbaren persönlichen Kontakt mit dem Angeklagten nicht vermeiden kann. Das gilt für direkte Fragen des Angeklagten, vor allem aber für Demonstrationen in körperlicher Nähe mit dem Angeklagten (z. B. Augenschein über Ver-
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gewaltigung im Kfz), was fast einem Wiedererleben gleichkommt. Nach Volbert/Pieters (Zur Situation kindlicher Zeugen vor Gericht, 1993 S. 7) legen die wenigen vorhandenen empirischen Untersuchungen die Schlussfolgerung nicht nahe, dass Strafverfahren bei sexuell missbrauchten Kindern ebenso schwere Schädigungen auslösen wie die Straftaten selbst. Zu den durch den sexuellen Missbrauch von Kindern verursachten Schäden vgl. Bange Die dunkle Seite der Kindheit, 1992; Diesing Psychische Folgen von Sexualdelikten an Kindern, 1980; Groffmann in Blau/MüllerLuckmann, Hrsg., Gerichtliche Psychologie, 1962, S. 148; Wilmer Sexueller Mißbrauch von Kindern, 1996 S. 119 ff. Vgl. auch BGH StV 98, 333: Es besteht kein allg. Erfahrungssatz dahingehend, dass für kindliche Opfer eines sexuellen Missbrauchs und ihre Angehörigen sich das Leben über längere Zeiträume völlig verändert. Zur Phänomenologie des sexuellen Kindesmissbrauchs zusammenfassend Dölling (Rn 5 a) S. 22 ff; Wilmer aaO, S. 73 ff. Zur Vernehmung minderjähriger Zeugen u. zur Glaubwürdigkeitsbegutachtung s. Abels in Nass, Hrsg., Kinderkriminalität, 1969, S. 130; Arntzen Psychologie der Kindervernehmung, 1970; ders. Psychologie der Zeugensaussage, 4. Aufl. 2007; Denger ZRP 91, 48; Ell Zbl. 92, 142, 189; Endres/Scholz NStZ 94, 466; Scholz/Endres NStZ 95, 6; Fegert, Hrsg., Begutachtung sexuell mißbrauchter Kinder, 2001; Greuel ua Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998; Jansen Zeuge u. Aussagepsychologie, 2. Aufl. 2011; Steller/Volbert in dies., Hrsg., Psychologie im Strafverfahren, 1997 S. 12; Volbert/Erdmann MKrim 96, 238; Volbert/Steller/Gabow Das Glaubhaftigkeitsgutachten, in Handb. d. For. Psychiatrie Bd. 2, 2010 S. 623; Zschockelt/Wegner NStZ 96, 305; die Beiträge von Steller ua in MKrim. 97, 274 ff; Blumenstein DVJJ-J 02, 28. Zum Einfluss von Glaubwürdigkeitsgutachten auf die Entscheidungen von StA u. Gericht Langen Der Einfluß der Ergebnisse aussagenpsychologischer Gutachten auf die Entscheidungen von StA u. Gericht, 2000 S. 147: In 26 untersuchten Verfahren keine Abweichung. Zum Ablauf von Strafverfahren mit kindlichen Opferzeugen Gunder Der Umgang mit Kindern im Strafverfahren, 1999; Kipper Schutz kindlicher Opferzeugen im Strafverfahren, 2001. Zur Opfer- u. Zeugenbetreuung Blum Gerichtliche Zeugenbetreuung im Zeichen des Opferschutzes, 2005; Kaczynski Zeugenbetreuung in der Justiz, 2000; ders. NStZ 00, 451; Schneider/Habel Psychosoziale Betreuung von Opferzeugen in Strafprozessen, 2000; U. Hartmann DVJJ-J 02, 23. Zu traumaspezifischen Therapieangeboten Huck DVJJ-J 00, 59. Ob eine ErwStrafkammer, der mangels Auslastung JSchutzsachen idR nur zusätzlich zu allg. Strafsachen zugeteilt werden können, derart Erfahrungen sammeln kann wie JKammern, ist zumindest fraglich. Demgegenüber darf nicht verkannt werden, dass die JGerichte und auch die JKammern durch 5 d JSchutzsachen nicht ihrer eigentlichen Aufgabe in der JKriminalrechtspflege allzu sehr entzogen werden sollen. Die „Übung“ einer JKammer, JSchutzsachen nicht bei sich zu eröffnen, wenn Kinder als Zeugen zu vernehmen sind, es sei denn, das Persönlichkeitsbild eines j. Zeugen weiche von der Norm ab, ist unzulässig, weil die Ausklammerung j. Zeugen willkürlich und mit Sinn und Zweck des § 26 II GVG nicht zu vereinbaren wäre (Beschl. des OLG Nürnberg v. 30. 12. 1982 – Ws 1076/82). Niemals darf die Zuständigkeit der JKammer, auch nicht im Wege der Geschäftsverteilung, dadurch ausgeschlossen werden, dass anstelle der JKammer die JSchutzkammer für zuständig erklärt wird; denn ein der gesetzlichen Regelung entgegenstehender Geschäftsverteilungsplan ist insoweit unwirksam (OLG Saarbrücken NJW 65, 2313; vgl. BGH 22, 48). In JSchutzsachen gelten die JGerichte ErwGerichten gleicher Ordnung gegenüber für die Zu- 6 ständigkeit im Eröffnungsverfahren (§ 209 StPO) und für die Anfechtung des Eröffnungsbeschlusses (§ 210 II StPO) als Gerichte höherer Ordnung (§ 209 a Nr. 2 b StPO; LG Zweibrücken NJW 05, 2100 [LS] = NStZ-RR 05, 153; vgl. § 41, 23). Da die §§ 225 a, 270 StPO nicht auf § 209 a Nr. 2 b StPO Bezug nehmen, gelten nach Eröffnung des Hauptverfahrens JSchutzgerichte und ErwGerichte gleicher Ordnung als ranggleich (BGH 42, 40 = JR 96, 390 mit zust. Anm. Brunner = NStZ 96, 346 mit abl. Anm. Katholnigg). Es ist weder Abgabe noch Verweisung und auch kein Unzuständigkeitseinwand des Angeklagten statthaft (Begründung des RegE eines Strafverfah-
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rensÄndG – StVÄG 1979 – BT-Drs. 8/976 S. 48; OLG Saarbrücken NStZ-RR 03, 377; Löwe/Rosenberg/Stuckenberg § 209 a StPO 33; Rieß NJW 78, 2267). Infolge der gleichwertigen Zuständigkeit von JGerichten und ErwGerichten in JSchutzsachen besteht auch tatsächlich kein Bedürfnis, nach Eröffnung des Hauptverfahrens eine Zuständigkeitsveränderung zuzulassen. Eine Verletzung des § 26 GVG führt deshalb nur dann zur Aufhebung des Urteils, wenn das Gericht seine Zuständigkeit willkürlich angenommen hat (Art. 101 S. 2 GG; BGH bei Herlan GA 71, 34; MeyerGoßner § 26 GVG 6). 6 a Der StA prüft, ob eine JSchutzsache vorliegt und ob nach dem unbestimmten Rechtsbegriff des § 26 II GVG eine Verhandlung vor dem JGericht geboten ist, da dieses „am besten geeignet (ist), zu entscheiden, ob für die JSchutzsachen die bes. Spezialkenntnisse der JGerichtsbarkeit erforderlich sind“ (Begründung des RegE eines StrafverfahrensÄndG – StVÄG 1979 – BT-Drs. 8/976 S. 44; dazu auch Rn 4). Bejaht der StA beides, wird er Anklage vor dem JGericht erheben. 6 b Ist das mit der Anklage angegangene JGericht der Auffassung, dass eine von beiden Zuständigkeitsvoraussetzungen nicht vorliegt, eröffnet es nach § 209 I iVm § 209 a Nr. 2 b StPO vor dem zuständigen ErwGericht niedrigerer oder gerichtsverfassungsgemäß gleicher Ordnung in seinem Bezirk. Die Entscheidung ist für das ErwGericht bindend (LG Zweibrücken NJW 05, 2100 [LS] = NStZ-RR 05, 153). Zur Verbindung einer beim JGericht anhängigen JSchutzsache mit einer allg. Strafsache ist das JGericht zuständig (§ 4 StPO). 6 c Das mit der Anklage angegangene ErwGericht kann bei negativem Ergebnis seiner Prüfung diese Sache dem gleichrangigen JGericht nach § 209 II iVm § 209 a Nr. 2 b StPO zur Entscheidung der Eröffnung vorlegen, vor einem JGericht niedrigerer Ordnung aber unmittelbar eröffnen (Vorrang § 209 vor § 209 a StPO). Über die sofortige Beschwerde der StA gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens durch den Strafrichter beim AG hat die für allg. Strafsachen zuständige Strafkammer, die im Gegensatz zum AG einen hinreichenden Verdacht bejaht, auch dann zu entscheiden, wenn sie die Zuständigkeit des JSchöffG für gegeben hält (OLG Zweibrücken NStZ 94, 48). 6 d JSchutzgerichte sind niemals bei Strafsachen zuständig, die in die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer, der Wirtschaftsstrafkammer oder des OLG (§ 120 GVG) fallen, da es hier nicht 25 vorwiegend jrichterlicher Erfahrungen bedarf (Löwe/Rosenberg/Siolek § 26 GVG 12; vgl. auch Löwe/Rosenberg/Stuckenberg § 209 a StPO 38). Ist die JKammer aber – wie zumeist – zugleich JSchutzkammer, so hat sie auch deren Zuständigkeit. Jede Zuleitung erfolgt durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft schon mit Rücksicht auf § 33 II StPO. § 26 II GVG stellt für den StA verbindliche Richtlinien auf, deren Einhaltung das Gericht nachprüfen darf. Vgl. dazu insbes. Rn 5.
3.
Glaubwürdigkeit kindlicher und jugendlicher Zeugen; Sachverständige
7 Die Glaubwürdigkeit kindlicher und jugendlicher Zeugen hat in JSchutzverfahren oft entscheidende Bedeutung. Für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung lassen sich aus der Rechtsprechung des BGH folgende Grundsätze ableiten (bes. BGH NJW 61, 1636; BGH 21, 62; 45, 164): 7 a Der Tatrichter ist im allg. nicht auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen (BGH 3, 27), es sei denn, Zeugen vor oder in der Geschlechtsentwicklung sagen über geschlechtsbezogene Dinge, namentlich als Opfer von Sexualdelikten, aus (BGH 2, 163; OLG Düsseldorf JR 94, 379 mit Anm. Blau) oder das Erinnerungsvermögen des J hängt eng mit den verfahrensgegenständlichen affektiven Erlebnissen zusammen (BGH H MDR 80, 274) oder das Kind weist dem gewöhnlichen Erscheinungsbild von Kindern dieses Alters widersprechend bes. Züge oder Eigentümlichkeiten auf (BGH NStZ 81, 400). Sogar in solchen Fällen kann das Gericht ohne Sachverständigen auskommen, wenn es mit der eigentümlichen seelischen Verfassung geschlechtlich Heranwachsen-
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der vertraut ist, etwa bei bes. Ausbildung oder langer richterlicher Erfahrung in J- oder JSchutzsachen (BGH 3, 52), oder wenn die Aussage in anderen Umständen eine gewichtige Unterstützung findet (BGH 7, 82; BGH NStZ 98, 368; OLG Köln NJW 66, 1183), selbst bei einer 14jährigen schwachsinnigen Zeugin, wenn sich ihre Aussage in den wesentlichen Punkten mit den Bekundungen unbeteiligter Zeugen deckt (BGH NJW 67, 361). Letztlich kommt es aber immer auf die Eigenart und bes. Gestaltung des Einzelfalles an. Maßgeblich ist, ob der Sachverhalt solche Besonderheiten aufweist, dass Zweifel aufkommen können, ob die Sachkunde des Gerichts unter den gegebenen bes. Umständen ausreicht (BGH NStZ 82, 42; JZ 90, 52; NStZ 98, 367; 01, 105; 10, 100; Kett-Straub ZStW 117 [05], 363). Weichen z. B. die Aussagen des jungen Zeugen bei mehreren Vernehmungen in verschiedenen Punkten (nicht nur in Randfragen) voneinander ab, hat er in einem Kernbereich die Unwahrheit gesagt, wurde er früher noch dazu ungeschickt vernommen („Hineinfragen“) oder hatte er schon vor der Tat geschlechtliche Erlebnisse, so kann die Überprüfung der Glaubwürdigkeit durch einen Sachverständigen erforderlich werden, bes. wenn das entscheidende Gericht kein JGericht ist (BGH NJW 61, 1636). Der BGH (JZ 90, 52) hielt die Zuziehung eines psychologischen Sachverständigen in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs für geboten, in dem bei einem im Zeitpunkt der Hauptverhandlung 13 Jahre alten Mädchen Wahrnehmungsfähigkeit, Gedächtnis und persönliche Zuverlässigkeit im Tatzeitpunkt, also im Alter von 7–12 Jahren, zu ermitteln waren (dazu auch BGH NStZ 85, 421). Obwohl der Vater sich seit 1984 mehrmals wöchentlich und ab 1985 „fast täglich“ an dem Kind vergangen haben soll, hatte die Mutter nur einmal (1987) Verdacht geschöpft und das Kind ihr erstmals aus Anlass der Scheidungsklage davon berichtet. Auch bei einer Zeugin mit langjährigem Drogen- und Alkoholmissbrauch und einer neurotischen Persönlichkeitsstruktur kann die Heranziehung eines Sachverständigen erforderlich sein (BGH NStZ 91, 47). Vgl. auch BGH NJW 83, 404 zur Eignung eines Sachverständigen als Beweismittel u. BGH 7, 82 über die besseren Möglichkeiten des Sachverständigen. Ob ein JPsychiater oder ein Psychologe herangezogen wird, ist grds. dem Tatrichter überlassen 8 (BGH 23, 12; BGH NStZ 98, 367). Leidet der Zeuge an einer geistigen Erkrankung, die sich auf seine Aussagetüchtigkeit ausgewirkt haben kann, wird allerdings in aller Regel die bes. Sachkunde eines Psychiaters benötigt; für die Beurteilung nicht krankhafter Zustände und ihrer Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit besitzen dagegen grds. sowohl der Psychologe als auch der Psychiater die erforderliche Sachkunde (BGH 23, 12 f; BGH NStZ 98, 367). Für die aussagepsychologische Begutachtung hat der BGH (45, 164 = NStZ 00, 100 mit Anm. 8 a Ziegert; dazu auch Schaefer NJW 00, 928 u. Offe NJW 00, 929; BGH NStZ 01, 45) Mindeststandards aufgestellt. Danach hat der Sachverständige von der sog. Nullhypothese auszugehen, dass die Aussage unwahr sei, und zur Prüfung dieser Annahme weitere Hypothesen zu bilden. Die Hypothesen sind von ausschlaggebender Bedeutung dafür, wie die Begutachtung abläuft, insbes. welche Test- und Untersuchungsverfahren eingesetzt werden. Ergibt die Untersuchung, dass die Unwahrhypothese mit den Fakten nicht in Übereinstimmung stehen kann, gilt die Alternativhypothese der Wahrheit der Aussage (aaO, 167 ff). Die vom Sachverständigen eingesetzten Methoden müssen dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand gerecht werden (aaO, 169, 175). Die Auswahl zwischen mehreren anerkannten und indizierten Testverfahren steht im pflichtgemäßen Ermessen des Sachverständigen (aaO, 169). Zu analysieren sind insbes. die inhaltlichen Qualitätsmerkmale der Aussage (Inhaltsanalyse hinsichtlich sog. Realkennzeichen), das gesamte Aussageverhalten (Konstanzanalyse), die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Aussage (Fehlerquellenanalyse ua bezüglich möglicher Motive für eine unzutreffende Belastung des Beschuldigten) und spezifische Kompetenzen, Erfahrungen sowie eventuelle aussagerelevante Besonderheiten der Persönlichkeitsentwicklung des Untersuchten (Kompetenzanalyse) (aaO, 170 ff). Zur bes. Bedeutung der Entstehungsgeschichte der Beschuldigung bei Aussagen kindlicher Zeugen vgl. auch BGH NJW 96, 207 f. Im Bereich der Sexualdelikte ist regelmäßig eine Sexualanamnese erforderlich (BGH 45, 175 f). Für die Darstellung des Gutachtens
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gilt das Gebot der Nachvollziehbarkeit und Transparenz: Die diagnostischen Schlussfolgerungen müssen nach Möglichkeit für alle Verfahrensbeteiligten nachvollziehbar dargestellt werden und es muss durch die Beteiligten – zumindest durch andere Sachverständige – überprüfbar sein, auf welchem Weg der Sachverständige zu seinen Ergebnissen gelangt ist (aaO, 178 ff; vgl. auch BGH Dallinger MDR 76, 17). Die polygraphische Untersuchung („Lügendetektor“) des Beschuldigten verstößt bei seiner freiwilligen Mitwirkung nach BGH 44, 308 zwar nicht gegen Verfassungsgrundsätze oder § 136 a StPO (insoweit unter Aufgabe von BGH 5, 332), hat aber in Form des Kontrollfragentests und – jedenfalls im Zeitpunkt der Hauptverhandlung – des Tatwissenstests keinerlei Beweiswert und führt deshalb zu einem völlig ungeeigneten Beweismittel iSd § 244 Abs. III S. 2 4. Alt. StPO (näher zur mangelnden Beweiseignung aaO, 319 ff; vgl. auch Rill/Vossel NStZ 98, 481; kritisch Meyer-Mews NJW 00, 917 f). 9 Die Aufgabe des Sachverständigen findet ihre Grenze in der Pflicht des Gerichts zur Feststellung des Sachverhalts. Zu entscheiden, ob die Aussage wahr ist oder nicht, bleibt Kern der richterlichen Rechtsfindung. Der Sachverständige hat sich (BGH 21, 63) „darauf zu beschränken, die Wesenszüge der jugendlichen Zeugin darzustellen und diese sowie das Verhalten der Jugendlichen im besonderen Falle und ihre Aussage selbst nach Inhalt und Entwicklung aus psychologischer Sicht zu erläutern . . . Geht er in seinen Ausführungen über diesen Rahmen hinaus und nimmt er selbst die dem Richter zustehende abschließende Beweiswürdigung vor, so ist dieser Teil seiner Darlegungen verfahrensrechtlich bedeutungslos.“ Zur Pflicht des Tatrichters, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen u. Darlegungen des ärztlichen Sachverständigen im Urteil wiederzugeben, OLG Köln GA 83, 43. Will der Tatrichter eine Frage im Widerspruch zu einem Gutachten lösen, muss er im Urteil die maßgeblichen Darlegungen des Gutachters wiedergeben und unter Auseinandersetzung damit seine Gegenansicht begründen (BGH NStZ 94, 503; 00, 551). Werden in einem Beweisantrag auf Einholung weiterer Gutachten konkrete Mängel des ersten Gutachtens vorgetragen, muss sich das Gericht in einem den Antrag ablehnenden Beschluss mit den Einwänden im Einzelnen auseinandersetzen (BGH 45, 166). Der Angeklagte kann nach § 220 StPO selbst einen Sachverständigen laden und nach § 245 Abs. 2 StPO dessen Anhörung beantragen. Kann der vom Angeklagten beauftragte Sachverständige ohne Beeinträchtigung der Arbeit des gerichtlich bestellten Sachverständigen und ohne Verzögerung der Hauptverhandlung sich vorbereiten, darf UHaft einer solchen Vorbereitung regelmäßig nicht entgegenstehen (BGH 43, 171). Die Vernehmung eines ohne Vorladung vom Angeklagten „gestellten“ Sachverständigen richtet sich nach §§ 244 II–IV StPO (BGH NStZ 81, 401). 9 a Dass die Beurteilung von Kindern und J durch ihre Lehrer sehr vorsichtig gewertet werden muss, zeigt die Praxis. Die Beurteilung „kriminell gefährdet“ offenbart oftmals Fehleinschätzungen, die nur eine eingehende Befragung aufklären kann. Die kurze Bemerkung im Schülerbogen „lügt“ ist nicht nur einmal nach Vernehmung des Lehrers dahin zusammengeschrumpft, dass der Schüler rasch eine Ausrede parat hatte, um zu erklären, weshalb er sein Heft nicht dabei hatte. 9 b Die Klärung der allg. Glaubwürdigkeit eines Zeugen, die Angelegenheiten außerhalb des Verfahrens betrifft, lässt nicht ohne weiteres generelle Schlüsse auf die spezielle Glaubwürdigkeit zu, die sich auf den jeweiligen Verfahrensgegenstand bezieht (BGH Kusch NStZ 94, 228; AKStPO/Maiwald § 261 StPO 24). Steht Aussage gegen Aussage, müssen die Urteilsgründe ergeben, dass der Tatrichter alle für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit wesentlichen Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH 44, 159; 257; BGH NStZ 92, 347; 00, 496; 01, 161). Sagt der einzige Belastungszeuge in einem wesentlichen Detail bewusst falsch aus, kann seinen übrigen Angaben nur gefolgt werden, wenn außerhalb der Aussage Gründe von Gewicht für ihre Glaubwürdigkeit vorliegen (BGH 44, 153; 257); im Übrigen muss der Tatrichter bei einer Abweichung von einer früheren Tatschilderung in einem wesentlich Punkt darlegen, dass insoweit keine bewusst falschen Angaben vorgelegen haben (BGH 44, 256). Für einen
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Jugendschutzverfahren
Anh § 125
Beweisantrag auf Vernehmung eines weiteren Zeugen genügt die pauschale Behauptung nicht, die Vernehmung werde zeigen, dass ein gehörter Zeuge „unglaubwürdig“ sei (BGH 37, 164); das Gericht muss aber im Rahmen seiner Aufklärungspflicht auf Substantiierung der Tatsachen hinwirken, die der schlagwortartigen Beweisbehauptung zugrunde liegen (BGH aaO, 166). Zu den Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellungen bei sexuellem Missbrauch eines Kindes vgl. BGH NStZ 96, 401, zu den Anforderungen bei der Feststellung von Serienstraftaten BGH 42, 107.
4.
Zeugnisverweigerungsrecht
Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO steht auch Kindern und J zu (näher zu Kindern 10 als Zeugen Nevermann-Jaskolla Das Kind als Opferzeuge im Strafverfahren, 2004). Auch das nichteheliche Kind ist mit dem Erzeuger und dessen Angehörigen verwandt (§ 1589 BGB) und hat deshalb ein Zeugnisverweigerungsrecht. Fehlt einem solchen Zeugen die notwendige Verstandesreife, vermag er also nicht zu erkennen, dass dem Beschuldigten wegen einer unrechten Tat Bestrafung droht und seine Zeugenaussage dazu möglicherweise beitragen kann (BGH NJW 67, 360), so darf er erst vernommen werden, wenn er selbst nach Belehrung zur Aussage bereit ist und auch sein gesetzlicher Vertreter nach Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht zustimmt (§ 52 II 1, III 1 StPO). Das gilt auch, wenn nur Zweifel darüber bestehen, ob der Zeuge die Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht richtig verstehen kann (BGH 14, 24; 15, 161; 19, 86; 23, 222). Dazu gehört, dass der Zeuge wenigstens den Widerstreit verstandesmäßig erfasst, in den ihn die familiären Beziehungen stellen, und erkennt, dass der Angehörige etwas Unrechtes getan hat, wofür ihm Strafe droht; die Folgen der Aussage braucht er nicht zu überblicken (BGH 14, 161). Eine feste Altersgrenze, von der ab anzunehmen ist, dass diese Verstandesreife vorliegt, kann nicht gezogen werden (BayObLG NJW 98, 615; Löwe/Rosenberg/ Ignor/Bertheau § 52 StPO 27). Bei einem 7-jährigen Kinde fehlt sie idR (BGH 14, 162; 21, 303; BayObLG aaO); bei einem 14-jährigen mit normaler Intelligenz (BGH 20, 235; BayObLG aaO), bei 15-jährigen (BGH VRS Bd. 36 [69], 23) und bei 17-jährigen (BGH 14, 24) ist sie regelmäßig anzunehmen. Selbst bei einem zur Tatzeit 13-jährigen Kind kann das Gericht von dem Erfahrungssatz ausgehen, dass ein aussagetüchtiger Zeuge idR imstande ist, ein ihm zustehendes Aussageverweigerungsrecht zu begreifen und die Entscheidung in freier Entschließung zu treffen (BGH NJW 67, 360). Dazu auch BGH JZ 90, 52 in Rn 7 a. Der zur Zeugnisverweigerung berechtigte kindliche oder j. Zeuge ist – unabhängig von einer 10 a Zustimmung der Sorgeberechtigten – vor der Exploration durch einen Sachverständigen über sein Recht zur Aussageverweigerung und die Berechtigung, die Mitwirkung an der Glaubwürdigkeitsbegutachtung abzulehnen, richterlich zu belehren (BGH NJW 96, 206). Die von § 52 III 1 StPO vorgeschriebene Belehrung obliegt dem Richter; er kann diese Aufgabe nicht einem Sachverständigen übertragen (BGH NJW 91, 2432; 96, 206). Zu den Folgen des Unterbleibens der Belehrung Rn 16 aE. Ein Zeugnisverweigerungsrecht, das der Angehörige eines Beschuldigten im Verfahren gegen den Mitbeschuldigten hat, erlischt mit dem rechtskräftigen Abschluss des gegen den angehörigen Beschuldigten geführten Verfahrens (BGH 38, 96; BGH NJW 93, 2326) und mit dem Tod des angehörigen Beschuldigten (BGH NJW 92, 1118). Zur Belehrung zeugnisverweigerungsberechtigter Angehöriger, die Mitwirkung an der Glaubwürdigkeitsbegutachtung zu verweigern, BGH 36, 217. Vgl. auch Hengesch ZStW 89, 611. Zum Zeugnisverweigerungsrecht des Kindes, des JAmtes und des JPflegers (§ 52 StPO) DIV-Gutachten v. 6. 3. 1990 (ZBl. 90, 311). Nach Belehrung über sein Zeugnisverweigerungsrecht braucht der Zeuge über sein Recht, den Verzicht auf die Verweigerung zu widerrufen, nicht noch bes. belehrt werden (BGH Dallinger MDR 69, 194). Hinweis auf das Eidesverweigerungsrecht ist, wenn der Richter den Zeugen nach § 59 StPO vereidigen will, stets erforderlich; Unterlassen ist bedingter Revisionsgrund (BGH aaO; Meyer-Goßner § 61 StPO 3).
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5. Teil. Schluss- und Übergangsvorschriften
Zustimmung der gesetzlichen Vertreter
11 Die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter zwingt den Zeugen nicht, gegen seinen Willen auszusagen, da die notwendige Zustimmung ihn nur schützen soll. Hierüber ist neben dem gesetzlichen Vertreter auch der Zeuge selbst zu belehren (BGH 21, 303 = NJW 68, 411 mit abl. Anm. Ostermeyer; BGH MDR 79, 596; NJW 91, 2432; NStZ 91, 398). Zwar richtet sich diese Belehrung an einen Zeugen, dem das Gericht vorher eine eigene Entscheidung nicht zugemutet hat (vgl. die Überlegungen von BGH 12, 235, 240, 242 zu § 81 c III StPO, die von BGH 21, 303 für den Fall des § 52 StPO jedoch abgelehnt werden). Die Belehrungspflicht ergibt sich jedoch aus dem eindeutigen Wortlaut des § 52 III StPO. Ohne Belehrung gewonnene Angaben unterliegen einem Verwertungsverbot (BGH NJW 91, 2432). Hat das Kind ohne die erforderliche Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter ausgesagt, kann diese Zustimmung nicht mehr rechtswirksam nachgeholt werden, wenn das Kind nunmehr die Aussage verweigert (BGH 23, 221 im Anschluss an 21, 303 mit Anm. Peters JR 70, 308). 12 Nach § 1626 BGB vertreten beide Elternteile das Kind gemeinsam und müssen einwilligen (BGH MDR 72, 293). Zustimmung des einen genügt (BGH MDR 57, 52). Sind beide Elternteile beschuldigt, so können sie als gesetzliche Vertreter nach § 52 II 2 StPO über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts für den Minderjährigen nicht entscheiden, und es muss für diese Entscheidung nach dem Grundgedanken des § 67 IV durch das Familiengericht nach § 1909 BGB ein Prozesspfleger bestellt werden. Ist nur ein Elternteil beschuldigt, so gilt für den nichtbeschuldigten Elternteil das gleiche, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Eltern zusteht (§ 52 II 2 StPO). Hat nur der nicht beschuldigte Elternteil die gesetzliche Vertretung, so kann dieser entscheiden (OLG Nürnberg StV 10, 618; Meyer-Goßner § 52 StPO 20; aA KK/Senge § 52 StPO 29). Dies zu beachten ist bereits im Ermittlungsverfahren wichtig. Für die Polizei stellt der StA den Antrag auf Bestellung eines Pflegers. Allseitige Belehrung ist vor jeder Vernehmung erforderlich (§ 52 III 1 StPO). Das Familiengericht ist an die Entscheidung der vernehmenden Stelle über die Frage der Verstandesreife des Zeugen gebunden (BayObLG NJW 98, 615). 13 Über frühere Aussagen darf nach der Zeugnisverweigerung nur der Richter vernommen werden (BGH 2, 99; 13, 394; 45, 345 f), auch ein Zivilrichter (BGH 17, 324), nicht aber StA, Polizeibeamter (BGH NJW 56, 1886 u. GA 70, 153), Protokollführer ua (BGH 21, 218). Auch Angaben gegenüber dem Verteidiger unterliegen einem Verwertungsverbot (BGH 46, 1). Die Literatur hält auch die Vernehmung richterlicher Verhörspersonen überwiegend für unzulässig (AKStPO/ Meier § 252 StPO 10 mwN). Auch die bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachte Aussage darf trotz Zeugnisverweigerung verwertet werden, wenn der Zeuge dies nach ordnungsgemäßer Belehrung gestattet (BGH 45, 203 = JR 00, 339 mit Anm. Fezer). Über Mitteilungen außerhalb des Verfahrens kann jeder vernommen werden, dem sich der Zeugnisverweigerungsberechtigte anvertraut hat (BGH JR 51, 349); das gilt auch für Polizeibeamte, denen gegenüber eine Anzeige erstattet wurde oder die um Hilfe angegangen wurden, wenn damit nicht eine förmliche Vernehmung verbunden wurde und die Äußerungen spontan gemacht wurden (BGH NJW 56, 1884; BayObLG NJW 52, 517; vgl. aber auch den gegenteilig entschiedenen Sonderfall BayObLG 82, 167 = NJW 83, 1132). Wenn aber etwa ein von der Polizei aufgegriffenes Kind auf Befragen und zur Erläuterung seiner zunächst unbestimmten Angaben aufgefordert, den Vater belastet, so tritt das aus § 252 StPO herzuleitende Verwertungsverbot ein (BGH 29, 230), wobei unerheblich ist, ob die Aussage protokolliert worden ist (BGH 20, 386). Die Aussage eines Zeugnisverweigerungsberechtigten vor Polizei und StA ist frei verwertbar, wenn er unbekannten Aufenthalts ist (BGH 25, 176); gleiches gilt für die Aussage eines nicht belehrten Zeugen vor der Polizei, wenn er zwischenzeitlich verstorben ist (BGH 22, 35). Schriftstücke, welche der Zeuge bei seiner polizeilichen Vernehmung überreicht und zum Gegenstand seiner Aussage gemacht hat, dürfen in der Hauptverhandlung nach Verweigerung der Aussage nicht verlesen werden (BGH 22, 219). – Erwächst dem Zeugen erst nach seiner richterlichen Vernehmung ein Zeugnis-
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verweigerungsrecht und macht er hiervon in der Hauptverhandlung Gebrauch, darf auch der Richter über die frühere Aussage nicht vernommen werden (BGH 27, 231 im Anschluss an BGH 22, 219; BayObLG 65, 81). Verweigert der Zeuge gegen einen Angehörigen die Aussage, darf ein gegen ihn in gleicher Sache ergangenes Urteil mit seinem Geständnis nicht verlesen (BGH MDR 66, 161), seine frühere Beschuldigtenvernehmung in eigener Sache auch dann nicht verwertet werden, wenn er vorher auf sein Zeugnisverweigerungsrecht hingewiesen worden ist (BayObLG 77, 127). Vgl. auch BGH JZ 90, 46. Bei der Verwertung einer Vernehmung im Ausland ist der Rechtsgedanke des § 252 StPO auch dann zu beachten, wenn das ausländische Recht ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht vorsieht (BGH NStZ 92, 394). Zu den Grenzen des aus § 252 StPO abzuleitenden Verwertungsverbots bei unlauterer Verfahrensmanipulation s. BGH 45, 342. Die Aufklärungspflicht kann die Vorladung eines Zeugen gebieten, der in dieser Sache schon 13 a vor dem Richter ausgesagt und auf die Ladung zur Hauptverhandlung schriftlich die Aussage verweigert hat, wenn es möglich ist, dass der Zeuge irrig davon ausgeht, mit der Aussageverweigerung sei auch seine frühere Aussage unverwertbar geworden (BGH NJW 66, 742 mit krit. Anm. Seydel). – Die Zeugnisverweigerung eines Angehörigen darf nicht gegen den Angeklagten verwertet werden (BGH 22, 113, weiterführend: BayObLG JR 69, 31), auch nicht, wenn geprüft werden soll, ob die doch noch gemachten, den Angeklagten entlastenden Angaben glaubhaft sind (BGH MDR 79, 1040). – Das Gericht kann den Angeklagten durch begründeten Beschluss für die Dauer der Vernehmung des Zeugen abtreten lassen (§ 247 I 1 StPO), wenn dieser erklärt, er werde von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, falls er in Gegenwart des Angeklagten vernommen werde (BGH 22, 19). – Wegen Angaben, die dem Sachverständigen gemacht wurden, Rn 16. Die Angaben eines das Zeugnis verweigernden Angehörigen im Sorgerechtsverfahren dürfen im Strafverfahren nicht verwertet werden. 6.
Körperliche und Glaubwürdigkeitsuntersuchung
Entsprechendes gilt für das Recht, körperliche Untersuchungen zu verweigern, gem. § 81 c III 14 StPO (BGH 11, 97; 12, 240; 13, 398). Untersuchungen ohne vorherige richterliche Belehrung (BGH 11, 97; 13, 394) über dieses Recht dürfen nur verwertet werden, wenn der Untersuchte, ggf. seine gesetzlichen Vertreter, nachher genehmigen (BGH aaO). Ist zur Verweigerung oder Zustimmung der gesetzliche Vertreter berufen (Rn 11), so braucht das Kind nicht mehr belehrt zu werden, weil es bei § 81 c StPO der gesetzliche Vertreter voll vertritt (BGH 12, 242; 40, 336 = JR 96, 75 mit Anm. Welp = StV 95, 171 mit Anm. Eisenberg StV 95, 625). Sagt der Zeuge in der Hauptverhandlung nach Belehrung über sein Zeugnisverweigerungsrecht aus, liegt darin eine solche Zustimmung (BGH 20, 234). Dagegen steht ein nachträglicher Widerruf der nach Belehrung gegebenen Zustimmung der Verwertung nicht entgegen, schließt jedoch weitere Untersuchungshandlungen aus (BGH 11, 97). Eine psychologische Glaubwürdigkeitsuntersuchung ist stets nur mit Einwilligung zuläs- 15 sig (§ 81 c I 1; BGH 13, 398; 14, 23; BGH NStZ 82, 432), denn § 81 c StPO verpflichtet Zeugen nur zu bestimmten Untersuchungen, zu denen die für das Glaubwürdigkeitsgutachten erforderlichen nicht gehören. Bei Verweigerung der Zustimmung ist es aber zulässig, einen Sachverständigen gem. § 80 StPO an einer richterlichen Vernehmung oder der Hauptverhandlung teilnehmen und Fragen stellen zu lassen (BGH 23, 1; Löwe/Rosenberg/Krause § 81 c StPO 9) sowie ihm Einsicht in Unterlagen und Strafverfahrensakten zu verschaffen (BGH NStZ 91, 47). Dazu auch BGH JZ 90, 52 in Rn 7 aE u. BGH JZ 90, 47 in Rn 16 aE. Zur Belehrung eines zeugnisverweigerungsberechtigten kindlichen oder j. Zeugen vor der Glaubwürdigkeitsuntersuchung Rn 10.
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Auskünfte gegenüber Sachverständigen
16 Zusatz-Auskünfte (z. B. Geständnis; Löwe/Rosenberg/Krause § 79 StPO 21), die dem Sachverständigen gegeben wurden, sind nicht durch Erstattung des Gutachtens, sondern durch anderweitige Beweisaufnahme, idR durch Vernehmung des Sachverständigen als Zeugen, in die Hauptverhandlung einzuführen (BGH NStZ 93, 245). Sie dürfen nach Zeugnisverweigerung weder dem Gutachten zugrunde gelegt noch durch den Sachverständigen als mittelbarem Zeugen eingeführt werden, wenn nicht entweder der Untersuchung eine ordnungsgemäße richterliche Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht vorausgegangen ist oder der Berechtigte die Verwertung der Auskünfte genehmigt (BGH 11, 97; 12, 242; 13, 1; 20, 234; BGH JZ 90, 47; BGH Kusch NStZ 94, 23). Dürfen die Auskünfte oder andere Tatsachen, die dem Sachverständigen bei Durchführung des Auftrages bekannt geworden sind, vom Gericht verwertet werden (§ 43, 15), so kann er als Zeuge darüber auch dann vernommen werden, wenn er als Sachverständiger erfolgreich abgelehnt wurde; er darf dann nur keine Schlüsse aus diesen Tatsachen ziehen (BGH 20, 222). Ist er vom Gericht zur Begutachtung beauftragt, hat er kein Zeugnisverweigerungsrecht (Rn 17 aE). – Knüpft ein Sachverständiger an ein von ihm veranlasstes Hilfsgutachten eines anderen an, so braucht das Gericht den Hilfsgutachter nicht zu vernehmen und dessen Bericht nicht zu verlesen, wenn der Hauptsachverständige auch die Verantwortung für die Ergebnisse des Hilfsgutachtens übernimmt. Ggf. kann aber die Aufklärungspflicht anderes gebieten (BGH 22, 268). Zur Bekanntgabe des Gutachtens u. Art. 103 GG s. § 43, 15 a aE. Das Unterbleiben der Belehrung eines angehörigen Zeugen über sein Recht, nach § 81 c III 1 StPO die Mitwirkung an einer Begutachtung durch einen Sachverständigen zu verweigern, führt zur Unverwertbarkeit des auf der Untersuchung beruhenden Gutachtens, wenn nicht ein Ausnahmefall (nachträgliche Einwilligung nach ordnungsgemäßer Belehrung; Gewissheit der Teilnahme an der Untersuchung auch bei Belehrung) vorliegt (BGH 40, 336 = JR 96, 75 mit Anm. Welp u. Anm. Eisenberg StV 95, 625; BGH JZ 90, 47 mit krit. Anm. Weigend; BGH NStZ 96, 275 mit Anm. Dölling NStZ 97, 77). Vgl. auch § 43, 15 a.
8.
Nichterscheinen kindlicher Zeugen und Schweigepflicht des Arztes
17 Während J als Zeugen unmittelbar selbst zu laden sind, werden Zeugen, die jünger als 14 Jahre alt sind, über ihre ErzBerechtigten geladen (OLG Frankfurt ZJJ 06, 78). Ordnungsmaßnahmen gegen Kinder allg. und wegen Nichterscheinens als Zeugen sind nicht zulässig. Sie könnten zwar vorgeführt werden, was aber voraussichtlich dem Kind Schaden und dem Verfahren keinen Nutzen brächte. Auch gegen Eltern, die ihre Kinder nicht als Zeugen stellen, können deswegen keine Ordnungsmaßnahmen angeordnet werden (näher § 1, 4). Ein gutes und ruhiges Gespräch zwischen Richter und Eltern vor dem Termin wird fast stets helfen. Ggf. kann zum Schutz des Kindes der Einsatz der Videotechnologie bei einer Vernehmung dienen (dazu Rn 5 a). Zu den Voraussetzungen, unter denen die Eltern berechtigt sind, das Erscheinen ihres Kindes als Zeuge zu verhindern und eine Begutachtung seiner Glaubwürdigkeit zu verweigern, zugleich bei Nichterscheinen des Kindes zu den Feststellungen zu § 251 II Nr. 1 StPO (nicht zu beseitigendes Hindernis) und zu § 244 III 2 StPO (unerreichbares Beweismittel): OLG Saarbrücken NJW 74, 1959. Der Arzt hat kein Zeugnisverweigerungsrecht, wenn er für Gericht, StA oder Polizei als Sachverständiger tätig geworden ist (BGH JR 61, 111), sofern der Untersuchte die Untersuchung oder den Eingriff kraft Gesetzes dulden musste (§§ 81 ff StPO) oder sich damit einverstanden erklärt hat (BGHZ 40, 288; Meyer-Goßner 20; Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau 38 – je zu § 53 StPO). Zur notwendigen Entbindung von der Schweigepflicht durch einen J § 67, 4; es wird nicht Geschäftsfähigkeit, sondern nur die natürliche Urteilsfähigkeit gefordert (Löwe/Rosenberg/Ignor/ Bertheau § 53 StPO 81 mwN). Die Entbindung des Hauptgeheimnisträgers gilt auch für dessen Hilfspersonen (Meyer-Goßner § 53 a StPO 10; Löwe/Rosenberg/Ignor/Bertheau § 53 a StPO 13). Ein Zeugnisverweigerungsrecht hat der Arzt über Tatsachen, die ihm als Sachverständigen in einem
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anderen Verfahren bekannt geworden waren (BGH 38, 369; dazu Cramer NStZ 96, 209). Die Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht kann jederzeit widerrufen werden (BGH 42, 75 = JR 97, 33 mit Anm. Welp). Der falsche richterliche Hinweis auf eine angeblich fortbestehende Entbindung von der Schweigepflicht gegenüber einem zeugnisverweigerungsberechtigten Arzt führt grds. zu einem Beweisverwertungsverbot (BGH 42, 78).
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5. Teil. Schluss- und Übergangsvorschriften
Entscheidungen des BGH
Fundstellenverzeichnis der in der Amtlichen Sammlung veröffentlichten Entscheidungen des Bundesgerichtshofes Amtliche Sammlung Entscheidungen des BGH Amtl. Sammlung 1,47 1,175 1,346 1,373 2,63 2,99 2,163 2,393 3,13 3,52 3,327 3,344 3,368 3,384 4,157 4,205 4,308 4,320 4,325 4,364 5,52 5,132 5,168 5,207 5,226 5,312 5,338 5,366 5,377 6,6 6,109 6,117 6,163 6,183 6,206 6,209 6,215 6,258 6,298 6,326 6,354 6,391 6,394 7,26 7,53 7,64 7,82
Datum
27. 2. 51 18. 5. 51 2. 10. 51 30. 10. 51 12. 12. 51 15. 1. 52 29. 2. 52 30. 8. 52 10. 6. 52 13. 6. 52 9. 12. 52 16. 12. 52 9. 1. 53 9. 1. 53 30. 4. 53 8. 5. 53 24. 6. 53 23. 7. 53 17. 9. 53 8. 10. 53 13. 10. 53 20. 11. 53 5. 11. 53 17. 11. 53 15. 12. 53 11. 2. 54 20. 11. 53 23. 2. 54 12. 3. 54 24. 3. 54 1. 4. 54 6. 4. 54 26. 5. 54 29. 6. 54 14. 7. 54 30. 6. 54 6. 7. 54 13. 7. 54 23. 4. 54 5. 10. 54 12. 10. 54 4. 11. 54 11. 11. 54 2. 11. 54 28. 10. 54 8. 12. 54 14. 12. 54
Aktenzeichen 4StR 1StR 1StR 1StR 3StR 1StR 1StR 3StR 1StR 2StR 1StR 1StR 1StR 1StR 4StR 2StR GSSt 3StR 4StR 5StR 1StR 2StR 3StR 1StR 5StR 4StR 1StR 1StR 1StR 6StR StE 5StR 3StR 5StR 5StR 6StR StE 1StR 2StR 1StR 5StR 3StR 4StR 5StR 1StR 6StR 5StR
123/51 173/51 434/51 67/51 691/51 341/51 631/51 496/51 827/51 259/52 518/52 528/52 623/52 620/52 90/53 690/52 1/53 312/53 791/52 245/53 710/52 167/53 504/53 362/53 294/53 755/53 279/53 723/53 333/53 64/54 4/54 39/54 109/54 233/54 324/54 172/54 1/53 465/53 79/54 194/54 335/54 392/54 526/54 492/54 379/54 272/54 416/54
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MDR
JZ
51,370 51,671 52,117
JR
Zbl.
51,502 51,650
52,117 51,349 52,149
52,359 52,554 52,900 52,1064 53,232 53,315 53,673 53,515 53,1195 53,1233 53,1561 53,1481 53,1679 53,1925 54,122 54,323 54,159 54,360 54,1009 54,968 54,687 54,847 54,846 54,848 54,1375 54,1210 54,1086 54,1167 54,1377 54,1415 54,1208 54,1616 54,1087 54,1855 55,30 55,72 55,273 55,271 55,232 55,599
52,309 52,628
53,247 53,246
54,54
53,186
53,609 53,766 53,738 54,56 53,767
54,123 54,189 54,751 54,372
54,371
54,494 54,560
54,230 54,397 54,363 54,398 55,52
54,228 54,229
54,517 54,636 54,709
54,628 54,645 54,757 55,240 55,239 55,118 55,180 55,178
55,88 55,90 55,219
55,27 55,104 55,147
569
Amtliche Sammlung Fundstellenverzeichnis (Fortsetzung) Amtl. Sammlung 7,86 7,180 7,214 7,238 7,276 7,300 7,318 7,353 8,78 8,90 8,182 8,346 8,349 9,34 9,104 9,160 9,195 9,203 9,258 9,292 9,324 9,365 9,370 9,399 10,21 10,35 10,64 10,74 10,100 10,104 10,109 10,119 10,137 10,174 10,177 10,198 10,233 10,252 10,287 10,323 10,327 10,372 10,373 10,384 10,391 11,80 11,97 11,106 11,116 11,130 11,169 11,319 11,332 12,116 12,129
570
Datum
7. 1. 55 16. 12. 54 25. 1. 55 8. 3. 55 1. 3. 55 8. 2. 55 18. 5. 55 8. 6. 55 12. 7. 55 27. 7. 55 4. 10. 55 12. 1. 56 15. 12. 55 24. 1. 56 13. 3. 56 6. 4. 56 1. 6. 56 12. 1. 56 14. 6. 56 7. 6. 56 18. 7. 56 3. 10. 56 6. 7. 56 19. 10. 56 29. 11. 56 6. 12. 56 8. 1. 57 10. 1. 57 29. 2. 56 15. 1. 57 7. 2. 57 23. 1. 57 26. 2. 57 20. 3. 57 4. 4. 57 3. 4. 57 7. 3. 57 8. 5. 57 6. 6. 57 6. 6. 57 22. 5. 57 30. 8. 57 10. 9. 57 24. 9. 57 11. 10. 57 29. 11. 57 10. 10. 57 22. 11. 57 13. 12. 57 10. 1. 58 9. 1. 58 29. 4. 58 7. 5. 58 23. 10. 58 4. 11. 58
Aktenzeichen 5StR 3StR 3StR 5StR 1StR 5StR 3ARs 3StR 2StR 6StR 5StR 3ARs 4StR 1StR 2StR 2StR 2StR 3StR 3StR 3StR 6StR 4StR 2StR 5StR 4StR 4StR 5StR 2StR 2StR 5StR 4StR 2StR 5StR 2StR 2ARs 4StR 4StR 2StR 4StR 2ARs 2StR 4StR 5StR 1StR 2ARs 2ARs 4StR 4StR 2ARs 5StR 4StR 1StR 2ARs 4StR 5StR
638/54 189/54 552/54 49/55 626/54 591/54 46/55 163/55 188/55 48/55 268/55 172/55 342/55 568/55 472/55 91/56 27/56 626/54 37/56 136/56 28/56 345/56 87/55 142/56 350/56 234/56 378/56 575/56 25/56 390/56 543/56 600/56 411/56 583/56 49/57 517/56 552/56 174/57 138/57 63/57 181/57 277/57 230/57 532/56 167/57 179/57 393/57 497/57 188/57 487/57 514/57 68/58 60/58 327/58 441/58
NJW
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MDR
JZ
JR
Zbl.
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55,187
55,188 55,388
55,711 56,63
56,25
56,539
56,624 56,691
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56,382
57,50
57,307 57,307
57,585 57,314 54,549 57,314
57,515 57,355 57,389
57,25 57,148
57,243
57,109
57,187 57,227
58,54
57,384 57,370
57,639 57,640 58,32
58,53 57,241
57,433 57,563
58,30 58,53
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58,253 58,260 68,356 58,260 58,617 58,620 59,143 59,226
58,508
58,148 58,187
59,27 59,184
59,103 59,224
Entscheidungen des BGH Fundstellenverzeichnis (Fortsetzung) Amtl. Sammlung 12,177 12,180 12,197 12,235 12,243 13,1 13,53 13,157 13,186 13,209 13,284 13,293 13,297 13,306 13,378 13,388 13,394 14,21 14,64 14,74 14,159 14,198 14,287 14,343 14,374 14,381 15,107 15,125 15,194 15,224 15,259 15,314 15,377 16,63 16,78 16,84 16,99 16,248 16,261 16,335 16,374 17,44 17,176 17,324 18,1 18,21 18,79 18,130 18,173 18,207 18,238 18,261 18,274 18,290 18,326
Datum
31. 10. 58 14. 11. 58 2. 12. 58 8. 12. 58 9. 12. 58 13. 2. 59 20. 3. 59 3. 5. 59 10. 7. 59 30. 6. 59 13. 10. 59 13. 10. 59 29. 10. 59 19. 11. 59 22. 12. 59 15. 1. 60 14. 10. 59 11. 11. 59 11. 12. 59 13. 1. 60 2. 3. 60 1. 3. 60 6. 5. 60 10. 6. 60 15. 6. 60 22. 6. 60 10. 8. 60 19. 8. 60 28. 9. 60 11. 11. 60 15. 12. 60 31. 1. 61 28. 2. 61 25. 4. 61 26. 5. 61 2. 6. 61 3. 6. 61 6. 10. 61 29. 9. 61 13. 12. 61 24. 11. 61 22. 1. 62 6. 3. 62 2. 5. 62 20. 7. 62 25. 9. 62 5. 10. 62 16. 11. 62 20. 12. 62 9. 1. 63 5. 2. 63 15. 2. 63 19. 2. 63 13. 3. 63 10. 4. 63
Aktenzeichen 1StR ARs 1StR GSSt 1StR 4StR 4StR 4StR 2ARs 2ARs 2ARs 2ARs 2StR 2StR 3StR 1StR 2StR 2StR 4StR 2StR 2StR 4StR 4StR 2ARs 4StR 2StR 2StR 4StR 2StR 4StR 3StR 2ARs 1StR 2StR 2ARs 2ARs 1StR 2StR 4StR 2StR 1StR 5StR 1StR 2StR 4StR 1StR GSSt ARs 2ARs 4StR 1StR 2ARs 1StR StR 4StR
417/58 182/58 375/58 3/58 551/58 470/58 416/58 439/58 86/59 158/58 55/59 171/59 393/59 359/59 40/59 627/59 249/59 471/59 321/59 557/59 44/60 574/59 107/60 76/60 20/60 221/60 307/60 241/60 429/60 387/60 26/59 1/61 467/60 618/60 46/61 70/61 155/61 362/61 301/61 548/61 140/61 442/61 554/61 132/62 194/62 368/62 1/62 194/62 81/62 443/62 265/62 26/63 318/62 570/62 73/63
NJW
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MDR
59,225 59,322 59,231 59,318 59,231 59,775 59,679 59,940 59,940 59,1026 60,65 60,152 60,150 60,329 60,331 60,422 60,419 60,420 60,423 60,332 60,599 60,690 60,773 60,862 60,942 60,864 60,942 61,79 61,249 61,340 61,335 61,338 61,519 61,705 61,869 61,783 61,870 62,149 62,233 62,495 62,424 62,494 63,1003 63,152 63,151 63,64 63,150 63,429 63,518 63,514 63,518 63,855 63,695 63,614
JZ
JR
Zbl.
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59,323
59,267
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60,188
60,448 60,378
60,268
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61,103
61,581 61,637
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62,714
62,65
62,289
62,149 62,148 62,224
62,370 62,715
63,291
63,67
63,304
63,605 63,684
63,268
571
Amtliche Sammlung Fundstellenverzeichnis (Fortsetzung) Amtl. Sammlung 18,349 18,381 19,85 19,170 19,177 19,196 19,367 20,5 20,20 20,34 20,78 20,95 20,143 20,157 20,203 20,219 20,222 20,227 20,232 20,234 20,264 20,384 21,12 21,62 21,66 21,70 21,154 21,218 21,288 21,303 22,19 22,22 22,41 22,48 22,103 22,113 22,187 22,219 22,232 22,268 22,278 22,297 23,1 23,8 23,79 23,82 23,122 23,176 23,221 24,3 24,11 24,26 24,40 24,165 24,332
572
Datum
20. 3. 63 15. 5. 63 9. 8. 63 6. 12. 63 13. 8. 63 24. 1. 64 22. 7. 64 19. 8. 64 4. 9. 64 23. 9. 64 27. 10. 64 17. 11. 64 19. 1. 65 29. 1. 65 2. 4. 65 5. 5. 65 7. 5. 65 11. 6. 65 29. 6. 65 6. 7. 65 4. 8. 65 31. 8. 65 2. 2. 66 23. 2. 66 25. 1. 66 4. 3. 66 14. 11. 66 14. 3. 67 8. 8. 67 19. 9. 67 6. 12. 67 13. 12. 67 16. 1. 68 30. 1. 68 12. 3. 68 2. 4. 68 26. 6. 68 30. 7. 68 30. 8. 68 30. 10. 68 15. 11. 68 18. 12. 68 13. 5. 69 21. 5. 69 23. 7. 69 2. 7. 69 15. 10. 69 21. 11. 69 27. 1. 70 3. 11. 70 11. 11. 70 19. 11. 70 8. 12. 70 3. 6. 71 19. 4. 72
Aktenzeichen 2StR 2ARs 4StR 2ARs 2ARs 1StR 2StR 3StR 4StR 2StR 1StR 1StR 1StR 2ARs 4StR 2StR 2StR 2StR 5StR 5StR 2StR 5StR 2StR 2StR 5StR 4StR 2StR 5StR 1StR 5StR 2StR 2StR 1StR 1StR 5StR 6StR 2StR 2StR 4StR 4StR 4StR 3StR 2StR 4StR ARs 4StR 2StR 3StR 1StR 1StR 4StR 2ARs 1StR 1StR 2ARs
577/62 66/63 188/63 220/63 172/63 297/60 247/64 30/64 326/64 185/64 358/64 442/64 497/64 368/64 101/65 66/65 92/65 187/65 228/65 229/65 282/65 645/65 471/65 15/66 533/65 27/66 361/66 540/66 279/67 456/67 616/67 548/67 604/67 319/67 722/67 153/68 277/68 136/68 335/68 281/68 190/68 297/68 616/68 446/68 201/69 226/69 334/69 249/68 591/69 473/70 66/70 270/70 333/70 189/70 79/72
NJW
MDR
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63,766 63,943 63,944 64,340 64,340 64,432 64,937 64,1020 64,938 65,59 65,57 65,149 65,398 65,404 65,497 65,757 65,676 65,756 65,839 65,925 65,920 66,161 66,429 66,688 66,517 66,521 67,139 67,603 67,941 67,1023
69,473
69,223
69,1582 69,2293 69,1820 69,2107 70,105 70,766 71,151
68,339 68,427 68,435 68,507 68,600 68,895 68,860
JZ
JR
Zbl.
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66,26
66,424 65,584 65,587 65,684
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67,249 67,468
68,214 68,146
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72,705
71,152
Entscheidungen des BGH Fundstellenverzeichnis (Fortsetzung) Amtl. Sammlung 24,360 25,38 25,44 25,52 25,85 25,176 25,263 25,309 25,321 25,355 26,67 26,152 26,162 26,191 26,204 26,278 26,352 26,375 26,391 26,393 27,25 27,100 27,108 27,117 27,176 27,187 27,189 27,207 27,231 27,250 27,287 27,295 27,329 28,29 28,327 28,351 29,33 29,67 29,216 29,230
Datum
21. 6. 72 25. 10. 72 8. 11. 72 15. 11. 72 15. 12. 72 11. 4. 73 18. 1. 74 24. 4. 74 19. 3. 74 23. 8. 74 29. 1. 75 27. 5. 75 27. 6. 75 25. 8. 75 1. 10. 75 13. 2. 76 4. 6. 76 2. 7. 76 25. 8. 76 7. 9. 76 20. 10. 76 12. 1. 77 26. 1. 77 9. 2. 77 4. 5. 77 17. 5. 77 18. 5. 77 22. 6. 77 3. 8. 77 19. 9. 77 12. 10. 77 13. 10. 77 23. 12. 77 3. 5. 78 21. 3. 79 16. 3. 79 26. 6. 79 17. 7. 79 13. 2. 80 25. 3. 80
Aktenzeichen 3StR 2StR 3StR 2ARs 2ARs 2StR 2ARs 2StR 5StR 2StR 2StR 5StR 2ARs 2StR 2ARs 2ARs 2ARs 2ARs 2ARs 1StR 2ARs 2StR 2StR 3StR 2StR 4StR 2ARs 2ARs 2StR 1StR 2StR 4StR 2ARs 3StR 2StR 2ARs 5ARs 1StR 3StR 5StR
24/72 422/72 210/72 300/72 340/72 42/73 369/73 69/74 12/74 298/74 579/74 115/75 137/75 309/75 289/75 395/75 179/76 195/76 291/76 511/76 347/76 662/77 650/76 382/76 9/77 102/77 170/77 108/77 318/77 451/77 410/77 451/77 415/77 143/78 743/78 70/79 59/78 298/79 5/80 36/80
NJW
72,1905
MDR
72,795 73,149
JZ
JR
Zbl.
73,96
73,154 73,204 73,523
73,206
74,708 74,1255
74,416 74,680
75,64 75,1469 75,1666 75,1846 75,2304 76,154
74,1033 74,579 75,769 75,856 75,1034 76,155
75,167 76,116
76,310
75,493 76,343 76,164
75,526
76,410 76,1646 76,1984 76,2356 76,2357
76,858 76,1034 76,1034
76,791
77,1070 77,816 77,964
77,508
77,808
77,2222 77,1973 77,2365 77,1029 78,229 78,384 78,835 78,1636 79,1941 79,1837 80,351
77,682 77,857
80,1533
76,650
76,544 77,299 77,259
77,128
78,175
78,143
79,82
78,369
77,226 78,159 78,242 78,329 78,680
78,835 78,534 79,483
79,691 79,523 80,262 80,415 80,593
80,419
573
Amtliche Sammlung Fundstellenverzeichnis (Fortsetzung) Amtl. Sammlung
Datum
Aktenzeichen
NJW
MDR
29,269 29,321 30,9 30,78 30,98 30,260 31,189
7. 5. 80 17. 9. 80 5. 12. 80 22. 4. 81 14. 5. 81 4. 11. 81 22. 12. 82
2StR 2StR 2ARs 2ARs 4StR 2StR 3StR
10/80 355/80 336/80 80/81 694/80 242/81 437/82
80,1967 81,692 81,1745 81,2422 82,454 83,948
81,335 81,886 81,775 82,244 83,336
31,255
24. 2. 83
1StR
821/82
83,2037
83,507
32,58
24. 8. 83
2ARs
251/83
84,745
84,68
32,330
6. 4. 84
2ARs
88/84
84,2541
84,658
32,357 33,94 33,285 33,326
23. 5. 84 11. 12. 84 25. 7. 85 10. 10. 85
3StR 102/84 5AR(VS)20/84 1StR 241/85 4StR 454/85
84,2711
84,767
86,732
34,355
21. 4. 87
1StR
87,2593
Amtl. Sammlung
Datum
35,143 35,267 35,288 36,27 36,37 36,97 36,270 36,294 36,338 36,348 36,378 36,384 37,34 37,75 37,162 37,231 37,298 37,373 38,96 38,102 38,369 39,49 39,92 39,353 40,1 40,138 40,336 40,395 41,97 41,288
15. 12. 87 28. 4. 88 17. 5. 88 15. 11. 88 6. 12. 88 1. 2. 89 12. 10. 89 31. 10. 89 19. 12. 89 18. 1. 90 20. 3. 90 20. 3. 90 2. 5. 90 21. 6. 90 29. 8. 90 22. 11. 90 23. 1. 91 25. 4. 91 29. 10. 91 30. 10. 91 28. 10. 92 24. 11. 92 9. 12. 92 20. 10. 93 23. 11. 93 3. 5. 94 15. 11. 94 25. 1. 95 15. 3. 95 18. 10. 95
574
Aktenzeichen
77,87
NJW
1StR 498/87 88,2747 4StR 33/88 88,2251 5StR 153/88 4StR 528/88 89,464 1StR 620/88 89,1490 StB 48/88 4StR 445/89 90,523 1StR 501/89 90,920 KRB 4/89 4StR 616/89 1StR 283/89 1StR 613/89 2StR 64/90 4StR 122/90 90,940 3StR 184/90 91,435 4StR 117/90 91,852 3StR 365/90 91,1692 4StR 89/91 92,1570 1StR 334/90 92,1116 2StR 200/91 92,519 3StR 367/92 93,803 5StR 500/92 93,866 3StR 434/92 93,1404 5StR 473/93 5StR 573/93 94,744 GSSt 2 u. 3/93 94,1663 1StR 461/94 95,1501 2StR 456/94 2StR 757/97 2StR 470/95 96,1007
JZ
80,769
JR
NStZ
80,659
81,481 82,123
81,717 82,573 83,507
StV 83,218 StV 83,264
81,115 82,415 82,119 83,218
84,447 84,493 84,428 84,447 86,27
StV 86,16 87,690
MDR
88,421 88,692 88,693 89,281 89,475
88,85 JZ
88,1036
90,170 90,265
JR
89,297 90,40 89,519 90,71
NStZ
StV
88,511 88,364 88,364 89,239 89,524
88,196 89,295 90,306 89,309 89,311
90,521
90,158
90,523
90,436 90,481
91,264 91,552 91,1188
91,424
92,393 93,165 93,378
93,539
94,298 94,700
94,1016
93,335 93,513
96,75 96,37 96,298
91,184 90,540
90,505 90,507
91,481 91,346 91,384 92,195 92,139 93,142 93,199 93,187
91,60 91,424 92,50 93,58 93,533
94,132 94,383 95,198
94,603 94,306
96,149
96,83
Entscheidungen des BGH Fundstellenverzeichnis (Fortsetzung) Amtl. Sammlung
Datum
41,310 41,315 42,39 42,46 42,73 42,107 42,294 42,299 43,36 43,62 43,67 43,79 43,112 43,153 43,171 43,195 44,43 44,153 44,219 44,256 44,308 44,328 44,361 45,164 45,203 45,342 46,1 46,178 46,238 47,62 47,116 47,311 48,1 48,134 48,275 48,252 48,331 49,90 50,267 50,275 50,284 51,34 51,136 51,191 52,124 52,165 52,316 53,169
9. 11. 95 14. 11. 95 31. 1. 96 20. 2. 96 7. 3. 96 27. 3. 96 6. 11. 96 14. 11. 96 26. 3. 97 24. 4. 97 29. 4. 97 30. 4. 97 26. 6. 97 17. 7. 97 24. 7. 97 28. 8. 97 25. 2. 98 29. 7. 98 3. 11. 98 17. 11. 98 17. 12. 98 23. 12. 98 11. 2. 99 30. 7. 99 23. 9. 99 8. 12. 99 10. 2. 00 26. 10. 00 22. 12. 00 27. 6. 01 26. 9. 01 23. 5. 02 4. 9. 02 19. 12. 02 23. 4. 03 5. 3. 03 26. 8. 03 3. 3. 04 2. 11. 05 9. 11. 05 25. 11. 05 9. 5. 06 25. 10. 06 9. 1. 07 17. 1. 08 12. 3. 08 13. 8. 08 29. 1. 09
Aktenzeichen 4StR 1StR 2StR 5StR 4StR 3StR 2StR 1StR 3StR 4StR 1StR 1StR 1StR 1StR 1StR 4StR 3StR 1StR 4StR 1StR 1StR 3StR 4StR 1StR 4StR 5StR 4StR 3StR 3StR 3StR 2StR 3StR 2ARs 1StR 2ARs 2ARs 5StR 1StR 4StR 4StR 2StR 1StR 2ARs 1StR GSSt 3StR 2StR 3StR
650/95 483/95 621/95 679/95 737/95 518/95 391/96 598/96 421/96 23/97 511/95 105/97 30/96 781/96 214/97 240/97 362/97 94/98 395/98 450/98 156/98 343/98 657/98 618/98 189/99 32/99 616/99 6/00 378/00 29/01 340/01 58/02 218/02 405/02 89/03 50/03 145/03 71/04 418/05 483/05 272/05 57/06 428/06 605/06 1/07 433/07 240/08 567/08
NJW
96,667 96,865 96,346 96,1763 96,2435 96,2107 97,471 97,472 97,1792 97,2335 97,2460 97,1993
MDR
JZ
96,509 96,188 96,729 96,726 96,838 96,621 97,185 97,184
JR
NStZ
96,382 96,279 96,390 96,448 97,33 96,349 98,53 98,355 97,506 97,562 97,511 97,384
97,3385 97,3180 98,2066
99,171
99,226 99,802 99,657 99,1644
99,379 99,302
99,2746 00,596 00,1274 00,1277 01,309 01,1359 01,3349 02,526 02,2483 03,370 03,1466 03,2252
00,262
04,375 04,1748 06,240 06,384 06,531 06,2275 07,447 07,1074 08,860 08,1752 08,3297 09,1760
04,737 04,687
99,340 00,339
01,388
03,215 03,423 04,81 05,31 04,392
06,209 06,523
08,416 08,1056
08,212 09,79 09,37
98,31 98,315 99,43 99,407
99,367 99,365
StV
96,206 96,274 96,247 96,354 96,355 96,363 98,323 98,344 97,450 97,507 97,460 97,349 98,134 97,564 92,562 97,583 98,322
99,304 99,74 99,526 99,529 99,473
00,160
01,107 01,265 01,552 02,213 03,47 03,221 03,365 04,400 04,218 05,166 06,298 06,155 06,156 06,518 08,693 07,520 08,234 08,416 08,696 09,654
02,349 02,401 03,272
05,70 06,398 06,66 06,67 07,6 08,116 07,181 08,133 08,281 09,94 09,400
575
Amtliche Sammlung
576
Sachregister
Einf I
Sachregister Sachregister Sachregister Abänderbarkeit der JG Maßnahmen: allg. Einf. II 22, 24; s. auch „Abänderung“. Abänderung v. Weisungen §§ 10, 1; § 11, 2; Verf.: § 65, 5; Zuständigk.: § 65, 2; Anfechtg.: § 65, 6; nach AO durch VormRi. § 53, 8; v. Auflagen § 15, 13; d. Bew.-Aufl. § 23, 5; d. Bew.-Planes § 60, 6; d. Maßnahme d. Erz.-Hilfe § 112 b, 12; v. Weisungen u. Auflagen, bei Soldaten §§ 112 a, 5; § 11, 3; § 15, 15; Anhörung d. Disziplinarvorgesetzten § 112 d. Aberkennung d. bürgerl. Ehrenrechte s. „Verlust d. Amtsfähigkeit“ Abführung d. Mehrerlöses § 6, 6. Abgabe d. Verf. bei Aufenthaltswechsel § 42, 10; nach Schuldspruch gem. § 27: § 62, 6; d. nachträgl. Verf. bei Weisungen u. Auflagen § 65, 2, 4; bei Trennungen vorher verbundener Verf. § 103, 13; s. a. „Übertragung“. – zwischen J- und Erw.Gerichten § 41, 23; bei sachl. Unzuständigk. § 41, 19; bei örtl. Unzuständigkeit § 33, 18; – d. Vollstr. § 85, 9, 13; Einfluss auf Ger.Stand § 42, 6. Abgrenzung von ErzM, ZuchtM und JStr. § 5, 6. Ablehnung d. Änderung v. Weisungen § 65, 8; d. vereinfachten JVerf. § 78, 12. Ablieferung von Gegenständen (auch Kfz) als Weisung § 10, 14. Abschreckung durch JStr. § 17, 1; § 18, 9. Absehen v. Zuchtmitteln u. JStr. Einf. II 6; § 5, 8; bei Unterbringung § 5, 2; § 93 a, 6; v. Widerruf d. StrAzBew. § 26 a, 7, 8; v. d. Einbeziehg. § 31, 19 ff; §§ 66, 6; v. Nebenfolgen § 106; v. d. Auferlegg. v. Kosten u. Auslagen § 74, v. notwendigen Auslagen § 74, 2, 8, 15; v. d. Verfolgg. § 45; § 109, 5; durch den StA § 45, 17 ff, 21 ff; durch den Richter § 45, 29 ff u. § 47; v. d. Vereidigg. § 49; v. d. Vollstr. d. JA-Restes § 87, 6; d. JA bei Soldaten § 112 c, 2; v. Widerruf d. Beseitigg. d. Strafmakels § 101, 4, 5. Absprachen im Strafprozess § 18, 6 d. Abstimmung zu § 105: § 105, 27; zur StrAzBew. § 57, 11; Reifegrad § 105, 27; s. a. „Mehrheit“. Aburteilung, gleichzeitige – bei Taten in verschiedenen Altersstufen § 32, 5; s. a. „Verbindung“. Abwägung d. Schweregewichts § 32, 4. Abweichung v. normalen Enwicklungsstand, Begutachtung § 73, 2; s. a. bei §§ 3, 43, 105; v. Verf. Vorschriften im vereinfachten JVerf. § 78, 18.
Adhäsionsverfahren gg. J § 81, gg. Hw. § 109, 9, 11. Adoleszenz als Reifestufe § 105, 11. Aids § 25, 4 a. Akten, Beiziehung z. Persönlichk.Erforschung § 43, 14; Beschlagnahme § 38, 19 a. Akteneinsicht, allg. Beschränkg. im JRecht Vor § 97, 27; Datenschutz Vor § 97, 28–31; Daten, SGB VIII u. JGH § 38, 7, 19 b; § 72 a, 1, 2; durch Beistand § 69, 8; Verteidiger § 68, 6; Vor § 97, 31; JGH § 38, 7; Versagung Vor § 97, 27 b aE; durch den Verletzten Vor § 97, 27 f. Alkohol Einf. I 48; und verminderte Schuldfähigk. § 3, 11, Nachschulung § 10, 14 aE; – im UHaftVollz. § 93, 6; Trunkenheitsfahrt als JVerfehlung § 105, 14 a; – als schwere Schuld § 3, 11. Allgemeines Strafrecht, Anwendbark. bei J § 2, 1; Vor § 33, 2; bei Hw. § 105, bei Verfehlungen in verschiedenen Alters- u. Reifestufen § 32, 2; Milderg. für Hw. § 106. Allgemeines Strafverfahrensrecht im Verf. gg. Hw. § 109. Allgemeine Strafsachen, J u. Hw. vor Ger., die für Erw. zuständig sind §§ 102 ff., 112, § 112 e. Allgemeine Vorschriften, Begriff der – § 2, 6. Alter Grenzen Einf. II 1; § 1, 7; zZ der Tat § 1, 8; Berechng. § 1, 10; Zweifel § 1, 11; zZ des Urteils § 1, 9; bei UHaft § 72, 7, 9; zZ d. Vollz. einer FreiheitsStr. § 114, 3, 6; einer JStr. § 89 b, 2; der UHaft § 93, 12; Bedeut. im GerVerfass.- u. VerfR § 33, 1, 12; Einfluss auf Kriminalität Einf. I. Diskussion um Strafmündigkeit Einf. II 34–36 – und Reife § 105, 11 aE – und Schuld § 17, 12; ErzGedanke u. Sühnebedürfnis § 18, 7 ff. Altersreife bei J § 3; bei Hw. § 105, 7; Reife allg. Einf. I, II; verfahrensm. Behandlg. d. Fehlens § 47, 10; Kosten § 74, 2, 5; Eintragg. i. ErzReg. Vor § 97, 8; keine Voraussetzung für FE u. ErzBeistandsch. § 12, 1. – iSd § 105 s. „Reifegradentscheidung“. Altersstufen § 1, 7 ff; Folgen rascher Einreihg. § 1, 12; s. a. „Reifegradentsch.“; Verfehlungen in verschiedenen –, Einheitsprinzip § 32; Verbindung der Verf. § 32, 6; Zuständigk. §§ 33, 39–41, 103. Altersunreife s. „Altersreife“. Ambulante intensive Begleitung § 10, 10 aE.
Abwendung d. Widerrufs d. StrAzBew. § 26 a, 8.
Ambulante Maßnahmen im JRecht Einf. II 18 u. bei den entspr. Vorschr., bes. § 10; § 45, 26, 32.
Abwesenheit d. Angekl. in d. Verh. § 50, 1; im vereinfachten JVerf. § 78, 20; im OWiG-Verf. § 50, 6.
Ambulante Untersuchung § 43, 15.
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Amn Amnestie § 31, 7, 18; – u. Aussetzg. d. Verhängg. d. JStr. § 27, 8.Amn Amtsanwalt im JVerf. § 36, 3. Amtshilfe s. bei Rechtshilfe. Amtsrichter als JRi.; Aufgaben § 34; Zuständigk. § 41, 7, 18; bei Hw. § 108, 2. Änderung des JGG und der RL, Aufstellung vor § 1. Sonst s. „Abänderung“; Denkschr. d. DVJJ 1977 Einf. II 40, 41; JHilfe-Entwürfe Einf. II 32 u. 33. Zum JGGÄndG u. Weiterentwicklung Einf. II 43, 44; § 45, 16; KJHG Einf. II 45. Zur Geltung in der ehem. DDR § 1, 6 ff u. bei den einzelnen Vorschriften. Anerbieten s. „Zusagen“. Anfechtbarkeit v. Entsch. allg. § 55; v. Urteilen § 55, d. Schuldspruchs nach § 27: § 63, 1; nach vereinf. JVerf. § 78, 21; bei falscher Einordng. in eine Altersgruppe § 1, 12; § 55, 10, 18; § 105, 29; bei Strafunmündigk. § 3, 19; wegen Nichteinbeziehung § 31, 19; d. Nebenentsch. bei StrAzBew. § 59, 4 ff., d. Widerrufs § 59, 5; bei Aussetzgg. d. Verhängg. d. JStr. § 63; v. nachträgl. Entsch. nach Weisungen u. Auflagen § 65, 8; v. vorl. Maßnahmen u. d. Haftbef. nach § 453 c StPO: § 61, 11; v. Entsch. im Vollstr. Verf. § 83, 3, 4; j. richterl. Entsch. § 83, 7; d. Entsch. über d. Beseitgg. d. Strafmakels § 99, 5 u. d. Widerrufs § 101, 7; der Zuständigk. § 33, 17, § 41, 33; vgl. auch bei den einzelnen Vorschriften. Anfechtungsberechtigte § 55, 2; § 67, 10. Anfechtungsrecht d. Verteidigers bei Unterbringg. § 73, 11. Angehörige, Anwesenh. i. d. Hauptverh. § 48, 12; als Zeugen § 48, 13; Ausschließung v. d. Verh. § 51, 6; s. a. bei § 67. Anhörung des BewH. § 25, 1; § 58, 4; s. a. d. “Helfers“; d. Disziplinarvorgesetzten § 112 d; § 43, 12; d. Erz-Ber. u. gesVertr. § 67, 6; § 43, 12; § 38, 19; s. a. § 45, 25; § 57, 6; § 58, 4; d. JHilfeBehörde § 43, 12; d. ges. Vertr. s. bei „ErzBer.“; d. Helfers § 43, 12; § 58, 4; s. a. bei „BewH“; d. JGH § 38, 4, 5, 17; s. a. § 78, 18; § 104, 5; d. J § 67, 5; s. a. § 57, 6, 8; § 43, 12; § 65, 5; § 88, 7; d. Ausbildenden § 43, 12; d. Ri. § 45, 17; § 87, 6; d. Sachverständigen § 73, 8; d. Schule § 43, 12; d. StA § 36, 2; s. a. § 57, 6; § 58, 4; § 65, 5; § 87, 6, § 88, 7; d. Verteidigers § 68; s. a. § 57, 6; § 73, 8; d. VollL § 88, 7; – S. a. bei d. einzelnen Entsch. „Gehör“. Anklage zu welchen Ger. §§ 41, 103; § 42, 7; JSchutzverf. 4 ff. Anklagebehörde § 46, 1, – Freiheit § 45, 1 ff. – Schrift (Inhalt, Fassg., Zustellg., Mitt.) § 46, u. RL, nach Ablehng. der Entsch. im vereinfachten JVerf. § 78, 15. Anlage (Umwelt u. Persönlichk.) Einf. I; § 43, 6. Anlagetäter § 105, 8.
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Sachregister Annahmeberufung § 55, 1. Anordnung v. ErzM § 5, 3; durch VormRi. § 53, im Verf. vor ErwG § 104 IV; s. a. „vorl. AO über d. Erz.“; v. Hilfen zur Erz. nach § 12: dort u. § 53, 7; bei Hw. § 104, 8, 9; § 112, 4; d. Beseitigg. d. Strafmakels s. Beseitigg. Anrechnung v. UHaft auf JStr. § 52 a, 12; auf JA § 52 a, 8; d. Haft nach § 453 c StPO: § 61, 14; v. Freiheitsentzug allg. § 52 a, 1; disziplinaren Arrestes bei Soldaten § 52 a, 1; § 112 a, 9. – von JArrest auf JStr. im Nachverf. § 30, 12; – erbrachter Leistungen § 31, 15, § 88, 3. Anschlussverfahren s. „Adhäsionsverfahren“. Anstalt, Bezeichnung d. – bei Untersuchg. § 73, 7; Reihenfolge für UHaft Vollz. § 93, 2; s. auch „Entziehungsanstalt“. Anstaltsfürsorge u. -Ordnung im JStr.Vollz. § 91, 2. Anstiftung § 1, 16; § 3, 9. Anti-Aggressivitäts-Training s. Anti-Gewalt-Training. Anti-Gewalt-Training § 10, 11. Antrag der JStA auf Entsch. im vereinfachten JVerf. § 78, 7. Antragsrecht d. ErzBer. oder ges. Vertr. § 67, 8. Anwendung v. J- oder allgR gg. Hw. § 105; Begründg. im Urteil § 54, 11; § 105, 28. Anwendungsbereich d. JGG: persönl. u. räuml. §§ 1, 112 a, 1–4; zeitl. § 116; d. einzelnen Maßnahmen d. JGG s. dort. Anwesenheit d. Angekl. i. d. Hauptverh. § 50, 1; § 105, 15, 26; § 109, 4; im OWiVerf. § 50, 6; der ErzBer. und gesVertr. in der Hauptverh. § 48, 7 u. 12; § 50, 7, § 67, 9; anderer Angehöriger § 48, 12; im vereinfachten JVerf. § 78, 18, 20; – des Zeugen § 48, 13; § 51, 9. – S. auch „Ausschließung“. Anwesenheitsberechtigte i. d. nicht öffentl. Verh. § 48, 7, 12, 13; § 51, 6, 10, 11. Anzeigeverhalten Einf. I 5 f. Arbeit, Einstellg. zur – als Reifeanzeichen § 105, 7; im JAVollz. § 90, 9; bei UHaft § 121, 2; Arbeitsweisung § 10, 9; Haftpflicht u. Unfallversicherg. § 10, 22; RL 5; im formlosen Erz. Verf. § 45, 26, 30. Arbeitseinkommen, bestimmte Verwendg. als Weisung § 10, 14 a. Arbeitsleistungen § 10, 9; § 15, 8 c; § 45, 30. Arbeitslosigkeit Einf. I 47; bei Weisungen 10, 8 a; bei JA § 16, 16. Arbeitsschutzgesetz § 10, 9 d; § 91, 5; § 93, 5 aE. Arrest s. „Jugendarrest“; disziplinarer Arrest; „Anrechnung“. Aufenthalt, Ger. Stand d. – § 42, 5; Weisung, bestimmten – zu nehmen § 10, 8. Aufenthaltswechsel, Abgabe des Verf. § 42, 10; § 108, 6; § 65, 2; s. a. §§ 58 II (ggf. i. V. m. §§ 88 V, 89 III), 85 III.
Ban
Sachregister Aufhebung v. einzelnen Maßnahmen d. JGG s. dort.
Auslieferungsrecht u. Einheitsstr. § 31, 4, 20.
Aufklärung z. Person § 38, 11; § 43, 1 ff; § 44, 2.
Auslosung d. JSchöff. §§ 33, 9 a; § 35, 3.
Aufklärungspflicht b. Persönlichk. Erforsch. § 43, 4; § 38, 19; Untersuchg. durch Sachverständigen § 43, 9, 15; im vereinfachten JVerf. § 78, 20.
Ausnahme vom JStr. Vollz. § 92, 5; § 83, 6; § 85, 4, 6 (auch Zuständigk., Verf., BeschwWeg).
Auflagen Begriff § 15, 1; bei Hw. § 15, 2; § 105, 21; bei Soldaten § 112 a, 5 (s. § 112 d, 1); Form der Entsch. § 13, 4; im formlosen j. richterl. Erz. Verf. § 45, 17 ff.; durch StA § 45, 21; als Bew.-Aufl. § 23, 2; § 88, 16, 22; Nachträgl. Änderg., Befreiung § 15, 13; bei Soldaten § 15, 15; § 112 a, 5; bei Bew.-Aufl. § 23, 5; § 88, 16, 22; Überwachung § 15, 14; § 38, 15; Nichterfüllung § 15, 13; § 65; Vollstreckung § 82, 5; Wiedergutmachung § 15, 3; Urteilssatz § 54, 4.
Aussagegenehmigung f. BewH § 25, 9.
Auflage bei ErzHilfe § 112 b, 7; s. a. „Arbeits-“, „Bew.-“ und „Geldauflage“. Auflegung d. Vorschlagslisten d. J-Wohlfahrtsausschusses § 35 III S. 3, 4. Auflockerung d. Verfolgungszwanges § 45. Aufrechnung (wechselseitige Beleidigg. u. Körperverletzung) § 1, 15; § 3, 9. Aufschiebende Wirkung der Beschw. s. bei den einzelnen Vorschriften; bei Unterbringg. z. Beobachtung § 73, 8; bei Widerruf d. Bew. § 26 a, 13. Aufschub d. JA Vollstr. § 87, 4. Aufsicht durch BewH § 25, 5; durch JGH § 38, 15; Betreuungsweisung § 10, 10; RL 2; bei Soldaten § 112 b, 15; (beachte § 112 d, 5). Ausbildung d. hauptamtl. BewH § 25, 11; d. JRi u. JStA § 37, 4, 8. Ausbildungsleiter, Anhörg. § 43, 12. Ausbleiben von der Verhdlg., § 1, 3; § 2, 5; § 55, 4; § 78, 17; von Eröffnung des BewPlanes § 60, 7. Ausfall eines JSchöff. § 35, 3. Ausfertigung d. Urteils z. Vollstr. Vor § 82, 4. Ausgangssperre bei ErzHilfe § 112 b, 7. Aushändigung d. BewPlanes § 60, 7 (ggf. i. V. m. § 64 S. 1). Auskunft aus dem Erz.- u. Zentralregister Vor § 97, 9, 23. Auskunftsrecht des BewH § 25, 10. Auslagen, Kosten u. – d. Verf. § 74; im Verf. zur Beseitigg. d. Strafmakels § 99, 7. Ausland, JStrafrecht im Einf. II 51. Ausländer, Einf. I 17; Kriminalität I 17, 18; Ursachen I 19; Vorverfahren, JGH, Polizei I 20; Hauptverhdlg., Dolmetscher, Verteidiger I 21; Sanktionen I 22; Vollzug I 23; Geltg. des JGG § 1, 5 ff; § 2, 8.
Aussage gegen Aussage Anh. § 125, 9 b. Aussageverweigerungsrecht J-Schutzverf. 10; d. BewH § 25, 9; d. J-Gerichtshelfer § 38, 14; bei drohender Verhängg. von ZuchtM. § 13, 5. Ausschließung v. d. Verh.; d. Angeklagten § 50, 3; § 51, 3; v. Angehörigen § 51, 6; v. Anwesenheitsberechtigten § 48, 12, 13; § 51, 6; von Zeugen § 48, 13; § 51, 9. Ausschluss d. Öffentlichk. § 48; v. Vorschriften d. allgVerfR §§ 79 ff. Ausschluss von Richtern § 33 Vorb. 4. Aussetzung d. Hauptverh. § 67, 16. Aussetzung z. Bew. im Vorverf. s. „Vorbewährung“; im Zwischen- u. Hauptverf. bis z. Urteil § 45, 35; § 47, 11; auch § 57, 4; d. JA (nein) § 87, 3; s. a. „- d. JStr.“ u. d. „- d. Verhängung d. JStr.“. Aussetzung d. JStr. z. Bew. §§ 21–26, 57–61. Abgrenzung z. Aussetzung d. Verhängung § 27, 2; Einbeziehg. § 31, 22 g, 24; bei Hw. § 105, 21; BewZeit, -Aufl., -Hilfe §§ 22–25; Erlass d. JStr. § 26 a, 14; Widerruf § 26 a, 2; Abwendg. durch andere Maßnahmen § 26 a, 8; vorl. Maßnahmen u. Haftbefehl § 61, 7; Einl. d. Vollstr. § 26 a, 13; Rückerstattg. v. Leistungen § 26 a, 11; Verf. § 57, bei nachträgl. Entsch. § 58; Anfechtg. § 59; Verschlechterungsverbot § 55, 31; § 59, 10; BewPlan § 60. Aussetzung d. Verhängung d. JStr. §§ 27–30, 62– 64. Wesen, Bedeutg., Anwendungsbereich (bei Hw. § 105, 21; durch JRi. § 27, 11); Voraussetzungen (bei Amnestie § 27, 8); Verhältnis z. JStr. § 17, 19; zu Maßregeln, Nebenstr. u. -folgen § 27, 1; Anrechnung v. UHaft § 27, 10; Einbeziehg. § 31, 15; aber 22 g; Verbindungsmöglichk. § 27, 12; Nachträgl. Entsch. Inhalt, Grundlage, Bindg. § 30. Nebenentsch. (BewZeit § 28; BewAufl., BewAufsicht, BewH § 29); Verf. u. Entsch. § 62; Anfechtbark. § 63; BewPlan § 64; Verschlechterungsverbot § 55, 27; Rechtskraft d. Schuldspruchs § 27, 3; Zentralregister Vor § 97, 18. Aussiedler, j. Einf. I, 23 a. Auswahl v. ErzM durch VormRi. § 53; unter mehreren GerStänden § 42, 7; § 36, 2; § 108, 4. S. a. “erz. Befähigung“. Ausweisung § 85, 19 aE.
Auslandstaten, Geltg. des JGG § 1, 5; zum IRG v. 23. 12. 82: § 1, 5.
Bagatell-Sachen, Einstellg. § 45, 10 a; keine ZuchtM § 13, 3; keine Aussetzg. d. Verhängg. d. JStr. § 27, 7.
Auslegung d. JGG Einf. II; d. Str.-Tatbestände bei J u. Hw. § 2, 7.
Bandenbildung als jgem. Verhalten § 105, 6 c, 9; Einf. I 19 ff.; 39 fBan
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Bea Beamtenkonferenz § 88, 11.Bea
Sachregister Berufungsurteil, Anfechtbark. § 55, 17.
Beamtenrecht § 17, 10 a.
Beschlagnahme von JAmtsakten § 38, 19 a.
Bedingte Verurteilung § 27; s. a. „Aussetzung d. Verhängung d. JStr.“.
Beschleunigtes Verfahren bei J § 79, 1; bei Hw. § 109, 9; – Keine Abgabe § 42, 11.
Beeidigung s. bei „Vereidigung“.
Beschleunigung d. JVerf. Einf. II, 25; § 38, 4; § 43, 16; § 45, 12 a; § 55, 1; RL 1; § 72, 4, 12; § 78, 18; Vor § 82, 3.
Beendigung s. „Ende“. Befähigung z. JSchöff-Amt § 35, 3; s. a. „erz. Befähigung“. Befehl bei der ErzHilfe § 112 b, 5. Befreiung v. einer Weisung § 11, 3; Auflage § 15, 13; BewAufl. § 23, 5. Beginn der BewZeit § 22, 2; der Unterstellungszeit § 25, 1 u. 1 a; der ErzHilfe § 112 b, 6. Begnadigung s. „Gnadenwesen“. Begründung v. „Urteilen“ s. dort. Begünstigung § 1, 16; § 3, 9. Behandlung im JA Vollz. § 90; im JStr. Vollz. § 91; im Vollz. d. UHaft § 93; in d. Entziehungsanstalt § 93 a. Beharrlicher Verstoß § 26 a, 4. Beihilfe § 1, 16; § 3, 9; § 18, 6 a. Beijinger Grundsätze s. „Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen“. Beistand Stellg., Befähigg., Auswahl u. Bestellg., Aufgaben, Rechte § 69; § 55, 2 a; Ausschließg. v. d. Verh. § 51, 6; Mitwirkg. im Vollstr. Verf. § 83, 7; s. a. „Rechtsbeistand“. Bekanntmachung, öffentl. § 6, 15; d. Urteils § 54, 18. Belehrung bei Erteilg. v. Weisungen § 11, 6; über Zweck d. JStr. § 17 RL 2, über BewPlan § 60, 7; § 64, 2; s. a. „Rechtsmittelbelehrg.“.
Beschluss, Einbeziehg. eines – § 31, 27; nachträgl. Einbeziehung durch – § 66, 8; Einstellg. d. Verf. durch – § 47, 14; Aussetzg. z. Bew. § 57, 2; – über Änderg. v. Weisungen u. Auflagen § 65; im Vollstr. Verf. § 83, 7; über Entlassg. z. Bew. § 88, 7; über d. Beseitigg. des Strafmakels § 99, 1 u. dessen Widerruf § 101, 7; s. a. bei den einzelnen Vorschriften. Wiederaufnahme gegen – § 55, 49; Geltung des Verschlechterungsverbotes § 55, 45. Beschlussverfahren über d. StrAzBw. § 57, 2, 5. Beschränkte Auskunft s. „Führungszeugnis“. Beschuldigtenvernehmung s. „Vernehmung“. Beschwerde, Zuständigk. d. JK § 41, 36; d. RevGer. § 59, 11; gg. AO d. Teilvollstr. § 56, 7; gg. vorl. Maßnahmen u-. Haftbef. gem. § 453 c StPO: § 61, 9; gg. nachträgl. Entsch. über Weisungen u. Auflagen § 65, 8; bei § 47: § 47, 14; bei Pflichtverteidigerbest. § 68, 7; bei Unterbringg. z. Beobachtg. § 73, 10; gg. jrichterl. Entsch. nach § 83: § 83, 7; bei ErzHilfe § 112 b, 14; s. a. bei den entspr. Entsch. Beschwerdeweg im Vollstr. Verf. § 83, 3, 7; im JA Vollz. § 90, 13; im JStr. Vollz. § 92, 3; nach Ausnahme vom JStrVollz. § 92, 6; § 83, 6, 7; psychiatr. Krkhaus u. Entziehungsanstalt § 7, 2 aE. Beseitigung d. Strafmakels durch Richterspruch §§ 97–101, 111, 119.
Beleidigung s. „Aufrechnung“.
Besetzung d. JG § 33, 9; im JSchutz-Verf. 4.
Benachteiligung J u. Hw. ggü. Erw., s. „Schlechterstellung“.
Besonderer Vollstreckungsleiter § 85, 2.
Beobachtung s. „Unterbringg. z. -“.
Besserungszweck d. Str. § 17, 1.
Berechnung d. Lebensalters § 1, 10; d. JStr., des JA Vor § 82, 5; d. BewZeit § 22, 2.
Bestellung eines Beistandes § 69, 4; eines Pflegers § 67, 16; eines Verteidigers § 68, 4 ff.
Bereitschaft d. J z. Einhaltg. d. Weisung § 10, 3.
Bestimmtheit des Inhalts der Weisungen § 10, 3.
Bericht d. JGH nach Ermittlg. § 38, 12 ff; (einschl. proz. Verwendg., Einsichtsrecht usw.), nach Überwachg. § 38, 15; des BewH § 25, 2.
Besuche im Vollz. d. UHaft § 93, 8.
Berichterstattung durch Presse u. Rundfunk § 48 RL S. 3, 4. Beruf Einf. I 34. Berufsausbildung d. J, Ermittlg. § 43, 6. Berufsverbot als Weisung, nein § 10, 6; bei J nicht § 7, 1; auch § 68, 18. Berufung, Zulässigk. § 55, 8, 13; bei StrAzBew. § 59, 1, 2; Zuständigk. bei – gg. Urteile d. JRi. u. JSchöffG § 41, 36; nach Wegfall einer Verbindung § 103, 15, 17; s. bei den einzelnen Entsch. u. unter „Rechtsmittel“.
580
Besoldung während der ErzHilfe § 112 b, 7.
Betäubungsmittel s. Drogen. Betäubungsmittelgesetz Zurückstellung u. Absehen § 17, 23 ff; § 45, 43 ff. S. auch Drogen. Beteiligte, Anwesenheitsrecht Ausschließg. v. d. Verh. § 51, 6.
§ 48,
12,
13;
Betreuung allg. durch JGH § 38, 4 b ff u. 16; durch BewH § 25, 4; bei ErzHilfe § 112 b, 6. Betreuungshelfer § 10, 10; § 43, 12; § 48, 12; § 50, 14. Betreuungsweisung § 10, 10 u. 10 a; § 17, 22 a; nicht bei § 45: § 45, 32. Betrieb d. Vollstr. § 82 Vorb. 1.
Ein
Sachregister Bewährung, Möglichk. § 21, 1. „Aussetzg. d. JStr.“ z. – §§ 21 ff., „Aussetzg. d. Verhängung d. JStr.“ §§ 27 ff. s. dort; bei Soldaten § 112 a, 7. Nach Einbeziehg. in Einheitsstrafe § 31, 17; s. auch „Vorbewährung“. Bewährungsauflagen § 23; Ungehorsam gg. – § 26 a, 4, 5; Überwachung § 23, 9; Besonderheiten bei Aussetzg. d. Verhängg. d. JStr. § 29; Verf. § 58, 1; § 62, 2; Anfechtg. § 59, 6; § 63, 4; bei Entlassg. z. Bew. § 88, 8. – Verschlechterungsverbot § 55, 31. Bewährungsaufsicht, allg. § 25; Organisatorisches § 113; Stellg. d. Ri. § 25, 1; bei Aussetzg. d. Verhängg. d. JStr. § 29, 1; bei Entlassg. z. Bew. § 88, 8. Bewährungshelfer, Organisation: § 113; Büro § 25, 11; Beziehungen zu Behörden usw. § 25, 8; Verhältnis z. JGH § 38, 15; Stellg. z. Ri. § 25, 1 a; s. a. § 23, 3; § 58, 4; hauptamtl. u. ehrenamtl. – § 25, 12; § 59, 7; Soldat als – § 25, 14 f; vgl. § 112 d; Anwesenheitsrecht in der HVH § 48, 12; § 50, 14; § 51, 9; Eintragung des Namens in BewPlan § 60, 2; Pflichten § 25, 2–4, 9; kein Zeugnisverweigerungsrecht § 25, 9; Rechte § 25, 10; § 93, 7 a; Hilfstätigkeit § 25, 4; s. a. BewHilfe.
Bürgerliche Ehrenrechte s. Verlust der „Amtsfähigkeit . . .“. Büro des BewH § 25, 11. Buße Geldaufl. als – § 15, 10. S. bei „ZuchtM“. Bußgeldverfahren s. Ordnungswidrigkeit. Datenschutz Vor § 97, 28–31; § 25, 9; § 38, 19 b; § 70, 3. Dauer d. BewZeit: f. StrAzBew. u. Entlassg. z. Bew. § 22 (i. V. m. § 88 V 2); Aussetzg. d. Verhängg. d. JStr. § 28; der Unterbringg. § 73, 5; der Weisungen § 11, 1; der Betreuungsweisung § 10, 10 aE; § 11, 1 aE; beim sozialen Trainingskurs § 10, 11 a aE; § 11, 1 aE; s. auch „Unterstellungszeit“ § 24, 1 u. 1 a. Dauerarrest § 16, 18. Dauerdelikt § 31, 2; bei verschiedenen Alters- u. Reifestufen § 32, 14; § 1, 8; § 3, 5. Dauerverbrechen s. „Dauerdelikt“. DDR s. „Neue Bundesländer“. Dienstaufsicht über BewH § 25, 1. Dienstaufsichtsbeschwerde gg. Einstellg. d. Verf. § 45, 40; § 80, 3; gg. Vollzug § 83, 3.
Bewährungshilfe § 24 f.; bei Soldaten § 25, 13; bei Aussetzg. d. Verhängg. d. JStr. § 29; bei Entlassg. z. Bew. § 88, 8.
Dissoziation der Reife Einf. II 1.
Bewährungsplan § 60; Verf. § 58, 2; Zuständigk. § 60, 11; – bei Aussetzg. d. Verhängg. d. JStr. § 64. Keine Vorführung z. Aushändigung § 60, 10.
Disziplinarvorgesetzter, Anhörung, Nichtanhörung § 112 d; s. a. § 43, 12.
Bewährungszeit § 22; s. a. § 26 a, 2; Verf. Anfechtg. § 58; – bei Aussetzg. d. Verhängg. d. JStr. § 28; § 62, 2. Wirkg.: Beschränkg. d. BewAufl. § 23, 4; Ruhen d. Vollstr.- bzw. Verfolgungsverjährg. § 22, 5; § 28, 1; ggf. Absehen von der Einbeziehung § 31, 22, 22 g; – Verschlechterungsverbot § 55, 31. S. auch „Unterstellungszeit“. Beweisanträge, Ablehng. im vereinfachten JVerf. § 78, 20.
Disziplinarrest s. „Anrechnung“. Disziplinarmaßnahmen im JAVollz. § 90, 11. Folgen
d.
Diversion § 45, 4 ff. Meinungsstreit § 45, 6 ff.; Rechtsfragen § 45, 11 ff. Vgl. auch „Jugendstaatsanwalt“ aE. Diversionstag § 45, 12 a. Dolmetscher Einl. I, 21; § 68, 6. Drogen Einf. I 48–51; Alkohol Einf. I 48; Einzelhinweise auf Ausführungen im Zusammenhang mit Drogen Einf. I 51 b. Drogenkonsum Einf. I 51 a aE.
Beweisaufnahme über JGH Bericht § 38, 13; im vereinfachten J-Verf. § 78, 20; s. a. „Bindung“.
Dunkelfelduntersuchungen Einf. I 5.
Beweismittel, Angabe im Bericht der JGH § 38, 12; Sachverständiger als Zeuge über Bekundungen des Untersuchten JSchutzverf. 16.
Ehe, Bedeutung für die Altersreife § 105, 6, 7. Ehrenamtlicher Bewährungshelfer Bestellg. § 58, 1.
§ 25,
12;
Ehrenrechte s. „Verlust d. Amtsfähigkeit . . .“.
Bezirksjugendrichter § 33, 10; zugleich Vorm. Ri. § 34, 3.
Eid s. „Vereidigung“.
Bielefelder Informationsmodell § 45, 12.
Eidesmündigkeit u. Altersreife § 3, 14.
Bindung im Nachverf. an Schuldspruch § 30, 2; bei Einbeziehung § 31, 12; des VormRi. nach Überweisg. § 53, 7, 8; im Rechtsmittelverf. § 55, 12 (s. a. 6); an frühere Entsch. nach § 105: § 105, 30.
Eigenständigkeit d. JR Einf. II 3; des JGerichts § 33, 1; d. JStr. § 17, 1.
Binnenschiffahrt, Zuständigkeit § 42, 2 a.
Einbeziehung § 31, 3, 5; einer ErwStraftat § 32, 5–7; „Gesamtfreiheitsstrafe“ durch Einbez. einer JStrafe § 32, 8–12; auch § 105, 25; nachträgl. – § 66; Absehen v. d. – § 31, 21; § 66, 6; Urteilsfassung § 54, 8; s. a. „Einheitsstrafe“.Ein
Bundesgerichtshof, Zuständigkeit § 102, 1. Bundeswehr s. „Soldaten“. Bundeszentralregistergesetz Vor § 97 u. bei den einzelnen Vorschr. sow. §§ 97–101.
Eignung f. d. JStr. Vollz. § 114 RL 1; s. a. „erz. Befähigg.“.
581
Ein
Sachregister
Einfluss auf Lebensführg. durch Weisungen § 10, 3. Einheit, Grundsatz d. – von JRi. u. VormRi. § 34, 3. Einheitsprinzip s. „Einheitsstrafe“, hung“.Ein – in der Vollstr. § 82, 1.
„Einbezie-
Einheitsstrafe §§ 31 f., 66; Bedeutung § 31, 1; Geltungsbereich § 31, 1 ff., 25, 26, 27; § 45, 41; s. a. § 66, 12; § 105, 25; § 32, 5; Zuständigk. § 41, 41; gleichzeitige Aburteilung § 31, 3; § 32, 1; getrennte Aburteilung § 31, 5, 21; § 32, 5; nachträgl. Bildung § 66; EinheitsJStrafe durch Einbez. einer ErwStraftat § 32, 5–7; „Gesamtfreiheitsstrafe“ durch Einbez. einer JStrafe § 32, 8–13, auch § 105, 25; § 109, 13; § 31, 25; § 66, 12; Wirkungen § 31, 17, 18; im Rechtsmittel- u. Wiederaufnahme Verf. § 55, 6; Teilvollstr. § 56 – u. Amnestiegesetz § 31, 7, 18; Anfechtbark. § 31, 19. – Verschlechterungsverbot § 31, 19. Wirkung des Auslieferungsrechts § 31, 4, 16, 20. Einfluss auf lfd. Bew. § 31, 15. – S. auch „Einbeziehung“ und Rückfall oder Sicherungsverwahrung § 31, 18; – und Führungsaufsicht § 7, 11; Zuständigkeit § 41, 41. Einigungsvertrag § 1, 6 ff. u. bei den einzelnen Vorschriften. Einleitung der Vollstr. Vor § 82, 4, § 84; § 85 RL I, II; nach Widerruf d. StrAzBew. § 26 a, 13. Einsicht in d. Akten durch JGH § 38, 7; Verteidiger § 68, 6; auch OpferschutzG § 80, 14, 15; Vor § 97, 27 f; s. auch „Akteneinsicht“; in d. Ermittlungsbericht der JGH § 38, 13; in d. Vorschlagsliste z. JSchöffWahl § 35 III 3. S. auch „Datenschutz“. Einsichtsfähigkeit § 3, 4; Behandl. i. d. Urteilsgründen § 54, 14. Einspruch gg. JSchöff-Vorschlagsliste § 35 IV. – gegen Strafbefehl § 109, 12. Einstellung d. Verf. bei Unzuständigk. d. JGer. § 33, 18; wg. fehlender StrMündigk. § 1, 14; mangels Altersreife § 3, 7; § 45, 1; § 47, 10; bei Betäubungsmittelabhängigen § 45, 43 ff; wg. Fehlens einer strafb. Handlg. oder mangels Beweises § 45, 1; aufgrund des Opportunitätsprinzips des allgR § 45, 3; § 47, 4; bei Hw. § 109, 5; aufgrund des Subsidiaritätsprinzips des JR § 45, 4; § 47, 5; im Verf. zur Beseitigg. d. Strafmakels § 99, 2. Einstweilige Unterbringung in einem ErzHeim § 71, 2; zur Abwendg. d. UHaft § 71, 1, 3, 4; § 72, 3. Einteilung d. Delikte § 4, 1. Eintragung in Erz Rg. u. Zentralkartei Vor § 97. Einvernehmen nach KJHG § 10, 14 b; bes. § 12, 6. Einweisung in d. JA-Anstalt § 85, 2; in d. JStr.Anstalt § 85, 3. Einzelunterbringung im JA Vollz.; § 90, 8; im Vollz. d. UHaft § 93, 6. Einziehung § 6, 6; § 55, 18. Elektronische Fessel § 10, 8; § 23, 2.
582
Eltern Einf. I 29 ff.; ErzFehler Einf. I 30; Straffälligkeit Einf. I 31; des Hw. § 38, 19; vgl. auch § 67; s. ErzBerechtigte. Ende d. BewZeit § 22, 2 (i. V. auch m. § 28, 1; § 88, 8); d. ErzHilfe § 112 b, 8. Endtermin bei Weisungen § 11, 1; § 54, 4. England, JStrafrecht Einf. II, 51. Entbindung d. Arztes v. d. Schweigepflicht § 67, 4; JSchutzverf. 17. Entfernung d. Angekl. aus d. Verh. § 51, 1; s. a. „Ausschließung“. Entgelt d. Tat, Entziehg. durch Geldaufl. § 15, 11; s. § 6, 7. Entlassung z. Bew. bei JStr. § 88 (Voraussetzungen 1 ff, Verf. 11, 12, Nebenentsch., BewAufsicht, BewH 13); Behandlg. im Zentralregister Vor § 97, 17; Einbeziehung § 31, 7. Entlassungsfürsorge s. allg. „fürsorgerische Betreuung“. Entlassungsvorbereitung § 88, 13. Entlastung des VollstrLeiters durch Rechtspfleger Vor § 82, 8, FN 1. Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen § 47, 14 a; § 72, 17; d. Verletzten § 15, 3; Verf. z. – § 81; bei Hw. § 109, 9, 11; des ErzBer. u. ges. Vertr. § 50, 7. Entschuldigung § 15, 9; s. bei „ZuchtM“. Entwicklung der J u. Hw. Einf. II 1. Entwicklungsmängel bei Hw. § 105 RL 1; unbehebbare § 105, 13. S. auch „Entwicklungsstörung“. Entwicklungsstand, Ermittlg. § 43, 5; Unterbringg. z. Beobachtung d. – § 73; Bedeutung bei d. Auswahl v. Weisungen § 10, 4; allg. s. § 1, 8; s. a. „Alter“ u. ff. Stichworte. Entwicklungsstörung (krankh.bedingte) § 3, 10. – S. auch „Entwicklungsmängel“. Entwicklungstäter Einf. I 28; § 105, 8. Entziehung d. Fahrerlaubnis § 7, 13; § 3, 19; Zuständigk. § 41, 7, 15; Verhältnis zu ähnlichen Weisungen § 10, 14; Nachschulung § 10, 14; Verbot d. Schlechterstellg. § 55, 35; – d. Jagdscheines § 6, 6; d. Rechte d. ErzBer. u. ges. Vertr. § 67, 13. Entziehungsanstalt, Absehen von – § 5, 2; § 7, 6; Voraussetzungen § 7, 4; auch § 10, 18, Vollzug und Therapie § 93 a. – nicht im vereinf. JVerf. § 78, 3. Entziehungskur § 10, 18–19 b; s. auch „Urinprobe“ und „HIV-Infizierte“. Entzugserscheinungen bei Drogenabhängigen § 3, 11 b. Episode Einf. I 5; 12 aE; 13. Erbieten zu Leistungen s. „Zusagen“. Ergänzung rechtskräftiger Entsch. bei mehrfacher Verurteilg. § 66; v. Weisungen § 11, 2, 3.
Fah
Sachregister Erlass der JStr., Voraussetzg. § 26 a, 14; Verf. § 58, 1; Anfechtg. § 59, 8; Beseitigung d. Strafmakels bei – § 100; Einfluss auf GerStand § 42, 6. Erledigung, vollständige – v. Maßnahmen, Schuldspruch u. JStr. § 31, 7; § 66, 2. Ermahnung, Unterschied zur Verwarnung § 14, 1, 5; im formlosen jrichterl. ErzVerf. § 45, 26; bei Zuwiderhandlg. gg. Weisungen § 11, 4. Ermessen bei JStrAzBew. nein § 21, 9; § 57, 3; b. Entlassg. z. Bew. § 88, 5, 7; b. Ausnahme v. JStrVollz. § 92, 6; b. Milderg. d. allgR gg. Hw. § 106, 4 (nicht b. Reifegradentsch.: § 105, 18, 27); bei Beseitigung d. Strafmakels § 97, nicht bei § 100; s. a. bei den einzelnen Entsch. Ermittlungen zur Person, der JGH § 38, 11 (bei Hw. § 38, 17, 19); Umfang § 43, 1, 9; s. a. § 112 d, 6; zur Frage des Straferlasses § 26 a, 1; wesentl. Ergebnis der – in d. Anklageschrift § 46, 1. Ermittlungsbericht d. JGH u. Verwertg. § 38, 13. Ermittlungshilfe durch JGH § 38, 11, 17. Ermittlungsverfahren §§ 43 ff; z. Beseitigg. d. Strafmakels § 98, 3 ff. Eröffnungsbeschluss Prüfg. § 47, 3; Wg. Zuständigk. s. § 41, 19; § 42, 8.
Erziehungsbedürftigkeit § 5, 1, 3; § 9, 3; § 10, 3. Erziehungsbeistand § 12, 2–4; Anwesenheitsrecht in der HVH § 48, 7; § 51, 6; Verkehr mit dem verhafteten Besch. § 93, 7 a. Erziehungsbeistandschaft § 12, 2–4; nicht bei Hw. § 105, 20; § 12, 8; bei Soldaten § 112 a, 1 a; Vollstr. § 82, 4; Ruhen § 8, 6. – S. auch „ErzM“. Erziehungsberatungsstellen bei Heilerz. § 10, 15; bei Ermittlg. § 43, 12, 15. Erziehungsberechtigter, Begriff § 67, 1; Ausübg. der Befugnisse bei mehreren § 67, 3; – Rechtsstellung allg. § 67; bei polizeilicher Vernehmung des J § 67, 19 f; im vereinfachten JVerf. § 78, 20; im VollstrVerf. § 83, 7; vor ErwG § 104, 5; bei Hw. nicht § 67, 18. – Rechte § 67, 5, 13; Anwesenheit i. d. Verh. § 48, 12; § 50, 7; Ausschließg. § 51, 6; Anhörg. im Vorverf. § 43, 12; bei Hw. § 38, 19; Einwilligg. in Weisungen § 10, 8, 11 b, 16, 20; Ladung § 50, 7; Mitt. § 67, 11; s. § 70, Anfechtungsrecht § 55, 2, 4, 19; § 67, 10; Entziehg. d. Rechte § 67, 13. S. auch „Eltern“. Erziehungscharakter d. ZuchtM § 13, 2. Erziehungsfähigkeit § 9, 3; § 10, 3. Erziehungsgedanke, Einf. II 4–10.
Ersatz v. Schaden § 15, 3; § 81; d. notwendigen Verteidigungsauslagen § 74, 2, 5, 7; eines wegfallenden JSchöff § 35.
Erziehungsheim für einstweilige Unterbring. § 71, 2.
Erstbericht des BewH § 25, 2.
Erziehungskurse s. soziale Trainingskurse.
Erwachsenengericht §§ 102–104, 112, 112 e. Beachte Hinweise nach d. GesText jeder Vorschrift. Zuständigk. gg. J u. Hw. § 103, 3; Verf. gg. J § 104, gg. Hw. § 112, gg. j. u. hw. Soldaten § 112 e; wegen der Einzelfragen s. bei den einzelnen Vorschriften z. B. JGH § 104, 5; Zuständigk. § 41, 5, 12; § 103, 6; § 104, 2; Persönlichk. Erforschg. § 43 RL 9, § 104, 5. Vernehmg. § 44 RL 1 S. 2, Verfolgungszwang §§ 45 RL 5, 47 RL 3, Öffentlichk. § 48, 3; Überweisg. an VormRi § 104, 8; Rechtsmittelbeschränkg. § 55 RL 3; StrAzBew. § 58, 8; Erz.Ber. u. ges. Vertr. § 104, 5; notw. Verteidigg. § 104, 6; Mitt. § 70, 4; § 104, 5; UHaft § 72 RL 5.
Erziehungsmaßnahmen nach § 3 S. 2: § 3, 16; s. § 9, 1.
Erwachsenenstrafe gg. J, Folgen § 1, 11; Verhältnis z. d. Maßnahmen d. JGG § 55, 38 ff. Erwartung künftigen Wohlverhaltens § 21, 6. Erweitertes Schöffengericht § 33, 10; im JSchutzVerf. 4 a. Erzieherische Befähigg. d. JRi. u. JStA § 37, 3; d. JSchöff. § 35, 3; d. Verteidiger § 68, 8. – Maßnahmen § 9, 1; als Voraussetzg. d. Einstellg. § 45, 10, 12; § 47, 8. – Zweckmäßigk. als Voraussetzg. d. Einbeziehg. § 31, 9, 22.
Erziehungshilfe § 112 a, 3 a.
durch
Disziplinarvorgesetzten
Erziehungsmaßregeln, Begriff, Arten § 9, 1; Schuldvergeltung (Sühne) § 9, 5; Verhältnis zu ZuchtM u. JStr. § 5, 3–5 (s. a. § 21, 7), zu ErwStr. § 55, 43; gg. Hw. § 10, 4; § 105, 21; durch ErwG § 104, 8; Überlassung d. Auswahl u. AO an Familiengericht § 53; keine – nach Tilgung des Schuldspruchs § 30, 3. Rechtsmittelbeschränkg. § 55, 9; Verbot der Schlechterstellg. § 55, 22, 26; Wiederaufnahme des Verf. § 55, 48; – in Erz.- u. Zentralregister Vor § 97, 5; Vollständige Ausführg. § 31, 7. Erziehungsmethoden des JAVollz. §§ 16, 90. Erziehungsmündigkeit § 3, 1. ErzRegister Vor § 97, 1, 4–13; § 3, 18; § 13, 6; § 45, 3, 39; § 47, 15; § 65, 7. Erziehungsstrafvollzug § 17, 1 ff. Erziehungsverfahren s. bei „formloses jrichterl. ErzVerf.“. Erziehungsziel Einf. II 4–10. Erziehungszweck Einf. II 4–10 u. bei Einzelvorschriften. Ethische Reife § 3, 4.
Erziehung im JGG Einf. II 4–10; Einzelhinweise auf Kommentierung Einf. II 10 a; Erz. bei Hw. Einf. II 11.
Etikettierungsansatz Einf. I 6.
Erz. u. Strafe Einf. II 8, 9, 10; § 17, 1–3; § 18, 7 ff.
Fahrlässigkeitstaten u. JStr. § 17, 16.Fah
Fahrerlaubnis s. „Entziehung d. -“.
583
Fah Fahrverbot § 6, 6; § 76 S. 1.Fah
Sachregister
Familienverhältnisse s. Familie.
Fürsorgerische Betreuung durch BewH § 25, 4; JGH § 38, 16; Betreuung u. Hilfe § 38, 4 b u. c; bei Hw. u. Volljährigen § 38, 19 aE; im JA Vollz. § 90, 9. Hilfen nach dem SGB VIII § 10, 14 b; bes. § 45, 19.
Fernwirkung d. Strafen, Einschränkung Vor § 97, 1 ff; keine – bei JA § 16, 1.
Funktionelle Zuständigkeit § 41, 6, 36; s. „Zuständigk. d. JG“ u. „Zuständigkeit (funktionelle)“.
Familie – Kriminologisch Einf. I 29; § 43, 6. Familienunterbringung als Weisung § 10, 8.
Film, Wirkung Einf. I 36; § 3, 11 c.
Fußballfans Einf. I 41.
Fluchtverdacht Voraussetzg. d. UHaft § 72, 7; Begründung § 72, 5; bei 14–15-jährigen § 72, 9; Sicherungshaftbefehl § 61, 5.
Gaststättenverbot § 10 I Nr. 8, aber auch Rn. 13.
Formel s. „Urteil“.
Gebühren, Gericht – § 74, 6.
Formloses jrichterl. ErzVerf. § 45, 1 ff.; § 47, 1 ff.; § 109, 5; auch JGH § 38, 10; Geltung des Verschlechterungsverbotes § 55, 44.
Gebührenpflichtige Verwarnung d. die Polizei: Vor § 76, 3.
Formulare für Bericht der JGH § 38, 12. Fortbildung der JRi. u. JStA § 37, 4, 12; § 93 a, 3. Fortgesetzte Tat im JRecht § 31, 2; bei Erstreckg. über verschiedene Alters- u. Reifestufen § 32, 3 a, 14; § 1, 8; § 3, 5; § 105, 11 d. Fragebögen für JGH Bericht § 38, 12.
Gebote, Weisungen als – § 10, 2.
Geburtenrückgang § 37, 13; § 45, 6. Gefährdung einer ErzM durch JStrVollz. § 21, 7. Gefangene, zu JA Verurteilte § 90, 13. Gehilfe s. Beihilfe. Gehör, Grundsatz des – § 67, 6; im vereinfachten JVerf. § 78, 20; bei Entlassung z. Bew. § 88, 11.
Frauen als JSchöff. § 33, 9 a; s. a. § 35, 3.
Geisteskrankheit u. Altersreife § 3, 10; u. JStr. § 17, 12; u. JStrR § 105, 13; Ermittlungen u. Untersuchg. § 43, 15; § 73, 4.
Freiem Fuße (auf) § 42, 5.
Geisteszustand s. „Geisteskrankheit“.
Freiheitsdrang d. J § 18, 19.
Geistige Entwicklung Hw. § 105, 11.
Fragerecht d. ErzBer. u. ges. Vertr. § 67, 7.
Freiheitsentziehung, Berücksichtigg. bei JA § 52 a, 8 ff; Anrechng. auf JStr. § 52 a, 12 ff. Freiheitsstrafe, Verhältnis z. JStrafe § 17, 1; § 55, 39; Einbeziehung § 31, 25; § 32, 5; Vollzug in d. JStrafanstalt § 114, wie – § 92, bes. 5. Zuständigkeit zur Vollstr. der Freiheitsstrafe § 89 a, 7; – von mehreren Freiheits- u. JStrafen § 89 a, 8; Reihenfolge § 89 a, 10; Unterbrechung der JStrafe zur Vollstr. der Freiheitsstr. § 89 a, 11–16; lebenslange Freiheitsstrafe u. JStrafe § 89 a, 17, 18. Freispruch mangels Altersreife § 3, 7; u. Verteidigungsauslagen § 74, 2, 5. Freizeit, Gestaltg. d. – Einf. I 35; im JA Vollz. § 90, 10. Freizeitarrest § 16, 16; Umwandlg. in Kurzarrest § 16, 17; § 86. Freizeitarrest-Raum § 90, 13. Frühkindliche Eindrücke Einf. I 25; Hirnschädigung Einf. I 25. Frustration Einf. I 43. Führerschein und Altersreife § 105, 6 b; s. auch „Entziehung d. Fahrerlaubnis“. Führung, einwandfreie § 21, 6; z. Beseitigg. des Strafmakels § 97, 7; schlechte – bei StrAzBew. § 26 a, 4, 5; bei Aussetzg. d. Verhängg. d. JStr. § 30, 8. Führungsaufsicht § 7, 8; § 82, 3. Führungszeugnis Vor § 97, 21; § 21, 14. Fürsorge s. „fürsorgerische Betreuung“. Fürsorgeerziehung s. Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2.
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Gelbe Karte § 45, 12 a. Geldauflage § 15, 10; Beitreib. § 15, 13. Geldbußen § 1, 2. Vgl. auch „Ordnungswidrigkeit“. Geldstrafe Einbeziehg. einer – § 32, 5; Verhältnis zu den Maßnahmen des JGG § 55, 43; gg. Hw. vgl. § 109, 12. Gelegenheitskriminalität § 16, 2; § 17, 11; s. a. § 18, 7. Geltungsbereich d. JGG s. „Anwendungsbereich“. Gemeinnützige Einrichtung als Empfänger einer Geldauflage § 15, 12. Gemeinsames JSchöffG § 33, 10; § 35, 3. Gemeinschaftstäter Einf. I 37; § 105, 6 c. Gemeinschaftsunterkunft § 112 b, 7.
während
ErzHilfe
Gemeinschaftsveranstaltungen im JA Vollz. § 90, 9. Gemeinschaftsverpflegung § 112 b, 7.
während
ErzHilfe
Generalprävention bei JStr. § 17, 1; § 18, 9; bei StrAzBew. § 21, 8. Generalstaatsanwalt Vollstr.Verf. § 83, 3.
als
Beschw.Instanz
im
Genugtuung für Verletzten bei Privatklagedelikten § 80, 2. Gerichtsgebühren § 74, 6. Gerichtsstand, bes. – d. JG für J § 42; für Hw. § 42, 4; § 108, 5; d. allg. VerfR § 42, 1; Auswahl unter mehreren – § 42, 7; durch StA § 36, 2; Abgabe d. Verf. bei Aufenthaltswechsel § 42, 10; § 108, 6.
Hil
Sachregister Gerichtsverfassung d. JG §§ 33 ff. Gesamthaftung bei Kosten § 74, 6 aE. Gesamtpersönlichkeit § 43, 5; bei Hw. § 105, 11. Gesamtstrafenbildung bei Taten in verschiedenen Alters- u. Reifestufen § 32, 2, 5; nachträgl. – § 66; mit Strafen d. ErwR § 105, 25; § 109, 13; § 31, 25; § 66, 12. Geschäftsverteilung der JG § 34, 3, 4; § 33, 15; § 41, 20; der StA § 36, 5; Geschäftsverteilungsplan § 33, 19.
des Unterbringgsbef. durch Haftbef. § 71, 4; § 72, 2. Keine weitere Beschw. bei § 453 c StPO, § 61, 9; Mitteilungen an und Hilfe durch JGH § 72, 4; § 72 a; bes. Begründung bei 14- u. 15-jährigen § 72, 5 u. 9; Fluchtgefahr § 72, 8 u. 9; weitere Haftgründe § 72, 10: Verfahren § 72, 11. Haftform im JA Vollz. § 90, 3; im UHaft Vollz. § 93, 6. Haftgericht § 33, 10. Haftpflicht bei Weisungen u. Auflagen § 10, 22. S. auch „Versicherung“.
Gesetzeskonkurrenz, Behandlg. bei Prüfung der Altersreife § 3, 6.
Haftpflichtversicherung, Abschluß eines – Vertrags als Weisung § 10, 14.
Gesetzlicher Richter § 33, Vorb. 5.
Haftprüfungsverfahren bei Unterbringungsbefehl § 71, 9 b; kein – bei Haftbefehl nach § 453 c StPO: § 61, 12.
Gesetzlicher Vertreter, Begriff § 67, 1; Rechtsstellg. allg. § 67, bei Hw. keine § 67, 18; vor ErwG. § 104, 5; im vereinfachten JVerf. § 78, 20; im VollstrVerf. § 83, 7; Rechte: § 67, 5, 11; s. auch Anfechtgs.R. § 55, 2, 19; § 67, 10. Anhörung in Vorverf. § 43, 12; AnwesenheitsR § 48, 12; § 50, 7 (Ausschließg. § 51, 6); Ladung § 50, 7; Mitt. § 67, 11; s. § 70; Entziehg. d. Rechte § 67, 13; wg. Ausschließg. v. d. Verh. s. § 51, 6; s. a. § 104, 5. Zustimmung zu Aussagen von Kindern JSchutzverf. 11; bei polizeilicher Vernehmung § 67, 20. Geständnis, Voraussetzg. d. formlosen jrichterl. ErzVerf. § 45, 24; s. a. „Prozeßverhalten“. Gewaltkriminalität Einf. I 42; s. auch Fußballfans I 41, politischer Hintergrund I 40, Schule I 44, Vandalismus I 45. Gewinn d. Tat, Entziehg. durch Geldaufl. § 15, 11; § 6, 7.
Hammer Modell § 45, 12. Handlungseinheit, natürliche § 31, 2. Hauptamtlicher Bewährungshelfer, Stellung, Aufgaben, Auswahl § 25; s. a. § 113 u. bei „BewHelfer“. Hauptverfahren §§ 48–54; für vereinfachtes JVerf. § 78, 17. Hauptverhandlung, Einf. I 53, auch 40 a; Anwesenh. des Angeklagten § 50, 1; § 51, 1; v. ges. Vertreter u. Erz. § 50, 7; § 51, 6; § 48, 7; Stellg. d. JGH § 50, 12; Anwesenheitsberechtigte u. Zulassg. anderer Personen § 48, 21; § 51, 10, 11. Haus des JRechts § 45, 12 a. Hausstrafgewalt s. Disziplinarmaßnahmen. Hehlerei § 1, 16; § 67, 13; § 105, 9.
Glaubwürdigkeit Kindliche Zeugen JSchutzverf. 7 ff.
Heilerzieherische Behandlung § 10, 15–17; § 57, 7.
Gleichzeitige Aburteilung mehrerer Taten aus verschiedenen Alters- und Reifestufen § 32; Zuständigk. Vor § 102, 2.
Heil- oder Pflegeanstalt s. psychiatrisches Krankenhaus.
Glen Mills § 71, 4; 72, 5.
Heimaufenthalt, Einfluss auf GerStand § 42, 5.
Glücksspielsucht § 3, 11 c aE.
Helfer s. Betreuungshelfer.
Gnadenrecht im Verhältnis z. StrAzBew. § 21, 2.
Heranwachsende, Allg. Einf. II 11, 37 ff, 37 ff; Alter § 1 II. Anwendung d. JR § 105; Volljährigkeit Einf. II 11; II 37 ff; Voraussetzungen § 105, 3; Verf. dabei § 105, 26; Besonderheiten des JR § 105, 4; Milderg. d. allg. StrR § 106. Ausdehng. d. JGerichtsbark. § 107; sachl. u. örtl. Zuständigk. § 108, 1 u. 5. Verfahren gg. Hw. § 109; Stellg. d. JGH § 38, 17 ff; Persönlichkeitserforschg. § 109, 1; Weisungen § 10, 4 u. 14; § 105, 20; § 55, 11; Urteilsgründe § 54, 15, 19; die bes. VerfArten § 109, 9; förml. ErzVerfahren § 109, 5; Verf. gg. Hw. vor dem ErwG § 112. Anwesenheit § 105, 15; EinheitsJStr. m. Str. n. allg. R § 105, 25; § 109, 13; § 31, 25; § 66, 12. Vollstr. u. Vollz. § 110; v. UHaft s. a. § 93, 12; Beseitigg. des Strafmakels § 111; Reform des HwRechts Einf. II 37 ff; Erz. Einf. II 11.
Gnadenwesen, Geltg. d. Vorschriften § 2, 12; § 13, 7; § 31, 7; § 57, 5; § 58, 11; Zuständigk. Vor § 82, 7; § 87, 4; s. auch § 13, 7; § 110, 2 aE. Graffiti-Delikte § 45, 19. Gröbliche Zuwiderhdlg. § 26 a, 4. Grundgesetz und Weisungen (= BewAuflagen) § 10, 6; – ErzMaßnahmen gg. Volljährige, Einf. II 11. Gruppenkriminalität Einf. I 37 ff. Gutachten über den Entwicklungsstand s. §§ 43, 73; auch §§ 3, 105. S. auch „Sachverständige“. Gutpunktsystem § 43, 11; Einf. I 52 c. Haartracht in Sitzung Vor § 33, 6. Haftbefehl § 72; bei zu erwartendem Widerruf d. StrAzBew. § 453 c StPO (bei § 61); einstweilige Unterbringg. in ErzHeim statt UHaft § 71, 7; Ersetzg.
Heim, Weisung, in einem – zu wohnen § 10, 8.
Herausnahme s. „Ausnahme“. Hilfe durch BewH § 25, 4; JGH § 38, 4 b ff, 16.Hil
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Hil Hilfen zur Erz. s. SGB VIII.Hil Hilfen zur Erz. nach § 12 Nr. 1 u. 2 s. § 12, 1 ff; AO im Strafverfahren § 12; durch VormRichter § 53, 6, 10; keine Umgehung durch Weisung § 12, 9; nicht gegen Hw. § 12, 8; § 105, 20; nicht gegen Soldaten § 112 a, 1 a nicht neben Aussetzung der Verhängung der JStrafe § 27, 16; Verhältnis zur JStrafe § 17, 21; Anfechtung § 55, 9; Schlechterstellung § 55, 23; Verhältnis zur ErwStrafe § 55, 42; Vollstreckung § 82, 4. Hilfsschöffen § 33, 9 a; § 35, 3. HIV-Infizierte s. Aids.
Sachregister ErzHilfe § 112 b, 12; Formen § 16, 16; Registrierung Vor § 97, 6. S. a. “Zuchtmittel“. Berücksichtigung v. UHaft § 52 a, 8; § 87, 5; Beschränkg. der Anfechtbark. § 55, 9; Verbot der Schlechterstellg. § 55, 23, 26, 33, 42. Eintragung ins ErzReg. Vor § 97, 5, 6. Jugendarrestanstalt, Begriff § 90, 13; Vollz. v. Haftstrafen § 1, 3; d. UHaft § 93, 3; nicht d. Unterbringungsbefehls § 71, 4. Jugendarrestvollstreckung §§ 86 f, § 85 RL V, gg. Soldaten § 112 c, 3 (s. § 112 d, 5); Aufschub u. Unterbrechg. § 87, 4; VollstrVerbot § 87, 2; Absehen v. – § 87, 6; § 112 c, 2; Abgabe d. Vollstr. § 85, 2, 18.
Höchstgrenze des JArrestes § 16; der JStr. § 18 I, bei Einheitsstr. § 31, 14, 23, 24; bei Ungehorsam § 11, 7; auch § 82, 16 für OWiG.
Jugendarrestvollzug § 90; bei Soldaten § 112 c, 3.
Höchstmaß d. JStr. § 18, 3, 4; bei Einbez. § 31, 23– 24 a.
Jugendfragebögen für JGH Bericht § 38, 12.
Höchststrafe d. allgR, Bedeutg. für d. JStr. § 18, 6, 10–19. Höheres Gericht, Zuständigk. Vor § 41, 2. Idealkonkurrenz § 31, 2. Inaussichtstellen d. Entlassg. z. Bew. Einf. I 53 aE. In dubio pro reo bei Zweifeln über d. Alter § 1, 11; bei Feststellg. d. Altersreife J § 3, 8; bei der Reifegradentsch. Hw. § 105, 17. Instanzenzug § 41, 6, 36; bei verbundenen Verfahren § 103, 16. Intellektuelle Entwicklung, Einf. I 33 f; § 3, 4; s. a. „geistige Entwicklung Hw.“. Interlokales, internationales StrR § 1, 5. Internationale Regelwerke Einf II 42. Internationales RechtshilfeG § 1, 5. Irrtum bei der Einordnung in eine Altersgruppe § 1, 12; s. a. „Tatbestandsirrtum“ u. „Verbotsirrtum“. Jagdschein, Entziehg. § 6, 6. Jahresfrist für JA Vollz. § 87, 2. Jugendamt, Ausübg. d. JGH u. örtl. Zuständigk. § 38, 2, 3. JugendarbeitsschutzG (bei Arbeitsweisung) § 10, 9 d. Jugendarrest § 16; Vollstr. § 85, 2; §§ 86 f. (s. „JAVollstr.“), Vollz. § 90 (s. „JAVollz.“). Rechtsnatur § 16, 1; keine Aussetzg. z. Bew. § 87, 3; Gnadenerweis § 87, 1, 3, 4. Anwendungsbereich § 16, 2, 12; gg. Soldaten § 112 a, 6 (s. 112 d, 5); mehrmalige Verhängg. § 16, 11; neben Aussetzg. d. Verhängg. d. JStrafe § 27, 13–15 (Anrechnung d. JA im Nachverf. § 30, 12); Verhängg. bei Zuwiderhandlungen gegen Weisungen und Auflagen § 11, 4; §§ 15 III, 65 gegen BewAufl. §§ 23 I 3, 26 a, 8; höchstens 4 Wochen § 11, 7; auch § 82, 16 für § 98 OWiG; Absehen v. Vollstr. § 11, 8; § 87, 2 a; nach Auswahl durch d. VormRi § 53, 7; bei Zuwiderhandlung gg. AO im Rahmen d.
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Jugendarrestvollzugsordnung § 16, 2; § 90, 6. Jugendärztliche Untersuchung § 43, 15. Jugendgemäße Tatbestandsauslegung § 2, 6. Jugendgerichte, Spezialisierg. Aufbau, Besetzg. § 33, 1 ff; Geschäftsbereich § 33, 12 ff; § 107; Ausnahme v. d. (funktionellen) Zuständigk. Vor § 102, 1, 2; Verhältnis zu d. ErwG § 33, 6 ff; § 103, 5; zu d. Verwaltungsbehörden § 33, 25; Sachl. u. örtl. Zuständigk. §§ 39–42, 108; funkt. Zust. gg. Erw. § 33, 7; § 103, 6. Jugendgerichtsgesetz, Rückwirkg. § 115. – Änderung: Planung eines JHilferechts Einf. II 32, 33; Diskussion um Strafmündigkeit Einf. II 34–36; zu Hw. Einf. II 37–41; Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen (Beijinger Grundsätze) Einf. II 33; 35 aE, 42; § 45, 4 aE; JGGÄndG u. Weiterentwicklung Einf. II 43, 44; § 45, 16; s. auch bei SGB VIII; Geltung des JGG im Gebiet der ehemaligen DDR § 1, 6 ff; s. auch DDR. Reform durch die Praxis Einf. II 26; § 45, 5, 14. Siehe auch Reform. Jugendgerichtshilfe § 38, Einf. II 23; Bedeutg. § 38, 1; bei Ordnungswidrigkeiten § 38, 9; bei Hw. § 38, 17–19; bei Soldaten § 112 d, 3; vor ErwG § 104, 5; JAmt als Träger § 38, 2; Hilfen § 38, 4 b–5 g; § 45, 8 aE, 22, 44; § 47, 11; Hilfen zur Erz. § 38, 4 d, auch § 45, 19 a; insgesamt bei „SGB VIII“; Stellg. im Verf. § 38, 4; im formlosen jrichterl. ErzVerf. § 45, 8, 13, 22, 36, 44; § 47, 11; im vereinfachten JVerf. § 78, 18, 20; bei UHaft § 72, 4; § 72 a; § 61, 7 aE; § 93, 7, 7 a; i. d. Hauptverh. § 38, 6; § 50, 12; Anwesenheit § 38, 6; § 48, 12; § 51, 10; Folgen d. Nichtheranziehg. § 38, 8; Verhältnis z. JRi., JStA § 38, 4; z. BewH § 38, 15; Bericht § 38, 12–13 a. Mitt. allg. s. § 70; Mitt. durch JGH an Dritte § 43, 12; § 38, 19; Zeugnisverweigerung § 38, 14. Aufgaben: PersönlichkErforsch. § 38, 11; § 43, 3; bei Hw. § 38, 17–19; § 106, 4; § 107, 1; überwachende Tätigk. § 38, 15; Erz. u. Betreuung § 38, 16; Prävention und Krisenintervention § 38, 20 ff; § 78, 18. Jugendgerichtsverfassung §§ 33 ff, für Hw. § 107. Jugendgerichtsverhandlung Einf. I 53; Gespräch am runden Tisch 54.
Sachregister Jugendgruppe, Austritt, Eintritt als Weisung § 10, 6, 13. Jugendhilfe, Zusammenwirken v. amtl. u. freier –, Übertragg. v. Geschäften § 38, 2; s. a. „Jugendgerichtshilfe“ u. bes. „SGB VIII“. Jugendhilfeausschuss § 35, 3. Jugendhilfegesetz, Einf. II 32 ff. u. bes. „SGB VIII“. Jugendhilfsschöffen § 33, 9 a. Jugendkammer, Besetzg. § 33, 9; Auswahl d. Richter § 37, 4, 11; Geschäftsverteilg. am LG § 34, 2; Sachl. Zuständigk. § 41, 10; bei Hw. § 108, 1; bes. § 41, 10 ff; große u. kleine JKammer § 33, 9; im JSchutzverfahren dort 4 a; Vorlage u. Übernahme v. Sachen bes. Bedeutg. § 41, 34. Örtl. Zuständigk. § 42, 1; § 108, 5. Als JSchutzkammer s. dort. Jugendkriminalität, Ursachen u. Formen Einf. I. Jugendpsychiater § 43, 15; JSchutzverf. 8. Jugendpsychologe § 43, 15; JSchutzverf. 8. Jugendrechtshaus Einf. I, 55. Jugendrichter §§ 34, 37, 39; § 33, 1. Aufgaben § 34, 1; Stellg. § 37, 1; Auswahl, Befähigg., Fortbildg. § 33, 1; § 37, 4, 8–12; Freiheit u. Grenzen § 37, 1– 2 b; Eigenschaften § 37, 3; Rechtsfolgenbestimmung § 37, 3 a-3 c; Einheit v. JRi. u. VormRi. § 34, 3; Bezirks- § 33, 10. Zuständigk. (sachl.) § 41, 7–9 (Strafgewalt i. d. Hauptverh. § 41, 18); gg. Hw. § 108, 1, 2; gg. Erw. § 41, 8; § 103, 5. Im formlosen ErzVerf. § 45, 29 ff; § 47; im verfeinf. JVerf. § 78, 1 s. a. „VollstrL“ u. „VollzL“. Geburtenschwache Jahrgänge § 37, 13. Jugendrichterliche Entscheidungen im VollstrVerf. § 83, gg. Soldaten § 112 c. Jugendschöffen § 33, 9 a; Ersatz § 35, 3; s. a. „HilfsSchöff.“ u. „JSchöffG“. Jugendschöffengericht, Besetzg. § 33, 9; Bezirks§ 33, 10; Einheit v. JRi. u. VormRi. § 34, 3; Auswahl s. „JRi.“ und „JSchöff.“; Zuständigk. (sachl.) § 41, 15; gg. Hw. § 108, 1, 2; gg. Erw. § 41, 4, 16 a; § 103, 5, 6 örtl.); § 42, 1; § 108, 5; im JSchutzVerf. 4. Jugendschutzkammer Anhang n. § 125, 1 ff. Jugendschutzsachen Anhang n. § 125; Geschäftskreis d. JStA dort 4, 6, § 33, 9. Jugendschutzverfahren Anhang nach § 125; Glaubwürdigkeit 7; Aussage- u. Untersuchungsverweigerungsrecht 10, 14; Zustimmung d. gesetzl. Vertreters 11, Eidesfähigkeit 10 aE. S. auch „JSchutzsachen“. Jugendstaatsanwalt §§ 36, 107; Abgrenzg. d. Zuständigkeit z. allg. StA § 36, 5; örtl. Zuständigk. § 36, 6; § 42, 3; Einfluss auf Zuständigk. d. Ger. (sachl.) § 41, 7; § 103, 4; § 36, 5; (örtl.) § 36, 2; § 42, 7, 8; Zustimmung z. Abgabe nach Aufenthaltswechsel § 42, 10; u. Persönlichkeitserforsch. § 43, 14, 17; § 44, 4; Mitt. § 70; Anhörg. s. bei den einzelnen Vor-
Jug schriften (z. B. § 58, 4; § 98, 7); Stellg. im vereinfachten JVerf. § 78, 18, 21. Dateien Vor § 97, 28–31; Auskunft an andere Behörden Vor § 97, 30; Akteneinsicht Vor § 97, 27 u. 31. Aufgabe u. Verantwortung, § 33, 1; § 37, 1; § 36, 2; Auswahl, Befähigg., Fortbildg. § 37, 3, 8; Geschäftskreis § 36, 5; Spezialreferate § 36, 1 a; Zuständigk. § 36, 5, 6; Stellg. im Verf. § 36, 2; zur Verbindung § 36, 5; Spezialreferate § 36, 1 a; § 103, 4, 8; Antragstellung § 36, 2, 2 a, 4; Zuständigk.Wahl § 36, 2; UHaft-Ersetzung § 36, 2 aE; im vereinfachten JVerf. § 78, 18; in d. Hauptverh. § 36, 4; Absehen v. d. Verfolgg. § 45; Verfolgg. von Privatklagedelikten § 80, 3; wegen Anhörg. s. d. einzelnen Vorschriften (z. B. § 57, 8; § 58, 4; § 87, 6; § 88, 7). Amtsanwälte § 36, 3; Referendare § 36, 3 a. Diversion durch den StA: § 45, 4 ff, 17 ff; Voraussetzungen § 45, 21–25; Sanktionen § 45, 26, 27; Zuständigkeit bei Vollstr. § 85, 22 aE. Jugendstrafanstalt Vollz. d. FreiheitsStr. i. d. – § 114. Jugendstrafe §§ 17–19; 88, 91 f, s. a. „Aussetzung d. JStr. z. Bew.“, „Aussetzung d. Verhängung d. JStr.“ u. „Jugendstrafanstalt“. Rechtsnatur § 17, 1; RL 2 Entwicklung u. Diskussion § 17, 2 ff; bei 14- bis 15jährigen § 17, 4; Vollzug in Diskussion § 17, 8; Voraussetzungen § 17, 9; schädl. Neigungen § 17, 11; Schwere der Schuld § 17, 14; bei Fahrlässigkeit § 17, 16; Abgrenzungen § 17, 19; Einf. II 10. Strafbemessg. § 18, 6 ff; ErzGedanke § 18, 7 a; Schuldvergeltung § 18, 8 u. 10 ff; Generalprävention § 18, 9, 9 a; Ermöglichen der Berufsausbildung § 18, 7 c; Mindest- u. Höchstmaß § 18, 1 ff; Höchststrafe des allg. Rechts § 18, 15 ff; Anrechng. v. UHaft § 52 a, 3, 12; Urteilssatz und -gründe § 54, 3, 11; Belehrg. über Zweck § 17 RL 2; Verschlechterungsverbot § 55, 26; vollständige Verbüßg. § 31, 7; – u. Beamtenrecht § 17, 10 a; – u. Rückfall bei Sicherungsverwahrung § 17, 10. Vollstr. §§ 88 f, § 85 RL VI, erst nach Entsch. über StrAzBew. § 57, 9; Übergang d. Vollstr. § 85, 3–7; Entlassg. z. Bew. § 88; Vollz. §§ 91 f. (s. auch „JStrVollz.“ u. „Vollstr.“), wie FreiheitsStr. § 92, 5; Zentralregister Vor § 97, 15. Zuständigkeit zur Vollstreckung bei JStrafe § 89 a, 1– 6; bei Freiheitsstrafe § 89 a, 7; bei mehreren J- u. Freiheitsstrafen § 89 a, 8; Unterbrechung der JStrafe § 89 a, 11–16; – und lebenslange Freiheitsstrafe § 89 a, 17, 18; – Zurückstellung der Strafvollstreckung nach BtMG § 17, 23 ff. Jugendstrafrecht. Anwendg. auf Hw. § 105; bei Verfehlungen in verschiedenen Alters- u. Reifestufen § 32, 2. Jugendstrafverfahren Einf. II 24 ff; §§ 42–81, Hw. § 109, Soldaten s. a. § 112 c, s. bei den einzelnen Vorschriften bes. „vereinfachtes JVerf.“; „Verf.“; Rechtsstellung des Verletzten. Jugendstrafvollzug Diskussion zum Vollzug § 17, 8; Ausnahmen vom – § 89 b; Gesetzgebung Vor § 90.Jug
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Jug Jugendverfehlung, Begriff § 105, 14; Erkenntnisgrundlagen § 105, 15.Jug
Sachregister Kriminalpolizei s. „Polizei“. Kriminalprävention Einf. I, 55.
Jugendvertrag, dänischer Einf. II 51.
Kriminologie Einf. I 3 ff; § 43, 5.
Jugendwohlfahrtsausschuss s. JHilfeausschuss.
Kurzschlusshandlungen § 16, 2; § 21, 6 b; § 61, 5.
Jugendzurechnungsfähigkeit (Schuldfähigkeit) § 3; Folgen des Fehlens § 3, 7; s. a. „Altersreife“.
Labeling approach Einf. I 6.
JustizmitteilungsG Vor § 97, 27 c. Justizverwaltung s. „Landes-“. Kinder § 1, 15; Kinderkriminalität Einf. I 26, 27; als Zeugen § 1, 3, 4; im Jugendschutzverf. Anhang Rdn. 7 ff. KindschaftsreformG § 34, 1; § 84, 4. KJHG (Kinder- u. JHilfeG) Einf. II 48; s. SGB VIII. Klageerzwingungsverfahren § 1, 14; § 45, 2, 40; § 80, 3. Kleine Strafkammer § 33, 9. Kommunale Kriminalprävention Einf. I, 55. Kompensation bei Kindern § 1, 14; bei fehlender Altersreife § 3, 9.
Ladendiebstahl, Informationsgespräche u. Präventionskurse § 45, 22. Ladung d. ges. Vertr. u. ErzBer. § 50, 7; § 67, 9; zum JAVollz. § 85, 2. Ladungsfristen, keine – im vereinfachten JVerf. § 78, 18. Länderübergreifendes staatsanwaltliches Verfahrensregister Vor § 97, 31 a. Landesgesetze über d. BewH § 113. Landesjustizverwaltung, Bestellg. v. BezirksJRi. u. gemeins. JSchöffG § 33, 10; d. bes. VollstrL § 85, 2; – als Träger der VollzEinrichtg. f. JA § 90, 13. Vgl. § 85, 4 u. 5; § 121. Landesrecht (materielles) § 2, 13; § 6, 7.
Konkrete Betrachtungsweise § 41, 2, 7.
Lebensführung, Beeinflussg. durch Weisungen § 10, 3; -lange Freiheitsstr., Ersetzung bei Hw. § 106. -lauf zur PersönlichkErforschg. § 43, 10, 11; -planung als Zeichen größerer Altersreife § 105, 7; -verhältnisse, Erforschg. § 43, 6.
Kontrollinstanzen Einf. I 6.
Legalitätsprinzip § 45, 2; Durchbrechg. § 45, 3; § 47, 4.
Konzentration der örtl. Zuständigk. § 42, 2.
Lehrer Einf. I 33; § 70, 6 f; Anhang nach § 125, 9 a; s. „Schule“.
Kompetenzkonflikt (negativer) § 33, 20 c, § 103, 13 a; 16 aE. Konfliktskriminalität § 17, 11; § 21, 11; Einf. I 28.
Koppelung verschiedener Maßnahmen § 8. Vgl. § 27, 12–16. Koppelungsverbot § 8, 2–3; Geltg. bei Aussetzg. d. Verhängg. d. JStr. § 8, 3; ggü. VormRi. § 8, 2 a. Körperliche Entwicklung des Hw. § 105, 11 a. Körperliche Untersuchungen u. Eingriffe § 43, 15; § 73, 4; JSchutzverf. 14. Konsumgesellschaft Einf. I 46. Kosten § 74; Begriff d. – u. Auslagen § 74, 6; notwendige Auslagen § 74, 2, 7; Anwaltskosten § 74, 2, 11; – des Bußgeldverfahrens § 74, 10; Vorschriften d. allg. VerfR. § 74, 1; – d. Durchführg. v. Weisungen § 10, 17, 22 a; § 74, 9 Ausführg. vorl. AO über d. Erz. § 71, 12. Unterbringg. z. Beobachtg. § 73, 8; je zu § 74, 10; Verf. z. Beseitigg. d. Strafmakels § 99, 7; Absehen von der Auferlegg. § 74, 1, 3, 4; bei Hw. § 74, 1; RL 6; bei EinheitsStr. § 74 RL 2 S. 2, 3; § 31, 7; -entsch. § 54, 7; Verbot der Schlechterstellg. § 55, 37. – der Nebenklage § 74, 8; Privatklage § 74, 15; – der Widerklage § 74, 15; im OWiG-Verf. § 74, 10. – als Wiedergutmachungsauflage § 15, 7. Kostenbeschwerde § 55, 14; § 59, 3; § 74, 13. Kraftfahrzeug-Verbot als Weisung § 10, 14; s. a. „Entziehung d. Fahrerlaubnis“. Kriminalität der jungen Ausländer Einf. I 17 ff; Vergleich BRD-DDR Einf. I 16. Kriminalökologie Einf. I 55.
588
Lehrherr s. Ausbildungsleiter. Lehrstelle, Weisung § 10, 14 a. Letztes Wort, Recht d. ErzBer. u. ges. Vertr. § 67, 6. Leugnen s. „Prozessverhalten“. Leumundszeugnisse § 38, 13. Lügendetektor Anh. § 125, 8. Mädchendelinquenz Einf. I 5. Marburger Richtlinien § 105, 1, 5. Massenmedien Einf. I 36. Maßnahmen, allg. vergl. § 9, 1; zur Abwendg. des Widerrufs § 26 a, 8; vorl. – vor Widerruf bei § 61; vorl. – z. Erz. § 71; bei ErzHilfe § 112 b, 5; Erledigg. von – § 31, 7; des JGG gg. Erw., Folgen § 1, 11; s. a. „ErzMaßregeln“. Maßregeln d. Besserg. u. Sicherg. § 7, bes. § 7, 2; Zuständigk. f. AO § 41, 16; – für Vollstreckung § 85, 8–11. Einbeziehg. § 31, 8, 16; neben Aussetzg. d. Verhängg. d. JStr. § 27, 17; u. ErzRg. Vor § 97, 5; – Verschlechterungsverbot § 55, 35. – S. a. “Erz-“; Vollz. vor JStrafe § 88, 3; § 93 a, 6; s. auch „Reihenfolge“. Mehrere ErzBer. § 67, 2; im JSchutzverfahren 12, – Straftaten § 31, in verschiedenen Alters- u. Reifestufen § 32, Verbindung Vor § 102, 2; § 103, 2; – Täter § 103, 2, 3.
Öff
Sachregister Mehrerlös Abführung § 6, 6. Mehrfachtäter Definition Einf. I 13; Kriminolog. Bemerkungen Einf. I 3 u. 14; Sanktionen Einf. I 15.
Nebenfolgen wie bei „Nebenstrafen“; s. dort; – der Freiheitsstrafe bei Hw. § 106, 4. Nebengeschäfte d. Vollstr. § 85 RL II 4; Zuständigk. Vor § 82, 13; § 84, 5.
Mehrheit für StrAzBew. § 57, 11; für Schuldspruch gem. § 27: § 62, 1; für Reifegradentsch. § 105, 27; f. Aufnahme in d. JSchöff-Vorschlagsliste § 35, 3.
Nebenklage gg. Hw. § 109, 11; nicht gg. J § 80, 5. – Wegen in verschiedenen Altersstufen begangener Taten § 109, 14. – Im verbundenen Verfahren gg. J u. Hw. o. Erw. § 109, 6.
Mehrmalige Verhängung v. JA § 16, 8; § 82, 16 für § 98 OWiG.
Nebenkläger, Minderjährige als – § 80, 6. – Kostenerstattung an – § 74, 8.
Meineid als JVerfehlg. § 105, 14; s. § 3, 14.
Nebenstrafen § 6, f. Hw. § 106; Verbindg. § 8, 7; § 27, 17; Einheitsstrafe § 31, 8, 16; Verbot der Schlechterstellung § 55, 36.
Methadon § 10, 19 b. Milderes Gesetz im Verhältnis von J u. allgR § 1, 11; § 105, 17, 27. Mildernde Umstände s. „minderschwere Fälle“. Milderung d. allg.StrR f. Hw. § 106. Minderbegabung, Einfluss auf Reife § 3, 10; § 105, 8. Minder schwere Fälle JStr. § 18, 6 a. Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen Einf. II 33 aE; 35 aE; 42; § 1, 5 a aE; § 45, 4 aE. Mindestmaß der JStr. § 18, 1; Anrechng. v. UHaft § 52 a, 14. Mitteilungen § 70; bei Hw. § 109, 1; bei ErwG § 104, 5; § 70, 4; zwischen JRi u. VormRi. vgl. § 34, 3; zwischen Ger. u. JGH § 38, 5; § 72, 4; zw. Polizei und JGH § 38, 4; an Polizei, Zentral- u. Erz.Reg. Vor § 97, 20; an Schule § 70, 5; durch Schule § 70, 7; an ErzBer. u. ges. Vertr. § 67, 11; – der Urteilsgründe § 54, 18; v. Entsch. im vereinfachten JVerf. § 78, 19; d. Einstellg. d. Verf. § 45, 39. – durch JGH an Dritte § 43, 12 aE; § 38, 19, 19 b; BewHelfer an Dritte § 25, 9. Motivation bei Drogenabh. Einf. I 49. MRK § 18, 6 d; § 52 a, 16. Mündliche Eröffnung d. Urteilsgründe § 54, 18; Einf. I 53. Nachahmungstrieb, Kriterium f. j. Verhalten § 105, 6 c. Nachfolgende VollstrZuständigk. § 85. Nachschulung f. Kraftfahrer § 10, 14.
Nebenstrafrecht § 2, 6; § 6, 6 f. Neue Bundesländer Einigungsvertrag u. Geltung des JGG in den neuen Bundesländern § 1, 6 ff. u. bei den einzelnen Vorschriften. Nichtanhörung d. JGH, Folgen § 38, 8; d. ges. Vertr. u. ErzBer., Folgen § 67, 6, 10; d. Disziplinarvorgesetzten, Folgen § 112 d, 2. Nichterfüllung von Weisungen § 11, 4; Auflagen § 15, 12 a–13; von BewAufl. § 23, 7; § 26 a, 4, 5, 8; § 30, 8 von AO im formlosen ErzVerf. § 45, 28; § 47, 11, 12 a. Nichterscheinen in der Verhdlg. s. „Ausbleiben“. Nichtigkeit v. Urteilen § 1, 12; § 33, 17. Nicht-Intervention § 45, 10; § 17, 6. Nichtöffentlichkeit s. „Öffentlichkeit“. Niederlande, JStrafrecht Einf. II, 51. Normalität der JKriminalität Einf. I 5 u. 6. Notwendige Auslagen trotz Verurteilung § 74, 7; bei Freispruch wegen Altersunreife § 74, 2, 5; bei Einstellung gem. § 45 dort 41. Notwendige Verteidigung s. „Pflichtverteidiger“. Oberes Gericht, Entsch. bei Übergang nach Aufenthaltswechsel § 42, 10; im VollstrVerf. § 85, 14; Verbindg. von J- u. ErwVerf. § 103; Zuständigkeitsfragen § 103, 14. Oberlandesgericht, Zuständigk. § 102, 1. Oberste Aufsichtsbehörde im JAVollz. § 90, 13; im JStrVollz. § 92, 2.
Nachträgliche Abänderg. s. „Abänderung“ – AO v. BewAufl. § 23, 5; s. a. § 58. – s. BeschlVerf. über AO d. StrAzBew. § 57, 5. – Entsch. über Weisungen u. Auflagen § 65. – Ergänzungsentsch. bei mehrfacher Verurteilg. § 66. – Zusammenfassg. v. ErwR u. Maßnahmen d. JGG § 32, 5; § 105, 25; § 109, 13; § 31, 25; § 66, 12.
Offenbarungspflicht des Verurteilten Vor § 97, 11, 26.
Nachtragsanklage § 46, 9.
Öffentliche Zustellung § 2, 9.
Nachverfahren nach Aussetzg. d. Verhängg. d. JStr. § 30.
Öffentliches Interesse an der Verfolgg. v. Privatklage-Delikten § 80, 2.Öff
Nebenentscheidungen bei StrAzBew. § 58, bei Aussetzg. d. Verhängg. d. JStr. § 62 IV, bei Entlassg. z. Bew. § 88, 8.
Öffentlichkeit, Grundsatz d. Nichtöffentlichk. im JVerf. § 48; Anwesenheitsberechtigte § 48, 12; Zulassg. anderer § 48, 21; bes. v. Schulklassen, Presse
Öffentliche Ämter, Unfähigk. zur Bekleidg. – § 6, 2; § 106, 3. Öffentliche Bekanntmachung als Nebenstrafe § 6, 4; – d. Auflegg. d. JSchöffVorschlagsliste § 35, III 4.
589
Opf u. Rundfunk § 48, RL S. 2–4; keine Öffentlichk. bei J § 48, 10, 11; Ausschließung im Verf. gg. Hw. § 48, 3 ff; § 109, 4; im Verf. vor ErwG gg. J § 48, 3; u. gg. Hw. § 112, 3; bei gleichzeitiger Aburteilg. v. Personen verschiedener Altersstufen vor dem JG § 48, 3; bei in verschiedenen Altersstufen begangenen Taten § 109, 14; Wirkungen § 48, 25.Opf Opferbefragung Einf. I 5. OpferschutzG § 80, 8–10; § 10, 12 f; § 45, 39; § 48, 14–20; § 50, 14 aE; § 70, 9; auch Anhang nach § 125, 5–5 b; Vor § 97, 27 f. Auch § 15, 3–8 b. Vgl. auch „Rechtsstellung des Verletzten“. Opportunitätsprinzip § 45, 3; § 47, 4, 7 ff. Ordentliche Gerichtsbarkeit, JG als Teile d. – § 33, 1. Ordnungsmaßnahmen § 1, 3. Ordnungsruf durch JA § 16, 1. Ordnungsstrafe s. „Ordnungsmaßnahmen“. Ordnungswidrigkeit Anwesenheit § 50, 6; Allgemeines § 1, 2; § 2, 15; Beschwerde § 41, 9, 40; § 82, 8, 13, 16; Einstellung § 45, 38; § 47, 6; Mitteilung an gesetzl. Vertreter § 67, 17; Anwesenheit des gesetzlichen Vertreters § 50, 6; Mitteilungen § 70, 9; Öffentlichkeit § 48, 8; Verjährung § 4, 4; Vereinfachtes JVerfahren § 78, 23; Verschlechterung § 55, 46; § 78, 24; Verwaltungsbehörde § 33, 25; Verwarnung (polizeiliche) Vor § 76, 1 ff; Vollstreckung § 82, 6 ff; Vollstreckungsanordnung gem. § 98 OWiG § 82, 11; – im Erkenntnisverfahren § 82, 14; Ungehorsamsarrest bei § 98 OWiG § 82, 16, 17; Zusammenhang m. Strafsachen § 103, 20; Zuständigkeit § 33, 25; § 41, 9, 40; § 42, 13; Pflichtverteidiger § 68, 4 aE; 19 aE. Organisation des JAVollz. § 90, 9; des JStrVollz § 92, 1, 2. OrgSta § 36, 3. Örtlicher Sitzungsvertreter der StA § 36, 3; im vereinfachten JVerf. § 78, 18. Örtliche Zuständigkeit s. „Zuständigkeit (örtl.)“.
Sachregister Ausführg. § 43, 3; § 38, 11; Verhältnis z. Aufklärungspflicht, Folgen d. Unterbleibens § 43, 4; Verwertg. i. d. Hauptverh. § 38, 13; Gegenstand § 43, 5; Erkenntnisquellen § 43, 5; s. a. § 44, 1; Umfang § 43, 9; bei Hw. § 105, 15; § 109, 1; bei Soldaten § 112 d, 6; vor ErwG §§ 104 I Nr. 3, 112; durch BewH § 25, 2; im JA § 90, 3; im JStrafvollzug § 91, 2; in UHaft § 38, 11; zur Beurteilung durch Lehrer Anhang nach § 125, 9 a. Persönlichkeitsschilderung im Urteil § 54, 11. Pflegerbestellung § 67, 16; JSchutzVerf. § 12. Pflichterfüllung als Weisung § 10, 14 a. Pflichtverteidiger Bestellung § 68, 4; Rechtsmittel § 68, 7; ErzGedanke § 68, 8; Verteidigung im JStrafverfahren § 68, 1; Verkehr u. Akteneinsicht § 68, 6; Ausweitung der Vert. § 68, 14; im Ermittlungsverf. § 68, 15; Anlass § 68, 16–25; im vereinfachten JVerfahren § 68, 26; im VollstrVerf. § 68, 27; im Vollzug § 68, 28; Wahlverteidiger § 68, 2. Polamidon § 10, 19 b. „Politische“ Straftäter Einf. I 40. Polizei Kriminal-: Einf. II 23; § 2, 16 aE; Anwesenheitsrecht in nichtöffentl. Verhdlg. § 48, 12; § 51, 17; Tataufklärg. § 38, 4, 11, 20; § 10, 12 b; Benachrichtigg. d. JAmtes (JGH) § 43, 3; u. § 38, 4; Zusammenarbeit § 45, 8 aE, 12, 12 a, 18 a; 22; Prävention (Krisenintervention) § 38, 20–22; Vernehmung u. ErzBerechtigt. § 67, 19; Pol. Verwarnung Vor § 76, 2 ff; UHaft § 72, 4. Polygraphische Untersuchung s. Lügendetektor. Präsidium des Gerichts § 34, 2, 3; § 41, 20. Prävention Einf. I 2; § 38, 20. Presse- u. Rundfunk-Berichte § 48 RL S. 3, 4. Primäre VollstrZuständigk. § 84. Privatklage gg. J unzulässig § 80, 1; gg. Hw. zulässig § 109, 9, 11. Wegen in verschiedenen Altersstufen begangener Taten § 109, 14; s. auch OpferschutzG. Privatklagedelikte J, Verfolgg. § 80, 2, 3.
Österreich, JStrafrecht Einf. II 51.
Privatkläger, J als – und Widerklage gg. J § 80, 6; Kosten § 74, 15.
Partielle Vollreife § 105, 11.
Prognose bei StrAzBew. § 21, 6; bei Entlassg. z. Bew. § 88, 1; -forschung Einf. I 52–52 e.
Personalakten d. JStrAnstalt, Beiziehg. im Ermittlungsverf. § 43, 14; im Verf. z. Beseitigg. des Strafmakels § 98 RL 1.
Projekt Chance § 17, 1 a.
Personalunion zwischen JRi. u. VormRi. § 34, 3.
Protokollierung d. Vernehm. d. Beschuldigten § 44, 1.
Personensorge, Bedeutg. f. d. ErzRecht § 67, 1.
Prozesspfleger § 67, 16; JSchutzverf., 12.
Persönlicher Verkehr, Beschränkg. durch Weisung § 10, 13.
Prozessverhalten u. Strafzumessg. Einf. I 53; § 21, 6.
Persönliches Gespräch im JAVollz. § 90, 9; bei ErzHilfe § 112 b, 6. Persönlichkeit (Anlage, Umwelt –) § 43, 5; Einf. I 3. Persönlichkeitserforschung Einf., I 52 d, e; II 23; § 43, Bedeutung allg. § 43, 2; für StA § 43, 16; im formlosen ErzVerf. § 45, 22; Leitg. u. Überwachg.,
590
Prozessvoraussetzung, Zuständigk. d. JG als – § 33, 20; Mindestalter v. 14 Jahren als – § 1, 14; v. 18 Jahren als – f. Strafbefehl, beschleunigtes Verf., Privatklage § 79, 1; § 80, 1. Psychiatrisches Krankenhaus, Unterbringg. z. Beobachtg. § 73, 4, 7; Zuziehg. eines Sachverständigen § 73, 8; Bestellg. eines Verteidigers § 73, 8; als Maß-
Rev
Sachregister nahme d. Besserg. u. Sicherung § 7, 2; Verbindg. mit anderen bzw. Absehen v. anderen Maßnahmen § 7, 2; § 5, 4; Verschlechterungsverbot § 55, 35; VollstrZuständigkeit § 85, 8–11; EntschZuständigkeit § 41, 7, 12, 16.
Rechtsmittelzurücknahme § 55, 5. Rechtspfleger in der Vollstreckg: Vor § 82, 8 ff; § 82, 9; § 83, 5, 8; § 85, 2; § 114 RL 6. S. auch „Amtsanwalt“ u. „örtl. Sitzungsvertreter“. Rechtspolitik Einf. I 7, 8; § 37, 2 b.
Psychopathie § 3, 10. – und Reifegradentsch. § 105, 13; s. auch JPsychiater u. JPsychologe.
Rechtsreferendar § 36, 3 a; § 68, 2 a u. 5.
Pubertät als Reifestufe Einf. I 28; § 105, 3, 11.
Rechtsstaatl. Erfordernisse u. ErzAuftrag d. JGG § 2, 16.
Pubertätsdelikt Einf. I 28; Ausdruck j. Verhaltens § 105, 11; – u. StrAzBew. § 21, 6. Publikationsbefugnis § 6, 4.
Rechtsstellung des Verletzten im JStrafverfahren § 48, 14–20; § 45, 39; Vor § 97, 27 f; § 109, 6. Vgl. auch „Verletzter“.
Punktsysteme (Gut- u. Schlechtpunkte) Einf. I 52 c.
Rechtstatsachenforschung Einf. I 8.
Qualifikation u. Grundtatbestand bei Prüfg. d. Altersreife § 3, 6.
Rechtsverordnung über d. Vollz. d. JStr., d. JA, d. UHaft § 115, 1; über d. Maßnahmen bei ErzHilfe § 115, 2.
Rauschgift s. „Drogen“.
Rechtsvorschriften, Ermächtigg. z. Erlaß § 115.
Rauschtat § 3, 11; als JVerfehlg. § 105, 14 a aE.
Referendar s. „Rechtsreferendar“.
Reaktion jugendlicher Täter Einf. I.
Reform JHilferecht Einf. II 32 ff; § 16, 7; volle Einbeziehung der Hw. Einf. II 37–41; § 16, 7; Gespräch am „Runden Tisch“ Einf. I 54; s. auch „JGG“.
Reaktionsbeweglichkeit, Einf. II 22, 24–26; § 11, 2. Reaktionsmittel, JGG u. Auswahl Einf. II 3; Verbindung § 8.
Reformatio in peius s. „Verschlechterungsverbot“.
Realkonkurrenz, Behandlg. im JRecht § 31, 1, 3.
Registerpflichtige Entsch. u. Tatsachen Vor § 97; s. auch „Akteneinsicht“; § 82, 17.
Rechtliches Gehör s. „Gehör“. Rechtsbehelfe, s. Rechtsmittel. Rechtsbeistand § 68, 3. Rechtsfolgensystem des JGG s. „Reaktionsmittel“. Rechtshilfe § 34, 2, 3; bei Aushändigg. des BewPlanes § 60, 11; bei Verwarnung § 14, 5. Internationale Rechtshilfe § 1, 5. Rechtskraft als Voraussetzg. d. Einbeziehg. § 31, 6; § 66, 2; des nachträgl. Verf. über d. StrAzBew. § 57, 9; des Nachverf. nach Schuldspruch § 62, 3; der Vollstr. Vor § 82, 4; der Überlassgsentsch. § 53, 5. Fiktion d. – bei Anrechng. v. UHaft § 87, 5. Rechtskraftwirkung des Schuldspruchs nach § 27: § 27, 3, 4; § 30, 2; d. Absehens nach §§ 45, 47: § 45, 20; § 47, 14; d. Entsch. über d. StrAzBew. § 57, 5. Rechtsmittel § 55, d. Angekl. § 55, 2, 19; Einlegg. durch ErzBer. u. ges. Vertr. § 67, 10; § 55, 2, 19. Zurückweisung unzulässiger – § 55, 20; s. a. unter „Anfechtbarkeit“, „Berufung“, „Beschwerde“, „Revision“; weiter bei d. einzelnen Entsch. (z. B. für vereinfachtes JVerf. § 78, 21 ff).
Reife, allg.: Einf. I; II 1; partielle Vollreife § 105, 11; sexuelle Frühreife § 105, 11 a; sonst s. „Altersreife“. Reifegradentscheidung § 105, bei Zweifeln 17; Anfechtg. § 55, 11, 18; § 105, 29; keine Bindung an frühere – § 105, 30. Einfluss auf Entzug der Fahrerlaubnis § 7, 13. Ermittlungen § 105, 5 ff, 11, 15. – Bedeutung der Ehe § 105, 7; des Führerscheins § 105, 6 b; des Einflusses von Kameraden § 105, 6 c; einer Minderbegabung § 105, 8; bei Verkehrsdelikten einschl. Kfz-Entwendungen § 105, 6 b; entscheidender Zeitpunkt § 105, 12, 15. Reifephasen § 105, 11; Einf. I 5, 24, 28; Einf. II 1. Reifestufen s. „Altersstufen“ u. „Reifegradentscheidung“. Reihenfolge der JSchöffen § 35; der U-VollzAnstalten § 93, 2; des Maßregel- u. Strafvollz. § 93 a, 6; der Vollstreckung von Freiheits- u. JStrafe § 89 a, 10, 17, 18. Repression Einf. II 9. Repressiver Charakter der ErzM § 9, 5.
Rechtsmittelbelehrung § 54, 18; ErzBer. u. ges. Vertr. § 67, 11.
Resozialisierung, Einf. II 3, 4 ff; in Freiheit durch BewZeit § 21, 1; im Registerrecht Vor § 97, 3.
Rechtsmittelbeschränkung § 55, 8, 13; vor ErwG § 55 RL 3, gg. Hw. § 55, 16; (= Teilanfechtg.) § 55, 5.
Restitution § 15, 6.
Rechtsmittelgericht, Zuständigk. § 41, 36; Übertragungsmöglichk. § 42, 12; keine bes. Bindg. im JRecht § 55, 12; Stellg. im vereinfachten JVerf. § 78, 22. S. auch „Revision“.
Revision, Zulässigk. § 55, 8, 13; s. a. bei d. einzelnen Entsch. Übergang v. – z. Berufg. u. umgekehrt § 55, 15; Übergang v. – z. sof. Beschw. bei Anfechtg. d. Entsch. z. Strafaussetzg. § 59, 2. Einzelfragen § 33, 20; § 47 a, 2 ff; § 103, 17.Rev
Rechtsmittelverzicht § 55, 5; im Anschluss an d. Urteilsverkündg. § 67, 4; bei Verwarnung § 14, 5.
Revisionsgericht § 37, 12; § 102, 1; Umfang d. Nachprüfg. § 55, 7; Beachtg. eines Zuständig-
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Rev k.mangels § 33, 17 ff; Teilanfechtung bei einer Einheitsstrafe § 31, 18; Zuständigk. z. Entsch. über Beschw. § 59, 3, 11.Rev Revisionsrügen s. „Revisionsgericht“ bei „Umfang d. Nachprüfung“. Richter bei JG § 37; Verhältnis z. BewH § 25, 1 b; z. JGH § 38, 4; s. a. „JRi“.
Sachregister Schlussbericht d. BewH § 25, 2. Schlussverfügung d. Vollstr. Vor § 82, 10. Schöffen s. „Jugendschöffen“. Schöffenlisten § 35, 3. Schöffenwahl § 35; -ausschluss § 35, 3. Schriftliche Ermahnung § 45, 31.
Richtlinien f. d. Strafverf. § 2, 13; z. JGG s. d. einzelnen Vorschriften u. allgem. Einf. II 50; § 2, 13 f.
Schriftliche Urteilsgründe § 54, 19.
Robe § 78, 18.
Schuld Einf. II 14; Schuldbegrenzung Einf. II 14–17; § 17, 14 ff; § 18, 10 ff; als Rechtfertigg. d. JStr. § 17, 9; Schwere d. – als Voraussetzg. f. JStr. § 17, 14; dann keine Aussetzg. d. Verhängg. § 27, 7.
Rollenkonflikt der JGH § 38, 4 b, 5 a, 14. Rollenfixierung Einf. I 32. Rückerstattung v. Leistungen bei Widerruf § 26 a, 11. Rückfall bei Einheitsstrafe § 31, 18; bei JA § 16, 9. Rücknahme d. Antrags nach § 76: § 78, 9; d. Rechtsmittels § 55, 5; – d. StrAntrags u. Kosten § 74, 15. Rückverweisung (durch Rechtsmittelgericht) § 41, 35; § 47 a, 7; § 103, 17. Rüsselsheimer Modell § 47, 9. Ruhen d. ErzBeistandschaft § 8, 6; d. StrVerfolggsverjährg. nach Aussetzg. d. Verhängg. d. JStr. § 28, 1; d. Vollstr. Verjähr. bei StrAzBew. § 22, 5. Rundfunk und Presse in nichtöffentl. Verh. § 48 RL S. 3, 4. Sachliche Zuständigkeit §§ 39–41; s. „Zuständigk. (sachl.)“. Sachverständiger, Aufgabe JSchutzverf. 8 f; Aussage des – über Bekundungen des Untersuchten 16; über dessen Geständnis § 73, 4; Verwertung § 43, 15; Abweichen von Gutachten § 43, 15 b; bei Vernehmung von Kindern als Zeugen JSchutzverf. 7; Anwesenheit des – in Hauptverhandlung § 43, 15; Untersuchg. durch – § 43, 15; z. Frage d. Altersreife § 3, 8; Frage d. Reifegradentsch. s. § 105, 15 a; Anhörg. vor AO d. heilerz. Behandlung § 10, 16; vor EntzKur § 10, 19; vor Unterbringg. z. Beobachtg. § 73, 8; Stellg. ggüber Ger. § 43, 15; JSchutzverf. 9; Vereidigg.; interdisziplinäre Probleme JSchutzverf. 8; Vorsicht bei Bekundungen der Lehrer JSchutzverf. 9 a; Psychiater oder Psychologe § 43, 15 u. JSchutzverf. 8. Sanktionsforschung Einf. I 7, 8. Schadensersatz § 15, 3. S. bei „ZuchtM“. Schadenswiedergutmachung § 15, 3–8; § 45, 19, 26, 30. Schädliche Neigungen § 17, 11; § 30, 7, 8; Zweifel über Vorliegen – § 27, 5. Schiedsstellen § 45, 42. Schlechterstellung J u. Hw. gegenüber Erw. Einf. II 26 a; § 17, 2. Zur Schlechterstellung im Rechtsmittelzug s. „Verschlechterungsverbot“. Schlechtpunktsysteme s. „Gutpunktsystem“.
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Schriftverkehr s. „Verkehr“.
Schuldausgleich § 17, 1 u. 15 a; § 18, 8 u. 9 a, 10. Schuldfähigkeit fehlt bei Kindern § 19 StGB § 1, 13; bei J § 3, bes. 4, 7; bei Hw. § 105, 2; Voraussetzg. bei ErzM § 9, 2. Schuldfeststellung s. „Schuldspruch nach § 27“. Schuldfrage, Auswirkungen der Einheitsstrafe auf d. – bei Anfechtg. § 31, 13; § 55, 6; unbeschränkte Anfechtg. d. – § 55, 10. Schuldkonkurrenz § 3, 10. Schuldspruch Anfechtbark. des – § 55, 10. Schuldspruch nach § 27 s. § 27; Anfechtg. § 63, 1; Behandlg. im Zentralreg. Vor § 97, 18; Erledigg. d. – § 31, 7; Einbeziehg. in Einheitsstr. § 31, 11; nachträgl. Entsch. über – § 30; Bindung an – § 30, 1 f; Tilgg. d. – § 30, 6; Form d. Entsch. § 62, 1; s. a. „Aussetzung d. Verhängung d. JStr.“. Schuldunfähigkeit allg. § 3, 10; § 7, 2, 2 a; § 105, 2; bei Drogenabhängigkeit § 3, 11; Feststellung erst im Nachverfahren § 30, 10; s. a. bei „Altersreife“. Schuldvergeltung bei JStrafe § 17, 1, 9; § 18, 8, 10; Sühnefunktion der ErzMaßregeln § 5, 3; § 9, 5. Schuldvoraussetzung, Altersreife als – § 3, 7; s. a. „Schuldfähigkeit“. Schule Kriminologische Bedeutung Einf. I 33; Vandalismus Einf. I 45; Anhörg. z. Persönlichkeitserforschg. § 43, 14; im Verf. z. Beseitigg. d. Strafmakels § 98, 5; gegenseitige MittPflicht § 70, 7 u. 8 Schul-Disziplinarrecht Einf. II 28; s. auch Lehrer. Schulabschluss bei Dauer der JStrafe § 18, 7 c. Schülerbogen § 43, 14; s. auch JSchutzverf. 9 a. Schülergerichte § 45, 19 a. Schulklassen in JVerh. § 48 RL S. 2. Schulzeugnisse § 38, 13 a; § 43, 14. Schutzbedürfnis d. Allgemeinh. § 5, 4. Schwachsinn u. Reifegradentsch. § 105, 13. Schweigepflicht d. Arztes u. Entbindung v. d. – § 67, 4. JSchutzverf. 17; d. BewH. § 25, 9; des JGHelfers § 38, 19, 19 b; s. auch „Aussageverweigerungsrecht“. Schweiz, JStrafrecht Einf. II 51. Schwere der „Schuld“ s. dort.
Str
Sachregister Schwergewicht bei mehreren Straftaten in verschiedenen Altersstufen § 32, 3; keine Bedeutg. f. Zuständigk. d. JG Vor § 102, 2; a. bei Verbindg. v. Erw- u. JStrVerf. § 103, 3; bei mehreren Straftaten vor u. nach Inkrafttreten des JGG § 116. Schwurgerichtliche Zuständigk. bei J u. Hw. § 41, 10. Sekundäre VollstrZuständigk. § 85. Selbstverwirklichung Einf. I 28 aE. Selbstwertkonflikt Einf. I, 28, 39.
Sorgerecht s. „Personensorge“. Sozialarbeiter Prävention u. Krisenintervention § 38, 20–22; s. auch JGerichtshilfe. Zeugnisverweigerung § 38, 14. Sozialer Trainingskurs § 10, 11–11 b; – nicht § 45, 26, 32. Sozialgesetzbuch VIII Einf. II 48; § 10, 14 b, 22 b; § 12; § 38, 3, 19 b; § 43, 10; § 45, 19 a; § 47, 8 a; § 50, 13. Sozialisationsprozess Einf. I 28; s. auch Vor § 97, 3 u. Erz.
Sexuelle Triebhaftigkeit Einf. I 28; § 105, 9.
Spätaussiedler, j. s. Aussiedler.
Sherman-Report Einf. I 55.
Sperrfrist nach Ablehng. d. Entlassg. z. Bew. § 88, 9.
Sicherungshaft vor Widerruf s. beim weggefallenen § 61, Anrechng. der – Übergang in Vollstr.-Haft § 61, 14, § 26 a, 13; Zuständigkeitsfragen § 61, 15; Haftentschädigung § 61, 16.
Sperrwirkung der Ablehng. d. StrAzBew. § 57, 5. Spezialisierung der JGerichtsbark., Einf. II 23; § 33, 1, 2; der JGH § 38, 2.
Sicherungsmaßnahmen vor Widerruf § 61, 7.
Spezialitätsgrundsatz im internationalen Strafrecht § 31, 22 i.
Sicherungsverfahren gg. J u. Hw. Zuständigk. § 33, 24; § 41, 13 a, 16 a.
Sport s. „Leibesübungen“.
Sicherungsverwahrung, gg. J § 7, 14 ff; gg. Hw. § 106, 8 ff; § 17, 10; EinheitsJStrafe als Voraussetzung § 31, 18. Sicherung u. Besserung s. „Maßregel d. Besserung u. Sicherung“. Sittengesetze als Grenze d. Weisung § 10, 6. Sittliche Entwicklung J Einf. I 28; § 3, 1, 4; Hw. § 105, 11. Sittlichkeitsdelikte J Einf. I 28; § 3, 4; Hw. § 105, 9. Sitzungstage § 33, 9 a. Sitzungsvertreter, örtl. – d. StA § 36, 3; im vereinfachten JVerf. § 78, 18. Sofortige Beschwerde s. allg. „Rechtsmittel“; unrichtige Bezeichnung als Ber. oder Rev. bei Anfechtg. d. StrAzBew. u. Übergang § 59, 2; s. bei den einzelnen Entsch., z. B. gg. Teilvollstr. § 56, 7; gg. StrAzBew. § 59, 2, 3, 4; gg. nachträgl. Einbeziehg. § 66, 7; gg. Unterbringg. z. Beobachtg. § 73, 10; gg. jrichterl. Entsch. § 83, 7; gg. Umwandlg. d. Freizeitin Kurzarrest § 86, 3; gg. Entsch. über Beseitigg. d. Strafmakels § 99, 5; § 100 (keine) 5; s. auch bei „Ordnungswidrigkeit“. Sofortige Verwerfung d. Berufung § 55, 4, 16. Sofortwirkungen bei JA § 16, 1. Soldaten §§ 112 a-112 e; Anrechnung disziplinaren Arrestes § 112 a, 9; § 52 a, 1; Geltg. des JGG u. d. WehrstrafGes. Vor § 112 a, vor allg. Ger. § 112 e; Maßnahmen gg. – § 112 a u. § 112, 5; Persönlichkeitserforschung § 43, 12; Verweisungen Aufenthaltszuständigkeit § 42, 5; Anhörg. d. Disziplinarvorgesetzten § 112 d; d. JGH § 112 d, 3; JAVollstr. u. -Vollz. § 112 c, 2, 3; jrichterl. VollstrEntsch. § 112 c III; als BewH § 112 a Nr. 4; § 25, 13 (s. § 112 d); Weisungen u. Wehrdienst § 10, 5. Beginn und Ende des Wehrdienstes Vor § 112 a, 1. Sondervorschriften, §§ des JGG als – § 2.
Sprungrevision § 55, 15 (WahlRev.). Staatsanwalt s. „Jugendstaatsanwalt“. Staatsschutzkammer, Zuständigkeit in JSachen, § 102, 2 ff; § 33, 13; § 41, 12 a u. 25; § 47 a, 4; § 103, 6 u. 11; JStA § 102, 4; § 36, 5 b. Staatssicherheit u. Heranziehg. v. JGH, ErzBer. u. ges. Vertr. § 104, 5. Stationäre Untersuchg. z. Persönlichkeitsermittlg. § 43, 15 a; § 73. Statistik Einf. I 9–13, 16, 18. Steckbrief bei Haftbefehl vor Widerruf bei § 61, 13. Steuerdelikte u. JRecht § 2, 6; örtl. Zuständigk. § 42, 2. Strafantragsrücknahme, Kostenfolge § 74, 15. Strafaussetzung z. Bew. §§ 21–26, 57–61; s. a. „Aussetzung d. JStr. z. Bew.“. Strafbann s. „Strafgewalt“ u. „allg. sachl. Zuständigk.“. Strafbefehl nicht gg. J § 79, 1; gg. Hw. § 109, 9, 12; Persönlichkeitserforschg. § 109, 12; Abgabe § 42, 11; – Antrag auf Entsch. des JRi. § 109, 12; bei Taten in verschiedenen Altersstufen § 109, 14; Zuständigkeit § 103, 17; § 109, 12. Strafbemessung bei JStr. § 18, 7; Begründung allg. § 54, 15. Strafbescheide d. Verwaltungsbehörden § 33, 25. Strafdrittel bei Entlassg. z. Bew. § 88, 2. Strafe s. „Jugendstrafe“, „Freiheitsstrafe“, „Erziehung“. Straferlass nach StrAzBew. § 26 a, 14. Straffrage Anfechtg. d. – § 55, 6, 6 a; s. a. § 105, 29; Einheitsstr. u. Entsch. nach § 105 betreffen nur – § 31, 18; § 105, 2 (vgl. 29); § 54, 15. Straffreiheitsgesetz u. Schuldspruch § 27, 8; bei EinhStr. § 31, 7.Str
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Str Strafgewalt d. JRi. § 41, 7, 18; § 108, 1, 2; im vereinfachten JVerf. § 78, 3; d. JSchöffG § 41, 15; § 108, 1, 2; des Berufungsger. § 41, 36.Str Strafkammer s. „Jugendstrafkammer“. Strafmakel s. „Beseitigung d. -“. Strafmündigkeit als Prozessvoraussetzg. § 1, 13; relative – § 3, 4; Teilbark. § 3, 6; bei Hw. § 105, 2; s. a. „Altersreife“; Urteilsgründe § 54, 14. Diskussion um – Einf. II 34–36. Strafrahmen d. JStr. § 18, 6 ff; s. a. „Strafdrohung“; bei Einheitsstrafe § 31, 3. Strafrechtliche Verantwortlichkeit s. „Strafmündigk.“ u. „Altersreife“. Strafregister s. „Bundeszentralregister“. Strafschärfung wegen eines Tatbestandsmerkmals § 18, 8 a. Straftat, Begriff § 1, 1; § 5, 3; Behandlung mehrerer – § 31, 1, 3; in verschiedenen Alters- u. Reifestufen § 32. – Bedeutung im JRecht Einf. II 12, 13. Straftaxen Einf. II 20. Straftilgung Vor § 97, 10, 24.
Sachregister Tat, Bedeutung d. – im JRecht Einf. II 12, 13. Tatbestand, Auslegg. eines – d. allgR im JRecht § 2, 7. Tatbestandsirrtum u. Altersreife § 3, 12. Tatbestandsmerkmale § 18, 8 a.
als
StrSchärfungsgründe
Tateinheit § 31, 1, 2; Behandlg. einer Prüfg. d. Altersreife § 3, 6. Täterbefragung Einf. I 5. Täter-Opfer-Ausgleich § 10, 12–12 f; § 15, 3–8 a; § 45, 19, 26, 30; § 47, 14; § 48, 7; s. auch OpferschutzG § 80, 8 u. 9. Täterpersönlichkeit, Bedeutung Einf. II 23; § 43, 2; Erforschg. Einf. I 2, 52; § 43; § 38, 11; gg. Hw. u. vor ErwG § 38, 17, 18, 19; § 43, RL 9. Täterstrafrecht, JRecht als – Einf. II 20, 23; § 43, 2. Tatgewinn § 6, 7; § 15, 11. Tatmehrheit § 31, 1; bei Taten in verschiedenen Alters- u. Reifestufen § 32; Bedeutg. bei Prüfung der Altersreife § 3, 6; d. Reifegrades § 105, 30. Tatverdacht § 45, 23, 24; § 47, 3. Tatzeit § 1, 8; Vor § 33, 1; § 105, 12.
Strafunmündigkeit § 1, 12; – im Nachverf. § 30, 10; Eintragg. in ErzRg. Vor § 97, 8; – s. a. „Strafmündigk.“ u. „Altersreife“.
Teilaussetzung, keine – d. JStr. z. Bew. § 21, 12.
Strafverfolgungsverjährung § 4, 1; s. a. „Ruhen“ u. „Verjährung“.
Teilnahme an Verfehlungen v. Kindern § 1, 16; bei fehlender Altersreife J § 3, 9.
Strafvollstreckung s. „Vollstr.“.
Teilverbüßung als Voraussetzg. d. Entlassg. z. Bew. § 88, 2.
Strafvollstreckungskammer § 82, 3, 3 a; § 41, 38; § 85, 5 ff; § 112 a, 11. Strafvollstreckungsordnung Vor § 82, 3. Strafvollstreckungsverjährung § 4, 3; s. a. „Ruhen“ u. „Verjährung“. Strafvollzug Begriff Vor § 82, 1; JAVollz. § 90; JStrafvollz. § 91; EntschZuständigk. § 93 a, 9; Vor § 82, 7. S. auch „JStrafvollzug“ u. „Vollzug“. Strafzeitberechnung Vor § 82, 5; § 83, 4; bei JA § 87, 5; s. a. § 450 StPO; bei Teilvollstr. § 56, 9; nach Anrechng. v. UHaft auf unbestJStr. § 52 a, 17. Strafzumessung s. „Strafbemessung“. Strafzumessungspraxis bei der JStrafe § 18, 6 f. Strafzweck § 17, 1.
Teilanfechtung, § 55, 5; s. a. § 105, 29.
Teilvollstreckung einer Einheitsstr. § 56; Vor § 82, 4; Hw. § 56 RL 2. Tenor s. „Urteil“. Terminmitteilung an JGH § 50, 12; im vereinfachten JVerf. § 78, 18. Therapie-Einrichtungen, therapeutische Gemeinschaften, Anerkennung Einf. I 50 b; § 10, 19 a. Tilgung allg. s. „Straftilgung“; des Schuldspruchs: Voraussetzg. d. AO § 30, 6; Form d. Entsch. § 62, 5; Anfechtg. § 63, 2; im BZRg Vor § 97, 10, 18, 24. Tilgungsreife als Hinderung d. Widerrufs der Beseitigg. d. Strafmakels § 101, 4. Trainingskurse, soziale § 10, 11–11 b; nicht § 45, 32.
Subkultur Einf. I 39.
Trennung verbundener Strafsachen § 103, 9, 13, 13 a; im UHaftVollz. § 93, 2, 6.
Subsidiarität Einf. II 18–21; UHaft § 72, 3, 5; d. allg. Strafrechts § 2, 5.
Trunkenheit s. „Alkohol“.
Subsidiaritätsprinzip d. JRechts Einf. II 18–21; § 5, 1; § 12, 5; d. JVerf. § 45, 4; § 47; auch d. Widerrufs d. StrAzBew. § 26 a, 7; im Verhältnis UHaft, Unterbringg. in ErzHeim u. a. vorl. Maßnahmen über d. Erz. § 71, 1; § 72, 3. Sühne im JRecht s. Schuldausgleich. Sühneversuch kein – gg. J § 80, 1. Symboltaten Einf. I 28.
594
Ubiquität Einf. I 5, 6. Übelcharakter d. ZuchtM § 13, 2. Übergang von Ber. z. Rev. u. umgekehrt § 55, 15; von Ber. oder Rev. z. sof. Beschw. § 59, 2; d. Vollstr. auf den bes. VollStrL § 85, 2, 3. Überhaft § 73, 5. Überlassung d. AO u. Auswahl d. ErzM an VormRi § 53, RL.
Urt
Sachregister Überleitung (keine) d. vereinfachten JVerf. ins förml. Verf. § 78, 9. Übernahme von Verf. bes. Umfangs durch JK § 41, 34; bei Hw. § 108, 2; d. Verf. nach Aufenthaltswechsel § 42, 10; d. vormundschaftsgerichtl. Aufgaben durch den JRi. § 34, RL 2, 3. Übertragung des Verf. § 41, 34; nach Aufenthaltswechsel § 42, 10; nach Schuldspruch § 62, 6; durch RevGericht § 41, 35; d. weiteren Entscheidg. z. B. nach StrAzBew. § 58, 6 ff [keine Weiter- § 58, 7]; nach Entlassg. z. Bew. § 88, 9; § 85, 13; der Entsch. über UHaft § 72, 11; keine – d. Vollstr. auf Rechtspfleger Vor § 82, 8 ff; § 114, 1; d. vormundschaftsrichterl. ErzAufgaben auf JRi. § 34, 3; s. a. „Abgabe“ u. „Übernahme“ u. bei d. einzelnen Vorschriften. Überwachung von Weisungen § 10, 21; Auflagen § 15, 14; § 38, 15; von BewAufl. § 23, 9; § 25, 5; d. Verurteilten bei ErzHilfe § 112 b, 6. Überweisung an „VormRi.“ (s. dort): Einfluss des Verschlechterungsverbotes § 55, 25. Überzeugungstäter § 105, 6. Umfangreiche Verfahren, Übernahme durch JK § 41, 13, 35; § 108, 2. Umwelt (Anlage, Persönlichk. u. –) Einf. I; § 43, 6; § 17, 12 aE; Einfluss auf Reifegrad § 105, 11; Bedeutg. f. StrAzBew. § 21, 6. Unbrauchbarmachung § 6, 6. Unerziehbare, Bemessg. d. JStr. § 18, 17. Unfähigkeit z. Bekleidg. öffentl. Ämter § 6, 2; § 106, 3. Ungebühr § 48, 25; s. auch „Haartracht“. Ungehorsam gg. Weisungen u. Auflagen § 11, 4 iVm § 15 III, gg. BewAufl. § 23 I 1; § 26 a, 5, 8; § 30, 8; gg. Maßnahmen des forml. ErzVerf. § 45, 37; § 47, 11; gegen VollstrAnordnungen gem. § 98 OWiG § 82, 16, 17. Ungehorsamsarrest s. „Ungehorsam“ u. „JA“. Ungültigkeit d. JSchöff-Wahl § 35, 3. Unmittelbarkeit d. Beweisaufnahme auch f. Ermittlungsbericht d. JGH § 38, 13; im vereinfachten JVerf. § 78, 20. Unsicherheit als Ausdruck j. Verhaltens § 105, 5 a. Unterbleiben d. Bildung einer Einheitsstrafe § 31, 21; § 66, 6.
d. Schlstellg. § 55, 35; Zuständigk. f. Vollstr. § 85, 8, 9. Unterbringung geschlossene § 12, 5. Unterbringungsbefehl f. ErzHeim § 71, 2. Unterlassungsdelikt u. Altersgrenze § 1, 8. Unterricht im JAVollz. § 90, 9. Unterrichtung d. Angeklagten nach zeitweiliger Ausschließg. § 51, 5; d. ges. Vertr. u. ErzBer. § 51, 7. Unterstellungszeit (BewHilfe) § 24, 1. Untersuchung durch einen Sachverständigen (Aufklärungspflicht, ambulant oder stationär, erzwingbar) § 43, 15. Untersuchungshaft §§ 72, 93; Wesen u. Zweck § 93, 5; Haftpraxis, Haftfolgen § 72, 1, 2; Vollstr. § 72, 14; Subsidiarität § 71, 1; § 72, 3; bei 14- u. 15jährigen § 72, 9; Fluchtgefahr § 72, 7; weitere Haftgründe § 72, 10; Verfahren § 72, 11; Mitteilung an u. Hilfe durch die JGH § 72, 4; § 38, 5 c; Vollz. § 93, bei Hw. § 110, § 93, 12; Anstalten § 93, 2; Haftform § 93, 2; Zuständigk. § 93, 9, 10; erz. Gestaltung § 93, 1, 6; Entsch. im Vollz. § 93, 10; Disziplinarmaßnahmen § 93, 9; § 115 II, Persönlichkeitserforschung § 43 RL 3; § 38, 11; fürsorgerische Betreuung u. Verkehr m. d. Außenwelt § 93, 8; notwendige Verteidigg. § 68, 19; Anrechnung bei JStr. § 52 a; einzelne Anrechnungsfragen dort, bei Entlassg. z. Bew. § 88, 2; bei Aussetzung d. Verhängg. d. JStr. § 27, 10; bei Einbeziehg. § 31, 14; bei JA § 52 a, 8; § 87, 5; – Verschlechterungsverb. § 55, 30. Untersuchungshaftvollzugsordnung § 121, 2. Untersuchungshandlung durch unzuständigen Ri. (Gültigk.) § 33, 21; Anwesenheitsrecht v. ges. Vertr. u. ErzBer. § 67, 9; Ausschließg. § 51, 11. Untersuchungsverweigerungsrecht 14.
JSchutzVerf.
UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes Einf. II, 42. Unzumutbare Anforderungen § 10, 7, 16; § 23, 2. Unzuständigkeit d. JG, Folgen § 33, 20; s. a. „Zuständigkeit d. JG“. Unzuständigkeitserklärung, Wirkung § 41, 3, 19. Urinkontrollprogramm § 10, 14 a; § 21, 17 a.
Unterbrechung der Verfolgungsverjährg. § 4, 1; – durch Vernehmg. des Beschuldigten § 44, 4; d. VollstrVerjährg. durch BewEntsch. § 22, 5; s. a. „Ruhen“; – d. Vollstr. von JA § 87, 4; – der JStrafe zur Vollstr. der Freiheitsstrafe § 89 a, 11–16 a.
Urkundenbeweis z. Persönlichkeit § 38, 13 a; s. a. § 43, 14.
Unterbringung z. Beobachtg. § 73; § 43, 15 a; Dauer § 73, 5; gg. Hw. u. vor ErwG § 73 RL 3; notwendige Verteidigg. § 68, 24. – einstweilige in einem ErzHeim § 71, 2; § 72, 5. – im psychiatrischen Krankenhaus § 5, 2; § 7, 2; § 41, 7, 12, 16; in EntzAnstalt § 5, 2; § 7, 3; § 41, 18; § 93 a; Verbot
Ursprüngliche Zuständigkeit im VollstrVerf. § 84.
Urkundliche Grundlagen d. Vollstr. Vor § 82, 4; d. Teilvollstr. § 85, RL II 3. Urlaubssperre bei ErzHilfe § 112 b, 7.Urt Urteil § 54, gg. Hw. § 105, 28; Rubrum § 54, 2; Tenor § 54, 3; Gründe u. Aufbau § 54, 11, 15; § 105, 28; Persönlichk. Schilderg. § 54, 11; abgekürzt § 54, 17; im vereinfachten JVerf. § 78, 21; Bekanntmachung, Verkündung § 54, 18; Öffentlichk. § 48, 1,
595
Van 11; schriftl. Urteil, Mitt. u. Ausfertigg. § 54, 19; Rechtspolitik im – § 37, 2 b; Anfechtg. § 55; § 59, 1; Wiederaufnahme § 55, 48; Einbeziehg. § 54, 8; nachträgl. Einbeziehg. durch Urteil § 66, 7; Tenorierungsvorschläge § 54, 3 ff. Vandalismus Einf. I 45.Van Verantwortlichkeit bei J § 3; bei Hw. § 105, 2; bei pol. Verwarng. Vor § 76, 1 f; bei Hilfen zur Erz. § 12, 10; bei Weisungen § 10, 3; bei ZuchtM § 13, 3; s. a. „Altersreife“, „Schuldfähigkeit“. Verbindung der Reaktionsmittel d. JGG § 8; [bes. mit Schuldspruch § 27, 12 ff]; mit NebenStr. u. Folgen § 8, 7; mit Maßregeln der Sicherg. u. Besserg. § 7, 2 a, 8, 12. Verbindung der Verfahren allg. Vor § 33, 3; örtl. Zuständigk. § 42, 8; sachl. Zuständigk. § 41, 17; wegen mehrerer Taten eines Täters § 103, 1; § 32, 13; Zuständigk. Vor § 102, 2; gg. mehrere J oder Hw. § 103, 1; Vor § 33, 3; Verf. bei J u. Hw. § 109, 6; gg. J oder Hw. u. gg. Erw. § 103, 3 ff; Zuständigk. § 103, 3; Verf. u. Rechtsmittelzug § 103, 9 ff; Zuständigk. nach Wegfall d. – § 103, 14; mit Schwurgerichtstaten Erw. § 41, 10; erstinstanzlicher – mit Berufungsverfahren § 41, 36 aE. Verbot der Verschlechterung s. „Verschlechterungsverbot“. Verbote, Weisungen als – § 10, 2; RL 1 S. 1.
Sachregister d. „ges. Vertr.“ u. „ErzBer.“ s. dort u. § 67; JGH § 38, v. Verteidiger und Beistand §§ 68 f. “Beschleunigung“ s. dort; Kosten § 74. S. a. bei „Verf.Arten“, „JStrVerf.“ u. „vereinfachtes JVerf.“ u. bei den einzelnen Vorschriften. Verfahrensarten für J Einf. II 24–26; f. Hw. § 109, 9. Verfahrensauslagen, Ersatz von – als Geldaufl. § 15, 7. Verfahrensdauer, überlange § 18, 6 d. Verfahrensregister, länderübergreifendes staatsanwaltliches Vor § 97, 31 a. Verfahrensvoraussetzung zung.“
s.
„Prozessvorausset-
Verfall § 15, 11; -serklärg. § 6, 6. Verfehlung § 1, 1. Für die ehemalige DDR vgl. § 1, 6 c Buchstabe b. Verfolgungsverjährg. § 4, 1. Verfolgungszwang gg. J § 45, 11, 12; gg. Hw. § 109, 3, 5. Verfügung s. „jrichterl.-“ u. „Straf-“. Verführung § 105, 6; s. a. Einf. I. Vergeltung s. Schuldausgleich. Vergleich deutsch–deutscher Kriminalität Einf. I 16. Verhalten, bisheriges – d. J- u. Persönlichkeitserforsch. § 43, 6; nach d. Tat u. StrAzBew. § 21, 6.
Verbotsirrtum u. Altersreife § 3, 13.
Verhandlung Einf. I 53; An- und Abwesenh. d. Angekl. § 50, 1–5.
Verbrauch der Strafklage durch formloses ErzVerf. § 45, 34; § 47, 16.
Verhängung d. JStr. im Nachverf. § 30, 7.
Verbüßung, vollständige – v. JA u. JStr. § 31, 7; § 66, 2. Verdunkelungsgefahr als Voraussetzg. d. UHaft § 72, 10. Verein Austritt, Eintritt als Weisung § 10, 6. Vereinfachtes Jugendverfahren §§ 76–78; nicht gg. Hw. § 109, 9; nicht vor ErwG § 76 RL 3. Anwendungsbereich, sachl. Voraussetzung § 78, 2; Antrag d. StA als formelle Voraussetzg. § 78, 7; Wegfall d. Zwischenverf., Prüfungspflicht d. Ri., Einstellg. d. Verf., Abgabe, Ablehng. d. Eröffng. u. d. Entsch. im – § 78, 11. Bei in verschiedenen Altersstufen begangenen Taten § 109, 14. Durchführg., Ausgestaltg., Beschleunigg., Rechtsstellg. d. Beteiligten (JGH s. a. § 38, 10; § 43, 17); Verteidigg., Verhandlung, Beweisrecht, Urteil, Mitt., Anfechtg. § 78, 17–21; Verteidigung § 68, 26; Geltung des Verschlechterungsverbotes § 55, 44; Verf. im Rechtsmittelzug § 78, 22. Vgl. auch „Ordnungswidrigkeit“.
Verjährung d. Strafverfolgg. § 4, 1; Unterbrechg. durch Vernehmg. d. Beschuldigten § 44, 4; Ruhen bei Aussetzg. d. Verhängg. d. Str. § 28, 1; d. Strafvollstr. § 4, 3; Ruhen bei StrAzBew. § 22, 5. Verkehr, Recht auf – für BewH, JGH, Betreuungshelfer, Verteidiger § 25, 10; § 38, 5; § 68, 6; mit d. Außenwelt im JAVollz. § 90, 8. Verkehrsdelikte, örtl. Zuständigk. § 42, 7; Altersreife bei – § 105, 9, 14; Schwere der Schuld bei – § 17, 16; Weisungen bei – § 10, 14; Massenkriminalität § 109, 5, 12; s. auch „Ordnungswidrigkeit“. Verkehrsunterricht als Weisung § 10 I Nr. 9; im formlosen ErzVerf. § 45, 30; im OWiVerf. § 82, 15. Verkündung s. bei „Urteil“. Verkürzung d. BewZeit § 22, 3; § 28, 1; der Unterstellungszeit § 24, 1 a. Verlängerung d. BewZeit § 22, 4; § 25, 1 u. 1 a [s. a. § 26 a, 8], § 28, 1; – d. Unterstellungszeit § 25, 1 u. 1 a.
Vereinigungen f. JHilfe § 38, 2.
Verlegung bei JStrVollstr. § 85, 1, 3, 6.
Vereinte Nationen s. „Mindestgrundsätze“.
Verletzter, Anwesenheitsrecht § 48, 12; § 51, 9; Entschädigg. § 81; § 109, 9; Interesse an d. Verfolgg. v. Privatklagedelikten § 80, 2. Zu den Rechten des Verletzten nach dem Opferschutzgesetz (§§ 406 d ff. StPO) Einzelhinweise § 80, 9. Vgl. auch „Rechtsstellung des Verletzten“.
Verfahren §§ 43–81, gg. Hw. §§ 107–111, vor d. ErwG §§ 102–104, 112, 112 e; bei in verschiedenen Altersstufen begangenen Taten (Arten, Gestaltung) § 109, 14; bei Strafunmündigk. § 1, 13. Stellg. d. J § 67, 4;
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Vol
Sachregister Verletzung eines Kindes oder J als JSchutzVerfehlg: JSchutzverf. 1. Verlust d. Fähigk., öffentl. Ämter zu bekleiden u. Rechte aus Wahlen zu erlangen § 6, 2; § 106, 3. Verminderte Schuldfähigkeit als StrMilderungsgrund § 3, 11; § 18, 6 b; bei Widerruf § 26 a, 7. Vermögensstrafe § 6, 3. Vernehmung d. Beschuldigten z. PersönlichkErforschg. § 44; § 43, 14; bei Hw. u. vor ErwG § 44 RL 1 S. 2; des Sachverständigen als Zeugen über Bekundungen d. Untersuchten JSchutzverf. 16; von Verhörspersonen nach Aussageverweigerung JSchutzverf 13, Polizeiliche Vernehmung des J u. ErzBer. § 67, 19, 20. Veröffentlichungsbefugnis § 6, 4. Verschlechterungsverbot § 55, 21; ErzM § 55, 22, 24, 26; ZuchtM § 55, 22, 23, 26; Verwarnung § 55, 23, 43; ErzBeistandsch. § 55, 23, 42, 43; Auflage, Entschuldigung, Wiedergutmachung, Bußzahlung § 55, 23; Weisungen § 55, 23, 43; ErzHilfe § 55, 23, 43; JA § 55, 23, 26, 27, 42, 43; Hilfe zur Erz. nach § 12 Nr. 2: § 55, 23, 42, 43; Überweisung an VormRichter (§ 53) § 55, 25; JStr.: ErzM u. ZuchtM § 55, 26, u. Aussetzung d. Verhängg. d. JStr. § 55, 26, 27, 40; JStr. § 55, 27, 28; Strafaussetzg. § 55, 31; UHaft § 55, 30; BewAuflagen, BewZeit § 55, 32; bei Einheits“strafe“ § 55, 29; Maßregeln § 55, 34 f; Unterbringg. i. psych. Krkhaus § 55, 34 f; Fahrerlaubnisentzug § 55, 35; Nebenstrafen, -folgen § 55, 36; Kosten § 55, 37. Verhältnis JRecht, ErwRecht § 55, 38; Freiheitsstrafe, Strafarrest § 55, 39; Geldstrafen § 55, 43. Im vereinfachten JVerf. § 55, 44; im formlosen ErzVerf. § 55, 44; bei Beschlüssen § 55, 45; im OWiVerf. § 55, 46; § 78, 23, 24. Verschubung nach Ergreifg. § 72, RL 2. Verschulden bei Zuwiderhandlg. gg. Weisungen u. Auflagen § 11, 4, 6; § 15, 13.
§ 93, 9; Anfechtungsrecht § 55, 5; Anhörg. vor Unterbringg. § 73, 8; Fälle notwendiger Vert. § 68, 15 ff; im Ermittlungsverf. § 68, 15; im vereinfachten JVerf. § 68, 26; Mitwirkg. im VollstrVerf. § 68, 27; im Vollzug § 68, 28. Verteidigung s. vor allem bei „Verteidiger“; Besonderheiten im JVerf. § 68, 8 ff; notwendige – § 68, 4 ff; § 67, 16; § 71, 9; § 104, 6; § 83, 7; im Ordnungswidrigkeitsverfahren § 68, 4 aE; 19 aE; Gebühren § 74, 11; -auslagen, Ersatz bei Freispruch wg. Altersunreife § 74, 2; allg. § 74, 7. Vertrauensseligkeit, Ausdruck j. Verhaltens § 105, 5 a. Verurteilung iSd. Führungsaufsicht u. Sicherungsverwahrung § 17, 10; § 31, 18; § 13 III 2, iSd. Wiederaufnahmevorschriften § 55, 48; d. Kostenvorschriften § 74, 5; iSd § 101 siehe dort 1. S. auch „Urteil“. Verwahrlosung Einf. I 24 u. schädliche Neigungen § 17, 21; u. Bew. § 21, 1; u. Reifegradentsch. § 105, 8. Verwaltungsbehörde, Zuständigk. gg. J u. Hw. § 33, 25; § 1, 2; § 45, 38; § 79, 4; § 82, 7; Anhörg. vor Beseitigg. d. Strafmakels § 98, 5. Verwaltungsentscheidungen bei StrVollstr. StrVollz. § 83, 1; § 90; § 92, 2, 3, 6.
u.
Verwaltungsvorschriften, Vorrang d. jrechtl. – § 2, 12. Verwarnung § 14; gg. Hw. u. Soldaten § 14, 4; § 112 a, 4; Vollstr. § 14, 5; § 85 RL IV 1; § 82, 5. – S. a. “Zuchtmittel“; – gebührenpflichtig und gebührenfrei durch Polizei Vor § 76, 2. Verweigerung körperl. Untersuchung JSchutzverf. 14. Verweisung bei Unzuständigk. d. JG § 41, 21 ff. Verwirkung § 67, 4.
Verschweigungsrecht registerl. Vor § 97, 11, 26; § 38, 16.
Verzicht § 55, 5; § 67, 4.
Versicherung gg. Unfälle bei Durchführung v. Weisungen u. Auflagen § 10, 22, bei heilerz. Behandlg. u. Entzkur als Kostenträger § 10, 17. S. auch „Haftpflicht“.
Volljährigkeit, Erz. des Hw. Einf. II 11, 37 ff; § 9, 7; § 53, 1; § 105, 20; § 109, 1. Bedeutg. f. Rechtsmittel § 55, 2; VollstrZuständigk. nach – § 84, 4; im Übrigen s. bei d. einzelnen Vorschr.
Videotechnologie Anh. § 125, 5 a aE.
Verstandesreife § 3, 4.
Vollreife, partielle § 105, 11.Vol
Verständigung im Strafprozess, s. Absprachen.
Vollstreckung §§ 82–89 a, 110, 112 c, gg. Hw. § 110; von Entsch. eines ErwG Vor § 82, 2; § 104, 1; § 84, 4; Begriff Vor § 82, 1 (auch über Betrieb d. –); -organ, behörden § 82, 1; Entlastung d. Richters durch Rechtspfleger Vor § 82, 8; § 83, 5, 8; vgl. § 114 RL 6; Schlussverfügung Vor § 82, 10; – als Justizverwaltungsaufgabe § 83, 1, 3; Einwendungen u. Beschw. § 83, 3, 7; Nebengeschäfte § 85 RL II 4. Bei Wiederaufnahme § 55, 48; bei Teilrechtskraft § 56; über Rechtskraft u. urkundl. Grundl. s. Vor § 82, 4; Übergang, Abgabe, Rückgabe, Weitergabe, Widerruf § 85; Hilfen zur Erz. nach § 12: § 82, 4; Verwarng. § 14, 5 u. Auflagen § 15, 13; § 82, 4–7; JA
Verstoß gg. BewAufl. § 26 a, 4, 5; § 29, 3; § 30, 4, 8; gg. Weisungen u. Auflagen § 11, 4; § 15, 13; § 23 I 3; § 65; § 53, 8. Versuch § 4, 1. Verteidiger § 68; für Hw. u. vor ErwG § 68 RL; § 104, 6; Wahlverteidiger § 68, 2; – s. a. „Verteidigg.“. Recht zur freien Wahl § 68, 2; § 67, 8. Bestellg. d. Pflicht-, Auswahl § 68, 4; Erz. u. Vert. § 68, 8; Recht auf Anwesenheit in der HVH § 48, 12; § 51, 11; auf Verkehr § 68, 6; § 93, 7 a; auf Akteneinsicht § 68, 6; Vor § 97, 27–27 b; Rechtsmittel § 68, 7;
597
Vol §§ 86 f, § 85 RL V, s. „JAVollstr.“; JStr. §§ 88 f, § 85 RL VI, s. „JStr.“ unter „Vollstr.“; v. vorl. AO über die Erz. u. vorl. Unterbringg. in ErzHeim § 71, 2; Unterbringg. z. Beobachtg. § 73, 8 aE; – der Unterbringung in psych. Krankenhaus, Zuständigkeit § 85, 8, 9; in der Entziehungsanstalt § 7, 3; § 93 a; Zuständigkeit für JStrafe § 89 a, 1–6; für Freiheitsstrafe § 89 a, 7; für mehrere J- u. Freiheitsstrafen § 89 a, 8; Unterbrechung der JStrafe § 89 a, 11 ff; Reihenfolge § 89 a, 10; § 93 a, 6; Führungsaufsicht § 7, 8; § 82, 3; vorl. Sicherungsmaßnahmen § 61, 14, 15. – von Bußgeldsachen § 82, 6 ff; s. im Einzelnen bei „Ordnungswidrigkeit“. – ausländischer Urteile § 1, 5; Verteidigung im Vollstreckungsverfahren § 68, 27; nach OWiG § 82, 6 ff.Vol Vollstreckungsleiter, Begriff § 82, 1; Stellg. § 83; Beschwerderecht § 83, 3, 4; örtl. Zuständigk. §§ 84 ff; bes. – § 85, 2 ff; bei nachträgl. Entsch. über Weisungen u. Auflagen § 65, 2; bei nachträgl. Einbeziehg. § 66, 10; bei Entlassg. z. Bew § 88, 6 ff; bei Ausnahmen v. JStrVollz. § 92, 4, 6; § 83, 6; § 85, 4; Zuständigk. beim – § 42, 6; bei Vollstr. von Fr.- u. JStr. § 89 a, 1–8. Vollstreckungsverjährung § 4, 3; Ruhen während BewZeit § 22, 5; § 87 IV kein Fall der – § 87, 1. Vollstreckungszuständigkeit §§ 84 f, ursprüngl. (primäre) § 84, nachfolgende (sekundäre) §§ 85; 84, 1; Einfluss d. Ausnahme v. JStr.Vollz. auf – § 89 b, 2; § 85, 4. Vollzug §§ 90–93, 110, 112 c, Begriff Vor § 82, 1; bei Hw. § 110, 2; bei Ausländern Einf. I 23; Tätigk. d. JGH während d. – § 38, 16; d. JA § 90 s. a. „JAVollz.“; d. JStr. Vor § 90; Verteidigung im Vollzug § 68, 28; – d. Freiheitsstr. wie JStr. § 114; – d. UHaft § 89 c, 2. Vollzugsbeamte (Ausbildung, Eignung, Auswahl) § 93 a, 3. Vollzugsbehörde im JAVollz. § 90, 7. Vollzugsleiter, allg. Vor § 82, 1; im JAVollz. § 90, 7. Vollzugsnähe, Grundsatz § 85, 3. Vorbehalt d. Entsch. über d. Strafaussetzg. § 57, 2. Vorbewährung § 57, 4; § 45, 35; § 47, 11. Vorführung z. PersönlichkUntersuchung § 43, 15. – z. Aushändigung des BewPlanes § 60, 10; – z. Anhörung über Änderung v. Weisungen § 65, 7. Vorlage an die JK bei bes. umfangreichen Verf. § 41, 34; – zur Übernahme zuständigkeitshalber § 41, 21 ff. Vorläufige AO über die Erz. § 71; – Maßnahmen vor Widerruf d. StrAzBew. beim weggefallenen § 61. Vormundschaftsgericht, Zuständigk. § 42, 4; keine bei Hw. § 42, 4; § 108, 5; Abgabe weg. JVerf. § 42, 9; Gerichtsstand des – § 42, 4; § 112 c, 1; s. a. „VormRi“. Vormundschaftsrichter, Grundsatz der Einheit v. – u. JRi § 34, 3; Überlassg. der Auswahl u. AO v. ErzM
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Sachregister § 53, durch ErwG § 53 RL; Stellg. im nachträgl. Verf. § 53, 7; Befugnisse auf Grd. bürgerl. R § 53, 10; Bestellg. eines Prozeßpflegers § 67, 16; Mitt. § 70. Vormundschaftsrichterl. ErzAufgaben – Begriff, Übertragg. auf JRi § 34, 3. – Maßnahme bei fehlender Altersreife u. Begriff § 3, 15; § 9, 1 a; als Voraussetzung d. VerfEinstellg. § 45, 18; § 47, 8. Vorrang d. JGG § 2, 1; d. JGG Gerichtsstände § 42, 1, 7; ErzGedanke Einf. II 4–10. Vorschlagsliste f. d. Wahl d. JSchöff. § 35, 3. Vorstrafe, JStrafe als – § 17, 10; nach Einbeziehung in eine Einheitsstrafe § 31, 18. Vorverfahren §§ 43–46; Zuständigkeit § 34, 2. Wahl d. JSchöff. § 35; – zwischen Berufung u. Revision § 55, 15. Wählbarkeit, Verlust § 6, 2; § 106, 3. Wahlrevision § 55, 15. Wahlverteidiger § 68, 2 u. 8; § 74, 11; s. auch „Pflichtverteidiger“. Wechsel d. „Aufenthalts“ s. dort. Wehrdienst §§ 112 a-112 e; – s. a. „Soldaten“. Wehrstrafgesetz, § 112 a, Vorb. 3, 4. Weisungen §§ 10, 11, 112 a Nr. 3; § 112 b, 11; § 65; § 53, 8; im formlosen ErzVerf. § 45, 30 ff; § 47, 9; Begriff § 10, 2, 3; Unterschied z. Auflagen § 15, 1; Anwendungsbereich bei Hw. § 10, 4; gg. Soldaten § 10, 5; § 11, 3 (s. a. § 112 d, 1); als BewAufl. § 23, 2; Grenzen § 10, 6, 7; Auswahl § 10, 4 (bes. Bedeutg. d. Alters u. Entwicklungsstandes); Inhalt § 10, 8 ff; Arbeitsleistungen § 10, 9–9 c; ArbeitsschutzG § 10, 9 d; Betreuungsweisung § 10, 10, 10 a; Täter-OpferAusgleich § 10, 12–12 f; weitere Weisungen § 10, 13 ff; heilerz. Behandlung § 10, 15; Entziehungskur § 10, 18; Therapie-Einrichtungen § 10, 19 a; deren Anerkennung Einf. I 50 b; Methadon u. Polamidon § 10, 19 b; Bestimmtheit § 10, 3; Dauer, Endtermin § 11, 1; § 54, 4; – u. Grundgesetz § 10, 6; vorherige Anhörg. d. JGH § 38, 15; des Disziplinarvorgesetzten § 112 d; Vollstr. § 82, 5; keine zwangsweise – § 10, 20; Überwachg. § 10, 21; § 38, 15; Kosten d. Durchführg. § 10, 17, 22 a; Änderg., Ergänzg., Befreiung, Zuwiderhandlungen Vor § 10, 1; § 11, 2, 4; § 65; § 53, 8; s. bei „ErzM“; Hilfen zur Erz. nach dem SGB VIII § 10, 14 b. Weitere Aussetzg. d. Verhängg. d. JStr. § 30, 5; – Beschwerde s. bei den einzelnen Entsch. – Entsch. nach StrAzBew. § 58, 1, Anfechtg. § 59, 2; nach Aussetzg. d. Verhängg. d. JStr. § 62, Anfechtg. § 63. Werdegang u. PersönlichkErforschg. § 43, 6. Wertersatzstrafe § 6, 3. Wesentliches Ergebnis d. Ermittlungen i. d. Anklageschrift § 46, 5; vgl. § 41, 19, 21. Widerklage gg. einen J § 80, 6; Kosten § 74, 15. Widerruf d. StrAzBew. (Zeitpunkt, Voraussetzungen, Subsidiarität) § 26 a; Verf. § 58; Anfechtg.
Zus
Sachregister § 59, 5; d. Abgabe d. Vollstr. § 85, 15; d. Übertragg. d. Nebenentsch. § 58, 6; s. § 88, 17; – nach Aussetzung eines Strafrestes § 88, 11. Widerrufsbeschluss, Vollstreckbarkeit § 26 a, 13. Wiederaufnahme d. Verf. § 55, 48; s. § 1, 12; bei nachträgl. Verhängg. v. JA durch Beschl. § 55, 49; – d. Verfolgg. nach formlosen ErzVerf. § 45, 20; – nach Einstellung gem. § 47, 16. Wiedereinsetzung i. d. vorigen Stand bei Versäumg. d. Rechtsmittelfrist durch ErzBer. u. ges. Vertr. § 50, 9; § 67, 10, 11; auch § 59, 4; bei öffentl. Zustellung § 2, 2 u. 5; § 55, 47 a. Wiedergutmachung d. Schadens § 15, 3; § 81; § 109, 9, 11, s. bei „ZuchtM“. Wiederholte Unterbringg. Gesamtdauer § 73, 5. Wiederholungsgefahr als Haftgrund § 71, 7; § 72, 10; § 61, 5. Willensbildungsfähigkeit § 3, 4. Wirkung d. Einbeziehg. § 31, 17, 18. Wirkungseinheit (Grundsatz) § 31, 3. Wirtschaftsstrafkammer § 33, 20 c; § 41, 12 a u. 25; § 47 a, 4; § 103, 6, 11, 16; JStA § 102, 4; § 36, 1 a. Wohlverhalten (Prognose) § 21, 6. Wohlwollensgebot Einf. I 40 a. Wohnsitz d. JSchöff. § 35, 3. Zahlung eines Geldbetrages § 15, 10. Zeit d. Tat § 1, 8; unlösbare Zweifel § 1, 11. S. a. „Zeitpunkt“. Zeitpunkt d. Widerrufs d. StrAzBew. § 26 a, 1. Maßgebender – für die Reifegradentscheidung § 105, 12, 15 a; – f. Verlängerung BewZeit § 22, 4; der Unterstellungszeit § 25, 1 u. 1 a. Zeitweise „Ausschließg.“ s. dort. Zentralregister Vor § 97; s. a. „Bundeszentralregister“, „ErzRegister“ u. bei den Einzelvorschriften. Zeugen, Ausschließg. v. d. Verh. § 48, 13, 14, 17–20; § 51, 17; – vom Hörensagen § 38, 13 a. ZeugenschutzG § 10, 12 f; § 48, 14 ff; § 80, 14 f; JSchutzVerf. 5 a f. Zeugnisse § 38, 13. Zeugnisverweigerungsrecht d. BewH § 25, 9; d. JGH § 38, 14; des j. verwandten Zeugen JSchutzverf. 10 ff. Zuchtmittel § 13; Begriff, Wesen 2; Verantwortlichk., Anwendgsbereich 3; bei Hw. § 105, 21; nicht nach Tilgg. d. Schuldspruchs § 30, 7; Verhältnis z. ErzM u. JStr. Einf. II 18; § 5, 3; § 13, 2; daneben Entziehg. d. Fahrerlaubnis § 7, 13; Verbot d. Schlechterstellg. § 55, 22, 26; Verhältnis z. ErwStr. § 55, 42, 43; Rechtsmittelbeschränkg. § 55, 8 ff; Wiederaufnahme d. Verf. § 55, 48, 49; ErzReg. Vor § 97, 3, 5, 6; § 85 RL IV, V (JA §§ 86 f, 90); vollständige Verbüßg.
§ 31, 7; s. a. „Auflagen“, „JA“ u. „Verwarnung“. Grund für Aussageverweigerung § 13, 5. Für die ehem. DDR vgl. § 1, 6 c Buchstabe c. Zulassung nicht zur Anwesenh. Berechtigter § 48, 21; v. Schulklassen, Presse u. Rundfunk § 48, 21; RL S. 2–4. Zurechnungsfähigkeit s. „Schuldunfähigkeit“ u. „Schuldfähigkeit“. Zurücknahme s. „Rücknahme“. Zurückstellung d. Strafvollstreckung bei Betäubungsmittelabhängigen § 17, 23 ff. Zurückverweisung § 41, 35; § 47 a, 7; § 103, 17. Zurückweisung unzulässiger Rechtsmittel § 55, 20. Zusagen § 23, 8; § 57, 6; § 26 a, 6. Zusammenarbeit zwischen Ri. u. BewH § 25, 1 a ff; Ri., StA u. JGH § 38, 4. Zusammenhang u. Zuständigk. § 41, 17; § 42, 8; d. Weisungen m. d. Tat § 10, 3. Zuständigkeit d. JG § 33; gg. Hw. § 107; bei Straftaten in verschiedenen Alters- u. Reifestufen Vor § 102, 2; Ausnahmen §§ 102 f; Vor § 102, 1; – d. BGH, ObLG, OLG, Staatsschutzkammer § 102, 1, 2; – anderer ErWG bei Verbindg. § 103; d. Verwaltungsbehörden § 33, 25; d. VormRi. für Hilfen zur Erz. § 12, 2; zu nachträglicher Einheitsstrafenbildung § 66, 10 u. 11; bei Ordnungswidrigkeiten § 33, 25; § 41, 9, 40; § 42, 13. Zuständigkeit, funktionelle zwischen d. JG § 41, 6; § 34, 2; § 102, 1 (Rechtsmittel); – des JStA § 36, 5; bei Taten vor und nach Vollendung des 21. Lebensjahres Vor § 102, 2; nach Wegfall der Verbindung § 103, 10, 13, 14; – s. a. „Zuständigk. d. JG“. S. a. „Präsidium“. – örtliche § 42, 5; f. Hw. § 108, 5; in JSchutzVerf. 4 ff; Konzentration für größeren Bezirk § 33, 10; Einwand d. Unzuständigk. § 33, 18; § 42, 8; JStA § 36, 6; § 42, 3; d. JGH § 38, 3; d. VollstrL §§ 84 f, bes. § 84, 3; s. a. „Gerichtsstand“. – sachliche §§ 39–41, 108, 1; vor ErwG § 41, 5; im JSchutzVerf. 5; d. JRi. § 41, 7, 18, 19 ff; § 108, 1; d. JSchöffG § 41, 15, 19 ff; § 108, 2 a; d. JK § 41, 8, 10 ff, 21 ff; 34, 36, 38, 40; § 108, 2; StaatsschutzK (§ 41, 10, 12 a; Vor § 102, 1; § 102, 2 ff; § 103, 6; § 47 a, 4 ff; OLG, ObLG, BGH § 41, 14; § 102, 1). – zur Bildg. einer Einheitsstrafe § 41, 41; zur AO v. Maßregeln d. Besserg. u. Sicherg. § 41, 12, 13 a, 16. Bedeutg. f. d. Verbindg. § 103, 3, 17; Einfluss d. StA § 41, 7 ff, 19 ff; § 103, 4, 19 a, JSchutzverf. 5. – für einzelne Entsch. s. dort; – in Gnadensachen § 82 Vorb. 7. – VollstrLeiter – VollstrKammer § 85, 11, 14. Zuständigkeit, örtliche: § 42, Binnenschifffahrt § 42, 2 a; Hw. § 42, 4; OWiG § 42, 13. Zuständigkeitskonzentration § 33, 5. Zuständigkeitsprüfung, sachl.: bei Anklage § 41, 7 ff, 19 ff; vor Eröffnungsbeschl. § 41, 19 ff; im gerichtl. Verf. § 41, 21 ff; – örtl. § 42, 7, 8; beim Antrag n. § 76; § 78, 11, 15.Zus
599
Zus Zustellung, öffentl. § 2, 9; vgl. auch „Wiedereinsetzung“.Zus Zustimmung d. Betroffenen z. Weisung § 10, 3 b, 16, 18; § 57, 7; d. ErzBer. z. Weisung § 10, 16 f; des gesetzl. Vertreters zur Aussage als Zeuge JSchutzVerf. 11–13; nachträgliche – z. körperl. Untersuchung 14; zur Glaubwürdigkeitsuntersuchung 15; des Besch. § 45, 25; d. StA § 47, 12; z. Abgabe § 42, 10; z. AbwesenheitsVerf. § 50, 2; § 78, 20; z. Tilgg. d. Schuldspruches durch Beschl. § 62, 5; § 63, 2; z. Einstellung gem. § 47 im vereinfachten § 78, 14. Zutrittsrecht d. Verteidigers § 68, 6; d. BewH § 25, 10; d. JGH § 38, 5; bei UHaft § 72 b, 2. Zuwiderhandlung (Verhängg. v. JA bei –) gg. Weisungen u. Auflagen §§ 11 III, 15 III; § 11, 4; gg.
600
Sachregister BewAufl. § 23 I 3; § 26 a, 4, 5; Verf. § 65, nach AO d. Weisung durch VormRi. § 53, 8; bei § 98 OWiG § 82, 16. Zwangsmaßnahmen, keine – zur Durchsetzg. v. Weisungen § 10, 20; Auflagen § 15, 13; keine – bei Anerbieten u. Zusagen § 26 a, 6; keine – gg. Kinder als Zeugen, § 1, 4; keine – im vereinfachten JVerfahren § 78, 17; keine – bei Auflagen n. § 45: § 45, 20, 28. Zweidrittelmehrheit zu. Aufnahme in die JSchöffVorschlagsliste § 35, 3; – z. Entsch. nach § 105: § 105, 27; vgl. „Mehrheit“. Zweifel über Tatzeit u. Alter § 1, 11; über Altersreife § 3, 8, 10 a; über Reifegrad § 105, 17. Zwischen-Bericht d. BewH § 25, 2.