Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627–1693): Eine politische Biographie [1 ed.] 9783428494972, 9783428094974

Gegenstand der Dissertation sind das Leben und politische Wirken Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau. Der Ehemann einer

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German Pages 505 Year 1998

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Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627–1693): Eine politische Biographie [1 ed.]
 9783428494972, 9783428094974

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MICHAEL ROHRSCHNEIDER

Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627-1693) Eine politische Biographie

Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Herausgegeben im Auftrag der Preußischen Historischen Kommission, Berlin von Prof. Dr. Johannes Kunisch

Band 16

Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627-1693)

Eine politische Biographie

Von Michael Rohrschneider

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Rohrschneider, Michael:

Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627-1693): eine politische Biographie I von Michael Rohrschneider. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Quellen und Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte ; Bd. 16) Zug!.: Bonn, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09497-2

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany

© 1998 Duncker &

ISSN 0943-8629 ISBN 3-428-09497-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Vorwort Die vorliegende Studie wurde im März 1997 an der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation eingereicht und ftlr die Drucklegung geringfllgig überarbeitet. Mein herzlicher Dank gilt zuerst meinem verehrten akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Ernst Opgenoorth, der die Arbeit angeregt, stets geilirdert und in vorbildlicher Weise betreut hat. Herrn Professor Dr. Bernd Roeck danke ich fllr die Übernahme des Korreferates. Besonders danken möchte ich Herrn Professor Dr. Johannes Kunisch, der die Aufnahme dieser Dissertation in die Schriftenreihe "Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte" veranlaßt hat. Sehr zu danken habe ich ferner der Studienstiftung des deutschen Volkes fllr die Gewährung eines Promotionsstipendiums und der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn fiir einen Druckkostenzuschuß. Darüber hinaus möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die mich bei der Erarbeitung meiner Dissertation unterstützt haben, insbesondere bei meiner Frau, Gabriele Asen M.A., sowie bei den Herren Mattbias Peter Jaroch M.A., Ulrich Josten M.A. und Dr. Andreas Schätzke (alle Bonn), die sich der mühsamen Arbeit des Korrekturlesens unterzogen haben. Widmen möchte ich diese Arbeit meinen Eltern fllr die vielflUtige Unterstützung während meines Studiums und meiner Frau fllr den großen Rückhalt, den sie mir stets geboten hat. Köln, Ostern 1998

Michael Rohrschneider

Inhaltsverzeichnis I. Einleitung .............................................................................................................. 15 I. Vorbemerkung ................................................................................................... 15 2. Forschungsstand- Fragestellungen -Methode .................................................. 18 3. Die Quellenlage ................................................................................................. 25 II. Kindheit und Jugend ............................................................................................ 29 111. Zwischen Karl X. Gustav und dem Großen Kurfürsten: Im SchwedischPolnischen Krieg (1655-1660) .............................................................................. 40 I. Der Eintritt in die schwedische Armee und die militärischen Aktivitäten bis 1657 .................................................................................................................... 40 2. Der Übertritt in die Dienste des Kurfiirsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg und der Feldzug 1658/59 ...................................................................... 51 3. Die Hochzeit in Groningen ................................................................................ 66 4. Der Ausklang des Krieges 1659/60 ................................................................... 73 IV. Die doppelte Aufgabe: Aspekte des Wirkens als Landesherr bis zur Übernahme des Seniorats und als kurbrandenburgischer Amtsträger ...................... 82 I. Landesherrschaft in Anhalt: Ausgangslage, Probleme und Lösungsversuche im ersten Regierungsjahrzehnt (1660-1670)....................................................... 82 a) Recht - Verfassung - Verwaltung ................................................................. 82 b) Wirtschaft- Gesellschaft- Bevölkerung ....................................................... 99 c) Religiöses, geistiges und kulturelles Leben ................................................ 116 d) Zwischen Berlin und Wien: Zum Problem von Klientel und Patronage ............................................................................................................ 126

8

Inhaltsverzeichnis 2. Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und Grundzüge des Wirkens in kurbrandenburgischen Diensten (1658-1693) ................................................. 134 a) Statthalter der Kur und Mark Brandenburg und Wirklicher Geheimer Rat .............................................................................................................. 134 b) Hofund Diplomatie .................................................................................... 150 c) General der Kavallerie und Generalfeldmarschall ...................................... 160 3. Der reisende Statthalter: In kurbrandenburgischen Diensten vom Frieden von Oliva bis zur Vorphase des Französisch-Niederländischen Krieges (1660-1670) ..................................................................................................... 167

V. Der Französisch-Niederländische Krieg (1672-1678179) ................................. 195 l. Das diplomatische Vorspiel... .......................................................................... 195 2. Die Missionen an den Kaiserhof 1672 ............................................................ 202 3. Der verhinderte Krieg: Die militärischen Operationen 1672173 ...................... 209 4. Im Zeichen des Separatfriedens von Vossem .................................................. 221 5. "Es wird im Lande alles sehr kleinmüthig": Die Statthalterschaft während des Schwedeneinfalls 1674175......................................................................... 231 6. Der Herbstfeldzug nach Pommern 1675 .......................................................... 259 7. Hannoverische und brandenburgische Einquartierungen in Anhalt ................ 263 8. Die Reise an den Kaiserhof 1677178 ............................................................... 272 9. Kriegsausgang und Friedensschluß 1678179 ................................................... 279

VI. Parteiginger des Kaisers im Zeitalter der Reunionen und der Türkengefahr (1679-1688).................................................................................................. 285 l. "Arnico di casa": Bemühungen um eine kurbrandenburgisch-kaiserliche Verständigung ( 1679-1682) ............................................................................ 285 2. Die Mission an den Kaiserhof 1683 ................................................................ 293 3. Anhaltische Interessenpolitik in Wien und Berlin ........................................... 308 a) Probleme im Zusammenhang mit der Angliederung von Magdeburg an Brandenburg-Preußen 1680/81 ................................................................... 308 b) Die askanische Frage .................................................................................. 314 c) Reichsdefension, Türkenkrieg und Reichskrieg gegen Frankreich ............. 318

Inhaltsverzeichnis

9

4. Der kurprinzliche Revers über die Rückgabe von Schwiebus: Vorgeschichte- Bedeutung- Wirkungen ................................................................327

VII. Unter dem neuen Kurffirsten (1688-1693) ..................................................... 342 I. Der Regierungsantritt Kurftlrst Friedrichs III. von Brandenburg und der Ausbruch des PflUzischen Erbfolgekrieges ................................................... 342 2. Im Zeichen des Sachsen-Lauenburgischen Erbfolgestreits .......................... .356

VIII. Das Seniorat Johann Georgs 11.: Innere Politik in Anhalt/Anhalt-Dessau (1670-1693) .......................................................................................................373 1. Recht- Verfassung- Verwaltung- Militär ................................................... 373

a) Senior, Fürsten und Gesamtung ............................................................... 373 b) Senior und Stände .................................................................................... 3 79 c) Regierung und Verwaltung in Anhalt-Dessau .......................................... ~95 2. Wirtschaft, Gesellschaft und Bevölkerung in Anhalt-Dessau .......................400 3. Religiöses, geistiges und kulturelles Leben................................................... 417

IX. Dynastie - Nachfolger - Tod ............................................................................. 431 X. Schlußbetrachtung ........................................................................................... 439 Quellen- und Literaturverzeichnis ............................................................................ 444 Personenregister ......................................................................................................... 493

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis Abschr.

Abschrift

ADB

Allgemeine deutsche Biographie

AFA

Alte Feldakten

Anm.

Anmerkung

AÖG

Archiv filr Österreichische Geschichte

Art.

Artikel

BA

Bundesarchiv

Best.

Bestand

Bl(l).

Blatt, Blätter

BLHA

Brandenburgisches Landeshauptarchiv

BPH

Brandenburg-preußisches Hausarchiv

E.C.D.

Eure Churfilrstliche Durchlaucht

E.C.G.

Eure Churfilrstliche Gnaden

eh

eigenhändig

EM

Etats-Ministerium

Fasz.

Faszikel

FBPG

Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte

fol.

folio, Blatt

Fst.

Fürst

GöStReg.

Geheime Österreichische Staatsregistratur

GStAPK

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

HA

Hauptabteilung

HAZerbst

Hauptarchiv Zerbst

HHStAW

Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien

HStA

Hauptstaatsarchiv

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis

11

HZ

Historische Zeitschrift

I.K.M.

Ihre Kaiserliche Majestät

IPO

Instrumenturn Pacis Osnabrugense

JRA

Jüngster Reichsabschied (1654)

KA

Kriegsarchiv

Kart.

Karton

Kfst.

Kurftlrst

Kg.

König

KHA

Koninklijk Huisarchief

Konv.

Konvolut

Konz.

Konzept

LA Magd.

Landesarchiv Magdeburg Landeshauptarchiv

LAO

Landesarchiv Oranienbaum

Ld.

Liebden

Loc.

Locat, Bezeichnung filr Aktengruppe im Sächsischen Hauptstaatsarchiv

MIÖG

Mitteilungen des Instituts fllr Österreichische Geschichtsforschung

Ms. Boruss.

Manuscripta Borussica

ND

Nachdruck, Neudruck

NDB

Neue deutsche Biographie

NF

Neue Folge

o.J.

ohne Jahresangabe

o.O.

ohne Ortsangabe

Präs.

Präsentatvermerk

Pr. Br.

Provinz Brandenburg

P.S.

Post Scripturn

r

recto, Vorderseite eines Blattes

Rep.

Repositur

RHR

Reichshofrat

RK

Reichskanzlei

12

Abkürzungs- und Siglenverzeichnis

SBB PK (1)

Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz - Haus 1

S.C.D.

Seine Churtllrstliche Durchlaucht

S.C.G.

Seine Churtllrstliche Gnaden

s.f.

sine folio, ohne Blattangabe

s.l.e.a.

sine loco et anno, ohne Orts- und Jahresangabe

StA

Staatsarchiv

StAbt.

Staatenabteilung

StK

Staatskanzlei

Tlr.

Taler

UA

Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurtllrsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg

V

verso, Rückseite eines Blattes

ZHF

Zeitschrift fllr Historische Forschung

Hinweise Zur Entlastung des Anmerkungsapparates wird in den Fußnoten in der Regel nur der Nachname des Verfassers, Herausgebers oder Bearbeiters eines zitierten Werkes - im Bedarfsfall ergänzt durch den abgekürzten oder vollständigen Vomamen sowie durch eine kennzeichnende Kurzform des Titels - bzw. eine Sigle oder ein Kurztitel des jeweiligen Werkes mit der entsprechenden Seitenzahl aufgeführt. Die bibliographisch vollständige Angabe findet sich im Quellen- und Literaturverzeichnis. Eckige Klammem [ ] kennzeichnen Zusätze des Autors. Datumsangaben im Text erfolgen nach dem Gregorianischen Kalender(= neuer Stil) und in den Anmerkungen entsprechend der jeweiligen Vorlage. uatumsangaben nach dem Julianischen Kalender (= alter Stil) sind als solche gekennzeichnet. Enthält die Vorlage nur eine Datumsangabe nach dem Julianischen Kalender, dann ist in den Anmerkungen das Datum nach Gregorianischem Kalender in eckigen Klammem [ ] hinzugefügt (z.B. 7. (/17.] 11. 1627). Doppeldatierungen wurden übernommen. Kürzungen in der Vorlage werden im Text aufgelöst oder - bei häufig vorkommenden Kürzeln (wie z.B. "Ew. Churf. Gnad.") - vereinheitlicht und als Abkürzung (hier: E.C.G.), die sich im Abkürzungs- und Siglenverzeichnis aufgeschlüsselt findet, wiedergegeben. Den "Empfehlungen zur Edition frühneuzeitlicher Texte" (in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. Berichtsjahr 1980, S. 85-96) folgend, werden beim Zitieren von ungedruckten Quellen die Buchstaben i, j, u, v und w entsprechend dem Lautwert wiedergegeben. Die Zusätze "recto" (r) und "verso" (v) bei Folioangaben zu ungedruckten Quellen werden nur ausnahmsweise angefilhrt, und zwar in Fällen, bei denen dies zum problemlosen Auffinden der angemerkten Stelle in der Vorlage erforderlich erschien. Die Interpunktion wurde nach grammatikalischen Gesichtspunkten vereinheitlicht. Eigenhändige Schreiben (eh), Konzepte (Konz.) und Abschriften (Abschr.) sind als solche gekennzeichnet. Eine Ausnahme bilden die zwischen den Fürstenhöfen in Anhalt zirkulierenden, zumeist abschriftlich überlieferten Senioratskorrespondenzen, bei deren Zitierung auf derartige Zusätze verzichtet wird (eine nähere Erläuterung der Verfahrensweise der Anhalter Fürsten bei den Senioratskorrespondenzen findet sich in Kapitel VIII.1.a dieser Arbeit). Zu erwähnen ist schließlich, daß sich der Autor verpflichten mußte, bei denjenigen Quellen- und Literaturangaben, die im Quellen- und Literaturverzeichnis mit dem Vermerk * gekennzeichnet sind, auf den Besitzvermerk "Anhaltische Landesbücherei Dessau, Wiss. Bibi. u. Sondersammlungen" hinzuweisen.

I. Einleitung 1. Vorbemerkung In Johann Christoph Heckmanns im Jahre 1710 erschienener "Historie des Fürstenthums Anhalt" findet sich ein Gelegenheitsgedicht auf den Tod Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau, 1 das trotz seines panegyrischen Charakters ftlr eine biographische Erforschung dieses Fürsten besonders aufschlußreich ist, da es in markanter Weise Stationen und Faktoren resümiert, die sein Leben und politisches Wirken wesentlich prägten. Die entscheidenden Verse lauten: "Wie sich sein Helden=Stern der Weißheit beigeschwungen Das ward in Schweden erst I von Deutschland mehr besungen I Weil Er sein gantzes Hertz dem Kaiser zugeneigt. Ja Anhalt und die Marck hat seine Wunder=Gaben I Zu Seinem steten Ruhm in Ertz und Stein gegraben."2

Bereits die anband dieser anlaßbedingt verklärenden Dichtung erkennbare Tatsache, daß der politische Wirkungskreis Johann Georgs die Grenzen seines angestammten Heimatterritoriums weit überschritt, läßt seine Persönlichkeit als Objekt biographischer Betrachtungen reizvoll und interessant erscheinen. Ein etwas ausfilhrlicherer Blick auf die in den zitierten Versen angedeuteten zentra-

1 Knappe Lebensbeschreibungen Johann Georgs in: Biographisches Lexikon aller Helden, S. 17 ff.; Ersch/Gruber, S. 352-361; Siebigk., Johann Georg II.; Priesdorff, S. 17 f.; H. Saring, Johann Georg II.; Conermann III, S. 367 f., sowie bei Rammelt, Johann Georg 11., der ein sehr ausgewogenes, sowohl anhaltische als auch preußische Forschungen berücksichtigendes Bild vermittelt. AusfUhrlieber zum politischen Wirken des Fürsten jetzt die zusammenfassende Darstellung bei Rohrschneider, Johann Georg 11. Bemerkenswert ist, daß Johann Georg in David Fassmanns Reihe "Gespräche in dem Reiche derer Todten", die der Leserschaft fiktive Gespräche berühmter Persönlichkeiten präsentierte, Berücksichtigung fand. Die Grundlage dieser Darstellungen sind zumeist Beckmann, Historie Vl3, Kapitel VII, sowie S. Lentz, Becmannus enucleatus, Caput VIII, § IX. 2 Beckmann, Historie V13, S. 264. Zu Johann Christoph Beckmann (1641-1717), Professor filr griechische Literatur, Geschichte, Politik und Theologie an der Universität Frankfurt/Oder, und seiner "Historie" vgl. Wegele; Specht, Becman; ders., Historiographie, S. 265-277; V/brich, S. 165-168, sowie die Kapitel 1.2 und VIII.3 dieser Arbeit. Besonders auf seine philosophiegeschichtliche Bedeutung ist in neuerer Zeit aufinerksam gemacht worden. Vgl. Döring, Frühautklärung, S. 24.

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I. Einleitung

len Lebensstationen und politischen Leitideen des Anhalter Fürsten bestätigt diesen ersten Eindruck. Geboren und aufgewachsen im Dreißigjährigen Krieg, ließ Johann Georg relativ bald die Ambition erkennen, den Alltag eines Dessauer Erbprinzen hinter sich zu lassen. Ähnlich wie so viele seiner aus kleineren Territorien des Heiligen Römischen Reiches stammenden hochadligen Zeitgenossen, die zur Sicherstellung einer standesgemäßen Versorgung und Tätigkeit Anstellungen außerhalb ihres eigenen Herrschaftsbereichs annahmen, strebte er in die lukrativen Dienste der Protagonisten des europäischen Mächtespiels. So engagierte er sich in den ersten Jahren des Schwedisch-Polnischen Krieges (1655-1660) auf der Seite des schwedischen Königs Kar! X. Gustav. 1658 trat er in die Dienste Kurfilrst Friedrich Wilhelms von Brandenburg über und entfaltete dort in der Folgezeit als Statthalter, General der Kavallerie und später sogar Generalfeldmarschall eine rege politische, militärische und diplomatische Tätigkeit, die bis zu seinem Tod im Jahre 1693 währte. Zudem schloß er 1659 durch seine Heirat mit der oranischen Prinzessin Henriette Catharina, einer Schwester der brandenburgischen Kurfilrstin Louise Henriette, eine zusätzliche, enge Verbindung mit dem brandenburgischen Herrscherhaus. Nach dem Tod seines Vaters im Jahre 1660 galt es filr Johann Georg, eine doppelte Aufgabe zu bewältigen: Neben seine kurbrandenburgischen Dienste trat die Regierungstätigkeit als Landesherr von Anhalt-Dessau, von 1670 an auch als Senior des anhaltischen Gesamthauses. Besonderes Profil gewann der Dessauer Fürst durch ein weiteres Charakteristikum seines politischen Wirkens, nämlich seinen ausgeprägten Reichspatriotismus und seine damit einhergehende Treue zu Kaiser Leopold 1., die sich augenfällig in der Namenswahl fllr seinen Sohn und Nachfolger Leopold, den später sogenannten Alten Dessauer, manifestierte. Daß eine politische Biographie Johann Georgs trotz des angedeuteten breiten Spektrums seiner politischen Aktivitäten und dynastischen Verbindungen von der bisherigen Forschung nicht erarbeitet wurde, mag nicht zuletzt damit zusammenhängen, daß im Kontext der methodologischen Diskussion der letzten Jahrzehnte über die Rolle von Persönlichkeiten und Strukturen in der Geschichte die Relevanz der Biographik filr die historische Forschung lange Zeit stark angezweifelt wurde. 3 Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg wurde von Verfechtern strukturgeschichtlicher Ansätze auf die Tendenz der älteren Historiographie aufinerksam gemacht, durch eine personalistische Betrachtungsweise 3 Zum Folgenden vgl. die instruktiven Beiträge in dem von Michael Bosch hrsg. Sammelband "Persönlichkeit und Struktur in der Geschichte". Vgl. ferner die grundsätzlichen Überlegungen bei Schieder, S. 157-194, sowie die Untersuchung von Hirscher, der u. a. einen Forschungsüberblick über die lebhafte Diskussion der sechziger und siebziger Jahre in der Frage nach dem Stellenwert der Biographie in der Geschichtswissenschaft liefert. Der derzeitige Forschungsstand findet sich bei Röcke/ein.

I. Vorbemerkung

17

die Bedeutung herausragender Individuen in der Geschichte zu überschätzen. Zugleich wurde die Notwendigkeit betont, weniger einzelne Persönlichkeiten und Ereignisse als vielmehr die überpersönlich-anonymen Entwicklungen, Kräfte und Bestimmungsfaktoren des historischen Prozesses zu erforschen. Die vorübergehende Folge der Debatte war eine erkennbare Zurückhaltung der Fachhistorie gegenüber biographischen Darstellungen.4 Unabhängig von diesem in der Zwischenzeit nicht mehr so vehement ausgetragenen Streit über die Berechtigung personen- und ereignisgebundener Geschichtsschreibung einerseits, das Erfordernis strukturgeschichtlicher Fragestellungen andererseits5 sind zudem immer wieder Vorbehalte geäußert worden, die Lebensgeschichte von Menschen, die nicht zu den großen welthistorischen Persönlichkeiten zählen, zum Gegenstand monographischer Darstellungen zu machen.6 Gemäß einer solchen Auffassung wäre die Beschäftigung mit dem Leben Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau überflüssig, da er der Landesherr eines kleinen Territoriums, das schon den Zeitgenossen als Paradebeispiel ftlr die negativen Folgen von Landesteilungen diente/ und ein Mitarbeiter des ungleich mächtigeren, nach europäischem Maßstab jedoch zweitrangigen Kurftlrsten von Brandenburg war. Gegenüber dieser Anschauung, die zu einer Idealisierung und Heroisierung der "großen Männer'' in der Geschichte neigt, ist aber zu Recht betont worden, daß biographische Forschungen des Historikers keinesfalls auf das Wirken der Individuen von herausragender Bedeutung beschränkt werden dürfen. "Erst wenn Frauen und Männer aus der zweiten und dritten Reihe der Entscheidungsgewalten untersucht werden, lassen sich die Bedeutung der führenden Menschen und gleichzeitig auch ihre Handlungsspielräume in den jeweiligen Strukturen richtig einschätzen." 8

4 Hagen Schulze, Biographie, S. 509. Bereits in seinem 1987 erschienenen Aufsatz zur "Wiederkehr der historischen Biographie" konnte Werner Klose jedoch von einer Renaissance dieses Genres berichten. 5 Durchgesetzt hat sich in der Forschung inzwischen die Auffassung, daß "eine dichotomische Entgegensetzung von Strukturgeschichte einerseits und Ereignis- und Personengeschichte andererseits" (Kocka, S. 165) zu vermeiden ist. Vgl. dazu auch Schieder, S. 177 und 193; Hagen Schulze, Biographie, S. 513; Hirscher, S. 117. 6 So rechtfertigt etwa Bruno Gloger seine Darstellung des Lebens des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg mit den Worten: "Die Rolle der deutschen Fürsten dieser Zeit ist insgesamt so erbärmlich, daß eine Ausnahme wohl biografisches Interesse beanspruchen kann." G/oger, S. 359. 7 V gl. etwa die Ausfilhrungen des Großen Kurfilrsten über das Haus Anhalt in seinem 1667 entstandenen sogenannten Politischen Testament. Dietrich, S. 192. Auch heutigen Historikern dient das Beispiel Anhalt-Dessau zur Veranschaulichung der machtpolitischen Unterlegenheit der Kleinterritorien gegenüber den mächtigeren, armierten Reichsständen im frühneuzeitlichen Heiligen Römischen Reich, so z. B. Vierhaus, Absolutismus, S. 53 und 129. 8 Beese, S. VII.

2 Rohrschneider

18

I. Einleitung

Beide Einwände - sowohl die prinzipielle Forderung nach einer Abkehr von der bloßen Personen- und Ereignisgeschichtsschreibung zugunsten strukturgeschichtlicher Forschungen als auch die Bedenken, das Leben eines machtpolitisch vergleichsweise unbedeutenden ReichstUrsten zum Thema einer umfangreichen Studie zu erheben - werden in der vorliegenden Untersuchung zugleich als Anregung und Herausforderung verstanden. Denn zum einen verweisen sie auf die Notwendigkeit einer ständigen Vergegenwärtigung der Frage nach den Entscheidungsspielräumen des Individuums innerhalb der vorgegebenen Strukturen bzw. einer Klärung des Problems, ob und inwieweit der einzelne durch sein Handeln Strukturveränderungen bewirkt hat. Zum anderen schärfen sie den Blick fUr die Tendenz vieler älterer biographischer Darstellungen, sich in dem Versuch zu erschöpfen, den steten Nachweis historischer Größe der behandelten Persönlichkeit zu erbringen. Wenn nun im folgenden eine Betrachtungsweise zugrunde gelegt wird, die von einer "Interdependenz anonym-struktureller und personenbezogener Faktoren geschichtlicher Abläufe"9 ausgeht, so verweist dies zugleich auf die Überzeugung des Verfassers, daß der Mensch als handelndes Subjekt, das zwar von überindividuell-kollektiven Strukturen wesentlich geprägt wird, aber immer auch mit einem im Einzelfall zu bestimmenden Handlungsspielraum ausgestattet ist, letztlich die entscheidende Bezugsgröße historischer Forschung bleibt. Nicht nur vor diesem Hintergrund erscheint die Biographik nach wie vor als legitime, wenn nicht sogar als besonders wertvolle Form der Vermittlung historischer Erkenntnisse.

2. Forschungsstand - Fragestellungen - Methode Das Bild Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau in der Historiographie ist ausgesprochen unbestimmt und sehr widersprüchlich. Eine große Bandbreite unterschiedlicher, teilweise nicht zu vereinbarender Urteile über den Charakter, die Fähigkeiten und die politischen Ziele des Dessauer Fürsten findet sich in der bisherigen Forschung. Dies liegt zweifellos wesentlich darin begründet, daß die überlieferten zeitgenössischen Schilderungen seiner Persönlichkeit keinen einheitlichen, sondern vielmehr einen parteiisch verzerrten Eindruck vermitteln. An lobrednerisch überhöhten Charakterisierungen mangelt es ebensowenig wie an kritischabwertenden Einschätzungen seiner Person.

9 Opgenoorth, Der Große Kurfiirst als Modellfall personenbezogener Geschichtsbetrachtung, S. 141.

2. Forschungsstand- Fragestellungen - Methode

19

So findet sich etwa in der Johann Georg zugedachten Widmung der "Sittenlehre" Christian Thomasius', der dem Anhalter Fürsten fllr dessen Bemühungen bei seiner Aufnahme in Brandenburg-Preußen Dank schuldete, folgende Beschreibung des Dessauers: "[...] mein Temperament ist am wenigsten geschickt jemand einen Panegyricum zu machen; Jedoch wird jedennan I dem die Gnade wiederfahren I Ewre Hoch=Fürstliche Durchlauchtigkeit zu kennen I oder Sie nur zu sehen I mich von aller Schmeicheley loß sprechen I wenn ich sage I daß Ewrer Hoch=Fürstlichen Durchlauchtigkeit gantzes Leben aus Ehre und Liebe zusammen gesetzet sey. Die Freundligkeit I mit welcher Ewre Hoch=Fürstliche Durchlauchtigkeit jedennan begegnen I den Sie Ihrer Anrede würdigen I ziehet aller Hertzen an sich I dieselbige zu lieben I und die aus Dero Augen hervor leuchtende ernsthaffte Großmuth I vennischet diese Liebe mit einer unterthänigen Ehrfurcht I und Vertrauens=vollen Respect."10

Auch die bereits erwähnte Beckmannsche "Historie des Fürstenthums Anhalt", die auf Initiative Johann Georgs entstand und im Auftrag der anhaltischen Fürsten erschien, enthält eine fast apotheotisch anmutende Darstellung seiner Persönlichkeit. 11 Beckmann, der mit Johann Georg noch persönlich bekannt war, entwarf das Bild eines tadellosen Landesvaters und treuen Dieners der brandenburgischen Kurfllrsten. Sachverhalte, die zu einer möglichen Störung dieses hannonischen Eindrucks hätten filhren können - etwa die phasenweise auftretenden erheblichen persönlichen und politischen Differenzen zwischen Johann Georg und Kurfllrst Friedrich Wilhelm -, wurden bei ihm wie auch in der auf seinem Werk basierenden späteren anhaltischen Historiographie grundsätzlich ausgespart: Eine objektive Darstellung konnte und wollte Heckmann mit seiner "Historie" nicht liefern. 12 Kontrastierend dazu sei auf eine kurze, wenngleich gehaltvolle Charakterisierung von seiten des französischen Gesandten und Antipoden Johann Georgs

10 Widmung vom 16.4. 1692 in: Christian Thomasius, Sittenlehre, ohne Seitenangabe. Thomasius war als Professor an der Leipziger Universität in Konflikt mit dem orthodoxen Luthertum geraten. Er verließ daher Sachsen und wurde von Kurfilrst Friedrich III. von Brandenburg an die Ritterakademie und spätere Universität in Halle berufen. 11 Beckmann, Historie V/3, Kapitel VII. Beckmanns Werk ist noch heute eine wertvolle und unentbehrliche Materialsammlung zur anhaltischen Geschichte, die jedoch aufgrund ihrer notwendigen Rücksichtnahme auf die Wünsche des anhaltischen Fürstenhauses nur mit kritischem Vorbehalt zu benutzen ist. So sollte Beckmann u. a. die Ansprüche Anhalts auf das Herzogtum Sachsen-Lauenburg untennauern. Das Kapitel, in dem das Leben Johann Georgs dargestellt wird, ist durch ein Nebeneinander von wichtigen und unwichtigen Nachrichten über den Dessauer Fürsten gekennzeichnet und sollte dazu dienen, seine Berühmtheit und allseitige Beliebtheit aufzuzeigen. Vgl. hierzu ferner Kapitel VIII.3 dieser Arbeit. 12 Specht, Historiographie, S. 274.

20

I. Einleitung

am Berliner Hof, Fran~ois de Pas Comte de Rebenac, hingewiesen. 13 Unter dem Eindruck der Tatsache, daß der Dessauer als "Exponent der kaiserfreundlichen Politik am brandenburgischen Hof.. 4 stets an einer gegen Frankreich gerichteten Politik des Kurfürsten interessiert war und alle sich ihm bietenden Möglichkeiten ausschöpfte, die Stellung Rebenacs zu unterminieren, ls schilderte ihn der Gesandte als Persönlichkeit, die hinter einer Fassade von Weltgewandtheit und Offenheit Falschheit und Hinterlist verbarg. Daß dieses aus der täglichen politischen Auseinandersetzung mit Johann Georg heraus entstandene Bild, das die Fähigkeit des Dessauers zur Verstellung und zur Verschleierung seiner wahren Absichten beschreibt, ebensowenig als Maßstab ftlr eine ausgewogene Gesamtbeurteilung seiner Persönlichkeit gelten kann wie die Charakterisierung Thomasius' oder die Darstellung Beckmanns, ergibt sich aus den augenscheinlich parteiischen Standpunkten der Verfasser. Aber nicht nur die voneinander abweichenden zeitgenössischen Urteile über den Anhalter haben dazu geftlhrt, daß seine Person in der bisherigen Geschichtsschreibung disparat beurteilt wurde. Auch und gerade die borossisehe Historiographie des 19. Jahrhunderts hat durch ihre bisweilen stark von der Tagespolitik gefll.rbten Darstellungen und Deutungsversuche erheblich zu dem verzerrten Bild Johann Georgs in der Forschung beigetragen. Unter dem Eindruck der preußisch-österreichischen Auseinandersetzungen im Vorfeld der Reichsgründung von 1871 war ftlr diese preußisch-kleindeutsch orientierte Geschichtsschreibung die kaiserfreundlich akzentuierte Politik des Dessauer Fürsten intolerabel. 16 Zudem stand die Tatsache, daß Johann Georg, wie noch ausfUhrlieh zu zeigen sein wird, als regierender Reichsfilrst die Interessen der anbaltischen Territorien auch in kurbrandenburgischen Diensten stets im Auge behielt und sich ihm bietende Handlungsspielräume mitunter auch gegen die Interessen seines Dienstherren auszunutzen versuchte, in diametralem Gegen13 Waddington, Memoire, S. 86: "C'est un homme entierement attache a Ia cour de I'Empereur; il l'est de maniere qu'on ne doit jamais prendre aucune sorte de confiance en lui. [...] Il a de l'esprit, mais fort attache a Ia bagatelle. Son exterieur est tout a fait honnete et agreable. Cependant, il est faux et artificieux au dela de ce qu'on peut imaginer. II a l'air du monde, est liberal, de bonne conversation et affecte un caractere desinteresse et sincere. J'avertis Monsieur Je marquis de Gravel de toutes ces particularites, parce qu'effectivement il a des manierestout a fait engageantes; mais on n'a point encore d'exemples qu'on ait pris confiance en lui sans en avoir eu du chagrin, particulierement en ce qui regarde Je service de I'Empereur, auquel il est entierement devoue." Vgl. auch die ähnliche Einschätzung des Sekretärs Poussin vom 11.5. 1688, der zu diesem Zeitpunkt interimshalber den französischen Gesandtschaftsposten in Berlin besetzt hielt: Prutz, Letzte Jahre, S. 403 ff., hier S. 404 f 14 Opgenoorth, Ausländer, S. 44. 15 Vgl. hierzu Kapitel VI. I dieser Arbeit. 16 Vgl. z. B. Droysen IV/4, S. 179 f; Philippson III, S. 46-49. Zur borossiseben Historiographie vgl. die grundsätzlichen Überlegungen bei Hardtwig sowie zuletzt Klueting, S. 162-165.

2. Forschungsstand- Fragestellungen- Methode

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satz zum stark am Obrigkeitsgehorsam orientierten preußischen Beamtenideal des 19. Jahrhunderts. Kritische, zum Teil auch unangemessen polemische Gesamtbeurteilungen seiner Persönlichkeit durch die ältere preußische Forschung waren daher die Folge. Dagegen werden die charakterlichen Eigenschaften und das politische Wirken Johann Georgs in der anhaltischen Landesgeschichtsschreibung fast einhellig positiv bewertet. 17 Der Fürst habe, so urteilt die neuere Forschung, die Zeichen seiner Zeit erkannt und sich ihren Herausforderungen gewachsen gezeigt. 18 "Hätte Fürst Johann Georg II., der mit gleichem Ruhme Feder und Degen ftlhrte, den Fürsten Leopold Friedrich Franz zum unmittelbaren Nachfolger gehabt, das Dessauer Land wäre eins der blühendsten und glücklichsten gewesen" 19, heißt es lobend in Würdigs "Chronik der Stadt Dessau". Daß der gegenwärtige Forschungsstand durch ein Nebeneinander sich widersprechender Positionen gekennzeichnet ist, mögen einige Beispiele verdeutlichen. Während Hermann Wäschke, einer der profundesten Kenner der anhaltischen Quellen, Johann Georg als "eine nüchterne, auf das Praktische gerichtete, tief ernste und tief religiöse Persönlichkeit''20 bezeichnet, war der Fürst im Urteil Ueberhorsts "eine glänze Gestalt, bombastisch, aber ohne Hinterhalt, ein richtiger Außenmensch"21 • Ueberhorsts Deutung korrespondiert mit der ausftlhrlichen Beschreibung Johann Georgs in der dreibändigen Darstellung des Lebens des Großen Kurftlrsten von Martin Philippson, der eine lebendige, jedoch kaum durch Quellen belegte Charakterstudie vorlegte. Philippson konstatiert ein "heiteres, allerdings derb sinnliches Wesen, [... ] eine unedle Gesinnung, unter dem Deckmantel derber soldatischer Offenheit und Fröhlicheit", und bezeichnet den Dessauer als "glänzenden, laut-fröhlichen, prahlenden, aber im Grunde unbedeutenden Fürsten"22 • Auch über die Einschätzung der Fähigkeiten Johann Georgs herrscht in der Forschung kein Konsens. Die Bandbreite reicht vom Vorwurf "militärischer Unfllhigkeit"23 über das Prädikat der Durchschnittlich-

17 Eine der wenigen Ausnahmen bildet das Urteil Demmels, durch die häufigen auswärtigen Verpflichtungen Johann Georgs sei "Anhalt-Dessau selbst etwas ins Hintertreffen gekommen". Demmel, S. 36; ähnlich auch G. A. H. Stenze/, Handbuch, S. 341. 18 F. Brückner, Häuserbuch, S. 592; Jablonowski, Wiederaufbau, S. 50. 19 Würdig, Chronik der Stadt Dessau, S. 302. Zu Leopold III. Friedrich Franz, dem Begründer des berühmten Dessau-Wörlitzer Reformwerks, vgl. die biographische Skizze von H. Ross, Leopold III. Friedrich Franz. 20 Wäschke, Jugendzeit, S. 23; ähnlich Rammelt, Briefe, S. 31 . 21 Ueberhorst, S. 73. 22 Philippson III, S. 46 f. 23 Ebd., S. 48.

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I. Einleitung

keit und Biederkeif4 bis hin zu dem Urteil, er sei ein "in vieler Hinsicht [... ] ausgezeichneter Mann" gewesen, der "sich von der Mehrzahl der Kleinfllrsten seiner Zeit vorteilhaft''25 abhob. Insgesamt gesehen ist bemerkenswert, daß bisher weder von anhaltischer noch von preußischer Seite eine nuancierte Gesamtdarstellung der Politik Johann Georgs vorgelegt wurde. Die anhaltische Forschung hat zwar in der Nachfolge der Beckmannschen "Historie" vereinzelt seine Rolle als Fürst des Dessauer Landesteils untersucht, 26 seine Tätigkeit in kurbrandenburgischen Diensten und die daraus resultierenden Auswirkungen auf seine landesherrliche Politik dabei aber nur sporadisch behandelt. Johann Georg teilt damit das Schicksal bedeutender anhaltischer Herrscherpersönlichkeiten - an erster Stelle müssen genannt werden: Christian I. von Anhalt-Bemburg, Ludwig I. von Anhalt-Köthen, Leopold I. und Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau -, deren Leistungen bisher allesamt noch nicht durch neuere biographische Gesamtdarstellungen hinreichend gewürdigt wurden; 27 und dies, obwohl politische Biographien der wichtigen Anhalter Fürsten im Hinblick auf das seit einigen Jahrzehnten wieder verstärkt wahrnehmbare Interesse der Forschung an dem historischen Phänomen der deutschen Kleinstaaten im allgemeinen28 und der Geschichte Anhalts im speziellen29 besonders wünschenswert erscheinen. Eine eingehende Untersuchung des politischen Wirkens Johann Georgs ist darüber hinaus auch filr die Erforschung der Geschichte Brandenburg-Preußens 24 Waddington, Grand Electeur II, S. 44; ders., Histoire de Prusse, S. 423; Schevill, S. 369; Hahn, Aristokratisierung, S. 192. 25 Petersdorff, S. 123; ebenso Pribrarns Einleitung in: UA 13, S. 259, und Or/ich, Geschichte I, S. 410. 26 Besonders zu nennen sind Wäschke, Anhaltische Geschichte, S. 106-144, und Jab/onowski, Wiederaufbau. Wichtig ist in diesem Zusammenhang außerdem Franz Brückners "Häuserbuch der Stadt Dessau". 27 Am ehesten noch geschehen bei Hoppe, Ludwig I. Zu Christian I. von AnhaltBemburg vgl. H. Ross, Christian I. und Christian II.; zu Leopold I. von Anhalt-Dessau siehe ders., Fürst Leopold I. sowie Jablonowski, Fürst Leopold von Anhalt-Dessau; zu Leopold III. Friedrich Franz vgl. die bereits erwähnte Studie von H. Ross., Leopold III. Friedrich Franz. 28 So urteilte bereits 1974 Armgard von Reden: "Darüber hinaus muß es als ein Desiderat der Forschung gelten, die kleineren Territorien des Reiches stärker zu berücksichtigen, da sie in ihrer Vielzahl die Reichsverfassung entscheidend geprägt haben." Reden, S. II. Zur Umstrittenheit des Phänomens der deutschen Kleinstaaten in der Forschung vgl. zuletzt die Überlegungen bei John, S. IX. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Diskussion über den "Duodezabsolutismus als kulturelle Chance". Vgl. hierzu die Überlegungen bei Berns und Jacobsen. 29 Für das 17. Jahrhundert ist besonders auf die zahlreichen neueren Studien hinzuweisen, die der Erforschung der Fruchtbringenden Gesellschaft gewidmet sind, so z. B. jüngst auf die mit weiterruhrenden Literaturangaben versehene Untersuchung von Merzbacher. Zur Fruchtbringenden Gesellschaft vgl. ferner Kapitel li dieser Arbeit.

2. Forschungsstand- Fragestellungen- Methode

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in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gewinnbringend. Denn das bekannte Postulat Bemhard Erdmannsdörffers, die Bedeutung der engen Mitarbeiter des Großen Kurftlrsten ftlr die Gestaltung der kurbrandenburgischen Politik herauszuarbeiten, ist, wie das Fehlen einer umfassenden Studie über die Aktivitäten des Dessauers in kurftlrstlichen Diensten belegt, ein Jahrhundert nach seiner Aufstellung noch nicht überholt. 30 Zwar hat die preußische Forschung in Ansätzen die von Johann Georg als kurbrandenburgischer Statthalter, Diplomat und General verfolgte Politik dargestellt, ähnlich wie die anhaltische Geschichtsschreibung hat sie aber die Interdependenzen seiner Tätigkeit als kurfilrstlicher Amtsträger und Fürst von Anhalt vernachlässigt.31 Eine Klärung der Frage, in welchem Grad sich der Dessauer in kurbrandenburgischen Diensten von spezifisch anhaltischen Interessen leiten ließ, ist jedoch ebenso erforderlich wie die Erhellung der Rückwirkungen seiner am Berliner Hof gewonnenen Erfahrungen auf seine landesherrliche Politik, will man zu einer ausgewogenen und umfassenden Analyse seiner politischen Überzeugungen und seines Handeins gelangen. Eine politische Biographie des Fürsten ist aber nicht nur aus anhaltischer und brandenburg-preußischer Perspektive wünschenswert. Denn angesichts der skizzierten engen Verbindungen Johann Georgs zum Berliner Hof kann eine Darstellung seines politischen Wirkens zugleich auch einen konkreten Beitrag zur bisher nur in Ansätzen erforschten Herausbildung von Klientelsystemen im Heiligen Römischen Reich der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts leisten.32 Gleichzeitig lassen sich Aufschlüsse darüber erwarten, inwieweit die seit den sechziger Jahren verstärkt zu beobachtende Tendenz der Forschung, die politischen Strukturen des Alten Reiches sehr viel positiver zu bewerten als die ältere preußische Historiographie mit ihrer Idealisierung des National-, Macht- und Anstaltsstaates,33 den Realitäten eines Klientel- und Patronatsverhältnisses wie

30 Erdmannsdörffir, Waldeck, S. V f.; ähnlich auch Fester, Abberufung, S. 472. So ermöglicht etwa eine eingehende Analyse der Rolle Johann Georgs als kurbrandenburgischer Außenpolitiker eine Auseinandersetzung mit den neueren Studien Peter Kiehms, in denen - ähnlich wie in der älteren Forschung - die Expansivität der Außenpolitik des Großen Kurfürsten wieder verstärkt in den Brennpunkt gerückt wird. Vgl. Kiehm, Brandenburgische Innen- und Außenpolitik, besonders S. 88 f. und 130 f.; ders., Zu den Feldzügen; ders., Kurfürst Friedrich Wilhelm, S. 175; ders., Das "alde Haus", S. 187 Anm.l2. 31 Ausnahmen bilden die vorzügliche Studie von Müsebeck, Eintritt; ferner die kurzen Ausführungen bei Droysen IV/4, S. 179 f., und bei Opgenoorth, Ausländer, S. 31. 32 Volker Press hat darauf hingewiesen, daß die Klientelbildung BrandenburgPreußens noch weitgehend unerforscht ist. Press, Soziale Folgen, S. 247 Anm. 23. Zum Problem von Klientel und Patronat vgl. insgesamt ders., Patronat. 33 AusfUhrlieh zu diesem Problem ders., Römisch-deutsches Reich; ders., Kaiserliche Stellung, besonders S. 51-56; ders., Großmachtbildung, S. 131 f.; Moraw!Press, Probleme, S. 95-98. Vgl. auch W Schulze, Von den großen Anflingen, S. 13 ff., und Ma-

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I. Einleitung

etwa zwischen den anhaltischen Fürstentümern und Brandenburg-Preußen gerecht wird. Eine Beurteilung dieser von der bisherigen Forschung noch nicht thematisierten Problematik wird entscheidend von der Antwort auf die Frage abhängen, in welchem Maße es dem Anhalter als Fürst eines mindermächtigen Reichsstandes gelingen konnte, eine eigenständige Politik zu verfolgen und die Interessen seiner in der unmittelbaren Nachbarschaft von armierten Reichsständen gelegenen Stammlande zu behaupten. Ziel dieser Untersuchung ist es also, das Leben und politische Wirken Johann Georgs in seiner Gesamtheit darzustellen. Seine Perspektive wird daher stets den Mittelpunkt der Ausftlhrungen bilden. Dabei stehen folgende grundsätzliche, von den bereits angedeuteten Detailproblemen abstrahierende Fragestellungen im Vordergrund: Welchergestalt waren die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen seines Handelns? Welche politischen Ziele verfolgte er und wie versuchte er, diese zu realisieren? Welche langfristigen Auswirkungen und bleibenden Ergebnisse seines Wirkens lassen sich feststellen? Und schließlich: Was filr ein Mensch, welche Persönlichkeit wird hinter der Fassade der verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Rollen, die er zu spielen hatte, erkennbar? Bei der Wahl des methodischen Vorgehens ergab sich das prinzipielle Problem, eine Art der Darstellung zu finden, die zum einen dem Mit- und Nebeneinander der verschiedenen Wirkungssphären Johann Georgs sowie den Interdependenzen seiner facettenreichen politischen Aktivitäten gerecht wird; sie sollte zum anderen aber auch geeignet sein, langfristige Entwicklungen aufzeigen und sachliche Zusammenhänge ohne größere inhaltliche BrUche vermitteln zu können. Angebracht erschien daher eine Vorgehensweise, die sich zwar grundsätzlich an der Chronologie orientiert, jedoch auch Kapitel vorsieht, in denen die Betrachtung von Sachzusammenhängen stärkere Beachtung findet. Letzteres betrifft vor allem die Schilderung der inneren Politik des Fürsten in Anhalt. Sie trägt aber in ihrer Zweiteilung - einem ersten Kapitel, das die Voraussetzungen bei seinem Regierungsantritt und das erste Jahrzehnt seiner Landesherrschaft erörtert, und einem späteren Kapitel, in dem seine Politik als anbaltischer Fürst von der Übernahme des Seniorats im Jahre 1670 bis zu seinem Tod ausftlhrlich beschrieben wird - letztlich ebenfalls der Chronologie Rechnung.

lettke, Frankreich, Deutschland und Europa, S. 129-133. Eine Würdigung der Positionen von Press findet sich bei Kohler, Heiliges Römisches Reich.

3. Die Quellenlage

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3. Die Quellenlage Die Quellenlage fUr die Erarbeitung einer politischen Biographie des Dessauers ist insgesamt gesehen gut. Zahlreiche in- und ausländische Archive beherbergen umfangreiches Schriftgut, in dem seine weitgespannten politischen Aktivitäten ihren Niederschlag fmden. Zudem kann eine Vielzahl gedruckter Quellen zur Erforschung seines Wirkens herangezogen werden. Für die Kindheit und Jugend des Fürsten sowie die Phase seines Engagements in der schwedischen Armee während des Schwedisch-Polnischen Krieges ist Beckmanns "Historie", die auf Archivforschungen ihres Verfassers basiert und aufschlußreiche Briefe von und an Johann Georg enthält, nach wie vor als ergiebigste gedruckte Quelle anzusehen. Sie ist nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, daß seit dem Zweiten Weltkrieg einige Bestände des ehemaligen Anhaltischen Haus- und Staatsarchivs Zerbst als verschollen gelten/4 fUr eine Lebensbeschreibung des Fürsten von Bedeutung. Vom Übertritt in die brandenburgischen Dienste 1658 an läßt sich im wesentlichen anband der "Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfilrsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg" die militärische und diplomatische Tätigkeit des Dessauers als kurbrandenburgischer General und Statthalter wenn nicht umfassend, so doch punktuell detailliert erschließen. Auch die ältere, bisweilen aber unzuverlässige Quellensammlung Orlichs sowie die bis zum Jahre 1666 reichende Edition der "Protokolle und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rates" sind in diesem Zusammenhang sehr wertvoll.35 Da diese Quellenpublikationenjedoch nur Akten zur Geschichte des Kurfilrsten Friedrich Wilhelm berücksichtigen und da zur Regierungszeit Friedrichs III. kaum gedruckte Quellen vorliegen, erfordert gerade eine Untersuchung der von Johann Georg nach 1688 am Berliner Hof verfolgten Politik in verstärktem Maße die Auswertung archivalischer Quellen. Gleiches gilt fllr die Darstellung seiner Landesherrschaft im Dessauer Fürstentum und seiner Tätigkeit als Senior des anhaltischen Fürstenhauses. Lediglich die wichtigsten Rezesse des Fürstentums Anhalt und einzelne die Stadt Dessau betreffende Verordnungen aus seiner Regierungszeit liegen in gedruckter Form vor. 36 Somit erfordert auch eine Unter34 Dies betrifft vor allem die Bestände LAO Abt. Dessau A l - A 6, die laut Findbuch u. a. die Geburt, Taufe, Erziehung, Reisen, Eheschließung und Beisetzung Johann Georgs dokumentierten. 35 Or/ich, Geschichte lll; Meinardus, Bde. V, VI, VII/I. In Ergänzung zur Edition Meinardus' wurden fiir diese Arbeit auch die im GStA PK befindlichen, unveröffentlichten Geheimratsprotokolle fiir die Zeit nach 1666 eingesehen. 36 Codex Anhaltinus minor; Hermann Schulze, Hausgesetze; Urkunden und AleJen des Stadtarchivs zu Dessau; Würdig!B. Heese. Ergänzend können zum Teil immerhin ältere Quellensammlungen herangezogen werden: Pachner von Eggenstorff, DuMont; Lünig, Teutsches Reichsarchiv; Londorp.

I. Einleitung

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suchung seiner Regierungstätigkeit in Anhalt eine intensive Auswertung ungedruckter Quellen. Bei der Auswahl der Archive, die es zur Erforschung der Vita Johann Georgs zu berücksichtigen galt, waren Beschränkungen aufgrund der Materialfillle von vornherein unerläßlich. Denn auch die weitverzweigte Korrespondenz des Dessauer Fürsten ist ein anschauliches Beispiel dafilr, daß die Kennzeichnung des 17. Jahrhunderts als ",Jahrhundert der Feder"'37 ihre Berechtigung hat. Es wurde daher fUr sinnvoll erachtet, vorrangig den Blick auf diejenigen Archive zu richten, deren Bestände Aufschlüsse über die wesentlichen Stationen seines Lebens und die zentralen Aspekte seines Wirkens erwarten ließen. Besonders hervorzuheben sind die Bestände des sachsen-anhaltischen Landesarchivs Oranienbaum, welches sich seit 1948 in dem durch den niederländischen Baumeister Comelis Ryckwaert im Auftrag Johann Georgs und seiner Gemahlin erbauten und nur wenige Kilometer von der ehemaligen Residenzstadt Dessau entfernten Schloß Oranienbaum befmdet.38 Vor allem in der "Abteilung Dessau" fanden sich umfangreiche Korrespondenzen Johann Georgs, zahlreiche Akten zu seiner Politik als anhaltischer Landesherr und zu seinen kurbrandenburgischen Diensten sowie private Aufzeichnungen des Fürsten, zum Beispiel Notizkalender mit eigenhändigen Eintragungen.39 Dabei erwies sich die Benutzung der ,,Abteilungen Dessau, Köthen und Bemburg" mitunter als problematisch. Diese "Abteilungen" wurden erst im Zuge einer Neuordnung der älteren Bestände bei Gründung des Anhaltischen Haus- und Staatsarchivs Zerbst ( 1872) gebildet und einem einheitlichen, rational-deduktiven Pertinenzschema40 unterworfen. Hierbei wurden zum Teil einzelne Akten ohne Berücksichtigung der Provenienz aus ihrem Entstehungszusammenhang gerissen und neuen Sachbetreffen zugeordnet, so daß sie bisweilen nur noch begrenzte Aussagekraft besitzen. Zudem ist leider zu vermuten, daß die Korrespondenz des Fürsten mit seiner Gemahlin zu den Schriftstücken gezählt werden muß, die gemäß einer testamentarischen VerfUgung Henriette Catharinas bei ihrem Tod mit in ihren Sarg gelegt werden und damit vor der Öffentlichkeit fUr alle Zeit verborgen bleiben sollten. Lediglich ein Brief der Oranierin an Johann Georg ist

W. Hecker, Dreißigjähriger Krieg, S. I. Zu den Beständen des Archivs vgl. Schwineköper, Landesarchiv; H. Ross, Landesarchiv; M Ross, Außenstelle; J. Hartmann, Bestände, S. 264 ff. Zu Ryckwaert vgl. Kapitel VIII.2 und VIII.3 dieser Arbeit. 39 Die leider nicht fiir alle Lebensjahre vorhandenen Notizkalender, in die Johann Georg itinerarartig seine Aufenthaltsorte sowie kurze Hinweise auf geschehene bedeutsame Ereignisse eintrug, finden sich im LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 4 sowie fiir das Jahr 1652 LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 3 (38). 40 H. Ross, Landesarchiv, S. 59. 37

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3. Die Quellenlage

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erhalten. 41 Weniger gravierend als befilrchtet war dagegen das Fehlen der als verschollen geltenden Bestände des Oranienbaumer Archivs. Sie konnten ansatzweise durch die Heranziehung einzelner Akten aus nichtanhaltischen Archiven inhaltlich ersetzt werden. Die Kriegsverluste stellten somit kein größeres Hindernis filr die Erarbeitung einer politischen Biographie des Anhalters dar. Neben der Auswertung der anhaltischen Quellen galt - entsprechend der Doppelrolle Johann Georgs als anhaltischer Fürst und Mitarbeiter der brandenburgiseben Kurfilrsten - das besondere Augenmerk der Ermittlung und Durchsicht von Archivbeständen, die im Zusammenhang mit seiner politischen Tätigkeit filr die Hohenzollern entstanden sind. Hierbei erwiesen sich vor allem die Bestände des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz in Berlin als wichtige Quelle. Sie verhalfen nicht nur zu neuen Erkenntnissen über seine auswärtigen Dienste, sondern auch über die bisher wenig erforschte konkrete Gestaltung der Beziehungen zwischen Brandenburg-Preußen und Anhalt. Ergänzend herangezogen zu den Berliner Archivalien wurden außerdem die Nachlässe von Georg Friedrich von Waldeck und Otto von Schwerin - beide zählen zu den einflußreichsten Beratern des Großen Kurfilrsten42 -, sowie einzelne Bestände der Landeshauptarchive in Potsdarn und Magdeburg. Aufgrund der Tatsache, daß sich das Wirken Johann Georgs hauptsächlich in dem Kräftedreieck Dessau-Berlin-Wien bewegte, erschien es zudem lohnenswert, auch die materialreiche Aktenüberlieferung der kaiserlichen Archive zu berücksichtigen. In der Tat ermöglichte eine Auswertung der fiir diese Arbeit relevanten Bestände des Haus-, Hof- und Staatsarchivs sowie des Kriegsarchivs in Wien neue Einsichten in die gegenseitige Abhängigkeit der Handlungsweisen des Dessauers als regierender Reichsfilrst, Diener zweier Kurfilrsten von Brandenburg und Parteigänger Kaiser Leopolds I. Ein viertes und letztes Kriterium bei der Ermittlung der Archive, deren Bestände fiir eine Biographie des Anhalter Fürsten von erstrangiger Bedeutung sind, waren seine dynastischen und politischen Verbindungen, die sich infolge seiner Heirat mit der Oranierin Henriette Catharina ergaben. Die Durchsicht der in diesem Zusammenhang bedeutsamen Archivalien des Königlichen Hausarchivs zu 's-Gravenhage und des Hessischen Hauptstaatsarchivs in Wiesbaden

41 LAO Abt. Dessau A 9 a II a Nr. 2. Das erwähnte Kodizill vom 20.10. 1707 findet sich im LAO Abt. Dessau A 7 a Nr. 35, fol. 98 und in Abschrift im KHA A 14 XIV D-4. 42 Zu Waldeck vgl. die ältere Studie von Erdmannsdörffer, Waldeck, die Untersuchung von Jannen sowie die aufschlußreiche biographische Skizze von Menk. Eingesehen wurde ftlr die vorliegende Arbeit der Bestand 117 "Politisches Archiv Georg Friedrichs" des Hessischen Staatsarchivs Marburg. Zur politischen Bedeutung Schwerins vgl. Hein, Schwerin. Teile seines Nachlasses sowie Fotokopien der im polnischen Staatsarchiv Allenstein aufbewahrten weiteren Nachlaßteile befinden sich heute im BA Koblenz, N 1063.

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I. Einleitung

trug maßgeblich dazu bei, inhaltliche LOcken zu schließen, die sich durch den erwähnten Verlust einiger anhaltischer Bestände ergaben. Hingewiesen werden muß der Vollständigkeit halber schließlich noch auf einige herangezogene Archivalien des Sächsischen Hauptstaatsarchivs Dresden und auf eine kleinere Anzahl nicht edierter Handschriften, die in der Staatsbibliothek zu Berlin- Preußischer Kulturbesitz -, der Anhaltischen Landesbücherei Dessau und im Evangelischen Pfarramt St. JohannisiSt Marlen in Dessau eingesehen wurden.

II. Kindheit und Jugend Am frühen Morgen des 17. November 1627 wurde in Dessau das vierte Kind des FUrsten Johann Casimir von Anhalt-Dessau und seiner Gemahlin Agnes geboren und am 26. Dezember, dem dritten Adventssonntag nach dem Julianischen Kalender, auf den Namen des Großvaters väterlicherseits, Johann Georg, getauft. 1 Das Geburtsdatum verhieß nichts Gutes: Exakt am gleichen Tag drei Jahre zuvor war der erste Sohn des FUrstenpaares, Moritz, dessen Leben nur wenige Wochen währen sollte, geboren worden. 2 Johann Georg war zum Zeitpunkt seiner Geburt der einzige Sohn und damit präsumtive Nachfolger seines Vaters. Weitere Söhne wurden Johann Casimir weder in seiner ersten noch in seiner zweiten Ehe geboren. Auch starben zwei seiner Töchter bereits im ersten Lebensjahr. Lediglich die 1626 geborene Tochter Juliane sowie ihre jüngere Schwester Luise erreichten neben Johann Georg das Erwachsenenalter.3

Johann Casimir, mütterlicherseits von einer Tochter Johann Casimirs von Pfalz-Simmem abstammend, regierte seit 1618 den Dessauer LandesteiL 1623 hatte er Agnes, die erste Tochter aus der zweiten Ehe des Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel, geheiratet.4 Im Jahr vor der Geburt Johann Georgs, dem Pestjahr 1626, wäre es fast zur Katastrophe fllr die fllrstliche Familie gekommen: Johann Casimir, der zu diesem Zeitpunkt keinen männlichen Nachfolger besaß, erkrankte so schwer, daß man um sein Leben fllrchtete. Erst nach mehreren Monaten und einem zwischenzeitliehen Rückfall konnte er wieder als vollkommen genesen gelten. Insgesamt fielen in den Jahren 1625/26 in Dessau über 1.000 Menschen der Pest zum Opfer, was etwa einem Drittel der damaligen

1 Zu Geburts- und Taufdatum vgl. Beckmann, Historie V/3, S. 246, der in seinem Werk weitgehend nach dem Julianischen Kalender datiert; ferner Wäschke, Askanier, Nr. 273. 2 Moritz, geboren am 7./17.11. 1624 U!ld gestorben am 30.12. 1624 [/9.1. 1625], ebd., Nr. 352. 3 Die Schwestern Johann Georgs waren: Dorothea (1625-1626), Juliane (1626-1652), Luise (1631-1680) und Agnes (März-Mai 1644). Die Angaben nach ebd., Nr. 132, 285, 312 und 18. · 4 Zu Johann Casimir (1596-1660) vgl. Beckmann, Historie V/3, S. 233-237; S. Lentz, Becmannus enucleatus, S. 409-417; Würdig/B. Heese, S. 141 ff. Zur Mutter Agnes (1606-1650) siehe Beckmann, Historie V/3, S. 237; S. Lentz, Becmannus enucleatus, s. 418.

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II. Kindheit und Jugend

Einwohnerschaft der Residenzstadt entspricht.5 Noch Jahrzehnte später war das Pestjahr 1626 als Zeit des "großen Sterbens" in der Erinnerung der Bevölkerung unvermindert präsent.6 Im gleichen Jahr stand Johann Georgs Mutter, eine sehr sprachbegabte und musikinteressierte Frau, die ihre Erziehung unter anderem am Hof der Oranier im Haag erhalten hatte, als Verhandlungspartnerin Wallensteins kurzzeitig im Brennpunkt des Kriegsgeschehens in Anhalt. Nach der ftlr den kaiserlichen Feldherren erfolgreich verlaufeneo Schlacht an der Dessauer Elbbrücke trat die Fürstin als Fürsprecherio der Stadt Zerbst auf und bemühte sich, allerdings nur mit begrenztem Erfolg, die Stadt vor Vergeltungsmaßnahmen des Friedländers zu bewahren. 7 In dieser Zeit der Wirren bedeutete die Geburt eines Erben ftlr das Fürstenpaar zweifellos einen seltenen Anlaß zur Freude. Unter dem Datum des 7./17. November 1627 findet sich in einem Notizkalender Johann Casimirs der folgende Eintrag: "Diesen tag hatt gott der Almächtiege meine fr[au] gemahlin morgens früe nach trei Uhr gnädig entbunden undt uns beiderseits einen jungen sohn bescheret, Ihme sei ewig lob undt danck darvor gesagt." 8 Als nominelle Taufpaten fungierten weitgehend ftlrstliche und gräfliche Personen der näheren und entfernteren Verwandtschaft.9 Der illustre Kreis wurde angeftlhrt von Fürst Ludwig I. von Anhalt-Köthen, dem berühmten MitbegrUnder und Spiritus rector der Fruchtbringenden Gesellschaft, und von der Großmutter väterlicherseits, Dorothea, der geborenen Pfalzgräfin bei Rhein. Der näheren Verwandtschaft entstammten zudem die Gemahlin Fürst Ludwigs 1., Sofie, sowie Herzog Georg Rudolf von Liegnitz und Graf Philipp Moritz von Hanau-Münzenberg, die Schwestern Johann Casimirs geheiratet hatten. 10 Markgraf Christian von Brandenburg-Bayreuth und Landgraf Georg II. von Hessen-

5 Wäschke, Geschichte der Stadt Dessau, S. 83; Jablonowski, Dreißigjähriger Krieg 1, s. 59 ff. 6 Vgl. den Brief Johann Georgs an den Kammerrat Appel, (eh) Dessau 7. [/ 17.]4. 1670 LAO Abt. Dessau A 9 a II a Nr. 58, fol. 42-45. 7 Wäschke, Anhaltische Geschichte, S. 61 f. 8 LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 3 (11), fol. 48. 9 Zum Folgenden vgl. Evangelisches pfarramt St. JohannisiSt Marien, Dessau, Taufregister St. Marien (1627). 10 Die Heirat zwischen Philipp Moritz von Hanau-Münzenberg und der anhaltischen Prinzessin Sibylla Christina fand am Tag der Taufe Johann Georgs statt. Herzog Georg Rudolf, selbst Sohn einer anhaltischen Prinzessin, war in erster Ehe mit seiner Cousine Sophia Elisabeth (gest. 1622), einer Schwester Fürst Johann Casimirs, verheiratet gewesen. Wäschke, Askanier, Nr. 413. Interessant ist zudem, daß Georg Rudolf und Philipp Moritz, ebenso wie Christian von Brandenburg-Bayreuth, Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft waren bzw. ungefähr zum Zeitpunkt der Taufe Johann Georgs wurden. Conermann III, S. 62 f. und 143 ff.

II. Kindheit und Jugend

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Darmstadt waren Nachkommen einer Tochter des Fürsten Joachim Ernst von Anhalt, des Urgroßvaters Johann Georgs, der durch seine zahlreichen Kinder Stammvater vieler regierender Häuser in Europa geworden war. 11 Markgräfin Sofie von Brandenburg-Ansbach hatte einen Sohn der besagten anhaltischen Prinzessin geheiratet. Im Hinblick auf die dynastischen Verbindungen, die sich durch Johann Georgs spätere Heirat mit Henriette Catharina von NassauOranien ergaben, ist zudem ein weiterer Name auffllllig: Mit Catharina Belgica, Gräfin von Hanau-Münzenberg und Tochter Wilhelms des Schweigers, gehörte eine geborene Prinzessin von Oranien zu den Taufpaten des Dessauer Erbprinzen.12 Ungeachtet der Tatsache, daß die Auswahl bestimmter Paten nicht als direkter Ausdruck einer politischen Programmatik zu deuten ist, erscheint das erkennbare Übergewicht von Angehörigen des reformierten Bekenntnisses angesichts der zugespitzten konfessionellen Situation im Reich doch bemerkenswert. Denn immerhin demonstrierte ein solcher Akt die Zugehörigkeit Anhalts zum Lager der Reformierten und bekräftigte den Kurs, den die anhaltischen Fürsten gegen Ende des 16. Jahrhunderts eingeschlagen hattenY Im Jahre 1595 hatten Christian I. und Johann Georg I. reformierte Ehepartnerinnen geheiratet und damit den Übergang Anhalts zum Reformiertenturn entscheidend vorangetrieben. Anhalt befand sich "plötzlich in der[... ] unter Umständen nicht ganz ungefährlichen Situation, der östlichste geschlossene Außenposten des calvinistischen Bekenntnisses zu sein" 14. Damit einher ging eine außenpolitische Umorientierung des Fürstenhauses. Sie bewirkte eine Abwendung vom lutherischen Kursachsen, dem in konfessioneller und wirtschaftlicher Hinsicht traditionell einflußreichsten Nachbarn Anhalts, und eine verstärkte Hinwendung zu den französischen Hugenotten, den Niederlanden, Kurbrandenburg und besonders zur Kurpfalz, also zu den hervorragenden Vertretern des politischen Calvinismus. Die Brisanz dieser Entscheidung sollte sich schon bald zeigen. Nur wenige Jahre nach Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges wurden die strategisch wichtigen anhaltischen Lande Schauplatz der Kämpfe. 15 Mit der 11 Die Kinder Joachim Ernsts sind aufgefilhrt bei Wäschke, Askanier, Nr. 253 (mit entsprechenden Verweisen). 12 Nach der Ermordung ihres Vaters war Catharina Belgica über ihre Tante, eine Gräfin von Schwarzburg, nach Deutschland gekommen. Japikse, Oranier, S. 122. 13 Zum Folgenden siehe Jab/onowski, Calvinismus, S. 153. Zur konfessionellen Entwicklung Anhalts im 16. Jahrhundert insgesamt vgl. Seh/ing, S. 493-595; Duncker; Schrader, S. 90-99. 14 H. Ross, Niederland, S. 36. 15 Zur Geschichte Anhalts im Dreißigjährigen Krieg vgl. die nach wie vor grundlegende Darstellung bei Wäschke, Anhaltische Geschichte, S. 40-100; ferner Stie/er, GaiIassischer Ruin und ders., Dreißigjähriger Krieg im südlichen Teile. Wichtig ist außerdem die umfangreiche Quellensammlung von G. Krause, Urkunden. Für den Dessauer Landesteil vgl. Stie/er, Ausklang; ders., Herbst des Jahres 1644; ders., Dessauer Land in

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II. Kindheit und Jugend

Dessauer Elbbrücke besaß Anhalt den einzigen Elbübergang, der nicht von den Kanonen einer anliegenden Festung erfaßt werden konnte. Wichtige Straßenzüge liefen im Land zusammen. Zudem war es durch seine Saaleübergänge und seine Nähe zu den Städten Magdeburg und Halle immer der Gefahr ausgesetzt, zum Durchmarschland filr Kriegsvolk zu werden. Im Bewußtsein der existentiellen Gefll.hrdung des Landes im Falle eines Krieges hatte man schon 1605 über Maßnahmen zur Landesverteidigung beraten, und im Jahre 1609 waren die anhaltischen Fürsten der protestantischen Union beigetreten. 16 Den erhofften Schutz brachte dieses Vorgehen jedoch nicht ein. Statt dessen wurde Anhalt immer mehr in die Aktionen der Habsburggegner verstrickt. Schon kurz nach Kriegsbeginn mußten die Fürsten aufgrund der maßgeblichen Beteiligung Christians I. von Anhalt-Bemburg am Erwerb der böhmischen Königskrone filr den pfälzischen Kurfilrsten Friedrich V. mit kaiserlichen Vergeltungsmaßnahmen rechnen. Auch die Befilrchtungen hinsichtlich der Truppendurchzüge waren nur allzu berechtigt. Im ungefllhren Zeitraum vom Ende des Jahres 1627 bis zur Zerstörung der Elbbrücke 163 1 sah sich das Dessauer Land einer nahezu ununterbrochenen Folge von Durchmärschen ausgesetzt. 17 Aufschluß über die Notlage, in der sich Anhalt zum Zeitpunkt der Geburt Johann Georgs befand, gibt der anbaltische Landtagsrezeß vom 23. Mai 1628. Die Stände waren zu dem Schluß gekommen, "daß ohne mercklichen Schaden und Untergang des LandtschafftsWercks diese Spesen, so zu Haltung der Contribution, Durchzüge, Abschickungen und anderer Kosten unumgänglich erfordert werden, aus der LandtschafftsCasse nicht mehr genommen werden können" 18 • Zusätzliche Steuern, u. a. auch Akzisen auf Fleisch, Bier, Fisch und Wein, wurden daher erhoben, konnten aber mittel- und langfristig gesehen die stark geschwächte finanzielle Situation nicht entscheidend verbessern. Gleichermaßen problematisch gestalteten sich die konkreten militärischen und außenpolitischen Maßnahmen der anhaltischen Fürsten. Weder die Organisation einer Landesverteidigung noch der Ende 1631 erfolgte Bündnisabschluß mit Schweden oder die mit dem Beitritt zum Prager Frieden von 1635 verfolgte Neutralitätspolitik vermochten es, den Krieg vom Territorium Anhalts fernzuhalten.

der zweiten Hälfte sowie Jablonowski, Dreißigjähriger Krieg I und 2. Zur strategischen Bedeutung Anhalts siehe Uj/acker, S. 95-98; Stie/er, Dessauer Land in der zweiten Hälfte, S. 95. 16 Zum politischen Wirken Christians I. von Anhalt-Bemburg im Rahmen der protestantischen Union vgl. zuletzt Gotlhard, Protestantische "Union", S. 82-93. 17 Jab/onowski, Dreißigjähriger Krieg 2, S. 51 ff. 18 Codex Anhaltinus minor, S. 93. Der gesamte Rezeß ist gedruckt ebd., S. 92-97.

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Angesichts dieser unruhigen und gefahrenvollen Zeiten verfolgte das Dessauer Fürstenpaar das Aufwachsen Johann Georgs mit Unruhe und besonderer Wachsamkeit. Sorgenvoll verzeichnete Johann Casimir Erkrankungen des Sohnes in seinen Notizkalendern und registrierte sicherlich jeweils mit Erleichterung dessen gesunde Wiederkehr nach auswärtigen Aufenthalten. 19 Die Erziehung des Erbprinzen, an der die Mutter intensiven Anteil nahm, war zunächst dem Dessauer Superintendenten Justus Albinus, der Johann Georg auch getauft hatte, sowie Johann Christoph Schlöer aufgetragen. 20 Später übernahm diese Aufgabe Christian Heinrich von Börste), der zum Hofineister des jungen Fürsten bestallt wurde? 1 Im Vordergrund des Unterrichts standen religiöse und sittliche Unterweisungen, historische Wissenschaften, Musik sowie die Sprachen Latein, Französisch und Italienisch.22 Examina, die Johann Georg mit seinen Schwestern abzulegen hatte, dienten der Überprüfung der Lemfortschritte.23 Schon in frühester Jugend habe sich "nebst der ungemeinen Fähigkeit des Verstandes seine feine Seele oder eingepflantzte gute neigung zur tugent geeüßert"2\ heißt es überschwenglich in einer zeitgenössischen Lebensbeschreibung Johann Georgs. Unterbrochen wurde der Alltag des Erbprinzen durch Reisen zu den benachbarten Höfen und den Residenzen der engeren Verwandtschaft. Daß er hierbei vielerorts die zerstörerischen Auswirkungen des Krieges zu Gesicht bekam und Zeuge von Kampfhandlungen wurde, wie zum Beispiel während eines gemein-

19 So vennerkte der Fürst z. B. 1638 eine Fieber- und 1643 eine Pockenerkrankung Johann Georgs. LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 3 (22), fol. 17 ff. und ebd. (27), fol. 23 f. 20 Beckmann, Historie V/3, S. 246. Die Beteiligung der Mutter ist erwähnt ebd., S. 237 und 263. Zu Albinus vgl. die Angaben bei Herrmann Graf, Anhaltisches Pfarrbuch, S. 201. Schlöer entstammte einem alten pfälzischen Beamtengeschlecht, hatte in Genf und Basel studiert und wurde nach seiner Anstellung als Prinzenerzieher Johann Georgs Legationssekretär in Diensten eines französischen Gesandten. Später wurde er als Staatssekretär nach Kassel berufen. 1652 trat er schließlich in kurpflllzische Dienste. Zu seiner Person siehe zuletzt Ernst, S. 116 f. 21 Konzepte der Bestallungen Börstels vom 9)/19.]2. 1642 sowie vom 2. [/ 12.]10. 1643 finden sich im LAO Abt. Dessau C 5 h Nr. 5 , fol. 204 ff. sowie 196 ff. 22 Beckmann, Historie V/3, S. 246. 23 Vgl. etwa LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 3 (23), fol. 26 und ebd. (24), fol. 55. 24 LAO HA Zerbst XXXVII Nr. II, fol. 13 f Die gesamte Lebensbeschreibung, die unmittelbar nach dem Tod Johann Georgs 1693 entstand, in der Leichenpredigt vorgetragen wurde und offenbar Beckmann als Vorlage fllr seine "Historie" diente, ebd. fol. 12-26 sowie LAO Abt. Bernburg A 18 a Nr. 13. Die Leichenpredigt des Dessauer Superintendenten Wornrath liegt in gedruckter Fonn vor: Womrath; vgl. auch die Angaben in: Katalog der forstlich Stolberg-Stolberg 'sehen Leichenpredigten-Sammlung, S. 55. Vgl. ferner Beckmann, Historie V/3, S. 263 f. 3 Rohrschneider

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samen Aufenthalts mit seiner Mutter in Kassel im Jahre 1640/5 hatte fraglos prägenden Einfluß auf den Heranwachsenden. Die Zeit, in der er·den Krieg nur als Beobachter verfolgte, währte nicht lange. Bereits im Alter von sechzehn Jahren wurde Johann Georg in das Kriegsgeschehen in Anhalt verwickelt. 26 Im September 1644 -kaiserliche und schwedische Truppen unter Gallas und Torstenson operierten in der Gegend um Bernburg - war der junge Fürst auf einem Ritt nach Sandersleben unangemeldet durch das Lager der Kaiserlichen geritten. Als kurze Zeit später 36 Reiter eines kaiserlichen Streiftrupps von schwedischen Soldaten getötet wurden, machte Gallas Johann Georg dafilr verantwortlich. Er argwöhnte, der Erbprinz habe das Lager filr die Schweden ausgekundschaftet, und erwog eine Strafaktion gegen Dessau. Die schwedischen Truppenbewegungen und die dessauischen Besänftigungsversuche verhinderten jedoch einen solchen Marsch der Kaiserlichen auf die Residenzstadt. In Sandersleben angekommen, galt es, die Stadt und das filrstliche Amt gegen die umherstreifende Soldateska zu sichern. Darüber, daß die dortige Anwesenheit Johann Georgs gewisse Gefahren in sich barg, war sich Fürst Johann Casimir im klaren. Er wies daher seinen Sohn an, Sandersleben im Gefahrenfall zu verlassen.27 Als sich Johann Georg und seine Begleiter jedoch Anfang Oktober aufgrund einer Warnung des Fürsten August von Plötzkau veranlaßt sahen, aus der Stadt zu fliehen, war Johann Casimir mit dem seiner Ansicht nach verfrühten Rückzug offenbar nicht einverstanden.28 Der Erbprinz kehrte daraufhin in die Stadt zurück, mußte sie allerdings schon bald wieder verlassen, da schwedische Truppen als Besatzung in das filrstliche Schloß einzogen.29 Es dauerte nicht lange, da kehrte Johann Georg dem Kriegsgeschehen in Anhalt filr fast zwei Jahre den Rücken. Im August 1645 trat er unter Aufsicht WHhelm Heinrich von Freybergs die unter seinen adligen Zeitgenossen übliche Kavalierstour an, d. h. eine Bildungsreise, die dem Reisenden durch praktische Anschauungen das "ausgewogene, harmonische Nebeneinander von körperlichen Fähigkeiten und umfassendem Wissen"30 vermitteln sollte. 25 Johann Georg an Fst. Johann Casimir, (eh) Kassel 18. [/28].8. 1640 LAO Abt. Dessau A 10 Nr. 27, fol. I f. 26 Das Folgende nach LAO Abt. Dessau C 16 c 1 Nr. 250, fol. 12; Stieler, Herbst des Jahres 1644, S. 273, sowie ders., Gallassischer Ruin, S. 28 f. 27 Johann Casimir an Christian Heinrich von Börste!, Dessau 23.9. [/3.10.] 1644 LAO Abt. Dessau C 16 c 1 Nr. 250, fol. 27. 28 Vgl. Johann Georg an seine Schwester Juliane, (eh) Harzgerode 25.9. [/5.10.]1644, ebd., fol. 35 f.; Börste! an Johann Casimir, Sandersleben I. [/11.]10. 1644, ebd., fol. 62 f. 29 Ders. an dens., Sandersleben 3. [/13 .]11. 1644, ebd., fol. 109 ff. 3 Kühne/, S. 377. Grundlegend ist in diesem Zusammenhang immer noch C. J Burckhardt, Honnete Homme.

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Freyberg, 1617 auf dem Rittergut Eisdorf bei Köthen geboren,31 konnte trotz seiner noch jungen Jahre bereits auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Nach Studien in Bremen und Preußen war er durch die Niederlande und Frankreich gereist und daraufhin zunächst in die Dienste Friedrich Heinrichs von Oranien getreten. Als Hofmeister des Prinzen Moritz, eines Sohns des pfiilzischen Kurftlrsten Friedrich V., hatte er bereits erste Erfahrungen als Erzieher gesammelt. Gemeinsam mit seinem Zögling hatte er sich als Parteigänger König Karls I. nach England begeben, seine Dienste aber infolge einer Verwundung, die er sich im dortigen Bürgerkrieg zugezogen hatte, aufgeben müssen und war nach Anhalt zurückgekehrt. Die Bestallung dieses vielfiiltig begabten, literarisch und naturwissenschaftlich interessierten Mannes zum Hofmeister fiir den jungen Johann Georg sollte sich als vorzügliche Wahl erweisen: Als späterer anhaltischer Gesamtrat, Geheimer Rat sowie Landeshauptmann des Dessauer Teilfiirstentums wurde Freyberg nach dem Regierungsantritt Johann Georgs zu einem der zentralen, wenn nicht sogar zum wichtigsten Mitarbeiter des Fürsten. Die Reise Johann Georgs fllhrte zunächst über Barby, Magdeburg und Tangermünde nach Hamburg, dem Kultur- und Handelszentrum des deutschen Nordens. Die weitere Route war zunächst noch unklar, da der Weg nach Bremen nicht ganz ungefiihrlich war. 32 Die genauen weiteren Etappen liegen im Dunkeln. Beckmann berichtet, daß die Reise von Harnburg weiter in die Niederlande und nach Frankreich fiihrte.33 Über den dortigen Aufenthalt Johann Georgs lassen sich Informationen anband seiner eigenhändigen Briefe an Fürst Johann Casimir gewinnen.34 Erste Stationen waren Paris, Blois und Saumur. Geplant war die Weiterreise über La Rochelle, Bordeaux, Toulouse, Montpellier und Marseille, doch entschloß man sich im Hinblick auf die zu erwartenden hohen Kosten einer solchen großen "tour de France"35, den kürzesten Weg über Lyon nach Italien zu nehmen. Fraglos beeindruckte die Begegnung mit der französischen Kultur und besonders mit der eleganten höfischen Lebensart den Dessauer Erbprinzen und bewog ihn dazu, den Vater um eine Verlängerung des Aufenthalts in Frankreich oder um die Erlaubnis zur Fortsetzung der Reise in Richtung Italien zu bitten. Dieser war aber offenbar mit der Lebensweise Johann Georgs zunächst nicht zufrieden. 31 Das Folgende nach Beckmann, Historie VII, S. 222 f., Conermann III, S. 529 f., sowie Jablonowski, Wiederaufbau, S. 50. 32 Johann Georg an seinen Vater, (eh) Harnburg 16. [/26.)8. 1645 LAO Abt. Dessau A 10 Nr. 27, fol. 3 f. 33 Beckmann, Historie V/3, S. 246. 34 Neun Briefe aus dem Zeitraum von August 1645 bis September 1646 und ein Brief s.l.e.a. finden sich im LAO Abt. Dessau A 10 Nr. 27, fol. 3-18. 35 Johann Georg an seinen Vater, (eh) Saumur 4. [/14.]8. 1646, ebd., fol. 14.

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Hinzu traten Probleme bei der Finanzierung der kostspieligen Reise. Doch die eindringlichen Versicherungen seines Sohnes, gemäß den Vorstellungen des Vaters leben zu wollen und den Erwerb der angestrebten Fähigkeiten keinesfalls zu vernachlässigen, veranlaßten ihn, die erbetene Fortsetzung der Reise zu gestatten. Leider sind keine Zeugnisse über die Weiterreise nach Italien und die Art und Weise erhalten, wie Johann Georg die eindrucksvollen Zeugnisse der Antike und Renaissance aufuahm. Es ist jedoch zu vermuten, daß die Begegnung mit den zahlreichen Kunst- und Baudenkmälern des Landes ebenso tiefe Eindrücke hinterließ wie die calvinistisch-bürgerlich geprägte Lebensweise der Niederlande und die galante Adelskultur Frankreichs. Als Johann Georg schließlich im Juli 1647 wieder in Dessau anlangte, dauerte der Krieg immer noch an. Erst nachdem im Herbst 1649 die letzten schwedischen Regimenter durch die Residenzstadt gezogen waren, konnte das Land als befriedet angesehen werden. 36 Der Alltag in der Residenzstadt dürfte Johann Georg nach der RUckkehr von seiner Kavalierstour schnell wieder eingeholt haben. Erneute kürzere Reisen waren daher sicherlich eine willkommene Abwechslung. So begab er sich zum Beispiel im Februar 1648 nach Berlin, ~die spätere Stätte seines Wirkens, um seine Mutter dort abzuholen. 37 Für das Jahr 1649 ist ein längerer Aufenthalt in Brieg bei seiner Schwester Luise Uberliefert, die seit 1648 mit Herzog Christian von Woblau verheiratet war. 38 Anlaß war die Heirat Herzog Ludwigs IV. von Liegnitz, Luises Schwager, mit Anna Softe, Tochter des Herzogs Johann Albert II. von Mecklenburg-Güstrow. Zum Unwillen Fürst Johann Casimirs, der seinen Sohn lieber wieder am heimischen Hof gesehen hätte, zog sich die Reise aufgrund einer Verschiebung der geplanten Hochzeit in die Länge. Doch auf mehrfaches Bitten Luises und Herzog Christians, der bezeichnenderweise darauf verweisen konnte, daß Johann Georg in Dessau sicher nichts versäumen werde, erhielt der Erbprinz die Erlaubnis, bis zur Hochzeitsfeier in Schlesien zu bleiben.

36 Wäschke, Geschichte der Stadt Dessau, S. 90. Zur Frage, weshalb die Armeen des Dreißigjährigen Krieges nicht sofort nach dem Friedensschluß, sondern mit zum Teil großer zeitlicher Verzögerung vom Reichsboden abgezogen oder aufgelöst wurden, vgl. die Arbeit über den Nürnberger Exekutionstag von Oschmann, besonders die prägnante Zusammenfassung S. 473-498. 37 LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 3 (33), fol. 8. 38 Vgl. die drei eigenhändigen Briefe Johann Georgs an seinen Vater LAO Abt. Dessau A 10 Nr. 27, fol. 19-22 sowie besonders die Briefe Luises und ihres Gatten an Fst. Johann Casimir LAO Abt. Dessau A 10 Nr. 28, fol. 8 f., II, 45, 48 f., 52 und 57 f. Zur Schwester Luise vgl. Beckmann, Historie V/3, S. 239 f.

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Bemerkenswert ist, daß Johann Georg während seines dortigen Aufenthalts aktiv an den Tätigkeiten der bereits mehrfach erwähnten Fruchtbringenden Gesellschaft teilnahm. Als Mitglied, das von den anwesenden Gesellschaftern am längsten der Akademie angehörte- Johann Georg war bereits im Jahre 1638 in die Gesellschaft aufgenommen worden und trug den Gesellschaftsnamen "Der Geftlllte"39 -, leitete er die Aufnahmefeier fUr Herzog Georg III. von Brieg, einen weiteren Schwager seiner Schwester.40 Da er also bei dieser und anderer Gelegenheit an den Aktivitäten der Sozietät beteiligt und somit nicht nur nominelles Mitglied war, erscheint eine kurze Charakterisierung dieser Akademie zur Erhellung des geistigen Umfelds, in dem er aufwuchs und wirkte, notwendig. Im Jahre 1617 durch eine Reihe anhaltischerund sachsen-weimarischer Regenten und Adliger in Weimar gegründet, bestand das Vorhaben des nach der Gesellschaftspflanze später sogenannten Palmenordens darin, daß sich jedes Mitglied "nütz= und ergetzlich bezeigen I und also überall handeln solle" und "daß man die Hochdeutsche Sprache in ihrem rechten wesen und standt I ohne einmischung frembder ausländischer wort I auffs möglichste und thunlichste erhalte I und sich so wol der besten aussprache im reden I als der reinesten und deutlichsten art im schreiben und Reimen=dichten befleissige"41 • Ziel war es, so Klaus Conermann, "die politischen, militärischen und intellektuellen Führungsschichten fUr die Vorstellung einer nationalen sprachlichen und literarischen Kultur zu gewinnen und darüber hinaus eine Haltung konfessioneller Toleranz, das evangelisch-patriotisch unterbaute Streben nach einer umfassenden Bildungsreform und die besondere Pflege der gemeineuropäischen höfischen Conversatio zu verbreiten"42 • Als Vorbild fUr die Sozietät, in der die politischen Entscheidungsträger an den anhaltischen Höfen zum überwiegenden Teil Mitglied waren,43 diente die bedeutendste italienische Sprachakademie, die Florentiner Accademia della Crusca, in die Fürst Ludwig I. von Anhalt-Köthen im Jahr 1600 eingetreten war. 39 Conermann III, S. 367 f. Johann Georgs Sinnspruch "In gutem Ansehen" lautete: "Die Rosen gelb geftlllt ein gutes ansehn geben,Nnd wer im ansehn ist, soll nach der tugend streben./Gefol/t im ansehn drumb Zum guten ich genandt/Jn der Gesellschaft bin, daß ich bey meinem standt/Daß ansehn Zwart erhalt': Jch will geftlllt mit tugendt/Jm guten ansehn auch schon sein bey Zarter Jugendt.N erstandt vnd dapferkeit ein rechtes ansehn macht,/Eß wird ohn' arbeit auch nicht gute frucht gebracht." [Hervorhebungen im Original.] Auf der Pictura des ihm zugeordneten Emblems waren "Geftlllte gelbe Rosen" vor dem Hintergrund einer südeuropäischen Stadt dargestellt. Vgl. die Abbildung bei Bircher, Die Fruchtbringende Gesellschaft, ohne Seitenangabe. 4 Conermann III, S. 659 und 662. 1651 war Johann Georg an der Wahl Herzog Wilhelms IV. von Sachsen-Weimar zum Nachfolger Fürst Ludwigs I. von Anhalt-Köthen beteiligt. Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen, S. 25. 41 Conermann I, ohne Seitenangabe. 42 Ebd. II, S. 7. 43 Hoppe, Fruchtbringende Gesellschaft und emestinische Höfe, S. 97.

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Neben den italienischen EinflOssen prägten auch bestimmte Auffassungen das Wirken der Fruchtbringenden Gesellschaft, die der neustoisch-niederländischen Gedankenwelt entstammten.44 Dies erscheint gerade im Hinblick auf den weiteren Werdegang Johann Georgs besonders bemerkenswert, da die Ideen des Neustoizismus auch in Brandenburg-Preußen und besonders von der politischen Elite am Berliner Hof, der ebenfalls viele Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft stellte, verstärkt rezipiert wurden.45 Während in der FrOhphase der eindeutig protestantisch dominierten Sozietät die reformierten Mitglieder in der Überzahl waren, bestand in späteren Jahren ein ungefähres Gleichgewicht zwischen Reformierten und Lutheranern. In personeller Hinsicht läßt sich zudem eine Personalunion zu dem Kreis ftlhrender protestantischer Persönlichkeiten der habsburgerfeindlichen Aktionspartei konstatieren. Ob und inwieweit die Akademie faktisch auch im Sinne einer antihabsburgisch orientierten politischen Vereinigung instrumentalisiert wurde, wird daher von der Forschung neuerdings wieder erörtert.46 Insgesamt war der Gesellschaft kein sehr langes Leben beschieden. Ihre Blütephase erreichte sie unter ihrem langjährigen Oberhaupt Ludwig I. von Anhalt-Köthen. Nach seinem Tod im Jahre 1650 verlor sie immer mehr an Bedeutung und nach 1680, dem Todesjahr ihres dritten Oberhauptes, Herzog Augusts von Sachsen-Weißenfels, stellte sie ihre Aktivitäten ein. Auch wenn die Mitgliedschaft Johann Georgs in der Fruchtbringenden Gesellschaft nicht überinterpretiert werden darf - der Dessauer Erbprinz folgte nicht zuletzt auch dem Vorbild seines Vaters und Großvaters, die ebenfalls der Sozietät beigetreten waren47 -, ist sie doch ein wichtiger Hinweis auf die geistigen Strömungen, mit denen der Heranwachsende in Berührung kam.

44 Vgl. Oestreich, Calvinismus, S. 174. Auch beschäftigten sich etwa Christian II. von Anhalt-Bemburg und Martin Opitz als Mitglieder des Palmenordens intensiv mit der niederländischen Literatur und Sprache. Letztere besaß aufgrund ihrer Reinheit vorbildhaften Charakter ftlr die intendierte sprachreinigende Tätigkeit der Gesellschaft. H. Ross, Niederland, S. 37. 45 Stellvertretend erwähnt sei an dieser Stelle nur die Mitgliedschaft des brandenburgiseben Kurfilrsten Friedrich Wilhelm. Vgl. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 54 und 128 f. Die Aussagekraft der Mitgliedschaft des Großen Kurfilrsten wird hier zu Recht eher gering veranschlagt. Gerhard Oestreich gebührt das Verdienst, die Bedeutung der niederländischen Kultur, des Neustoizismus und besonders Justus Lipsius' fiir Brandenburg-Preußen herausgearbeitet zu haben. Vgl. insgesamt z. 8. Oestreich, Calvinismus; ders. , Fundamente; ders., Antiker Geist; ders., Politischer Neustoizismus; ders., Die Niederlande und Brandenburg-Preußen. Vgl. in diesem Zusammenhang zuletzt auch die kritische Auseinandersetzung mit den Thesen Oestreichs bei Ge/deren. 46 Hoppe, Fruchtbringende Gesellschaft und emestinische Höfe, S. 93 f. Anm. 2. 47 Conermann III, S. 13 f.

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Nicht nur das Ableben Fürst Ludwigs, der zentralen Gestalt der Sozietät, war im Jahre 1650 Anlaß zur Trauer in Anhalt. In der Nacht vom 6. auf den 7. Juni verstarb in Dessau im Alter von 44 Jahren Fürstin Agnes, die Mutter Johann Georgs. Die Beisetzung erfolgte am 7. Juli in der Dessauer Schloßkirche.48 Schon im darauffolgenden Jahr heiratete Johann Casimir erneut, diesmal Sophie Margarete, eine Tochter Christians I. von Anhalt-Bernburg.49 Aufschlüsse darüber, wie Johann Georg die Veränderung im Elternhaus erlebte und wie sich das Verhältnis zu seiner Stiefinutter gestaltete, erlaubt das Quellenmaterial kaum. Immerhin läßt sich anband seiner eigenhändigen Briefe an den Vater und der darin häufig enthaltenen, meist formelhaften Grüße an Fürstin Sophie Margarete erkennen, daß er es an Respekt gegenüber seiner Stiefinutter nicht ermangeln ließ.50 Im Jahr 1652 war Johann Georg wiederum längere Zeit von Dessau abwesend, da er eine etwa sechs Monate lange Reise unternahm. Diese ftlhrte ihn von seiner Heimatstadt über Kassel, Hannover, Norddeutschland bis in die niederländischen Zentren Amsterdam, Den Haag, Leiden und Utrecht. 51 Welchem Zweck diese Reise in die Niederlande diente und ob er im Haag möglicherweise seiner späteren Gattin, der oranischen Prinzessin Henriette Catharina, begegnete, ist aus den spärlichen Quellenzeugnissen leider nicht erkennbar. Spätestens von diesem Jahr an mußte sich der Erbprinz ernsthaft mit dem Gedanken eines baldigen Regierungsantritts auseinandersetzen, denn sein Vater erlitt bei der Jagd eine lebensgefllhrliche Verletzung, von der er sich nicht wieder vollständig erholte.52 Als Johann Casimir schließlich am 25. September 1660 starb, war Johann Georg bereits 32 Jahre alt, ein kriegserfahrener General in kurbrandenburgischen Diensten, Statthalter der Kur und Mark Brandenburg und Ehemann einer oranischen Prinzessin.

48 Bereits sieben Jahre vor ihrem Tod, so wird berichtet, hatte sich die Fürstin ihren Sarg anfertigen lassen. Beckmann, Historie V/3, S. 237. 49 Akten zur zweiten Eheschließung Johann Casimirs finden sich im LAO Abt. Bemburg A 4 Nr. 5 und ebd. Nr. 572• 50 Vgl. beispielsweise Johann Georg an seinen Vater, (eh) Hauptquartier bei Tuehel 3. [113.]1. 1657 LAO Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 1, fol. 200 f. 51 Vgl. den Notizkalender Johann Georgs filr das Jahr 1652 LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 3 (38). Entgegen der Angabe des Findbuches handelt es sich hierbei nicht um einen Notizkalender Fürst Johann Casimirs. 52 Beckmann, Historie V/3, S. 235, und ebd. 1112, S. 54.

111. Zwischen Karl X. Gustav und dem Großen Kurfürsten: Im Schwedisch-Polnischen Krieg (1655-1660) 1. Der Eintritt in die schwedische Armee und

die militärischen Aktivitäten bis 1657

Als im Jahre 1654 Königin Christine von Schweden zugunsten ihres Cousins Karl Gustav von Pfalz-Zweibrücken abdankte, rückte der sich seit langem abzeichnende Konflikt Schwedens mit Polen in das Zentrum des europäischen Interesses.1 Mit dem zum Zeitpunkt seines Herrschaftsantritts 31jährigen Karl X. Gustav2 stand nun eine Persönlichkeit an der Spitze der nordischen Großmacht, deren Werdegang kaum einen Zweifel darüber aufkommen ließ, daß Schweden die Probleme mit König Johann II. Casimir von Polen zukünftig auf kriegerische Weise zu lösen beabsichtigte. Zunächst als Freiwilliger unter Lennart Torstenson, ab Januar 1648 als Oberbefehlshaber der schwedischen Truppen in Deutschland sowie als schwedischer Verhandlungsfilhrer auf dem Nürnberger Exekutionstag 1649/50 hatte der Pfalzgraf seine militärischen und politischen Qualitäten hinreichend unter Beweis gestellt. Aufgrund der standhaften Weigerung des polnischen Königs, der aus der katholischen Linie des Hauses Wasa stammte, seine Ansprüche auf den schwedischen Thron aufzugeben, sowie infolge der mangelnden Bereitschaft Schwedens, Konzessionen zuungunsten der eigenen Großmachtposition einzugehen, waren alle Vermittlungsversuche zwischen den beiden Kronen gescheitert.3 Ein Krieg schien unvermeidbar, überdies fiir Schweden angesichts großer strukturel1 Zum Schwedisch-Polnischen Krieg insgesamt vgl. die ältere Arbeit von Haumant sowie dieneueren Untersuchungen von Kunisch, Nordischer Krieg und Roberts, Charles X; die polnische Politik ausfUhrlieh bei Frost sowie zusammengefaßt bei Rhode, S. 276282; zum größeren Zusammenhang der schwedischen Politik siehe Zernack, Schweden als europäische Großmacht sowie ders., Zeitalter der nordischen Kriege, S. 66 f.; die kurbrandenburgische Politik ausfUhrlieh bei Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 284413; zuletzt aus der Perspektive des Frankfurter Reichsdeputationstages Schnettger, S.111-141. 2 Einneueres Lebensbild Kar! Gustavs bei Findeisen, S. 191-207. Seit 1648 war der spätere schwedische König ebenfalls Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft. Conermann III, S. 649 ff. 3 So fanden in den Jahren 1651-1653 in Lübeck Verhandlungen statt, an denen kurbrandenburgische Diplomaten als Vermittler maßgeblich beteiligt waren. Vgl. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 285 f. Zu den schwedisch-polnisch-brandenburgischen Beziehungen im Vorfeld des Krieges siehe Wachowiak, S. 152 f.

1. Der Eintritt in die schwedische Armee

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ler Probleme wünschenswert, wenn nicht sogar zwingend erforderlich: Das eigene Militärpotential war nach dem Dreißigjährigen Krieg nicht entscheidend verringert worden, und die Armee konnte im eigenen Land nicht über größere Zeiträume hinweg unterhalten werden. 4 Hinzu traten die innere Zerrissenheit und die außenpolitisch kritische Lage Polens, das sich den Autonomiebestrebungen der ukrainischen Kosaken und seit 1654 den Angriffen mehrerer Heere des russischen Zaren Alexei Michailowitsch ausgesetzt sah. Der ehrgeizige neue schwedische König nahm daher die polnische Haltung in der Thronfolgefrage zum Anlaß, noch vor Ablauf des im Jahre 1635 verlängerten Waffenstillstandes in das geschwächte Polen einzufallen. Wesentliches Kriegsziel Karls X. Gustav war die Sicherung und der Ausbau der schwedischen Vormachtstellung im Norden und Nordosten Europas: zum einen vorbeugend gegen die in Polen siegreichen Truppen des Moskowiters, dessen drohende Präsenz an der Ostsee zu einer Beeinträchtigung der schwedischen Dominanz in dieser Region fUhren konnte,5 zum anderen in expansiver Absicht, zur Errichtung des schon von König Gustav II. Adolf anvisierten Dominium maris Baltici, einer "die Ostsee beherrschende[n] Handelskontrolle mit allen dazu erforderlichen Territorialerwerbungen"6 • Es war unvermeidlich, daß sich Schweden mit dem beabsichtigten Vordringen im Baltikum und insbesondere mit dem erstrebten Erwerb von Ostseehäfen und Zolleinnahmen nicht nur Polen, sondern auch andere europäische Mächte zum Feind machte. Mit dem Zar mußte es bei einer solch aggressiven Politik zum Streit um die polnische Beute kommen. Auch militärische Gegenmaßnahmen der Niederlande, deren Handelsdominanz in der Ostsee durch das geplante schwedische Vorgehen in Frage gestellt wurde, waren zu erwarten, gerade dann - dies zeigte sich im Sommer 1656 -, wenn Danzig, der wichtige Umschlagplatz an der Weichselmündung, in Gefahr geriet. Daß Karl Gustav letztlich bereit war, das Risiko einzugehen, mehrere Feinde auf sich zu ziehen, zeugt von seiner persönlichen Tatkraft, aber auch von den bereits erwähnten strukturellen Problemen Schwedens, die aus Sicht des Königs ein baldiges militärisches Vorgehen erforderlich erscheinen ließen. 7

4 Vgl. hierzu die zutreffende Einschätzung Johann Georgs aus dem Jahre 1663: "[... ] so ist [...] aller weit kundt, wie schwerlich Schweden ohne krieg, in sich selber subsistiren noch bestehen kan [...]." Meinardus VI, S. 785. 5 Opitz, S. VII; Frost, S. 1; Troebst, S. 394. 6 Kunisch, Nordischer Krieg, S. 17. 7 Zu Recht ist in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen worden, daß der von Karl X. Gustav ausgelöste Krieg "von Anfang an auch Züge eines ,Militäraktionismus' [trug], dessen Ziel die innere wie äußere Stabilisierung der noch keineswegs abgeschlossenen Staatsbildung Schwedens war". Ders., Absolutismus, S. 130.

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111. Zwischen Karl X. Gustav und dem Großen Kurfiirsten

Für den Dessauer Erbprinzen Johann Georg sollte sich der Entschluß des schwedischen Königs, Krieg zu fUhren, als schwerwiegende, seinen weiteren Werdegang wesentlich beeinflussende Entscheidung erweisen. Denn nicht zuletzt das Motiv, sich durch die Indienstnahme von Mitgliedern deutscher FOrstenhäuser einen Rückhalt im Reich zu schaffen,8 bewog KarI X. Gustav dazu, auch mit dem tatendurstigen und ehrgeizigen Anhalter Verhandlungen über einen Eintritt in die schwedische Armee zu fUhren. Bereits im November 1643 war er in Dessau auf den jungen Erbprinzen aufinerksam geworden. Auch während der Expedition Johann Georgs nach Sandersleben im September des darauffolgenden Jahres waren sich beide wahrscheinlich begegnet, und kurz vor Kriegsende 1648 hatte der Dessauer den Pfalzgrafen gemeinsam mit seinem Vater im Zerbster Land besucht.9 Sondierungen im Sommer 1655 ließen sehr bald die Bereitschaft Johann Georgs erkennen, sich an der Seite des schwedischen Königs zu engagieren. Ob die Initiative zu den Verhandlungen dabei eindeutig von Karl Gustav ausging, wie Johann Georg später nachdrücklich betont hat, 10 kann aufgrund fehlender Quellen letztlich nicht entschieden werden. Jedenfalls fiel das Ansuchen des Königs auf fruchtbaren Boden, da der Dessauer aus mehreren Gründen daran interessiert war, die Offerte anzunehmen. So garantierte der hohe Standard der schwedischen Offiziersausbildung eine vorzügliche militärische Schulung. Auch waren die zu erwartenden Einkünfte als Regimentsinhaber ein großer finanzieller Anreiz. Entscheidend aber war ftlr ihn überdies sicherlich das Verlangen, den ererbten hohen gesellschaftlichen Status durch persönliche Leistungen zu rechtfertigen, ein Bedürfnis, das er mit vielen seiner adligen Zeitgenossen teilte. 11 Das Streben nach Ruhm, Ehre und Reputation, wie es so eindrucksvoll etwa in den "Memoires" Ludwigs XIV. zum Aus-

8 Müsebeck, Eintritt, S. 478. Die Studie MUsehecks beruht im wesentlichen auf dem Bestand LAO Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 1. Müsebeck wertet u. a. den darin enthaltenen Briefwechsel Johann Georgs mit FOrst Johann Casimir von Anhalt-Dessau und Freyberg aus den Jahren 1655-1659 aus. 9 Beckmann, Historie V/3, S. 246. Auf die erwähnte Begegnung im Jahre 1644 deutet ein Brief Christian Heinrich von Börstels an Fst. Johann Casimir aus Sandersleben vom 10. [/20.]9. 1644 hin. LAO Abt. Dessau C 16 c 1 Nr. 250, fol. 10 f. 10 Johann Georg an Kg. Johann Casimir von Polen, Konitz 14./24.10. 1656, Beckmann, Historie V/3, S. 247. Vgl. auch die Lebensbeschreibung Johann Georgs aus dem Jahre 1693, in der davon die Rede ist, daß sich Karl Gustav mit Nachdruck um Johann Georg bemüht habe. LAO HA Zerbst XXXVII Nr. 11, fol. 14. 11 "Der Platz innerhalb der sozialen Ordnung wird als Gabe, zugleich aber auch als Aufgabe verstanden, die beide letztlich von Gott kommen." Opgenoorth, Ausländer, S. 91. Typisch hierfiir ist die Äußerung Leopolds l. von Anhalt-Dessau, er messe der aufgrund seiner langjährigen Dienste fiir den preußischen Staat erworbenen Charge als Feldmarschall mehr Bedeutung bei als seiner reichsftlrstlichen Stellung, da ihm letztere durch Geburt, nicht aber aufgrund persönlicher Leistungen zukomme. Krauske, S. 262.

1. Der Eintritt in die schwedische Armee

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druck kommt, 12 war filr den Dessauer nicht nur ein aus der Erziehung zum "honnete homme" resultierendes Wortbekenntnis. Es war vielmehr ein zentrales, als Konsequenz der hohen adligen Abstammung verstandenes Handlungsmotiv, das letztlich in den in geburtsständischen Kategorien verhafteten Denkund Verhaltensweisen begrtlndet lag, die er und viele andere hochgeborene Zeitgenossen verinnerlicht hatten: ,,Als ein Junger Fürst I dem so wohl als andem die Begierde nach Ruhm zu streben I angebohren ist'' 13, habe er sich dem Angebot Karl Gustavs nicht entziehen können, äußerte sich Johann Georg zu einem späteren Zeitpunkt gegenüber dem polnischen König. Zunächst kam man überein, daß Johann Georg als Freiwilliger, ohne festes Engagement am Kriegszug gegen den polnischen König teilnehmen sollte.14 Am 9. August 1655 brach er von Dessau auf und erreichte tags darauf Berlin. Der Grund dieser Zwischenstation am kurfilrstlichen Hof waren sicherlich politische Erwägungen seines Vaters. Kurbrandenburg war durch die polnische Lehnshoheit über das Herzogtum Preußen unmittelbar vom schwedischen Vorgehen gegen Polen betroffen. Am Dessauer Hof befilrchtete man daher, daß KurtUrst Friedrich Wilhelm den Plänen Johann Georgs ablehnend gegenüberstehe. Der Dessauer, der sich erst wenige Monate zuvor anläßlich der Taufe des Kurprinzen Karl Emil in Berlin aufgehalten hatte, 15 wurde dort jedoch ausgesprochen herzlich empfangen. Zwar zog der kurfilrstliche Hof einen möglichen Eintritt Johann Georgs in brandenburgische Dienste seinem Engagement in der schwedischen Armee vor - Kurfilrst Friedrich Wilhelm und sein erster Berater Graf Georg Friedrich von Waldeck boten ihm sogar die Führung eines Kavallerieregiments an-, zu einer Verstimmung des Kurfiirsten angesichtsder beharrlichen Haltung Jobarm Georgs, dem Schwedenkönig in den Krieg folgen zu wollen, kam es dennoch nicht. "Ich will nun in Gottes nahmen fort und sehen, wie die sachen lauffen; undt wie eins undt andere mir anstehen wirdt; dieses hier, wan ich Iust dazu habe, wirdt mich nicht entlauffen" 16, schrieb der Erbprinz aus Berlin an seinen Vater. 12 In deutscher Übersetzung: Ludwig XIV., Memoiren. Zur Bedeutung der "Memoires" vgl. Skalweit, S. 74-77, und Kunisch, Absolutismus, S. 30: "Das Streben nach Größe und Ruhm ist das alle Überlegungen und Affekte regulierende und lenkende Prinzip, es ist der Inbegriff und der sinnstiftende Kern allen Hande1ns." Vgl. in diesem Zusammenhang auch die grundlegende Studie von dems., La guerre- c'est moi. 13 Johann Georg an Kg. Johann Casimir von Polen, Konitz 14./24.10. 1656, Beckmann, Historie V/3, S. 247. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die grundsätzlichen Überlegungen bei Burkhardt, Dreißigjähriger Krieg, S. 12. 14 Zum Folgenden vgl. Müsebeck, Eintritt, S. 479 ff. 15 V gl. die Kalendereinträge Johann Georgs LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 4 (2), fol. 6 f.; ferner die Akten im GStA PK, BPH Rep. 35 Nr. V 5 Bd. I sowie Voigt, S. 193196. Bei der Taufe war auch Henriette Catharina von Oranien, die spätere Gemahlin Johann Georgs, anwesend. 16 Zitiert nach Müsebeck, Eintritt, S. 480.

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Nachdem Johann Georg schließlich am 17. August das Lager des schwedischen Königs bei Landsberg an der Warthe erreicht hatte, 17 trat sehr bald ein, was zu erwarten gewesen war: Unter dem Eindruck des schwedischen Siegeszugs wie auch des Charismas Karl Gustavs drängte der Dessauer darauf, die neuerlichen Angebote des Königs, endgültig in die schwedische Armee einzutreten, annehmen und damit selbst aktiv in das Kriegsgeschehen eingreifen zu dürfen. Sein Vater stand diesem Begehren zunächst mit Skepsis gegenüber. Seine Haltung war erkennbar durch die Rolle Anhalts als kleiner, unmittelbar an mächtigere Nachbarn grenzender Reichsstand bedingt. Gerade aufgrund der Tatsache, daß verläßliche Nachrichten über die genaue Haltung Kurftlrst Friedrich Wilhelms gegenüber Schweden nicht zur Verfilgung standen, zögerte Johann Casimir, seinem Sohn die erbetene Erlaubnis zu erteilen. Auch Rücksicht auf die kursächsische Haltung und die Sorge, im Falle einer Beteiligung von Kaiser und Reich am Krieg gegen Schweden könne Johann Georgs schwedisches Engagement negative Folgen ftlr Anhalt haben, prägten die intensiven Beratungen am Dessauer Hof und veranlaßten Johann Casimir, die Entscheidung zu verzögern. Als dann am 4. Februar 1656 nach mehrmonatigen Verhandlungen schließlich doch der Abschluß einer Kapitulation über den nun definitiven Eintritt Johann Georgs in die schwedische Armee erfolgte 18 - schon zuvor war ihm faktisch die Führung des Kavallerieregiments "Königin" übertragen worden 19 -, war das wichtigste politische Hindernis ftlr die Zustimmung seines Vaters beseitigt: Kurbrandenburg hatte unter schwedischem Druck am 17. Januar im Königsherger Vertrag einer Verständigung mit Karl X. Gustav beipflichten müssen; eventuellen Einwänden der Brandenburger gegen eine Kriegsbeteiligung Johann Georgs auf schwedischer Seite war somit die Grundlage entzogen.20 Laut Kapitulation sollte der Dessauer innerhalb von vier Monaten ein Reiterregiment von acht Kompanien mit einer Sollstärke von insgesamt 400 Mann werben. Für jeden geworbenen Reiter wurden ihm 40 Tlr. Werbegeld zugesichert. 21 Zum Folgenden vgl. ebd., S. 481-486. Die Kapitulation vom 25.1. [/4.2.] 1656 findet sich im LAO Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 1, fol. 96 f. Vgl. Müsebeck, Eintritt, S. 486 f. 19 Tessin, S. 124 f. 20 Der Königsherger Vertrag bei Moerner, Nr. 105-107; vgl. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 323-327. 21 In einem Brief an Kfst. Friedrich Wilhelm vom 28.5./7.6. 1669 hat Johann Georg das Verfahren bei der Anwerbung seines Regiments beschrieben. Die Antrittsgelder, die er vorab aufbringen mußte, wurden durch die Zahlungen der durch den schwedischen König assignierten Quartiere mit Gewinn wieder eingenommen. GStA PK, I. HA Rep. 9 (Polen) Nr. 18.7, fol. 6 f. 17

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Die Korrespondenzen Fürst Johann Casimirs aus dieser Zeit zeigen, daß der Eintritt seines Sohnes in die Armee des Schwedenkönigs mancherorts mit Besorgnis und bisweilen sogar sehr kritisch aufgenommen wurde. So bezweifelte Landgraf Hermann von Hessen-Rotenburg, ein Schwager Johann Casimirs, in ungewöhnlich offener Form den Sinn einer Beteiligung des Erbprinzen am geflihrlichen Krieg gegen Polen. Auch Johann Georgs Schwester Luise äußerte sich besorgt angesichts der Risiken, denen sich ihr Bruder aussetzte.22 Bevor Johann Georg jedoch unmittelbar in das Kriegsgeschehen verwickelt wurde, erfolgte ein mehrmonatiges Intermezzo. Nach Abschluß der Kapitulation war er im Auftrag Karl Gustavs nach Dresden gereist, sicherlich nicht zuletzt, um den kursächsischen Hof über seine Absichten zu informieren, und am 19. März traf er in seiner Heimatstadt ein. Exakt drei Monate später reiste er wieder aus Dessau ab und nahm seinen Weg über Berlin und Stettin bis nach Konitz, dem Quartier seiner Regimenter. 23 Die strategische Lage hatte sich filr Karl X. Gustav nach den schnellen Anfangserfolgen des Jahres 1655 verschlechtert. Auch der Sieg der vereinten schwedischen und brandenburgischen Truppen in der mehrtägigen Schlacht von Warschau im Juli 1656 fllhrte langfristig keine entscheidende Verbesserung der Situation herbei. Es hatte sich sehr schnell gezeigt, daß die schwedischen Kräfte nicht ausreichten, die eroberten weiträumigen Positionen zu behaupten. Symptomatisch war, daß sich Karl Gustav bereits im Juni genötigt gesehen hatte, das Marlenburger Bündnis mit Kurftlrst Friedrich Wilhelm zu schließen, welches die Position der Brandenburger im Vergleich zu den Bestimmungen des Königsherger Vertrages verbesserte. 24 Die erste Phase der Kriegstätigkeit Johann Georgs war durch Mißerfolge und Schwierigkeiten gekennzeichnet. Probleme bei der Aufbringung der Werbegelder, ergebnislose Märsche und erfolglose Unternehmungen gegen die Stadt Tuchel, auch Krankheiten unter seinen Soldaten und die Furcht vor der in Preußen grassierenden Pest trugen zu einer gewissen Ernüchterung des Dessauers bei. 25

22 LandgrafHermann von Hessen-Rotenburg an Fst. Johann Casimir, (eh) Rotenburg 25.10. [/4.11.] 1655 LAO Abt. Dessau A 10 Nr. 37, fol. 91 f.; Luise an ihren Vater, (eh) Ohlau 30.11. 1655 LAO Abt. Dessau A 10 Nr. 28, fol. 36 f. 23 Die Daten seines Aufenthalts in Dessau nach LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 3 (42), fol. 14 und 27 sowie LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 4 (3), fol. 4 und 7. Zu Johann Georgs Aufenthalt in Berlin vgl. seinen Brief an Freyberg, (eh) Stettin 22.6. [/2.7.] 1656 LAO Abt. Dessau A 9 a II b Nr. I, fol. 108. 24 Zum Marienburger Bündnis vgl. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 331-336; der Vertrag bei Moerner, Nr. 109-113. 25 Müsebeck, Eintritt, S. 488; Beckmann, Historie V/3, S. 246.

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Doch bereits im Oktober 1656 sollte es zu einer ersten Bewährungsprobe kommen. 26 Die in Warschau geschlagene polnische Armee hatte sich schon im Monat August wieder gesammelt und erreichte auf ihrem Marsch nach Danzig die Stadt Konitz, das Quartier der beiden Regimenter Johann Georgs. Als am 21. Oktober rund 400 Polen vor der Stadt aufmarschierten, kam es sofort zu Kampfhandlungen. Am darauffolgenden Tag erhielten Johann Georg sowie Rat und Bürgerschaft der Stadt Schreiben des polnischen Königs mit der Aufforderung, Konitz unverzüglich zu übergeben. Einen weiteren Tag später begannen die Polen mit dem Angriff auf die Stadt. Während Johann Georg noch am 24. Oktober König Johann Casimir zu verstehen gab, daß an eine kampflose Übergabe der Stadt nicht zu denken sei, überwogen doch angesichts der deutlichen feindlichen Übermacht - inzwischen war die gesamte, etwa 10.000 Mann starke polnische Armee vor der Stadt erschienen - sehr bald die Zweifel, ob Konitz einer Belagerung standhalten konnte. Auch verdeutlichten die Reaktionen der Bürgerschaft auf die ersten Belagerungsversuche der Polen, daß auf ihre Loyalität gegenüber den schwedischen Besatzern nur sehr begrenzt zu zählen war. Bereits nach den ersten Kämpfen entschloß sich Johann Georg daher, einen Vergleich mit Johann Casimir über die Kapitulation der Stadt auszuhandeln, der dann auch am 29. Oktober abgeschlossen wurde. In einem Schreiben an den Dessauer drückte König Kar! Gustav seine Zufriedenheit mit dessen Verhalten aus. Immerhin war es gelungen, den Marsch der polnischen Armee einige Tage aufzuhalten.27 Der Verlauf der kurzen Belagerung, die Übergabebedingungen, der am 31. Oktober erfolgte Auszug aus der Stadt sowie die anschließenden gegenseitigen Ehrenbezeigungen Johann Georgs und des polnischen Königs verweisen, über die konkrete Situation hinausgehend, in exemplarischer Weise auf den agonalen Charakter8, den Kriege in der Frühen Neuzeit mitunter noct- besaßen. Bei aller Unbedingtheit, Grausamkeit und Erbitterung der Kriegfilhrung - so wurden be26 Zur Belagerung und Übergabe von Konitz vgl. Theatrum Europaeum VII, S. 985; Müsebeck, Eintritt, S. 489 f.; Beckmann, Historie V/3, S. 246 ff., der den Briefwechsel Johann Georgs mit dem polnischen König abdruckt. Ergänzend dazu die Übergabebedingungen vom 29.10. 1656 LAO Abt. Dessau A 9 a II b Nr. I, fol. 159, die Kalendereinträge Johann Georgs LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 4 (3), fol. II sowie die Aufzeichnungen des brandenburgischen Geheimen Rats Weimann in seinem Journal GStA PK, I. HA Rep. 92 Weimann Bd. 111, fol. 287r und 425v. In seinem Diarium oder Journal sammelte Weimann Abschriften seiner Korrespondenzen sowie sogenannte Nouvelles, Nachrichten unterschiedlichsten Inhalts, die ihm zur Kenntnis gelangt waren und die er fiir bemerkens- und überlieferungswert hielt. Neun Bände dieses Diariums befinden sich im GStA PK, I. HA Rep. 92 Weimann, ein weiterer Band wird im NordrheinWestfll.lischen Hauptstaatsarchiv DUsseldorf aufbewahrt. 27 Briefvom 30.10. [/9.11.] 1656, gedruckt bei Beckmann, Historie V/3, S. 248. 28 Vgl. hierzu und zum Folgenden die auf einer Studie Johan Huizingas beruhenden Überlegungen und weiterfUhrenden Fragestellungen bei Roeck, Als wollt die Welt schier brechen, S. 245 ff.

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reits in der Warschauer Schlacht keine Gefangenen mehr gemachr9 - manifestierte sich in dem Procedere der Belagerung und Übergabe der Stadt Konitz eine Anschauung, die Krieg als Spiel der Ehre verstand, als Auseinandersetzung, bei der die hochadligen Kontrahenten an der Spitze der Heere im Umgang mit ihresgleichen bestimmte Regeln und Formen einhielten.30 Bereits während der Belagerung waren Johann Georg von den polnischen Truppen abgefangene, an ihn adressierte Briefe seines Vaters durch König Johann Casimir persönlich übersandt worden. Zudem wurde der Auszug aus der Stadt so eingerichtet, daß Johann Georgs Ehre gewahrt blieb. Der Abmarsch seiner Regimenter erfolgte ungehindert, mit brennenden Lunten, unter Trompetenspiel und Trommelschlag. Er durfte anschließend mit dem König speisen, erhielt als Geschenk ein besonders schönes tatarisches Pferd und wurde bei seinem Abritt noch ein Stück des Weges zu seinen Regimentern begleitet.31 In der Übergabevereinbarung war festgelegt worden, daß Johann Georg seine Truppenteile vom Kriegsschauplatz abziehen und nach Pommern fUhren mußte.32 Nachdem er am 11. November in Stettin angelangt war, verging mehr als ein Monat, ehe neue Befehle Kar! Gustavs eintrafen. Erst im Dezember wurde der Dessauer beauftragt, die Führung eines neuen Korps, das aus seinen sowie sechs weiteren Regimentern, den Lehnpferden und dem Aufgebot des Herzogtums Pommern gebildet werden sollte, zu übernehmen und sich mit dem von Osten heranrückenden Heer des schwedischen Königs zu vereinigen. Der nicht ganz ungeflihrliche Marsch durch das von polnischen Truppen kontrollierte Land und die beabsichtigte Vereinigung beider Truppenkörper gelangen. Konitz, das noch im Oktober in die Hand des polnischen Königs gefallen war, mußte am 11. Januar 1657 wieder dem schwedischen König übergeben werden. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 332 Anm. 246. Roeck, Als wollt die Welt schier brechen, S. 245 f.; Huizinga, Homo ludens, S. 162: "Solange man mit Gleichen zu tun hat, läßt man sich im Prinzip von einem Gefilhl der Ehre beseelen, mit dem sich eine Geisteshaltung von Wetten und die Forderung einer gewissen Mäßigung usw. verbindet. Sobald der Kampf aber gegen solche gerichtet ist, die als minderwertig gelten(... ), hörtjede Beschränkung der Gewalt auf(... )." 31 Beckmann, Historie V/3, S. 248. Die Tendenz Beckmanns, die Ehrenbezeigungen des polnischen Königs gegenüber Johann Georg als Ausdruck individueller Hochachtung darzustellen, wird angesichts der Tatsache relativiert, daß die geschilderten Vorgänge in vielfacher Hinsicht als typisch filr den Ablauf einer Belagerung und anschließenden Kapitulation einer Stadt anzusehen sind. Vgl. dazu etwa die Schilderung und Deutung einer sehr ähnlich verlaufenen Belagerung der Stadt Augsburg während des Dreißigjährigen Krieges bei Roeck, Als wollt die Welt schier brechen, S. 245 ff. 32 Vgl. zum Folgenden Müsebeck, Eintritt, S. 491 f.; Beckmann, Historie V/3, S. 249. Zu den Aktivitäten Johann Georgs und den Rekrutierungen der Schweden um die Jahreswende 1656/57 vgl. zusätzlich die kurzen Nachrichten in Weimanns Journal GStA PK, I. HA Rep. 92 Weimann Bd. IV, fol. l42r, 189v und 244v sowie den Bericht der hinterpommerschen Regierung an Kfst. Friedrich Wilhelm aus Kolberg vom 11. [/21.] 1. 1657 GStA PK, I. HA Rep. 30 Nr. 226 a, s.f. 29

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Johann Georg hatte einen vorläufigen Höhepunkt seiner militärischen Karriere erreicht: Am 13. Februar ernannte ihn Karl X. Gustav zum Generalmajor.33 Inzwischen hatte sich die politische und militärische Gesamtlage wesentlich verändert. 34 Die Niederlande hatten bereits im Sommer des Vorjahres den Schwedenkönig mit einer Flotte dazu gezwungen, die Belagerung Danzigs aufzugeben. Polen war es gelungen, Bündnisse mit dem Zaren und Österreich abzuschließen. Auch Karl Gustav hatte einen neuen Bundesgenossen gewonnen. Georg II. Rak6czy von Siebenbürgen, der mit König Johann Casimir und dem polnischen Senat ergebnislos Uber den Erwerb der polnischen Krone verhandelt hatte, rUckte Anfang des Jahres 1657 in Polen vor, so daß die um Danzig lagernden polnischen Truppen nach SUden marschierten, um dem neuen Feind entgegenzutreten. Für Kar! Gustav bedeutete dies die Möglichkeit, sich mit den Truppen Rak6czys vereinigen und mit dieser verstärkten Macht Polen eventuell endgU!tig niederwerfen zu können. Der Schwedenkönig verfolgte eine zweigleisige Politik: Zum einen strebte er die Eroberung von Küstengebiet an, zum anderen beabsichtigte er, die schwedische Vorherrschaft bis tief in das sUdöstliche Europa auszudehnen. 3s Wie sich nun immer deutlicher zeigte, überschätzte er damit allerdings, seine militärischen Möglichkeiten und die Erfolgsaussichten, seine weitgreifenden Eroberungen international behaupten zu können. Zwar gelang der geplante Zusammenschluß mit der Armee Rak6czys bei Sandomierz im April 1657, doch wichen die Polen in der Folgezeit einer offenen Feldschlacht geschickt aus, so daß sich die Truppen des Schwedenkönigs und des Siebenbürgers in ergebnislosen Hin- und Hermärschen mehr und mehr erschöpften.36 Johann Georg, der am "Rak6czymarsch" durch Polen teilgenommen hatte, wurde nach der Vereinigung der beiden Heere zunächst von Karl Gustav beauftragt, die auf Warschau marschierenden Truppen des polnischen Heerftlhrers Czarniecki zu verfolgen, konnte diesen aber nicht stellen.37

33 Das Patent findet sich im LAO Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 1, fol. 220. Zur Rekrutierung waren Johann Georg die Städte Hammerstein und Friedland, das Amt Schlochau sowie der Distrikt Schlochau assigniert worden. 34 Vgl. Opitz, S. 10; Frost, S. 82 ff.; Troebst, S. 439 ff. 35 Roberts, Charles X, S. 139. Zur veränderten militärischen Gesamtlage vgl. auch Frost, S. 85. 36 Zu Recht ist dieser Sachverhalt als Erfolg der polnischen Kriegfilhrung, besonders der Taktik Czarnieckis und Lubomirskis, bewertet worden, so bei Opitz, S. 11. 37 Beckmann, Historie V/3, S. 249 f. In der episodenhaften und glorifizierenden Schilderung Beckmanns, der u. a. von der Beschützung einiger adliger Frauen durch Johann Georg vor den anstürmenden Verfolgern Czamieckis zu berichten weiß, erscheint der Dessauer als besonders tugendhafter, in den Wirren des Krieges stets ehrenhaft handelnder und allseits geachteter Soldat.

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In der Zwischenzeit war es erneut zu einem entscheidenden Wandel der politischen und militärischen Situation gekommen. Ende Mai hatte Kar! Gustav, der die Ergebnislosigkeit seiner militärischen Operationen in Polen anerkennen mußte, die schon längere Zeit erwartete Nachricht vom dänischen Angriff auf Schweden erhalten. Da sich zudem eine energischere Parteinahme Österreichs zugunsten Polens abzeichnete, entschloß er sich - sehr zum Unwillen Rak6czys -, den polnischen Kriegsschauplatz zu verlassen und gegen den nordischen Rivalen zu ziehen. Nur einen Teil seiner Armee, darunter auch Johann Georg, ließ er unter der FUhrung des Generals Stenbock bei Rak6czy zurück. Zwar gelang dem Siebenbürger mit der Einnahme Warschaus im Juni ein vorläufiger Erfolg, die bald darauf erfolgte Abberufung der in Polen verbliebenen schwedischen Truppen besiegelte jedoch das Scheitern seiner Pläne. Noch im Sommer des Jahres mußte er kapitulieren und das Bündnis mit Karl X. Gustav lösen. 38 Die Briefe Johann Georgs aus dieser Zeit sind eindrucksvolle Zeugnisse der großen Verwüstungen, die die in Eilmärschen nach Norddeutschland ziehenden schwedischen Truppen auf ihrem Weg durch Pommern und Mecklenburg bis Holstein verursachten. Sie gewähren einen tiefen Einblick in die Psyche des Dessauers, der die beobachteten Greuel mit großer Sensibilität wahrnahm: "Was die Polnischen Historien und Cronicken von diesem unserm letzten Abmarsch aus Pohlen schreiben und waß sie uns nachsagen werden, ist leicht abzusehen, und möchte wohl das Papir, darauff unsere letzte actiones in Pohlen geschrieben werden, von vielem Blut der Erschlagenen und großem Feuer so vieler Stätte und Häuser auch bluthroth werden.[ ... ] Gott behüte ein iglich Land fiir dergleichen Gäste."39 Die Taktik Kar! Gustavs erwies sich als erfolgreich. Kar! Gustav Wrangel eroberte mit einem Teil der schwedischen Armee das von den Dänen besetzte Herzogtum Bremen, während es dem König gelang, mit den verbliebenen Truppen siegreich in Holstein und Schleswig vorzudringen. Überrascht vom schnellen Vorrücken der schwedischen Armee, die innerhalb von zwei Monaten von der Weichsel bis an den Belt marschiert war, zogen sich die dänischen Truppen in die Festung Friedrichsodde zurück, die letzte dänische Bastion in Jütland. Von dort aus sollte der Übergang der Schweden über den Kleinen Belt verhindert werden.40 38 Müsebeck, Eintritt, S. 493 f.; Rhode, S. 279 f. ; Opitz, S. 11 f.; Beckmann, Historie V/3, S. 249 f. Nach Heckmanns Darstellung bestand ein besonders gutes Verhältnis zwischen Johann Georg und Räk6czy. Dieser schenkte dem Dessauer beispielsweise ein Pferd und brachte sein großes Bedauern zum Ausdruck, als Johann Georg wieder zum schwedischen König zurückbeordert wurde. 39 Brief Johann Georgs an seinen Vater, Stettin 14.7. 1657, zitiert nach Müsebeck, Eintritt, S. 494. 40 Tessin, S. 47 ff.; Opitz, S. 61 f. 4 Rohrschneider

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Während die Festung von schwedischen Truppen belagert wurde- auch Johann Georg war arn 5. September vor Friedrichsodde eingetroffen41 -, mußte König Karl Gustav eine politische Niederlage hinnehmen. Sein wichtiger Verbündeter Kurftlrst Friedrich Wilhelm von Brandenburg wechselte angesichts der nach dem Abzug der schwedischen Armee aus Polen ftlr ihn unhaltbar gewordenen militärischen Lage die Fronten und schloß arn 19. September in Wehlau mit dem polnischen König einen Vertrag, der ihm die polnische Anerkennung der Souveränität über das Herzogtum Preußen einbrachte. Letztere war ihm noch im November 1656 im Vertrag von Labiau vom schwedischen König bewilligt worden. 42 Karl Gustav reiste von der vor Friedrichsodde liegenden Armee ab und begab sich zunächst nach Wismar, um die weitere Entwicklung abzuwarten.43 Wrangel, der von ihm mit dem Oberbefehl über die Belagerungstruppen betraut worden war, entschloß sich zu Anfang des Monats November, einen Sturmangriff auf das schwer befestigte Friedrichsodde zu wagen. In der Nacht vom 2. auf den 3. November wurde die Festung von den Schweden bestürmt und eingenommen. Johann Georg und die ihm zugeteilten Kavallerieregimenter hatten erheblichen Anteil an der Eroberung der Bastion, denn ihnen war es gelungen, durch Umgehung und Zerstörung der von der Festung bis an das Wasser errichteten Palisaden in die Stadt zu dringen. 44 Nur kurze Zeit nach diesem eminent wichtigen strategischen Erfolg der Schweden reiste Johann Georg vom Heer ab und traf arn letzten Tag des Jahres in Dessau ein. 45 In das Zentrum seines Interesses waren inzwischen Verhandlungen gerückt, die einen Verbleib in den Diensten Karl Gustavs fraglich erscheinen ließen.

Kalendereintrag Johann Georgs LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 4 (4), fol. 9. Vgl. Neuber, S. 97-146; Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 359-365; Frost, S. 97-105. Die Ratifikation des Wehlauer Vertrages erfolgte in Bromberg im November des Jahres. Moerner, Nr. 121 a-f. 43 Tessin, S. 49. 44 Zur Eroberung Friedrichsoddes vgl. Pufendorf, Kar! Gustav, IV§ 75, S. 334 ff.; Theatrum Europaeum VIII, S. 229; Beckmann, Historie V/3, S. 250; Carlson, S. 252 f.; Müsebeck, Eintritt, S. 495 f.; Tessin, S. 50. 45 Kalendereintrag Johann Georgs vom 21. [/31.] 12. 1657 LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 4 (4), fol. 13 und Eintrag Johann Casimirs LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 3 (43), fol. 56. 41

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2. Der Übertritt in die Dienste des Kurftlrsten Friedrich Wilhelm

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2. Der Übertritt in die Dienste des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg und der Feldzug 1658/59 Am 22. Dezember 1657 hatte Johann Georg dem brandenburgischen Kurfllrsten aus Wismar mitgeteilt, daß er nach Erledigung der ihm vom schwedischen König aufgetragenen Verrichtungen nach Berlin kommen wolle, und daraufhin eine zustimmende Antwort Friedrich Wilhelms erhalten.46 Am Tag seiner Ankunft am kurfllrstlichen Hof, dem 9. Februar 1658,47 trug sich ein ebenso aufsehenerregendes wie folgenschweres militärisches Ereignis zu: Kar! X. Gustav wagte mit seinem Heer den Marsch über den zugefrorenen Kleinen Belt nach Fünen und entschied die "in der Kriegsgeschichte der Neuzeit einzig dastehende ,Schlacht auf dem Eis'"48 gegen die dänische Kavallerie zu seinen Gunsten. Nur wenige Tage später gelang auch der Zug über den ebenfalls vereisten Großen Belt nach Seeland. Dänemark, vom wagemutigen Vorgehen Kar! Gustavs völlig überrascht, war militärisch geschlagen und mußte am 27. Februar den Verzichtfrieden von Roeskilde unterzeichnen. 49 In Berlin filhrten unterdessen kaiserliche und polnische Abgesandte Verhandlungen,50 die sich nicht nur als entscheidend ft1r den weiteren Verlauf des Krieges erweisen sollten, sondern die zudem Johann Georg die Notwendigkeit einer bereits längere Zeit herausgezögerten persönlichen Entscheidung vor Augen fUhrten. Was war geschehen?

Am 21. November 1656 hatte der brandenburgische Gesandte im Haag, Daniet Weimann, dem Statthalter der Kur und Mark Brandenburg, Graf Johann von Sayn-Wittgenstein, gemeldet, daß Enno Ludwig von Ostfries land, der frühere Verlobte Henriette Catharinas von Oranien, geheiratet habe. Zugleich hatte Weimann dem Statthalter im Vertrauen seine Überlegung eröffnet, den Erbprinzen von Anhalt-Dessau auf die nunmehr gegebene Möglichkeit einer ehelichen Verbindung mit der Oranierin aufmerksam zu machen.5 1 Die Verheiratung einer oranischen Prinzessin inmitten eines Konflikts, der die Belange nahezu aller europäischen Staaten betraf, war von einer gewissen 46 GStA PK, I. HA Rep. II, 1-18 Anhalt Nr. 39 D, fol. 2 ff. Das Konzept der vom 18. [/28.] 12. 1657 datierenden kurftlrstlichen Antwort ist gezeichnet von Otto von Schwerin. Auszüge der Briefe finden sich bei Müsebeck, Eintritt, S. 496. 47 Kalendereintrag Johann Georgs LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 4 (5), fol. 2. 48 Opitz, S. 63. 49 Der Friede von Roeskilde bei DuMont VI/2, S. 205-208. so Vgl. hierzu die Berichte Johann Georgs an Kg. Kar! Gustav vom 5. [/15.]2. und 22.2. [/4.3.] 1658 VA 23/1, S. 560 f. Gespräche llihrte der Dessauer bei dieser Gelegenheit z. B. mit dem kaiserlichen Gesandten Lisola. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Pribram, Berichte des kaiserlichen Gesandten, S. 368. SI Müsebeck, Eintritt, S. 496 f.

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111. Zwischen Kar! X. Gustav und dem Großen Kurftirsten

politischen Brisanz. Geboren am 10. Februar 1637 als filnfte Tochter Friedrich Heinrichs von Oranien und der Gräfin Amalie von Solms-Braunfels, war Henriette Catharina bereits im Alter von vier Jahren mit dem ostfriesischen Erbgrafen Enno Ludwig verlobt worden. 52 Ausschlaggebend filr die Lösung der Verlobung im Jahre 1656 waren persönliche Gründe: Henriette Catharina empfand eine starke Abneigung gegenüber Enno Ludwig, und weder dessen schlechter Ruf noch dessen persönliches Auftreten trugen dazu bei, ihn als geeigneten Gatten der Prinzessin erscheinen zu lassen. Nachdem er daher bei seinen Brautwerbungen im Haag mehrere Male vertröstet worden war, entschied sich Amalie schließlich, dem Wunsch ihrer Tochter zu entsprechen und die Verlobung zu lösen.53 An neuen Bewerbern um die Hand der jungen Prinzessin herrschte kein Mangel. Ernstzunehmende Kandidaten waren Adolf Johann von Pfalz-Zweibrücken, der Bruder des schwedischen Königs, und der englische Thronprätendent Karl (II.) Stuart. Vor dem Hintergrund des im September 1656 geschlossenen Handelsvertrags der Niederlande mit Schweden ließ eine Eheschließung Henriette Catharinas mit Adolf Johann eine Festigung der Handelsbeziehungen zu Schweden erhoffen. Die Werbungen Karl Stuarts stießen auf wenig Gegenliebe bei Amalie, da sie seinen Status als exilierter "König ohne Land" nicht als wünschenswerte Voraussetzung filr eine Ehe mit ihrer Tochter ansah. 54 Neben Daniel Weimann wurde in der Folgezeit Otto von Schwerin, der spätere Oberpräsident des brandenburgischen Geheimen Rates und wichtige Berater Kurfilrst Friedrich Wilhelms, zum maßgeblichen Förderereiner Bewerbung Johann Georgs. Bereits auf der vom 25. bis 31. Januar 1657 in Preußisch52 Zu Friedrich Heinrich vgl. die maßgebliche Biographie von Poe/hekk.e, Frederik Hendrik sowie zusammenfassend ders., Friedrich Heinrich und Wilhelm II. Zur Mutter, Amalie, vgl. die ältere Biographie von Kleinschmidt, Amalie; vgl. ferner die ausgewogene Studie von Gerber sowie die zusammenfassende Darstellung von Poelhekk.e, Amalia. Zu Leben und Wirken Henriette Catharinas, der späteren Gemahlin Johann Georgs, vgl. Beckmann, Historie V/3, S. 264-271; Nijland, Eene Prinses van Oranje; ders., Henriette Catharine; Kleinschmidt, Episoden; Mac/aine Pont; Blok; Smeenge; van der Does, S. 158-167; Leisering; Herenius. Davon, daß die Lebensgeschichte der Fürstin noch heute in den Niederlanden und in Anhalt eine gewisse Popularität besitzt, zeugen die in Tageszeitungen erschienenen Artikelserien von Jauch und H. Ross, Henriette Catharina. Zur Verlobung mit Enno Ludwig v_gl. den Vertrag vom 27.12. 1641, in Original und Abschrift im KHA A 14 XIV D-1. Uber Kindheit und Jugend Henriette Catharinas liegen nur wenige Quellen vor. Drei eigenhändige Briefe an den Vater finden sich im KHA A 14 XI A-49, 50 und 51. 53 Van der Does, S. 158-162. 54 Auch ein Herzog von Hannover, nach MUseheck wahrscheinlich Johann Friedrich, wurde zu den Bewerbern gezählt. Zu den Bewerbungen vgl. Müsebeck, Eintritt, S. 497 f. Zur vergeblichen Brautwerbung Karl Stuarts vgl. Hutton, Charles II, S. 113 f., sowie ausfUhrlieh Kleinschmidt, Episoden, S. 93-101. Bezeichnenderweise bot ihm Amalie nach seiner Restauration die Hand ihrer Tochter Maria an. Ebd., S. 101, und van den Berg, S. 10.

2. Der Übertritt in die Dienste des Kurfilrsten Friedrich Wilhelm

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Holland abgehaltenen schwedisch-brandenburgischen Konferenz, an der Beckmanns "Historie" zufolge auch der Dessauer teilnahm, wurde offenbar erstmals seine Vermählung mit der oranischen Prinzessin eingehend erörtert. 55 Schwerin, auf den Johann Georg großen Eindruck hinterlassen hatte, war es auch, der Verhandlungen über dessen Eintritt in kurbrandenburgische Dienste initiierte und diese mit den Sondierungen einer Brautwerbung des FUrsten verband. Dies erfolgte gewiß in Absprache mit dem Kurftlrsten, der Johann Georg mehrfach persönlich begegnet war und somit auf eigene EindrUcke bei der Beurteilung der Fähigkeiten und charakterlichen Eigenschaften des Dessauers zurliekgreifen konnte. Im März 1657 schrieb Schwerin an seinen Freund Weimann: Der schwedische König "aestimiret ihn [Johann Georg] sehr, ziehet ihn, quod aliis non evenit, fleißig zum Kriegsrat, hat ihn invitum neulich zum General-Major gemachet: Ich halte, er [Johann Georg] werde sich also perfectionniren, nam ambitio et capacitas in pulchro corpore adsunt, daß er tempore pacis et belli künffiig in einem großen Staat alß eine helle Sterne wird leuchten können: Es seind aber alhie auch wenig obstacula, alß daß sein D[omi]n[us] parens noch in vita, undt nebest deme auf einem Hause schwerlich wird wohnen können. Ich wUßte aber wohl Rath vor dieses undt alles andere conjunctim euro utilitate principis nostri." 56 Bereits im Sommer 1655 hatte Kurfilrst Friedrich Wilhelm, wie bereits erwähnt,57 Johann Georg den Eintritt in seine Armee offeriert. Als sich der Kurfilrst dann im Jahre 1657 dazu entschloß, erstmals im Herzogtum Preußen einen Statthalter einzusetzen, rUckte ein Engagement des Anhalters in kurbrandenburgischen Diensten in greifbare Nähe. Schwerin legte dem Dessauer nahe, beim König die Entlassung aus schwedischen Kriegsdiensten zu erwirken und auf die Seite des Kurfilrsten Uberzutreten. 58 Friedrich Wilhelm wandte sich brieflich mit der Bitte an Kar! Gustav, Johann Georg den Eintritt in seine Dienste zu gestatten.59 Das Vorhaben, dem Generalmajor des Königs das preußische Statthalteramt zu übertragen, stieß bei den Schweden durchaus auf Gegenliebe. Vor allem der schwedische Gesandte Graf Christoph Karl von Schlippenbach setzte sich fiir den Dessauer ein.60 Daß letztlich aber der aus einer litauischen

55 Müsebeck, Eintritt, S. 50 I. Zur Konferenz insgesamt vgl. Beckmann, Historie V/3, S. 249; Koser, S. 14 f.; Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 354 f 56 Zitiert nach Müsebeck, Eintritt, S. 499. Ein Auszug des Briefes findet sich auch bei F. Hirsch, Briefe der Kurfiirstin, S. 185 f. 57 V gl. Kapitel III.1. 58 Otto vonSchwerinan Johann Georg, Königsberg 28.6. 1657 LAO Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 2, fol. 2 f.; Auszüge des Briefes auch bei Orlich, Geschichte I, S. 411 , sowie bei Müsebeck, Eintritt, S. 504. 59 Briefvom 30.8. 1657, Beckmann, Historie V/3, S. 250. 60 Schlippenbach an Kg. Karl Gustav, Königsberg 17. [/27.]6. 1657 UA 23/l, S. 474.

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Magnatenfamilie stammende Fürst Boguslaus RadziwiU mit der Statthalterschaft betraut wurde, ftlhrte am Dessauer Hof zu einer gewissen Verstimmung. 61 Gleichwohl änderte diese Entscheidung nichts an dem nach wie vor ungebrochenen Drängen Friedrich Wilhelms und Schwerins, den noch zögerlichen Anhalter endgültig zu dem Entschluß zu bewegen, in das brandenburgische Lager zu wechseln. Die Motive, die den Kurftlrsten dazu bewogen, lagen auf der Hand. Der zitierte Brief Schwerins an Weimann aus dem März 1657 macht deutlich, daß Johann Georg als schwedischer Generalmajor der Kavallerie in der Zwischenzeit einen guten militärischen Ruf erlangt hatte. Auch die Nachrichten über das beherzte Vorgehen des Dessauers bei der Eroberung Friedrichsoddes trugen gewiß dazu bei, ihn als fähigen Reiterfilhrer erscheinen zu lassen. Johann Georg erfilllte außerdem in vielerlei Hinsicht die Kriterien, die Friedrich Wilhelm seiner Statthalterpolitik zugrunde legte.62 Besonders ft1r die Frage, in welchem Maße es dem Kurftlrsten gelingen konnte, bestimmte politische Zielsetzungen in seinen verstreuten, sehr unterschiedlich strukturierten Territorien auch im Falle seiner persönlichen Abwesenheit durchzusetzen, waren der Rang und das Prestige des Statthalters, also der Person, an die Friedrich Wilhelm seine landesherrliche Autorität im Bedarfsfall delegierte, von entscheidender Bedeutung. Dies lag in den strukturellen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der Zeit begründet: Herrschaft und Autorität wurden im Zeitalter des frühmodernen Staates noch weitgehend personal verstanden und ausgeübt. Somit erschien gerade Johann Georg aufgrund seiner herausgehobenen gesellschaftlichen Stellung als Reichsftlrst sowie seiner erworbenen Reputation geeignet, bei Abwesenheit des Kurftlrsten die landesherrlichen Interessen in den politischen Verhandlungen mit den Ständen zu vertreten und durchzusetzen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß der Kurfilrst bis zu einem gewissen Grad geradezu darauf angewiesen war, "Ausländer.. zum Eintritt in seine Dienste zu bewegen, da hochadlige Familien in der Mark Brandenburg 61 Offenbar hätte man auch auf schwedischer Seite lieber Johann Georg als preußischen Statthalter gesehen. Vgl. dazu die Aufzeichnungen Weimanns GStA PK, I. HA Rep. 92 Weimann Bd. V, fol. 362r. Zur Reaktion des Dessauer Hofes siehe Müsebeck, Eintritt, S. 508 f. Es kursierten sogar Gerüchte, man habe Johann Georg mit dem Angebot der Statthalterschaft in Preußen nur täuschen wollen. Vgl. den absenderlosen Brief aus Wismar [?]vom 22.10./l.ll. 1657 im LAO Abt. Dessau A 9 a II a Nr. 37, fol. 54 f. Zum politischen Wirken RadziwiUs insgesamt vgl. die biographische Darstellung von Jacoby. 62 Das Folgende in Anlehnung an Opgenoorth, Johann Moritz, S. 65, und ders., Johan Maurits, S. 44. "Nicht administrative Umorganisationen kennzeichnen die Verwaltung der Herrschaft in der frOhen Neuzeit, sondern das personelle Kriterium, die Persönlichkeit der Amtsträger." Fürbringer, S. 35. Zur Statthalterpolitik des Großen Kurfürsten vgl. insgesamt die Studien von Tippelskirch, Kausche und Opgenoorth, Ausländer sowie Tümpel, S. 69 f.

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und in Preußen nur in begrenzter Zahl zur Verftlgung standen.63 Daß die Stände in den einzelnen Territorien diese Vorgehensweise mitunter mißbilligten und auf dem Indigenatsrecht beharrten, wurde dabei in Kauf genommen. Auch als zukünftiger regierender Landesherr von Anhalt-Dessau war Johann Georg von Interesse filr den Kurfiirsten: "So wenig eine barocke Hothaltung hochadliger Gesellschafter entbehren konnte, so wenig vermochte BrandenburgPreußen seine ambitiöse Reichspolitik ohne eine Klientel von Reichsständen, die auf Reichs- und Kreistagen dessen Belange vertraten, zu verwirklichen."64 Das kaiserliche Klientelsystem diente dem Kurftlrsten dabei, wie Volker Press betont hat, als Vorbild.6 s Durch die geplante Verheiratung des Dessauers mit Henriette Catharina von Oranien, einer Schwester der brandenburgischen Kurftlrstin Louise Henriette, konnte zudem eine enge verwandtschaftliche, über das bloße Dienstverhältnis hinausgehende Bindung geknüpft und somit eine ideale Basis filr eine vertrauensvolle Zusammenarbeit geschaffen werden.66 Hinzu traten konfessionelle Erwägungen. Die Forschung hat wiederholt darauf aufinerksam gemacht, daß der reformierte brandenburgische Kurftlrst bei personalpolitischen Entscheidungen seinen Glaubensgenossen gegenüber Lutheranern den Vorzug gab. Kennzeichnend dafllr ist die Empfehlung, die er seinem präsumtiven Nachfolger in seinem sogenannten Politischen Testament gab: "[ ...] wan Solche Subiecta von der Revormirten Religion In Eweren Landen Sich befinden, So da qualificirt vndt geschickt, fur andere zu denen bedinungen vndt officien, zu hoffe vndt im Lande annehmet vndt bestellet, Ja da auch in der Chur Brandenburg keine verbanden, auß der frembde annehmet, vndt den Lutterischen furziehet. " 67 Auch die Berufung des reformierten Dessauer Erbprinzen erfolgte zweifellos unter diesem leitenden Gesichtspunkt. In der nächsten Umgebung des Kurfilrsten fanden sich starke Befllrworter einer Anwerbung Johann Georgs. Bei Otto von Schwerin, dem "ambassadeur

Opgenoorth, Ausländer, S. 12; Press, Reich und höfischer Absolutismus, S. 166. Hahn, Aristokratisierung, S. 192. 65 Press, Reich und höfischer Absolutismus, S. 166; ders., Römisch-deutsches Reich, S. 241; ders., Patronat, S. 44 f.; ders. , Kaiserliche Stellung, S. 78; ders., Imperial Court ofthe Habsburgs, S. 312. 66 Vgl. Tippelskirch, S. 53. Zur Verwandtschaft der Häuser Hohenzollern und Askanien siehe insgesamt Schuster, hier besonders S. 265. Zu den dynastischen Beziehungen zwischen Hohenzollern und Oranien vgl. zuletzt Vetter. Grundsätzliche Überlegungen zur künstlichen Herstellung von Verwandtschaftsbeziehungen, z. B. durch Verschwägerung, bei Reinhard, S. 306. 67 Dietrich, S. 182. Zum konfessionellen Aspekt der Personalpolitik Friedrich Wilhelms vgl. die grundsätzlichen Überlegungen bei Opgenoorth, Reformierte in Brandenburg-Preußen. 63

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d'amour"68, spielte neben dem Wunsch, eine fllhige und kriegserfahrene Persönlichkeit ft1r Friedrich Wilhelm zu gewinnen, als Motiv sicherlich die Hoffnung eine Rolle, seine eigene Stellung am Berliner Hof durch das erwartete Wohlwollen des angesehenen jungen Fürsten, der ihm fllr die Förderung seiner Angelegenheiten zu Dank verpflichtet sein mußte, festigen zu können. 69 Kurtllrstin Louise Henriette war aufgrund politischer und persönlicher Erwägungen ebenfalls den Plänen Schwerins zugeneigt. Ihrem grundsätzlichen Willen zur Beendigung des Krieges und zu einer Verständigung mit Polen kam eine Verbindung ihrer Schwester mit dem Bruder des schwedischen Königs nicht entgegen. Außerdem eröffnete sich ihr im Falle einer Realisierung des Übertritts und der Heirat Johann Georgs die Aussicht auf häufigere gemeinsame Aufenthalte mit ihrer Schwester in Berlin.70 UnterstUtzt wurde das Kurtllrstenpaar durch die Witwe Friedrich Heinrichs und Mutter der oranischen Prinzessin, Amalie, die mehrfach betonte, daß sie unbedingtes Vertrauen in die Erwägungen ihres Schwiegersohnes Friedrich Wilhelm setzte. Der Austritt des Dessauers aus der schwedischen Armee stellte jedoch die notwendige Voraussetzung ft1r eine Zustimmung Amalies zur anhaltisch-oranischen Eheschließung dar. 71 Selbst Karl X. Gustav schien den von brandenburgischer Seite initiierten Plänen zunächst nicht abgeneigt zu sein. 72 Die Einsicht in den Wert, den eine Ehe mit einer oranischen Prinzessin filr den von ihm geschätzten Erbprinzen eines kleineren Reichsterritoriums haben würde, aber auch die Möglichkeit, den Übertritt Johann Georgs auf die Seite Kurbrandenburgs zu eigenen Gunsten instrumentalisieren zu können, bestimmten zunächst sein Verhalten. Infolge der Lösung Friedrich Wilhelms vom schwedischen Bündnispartner und der definitiven Hinwendung Kurbrandenburgs zu Polen schwand jedoch die Hoffnung, Johann Georg als mögliches Bindeglied zwischen Schweden und Brandenburg benutzen zu können. Zudem sah Karl Gustav, daß er den Dessauer an der Annahme der überaus reizvollen Angebote letztlich nicht hindem konnte: Mit einer

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Brief Arnalies an Schwerin vom 3.2. 1659, gedruckt bei Orlich, Geschichte III,

s. 498 f.

69 Zu den Motiven Schwerins vgl. Hein, Schwerin, S. 132; Müsebeck, Eintritt, S. 51lf. 70 Zur Haltung Louise Henriettes vgl. ebd., S. 498 f.; F. Hirsch, Briefe der Kurfiirstin, S. 183-187; Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 346. 71 Vgl. hierzu die Briefe Amalies an Schwerin vom 11.8. 1657 und 11.3. 1658 (nicht 1659, wie MUseheck zu Recht verbessert hat: Müsebeck, Eintritt, S. 51 0) bei Or/ich, Geschichte III, S. 484 und 495 f., sowie den Brief Weimanns an Schwerin, 's-Gravenhage 9.3. 1658, abschriftlich im Journal Weimanns GStA PK, I. HA Rep. 92 Weimann Bd. VI, fol. 359. 72 Zum Folgenden Müsebeck, Eintritt, S. 507 f.

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höheren Charge könne er ihn versehen, aber die Hand einer oranischen Prinzessin vermöge er ihm nicht zu geben, soll er geäußert haben. 73 Die Präferenzen Henriette Catharinas lassen sich aufgrund fehlender Quellen nicht genau ergründen. Jedenfalls scheint sie einer ehelichen Verbindung mit dem Anhalter, dem sie zumindest bei der Taufe des brandenburgischen Kurprinzen Kar! Emil im Jahre 1655 in Berlin begegnet war, nicht abgeneigt gewesen zu sein. 74 Diesem kam zugute, daß er sich bereits in den Niederlanden und im Haag aufgehalten hatte und somit Kenntnisse über Land und Leute vorweisen konnte. Auch ist davon auszugehen, daß sich Henriette Catharina verpflichtet ftlhlte, sich den Absichten ihrer Mutter weitgehend unterzuordnen. In welchem Maße sie aber dennoch fUr die Brautwerbung des verbannten Smartkönigs empfllnglich war und ob sie eine Heirat mit dem englischen Thronprätendenten ernsthaft erwog, muß offenbleiben. Für das Verständnis der Motive, Erwägungen und Vorgehensweise Johann Georgs ist es erforderlich, ein ganzes Bündel von Rahmenbedingungen, Interessen und Bestimmungsfaktoren zu berücksichtigen. Anhaltische Staatsräson und grundsätzliche politische Überlegungen, aber auch persönlich-emotionale Beweggründe bildeten ein spannungsreiches, nur schwerlich miteinander in Einklang zu bringendes Interessengeflecht Auf der einen Seite stand nach wie vor die ungebrochene Ausstrahlung und Anziehungskraft, die der schwedische König auf ihn ausübte und die vor dem Hintergrund seines kriegerischen Eifers sowie seiner Befi>rderung zum Generalmajor zu dem starken Wunsch filhrte, den Krieg an der Seite Kar! Gustavs fortzusetzen. 75 Auf der anderen Seite war die Option einer Heirat mit der Oranierin und eines Wechsels in das kurbrandenburgische Lager vom materiellen Standpunkt aus äußerst attraktiv. Schon mehrere seiner hochadligen Zeitgenossen - meist Grafen und kleinere Fürsten wie Johann von Sayn-Wittgenstein, Christian Albrecht von Dohna, Georg Friedrich von Waldeck, Boguslaus RadziwiU und Johann Moritz von Nassau-Siegen - waren dem Ruf des brandenburgischen Kurftlrsten gefolgt, von Friedrich Wilhelm mit hochrangigen Posten betraut und mit entsprechenden Gehältern ausgestattet worden. Aus dem Haag berichtete Weimann wiederholt über die finanzielle Ausstattung Henriette Catharinas und soDie Aussage Kar! Gustavs überliefert Beckmann, Historie V/3, S. 251. Müsebeck geht davon aus, daß Henriette Catharina von Anfang an Johann Georg favorisierte, unterstützt seine Behauptung jedoch nicht durch konkrete Quellenbelege. Müsebeck, Eintritt, S. 498. Zu den Aufenthalten Johann Georgs in den Niederlanden und zur Taufe Kar! Emils siehe die Kapitel II und III.l dieser Arbeit. 75 In einem Brief an Freyberg schrieb Johann Georg am 23.5. [/2.6.] 1657: "Si j'estois a moy, je souhaitterois de tenir cette guerre aux services du Roy [...]." Zitiert nach Müsebeck, Eintritt, S. 505. 73

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gar über den Wert der Erbschaft, die ihr im Todesfall der verwitweten Mutter zustand. 76 Welchen Stellenwert finanzielle Erwägungen bei der Auswahl eines geeigneten Ehepartners einnahmen, war schon in den Verhandlungen, die Freyberg mit dem französischen Chevalier D'Assonville über eine Vermählung Jabann Georgs mit Marie Charlotte von Tremoille noch bis in das Jahr 1655 hinein geftlhrt hatte, nur allzu deutlich geworden, denn die Eheschließung war primär an der zu geringen Mitgift der Prinzessin gescheitert.77 Darüber hinaus erftlllte die Oranierin die Bedingungen, die Johann Georgs Vater hinsichtlich einer Vermählung seines Sohnes gestellt hatte: Die Braut mußte reformierter Konfession sein und aus einem angesehenen Haus stammen.78 Wichtige Faktoren waren weiterhin die Aussicht filr das Land AnhaltDessau, in kultureller und ökonomischer Hinsicht von der gebildeten Prinzessin profitieren zu können- die Niederlande waren in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf militärischem Sektor, wirtschaftlich und kulturell das filhrende Land in Europa -, sowie filr Johann Georg die Perspektive, durch die in Aussicht gestellten Kontakte und Verbindungen mit Berlin und dem Haag vielleicht sogar Anschluß an die auf höchster europäischer Ebene geftlhrte Politik zu erhalten. Auch das konfessionelle Motiv sprach langfristig gegen eine Bindung an das lutherische, dem Calvinismus mißtrauisch gegenaberstehende Schweden und ftlr eine Bindung an die konfessionsverwandten Hohenzollern und Oranier.79 Zusätzlich stellte sich ftlr Johann Georg die grundlegende Frage, ob es filr einen kUnftigen regierenden Fürsten von Anhalt-Dessau ratsam war, angesichts der erkennbar werdenden Veränderungen der internationalen Mächtekonstellation weiterhin an der Seite Karls X. Gustav zu verharren. 80 Wie bereits erwähnt, wurde zum Zeitpunkt seiner Anwesenheit in Berlin Anfang des Jahres 1658 über eine antischwedische Koalition verhandelt und unter Einbeziehung Polens ein gegen Schweden gerichtetes Offensivbündnis zwischen Kurbrandenburg und Österreich geschlossen. 81 Bereits bei den ersten Verhandlungen über einen Eintritt Johann Georgs in die schwedische Armee im Jahre 1655 hatte der Z. B. GStA PK, I. HA Rep. 92 Weimann Bd. III, fol. 443r. Müsebeck, Eintritt, S. 500. Müsebeck konnte noch die entsprechenden Archivalien des ehemaligen Zerbster Archivs, die heute leider als verschollen gelten, über dieses Eheprojekt Johann Georgs einsehen. 78 P.S. Johann Casimir an Johann Georg, (eh) s.l.e.a. LAO Abt. Dessau A 9 a II a Nr. I, fol. l. 79 V gl. Opgenoorth, Ausländer, S. 3 I. 80 Ebd. 81 Das Bündnis wurde auf den 9.2. 1658 zurückdatiert. Moerner, Nr. l23a-c und ebd. Anhang Ia-c. 76 77

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Dessauer Hofhöchsten Wert darauf gelegt, daß das Engagement des Erbprinzen nicht mit den reichsständischen Pflichten des ftlrstlichen Hauses Anhalt kollidierte.82 Da die Bereitschaft Österreichs, an der Seite Kurbrandenburgs und Polensam Krieg gegen Schweden teilzunehmen, in der ersten Hälfte des Jahres 1658 erkennbar wurde- Johann Georg erfuhr offenbar erstmals im Monat Mai den genauen Inhalt des Februarbündnisses83 -,erschien es filr den Anhalter immer bedenklicher, bei der schwedischen Partei zu bleiben und gegen eine Koalition zu kämpfen, der nicht nur das mächtige Nachbarterritorium Brandenburg, sondern auch das künftige Reichsoberhaupt angehörte. Zwar lassen sich keine Anzeichen dafilr finden, daß die in späteren Jahren so ausgeprägten habsburgischen Sympathien des Dessauers schon zu diesem Zeitpunkt seine Entscheidung wesentlich beeinflußten, doch mangelte es in dieser Kriegsphase nicht an Aufrufen, in denen sich ein dezidierter Reichspatriotismus artikulierte und die ihren Eindruck auf den Fürsten nicht verfehlt haben werden. So appellierte Schwerin in ultimativer Form und unter Benutzung reichspatriotischer Argumente an den nach wie vor unentschlossenen Anhalter, die schwedische Armee zu verlassen,84 und im August des Jahres wurde die wahrscheinlich von Weimann verfaßte Flugschrift "Ehrlicher Teutscher'' veröffentlicht, ein Aufruf, der die reichspatriotischen Gefilhle der Zeitgenossen ansprechen sollte.85 In der Tat findet sich auch in der kurz nach Johann Georgs Tod verfaßten Lebensbeschreibung des Fürsten die aufschlußreiche Bemerkung, er sei beim Übertritt in kurbrandenburgische Dienste und bei seiner anschließenden Teilnahme am Winterfeldzug 1658/59 seinen patriotischen Verpflichtungen nachgekommen. 86 Das zentrale Problem bestand für den Dessauer, der sich nach wie vor nicht mit dem Gedanken anfreunden konnte, gegen den von ihm bewunderten König Krieg zu filhren, in der zunehmenden Verschlechterung der Beziehungen zwischen Schweden einerseits, Habsburg und Brandenburg andererseits. Die Tatsache, daß er Anfang April 1658 nochmals zur schwedischen Armee aufbrach,87 um Karl Gustav über seine persönlichen Pläne zu informieren und den königliVgl. Kapitel III.I. V gl. hierzu den bei Müsebeck, Eintritt, S. 510, in Auszügen zitierten Brief Johann Georgs an Freyberg vom 17./27.5. 1658. Diese Deutung unterstützen auch Johann Georgs Briefe an Karl Gustav vom 5. [/ 15.]2. sowie 22.2. [/4.3.] 1658. UA 23/1, S. 560 f. Für die dort geäußerte Vermutung des Herausgebers, Johann Georg habe die tatsächlichen Inhalte der Verhandlungen gegenüber dem König verschleiern wollen, konnten keine Belege gefunden werden. 84 Müsebeck, Eintritt, S. 510 f. 85 V gl. hierzu Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 380 f. Ausfilhrliche Auszüge der Flugschrift bei Hüttl, S. 240 ff. Zum Phänomen des Reichspatriotismus insgesamt vgl. Wandruszka, Reichspatriotismus; ders., Was ist des Deutschen Vaterland?; Aretin, Reichspatriotismus. 86 LAO HA Zerbst XXXVII Nr. II, fol. 15. 87 Kalendereintrag Johann Georgs LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 4 (5), fol. 4. 82 83

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eben Rat zu erbeten, verdeutlicht die subjektive Schwierigkeit der Entscheidungsfindung. Daß sich Johann Georg letztlich doch zum Übertritt in brandenburgisehe Dienste entschloß, resultierte sicherlich nicht zuletzt aus der Überzeugung, daß eine Orientierung am Kaiser und am aufstrebenden, die traditionelle protestantische Vormacht Kursachsen längst in den Schatten stellenden Nachbarn Brandenburg-Preußen88 ftlr ihn und die anhaltischen FOrstentUrner langfristig von Vorteil sein konnte. Eine Heirat mit der Oranierin und die in Aussicht gestellte Rangerhöhung in der Armee des Kurfilrsten waren filr ihn unter Zurückstellung seiner persönlichen Bindung an Karl Gustav somit die perspektivenreichere, vielleicht sogar zwingend erforderliche Alternative. Die endgültige Entscheidung über seinen weiteren Werdegang fiel noch im Sommer des Jahres 1658: Am 12. August traf Johann Georg in Berlin ein und wurde vom Kurfilrsten zum "General über die Kavallerie" ernannt. 89 Daß Friedrich Wilhelm nicht ausschließlich darauf bedacht war, mit dem Anhalter Fürsten einen kriegserfahrenen Generalmajor der schwedischen Armee filr seine Dienste zu gewinnen, sondern daß vielmehr auch nichtmilitärische Erwägungen eine Rolle spielten, verdeutlichen in markanter Weise die Eingangssätze der Bestallung Johann Georgs. Sie lassen seinen Eintritt in die Armee Friedrich Wilhelms als Resultat seiner guten Beziehungen zum Kurfilrsten und somit nicht zuletzt als politisches Entgegenkommen der kurbrandenburgischen Seite erscheinen: "Nachdem der hochgebome Fürst, Unser freundlicher lieber Vetter, Herr Johann George Fürst zu Anhalt eine sonderbahre affection und zuneigung gegen Uns und Unser Churhauß bezeuget, daß Wir dannenhero Ihre Ld. in solchem guten propos zu stärken und je mehr und mehr Uns dieselbe zu verbinden, deroselben eine annehmliche und Ihrem Standt und meriten gemeße charge bey Unserer Armee zu conferiren entschlossen [...]."90 Wenige Wochen später, am 9. September, erfolgte zudem die Bestallung Johann Georgs zum Statthalter der Kur und Mark Brandenburg, was Friedrich Wilhelm FOrst Johann Casimir von Anhalt-Dessau bereits unter dem Datum des 25. August mitgeteilt hatte. 91 88 Vgl. in diesem Zusammenhang zuletzt Göse, S. 68 f.; ferner Hahn, Kursachsen und Brandenburg-Preußen, besonders S. 94 ff., sowie die grundlegende, ältere Untersuchung von Haake, Kursachsen oder Brandenburg-Preußen. 89 Der vom I. [/11.)8. 1658 datierende Bestallungsbrief findet sich im LAO Abt. Dessau A 9 a li b Nr. 2, fol. 13 ff.; das Konzept im GStA PK, I. HA Rep. 9 A I Fasz. 5, fol. 2 ff. 90 Hier zitiert nach LAO Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 2, fol. II. 91 Ebd., fol. 7: "Nachdem Ich bey dero Herren Sohns Fürst Johan Georgens Lbd. nicht allein viele sonderbahre rühmliche qualitäten, besondem auch eine gute zuneigung und affection zu Mir und Meinem Hause verspüret; So habe Ich hinwiederumb ein sonderbahres vertrauen zu Ihrer Lbd. gesetzet und in gewisser zuversicht, daß Ew. Lbd. solches nicht mißgefallen würde, deroselben die Stathalterey Meiner Chur wie auch das Generalat über Meine Cavallerie aufgetragen [...]."Das vom 22.8. [/1.9.) 1658 datierende Einverständnis Johann Casimirs im GStA PK, I. HA Rep. 9 J 2 Fasz. 5, fol. 5 f., in Auszügen gedruckt bei Müsebeck, Eintritt, S. 512 f. Die Bestallung zum Statthalter ist

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Beide Posten, sowohl der des Statthalters der Kur und Mark Brandenburg als auch der des Kavalleriegenerals, waren seit einiger Zeit unbesetzt. Der V orgänger im Amt des Statthalters, Graf Johann von Sayn-Wittgenstein, war im April 1657 verstorben, und GrafGeorg Friedrich von Waldeck, der seit dem Sommer 1657 die Stelle eines "Generals über die Kavallerie" bekleidet hatte,92 war infolge politischer Differenzen mit Kurftlrst Friedrich Wilhelm in schwedische Dienste übergetreten. Dort übernahm er das durch Johann Georgs Wechsel in die brandenburgische Armee vakant gewordene Reiterregiment "Königin". Als General sollte der Dessauer monatlich 540 Tlr. - 400 Tlr. ftlr sich, 80 Tlr. ftlr einen Adjudanten und 60 Tlr. ftlr zwei Sekretäre - aus der Kriegskasse ausgezahlt bekommen; als Statthalter wurden ihm jährlich 4.000 Tlr. sowie der Unterhalt filr sich und seine Bediensteten am Berliner Hof zugestanden. Damit war auch der Weg frei ftlr eine Vermählung mit der Oranierin, hatte der Fürst doch zuvor durchblicken lassen, daß er die Sicherung eines angemessenen Unterhalts als unabdingbare Voraussetzung ftlr eine Heirat ansah. 93 Daß die herausgehobene Stellung, die Johann Georg nun infolge seiner doppelten, sowohl zivile als auch militärische Würden umfassenden Rolle als Statthalter und General einnahm, am kurfilrstlichen Hof nicht von allen gern gesehen wurde, sollte sich schon bei seiner Ankunft in Berlin zeigen: "Les generaux en ont grande jalousie, puisque l'on parle deja qu'il doit commander l'armee electorale"94, berichtete der französische Diplomat Blondel am 13. August dem Kardinal Mazarin. Zudem mochte es den einen oder anderen Beobachter überraschen, daß der Kurftlrst den vergleichsweise jungen, in Verwaltungsfragen noch unerfahrenen Fürsten mit dem Statthalterposten in Berlin betraute.95 Diegedruckt bei Orlich, Geschichte 111, S. 350 f. Der Revers Johann Georgs vom 30.8. [/9.9.) 1658 findet sich im GStA PK, I. HA Rep. 9 J 2 Fasz. 5, fol. 4 sowie in Abschrift im GStA PK, I. HA Rep. II, 1-18 Anhalt Nr. 39 B, fol. 3. 92 Jany, Geschichte der Preußischen Armee, S. 151. Zur Übernahme des Reiterregiments "Königin" (Alt-Anhalt) durch Waldeck vgl. Tessin, S. 124. Ob der Graf auf den Wechsel des Dessauers in brandenburgische Dienste Einfluß nahm, muß infolge fehlender Quellen offen bleiben. 93 Vgl. das Reisejournal Fst. Viktor Amadeus' von Anhalt-Bernburg, Eintragung vom 9. [/19.)1. 1658, LAO Abt. Bernburg A 9 b Nr. 19, fol. 3. Hier findet sich zudem ein Hinweis darauf, daß offenbar auch Überlegungen angestellt wurden, Johann Georg das "gouvernement" - gemeint ist möglicherweise die Statthalterschaft - in Halberstadt zu übertragen. Dieses Amt bekleidete allerdings seit 1657 Christian Albrecht Burggraf zu Dohna, der die Nachfolge des im gleichen Jahr verstorbenen Statthalters Joachim Friedrich von Blumenthai angetreten hatte. 94 UA 2, S. 177. Ob die von Blondel vermuteten Spannungen zwischen Johann Georg und Schwerin (ebd., S. 178) tatsächlich bestanden, muß angesichts der Verdienste, die sich Schwerin bei den Verhandlungen über den Übertritt des Dessauers erworben hatte, angezweifelt werden. Vgl. dazu auch Hein, Schwerin, S. 132. 95 Überlegungen bezüglich der Schwierigkeit, den Statthalterposten in Berlin ohne einschlägige Erfahrungen im administrativen Bereich erfolgreich bekleiden zu können,

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ses Amt war allerdings weit weniger brisant als die Statthalterposten in KleveMark oder Preußen, da die Landesherrschaft der Hohenzollern bei den kur- und neumärkischen Ständen und Untertanen allgemein anerkannt war. 96 Die sich erneut zuspitzende außenpolitische Lage bedingte, daß derartige Erwägungen zunächst gegenstandslos wurden, da vorerst die militärischen Qualitäten des Anhalter Fürsten gefordert waren. Karl X. Gustav hatte noch im August unter Verletzung des Roeskilder Friedens einen erneuten Angriff auf Dänemark unternommen. Die antischwedische Koalition vom Februar wurde dadurch entscheidend gefestigt. Bereits im Juli waren die brandenburgischen Abgesandten Weimann und Schwerin zu Verhandlungen mit Karl Gustav nach Flensburg entsandt, von diesem aber brüskiert worden. 97 Einer eventuellen Verständigung zwischen Schweden und Brandenburg-Preußen, die noch in der ersten Hälfte des Jahres durchaus im Bereich des Möglichen gelegen hatte,98 hatte der König damit eine deutliche Absage erteilt. Hinzu kam, daß es mit dem im August 1658 gegründeten sogenannten ersten Rheinbund eine zusätzliche, ftlr die kriegfUhrenden Mächte zunächst unkalkulierbare Größe zu berücksichtigen galt. Im Hinblick auf die weiteren Kriegsabsichten Karl Gustavs war besonders die ausdrücklich in den Vertrag aufgenommene Intention der Bundesmitglieder von Bedeutung, den Schutz der schwedischen Besitzungen Bremen, Verden und Wismar gewährleisten zu wollen. 99 Auch ftlr Österreich hatten sich die Rahmenbedingungen entscheidend verändert. Nach der am 18. Juli erfolgten Wahl Kaiser Leopolds I. war die Wiener Hofburg nicht mehr durch wahltaktisch bedingte Rücksichtnahmen in ihrem Handlungsspielraum eingeschränkt und nun bereit, mit Nachdruck gegen Karl Gustav vorzugehen. 100 Da zudem die Niederländer Hilfeleistungen zusagten, entschloß sich der brandenburgische KurtUrst zu einem Zug nach Holstein, Schleswig und Jütland. 101 finden sich z. B. in einem BriefWeimanns an BurggrafChristian Albrecht zu Dohna, 'sGravenhage 27.2. 1657, in Abschrift im GStA PK, I. HA Rep. 92 Weimann Bd. IV, fol. 391r. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ausruhrungen in KapiteliV.2.a. 96 Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 70. 97 Albert, S. 135-155; Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 380. 98 Dabei ging es Friedrich Wilhelm nicht um einen erneuten Übertritt zur schwedischen Partei, sondern um die Initiierung von Friedensverhandlungen. Ebd., S. 377. 99 Zum Zustandekommen, zu den einzelnen Mitgliedern und den Zielen des Rheinbundes vgl. zuletzt die zusammenfassende Darstellung von Schindling, Rheinbund sowie die Studie von Hans Schmidt, Frankreich und das Reich, S. 26, in der die Gründung des Rheinbundes treffend als Krönung der Reichspolitik Mazarins gewertet wird. 100 Im Vorfeld der Kaiserwahl Leopolds I. waren sogar Gerüchte und Vermutungen aufgetreten, Kar! X. Gustav strebe die Kaiserkrone an. Duchhardt, Protestantisches Kaisertum, S. 205-211. 101 Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 383.

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Am 17. September brach Friedrich Wilhelm als Oberbefehlshaber der verbündeten brandenburgischen, kaiserlichen und polnischen Truppen von Berlin auf. Vorrangiges Ziel der Alliierten mußte es sein, eine Ausweitung der schwedischen Macht zuungunsten des um militärische Hilfe bittenden Dänemark102 zu verhindern. Johann Georg, dem das vormalige brandenburgische Reiterregiment Eller verliehen wurde, 103 befand sich im Gefolge des Kurfürsten und wurde zunächst zur Sicherung des freien Durchzugs zu Herzog Gustav Adolf von Mecklenburg-Güstrow gesandt. 104 Die Statthalterschaft in der Mark Brandenburg wurde interimshalber Burggraf Christian Albrecht zu Dohna übertragen. 105 Der Weg, den die etwa 14.000 bis 15.000 Mann starken brandenburgischen Truppen nahmen- insgesamt verfUgten die Alliierten etwa über 26.000 Mann 106 -, ftlhrte über Ruppin, Wittstock und Parchim. Am 24. September fand das Rendezvous der brandenburgischen und kaiserlichen Kontingente bei Neustadt, unweit von Parchim statt. 107 Auf nennenswerten schwedischen Widerstand stieß der Kurftlrst bei seinem Vormarsch nach Holstein zunächst nicht. Schwierigkeiten ergaben sich aber aufgrund der Haltung Friedrichs III. von Schleswig-Holstein-Gottorf, des Schwiegervaters Karls X. Gustav. 108 Der Herzog hatte als Parteigänger des Königs schwedische Truppen in seine Dienste übernommen und ließ beim Anrücken der Alliierten durch Gesandte seine Neutralität erklären. 109 Da der Kurftlrst nicht beabsichtigte, die Residenz Gottorf zu belagern und zu erobern, und auf einen Ausgleich mit dem Herzog hoffte, wurden Verhandlungen in die Wege geleitet. Johann Georg reiste am 3. November im kurfürstlichen Auftrag zu Herzog Friedrich nach Tönning, erreichte dort aber keine Zugeständnisse des

102 Vgl. etwa Kg. Friedrich III. von Dänemark an Jobrum Georg, Kopenhagen 15. [/25.]10. 1658 LAO Abt. Dessau A 9 a II a Nr. 18, fol. 1 f Der König dankte dem Dessauer Fürsten dafür, daß er mit der Armee des Kurfürsten ziehe, um Dänemark zu helfen. 103 Jany, Geschichte der Preußischen Armee, S. 139; Bleckwenn, S. 113. 104 So Beckmann, Historie V/3, S. 251. 105 Vgl. Tippe/skirch, S. 49 f. 106 Zu den brandenburgischen Truppen kamen etwa 3.000 polnische Reiter unter Czarniecki und 8.000 Kaiserliche unter Montecuccoli. Opgenoorth, Friedrich Wilhe1m I, S. 384. 107 Opitz, S. 129 f.; Kalendereintragungen Johann Georgs LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 4 (5), fol. 10. 108 Zu den Verhandlungen mit dem Herzog von Gottorfvgl. Beckmann, Historie V/3, S. 251; Kellenbenz, S. 29 ff.; Opitz, S. 150-154; Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 386, und die Korrespondenz Kfst. Friedrich Wilhelms mit dem Kaiser in UA 8, S. 378 ff. Zur strategischen Bedeutung Gottorfs für Schweden vgl. Fuhrmann, S. 394. 109 Diarium über den Zug nach Holstein im GStA PK, I. HA Rep. 11-121 a 1 Holstein Fasz. I, fol. 29 f

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111. Zwischen Karl X. Gustav und dem Großen Kurftlrsten

Gottorfers. 110 Im Kriegsrat betonte der inzwischen in Flensburg eingetroffene kaiserliche General Montecuccoli die Wichtigkeit einer Ausschaltung der schwedischen Truppen, die in herzogliche Dienste übernommen worden waren, fUr den Verlauf des weiteren Feldzugs und drängte auf eine Belagerung Gottorfs. Der Dessauer wurde daraufhin erneut nach Tönning gesandt. 111 Seine Instruktion sah vor, Herzog Friedrich das Bedauern darüber mitzuteilen, daß dessen Land unter der Anwesenheit der alliierten Armee so sehr zu leiden habe. Die derzeitige Lage erfordere es aber zwingend, daß die Festung Gottorf von den schwedischen Truppen geräumt und eine Besatzung der Alliierten aufgenommen werde. Johann Georg sollte auf eine schnelle Resolution dringen und im Falle von Verzögerungen die Möglichkeit einer gewaltsamen Durchsetzung der alliierten Bedingungen andeuten. Trotz dieser unverhüllten Drohung erklärte sich Herzog Friedrich in den Verhandlungen mit dem Anhalter nicht dazu bereit, der Aufforderung der Verbündeten nachzukommen und die Festung zu übergeben. Statt dessen entsandte er erneut seine Diplomaten nach Flensburg und bat den Kurftlrsten und Montecuccoli darum, an ihm "kein exempel böser nachfolge in Teutschland zu statuiren" 112• Unter dem erhöhten militärischen Druck der Alliierten - Montecuccoli hatte inzwischen die Belagerungsvorbereitungen intensivieren lassen - mußte der Herzog jedoch nachgeben, so daß am 25. November ein Abkommen geschlossen werden konnte. 113 Am Tag darauf wurde Gottorf den alliierten Truppen übergeben. Auch die nächste Etappe des Feldzuges, die Eroberung der Insel Alsen, verlief fUr die Alliierten erfolgreich und vergleichsweise unproblematisch. 114 Am Morgen des 14. Dezember gelang unweit der Stadt Sonderburg der von zwei dänischen Kriegsschiffen gedeckte Übergang der Armee über den Alsen-Sund. Der schwedische General Ascheberg zog sich mit einem Teil seiner Truppen in das dortige Schloß zurück; seine übrigen Soldaten beorderte er nach Norburg. Sofort begannen die Alliierten mit der Belagerung Sonderburgs. Ascheberg 110 Ebd., fol. 37 f. und Herzog Friedrich an Kfst. Friedrich Wilhelm, Haus Tönning 24.10. [/3.11.] 1658 GStA PK, I. HA Rep. 11-121 b c Holstein Fasz. I, fol. 66 f. 111 Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 11-1 21 a I Holstein Fasz. 1, fol. 39 f.; das Konzept der Instruktion vom 29.10. [/8.11.] 1658 im GStA PK, I. HA Rep. 11-121 b c Holstein Fasz. I, fol. 71 f. und 74; das Konzept des Kreditivs sowie das Rekreditiv rur Johann Georg ebd., fol. 73 bzw. 75 f. Vgl. auch Schwerin an Weimann, Flensburg 4./14.11. 1658, abschriftlich in Weimanns Journal im GStA PK, I. HA Rep. 92 Weimann Bd. VIII, fol. 85 f. 112 Herzog Friedrich III. an Kfst. Friedrich Wilhelm, Haus Tönning I. [/II.] II. 1658 GStA PK, I. HA Rep. 11-121 b c Holstein Fasz. I, fol. 77 f. 113 Der Vertrag bei Moerner, Nr. 125. 114 Dazu ausruhrlieh Opitz, S. 154-163. Zur Einnahme Sonderburgs und Norburgs vgl. ebd., S. 160-163; zudem Pufendorf, Friedrich Wilhelm, VII§ 70, S. 453; Theatrum Europaeum VIII, S. 933; Beckmann, Historie V/3, S. 251 , sowie die Relation über die Einnahme Sonderburgs im KA Wien, AFA 1658 Kart. 144 Fasz. XII, Nr. 14.

2. Der Übertritt in die Dienste des Kurfiirsten Friedrich Wilhelm

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wurde am Morgen des 15. Dezember zur Kapitulation aufgefordert. In Verhandlungen mit Johann Georg verlangte der schwedische General die Einräumung von dreißig Stunden Bedenkzeit, in der Erwartung, wie sich sehr bald herausstellen sollte, Hilfe von außerhalb zu bekommen. In der Tat gelang es Ascheberg, die Alliierten zu überraschen: Am Mittag des gleichen Tages erschien eine Flotte schwedischer Kriegsschiffe, so daß es den in Sonderburg verschanzten schwedischen Truppen schließlich unter Zurücklassung ihrer Ausrüstung noch gelingen konnte, sich auf die ankernden Schiffe zu flüchten. Sonderburg wurde daraufhin von der alliierten Armee problemlos eingenommen. Auch Norburg mußte sich nur wenig später, am 20. Dezember, ergeben. Indessen waren die diplomatischen Verbindungen zur schwedischen Seite nicht ganz abgerissen. Auch nach seinem Übertritt von schwedischen in kurbrandenburgische Dienste blieb Johann Georg ein Ansprechpartner der schwedischen Seite. So korrespondierte der in die schwedische Armee eingetretene Graf Georg Friedrich von Waldeck mit dem Dessauer in der Hoffuung, eine Verständigung zwischen König Karl Gustav und Kurfiirst Friedrich Wilhelm herbeifUhren zu können. 115 Vielleicht spekulierte Waldeck darauf, durch eine Aussöhnung der ehemaligen Bündnispartner zugleich die Rückgabe derjenigen Güter zu bewirken, die ihm von Friedrich Wilhelm noch zu Zeiten seines Engagements auf brandenburgischer Seite verliehen, nach seinem Übertritt jedoch wieder entzogen worden waren. In dieser Angelegenheit erhielt er die Unterstützung Johann Georgs, der sich beim Kurfiirsten fUr den Waldecker einsetzte. Die Anknüpfungsversuche des Grafen im Winter 1658/59 stießen bei Friedrich Wilhelm allerdings aufwenig Resonanz. Der Dessauer Fürst teilte Waldeck mit, daß der Kurftlrst Sonderfriedensverhandlungen mit Schweden ablehne und daß eine Verständigung nur auf der Basis eines allgemeinen Friedensschlusses möglich sei. In den Mittelpunkt des weiteren Kriegsgeschehens rückte zu Beginn des Jahres 1659 ein Schauplatz, den Johann Georg noch in guter Erinnerung hatte: Friedrichsodde. 116 Die Einnahme der Festung war die Voraussetzung fiir die 115 Waldeck an Johann Georg, s.l.e.a. (abschriftlich in Weimanns Journal GStA PK, I. HA Rep. 92 Weimann Bd. VII, fol. 458) und ders. an dens., Mittelfart 29.12. 1658 (/8.1. 1659] sowie die Antwort Johann Georgs UA 23111, S. 600 f Montecuccoli informierte den Kaiser über diese Korrespondenz. Montecuccoli an den Kaiser, Ripen 21.1. 1659 KA Wien, AFA 1659 Kart. 146 Fasz. I, fol. 73 ff. (Konz.). Zu den Bemühungen Waldecks, Johann Georg für die Restitution seiner Güter einzuspannen, vgl. den Briefwechsel des Grafen mit dem Dessauer sowie mit Schwerin im StA Marburg Best. 117 Nr. 390 bzw. ebd. Nr. 458; Schreiben Johann Georgs in dieser Angelegenheit finden sich auch ebd. Nr. 410 und 470. Vgl. hierzu ferner die vier eigenhändigen Briefe Waldecks an Johann Georg im LAO Abt. Dessau A 9 a II a Nr. 50, fol. 1-8. 116 Vgl. zum Folgenden Pufendorf, Friedrich Wilhelm, VIII§ 10, S. 469; Beckmann, Historie V/3, S. 251; Opitz, S. 178 f, und das polnische Diarium GStA PK, I. HA Rep. 9 (Polen) Nr. 5 ff7.4, fol. 10 f. 5 Rohrschneider

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111. Zwischen Karl X. Gustav und dem Großen Kurfilrsten

von den Alliierten nun beabsichtigte Landung auf FUnen. Der Anhalter, dem die Verhältnisse vor Ort vertraut waren, war Mitte Januar an einem Vorauskommando beteiligt, welches die genaue Stärke der Bastion auskundschaften sollte. Der dabei unternommene Versuch, die Schweden aus der Festung zu locken und zu überrumpeln, scheiterte. Als die Festung schließlich Ende Mai eingenommen wurde, war Johann Georg bereits von der Armee abgereist. Die Eheschließung mit Henriette Catharina von Oranien stand unmittelbar bevor.

3. Die Hochzeit in Groningen Im September 1658 war Daniel Weimann im Auftrag Kurfilrst Friedrich Wilhelms nach dem Haag gereist, um die anhaltisch-oranischen Heiratsverhandlungen zu ftlhren. 117 Dort angelangt, mußte er bald erkennen, daß die erhoffte problemlose und rasche Abwicklung der Verhandlungen nicht zu realisieren war, da sich wider Erwarten immer neue Schwierigkeiten ergaben. Zudem verzögerte sich die Angelegenheit, da der brandenburgische Geheime Rat Johann Friedrich von Löben sowie Wilhelm Heinrich von Freyberg, die gemeinsam mit Weimann den Ehevertrag aushandeln sollten, noch nicht vor Ort waren. Erst am 22. November konnte Weimann, der inzwischen von Friedrich Wilhelm auch mit Bündnisverhandlungen mit den Niederlanden beauftragt worden war, dem Kurfiirsten berichten, daß Löben und Freyberg im Haag eingetroffen waren. Nach ihrer Ankunft gelangte man schnell zum Abschluß. Der am 7. Dezember unterzeichnete Ehevertrag legte fest, daß Henriette Catharina mit 12.000 Tim. ftlr Schmuck und Kleider, 20.000 Tim. als Heiratsgut sowie weiteren 40.000 Tim., die ihr gemäß den testamentarischen Bestimmungen ihres verstorbenen Vaters zustanden und zu ihrer eigenen Nutzung bleiben sollten, ausgestattet wurde. Dagegen muteten die finanziellen Zuwendungen der anhaltischen Seite eher bescheiden an. Fürst Johann Casimir sicherte der Braut Schmuck als Morgengabe sowie eine Verschreibung in Höhe von 5.000 Tim. zu. Für den Fall, daß Johann Georg vor seiner zukünftigen Gattin starb, sollten Henriette Catharinajährlich 4.000 Tlr. zur Verftlgung stehen. Als Sicherheit wurden dazu die Einkünfte des ftlrstlichen Amtes Sandersleben verschrieben. Das dortige fiirstliche Schloß und Haus sowie ein weiteres Haus in Dessau wurden als Witwensitz festgelegt. 118 117 Vgl. hierzu Müsebeck, Eintritt, S. 513 f.; Kleinschmidt, Episoden, S. 102 f., sowie die Berichte Weimanns VA 7, S. 150, 153 und 158. 118 Originale des Ehevertrages in deutscher und niederländischer Sprache befinden sich im KHA A 14 XIV D-2. Die vormals in der Abt. Dessau des heutigen Landesarchivs Oranienbaum aufbewahrten Originale sind Kriegsverluste. Abschriften in deutscher Sprache finden sich im LAO Abt. Köthen A 17 a Nr. 57, fol. 27-32, LAO HA

3. Die Hochzeit in Groningen

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Als Johann Georg am 19. April 1659 Dessau erreichte, hatte Kurftlrst Friedrich Wilhelm Fürst Johann Casimir von Anhalt-Dessau bereits seine Glückwünsche zur Heirat des Erbprinzen übermittelt. 119 Der Gratulationsbrief Friedrich Wilhelms enthielt außerdem ein Hochzeitsgeschenk besonderer Art: Im Feldlager zu Wiborg in Jütland hatte Johann Georg vom Kurftlrsten die Zusicherung erhalten, daß dieser es den anhaltischen Fürsten zugestand, den Titel "Grafen von Askanien" wieder zu gebrauchen, sofern sie in einem Revers erklärten, daß dies ohne Nachteil ftlr den Kurftlrsten und dessen Nachkommen geschehe. Die Grafschaft und Stadt Aschersleben waren nach langen Streitigkeiten und nach dem Aussterben der Ascherslebener Linie der anhaltischen Askanier bereits im Mittelalter an das Bistum Halberstadt gekommen und konnten in den folgenden Jahrhunderten trotz aller Bemühungen der Anhalter Fürsten nicht zurückgewonnen werden. 120 Auch auf dem Westflilischen Friedenskongreß konnten die Anhalter ihre Ansprüche nicht durchsetzen. Das säkularisierte Bistum Halberstadt und mit ihm Aschersleben wurden als Entschädigung ftlr die an Schweden abgetretenen Gebiete Kurbrandenburg übertragen. 121 Die Führung des Titels "Grafen von Askanien" hatte ftlr die anhaltischen Fürsten daher programmatischen Charakter, da er den ungebrochenen Anspruch des anhaltischen Gesamthauses auf den alten Stammsitz Aschersleben zum Ausdruck brachte. Vielleicht eröfthete gerade die durch den Übertritt und die Heirat Johann Georgs in die Wege geleitete engere Bindung Anhalts an eben den Reichsstand, dem Aschersleben im WestflUischen Frieden zugesprochen worden war, Möglichkeiten einer Wiedergewinnung der alten Grafschaft. Jedenfalls ließ das Zugeständnis Kurftlrst Friedrich Wilhelms im Frühjahr 1659 dies erhoffen.

Zerbst XXXVI Nr. 19, fol. 20-26 sowie LAO Abt. Bemburg B 2 k Nr. 14 b; eine Abschrift in niederländischer Sprache im GStA PK, BPH Rep. 35 Nr. U 2, fol. 39-46 sowie im HStA Wiesbaden Abt. 171 Z 3023, fol. 2-12. Der agnatische Konsens der anhaltischen Fürsten zum Ehevertrag erfolgte am 11. Mai und das Einverständnis der Staaten von Holland und Westfriesland zum Aufgebot am 10. Juli 1659. Kleinschmidt, Episoden, S. 103; Brieven van Johan De Witt, S. 186. 119 Friedrich Wilhelm an Johann Casimir, Wiborg 21.3. [/1.4.] 1659 LAO Abt. Köthen A 17 a Nr. 57, fol. 3 f. (Abschr.) und in Auszügen bei Müsebeck, Eintritt, S. 514 f. Die Antwort Johann Casimirs, Dessau 20. [/30.]4. 1659, im GStA PK, I. HA Rep. 33 Nr. 7, fol. 120 f. Die Fürsten von Anhalt stimmten dem geforderten Revers zu. Der Revers Johann Casimirs und in Vormundschaft seines unmündigen Vetters Fürst Wilhem Ludwig über die Zustimmung der anhaltischenFürsten vom 14. [/24.]4. 1659 im LAO Abt. Köthen B 4 Nr. 12, fol. 2 (Abschr.); die vom 4. [/14.]11. 1659 datierende Antwort Kurfilrst Friedrich Wilhelms abschriftlich ebd., fol. 1. 120 Zum Streit um die Grafschaft Askanien bis zur Regierungszeit Johann Georgs vgl. Franz Wagner, Säkularisation, S. 4; Straßburger, S. 283; Suhle; Geist, S. 79-82. Vgl. ferner Kapitel Vl.3.b dieser Arbeit. Namensgebend filr das Geschlecht der Askanier war die Latinisierung von Aschersleben, Ascharia, bzw. der Sohn des Äneas, Ascanius. Artikel"Aschersleben" in: Schwineköper, Provinz Sachsen/Anhalt, S. 24. 121 IPO Art. XI§ 1. Konrad Müller, Instrumenta Pacis Westphalicae, S. 142 f.

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111. Zwischen Karl X. Gustav und dem Großen Kurftlrsten

Die Hochzeitsvorbereitungen waren in der Zwischenzeit in ihre entscheidende Phase gelangt. Bereits vor seiner Abreise aus dem Feldlager des Kurftlrsten hatte sich Johann Georg bis ins Detail um organisatorische Fragen seiner Heirat gekümmert. 122 So galt es besonders, einen geeigneten Ort filr die Feierlichkeiten auszuwählen. Tumbout war anfangs im Gespräch, 123 dann auch Rijswijk. Letzterer Ort wurde offenbar aufgrund seiner Nähe zum Haag, wo Maria Stuart residierte- sie war die älteste Tochter des hingerichteten englischen Königs Karl I. und die verwitwete Mutter Wilhelms III. von Oranien -, als ungeeignet angesehen, da dort Rangstreitigkeiten zwischen ihr und der brandenburgischen KurtUrstin Louise Henriette zu erwarten waren. 124 Die Wahl fiel schließlich auf die Stadt Groningen, das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum der nördlichen Niederlande. Gastgeber wurde damit Wilhelm Friedrich von Nassau-Diez, Statthalter von Friesland, Groningen und Drenthe sowie Ehemann der Albertine Agnes von Oranien, einer Schwester Henriette Catharinas und Louise Henriettes.I2S Als Johann Georg am 7. Juli in Groningen eintraf 26 und sehr ehrenvoll empfangen wurde, waren seine Braut und seine zukünftige Schwiegermutter bereits vor Ort: "Die Princesse Henriette viel schöner undt größer alß ich mir eingebildet haben, ich bin wohl von hertzen vergnüget undt content'' 127, teilte der Bräutigam dem brandenburgischen Kurftlrsten am Tage nach seiner Ankunft freudig mit. Auch von ihrem Verstand, ihrem tugendhaften und aufrichtigen Gemüt sowie ihrer Frömmigkeit wußte er Friedrich Wilhelm schon bald lobend zu berichten. 128 Die Anwesenheit Johann Georgs in Groningen, einige Tage vor Beginn der Hochzeitsfeierlichkeiten, wurde nicht nur zu abschließenden organisatorischen Vorbereitungen, sondern auch zu politischen Verhandlungen genutzt. Den Hintergrund bildeten die gespannten kurbrandenburgisch-niederländischen Bezie122 Vgl. Schwerinan Weimann, Wiborg 29.1. [/8.2.] 1659, abschriftlich in Weimanns Journal GStA PK, I. HA Rep. 92 Weimann Bd. IX, fol. 38. 123 Vgl. Instruktion filr Löben und Weimann, Cölln an der Spree 7. [/17.]9. 1658 GStA PK, BPH Rep. 35 Nr. U 2, fol. 9 ff. 124 Brief Adriaen van der Goes' an seinen Bruder Wilhelm, Haag 23.5. 1659, gedruckt in: Gonnet, S. 8-11, hier S. 10; vgl. Nijland, Eene Prinses van Oranje, S. 774 Anm.1. 125 Zu Albertine Agnes vgl. Steur, Albertina Agnes und Naber, S. l-14. 126 Kalendereintrag Johann Georgs LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 4 (6), fol. 7. Am Tag zuvor hatte er dem Statthalter Wilhelm Friedrich seine filr den 7. Juli geplante Ankunft annonciert. Johann Georg an Wilhelm Friedrich, Assen 6.7. 1659 HStA Wiesbaden Abt. 170 III Kart. 181, fol. 7 f 127 Johann Georg an Kfst. Friedrich Wilhelm, (eh) Groningen 28.6. [/8.7.) 1659 GStA PK, BPH Rep. 35 Nr. U 2, fol. 58. 128 Vgl. den eigenhändigen Brief an den Kurftlrsten aus Groningen vom 2. [/12.]7. 1659, ebd., fol. 63 f.

3. Die Hochzeit in Groningen

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hungen. 129 Am 21. Mai - Kar! X. Gustav war inzwischen mit dem Versuch, Kopenhagen einzunehmen, gescheitert - hatten die Generalstaaten mit England und Frankreich das sogenannte Erste Haager Konzert geschlossen, eine Vereinbarung, die auf die Wiederherstellung des Friedens zwischen Dänemark und Schweden auf der Basis des Siegfriedens von Roeskilde abzielte. Die Brandenburger, die die Vertragsbestimmungen des Haager Konzerts als zu günstig filr Kar! X. Gustav ansahen, waren spätestens seit dem Übergang nach Alsen in hohem Maße verärgert über die Haltung des holländischen Ratspensionärs de Witt und seiner antioranisch ausgerichteten Partei, die die damalige Politik der Generalstaaten bestimmte. In der Politik de Witts sah der Kurfilrst nicht zu Unrecht eine wesentliche Ursache dafilr, daß sich das von ihm geplante Übersetzen alliierter Truppen auf die dänischen Inseln unter Zuhilfenahme niederländischer Schiffe nicht realisieren ließ. Denn im politischen Kalkül der de Witt-Partei dominierte eindeutig die Sorge, in einen neuen Seekrieg mit England verwickelt zu werden, dessen Flotte zwischenzeitlich zugunsten des Schwedenkönigs einzugreifen drohte. Da man zudem auf niederländischer Seite nicht an einer vollständigen Niederwerfung Schwedens interessiert war, hatte Admiral Wassenaar dem Drängen des Kurfilrsten, die Alliierten mit der niederländischen Flotte handfest zu unterstützen, nicht nachgegeben. Um so erfreuter reagierte Friedrich Wilhelm auf die Nachrichten, die ihm durch Johann Georg und Wilhelm Friedrich von Nassau-Diez im Monat Juli übermittelt wurden: Die niederländischen Provinzen Friesland und Groningen unterstützten mit ihrem Votum einen Einsatz der Flotte gegen Schweden. 130 Auch kamen schon Ende des Monats Juli und Anfang August im Zweiten und Dritten Haager Konzert Vereinbarungen zwischen England und den Generalstaaten zustande, die im Vergleich zu den Bestimmungen des ersten Konzerts die Position Dänemarks etwas verbesserten und schließlich zur Folge hatten, daß Kar! X. Gustav, der weiterhin keine Bereitschaft zeigte, die Verträge zu akzeptieren, in immer größere politische und militärische Isolation geriet. 131 Inmitten dieser Phase schwieriger Beziehungen zwischen Kurbrandenburg und den Niederlanden fand am 16. Juli die Hochzeit Johann Georgs und Henriette Catharinas statt. 132 Eine illustre Gesellschaft hatte sich zu diesem Anlaß in 129 Vgl. zum Folgenden Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 387 ff. Zu den in diesem Kontext wichtigen wirtschaftlichen Interessen der Niederlande vgl. Kunisch, Nordischer Krieg, S. 35-40. 130 UA 1, S. 236. Siehe ferner das Dankesschreiben Friedrich Wilhelms an Wilhelm Friedrich von Nassau-Diez, (eh) Lager bei Middelfart 12. [/22.]7. 1659 HStA Wiesbaden Abt. 170 III Kart. 181, fol. II f. 131 Vgl. die kurbrandenburgische Perspektive bei Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, s. 402 f. 132 Das von Beckmann, Historie V/3, S. 252, überlieferte Datum, der 9. [/19.]7., ist nicht korrekt und beruht möglicherweise auf der fehlerhaften Angabe in der anläßtich des Todes Johann Georgs entstandenen Lebensbeschreibung des Dessauers, die Beck-

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111. Zwischen Kar! X. Gustav und dem Großen Kurftlrsten

Groningen versammelt. 133 An der Spitze stand die brandenburgische Kurfilrstin Louise Henriette. Ihre Mutter Amalie mit ihren Töchtern Maria und Albertine Agnes, letztere mit ihrem Gemahl Wilhelm Friedrich, waren anwesend, ebenso Burggraf Fabian zu Dohna und der Statthalter von Kleve-Mark, Johann Moritz von Nassau-Siegen, der als Organisator der Feierlichkeiten keine leichte Aufgabe zu bewältigen hatte. 134 Die genaue Beachtung aller Rangfragen, die Probleme, welche sich durch die Versorgung des großen Trains an Dienerschaft, Personal, Pferden und Karossen ergaben, den die hochadlige Gesellschaft mit sich fiihrte, sowie die Gestaltung des genauen Programms der mehrtägigen Feierlichkeiten elforderten große Mühe und verursachten hohe Kosten. Die Trauung wurde in der ehrwürdigen Martinikerk unter großer Anteilnahme der Bevölkerung, Glockenläuten und Salutschüssen vollzogen. Zahlreiche Schaulustige drängten sich in den Straßen der Stadt, um einen Blick auf den imposanten Hochzeitszug und die prächtig gekleidete Braut werfen zu können. Die anschließende Gratulationscour und ein aufwendiges Festbankett ließen die Feiern bis zum frühen Morgen andauern. Am anderen Tag erhielt Henriette Catharina die Morgengabe ihres Gemahls: Neben der im Ehevertrag vereinbarten Verschreibung über 5.000 Tlr. empfmg sie eine Perlenkette und diamantene Schmuckstücke. Johann Moritz gelang es, das mehrtägige Festprogramm originell zu gestalten. So konnten sich die Frischvermählten und ihre Gäste zum Beimannwahrscheinlich für seine "Historie" benutzt hat. Vgl. LAO Abt. Semburg A 18 a Nr. 13, fol. 5. Eine andere Abschrift dieser Lebensbeschreibung nennt mit dem 5. [/15.]7. bezeichnenderweise auch ein falsches Datum: LAO HA Zerbst XXXVII Nr. II, fol. 16. Das richtige Hochzeitsdatum, der 16.7., ist aufgeführt z. B. im Notizkalender Fürst Johann Casimirs von Anhalt-Dessau (LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 3 (45), fol. 29), in einer Relation aus dem Haag vom 28.7. 1659 (GStA PK, I. HA Rep. 34 Nr. 227 i Fasz. I, fol. 124 f.) sowie in einem Bericht über den Verlauf der Hochzeit (GStA PK, BPH Rep. 35 Nr. U 2, fol. 77 f.). 133 Zu den Vorbereitungen, zum Verlauf und den Kosten der Hochzeit vgl. die Darstellung ebd.; ferner die Akten im KHA A 14 XIV D-3, die besonders Aufschluß über die weiteren Hochzeitsgäste liefern. So nahm von anhaltischer Seite z. B. Wilhelm Heinrich von Freyberg teil. Vertreter des brandenburgischen Kurftlrsten waren etwa der Oberstallmeister von Pöllnitz, der mit einer unehelichen Tochter des Statthalters Moritz von Oranien verheiratet war, sowie der Generalmajor von Spaen. Auch hatte Johann Georg anfangs auf die Anwesenheit des preußischen Statthalters RadziwiU gehoffi. Johann Georg an Boguslaus Radziwiil, (eh) Harnburg 2. [/12.]4. 1659 GStA PK, XX. HA EM 121 a Nr. 49, fol. I f. AusfUhrliehe Darstellungen der Feierlichkeiten finden sich ferner bei Worp; Smeenge, S. 32 f.; T. Saring, Luise Henriette, S. 222-226; Beuys, S. 209 ff. Vgl. auch Th. Stenze/, Verrnählungs-Medaillen, S. 344 ff., und Flink, S. 29 und 123-126. 134 Zum politischen Wirken Johann Moritz' vgl. zuletzt die Studie von van der Bijl. Zu seiner Beteiligung an den Hochzeitsfeierlichkeiten vgl. Driesen, S. 230 f., Ga/land, Großer Kurftlrst, S. 56; Bouman, S. 136 f., sowie den eigenhändigen Brief Johann Georgs an Johann Moritz aus Dessau vom 21.4. [/1.5.] 1659, in dem er sich bei Johann Moritz filr dessen Unterstützung seiner Heiratspläne bedankt. HStA Wiesbaden Abt. 170 111 Kart. 180 (Mappe fol. 1-346), fol. 229 f.

3. Die Hochzeit in Groningen

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spiel am Tanz eines exotisch gekleideten "indianischen Balletts" und an den Kunststücken erfreuen, die ein kleiner dressierter Bär vollfllhrte. Noch drei Tage nach der Heirat wurde zu Ehren des neuen Paares ein Feuerwerk gegeben. Am 22. Juli reisten Amalie, ihre jüngste Tochter Maria, Kurfllrstin Louise Henriette und Johann Moritz von Nassau-Siegen aus Groningen ab. Johann Georg und Statthalter Wilhelm Friedrich folgten ihnen gemeinsam mit ihren Gattinnen zwei Tage später und zogen zunächst nach Leeuwarden, dann nach Utrecht und Rijswijk, wo das junge Ehepaar ebenfalls ehrenvoll empfangen und auf Festbanketten gefeiert wurde. 135 Dennoch mischten sich Mißtöne in die allgemeine Freude 136 über den vorzüglichen Verlauf der Hochzeitsfeierlichkeiten. Es zeigte sich, daß man Rijswijk als möglichen Ort der Eheschließung zu Recht nicht berücksichtigt hatte, denn in der Tat kam es dort nach der Hochzeit zu den befllrchteten Schwierigkeiten mit Maria Stuart. Da die Witwe Wilhelms II. aufgrund ihrer königlichen Abstammung den zeremoniellen Vorrang beanspruchte, nahm Kurrurstin Louise Henriette an den wechselseitigen Besuchen Amalies und Marias nicht teil, um mögliche Rangstreitigkeiten mit der Princesse Royale zu vermeiden.137 In der Frage der Teilnahme des jungen oranischen Prinzen Wilhelm an den geplanten weiteren Festivitäten kam es zu Wortgefechten zwischen Amalie und ihrer Schwiegertochter. Die Frischvermählten hatten eine Einladung der Stadt Amsterdam erhalten und beabsichtigten, ihren jungen Neffen zu den dort geplanten Feierlichkeiten mitzunehmen. Dessen Mutter, die selbst nicht nach Amsterdam kommen wollte, lehnte dies sehr zum Verdruß der übrigen Beteiligten "zimlich rude" 138 ab. Verständlich wird das Verhalten der Princesse Royale vor dem Hintergrund des Streits in der Frage der Vormundschaft fllr ihren Sohn. Maria und Amalie, die gemeinsam mit Kurfilrst Friedrich Wilhelm zu Vormündern des jungen Oraniers bestimmt worden waren, hatten lange Zeit heftig darum gerungen, sich den maßgeblichen Einfluß auf die Erziehung und den Werdegang Wilhelms zu sichern, wobei der Brandenburger insgesamt gesehen auf seiten Amalies stand. 139 Zu vermuten ist, daß Maria die Mitreise ihres 135 Vgl. Worp, S. 98 f.; Kalendereinträge Johann Georgs A 9 e Nr. 4 (6), fol. 8; Adriaen van der Goes an seinen Bruder Wilhelm, Haag den 19.8. 1659: "Men is hier dagelix besich met tracteeren en bancketteeren, de Cheurvorstin van Brandenburch ende Graeff en Gravinne van Anhallt de nieu gehoudens [...] heel conincklijk onthaelt werden." Gonnet, S. 32. 136 Fst. Johann Casimir von Anhalt-Dessau an Freyberg, Dessau 23.7. [/2.8.] 1659 LAO Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 2, fol. 4 f. und Kurftlrstin Louise Henriette an Schwerin s.l.e.a. [nach dem 16.7. 1659], gedruckt bei Orlich, Geschichte III, S. 431 f. 137 Aitzema, S. 471. 138 Johann Georg an Kfst. Friedrich Wilhelm, (eh) Rijswijk 12. [/22.}8. 1659 GStA PK, BPH Rep. 35 Nr. U 2, fol. 85. Vgl. auch Aitzema, S. 471. 139 Ausftihrlich zum Vormundschaftsstreit Kleinschmidt, Amalie, S. 134-149.

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Sohnes nach Amsterdam verhinderte, da sie ihrer Schwiegermutter und Kurrurstin Louise Henriette keine weitere Gelegenheit geben wollte, auf Wilhelm einwirken zu können. Möglicherweise war auch ihre noch nicht verwundene Enttäuschung über die Ablehnung der Brautwerbung ihres Bruders Karl durch Amalie ausschlaggebend filr ihre abweisende Haltung. 140 Trotz dieser Mißklänge verlief der Aufenthalt in Rijswijk ftlr Johann Georg insgesamt erfreulich und trug nicht zuletzt auch, wie eine briefliche Äußerung des kaiserlichen Diplomaten Friquet aus dem Haag verdeutlicht, zu einer Steigerung seines persönlichen Ansehens bei: "Le prince d' Anhalt [... ] a laisse icy une tres grande reputation et [...] m'a facit l'honneur de venir deux fois a mon Iogis pour tesmoigner, combien il estime tous ceux, qui portent le glorieux charactere de ministre de S[a] M[ajes]te ."141 Noch in einer weiteren Hinsicht ist dieses Briefzitat aufschlußreich. Es belegt, daß das in späteren Jahren deutlich zutage tretende Bemühen Johann Georgs, gute Beziehungen zum Kaiser aufzubauen, schon 1659, in der Endphase des Schwedisch-Polnischen Krieges, in seinen Gesprächen mit kaiserlichen Diplomaten eine Rolle spielte. Ein weiterer Höhepunkt der Hochzeitsreise stand dem Paar noch bevor. Die Jungvermählten hatten die Einladung der Amsterdamer Bürgermeister angenommen und kamen Ende August in Begleitung ihrer zahlreichen Hochzeitsgäste in der ruhrenden Handelsstadt Europas an. 142 Eine Ehrengarde holte den hochrangigen Besuch ein. Nach einem prächtigen Empfang im Rathaus konnte sich die erlauchte Gesellschaft an einem aufwendigen, von dem Dichter Jan Vos konzipierten Festzug erfreuen: 16 Prachtwagen mit allegorischen Figuren, welche die niederländischen Provinzen, die Taten der Prinzen von Oranien und die Stadt Amsterdam darstellten, fuhren durch die Stadt. Drei Auffilhrungen im Stadttheater, die ebenfalls von Jan Vos gestaltet wurden, verherrlichten den Ehebund zwischen Nassau und Anhalt, und ein Feuerwerk, das in flammenden Buchstaben das Wort "Oranje" erscheinen ließ, verlieh den Feiern besonderen Glanz. Auch die beiden bekannten Amsterdamer Maler und Rembrandt-Schüler Ferdinand Bol und Govert Flinck waren an der künstlerischen Ausgestaltung der Feierlichkeiten beteiligt. Ganz uneigennützig richtete die Stadt Amsterdam die kostspieligen Festivitäten natürlich nicht aus. Zweifelsohne war die Entscheidung, dem filrstlichen Mac/aine Pont, S. 134. Fuchs, S. 66. 142 Zu den Feierlichkeiten in Amsterdam vgl. Jan Vos, Alle de Gedichten, S. 613625; Wagenaar, II. Teil XVII. Buch, S. 599; Voigt, S. 202 f.; Maclaine Pont, S. 133 ff.; Snoep, S. 82-86. Zum Festzug siehe ferner Mörke, Hofcultuur, S. 51 ff. In diesem Festzug "ergänzten sich noch die ständisch-kommunale und oranisch-patriarchale Komponente der niederländischen Politikkultur zur Gesamtheit republikanischer Selbstdarstellung". Ders., Haus Oranien-Nassau, S. 57. 140 141

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Paar einen solch imposanten Empfang zu bereiten, politisch motiviert. 143 Denn zum einen konnte Amsterdam damit zu einer Verbesserung der traditionell schwierigen Beziehungen zu den Oraniern beitragen; zum anderen demonstrierte die Stadt auf diese Weise, daß sie an einem guten Verhältnis zu Kurbrandenburg interessiert war - in der Hoffnung, somit den Zorn Kurftlrst Friedrich WHhelms über die bis dato mangelhafte Unterstützung von seiten der Generalstaaten zu besänftigen. Wahrscheinlich ist, daß die Feierlichkeiten zum Anlaß genommen wurden, Gespräche über das weitere Vorgehen im Krieg gegen Schweden zu filhren. Verglichen mit der ungewöhnlichen Prachtentfaltung, die die reiche Handelsstadt Amsterdam Johann Georg und Henriette Catharina geboten hatte, mutete der Empfang, den die Stadt Dessau dem fiirstlichen Paar bereitete, sicherlich bescheidener, aber nicht weniger herzlich an. Überliefert sind zwei gereimte Gedichte, die anläßlich ihres Einzugs in die fürstliche Residenz vorgetragen wurden und die besonders die Verbundenheit der Stadt mit dem Schicksal des Fürstenhauses herausstellten. 144 Auch in den Niederlanden waren mehrere Gelegenheitsgedichte auf ihre Hochzeit in Groningen entstanden. Von den Auftragsarbeiten Jan Vos' war bereits die Rede. Joost van den Vondel, derberühmte niederländische Dichter, steuerte ein umfangreiches Gedicht bei, das den Namen "De vorstelijke bruiloft t' Amsterdam'" 45 trägt, und Phillip von Zesen, der sich in den ftlnfziger Jahren mehrfach am Dessauer Hof aufgehalten hatte, verfaßte ein Freudenlied in niederländischer Sprache auf die Hochzeit. 146 Die unbeschwerte Zeit des jungen Ehepaares in Dessau währte allerdings nicht lange, denn die Kriegswirklichkeit holte Johann Georg sehr bald ein: Ende Oktober 1659 brach er wieder zu Kurftlrst Friedrich Wilhelm auf.

4. Der Ausklang des Krieges 1659/60 Während Johann Georgs Abwesenheit von der brandenburgischen Armee hatte sich das Kriegsgeschehen verlagert. 147 Zunächst schien sich die Serie von 143 Van der Does, S. 165; Bouman, S. 137; Schenkeveld-van der Dussen, S. 122. Ein Dankesbrief Kfst. Friedrich Wilhelms an die Stadt Amsterdam vom 20.9. 1659 [alten Stils?] bei Voigt, S. 202 f. 144 [Jacob Lehmann], Ehren-Pforte; [Martin Müller], Treuherrziger Glückwunsch. 145 Joost van den Vondel, Volledige dichtwerken, S. 867-870. 146 Philipp von Zesen, Sämtliche Werke Bd. 2. Lyrik Il, S. 64-67. Zu Zesens Aufenthalten am Dessauer Hofvgl./ngen, S. 10 f. 147 Zum Folgenden vgl. die ausführliche Darstellung bei Opitz, S. 187-272; siehe ferner Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 390-393 und 399-406. Zum Pommernfeldzug vgl. zudem die beiden älteren Darstellungen von Klaje, Feldzug und ders., Stürme.

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Ill. Zwischen Kar! X. Gustav und dem Großen Kurftlrsten

Erfolgen der Alliierten in Schleswig und Jütland fortzusetzten. Nach der Einnahme Friedrichsoddes im Mai 1659 konnte im Monat darauf auch die kleine Insel Fanö erobert werden. Versuche, Truppen nach Fünen überzusetzen, scheiterten aber am heftigen Widerstand der Schweden. Aufgrund der Unsicherheit, ob sich eine Landung auf Fünen angesichts der nach wie vor zögerlichen Haltung der niederländischen Flotte überhaupt realisieren ließ, entschloß man sich auf kaiserlicher und - mit einigem Zögern - auch auf brandenburgischer Seite, 148 den Kriegsschauplatz zu wechseln und die Schweden in Pommern anzugreifen. Für Kurftlrst Friedrich Wilhelm schien sich nun die Möglichkeit anzubahnen, auf dem Wege militärischer Eroberung das von ihm beanspruchte gesamte Erbe Herzog Bogislaws XIV. von Pommern zu erlangen, das im Westfiliisehen Frieden als Kriegsentschädigung in wesentlichen Teilen-besonders hervorzuheben sind Stettin und die Odermündung - Schweden zugesprochen worden war. 149 Ein kaiserliches Korps unter dem Befehl de Souches' marschierte von Schlesien nach Pommern und begann, nachdem Mitte September die Eroberung Damms geglückt war, gemeinsam mit einigen dazustoßenden brandenburgischen Truppen Stettin zu belagern. Dort traf Johann Georg, der sich zuvor einige Tage in Berlin aufgehalten hatte, Ende Oktober ein. 150 Er reiste jedoch schnell weiter zu den Truppen des Kurftlrsten und Montecuccolis, die ebenfalls in Vorpommern eingetroffen waren. 151 Während den Verbündeten noch in der zweiten Novemberhälfte die Einnahme Demmins gelang, blieb die Belagerung Stettins erfolglos. Die Armee mußte in die Winterquartiere entlassen werden: Montecuccoli rückte nach Mecklenburg ab, de Souches zog wieder in die kaiserlichen Erblande, und Johann Georg kehrte im Gefolge des Kurftlrsten nach Berlin zurück. 152 Insgesamt war das Resultat der Operationen in Pommern zweischneidig. Zwar war das flache Land 148 Das Zögern der Brandenburger resultierte aus der Sorge vor den möglichen negativen Konsequenzen eines Krieges in Pommern. Zum einen galt es, den Eindruck zu vermeiden, daß eine Revision des Westfiliisehen Friedens beabsichtigt sei; zum anderen befilrchtete man zu Recht, daß die Niederlande das Vordringen des Kaisers an der Ostsee mißbilligen und daher möglicherweise zu einer proschwedischen Politik überschwenken könnten. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 400 f. 149 Zur Pommernfrage, die in der Geschichtsschreibung über den Großen Kurfilrsten traditionell besonders stark beachtet wird, vgl. besonders die neuere, inhaltlich anfechtbare Studie von Kiehm, Zu den Feldzügen. Vgl. hierzu auch Kapitel V dieser Arbeit. 150 Vgl. Kalendereinträge Johann Georgs LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 4 (6), fol. 11 und Klaje, Feldzug, S. 113 f. 151 Am 25. und 28.11. nahm Johann Georg bereits wieder an den im Hauptquartier Grimmen abgehaltenen Besprechungen des Kriegsrats teil. GStA PK, I. HA Rep. 3 Nr. 49, fol. 95 und UA 8, S. 410 f. 152 Vgl. etwa den Brief Johann Georgs an Boguslaus RadziwiU, (eh) Grimmen 18. [/28.]11. 1659 GStA PK, XX. HA EM 121 a Nr. 49, fol. 3 f.

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unter Kontrolle der Alliierten, die wichtigen Küstenstädte waren jedoch im Besitz der Schweden geblieben und konnten von diesen weiterhin auf dem Seeweg versorgt werden. Für die Erwägungen, die zu Beginn des Jahres 1660 in Berlin über die politische und militärische Lage angestellt wurden, waren die inzwischen wesentlich veränderten internationalen Rahmenbedingungen bedeutsam. Frankreich hatte am 7. November mit Spanien den sogenannten Pyrenäenfrieden 1s3 geschlossen und somit die Hand freibekommen, seinen traditionellen Bundesgenossen Schweden stärker zu unterstützen. Dies erschien aus der Perspektive Mazarios um so dringlicher, als die schwedische Armee am 24. November bei Nyborg schwer geschlagen und Fünen von den Alliierten erobert wurde. Hinzu kam, daß auch die Niederländer, die durch den Einsatz ihrer Flotte entscheidenden Anteil an diesem Erfolg hatten, kein Interesse zeigten, zu einer noch größeren Schwächung Schwedens beizutragen und die mißtrauisch beäugten Absichten des Kaisers in Pommern zu unterstützen. 154 Die Chancen der Brandenburger, die pommerseben Gebietsgewinne behaupten und somit die erhoffte Grenzrevision in Vorpommern durchsetzen zu können, standen daher schlecht. Ein weiteres Ereignis trug dazu bei, daß die diplomatische und militärische Situation zu Beginn des Jahres 1660 als verändert und wandelbar wahrgenommen wurde: Am 23. Februar verstarb 37jährig der schwedische König Karl X. Gustav, ISS also derjenige Akteur unter den Protagonisten des Mächtesystems, der am eindeutigsten zu verstehen gegeben hatte, daß eine friedliche Verständigung nur auf der Basis von Bedingungen zu erzielen sei, die er selbst diktierte. Vor dem Hintergrund der in der Zwischenzeit intensivierten Friedensverhandlungen Schwedens mit Polen standen KurtUrst Friedrich Wilhelm und seine Berater vor den schwierigen Fragen, ob und wie der Krieg erfolgreich fortzusetzen sei und welche Haltung man gegenüber den Verhandlungen Schwedens mit Polen und Dänemark einnehmen solle. Johann Georg, der sich seit der Beendigung des Feldzugs am kurftlrstlichen Hof aufhielt, nahm dort an den internen Beratungen intensiven Anteil, wie die Protokolle des Geheimen Rats und mehrere erhaltene Gutachten des Dessauers aus dieser Zeit verdeutlichen. 1s6 Im Vordergrund seiner Lageanalyse stand die Überzeugung - und damit befand er sich ganz im Einklang mit der seit längerer Zeit verfolgten grundsätzlichen Li1s3

DuMont VI/2, S. 264-283. s Vgl. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 403 und 406 f., sowie Opitz, S. 261. tss Vgl. Findeisen, S. 204. 1s6 Vgl. die eigenhändigen Gutachten Johann Georgs vom 5. [/15.] und 9. [/19.)2. sowie vom l.JII1.)3. 1660. LAO Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 3, fol. 1-4, GStA PK, I. HA Rep. 3 Nr. 42, fol. 16 f. und LAO Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 1, fol. 321. Vgl. ferner die Stellungnahmen des Fürsten im brandenburgischen Geheimen Rat, besonders in den Sitzungen vom 29. und 30.3. 1660. Meinardus VI, S. 102 und 104. 1 4

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nie der Politik des Kurfilrsten -, daß es vorrangiges Ziel der kurbrandenburgischen Außenpolitik sein müsse, einen allgemeinen und sicheren Friedensschluß zu erlangen und ein Wiedererstarken des militärisch angeschlagenen, aber keinesfalls ausgeschalteten Schweden zu verhindern. 157 Allen Bemühungen der nordischen Macht, die antischwedische Allianz durch Separatfriedensschlüsse mit Polen und Dänemark zu zersplittern, müsse man daher entschieden entgegentreten, wolle man die Gefahr ausschalten, daß Schweden erneut in die Lage versetzt werde, einen seiner Kontrahenten zu isolieren und anschließend zu überfallen. Es erschien dem Fürsten als ein zwingendes Gebot der kurbrandenburgischen Politik, "allezeit mit dem keyser [... ] in der allience [zu] bleiben" 158 und den Krieg so lange mit Nachdruck an der Seite Habsburgs fortzusetzen, bis das schwedische Bedrohungspotential ausgeschaltet und ein allgemeiner und sicherer Frieden erreicht sei. Für den Fall, daß Schweden keine Bereitschaft erkennen ließ, einen solchen Friedensschluß einzugehen, empfahl der Dessauer ein energisches Vorgehen in Pommern sowie in Bremen. 159 Die Schwierigkeit, eine derartige Politik der Vermeidung von Separatfriedensschlüssen durchzusetzen, wurde dem Kurfilrsten und seinen Räten sehr bald vor Augen geftlhrt. Polen war nicht bereit, den Frieden mit Schweden um der Dänen willen zu verzögern, da es dringend zusätzlichen militärischen Handlungsspielraum benötigte, um die Angriffe der russischen Armeen abwehren zu können. 160 Johann Georg vertrat zunächst weiterhin seine Überzeugung, daß es das Sicherheitsinteresse Brandenburgs erfordere, Dänemark auch nach einem in Aussicht gestellten Friedensschluß Schwedens mit Polen im Verbund mit dem Kaiser zu unterstützen. Zwar könne dem Kurfilrsten nicht abgeraten werden, in einen Frieden zwischen Schweden und Polen einzutreten, heißt es in seinem Gutachten vom 11. März, dies solle jedoch nur mit dem ausdrUckliehen Vorbehalt

157

1660. 158

fol. 3.

Am markantesten in den erwähnten Gutachten vom 5. [/15.]2. und I. [/11.]3. Aus dem Gutachten vom 5. [/15.]2. 1660 LAO Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 3,

159 Vgl. hierzu besonders Punkt 2 seines Gutachtens vom 9. [/19.]2. 1660 (GStA PK, I. HA Rep. 3 Nr. 422, fol. 16), in dem er das kurbrandenburgische Ziel einer Beherrschung des Oderstroms betont. Zum Entstehungszusammenhang dieses Gutachtens und der gleichzeitig erstellten Gutachten anderer brandenburgischer und kaiserlicher Generäle sowie zu dem darauf basierenden Kriegsplan ftlr das Frühjahr 1660 vgl. UA 8, S. 422 ff. Die Forderung nach einem weiteren energischen Vorgehen in Pommern findet sich auch in Johann Georgs Gutachten vom 5. [/15.]2. 1660 LAO Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 3, fol. 3 f. 16° Friese, S. 31 f.; Opgenoorth, Friedrich Wilhelm 'I, S. 407 f.

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geschehen, daß Kurbrandenburg den Dänen weiterhin militärisch assistieren dürfe.I6I Diese Position, die auch von Schwerin vertreten wurde, blieb am kurftlrstlichen Hofnicht unangefochten. In der Sitzung des Geheimen Rats vom 29. März votierten der Generalkriegskommissar Claus Ernst von Platen und der Geheime Rat Friedrich von Jena eindeutiger als der Dessauer daftlr, den Krieg nicht fortzusetzen: "Sollte der Krieg continuiret werden, wo wären die Mittel?" 162 gab Jena zu bedenken. Dergleichen Erwägungen wurden schon am Tag darauf hinfällig. Auf die Nachricht hin, daß Schweden und die Niederlande zu einer Vereinbarung gelangt seien und nun den dänischen König zum Friedensschluß mit Schweden drängten, vertraten der Kurftlrst und seine Berater nunmehr einstimmig die Ansicht, daß ein Sonderfriede Dänemarks aufgrund der fehlenden militärischen Unterstützung durch die Niederlande nicht zu verhindem sei. 163 Von einer langfristigen Perspektive aus betrachtet, die auch den weiteren politischen Werdegang des Dessauer Fürsten berücksichtigt, sind die ErörterungenamBerliner Hof zu Beginn des Jahres 1660 nicht nur aufgrundihrer Bedeutung ftlr die konkrete Gestaltung der kurbrandenburgischen Politik in diesem Zeitraum von Interesse, vielmehr sind sie auch im Hinblick auf die Frage nach den Konstanten der politischen Orientierung Johann Georgs höchst aufschlußreich. Denn in seinen Gutachten und Stellungnahmen im Geheimen Ratsgremium manifestierte sich erstmals in aller Deutlichkeit die sein politisches Wirken dauerhaft prägende Überzeugung, daß zur Wahrung der kurbrandenburgischen Interessen ein enges Zusammenwirken mit dem Kaiser gegen auswärtige Aggressoren erforderlich sei. 164 Auf diese kaiserfreundliche Grundhaltung des Anhalter Fürsten waren auch die kaiserlichen Diplomaten aufinerksam geworden. Schon Graf Strozzi, der 161 LAO Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 1, fol. 321. Ähnlich die Voten Johann Georgs und Schwerins in der Geheimen Ratssitzung vom 29.3. 1660, Meinardus VI, S. 102. Schwerin schlug zudem vor, daß der KurtUrst den polnischen Frieden mit abschließen, die Herausgabe der Eroberungen in Vorpommern aber noch drei Monate verzögern solle. In diesen drei Monaten sollte dann auch Dänemark Frieden mit Schweden schließen, "und also ein Universalfrieden getroffen werden möchte". Ebd. Vgl. hierzu auch die Bewertung bei Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 408: "Hier wie bei anderer Gelegenheit verband sich [...] das Sicherheitsstreben unlöslich mit der Absicht einer Grenzrevision in Pommern[...]." 162 Meinardus VI, S. 103. 163 Ebd., S. I 04 f. Vgl. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 408. 164 Siehe Anm. 158 in diesem Kapitel. Vgl. ferner das Votum Johann Georgs im Geheimen Rat vom 29.3. 1660 Meinardus VI, S. 102, sowie sein Gutachten vom 1. [/ 11.]3. 1660: "[...]so werden S. Churf. D. nicht übel thun, das sie dieses hochwichtige werk mit den Keyserlichen wohl überlegen[... ]." LAO Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 1, fol. 321.

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sich zu Beginn des Jahres 1660 zu Verhandlungen in Berlin aufhielt, zählte Johann Georg neben Schwerin zu seinen Vertrauten am kurfilrstlichen Hof. 165 Ähnlich positiv hatte sich auch der Gesandte des Kaisers im Haag, Friquet, im Sommer des Vorjahres geäußert. 166 Die personelle Entscheidung Friedrich Wilhelms, den Dessauer und Schwerin im April 1660 als Verhandlungspartner des lange erwarteten kaiserlichen Gesandten Don Hannibal Marchese de Gonzaga zu benennen, konnte daher durchaus als politisches Signal verstanden werden, das dem Kaiser den kurbrandenburgischen Willen zu einer einvernehmlichen Lösung der zu behandelnden Probleme demonstrieren sollte. 167 Für die Brandenburger stand viel auf dem Spiel, denn in den Verhandlungen mit Gonzaga mußte sich entscheiden, ob ein erneutes militärisches Vorgehen in die Wege zu leiten war und ob die pommerseben Eroberungen diplomatisch behauptet werden konnten. Die vom I. März datierende Instruktion ftlr Gonzaga war bezeichnend ftlr den sehr vorsichtigen Kurs der Wiener Hofburg, die im Hinblick auf die verstärkten diplomatischen Aktivitäten Frankreichs eindeutig auf eine Vermeidung überhöhter Risiken aus war. Die Instruktion sah zwar vor, daß der Gesandte einige Infanterieregimenter zur Verstärkung der alliierten Truppen offerieren durfte. Insgesamt sollte er jedoch möglichst die Zusage einer kaiserlichen Beihilfe an Truppen, Munition und Artillerie vermeiden und den Kurftlrsten mit Proviantlieferungen vertrösten. Angesichts der einlaufenden Nachrichten über militärische Vorbereitungen Frankreichs müsse das besondere Augenmerk auf die Gefahr eines französischen Eingreifens zugunsten der Schweden gerichtet werden. Auch sollte der Marchese den Brandenburgern deutlich machen, daß der Kaiser nach wie vor die Kriegsvorbereitungen der Hohen Pforte nicht aus den Augen lassen dürfe. In einem Memorial vom 10. März wurde Gonzaga zudem aufgefordert, die genaue kurbrandenburgische Haltung in der Pommernfrage zu ergrUnden und dem Kurftlrsten die kaiserliche Forderung nach einem Einschluß Dänemarks in den im Entstehen begriffenen polnisch-schwedischen Frieden mitzuteilen. Entsprechend der sich in den Instruktionen Gonzagas niederschlagenden Zurückhaltung des Kaisers gegenüber möglichen kurbrandenburgischen BestreUA 14/I, S. ll9. Siehe Kapitel III.3. 167 Zu den Verhandlungen des Geheimen Rates, Hofkriegsratsvizepräsidenten und Feldmarschalls Gonzaga in Berlin vgl. UA 8, S. 427-430, ebd. 14/I, S. 122 f., sowie die eigenhändige Aufzeichnung Johann Georgs über die beiden Konferenzen am 22.4. 1660 LAO Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 3, fol. 9. Die Instruktion filr Gonzaga im KA Wien, AFA 1660 Kart. 151 Fasz. 111, Nr. 1; ebd. Nr. 35 und 66 eine Nebeninstruktion vom 6.3. bzw. das in UA 14/I, S. 122 Anm. 1, zusammengefaßte Memorial für Gonzaga vom 10.3. 1660. Auf kaiserlicher Seite waren neben Gonzaga auch Montecuccoli, Strozzi und der Graf Collalto an den Verhandlungen beteiligt. 165

166

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bungen in Pommern wurde auch in den Konferenzen, die ab dem 22. April in Berlin gehalten wurden, allzubald offenkundig, daß die Hofburg nicht bereit war, die kurz vor dem Abschluß stehenden Friedensverhandlungen zwischen Polen und Schweden durch eine Unterstützung der AnsprUche des Kurfilrsten auf Vorpommern zu verzögern. Daher erklärten Johann Georg und Schwerin schon am zweiten Verhandlungstag, daß Friedrich Wilhelm die Pommernfrage nicht als conditio sine qua non eines kurbrandenburgischen Eintritts in den erwarteten Friedensschluß betrachte und daß er ebenso wie der Kaiser an einem schnellen Frieden interessiert sei. Übereinstimmung herrschte auch in der Frage, ob man - entgegen der ursprünglichen Absicht, einen allgemeinen Frieden herbeizufllhren - auch bei Nichteinschließung Dänemarks, das seinerseits Separatverhandlungen mit Schweden fllhrte, den in Oliva bei Danzig verhandelten Frieden akzeptieren solle. Dieses Problem war bereits einige Tage zuvor im kurfllrstlichen Geheimen R:tt angesprochen worden. Einmütig war beschlossen worden, einen Eintritt in den schwedisch-polnischen Frieden nicht von der Entwicklung der Friedensverhandlungen Dänemarks abhängig zu machen. 168 Dies entsprach auch den Absichten der Kaiserlichen. Dessenungeachtet wurden in der Konferenz mit Gonzaga am 26. April auch militärische Maßnahmen erwogen, die im Falle einer weiteren Verzögerung oder gar eines Scheiteros der Friedensverhandlungen ergriffen werden sollten. Eine eigenhändige Notiz Johann Georgs, die sich auf diese Frage bezieht, gibt Aufschluß darüber, daß im Gespräch war, bei einer weiteren Verzögerung des Friedensschlusses nach drei Wochen mit der Fortsetzung der militärischen Operationen zu beginnen. 169 Dazu sollte es allerdings nicht mehr kommen. Am 3. Mai wurde in Olivader Frieden geschlossen. 170 Am gleichen Tag hatte der Kurfilrst Gonzaga mitteilen lassen, er wolle "mit dieser seiner Prätension [auf Vorpommern und die Odermündung] zur Zeit noch in Geduld stehen und sich selbige bis auf ereignende bessere Conjunctur reserviren" 17 1• Friedrich Wilhelm und seine Berater hatten in den Verhandlungen mit den Kaiserlichen erkannt, daß eine entscheidende Grenzrevision in Vorpommern zuungunsten der Schweden nicht durchsetzbar war. In der Tat sah der Friedensvertrag vor, daß Brandenburg-Preußen und 168 Protokoll vom 19.4. 1660, Meinardus VI, S. 118 f.; das Votum Johann Georgs ebd., S. 118. 169 LAO Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 3, fol. 5. 170 DuMont Vl/2, S. 303-315. Zur Bewertung des Friedensschlusses aus kurbrandenburgischer Perspektive vgl. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm I, S. 409 ff., und Opitz, S. 282 f. Der Friedensschluß Schwedens mit Dänemarks erfolgte in Kopenhagen am 6.6. 1660. DuMont Vl/2, S. 319-326. 171 UA 8, S. 430.

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III. Zwischen Karl X. Gustav und dem Großen Kurfilrsten

Österreich die in Pommern eroberten Gebiete wieder an Schweden abtreten mußten. Dagegen erreichten die Brandenburger die internationale Anerkennung der Souveränität des Kurftlrsten im Herzogtum Preußen. Daß die Unterzeichnung des Friedensvertrages kein Grund war, in Sorglosigkeit zu verfallen, war den Alliierten bewußt. Den Angriff Karls X. Gustav auf Dänemark im Sommer 1658, nur wenige Monate nach dem Abschluß des Roeskilder Friedens, hatte man in Berlin und Wien noch gut in Erinnerung. Graf Strozzi wurde zur Koordination der weiteren Politik erneut an den kurftlrstlichen Hof gesandt. 172 Die kaiserlichen Truppen wurden noch nicht aus den Quartieren in Schleswig, Holstein, Mecklenburg und Pommern abgezogen, da man zunächst die Ratifikation und Exekution des Friedens abwarten wollte. 173 Erst im Herbst des Jahres erfolgte der Rückmarsch der Truppen in die kaiserlichen Erblande, der auch durch das Fürstentum Anhalt ftlhrte und dort mit guter Disziplin und Ordnung vonstatten ging. Bezeichnend ftlr die ungebrochene Wachsamkeit und Sorge, mit der man das weitere Vorgehen Schwedens verfolgte, ist eine Äußerung Johann Georgs in einem Brief an seinen Vater vom 20. September 1660. Am Berliner Hofwaren Nachrichten eingetroffen, die ein militärisches Vördringen der Türken in Ungarn meldeten. Man vermute, so berichtete der Erbprinz, daß Frankreich und Schweden danach trachteten, den türkischen Erbfeind aufzuwiegeln, damit sie künftig im Reich frei agieren könnten.174 Der Brief Johann Georgs an seinen Vater sollte jedoch aus einem ganz anderen Grund traurige Bedeutung erlangen. Es war wahrscheinlich der letzte Brief, den er an ihn richten konnte. Am 25. September 1660 starb Fürst Johann Casimir. Johann Georg war damit regierender Fürst von Anhalt-Dessau. 175

112 Vgl. Montecuccoli an Kfst. Friedrich Wilhelm, Parchim 6./16.6. 1660 GStA PK, I. HA Rep. 3 Nr. 422, fol. 81 und unter demselben Datum Montecuccoli an Schwerin BA Koblenz N 1063 Nr. 10, s.f. 173 Zum Abmarsch der Armee Montecuccolis aus Mecklenburg vgl. die Briefe des kaiserlichen Generals an Schwerin vom 26.5./5.6., 26.9., 1.10. und 7.10. 1660 im BA Koblenz N 1063 Nr. 10, s.f. sowie den Brief des Kaisers an Fst. Johann Casimir von Anhalt-Dessau, Grätz 4.8. 1660 LAO Abt. Dessau C 16 c 2 Nr. 3, fol. 2 (Abschr.). Daß der Marsch durch Anhalt mit guter Disziplin erfolgte, geht aus einem Brief der Fürsten von Anhalt an den Kurfilrsten von Sachsen vom 9. [119.]10. 1661 hervor. LAO Abt. Dessau C 16 c 2 Nr. 4, fol. 25. Zur Rückfilhrung der alliierten Truppen vom Kriegsschauplatz insgesamt vgl. Opitz, S. 283-292. 174 Johann Georg an seinen Vater, Berlin 10. [/20.]9. 1660 LAO Abt. Köthen C 16 c 2 Nr. 27, s.f. (Abschr.). 175 Der Tod Johann Casimirs war nicht ganz unerwartet gekommen, denn bereits seit über einem Jahr hatten die Leibeskräfte des Dessauer Fürsten erkennbar abgenommen. Vgl. das Notifikationsschreiben Johann Georgs aus Dessau vom 19. [/29.]9. 1660 LAO Abt. Köthen A 18 a Nr. 17, fol. 1. Die Beisetzung Johann Casimirs erfolgte am 16.11. 1660. Drei Tage darauf wurde dem neuen Fürsten gehuldigt. Beckmann, Historie V/3, S. 236 und 252.

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Das Jahr 1660 bedeutete ftlr ihn somit in doppelter Hinsicht einen tiefen Einschnitt. Mit dem Frieden von Oliva begann eine faktisch bis zum Ausbruch des Französisch-Niederländischen Krieges andauernde Phase, während der er nur mittelbar in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt wurde und nicht persönlich ins Feld ziehen mußte. Zugleich markiert dieses Jahr den Beginn seiner über drei Jahrzehnte währenden Landesherrschaft in Anhalt-Dessau.

IV. Die doppelte Aufgab.~: Aspekte des Wirkens als Landesherr bis zur Ubernahme des Seniorats und als kurbrandenburgischer Amtsträger 1. Landesherrschaft in Anhalt: Ausgangslage, Probleme und Lösungsversuche im ersten Regierungsjahrzehnt (1660-1670) a) Recht- Verfassung- Verwaltung Bei einer Untersuchung des politischen Wirkens Johann Georgs als anhaltischer Landesherr müssen grundsätzlich zwei eng miteinander verbundene Ebenen unterschieden werden: zum einen seine Mitwirkung an der politischen Gestaltung der dem Bereich der sogenannten Gesamtung zugeordneten Angelegenheiten des Gesamthauses und zum anderen seine Politik als Fürst des Dessauer Landesteils. Das sich vom Harz im Westen bis zum Fläming im Nordosten erstreckende Fürstenturn Anhalt zählte zu den kleineren, machtpolitisch unbedeutenden Territorien des Heiligen Römischen Reiches. 1 In der Reichsmatrikel von 1521, die - mit gewissen Vorbehalten2 - als Gradmesser fiir die politische Geltung und die wirtschaftliche Potenz der einzelnen Territorien herangezogen werden kann, wurde Anhalt auf neun Reiter und zehn Mann zu Fuß veranschlagt.3 Der Vergleich mit den benachbarten KurfUrstentümem Sachsen und Brandenburg, deren Anschläge jeweils 60 Reiter und 277 Fußsoldaten betrugen, mag ansatzweise veranschaulichen, welch große machtpolitische Unterschiede im Reich sowie innerhalb des Obersächsischen Kreises, dem sowohl Anhalt als auch die beiden Kurfiirstentümer angehörten, herrschten. Als im Jahre 1570 Fürst Bernhard von Anhalt starb und die zuvor gemeinsam verwalteten anhaltischen Territorien in den alleinigen Besitz seines Bruders 1 Anhalt-Dessau umfaßte 1787 - konkrete Messungen fiir die Regierungszeit Johann Georgs fehlen- etwa 11 Quadratmeilen (ca. 630 qkm). Vgl. Czerannowski, S. 79 f. Bei Schanz (1887) ist die Größe des gesamten Fürstentums Anhalt mit 43 Quadratmeilen angegeben.Schanz, S. 393. 2 So wurden z. B. die geistlichen Reichsstände traditionell meist stärker herangezogen als die weltlichen. Reden, S. 16 f. 3 Eine Aufstellung der Veranschlagungen der reichsunmittelbaren Territorien des Obersächsischen Kreises in der Reichsmatrikel von 1521 liefert Blaschke, S. 129.

1. Landesherrschaft in Anhalt

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Joachim Ernst kamen, war das Fürstentum Anhalt nach den zahlreichen Teilungen der vorangegangenen Jahrhunderte ftlr eine kurze Phase vereinigt.4 Da die Primogenitur als Sukzessionsprinzip in Anhalt noch nicht eingeftlhrt worden war, übernahmen nach dem Tod Joachim Ernsts dessen Söhne gemeinschaftlich die Regierung. Vor dem Hintergrund der immensen Verschuldung des Fürstenhauses entschlossen sie sich aber schon 1603 zu einer erneuten Landesteilung.5 Die zunächst ftlr das Jahr 1611 anvisierte definitive Teilung- in diesem Jahr sollten einige wegen der Verschuldung des Fürstenhauses an die Landschaft verpflindete Ämter an die Fürsten zurückfallen - wurde jedoch bereits 1606 vollzogen. Dies lag in der Hoffhung der Fürsten begründet, den Abbau der Schuldenmasse in kleineren Landesteilen besser realisieren zu können als unter einer gemeinsamen Verwaltung des Gesamtftlrstentums. Anhalt zerfiel in der Folgezeit in vier Teilftlrstentümer mit den Residenzen Bernburg, Dessau, Köthen und Zerbst. Die durch die Teilung entstandenen Ungleichheiten in bezug auf Größe und Wert der Teilftlrstentümer sollten durch jährliche Ausgleichszahlungen behoben werden. Der dritte der filnf überlebenden Söhne Joachim Ernsts, August, der noch 1603 auf einen eigenen Landesteil gegen eine entsprechende Abfmdung verzichtet hatte,6 erhielt 1611 auf eigenen Wunsch und vielfaches Drängen hin die Herrschaft über das Schloß und Amt Plötzkau. Obwohl gemäß den brüderlichen Erbteilungsverträgen von 1603/06 die innere Verwaltung der Teilfllrstentümer grundsätzlich den einzelnen Fürsten vorbehalten blieb, wurden einige besondere Rechte der Gesamtung von der Teilung ausgenommen und weiterhin gemeinschaftlich ausgeübt. Dies betraf unter anderem das Landschaftswesen, die Landsteuern, die Bergwerke, die Rechtsansprüche des Gesamthauses, das Gesamtarchiv, das Zerbster Gymnasium illustre sowie den bis 1669 existierenden Landbesitz der Gesamtung. 7

4 Zur Geschichte des Fürstenhauses der anhaltischen Askanier insgesamt vgl. Wäschke, Fürstenhaus und Mantzke. 5 Vgl. hierzu und zum Folgenden Wäschke, Anhaltische Geschichte, S. 1-20; Klinsmann, S. 11-23. Die Teilungsverträge vom 30.6. [/10.7.] 1603 und 18. [/28.]5. 1606 sind gedruckt in: Codex Anha/tinus minor, S. 61-70. 6 Fürst August erhielt neben einer Geldsumme von 300.000 T1rn. auch das Recht filr sich und seine Erben, im Falle des Aussterbens eines der Fürstenhäuser seiner Brüder die dortige Nachfolge antreten zu dürfen, was beim Aussterben der Linie Anhalt-Köthen 1665 auch tatsächlich erfolgte. Hierzu und zum Problem von Apanage und Parage allgemein vgl. Wi//oweit, Rechtsgrundlagen, S. 136 f. 7 Zu Seniorat und Gesarntung vgl. Wäschke, Anhaltische Geschichte, S. l3 ff.; K/insmann, S. 19-31. In diesem Zusammenhang ist besonders darauf hinzuweisen, daß die reichsunmittelbare Abtei Gernrode, die de facto seit den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts von den anhaltischen Fürsten in ihr Fürstentum inkorporiert worden war, zum Landbesitz der Gesarntung, zu den sogenannten Senioratsgütern gehörte. Zur rechtlichen Stellung Gernrades vgl. J. J. Moser, Staats-Recht, S. 253-261; Hans K. Schulze, Gernrode, S. 51 und 89; Klinsmann, S. 22 f.

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IV. Die doppelte Aufgabe

Die Wahrung der Interessen des Gesamthauses oblag dem jeweils ältesten Fürsten8, dem sogenannten Senior, dessen Rechte im Senioratsrezeß von 1635 definitiv fixiert wurden. Im Einverständnis mit den übrigen anhaltischen Fürsten sollte der Senior alle das Gesamthaus betreffenden Fragen und Angelegenheiten erledigen, was ihm insgesamt gesehen faktisch eine gewisse Vorrangstellung gegenüber den anderen Teilftlrsten einräumte.9 Da das Jahr 1582 als Normaljahr ft1r die Festlegung der Stimmenverteilung auf dem Reichstag galt und Anhalt zu diesem Zeitpunkt unter Fürst Joachim Ernst vereinigt war, besaßen die anhaltischen Fürsten nur eine Virilstimme sowie eine weitere Stimme ft1r das Stift Gernrode. Diese Stimmen wie auch das Votum auf den obersächsischen Kreistagen filhrte nominell der Senior, der ft1r seine Tätigkeit im Dienste des Gesamthauses bestimmte Vergütungen erhielt. Für Anhalt anfallende Kosten, etwa Reichslasten oder Aufwendungen fiir die Zusammenkünfte aller Teilfilrsten, zahlte er aus den Einkünften des Landbesitzes der Gesamtung, den Senioratsgütern. Das Beispiel der anhaltischen Senioratsverfassung ist, wie Paula Sutter Fichtner gezeigt hat, in vielerlei Hinsicht typisch ft1r die in den Erbfolgeregelungen protestantischer Reichsterritorien des 16. und frOhen 17. Jahrhunderts feststellbare Tendenz, den Übergang vom Teilungsprinzip zur Primogenitur vergleichsweise zögernd zu vollziehen. Dahinter stand zum einen das ausgeprägte Bedürfnis, keinen der rechtlich prinzipiell gleichgestellten männlichen Nachkommen zurückstellen zu wollen, 10 zum anderen die Tatsache, daß die protestantischen Herrscher im Unterschied zu katholischen Dynasten weit weniger darauf zurückgreifen konnten, ihren nachgeborenen Söhnen durch den Erwerb kirchlicher Würden feste Einnahmequellen zu sichern. 11 Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg sollte es in Anhalt wie in anderen evangelischen Territorien in der Frage der Einfilhrung der Primogenitur zu wesentlichen Veränderungen kommen. 12

8 Vgl. hierzu die Problematisierung ebd., S. 22. So kam es z. B. im Jahre 1718 unter den anhaltischen Fürsten zu einem Streit in der Frage, ob der älteste unter den lebenden anhaltischen Fürsten - in diesem Fall der apanagierte Prinz Johann Adolf zu Zerbst oder der älteste unter den regierenden Fürsten das Seniorat erhalten soll. Der "ältestregierende" Fürst konnte sich durchsetzen. Vgl. J. J. Maser, Staats-Recht, S. 104107. 9 Der Senioratsrezeß vom 15. (/25.]4. 1635 ist u. a. gedruckt in: Codex Anhaltinus minor, S. 106-114, und Hermann Schulze, Hausgesetze, S. 35-43. 1 Fichtner, besonders S. 22 f. In Ergänzung zur Studie Fichtners sind filr den Zusammenhang von Teilungsprinzip, Seniorat und Primogenitur nach wie vor die Beiträge in dem in Zusammenarbeit mit Helmut Neuhaus von Johannes Kunisch herausgegebenen Sammelband "Der dynastische Fürstenstaat" aufschlußreich. 11 Fichtner, S. 58 f. 12 Vgl. Kapitel VIII. La dieser Arbeit.

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Auch im Bereich des Landschaftswesens, das der Gesamtung zugeordnet war, nahm der Senior des anhaltischen Fürstenhauses eine gewichtige Position ein. 13 Ihm, dem Oberdirektor der Landschaft, unterstand der ftlhrende Repräsentant der Landstände, der adlige Unterdirektor, der gemeinsam mit dem engeren und größeren Ausschuß die Interessen der ständischen Seite vertrat. 14 Nach dem Tod des Seniors Johann Casimir von Anhalt-Dessau hatten die anhaltischen Fürsten zunächst Überlegungen angestellt, das Seniorat vom Oberdirektorium zu trennen, ohne sich aber letztlich zu einer derartigen Änderung der Senioratsverfassung zu entschließen. 15 Dem engeren Ausschuß gehörten der Unterdirektor, drei adlige Landräte und vier Bürgermeister der Residenzstädte Bemburg, Dessau, Köthen und Zerbst an, wohingegen der größere Ausschuß aus zwölf Adligen und je zwei Bürgermeistem aus jeder Residenzstadt bestand. 16 Neubesetzungen der Stelle des Unterdirektors und der Ausschußstellen erfolgten nach Vorschlägen der ständischen Ausschüsse und mit Zustimmung der Fürsten. Zur Erledigung der anfallenden Aufgaben standen der Landschaft mit dem Landrentmeister, dem Landsyndikus, dem Landrentboten und dem Landrentschreiber eigene Beamte zur Verftlgung. 17 Das Forum, auf dem die Landstände -Prälaten, Ritterschaft und Städte 18 - ihre politischen Forderungen artikulieren konnten, waren die Landtage, die jedoch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts weitgehend durch die Landrechnungstage ersetzt wurden. Diese waren in erster Linie zur Abnahme der Landschaftsrechnungen gedacht. Da auf ihnen nur

13 Zum Folgenden und zur nur in Ansätzen erfolgten Erforschung der Geschichte der anhaltischenStände insgesamt vgl. die ältere Studie von H Lenz, Landständische Verfassung. Vgl. auch die auf der Basis gedruckter Quellen entstandene neuere Arbeit von Krosigk. Siehe ferner die aus dem 18. Jahrhundert stammendenungedruckten Darstellungen von G. F. Richter, Landschaftliche und Steuer Verfaßung (LA Magd. mscr. 170), sowie von A. Müller, Geschichte der Landstände (Anhaltische Landesbücherei Dessau, Wiss. Bibi. u. Sondersammlungen). Neuere Überblicke über die Entwicklung und den Stand der Ständeforschung finden sich z. B. bei: Moraw, Stand und Perspektiven; Endres, S. 11 0-115; Stieglitz, S. 1-10. 14 Eine Aufstellung der Unterdirektoren findet sich bei G. F. Richter, Landschaftliche und Steuer Verfaßung (LA Magd. mscr. 170), S. 8, und im LAO Abt. Dessau B 1 Nr. 1, fol. 1. 15 Vgl. die Aufzeichnungen des Fürsten Victor Amadeus von Anhalt-Bemburg LAO Abt. Bemburg A 9 b Nr. 19, fol. 8. 16 J. J. Moser, Staats-Recht, S. 194. Beispiele aus der Regierungszeit Johann Georgs fiir das Verfahren bei der Neubesetzung der Steile des Unterdirektors sowie der Ausschußsteilen im LAO Abt. Dessau B 2 a Nr. 7. 17 Dazu ausruhrlieh G. F. Richter, Landschaftliche und Steuer Verfaßung (LA Magd. mscr. 170), S. 15-29. 18 Lindner, S. 114, zufolge wurde zu den Prälaten ursprünglich wahrscheinlich die gesamte Geistlichkeit gezählt; später schränkte sich dies auf das Stift Gemrode, die Deutschordenskommende Buro und die Propstei Wörlitz ein. Schon seit Ende des 16. Jahrhunderts nahmen die Prälaten nicht mehr an den Landtagen teil. H Lenz, Landständische Verfassung, S. 108.

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die beiden ständischen AusschUsse mit den fllrstlichen Deputierten konferierten, erforderten sie weit weniger Aufwand und verursachten geringere Kosten als Landtage. Während der Regierungszeit Johann Georgs fand nur noch ein Landtag, im Jahre 1687, statt. Schon zum Zeitpunkt seines Regierungsantritts besaßen die anhaltischen Landstände nicht mehr die starke Machtstellung, die sie im ausgehenden 16. und frOhen 17. Jahrhundertaufgrund der Angewiesenheit der Fürsten auf ihre Steuerhilfe errungen hatten. Wie in anderen Reichsterritorien auch hatte die hohe Verschuldung der anhaltischenFürsten im 16. Jahrhundert dazu geftlhrt, daß die Abtragung der Schuldenlast Sache des ständisch dominierten sogenannten Schuldenwerkes wurde, "gleichsam eine Zentralstelle fllr Einnahmen und Ausgaben, deren Befugnis Ober das alte Steuerbewilligungsrecht der Stände beträchtlich hinausging" 19• Die ruinösen Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges ließen jedoch die geplante Schuldentilgung scheitern. "Die Schere zwischen Schuldenlast und Einkünften tat sich weit auf- damit aber waren die wirtschaftlichen Voraussetzungen eines starken Ständetums am Ende."20 Angesichts der wachsenden Verschuldung und der Notlage des Landes sahen sich die Stände auf dem Landtag von 1652 veranlaßt, einer grundsätzlichen Neuordnung des Schuldenwesens beizupflichten? 1 Die fllrstlichen Schulden in Höhe von 500.000 Tim. wurden als allgemeine Landesschulden übernommen und auf die Ritterschaft, die ritterschaftliehen Hintersassen, die Städte und die fllrstlichen Amtsuntertanen verteilt. Die auf sechs Prozent von dem jeweils übernommenen Schuldenbetrag festgelegten jährlichen Zinsen sollten künfig den Steueranteil bilden, so daß die Steuern nun faktisch zu einer Dauereinrichtung wurden, bis jeder Stand seine Schulden getilgt hatte. 22 Der jährliche Steueranteil AnhaltDessaus betrug dabei rund 5.460 Tlr., wobei die Amtsuntertanen mit 2.294 und die Städte mit 2.203 Tim. die Hauptlast zu tragen hatten. 23 Ob und in welchem Maße mit dieser grundlegenden Regelung des Jahres 1652, die in der anhaltischen Geschichtsschreibung zugespitzt als machtpolitische Selbstausschaltung der Stände bewertet worden ist/4 zugleich ein Weg beschritten wurde, der zu Hoppe, Ludwig 1., S. 136. Press, Formen des Ständewesens, S. 301. Diese territorienübergreifend getroffene Feststellung Press' läßt sich auch auf die Verhältnisse in Anhalt übertragen. 21 Der Landtagsabschied von 1652, die kaiserliche Bestätigung sowie die Nebenrezesse sind gedruckt in: Codex Anhaltinus minor, S. 119-161. Die Regelung des Schuldenwesens wurde im § 171 des JRA 1654 bekräftigt. Laufs, S. 82. 22 Die Betroffenen konnten sich durch die Tilgung ihres Schuldenanteils steuerfrei machen. 23 Diegenauen Zahlen finden sich im LAO Abt. Dessau B 2 a Nr. 87m, fol. 19 f. 24 So z. B. bei H. Lenz, Landständische Verfassung, S. 105; Krosigk, S. 69, und Thomas, S. 49. Nach Press zählt Anhalt dagegen zu den Territorien, "in denen die Stände ihren Einfluß in hohem Maße in das 18. Jahrhundert retten konnten". Press, Kriege und Krisen, S. 334. Der letzte Landtag in Anhalt fand im Jahre 1698 statt. 19

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einem dem Selbstverständnis und der tatsächlichen Politik nach als absolutistisch zu bezeichnenden Regiment der anhaltischen Fürsten fiihrte, sollte sich in dem halben Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden noch zeigen. In Fragen der sogenannten Gesamtung fielen im ersten Jahrzehnt nach dem Regierungsantritt Johann Georgs II. von Anhalt-Dessau grundlegende rechts-, verfassungs-und verwaltungspolitische Entscheidungen. Als Fürst Wilhelm Ludwig von Anhalt-Köthen im April 1665 starb, ohne einen männlichen Erben zu hinterlassen, fiel das Fürstentum Anhalt-Köthen gemäß den Bestimmungen des Teilungsvertrags von 1603 an die beiden Söhne des im Jahre 1653 verstorbenen apanagierten Fürsten August von AnhaltPlötzkau, Lebrecht und Emanuel.25 Das Amt Plötzkau, das Christian I. von Anhalt-Bemburg August überlassen hatte, fiel wieder an die beiden Semburger Linien zurück - inzwischen war die Nebenlinie Anhalt-Bemburg-Harzgerode entstanden. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung gelangten die anhaltischen Fürsten am 2. Juli 1665 zu einer Übereinkunft in der Frage, wie zukünftig beim Aussterben einer der fllrstlichen Linien zu verfahren sei. Es wurde beschlossen, daß das Erbe in einem solchen Fall zur "Verhüthung aller etwa entstehender auch Künffi:igen Widrigkeiten"26 unter den verbleibenden drei Linien gleichmäßig aufgeteilt werden sollte, wobei der Senior des Gesamthauses den Landesteil der ausgestorbenen Linie so lange in Besitz nehmen und verwalten sollte, bis perLosentscheid ein Vergleich der Erben über die Teilung zustande kam. Auch im Falle des Aussterbens einer weiteren Linie sollte dieses Verfahren der Teilung und "Successio in lineas" befolgt werden. Somit blieb die Möglichkeit der Wiederherstellung eines einheitlichen Fürstenhauses grundsätzlich gewahrt. 27 Auch die Senioratsverfassung wurde noch im ersten Regierungsjahrzehnt Johann Georgs wesentlich verändert. Der Rezeß vom 3. Mai 1669 trug der Tatsache Rechnung, daß die seit der Landesteilung von 1603/06 praktizierte Übertragung der Nutzungsrechte bestimmter Güter auf den Senior, der davon gemäß den Senioratsbestimmungen einige der Gesamtungs-Kosten zu tragen hatte, aufgrund der "stets umwechselnden Administration und nur Zeit Lebens zustehende[n] Geniessung"28 in wirtschaftlicher und administrativer Hinsicht nach25 Hierzu und zum Folgenden Lindner, S. 109 f.; Wäschke, Anhaltische Geschichte, S. 107; Thomas, S. 50. Der Sukzessionsvertrag vom 22.6. [/2.7.] 1665 sowie die kaiserliche Bestätigung vom 23.9. 1666 sind gedruckt bei Hermann Schulze, Hausgesetze, s. 43-47. 26 Ebd., S. 44. 27 In der Tat wurde Anhalt im Jahre 1863 nach dem Aussterben der Zerbster, Köthener und Semburger Linie wieder ein vereinigtes Fürstentum. 28 Hermann Schulze, Hausgesetze, S. 48; der gesamte Rezeß ebd., S. 47-60; auch gedruckt in: Codex Anhaltinus minor, S. 161-173. Vgl. zum Folgenden auch Wäschke, Anhaltische Geschichte, S. 108.

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teilig war. Spätestens seit den frühen sechziger Jahren war daher eine Aufteilung der Senioratsgüter unter den einzelnen Teilftlrstentümern im Gespräch, was besonders auch von Johann Georg getbrdert wurde. 29 Dies lag in den territorialpolitischen Absichten des Dessauer Fürsten begründet. 30 Im Jahre 1666 hatte Johann Georg das Amt Großalsleben, eine abgelegene Exklave, die ursprünglich zu den Senioratsgütern gehörte und die er gegen Zahlung von 32.000 Tim. im gleichen Jahr erworben hatte, in einem Kauf- und Tauschvertrag der Kurrurstin von Brandenburg überlassen. Daftlr waren ihm von Kurftlrst Friedrich Wilhelm, der gemäß den Bestimmungen des Westfälischen Friedens die Anwartschaft auf das säkularisierte Erzstift Magdeburg besaß,31 ftlr den Fall des Übergangs des vormaligen Erzstifts an Kurbrandenburg die im Magdeburgischen gelegenen Rittergüter der Herren von Krosigk zu Seesen und Alsleben an der Saale zugesichert worden. Als sich die anhaltischen Fürsten 1669 zur Teilung der übrigen Senioratsgüter entschlossen, wurde der Verkauf Großalslebens an Johann Georg und damit auch dessen vertragliche Vereinbarung mit Kurbrandenburg bestätigt. Ferner wurde das Stift Gernrode an den Senior des Hauses, Fürst Friedrich von Anhalt-Bernburg-Harzgerode, verkauft. Der Gernrodische Hof zu Bernburg kam an Anhalt-Bernburg und die Grafschaft Mühlingen an Anhalt-Zerbst. Anhalt-Köthen erhielt eine Ausgleichszahlung. Das von den einzelnen Fürsten ftlr den Erwerb der SenioratsgUter aufgebrachte Kapital sollte so angelegt werden, daß dem Senior ein jährlicher Zinsertrag von etwa 4.800 Tim. zur Bestreitung seiner Ausgaben ftlr das Gesamthaus ausgezahlt werden konnte. Im Bereich der Rechtsprechung und Justizverwaltung erfolgte mit der im Jahre 1666 erlassenen Landes- und Prozeßordnung ebenfalls eine wichtige Neuregelung in den anhaltischen Fürstentümern. Sie verstand sich als Erneuerung und Verbesserung der 1572, also in der kurzen Phase der Wiedervereinigung der anhaltischen Fürstentümer unter Joachim Ernst, erschienenen Landes- und Prozeßordnung, die in der anhaltischen Geschichte des 16. Jahrhunderts eine wichtige Zäsur darstellte: "Mit dieser kodifikatorischen Generalinitiative, die ftlr fast alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens Normen setzte, dem alten ,gefundenen' Recht ein aus ftlrstlicher Gebotsgewalt ,gesetztes' Recht zur Seite stellte"32, war Anhalt der Tendenz vieler frühneuzeitlicher Reichsterritorien ge29 Vgl. die Instruktion fiir den zum Landrechnungstag abgeordneten Dessauer Rat und Kanzleidirektor Georg Hermann vom 21. [/31.]3. 1661 LAO Abt. Dessau B 2 a Nr. 47, fol. 47; vgl. ferner die Instruktion fiir denselben sowie August Milagius vom 12. [/22.]10. 1665 fiir den Landrechnungstag zu Köthen LAO Abt. Dessau B 2 a Nr. 48, fol. 76. 30 Zum Kauf und Tausch von Großalsleben siehe ausruhrlieh Kapitel V1.3.a dieser Arbeit. Dort sind auch die entsprechenden Quellenbelege angefiihrt. 31 IPO Art. XI§ 6. Konrad Müller, Instrumenta Pacis Westphalicae, S. 143. 32 Hoppe, Ludwig I., S. 134.

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folgt, die fUr alle Untertanen verbindlichen Verordnungen und Gesetze sowie die ihnen zukommenden Rechte zu vereinheitlichen und zu veröffentlichen. 33 Über die direkten Ursachen, die die Fürsten zur Revision der Ordnung von 1572 bewogen, gibt die Einleitung der Neufassung von 1666 Aufschluß: Die Erfahrung habe gezeigt, daß die alte Landes- und Prozeßordnung "in etlichen Dingen allzu enge gefasset, inbesonderheit, so viel die Gerichtliche Processe anreichet: danneoher es dahin kommen, daß in den Gerichten ungleiche Art zu handeln eingefUhret, und denen zancksüchtigen Partbeyen und Advocaten, Gelegenheit gegeben worden, sich ihrer unbilligen verschleiffungen der Sachen desto besser zugebrauchen"34 • Auch wenn mit der Neuordnung von 1666 keine zentrale Gerichtsorganisation fUr das Gesamtftlrstentum konstituiert wurde, waren nun immerhin bestimmte Normen vorhanden, die in allen Teilfilrstentümern Gültigkeit besaßen, so daß "in mancher Hinsicht Anhalt gerichtlich als ein Land erscheinen konnte"35• Im Verhältnis zu den Ständen trat filr Johann Georg und die anderen anhaltischen Fürsten in den sechziger Jahren ein Problem auf, das auch in den nächsten Jahrzehnten ein ständiger Streit- und Reibungspunkt bleiben sollte. 36 Den Hintergrund bildetete die traditionelle Forderung der Ritterschaft nach Schutz ihrer Immunitäten, Freiheiten und Gerechtigkeiten. Im Landtagsrezeß von 1652 waren diejenigen "casus reservati" festgelegt worden, in denen die Ritterschaft grundsätzlich bereit war, zusätzlich zur Landsteuer weitere Steuern zu zahlen. Dies betraf die sogenannten Reichs-, Kreis- und Türkenhilfen, Reichssteuern und den Fall, daß ein anhaltischer Fürst in Gefangenschaft geriet und seine Freilassung erkauft werden mußte. 37 Von allen anderen Steuern, etwa zur Ausstattung der filrstlichen Prinzessinnen, und besonders von allen Durchzugs- und Einquartierungskosten sollten die Adelsgüter befreit bleiben. Im Jahre 1661 entstand nun zwischen der Ritterschaft und den Städten ein Rechtsstreit in der Frage, wer filr die Kosten aufkommen müsse, die der vorausgegangene Zug kaiserlicher Truppen durch Anhalt verursacht hatte. Die Positionen waren klar verteilt. Die Städte Bernburg, Dessau und Köthen protestierten gegen die Exemtion des Adels. Auch die Ritterschaft müsse sich, so argumentierten die Vertreter der Städte, an den Durchzugskosten beteiligen, da diese "so wohl dem adell alß dem burger undt Bauer ohne unterscheit betreffen"38• Dagegen berief Vgl. hierzu die grundsätzlichen Überlegungen bei Hartung, S. 64 ff. Erneuerte und Verbesserte Landes- und Proceßordnung, S. 3 f. 35 Klinsmann, S. 81. Zur Bedeutung der Landes- und Prozeßordnung von 1666 als Instrument der Sozialdisziplinierung vgl. das folgende Kapitel. 36 Zum Folgenden vgl. Grundfeste der Anhaltischen Landes- und Steuer-Verfassung, S. 15 f., 28-31, 40 ff., und das wichtige Gutachten Freybergs vom 10. [/20.] 12. 1676 ebd., S. 46-54. Vgl. ferner die Akten LAO Abt. Dessau B 2 a Nr. 3. 37 Codex Anhaltinus minor, S. 133. 38 LAO Abt. Dessau B 2 a Nr. 3, fol. 19. 33

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sich die Ritterschaft auf den Landtagsschluß von 1652 und zeigte keine Bereitschaft, einen Teil der Aufwendungen zu übernehmen. Sie vertrat die Auffassung, daß grundsätzlich keine Steuern ohne landtagliehe Bewilligung erhoben werden durften, und betonte, daß die bisherigen Steuerzahlungen der Ritterschaft keineswegs verpflichtend waren, sondern allesamt freiwillig erfolgt seien. Zudem dürften die Adelsgüter keinesfalls mit den Gütern der schatzpflichtigen Untertanen gleichgesetzt werden: "Es weiß ein jedennann, daß ein verannter Bürger oder Bauer viel ehender zu einem Stücke Brodt wieder kömmet, als etwan einer durch Gottes Verhllngniß, oder aber durch diese obangezogene augenscheinliche ruinirende Schatzungs= und Contributions=Wege von seinem Inventario und allen Lebensmitteln beraubter Edelmann; und eben deswegen ist der Adel und andere Stände von solchen Schatzungen, durch die Gewohnheit und löbliche Satzungen befreyet worden; Zudem so ist es auch der Hochfilrstl[ichen] Herrschaft nicht weniger, als seinen annen Hintersassen und also dem ganzen Lande sehr nachtheilig, wenn etliche oder alle adeliehe Einwohner abennahls dergestalt ruiniret und ins Verderben gestürzet werden sollten; Wie kann ein solcher seinen Fürsten zu Ehren aufwarten, wie kann er seine Kinder standesmäßig erziehen, oder wie kann er seinen durch die Schatzungen ausgesogenen Hintersassen wieder autbelfen?"39

Entscheidend fllr den Fortgang des Streits war die Frage, ob die Durchzugskosten als allgemeine Reichshilfe zu werten waren. Hier standen die Auffassungen der Ritterschaft und der Städte in direktem Gegensatz. Während die Städte die Frage bejahten, lehnte der Adel diese Auffassung strikt ab. Eine befriedigende Klärung dieses Streits erfolgte zunächst nicht. Die Stellungnahme der Fürsten war erkennbar davon geprägt, daß man die traditionellen Privilegien des Adels und die Bestimmungen des Rezesses von 1652 grundsätzlich nicht antasten wollte.40 Der Protest der Städte konnte sich daher nicht durchsetzen. Daß die in dieser Frage demonstrierte adelsfreundliche Haltung der Fürsten, Johann Georg eingeschlossen, keine Entscheidung prinzipieller Art war, sollte sich unter dem zunehmenden fmanziellen Druck der nächsten Jahrzehnte und auch im Rahmen der Tätigkeit des Dessauers als Statthalter der Kur und Mark Brandenburg noch zeigen. Während es insgesamt betrachtet aufgrund der spärlichen Quellenzeugnisse schwierig ist, den genauen Anteil zu ermitteln, den Johann Georg an den bisher geschilderten Vorgängen im Bereich der Gesamtung während der sechziger Jahre hatte, läßt sich seine Rolle in einem weiteren Streit, der ebenfalls das anhalti39 Aus dem Gutachten Freybergs vom 20.12. 1676 in: Grundfeste der Anhaltischen Landes- und Steuer- Verfassung, S. 52. 40 Vgl. z. B. die Erklärung, die die Dessauer Regierung Ende 1662 im Namen Johann Georgs den anderen anhaltischen Fürsten übennitte1te und in der betont wurde, daß die Immunitäten und Freiheiten, die dem Adel gemäß dem Landtagsbeschluß zukamen, beibehalten werden sollen. Dessauer Regierung an die Fürsten von Anhalt, Dessau 13. [/23.]12. 1662 LAO Abt. Dessau B 2 a Nr. 3, fol. 35 (Konz.).

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sehe Gesamthaus und in besonderem Maße den Dessauer Landesteil betraf, sehr viel genauer bestimmen. Es handelte sich dabei um die Auseinandersetzung des Fürsten mit Christian von Aribert, dem letzten Angehörigen der einzigen Nebenlinie in Anhalt-Dessau. 41 Dessen Vater, Fürst Georg Aribert, der einzige noch lebende Bruder Fürst Johann Casimirs, hatte 1632 unter anderem das Amt Wörlitz als Anteil erhalten. Nach seinem Tod kam es zum Streit zwischen seinem Sohn Christian und der Dessauer Hauptlinie. Ursache hierftlr war der Versuch Christians, einen vom Kaiser konfirmierten Vergleich anzufechten, den sein Vater 1637 mit den artbaltischen Fürsten geschlossen hatte. Fürst Georg Aribert hatte sich im März des Jahres mit Johanna Elisabeth von Krosigk verheiratet, was von den übrigen artbaltischen Fürsten als unstandesgemäß angesehen wurde. Sie erkannten in dem vorab geschlossenen Vergleich die Ebenbürtigkeit der Gemahlin und zukünftigen Kinder Georg Ariberts nicht an. Diese sollten nicht in den Fürstenstand erhoben werden und sich "von Aribert" nennen. Mit seinen Protesten gegen diese Bestimmungen stieß Christian bei den Anhalter Fürsten auf erheblichen Widerstand. Sie lehnten seine Bestrebungen, den Vertrag von 1637 aufheben zu lassen und somit in den Fürstenstand zu gelangen, entschieden ab. 42 Der Streit spitzte sich zu, als Johann Georg nach seinem Regierungsantritt daran ging, das Amt Wörlitz zu erwerben. Die finanziellen Möglichkeiten dazu ergaben sich aus der Mitgift Henriette Catharinas: In den Ehevertrag von 1658 war aufgenommen worden, daß die oranische Prinzessin die 40.000 Tlr., die ihr gemäß den testamentarischen Bestimmungen ihres Vaters zustanden, zum Erwerb von gewinnversprechenden Gütern verwenden sollte. 43 In dem erwähnten Vertrag mit Georg Aribert aus dem Jahre 1637 war festgelegt worden, daß das Amt Wörlitz nach dessen Tod durch Einzahlung von 45.000 Tim. bei der Landschaft wieder von der regierenden Linie in Dessau eingelöst werden konnte. Die Zinsen dieses Kapitals sollten filr die jährliche Pension seiner männlichen Nachkommen verwendet werden. Als Johann Georg nun im März 1662 nach Hinterlegung der erforderlichen Summe die Witwe Georg Ariberts ultimativ aufforderte, Wörlitz zu räumen, weigerte sie sich zunächst, mußte aber schließlich doch weichen, da der Dessauer Fürst durch seine Abgeordneten von Wörlitz förmlich Besitz ergriffen und sie somit vor vollendete Tatsachen gestellt hatte. 41

Vgl. hierzu Beckmann, Historie III/3, S. 399 f., und J. J. Maser, Staats-Recht,

s. 25-36.

42 Wie so viele andere Reichsfiirsten mußten auch die anhaltischen Fürsten ein Interesse an der Aufrechterhaltung der bestehenden hierarchischen Prinzipien der Reichsverfassung haben, wenn sie ihre Stellung gegenüber den nichtregierenden SekundogeniturLinien und den neu gefiirsteten Häusern behaupten wollten. Vgl. in diesem Zusammenhang Schindling, Westfälischer Frieden, S. 141. 43 Die Einverständniserklärung ihrer Mutter Amalie im LAO Abt. Dessau C 7 b Nr. 61 , fol. 2 ff.; zur Einlösung von Wörlitz vgl. auch Kleinschmidt, Episoden, S. 104.

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Besondere Brisanz hatte der Streit um die von Christian von Aribert angestrebte Standeserhöhung dadurch angenommen, daß dieser in der Zwischenzeit am Kaiserhof Fürsprecher gewonnen hatte, so daß die Sache schließlich sogar vor den Reichshofrat gelangte: "Undt ist wohl zu beklagen, das Reichsfilrsten ohne alle ursach dergleichen hartte proceduren müßen gewertig sein, undt zwar zuweilen wieder I.K.M. gnädigsten wißen undt wollen"44, schrieb Johann Georg in dieser Angelegenheit im Juli 1663 an den kaiserlichen Obersthotmeister Johann Ferdinand von Portia. Die Art und Weise, wie Johann Georg versuchte, den Bestrebungen Christians entgegenzuwirken, ist nicht nur filr den weiteren Verlauf des sich über ein gutes Jahrzehnt erstreckenden Streits von Bedeutung. Sie gewährt zugleich auch einen grundsätzlichen Einblick in die politischen Möglichkeiten, die sich ihm infolge seiner weitverzweigten Kontakte bei der Durchsetzung seiner Interessen boten. Zunächst ist bemerkenswert, daß es dem Dessauer Fürsten gelang, seinen brandenburgischen Dienstherren filr sein Anliegen zu gewinnen. So teilte der Kurfilrst dem Kaiser zum Beispiel im März 1660 wie auch wiederholt in späteren Jahren mit, daß er Johann Georg, der "seine sonderbahre devotion gegen E[ure] Kayserl[iche] M[aje]st[ät] und großen eifer filr daß gemeine Interesse in der that und würcklich bezeuget"45 , in der von Aribertschen Angelegenheit unterstütze. Dadurch sah sich der Dessauer Fürst in die Lage versetzt, auch den personellen Apparat, der Friedrich Wilhelm zur VerfUgung stand, filr seine Interessen zu instrumentalisieren. Der kurbrandenburgische Resident in Wien, Andreas Neumann, dessen Geneigtheit der Dessauer durch Übersendung eines Präsents zu verstärken verstanden hatte, wurde beauftragt, am Kaiserhof zugunsten Johann Georgs Einfluß zu nehmen. 46 Außerdem konnte der Fürst seit der Einberufung des Regensburger Reichstages 1663 den dortigen Abgesandten Anhalts dazu einsetzen, im Sinne einer filr ihn akzeptablen Regelung zu wirken. Auch die kursächsischen und kurbrandenburgischen Reichstagsgesandten wurden mit der Bitte um Kooperation angeschrieben.47 44 Jobarm Georg an Portia, (eh) Königsberg 3.7. 1663 HHStAW, RK Kleinere Reichsstände (Anhalt) Fasz. 7 (Konv. 1-79 (1=3fach)), fol. 72. Auch den späteren kaiserlichen Abgesandten in Berlin, Goes, bat Johann Georg darum, ihn im Prozeß gegen Christian von Aribert zu unterstützen. Vgl. Kaiser Leopold I. an Goes, Wien 29.2. 1668 HHStAW, RK Diplomatische Akten Berlin (Preußen), Weisungen Fasz. 1 b (Konv. Weisungen 1668), fol. 11 f. (Konz.). Zum Prozeß am Reichshofrat vgl. die Akten HHStAW, RHR Decisa Kart. 148. 45 Das von Johann Georg unterzeichnete Konzept des Briefes Kfst. Friedrich Wilhelms an den Kaiser, Cölln an der Spree 14. [/24.]3. 1660 findet sich im GStA PK, I. HA Rep. II , 1-18 Anhalt Nr. 39 C, fol. I f. 46 Vgl. Johann Georg an Neumann, Königsberg 4.1. 1663 LAO Abt. Dessau A 17 Nr. 12, fol. 134 (Konz.). Am 4./14.7. 1663 bedankte sich Neumann aus Wien filr das Präsent Johann Georgs. Ebd., fol. 150 f. 47 Johann Georg an den anhaltischen Gesandten in Regensburg, Cölln an der Spree 16. [/26.)2. 1664, ebd., fol. 137 (Konz.). Ebd., fol. 138 und 142 Konzepte s.l.e.a.

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Ein besonderes Interessengeflecht ergab sich durch Johann Georgs Kontakte zu einzelnen Diplomaten des Kaisers. Während diese daran interessiert waren, in der Umgebung des Kurftlrsten eine habsburgerfreundliche Partei zu etablieren, die politischen Einfluß im Sinne der Intentionen Wiens ausübte, konnte der Fürst seine Dienste zur Betbrderung der Ziele des Kaisers anbieten, in der Erwartung, im Gegenzug ein Entgegenkommen der Hofburg in Fragen der anhaltischen Politik zu erreichen. Sein Briefwechsel mit Portia aus dem Jahre 1663 ist ein typisches Beispiel filr eine solche am Prinzip des "do ut des" orientierte Vorgehensweise des Dessauers: Er versprach Portia, das gute Einvernehmen zwischen dem Kurftlrsten und dem Kaiser befördern zu helfen, nicht ohne anschließend die Hoffnung auszusprechen, daß sich der kaiserliche Minister filr ihn in der von Aribertschen Sache beim Reichshofrat einsetzen werde.48 Nach langwierigen Verhandlungen kam es endlich am 16. Februar 1671 unter Vermittlung des Herzogs Ernst von Sachsen-Gotha zu einem Vergleich, in dem Christian von Aribert der Titel "Graf zu Bähringen, Herr zu Waldersee und Radegast" zugestanden wurde. Der Erwerbung einer nichtanhaltischen Fürstenwürde filr Christian wollten die anhaltischen Fürsten nicht entgegenstehen. Auch hinsichtlich des Streits um das Amt Wörlitz gelangte man zu einer Übereinkunft, der allerdings kein langes Leben beschieden war, denn am 24. Juli 1677 starb der Grafvon Bähringen ohne männlichen Nachkommen. Damit war seine Familie im Mannesstamm erloschen. Die Reaktion Johann Georgs auf den Tod Christians war bezeichnend und filhrt nachdrücklich vor Augen, welch hohen Stellenwert die Kategorien "Dynastie" und "Erbfolge" im Denken und Handeln eines frühneuzeitlichen Fürsten einnahmen: "[ ... ] ist vor mein hauß ein großes, das Gott diesen todes fall also geschicket und das mit dem Seel[igen] Grafen viel besorgende ungelegenheitenauffein mahl mit darnieder liegen."49 Schwerwiegendere Probleme als im Bereich der Gesamtung waren im Teilfiirstentum Anhalt-Dessau durch die Tatsache zu erwarten, daß Johann Georg infolge seiner kurbrandenburgischen Dienste häufig nicht in seiner Residenzstadt anwesend sein konnte. Die Protokolle des brandenburgischen Geheimen Rates sowie die erhaltenen Notizkalender Johann Georgs verdeutlichen, in welch großem zeitlichen Umfang der Dessauer Fürst nicht nur in den sechziger Jahren, sondern auch in den folgenden Jahrzehnten in der direkten Umgebung [wahrscheinlich ebenfalls vom 16./26.2. 1664] der Briefe an die kursächsischen und kurbrandenburgischen Abgesandten. 48 Bemerkenswert ist vor allem der Brief Portias an Johann Georg vom 6.8. 1663, in dem er darauf verweist, daß gemäß den Bestimmungen der Wahlkapitulation kaiserlicherseits nicht in die Rechtsfindung durch den Reichshofrat eingegriffen werden dürfe und könne. HHStAW, RK Kleinere Reichsstände (Anhalt) Fasz. 7 (Konv. 1-79 (l=3fach)), fol. 75 f (Abschr.). 49 Johann Georg an Kfst. Friedrich Wilhelm, (eh) Kleutsch 26.7. [/5.8.] 1677 GStA PK, I. HA Rep. 21 Nr. 136 x Bd. Ill, fol. 27.

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des Kurfürsten weilte. 50 So gehörte er zum Beispiel zu dem engen Personenkreis, der Friedrich Wilhelm in der ersten Hälfte der sechziger Jahre auf allen längeren Reisen außerhalb der Mark Brandenburg begleitete: 1660/61 sowie 1665/66 befand er sich im Gefolge des Kurfürsten in Kleve und 1662/63 in Königsberg. Längere Aufenthalte in Dessau waren in seinem ersten Regierungsjahrzehnt daher eher die Ausnahme. Statt dessen pendelte der Fürst häufig zwischen seiner Residenz und Berlin. Bei optimaler organisatorischer Vorbereitung, d. h. der Bereitstellung von frischen Pferden, konnte er diese Wegstrecke im Bedarfsfall innerhalb von zwölf Stunden zurtlcklegen.51 Zumeist machte er aber in Potsdam Zwischenstation und reiste erst tags darauf nach Berlin bzw. Dessau weiter. Der Briefwechsel zwischen Johann Georg und Friedrich Wilhelm gibt zudem Aufschluß dartlber, daß der Dessauer im Falle einer beabsichtigten Reise ins Anhaltische zumeist die ilirmliche Erlaubnis seines Dienstherren einholen mußte,52 also keinesfalls jederzeit zur Klärung eventueller Probleme in seiner Residenz zur Verfügung stand. "Es giebt alhier [in Berlin] itzo so viel zu thun, das ich nicht einmahl gedencken darff, von hier abwesendt zu sein"53 , so oder ähnlich lauteten immer wieder die Klagen des Fürsten angesichts seiner hohen Arbeitsbelastung am kurfürstlichen Hof und der geringen Wahrscheinlichkeit, wieder einmal nach Dessau kommen zu können. Bezeichnenderweise wurden die ersten vier Kinder Johann Georgs und Henriette Catharinas in Berlin geboren. Erst nach dem 1667 erfolgten Tod ihrer Schwester Louise Henriette gebar die Fürstin ihre Kinder nicht mehr am Hof des Kurfürsten, sondern in Dessau. Obwohl Johann Georg oftmals nicht in Anhalt anwesend war, bemühte er sich, seine Regierungsaufgaben als Fürst von Anhalt-Dessau nicht zu vernachlässigen. Konkrete Instruktionen fiir die mit der Regierung beauftragten Beamten sollten das administrative Procedere ftlr den Fall seiner Abwesenheit regeln.54 Zusätzlich sollte ein intensiver Schriftwechsel mit den in Dessau hinter50 Bis zum Jahre 1666 sind die Protokolle ediert. Meinardus, hier Bde. VI und VII/I. Für den Zeitraum von 1668 bis zum Tod Johann Georgs im Jahre 1693 vgl. die Protokolle im GStA PK, I. HA Rep. 21-127 Nr. 31-41. 51 Vgl. Johann Georg an Kfst. Friedrich Wilhelm, (eh) Cölln an der Spree 6. [/16.]11. 1668 GStA PK, I. HA Rep. 11, 1-18 Anhalt Nr. 39 D, fol. 29. 52 Beispielhaft für viele solcher Gesuche, die vom Kurfürsten in der Regel nicht abgelehnt wurden, sei an dieser Stelle der in der vorigen Anmerkung angeführte Brief genannt. Die vom 22.11. (/2.12.] 1668 datierende Antwort des Kurfürsten findet sich im LAO Abt. Dessau A 9 a II b Nr. 4, fol. 35 f. 53 Johann Georg an den Hofrat Christfried Nüßler, (eh) Berlin 3. [/13.]2. 1669 LAO Abt. Dessau A 9 a II a Nr. 61, fol. 105 f. 54 "Allerdings fehlen z.Zt. noch genauere Forschungen über Art und Intensität der Verwaltung des kleinen Fürstentums, wenn das Fürstenpaar in Berlin weilte." H. Ross, Niederland, S. 43. Die anhaltische Behördengeschichte des 17. Jahrhunderts ist nach wie vor noch nicht eingehend behandelt worden. Gringmuth-Dallmer, Behördengeschichte Anhalts, S. 327. Für das frühe 17. Jahrhundert und zum "persönlichen Regi-

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lassenen Räten helfen, seine aufgrund der fehlenden Präsenz vor Ort mitunter entstehenden Informationsdefizite zu kompensieren. Zudem hatte er den Senior des Hauses, FOrst Friedrich von Harzgerode, kurz nach seinem Regierungsantritt gebeten, die Dessauer Regierung notfalls zu unterstützen.55 Daß man überhaupt daran denken konnte, das Land im wesentlichen von außerhalb zu regieren, zeugt von der Überschaubarkeit der Verhältnisse.56 Einen besonders guten Einblick in die Regierungspraxis in Anhalt-Dessau während des ersten Jahrzehnts der Landesherrschaft Johann Georgs vermitteln seine Instruktionen vom 4. Dezember 1660 und 22. Juli 1668, die beide unmittelbar vor einem geplanten längeren auswärtigen Aufenthalt des FOrsten entstanden und das verwaltungsmäßige Vorgehen während seiner Abwesenheit festlegten. 57 Gemäß diesen Verordnungen wurde die Zentralverwaltung in mehrere Klassen eingeteilt, denen jeweils personell unterschiedlich zusammengesetzte Regierungskollegien und genau bestimmte Sachgebiete zugeordnet wurden. In die erste Klasse fielen alle öffentlichen Begebenheiten, die das Gesamthaus betrafen, alles, was Gegenstand der landesfilrstlichen Hoheit war, sowie Justiz-, Kanzlei- und die geistlichen Gerichtsangelegenheiten von erstrangiger Wichtigkeit. In die zweite Klasse gehörten Justiz- und Kanzleiangelegenheiten von geringerer Bedeutung. Die dritte Klasse behandelte das Steuerwesen, und die vierte Klasse, die sogenannte Rentkammer, war filr die eigentlichen Kammerangelegenheiten vorgesehen, d. h. besonders filr die Einnahmen und Ausgaben der Ämter, auch die des Forst- und des Hofamtes, die gewöhnlich die stärksten Einnahmen zu verzeichnen hatten. 58 Während die Finanzverwaltung somit von den .Regierungsangelegenheiten der ersten und zweiten Klasse getrennt wurde, unterblieb eine vergleichbare Absonderung der Justizverwaltung. Eine fiinfte in der Instruktion von 1660 genannte Klasse, die unter anderem die

ment" Fürst Ludwigs von Anhalt-Köthen hat zuletzt Günther Hoppe eine Studie vorgelegt. Hoppe, Zuranhaltischen Behördengeschichte. 55 Johann Georg an Fst. Friedrich von Harzgerode, Dessau 25.11. [/5.12.] 1660 LAO Abt. Bemburg A 17 a I Nr. 94, fol. 8. 56 "In den Territorien en miniature, wie sie die anhaltischen darstellen, konnte man auf eine bis ins einzelne differenzierte Behördenorganisation verzichten." GringmuthDal/mer, Behördengeschichte Anhalts, S. 335. 57 Das Konzept der Instruktion von 1660 im LAO Abt. Dessau C 5 a Nr. 4°, fol. 2-5; ebd., fol. 1 und 6 das Konzept einer knapperen und allgemeiner gehaltenen Instruktion vom 23.11. [/3.12.] 1660, in der besonders hervorgehoben wurde, daß bei dem bevorstehenden Landrechnungstag darauf geachtet werden müsse, daß keine fiir den Dessauer Landesteil nachteiligen Beschlüsse gefaßt werden. Die Instruktion von 1668 im LAO Abt. Dessau C 5 a Nr. 4 a, fol. 1-4 und LAO Abt. Dessau C 5 c Nr. 161, fol. 7-12. Sie ist Grundlage von Kapitel 2 der Untersuchung von Klinsmann. 58 Das Forstamt war fiir die Forstverwaltung zuständig, während das Hofamt die Domänen im Umkreis von Dessau verwaltete. Zu den Aufgaben dieser beiden Ämter vgl. ausruhrlieh Klinsmann, S. 39 ff.

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Jagdangelegenheiten gesondert auffilhrte, erscheint in der Verordnung von 1668 nicht mehr. Bestimmte Wochentage sollten zur Behandlung der Angelegenheiten von besonderer Wichtigkeit und zur Erledigung der Kammersachen reserviert bleiben. Die Beschlußfassung erfolgte kollegialisch. Über sehr wichtige Gegenstände, insbesondere über solche, deren Behandlung durch die Vorgaben dieser Verordnungen nicht geregelt war, sollten Johann Georg summarische Berichte zugesandt werden, auf deren Grundlage er dann genaue Anweisungen zu treffen beabsichtigte. Außerdem wies der Fürst seine Räte ausdrücklich an, auf notwendige Veränderungen und mögliche Verbesserungen des in den Instruktionen festgelegten Arbeitsablaufs zu achten. Daß dieses System in der Praxis nur dann Erfolg versprach, wenn die mit der Ausfilhrung beauftragten Räte während der Abwesenheit Johann Georgs einwandfrei arbeiteten, war dem Fürsten zweifelsohne bewußt. Die zentrale Stellung im Falle erforderlicher auswärtiger Aufenthalte hatte er daher einem Mann seines besonderen Vertrauens zugedacht: seinem ehemaligen Hofineister, dem Gesamt- und Geheimen Rat sowie Landeshauptmann des Dessauer Landesteils Wilhelm Heinrich von Freyberg.59 Freyberg sollte die Oberaufsicht über das gesamte Staatswesen ftlhren und die Amtsftlhrung der Beamten kontrollieren. Alle eingehenden Schreiben sollten ihm ausgehändigt und alle erstellten Konzepte vor der Ausfertigung zur Unterzeichnung an ihn übergeben werden. Er entschied darüber, in welche der genannten Klassen die anfallenden Angelegenheiten eingeteilt wurden. Zudem sollte er die Generalvisitation der anhaltdessauischen Ämter beaufsichtigen, die Johann Georg in einer gesonderten Kammerinstruktion noch Ende November 1660 verordnet hatte. 60 Freybergs Stellung blieb im Verlauf der sechziger Jahre nicht ganz unangefochten. Dies resultierte aus seiner gleichzeitigen Tätigkeit als anhaltischer Ge59 Zur nicht eindeutig festlegbaren Stellung eines Landeshauptmanns vgl. Gringmuth-Dallmer, Behördengeschichte Anhalts, S. 339: .,Über seine enge Verbindung zu den Ständen besteht kein Zweifel." Ursprünglich hatte der Landeshauptmann wahrscheinlich militärische Aufgaben. In Entsprechung zu seiner dominierenden Stellung innerhalb der Dessauer Regierung stand Freyberg an der Spitze der Besoldungsliste der dessauischen Beamten. Würdig, Chronik der Stadt Dessau, S. 358. Das Konzept seiner Bestallung zum Geheimen Rat und Landeshauptmann des Dessauer Landesteils, Dessau o. D., im LAO Abt. Dessau C 5 h Nr. 51v, fol. 207 ff. Auffiillig ist, daß es zu diesem Zeitpunkt in Anhalt trotz der Existenz vieler Geheimer Räte offenbar kein fest formiertes Geheimes Ratskollegium gegeben hat. Vgl. Gringmuth-Dallmer, Behördengeschichte Anhalts, S. 334 f. 60 Die Instruktion vom 20. [/30.]11. 1660 im LAO Abt. Dessau C 5 c Nr. 16', fol. 3 ff. (Abschr.). Wesentliche Ziele dieser Kammerinstruktion waren die Vermehrung der Einnahmen, die genaue Verzeichnung aller Einnahmen und Ausgaben sowie eine sorgfältige Amtsfilhrung der zuständigen Räte. Im Juli 1668 erfolgte ebenfalls eine Neufassung dieser Instruktion. Ebd., fol. 13-16.

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samtrat und Dessauer Geheimer Rat und Landeshauptmann. Vorwürfe traten auf, er habe durch Nachlässigkeiten die Erledigung der beim Senior anfallenden Aufgaben behindert. Kritik wurde besonders daran geübt, daß er infolge seiner Verpflichtungen im Dessauer Landesteil die den Gesamträten traditionell zukommende Aufgabe, sich in der direkten Umgebung des Seniors aufzuhalten und diesem jederzeit zur Verftlgung zu stehen, nicht erfilllt habe.61 Johann Gearg hielt jedoch seine schützende Hand über den Landeshauptmann und betonte, daß dieser seinen Pflichten als Gesamtrat durch Gutachten sowie durch seine in den besonders wichtigen Fällen erfolgten persönlichen Aufwartungen beim Senior durchaus nachgekommen sei.62 Neben Freyberg traten während der sechziger Jahre einige Beamte in den Vordergrund, die langfristig gesehen wichtige Positionen innerhalb der Dessauer Regierung einnahmen und zum Teil von Johann Georg sogar mit auswärtigen Missionen betraut wurden. Karriere in Dessauer Diensten machte August Milagius, der Sohn des anhaltischen Gesamtrats und anhalt-dessauischen Kanzlers Martin Milagius, welcher die Interessen Anhalts auf dem Westfälischen Friedenskongreß vertreten hatte. Wie sein Vater wurde auch August Milagius zum Geheimen Rat und Kanzler in Anhalt-Dessau sowie zum anhaltischen Gesamtrat ernannt. 1678 wurde er vom Kaiser in den Adelsstand erhoben und nannte sich seither von Milagsheim.63 Weiterhin zu nennen sind der Kammersekretär und spätere Hof- und Kanzleirat Christfried Nüßler sowie der Kammerrat Johann Georg Appel. Die erhaltenen eigenhändigen und mitunter ausgesprochen intimen Briefe des Fürsten an Nüßler und Appellassen erkennen, daß ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen ihm und den beiden Räten bestand.64 Ebenfalls bereits im ersten Regierungsjahrzehnt Johann Georgs tätig war der Jägermeister und Kammerrat Christoph Heinrich von Wülcknitz, der 1687 zum

61 Fst. Friedrich von Harzgerode an die anhaltischen Fürsten, Harzgerode 21. [/31 .] 12. 1667 LAO Abt. Dessau B 2 c Nr. 18, fol. 139 ff. 62 Johann Georg an Fst. Victor Arnadeus von Bemburg, Berlin 30.1. [/9.2.] 1668, ebd., fol. I 04 ff. 63 Zu seiner Person und seiner Familie vgl. Siebigk, Milag, S. 727 f., und F. Brückner, Häuserbuch, S. 538; die Standeserhebung bei Frank lll, S. 241. Als Dank fUr seine treuen Dienste erhielt er Anfang Juli 1678 ein Donativ des fUrstlichen Hauses Anhalt in Höhe von 12.000 Tim. LAO Abt. Dessau B 2 a Nr. 102 a, fol. 77. Das Konzept seiner Bestallung zum Regierungsrat und Kanzleidirektor, Dessau in den Weihnachtsfeiertagen 1666, im LAO Abt. Dessau C 5 h Nr. 51v, fol. 220-225. Zum Problem der Differenzierung der Titel "Kanzler" und "Kanzleidirektor" vgl. Gringmuth-Dallmer, Behördengeschichte Anhalts, S. 332. Zur traditionell bedeutenden Stellung des Kanzlers innerhalb der Zentralverwaltung in Anhalt siehe Schrecker, S. 81-89. 64 Die Briefe Johann Georgs finden sich im LAO Abt. Dessau A 9 a II a Nr. 58 bzw. 61; die Bestallung Nüßlers zum Hof- und Kanzleirat, Dessau 24.6. [/4.7.] 1668, LAO Abt. Dessau C 5 h Nr. Sv, fol. 240 ff. (Abschr.). Knappe Angaben zur Karriere Nüßlers in dessauischen Diensten liefert F. Brückner, Häuserbuch, S. 1115.

7 Rohrschneider

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Kammerdirektor ernannt wurde. 65 Sein Werdegang ist ein Beispiel dafilr, daß einige Dessauer Räte - unter anderen auch Freyberg und Milagius - über mehrere Jahrzehnte hinweg in Diensten des Fürsten standen. Obwohl Johann Georg auch im Falle seiner Abwesenheit von Dessau intensiven Anteil am Gang der Regierungsgeschäfte seines Fürstentums nahm, waren die Ergebnisse seiner Bemühungen und die Effizienz des filrstlichen Verwaltungsapparates nicht immer befriedigend. Generell war der Fürst darauf angewiesen, daß seine Räte die von ihm hinterlassenen Instruktionen in der alltäglichen politischen Arbeit tatsächlich befolgten und sie in seinem Sinne interpretierten. Der Handlungsspielraum der Dessauer Regierung war also vergleichsweise groß. Dies verdeutlichen besonders einige Fälle, bei denen Johann Georg infolge auswärtiger Aufenthalte nicht genügend Informationen Ober den Stand der Dinge in Anhalt zur VerfUgung hatte und daher bei Nachfragen auf seine Regierung verweisen mußte. 66 Der Briefwechsel mit den Dessauer Räten enthält auch Beispiele dafilr, daß der Fürst während seiner Anwesenheit am Berliner Hof nicht mit allen Details der Regierungsgeschäfte in Anhalt belastet werden wollte und die Regelung von Angelegenheiten von geringerer Bedeutung auf die Zeit seines nächsten Aufenthalts in Dessau verschob. 67 Daß dadurch vereinzelt Verzögerungen entstanden, war ebenso unvermeidbar wie die augenscheinliche Tatsache, daß seine fehlende Präsenz in Dessau auf die Leistungsbereitschaft seiner Beamten nicht immer fbrderlich wirkte. Treffend bemerkte Freyberg im Oktober 1668: "Es werden, sonder zweifel, diebeamten und alle diener mit mehren eyfer, ernst und fleiße ihre schuldigkeit beobachten, [ ...] wann sie spüren, daß die Fürstliche Herrschaft selbst aufsieht hat, wie eines und anders von statten gehet [ ... ]."68 Gerade mangelnder Eifer und Pflichtvernachlässigungen seiner Untergebenen verärgerten Johann Georg in hohem Maße und ließen ihn bisweilen mit einer bemerkenswerten Härte reagieren. So beklagte er sich mit heftigen Worten in einem Brief an den Hofrat Nüßler über die seiner Meinung nach mangelhafte Arbeit einiger Amtsschreiber: "Ich wollte nur, das einer von den schlüngeln sehen solte, was ich tag täglich schreibe, expedire, lese, verabschiede, audientzen gebe, correspondire unt hundertley occupationes habe, unt doch kan ich solches wie wohl, ohne nicht viel müßig zu sein, verrichten, unt so ein schlUngel soll nicht können des tages einen bogen Papier volschmi-

65 Vgl. Johann Georg an die Dessauer Regierung, Potsdam 15. [/25.]1. 1687 LAO Abt. Dessau C 5 b Nr. 19111, fol. 275. 66 Vgl. etwa Johann Georg an Fst. Friedrich von Harzgerode, Kleve 10./20.7. 1666 LAO Abt. Dessau B 2 e Nr. 9, fol. 92 (Abschr.). 67 Vgl. Johann Georg an die Dessauer Regierung, Oranienburg 2. [/12.]9. 1684 LAO Abt. Dessau C 5 b Nr. 1911, fol. 26 f. 68 LAO Abt. Dessau C 10 a I Nr. 3 a, fol. II.

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ren, darauff er anmerckt, was er destagesein nimmet unt außgiebt [...]."69 Die daraufhin erfolgte Androhung drakonischer Strafen und das Verlangen, ein Exempel zu statuieren,70 lassen einerseits den unbedingten Willen Johann Georgs erkennen, zu einer effizienteren Gestaltung der administrativen Ordnung zu gelangen, sie offenbaren andererseits ein gewisses Maß an Hilflosigkeit angesichts der Qualität und Quantität der allerorts auftretenden Versäumnisse. Daß sich der Dessauer, wie an späterer Stelle noch auszufUhren sein wird, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wiederholt veranlaßt sah, innerhalb der von ihm etablierten Verwaltungsorganisation Veränderungen vorzunehmen und Kompetenzen neu zu verteilen, zeigt, wie schwierig sich die Verwaltung seines Fürstentums gestaltete. b) Wirtschaft- Gesellschaft- Bevölkerung Beim Regierungsantritt Johann Georgs, zwölf Jahre nach den Friedensschlüssen von Münster und Osnabrück, waren die nachteiligen Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges auf das wirtschaftliche und soziale Leben in Anhalt noch deutlich spürbar und zentrale Probleme des Wiederaufbaus nach wie vor zu bewältigen. Das genaue Ausmaß der Verheerungen des Krieges in den einzelnen anhaltischen Landesteilen ist von der Forschung bisher noch nicht bestimmt worden. Untersuchungen und verläßliche Angaben liegen jedoch fiir die Stadt Dessau vor, die, wie bereits ausgefiihrt wurde, 71 Schauplatz zahlloser Truppendurchzüge gewesen war. Als aufschlußreich fiir die Frage nach den unmittelbaren Kriegsfolgen in der Residenzstadt erweist sich ein Vergleich des Vorkriegsstandes der Einwohner- und Häuserzahlen mit den Verhältnissen des Jahres 1663, fiir die gesicherte Zahlen vorliegen. Während fiir das Jahr 1610 521 Häuser mit rund 3.000 Einwohnern angenommen werden können, zählte die Stadt 1663, also immerhin schon fiinfzehn Jahre nach Beendigung des Krieges und somit zu einem Zeitpunkt, als erste deutlichere Anzeichen einer Erholung erkennbar waren, nur 385 Häuser und etwa 1.824 Einwohner, was ungefähr 61 %der Einwohnerschaft von 1610 entspricht. 72 Die Zahlen fiir Dessau korrespondieren somit mit dem von der Forschung geschätzten durchschnittlichen Rückgang der städtischen Bevölkerung des Reiches auf etwa zwei Drittel des Vorkriegsstan69 Johann Georg an den Hofrat Nüßler, (eh) Berlin 29.12. 1668 (/8.1. 1669] LAO Abt. Dessau A 9 a II a Nr. 61, fol. 77 f. 70 Ebd.; ähnlich auch in seinem eigenhändigen Brief an Nüßler vom 3. (/13.]10. 1668, ebd., fol. 12 f. 71 Vgl. Kapitel II dieser Arbeit. 12 Die Zahlen nach F. Brückner, Häuserbuch, S. 1961 ; vgl. auch Jab/onowski, Dreißigjähriger Krieg 2, S. 62.

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des. 73 Besonders in den offenen, nicht ummauerten Vorstädten Dessaus hatte die Häuserzahl stark abgenommen. Viele Häuser blieben dort noch über Jahre hinweg wüst oder ruiniert liegen. Ein anschauliches Bild vom Niedergang Dessaus während des Krieges vermittelt zudem ein Blick auf den städtischen Haushalt. Dieser bilanzierte 1618 eine Summe von 5.200 Tim., erreichte 1638 mit 1.600 Tim. einen Tiefstand und lag 1641 bei 1.800 Tim., d. h. nur bei rund einem Drittel des Haushalts von 1618.74 Schwieriger quantifizierbar als die unmittelbaren Folgen sind die indirekten Auswirkungen des Krieges. So resultierte aus den Ereignissen der Jahre 1618 bis 1648 nicht nur der bereits angedeutete demographische Bruch. Zu den nachhaltigen Kriegsauswirkungen zählen auch der Rückgang der Kapitalfonds, das Abreißen wirtschaftlicher Beziehungen sowie eine mangelhafte Ausbildung und anfangs wohl auch schlechte Arbeitsmoral der Arbeitskräfte.75 Damit einher gingen langfristige, schon vor 1618 einsetzende strukturelle Veränderungen innerhalb der europäischen Wirtschaft, insbesondere eine Schwerpunktverlagerung auf den Handelsraum der beiden Seemächte Niederlande und England bei einem gleichzeitigen Bedeutungsverlust des Mittelmeerraumes sowie der NordOstsee-Verbindung: "Die Bilanz dieser Verschiebungen war ftlr Deutschland negativ und belastete den Wiederautbau."76 Daß die Tragweite einzelner Entscheidungen der politisch Handelnden angesichts der Geschichtsmächtigkeit dieser langfristigen, von den Zeitgenossen nur unvollkommen wahrnehmbaren Entwicklungen der wirtschaftlichen Lage nicht überschätzt werden darf, ist von der Forschung zu Recht hervorgehoben worden. Dies muß stets berücksichtigt werden, will man die Handlungsspielräume und Ergebnisse der wirtschaftlichen Maßnahmen des Dessauer Fürsten 73 Zur Forschungskontroverse um die Höhe der Bevölkerungsverluste während des Dreißigjährigen Krieges vgl. jüngst die Überlegungen bei Theibault sowie die Studie von Vaso/d, der diejenigen Forschungen bestätigt, die von einem Bevölkerungsrückgang in den Städten um etwa ein Drittel und auf dem flachen Land um ca 40 % ausgehen. Manche Städte und Regionen verloren infolge von Krieg, Pest und Hunger sogar einen weit höheren Prozentsatz ihrer Bevölkerung. Die Stadt Augsburg beispielsweise, filr die detaillierte Angaben vorliegen, hatte Bevölkerungsverluste von etwa 50-60% zu verzeichnen. Roeck, Als wollt die Welt schier brechen, S. 299. Überblicke über die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Krieges im Reich bei Hippe/, Wirtschaftliche Auswirkungen und Press, Soziale Folgen. Nicht eingegangen werden kann hier auf die in diesem Zusammenhang interessante Diskussion über die sogenannte Krise des 17. Jahrhunderts. Verwiesen sei jedoch auf die beiden Forschungsüberblicke von Koenigsberger und Duchhardt, Zeitalter des Absolutismus, S. 155-159, sowie auf die neuere Studie von Ogilvie, die diese Fragestellung speziell auf die Verhältnisse im Reich anwendet. 74 Wäschke, Geschichte der Stadt Dessau, S. 79; Jablonowski, Dreißigjähriger Krieg 2, s. 60 f. 75 Kaufhold, S. 551. 76 Ebd.

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und anderer Herrscher seiner Zeit angemessen einordnen und bewerten.77 Erforderlich ist es außerdem, sich vor Augen zu fUhren, daß das wirtschaftspolitische Denken und Handeln frtlhneuzeitlicher Landesherren auch von der Überlegung geprägt war, daß mit Erfolgen im ökonomischen Bereich der Erwerb zusätzlicher Reputation einherging. Die jüngere Forschung hat in diesem Zusammenhang sogar die Überzeugung ausgesprochen, "daß marktorientiertes Denken und finanzpolitisches KalkUl in den FOrstenstaaten der frühen Neuzeit immer hinter Leitgedanken wie Prestige, Tapferkeit und Ehre zurücktraten"78 bzw. in den Dienst des ftlrstlichen Reputationsstrebens gestellt wurden. Grundsätzlich waren die allerorts greifbaren negativen Folgen des Krieges "ein idealer Ansatzpunkt ftlr eine aktive Wirtschaftspolitik des Staates oder des ihn repräsentierenden FUrsten"79• Bereits Johann Georgs landesherrliche Maßnahmen während seines ersten Regierungsjahrzehnts lassen das breite Spektrum der ihm zur VerfUgung stehenden Möglichkeiten erkennen, die daniederliegenden wirtschaftlichen Verhältnisse zu verbessern; sie offenbaren zugleich die Größe und Vielfalt der Probleme, die es dabei zu bewältigen galt.80 Das besondere Augenmerk Johann Georgs galt der Verbesserung der Domänenbewirtschaftung und -verwaltung mit dem Ziel einer Erhöhung der EinkUnfte und Steigerung der Erträge. 81 Schon in den sechziger Jahren hatte sich am Dessauer Hof die Einsicht durchgesetzt, daß bei der Administration, d. h. bei der Bewirtschaftung der Domänen durch einen vom Landesherrn besoldeten Verwalter, Betriebsfilhrung und Unternehmerinteresse nicht in einer Person vereinigt waren und daß eine Ertragsoptimierung eher von einer wirtschaftlichen Nutzung durch persönlich interessierte Pächter erwartet werden konnte. 82 So wurde beispielsweise das größte und ertragreichste Vorwerk des Dessauer Landesteils, das Schloßvorwerk, auch Meierei genannt, im Jahre 1665 verpachtet.83 Die Verpachtung der Vorwerke ließ aufgrund der regelmäßig zu entrichtenden Pachtzinsen eine sichere Einnahmequelle erhoffen, mit der der FUrst fest Vgl. z. B. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm II, S. 346. Kunisch, Nordischer Krieg, S. 33. 79 Henning, S. 238. 80 Die großen Linien der anhaltischen Wirtschaftsentwicklung nach dem Dreißigjährigen Krieg beschreibt Kurt Müller, Entwicklung, S. 19-22. 81 Vgl. hierzu Johann Georgs fast programmatischen eigenhändigen Brief an Nüßler vom 3l.l 0. [/1 0.11.] 1668 LAO Abt. Dessau A 9 a II a Nr. 61, fol. 42-45 sowie seine eigenhändigen Aufzeichnungen s.l.e.a. LAO Abt. Dessau C 10 a I Nr. 3 a, fol. 19 f. 82 Michaelis, S. 39. Zu den anhalt-dessauischen Domänen insgesamt vgl. die grundlegende Untersuchung von Machlitt, Domänen sowie dieneuere Arbeit von Lemke. 83 Vgl. hierzu F. Brückner, Häuserbuch, S. 580-590. Schwierig gestaltete sich die Suche nach einem Pächter rur das Vorwerk Mosigkau. Vgl. Johann Georg an Hofrat Nüßler, (eh) Berlin 30.9. [/10.10.] 1668 und 29.5. (/8.6.] 1669 LAO Abt. Dessau A 9 a II a Nr. 61 , fol. lO f. und 181 f. 77 78

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kalkulieren konnte. Die Pachtzeit belief sich in Entsprechung zur Drei-FelderWirtschaft zumeist auf sechs Jahre.84 Der Übergang von der Natural- zur gemischten Naturai-Geldpacht vollzog sich noch während der Regierungszeit Johann Georgs. 85 Insgesamt gesehen waren die vielfältigen Bemühungen des Fürsten, eine Steigerung der Einnahmen und Erträge zu bewirken sowie neue Einnahmequellen zu erschließen, durch seine Bereitschaft gekennzeichnet, mitunter auch unkonventionelle Wege zu beschreiten und alle Möglichkeiten zur Realisierung seiner Ziele auszuschöpfen. Dabei darf nicht übersehen werden, daß die gutgemeinten und detaillierten Vorschläge, die er seiner Dessauer Regierung übermittelte, bisweilen improvisierten Charakter trugen und eher spontanen Willensäußerungen, weniger aber langfristig erfolgversprechenden Konzeptionen gleichkamen.86 Trotz der angeftlhrten Einschränkungen und Vorbehalte bleibt festzuhalten, daß sich sehr bald erste Erfolge seiner Anstrengungen einstellten.87 Ein Vergleich der Rentkammerjahresrechnungen ftlr die Jahre 166112 und 1669/70 läßt erkennen, daß die Einnahmen in diesem Zeitraum immerhin von 20.620 Tim. auf 45.501 Tlr. gesteigert werden konnten. 88 Das Forstamt beispielsweise, neben dem Hofamt der größte Ämter-Posten der Rentkammerjahresrechnung, konnte im ersten Regierungsjahrzehnt Johann Georgs auf eine beträchtliche Steigerung der Einnahmen verweisen: Für das Jahr 1661/2 bilanzierte die Rentkammerjahresrechnung eine Einnahmensumme des Forstamtes von rund 7.394 Tim., filr das Rechnungsjahr 1669/70 dagegen 14.901 Tlr.89 Regelmäßige Revisionen der fiirstlichen Ämter und Vorwerke wurden durchgeftlhrt. Die Beamten wurden immer wieder dazu angehalten, alle Einnahmen und Ausgaben sorgfältig zu verzeichnen und mit dem jeweiligen Datum zu versehen, denn, so glaubte der Fürst, "kan auff diese art nicht wohl ein jeder, wie genugsamb an Lemke, S. 11. Machlitt, Domänen, S. 5. 86 Sogar Überlegungen, Verbrecher mit Geldbußen anstatt mit Haft- oder anderen Strafen zu belegen, stellte der Dessauer Fürst an. LAO Abt. Dessau C 10 a I Nr. 3 a, fol. 4. 87 Auswärtige Besucher berichteten Mitte der sechziger Jahre aus Anhalt-Dessau von den positiven Auswirkungen der Regententätigkeit Johann Georgs. Vgl. den Brief der Herzogin Luise Charlotte von Kurland an Schwerin vom 8.8. 1665. Or/ich, Friedrich Wilhelm, Beilagen, S. 83-86, hier S. 85. Vgl. dazu auch die Ausruhrungen über den Besuch Kurfilrst Friedrich Wilhelms in Dessau im Juli 1665 in Kapitel IV.l.c. 88 Im gleichen Zeitraum erhöhten sich jedoch auch die Ausgaben von 19.476 auf 45.452 Tlr., wobei besonders auffällig ist, daß der Posten, der die Ausgaben filr Johann Georg auffilhrt, von 2.764 auf 16.803 Tlr. anstieg. LAO Abt. Dessau A 11 c Nr. 155 an, S. 145 und 31 sowie A 11 c Nr. 155 aYI, S. 70, 86 und 363. 89 LAO Abt. Dessau A 11 c Nr. 155 an, S. 13 und A 11 c Nr. 155 aYI, S. 14. Im gleichen Zeitraum stiegen die Einnahmen des Hofamtes von 4.426 auf 8.899 Tlr. 84 85

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tage ist, etzliche monat oder wohl gantze jahre mit den einkünffien und geflUlen spielen und zu meinem großen schaden dadurch seinen wucher und vortheil treiben"90• Die Rechnungen wurden Johann Georg zum Teil nach Berlin übersandt, dort von ihm persönlich überprüft, mit Bemerkungen versehen und wieder nach Dessau zurückgeschickt.91 Zufrieden konnte der Fürst im Oktober 1668 konstatieren: "Auß allem erhellet gleich wohl so viel albereitz, das die jährlich auß allen ortten berechnete einkünffie und geflUle die ordinar jährliche außgaben mercklich übertreffen [... ].'.92 Eine Steigerung der Einnahmen versprach auch der Ausbau des Domaniums durch den Ankauf von Adelsgütern. 1665 erwarb Johann Georg das Gut zu Pötnitz und, wahrscheinlich etwa zur gleichen Zeit, das adlige Gut zu Scholitz. Verglichen mit der von seinem Sohn und Nachfolger, Fürst Leopold, verfolgten Politik, die darauf abzielte, den grundbesitzenden Adel systematisch auszukaufen und zu verdrängen, und die letztlich dazu ftlhrte, daß "aus dem Kleinstaat Anhalt-Dessau das vielleicht homogenste Gebilde im Deutschen Reich"93 wurde, muten seine Erwerbungen allerdings eher bescheiden an. Im Bereich des Landesausbaus konnten in den sechziger Jahren vereinzelte Erfolge erzielt werden. Die Erschließung und Ausdehnung landwirtschaftlich nutzbarer Fläche durch Meliorationsarbeiten stellte für den Dessauer Fürsten ein wichtiges Ziel seiner inneren Politik dar. Gerade die Niederungen an der EIbe und Mulde waren in hohem Maße der Gefahr ausgesetzt, immer wieder Wasserschäden davonzutragen. Am 16. Juni 1662 verordnete Johann Georg, daß die Erbauung neuer und die Ausbesserung schadhafter alter Dämme im sogenannten Schwarzen Land und 90 Johann Georg an die Dessauer Regierung, (eh) Berlin 7. [/17.] 10. 1668 LAO Abt. Dessau C 10 a I Nr. 3 a, fol. 5. 91 Vgl. ebd., fol. 1-17. Vgl. auch Jablonowski, Wiederaufbau, S. 50 f., und dies., Domänen, S. 3 ff. Dieanhaltische Forschung hat betont, daß der Dessauer Fürst auch während seiner Anwesenheit am kurfilrstlichen Hof sein besonderes Augenmerk auf die Bewirtschaftung der anhalt-dessauischen Domänen richtete und dabei die Verhältnisse in der Mark Brandenburg mitunter als Vergleichsmaßstab und Vorbild nahm. So läßt sich am exemplarischen Fall der eigenhändigen Ertragsberechnungen des Fürsten bei der geplanten Anschaffung neuen Viehs nachweisen, daß der Fürst seine Beamten anwies, sich an den in Brandenburg erzielten Erträgen zu orientieren. Ebd., S. 4.; dies. , Wiederaufbau, S. 50. 92 LAO Abt. Dessau C 10 a I Nr. 3 a, fol. 11. 93 H. Ross, Kulturkreise, S. 225 f. Zum größeren Zusammenhang vgl. Achilles, S. 28 f. Zum Erwerb von Adelsgütern durch die Fürsten Johann Casimir und Johann Georg vgl. die Angaben in einer Spezifikation Fürst Leopolds, gedruckt bei Hermann Schulze, Hausgesetze, S. 81 f. Der Kautbrief über das Gut Pötnitz vom 1. [/11.] I 0. 1665 im LAO Abt. Dessau C 1 b I a Nr. 3, fol. 22 f. Auch Fürstin Henriette Catharina kaufte bereits im ersten Regierungsjahrzehnt Johann Georgs einige Bauern- und Rittergutsländereien in Nischwitz- 1669 gehörte ihr die gesamte Nischwitzer Flur-, Kleutsch und Sollnitz an. Machlitt, Domänen, S. 4; dies., Landwirtschaft, S. 41 .

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Hohen Feld bei Dessau zum Schutz der dortigen Äcker vor Muldhochwasser zu erfolgen habe. Hierzu mußten die betroffenen Ackerbesitzer eine Hufensteuer entrichten. Nach dem Bau der Dämme sollten die Besitzer der Äcker jeweils ein ihnen zugeordnetes DammstUck instandhalten. Die sogenannten Wallmeister waren dazu befugt, den Bau zu beaufsichtigen und gegebenenfalls Versäumnisse mit Bußgeldern zu bestrafen, die zur einen Hälfte dem Bau der Dämme, zur anderen Hälfte der fllrstlichen Herrschaft zukommen sollten.94 Im Jahre 1668 begann man mit Arbeiten zur Entwässerung des großen Bruchs nördlich des Kühnauer Sees, nahe Dessau, die sich bis in die Regierungszeit Fürst Leopolds I. hinziehen sollte. Die dabei gewonnenen Wiesen, die noch gerodet und geräumt werden mußten, wurden Mitte der achtziger Jahre als Erbzinsgüter ausgeteilt.95 Ferner wollte Johann Georg die Bewohner der Dessauer Sandvorstadt verstärkt ftlr Hochwasserschutzarbeiten einsetzen.96 Möglichkeiten dazu ergaben sich durch die Tatsache, daß die Sandvorstadt auf ftlrstlichem Territorium entstanden und daher verwaltungsmäßig von der Ratsstadt getrennt war. Als ftlrstliche Amtsuntertanen mußten die Sandvorstädter, die sogenannten Sänder, besondere Abgaben und Dienste leisten. Nach dem Dreißigjährigen Krieg hatten sich die ihnen auferlegten Dienste gehäuft, so daß es ab 1662 mehrfach zu Beschwerden der Sänder gekommen war. Die Überlegungen Johann Georgs gingen nun dahin, sie von den ihnen etwa seit Beginn des 17. Jahrhunderts auferlegten Jagddiensten, die sie nicht zu seiner Zufriedenheit ausftlhrten, zu befreien und sie statt dessen verstärkt zu Damm- und ähnlichen Arbeiten zu verwenden. Auch wenn dies, wie die weitere Entwicklung zeigte, nicht realisiert wurde, vermitteln diese Überlegungen doch einen guten Eindruck davon, wie der Dessauer Fürst auf verschiedensten Wegen versuchte, zusätzliche Kräfte ftlr seine wasserwirtschaftliehen Vorhaben zu mobilisieren. In engem Zusammenhang mit diesen ersten Meliorationsmaßnahmen und Vorkehrungen gegen das Hochwasser standen auch die Bemühungen Johann Georgs, Dessau wieder enger an den Fernverkehr, der bis zur Zerstörung der

94 Die Verordnung vom 6. [/16.]6. 1662 im LAO Abt. Dessau C 10 a I Nr. 4, fol. 357-362; vgl. auch Machlitt, Domänen, S. 3, und dies., Wiederaufbau, S. 51. 95 Ebd.; dies., Dessau unter dem absolutistischen Stadtregiment des Fürsten Leopold. b) Landespolitik in den ersten Regierungsjahren, S. 45, und dies., Domänen, S. 3. 96 Johann Georg an Hofrat Nüßler, (eh) Berlin 31.10. [/10.11.] 1668 LAO Abt. Dessau A 9 a li a Nr. 61, hier fol. 44 f. Zur rechtlichen Lage der Sänder und zur Sandvorstadt insgesamt vgl. Würdig/B. Heese, S. 75-83; B. Heese, Sandvorstadt; F. Brückner, Häuserbuch, S. 826-837. Die Funktion des vom Fürsten ernannten "Sandrichters" entsprach der eines Bürgermeisters. Treffend hat Brückner infolge der Sonderstellung der Vorstädte, die unter der Gewalt des filrstlichen Amtes standen, von einer "Zwillingsstruktur" Dessaus - Ratsstadt und Amtsstadt - gesprochen. Ebd., S. 826.

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Dessauer Elbbrücke im Jahre 1631 durch die Stadt gelaufen war, anzubinden. 97 Die Anlegung einer Allee von Dessau zur Eibe im Jahre 1664 - als Vorbild diente offenbar die Errichtung der Linden- und Nußbaumallee in Berlin, die heute den Straßennamen "Unter den Linden" trägt- ist im Zusammenhang der Versuche, infrastrukturelle Verbesserungen vorzunehmen, ebenso zu nennen wie die Erbauung des sogenannten Elbhauses, das der Fürst 1667 zur Unterbringung und Bequemlichkeit der Reisenden, die über die Eibe kamen, erbauen ließ. Dahinter stand die Einsicht, daß entlang der wichtigen Handelsstraßen großer Bedarf bestand, ein dichtes Netz von Gasthäusern und Herbergen zu errichten, in denen die Kaufleute, die aufgrund der allgemein schlechten Straßenverhältnisse oftmals täglich nur eine geringe Wegstrecke zurücklegen konnten, unterkommen und sich verpflegen konnten.98 Regelmäßige Probleme bereitete die hohe Kostenintensität aller Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur. Ein besonders markantes Beispiel daftir sind die Finanzierungsschwierigkeiten bei der Erbauung und Instandhaltung von Brücken. Der in der ersten Hälfte der sechziger Jahre auftretende Streit zwischen der Bürgerschaft von Jeßnitz und der Dessauer Regierung in der Frage, ob die Bürgerschaft oder die fürstliche Herrschaft ftir die Kosten der dringend erforderlichen Reparatur der Jeßnitzer Brücke Uber die Mulde aufkommen müsse, ist symptomatisch und keine Einzelerscheinung.99 Der zur Anhindung Dessaus an den Fernverkehr dringend erforderliche Bau neuer Brücken Uber die Eibe und die Mulde erfolgte erst in den frühen achtziger Jahre, also über zwanzig Jahre nach dem Regierungsantritt Johann Georgs. 100 Ebenfalls problematisch waren die Versuche, den Wiederaufbau im Bereich der Landwirtschaft zu forcieren. Die Agrarverfassung Anhalts ist dem Typus der Mitteldeutschen Grundherrschaft zuzuordnen. 101 Diese war dadurch ge97 Hierzu und zum Folgenden Jablonowski, Wiederaufbau, S. 52. Vgl. hierzu auch die Posten filr die Elballe, das Elbhaus und den Kühnauischen Bruch in den Rentkammerjahresrechnun~n der Jahre 1663/64, 1668/69 und 1669170 im LAO Abt. Dessau A 11 c Nr. 155 a IV- • Am 7. [/17.]6. 1668 erhielt die Fürstin Henriette Catharina den Kühnauischen Bruch und das Elbhaus von ihrem Gemahl als Donation. Vgl. das aus dem Jahre 1709 stammende "Inventarium aller Verlassenschaften" Henriette Catharinas im KHA A 14 XIV D-Sa, fol. 3. 98 Vgl. Blaich, S. 153. 99 Die Akten hierzu im LAO Abt. Dessau C 9 k IV Nr. 8 b. 100 Vgl. hierzu Kapitel VIII.2. 101 Vgl. zum Folgenden Machlitt, Domänen, S. 11 und 14. Vgl. ferner Lütge, S. 12 f. und 99 f., sowie die grundlegende Arbeit von Kraaz. Kraaz differenziert drei Zonen der territorialen Entwicklung Anhalts mit jeweils unterschiedlichen Rechtsverhältnissen des Bauernstandes. Das Territorium Anhalt-Dessaus erstreckte sich über alle drei dieser Zonen. Mit den Exklaven Sandersleben, Freckleben und Großalsleben hatte Anhalt-Dessau Anteil an der ersten Zone, dem alten Reichsgebiet vom Harz bis nach Bernburg, in der das Erbzinsrecht und Mannlehen vorherrschten. In der zweiten Zone, dem Gebiet des alten sorbischen Anbaus zwischen Saale, Eibe, Mulde und Fuhne, dominierten Laßgü-

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kennzeichnet, daß die Bauern persönlich frei waren und über vergleichsweise gute Besitzrechte verfUgten. Nach dem Dreißigjährigen Krieg war es infolge des Bevölkerungsrückgangs und der großen Zahl an wüsten und verlassenen GUtem oftmals zu einer rechtlichen Besserung von Laßgut gekommen. 102 Auch waren auf den Domänen erste Anzeichen dafllr erkennbar, daß Hand- und Spanndienste abgebaut wurden. Zwar wurde in Anhalt mit der Gesindeordnung von 1653 der Zwangsgesindedienst nach dem Vorbild und wohl auch auf Druck der Nachbarterritorien eingefilhrt; größere Bedeutung erlangte sie jedoch mittel- und langfristig gesehen nicht, da sie eine Reihe von Ausnahmeregelungen enthielt, die aufgrund der außerordentlichen Lage nach dem Krieg fllr nötig erachtet wurden, aber nicht als dauerhaft aufrechtzuerhaltende Bestimmungen gedacht waren. 103 Hintergrund dieser Gesindeordnungen waren die Überlegungen vieler Landesherren, den nach dem Krieg auftretenden Mangel an Arbeitskräften zu beheben. Auch Anhalt stellte in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar. Dieanhaltische Ordnung sah eine Fixierung der Löhne filr Gesindearbeit vor, so daß der Mangel an Handarbeitskräften von den Knechten und Mägden nicht zu überhöhten Lohnansprüchen ausgenutzt werden konnte. Ferner legte sie fest, daß die Kinder der Untertanen, "deren sie selbst nicht benöthiget, und die in andem Diensten nicht schon begriffen seynd, ihrer Obrigkeit filr andern auf zwei Jahre nach einander zu dienen, welche aber von denselben nicht in Dienste genommen werden, bei den privatis unsers FUrstenthums sich in Dienste zu begeben, und im Vaterlande zu bleiben schuldig seyn" 104• Die Wirkung derartiger Gesindeordnungen erwies sich vielerorts als kontraproduktiv, da sie durch Festlegung eines niedrigen Lohnniveaus demotivierend auf die Menschen wirkten und ihre Arbeitswilligkeit nicht eben ilirderten. 105 Insgesamt folgten die landesherrlichen Maßnahmen im Bereich der Landwirtschaft während der ersten Nachkriegsjahrzehnte der traditionellen Bauernschutzpolitik der anhaltischen Fürsten. Die Landesordnungen von 1572 und 1666 lassen erkennen, daß die Landesherren nicht zuletzt aus finanzwirtschaftter, und in der dritten Zone, welche sich vom Gebiet rechts der Mulde und Eibe bis zum Flämingerstreckte und in der u. a. das Amt Wör1itz lag- Kraaz bezeichnet diese Zone als Kolonisationsgebiet - fand sich hauptsächlich ein erbliches veräußerliches, Reisgut genanntes Besitzrecht 102 Vgl. G. Franz, Dreißigjähriger Krieg, S. 113. 103 Kraaz, S. 128 ff. Die Gesindeordnung ist gedruckt bei Lobethan, Landes und Proceß=Ordnung, S. 214-238. 104 Ebd., S. 220. 105 Vgl. Blickle, S. 515: "Anders ist die auffallende Diskrepanz zwischen dem beklagten Mangel an Dienstpersonal und den gleichzeitigen Klagen über Bettler, Arbeitslose und Arbeitsscheue schwer zu erklären." Zu einer positiven Bewertung der anhaltischen Gesindeordnung kommt Kraaz, S. 159 f.

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liehen Gründen Interesse an der Erhaltung bzw. Wiederherstellung prosperierender und damit abgabefähiger Bauerngüter hatten. 106 Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang ein undatiertes, eigenhändiges Schriftstück Johann Georgs, das nicht nur einen guten Einblick in seine Politik auf dem landwirtschaftlichen Sektor ermöglicht, sondern ftlr seine gesamte landesherrliche Wirtschafts- und Wiederaufbaupolitik höchst aufschlußreich ist. 107 Auf die Frage nach den Ursachen, weshalb die Steuerzahlenden des Dessauer Fürstenturns im Gegensatz zu den Untertanen anderer Landesteile noch in der Lage seien, die Steuerlast zu tragen, fUhrt der Fürst einige Maßnahmen an, die seiner Meinung entscheidend dazu beigetragen haben, daß die "contribuenten ihren strang noch zihen können" 108 : die Nachlassung alter Steuerreste, die Gewährung von Freijahren, in denen bestimmte Abgaben nicht geleistet zu werden brauchten, die Stellung von Baumaterialien, die Einräumung zusätzlicher Triften zur Viehhaltung, die Verschonung der Untertanen mit Geldbußen und bestimmten Diensten, die Gewährung von Zoll-, Fähr- und Brückenfreiheiten, die Anweisung wüster Stellen zum Gartenbau, die Anwerbung neuer Handwerker durch Moderation der Innungsbriefe, die Gewährung von Freipässen - infolge dieser und anderer Maßnahmen waren also die notleidenden Untertanen nach Auffassung des Dessauer Fürsten wieder in die Lage versetzt worden, ihren Steueranteil zu tragen. Dennoch waren wirtschaftspolitische Erfolge kurzfristig nicht zu erwarten angesichts der schweren gesamteuropäischen Agrardepression, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts besonders auf die Entwicklungen im landwirtschaftlichen Bereich hemmend wirkte. 109 So verwundert es nicht, wenn noch 1667, also rund zwei Jahrzehnte nach Beendigung des Krieges, Klagen über den schlechten Zustand der Landwirtschaft in Anhalt laut wurden: Es gebe keinen Ort und keine Stadt im gesamten Fürstentum, schrieben BUrgermeister und Rat der Stadt Dessau an Johann Georg, "da schlechter[er] und geringer[er] Ackerbau als eben alhier zu Deßau" 110• Dennoch ließen sich schon im ersten Regierungsjahrzehnt des Fürsten Anzeichen der Erholung feststellen. Der Viehbestand wuchs wieder an, und im Jahre 1668 konnte eine auffallend reiche Ernte verzeichnet werden. 111 Die bereits erwähnten Rodungen, die Trockenlegungen und die Arbeiten zum Schutz der Äcker vor Hochwasser trugen dazu bei, daß sich die Lage allmählich zu entspannen begann.

Ebd., besonders S. 85, 87 und 135; Hoppe, Domänen, S. 7; Thomas, S. 51 f. LAO Abt. Dessau A 9 a li b Nr. 13, fol. 150 f. 108 Ebd., fol. 150. 109 Abel, S. 182-185; Kau.fhold, S. 559 f. 110 LAO Abt. Dessau C 2 a li b Nr. 9, fol. 20 (Konz.). 111 Wäschke, Geschichte der Stadt Dessau, S. 96.

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Hinzu trat ein Faktor, der ungeachtet der schlechten strukturellen Voraussetzungen und unabhängig von konjunkturellen Entwicklungen belebende Wirkung in Anhalt-Dessau entfaltete und ftlr das kleine Fürstentum als Glücksfall bezeichnet werden muß: Mit Henriette Catharina hielt eine oranische Prinzessin Einzug in die Dessauer Residenz, die es verstand, in ökonomischer, sozialer und kultureller Hinsicht entscheidende Impulse aus den fortschrittlichen Niederlanden zu vermitteln. Die Republik der Vereinigten Niederlande, "die vielbewunderte und eifrig kopierte europäische Vorreitergesellschaft" 112, war noch zum Zeitpunkt der Heirat Johann Georgs und Henriette Catharinas die fllhrende Wirtschaftsmacht Europas. Nicht nur im Bereich des Handels, sondern auch auf dem gewerblichen und landwirtschaftlichen Sektor galt ihre Innovations- und Modernisierungskraft als vorbildlich. In der Landwirtschaft resultierte ihr Vorsprung aus der Tatsache, daß man langfristig durch die Autbringung und den Einsatz großer Kapitalmengen, durch einen hohen Grad an Spezialisierung sowie durch den Einsatz modernster Technologie ein im übrigen Europa unerreichtes Produktionsniveau erzielt und sich in optimaler Weise auf die gesteigerte Nachfrage nach Agrarprodukten eingestellt hatte. Diese Erfolge hatten sich aber nur einstellen können, da die Bauern nicht oder in geringem Maße durch feudale Strukturen eingeschränkt waren und daher durch die Anwendung modernerer, kapitalistischer Produktionsverfahren und Betriebsformen sehr flexibel wirtschaften konnten. Es sollte sich zeigen, daß Henriette Catharina die Fähigkeit besaß, nüchtern und gewinnbringend zu wirtschaften. Durch ihr vielfliltiges Engagement im ökonomischen Bereich, das sicherlich auch ein Resultat ihrer vom Calvinismus und dessen Forderung nach einer aktiven Lebensfllhrung geprägten Erziehung war, trug sie zur langsamen wirtschaftlichen Gesundung des Fürstentums Anhalt-Dessau bei. Die materiellen Grundlagen daftlr bestanden zum einen in den zahlreichen Donationen, die Henriette Catharina von Johann Georg in den sechziger Jahren erhielt - neben dem Wittumssitz Sandersleben, der 1666 gegen Haus, Amt und Forst zu Wörlitz, das Dorf Sollnitz sowie das Vorwerk Retzau eingetauscht wurde, 113 sind das Dorf Kleutsch und besonders Nischwitz, das spätere Oranienbaum, zu nennen. Zum anderen war entscheidend, daß Henriette 112 Schilling, Höfe und Allianzen, S. 74. Zum Folgenden und zum Phänomen des Aufstiegs der Niederlande insgesamt vgl. die gut zusammenfassenden Darstellungen ebd., S. 74 ff., sowie bei dems., Republik und bei Lademacher. 113 Der Konsens der anhaltischenFürsten erfolgte im Mai 1666. Vgl. hierzu die Akten LAO HA Zerbst XXXVI Nr. 19. Über die erwähnten und einige weitere kleinere Donationen Johann Georgs an seine Gattin - die diesbezüglichen Archivalien der Abt. Dessau des Landesarchivs Oranienbaum sind verschollen - informieren das dortige Findbuch der Abt. Dessau Band I sowie das Inventarium der Verlassenschaften Henriette Catharinas aus dem Jahre 1709 im KHA A 14 XIV D-5 a

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Catharina weit mehr fmanzielle Mittel als ihr Gemahl dafilr aufwenden konnte, zusätzliche Bauern- und Rittergutsländereien aufzukaufen und auf ihren Gütern neue landwirtschaftliche Anbauformen und Anbaumethoden zu praktizieren. 114 Sowohl die Einlösung des Amtes Wörlitz als auch der Erwerb des adligen Gutes Pötnitz 115 wurde bezeichnenderweise durch Kapital Henriette Catharinas realisiert. Ob die Fürstin schon in den ersten Jahren nach dem Regierungsantritt ihres Gemahls größere Aktivitäten im Bereich der Landwirtschaft entfaltete, ist schwer zu beurteilen. Eine vorliegende Untersuchung über die landwirtschaftliche Entwicklung in Oranienbaum 116 läßt erkennen, daß hier eher filr spätere Jahrzehnte Initiativen Henriette Catharinas nachweisbar sind. Handelspolitisch erfolgte während der Regierungszeit Johann Georgs eine verstärkte Ausrichtung Anhalt-Dessaus auf Brandenburg-Preußen, ohne daß die traditionell starken Handelsverbindungen mit den kursächsischen Landen an Bedeutung verloren. Das Dessauer Fürstenpaar war besonders darauf bedacht, den Export von heimischen Agrarprodukten voranzutreiben. 117 Dabei stößt man auf die Schwierigkeit, Johann Georgs Handeln als Wirtschaftspolitiker einerseits und als Unternehmer andererseits zu differenzieren, 118 denn der Dessauer trieb selbst Handel. Aus den sechziger Jahren liegen zahlreiche an die Elbanlieger gerichtete Briefe Johann Georgs vor, in denen er um die Erlaubnis bittet, seine Hölzer als Fürstengut zoll- und geleitsfrei nach Harnburg flößen zu dürfen. 119 In der Regel erhielt er dafilr die Erlaubnis der angeschriebenen Zollherrschaften, da die gegenseitige Zollbefreiung von Fürstengut faktisch als Anstandspflicht galt. 120 Die Bemühungen Johann Georgs, filr die nach Harnburg 114 Vgl. Jablonowski, Wiederaufbau, S. 49; dies., Landwirtschaft; F. Brückner, Häuserbuch, S. 593. Die anhaltische Forschung beurteilt das wirtschaftliche Wirken der Fürstin insgesamt sehr positiv. Zu den Aufkäufen von Bauern- und Rittergutsländereien durch Henriette Catharina vgl. zusätzlich Machlitt, Domänen, S. 4, und die Spezifikation Fürst Leopolds I. in: Hermann Schulze, Hausgesetze, S. 82. 115 Daß das Geld hierftlr von Henriette Catharina stammte, wurde von Johann Georg am 21. [/31.]3. 1665 in einem eigenhändigen Schriftstück vermerkt. LAO Abt. Dessau C 9 c Nr. 52, fol. 32 (Abschr.). 116 Machlitt, Landwirtschaft. 117 Vgl. dies., Domänen, S. 2 f. 118 Vgl. hierzu grundsätzlich Hassinger, S. 614. Hassinger betont, daß es besonders protestantische Fürsten waren, die selbst Handel trieben. 119 Z. B. LAO Abt. Dessau A 9 a II a Nr. 17, fol. 15-20 und A 9 a II a Nr. 42, fol. 10 ff. Vgl. besonders auch LAO Abt. Dessau C 11 c II Nr. 10, fol. 104, 111 ff., 123 und 127 sowie C 11 c II Nr. 11, fol. 5 f. Siehe ferner GStA PK, I. HA Rep. 11, 1-18 Anhalt Nr. 39 C, fol. 57 und Rep. 19 Nr. 1 b Fasz. 1. Ein Brief Johann Georgs an das Magdeburger Domkapitel vom 26.3. [/5.4.] 1668, in dem es ebenfalls um das zollfreie Flößen von Holz nach Harnburg geht, findet sich in der SBB PK (1), Sammlung Autographa: Johann Georg II., Fürst von Anhalt-Dessau. 120 Rache/, Handels-, Zoll- und Akzisepolitik, S. 676-679. Die Frage, inwieweit der im landesherrlichen Namen ablaufende Güterverkehr tatsächlich als Fürstengut zu qualifizieren war, gab häufig Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten. So bezweifelte etwa der

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verhandelten Hölzer Zollfreiheit zu erlangen, werden nur allzu verständlich, wenn man die damalige Zollerhebungspraxis auf dem Elbstrom berUcksichtigt.121 Zum Zeitpunkt seines Regierungsantritts waren die negativen Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges auf den Elbhandel noch deutlich spürbar. Viele Elbanlieger hatten die Wirren des Krieges dazu ausgenutzt, Zölle zu erhöhen oder zum Teil sogar neue einzufilhren. 47 Zölle zählte man nach dem Krieg, wobei sich in der Folgezeit besonders der Lauenburger Elbzoll als belastend erwies. Der aus dieser Entwicklung resultierende Anstieg der Frachtkosten stellte eine erhebliche Beeinträchtigung des Elbhandels und insbesondere des Getreidehandels dar. Auch die ab 1662 wieder in Gang gekommenen Elbhandelskonferenzen, an denen Anhalt offenbar nicht teilnahm, 122 vermochten es nicht, die Situation entscheidend zu verbessern. Eine der wichtigsten Einnahmequellen Johann Georgs war der Salzhandel, der in Anhalt-Dessau filrstliches Monopol war. 123 Das Salz mußte in das Fürstentum importiert werden und wurde über Salzfaktoren an die Untertanen, die eine bestimmte jährliche Salzmenge abnehmen mußten, zu einem verhältnismäßig hohen Preis verkauft, 124 was zu einem erheblichen Salzschmuggel ftlhrte. Daß sich Johann Georg bei seiner Wirtschafts- und Handelspolitik frühzeitig an kameralistisch-merkantilistischen Grundsätzen orientierte, läßt sich anband zahlreicher Einzelbelege nachweisen. Ein typisches Beispiel stellt ein Holzmandat des Fürsten aus dem Jahre 1668 dar.m Auf die zunehmende und zum Schaden der filrstlichen Einnahmen erfolgte Einfuhr auswärtigen Holzes in die Magdeburgische Administrator August von Sachsen-Weißenfels 1663, daß das von Johann Georg verhandelte Holz reines Fürstengut war, da auch die an dem Handel beteiligten Handelsleute ihren Nutzen daraus zögen. Administrator August an die Dessauer Regierung, Halle 14. (/24.]4. 1663 LAO Abt. Dessau C II c II Nr. 10, fol. 111 ff. Einen ablehnenden Bescheid erhielt Johann Georg zum Beispiel im Jahre 1667 von Herzog Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg-Celle. LAO Abt. Dessau A 9 a II a Nr. 17, fol. 15-18. 121 Zum Folgenden vgl. Wieske, besonders S. 77-89. Zum Dessauer Getreidehandel auf der Eibe während des 17. Jahrhunderts vgl. Machlitt, Getreidehandel, S. 21. 122 Vgl. Rache/, Handels-, Zoll- und Akzisepolitik, S. 258. 123 F. Brückner, Häuserbuch, S. 589 f. und 1341. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß Johann Georg beabsichtigte, die reichen Holzvorräte seines Fürstentums zu nutzen, um Holz gegen Salz einzutauschen. Dieses Salz wollte er anschließend mit Gewinn an die märkischen Faktoreien verhandeln. Jablonowski, Wiederaufbau, s. 51. 124 Im Jahre 1669 zum Beispiel kalkulierte Johann Georg mit einem Salzkonsum im Dessauer Landesteil, der zumindest 1.000 Tlr. einbringen sollte. Johann Georg an die Dessauer Regierung, (eh) Berlin 3. (/ 13.]3. 1669 LAO Abt. Dessau C 10 a I Nr. 3 a, fol. 15 und 17. 125 LAO Abt. Dessau C 5 g Nr. 711, fol. 80, mit eigenhändigen Verbesserungen Johann Georgs. Vgl. auch Johann Georg an die Dessauer Regierung, (eh) Berlin 3. (/ 13.]3. 1669 LAO Abt. Dessau C 10 a I Nr. 3 a, fol. 16.

1. Landesherrschaft in Anhalt

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Städte Dessau, Jeßnitz und Raguhn reagierte der Fürst, indem er die Erhebung einer Akzise ftlr bestimmte eingefiihrte Hölzer anordnete. Auch wurde den Flößern aufgetragen, nur noch anhalt-dessauisches Holz zu transportieren. Über die Wirksamkeit dieser Vorgehensweise des Fürsten läßt sich nur spekulieren. Sicher ist jedenfalls, daß die Herausbildung eines florierenden Handels mit den Nachbarterritorien, woran das kleine Durchgangsland Anhalt-Dessau in hohem Maße interessiert sein mußte, durch eine solche Politik gehemmt wurde. Überdies zeugt beispielsweise der bereits erwähnte Salzschmuggel von der Schwierigkeit zu verhindern, daß derartige protektionistische Maßnahmen hintertrieben wurden. Charakteristisch filr eine merkantilistisch ausgerichtete Politik war zudem eine noch vor Ablauf des ersten Regierungsjahrzehnts Johann Georgs auf dem Sektor der gewerblichen Wirtschaft vorgenommene wichtige Neuerung: der 1669 erfolgte Bau einer Glashütte in Nischwitz, der den Beginn der vergleichsweise kurzen und insgesamt nur bedingt erfolgreichen Manufakturperiode in Anhalt-Dessau markierte. 126 Initiator des Hüttenbaus war Wilhelm Heinrich von Freyberg, der vielfach persönliches Interesse an der praktischen Umsetzung neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zeigte. Überliefert sind zum Beispiel seine Initiative bei der Anlegung eines Steinbruchs und beim Abbau von Tonvorkommen sowie seine Bemühungen auf dem Gebiet der Salpetersiederei. Als Glasmeister der Nischwitzer Hütte wurde Georg Gundeiach aus Hessen angestellt. Auch ein Glasmaler wurde eine Zeitlang beschäftigt. Im ersten Jahrzehnt wurde die Hütte durch sogenannte G Iasschreiber administriert und erst 1679 verpachtet. Sie produzierte zunächst mit Erfolg gewöhnliches Tafelglas und ab 1670 auch Kristallglas. Mit großem Interesse verfolgte der am Berliner Hof weilende Dessauer Fürst die ersten Resultate der Bemühungen. Am 8. Dezember 1669 schrieb er an Nüßler: "Das eine so gutte aparentz seinem bericht nach da ist, das es mit dem glaß blasen itzo reussiren möchte, vernehme ich gerne [... )." 127 Die Entwicklung späterer Jahrzehnte sollte allerdings zeigen, daß sich die mit dem Bau dieser ersten anhalt-dessauischen Manufaktur verbundenen Hoffnungen und Erwartungen nicht erfiillten. 128 Zunächst war jedoch ein hoffnungsvoller Anfang gemacht. In der Residenzstadt Dessau konnte zu dieser Zeit noch nicht von einer entscheidenden wirtschaftlichen Erholung die Rede sein. Die große Steuer- und Schuldenlast der Stadt ließ die Wirtschaft ebenso stagnieren wie der danieder126 Zum Folgenden vgl. F. Graf, Oranienbaum, S. 67 ff.; Wäschke, Geschichte der Stadt Dessau, S. 98; B. Heese, Frühzeit der Industrie, BI. 3; ders., Manufakturen und Glashütten; F. Brückner, Häuserbuch, S. 1059 und 2089-2092; Jablonowski, Wiederaufbau, S. 53 ff. 127 (Eh) Berlin 28.11. [/8.12.) 1669 LAO Abt. Dessau A 9 a II a Nr. 61, fol. 201. 128 Vgl. Kapitel VIII.2.

IV. Die doppelte Aufgabe

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liegende Elbhandel. 129 Traditionell kam neben dem Wollexport in die kursächsischen Lande dem städtischen Bierbrauen besondere Bedeutung zu: "In dem Fürstenthumb Anhalt werden nicht große commercia mit Kauf- und Verkaufren getrieben, statt derselben aber findet sich in denen Städten die Braunahrung und zwartt also, daß sie wohl die Hauptnahrung genennet werden mag" 130, heißt es in einem undatierten Gutachten eines nicht genannten Verfassers zu der Frage, wie die "Braunahrung" in den anhaltischen Städten einzurichten sei. Auch in diesem Bereich hatte sich der Krieg negativ bemerkbar gemacht. Die Qualität des Dessauer Bieres war gesunken, zunehmend wurde auswärtiges Bier eingefilhrt, die Brauer klagten über schlechten Absatz. Erschwerend hinzu kam die Konkurrenz durch das adlige Bierbrauen, das nicht selten Anlaß zu städtischen Beschwerden bei der Dessauer Regierung gab 131 und das ein Dauerproblem darstellte, welches noch auf dem Landtag des Jahres 1687 eine gewichtige Rolle spielte. In engem Zusammenhang mit der angespannten wirtschaftlichen Lage nach dem großen Krieg stand die anwachsende Zahl deljenigen Personengruppen, die unter dem Begriff ,,Arme" subsumiert werden. Die Armenftlrsorge galt traditionell als zentrale Aufgabe und wesentlicher Bestandteil der obrigkeitlichen Politik. Aufgrund seiner funktionalen Bedeutung als geeignetes Objekt zur Demonstration christlicher Nächstenliebe und damit als Mensch, der infolge seiner sozialen Bedürftigkeit seinen Mitmenschen die Gelegenheit gab, dem Streben nach Seelenheil durch das Vollbringen guter Taten Ausdruck zu verleihen, war der Arme ein wichtiges Mitglied der an christlichen Werten orientierten frühneuzeitlichen Gesellschaft. 132 Charakteristisch ft1r die Entwicklung des öffentlichen Armenwesens war das Bestreben des frühmodernen Staates, die schon seit dem späten Mittelalter, am frühesten in den Städten, zutage tretenden Bemühungen zu intensivieren, die Armenftlrsorge stärker zu reglementieren und auf die einheimischen, ortsansässigen Armen zu beschränken. Dabei darf nicht übersehen werden, daß die Armenversorgung weiterhin in wesentlichen Teilen durch private Hilfeleistungen getragen wurde - durch die Familie, Freunde oder Nachbam. 133

Vgl. hierzu Machlitt, Domänen, S. 10, und dies., Wiederaufbau, S. 52. LAO Abt. Dessau B 2 a Nr. 168, fol. 14. Empfohlen wird in diesem Gutachten, verstärkt darauf zu achten, daß nicht mehr Bier gebraut werde, als es der Verbrauch erfordere. Zum Folgenden vgl. F. Brückner, Häuserbuch, S. 244 ff.; Jablonowski, Wiederaufbau, S. 52, und dies., Landwirtschaft, S. 42. 131 Z. B. Bürgermeister und Rat der Stadt Dessau an die filrstliche Regierung, Dessau 1. [/11.)5. 1666 LAO Abt. Dessau C 2 a II b Nr. 9, fol. 95 und 100 (Konz.). 132 Vgl. Roeck, Außenseiter, S. 66. 133 Hippe/, Armut, S. 44-53; Dinges, besonders S. II und 27. Als erstes Ehepaar nahmen der Sandrichter Matthäus Genseier und seine Frau zehn Waisenkinder auf, verkauften zu diesem Zweck ihr bisheriges und erwarben ein neues Haus. Vgl. hierzu den 129

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Im Bereich der institutionell-amtlichen Armenftlrsorge unterscheidet die Forschung zwei Bereiche: zum einen die "geschlossene" Armenpflege in bestimmten Anstalten, die jeweils zur Versorgung einer bestimmten Personengruppe, wie zum Beispiel der Alten, Kranken, Waisen und Witwen, gedacht waren; zum anderen die "offene", also nicht an derartige Anstalten gebundene Armenpflege.l34 Während der sechziger Jahre wurde das Dessauer Fürstenpaar auf beiden Gebieten der Armenftlrsorge aktiv. 1662 schenkte Henriette Catharina dem Dessauer Hospital zu St. Georg 200 Tlr., wobei die jährlichen Zinsen dieses Kapitals den armen Insassen des Stifts zukommen sollten.135 Anläßtich der im November 1663 erfolgten Geburt ihres ersten Sohnes, Friedrich Casimir, der noch vor Vollendung des zweiten Lebensjahres 1665 starb, erwarben Johann Georg und Henriette Catharina ftlr einen Betrag von insgesamt 6.000 Tim. das adlige Gut zu Pötnitz, das jährlich eine ftlnfprozentige Verzinsung einbringen sollte, und stifteten die jährliche Zinssumme von 300 Tim. zur Versorgung von insgesamt zehn Waisenkindem. 136 Da zunächst kein geeignetes Haus zur VerfUgung stand wurden die Kinder in Familien untergebracht, die sich verpflichteten, sie zu versorgen und zu erziehen. Erst 1697, vier Jahre nach dem Tod Johann Georgs, erfolgte auf Veranlassung und in Anwesenheit Henriette Catharinas die Grundsteinlegung ftlr ein Waisenhaus in Dessau. Eine interessante Parallele hatte sich in Brandenburg ergeben. Im Jahre 1665 hatte sich die brandenburgische Kurftlrstin Louise Henriette einen langgehegten Wunsch erfilllt und ein Waisenhaus in Oranienburg gestiftet. 137 Zweifellos manifestierte sich in diesen Waisenhausstiftungen der beiden Oranierinnen das ausgeprägte, nicht zuletzt auch in einer Verinnerlichung calvinistischer Werte begrUndete Gefilhl christlicher Verantwortung gegenüber sozial Bedürftigen. Auch im Bereich der "offenen" Armenpflege bestand dringender Handlungsbedarf. 138 Eine Bettelei-Verordnung Johann Georgs aus dem Februar 1665 läßt ansatzweise erkennen, wie schwierig sich die Bewältigung der Probleme gestaltete, die aus der stetig anwachsenden Zahl von Bettlern resultierten. Da "den Untertanen in Städten und auf dem Lande durch das überall einreißende Betteln- und Hausierengehen fremder und bisweilen starker Bettler, Umsinger und anderer Müßiggänger unter allerlei Vorwand große Beschwerde zugefUgt und

Vertrag zwischen Johann Georg und Genseier vom 20. [/30.]10. 1664 im LAO Abt. Dessau C 9 c Nr. 52, fol. 22 f. 134 Hippel, Armut, S. 44. 135 Wäschke, Anhaltische Geschichte, S. 124. 136 Vgl. hierzu F. Brückner, Häuserbuch, S. 390, 902 und 1000. 137 T. Saring, Luise Henriette, S. 294 ff.; Beuys, S. 265 f. 138 Das Folgende nach F. Brückner, Häuserbuch, S. 1788 f. 8 Rohrschneider

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IV. Die doppelte Aufgabe

gebrechlichen Leuten der Unterhalt zu Ungebühr entzogen wird" 139, war die Obrigkeit entschlossen, ordnend einzugreifen und dem Mißbrauch der Almosen entgegenzuwirken. Hauptziel war es, Regelungen zu fmden, die bewirkten, daß die Almosen den einheimischen unterstützungsbedürftigen Armen zugeftlhrt wurden. Landfremde, denen das Betteln in Anhalt-Dessau grundsätzlich verboten wurde, sollten daher möglichst schnell zum Weiterzug bewegt werden. Ihnen wurde deshalb eine Art Viaticum140, eine Wegzehrung in Höhe von 1 Groschen und 6 Pfennigen aus dem Armenkasten zugestanden. Dieser Armen- oder Almosenkasten, über den der Superintendent und Geistliche verfUgten, sollte jährlich revidiert werden. Darüber hinaus wurde angeordnet, daß jeweils am Gründonnerstag eine Haussammlung durchzufUhren sei, welche zusätzliche Mittel zur Versorgung der einheimischen Armen einbringen sollte. Erkennbar ist, daß trotz des feststellbaren Bemühens der landesherrlichen Seite, kontrollierende und kanalisierende Wirkung zu entfalten, der Erfolg oder Mißerfolg der Bettel-Verordnung letztlich immer von der Bereitschaft des einzelnen Untertanen zu spenden abhängig blieb. Insofern hat die jüngere Forschung zu Recht davor gewarnt, die Reichweite und die Effizienz obrigkeitlicher Armenpolitik überzubewerten, und zugleich aufgezeigt, daß die Umsetzung der sehr wohl vorhandenen sozialdisziplinierenden Intentionen der Obrigkeiten in der alltäglichen Praxis vielfach an den unzureichenden materiellen und institutionell-organisatorischen Voraussetzungen scheiterte. 141 Die "Sozialdisziplinierung" - nach Gerhard Oestreich ein "Fundamentalvorgang", der eine "geistig-moralische und psychologische Strukturveränderung des politischen, militärischen, wirtschaftlichen Menschen" 142 zur Folge hatte ist von der neueren Forschung als "säkularer Prozeß" gedeutet worden, "an dem je auf ihre spezifische Art kirchliche, staatliche, gesellschaftliche, kulturelle und weitere Kräfte teilhatten" 143 • Die Verordnungen der Fürsten von Anhalt in den ersten Jahren nach der Beendigung des Dreißigjährigen Krieges liefern besonders anschauliche Beispiele dafilr, wie sich die landesherrliche Seite bemühte, reglementierend in das Leben der Untertanen einzugreifen. Denn nicht nur die fatalen wirtschaftlichen Nachwirkungen des Krieges stellten ein zentrales Problem filr die Obrigkeit dar. Auch und gerade die mentale Verfassung der Be-

Aus der Verordnung von 1665, zitiert nach ebd. Diese Praxis, Landfremde durch Reichung eines Viaticums zum baldigen Weiterwandern zu bewegen, war vielerorts üblich. Hippe/, Armut, S. 49. 141 Ebd., S. 110 f.; Dinges, S. ll. 142 Oestreich, Strukturprobleme, S. 337 f. Vgl. hierzu insgesamt W: Schulze, Gerhard Oestreichs Begriff Sozialdisziplinierung; vgl. ferner zuletzt Heinrich Richard Schmidt, Sozialdisziplinierung, hier besonders S. 640 f. 143 Schilling, Kirchenzucht, S. 17. 139

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1. Landesherrschaft in Anhalt

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völkerung gab Anlaß zur Besorgnis. Ein Verfall der Sitten- und Kirchenzucht 144 war ebenso zu konstatieren wie das auffiillige Bedürfnis vieler Menschen, angesichts der alltäglichen Erfahrung der Vergänglichkeit allen Seins stark gegenwartsbezogen zu leben, was sich besonders sinnfällig in einer gesteigerten Verschwendungs- und Genußsucht äußerte. Die Verordnungen aus dem ersten Regierungsjahrzehnt Jobarm Georgs, die diesen Krisensymptomen disziplinierend entgegenwirken sollten, standen in der Kontinuität der schon zu Zeiten seines Vaters in Anhalt-Dessau getroffenen Maßnahmen. Schon 1645 hatte Fürst Johann Casimir ein Mandat "wegen Feierung der Sonntage, behufs der Predigt, Tumultierens, Schießens und Balgens, insbesondere wegen übermäßigen Fressens und Saufens, Schreiens und Gassatengehens und anderer dergleichen Laster'.1 4s erlassen, das von Jobarm Georg 1662 erneuert wurde. 1651 und 1656 waren dringende Ermahnungen zur Führung eines gottesftlrchtigen, demütigen und sittsamen Lebens erfolgt; 1669 erging eine Verordnung gegen das Spielen und bald darauf ein Mandat über die Verpflichtung zum allsonntäglichen Kirchenbesuch. 146 Auch die Dessauer Hofordnung des Jahres 1663, die den Alltag am Hof Jobarm Georgs normierte, trug deutlich sozialdisziplinierenden Charakter, da sie wesentlich darauf abzielte, die Aufrechterhaltung der Disziplin und der Moral der am Hofe Beschäftigten zu gewährleisten. 147 Auf der Ebene des Gesamtftlrstentums wurde mit der Gesindeordnung von 1653, der Landesordnung von 1666 sowie mit der Kleider-, Verlöbnis-, Hochzeits-, Tauf- und Begräbnisordnung von 1669 148 ebenfalls die obrigkeitliche Intention zum Ausdruck gebracht, durch den Erlaß landesherrlicher Bestimmungen Disziplinierungsmechanismen in Gang zu bringen, die es ermöglichen sollten, eine stärkere Kontrolle auf die Lebensgestaltung der Untertanen auszuüben. Insgesamt gesehen können die Probleme, mit denen Jobarm Georg bei seinem Regierungsantritt in Anhalt-Dessau konfrontiert wurde, ebenso wie die er144 Zum Zusammenhang von Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung, auf den hier nicht näher eingegangen werden kann, vgl. die neueren Forschungsüberblicke von Brecht und Schilling. Kirchenzucht 145 Würdig!B. Heese, S. 224 f. Die Verordnung von 1662 findet sich im LAO Abt. Dessau C 5 g Nr. 711, fol. 19-22 bzw. fol. 23 ff. 146 Würdig!B. Heese, S. 225 f. 147 Die Hofordnung vom 25.9. [/5.10.] 1663 im LAO Abt. Dessau A 12 a Nr. 3, fol. 104-109. Zur Bedeutung von Hofordnungen als Instrument zur Disziplinierung des Hofalltags vgl. Rainer A. Müller, Fürstenhof, S. 40 f. 148 Die Ordnung von 1669 bei Würdig/8. Heese, S. 248-255. Zur Funktion von Kleiderordnungen als Mittel zur Fixierung der bestehenden ständischen Ordnung vgl. Dipper, S. 87 f. Zur Gesindeordnung von 1653 und zur Landesordnung von 1666 vgl. zusätzlich Kapitel IV.l.a dieser Arbeit. Gerade auf die Bedeutung der Landes- und Policeyordnungen ftir die Sozialdisziplinierung hat die Forschung wiederholt aufmerksam gemacht.

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griffeneo Maßnahmen zu ihrer Bewältigung in hohem Maße als zeittypisch qualifiziert werden. Die ökonomischen, sozialen und mentalen Tiefenwirkungen des großen Krieges erforderten allerorten Initiativen zum Wiederaufbau, zur Re- und Neuorganisation des wirtschaftlichen und sozialen Lebens. Gewiß war die Aufgabe, die sich dem Dessauer Fürsten als Landesherr stellte, infolge der Inanspruchnahme durch seine zeitaufwendigen kurbrandenburgischen Dienste eine doppelt schwere. Dementsprechend konnte eine Bilanz am Ende seines ersten Regierungsjahrzehnts nur vereinzelte Erfolge und keine einschneidenden, substantiellen Besserungen vorweisen. Dessenungeachtet aber darf nicht übersehen werden, daß bereits in den sechziger Jahren zukunftsweisende und erfolgversprechende Projekte in Angriff genommen wurden - zu denken ist etwa an die Gründung der ersten Manufaktur in Anhalt-Dessau oder die intensiven Bemühungen, die Ertragslage der Domänen zu verbessern -, deren langfristige Wirksamkeit sich erst noch erweisen mußte. c) Religiöses, geistiges und kulturelles Leben Der gegen Ende des 16. Jahrhunderts erfolgte und mit einem Übertritt in das politische Lager der antihabsburgischen Partei einhergehende Konfessionswechsel der anhaltischen Fürsten zum Deutschreformiertenturn 149 hatte im Zuge der Landesteilung von 1603/06 eine nochmalige Sanktionierung erfahren. Es entstanden nun vier reformierte Landeskirchen, deren Bekenntnisgrundlage die Confessio Augustana variata, der Heidelberger Katechismus und die Pflilzer Agende waren. Maßgeblich filr die weitere Entwicklung war die traditionell stark an Melanchthon anknüpfende, "philippistische" Orientierung der anhaltischen Kirche. Die einzelnen Landeskirchen blieben ausgesprochen obrigkeitlich geprägt. Als im Westflilischen Frieden die lange Zeit heftig umstrittene reichsrechtliche Anerkennung der Reformierten erfolgte, 150 hatte sich die konfessionelle Situation in Anhalt bereits wieder fundamental verändert. Gegen den ausdrücklichen Willen der reformierten anhaltischen Fürsten bemühte sich Johann III. von Anhatt-Zerbst seit den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts, in seinem Landesteil das Luthertum wieder zu etablieren. 151 Durch die massiven Maßnahmen dieses streng lutherisch erzogenen Fürsten gegen die Reformierten im Zerbster Teilfilrstentum veranlaßt, waren die übrigen anhaltischen Fürsten schon früh149 Zu den politischen Implikationen des Konfessionswechsels vgl. Kapitel II dieser Arbeit. Zum Folgenden vgl. Schrader, S. 98 ff.; Heinrich Richard Schmidt, Konfessionalisierung, S. 44-54 und 80-86; Jablonowski, Calvinismus; Merz, S. 56 ff. und 65 f. 150 Vgl. Dickmann, S. 367-373. 151 H. Saring, Kirchenstreit, S. 44 f.; H. Graf, Wie Anhalt-Zerbst wieder lutherisch wurde, S. 33-36; H. Becker, Stadt Zerbst, S. 101 ff.

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zeitig dazu Ubergegangen, RUckhalt beim reformierten brandenburgischen Kurftlrsten zu suchen. 152 Auch der Tod Fürst Johanns im Juli 1667 änderte vorerst nichts am Konfrontationskurs des Zerbster Hofes, da seine Witwe, Sophie Auguste, Tochter Herzog Friedrichs III. von Schleswig-Holstein-Gottorf, und zunächst auch sein 1667 noch unmUndiger Sohn und Nachfolger, Karl Wilhelm, seine Politik fortsetzten. Unterstutzt wurden sie dabei von Landgraf Ludwig VI. von Hessen-Darmstadt, dem lutherischen Mitvormund Karl Wilhelms, und dem ebenfalls lutherischen Zerbster Hofprediger und Superintendenten Johann DUrre, der schon zu Zeiten Fürst Johanns zu den treibenden Kräften am Zerbster Hof gehörte. Für die Position Johann Georgs im Kirchenstreit war es von Bedeutung, daß er ebenfalls Mitvormund Karl Wilhelms war und daher bestimmte Rechte geltend machen konnte. 153 Wie ftlr die anderen reformierten anhaltischen Fürsten waren auch ftlr ihn die Versuche Fürst Johanns, die Kirchenpolitik des Zerbster Hofes durch Auslegung der Bestimmungen des WestflUischen Friedens sowie einiger älterer Verträge zwischen den Fürsten von Anhalt als rechtmäßig darzustellen, 154 ebenso inakzeptabel wie die Taktik des Zerbster Fürsten, verstorbene reformierte Prediger durch Lutheraner ersetzen zu lassen. Im Hinblick auf die Intensität des Engagements Johann Georgs in diesem Konflikt sowie angesichts des 1670 erfolgten Eingreifens Kurbrandenburgs auf seiten der Reformierten erscheint die Entwicklung der sechziger Jahre jedoch nur als Vorspiel der sich in den siebziger Jahren zuspitzenden und mit der Parteinahme des Großen Kurftlrsten immer brisanter werdenden Lage. Die Verschärfung und schließliehe Beilegung der Auseinandersetzungen in der Dekade von 1669 bis 1679 erfolgte aber unter veränderten politischen Rahmenbedingungen, die im ersten Regierungsjahrzehnt des Dessauers noch nicht absehbar waren. Sie wird daher erst im Kontext der Darstellung seiner Politik als anhaltischer Senior geschildert. In engem Zusammenhang mit dem Zerbster Kirchenstreit standen die konfessionell geprägten Auseinandersetzungen um das Gymnasium illustre in Zerbst. 155 Die 1582 von Fürst Joachim Ernst als Alternative und in Konkurrenz 152 H. Saring, Kirchenstreit, S. 43 ff.; H. Landwehr, Kirchenpolitik, S. 95; Meinardus I, S. 680 f, und ebd. II, S. 316 f. 153 Erst mit 21 Jahren galten die Fürsten von Anhalt als majorenn. J. J. Moser, StaatsRecht, S. 24. Johann Georg war nicht nur Mitvormund Karl Wilhelms, sondern seit 1671 auch Vormund Emanuel Lebrechts von Anhalt-Köthen. 154 Unter anderem legte Fürst Johann den Artikel VII "Unanimi" des Osnabrücker Friedensvertrages zu seinen Gunsten aus. Vgl. hierzu im einzelnen H. Saring, Kirchenstreit, S. 44 f.; der Text des Artikels VII IPO in deutscher Übersetzung in: Konrad Müller, Instrumenta Pacis Westphalicae, S. 132 ff. 155 Zur Geschichte des Gymnasiums illustre während der Regierungszeit Johann Georgs vgl. Münnich, S. 106-151; Kindscher. Zum Gymnasium insgesamt vgl. zudem H. Becker, Hochschule; Wäschke, Anhaltische Geschichte, S. 141 f.; Maenicke; Jablonowski, Calvinismus, S. 151 f , und H. Ross, Niederland, S. 36 f. Ross betont die nieder-

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IV. Die doppelte Aufgabe

zu den Universitäten in Wittenberg und Leipzig gegründete Hochschule war bis in das 18. Jahrhundert hinein von großer Bedeutung fllr das wissenschaftliche und geistige Leben in Anhalt. Das Gymnasium stand unter dem Gesetz der akademischen Freiheit - Professoren boten Vorlesungen an, die die Studenten nach freier Wahl besuchen konnten-, es besaß allerdings kein kaiserliches Privileg, das es als Universität anerkannte. Akademische Grade konnten daher in Zerbst nicht verliehen werden. 156 Die Studienzeit betrug in der Regel drei Jahre. Im Durchschnitt ließen sich jährlich etwa zwanzig, in der Mehrzahl aus Anhalt stammende Studenten immatrikulieren, so daß insgesamt jeweils rund sechzig Studenten lÜi der Hochschule lebten und lernten. Bemerkenswert ist, daß allein dreizehn Anhalter, die dort ihr Studium absolviert hatten, Rektoren an der Universität Frankfurt/Oder wurden, darunter zum Beispiel Johann Christoph Beckmann. Auch die beiden Brüder Friedrich und Gottfried von Jena, die später in kurbrandenburgischen Diensten wichtige Positionen einnahmen, hatten an der Zerbster Hochschule studiert. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts wurde das reformierte Gymnasium unmittelbar von den Bestrebungen des Zerbster Fürstenhauses betroffen, Boden fllr das Luthertum zu gewinnen. Für den Rektor hatte dies die Notwendigkeit zur Folge, stets zwischen den beiden konfessionellen Polen zu lavieren: Einerseits unterstand das Gymnasium dem anhaltischen Gesamthaus, dessen Senioren stets reformierten Bekenntnisses waren; andererseits kollidierten deren Bemühungen, lutherische Einflüsse von der Anstalt femzuhalten, mit den beständigen Versuchen des Zerbster Fürsten, in die Angelegenheiten des Gymnasiums zugunsten der Lutheraner einzugreifen. 157 Bezeichnend fllr die großen Probleme der fmanziell zerrütteten und inmitten der konfessionellen Differenzen stehenden Hochschule war, daß nach dem Tod des Rektors Sirnon Heinze Ende 1660 eine über zwei Jahre andauernde Vakanz bestand, während der das Gymnasium stellvertretend durch den dort lehrenden Professor Johann Köppen, den späteren kurbrandenburgischen Geheimen Rat, geleitet wurde. 158 So war etwa Elias Gräbenitz, Professor an der Universität Frankfurt/Oder, der zwischenzeitlich in Verhandlungen mit den anhaltischen Fürsten stand und fllr dessen Berufung sich Johann Georg sehr einsetzte, nicht bereit, seine Stellung an der Viadrina aufzugeben, um das Rektorat in Zerbst zu übernehmen. Neuer Rektor wurde schließlich 1662 der aus Bremen stammende ländischen Einflüsse auf die Hochschule. Zur Geschichte des Gymnasiums im späten 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts vgl. demnächst ausfUhrlieh die Dissertation von Joachim Castan "Hochschulwesen unter reformierter Konfessionalisierung. Das Gymnasium illustre des Fürstentums Anhalt in Zerbst, 1582-1652". 156 Das Folgende nach Münnich, S. 143 f. und 235 ff. 157 Ebd., S. 112 f. 158 Vgl. hierzu und zum Folgenden ebd., S. 106-122; Kindscher, besonders S. 284289.

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Lüder Kannengießer, der den anhaltischenFürsten offenbar nicht nur aufgrund seiner fachlichen Qualitäten, sondern auch wegen seines wenig streitbaren Charakters empfohlen worden war. Kannengießers Amtszeit (1662-1680) fiel in die Phase des Niedergangs des Gymnasiums. Die Finanzlage verbesserte sich nicht entscheidend, und die konfessionellen Streitigkeiten konnten erst nach seinem Tod ansatzweise beigelegt werden. Diese traten besonders deutlich bei der Berufung neuer Professoren zutage. Grundsätzlich mußten die Fürsten darauf bedacht sein, den bestehenden Mangel an Professoren zu beheben, wollten sie die Aufrechterhaltung des Lehrbetriebes gewährleisten und den angeschlagenen Ruf der Hochschule verbessern. Treffend bemerkte der Senior, Friedrich von Harzgerode, in einem Brief an Johann Georg aus dem August 1666: "[ ... ] und träget fast ein gewißenhafter Vater bedenken, Seinkind weiter dahin zu schikken, oder [... ] 3 jahralldar zu halten, da die Professorat-stellen nicht besetzet [...]."159 Die Bemühungen der reformierten Fürsten, diesem Mißstand entgegenzusteuern, wurden jedoch behindert durch die Versuche des Zerbster Anteils, Lutheraner als Professoren zu berufen. So ftlhrte zum Beispiel der Streit um die Nachfolge Köppens, der 1664 in kurbrandenburgische Dienste trat, besonders drastisch vor Augen, wie festgefahren die konfessionellen Fronten während der sechziger Jahre waren. Denn es gelang dem Zerbster Hof, die Berufung des Kandidaten Kannengießers und der reformierten Fürsten immerhin drei Jahre lang zu verzögern und schließlich durchzusetzen, daß er die ihm ursprünglich zugedachte juristische Professur nicht erhielt. Schon zu diesem Zeitpunkt wurden auf seiten der reformierten anbaltischen Fürsten Überlegungen angestellt, zur Beendigung der Streitigkeiten Kw-brandenburg und den Kaiser einzuschalten, da man damit rechnete, daß der damals noch lebende Fürst Johann von Zerbst die lutherischen Vormächte Schweden und Kursachsen um Unterstützung bat. 160 Die Stellungnahme Johann Georgs in der Frage der Einftlhrung eines lutherischen Professors war kennzeichnend für seine gesamte Konfessions- und Religionspolitik. Anfangs sei er der Meinung gewesen, schreibt er am 16. April 1665 in einem Briefan den Bernburger Fürsten Victor Amadeus, daß es zu größerer Einigkeit innerhalb des Gesamthauses beitragen werde, wenn die Professoren wie bisher einer Religion angehören. 161 Letztlich erkannte er aber die Notwendigkeit, zu einem Modus vivendi mit dem Zerbster Anteil zu gelangen, wollte man vermeiden, daß die konfessionellen Streitigkeiten in Anhalt im allgemeinen und um das Gymnasium illustre im besonderen weiter eskalierten.

Briefaus Harzgerode vom 2. [/12.]7. 1666 LAO Abt. Dessau B 2 e Nr. 9, fol. 90. Ebd. 16 1 (Konz.) ebd., fol. 50. 159 160

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IV. Die doppelte Aufgabe

Langfristig stellte er sich daher der Einftlhrung eines Lutheraners in das Professorenkollegium nicht entgegen. 162 Hier zeigt sich deutlich die ambivalente Haltung Johann Georgs gegenüber den Bestrebungen der Lutheraner im Zerbster Teilfilrstentum. Sie war einerseits geprägt von seiner prinzipiell dem Toleranzgedanken verpflichteten konfessionspolitischen Grundeinstellung und andererseits von seiner Absicht, die Vorgehensweise des lutherischen Zerbster Fürstenhauses nur in gewissen Grenzen zu dulden und gegebenenfalls zur Wahrung der Rechte der Reformierten entschieden einzugreifen. Insgesamt erscheint seine Politik in der Zerbster Religionsfrage und in den Auseinandersetzungen um das Gymnasium illustre - dies sollte sich in den nächsten Jahrzehnten noch deutlicher zeigen- nicht zuletzt als aussagekräftiges Beispiel dafilr, daß sich die dem Calvinismus bzw. dem Reformiertentum von der Forschung vielfach zuerkannte konfessionelle Toleranz gegenüber Lutheranern als politisches Handlungsmotiv mitunter sehr schnell relativierte, wenn es galt, die Interessen des eigenen Bekenntnisses zu wahren.l63 An dieser Stelle muß auf den großen Stellenwert hingewiesen werden, den religiöse Überzeugungen und Gedanken im Leben Johann Georgs einnahmen. Denn seine in Ansätzen bereits in den sechziger Jahren, verstärkt dann in späteren Jahrzehnten erkennbare Bereitschaft, gegenüber den Forderungen der Lutheraner in begrenztem Maße Zugeständnisse zu machen, darf ebenso wie die Tatsache, daß er zu diesem Zeitpunkt als reformierter Fürst am kurfilrstlichen Hof in Berlin eine tendenziell kaiserfreundliche Politik verfolgte, nicht mit konfessioneller oder religiöser Indifferenz verwechselt werden. So verdeutlicht die Zähigkeit, mit der er die konfessionellen Auseinandersetzungen mit dem Zerbster Hof ftlhrte, daß er die Sicherung und Behauptung der Rechte seiner reformierten Glaubensgenossen als zentrale Aufgabe seines politischen Wirkens ansah. Erhaltene Gebete und fromme Aufzeichnungen des Dessauers sowie die vorhandenen zeitgenössischen Beschreibungen seines Charakters verweisen auf seine tiefe Religiosität. 164 Eigenhändig von ihm niedergeschriebene, dem barok162 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch eine Verordnung Johann Georgs vom 6. [/16.]8. 1670 über das sogenannte Wolfgangische Stipendium, die auch die Tendenz zum Ausgleich mit den Lutheranern verdeutlicht. In dieser Verordnung bestätigte der Fürst einen Vergleich zwischen den vier Bürgermeistem von Zerbst und dem Zerbster Kanzler und Superintendenten, demzufolge das Stipendium zur einen Hälfte Reformierten, zur anderen Hälfte Lutheranern zukommen sollte. Die reformierten Stipendiaten sollten zukünftig durch Reformierte, Lutheraner entsprechend durch Lutheraner ersetzt werden. Lobethan, Anhattisches Museum, S. 13 f. 163 Vgl. für das Beispiel Brandenburg-Preußen Heinrich, Religionstoleranz, S. 73. 164 Vgl. hierzu den Konvolut mit eigenhändigen, religiöse Materien betreffenden Aufzeichnungen des Fürsten im LAO Abt. Dessau A 9 e Nr. 5 sowie die vom Dessauer Superintendenten Womrath am Tage nach der Beisetzung Johann Georgs gehaltene Leichenpredigt, die trotz ihrer anlaßbedingten Tendenz zur Verklärung des Verstorbenen

1. Landesherrschaft in Anhalt

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ken Vergänglichkeitstopos folgende "Christliche Gedanken, so oft als man die Glockenstunde schlagen und die Wächterstimme rufen hört'' sind überliefert, ebenso der Hinweis darauf, daß Johann Georg bereits viele Jahre vor seinem Tod persönlich die Auswahl des Textes, der bei seiner Bestattung gepredigt werden sollte, vorgenommen hat. Bezeichnenderweise lautete sein auf Münzen und Medaillen geprägter Wahlspruch "Omnia cum Deo" 165 • Besonders die eigenhändig verfaßten Briefe an seinen Sohn lassen seine einfache und echte Frömmigkeit erkennen. 166 Vor diesem Hintergrund erweisen sich- und dies ist wichtig festzuhalten-die in der älteren preußischen Forschung vorzufmdenden Charakterisierungen, die Johann Georg als "glänzende Gestalt, bombastisch, aber ohne Hinterhalt" und als "richtigen Außenmensch[en]" 167 kennzeichnen, als einseitig und verzerrend. Schwieriger als eine Darstellung der konfessionellen Lage in Anhalt im Jahrzehnt nach dem Regierungsantritt Johann Georgs ist die Skizzierung der quellenmäßig wesentlich schlechter erfaßten Entwicklung des geistigen und kulturellen Lebens in Anhalt-Dessau in diesem Zeitraum. 168 Generell läßt sich konstatieren, daß Johann Georg während der sechziger Jahre nicht erstrangig als Förderer von Kunst und Kultur in Erscheinung trat - zu sehr standen Erfordernisse des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wiederaufbaus im Vordergrund. Die wenigen überlieferten Aktivitäten in diesem Bereich waren weitgehend von höfisch-repräsentativen Interessen und Bedürfnissen bestimmt. Im Gegensatz etwa zu einigen seiner Räte und filrstlichen Zeitgenossen nochmals hingewiesen sei auf die literarischen Aktivitäten des Landeshauptmanns Freyberg sowie des Fürsten Ludwig von Anhalt-Köthen, des Prototyps des Princeps eruditus 169 - wurde Johann Georg im Bereich der Literatur offenbar nur in begrenztem Maße initiativ. Germanistische Forschungen haben ergeben, daß der Dichter Philipp von Zesen, der sich in den ftlnfziger Jahren mehrfach am Dessauer Hof aufgehalten hatte, auch noch in späteren Jahren Kontakte

als wichtiges Zeugnis filr die tiefe Religiosität des Fürsten anzusehen ist. Womrath, besonders die Ausfilhrungen S. ll-18 (bzw. I 065-l 072). 165 Th. Stenze/, WahlsprUche, S. 87. 166 Rammelt, Briefe, S. 31 . 167 Die Zitate bei Ueberhorst, S. 73; vgl. die ähnlichgeartete Charakterisierung bei Philippson III, S. 46 f. 168 Für den Bereich der Musikgeschichte liegt ein Beitrag über die im Landesarchiv Oranienbaum befindlichen Quellen zur anhaltischen Musikgeschichte vor (M Ross, Musikgeschichte), der jedoch nur wenige Hinweise auf das Musikleben in AnhaltDessau während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts enthält und somit indirekt den Eindruck bestätigt, daß dieser Bereich nicht zu den bevorzugten Interessengebieten Johann Georgs zu zählen ist. 169 Zum Ideal des Princeps eruditus vgl. Duchhardt, Protestantisches Herrscherbild, s. 34 f.

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IV. Die doppelte Aufgabe

zu den anhaltischen Fürstenhäusern unterhielt. 170 Ein Blick auf sein